Matthias Dressler, Gina Telle Meinungsführer in der interdisziplinären Forschung
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Matthi...
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Matthias Dressler, Gina Telle Meinungsführer in der interdisziplinären Forschung
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Matthias Dressler, Gina Telle
Meinungsführer in der interdisziplinären Forschung Bestandsaufnahme und kritische Würdigung
Mit einem Geleitwort von Wilfried Ziemer
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Frauke Schindler / Britta Göhrisch-Radmacher Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Satz: SatzReproService GmbH Jena Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1476-7
Geleitwort Soziale Einflussfaktoren stellen in Zeiten von Reiz- und Informationsüberflutung eine wichtige Komponente in Entscheidungsprozessen dar, sei es beispielsweise eine Kaufentscheidung, eine politische Entscheidung anlässlich einer Wahl oder eine berufliche Entscheidung. Neben bestehender Ratgeberliteratur (z. B. Fachzeitschriften, Fachbücher) und dem Internet werden oft Personen aus dem persönlichen Umfeld um Rat gefragt. Diese so genannten Meinungsführer sind eine wichtige Zielgruppe für kommunikationspolitische Maßnahmen von Unternehmen und Werbetreibenden. Zudem ermöglichen neue Technologien und Kommunikationsmittel Mundpropaganda mit großer Reichweite. Meinungsführer besitzen ein großes Einflusspotenzial und mehr Glaubwürdigkeit als Massenmedien und sind somit bedeutend sowohl für die Konsumenten als auch für die Unternehmen und Werbetreibenden. Mit Unterstützung der Techniker Krankenkasse wurden in diesem Buch alle in der Forschung vorliegenden Erkenntnisse zum Thema „Meinungsführer“ zusammengetragen und gegenübergestellt. Kurze prägnante Sätze in einem Kasten am Ende eines jeden Kapitels sowie eine Zusammenfassung am Ende der Arbeit ermöglichen den Lesern in kurzer Zeit einen Überblick über die Thematik und den Stand der Meinungsführerforschung.
Wilfried Ziemer Bereichsleiter Marketing und Vertrieb Techniker Krankenkasse
Vorwort Mit der Thematik „Meinungsführer“ setzen sich Forscher und Praktiker bereits seit fast 70 Jahren auseinander. Nach zahlreichen Bemühungen um dieses Phänomen in den 1960er und 1970er Jahren geriet die Materie ein wenig in Vergessenheit. Jedoch wurde das Interesse an den Meinungsführern mit dem Aufkommen neuartiger Marketingstrategien wie dem Word-of-Mouth-Marketing und dem Viralen Marketing neu geweckt. Zahlreiche neue Studien waren die Folge. Doch diese Vielzahl an Publikationen erschwert eine Transparenz der vorhandenen Ergebnisse. Die vorliegende Arbeit stellt eine Zusammenfassung aller bedeutenden Erkenntnisse seit der Entdeckung der Meinungsführer im Jahre 1940 dar. Darüber hinaus bietet sie eine kritische Auseinandersetzung mit der Thematik „Meinungsführer“. Das vorliegende Buch soll interessierten Studenten, Fach- und Führungskräften sowie Wissenschaftlern einen umfangreichen und strukturierten Einblick in diese Thematik ermöglichen. Matthias Dressler, Gina Telle
Inhaltsverzeichnis Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .XVII 1 Problemstellung und Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 2
2 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Interpersonelle Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Bezugsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Das Meinungsführer-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Das Market Maven-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Die Frühadoptoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7 Die Persönlichkeitsstarken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5 5 5 7 10 14 18 21
3 Entwicklungen der Meinungsführerforschung – Auswirkungen auf bestehende Kommunikationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Entdeckung der Meinungsführer und die Hypothese des Two-Step-Flow of Communication . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Die Überprüfung der Hypothese des Zwei-Stufen-Modells . . . . . . . . . . 3.4 Das Konzept des Ein-Stufen-Flusses der Kommunikation . . . . . . . . . . . 3.5 Das Konzept des Mehr-Stufen-Flusses der Kommunikation . . . . . . . . . 3.6 Two-Cycle-Flow-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7 Netzwerkanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung . . . . . . . . . . . . 4.1 Erkenntnisse in der Meinungsführerforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Funktionen der Meinungsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Motive für Meinungsführerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Voraussetzungen für Meinungsführerschaft . . . . . . . . . . . . . . . .
25 25 26 28 34 35 40 43 51 51 51 51 54 58
X
Inhaltsverzeichnis
4.1.5 4.1.6 4.1.7 4.1.8
Initiierung des Meinungsführungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . Verlauf des Meinungsbildungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rollenverteilung im Kommunikationsprozess . . . . . . . . . . Typologisierungen der Meinungsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.8.1 Locals und Cosmopolitans nach MERTON (1949) . . . . . 4.1.8.2 Formelle und informelle Meinungsführer nach BOOTH und BABCHUCK (1969) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.8.3 Typen von Meinungsführern nach AUFERMANN (1971) 4.1.8.4 Gelegentliche und aktive Meinungsführer nach BABCHUCK und BOOTH (1972) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.8.5 Reale und virtuelle Meinungsführer . . . . . . . . . . . . . . 4.1.8.6 Angeber und Experten nach TREPTE und SCHERER (2005) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Soziometrische oder netzwerkanalytische Methode . . . . . . . . . 4.2.3 Befragung von Schlüsselinformanten innerhalb eines sozialen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Methode der Selbsteinschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.2 Skala von ROGERS und CARTANO (1962) . . . . . . . . . . . 4.2.4.3 Skala von KING und SUMMERS (1970) . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.4 Skala von CHILDERS (1986) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.5 Persönlichkeitsstärken-Skala von NOELLE-NEUMANN (1985) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.6 Market Maven-Skala von FEICK und PRICE (1987) . . . . 4.2.4.7 Skala von FLYNN, GOLDSMITH und EASTMAN (1996) . . 4.2.5 Zusammenfassung und Besprechung der Identifizierungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Der Meinungsführer im Diffusionsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Begriffserläuterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Die Rolle des Meinungsführers im Diffusionsprozess . . . . . . . . 4.3.3 Meinungsführer = Innovator oder Frühadoptor? . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Voraussetzungen und beeinflussende Faktoren für die Innovationsbereitschaft eines Meinungsführers . . . . . . . . . . . . . 4.3.5 Ausnahmefall: Diffusion von bedeutenden Nachrichten . . . . . . 4.4 Merkmale von Meinungsführern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Demografische Merkmale und sozioökonomischer Status . . . . 4.4.3 Soziale Kompetenz, Aktivität und Engagement . . . . . . . . . . . . .
61 63 68 76 76 79 80 83 83 84 86 86 86 88 89 89 91 92 94 96 105 107 108 112 112 113 119 122 124 126 126 127 130
Inhaltsverzeichnis
Involvement, Informationssuche und Informationsquellen der Meinungsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.5 Wissen und Glaubwürdigkeit als Basis für Einflussreichtum . . 4.4.6 Innovativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.7 Persönliche Werte und Persönlichkeitsmerkmale . . . . . . . . . . . . 4.4.8 Lebensstile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.9 Wirkungsrichtung des Einflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.10 Kompetenzbereich des Meinungsführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.11 Kulturelle Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.12 Kritische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Meinungsführer und das Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Jugendliche als Meinungsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI
4.4.4
132 137 139 140 143 146 147 152 154 156 160
5 Bedeutung des Meinungsführer-Konzeptes für das Marketing . . . . . . . . 5.1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Entwicklung neuer Kommunikationskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Einbindung der Meinungsführer in Marketing- und Kommunikationsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
165 165 165
6. Kritische Würdigung des Meinungsführer-Konzeptes . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Vorteile des Meinungsführer-Konzeptes gegenüber den Massenmedien 6.3 Überbewertung des Meinungsführer-Phänomens? . . . . . . . . . . . . . . . . .
173 173 173 174
167
7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
Abbildungsverzeichnis Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung
1: 2: 3: 4: 5: 6: 7: 8:
Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23:
Grafische Darstellung des Aufbaus der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . Referenzgeber-Typen und Produktlebenszyklus . . . . . . . . . . . . . Two-Step-Flow of Communication (Zwei-Stufen-Modell) . . . . . Mehrstufenprozess der Kommunikation nach ROBINSON (1976) Komplexes Modell der Meinungsführung nach WISWEDE 1978) Komplexes Mehrstufenmodell von MERTEN (1986) . . . . . . . . . . Two-Cycle-Flow Modell nach TROLDAHL (1966) . . . . . . . . . . . . Brückenkommunikation: hypothetisches Netzwerk interpersoneller Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Visualisierung des Informationsflusses in einem sozialen Netzwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Enduring Involvement als Motiv für Meinungsführerschaft . . . . Kommunikationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterscheidungsmerkmale von „Locals“ und „Cosmopolitans“ . Soziogramm zu den Kommunikationsbeziehungen unter Ärzten Persönliche und unpersönliche Informationen in jedem tadium der Übernahme technischer Neuerungen . . . . . . . . . . . . Typische Diffusionskurven nach dem Modell von KAAS (1973) Simulation eines Diffusionsprozesses mit verschiedenen Initialadoptoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medienkonsum in Deutschland: Zeitungen, Magazine, Fachzeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medienkonsum in Deutschland: Fernsehkonsum und Internetnutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Sinus-Milieus nach Finanz-Meinungsführergruppen . . . . . . Sinus-Milieus in Deutschland 2004 – Kurzcharakteristik . . . . . . Kriterien mit Auswirkung auf die Wahrscheinlichkeit einer generellen Meinungsführerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . System der Steuerungsinstrumente für interpersonelle Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wichtige Faktoren für das Generieren von Meinungsführern . . .
3 20 27 37 38 39 41 44 46 57 65 77 87 115 118 122 135 137 144 145 150 168 170
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Vergleich von informellen mit massenmedialen Kommunikationskanälen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 2: Market Mavens im Vergleich zu Frühadoptoren und Meinungsführern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 3: Ergebnisdarstellung der Columbia-Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 4: Auswirkung des Word-of-Mouth auf die Kaufentscheidung . . . . . . Tabelle 5: Zweidimensionale Kategorisierung anhand Netzwerkgröße und Meinungsführerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 6: Einteilung anhand des Grades der Meinungsführerschaft und des Wissensstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 7: Skala zur Selbstidentifizierung von Meinungsführerschaft nach ROGERS und CARTANO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 8: Skala zur Selbstidentifizierung von Meinungsführerschaft nach KING und SUMMERS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 9: Skala mit 6 Items von CHILDERS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 10: „Persönlichkeitsstärke“-Skala mit 13 Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 11: Skalenstufen für Skala mit 13 Items . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 12: „Persönlichkeitsstärke“-Skala mit 10 Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 13: Skalenstufen für Skala mit 10 Items . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 14: Likert-Skala von FEICK und PRICE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 15: Skala zur Identifizierung von Meinungsführern nach FLYNN, GOLDSMITH und EASTMAN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 16: Vorteile und Nachteile von drei Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 17: Überlappen von Meinungsführerschaft und Frühadoption . . . . . . . .
6 19 30 66 74 85 91 93 95 98 99 100 102 106 108 109 121
Abkürzungsverzeichnis akt. Anm. d. Verf. eaB bearb. bzgl. d. h. erg. erw. et al. i. d. S. KS-Skala MF u. a. u. ä. überarb. vollst. WoM zit.
aktualisiert(e) Anmerkung des Verfassers ehrenamtliche Berater bearbeitete bezüglich das heißt ergänzte erweitert(e) et alii (und andere, lat.) in dem/diesem Sinne Skala von King und Summers zur Identifizierung von Meinungsführern Meinungsführer und andere und ähnliche(s) überarbeitet(e) vollständig Word-of-Mouth zitiert
1
Problemstellung und Ziel der Arbeit
1.1
Untersuchungsgegenstand
Konsumenten benötigen unter anderem Informationen über die Existenz und Verfügbarkeit von Produkten bzw. Dienstleistungen, um Kaufentscheidungen treffen zu können. Den Konsumenten stehen dafür drei verschiedene Formen von Informationsquellen zur Verfügung: von den Unternehmen und Werbetreibenden beherrschte Informationskanäle (z. B. Produktverpackung, Werbung, Distributionskanäle, Display, persönlicher Verkauf etc.), von Konsumenten beherrschte, d. h. interpersonelle Kommunikationskanäle und neutrale Informationsquellen (z. B. Magazine von der Stiftung Warentest).1 Abhängig von komplexen Faktoren wie beispielsweise die persön-liche Informationsneigung oder das wahrgenommene Kaufrisiko ergeben sich unterschiedliche Ausprägungen des aktiven Informationssuchverhaltens.2 Empirische Studien zeigen, dass insbesondere die interpersonelle Kommunikation von großer Relevanz bei der Wahl von Produkten und Dienstleistungen sowie für die Kundenneugewinnung ist.3 Interpersonelle Kommunikation beeinflusst die Einstellungen und Verhaltensweisen von Individuen, und bezogen auf das Konsumentenverhalten die Präferenzen und Entscheidungen der Konsumenten. Persönliche Kontakte sind oft wichtige Informationsquellen und werden als vertrauenswürdiger eingestuft als formelle Quellen.4 Massenmedial übermittelte Informationen verursachen oft eine Reizüberflutung, wodurch Konsumenten dazu tendieren, solche Informationsquellen zu meiden. Zudem tritt durch Überangebot verursachtes konfuses Kaufverhalten („confused by overchoice“) auf. Konsumenten suchen daher Rat und Hilfe bei anderen Individuen.5 1
Vgl. Cox, Donald, F.: The Audience as Communicators, in: Cox, Donald F.: Risk Taking and Information Handling in Consumer Behavior, (Harvard University) Boston 1967, S. 172–187, S. 177. 2 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Franz Vahlen München) München 2003, S. 247ff./441f. 3 Vgl. Walsh, Gianfranco; Mitchell, Vincent-Wayne: German Market Mavens’ Decision-Making Styles, in: Journal of Euromarketing, Vol. 10, 2001, Issue 4, S. 83–108, S. 84. 4 Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97. 5 Vgl. Wiedmann, Klaus-Peter; Walsh, Gianfranco; Buxel, Holger: Kaufentscheidungsdimensionen des Market Maven, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 46, 2000, Nr. 4, S. 404–424, S. 405; auch: Wiedmann, Klaus-Peter; Walsh, Gianfranco; Mitchell, Vincent-Wayne: The Mannmaven: An Agent for Diffusing Market Information, in: Journal of Marketing Communications, Vol. 7, 2001, S. 195–212, S. 196; auch: Walsh, Gianfranco: Der Market Maven in Deutschland: ein Diffusionsagent für Marktinformationen, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 45, 1999, Nr. 4, S. 418–434, S. 420.
2
1 Problemstellung und Ziel der Arbeit
Eine besondere Rolle im interpersonellen Kommunikationsprozess wird den Meinungsführern zugeschrieben, die durch großes Wissen sowie hohe soziale und kommunikative Kompetenz Einfluss auf andere haben. Eine Vielzahl von vor allem in den USA veröffentlichten praxisorientierten Publikationen (z. B. „The Tipping Point“ von Malcom Gladwell) über virales Marketing und die große Wirkung kritischer Massen scheinen eine Hysterie um Meinungsführer sowie deren Einsatzpotenzial in Marketingkampagnen ausgelöst zu haben. Die Meinungsführerforschung hat ihren Ursprung in den 50er Jahren. Seitdem beschäftigten sich zahlreiche Forscher unterschiedlicher Disziplinen mit dieser Thematik. Trotz der Entwicklungen in den 50er und 70er Jahren scheint es, dass die interpersonelle Kommunikation in den 90er Jahren in Studien zur Kommunikationsforschung an Bedeutung verloren hatte und die Massenkommunikation wieder in den Vordergrund getreten ist.6 Erst im 21. Jahrhundert ist wieder ein verstärktes Interesse an der Meinungsführungskonzeption erkennbar. Doch gelten in Zeiten von Globalisierung, Web 2.0,7 Flexibilität, Mobilität und Individualität noch die gleichen Theorien wie vor 60 Jahren? Dieser Fragestellung und der Frage nach der Überbewertung des Meinungsführer-Konzeptes wird in der vorliegenden Arbeit nachgegangen.
1.2
Aufbau der Arbeit
Es erfolgt eine kritische Aufarbeitung bestehender Theorien und Modelle über Meinungsführerschaft. In Kapitel 2 werden dazu begriffliche Abgrenzungen vorgenommen und grundlegende Informationen vermittelt. In Kapitel 3 wird der Entwicklung der Meinungsführerforschung nachgegangen und ihre verändernde Wirkung auf vorhandene Kommunikationsmodelle veranschaulicht. Nachfolgend in Kapitel 4 wird der Meinungsführungsprozess näher beleuchtet, wobei Funktionen, Motive und Wirkungen der Meinungsführerschaft herausgestellt werden. Zudem werden Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern vorgestellt und der Meinungsführer im Diffusionsprozess dargestellt. Im Anschluss wird versucht eine allgemein gültige Charakterisierung von Meinungsführern vorzunehmen. Ebenso werden erste Erkennt-
6
Vgl. Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchungen zum Einfluß der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995, S. IIIf. 7 Der Begriff Web 2.0 wird in der Literatur nur vage definiert. Es fehlt oftmals ein einheitliches Verständnis. Urspünglich stammt der Begriff von Tim O’Reilly einem Softwareentwickler und Verlagsgründer, der die Bezeichnung Web 2.0 im Jahr 2005 geprägt und popularisiert hat. Die Begrifflichkeit umfasst alle Entwicklungen von Internet-Anwendungen und -Plattformen in den letzten Jahren, die eine Integration und Interaktivität der Internetnutzer ermöglicht. Vgl. Hass, Berthold H.; Walsh, Gianfranco; Kilian, Thomas: Web 2.0: Neue Perspektiven für Marketing und Medien, (Springer) Berlin u. a. 2008, S. 4ff.
Das Konzept des MehrStufen-Flusses der Kommunikation
Merkmale von Meinungsführern
Zusammenfassung
Kritische Würdigung des Meinungsführer-Konzeptes
Bedeutung des Meinungsführer-Konzeptes für das Marketing
Der Meinungs-führer im Diffusionsprozess
Abbildung 1: Grafische Darstellung des Aufbaus der Arbeit
Quelle: Eigene Darstellung.
Das Konzept des EinStufen-Flusses der Kommunikation
Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Die Überprüfung der Hypothese des Zwei-Stufen-Modells
Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern
Entdeckung der Meinungsführer und die Hypothese des Two-Step Flow
Erkenntnisse in der Meinungsführerforschung
Überblick
Entwicklungen der Meinungsführerforschung – Auswirkungen auf bestehende Kommunikationsmodelle
Grundlagen und begriffliche Abgrenzungen
Problemstellung
Meinungsführer und das Internet
Two-Cycle-FlowModell
Jugendliche als Meinungsführer
Netzwerkanalysen
1.2 Aufbau der Arbeit
3
4
1 Problemstellung und Ziel der Arbeit
nisse bezüglich der Meinungsführer und des Internets präsentiert und darauffolgend speziell jugendliche Meinungsführer betrachtet, da alle anderen Erkenntnisse auf Untersuchungen von Erwachsenen basieren. In Kapitel 5 wird die Bedeutung des Meinungsführer-Konzeptes für das Marketing aufgezeigt. Anschließend wird in Kapitel 6 eine kritische Würdigung des Meinungsführer-Konzeptes vorgenommen. Am Ende erfolgt eine Zusammenfassung der vorliegenden Arbeit.
2
Grundlagen
2.1
Überblick
In der Literatur werden zwischen informellen und formellen Kommunikationskanälen unterschieden. Insbesondere den Meinungsführern, die vorwiegend im Rahmen der interpersonellen Kommunikation agieren, kommt eine große Bedeutung zu. Meinungsführer sind Personen, die Einfluss auf andere haben und stellen eine Form von Bezugspersonen dar. In den folgenden Kapiteln werden einige grundlegende Aspekte für interpersonelle Kommunikation (siehe Kapitel 2.2) und Bezugsgruppen (siehe Kapitel 2.3) erläutert. Anschließend werden verschiedene Begrifflichkeiten voneinander abgegrenzt, die in der Literatur mit dem Meinungsführer-Konzept genannt und teilweise gleichgesetzt werden. Auf diese unterschiedlichen Bezeichnungen wird bereits an dieser Stelle eingegangen, um einen Überblick und Grundverständnis über bestehende Konzepte zu vermitteln, die aufgrund verschiedener Betrachtungsweisen und Grundannahmen bezüglich der Meinungsführerschaft entstanden sind und im weiteren Verlauf der Arbeit häufig verwendet werden.
2.2
Interpersonelle Kommunikation
Die interpersonelle Kommunikation wird auch als informale, direkte oder persönliche Kommunikation bzw. „Face-to-Face“-Kommunikation bezeichnet. Zu dieser gehören Unterhaltungen, Ratschläge, Erfahrungsberichte unter zwei oder mehr Personen. Neben der verbalen Form, ob schriftlich oder mündlich, erfolgt die direkte Kommunikation auch auf nonverbaler Ebene in Form von Mimik, Gestik, durch beispielsweise Kleidung und Gerüchte usw. In Bezug auf Produkte und Dienstleistungen wird die interpersonelle Kommunikation als eine Form von Werbung angesehen, die von „Mund zu Mund“ weitergereicht wird. In diesem Zusammenhang wird auch von Mund-zu-Mund-Propaganda bzw. „Word-of-Mouth Advertising“ gesprochen (näheres dazu Kapitel 5).8 Während der interpersonellen Kommunikation findet ein Austausch von Informationen statt. Der daraus resultierende Effekt ist der „persönliche Einfluss“, der auf zukünftige Einstellungen und Verhaltensweisen wirken kann. Persönlicher Einfluss trägt damit zur Homogenität von Meinungen und Verhalten in einer Primärgruppe bei.9 8
Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Franz Vahlen München) München 2003, S. 441f./502. 9 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Franz Vahlen München) München 2003, S. 502.
6
2 Grundlagen
Die Wirkungen und Charakteristiken der interpersonellen Kommunikation unterscheiden sich von denen der massenmedialen Kanäle, wie in Tabelle 1 dargestellt. Interpersonelle Kommunikation lässt einen direkten unmittelbaren wechselseitigen Austausch von Informationen zu. Soziale und psychologische Barrieren wie selektives Aussetzen (selective exposure), selektive Wahrnehmung (selective perception) und selektive Erinnerung (selective retention) können überwunden und eine eventuelle Einstellungs- und Verhaltensänderung bewirkt werden. Allerdings verbreiten sich Informationen durch Word-of-Mouth innerhalb der Bevölkerung langsamer als durch Massenmedien.10 Tabelle 1: Vergleich von informellen mit massenmedialen Kommunikationskanälen Characteristics
Interpersonal Channels
Mass Media Channels
Message flow
Tends to be two-way
Tends to be one-way
Communication context
Face-to-Face
Interposed
Amount of feedback readily available
High
Low
Ability to overcome selective processes (primarily selective exposure)
High
Low
Speed to large audiences
Relatively slow
Relatively rapid
Possible effect
Attitude formation and change
Knowledge change
Quelle: Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A Cross-Cultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 253.
TURNBULL und MEENAGHAN (1980) beschreiben Situationen, die interpersonelle Kommunikation über ein Produkt oder Dienstleistung auslösen, wobei die interpersonelle Kommunikation einen bedeutenden Einfluss auf die Kaufentscheidungen hat: – – – –
10
wenn die Investition für den Konsum hoch ist, wenn zu wenige objektive Informationen über das Produkt verfügbar sind, wenn das Produkt sozialen und symbolischen Wert hat und/oder wenn das wahrgenommene Risiko hoch ist.11
Vgl. Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A CrossCultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 252f.; auch: Vollbrecht, Ralf: Einführung in die Medienpädagogik, (Beltz Verlag) Weinheim u. a. 2001, S. 110. 11 Vgl. Turnbull, Peter W.; Meenaghan, A.: Diffusion of Innovation and Opinion Leadership, in: European Journal of Marketing, Vol. 14, 1980, Issue 1, S. 3–33, S. 21.
2.3 Bezugsgruppen
7
Essenz # 1: Interpersonelle Kommunikation stellt einen Informationsaustausch zwischen zwei oder mehreren Personen aus dem persönlichen Umfeld dar, aus dem oft der Effekt des „persönlichen Einflusses“ auf Einstellung und Verhalten der Gesprächspartner resultiert. Dennoch beschränkt sich der interpersonelle Kommunikationsprozess nicht nur auf einen Informationsaustausch, andere Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle. Eine wichtige Komponente für den Einfluss auf Kaufentscheidungen und Einstellungen stellen auch die Bezugsgruppen dar. Im folgenden Kapitel wird dies näher erläutert.
2.3
Bezugsgruppen
Das individuelle Verhalten der Konsumenten wird durch die Zugehörigkeit zu bestimmten Bezugsgruppen beeinflusst. Als Bezugsgruppen werden „Gruppen (aber auch Einzelpersonen, Anm. d. Verf.) [bezeichnet], nach denen sich das Individuum richtet: Die Bezugsgruppen bestimmen die Art und Weise, wie das Individuum seine Umwelt und sich selbst wahrnimmt und beurteilt, und sie liefern die Normen für sein Verhalten.“12 Somit versucht ein Individuum die Rollenerwartung seiner Gruppe zu erfüllen und den Normen- und Wertemaßstäben zu entsprechen.13 Es gibt zum einen die Primärgruppen, zu denen die Familie und Freunde zählen, und zum anderen Sekundärgruppen, denen die Arbeitskollegen und die Nachbarn angehören.14 Es wird auch zwischen formellen (Organisationen, z. B. Sportverein) und informellen (z. B. Freundeskreis, Bekanntenkreis) Bezugsgruppen unterschieden, wobei den informellen Bezugsgruppen eine größere Wirkung zugeschrieben wird. Bezugsgruppen können sowohl Mitgliedsgruppen (wie der Name schon sagt, ist die Person Teil der Gruppe) also auch Fremdgruppen (Gruppen, die außerhalb des sozialen Umfeldes bestehen und deren Einfluss durch Massenmedien wirkt) sein.15 12
Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Franz Vahlen München) München 2003, S. 446. 13 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Franz Vahlen München) München 2003, S. 446; auch: Kaas, Klaus P.: Diffusion und Marketing: Das Konsumentenverhalten bei der Einführung neuer Produkte, (C. E. Poeschel Verlag) Stuttgart 1973, S. 33. 14 Vgl. Kaas, Klaus P.: Diffusion und Marketing: Das Konsumentenverhalten bei der Einführung neuer Produkte, (C. E. Poeschel Verlag) Stuttgart 1973, S. 33. 15 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Franz Vahlen München) München 2003, S. 446.
8
2 Grundlagen
Eine besondere Form von Bezugsgruppen sind die Leitbildgruppen, denen die Person nicht zugehörig ist, sich aber wünscht dazuzugehören. Ist die Identifikation mit dieser Gruppe besonders stark, werden deren Normen und Werte als Orientierungsmaßstäbe angesehen. Die Leitbildgruppenwahl wird durch persönliche Interessen bestimmt. Beispielsweise sind für junge Mädchen prominente Sängerinnen oder Schauspielerinnen Leitbilder oder Fußballstars übernehmen für viele Jungen eine Leitbildfunktion.16 Bezugsgruppen haben komparative und normative Funktionen. Sie setzen dabei Vergleichsmaßstäbe (komparative Funktion), „an denen das Individuum seine Wahrnehmungen, seine Einstellungen, Meinungen und Urteile messen kann. Die Äußerungen der Bezugsgruppenmitglieder bilden dann einen Bezugsrahmen für die kognitiven Prozesse des Individuums, sie werden zu Ansatzpunkten für die eigenen Ansichten.“17 Bezugsgruppen setzen auch Normen und ahnden deren Nichteinhaltung (normative Funktion).18 Allerdings sind die vorgegebenen Normen und Maßstäbe nicht statisch, sondern entwickeln sich im Laufe der Zeit. Auch können Individuen ihre Bezugsgruppen wechseln, wenn sich das soziale Umfeld der Person ändert (z. B. durch Umzug, beruflicher Aufstieg etc.).19 In Bezug auf das Marketing ist anzumerken, dass Bezugsgruppen Einfluss auf Einstellungen und Kaufverhalten bezüglich „sozial auffälliger“20 Produkte haben, d. h. Produkte, die „nicht nur gesehen, sondern auch beachtet werden.“21 Der Konsum dieser Produkte ist eine Form von öffentlich (von den Bezugsgruppen) beachtetem Verhalten und unterliegt damit ähnlich wie öffentlich abgegebene Meinungen einem stärkeren Konformitätsdruck.22,23 16
Vgl. Kloss, Ingomar: Werbung: Handbuch für Studium und Praxis, 4., vollst. überarb. Aufl., (Franz Vahlen München) München 2007, S. 75. 17 Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Franz Vahlen München) München 2003, S. 479. 18 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Franz Vahlen München) München 2003, S. 479. 19 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Franz Vahlen München) München 2003, S. 479. 20 Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Franz Vahlen München) München 2003, S. 484. 21 Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Franz Vahlen München) München 2003, S. 484. 22 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Franz Vahlen München) München 2003, S. 484ff.; auch: Bourne, F. S.: Der Einfluß von Bezugsgruppen beim Marketing, in: Kroeber-Riel, Werner (Hrsg.): Marketingtheorie: Verhaltensorientierte Erklärungen von Marktreaktionen, (Kiepenheuer & Witsch) Köln 1972, S. 141–155, S. 148ff. 23 Weitere Informationen über „sozial auffällige“ Güter und deren Bedeutung für das Marketing finden interessierte Leser unter anderem in: Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsu(Fortsetzung auf S. 9)
2.3 Bezugsgruppen
9
In der Literatur werden drei besondere Formen von Bezugspersonen (bzw. Bezugsgruppen) genannt: die Frühadoptoren, die Meinungsführer und die Market Maven.24 Dennoch soll hier darauf hingewiesen werden, dass KUMPF (1983) versucht, die Begriffe „Meinungsführer“ und „Bezugsgruppen“ voneinander abzugrenzen, da Meinungsführer nur eine komparative Funktion nicht aber eine normative Funktion besitzen. Des Weiteren üben Meinungsführer Einfluss im Zuge von sozialer Interaktion und Kommunikation aus, während der Bezugsgruppeneinfluss nicht durch Kommunikation wirksam wird, sondern „im Kopf“ des Beeinflussten abläuft. KUMPF (1983) unterscheidet somit beide Begrifflichkeiten an der Art, wie sie Einfluss ausüben, erklärt aber auch, dass eine ganz klare Abgrenzung nicht möglich und somit eine gesonderte Behandlung beider Konzepte nicht unabdingbar ist.25 Die Begrifflichkeiten „Frühadoptoren“, „Meinungsführer“ und „Market Maven“ stehen für das gleiche Konzept, denn sie beschreiben Personen, die Einfluss auf die Verhaltensweisen und Einstellungen anderer nehmen können. Sie sind aber in unterschiedlichen Zusammenhängen betrachtet worden: der Frühadoptor als Bestandteil des Diffusions- und Adoptionsprozesses von Innovationen, der Market Maven als Einflussnehmender im Bereich Marketing bzw. zu marktrelevanten Fakten, und der Meinungsführer als Oberbegriff für Einflussnehmende, der in verschiedenen Bereichen wie Politik, Konsumgüter, Mode etc. untersucht wurde. Zudem bemerkt WALSH (1999), dass sich die drei Konzeptionen „… hinsichtlich der Art, Intensität und des Zeitpunkts ihrer Kommunikationsbemühungen, was sie im Hinblick auf die Diffusion von Marketinginformationen nicht als gleichermaßen effektiv erscheinen läßt“26, unterscheiden. Zusätzlich soll hier noch der Term „Persönlichkeitsstarke“ genannt werden, der aus der Forschungsarbeit von Noelle-Neumann resultiert. Er steht für das gleiche Konzept wie die Meinungsführer, wird aber anhand der Merkmals-
23
(Fortsetzung von S. 8) mentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Franz Vahlen München) München 2003, S. 484ff.; und auch: Bourne, Francis S.: Der Einfluß von Bezugsgruppen beim Marketing, in: Kroeber-Riel, Werner (Hrsg.): Marketingtheorie: Verhaltensorientierte Erklärungen von Marktreaktionen, (Kiepenheuer & Witsch) Köln 1972, S. 141–155. 24 Vgl. Wiedmann, Klaus-Peter; Walsh, Gianfranco; Mitchell, Vincent-Wayne: The Mannmaven: An Agent for Diffusing Market Information, in: Journal of Marketing Communications, Vol. 7, 2001, S. 195–212, S. 197; auch: Schneider, Kenneth C.; Rodgers, William C.: Generalized Marketplace Influencers’ (Market Mavens’) Attitudes Toward Direct Mail as a Source of Information, in: Journal of Direct Marketing, Vol. 7, 1993, Issue 4, S. 20–28, S. 21f. 25 Vgl. Kumpf, Martin: Bezugsgruppen und Meinungsführer, in: Irle, Martin (Hrsg.): Marktpsychologie als Sozialwissenschaft, Themenbereich D, Serie III, Bd. 4 der Schriftenreihe Enzyklopädie der Psychologie, (Hogrefe, Verlag für Psychologie) Göttingen u. a. 1983, S. 282–343, S. 311f. 26 Walsh, Gianfranco: Der Market Maven in Deutschland: ein Diffusionsagent für Marktinformationen, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 45, 1999, Nr. 4, S. 418–434, S. 421.
10
2 Grundlagen
ausprägung „Persönlichkeitsstärke“ bestimmt.27 In den folgenden Kapiteln wird eine begriffliche Abgrenzung von diesen Formen vorgenommen. Essenz # 2: Individuen orientieren sich häufig an ihren Bezugsgruppen bzw. -personen, die Normen und Vergleichsmaßstäbe setzen und infolgedessen das Verhalten und die Einstellungen der Individuen maßgeblich beeinflussen können.
2.4
Das Meinungsführer-Konzept
Der Begriff „Meinungsführer“ wurde erstmals von LAZARSFELD, BERELSON und GAUDET (1944) eingeführt (siehe auch Kapitel 3.2).28 LAZARSFELD et al., die den persönlichen Einfluss im Kontext zu politischen Themen untersuchten, schreiben: „Alltägliche Beobachtung, aber auch viele Gemeindestudien zeigen, dass es auf jedem Gebiet und für jede öffentliche Frage ganz bestimmte Personen gibt, die sich um diese Probleme besonders intensiv kümmern, sich darüber auch am meisten äußern. Wir nennen sie die ‚Meinungsführer‘.“29 Ausgehend von den Ausführungen in LAZARSFELD et al.’s Studie, wie auch in anderen Studien, lässt sich allgemein zusammenfassen, dass Meinungsführer Personen sind, die durch interpersonelle Kommunikation (auch „Face-to-Face“-Kommunikation genannt) und ihr Verhalten Einfluss auf die Einstellung und Verhaltensweisen anderer ausüben.30 27
Vgl. Schneider, Kenneth C.; Rodgers, William C.: Generalized Marketplace Influencers’ (Market Mavens’) Attitudes Toward Direct Mail as a Source of Information, in: Journal of Direct Marketing, Vol. 7, 1993, Issue 4, S. 20–28, S. 21f.; auch: Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171; auch: Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 377ff. 28 Vgl. Lazarsfeld, Paul F.; Berelson, Bernhard; Gaudet, Hazel: The People’s Choice: How the Voter Makes up his Mind in a Presidential Campaign, (Duelle, Sloan and Pearce) New York 1944, S. 49f. 29 Lazarsfeld, Paul F.; Berelson, Bernhard; Gaudet, Hazel: Wahlen und Wähler: Soziologie des Wahlverhaltens (The People’s Choice: How the Voter Makes up his Mind in a Presidential Campaign, Englisch), übers. von R. F. Schorling, (Hermann Luchterhand Verlag GmbH) Neuwied u. a. 1969, S. 84f. 30 Vgl. Brüne, Gerd: Meinungsführerschaft im Konsumgütermarketing: Theoretischer Erklärungsansatz und empirische Überprüfung, (Physica-Verlag) Heidelberg 1989, S. 12; auch: Koeppler, Karlfritz: Opinion leaders: Merkmale und Wirkung, Schriftenreihe der Verlagsgruppe Bauer, Band 18; (Bauer) Hamburg 1984, S. 7.
2.4 Das Meinungsführer-Konzept
11
Sie werden häufig bezüglich einer Sache um Rat gefragt und gelten als besonders kompetent und einflussreich. Dabei wird mit „einflussreich“ der Sachverhalt beschrieben, dass andere die Ratschläge von Meinungsführern eher annehmen als von Nicht-Meinungsführern.31 KATZ und LAZARSFELD (1955) schreiben dazu: „[The opinion leader] … serve informal rather than formal groups, face-to-face rather than more extensive groups. They guide opinion and its changes rather than lead directly in action.“32 Auch wenn der Wortteil „Führer“ es andeutet, ein Meinungsführer besitzt nicht unbedingt besondere Autorität oder eine höhere Stellung in der Gesellschaft.33 Meinungsführer sind insofern nicht diejenigen, die traditionell als „einflussreich“ bezeichnet werden.34 Die Meinungsführerschaft lässt sich eher als eine unauffällige Art von Führerschaft bezeichnen. Diese Führerschaft geschieht eher beiläufig, bisweilen sogar unwissentlich.35 Meinungsführerschaft wurde vor allem in den Bereichen Politik und öffentliche Angelegenheiten sowie Mode und Konsumgüter untersucht. Des Weiteren untersuchen zahlreiche Studien den Einfluss und gezielten Einsatz von Meinungsführern im Gesundheitswesen, beispielsweise wenn Ärzte zur Verbreitung neuer Medikamente angeworben oder wenn in Dörfern Multiplikatoren bezüglich Krankheiten wie HIV (Aufklärungskampagnen) geschult werden.36 In der Literatur sind außerdem Studien zu finden, die sich nicht wie üblich mit Meinungsführern im privaten, sozialen Kontext beschäftigen, sondern insbesondere 31
Vgl. Richmond, Virginia P.; McCroskey, James C.: Whose Opinion Do you Trust?, in: Journal of Communications, Vol 25, 1975, Issue 3, S. 42–50, S. 42.
32
Katz, Elihu; Lazarsfeld, Paul F.: Personal Influence: The Part Played by People in the Flow of Mass Communication, (Free Press) Glencoe, Illinois 1955, S. 138.
33
Vgl. Brooks Jr., Robert C.: “Word-of-Mouth” Advertising in Selling New Products, in: Journal of Marketing, Vol. 22, 1957, Issue 2, S. 154–161, S. 157.
34
Vgl. Katz, Elihu; Lazarsfeld, Paul F.: Persönlicher Einfluß und Meinungsbildung, (Personal Influence: The Part Played by People in the Flow of Mass Communication, Englisch), übers. von Rudolf Bischoff, (Verlag für Geschichte und Politik) Wien 1962, S. 38.
35
Vgl. Katz, Elihu; Lazarsfeld, Paul F.: Personal Influence: The Part Played by People in the Flow of Mass Communication, (Free Press) Glencoe, Illinois 1955, S. 138; auch: Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 5. 36 Vgl. Sisk, Jane E. u. a.: Implementing Evidence-Based Practice: Evaluation of an Opinion Leader Strategy to Improve Breast-Feeding Rates, in American Journal of Obstetrics and Gynecology, Vol. 190, February 2004, Issue 2, S. 413–421; auch: Kravitz, Richard L. u. a.: Networked for Change? Identifying Obstetric Opinion Leaders and Assessing their Opinions on Caesarean Delivery, in Social Science & Medicine, Vol. 57, December 2003, Issue 12, S. 2423–2434; auch: Locock, Louise u. a.: Understanding the Role of Opinion Leaders in Improving Clinical Effectiveness, in: Social Science & Medicine, Vol. 53, September 2001, Issue 6, S. 745–757.
12
2 Grundlagen
mit Meinungsführern innerhalb eines Unternehmens.37 NOELLE-NEUMANN (1989) weist auch darauf hin, dass das Meinungsführer-Konzept nicht nur auf die Rezipienten der Massenmedien anwendbar sei, sondern auch die Medien selbst, die hohes Ansehen besitzen und als „Meinungsführer-Medien“ bezeichnet werden, als Meinungsführer im internen Meinungsbildungsprozess des Mediensystems auftreten. Sie haben Einfluss auf die Rezipienten, als auch auf Politiker und Journalisten, denn sie liefern „richtungsweisende Themen und Interpretationen“38 und dienen damit als Informationsquelle und Orientierungshilfe für andere Berichterstattungen.39 Anzumerken ist, dass es sich bei dem Term „Meinungsführerschaft“ um einen graduellen Begriff handelt. Das heißt, es kann nicht dichotom unterschieden werden, dass eine Person ein Meinungsführer oder kein Meinungsführer ist. Sondern ausgehend von dem Grad des Einflusses auf andere Personen wird von einem „Mehr oder Weniger an Meinungsführerschaft“40 gesprochen.41 ROGERS und SHOEMAKER (1971) erklären dazu: „We define opinion leadership as the degree to which an individual is able to influence informally other individuals’ attitudes or overt behavior in a desired way with relative frequency.“42 Zudem betonen KROEBER-RIEL und WEINBERG (2003), dass Meinungsführung keine Eigenschaft eines Individuums, sondern „eine verbreitete Form des Kommunikationsverhaltens in kleinen Gruppen“43 ist. Dies würde auch den hohen Anteil (ca. 37
In diesem Zusammenhang soll auf das Konzept des „Buying-Centers“ verwiesen werden, in dem Personen aus verschiedenen Abteilungen eines Unternehmens an den Kaufentscheidungen beteiligt sind und bestimmte Personen großen Einfluss dabei zugesprochen wird. Vgl. Backhaus, Klaus; Voeth, Markus: Industriegütermarketing, 8., vollst. neu bearb. Aufl., (Vahlen) München 2007, S. 46ff.; auch: Martilla, John A.: Word-of-Mouth Communication in the Industrial Adoption Process, in: Journal of Marketing Research, Vol. 8, 1971, Issue 2, S. 173–178; und auch: Nataraajan, Rajan; Angur, Madhukar G.: A Quest for the “Industrial Maven”, in: Industrial Marketing Management, Vol. 26, July 1997, Issue 4, S. 353–362. 38 Noelle-Neumann, Elisabeth (Hrsg.): Das Fischer-Lexikon Puplizistik, Massenkommunikation, (Fischer-Taschenbuch-Verlag) Frankfurt am Main 1989, S. 380. 39 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth (Hrsg.): Das Fischer-Lexikon Puplizistik, Massenkommunikation, (Fischer-Taschenbuch-Verlag) Frankfurt am Main 1989, S. 380. 40 Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Franz Vahlen München) München 2003, S. 518. 41 Vgl. Brüne, Gerd: Meinungsführerschaft im Konsumgütermarketing: Theoretischer Erklärungsansatz und empirische Überprüfung, (Physica-Verlag) Heidelberg 1989, S. 12; auch: KroeberRiel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Franz Vahlen München) München 2003, S. 518; auch: Rogers, Everett M.; Cartano, David G.: Methods of Measuring Opinion Leadership, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 26, 1962, S. 435–441, S. 439. 42 Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A Cross-Cultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 199. 43 Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Franz Vahlen München) München 2003, S. 518.
2.4 Das Meinungsführer-Konzept
13
20–25%) der Kommunikationsteilnehmer erklären, die Meinungsführer bezüglich eines Meinungsgegenstandes sind.44 Der Begriff „Meinungsführer“ (bzw. „opinion leader“) stellt zwar die gebräuchlichste Bezeichnung dar, dennoch werden in der (insbesondere englischen) Literatur auch andere Begriffe verwendet, die für das gleiche oder ein ähnliches Konzept stehen: fashion leaders, gatekeepers, influencers, influentials, information leaders, key communicators, opinion givers, sparkplugs, style setters, tastemakers.45 Diese Ausdrücke fallen oft im Zusammenhang mit dem Thema „Diffusion von Innovationen“ im Bereich Mode, Politik, Sport u. a. Der Begriff „tastemakers“ beispielsweise wurde von der Opinion Research Corporation (1959) im Zusammenhang mit modischer Geschmacksführung genannt. Die Bezeichnung „gatekeeper“ (ursprünglich von LEWIN (1958)) beschreibt Bezugspersonen, „die den Informationsfluss an andere Gruppenmitglieder beeinflussen bzw. kontrollieren.“46 Des Weiteren wird in der Literatur auch von Multiplikatoren, Meinungsbildner, Nachfrageführer, Induktoren, Erstkommunikanten, Market Maven, Austauscher, und Persönlichkeitsstarke gesprochen.47 Insbesondere Multiplikatoren sind Personen, die viele soziale Kontakte haben, sehr häufig mit anderen kommunizieren und ihre Ansichten weitergeben.48 Der Diffusionsagent bzw. „change agent“, der als Schnittstelle zwischen Unternehmen oder Handel und den Konsumenten wirkt, spielt zwar die Rolle eines Meinungsführers, wird aber aufgrund seiner hauptsächlich professionellen Interessen als weniger glaubwürdig gesehen und soll im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter betrachtet werden. Essenz # 3: Der Begriff „Meinungsführer“ beschreibt Individuen, die in ihrer Funktion als Bezugspersonen häufig um Rat und um ihre Meinung gefragt werden und dadurch Einfluss auf andere Personen haben. Meinungsführerschaft ist kein Persönlichkeitsmerkmal, sondern eine Verhaltensform, die im Kommunikationsprozess entsteht. Es kann daher nicht dichotom unterschieden werden, ob eine Person ein Meinungsführer ist oder nicht. Es handelt sich vielmehr um eine graduelle Ausprägung. 44
Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Franz Vahlen München) München 2003, S. 518. 45 Vgl. Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A CrossCultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 199–200; auch: Koeppler, Karlfritz: Opinion leaders: Merkmale und Wirkung, Schriftenreihe der Verlagsgruppe Bauer, Band 18; (Bauer) Hamburg 1984, S. 8. 46 Walsh, Gianfranco: Der Market Maven in Deutschland: ein Diffusionsagent für Marktinformationen, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 45, 1999, Nr. 4, S. 418–434, S. 431; auch: Kaas, Klaus P.: Diffusion und Marketing: Das Konsumentenverhalten bei der Einführung neuer Produkte, (C. E. Poeschel Verlag) Stuttgart 1973, S. 49. 47 Koeppler, Karlfritz: Opinion leaders: Merkmale und Wirkung, Schriftenreihe der Verlagsgruppe Bauer, Band 18; (Bauer) Hamburg 1984, S. 8. 48 Vgl. SPIEGEL-Verlag (Hrsg.): SPIEGEL-Dokumentation: Persönlichkeitsstärke: Ein Maßstab zur Bestimmung von Zielgruppenpotentialen, (SPIEGEL-Verlag) Hamburg 1983, S. 10.
14
2.5
2 Grundlagen
Das Market Maven-Konzept
Das Konzept des Market Maven wurde 1987 von FEICK und PRICE eingeführt, die von der Idee des generellen Einflusses (polymorphe Meinungsführerschaft, siehe Kapitel 4.4.10) bezogen auf den Konsumgüterbereich bzw. Handel ausgingen. Sie definieren Market Maven als … „… individuals, who have information about many kinds of products, places to shop, and other facets of markets, and initiate discussions with consumers and respond to requests from consumers for market information.“49 Demnach haben Market Maven genau wie die Meinungsführer Einfluss auf andere aufgrund ihres Wissens und ihrer Erfahrungen, die im Unterschied zu den Meinungsführern nicht produktspezifisch sind, sondern allgemein den ganzen Markt bzw. Handel umfassen. FEICK und PRICE (1987) sehen den Market Maven in der Hierarchie über dem Meinungsführer.50 Studien ergaben, dass im Schnitt 30% der Befragten in repräsentativen Stichproben als Market Maven bezeichnet werden können, d. h. jeder Dritte in der Bevölkerung ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Market Maven.51 Das Market Maven-Konzept ist zwar in den USA entwickelt worden, wurde aber durch WALSH (1999) und WALSH und MITCHELL (2001) auch für Deutschland bestätigt.52 Die Motivation der Market Maven Marktinformationen zu sammeln, resultiert aus dem hohen Involvement in Marktgeschehnisse. Des Weiteren scheinen Market Maven sich verpflichtet zu fühlen, informiert zu sein und zeigen großes Interesse am Einkaufen. Sie nutzen die gesammelten Informationen für den sozialen Austausch. Somit nehmen Market Maven Informationen auf, die auch für andere interessant sind und die sie in Konversationen weitergeben können.53 Die Motive der Market Maven entsprechen denen der Meinungsführer (siehe Kapitel 4.1.3). 49
Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97, S. 85. 50 Vgl. Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97, S. 85ff., auch: Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007. 51 Vgl. Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97, S. 90; auch: Walsh, Gianfranco: Der Market Maven in Deutschland: ein Diffusionsagent für Marktinformationen, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 45, 1999, Nr. 4, S. 418–434, S. 428. 52 Vgl. Walsh, Gianfranco: Der Market Maven in Deutschland: ein Diffusionsagent für Marktinformationen, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 45, 1999, Nr. 4, S. 418–434; auch: Walsh, Gianfranco; Mitchell, Vincent-Wayne: German Market Mavens’ Decision-Making Styles, in: Journal of Euromarketing, Vol. 10, 2001, Issue 4, S. 83–108. 53 Vgl. Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97, S. 85; auch: Walsh, Gianfranco; Gwinner, Kevin P.; Swanson, Scott R.: What Makes Mavens Tick? Exploring the Motives of Market Mavens’ Initiation of Information Diffusion, in: Journal of Consumer Marketing, Vol. 21, 2004, Issue 2, S. 109–122.
2.5 Das Market Maven-Konzept
15
Weitere Studien untersuchen besondere Wesensmerkmale und Verhaltensweisen von Market Maven. Beispielsweise HIGIE, FEICK und PRICE (1987), SLAMA und WILLIAMS (1990) und auch ABRATT, NEL und NEZER (1995) belegen, dass Market Maven häufiger händlerbezogene Informationen verbreiten als andere.54 WILLIAMS und SLAMA (1995) fanden heraus, dass Market Maven produktbezogene Informationen als wichtiger empfinden als allgemeine auf das Geschäft bzw. die Einkaufsstätte bezogene Informationen.55 Unter anderen ABRATT, NEL und NEZER (1995) beobachten eine höhere Mediennutzung seitens der Market Maven im Vergleich zu anderen Konsumenten,56 wobei SCHNEIDER und RODGERS (1993) insbesondere positive Einstellungen gegenüber kommunikationspolitischer Instrumente des Direkt-Marketing wie Direct Mails feststellten.57 FEICK und PRICE (1987) stellten einen linear positiven Zusammenhang zwischen der Tendenz zum Market Maven-Dasein und dem Lesen von Magazinen fest. Je höher die erreichte Punktzahl auf Market Maven-Skala desto größer die Anzahl der verschiedenen Magazine, die gelesen werden. Einen ähnlichen Zusammenhang wurde auch für die Nutzung des Fernsehens gefunden. Des Weiteren genießen Market Maven Einkäufe mehr als andere, schenken Werbung mehr Aufmerksamkeit und nutzen Coupons in einem stärkeren Maße.58 PRICE, FEICK und GUSKEY-FEDEROUCH (1988) bezeichnen die Market Maven als „smart shopper“, weil sie ihre Einkäufe planen und dafür Werbung nutzen, um Preisvergünstigungen wie Schlussverkäufe und Coupons abzupassen, obwohl sie es aus finanzieller Hinsicht nicht unbedingt nötig haben.59 WIEDMANN, WALSH und BUXEL (2000) sowie WALSH 54
Vgl. Higie, Robin A.; Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: Types and Amount of Wordof-Mouth Communications about Retailers, in: Journal of Retailing, Vol. 63, Fall 1987, S. 260–278; auch: Slama, Mark E.; Williams, Terrell G.: Generalization of the Market Maven’s Information Provision Tendency across Product Categories, in: Advances in Consumer Research, Vol. 17, 1990, S. 48–52; auch: Abratt, Russell; Nel, Deon; Nezer, Christo: Role of the Market Maven in Retailing: A General Marketplace Influencer, in: Journal of Business and Psychology, Vol. 10, Fall 1995, Issue 1, S. 31–55, S. 38ff. 55 Vgl. Williams, Terrell G.; Slama, Mark E.: Market Maven’s Purchase Decision Evaluative Criteria: Implications for Brand and Store Promotion Effort, in: Journal of Consumer Marketing, Vol. 12, 1995, Issue 3, S. 4–21. 56 Vgl. Abratt, Russell; Nel, Deon; Nezer, Christo: Role of the Market Maven in Retailing: A General Marketplace Influencer, in: Journal of Business and Psychology, Vol. 10, 1995, Issue 1, S. 31–56; auch: Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97. 57 Vgl. Schneider, Kenneth C.; Rodgers, William C.: Generalized Marketplace Influencers’ (Market Mavens’) Attitudes Toward Direct Mail as a Source of Information, in: Journal of Direct Marketing, Vol. 7, 1993, Issue 4, S. 20–28. 58 Vgl. Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97, S. 93f. 59 Vgl. Price, Linda L.; Feick, Lawrence F.; Guskey-Federouch, Audrey: Couponing Behaviors of the Market Maven: Profile of a Super Couponer, in: Advances in Consumer Research, Vol. 15, 1988, S. 354–359, S. 358.
16
2 Grundlagen
und MITCHELL (2001) schreiben den Market Maven eine Neigung zum Perfektionismus im Kaufentscheidungsverhalten zu. Dies führt aber auch zu erhöhter Verwirrtheit durch das Überangebot auf dem Markt. Dem gegenüber zeigen Market Maven auch eine höhere Neigung zu Impulskäufen. WIEDMANN, WALSH und BUXEL (2000) sehen die Reizüberflutung und Verwirrtheit als vermutliche Ursache.60 Bezüglich der soziodemografischen Merkmale der Market Maven belegen mehrere Studien, dass tendenziell mehr Frauen Market Maven sind.61 FEICK und PRICE (1987) fanden auch einen Unterschied im Bildungsstand. Market Maven scheinen, wenn auch nur minimal, einen niedrigeren Bildungsstand als andere aufzuweisen.62 WIEDMANN, WALSH und MITCHELL (2001) dagegen konzentrieren sich auf die von ihnen so genannten „Mannmaven“, die aufgrund wachsender Märkte für Männerprodukte (z. B. Männerkosmetik) eine neue wichtige Zielgruppe darstellen. Hinsichtlich ihrer Studienergebnisse vermuten sie, dass zwischen dem Geschlecht der Market Maven und ihrem Alter sowie dem Bildungsstand kein Zusammenhang besteht. Auch WALSH (1999) findet keine signifikanten Unterschiede zwischen den Market Maven und anderen und schließt daraus, dass keine klare Aussage über ein soziodemografisches Profil des Market Maven machbar ist.63 WIEDMANN, WALSH und MITCHELL (2001) versuchten deshalb, den „Mannmaven“ vom weiblichen Market Maven anhand deren Art und Weise der Entscheidungsfindung zu differenzieren. So weisen weibliche Market Maven eine andere Form von Preisbewusstsein auf, da sie vor allem nach niedrigen Preisen suchen, während die Mannmaven zwar auch an einem guten Preis-Leistungsverhältnis interessiert sind, aber nicht in dem gleichen Maße Preise vergleichen wie die weiblichen Market Maven.64 60
Vgl. Wiedmann, Klaus-Peter; Walsh, Gianfranco; Buxel, Holger: Kaufentscheidungsdimensionen des Market Maven, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 46, 2000, Nr. 4, S. 404–424, S. 415ff.; auch: Walsh, Gianfranco; Mitchell, Vincent-Wayne: German Market Mavens’ Decision-Making Styles, in: Journal of Euromarketing, Vol. 10, 2001, Issue 4, S. 83–108. 61 Vgl. Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97; auch: Higie, Robin A.; Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: Types and Amount of Word-of-Mouth Communications about Retailers, in: Journal of Retailing, Vol. 63, Fall 1987, S. 260–278; auch: Williams, Terrell G.; Slama, Mark E.: Market Maven’s Purchase Decision Evaluative Criteria: Implications for Brand and Store Promotion Effort, in: Journal of Consumer Marketing, Vol. 12, 1995, Issue 3, S. 4–21. 62 Vgl. Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97, S. 92. 63 Vgl. Walsh, Gianfranco: Der Market Maven in Deutschland: ein Diffusionsagent für Marktinformationen, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 45, 1999, Nr. 4, S. 418–434, S. 428. 64 Vgl. Wiedmann, Klaus-Peter; Walsh, Gianfranco; Mitchell, Vincent-Wayne: The Mannmaven: An Agent for Diffusing Market Information, in: Journal of Marketing Communications, Vol. 7, 2001, S. 195–212.
2.5 Das Market Maven-Konzept
17
BELCH, KRENTLER und WILLIS-FLURRY (2005) beschäftigen sich mit den Market Maven, die häufig das Internet verwenden und großes Wissen über virtuelle Marktplätze haben. Sie bezeichnen diese Personen als „Internet Maven“ (siehe auch Kapitel 4.5).65 NATARAAJAN und ANGUR (1997) untersuchten Market Maven im wirtschaftlichen Kontext. Diese so genannten „Industrial Maven“ haben allgemeines Wissen über industrielle Produkte und Abläufe, aufgrunddessen sie Einfluss auf Entscheidungsprozesse haben und vorwiegend in dem „Buying Center“ (Einkaufsstelle) eines Unternehmens zu finden sind.66 FEICK und PRICE (1987) differenzieren zwischen Meinungsführer, Frühadoptor und Market Maven, erklären aber, dass Market Maven für einzelne Produkte Meinungsführer oder Frühadoptoren sein können. Aufgrund ihres allgemeinen Marktwissens können Market Maven eher Kenntnis von neuen Produkten erlangen als andere, was dazu führen kann, dass sie diese auch eher annehmen. Deswegen können Market Maven auch Frühadoptoren bezüglich eines Produktes sein. Ähnlich können Market Maven auch Meinungsführer bezüglich eines speziellen Produktes sein, da sie nicht nur allgemeines marktrelevantes Wissen besitzen, sondern sich in manchen Fällen für bestimmte Produkte detailliertes Wissen aneignen.67 Durch quantitative Untersuchungen stützen FEICK und PRICE (1987) ihre Behauptung, dass das Market Maven-Konzept dem Meinungsführer-Konzept zwar ähnelt aber dennoch davon abweicht. Demnach korrelieren beide Konzepte bei kurzlebigen Konsumgütern (z. B. Lebensmittel) in höherem Maße als bei langlebigen Gütern, weil viele langlebige Produktgruppen detailliertes, technisches Wissen erfordern, was eher für die Meinungsführer bezeichnend ist.68 GOLDSMITH, FLYNN und GOLDSMITH (2003) wie auch COULTER, FEICK und PRICE (2002) wiesen empirisch eine positive Korrelation zwischen dem Meinungsführer- und dem Market Maven-Konzept nach.69 65
Vgl. Belch, Michael A.; Krentler, Kathleen A.; Willis-Flurry, Laura A.: Teen Internet Mavens: Influence in Family Decision Making, in: Journal of Business Research, Vol. 58, May 2005, Issue 5, S. 569–575, S. 569f. 66 Vgl. Nataraajan, Rajan; Angur, Madhukar G.: A Quest for the “Industrial Maven”, in: Industrial Marketing Management, Vol. 26, July 1997, Issue 4, S. 353–362. 67 Vgl. Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97, S. 85. 68 Vgl. Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97, S. 88f. 69 Vgl. Goldsmith, Ronald E.; Flynn, Leisa R.; Goldsmith, Elizabeth B.: Innovative Consumers and Market Mavens, in: Journal of Marketing Theory and Practice, Vol. 11, 2003, Issue 4, S. 54–65; auch: Coulter, Robin A.; Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: Changing Faces: Cosmetics Opinion Leadership among Women in the New Hungary, in: European Journal of Marketing, Vol. 36, 2002, Issue 11/12, S. 1287–1308; auch: Engelland, Brian T.; Hopkins, Christopher D.; Larson, Dee Ann: Market Mavenship as an Influencer of Service Quality Evaluation, in: Journal of Marketing Theory and Practice, Vol. 9, 2001, Issue 4, S. 15–26; auch: Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97.
18
2 Grundlagen
HOYER und STOKBURGER-SAUER (2007) heben die Unterschiede zwischen Meinungsführern und Market Maven hervor und dringen auf divergierende Marketingstrategien. Sie beobachteten, dass Meinungsführer ein höheres Produktinvolvement aufgrund ihrer Produktspezialisierung zeigten als Market Maven. Es besteht auch eine höhere positive Korrelation zwischen Meinungsführerschaft und Multi-Brand Loyalität, während Market Maven eher durch höheres „Variety Seeking“ auffielen, was zu niedrigerer Multi-Brand Loyalität führt.70 Auch wenn beispielsweise FEICK und PRICE (1987) und WALSH (1999) den Market Maven vom Meinungsführer differenzieren, wird in der Literatur das Market MavenKonzept im Zusammenhang mit dem Meinungsführer-Konzept genannt.71 Essenz # 4: Market Maven sind eine Form von Bezugspersonen, die im Unterschied zu den (spezialisierten) Meinungsführern produktübergreifendes Wissen und umfangreiche Kenntnisse über Marktgegebenheiten besitzen. Zahlreiche Studien fanden ähnliche Merkmale und Motive der Market Maven wie bei den (spezialisierten) Meinungsführern.
2.6
Die Frühadoptoren
Die Frühadoptoren werden neben den Meinungsführern und den Market Maven in der Literatur als eine Form von Bezugsgruppen bzw. Referenzgebern bezeichnet.72 Sie sind Konsumenten, die besonderes Interesse an Produktinnovationen haben und diese im Vergleich zu anderen auch früher kaufen und erproben. Sie können als risikofreudig bezeichnet werden. Durch den frühzeitigen Konsum von Produkten erlangen die Frühadoptoren ein Vorsprung an Wissen und Erfahrungen, was sie für andere als Bezugsperson und Ratgeber interessant macht. Die Frühadoptoren kommunizieren auch aktiv über die betreffenden Produkte bzw. Dienstleistungen und beeinflussen somit andere Konsumenten sowohl aktiv als auch passiv. Dieser Kommunika70
Vgl. Hoyer, Wayne D.; Stokburger-Sauer, Nicola: A Comparison of Antecedents and Consequences of Market Mavens and Opinion Leaders, in: Bayón, Thomás (Hrsg.): Vielfalt und Einheit in der Marketingwissenschaft: ein Spannungsverhältnis, (Gabler) Wiesbaden 2007, S. 215–236, S. 227ff. 71 Vgl. Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchungen zum Einfluß der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995, S. 378f. 72 Vgl. Wiedmann, Klaus-Peter; Walsh, Gianfranco; Mitchell, Vincent-Wayne: The Mannmaven: An Agent for Diffusing Market Information, in: Journal of Marketing Communications, Vol. 7, 2001, S. 195–212, S. 197.
19
2.6 Die Frühadoptoren
tionsprozess erfolgt horizontal, d. h. die Frühadoptoren nehmen Einfluss innerhalb ihrer sozialen Schicht.73 Die Motive für die produktbezogene Kommunikation werden vor allem in der Selbstdarstellung der Frühadoptoren als „Pionier“74 und in der Suche nach Bestätigung ihrer eigenen Produktbewertungen gesehen. Auch die Neuheit des Produktes, das Involvement des Frühadoptoren und die neugewonnenen Erfahrungen können das Bedürfnis nach persönlichen Gesprächen wecken.75 Frühadoptoren sind produktspezifisch orientiert, d. h. es gibt keine generellen Frühadoptoren, die in mehreren Produktkategorien führend ist.76 In Tabelle 2 sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Frühadoptoren, Meinungsführern und Market Maven zusammengefasst. So kann der Market Maven als idealer Referenzgeber bezeichnet werden, da er an jeder Phase des Lebenszyklus Tabelle 2: Market Maven im Vergleich zu Frühadoptoren und Meinungsführern Market Maven im Vergleich zu Frühadoptoren und Meinungsführern Frühadoptoren
Meinungsführer
Market Maven
Kauf/ Gebrauch eines Produktes
ja
nicht notwendigerweise, i.d.R. aber schon
nicht notwendigerweise
Produktsachkenntnis
produktspezifisch
produktspezifisch
produktspezifisch und allgemein, kategorieübergreifend
Allgemeine Marktkenntnis (Händler, Preise etc.)
nein
nein
ja
Kommunikationsverhalten
primär aktiv, aber auch passiv
aktiv/passiv
aktiv/passiv, primär aktiv
In welcher Phase des Produktlebenszyklus von Interesse für das Marketing?
Einführungsphase
primär Einführungsphase
in jeder Phase
Quelle: Walsh, Gianfranco: Der Market Maven in Deutschland: ein Diffusionsagent für Marktinformationen, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 45, 1999, Nr. 4, S. 418–434, S. 424.
73
Vgl. Walsh, Gianfranco: Der Market Maven in Deutschland: ein Diffusionsagent für Marktinformationen, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 45, 1999, Nr. 4, S. 418–434, S. 421. 74 Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97, S. 84. 75 Vgl. Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97, S. 84; auch: Walsh, Gianfranco: Der Market Maven in Deutschland: ein Diffusionsagent für Marktinformationen, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 45, 1999, Nr. 4, S. 418–434, S. 421. 76 Vgl. Walsh, Gianfranco: Der Market Maven in Deutschland: ein Diffusionsagent für Marktinformationen, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 45, 1999, Nr. 4, S. 418–434, S. 422.
20
2 Grundlagen
eines Produktes teilnimmt. Er ist nicht nur an Informationen bezüglich spezifischer Produkte und Produktinnovationen interessiert, sondern weist auch allgemeine marktrelevante Kenntnisse (z. B. Händler, Sortiments- und Preisveränderungen) auf. Die Frühadoptoren wie auch die Meinungsführer besitzen produktspezifische Kenntnisse und können Erfahrung mit dem Produkt durch Kauf oder Gebrauch des Produktes aufweisen.77 WALSH (1999) stellt vergleichend die Reichweite der verschiedenen Referenztypen – Frühadoptor, Meinungsführer, Market Maven – in Abbildung 2 dar. Demnach sind Market Maven nicht nur für die Produkteinführung interessant, da sie auch an marktrelevanten Informationen interessiert sind. Meinungsführer und Frühadoptoren sind laut WALSH (1999) vor allem in der Einführungsphase von Produkten bzw. Dienstleistungen bedeutend.78
Abbildung 2: Referenzgeber-Typen und Produktlebenszyklus Quelle: Walsh, Gianfranco: Der Market Maven in Deutschland: ein Diffusionsagent für Marktinformationen, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 45, 1999, Nr. 4, S. 418–434, S. 425.
77
Vgl. Walsh, Gianfranco: Der Market Maven in Deutschland: ein Diffusionsagent für Marktinformationen, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 45, 1999, Nr. 4, S. 418–434, S. 421. 78 Vgl. Walsh, Gianfranco: Der Market Maven in Deutschland: ein Diffusionsagent für Marktinformationen, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 45, 1999, Nr. 4, S. 418–434, S. 424f.
2.7 Die Persönlichkeitsstarken
21
Essenz # 5: Frühadoptoren und Innovatoren sind Individuen, die im Diffusionsprozess Produktinnovationen zeitlich gesehen früher übernehmen als die Mehrheit der Bevölkerung. Durch ihr großes Interesse an Neuheiten, ihre frühzeitigen Erfahrungen mit Innovationen und ihr daraus resultierender Wissensvorsprung werden Frühadoptoren bzw. Innovatoren ebenso wie die Meinungsführer als Bezugspersonen angesehen und um Rat gefragt. Im Vergleich sind Frühadoptoren und Meinungsführern vor allem in der Einführungsphase einer Neuheit als Zielgruppe interessant für das Marketing, während Market Maven aufgrund ihres Interesses an allgemeinen marktrelevanten Informationen in allen Phasen des Produktlebenszyklus für Unternehmen und Werbetreibende von Bedeutung sind.
2.7
Die Persönlichkeitsstarken
Einige der wenigen Beiträge zur Meinungsführerforschung aus dem deutschsprachigen Raum stammt von NOELLE-NEUMANN, einer Koryphäe auf dem Gebiet der Meinungsforschung. Aufgrund eines Auftrages des SPIEGEL-Verlages beschäftigte sie sich mit der Entwicklung eines neuen Messverfahrens zur Ermittlung von aktiven und einflussreichen Konsumenten. In dem Zusammenhang erarbeitete sie in den 80er Jahren das Konzept der Persönlichkeitsstarken (näheres zum Forschungshergang siehe Kapitel 4.2.4.5).79 „Persönlichkeitsstärke“ und Meinungsführung sind miteinander verknüpft. „Dabei kann die von ihr (Noelle-Neumann, Anm. d. Verf.) ermittelte Persönlichkeitsstärke teils als gemessene Meinungsführung (Selbsteinschätzung der Befragten auf Skalen wie ‚Ich merke öfter, dass sich andere nach mir richten‘) und teils als gemessene Persönlichkeitseigenschaften, die sich in Meinungsführung niederschlagen, aufgefasst werden.“80 NOELLE-NEUMANN (1983) betont, dass der Unterschied zwischen Persönlichkeitsstarken (siehe auch Kapitel 4.2.4.5) und Multiplikatoren darin liegt, dass „… bei Menschen mit großer Persönlichkeitsstärke die intensive Kommunikation Hand in Hand mit anderen Eigenschaften geht, die die Wirksamkeit der Kommunikation 79
Vgl. SPIEGEL-Verlag (Hrsg.): SPIEGEL-Dokumentation: Persönlichkeitsstärke: Ein Maßstab zur Bestimmung von Zielgruppenpotentialen, (SPIEGEL-Verlag) Hamburg 1983, S. 10ff. 80 Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Franz Vahlen München) München 2003, S. 519.
22
2 Grundlagen
verstärken.“81 Das heißt, dass sowohl Multiplikatoren als auch Persönlichkeitsstarke eine hohe Kommunikationskompetenz besitzen, da beide viele soziale Kontakte besitzen, diese intensiv pflegen, viel kommunizieren und dabei ihre Ansichten anderen mitteilen. Allerdings besitzen insbesondere die Persönlichkeitsstarken im Gegensatz zu Multiplikatoren Eigenschaften, die den Einfluss ihrer Ansichten auf andere Personen verstärken.82 Untersuchungen bezüglich der Merkmale der Persönlichkeitsstarken zeigten Übereinstimmungen mit den Eigenschaften von Meinungsführern (dazu Kapitel 4.10). Persönlichkeitsstarke sind in allen Schichten zu finden. In den höheren sozialen Schichten ist der Anteil mit evidenter Persönlichkeitsstärke größer. NOELLENEUMANN (1985) zeigte auch, dass die „Lebensphase größter Persönlichkeitsstärke“ zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr liegt. In dem 50. Lebensjahr vermutet sie daher einen Wendepunkt.83 Persönlichkeitsstarke haben ein großes soziales Netzwerk und pflegen Kontakte auch über Gruppengrenzen hinweg in anderen sozialen Schichten und Altersgruppen. SCHENK (1995) erklärt, dass Persönlichkeitsstarke über dichte harmonische Netzwerkbeziehungen verfügen, obwohl bei solchen großen Netzwerken eher die Dichte abnimmt. Im Kommunikationsprozess zeigte sich interessanterweise, dass Persönlichkeitsstarke nicht die reine Empfängerrolle oder eine Austauscherrolle übernehmen, vielmehr versuchen sie durch Ratgebung und Überzeugung Einfluss auszuüben. SCHENK (1995) vermutet daher einen Zusammenhang von Persönlichkeitsstärke und effektiv ausgeübter Meinungsführerschaft.84 Persönlichkeitsstarke sind vielseitig interessiert, zeigen eine hohe Lernbereitschaft und sind offen für Neues. Aufgrund ihres Interesses für andere Menschen und ihrer Hilfsbereitschaft geben sie Informationen gern weiter und helfen aus mit Ratschlägen und Empfehlungen. Sie lesen auch mehr als andere, insbesondere informations-
81
SPIEGEL-Verlag (Hrsg.): SPIEGEL-Dokumentation: Persönlichkeitsstärke: Ein Maßstab zur Bestimmung von Zielgruppenpotentialen, (SPIEGEL-Verlag) Hamburg 1983, S. 10. 82 Vgl. SPIEGEL-Verlag (Hrsg.): SPIEGEL-Dokumentation: Persönlichkeitsstärke: Ein Maßstab zur Bestimmung von Zielgruppenpotentialen, (SPIEGEL-Verlag) Hamburg 1983, S. 10. 83 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 139. 84 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Persönlichkeitsstärke: Ein vergessener Grundwert, in: Koch, Thilo (Hrsg.): Grundwerte: Beiträge zu ihrer wissenschaftlichen Diskussion, (IFK-Institut für Kulturforschung AG) München 1984, S. 45–52, S. 51; auch: Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995, S. 173ff.; auch: Schenk, Michael; Rössler, Patrick: The Rediscovery of Opinion Leaders: An Application of the Personal Strength Scale, in: Communications, Vol. 22, 1997, Issue 1, S. 5–30.
2.7 Die Persönlichkeitsstarken
23
reiche Zeitungen, Zeitschriften und Bücher.85 Sie zeigten sich ebenfalls konsumfreudiger und überdurchschnittlich an Technik interessiert.86 Persönlichkeitsstarke sind nicht nur anhand von Einstellungen und Verhalten differenzierbar, sondern ihr Lebensgefühl spiegelt sich auch in ihrem Aussehen wider. Nach Angaben der Interviewer in einer Studie von NOELLE-NEUMANN und dem Allensbacher Instituts sehen Personen mit großer Persönlichkeitsstärke fröhlicher aus.87 SCHENK (1995) zeigt neben Ähnlichkeiten auch Unterschiede zwischen Persönlichkeitsstarken und Meinungsführern. Demnach besitzen Persönlichkeitsstarke ein dichtes harmonisches Netzwerk und sind besser in ihre sozialen Kreise integriert, während Meinungsführer eher über weniger dichte, d. h. offenere Netze verfügen.88 Persönlichkeitsstarke scheinen aber ihre Mediennutzung insbesondere den Fernsehund Radiokonsum einzuschränken, während für die klassischen Meinungsführer ihr hoher Medienkonsum bezeichnend ist.89 Essenz # 6: Die Persönlichkeitsstarken weisen Charakterzügen auf, wie Selbstbewusstsein, Ausstrahlung und Durchsetzungsvermögen. Demnach verstärken diese Persönlichkeitseigenschaften den Einfluss der Persönlichkeitsstarken auf andere Personen. Ihr aktives Kommunikationsverhalten, ihre vielseitigen Interessen, ihre großen, dichten sozialen Netzwerke sowie ihre Hilfsbereitschaft bedingen ebenfalls ihr Einflusspotenzial.
85
Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 163. 86 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Persönlichkeitsstärke: Ein vergessener Grundwert, in: Koch, Thilo (Hrsg.): Grundwerte: Beiträge zu ihrer wissenschaftlichen Diskussion, (IFK-Institut für Kulturforschung AG) München 1984, S. 45–52, S. 51. 87 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 139. 88 Vgl. Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995, S. 176f.; auch: Schenk, Michael; Rössler, Patrick: The Rediscovery of Opinion Leaders: An Application of the Personal Strength Scale, in: Communications, Vol. 22, 1997, Issue 1, S. 5–30. 89 Vgl. Schenk, Michael; Rössler, Patrick: The Rediscovery of Opinion Leaders: An Application of the Personal Strength Scale, in: Communications, Vol. 22, 1997, Issue 1, S. 5–30, S. 9.
3
Entwicklungen der Meinungsführerforschung – Auswirkungen auf bestehende Kommunikationsmodelle
3.1
Überblick
Der Begriff „Meinungsführer“ wurde erstmals von LAZARSFELD, BERELSON und GAUDET (1944) im Rahmen einer politischen Studie im Jahr 1940 eingeführt.90 Dennoch gab es auch vorher schon Forschungsarbeiten in der Agrarsoziologie, die bestimmte Personen als einflussreich bei der Verbreitung von neuen Farmmethoden identifizierten.91 Da aber die Massenkommunikationsforschung bis 1940 interpersonelle und Gruppenkommunikationsprozesse für unbedeutend gehalten hat und eine interdisziplinäre Kooperation bist dato nicht zustande kam, hatten die entsprechenden Erkenntnisse der Agrarsoziologie keine Auswirkungen auf die Grundannahmen der Massenkommunikationsforschung.92 Eine Bemerkung des englischen Staatsphilosophen John Stuart Mill, der bereits 1859 Aussagen über Meinungsführung machte, diente erst später als Leitspruch für einige Meinungsführerstudien93: „Und was noch neuartiger ist: die Volksmassen übernehmen ihre Meinungen nicht mehr von den Würdenträgern des Staates oder der Kirche, von erklärten Führern oder auch Büchern. Das Denken erledigen für sie Leute ihresgleichen, die aus dem Augenblick heraus mit ihnen reden oder in ihrem Namen sprechen.“94 90
Vgl. Lazarsfeld, Paul F.; Berelson, Bernharnd; Gaudet, Hazel: The People’s Choice: How the Voter Makes up his Mind in a Presidential Campaign, (Duelle, Sloan and Pearce) New York 1944. 91 Vgl. Ryan, Bryce; Gross, Neal C.: The Diffusion of Hybrid Seed Corn in Two Iowa Communities, in: Rural Sociology, Vol. 8, March 1943, Issue 1, S. 15–24. 92 Vgl. Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 64. 93 Vgl. Katz, Elihu; Lazarsfeld, Paul F.: Personal Influence: The Part Played by People in the Flow of Mass Communication, (Free Press) Glencoe, Illinois 1955; auch: Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 127. 94 Mill, John Stuart: On Liberty, London 1859 (Übersetzung, zit. nach Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 127.
26
3 Entwicklungen der Meinungsführerforschung
In den folgenden Kapiteln werden die Begründung des Meinungsführer-Konzeptes sowie die Wirkung auf bestehende Kommunikationsmodelle beschrieben. Die weitere Entwicklung von Theorien aufgrund zahlreicher – durch die Pionierarbeit von LAZARSFELD et al. angeregter – Forschungen bezüglich der Kommunikationsprozesse zwischen Individuen und Massenmedien wird ausführlich dargestellt.
3.2
Entdeckung der Meinungsführer und die Hypothese des Two-Step-Flow of Communication
Eher zufällig wurde in der populären People’s-Choice-Studie von LAZARSFELD, BERELSON und GAUDET aus dem Jahr 1940 entdeckt, dass auch Individuen eine beeinflussende Wirkung auf andere haben können. Ursprünglich wurde das Wahlverhalten von US-Amerikanern anlässlich der Präsidentschaftswahl „Wendell Willkie gegen Franklin D. Roosevelt“ sowie die Wirkung von Wahlkampagnen auf die Entscheidungen der Wähler untersucht. Dabei konzentrierten sich die Forscher auf die Thematiken „Meinungsbildung“ und „Meinungsänderung“. Überraschenderweise berichtete die Mehrheit der Wähler, die ihre Wahlentscheidung in letzter Minute trafen oder änderten, von persönlichen Einflüssen, anstatt Massenmedien als Ursache. Die Forscher vermuteten deshalb, dass die bisherige Annahme der Allmachtsstellung der Massenmedien („hypodermic-needle model“) unwahrscheinlich ist, d. h. die Individuen nicht direkt und kurzfristig von den Massenmedien beeinflusst werden. Dagegen scheinen die Primärgruppen, denen die Individuen angehören, ein größeres Einflusspotenzial zu haben. Die Personen, die besonders großen Einfluss auf andere ausüben, wurden von LAZARSFELD et al. „Meinungsführer“ genannt. Aufgrund der neuen Erkenntnisse stellten LAZARSFELD et al. die so genannte „Two-Step-Flow of Communication Hypothesis“ auf (siehe Abbildung 3).95 Die Hypothese des Zwei-Stufen-Flusses der Kommunikation trifft zum einen eine Aussage über die Wirkung des persönlichen Einflusses. Demnach verändert sich das Verhalten und die Einstellungen der weniger Interessierten durch persönliche Kontakte. Zum anderen beschreibt die Hypothese den Informationsfluss der Massenmedien: „… Ideas often flow from the radio and print to the opinion leaders and from them to the less active sections of the population.“96 95
Vgl. Lazarsfeld, Paul F.; Berelson, Bernhard; Gaudet, Hazel: The People’s Choice: How the Voter Makes up his Mind in a Presidential Campaign, 3. Ed., (Columbia University Press) New York u. a. 1968; auch: Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 350ff. 96 Lazarsfeld, Paul F.; Berelson, Bernhard; Gaudet, Hazel: The People’s Choice: How the Voter Makes up his Mind in a Presidential Campaign, 3. Ed., (Columbia University Press) New York u. a. 1968, S. 151.
27
3.2 Entdeckung der Meinungsführer
Massenmedien Ideen
Ideen
Meinungsführer
Ideen
Ideen
Ideen
weniger Interessierte
Abbildung 3: Two-Step-Flow of Communication (Zwei-Stufen-Modell) Quelle: Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 352.
Abbildung 3 stellt dies vereinfacht dar. In der ersten Stufe spiegelt sich das Zusammenspiel von Massenmedien und den Meinungsführern wider. Die Meinungsführer nutzen Massenmedien, wie Radio und Zeitungen, mehr als andere. Die zweite Stufe beinhaltet die Flussrichtung des persönlichen Einflusses. Demnach richtet sich dieser von den Meinungsführern auf andere, die der gleichen sozialen Schicht angehörig sind. Nach LAZARSFELD, BERELSON und GAUDET (1968) sind die Meinungsführer in allen Schichten gleich verteilt. Somit spielt der Meinungsführer die Rolle des „information broker“, der Informationen von den Massenmedien filtert und an die übrige Bevölkerung weitergibt und dadurch Einfluss auf deren Meinungen und Verhalten hat. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Nicht-Meinungsführer die Anhängerschaft der Meinungsführer sind. LAZARSFELD et al. stellten aber auch fest: Wenn die weniger Interessierten dennoch die Massenmedien nutzen, dann geschieht dies selektiv, da sie sich nur mit Kommunikationsbotschaften befassen, die ihren eigenen Einstellungen und Überzeugungen entsprechen. Den Massenmedien wird damit ein „Verstärkereffekt“ zugeschrieben.97 Die People’s-Choice-Studie gilt als Pionier auf dem Gebiet der Meinungsführerforschung. Die „Two-Step-Flow of Communication Hypothesis“ hatte unter anderem auch Auswirkungen auf die Sichtweise der Gesellschaftsstruktur und auf die Kommunikationsforschung. So musste das Bild einer Gesellschaft aus sozial isolierten 97
Vgl. Lazarsfeld, Paul F.; Berelson, Bernhard; Gaudet, Hazel: The People’s Choice: How the Voter Makes up his Mind in a Presidential Campaign, 3. Ed., (Columbia University Press) New York u. a. 1968, S. 151f.
28
3 Entwicklungen der Meinungsführerforschung
Individuen bestehend, die mit den Medien aber nicht untereinander verbunden sind, revidiert werden. Der „Two-Step-Flow of Communication Hypothesis“ zufolge ist die Gesellschaft ein Netzwerk miteinander durch Sozial- und Kommunikationsbeziehungen verbundenen Individuen, durch das die Massenkommunikation geleitet und deren Wirkung begrenzt wird.98 Essenz # 7: Mit der Entdeckung der Meinungsführer von LAZARSFELD, BERELSON und GAUDET wurde die Omnipotenz der Massenmedien widerlegt und das persönliche Einflusspotenzial von Individuen erkannt. Die Forscher LAZARSFELD, BERELSON und GAUDET entwickelten die Hypothese des Zwei-Stufen-Flusses der Kommunikation, die dem Meinungsführer die absolute Machtstellung aufgrund seiner Relais- und Filterfunktion zwischen den Massenmedien und den Rezipienten zuschreibt.
3.3
Die Überprüfung der Hypothese des Zwei-Stufen-Modells
Durch die People’s-Choice-Studie von 1940 (auch Erie-Studie genannt) wurden weitere Forschungen angeregt, die Hypothese des Zwei-Stufen-Flusses der Kommunikation, das Ausmaß und die Richtung des persönlichen Einflusses sowie die Merkmale der Meinungsführer und deren Beziehung zu den Massenmedien zu untersuchen. Vier Studien, die auch unter dem Sammelbegriff „Columbia-Studien“ laufen, gelten in der Literatur als entscheidend für die Bestätigung der Hypothese von LAZARSFELD, BERELSON und GAUDET und für die Überarbeitung derselben: die Rovere-Studie von MERTON (1943 durchgeführt),99 die Decatur-Studie von KATZ und LAZARSFELD (1945 durchgeführt),100 die Elmira-Studie von BERELSON, LAZARSFELD und MCPHEE (1948 98
Vgl. Katz, Elihu: The Two-Step Flow of Communications: An Up-To-Date Report on an Hypothesis, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 21, 1957, Issue 1, S. 61–78, S. 61; auch: Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A Cross-Cultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 205f.; auch: Vollbrecht, Ralf: Einführung in die Medienpädagogik, (Beltz Verlag) Weinheim u. a. 2001, S. 108. 99 Vgl. Merton, Robert K.: Patterns of Influence: A Study of Interpersonal Influence and Communications Behavior in a Local Community, in: Lazarsfeld, Paul F.; Stanton, Frank N. (Hrsg.): Communications Research, (Harper and Brothers) New York 1949, S. 180–219. 100 Vgl. Katz, Elihu; Lazarsfeld, Paul F.: Persönlicher Einfluß und Meinungsbildung, (Personal Influence: The Part Played by People in the Flow of Mass Communication, Englisch), übers. von Rudolf Bischoff, (Verlag für Geschichte und Politik) Wien 1962.
3.3 Die Überprüfung der Hypothese des Zwei-Stufen-Modells
29
durchgeführt)101 und die zwei zusammenhängenden Drug-Studien von KATZ und MENZEL (1955) und COLEMAN, KATZ und MENZEL (1957).102,103 In der folgenden Tabelle 3 (s. S. 30/31) werden die Methodik, die Ergebnisse sowie eine kritische Würdigung dieser dargestellt. Aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Arbeit und der bereits umfangreichen Würdigung in der Literatur wird an dieser Stelle nicht weiter auf die Studien eingegangen. Einzig die Erkenntnisse der Studie von MERTON (1949) werden ausführlich im Kapitel 4.1.8.1 erläutert. Zusammenfassend soll dennoch angemerkt werden, dass die genannten Studien Teile der Hypothese von LAZARSFELD et al. bestätigten. Die interpersonelle Kommunikation hat stärkeren Einfluss als die Massenmedien. Dennoch fanden sie auch Hinweise, die das Modell des Zwei-Stufen-Flusses der Kommunikation veränderten. Beispielsweise entdeckten MENZEL und KATZ (1955), dass Meinungsführer (in dem Fall Ärzte) auch andere Informationsquellen als Massenmedien nutzen, insbesondere Ärztekongresse. Sie vermuteten deswegen einen Multiplen-Stufen-Fluss der Kommunikation.104 Auch die Elmira-Studie konnte den Zwei-Stufen-Fluss der Kommunikation nicht bestätigen und entdeckte stattdessen, dass Meinungsführer zusätzlich persönlichen Einflüssen anderer Meinungsführer („Meinungsführer der Meinungsführer“) ausgesetzt sind. Dennoch kritisiert ARNDT (1971), dass die vorliegenden Studien immer nur Teilaspekte der Hypothese betrachtet haben und nicht den gesamten Prozess des Zwei-Stufen-Flusses der Kommunikation.105 Zahlreiche weitere Studien beschäftigten sich kritisch mit der Hypothese des ZweiStufen-Flusses der Kommunikation. Forscher merkten an, dass der Zwei-Stufen101
Vgl. Berelson, Bernard R.; Lazarsfeld, Paul F.; McPhee, William N.: Voting: A Study of Opinion Formation in a Presidential Campaign, (University of Chicago Press) Chicago 1954. 102 Vgl. Coleman, James S.; Katz, Elihu; Menzel, Herbert: The Diffusion of an Innovation among Physicians, in: Sociometry, Vol. 20, 1957, S. 253–270; auch: Menzel, Herbert; Katz, Elihu: Social Relations and Innovation in the Medical Profession: The Epidemiology of a New Drug, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 19, 1955, Issue 4, S. 337–352. 103 Vgl. Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 352ff.; auch: Katz, Elihu: The Two-Step Flow of Communications: An Up-To-Date Report on an Hypothesis, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 21, 1957, Issue 1, S. 61–78, auch: Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 18ff. 104 Vgl. Menzel, Herbert; Katz, Elihu: Social Relations and Innovation in the Medical Profession: The Epidemiology of a New Drug, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 19, 1955, Issue 4, S. 337–352, S. 352. 105 Vgl. Arndt, Johan: A Test of the Two-Step Flow in Diffusion of a New Product, in: Holloway, Robert J.; Mittelstaedt, Robert A., Venkatesan, Meyyappan: Consumer Behavior: Contemporary research in action, (Houghton Mifflin) Boston 1971, S. 235–246, S. 238.
Interpersoneller Einfluss und Kommunikation in der Kleinstadt Rovere
MERTON (1949)
Rovere-Studie von 1943
Wirkung von Wahlpropaganda auf das Entscheidungsverhalten der Wähler
LAZARSFELD, BERELSON UND GAUDET (1944)
Erie-Studie von 1940
Studie
Explorative Studie (86 Teilnehmer bezüglich ihrer Quellen für Informationen und Ratschläge befragt: die Personen, deren Namen 4 Mal und öfters genannt wurde (=MF), wurden in weiteren Interviews befragt)
Sonderinterviews mit Meinungswechslern
Panel-Analyse (600 Befragte, monatliche Befragung im Zeitraum Mai -Nov. 1940)
Erhebungsmethode
Wie erhalten MF ihre Position?
Untersuchung der Kommunikationsprozesse zwischen MF und anderen Personen
Identifizierung von Typen von MF
Erforschung der Prozesse der Meinungsbildung und Meinungsänderung
Ziel
Tabelle 3: Ergebnisdarstellung der Columbia-Studien
− Einteilung ist idealistisch, nicht verallgemeinerbar
− MF nur durch Selbsteinschätzung ermittelt, keine Kontrolle der Angaben
− Panel-Analyse ermöglicht nicht die Untersuchung der zwischenmenschlichen Kontakte
− (Keine Unterscheidung zwischen Transmission und Persuasion; dadurch MF fälschlicherweise Doppelfunktion im Transmission- und im Persuasionsbereich zugeschrieben)
− Zwei-Stufen-Fluss nur Hypothese, lediglich Beweis für Ein-Stufen-Fluss (Rezipientenbeeinflussung durch Massenkommunikation)
− „Cosmopolitans“ (monomorph): Interesse an Themen relevant für die Außenwelt; schwache Bindung zum Heimatort, ist mobiler; selektive Wahl von sozialen Kontakten; Einfluss basiert auf Wissen und Prestige; bessere Bildung und Erziehung
− „Locals“ (polymorph): Interesse an − Kontrolle durch statistische Untersuchungen ortsbezogenen Problemstellungen; nötig heimatverbunden; quantitative Wahl von sozialen Kontakten; Einfluss basiert auf Größe des Netzwerkes
− Einteilung der MF in „Locals“ und „Cosmopolitans“
− In allen sozialen Schichten und Berufsgruppen vorhanden; Widerspruch der Forscher: höhere (Schul-) Bildung, höheres Alter, höheres Prestige derjenigen Personengruppe, aus der die Meinungsführer stammen
− Für MF Massenmedien meinungsbildend; persönliche Einflüsse haben auf MF geringere Wirkung
− MF: stärkeres Interesse an der Wahl, häufigere Teilnahme an politischen Diskussionen (kommunikativ), stärkere Mediennutzung
− MF als Schaltstelle in der interpersonellen Kommunikation
− Persönlicher Einfluss sowohl zielgerichtet eingesetzt als auch zufällig
Kritische Würdigung der Studie − Fernsehen als Massenmedium nicht einbezogen
Ergebnisse bzgl. Meinungsführer − Interpersonelle Kommunikation einflussnehmend auf Wahlentscheidung der Individuen; Massenmedien haben nur marginalen Einfluss
30 3 Entwicklungen der Meinungsführerforschung
Schneeballverfahren (Befragung der von den Frauen als Beeinflusste genannten Personen)
Befragung von 800 Frauen (Selbstidentifikation als MF in den Bereichen Marketing, Mode, Kinobesuch und Politik)
Was veranlasst Ärzte ein neues Medikament zu verschreiben?
Adoption von Innovationen
Interpersonelle Beeinflussung
Offenlegung der Entscheidungsfindungsprozesse während einer Wahlkampagne
Fokus auf die MeinungsführerRatsuchenderDyade
Untersuchung des persönlichen (informellen) Einflusses innerhalb von Kleingruppen − Ließen Beeinflussung der MF durch Massenmedien und Einflüsse formeller Führer unberücksichtigt
− Konnten auch Einflussverlauf (Art und Inhalt der Gespräche) nicht beschreiben
− Beharren auf Zwei-Stufen-Fluss trotz Hinweise der Daten auf Mehrstufigkeit des Kommunikationsprozesses
− MF holen sich auch Meinungen anderer Ärzte bezüglich des neuen Medikaments ein (Häufigkeit mit Unsicherheit des Arztes steigend) -> MehrStufen Fluss der Kommunikation
− MF: häufiger Besuch von Tagungen, Lesen von Fachzeitschriften
− Zusammenhang zwischen Adoption und interpersoneller Beeinflussung
− Untersuchung aller Interaktionsbeziehungen zwischen Meinungsführern und Gefolgsleuten
− Konnten keine Erklärung finden, warum die Frühadoptoren in der ersten Studie keine MF waren, dies aber in der zweiten Studie zutraf
− MF interessierter an politischen Themen, mehr − Konnte Verlauf des persönlichen Einflusses bzw. Wissen diesbezüglich, aktiver hinsichtlich der des Kommunikationsverhaltens des MF nicht Verbreitung ihrer politischen Ansichten; höhere beschreiben Bildung und Einkommen; stärkere − Ließen Typologisierung des MF durch Merton Mediennutzung, auch beeinflussbar durch andere (Rovere-Studie) unberücksichtigt MF -> damit 2-Stufen-Fluss nicht bestätigt, sondern Mehr-Stufen-Fluss der Kommunikation
− Profilbildung anhand Lebenszyklus, Soziabilität und sozioökonomischer Status von MF in den Bereichen Marketing (Konsumfragen), Mode, Kinobesuch und Politik
− Daten beweisen Existenz von generellen Meinungsführern
− Interpersonelle Kommunikation wirksamer als Massenkommunikation
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 352ff.; auch: Katz, Elihu: The Two-Step Flow of Communications: An Up-To-Date Report on an Hypothesis, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 21, 1957, Issue 1, S. 61–78, auch: Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 18ff.
Verbreitung eines neuen Medikamentes unter Ärzten
Drug-Studie von Soziometrische 1954 Befragung (das soziale Netzwerk KATZ UND MENZEL (1955); COLEMAN, zwischen den Ärzten KATZ UND MENZEL konnte ermittelt werden) (1957
Wirkung der Wahlpropagand a auf das Entscheidungsverhalten der Wähler
BERELSON, LAZARSFELD UND MCPHEE (1954)
Elmira-Studie von 1948
RezipientenEntscheidungen in den Bereichen Marketing, Mode, Kinobesuch und Politik
KATZ UND LAZARSFELD (1955)
Decatur-Studie von 1945-46
3.3 Die Überprüfung der Hypothese des Zwei-Stufen-Modells
31
32
3 Entwicklungen der Meinungsführerforschung
Fluss nicht wirklich von LAZARSFELD et al. nachgewiesen werden konnte.106 Mit Hilfe der verwendete Panel-Analyse konnten LAZARSFELD et al. zwar die Meinungsänderung der Wähler studieren, aber diese Methode (Random Sample) ermöglichte keine Untersuchung der Prozesse der interpersonellen Kommunikation (i. d. S. den Informationsfluss) und des persönlichen Einflusses. Die Identifizierung von Meinungsführern durch Selbsteinschätzung ohne weitere Kontrollmethoden birgt auch die Gefahr von Fehlerquoten und wird als wenig zuverlässig eingeschätzt (siehe dazu Kapitel 4.2.4). Diese Methode lässt keine weiteren Schlüsse auf das persönliche Netzwerk der Meinungsführer insbesondere auf die Beziehungen zwischen Meinungsführern und den Ratsuchenden zu. Es wurde nicht bewiesen, dass tatsächlich Gespräche zwischen Meinungsführern und weniger gut informierten Individuen stattfinden. Beispielsweise könnten sich die Meinungsführer auch nur untereinander beeinflussen und informieren, während die weniger interessierten Individuen keine Informationen erhalten bzw. erfragen. Damit könnte es also auch nur einen Ein-Stufen-Fluss (siehe Kapitel 3.4) geben, wobei die Rezipienten direkt von den Massenmedien beeinflusst werden oder auch mehrere Stufen (siehe Kapitel 3.5), wenn die Meinungsführer zusätzlich durch persönliche Kommunikationskanäle Informationen erhalten und beeinflusst werden.107 Des Weiteren werden laut ROGERS und SHOEMAKER (1971) in der Hypothese nur die Meinungsführer als aktive Informationssuchende eingestuft, während alle anderen passiv sind. Somit regen die Meinungsführer den Kommunikationsfluss an. Aber ROGERS UND SHOEMAKER (1971) stellen richtig, dass Meinungsführer aktiv und passiv sein können, also Nicht-Meinungsführer aufsuchen und auch von ihnen bezüglich Informationen konsultiert werden. Auch die dichotome Unterteilung in Meinungsführer und Nicht-Meinungsführer von LAZARSFELD et al. ist kritisch zu betrachten, da Meinungsführerschaft eher ein gradueller Begriff ist. Außerdem sind nicht alle Nicht-Meinungsführer Gefolgsleute („followers“) der Meinungsführer (siehe Kapitel 4.1.7).108 SCHENK (2007) kritisiert auch, dass LAZARSFELD et al. (1944) nicht zwischen Informationsfluss und Beeinflussung unterscheiden, sondern stattdessen die beeinflussende Kommunikation untersuchen. Dabei kann eine Mitteilung nur informierend oder auch 106
Vgl. Arndt, Johan: A Test of the Two-Step Flow in Diffusion of a New Product, in: Holloway, Robert J.; Mittelstaedt, Robert A., Venkatesan, Meyyappan: Consumer Behavior: Contemporary research in action, (Houghton Mifflin) Boston 1971, S. 235–246, S. 236. 107 Vgl. Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 351ff.; auch: Schenk, Michael: Publikums- und Wirkungsforschung: Theoretische Ansätze und empirische Befunde der Massenkommunikationsforschung, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1978, S. 145ff. 108 Vgl. Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A CrossCultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 206f.; auch: Robinson, John P.: Interpersonal Influence in Election Campaigns: Two-Step Flow Hypotheses, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 40, 1976, S. 304–319, S. 307.
3.3 Die Überprüfung der Hypothese des Zwei-Stufen-Modells
33
nur beeinflussend sein.109 ROGERS und SHOEMAKER (1971) weisen darauf hin, dass die Massenmedien eher der Information und persönliche Kontakte der Überzeugung dienen. Dies gilt für beide Meinungsführer und Nicht-Meinungsführer als Empfänger.110 Auch Diffusionsstudien von beispielsweise DEUTSCHMANN und DANIELSON (1960) beweisen, dass bei bedeutenden Informationen Meinungsführer als Informationsvermittler eine zweitrangige Rolle spielen und stattdessen erste Informationen direkt von den Massenmedien bezogen werden. Die Meinungsführer spielen nur eine beeinflussende Rolle, wenn sich die Empfänger durch Gespräche an sie wenden. Das weist auf einen Kommunikationsprozess hin, der einstufig, zweistufig oder mehrstufig sein kann.111 Essenz # 8: Seit der Entdeckung der Meinungsführer folgten zahlreiche Studien, die sich intensiv mit der Hypothese des Zwei-Stufen-Flusses der Kommunikation von LAZARSFELD, BERELSON und GAUDET auseinandersetzten, aber diese nur teilweise bestätigen konnten. Folgende hauptsächliche Kritikpunkte wurden erörtert: • Die Hypothese konnte von LAZARSFELD, BERELSON und GAUDET nicht tatsächlich bewiesen werden. Eine Meinungsänderung wurde zwar festgestellt, aber der Kommunikationsprozess zwischen Meinungsführern und passiven Rezipienten wurde nur vermutet. Das Nichtvorhandensein des einstufigen Informationsflusses von Massenmedien zu den Rezipienten wurde zwar ermittelt, aber der zweistufige Kommunikationsfluss nicht wirklich gemessen. • Die vereinfachte Methodik von LAZARSFELD et al. zur Identifizierung von Meinungsführern wird als wenig valide eingestuft. Meinungsführer wurden nur aufgrund von Selbsteinschätzung als solche eingestuft. • LAZARSFELD et al. unterschieden dichotom zwischen Meinungsführer und NichtMeinungsführer, obwohl es sich eher um eine graduelle Ausprägung handelt. • Nur die Meinungsführer wurden als aktive Informationssucher eingestuft, während alle anderen Rezipienten als passiv angesehen wurden. • Rezipienten beziehen auch häufig Informationen direkt von den Massenmedien und nicht, wie in der Hypothese von LAZARSFELD et al. behauptet, nur indirekt durch informelle Quellen. • Meinungsführer nutzen neben den massenmedialen Kanälen auch persönliche Kontakte als Informationsquellen. Studien konnten nicht bestätigen, dass Mei-
109
Vgl. Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 359f. 110 Vgl. Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A Cross-Cultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 207f. 111 Vgl. Deutschmann, Paul J.; Danielson, Wayne A.: Diffusion of Knowledge of the Major News Story, in: Journalism Quarterly, Vol. 37, Summer 1960, S. 345–355.
34
3 Entwicklungen der Meinungsführerforschung
nungsführer stärker von den Massenmedien als durch die interpersonelle Kommunikation beeinflusst werden und die Nicht-Meinungsführer stärker von informellen als von massenmedialen Quellen beeinflusst werden. • Außer den Meinungsführern wurden alle übrigen Rezipienten als ihre Meinungsfolger betrachtet. • LAZARSFELD et al. untersuchten den beeinflussenden Kommunikationsfluss und unterschieden nicht zwischen Beeinflussung und Informationsfluss. Mit einer Informationsvermittlung geht nicht immer eine Beeinflussung einher.
3.4
Das Konzept des Ein-Stufen-Flusses der Kommunikation
Anlässlich vorhergehender Studien zum Zwei-Stufen-Fluss-Model und der Diffusion von Nachrichten nimmt TROLDAHL (1966) eine Trennung von Informationsverbreitung und Beeinflussung vor. Er hält einen Ein-Stufen-Fluss der Kommunikation, der direkt von den Massenmedien zu den Rezipienten erfolgt, für möglich und bezeichnet die Zwei-Stufen-Fluss Hypothese als „description of the flow of media influence on beliefs and behavior.“112 Somit erfolgt im Modell des Ein-Stufen-Flusses der Informationsfluss direkt zu der breiten Masse ohne Intervenieren seitens der Meinungsführer. Allerdings erreichen die Informationen die Rezipienten nicht gleichartig und haben auf diese auch nicht die gleiche Wirkung. ROGERS und SHOEMAKER (1971) vermuten, dass dieses Konzept Ergebnis der Überarbeitung des „hypodermic needle model“ (deutsche Bezeichnung: mechanistisches Stimulus-Response-Modell113) ist, dem ersten Modell zur Erklärung der (angeblich) stark beeinflussenden Wirkung der Massenmedien auf die Gesellschaft. Dennoch sind die Aussagen des Modells der Ein-Stufen-Kommunikation gegenteilig: (1) Die Massenmedien sind nicht allmächtig. (2) Die selektive Nutzung und Wahrnehmung der massenmedialen Informationen durch die Rezipienten beeinflusst die Wirkung der Botschaft. (3) Die Wirkung auf die Rezipienten variiert.114 112
Troldahl, Verling C.: A Field Test of a Modified “Two-Step Flow of Communication” Model, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 30, 1966, Issue 4, S. 609–623, S. 611; auch: Kaas, Klaus P.: Diffusion und Marketing: Das Konsumentenverhalten bei der Einführung neuer Produkte, (C. E. Poeschel Verlag) Stuttgart 1973, S. 42. 113 Vgl. Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 337ff. 114 Vgl. Troldahl, Verling C.: A Field Test of a Modified “Two-Step Flow of Communication” Model, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 30, 1966, Issue 4, S. 609–623, auch: Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A Cross-Cultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 208f.
3.5 Das Konzept des Mehr-Stufen-Flusses der Kommunikation
35
Dieses Modell kommt vor allem zur Anwendung, wenn die Botschaft für die Gesellschaft bedeutend ist, wie DEUTSCHMANN und DANIELSON (1960) sowie GREENBERG (1964) herausfanden (siehe dazu Kapitel 4.3.5).115 Essenz # 9: Das Ein-Stufen-Fluss-Modell ist das Ergebnis der Trennung von Informationsfluss und Beeinflussung und stellt ausschließlich den Informationsfluss dar. Demnach empfangen Rezipienten häufig Informationen direkt von den Meinungsführern ohne Eingreifen seitens der Meinungsführer. Dennoch ist dieses Modell nicht mit dem Stimulus-Response-Modell gleichzusetzen, in dem den Massenmedien eine Allmachtsstellung zugewiesen wurde.
3.5
Das Konzept des Mehr-Stufen-Flusses der Kommunikation
Das Konzept des Mehr-Stufen-Flusses der Kommunikation legt nicht fest, dass Informationen einzig direkt von den Massenmedien bezogen werden, sondern die Botschaft kann auch von mehreren Kommunikationskanälen weitergeleitet werden bis sie den Empfänger erreicht. Die Anzahl der Stufen ist laut ROGERS und SHOEMAKER (1971) von verschiedenen Faktoren abhängig: die Absicht der Informationsquelle, Vorhandensein von Massenmedien (ist heutzutage weniger von Bedeutung, da fast jeder Haushalt über Radio, Fernseher und/oder Internet verfügt), Grad der Mediennutzung, Beschaffenheit der Botschaft und Bedeutung der Botschaft für die Empfänger.116 Die Mehrstufigkeit des Kommunikationsflusses wurde von vielen Forschern vermutet, die sich mit der Gültigkeit der Zwei-Stufen-Hypothese von LAZARSFELD et al. beschäftigten (siehe dazu Kapitel 3.3). So entdeckten KATZ und LAZARSFELD (1955), dass auch die Meinungsführer stärker von anderen Personen beeinflusst werden als von den Massenmedien. Weitere Studien, wie die von TROLDAHL und VAN DAM (1965b) und NICOSIA (1964) bestätigen, dass ein wechselseitiger Meinungsaustausch („opinion sharing“) zwischen Meinungsführer und Meinungsfolgern besteht. Zudem können Empfänger auch Informationen direkt von den Massenmedien erhalten, wie einige Diffusionsstudien herausfanden. COLEMAN, KATZ und MENZEL (1957) zeigten in ihrer Ärztestudie, dass die Meinungsführer unter den Ärzten andere, mit denen sie 115
Vgl. Greenberg, Bradley S.: Person-to-Person Communication in the Diffusion of News Events, in: Journalism Quarterly, Vol. 41, 1964, S. 489–494; auch: Deutschmann, Paul J.; Danielson, Wayne A.: Diffusion of Knowledge of the Major News Story, in: Journalism Quarterly, Vol. 37, Summer 1960, S. 345–355. 116 Vgl. Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A CrossCultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 209.
36
3 Entwicklungen der Meinungsführerforschung
in engem Kontakt standen, beeinflussen und die Adoption eines neuen Medikamentes bewirken. Diese gaben die erhaltenen Informationen an andere Ärzte (die sozial weniger Integrierten) weiter bis auch die sozial Isolierten von der Neuheit in Kenntnis gesetzt und diese übernommen hatten. Somit steht der Meinungsführer nicht isoliert zwischen den Massenmedien und den Nicht-Meinungsführern, sondern bildet seine Meinungen in Interaktionen mit anderen Individuen und gibt sie weiter. Damit änderte sich die Sichtweise von einem asymmetrischen Meinungsführungskonzept zu einer symmetrischen Austauscherkonzeption.117 Abbildung 4 stellt solch einen möglichen Mehrstufenprozess der Kommunikation dar. Diese stammt von ROBINSON (1976), der dabei in seiner Arbeit eine differenzierte Betrachtungsweise von Meinungsführern und Nicht-Meinungsführer präsentiert. Demnach sind nicht alle Nicht-Meinungsführer Gefolgsleute der Meinungsführer, wie in vielen vorhergehenden Studien vorausgesetzt wurde, sondern es gibt auch Inaktive, die nur Informationen von den Massenmedien erhalten, sich aber an interpersoneller Kommunikation nicht beteiligen. TROLDAHL und VAN DAM (1965b) sowie WRIGHT und CANTOR (1967), die diese sozial Isolierten auch „opinion avoider“ nannten, setzten sich erstmals mit dieser Thematik auseinander. ROBINSON (1976) veranschaulicht mit seiner Darstellung verschiedene Flussrichtungen innerhalb eines Mehrstufenmodells. Diese umfassen horizontale und reziproke Kommunikationsverläufe zwischen „opinion givers“ und „opinion receivers“ und vertikale Beeinflussung sowie direkte, in eine Richtung fließende Kommunikationsabläufe.118 Auch WISWEDE (1978) unterscheidet aufgrund der Forschungsergebnisse von MENZEL und KATZ (1955) sowie COLEMAN, KATZ und MENZEL (1957) Meinungs117
Vgl. Katz, Elihu; Lazarsfeld, Paul F.: Personal Influence: The Part Played by People in the Flow of Mass Communication, (Free Press) Glencoe, Illinois 1955; auch: Summers, John O.: The Identity of Women’s Clothing Fashion Opinion Leaders, in: Journal of Marketing Research, Vol. 7, May 1970, S. 178–185, S. 183; auch: Troldahl, Verling C.; van Dam, Robert: Face to Face Communication about Major Topics in the News, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 29, 1965b, S. 626–634, S. 629; auch: Nicosia, Francesco M.: Opinion Leadership and the Flow of Communication: Some Problems and Prospects, Paper presented at the Education Conference of the American Marketing Association 1964 in Chicago, Illinois, in: American Marketing Association (Hrsg.): Reflection on Progress in Marketing, Chicago, Illinois 1964, S. 340–358; auch: Coleman, James S.; Katz, Elihu; Menzel, Herbert: The Diffusion of an Innovation among Physicians, in: Sociometry, Vol. 20, 1957, S. 253–270, S. 264ff.; auch: Hummrich, Ulrich: Interpersonelle Kommunikation im Konsumgütermarketing: Erklärungsansätze und Steuerungsmöglichkeiten, (Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler) Wiesbaden 1976, S. 90ff.; auch: Koeppler, Karlfritz: Opinion leaders: Merkmale und Wirkung, Schriftenreihe der Verlagsgruppe Bauer, Band 18; (Bauer) Hamburg 1984. 118 Vgl. Robinson, John P.: Interpersonal Influence in Election Campaigns: Two-Step Flow Hypotheses, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 40, 1976, S. 304–319, S. 317; auch: Weimann, Gabriel: On the Importance of Marginality: One More Step into the Two-Step Flow of Communication, in: American Sociological Review, Vol. 47, December 1982, Issue 6, S. 764–773, S. 765.
37
3.5 Das Konzept des Mehr-Stufen-Flusses der Kommunikation
MASS MEDIA
Information OPINION GIVERS Influence
Influence
OPINION RECEIVERS
MASS MEDIA Information Influence NON DISCUSSANTS
Abbildung 4: Mehrstufenprozess der Kommunikation nach Robinson (1976) Quelle: Robinson, John P.: Interpersonal Influence in Election Campaigns: Two-Step Flow Hypotheses, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 40, 1976, S. 304–319, S. 317.
führer verschiedener Level. Diese stehen in Interaktion zueinander und beeinflussen sich je nach Kompetenz stufenweise bis zu jenem Meinungsführer, für den persönliche Kontakte als Informationsrolle kaum von Bedeutung sind. Abbildung 5 (s. S. 38) verdeutlicht diesen Prozess.119 MERTEN (1986) bezieht in seinem komplexen Mehrstufenmodell (siehe Abbildung 6, S. 39) auch die in den Medien auftretenden Meinungsführer mit ein, die als fiktive bzw. virtuelle Meinungsführer bezeichnet werden. Medien, die selber als Meinungsführer in Hinsicht auf Medieninhalte und Meinungsbildung fungieren, laut NOELLENEUMANN (1989) auch „Meinungsführer-Medien“ genannt, werden in seinem Modell als Kommunikatoren (Kr) dargestellt. MERTEN (1986) vermutet, dass die „TopMeinungsführer“ bzw. Meinungsführer i-ten Grades in interpersoneller Interaktion 119
Vgl. Wiswede, Günter: Meinungsführung und Konsumverhalten: Zur Metamorphose eines kommunikationswissenschaftlichen Konzepts, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 24, 1978, Nr. 2, S. 115–127, S. 120ff.
38
3 Entwicklungen der Meinungsführerforschung
Abbildung 5: Komplexes Modell der Meinungsführung nach Wiswede (1978) Quelle: Wiswede, Günter: Meinungsführung und Konsumverhalten: Zur Metamorphose eines kommunikationswissenschaftlichen Konzepts, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 24, 1978, Nr. 2, S. 115–127, S. 121.
mit den Kommunikatoren (Meinungsführer-Medien) stehen. Dahingegen existieren Isolierte, die nicht an informellen Meinungsbildungsprozessen teilhaben und eher durch Massenmedien beeinflusst werden. Er formuliert dazu: „Je geringer die soziale Schicht, desto größer der Anteil solcher Außenseiter; und je stärker die Evolution der Massenmedien fortschreitet, umso stärker wird dieser Außenseitereffekt.“120 MERTEN (1986) möchte mit seinem Schema einen steigenden Einfluss der Massenmedien auf die Meinungen der Individuen verdeutlichen.121 Die vorgestellten Mehrstufenmodelle der Kommunikation konzentrieren sich nicht nur auf die zentrale Position der Meinungsführer, sondern ermöglichen Einblicke in die Rollen der anderen Kommunikationsteilnehmer und der Isolierten. Diese Erkenntnisse waren der Grundstein für spätere Netzwerkanalysen, die die interpersonelle Kommunikation im gesamten Netzwerk eines Systems untersuchen und dabei die einzelnen Positionen der Mitglieder betrachten.122 120
Merten, Klaus: Hierarchische Medienwirkungen, in: Mahle, Walter A. (Hrsg.): Langfristige Medienwirkungen, (Wissenschaftsverlag Volker Spiess) Berlin 1986, S. 111–117, S. 114. 121 Vgl. Merten, Klaus: Hierarchische Medienwirkungen, in: Mahle, Walter A. (Hrsg.): Langfristige Medienwirkungen, (Wissenschaftsverlag Volker Spiess) Berlin 1986, S. 111–117, S. 113ff. 122 Vgl. Weimann, Gabriel: On the Importance of Marginality: One More Step into the Two-Step Flow of Communication, in: American Sociological Review, Vol. 47, December 1982, Issue 6, S. 764–773, S. 765ff.
3.5 Das Konzept des Mehr-Stufen-Flusses der Kommunikation
39
Abbildung 6: Komplexes Mehrstufenmodell von Merten (1986) Quelle: Merten, Klaus: Hierarchische Medienwirkungen, in: Mahle, Walter A. (Hrsg.): Langfristige Medienwirkungen, (Wissenschaftsverlag Volker Spiess) Berlin 1986, S. 111–117, S. 115.
40
3 Entwicklungen der Meinungsführerforschung
Doch bevor in dem Kapitel 3.7 auf netzwerkanalytische Kommunikationsmodelle eingegangen wird, wird im folgenden Kapitel 3.6 das „Two-Cyle-Flow-Modell“ von TROLDAHL (1966) vorgestellt, da es trotz seiner Schwächen in der Literatur hervorgehoben wird. Essenz # 10: Zahlreiche Studien entwickelten mehrstufige Modelle der Kommunikation. Es zeigte sich ein wechselseitiger Informationsaustausch zwischen Meinungsführern und Meinungsempfängern. Außerdem zeigte sich die Existenz von Inaktiven, d. h. sozial Isolierten, die nicht am interpersonellen Kommunikationsprozess bezüglich des betrachteten Meinungsgegenstandes teilnehmen und nur durch Massenmedien informiert werden. Des Weiteren wurden auch die „Meinungsführer der Meinungsführer“ (Meinungsführer des i-ten Grades) einbezogen, wobei zwischen fiktiven Meinungsführern, die nur in den Medien auftreten, und realen Meinungsführern aus dem persönlichen Umfeld differenziert wurde.
3.6
Two-Cycle-Flow-Modell
Ausgehend von der Studie von DEUTSCHMANN und DANIELSON (1960), die feststellten, dass im Diffusionsprozess von wichtigen Neuigkeiten, die Informationen direkt von den Massenmedien zu den Rezipienten fließen und Meinungsführer nur in möglicherweise folgenden Diskussionen Einflusspotenzial haben (siehe Kapitel 4.3.5), entwarf TROLDAHL (1966) das „Two-Cycle-Flow“-Modell. In einer vorangegangenen Studie über Konversationen zu Themen öffentlicher Angelegenheiten gehen TROLDAHL und VAN DAM (1965b) davon aus, dass es sowohl Meinungsverteilende („opinion givers“) als auch Meinungssuchende („opinion seekers“) gibt. Sie bezeichnen aufgrund ihrer Ergebnisse die interpersonelle Kommunikation auch erstmalig als Meinungsaustausch („opinion sharing“) statt als bloßes Meinungssuchen („opinion seeking“): „At this level of public affairs opinion leadership, then, the rule was not one source and one receiver. Participants in the conversation exchanged Giver and Asker roles quite often.“123 Das heißt, neben dem Meinungstausch findet auch ein ständiger Rollentausch von Meinungssuchenden und Meinungsverteilern statt. Dies ließ TROLDAHL und VAN DAM (1965b) vermuten, dass ein zweistufiger Fluss der Kommunikation eher selten auftritt (siehe Kapitel 4.1.7). 123
Troldahl, Verling C.; van Dam, Robert: Face to Face Communication about Major Topics in the News, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 29, 1965b, S. 626–634, S. 629.
41
3.6 Two-Cycle-Flow-Modell
TROLDAHL (1966) leitete von diesen Studien ab, dass ein einstufiger Kommunikationsprozess stattfindet, d. h. der Informationsfluss erfolgt direkt von den Massenmedien zu allen Rezipienten, wenn Ereignisse nur ein Minimum an Verständnis voraussetzen. Ein Zwei-Stufen-Fluss der Kommunikation ist zu erwarten, wenn Massenmedien einen Einfluss auf Einstellungen und Verhalten ausüben. TROLDAHL (1966) geht auch davon aus, dass der Meinungsbildungsprozess nicht immer von den Meinungsführern initiiert wird, sondern auch die Meinungsfolger aktiv Diskussionen auslösen. Dies geschieht vor allem dann, wenn Medieninhalte inkonsistent mit den Einstellungen und Meinungen der „followers“ (Meinungsfolger) sind und dies Unsicherheit auslöst. Durch aktive Meinungssuche versuchen diese die Unsicherheit auszugleichen (Balance-Theorie). Dieser Zusammenhang wird in Abbildung 7 im zweiten Kreislauf dargestellt. Die Meinungsführer würden sich bei Unsicherheit Einstufiger Informationsfluss
Zweistufige Beeinflussung
Experten, Meinungsführer der Meinungsführer („professional intermediaries“)
Erster Kreislauf
Informationsdefizit, Kontaktsuche
Aussage der Massenkommunikation
Beeinflussung
Meinungsführer
Psychische Inkonsistenz, Kontaktsuche
Zweiter Kreislauf
Beeinflussung
Angehörige der Gefolgschaft
Abbildung 7: Two-Cycle-Flow Modell nach Troldahl (1966) Quelle: Schenk, Michael: Publikums- und Wirkungsforschung: Theoretische Ansätze und empirische Befunde der Massenkommunikationsforschung, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1978, S. 168.
124
Vgl. Troldahl, Verling C.: A Field Test of a Modified “Two-Step Flow of Communication” Model, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 30, 1966, Issue 4, S. 609–623, S. 611ff.
42
3 Entwicklungen der Meinungsführerforschung
ebenfalls an andere Personen wenden, aber eher an professionelle Ratgeber (z. B. Wissenschaftler, Geschäftsleute, Vertreter). In Abbildung 7 (s. S. 41) wird dies im ersten Kreislauf verdeutlicht.124 Meinungsführer tragen zur Meinungs- und Verhaltensstabilisierung, d. h. zur Homogenität von Einstellung und Verhalten innerhalb einer Gruppe bei. Nur wenn Meinungsführer selbst eine Änderung eigener Einstellungen und Verhalten erfahren haben, kommt es zum Wandel innerhalb seines sozialen Systems. Damit ergibt sich ein Modell des „Two-Cycle-Flow“, welches in Abbildung 7 veranschaulicht ist. TROLDAHL (1966) formulierte Bedingungen, die maßgeblich für die Gültigkeit des „Two-Cycle-Flow“-Modells sind: (1) Sowohl Meinungsführer als auch Gefolgsleute sind den Aussagen der Massenkommunikation gleichermaßen ausgesetzt. Im Hinblick auf die Aufmerksamkeit bestehen ebenfalls keine Unterschiede; der Informationsfluss vollzieht sich einstufig. (2) Kommunikative Aussagen erzielen bei Meinungsführern eine höhere Überzeugungswirkung als bei den Gefolgsleuten, d. h. Massenmedien können zwar die Einstellungen der Meinungsführer ändern, nicht aber die der „Followers“. (3) „Followers“, die Informationen aufgenommen haben, die inkonsistent zu ihren bisherigen Überzeugungen sind, bitten die Meinungsführer um Stellungnahme (Initiative liegt beim „Follower“). (4) Ratsuchende Meinungsführer lassen sich weniger oft durch Personen beraten, mit denen sie in engem sozialen Kontakt stehen, als „Followers“. (5) Meinungsführer und „Followers“, die sich nach der Informationsaufnahme aus den Massenmedien an andere wenden, um Rat oder Problemlösungen zu erfahren, ändern ihre Meinungen und Einstellungen eher als inaktive Personen.125 In einer weiteren Untersuchung konnte TROLDAHL (1966) zwar eine Tendenz zu seiner Balance-Theorie und die damit ausgelöste Meinungssuche feststellen, aber nicht die Validität des ganzen Modells nachweisen. Dennoch wird sein Modell als wichtiger Beitrag zur Kommunikationsforschung und Meinungsführerforschung angesehen, da er im Unterschied zur „Two-Step-Flow of Communication Hypothesis“ den Prozess Informationsfluss und Beeinflussung trennt.126
125
Schenk, Michael: Publikums- und Wirkungsforschung: Theoretische Ansätze und empirische Befunde der Massenkommunikationsforschung, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1978, S. 167ff. 126 Vgl. Schenk, Michael: Publikums- und Wirkungsforschung: Theoretische Ansätze und empirische Befunde der Massenkommunikationsforschung, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1978, S. 169.
3.7 Netzwerkanalysen
43
Essenz # 11: Das „Two-Cycle-Flow“-Modell (von TROLDAHL) stellt eine Form des Mehrstufigen Modells der Kommunikation dar. Dieses Modell differenziert explizit zwischen Informationsfluss und Beeinflussung. Demnach sind die Meinungsführer der Meinungsführer (Meinungsführer i-ten Grades), die Meinungsführer sowie die Meinungsfolgenden gleichermaßen den massenmedialen Informationskanälen ausgesetzt. Bei Unsicherheiten (kognitiver Inkonsistenz) fragen die Meinungsfolger die Meinungsführer um Rat, um die innere Balance wieder herzustellen (auch Balance-Theorie genannt). Somit suchen die Meinungsfolger auch aktiv nach Informationen. Eine Verhaltens- und Einstellungsänderung im homogenen Milieu der sozialen Gruppe ergibt sich nur, wenn der Meinungsführer sich seinerseits aufgrund von kognitiver Inkonsistenz zur Bereinigung von Unsicherheiten an die Meinungsführer i-ten Grades wendet und dabei eine Einstellungsund Verhaltensänderung erfährt. Diese gibt er dann durch Beeinflussung an seine Meinungsfolger weiter. Das wiederum führt zu einer Meinungskongruenz in der sozialen Gruppe.
3.7
Netzwerkanalysen
In den 50er und 60er Jahren revidierte sich die Ansicht des Meinungsführers als kleines isoliertes Atom in einem großen Ganzen, das den Massenmedien hilflos hörig ist. Es wurde der Meinungsführer im Zusammenhang mit seiner Primärgruppe (Familien- und Freundeskreis) untersucht. Spätere Studien in den 70er und 80er Jahren konzentrierten sich auf die Betrachtung der Meinungsführer innerhalb seines sozialen Netzwerkes und darüber hinaus. Diese Vorgehensweise ermöglichte neue Erkenntnisse bezüglich der Einfluss- und Kommunikationsprozesse im sozialen Kontext.127 Durch Anwendung der soziometrischen Methode ist die vollständige Erhebung eines komplexen Kommunikationsnetzwerkes möglich. Dieses besteht aus „verschiedenen Cliquen mit primärgruppenhaftem Charakter, in die einzelne Sets von Aktoren durch dichte und kohäsive Relationen integriert sind.“128 Einzelne Personen, die
127
Vgl. Vollbrecht, Ralf: Einführung in die Medienpädagogik, (Beltz Verlag) Weinheim u. a. 2001, S. 114f. 128 Schenk, Michael: Meinungsführer und Netzwerke persönlicher Kommunikation, in: Rundfunk und Fernsehen, 31. Jahrgang, 1983, Heft 3–4, S. 326–336, S. 329.
44
3 Entwicklungen der Meinungsführerforschung
als „Brücken“ und „liaisons“ bezeichnet werden, verbinden die Cliquen miteinander.129 Es zeigte sich, dass neben den Meinungsführern mit ihrer zentralen Position in ihrer sozialen Gruppe diese so genannten „Brücken“, die eher marginal positioniert sind, bedeutend für den Kommunikationsfluss sind. So scheinen Meinungsführer für den Informationsaustausch innerhalb der Gruppe und die „Brücken“ für den Informationsaustausch zwischen Gruppen (Intergruppenfluss) maßgeblich zu sein.130 Es wird im Kommunikationsprozess zwischen Intragruppen- und Intergruppenfluss unterschieden, da eine neue Komponente – die Brückenkommunikation zwischen Gruppen – hinzugekommen ist, wie in Abbildung 8 von SCHENK (1983) veranschaulicht wird.131
Gruppe A
Gruppe B
schwache Relationen (weak ties) starke Relationen (strong ties)
Abbildung 8: Brückenkommunikation: hypothetisches Netzwerk interpersoneller Kommunikation Quelle: Schenk, Michael: Meinungsführer und Netzwerke persönlicher Kommunikation, in: Rundfunk und Fernsehen, 31. Jahrgang, 1983, Heft 3–4, S. 326–336, S. 333.
129
Vgl. Schenk, Michael: Meinungsführer und Netzwerke persönlicher Kommunikation, in: Rundfunk und Fernsehen, 31. Jahrgang, 1983, Heft 3–4, S. 326–336, S. 329f. 130 Vgl. Vollbrecht, Ralf: Einführung in die Medienpädagogik, (Beltz Verlag) Weinheim u. a. 2001, S. 114f.; auch: Weimann, Gabriel: On the Importance of Marginality: One More Step into the Two-Step Flow of Communication, in: American Sociological Review, Vol. 47, December 1982, Issue 6, S. 764–773, S. 765ff. 131 Vgl. Schenk, Michael: Meinungsführer und Netzwerke persönlicher Kommunikation, in: Rundfunk und Fernsehen, 31. Jahrgang, 1983, Heft 3–4, S. 326–336, S. 332f.
3.7 Netzwerkanalysen
45
Laut GRANOVETTER (1973) bestehen innerhalb homogener Gruppen, die konsistent bezüglich Werte, Normen und Verhalten sind, meist starke soziale Bindungen („strong ties“), während zwischen verschiedenen Gruppen oder innerhalb einer heterogenen Gruppe eher schwache Beziehungen („weak ties“) vorliegen. Vor allem die schwachen Bindungen sorgen für einen Informationsfluss über die Gruppengrenzen hinaus. Sie fungieren als Brücken und fördern heterophile Kommunikation, wobei Individuen Zugang zu anderen sozialen Kreisen erlangen. Dies impliziert, dass ohne die schwachen Bindungen Informationen in einer Gruppe blieben und nicht die ganze Bevölkerung erreichen würden. WEIMANN (1982) schreibt, dass die Marginalen, die nicht stark in eine Gruppe integriert sind, über mehr schwache Beziehungen verfügen und dadurch untereinander verbunden sind. Dies lässt vermuten, dass die Marginalen für den Diffusionsprozess von Innovationen im Sinne der Verbreitung von Informationen wichtig sind. Die Beeinflussung dagegen findet innerhalb der Gruppen ausgehend von den zentralen Positionen, d. h. den Meinungsführern statt. Selbst Einfluss über die Gruppengrenzen hinaus wird nur selten von den Marginalen gesteuert. Der Kommunikationsfluss mittels persönlicher Beziehungen („ties“) erfolgt sowohl horizontal, beispielsweise zwischen den Marginalen, als auch vertikal aufwärts von Marginalen zum Meinungsführer (innerhalb einer Gruppe) und vertikal abwärts vom Meinungsführer zu anderen Gruppenmitgliedern. Auch WEIMANN (1982) unterscheidet zwischen Intragruppen- und Intergruppenfluss in Bezug auf Informationsweitergabe und Beeinflussung.132 BURT (1999) dagegen sieht die Meinungsführer auch als Brücken zwischen verschiedenen sozialen Kreisen, während dies WEIMANN (1982) nur den Marginalen zuschreibt. Laut BURT (1999) üben Meinungsführer Einfluss auf strukturell-äquivalenten Personen aus, die ähnliche Beziehungen zu anderen Personen führen wie die Meinungsführer, aber nicht unbedingt untereinander bekannt sind. Damit widerspricht BURT (1999) den Ansichten von WEIMANN (1982), der den Meinungsführern aufgrund ihrer zentralen Position im Netzwerk Einflusspotenzial zuschreibt.133 Individuen leben somit in unterschiedlich dichten sozialen Netzen. Aufgrund der Wandlungen in der Gesellschaft, wobei traditionelle Werte (z. B. Familie, Nachbar-
132
Vgl. Granovetter, Mark S.: The Strength of Weak Ties, in: American Journal of Sociology, Vol. 78, May 1973, Issue 6, S. 1361–1380, S. 1376; auch: Schenk, Michael: Meinungsführer und Netzwerke persönlicher Kommunikation, in: Rundfunk und Fernsehen, 31. Jahrgang, 1983, Heft 3–4, S. 326–336, S. 330f.; auch: Weimann, Gabriel: On the Importance of Marginality: One More Step into the Two-Step Flow of Communication, in: American Sociological Review, Vol. 47, December 1982, Issue 6, S. 764–773, S. 771f. 133 Vgl. Burt, Ronald S.: The Social Capital of Opinion Leaders, in: Annals of the American Academy of Political and Social Science, Vol. 566, November 1999, S. 37–54, S. 46f.; auch: Schenk, Michael: Finanz-Meinungsführer, (SPIEGEL-Verlag) Hamburg 2006, S. 64.
46
3 Entwicklungen der Meinungsführerforschung
schaft, Religionsgemeinschaft) eher in den Hintergrund treten und moderne Bedingungen (z. B. Arbeitsplatz, Clubs, Freundschaften, Flexibilität, Mobilität) überwiegen, wachsen persönliche Netzwerke vor allem durch die Zunahme von schwachen Beziehungen. Die massenmediale Wirkung auf Individuen in weniger dicht geknüpften („loosely-knit“) Netzen ist stärker als auf Individuen in eng miteinander verbundenen („closely-knit“) Netzen, da in letzterem die Beeinflussung durch interpersonelle Kommunikation stärker ist. In diesen Gruppen lassen sich meist homogene Meinungen und Einstellungen feststellen während in schwachen Beziehungen eher unterschiedliche Meinungsausprägungen zu finden sind, da hier keine „sozialen Kräfte“ wirken, die zur Konformität führen. „Der Einfluss der Massenmedien nimmt dort zu, wo sich die Netze auflockern und wo schwache Beziehungen die Gruppengrenzen durchkreuzen und gegen die Uniformität der Gruppenmeinungen wirken.“134 Abbildung 9 stellt den Informationsfluss zwischen und innerhalb der Gruppen sowie die Beteiligung der Massenmedien dar.
MASSENMEDIEN
Intragruppenbeziehungen
Gruppe 1
Gruppe 2
Meinungsführer
Meinungsführer
übrige Mitglieder
übrige Mitglieder
Marginale
Marginale
MASSENMEDIEN
Brückenfunktion
Abbildung 9: Visualisierung des Informationsflusses in einem sozialen Netzwerk Quelle: Jäckel, Michael: Medienwirkungen: Ein Studienbuch zur Einführung, 4., überarb. und erw. Aufl., (VS Verlag für Sozialwissenschaften) Wiesbaden 2008, S. 138.
134
Vollbrecht, Ralf: Einführung in die Medienpädagogik, (Beltz Verlag) Weinheim u. a. 2001, S. 115.
3.7 Netzwerkanalysen
47
In modernen Gesellschaften scheinen lockere miteinander verbundene soziale Netzwerke vorherrschend zu sein. Dennoch gibt es Cliquen mit starken Beziehungen, meist durch die Kernfamilie geformt, die in dem lockeren Netzwerk Inseln bilden. Aber die schwachen persönlichen Beziehungen überwiegen und somit auch eine Heterogenität von Einstellungen und Meinungen. Der massenmediale Einfluss kann nicht immer durch persönlichen Einfluss abgemildert werden. Dies lässt einen zunehmenden Einfluss der Massenmedien vermuten (siehe auch Kapitel 6.3).135 Doch auch die Meinungsführer profitieren von einem ausgedehnteren Netzwerk mit einer größeren Zahl von Kontaktmöglichkeiten. Sie können mehr Informationen beziehen und haben bessere Einflussmöglichkeiten. Meinungsführung beschränkt sich damit nur noch im Ausnahmefall auf die Primärgruppe, d. h. den Familien- und Freundeskreis.136 Aufgrund dieser neuen Perspektiven werden unter anderem von Schenk (1985) die Erkenntnisse zum Meinungsführer-Konzept, die aus der Kleingruppen- bzw. Primärgruppenansicht von Katz und Lazarsfeld (1955) und anderen Forschern gewonnen wurden, angezweifelt: „Die Reduktion der interpersonellen Kommunikation auf Primärgruppenkommunikation, wie sie vor allem in der Arbeit von Katz und Lazarsfeld über ‚Persönlichen Einfluß‘ transparent wird, erscheint nicht mehr angemessen angesichts der Entwicklung der interpersonellen Beziehungen der Bevölkerung in modernen Gesellschaften.“137 Studien über die politische Meinungsbildung zeigten, dass Konversationen zu Politik nun in anderen sozialen Kreisen (z. B. in Vereinen, Organisationen) statt in den Primärgruppen wie Familie und Nachbarschaft stattfinden. Die Konzentration der Forscher wie Katz und Lazarsfeld (1955) auf die Primärgruppen ohne Berücksichtigung der Intergruppenbeziehungen hätte laut Schenk (1985) „zu einer Unterschätzung massenkommunikativer Einwirkungsmöglichkeiten“138 geführt.139 135
Vgl. Schenk, Michael: Meinungsführer und Netzwerke persönlicher Kommunikation, in: Rundfunk und Fernsehen, 31. Jahrgang, 1983, Heft 3–4, S. 326–336, S. 333ff.; auch: Vollbrecht, Ralf: Einführung in die Medienpädagogik, (Beltz Verlag) Weinheim u. a. 2001, S. 115; auch: Jäckel, Michael: Medienwirkungen: Ein Studienbuch zur Einführung, 4., überarb. und erw. Aufl., (VS Verlag für Sozialwissenschaften) Wiesbaden 2008, S. 135ff. 136 Vgl. Schenk, Michael: Politische Meinungsführer: Kommunikationsverhalten und primäre Umwelt, in: Publizistik, Bd. 30, 1985, Nr. 1, S. 7–16, S. 8. 137 Schenk, Michael: Politische Meinungsführer: Kommunikationsverhalten und primäre Umwelt, in: Publizistik, Bd. 30, 1985, Nr. 1, S. 7–16, S. 7. 138 Schenk, Michael: Politische Meinungsführer: Kommunikationsverhalten und primäre Umwelt, in: Publizistik, Bd. 30, 1985, Nr. 1, S. 7–16, S. 8. 139 Vgl. Schenk, Michael: Politische Meinungsführer: Kommunikationsverhalten und primäre Umwelt, in: Publizistik, Bd. 30, 1985, Nr. 1, S. 7–16, S. 7ff.; auch: Schenk, Michael: Meinungsführer und Netzwerke persönlicher Kommunikation, in: Rundfunk und Fernsehen, 31. Jahrgang, 1983, Heft 3–4, S. 326–336, S. 328ff.
48
3 Entwicklungen der Meinungsführerforschung
Eine netzwerkanalytische Untersuchung des politischen Kommunikationsverhaltens von Schenk (1985) zeigte, dass die Kommunikationsteilnehmer Erstinformationen nur aus den Massenmedien erhielten während die interpersonelle Kommunikation eine nebensächliche Rolle spielte. Meinungsführer dagegen nutzen die Massenmedien zur Erstinformation weniger. Die Meinungsführerschaft würde hauptsächlich auf Mitgliedschaften in politischen Vereinigungen und politischem Engagement beruhen. Meinungsführer haben überwiegend heterogene persönliche Beziehungen, d. h. Beziehungen zu Individuen aus anderen Bezugssystemen und gehören unterschiedlichen sozialen Kreisen an. Nur eine geringe Zahl von Meinungsführern hatte enge Bindungen zu Individuen aus einer homogenen Gruppe. SCHENK (1985) vergleicht dies mit den Ergebnissen vom SPIEGEL-Verlag (1983) und von NOELLE-NEUMANN, die mit ihrer Skala (siehe Kapitel 4.2.4.5) persönlichkeitsstarke Individuen identifizierte (siehe auch Kapitel 2.7). Auch diese suchen sich Freunde und Bekannte nur zu einem geringen Teil (31%) aus dem engeren Umkreis der Familie und der Nachbarn, sondern vielmehr aus sozialen Kreisen in der Freizeit (53%). Während Meinungsführer gleichviel starke und gemischte (starke und schwache) Beziehungen unterhalten, haben Meinungsaustauscher und Meinungsempfänger tendenziell mehr starke Bindungen. Dies zeigte sich auch in einer anderen Netzwerkanalyse von SCHENK (1995). Trotz der größeren Einflussmöglichkeiten aufgrund der größeren Zahl von Kontakten scheint der Einfluss der Meinungsführer geringer zu sein als bisher unterstellt. Die Erklärung liegt in den vorwiegend heterogenen Kontakten. „Einerseits unterliegen Meinungsführer starken ‚cross-pressures‘, andererseits können sie sich aufgrund der Struktur ihres persönlichen Netzwerkes nicht die in homogenen Milieus vorhandenen Wertmaßstäbe und Normen zunutze machen, ihre Rolle als supernormatives Mitglied der Gruppe zum Tragen bringen und ‚sozialen Druck‘ ausüben …“140. Zudem zeigen SCHENK’s (1995) Erkenntnisse aus einer späteren Netzwerkanalyse, dass vorwiegend ein horizontaler Meinungsaustausch in homogenen Netzwerken stattfindet und Meinungsführer eher durch vertikalen Einfluss zu Meinungskongruenz beitragen.141 Die Netzwerkanalyse ist die aktuellste Methodik zur Darstellung der Kommunikationsprozesse und Beziehungen zwischen Individuen. Die verschiedenen Abschnitte sollten die Entwicklungen der Kommunikationsmodelle verdeutlichen, die mit der Entwicklung der Meinungsführerforschung einhergingen. Dies dient als Grundlage für die im folgenden Kapitel dargestellten weiteren Erkenntnisse aus den zahlreichen Studien zur Meinungsführerschaft. 140
Schenk, Michael: Politische Meinungsführer: Kommunikationsverhalten und primäre Umwelt, in: Publizistik, Bd. 30, 1985, Nr. 1, S. 7–16, S. 13. 141 Vgl. Schenk, Michael: Politische Meinungsführer: Kommunikationsverhalten und primäre Umwelt, in: Publizistik, Bd. 30, 1985, Nr. 1, S. 7–16, S. 11ff.; auch: Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995, S. 167f.
3.7 Netzwerkanalysen
49
Essenz # 12: Es wurde die Ansicht aufgegeben, dass die Rezipienten kleine isolierte Atom in einem großen Ganzen sind, den Massenmedien hilflos ausgeliefert. Stattdessen werden Meinungsführer in ihrem sozialen Kontext untersucht. Dafür zeichneten sich vor allem die soziometrische Methode bzw. auch Netzwerkanalyse genannt aus. Diese ermöglichten einen Einblick in komplexe Kommunikationsbeziehungen. Den Meinungsführern kann aufgrund von soziometrischen Untersuchungsergebnissen vornehmlich eine zentrale Position im sozialen Netzwerk zugeschrieben werden. Diese sind sowohl für den Intergruppenfluss der Informationen als auch für den Einfluss über den sozialen Gruppengrenzen hinaus verantwortlich. Des Weiteren wurden meist starke Beziehungen („strong ties“) innerhalb der Gruppen und schwache Beziehungen („weak ties“) außerhalb der Gruppen beobachtet, wobei sich aufgrund des Lebenswandels eine Tendenz zu lockeren miteinander verbundenen sozialen Netzwerken erwies. Meinungsführer bewegen sich nicht nur in homogenen Milieus, sondern unterhalten vielmehr heterogene Beziehungen. Die Primärgruppen (Familie, Freundeskreis) bilden zwar homogene Gruppen mit starken Beziehungen, aber schwache Beziehungen sowie die Heterogenität von Meinungen und Einstellungen überwiegen im sozialen Netzwerk eines Individuums. Dies schwächt den interpersonellen Einfluss und somit auch die Position des Meinungsführers gegenüber von massenmedialen Einflüssen.
4
Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
4.1
Erkenntnisse in der Meinungsführerforschung
4.1.1
Überblick
Bisher wurden die Entwicklungen des Kommunikationsmodells basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen der Meinungsführerforschung vorgestellt. In den folgenden Kapiteln werden die daraus resultierenden Theorien und Erkenntnisse erläutert. Zuerst werden die Funktionen und Motive der Meinungsführerschaft sowie die Voraussetzungen für eine Meinungsführerschaft beschrieben. Danach wird diskutiert, wer den Meinungsführerprozess initiiert. Weiterhin wird der Versuch unternommen, den Verlauf des Meinungsbildungsprozesses zu verdeutlichen. Die Rollenverteilungen im Kommunikationsprozess werden darauffolgend besprochen sowie Studien vorgestellt, die die Meinungsführer nach Typen einteilen. Im Anschluss werden mögliche Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern aufgezeigt und Vor- bzw. Nachteile erörtert. Es wird zudem die Bedeutung des Meinungsführers im Diffusionsprozess betrachtet und danach der Versuch unternommen, Meinungsführer zu charakterisieren. Aufgrund des großen Stellenwertes des Internets sind die Meinungsführer in diesem Medium von besonderem Interesse. Demgemäß werden die bisherigen Erkenntnisse vorgestellt. Da die Mehrzahl der Studien erwachsene Meinungsführer untersucht hat, werden zum Schluss auch Jugendliche und ihre Funktion als Meinungsführer sondiert.
4.1.2
Funktionen der Meinungsführer
Zu Beginn der Meinungsführerforschung wurde dem Meinungsführer vor allem eine „Relaisfunktion“ zugesprochen, d. h. sie sorgen dafür, dass Informationen von den Massenmedien zu den weniger aktiven Individuen gelangen. Weiterhin wurde den Meinungsführern auch eine „Verstärkerfunktion“ zugeschrieben, weil sie mit ihrem Wissen und Informationen aus den Massenmedien die anderen weniger interessierten Individuen beeinflussen. Die Beeinflussung erfolgt sowohl kognitiv als auch emotional und kann die Einstellung und das Verhalten der Individuen verändern.142 Später sind die Relaisfunktion und die Verstärkerfunktion der Meinungsführer, die bereits 142
Vgl. Katz, Elihu; Lazarsfeld, Paul F.: Persönlicher Einfluß und Meinungsbildung, (Personal Influence: The Part Played by People in the Flow of Mass Communication, Englisch), übers. von Rudolf Bischoff, (Verlag für Geschichte und Politik) Wien 1962, S. 97f., auch: Koeppler, Karlfritz: Opinion leaders: Merkmale und Wirkung, Schriftenreihe der Verlagsgruppe Bauer, Band 18; (Bauer) Hamburg 1984, S. 8.
52
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
1955 von KATZ und LAZARSFELD beschrieben wurden, durch Studien aus der Diffusionsforschung relativiert worden, da herausgefunden wurde, dass bedeutende Nachrichten aus den Massenmedien den Rezipienten direkt erreichen (one-step-flow of communication). Meinungsführer spielen im Diffusionsprozess von bedeutenden Neuigkeiten erst in den darauf folgenden Diskussionen bei der Bewertung und Einstellungsbildung eine größere Rolle, nicht aber bei der Erstinformation (siehe auch Kapitel 4.3.5).143 Dennoch kann den Meinungsführern eine Multiplikatorenfunktion nicht abgesprochen werden, da sie insbesondere im Diffusionsprozess bei der Verbreitung von Produktinformationen eine bedeutende Rolle spielen.144 Die Meinungsführer legitimieren durch die Weitergabe die Informationen der Massenmedien. Sie fungieren aber nicht nur als Informationskanäle, sondern üben auch sozialen Druck in eine bestimmte Richtung aus. Sie bilden ebenso einen sozialen Halt, um getroffene Entscheidungen zu bekräftigen.145 Aufgrund ihrer Multipikatorenfunktion dienen die Meinungsführer ihrem sozialen System als Brücke zu externen Kontakten: „It is the opinion leader’s function to bring the group into touch with this relevant part of its environment through whatever media is appropriate.“146 BURT (1999) bezeichnet Meinungsführer als „opinion brokers“, d. h. Vermittler bzw. Makler von Meinungen, die Personen mit anderen Personen und Gruppen verbinden.147 Ähnlich bezeichnen Verhaltensforscher Meinungsführer auch als „social catalysts“, weil sie dazu beitragen, dass Informationen in der Gesellschaft verteilt werden und die sozialen Prozesse der Gesellschaft unterstützen.148 Durch seine Informationsvermittler- und Beeinflussungsfunktion behebt der Meinungsführer die Verhaltensunsicherheiten anderer, die durch „Interpretationsschwierigkeiten [von] vermittelte[n] und erlebte[n] Ereignisinhalte[n]“149 entstehen. Mittels Interpretation und Transformation von für den Empfänger problematischen Ereignisinhalten dient er als „soziale Orientierungshilfe“. AUFERMANN (1971) sieht überdies 143
Vgl. Vollbrecht, Ralf: Einführung in die Medienpädagogik, (Beltz Verlag) Weinheim u. a. 2001, S. 113f.; auch: Deutschmann, Paul J.; Danielson, Wayne A.: Diffusion of Knowledge of the Major News Story, in: Journalism Quarterly, Vol. 37, Summer 1960, S. 345–355. 144 Vgl. Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 360ff. 145 Vgl. Glock, Charles Y.; Nicosia, Francesco M.: Sociology and the Study of Consumers, in: Journal of Advertising Research, Vol. 3, 1963, S. 21–27, S. 24. 146 Katz, Elihu: The Two-Step Flow of Communications: An Up-To-Date Report on an Hypothesis, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 21, 1957, Issue 1, S. 61–78, S. 77. 147 Vgl. Burt, Ronald S.: The Social Capital of Opinion Leaders, in: Annals of the American Academy of Political and Social Science, Vol. 566, November 1999, S. 37–54. 148 Vgl. Gunn, Bruce: Procedures for Identifying Marketing Opinion Leaders, in: Mississippi Valley Journal of Business and Economics, Vol. 6, 1971, Issue 2, S. 32–44, S. 33. 149 Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 44.
4.1 Erkenntnisse in der Meinungsführerforschung
53
vielmehr in der „Adaption und Interpretation“ von Informationen die Hauptfunktion des Meinungsführers als in der „Präsentation und Artikulation“ von Informationen. Damit legitimiert nicht allein der hohe Wissensstand des Meinungsführers sein Einflusspotenzial, sondern vielmehr seine Kompetenz, Informationen im Sinne seiner Kommunikationspartner zu be- und entwerten.150 WISWEDE (1978) weist den Meinungsführern eine Selektionsfunktion zu, da sie Informationen „in verzerrter, d. h. in der Regel in einseitiger und je nach kognitiver Struktur des Meinungsführers verfälschter Form“151 weitertragen. Zudem übernehmen sie auch eine Resistenzfunktion durch ihr repräsentatives Verhalten nach Gruppennormen, welches sich je nach Umstand den von außen kommenden Informationen, die mit diesen Normen inkonsistent sind, widersetzt.152 Meinungsführer sind auch für die Konsumenten selbst relevant. Unvoreingenommene Informationen über Produkte oder Dienstleistungen sind für Kaufentscheidungen sehr wichtig. So ist es für Konsumenten schwierig oder oft mit hohen Kosten verbunden, Produkte bzw. Dienstleistungen zu testen. Das kann zu Unsicherheiten führen, ob deren Qualität und Leistung überhaupt den Vorstellungen und Anforderungen entsprechen. Beispielsweise kulturelle Dienstleistungen wie Theateraufführungen, Opern oder Ballettvorführungen werden nicht in dem Maße vermarktet wie alltägliche Konsumgüter. Informationsbeschaffung ist mit höherem Aufwand verbunden.153 Deswegen werden Meinungsführer aufgrund ihres Wissensstandes und häufig aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem entsprechenden Produkt oder der Dienstleistung als Informationsquelle und Ratgeber genutzt und geschätzt. Oftmals sind die Konsumenten nicht in der Lage aufgrund zeitlicher und persönlicher Faktoren, sich umfangreiche Informationen bezüglich jedes zu tätigenden Einkaufs zu beschaffen. Teilweise sind die bezogenen Informationen auch zu komplex, um adäquat verarbeitet zu werden oder rufen Unsicherheiten hervor. Damit ist der Konsument in seiner Kaufentscheidung von verschiedenen Individuen abhängig, die jeweils das Wissen 150
Vgl. Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 44; auch: Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 68ff. 151 Wiswede, Günter: Meinungsführung und Konsumverhalten: Zur Metamorphose eines kommunikationswissenschaftlichen Konzepts, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 24, 1978, Nr. 2, S. 115–127, S. 119. 152 Vgl. Wiswede, Günter: Meinungsführung und Konsumverhalten: Zur Metamorphose eines kommunikationswissenschaftlichen Konzepts, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 24, 1978, Nr. 2, S. 115–127, S. 119. 153 Vgl. Langeard, E.; Croussilat, M.; Weisz, R.: Exposure to Cultural Activities and Opinion Leadership, in: Advances in Consumer Research, Vol. 5, 1978, S. 606–610, S. 606.
54
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
für die einzelnen Produktkategorien besitzen und deren Werte und Normen auch mit dem nach Rat fragenden Konsumenten übereinstimmen.154 Zudem sind Meinungsführer für die Marktwirtschaft von Bedeutung. Durch die aktive Suche, Verwendung und Verteilung von produkt- und marktrelevanten Informationen fördern sie Qualität, Preiswettbewerb und wirken damit möglichen Monopolmachtstellungen entgegen.155 Essenz # 13: Mit Beginn der Meinungsführerforschung wurden dem Meinungsführer primär eine Relais- und Verstärkerfunktion zugeschrieben. Dies bedeutet, dass der Meinungsführer massenmediale Kommunikationsinhalte an andere Personen weiterleitet und sie verstärkt. Spätere Erkenntnisse aus Diffusionsstudien über bedeutende Neuigkeiten relativierten diese Funktionen und schrieben dem Meinungsführer eine untergeordnete Rolle bei der Verbreitung von Nachrichten zu. Vordergründig übernehmen Meinungsführer die Funktion der Selektion, Interpretation und Adaption von Informationen und können mittels Sanktionen („sozialem Druck“) eine Einstellungs- und Meinungsänderung bewirken.
4.1.3
Motive für Meinungsführerschaft
In der Literatur sind verschiedene Erklärungsansätze für die Motivation von Meinungsführern aufgeführt. ARNDT (1967) erläutert sechs verschiedene Motive, warum Meinungsführer Ratschläge, Empfehlungen und ihre Meinung weitergeben: (1) Altruismus: Der Meinungsführer hat den Wunsch anderen zu helfen, z. B. eine bessere Kaufentscheidung zu treffen. (2) Instrumental: Die Verteilung von Informationen dient anderen Beweggründen als der reinen Informationsweitergabe oder Hilfestellung. Beispielsweise wird demonstriertes Wissen oft hoch anerkannt und durch Prestigezuwachs und Popularität belohnt. MERTON’s (1949) „Locals“ nutzten die Informationsweitergabe, um soziale Kontakte zu knüpfen und sich politische, wirtschaftliche oder sonstige Hilfe zu sichern.156 154
Vgl. Gunn, Bruce: Procedures for Identifying Marketing Opinion Leaders, in: Mississippi Valley Journal of Business and Economics, Vol. 6, 1971, Issue 2, S. 32–44, S. 33; auch: Topritzhofer, Edgar: Qualitative und stochastische Aspekte diffusionsorientierter Werbestrategien, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, Bd. 23, 1971, Heft 4, S. 203–220, S. 213f. 155 Vgl. Coulter, Robin A.; Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: Changing Faces: Cosmetics Opinion Leadership among Women in the New Hungary, in: European Journal of Marketing, Vol. 36, 2002, Issue 11/12, S. 1287–1308, S. 1290. 156 Vgl. Merton, Robert K.: Patterns of Influence: A Study of Interpersonal Influence and Communications Behavior in a Local Community, in: Lazarsfeld, Paul F.; Stanton, Frank N. (Hrsg.): Communications Research, (Harper and Brothers) New York 1949, S. 180–219, S. 194.
4.1 Erkenntnisse in der Meinungsführerforschung
55
(3) Ego-Defensive und Projektion: Individuen kommunizieren unter anderem Informationen, insbesondere Gerüchte, weil sie frustriert und unzufrieden sind. Sie wollen sich rechtfertigen oder projizieren auch dadurch unbewusst eigene unterdrückte Einstellungen und Verhaltenstendenzen auf andere. Beispielsweise wollen sie (sich selbst) ihre eigenen Fehler nicht eingestehen und machen andere dafür verantwortlich. (4) Interesse und Ego-Involvement: Je mehr eine Person interessiert und ego-involviert ist, desto wahrscheinlicher löst sie Gespräche aus. (5) Kognitive Klarheit: Wenn Unklarheiten bezüglich einer Situation bzw. einer Sache bestehen, entstehen Gerüchte. Die Individuen sind motiviert, sich kognitive Klarheit zu verschaffen, und beteiligen sich daher an Konversationen. (6) Reduktion von kognitiver Dissonanz: Kognitive Dissonanz entsteht, wenn eine Person eine Verpflichtung eingegangen ist oder eine Entscheidung gefällt hat, die von Bedeutung für sie ist, sich aber diesbezüglich unsicher ist oder nicht auf Befürwortung bei anderen stößt. Meinungsführer initiieren Gespräche, um ihre Entscheidungen zu legitimieren oder andere von der Richtigkeit der eigenen Entscheidung zu überzeugen und deren Einstellungen zu ändern. Dadurch reduzieren sie entstandene kognitive Dissonanzen.157 FEICK und PRICE (1987) erklären, dass Meinungsführer im Konsumgüterbereich hauptsächlich durch ihr Involvement in eine Produktkategorie motiviert sind, über ein Produkt zu sprechen.158 KROEBER-RIEL und WEINBERG (2003) fassen den Begriff „Involvement“ als „… innere Beteiligung, das Engagement, mit dem sich die Konsumenten der Kommunikation zuwenden“159 auf. KLOSS (2007) bemerkt im Hinblick auf bestehende Literatur, „dass Involvement das Maß der persönlichen Bedeutung und Wichtigkeit bezeichnet, die eine Sache (hier: beworbenes Produkt) für jemanden (hier: Umworbener) hat. Das bedeutet, nicht das Produkt als solches involviert, sondern die individuelle, persönliche Bedeutung, die einzelnen Produktmerkmalen in einer spezifischen Situation beigemessen wird.“160 DICHTER (1966) führt vier verschiedene Formen von Involvement auf, die Konsumenten motivieren über Produkte zu sprechen: (1) „Product-Involvement“ – Aufgrund von Erfahrungen mit Produkten und Dienstleistungen kann sich eine innere Spannung aufbauen, die nicht allein durch den 157
Vgl. Arndt, Johan: Dynamics of Interpersonal Communication: The Interaction Dyad, in: Cox, Donald F.: Risk Taking and Information Handling in Consumer Behavior, (Harvard University) Boston 1967, S. 188–239, S. 222ff. 158 Vgl. Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97, S. 84. 159 Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Verlag Franz Vahlen München) München 2003, S. 92. 160 Kloss, Ingomar: Werbung: Handbuch für Studium und Praxis, 4., vollst. überarb. Aufl., (Verlag Franz Vahlen München) München 2007, S. 87.
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4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Konsum des Produktes abgebaut werden kann. Linderung bringen auch Gespräche über das Produkt bzw. die Dienstleistung und führen zu einer inneren Entlastung. (2) „Self-Involvement“ – Produkte werden von Konsumenten auch genutzt, um nach außen ihr Selbstbildnis darzustellen. Sie dienen im Allgemeinen als Selbstbestätigung vor anderen Individuen. Konsumenten sprechen daher über Produkte, um emotionale Bedürfnisse auszudrücken und zu befriedigen. (3) „Other-Involvement“ – Konversationen über Produkte dienen als Mittel, um anderen Personen zu geben bzw. zu helfen, Freude zu teilen und Gefühle für die andere Person auszudrücken. Empfehlungen sind teilweise wie Geschenke, die anderen gegeben werden, um auch ihnen die Freude zuteil werden zu lassen, die der Empfehlende damit erlebt hat. (4) „Message-Involvement“ – Gespräche über Produkte werden auch durch die Art der Präsentation in Werbung und durch Public Relation ausgelöst.161 Weitere Studien bestätigten, dass die Art des Involvements, sprich anhaltendes Involvement (Enduring Involvement) und nicht das Situationsinvolvement, eine Meinungsführerschaft bedingt.162 Laut HIGIE und FEICK (1989) ist Enduring Involvement „… an individual difference variable representing an arousal potential of a product or activity that causes personal relevance. Enduring involvement is intrinsically motivated by the degree to which the product or activity is related to the individual’s self-image or the pleasure received from thoughts about or the use of product or engaging in an activity.“163 Demnach repräsentiert Enduring Involvement das langfristige Interesse einer Person an einem Thema.164 Auch RICHINS und ROOT-SHAFFER (1988) sehen im Situationsinvolvement nicht die Ursache für Meinungsführerschaft, da es eine vorübergehende Form von Involvement ist, die situationsbedingt auftritt. Meinungsführerschaft dagegen sei ein relativ permanenter Zustand. HIGIE und FEICK (1989) legen dar, dass Enduring Involvement zu permanenter Informationssuche und Informationsverbreitung führt, ein typisches Merkmal von Meinungsführerschaft. RICHINS und ROOTSHAFFER’s Modell (siehe Abbildung 10) zur Wirkung von Involvement zeigt, dass das 161
Vgl. Dichter, Ernest: How Word-of-Mouth Advertising Works, in Harvard Business Review, November/December 1966, S. 147–157, S. 148. 162 Vgl. Richins, Marsha L.; Root-Shaffer, Teri: The Role of Involvement and Opinion Leadership in Consumer Word-of-Mouth: An Implicit Model Made Explicit, in: Advances in Consumer Research, Vol. 15, 1988, S. 32–36; auch: Venkatraman, Meera P.: Opinion Leadership, Enduring Involvement and Characteristics of Opinion Leaders: A Moderating or Mediating Relationship, in: Advances in Consumer Research, Vol. 17, 1990, Issue 1, S. 60–67; auch: Chan, Kenny K.; Misra, Shekhar: Characteristics of the Opinion Leader: A New Dimension, in: Journal of Advertising, Vol. 19, 1990, Issue 3, S. 53–58. 163 Higie, Robin A.; Feick, Lawrence F.: Enduring Involvement: Conceptual and Measurement Issues, in: Advances in Consumer Research, Vol. 16, 1989, S. 690–696, S. 690. 164 Vgl. Higie, Robin A.; Feick, Lawrence F.: Enduring Involvement: Conceptual and Measurement Issues, in: Advances in Consumer Research, Vol. 16, 1989, S. 690–696, S. 690.
57
4.1 Erkenntnisse in der Meinungsführerforschung
Situationsinvolvement nicht im Zusammenhang mit Meinungsführerschaft steht. Durch eine empirische Untersuchung von Word-of-Mouth bezüglich Autos konnten die Beziehungen von Enduring Involvement, Situationsinvolvement mit Meinungsführerschaft und drei Formen von WoM („Product News“, „Advice Giving“ und „Personal Experience“) dargestellt werden. Demnach kann sowohl Situationsinvolvement als auch Enduring Involvement direkt WoM auslösen, wobei Enduring Involvement auch Meinungsführung hervorruft und in WoM resultiert.165
.27
Enduring Involvement
Product News WOM
.34
.44 Opinion Leadership
.42
Advice Giving WOM
.33
Situational Involvement
.47
Personal Experience WOM
Abbildung 10: Enduring Involvement als Motiv für Meinungsführerschaft Quelle: Richins, Marsha L.; Root-Shaffer, Teri: The Role of Involvement and Opinion Leadership in Consumer Word-of-Mouth: An Implicit Model Made Explicit, in: Advances in Consumer Research, Vol. 15, 1988, S. 32–36, S. 34.
In der Literatur werden aber auch noch andere Motive für Meinungsführerschaft vorgestellt. Ähnlich wie FEICK und PRICE (1987) den Market Maven als eine Rolle sehen, die ein Individuum spielt, könnte dies auch auf Meinungsführer angewendet werden. Dafür beziehen sich FEICK und PRICE (1987) auf eine Studie von SIEBER (1974), die das Rollenspielen als eine Machtvergrößerung innerhalb der Gesellschaft ansieht.166 Demnach werden die Informationssuche und die Weitergabe durch die Meinungsführer mit weiteren Informationen und/oder Anerkennung von Seiten der anderen Individuen belohnt. Dies könnte somit auch einen sozialen Aufstieg nach 165
Vgl. Richins, Marsha L.; Root-Shaffer, Teri: The Role of Involvement and Opinion Leadership in Consumer Word-of-Mouth: An Implicit Model Made Explicit, in: Advances in Consumer Research, Vol. 15, 1988, S. 32–36, S. 34; auch: Higie, Robin A.; Feick, Lawrence F.: Enduring Involvement: Conceptual and Measurement Issues, in: Advances in Consumer Research, Vol. 16, 1989, S. 690–696, S. 690. 166 Vgl. Sieber, Sam D.: Toward a Theory of Role Accumulation, in: American Sociological Review, Vol. 39, 1974, S. 567–578.
58
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
sich ziehen.167 TOPRITZHOFER (1971) erklärt, dass die Häufigkeit, Intensität und Begeisterung, mit der der Meinungsführer sich an interpersoneller Kommunikation beteiligt, abhängig ist von der Satisfaktion, die er daraus zieht. Nebensächlich ist dabei, ob er das Produkt wirklich besitzt oder nur sein Wissen aus Fachmagazinen oder anderen Informationsquellen bezieht.168 Andererseits kommt es vor, dass der Meinungsführer das Produkt gekauft und seine Kaufentscheidung eine „kognitive Dissonanz“ hervorgerufen hat, die er durch Gespräche versucht zu mindern und somit Bestätigung für seine Entscheidung sucht. Dies kann soweit führen, dass der Meinungsführer mit hohem Engagement sein neu erworbenes Produkt anderen vorführt, vor allem die positiven Eigenschaften herausstellt und negative sogar verschweigt. Typisch ist diese „post-purchase Dissonanz“ bei Produkten, die ein hohes Kaufrisiko bedeuteten, weil sie z. B. neu bzw. eine Innovation sind, von den bisherigen Käufen abweichen oder deren Anschaffung besonders kostenintensiv ist.169 Essenz # 14: Enduring Involvement bzw. das langfristige Interesse des Meinungsführers an einem Meinungsgegenstand führt zur intensiven aktiven Informationssuche. Wird dem Meinungsführer aufgrund seiner Kenntnisse Anerkennung entgegengebracht, motiviert ihn dies, gezielt Informationen entsprechend des Bedarfs seines sozialen Systems zu sammeln und zu verbreiten. Der Meinungsführer engagiert sich außerdem im interpersonellen Kommunikationsprozess, wenn er selbst aufgrund einer Kaufentscheidung eine kognitive Dissonanz erfährt und Bestätigung für seine Handlungsweise bei anderen Personen sucht.
4.1.4
Voraussetzungen für Meinungsführerschaft
Neben dem entsprechend hohen Interesse, Involvement sowie Wissensstand einer Person bezüglich eines Meinungsgegenstandes sind auch noch andere Faktoren Voraussetzung für eine mögliche Meinungsführerschaft. Es ist zu betonen, dass die „Führerfunktion“ situationsspezifisch ist, d. h. sie „und ihre Ausübung ändern sich 167
Vgl. Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97, S. 85; auch: Topritzhofer, Edgar: Qualitative und stochastische Aspekte diffusionsorientierter Werbestrategien, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, Bd. 23, 1971, Heft 4, S. 203–220, S. 210. 168 Vgl. Topritzhofer, Edgar: Qualitative und stochastische Aspekte diffusionsorientierter Werbestrategien, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, Bd. 23, 1971, Heft 4, S. 203–220, S. 210. 169 Vgl. Topritzhofer, Edgar: Qualitative und stochastische Aspekte diffusionsorientierter Werbestrategien, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, Bd. 23, 1971, Heft 4, S. 203–220, S. 210f.
4.1 Erkenntnisse in der Meinungsführerforschung
59
mit den sozialen Situationen und Gruppenerfordernissen.“170 Die Meinungsführerposition ist eine soziale Rolle, deren Einflussbereich abhängig ist von ihren Rollenpartnern, die den Meinungsführer als meinungsführende Bezugsperson sehen. Somit ergeben sich zwei Voraussetzungen für eine Meinungsführerschaft: Erstens Kommunikationspartner, die den Meinungsführer als solchen wahrnehmen, weil sie zweitens diesen bzw. dessen Meinung bezüglich eines bestimmten Themas bzw. einer bestimmten Fragestellung „aufgrund ersichtlicher Bezugsqualitäten“171 als hilfreich einstufen.172 Ähnlich sieht ROCH (2005) Meinungsführerschaft vornehmlich als abhängig von dem sozialen Milieu der Person und weniger als Ergebnis von Persönlichkeitseigenschaften oder Neigungen bzw. Einstellungen einer Person.173 Zudem erachten beispielsweise KATZ (1957) und SCHENK (2007) die interpersonellen Beziehungen als Basis für eine Meinungsführerschaft, die sowohl als „Informationskanäle“ zur Übermittlung von Informationen von den Massenmedien über die Meinungsführer zu den Rezipienten dienen, als auch „Quellen sozialen Drucks und sozialer Unterstützung für den individuellen Entscheidungsprozess“174 sind.175 Die Voraussetzung für das Beeinflussungspotenzial des Meinungsführers ist, „…daß er ein Informationsbedürfnis erkennt, den Grad des Bedarfs abschätzt und ihm entspricht, indem er Informationen im Sinne und aus dem Blickwinkel seiner Bezugsgruppe einordnet und handlungsrelevant umsetzt.“176 Das Informationsbedürfnis ergibt sich dabei häufig aus Verhaltensunsicherheiten der Kommunikations170
Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 67. 171 Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 68. 172 Vgl. Aufermann Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 66ff. 173 Vgl. Roch, Christine H.: The Dual Roots of Opinion Leadership, in: The Journal of Politics, Vol. 67, February 2005, Issue 1, S. 110–131, S. 110f. 174 Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 358. 175 Vgl. Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 358; auch: Katz, Elihu: The Two-Step Flow of Communications: An Up-To-Date Report on an Hypothesis, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 21, 1957, Issue 1, S. 61–78, S. 77. 176 Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 46f.
60
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
partner; je größer diese sind, desto größer ist das Einflusspotenzial der Meinungsführer.177 Eine Verhaltensunsicherheit entsteht bei einem Konflikt zwischen Faktenwissen, Normenwissen und Wertewissen einer Person: „Dabei stellt das Wertewissen der Subjekte die Basis für ihre Entscheidung dar, welche Handlungsziele als wünschenswert gelten sollen. Das Faktenwissen vermittelt den Subjekten eine Vorstellung davon, die Realisierung welcher Handlungsziele als möglich erscheint. Im Normenwissen endlich wird das Mögliche auf das Wünschenswerte bezogen, weil darin die Handlungsformen vorgezeichnet sind, in denen die Subjekte üblicherweise auf der Basis der Tatsachen in Richtung auf die Werte handeln.“178 KATZ und LAZARSFELD (1955) vermuten auch, dass Meinungsführer außerdem Einflusspotenzial in anderen „externen“ Gruppen haben. Voraussetzung dafür ist ein geringeres Interesse am Meinungsgegenstand in der Gruppe im Vergleich zu einem größeren Anteil an Meinungsführern. Dann wenden sich Meinungsführer auch an andere Gruppen bzw. wenn das Interesse der Meinungssuchende in der Gruppe größer ist als die vorhandenen Meinungsführer bewältigen können, befragen die Meinungssuchenden auch Meinungsführer aus anderen Gruppen.179 Essenz # 15: Die soziale Umgebung ist dergestalt Voraussetzung für die Existenz des Meinungsführers, als dass dieser von anderen Personen als hilfreich bei Problemlösungen wahrgenommen werden muss. Außerdem muss der Meinungsführer als vorteilhafte, glaubwürdige Informationsquelle angesehen werden. Des Weiteren muss der Meinungsführer die Affinität besitzen, den Informationsbedarf seines sozialen Systems abschätzen und die Informationen ansprechend bewerten zu können. Die Stärke des Informationsbedarfs seines sozialen Milieus bestimmt das Einflusspotenzial des Meinungsführers.
177
Vgl. Coleman, James S.; Katz, Elihu; Menzel, Herbert: Die Ausbreitung einer Innovation unter Ärzten (The Diffusion of an Innovation among Physicians, Englisch) in: KROEBERRIEL, WERNER: Marketingtheorie: Verhaltensorientierte Erklärungen von Marktreaktionen, (Kiepenheuer & Witsch) Köln 1972, S. 122–140, S. 137. 178 Helle, J.: Symbolbegriff und Handlungstheorie, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Vol. 20, 1968, S. 17–37, S. 28. (zit. nach Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 72. 179 Vgl. Katz, Elihu; Lazarsfeld, Paul F.: Personal Influence: The Part Played by People in the Flow of Mass Communication, (Free Press) Glencoe, Illinois 1955, S. 328.
4.1 Erkenntnisse in der Meinungsführerforschung
4.1.5
61
Initiierung des Meinungsführungsprozesses
In dem vorhergehenden Kapitel wurden grundlegende Faktoren erörtert, die Bedingungen für eine Meinungsführerposition sind. Nun stellt sich die Frage, ob, aus welchem Grund und wer den Meinungsführungsprozess auslöst. Beispielsweise könnte dieser auch nur aus den Gesprächen heraus entstehen. Auch das wann, das heißt zu welchem Zeitpunkt, ob nun während oder nach der Informationsaufnahme aus den massenmedialen Kommunikationskanälen die Meinungsführung einsetzt, ist interessant. EURICH (1976) vermutet, dass sowohl die Charaktereigenschaften des Meinungsführers und der Nicht-Meinungsführer als auch die Stellung der sozialen Gruppe im allgemeinen Umfeld eine Rolle spielen. Auch die Gruppenaktivität in Bezug auf Gespräche ist entscheidend, denn ohne Diskussionen der Informationen aus den Massenmedien, d. h. das eigentliche Stattfinden von Gesprächen, ist die Rolle des Meinungsführers bedeutungslos.180 DEUTSCHMANN und DANIELSON (1960) meinen, aufgrund ihrer Erkenntnisse aus Diffusionsstudien von Nachrichten, dass nach dem Medienkontakt, wobei erste Informationen empfangen werden, Diskussionen mit anderen Individuen stattfinden. Sie konnten zwar keinen Einblick in den Beeinflussungsprozess während der Gespräche gewinnen und auch nicht ermitteln, wer diese initiiert, aber dafür andere Gesprächsaspekte offen legen. So vermuten sie, dass die Gesprächsführenden („talker“), die über die Nachrichten mit zwei oder mehr Individuen gesprochen und auch mehr als ein Massenmedium als Informationsquelle genutzt haben, Meinungsführer sein könnten. Diese führen (nicht gleichzusetzen mit „initiieren“) am häufigsten Gespräche zu Hause mit der Familie. Allerdings haben sie die größere Hörerschaft, d. h. Anzahl von Personen zu denen sie sprechen, am Arbeitsplatz.181 Ältere Studien, die die Zwei-Stufen-Hypothese untersuchen, wie auch LAZARSFELD, BERELSON und GAUDET (1944) scheinen davon auszugehen, dass Meinungsführer Gespräche und Diskussionen auslösen ohne Beweise anzuführen. Ein Indiz wäre, dass Meinungsführer geselliger und kontaktfreudiger sind und eine hohe Kommunikationskompetenz aufweisen. Des Weiteren verteilen Meinungsführer, laut MERTON (1957), aktiv Informationen, um ihre Kompetenz zu demonstrieren und Anerkennung zu finden. Dennoch, laut Definition, werden Meinungsführer auch um Rat gefragt. Die Balance-Theorie von TROLDAHL (1966) dagegen unterstützt die These, dass der Meinungsführungsprozess erstrangig von den Meinungssuchenden initiiert wird. Demnach verfallen sie durch Medieninformationen, die inkonsistent mit ihrer eigenen Meinung und Einstellung sind, in einen Zustand der Unausgeglichenheit und Un180
Vgl. Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 98f. 181 Vgl. Deutschmann, Paul J.; Danielson, Wayne A.: Diffusion of Knowledge of the Major News Story, in: Journalism Quarterly, Vol. 37, Summer 1960, S. 345–355, S. 353ff.
62
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
sicherheit. Meinungssuchende versuchen dann dieses innere Ungleichgewicht mit Informationen von persönlichen Quellen bzw. den Meinungsführern auszugleichen (Balance-Theorie).182 Laut COX (1967) gehen bis zu 50% der Initiative für Gespräche von den Meinungssuchenden aus, was auf ein aktiveres Interesse an weiteren Informationen bezüglich des Meinungsgegenstandes begründet ist. Zudem betont COX (1967), dass die ursprünglich angenommene Passivität der Rezipienten damit widerlegt ist.183 ARNDT (1968) bzw. ARNDT (1971) konnte zwar nachweisen, dass Meinungsführer aktivere Gesprächspartner sind, er konnte aber keinen signifikanten Unterschied finden, wer die Gespräche initiiert.184 KAAS (1973) meint dazu: „Man wird deshalb davon ausgehen dürfen, daß die produktbezogenen Unterhaltungen teils von den Meinungsführern, teils von den übrigen Konsumenten initiiert werden, daß aber in jedem Fall Meinungsführer die häufigsten Gesprächspartner sind.“185 Die aufgeführten Aspekte weisen darauf hin, dass der Beeinflussungsprozess sowohl von den Meinungsführern als auch von den Ratsuchenden angestoßen wird. KOEPPLER (1984) äußert dazu, dass Meinungsführer zwar ein aktives Kommunikationsverhalten zeigen, aber Meinungsführung erst dann stattfindet, wenn die Empfänger aufnahmebereit und auch aktiv auf Informationssuche sind. In dem Fall zeigen die Empfänger ein höheres Involvement und Interesse an informellen Informationen, um beispielsweise das empfundene Kaufrisiko zu reduzieren.186 Dennoch zeigen Studien, dass die Meinungsführer die aktiveren Gesprächspartner sind.187 182
Vgl. Kaas, Klaus P.: Diffusion und Marketing: Das Konsumentenverhalten bei der Einführung neuer Produkte, (C. E. Poeschel Verlag) Stuttgart 1973, S. 45f.; auch: Merton, Robert K.: Social Theory and Social Structure, rev. Ed., (Free Press), Glencoe, Illinios 1957, S. 391, auch: Troldahl, Verling C.: A Field Test of a Modified “Two-Step Flow of Communication” Model, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 30, 1966, Issue 4, S. 609–623, S. 611f. 183 Vgl. Cox, Donald, F.: The Audience as Communicators, in: Cox, Donald F.: Risk Taking and Information Handling in Consumer Behavior, (Harvard University) Boston 1967, S. 172–187, S. 182f. 184 Vgl. Arndt, Johan: Testing the “Two-Step Flow of Communication” Hypothesis, in: Arndt, Johan (Hrsg.): Insights into Consumer Behavior, (Allyn and Bacon, Inc.) Boston 1968, S. 189–202, S. 197f.; auch: Arndt, Johan: A Test of the Two-Step Flow in Diffusion of a New Product, in: Holloway, Robert J.; Mittelstaedt, Robert A., Venkatesan, Meyyappan: Consumer Behavior – Contemporary research in action, (Houghton Mifflin) Boston 1971, S. 235–246, S. 242. 185 Kaas, Klaus P.: Diffusion und Marketing: Das Konsumentenverhalten bei der Einführung neuer Produkte, (C. E. Poeschel Verlag) Stuttgart 1973, S. 46. 186 Vgl. Koeppler, Karlfritz: Opinion leaders: Merkmale und Wirkung, Schriftenreihe der Verlagsgruppe Bauer, Band 18; (Bauer) Hamburg 1984, S. 97. 187 Vgl. Arndt, Johan: A Test of the Two-Step Flow in Diffusion of a New Product, in: Holloway, Robert J.; Mittelstaedt, Robert A., Venkatesan, Meyyappan: Consumer Behavior: Contemporary research in action, (Houghton Mifflin) Boston 1971, S. 235–246, S. 245.
4.1 Erkenntnisse in der Meinungsführerforschung
63
Essenz # 16: Der Meinungsführungsprozess kann sowohl durch den Meinungsführer selbst als auch durch den Meinungssuchenden initiiert werden. Dies bedeutet, dass entweder der Meinungsführer aktiv Informationen verteilt oder von anderen um seine Meinung bzw. einen Ratschlag gefragt.
4.1.6
Verlauf des Meinungsbildungsprozesses
Die Initiierung von interpersoneller Kommunikation kann, wie in Kapitel 4.1.5 erläutert, sowohl von den Meinungsführern als auch von den Meinungssuchenden erfolgen. Die Informationen werden dafür entweder direkt von den Massenmedien aufgenommen und/oder von den Meinungsführern beigesteuert. Meinungsführer beziehen ihre Informationen aus massenmedialen Quellen (vorrangig Printmedien und Online-Angebote) und aus persönlichen Kontakten. Wichtige Informationen und Sachverhalte erfahren auch die Meinungssuchenden direkt aus den Massenmedien.188 COX (1967) betont, dass die massenmedialen und persönlichen Kommunikationskanäle eher komplementär sind, anstatt kompetitiv.189 ARNDT (1971) bewies in einer Studie über WoM, dass massenmediale Informationsquellen, in dem Fall Direkt Mailings mit beigelegten Coupons, WoM auslösen können.190 Aufgrund der Studien von TROLDAHL und VAN DAM (1965b) und TROLDAHL (1966) bemerken GREFE und MÜLLER (1976), dass „die Weitergabe einer massenkommunizierten Botschaft an Individuen, die bisher noch keine Kenntnis von dieser Botschaft hatten, eher die Ausnahme als die Regel ist.“191 Zudem zeigte ARNDT (1971), dass Meinungsführer sowohl Empfänger als auch Verteiler von Word-of-Mouth sein können, aber in beiden Rollen aktiver auftreten als Nicht-Meinungsführer. Dabei empfängt der Meinungsführer aber nicht nur Informationen von den „Meinungsführern der Meinungsführer“, sondern auch von NichtMeinungsführern. Somit äußern auch die Nicht-Meinungsführer im Kommunikationsprozess ihre Meinung. Es findet ein wechselseitiger Rollentausch als WoM188
Vgl. Deutschmann, Paul J.; Danielson, Wayne A.: Diffusion of Knowledge of the Major News Story, in: Journalism Quarterly, Vol. 37, Summer 1960, S. 345–355; auch: Schenk, Michael: Finanz-Meinungsführer, (SPIEGEL-Verlag) Hamburg 2006, S. 59. 189 Vgl. Cox, Donald, F.: The Audience as Communicators, in: Cox, Donald F.: Risk Taking and Information Handling in Consumer Behavior, (Harvard University) Boston 1967, S. 172–187, S. 182f. 190 Vgl. Arndt, Johan: A Test of the Two-Step Flow in Diffusion of a New Product, in: Holloway, Robert J.; Mittelstaedt, Robert A., Venkatesan, Meyyappan: Consumer Behavior: Contemporary research in action, (Houghton Mifflin) Boston 1971, S. 235–246, S. 241. 191 Grefe, Rolf; Müller, Siegfried: Die Entwicklung des „Opinion Leader“-Konzeptes und der Hypothese vom zweistufigen Komunikationsprozeß, in: Zeitschrift für Markt-, Meinungsund Zukunftsforschung, Bd. 19, 1976, Heft 1 und 2, S. 4011–4023, S. 4025.
64
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Empfänger und WoM-Verteiler zwischen den Meinungsführern und den Nicht-Meinungsführern statt. Die gleiche Beobachtung machten auch TROLDAHL und VAN DAM (1965b) und ROBINSON (1976).192 KOEPPLER (1984) spricht in dieser Konstellation von einer „symmetrischen Kommunikationsbeziehung“.193 Erfolgt kein Meinungsaustausch, dann verläuft der Beeinflussungsprozess asymmetrisch vom Meinungsführer zum Meinungssuchenden.194 Laut SCHENK (2006) überwiegt im Fall der Finanz-Meinungsführer die einseitige Meinungsführung den Meinungsaustausch im engen sozialen Kreis (Freunde, Verwandte, Bekannte). Weisen die Gesprächspersonen ein ähnliches Sachverständnis wie die Meinungsführer auf, dann kommt es zum wechselseitigen Meinungsaustausch. Insgesamt schreibt SCHENK (2006) der einseitigen Informations- und Beeinflussungsfunktion des Meinungsführers eine größere Bedeutung im interpersonellen Kommunikationsprozess zu.195 Der Kommunikationsprozess wird in Abbildung 11 verdeutlicht. KATZ und LAZARSFELD (1955) vermuteten, dass eine Verbindung zwischen dem Interesse der sozialen Gruppe und dem Einflussbereich der Meinungsführer besteht. Demnach wenden sich Meinungssuchende in erster Linie an die Ihresgleichen (Alter, soziale Schicht). Die Beeinflussung erfolgt somit horizontal. Ist aber die Zahl der Meinungsführer größer als das Interesse in der Gruppe, so „exportieren“ sie ihr Einflusspotenzial auch in andere Gruppen. KATZ und LAZARSFELD (1955) stellen dazu folgende Hypothese auf: „… Opinion leadership is made up of internal demand (measured by the saliency of a group’s interest in a given subject) plus external demand (reflecting the group’s attractiveness to other groups as a source of influence.“196 Interessanterweise unterscheidet sich die Einflussrichtung innerhalb und außerhalb der Familie, denn innerhalb der Familie besteht meist ein deutlicher Altersunterschied während außerhalb der Familie der Einfluss vor allem unter Gleichaltrigen wirkt. Dies wäre damit begründbar, dass sich Freundschaften meistens unter Gleichaltrigen bilden, und die Familie sich aus Mitgliedern unterschiedlichen Alters zu192
Vgl. Arndt, Johan: A Test of the Two-Step Flow in Diffusion of a New Product, in: Holloway, Robert J.; Mittelstaedt, Robert A., Venkatesan, Meyyappan: Consumer Behavior: Contemporary research in action, (Houghton Mifflin) Boston 1971, S. 235–246, S. 242; auch: Troldahl, Verling C.; van Dam, Robert: Face to Face Communication about Major Topics in the News, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 29, 1965b, S. 626–634, S. 629f.; auch: Robinson, John P.: Interpersonal Influence in Election Campaigns: Two-Step Flow Hypotheses, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 40, 1976, S. 304–319. 193 Vgl. Koeppler, Karlfritz: Opinion leaders: Merkmale und Wirkung, Schriftenreihe der Verlagsgruppe Bauer, Band 18; (Bauer) Hamburg 1984, S. 75. 194 Vgl. Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995, S. 11; auch: Koeppler, Karlfritz: Opinion leaders: Merkmale und Wirkung, Schriftenreihe der Verlagsgruppe Bauer, Band 18; (Bauer) Hamburg 1984, S. 75ff. 195 Vgl. Schenk, Michael: Finanz-Meinungsführer, (SPIEGEL-Verlag) Hamburg 2006, S. 52. 196 Katz, Elihu; Lazarsfeld, Paul F.: Personal Influence: The Part Played by People in the Flow of Mass Communication, (Free Press) Glencoe, Illinois 1955, S. 328.
65
4.1 Erkenntnisse in der Meinungsführerforschung
Printmedien (Wirtschaftspresse, Nachrichtenmagazine, Zeitungen)
Ebene der Massenmedien
Internet
Ebene des sozialen Netzwerkes Informationsbeziehungen (,weak ties‘, Kontakte zu Kollegen, Bekannten, Beratern), Ratsuche der Meinungsführer Multiplexe Beziehungen (,strong ties‘, Beziehungen zu Verwandten, Freunden, guten Bekannten) Wechselseitiger Austausch (Rollenwechsel von ,opinion giving‘and ,opinion seeking‘) Einseitige Meinungsführung (Ratgeberfunktion der Meinungsführer)
Abbildung 11: Kommunikationsprozess Quelle: Schenk, Michael: Finanz-Meinungsführer, (SPIEGEL-Verlag) Hamburg 2006, S. 53.
sammensetzt. Die Flussrichtung (ob von alt zu jung oder vice versa) innerhalb der Familie ist dann vom jeweiligen Meinungsgegenstand abhängig.197 Meinungssuchende wenden sich unter anderem bei risikoreichen Produkten an Meinungsführer. Das Einflusspotenzial der Meinungsführer ist am größten, wenn Thematiken Unsicherheit bei den Rezipienten hervorrufen und inkonsistent mit inneren Überzeugungen und Einstellungen sind.198 Je näher der Zeitpunkt der Kaufentscheidung rückt, desto wichtiger werden persönliche Informationsquellen.199 Um den Meinungsbildungsprozess verfolgen zu können, muss der Informationsfluss und der Beeinflussungsfluss in persönlichen Gesprächen ausführlich untersucht wer197
Vgl. Katz, Elihu; Lazarsfeld, Paul F.: Personal Influence: The Part Played by People in the Flow of Mass Communication, (Free Press) Glencoe, Illinois 1955, S. 234ff. 198 Vgl. Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995, S. 9. 199 Vgl. Koeppler, Karlfritz: Opinion leaders: Merkmale und Wirkung, Schriftenreihe der Verlagsgruppe Bauer, Band 18; (Bauer) Hamburg 1984, S. 77.
66
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
den. In der Diffusionsstudie von ARNDT (1971) wurde inhaltlich während des Word-ofMouth zuerst über Informationen gesprochen, die aus formalen Quellen, wie in dem Fall von einer Direktwerbesendung, entnommen wurden. Nach einer gewissen Zeit erhöhte sich der Anteil an Kommentaren, die die Beurteilung des neuen Produktes betrafen, da mehr und mehr Personen das Produkt gekauft und ausprobiert hatten. Es erwies sich weiterhin, dass die Meinungsführer nicht nur die Informationen aus formalen Quellen weiterreichten, sondern dass sie diese auswerteten und ihre eigene Meinung dazu äußerten. Letztere Erkenntnis ist konsistent mit der Aussage von COX (1967).200 Die Wirkung von interpersoneller Kommunikation konnte von ARNDT (1971) nachgewiesen werden. Die Teilnehmer seiner Studie, die im WoM involviert waren, wurden durch die Kommentare anderer in ihrer Kaufentscheidung beeinflusst (siehe Tabelle 4). Tabelle 4: Auswirkung des Word-of-Mouth auf die Kaufentscheidung Beeinflussung durch Word-of-Mouth Positiver Druck (positive WoM)
Kein Druck (neutrales WoM)
Negativer Druck (negative WoM)
Keine Kommentare erhalten
Total
Adoptoren
54%
42%
18%
42%
44%
Nicht-Adoptoren
46%
58%
82%
58%
56%
Total
100% (88)
100% (43)
100% (11)
100% (274)
100% (416)
Quelle: Arndt, Johan: A Test of the Two-Step Flow in Diffusion of a New Product, in: Holloway, Robert J.; Mittelstaedt, Robert A., Venkatesan, Meyyappan: Consumer Behavior – Contemporary research in action, (Houghton Mifflin) Boston 1971, S. 235–246, S. 244.
54% derjenigen, die positive Informationen bezüglich des Produktes erhielten, kauften das Produkt im Vergleich zu 42% der Personen, die keine, und 42% der Personen, die nur neutrale Informationen bekamen. Von den Personen, die nur Negatives über das Produkt hörten, kauften nur 18% das Produkt. Insgesamt war der Anteil des positiven Word-of-Mouth höher als das negative oder neutrale WoM. Die Daten zeigen, dass die Nicht-Adoptoren anteilig weniger am Word-of-Mouth beteiligt waren bzw. Meinungsbeiträge erhielten als die Adoptoren. ARNDT (1971) begründet dies damit, dass es Personen gibt, die weniger an neuen Produkten interessiert sind und sich auch weniger bzw. gar nicht an Diskussionen diesbezüglich beteiligen.201 200
Vgl. Arndt, Johan: A Test of the Two-Step Flow in Diffusion of a New Product, in: Holloway, Robert J.; Mittelstaedt, Robert A., Venkatesan, Meyyappan: Consumer Behavior: Contemporary research in action, (Houghton Mifflin) Boston 1971, S. 235–246, S. 243; auch: Cox, Donald, F.: The Audience as Communicators, in: Cox, Donald F.: Risk Taking and Information Handling in Consumer Behavior, (Harvard University) Boston 1967, S. 172–187, S. 179. 201 Arndt, Johan: A Test of the Two-Step Flow in Diffusion of a New Product, in: Holloway, Robert J.; Mittelstaedt, Robert A., Venkatesan, Meyyappan: Consumer Behavior: Contemporary research in action, (Houghton Mifflin) Boston 1971, S. 235–246, S. 244f.
4.1 Erkenntnisse in der Meinungsführerforschung
67
Zudem merkt KOEPPLER (1984) an, dass die Effektivität der interpersonellen Kommunikation situationsbedingt ist.202 KING und SUMMERS (1970) weisen darauf hin, dass in den meisten Fällen von einem Meinungsführer gesprochen wird, der dominant in Einstellung und Verhalten in einem sozialen Netzwerk ist. Weniger häufig wird von Meinungsführern aufgrund ihrer Machtstellung in zwischenmenschlichen Gesprächen gesprochen.203 Ebenso zieht nicht immer jede Informationsübermittlung eine Beeinflussung nach sich.204 Die Daten von ARNDT (1971) veranschaulichen auch die Wirkung von WoM auf die Kaufentscheidung von Meinungsführern. Empfangen Meinungsführer Informationen von persönlichen Kontakten, adoptieren sie im gleichen Maße das Produkt wie die Nicht-Meinungsführer. Sind Meinungsführer und Nicht-Meinungsführer dagegen keinem WoM ausgesetzt, kaufen eher die Meinungsführer das neue Produkt. ARNDT (1971) vermutet, dass Meinungsführer eher durch formelle Informationsquellen beeinflusst werden, während Nicht-Meinungsführer eher durch Word-ofMouth überzeugt werden.205 Essenz # 17: Die Meinungsführer, wie auch die Meinungssuchenden beziehen Informationen aus massenmedialen und informellen Quellen. Tritt beispielsweise eine kognitive Dissonanz bezüglich der erhaltenen massenmedialen Informationen auf, wenden sich die Meinungssuchenden an einen Meinungsführer. Der Meinungsführer agiert nicht ausschließlich als Kommunikator und der Meinungssuchende nicht allein als Rezipient, es liegt vielmehr ein wechselseitiger Meinungsaustausch vor. Der interpersonelle Kommunikationsprozess besteht aus dem Informationsfluss und der Beeinflussung, wobei das Beeinflussungspotenzial der Meinungsführer mit der Unsicherheit (z. B. bei hohem Kaufrisiko) der Meinungssucher wächst. Die Beeinflussung erfolgt meist horizontal innerhalb gleicher sozialer Schichten sowie themenspezifisch vertikal.
202
Vgl. Koeppler, Karlfritz: Opinion leaders: Merkmale und Wirkung, Schriftenreihe der Verlagsgruppe Bauer, Band 18; (Bauer) Hamburg 1984, S. 77. 203 Vgl. King, Charles W.; Summers, John O.: Overlap of Opinion Leadership across Consumer Product Categories, in: Journal of Marketing Research, Vol. 7, February 1970, S. 43–50, S. 44. 204 Vgl. Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 358f.; auch: Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Verlag Franz Vahlen München) München 2003, S. 668f. 205 Vgl. Arndt, Johan: A Test of the Two-Step Flow in Diffusion of a New Product, in: Holloway, Robert J.; Mittelstaedt, Robert A., Venkatesan, Meyyappan: Consumer Behavior: Contemporary research in action, (Houghton Mifflin) Boston 1971, S. 235–246, S. 241.
68
4.1.7
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Die Rollenverteilung im Kommunikationsprozess
Die ersten Untersuchungen zu Meinungsführern, wie beispielsweise die Arbeiten von LAZARSFELD, BERELSON und GAUDET (1944) sowie KATZ und LAZARSFELD (1955), unterschieden noch dichotom zwischen Meinungsführern und Nicht-Meinungsführern. CARTER und CLARKE (1962), die die gleiche Identifizierungsmethode verwendeten, bezeichneten alle Teilnehmer, die beide Frageitems (siehe Kapitel 4.2.4) mit „Ja“ beantworteten als „high opinion leaders“ und die restlichen Teilnehmer als „low opinion leaders“.206 Spätere Studien betonen, dass Meinungsführerschaft eine graduelle Erscheinungsform ist, und somit nicht dichotom zwischen Meinungsführer und Nicht-Meinungsführer unterschieden werden kann. Des Weiteren sind nicht alle Nicht-Meinungsführer auch Meinungsfolgende („followers“), sondern es gibt Individuen, die sich kaum oder gar nicht an der interpersonellen Kommunikation beteiligen.207 Eine genaue Abgrenzung der Kommunikationsteilnehmer ist wichtig, um diese gezielt ansprechen zu können.208 Statt den Begriff „Meinungsführer“ zu verwenden, bezeichneten TROLDAHL und VAN DAM (1965b) die Kommunikationsteilnehmer als „opinion Givers“ und „opinion Seekers“, wobei diejenigen, die sowohl Meinungen erfragten als auch verteilten als „opinion Givers“ eingestuft wurden, mit dem Verweis auf die Decatur- und die Elmira-Studie, in der Meinungsführer auch nach Rat suchten. Interessanterweise ergab sich in den Konversationen eher ein Meinungsaustausch als nur ein einseitiges Meinungssuchen. Das impliziert einen steten Rollentausch von „opinion Givers“ und „opinion Seekers“.209 Auch NICOSIA (1964) vermutete ein solches Verhalten aufgrund seiner Daten zu Mediennutzung und Wissensstand von Meinungsführern und NichtMeinungsführern bezüglich Autoversicherungen.210 TROLDAHL und VAN DAM (1965b) bezeichnen die „opinion Givers“ als „low-level opinion leaders“ und die „opinion Seekers“ als ihre „followers“.211 Sie untersuchten auch mögliche Charakteristiken 206
Vgl. Carter Jr., Roy E.; Clarke, Peter: Public Affairs Opinion Leadership among Educational Television Viewers, in: American Sociological Review, Vol. 27, 1962, S. 792–799, S. 794f. 207 Vgl. Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A Cross-Cultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 206f.; auch: Robinson, John P.: Interpersonal Influence in Election Campaigns: Two-Step Flow Hypotheses, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 40, 1976, S. 304–319, S. 307. 208 Vgl. Hummrich, Ulrich: Interpersonelle Kommunikation im Konsumgütermarketing: Erklärungsansätze und Steuerungsmöglichkeiten, (Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler) Wiesbaden 1976, S. 91. 209 Vgl. Troldahl, Verling C.; van Dam, Robert: Face to Face Communication about Major Topics in the News, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 29, 1965b, S. 626–634, S. 629f. 210 Vgl. Nicosia, Francesco M.: Opinion Leadership and the Flow of Communication: Some Problems and Prospects, Paper presented at the Education Conference of the American Marketing Association 1964 in Chicago, Illinois, in: American Marketing Association (Hrsg.): Reflection on Progress in Marketing, Chicago, Illinois 1964, S. 340–358, S. 349. 211 Vgl. Troldahl, Verling C.; van Dam, Robert: Face to Face Communication about Major Topics in the News, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 29, 1965b, S. 626–634, S. 629f.
4.1 Erkenntnisse in der Meinungsführerforschung
69
beider Typen, fanden aber im Unterschied zu den bis dato durchgeführten Studien, dass die „opinion Givers“ in Sachen öffentliche Angelegenheiten weder einen höheren Grad an Mediennutzung, Informationsniveau und Geselligkeit aufweisen noch einen höheren sozialen Status besitzen als ihre „followers“. TROLDAHL und VAN DAM (1965b) vermuten hinter dieser Divergenz eine unterschiedliche Definition von Nicht-Meinungsführern. Denn die Decatur-Studie und die Elmira-Studie zählten sowohl die „followers“, welche in TROLDAHL und VAN DAM’s (1965b) Studie den „opinion Seekers“ entsprechen, als auch die Inaktiven („inactives“), die mit niemandem über die Themen sprachen und somit isoliert sind, zu den Nicht-Meinungsführern. Letztere wurden von TROLDAHL und VAN DAM (1965b) zuerst nicht mit einbezogen. Sie vermuten daher, dass die Merkmalsunterschiede, die in den vorherigen Studien zwischen Meinungsführern und Nicht-Meinungsführern gefunden wurden, eher den Inaktiven zuzuschreiben sind, d. h. die Meinungsführer und die Meinungsfolgenden sind sich ähnlich im Informationsstand, bei der Mediennutzung etc. Nur die Inaktiven weichen durch einen niedrigeren Medienkonsum, ein geringeres Informationsniveau sowie einen niedrigeren sozioökonomischen Status ab. Dies konnten die Forscher durch eine Querschnittsuntersuchung („cross-sectional analysis“) bestätigen. Anzumerken ist, dass immerhin 63%, d. h. fast 2/3 ihres Samples, Inaktive waren.212 TROLDAHL und VAN DAM (1965b) entdeckten auf diese Weise mögliche Fehler in den bisherigen Studien, die die Ergebnisse verzerrt haben könnten. Die Meinungsführer und ihre Gefolgsleute (Inaktive zählen definitionsgemäß nicht dazu) sind womöglich nicht in dem Maße anhand bestimmter Merkmale wie Mediennutzung, Wissen, Soziabilität etc. differenzierbar, wie bisher gedacht.213 Auch WRIGHT und CANTOR (1967) interessierten sich für die „information seeker” und die Inaktiven, die sie als „opinion avoider” bezeichneten. Im Gegensatz zur Meinungsführerschaft sind „opinion seeker“ und „avoider“ bezüglich eines Themas sich gegenseitig ausschließende Rollen. Das heißt ein Meinungsführer kann auch ein „opinion seeker“ sein, da während Konversationen ein Meinungsaustausch stattfindet und die Teilnehmer sowohl meinungsführend als auch meinungssuchend sein können. Es zeigte sich aber, dass „opinion seekers“ eher als „opinion avoider“ als als Meinungsführer fungieren, da „opinion avoider“ meistens nicht am persönlichen Kommunikationsprozess beteiligt sind. Deswegen unterscheiden sie auch noch „opinion leader-seeker“, „opinion leader-only“ und „opinion seeker-only“.214 212
Vgl. Troldahl, Verling C.; van Dam, Robert: Face to Face Communication about Major Topics in the News, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 29, 1965b, S. 626–634, S. 630ff. 213 Vgl. Schenk, Michael: Publikums- und Wirkungsforschung: Theoretische Ansätze und empirische Befunde der Massenkommunikationsforschung, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1978, S. 171. 214 Vgl. Wright, Charles R.; Cantor, Muriel: The Opinion Seeker and Avoider: Steps Beyond the Opinion Leader Concept, in: Pacific Sociological Review, Vol. 10, Spring 1967, Issue 1, S. 33–43, S. 40ff.
70
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Genau wie TROLDAHL und VAN DAM (1966) befanden auch WRIGHT und CANTOR (1967), dass Meinungsführer und Meinungssuchende gleichermaßen extensive Mediennutzung und hohes Interesse am Meinungsgegenstand aufweisen. WRIGHT und CANTOR (1967) entdeckten aber auch, dass einige Meinungsführer (die nicht auch als „opinion seekers“ fungieren also „opinion leaders-only“ sind) bei ihrer Informationssuche nicht die Meinungen ihrer Mitmenschen und auch tendenziell weniger andere informelle Kommunikationskanäle berücksichtigen. In dem Fall sehen sie die Meinungssuche statt der Meinungsführerschaft (wie bisher geschehen) als Schlüsselfaktor im Prozess der informellen Kommunikation und Beeinflussung.215 Die „opinion avoiders“ unterscheiden sich von den „opinion seekers“ in ihrem geringen Interesse für das Thema und einer geringen themenrelevanten Medien-Exposition (nutzen dennoch Medien für andere Themenstellungen). Außerdem sehen sie, wie auch die „opinion leaders-only“, die Meinungen ihrer Mitmenschen als Informationsquelle für unwichtig an.216 GROSS (1971) nahm eine noch detailliertere Differenzierung der Kommunikationsrollen vor. Er untersuchte in einer Studie, die in Großbritannien stattfand, „Marketing Opinion Leader“, die meinungsführend in Bezug auf Lebensmittel und Haushaltsprodukte sind. GROSS (1971) untersuchte die gleichen Merkmalsausprägungen (soziökonomischer Status, Alterszugehörigkeit, Soziabilität) wie KATZ und LAZARSFELD (1955). Er wollte einen Vergleich ziehen und feststellen, ob diese Merkmale wirklich mit Meinungsführerschaft oder nur mit dem Grad an Interesse und Involvement in Marketing (Konsumfragen) zusammenhängen. GROSS (1971) teilte daher die genannten Typen nach dem Ausmaß ihrer Gesprächsbeteiligung bezüglich Konsumfragen ein: Group I:
Leaders, mixers, followers. These individuals are interested enough in marketing to discuss it, either in making recommendations or receiving them. Group II: Discusser. These individuals talk about marketing, but do not seek or give advice. Group III: Silenters. These individuals neither talk about nor take or give advice with respect to marketing.217
215
Vgl. Wright, Charles R.; Cantor, Muriel: The Opinion Seeker and Avoider: Steps Beyond the Opinion Leader Concept, in: Pacific Sociological Review, Vol. 10, Spring 1967, Issue 1, S. 33–43, S. 42. 216 Vgl. Wright, Charles R.; Cantor, Muriel: The Opinion Seeker and Avoider: Steps Beyond the Opinion Leader Concept, in: Pacific Sociological Review, Vol. 10, Spring 1967, Issue 1, S. 33–43, S. 40ff. 217 Gross, Edwin J.: Opinion leaders: A study in communication, in: Journal of Marketing Research, Vol. 8, 1971, Issue 1, S. 131–132, S. 131.
4.1 Erkenntnisse in der Meinungsführerforschung
71
GROSS (1971) suggerierte, dass Meinungsführerschaft wirklich mit denen von KATZ und LAZARSFELD untersuchten Faktoren in Relation steht, wenn die Diskriminierung von „leaders“, „followers“ und „mixers“ anhand dieser sozialen Charakteristiken größer bzw. signifikanter ist als die Diskriminierung der Gruppen I bis III. Seine Ergebnisse widersprachen denen von KATZ und LAZARSFELD (1955), weil sich der sozioökonomische Status, die Alterszugehörigkeit und die Soziabilität bei den „Leaders“, „Followers“ und „Mixers“ nicht unterschied. Damit stellte er sich die Frage, anhand welcher Variablen diese Typen differenzierbar sind und wandte sich der Mediennutzung zu. Dies ergab überraschenderweise, dass sich die „Follower“ sogar (im Gegensatz zu KATZ und LAZARSFELD’s Ergebnissen) aktiver den Medien zuwenden als die anderen. Die Gruppen I, II und III waren somit anhand des Mediennutzungsverhaltens differenzierbar. Dies bestärkte seine Meinung, dass die ZweiStufen-Hypothese unrealistisch ist. GROSS (1971) vermutete stattdessen, dass massenmedialer und persönlicher Einfluss komplementär in der Wirkung auf Personen sind, die interessiert am Meinungsgegenstand sind. Somit sind Meinungsführer von den anderen nicht im Sinne der Zwei-Stufen-Hypothese differenzierbar. Die untersuchten sozialen Faktoren stehen im Zusammenhang mit dem Ausmaß an Interesse und Involvement und nicht mit Meinungsführerschaft.218 REYNOLDS und DARDEN (1971) untersuchten das Verhältnis von Meinungsführerschaft (hier bzgl. Mode) zur Informationssuche und nahmen eine Kategorisierung der Meinungsführer und Meinungsfolger anhand der Faktoren „Grad der Meinungsführerschaft“ und „Informationssuche“ vor: 1. The socially integrated: those who scored high on both opinion leadership and information seeking. 2. The socially independent: those who scored high opinion leadership and low on information seeking. 3. The socially dependent: those who scored low on opinion leadership and high on information seeking. 4. The socially isolated: those who scored low on both scales.219 Dementsprechend können Aussagen bezüglich des Interaktionsverhaltens und der Einflussrichtung gemacht werden. Die sozial Integrierten („socially integrated“) sind Teil eines reziproken Beeinflussungsprozesses, da sie sowohl Informationen vermitteln als auch Informationen einholen. Bei den sozial Unabhängigen („socially independent“) und den sozial Abhängigen („socially dependent“) dagegen findet nur ein unilateraler Beeinflussungsprozess statt, da sie entweder nur Informationen verteilen 218
Vgl. Gross, Edwin J.: Opinion leaders: A study in communication, in: Journal of Marketing Research, Vol. 8, 1971, Issue 1, S. 131–132, S. 131f. 219 Reynolds, Fred D.; Darden, William R.: Mutually Adaptive Effects of Interpersonal Communication, in: Journal of Marketing Research, Vol. 8, November 1971, S. 449–454, S. 451.
72
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
oder nur Informationen suchen. Die sozial Isolierten scheinen dagegen kaum oder keinen sozialen Kontakt zu pflegen. REYNOLDS und DARDEN (1971) setzen letztere mit den „interpersonal information avoiders“ gleich. Die sozial Integrierten zeigten mehr Interesse an Mode und Nutzung von relevanten Medien und persönlichen Kommunikationskanälen. Die sozial Isolierten nutzen die Massenmedien in einem größeren Umfang als die sozial Abhängigen. Die sozial Unabhängigen weisen ein höheres Maß an Selbstbewusstsein auf. Dies begründet auch das mäßige Informationssuchverhalten.220 Diese Art von Differenzierung ermöglicht eine genauere Überprüfung der Faktoren, die auf einseitigen Meinungsaustausch und wechselseitigen Kommunikationsfluss wirken. Beispielsweise verwendeten SCHIFFMAN, DASH und DILLON (1975) diese Unterteilung auch für ihre Studie über die Meinungsführer-Meinungssuchende-Dyade.221 Während TROLDAHL und VAN DAM (1965b) davon ausgingen, dass die Kommunikationsprozesse durch Ratsuche ausgelöst werden, berücksichtigt HUMMRICH (1976) auch die autonome Informationsabgabe.222 Dementsprechend unterscheidet er fünf verschiedene Typen von Kommunikationsteilnehmern: • Informationssucher; • Abhängige Informationsgeber: Personen, die in Abhängigkeit von einer an sie herangetragenen Ratsuche Informationen abgeben; • Autonome Informationsgeber: Personen, die, ohne um Rat gefragt worden zu sein, von sich aus Informationen abgeben; • Passive Informationsempfänger: Personen, die ohne eigene Suchaktivitäten Informationen von anderen Personen erhalten; • Sozial isolierte Konsumenten: Personen, die im Hinblick auf ein Kommunikationsthema (Produkt oder Produktbereich) keine interpersonellen Kommunikationsbeziehungen unterhalten.223 Die letzte genannte Personengruppe setzt HUMMRICH (1976) mit den „inactives“ von TROLDAHL und VAN DAM (1965b) gleich, wobei er die Begriffsvergabe der Forscher kritisierte. Die sozial isolierten Konsumenten sind nach seiner eigenen Auffassung 220
Vgl. Reynolds, Fred D.; Darden, William R.: Mutually Adaptive Effects of Interpersonal Communication, in: Journal of Marketing Research, Vol. 8, November 1971, S. 449–454, S. 451f. 221 Vgl. Schiffman, Leon G.; Dash, Joseph F.; Dillon, William R.: Interpersonal Communication: An Opinion Leadership/ Opinion Seeking Composite Approach, in: Mazze, Edward M. (Hrsg.): Marketing in Turbulent Times and Marketing: The Challenges and the Opportunities, American Marketing Association No. 37, Combined Proceedings of Spring (in Chicago) and Fall (in Rochester) Conferences 1975, S. 228–232. 222 Vgl. Brüne, Gerd: Meinungsführerschaft im Konsumgütermarketing: Theoretischer Erklärungsansatz und empirische Überprüfung, (Physica-Verlag) Heidelberg 1989, S. 36f. 223 Brüne, Gerd: Meinungsführerschaft im Konsumgütermarketing: Theoretischer Erklärungsansatz und empirische Überprüfung, (Physica-Verlag) Heidelberg 1989, S. 36f.
4.1 Erkenntnisse in der Meinungsführerforschung
73
Personen, die im Befragungszeitraum bezüglich des Meinungsgegenstandes nicht am Kommunikationsprozess teilnahmen, sich aber durchaus über andere Meinungsgegenstände unterhalten. Den Begriff „opinion avoider“ von WRIGHT und CANTOR (1967) findet HUMMRICH (1976) passender. Nach seiner Meinung suggeriert der Begriff „inactives“ (Inaktive), dass diese Personen „(passive) Empfänger autonom abgegebener Informationen“224 sind.225 HUMMRICH (1976) stellt überdies fest, dass eher symmetrische als asymmetrische Kommunikationsbeziehungen vorherrschen, d. h. es findet vorwiegend ein wechselseitiger Meinungsaustausch statt. Dabei kann auf beiden Seiten auch eine autonome Informationsabgabe erfolgen. Reine Informationsgeber oder Informationsempfänger gibt es aber kaum. Den Anteil der sozial Isolierten sieht HUMMRICH (1976) als nicht ganz unbedeutend an.226 Eine weitere interessante Studie über die Rollenverteilungen im Kommunikationsprozess präsentieren TSCHOERTNER, JERS und SCHENK (2006). Sie zogen in einer Befragung von 10.100 Respondenten einen Vergleich zwischen den Ergebnissen zweier Identifizierungsmethoden für Meinungsführer: der KING-und-SUMMERS-Skala und der Netzwerkanalyse. Die Ergebnisse zu Meinungsführerschaft bezüglich monetärer Themen (Finanz-Meinungsführer) veranlassten zu einer zweidimensionalen (nach Netzwerkgröße und Grad der Meinungsführerschaft gemessen mit der KS-Skala) Kategorisierung. Demnach bezeichnen TSCHOERTNER, JERS und SCHENK (2006) nur Personen, die gern über eine Angelegenheit reden und über entsprechende Kontakte verfügen, mit denen sie Gespräche führen können, als „Active Opinion Leaders“. Diese beeinflussen im Durchschnitt 1,9 Personen in ihrem Netzwerk (OS = 1,9), suchen bei durchschnittlich 2 Personen selbst nach Informationen (OG = 2,0) und machen bezogen auf das Thema Finanzen ungefähr 12% des Samples aus. Die entsprechenden Werte für die „Communicators“, „Silent Experts“ und „Inactives“ können aus Tabelle 5 (s. S 74) abgelesen werden.227 Die „Silent Experts“ (rund 14% des Samples) können im Gegensatz zu den „Active Opinion Leaders“ aufgrund fehlender Kontaktmöglichkeiten niemandem ihr Ex224
Hummrich, Ulrich: Interpersonelle Kommunikation im Konsumgütermarketing: Erklärungsansätze und Steuerungsmöglichkeiten, (Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler) Wiesbaden 1976, S. 92. 225 Vgl. Hummrich, Ulrich: Interpersonelle Kommunikation im Konsumgütermarketing: Erklärungsansätze und Steuerungsmöglichkeiten, (Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler) Wiesbaden 1976, S. 91f. 226 Vgl. Hummrich, Ulrich: Interpersonelle Kommunikation im Konsumgütermarketing: Erklärungsansätze und Steuerungsmöglichkeiten, (Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler) Wiesbaden 1976, S. 102. 227 Vgl. Tschoertner, Anke C.; Jers, Cornelia; Schenk, Michael: Are All Opinion Leaders Opinion Givers? Are All Opinion Givers Opinion Leaders?: A Clarification of Constructs Based on Empirical Data, Paper presented on the annual meeting of the International Communication Association in Dresden, June 19–23, 2006, S. 1–37, S. 23f.
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4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Tabelle 5: Zweidimensionale Kategorisierung anhand Netzwerkgröße und Meinungsführerschaft OS=0,6
Network size*
OG=1,6 1 Communicators N = 1535; 22,3%
+
OS=1,9
NS=5,0
KSOL=1,4
NS=5,4
OS=0,4
OG=0,7
OS=1,0
3 Inactives N = 3590; 52,1%
NS=1,8
OG=2,0
2 Active Opinion Leaders N = 814; 11,8% KSOL=5,5 OG=1,1 4 Silent Experts N = 948; 13,8%
KSOL=1,0
NS=2,0
-
KSOL=5,2 +
KS opinion leadership** Valid cases N=6887; only respondents with complete data on alteri and on all KSOL statements are considered. * For network size, two categories are formed on the basis of a respondents-wide mean of 3,0: (-) or belowaverage for 1 to 3 alteri in ego’s personal network, and (+) or above-average for 4 to 10 alteri in ego’s network. ** For KS opinion leadership, two categories are formed on the basis of the scale’s mean of 3,5: (-) or belowaverage for 0 to 3 KSOL statements, and (+) or above-average for 4 to 7 KSOL statements that fulfil opinion leadership. OS: opinion seekers; OG: opinion givers; NS: network size; KSOL: King/Summers opinion leadership; the numbers for these four categories refer to the according group’s mean value. Read: A communicator has in average 0,6 opinion seekers and 1,6 opinion givers in his or her personal network. His or her average network size constitutes 5,0 alteri, and he or she scores in average on 1,4 items of the KSOL scale as an opinion leader.
Quelle: Tschoertner, Anke C.; Jers, Cornelia; Schenk, Michael: Are All Opinion Leaders Opinion Givers? Are All Opinion Givers Opinion Leaders?: A Clarification of Constructs Based on Empirical Data, Paper presented on the annual meeting of the International Communication Association in Dresden, June 19–23, 2006, S. 1–37, S. 23.
pertenwissen und ihre Meinung mitteilen. Die „Communicators“ (anteilig 22%) werden als einflussreich an zweiter Stelle nach den „Active Opinion Leaders“ angesehen. Sie erreichen nicht das Maß an Meinungsführerschaft wie die „Silent Experts“ oder das Wissen, aber entscheidend ist, wen sie kennen. Sie besitzen ein großes Netzwerk.228 Die zuvor beschriebenen Untersuchungen zeigen, dass im Kommunikationsprozess hauptsächlich Meinungsführer, Meinungssuchende und Inaktive als Kommunikationsteilnehmer auftreten. Während Meinungsführer und Meinungssuchende einen wechselseitigen Meinungsaustausch bezüglich eines Meinungsgegenstandes führen können, sind der Meinungssuchende und der Inaktive bzw. Meinungsvermeidende sich gegenseitig ausschließende Rollen. Über die Dimensionen der einzelnen Personengruppen Meinungssuchende, Inaktive, Meinungsführer liegen teilweise unterschiedliche Prozentangaben vor. 20%–30% 228
Vgl. Tschoertner, Anke C.; Jers, Cornelia; Schenk, Michael: Are All Opinion Leaders Opinion Givers? Are All Opinion Givers Opinion Leaders?: A Clarification of Constructs Based on Empirical Data, Paper presented on the annual meeting of the International Communication Association in Dresden, June 19–23, 2006, S. 1–37, S. 23f.
4.1 Erkenntnisse in der Meinungsführerforschung
75
der Bevölkerung werden von den klassischen, wissenschaftlichen Studien als Meinungsführer eingestuft.229 Praxisbezogene Arbeiten wie von KELLER und BERRY (2003) oder BURSON-MARSTELLER dagegen nennen andere Zahlen: KELLER und BERRY (2003) wie auch BURSON-MARSTELLER bezeichnen jeden Zehnten in der Bevölkerung (in den USA) als Meinungsführer.230 Natürlich sind diese Zahlen kritisch zu betrachten, da diese von wirtschaftlich arbeitenden Marktforschungsinstituten bzw. von deren Mitarbeitern veröffentlicht wurden, ohne die Erhebungsmethodik offen zu legen. Hinsichtlich des Anteils der Inaktiven an der Bevölkerung divergieren die Ergebnisse auch erheblich. TROLDAHL und VAN DAM (1965b) ermittelten 63% der Bevölkerung als Inaktive bezüglich politische Themen. SCHIFFMANN, DASH und DILLON (1975) eruierten nur 10% als Inaktive im Bereich Radioequipment. Die Zahlen lassen vermuten, dass der Anteil der Inaktiven situations- und/oder themenabhängig ist. Es könnte erwartet werden, dass der Anteil der Isolierten bzw. Inaktiven bei allgemeinen, viel diskutierten Themen (oder Produkten) gering ist, während bei spezifische Themen (oder Produkten), die spezialisiertes Interesse voraussetzen, der Anteil der Inaktiven größer ist.231 BRÜNE (1989) dagegen übt Kritik an den Erkenntnissen von TROLDAHL und VAN DAM (1965b), da er die Inaktiven als Extremfall sieht, der wenig realistisch erscheint. BRÜNE (1989) meint, dass eine Person, die normalerweise nicht sehr an einem Produkt interessiert ist, im Falle einer Kaufabsicht nach persönlichem Rat sucht. Er schließt für viele Produktbereiche aus, dass ein solch großer Anteil von Personen, wie von TROLDAHL und VAN DAM (1965b) aufgezeigt, langfristig nicht am Kommunikationsprozess teilnimmt.232 229
Vgl. Katz, Elihu; Lazarsfeld, Paul F.: Personal Influence: The Part Played by People in the Flow of Mass Communication, (Free Press) Glencoe, Illinois 1955; auch: Summers, John O.: The Identity of Women’s Clothing Fashion Opinion Leaders, in: Journal of Marketing Research, Vol. 7, May 1970, S. 178–185; auch: Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97; auch: Chan, Kenny K.; Misra, Shekhar: Characteristics of the Opinion Leader: A New Dimension, in: Journal of Advertising, Vol. 19, 1990, Issue 3, S. 53–58. 230 Vgl. Keller, Edward; Berry, Jon: The Influentials: One American in Ten Tells the Other Nine How to Vote, Where to Eat, and What to Buy, (Free Press) New York u. a. 2003; auch: BursonMarsteller; http://www.burson-marsteller.com/Innovation_and_insights/Strategic_Development/E-Fluentials/Pages/default.aspx, 12. August 2008. 231 Vgl. Troldahl, Verling C.; van Dam, Robert: Face to Face Communication about Major Topics in the News, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 29, 1965b, S. 626–634, S. 630ff.; auch: Schiffman, Leon G.; Dash, Joseph F.; Dillon, William R.: Interpersonal Communication: An Opinion Leadership/Opinion Seeking Composite Approach, in: Mazze, Edward M. (Hrsg.): Marketing in Turbulent Times and Marketing: The Challenges and the Opportunities, American Marketing Association No. 37, Combined Proceedings of Spring (in Chicago) and Fall (in Rochester) Conferences 1975, S. 228–232. 232 Vgl. Brüne, Gerd: Meinungsführerschaft im Konsumgütermarketing: Theoretischer Erklärungsansatz und empirische Überprüfung, (Physica-Verlag) Heidelberg 1989, S. 41.
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4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Essenz # 18: In Bezug auf den interpersonellen Kommunikationsprozess kann zwischen Meinungsführer, Meinungssucher und Inaktivem differenziert werden. Die Inaktiven sind Personen, die sich bezüglich eines Meinungsgegenstandes nicht an persönlicher Kommunikation beteiligen und primär Informationen aus massenmedialen Kommunikationskanälen beziehen. Meinungssucher und Inaktive sind sich ausschließende Rollen, während Meinungsführer und Meinungssucher auch ihre Funktionen tauschen können. Des Weiteren gibt es Personen, die im Untersuchungszeitraum einer Studie ausschließlich als Meinungsführer oder als Meinungssucher auftraten. Bezüglich der prozentualen Verteilung der Kommunikationsrollen liegen unterschiedliche Studienergebnisse vor, die eine situative und thematische Abhängigkeit vermuten lassen.
4.1.8
Typologisierungen der Meinungsführer
4.1.8.1 Locals und Cosmopolitans nach MERTON (1949) Einige Studien beschäftigen sich nicht nur mit der Differenzierung der Meinungsführer von anderen Individuen, sondern auch mit der Typologisierung von Meinungsführern anhand bestimmter Faktoren. MERTON (1949) befragte in der so genannten Rovere-Studie zuerst eine Stichprobe von Einwohnern (86 Personen) aus Rovere, USA hinsichtlich sie beeinflussende Personen. Die Befragten nannten insgesamt 379 Personen, wobei 57 Personen vier Mal oder öfter genannt wurden. Diesen Umstand nahm MERTON (1949) als Kriterium zur Identifizierung von „influentials“. Dreißig der genannten „influentials“ wurden dann in Interviews hinsichtlich ihres kommunikativen Verhaltens und Einflussvermögens untersucht. Durch diese Methode sollten Meinungsführer identifiziert, charakterisiert und typologisiert werden.233 Das Ergebnis war die Unterteilung der Meinungsführer in „Locals“ und „Cosmopolitans“ anhand verschiedener Faktoren (siehe Abbildung 12). Die „Locals“ unterscheiden sich von den „Cosmopolitans“ durch ihr vorwiegendes Interesse an ortsbezogenen Fragestellungen. Thematiken, die nationale und internationale Ebenen betreffen, bleiben von ihnen unbeachtet. Einfach ausgedrückt ist der „Local“ provinzlerisch eingestellt. Die „Cosmopolitans“ dagegen sind zwar auch an dem Ort interessiert und durch ihren Einfluss gebunden, aber hauptsächlich widmen sie ihre Aufmerksamkeit nationalen und internationalen Fragestellungen. Somit sind sie weniger ortsgebunden und damit mobiler als der „Local“. Die „Cosmopolitans“ sind des233
Vgl. Merton, Robert K.: Patterns of Influence: A Study of Interpersonal Influence and Communications Behavior in a Local Community, in: Lazarsfeld, Paul F.; Stanton, Frank N. (Hrsg.): Communications Research, (Harper and Brothers) New York 1949, S. 180–219, S. 184f.
77
4.1 Erkenntnisse in der Meinungsführerforschung
wegen ökumenisch orientiert. Dennoch beschränkt sich ihr Einflussbereich, auch wenn die Bezeichnung „Cosmopolitan“ anderes vermuten lässt, auf einen Ort. Als Ursache für die verschiedenen Einstellungen könnten die individuellen Bindungen zu ihrem Wohnort (in MERTON’s Studie: Rovere) gesehen werden. Denn im Gegenteil zum „Cosmopolitan“ ist der „Local“ in Rovere oder der Region geboren und hat diese auch nur in den seltensten Fällen verlassen. Der „Cosmopolitan“ dagegen stammt ursprünglich aus anderen Teilen des Landes und weist eine schwache Bindung zum Wohnort auf, da er auch einen weiteren Umzug für möglich hält.234
Interesse an:
Ortsverbundenheit:
Einflussbereich:
Kontaktknüpfung:
Einflussbasis:
Local
Cosmopolitan
lokale Themen
regionale & überregionale Themen
stark ortsgebunden
weniger ortsgebunden bzw. mobiler
polymorph
monomorph
qualitativ
quantitativ
enge persönliche Kontakte & Einfühlungsvermögen
Wissen
Abbildung 12: Unterscheidungsmerkmale von „Locals“ und „Cosmopolitans“ Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Merton, Robert K.: Patterns of Influence: A Study of Interpersonal Influence and Communications Behavior in a Local Community, in: Lazarsfeld, Paul F.; Stanton, Frank N. (Hrsg.): Communications Research, (Harper and Brothers) New York 1949, S. 180–219.
Aufgrund ihrer Interessen zeigen beide Typen unterschiedliches Kommunikationsverhalten. Der „Local“ versucht sich ein möglichst großes soziales Netz aufzubauen (Kontaktknüpfung ist quantitativ ausgerichtet), dagegen sucht der „Cosmopolitan“ seine Freunde und Bekannte mit viel Bedacht aus (Kontaktknüpfung ist qualitativ ausgerichtet). Dieses unterschiedliche Vorgehen der beiden Einflusstypen bei dem Aufbau von persönlichen Beziehungen kann als Resultat ihrer Vorgehensweise zur Erreichung von Einfluss angesehen werden. 234
Vgl. Merton, Robert K.: Patterns of Influence: A Study of Interpersonal Influence and Communications Behavior in a Local Community, in: Lazarsfeld, Paul F.; Stanton, Frank N. (Hrsg.): Communications Research, (Harper and Brothers) New York 1949, S. 180–219, S. 189ff.
78
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Die „Locals“ und die „Cosmopolitans“ gehören im Vergleich zu den Nicht-Meinungsführern einer Vielzahl von Organisationen an. Entsprechend ihrer Sichtweise von persönlichen Beziehungen unterscheidet sich auch die Bedeutung ihrer Mitgliedschaften in Organisationen und Vereinen. Die „Locals“ gehören jenen Organisationen an, die der intensiven Kontaktpflege dienen, d. h. wobei neue Kontakte geknüpft und alte ausgedehnt und vertieft werden können, während die „Cosmopolitans“ Organisationen beitreten, in denen ihr Expertenwissen gefragt ist. Das Gleiche gilt auch für ihre öffentlichen Positionen. Die „Locals“ besetzen eher politische Ämter (z. B. Gemeinderat) und „Cosmopolitans“ beziehen Positionen, die neben politischen Funktionen ihre speziellen Fähigkeiten und ihr Expertenwissen beanspruchen (z. B. Gesundheitsministerium, Ministerium für Bildung). Das heißt nicht der soziale Status an sich unterscheidet die beiden Typen, sondern wie sie ihn nutzen: „… it is the pattern of utilizing social status and not the formal contours of the status itself which is decisive.“235,236 Die „Cosmopolitans“ sind, laut EURICH (1976), den „Locals“ übergeordnet, da ihr Einfluss auf Wissen und Prestige und nicht auf der Größe ihres sozialen Netzwerkes beruht. Letzteres ist eher ein Nebenprodukt ihres Aufstiegs. Die „Locals“ bauen ihren Einfluss auf persönliche Kontakte und werden aufgrund ihres mitfühlenden Verständnisses resultierend aus sozialer Nähe geschätzt. Die „Cosmopolitans“ sind daher unabhängiger von der Einstellung und dem Verhalten der Ortsansässigen ihnen gegenüber und etwas sozial distanzierter vom Umfeld.237 Die „Cosmopolitans“ brauchen auch weniger Zeit, um sich eine einflussreiche Position aufzubauen als die „Locals“, da sie „neu“ in der Region sind und aufgrund ihres Wissens geschätzt werden. Dagegen müssen die „Locals“ Denkschemen durchbrechen, die andere seit ihrer Kindheit mit ihnen verbinden, und damit mehr Zeit aufwenden, um „ernst genommen“ zu werden.238 Entsprechend ihrer Interessen und ihrem Kommunikationsverhalten unterscheiden sich die beiden Typen von Meinungsführern auch in ihrer Mediennutzung. Beispielsweise lesen „Locals“ eher lokale Tageszeitungen, um mit lokalen Neuigkeiten ver235
Merton, Robert K.: Patterns of Influence: A Study of Interpersonal Influence and Communications Behavior in a Local Community, in: Lazarsfeld, Paul F.; Stanton, Frank N. (Hrsg.): Communications Research, (Harper and Brothers) New York 1949, S. 180–219, S. 200. 236 Vgl. Merton, Robert K.: Patterns of Influence: A Study of Interpersonal Influence and Communications Behavior in a Local Community, in: Lazarsfeld, Paul F.; Stanton, Frank N. (Hrsg.): Communications Research, (Harper and Brothers) New York 1949, S. 180–219, S. 195ff. 237 Vgl. Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 25. 238 Vgl. Merton, Robert K.: Patterns of Influence: A Study of Interpersonal Influence and Communications Behavior in a Local Community, in: Lazarsfeld, Paul F.; Stanton, Frank N. (Hrsg.): Communications Research, (Harper and Brothers) New York 1949, S. 180–219, S. 197ff.
4.1 Erkenntnisse in der Meinungsführerforschung
79
sorgt zu werden. Die „Cosmopolitans“ lesen eher Zeitungen, die auch nationale und internationale Themen ansprechen, weil dies neben der Informationsfunktion für sie eine Verbindung zur Außenwelt darstellt. In Bezug auf Nachrichten aus dem Radio bevorzugen die „Cosmopolitans“ die analytische Vortragsweise, während die „Locals“ gerne nur Nachrichten mit einer persönlichen Note erzählt bekommen wollen.239 MERTON (1949) unterscheidet die Meinungsführer auch hinsichtlich ihrer Einflussbereiche. Den „Cosmopolitan“ bezeichnet er als monomorph: „The monomorphic influentials are the ‚experts‘ in a limited field, and their influence does not diffuse into other spheres of decision.“240 Der Einflussbereich des „Local“ dagegen ist polymorph: „Others … are polymorphic, exerting interpersonal influence in a variety of (sometimes seemingly unrelated) spheres.“241 Auch wenn MERTON’s „Locals“ und „Cosmopolitans“ meistens eine höhere soziale (und auch berufliche) Stellung in der Gesellschaft inne haben, so weist MERTON (1949) darauf hin, dass sozialer Status (Bildung, Beruf etc.) kein Indikator für Meinungsführerschaft ist, da nicht alle Individuen in höheren Positionen auch persönlichen Einfluss ausüben. Genauso gibt es Einflussreiche mit niedrigem Status.242 Die Studie von MERTON (1949) wird häufig in der Literatur erwähnt, sie hat die Diskussion ausgelöst, ob Meinungsführerschaft polymorph oder nur monomorph sein kann. Die Folge waren zahlreiche widersprüchliche Studienergebnisse und Vermutungen, die bis heute noch keinen Konsens gefunden zu haben scheinen (siehe Kapitel 4.4.10). 4.1.8.2 Formelle und informelle Meinungsführer nach BOOTH und BABCHUCK (1969) BOOTH und BABCHUCK (1969) beschäftigten sich mit der Wirkung von Massenmedien und Meinungsführern auf die Entscheidung des freiwilligen Eintritts in einen Verein bzw. eine Organisation. Dabei unterscheiden sie zwischen formellen Mei-
239
Vgl. Merton, Robert K.: Patterns of Influence: A Study of Interpersonal Influence and Communications Behavior in a Local Community, in: Lazarsfeld, Paul F.; Stanton, Frank N. (Hrsg.): Communications Research, (Harper and Brothers) New York 1949, S. 180–219, S. 203ff. 240 Merton, Robert K.: Patterns of Influence: A Study of Interpersonal Influence and Communications Behavior in a Local Community, in: Lazarsfeld, Paul F.; Stanton, Frank N. (Hrsg.): Communications Research, (Harper and Brothers) New York 1949, S. 180–219, S. 213. 241 Merton, Robert K.: Patterns of Influence: A Study of Interpersonal Influence and Communications Behavior in a Local Community, in: Lazarsfeld, Paul F.; Stanton, Frank N. (Hrsg.): Communications Research, (Harper and Brothers) New York 1949, S. 180–219, S. 213. 242 Vgl. Merton, Robert K.: Patterns of Influence: A Study of Interpersonal Influence and Communications Behavior in a Local Community, in: Lazarsfeld, Paul F.; Stanton, Frank N. (Hrsg.): Communications Research, (Harper and Brothers) New York 1949, S. 180–219, S. 183.
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4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
nungsführern („formal opinion leaders“) und informellen Meinungsführern („informal opinion leaders“): „Persons in the respondent’s immediate family or who were described as a close friend were termed ,informal opinion leaders‘, while those persons with whom the respondent had little or no prior contact were termed ,formal opinion leaders‘.“243 Somit sind informelle Meinungsführer Personen aus dem persönlichen Umfeld bzw. der Primärgruppe (Verwandte, Freunde) zugehörig. Formelle Meinungsführer sind dagegen Menschen, zu denen nur eine schwache oder auch keine Beziehung besteht.244 BOOTH und BABCHUK’s (1969) Ergebnisse zeigten, dass Massenmedien allein keinen Einfluss auf die Entscheidung hatten und die „Face-to-Face“-Kommunikation wirkungsvoller hinsichtlich der Gewinnung neuer Mitglieder war. Insbesondere informelle Meinungsführer sind einflussreicher als formelle Meinungsführer. Interessanterweise kontaktieren Personen, die weniger persönliche Quellen haben, vor allem formelle Meinungsführer, während Personen mit vielen persönlichen Kontakten eher von informellen Meinungsführern angesprochen wurden.245 Die formellen Meinungsführer haben eine höhere Bildung, sind meistens älter und Mitglied bei einer größeren Zahl von Vereinen. Deswegen besitzen sie Kenntnisse über Vereinsmitgliedschaften, auf denen ihr Einflusspotenzial beruht. Die informellen Meinungsführer haben aufgrund ihrer persönlichen Beziehungen zu den neuen Vereinsmitgliedern Einfluss auf sie gehabt. Zwischen dem Konzept der informellen und formellen Meinungsführer nach BOOTH und BABCHUK (1969) sowie dem Konzept der „Cosmopolitans“ und „Locals“ von MERTON (1949) können Parallelen gezogen werden. 4.1.8.3 Typen von Meinungsführern nach AUFERMANN (1971) AUFERMANN (1971) widersprach der simplifizierten dichotomen Unterteilung der Individuen in Meinungsführer und Geführte. Er nimmt an, dass eine Führungs- und Einflussstruktur nicht „dualistischer Natur“246 sein könne. Somit differenziert er 243
Booth, Alan; Babchuk, Nicholas: Personal Influence Networks and Voluntary Association Affiliation, in: Sociological Inquiry, Vol. 39, Spring 1969, S. 179–188, S. 180. 244 Vgl. Booth, Alan; Babchuk, Nicholas: Personal Influence Networks and Voluntary Association Affiliation, in: Sociological Inquiry, Vol. 39, Spring 1969, S. 179–188, S. 180. 245 Vgl. Booth, Alan; Babchuk, Nicholas: Personal Influence Networks and Voluntary Association Affiliation, in: Sociological Inquiry, Vol. 39, Spring 1969, S. 179–188, S. 184f. 246 Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 78.
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4.1 Erkenntnisse in der Meinungsführerforschung
die Meinungsführerrollen ausgehend von unterschiedlichen situationsspezifischen Gruppenerfordernissen.247 Legitimationsbasis der Meinungsführerschaft ist die „Qualität der sozialen Wertschätzung“, deren grundlegende Ausprägungen „Respekt“ im Sinne von Beachtung und „Achtung“ bzw. „Sympathie“ sind. AUFERMANN (1971) beschreibt demnach die Funktionsweise der Meinungsführerschaft als „eine Art symbolischen Austausches …, in dessen Verlauf der Wert- und Hochgeschätzte [der Meinungsführer] eine soziale Identitätsbeglaubigung und der Wertschätzende [der Geführte] eine kognitive Entlastung erfährt … .“ 248 Meinungsführer werden von AUFERMANN (1971) nach Art des interpersonellen Einflusses (entweder durch Faktenwissen, Normenwissen oder Wertewissen, siehe dazu Kapitel 4.1.4) und Form der ihnen entgegengebrachten sozialen Wertschätzung differenziert: Fachwissenbezogener Meinungsführer: (Meinungsführertyp I)
RESPEKT durch fachliche Kompetenz
Normenwissenbezogener Meinungsführer: (Meinungsführertyp II)
ACHTUNG durch sozial-normative Prominenz
Wertewissenbezogener Meinungsführer: (Meinungsführertyp III)249
SYMPATHIE durch persönlich bewertende Prominenz
Respekt bzw. Achtung wird damit demjenigen entgegengebracht, der gruppenrelevante, die Erwartungen erfüllende fachliche bzw. normative Leistungen erbringt. Sympathie erfährt derjenige, dessen Wertevorstellungen auch denen des Geführten entsprechen und der durch sein Interaktionsverhalten das Vertrauen des Geführten gewinnt.250 247
Vgl. Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 78f. 248 Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 79. 249 Eurich, Claus: Beeinflussungsstrategien zur Weiterentwicklung des Meinungsführerkonzepts, in: Zeitschrift für Markt-, Meinungs- und Zukunftsforschung, Bd. 20, 1977, Nr. 1/2, S. 4285–4299, S. 4292; auch: Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 79. 250 Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 79.
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4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Diese Unterteilung deckt sich auch mit den Erkenntnissen bis dato vorhandener Studien. So befindet KATZ (1957), dass das Einflussvermögen abhängig ist von: „(1) … personification of certain values (who one is); (2) … competence (what one knows); and (3) … strategic social location (whom one knows).“251 Demnach entspricht KATZ’Annahme, dass persönliche Werte (1) zum Einfluss befähigen dem Meinungsführertyp III, dass das Wissen (2) Einflussgrundlage ist dem Meinungsführertyp I, und dass der Grad der Soziabilität bzw. das soziale Netzwerk (3) entscheidend ist für das Einflusspotenzial dem Meinungsführertyp II.252 Verglichen mit den Typologien von MERTON (1949) kann der „Cosmopolitan“ dem Meinungsführertyp I zugeordnet werden, da er sich mit seiner Umwelt kritisch und wissenschaftlich auseinandersetzt und somit als rational und sachlich eingestuft werden kann. Dagegen orientiert sich der „Local“ an sozialen Werten und übt Einfluss aufgrund seines meist engen persönlichen Verhältnisses zum Kommunikationspartner und dem damit verbundenen Einfühlungsvermögen aus. Außerdem zeigt er ein normatives soziales Verhalten, weil er an formalen Positionen in der Gemeinschaft interessiert ist bzw. sie innehat. Der „Local“ ist somit eher eine Mischung aus dem Meinungsführertyp II und III.253 EURICH (1976) ordnet den Meinungsführertyp I vor allem den in den Bereichen Agrarsoziologie und Medizinsoziologie untersuchten Meinungsführern zu, da diese vorwiegend im Diffusionsprozess aufgrund ihres faktischen Wissens und ihrer Kompetenz Einflusspotenzial erlangen. In der Kommunikationsforschung konnten alle drei Typen nachgewiesen werden. Genauso ist es erdenklich, dass ein Meinungsführer alle drei Typen in sich vereint, wenn sein Einflussvermögen nicht nur auf Faktenwissen, sondern auch auf Normen- und Wertewissen basiert.254 Somit nimmt AUFERMANN (1971) eine Typisierung der Meinungsführer nach Funktion und daraus resultierender Wertschätzung vor. Dies soll vor allem die gezielte Ansprache von Meinungsführern erleichtern. EURICH (1977) betont dennoch, dass es sich hier um „ideal-typische Charaktere“ handelt und eine Zuordnung nach der Dominanz des Meinungsführers in einem Wissensbereich erfolgt.255 251
Katz, Elihu: The Two-Step Flow of Communications: An Up-To-Date Report on an Hypothesis, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 21, 1957, Issue 1, S. 61–78, S. 73. 252 Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 79. 253 Vgl. Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 79f. 254 Vgl. Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 82f. 255 Vgl. Eurich, Claus: Beeinflussungsstrategien zur Weiterentwicklung des Meinungsführerkonzepts, in: Zeitschrift für Markt-, Meinungs- und Zukunftsforschung, Bd. 20, 1977, Nr. 1/2, S. 4285–4299, S. 42921f.
4.1 Erkenntnisse in der Meinungsführerforschung
83
4.1.8.4 Gelegentliche und aktive Meinungsführer nach BABCHUCK und BOOTH (1972) BABCHUCK und BOOTH (1972) differenzierten Meinungsführer in „occasional leaders“, die nur ab und zu Rat geben und „active leaders”, die regelmäßig diese Funktion erfüllen. Dies sollte dazu beitragen, Widersprüche bezüglich sozialer Merkmale der Meinungsführer zu klären. Es wurden 800 Personen, die 45 Jahre oder älter sind, in zwei städtischen Gebieten in den USA befragt. Thema war die Wahl der Ärzte und Gesundheitsbetreuungsdienste. Zur Identifizierung wurden die Interviewten befragt, ob sie in den letzten zwölf Monaten mit jemandem (45 Jahre alt oder älter) gesprochen haben, der darüber nachdachte, sich einen neuen Arzt oder Gesundheitsdienst zu suchen. Neunzehn Prozent konnten damit als medizinische Meinungsführer identifiziert werden. Diejenigen, die nur eine Person in diesen zwölf Monaten beraten haben, wurden als „occasional opinion leaders“ bezeichnet (46%) und diejenigen, die bei mehreren Gelegenheiten andere beeinflussten, wurden „active opinion leaders“ (54%) genannt. Die untersuchten Merkmale der verschiedenen Typen von Meinungsführern zeigten, dass die „occasional opinion leaders“ vergleichbar mit den NichtMeinungsführern sind, während sich die „active opinion leaders“ deutlich von den „occasional opinion leaders“ unterscheiden. Sie wurden als gut belesen eingestuft, verfügen über Informationen bezüglich medizinischer Einrichtungen und Personal aus erster Hand und sind meistens weiblich. Obwohl in allen sozialen Schichten vertreten, scheinen „active opinion leaders“ vermehrt aus höheren Schichten zu stammen und besitzen eine höhere Soziabilität als die „occasional opinion leaders“. Sie sind auch eher Mitglieder in Vereinen oder Organisationen. Da die „active opinion leaders“ über eine größere Anzahl von sozialen Kontakten verfügen, beeinflussen sie auch mehr Personen, insbesondere Verwandte, Bekannte, Kollegen und Freunde. Die „occasional opinion leaders“ scheinen ihre Aktivitäten nur auf Ehepartner und enge Verwandte zu beschränken.256 4.1.8.5 Reale und virtuelle Meinungsführer SCHENK (2007) weist darauf hin, dass es neben den „realen“ Meinungsführern, die Personen aus dem persönlichen Umfeld darstellen, auch „virtuelle“ bzw. „fiktive“ Meinungsführer gibt. Im letzteren Fall bezieht sich das Meinungsführer-Phänomen auf Persönlichkeiten aus den Medien. „Diese Opinion-Leader sind im Unterschied zu den realen Meinungsführern nicht persönlich, sondern ausschließlich durch die Medien bekannt. Zu ihnen zählen z. B. Politiker und Wissenschaftler, aber auch Medienakteure selbst, d. h. Nachrichtensprecher und Moderatoren.“257 Virtuelle Meinungs256
Vgl. Booth, Alan; Babchuck, Nicholas: Informal Medical Opinion Leadership among the Middle Aged and Elderly, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 36, 1972, S. 87–94, S. 89ff. 257 Eisenstein, Cornelia: Meinungsbildung in der Mediengesellschaft, (Westdeutscher Verlag) Opladen 1994, S. 164.
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4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
führer gelten als wichtige Bezugspersonen und als Ausgleich für fehlende Kontakte zu Primärgruppen, insbesondere zu realen Meinungsführern. Ihre oft weitreichenden persönlichen Netzwerke garantieren ihnen Ansehen und meist auch Glaubwürdigkeit. Sie dienen in der Berichterstattung von Journalisten oft als Informationsquelle, deren Meinung gern zitiert wird.258 Zu den virtuellen Meinungsführern könnten damit auch unabhängige Institutionen wie die Stiftung Warentest mit ihren Zeitschriften (z. B. „Test“, „Finanztest“, „Ökotest“) gezählt werden. 4.1.8.6 Angeber und Experten nach TREPTE und SCHERER (2005) In der bisherigen Forschung wurde den Meinungsführern ein hoher Wissensstand bezüglich des Meinungsgegenstandes zugeschrieben. TREPTE und SCHERER (2005) nahmen sich der Fragestellung an, ob Meinungsführer wirklich diese Kompetenz besitzen und der unterstellte „Expertenstatus“ zutrifft. Studenten (N = 139) in Hamburg und Hannover wurden daher Wissensfragen zur Tagespolitik gestellt. Für die Messung der Meinungsführerschaft wurden Selbsteinschätzungsverfahren sowohl von KATZ und LAZARSFELD (1955) (siehe Kapitel 4.2.4), von TROLDAHL und VAN DAM (1965a), von CHILDERS (1986) (siehe Kapitel 4.2.4.4) als auch die Persönlichkeitsstärke-Skala von NOELLE-NEUMANN (1985) (siehe Kapitel 4.2.4.5) angewandt. Die CHILDERS-Skala zeigt die höchste Korrelation mit dem Wissensindex. Basierend auf dem Grad der Meinungsführerschaft und dem Wissensstand wurden die Befragten in vier Gruppen (siehe Tabelle 6) eingeteilt: „informed opinion leaders“, „dazzlers“ (Angeber), „silent experts“ und „inerts“ (Inaktive).259 Die „informed opinion leaders“ weisen ein hohes Maß an Meinungsführerschaft und Wissen auf, während die „dazzlers“ zwar als Meinungsführer eingestuft werden können, aber kaum Fachwissen besitzen. Die „silent experts“ wie auch die „inerts“ zeigen einen unterdurchschnittlichen Grad an Meinungsführerschaft, wobei der „silent expert“ Fachwissen vorweisen kann, der „inert“ allerdings nicht.260 Da der Umfang des Samples klein ist, zeigen die weiteren Erkenntnisse von TREPTE und SCHERER (2005) nur Tendenzen auf. Demnach sind Frauen bezüglich tagespolitischer Themen tendenziell eher „inerts“ als „informed-opinion leaders“, während 258
Vgl. Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 384f. 259 Vgl. Trepte, Sabine; Scherer, Helmut: What DoThey Really Know?: Differentiating Opinion Leaders into “Dazzlers” and “Experts”, Hamburger Forschungsberichte zur Sozialpsychologie Nr. 60, (Universität Hamburg, Fachbereich Psychologie, Arbeitsbereich Sozialpsychologie) Hamburg 2005. 260 Vgl. Trepte, Sabine; Scherer, Helmut: What DoThey Really Know?: Differentiating Opinion Leaders into “Dazzlers” and “Experts”, Hamburger Forschungsberichte zur Sozialpsychologie Nr. 60, (Universität Hamburg, Fachbereich Psychologie, Arbeitsbereich Sozialpsychologie) Hamburg 2005.
85
4.1 Erkenntnisse in der Meinungsführerforschung
Tabelle 6: Einteilung anhand des Grades der Meinungsführerschaft und des Wissensstandes ratings on opinion leadership scales
high
low
Knowledge in a certain area of interest high
low
(1)
(2)
‘informed opinion leaders’
‘dazzlers’
(3)
(4)
‘silent experts’
‘inerts’
Quelle: Trepte, Sabine; Scherer, Helmut: What Do They Really Know?: Differentiating Opinion Leaders into “Dazzlers” and “Experts”, Hamburger Forschungsberichte zur Sozialpsychologie Nr. 60, (Universität Hamburg, Fachbereich Psychologie, Arbeitsbereich Sozialpsychologie) Hamburg 2005, S. 12.
Männer vielmehr „informed-opinion leaders“ oder „silent experts“ sind. Die Zahlen besagen auch, dass Frauen fast doppelt so häufig „dazzlers“ sind, d. h. sich als Meinungsführer einschätzen, aber nicht wirklich das nötige Hintergrundwissen besitzen. Die informierten Meinungsführer zeigen einen höheren Medienkonsum als die anderen Gruppen. Die „silent experts“ weisen den niedrigsten Medienkonsum auf. „Dazzlers“ und „inerts“ konsumieren Medien auf ähnlich moderatem Niveau. TREPTE und SCHERER (2005) vermuten daher, dass Bildung nicht mit dem Mediennutzungsverhalten zusammenhängt, aber Meinungsführerschaft und Medienkonsum in Beziehung stehen. Meinungsführerschaft steht nicht unbedingt mit höherem Fachwissen in Zusammenhang.261 Essenz # 19: Einige Studien unterscheiden Typen von Meinungsführern anhand bestimmter Kriterien. Die populäre Rover-Studie von MERTON (1949) beispielsweise differenziert zwischen „Locals“ und „Cosmopolitans“ aufgrund der unterschiedlichen Interessenbereiche, Einflusspotenziale oder Kontaktknüpfungen etc. Es wird des Weiteren in anderen Untersuchungen von informellen und formellen oder von aktiven und gelegentlichen oder von realen und fiktiven Meinungsführern gesprochen. AUFERMANN (1971) sowie TREPTE und SCHERER (2005) unterteilen Typen von Meinungsführern anhand der Qualität bzw. der Quantität ihres Wissensstandes.
261
Vgl. Trepte, Sabine; Scherer, Helmut: What DoThey Really Know?: Differentiating Opinion Leaders into “Dazzlers” and “Experts”, Hamburger Forschungsberichte zur Sozialpsychologie Nr. 60, (Universität Hamburg, Fachbereich Psychologie, Arbeitsbereich Sozialpsychologie) Hamburg 2005, S. 17 f.
86
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
4.2
Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern
4.2.1
Überblick
In der Literatur werden hauptsächlich drei verschiedene Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern aufgeführt: die soziometrische Methode, die Befragung von Schlüsselinformanten und die Methode der Selbsteinschätzung. Diese sollen im Folgenden erläutert und ihre Vor- und Nachteile herausgestellt werden. Beispielsweise ROGERS (2003) erwähnt zwar auch die Beobachtung als Mittel zur Identifizierung von Meinungsführern. Diese Methode findet in der Literatur aber kaum Verwendung und wird deshalb an dieser Stelle nicht näher betrachtet.262
4.2.2
Soziometrische oder netzwerkanalytische Methode
Mit dieser Methode werden alle Mitglieder eines sozialen Systems bezüglich ihrer kommunikativen und sozialen Beziehungen befragt. Dabei werden sie gebeten, Personen zu nennen, die für sie als Quellen für Ratschläge und Informationen dienen. Bei der Auswertung werden diejenigen als Meinungsführer identifiziert, die besonders oft genannt werden. Diese Methode ist nur bei klar eingrenzbaren sozialen Systemen geeignet und gibt ausführliche Einblicke in die persönlichen Beziehungen in einem sozialen System. Der Nachteil dieser Methode liegt in der Erfassung des gesamten sozialen Systems, was eine umfangreiche Befragung zur Folge hat und damit auch eine größere Auswertung mit sich bringt.263 Außerdem wurde an diesem Verfahren kritisiert, dass es keine einheitliche Methode gibt. Zum einen verwendeten bisherige Studien unterschiedliche Kriterien, um eine Person als Meinungsführer zu identifizieren, z. B. die Anzahl der Nennungen durch die Befragten. Und zum anderen unterschieden sich die Anzahlen der verwendeten Frageitems und die Fragestellungen.264 Als Beispiel für die soziometrische Methode sei hier auf die Drug-Studie von COLEMAN, KATZ und MENZEL (1957)265 verwiesen, in der die Verbreitung neuer Medika262
Vgl. Rogers, Everett M.: Diffusion of Innovations, 5th Ed., (Free Press) New York u. a. 2003, S. 308f. 263 Vgl. Kaas, Klaus P.: Diffusion und Marketing: Das Konsumentenverhalten bei der Einführung neuer Produkte, (C. E. Poeschel Verlag) Stuttgart 1973, S. 42f.; auch: Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 375. 264 Vgl. King, Charles W.; Summers, John O.: Overlap of Opinion Leadership across Consumer Product Categories, in: Journal of Marketing Research, Vol. 7, February 1970, S. 43–50, S. 44; auch: Mayer, Hans; Schneider, Hermann: Neuere Untersuchungen zur Theorie der Meinungsführerschaft, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 24, 1978, Nr. 2, S. 128–173, S. 136. 265 Coleman, James S.; Katz, Elihu; Menzel, Herbert: The Diffusion of an Innovation among Physicians, in: Sociometry, Vol. 20, 1957, S. 253–270; auch: Menzel, Herbert; Katz, Elihu: Social Relations and Innovation in the Medical Profession: The Epidemiology of a New Drug, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 19, 1955, Issue 4, S. 337–352.
87
4.2 Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern
mente unter Ärzten untersucht wurde. Dabei kamen folgende Fragen zur Anwendung: • „Können Sie mir bitte die drei oder vier Ärzte nennen, mit denen Sie am häufigsten gesellschaftlichen Kontakt pflegen? • Nennen Sie mir bitte die drei oder vier Ärzte, mit denen Sie sich über Medikamente am häufigsten unterhalten. • Wenn Sie zusätzliche Informationen oder Ratschläge im Hinblick auf das Medikament G benötigen, an welche Ärzte wenden Sie sich möglicherweise?“266 Die aus den Ergebnissen resultierenden Kommunikationsbeziehungen wurden in einem Soziogramm (Abbildung 13) dargestellt. Jeder Kreis repräsentiert einen Arzt.
SOCIOGRAM 1: “Could you nome the 3 or 4 physicions whom you meet most frequently on social occasions?“
Isolierte: Nr. 20, Nr. 21 Typische Meinungsführer: Nr. 26, Nr. 34
LEGEND Each circle represents a physicion. Out-of-sample and outof town choices are omitted, except for Dr. 34 who was not interviewed but is included here becouse of the large number of choices he is given.
Abbildung 13: Soziogramm zu den Kommunikationsbeziehungen unter Ärzten Quelle: Menzel, Herbert; Katz, Elihu: Social Relations and Innovation in the Medical Profession: The Epidemiology of a New Drug, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 19, 1955, Issue 4, S. 337–352, S. 341.
266
Koeppler, Karlfritz: Opinion leaders: Merkmale und Wirkung, Schriftenreihe der Verlagsgruppe Bauer, Band 18; (Bauer) Hamburg 1984, S. 9.
88
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Weitere Beispiele für die Anwendung der netzwerkanalytischen Methode sind die deutsche Studie über politische Meinungsführer von SCHENK (1995) und die Studie von WEIMANN (1982, 1991, 1994) in Deutschland und Israel.267
4.2.3
Befragung von Schlüsselinformanten innerhalb eines sozialen Systems
Bei dieser Methode werden gut informierte Gruppenmitglieder um die Nennung der Meinungsführer gebeten. Dafür müssen die Schlüsselinformanten natürlich gute Kenntnisse über die Strukturen, die Interaktions- und Einflussbeziehungen des Systems besitzen.268 Der Vorteil dieser ist Methode liegt darin, dass sie kosten- und zeitsparender als die netzwerkanalytische Methode ist. Aber die Validität der Methode ist nicht gesichert, da es auch zu Fehleinschätzungen von Seiten der Schlüsselinformanten kommen kann. Außerdem ist es nicht unproblematisch die Schlüsselinformanten zu bestimmen, denn dafür werden eigentlich Kenntnisse über die Gruppe bzw. das soziale System und ihre Kommunikationsstrukturen gebraucht. Stehen diese Kenntnisse zur Verfügung, ist die Hilfe der Schlüsselinformanten nicht mehr erforderlich.269 Die Methode „Befragung der Schlüsselinformanten“ wird zwar immer wieder in der Literatur mit aufgeführt, spielt aber angesichts ihrer geringen Verwendungshäufigkeit eine nebensächliche Rolle.270 Als Anwendungsbeispiel wäre hier die Arbeit 267
Vgl. Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995; auch: Weimann, Gabriel: On the Importance of Marginality: One More Step into the Two-Step Flow of Communication, in: American Sociological Review, Vol. 47, December 1982, Issue 6, S. 764–773; auch: Weimann, Gabriel: The Influentials: Back to the Concept of Opinion Leaders?, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 55, 1991, Issue 2, S. 267–279; auch: Weimann, Gabriel: The Influentials: People Who Influence People, (State University of New York Press) Albany 1994. 268 Vgl. Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 375; auch: Mayer, Hans; Schneider, Hermann: Neuere Untersuchungen zur Theorie der Meinungsführerschaft, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 24, 1978, Nr. 2, S. 128–173, S. 136. 269 Vgl. Rogers, Everett M.; Cartano, David G.: Methods of Measuring Opinion Leadership, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 26, 1962, S. 435–441, S. 438f.; auch: Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 375f.; auch: Kumpf, Martin: Bezugsgruppen und Meinungsführer, in: IRLE, MARTIN (Hrsg.): Marktpsychologie als Sozialwissenschaft, Themenbereich D, Serie III, Bd. 4 der Schriftenreihe Enzyklopädie der Psychologie, (Verlag für Psychologie, Dr. C. J. Hogrefe) Göttingen u. a. 1983, S. 282–343, S. 328f. 270 Vgl. Kaas, Klaus P.: Diffusion und Marketing: Das Konsumentenverhalten bei der Einführung neuer Produkte, (C. E. Poeschel Verlag) Stuttgart 1973, S. 43; auch: Schenk..; Koeppler, Karlfritz: Opinion leaders: Merkmale und Wirkung, Schriftenreihe der Verlagsgruppe Bauer, Band 18; (Bauer) Hamburg 1984, S. 11; auch: Mayer, Hans; Schneider, Hermann: Neuere Untersuchungen zur Theorie der Meinungsführerschaft, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 24, 1978, Nr. 2, S. 128–173, S. 137.
4.2 Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern
89
von JACOBY (1974) oder die Diffusionstudie von ROGERS und CARTANO (1962) zu nennen.271
4.2.4
Methode der Selbsteinschätzung
4.2.4.1 Einführung Die gebräuchlichste Methode zur Identifizierung von Meinungsführern ist die Methode der Selbsteinschätzung. Die Befragten schätzen dabei mit Hilfe von Skalen selbst ein, inwieweit sie Meinungsführer sind.272 Solche Befragungen sind leicht durchführbar und werden im Zuge von repräsentativen Umfragen eingesetzt. Sie können auf jede beliebige im Voraus festgelegte Stichprobe angewendet werden, während sich bei der Befragung von Schlüsselinformanten und bei der soziometrischen Methode die Stichprobe der zu untersuchenden Personen erst durch das Ergebnis der netzwerkanalytischen Fragen ergibt. Allerdings sind auch Fehleinschätzungen möglich, d. h. die Genauigkeit des Selbstbildnisses als möglicher Meinungsführer ist fragwürdig.273 So entdeckten beispielsweise KATZ und LAZARSFELD (1955) bei einer Nachbefragung (Schneeballbefragung) der angeblich beeinflussten Personen, dass ein erheblicher Teil (36%) der angegebenen Beeinflussung und Einflussnahme nicht stattfand bzw. der angeblich Beeinflusste sich nicht daran erinnern konnte.274 Auch eine Dyaden-Studie von YALE und GILLY (1995) zeigte, dass die Anzahl der Meinungssuchenden, die andere als Meinungsführer wahrnehmen, kleiner ist als die Zahl der Personen, die sich selbst als Meinungsführer einschätzen.275 Es müsste also die Validität der Ergebnisse durch die zusätzliche Anwendung anderer Methoden kontrolliert werden (z. B. Schneeballbefragung oder soziometrische Methode).276 NICOSIA (1964) schätzte die diskriminierende Wirkung der Selbsteinschätzungsmethode bei bestimmten Produkten kritisch ein. Dies betrifft Produkte, zu denen nur 271
Vgl. Jacoby, Jacob: The Construct Validity of Opinion Leadership, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 38, 1974, Issue 1, S. 81–89. 272 Vgl. Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 375f. 273 Vgl. Rogers, Everett M.; Cartano, David G.: Methods of Measuring Opinion Leadership, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 26, 1962, S. 435–441, S. 438f.; auch: Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 375f. 274 Vgl. Katz, Elihu; Lazarsfeld, Paul F.: Personal Influence: The Part Played by People in the Flow of Mass Communication, (Free Press) Glencoe, Illinois 1955, S. 153f. 275 Vgl. Yale, Laura J.; Gilly, Mary C.: Dyadic Perceptions in Personal Source Information Search, in: Journal of Business Research, Vol. 32, March 1995, Issue 3, S. 225–237, S. 231. 276 Vgl. Kaas, Klaus P.: Diffusion und Marketing: Das Konsumentenverhalten bei der Einführung neuer Produkte, (C. E. Poeschel Verlag) Stuttgart 1973, S. 43; auch: Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995.
90
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
sehr wenig persönliche Kommunikation in dem untersuchten Zeitraum stattgefunden hat. Beispielsweise Autoversicherung ist ein Thema, das im Allgemeinen vergleichsweise wenig diskutiert wird.277 Erstmals wurde die Methode der Selbsteinschätzung von LAZARSFELD, BERELSON und GAUDET in der populären People‘s-Choice-Studie angewendet. Sie benutzten nur zwei Frageitems: „Haben Sie neulich versucht, irgendjemanden von Ihren politischen Ideen zu überzeugen?“ 278 „Hat neulich irgendjemand Sie um Rat über ein politisches Problem gebeten?“279 Beantwortete der Befragte eine der beiden Fragen mit „Ja“ so wurde er als Meinungsführer eingestuft.280 Darauf aufbauend wurden weitere Skalen entwickelt, auf die im Weiteren eingegangen wird. Aufgrund der Übersichtlichkeit und um den begrenzten Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen, werden hier nur Skalen erwähnt, die in der Literatur eine größere Beachtung fanden und auch in mehreren Studien angewendet wurden. Dennoch wurden durchaus mehr Skalen im Laufe der Zeit seit LAZARSFELD et al. (1944) erarbeitet.281 277
Vgl. Nicosia, Francesco M.: Opinion Leadership and the Flow of Communication: Some Problems and Prospects, Paper presented at the Education Conference of the American Marketing Association 1964 in Chicago, Illinois, in: American Marketing Association (Hrsg.): Reflection on Progress in Marketing, Chicago, Illinois 1964, S. 340–358, S. 354. 278 Lazarsfeld, Paul F.; Berelson, Bernhard; Gaudet, Hazel: Wahlen und Wähler: Soziologie des Wahlverhaltens (The People’s Choice: How the Voter Makes up his Mind in a Presidential Campaign, Englisch), übers. von R. F. Schorling, (Hermann Luchterhand Verlag GmbH) Neuwied u. a. 1969, S. 85. 279 Lazarsfeld, Paul F.; Berelson, Bernhard; Gaudet, Hazel: Wahlen und Wähler: Soziologie des Wahlverhaltens (The People’s Choice: How the Voter Makes up his Mind in a Presidential Campaign, Englisch), übers. von R. F. Schorling, (Hermann Luchterhand Verlag GmbH) Neuwied u. a. 1969, S. 85. 280 Vgl. Lazarsfeld, Paul F.; Berelson, Bernhard; Gaudet, Hazel: Wahlen und Wähler: Soziologie des Wahlverhaltens (The People’s Choice: How the Voter Makes up his Mind in a Presidential Campaign, Englisch), übers. von R. F. Schorling, (Hermann Luchterhand Verlag GmbH) Neuwied u. a. 1969, S. 85. 281 Vgl. Troldahl, Verling C.; van Dam, Robert: A New Scale for Identifying Public-Affairs Opinion Leaders, in: Journalism Quarterly, Vol. 42, 1965a, Issue 4, S. 655–657; auch: Fenton, James S.; Leggett, Thomas R.: A New Way to Find Opinion Leaders, in: Journal of Advertising Research, Vol. 11, 1971, Issue 2, S. 21–25; auch: Gunn, Bruce: Procedures for Identifying Marketing Opinion Leaders, in: Mississippi Valley Journal of Business and Economics, Vol. 6, 1971, Issue 2, S. 32–44.; auch: Gunn, Bruce; Koonce, Kenneth L.; Robinson, David M.: A Survey Design for Isolating Opinion Leaders in the Open Marketplace, in: Economics and Business Bulletin, Vol. 24, 1972, Issue 3, S. 27–34; auch Reynolds, Fred D.; Darden, William R.: Mutually Adaptive Effects of Interpersonal Communication, in: Journal of Marketing Research, Vol. 8, November 1971, S. 449–454.
4.2 Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern
91
4.2.4.2 Skala von ROGERS und CARTANO (1962) ROGERS und CARTANO entwickelten im Rahmen einer Diffusionsstudie von 1957 in Ohio eine, in der die Verbreitung neuer Verfahren unter Farmern untersucht wurde, eine Skala zur Selbsteinschätzung der Meinungsführerschaft. ROGERS und CARTANO (1962) bemängelten die bis dato verwendete Skala zur Identifizierung von Meinungsführern aufgrund ihrer geringen Anzahl (nur zwei) von Frageitems. Zusätzlich kritisierten sie die dichotome Unterteilung von Meinungsführern und Nicht-Meinungsführern. Sie sahen Meinungsführerschaft eher als eine beständige Variable an, d. h. alle Personen treten irgendwann als Meinungsführer auf, einige Individuen aber ganz besonders wirkungsstark und häufig.282 Für ihre Diffusionsstudie nutzten sie die bisherig verwendeten zwei Frageitems und fügten vier weitere hinzu (siehe Tabelle 7). Jeder Antwortmöglichkeit wurde ein Punktwert zugeordnet. Hat der Befragte mit seiner Gesamtpunktzahl einen bestimmTabelle 7: Skala zur Selbstidentifizierung von Meinungsführerschaft nach ROGERS und CARTANO 1. Haben Sie während der letzten sechs Monate jemandem etwas über neue Methoden in der Landwirtschaft erzählt? a) Ja
b) Nein
2. Werden Sie im Vergleich zum Kreis ihrer Freunde a) mehr oder b) weniger häufig über neue Methoden in der Landwirtschaft um Rat gefragt? 3. Wenn Sie an die letzten Diskussionen über neue Praktiken denken, a) wurden Sie um Ihre Meinung gefragt oder b) haben Sie eine andere Person gefragt? 4. Wenn Sie mit Ihren Freunden über neue Methoden in der Landwirtschaft diskutieren, welche Rolle spielen Sie da? a) Sie hören hauptsächlich zu oder b) Sie versuchen, andere von Ihren Ideen zu überzeugen. 5. Was passiert häufiger? a) Sie erzählen Ihren Nachbarn etwas über neue Methoden oder Verfahren oder b) Ihre Nachbarn erzählen Ihnen etwas darüber. 6. Haben Sie das Gefühl, dass Sie von Ihren Nachbarn als eine gute Ratgeberquelle über neue Verfahren in der Landwirtschaft angesehen werden?
Quelle: Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 376.283
282
Vgl. Rogers, Everett M.; Cartano, David G.: Methods of Measuring Opinion Leadership, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 26, 1962, S. 435–441; auch: Mayer, Hans; Schneider, Hermann: Neuere Untersuchungen zur Theorie der Meinungsführerschaft, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 24, 1978, Nr. 2, S. 128–173, S. 137f. 283 Antwortkategorien des Frageitems 3 wurden überarbeitet, da die Übersetzung von Schenk (2007) fehlerhaft und somit sinnverschiebend ist.
92
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
ten Schwellenwert (6 Punkte) überschritten, so wird er den Meinungsführern zugeordnet. 284 ROGERS und CARTANO’s Analyse ergab, dass die Reliabilität (Zuverlässigkeit) der neuen Skala höher war als die der zwei Frageitems von KATZ und LAZARSFELD (1955). Die Validität wurde mit Hilfe der soziometrischen Methode überprüft. Dies ergab, dass diejenigen Teilnehmer, die von anderen (mindestens eine Nennung) als Quelle für Ratschläge und Informationen genannt wurden, auch einen höheren Grad an selbst wahrgenommener Meinungsführerschaft aufwiesen.285 4.2.4.3 Skala von KING und SUMMERS (1970) KING und SUMMERS (1970) untersuchten in ihrer Studie das Übergreifen von Meinungsführerschaft auf mehrere Produkte. Sie wollten wissen, ob Meinungsführerschaft polymorph ist (siehe dazu Kapitel 4.4.10). Dies war Teil eines umfangreichen Diffusionsforschungsprogramms in Marion County (Indianapolis), wobei 976 Personen (Hausfrauen) befragt wurden.286 Zur Identifizierung der Meinungsführer haben KING und SUMMERS die Frageitems von ROGERS und CARTANO (1962) übernommen und situationsspezifische Veränderungen vorgenommen. So wurde in jeder Frage das Wörtchen „neu“ gestrichen, da ja nicht Innovatoren ermittelt werden sollten. Es wurde auch die Fragereihenfolge geändert und eine siebte Frage hinzugefügt, welche sich auf die Informationsfunktion des Meinungsführers bezieht:287 „Würden Sie sagen, dass Sie sehr wenige Informationen, durchschnittlich viele Informationen oder eine große Menge an Informationen über (Produktkategorie X) an Ihre Freunde übermitteln?“ Somit adaptierten KING und SUMMERS (1970) die Skala von ROGERS und CARTANO (1962) für das Gebiet Konsumgütermarketing. Diese Fragen wurden zu jeweils sechs Kategorien gestellt: Nahrungsmittel, Kleidung, Haushaltsreiniger und Pflegemittel, Kosmetika, kleine Haushaltsgeräte, große Haushaltsgeräte.288 Sie ordneten die Befragten nach der erreichten Punktzahl und bezeichneten 23–30% (je nach Kategorie variierend) der obersten Daten als Meinungsführer. KING und 284
Vgl. Rogers, Everett M.; Cartano, David G.: Methods of Measuring Opinion Leadership, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 26, 1962, S. 435–441, S. 439ff. 285 Vgl. Rogers, Everett M.; Cartano, David G.: Methods of Measuring Opinion Leadership, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 26, 1962, S. 435–441, S. 439ff. 286 Vgl. King, Charles W.; Summers, John O.: Overlap of Opinion Leadership across Consumer Product Categories, in: Journal of Marketing Research, Vol. 7, 1970, S. 43–50, S. 45. 287 Vgl. King, Charles W.; Summers, John O.: Overlap of Opinion Leadership across Consumer Product Categories, in: Journal of Marketing Research, Vol. 7, 1970, S. 43–50, S. 46. 288 Vgl. King, Charles W.; Summers, John O.: Overlap of Opinion Leadership across Consumer Product Categories, in: Journal of Marketing Research, Vol. 7, 1970, S. 43–50, S. 46.
93
4.2 Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern
SUMMERS bezogen sich dabei auf die gleiche Vorgehensweise von KATZ und LAZARSFELD (1955). Sie betonen auch, dass die Skala eine durchgehende Punktzahl hervorbringt, welches berücksichtigt, dass Meinungsführerschaft eine graduelle Variable Tabelle 8: Skala zur Selbstidentifizierung von Meinungsführerschaft nach KING und SUMMERS
1. In general, do you like to talk about … with your friends? Yes___ --1
No___ -- 2
2. Would you say you give very little information, an average amount of information, or a great deal of information about … to your friends? You give very little information………….....................
_____
You give an average amount of information…............
_____
--1 --2
You give a great deal of information…………..............
_____
--3
3. During the past six months, have you told anyone about some …? Yes___ --1
No___ -- 2
4. Compared with your circle of friends, are you less likely, about as likely, or more likely to be asked for advice about …? Less likely to be asked………………………………….
_____
--1
About as likely to be asked……………………….........
_____
--2
More likely to be asked...........................………………
_____
--3
5. If you and your friends were to discuss …, what part would you be most likely to play? Would you mainly listen to your friends‘ ideas or would you try to convince them of your ideas? You mainly listen to your friends‘ ideas………………
_____
--1
You try to convince them of your ideas………………
_____
--2
6. Which of these happens more often? Do you tell your friends about some …, or do they tell you about some …? You tell them about…...........................……………………….
_____
--1
They tell you about some…………........................................
_____
--2
7. Do you have the feeling that you are generally regarded by your friends and neighbors as a good source of advice about …? Yes___ --1
No___ -- 2
Quelle: King, Charles W.; Summers, John O.: Overlap of Opinion Leadership across Consumer Product Categories, in: Journal of Marketing Research, Vol. 7, 1970, S. 43–50, S. 45.
94
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
ist. Dennoch musste eine dichotome Unterteilung vorgenommen werden, um eine gute Übersichtlichkeit und Vergleichbarkeit zu bewahren.289 Die KING und SUMMERS’ Skala wurde mit Hilfe von Methodentests von YAVAS und RIECKEN (1982) sowie von RIECKEN und YAVAS (1983) als reliabel und valide bezeichnet.290 Dagegen kritisierte CHILDERS (1986) die interne Konsistenz und die wechselnden Zahlen der Antwortkategorien der Skala (siehe Kapitel 4.2.4.4). TSCHOERTNER, JERS und SCHENK (2006) widmeten sich sehr ausführlich dieser Skala und stellten einen Vergleich mit der Netzwerkanalyse her. Sie erhielten bezüglich einiger Kriterien Validitätsnachweise für die Skala und konnten der Skala Eindimensionalität nachweisen. Auch erwiesen sich die dreigeteilten Antwortkategorien nicht als problematisch. Allerdings bemängelten sie die nomologische Validität der KING und SUMMERS’ Skala, da sie nicht die Zentralität der Meinungsführer in ihrem Netzwerk abbildet. Entsprechend des theoretischen Konzepts für Meinungsführer nehmen diese eine strategische, zentrale Position im Netz ein und besitzen ein höheres Einflusspotenzial als Nicht-Meinungsführer. Somit konnten mit der Netzwerkanalyse Personen identifiziert werden, die Ratschläge verteilen, aber anhand der KS-Skala nicht als Meinungsführer eingestuft wurden und andersrum als Meinungsführer identifizierte Personen nicht durch die Netzwerkanalyse als solche bestätigt werden.291 4.2.4.4 Skala von CHILDERS (1986) CHILDERS (1986) kritisierte die interne Konsistenz der Skala, die mit 0,66 unter dem Alpha-Standard292 von 0,8 lag, der von NUNALLY (1978) als Standard für ausgereiften Messtechniken vorausgesetzt wird.293 CHILDERS (1986) hatte diese Skala in einer Studie zum Thema „Kabelfernsehen“ angewandt und dabei deren Validität und Reliabilität untersucht. Außerdem kritisierte er die wechselnden Anzahlen von Antwortkategorien, denn die KING und SUMMERS’ Skala enthält Fragen mit zwei Antwort289
Vgl. King, Charles W.; Summers, John O.: Overlap of Opinion Leadership across Consumer Product Categories, in: Journal of Marketing Research, Vol. 7, 1970, S. 43–50, S. 46. 290 Vgl. Yavas, Ugur; Riecken, Glen: Extensions of King and Summers’ Opinion Leadership Scale, in: Journal of Marketing Research, Vol. 19, Feburar 1982, Issue 1, S. 154–155; auch: Riecken, Glen; Yavas, Ugur: Internal Consistency Reliability of King and Summer’s Opinion Leadership Scale: Further Evidence, in: Journal of Marketing Research, Vol. 20, August 1983, S. 325–326. 291 Vgl. Tschoertner, Anke C.; Jers, Cornelia; Schenk, Michael: Are All Opinion Leaders Opinion Givers? Are All Opinion Givers Opinion Leaders?: A Clarification of Constructs Based on Empirical Data, Paper presented on the annual meeting of the International Communication Association in Dresden, June 19–23, 2006, S. 1–37, S. 22ff. 292 Cronbach‘s Alpha ist das Maß der internen Konsistenz einer Skala, das heißt es gibt an, inwiefern verschiedene Items im Grunde das gleiche messen. 293 Vgl. Nunnally, Jum C.: Psychometric Theory, (McGraw-Hill Book Company) New York 1978 (zit. nach Childers, Terry L.: Assessment of the Psychometric Properties of an Opinion Leadership Scale, in: Journal of Marketing Research, Vol. 23, 1986, S. 184–188, S. 186).
95
4.2 Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern
alternativen und Fragen mit drei Antwortalternativen. CHILDERS (1986) forderte eine feinere Antwortdiskriminierung, um der Gegebenheit gerecht zu werden, dass Meinungsführerschaft keine dichotome Variable, sondern ein graduelles Merkmal ist.294 CHILDERS (1986) setzte die Skala von KING und SUMMERS aufgrund der oben genannten Kritikpunkte in ein Likert-Format mit fünf Antwortmöglichkeiten um. Die Tabelle 9: Skala mit 6 Items von CHILDERS 1. In general, do you like to talk to your friends and neighbors about cable television: very often 5
never 4
3
2
1
2. When you talk to your friends and neighbors about cable television do you: give a great deal
give very little information
of information 5
4
3
2
1
3. During the past six months, how many people have you told about cable television? Told a number
told no one
of people 5
4
3
2
1
4. Compared with your circle of friends, how likely are you to be asked about cable television? very likely
not at all likely to be asked
to be asked 5
4
3
2
1
5. In discussions of cable television, which of following happens more often? You tell your friends
your friends tell you about cable
about cable 5
4
3
2
1
6. Overall in all of your discussions with friends and neighbors are you: often used as a
not used as a source of advice
source of advice 5
4
3
2
1
Quelle: Childers, Terry L.: Assessment of the Psychometric Properties of an Opinion Leadership Scale, in: Journal of Marketing Research, Vol. 23, 1986, S. 184–188, S. 186ff.
294
Vgl. Childers, Terry L.: Assessment of the Psychometric Properties of an Opinion Leadership Scale, in: Journal of Marketing Research, Vol. 23, 1986, S. 184–188, S. 186.
96
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
neue Skala testete er daraufhin in einer zweiten Studie mit den gleichen Fragen bezüglich Kabelfernsehen wie in seiner ersten Studie. Mit den neuen Antwortkategorien steigert er die interne Konsistenz der Skala auf einen Alpha-Wert von 0,83. Allerdings befand er das fünfte Frageitem aufgrund einer Korrelationsanalyse als problematisch: Wenn Sie mit Ihren Freunden über … diskutieren würden, welche Rolle würden Sie eher spielen? a) Sie hören hauptsächlich zu oder b) Sie versuchen, andere von Ihren Ideen zu überzeugen? CHILDERS (1986) bemängelt den Zeitrahmen der Frage. Sie bezieht sich auf einen Einfluss, der in der Zukunft stattfindet, während die anderen Fragen aktuelle oder vergangene persönliche Interaktionen untersuchen. Deshalb strich er diese Frage aus der Skala und erhielt eine Skala aus sechs Frageitems mit je fünf Antwortkategorien im Likert-Format.295 GOLDSMITH und DESBORDE (1991) bestätigten die interne Konsistenz der Skala. Sie bemängelten dennoch die nomologische Validität der Skala, die nach ihren Testergebnissen keine eindimensionale Messmethode darstellt. Sie konnten nur für einige Kriterien (z. B. für allgemeine Innovativität, nicht aber für Selbstbewusstsein und Informationssuchverhalten) eine Validität der Skala feststellen. Eine Erklärung sehen sie darin, dass die Skala von CHILDERS Meinungsführerschaft spezifisch für eine Produktkategorie misst und somit Validitätstests gute Ergebnisse für Kriterien erhalten, die auch auf produktspezifischem Level betrachtet werden. Schwache Validität zeigen Kriterien, die auf allgemeinem Niveau untersucht werden. GOLDSMITH und DESBORDE (1991) vermuten daher, dass die Skala hohe Validität für die Kriterien Selbstbewusstsein und Informationssuchverhalten aufweist, wenn sie auf produktspezifischem Level untersucht werden.296 4.2.4.5 Persönlichkeitsstärken-Skala von NOELLE-NEUMANN (1985) Ein weiterer Ansatz zur Ermittlung von Meinungsführern wurde von der deutschen Meinungsforscherin NOELLE-NEUMANN und dem Allensbacher Institut eher zufällig entwickelt. Anlass war der Auftrag des SPIEGEL-Verlages im Jahr 1980 eine Variable zu entwickeln, die aktive einflussreiche Konsumenten bestimmen kann. Grund dafür war, dass das Merkmal „sozioökonomischer Status“ für Media-Analysen aufgrund des Wandels des Lebensstandards nutzlos geworden war. Die zu entwickelnde Variable sollte einfach in Media-Analysen abfragbar und vergleichbar sein. Zu Beginn der Arbeit war aber noch nicht vorhersehbar gewesen, dass NOELLE-NEUMANN 295
Vgl. Childers, Terry L.: Assessment of the Psychometric Properties of an Opinion Leadership Scale, in: Journal of Marketing Research, Vol. 23, 1986, S. 184–188, S. 186ff. 296 Vgl. Goldsmith, Ronald E.; Desborde, Rene: A Validity Study of a Measure of Opinion Leadership, in: Journal of Business Research, Vol. 22, 1991, Issue 1, S. 11–19, S. 18.
4.2 Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern
97
ein Instrument zur Identifizierung von Meinungsführern finden würde, denn sie ging mit ihrer Forschergruppe von bestimmten Charakterzügen aus, statt von Annahmen betreffend der Ratgeberfunktion des Meinungsführers wie die bis dato publizierten Verfahren zur Identifizierung von Meinungsführern. NOELLE-NEUMANN suchte im Grunde nach einer Möglichkeit, Menschen mit Persönlichkeitsstärke zu erkennen.297 NOELLE-NEUMANN’s (1985) Vorüberlegungen beruhen auf einem Ausspruch von JOHN STUART MILL aus dem Jahr 1859 (siehe Kapitel 3), der Einfluss von Status abgrenzte. Dementsprechend forschte NOELLE-NEUMANN nach Faktoren, „die auf Aktivität hindeuteten, auf Durchsetzungsvermögen, persönlichen Einfluß, Führungsenergie, Ausstrahlung.“298 Dennoch sollten diese Indikatoren unabhängig von Bildung und Einkommen sein, d. h. eine Korrelation durfte bestehen und wurde auch erwartet, aber Bildung und Einkommen durften nicht Bedingung sein, um diese Merkmale als Kennzeichen für Persönlichkeitsstärke erlangen zu können. Des Weiteren wurde nach Kriterien gesucht, die in ihrer Ausprägung graduell und nicht dichotom sind.299 Die Entwicklung eines geeigneten Messverfahrens erfolgte in mehreren Etappen. Als erstes wurden „Mehr-Themen-Umfragen“ mit 12.500 Respondenten durchgeführt, wodurch 34 Aussagen gewonnen wurden. Mit Hilfe der Faktorenanalyse wurde daraus eine Skala mit 18 Aussagen entwickelt. Diese umfasste zunächst Selbstbeschreibungen der Interviewten, objektive Faktoren und Angaben der Interviewer aus ihren Beobachtungen. Diese Skala wurde um die Angaben der Interviewer reduziert, 297
Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 126f.; auch: Noelle-Neumann, Elisabeth: Persönlichkeitsstärke: Ein vergessener Grundwert, in: Koch, Thilo (Hrsg.): Grundwerte: Beiträge zu ihrer wissenschaftlichen Diskussion, (IFK-Institut für Kulturforschung AG) München 1984, S. 45–52, S. 45. 298 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 128. 299 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 127ff.; auch: Noelle-Neumann, Elisabeth: Persönlichkeitsstärke: Ein vergessener Grundwert, in: Koch, Thilo (Hrsg.): Grundwerte: Beiträge zu ihrer wissenschaftlichen Diskussion, (IFK-Institut für Kulturforschung AG) München 1984, S. 45–52, S. 46.
98
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Tabelle 10: „Persönlichkeitsstärke“-Skala mit 13 Aussagen Selbstbeschreibung 1. Gewöhnlich rechne ich bei dem, was ich mache, mit Erfolg Trifft zu Trifft nicht zu
13 7
2. Ich bin selten unsicher, wie ich mich verhalten soll Trifft zu Trifft nicht zu
14 7
3. Ich übernehme gerne Verantwortung Trifft zu Trifft nicht zu
15 7
4. Ich übernehme bei gemeinsamen Unternehmungen gern die Führung Trifft zu Trifft nicht zu
17 8
5. Es macht mir Spaß, andere Menschen von meiner Meinung zu überzeugen Trifft zu Trifft nicht zu
15 7
6. Ich merke öfter, dass sich andere nach mir richten Trifft zu Trifft nicht zu
16 8
7. Ich kann mich gut durchsetzen Trifft zu Trifft nicht zu
14 7
8. Ich bin anderen oft einen Schritt voraus Trifft zu Trifft nicht zu
18 9
9. Ich besitze vieles, worum mich andere beneiden Trifft zu Trifft nicht zu
15 9
10.Ich gebe anderen Ratschläge/ Empfehlungen Trifft zu Trifft nicht zu Nie, fast nie
15 10 5
Objektive Fakten 11.Inhaber einer beruflichen Führungsposition/ Vorgesetzter Trifft zu Trifft nicht zu
16 9
12.In der Freizeit Mitarbeiter in Partei/ Gewerkschaft/ Bürgerinitiative Trifft zu Trifft nicht zu
14 9
13.Hat Amt in einem Verein, einer Organisation inne Trifft zu Trifft nicht zu
16 9
Quelle: Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 380f.
99
4.2 Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern
da diese zur Differenzierung der Befragten kaum beitrugen. Die neue Skala mit 13 Aussagen wurde in einer ersten Veröffentlichung des SPIEGEL-Verlages im Jahr 1983 verwendet.300 Sie soll hier in Tabelle 10 vorgestellt und die dazugehörigen Skalenstufen in Tabelle 11 veranschaulicht werden.301 Tabelle 11: Skalenstufen für Skala mit 13 Items Skalenstufen: 1 (hoch) Persönlichkeitsstärke 2 3 4 5
163–198 148–162 126–147 111–125 101–110
Quelle: Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 381.
Im nächsten Schritt wurde die Skala auf zehn Aussagen reduziert, die nur die Selbstbeschreibungen enthielten, da dies nicht die Differenzierungsleistung der Skala minderte. Laut NOELLE-NEUMANN (1985) bevorteilten die Fragen zu Führungsqualitäten und Mitgliedschaften in Gewerkschaft oder Vereinen Männer gegenüber Frauen.302 Dennoch wird die erste Version der Skala mit 13 Fragen auch weiterhin in Forschungsarbeiten verwendet wie beispielsweise von SCHENK (1995). Damit erklärt sich, warum SCHENK (1995) vor allem Männer als Persönlichkkeitsstarke identifiziert hat.303
300
Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 128f. 301 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 128f. 302 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 128ff, S. 133. 303 Vgl. Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995; auch: Schenk, Michael; Rössler, Patrick: The Rediscovery of Opinion Leaders: An Application of the Personal Strength Scale, in: Communications, Vol. 22, 1997, Issue 1, S. 5–30, S. 13.
100
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Der durch die Faktorenanalyse eruierte Faktor „Persönlichkeitsstärke“ wird durch die ersten neun Selbstbeschreibungen dargestellt. Die zehnte Aussage gibt nach Selbsteinschätzung an, ob der Respondent anderen Personen Ratschläge oder Empfehlungen gibt. Dieses Item zeigte eine besonders hohe Korrelation mit den neun Tabelle 12: „Persönlichkeitsstärke“-Skala mit 10 Aussagen
1. Gewöhnlich rechne ich bei dem, was ich mache, mit Erfolg Trifft zu Trifft nicht zu
13 7
2. Ich bin selten unsicher, wie ich mich verhalten soll Trifft zu Trifft nicht zu
14 7
3. Ich übernehme gerne Verantwortung Trifft zu Trifft nicht zu
15 7
4. Ich übernehme bei gemeinsamen Unternehmungen gern die Führung Trifft zu Trifft nicht zu
17 8
5. Es macht mir Spaß, andere Menschen von meiner Meinung zu überzeugen Trifft zu Trifft nicht zu
15 7
6. Ich merke öfter, dass sich andere nach mir richten Trifft zu Trifft nicht zu
16 8
7. Ich kann mich gut durchsetzen Trifft zu Trifft nicht zu
14 7
8. Ich bin anderen oft einen Schritt voraus Trifft zu Trifft nicht zu
18 9
9. Ich besitze vieles, worum mich andere beneiden Trifft zu Trifft nicht zu
15 9
10. Ich gebe anderen Ratschläge/ Empfehlungen Trifft zu Trifft nicht zu
12 6
Quelle: Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungsund Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 131.
4.2 Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern
101
Selbstaussagen. Das heißt, alle zehn Merkmale hängen faktoranalytisch zusammen, indem sie den gemeinsamen Faktor „Stärke“ besitzen.304 Den einzelnen Antwortmöglichkeiten wurden Punktzahlen (von 6 bis 18) zugeordnet, um damit dem Zusammenhang des einzelnen Items mit den übrigen Faktoren Rechnung zu tragen. Das heißt, je höher die Punktzahl, desto mehr korreliert das Item mit den anderen Antworten. Und je nach dem wie sehr sich die Personen, die das Merkmal besaßen, von denen unterschieden, die das Merkmal nicht besaßen, wurde für das Vorhandensein dieses Merkmals eine höhere und für das Nichtvorhandensein eine niedrigere Punktzahl vergeben.305 Die endgültige Fassung der Skala mit ihren jeweiligen Punktzahlen ist in Tabelle 12 abgebildet. Somit kann jeder Befragte eine Punktzahl zwischen 75 (Mindestpunktzahl) und 149 (Höchstpunktzahl) erreichen. NOELLE-NEUMANN (1985) hat anhand ihrer untersuchten Stichprobe eine Einteilung in vier Skalenstufen vorgenommen, in denen die Befragten gleich verteilt sind (siehe Tabelle 13, S. 102). Somit weisen Befragte mit 111 bis 149 Punkten eine starke Ausprägung von Persönlichkeitsstärke, Respondenten mit 91 bis 110 Punkten eine überdurchschnittliche Persönlichkeitsstärke auf etc. NOELLE-NEUMANN betont dennoch, dass je nach Umfang der Erhebung und Verwendung der Daten eine andere Unterteilung vorgenommen werden kann. Das Merkmal Persönlichkeitsstärke wird demnach von NOELLE-NEUMANN als graduelle Variable betrachtet, d. h. jeder Mensch hat einen bestimmten Grad von Persönlichkeitsstärke. In der Allensbacher Werbeträger-Analyse wiesen 22% der Befragten eine „starke“ Persönlichkeitsstärke auf.306 In der Dokumentation des SPIEGEL-Verlages (1983) bringt NOELLE-NEUMANN den Begriff „Persönlichkeitsstärke“ im Zusammenhang mit dem amerikanischen 304
Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 128ff.; auch: Noelle-Neumann, Elisabeth: Persönlichkeitsstärke: Ein vergessener Grundwert, in: Koch, Thilo (Hrsg.): Grundwerte: Beiträge zu ihrer wissenschaftlichen Diskussion, (IFK-Institut für Kulturforschung AG) München 1984, S. 45–52, S. 46. 305 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 128ff.; auch: Noelle-Neumann, Elisabeth: Persönlichkeitsstärke: Ein vergessener Grundwert, in: Koch, Thilo (Hrsg.): Grundwerte: Beiträge zu ihrer wissenschaftlichen Diskussion, (IFK-Institut für Kulturforschung AG) München 1984, S. 45–52, S. 47. 306 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 131f.
102
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Tabelle 13: Skalenstufen für Skala mit 10 Items
Punktwert
Bevölkerung insgesamt In Prozent
Skalenstufen: 1 „Stark“
……….………..…………………………….111 – 149
3 „Mäßig“
22
…………………………… 91 – 110
28
……….………..…………………………… 81 – 90
28
2 „Überdurchschnittlich“
4 „Schwach“ ...……..……….………..…………………… 75 – 80
22 100 n = 8004
Quelle: Allensbacher Werbeträger-Analyse 1984 Quelle: Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungsund Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.-5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 132.
Ausdruck „Momentum“ und dem polynesischen Ausdruck „Mana“. „ ,Mana‘ umfaßt von der Bedeutung her mehr als ‚Momentum‘, aber beide haben vieles gemeinsam. Gemeint ist eine psychische Kraft, die manche Menschen besitzen; sie ist in ihnen, gehört zum Charakter, kann nicht von außen beeinflußt oder verändert werden. Man spürt, daß ein Mensch ‚Mana‘ hat; man kann gar nicht umhin, es zu merken. Man spricht bei uns davon, daß ein Mensch eine starke Ausstrahlung hat. Wahrscheinlich ist es die gleiche Eigenschaft, die bewirkt, daß jemand im Rampenlicht von Bühne und Fernsehen Erfolg hat und das Publikum beeindruckt.“307,308 Da die Ergebnisse der Skala aus der Selbsteinschätzung der Respondenten resultierten, interessierte sich NOELLE-NEUMANN auch für die Wirkung, die Persönlichkeitsstarke auf andere haben. Die Interviewer wurden aus diesem Grund aufgefordert, eigene Einschätzungen zum Ende des Interviews abzugeben. Es zeigte sich, dass Persönlichkeitsstarke fröhlicher wirken, Kraft bzw. Energie ausstrahlen, von den Interviewern als vorstellbares Vorbild beschrieben wurden und so interessant erschienen, dass die Interviewer sich mit ihnen auch gern privat unterhalten würden.309 Aufgrund der Frageitems drei bis sechs und des Frageitems acht, die eine besonders hohe Faktorladung aufweisen, könnte auch der Begriff „Meinungsführer“ im 307
SPIEGEL-Verlag (Hrsg.): SPIEGEL-Dokumentation: Persönlichkeitsstärke: Ein Maßstab zur Bestimmung von Zielgruppenpotentialen, (SPIEGEL-Verlag) Hamburg 1983, S. 7. 308 Vgl. SPIEGEL-Verlag (Hrsg.): SPIEGEL-Dokumentation: Persönlichkeitsstärke: Ein Maßstab zur Bestimmung von Zielgruppenpotentialen, (SPIEGEL-Verlag) Hamburg 1983, S. 7f. 309 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Persönlichkeitsstärke: Ein vergessener Grundwert, in: Koch, Thilo (Hrsg.): Grundwerte: Beiträge zu ihrer wissenschaftlichen Diskussion, (IFK-Institut für Kulturforschung AG) München 1984, S. 45–52, S. 47f.
4.2 Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern
103
Kontext mit dieser Skala verwendet werden. NOELLE-NEUMANN (1985) wählte dennoch eine andere Bezeichnung („Persönlichkeitsstärke“), um das entwickelte Messverfahren von den bisherigen „Enttäuschungen“, d. h. Versuche geeignete, praktische Verfahren zur Identifizierung von Meinungsführern auf Basis ihrer Ratgeberfunktion und Spezialisierung auf bestimmte Themengebiete zu finden, zu differenzieren. Denn ihrer Meinung nach fehlten den bis dato veröffentlichten Verfahren ein gutes Diskriminierungspotenzial, Reliabilität und Validität, ohne selbst auf einzelne Verfahren einzugehen.310 Anzumerken ist deshalb, dass NOELLE-NEUMANN davon ausgeht, dass generelle Meinungsführer existieren. Bei der Befragung wird das Einflusspotenzial nicht auf bestimmte Produktkategorien bezogen. „Die Bestimmung der Meinungsführer über die Persönlichkeitsstärke geht gerade umgekehrt davon aus, daß es bestimmte Züge gibt, die einen Menschen zum Meinungsführer machen. Zu diesen persönlichen Anlagen kommt dann ein besonderes Interesse für bestimmte Gebiete, in denen er Experte wird und damit Ratgeber, und so entsteht der spezialisierte Meinungsführer. Aber selten ist ein Meinungsführer Experte nur für ein Gebiet, gerade die Vielseitigkeit der Interessen ist charakteristisch. Daher ist es auch gut möglich, daß Meinungsführer manche Spezialgebiete ihr Leben lang behalten, andere kurzfristig wechseln.“311 Das Konzept der Persönlichkeitsstärke ist zudem umfangreicher als der Begriff Meinungsführerschaft, weil auch andere Aspekte als das Ratgeben und Beeinflussen berücksichtigt werden.312 Verschiedene Methodentests bestätigten die Reliabilität und die Validität der Skala. Die Skala ist dazu auch in verschiedenen Ländern, z. B. von WEIMANN (1991) vergleichsweise in Deutschland und Israel, und in verschiedenen Untersuchungen eingesetzt worden.313 310
Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 125/132. 311 Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 162. 312 Vgl. Koeppler, Karlfritz: Opinion leaders: Merkmale und Wirkung, Schriftenreihe der Verlagsgruppe Bauer, Band 18; (Bauer) Hamburg 1984, S. 26. 313 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth; Petersen, Thomas: Alle, nicht jeder: Einführung in die Methoden der Demoskopie, 4. Aufl., (Springer) Berlin u. a. 2005a, S. 563; auch: Weimann, Gabriel: The Influentials: Back to the Concept of Opinion Leaders?, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 55, 1991, Issue 2, S. 267–279.
104
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Zudem haben soziometrische Tests wie in der Arbeit von WEIMANN (1982) bestimmt, dass Personen mit hoher Persönlichkeitsstärke eine zentrale Position in sozialen Netzwerken innehaben. Diese werden von anderen um Rat und um Informationen gefragt und können als Meinungsführer bezeichnet werden.314 Auch die in verschiedenen Untersuchungen ermittelten Eigenschaften der Persönlichkeitsstarken (siehe dazu Kapitel 2.7.) stimmen mit den für Meinungsführer nachgewiesenen Merkmalen seit LAZARSFELD et al.’s Entdeckung überein. NOELLE-NEUMANN (1985) geht daher davon aus, dass die von ihr identifizierten Persönlichkeitsstarken den gesuchten Meinungsführern entsprechen.315 SCHENK (1995) wie auch WEIMANN (1982) bzw. WEIMANN (1991) differenzieren dennoch Persönlichkeitsstarke, die sie als „allgemein Influentials“316 bezeichnen, von den „klassischen Opinion Leader“317, da das Ratgeberitem 10 der Persönlichkeitsstärke-Skala eine niedrigere Faktorladung besitzt als persönliche Merkmale wie z. B. Sicherheit im Verhalten und Erfolgserwartung.318 In der Untersuchung von SCHENK (1995) zeigte der Vergleich, dass die Items der Persönlichkeitsstärke-Skala, die für Überzeugung und Ratgebung stehen (Nr. 1, 4–10) eine signifikante Korrelation mit der ROGERS und CARTANO-Skala aufweisen, während die Items (Nr. 2+3), die Charaktermerkmale der Persönlichkeitsstarken wie Unsicherheit und Verantwortung beschreiben, keine signifikante Korrelation mit der ROGERS und CARTANO-Skala zeigten. Zusammenfassend fand SCHENK (1995) eine signifikante Korrelation des 314
Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 133ff.; auch: Weimann, Gabriel: On the Importance of Marginality: One More Step into the Two-Step Flow of Communication, in: American Sociological Review, Vol. 47, December 1982, Issue 6, S. 764–773; auch: Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 382. 315 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 163f. 316 Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995, S. 172. 317 Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995, S. 172. 318 Vgl. Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995, S. 172; auch: Weimann, Gabriel: On the Importance of Marginality: One More Step into the TwoStep Flow of Communication, in: American Sociological Review, Vol. 47, December 1982, Issue 6, S. 764–773.
4.2 Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern
105
Ausmaßes der Persönlichkeitsstärke mit den Anteilen der Meinungsführerschaft in seiner Netzwerkanalyse.319 HASELOFF (1984) kritisiert, dass die Grundannahmen von NOELLE-NEUMANN, wonach das Persönlichkeitsmerkmal „Stärke“ den Trägern die Einflussnahme auf andere Personen ermöglicht, empirisch nicht beweisbar sind. Er behauptet, dass „… die eindringliche Präsentation von ‚Stärke‘ eher zur Zurückweisung als zur Akzeptierung und Adaption von Botschaften“320 führt. Nach seinen Überlegungen ist die Meinungsführerschaft eine „situationsgebundene Kommunikationsrolle“, bei deren Übernahme die anderen Gruppenmitglieder Erwartungen haben, die das Verhalten des Meinungsführers und sein Ansehen prägen. Dies hätte aber nichts mit „persönlicher Überlegenheit“ zu tun, wie sie NOELLE-NEUMANN zugrunde legt.321 Demgegenüber sollte erwähnt werden, dass NOELLE-NEUMANN (1984) betont, dass Persönlichkeitsstärke nicht mit Rücksichtslosigkeit gleichzusetzen ist. Ihre Untersuchungsergebnisse zeigten, dass Persönlichkeitsstarke sogar ihren Lebenssinn darin sehen, anderen zu helfen.322 4.2.4.6 Market Maven-Skala von FEICK und PRICE (1987) Aufbauend auf den Forschungen über Meinungsführer und Frühadoptoren entwickelten FEICK und PRICE (1987) ein Konzept, das Personen darstellt, die Einfluss auf das Marktgeschehen haben. Dabei gehen FEICK und PRICE davon aus, dass der Einfluss dieser so genannten „Market Maven“ auf allgemeinem Wissen und Erfahrungen mit Marktgegebenheiten basiert statt auf speziellem Wissen zu einzelnen Produktkategorien (näheres dazu in Kapitel 2.5).323 Um Market Maven beispielsweise durch Befragungen in Telefoninterviews identifizieren zu können, sollte eine entsprechende Skala entwickelt werden. Aufgrund der Definition des Market Maven-Konzeptes wurden 40 Frageitems aufgestellt, die mit Hilfe von Marketing-Akademikern und Fachmännern aus der Marktforschung auf 19 Items reduziert wurden. In einer Pilotstudie mit 265 MBA-Studenten wurden sechs Frageitems durch Faktorenanalyse, Korrelationsanalyse und Cronbach’s Alpha selek319
Vgl. Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995, S. 175f. 320 Haseloff, Otto W.: Nachfrageführer und Meinungsführer: Neue Dimensionen für die MediaPlanung, (Cosmopolitan) München 1984, S. 10. 321 Vgl. Haseloff, Otto W.: Nachfrageführer und Meinungsführer: Neue Dimensionen für die Media-Planung, (Cosmopolitan) München 1984, S. 17. 322 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Persönlichkeitsstärke: Ein vergessener Grundwert, in: Koch, Thilo (Hrsg.): Grundwerte: Beiträge zu ihrer wissenschaftlichen Diskussion, (IFKInstitut für Kulturforschung AG) München 1984, S. 45–52, S. 49. 323 Vgl. Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97, S. 83.
106
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
tiert und zu einer Skala als Messinstrument für das Market Maven-Konzept zusammengefasst (siehe Tabelle 14). Jedem Frageitem wurde eine 7–Punkte LikertSkala („stimme voll zu“ bis „stimme überhaupt nicht zu“) zugewiesen. In einer landesweiten Studie testeten FEICK und PRICE die Reliabilität der Skala erneut und stellten eine Übereinstimmung mit der Pilotstudie fest. Da das Market Maven-Konzept und das Meinungsführer-Konzept theoretisch zusammenhängen, sollte die Validität des Messinstruments für Market Maven durch einen Vergleich mit der Messung von Meinungsführerschaft überprüft werden. In einer zweiten Pilotstudie mit MBA-Studenten konnte ein Zusammenhang zwischen den Ergebnissen aus der Skala von KING und SUMMERS (1970) und der Market Maven-Skala nachgewiesen werden (Korrelationskoeffizient beträgt 0,75).324 Tabelle 14: Likert-Skala von FEICK und PRICE Likert-Skala mit 7 Antwortmöglichkeiten (stimme voll zu – stimme überhaupt nicht zu)
1. Ich stelle meinen Freunden gerne neue Marken und Produkte vor. 2. Ich mag es, Menschen zu helfen, indem ich sie mit Informationen über viele verschiedene Produkte versorge. 3. Ich werde oft nach Informationen über Produkte, Einkaufsstätten und Angebote gefragt. 4. Sollte ich danach gefragt werden, so könnte ich auf verschiedene Produkte bezogen empfehlen, wo einzukaufen ist. 5. Meine Freunde halten mich für eine gute Informationsquelle, wenn es um neue Produkte oder Angebote geht. 6. Stellen Sie sich jemanden vor, der Informationen über eine Vielzahl von Produkten hat und diese auch gerne mit anderen teilt. Dieser Jemand weiß über neue Produkte, Angebote, Geschäfte usw. Bescheid, fühlt sich aber nicht unbedingt als Experte in Bezug auf ein bestimmtes Produkt. – Wie genau trifft diese Beschreibung auf Sie zu?
Quelle: Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 376.
FEICK und PRICE (1987) unterteilen die Befragten anhand der Verteilung der Antworten in drei Gruppen ähnlich wie bei den Skalen von ROGERS und CARTANO und KING und SUMMERS. Aus dem Sample ergaben sich die Gruppen „low“ (31%), „medium“ (37%) und „high“ (32%). Dies würde bedeuten, dass jeder dritte Befragte als 324
Vgl. Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97, S. 87f.
4.2 Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern
107
Market Maven eingestuft werden kann. WALSH (1999), der die Skala mit 5 Antwortmöglichkeiten (5 = stimme voll und ganz zu bis 1 = stimme ganz und gar nicht zu) anwendete, ordnete alle Personen mit mindestens 20 Punkten der Gruppe „high“ zu, die ähnlich FEICK und PRICE (1987) 32% der Probanden ausmacht.325 4.2.4.7 Skala von FLYNN, GOLDSMITH und EASTMAN (1996) Bereits in einer vorhergehenden Arbeit kritisieren FLYNN, GOLDSMITH und EASTMAN (1994) die schwache psychometrische Validität der Skala von KING und SUMMERS (1970). Konsistent zu den Ergebnissen von GOLDSMITH und DESBORDE (1991) beanstanden sie, dass die KING-und-SUMMERS-Skala sowie die CHILDERS-Skala nicht eindimensional sind, d. h. eine der Frageitems misst allgemeine Meinungsführerschaft, während die übrigen Frageitems auf produktspezifische Meinungsführerschaft abzielen. Des Weiteren bemängeln sie an der CHILDERS’ Skala, dass diese nach ihrer Meinung eher das soziale Kommunikationsverhalten als das Einflusspotenzial von Konsumenten messen würde. FLYNN, GOLDSMITH und EASTMAN (1996) machten es sich deshalb zur Aufgabe, eine Skala zu entwickeln, die den zentralen Aspekt der Meinungsführerschaft, nämlich den Einfluss, berücksichtigt. Parallel dazu entwickelten sie eine Skala zur Identifizierung von Meinungssuchenden, auf die hier nicht näher eingegangen wird. FLYNN, GOLDSMITH und EASTMAN (1996) betonten, dass ihre Arbeit davon ausgeht, dass Meinungsführerschaft (als auch Meinungssuche) produktspezifisch ist.326 Im ersten Schritt wurden ausgehend von der Definition von Meinungsführer nach ROGERS und CARTANO (1962) 13 Frageitems zusammengestellt und nach erster Revision auf 11 Items gekürzt (siehe Tabelle 15). Daraufhin wurden fünf Studien mit verschiedenen Respondenten und Produktkategorien durchgeführt, um die 11 Frageitems zu testen (Antwortmöglichkeiten: 7–Punkte-Likert-Skala). Die erste Studie mit Studenten und dem Thema „Rock Musik“ brachte 6 Frageitems hervor, wobei vier positiv und zwei negativ formuliert waren (siehe Tabelle 15: fettdargestellte Frageitems). Da dies ein Ungleichgewicht bedeutete, wurde dem Frageitem 6 das Wort „rarely“ hinzugefügt und die Balance wieder hergestellt. Die folgenden vier Studien bestätigten die interne Konsistenz, die Kriteriumsvalidität, die Konstruktvalidität so325
Vgl. Walsh, Gianfranco: Der Market Maven in Deutschland: ein Diffusionsagent für Marktinformationen, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 45, 1999, Nr. 4, S. 418–434, S. 426ff. 326 Vgl. Flynn, Leisa R.; Goldsmith, Ronald E.; Eastman, Jacqueline K.: Opinion Leaders and Opinion Seekers: Two New Measurement Scales, in: Journal of the Academy of Marketing Science, Vol. 24, Spring 1996, Issue 2, S. 137–147, S. 137f.; auch: Goldsmith, Ronald E.; Desborde, Rene: A Validity Study of a Measure of Opinion Leadership, in: Journal of Business Research, Vol. 22, 1991, Issue 1, S. 11–19, S. 18; auch: Flynn, Leisa R.; Goldsmith, Ronald E.; Eastman, Jacqueline K.: The King and Summers Opinion Leadership Scale: Revision and Refinement, in: Journal of Business Research, Vol. 31, 1994, Issue 1, S. 55–64.
108
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
wie die Eindimensionalität der Skala. Weiterhin zeigten die Ergebnisse eine Normalverteilung. Insbesondere die fünfte Studie ermittelte die konvergente Validität der Skala von FLYNN, GOLDSMITH und EASTMAN (1996) beim Vergleich mit der Skala von KING und SUMMERS (1970).327 Tabelle 15: Skala zur Identifizierung von Meinungsführern nach FLYNN, GOLDSMITH und EASTMAN 1. Other people rarely ask me about rock cd’s before they choose one for themselves. 2. My opinion on rock seems not to count with other people.* 3. My opinions influence what types of recordings other people buy. 4. Other people think that I am a poor source of information on rock music. 5. When they choose a rock music recording, other people do not turn to me for advice.* 6. Other people [rarely] come to me for advice about choosing cd’s and tapes.* 7. People that I know pick rock music based on what I have told them.* 8. People rarely repeat things I have told them about popular rock music to other people. 9. What I say about rock music rarely changes other people’s minds. 10. I often persuade other people to buy the rock music that I like.* 11. I often influence people’s opinions about popular rock.*
* Frageitems der endgültigen Version der Skala von Flynn, Goldsmith und Eastman
Quelle: Flynn, Leisa R.; Goldsmith, Ronald E.; Eastman, Jacqueline K.: Opinion Leaders and Opinion Seekers: Two New Measurement Scales, in: Journal of the Academy of Marketing Science, Vol. 24, Spring 1996, Issue 2, S. 137–147, S. 146.
4.2.5
Zusammenfassung und Besprechung der Identifizierungsmethoden
Es ist nur wenig überraschend, dass trotz der zahlreichen Forschung nach fast sieben Jahrzehnten noch kein Verfahren entwickelt worden ist, das die Meinungsführer zweifelsfrei identifiziert. Grund ist die schwere Fassbarkeit der Meinungsführer, denen, wie in den folgenden Kapiteln ersichtlich, auch nur wenige beobachtbare allgemeine Merkmale zugeordnet werden können. ROGERS (2003) liefert eine kleine Übersicht über die Vor- und Nachteile der drei bedeutenden Methoden, die in Tabelle 16 dargestellt ist. Allgemein wird bemängelt, dass die soziometrische Methode sehr aufwendig ist, die Befragung (insbesondere Identifizierung) der Schlüsselinformanten problematisch ist und die Selbsteinschätzung trotz ihrer Popularität nur eine „Momentaufnahme“ darstellt, die keinen Auf327
Vgl. Flynn, Leisa R.; Goldsmith, Ronald E.; Eastman, Jacqueline K.: Opinion Leaders and Opinion Seekers: Two New Measurement Scales, in: Journal of the Academy of Marketing Science, Vol. 24, Spring 1996, Issue 2, S. 137–147, S. 139ff.
109
4.2 Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern
schluss über die Interaktionen der Beteiligten liefert. Studien über Zuverlässigkeit und Validität der Selbsteinschätzungsmethode lieferten widersprüchliche Ergebnisse und weitere Kontrollbefragungen wie z. B. Schneeballbefragungen wären nötig.328 Doch SCHENK (1983) merkt an, dass die Schneeballtechnik Dyaden (Meinungsführer/Meinungsfolger) hervorbringt, die nur die Betrachtung eines zweistufigen Kommunikationsflusses zulassen. Des Weiteren ermöglichen es die Stichprobenbildung und Random-Samples nicht, das soziale Netzwerk und die interpersonelle Kommunikation der Respondenten zu untersuchen. Die soziometrische Methode wäre adäquat, die Informationsverarbeitung und Meinungsbildung im strukturellen Zusammenhang zu erforschen und die Rolle des Meinungsführers im Kommunikationsprozess zu betrachten. Sie ist aber sehr komplex und nur für klar abgrenzbare Systeme geeignet.329 Tabelle 16: Vorteile und Nachteile von drei Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern Measurement Method
Description
Questions asked
Advantages
Limitations
Sociometric Method
Ask system members to whom they go for advice and information about an idea
Who is your leader?
Sociometric questions are easy to administer and are adaptable to different types of settings and issues Highest validity
Analysis of sociometric data is often complex Requires a large number of respondents to locate a small number of opinion leaders Not applicable to sample designs where only a portion of the social system is interviewed
Informants’ Ratings
Subjectively selected key informants in a social system are asked to designate opinion leaders
Who are the leaders in this social system?
A cost-saving and time-saving method as compared to the sociometric method
Each informant must be thoroughly familiar with the system
Self-Designating Method
Ask each respondent a series of questions to determine the degree to which he perceives himself to be an opinion leader
Are you a leader in this social system?
Measures the individual’s perception of his opinion leadership, which influence his behavior
Dependent upon the accuracy with which respondents can identify and report their selfimages
Quelle: Rogers, Everett M.: Diffusion of Innovations, 5th Ed., (Free Press) New York u. a. 2003, S. 309.
328
Vgl. Koeppler, Karlfritz: Opinion leaders: Merkmale und Wirkung, Schriftenreihe der Verlagsgruppe Bauer, Band 18; (Bauer) Hamburg 1984, S. 26. 329 Vgl. Schenk, Michael: Meinungsführer und Netzwerke persönlicher Kommunikation, in: Rundfunk und Fernsehen, 31. Jahrgang, 1983, Heft 3–4, S. 326–336, S. 328f.
110
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Des Weiteren werden die unterschiedlichen Messweisen bzw. Auswahlkriterien innerhalb der drei Hauptmethoden zur Identifizierung von Meinungsführern kritisiert. Beispielsweise werden die Fragen bei der soziometrischen Methode in jeder Studie anders formuliert. Oder die Zahl der Nennungen als Ratgeber und Informationsquelle für andere, die als Mindestzahl für Meinungsführerschaft vorausgesetzt wird, variiert. Auch werden heute noch unterschiedliche Skalen für die Selbsteinschätzung eingesetzt, die wieder in der Anzahl der Frageitems von einander abweichen.330 ROGERS und SHOEMAKER (1971) wiederum bewerten die drei Methoden trotz der Unterschiede als gleich valide.331 HASSELOFF (1984) spricht auch die Problematik an, dass die Mehrzahl der Identifizierungsmethoden in den USA entwickelt wurde. Er wandte die Skala von ROGERS und CARTANO (1962) nach eigenen Angaben mehrfach praktisch an und kam zu den Schluss, dass die in der Skala verwendeten Fragen sich „eindeutig auf ein spezifisch amerikanisches Kommunikations- und Informationsverhalten“332 begründen. Aufgrund dieser dem Fragenkatalog vorausgesetzten Mentalitäten sei die Skala von ROGERS und CARTANO nicht in Deutschland einsetzbar.333 SCHENK (1995) dagegen verwendete diese Skala in Kombination mit der Persönlichkeitsstärke-Skala von NOELLE-NEUMANN in seiner netzwerkanalytischen Studie zur Medienwirkung und Wirkung des persönlichen Einflusses in Deutschland. Er konnte Ähnlichkeiten zwischen den Meinungsführern nach der ROGERS und CARTANO-Skala und den Persönlichkeitsstarken nachweisen. Des Weiteren trifft SCHENK (1995) die Aussage: „Das Ausmaß an Persönlichkeitsstärke korreliert statistisch signifikant mit den Anteilen ausgeübter Meinungsführerschaft im egozentrierten Netzwerk.“334 Dies spricht für eine Nutzbarkeit der Skala von ROGERS und CARTANO (1962) in Deutschland.335 Letztendlich wird zwar in allen drei Hauptverfahren (soziometrische Methode, Befragung von Schlüsselinformanten, Selbsteinschätzung) angegeben, wer Ratschläge verteilt oder wer um Rat gefragt wird, aber es wird meistens nicht überprüft, ob der Rat tatsächlich befolgt wird, denn dazu wären meist aufwendige Schneeball-
330
Vgl. King, Charles W.; Summers, John O.: Overlap of Opinion Leadership across Consumer Product Categories, in: Journal of Marketing Research, Vol. 7, 1970, S. 43–50, S. 44. 331 Vgl. Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A CrossCultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 217. 332 Haseloff, Otto W.: Nachfrageführer und Meinungsführer: Neue Dimensionen für die MediaPlanung, (Cosmopolitan) München 1984, S. 30. 333 Vgl. Haseloff, Otto W.: Nachfrageführer und Meinungsführer: Neue Dimensionen für die Media-Planung, (Cosmopolitan) München 1984, S. 30. 334 Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995, S. 176. 335 Vgl. Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995, S. 175f.
4.2 Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern
111
befragungen nötig. Es ist jedoch fragwürdig, ob wirklich jeder Vierte bzw. Fünfte (ca. 20–25%), wie aus Studien, die die Selbsteinschätzungsmethode mit den Skalen von ROGERS und CARTANO oder KING und SUMMERS anwenden336, ersichtlich wurde oder sogar jeder Dritte in der Bevölkerung, wie FEICK und PRICE (1987) ermittelten337, ein Meinungsführer ist, ob nun generell oder bezüglich eines speziellen Themas. Diese Zahlen scheinen doch sehr hoch zu sein. Es sollte dabei beachtet werden, dass die Selbsteinschätzungsmethode nur subjektive Wertungen desjenigen Befragten hervorbringen. Inwiefern diese Personen tatsächlich effektiv Einfluss auf andere ausüben ist damit noch nicht gemessen. MAYER und SCHNEIDER (1978) dagegen stellen es in Frage, ob die Identifizierung der Meinungsführer mit der Ermittlung ihrer Effizienz verbunden werden sollte.338 Die komplexe Untersuchung zu Medienwirkung und persönlichem Einfluss bezüglich politischer Thematiken von SCHENK (1995) soll hier noch mal als ein interessantes Beispiel für die kombinierte Verwendung von Selbsteinschätzungsskalen und Schneeballbefragungen genannt werden. In einer mündlichen Erstbefragung wurden für 899 Respondenten im Raum Mittlerer Neckar (Baden-Württemberg) ein Fragekatalog mit den Skalen von ROGERS und CARTANO und NOELLE-NEUMANN verwendet. Da SCHENK (1995) eine Netzwerkanalyse beabsichtigte, wurden die Respondenten unter anderem gebeten, Personen zu nennen mit denen sie über politische Themen sprechen. Von 922 genannten Netzpersonen nahmen 550 an schriftlichen SchneeballInterviews teil. SCHENK (1995) zeigte Zusammenhänge zwischen den beiden Selbsteinschätzungsverfahren auf. Er stellte aber auch fest, dass die Zahlen der durch das Schneeballverfahren bestätigten (echten) Meinungsführern geringer sind als der Anteil der Meinungsführer bzw. Persönlichkeitsstarken, der mit Hilfe der Skala von ROGERS und CARTANO (1962) bzw. der Skala von NOELLE-NEUMANN (1985) ermittelt wurde.339 336
Vgl. Riecken, Glen; Yavas, Ugur: Seeking Donors via Opinion Leadership, in: Journal of Professional Services Marketing, Vol. 2, Fall/ Winter 1986, Issue 1/2, S. 109–116; auch: Schenk, Michael: Politische Meinungsführer: Kommunikationsverhalten und primäre Umwelt, in: Publizistik, Bd. 30, 1985, Nr. 1, S. 7–16, S. 10. 337 Vgl. Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97, S. 90f. 338 Vgl. Mayer, Hans; Schneider, Hermann: Neuere Untersuchungen zur Theorie der Meinungsführerschaft, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 24, 1978, Nr. 2, S. 128–173, S. 139. 339 Vgl. Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995; auch: Schenk, Michael: Meinungsbildung im Alltag: Zum Einfluß von Meinungsführern und sozialen Netzwerken, in: Jäckel, Michael; Winterhoff-Spurk, Peter (Hrsg.): Politik und Medien: Analysen zur Entwicklung der politischen Kommunikation, (VISTAS Verlag) Berlin 1994, S. 143–158.
112
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Essenz # 20: Im Wesentlichen werden in der Literatur drei verschiedene Methoden zur Identifizierung von Meinungsführern angewandt: die soziometrische bzw. netzwerkanalytische Methode, die Befragung von Schlüsselinformanten und die Methode der Selbsteinschätzung. Am populärsten, da einfach handhabbar, ist die Selbstidentifikationsmethode. Allerdings weist sie die geringste Reliabilität auf und kann zu Fehleinschätzungen führen, während die soziometrische Methode durch Schneeballbefragungen am genauesten ist, aber aufgrund ihrer Komplexität nicht oder nur mit erheblichem Aufwand auf große Untersuchungseinheiten angewandt werden kann. Es scheint bisher keine Methode zu bestehen, die den Anforderungen der Reliabilität und Praktikabilität im angemessenen Maße gerecht wird und ausschließlich Personen, die in facto Einfluss auf andere ausüben, benennen kann. Die Forschung hat sich bisher nicht auf eine einheitliche Identifizierungsmethode und konforme Auswahlkriterien geeinigt.
4.3
Der Meinungsführer im Diffusionsprozess
4.3.1
Begriffserläuterung
Als Diffusionsprozess wird „… die Ausbreitung einer Neuigkeit (Innovation) in einem sozialen System von der Quelle bis zum letzten Übernehmer“340 bezeichnet. Dabei können Innovationen sowohl Produkte, Techniken und Methoden oder Informationen bzw. Nachrichten sein. Die Innovationspotenz eines Meinungsführers kann somit auf materieller Ebene wie auch auf ideeller Ebene wirken. Letzteres schließt Einstellungen und Verhaltensweisen von Individuen und sozialen Gruppen ein.341 In der Literatur sind sowohl Diffusionsstudien, die sich auf die Verbreitung von Innovationen beziehen als auch Studien, die die Diffusion von wichtigen Nachrichten untersuchen, zu finden.342 340
Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Verlag Franz Vahlen München) München 2003, S. 675. 341 Vgl. Kaas, Klaus P.: Diffusion und Marketing: Das Konsumentenverhalten bei der Einführung neuer Produkte, (C. E. Poeschel Verlag) Stuttgart 1973, S. 2; auch: Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 84. 342 Vgl. Coleman, James S.; Katz, Elihu; Menzel, Herbert: The Diffusion of an Innovation among Physicians, in: Sociometry, Vol. 20, 1957, S. 253–270; auch: Deutschmann, Paul J.; Danielson, Wayne A.: Diffusion of Knowledge of the Major News Story, in: Journalism Quarterly, Vol. 37, Summer 1960, S. 345–355.
4.3 Der Meinungsführer im Diffusionsprozess
113
In den folgenden Abschnitten wird die Rolle des Meinungsführers im Diffusionsprozess erläutert sowie die Frage geklärt, ob Meinungsführer auch Frühadoptoren sind. Danach werden Aspekte betrachtet, die die Innovationsbereitschaft der Meinungsführer bedingen. Im letzten Abschnitt wird auf die Forschungsergebnisse von DEUTSCHMANN und DANIELSON (1960) und den daraus resultierenden Erkenntnissen über die Rolle des Meinungsführers im Diffusionsprozess von bedeutsamen Nachrichten eingegangen.
4.3.2
Die Rolle des Meinungsführers im Diffusionsprozess
ROGERS und SHOEMAKER (1971) führen aus, dass Meinungsführer gegenüber Innovationen positiv oder negativ eingestellt sein können und damit die Diffusion von Innovationen entweder unterstützen oder auch verzögern. Sie beschreiben beispielsweise die positive Wirkung auf den Diffusionsprozess von neuen Produkten, die aus der Konzentration der Aktivitäten von Diffusionsagenten (z. B. Handelsvertreter) auf Meinungsführer resultiert. Allerdings warnen sie vor möglichen negativen Folgen. Denn die Aktivität des Diffusionsagenten kann dazu führen, dass sich der Meinungsführer zu innovativ verhält und sich damit weit von den Normen der Gesellschaft entfernt; er nicht mehr in gleichem Maße geschätzt werden wird, unglaubwürdig ist und somit seinen Status als Meinungsführer verliert. Damit könnte auch die Einführung der Neuerung scheitern. Dieses Risiko scheint aber eher in traditionell eingestellten Gesellschaften zu bestehen, die in der westlichen Welt kaum vorkommen.343 TURNBULL und MEENAGHAN (1980) schreiben Meinungsführern, die den Diffusionsprozess behindern, eine Gatekeeper-Rolle zu. Sie können dabei zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Diffusionsprozess sowohl auf Frühadoptoren als auch auf späte Adoptoren Einfluss ausüben. Meinungsführer selektieren die von massenmedialen Kommunikationskanälen erhaltenen Informationen und geben „ihre Version“ an andere weiter. Wenn Meinungsführer Informationen zurückhalten oder kritisch ablehnen, übernehmen sie die Gatekeeper-Rolle.344 ARNDT (1971) konnte ein solches Verhalten in seiner Inhaltsanalyse von Mundpropaganda beobachten (siehe Kapitel 4.1.6).345 Die Mehrzahl der publizierten Studien beschäftigt sich mit der unterstützenden Funktion der Meinungsführer. MENZEL und KATZ (1955) bzw. COLEMAN, KATZ und MENZEL (1957) hatten in ihrer Drug-Studie anhand ausgestellter Rezepte die Mög343
Vgl. Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A CrossCultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 200–222. 344 Vgl. Turnbull, Peter W.; Meenaghan, A.: Diffusion of Innovation and Opinion Leadership, in: European Journal of Marketing, Vol. 14, 1980, Issue 1, S. 3–33, S. 16f. 345 Vgl. Arndt, Johan: A Test of the Two-Step Flow in Diffusion of a New Product, in: Holloway, Robert J.; Mittelstaedt, Robert A., Venkatesan, Meyyappan: Consumer Behavior: Contemporary research in action, (Houghton Mifflin) Boston 1971, S. 235–246, S. 242f.
114
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
lichkeit, die Einflusskette zurück zu verfolgen und sogar den Zeitpunkt, wann der Einfluss des Meinungsführers wirksam wurde, zu bestimmen.346 KELLY et al. (1991) und LOMAS et al. (1991) konnten nachweisen, dass Meinungsführer effektiv bei der Verbreitung von Präventivmaßnahmen in der Gesundheitspolitik beteiligt sind und dadurch Rückgänge von unsicheren Sexualpraktiken und Kaiserschnittgeburten zu verzeichnen waren.347 ARNDT (1971) belegte in seiner Studie des Word-of-Mouth ebenfalls die effektive Wirkung der Meinungsführer bei der Einführung einer neuen Marke eines häufig gekauften Lebensmittels.348 Der Diffusionsprozess von Innovationen ist ein „über zeitliche Distanzen und soziale Instanzen ablaufender kognitiv-motivationaler Prozeß“349. Ausgehend von einem dreistufigen Prozess („awareness“, „decision-making“, „action“) ordnet AUFERMANN (1971) den Meinungsführern eine kommunikative Funktion in der zweiten Adoptionsphase zu, in der Informationen zur Entscheidungsfindung benötigt werden, während in den anderen Phasen eher formelle Kommunikationskanäle eine Rolle spielen.350 Diese Theorie wird von empirischen Studien bestätigt. Beispielsweise führten ROGERS und BEAL (1962) eine Untersuchung über „die Bedeutung des persönlichen Einflusses bei der Übernahme technischer Neuerungen“ unter Farmern durch. Im Gegensatz zu anderen Studien unterteilten sie den Diffusionsprozess in fünf Phasen („Kennenlernen“, „Information“, „Anwendung“, „Versuch“ und „Übernahme“). Laut AUFERMANN (1971) entsprechen die Phasen zwei bis vier, d. h. „Information“, „Anwendung“ und „Versuch“, in seinem übernommenen Schema der zweiten Phase, in der der persönliche Einfluss am stärksten ist. Abbildung 14 veranschaulicht diesen Zusammenhang. Somit haben formelle Informationen eine größere 346
Vgl. Menzel, Herbert; Katz, Elihu: Social Relations and Innovation in the Medical Profession: The Epidemiology of a New Drug, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 19, 1955, Issue 4, S. 337–352; auch: Coleman, James S.; Katz, Elihu; Menzel, Herbert: The Diffusion of an Innovation among Physicians, in: Sociometry, Vol. 20, 1957, S. 253–270. 347 Vgl. Kelly, Jeffrey A. u. a.: HIV Risk Behavior Reduction Following Intervention with Key Opinion Leaders of Population: An Experimental Analysis, in: American Journal of Public Health, Vol. 81, 1991, S. 168–171; auch: Lomas, Jonathan u. a.: Opinion Leaders vs. Audit Feedback to Implement Practice Guidelines: Delivery After Previous Cesarean Section, in: Journal of the American Medical Association, Vol. 265, 1991, S. 2202–2207. 348 Vgl. Arndt, Johan: A Test of the Two-Step Flow in Diffusion of a New Product, in: Holloway, Robert J.; Mittelstaedt, Robert A., Venkatesan, Meyyappan: Consumer Behavior: Contemporary research in action, (Houghton Mifflin) Boston 1971, S. 235–246,S. 238ff. 349 Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 93. 350 Vgl. Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 93.
115
4.3 Der Meinungsführer im Diffusionsprozess
Bedeutung bei der Erregung von Aufmerksamkeit in der Phase des „Kennenlernens“. Dagegen sind im Stadium der „Informationssuche“ und in den Phasen der „Anwendung“ und des „Versuches“, in denen die Innovation getestet wird, die persönlichen Quellen maßgeblich. Es ist auch ersichtlich, dass in der letzten Phase, d. h. bei der Übernahmeentscheidung der Neuerungen, weder die persönlichen noch die formellen Kommunikationskanäle Einfluss haben.351 unpersönlich
persönlich
kein Einfluß 95
100% 90% 80% 70%
63
61
60%
50
50% 40%
50
44 37
33
30%
24
20% 10%
13 2
17
6
3
2
0% Kennenlernen
Information
Anwendung
Versuch
Übernahme
Abbildung 14: Persönliche und unpersönliche Informationen in jedem Stadium der Übernahme technischer Neuerungen Quelle: Rogers, Everett M.; Beal, George M.: Die Bedeutung des persönlichen Einflusses bei der Übernahme technischer Neuerungen, in: Heintz, Peter (Hrsg.): Soziologie der Entwicklungsländer: Eine systematische Anthologie, (Kiepenheuer & Witsch) Köln u. a. 1962, S. 257–267, S. 262.
ROGERS und SHOEMAKER definieren drei verschiedene Typen von Meinungsführerschaft im Adoptions- und Diffusionsprozess: 1) „Stimulator opinion leadership, or degree to which an individual is perceived to generate awareness of desirable innovations with relative frequency; 2) Legitimizer opinion leadership, or the degree to which an individual is perceived to be influential in sanctioning new ideas with relative frequency; and 351
Vgl. Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 93ff., auch: Rogers, Everett M.; Beal, George M.: Die Bedeutung des persönlichen Einflusses bei der Übernahme technischer Neuerungen, in: Heintz, Peter (Hrsg.): Soziologie der Entwicklungsländer: Eine systematische Anthologie, (Kiepenheuer & Witsch) Köln u. a. 1962, S. 257–267.
116
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
3) Implementor opinion leadership or the degree to which an individual is perceived to assume responsibility for encouraging overt adoption of innovations with relative frequency.“352 Eine Neuerung auf ideeller Ebene, d. h. eine Einstellungs- und Verhaltensänderung der Individuen und der sozialen Gruppe, ist nur möglich, wenn die Gruppenmitglieder einem Spannungsverhältnis von Normen- und Wertewissen („Bestehendem und Wünschenswertem“) und damit einer Verhaltensunsicherheit ausgesetzt sind. Dies tritt nach Meinung EURICHs’ (1976) dann auf, „wenn eine Gruppe sich quasi in ihren normativen Regeln festgefahren hat, nicht mehr flexibel genug ist, sich einer möglicherweise verändert habenden Umwelt anzupassen.“353 Kann der Meinungsführer die Gruppe von der Wertfunktionalität der Innovation überzeugen, führt dies zu einem sozialen Wandel in der Gruppe.354 Hier kommen vor allem die normen- und wertewissenbezogenen Meinungsführer zum Tragen, während bei Innovationen auf materieller Ebene eher fachwissenbezogene Meinungsführer wirken, die aufgrund ihres Faktenwissens die Verbreitung der Neuerung und zum Verständnis deren Zweckes beitragen (siehe Kapitel 4.1.8.3).355 GREWAL, MEHTA und KARDES (2000) bezeichnen die Meinungsführerschaft in diesem Zusammenhang als soziale Legitimation der Innovation.356 Da Innovativität mit anderen Faktoren als mit Meinungsführerschaft assoziiert wird, vermuten SCHRANK und GILMORE (1973), dass Individuen mit verschiedenen Ausprägungen von Meinungsführerschaft auch verschiedene Funktionen im Diffusionsprozess übernehmen.357 GOLDENBERG et al. (2006) vermuten aufgrund verschiedener Studienergebnisse, dass Meinungsführer mit besserem sozialen Wissen („social opinion leaders“) effektiver auf den Diffusions- und Adoptionsprozess von radikalen Innovationen wirken, da sie mehr Kontakte pflegen, wodurch sie eher über Wissen zu bisherigen Erfahrun352
McCleneghan, J. Sean: A Longitudinal Study of High School Opinion Leaders for USAF Panel, in: Journalism Quarterly, Vol. 54, 1977, Issue 2, S. 357–361, S. 357f. 353 Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 88. 354 Vgl. Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 87f. 355 Vgl. Eurich, Claus: Beeinflussungsstrategien zur Weiterentwicklung des Meinungsführerkonzepts, in: Zeitschrift für Markt-, Meinungs- und Zukunftsforschung, Bd. 20, 1977, Nr. 1/2, S. 4285–4299, S. 4293. 356 Vgl. Grewal, Rajdeep; Mehta, Raj; Kardes, Frank R.: The Role of the Social-Identity Function of Attitudes in Consumer Innovativeness and Opinion Leadership, in: Journal of Economic Psychology, Vol. 21, 2000, S. 233–252, S. 234. 357 Vgl. Schrank, Holly L.; Gilmore, D. Lois: Correlates of Fashion Leadership: Implications for Fashion Process Theory, in: Socialogical Quarterly, Vol. 14, Autumn 1973, S. 534–543, S. 540.
4.3 Der Meinungsführer im Diffusionsprozess
117
gen anderer Konsumenten mit dem Produkt verfügen. Sie können die radikale Innovation in den „Mainstream“, d. h. Mehrheit der Bevölkerung, die risikoavers sind und auf Erfahrungen anderer bauen, puschen. Für inkrementelle Innovationen sind Expertentypen von Meinungsführern („expert opinion leaders“) gefragt, die detailliertes Wissen über den Meinungsgegenstand besitzen.358 KAAS (1973) schreibt dem Meinungsführer drei Wirkungsweisen im Laufe des Diffusionsprozesses zu. Bei seiner mathematischen Analyse geht er von einem zweistufigen Kommunikationsprozess aus. In der ersten Stufe übernehmen sie Informationen von den Massenmedien und sind dabei leichter beeinflussbar als andere Personen (Eigeneffekt). Während der zweiten Stufe vermitteln sie Informationen (Vermittlereffekt), wobei sie einen größeren Einfluss auf andere haben als die Massenmedien (Effekt des persönlichen Einflusses). Wenn die Meinungsführer allerdings alleine bzw. hauptsächlich für die Vermittlung von Informationen bezüglich Innovationen verantwortlich sind, können sie zu Engpässen werden, denn mit steigender Zahl von Gruppenmitgliedern wird die „Belastung“ pro Meinungsführer stärker. Dann kann der Vermittlereffekt im Gegensatz zu den anderen beiden Effekten, die stets positiv sind, auch negativ wirken und den Diffusionsprozess hemmen.359 Die Wirkung des Meinungsführers im Diffusionsprozess im Vergleich zu den Massenmedien ist in Abbildung 15 (s. S. 118) dargestellt. Erstaunlicherweise ist der Effekt des persönlichen Einflusses mit zunehmender Zahl von Meinungsführern geringer (Diffusionskurve b). KAAS (1973) erklärt dazu, dass mit zunehmender Anzahl der Meinungsführer in einer Gruppe, der Anteil der beeinflussbaren Personen abnimmt. Je weniger Personen beeinflusst werden können, desto geringer ist die Wirkung des persönlichen Einflusses. KAAS (1973) merkt daher an, dass die Aktivität der Meinungsführer nicht immer zu einer positiven Verschiebung der Diffusionskurve im Vergleich zur Diffusionskurve bei ausschließlicher Massenkommunikation führt. Ist beispielsweise der Eigeneffekt der Meinungsführer klein und ihr persönlicher Einfluss nur geringfügig größer als der der Massenkommunikation, ist die Verschiebung der Diffusionskurve negativ.360 Infolge der aufkommenden Netzwerkanalysen in den 70er und 80er Jahren wurde auch den Marginalen, Individuen die in den Gruppengeflechten eher Randpositionen einnehmen, Aufmerksamkeit geschenkt. Sie besitzen vorrangig schwache Bindungen zu anderen Gruppenmitgliedern und sind im Kommunikationsprozess wichtig für die Informationsverbreitung über Gruppengrenzen hinweg (näheres dazu in Kapitel 3.7). 358
Vgl. Goldenberg, Jacob u. a.: The Role of Expert versus Social Opinion Leaders in New Product Adoption, in: MSI Reports, Vol. 4, 2006, S. 67–84, S. 67. 359 Vgl. Kaas, Klaus P.: Diffusion und Marketing: Das Konsumentenverhalten bei der Einführung neuer Produkte, (C. E. Poeschel Verlag) Stuttgart 1973, S. 124ff. 360 Vgl. Kaas, Klaus P.: Diffusion und Marketing: Das Konsumentenverhalten bei der Einführung neuer Produkte, (C. E. Poeschel Verlag) Stuttgart 1973, S. 130f.
118
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
a) Diffusionskurvenverlauf bei Massenkommunikation b) Diffusionskurvenverlauf bei zweistufiger Kommunikation mit höherer Zahl von Meinungsführern als in c) c) Diffusionskurvenverlauf bei zweistufiger Kommunikation
Abbildung 15: Typische Diffusionskurven nach dem Modell von Kaas (1973) Quelle: Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Verlag Franz Vahlen München) München 2003, S. 680.
SCHENK (1983) widerspricht den Erkenntnissen von COLEMAN, KATZ und MENZEL (1957), die einen positiven Zusammenhang zwischen dem Grad der sozialen Verbundenheit und dem Zeitpunkt der Adoption von Innovationen sehen. Demnach würden Meinungsführer aufgrund ihrer zentralen Position zu den Ersten zählen, die Innovationen übernehmen. Doch SCHENK (1983) behauptet, dass auch Marginale gelegentlich die Vorreiterrolle übernehmen. Dies tritt vor allem dann ein, wenn Innovationen risikoreich sind und mit einem geringeren Übernahmepotenzial zu rechnen ist. Meinungsführer sind dann weniger aktiv, während die Marginalen aufgrund ihrer Randposition weniger von den Normen und Werten der Gruppe abhängig sind und die Übernahmeentscheidung eher auf persönlichen Erwägungen, massenmedialen Einflüssen und Kommunikation mit Individuen außerhalb der Gruppe basiert.361 KAAS (1973) spricht im Kontext von Diffusionsprozessen auch von Imitation als eine Art Interaktion, die ohne verbale Kommunikation erfolgt. „Auch die bloße Beobachtung eines neuen Verhaltens bei anderen Personen kann zur Änderung des eigenen Verhaltens führen, ohne daß eine spezielle Kommunikation, etwa eine Überredung, stattgefunden hat.“362 Typisch ist dieses imitierende Verhalten bei Individuen, 361
Vgl. Schenk, Michael: Meinungsführer und Netzwerke persönlicher Kommunikation, in: Rundfunk und Fernsehen, 31. Jahrgang, 1983, Heft 3–4, S. 326–336, S. 330. 362 Kaas, Klaus P.: Diffusion und Marketing: Das Konsumentenverhalten bei der Einführung neuer Produkte, (C. E. Poeschel Verlag) Stuttgart 1973, S. 37.
4.3 Der Meinungsführer im Diffusionsprozess
119
die keinen persönlichen Kontakt zu ihren „Vorbildern“ haben, wie z. B. die virtuellen Meinungsführer (siehe Kapitel 4.1.7.5). SCHRANK und GILMORE (1973) untersuchten „fashion opinion leaders“ im Diffusionsprozess und beobachteten ebenfalls den Zusammenhang von Meinungsführerschaft und Innovativität. Sie schließen daraus, dass einige Meinungsführer eine Doppelrolle zur Beschleunigung des Diffusionsablaufs einnehmen. Sie beeinflussen andere nicht nur verbal, sondern nehmen das Produkt selber an bzw. kaufen es. Demgegenüber gibt es auch Meinungsführer, die entweder nur visuell oder nur verbal beeinflussen.363 Meinungsführer sind im Diffusionsprozess für die Diffusionsagenten sehr wichtig, da sie eine Einführung von neuen Produkten kostengünstiger und weniger zeitaufwendig gestalten können. Da etwa 20–25% der Gesellschaft Meinungsführer sind364, wäre der Kommunikationsaufwand auf diesen kleinen Teil beschränkt. Die große Kontaktfreudigkeit der Meinungsführer und ihr großes soziales Netzwerk machen eine schnelle Verbreitung der Innovation durch Word-of-Mouth sehr wahrscheinlich. Zusätzlich verleihen die Meinungsführer aufgrund ihres Status der Neuerung mehr Glaubwürdigkeit als es ein Diffusionsagent erreichen könnte.365
4.3.3
Meinungsführer = Innovator oder Frühadoptor?
Auch wenn Meinungsführer die Produktverbreitung unterstützen, so können sie nicht automatisch als Innovatoren oder Frühadoptoren angesehen werden. Innovatoren und Frühadoptoren sind die Personen, die Produktneuheiten früher als alle anderen kaufen und anwenden.366 Auch sie haben Einfluss auf andere Konsumenten durch ihr produktspezifisches Wissen und ihre Erfahrung. Aber im Unterschied zu den Frühadoptoren, die ihr Wissen nur durch den Kauf oder den Gebrauch des Produktes erlangen, beziehen Meinungsführer ihr Wissen aus dem Involvement in ein Produkt oder eine Produktkategorie und damit aus der aktiveren Informationssuche.367 Beispielsweise belegte ARNDT (1971), dass Meinungsführer nicht immer als erste die neuen Produkte kaufen. Allerdings wenn sie Frühadoptoren sind, dann sieht er als 363
Vgl. Schrank, Holly L.; Gilmore, D. Lois: Correlates of Fashion Leadership: Implications for Fashion Process Theory, in: Socialogical Quarterly, Vol. 14, Autumn 1973, S. 534–543, S. 540. 364 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Franz Vahlen München) München 2003, S. 518. 365 Vgl. Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A CrossCultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 244. 366 Vgl. Rogers, Everett M.: Diffusion of Innovations, 5th Ed., (Free Press) New York u. a. 2003, S. 318, 280f. 367 Vgl. Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97, S. 84; auch: Stern, Barbara B.; Gould, Stephen J.: The Consumer as Financial Opinion Leader, in: Journal of Retail Banking, Vol. 10, Summer 1988, Issue 2, S. 43–52, S. 46.
120
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Motiv dafür, dass die Meinungsführer die Rollenerwartung erfüllen wollen. Denn von ihnen wird erwartet, Wissen und nützliche Ratschläge bezüglich bestimmter neuer Produkte liefern zu können.368 AUFERMANN (1971) ist ebenfalls der Auffassung, dass Meinungsführer nicht mit Innovatoren oder Frühadoptoren gleichzusetzen sind, sie aber entsprechende Merkmale aufweisen können. Er bezieht sich auf die Untersuchungsergebnisse von ROGERS und BEAL (1962), die die Adoptorentypen (Innovatoren, Frühadoptoren, frühe Mehrheit, späte Mehrheit, Nachzügler) hinsichtlich der Nutzung persönlicher und unpersönlicher Quellen verglichen: „Die Bedeutung der personalen Kontakte nimmt ausgehend von den Neuerern [Innovatoren] bis hin zu den Nachzüglern zu, während hinsichtlich der Relevanz nicht-personaler Einflüsse und Informationsquellen eine gegenläufige Beziehung festzustellen ist.“369 Die Innovatoren und die Frühadoptoren nutzen eher formelle Quellen (Massenmedien, Vertreter), da andere persönliche Quellen (Freunde, Verwandte, Bekannte) aufgrund des frühen Zeitpunkts noch keine Erfahrung mit der Neuerung gemacht haben. ROGERS und SHOEMAKER (1971) ergänzen: „… Their [die Meinungsführer] dependence upon mass media channels may be a function of their early knowing, rather than their opinion leadership per se.“ AUFERMANN (1971) formuliert daraufhin die Hypothese: „Diejenigen Meinungsführer, die zugleich kennzeichnende Züge von Neuerern oder frühen Übernehmern tragen, werden einen höheren innovationsdienlichen Wissensstand aufweisen als solche Personen, die Neuerungen zu späteren Zeitpunkten übernehmen.“370 Dennoch macht AUFERMANN (1971) keine Aussage über die Bezugsquellen für das „innovationsdienliche Wissen“ des Meinungsführers, genauso wenig wann bzw. unter welchen Umständen ein Meinungsführer Merkmale von Innovatoren oder Frühadoptoren entwickelt. ROBERTSON (1971) erläutert diesbezüglich: „Das Ausmaß der Beziehung zwischen innovatorischer Haltung und Meinungsführung hängt … ab von dem Risiko, das mit der Übernahme eines neuen Produktes verbunden ist, sowie von der Auffälligkeit des Produktes.“371 368
Vgl. Arndt, Johan: A Test of the Two-Step Flow in Diffusion of a New Product, in: Holloway, Robert J.; Mittelstaedt, Robert A., Venkatesan, Meyyappan: Consumer Behavior: Contemporary research in action, (Houghton Mifflin) Boston 1971, S. 235–246, S. 240. 369 Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 96. 370 Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 97. 371 Robertson, Thomas S.: Innovative Behavior and Communication, (Holt, Rinehart and Winston) New York u. a. 1971, S. 105. (zit. nach Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten, 8., akt. und erg. Aufl., (Verlag Franz Vahlen München) München 2003, S. 676).
121
4.3 Der Meinungsführer im Diffusionsprozess
KAAS (1973) vermutet, dass die Normen der modernen Konsumgesellschaft „progressiver, zukunftsorientierter, flexibler sind“ und somit Innovatoren nicht als „Abweichler“, sondern als normenkonform gelten. Sie werden geschätzt und sind damit auch mit hoher Wahrscheinlichkeit Meinungsführer.372 BAUMGARTEN (1975) nennt Individuen, die sowohl Frühadoptoren als auch Meinungsführer sind „innovative communicators“. Die in Tabelle 17 aufgeführten Zahlen bestätigen, dass es zwar Frühadoptoren gibt, die auch Meinungsführer sind (ca. 12,1%), dies aber nicht bei allen der Fall ist. Tabelle 17: Überlappen von Meinungsführerschaft und Frühadoption Degree of opinion leadership
Degree of early adoption Low
Medium
High
Base
Low
54,2 %
33,3 %
15,7 %
(139)
Medium
29,0
41,7
38,2
(142)
High
16,8
25,0
46,1
(108)
Base
100 % (131)
100 % (156)
100 % (102)
Quelle: Baumgarten, Steven A.: The Innovative Communicator in the Diffusion Process, in: Journal of Marketing Research, Vol. 12, February 1975, Issue 1, S. 12–18, S. 14.
SUMMERS (1970) konnte ebenfalls ein Überlappen von „Early Adoption“ und Meinungsführerschaft belegen.373 Weitere Studien dagegen zeigen, dass Meinungsführer oft nicht Frühadoptoren sind, sondern die Marginalen oder Personen, die als Brücken zwischen verschiedenen Netzwerken fungieren. VALENTE und DAVIS (1999) zeigen in einer computerbasierten Simulation einer Diffusionskurve (siehe Abbildung 16, S. 122), wie ein Diffusionsprozess abläuft, wenn Meinungsführer, Marginale oder durch Zufall bestimmte Personen, als Frühadoptoren auftreten. Es zeigte sich, dass Meinungsführer am effektivsten den Adoptionsprozess beeinflussen. Dennoch weisen VALENTE und DAVIS (1999) darauf hin, dass in der Literatur eher die Marginalen als Frühadoptoren identifiziert wurden und somit die Meinungsführer direkt angesprochen werden müssen, um einen optimalen Diffusions- und Adoptionsprozess von Innovationen zu generieren.374 Die aufgeführten Studien suggerieren, dass Meinungsführer als Innovatoren oder Frühadoptoren auftreten können, diese Position im Diffusionsverlauf aber nicht in je372
Vgl. Kaas, Klaus P.: Diffusion und Marketing: Das Konsumentenverhalten bei der Einführung neuer Produkte, (C. E. Poeschel Verlag) Stuttgart 1973, S. 48f. 373 Vgl. Summers, John O.: The Identity of Women’s Clothing Fashion Opinion Leaders, in: Journal of Marketing Research, Vol. 7, 1970, S. 178–185. 374 Vgl. Valente, Thomas W.; Davis, Rebecca L.: Accelerating the Diffusion of Innovations Using Opinion Leaders, in: The Annals of the American Academy of Political and Social Science, Vol. 566, November 1999, S. 55–67, S. 62f.
122
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Abbildung 16: Simulation eines Diffusionsprozesses mit verschiedenen Initialadoptoren Quelle: Valente, Thomas W.; Davis, Rebecca L.: Accelerating the Diffusion of Innovations Using Opinion Leaders, in: The Annals of the American Academy of Political and Social Science, Vol. 566, November 1999, S. 55–67, S. 62.
dem Fall einnehmen. In dem folgenden Kapitel werden Faktoren besprochen, die die Innovationsbereitschaft eines Meinungsführers bedingen und beeinflussen.
4.3.4
Voraussetzungen und beeinflussende Faktoren für die Innovationsbereitschaft eines Meinungsführers
AUFERMANN (1971) betont, dass als grundlegende Voraussetzung für eine mögliche Diffusion von Innovationen gilt, dass „die Innovatoren und frühen Innovationsübernehmer den ihnen ‚kreditierten‘ Spielraum der Nonkonformität nicht überschreiten“375. Dieses Recht wird allerdings nur bei Personen akzeptiert, die aufgrund ihrer für ihre soziale Gruppe maßgeblichen Position und Fähigkeiten geachtet werden und damit Einfluss auf andere haben. Das heißt, dass Meinungsführer in der Rolle als Innovatoren nur einen gewissen Grad an nonkonformen Verhalten zeigen dürfen, damit sie nicht ihre Glaubwürdigkeit und ihr Ansehen als Bezugsperson verlieren. Dennoch muss eine Person zuerst gruppenkonformes Verhalten präsentieren, um in seiner Gruppe als Meinungsführer anerkannt zu werden, bevor er auch Nonkonformität entwickeln kann, um die Normen und Traditionen der Gruppe zu verändern. Dies untermauert AUFERMANN (1971) ferner mit einem Zitat von HOMANS (1960): „Bis zu einem gewissen Punkt gilt der Satz, daß sich ein Mensch umso weniger um die Ein375
Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 90.
4.3 Der Meinungsführer im Diffusionsprozess
123
haltung der Gruppennormen zu kümmern braucht, je sicherer er sich seines Ranges in der Gruppe ist.“376,377 Auch andere Forscher wie ROGERS und SHOEMAKER (1971) oder VISHWANATH (2006) bestätigen diese Abhängigkeit der Innovationsbereitschaft der Meinungsführer von den Normen ihres sozialen Systems und somit auch von den Meinungsfolgern mit empirischen Untersuchungen.378 Ein Beispiel für nonkonformes Verhalten sind Meinungsführer im Bereich Mode, die in ihrem Erscheinungsbild von der Norm abweichen. Sie kleiden und stylen ihre Haare in modischer Hinsicht extremer. Sie zeigen damit ein Verhalten, dass unabhängig von ihrem Umfeld ist. BRETT und KERNALEGUEN (1975) vermuteten, dass diese Nonkonformität eine Reaktion auf die an die Meinungsführer gestellten divergierenden Anforderungen ist.379 Denn laut ROGERS und SHOEMAKERS (1971) müssen sich Meinungsführer innovativ und konform verhalten, um erfolgreich zu sein, wobei sich Konformität und Innovativität widersprechen können.380 Demgegenüber sieht AUFERMANN (1971) ein solches Verhalten nicht als Ergebnis individueller Innovationsbereitschaft, sondern als angepasstes Innovationsverhalten an die situationsspezifischen Erwartungen und die „Normenverträglichkeit“ des sozialen Umfeldes.381 Studien über den Diffusionsablauf fanden sowohl in modernen als auch in traditionellen Sozialsystemen statt. Dieser Normentypus hat Auswirkungen auf die Innovationsbereitschaft eines Meinungsführers, denn dieser ist besonders konform mit 376
Homans, George C.: Theorie der sozialen Gruppe, (Westdeutscher Verlag) Köln u. a. 1960, S. 154 (zit. nach Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 91). 377 Vgl. Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 90f. 378 Vgl. Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A Cross-Cultural Approach, (Free Press) New York u. a. 1971; auch: Vishwanath, Arun: An Examination of the Characteristics of Technology Opinion Leaders and Opinion Seekers, Paper presented at the annual meeting of the International Communication Association, Dresden International Congress Centre, June 16, 2006, S. 6. 379 Vgl. Brett, Joyce E.; Kernaleguen, Anne: Perceptual and Personality Variables Related to Opinion Leadership in Fashion, in: Perceptual and Motor Skills, Vol. 40, 1975, S. 775–779, S. 777f. 380 Vgl. Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A Cross-Cultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 219. 381 Vgl. Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 91.
124
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
den Normen seiner sozialen Gruppe. Je traditioneller ein System ist, desto weniger nehmen Individuen Neuerungen an, desto weniger sind die Meinungsführer innovationsorientiert. Da heute alle westlichen Gesellschaften als moderne Systeme gelten, müssten dort auch alle Meinungsführer innovatorisches Verhalten aufzeigen.382
4.3.5
Ausnahmefall: Diffusion von bedeutenden Nachrichten
Im Unterschied zur Diffusion von Neuheiten (materieller Art) zeichnet sich die Diffusion von Nachrichten über wichtige Geschehnisse durch eine wesentlich kürzere Abwicklung aus.383 Diesbezügliche Studien beschäftigten sich vor allem mit den Kommunikationskanälen, die die Botschaft der Massenmedien verbreiteten. Entsprechend der Studie von DEUTSCHMANN und DANIELSON (1960) kann der interpersonellen Kommunikation insbesondere den Meinungsführern nur eine zweitrangige Bedeutung zugesprochen werden. Die Informationsempfänger beziehen erste Informationen direkt von den Massenmedien (hauptsächlich aus dem Fernsehen) und wenden sich dann in weiteren Gesprächen in der Primärgruppe (z. B. Freunde, Verwandte, Arbeitskollegen usw.) auch an Meinungsführer, von denen sie dann nur zusätzliche Informationen erhalten. Die Autoren sehen deshalb die Relaisfunktion des Meinungsführers als eine ergänzende Funktion, die zeitgleich mit der Verstärkungsfunktion auftritt.384 Eine weitere Studie von HILL und BONJEAN (1964), deren Ergebnisse auch durch andere Studien bestätigt wurden, beschreibt den Zusammenhang des Nachrichtenwertes mit dem Verlauf des Diffusionsprozesses. Im Gegensatz zu DEUTSCHMANN und DANIELSON (1960) behaupten sie, dass ein höherer Nachrichtenwert die interpersonelle Kommunikation begünstigt und den Verbreitungsprozess beschleunigt. Somit ergibt sich ein Widerspruch zwischen den Forschungsergebnissen von DEUTSCHMANN und DANIELSON (1960) und HILL und BONJEAN (1964). Erstere falsifizieren die Zwei-Stufen-Fluss-Hypothese der Kommunikation, während nach HILL und BONJEAN (1964) die Hypothese nur für Nachrichten von geringem und mittlerem Wert nicht zu gelten scheint. Die Arbeit von GREENBERG (1964) nimmt 382
Vgl. Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A CrossCultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 219; auch: Menzel, Herbert; Katz, Elihu: Social Relations and Innovation in the Medical Profession: The Epidemiology of a New Drug, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 19, 1955, Issue 4, S. 337–352; Kaas, Klaus P.: Diffusion und Marketing: Das Konsumentenverhalten bei der Einführung neuer Produkte, (C. E. Poeschel Verlag) Stuttgart 1973, S. 48f. 383 Vgl. Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 33. 384 Vgl. Deutschmann, Paul J.; Danielson, Wayne A.: Diffusion of Knowledge of the Major News Story, in: Journalism Quarterly, Vol. 37, Summer 1960, S. 345–355.
4.3 Der Meinungsführer im Diffusionsprozess
125
eine Vermittlerposition ein, da sie der interpersonellen Kommunikation eine primäre Rolle im Diffusionsprozess zuordnet, wenn die Nachrichten entweder die maximale oder die minimale Aufmerksamkeit der Rezipienten wecken. 385 Eine Reihe von Studien vergleicht die Mediennutzung in Bezug auf Geschehnisse zu unterschiedlichen Tageszeiten und folgert, dass auch die Tageszeit bestimmt, welches Medium als erste Informationsquelle dient. Je später am Abend, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass interpersonelle Kommunikation als erste Informationsquelle genutzt wird.386 SCHENK (2007) bespricht die Ergebnisse der bisherigen empirischen Untersuchungen zum Nachrichten-Diffusionsprozess und kommt zu dem Schluss, dass die ZweiStufen-Fluss-Hypothese aus heutiger Sicht „für den Prozess der Informationsübertragung kaum noch praktische Relevanz“387 hat. Die Rezipienten nutzen vor allem die Massenmedien (speziell das Fernsehen) zur ersten Informationsbeschaffung.388 NOELLE-NEUMANN und PETERSEN (2005b) berichteten ähnlich wie bereits DEUTSCHMANN und DANIELSON (1960), dass der Zwei-Stufen-Fluss der Informationen von den Massenmedien (hier Fernsehen) über die Meinungsführer an die anderen Rezipienten dann aussetzt, wenn die Botschaften von großer Relevanz sind. In dem Fall erreichen diese Nachrichten die Rezipienten direkt über das Fernsehen, auch wenn sie eher Unterhaltungsprogramme bevorzugen. Andernfalls beziehen Individuen ihre Informationen von den Meinungsführern.389 385
Vgl. Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 35; auch: Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 361ff.; Greenberg, Bradley S.: Person-to-Person Communication in the Diffusion of News Events, in: Journalism Quarterly, Vol. 41, 1964, S. 489–494. 386 Vgl. Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 35; auch: Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 361ff. 387 Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 361. 388 Vgl. Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 366. 389 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth; Petersen, Thomas: Verlorene Meinungsführerschaft: Wie das Fernsehen die Rolle der persönlichen Kommunikation im Wahlkampf verändert, in: Noelle-Neumann, Elisabeth; Donsbach, Wolfgang; Kepplinger, Hans M.: Wählerstimmungen in der Mediendemokratie: Analysen auf der Basis des Bundestagswahlkampfs 2002, (Verlag Karl Alber Freiburg) München 2005b, S. 164–186, S. 183f.; auch: Petersen, Thomas: A Failing Tool or Changing Society? The Validity of the “Strength-of-Personality Scale” and the Role of Opinion Leaders in the 2002 German Federal Election, Paper presented at the 60th annual meeting of the American Association For Public Opinion Association (AAPOR), Fontainebleau Resort, Miami Beach, Florida, 2005, S. 1–29.
126
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Essenz # 21: Der Meinungsführer nimmt eine bedeutende Rolle in der Einführungsphase des Diffusions- und Adaptionsprozesses. Initial erregen vorwiegend die massenmedialen Kommunikationskanäle die Aufmerksamkeit der Konsumenten bezüglich einer Innovation, währenddessen die Meinungsführer bei der Bewertung des Produktes bzw. der Dienstleistung aufgrund ihrer Kompetenzen maßgeblich sind. Dennoch beziehen nicht alle Meinungsführer ihr Wissen explizit aus frühen eigenen Produkterfahrungen, sondern auch aus formellen Quellen (z. B. Fachzeitschriften) oder Erfahrungsberichten anderen persönlichen Kontakten. Meinungsführer können somit zwar als Frühadoptoren bzw. Innovatoren auftreten, sind aber nicht in jedem Fall mit diesen Adoptionstypen gleichzusetzen.
4.4
Merkmale von Meinungsführern
4.4.1
Einführung
Bestände die Möglichkeit, Meinungsführer anhand bestimmter Merkmale von den Meinungsfolgern zu differenzieren, wäre dies sehr hilfreich für die Identifizierung von Meinungsführern in der Population und deren gezielte Ansprache zur Verbreitung neuer Informationen, Produkte etc. Zahlreiche Studien in den Bereichen Fashion, Politik und öffentliche Angelegenheiten, Konsumgüter, Familienplanung und Gesundheit sowie Kapitalgüter beschäftigten sich deshalb mit dieser Aufgabe. KATZ (1957) schlussfolgerte aus seiner Literaturbesprechung, dass Meinungsführerschaft von dem Thema abhängig ist, zu dem Einfluss ausgeübt wird. Dies bestimmt, wer Meinungsführer ist und wer dessen Rat folgt.390 Dies lässt vermuten, dass die Merkmale der Meinungsführer eher themenspezifisch ausgeprägt und nicht verallgemeinerungsfähig sind. Dennoch wurden Forschungsergebnisse diesbezüglich immer wieder miteinander verglichen und allgemeine Tendenzen bzw. Schlüsselmerkmale aufgezeigt. Allerdings scheinen diese nicht ausreichend zu sein, um Meinungsführer anhand dieser Merkmale zweifelsfrei zu isolieren.391 390
Vgl. Katz, Elihu: The Two-Step Flow of Communications: An Up-To-Date Report on an Hypothesis, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 21, 1957, Issue 1, S. 61–78, S. 73; auch: Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 73. 391 Vgl. Koeppler, Karlfritz: Opinion leaders: Merkmale und Wirkung, Schriftenreihe der Verlagsgruppe Bauer, Band 18; (Bauer) Hamburg 1984, S. 45f.
4.4 Merkmale von Meinungsführern
127
In der Literatur bestehen unterschiedliche Meinungen, welche der Schlüsselmerkmale Meinungsführer von anderen unterscheiden: der Einfluss392, das Wissen393 oder die Informationsverbreitung394. Die meisten Autoren allerdings differenzieren Meinungsführer von Nicht-Meinungsführern anhand einer Kombination aus Wissen bzw. Erfahrung und Einflussreichtum.395 Dennoch wurde versucht, die Meinungsführer genauer zu charakterisieren. Die bisher in der Literatur untersuchten möglichen Erkennungszeichen (demografische Merkmale, sozioökonomischer Status, Verhaltensweisen und Einstellungen) von Meinungsführern sollen im Folgenden vorgestellt und mögliche allgemeine Konstellationen anhand beispielhaft genannter Forschungsarbeiten dargelegt werden.
4.4.2
Demografische Merkmale und sozioökonomischer Status
Die am häufigsten untersuchten Merkmale von Meinungsführern, die vergleichsweise leicht durch empirische Untersuchungen erhoben werden können, sind demografische Variablen sowie der sozioökonomische Status. Obwohl in der Literatur die Meinung vertreten wird, dass die Meinungsführerschaft weitestgehend unabhängig ist von demografischen Merkmalen, so gibt es doch vereinzelt Studien, die in bestimmten Bereichen genauere Aussagen bezüglich demografischer Merkmale treffen.396 Die Decatur-Studie beispielsweise stellte eine höhere Anzahl von Meinungsführern zum Thema „Marketing“ (Konsumfragen) unter älteren Frauen mit großen Familien fest. Zum Thema „Mode“ und „Kinofilme“ bezog sich dies eher auf junge, unverheiratete Frauen (unter 35 Jahre alt).397 Auch SUMMERS (1970) sowie HIRSCHMAN und ADCOCK (1978) ermittelten, dass Meinungsführer im Modebereich jünger
392
Vgl. Engel, James F.; Blackwell, Roger D.: Consumer Behavior, 4th Ed., (The Dryden Press) Hinsdale, Illinois 1982; auch: Rogers, Everett M.: Diffusion of Innovations, 5th Ed., (The Free Press) New York u. a. 2003, S. 300ff. 393 Vgl. Assael, Henry: Consumer Behavior and Marketing Action, 2. Ed., (Kent Publishing Company) Boston 1984, S. 413. 394 Vgl. Hawkins, Del I.; Roger, J. Best; Coney, Kenneth A.: Consumer Behavior: Implications for Marketing Strategy, (Business Publications, Inc.) Plano, Texas 1983, S. 129. 395 Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 84. 396 Vgl. Fahr, Andreas; Brosius, Hans-Bernd: Meinungsführer und der Zwei-Stufen-Fluss der Kommunikation, in: von Rosenstiel, Lutz (Hrsg.): Marktpsychologie, Themenbereich D, Serie III, Bd. 5 der Schriftenreihe Enzyklopädie der Psychologie, (Hogrefe, Verlag für Psychologie) Göttingen u. a. 2007, S. 509–531, S. 517. 397 Vgl. Katz, Elihu; Lazarsfeld, Paul F.: Personal Influence: The Part Played by People in the Flow of Mass Communication, (Free Press) Glencoe, Illinois 1955, S. 240ff.
128
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
sind als die Nicht-Meinungsführer.398 CARTER und CLARKE (1962), EURICH (1977) wie auch ANDERSEN und GARRISON (1978) stellten in ihren Studien fest, dass in der Thematik öffentliche Angelegenheiten und Politik vor allem Männer Meinungsführer sind. Anzumerken ist hierbei, dass zu der damaligen Zeit als diese Studien durchgeführt wurden, die Männer eine dominante Stellung im öffentlichen und beruflichen Milieu innehatten und die Frauen ihren Aufgabenbereich im Vergleich zur Gegenwart in einem höheren Maße im Haushalt sahen. Später fanden SHAH und SCHEUFELE (2006) dagegen keine geschlechtsspezifische Dominanz in der politischen Meinungsführerschaft.399 Die Ergebnisse der vorgenannten Studien suggerieren dennoch, dass das Interesse an bestimmten Themen geschlechts- und/oder altersspezifisch ist. Das Interesse bzw. das Involvement ist die Grundlage für eine Meinungsführerschaft. Beispielsweise sind Männer vermutlich eher an Motorsport interessiert als Frauen. Es könnte daher erwartet werden, dass die Zahl der männlichen Meinungsführer diesbezüglich höher ist als die der weiblichen Meinungsführer.400 Studien im Bereich Politik und öffentliche Angelegenheiten konnten Meinungsführern einen bestimmten sozioökonomischen Status nachweisen. So besitzen Meinungsführer bezüglich dieses Einflussbereiches eine bessere Bildung und beziehen ein höheres Einkommen als die Nicht-Meinungsführer.401 In diesem Fall wurden auch 398
Vgl. Summers, John O.: The Identity of Women’s Clothing Fashion Opinion Leaders, in: Journal of Marketing Research, Vol. 7, May 1970, S. 178–185; auch: Hirschman, Elizabeth C.; Adcock, William O.: An Examination of Innovative Communicators, Opinion Leaders and Innovators for Men’s Fashion Apparel, in: Advances in Consumer Research, Vol. 5, 1978, Issue 1, S. 308–314. 399 Vgl. Carter Jr., Roy E.; Clarke, Peter: Public Affairs Opinion Leadership among Educational Television Viewers, in: American Sociological Review, Vol. 27, 1962, S. 792–799, S. 794; auch: Eurich, Claus: Beeinflussungsstrategien zur Weiterentwicklung des Meinungsführerkonzepts, in: Zeitschrift für Markt-, Meinungs- und Zukunftsforschung, Bd. 20, 1977, Nr. 1/2, S. 4285–4299, S. 4288; auch: Andersen, Peter A.; Garrison, John P.: Media Consumption and Population Characteristics of Political Opinion Leaders, in: Communication Quarterly, Vol. 26, Summer 1978, Issue 3, S. 40–50, S. 45; auch: Shah, Dhavan V.; Scheufele, Dietram A.: Explicating Opinion Leadership: Nonpolitical Dispositions, Information Consumption, and Civic Participation, in: Political Communication, Vol. 23, 2006, Issue 1, S. 1–22, S. 8. 400 Vgl. Katz, Elihu: The Two-Step Flow of Communications: An Up-To-Date Report on an Hypothesis, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 21, 1957, Issue 1, S. 61–78, S. 73; auch: Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 355. 401 Vgl. Lazarsfeld, Paul F.; Berelson, Bernhard; Gaudet, Hazel: The People’s Choice: How the Voter Makes up his Mind in a Presidential Campaign, 3. Ed., (Columbia University Press) New York u. a. 1968; auch: Berelson, Bernard R.; Lazarsfeld, Paul F.; McPhee, William N.: Voting: A Study of Opinion Formation in a Presidential Campaign, (University of Chicago Press) Chicago 1954, S. 111ff.; auch: Carter Jr., Roy E.; Clarke, Peter: Public Affairs Opinion Leadership among Educational Television Viewers, in: American Sociological Review, Vol. 27, 1962, S. 792–799, S. 794.
4.4 Merkmale von Meinungsführern
129
positive Korrelationen zwischen dem sozioökonomischen Status, dem Bildungsniveau und weiteren Kennzeichen einer Meinungsführerschaft wie höheres Interesse an politischen Problemstellungen und intensivere Mediennutzung festgestellt.402 TROHLDAHL und VAN DAM (1965b), KINGDON (1970) sowie MYERS und ROBERTSON (1972) dagegen fanden nur schwache oder keine Korrelationen zwischen Meinungsführerschaft und sozialem bzw. beruflichem Status, Bildung und Einkommen.403 SCHENK, TSCHOERTNER und JERS (2006) konnten in einer repräsentativen Umfrage ein genaues Profil von Finanz-Meinungsführern in Deutschland, die im persönlichen Umfeld agieren, gewinnen. Demnach sind diese Personen tendenziell männlich, mittleren Alters (25–49 Jahre alt) überdurchschnittlich hoch gebildet und verfügen aufgrund ihrer Vollzeitstelle über ein höheres Einkommen (Besserverdiener). Häufig haben sie auch im Beruf mit Geld und Finanzen zu tun. Diese recht eindeutige Profilierung kann dem Themenbereich Finanzen zugeschrieben werden. Personen mit höherem Einkommen können im größeren Maße Finanzdienstleistungen nutzen und sind daher diesbezüglich interessierter. Aufgrund von Traditionen und oft noch klassischen Aufgabenverteilungen in der Partnerschaft haben Männer einen größeren Bezug zu Geld und Finanzen.404 Diese genaue Charakterisierung hinsichtlich demografischer Variablen und sozioökonomischem Status scheint aber ein Einzelfall zu sein. Die obigen Ausführungen lassen den Schluss zu, dass es ein allgemeingültiges Profil eines Meinungsführers hinsichtlich demografischer Merkmale nicht gibt. Zwar wurden vereinzelt geschlechtsspezifische und alters- bzw. lebenszyklusspezifische Tendenzen für Meinungsführerschaft bezüglich eines Themas festgestellt, aber andere Faktoren scheinen wesentlicher zu sein: Personifikation von Werten (wer man ist), Kompetenz (was man weiß) und die strategische soziale Position (wen man kennt). Dabei beschreibt der letzte Faktor, wen man innerhalb einer sozialen Gruppe und wen man außerhalb dieser Gruppe kennt.405 Die Diskussion bezüglich der demografi402
Vgl. Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 52–56; auch: Carter Jr., Roy E.; Clarke, Peter: Public Affairs Opinion Leadership among Educational Television Viewers, in: American Sociological Review, Vol. 27, 1962, S. 792–799. 403 Vgl. Troldahl, Verling C.; van Dam, Robert: Face to Face Communication about Major Topics in the News, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 29, 1965b, S. 626–634; auch: Kingdon, John W.: Opinion Leaders in the Electorate, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 34, 1970, S. 256–261; auch: Myers, James H.; Robertson, Thomas S.: Dimension of Opinion Leadership, in: Journal of Marketing Research, Vol. 9, February 1972, S. 41–46. 404 Vgl. Schenk, Michael; Tschoertner, Anke; Jers, Cornelia: Die informellen Finanz-Ratgeber: Das Profil der Meinungsführer im Bereich Finanzdienstleistungen und ihr Einflusspotenzial, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 52, 2006, Heft 3, S. 265–287, S. 270f.; auch: Schenk, Michael: Finanz-Meinungsführer, (SPIEGEL-Verlag) Hamburg 2006, S. 89ff. 405 Vgl. Katz, Elihu: The Two-Step Flow of Communications: An Up-To-Date Report on an Hypothesis, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 21, 1957, Issue 1, S. 61–78, S. 73.
130
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
schen Merkmale und des sozioökonomischen Status des Meinungsführers besteht seit der Entdeckung dieser Position im Kommunikationsgeschehen. Auch EURICH (1976) merkt an, dass „übergreifende allgemeine Merkmale von Meinungsführerschaft … sich nur in bezug auf Punkte wie Fachwissen, Soziabilität, Kommunikabilität und Gruppenkonformität herausstellen [lassen].“406 Auf diese Faktoren wird in den folgenden Abschnitten eingegangen.
4.4.3
Soziale Kompetenz, Aktivität und Engagement
BEBA (1988) konstatiert, dass „das Ausmaß sozialer Interaktion und das Ausmaß der sozialen Integration Wirkungsdeterminanten von Meinungsführerschaft sind.“407 Meinungsführer verfügen über ein großes soziales Netzwerk. Der Grad der Vernetzung mit anderen Personen scheint eine größere Wirkung auf das Ausmaß der Meinungsführerschaft zu haben als andere Faktoren. ROGERS und SHOEMAKER (1971) generalisieren, dass Meinungsführer sozial aktiver als Nicht-Meinungsführer sind, d. h. sie sind für ihre Meinungsfolger leicht erreichbar bzw. präsent.408 Studien wie die von REYNOLDS und DARDEN (1971), SUMMERS (1970) sowie SCHRANK UND GILMORE (1973) im Modebereich, NOELLE-NEUMANN (1985) über Persönlichkeitsstarke sowie ARMSTRONG und FELDMANN (1976) im Konsumgüterbereich bestätigen durch empirische Daten, dass Meinungsführer mehr soziale Kontakte haben und sie intensiv pflegen.409 406
Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 51. 407 Beba, Werner: Die Bedeutung der interpersonellen Kommunikation: Wandlung des Meinungsführerkonzepts, Arbeitspapier Nr. 24 des Instituts für Marketing, Universität der Bundeswehr Hamburg 1988, S. 22. 408 Vgl. Katz, Elihu: The Two-Step Flow of Communications: An Up-To-Date Report on an Hypothesis, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 21, 1957, Issue 1, S. 61–78, S. 71; auch: Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A Cross-Cultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 218. 409 Vgl. Reynolds, Fred D.; Darden, William R.: Mutually Adaptive Effects of Interpersonal Communication, in: Journal of Marketing Research, Vol. 8, November 1971, S. 449–454, S. 450; auch: Summers, John O.: The Identity of Women’s Clothing Fashion Opinion Leaders, in: Journal of Marketing Research, Vol. 7, May 1970, S. 178–185, S. 180; auch: Reynolds, Fred D.; Darden, William R.: Mutually Adaptive Effects of Interpersonal Communication, in: Journal of Marketing Research, Vol. 8, November 1971, S. 449–454, S. 450; auch: Schrank, Holly L.; Gilmore, D. Lois: Correlates of Fashion Leadership: Implications for Fashion Process Theory, in: Socialogical Quarterly, Vol. 14, Autumn 1973, S. 534–543; auch: Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171; auch: Armstrong, Gary M.; Feldman, Laurence P.: Exposure and Sources of Opinion Leaders, in: Journal of Advertising Research, Vol. 16, August 1976, Issue 4, S. 21–27, S. 25.
4.4 Merkmale von Meinungsführern
131
SCHENK (1995), der eine Netzwerkanalyse durchführte, schrieb dem Netzwerk der Meinungsführer einen gewissen Grad an Heterogenität zu. Dies spiegelt sich im höheren Bildungsstand der Meinungsführer und in der Unterschiedlichkeit ihrer Kontakte wider. Deswegen sieht auch er bezüglich politischer Themen ein „Statusgefälle“ zwischen Meinungsführern und Meinungsempfängern. Dies ist auch in anderen Studien bestätigt worden (siehe Kapitel 4.4.9). Des Weiteren beschreibt SCHENK (1995) die Netzwerke als „weniger dicht, nach außen offener“410, was durch die Netzwerkgröße bedingt ist. Gegenüber einer früheren Arbeit von SCHENK (1985) (siehe auch Kapitel 3.7) konnte den Meinungsführern kein höherer Anteil an schwachen Beziehungen nachgewiesen werden. Sowohl Meinungsführer als auch Meinungsempfänger haben überwiegend „stark-intensive und komplexe“411 Verbindungen.412 BURT (1999) und ROCH (2005) bezeichnen den Aspekt als „social capital“, welcher dem Meinungsführer aufgrund interner und externer Kontakte eine Schlüsselrolle im Informationsfluss zukommen lässt. Der Meinungsführer verfügt demnach über Kontakte, wie kein anderer, die als Brücken zwischen Netzwerken auftreten und dem Meinungsführer auch einen Informationsvorsprung verschaffen können. Damit ist Meinungsführerschaft auch von der sozialen Umgebung abhängig.413 Wie in Kapitel 4.4.2 bereits erwähnt, bestimmt unter anderem die soziale Position, d. h. wen man kennt, ob nun innerhalb oder außerhalb der Primärgruppe, den Grad der Meinungsführerschaft. Die Elmira-Studie und die Decatur-Studie zeigten, dass Männer eher Meinungsführer in Sachen Politik sind, weil sie mehr Möglichkeiten zu Kontakten außerhalb der Primärgruppe haben, z. B. durch Mitgliedschaften in Vereinen.414 Auch wenn heute nicht nur Männer an Politik interessiert sind, Zugang zu politischen Organisationen haben etc., so zeigt das Beispiel doch, dass externe Kontakte die Meinungsführerschaft fördern. ROGERS und SHOEMAKER (1971) argumentieren, dass Meinungsführer durch externe Kontakte dazu beitragen, dass neue Ideen bzw. Erkenntnisse in ihr soziales System vordringen und damit ihre Kompetenz konsolidieren.415 410
Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995, S. 167. 411 Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995, S. 167. 412 Vgl. Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995, S. 167f. 413 Vgl. Burt, Ronald S.: The Social Capital of Opinion Leaders, in: Annals of the American Academy of Political and Social Science, Vol. 566, November 1999, S. 37–54; auch: Roch, Christine H.: The Dual Roots of Opinion Leadership, in: The Journal of Politics, Vol. 67, February 2005, Issue 1, S. 110–131. 414 Vgl. Katz, Elihu: The Two-Step Flow of Communications: An Up-To-Date Report on an Hypothesis, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 21, 1957, Issue 1, S. 61–78, S. 75. 415 Vgl. Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A CrossCultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 218.
132
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Meinungsführer weisen demnach einen höheren Grad an Geselligkeit auf als andere. Unter anderem stellten LAZARSFELD et al. (1944), MERTON (1949) und SUMMERS (1970) fest, dass Meinungsführer eine höhere Anzahl von Mitgliedschaften in Vereinen und Organisation vorweisen können als Nicht-Meinungsführer.416 CARTER und CLARKE (1962) wie auch MYERS und ROBERTSON (1972) dagegen fanden keinen Unterschied im Grad der aktiven Beteiligung in sozialen Organisationen und Häufigkeit der sozialen Interaktion zwischen „high opinion leaders“ und „low opinion leaders“. Dennoch bestätigte sich eine höhere Teilnahme an kulturellen Aktivitäten, wie z. B. öffentliche Lesungen, Bühnenshows, Konzerte und Opern.417
4.4.4
Involvement, Informationssuche und Informationsquellen der Meinungsführer
Meinungsführer interessieren sich verstärkt für einen bestimmten Themenbereich und sind daher involvierter als andere. Sie suchen aufgrund ihres hohen Involvements aktiv nach Informationen bezüglich ihres Interessenbereiches, d. h. ihre Suche verläuft systematischer und gründlicher. Die Informationsverarbeitung erfolgt tiefer als bei geringer Involvierten.418 BLOCH, SHERRELL and RIDGWAY (1986) beispielsweise konnten einen starken Zusammenhang von Meinungsführung und anhaltender Informationssuche in den Bereichen Kleidung und Computer nachweisen. Der Term „anhaltende Informationssuche“ umfasst Suchaktivitäten, die nicht nur in Verbindung mit einer einzelnen Kaufabsicht stehen und somit nicht unmittelbar der Lösung eines Entscheidungsproblems dienen. Sie können aber zu Impulskäufen führen. Anhaltendes (enduring) Involvement ist Grundvoraussetzung für eine anhaltende Informationssuche. Motive für eine anhaltende Informationssuche werden in der Weitergabe der gesammelten Informationen an andere und in der Suche für den Eigenbedarf gesehen. Weiterhin werden hedonistische und der Erholung dienende Motive vermutet (siehe Kapitel 4.1.3).419 416
Vgl. Merton, Robert K.: Patterns of Influence: A Study of Interpersonal Influence and Communications Behavior in a Local Community, in: Lazarsfeld, Paul F.; Stanton, Frank N. (Hrsg.): Communications Research, (Harper and Brothers) New York 1949, S. 180–219, S. 195. 417 Vgl. Carter Jr., Roy E.; Clarke, Peter: Public Affairs Opinion Leadership among Educational Television Viewers, in: American Sociological Review, Vol. 27, 1962, S. 792–799, S. 798. 418 Vgl. Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 383. 419 Vgl. Bloch, Peter H.; Sherell, Daniel L.; Ridgway, Nancy M.: Consumer Search: An Extended Framework, in: Journal of Consumer Research, Vol. 13, June 1986, Issue 1, S. 119–126, S. 120ff.; auch: Venkatraman, Meera P.: Opinion Leadership, Enduring Involvement and Characteristics of Opinion Leaders: A Moderating or Mediating Relationship?, in: Advances in Consumer Research, Vol. 17, 1990, Issue 1, S. 60–67, S. 64.
4.4 Merkmale von Meinungsführern
133
Bereits MERTON (1949) stellte fest, dass Meinungsführer Informationen aus Zeitungen zum Austausch mit anderen nutzen („public function“), um damit Prestige zu erwerben, anders als die breite Masse, die die Informationen nur zum privaten Vergnügen konsumiert („personal function“).420 Aber auch persönliche Quellen beziehen sie in ihre Informationssuche mit ein. Meinungsführer tauschen auch Informationen mit anderen Meinungsführern aus und werden von diesen beeinflusst.421 Meinungsführer konzentrieren sich bei der Informationssuche auf Inhalte, die relevant für ihre sozialen Bezugsverhältnisse, d. h. für ihre soziale Gruppe sind.422 Daraus lässt sich schließen, dass der Meinungsbildungsprozess der Meinungsführer unter Einbeziehung von Informationen aus den Massenmedien und persönlichen Kontakten erfolgt. ARMSTRONG UND FELDMAN (1976) zeigen, dass Meinungsführer zum Thema Autos ihre Produktinformationen vorrangig aus objektiveren Quellen (Magazine) beziehen, während Nicht-Meinungsführer dazu eher auf subjektive Kommunikationskanäle (Freunde) zurückgreifen.423 Fast alle Studien bestätigen, dass Meinungsführer Massenmedien, vor allem themenspezifische Medien, intensiver zur Informationsbeschaffung nutzen als andere.424 Dennoch gibt es Ausnahmen, die eine Mediennutzung im gleichen Umfang wie die Nicht-Meinungsführer oder sogar eine geringere feststellten. Dies gilt für die Studien, wie beispielsweise von TROLDAHL und VAN DAM (1965b) oder von ROBINSON (1976), die eine Differenzierung nach Meinungsführer, Meinungssucher und Inakti420
Vgl. Merton, Robert K.: Patterns of Influence: A Study of Interpersonal Influence and Communications Behavior in a Local Community, in: Lazarsfeld, Paul F.; Stanton, Frank N. (Hrsg.): Communications Research, (Harper and Brothers) New York 1949, S. 180–219, S. 186. 421 Vgl. Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97; auch: Higie, Robin A.; Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: Types and Amount of Word-of-Mouth Communications about Retailers, in: Journal of Retailing, Vol. 63, Fall 1987, S. 260–278. 422 Vgl. Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 71. 423 Vgl. Armstrong, Gary M.; Feldman, Laurence P.: Exposure and Sources of Opinion Leaders, in: Journal of Advertising Research, Vol. 16, August 1976, Issue 4, S. 21–27, S. 25. 424 Vgl. Katz, Elihu: The Two-Step Flow of Communications: An Up-To-Date Report on an Hypothesis, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 21, 1957, Issue 1, S. 61–78, S. 75f.; auch: Katz, Elihu; Lazarsfeld, Paul F.: Personal Influence: The Part Played by People in the Flow of Mass Communication, (Free Press) Glencoe, Illinois 1955, S. 309ff.; auch: Rogers, Everett M.; Cartano, David G.: Methods of Measuring Opinion Leadership, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 26, 1962, S. 435–441; auch: Summers, John O.: The Identity of Women’s Clothing Fashion Opinion Leaders, in: Journal of Marketing Research, Vol. 7, May 1970, S. 178–185, S. 182; auch: Kaas, Klaus P.: Diffusion und Marketing: Das Konsumentenverhalten bei der Einführung neuer Produkte, (C. E. Poeschel Verlag) Stuttgart 1973, S. 45.
134
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
ven vornehmen (siehe Kapitel 4.1.7). Die Forscher behaupten, dass die Unterschiede in der Mediennutzung zwischen Meinungsführern und den anderen Personen auf die Inaktiven zurückgehen, die in vielen Studien einfach mit den Meinungssuchenden zusammen betrachtet wurden.425 ARMSTRONG und FELDMAN (1976) und SUMMERS (1970) sagen aus, dass Meinungsführer mehr Zeitungen sowie Magazine lesen und genauso viel Zeit für Radiohören und Fernsehen verwenden.426 Zu beachten ist, dass sich der Medienkonsum aufgrund technologischer Neuerungen wandelt. NOELLE-NEUMANN und PETERSEN (2005b) beobachteten diese Veränderungen in Deutschland. Anfangs nutzten Meinungsführer bzw. Persönlichkeitsstarke das Fernsehen häufiger als andere Personen. Dann konnte ein gleich hoher Konsum von Fernsehen in allen Personengruppen festgestellt werden. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts zeigen Meinungsführer einen signifikant niedrigeren Fernsehkonsum als andere.427 SCHENK, TSCHOERTNER und JERS (2006) weisen darauf hin, dass sich das relativ neue Medium Internet bei der Informationsbeschaffung der Finanz-Meinungsführer noch vor den Printmedien positioniert. Dieser Aspekt könnte für alle Meinungsführer vermutet werden in Anbetracht der weiten Verbreitung und Integration des Internets in den Alltag. NISBET (2006) führt dazu an, dass das Internet und die Zeitungen vornehmlich als Informationsquellen dienen, weil deren Format und Inhalt dem Informationssuchverhalten der Meinungsführer entsprechen.428 425
Vgl. Troldahl, Verling C.; van Dam, Robert: Face to Face Communication about Major Topics in the News, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 29, 1965b, S. 626–634, S. 630ff.; auch: Troldahl, Verling C.: A Field Test of a Modified “Two-Step Flow of Communication” Model, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 30, 1966, Issue 4, S. 609–623; auch: Nicosia, Francesco M.: Opinion Leadership and the Flow of Communication: Some Problems and Prospects, Paper presented at the Education Conference of the American Marketing Association 1964 in Chicago, Illinois, in: American Marketing Association (Hrsg.): Reflection on Progress in Marketing, Chicago, Illinois 1964, S. 340–358, S. 349. 426 Vgl. Armstrong, Gary M.; Feldman, Laurence P.: Exposure and Sources of Opinion Leaders, in: Journal of Advertising Research, Vol. 16, August 1976, Issue 4, S. 21–27, S. 24; auch: Summers, John O.: The Identity of Women’s Clothing Fashion Opinion Leaders, in: Journal of Marketing Research, Vol. 7, May 1970, S. 178–185, S. 181f. 427 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth; Petersen, Thomas: Verlorene Meinungsführerschaft: Wie das Fernsehen die Rolle der persönlichen Kommunikation im Wahlkampf verändert, in: Noelle-Neumann, Elisabeth; Donsbach, Wolfgang; Kepplinger, Hans M.: Wählerstimmungen in der Mediendemokratie: Analysen auf der Basis des Bundestagswahlkampfs 2002, (Verlag Karl Alber Freiburg) München 2005b, S. 164–186. 428 Vgl. Tschoertner, Anke C.; Jers, Cornelia; Schenk, Michael: Are All Opinion Leaders Opinion Givers? Are All Opinion Givers Opinion Leaders?: A Clarification of Constructs Based on Empirical Data, Paper presented on the annual meeting of the International Communication Association in Dresden, June 19–23, 2006, S. 1–37, S. 12; auch: Nisbet, Erik C.: The Engagement Model of Opinion Leadership: Testing Validitiy within a European Context, in: International Journal of Public Opinion Research, Vol. 18, 2007, Issue 1, S. 3–30, S. 11.
135
4.4 Merkmale von Meinungsführern
Meinungsführer bevorzugen vorwiegend sachliche Berichterstattungen, während sich die übrige Bevölkerung überwiegend Unterhaltungsprogrammen zuwendet.429 Ähnlich betont SCHENK (1995), dass nicht die Quantität, sondern die Qualität der Mediennutzung Meinungsführer von anderen unterscheidet.430 Die folgenden Abbildungen stellen den Medienkonsum der Persönlichkeitsstarken auf Basis der Ergebnisse der Allensbacher Medienanalyse von 2006 dar. Das Institut
1–2 über dem Durchschnitt
3–5 Durchschnitt
6–7 unter dem Durchschnitt
100%
80%
60%
40%
20%
Uni Spiegel
Unicum
Bild der Frau
Elle
Geo
Börse Online
ADAC motorwelt
Ökotest
Die Zeit
Welt am Sonntag
Süddeutsche Zeitung
Frankfurter Allgemeine
Der Spiegel
Focus
Super Illu
Bild
Bild am Sonntag
0%
Abbildung 17: Medienkonsum in Deutschland: Zeitungen, Magazine, Fachzeitschriften Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Institut für Demoskopie Allensbach, Gesellschaft zum Studium der öffentlichen Meinung mbH (Hrsg.): AWA 2006: Allensbacher Marktanalyse, Werbeträgeranalyse: Kurzbericht Medien, (Institut für Demoskopie) Allensbach am Bodensee 2006. 429
Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth; Petersen, Thomas: Verlorene Meinungsführerschaft: Wie das Fernsehen die Rolle der persönlichen Kommunikation im Wahlkampf verändert, in: Noelle-Neumann, Elisabeth; Donsbach, Wolfgang; Kepplinger, Hans M.: Wählerstimmungen in der Mediendemokratie: Analysen auf der Basis des Bundestagswahlkampfs 2002, (Verlag Karl Alber Freiburg) München 2005b, S. 164–186, S. 178ff. 430 Vgl, Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995, S. 167f.
136
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
für Demoskopie Allensbach erhebt jährlich die Konsumgewohnheiten und die Mediennutzung der deutschen Bevölkerung (ab 14 Jahren). Sie nutzen die Skala der „Persönlichkeitsstärke“ von NOELLE-NEUMANN, um die Befragten anhand des Grades ihrer Meinungsführerschaft in sieben Gruppen einzuteilen. Die Gruppen 1–2 zeigen überdurchschnittliche Meinungsführerschaft, die Gruppen 3–5 weisen einen durchschnittlichen Grad an Meinungsführerschaft auf und die Gruppen 6–7 sind im unterdurchschnittlichen Maße Meinungsführer.431 Die Abbildung 17 (s. S. 135) verdeutlicht, dass Personen mit einem hohen Grad an Meinungsführerschaft vor allem spezifische Medien für ihren Informationsbedarf nutzen, während die Medien den Personen mit geringer Ausprägung von Meinungsführerschaft eher als Unterhaltung dienen. Dementsprechend steigt der prozentuale Anteil der Konsumenten von Zeitungen und Magazinen mit eher unterhaltsamen Inhalten wie beispielsweise „Bild am Sonntag“, „Bild“, „Bild der Frau“ mit sinkendem Maß an Meinungsführerschaft. Die Personen mit hohem Grad an Meinungsführerschaft bevorzugen Zeitungen und Zeitschriften mit sachlichen Berichterstattungen, z. B. „Focus“, „Der Spiegel“, „Frankfurter Allgemeine“, „Süddeutsche Zeitung“. Auch zeigt die Abbildung 17 eine steigende Tendenz an Konsum von fachspezifischen Zeitschriften (z. B. „Geo“, „ADAC motorwelt“) mit steigender Ausprägung von Meinungsführerschaft. Der ungleiche Konsum der Zeitschrift „Ökotest“ bildet das Interesse der Meinungsführer an verbraucherrelevanten Produktinformationen ab. Der höhere Konsum der „Börse Online“ bzw. der „Elle“ von Personen mit überdurchschnittlichem Grad an Meinungsführerschaft könnte einen Hinweis auf FinanzMeinungsführer bzw. Mode-Meinungsführer (Fashion Leaders) darstellen. In Abbildung 18 wird noch einmal deutlich, dass Meinungsführer weniger das Fernsehen nutzen als die Nicht-Meinungsführer. Dagegen ist eine wesentlich höhere Internetnutzung erkennbar. Ähnlich wie bei dem Zeitschriftenkonsum (Abbildung 17) zeigt sich mit steigendem Grad an Meinungsführerschaft ein höheres Interesse an qualitativ hochwertiger Berichtserstattung und Nachrichten, wie beispielsweise auf Fernsehsendern „N24“ und „n-tv“ präsentiert wird, und ein sinkender Konsum von Unterhaltungsprogrammen wie „RTL“ und „ProSieben“. Meinungsführerschaft begründet sich auf einer hohen Kompetenz, d. h. großes Wissen über das relevante Thema. Die Ursache liegt nicht nur in der erhöhten Medienexposition. RICHMOND (1977) vermutet, dass Meinungsführer Informationen anders verarbeiten als Nicht-Meinungsführer. Nur weil eine Person Informationen ausgesetzt ist, heißt es nicht unbedingt, dass diese auch wahrgenommen, verarbeitet und 431
Vgl. Institut für Demoskopie Allensbach, Gesellschaft zum Studium der öffentlichen Meinung mbH (Hrsg.): http://www.awa-online.de, 10. August 2008; auch: Institut für Demoskopie Allensbach, Gesellschaft zum Studium der öffentlichen Meinung mbH (Hrsg.): AWA 2006: Allensbacher Marktanalyse, Werbeträgeranalyse: Kurzbericht Medien, (Institut für Demoskopie) Allensbach am Bodensee 2006.
137
4.4 Merkmale von Meinungsführern
100,0% 80,0% 60,0%
1–2 über dem Durchschnitt
40,0%
3–5 Durchschnitt
20,0%
6–7 unter dem Durchschnitt
Internet Nutzer pro Tag
n-tv
N24
RTL
ProSieben
Fernsehnutzung Seher pro Tag
0,0%
Abbildung 18: Medienkonsum in Deutschland: Fernsehkonsum und Internetnutzung Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Institut für Demoskopie Allensbach, Gesellschaft zum Studium der öffentlichen Meinung mbH (Hrsg.): AWA 2006: Allensbacher Marktanalyse, Werbeträgeranalyse: Kurzbericht Medien, (Institut für Demoskopie) Allensbach am Bodensee 2006.
gespeichert werden (siehe beispielsweise Informationsüberflutung durch Werbung). RICHMOND’s (1977) Studienergebnisse zeigen, dass Meinungsführer unter freiwilligen oder gezwungenen Umständen eine höhere Informationsaufnahme bewältigen als Nicht-Meinungsführer.432 NOELLE-NEUMANN (2002) erläutert, dass Meinungsführer Informationen auf eine andere Art und Weise verarbeiten als andere Personen. Sie zeigen eine schnellere Auffassungsgabe sowie eine detailliertere Informationsverarbeitung und -speicherung. Meinungsführer sehen, hören und lesen Massenmedien genauer. Der Grund für die andersartige Informationsverarbeitung ist vermutlich das hohe Involvement der Meinungsführer.433
4.4.5
Wissen und Glaubwürdigkeit als Basis für Einflussreichtum
Sachkundigkeit bzw. Expertenwissen ist eines der wichtigsten Merkmale von Meinungsführern. Wissen und Vertrautheit mit einem bestimmten Thema sind Voraussetzungen, um Ratschläge diesbezüglich erteilen zu können. Zahlreiche Studien bestätigen diesen Zusammenhang mit Meinungsführerschaft. Beispielsweise sind junge 432
Vgl. Richmond, Virginia P.: The Relationship between Opinion Leadership and Information Acquisition, in: Human Communication Research, Vol. 4, Fall 1977, S. 38–43, S. 38ff. 433 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, in: Noelle-Neumann, Elisabeth: Die soziale Natur des Menschen, Beiträge zur empirischen Kommunikationsforschung, (Verlag Karl Alber) Freiburg u. a. 2002, S. 94–130.
138
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Menschen eher Meinungsführer bezüglich dem Thema Kino, weil sie eine höhere Vertrautheit mit Spielfilmen aufweisen und ältere Frauen sind einflussreicher in Sachen Konsumfragen, weil sie aufgrund ihres Alters und ihrer Rolle als Haushaltsvorstand die meisten Erfahrungen diesbezüglich vorweisen können.434 Auch JACOBY und HOYER (1981) konnten den Zusammenhang von Meinungsführerschaft und Fachwissen empirisch nachweisen.435 NOELLE-NEUMANN (1985) ermittelte, dass Persönlichkeitsstarke mehr Marken kennen als andere.436 EURICH (1976) führt dazu an, dass Meinungsführer einen überdurchschnittlichen Wissensstand benötigen, der durch eine umfassende Mediennutzung und durch kommunikatives und damit gesellschaftliches Engagement erworben wird, um den Informationsbedarf ihres sozialen Umfeldes entsprechend abdecken zu können.437 Dennoch ist das Interesse des Meinungsführers für seine beeinflussende Position alleine nicht ausreichend. Er muss auch Menschen kennen, die sein Interesse in dem Maße teilen, dass sie ihn sogar um Rat fragen würden. KATZ (1957) formulierte dies prägnant: „… It takes two to be a leader – a leader and a follower.“438 (siehe auch Kapitel 4.3.4) Aufgrund ihrer – oft als Expertenwissen wahrgenommenen – Kenntnisse und aufgrund anderer Faktoren, wie z. B. sozialer Nähe, besitzen Meinungsführer eine höhere Glaubwürdigkeit als die Massenmedien und andere formelle Kommunikationskanäle. Nicht nur, dass die Meinungsführer meist aus dem näheren sozialen Umfeld stammen und deswegen den Meinungssuchenden vertraut sind, die Gespräche finden überwiegend zwanglos statt und den Meinungsführern wird keine Verkaufsabsicht unterstellt. Dadurch wirken sie glaubwürdig und ihre vorgebrachten Argumente sind bedeutend für die Entscheidungsfindung der Konsumenten (siehe auch Kapitel 6.2).439 434
Vgl. Katz, Elihu: The Two-Step Flow of Communications: An Up-To-Date Report on an Hypothesis, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 21, 1957, Issue 1, S. 61–78, S. 75. 435 Vgl. Jacoby, Jacob; Hoyer, Wayne D.: What if Opinion Leaders Didn’t Know More? A Question of Nomological Validity, in: Advances in Consumer Research, Vol. 8, 1981, Issue 1, S. 299–303. 436 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171. 437 Vgl. Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 46. 438 Katz, Elihu: The Two-Step Flow of Communications: An Up-To-Date Report on an Hypothesis, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 21, 1957, Issue 1, S. 61–78, S. 74. 439 Vgl. Vollbrecht, Ralf: Einführung in die Medienpädagogik, (Beltz Verlag) Weinheim u. a. 2001, S. 109; auch: Topritzhofer, Edgar: Qualitative und stochastische Aspekte diffusionsorientierter Werbestrategien, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, Bd. 23, 1971, Heft 4, S. 203–220, S. 214.
4.4 Merkmale von Meinungsführern
139
KOEPPLER (1984) spricht daher sowohl von sachlicher, technisch-funktionaler Kompetenz als auch von sozialer Kompetenz der Meinungsführer. Für die letztere Kompetenzart unterscheiden AUFERMANN (1971) und EURICH (1977) zwischen Normenwissen und Wertewissen der Meinungsführer (Definition von Normenwissen und Wertewissen siehe Kapitel 4.1.4).440
4.4.6
Innovativität
Meinungsführer sind innovativer als Nicht-Meinungsführer. Dennoch beweisen Forschungsergebnisse nicht, dass Meinungsführer unbedingt auch Innovatoren oder Frühadoptoren sind.441 Zwar stellten MENZEL und KATZ (1955) in einer Studie zur Verbreitung neuer Medikamente unter Ärzten fest, dass Meinungsführer auch Innovatoren sind, dies bestätigte sich aber in vielen anderen Studien nicht.442 ROGERS und SHOEMAKER (1971) erklären diese Diskrepanz der Ergebnisse mit den unterschiedlich ausgeprägten Normen von sozialen Systemen, die Auswirkungen auf die Innovativität von Meinungsführern haben: „When the system’s norms favor change, opinion leaders are more innovative, but when the norms are traditional, opinion leaders are not especially innovative.“443 Diese Kausalität wurde auch von KAAS (1973) vermutet. Auch KATZ (1957) verband die Rolle des Meinungsführers mit den Strukturmerkmalen der sozialen Gruppe. „… Das Verhältnis der Umwelt zur jeweiligen sozialen Gruppe scheint einen Einfluss darauf zu haben, wer Meinungsführerrollen in der 440
Vgl. Koeppler, Karlfritz: Opinion leaders: Merkmale und Wirkung, Schriftenreihe der Verlagsgruppe Bauer, Band 18; (Bauer) Hamburg 1984, S. 42; auch: Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 79; auch: Eurich, Claus: Beeinflussungsstrategien zur Weiterentwicklung des Meinungsführerkonzepts, in: Zeitschrift für Markt-, Meinungs- und Zukunftsforschung, Bd. 20, 1977, Nr. 1/2, S. 4285–4299, S. 4292; auch: Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976. 441 Vgl. Feick, Lawrence F.; Price, Linda L.: The Market Maven: A Diffuser of Marketplace Information, in: Journal of Marketing, Vol. 51, 1987, S. 83–97, S. 84; auch: Stern, Barbara B.; Gould, Stephen J.: The Consumer as Financial Opinion Leader, in: Journal of Retail Banking, Vol. 10, Summer 1988, Issue 2, S. 43–52, S. 46. 442 Vgl. Myers, James H.; Robertson, Thomas S.: Dimension of Opinion Leadership, in: Journal of Marketing Research, Vol. 9, February 1972, S. 41–46, S. 43; auch: Robertson, Thomas S.; Myers, James H.: Personality Correlates of Opinion Leadership and Innovative Buying Behavior, in: Journal of Marketing Research, Vol. 6, May 1969, S. 164–168. 443 Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A Cross-Cultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 219.
140
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Gruppe übernimmt und welcher Grad an Innovationsfreudigkeit von der Gruppe toleriert wird.“444,445 Als Ausnahme soll hier auf die „fashion opinion leaders“ verwiesen werden, die aufgrund der Schnelllebigkeit von Mode und Trends zu den Frühadoptoren bzw. Innovatoren gehören müssen, da sie sonst ihr Beeinflussungspotenzial verlieren könnten. Durch die Schnelllebigkeit ist auch der Diffusionsprozess kürzer als bei anderen Innovationen, das heißt die Beeinflussung muss schon sehr frühzeitig in dem Adoptionsprozess erfolgen. Zudem wenden sich Personen in Modefragen (z. B. Kleidung) eher an andere, die die neueste Mode tragen.446 (Näheres dazu in Kapitel 4.3.3.)
4.4.7
Persönliche Werte und Persönlichkeitsmerkmale
Meinungsführer sind am ehesten die Personen in einer Gruppe, die die Gruppennormen repräsentieren, d. h. sie sind konform mit den Gruppennormen. Sie wissen auch am genauesten über die Angelegenheiten der Gruppe Bescheid. Sie interessieren sich mehr für das Verhalten der Gruppenmitglieder und der Gruppe insgesamt. Damit bestimmt auch der Grad der Integration in die Gruppe die Meinungsführerposition.447 Hinsichtlich der Meinungsdivergenzen der Meinungsführer und der Nicht-Meinungsführer gibt es nur wenige Studien. SCHENK (1995) bzw. SCHENK und RÖSSLER (1997) untersuchten die Einstellungen der Persönlichkeitsstarken hinsichtlich politi444
Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 356; auch: Katz, Elihu: The Two-Step Flow of Communications: An Up-ToDate Report on an Hypothesis, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 21, 1957, Issue 1, S. 61–78, S. 68. 445 Vgl. Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A Cross-Cultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 219; auch: Menzel, Herbert; Katz, Elihu: Social Relations and Innovation in the Medical Profession: The Epidemiology of a New Drug, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 19, 1955, Issue 4, S. 337–352; Kaas, Klaus P.: Diffusion und Marketing: Das Konsumentenverhalten bei der Einführung neuer Produkte, (C. E. Poeschel Verlag) Stuttgart 1973, S. 48f. 446 Vgl. Schrank, Holly L.; Gilmore, D. Lois: Correlates of Fashion Leadership: Implications for Fashion Process Theory, in: Socialogical Quarterly, Vol. 14, Autumn 1973, S. 534–543, S. 539f. 447 Vgl. Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 44; auch: Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A Cross-Cultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 219ff.; auch: Bourne, Francis S.: Der Einfluß von Bezugsgruppen beim Marketing, in: Kroeber-Riel, Werner (Hrsg.): Marketingtheorie: Verhaltensorientierte Erklärungen von Marktreaktionen, (Kiepenheuer & Witsch) Köln 1972, S. 141–155, S. 143f.; auch: Berelson, Bernard R.; Lazarsfeld, Paul F.; McPhee, William N.: Voting: A Study of Opinion Formation in a Presidential Campaign, (University of Chicago Press) Chicago 1954, S. 113.
4.4 Merkmale von Meinungsführern
141
scher Themen und verglichen diese mit den von den Persönlichkeitsstarken wahrgenommenen Meinungen der anderen. Die Personen mit geringerer Persönlichkeitsstärke sahen ihre Meinung als fast konform mit der Meinung der Mehrheit der Bevölkerung. Je größer die Persönlichkeitsstärke desto verschiedener wurden die eigenen Ansichten von der allgemeinen Meinung gesehen. Des Weiteren schätzten sich Persönlichkeitsstarke als toleranter bezüglich Themen wie Asylbewerber bzw. Immigranten und kultureller Vielfältigkeit in Deutschland ein als die Allgemeinheit. Interessanterweise konnten die beiden Gruppen, die Personen mit höchster Persönlichkeitsstärke und die mit geringster Persönlichkeitsstärke, die Meinung der Allgemeinheit am akkuratesten einschätzen.448 Zwar zeichnet sich die Meinungsführerposition durch einen gewissen Grad an sozialer Integration aus, aber CHAN und MISRA (1990) überantworten den Meinungsführern dennoch die Neigung zu öffentlicher Individuation („public individuation“), d. h. Meinungsführer sehen sich differenzierter von anderen Personen und möchten dies auch durch entsprechende Handlungen nach außen ausdrücken und damit auffallen. Deshalb sind Meinungsführer bereit, ihre Meinung über einen Meinungsgegenstand mitzuteilen, auch auf die Gefahr hin, dass sie damit alleine stehen.449 In vorhergehenden Kapiteln wurde bereits beschrieben, dass Meinungsführer innovativer (Kapitel 4.4.6) und sozial aktiver (Kapitel 4.4.3) sind. Es konnte ebenfalls bewiesen werden, dass Meinungsführer abenteuerlich, risikoaffin und weniger dogmatisch sind.450 Nach NOELLE-NEUMANN’s (1985) Untersuchung der „Persönlichkeitsstarken“ weisen Meinungsführer auch bestimmte Charaktermerkmale, wie z. B. Selbstsicherheit, Standhaftigkeit, Durchsetzungsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein auf.451 Zwar zeigte SUMMERS (1970), dass die von ihm untersuchte Gruppe von Einstellungs- und Wertefaktoren (z. B. Bestreben im Mittelpunkt zu stehen, geringe Risikoaversion, hohe Selbstsicherheit) signifikanter als Hinweis für Meinungsführerschaft dienen könnte, aber auch einige Persönlichkeitsmerkmale (z. B. Durchsetzungsvermögen, emotionale Stabilität, schätzen sich als allgemein beliebt ein, 448
Vgl. Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995; auch: Schenk, Michael; Rössler, Patrick: The Rediscovery of Opinion Leaders: An Application of the Personal Strength Scale, in: Communications, Vol. 22, 1997, Issue 1, S. 5–30, S. 21ff. 449 Vgl. Chan, Kenny K.; Misra, Shekhar: Characteristics of the Opinion Leader: A New Dimension, in: Journal of Advertising, Vol. 19, 1990, Issue 3, S. 53–58, S. 54ff. 450 Vgl. Chan, Kenny K.; Misra, Shekhar: Characteristics of the Opinion Leader: A New Dimension, in: Journal of Advertising, Vol. 19, 1990, Issue 3, S. 53–58, S. 55. 451 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171.
142
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
sind weniger depressiv) standen in positiver Korrelation zur Meinungsführerschaft. Ein höheres Selbstvertrauen wiesen REYNOLDS und DARDEN (1971) in Bezug auf Mode-Meinungsführerschaft und auch HASELOFF (1984) für Meinungsführer beider Geschlechter nach.452 Zudem stellten unter anderem HASELOFF (1984) und auch NOELLE-NEUMANN (1985) fest, dass Meinungsführer „eine optimistische, durch positive Erwartungen thematisierte Lebensorientierung“453 zeigen.454 Demgemäß konnten SCHEUFELE und SHAH (2000) einen positiven Zusammenhang zwischen Meinungsführerschaft und persönlicher Zufriedenheit feststellen.455 ROBERTSON und MYERS (1969) dagegen konnten keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Meinungsführerschaft nachweisen. CHAN und MISRA (1990) vermuten, dass die ausgewählten Merkmale nicht ausreichend waren, um Meinungsführer zu identifizieren.456 Kosmopolitismus (Weltoffenheit) beschreibt den Orientierungshorizont einer Person, der in diesem Fall nicht lokal begrenzt, sondern darüber hinausgehend kosmopolitisch ist. MERTON (1949) unternahm als erster eine Unterteilung der Meinungsführer nach diesem Gesichtspunkt (siehe Kapitel 4.1.8.1). Demnach sind Meinungsführer kosmopolitisch ausgerichtet, wenn sie sich nicht nur für lokale, sondern auch für regionale, nationale und internationale Problemstellungen interessieren. Diese Einstellung wurde vor allem an der physischen Mobilität der Person gemessen. SUMMERS (1970) sowie REYNOLDS und DARDEN (1971) zufolge weist eine Großzahl von Meinungsführern vor allem im Bereich Mode einen hohen Grad an 452
Vgl. Summers, John O.: The Identity of Women’s Clothing Fashion Opinion Leaders, in: Journal of Marketing Research, Vol. 7, May 1970, S. 178–185, S. 180f.; auch: Reynolds, Fred D.; Darden, William R.: Mutually Adaptive Effects of Interpersonal Communication, in: Journal of Marketing Research, Vol. 8, November 1971, S. 449–454, S. 450; auch: Haseloff, Otto W.: Nachfrageführer und Meinungsführer: Neue Dimensionen für die Media-Planung, (Cosmopolitan) München 1984, S. 48ff. 453 Haseloff, Otto W.: Nachfrageführer und Meinungsführer: Neue Dimensionen für die MediaPlanung, (Cosmopolitan) München 1984, S. 48. 454 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171, S. 155; auch: Haseloff, Otto W.: Nachfrageführer und Meinungsführer: Neue Dimensionen für die Media-Planung, (Cosmopolitan) München 1984, S. 48. 455 Vgl. Scheufele, Dietram. A.; Shah, Dhavan V.: Personality Strength and Social Capital: The Role of Dispositional and Informational Variables in the Production of Civic Participation, in: Communication Research, Vol. 27, 2000, S. 107–131, S. 125. 456 Vgl. Robertson, Thomas S.; Myers, James H.: Personality Correlates of Opinion Leadership and Innovative Buying Behavior, in: Journal of Marketing Research, Vol. 6, May 1969, S. 164–168, S. 165ff.; auch: Chan, Kenny K.; Misra, Shekhar: Characteristics of the Opinion Leader: A New Dimension, in: Journal of Advertising, Vol. 19, 1990, Issue 3, S. 53–58, S. 55.
4.4 Merkmale von Meinungsführern
143
physischer Mobilität auf.457 SHAH UND SCHEUFELE (2006) fanden eine positive Korrelation zwischen Meinungsführerschaft in Politik und Kosmopolitismus.458
4.4.8
Lebensstile
Als eine der wenigen Studien beschäftigen sich SCHENK, TSCHOERTNER und JERS (2006) bzw. SCHENK (2006) mit den Lebensstilen von Meinungsführern, in diesem Fall Finanz-Meinungsführern. Allerdings sind die Erkenntnisse nicht einfach auf alle Meinungsführer übertragbar, da SCHENK (2006) eine detaillierte Charakterisierung hinsichtlich demografischer Variablen und sozioökonomischem Status vornehmen konnte, der suggeriert, dass die Finanz-Meinungsführer nicht in allen Schichten zu finden sind.459 Die Mehrzahl der Forschungsarbeiten über Meinungsführerschaft dagegen ist der Überzeugung, dass der Einfluss der Meinungsführer horizontal verläuft, da in jeder Schicht Meinungsführer vertreten sind (siehe Kapitel 4.4.9). Dennoch soll an dieser Stelle auf die Erkenntnisse von SCHENK (2006) bezüglich der Lebensstile der Finanz-Meinungsführer näher eingegangen werden. Da die Forschungsarbeit von SCHENK (2006) in der Studie „Soll und Haben 6“ des Spiegel-Verlages und der manager magazin Verlagsgesellschaft eingebettet war, ergab sich die Möglichkeit die Lebensstile der Finanz-Meinungsführer anhand des soziokulturellen Konzeptes der sozialen Milieus von Sinus Sociovision460 zu beschreiben. Die Sinus-Milieus berücksichtigen grundlegende Wertorientierungen und Einstellungen der Individuen zu Arbeit, Familie, Freizeit, Geld und Konsum. Ähnliche Lebenseinstellungen, Lebensweisen, Wertorientierungen, soziale Status und Lebensstile wurden in zehn Gruppen zusammengefasst, die einem Koordinatensystem zugeordnet sind, in welchem die horizontale Achse die Grundorientierung und die vertikale Achse die soziale Lage wiedergibt (siehe Abbildung 19, S. 144). Das Model der Sinus-Milieus muss dem gesellschaftlichen Wandel kontinuierlich angepasst werden. Das hier zugrunde liegende Modell stammt aus dem Jahr 2004.461 457
Vgl. Summers, John O.: The Identity of Women’s Clothing Fashion Opinion Leaders, in: Journal of Marketing Research, Vol. 7, May 1970, S. 178–185, S. 180; auch: Reynolds, Fred D.; Darden, William R.: Mutually Adaptive Effects of Interpersonal Communication, in: Journal of Marketing Research, Vol. 8, November 1971, S. 449–454, S. 450. 458 Vgl. Shah, Dhavan V.; Scheufele, Dietram A.: Explicating Opinion Leadership: Nonpolitical Dispositions, Information Consumption, and Civic Participation, in: Political Communication, Vol. 23, 2006, Issue 1, S. 1–22, S. 12. 459 Vgl. Schenk, Michael; Tschoertner, Anke; Jers, Cornelia: Die informellen Finanz-Ratgeber: Das Profil der Meinungsführer im Bereich Finanzdienstleistungen und ihr Einflusspotenzial, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 52, 2006, Heft 3, S. 265–287, S. 270f.; auch: Schenk, Michael: Finanz-Meinungsführer, (SPIEGEL-Verlag) Hamburg 2006, S. 89ff. 460 Vgl. Sinus Sociovision, Heidelberger Marktforschungsinstitut, http://www.sinus-sociovision.de. 461 Die aktuell vorliegende Version stammt aus dem Jahr 2007.
144
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Affinitätsindex (Gesamt = 100) Der Affinitätsindex drückt den Anteil der Finanz-Meinungsführer eines Milieus im Vergleich zum Anteil der Gesamtbevölkerung in diesem Milieu aus. Werte über 100 bedeuten einen überdurchschnittlichen Anteil von Finanz-Meinungsführern im betreffenden Milieu, Werte unter 100 einen unterdurchschnittlichen Anteil.
Abbildung 19: Die Sinus-Milieus nach Finanz-Meinungsführergruppen Quelle: Schenk, Michael; Tschoertner, Anke; Jers, Cornelia: Die informellen Finanz-Ratgeber: Das Profil der Meinungsführer im Bereich Finanzdienstleistungen und ihr Einflusspotenzial, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 52, 2006, Heft 3, S. 265–287, S. 273.
Die Finanz-Meinungsführer462 sind nicht in allen Schichten und somit auch nicht in allen Sinus-Milieus zu finden. In der Abbildung 19 kann der Affinitätsindex für die starken Meinungsführer und für die Nicht-Meinungsführer abgelesen werden. Ein hoher Anteil an Meinungsführern kommt vor allem im Milieu der „Etablierten“ und im Milieu der „Modernen Performer“ vor, dicht gefolgt von dem Milieu der „Postmaterialisten“. Es zeigt sich somit eine große Tendenz zu den gesellschaftlichen Leitmilieus anstatt zu traditionellen Milieus (siehe Abbildung 20). Dieses schichtspezifische Phänomen der Finanz-Meinungsführer widerspricht den bisherigen Erkenntnissen der Meinungsführungsforschung, die Meinungsführer in allen Milieus vermutet. SCHENK (2006) sieht den Finanz-Meinungsführer daher als einen „Sonder462
Nach Schenk (2006, S. 11) sind 8,5% des Samples der Untersuchung „Soll und Haben 6“ des Spiegel-Verlages und der manager magazin Verlagsgesellschaft hohe/starke Finanz-Meinungsführer.
145
4.4 Merkmale von Meinungsführern
Gesellschaftliche Leitmilieus Sinus B1
(Etablierte)
Das selbstbewusste Establishment: Erfolgs-Ethik, Machbarkeitsdenken, und ausgeprägte Exklusivitätsansprüche
Sinus B12
(Postmaterielle)
Das aufgeklärte Nach-68er-Milieu: Liberale Grundhaltung, postmaterielle Werte und intellektuelle Interessen
Sinus C12
(Moderne Performer)
Die junge, unkonventionelle Leistungselite: Intensives Leben – beruflich und privat, Multioptionalität, Flexibilität und Multimedia-Begeisterung
Traditionelle Milieus Sinus A12
(Konservative)
Das alte deutsche Bildungsbürgertum: Konservative Kulturkritik, humanistisch geprägte Pflichtauffassung und gepflegte Umgangsformen
Sinus A23
(Traditionsverwurzelte) Die Sicherheit und Ordnung liebende Kriegsgeneration: Verwurzelte in der kleinbürgerlichen Welt bzw. in der traditionellen Arbeiterkultur
Sinus AB2
(DDR-Nostalgische)
Mainstream-Milieus
Die resignierten Wende-Verlierer: Festhalten an preußischen Tugenden und altsozialistischen Vorstellungen von Gerechtigkeit und Solidarität
Sinus B2
(Bürgerliche Mitte)
Sinus B3
(Konsum Materialisten) Die stark materialistisch geprägte Unterschicht:
Der statusorientierte moderne Mainstream: Streben nach beruflicher und sozialer Etablierung, nach gesicherten und harmonischen Verhältnissen Anschluss halten an die Konsum-Standards der breiten Mitte als Kompensationsversuch sozialer Benachteiligung
Hedonistische Milieus Sinus C2
(Experimentalisten)
Die individualistische neue Bohème: Ungehinderte Spontaneität, Leben in Widersprüchen, Selbstverständnis als Lifestyle-Avantgarde
Sinus BC3
(Hedonisten)
Die Spaß-orientierte moderne Unterschicht/ untere Mittelschicht: Verweigerung von Konventionen und Verhaltenserwartungen der Leistungsgesellschaft
Abbildung 20: Sinus-Milieus in Deutschland 2004 – Kurzcharakteristik Quelle: Schenk, Michael: Finanz-Meinungsführer, (SPIEGEL-Verlag) Hamburg 2006, S. 86.
fall“ von Meinungsführerschaft, der eher in den gehobenen Schichten und Milieus zu finden ist.463 463
Vgl. Schenk, Michael; Tschoertner, Anke; Jers, Cornelia: Die informellen Finanz-Ratgeber: Das Profil der Meinungsführer im Bereich Finanzdienstleistungen und ihr Einflusspotenzial, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 52, 2006, Heft 3, S. 265–287, S. 272f.; auch: Schenk, Michael: Finanz-Meinungsführer, (SPIEGEL-Verlag) Hamburg 2006, S. 97f.
146
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Lebensstil-Typologien können bei der Planung des Marketing-Mix hilfreich sein, dennoch sind diese Typologien, i. d. S. auch das Konzept der Sinus-Milieus nicht als ganz unkritisch zu sehen. Da es sich bei dem Heidelberger Marktforschungsinstitut um ein Unternehmen handelt, wird das Forschungsdesign der Sinus-Milieu-Studien aufgrund ökonomischer Gesichtspunkte nur teilweise offengelegt. Dies wäre aber für eine intersubjektive Nachprüfung vonnöten. Lebensstil-Typologien bilden Einstellungen und Verhaltensvariablen ab, wobei es vorkommen kann, dass Verhaltensvariablen gemessen werden, die eigentlich anhand des Lebensstils erklärt werden sollen. Des Weiteren sind für die Erstellung der Typologien umfangreiche Befragungen nötig, die häufig Ermüdung und wachsendes Desinteresse der Befragten auslösen. Dies hat Auswirkungen auf die Reliabilität. Einige Studien schlussfolgerten aufgrund von niedrigen Korrelationen zwischen Erst- und Zweiterhebungen, dass Life-StyleUntersuchungen eine geringe Test-Retest-Reliabilität besitzen. Zudem erfolgt ein stetiger Lebenswandel, der die Stabilität der Lebensstil-Segmente gefährdet. Dies erfordert regelmäßige Trendforschungen und Überprüfungen der Segmentierungen STEGMÜLLER (1995) fasst daher zusammen, dass die Messbarkeit und Operationalität der Lebensstil-Typologien problematisch ist.464
4.4.9
Wirkungsrichtung des Einflusses
Bereits frühzeitig (Mitte 50er Jahre) wurde herausgefunden, dass die Meinungsführerschaft im Allgemeinen auf eine sozioökonomische Schicht beschränkt ist. Frühere Annahmen, dass interpersonelle Beeinflussung nur vertikal verläuft („trickle-down“Theorie) also von höherer Schicht zur niedrigeren Schicht, wurden widerlegt. Es konnte wiederholt belegt werden, dass es in jeder sozialen Schicht Meinungsführer gibt und der Einfluss somit vornehmlich horizontal erfolgt.465 Dennoch weist SCHENK (2007) darauf hin, dass Meinungsführer ein größeres soziales Netzwerk als andere besitzen, welches auch heterogen in Hinsicht auf das soziodemografische Merkmal Bildung sein kann. Meinungsführer können somit auch Kontakt zu anderen Bildungsschichten haben. Dies ist auch bei den Persönlichkeitsstarken entdeckt worden. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass hier die Beeinflussung auch vertikal 464
Vgl. Stegmüller, Bruno: Internationale Marktsegmentierung als Grundlage für internationale Marketing-Konzeptionen, (Verlag Josef Eul) Bergisch Gladbach u. a. 1995, S. 269ff. 465 Vgl. Brooks Jr., Robert C.: “Word-of-Mouth” Advertising in Selling New Products, in: Journal of Marketing, Vol. 22, 1957, Issue 2, S. 154–161, S. 157; auch: Katz, Elihu; Lazarsfeld, Paul F.: Persönlicher Einfluß und Meinungsbildung, (Personal Influence: The Part Played by People in the Flow of Mass Communication, Englisch), übers. von Rudolf Bischoff, (Verlag für Geschichte und Politik) Wien 1962, S. 38; auch: Myers, James H.; Robertson, Thomas S.: Dimension of Opinion Leadership, in: Journal of Marketing Research, Vol. 9, February 1972, S. 41–46; auch: Weimann, Gabriel: The Influentials: People Who Influence People, (State University of New York Press) Albany 1994, S. 88.
4.4 Merkmale von Meinungsführern
147
verläuft. Insbesondere Studien, die den Bereich Politik und öffentliche Angelegenheiten betreffen, schreiben Meinungsführern einen höheren sozioökonomischen Status zu, der durch höhere Bildung und Prestige geprägt ist. Die Beeinflussung erfolgt hier eher vertikal, denn auch Ratsuchende gaben an, Personen mit höherem Status bei Meinungsfragen zu bevorzugen. MERTEN (1986) begründet diesen Einflussverlauf mit dem „Prestige-Gefälle unter Kommunikatoren“466. Zu einer ähnlichen Erkenntnis kommt auch die Decatur-Studie von 1945, bei der entdeckt wurde, dass Meinungsführer zum Thema Politik auch von anderen Meinungsführern beeinflusst werden („Meinungsführer der Meinungsführer“).467
4.4.10 Kompetenzbereich des Meinungsführers Ein umstrittenes Thema in der Meinungsführerforschung ist die Dimension der Meinungsführerschaft. Es wird in der Meinungsführerforschung zum einen von spezieller Meinungsführerschaft gesprochen, bei der eine Person Einfluss in einem bestimmten Themenbereich ausübt, und zum anderen halten einige Forscher Meinungsführerschaft für allgemein gültig, d. h. Meinungsführer haben Einfluss auf vielen Gebieten. Ausgehend von der Studie MERTONS’ (1949), der erstmalig die Unterteilung von Meinungsführern nach monomorpher (spezielle) und polymorpher (allgemeine) Meinungsführerschaft unternahm (siehe auch Kapitel 4.1.8.1), wurden zahlreiche Untersuchungen zur Thematik „übergreifende Meinungsführerschaft“ durchgeführt. Dennoch scheinen nicht alle Ergebnisse beweiskräftig zu sein. So untersuchten KATZ und LAZARSFELD (1955) dieses Vorkommnis in den Bereichen Marketing, Mode und öffentliche Angelegenheiten und stellten kein Überlappen von Meinungsführerschaft zu diesen Themen fest.468 KAAS (1973) fasst das Ergebnis wie folgt zusammen: „Eine allgemeine Eigenschaft ‚Meinungsführerschaft‘ gibt es nicht. Meinungsführer, die in mehreren Meinungsbereichen kompetent sind, treten allenfalls zufällig auf.“469 Aber MARCUS und BAUER (1964) übten Kritik an der Berechnung von KATZ und LAZARSFELD (1955) in der Decatur-Studie und fanden nach eigener Berechnung ein Überlap466
Merten, Klaus: Hierarchische Medienwirkungen, in: Mahle, Walter A. (Hrsg.): Langfristige Medienwirkungen, (Wissenschaftsverlag Volker Spiess) Berlin 1986, S. 111–117, S. 113. 467 Vgl. Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 356/384; auch: Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976, S. 59; auch: Merten, Klaus: Hierarchische Medienwirkungen, in: Mahle, Walter A. (Hrsg.): Langfristige Medienwirkungen, (Wissenschaftsverlag Volker Spiess) Berlin 1986, S. 111–117, S. 113. 468 Vgl. Katz, Elihu; Lazarsfeld, Paul F.: Personal Influence: The Part Played by People in the Flow of Mass Communication, (Free Press) Glencoe, Illinois 1955, S. 332ff. 469 Kaas, Klaus P.: Diffusion und Marketing: Das Konsumentenverhalten bei der Einführung neuer Produkte, (C. E. Poeschel Verlag) Stuttgart 1973, S. 46.
148
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
pen von Meinungsführerschaft in den Bereichen Mode, Marketing und öffentliche Angelegenheiten. SILK (1966) untersuchte ebenfalls das Phänomen genereller Meinungsführerschaft bei fünf dentalen Produktkategorien und Dienstleistungen. Er konnte zwar keinen signifikanten Beweis für das Überlappen von Meinungsführerschaft in diesen Kategorien finden, dennoch lassen die Daten die Existenz von allgemeinen Meinungsführern vermuten.470 KING und SUMMERS (1970) fanden dagegen signifikante Korrelationen zwischen sechs Produktkategorien: Nahrungsmittel, Kleidung, Haushaltsreiniger und Pflegemittel, Kosmetika, Haushaltsgeräte. Demnach waren 67% der Meinungsführer meinungsführend in zwei und mehr Produktbereichen. Aufgrund der Daten kamen sie zu dem Schluss, dass bei Produktkategorien, die gleiche Interessen voraussetzen bzw. die sich ähnlich sind, übergreifende Meinungsführerschaft am wahrscheinlichsten ist. Sie gehen damit von der Existenz einer allgemeinen Meinungsführerschaft aus.471 SUDMAN (1971) kritisierte die Daten von KING und SUMMERS (1970). Seiner Meinung nach waren die Meinungsführer, die für fünf und mehr Bereiche als meinungsführend eingestuft wurden, „Ja“-Sager. Diese Personen neigen dazu Fragen mit „ja“ zu beantworten. Dementsprechend würden sich die Daten von KING und SUMMERS (1970) ändern und der Anteil der Meinungsführer, die in mehreren Produktkategorien meinungsführend sind, wäre eher geringfügig und ein Übergreifen von Meinungsführerschaft unwahrscheinlich.472 SUMMERS und KING (1971) halten diese Ausführungen für rein spekulativ und willkürlich.473 EISENSTEIN (1994) hält insbesondere im Bereich Politik generelle Meinungsführerschaft für wahrscheinlich, da dieses Themengebiet weit gefächert ist und somit umfassende Sachkundigkeit erfordert. Neben Kenntnissen zu den Parteiprogrammen ist auch ein Allgemeinwissen erforderlich, das sich nicht nur auf Politik beschränkt.474 KAAS (1973) betont, dass die bisherigen Beweise für eine überlappende Meinungsführerschaft nur für diese Meinungsgegenstände gelten, für die sie auch ermittelt wurden und nicht verallgemeinerungsfähig sind.475 Auch ROGERS und SHOEMAKER 470
Vgl. Silk, Alvin J.: Overlap Among Self-Designated Opinion Leaders: A Study of Selected Dental Products and Services, in: Journal of Marketing Research, Vol. 3, August 1966, Issue 3, S. 255–259. 471 Vgl. King, Charles W.; Summers, John O.: Overlap of Opinion Leadership across Consumer Product Categories, in: Journal of Marketing Research, Vol. 7, 1970, S. 43–50, S. 49. 472 Vgl. Sudman, Seymor: Overlap of Opinion Leadership across Consumer Product Categories, in: Journal of Marketing Research, Vol. 8, May 1971, Issue 2, S. 258–259. 473 Vgl. Summers, John O.; King, Charles, W.: Overlap of Opinion Leadership: A Reply, in: Journal of Marketing Research, Vol. 8, May 1971, Issue 2, S. 259–261. 474 Vgl. Eisenstein, Cornelia: Meinungsbildung in der Mediengesellschaft: Eine theoretische und empirische Analyse zum Multi-Step Flow of Communication, (Westdeutscher Verlag) Opladen 1994, S. 141. 475 Vgl. Kaas, Klaus P.: Diffusion und Marketing: Das Konsumentenverhalten bei der Einführung neuer Produkte, (C. E. Poeschel Verlag) Stuttgart 1973, S. 46.
4.4 Merkmale von Meinungsführern
149
(1971) meinen, dass der Grad der polymorphen Meinungsführerschaft mit der Diversität der untersuchten Themen, in deren Kontext Meinungsführerschaft gemessen wurde, variiert. Sie sehen Polymorphie ebenso als abhängig von den Normen der sozialen Gesellschaft: „When the norms of a system are more modern, opinion leadership is more monomorphic.“476 Sie begründen dies damit, dass in modernen Gesellschaften die Technologien komplexer werden und dies auch eine größere Unterteilung von Arbeit sowie Spezialisierung im höheren Maße erfordert. Daraus resultiert eine spezialisierte Ausrichtung der Meinungsführer, da ein Individuum nicht die Kompetenz haben kann, die Komplexität der Umwelt und seine Problemstellungen zu fassen und dementsprechendes Wissen zu erlangen.477 SILK (1966) hingegen vermutet, dass die Forschungsergebnisse über generelle Meinungsführerschaft deswegen unterschiedlich sind, weil es keine feste Definition für „allgemeine Meinungsführerschaft“ gibt. Zum einen ist nicht festgelegt, ab welcher Anzahl von Einflussbereichen, Meinungsführerschaft als polymorph gilt. Zum anderen unterscheiden sich die bisherigen untersuchten Themenbereiche in ihrer „Ähnlichkeit“ und auch in ihrer „Breite“.478 Beispielsweise KATZ und LAZARSFELD (1955) beschäftigten sich mit den Themenbereichen Marketing, Mode und öffentliche Angelegenheiten, die kaum miteinander zusammenhängen und von den Autoren weit gefasst wurden. Der Themenblock Marketing enthielt demnach eine Reihe von verschiedenen Nahrungsmitteln und Haushaltsprodukten; öffentliche Angelegenheiten umfasste sowohl nationale als auch internationale Problemstellungen, die gerade in den Nachrichten zu finden waren und als modisch wurden diejenigen bezeichnet, die sich zum richtigen Zeitpunkt bezüglich Kleidungsstil, Kosmetik u. ä. verändert haben.479 Dagegen untersuchte SILK (1966) Meinungsführerschaft in fünf ähnlichen Produktkategorien und Dienstleistungen rund um das allgemeine Thema „Zähne“: Zahnbürsten, elektrische Zahnbürsten, Zahnpasta, Mundspülungen und Zahnärzte, wobei jede Kategorie allein schon vom Namen her enger abgegrenzt ist.480 SILK 476
Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A Cross-Cultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 223f.; auch: Rogers, Everett M.; Cartano, David G.: Methods of Measuring Opinion Leadership, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 26, 1962, S. 435–441, S. 437. 477 Vgl. Rogers, Everett M.; Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovations: A CrossCultural Approach, (The Free Press) New York u. a. 1971, S. 223f. 478 Vgl. Silk, Alvin J.: Overlap Among Self-Designated Opinion Leaders: A Study of Selected Dental Products and Services, in: Journal of Marketing Research, Vol. 3, August 1966, Issue 3, S. 255–259, S. 258f. 479 Vgl. Katz, Elihu; Lazarsfeld, Paul F.: Personal Influence: The Part Played by People in the Flow of Mass Communication, (Free Press) Glencoe, Illinois 1955, S. 234ff. 480 Vgl. Silk, Alvin J.: Overlap Among Self-Designated Opinion Leaders: A Study of Selected Dental Products and Services, in: Journal of Marketing Research, Vol. 3, August 1966, Issue 3, S. 255–259.
150
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
(1966) vermutete auch, dass je weiter ein Themenbereich definiert wird, desto größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass übergreifende Meinungsführerschaft auftritt.481 Zusätzlich unterscheidet sich in allen Studien das Kriterium, anhand dessen Meinungsführer als solche identifiziert werden. Bei SILK (1966) wurden Personen als Meinungsführer eingestuft, die nach eigener Einschätzung mindestens eine andere Person beeinflusst hatten. MERTON (1949) dagegen setzte eine Anzahl von mindestens vier Nennungen für Meinungsführerschaft voraus. KING und SUMMER (1970) bezeichneten die oberen (nach Höhe der Punktzahl aus ihrer Skala geordnet) 23% bis 30% als Meinungsführer.482 Letztendlich ist laut SILK (1966) auch die Länge der Zeitspanne entscheidend, während der die Meinungsführerschaftsaktivitäten studiert werden. Je größer der Zeitraum, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person auf eine oder mehrere andere Personen zu einem oder mehreren Meinungsgegenständen Einfluss ausgeübt hat. Die hier genannten Kriterien, die die Wahrscheinlichkeit einer generellen Meinungsführerschaft beeinflussen, sind in Abbildung 21 veranschaulicht.
Anzahl, Zusammenhang und Umfang der betrachteten Themenbereiche
Anzahl der beeinflussten Personen, die ein Individuum zum Meinungsführer determinieren
Generelle Meinungsführerschaft
Größe des betrachteten Zeitraumes
Abbildung 21: Kriterien mit Auswirkung auf die Wahrscheinlichkeit einer generellen Meinungsführerschaft Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Silk, Alvin J.: Overlap Among Self-Designated Opinion Leaders: A Study of Selected Dental Products and Services, in: Journal of Marketing Research, Vol. 3, August 1966, Issue 3, S. 255–259, S. 258f.
481
Vgl. Silk, Alvin J.: Overlap Among Self-Designated Opinion Leaders: A Study of Selected Dental Products and Services, in: Journal of Marketing Research, Vol. 3, August 1966, Issue 3, S. 255–259, S. 259. 482 Vgl. Silk, Alvin J.: Overlap Among Self-Designated Opinion Leaders: A Study of Selected Dental Products and Services, in: Journal of Marketing Research, Vol. 3, August 1966, Issue 3, S. 255–259, S. 259; auch: Merton, Robert K.: Patterns of Influence: A Study of Interpersonal Influence and Communications Behavior in a Local Community, in: Lazarsfeld, Paul F.; Stanton, Frank N. (Hrsg.): Communications Research, (Harper and Brothers) New York 1949, S. 180–219, S. 185; auch: King, Charles W.; Summers, John O.: Overlap of Opinion Leadership across Consumer Product Categories, in: Journal of Marketing Research, Vol. 7, 1970, S. 43–50, S. 46.
4.4 Merkmale von Meinungsführern
151
Da diese in den bisherigen Studien variierten, könnte damit deren widersprüchliche Ergebnisse für das Auftreten von allgemeiner Meinungsführerschaft erklärt werden. Aufgrund dieser widersprüchlichen Ergebnisse geht die Mehrheit der Meinungsführerforscher davon aus, dass es den generellen Meinungsführer nicht gibt. Eine übergreifende Meinungsführerschaft im Konsumgüterbereich ist nur dann wahrscheinlich, wenn die Produktkategorien ähnlich sind oder ähnlichen Interessen entsprechen.483 Entsprechende Forschungsergebnisse beispielsweise von MONTGOMERY und SILK (1971) bekräftigen diese Aussage.484 Monomorphe Meinungsführerschaft ist dann wahrscheinlich, wenn der Produktbereich eine große Spezialisierung voraussetzt, um Ratschläge verteilen zu können.485 EISENSTEIN (1994) bemerkt dazu: „Sofern die Einflussnahme nicht auf funktionaler, sondern auf charismatischer Autorität sowie kommunikativer Kompetenz basiert, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, generelle Einflussreiche anzutreffen.“486 Sie verweist dazu auf die Primärgruppen Familie und Freundeskreis. Beispielsweise internalisieren die Kinder demnach die Einkaufsgewohnheiten und Parteipräferenzen der Eltern. Der Freundeskreis bestimmt je nach Stärke der Bindung beispielsweise die Kleidung, die Zigarettenmarke und die politische Einstellung.487 Hinsichtlich des Interessenbereiches eines Meinungsführers scheinen alle Themengebiete relevant zu sein mit Ausnahme von Klatsch wie WEIMANN (1994) für Persönlichkeitsstarke feststellte. NOELLE-NEUMANN und PETERSEN (2005b) bestätigten diese Ergebnisse.488 483
Vgl. Wiswede, Günter: Meinungsführung und Konsumverhalten: Zur Metamorphose eines kommunikationswissenschaftlichen Konzepts, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 24, 1978, Nr. 2, S. 115–127, S. 125; auch: 484 Vgl. Montgomery, David B.; Silk, Alvin J.: Clusters of Consumer Interests and Opinion Leaders’ Spheres of Influence, in: Journal of Marketing Research, Vol. 8, 1971, Issue 3, S. 317–321. 485 Vgl. Merton, Robert K.: Social Theory and Social Structure, rev. Ed., (Free Press), Glencoe, Illinios 1957, S. 414. 486 Eisenstein, Cornelia: Meinungsbildung in der Mediengesellschaft: Eine theoretische und empirische Analyse zum Multi-Step Flow of Communication, (Westdeutscher Verlag) Opladen 1994, S. 141. 487 Vgl. Eisenstein, Cornelia: Meinungsbildung in der Mediengesellschaft: Eine theoretische und empirische Analyse zum Multi-Step Flow of Communication, (Westdeutscher Verlag) Opladen 1994, S. 141f. 488 Vgl. Weimann, Gabriel: The Influentials: People Who Influence People, (State University of New York Press) Albany 1994, S. 262; auch: Noelle-Neumann, Elisabeth; Petersen, Thomas: Verlorene Meinungsführerschaft: Wie das Fernsehen die Rolle der persönlichen Kommunikation im Wahlkampf verändert, in: Noelle-Neumann, Elisabeth; Donsbach, Wolfgang; Kepplinger, Hans M.: Wählerstimmungen in der Mediendemokratie: Analysen auf der Basis des Bundestagswahlkampfs 2002, (Verlag Karl Alber Freiburg) München 2005b, S. 164–186, S. 182.
152
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Zusammenfassend kann die Aussage getroffen werden, dass die Mehrheit der Forscher von spezialisierter Meinungsführerschaft ausgeht. Im Gegensatz dazu existieren Konzepte wie das des Market Maven (siehe Kapitel 2.5) und der Persönlichkeitsstarken (siehe Kapitel 2.7), die auf der Annahme von genereller Meinungsführerschaft beruhen. BRÜNE (1989) meint dazu treffend: „Die These, daß Meinungsführerschaft generell polymorph ist, muß insgesamt ebenso abgelehnt werden wie die Gegenthese, derzufolge es nur spezialisierte Meinungsführer gibt.“489 Allerdings scheint diese Diskussion bis heute nicht beendet zu sein.
4.4.11 Kulturelle Unterschiede Die bisher vorgestellten Eigenschaften von Meinungsführern wurden vorwiegend in Studien, die in den USA durchgeführt wurden, erforscht. Nur wenige Studien fanden auch in anderen Ländern wie beispielsweise Deutschland statt.490 Dies wirft die Frage auf, ob es kulturelle Unterschiede in der Merkmalsausprägung von Meinungsführern gibt oder ob die meist für Amerikaner ermittelten Faktoren weltweit gelten. Es könnte vermutet werden, dass es zwischen westlichen Gesellschaften keine Unterschiede gibt. COSMAS und SHETH (1980) nahmen sich dieses Themas an und untersuchten fünf verschiedene Kulturen: Amerikaner, Afroamerikaner, Inder, Briten und Chinesen. Die Datenanalyse ergab, dass sich die Meinungsführer aus den fünf kulturellen Gruppen in sieben (Autorität, Ich-Bezogenheit, allgemeines Wissen, einfache Erreichbarkeit, praktisch veranlagt, Normenwissen, Selbstvertrauen) der neun Merkmale signifikant unterscheiden. Bezüglich „Reife“ und „öffentliche Individualität“ gab es keine Variationen. Demnach richten sich die Amerikaner und die Briten an Meinungsführer ihrer Altersgruppe, die gewöhnlich enge Freunde sind, wohingegen sich die Fernostkulturen (Chinesen) eher an Individuen orientieren, die Autorität durch öffentlichen Status erlangten, die Normen der Gesellschaft repräsentieren und meist ältere männliche Familienmitglieder sind. Auch die Afroamerikaner und die Inder unterscheiden sich erheblich. Die Meinungsführer in der Kultur der Afroamerikaner 489
Brüne, Gerd: Meinungsführerschaft im Konsumgütermarketing: Theoretischer Erklärungsansatz und empirische Überprüfung, (Physica-Verlag) Heidelberg 1989, S. 60. 490 Vgl. Eurich, Claus: Politische Meinungsführer, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Lerg, Winfried B.; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 9, (Verlag Dokumentation Saur KG) München 1976; auch: Schenk, Michael: Soziale Netzwerke und Massenmedien: Untersuchung zum Einfluss der persönlichen Kommunikation, (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) Tübingen 1995; auch: Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Identifizierung der Meinungsführer, Vortrag gehalten auf dem ESOMAR Kongress (European Society for Opinion and Marketing Research – Europäische Gesellschaft für Meinungs- und MarketingForschung) in Wiesbaden 1.–5. September 1985, in: 38th ESOMAR Congress: Broadening the Uses of Research, (ESOMAR) Amsterdam 1985, S. 125–171.
4.4 Merkmale von Meinungsführern
153
erhalten ihr Einflusspotenzial aufgrund von persönlichen Eigenschaften. Sie nannten Meinungsführer aus dem öffentlichen Leben, die in der Presse als charismatisch beschrieben werden. Die Inder legen mehr Wert auf Expertenwissen und Erfahrung und sehen als Meinungsführer Personen aus dem öffentlichen Leben, die philosophische Ansichten vertreten.491 Somit gleichen sich die Amerikaner und die Briten in ihrer Anschauung, was einen Meinungsführer ausmacht. Dieser ist für sie ein Experte bezüglich der sozialen Gruppe und zweckmäßig als Meinungsführer. Die Inder weichen mit ihren Vorstellungen von den anderen Kulturen ab. Sie wollen allgemeine Experten und Experten bezüglich der Peergruppe. Die Chinesen schätzen Autoritätspersonen, die allgemeines Wissen haben und erreichbar sind.492 COSMAS und SHETH (1980) fassen zusammen, dass die Meinungsführer der verschiedenen Kulturen gleiche grundlegende Merkmale aufweisen, aber von Kultur zu Kultur unterschiedlicher Wert auf die einzelnen Eigenschaften gelegt wird. Es scheint, dass ähnliche Kulturen wie die Briten und die weißen Amerikaner auch ähnliche Ansichten bzw. Anforderungen an Meinungsführer stellen. Aufgrund der wachsenden Zahl von Kulturen, die in einem Land leben, sollte dennoch nicht von geographischen Profilen von Meinungsführern ausgegangen werden, wie dies der Fall der Afroamerikaner zeigt.493 Auch MARSHALL und GITOSUDARMO (1995) fanden Ähnlichkeiten in den acht Ländern (Deutschland, USA, Australien, Neuseeland, Hong Kong, Korea, Indien, Indonesien), die sie untersuchten. In allen Kulturen sind Meinungsführer geselliger und sozialer eingestellt als Nicht-Meinungsführer, sie haben auch größeres Wissen bezüglich des Meinungsgegenstandes und nutzen die Medien für ihre speziellen Interessen im größeren Maße. Ebenso ergaben sich auch Variationen. Meinungsführer in den asiatischen Kulturen (Hong Kong, Korea, Indonesien) waren älter als in den anderen Ländern. Erstaunlicherweise waren die Meinungsführer in Indonesien viel wohlhabender als die Nicht-Meinungsführer. MARSHALL und GITOSUDARMO (1995) vermuten, dass dort der Einfluss der Meinungsführer eher vertikal verläuft. Diese Vermutung sollte durch weitere Studien gesichert werden.494 491
Vgl. Cosmas, Stephen C.; Sheth, Jagdish N.: Identification of Opinion Leaders across Cultures: An Assessment for Use in the Diffusion of Innovations and Ideas, in: Journal of International Business Studies, Vol. 11, Spring 1980, Issue 1, S. 66–73, S. 68ff. 492 Vgl. Cosmas, Stephen C.; Sheth, Jagdish N.: Identification of Opinion Leaders across Cultures: An Assessment for Use in the Diffusion of Innovations and Ideas, in: Journal of International Business Studies, Vol. 11, Spring 1980, Issue 1, S. 66–73, S. 71. 493 Vgl. Cosmas, Stephen C.; Sheth, Jagdish N.: Identification of Opinion Leaders across Cultures: An Assessment for Use in the Diffusion of Innovations and Ideas, in: Journal of International Business Studies, Vol. 11, Spring 1980, Issue 1, S. 66–73, S. 71f. 494 Vgl. Marshall, Roger; Gitosudarmo, Indriyo: Variation in the Characteristics of Opinion Leaders across Cultural Borders, in: Journal of International Consumer Marketing, Vol. 8, 1995, Issue 1, S. 5–22, S. 20f.
154
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
WEIMANN (1991, 1994) testete das Konzept der Persönlichkeitsstarken in Deutschland und Israel. Mit Hilfe von statistischen Methodentests bewies WEIMANN (1991) „stability across cultural and social settings“495. Das Konstrukt wäre somit in verschiedenen Ländern anwendbar. Die Meinungsführer in beiden Ländern, sowohl in Deutschland als auch in Israel, zeigten einen ähnlichen Medienkonsum. Sie lesen Zeitungen und Magazine in höherem Maße und nutzten dagegen weniger das Fernsehen.496 Die aufgeführten Studien suggerieren, dass sich die Meinungsführer über Ländergrenzen hinweg in den Schlüsselmerkmalen wie Wissensstand, Soziabilität und Mediennutzung bzw. Informationssuche ähneln. Dagegen scheinen vor allem die Persönlichkeitsmerkmale und der soziale Status zu variieren. Ähnliche Kulturen tendieren vermutlich zu ähnlichen Merkmalsausprägungen (z. B. westliche Kulturen im Vergleich zu den östlichen Kulturen).497
4.4.12 Kritische Betrachtung Die bisherigen Studien weisen oft unterschiedliche Ergebnisse bezüglich der Charakteristiken von Meinungsführern auf. Eine Erklärung ist, dass jeweils verschiedene Identifizierungsmethoden und Kriterien eingesetzt wurden. Bei einigen Untersuchungen wurden die Befragten dichotom in Meinungsführer und Nicht-Meinungsführer unterteilt. Dies erfolgte aber nicht nur in älteren Arbeiten, sondern auch in jüngsten Veröffentlichungen. In anderen Untersuchungen wird zwischen Meinungsführern, Meinungsfolgern bzw. Meinungssuchenden und Inaktiven unterschieden. Wiederum andere Untersuchungen differenzieren zwischen verschiedenen Ausprägungen (z. B. schwach, mittel, stark) von Meinungsführerschaft oder Persönlichkeitsstärke und vergleichen diese untereinander. Es ist ersichtlich, dass diese unterschiedlichen Methodiken auch zu abweichenden Erkenntnissen führen können. Zusätzlich wurde Meinungsführerschaft nicht nur zu einem bestimmten Meinungsgegenstand untersucht, sondern die Studien variieren bezüglich ihrer Interessenbereiche wie Konsumgüter, Politik, Gesundheitswesen, Finanzdienstleistungen, etc. oder legen dagegen keine bestimmte Thematik, in der Meinungsführerschaft vorliegt, fest. Diese Problematik wird auch in Kapitel 4.2.5 erörtert. Des Weiteren wur495
Weimann, Gabriel: The Influentials: Back to the Concept of Opinion Leaders?, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 55, 1991, Issue 2, S. 267–279, S. 271. 496 Vgl. Weimann, Gabriel: The Influentials: Back to the Concept of Opinion Leaders?, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 55, 1991, Issue 2, S. 267–279; auch: Weimann, Gabriel: The Influentials: People Who Influence People, (State University of New York Press) Albany 1994. 497 Vgl. Cosmas, Stephen C.; Sheth, Jagdish N.: Identification of Opinion Leaders across Cultures: An Assessment for Use in the Diffusion of Innovations and Ideas, in: Journal of International Business Studies, Vol. 11, Spring 1980, Issue 1, S. 66–73, S. 71f.
4.4 Merkmale von Meinungsführern
155
den sehr viele verschiedene Merkmalsausprägungen untersucht. Die große Zahl der Ergebnisse verursacht Unübersichtlichkeit, zumal die Merkmale, die identisch erscheinen (z. B. gleiche Begriffsverwendung), teilweise unterschiedlich operationalisiert wurden. Überdies wurden in einigen Studien relative Größen verwendet, während andere Studien ihre Ergebnisse in absoluten Zahlen angaben.498 Die Erkenntnisse der zahlreichen Forschungsarbeiten sind daher kritisch zu sehen und sind nicht immer vergleichbar oder verallgemeinerungsfähig. Zu beachten ist desgleichen, dass die Meinungsführerforschung bereits seit mehreren Jahrzehnten existiert. Aufgrund des ständig stattfindenden Lebenswandels und der Entwicklung neuer Technologien, können Erkenntnisse, z. B. bezüglich des Mediennutzungsverhaltens der Meinungsführer, die vor fünf Jahren gewonnen wurden, heute nicht mehr zutreffen. Essenz # 22: Als Schlüsselmerkmale der Meinungsführer können ihr hoher Wissensstand und ihr großes Einflusspotenzial angesehen werden. Sie zeichnen sich meist durch intensive sowie aktive Informationssuche und -verarbeitung aus, nutzen dafür qualitativ hochwertige Massenmedien (z. B. Fachzeitschriften) und zeigen oft große Innovationsbereitschaft. Die Meinungsführer engagieren sich häufig in Organisationen und Vereinen und besitzen eine hohe soziale Kompetenz, die sich in der Größe ihres sozialen Netzwerkes widerspiegelt. Sie repräsentieren die Normen und Werte ihrer sozialen Gruppe, weisen aber eine gewisse Neigung zu einem ausgeprägten persönlichen Stil („public individuation“) auf, um sich von der Gruppe abzuheben. Meinungsführer können nicht anhand demografischer und sozioökonomischer Merkmale identifiziert werden. Da sie in jeder sozialen Schicht zu finden sind, verläuft ihre Einflussrichtung meist horizontal. In der Literatur herrscht keine Einigkeit darüber, ob es sich um generelle (polymorphe) oder spezifische (monomorphe) Meinungsführerschaft handelt. Vornehmlich wird von spezifischer Meinungsführerschaft gesprochen. Personen können zu mehreren Themenbereichen meinungsführend sein, wenn sich diese ähneln. Dennoch sind die Studien, die sich mit Merkmalsausprägungen der Meinungsführer beschäftigen, kritisch zu betrachten, da sie meist verschiedene Identifizierungsmethoden und Kriterien anwandten und die Meinungsführung in unterschiedlichen Thematiken untersuchten.
498
Vgl. Brüne, Gerd: Meinungsführerschaft im Konsumgütermarketing: Theoretischer Erklärungsansatz und empirische Überprüfung, (Physica-Verlag) Heidelberg 1989, S. 61.
156
4.5
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Meinungsführer und das Internet
Aufgrund des erst spät aufkommenden Interesses des Marketings am Phänomen „Word-of-Mouth“ und den noch relativ neuen Entwicklungen des WoM im Internet, gibt es nur wenig Literatur über WoM, insbesondere wenig über Meinungsführer im Internet. Dabei spielt das Internet eine bedeutende Rolle als Träger von Word-ofMouth. ASSAEL (2004) schreibt, dass WoM im Internet erfolgreicher ist, da laut einer Studie eine Person im Internet acht weitere beeinflussen kann, während eine Person bei direktem Kontakt durch „Face-to-Face“-Kommunikation im Durchschnitt nur zwei andere Personen beeinflusst.499 Auch WALSH und MITCHELL (2001) betonen, dass das traditionelle Word-of-Mouth auf den sozialen Kreis eingeschränkt ist, während das Wordof-Mouth im Internet eine grenzenlose Anzahl von Internetnutzern erreichen kann.500 LYONS und HENDERSON (2005) scheinen zwei der wenigen Forscher zu sein, die sich in einer wissenschaftlichen Arbeit mit Meinungsführern im Internet auseinandersetzen. Dafür befragten sie Studenten eines Internet-Marketing Kurses, die sich selbst als computeraffin bezeichneten und Interesse am Internet bekundeten. LYONS und HENDERSON (2005) zogen einen Vergleich zu den Meinungsführern in den klassischen Märkten und stellten Gemeinsamkeiten fest. Demnach zeigen Meinungsführer im Internet ähnlich wie in den klassischen Märkten einen höheren Grad an Involvement, größeres selbsteingeschätztes bzw. von anderen wahrgenommenes Produktwissen, höhere Innovativitätsbereitschaft, Neugierde und Erkundungs- bzw. Forschungsverhalten bezüglich des Internets als Nicht-Meinungsführer. Internet-Meinungsführer stöbern daher besonders gern auf ihnen noch unbekannten Webseiten herum und sind neugierig auf alles Neue. Auch TSANG und ZHOU (2005) waren der Ansicht, dass InternetMeinungsführer innovativer sind, sich eher als Individuum sehen, das sich von der Masse abhebt („public individualization“), und in höherem Maße produktinvolviert sind als Nicht-Meinungsführer. Die Internet-Meinungsführer gehören laut LYONS und HENDERSON (2005) auch eher zu der Gruppe der Frühadoptoren. SMITH et al. (2007) fanden auch für die Internetumgebung einen positiven Zusammenhang zwischen der Anzahl der persönlichen Kontakte und selbsteingeschätzter Meinungsführerschaft. Des Weiteren nimmt die Anzahl der schwachen Bindungen mit der Größe des sozialen Netzwerkes zu. Nach Meinung SMITH et al. (2007) sind diese schwachen Beziehungen wichtig, um Botschaften (oder den „Buzz“, siehe Kapitel 5) von einer Gruppe zur nächsten zu leiten.501 499
Vgl. Assael, Henry: Consumer Behavior: A Strategic Approach, (Houghton Mifflin Company) Boston u. a. 2004, S. 471. 500 Vgl. Walsh, Gianfranco; Mitchell, Vincent-Wayne: German Market Mavens’ Decision-Making Styles, in: Journal of Euromarketing, Vol. 10, 2001, Issue 4, S. 83–108, S. 102. 501 Vgl. Smith, Ted u. a.: Reconsidering Models of Influence: The Relationship between Consumer Social Networks and Word-of-Mouth Effectiveness, in: Journal of Advertising Research, Vol. 47, December 2007, Issue 4, S. 387–397, S. 389ff.
4.5 Meinungsführer und das Internet
157
Internet-Meinungsführer sind häufiger und länger im Internet als andere, sie sind computeraffin und besitzen diesbezüglich ein größeres Wissen und mehr Fähigkeiten. SMITH et al. (2007) konnten nachweisen, dass die Personen mit vielen Kontakten am meisten Gebrauch von neue Technologien wie E-Mails, Instant Messenger bzw. Chatprogramme oder SMS-Versand machen.502 TSANG und ZHOU (2005) zeigten auch, dass Internet-Meinungsführer mehr in Newsgroups involviert sind, d. h. aktiv diese lesen und dazu posten. Die Motive der Meinungsführer im Internet gleichen denen der Meinungsführer in der „offline“-Umgebung. Sie wollen vor allem anderen helfen. Kommt der Ratschlag gut an, erhöht es das Selbstwertgefühl der Meinungsführer und bestärkt sie in ihren Anstrengungen.503 Ferner konnten TSANG und ZHOU (2005) keine signifikanten Unterschiede bezüglich demografischer Variablen zwischen Internet-Meinungsführern und Nicht-Meinungsführern feststellen, was konsistent ist mit den Erkenntnissen in den traditionellen Märkten.504 LYONS und HENDERSON (2005) resümieren daher, dass Marketer kaum mit mehr Problemen konfrontiert werden im Vergleich zu den traditionellen Märkten, wenn sie Internet-Meinungsführer identifizieren wollen, da sie ähnliche Merkmale aufweisen. Als hilfreich sehen LYONS und HENDERSON (2005) daher das Web Monitoring an, welches Daten zu Besucherzahlen, häufig besuchte Links etc. bezüglich einer Webseite stellt und Hinweise auf Meinungsführer liefern kann.505 Die Internet-Meinungsführer verteilen ihre Informationen vor allem in onlineNewsgroups und Diskussionsforen. LYONS und HENDERSON (2005) empfehlen Newsletter und interaktive Webseiten als Marketinginstrumente, um Meinungsführer gezielt über Neuigkeiten aufzuklären und um die Konsumenten aktiv einzubinden sowie ihr Involvement zu erhöhen. Sie betonen besonders den Vorteil der Interaktivität und die unmittelbaren Feedbackmöglichkeiten im Internet.506 Ähnlich sehen TSANG und ZHOU (2005) online-Newsgroups als einen wichtigen Kommunikationskanal für Internet-Meinungsführer, die dazu dienen, Meinungen 502
Vgl. Smith, Ted u. a.: Reconsidering Models of Influence: The Relationship between Consumer Social Networks and Word-of-Mouth Effectiveness, in: Journal of Advertising Research, Vol. 47, December 2007, Issue 4, S. 387–397, S. 392. 503 Vgl. Smith, Ted u. a.: Reconsidering Models of Influence: The Relationship between Consumer Social Networks and Word-of-Mouth Effectiveness, in: Journal of Advertising Research, Vol. 47, December 2007, Issue 4, S. 387–397, S. 392. 504 Vgl. Lyons, Barbara; Henderson, Kenneth: Opinion Leadership in a Computer-Mediated Environment, in: Journal of Consumer Behaviour, Vol. 4, 2005, Issue 5, S. 319–329, S. 325ff.; auch: Tsang, Alex S. L.; Zhou, Nan: Newsgroup Participants as Opinion Leaders and Seekers in Online and Offline Communication Environments, in: Journal of Business Research, Vol. 58, 2005, Issue 9, S. 1186–1193, S. 1190. 505 Vgl. Lyons, Barbara; Henderson, Kenneth: Opinion Leadership in a Computer-Mediated Environment, in: Journal of Consumer Behaviour, Vol. 4, 2005, Issue 5, S. 319–329, S. 325ff. 506 Vgl. Lyons, Barbara; Henderson, Kenneth: Opinion Leadership in a Computer-Mediated Environment, in: Journal of Consumer Behaviour, Vol. 4, 2005, Issue 5, S. 319–329, S. 326ff.
158
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
auszutauschen, auf die jedermann zu jeder Zeit reagieren, d. h. antworten kann. Newsgroups entsprechen somit der Struktur sowohl von interpersoneller Kommunikation als auch weitreichender Printmedien. TSANG und ZHOU (2005) untersuchten das Kommunikationsverhalten in Newsgroups und verglichen dies mit dem Kommunikationsverhalten außerhalb des Internets. Die Forscher nutzten die Skalen von FLYNN, GOLDSMITH und EASTMAN (1996), um die Befragten als Meinungsführer oder Meinungssuchende separat „offline“ und im Internet einzustufen. Die Personen, die Meinungsführer außerhalb des Internets sind, zeigten, anders als vermutet, kein intensiveres Informationssuchverhalten in Newsgroups. Interessanterweise offenbarten die Ergebnisse, dass Personen, die offline weniger nach Informationen suchen, im Internet aktiver sind. Das Internet ist vermutlich vorteilhaft für Menschen, die sich nicht trauen nach Informationen zu fragen oder die nicht die entsprechenden persönlichen Quellen haben, um Rat einzuholen. TSANG und ZHOU’s (2005) Analyse zeigte außerdem eine Übereinstimmung in der Selbsteinschätzung der Befragten als Meinungsführer und ihrem Verhalten in den Newsgroups.507 Der Vorteil von Newsgroups liegt darin, dass sie öffentlich zugänglich sind, in schriftlicher Form vorliegen und die Beiträge über einen längeren Zeitraum gespeichert werden. Marketern eröffnet dies die Möglichkeit, Meinungsführer in Newsgroups und ihr Einflusspotenzial näher zu untersuchen. TSANG und ZHOU (2005) schlagen dafür eine Befragung und anschließend eine Analyse der innerhalb eines bestimmten Zeitraumes geposteten Beiträge der Befragten vor. In der Befragung kann eine Selbsteinschätzung der Respondenten bezüglich ihrer Meinungsführerschaft vorgenommen werden und durch die Untersuchung ihres Verhaltens, dargestellt durch ihre Beiträge in den Newsgroups, überprüft werden.508 Wie in Kapitel 4.6 näher beschrieben, untersucht die Studie von BELCH, KRENTLER und WILLIS-FLURRY (2005) den Zusammenhang von Internetnutzung und virtuellem Marktwissen der jugendlichen Internet Maven und ihren Einfluss auf den Kaufentscheidungsprozess in der Familie, hier am Beispiel der Urlaubsplanung. Sie fanden unter anderem heraus, dass sich jugendliche Internet Maven durch einen höheren Internetkonsum auszeichnen und aufgrund ihrer Internetkenntnisse Einfluss auf Kaufentscheidungen, wie beispielsweise die Urlaubsplanung, ihrer Familie haben.509 507
Vgl. Tsang, Alex S. L.; Zhou, Nan: Newsgroup Participants as Opinion Leaders and Seekers in Online and Offline Communication Environments, in: Journal of Business Research, Vol. 58, 2005, Issue 9, S. 1186–1193, S. 1190ff. 508 Vgl. Tsang, Alex S. L.; Zhou, Nan: Newsgroup Participants as Opinion Leaders and Seekers in Online and Offline Communication Environments, in: Journal of Business Research, Vol. 58, 2005, Issue 9, S. 1186–1193, S. 1189ff. 509 Vgl. Belch, Michael A.; Krentler, Kathleen A.; Willis-Flurry, Laura A.: Teen Internet Mavens: Influence in Family Decision Making, in: Journal of Business Research, Vol. 58, May 2005, Issue 5, S. 569–575.
4.5 Meinungsführer und das Internet
159
Zusammenfassend zeigt sich, dass Meinungsführer das Internet als wichtige Informationsquelle ansehen (siehe Kapitel 4.4.4). Die Erkenntnisse von BELCH, KRENTLER und Willis-FLURRY (2005) lassen vermuten, dass Personen, die eine hohe Internetaffinität aufweisen und über einen großen Wissensstand bezüglich des virtuellen Marktgeschehens verfügen, auch mehr Einflusspotenzial außerhalb des Internets haben, da das Internet einen Informationsvorsprung bietet. Informationen im Internet sind schneller und einfacher zugänglich und häufig auch aktueller als in anderen Massenmedien. Die Studie von TSANG und ZHOU (2005) lässt vermuten, dass Personen, die in der „Face-to-Face“-Kommunikation häufig als Meinungsführer bezüglich eines Meinungsgegenstandes auftreten auch im Internet, z. B. in Newsgroups oder Weblogs, wie Meinungsführer agieren. Zudem scheint es möglich, aufgrund der Anonymität des Internets, dass Individuen im Internet aktiver auftreten, ob nun als Meinungsführer oder als Meinungssuchender, als im realen Marktgeschehen. Diese Mutmaßungen erfordern allerdings weitere Forschungen. Überdies weisen Meinungsführer im Internet scheinbar die gleichen Charakteristiken auf, wie Meinungsführer in der „Face-to-Face“-Kommunikation, was nicht verwunderlich ist, wenn Personen in beiden Milieus gleichzeitig als Meinungsführer auftreten. Es soll noch betont werden, dass die Konsumenten durchaus zwischen Experteninformationen und Online-Empfehlungen von anderen Konsumenten unterscheiden können, und dabei die letztere Informationsquelle für glaubwürdiger halten. Unternehmen sollten vorsichtig im Umgang mit Weblogs sein und Informationen deutlich als Expertenwissen kennzeichnen. Negative Folgen sind zu erwarten, wenn fiktive Konsumentenmeinungen eingesetzt werden. Nichtsdestoweniger ist die Anzahl der Studien, die die Meinungsführerschaft im Internet untersuchen, zum Treffen genauerer Aussagen zu gering. Essenz # 23: Nur eine geringe Anzahl von Studien konzentriert auf Meinungsführer im Internet. Daher bestehen diesbezüglich lediglich geringe Kenntnisse. Es zeigten sich Tendenzen, dass die Meinungsführer im Internet ähnliche Merkmale aufweisen wie Meinungsführer im realen Marktgeschehen. Sie zeichnen sich durch ein höheres Interesse und Informationssuchverhalten im Internet aus, besitzen einen hohen Wissensstand und pflegen zahlreiche soziale Kontakte oft durch moderne Kommunikationsmittel wie E-Mails. Des Weiteren zeigen Meinungsführer ein aktives Kommunikationsverhalten, was vor allem in online-Newsgroups und anderen interaktiven Webseiten zu beobachten ist. Meinungsführer im Internet besitzen zudem eine hohe Affinität im Umgang mit Computern. Dennoch befindet sich die Forschung diesbezüglich in ihren Anfängen. Zahlreiche Fragestellungen, wie das Kaufverhalten der Meinungsführer im Internet, wurden noch nicht untersucht.
160
4.6
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Jugendliche als Meinungsführer
Die bisherigen Ausführungen gehen auf Untersuchungen zurück, die sich ausschließlich auf Erwachsene als Meinungsführer konzentrierten. Nur wenige Studien beschäftigen sich auch mit der Thematik „Jugendliche als Meinungsführer“. Ob eventuelle Divergenzen existieren, wird im Folgenden erläutert. RÖSSLER und SCHARFENBERG (2004) führten eine Netzwerkanalyse mit Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 19 Jahren durch, wobei ihre Kommunikationsrollen bezüglich Musikthemen untersucht wurden. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass sich dieser Themenbereich eher weniger zur Studie von Meinungsführern eignet, da nur in 15,3% der Kommunikationsbeziehungen, in denen Gespräche über Musik stattfinden, einer der Befragten die Meinungsführer-Rolle übernimmt. Zudem tritt in nur 5,6% der Netzwerke der Befragte als „echter“ Meinungsführer auf, d. h. er war in mehr als der Hälfte der Gespräche der Meinungsführer. RÖSSLER und SCHARFENBERG (2004) erklären dies mit dem vorwiegend einheitlich vorkommenden Musikgeschmack, der wenig Raum für Überzeugung lässt. Dennoch konnten einige Aussagen zu Meinungsführern unter Jugendlichen getroffen werden.510 Wie auch bei Erwachsenen ist kein soziodemografisches Profil für jugendliche Meinungsführer erkennbar. Dies liegt aber daran, dass die vorliegende Studie zwei Klassenverbände als Untersuchungseinheit gewählt hat. Es zeigte sich, dass das Netzwerk der Befragten vorwiegend aus Freunden und Mitschülern bestand. Es wurden zwar auch Elternteile als Bezugspersonen genannt, aber die übrige Verwandtschaft nahm einen geringen Stellenwert ein. Zudem wurden aus Zeit- und Kostengründen nicht alle genannten Bezugspersonen, sondern nur die drei „besten Freunde“ in die Schneeballbefragung eingeschlossen.511,512 Das Mediennutzungsverhalten der jugendlichen Meinungsführer unterscheidet sich kaum von den anderen. Meinungsführer unterhalten sich dagegen des Öfteren 510
Vgl. Rössler, Patrick; Scharfenberg, Nadeschda: Wer spielt die Musik? Kommunikationsnetzwerke und Meinungsführerschaft unter Jugendlichen: Eine Pilotstudie zu Musikthemen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. 56, 2004, Heft 3, S. 490–519, S. 509f. 511 Von den 45 Erstbefragten und den 466 genannten Netzpersonen (ohne Mehrfachnennung 261) wurden 72 Personen (45 Egos und 27 Alteri) auf egozentrierter Ebene der Netzwerke untersucht. Siehe dazu: Rössler, Patrick; Scharfenberg, Nadeschda: Wer spielt die Musik? Kommunikationsnetzwerke und Meinungsführerschaft unter Jugendlichen: Eine Pilotstudie zu Musikthemen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. 56, 2004, Heft 3, S. 490–519, S. 498ff. 512 Vgl. Rössler, Patrick; Scharfenberg, Nadeschda: Wer spielt die Musik? Kommunikationsnetzwerke und Meinungsführerschaft unter Jugendlichen: Eine Pilotstudie zu Musikthemen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. 56, 2004, Heft 3, S. 490–519, S. 510ff.
4.6 Jugendliche als Meinungsführer
161
über Musikthemen und zeigen ein höheres Wissen im Musik-Bereich (gemessen an „Interesse für Musik“ und „Musikhördauer“). Meinungsführer stuften auch selbst ihr Musik-Wissen höher ein als das ihrer Gesprächspartner.513 Im Gegensatz zu den Netzwerkbeziehungen zwischen Erwachsenen, wie beispielsweise von SCHENK (1995) untersucht, besitzen jugendliche Meinungsführer Netzwerke mit geringerer Größe als andere: „Je häufiger ein Jugendlicher als Meinungsführer auftritt, desto geringer ist die Anzahl seiner Netzpersonen.“514 Dennoch prägte eher Heterogenität statt Harmonie und Dichte die Netzwerkstrukturen der Meinungsführer. Die Heterogenität des Netzwerkes basiert darauf, dass das Netzwerk aus Personen verschiedenen Alters und mit unterschiedlicher Bildung besteht. Heterogenität führt meist zu Meinungsverschiedenheiten. Somit basiert die Meinungsführerschaft der Jugendlichen nicht auf der Netzwerkgröße, sondern scheinbar auf der „starke Stellung“ der Jugendlichen innerhalb einer kleineren Gruppe. RÖSSLER und SCHARFENBERG (2004) nennen deshalb die jugendlichen Meinungsführer auch „Meinungsführer im kleinen Kreis“515. Auch im Gegensatz zu SCHENK’s (1995) Erkenntnissen über Erwachsene stand Meinungsführerschaft im negativen Zusammenhang mit Meinungskongruenz: „Je häufiger ein Schüler in seinem Netzwerk als Opinion Leader auftritt, desto seltener ist er mit seinen Gesprächspartnern gleicher Meinung.“516 SCHENK (1995) entdeckte dagegen bei Erwachsenen, dass Meinungsführer zu Meinungskongruenz bezüglich politischer Themen beitragen. Diesen Unterschied führen RÖSSLER und SCHARFENBERG (2004) aber darauf zurück, dass die Meinungsübereinstimmung der Jugendlichen geringer als die Meinungskongruenz der Erwachsenen in der Studie von SCHENK (1995) war. Sie schreiben den jugendlichen Meinungsführern eher eine Meinungsänderung zu als eine Verstärkerfunktion bestehender Meinungen wie bei den Erwachsenen.517 513
Vgl. Rössler, Patrick; Scharfenberg, Nadeschda: Wer spielt die Musik? Kommunikationsnetzwerke und Meinungsführerschaft unter Jugendlichen: Eine Pilotstudie zu Musikthemen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. 56, 2004, Heft 3, S. 490–519, S. 510ff. 514 Rössler, Patrick; Scharfenberg, Nadeschda: Wer spielt die Musik? Kommunikationsnetzwerke und Meinungsführerschaft unter Jugendlichen: Eine Pilotstudie zu Musikthemen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. 56, 2004, Heft 3, S. 490–519, S. 512. 515 Rössler, Patrick; Scharfenberg, Nadeschda: Wer spielt die Musik? Kommunikationsnetzwerke und Meinungsführerschaft unter Jugendlichen: Eine Pilotstudie zu Musikthemen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. 56, 2004, Heft 3, S. 490–519, S. 512. 516 Rössler, Patrick; Scharfenberg, Nadeschda: Wer spielt die Musik? Kommunikationsnetzwerke und Meinungsführerschaft unter Jugendlichen: Eine Pilotstudie zu Musikthemen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. 56, 2004, Heft 3, S. 490–519, S. 512. 517 Vgl. Rössler, Patrick; Scharfenberg, Nadeschda: Wer spielt die Musik? Kommunikationsnetzwerke und Meinungsführerschaft unter Jugendlichen: Eine Pilotstudie zu Musikthemen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. 56, 2004, Heft 3, S. 490–519, S. 511ff.
162
4 Theorien und Konzepte in der Meinungsführerforschung
Insgesamt zeigt sich, dass die Kommunikationsbeziehungen unter den Jugendlichen vorwiegend auf Meinungsaustausch basieren, wie auch TROLDAHL und VAN DAM (1965b) für Erwachsene feststellten. Rund ein Viertel der untersuchten Beziehungen enthielten Inaktive bzw. Meinungsmeider. Dennoch war keiner der Befragten in allen seinen Beziehungen inaktiv. Ähnlich wie die Meinungsführer-Rolle trat auch die reine Empfänger-Rolle nur selten auf. Die Netzwerke der Jugendlichen sind weniger homogen im Vergleich zu den Netzwerken der Erwachsenen, weil für die Jugendliche auch die Eltern bzw. die Familie als Bezugspersonen bedeutsam sind. Die Netzwerke sind darüber hinaus größer, weniger stabil und verfügen über eine größere Reichweite. Zusammengefasst zeigen die Erkenntnisse von RÖSSLER und SCHARFENBERG (2004), dass sich die Netzwerkstrukturen, die Kommunikationsbeziehungen und Meinungsführerschaft der Jugendlichen von denen der Erwachsenen unterscheiden können.518 BELCH, KRENTLER und WILLIS-FLURRY (2005) untersuchten das Internetverhalten von jugendlichen Market Maven, auch Internet Maven genannt, und zeigten, dass Jugendliche durch ihr Interesse, Involvement und hohen Kenntnisstand der virtuellen Marktgegebenheiten bei bestimmten Produkten Einfluss auf die Kaufentscheidungen ihrer Familie haben. Sie konzentrierten sich dabei den Entscheidungsprozess für die Urlaubsplanung.519 In ihrer Studie wurden mit der modifizierten Skala von FEICK und PRICE (1987) 25,7% der Befragten als Internet Maven identifiziert. Die Internet Maven unterschieden sich hinsichtlich demografischer Merkmale kaum von den Non-Internet Maven. BELCH, KRENTLER und WILLIS-FLURRY konnten lediglich eine leichte Tendenz zu männlichen Internet Maven feststellen. Jugendliche Internet Maven nutzen das Internet häufiger als andere Individuen und vor allem regelmäßig zur Unterhaltung anstatt für Arbeit bzw. Schule. Die Befragung beider Parteien, die Jugendlichen und die entsprechenden Elternteile, ergab, dass jugendliche Market Maven in allen Phasen der Kaufentscheidung (Initialisierung, Informationssuche, Alternativenbewertung und Entscheidung) Einflusspotenzial besitzen. Dabei ist ihr Einfluss in der Initialisierungsphase und der Informationssuchphase am größten. Interessanterweise nehmen Eltern, die mehr Stunden im Internet verbringen als andere, ihre Kinder eher als Internet Maven wahr und schätzen sie auch als einflussreicher in den ersten beiden
518
Vgl. Rössler, Patrick; Scharfenberg, Nadeschda: Wer spielt die Musik? Kommunikationsnetzwerke und Meinungsführerschaft unter Jugendlichen: Eine Pilotstudie zu Musikthemen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. 56, 2004, Heft 3, S. 490–519, S. 506ff. 519 Vgl. Belch, Michael A.; Krentler, Kathleen A.; Willis-Flurry, Laura A.: Teen Internet Mavens: Influence in Family Decision Making, in: Journal of Business Research, Vol. 58, May 2005, Issue 5, S. 569–575.
4.6 Jugendliche als Meinungsführer
163
Phasen des Kaufentscheidungsprozesses ein. Diese Einschätzung haben die Jugendlichen auch von sich selbst, wenn ihre Eltern häufige Internetnutzer sind.520 Diese Erkenntnisse sind insofern wichtig, da Jugendliche in einigen Branchen, wie beispielsweise der Spiele- oder der Musikbranche, eine wichtige Zielgruppe darstellen. Jugendliche Meinungsführer zu verstehen, ihre Beziehungsstruktur und Charakteristiken zu kennen, kann hilfreich für eine gezielte Ansprache sein. Essenz # 24: Nur wenige Studien beschäftigen sich mit Jugendlichen als Meinungsführer, obwohl bereits erkannt wurde, dass Jugendliche erheblichen Einfluss auf die Kaufentscheidungen innerhalb der Familie haben. Es scheint, dass jugendliche Meinungsführer sich in ihrem Medienkonsum nicht von anderen Jugendlichen unterscheiden. Im Gegensatz zu erwachsenen Meinungsführern, haben die Jugendlichen wahrscheinlich lediglich ein kleines soziales Netzwerk, das durch Heterogenität in Einstellungen und Meinungen bedingt durch Alters- und Bildungsunterschiede geprägt ist.
520
Vgl. Belch, Michael A.; Krentler, Kathleen A.; Willis-Flurry, Laura A.: Teen Internet Mavens: Influence in Family Decision Making, in: Journal of Business Research, Vol. 58, May 2005, Issue 5, S. 569–575, S. 571ff.
5
Bedeutung des Meinungsführer-Konzeptes für das Marketing
5.1
Problemstellung
Aus den vorangegangenen Ausführungen ist ersichtlich, dass die interpersonelle Kommunikation neben massenmedialer Kommunikationskanäle großen Einfluss auf die Einstellungen und Meinungen sowie Einfluss auf das Kaufverhalten der Konsumenten hat. Dem Meinungsführer kommt dabei aufgrund verschiedener Schlüsselmerkmale eine große Bedeutung zu. Obwohl bereits seit über 60 Jahren Forschungen über Meinungsführer durchgeführt werden, ist stärkeres Interesse an den Meinungsführern und der interpersonellen Kommunikation bzw. Word-of-Mouth erst im letzten Jahrzehnt aufgekommen. OETTING und JACOB (2007) führen dazu an, dass die stetig wachsende Zahl der Medienkanäle (Fernsehsender, Publikationen, Internetseiten) die Rezipienten in kleinere Gruppen zersplittert, die zudem von dem unübersichtlichen Medienangebot und der Informationsflut übersättigt sind. Neue Technologien (z. B. Werbeblogger im Internet) ermöglichen es den Konsumenten, sich kontrolliert der Werbung zu entziehen. Es wird daher zunehmend schwierig die Konsumenten mit klassischen Marketinginstrumenten zu erreichen. Die Unternehmen und Werbetreibenden suchen infolgedessen nach neuen Mitteln, um ihre Zielgruppe zu erreichen. Speziell neue Technologien wie das Web 2.0 lösten einen Trend zu interpersoneller Kommunikation im Internet (auch online-WoM genannt) aus, die Potenzial für ökonomischen Erfolg aufweisen. Aber auch negatives WoM und ihre Folgen müssen verhindert werden und erfordern Aktivitäten von Seiten der Unternehmen.521 Studien dazu zeigen, dass die Wirkung des negativen Word-of-Mouth stärker ist als die Wirkung von positivem WoM.522
5.2
Entwicklung neuer Kommunikationskonzepte
Es wurden Kommunikationskonzepte wie das Word-of-Mouth-Marketing und seit dem Aufkommen des Internets auch das virale Marketing entwickelt. Das Word-ofMouth-Marketing nutzt den natürlichen Prozess der Mundpropaganda zur Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen und versucht diesen zu steuern. Durch persönliche Kommunikation zwischen Konsumenten werden Informationen über Erfahrungen, Einstellungen oder Kunden(un)zufriedenheit mit den Leistungen eines Un521
Vgl. Oetting, Martin; Jacob, Frank: Empowered Involvement and Word of Mouth: an Agenda for Academic Inquiry, ESCP-EAP Working Paper No. 28, October 2007 (ESCP-EAP, European School of Management) Berlin 2007, S. 1f. 522 Vgl. Crane, Edgar: Marketing Communications, 2nd Ed., (Wiley) New York 1972, S. 362.
166
5 Bedeutung des Meinungsführer-Konzeptes für das Marketing
ternehmens weitergegeben.523 Kritiker merken an, dass Mundpropaganda im Gegensatz zum viralen Marketing eine geringere Reichweite hat, weil es nur im engeren Umkreis (fünf bis zehn Personen) verteilt wird und damit auch schnell an Wirkung verliert. Dennoch ist dieser Prozess wahrscheinlicher als ein viraler Marketingprozess. Unter dem Begriff „virales Marketing“ (auch Viral-Marketing oder VirusMarketing) werden Marketingstrategien verstanden, die das Prinzip des Word-ofMouth bzw. Mundpropaganda ausnutzen, indem sie Nachrichten im Internet bezüglich Marken, Produkte oder Kampagnen verbreiten, die sich epidemisch, wie ein Virus verbreiten ohne weiterer Anstrengungen von Seiten der werbetreibenden Unternehmen. „Die Möglichkeiten der Hypermedialität und die Einfachheit des Informationsaustausches bieten hierbei die idealen Voraussetzungen für die Verbreitung von Kundenempfehlungen ….“524 Das gleiche Konzept wird häufig auch als Buzz-Marketing bezeichnet. ASSAEL (2004) betont, dass das Virale Marketing nicht nur „Face-toFace“-Kommunikation auslöst, sondern auch den Diffusionsprozess stimuliert: „… Viral marketing stimulates both word-of-mouth communications and the process of diffusion: word of mouth in encouraging communications between people who generally trust each other and find on another’s message credible, and diffusion in encouraging a spread of information from one person to the next and ultimately from one group to other groups.“525 Dennoch ist eine solche virusartige Ausbreitung nicht garantiert. Genauso gut können diese Informationen nur eine geringere Reichweite, vergleichbar mit dem Wordof-Mouth Marketing, haben. Aufgrund des Erfolges von viralen Marketing-Kampagnen werden Stimmen laut, die das originäre Word-of-Mouth-Marketing als veraltet abwerten. Allerdings ist das virale Marketing risikoreich, da ein eventueller Erfolg nicht prognostizierbar ist. Die aktuelle Hysterie bezüglich dieser neuen Marketingform spiegelt sich in den zahlreichen praxisorientierten Publikationen in den USA wider, die oft Bestseller-Status erreichten.526 523
Vgl. Diller, Hermann (Hrsg.): Vahlens großes Marketinglexikon, 2. völlig überarb. und erw. Aufl., (Verlag C. H. Beck, Verlag Franz Vahlen) München 2001, S. 1157f. 524 Diller, Hermann (Hrsg.): Vahlens großes Marketinglexikon, 2. völlig überarb. und erw. Aufl., (Verlag C.H. Beck, Verlag Franz Vahlen) München 2001, S. 1815. 525 Assael, Henry: Consumer Behavior: A Strategic Approach, (Houghton Mifflin Company) Boston u. a. 2004, S. 465. 526 Vgl. Gladwell, Malcom: Der Tipping-Point: wie kleine Dinge Großes bewirken können, (The Tipping Point: How Little Things Can Make a Big Difference, Amerikanisch), übers. von Malte Friedrich, 4. Aufl. (Goldmann) München 2002; auch.: Godin, Seth: Unleashing the Ideavirus: How to Turn your Ideas into Marketing Epidemics, (The Free Press) London 2002; auch: Rosen, Emanuel: The Anatomy of Buzz: Creating Word-of-Mouth-Marketing, (HaperCollinsBusiness) London 2001; auch: Gillin, Paul: The New Influencers: A Marketer’s Guide to the New Social Media, (Quill Driver Books) Sanger, California 2007; auch: Keller, Edward; Berry, Jon: The Influentials: One American in Ten Tells the Other Nine How to Vote, Where to Eat, and What to Buy, (Free Press) New York u. a. 2003.
5.3 Einbindung der Meinungsführer in Marketing- und Kommunikationsstrategien
5.3
167
Einbindung der Meinungsführer in Marketing- und Kommunikationsstrategien
In den Forschungsarbeiten sind zahlreiche Hinweise zu finden, wie Meinungsführer in Kommunikationsstrategien eingesetzt werden können. SCHENK, TSCHOERTNER und JERS (2006) schlagen aufgrund ihrer Erkenntnisse über Finanz-Meinungsführer eine dreistufige Markt- und Kommunikationsstrategie vor: 1.) Meinungsführer als Kunden gewinnen, 2.) Meinungsführer als besondere Kunden pflegen und ihre Informationsbedürfnisse fachgerecht pflegen, 3.) in der Gesamtbevölkerung Kommunikationssituationen anstoßen.527 Versuchen Unternehmen Einfluss auf den interpersonellen Kommunikationsprozess als Ganzes zu nehmen, wird dies als „unspezifische Steuerung“ bezeichnet. Werden aber vielmehr die Meinungsführer als Zielgruppen angesprochen, wird von einer „spezifischen Steuerung“ gesprochen.528 HUMMRICH (1976) stellt ein Modell (siehe Abbildung 22, S. 168) zur Steuerung bzw. Aktivierung von interpersoneller Kommunikation vor, wobei als Zielgruppe die Meinungsführer für die jeweilige Produktkategorie anzusehen ist.529 Das Konzept zielt darauf ab, Anreize zu stellen, die den Meinungsführer zur Informationsabgabe und/oder Informationssuche motivieren. Dabei kommen auch wieder die klassischen Werbemittel zum Tragen. Dennoch muss beachtet werden, dass insbesondere materielle Anreize für Meinungsführer zu Verlusten ihrer Glaubwürdigkeit führen kann, da diese auf ihre Unabhängigkeit von materiellen Beweggründen begründet ist.530 Wenn Meinungsführer identifiziert und lokalisiert wurden, können sie direkt durch beispielsweise persönlicher Kommunikation oder Direktwerbung (z. B. Direkt Mailings) angesprochen werden. Allerdings ergibt sich für die individuelle Ansprache der Meinungsführer die Problematik der Identifizierung dieser Zielgruppe. Während im medizinischen Bereich (z. B. Ärzte) oder auf Investitionsgütermärkten, die Meinungsführer relativ einfach zu lokalisieren sind, ist diese Thematik im Konsumgüter527
Vgl. Schenk, Michael; Tschoertner, Anke; Jers, Cornelia: Die informellen Finanz-Ratgeber: Das Profil der Meinungsführer im Bereich Finanzdienstleistungen und ihr Einflusspotenzial, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 52, 2006, Heft 3, S. 265–287, S. 284f. 528 Vgl. Brüne, Gerd: Meinungsführerschaft im Konsumgütermarketing: Theoretischer Erklärungsansatz und empirische Überprüfung, (Physica-Verlag) Heidelberg 1989, S. 71. 529 Vgl. Hummrich, Ulrich: Interpersonelle Kommunikation im Konsumgütermarketing: Erklärungsansätze und Steuerungsmöglichkeiten, (Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler) Wiesbaden 1976, S. 151ff. 530 Vgl. Hummrich, Ulrich: Interpersonelle Kommunikation im Konsumgütermarketing: Erklärungsansätze und Steuerungsmöglichkeiten, (Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler) Wiesbaden 1976, S. 151ff.
168
5 Bedeutung des Meinungsführer-Konzeptes für das Marketing
Kommunikations-Mix
Steuerungsinstrumente
Steuerungsträger
Steuerungsmittel
Elektronische Medien
z.B. Spots im Fernsehen, Film oder Rundfunk
Insertionsmedien
z.B. Anzeigen in Zeitschriften und Zeitungen
Medien der Außenwerbung
z.B. Botschaften auf öffentlichen Anschlagstellen
Träger der Verkausförderung (z.B. Werbebriefe)
z.B. Gratisproben, Botschaften in Prospekten und Briefen
Träger der Verkausförderung (z.B. Display-Material)
z.B. Warenproben, Botschaften in Prospekten und anderem Display-Material
Persönlicher Verkauf
Verbale Argumentation, z.B. „Tell-your-friends-Apelle“, Verschaffung von Produkterfahrung
Preisnachlässe
Produkt-Mix
Kontrahierungs-Mix
Abbildung 22: System der Steuerungsinstrumente für interpersonelle Kommunikation Quelle: Hummrich, Ulrich: Interpersonelle Kommunikation im Konsumgütermarketing: Erklärungsansätze und Steuerungsmöglichkeiten, (Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler) Wiesbaden 1976, S. 158.
bereich komplexer. Neben der namentlichen Ermittlung der Meinungsführer und infolgedessen direkten Ansprache können Meinungsführer auch indirekt angesprochen werden.531 FUCHS (1970) (zit. nach HUMMRICH (1976), S. 167) schlägt folgende Verfahrensweise vor: 531
Vgl. Brüne, Gerd: Meinungsführerschaft im Konsumgütermarketing: Theoretischer Erklärungsansatz und empirische Überprüfung, (Physica-Verlag) Heidelberg 1989, S. 72.
5.3 Einbindung der Meinungsführer in Marketing- und Kommunikationsstrategien
169
„Insgesamt wäre es denkbar, in der Weise vorzugehen, daß in den Fällen, in denen eine Lokalisierung der Meinungsführer mit vertretbarem Aufwand möglich ist, ihre Beeinflussung im Wege einer persönlichen Kommunikation erfolgt, während im übrigen zu versuchen ist, die Meinungsbildner der Führer, zu denen aufgrund der Schwierigkeiten ihrer Erfassung keine persönlichen Kontakte hergestellt werden können, durch möglichst genaue Informationen in Massenkommunikationsmitteln mit überregionaler Bedeutung zu beeinflussen.“532 ROSENSTIEL und EWALD (1979) empfehlen Marketingstrategien so zu konzipieren, dass das Interesse der gesamten Zielgruppe geweckt wird, aber in Werbemitteln enthaltene Argumente den Informationsstand der Meinungsführer entsprechen. Denn der Meinungsführer sucht bei Experten nach Informationen, wenn seine Kognitionen inkonsistent sind und reicht die Argumente (gefiltert und bewertet) an seine soziale Gruppe weiter.533 BEESKOW, DICHTL, FINCK und MÜLLER (1983) halten aber eine Parallelschaltung oder zeitversetzte Schaltung von emotionsgeladener Werbung für die gesamte Zielgruppe und argumentationsgeladene Werbung für Meinungsführer für praktikabler.534 Da die Identifizierung von Meinungsführern für ein spezifisches Produkt sehr problematisch – aufgrund methodischer Unsicherheiten, verbunden mit hohem Aufwand und Kosten – ist, schlägt MANCUSO (1969) vor, Meinungsführer zu kreieren, die positiv gegenüber dem Produkt eingestellt sind. Allerdings ist nicht jedes Produkt und nicht jedes Individuum dafür geeignet. Laut MANCUSO (1969) sind Produkte ideal, für die ein hohes Maß an Involvement und Verteilbarkeit sowie ein geringes Maß an wahrgenommenem Risiko entwickelt werden kann (siehe Abbildung 23, S. 170). Das Involvement wird durch den relativen Vorteil, die Kommunizierbarkeit, den Grad der Neuheit und möglichst niedrige Komplexität des Produktes bestimmt. Das heißt, je vorteilhafter und neuartiger das neue Produkt von den Konsumenten wahrgenommen wird und je aufregender es ist, darüber zu sprechen, desto höher ist auch das Involvement. Zudem muss das Produkt einfach verständlich und anwendbar (Komplexität) und schon mit geringem Aufwendungen (Kosten, Zeit, Platz) testbar bzw. verteilbar sein (Verteilung). Die Personen, die zu Meinungsführern konzipiert werden, müssen 532
Fuchs, Werner: Ansätze zu einer Konsumtheorie in der angelsächsischen Literatur: Ein Beitrag zur betrieblichen Marktlehre, Diss. Hannover 1970, S. 246 (zit. nach Hummrich, Ulrich: Interpersonelle Kommunikation im Konsumgütermarketing: Erklärungsansätze und Steuerungsmöglichkeiten, (Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler) Wiesbaden 1976, S. 167). 533 Vgl. Rosenstiel, Lutz von; Ewald, Guntram: Marktpsychologie: Psychologie der absatzpolitischen Instrumente, Band 2, (Kohlhammer) Stuttgart 1979, S. 169. 534 Vgl. Beeskow, Werner; Dichtl, Ernst; Finck, Gerhard; Müller, Stefan: Die Bewertung von Marketing-Aktivitäten, in: Irle, Martin (Hrsg.): Methoden und Anwendungen in der Marktpsychologie, Themenbereich D, Serie III, Bd. 5 der Schriftenreihe Enzyklopädie der Psychologie, (Hogrefe, Verlag für Psychologie) Göttingen u. a. 1983, S. 483–674, S. 575.
170
5 Bedeutung des Meinungsführer-Konzeptes für das Marketing
als Vorraussetzungen über ein hohes Maß an Mobilität (großes soziales Netzwerk, hohe Soziabilität, hohe Kommunikationskompetenz) verfügen, einen hohen sozialen Status („life-cycle position“, Grad an Einfluss) in Bezug auf potentielle Konsumenten und deren Wertesystem innehaben sowie über viel Vertrauenswürdigkeit (abhängig von Produktkenntnissen und Abenteuerlichkeit) verfügen (siehe Abbildung 23). MANUSCO (1969) weist daraufhin, dass diese drei Faktoren, wenn nur im geringeren Maße bei den potentiellen Meinungsführern vorhanden, durch geeignete Verfahren von Marketern ausgebaut werden können. Beispielsweise kann das Wissen des Subjektes bezüglich des Produktes oder der Dienstleistung durch weitere Informationsstellungen erhöht und damit seine Vertrauenswürdigkeit für andere potentielle Konsumenten ausgebaut werden.535 Mobilität Größe des sozialen Netzwerkes Soziabilität Kommunikationskompetenz
Involvement Relativer Vorteil Kommunizierbarkeit Komplexität Neuheit
Risiko Kompatibilität Konsequenz
Objekt (Produkt, Dienstleistung)
Verteilbarkeit Größe des Produktes Kauffrequenz etc.
Meinungsführer generieren
Subjekt (Personen)
Status Life-cyclePosition Gruppennormen Einflusspotenzial
Vertrauen Informationsquellen Wissensstand Abenteuerlichkeit
Abbildung 23: Wichtige Faktoren für das Generieren von Meinungsführern Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Mancuso, Joseph R.: Why Not Create Opinion Leaders for New Product Introductions?, in: Journal of Marketing, Vol. 33, July 1969, Issue 3, S. 20–25.
MANUSCO (1969) veranschaulicht diese Vorgehensweise anhand der Einführung und Vermarktung verschiedener neuer Songs von unbekannten Sängern. Demnach wurden Schüler verschiedener Highschools in den USA nach den oben genannten Kriterien ausgewählt und für eine Panelstudie über mehrere Monate zur Bewertung verschiedener Schallplatten eingeladen. Sie wurden aufgefordert, auch mit anderen Personen über die Songs zu sprechen, bevor sie ihre endgültige Meinung vorstellten. 535
Vgl. Mancuso, Joseph R.: Why Not Create Opinion Leaders for New Product Introductions?, in: Journal of Marketing, Vol. 33, July 1969, Issue 3, S. 20–25.
5.3 Einbindung der Meinungsführer in Marketing- und Kommunikationsstrategien
171
Zusätzlich bekamen sie Informationen über die Sänger und die Songs und wurden auch auf weitere Informationsquellen wie Musikmagazine und Musikläden verwiesen. Als Bonus bekamen sie die Schallplatten geschenkt. Es zeigte sich, dass einige Lieder unter den Top Ten in den Versuchsstädten gewählt wurden, während dies in anderen Städten nicht der Fall war. Es konnten also aus unbekannten Liedern mit geringeren Kostenaufwand ohne zur Hilfenahme von Radiostationen und Plattenläden Hits gemacht werden, in dem Meinungsführer künstlich geschaffen wurden.536 Allerdings müsste vor Einsatz dieses Verfahrens geprüft werden, inwieweit es wirtschaftlich und für die betreffende Produktkategorie geeignet ist. Besonders verwendungsfähig sind sozial auffällige Produkte.537 BRÜNE (1989) betont, dass für die Ansprache der Meinungsführer auch die Steuerungsmittel vorstellbar sind, die für die unspezifische Steuerung des interpersonellen Kommunikationsprozesses verwendet werden.538 Als Grundlage für Word-of-Mouth wird das Involvement angesehen, speziell für Meinungsführerschaft spielt das Enduring Involvement eine bedeutende Rolle. Aber nicht nur Involvement und das Interesse an einer Produktkategorie oder Themengebiet sondern auch das Maß an sozialer Interaktion bestimmen den Austausch von Informationen.539 Dennoch spielt das Involvement eine Schlüsselrolle, welches Unternehmen und Marketer nutzen können, um (positives) Word-of-Mouth über ihre Marken und Produkte zu stimulieren. Als Teil einer Strategie des WoM-Marketings werden Konsumenten aktiv von Unternehmen eingeladen an dem Marketingprozess teilzunehmen und beispielsweise eigene Vorschläge für Werbung einzureichen oder bei der Entwicklung einer Werbestrategie mitzuarbeiten. Diese aktive Übergabe von Macht an Konsumenten durch Beteiligung an Entscheidungen im Marketingprozess wird „active consumer empowerment strategies“ genannt.540 536
Vgl. Mancuso, Joseph R.: Why Not Create Opinion Leaders for New Product Introductions?, in: Journal of Marketing, Vol. 33, July 1969, Issue 3, S. 20–25. 537 Vgl. Brüne, Gerd: Meinungsführerschaft im Konsumgütermarketing: Theoretischer Erklärungsansatz und empirische Überprüfung, (Physica-Verlag) Heidelberg 1989, S. 91. 538 Vgl. Brüne, Gerd: Meinungsführerschaft im Konsumgütermarketing: Theoretischer Erklärungsansatz und empirische Überprüfung, (Physica-Verlag) Heidelberg 1989, S. 72. 539 Vgl. Dichter, Ernest: How Word-of-Mouth Advertising Works, in Harvard Business Review, November/December 1966, S. 147–157; auch: Reynolds, Fred D.; Darden, William R.: Mutually Adaptive Effects of Interpersonal Communication, in: Journal of Marketing Research, Vol. 8, November 1971, S. 449–454, S. 452; auch: Richins, Marsha L.; Root-Shaffer, Teri: The Role of Involvement and Opinion Leadership in Consumer Word-of-Mouth: An Implicit Model Made Explicit, in: Advances in Consumer Research, Vol. 15, 1988, S. 32–36; auch: Higie, Robin A.; Feick, Lawrence F.: Enduring Involvement: Conceptual and Measurement Issues, in: Advances in Consumer Research, Vol. 16, 1989, S. 690–696. 540 Vgl. Oetting, Martin; Jacob, Frank: Empowered Involvement and Word of Mouth: an Agenda for Academic Inquiry, ESCP-EAP Working Paper No. 28, October 2007 (ESCP-EAP, European School of Management) Berlin 2007, S. 4ff.
172
5 Bedeutung des Meinungsführer-Konzeptes für das Marketing
Hierbei kommen den Unternehmen die neuen Technologien wie Weblogs und andere so genannte Web 2.0-Applikationen zugute. Die Weblogs, kurz Blogs, eine neue Form von Webseiten, eröffnen den Unternehmen die Möglichkeit, direkten Kontakt zu den Konsumenten zu bekommen. Gegenüber den klassischen Werbemitteln hat dies den Vorteil, dass die Zielgruppe aktiv an der Kommunikation teilnehmen kann. Durch persönliche Dialoge können Unternehmen Informationen unter anderem bezüglich ihrer Produkte und Firmenpolitik verbreiten und erhalten im Gegenzug die Meinung der Leser. Blogs dienen damit auch dem Aufbau und der Pflege von Kundenbeziehungen. Zudem sind Blogs kostengünstige Werbemittel. Sie sind leicht verwaltbar, denn es kann jederzeit in das Gespräch eingestiegen und eigene Beiträge geschrieben werden. Durch Blogs lässt sich die Wahrnehmung des Unternehmens am Markt bestimmen und seinen Ruf im Internet aktiv steuern. Unternehmen können damit Mundpropaganda generieren und schnell auf negative Statements reagieren. Wichtig dabei ist eine positive Atomsphäre zu schaffen und glaubwürdig zu bleiben. Durch Begeisterung sind Konsumenten gerne bereit, positive Informationen bezüglich des Produktes oder Dienstleistung weiterzugeben und damit als kostenloser Werbeträger zu fungieren. Unternehmen können diese Potenziale nutzen und einen viralen Effekt auslösen, d. h. die positiven Botschaften verbreiten sich wie ein Virus unter den Konsumenten.541 Essenz # 25: Meinungsführer stellen aufgrund ihres Einflusspotenzials eine wichtige Zielgruppe für Unternehmen und Werbetreibende dar. Es werden daher kommunikationspolitische Maßnahmen speziell auf die Meinungsführer ausgerichtet, um diese als Kunden zu gewinnen und ihren qualitativ hochwertigen Informationsbedarf zu decken. Doch um Meinungsführer persönlich ansprechen zu können, besteht die Problematik der Identifizierung dieser Meinungsführer. Es wird aufgrund dessen auch versucht Meinungsführer indirekt anzusprechen. Insbesondere bei der Einführung von Neuheiten kommt den Meinungsführern eine besondere Bedeutung zu. Mittels entsprechender Kommunikationsinstrumente sollen die Meinungsführer motiviert werden, Informationen weiterzugeben, d. h. über das beworbene Produkt zu sprechen.
541
Vgl. Wright, Jeremy: Blog Marketing als neuer Weg zum Kunden: Mit Weblogs die Kunden erreichen, die Marke stärken und Absatz fördern, (Blog Marketing: The Revolutionary New Way to Increase Sales, Build your Brand, and Get Exceptional Results, Englisch) übers. von Herbert Allgeier (Redline Wirtschaft) Heidelberg 2006, S. 22ff.
6
Kritische Würdigung des Meinungsführer-Konzeptes
6.1
Überblick
Die Erläuterungen in den vorangegangenen Kapiteln zeigen, dass die Zwei-StufenFluss Hypothese und das daraus stammende Konzept der Meinungsführer nicht unkritisch zu betrachten sind. Die Mängel der „Two-Step Flow of Communication Hypothesis“ sind in Kapitel 3.3 aufgezeigt worden. Das Interesse am Konzept der Meinungsführer ist in den letzten Jahren mit Aufkommen von neuen Instrumentarien wie dem Word-of-Mouth-Marketing und dem viralen Marketing erheblich gestiegen. Doch ist es sinnvoll, die Marketingstrategien hauptsächlich auf Meinungsführer auszurichten? Sind Meinungsführer die idealen Zielgruppen? Können Marketingkonzepte auf klassische Kommunikationsinstrumente, i. d. S. auf die Massenmedien vollständig verzichten? Um diese Fragen zu beantworten, werden in den folgenden Abschnitten die Vor- und Nachteile des Meinungsführer-Konzeptes gegenübergestellt.
6.2
Vorteile des Meinungsführer-Konzeptes gegenüber den Massenmedien
Die Decatur-Studie findet ähnlich wie die People’s-Choice-Studie Gegebenheiten, die den stärkeren Einfluss der interpersonellen Kommunikation, insbesondere des Meinungsführers gegenüber der Massenkommunikation ausmachen. Die durch persönliche Kontakte verbreiteten Informationen erscheinen dem Rezipienten weniger ziel- und zweckgerichtet und rufen daher nicht so leicht selektives Kommunikationsverhalten hervor wie bei dem Empfang von massenmedialen Inhalten. Der interpersonelle Kommunikationsprozess findet zudem zwangloser und zufälliger statt als die Rezeption von Massenkommunikation. „Face-to-Face“-Kommunikation ist überdies flexibler als Massenkommunikation, weil eine direkte Rückkopplung zwischen dem Meinungsführer und dem Rezipienten besteht. Unklarheiten seitens des Meinungssuchenden können sofort beseitigt werden. Der Meinungsführer hat die Möglichkeit individuell auf die Stimmungen und Reaktionen des Meinungssuchenden einzugehen. Rückfragen und Klarstellungen sind unmittelbar möglich. Konformes Verhalten im interpersonellen Kommunikationsprozess, d. h. der Meinungssuchende nimmt die Meinung des Meinungsführers an, kann der Meinungsführer unmittelbar positiv sanktionieren. Im gleichen Maße kann der Meinungsführer bei Nichtkonformität mit negativen Sanktionen reagieren. Die „Face-to-Face“-Kommunikation findet oft zwischen Rezipienten und Meinungsführern statt, die einander durch ihre soziale Be-
174
6 Kritische Würdigung des Meinungsführer-Konzeptes
ziehung bekannt sind. Der Rezipient kann daher davon ausgehen, dass er und der Meinungsführer bestimmte Interessen miteinander teilen. Emotionale Faktoren wie persönliche Zuneigung und Loyalität sowie die Potenzialität der sozialen Kontrollen können dazu führen, dass der Meinungssuchende die Meinung des Meinungsführers übernimmt, obwohl er dieser nicht zustimmt, um die persönliche Beziehung nicht zu gefährden.542 Zudem sind Meinungsführer auch oft sehr erfolgreich in ihrer Beeinflussung, weil die Beeinflussten dem positiv gegenüber stehen. KATZ (1957) erläutert dazu, dass Meinungsführer Konformisten sind, weil sie die Werte und Normen der Gruppe repräsentieren. Aus diesem Grund wollen andere sie nachahmen und sich insofern den Werten und Normen ihrer Bezugsgruppe (siehe Kapitel 2.3) anpassen. Beispielsweise sind junge, unverheiratete Frauen Meinungsführer in Sachen Mode. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Jugend bzw. Jugendlichkeit einen hohen Stellenwert in dieser Kultur hat. Junge Frauen repräsentieren diese Werte und haben diesbezüglich einen stärkeren Einfluss.543 Im folgenden Kapitel werden Aspekte betrachtet, die den Vorteilen der interpersonellen Kommunikation, speziell des Meinungsführer-Konzeptes gegenüberstehen.
6.3
Überbewertung des Meinungsführer-Phänomens?
Die Meinungsführer scheinen in Anbetracht der in Kapitel 6.2 betrachteten Faktoren eine ideale Zielgruppe zu sein. Doch inwieweit ist dies praktikabel? Ist das Einflusspotenzial der Meinungsführer soviel größer als das der Massenmedien, dass auf letztere z. B. für Werbezwecke verzichtet werden kann? In den behandelten Kapiteln treten immer wieder kritische Punkte auf, die im Folgenden zusammengefasst dargelegt werden. Um Meinungsführer mit geeigneten Marketing-Maßnahmen direkt oder indirekt ansprechen zu können, müssen die Meinungsführer der entsprechenden Produktkategorie identifiziert und beschrieben werden. Kapitel 4.4 offenbart, dass im Allgemeinen Meinungsführer nicht anhand demografischer Variablen und des sozioökonomischen Status differenziert werden können. Es gibt auch nur wenige genaue Aussagen 542
Vgl. Lazarsfeld, Paul F.; Berelson, Bernhard; Gaudet, Hazel: Wahlen und Wähler: Soziologie des Wahlverhaltens (The People’s Choice: How the Voter Makes up his Mind in a Presidential Campaign, Englisch), übers. von R. F. Schorling, (Hermann Luchterhand Verlag GmbH) Neuwied u. a. 1969, S. 192ff.; auch: Grefe, Rolf; Müller, Siegfried: Die Entwicklung des “Opinion Leader”-Konzeptes und der Hypothese vom zweistufigen Komunikationsprozeß, in: Zeitschrift für Markt-, Meinungs- und Zukunftsforschung, Bd. 19, 1976, Heft 1 und 2, S. 4011–4023, S. 4013f.; auch: Maletzke, Gerhard: Kommunikationswissenschaft im Überblick: Grundlagen, Probleme, Perspektiven, (Westdeutscher Verlag) Opladen u. a. 1998, S. 113; auch: Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung, 3., vollst. überarb. Aufl., (Mohr Siebeck) Tübingen 2007, S. 354f. 543 Vgl. Katz, Elihu: The Two-Step Flow of Communications: An Up-To-Date Report on an Hypothesis, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 21, 1957, Issue 1, S. 61–78, S. 74.
6.3 Überbewertung des Meinungsführer-Phänomens?
175
über die Persönlichkeitsmerkmale und Einstellungen der Meinungsführer. Schlüsselmerkmale scheinen vor allem die als höher wahrgenommene Kompetenz der Meinungsführer bezüglich eines Meinungsgegenstandes, die stärkere Mediennutzung in Bezug auf Zeitungen und Internet, wobei eine starke Orientierung an qualitativ hochwertigen und sachlichen Berichterstattungen zu beobachten war, und eine große soziale Kompetenz zu sein. Doch Forscher wie TROLDAHL und VAN DAM (1965b), die die Kommunikationsteilnehmer tiefgehend differenzierten und somit auch Meinungssuchende und Inaktive mit einbezogen, regten die Diskussion an, ob Merkmale wie höherer Medienkonsum, Interesse und Wissensstand nicht eher nur den Meinungsführern im Vergleich zu den Inaktiven zugeschrieben werden können, während Meinungsführer von den Meinungssuchenden kaum unterscheidbar sind. Demgegenüber treten Meinungsführer im Meinungsaustauschprozess auch als Meinungssuchende auf (siehe Kapitel 4.1.7). Fraglich ist daher, ob es den „echten“ Meinungsführer, der in der überwiegenden Zahl der Gespräche als Meinungsführer auftritt, überhaupt gibt. Es zeigte sich auch, dass die Gesprächsprozesse vermutlich nicht überwiegend von den Meinungsführern angestoßen werden (siehe Kapitel 4.1.5). Die Funktion des Meinungsführers als „Relaisstation“ zwischen den Massenmedien und den Rezipienten, die aus dem Zwei-Stufen-Modell der Kommunikation resultierte, ist mit der Forschungsarbeit von DEUTSCHMANN und DANIELSON (1960) relativiert worden (siehe Kapitel 4.3.5). Die „Two-Step-Flow“-Hypothese suggeriert zwar, dass mit Hilfe der Meinungsführer alle Zielgruppen massenmediale Inhalte vermittelt bekommen, aber WRIGHT und CANTOR (1970) und TROLDAHL (1966) bzw. TROLDAHL und VAN DAM (1965b) widersprachen dieser Behauptung. Insbesondere der durch Studien wie von TROLDAHL und VAN DAM (1965b) nachgewiesene reziproke Kommunikationsaustausch („opinion sharing“) zwischen Meinungsführern und Meinungssuchenden schwächte die einzig dem Meinungsführer zugesprochene Relaisfunktion ab. Auch die dichotome Unterteilung der Population in Meinungsführende und Meinungssuchende wurde als Vereinfachung aufgedeckt und die Existenz von Inaktiven nachgewiesen, die nach empirischen Untersuchungen von TROLDAHL und VAN DAM (1965b) immerhin mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen.544 Diese Inaktiven sind Personen, die nicht auf Meinungssuche sind oder sogar die Meinungen anderer meiden. Sie werden vor allem von den Massenmedien beeinflusst. Dies würde bedeuten, dass der Einflussbereich der Meinungsführer auf einen kleineren Teil der Bevölkerung beschränkt wäre und nicht so weitreichend ist, wie in vielen Studien suggeriert wird. Die Meinungsführer führen, auch laut ROBINSON (1976), meist mit Individuen Gespräche, denen der massenmediale Inhalt bereits bekannt ist.545 544
Vgl. Troldahl, Verling C.; van Dam, Robert: Face to Face Communication about Major Topics in the News, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 29, 1965b, S. 626–634; auch: 545 Vgl. Robinson, John P.: Interpersonal Influence in Election Campaigns: Two-Step Flow Hypotheses, in: Public Opinion Quarterly, Vol. 40, 1976, S. 304–319.
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6 Kritische Würdigung des Meinungsführer-Konzeptes
Die Überbewertung des Meinungsführerkonzeptes drückt sich auch dahingehend aus, dass es Forscher gibt, die auf das Absorptionspotenzial der Gruppen der Meinungsführer hinweisen. Demnach sind die Normen- und Wertesysteme der sozialen Kreise hinreichend einflussreich, um das Einflusspotenzial des Meinungsführers zu übertreffen. Zudem müssen sich die Meinungsführer an die Normen- und Wertekultur ihrer Gruppe halten, um Einflusspotenzial zu haben.546 Ähnlich sieht BEBA (1988) das Werte- und Normensystem eines sozialen Systems als so bedeutsam an, dass die Innovativität der Meinungsführer eingeschränkt ist und die Meinungsführer sich somit nach Meinungssuchenden richten müssen. Zudem hängt die Wirkung auf die soziale Gruppe von dem Informationsverhalten der Gruppe und den Kontaktkomponenten ab. So behauptet AUFERMANN (1971), dass die Bedeutung der Meinungsführer bzw. der interpersonellen Kommunikation nachlässt, wenn keine Verhaltensunsicherheiten bei den Meinungssuchenden auftreten und die intermediäre Kommunikation wieder in den Vordergrund tritt.547 ASSAEL (2004) verweist auf eine Studie von HERR, KARDES und KIM (1990), die herausfanden, dass WoM dann nicht wichtig ist, wenn der Konsument schon einen starken Eindruck von dem Produkt hat oder wenn negative Informationen bezüglich des Produktes wahrgenommen wurden.548 Daher ist das Einflusspotenzial des Meinungsführers in diesem Fall eingeschränkt und die Meinungsführerschaft indirekt abhängig von dem sozialen System. Die „Marginalen“ zeigen dagegen eine stärkere Innovationsbereitschaft, da sie am Rande der sozialen Gruppe positioniert und unabhängiger von den in der Gruppe vorherrschenden Werten und Normen sind. Sie übernehmen daher häufiger Innovationen als Meinungsführer (siehe auch Kapitel 4.3.3). Das heißt Meinungsführer verteilen zwar Informationen über beispielsweise Produktneuheiten, gehören aber nicht unbedingt zu den Individuen, die Produktneuheiten zuerst testen und kaufen. Meinungsführer können nicht mit dem Informationsvolumen der Massenmedien mithalten, sie verbreiten zudem meistens nur Informationen, die nach ihrem eigenen Ermessen wichtig und interessant für ihre Zuhörer sind.549 Ihre Botschaften bestehen 546
Vgl. Schenk, Michael: Publikums- und Wirkungsforschung: Theoretische Ansätze und empirische Befunde der Massenkommunikationsforschung, (J.C.B. Mohr (Paul Siebeck)) Tübingen 1978, S. 174. 547 Vgl. Aufermann, Jörg: Kommunikation und Modernisierung: Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozeß, hrsg. von: Aufermann, Jörg; Bohrmann, Hans; Löckenhoff, Elisabeth (Hrsg.): Kommunikation und Politik, Band 3, (Verlag Dokumentation Saur KG) München-Pullach u. a. 1971, S. 72. 548 Vgl. Assael, Henry: Consumer Behavior: A Strategic Approach, (Houghton Mifflin Company) Boston u. a. 2004, S. 469. 549 Vgl. Cox, Donald, F.: The Audience as Communicators, in: Cox, Donald F.: Risk Taking and Information Handling in Consumer Behavior, (Harvard University) Boston 1967, S. 172–187, S. 179.
6.3 Überbewertung des Meinungsführer-Phänomens?
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somit aus sachbezogenen und bewertenden Informationen.550 Auch KOEPPLER (1984) setzt sich mit der Problematik auseinander, ob Meinungsführer auch Meinungsfälscher sind, da sie Informationen aus den Massenmedien teilweise selektiert und verzerrt weitergeben. Dies könnte nach Meinung von KOEPPLER (1984) auch negative Auswirkungen auf die Kaufentscheidungen anderer haben.551 Die Wirkungen des Verbreitens von negativem Word-of-Mouth durch Meinungsführer sind kaum wissenschaftlich untersucht worden. Verheerende negative Folgen, wie z. B. Imageschäden und Boykotte wurden bereits in der Praxis festgestellt. Somit kann Word-ofMouth-Marketing auch unerwünschte Konsequenzen haben. Dennoch stellt sich die Frage, inwieweit Meinungsführer effektiv Einfluss ausüben und eine Verhaltens- und Einstellungsänderung bewirken. Als Einige der Wenigen konnten COLEMAN, KATZ und MENZEL (1957) den Einfluss nachweisen, da die Adoption neuer Medikamente anhand der Rezeptverschreibungen verfolgbar war.552 LAZARSFELD und MENZEL (1973) heben hervor, dass es schwierig ist zu messen, welche Informationskanäle, ob formelle oder informelle, die Entscheidung des Konsumenten letztendlich beeinflusst haben. Auch sie vermuten, dass bestimmte Quellen, die Aufmerksamkeit des Konsumenten auf eine bestimmte Sache lenken, andere Quellen die Wahl des Konsumenten „legitimieren“, d. h. ihn von der Richtigkeit und Sicherheit dieser überzeugen und wiederum andere Quellen, die Handlung (z. B. des Kaufs) tatsächlich auslösen bzw. den Konsumenten dabei führen.553 Die Diffusionsstudie von DEUTSCHMAN und DANIELSON (1960) zeigte, dass wichtige Nachrichten aus den Massenmedien die Rezipienten direkt erreichen. Meinungsführer spielten demnach nur in den eventuell im Anschluss stattfindenden Diskussionen eine Rolle. Die Verlagerung der Allmachtsstellung von den Massenmedien auf die Meinungsführer wurde damit unterwandert.554 Auf der anderen Seite herrscht in der Literatur die Meinung, dass persönliche Kontakte erheblichen Einfluss auf die Kaufentscheidung eines jeden haben. Für Unternehmer und Marketer stellen die Meinungsführer eine Zielgruppe dar, die vermutlich kostengünstiger zu er550
Vgl. Arndt, Johan: Testing the “Two-Step Flow of Communication” Hypothesis, in: Arndt, Johan (Hrsg.): Insights into Consumer Behavior, (Allyn and Bacon, Inc.) Boston 1968, S. 189–202, S. 202. 551 Vgl. Koeppler, Karlfritz: Opinion leaders: Merkmale und Wirkung, Schriftenreihe der Verlagsgruppe Bauer, Band 18; (Bauer) Hamburg 1984, S. 100f. 552 Vgl. Coleman, James S.; Katz, Elihu; Menzel, Herbert: The Diffusion of an Innovation among Physicians, in: Sociometry, Vol. 20, 1957, S. 253–270. 553 Vgl. Lazarsfeld, Paul F.; Menzel, Herbert: Massenmedien und personaler Einfluß, in: Schramm, Wilbur: Grundfragen der Kommunikationsforschung (The Science of Human Communication, Englisch)), übers. von Hans-Eberhard Piepho, 5. Aufl., (Juventa Verlag) München 1973, S. 117–140, S. 130f. 554 Vgl. Deutschmann, Paul J.; Danielson, Wayne A.: Diffusion of Knowledge of the Major News Story, in: Journalism Quarterly, Vol. 37, Summer 1960, S. 345–355.
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6 Kritische Würdigung des Meinungsführer-Konzeptes
reichen ist, als die „breite Masse“, da sie nur einen kleinen Teil der Bevölkerung ausmacht.555 Um Aussagen über Meinungsführer treffen und diese auch gezielt ansprechen zu können, müssen diese identifiziert und von den anderen Kommunikationsteilnehmern und auch Inaktiven abgegrenzt werden. Laut BEBA (1988) intensiviert „die zunehmende Komplexität der OL-Theorie (Meinungsführer-Theorie, Anm. d. Verfassers) … die Problematik der Lokalisation und Abgrenzung von Meinungsführern und ihrer strategischen Position im Netz interpersoneller Kommunikation.“556 Die bisher ermittelten Identifizierungsmethoden sind entweder zu komplex oder basieren auf Selbsteinschätzung, da die verwendeten Skalen leicht in Fragebögen integriert werden können und praktikabel in der Auswertung sind. Dennoch wird hier nur die Messung von selbstwahrgenommener Beeinflussung vorgenommen, die aber durch aufwendige Schneeballbefragungen überprüft werden muss. BRÜNE (1989) sieht Schwierigkeiten sowohl bei der Operationalisierung als auch bei der Quantifizierung des ausgeübten Einflusses. Der Beeinflussung umfasst demnach nicht nur die verändernde Wirkung auf das Kaufverhalten, sondern auch auf Meinungen und Einstellungen, die nicht beobachtbar sind. Der Prozess der Beeinflussung wird zudem von beiden Seiten nicht immer bewusst erlebt. Des Weiteren muss die beeinflussende Wirkung der interpersonellen Kommunikation von anderen externen Faktoren abgrenzt werden.557 Das Meinungsführer-Konzept ist laut GREFE und MÜLLER (1967) noch nicht ausreichend operationalisiert worden.558 Für die meisten Produkte ist es praktisch unmöglich alle spezifischen Meinungsführer zu identifizieren. Bestenfalls können generelle Charakteristiken identifiziert werden. Deswegen folgert COX (1967), dass eine direkte Ansprache der Meinungsführer von Seiten der Unternehmen bzw. Marketer kaum realisierbar ist.559 In dem Zusammenhang soll auch auf die Studie von SMITH et al. (2007) verwiesen werden, die herausstellen, dass das pyramidenähnliche Modell, welches oft in der 555
Vgl. Brüne, Gerd: Meinungsführerschaft im Konsumgütermarketing: Theoretischer Erklärungsansatz und empirische Überprüfung, (Physica-Verlag) Heidelberg 1989, S. 95. 556 Beba, Werner: Die Bedeutung der interpersonellen Kommunikation: Wandlung des Meinungsführerkonzepts, Arbeitspapier Nr. 24 des Instituts für Marketing, Universität der Bundeswehr Hamburg 1988, S. 17. 557 Vgl. Brüne, Gerd: Meinungsführerschaft im Konsumgütermarketing: Theoretischer Erklärungsansatz und empirische Überprüfung, (Physica-Verlag) Heidelberg 1989, S. 42ff. 558 Vgl. Grefe, Rolf; Müller, Siegfried: Die Entwicklung des „Opinion Leader“-Konzeptes und der Hypothese vom zweistufigen Komunikationsprozeß, in: Zeitschrift für Markt-, Meinungs- und Zukunftsforschung, Bd. 19, 1976, Heft 1 und 2, S. 4011–4023, S. 4030. 559 Vgl. Cox, Donald, F.: The Audience as Communicators, in: Cox, Donald F.: Risk Taking and Information Handling in Consumer Behavior, (Harvard University) Boston 1967, S. 172–187, S. 175f.
6.3 Überbewertung des Meinungsführer-Phänomens?
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Praxis von Marketern vorausgesetzt wird, in ihrer Arbeit nicht nachgewiesen werden konnte. In diesem Modell bilden nur wenige Einflussreiche die Spitze, die Einfluss auf die unteren breiteren Schichten haben, die die „breite Masse“ darstellen. SMITH et al. (2007) untersuchten soziale Netzwerke und die Wirkung des viralen Marketings im Internet. Sie fanden heraus, dass die Mehrheit der Befragten eine moderate Anzahl an Kontakten führt (Kontakthäufigkeit: mindestens einmal im Monat) und mehr Einfluss hat, als die wenigen „Ausreißer“ mit extrem vielen Kontakten. SMITH et al. (2007) konnten zudem nachweisen, dass die Befragten mit moderater Anzahl von Kontakten in gleichem Maße gewillt waren, Marketingbotschaften an andere Personen weiterzugeben, wie die Befragten mit sehr vielen Kontakten. Somit schreiben SMITH et al. (2007) nicht exklusiv den wenigen Personen Einflusspotenzial zu, die ein sehr großes soziales Netzwerk besitzen und in der Meinungsführerforschung als „Meinungsführer“ gekennzeichnet wurden. Sie betonen, dass alle Individuen Einflusspotenzial haben. SMITH et al. (2007) kritisieren deshalb, dass die heutigen Kommunikations- und Marketingmodelle das Potenzial der Mehrheit der Konsumenten unterschätzen und sich stattdessen auf die wenigen Individuen mit großem sozialen Netzwerk konzentrieren.560 Es kann daraus geschlossen werden, dass interpersonelle Kommunikation allgemein Einfluss auf die Individuen hat. Dieser Einfluss scheint größer zu sein als der der Massenmedien, da Faktoren wie soziale Nähe und Glaubwürdigkeit diesen begünstigen. Dennoch sollte überlegt werden, ob sich der Marketer bzw. das Unternehmen wirklich auf die Meinungsführer als Zielgruppe konzentrieren sollte. Viele der beleuchteten Studienergebnisse sind widersprüchlich oder nicht sehr aussagekräftig, was ein allgemeines Problem der Forschung ist. So werden Fragestellungen unter unterschiedlichen Konditionen untersucht, was gegenteilige Ergebnisse bewirken kann. Nicht immer werden Untersuchungen unter den gleichen Bedingungen wiederholt, um das Resultat zu bestätigen. Zudem verwendeten durchgeführte Studien verschiedene Messverfahren und Kriterien. Dadurch sind die Ergebnisse nicht bedenkenlos vergleichbar. Zu betonen ist hier, dass die Mehrzahl der Erkenntnisse über Meinungsführer aus Studien stammen, die die Selbsteinschätzungsmethode zur Identifizierung der Meinungsführer nutzten. Einige Schneeballbefragungen als Validitätstests haben ergeben, dass nur rund die Hälfte der Personen, die sich als meinungsführend ausgaben auch wirklich Einfluss ausüben. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Erkenntnisse dieser Studien nicht ganz unverfälscht und nur als Tendenzen zu sehen sind. Des Weiteren stammt die Mehrzahl der Studien aus den früheren Jahren der Meinungsführerforschung. Immer weniger Arbeiten befassten sich in jüngster Zeit mit 560
Vgl. Smith, Ted u. a.: Reconsidering Models of Influence: The Relationship between Consumer Social Networks and Word-of-Mouth Effectiveness, in: Journal of Advertising Research, Vol. 47, December 2007, Issue 4, S. 387–397.
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6 Kritische Würdigung des Meinungsführer-Konzeptes
dem Thema. Kritisch ist dabei zu sehen, dass sich neue Technologien wie beispielsweise das Internet entwickelt haben, was Auswirkungen auf die Kommunikation der Konsumenten hat. So vermischt sich im Internet interpersonelle Kommunikation und massenmediale Information. Sich Informationen zu beschaffen, ist seit der Entwicklung des Internets viel leichter geworden. Insbesondere in Hinsicht auf die Erkenntnisse bezüglich der Charakterisierung der Meinungsführer ist zu bemerken, dass ein stetiger Lebenswandel der Konsumenten zu beobachten ist. Die Forschungen müssten also in regelmäßigen Abständen wiederholt werden. Die kritischen Anmerkungen zum Meinungsführer-Konzept scheinen die positiven Aspekte bei weitem zu übertreffen. Es sollte aber nur verdeutlicht werden, dass eine überschwängliche Begeisterung für die Konzeption überzogen ist. Die Massenmedien sind aufgrund ihrer Reichweite vor allem für die Erstinformation wichtig. Da auch die Meinungsführer ihre Informationen aus den Massenmedien beziehen, können Marketer nicht auf die Massenmedien als kommunikationspolitisches Instrument verzichten. Zudem sind weitere Informationsquellen neben den informellen Kontakten für beispielsweise komplexe Kaufentscheidungen wichtig: Fachliteratur (z. B. Testergebnisse) oder Verkaufspersonal, die von den Konsumenten komplementär genutzt werden. Grund dafür könnte sein, dass die Fachkompetenz des Meinungsführers begrenzt ist. Oft werden solche Quellen benutzt, um sich über Alternativen zu informieren.561 Dennoch hat das Konzept der Meinungsführer durchaus Potenzial. Die Informations- und Reizüberflutung, auch in den neuen Medien wie das Internet, lassen Meinungen und Ratschläge von persönlichen Kontakten an Bedeutung gewinnen. Basierend auf dieser kritischen Auseinandersetzung mit dem MeinungsführerKonzept und anderen in Kapitel 6.2 genannten positiven Aspekten ließe sich die Vermutung anstellen, dass sowohl die Massenmedien als auch die interpersonelle Kommunikation, insbesondere die Meinungsführer, im Kommunikationsprozess gleichbedeutend sind. Es muss von jedem Unternehmen der jeweiligen Produktkategorie oder Dienstleistung geprüft werden, inwieweit die Fokussierung auf die Meinungsführer ökonomisch ist. Des Weiteren kommen die Forscher nicht umhin, sich weiterhin mit der Erforschung der Meinungsführerschaft und speziell der Identifizierungsmethoden auseinander zu setzen. Es sind weitere Forschungen gefragt, um Fragestellungen unter gleichen und unter anderen Bedingungen zu untersuchen, um Ergebnisse zu bestätigen oder zu widerlegen und um Hinweise auf ihr Generalisierbarkeit zu geben.
561
Vgl. Brüne, Gerd: Meinungsführerschaft im Konsumgütermarketing: Theoretischer Erklärungsansatz und empirische Überprüfung, (Physica-Verlag) Heidelberg 1989, S. 28f.
7
Zusammenfassung
Individuen orientieren sich an ihren so genannten Bezugsgruppen bzw. -personen, die Normen und Vergleichsmaßstäbe setzen und infolgedessen das Verhalten und die Einstellungen der Individuen beeinflussen. Im Rahmen des interpersonellen Kommunikationsprozess spielt der Meinungsführer als eine Form von Bezugspersonen eine bedeutende Rolle. Ähnliche Konzeptionen sind das Konzept des Marken Maven und das Konzept der Persönlichkeitsstarken. Market Maven – eine Konzeption von FEICK und PRICE (1987) – sind eine Form von Bezugspersonen, die im Unterschied zu den Meinungsführern allgemeines Wissen über Produktgruppen und umfangreiche Kenntnisse über Marktgegebenheiten besitzen. Ebenfalls ausgehend von genereller Meinungsführerschaft erarbeiteten NOELLE-NEUMANN und das Allensbacher Institut im Auftrag des SPIEGEL-Verlages in den 80er Jahren das Konzept der Persönlichkeitsstarken, um einflussreiche Personen identifizieren zu können. Dieses Konzept ähnelt zwar dem Meinungsführer-Konzept, basiert aber auf Charakterzügen, wie Selbstbewusstsein, Ausstrahlung und Durchsetzungsvermögen, welche als „Persönlichkeitsstärke“ bezeichnet werden. Demnach verstärken diese Persönlichkeitseigenschaften den Einfluss der Persönlichkeitsstarken auf andere Personen. Der Begriff „Meinungsführer“ wurde von LAZARSFELD, BERELSON und GAUDET in der People’s-Choice-Studie von 1944 geprägt und popularisiert. Aufgrund ihrer „Two-Step-Flow of Communication Hypothesis“ erfolgte ein Paradigmenwechsel, der die bis dato vorherrschende Vorstellung der Omnipotenz der Massenmedien widerlegte. Zahlreiche Studien beschäftigten sich mit den Annahmen der „Two-StepFlow of Communication Hypothesis“, die aber nur teilweise bestätigt werden konnten. Darauf aufbauend wurden weitere mehrstufige Modelle bezüglich des Kommunikationsprozesses entwickelt. Es zeigte sich ein wechselseitiger Informationsaustausch zwischen Meinungsführern und Meinungsempfängern sowie die Existenz von Inaktiven, d. h. sozial Isolierten, die nicht am interpersonellen Kommunikationsprozess bezüglich des betrachteten Meinungsgegenstandes teilnahmen und nur durch Massenmedien informiert werden. Somit stellen die Mehrstufenmodelle horizontale und reziproke interpersonelle Kommunikationsverläufe sowie direkte von den Massenmedien zu den Rezipienten gerichtete Informationsflüsse wie auch vertikale Beeinflussung dar. Somit wurde die Ansicht des Meinungsführers als kleines isoliertes Atom in einem großen Ganzen, das den Massenmedien hilflos hörig ist, aufgegeben und Meinungsführer auch in ihrem sozialen Kontext untersucht. Dafür zeichneten sich vor allem die soziometrische Methode bzw. auch Netzwerkanalyse genannt aus, die einen Einblick in komplexe Kommunikationsbeziehungen ermöglicht. Den Meinungsführern kann aufgrund von soziometrischen Untersuchungsergebnissen vornehmlich eine zentrale Position im sozialen Netzwerk zugeschrieben werden, die
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7 Zusammenfassung
neben der Verantwortlichkeit für den Intergruppenfluss der Informationen auch Einfluss über den sozialen Gruppengrenzen hinaus haben. Desweiteren wurden die Motive und Funktionen der Meinungsführer untersucht. Enduring Involvement bedingt das langfristige Interesse des Meinungsführers an einem Meinungsgegenstand und führt zur intensiven aktiven Informationssuche. Wird dem Meinungsführer aufgrund seiner Kenntnisse Anerkennung entgegengebracht, motiviert ihn dies, gezielt Informationen entsprechend dem Bedarf seines sozialen Systems zu sammeln und zu verbreiten. Der Meinungsführer engagiert sich außerdem im interpersonellen Kommunikationsprozess, wenn er selbst aufgrund einer Kaufentscheidung eine kognitive Dissonanz erfährt und Bestätigung für seine Handlungsweise bei anderen Personen sucht. Mit Beginn der Meinungsführerforschung wurden dem Meinungsführer primär eine Relais- und Verstärkerfunktion zugeschrieben, d. h. der Meinungsführer leitet massenmediale Kommunikationsinhalte an andere Personen weiter und verstärkt sie, wobei sein persönlicher Einfluss maßgeblich ist. Spätere Erkenntnisse aus Diffusionsstudien bezüglich der Verbreitung von bedeutenden Neuigkeiten mäßigten diese Funktionen und schrieben dem Meinungsführer eine untergeordnete Rolle bei der Verbreitung von Nachrichten zu. Vordergründig übernehmen Meinungsführer die Funktion der Selektion, Interpretation und Adaption von Informationen und können mittels Sanktionen („sozialem Druck“) eine Einstellungs- und Meinungsänderung bewirken. Weitere Erkenntnisse bezüglich der Merkmale der Meinungsführer sind kritisch zu betrachten, da sie meist verschiedene Identifizierungsmethoden (z. B. soziometrische bzw. netzwerkanalytische Methode, Befragung von Schlüsselinformanten, Selbsteinschätzungsmethode) und Kriterien anwandten und die Meinungsführung in unterschiedlichen Thematiken untersuchten. Als Schlüsselmerkmale der Meinungsführer können ihr hoher Wissensstand und ihr großes Einflusspotenzial angesehen werden. Sie zeichnen sich meist durch intensive sowie aktive Informationssuche und -verarbeitung aus, nutzen dafür qualitativ hochwertige Massenmedien (z. B. Fachzeitschriften) und zeigen oft große Innovationsbereitschaft. Die Meinungsführer engagieren sich häufig in Organisationen und Vereinen und besitzen eine hohe soziale Kompetenz, die sich in der Größe ihres sozialen Netzwerkes widerspiegelt. Sie repräsentieren die Normen und Werte ihrer sozialen Gruppe, weisen aber eine gewisse Neigung zu persönlicher Individualität auf, um sich von der Gruppe abzuheben. Meinungsführer können nicht anhand demografischer und sozioökonomischer Merkmale identifiziert werden. Da sie in jeder sozialen Schicht zu finden sind, verläuft ihre Einflussrichtung meist horizontal. In der Literatur herrscht keine Einigkeit darüber, ob es sich um generelle (polymorphe) oder spezifische (monomorphe) Meinungsführerschaft handelt. Vornehmlich wird von spezifischer Meinungsführerschaft gesprochen. Personen können zu mehreren Themenbereichen meinungsführend sein, wenn sich diese ähneln.
7 Zusammenfassung
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Die Ausführungen über bestehende Theorien und Modelle bezüglich Meinungsführerschaft zeigten, dass Meinungsführer eine wichtige Zielgruppe darstellen können. Dennoch erschweren die bisherigen inädaquaten (wenig reliabel oder unpraktikabel) Methoden die Identifizierung und somit auch die Ansprechmöglichkeiten der Meinungsführer. Es scheint daher angemessen, Meinungsführer mittels entsprechender Kommunikationsinstrumente indirekt anzusprechen und zu motivieren, Informationen weiterzugeben, d. h. über das beworbene Produkt zu sprechen. Die „breite Masse“ sollte aber auch weiterhin in die Marketingkonzeption eingebunden werden.
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Stichwortverzeichnis B Beeinflussung · 32, 34, 42, 51 horizontale · 146 vertikale · 181 Bezugsgruppen · 7–10 F Face-to-Face Kommunikation · Siehe interpersonelle Kommunikation Frühadoptoren · 17–21, 119–121 G Glaubwürdigkeit · 122, 137, 167, 179 H Hypothese des Zwei-Stufen-Flusses der Kommunikation · 28–33 Kritik der · 33 I Inaktive · 36, 69–76 Informationsquellen · 132–134 Informationssuche · 132–133 Informationsverarbeitung · 132 Intergruppenfluss · 44–45 interpersonelle Kommunikation · 5–7 Initiierung · 61–63 Intragruppenfluss · 44 Involvement · 132–37 K Kommunikationsmodelle Ein-Stufen-Fluss-Modell der Kommunikation · 34–35 Mehr-Stufen-Modelle der Kommunikation · 35–40 Two-Cycle-Flow-Modell der Kommunikation · 40–43 Zwei-Stufen-Fluss der Kommunikation · 29 Kommunikationsnetzwerk · 43 Kosmopolitismus · 142–143 M Marginalen · 45 Market Maven · 14–18 Meinungsaustausch · 35, 40, 58, 64, 67–69, 72–74, 162, 175
Meinungsbildungsprozess · 63–67 Rollenverteilung im · 68–76 Meinungsfolger · 34, 35, 41, 43, 71, 154 Meinungsführer · 10–13 als Frühadoptor · 119–126 Beziehungen der · 48 Dimensionen · 147 Funktionen der · 51–54 Identifizierung · 86–112 im Diffusionsprozess · 112–140 im Internet · 156–163 Jugendliche · 160–163 kritische Betrachtung · 154–155 Marketing · 165–172 Merkmale der · 126–155 Motive der · 54–58 Typologisierung · 76–85 Voraussetzungen · 58–60 Vorteile · 173–174 Meinungsführer der Meinungsführer · Siehe Meinungsführer i-ten Grades Meinungsführer i-ten Grades · 37, 43 Meinungsführerschaft · 11, 12 monomorphe · 147–155 polymorphe · 147–155 Meinungssucher · 67–76 Mund-zu-Mund-Propaganda · Siehe Word-of-Mouth N Netzwerkanalyse · 43–49, 94 Nicht-Meinungsführer · 68–69 O Omnipotenz der Massenmedien · 28 Opinion Avoider · Siehe Inaktive P Persönlichkeitsstarke · 21–23, 102–111, 146–154 Identifizierung · 103–112 Persönlichkeitsstärke · 103–110 S Schlüsselinformanten · 88–89 Selbsteinschätzung · 89–112 Sinus-Milieus · 143–146
198 soziale Integration · 141 soziales Netzwerk · 43–49 soziometrische Methode · 86–89 T Two-Step-Flow of Communication Hypothesis · 26–28 V virales Marketing · 166
Stichwortverzeichnis
W Wissensstand · 84–85, 138 Word-of-Mouth · 5, 6, 57, 63, 66, 68, 176 im Internet · 156 -Marketing · 165 negatives · 165, 177 positives · 66, 171