Seewölfe 722 1
Jan J.Moreno
Mit Feuer, Schwert und Kruzifix
In Sichtweite der Küste segelte die Schebecke der Seewölf...
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Seewölfe 722 1
Jan J.Moreno
Mit Feuer, Schwert und Kruzifix
In Sichtweite der Küste segelte die Schebecke der Seewölfe nach Südosten. Mangrovensümpfe und undurchdringliches Buschwerk beherrschten das Land an Backbord. Träge ergossen sich die schmutzigbraunen Fluten eines Flusses ins Meer. Fischreiher nisteten zu Hunderten in den Mangroven. Eine Zeitlang begleitete ihr Lärmen den Dreimaster, dann waren nur noch das Singen des Windes in der Takelage, das Knarren der Racks und das Rauschen der Bugwelle zu hören und ein verhaltener Donner, den der Wind von fern herantrug. Aber der Himmel war wolkenlos und klar wie lange nicht mehr. Nirgendwo zeigten sieh Dunstschleier, die Vorboten eines aufziehenden Gewitters hätten sein können. Der Donner wurde deutlicher. Einzelne dumpfe Explosionen waren zu unterscheiden: das Dröhnen schwerer Schiffsgeschütze. Die Hauptpersonen des Romans: Meran Yeh –ein Malaie, den die Arwenacks vor Haien retten, wofür sie wenig Dankbarkeit ernten. Edwin Carberry– hält eine Muskete für ungeladen und zieht durch –sie spuckt trotzdem Feuer und Blei. Dom Alfonso Cabrália – ein portugiesischer Capitan, der keine Skrupel hat, die Folter anzuwenden. Vasco Almeira – wenn Bekehrungen nichts nutzen, setzt der Jesuitenpater Feuer und Schwert ein. Philip Hasard Killigrew – hat eine Menge Ärger, weil die Eingeborenen ihn und seine Mannen für Portugiesen halten. Ben Brighton–auch ohne seinen Kapitän versteht der Erste Offizier der Arwenacks sein Geschäft und greift zwei Karavellen an.
1. Noch versperrte eine bewaldete Landzunge die Sicht, und die erst eine Handbreite über der Kimm stehende Morgensonne blendete. Eineinhalb Seemeilen bis zur Huk. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, befahl den letzten Kreuzschlag. Schnell, aber ohne erkennbare Hast, wurden die Segel herumgeholt. Die Schebecke schwang mit dem Bug durch den Wind und legte sich ächzend nach Steuerbord. Vorübergehend war ein hohles Glucksen und Plätschern unter dem scharf gehöhlten Vorsteven zu vernehmen, dann glitt das Schiff wieder leicht durch die Dünung. Das Dröhnen einer Breitseite hallte heran. Vier oder fünf Geschütze waren nahezu gleichzeitig abgefeuert worden. Selbst das geübte Ohr eines Al Conroy konnte die
einzelnen Explosionen nicht voneinander unterscheiden. „Ich sehe Mündungsfeuer jenseits der Huk!“ rief Dan O'Flynn aus der Tonne am Großmast. „Wie viele Schiffe?“ fragte Ben Brighton. „Schwer zu sagen, Ben. Der Pulverdampf zieht nur träge ab.“ Der Erste wandte sich zu Hasard um, der, jedes Stampfen der Schebecke sanft abfedernd, durch den Kieker nach Backbord blickte. „Sir?“ fragte er. Ohne das Fernrohr abzusetzen, befahl der Seewolf: „Klarschiff zum Gefecht!“ Ben Brighton gab, eigentlich unnötig, den Befehl weiter. Die Schebecke war kein Kriegsschiff, und die Arwenacks waren weiß Gott keine Seesoldaten, die ständigen Drills bedurften. Sie waren eine perfekte Crew, jeder auf den anderen eingespielt.
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Mittlerweile hatten sie wieder brauchbares Schießpulver an Bord, nicht das verklumpte, vom Seewasser verdorbene Kraut, das qualmend abbrannte, statt richtig zu zünden. Kaum lösten die Zwillinge die Persennings von den Culverinen, mannte der Moses schon das erste Pulverfäßchen an Deck. Clintons Wangen glühten vor Eifer, als ihm der Stückmeister anerkennend zunickte. „Gut so, mein Junge“, sagte Al Conroy. „Aus dir wird eines Tages ein brauchbarer Seemann.“ „Ich sehe Feuer!“ meldete Dan O'Flynn aus dem Ausguck. „Und die Toppen von zwei Karavellen.“ „Portugiesen?“ „Kann sein.“ Hinter der Huk stieg Qualm auf, der das Geschehen jeder weiteren Beobachtung entzog. Für die Arwenacks bedeutete das, daß sie unbemerkt aufschließen konnten. Al Conroy klarierte die sechs Culverinen der Backbordseite. Als Ladung setzte er grob gehacktes Bleischrot und Kettenkugeln. Egal, welchem Gegner sich die Seewölfe in Kürze gegenübersahen, sie waren für alle Fälle gewappnet. Das Schrot wurde im allgemeinen als Decksfeger bezeichnet, und seine Wirkung war tatsächlich der eines eisernen Besens vergleichbar. Die Kettenkugeln, die sich spannten, sobald sie das Geschützrohr verließen, eigneten sich besonders gut, um Masten und Spieren zu zersplittern. Die Zwillinge widmeten sich den Drehbassen vorn und achtern, und Ben Brighton ließ Handfeuerwaffen ausgeben. Ungefähr eine Viertelstunde verging, bis die Schebecke endlich wieder auf den anderen Bug ging und die Landzunge rundete. Träge wogte der Rauch über die See. Viel war nicht zu erkennen. Irrlichternde Flammen inmitten des wallenden Qualms zeigten die Positionen zweier brennender Fischerboote. Beide trieben etwa drei Kabellängen voraus mit der Strömung. Etwas weiter voraus zerriß das Mündungsfeuer von Geschützen den Dunst. Dem rollenden Donner der
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Pulverexplosionen folgte das kreischende Bersten von Holz. „Anluven!“ rief Dan. „Ein Strich Steuerbord!“ In der Höhe wurde der Dunst lichter. Deshalb konnte Dan leichter als die Männer an Deck erkennen, was voraus lag. Sein Befehl wurde ohne Rückfragen akzeptiert. Augenblicke später tauchte ein zerfetztes Lateinersegel aus den lichter werdenden Rauchschwaden auf. Das dazugehörige Boot lag mit schwerer Schlagseite im Wasser. Von der Auslegerkonstruktion, die ihm besondere Stabilität verliehen hatte, zeugten nur noch die zersplitterten Querstreben. Das Fischerboot trieb mit knapp fünfzehn Yards Distanz an der Schebecke vorbei. Ein Toter hing über dem Dollbord, die übrige Besatzung war verschwunden. Im Heckbereich kokelten die Planken. Offene Flammen entstanden nicht, da das Holz offenbar zu sehr mit Nässe vollgesogen war. Der Qualm riß vollends auf. Vor der Schebecke breitete sich eine gespenstisch anmutende Szenerie aus. Wrackstücke bedeckten das nur leicht bewegte Wasser wie ein Flickenteppich. Die Portugiesen – endlich waren die Flaggen der beiden Karavellen zu erkennen – hatten wie die Berserker unter einer Flotte kleiner Fischerboote gehaust. Leichen trieben zwischen den Trümmern dem Ufer der langgestreckten Bucht zu. Auch die dreiekkigen Rückenflossen von Haien waren zu sehen. Für die Meeresräuber war der Tisch reichlich gedeckt. Dichtes Mangrovendickicht beherrschte das Ufer. Überlebenden des Massakers war es nahezu unmöglich, an Land zu gehen. Der Seewolf stieß eine Verwünschung aus. „Die Portugiesen vergreifen sich an Wehrlosen. Wenn ich das richtig sehe, hatten die Fischer keine Chance.“ Inzwischen waren die Mannschaften der Zweimast-Karavellen auf die Schebecke aufmerksam geworden, die hoch am Wind segelnd auf sie zuhielt. Unmißverständlich
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verbaten sie sich jede Einmischung, indem sie den Mittelmeerdreimaster mit einer vollen Breitseite bedachten. Aber die Einschläge lagen zu kurz. Zwanzig, dreißig Yards vor der Schebecke stanzten die Eisenkugeln schäumende Fontänen aus der See, ohne die Arwenacks zu gefährden. Al Conroy verzog die Mundwinkel zu einer geringschätzigen Grimasse. Die Portugiesen hätten erkennen müssen, daß die Kernschußweite noch nicht erreicht war. Aber offenbar vertrauten die Geschützmannschaften auf die abschreckende Wirkung ihres Feuers. Bei den malaiischen Fischern mochten sie damit Erfolg haben, den Korsaren unter Hasards Kommando entlockten sie nur spöttische Bemerkungen. „Näher ran!“ murmelte der Stückmeister. „Dann zeigen wir ihnen, was ein richtiges Seegefecht ist.“ Die Portugiesen hatten indes nicht die Absicht, sich auf einen weiteren Schlagabtausch einzulassen. Bislang nur unter der Fock segelnd, setzten sie Vollzeug und flohen vor den Engländern. Ungläubig rieb sich Al Conroy die Augen. Er blinzelte, doch das Bild blieb dasselbe. „Die Rübenschweine haben die Hosen voll“, polterte der Profos los. „Seht euch das an! Die segeln, als wäre der Leibhaftige hinter ihnen her.“ In gewissem Sinne hatte Carberry recht. Aber da war noch ein drittes Schiff, ähnlich gebaut wie eine chinesische Dschunke, das dicht unter Land zu entwischen versuchte, und die Absicht der Portugiesen mochte ebenso gut sein, die Malaien aufzubringen. „Die kaufen wir uns!“ sagte Al Conroy wild. Die Schebecke war ein schnelles Schiff und jederzeit in der Lage, die ZweimastKaravellen einzuholen, zumal sie zweifellos höher an den Wind gehen konnte. Rasch schrumpfte die Distanz zu den Verfolgern auf weniger als zehn Schiffslängen. „Deck!“ brüllte plötzlich Dan O'Flynn. „Ich sehe zwei Überlebende. An Backbord
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– schätzungsweise zwei Kabellängen achterlich.“ Al Conroy warf den Luntenstock in das Becken mit den glühenden Kohlen zurück. Er wußte, daß die Jagd zu Ende war, bevor sie richtig begann. Vorerst wenigstens. Der Seewolf ließ Kurs auf die gesichteten Schiffbrüchigen nehmen, von denen sich einer an einer schwimmenden Spiere festklammerte und der andere mit hastigen Schwimmstößen dem Mangrovendickicht zustrebte, offenbar in der Hoffnung, zwischen den verfilzten Luftwurzeln einen Durchschlupf zu finden. Leider waren nicht nur die Arwenacks aufmerksam geworden. „Haie!“ Dan deutete auf die scharf gepfeilten grauen Flossen, die zielstrebig die Wellen durchschnitten. Auch der in Richtung Küste schwimmende Malaie hatte die Haie bemerkt. Wenig mehr als hundert Yards trennten ihn noch von den Mangroven. Mit allen Anzeichen wachsenden Entsetzens verstärkte er seine Bemühungen. Er schaffte es nicht. Der erste Raubfisch zog so nahe an ihm vorbei, daß sie sich fast berührten. Augenblicke später ging er abrupt auf Tiefe. Auch der andere Hai tauchte ab. Batuti und Big Old Shane standen auf der Back der Schebecke und hielten die Langbogen schußbereit. Auf der Kuhl warteten Stenmark und Sam Roskill, jeder eine Muskete im Anschlag. Sie wußten, daß sie mehr als nur Glück brauchten, um auf die derzeitige Distanz zu treffen. Die Nähe des gefürchteten Räubers hatte den Malaien vorübergehend erstarren lassen. Als er wieder mit hastigen Schwimmbewegungen begann, schrien die Zwillinge wie aus einem Mund: „Nicht bewegen! Die Haie sind noch da!“ Sie bedienten sich des Hindu-Dialekts. Aber entweder verstand sie der Malaie nicht, oder er achtete nicht auf den Zuruf, weil ihn das Entsetzen unweigerlich vorwärtstrieb – jedenfalls wühlte er nur noch heftiger das Wasser auf. Nahezu im selben Moment griffen die Mörder an.
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Sam Roskill schoß, als einer der Raubfische neben dem Mann auftauchte. Festzustellen, ob er getroffen hatte, war unmöglich, denn der Hai tauchte sofort weg. Der andere glitt wie ein riesiger grauer Schemen unter Wasser auf den Malaien zu, der lauthals zu schreien begann. Batuti und Shane schossen ihre Pfeile nahezu gleichzeitig ab. Beide trafen den Hai zwischen Kopf und Rückenflosse, doch der zeigte sich davon unbeeindruckt. Die dünne Blutspur, die er hinter sich herzog, verwischte in der plötzlich rosa Färbung des Wassers, als er zupackte. Die See begann zu schäumen. Der Malaie wurde untergetaucht, erschien prustend und um sich schlagend noch einmal an der Oberfläche und sackte gleich darauf für immer weg. Nur noch ein Schwall zerplatzender Luftblasen zeugte von der Tragödie und dem namenlosen Entsetzen, das auch die Arwenacks gepackt hatte. Menschen sterben zu sehen, war kein schöner Anblick. Aber der Tod fragte nie, bevor er zuschlug. * Irgendwo in der Tiefe, vor den suchenden Blicken der Seewölfe verborgen, zogen beide Haie ihre Kreise. Das Blut im Wasser steigerte ihre Gier ins Unermeßliche. Lediglich die vielen schwimmenden Wrackteile irritierten sie. Von Bord der Schebecke wurde eine Jolle abgefiert. Den Arwenacks war klar, daß sie sich auf einen Wettlauf einließen, den sie nur unter günstigsten Umständen gewinnen konnten. Solange sich der zweite Malaie unbewegt an der Spiere festklammerte, hatten sie jedoch eine Chance. Während die Jolle bemannt wurde, schleppten der Kutscher und Mac Pellew Fleisch aus der Proviantlast an Deck. Der Vorrat war gepökelt, also keineswegs frisch – trotzdem warfen sie ihn an Steuerbord ins Wasser. Augenblicke später näherte sich der erste Hai und schnappte gierig zu.
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Philip junior zündete die achtere Drehbasse. Die Ladung Bleischrot, auf die Distanz von wenig mehr als zwanzig Yards noch eng gebündelt, ließ das Wasser aufschäumen. Der Hai war getroffen und verlor jede Orientierung. In wilden Zuckungen wand er sich zwischen den Fleischbrocken und lockte weitere Räuber an. Es dauerte nicht lange, bis die Tiere in einem wahren Blutrausch übereinander herfielen. Mehr hatten die Arwenacks nicht erreichen wollen. Roger Brighton, Bob Grey, Smoky und Jack Finnegan pullten die Jolle von der Schebecke weg, daß die Riemen in den Rundseln krachten. Sam Roskill saß auf der achteren Ducht und bediente die Pinne. Auf seinen Knien lag schußbereit eine Steinschloßmuskete, hinter seinem Gürtel steckten außerdem zwei Pistolen. Im Bug des Bootes. kniete Batuti, den Langbogen quer auf das Dollbord aufgelegt. Der Malaie wurde aufmerksam, als sie sich ihm bis auf fünf Bootslängen genähert hatten. Offensichtlich hielt er sie für Portugiesen, denn er stieß einen gurgelnden Schrei aus, ließ prompt die Spiere los und tauchte unter dem Rundholz weg. „Warte, verdammt!“ rief Brighton. Der Mann hörte ihn schon nicht mehr. Außerdem war fraglich, ob er die englischen Laute von der portugiesischen Sprache hätte unterscheiden können. Die Bootsgasten pullten, daß ihnen die Adern an den Schläfen schwollen. Smoky warf dem Malaien ein Tauende zu. Der Mann dachte jedoch nicht daran, sich festzuhalten. „Du Idiot!“ schimpfte der ehemalige Decksälteste. „Wir wollen dir doch nur helfen!“ Die Jolle war schneller als der beste Schwimmer. Aber ehe Batuti vom Bug aus den Mann zu fassen kriegte, warf sich der schon wieder herum. Kostbare Augenblicke gingen verloren. „Er will sich nicht retten lassen. Warum drängen wir uns eigentlich auf?“
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„Kannst du zusehen, Bob, wie er absäuft, ohne einen Finger zu rühren?“ fragte Jack Finnegan zurück. Bob Grey schüttelte den Kopf. „Wenn er nicht will, zieht ihm einen Riemen über den Schädel“, sagte Sam Roskill. „Selbst die größte Beule ist angenehmer, als ein Leben lang tot zu sein.“ Ihnen war bestimmt nicht nach Witzen zumute, zumal vom Deck der Schebecke erneut Schüsse fielen. Trotzdem grinsten sich die Arwenacks an. „Ich tu's“, sagte Roger Brighton und hob demonstrativ seinen Riemen. „Pullt mich nur nahe genug an den Kerl ran. Später wird er mir dankbar sein, daß ich ihm eine mit dem Blatt verpaßt habe.“ „Falls wir schneller sind als die Haie.“ Sam Roskill hob die Musketen, ohne das Ruder loszulassen. Die Schüsse hatten zwei Haien gegolten, die der Jolle folgten. Sam hatte nicht nur Mühe, sich so weit umzudrehen, daß er die wendigen Räuber über den Musketenlauf hinweg anvisieren konnte, es kostete ihn auch einige Anstrengung, das Dümpeln des Bootes auszugleichen. Beide Tiere maßen gut eineinhalb Mannslängen. Die Lichtbrechung der Wellen ließ ihre Umrisse verzerrt erscheinen, und nur die Rückenflossen ermöglichten ein einigermaßen genaues Zielen. Sam Roskill wartete, bis er sicher war, den Kopf des vorderen Tieres zu treffen. Die Distanz betrug da gerade noch zehn Yards. Er drückte im selben Moment ab, in dem Roger Brighton den Riemen aus der Rundsel hob und zuschlug. Der Malaie war keineswegs so unbedarft, wie es den Anschein hatte. Er tauchte, über ihm klatschte das Riemenblatt wirkungslos aufs Wasser. Bis Roger Brighton, der halb aufgerichtet und weit vornübergebeugt zwischen den Duchten stand, Gelegenheit fand, sein Gewicht zurückzuverlagern, schnellte der Mann halb aus dem Wasser, griff zielsicher mit beiden Händen nach dem Riemenschaft und zerrte Roger Brighton
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mit einem wahrhaft unwiderstehlichen Ruck übers Dollbord. Bäuchlings klatschte der Takelmeister ins Wasser und wurde sofort von dem Malaien attackiert, der verbissen versuchte, ihm den Dolch aus dem Gürtel zu zerren. Keiner der Bootsgasten hatte das Geschehen verhindern können. Aber immerhin versuchten sie, die Jolle zwischen den Kämpfenden und dem angeschossenen, sich wie toll gebärdenden Hai zu halten. Die Musketenkugel hatte das Biest in ein tobendes Monstrum verwandelt, dessen Todeskampf die See aufwühlte. Anscheinend war die Schwimmblase zerstört, denn das Tier trieb immer häufiger mit der Bauchseite nach oben und wälzte sich heftig herum. Das Wasser färbte sich so schnell dunkel, als hätte jemand einen Kübel Farbe hineingegossen. In einem wahren Blutrausch packte der zweite Hai zu und zerriß seinen Artgenossen. Dabei betrug der Abstand zu den miteinander kämpfenden Männern kaum zwanzig Yards. Sam Roskill versuchte gar nicht erst, die Muskete neu zu laden, sondern zog die beiden Pistolen. Einen ebenso wirkungsvollen zweiten Schuß konnte er jedoch nicht mehr anbringen. Die zuckenden grauen Leiber sackten viel zu schnell weg, und das aufgewühlte Wasser verhinderte, mehr als nur vage Schemen zu erkennen. Inzwischen hatte der Malaie Roger Brightons Dolch an sich gebracht, aber der Takelmeister beging nicht zum zweitenmal den Fehler, den Gegner zu unterschätzen. Der Schiffbrüchige war geschmeidig und glitschig wie ein Aal, und der Haß stand ihm ins Gesicht geschrieben. Sein erster, von unten heraufgeführter Hieb mit der Klinge war am Widerstand gescheitert, den ihm das Wasser entgegensetzte, und ebenso an Roger Brightons Reaktion, der gerade noch rechtzeitig ausgewichen war. Jetzt hielt sich der Malaie wassertretend auf der Stelle, die Rechte mit dem Dolch leicht
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angewinkelt. In seinen Augen brannte ein verzehrendes Feuer. „Ich sollte dich wirklich deinem Schicksal überlassen.“ Für einen Moment war der Takelmeister versucht, sich wieder in die Jolle zu ziehen, doch der Malaie dachte nicht daran, ihn ungeschoren zu lassen. Mit einem Aufschrei schnellte sich der Schiffbrüchige auf ihn. Roger Brighton blockte allerdings den Waffenarm ab, ehe ihm der Kerl die Klinge in die Schulter rammen konnte. Der Malaie, schmächtig und dürr, mit eingefallenen Wangen und tief in den Höhlen liegenden Augen, war unglaublich zäh. Seine Linke zuckte vor und verkrallte sich in Roger Brightons Haaren, während er zugleich die Beine anzog und sich rückwärts absacken ließ. Ben Brighton wurde nach vorn gezerrt und untergetaucht. Wasser drang ihm in Mund, Nase und Ohren, und für einen Moment war die Klinge nahe vor seinem Gesicht. Er ignorierte den stechenden Schmerz, der seinen Kopf von der Stirn bis in den Nacken durchpulste und verkrallte die Finger ins Handgelenk des Gegners. Verbissen kämpften sie um den Besitz des Dolches, und jede Bewegung hatte etwas erschreckend Langsames an sich. Wie aus weiter Ferne vernahm er die aufgeregten Rufe der Gefährten, ohne jedoch zu verstehen, was sie sagten. Die Luft wurde ihm knapp, der Drang einzuatmen schier unwiderstehlich. Mit aller Kraft stieß er sich ab. Der Malaie hing wie eine Klette an ihm. Inmitten eines Schwalls von Luftblasen sah Roger Brighton das hagere, verzerrte Gesicht vor sich und schlug mit der zur Faust geballten Rechten zu. Besonders hart konnte er den Gegner aber nicht getroffen haben, denn das Wasser setzte ihm nur schwer zu überwindenden Widerstand entgegen. Seine Finger fanden die Kehle des Mannes. Er drückte zu. Zugleich durchbrach er die Oberfläche und sog gierig Luft in die gequälten Lungen. Der Malaie hing nur noch wie ein nasser Sack in seinem Griff.
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Die Arwenacks redeten wirr durcheinander. Er kriegte nicht mal die Hälfte von dem mit, was sie riefen. Dann klatschte ein Tau vor ihm in die Wellen. Er griff instinktiv zu, schlang den Tampen ums Handgelenk und spürte, wie er durchs Wasser glitt. Hand über Hand holten die Bootsgasten das Tau ein. Hilfreiche Hände zerrten erst ihn und danach den benommenen Malaien in die Jolle. „Wahrschau!“ brüllte jemand. Das Boot erzitterte unter einem heftigen Anprall. Das Gefühl, als würde es um mehrere Inches angehoben, konnte nicht nur der Einbildung entspringen. „Verdammt, Sam, warum schießt du nicht?“ Jack Finnegan starrte aus weit aufgerissenen Augen an Roger Brighton und dem geretteten Schiffbrüchigen vorbei, als gäbe es hinter ihrem Rücken weiß der Teufel was zu sehen. Sam Roskill schüttelte den Kopf. „Soll ich die Kugeln blind ins Wasser jagen?” fragte er. „Das Vieh hat mir nicht einen Augenblick lang ein vernünftiges Ziel geboten, es weiß genau, daß ich nur noch zwei Pistolen habe.“ „Tut mir leid“, sagte Batuti, der noch im Bug kauerte, ohne sich umzuwenden, „aber mir blieb schon gar nicht die Zeit, ins Ziel zu gehen.“ Der Hai war unmittelbar neben der Jolle abgetaucht. Er blieb verschwunden, auch als die Arwenacks zu pullen begannen. Mißtrauisch beobachteten die Männer die im Schein der höher steigenden Sonne spiegelnde Wasserfläche. Sie hielten auf die Schebecke zu, die mittlerweile beigedreht hatte und nur unwesentlich nach Lee driftete. Kleinere Wrackstücke schrammten an den Bootsplanken entlang. Den Arwenacks erschien es, als wäre das kratzende Geräusch weithin zu vernehmen. Batuti benutzte daraufhin seinen Langbogen, um weitere Trümmer zur Seite zu stoßen. Plötzlich splitterte hinter ihm Holz. Es war ein gräßliches, durch Mark und Bein
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gehendes Geräusch, begleitet vom Blaffen zweier Pistolenschüsse. Der Gambiamann fuhr gerade noch so rechtzeitig herum, daß er den Hai neben der Jolle wegtauchen sah. Das Boot begann heftig zu schaukeln, und die Arwenacks mußten nach Halt suchen. Zwei Riemen waren glatt durchgebissen. Die messerscharfen Zähne des Haies hatten deutliche Spuren hinterlassen. Jeder im Boot fühlte, daß sich seine Nackenhaare sträubten. „Weiter!“ befahl Sam Roskill. „Das Vieh kann jeden Augenblick wieder erscheinen.“ Mit den beiden verbliebenen Riemen die Jolle gegen die Strömung und über eine Strecke von mehr als hundert Yards zu pullen, war zwar nur eine Frage der Zeit, aber gerade die hatten die Arwenacks nicht. Sie sahen den Hai pfeilschnell unter sich hinwegziehen, höchstens eineinhalb Mannslängen tief. Augenblicke später durchbrach er die Wasseroberfläche und hielt zielstrebig auf das Heck der Jolle zu, das Maul mit den nadelspitzen Zähnen gierig aufgerissen. „Aufpassen!“ brüllte Roger Brighton mit sich überschlagender Stimme. Mit der Linken klammerte er sich an der Ruderbank fest, mit der Rechten umfaßte er einen der zersplitterten Riemenschäfte wie einen Speer. Der Zusammenprall war überaus heftig. Wasser schoß über, das Dollbord tauchte gut eine Handbreite tief ein, ehe sich die Jolle zögernd wieder aufrichtete. Sam Roskill wurde die Pinne mit urwüchsiger Gewalt entrissen. Seine Pulverflasche und eine der beiden Pistolen gingen über Bord, als der Hai nicht mal zwei Ellen neben ihm hochstieg. Für einen Moment glaubte er schon, seine Knochen splittern zu hören und schloß mit dem Leben ab, als Nässe über ihm zusammenschlug, doch dann erkannte er, daß das mörderische Maul nur das Ruderblatt zermalmt hatte. Roger Brightons Rundholz beeindruckte das Vieh offenbar ebenso wenig wie Batutis Pfeil, der dicht hinter der
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Kiemenöffnung getroffen hatte. Der Hai schlug einen weiten Bogen und kehrte zur Jolle zurück. Nur undeutlich war zu erkennen, daß er unter dem Boot lauernd Kreise zog. „Nicht mehr pullen!“ befahl Roger Brighton. Die Männer verharrten regungslos. Angespannt erwarteten sie eine neue Attacke des Raubfischs, dem sie außer ihren Messern nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Von der Schebecke trennten sie noch rund hundert Yards. Ob die Musketenschützen, die auf Kuhl und Achterdeck Stellung bezogen hatten, wirklich im entscheidenden Moment eingreifen konnten, blieb dahingestellt. Falls der Hai erneut angriff, würde alles sehr schnell ablaufen. Dabei schien die Zeit stillzustehen. Aus kurzen Augenblicken wurde eine kleine Ewigkeit - so empfanden es die Arwenacks, deren Gesichter eine grimmige Entschlossenheit erkennen ließen. Aber noch schüttelte der Takelmeister den Kopf. „Abwarten!“ raunte er. „Wir sollten das Biest nicht herausfordern.“ Die Wogen rings um die Jolle hatten sich wieder geglättet. Deutlich war ein dünner Blutfaden zu sehen, der mit der Strömung verwehte. „Wir haben ihn also doch erwischt“, sagte Batuti. Für einen Moment verharrte der Hai unter dem Boot – ein Zögern zwischen Angriff und Rückzug, aber schließlich verschwand er in der Tiefe. „Der hat genug“, sagte Smoky zuversichtlich. „Jetzt aber nichts wie weg, bevor mehr von den Biestern Appetit auf uns kriegen.“ „Der Hai ist fort, weil er uns nicht für Beute hält“, behauptete Roger Brighton. „Also pullt so sanft wie möglich, sonst haben wir das Vieh schneller wieder am Hals, als uns lieb sein kann.“ Er ignorierte die fragenden und zugleich ungläubigen Blicke der Männer. Smoky und Jack Finnegan ließen die Riemenblätter so leicht ins Wasser gleiten,
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daß nicht mal ein Plätschern zu vernehmen war. Und sie zogen vorsichtig durch. Wegen des fehlenden Ruders driftete die Jolle aus dem Kurs. Aber hin und wieder ein Schlag mehr auf Smokys oder Jack Finnegans Seite glich die Abweichung aus. Der Malaie kauerte immer noch halb benommen zwischen den vorderen Duchten. Sein Blick verhieß wenig Gutes, und wenn er eine Chance gesehen hätte, wäre er den Arwenacks der Reihe nach an die Kehle gegangen. Wohl nur die Tatsache, daß er nicht gegen alle zugleich bestehen konnte, ließ ihn zögern. Langsam glitt das Boot auf die Schebecke zu. Die Distanz betrug nur noch knapp zwanzig Yards, als der Hai wieder angriff. Vielleicht war es auch ein anderer der gefürchteten Meeresräuber, so genau konnte das niemand erkennen. Musketenschüsse fielen. Die Kugeln klatschten jedoch wirkungslos ins Wasser. Auf den letzten Bootslängen legten sich Smoky und Finnegan mit aller Kraft in die Riemen. Hart krachte die Jolle gegen den Schiffsrumpf, holte über und schrammte an den Planken - entlang. Roger Brighton kriegte gerade noch die von der Kuhl ausgebrachte Jakobsleiter zu fassen, ehe das Boot daran vorbei war. Erneut wurde geschossen. Der Hai zog dicht an der Schebecke vorbei und drehte blitzschnell um, als Mac Pellew Von der Back Abfälle ins Wasser kippte. Bis er sich wieder dem Boot zuwandte, hatten es die Arwenacks so weit geschafft, daß mit dem Aufhieven begonnen werden konnte, nachdem sie aufgeentert waren. 2. „Die Segel setzen! Rudergänger: Kurs Südost, parallel zur Küste! Wir folgen den Portugiesen!“ Der Seewolf verlor nicht noch mehr Zeit, als dies ohnehin schon der Fall war. Inzwischen waren von den Karavellen und dem dschunkenähnlichen Schiff nicht mal mehr die Toppen zu sehen. Der unregelmäßige Küstenverlauf hielt eine
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Fülle von Verstecken bereit und war wohl nirgends weiter als bis auf ein, zwei Meilen einzusehen. Wenn die Schiffe dicht unter Land segelten, konnten sie sich, sofern ihnen der Wind nicht entgegenstand, gut davonstehlen. Don Juan de Alcazar deutete auf den geretteten Malaien, der von zwei Männern festgehalten wurde. „Dem Vorgehen der Portugiesen nach zu urteilen, haben sie nicht viele Freunde entlang der Küste. Eigentlich ist der Mann unser Verbündeter.“ „Sag's ihm!“ antwortete der Seewolf. „Er wird nur nicht auf dich hören, weil er uns ebenfalls für Portugiesen hält.“ Der Malaie, keineswegs gewillt, sich wie ein Stück Ware mustern zu lassen, ließ eine den Arwenacks unverständliche Schimpftirade vom Stapel. Er versuchte, sich loszureißen. Als er es nicht schaffte, spie er aus. Seine ganze Wut und Verachtung trafen Nils Larsen mitten ins Gesicht, und als sich der Däne den Speichel abwischte, trat er zu. So schnell, daß keiner reagieren konnte. Nils Larsen wurde bleich, als ihn der Fuß in den Unterleib traf, er japste und sank vornüber auf die Knie, wobei er den Malaien losließ. Der hatte nur darauf gewartet, wirbelte in einer einzigen fließenden Bewegung herum und knallte Mac O'Higgins die Faust an die Schläfe. Higgy riß den Bruchteil eines Augenblicks zu spät die Arme hoch. Er kriegte glasige Augen, wollte zwar nachfassen, hatte aber doch genug mit sich selbst zu tun. Sein Pech war außerdem, daß der Malaie zur Back lief. Da ihm mehrere Arwenacks den Weg versperrten, warf er sich wieder herum und prallte gegen Higgy, der gar nicht so schnell begriff, wie ihn der Kerl ansprang und ihm beide Füße in den Leib rammte. Higgys Japsen klang nicht minder gequält als das von Nils Larsen. Außerdem wurde er etliche Schritte weit zurückgeschleudert und setzte sich recht unsanft mit dem Achtersteven auf die Decksplanken. Während der harte Aufprall sein Rückgrat zusammenstauchte, sah Higgy noch immer
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das Bild des waagerecht durch die Luft fliegenden Malaien vor sich. Nie zuvor hatte er einen Mann so kämpfen sehen. Der Malaie hatte sich über die Schulter abgerollt, war blitzschnell wieder auf die Beine gesprungen und hastete zum Schanzkleid. Seine Absicht, über Bord zu springen, war unverkennbar, doch im letzten Moment überlegte er es sich anders, schlug Haken wie ein fliehender Hase und hetzte den Niedergang zum Achterdeck hinauf, eine Meute wütender Arwenacks hinter sich. „Haltet ihn auf!“ „Er kann nicht entkommen! Wohin auch?“ Vorübergehend behinderten sich die Männer gegenseitig, weil zu viele vor dem Niedergang drängelten. Der Malaie griff sich indessen eine der Musketen, die achtlos an die Querbalustrade gelehnt worden waren, und riß sie hoch. Wie er mit der Waffe umgehen mußte, wußte er leider nur zu genau. Den Hahn mit dem Feuerstein gespannt, richtete er die Mündung spontan auf den Seewolf, in dem er offenbar den Kapitän des Schiffes erkannte. „Sag, Männer sollen zurückbleiben!“ Zur Überraschung aller bediente er sich eines halbwegs verständlichen Portugiesisch. Hasard stand gerade noch vier Schritte vor ihm. Anzunehmen, daß der Malaie auf die kurze Distanz danebenschoß, und wenn ihm hundertmal der Rückstoß die Muskete aus der Hand riß, war möglicherweise tödlicher Selbstbetrug. Hasard wußte das. Er hatte noch versucht, dem Gegner zuvorzukommen, war aber nicht schnell genug gewesen. Don Juan de Alcazar hatte es ebenfalls nicht geschafft. Das Gesicht des Dunkelhäutigen verzerrte sich. „Nicht!“ befahl er. „Das weg!“ Don Juan war gemeint. Mit einem ergebenen Seufzen schob er seine Pistole hinter den Gürtel zurück. Er hatte gehofft, der Malaie würde nicht bemerken, daß er langsam die Waffe zog. Aber damit, daß er nun unschuldsvoll die Arme ausbreitete,
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war der hagere Mann keineswegs zufrieden. „Das da“, er deutete kopfnickend auf den Spanier, „zu mir!“ Seine Forderung unterstrich er mit einer herrischen Bewegung. Don Juan blieb keine andere Wahl, als die Pistole vorsichtig aus dem Gürtel zu ziehen und auf die Planken zu legen. Mit einem Fußtritt beförderte er sie bis zur Querbalustrade. Das alles war die Sache weniger Augenblicke. Die Arwenacks hatten sich schlichtweg überrumpeln lassen, weil keiner erwartet hatte, daß der schwächlich und benommen wirkende Malaie derart vehement angreifen würde – zumal er den Arwenacks verdankte, daß er nicht von den Haien zerrissen worden war. „Dankbarkeit kennst du wohl nicht?“ fragte Carberry grollend. Er hatte die Wuhling auf dem Niedergang gelöst, und zwar einfach mit den Fäusten. Einige Männer hatten sich, ehe sie sich's versahen, auf der Kuhl wiedergefunden. „Weg!“ schnaubte der Malaie. „Oder Capitan tot!“ Er bückte sich nach der Pistole und schob sie in den Bund seines einer indischen Wickelhose ähnlichen Kleidungsstücks. „Wir sind keine Portugiesen“, sagte Hasard. „Wir sind Freunde.“ Der Malaie verfiel in seine Muttersprache. Was er den Arwenacks zu sagen hatte, war wohl wenig schmeichelhaft. „Du kannst nicht an Bord steigen und dich aufführen, als wärst du hier der Oberaffe!“ schimpfte Carberry. Er redete ebenfalls Portugiesisch, wurde aber offenbar nicht oder nur bruchstückhaft verstanden. „Dein bißchen Verstand scheint im Wasser geblieben zu sein.“ Zumindest am Tonfall hörte der Mann, daß mit Carberry nicht. gut Kirschen essen war. Der äußere Eindruck, den der mordshäßliche Riese mit dem Narbengesicht und dem gewaltigen Rammkinn hinterließ, war noch weniger geeignet, Vertrauen zu erwecken. „Weg!“ sagte der Malaie. Sein Zeigefinger krümmte sich um den Abzug der Muskete.
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„Du wiederholst dich, mein Freund“, sagte Carberry. Hasard mußte ihn zurechtweisen: „Bleib wo du bist, Ed! Oder willst du, daß der Mann abdrückt?“ Edwin Carberry grinste breit. „Die Flinte ist nicht geladen, Sir. Keine von denen, die an der Balustrade lehnen, ist schußbereit. Ich habe aufgepaßt. Nachdem die Jolle längsseits ging, hat niemand mehr Pulver eingefüllt.“ Er schwang sich endgültig von der letzten Stufe des Niedergangs aufs Achterdeck und trat lächelnd einen Schritt auf den Malaien zu. „Du siehst aus, als hättest du die Schwindsucht, mein Junge. Deshalb willst du doch nicht, daß ich mich an dir vergreifen muß, oder?“ Ein Grinsen Carberrys konnte gründlich mißverstanden werden. Mitunter rief es Furcht hervor oder sogar Panik. Der Malaie erkannte, daß ihm von dem grobschlächtigen Riesen die größte Gefahr drohte. Prompt fuhr er herum, aber Carberry war schnell und sprang ihn im selben Moment an. Mit der Linken erwischte er den Musketenlauf und rammte dem Gegner den Schaft zwischen die Rippen. Mit der flachen Rechten schlug er zu. Ein dumpfes Klatschen war zu vernehmen, danach taumelte der Malaie geradewegs in die Arme des Seewolfs, der ihm auch die Pistole abnahm. Stöhnend sank der Kerl auf die Knie, hielt sich mit beiden Händen den Kopf und spuckte einen abgebrochenen Zahn aus. Seine linke Gesichtshälfte glühte, als hätte sie ihm die Sonne verbrannt. „Das hätte alles nicht sein müssen“, sagte Edwin Carberry tadelnd. „Gut, daß du es zugibst, Mister.“ Big Old Shane, der Schmied von Arwenack, zog den Profos halb zu sich herum. „Wenn der Bursche auf Hasard geschossen hätte, was dann? Du glaubst vielleicht, er hätte nicht abgedrückt, weil ihm danach nur noch die Pistole geblieben wäre, aber auch ein Tier, das in die Enge getrieben wird, beißt irgendwann.“
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„Na und?“ Carberry zuckte mit den Schultern. „Ich sagte bereits, daß die Muskete nicht geladen ist.“ Er wechselte die Waffe in die rechte Hand, zielte auf den Besanmast und drückte ab. Der Hahn mit dem Feuerstein schlug auf den über die Pfanne geklappten Feuerstahl. Gleichzeitig gab der verschiebbare Pfannendeckel dem Zündfunken den Weg zum Pulver frei. Es gab nicht nur das klickende Geräusch, als der Funke entstand. Die Entladung erschien dem Profos um so lauter, weil er sie nicht erwartet hatte. Sein mächtiger Unterkiefer klappte weg, als die Muskete plötzlich Feuer und Rauch spie. In dem Moment wäre er am liebsten so klein wie eine Maus gewesen. Jeder starrte ihn an. Und vor allem der Blick des Seewolfs sagte mehr, als Worte je vermocht hätten. „Sir“, begann Carberry. „Ich ...“ „Nicht geladen“, sagte Hasard. „Ganz sicher nicht! Und unser ‚Freund' hätte auch nicht geschossen, weder auf mich noch auf dich. Oder verstehe ich das nicht richtig?“ „Ich war wirklich überzeugt ...“ Carberry zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid, Sir. Aber sollten wir uns jetzt nicht um den Malaien kümmern?“ * Edwin Carberry nahm den unfreiwilligen Gast in seine Obhut. Schon deshalb, um dem Gespött der Arwenacks zu entgehen. Außerdem sollte der Malaie ruhig erkennen, aus welcher Richtung der Wind wehte. Das Gespräch zwischen beiden war anfangs recht einseitig. Carberry redete, und sein Gegenüber starrte unverwandt auf die Planken. „Hörst du mir überhaupt zu, du Rübenschwein?“ Der Profos bewies eine Engelsgeduld. Während die Schebecke unter Vollzeug und in Sichtweite der Küste nach Südosten segelte, redete er abwechselnd Portugiesisch, Spanisch und mit einigen Brocken Hindi auf den Malaien ein.
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„Glaubst du, mir bereitet das Spaß, Monologe zu führen? Zum hundertsten Male: Wir sind Engländer und haben mit den verlausten Portus, die sich hier herumtreiben, nichts im Sinn.“ Er dachte an den angeblichen Enkel von Alonso de Albuquerque, mit dem sie handfest aneinandergeraten waren. Aber falls Albuquerque auf einer der beiden Karavellen gewesen wäre, hätte er kaum zugelassen, daß die Portugiesen das fliehende Schiff verfolgten, sondern die Schebecke angegriffen. „Die Portugiesen sind unsere Gegner, verstehst du?“ „Er versteht nichts“, sagte Jung Hasard. An den Großmast gelehnt, verfolgte er Carberrys vergebliche Bemühungen. „Weil er nichts verstehen will“, erwiderte sein Zwillingsbruder Philip. Carberrys Schnauben klang wie das Blasen eines Wales. Drohend blickte er auf den Mann hinunter, der vor ihm auf der Kuhlgräting kauerte. Demonstrativ hob er die Linke. „Das hier“, sagte er langsam und betont, „ist ein Portugiese. Du verstehst?“ Der Malaie blickte ihn zum erstenmal an. Aber in diesem Blick lag nur Verachtung verborgen. „Affenarsch“, murmelte Carberry vor sich hin. Er hatte das Gefühl, jeden Moment zerplatzen zu müssen. Soviel Nichtbeachtung war er nicht gewohnt. Das war schlichtweg zuviel. Sollte er die zur Faust geballte Rechte dem Kerl unters Kinn setzen? Dann bestand die Gefahr, daß das Leichtgewicht über Bord katapultiert wurde. Also hielt er ihm die Faust nur unter die Nase, wie zuvor die andere Hand, und sagte: „Das hier Arwenack. Ich! Und Arwenack verdrischt Portugiesen.“ Zur Verdeutlichung schlug er mit der Faust in die geöffnete Linke. Es klatschte vernehmlich laut, und endlich zeigte sich so etwas wie Verstehen in den Augen des Malaien. „Ob er's wirklich begreift?“ murmelte Jung Hasard. „Scheint zumindest so“, sagte Philip.
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Der Profos tippte sich an die Brust und sagte: „Edwin Carberry.“ „Maran Yeh“, sagte der Malaie. „Na also“, erklärte Jung Philip. „Den Anfang haben wir. War auch ganz schön schwer.“ „Du hast wenig dazu beigetragen“, maulte Hasard. „Wenn Ed nicht eine solche Engelsgeduld hätte ...“ Der Profos vollführte eine entschieden abwehrende Handbewegung. „Spottet nicht“, sagte er warnend. „Ich kann auch andere Seiten aufziehen.“ „Wir wollen nur wissen, warum die Portugiesen wehrlose malaiische Fischer in Grund und Boden bohren.“ „Glaubt ihr, ich möchte das nicht herausfinden?“ Edwin Carberry bewies tatsächlich eine Engelsgeduld. Im Verlauf der nächsten halben Stunde stellte er mehrmals fest, daß es leichter sei, jemandem Würmer aus der Nase zu ziehen, als Maran Yeh eine brauchbare Auskunft zu entlocken. Irgendwann mittendrin befahl er den Zwillingen, Rum zu besorgen. Rum löste bekanntlich jede Zunge. Aber er hatte Pech. Der Malaie roch mißtrauisch an dem ihm dargebotenen Becher, verzog das Gesicht zu einer abstoßenden Grimasse und kippte den Inhalt über die Gräting. Wieder spie er aus. „Er hat keinen Durst“, sagte Jung Philip. „Vielleicht schluckt er lieber Salzwasser“, erwiderte Carberry zornig. „Ich denke, er verachtet den Alkohol aus religiösen Gründen“, erklärte Hasard. Carberry rollte mit den Augen. „Du meinst, der Kerl ist Moslem?“ „Weißt du eine bessere Erklärung?“ Maran Yehs Mißtrauen war wieder da. Feindselig starrte er die Arwenacks an. „Oh, ich könnte ihn ...“, sagte Carberry grollend. Was er vorhatte, erfuhren die Zwillinge nicht, denn in dem Moment meldete Dan O'Flynn ein Schiff voraus. Der Küstenverlauf wurde an der Stelle von einer Flußmündung unterbrochen. Im Bereich des Mündungsgebiets erstreckten
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sich Sandbänke und eine winzige, von Mangroven überwucherte Insel. Das an eine Dschunke erinnernde Schiff, das die Portugiesen verfolgt hatten, war zwischen der Insel und dem Fluß aufgelaufen. Mit deutlicher Schlagseite lag es auf Grund. Von den Karavellen war keine Spur. Sie verbargen sich auch nicht hinter der Insel, um überraschend anzugreifen, dazu war das Eiland zu klein. Die Portugiesen hätten schon über die Fähigkeit verfügen müssen, unsichtbar zu werden. Andererseits wurde die Küste weiterhin von unzähligen Buchten und Landzungen geprägt. Schon zwei oder drei Meilen Vorsprung genügten, sogar größere Schiffe als die Karavellen vor den Verfolgern zu verbergen. Maran Yeh wollte aufspringen, doch Carberry drückte ihn unmißverständlich auf die Gräting zurück. „Du kennst das Schiff? Deine Leute sind an Bord?“ Der Malaie starrte zur Sandbank hinüber. Er schwieg verbissen. Das Schiff war ein Zweimaster, dessen Masten an große, bewegliche Dreiecke erinnerten. Das rechteckige Großsegel war schräg befestigt. Das Vorsegel hatte die gleiche Form, war jedoch deutlich kleiner gehalten und hing zerfetzt vom Mast. Die Geschützkugeln der Portugiesen hatten das Segel nahezu gekappt. Der Rumpf war irreparabel beschädigt. Das Deck fiel von achtern nach vorn beträchtlich ab, und der Bug war zugleich der niedrigste Teil des Schiffes. Von den beiden großen Rudern war eins durch Geschützeinwirkung zerstört. Sie waren nicht am Heck befestigt, sondern hingen an starken Querbäumen vom Achterdeck aus an beiden Seiten hinunter. Eine Bewaffnung war nicht zu erkennen. „Wir gehen möglichst nahe heran“, bestimmte der Seewolf. „Al, falls das eine Falle der Portugiesen sein sollte, halte dich bereit.“
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„Aye, Sir. Denen verpasse ich eine Breitseite, daß ihnen Hören und Sehen vergeht.“ Das Großsegel wurde weggenommen, wenig später auch das Besansegel. Die Schebecke lief nur noch geringe Fahrt. Luke Morgan und Gary Andrews loteten und sangen die Tiefe aus. Zeitweise waren tatsächlich nur drei bis vier Fuß Wasser unter dem Kiel. Der Meeresboden, überwiegend sandig, aber auch von schroffen Felsen durchsetzt, schien zum Greifen nahe. Die See war kristallklar und ließ vereinzelt Seesterne erkennen. Zwischen treibenden Tangbüscheln verbargen sich Schwärme kleiner Fische. Auf dem gestrandeten Zweimaster blieb alles ruhig. Wahrscheinlich war die Besatzung von Bord gegangen. Durchs Spektiv suchte Hasard die Küste ab. Die Mangroven wuchsen nicht mehr so dicht wie weiter nördlich. Überwiegend Buschwerk säumte den Fluß, im Anschluß daran erhoben sich die gedrungen wirkenden Bäume des Monsunwaldes. Menschen waren nicht zu sehen, ebenso wenig Hinweise auf eine nahe Siedlung. Doch das hatte wenig zu bedeuten. Womöglich beobachteten Dutzende Augenpaare aus dem Unterholz die Annäherung der Schebecke. In Lee der kleinen Mangroveninsel ließ Hasard ankern. Jede weitere Annäherung an den Zweimaster hätte bedeutet, das Schiff unnötig in Gefahr zu bringen. Zur Küste hin wuchs die Zahl der Untiefen rapide an. Andererseits gab es auch Rinnen im Schelf, die sich durch eine tiefblaue Färbung auszeichneten, doch sie ließen kein sicheres Manövrieren zu. Die Schebecke lag schließlich wenig mehr als hundert Yards von dem Wrack entfernt. Arwenack, der Bordschimpanse, turnte aufgeregt keckernd in der Takelage herum, als wisse er genau, daß ein Landgang bevorstehe. Die Wolfshündin Plymmie äugte witternd zu dem Schiff hinüber. Sie ließ ein leises Knurren vernehmen. „Was ist, Plymmie?“ wollte der Seewolf wissen. „Sind Portugiesen an Bord?“
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Winselnd legte sich die Hündin auf die Planken und fuhr sich mit der Pfote über die Schnauze. „Du witterst etwas, was dir nicht gefällt“, vermutete Hasard. „Wir werden vorsichtig sein.“ Er ließ die größere Jolle aussetzen. Ferris Tucker, Batuti, Shane und Matt Davies enterten ab. Außerdem Stenmark, Pete Ballie, Sven Nyberg und er selbst. Drohend ragten hinter ihnen die Mündungen der Culverinen aus den Stückpforten. Die Augen mit der flachen Hand beschattet, blickte Al Conroy zu dem Zweimaster hinüber. Auf die Distanz würde er, wenn es sein mußte, das Schiff gänzlich abwracken. Eine Breitseite würde den Rumpf wie morsches Holz aufreißen. Langsam, jeden Moment auf eine Überraschung gefaßt, pullten die Arwenacks über die Sandbank. Ohne Zwischenfälle erreichten sie das Wrack. Sie brauchten die mitgenommenen Enterhaken nicht, um an Bord zu gelangen. Etliche Taue hingen an beiden Seiten des Rumpfes bis ins Wasser hinunter. Ihre Entermesser zwischen den Zähnen, kletterten Batuti und Ferris Tucker als erste in die Höhe. An Deck gab es kein lebendes Wesen. Das Schiff hatte schwere Schlagseite nach Backbord. Die Neigung betrug auf die Breite gut eineinhalb Yards. Dementsprechend lagen die meisten Toten vor der niedrigen Backbordverschanzung. Die Männer, durchweg von asiatischem Aussehen, kleinwüchsig und mit kräftigen, hoch angesetzten Wangenknochen, waren erschossen worden. Manche aus allernächster Nähe, wie die gräßlichen, vom Pulver verbrannten Wunden erkennen ließen. Sie schienen regelrecht hingerichtet worden zu sein. „Warum haben die Portugiesen das getan?“ fragte Shane. „Ich glaube nicht, daß ihnen die Männer gefährlich geworden wären. Soviel ich sehe, gibt es an Deck weder Kanonen noch eine einzige Feuerwaffe.“ Fünfzehn Tote lagen allein auf dem Oberdeck.
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Im Schiffsinnern fanden sie weitere sechs Leichen. Die Bedauernswerten in den Laderäumen hatten sich mit Blankwaffen zur Wehr gesetzt und waren von den Eindringlingen mit Schiffshauern niedergeschlagen worden. Ratten hatten schon begonnen, die noch nicht steifen Körper anzufressen. „Die Portugiesen haben nicht mal eine Stunde Vorsprung“, sagte der Seewolf. „Willst du ihnen folgen?“ fragte Shane. „Ich weiß nicht. Lieber wäre mir, von Maran Yeh mehr zu erfahren. Den Karavellen werden wir über kurz oder lang sicher wieder begegnen.“ „Du glaubst, die Portus haben an der Küste einen Stützpunkt?“ „Davon bin ich überzeugt.“ Die Laderäume waren nicht dunkel. Durch die Lecks im Rumpf fiel ausreichend Helligkeit, und die Arwenacks konnten auf Lampen verzichten. Ferris Tucker entdeckte als erster das mit roter Farbe auf ein Schott gemalte Kreuz. Insgesamt fanden sie, als sie sich weiter umsahen, vier solcher jeweils eine Elle messender Kreuze unter Deck. Auch an den beiden Masten und den Heckaufbauten waren die Symbole aufgemalt. „Sieht so aus, als hätten die Portugiesen die Kreuze hinterlassen“, sagte Ferris Tucker. „Aber warum?“ fragte Davies. „Als Zeichen der Bekehrung zum Christentum. Eine andere Erklärung habe ich nicht. Vielleicht waren Mönche an Bord der Karavellen.“ Stenmark winkte entschieden ab. „Die Malaien sind tot“, sagte er. „Die bekehrt niemand mehr. Zu was also die Mühe?“ „Mag sein, daß die Kreuze als Warnung für alle Heiden gedacht sind, die das Wrack finden. Die Portugiesen wollen sich den Rücken freihalten, indem sie ihre Stärke demonstrieren.“ „... und erreichen genau das Gegenteil damit“, erklärte Batuti. „Die Toten fordern alle Malaien zur Rache auf.“ „Den Christen, die es schon auf Malakka gibt, dürfte ein solches Vorgehen ebenfalls
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eher schaden als nutzen“, sagte der Seewolf. „Ich habe mir von Dan erzählen lassen, daß schon vor über fünfzig Jahren der heilige Franz Xaver missionierend von Goa nach Malakka zog und von da aus weiter nach Osten.“ „Na und?“ murmelte Pete Ballie. „Was stört's die Portugiesen? Sie wollen sich in diesem Teil der Welt ihr eigenes Reich aufbauen. Wenn du es genau betrachtest, treiben sie es noch längst nicht mal annähernd so schlimm wie die Spanier in der Neuen Welt.“ „Gewürze und edle Stoffe statt Gold und Silber.“ Sven Nyberg grinste vielsagend. „Da mit zuzulangen, lohnt sich allemal.“ Sie hatten das Wrack bis in den letzten Winkel durchsucht und außer den Toten und den aufgemalten Kreuzen nichts gefunden. Hasard beschloß, das Schiff zu verbrennen. Möglicherweise sahen die Portugiesen den Feuerschein und kehrten zurück. Dann liefen sie den Arwenacks vor die Rohre. „Wehrlose zu töten, dazu gehört kein besonderer Mut“, schnaubte der Seewolf. „Aber vielleicht nehmen es die Kerle ja auch mit uns auf.“ Mittschiffs unter Deck trugen sie brennbares Material zusammen, das sie mit Pulver und einem Pistolenschuß in Brand steckten. Im Nu entwickelten sich gierig lodernde Flammen, die auf den ausgedörrten Planken rasch um sich griffen. Bis die Arwenacks in die Jolle abenterten, quoll schon dichter Rauch aus Lecks und Luken. Der Wind hatte weiter seewärts gedreht und wehte den Qualm auf die Malakkastraße hinaus. 3. Mac Pellew hatte ein Arsenal von Schüsseln und Töpfen vor der Back aufgebaut und war im Begriff, einen Bottich mit Seewasser zu füllen. Während der letzten Tage hatte er die Kochutensilien nicht immer sofort gereinigt, und die Schlamperei rächte sich
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jetzt. Dabei haßte er nichts mehr als Schmutz in der Kombüse. Als er zum letztenmal Wasser öste, bemerkte er den hellen Rauch, der aus dem Wrack aufstieg. Sein Ruf alarmierte die Crew. Ben Brighton befahl, die zweite Jolle abzufieren, doch gleichzeitig erschienen Hasard und seine Begleiter an Deck des Zweimasters. „Nichts ist geschehen!“ meldete Dan O'Flynn. „Sie sind vollzählig.“ Auch Carberry hatte seine Aufmerksamkeit vorübergehend mehr dem Wrack als dem Malaien gewidmet. Deshalb wurde er von dessen Angriff völlig überrascht und war für einen Moment wie benommen. Der Kerl, der zuletzt auf dem Lukensüll gesessen hatte, als könne er keiner Fliege auch nur ein Haar krümmen, ließ sich jäh nach hinten sinken. Alles ging viel zu schnell, als daß der Profos in der Lage gewesen wäre, sich Einzelheiten einzuprägen, aber später entsann er sich, daß sein „Schutzbefohlener“ die Finger um die Grätings verkrallte und sich aufbäumte wie eine Giftschlange, bevor sie zubeißt. Seine Fersen trafen den Profos mit geradezu mörderischer Wucht unterhalb der Schlüsselbeine und ließen ihn taumeln. Jeder andere wäre zu Boden gegangen, doch Carberry schüttelte sich lediglich und stieß ein gereiztes Knurren aus. Seine zupackenden Pranken verfehlten den Angreifer, der zum zweitenmal hochschnellte und die Gräting nur noch mit Schultern und Händen berührte. Im nächsten Moment schlossen sich die sehnigen Unterschenkel um Eds Hals und drückten erbarmungslos zu. Der Profos kriegte keine Luft mehr. Seine Fäuste schossen hoch, um die Umklammerung aufzubrechen, doch da stieß sich der Malaie vollends von der Gräting ab. Seine Geschmeidigkeit und zugleich die Art und Weise, wie er seinen Körper beherrschte, waren unbeschreiblich. Carberry kam nicht umhin, dem Bewunderung zu zollen. Er war kaum in der Lage, die Hiebe des Angreifers abzuwehren.
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Maran Yeh hatte die Hände nicht mal vollständig zur Faust geballt, sondern lediglich die Finger abgebogen. Die Knöchel trafen Carberrys Rammkinn und seine Stirn. Zugleich zerrte ihn eine unwiderstehliche Kraft zur Seite. Wenn er nicht nachgab, fühlte er, würden seine Nackenwirbel brechen. Er schlug schwer auf die Kante des Lukensülls. Doch da hatte sich der Malaie schon von ihm gelöst und federte auf die Beine. Carberrys unbeherrschter Fausthieb zuckte ins Leere. Sein Nacken schmerzte, der Brustkorb fühlte sich an, als wäre er unter einen Ladebaum geraten, und in den Schläfen rauschte das Blut wie ein Wasserfall. Die Erkenntnis, daß er seinen hageren Gegner immer noch unterschätzt hatte, setzte sich viel zu spät durch. Ob er wollte oder nicht, der Profos mußte dem Malaien sogar Respekt zollen. Der hatte mittlerweile zwei andere Opfer gefunden, die ihn daran hindern wollten, einfach über Bord zu springen. Bob Grey empfing einen Ellenbogen in die Magengrube, als er den Hageren rücklings ansprang, und im nächsten Moment lernte er das Fliegen. Besonders glücklich war er darüber nicht, das bewies sein Aufschrei. Er fühlte sich gepackt und hochgewirbelt, bevor er wieder klar denken konnte. Er überschlug sich, prallte mit dem Rücken auf die Planken und rutschte halb unter eine Lafette. Jeff Bowie, der stämmige, eher zurückhaltende Mann, erhielt ebenfalls eine schmerzhafte Lektion. Mit der Hakenprothese schlug er nach Maran Yeh, doch der Malaie unterlief ihn blitzschnell und hebelte ihn aus. Ein stechender Schmerz raste durch Jeffs linke Schulter, Tränen schossen ihm in die Augenwinkel, und wie durch einen Schleier hindurch sah er Yeh aufs Schanzkleid springen und außenbords verschwinden. Zwei Schüsse fielen. Die Kugeln klatschten wirkungslos ins Holz. Der Versuch, sich aufzurappeln, scheiterte kläglich. Jeff Bowie fand im linken Arm keinen Halt mehr und kippte sofort wieder
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zur Seite. Sich die Unterlippe blutig beißend, um nicht zu schreien, wälzte er sich auf den Rücken. Der Arm baumelte kraftlos an seiner Seite – er war ausgekugelt. „Das gibt es doch nicht!“ fauchte Old Donegal Daniel O'Flynn. „Leute, sagt mir, daß ich träume, oder meinetwegen auch, daß ich verrückt bin, aber eine solche halbe Portion, die wie ein Wirbelwind über Deck fegt und sogar den Profos auf die Bretter legt, das darf einfach nicht wahr sein.“ Sein Blick blieb an Bowie hängen. „Du bist bleich wie ein Leichentuch. Und dein Arm – da stimmt was nicht.“ „Der Kerl hat mir das Gelenk ausgekugelt“, erwiderte Jeff keuchend. Old Donegal winkte den Kutscher heran. Der Feldscher zog überrascht die Brauen hoch. „Du hättest dich nicht auf einen Zweikampf mit einem überlegenen Gegner einlassen dürfen, Jeff.“ „Überlegen, pah!“ schnaubte Bowie. „Der Bursche hatte lediglich Glück. Das nächste Mal überrennt er mich nicht, mehr.“ „Wenn wir ihn erwischen, stutzen wir ihm die Flügel“, sagte der Profos. Im Moment sah es jedoch nicht so aus, als könnte er das Versprechen erfüllen. Obwohl Hasard und seine Begleiter aufmerksam geworden waren und versuchten, ihm mit der Jolle den Weg zu verlegen, erreichte Maran Yeh weit vor ihnen das Ufer. Bevor er im Dickicht verschwand, schüttelte er drohend die Faust gegen die Arwenacks. Was er brüllte, verstand niemand. Doch der Tonfall klang verächtlich. Der Kutscher nutzte den Moment, als Bowies Aufmerksamkeit nicht ihm, sondern dem Geschehen jenseits des mittlerweile lichterloh brennenden Wracks galt. Kurz entschlossen packte er zu. Bowie schrie auf. Aber nur kurz. Erstaunt stellte er fest, daß der Schmerz verschwunden war. Nur noch ein Kribbeln wie von unzähligen kleinen Ameisen war in der Schulter zu spüren. Den Arm konnte er wieder bewegen, als wäre überhaupt nichts geschehen. Fragend blickte er den Kutscher an.
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„Wie hast du das geschafft?“ „Wie? Ich kann es nicht erklären, Jeff. Aber ich könnte es dir zeigen. Allerdings müßte noch einmal jemand ...“ Da Jeff Bowie beinahe fluchtartig vor ihm zurückwich, konnte er sich jedes weitere Wort sparen. * Der Malaie watete an einem der unwegsamsten Strandabschnitte an Land. Mangroven bildeten eine dicht verflochtene, weit ins Meer reichende Vegetation. Zu den Seiten hin, als Vorboten des sich unaufhaltsam ausbreitenden Grünstreifens, schoben sich strauchartige Pflanzen ins Meer hinaus. Das Salzwasser wie auch regelmäßige Überflutungen konnten ihnen nichts anhaben. Tief im Boden verwurzelt, trotzten sie sogar heftigsten Stürmen, und über der Wasseroberfläche bildeten sie ein verfilztes Geflecht aus langen, dünnen Trieben und fleischigen Blättern, auf denen Salz in dicken Ablagerungen zu finden war. Schlamm und Tang blieben zwischen den Wurzeln hängen und bereiteten so den Boden für die nachrückenden Mangroven. Nahezu übergangslos wurde das Wasser trüb. Fauliger Schlamm überzog die Sandbänke, die Sicht reichte kaum noch tiefer, als die Bootsgasten ihre Arme ausstrecken konnten. Um dem Malaien zu folgen, hätten die Arwenacks die Jolle verlassen müssen, aber selbst dann war nicht sicher, ob sie seine Spur tatsächlich wiederfanden. „In dem Dickicht könnten wir auf Tuchfühlung an ihm vorbeilaufen, ohne ihn zu bemerken“, sagte Ferris Tucker. „Bis wir endlich seine Spur finden, ist er wahrscheinlich schon über alle Berge.“ Langsam pullten sie in den Mündungsbereich des Flusses. Das Wasser wurde kabbelig und die Gegenströmung deutlicher. Der Fluß trug jede Menge Dreck mit sich. Vermutlich waren heftige Regenfälle weit landeinwärts die Ursache.
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Kreischend stieg ein Vogelschwarm aus dem Regenwald auf. „Sie wurden aufgescheucht“, sagte Batuti. „Aber nicht von einem Tier.“ Offenbar hatte der Malaie inzwischen den sumpfigen Uferstreifen überwunden und bewegte sich entlang des Flusses in einem Abstand von ungefähr zweihundert Yards. Batuti vollführte eine umfassende Handbewegung. „Der Wald ist Schutz und Hindernis zugleich. Ich nehme an, unser Freund will möglichst schnell vorangelangen. Deshalb meidet er das dichte Ufer. Andererseits bleibt er in Flußnähe, weil er da eher auf Siedlungen oder Straßen stößt.“ Hasard warf einen flüchtigen Blick zum Himmel hinauf. Die Sonne stand kurz vor dem Zenit und würde ihren höchsten Punkt in weniger als einer Stunde erreicht haben. „Wir folgen dem Mann noch eine Weile“, entschied er. „Falls wir ihn bis zum Mittag nicht haben, kehren wir um.“ Die Stimmen einer vielfältigen Tierwelt begleiteten sie. An einer Biegung war eine weitläufige Schlammbank aufgeschüttet. Wasserbüffel und Schweine suhlten sich in trauter Eintracht. Die Arwenacks, die weniger als ein Dutzend Yards an ihnen vorbeipullten, bedachten sie nur mit müden Blicken. Eine Wasserschlange floh vor dem Boot, und nur hin und wieder schwammen große Fische neugierig heran. Batuti beobachtete den Wald. Keineswegs alle Vögel, die über den Bäumen kreisten, hatte der Malaie aufgeschreckt. Aber der in der afrikanischen Wildnis aufgewachsene Gambiamann hatte ein Gespür dafür, welche Tiere aufgeregt wirkten. Seiner Meinung nach hielt der Verfolgte den Abstand zum Fluß und war inzwischen um gut dreihundert Yards zurückgefallen. Die Ufer wurden steiler und rückten enger zusammen. Dichteste Vegetation verhinderte ein Anlegen, überhängende Äste und verfilzte Lianen bestimmten das Bild. Doch hinter der nächsten Biegung war alles wieder ganz anders.
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„Donnerwetter!“ entfuhr es Stenmark und Pete Ballie wie aus einem Mund. Der Fluß bildete hier einen seichten Seitenarm, der wohl in wenigen Jahren verlandet sein würde. Jemand hatte nämlich aus Baumstämmen und Steinen einen Damm errichtet, der die Strömung ablenkte. Der flußabwärts zeigende Durchlaß war gerade groß genug, daß die Jolle passieren konnte. Das Ufer hinter dem Altwasser zeigte die Spuren einer Brandrodung. Verkohlte Bäume, die nur zögernd wieder austrieben, geschwärztes Erdreich und dürre Sträucher waren die stummen Zeugen. „Zwei, höchstens drei Monate liegt das Feuer zurück“, sagte der Gambiamann. „Andernfalls hätte der Wald längst das verlorene Terrain zurückerobert.“ Ein wackliger Steg reichte ins Wasser. Irgendjemand hatte ein kleines Boot daran vertäut, doch dieses Boot war abgesoffen, und nur das Heck ragte noch in die Höhe. Der Besitzer würde bestimmt nicht wieder erscheinen und den verrotteten Kahn mitnehmen. Die Arwenacks hielten ihre Waffen schußbereit. Big Old Shane und Ferris Tucker verließen die Jolle, als sie am Steg entlangschrammte, und belegten die Vorleine. Jeden Moment auf eine unangenehme Überraschung gefaßt, pirschten sie die Uferböschung hinauf. Batuti, Hasard, Stenmark und Nyberg folgten ihnen. Lediglich Matt Davies und Pete Ballie blieben beim Boot zurück und hielten Wache. Ein kaum noch erkennbarer Weg führte ins Hinterland. Die mehrere Yards breite Schneise, geradlinig ins Unterholz geschlagen, war schon wieder weitgehend überwuchert. Tief in den Waldboden eingegrabene Wagenspuren verrieten, daß mehrfach Fuhrwerke bis zum Fluß gefahren waren. Vermutlich um Waren aufzunehmen, die auf dem Wasserweg aus dem Landesinneren herantransportiert. worden waren. Batuti deutete den Weg entlang.
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„Irgendwo in der Richtung liegt eine Siedlung. Wahrscheinlich nicht mal sehr weit entfernt und die letzte vor Malakka.“ Stenmark sagte: „Der Malaie, dem wir folgen, stammt vielleicht aus jenem Dorf.“ Er blickte Hasard an, der Seewolf nickte knapp. Damit war klar, daß sie nicht sofort zum Boot zurückkehren würden. Die Grenze des verbrannten Gebietes war noch deutlich zu erkennen. Wenige Schritte davor, zwischen zwei Baumstümpfen, ragte eine Steinsäule auf. Sie war mannshoch und quadratisch, mit einer Seitenlänge von einem Fuß. Moose und Flechten und sogar einige Schlingpflanzen hatten von dem porösen Stein Besitz ergriffen. Stenmark schabte mit dem Messer über die Säule. „Da sind Schriftzeichen und ein Wappen eingemeißelt“, sagte er, keineswegs überrascht. Das Wappen war das von Portugal. Die Schrift entpuppte sich als leserlich. Big Old Shane fuhr die dünnen Linien mit den Fingern nach. „In Besitz genommen für den König und das Volk Portugals. Anno Domini 1599.“ „Wir sind also nicht die ersten“, sagte Stenmark. „Hast du das nach der Begegnung mit Albuqerque noch erwartet?“ fragte der Seewolf. Sten schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf. „Wenn ich Hammer und Meißel bei mir hätte ...“ „Was dann?“ „Für England und seine große Königin – die Inschrift würde mir besser gefallen.“ Das ausgerechnet aus dem Mund des Schweden zu hören, war ein gewiß nicht alltägliches Kompliment. Sie standen im Halbrund vor der Wappensäule, und wahrscheinlich hätte noch jeder seinen Kommentar abgegeben, wären nicht plötzlich Schüsse zu hören gewesen. Im ersten Moment glaubten sie, daß die bei der Jolle wartenden Männer geschossen hätten, doch so sehr konnte der Widerhall der Schüsse kaum täuschen. Der Wald
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verzerrte zwar den Klang und warf ihn aus verschiedenen Richtungen zurück, aber ob die Schüsse im Norden oder im Südwesten gefallen waren, das war eben doch ein beträchtlicher Unterschied. „Norden!“ sagte Batuti bestimmt. „Ungefähr eine halbe Meile entfernt.“ Keiner zweifelte daran. Hasard nahm den Cutlass in die Rechte und den sechsschüssigen Radschloßdrehling in die linke Hand und drang in den Wald ein, alle Hindernisse mit wuchtigen Hieben beiseite räumend. Wieder fiel ein Schuß, leiser diesmal und offenbar aus einer Pistole stammend. Zuvor hatten Musketen gekracht. Portugiesen oder Spanier waren unterwegs, möglicherweise auch Holländer. Während der Seewolf noch verschiedene Möglichkeiten abwägte, die ihm alle wenig erfreulich erschienen, erklang ein langgezogener Schrei. Der Schrei eines Menschen, der höchste Qualen ausdrückte und abrupt abbrach. Wenig später öffnete sich eine Lichtung vor den Arwenacks und sie konnten erkennen, was sich abspielte. Die Gefahr, daß sie selbst entdeckt wurden, war gering, denn noch bot ihnen der Wald Deckung. Etliche Malaien hatten einen hellhäutigen Mann gestellt und zu Boden gezerrt. Mit Knüppeln schlugen sie auf ihn ein. Ein zweiter Weißer floh genau in Richtung der Arwenacks. Er war erschöpft, am Ende seiner Kräfte und hatte Mühe, sich überhaupt auf den Beinen zu halten. Seine Pistole war offenbar leergeschossen, denn er schleuderte sie den beiden Verfolgern entgegen und hastete weiter. „Ein Portugiese“, raunte Stenmark. „Der Kleidung nach sogar ein Seesoldat.“ Der Mann hatte langes, bis auf die Schultern fallendes, schwarzes Haar. Sein Wams war zerfetzt und verdreckt, ebenso die um die Hüfte gewundene Schärpe. Die weit geschnittene Pluderhose steckte in kniehohen Stulpenstiefeln. „Nicht gerade die idealen Plünnen für den Regenwald”, bemerkte Ferris Tucker. „Aber was kann man schon von Seesoldaten verlangen?“
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Hasard bedeutete seinen Männern, daß sie schweigen sollten. Der Portugiese erreichte den Rand der Lichtung, aber seine beiden Verfolger waren nur noch wenige Schritte hinter ihm. Und die anderen Malaien, die den zweiten Soldaten getötet hatten, liefen ebenfalls wieder los. Der Portugiese stolperte an Hasard vorbei, ohne ihn zu bemerken. Doch die Malaien sahen ihn, weil er sich urplötzlich aus der Deckung aufrichtete. Zeit, die unerwartete Situation zu begreifen, blieb ihnen nicht. Batuti und Ferris Tucker schlugen gleichzeitig zu, und gegen Pistolenknäufe waren die Hinterköpfe der. Einheimischen nicht gefeit. „Was haben wir uns da für einen komischen Vogel eingefangen?“ Sven Nyberg deutete zu dem Portugiesen, der sie aus weit aufgerissenen, blutunterlaufenen Augen anstarrte, aber kein Wort über die Lippen brachte. „Scheint heute unser Schicksal zu sein, daß keiner danke sagt.“ „Vielleicht die Malaien“, erwiderte Shane. „Wenn sie uns einholen.“ Mit dem erschöpften Seesoldaten im Schlepp hatten sie tatsächlich kaum eine Chance, die Jolle vor den Verfolgern zu erreichen. „Wir heizen den Kerlen ein“, sagte Hasard. „Schießt, aber haltet daneben.“ Er wollte die Malaien nicht töten, solange er nicht wußte, warum sie hinter den Portugiesen her waren. Außerdem waren ihre Knüppel nicht die idealen Waffen gegen Pulver und Blei. Mit einer Bewegung, die ihm längst in Fleisch und Blut übergegangen war, klappte der Seewolf den Hahn seines Radschloßdrehlings über die Pfanne und überzeugte sich, daß die Hahnfeder für ausreichenden Anpreßdruck sorgte. Seltsam, daß er sich ausgerechnet jetzt Gedanken über die Funktionsweise der Pistole hingab. Weil die Malaien nicht mal Blankwaffen trugen? Sein Zeigefinger krümmte sich um den Abzug. Aber noch wartete er. Der Schreck für die Verfolger würde umso größer sein, je näher sie heran waren.
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Wenn er den Abzug betätigte, gab eine Stange das auf einer Achse befestigte Rad frei. Gleichzeitig wurde die starke Schlagfeder wirksam, die über eine Kette mit dem Rad verbunden war, und das Rad wurde ruckartig gedreht. Die Kanten der Raddecke schlugen auf den zwischen den Hahnbacken eingeklemmten Schwefelkies, wobei die entstehenden Funken in die Pfanne fielen und das Pulver entzündeten. Im Grunde ein simpler Vorgang, ebenso einfach wie die Methode, die Spannung der Feder mittels eines auf die Radachse gesteckten Schlüssels jeweils neu zu regulieren. Hasard schoß. Die Pulverexplosion hallte laut über die Lichtung und entlockte den Malaien wütendes Geheul. Trotzdem liefen sie weiter. Aber dann krachte es rechts und links ebenfalls, und das Mündungsfeuer der Musketen war bestimmt nicht zu übersehen. Die Reihe der Verfolger, die nur mit einem Gegner gerechnet hatten, geriet ins Stocken. Ferris Tucker und Stenmark schlugen sich noch weiter ins Gebüsch und riefen bei den Malaien heillose Verwirrung hervor, als sie ihre Pistolen abfeuerten. In der zwangsläufig wegen des Nachladens entstehenden Pause jagte Hasard Schuß um Schuß aus seinem Radschloßdrehling. Die Malaien begriffen endlich, daß sie einer mehrfachen Übermacht gegenüberstanden. In heilloser Verwirrung warfen sie sich herum und flohen, verfolgt von Böllerschüssen. Shane und Sven Nyberg hatten ihre Pistolen nur mit Pulver geladen und aufs Blei verzichtet. Der Portugiese war, wo er gerade stand, zusammengebrochen. Vergeblich versuchte Hasard, ihn ins Bewußtsein zurückzubringen. Erst jetzt sah er, daß der Mann ziemliche Blessuren davongetragen hatte. „Was hat er?“ fragte Ferris Tucker. „Nur weil ihm ein paar Engländer helfen, braucht er nicht gleich aus den Stiefeln zu kippen.“ Erst dann bemerkte er die
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Verletzungen. „Ob ihm die Malaien grundlos so übel mitgespielt haben?“ „Das hätten wir Maran Yeh fragen können“, sagte Big Old Shane. „Aber der hat sich mittlerweile verdrückt.“ Sie schleppten den Bewußtlosen zur Jolle zurück, wo Matt Davies und Pete Ballie schon fast anbrannten. Die beiden hatten nicht gewußt, wie sie die Schüsse deuten sollten, und wären am liebsten den Spuren der Gefährten gefolgt. Nur die Sorge um das Boot hatte sie daran gehindert, ihren Posten zu verlassen. Der Portugiese erwachte, während ihn die Arwenacks über die Uferböschung trugen. In der ersten Regung wollte er um sich schlagen, doch dann vernahm er vertraute Laute und entspannte sich. „Die verfluchten Heiden ...?“ „Wir haben sie vertrieben“, sagte Hasard. „Keine Sorge.“ Der Mann musterte ihn eindringlich. Zugleich löste er sich von den Arwenacks, die ihn stützten, und wankte ohne Hilfe auf die Jolle zu. „Sie sind Engländer?“ Die Frage klang gleichgültig. Ebenso gut hätte er sich nach dem Wetter erkundigen können. „Was dagegen?“ erwiderte Hasard prompt. Der Portugiese zuckte mit den Schultern. Er war immerhin ehrlich. „Ich kann Ihnen nicht verbieten, vor Malakka zu segeln“, sagte er. „Obwohl Sie sich besser zurückziehen sollten. Es gibt ständig Ärger mit den Eingeborenen.“ „Ärger sind wir gewohnt“, erklärte Stenmark, und ebenso ehrlich fügte er hinzu: „Auch mit den Portugiesen.“ Die Jolle legte ab. Von kräftigen Riemenschlägen getrieben, geriet sie schnell in die Strömung und glitt flußabwärts. „Ich glaube, ich habe mich noch nicht für die Rettung bedankt“, sagte der Portugiese unerwartet. „Ich heiße Lopez Almeira. Es genügt, wenn Sie mich zwei oder drei Meilen südlich von hier wieder an Land setzen. Was ist aus Fernao geworden?“ Hasard nahm an, daß Fernao der andere Portugiese war.
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„Die Malaien haben ihn erwischt, bevor wir eingreifen konnten“, sagte er. Almeira schwieg für einen Moment, richtete den Blick himmelwärts und bekreuzigte sich. Deutlich war zu sehen, daß sich seine Wangenmuskeln verkrampften. „Fernao“, sagte er dann, „war ein guter Freund und ein Christ wie kaum ein anderer. Wenn ihn die Heiden erschlagen haben, ist das ein Frevel, der nicht ungesühnt bleiben kann.“ 4. Als die Jolle zurückkehrte, rissen an Bord der Schebecke einige Männer die Augen ziemlich weit auf. „Eine wundersame Verwandlung ist geschehen“, murmelte Old Donegal Daniel O'Flynn, mehr im Selbstgespräch als für andere bestimmt. „Der Seewolf verfolgt einen Malaien und fängt einen Portugiesen ein.“ Aber manche Arwenacks hörten immer nur das, was sie nicht hören sollten. „Vielleicht gibt es einen Jungbrunnen im Wald“, sagte Blacky. „Papperlapapp!“ erklärte der Alte verärgert. Doch da war es schon geschehen. Wer Langeweile hatte – und das war momentan mindestens die Hälfte der Crew –, der kriegte Flausen. „Altweibermühle heißt so ein Ding!“ rief Jack Finnegan. Paddy Rogers nickte eifrig. „Stellt euch vor, Männer: wir stecken unseren Admiral oben rein, und unten fallen gleich zwei dralle Weiber raus.“ Die Arwenacks lachten. Einige johlten sogar. Und die meisten freuten sich diebisch. „Phantastisch“, sagte Ben Brighton, der Erste Offizier. „Ein miserabler Tausch“, äußerte Old Donegal verdrossen. „Dann eben vier junge Mädchen statt zwei alter“, schlug Bob Grey vor.
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„Keine Frauen an Bord“, sagte Old Donegal. „Jedenfalls keine fremden. Wo soll ein solcher Sittenverfall hinführen?“ Die Jolle ging längsseits. Der Seewolf enterte auf, gefolgt von dem portugiesischen Seesoldaten und den anderen Männern. „Hievt den Anker!” befahl Hasard. „Fock und Großsegel setzen. Wir segeln weiter nach Süden.“ Nur zögernd brach der Anker aus dem Grund. Die Männer am Spill gerieten gehörig ins Schwitzen. Aber dann schwang der Bug des Schiffes herum, und der Wind fiel in die Segel. Der Profos wandte sich an Batuti: „Ihr habt Maran Yeh nicht erwischt.“ Das klang eher wie die Feststellung einer Tatsache, aber nicht wie eine Frage. Batuti musterte ihn unter halb zusammengekniffenen Lidern hindurch. „Du hast eine Platzwunde an der Stirn, Ed.“ „Nichts von Bedeutung.“ „Seltsam. Ich kann mich nicht entsinnen, daß du die Wunde hattest, als wir mit dem Boot ablegten.“ „Wahrscheinlich habe ich mich irgendwo gestoßen.“ Der Gambiamann lächelte tiefgründig. „An dem Malaien vielleicht?“ „Soll das ein Verhör sein?“ Carberry reagierte unwirsch. „Dann kümmere dich lieber um deine eigenen Angelegenheiten.“ Aber Batuti konnte hartnäckig sein. Genauso wie der Profos selbst. „Ich frage mich“, sagte er betont langsam, „wieso Maran Yeh von Bord entwischen konnte. Schließlich hattest du ihn in deiner Obhut.“ Demonstrativ und scheinbar gelangweilt, blickte Carberry über die See. „Hätte ich ihn deshalb erschlagen sollen?“ Bob Grey und Jeff Bowie und noch ein paar Männer feixten. Auch der Kutscher und sogar Mac Pellew. Batuti schloß daraus, daß seine Vermutungen haargenau ins Schwarze trafen. Er sagte: „Mir scheint, diesmal hat der Malaie kräftig abgeräumt. Dabei sah er gar nicht so kräftig aus.“
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„Ach was.“ Carberry wußte, daß er jetzt seine Ehre verteidigen mußte. „Eine Vogelscheuche ist der Kerl, ein wandelndes Skelett mit ein bißchen Fleisch auf den Knochen. Mehr ist an ihm nicht dran. Aus Mitleid habe ich ihn nicht härter angepackt.“ „Er hat auf eine Art gekämpft, so was haben wir noch nicht gesehen“, erklärte Grey. „Wie ein Irrwisch.“ „Wenn er wenigstens mit den Fäusten zugeschlagen hätte. Aber mit den Füßen ...?“ Eine halbe Meile voraus, hinter einer dicht bewachsenen Landzunge, glitten etliche kleine Fischerboote hervor. Es waren kanuartige, schmale Fahrzeuge mit einseitigem Ausleger, die höchstens vier Personen Platz boten. Die meisten waren aber nur mit zwei Männern besetzt, die ihre Boote mit schlanken Paddeln vorwärtstrieben. Natürlich hatten die Fischer die Schebecke bemerkt. Trotzdem steuerten sie einen Kurs, der unweigerlich zum Zusammentreffen führen mußte. „Bereiten Sie sich auf einen Angriff vor, Senhor Capitan“, sagte Lopez Almeira. „Das Volk von Malakka ist unberechenbar.“ „Die Malaien überfallen öfter größere Schiffe?“ Der Portugiese nickte knapp. „Sie werden es erleben, Capitan. Trotz unserer Geschütze sind wir vor diesen Helden nicht sicher.“ Die Distanz schrumpfte schnell. Hasard konnte auf den Kieker verzichten. Er sah nichts, was ihn in Alarmstimmung versetzt hätte. Einige der Fischer schienen Netze ausgeworfen zu haben, aber offenbar waren sie erst vor kurzem zum Fang ausgelaufen. „Ruder ein Strich Steuerbord!“ befahl der Seewolf. Der Rudergänger wiederholte den Befehl und fügte Augenblicke später hinzu: „Neuer Kurs liegt an.“ Die Malaien winkten und hielten, Fische in die Höhe. Sie paddelten weiter auf die
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Schebecke zu. Ihr Lachen und Rufen war schon deutlich zu vernehmen. „Lassen Sie die Kanonen klarieren, Senhor Capitan!“ sagte Almeira drängend. „Und warum, wenn ich fragen darf?“ „Die Malaien werden angreifen. Glauben Sie mir, ihre Freundlichkeit ist nur Fassade. Tatsächlich sind diese Kerle hinterhältig, gemein und mordgierig. Schon der Versuch, mit ihnen in Freundschaft zu leben, wird zwangsläufig damit enden, daß Sie einen Dolch zwischen die Rippen empfangen.“ „Die paar Fischer können uns nichts anhaben.“ „Ich habe Sie gewarnt, Capitan.“ Der Portugiese krümmte sich über das Schanzkleid. Offensichtlich schmerzten seine Wunden, die der Kutscher sauber verbunden hatte. „Sie haben gesehen, welches Schicksal meinen Begleiter ereilte.“ „Vielleicht sollten wir wirklich auf ihn hören“, sagte Carberry und rieb sich nachdenklich das Rammkinn. „Die Burschen sind hinterhältig.“ Hasard schwieg. Das erste der Auslegerboote stand ohnehin nur noch eineinhalb Kabellängen voraus. Die Malaien winkten, einige Arwenacks winkten zurück. Fünfzehn Boote waren es. Ohne die Fahrt zu vermindern, glitt die Schebecke mitten durch den Pulk hindurch. Die Fischer wagten sich gefährlich nahe heran. Die Bugsee ließ ihre zerbrechlich wirkenden Kanus heftig schaukeln. Von beiden Seiten wurden Fische auf die Decks der Schebecke geworfen. Die Männer schienen ihren Fang wirklich um jeden Preis verhökern zu wollen. Carberrys Rammkinn wurde lang und länger. Er hatte irgendeine Gemeinheit erwartet, sich aber gründlich getäuscht. Dann schrie jedoch jemand vom Vorschiff: „Achtung!“ Und gleichzeitig flogen nicht mehr nur Fische, sondern auch primitive Enterhaken übers Schanzkleid. Ehe sich's die Seewölfe versahen, waren die Auslegerboote vertäut, und die Malaien enterten mit affenartiger Gewandtheit auf,
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als hätten sie ihr Leben lang nichts anderes getan, als fremde Schiffe zu kapern. „Nicht schießen!“ befahl Hasard. „Werft die Kerle ins Wasser!“ Er hatte das untrügliche Gefühl, daß der Angriff nicht der Schebecke galt, sondern vielmehr den Portugiesen, und daß die Malaien genügend Gründe hatten, so zu handeln. Grollend schnappte sich Carberry zwei Belegnägel und hastete zum Niedergang, wo soeben ein schlanker, schwarzhaariger Bursche erschien, der ihn fatal an Maran Yeh erinnerte. Der Profos klopfte ihm gehörig auf die Finger und schaute grimmig zu, wie der Kerl mit einem mächtigen Satz ins Wasser klatschte. Das Tau mit dem Enterhaken warf er kurzerhand hinterher. Die Malaien waren keineswegs unbewaffnet, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte. Von ihren Booten aus und erst recht sobald sie das Schanzkleid erreichten, setzten sie Steinschleudern ein. Drei der Verteidiger gingen zu Boden, ehe sich die anderen darauf einstellten. Vor allem Clinton Wingfield, der Moses, erwies sich wieder mal als flinkes Bürschchen und kappte ein Tau nach dem anderen. Ihm fiel es auch verhältnismäßig leicht, hinter der Verschanzung in Deckung zu bleiben. Edwin Carberry klopfte noch einem Angreifer mit dem Belegnagel auf den Kopf, was diesen prompt ins Wasser zurückbeförderte, und hastete den Niedergang zur Kuhl hinunter. Neben einigen Culverinen lag noch Munition. Er wuchtete eine der Eisenkugeln hoch und stemmte sie über Bord. Das Geschoß verschwand nahezu lotrecht in der Tiefe und durchschlug den Boden eines der Auslegerboote, das daraufhin in zwei Teile auseinanderbrach. Keiner der Malaien konnte an Deck Fuß fassen. Der Zwischenfall dauerte nur kurze Zeit, dann trieben die Auslegerboote schon weit abgeschlagen hinter der Schebecke. Bis auf kleinere Blessuren hatten die Arwenacks nichts abgekriegt.
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„Verrückt“, sagte Don Juan de Alcazar. „Wer mit so schlechten Mitteln versucht, tagsüber ein Schiff wie unseres anzugreifen, muß verrückt sein.“ „... oder verzweifelt“, ergänzte Hasard. * „Ich verdanke Ihnen mein Leben, Senhor Capitan. Deshalb spreche ich auch im Namen meines vorgesetzten Offiziers, wenn ich Sie bitte, heute nacht unser Gast zu sein. Nehmen Sie so viele Ihrer Männer mit an Land, wie Sie für richtig halten.“ Drei Seemeilen hatte die Schebecke nach dem Überfall inzwischen zurückgelegt. Vor dem Schiff öffnete sich eine herrliche Bucht mit weitem Sandstrand. Mangroven überwucherten nur das erste Drittel der Küste. Auf dem Strand lagen Dutzende Fischerboote. Auf flachen Gestellen waren Netze zum Trocknen ausgelegt. Landeinwärts erhoben sich die ersten Hütten einer kleinen Siedlung. Wegen des hügeligen Geländeverlaufs waren von der Schebecke aus jedoch keine weiteren Einzelheiten zu erkennen. Im Südosten der Bucht bildete eine Flußmündung einen natürlichen Hafen. Zwei Karavellen lagen vor Anker. Der Seewolf hätte sofort geschworen, daß es sich um die beiden Zweimaster handelte, denen sie bereits begegnet waren. „Sie zögern, Capitan? Malakka kann Ihnen nicht mehr bieten als dieses kleine Dorf. An die fünfhundert Malaien leben hier, dazu noch einiges anderes Pack aus allen Himmelsrichtungen. Abgesehen von den Mannschaften unserer Karavellen sind wir vierzig Portugiesen, deren Aufgabe es ist, das Volk zu bekehren. Eine ehrenvolle Mission, das müssen Sie sicher zugeben.“ Hasard sagte nichts dazu. Die Worte des Seesoldaten klangen ihm zu großspurig und zu glatt. Don Juan schien ähnliche Befürchtungen zu hegen. Er fragte: „Seit wann liegen die Schiffe hier?“ „Erst seit zehn Tagen.“ Die Antwort überraschte nicht. „Die Wappensäule am Fluß war älter.“
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„Ungefähr vier, fünf Monate. Sie wurde von Kaufleuten errichtet, die leider scheiterten. Die Heiden und Moslems waren damals noch uneinsichtig.“ „Heute ist das anders?“ Lopez Almeira nickte spontan. „Sie werden es noch sehen, Senhores. Mit uns segeln Mönche, die christliche Nächstenliebe predigen. Leider finden sie nur sehr zögernd Gehör.“ „Ich verstehe“, sagte Hasard. „Solange die Malaien nicht getauft sind, sorgen die Seesoldaten für Ruhe und Ordnung.“ Don Juan fügte hinzu: „Genauso soll es sein. Recht und Ordnung wie in der Neuen Welt.“ Sein bedeutungsvoller Tonfall fiel Almeira nicht auf. Woher sollte er auch wissen, auf welche Verhältnisse der Spanier anspielte? * Die Schebecke ankerte rund dreihundert Yards vor der Küste und eine halbe Meile von den Karavellen entfernt. Hasard hielt es für angebracht, sich den Rücken freizuhalten und bei jedem Wind lossegeln zu können. Immerhin mußte er in Erwägung ziehen, daß de Albuquerque, der mit ein paar Männern und einer Jolle verschwunden war, Gott und die Welt in Bewegung setzte, um seiner habhaft zu werden. Für den Landgang hatte er außer dem Profos und den Zwillingen Batuti, Bob Grey und Old Donegal ausgewählt. Noch verhielten sich die Portugiesen auf den Karavellen abwartend, und an Land war außer malaiischen Fischern niemand zu sehen. Doch Hasard war überzeugt, daß die Portus ihre Zurückhaltung aufgaben, sobald die Jolle abgefiert wurde. Zwei Kanonenschüsse dröhnten von der Flußmündung herüber, bevor das Boot ablegte. Zweifellos waren sie als Signal gedacht. Hasard vermutete, daß spätestens jetzt hinter den Hügeln Soldaten ihre Musketen spannten und Stellung bezogen. Forschend blickte er Lopez Almeira an, der unbewegt Richtung Strand blickte.
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„Ein schönes Land“, sagte der Portugiese sinnend. „Zumindest während der Sommerzeit mit ihren leichten Monsunwinden um Ost. Aber im November beginnt die Regenzeit mit dem Einsetzen des Nordwestmonsuns. Dann weht zumeist ein kräftiger Westwind, der oft zum Sturm anwächst.“ Er warf einen Blick zum Himmel hinauf, der sich allmählich bewölkte. „Heute war ein ausnehmend schöner Tag, zumindest was das Wetter betrifft. Doch der Wind wird bald umspringen. Wissen Sie, Senhor Capitan, daß sich die Segelschiffahrt in diesem Land und zu den östlichen Inselgruppen vorwiegend an den Jahreszeiten orientiert? Zwischen November und März segeln die Eingeborenen nach Osten, von April bis Oktober kehren sie zurück.“ Lopez Almeira redete viel. Der Seewolf glaubte nicht, daß das nur seinem Mitteilungsbedürfnis entsprach. Vielmehr versuchte er auf diese Weise, seine Unsicherheit zu verbergen. Weder in Indien noch vor Malakka hatten bislang die Portugiesen mit den Engländern zusammenarbeiten wollen. Wo immer fremde Schiffe auftauchten, witterten sie unliebsame Konkurrenz. „Was hat der Bursche vor?“ fragte Old Donegal im Cornwall-Dialekt. „Sonst ist ihr Wahlspruch doch ,Fressen oder gefressen werden`.“ Er wälzte also ähnliche Überlegungen. Ein Trupp Soldaten näherte sich dem Strand. Die Kerle stapften rücksichtslos zwischen den aufgespannten Netzen hindurch und hielten aufgebrachte Fischer mit ihren Piken auf Distanz. Hinter den Uniformierten mit ihren farbenprächtigen Gewändern, den Stulpenstiefeln und wallenden Federhüten folgten zwei Mönche. Schlagartig war dem Seewolf klar, warum die Fischer angegriffen hatten. In dem kleinen Dorf an der Küste, in dem die Arwenacks ihre Vorräte ergänzt hatten, war die Angst der überwiegend muslemischen Bevölkerung vor den Portugiesen und ihren rigorosen
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missionarischen Bekehrungsversuchen ebenfalls unmittelbar spürbar gewesen. Knirschend lief die Jolle auf Grund. Die Zwillinge sprangen ins Wasser und zerrten das Boot den Strand hinauf. Ein Seeoffizier führte den Trupp der Portugiesen an. Der Mann war nicht größer als fünfeinhalb Fuß, dafür aber wohlbeleibt. Die seinen Bauch umspannende Schärpe konnte die überflüssigen Pfunde nur unvollkommen kaschieren. Er trug ebenfalls Stulpenstiefel, dazu zweifarbige Hosen, ein ledernes Wams und Stulpenhandschuhe. Der Hut mit dem wallenden Federschmuck verlieh ihm endgültig das Aussehen eines Pfaus, dazu hätte es nicht mal mehr der Pose bedurft, daß er die linke Hand stutzerhaft auf dem Griff des an seiner Hüfte baumelnden Degens liegen hatte. Die eng zusammenstehenden Augen gaben seinem Blick etwas Stechendes. Der gestutzte Spitzbart trug den Rest dazu bei, ihn unsympathisch erscheinen zu lassen. Der Offizier ließ die Soldaten im Halbkreis antreten und versperrte damit den Engländern den Weg. Unbewegt musterte er Almeira und danach die Arwenacks. „Ich nehme an, Senhores, Ihr Schiff ankert aus einem bestimmten Grund vor unserer Küste.“ „Vor der Küste von Malakka“, erwiderte Hasard. „Aber sicherlich meinen wir beide das gleiche.“ Hinter ihm murmelte der Profos etwas von einem gefiederten Affenarsch. Almeira nahm der Situation die Spannung, indem er mit knappen Worten zu berichten begann. Der Offizier wirkte erst ärgerlich, dann überrascht und versuchte letztlich sogar ein freundliches Lächeln, das jedoch gezwungen wirkte. „Selbstverständlich stehe ich zu dem Wort von Lopez Almeira”, sagte er. „Betrachten Sie sich in jeder Hinsicht als unsere Gäste.“ Dom Alfonso Cabrália, so sein Name, bot dem Seewolf die Hand zum Willkommen. Es war eine schwabbelige Hand, ohne festen Druck, die Hasards Abneigung nur
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noch verstärkte. Trotzdem blieb ihm keine andere Wahl, als freundlich zu lächeln. „Einer so überraschenden Einladung, Dom Alfonso, folgen wir selbstverständlich gern.“ Mittlerweile waren auch die beiden Mönche näher getreten. Einer von ihnen umarmte Lopez Almeira derart innig, daß dies nicht nur ein Zeichen christlicher Nächstenliebe sein konnte. Beide wechselten einige hastig geflüsterte Worte miteinander, anschließend wandten sie sich dem Seewolf zu. „Ich darf Ihnen Meinen Bruder vorstellen, Capitan“, sagte Lopez Almeira. „Vasco war schon sehr in Sorge, und nun dankt er allen Heiligen, daß sie mich wohlbehalten zurückgeführt haben.“ „Alle Heiligen waren das nicht“, murmelte Old Donegal respektlos. „Nur ein paar davon.“ Der Pater trat noch einen Schritt näher. Seine Kleidung war schwarz und ohne jeden Prunk. Um den Hals trug er den schmalen weißen Kragen der Jesuiten, darunter hing, an einer silbernen Kette, ein einfaches silbernes Kreuz, Vorsichtig führte er es an die Lippen und hauchte einen Kuß auf die blank polierte Oberfläche. „Jesus spricht: Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat. Und wer einen dieser Geringsten nur mit einem Becher kalten Wassers tränkt darum, daß er mein Jünger ist, wahrlich, ich sage euch: Es wird ihm nicht unbelohnt bleiben.“ Der andere Mönch, nicht minder feist als der Seeoffizier, verdrehte die Augen zum Himmel und nickte dankbar. Seinem Äußeren nach gehörte er dem Orden der Dominikaner an. . Die einheimischen Fischer beobachteten die Szene mit dem gebotenen Abstand. Zu gern hätte Hasard gewußt, was in ihren Köpfen vorging. Mancher ballte wahrscheinlich heimlich die Hand zur Faust und hätte die Portugiesen lieber heute als morgen aus dem Land gejagt.
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Von den Seesoldaten flankiert, marschierten die sieben Arwenacks den Strand hinauf. Sie sahen den Portugiesen an, daß sie noch nicht lange hier lebten, denn noch brannte in ihren Augen jenes verzehrende Feuer, das erst nach einer gewissen Zeit der Gewöhnung in Resignation und Stumpfsinn umschlug. Noch glaubten diese jungen Männer, die Welt verändern zu können. Sobald die ersten in der Wildnis des Hinterlandes starben oder von rachsüchtigen Einheimischen erschlagen wurden, würde sich auch das ändern. Die Sonne stand inzwischen weit im Nachmittag und warf lange Schatten, die miteinander zu verschmelzen schienen, als Regenwolken aufzogen. Von einem Augenblick zum anderen peitschte ein heftiger Westwind die See. Gischt verwehte von den Wellenkämmen. Gleich darauf begann es zu regnen, als hätte der Himmel sämtliche Schleusen geöffnet. Vor dieser Flut gab es kein Entrinnen. Im Nu hatte niemand mehr einen trockenen Faden am Leib. Das Meer dampfte, und auch an Land zogen Nebelschwaden auf. Die Sicht reichte zeitweise kaum weiter als zwanzig Schritte. Zwei steinerne Säulen, ähnlich der, die die Arwenacks schon gesehen hatten, begrenzten den Weg. Als sich der Profos nach dem Sinn dieser Markierungen erkundigte, erklärte Lopez Almeira, daß die. „Padraos“ sofort nach der Landung eines Schiffes errichtet würden, um den Besitzanspruch Portugals zu dokumentieren. In den ersten Tagen nach der Landnahme lebten die Missionare noch an Bord ihrer Schiffe, aber sie siedelten um, sobald neue Hütten, gebaut waren, die gut die Hälfte der Soldaten und die mitgereisten Mönche aufnehmen konnten. Noch bevor sie das namenlose Dorf betraten, erhielten die Arwenacks einen Vorgeschmack der Auseinandersetzungen, die sich zwangsläufig zwischen Eroberern und Malaien abspielten. Die Umrisse eines uralten knorrigen Baumes, dessen Rinde
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großflächig abgeplatzt war, schimmerten bleich durch den Dunst. Er verzweigte sich dicht über dem Boden und bildete eine riesige Kuppel. Eine leblose Gestalt hing an dem Baum. Sie war so mit Stricken an den Ästen hochgezerrt worden, daß die Füße gerade eine halbe Handbreite über dem Boden hingen und die Arme weit gespreizt waren. „Kein Mensch hält das länger als einige Stunden aus“, schnaubte Jung Hasard. Der Mann war ohnmächtig, nicht mal der anhaltende Wolkenbruch konnte ihn ins Bewußtsein zurückrufen. Der Regen wusch lediglich die rote Farbe ab, die seinen Körper über und über besudelte. „Was hat er verbrochen?“ fragte Carberry. „Diebstahl und Gotteslästerung“, erklärte Lopez Almeira. „Er hat versucht, einem der Mönche das Kreuz zu entreißen. Wo kämen wir hin, ließen wir solche Übergriffe durchgehen?“ „Und das Blut?“ Almeira lachte schallend. „Schweinsblut, Senhor. Kann es für einen Muslim eine schlimmere Strafe geben, als mit Schweinsblut entehrt zu werden? Das schmerzt nicht, ist aber ungeheuer wirksam.“ „Denn so steht geschrieben“, sagte Old Donegal unvermittelt, „richtet recht, und ein jeder erweise seinem Bruder Güte und Barmherzigkeit.“ Lächelnd wandte sich der Jesuit dem Alten zu: „Ich sehe, Bruder im Herrn, du hast aufmerksam gelesen, was der Prophet Sacharia zu sagen hat.“ Old Donegal deutete zu dem Bewußtlosen, dessen Oberkörper von breiten Striemen entstellt war. „Von Auspeitschen bis auf die Knochen steht aber nichts in der Bibel.“ Pater Vasco lächelte noch immer. „Glaubst du wirklich, wir hätten das getan? Die weltliche Gerichtsbarkeit obliegt Dom Alfonso, der sie souverän handhabt.“ Vasco Almeira war zweifellos gefährlich. Seine sanfte Stimme vermochte nicht das Feuer der Leidenschaft zu verbergen, das ihn zu einem Fanatiker werden ließ – einen Streiter für den christlichen Glauben, der
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ganz bestimmt nicht davor zurückschreckte, wenn es sein mußte,. das Kreuz gegen Feuer und Schwert einzutauschen. Das Leben eines Helden bedeutete ihm erst etwas, wenn sich der Betreffende taufen ließ. Die Soldaten bogen auf einen Weg ein, dessen Schlamm kaum angenehmer als der knöcheltiefe Sand war. Wagenspuren bewiesen, daß hier in letzter Zeit oft Fuhrwerke gefahren waren. Wahrscheinlich hatten die Portugiesen Material für den Bau ihrer Unterkünfte herankarren lassen. Von der Kuppe eines Hügels aus war das Dorf in seiner ganzen Ausdehnung zu überblicken. Umgeben von Sträuchern und Bäumen, gruppierten sich die meisten der einfachen Häuser um einen großen Marktplatz. Die Ausrichtung nach Osten, zu einem schmalen Seitenarm des Flusses hin, entsprach den Gegebenheiten des Geländes. Im Vergleich mit den armseligen Behausungen der Fischer wirkten die Blockhütten der Portugiesen schon wie eine kleine Festung, obwohl mit dem Bau von Palisadenzäunen erst begonnen worden war. Die Fahne Portugals wehte über den Dächern und noch über dem aus drei aneinandergelehnten Stämmen errichteten provisorischen Glockenturm. Die Glocke war nicht größer als eine Schiffsglocke, doch zweifellos erfüllte sie ihren Zweck. Hinter den Männern erklang plötzlich das Stampfen von Hufen. Ein einzelner Reiter preschte vorbei. Tief gebeugt hing er über dem Hals des Pferdes, mit einer Hand verkrampft die Zügel haltend und mit der anderen seinen breitkrempigen Hut, dessen wehender Federschmuck kaum weniger imposant wirkte als die Mähne des Rappen. Unter den Hufen spritzte der Schlamm in wahren Fontänen nach allen Seiten. „Der reitet, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her“, schnaubte Carberry, Hemd und Hose wenigstens notdürftig von den unerwarteten Schlammspritzern säubernd.
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Der Reiter hatte die Gruppe offenbar zu spät gesehen, war im letzten Moment ausgewichen und hatte nun Mühe, das Pferd zu zügeln. „Eine Falle, Dom Alfonso!“ schrie er. „Ein Hinterhalt! Die Malaien haben alle niedergemetzelt.“ Der Gaul stieg auf die Hinterhand hoch. Für einen Moment war dem Soldaten sein Hut wichtiger als der eigene Halt, und bis er sich besann, wurde er schon im hohen Bogen abgeworfen. Der Aufprall war alles andere als sanft, daran änderte auch die Schimpftirade nichts mehr, die er dem davon galoppierenden Tier nachschickte. Zu allem Überfluß knöpfte sich Dom Alfonso den Burschen vor. Der Offizier bewies, daß er über ein ausgeprägtes cholerisches Temperament verfügte, was ihm wegen seiner Körperfülle keiner zugetraut hätte. Die Patres stimmten ein Fürbittengebet für die aus dem Hinterhalt ermordeten Soldaten an, und Lopez Almeira erklärte den Seewölfen, daß ein Trupp auf dem Landweg nach der Stadt Malakka aufgebrochen wäre, um Nachschub an Pulver und Wein zu besorgen. Auf dem Rückweg war das Fuhrwerk überfallen worden. „Hast du die Wegelagerer erkannt?“ herrschte Dom Alfonso den Soldaten an. Der zuckte nichtssagend mit den Schultern. „Die Malaien sehen doch alle gleich aus: dunkle Haut, schwarze Haare, hohen Wangenknochen ...“ „Kannst du beschwören, daß sie aus diesem Dorf stammen?“ „Bei meiner Seele, Dom Alfonso, wer sollte sonst ein Interesse daran haben, uns zu schaden?“ Der Offizier wandte sich zu den Arwenacks um. Mit einer entschuldigenden Geste breitete er die Arme aus. „Ich hatte gehofft, Senhores, Ihnen eine bessere Unterhaltung bieten zu können. Aber leider sind die Umstände dagegen. Der Vorfall muß gesühnt werden, ehe die Malaien glauben, sie könnten sich alles erlauben.“
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„Selbstverständlich werden wir auf unser Schiff zurück ...“ „Wollen Sie mich beleidigen? Dom Alfonso Cabrália steht nicht im Ruf, unhöflich zu sein!“ „Seid nun geduldig, liebe Brüder, bis auf den Tag, da der Herr erscheint.“ Vasco Almeira deutete eine devote Verbeugung zum Seewolf hin an, dann wandte er sich in Richtung Meer. Er hob das Silberkreuz und rief: „Wehe denen, die den Wind säen, denn sie werden Sturm ernten.“ Der Dominikaner an seiner Seite sagte: „Es ist unmöglich, daß nicht Ärgernisse kommen: wehe aber dem, durch welchen sie kommen! Es wäre ihm besser, daß man einen Mühlstein an seinen Hals hängte und würfe ihn ins Meer, als daß er einem dieser Kleinen Ärgernis gibt. Hütet euch!“ Der Offizier gab seinen Soldaten einen befehlenden Wink. Auch ohne große Worte wußten sie, was zu tun war, und eilten im Laufschritt zum Strand. Lopez Almeira war trotz seiner Verwundungen bei ihnen. Den Piken konnten die Fischer vielleicht noch widerstehen, aber sicher nicht den Pistolen, die jeder im Hosenbund trug. Mit einer unwilligen Bewegung wischte sich Old Donegal das klatschnasse Haar aus der Stirn. Er rümpfte die Nase, während er den Soldaten nachblickte, die hinter dem Hügel verschwanden. „Der Bibelspruch geht noch weiter“, sagte er gerade so laut, daß ihn Hasard und der Profos verstehen konnten. „Wenn dein Bruder sündigt, so halte es ihm vor; und wenn es ihn reut, vergib ihm. Aber davon scheinen die Patres nichts wissen zu wollen.“ „Sag's ihnen!“ schlug Carberry vor. „Würdest du einem hungrigen Krokodil die Hand ins Maul legen?“ erwiderte der Alte. 5. „Sie entschuldigen mich, Senhores“, sagte Dom Alfonso Cabrália. „Ich muß ein waches Auge auf meine Männer haben, daß sie in ihrem Zorn nicht zu hart gegen die Malaien vor- gehen.“
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Hasard nickte knapp, ohne sich zu äußern. Seine Menschenkenntnis verriet ihm, daß der Offizier bei weitem nicht alles so meinte, wie er es sagte. Cabrália war der Typ, der nicht nur Gleiches mit Gleichem vergalt, sondern darüber hinaus noch einen Schritt weiterging. Andererseits hätte er niemals das Kommando über eine neue Mission erhalten. Die Malaien brauchten eine feste Hand. „Pater Goncalves und Pater Almeira werden sich Ihrer annehmen. Ich für meine Person erwarte Sie in der Kommandantur, sobald meine Anwesenheit hier nicht mehr erforderlich ist.“ Dom Alfonso drehte auf dem Absatz um und folgte den Soldaten. Noch ehe er die Hügelkuppe erreichte, fielen zwei Schüsse. Schreie brandeten auf. Der Jesuit bekreuzigte sich und senkte den Blick. „Wir leben in einer düsteren Zeit“, murmelte er. „Luzifer trachtet nach der Herrschaft über die Welt, und so viele Hexen wie in diesen Jahren wurden noch nie gezählt. Uns bleibt keine andere Wahl, als das Evangelium schnell und umfassend zu verbreiten.“ Der Regen wurde schwächer. Bis die Männer das Dorf erreichten, endete er vollends. Gierig sogen die Sonnenstrahlen die Nässe wieder auf, doch es ging merklich dem Abend entgegen. „Unser Kloster hat noch bescheidene Ausmaße, Senhores“, sagte Vasco Almeira. „Aber wir können Ihnen trockene Tücher und einen guten Wein zum Willkommen anbieten.“ „Wenn das nichts ist“, erwiderte der Profos. „Mehr haben wir ohnehin nicht erwartet.“ Irgendwo kläffte ein Hund. Kinderstimmen Waren zu hören, aber die Arwenacks sahen keine Malaien. Trotzdem hatten sie das Gefühl, daß sie von vielen Augenpaaren beobachtet wurden. Was Almeira als Kloster bezeichnete, war nur eine kleine Blockhütte neben dem ebenso provisorischen Glockenturm. Das andere, größere Gebäude diente demnach den Soldaten als Unterkunft und Cabrália
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als Kommandantur. Zwischen beiden Gebäuden war ein reichlicher Vorrat roh behauener Stämme aufgeschichtet, der zweifellos für den begonnenen Bau des Palisadenzaunes Verwendung finden würde. „Wie gesagt: alles ist noch bescheiden.“ Almeira klopfte in einem be- stimmten Rhythmus. Daraufhin wurde von ihnen die Bohlentür geöffnet. Knarrend schwang sie in den Angeln zurück. Dem ersteh Augenschein nach zu urteilen, war die Hütte in mindestens zwei Räume unterteilt. Der, den die Arwenacks nun betraten, diente als Wohn- und zugleich Schlafgemach. Auf Holz gemalte Heiligenbilder und ein wuchtiges, geschnitztes Kruzifix waren der einzige Schmuck. „Erschrick nicht, Bruder Cantino!“ rief Almeira in das Halbdunkel des Raumes. „Wir haben seltenen Besuch erhalten.“ Ein kleines, dürres Männchen streckte den kahlgeschorenen Kopf hinter der Tür hervor. über einem schmallippigen Mund thronte eine vergleichsweise riesige Geiernase, und schwere Tränensäcke hingen bis weit über die Wangen. Pater Cantino war ebenfalls Jesuit, nur schien er auf sein Äußeres weniger Wert zu legen als Vasco Almeira und Diogo Goncalves. Der ehemals weiße Kragen starrte vor Schmutz, und um seinen Hals hing ein abgegriffener Rosenkranz, der sich wohl demnächst in Wohlgefallen auflösen würde. Sein Alter war schwer zu schätzen, denn die lebhaften grauen Augen standen in krassem Gegensatz zu seiner Erscheinung. Wahrscheinlich verdankte er diesem Ausdruck ungezügelter Kraft, daß er nicht in einem portugiesischen Kloster versauerte, sondern tatkräftig mit anpackte, wo es Probleme zu lösen gab. „Gib uns trockene Tücher, Bruder Cantino! Und dann hole ausreichend Wein!“ Als sich der Alte endgültig hinter der Tür löste, war seine Mißbildung zu erkennen. Seine rechte Schulter war nach oben gezogen und bildete einen leichten Buckel. überhaupt schienen die Gliedmaßen seiner
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rechten Körperhälfte um ein gutes Stück länger zu sein. als Arm und Bein auf der anderen Seite. „Engländer“, murmelte er nach einem scheuen Blick auf die Arwenacks. „Der Herr schütze uns.“ „Sie haben Lopez vor dem sicheren Tod gerettet“, sagte Almeira, „und sie sind als Freunde hier.“ Aus einem Schrank wühlte Cantino Wolltücher hervor. Zwar nur vier Stück, doch die Nässe war inzwischen von den Männern abgetropft und bildete, wo sie gerade standen, große Lachen auf den Dielen. Vorübergehend fielen Sonnenstrahlen durch das einzige, butzenverglaste Fenster in den Raum. Staub flirrte in der Luft wie winzige Goldkörnchen. Als Pater Cantino zwei dickbauchige Flaschen aus dem Nebenraum brachte, zog draußen erneut Düsternis auf. Augenblicke später peitschte wieder heftiger Regen gegen die Scheiben. Almeira füllte die Becher. „Auf den Tag, an dem meinem leiblichen Bruder Lopez das Leben neu geschenkt wurde.“ „Auf alles, was uns lieb und heilig ist“, erwiderte der Seewolf. Der Wein war herb, und man merkte ihm nicht an, daß er eine lange Seereise hinter sich hatte. Anschließend ließ Almeira kalte Bratenstücke auftragen. Er sah lächelnd zu, wie es den Engländern schmeckte. Der Profos nahm sich die Freiheit und langte mehrmals zu. „Das Fleisch ist ausgezeichnet“, sagte er, während er noch mit vollen Backen kaute. „Was ist das? Da kann unser Koch weiß Gott nicht mithalten.“ Falls dem Pater die Bemerkung mißfiel, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. „Für was halten Sie es, Senhor?“ fragte er zurück. Carberry kaute schon wieder. „Kalb“, sagte er. „Aber nicht gepökelt, sondern frisch.“ „Junger Wasserbüffel“, erwiderte Almeira. „Von den Malaien? Als eine Art Begrüßungsgeschenk?“
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„Als erste Steuerzahlung.“ Der Pater lächelte vielsagend. „Dom Alfonso bestand darauf. Die Einheimischen sollen lernen, daß sie als künftige Christen nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten haben.“ „Sie haben den Büffel freiwillig gegeben?“ erkundigte sich Hasard ungläubig. „Nicht ein Tier, sondern drei“, erwiderte Diogo Goncalves. „Die Seeleute an Bord unserer Karavellen wollten auch frisches Fleisch, und es sei ihnen von Herzen gegönnt. Aber welcher Heide gibt schon freiwillig von seinem Besitz ab? Sie müssen noch viel lernen.“ Ein Schrei übertönte das Trommeln des Regens – ein Schrei, der körperliche Qual und Verzweiflung ausdrückte. Die Patres merkten zwar kurz auf, doch schien sie nicht zu interessieren, was draußen geschah. Klatschende Geräusche folgten. „Das klingt, als würde jemand ausgepeitscht“, sagte Hasard. „Die Soldaten sind zurück“, erwiderte Almeira. „Sie wollen wissen, wer die Überfälle verübt hat.“ Old Donegal hatte sich vom Tisch erhoben und starrte durch die Butzenscheiben nach draußen. Viel konnte er nicht erkennen, da der Regen übers Fenster lief und alle Konturen verzerrte. Die Seesoldaten hatten Malaien an die Stämme des Glockenturmes gebunden und peitschten sie aus. Dom Alfonso Cabrália, den Federhut wegen des Regens weit ins Gesicht gezogen, gab die Befehle. Die Soldaten schlugen derart verbissen zu, daß es nicht nur bei oberflächlichen Fleischwunden blieb. „Wenn sie ihre Opfer umbringen, erhalten sie nie die Antworten, auf die sie aus sind.“ Wieder einmal führte Vasco Almeira das Kreuz an seine Lippen. „Wir wissen, daß wir aus dem Tode in das Leben gekommen sind; denn wir lieben die Brüder“, sagte er murmelnd, und angesichts der noch fallenden Peitschenhiebe klangen seine Worte wie Hohn. „Wer nicht liebt, der bleibt im Tode. Wer seinen Bruder hasset, der ist ein Totschläger, und ihr wisset, daß ein Totschläger das ewige Leben nicht
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bleibend in sich hat. – Ich würde den Malaien gern helfen, doch ich kann es nicht. Mir bleibt nur, Trost zu spenden und ihre Wunden zu verbinden, sobald sie getauft wurden. Aber das Volk ist starrsinnig wie eine Herde Ochsen.“ Old Donegal Daniel O'Flynn wollte zu einer heftigen Erwiderung ansetzen, bemerkte aber gerade noch rechtzeitig Hasards warnenden Blick und beschränkte sich darauf, weiter nach draußen zu starren. Die Sonne stand dicht über der Kimm. Ihre Strahlen, als sie die Wolkendecke durchbrachen, blendeten. Auf den Butzenscheiben tanzten plötzlich goldene Schlieren. Old Donegal blinzelte. Die Lider zusammengekniffen, verfolgte er, wie die mittlerweile bewußtlosen Malaien losgebunden und davongeschleppt und weitere Gefangene an die Stämme gefesselt wurden. Dann wandte er sich wieder um. „Gebt mir noch einen Becher Wein“, bat er. „Bevor sich die Malaien wie ein Mann erheben, die Hütten niederreißen und die Vorräte vernichten.“ Pater Cantino warf scheue Blicke in die Runde. Die Nähe der Engländer, oder überhaupt von Gästen,. schien ihm Unbehagen zu bereiten. Immer wieder tastete er nach seinem Rosenkranz und ließ ihn durch die Finger gleiten. „Die Mehrheit der Dorfbewohner versteht unsere Predigten“, behauptete der Dominikaner Goncalves. „Sie wissen, daß ihnen Sanftmut das Paradies öffnet. Denn es steht geschrieben: Liebet eure Feinde; bittet für die, so euch verfolgen, auf daß ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel.“ * Der Regen war vorbei, die Auspeitschung schon lange beendet. Die Nacht zog schnell herauf. Ein anhaltender Westwind zerstreute die letzten Wolken, und bald schimmerte das helle Band der Milchstraße im Zenit. Riesengroß und bleich stieg der Mond über die Kimm.
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Die Gespräche zwischen den Arwenacks und den drei Mönchen waren in belanglose Bereiche abgeglitten. Zumindest behauptete Vasco Almeira, daß er sich für den Seehandel nur am Rande interessiere. Nach Westen wurden die unterschiedlichsten Güter verschifft, vorwiegend Perlen und Schildplatt, Schildkröten und Paradiesvögel, darüber hinaus Sago, Kokosnüsse, Arrak und auch Trepang. Bei letzterem handelte es sich um getrocknete Seegurken, die für die Zubereitung von Suppen sehr geschätzt wurden. „Wenn das Zeug genauso gut schmeckt wie die Wasserbüffel, könnte man sich daran gewöhnen“, sagte Edwin Carberry – mit dem Erfolg, daß ihm der Jesuit ein Faß voll versprach. Im Nebenraum zelebrierten die drei Patres eine kurze Abendandacht, nachdem Cantino die Schiffsglocke geläutet hatte. Sie beschränkten sich jedoch auf einige Bittgebete des Inhalts, daß die Malaien endlich Einsicht zeigen und ihr Heidentum ablegen möchten. Und sie erbaten für sich und die Soldaten die Kraft, den Anfeindungen tapfer zu widerstehen. „Eine scheinheilige Bande ist das“, äußerte der Profos. „Da sollte ein richtiges Donnerwetter dreinschlagen. Aber kann man etwas anderes verlangen? Dominikaner und Jesuiten, das sind die beiden Orden, denen der Heilige Vater die Ausrottung der Hexen anvertraut hat. Die Methoden, die sie gegen die Malaien anwenden, unterscheiden sich wohl kaum davon.“ Old Donegal hüstelte unterdrückt. „Weißt du, Ed, was du da von dir gibst? Domini canes – das sind die Hunde des Herrn, und die Jesuiten sind die Soldaten Christi.“ „Auf uns haben sie es ebenfalls abgesehen.“ „Klar doch. Zumindest dieser fette Alfonso. Er wäre der erste Portugiese, der Fremde in seinem Einflußbereich duldet.“ Als hätte Old Donegal sein Erscheinen heraufbeschworen, stand plötzlich der Offizier unter der Tür. Er hatte trockene Kleidung angelegt und war herausgeputzt,
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als gelte es, einem Empfang bei Hofe beizuwohnen. „Ich muß meine Abwesenheit entschuldigen, Senhores. Aber die Dinge erlaubten keinen Aufschub.“ „Haben Sie erfahren, was Sie wissen wollten?“ „Leider nein. Die Halunken sind verstockt und würden sich lieber totschlagen lassen, als ihresgleichen zu verraten. Dabei haben alle unter der Heißblütigkeit einiger weniger zu leiden.“ Er hatte noch mehr sagen wollen, doch das Klirren von Glas unterbrach ihn. Die Butzenscheiben splitterten, weil von draußen ein Krug mit brennendem Öl hereingeworfen wurde. Der Krug zerbarst mitten auf dem Tisch, Scherben und Öl spritzten auseinander, und im Nu breiteten sich die Flammen über die ganze Platte aus. Wie ein glühender Lavafluß floß das Feuer seitlich hinunter und leckte gierig über die Dielenbretter. Dom Alfonso Cabrália schrie gellend auf. Er hatte mehr von dem Öl abgekriegt, als ihm lieb sein konnte, und plötzlich brannten seine Schärpe und die Hose. Vergeblich schlug er mit den Händen auf die Flammen ein. Jung Philip ergriff kurzerhand die letzte Weinflasche, brach ihr den Hals ab und kippte den kostbaren In-. halt über dem Offizier aus. Batuti und Bob Grey versuchten indessen, das Feuer mit den noch herumliegenden Tüchern auszuschlagen, erreichten aber herzlich wenig. Die Patres, die aus dem Nebenraum herbeihasteten, starrten entsetzt auf die um sich greifende Glut. Die Dielen waren nach einer Seite geneigt. Dorthin floß das meiste Öl. Gierig leckten die Flammen an der Bretterwand und dem großen Kruzifix hoch. „Wir brauchen Wasser!“ rief Jung Hasard. „Steht nicht herum wie die Ölgötzen, sonst brennt euch das Dach über dem Kopf ab!“ Draußen herrschte Tumult. Schüsse fielen, die Soldaten schrien wirr durcheinander und suchten ihren Offizier, der allerdings genug mit sich selbst zu tun hatte. Sie wußten noch nicht, daß Dom Alfonso im
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wahrsten Sinne des Wortes Feuer unter den Hintern gekriegt hatte. Der Profos hatte der Tür am nächsten gestanden. Er war hinausgestürmt, noch bevor sich das Öl richtig über die Tischplatte ausgebreitet hatte. Hasard sorgte sich um ihn, immerhin bestand die Gefahr, daß ihn die Soldaten für den Angreifer hielten und niederschossen. Doch da erschien seine wuchtige Gestalt schon wieder unter dem Türstock. „In die Kommandantur wurden ebenfalls Brandbomben geworfen!“ rief er. „Die Attentäter sind spurlos verschwunden, als hätte sie die Erde verschluckt. Die Soldaten, die nicht beim Löschen helfen, durchsuchen das Dorf.“ Hasard ahnte, daß sich der Profos vorsichtig ausgedrückt hatte. Das „Durchsuchen“ artete sehr wahrscheinlich in Plündern und Morden aus. Zumindest das provisorische Kloster würde ein Raub der Flammen werden. Die Mönche schleuderten zwar einige Weinflaschen in den Raum, doch das Öl konnten sie damit nicht zurückdrängen. Mittlerweile brannten gut die Hälfte des Raumes und die eine Außenwand. Auch die Deckenbalken kokelten bereits. „Raus hier!“ befahl der Seewolf. „Wir können nichts mehr retten.“ Niemand widersprach. Den Patres blieb ohnehin keine andere Wahl, wollten sie nicht im Nebenraum eingeschlossen werden. Schon versperrten ihnen die Flammen in breiter Front den Weg. Eine unerträglich werdende Hitze breitete sich aus, und dunkler Qualm reizte zum Husten. Batuti und Bob Grey wuchteten einen Schrank von der Wand und kippten ihn um. Es klirrte und schepperte, und die nicht besonders stabile Rückwand zersplitterte. Doch wenigstens vorübergehend entstand so eine Schneise in der Glut, die die Mönche überqueren konnten. Mit hochgerafften Kutten flohen sie ins Freie. Die Wuhling war kaum mehr zu überbieten. Einige Soldaten schossen ziellos in die Gegend, wohl um die Malaien einzuschüchtern, und versetzten
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das gesamte Dorf in Schrecken und Aufruhr. Frauen schrien, Kinder weinten, und Männer hasteten in die Nacht, um den aufgebrachten Portugiesen zu entgehen. Die übrigen Soldaten hatten eine Eimerkette zum nahen Fluß gebildet, aber sie würden wohl nur die Kommandantur retten, können. Wortlos schlossen sich die Arwenacks an. Das Dach der anderen Hütte brach krachend in sich zusammen. Ein Funkenregen stob auf und Wirbelte irrlichternd davon. Der anhaltende Westwind fachte die Flammen fauchend an. Zum Glück hatten die Portugiesen ihre Blockhütten am östlichen Dorfrand errichtet, anderenfalls wären vermutlich auch die Behausungen der Malaien ein Raub der Flammen geworden. Das Feuer mußte weithin sichtbar sein. Hasard hoffte nur, daß sich die an Bord der Schebecke zurückgebliebenen Männer nicht verleiten ließen, ebenfalls an Land zu gehen. Er hatte zwar Anweisung erteilt, ihm keinesfalls vor dem neuen Morgen zu folgen, aber da hatte niemand an eine Feuersbrunst gedacht. Hasards Befürchtung war vielmehr, daß die Portugiesen den Schutz der Nacht nutzen würden, um die Schebecke zu kapern. Aber momentan waren sie wohl abgelenkt. Ein jämmerliches Quieken schreckte ihn aus seinen Überlegungen auf. „Erst jetzt bemerkte er, daß an die Blockhütte der Mönche ein Stall angebaut war. „Die halten tatsächlich Schweine“, sagte Jung Philip nicht minder überrascht. „Doch nur, um die Muslims zu provozieren.“ Keiner versuchte, die Tiere zu retten. Auch der Stall brannte inzwischen lichterloh. Aber dann stürzte eine Seitenwand nach außen, und drei sichtlich gut im Fleisch stehende Schweine rannten in blinder Panik davon. Das heißt, das größte von ihnen brach schon nach wenigen Yards zusammen und verendete quiekend. Auch der Glockenturm blieb nicht verschont. Zwei Stämme hatten zu glimmen begonnen, und die Glut breitete sich immer weiter aus. Endlich begriffen
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die Mönche, daß nicht nur Gebete gefragt waren, sondern daß sie selbst mit Hand anlegen mußten, wollten sie wenigstens die Glocke retten. Ihr Vorteil war, daß der Turm nicht in Windrichtung stand und die Stämme noch vom Regen naß waren. Mit einigen Eimern voll Wasser brachten sie die Glut verhältnismäßig leicht unter Kontrolle, bevor sie sich bis in die unerreichbare Spitze hinauffressen konnte. Unvermittelt schrie Cantino auf: „Da ist einer von diesen Heiden!“ Als könne er den Malaien damit bannen, reckte er ihm sein Silberkreuz entgegen. Vielleicht war es sogar der Mann, der das Feuer gelegt hatte. Die Büsche, zwischen denen er sich verborgen hielt, wuchsen nicht mehr als dreißig Schritte von der Kommandantur entfernt. In ihrer Erregung hatten die Soldaten nicht im Gestrüpp gesucht, sondern sofort das Dorf auf den Kopf gestellt. Der Portugiese neben Hasard ließ den Eimer fallen und zerrte die Pistole hinter dem Hosenbund hervor. Er spannte den Hahn mit der linken Hand und drückte sofort ab. Der Schuß peitschte in den Nachthimmel hinauf, weil der Seewolf, als er sich nach dem Eimer bückte, den Mann anrempelte. Die ungeschickte Bewegung war keineswegs zufällig. Hasard glaubte nämlich, den Malaien erkannt zu haben. Maran Yeh hatte ihn ebenfalls für die Dauer eines Augenblicks angestarrt, ehe er wie ein Schatten in der Nacht verschwand. 6. Eine halbe Stunde später lastete nur noch erkaltender Brandgeruch über dem Dorf. Das Kloster und der angrenzende Stall waren niedergebrannt. In den Balken knisterte und knackte es noch, hier und da züngelten erneut Flammen auf, doch sie wurden sofort unter einem Schwall Wasser erstickt. Die Stämme des Glockenturms waren verkohlt. Noch stand er aber als
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Grundstock einer Kirche, die die Mönche an Stelle der Hütte zu errichten gedachten. „Eine wundersame Fügung Gottes hat uns vor dem Flammentod gerettet“, sagte Vasco Almeira. „Wir sollten unsere Dankbarkeit mit dem Bau einer kleinen Kirche erweisen, und die Malaien werden uns dabei zur Hand gehen. Ob sie wollen oder nicht.“ „Sie sind nicht arm“, erklärte Goncalves. „Jeder von ihnen hat Perlen oder edle Steine, die wir zum Ausschmücken des Gotteshauses verwenden können.“ Das Innere der Kommandantur war von zwei Brandsätzen verwüstet worden, das Löschwasser hatte ein übriges dazu getan, doch die Schäden waren innerhalb weniger Tage zu beheben. Vorerst begnügten sich die Soldaten damit, das unbrauchbar gewordene Mobiliar ins Freie zu räumen und Ruß und Asche zu entfernen. Der Zwischenfall hatte zwei Tote gefordert – Malaien, die sich der Gefangennahme durch die Portugiesen widersetzt hatten und dabei erschossen worden waren. Niedergeschlagen und gefesselt hatten die Soldaten zwanzig Männer. Mehr konnten sie in dem Gefängnisraum der Blockhütte ohnehin nicht unterbringen. „Wir bringen die Burschen zum Reden“, sagte Dom Alfonso zuversichtlich. „Diesmal gibt es kein Pardon.“ Eigentlich war es Hasards Absicht gewesen, jetzt wieder auf die Schebecke zurückzukehren, doch die Begegnung mit Maran Yeh hatte seine Pläne geändert. Was zählten noch einige Stunden, wenn das Schicksal eines Dorfes davon abhing? Außerdem ergab sich womöglich die Gelegenheit, den Portugiesen eins auszuwischen. „Als Gastgeber würde ich in einer solchen Situation die Gäste zunächst einmal höflich, aber bestimmt zurückschicken“, flüsterte Old Donegal. „Warum tut Dom Alfonso genau das Gegenteil?“ „Vielleicht, weil er trotz allem die Schebecke will“, erwiderte Hasard ebenso leise. „Je weniger Leute an Bord sind, desto besser für ihn und sein Vorhaben.“
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„Ich hoffe, unsere Männer wissen, worauf es ankommt.“ Old Donegals Tonfall klang verschwörerisch. Im Moment sah es danach aus, als belauere jeder jeden. „Bitte, Senhores!“ Dom Alfonso Cabrália komplimentierte die Arwenacks vor sich her in die Kommandantur. Das bis ebennoch herrschende Durcheinander war leidlich wieder aufgeklärt. Die Männer fanden sogar ausreichende Sitzgelegenheit vor. Dom Alfonso ließ Arrak servieren, einen aus Reis oder Melasse hergestellten Branntwein, der zwar längst nicht die Qualität karibischen Rums erreichte, aber doch angenehm durch die Kehle rann. „Ich denke, wir haben den unruhigsten Teil der Nacht hinter uns.“ Der Offizier ließ die Becher noch einmal füllen. Er sprach dem alkoholischen Getränk ausgiebig zu. „Morgen werden wir die Rädelsführer des Aufstands aburteilen, und danach beginnt hoffentlich eine Zeit der Ruhe und des Friedens. Wir haben es nur mit Muselmanen und Buddhisten zu tun, leider nicht mal mit ein paar Christen, deshalb haben wir einen so schweren Stand. Aber die Patres sind bereit, einige hundert Täuflinge abzufertigen. Bitte folgen Sie mir! Ich zeige Ihnen, daß wir endlich durchgreifen.“ Er erhob sich seufzend und schritt auf die Verbindungstür zum Nebenraum zu. Die Arwenacks wußten, daß sie das Schauspiel, das er ihnen vorzuführen gedachte, nie und nimmer gutheißen konnten. Die Erkenntnis, daß sich hier alle Foltern und Qualen wiederholten, die die Indianer in der Neuen Welt erlitten, ließ ihre Sympathie für die Portugiesen endgültig auf den Nullpunkt sinken. Mit Eisenstäben, im Boden und in den Deckenbalken verankert, war der Raum geteilt worden. Etwa ein Viertel stand den zwanzig Gefangenen zur Verfügung, die nicht mal genügend Platz hatten, sich auf den Dielen niederzulassen. Einige bluteten aus Stichwunden, die ihnen mit Piken zugefügt worden waren. Niemand hielt es für nötig, sie deshalb zu verbinden.
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Der übrige Raum enthielt Folterwerkzeug. Daumenstöcke, spanische Stiefel und anderes, einfaches Gerät. Hasard war überrascht, Lopez Almeira wiederzusehen, dem sie seit dem Vorgehen der Soldaten am Strand gegen die Fischer nicht mehr begegnet waren. Dom Alfonso bemerkte offenbar seinen Augenaufschlag, denn er sagte: „Almeira ist unser bester Mann, wenn es darum geht, verstockten Einheimischen ihre Geheimnisse zu entlocken. Jetzt wissen Sie, warum Ich Ihnen dankbar bin, daß Sie ihn gerettet haben.“ ... und auch, warum die Malaien hinter ihm her waren, fügte der Seewolf in Gedanken hinzu. Zwei mit Piken bewaffnete Soldaten öffneten das Gitter und zerrten wahllos einen der Gefangenen heraus. Der Mann war kräftig genug, es mit unbewaffneten Portugiesen aufzunehmen, doch in seinen Augen flackerte die Angst. Quer über seine nackte Brust zog sich eine gerade erst verkrustete Narbe hin. Dom Alfonso nickte Almeira zu, daß er anfangen solle. In dem Moment betrat Vasco Almeira, der Jesuitenpater, den Raum. Lächelnd ging er auf den Gefangenen zu, legte ihm eine Hand auf die Stirn und redete im Dialekt der Malaien auf ihn ein. Anscheinend versuchte er, den Mann zu bekehren. Aber der Malaie spuckte nur angewidert aus. Vasco war nahe daran, zuzuschlagen. Um seine Mundwinkel zuckte es verräterisch, als er sich umwandte. „Der Herr möge ihm seine Sünden vergeben. Doch die Uneinsichtigen müssen bestraft werden.“ Dom Alfonso schob die Hände hinter seine halbverbrannte Schärpe, die gar nicht mehr so vornehm wirkte. „Er soll die Rädelsführer nennen!“ Der Jesuit übersetzte. Als der Gefangene keine Reaktion zeigte, fragte Lopez: „Soll ich mit den Daumenstöcken beginnen?“ „Wie immer“, sagte Dom Alfonso Cabrália.
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Die beiden Soldaten stießen den Malaien vor einen großen, runden Holzblock. Zwei Paar eiserne, durch Schellen miteinander verbundene Platten waren darauf befestigt. Almeira schob die Daumen des Gefangenen jeweils zwischen zwei Platten und zog die Schrauben an, die die Hände festklemmten. Aus schreckgeweiteten Augen starrte der Mann auf das Gerät, er spannte die Muskeln an und biß die Zähne zusammen, doch er schaffte es nicht, sich zu befreien. Den Gefallen, loszuschreien, tat er den Portugiesen schon gar, nicht. Almeira zog die Schrauben fester. Der Druck auf die Daumen verstärkte sich, die Schmerzen wurden zur Qual. Zwischendurch redete der Jesuit beschwörend auf den Malaien ein, erhielt jedoch keine Antwort. Der Mann riß lediglich den Mund auf, um schmerzverzerrt nach Luft zu schnappen. Nach und nach wurde der Druck stärker. Es war eine erschreckend langwierige Prozedur, die bei den Arwenacks Entsetzen auslöste. „Das reicht“, sagte Dom Alfonso endlich, fuhr aber fort: „Mit anderen Mitteln werden wir ihn schon zum Sprechen bringen.“ Lopez Almeira legte eiserne Platten, ähnlich denen der Daumenschrauben, um die Waden des Gefangenen. Langsam drehte er die Schrauben zu. Das Metall preßte sich auf die Schienbeine, und der Mann begann nach einer Weile wie ein Tier zu schreien. Es war schier unerträglich. Unvermittelt gebot der Jesuit Einhalt. „Er kreischt, als wäre er vom Bösen besessen“, sagte Vasco Almeira. „Ich habe bislang nur Hexen unter der Folter so schreien hören. Auf diese Weise werden wir nie erfahren, was wir wissen wollen. Solange Luzifer in ihm steckt, wird er lieber sterben, als mit uns zu reden.“ „Sie wissen, was zu tun ist, Pater.“ Dom Alfonso Cabrália zog den Degen und setzte die Spitze dem Malaien an die Kehle, in dessen Augen es wirr zu flackern begann.
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„Ja“, sagte er im Brustton der Überzeugung, „der Mann ist besessen.“ Vasco Almeira schlug das Kreuz in Richtung des Malaien, wandte sich brüsk um und verschwand für kurze Zeit nach nebenan. Man konnte hören, wie er mit Pater Cantino redete, der, wie alle anderen auch, vorerst in der Kommandantur untergebracht worden war. Geweihtes Wasser und geweihter Weihrauch waren in der abgebrannten Blockhütte aufbewahrt worden. Pater Cantino erhielt den Auftrag, einen neuen Vorrat von Bord der Karavellen herbeizuschaffen. Zwei Soldaten sollten ihn begleiten. Bis zum Liegeplatz der Schiffe war nicht mehr als eine dreiviertel Meile zurückzulegen. Niemand rechnete damit, daß jetzt, schon nach Mitternacht, noch ein übergriff der Malaien erfolgen könnte. Als Vasco Almeira wieder den Nebenraum betrat, brachte er ein kleines, silbernes Gefäß mit. Es enthielt heilige Hostien. Er nahm eine davon und hielt sie dem Malaien vor die Augen. Sofort begann dieser unruhig zu werden. Er warf den Kopf hin und her, als sträube sich etwas in ihm gegen den Anblick. „Öffnet ihm den Mund!“ forderte der Pater die Soldaten auf. „Was will er damit beweisen?“ murmelte Batuti. Der Gambiamann erhielt keine Antwort und erwartete wohl auch keine mehr, denn Almeira murmelte jetzt ein Gebet in lateinischer Sprache und schob dem Gefangenen die Hostie in den Münd. Die Soldaten ließen den Mann los, und prompt biß er zu, zermalmte die Hostie mit den Zähnen und spuckte beide Hälften aus. Almeira wurde blaß. Mit allen Anzeichen des Entsetzens wich er zurück, zerrte sich das Kruzifix vom Hals und hielt es abwehrend wie einen Schild vor sich. „Der Mann ist des Teufels“, stöhnte er. „Sperrt ihn wieder ein! Ich werde mich später mit ihm befassen.“ „Vielleicht wußte er nur nicht, was eine Hostie ist“, wandte der Seewolf ein.
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„Nein, nein, niemals!“ bellte der Pater. „Dieses Zubeißen, dieses rebellische Aufbäumen – die Reaktion war eindeutig.“ Zugleich musterte er Hasard derart eindringlich, daß unweigerlich der Verdacht wuchs, er könnte auch ihn vor die Inquisition stellen, wenn nur noch ein verräterisches Wort fiel. Jeder war verdächtig, der auch nur entfernt Partei für einen Überführten ergriff. Die Prozedur der Folter wiederholte sich. der zweite, dem sie zuteil wurde, ein schmächtiger Bursche, brach schon ohnmächtig zusammen, als ihm Lopez Almeira nach den Daumenschrauben die spanischen Stiefel anlegte. Auch ein Eimer Wasser, den die Soldaten langsam über ihn ausgossen, brachte ihn nicht wieder zur Besinnung. „Er entzieht sich der Hostie“, sagte Vasco Almeira verärgert, „Das bedeutet, daß ihn Luzifer noch nicht vollständig im Griff hat. Werft ihn trotzdem zu den anderen.“ Dom Alfonso zeigte erste Anzeichen von Ungeduld. Nervös knetete er seine Hände, kaute auf der Unterlippe und sagte schließlich scharf: „Es wird Zeit, daß Sie Ergebnisse vorweisen, Pater. Greifen Sie härter durch!“ „Sobald Bruder Cantino mit Weihwasser und Weihrauch zurück ist ...“ Dem dritten Gefangenen blieben zumindest die Daumenschrauben erspart. Lopez Almeira legte ihm gleich die spanischen Stiefel an und zog die Eisenplatten zusammen, bis der Malaie heulte und winselte und zur Überraschung aller hervorstieß: „Ihr seid Schweine, Ihr Ungläubigen! Allah möge euch für alle Frevel strafen!“ Er sprach Portugiesisch. Akzentbehaftet zwar, aber doch gut verständlich. „Sieh einer an.“ Dom Alfonso verdrehte überrascht die Augen. „Er versteht uns also. Diese Kerle haben es faustdick hinter den Ohren. Hängt ihn an die Decke!“ Sie zerrten den Mann von den Dielen hoch und stellten ihn auf seine zerschundenen Beine. Danach zurrten sie seine Füße zusammen, banden ihm die Hände auf den Rücken und verknoteten die Stricke um den Handgelenken mit einem Seil, das von
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einer an der Decke angeschlagenen Talje herabhing. Stöhnend sank der Malaie zu Boden, als ihn die Soldaten losließen. Er hatte nicht mehr die Kraft, sich auf den Beinen zu halten. „Rede, dann bleibt dir viel erspart!“ fauchte Cabrália. „Hört, Ihr Ungläubigen, was in der vierundvierzigsten Sure des Korans geschrieben steht: Der Lohn für böses Tun sei aber Böses in gleichem Maße, und wer vergibt und Frieden macht, dessen Lohn ist bei Gott..“ Der Malaie verstummte, als ihm Lopez Almeira die Faust ins Gesicht schlug. „Anfangen!“ bestimmte Dom Alfonso. Die Soldaten zogen den Gefangenen auf. Seine Arme streckten sich, er verlor den Boden unter den Füßen. Als würden ihm die Arme aus den Gelenken gerissen, begann er zu brüllen. „Nenne die Namen derer, die ihre Hand gegen Portugiesen erhoben haben!“ „Niemals, ihr Verfluchten ...“ Sie zogen ihn höher hinauf. Almeira hängte zudem einen großen Stein als Gewicht an seine Beine. Gequält biß sich der Malaie die Lippen blutig, um nicht zu schreien, aber das Stöhnen, das tief aus seiner Kehle drang, konnte er nicht unterdrücken. Lopez Almeira schlug mit dem Schaft einer Pike ans Seil. Die Erschütterung steigerte den Schmerz ins Unermeßliche. „Hurensöhne!“ keuchte der Gefangene. „Schweine!“ Pater Almeira schürzte die Lippen. Er gab seinem Bruder einen Wink, mit der Tortur aufzuhören. „Du bist überzeugter Moslem?“ fragte er lauernd. „Allah ist groß!“ Der Malaie schleuderte ihm den Satz voll Verachtung entgegen. Doch Vasco Almeira lächelte. „Du hast deine Strafe selbst bestimmt“, sagte er. „Du sprichst von Schweinen, ohne zu bedenken, daß die Tiere unrein sind. Für euch Moslems jedenfalls, die ihr Allah und seine. Großmut preist. Wie würde es dir gefallen, selbst unrein zu
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werden? Das Blut und die Haut eines Schweines sollen dich besudeln.“ * Lopez Almeira. fackelte nicht lange. Er ließ den Gefangenen ins Freie schaffen und befahl den Soldaten, das verendete Schwein zu häuten. Im Osten stand schon ein schmaler Silberstreif über dem Horizont. Der neue Tag würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. In spätestens einer Stunde ging die Sonne auf. Im Innern der Hütte hatte ein fürchterlicher Mief geherrscht. Die kühle Morgenluft vertrieb jedoch die Schläfrigkeit, die den Arwenacks allmählich zusetzte. Der eine oder andere hatte während der letzten Stunden zeitweise mit offenen Augen gedöst. Damit hatten sie das Verlangen nach Schlaf zwar zurückdrängen können, nur würde es irgendwann während:. des Tages umso stärker wieder durchbrechen. Die Männer hofften, daß sie sich dann wieder auf der Schebecke befanden. . Angewidert sah der Malaie zu, wie die Portugiesen das Schwein aufschlitzten und ihm Stück für Stück die Schwarte abzogen. Mehrmals versuchte er, sich abzuwenden oder wenigstens die Augen zu schließen, doch Lopez paßte höllisch auf, daß er nichts von dem dargebotenen Schauspiel versäumte. Jedesmal schlug ihm der Folterknecht mit der flachen Hand ins Gesicht. Endlich war die umständliche Prozedur des Häutens vorbei. „Dir bleibt die Schmach erspart, wenn du die Namen der Männer und Frauen nennst, die gegen uns aufsässig sind, und wenn du endlich deinem heidnischen Glauben abschwörst.“ Pater Almeira hielt dem Malaien das Kreuz hin. „Bekenne dich zu Jesus Christus, auf daß dir deine Sünden vergeben werden und du das ewige Leben erlangst.“ Der Gefangene schüttelte heftig den Kopf. „Niemals werde ich einem Propheten nachfolgen, dessen Diener Mohammed leugnen und Allah verachten.“
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Zwei Soldaten legten die Schweinshaut aus, während ein dritter den Malaien mit der Pike bedrohte. Sie grunzten spöttisch und herausfordernd und warfen dem Mann die Schwarte über die Schultern. Er zuckte entsetzt zusammen, aber die Fesseln erlaubten keine Gegenwehr. Außerdem verharrte die blattförmige, scharf geschliffene Spitze der Pike nach wie vor an seiner Brust. Die Portugiesen begannen mit dem Zunähen der Schweinehaut. Ihre Stimmung strebte plötzlich einem Höhepunkt entgegen. Vergessen schienen die Überfälle auf ihre Kameraden und die Brandsätze, sie lachten und spotteten über den wie versteinert wirkenden Malaien. „Die Haut paßt wie angegossen! Als wäre sie seine eigene!“ „Wer weiß, wenn er die Schwarte lange genug trägt, verwächst sie womöglich mit ihm!“ „Sobald die Sonne aufgegangen ist, treiben wir ihn durchs Dorf. Auf allen vieren natürlich! Wenn er nicht richtig grunzt, kann er was erleben!“ Mittlerweile hatten sich insgesamt fünfzehn Portugiesen eingefunden. Keiner wollte sich entgehen lassen, was mit dem Malaien geschah. Hasard nahm an, daß alle in der Mission auf den Beinen waren. „Ich denke“, sagte er zu seinen Begleitern; „wir haben die längste Zeit friedlich mit den Portus geredet.“ „Ein bißchen wenig Leute hier“, pflichtete Old Donegal bei. „Wenn ich nicht irre, hat Lopez von vierzig Kerlen geredet. Wo sind die anderen?“ „Du mußt die abziehen, denen die Malaien ...“ Der Profos beendete den Satz mit einem unverständlichen Laut und fuhr sich mit der Hand über die Kehle. „Bleiben immer noch mindestens doppelt so viele, wie hier versammelt sind“, sagte Jung Hasard. Sein Zwillingsbruder fügte hinzu: „Bilden sich die wirklich ein, unsere Schebecke kapern zu können?“ „Noch ist kein Schuß gefallen“, sagte Batuti. „Aber ich frage mich, ob unsere Gastgeber tatsächlich die Katze aus dem
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Sack lassen, oder ob sie es sich anders überlegt haben. Immerhin stecken sie ganz schön in Schwierigkeiten.“ Bob Grey deutete nach Osten, wo sich die Mastspitzen der vor Anker liegenden Karavellen vor der Morgendämmerung abzeichneten. „Die Schiffe greifen vorerst noch nicht an“, sagte er. „Bei der Gelegenheit: was glaubt ihr, ist aus dem buckligen Pater Cantino geworden?“ Er hatte noch mehr sagen wollen, kniff dann aber die Augen zusammen und blickte verunsichert zu einer Gruppe großer Bäume hinüber. Im Astwerk eines von ihnen war eine stete Bewegung zu erkennen. „Das ist kein Tier, eher ein Fetzen Stoff.“ „Eine Mönchskutte“, sagte Batuti. „Cantino!“ Carberry fuhr sich schon wieder über die Kehle. Es sah so aus, als hätte er keineswegs unrecht. Pater Almeira war 'mittlerweile aufgefallen, daß etwas nicht stimmte. Als er den Blick Hasard zuwandte, deutete der auf die gut zweihundert Yards entfernte Baumgruppe. Almeira zuckte merklich zusammen. Er informierte Dom Alfonso, und Augenblicke später herrschte vor der Kommandantur Grabesstille. Niemand spottete mehr über den in die Schweinehaut eingenähten Malaien. Wenn die Einheimischen Pater Cantino und seine Begleiter ermordet hatten, war das eine Ungeheuerlichkeit. „Wer das Schwert wählt, wird durch das Schwert sterben!“ rief Diogo Goncalves aufgebracht. Sie liefen los. Aus der Nähe konnten sie erkennen, daß tatsächlich Cantinos Kutte in der Baumkrone flatterte. Der erste Soldat lag erschlagen dreißig Schritte vor der Baumgruppe. Spuren eines Kampfes waren nicht zu erkennen. Der Überfall mußte so überraschend erfolgt sein, daß die Portugiesen keine Zeit zur Gegenwehr gefunden hatten. Der Tote lag bäuchlings im Gras. Dom Alfonso selbst drehte ihn auf den Rücken. Die Pistole, Kugelbeutel und Pulverflasche
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waren verschwunden. Natürlich fehlte auch die Pike. „Verdammt!“ entfuhr es Cabrália. „Die Bedrohung durch die Moslems wächst mit jeder Stunde. Aber diesmal gibt es kein Pardon. Sie werden ihr Tun bitter bereuen.“ Dem zweiten von Cantinos Begleitern war es nicht anders ergangen –er lag ebenfalls mit eingeschlagenem Schädel im Gras. Nur starrte er aus weit aufgerissenen Augen anklagend in den Himmel. Der bucklige Pater Cantino selbst saß zwischen den Wurzeln eines Baumes, mit dem Rücken an den Stamm gelehnt. Die Hände hatte er friedlich im Schoß liegen. Auf den ersten Blick konnte man glauben, er döse nur. Doch Cantino war nackt, und in seinen Oberkörper war ein blutiges Kreuz eingeritzt. „Diese Hunde!“ schnaubte Vasco Almeira in heiligem Zorn. „Für das, was sie getan haben, gibt es keine Entschuldigung mehr!“ Pater Cantino war weder erschlagen, noch erdolcht worden. Seine weit aus den Höhlen hervorgequollenen Augen, die verkrampften, beinahe schon zu Klauen geformten Finger und seine unnatürliche Gesichtsfarbe deuteten auf einen Erstickungstod hin. An seinem Hals waren allerdings keine Würgemale zu erkennen. Unvermittelt faßte Lopez Almeira zu, öffnete den Mund des Toten und zog zwischen den Zahnstummeln dessen Kruzifix und Rosenkranz hervor. „Herr, sei ihm gnädig“, stammelte Goncalves. „Veni, Creator Spiritus“, leierte Vasco Almeira. „Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist.“ Der Wind trug von See her das Dröhnen eines Drehbassenschusses heran. Gleich darauf war das Blaffen von Musketen zu vernehmen. 7. Über Langeweile konnten sich die an Bord der Schebecke zurückgebliebenen Männer nicht beklagen. Es gab noch genügend
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Kleinigkeiten zu reparieren oder aufzuklaren. Als dann überraschend der Regen losprasselte, war erst die Hälfte der Culverinen mit wasserdichten Persennings abgedeckt. Die anderen kriegten mehr Nässe ab, als dem Stückmeister recht sein konnte, und als sich die Regenwolken wieder verzogen hatten, sahen die Arwenacks einen mürrischen Al Conroy damit beschäftigt, das klamm gewordene Pulver aus den Rohren zu kratzen. „Ich traue den Portugiesen nicht über den Weg!“ schimpfte er. „Die schlagen los, wenn keiner damit rechnet!“ Al setzte auch gleich neue Ladungen, die er sorgfältig verdämmte. Obwohl der Himmel zur Zeit keine weiteren Wolkenbrüche erwarten ließ, deckte er alle Geschütze ab. Der erste Alarmruf erfolgte bald nach Einbruch der Nacht. Die Männer der Freiwache hatten noch nicht viel mehr als eine Mütze voll Schlaf erwischt. An Land brannte es. Mehr als der Glutschein war jedoch nicht zu erkennen. Ben Brighton, der Erste Offizier, ordnete vorsorglich Gefechtsbereitschaft an. Den Gedanken, mit der zweiten Jolle an Land zu pullen, verwarf er rasch wieder. Hasard hatte unmißverständliche Befehle erteilt. Außerdem lagen die Karavellen unverändert in der Flußmündung vor Anker. Als nach einer Stunde nur noch ein schwacher Widerschein erlöschender Glut zu sehen war, schickte Ben Brighton die Crew wieder in die Kojen. Lediglich eine auf fünf Mann verstärkte Wache blieb an Deck. Die Schebecke war um den Buganker geschwoit und lag jetzt quer zur auflaufenden Strömung. Ein stetes, jedoch ungefährliches Rollen des Schiffes war die Folge, begleitet von einem unablässigen Schmatzen, Schlürfen und Gurgeln entlang der Wasserlinie. Old Donegal hätte sicherlich behauptet, daß zu dieser Stunde Meermänner und Nixen herumtollten. Danach blieb alles ruhig.
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Auf der Schebecke waren die Positionslaternen gesetzt. Im fahlen Widerschein auf den Wellen sahen die Wachen hin und wieder die silbrig schimmernden Leiber großer Fische, die von der Helligkeit angelockt wurden. Der Wachwechsel erfolgte pünktlich. Dan O'Flynn enterte aus dem Ausguck im Großmast ab und übergab sein Spektiv an Sam Roskill. „Einen Traum hatte ich“, sagte der ehemalige Karibikpirat, „einfach wundervoll. Erinnerst du dich noch an die Sache auf Havanna?“ „An den Galgen?“ fragte Dan zurück. „Dein Hals steckte schon ganz schön tief in der Schlinge.“ Sam winkte ab. „An Irene Hardenberg und Maria Orlando, diese gerissenen Frauenzimmer. Obwohl sie Biester waren, hatten sie doch etwas Unwiderstehliches an sich.“ Dan O'Flynn grinste schräg. „Enter auf“, sagte er, „und sieh zu, daß du dich in der Tonne abkühlst. Ich nehme an, die beiden Weiber haben dich in deiner Koje belästigt.“ „So ungefähr, Junge ...“ „Träum weiter!“ riet Dan, wohl wissend, daß Sam alles tun würde, nur das nicht. Zugegeben, er war ein Draufgänger und Frauenheld, aber wenn er Wache ging, war für ihn jede Ablenkung tabu. Kurz nach sieben Glasen entdeckte Sam Bewegung am Strand. Zuerst war er sich seiner Sache nicht völlig sicher, denn er konnte ebenso gut ein Tier bemerkt haben, doch nach einer Weile sah er zwei Gestalten im Wasser. Sie schwammen auf die Schebecke zu. Sam enterte zur Kuhl ab. „He!“ erklang es wenig später von außenbords. „He, ihr Engländer!“ Der Unbekannte sprach Portugiesisch, wenn auch mit einem schweren Akzent. Smoky beugte sich über die Verschanzung und rief nach unten. „Wer seid ihr?“ Außer zwei dunklen Haarschöpfen konnte er herzlich wenig erkennen. Der Lichtschein der Laternen reichte nicht bis auf die Wasseroberfläche längs der Back.
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„Maran Yeh und ein Freund“, lautete die unerwartete Antwort. Das war in der Tat eine Überraschung. Die fünf Arwenacks blickten sich an, als hätten sie einen Geist gesehen. „Ausgerechnet jetzt ist der Profos nicht da“, murmelte Bill. „Was will der Kerl?“ fragte Smoky. „Holt ihn rauf! Den anderen auch“, sagte Nils Larsen. „Gegen eine feuerbereite Muskete können beide nichts ausrichten.“ Shane warf die Jakobsleiter aus, während Bill unter Deck eilte, um Ben Brighton zu wahrschauen. Maran Yeh schwang sich als erster übers Schanzkleid. Sein Begleiter war knapp eine Handbreite größer als er, aber von ähnlich hagerer Statur. Yeh wechselte einige Sätze in seiner Muttersprache mit dem anderen Mann, der daraufhin erklärte: „Maran bittet mich, Ihnen zu sagen, daß wir hier sind, um Sie zu warnen.“ „Warnen?“ wiederholte Shane. „Vor was?“ „Die Portugiesen werden angreifen.“ „Deshalb kommt ihr zu uns?“ Ben Brighton erschien auf der Kuhl. Er hatte gehört, was der Malaie sagte. „Maran Yeh hat nicht gerade angenehme Erinnerungen hinterlassen.“ Wieder redeten die beiden Malaiisch. Yeh verbeugte sich danach knapp vor dem Ersten Offizier. „Mein Freund Maran sagt, es tut ihm leid. Sie haben ihn gerettet, aber er dachte, Engländer sind wie Portugiesen. Den Irrtum hat er mittlerweile eingesehen. Zumal ihm der Senhor Capitan wieder geholfen hat. An Land. Ein Soldat wollte Maran erschießen, aber der Capitan schlug ihm die Pistole aus der Hand.“ „Und dafür haben ihn die verdammten Portus hoppgenommen ...?“ „Was?“ „Gefangen“, berichtigte sich der Erste. Der Malaie schüttelte den Kopf. „Engländer und Portugiesen gut miteinander. Aber Portugiesen sind falsch. Sie wollen Schiff vor Morgengrauen überfallen.“
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Ben Brighton verschränkte die Arme vor der Brust und musterte die Wachgänger. Sie waren skeptisch und hatten sich inzwischen so über das Deck verteilt, daß sie gleichzeitig die Malaien und die nähere Umgebung im Auge behalten konnten. Anschließend sagte er: „Mich interessiert, woher ihr euer Wissen bezieht.“ „Wir haben Soldaten belauscht und einen ihrer Mönche. Sie sollten den Männern auf den Schiffen den Befehl bringen, zu dem englischen Dreimaster zu schwimmen und vor Sonnenaufgang anzugreifen. Andere Soldaten von Land lenken Aufmerksamkeit ab.“ Smoky stieß einen halblauten Pfiff aus. „Das klingt glaubwürdig“, sagte er. „Mit einer ähnlichen Schweinerei haben wir ja schon gerechnet.“ Er wandte sich an den Malaien: „Die Soldaten und der Mönch sind zu den Schiffen gegangen?“ „Sie sind tot.“ Keiner fragte nach dem Wie. Ben Brighton streckte den dunkelhäutigen Männern die Hand hin. Sie kannten die Geste und schlugen ohne zu zögern ein. Beider Händedruck war hart, aber herzlich. Danach redeten sie über die Verhältnisse an Land. Die Arwenacks erfuhren manches, was sie zwar geahnt, aber doch bislang nicht bestätigt gefunden hatten. Die einheimischen Fischer und Bauern hätten die Portugiesen lieber heute als morgen vertrieben, nur waren sie bislang zu schwach gewesen. Deshalb hatten sie eine Taktik der Nadelstiche angewandt, die ihnen jedoch mehr schadete als nutzte. Wahrscheinlich sahen sie nun auch eine Chance, Engländer und Portugiesen gegeneinander auszuspielen, und das war ihnen nicht mal zu verübeln. „Wir können also davon ausgehen, daß wir demnächst angegriffen werden“, sagte Sam Roskill. „Wenn auch nicht von den beiden Karavellen, so doch zumindest von Land her. Ein kleines Feuerwerk ist unvermeidlich, und spätestens dann haben wir die gegnerischen Schiffe am Hals. Abgesehen davon sollten wir Hasard
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rechtzeitig informieren. Zwei oder drei von uns müssen ins Dorf ...“ „Nicht die Ingles sondern wir“, sagte der Mann, dessen Namen sie nicht kannten. Trotzdem fragte keiner danach. Es tat auch herzlich wenig zur Sache. Bis die Malaien wieder von Bord gingen, hatte sich die gesamte Crew an Deck versammelt. Handfeuerwaffen wurden ausgegeben und die Dochte der Positionslaternen zurückgeschraubt. Zuviel Helligkeit blendete jeden, der in die Nacht oder auch die beginnende Morgendämmerung blickte. Al Conroy klarierte die Drehbassen der Steuerbordseite. Für gewöhnlich gingen ihm die Zwillinge zur Hand, diesmal sprangen Bill und Clinton Wingfield ein. Der Moses arbeitete schnell und umsichtig. Wahrscheinlich hätte er mit dem schwenkbaren Geschütz auch dann gute Treffer erzielt, wenn er allein auf sich gestellt gewesen wäre. Die Sterne begannen zu verblassen. Im Osten zeigte sich der erste Hauch des neuen Tages. „Die Portugiesen sind da!“ meldete Dan O'Flynn im Flüsterton. Zwei Boote – wahrscheinlich waren sie weiter nördlich zu Wasser gelassen worden – trieben vor dem Wind auf die Schebecke zu. Die Bootsgasten pullten zudem kräftig. Die Arwenacks lagen in Deckung. Bis zuletzt sollten die Angreifer glauben, daß sie leichtes Spiel hätten. Al Conroy kauerte unter der Bugdrehbasse am Schanzkleid. Nur zweimal spähte er über den Handlauf hinweg, danach versuchte er, von unten her das Geschütz auszurichten. Er würde feuern, sobald die Portugiesen bis auf fünfzig Yards heran waren. Da ihre Musketenschützen die Waffen im Anschlag hielten, durfte er sich keinesfalls vorher zeigen. Es war anzunehmen, daß die Angreifer nicht nur Löcher in die Luft schießen würden. „Ob sie sich schon wundern, wo die Verstärkung bleibt?“ raunte Ben Brighton. „Wenn die Malaien nicht gelogen haben,
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warten die Mannschaften beider Karavellen noch auf ihren Einsatzbefehl.“ Al Conroy wedelte mit der glimmenden Lunte. „Das hängt davon ab, wann die toten Soldaten und der Mönch entdeckt wurden. Vielleicht bricht jeden Moment der Teufel los.“ Noch hundert Yards Distanz zu den Jollen. Al blies auf die Glut, die an einer schadhaften Stelle der Lunte zu erlöschen drohte. Augenblicke später war das Glimmen wieder gleichmäßig. Roger Brighton, Matt Davies, Stenmark und Blacky standen bereit, um mit der zweiten Jolle an Land zu pullen. Von den Einheimischen hatten sie wohl nichts zu befürchten, aber vielleicht war Hasard auf Ersatz angewiesen, was nicht bedeutete, daß die Arwenacks den beiden Malaien mißtrauten. Doch mitunter war es besser, alle Wenn und Aber zu kalkulieren. Noch achtzig Yards ... Al Conroy hatte Bleischrot als Ladung gesetzt. Die Portugiesen in den Booten würden glauben, daß ein Hagelschauer über sie hinwegfegte. Die Jollen drifteten weiter auseinander. Al konnte nicht länger warten. Er mußte aus der Deckung hoch, um das vordere Boot genau ins Visier zu nehmen. Die Portugiesen bemerkten ihn, als er die Lunte aufs Zündloch senkte. Zwei oder drei von ihnen feuerten die Musketen ab. Im selben Moment entlud sich die Drehbasse mit hellem Dröhnen. Der Stückmeister spürte, daß etwas siedend heiß an seiner Schläfe entlangschrammte. Da war ein kurzer, brennender Schmerz, und als er mit den Fingern die Stelle berührte, fühlte er sie klebrig werden. Blut rann über seine Wange. Er war um Haaresbreite dem Sensenmann von der Klinge gesprungen. Entweder war eine Musketenkugel so genau gezielt gewesen, oder das Blei war als Querschläger von der Drehbasse abgeprallt. Die glimmende Lunte mit der hohlen Hand vor einem allzu starken Luftzug schützend,
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lief Al nach Backbord hinüber. Nur flüchtig registrierte er, daß seine Ladung voll ins Ziel gegangen war. Die Jolle sah aus, als habe jemand mit einer Axt wahllos den Bug und eine Längsseite eingekerbt. Einige Portugiesen trieben reglos im Wasser, andere suchten an dem Bootswrack Halt, erreichten aber nur, daß es umso schneller sank. Geschossen wurde auf beiden Seiten. Die zweite, mit acht Soldaten besetzte Jolle, drehte keineswegs ab. Die Kerle mußten verrückt sein, sich jetzt noch auf einen Enterkampf einzulassen. Oder sie glaubten wirklich, daß die Unterstützung nahe wäre. Immerhin lastete die Dunkelheit noch über der Küste. Al Conroy jagte die zweite Drehbassenladung aus dem Rohr. Dutzende winziger Fontänen stiegen vor dem Boot aus der See. Der Kerl im Bug, der eben seine Muskete nachgeladen hatte, warf die Arme in die Höhe und kippte lautlos vornüber. Es war ein gespenstischer Anblick, . zumal er zwischen die Riemenblätter geriet und die Jolle deshalb aus dem Kurs driftete. Aber erst als zwei weitere Bootsgasten getroffen zwischen den Duchten zusammensanken, hatten die anderen endgültig genug und sprangen über Bord. Al Conroy hatte hinreichend Zeit, ein neues Kammerstück einzusetzen. Er wählte eine Vollkugel, die er auf die Distanz von noch dreißig Yards durch die Planken der Jolle jagte. Gierig ergoß sich die See durch das ausgezackte Loch. Natürlich waren die Schüsse von den Wachen auf den Karavellen gehört worden. Die Arwenacks sahen, daß eine halbe Meile entfernt Laternen aufflammten. Allem Anschein nach wußten die Mannschaften noch nicht recht, was geschehen war. Aber schon kurz darauf erkannte Dan O'Flynn durchs Spektiv, daß auf beiden Schiffen Vorbereitungen zum Auslaufen getroffen wurden. Als dann die Laternen erloschen, war klar, daß die Portugiesen angreifen würden.
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Die Arwenacks holten den Anker auf und setzten Fock und Großsegel. Etliche Pützen Seewasser wurden über die Planken der Kuhl ausgekippt. Mindestens ebensoviel Sand folgte. Dann entzündete Al Conroy die bereitstehenden Kohlebecken. Er ließ die Culverinen beider Breitseiten ausrennen, als die Schebecke vor den aus Nordnordwest wehenden Wind drehte. „Al“, erkundigte sich der Erste Offizier wie beiläufig, „wie gut sind deine Gehilfen?“ Der Stückmeister ahnte, welchen Plan Ben Brighton verfolgte. Nachdenklich auf der Unterlippe kauend, blickte er zu den Karavellen hinüber, die hart am Wind in einer zangenförmigen Bewegung versuchten, die Schebecke von zwei Seiten anzugreifen. „Bill ist nicht schlecht, und Clinton will seine Fähigkeiten schon lange unter Beweis stellen. Entscheidend dürfte aber sein, daß die Portugiesen bis zuletzt nicht glauben werden, daß wir zwischen ihnen durchbrechen.“ Genau das hatte der Erste Offizier hören wollen. 8. Dorn Alfonso Cabrália wuchtete eine Pfunde herum. Für einen Moment lauschte er dem Klang der Schüsse, und sein Blick pendelte irritiert zwischen den erschlagenen Soldaten und den Mastspitzen der in der Flußmündung ankernden Karavellen hin und her. Dann zog er mit einer Schnelligkeit, die ihm keiner der Arwenacks zugetraut hätte, seinen Degen und setzte die Klinge Hasard auf die Brust. „Warum schießen Ihre Leute, Killigrew“, fragte er fauchend. „Ich verlange eine Erklärung.“ Die Soldaten umringten die Arwenacks, die keine Gelegenheit erhielten, ihre Waffen zu ziehen. „Vielleicht wurde Ihr Intrigenspiel durchschaut, Dom Alfonso“, erwiderte der Seewolf ruhig. „Was glauben Sie, werden
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meine Männer mit Ihnen anstellen, wenn Sie nur einem von uns ein Haar krümmen?“ Seine Gelassenheit verunsicherte den anderen. „Sie ziehen Ihnen die Haut in Streifen ab“, sagte Carberry grollend. „Am Achtersteven angefangen.“ Im selben Atemzug wandte er sich an Pater Almeira: „Ich kenne nicht viele Bibelstellen, aber eine haftet mir im Gedächtnis. Da sagt nämlich David zu dem Philister Goliath: Du kommst zu mir mit Schwert, Lanze und Spieß, ich aber komme zu dir im Namen des Herrn, den du verhöhnt hast. Heute wird dich der Herr in meine Hand geben.“ „Abführen!“ schrie Dom Alfonso Cabrália. „Und besonders gut bewachen! Vielleicht brauchen wir diese Ketzer noch lebend.“ Er schien sich vor Lachen ausschütten zu wollen, doch das Gelächter blieb ihm im Hals stecken. Ein einziger Schuß fiel. Niemand hätte zu sagen vermocht, von wo. Erstaunt riß Dom Alfonso die Au- gen auf. Ein Stammeln drang über seine Lippen. Der Degen in seiner Rechten begann zu zittern. Mit der Linken faßte er sich an die Brust und starrte, als er die Hand zurückzog, die blutigen Finger an, als könne er nicht begreifen, was geschah. Dann stach er zu. Aber Hasard wich noch schneller zur Seite, umklammerte sein Handgelenk und zog ihn wie einen Schild vor sich. Nicht einen Lidschlag zu spät, denn einer der Soldaten drang ebenfalls auf ihn ein. Die Klinge, die eigentlich dem Seewolf zugedacht war, bohrte sich zwischen Dom Alfonsos Rippen, und der Mann, der das getan hatte, erschrak schier zu Tode. Er war nicht mal mehr fähig, den Hieb abzuwehren, den Hasard mit dem Degen des Offiziers führte. Ringsum brach ein unbeschreiblicher Tumult los. Da fiel es kaum noch auf, daß sich Old Donegal unsanft auf den Hintern setzte. Er hatte die Prothese angewinkelt und den Kerl, der ihn mit der Pike bedrohte, aus nächster Nähe erschossen. So schnell hatte der Portugiese gar nicht begreifen können, daß das Holzbein Pulverdampf und Blei ausspie.
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Carberry Und Batuti kämpften Rücken an Rücken. Der Profos packte eine Pike unterhalb der Spitze und schüttelte den am anderen Ende hängenden Soldaten wie eine überreife Frucht. Der Mann versuchte verzweifelt, den Bärenkräften des Profosen zu widerstehen, doch als ihn Carberry zu sich heranzog und ihm den Profoshammer verpaßte, streckte er alle viere von sich. Batuti -hatte ebenfalls eine Pike erbeutet, hielt sie an beiden Enden und parierte die wütenden Degenhiebe eines Soldaten. Im nächsten Moment faßte er den Schaft wie eine Keule und hieb seinem Gegner das andere Ende um die Ohren, daß dem Kerl Hören und Sehen verging. Da der Messerwerfer Bob Grey und Jung Hasard nicht untätig blieben, waren von fünfzehn Portugiesen acht innerhalb weniger Augenblicke kampfunfähig oder gar tot. Philip griff sich Pater Almeira und zog ihm die Kutte um den Hals zusammen, bis er keuchend nach Luft rang. „Mistkerle seid ihr alle!“ fauchte Philip. „Nennst du das Nächstenliebe? Jetzt beweg dich, mein Freund, oder ich mache dir Beine!“ Drüben bei der Kommandantur wurde ebenfalls gekämpft. Malaien stürmten von allen Seiten heran. Die meisten trugen Knüppel oder Säbel, aber einige hatten schon Piken, Degen und Pistolen erbeutet. Wie sie damit umgingen, sah zum Teil bedrohlicher aus, als es tatsächlich war. Dennoch streckten die letzten Soldaten die Waffen. Der Übermacht hatten sie wenig entgegenzusetzen. Zwei Malaien näherten sich dem Seewolf. Einer von ihnen war Maran Yeh. Lachend und stolz präsentierte er eine erbeutete Muskete. Offenbar führte er die aufständischen Malaien an, denn die Männer begegneten ihm mit sichtlichem Respekt. Zumindest hatte es für die Arwenacks den Anschein. Maren Yeh redete gestenreich auf Hasard ein. Der Seewolf verstand so gut wie nichts. Nur das Wort Mönch fiel mehrmals.
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„Die Karavellen laufen aus, Sir!“ rief Bob Grey. „Wir müssen zur Schebecke zurück.“ In dem Moment sagte Yehs Begleiter: „Der Mönch ist unser Gefangener.“ Jung Philip, der Vasco Almeira immer noch fest an sich zog, schüttelte den Kopf. Er hatte gesehen, wie der Dominikaner Goncalves geflohen und von den aufgebrachten Malaien niedergeknüppelt worden war. Wahrscheinlich hatten die Fischer und Bauern für Almeira kein anderes Schicksal vorgesehen. Der Jesuit mochte noch soviel Schuld auf sich geladen haben, dem sicheren Tod konnte er ihn dennoch nicht überantworten. „Sie sollten auf ihr Schiff zurückkehren, Senhores.“ „Genau das haben wir vor“, erwiderte Hasard. Maran Yeh legte die Muskete auf ihn an. Seine fordernde Geste war unmißverständlich. Hasard schüttelte den Kopf. Er wandte sich an den anderen Mann. „Sag Yeh, daß ich unter diesen Umständen bedauere, ihm das Leben gerettet zu haben. Ein drittes Mal werde ich es nicht tun.“ „Dieser Mönch“, anklagend deutete der Malaie auf Almeira, „hat Leid und Tränen über unser Dorf gebracht. Was verlangst du für ihn?“ „Daß er am Leben bleibt.“ Die Malaien redeten heftig aufeinander ein. Endlich nickte Yeh. „Gut“, sagte sein Begleiter. „Er wird leben.“ „Tun Sie das nicht, Capitan“, ächzte Almeira, nach Luft ringend. „Trauen Sie diesen Wilden nicht, die bringen mich um, sobald Sie ihnen den Rücken kehren.“ Hasard bedeutete seinem Sohn Philip, daß er den Pater loslassen solle. Der Jesuit war viel zu verblüfft, als daß er an Flucht gedacht hätte. Vielleicht fürchtete er aber auch, daß ihn Maran Yeh sofort erschießen würde. Doch danach sah es nicht aus. Die Malaien fesselten ihm lediglich die Hände auf den Rücken und stießen ihn zu den anderen Gefangenen.
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Für einen Moment stellte sich ihm Old Donegal in den Weg. Der Alte packte den Mönch am Kragen und sagte: „Meinst du, daß ich Gefallen habe am Tode des Gottlosen, spricht Gott der Herr, und nicht vielmehr daran, daß er sich bekehrt von seinen Wegen und am Leben bleibt?“ Kanonendonner hallte von See heran. Die Karavellen hatten Segel gesetzt und waren aus der Sicht der Arwenacks verschwunden. Für einen Moment hielt Carberry den Kopf schief und lauschte. „Das waren die Portugiesen“, sagte er. „Jetzt sollten eigentlich unsere Leute eine Breitseite abfeuern.“ Er hatte kaum zu Ende gesprochen, da senkte sich ein Dröhnen über das Dorf, als wolle die Erde aufbrechen. Sogar die Luft schien zu erzittern. „Na also.“ Carberry lachte und rieb sich erwartungsvoll die Pranken. „Wir müssen uns beeilen, Sir, sonst bleibt für uns nur noch Kleinholz.“ Sie liefen los. Niemand behinderte sie. Die Jolle lag hoffentlich noch am Strand, wo sie sie am späten Nachmittag zurückgelassen hatten. Erwartungsvoll lauschten die Männer den Geräuschen des Seegefechts. Sie glaubten, Planken und Spieren splittern zu hören, aber solange sie sich noch hinter dem Hügel befanden, konnten sie nichts erkennen. Endlich wurden die Mastspitzen der drei Schiffe sichtbar. Eins von ihnen hatte Feuer gefangen. Rauch stieg auf. Nur Philip Hasard Killigrew war mit seinen Gedanken schon ein Stück weiter. Er hatte gehofft, von den Portugiesen mehr über die Verhältnisse vor den Küsten der Halbinsel Malakka und weiter nach Osten zu erfahren. Doch die sich zuspitzenden Ereignisse hatten ihm keine Chance gelassen, seine Fragen so unverfänglich zu stellen, daß ihm die Portugiesen nichtsahnend die gewünschten Auskünfte gaben. Es hatte ein Versuch sein sollen, mehr nicht. Daß er erfolglos geblieben war, würde vielleicht schon in einigen Tagen bedeutungslos sein. Wieder dröhnten Schiffsgeschütze.
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„Das waren unsere Culverinen“, behauptete Old Donegal, der Mühe hatte, mit den anderen mitzuhalten. Sie erreichten die Hügelkuppe. Vor ihnen lagen der Strand und die weite Bucht, noch nicht in ihrer vollen Ausdehnung überschaubar, doch die kurze Zeit zwischen Tag und Nacht hatte begonnen. Die Sonne würde jeden Moment aufgehen. * Die Kapitäne beider Karavellen glaubten tatsächlich, die Schebecke abfangen zu können. Mit größer werdender Distanz zueinander und hoch am Wind, segelten sie den Arwenacks entgegen. Sie hatten Vollzeug gesetzt, und die Mündungen ihrer Kanonen ragten wie gefräßige Mäuler aus den blutrot gestrichenen Stückpforten hervor. Das über Steuerbordbug landwärts segelnde Schiff geriet sehr schnell in Bedrängnis. Bis endlich die Segel herumgeholt wurden und der Bug durch den Wind ging, war wohl kaum noch genügend Wasser unter dem Kiel. Wie ein Habicht stieß die Schebecke zwischen beide Schiffe. Die Portugiesen eröffneten das Feuer, aber nur der in Luvposition stehende Gegner brachte einige gut gezielten Schüsse an. Mitten im Focksegel erschien plötzlich, wie hineingestanzt, ein mehr als kopfgroßes Loch. Da das Tuch standhielt und nicht einriß, waren keine weiteren Schäden zu verzeichnen. Die anderen Kugeln ließen lediglich mehr oder weniger große Wassersäulen vor dem Bug aus der See aufsteigen. Auf der landwärts segelnden Karavelle hatte die Mannschaft mit der Wende alle Hände voll zu tun. Außerdem war der Winkel zur Schebecke so spitz, daß die Geschütze nicht schnell genug ausgerichtet werden konnten. Lediglich zwei oder drei Schüsse fielen von der Seite und schlugen weit vor dem Mittelmeer-Dreimaster ins Wasser. Bei einer Distanz von noch knapp hundert Yards senkte Al Conroy die Lunte auf die
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erste Backbordculverine. Ohne die Wirkung des Schusses abzuwarten, wandte er sich dem zweiten Geschütz zu. Bill und Clinton Wingfield gingen nicht anders vor. Von sechs Kettenkugeln klatschte nur eine einzige wirkungslos ins Wasser, und auch sie lag lediglich zwei Yards vor dem Rumpf. Die anderen schlugen mit verheerender Gewalt ein. Nahezu auf die gesamte Länge wurde die Karavelle aufgerissen. Zwei Stückpforten verwandelten sich in düster gähnende Höhlungen, in denen die Glut aus umgestürzten Kohlebecken rasch Nahrung fand. Al Conroy hatte die Culverinen so ausgerichtet, daß keiner der Einschläge über dem Schanzkleid lag. Ein Pulverfäßchen explodierte mit ohrenbetäubendem Dröhnen. Die Druckwelle zerfetzte nicht nur Teile der Verschanzung, sondern fegte mindestens ein halbes Dutzend Decksleute von der Kuhl ins Wasser. Im Nu züngelten Flammen an der Takelage hoch. Das Wendemanöver geriet ins Stocken und drohte zum Desaster zu werden. Die Karavelle stand plötzlich im Wind, die Segel begannen zu killen, und dann driftete sie achteraus, genau auf eine gut erkennbare Sandbank zu. Niemand an Bord schien in der Lage zu sein, das drohende Auflaufen noch verhindern zu können. Auf der Schebecke lag mittlerweile das Ruder zwei Strich Backbord. Die Arwenacks sahen, daß die Portugiesen verzweifelt versuchten, ihre Geschütze nachzuladen. Aber zaubern konnten die Seesoldaten gewiß nicht. Die heißen Rohre mußten erst abgekühlt und ausgeputzt werden, ehe neues Pulver eingebracht werden durfte. Mit beachtlicher Fahrt lief die Schebecke auf Passierkurs an der zweiten Karavelle vorbei. Sie befanden sich ungefähr auf gleicher Höhe, als Al Conroy sagte: „Jetzt!“ Die Folgen waren ähnlich verheerend wie Augenblicke zuvor für das andere Schiff. In das Aufbrüllen der Culverinen mischte
Jan J.Moreno
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sich das Splittern und Bersten von Holz. Sechs Einschläge lagen über das Schiff verteilt. Ein Trümmerregen ging auf die See nieder. Der Vormast splitterte ungefähr in Mannshöhe und kippte in einem Gewirr brechender Stagen und Pardunen nach Backbord. Das Segel senkte sich wie ein Leichentuch übers Vorschiff. Zwei Geschütze ragten plötzlich seltsam verdreht himmelwärts, und während an den übrigen Stücken die Mannschaften noch mit dem Laden beschäftigt waren, regte sich bei ihnen nichts mehr. „Ruder Steuerbord!“ befahl Ben Brighton. „Ruder liegt Steuerbord!“ meldete Piet Straaten Augenblicke später. Mit majestätisch geschwellten Segeln zog die Schebecke hinter dem halb abgewrackten Zweimaster vorbei. Einige Schüsse, die den Arwenacks noch galten, verloren sich wirkungslos in der Hecksee. Die Portugiesen hatten genug. Die eine Karavelle war tatsächlich aufgelaufen, und
Mit Feuer, Schwert und Kruzifix
die Flammen griffen schon auf die Segel über. Alle Löschversuche mußten vergeblich bleiben, zumal das Feuer inzwischen auch von der Kuhl aufs Achterdeck übergegriffen hatte. Das andere Schiff fiel hinter der Schebecke ab und ging vor dem Wind auf Südostkurs. Es war offensichtlich, daß die Mannschaft jede weitere Gefechtshandlung vermeiden wollte. Die Arwenacks schickten ihnen ein lautes Siegesgeheul hinterher. Dan O'Flynn beteiligte sich nicht daran. Suchend blickte er durchs Spektiv zur Küste. „Da sind Hasard und die anderen!“ rief er freudig erregt. „Sie pullen durch die Brandung, als gelte es, einen Rekord aufzustellen!“ Al Conroy kratzte sich erst am Hinterkopf und zuckte danach mit den Schultern. „Sie haben nichts versäumt“, sagte er. „Das Geplänkel eben war doch kaum der Rede wert. Aber vielleicht ändert sich das, wenn wir weiter Kurs Malakka segeln ...“
ENDE