Ren Dhark®
Der Bitwar-Zyklus Band 2
Nach dem Inferno
Herausgegeben von
HAJO F. BREUER
Scan: Puckelz
K-Leser: CC
Layout: Puckelz
! Ein Universum Release, nur für den internen Gebrauch!
HJB®
Nach dem Inferno
von ALFRED BEKKER (Kapitel 1 bis 3,5,7) WERNER K. GIESA (Kapitel 9,11,13,15) UWE HELMUT GRAVE (Kapitel 4,6, 8,10,12,14) CONRAD SHEPHERD (Kapitel 16 bis 20)
und
HAJO F. BREUER
(Expose)
1. Auflage HJB Verlag & Shop KG
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© REN DHARK: Brand Erben
Herausgeber: Hajo F. Breuer
Titelbild: Ralph Voltz
Druck und Bindung:
Ueberreuter Buchproduktion
© 2004 HJB Verlag
REN DHARK und HJB sind eingetragene Warenzeichen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 3-937355-05-7
Der Bitwar-Zyklus Fremde, unbekannte Mächte aus den Tiefen des Alls greifen Terras Verbündete an. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die Ursprungswelt der Menschheit selbst ins Visier des Feindes geraten wird. Zur gleichen Zeit macht die Besatzung des Schulschiffes ANZIO eine unfaßbare Entdeckung: Hat man wirklich den legendären Jungbrunnen gefunden? Alfred Bekker, Werner K. Giesa, Uwe Helmut Grave und Conrad Shepherd schrieben einen spannenden SF-Roman nach dem Expose von Hajo F. Breuer. Diese Buchausgabe präsentiert einen neuen Abschnitt im Leben des Sternenabenteurers Ren Dhark: ideal für Neu einsteiger und ein absolutes Muß für Kenner der Serie! Erstveröffentlichung
Vorwort Der Kosmos von REN DHARK wächst und gedeiht. Wenn Sie dieses Buch in Händen halten, dauert es nur noch wenige Wochen, bis mit der Auslieferung der letzten beiden Bände »Herrscher und Sklaven« sowie »Die Götter der Nogk« der Mini-Zyklus um die Abenteuer der Besatzung des FORSCHUNGSRAUMERS CHARR abgeschlossen wird. Diese Reihe ist wesentlich erfolgreicher, als wir es uns auch nur erträumt hatten. Deshalb wird es im nächsten Jahr eine Reihe von neuen Objekten in diesem Format geben. Einige davon werden die Welt REN DHARKS bereichern und erweitern, andere dem Leser ganz neue Universen und Ideen vorstellen. Ich bin schon eifrig mit den Vorbereitungen beschäftigt und würde am liebsten gleich mit allem herausplatzen – aber ich kann mich beherrschen. Gerade noch! Brandneu auf dem Markt ist der neue REN DHARK-Sonderband von Hubert Haensel. Er trägt den Titel »Wächter und Mensch« und beschreibt die weiteren Erlebnisse des Worgun-Wächters Simon, in dessen metallener Hülle ein menschlicher Geist steckt. Simon blieb in Orn zurück, als Ren Dharks Expedition in die Milchstraße zurück kehrte, denn die Instanz von ARKAN-12 hatte ihm ein großartiges Versprechen gemacht… Wirklich gelungen ist die völlig neugestaltete Homepage von REN DHARK im Internet. Unter www.ren-dhark.de finden sie aktuelle News und jede Menge Informationen über und rings um unser aller Lieblings-SF-Serie. Einfach mal auf einen Klick vorbeischauen – es lohnt sich garantiert! Denn ab sofort ist REN DHARK-Autor Uwe Helmut Grave Redakteur der Homepage. Er hat alle Artikel aktuali siert und versorgt die Leser nun wesentlich schneller mit neuen Bei trägen als bisher geschehen. Die Fanserie »Projekt 99« wurde mit Heft 133 abgeschlossen. Ebenfalls neu erschienen sind Band 8 der Kurt Brand Edition sowie
der vierte Band von Yal, dem Weltraumreporter – also einiges an Leserfutter für die Freunde des Altmeisters und REN DHARK-Schöpfers! Jetzt aber sollten Sie sich nicht länger davon abhalten lassen, den neusten Band des Bitwar-Zyklus zu verschlingen. Während Ren Dhark die Spur des Goldenen weiter verfolgt, stößt die Schwarze Garde auf ein fremdes Volk, das der Menschheit erstmals im Weltall über Hope begegnete – und Roy Vegas scheint tatsächlich den le gendären Jungbrunnen entdeckt zu haben… Mehr in zwei Monaten! Bis dahin bleibt mir nur noch, Ihnen bestes Lesevergnügen zu wünschen Giesenkirchen, im September 2004
Hajo F. Breuer
Prolog Im Frühsommer des Jahres 2062 gehen drei ruhige Jahre des Aufbaus für die Erde zu Ende. Mit dem aus der Galaxis Orn mitgebrachten Wissen ist es den Menschen erstmals vergönnt, Ovoid-Ringraumer der neusten Ent wicklungslinie zu bauen. Doch keinem dieser neuen Schiffe und nicht ein mal der legendären POINT OF ist es noch möglich, die Galaxis der Worgun anzufliegen. Irgend etwas verhindert jeden weiteren Kontakt… Ren Dhark ist nicht länger Commander der Planeten. Dieses Amt be kleidet nun Henner Trawisheim. Eine seiner ersten Amtshandlungen war es, Ren Dhark als Belohnung für dessen unzählige Verdienste um die Ret tung der Menschheit zum privaten Eigentümer der POINT OF zu ernen nen. Trawisheim glaubte, den unvergleichlichen Ringraumer auch in Zu kunft für die Zwecke der terranischen Regierung einsetzen zu können, denn der Unterhalt eines Schiffes dieser Größe übersteigt Ren Dharks finanzielle Möglichkeiten bei weitem. Doch der Großindustrielle Terence Wallis, der auf der im Halo der Milchstraße gelegenen Welt Eden seinen eigenen Staat gegründet hat, zog Trawisheim mit der Einrichtung der POINT OF-Stiftung einen dicken Strich durch die Rechnung. Denn die großzügigen Finanzmittel der Stif tung schenken Ren Dhark völlige Unabhängigkeit. Und so bricht er im Frühjahr 2062 zu einem Forschungsflug nach Babylon auf, um endlich das Geheimnis des goldenen Salters ohne Gesicht zu lösen, der dort nun schon mehr als tausend Jahre im Vitrinensaal unter der ebenfalls goldenen Gi gantstatue eines Menschen ohne Gesicht ausgestellt ist. Die Spur führt auf die vom Atomkrieg verseuchte Welt der Kurrgen – als die POINT OF einen Notruf erhält: Unbekannte Raumschiffe greifen die Zentralwelt der heute mit den Terranern verbündeten Grakos an. Die auf Grah stationierten Schiffe älterer Bauart sind für den unheimlichen Gegner keine echte Be drohung. Als Ren Dhark eine Flotte hochmoderner neuer Ovoid-Ringraumer ins Gefecht führt, kommt es zu einer erbitterten Schlacht im All: Der unbekannte Gegner ist wesentlich stärker als vermutet!
Gleichzeitig setzt er unzählige Roboter auf Grah ab, die alles und jeden niedermachen, der sich ihnen in den Weg stellt. Hauptmann Eric Santini muß mit der planetaren Regierung in den tiefsten Dschungel fliehen, doch es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die fremden Roboter ihn und seine Schutzbefohlenen auch hier aufstöbern. Etwa zur gleichen Zeit hat der legendäre Raumfahrer Roy Vegas, der einst als erster Mensch den Mars betrat, das Kommando über das neue Flotten schulschiff ANZIO übernommen. Der erste Ausbildungsflug führt das Schiff und seine Besatzung auf den öden Wüstenplaneten Sahara. Doch hier machen die Raumsoldaten eine Entdeckung von ungeheurer Tragweite: In einer Höhle entdecken sie eine Einrichtung, die man nur als Jungbrunnen bezeichnen kann…
1.
Ren Dhark atmete tief durch. Der Blick war auf die Bildkugel im zentralen Leitstand der POINT OF gerichtet. Der weißblonde Kom mandant des Schiffes stand noch ganz unter dem Eindruck der furchtbaren Raumschlacht, die im Sektor rund um das Gerrck-System gerade erst getobt hatte. Die Terraner hatten dabei einen hohen Blutzoll zahlen müssen. Die Verluste waren enorm. Vier S-Kreuzer und drei der neuen Ovoid-Ringraumer waren vernichtet worden. Elf zum Teil schwer beschädigte terranische Einheiten be fanden sich in der Nähe der POINT OF. Sofern sie nicht mehr ma növrierfähig waren, hatten andere Schiffe sie ins Schlepp genom men. Dharks Fäuste ballten sich unwillkürlich. Er preßte sie so stark zusammen, daß die Knöchel weiß wurden. Noch wartete er auf den Bericht der Ortung, aber die Hoffnung, daß es noch Überlebende unter den Besatzungsmitgliedern der zerstörten terranischen Schiffe gab, war ausgesprochen gering. Ren Dhark wandte ein wenig den Kopf und wechselte einen Blick mit dem ebenfalls im Leitstand anwesenden Dan Riker, der inzwi schen das Oberkommando über die TF abgegeben hatte und zur Besatzung der POINT OF gehörte. Dhark bemerkte in den Augen seines Gegenübers dieselbe ver zweifelte Hoffnung, die auch ihn erfüllte. Augenblicke angespannten Schweigens vergingen. Dann meldete sich Tino Grappa, der diensthabende Ortungsoffi zier der POINT OF. »Es hat niemand überlebt«, sagte er mit tonloser Stimme. Ein Satz, der in Dharks Ohren wie ein Urteil klang. War denn wirk lich etwas anderes zu erwarten? ging es ihm durch den Kopf. Schließ lich wußte er nur zu gut, daß normalerweise buchstäblich nichts übrigblieb, wenn ein Ringraumer explodierte. Und genau das war
mit den verlorenen Schiffen nach intensivem Energiebeschuß durch die Fremden geschehen. Die Angreifer hatten eine Waffe benutzt, für die Arc Doorn den Begriff Kompri-Nadel geprägt hatte. Ihre tödliche Wirksamkeit stand nicht in Zweifel. Die zerstörten Raumschiffe waren ein Beweis dafür. Im Grunde handelte es sich um eine Strahlwaffe, bei der die Energie auf schier unglaubliche Weise komprimiert wurde. Der Energiefluß geschah in einem Schußkanal, der nicht breiter als ein paar Nanometer war. Arc Doorn, der zum technischen Stab der POINT OF gehörte, starrte angestrengt auf die Anzeigen eines kleinen Sichtschirms. Seine professionelle Bewunderung für diese Waffe hatte sich ange sichts der eigenen Verluste der Terraner jedoch in engen Grenzen gehalten. Der Sibirier, der über ein besonderes Einfühlungsvermö gen in Bezug auf die Technologien fremder Völker verfügte, stellte sich nun an eine der Konsolen im Leitstand und nahm ein paar Schaltungen vor. Er ließ die Energieprotokolle der vergangenen Raumschlacht noch einmal anzeigen und durchsuchte sie auf be stimmte Auffälligkeiten. Man konnte ja nie wissen… Vielleicht ergab sich so ein Hinweis auf die Herkunft dieser fremden Angreifer, die wie aus heiterem Himmel in das nach wie vor unter terranischem Einfluß und Oberhoheit stehende Gerrck-System eingefallen waren. Tod und Zerstörung hatten sie hinterlassen. »Ich frage mich, was die Angreifer in die Flucht geschlagen hat«, äußerte Dan Riker seine Verwunderung und sprach damit den an deren im Leitstand der POINT OF aus der Seele. Urplötzlich hatten sich die Schiffe der Unbekannten davongemacht und waren mit einer sanften Transition, die an die Technik der Nogk erinnerte, ver schwunden. Unglücklicherweise ließ sich das Ziel dieser Transition nicht an messen. Arc Doorn wandte sich an Dhark, der den Schadensbericht erwar tete.
»Einige unserer Raumschiffe sind in einem schlimmen Zustand«, stellte Doorn fest. »Besonders die TOLEDO… den Energiesignaturen nach, die ich im Bereich der Triebwerkssektion anmesse, besteht akute Explosionsgefahr.« »Funk-Z!« rief Dhark. »Hier Leutnant Morris«, meldete sich der Chef der Funk-Z. »Nachricht an alle Schiffe!« »Funkphase ist frei«, bestätigte Morris. »Hier spricht Ren Dhark. An alle: Abstand zur TOLEDO halten. Es besteht akute Explosionsgefahr.« »Bestätigungssignale sind eingegangen«, meldete der Cheffunker. Dhark nickte erleichtert. »Dann stellen Sie jetzt Kontakt zur TOLEDO her!« Sekunden vergingen. »Die TOLEDO antwortet nicht«, war Leutnant Morris’ nüchterne Auskunft. Auf der Bildkugel inmitten der Zentrale erschien jetzt das Bild des nach der alten spanischen Hauptstadt benannten Ovoid-Ringraumers. Derzeit waren nur die sechs Mann Mindestbesatzung an Bord, die man brauchte, um das Schiff zu manövrieren. »Versuchen Sie es weiter auf allen Frequenzen, Morris«, befahl Ren Dhark. »Ja, Sir.« »Möglicherweise funktioniert ja wenigstens irgendein Armband vipho!« hoffte Dhark. »Meinen Messungen nach steht die Triebwerkssektion kurz vor dem energetischen Kollaps«, erklärte Arc Doorn. »Die TOLEDO kann uns allen jeden Augenblick buchstäblich um die Ohren flie gen!« * »Kommandant!«
Jemand packte Brett Duvalier bei den Schultern. Der Kapitän der TOLEDO hörte die Stimme wie aus weiter Ferne. Gleichzeitig spürte er einen dumpfen Schmerz am Hinterkopf. »Kommandant, sind Sie in Ordnung?« Duvalier erkannte die Stimme. Sie gehörte Damir Vukov, dem Ersten Offizier. Als Duvalier die Augen öffnete, sah er in das breite, kantige Gesicht des etwa fünfunddreißig Jahre alten Kroaten. »Ich war offenbar eine Weile weggetreten«, meinte Duvalier. »Nein, höchstens eine Minute«, erwiderte Vukov. Duvalier rappelte sich auf. Der Kopf tat höllisch weh. Er erinnerte sich noch an eine heftige Erschütterung, die das Raumschiff durch laufen hatte. Anschließend der Ruf des Ortungsoffiziers Jason Hellmuth: »Volltreffer!« Die Erschütterung hatte Brett Duvalier aus seinem Kommandan tensitz herausgerissen. Als nächstes hatte er den Schmerz am Hin terkopf gespürt, dann war da nichts mehr gewesen. Nur Dunkelheit. Damir Vukov half dem Kommandanten auf die Beine. Duvalier stand etwas wackelig da. Ihm war schwindelig. Der Kopf brummte. Vukov hatte allerdings auch etwas abbekommen. An seiner Schulter klaffte eine blutende Wunde. Die Uniformkombination der TF war zerrissen. Etwas zischte. Ein Blitz zuckte aus dem Schaltpult des Piloten heraus. Die Bildkugel flackerte. Immer wieder wurde die Darstellung von grauen Schlieren durchwandert und brach schließlich völlig zu sammen. Ein Interkomkanal aktivierte sich selbsttätig. »Hier Wu! Wir müssen sofort das Schiff verlassen! Die TOLEDO kann jeden Moment explodieren!« Raymond Wu war der Ingenieur des Schiffs. Der Hongkongchinese befand sich derzeit im Maschinenleitstand.
Wu wollte noch etwas sagen, aber ein Rauschen überlagerte die Interkomverbindung. Ein Ruck ging durch Duvaliers Körper. Er sah sich um. Von den sechs Besatzungsmitgliedern der TOLEDO befanden sich fünf in der Zentrale. Jeder von ihnen hatte mehr oder weniger schlimme Blessuren davongetragen. Aber sie konnten sich alle noch selbständig auf zwei Beinen fortbewegen. Ein Alarmsignal schrillte durch die Zentrale, verebbte aber sog leich wieder. Offenbar funktionierten die Warnsysteme auch schon nicht mehr einwandfrei. »Sämtliche Funkverbindungen zu den anderen Schiffen sind aus gefallen«, meldete Fähnrich Ubbo Menninga, ein über zwei Meter großer, blonder Ostfriese, während er sich noch an einem der Schaltpulte zu schaffen machte. Ein zischender Blitz ließ ihn die Hand zurückziehen. Weißer Rauch quoll durch die Ritzen zwischen den Abdeckplatten hervor. »Zu den Flashhangars!« befahl Kapitän Duvalier. Sie verließen den Leitstand des Ovoid-Ringraumers und rannten durch den Korridor. Ich kann nur hoffen, daß Wu so schlau ist, sich auch dort hinzubegeben! ging es Duvalier durch den Kopf. Aber noch ein anderer Gedanke bewegte den Kommandanten der TOLEDO: Die anderen Schiffe mußten gewarnt werden. Sie mußten auf Abstand bleiben, um bei der bevorstehenden Explosion nicht in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Auf keinen Fall durften sie auf die Idee kommen, Rettungskräfte zu entsenden. Das Risiko wäre mörderisch gewesen. Duvalier taumelte vorwärts. Sein Kopf schmerzte noch immer höllisch. Ein Schmerz, der auf unangenehme Weise pulsierte. Außerdem machte ihm der Schwin del nach wie vor zu schaffen. Er aktivierte das Armbandvipho, um eine Verbindung zur POINT OF herzustellen.
Interferenzen überlagerten jedoch das Signal. Für einen kurzen Moment flackerte der kleine Sichtschirm des Viphos auf. Der Kopf eines Mannes war dort zu sehen. Duvalier erkannte ihn. Es handelte sich um Leutnant Glenn Morris, den Cheffunker der POINT OF. »Hier spricht Kommandant Duvalier von der TOLEDO…« Duvalier blieb stehen und brach ab. Er stützte sich an der Wand, weil er das Gleichgewicht zu verlieren drohte. Alles drehte sich vor seinen Augen. Er versuchte, sich auf das Bild auf dem Viphoschirm zu konzent rieren. Der Funker von der POINT OF bewegte den Mund, aber man konnte nichts verstehen. Das Bild zitterte, verwackelte und verlor sich schließlich in immer breiter werdenden grauen Schlieren, die in Wellenbewegungen über den Sichtschirm wanderten. Im nächsten Augenblick hatte Duvalier das Signal verloren. Vukov blieb stehen, drehte sich herum und fragte: »Alles in Ord nung, Sir?« »Danke, I.O. Es geht schon.« Duvalier hetzte hinter seinen Leuten her. Unterwegs trafen sie Raymond Wu. Der Ingenieur war das Wagnis eingegangen, einen A-Gravschacht zu benutzen, der natürlich jederzeit ausfallen konnte. Mit verheerenden Folgen für den Benutzer, der dann unter Um ständen viele Meter tief in den Schacht hinunterstürzte. »Hier kann jeden Moment die Hölle ausbrechen!« rief Wu und trieb die anderen zu noch größerer Eile an. »Wenn wir Glück haben, bleiben uns ein paar Minuten…« Wie zur Bestätigung seiner Aussage ließ eine Erschütterung die TOLEDO erzittern. Eine kleinere Detonation irgendwo im Trieb werksbereich war wohl die Ursache. Aber das war nicht mehr als ein Vorgeschmack auf das Inferno, das sich in Kürze ereignen würde. Der Korridor machte eine Biegung.
Danach ging es plötzlich nicht mehr weiter. Die Männer stoppten, starrten erst verdutzt und dann voller Entsetzen auf das Bild, das sich ihnen bot. Der Gang war regelrecht zusammengefaltet worden. Die Decke bog sich nach unten und lief in einer Schräge auf den Boden zu, bis sie ihn schließlich berührte. Duvalier schluckte. Als ob eine überdimensionale Hand diesen Teil des Schiffs zwischen Daumen und Zeigefinger genommen und einfach zusammengequetscht hätte! schoß es ihm durch den Kopf. Duvalier war ein erfahrener Raumsoldat der terranischen Flotte und als solcher einiges gewohnt. Etwas Vergleichbares hatte der Kommandant der TOLEDO wäh rend seiner gesamten Dienstzeit noch nicht erlebt. Der Schmerz in seinem Schädel wummerte zwar noch, aber er war auf einmal zur Nebensache geworden und trat völlig in den Hinter grund. Fieberhaft rasten die Gedanken durch seinen Kopf. »Zurück!« rief er. »Wir müssen auf dem anderen Weg zu den Flashdepots!« »Dann müssen wir um den Ring herum!« rief Wu. »Dazu ist es zu spät!« Seine Stimme vibrierte leicht. »Wir haben keine Wahl!« stellte der Kommandant klar. Sie kehrten um, hetzten die Korridore entlang, so gut sie das mit ihren Verlet zungen vermochten. Brett Duvalier hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Erneut waren aus Richtung der Triebwerke Serien kleinerer Ex plosionen zu hören. Das Licht flackerte, fiel schließlich aus. Mehrere Sekunden lang war es vollkommen dunkel, ehe die Notbeleuchtung ansprang. Wenig später war für Duvalier und seine Männer erneut der Durchgang versperrt. »Das darf doch nicht war sein!« kam es ihm über die Lippen. Auch in dieser Richtung war der Zugang zu den Flashdepots nicht erreichbar. Der an dieser Stelle sehr breite Korridor war auf ähnliche
Weise zusammengedrückt wie auf der anderen Seite des Ringkör pers. Unser Todesurteil! durchzuckte es Duvalier. Er stützte sich an der Wand ab. Schweiß perlte ihm von der Stirn. Einen kurzen Moment lang schloß er die Augen. Heißt es nicht, daß man in einem Augenblick wie diesem sein ganzes Leben noch einmal an sich vorüberziehen sieht? Brett Duvalier bemerkte nichts davon. Statt dessen war sein Kopf einfach nur leer. Sekunden nur konnte die endgültige Zerstörung der TOLEDO noch auf sich warten lassen. Eine Erschütterung sorgte beinahe da für, daß Brett Duvalier das Gleichgewicht verlor und zu Boden taumelte. Ein dumpfer Laut erfüllte das Schiff. So tief und grollend wie nichts, was der Kommandant oder einer der anderen je zuvor gehört hatten. »Es ist passiert…« murmelte Wu. »Die zentrale Triebwerkssektion ist explodiert. Keine zehn Sekunden, und die Detonation hat sich über das ganze Schiff ausgebreitet…« Sie alle waren starr vor Schreck. Es gab nichts, was jetzt noch getan werden konnte. Ein Lichtblitz ließ die Männer zusammenzucken. Etwas durch drang die zusammengedrückten Wände des Korridors. Eine Sekunde später war erneut eine Lichterscheinung zu sehen. Duvalier brauchte einen Moment, um zu begreifen, daß dies nichts mit der bevorstehenden Explosion des Schiffes zu tun hatte. Ein Flash war im Intervallflug durch die Außenhülle der TOLEDO gedrungen und im Korridor gelandet. Die Lichterscheinung war durch seinen Brennkreis verursacht worden. Der Pilot schaltete das Intervallum ab. Weitere Flash erschienen kurz hintereinander. »Los! Worauf warten wir noch?« rief Vukov. Die Flash waren jeweils nur mit einem Piloten besetzt, so daß die sechs Mann der TOLEDO zusteigen konnten.
Flashpilot Larry Fonghauser von der POINT OF hatte das Kom mando über den kleinen Verband der zweisitzigen, zylinderförmi gen Beiboote. »Intervallum einschalten und weg!« befahl er über Funk an alle. In diesem Augenblick hatte sich die Explosion so weit fortgesetzt, daß sie nun das Schiff buchstäblich auseinanderriß. Die TOLEDO verwandelte sich in einen glühendheißen Feuerball aus grell weißem Licht. Nur einen Augenblick lang leuchtete dieser Feuerball einer Mini-Supernova gleich auf, dann war da nichts mehr. Nichts außer der Schwärze des interstellaren Raums in der Nähe des Gerrck-Systems und ein paar zum Teil stark beschädigte terra nische Raumschiffe, die glücklicherweise weit genug vom Explosi onsherd entfernt gewesen waren. Einige von ihnen hatten das Intervallfeld aktiviert, aber nicht alle S-Kreuzer und Ovoid-Ringraumer waren dazu nach den schweren Beschädigungen, die sie sich während des Gefechts mit den Unbekannten zugezogen hatten, noch in der Lage. Die sechs Flash schossen aus dem verglühenden Feuerball heraus. Larry Fonghauser und die anderen Flashpiloten der POINT OF hat ten in letzter Sekunde ihre Intervallfelder aktivieren können, so daß die mörderischen Temperaturen im Einflußbereich der Explosion ihnen nichts anhaben konnten. Das Intervall versetzte die Flash nämlich in ein eigenes Kontinuum, das vor den enorm hohen Tem peraturen und Drücken schützte und ihnen außerdem die Möglich keit gab, feste Materie zu durchdringen. »Hier Fonghauser, Flash 007«, wurde an die POINT OF gefunkt. »Rettungsauftrag ausgeführt.« »Ist jemand verletzt?« fragte Glenn Morris zurück. »Kleinere Blessuren«, gab Fonghauser Auskunft. »Die gesamte derzeitige Besatzung der TOLEDO war immerhin noch in der Lage, sich ohne Hilfe in die Flash zu begeben!« Augenblicke später erreichten die Beiboote ihr Mutterschiff. Im Intervallflug durchdrangen sie einfach die aus Unitall bestehende
Außenhaut der POINT OF und landeten nacheinander in den für sie vorgesehenen Depots. * »Wir werden nach Grah zurückfliegen und dort landen«, kündigte Ren Dhark an. Hen Falluta, seines Zeichens Erster Offizier der POINT OF, hatte im Pilotensitz Platz genommen. Glenn Morris von der Funk-Z meldete sich. »Alle anderen Einheiten sind zum Rückflug bereit«, meldete er. »Entweder aus eigener Kraft oder im Schlepp eines anderen Rau mers«, setzte Dan Riker hinzu. Er hatte die Arme verschränkt und wirkte auffallend nachdenklich. Kurz rieb er sich am Kinn und meinte dann: »Bis jetzt wissen wir noch nicht einmal, was das ei gentliche Ziel dieses Angriffes gewesen ist. Das wurmt mich am meisten!« »Immerhin haben wir uns ganz gut verteidigen können«, warf Amy Stewart ein. Die attraktive Cyborgfrau, mit der Ren Dhark mittlerweile liiert war, hob die Augenbrauen. »Über dreißig ihrer Raumschiffe haben wir vernichten können. Ihre Verluste waren weitaus höher als unsere – und das trotz der überlegenen Schutz schirme!« Ein koordiniertes, taktisch ausgeklügeltes Vorgehen hatte die Lage zu Gunsten der terranischen Schiffe gewendet. »Ich nehme an, daß wir von den Unbekannten schneller wieder etwas hören werden, als uns allen lieb ist«, vermutete Dhark. Von der Krankenstation wurde eine Interkomverbindung aktiviert. Auf dem Schutzschirm erschien das Gesicht Manu Tschobes. Der Mediziner schaute zur Seite, so als wollte er dem Blick seines Gegenübers ausweichen. Das war typisch für den Afrikaner, der abgesehen von seinen Fertigkeiten im medizinischen Bereich auch noch über die – wenn auch schwach ausgeprägte – Gabe der Hyp
nose verfügte. Aus diesem Grund vermied er es, andere Menschen direkt anzusehen, es sei denn er beabsichtigte, sie in irgendeiner Weise zu beeinflussen. »Duvalier will Sie unbedingt sprechen, Sir«, meldete er. »Er hat zwar eine ziemlich starke Gehirnerschütterung und kann froh sein, daß keine Schädelfraktur vorliegt, aber…« »Geben Sie ihn mir ruhig«, erwiderte Ren Dhark. Offenbar mußte der Kommandant der TOLEDO sich irgend etwas von der Seele reden. Im nächsten Augenblick erschien Duvaliers Gesicht auf dem Sichtschirm. Er wirkte angestrengt. »Sir, uns ist etwas sehr Eigenartiges passiert«, begann er seinen Bericht und erzählte Ren Dhark anschließend in allen Einzelheiten von den blockierten Wegen zu den Flashdepots. »Das sah aus wie…« Ihm fehlten die Worte. »Ich frage Sie, Sir, haben Sie schon einmal davon gehört, daß Schiffe im Kampf derart zusammengedrückt wur den?« Duvalier rieb sich mit einer fahrigen Geste über das Gesicht. »Erinnern Sie sich noch, wo die Toledo hauptsächlich getroffen wurde?« fragte Dhark. »Sie müssen zumindest Treffer in die Trieb werkssektion bekommen haben, sonst wäre es nicht zu der verhee renden Explosion gekommen.« »Ehrlich gesagt, ich kann nicht mit Sicherheit sagen, wo wir überall Treffer bekamen«, antwortete Duvalier. »Sie sind auf jeden Fall so entscheidend gewesen, daß ein Teil der Systeme gleich ausgefallen ist. Was da an Schadensberichten angezeigt wurde, war wohl nicht ganz vollständig.« Er machte eine Pause, rieb sich mit Daumen und Zeigefinger beider Hände die Schläfen und schloß einen Moment lang die Augen. Dann ging ein Ruck durch seinen Körper. Er riß sich erkennbar zusammen und straffte seine Haltung. »Ich denke, Sie brauchen erst mal etwas Ruhe«, stellte Dhark fest. Ein mattes Lächeln glitt über Duvaliers Gesicht.
»Das habe ich gerade schon des öfteren zu hören gekriegt. Leider habe ich ganz schön etwas auf den Deckel bekommen, aber so wie es aussieht, werden keine Schäden zurückbleiben.« »Ich danke Ihnen für Ihre Meldung, Duvalier«, erwiderte Dhark. »Und ansonsten wünsche ich Ihnen gute Besserung!« Der ehemalige Commander der Planeten unterbrach die Verbin dung. Dhark wandte sich an Arc Doorn. »Haben Sie schon einmal davon gehört, daß Schiffsrümpfe aus To firit zusammengefaltet werden, Arc?« Der Sibirier schüttelte energisch den Kopf »Offen gesagt: nein.« »Ich frage mich, wie man so etwas mit Treffern durch diese Kompri-Nadelwaffe überhaupt hinbekommen kann!« »Wer sagt uns, daß sie nicht eine ganz andere Waffe eingesetzt haben?« fragte Doorn. »Davon hat Kommandant Duvalier nichts erwähnt«, erinnerte ihn Dhark. Der Sibirier hob die Schultern. »Lassen wir den Checkmaster eine Analyse machen und die Daten aller je in seinen Datenbanken verzeichneten Raumgefechte durch forsten«, schlug er vor. »Gute Idee«, murmelte Dhark. Allerdings hatte er das dumpfe Gefühl, daß dabei nicht allzuviel herauskommen würde.
2. Grah, einige Stunden zuvor… Das ehemalige Grako-Militärdepot befand sich mitten im Dschungel und bestand aus fünf kuppelartigen Gebäuden, in denen sich Hauptmann Eric Santini und seine Gruppe inzwischen einge richtet hatten. Diese Gruppe bestand vorwiegend aus Angehörigen der terrani schen Raumstreitkräfte, die auf Grah stationiert waren und dort nach wie vor das Sagen hatten. Außerdem befanden sich momentan noch einige terranische Zivi listen – vorwiegend Wissenschaftler –, mehrere loyale Grakos, einige Roboter vom humanoiden Großserientyp sowie drei Gordo bei ih nen, die allesamt Mitglieder der amtierenden Regierung von Grah waren. Santinis Gruppe war vom Raumhafen Drei geflohen, als die un bekannten Invasoren aus dem All ihren Angriff gestartet hatten. Weitere Personen waren im Laufe der sich ausbreitenden Kriegs wirren zu ihnen gestoßen. Santinis Ziel war die ehemalige Geheim station der Grakos gewesen, die die Bezeichnung Delta-Null trug. Die robotischen Invasoren hatten es zunächst nahezu perfekt ver standen, jeglichen Kontakt der auf Grah stationierten Terraner zu ihrem Oberkommando zu unterbinden. Kein Hyperfunkspruch und kein Notruf hatte das Gerrck-System verlassen können. Die Angreifer zerstörten jede Möglichkeit der Kommunikation und hinderten die auf Grah stationierten ehemaligen Giant-Raumer daran, Transitionsgeschwindigkeit zu erreichen und das System zu verlassen. Santini und seiner Gruppe war es jedoch gelungen, den Hyper funksender in der Station Delta-Null zu reaktivieren und einen Notruf abzustrahlen.
Anschließend hatten sie in den Dschungel flüchten müssen und die ihnen zur Verfügung stehenden Gleiter per Fernsteuerung an weit entfernte Punkte im Urwald gesteuert. Sie selbst hatten sich auf den Weg zu diesem verlassenen Depot gemacht. Wenig später hatten die Invasoren den Ursprungsort des Notrufes geortet und umgehend dafür gesorgt, daß er aus dem Weltraum heraus zerstört wurde. Inzwischen hatten Santini und seine Leute über Funk erfahren, daß der Notruf nicht vergebens gewesen war. Ren Dhark war mit der POINT OF und einem Verband aus S-Kreuzern und Ovoid-Ringraumern im Gerrck-System aufgetaucht und hatte damit begonnen, die Schiffe der Fremden zu bekämpfen. Während hier unten scheinbar Ruhe herrscht, tobt da oben über den Wolken eine Raumschlacht! überlegte Eric Santini. Man konnte nur hoffen, daß es der POINT OF und den anderen herbeigeeilten terra nischen Schiffen möglichst bald gelingen würde, die Invasoren zu rückzuschlagen. Denn nur dann gab es für die Verteidiger am Boden eine Chance. Eric Santini standen die chaotischen Verhältnisse noch gut vor Augen, die bei ihrer Flucht aus Raumhafen Drei geherrscht hatten. Horden von Robotern waren von Landungsbooten der Fremden auf dem Boden abgesetzt worden. Roboter von so unterschiedlicher Gestalt und Größe, daß man sie einfach nicht auf einen Nenner bringen konnte. Sie hatten Räder, Beine, Waffenarme. Allerdings bewegten sie sich allesamt auf Prallfeldern. Zusätzliche Vorrichtun gen zur Fortbewegung waren offenbar für den Fall eingebaut, daß aus irgendeinem Grund mit abgeschaltetem Prallfeld agiert werden mußte oder dieses schlicht und ergreifend ausfiel. Manche von ihnen verschossen Schwarzstrahlen, wie man sie an sonsten nur von den Waffen der Grakos kannte. Andere trugen Blaster in langfingrigen Greifarmen oder glichen mehr oder weniger selbst einer einzigen Waffe.
Eric Santini blickte hinauf zu dem grauen, tiefhängenden Himmel von Grah. Vereinzelt zuckten Blitze. Die Luftfeuchtigkeit mußte nahe an hundert Prozent reichen. Zwischen den Wolken grummelte es. Die ersten Anzeichen eines für Grah so charakteristischen Wol kenbruchs waren einfach nicht zu ignorieren. Santinis Uniformkombination klebte ihm am Körper. Jede Bewegung in diesem feuchtheißen Regenwaldklima war eine Qual. Der Hauptmann verwünschte den schweren Waffengurt, der ihm um die Hüften hing und an dem unter anderem seine beiden Hand blaster befestigt waren. In der Nähe sah er die beiden einzigen Mitglieder seiner Truppe patrouillieren, die mit Multifunktionskarabinern ausgerüstet waren und natürlich auch den zur Waffe gehörenden und mit einem An zeigenfeld ausgestatteten Kampfhelm tragen mußten. Alle anderen hatten lediglich Handblaster. Es handelte sich um den weiblichen Hauptfeldwebel Melina Go mez sowie den Hauptgefreiten Joe Colorado. Gomez hatte nicht von Anfang an zu Santinis Gruppe gehört, sondern war erst im Lauf der Ereignisse zu ihnen gestoßen. Dasselbe galt für das Wachpersonal und die Wissenschaftler von Delta-Null. Santini sprach die beiden an. »Wir haben über Funk gehört, daß auf dem gesamten Planeten und rund um das Gerrck-System herum heftig gekämpft wird. Kann nicht mehr lange dauern, bis es auch hier losgeht!« war er überzeugt. Gomez strich sich eine verirrte Strähne aus den Augen und mußte dazu kurz das Visier ihres Kampfhelms lüften. Wie alle anderen, die an diesem Einsatz beteiligt waren, konnte man ihr die Strapazen ansehen, die es gekostet hatte, sich nach der Reaktivierung des Hy perfunksenders durch den Dschungel zu schlagen. Aber es hatte sich gelohnt. Seit die POINT OF aufgetaucht war, bestand zumindest eine vage Hoffnung, daß sich doch noch alles zum Guten wendete, wenn auch
die Chancen für die Verteidiger am Boden alles andere als rosig standen. Zu groß war die zahlenmäßige Überlegenheit der fremden Robo ter. »Was glauben Sie, wie diese Biester aussehen?« fragte Melina Go mez. »Ich meine die Invasoren. Bis jetzt haben wir ja nichts weiter als ihre Kampfmaschinen kennengelernt.« »Vorsicht!« grinste Colorado. »Unsere Blechmänner haben gute akustische Sensoren und könnten Ihre Bemerkung als Beleidigung auffassen, Gomez!« Gomez verdrehte genervt die Augen. »Dann wären sie ersten Blechmänner, die einen Turingsprung hinter sich hätten!« meinte sie. Colorado grinste breit, was jedoch unter dem Visier seines Kampfhelms nur zu ahnen war. »Sie vergessen Artus, diesen Billigroboter an Bord der POINT OF, der vor ein paar Jahren sogar die Bürgerrechte verliehen bekommen hat, wenn ich richtig informiert bin«, meinte Colorado. Gomez schüttelte energisch den Kopf. »Der zählt nicht.« »Wieso?« »Weil an dessen Robotergehirn vorher ja wohl gehörig herumma nipuliert worden ist, was ich von unseren Blechmännern hier nicht gerade annehme.« Colorado hob die Schultern. »Irgendwann ist es immer das erste Mal«, meinte er. Der Hauptgefreite deutete in Richtung der beiden terranischen Vielzweckroboter, gemeinhin auch »Blechmänner« genannt, die zu Santinis Gruppe gehörten und in einigen Metern Entfernung in Stellung gegangen waren. Zumindest was die Ausdauer anging waren sie jedem menschlichen Soldaten haushoch überlegen. Un verwandt suchten sie mit ihrer am Kopf angebrachten Hochleis tungsoptik den grauen Himmel nach Anzeichen dafür ab, daß die
Invasion der Unbekannten auch in diesem Teil des Planeten Grah begann. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Angreifer schon sehr bald auf tauchten, war groß. Schließlich war anzunehmen, daß sie sich unbe dingt davon überzeugen wollten, daß der Ausgangspunkt des Hy persignals tatsächlich völlig zerstört war. Und wenn sie dann die Gegend etwas genauer unter die Lupe nahmen, war es nur eine Frage der Zeit, wann sie auf Santinis Gruppe stießen… Aber noch war von den Invasoren und ihrer Roboterarmee nichts zu sehen. Auch die Anzeigen der mobilen Ortungsgeräte, die die Gruppe mit sich führte, gaben Anlaß zu der Hoffnung, daß sie vielleicht doch etwas länger Zeit hatten, sich vorzubereiten, als Santini ursprünglich angenommen hatte. »Ich frage mich wirklich, wer diese Roboter konstruiert hat – wenn das das richtige Wort dafür ist«, meinte Gomez. Santini hob die Augenbrauen. »Wieso?« Melina Gomez zuckte Achseln. »Die Dinger sahen doch eher aus, als ob jemand ein Dutzend Planeten überfallen und aus Roboterfab rikationen Einzelteile gestohlen hat. Hinterher wußte man dann nicht mehr, wie sie eigentlich zusammengeschraubt werden müß ten.« »Ich wußte gar nicht, daß Sie Humor haben, Gomez«, mischte sich Colorado ein und erntete dafür von Eric Santini einen tadelnden Blick. »Ich frage mich, was für eine Spezies uns angreift«, meinte Santini schließlich. »Auf jeden Fall handelt es sich um Feiglinge, die ihre Blechkiller an ihrer Stelle kämpfen lassen, aus Angst davor, sich blutige Nasen – oder womit immer sonst sie atmen mögen – zu ho len!« »Wenn sie hier auftauchen, werden wir sie gebührend empfan gen«, versprach Colorado.
»Augen offenhalten«, befahl Santini schließlich und ging weiter. Überall auf dem Depotgelände sowie im angrenzenden Dschungel hatten sich seine Leute verteilt und waren in Stellung gegangen. In der Nähe eines anderen Gebäudes hatten sich zwei der loyalen Grakos postiert. Es handelte sich um zwei Kappa-Krieger, die im Gegensatz zu dem frisch geschlüpften Nachwuchs der Grakos noch mit dem wabern den Hyperraumfeld umgeben waren, das kaum einen Blick auf ihre heuschreckenartigen Körper gestattete. Diese Felder hatten in der Alten Zeit, wie die Grakos inzwischen die Ära vor der terranischen Besetzung Grahs nannten, als dieses Volk noch als aggressive Geißel der Galaxis gefürchtet war, dafür gesorgt, daß sie als schattenhafte Krieger überall Angst und Schrecken verbreiteten und auch nur schwer anzugreifen waren. Für die in den letzten drei Jahren ge schlüpften Kinder der Grakos galten diese Bedingungen nicht mehr. Sie wurden in den neuen Aufzuchtstationen ohne die Manipulation durch Hyperraumfelder großgezogen. Für die Angehörigen der alten Generation hingegen gab es kein Zurück. Ohne die Hyperraumfelder vermochten sie nicht zu existieren. Schatten hatte man sie daher in der Alten Zeit genannt. Trotz der enormen Vermehrungsfähigkeit der Grakos bestand der weitaus größte Teil der Grako-Bevölkerung auch drei Jahre nach Ende jenes Krieges, der zur Besetzung des Planeten geführt hatte, noch immer aus Schatten. Wesen, die genau wußten, daß ihnen nicht dieselben Entwick lungsmöglichkeiten offenstanden wie den nachwachsenden Genera tionen. Santini konnte sich nicht so recht entscheiden, ob er diesen Schat ten nun in erster Linie Mißtrauen entgegenbringen oder sie bedauern sollte. Die Erkenntnis, ein Auslaufmodell zu sein – und nichts anders waren sie letztlich – mußte sich auf die psychische Verfassung vieler Grakos der alten Generation verheerend auswirken.
Vielleicht war das auch einer der Gründe dafür, weshalb es immer noch einen gewissen Prozentsatz in der planetaren Bevölkerung Grahs gab, der der neuen Gordo-Regierung skeptisch bis ablehnend gegenüberstand. Ohne die Unterstützung der Terraner hätte sich das neue Regime wohl kaum halten können. Wenn jemand das beurteilen konnte, dann ein Mann wie Eric San tini. Schließlich tat er nun schon lange genug Dienst auf diesem Planeten, den er insgeheim schon so oft verflucht hatte. Der vor ihm stehende Kappa-Krieger ließ ein paar der charakteris tischen Knacklaute hören, die für die Sprache dieses Volkes so kennzeichnend waren. Santinis Translator übersetzte sie: »Kap pa-Krieger 3321 weiß, daß Sie jenen, die Sie Schatten nennen, mißt rauen«, äußerte der Grako. »Warum sprechen Sie von sich wie von einem Fremden?« fragte Santini. »Sie haben sich bislang nicht unsere Individualbezeichnungen gemerkt, und da hielt ich es für ein Gebot der Höflichkeit, mich er neut vorzustellen«, war die Antwort von Kappa-Krieger 3321. Santini seufzte hörbar. »Sagen wir es so – während des Krieges hatte ich ein paar schlechte Erfahrungen mit Angehörigen Ihres Volkes. Und ich glaube auch, daß sich erst die junge Generation in der neuen Ordnung auf Grah wirklich zurechtfinden wird…« »In anderen Dingen scheinen Sie mir optimistischer zu sein«, warf KK 3321 ein. »Um offen zu sein, ich war vor drei Jahren optimistischer, was Ihr Volk betrifft.« »Manche Dinge dauern länger, als man es gerne möchte.« »Das ist wohl wahr.« »Wir haben gemeinsam gegen die Invasoren gekämpft, und ich erinnere Sie daran, daß überall auf Grah viele loyale Kappa-Krieger im Kampf gestorben sind.«
»Ja, das erkenne ich an«, nickte Santini. Gib’s zu, du hast ein paar ziemlich dumme Vorurteile! meldete sich gleichzeitig eine meckernde Stimme in seinem Hinterkopf, die der Hauptmann gerne zum Schweigen gebracht hätte. Aber das war einfach nicht möglich. Nach einer kurzen Pause des Schweigens fügte er noch hinzu: »Sie sind tapfere Soldaten. Das haben Sie bewiesen.« »Tapfere Soldaten werden Sie brauchen«, meldete sich der andere Kappa-Krieger zu Wort. Der wabernde Schatten geriet in urplötzli che Bewegung. Gleichzeitig ließ ein leises Brummen Santini herum fahren. Er richtete den Blick zum grauen Himmel, an dem jetzt eines der Beiboote auftauchte, die die Fremden auf Grah abgesetzt hatten. Es sank noch etwas tiefer. Ein Schott öffnete sich an der Unterseite des Beibootes, und dann bot sich den Verteidigern des Depots ein Bild, das sie bereits vom Raumhafen Drei kannten. Roboter fielen vom Himmel. Spezielle Prallfelder dämpften den Aufschlag und verhinderten, daß die Maschinen beschädigt wurden. Waffenarme wurden geschwenkt, und die ersten Strahlschüsse zischten durch die Luft. * In einer der großen Lagerhallen des Depots waren die Gordo un tergebracht. Die anderen Räume waren für sie zu eng, und unge schützt im Freien bildeten sie auf Grund ihrer Größe ein zu leichtes Ziel für ihre Gegner. Nachtflug, Donnergroll und Wipfelstürmer – so lauteten die Na men der drei Gordo, wobei der Begriff Name vielleicht nicht ganz richtig war. Es war einfach eine Übersetzung der mentalen Impulse, mit deren Hilfe sich Gordo zu verständigen pflegten. Einige terranische Raumsoldaten sowie die Zivilisten befanden sich auch noch in der Kuppel. Die Soldaten waren an strategisch günstigen Positionen in Stellung gegangen. Vor allem überall dort,
wo es in der Außenhülle des Kuppelbaus Sichtluken gab, die sich öffnen ließen und über die man die Umgebung beobachten konnte. Hauptgefreiter Vance Beaver überprüfte die Energiezelle seines Blasters, während Tom Strange – ebenfalls im Rang eines Hauptge freiten – an dem Gerät herumhantierte, das Santinis Männer aus ihren Armbandviphos gebastelt hatten. Es erlaubte ihnen eine Er höhung ihrer Funkreichweite. So hatten sie es geschafft, mit ver schiedenen auf dem gesamten Planeten verstreuten Gruppen von Verteidigern Kontakt aufzunehmen. »Verdammt!« knurrte Strange. »Hey, du sollst nicht dauernd fluchen! Was sollen denn unsere Gordo-Freunde von der Terranischen Flotte denken!« feixte Beaver. »Es ist zum Auswachsen! Der Funkkontakt ist abgebrochen!« schimpfte Strange. »Und was ist die Ursache? Den falschen Knopf gedrückt?« »Nein, ich fürchte…« Strange sprach nicht weiter. Eine Detonation ließ die Kuppeln des Depots erzittern. Strange und Beaver war sofort klar, was vor sich ging. Die Invasoren hatten die Gruppe ganz offensichtlich selbst hier im tiefen Dschungel auf gespürt. Beide Männer griffen nach ihren Blastern. Strange wandte sich kurz in Richtung der Gordo. »Macht euch um uns keine Sorgen!« hörten Strange und Beaver plötzlich Nachtflug sagen. Die Terraner glaubten, eine Stimme in ihrem Hinterkopf zu vernehmen. In Wahrheit handelte es sich um die konzentrierten Gedankenimpulse des semitelepathisch begabten Großinsekts. »Uns ist klar, daß wir ideale Ziele sind, aber wir haben keine Angst vor dem Tod.« Erneut waren Explosionen zu hören. Strange sparte sich eine Erwiderung auf die Äußerung des Gordo und rannte mit dem Blaster in der Hand zum Ausgang des Kuppel baus.
Beaver war bereits dort. In geduckter Haltung trat er ins Freie und feuerte schon im nächsten Augenblick den Blaster ab. Ein Energiestrahl erfaßte ihn. Beaver hatte keine Zeit mehr für ei nen Schrei. Er taumelte rückwärts und lag im nächsten Augenblick der Länge nach auf dem Boden. Strange war wie erstarrt. Ein spinnenartiges Etwas schwebte auf den Eingang des Kuppel baus zu. Sechs der acht mechanischen Gliedmaßen dieses sich sehr schnell bewegenden und etwa einen Meter achtzig hohen Roboters dienten der Fortbewegung, ruderten jetzt aber in der Luft, da der Roboter auf einem Prallfeld dahinglitt. Die zwei anderen Extremitä ten waren Waffenarme. Mit dem rechten Waffenarm verschoß er gewöhnliche Blasterstrahlen und Explosivgeschosse. Aus der Mündung des linken Arms hingegen zuckten Schwarz strahlen hervor, wie sie ansonsten nur von den Grakos benutzt wurden. Tom Strange riß den Blaster ein paar Zentimeter höher. Der Raumsoldat hielt die Waffe mit beiden Händen und drückte ab. Er hatte auf die höchste Intensität geschaltet. Das Strahlenfeuer traf den Roboter und fraß sich durch den fla ckernden Prallschirm und die metallisch blinkende Außenhaut hindurch. Funken sprühten. Es zischte. Der Spinnenartige drehte sich einmal um die eigene Achse, ehe er die acht Extremitäten streckte und beinahe regungslos auf dem Boden liegen blieb. Weißer Rauch quoll aus dem Loch, das Strange in seine Außenhülle ge brannt hatte. Im nächsten Moment explodierte die Maschine. Sie zerplatzte regelrecht. Metallteile wurden wie Geschosse durch die Gegend geschleudert. Tom Strange duckte sich. Er blickte in Richtung des getöteten Vance Beaver und schluckte. Unbändige Wut hatte ihn erfaßt.
*
Eric Santini hatte sich mit den beiden Kappa-Kriegern in den Ein gangsbereich eines Kuppelbaus zurückgezogen. Unablässig feuerte er mit dem Blaster in Richtung der Angreifer. Die ersten zerplatzten bereits unter den Energieschüssen. Immer weitere Roboter unter schiedlichster Gestalt wurden von dem Beiboot der Invasoren abge setzt, landeten auf ihren Prallfeldern und griffen dann sofort an. Schwarzstrahlen und gewöhnliches Blasterfeuer zischten hin und her. Blitzschnell bewegten sie sich durch die Gassen zwischen den Kuppelbauten. Manche von ihnen ähnelten vielarmigen Spinnen, andere besaßen Raupen oder bewegten sich auf Antigravfeldern fort. Überall wurde nun gekämpft. Auch im benachbarten Dschungel blitzten Blasterschüsse auf. Ein Kappa-Krieger, der bei einem der anderen Gebäude postiert war, wurde tödlich getroffen und verging in einer Thermoreaktion. Zunächst hatte Santini versucht, das Beiboot zu treffen. Wenn das Außenschott geöffnet wurde und die Roboter zu Boden sprangen, dann konnten die Fremden unmöglich einen Schutz schirm aktiviert halten. »Zielt in das Schott hinein!« rief Santini seinen Leuten zu. Er hob den Blaster und jagte einen Energiestrahl in die Öffnung hinein, aus der die Roboter gut zwanzig Meter in die Tiefe sprangen. Einen der Roboter – ein zylinderförmiges Gebilde mit mindestens zwei Dutzend feingliedrigen Armen – erwischte er genau zum Zeitpunkt des Ausstiegs. Der Roboter explodierte, beschädigte einen weiteren. Die Trümmer wurden durch die Luft geschleudert. Santini zog sich ebenso in seine Deckung im Eingangsbereich eines Kup pelbaus zurück wie die beiden Kappa-Krieger in seiner Begleitung.
Das Beiboot schwenkte zur Seite, flog in einer weiten, bogenartigen Bahn über das Gelände hinweg und verschwand schließlich hinter den hohen Wipfeln des nahen Dschungels. Melina Gomez schwenkte herum. Sie hatte sich hinter einem Busch in Deckung begeben. Mit dem Multikarabiner nahm sie das flüch tende Raumboot ins Visier, feuerte ein Explosivgeschoß ab und traf. Ein perfekter Schuß. Direkt in das noch immer offene Schott. Wie eine Aura blitzte eine Lichterscheinung um das Schiff herum auf. Eine gitterartige Karostruktur wurde erkennbar. Der Schutzschirm! durchzuckte es Santini, der das beobachtet hatte. Gomez’ Explosivgeschoß prallte am Schutzschirm ab und deto nierte unmittelbar vor dem geöffneten Schott. Es vermochte nicht weiter ins Innere vorzudringen. Die Explosion verpuffte wirkungs los. Das wäre es gewesen! dachte Santini. Aber Gomez’ Schuß war um den Bruchteil einer Sekunde zu spät gekommen. So mußten sie damit rechnen, daß das Beiboot der In vasoren ein zweites Mal auftauchte und nötigenfalls den Angreifern Verstärkung bringen konnte. Mindestens dreißig Roboter waren innerhalb kürzester Zeit am Boden abgesetzt worden. Diese schossen nun wie wild um sich. Aber die Verteidiger wehrten sich. Immer wieder explodierten einzelne Roboter. Die beiden terranischen Roboter, die auf Seiten von Santini und seiner Gruppe kämpften, erwischte es jedoch ebenfalls. Schwarz strahlen zerstörten sie vollkommen. Woher hatten die Invasoren nur diese Waffe? Von den Grakos waren die Pläne zur Herstellung von Schwarz strahlern stets geheim gehalten worden. Entweder war jemand anderes unabhängig von der Gra ko-Technologie zu denselben Ergebnissen gekommen oder es be
stand irgendein Zusammenhang zwischen den Angreifern und den Grakos. Aber jetzt war nicht die Zeit, um über derartige Fragen nachzu denken. Die Terraner und ihre Grako-Verbündeten hatten sich überall zwischen den Kuppelbauten verschanzt und verteidigten sich, so gut es ging. Die Trefferquote war hoch. Immer wieder zerplatzen abge schossene Roboter, und die Verteidiger mußten höllisch aufpassen, nicht von umherfliegenden Metallteilen getroffen zu werden. Einige der Roboter brachen in Richtung jener Kuppel durch, in der sich Nachtflug und die anderen Gordo befanden. Ein Schrei gellte durch die von ermüdender Feuchtigkeit gesättigte Luft. Einen der Terraner hatte es offenbar erwischt. Santini tauchte aus seiner Deckung hervor, trat ohne Rücksicht auf die Eigensicherung ins Freie. Nur schwache Gegenwehr war aus der Richtung der Kuppel zu verzeichnen, in der die Gordo untergebracht waren. Einige der ter ranischen Raumsoldaten mußten sich zurückziehen, andere wurden getroffen, flüchteten verletzt in die jeweils nächstgelegene Kuppel oder sanken tot zu Boden. Von Gomez und Colorado war nichts zu sehen. Hier und da hauchte ein Kappa-Krieger sein Leben in einer grellen Thermoreaktion aus. Die Chancen standen schlecht. Die Übermacht des Feindes war erdrückend – nicht nur zahlen mäßig, sondern vor allem auch, was die Bewaffnung anging. Eigene Verluste konnten die Angreifer mühelos wegstecken. Der Platz zwischen den Kuppelbauten war übersät mit Trümmer teilen der angeschossenen Roboter. Santini dachte an die Gordo. Wenn es auch nur einem Roboter gelang durchzubrechen, waren sie verloren. Ein so großes Ziel war einfach nicht zu verfehlen.
Santini stürmte voran, ließ die Blaster ein Strahlenfeuerwerk ab brennen. Eine der beiden Waffen steckte er zurück an den Gürtel, als die Anzeige der Energiezelle auf Null stand, und kämpfte mit dem zweiten Blaster weiter. Mehrere Roboter wurden getroffen. Santini hatte den zweiten Blaster auf breites Streufeuer eingestellt. So war die Wirkung der Energiestrahlen zwar nicht so konzentriert, dafür konnte er aber mit mehreren Gegnern auf einmal fertig werden. Das Streufeuer reichte ganz offensichtlich, um die meisten der von den Invasoren verwendeten Robotertypen kampfunfähig zu ma chen. Ihre Wrackteile lagen überall herum. Die beiden Kappa-Krieger folgten Santini, der jetzt im Laufschritt voranstürmte. Alle drei feuerten auf die Angreifer. Ein Roboter nach dem anderen explodierte. Plötzlich zischte ein Strahl dicht an Santini vorbei, traf den Grako, der an seiner Seite kämpfte. Santini warf sich zu Boden, drehte sich um die Achse und preßte sich in das feuchte Erdreich. Der Grako verging mit einer heftigen Thermoreaktion. Santini spürte die sengende Hitze. Ein weiterer Strahl zischte dicht an ihm vorbei, fraß sich in den Boden und ließ dort das Erdreich zu einer quarzartigen Substanz verschmelzen. Der zweite Kappa-Krieger versuchte noch in Deckung zu gehen, war aber nicht schnell genug. Auch er wurde getroffen und mit einer Thermoreaktion vernichtet. Eine ganze Reihe von Robotern war jetzt auf Santini aufmerksam geworden und feuerte in seine Richtung. Im nächsten Augenblick versagte auch Santinis zweiter Blaster. Die Energiezelle war offenbar verbraucht. Das ist das Ende! durchzuckte es den Hauptmann der Terranischen Flotte. Aber Santini bekam Hilfe.
Oben, von der Spitze einer der Kuppelbauten, gab ihm jemand Feuerschutz. Colorado befand sich dort und ließ die Roboter nun die ganze Feuerkraft seines Multikarabiners spüren. Er hatte eine Sichtluke am oberen Kuppelbogen geöffnet und von dort aus hervorragende Übersicht. Ehe die Roboter registrierten, von wo aus die Gefahr drohte, war bereits ein halbes Dutzend von ihnen verglüht. Santini rappelte sich auf, rannte in Richtung des nächsten Kup pelbaus und hechtete sich in den offenen Eingang, wo er Deckung fand. Ein grell weißer Energieblitz zuckte Sekundenbrucheile später durch die Luft und fraß sich in das Mauerwerk im Eingangsbereich hinein. Ganze Stücke wurden herausgesprengt. Das war knapp! dachte Santini. Er verdankte Colorado sein Leben. Im Inneren der Kuppel herrschte Halbdunkel. Das unterste Deck bestand aus einem Raum, der nur wenige, sehr hohe Fenster besaß, durch die kaum Licht hereinfiel. Ein A-Gravschacht führte hinauf unter die Kuppel. Aber der Auf stieg war auch über eine Wendelrampe möglich. Von draußen waren Detonationen zu hören. Der Kampf ging offenbar mit unverminderter Härte weiter. Santini entdeckte eine Gestalt in der Uniform der Terranischen Flotte. Der Kampfhelm lag auf dem Boden, der Multikarabiner da neben. Die langen, dunklen Haare bedeckten das Gesicht. Der Kopf war nach vorn übergebeugt. »Gomez!« entfuhr es Santini. Ein stöhnender Laut entrang sich ihren Lippen. Sie hob leicht den Kopf. Ihr Blick wirkte glasig. Im nächsten Moment begriff Santini, daß die junge Frau einen Treffer in die Seite bekommen hatte. Eine große schwarze Stelle be fand sich dort. Die Kleidung war zusammengeschmort. Es war ein Wunder, daß sie überhaupt noch lebte. Offenbar hatte der Energie strahl sie nicht voll erwischt.
»Hauptmann…« flüsterte sie. »Keine Angst, ich hole Sie hier raus, Gomez! Versprochen!« Santini wußte selbst, daß er dummes Zeug redete. Aber sein Mund schien diese Worte ganz von allein zu produzieren. Sie waren ein fach Ausdruck seiner eigenen Verzweiflung. Gomez hob zitternd die Hand. Sie deutete auf den Multikarabiner. »Nehmen Sie das Ding da…« flüsterte sie. Ihre Stimme war kaum mehr als ein schwacher Hauch. Im nächsten Moment sackte ihr Kopf zur Seite. Der Blick wurde starr. Santini schluckte und schloß ihr die Augen. Dann nahm er den Multikarabiner und setzte den Helm auf. Er aktivierte die Anzeige der Zielerfassung. Einen letzten Blick warf er in Melina Gomez’ Richtung. Eine Mischung aus Wut und Trauer erfaßte ihn. Aber ihm war durchaus klar, daß er Gefühle jeglicher Art jetzt zu unterdrücken hatte. Es ging nur um eins. Kühl und überlegt zu handeln, um damit eine Chance auf das Überleben zu wahren. Mochte sie auch noch so winzig sein. Santini ging zum Eingang. Vorsichtig tastete er sich ins Freie. Die Energiezelle und das Patronenmagazin des Multikarabiners waren noch gut genug gefüllt, um ihn effektiv einsetzen zu können. Sofort wurde Santini unter Beschuß genommen, aber die automa tische Zielerfassung in seiner Helmanzeige ließ den Hauptmann eine Serie von Strahlschüssen mit geradezu unglaublicher Präzision ab gegeben. Vier, fünf kleinere Detonationen sorgten für einen ohren betäubenden Lärm. Metallteile flogen wie Geschosse durch die Luft, prallten mit voller Wucht gegen die Kuppelwände der Depotge bäude und kratzten an deren Fassaden. Oben von der Kuppelspitze feuerte Unteroffizier Colorado noch immer unablässig seine Waffe ab. Plötzlich herrschte Ruhe.
Nirgends rührte sich noch ein Roboter. Tom Strange kam mit ein paar weiteren terranischen Raumsolda ten angelaufen. Sie kamen aus der Richtung der Gordo-Kuppel. Santini näherte sich. Auch an anderen Stellen lösten sich nun die Verteidiger aus ihrer Deckung. Es waren nicht viele von ihnen übriggeblieben, wie Santini mit Schrecken feststellte. Außerdem gab es Verletzte, um die man sich jetzt wohl nur notdürftig kümmern konnte. »Was ist mit den Gordo?« fragte er Strange. »Alles in Ordnung. Aber Vance Beaver hat es erwischt!« meldete der. Santinis Gesicht bekam einen grimmigen Zug. »Er ist leider nicht der einzige!« stellte er fest. »Meinen Sie, die Roboter kommen noch mal wieder?« »Worauf Sie Gift nehmen können, Strange!« Er wandte sich herum, blickte hinauf zur Kuppelspitze. »Bleiben Sie dort auf dem Posten, Colorado!« rief Santini. »In Ordnung, Sir!« »Die anderen sammeln sich in der Kuppel, in der die Gordo un tergebracht sind«, bestimmte Santini. »Vor allem die Verletzten!« »Aber… Sir!« stammelte Strange. Santini hob die Augenbrauen. »Irgend etwas dagegen einzuwenden, Soldat?« »Wir werden die Angriffe der Invasoren dorthin lenken, wenn wir…« »Mag alles sein, Strange. Aber es hat zu viele von uns erwischt. Wir können froh sein, wenn wir diese eine Kuppel verteidigen können. Und ansonsten haben wir noch Colorado auf seinem Beobach tungsposten.« Strange schien nicht so ganz überzeugt zu sein. Sein Gesicht wirkte verkniffen. Trotzdem nickte er schließlich. »Wie Sie befehlen, Sir.«
»Also los! Zu den Gordo! Wir haben keine Zeit zu verlieren!« * Der Blutzoll, den die Truppe zu entrichten gehabt hatte, war furchtbar. Keiner der Kappa-Krieger hatte den Angriff überlebt. Und von den Terranern lebten außer den Zivilisten nur noch eine Hand voll Raumsoldaten, von denen auch noch einige verletzt waren. Den Gordo war glücklicherweise nichts passiert. »Soll ich versuchen, noch einmal Funkkontakt mit anderen terra nischen Verbänden auf Grah herzustellen und um Hilfe zu bitten?« fragte Tom Strange. Santini schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, dann haben die Invasoren ein Lebenszeichen von uns. Um so schneller werden sie zurückkehren.« Der Hauptmann deutete auf den Eingangsbereich des Kuppelbaus. »Versuchen Sie, die Roboter um jeden Preis am Eindringen zu hindern.« »Ja, Sir, ich werde mein Bestes geben.« Ein mattes, abgekämpftes Lächeln umspielte Santinis aufgesprun gene Lippen. »Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel, Strange. Ich stehe Ihnen zur Seite.« Santini überprüfte die Ladung seines Multikarabiners. Strange erriet die Gedanken des Hauptmanns sofort. »Uns wird bald der Saft ausgehen, was?« Santini nickte. »Ich habe noch genau eine Minirakete und der Energieanzeiger des Karabiners steht auf vierzig Prozent.« »Die werden uns jagen wie die Hasen, Sir.« »Ja, aber ich denke gar nicht daran, es denen zu leicht zu machen.« Er wandte sich in Richtung des Ausgangs. »Was haben Sie vor?« fragte Strange.
»Ich werde mich umsehen und den Gefallenen die Waffen abneh men. Vielleicht haben wir so die Chance, ihnen länger Widerstand zu leisten.« »Verstehe…« »Verdammt, ich komme mir wie ein Leichenfledderer dabei vor, aber es bleibt uns keine andere Wahl. Sie bleiben hier und halten die Stellung. Nehmen Sie keine Rücksicht, wenn die Biester erneut ang reifen sollten.« »Ja, Sir.« »Auch nicht auf mich – wenn Sie verstehen, was ich meine.« Strange zögerte, ehe er antwortete. »Jawohl.« Nachtflug meldete sich in diesem Augenblick zu Wort. »Können wir irgend etwas tun, um dir zu helfen?« hallte die Ge dankenstimme in Santinis Hinterkopf wider, von der er genau wußte, daß sie von dem libellenartigen Gordo stammte. Damit der Gordo die Antwort verstand, reichte ein Gedanken strom, der konzentriert genug war, um nicht im allgemeinen men talen Wirrwarr unterzugehen. Die Gordo waren schließlich keine Telepathen im eigentlichen Sinn. Sie konnten fremde Gehirne kei neswegs aushorchen, sondern sich nur durch mentale Informati onsübertragung verständigen, ähnlich, wie es auch bei den Nogk der Fall war. »Macht euch so klein wie möglich!« war Santinis bissige Antwort. Der Hauptmann merkte schnell, daß der beißende Sarkasmus in diesen Worten für Nachtflug vollkommen unverständlich war. »Es ist uns leider nicht möglich, unsere Körpergröße zu verändern, nachdem wir die Metamorphose zum Gordo einmal durchlebt ha ben. Es überrascht mich etwas, daß die Informationen über die Funktionsweise unserer Physiologie selbst bei Terranern, die seit Jahren auf Grah leben, derart wenig verbreitet sind.« Santini verzog grimmig das Gesicht. »Es war ein Witz«, sagte er.
»Ein Witz?« echote der Gordo. »Das bedeutet, daß mir die Sinnlosigkeit meiner Aussage durchaus bewußt war.« »Und das hat dich nicht davon abgehalten, dich dennoch so zu äußern?« Santini gab es auf. »Das ist ein schwieriges Gebiet, Nachtflug. Ich schlage vor, wir sehen erst einmal zu, daß wir am Leben bleiben, bevor wir anfangen, über Kommunikationsprobleme zwischen Gordo und Menschen zu philosophieren.« »Da stimme ich dir zu«, erklärte Nachtflug. »Ich habe dir einen Vorschlag zu machen, den ich mit Donnergroll und Wipfelstürmer abgestimmt habe.« Santini blickte an dem gewaltigen, libellenartigen Wesen empor, das den vergleichsweise winzigen Menschen mit seinen Facetten augen zu mustern schien. »Was für einen Vorschlag?« fragte der Terraner. »Wir sind eine Belastung für euch. Viele von euch sind um unse retwillen gestorben.« »Das ist richtig, aber…« Der Gordo ließ sich nicht unterbrechen. Die Gedankenstimme in Santinis Hinterkopf fuhr unverwandt fort: »Laßt uns hier zurück und flieht in den Dschungel. Dort sind die Chancen größer, nicht von den Robotern des unbekannten Feindes gefunden zu werden.« »Das wäre euer Todesurteil«, gab Santini zu bedenken. »Das ist uns bewußt«, war die ruhige Erwiderung von Nachtflug. Santini machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das kommt nicht in Frage«, erklärte er. »Wir bleiben hier und fechten es aus. Außerdem ist nicht einmal gesagt, daß die Invasoren uns im Dschungel nicht finden könnten. Es ist anzunehmen, daß sie über eine ähnlich gute Ortungstechnik verfügen wie wir selbst und dann wäre das nur eine Frage der Zeit.« »Zeit kann eine Frage des Überlebens sein«, war die Erwiderung Nachtflugs.
»Die Sache ist entschieden«, sagte Santini. »Wir möchten nicht, daß andere sich für uns opfern.« »Erstens ist das schon geschehen, und zweitens werdet ihr das wohl ertragen müssen.« Santinis Erwiderung klang eine Spur härter, als er es eigentlich beabsichtigt hatte. Inwiefern der Gordo überhaupt in der Lage war, die emotionalen Nuancen anhand des von ihm empfangenen Ge dankenstroms zu unterscheiden, war allerdings höchst fraglich. Santini machte seinen Multikarabiner schußbereit. Die Anzeige im Helmvisier zeigte an, daß sich die Waffe im akti ven Status befand. »Viel Glück, Hauptmann!« sagte Strange. »Wir werden es beide brauchen«, knurrte Santini. * Santini ging ins Freie. Donner grollte. Regen setzte ein. Auf dem Dschungelplaneten Grah war das nichts Besonderes, sondern der Normalfall. Aus dem nahen Urwald erscholl ein Konzert aus eigenartigen, gespenstisch anmutenden Lauten. Ein wahrer Chor der Vielfalt des wimmelnden Lebens, von dem die Wälder auf Grah erfüllt waren. Santini umrundete eine der Kuppeln. Den Multikarabiner hielt er dabei die ganze Zeit schußbereit im Anschlag. Aus den Büschen am Waldrand ragten zwei Beine hervor. Die Füße trugen die typischen Stiefel, die zur Tropenkombination der terranischen Flotte gehörten. Santini trat darauf zu. Einer seiner Männer lag dort. Er war nicht mehr so ohne weiteres zu identifizieren. Der Strahlbeschuß hatte den gesamten Oberkörper verdampfen lassen. Der Blaster des Toten lag im Gras. Die Energiezelle hatte noch dreißig Prozent ihrer Leistungsfähigkeit. Also brauchbar, auch wenn der
Griff der Waffe ziemlich angesengt und durch die Hitzeeinwirkung verformt war. Santini hängte sich den Multikarabiner an dem dazugehörigen Riemen über die Schulter, baute mit wenigen Handgriffen die Ener giezelle aus und wechselte sie gegen jene in einem seiner eigenen Blaster, deren Energieanzeiger eine schöne runde Null aufleuchten ließ. Der Regen wurde heftiger. Ein paar dunkle Schatten huschten über den Boden, platschten dabei durch die Pfützen. Es war ein Schwarm von ungefähr dreißig handgroßen Riesenasseln. Als sie Santini bemerkten, gruben sie sich augenblicklich in den aufgeweichten Boden ein. Sie waren die Geier des Dschungels von Grah. Die toten terrani schen Soldaten mußten sie anlocken, während von den gefallenen Grakos auf Grund der Thermoreaktion ihres Hyperraumfeldes nichts geblieben war, was die Riesenasseln hätten verzehren können. Vielleicht sammelten sich diese Biester auch deshalb, weil sie den Tod der Gordo erwarteten. Zigtausende von Riesenasseln konnten sich an einem einzigen Gordo sattessen. Das Auftauchen dieser Aasfresser galt unter den Grakos als schlechtes Omen, davon hatte Santini schon einmal gehört. Blitze zuckten in so rascher Folge, daß man sie unmöglich einem einzelnen Donnerschlag zuordnen konnte. In den Wolkengebirgen tobten sich gewaltige elektrische Spannungen aus. Aber in diese Geräuschkulisse mischte sich noch ein anderes Ge räusch. Ein dumpfes Summen. Santini erkannte es sofort. Das Beiboot der Invasoren kehrte zurück. Der Hauptmann hatte sich gerade über die Reste eines zerschos senen Roboters gebeugt und überprüft, ob sich dessen Waffe noch
benutzen ließ. Leider traf das nicht zu. Alles war zusammenge schmolzen und restlos zerstört. Santini richtete sich auf. Er hob den Multikarabiner. Vielleicht ergab sich diesmal die Möglichkeit, dem Feindschiff die letzte Minirakete durch das Außenschott zu jagen, wenn der Schutzschirm beim Absetzen der Roboter für kurze Zeit abgeschaltet war. Aber diesmal verhielt sich der Angreifer klüger. Die Invasoren hatten wohl begriffen, wie knapp sie bei ihrem letzten Besuch der Vernichtung entgangen waren. Jetzt tauchte das Beiboot der Unbekannten nur kurz über den Wipfeln am Waldrand auf. Santini konnte sehen, wie sich das Schott an der Unterseite öffnete und die Roboter abgesetzt wurden. Die Invasoren ließen sie diesmal in den Dschungel fallen. Santini legte den Multikarabiner an. Die Zielerfassung arbeitete und empfahl ihm den Schuß. Colorado feuerte bereits unablässig von seinem erhöhten Stand punkt aus. Er traf das Beiboot an der Vorderseite. Der Strahl fraß sich in die Außenhülle hinein. Das Beiboot schwenkte zur Seite und aktivierte sofort den Schutzschirm. Die Bordgeschütze des Raumers gaben eine unmittelbare Antwort auf Colorados Treffer. Aus mehreren Batterien wurde auf den oberen Teil des Kuppel gebäudes gefeuert, in dem der Unteroffizier sich verschanzt hatte. Die Spitze der Kuppel platzte regelrecht auseinander. Eine gewaltige Flammensäule stieß in den grauen, verregneten Himmel hinein und brach schon im nächsten Augenblick wieder in sich zusammen. Santini wußte nur zu gut, daß Colorado diesen Treffer nicht hatte überleben können.
Der Grimm, den Santini angesichts der kaltblütigen Unbarmher zigkeit dieses bislang unbekannten Gegners erfaßt hatte, steigerte sich ins Grenzenlose. Schon kamen die ersten Roboter aus dem dichten Unterholz. Sie bahnten sich einfach ihren Weg durch das dichte Grün. Eine erdrückende Übermacht aus mehr als dreißig Robotern war es, die auf breiter Front aus dem Dschungel hervorbrach. Die ersten Strahlschüsse zischten in Santinis Richtung. Eigentlich hatte Santini vorgehabt, die letzte Minirakete mit dem Multikarabiner im offenen Schott des Beibootes zu versenken. Aber das war illusorisch. Das Beiboot hatte abgedreht, flog jetzt im Tiefflug dahin, nur knapp einen Meter über den Baumwipfeln. Erneut regneten weitere Roboter aus dem Inneren des Raumers heraus. Sie landeten im Dschungel. Der Schutzschild des Beibootes war deaktiviert. Aber für Santini war es unmöglich, aus diesem Winkel zu treffen. Er konnte den Kurs der Minirakete programmieren, aber dann ris kierte er, daß die herannahenden Roboter durchbrachen, ihn einfach überrannten und anschließend auch die wenigen Meter bis zu den Gordo hinter sich brachten. Nein, diese letzte Rakete durfte nicht zur Vernichtung eines Bei bootes verschwendet werden, das nun eigentlich kaum noch Roboter an Bord haben konnte. Santini feuerte die Rakete ab. Er hielt dabei den Multikarabiner ziemlich waagerecht. Der Hauptmann zielte mitten in die Reihen der herannahenden Roboter hinein, die insgesamt wenig Aufwand für die Eigensiche rung betrieben. Die Rakete schlug ein. Eine gewaltige Explosion erschütterte das gesamte Gelände. In den Mauern eines benachbarten Kuppelbaus zeigten sich Risse, die sich
wie mäandernde Ausläufer eines Flußdeltas über die Fassade ver zweigten. Gut ein Dutzend der herannahenden Roboter wurden durch die Gewalt der Explosion buchstäblich zerrissen. Metallteile flogen durch die Luft. Santini duckte sich unwillkürlich. Er wich zurück, rannte in Richtung der Kuppel, in der sich die Gordo befanden. Immer wieder gab Santini Schüsse ab Die Zielautomatik des Mul tikarabiners sorgte dafür, daß er selbst im Laufen noch relativ sicher traf. Ein großer, pyramidenförmiger Roboter, an dessen Seiten sich Blasterbatterien befanden, die aussahen wie kleine Geschütztürme, wurde durch einen zentralen Treffer außer Gefecht gesetzt. Seine Energieversorgung schien nicht mehr zu funktionieren. Die letzten Schüsse des metallenen Monstrums gingen ins Leere, bevor die aus den Mündungen herausschießenden Strahlen versiegten. Das Prall feld, mit dessen Hilfe sich diese monströse Kampfmaschine fortbe wege, fiel aus. Der Pyramidenroboter senkte sich zuerst mit der Vorderseite, dann mit dem Heck zu Boden und stieß mit der vorde ren linken Ecke seiner Grundfläche in den aufgeweichten Boden hinein. Für ein halbes Dutzend Riesenasseln, die sich dort vergraben hat ten, kam jede Rettung zu spät. Sie spürten offenbar die Erschütterungen, schnellten aus dem Schlamm heraus und wurden im nächsten Moment von der Explo sion des Pyramidenroboters getötet. Santini erreichte schließlich den Eingang des Kuppelbaus, in dem sich Tom Strange und die Gordo verschanzt hatten. Strange war sichtlich froh, den Hauptmann gesund wiederzuse hen. Die beiden Männer postierten sich am Eingang des Kuppelbaus. Es konnte nur noch Augenblicke dauern, bis die ersten Roboter angriffen.
»Wir haben keine Chance«, erklärte Santini ziemlich resigniert. »Ihre Übermacht ist einfach zu groß. Und außerdem sind sie her vorragend bewaffnet.« Tom Strange schluckte. »Verdammt, was soll diese ganze Attacke? Was bezwecken die Angreifer damit, uns mitten im Frieden so heimtückisch zu überfal len?« »Irgend etwas auf Grah muß für sie einen Wert darstellen, der diesen Einsatz rechtfertigt«, meinte Santini. »Zumindest hoffe ich das, denn das würde bedeuteten, daß wir es mit berechenbaren, logisch denkenden Wesen zu tun haben…« Aber waren nicht auch viele Kriege der Menschheitsgeschichte aus rational kaum nachvollziehbaren Gründen geführt worden? Hatte es in der Prä-Raumfahrtära der terranischen Geschichte nicht auch immer wieder Feldzüge gegeben, bei denen der Einsatz im mens hoch und das Ziel von vorn herein unerreichbar gewesen war? Santini gab Strange den Blaster, den er am Gürtel trug und mit ei ner noch brauchbaren Energiezelle nachgerüstet hatte. »Hier, nehmen Sie diesen Schießprügel auch noch. Dann haben wir etwas mehr Feuerkraft!« meinte er. Tom Strange schluckte. Eric Santini wirkte auch angesichts des fast unvermeidlich er scheinenden Endes so abgeklärt auf den Hauptgefreiten, daß es ihn schon beinahe erschreckte. »Uns bleibt wohl nichts anderes übrig, als uns so teuer wie möglich zu verkaufen«, erkannte Strange. »Sie sagen es!« knurrte Santini und justierte dabei die Zielerfas sung des Multikarabiners neu. Die ersten Roboter waren zu sehen. Feind Nummer eins hatte Kugelform, schwebte ebenfalls auf einem Antigravfeld dahin und besaß an den Seiten jeweils Waffenarme mit drei verschiedenen Mündungen. Offenbar waren sie zum Verschie ßen sehr unterschiedlicher Munition geeignet.
Aus einer der Mündungen schoß normales Blasterfeuer heraus. Aus einer anderen der schwarze Strahl, und das dritte Rohr schickte Explosivgeschosse auf die Reise. Ein weiterer Roboter ähnlichen Typs erschien. Er unterschied sich nur durch die Form des Körpers, der nicht aus einer Kugel, sondern aus einem Würfel bestand. Die Roboter feuerten wild drauflos. Ein Explosivgeschoß traf die Außenwand des Kuppelbaus in etwa fünf Metern Höhe und riß ein Loch hinein. Ganze Brocken stürzten herab. Einer der Gordos – Donnergroll – wurde dadurch leicht verletzt. Ein wahres Feuerwerk aus Energieblitzen zuckte in Richtung der Verteidiger. Santini und Strange feuerten zurück, so gut sie konnten. Einer von Stranges Blastern war bereits leergeschossen. Der Hauptgefreite warf die unbrauchbar gewordene Waffe zur Seite und konzentrierte sich darauf, mit gut gezielten Treffern die heranna hende Flut der Roboter in Schach zu halten. Santini war erfolgreicher, was vor allem der überlegenen Zieler fassung des Multikarabiners zu verdanken war. Die ersten beiden Roboter sprengte er trotz deren geballten Sperr feuers mit gezielten Schüssen in die Luft. Einen dritten setzte er mit einem Treffer außer Gefecht, der die mit vier Armen und vier Beinen ausgestattete Maschine genau dort traf, wo der Hauptmann die Hochleistungsoptik des Gerätes vermutete. Damit hatte er offenbar vollkommen richtig gelegen. Der Roboter verlor die Orientierung, schoß ziellos in der Gegend herum und traf dabei zwei weitere Einheiten so schwer, daß auch sie explodierten. Immer seltener konnte Santini aus der Deckung hervortauchen. Der Beschuß durch die Roboter war zu intensiv. Unaufhaltsam drangen sie weiter vor. Auch die in den Sichtluken der Kuppel postierten Schützen ver mochten sie nicht aufzuhalten.
Santini hörte einen Schrei durch den Kampflärm gellen. Offenbar hatte es wieder einen der Männer erwischt. Ganz in der Nähe des Eingangs erwischte Santini einen der Ang reifer mit einem Blasterschuß aus seinem Multikarabiner. Der Ro boter zerplatzte. Metallteile schossen durch die Luft. Plötzlich spürte Santini einen Schmerz an der Schulter. Er taumelte zurück. Eines der Metallstücke hatte ihn getroffen. Ein höllischer Schmerz jagte den Arm entlang und breitete sich von der Schulter über die gesamte linke Körperhälfte aus. Santini taumelte zu Boden, lag un geschützt im Eingangsbereich. Ein schwarzer Strahl zischte haarscharf an ihm vorbei. Santini biß die Zähne aufeinander, riß mit einer Hand den Multikarabiner hoch und feuerte. Die Zielerfassung half ihm. Derjenige der heranstür menden Roboter, von dem der Strahlschuß ausgegangen war, zer platzte in einer Explosion, deren Hitzewelle bis zu Santini spürbar war. »Weg da!« brüllte Tom Strange. »Ich gebe Ihnen Feuerschutz!« Strange sprang todesmutig aus der Deckung heraus, ließ Energie strahlen aus der Blastermündung herauszucken und hielt die Robo ter damit einigermaßen auf Distanz. Einige zogen sich etwas zurück, um erneut in Stellung gehen zu können. Andere wurden getroffen und zerstört. Santini rollte sich über den Boden, bis er außerhalb der gefährdeten Zone war. Tom Strange feuerte, bis nur noch ein blasser Lichtblitz aus dem Blaster herauskam. Leergeschossen! Die Energiezelle war abermals verbraucht. Der junge Soldat sprang in Deckung, preßte sich gegen die Wand des Kuppelbaus. In Santinis Helmvisier blinkte eine Anzeige, die ihm mitteilte, daß die Energie Vorräte des Multikarabiners unter 10 Prozent lagen.
Wir sind am Ende! An dieser Erkenntnis gab es nicht herumzudeuteln. Höllische Schmerzen machten Santini einige Augenblicke lang halb wahnsinnig und lähmten ihn förmlich. »Werfen Sie mir den Karabiner herüber!« brüllte Tom Strange, der begriff, was mit dem Hauptmann los war. Aber in diesem Moment kam der erste Roboter dicht an den Ein gang des Kuppelbaus heran. Er bestand aus zwei aufeinander auf gesetzten Kugeln. An jeder dieser Kugeln befanden sich zwei Arme, an deren Ende sechsfingrige Greifhände saßen. Jede Hand trug einen Strahler, wobei keine dieser Waffen der anderen glich. Santini schoß den Multikarabiner ab. Wie ein Strich zog sich der Blasterstrahl durch die Luft und traf die Maschine. Sie sackte zu Boden. Aus einer der handlichen Waffen hatte sich ein schwarzer Strahl gelöst, der ungezielt in die Luft ging. Der Roboter explodierte. Santini zuckte in die Deckung zurück und schützte sich so gut er konnte mit den Händen. Metallteile flogen durch die Luft. Ein zweiter Roboter kam heran. Doch er explodierte von allein, ohne daß Santini noch einen Schuß abgegeben hätte. Es blieb nichts von ihm übrig. Von draußen waren weitere Detonationen zu hören. Santini glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Die Angreifer ex plodierten! Was war es, das die feindlichen Roboter jetzt einen nach dem an deren in die Luft gehen ließ und die Kampfmaschinen buchstäblich auseinanderriß? Verstärkung? Hilfe durch terranische Eingreiftruppen oder Verbände loyaler Grakos? Das war kaum anzunehmen. Dazu waren die Kämpfe, die zur gleichen Zeit überall auf Grah tobten, einfach zu heftig. Da wurden alle Kräfte gebraucht, um zu mindest die wichtigsten Kommunikations- und Verkehrsknoten
punkte weiterhin unter Kontrolle zu halten. Und selbst das würde schwer genug werden. Santini rappelte sich auf. Die Schulter schmerzte immer noch höllisch. Er biß die Zähne zusammen, wankte zum Ausgang und trat im nächsten Moment über die Überreste der explodierten Roboter hin weg. Draußen gab es weitere Detonationen. Ein Roboter nach dem anderen wurde vernichtet. Auch das Beiboot, das jetzt hoch am Himmel schwebte, explodierte – und das, obwohl es ganz offensich tlich den Schutzschirm eingeschaltet hatte. Die Trümmer regneten auf das Depot herab. Santini zog sich rasch wieder zurück, um nichts abzubekommen. Ein Metallsplitter in der Schulter reichte ihm. »Bekommen wir Hilfe?« fragte Strange. Santini schüttelte den Kopf. »Nein«, murmelte er. »Die Roboter haben sich selbst zerstört.« »Was?« Strange schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich weiß, es ist kaum zu glauben«, gab Santini zu. »Aber – warum?« fragte Strange. Santini verzog vor Schmerzen das Gesicht. »Keine Ahnung, Strange.« Wenig später kehrte Ruhe rund um das Depot ein. Eine Ruhe, die es hier seit Stunden nicht gegeben hatte. Das eigentümliche und unverwechselbare Konzert des Dschungels war wieder zu hören. Der Regen ließ nach. Der letzte Donner verhallte in der Ferne. »Ich schlage vor, ich versorge erst einmal Ihre Wunde«, bot Strange dem Hauptmann an. »Halb so wild«, entgegnete Santini. »Den Metallsplitter, der da drinsteckt, können Sie ohnehin nicht herausholen!« *
Sie warteten eine Weile ab, um sicherzugehen, daß draußen die Luft wirklich rein war und nicht im nächsten Moment doch noch neue Verbände des Feindes auftauchten. Aber das war nicht der Fall. Allerdings war bis jetzt auch nichts von irgendwelchen Einheiten der terranischen Flotte zu sehen. Tom Strange machte sich daran, Funkkontakt herzustellen. Zunächst antwortete niemand, und man konnte nur hoffen, daß dies lediglich auf technische Probleme zurückzuführen war. Strange bekam schließlich eine Verbindung zum provisorischen Hauptquartier von Oberleutnant Mattaleinen, dem Kommandanten einer terranischen Einheit, die Raumhafen Drei gegen die Invasoren verteidigt hatte. Es gab interessante Neuigkeiten. Danach war die feindliche Flotte zurückgeschlagen worden, woraufhin überall auf dem Planeten die abgesetzten Roboter plötzlich explodierten. Bislang gab es dafür keine schlüssige Erklärung. »Sagen Sie denen, daß wir dringend Hilfe brauchen«, rief Santini zu Strange hinüber. »Sie sollen einen Gleiter schicken, der groß ge nug ist, um drei Gordo aufzunehmen. Und außerdem brauchen wir ein paar Ärzte und Sanitäter.« * Die Angriffe der Roboter hatten erhebliche Schäden verursacht, daher mußten Santini und seine Leute damit rechnen, daß es unter Umständen etwas länger dauern würde, bis ein ausreichend großer Gleiter organisiert werden konnte. Nachtflug meldete sich zu Wort. »Wir sollten unbedingt die Trümmer der zerstörten Roboter untersuchen. Vielleicht finden wir irgend etwas, das auf die Urheber dieses Angriffs hinweist…« Santini hielt sich die Schulter und verzog das Gesicht. Der Schmerz in der Schulter hatte inzwischen nachgelassen. Oder habe ich mich einfach nur daran gewöhnt? überlegte er.
Strange hatte die Wunde notdürftig verbunden. Aber es steckte noch mindestens ein Metallsplitter in seiner Schulter. Darum mußte sich so schnell wie möglich ein Fachmann kümmern. Auch die anderen Verletzten waren mehr schlecht als recht versorgt worden. »Strange und ich werden uns etwas umsehen«, teilte er Nachtflug mit. »Ich wäre gerne dabei«, verkündete der Gordo. Strange und Santini wechselten einen leicht überraschten Blick. Der Hauptgefreite zuckte die Achseln. Santini nickte und meinte: »Warum nicht?« * Wenig später gingen Strange und Santini über das Schlachtfeld. Nachtflug folgte ihnen. Von den explodierten Robotern waren kaum Überreste geblieben, die zu untersuchen sich lohnte. Oft waren sie derart zerfetzt oder zu einem ascheartigen Staub zerstrahlt worden, daß daran allenfalls noch Laborspezialisten irgend etwas würden feststellen können. Sie erreichten den Waldrand. Auch hier lagen überall Trümmerteile herum, mit denen sich je doch genauso wenig anfangen ließ. Hinter einer großblättrigen Staude fanden sie dann einen Roboter, der offenbar nicht explodiert, sondern von einem Strahlschuß nur außer Gefecht gesetzt worden war. Die Selbstzerstörung hatte nicht mehr wie bei den anderen Robotern ausgelöst werden können. Ein Glücksfall. Der sechsbeinige Körper des Roboters hatte Ähnlichkeit mit einem Insekt. Am Ende der Extremitäten befanden sich feing liedrige Greifhände. Eine dieser Greifhände hielt eine handliche Waffe in den Metall fingern, die Santini als Schwarzstrahler identifizierte. Er war noch intakt.
Strange hob ihn auf und reichte ihn Hauptmann Santini weiter. Dieser wog die aus ultraleichtem Material bestehende Waffe in der rechten Hand. Er wandte sich an Nachtflug. »Wie ist es möglich, daß die Unbekannten offenbar das Geheimnis der Herstellung von Schwarzstrahlern kennen, wo es doch von den Grakos immer derart gehütet wurde?« stieß Santini hervor. »Ein Rätsel«, war Nachtflugs überraschend unaufgeregter Kom mentar zu dieser Sache. In diesem Moment verdunkelte die Silhouette eines großen terra nischen Transportgleiters den Himmel und warf einen Schatten auf das Depot. Der Gleiter sank tiefer und landete schließlich in der Nähe der Kuppelbauten. Santini, Strange und Nachtflug näherten sich der Maschine. Ein Dutzend terranischer Raumsoldaten verließ das Gefährt. Ein Mann in der Uniform eines Leutnants ging auf Santini zu. Er grüßte militärisch. »Hauptmann Santini?« fragte der Leutnant. Santini nickte. »Der bin ich.« »Leutnant Roger van Dahlen«, stellte sich der Leutnant vor. Santini war ihm noch nie begegnet, hatte aber von ihm gehört. Van Dahlen hatte erst vor wenigen Tagen seinen Dienst auf Grah angetreten. »Wir haben ein paar Schwerverletzte, die dringend medizinische Betreuung brauchen«, erklärte Santini. Van Dahlen deutete auf Santinis Schulter. Die Wunde hatte durch den provisorischen Verband hindurch zu bluten begonnen. Auf einer handgroßen Fläche war das Uniform hemd rot. »Mir scheint, Sie brauchen selbst medizinische Hilfe!« stellte der junge Offizier fest. Ein mildes Lächeln ging über sein Gesicht. »Keine Sorge, wir sind bestens ausgestattet.« Dann zeigte er in Nachtflugs
Richtung. »Wir haben den größten Gleiter genommen, der sich in der Eile auftreiben ließ«, setzte van Dahlen hinzu. »Der Frachtraum dürfte auch Gordos einen einigermaßen komfortablen Aufenthalt ermöglichen.« Santini nickte leicht und schloß für einen Moment die Augen. Er schwankte leicht. Strange erfaßte die Situation und stützte ihn. »Bringen Sie uns so schnell wie möglich nach Drei zurück«, for derte der Obergefreite. »Aber bevor Sie das tun, müssen wir noch etwas mitnehmen!« meldete sich Santini noch einmal zu Wort. Er deutete zum Dschun gelrand. »Dort hinten liegt ein noch einigermaßen guterhaltenes Roboterwrack. Von den anderen ist ja meistens wirklich nur Schrott übriggeblieben…« Van Dahlen nickte anerkennend. »Sie haben gute Arbeit geleistet, Hauptmann! Meine Hochach tung!« »Es wäre mir lieber gewesen, wenn die Beschädigungen an den Robotern nicht so groß wären, dann könnte man leichter Rück schlüsse auf deren Herkunft ziehen. Wie gesagt, da hinten liegt eine dieser Maschinen, bei der es sich lohnen würde, sie nach Drei mit zunehmen und genauestens zu untersuchen.« »Wird veranlaßt, Sir«, versprach van Dahlen. »Aber die erste Un tersuchung wird jetzt Ihrer Verwundung gelten…« Santini lächelte matt. »Gegen Ihren Vorschlag ist nichts einzuwenden, Leutnant«, sagte er.
3.
Anderthalb Stunden später saß Santini in einem Schalensitz in der Passagierkabine des Gleiters. Die Gordo und das Roboterwrack waren im Frachtraum untergebracht worden. Van Dahlens Leute hatten die Umgebung noch kurz nach weiteren interessanten Fundstücken abgesucht, aber nichts gefunden, was auf den ersten Blick wichtig erschien. Die Verletzten wurden von zwei Militärärzten der Flotte und mehreren Sanitätern behandelt. Großserienroboter vom humanoiden Typ übernahmen den Transport derjenigen, die nicht mehr in der Lage waren, sich selbst an Bord des Gleiters zu begeben. Auch Santinis Wunde war jetzt endlich fachgerecht versorgt wor den. Unter örtlicher Betäubung hatte Dr. Paula Nielsen, eine der beiden Militärärztinnen im Rang eines Leutnants, den Metallsplitter aus Santinis Wunde herausgeholt. Jetzt fühlte sich der Hauptmann müde und abgeschlagen. Die Strapazen der letzten Zeit machten sich nun ebenso bemerkbar wie die Folgen der Verwundung. Aber da war etwas, das Santini daran hinderte, einfach die Augen zu schließen und ins Reich der Träume abzugleiten. Es war die Frage, wer hinter diesem offenbar gescheiterten Inva sionsversuch steckte und ob womöglich damit gerechnet werden mußte, daß die Unbekannten erneut auftauchten. Santini blickte durch eines der Sichtfenster. Nebel stieg aus Re genwäldern empor, die sich von Horizont zu Horizont erstreckten. Zwischendurch wurden diese Dschungel von den Städten der Gra kos unterbrochen. Großflächige Siedlungen, die sich in die Waldge biete hineinfraßen. Immer wieder verdeckten Dunstschwaden das Schlimmste, aber die Zerstörungen, die die Invasoren angerichtet hatten, waren auch aus der Luft heraus erkennbar.
Tom Stranges Stimme drang wie aus weiter Ferne in Santinis Be wußtsein. »Das war verdammt knapp, Sir«, meinte er. Santini drehte sich zu ihm um und deutete auf seine Rangabzei chen. »Ja – aber Sie können darauf wetten, daß es Ihnen nicht ge dankt wird, wenn Sie hier Ihr Leben aufs Spiel setzen. Seit mehr als drei Jahren bin ich auf diesem verdammten, von wimmelnden In sekten jeder nur erdenklichen Intelligenzstufe bevölkerten Planeten stationiert und versuche dabei mitzuhelfen, aus der ehemaligen Geißel der Galaxis so etwas wie eine friedliche, zivilisierte Nation zu machen. Aber ich schätze, ich werde wohl bis zu meiner Pensionie rung Hauptmann bleiben.« Tiefe Bitterkeit sprach aus diesen Worten. Tom Strange entging das keineswegs. Er wollte etwas erwidern, aber es fiel ihm einfach nichts Passendes ein. Sein Kopf war leer. Santini verzog grimmig das Gesicht und fügte noch hinzu: »War ten Sie es ab, Strange. In zehn Jahren bin ich immer noch Haupt mann, während Sie wahrscheinlich planetarer Kommandeur von Grah sein werden!« »Sagen Sie so etwas nicht, Sir!« »Und warum nicht?« »Schon deshalb, weil es ein Alptraum wäre, wenn wirklich noch zehn Jahre lang terranische Truppen auf Grah stationiert bleiben müßten.« Santini zuckte die Schultern. »Angesichts der Fortschritte, die wir hier machen…« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Bewahren Sie sich ruhig Ihren Optimismus, Junge!« * Die POINT OF war zusammen mit den anderen zum Teil erheblich beschädigten Raumern, die an den Gefechten um das Gerrck-System
teilgenommen hatten, auf dem Hauptlandefeld von Raumhafen Drei gelandet. Es würde sich zeigen, welche der im Intervallschlepp auf die Pla netenoberfläche gebrachten Schiffe in Zukunft überhaupt noch ver wendbar waren und welche man wohl verschrotten mußte. Ren Dhark, Dan Riker und Arc Doorn verließen das Schiff. Zu Fuß gingen sie auf das Gebäude zu, in dem sich die Raum kontrolle befand. Der gesamte Stab des planetaren Oberkommandos unter Oberst Ngona war gefallen. Jetzt mußte auf allen Ebenen improvisiert werden. Auf den ersten Blick war erkennbar, daß auch rund um den Raumhafen herum erbittert gekämpft worden war. Ren Dhark sah, daß die Angriffe am Boden sicher mit ebenso gro ßer Heftigkeit durchgeführt worden waren, wie die Auseinander setzung, die zur gleichen Zeit im Weltraum getobt hatte. Über Funkkontakt mit dem überlebenden stellvertretenden Chef einer für den Raumhafen zuständigen Einheit, einem gewissen Oberleutnant Akki Mattaleinen, hatten Dhark und seine Mannschaft erfahren, daß die Roboter der Invasoren sich offenbar selbst zerstört hatten, als der Kampf im Weltraum für sie verloren gewesen war. Das Bild der teilweise zerstörten Gebäude, die zum Hafen gehör ten, war deprimierend. Der einzige Lichtblick – und das war in diesem Fall wörtlich zu nehmen – kam von oben. Der schon seit Stunden andauernde Nie selregen hörte auf, und in der ansonsten zumeist dichten grauen Wolkendecke Grahs bildete sich eine Öffnung, die groß genug war, um etwas Sonne bis auf die Oberfläche dringen zu lassen. Ein Ereignis, das auf Grah selten genug zu verzeichnen war. In den ehemaligen Büros der Raumkontrolle hatte Oberleutnant Mattaleinen sein provisorisches Hauptquartier errichtet. Schon wenige Minuten nach ihrer Landung wurden Dhark, Riker und Doorn von ihm empfangen.
Mattaleinen, ein stämmig gebauter, dunkelhaariger Finne mit breitem Gesicht und einem buschigen Schnauzbart, lieferte einen kurzen, zusammenfassenden Bericht über die Ereignisse am Boden und erwähnte dabei auch die Rolle von Hauptmann Santini, dem es gelungen war, den entscheidenden Hyperfunkspruch abzusetzen. »Wir sind Ihnen und den Mannschaften der Schiffe, die mit Ihnen gekämpft haben, zu großem Dank verpflichtet«, äußerte Mattalei nen. »Aber ohne Santini hätte niemand von Ihnen davon erfahren, was sich hier im Gerrck-System für ein Drama abgespielt hat. Darü berhinaus rettete er drei Mitglieder der Gordo-Regierung.« »Wo ist dieser Santini jetzt?« fragte Dhark. »Er wird zusammen mit den wenigen Überlebenden seiner Gruppe nach Drei gebracht.« »Ich würde ihn gerne sprechen, wenn sich das einrichten ließe.« »Das läßt es sich bestimmt. Für den Hauptmann wäre das eine Ehre.« Dhark lächelte. »Vergessen Sie nicht, daß ich nur noch Privatmann bin und keineswegs mehr Ihr Oberbefehlshaber«, gab Dhark zu be denken. Mattaleinen nickte entspannt. »Ich werde es mir merken, Sir, aber nach all dem, was Sie für die Menschheit geleistet haben, werden Sie für mich immer so etwas wie ein Commander der Planeten ehrenhalber bleiben.« »Übertreiben Sie nicht, Oberleutnant«, wandte Dhark ein. Dan Riker meldete sich nun zu Wort. »Gibt es schon irgendwelche Erkenntnisse, wer hinter diesem Angriff steckte?« Mattaleinen schüttelte den Kopf. »Hier ist mehr oder weniger alles zusammengebrochen. Die Inva soren haben durch die Vernichtung des planetaren Oberkommandos natürlich dafür gesorgt, daß jede Koordination versagte. Und daran hat sich bis jetzt nichts geändert. Wir versuchen, so gut es geht alle Verletzten zu versorgen und haben natürlich nach verwertbaren Überresten der explodierten Roboter gesucht. Teilweise sind wir
auch fündig geworden. Einige Experten durchsuchen derzeit sämt liche zur Verfügung stehenden Archive der Grakos. Schließlich verwendeten die angreifenden Roboter zum Teil eindeutig Schwarzstrahler nach Bauart der Grakos, auch wenn die Waffen in der äußeren Gestaltung an die Greifarme der Roboter und nicht an die Anatomie der Insektoiden angepaßt waren.« »Während der Weltraumschlacht verwendeten die Invasoren eine sehr wirksame Waffe von konzentrierten Energiestrahlen, die wir vorläufig Kompri-Nadel genannt haben«, warf Arc Doorn ein. »Was die Bodenkämpfe angeht, ist mir davon nichts bekannt«, er klärte Mattaleinen. »Wir sind zwar immer noch dabei, alle einge henden Informationen zu sammeln und aus diesem Puzzle nach und nach ein Gesamtbild zu erstellen, aber so, wie sich die Dinge bis jetzt darstellen, verwendeten die abgesetzten Roboter zumeist ganz ge wöhnliche Impulsstrahler, die sich in ihrer Wirkung nicht großartig von unseren Blastern unterscheiden. Ein kleinerer Teil der Angreifer verfügte jedoch über die Schwarzstrahler, was uns gelinde gesagt vor einige Rätsel stellt.« »Eine Parallelentwicklung ist undenkbar?« fragte Dhark. »Undenkbar nicht, aber sehr unwahrscheinlich. Doch wenn Hauptmann Santini eintrifft, werden Sie sich sicher ausführlich mit ihm darüber unterhalten können. Er hatte ja eine mindestens ebenso hautnahe Begegnung mit den Robotern wie wir.« Ein Summton ertönte. Oberleutnant Mattaleinen aktivierte sein Armbandvipho. »Hier Fähnrich Jameson. Der Gleiter mit Hauptmann Santini ist eingetroffen. Er möchte sofort über die Lage informiert werden«, erklärte die Stimme des Offiziersanwärters. »Selbstverständlich!« Mattaleinen nickte unbewußt. Er wandte sich an Dhark. »Wie es scheint, wird Ihr Wunsch, mit Hauptmann Santini zu sprechen, umgehend in Erfüllung gehen, Sir!«
Einen kurzen Moment später betrat der Offizier den Raum. Er hatte sich eine frische Uniformkombination angezogen, aber die Strapazen, die er hinter sich hatte, waren ihm deutlich anzusehen. Die Schulter machte ihm immer noch zu schaffen. Doch starke Schmerzmittel sorgten dafür, daß er nicht die ganze Zeit über die Zähne zusammenbeißen mußte. Oberleutnant Mattaleinen salutierte. Er schien äußerst beeindruckt von Santinis Leistung. Dann deutete er auf Dhark. »Der ehemalige Commander der Planeten hatte den ausdrücklichen Wunsch, mit Ihnen zu sprechen, Hauptmann.« Santini nahm Haltung an. »Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzuler nen, Sir«, sagte er sichtlich bewegt. »Es ist mir eine Ehre«, erwiderte Dhark. »Oberleutnant Mattaleinen hat mir von Ihrem Einsatz berichtet. Hätten Sie nicht den Mut und die Entschlossenheit gehabt, bis zum Hyperfunksender in Delta-Null vorzudringen, sähe es jetzt sehr übel aus…« »Danke für Ihre anerkennenden Worte, Sir.« Santini wandte kurz den Blick in Richtung des Oberleutnants. »Ich tue hier seit mehreren Jahren meinen Dienst, aber leider hatte nicht jeder die gleiche posi tive Meinung über meine Art, diesen Dienst auszuführen.« Dhark begriff, daß es da offenbar in der Vergangenheit irgend welche Unstimmigkeiten gegeben hatte. Aber da konnte er sich nicht einmischen. Nun, da er nur noch Angestellter einer Stiftung war und nicht mehr der Commander der Planeten, galt dies um so mehr. Mit der Zeit wirst du dich daran gewöhnen müssen, kein offizielles Amt mehr zu haben – ja, nicht einmal mehr im Staatsdienst Terras zu sein! ging es ihm durch den Kopf. Erneut ertönte der Summton, der ankündige, daß jemand mit dem Oberleutnant in Kontakt zu treten wünschte. Mattaleinen meldete sich. »Was gibt es?« fragte er etwas knarzig.
»Hier spricht Hen Falluta, Erster Offizier der POINT OF«, kam es aus dem Vipho. »Sie wollen sicher mit Ihrem Kommandanten sprechen«, vermu tete Mattaleinen. Aber Falluta widersprach. »Nein, Sir, wir haben hier eine über To-Richtfunk abgestrahlte Nachricht von der Erde mit Bitte um Weiterleitung.« »Mit welchem Inhalt?« fragte Mattaleinen. »Marschall Bulton, seines Zeichens Oberkommandierender der Terranischen Flotte, befördert Hauptmann Santini mit sofortiger Wirkung zum Major. Außerdem überträgt er ihm bis zur Einsetzung eines neuen planetaren Oberkommandos die vorläufige Befehlsge walt über sämtliche auf Grah stationierten Einheiten der Flotte. Die Originalnachricht sollte Major Santini so schnell wie möglich zu gänglich gemacht werden.« Santinis Kinnladen klappte nach unten. Mit allem hatte er gerechnet – nur nicht damit! »Ich gratuliere, Major!« sagte Ren Dhark. * In den nächsten Tagen trafen fünfzig terranische Ovoid-Ringraumer im Gerrck-System ein, um Grah vor einer even tuellen Rückkehr der Aggressoren wirksam schützen zu können. Auf der Oberfläche begannen die umfangreichen Aufräumarbei ten. Arc Doorn und Dan Riker unterstützten die mit der Durchsuchung der Grako-Archive betrauten Experten, zu denen auch loyale Grakos gehörten. Aber es gab keinerlei Hinweise darauf, daß das Geheimnis der Schwarzstrahler jemals von den Grakos an ein anderes Volk weiter gegeben worden war.
»Ich glaube nicht, daß wir in den Archiven der Grakos in abseh barer Zeit weiterkommen«, meinte Riker an einem der nächsten Ta ge, während er sich mit Ren Dhark besprach. »Ich will zwar nicht unken, aber auch Arc Doorn, der von uns allen mit der auf Grah üblichen Speichertechnik am besten zurechtkommt, hat nicht den Hauch eines Hinweises gefunden.« Dhark nickte. Ein ähnlich deprimierender Erkenntnisstand ergab sich leider auch nach den Laboruntersuchungen des einigermaßen erhalten gebliebenen Roboters, für dessen Transport nach Drei Eric Santini gesorgt hatte. Es blieb nur die Erkenntnis, daß die Fremden offenbar wußten, wie man Schwarzstrahler produzierte… Die beiden Männer saßen in einem der Konferenzräume an Bord der POINT OF. »Dann schlage ich vor, daß wir uns hier nicht länger aufhalten«, entschied Dhark schließlich, nachdem er seinen Kaffeebecher leer getrunken hatte. Er verzog das Gesicht. Das Gebräu war bereits kalt geworden. »Seit die neuen Ringraumer eingetroffen sind, werden wir zur Aufrechterhaltung der Sicherheit im Gerrck-System nicht mehr benötigt.« Dan Riker nickte. »Das sehe ich genauso.« »Ich habe vor, die POINT OF für eine längere Mission auszurüsten, um endlich das Geheimnis der Goldenen zu klären«, eröffnete Dhark. »Du weißt, wir sprechen nicht zum erstenmal darüber.« »Das heißt, wir fliegen als erstes zur Erde zurück«, schloß Riker. Dhark nickte. »Aber nur für einen Kurzaufenthalt. Es gibt vor un serem Aufbruch noch einiges zu klären. Unter anderem muß ich mit Trawisheim sprechen.« Henner Trawisheim war Dharks Nachfolger im Amt des Com manders der Planeten, so wie Marschall Bulton Dan Riker als Flot tenchef beerbt hatte.
Riker erhob sich. »Ich schlage vor, wir verschwenden nicht weiter unsere Zeit…« Dhark blieb sitzen, wirkte dabei so, als wäre er in Gedanken ver sunken. Riker kannte Dhark lange genug, um auch ohne irgendeine Art von Telepathie erraten zu können, worüber der Freund jetzt nachdachte. »Unsere Amtsnachfolger sind fähige Leute, Ren. Die werden die Situation hier schon in den Griff kriegen. Und die erste Aggression aus den Weiten des Alls ist der Überfall dieser Roboterarmee nun auch nicht.« Dhark lächelte mild. »Allerdings!« murmelte er. »Und es wird wohl auch nicht die letzte sein.« * Terra, einige Tage später… Henner Trawisheim war ein breitschultriger Mann mit dunklen Haaren und ruhigen, nachdenklich wirkenden Augen. Lange Zeit war der erste Cyborg, dessen halborganische Implantate ihm einen theoretischen Intelligenzquotienten von 276 verliehen und der für seine Fähigkeit zu außerordentlich stringentem logischen Denken bekannt war, der Stellvertreter Ren Dharks im Amt des Comman ders der Planeten gewesen. Inzwischen war Trawisheim selbst Regierungschef Terras und seiner Kolonien, obwohl er eine derartige Machtposition niemals angestrebt hatte. Nichtsdestotrotz hatte Trawisheim die Herausfor derung, die diese Aufgabe bedeutete, angenommen. Weder Macht streben noch persönliche Eitelkeit waren es, die diesen Mann vor antrieben. Vielmehr war es die ehrliche Sorge um das Schicksal der Menschheit, die ihn nicht ruhen ließ.
In diesem Punkt waren sich Ren Dhark und Henner Trawisheim sehr ähnlich, wenn es auch gewichtige Unterschiede zwischen ihnen gab. Dhark neigte auf Grund seines noch recht jugendlichen Alters eher zum Draufgängertum und zur Waghalsigkeit. Trawisheim hingegen war wie geschaffen für die Position eines mit kalter Logik abwägenden, doch niemals verantwortungslosen Politikers, der nicht nur die nächsten Aufgaben im Visier seines Interesses hatte, sondern in langfristigen Perspektiven zu denken vermochte. »Es freut mich wirklich, Sie zu sehen, Ren!« begrüßte der amtie rende Commander der Planeten seinen Amtsvorgänger in einem der zahllosen Konferenzräume des Regierungsgebäudes. »Und mich freut es, daß Sie Zeit für mich haben!« »Machen Sie keine Witze! Sie werden hier immer eine offene Tür finden. Um ehrlich zu sein, wenn Sie hier nicht aufgetaucht wären, hätte ich in Kürze um eine Unterredung gebeten.« Ren Dhark konnte sich schon denken, worum es ging. Um den neuen, unbekannten Feind aus den Tiefen des Alls… Dhark machte das Auftauchen der Angreifer im Gerrck-System genauso viel Sorgen wie Trawisheim. Aber andererseits war er jetzt nicht mehr im Staatsdienst, und so beabsichtigte Dhark auch nicht, sich von dem terranischen Regierungschef in Beschlag nehmen zu lassen. Schließlich hatte er nicht umsonst seine Ämter und Positio nen abgegeben. Er wollte unabhängig sein, Entscheidungen treffen können, bei denen er nicht immer die ganze Last der Verantwortung für ein kleines Sternenreich auf den Schultern tragen mußte. »Wir haben immer noch nicht den kleinsten Anhaltspunkt, wer hinter dem Angriff auf das Gerrck-System stecken könnte«, erklärte Trawisheim. »Die Untersuchungen auf Grah laufen auf Hochtouren. Wir haben Überreste dieser Roboter labortechnisch untersucht und durchforsten noch immer die Datenbänke der Grakos auf jeden Hinweis. Bislang ohne Erfolg.« »Früher oder später werden sich schon Anhaltspunkte ergeben.« Henner Trawisheim atmete tief durch.
»Ein neuer Konflikt wäre wirklich das letzte, was Terra jetzt ge brauchen könnte«, meinte er. »Drei Jahre Frieden liegen hinter uns. Die Daten, die Sie uns aus der Galaxis Orn mitgebracht haben, haben für einen wahren Technologieschub gesorgt. Da würde uns ein Konflikt mit irgendeinem unbekannten, aber offensichtlich hervor ragend ausgerüsteten Feind ziemlich zurückwerfen.« Dhark hob die Augenbrauen. »War damit nicht früher oder später zu rechnen, Henner? Das Universum ist voller Leben, und bei allem, was Terra inzwischen erreicht hat, ist und bleibt es doch eine recht unbedeutende Welt mit einem winzigen Bestand an Kolonien. Nicht zu vergleichen mit der Ausdehnung anderer galaktischer Mächte wie etwa dem Telin-Imperium.« »Ich weiß«, murmelte Trawisheim. »Und Sie wissen, daß es mir am liebsten wäre, wenn Sie sich mit der POINT OF der Sache annehmen und auf die Suche nach diesem unbekannten Feind gehen würden!« Etwas in der Art hatte Dhark fast erwartet. »Tut mir leid«, gab er Trawisheim einen Korb. »Ich habe andere Pläne.« »Die Erde ist vielleicht bedroht, und Sie haben andere Pläne?« Eine deutliche Spur von Ärger mischte sich jetzt in den Tonfall des Re gierungschefs. »Wir müssen wissen, mit welcher Art von Bedrohung wir es zu tun haben und wie groß ihr Ausmaß ist, damit wir uns vorbereiten können und nicht am Ende von einer übermächtigen Gefahr überrascht werden.« »Ich plane schon seit längerem eine Expedition, um endlich das Geheimnis der Goldenen zu lüften. Wir wissen, wer die Mysterious waren und kennen ihre Geschichte. Aber die Goldenen sind bis heute ein Rätsel geblieben, und ich habe es einfach im Gefühl, daß diese Frage von entscheidender Bedeutung für das weitere Schicksal der Menschheit sein wird.« »Gefühl?« echote Trawisheim. »Sie können es Instinkt nennen. Jedenfalls will ich diese Expedition nicht weiter hinausschieben. Wir haben auf Babylon Nachforschun
gen angestellt, als sich der Gigantsender in Betrieb setzte und ein Signal zum Kurrgen-System sandte. Als wir dem Notruf aus dem Gerrck-System folgten, waren wir gerade dort, um nach weiteren Spuren des goldenen Salters zu suchen… Ich denke nicht daran, jetzt die Suche einfach abzubrechen.« Trawisheim seufzte. »Ich kenne Sie nicht wieder, Ren! Was ist aus Ihnen geworden? Früher…« »Früher war ich Commander der Planeten«, unterbrach Dhark sein Gegenüber. »Jetzt bin ich nur noch Kommandant der POINT OF und stehe nicht mehr auf der Lohnliste der Terranischen Flotte, wenn ich Sie daran erinnern darf. Die POINT OF wurde mir als Eigentum übergeben und…« »… Sie sind Ihr eigener Herr!« vollendete Trawisheim grimmig. »Ja, ich weiß!« Er fuhr sich mit der Hand durch das Haar. Sein Ge sicht verzog sich und verlor für einen Augenblick die ansonsten eher gelassen wirkende Ausstrahlung. »Niemand zweifelt daran, daß Sie es verdient hatten, die POINT OF als persönliches Eigentum über eignet zu bekommen, Ren. Und doch habe ich den Tag, an dem ich sie Ihnen im Namen Terras um Ihrer Verdienste willen übereignet habe, inzwischen schon so manches Mal verflucht!« »Henner…« Trawisheim hob abwehrend die Hände. »Nein, jetzt lassen Sie mich aussprechen! Ich hatte natürlich angenommen, daß Sie mir auch weiterhin zur Verfügung stehen, wenn Not am Mann ist. Als eine Art Agent z.b.V. oder so etwas. Leider hat mir Terence Wallis mit der Gründung seiner POINT OF-Stiftung einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht…« Ren Dhark wußte nur zu gut, worauf Henner Trawisheim da ans pielte. Ein Raumschiff wie die POINT OF zu besitzen war eine Sache. Eine andere war es, für den Unterhalt des Raumers zu sorgen, dessen
Betrieb immense Summen verschlang, die das Vermögen gewöhn licher Sterblicher bei weitem überstiegen. Terence Wallis, der zur Zeit auf Eden residierende Großindustrielle und Förderer Ren Dharks, hatte kurzerhand eine Stiftung ins Leben gerufen, um den Betrieb der POINT OF und die Durchführung von Raumexpeditionen auch in Zukunft zu sichern. Eigentlich hatte Trawisheim gehofft, daß Dhark nach der Über eignung der POINT OF am finanziellen Gängelband der Flotte ge führt werden könnte. Aber genau das hatte Wallis durch die Gründung der Stiftung verhindert. Ren Dhark war dadurch relativ unabhängig von der terranischen Regierung geworden. »Es ist nun einmal so, wie es ist, Henner«, sagte Dhark. »Ich habe die Möglichkeit, meine Pläne in die Tat umzusetzen und werde es tun. Mein Instinkt sagt mir einfach, daß das Rätsel der Goldenen gelöst werden muß. Es steckt vielleicht mehr dahinter, als wir uns bislang vorstellen können.« »Und die unbekannten Angreifer? Die lassen Sie völlig kalt?« Dhark widersprach. »Nein, keineswegs. Aber ich weiß, daß es in der Flotte genug fähige Raumkapitäne gibt, die dieser Sache auf den Grund gehen können.« Trawisheim wußte, daß er auf verlorenem Posten stand. Er ver schränkte die Arme. Aber sein Gesicht wirkte inzwischen weniger hart und verkniffen. Sein Tonfall klang fast versöhnlich, als er sagte: »Ich hätte halt gerne den besten von allen gehabt.« Er zuckte die Achseln. »Wie auch immer, ich wünsche Ihnen trotzdem viel Glück bei Ihrer Expedition.« »Sie scheinen von deren Wichtigkeit nicht überzeugt zu sein…« »Liegt vielleicht daran, daß ich mich um näherliegende Probleme zu kümmern habe, Ren. Meiner Ansicht nach könnte das Rätsel der Goldenen noch eine Weile auf Eis liegen bis…«
»Bis was geschieht, Henner?« hakte Ren Dhark nach. »Bis ruhigere Zeiten anbrechen? Darauf werden wir beide wohl ein Leben lang vergeblich warten, meinen Sie nicht auch?« Trawisheim lächelte matt. »Vielleicht haben Sie in diesem Punkt sogar recht«, gestand er seinem Gesprächspartner zu. Beide Männer schwiegen. Eine Pause entstand, aber es war klar, daß noch nicht alles gesagt worden war. Trawisheim spürte das – und Ren Dhark wußte es. »Aus welchem Grund haben Sie mich heute eigentlich um eine Unterredung gebeten?« fragte Trawisheim. »Es hat mit der Expedition zu tun«, begann der Kommandant der POINT OF etwas zögerlich. Bring es auf den Punkt, auch wenn er dir dafür an die Gurgel geht! durchzuckte es Dharks Gedanken wie ein greller Blitz. Laut fuhr er fort: »Ich will, daß Chris Shanton an der Reise teilnimmt.« Trawisheim glaubte, sich verhört zu haben. »Was?« stieß er ungläubig hervor. Der Regierungschef starrte Dhark völlig entgeistert an. »Das kann nicht Ihr Ernst sein!« Der schwergewichtige Shanton war neben Arc Doorn der beste Spezialist für Fremdtechnik. Unter anderem war er für den Aufbau der Ast-Stationen verantwortlich gewesen und hatte zusammen mit Robert Saam die Grakosonden entwickelt. Ren Dhark wollte diesen Mann unbedingt an Bord der POINT OF wissen, wenn er aufbrach, um das Rätsel der Goldenen zu lösen, jener gigantischen, aber gesichtslosen Statuen, die auf zahlreichen, ehemals von den Worgun besiedelten Welten zu finden waren. So unter anderem auf der terranischen Kolonialwelt Babylon. Ein Mann wie Shanton konnte ein entscheidender Faktor bei der Lösung dieses Rätsels sein. Die Sache hatte nur einen Haken, und deswegen war Dhark bei Trawisheim. Shanton stand nämlich auf der Lohnliste der Terrani schen Flotte, und Dhark wußte sehr genau, daß er, was den Fremd
technikexperten anging, voll und ganz auf das Wohlwollen des Re gierungschefs angewiesen war. Der Blick, den Trawisheim Dhark zuwarf, sagte bereits überdeut lich, als was er das Ersuchen des POINT OF-Kommandanten ansah. Als eine Unverschämtheit. »Das kommt nicht in Frage, Ren!« »Was wollen Sie machen, Henner? Chris Shanton verhaften lassen? Seien Sie nicht albern und geben Sie ihm die Möglichkeit, an der Expedition teilzunehmen. Ich weiß, wenn ich ihn fragen würde, dann…« »… dann wäre er sicher sofort Feuer und Flamme. Aber ich brau che ihn hier. Und in diesem Punkt beißen Sie bei mir auf Granit.« »Die Stiftung könnte für die Zeit seiner Abwesenheit die Zahlung seiner Dienstbezüge übernehmen!« schlug Dhark vor. Er hatte zwar zuvor nicht mit Terence Wallis in dieser Frage Kontakt aufgenom men, war sich aber ziemlich sicher, daß der Industrielle damit ein verstanden wäre. Trawisheim schüttelte den Kopf. »Jede Diskussion in dieser Hinsicht ist völlig sinnlos!« behauptete er. »Henner…« »Und jetzt hören Sie mir mal gut zu! Diese Expedition, die Sie un ternehmen wollen, ist doch letztlich nichts weiter als die Ausgeburt Ihrer ganz persönlichen Sehnsucht…« »Das ist Unsinn«, widersprach Ren. »Der Sehnsucht eines kleinen Jungen, der Abenteuer erleben will! Dem es keine Ruhe läßt, daß er da draußen in der Finsternis des Alls nirgends eine Grenze gefunden hat, die sich letztlich als unüber windbar herausgestellt hat! Das ist es, was Sie vorantreibt. Gut, Sie haben sich vielleicht auf Grund all Ihrer Verdienste um die Menschheit das Privileg verdient, dieser Sehnsucht nachzugeben – aber wenn Sie jetzt erwarten, daß ich Ihnen auch noch meine besten Männer dafür zur Verfügung stelle, dann haben Sie sich verdammt
noch mal geirrt! Denn ich brauche Leute wie Shanton, um die Menschheit vor einer ganz akuten Bedrohung zu bewahren, auf die wir uns vorbereiten müssen! Eigentlich würde ich da von einem Mann wie Ihnen erwarten, daß er mir zur Seite steht und seine Fä higkeiten in den Dienst der Menschheit stellt, anstatt nur seine per sönliche Eitelkeit und Neugier zu befriedigen! Wen kümmern schon diese goldenen Monsterstatuen auf irgendwelchen fernen Planeten, wenn gleichzeitig unbekannte Eroberer sich anschicken, unseren Teil der Galaxis zu überfallen! Und genau das geschieht in diesem Mo ment! Aber den großen Ren Dhark kümmert das nicht. Er hat ja Wichtigeres zu tun.« Stille. Schweigen. Eine ganze, sich ewig dahinziehende Minute lang. Trawisheims Worte hatten Ren Dhark durchaus getroffen. Er war verwirrt, durcheinander. Gedanken rasten durch seinen Kopf. Hatte Trawisheim recht? Dachte er wirklich nur daran, seine ganz persönlichen Sehnsüchte zu befriedigen, wie es ihm der Regierungschef vorwarf? War er nicht aus dem Stadium eines das Abenteuer suchenden kleinen Jungen hinaus? Wann hast du Trawisheim zuletzt in einer derart erregten Verfassung erlebt? überlegte Dhark. Er konnte sich nicht erinnern. Auch das war ein Indiz für ihn, daß vielleicht doch mehr an den Worten seines Gegenübers der Wahrheit entsprach, als Dhark es wahrhaben wollte. »Es war vielleicht der falsche Moment, um über diese Sache zu sprechen«, sagte Dhark schließlich. »Nichts für ungut«, murmelte Trawisheim jetzt in gedämpfterem Tonfall. »Wahrscheinlich muß jeder von uns tun, was er tun muß…« *
Später… Ren Dhark stand an der Fensterfront der luxuriösen Wohnung, die ihm bei seinen Heimataufenthalten im Gebäude der POINT OF-Stiftung als privates Reich diente. Allen Besatzungsmitgliedern standen hier jederzeit Wohnungen zur Verfügung, wenn sich die POINT OF auf der Erde befand. Von Dharks Wohnung aus hatte man einen freien Blick auf den Raumhafen von Cent Field, Alamo Gordo. Die Dunkelheit war hereingebrochen. Die Stadt und der Raumha fen glichen einem Lichtermeer. Man konnte die Positionsleuchten der startenden und landenden Raumschiffe sehen. Dhark spürte, wie sich ihm jemand näherte und die Arme um ihn schlang. Er spürte den sanften Druck eines weiblichen Körpers in seinem Rücken, der sich an ihn schmiegte. »Hat er recht, Amy?« fragte er. Amy Stewart, der attraktive weibliche Cyborg, der ihn schon auf der Orn-Mission* der POINT OF begleitet hatte, teilte sich mit ihm diese Wohnung im dreiundzwanzigsten Stock des Stiftungsgebäu des. Die beiden waren fest liiert. In Amy hatte Dhark den nötigen emotionalen Rückhalt gefunden, nach dem er sich immer gesehnt hatte. »Von wem sprichst du?« fragte Amy zurück. »Wer soll womit Recht oder Unrecht haben?« »Trawisheim!« Mehr brauchte Ren Dhark nicht zu sagen. Er hatte seiner Freundin und Gefährtin von seiner Zusammenkunft mit dem Commander der Planeten ausführlich berichtet. Sie wußte also Bescheid. Amy atmete tief durch. »Ach das ist es…« *
Siehe Drakhon-Zyklus ab Band 14
»Ja, das!« »Trawisheim muß dir ja ziemlich zugesetzt haben, wenn dich euer Wortgefecht so lange beschäftigt.« »Er hat gesagt, ich sei ein kleiner Junge, der nur das Abenteuer suchen würde – ohne Rücksicht auf irgendeine Verantwortung.« Amy strich ihm über den Kopf und hauchte: »Ja, diesen verant wortungslosen Draufgänger mag ich ganz besonders…« Er drehte sich zu ihr um. »Ich meine es sehr ernst, Amy!« »Ich auch«, lächelte sie. Er nahm sie in den Arm, sie küßten sich, und Ren strich ihr zärtlich über das Haar. Schließlich lösten sie sich voneinander und Amy nestelte am Kragen seiner Kombination herum. Sie sah ihn tadelnd an. »Du bist nicht richtig bei der Sache, Ren. Und um dir den Ge danken an deine Auseinandersetzung mit Trawisheim jetzt ein für allemal aus dem Kopf zu treiben, höre mir gut zu: Du hast gute Gründe dafür, dem Rätsel der Goldenen nachzugehen. Anders als früher steckst du nicht im Geschirr irgendeiner Verantwortung oder eines Amtes. Du kannst einfach deinem Instinkt folgen, und das solltest du auch tun, ohne dabei dauernd daran zu denken, ob Tra wisheim inzwischen unter der Last seiner Verantwortung zusam menbricht. Das tut er schon nicht, darauf kannst du dich verlassen.« »Zumindest in dem Punkt muß ich dir recht geben.« »Ich habe auch mit allem anderen recht, Ren. Trawisheim argu mentiert einfach aus einer anderen Position heraus. Aber ich bin überzeugt davon, daß die Flotte derzeit alle Mittel zur Verfügung hat, um mit den unbekannten Aggressoren fertigzuwerden. Zudem eröffnen die Daten, die du aus Orn mitgebracht hast, völlig neue Möglichkeiten, die doch erst zu einem kleinen Teil ausgeschöpft wurden. Die Ovoid-Ringraumer sind ein Ergebnis davon. Sie brau chen nur mit sechs Mann besetzt zu werden und sind allein deswe gen schon in ihrem Unterhalt erheblich günstiger als die alten S-Kreuzer! Der Handel mit Eden blüht, es liegen drei Jahre des Friedens und des Aufschwungs hinter uns – da wäre es doch wohl
nicht allzu schwer für die terranische Regierung, ihre Flotte so auf zurüsten, daß sie der Gefahr durch die Unbekannten die Stirn bieten kann, ohne dabei unbedingt auf die POINT OF angewiesen zu sein – oder etwa nicht?« Ren Dhark lächelte. »Sicher…« »Und was die Sache mit Shanton angeht – den kriegst du vielleicht ja doch noch… Ich glaube nicht, daß da wirklich schon das letzte Wort gesprochen ist, auch wenn sich das bei Trawisheim so angehört haben mag.« Sie sah ihn an. Er erwiderte diesen Blick und ihr Lächeln. »Du bist einmalig«, sagte Dhark schließlich. In ihren Augen blitzte es herausfordernd. »Ich weiß«, hauchte sie und schlang dabei ihre Arme um seinen Hals.
4.
Schreibtischarbeit! Wenn es ein Wort gab, das der frischgebackene Major Eric Santini haßte wie die Pest, dann war es dieses. Er war ein Mann der Tat, einer der beim Kampf in die vorderste Reihe gehörte – und nicht auf einen Stuhl, um sich dort den Aller wertesten plattzudrücken. Natürlich war ihm nur zu gut bewußt, daß sich ohne all die enga gierten Männer und Frauen, die Tag für Tag vor ihren Suprasensor bildschirmen hockten, bis ihnen die Köpfe rauchten, nirgendwo auch nur ein einziges Rad drehen würde. Aber dieser ganz spezielle Menschenschlag war für Büroarbeit geboren. Schon auf deren Wie gen hatte einst der Hinweis gestanden: »… lenkt die Geschicke der Welt vom Schreibtisch aus.« Santini hingegen sah seine Bestimmung darin, an Ort und Stelle zu agieren, direkt an der Basis. Bei all seinem Tun und Handeln schlug er stets den kürzesten Weg ein, geradeaus, sämtliche Abzweigungen ignorierend. Einen angreifenden Stier packte er bei den Hörnern. Wo auch sonst? Es brachte nichts, hinter dem Vieh zu stehen und mit dessen Schwanz zu diskutieren. »Sei’s drum!« knurrte er und lehnte sich zurück. »Was getan wer den muß, muß getan werden!« Mit mürrischer Miene schaltete er sein Vipho ein und tätigte di verse Anrufe. Zur Zeit hatte Major Eric Santini das Sagen auf Grah. Formell lag die Regierungsgewalt allerdings bei Nachtflug. Beide arbeiteten eng und freundschaftlich zusammen. Santini war inzwischen sogar be reit, mit terrafreundlichen Grakos zu kooperieren, von denen die meisten beim Wiederaufbau ihres Planeten größten Einsatzwillen zeigten. Zwar traute er den Käferartigen in ihren Hyperraumblasen noch immer hinten und vorn nicht über den Weg, doch in seinem eigenen Interesse riß er sich am Riemen. Andernfalls würde man ihn
aller Wahrscheinlichkeit nach bei der nächsten Beförderung wieder übergehen. Das neue Zentralkommando der Terranischen Flotte war bereits unterwegs und würde ihn in ungefähr zwei Wochen von seinem Kommandoposten ablösen. Bis dahin mußte er die Aufräum- und Aufbauarbeiten ordentlich vorangetrieben haben, um für die Zu kunft einen guten Eindruck zu machen (was ihm aufgrund seiner kompromißlosen, undiplomatischen Art bisher nie so recht hatte gelingen wollen). Mit verhaltenem Eifer machte sich Santini daran, rund um den Planeten sämtliche Wiederaufbauaktionen zu koordinieren. Vom Schreibtisch aus, ob ihm das nun gefiel oder nicht. * Nicht immer verlief die Arbeit reibungslos, doch mit jeder neuen Herausforderung wuchs der Major über sich hinaus, innerhalb we niger Tage. Allmählich entwickelte er nicht nur Organisationstalent, sondern obendrein Verhandlungsgeschick, was ihm vor allem beim Erteilen der unzähligen Bau- und Reparaturaufträge von Nutzen war. Dank Santinis unermüdlichem Einsatz und seiner mitunter etwas unkon ventionellen Methoden mußte die Wirtschaft auf Gran nur wenige Einbußen hinnehmen; in einigen Bereichen kam es sogar zu einem Aufschwung. Santini ackerte wie ein Besessener. Eher nebenher erfuhr er, daß planetenweit Roboterwracks gefunden wurden, die in Kämpfen beschädigt worden waren, deren Selbstvernichtung jedoch nicht funktioniert hatte. Er ordnete an, alle Wracks auf einen zentral gele genen Sammelplatz am Rande der Stadt Drei zu bringen. Neue Anrufe gingen ein, Berge von Akten türmten sich auf Santi nis Tisch sowie den Schreibtischen seiner Mitarbeiter. Darüber gerieten die Wracks irgendwie in Vergessenheit…
* »Einschmelzen? Die Roboterwracks? Welche…?« Major Santini schaute den jungen Leutnant, der ihm in seinem Büro gegenüberstand, verwundert an. Es brauchte ein paar Sekun den, bis der Groschen fiel. »Ach, richtig, die Wracks! Ich hatte ja selbst angeordnet, sie auf einem zentral gelegenen Platz zu sammeln. Derzeit treffe ich tagtäg lich so viele Entscheidungen, daß mir die Sache fast entfallen wäre.« »Mir ist durchaus bewußt, daß Sie in diesen Tagen jede Menge Schreibtischarbeit zu bewältigen haben, Herr Major«, entschuldigte sich der Leutnant für sein unangemeldetes Erscheinen. »Ich halte Sie daher nicht länger als nötig auf; ich brauche lediglich eine klare Entscheidung.« Schreibtischarbeit – da war es wieder, dieses böse Wort! »Ich bin vor Ort zuständig für die Einlagerung der zerstörten Ro boter und habe mich gefragt, ob die darin enthaltenen Metalle nicht zu schade zum Wegwerfen sind.« Vor Ort, dachte Santini und seufzte unhörbar. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, daß er sein neues Büro im Regierungsgebäude verlassen hatte, um sich nach irgendwohin vor Ort zu begeben. »Gehen wir, Leutnant«, sagte er. »Ich werde mir selbst ein Bild von der Sachlage machen.« … ein Bild von der Sachlage, wiederholte er in Gedanken. Ich rede schon wie so ein gottverdammter Verwaltungsbürokrat! * Eric Santini war beeindruckt. Zum einen von der Anzahl der ge sammelten Roboterwracks – auf dem Schrottplatz stapelten sich mehrere Tausend davon –, zum anderen von der Formenvielfalt der Maschinen. Obwohl zum Teil einige Grundformen erkennbar waren,
war jeder Roboter im Prinzip ein Unikat, als sei er für einen ganz bestimmten Zweck gebaut worden. An sich waren die fremdartigen Roboter nichts Besonderes, es handelte sich um simpel gestrickte Kampfmaschinen. Zumindest auf den ersten Blick hin. Aber was würde dabei herauskommen, wenn man einen zweiten Blick riskierte? Wenn man genauer hinschaute als beim ersten Mal…? Santini beschlich das Gefühl, daß es besser wäre, die Wracks nicht zu vernichten, sondern wissenschaftlich untersuchen zu lassen. Ein schmelzen konnte man sie hinterher immer noch. Umgekehrt hin gegen ließ sich der Vorgang nie mehr rückgängig machen. Der Leutnant schaute ihn fragend an. »Finger weg von den Wracks«, lautete Santinis knappe Anwei sung. * Mit Einstellung der Kampfhandlungen im Weltall und auf Grah waren auch die unterschiedlichen Funkstörungen zum Erliegen ge kommen. Der Kontakt auf Grah und mit Terra funktionierte wieder einwandfrei. Per To-Richtfunk setzte sich Major Santini mit seiner Tante in Ver bindung: Generalmajor Carlotta Santini von Terra Command – eine Legende schon zu Lebzeiten. »Ob ich geeignete Wissenschaftler kenne, die auf Fremdtechnik spezialisiert sind?« erwiderte sie, nachdem ihr Neffe sie informiert hatte. »Das will ich meinen. Ich kenne die Besten der Besten welt weit.« Wenig später war sie mit Generalmajor Christopher Farnham verbunden. Der einundfünfzigjährige Xenobiologe und Familienva ter war Befehlshaber der Schwarzen Garde, einer Truppe von Elite
soldaten mit wissenschaftlichen Qualifikationen, die im Herbst 2056 aus der Taufe gehoben worden war. Nur wer promoviert hatte, konnte hier Offizier werden. Zwecks Erhaltung des wertvollen Erbguts wurde jedem Angehörigen der Garde eine Probe seiner DNS entnommen. Die Schwarze Garde war so etwas wie eine schnelle Eingreiftruppe des Raumkorps. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, »Brände« auf fremden Planeten möglichst noch vor ihrem Entstehen zu löschen – damit sie sich nicht ausweiteten und zu einer Gefahr für die Erde werden konnten. Farnham war wie elektrisiert, als er von den Roboterangriffen auf Grah und der Raumschlacht im Gerrck-System erfuhr. »Ich werde mich darum kümmern«, versprach er Carlotta Santini – und er pflegte seine Versprechen zu halten. * Star City hieß der ständige Wohnsitz von Farnhams Soldatenelite. Das kleine, aber feine, ruckzuck auf dem Reißbrett entstandene »Geniestädtchen«, das sogar über eine eigene Universität verfügte, lag in den Bergen über Alamo Gordo. Im Volksmund nannte man es »Stadt der Wunderkinder«, obwohl die Bewohner längst dem Kin desalter entwachsen waren. Der vierundvierzigjährige Oberstleutnant Kenneth MacCormack, Doktor der Geschichte, kehrte gerade von einem Besuch in Alamo Gordo nach Star City zurück, als Farnham ihn zu sich bestellte. Beide waren schon seit langem Waffenkameraden und hielten eisern zu sammen, wann immer es erforderlich war. Die Schwarze Garde war sozusagen ein Gemeinschaftsprodukt der beiden. Den Namen der Truppe hatte einst MacCormack ersonnen, angelehnt an die weltallschwarzen Uniformen der Elitesoldaten. Und das war nicht die einzige wichtige Erinnerung, welche die beiden Freunde miteinander teilten.
Am 14. September 2054 war es während eines Militäreinsatzes im Deneb-System zu einer unheilvollen Begegnung gekommen, die seither strengster Geheimhaltung unterlag. Fremde, offenbar intel ligente, mit eigenem Verstand ausgestattete Roboter hatten die ter ranische Kolonie auf Deneb IV in ihre Gewalt gebracht. Nur unter Einsatz eines starken Störsenders und dank eiserner Nerven hatten Farnham und MacCormack, damals noch Oberst und Hauptmann, die gefährliche Lage in den Griff bekommen. »Ich weiß nicht mehr, was auf Deneb IV schlimmer für mich war, Ken«, sagte der Generalmajor, nachdem er seinen Freund über die Geschehnisse im Gerrck-System unterrichtet hatte. »Die ständigen Attacken der Roboter oder das greuliche Dreckswetter.« MacCormack nickte. »Hier in Neu-Mexiko ist es in diesem Früh jahr ungewöhnlich kühl und regnerisch – aber verglichen mit den Regenstürmen damals herrscht hier das reinste Paradieswetter, Chris. Wenn ich dich recht verstehe, siehst du einen Zusammenhang zwischen unserem Erlebnis im Deneb-System und dem Großangriff auf Grah.« Farnham hob die Schultern. »Ja und nein. Es muß nicht zwang släufig sein, daß die Angriffe von den gleichen Robotern ausgeführt wurden, auf die wir damals gestoßen sind. Ausschließen können wir es allerdings genausowenig. Nur eine Stippvisite auf Grah kann uns Gewißheit verschaffen.« »Und wann brechen wir auf?« fragte MacCormack, den bereits die Abenteuerlust packte. »Leider kann ich nicht mitkommen«, bedauerte Farnham, »es ver einbart sich nicht mit meinen augenblicklichen Dienstpflichten. Keine Sorge, du reist nicht allein – drei gute alte Bekannte werden dich begleiten. Ansonsten hast du freie Hand bei der Aufstellung deiner Kompanie.« Drei gute alte Bekannte – Oberstleutnant MacCormack konnte sich denken, wen Generalmajor Farnham damit meinte.
Erstens: Leutnant Kurt Buck, dreiundzwanzig Jahre jung, blond, 1,92 Meter groß. Bevor er zur Schwarzen Garde stieß, hatte er im staatlichen Internat Königstein in Sachsen gelebt, wo er es unter an derem bis zum Schulmeister im Boxsport gebracht hatte. Seine Eltern waren während der Giant-Angriffe von Plünderern umgebracht worden. Star City war jetzt Bucks Zuhause. Zweitens: Hauptfeldwebel Jannis Kaunas, zweiundvierzig, Balte, kahlköpfig, fünfundsiebzig Kilo schweres Muskelpaket auf Beinen. Nach Abbruch seines Wirtschaftsstudiums war er 2045 zu den Raumstreitkräften gegangen – und 2056 der Schwarzen Garde zu geteilt worden. Jannis hatte einen unheimlichen Schlag bei der Da menwelt. Drittens: Korporal Wladimir Stepanowisch Jaschin aus der Ukrai ne. Gleich beim ersten Einsatz der Schwarzen Garde hatte es ihn schwer erwischt. Inzwischen war er nicht nur körperlich, sondern auch seelisch wieder vollkommen regeneriert. Somit stand für MacCormack fest, wer die drei Züge seiner Kom panie jeweils befehligen würde. Nun fehlte ihm nur noch ein geeig neter Kompanieführer. »Kann ich Hauptmann Musaschi haben?« fragte er seinen Freund. »Jeden Mann, den du dir auswählst«, erwiderte Farnham. »Aller dings ist Akira Musaschi verhältnismäßig neu in unserer Truppe. Er weiß noch nicht so richtig, wie der Laden bei uns läuft.« »Ebendarum«, meinte Kenneth. »Als direkter Vorgesetzter von Buck, Kaunas und Jaschin lernt er gleich alle Höhen und Tiefen während eines Außeneinsatzes kennen. Im übrigen ist er bestimmt nicht ganz ohne, andernfalls wäre er erst gar nicht bei uns aufge nommen worden.« Der dreiunddreißigjährige, drahtige Japaner Musaschi war seit seinem Eintritt in die Elitetruppe nie besonders aufgefallen. Das einzig Ungewöhnliche an ihm war das Samuraischwert seiner Urahnen, das er stets im Gepäck hatte.
»Mein Urgroßvater hatte es beim Luftangriff auf Pearl Harbor in seinem Flugzeug mit dabei«, erzählte der schwarzhaarige Asiate, wenn man ihn auf das Schwert ansprach. »Nur dieser magischen Waffe, einem Familienerbstück, das beim Ausscheiden aus dem Mi litärdienst jeweils an den ältesten Sohn weitergegeben wird, hatte er es zu verdanken, daß er ohne einen Kratzer aus dem Zweiten Welt krieg zurückkam.« Neben den antrainierten Fähigkeiten, über die jeder Gardist ver fügte, war Akira Musaschi angeblich ein Virtuose mit dem Schwert – zumindest wurde das allgemein behauptet. MacCormack hatte ihn noch nie damit kämpfen sehen. Allein der Gedanke, daß dieser höf liche, unauffällige kleine Mann mit jener Waffe wütend um sich schlug, erschien ihm unvorstellbar und irgendwie lächerlich. Musaschi war Doktor der Maschinenbautechnik und galt als unü bertroffener Fachmann der Roboterkunde. Schon deshalb wollte ihn der Oberstleutnant unbedingt bei diesem Einsatz mit dabeihaben. »Auch sonst nehme ich überwiegend Neulinge mit«, kündigte Kennern MacCormack an. »Da die Roboter auf Grah samt und son ders Harakiri begangen haben und die Raumschiffe der Angreifer aus dem Gerrck-System geflohen sind, dürfte es sich um einen ver hältnismäßig einfachen Routineeinsatz handeln. Genau das richtige, um ein paar der Neuen zu testen, beziehungsweise ihnen ihre Grenzen aufzuzeigen.« * »Routineeinsatz?« Antoine Charoux stieß einen langgezogenen Seufzer aus. »Schon wieder! Das bedeutet wie üblich Übungen, Übungen und nochmals Übungen. Wann nimmt man uns endlich auf einen richtig gefährlichen Einsatz mit? Hier bei der Garde scheint jeder einzelne ein Held zu sein – nur wir beide haben noch nichts wirklich Span nendes erlebt.«
»Damit hat es bei mir auch keine Eile«, entgegnete sein »kleiner« Bruder Daniel. Antoine und Daniel Charoux waren eineiige Zwillingsbrüder, aufgewachsen in der französischen Metropole Paris, wo die Giants einst schwere Verwüstungen angerichtet hatten. Antoine war quasi der ältere von beiden, immerhin war er zwei Minuten und zwei Se kunden früher auf die Welt gekommen als Daniel. Auch sonst schien er seinem jüngeren Bruder immer eine Nasen länge voraus zu sein – beim Kämpfen, beim Lernen, bei den Mäd chen… Daniel Charoux war weder schwächlich noch dumm, andernfalls wäre er nie zur Schwarzen Garde gekommen. Doch mit dem ewig abenteuerhungrigen Tausendsassa Antoine konnte er nicht mithal ten. Sein Bruder war intelligenter und sportlicher als er. Zudem konnte Antoine besser reden und sich überall beliebtmachen; hin gegen präsentierte sich Daniel meist als Schweiger. Rein äußerlich merkte man den beiden Zwanzigjährigen die cha rakterlichen Unterschiede nicht an – sie glichen sich wie ein Wi fat-vom-Planeten-Komo dem anderen. Ein langer, dünner Mann mit dunklen, lockigen Haaren betrat das Quartier der Charoux-Brüder. Auch er trug die Uniform der Schwarzen Garde. »Seid ihr soweit?« fragte er seine beiden gleichaltrigen Kameraden. »Himmel, bin ich aufgeregt! Gleich brechen wir auf nach Grah. Bis her kenne ich diesen sagenumwobenen Planeten nur aus den Vor lesungen. Ich kann es kaum erwarten, dort zu landen.« »Und sobald wir eingetroffen sind, Edmundo, wirst du es kaum erwarten können, wieder heimwärts zu fliegen«, prophezeite ihm Antoine. »Du hättest bei den Vorlesungen genauer hinhören sollen, mein Lieber, dann wüßtest du, daß es für Menschen auf Grah kaum auszuhalten ist. Entweder die gnadenlose tropische Hitze schafft dich, oder du wirst von Raubtieren, Wildgewächsen und Riesenge würm gefressen. Möglicherweise zerlegt dich ein Grako in deine
Einzelteile. Keine Angst, so was geht ganz schnell. Unser menschli ches Auge nimmt diese Mistkäfer in ihren Hyperraumblasen nur sehr schlecht wahr. Wie Schattenwesen schleichen sie durch die Nacht, und selbst bei Tag sind sie kaum erkennbar. Somit können sie sich nahezu unbemerkt an dich heranpirschen. Du siehst sie erst, wenn es zu spät ist. Krrks!« In Verbindung mit dem letzten Laut vollzog Antoine eine allge mein bekannte Geste mit der flachen Hand am Hals entlang. Edmundo Rossi, jüngster Sohn einer überaus kinderreichen sizi lianischen Familie, wurde ein wenig blaß und schluckte. »Danke, Antoine, du verstehst es doch immer wieder, deine Mitmenschen aufzumuntern. Wenn ich mal echten Kummer habe und so richtig depressiv bin, bist du garantiert der erste, an den ich mich wende.« »Gern geschehen, immer zu Diensten«, erwiderte der Franzose mit breitem Grinsen. Daniel hörte nur schweigend zu und lächelte still in sich hinein. * Routineeinsatz – diesen »Slogan« hatte Kenneth MacCormack ab sichtlich überall ausgestreut, damit vor dem Aufbruch ins Gerrck-System keine überflüssigen Gerüchte die Runde machten. Erst auf dem Transportschiff, der HAMBURG, setzten die drei Zugführer ihre Mannschaften über alles Notwendige in Kenntnis. Die komplette Gruppe hatte sich vor dem Start auf dem Übungsdeck versammelt. »Es wird vermutlich ein harmloser Forschungseinsatz, wir müssen aber auch mit Feindberührung rechnen«, beendete Wladimir Jaschin seine Ausführungen. »Versprecht euch also nicht zuviel davon, seid aber ständig auf der Hut.« »Besteht Aussicht, daß die fremden Schiffe mit ihren Robotern zurückkommen?« fragte Antoine, der zusammen mit Daniel Leut
nant Bucks Zug zugeteilt worden war. »Ich kann es kaum erwarten, mir die Blechkannen vorzuknöpfen.« »Sie haben ein verdammt großes Mundwerk«, tadelte ihn Kurt Buck. »Ich hoffe. Sie spucken noch genauso große Töne, wenn Sie der Gefahr Auge in Auge gegenüberstehen.« Auge in Auge – so konnte man die Begegnung zwischen dem 1,75 Meter großen, muskulösen Hauptfeldwebel Kaunas und dem ho chaufgeschossenen Sizilianer Rossi wohl kaum bezeichnen. Jannis Kaunas war es zuwider, zu seinen Untergebenen aufsehen zu müs sen, aber in diesem Fall blieb ihm weiß Gott nichts anderes übrig. Kein Wunder, daß er Edmundo von Anfang an nicht ausstehen konnte – was durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte. Beide Männer waren sich auf Anhieb total unsympathisch. »Bisher wissen wir so gut wie nichts über unseren unbekannten Feind«, sagte Kaunas zu seinen Männern. »Sollte es überraschend zu Bodenkämpfen kommen, wäre es daher ratsam, zunächst einmal den Kopf einzuziehen und abzuwarten. Erst wenn wir wissen, wie stark unser Gegner ist, macht es Sinn, ihn anzugreifen.« Er musterte Rossi von oben bis unten. »Ihnen fällt das mit dem Kopfeinziehen sicherlich nicht leicht. Geben Sie trotzdem Ihr Bestes, damit hinter der Deckung nicht zu viel von Ihnen herausguckt.« »Ich werde mich bemühen«, entgegnete Edmundo kühl. »Notfalls lasse ich mich von Ihnen beraten – bestimmt verfügen Sie über jede Menge Erfahrung, was das Ducken vor dem Feind angeht.« Das saß. Ein paar verhaltene Lacher waren zu hören, verstummten allerdings sofort, als der Hauptfeldwebel mit düsterem Blick in die Runde schaute. Kaunas verzichtete darauf, den redegewandten Neuling für seine Frechheit gründlich zusammenzustauchen (schließlich hatte er selbst damit angefangen). Auch auf der Kommandobrücke kam es zu einer Begegnung zwi schen zwei Männern, die sich seit ihrem ersten Zusammentreffen an Bord der HAMBURG lieber aus dem Weg gingen. Der spanische
Kapitän Major Hector Elizondo begrüßte MacCormack mit dem ihm gebührenden Respekt, ließ es jedoch an jedweder Herzlichkeit feh len. »Wie geht es Ihnen?« fragte er den Oberstleutnant, ohne daß es ihn sonderlich interessierte. »Wie ich sehe, hat sich seit unserer letzten gemeinsamen Reise kaum etwas verändert. Sie tragen noch immer die schwarze Uniform – womit ich selbstverständlich nichts gegen die Garde gesagt haben möchte.« »Und Sie schippern noch immer mit dem gleichen Schiff durchs All«, stellte Kenneth fest und fügte hinzu: »Das war natürlich nicht abwertend gemeint. Ich verstehe schon, daß Sie aus nostalgischen Gründen an dem alten Kahn hängen.« Die HAMBURG hatte in der Tat schon bessere Zeiten gesehen, auch wenn sich niemand mehr daran erinnern konnte, wann genau das gewesen war. Das Beuteschiff der Vierhundertmeterklasse ver fügte über vierundzwanzig Hauptdecks. Man hatte es mehrfach umgebaut und fortlaufend mit terranischer Technik aufgerüstet; dennoch war die permanente Beanspruchung nicht zu übersehen, da half selbst die gründlichste Generalüberholung nichts mehr. Elizondo blieb seinem Gegenüber die Retourkutsche nicht schul dig, schließlich hörte die ganze Zentrale dem Zwiegespräch zu (auch wenn die meisten so taten, als seien sie in ihre Arbeit vertieft). »Einer meiner Urahnen sagte stets: ›Besser schlecht gefahren als gut gelaufenen‹. Er besaß nur ein schrottreifes Auto, aber damit war er in seinem abgeschiedenen spanischen Heimatdorf der König – weil sonst kein Bewohner eines hatte.« MacCormack ersparte sich jeden weiteren Kommentar, wußte er doch, worauf der Kapitän hinauswollte: Schon vor Jahren hatte die Schwarze Garde ein eigenes Raumschiff beantragt, aber seit Tra wisheim an der Regierung war, wurde überall gespart, sogar bei der Elitetruppe aller Elitetruppen. Das bekam auch Hector Elizondo zu spüren. Lieber heute als morgen hätte er seinen »alten Kahn« gegen ein neueres Schiff aus
getauscht, doch den Sparmaßnahmen der Regierung mußte sich selbst die TF beugen, so lange, bis die Staatswirtschaft ausschließlich schwarze Zahlen schrieb – und das konnte dauern bis Sankt Nim merlein. Daß ausgerechnet die Besatzung der HAMBURG fortwährend für den Transport der Schwarzen Garde abgestellt wurde, war Elizondo und seinen Männern ein Dorn im Auge. Manche der Flottenangehö rigen fühlten sich zurückgesetzt, sahen sich – ungerechtfertigt – als »Schuhputzer« der Gardisten, von denen ihnen die meisten körper lich und geistig überlegen waren. Obwohl noch recht jung an Jahren, waren nicht wenige Elitesoldaten höherrangiger als gleichaltrige oder gar ältere TF-Soldaten, ja, einige trugen sogar Doktortitel, weshalb es aufgrund von Animositäten hier und da zu leichten Rei bereien kam, kleinere Auseinandersetzungen, die sich zum Glück in Grenzen hielten, da man sich mit jedem neuen Einsatz ein bißchen besser kennenlernte. MacCormack verließ das dreizehnte Deck, auf dem sich die Brücke befand, und begab sich aufs Mannschaftsdeck, wo sein Quartier lag. Diese Art der Unterbringung hatte sich seit seiner ersten Reise auf der HAMBURG so eingebürgert. Seinerzeit hatte ihn Elizondo damit ärgern wollen; mittlerweile lehnte es der Oberstleutnant schlichtweg ab, woanders untergebracht zu werden. Er blieb da, wo er gebraucht wurde: in der Nähe seiner Männer. Seine Stammkabine bestand aus einem Hygienemodul und einem vier mal vier Meter großen Allzweckraum, das reichte ihm völlig aus. Hätte er Wert auf mehr Schnickschnack gelegt, wäre er nicht Soldat geworden. Es gab besser bezahlte Berufe, bei deren Ausübung man nicht Tag für Tag seinen Hals riskierte. Rechts von MacCormacks Quartier war Hauptmann Musaschi untergebracht – von Natur aus ein genügsamer Mensch, der selbst mit einer Hutschachtel zufrieden gewesen wäre. Schräg gegenüber teilten sich Buck und Jaschin eine Kabine. Kaunas hingegen zog es vor, allein zu schlafen, gleich links nebenan.
Kapitän Elizondo leitete den Start ein. Bald darauf erhob sich die HAMBURG von dem kleinen Raumhafen, über den Star City in zwischen verfügte. »Typisch«, bemerkte Elizondo auf der Brücke mürrisch. »Lassen sich großkotzig einen Hafen bauen, und dann haben sie nichts, wo mit sie darauf starten und landen könnten.« * Der Flug durchs All verlief ohne nennenswerte Zwischenfälle, von ein paar harmlosen Kabbeleien zwischen den Angehörigen der Garde und der TF abgesehen. Selbstverständlich verbrachten die Gardisten einen nicht unerheb lichen Teil ihrer Flugreise auf dem ihnen zugewiesenen Übungsdeck, wo sie schichtweise ihr tägliches Trainingspensum absolvierten. Hauptfeldwebel Kaunas nahm sich insbesondere des jungen Sizi lianers Rossi an und ließ keine Gelegenheit aus, ihn übers künstlich erzeugte Manövergelände zu scheuchen. Edmundo war jedoch besser in Form, als es seine »Schlottergestalt« vermuten ließ. Geschickt trickste er seine Holo-Feinde aus und schickte sie reihenweise nach dorthin zurück, von wo sie gekommen waren: ins Nichts. Um ihren Männern die Möglichkeit zu geben, sich menschlich nä herzukommen, ordneten Elizondo und Musaschi eine gemeinsame Kampf Übung an. Mit dieser Idee taten sie allerdings keinem an Bord einen Gefallen. Das Manöver lief derart undiszipliniert ab, daß es im Ernstfall keine Überlebenden gegeben hätte. Hinterher nahm sich Akira Musaschi die drei Zugführer zur Brust. »Wenigstens von Ihnen hätte ich mehr militärische Disziplin er wartet, meine Herren«, sagte er in seiner betont höflichen Art, ohne unnötig die Stimme zu heben. »Zugegeben, es mangelte Ihnen und Ihren Leuten nicht an Kampfgeist. Aber mit dem festen Willen zum Sieg allein ist es nicht getan, man benötigt auch die richtige Strategie.
Etwas mehr Kopfarbeit hätte allen nicht geschadet, das gilt insbe sondere für Sie. Eine Mannschaft ist immer nur so gut wie ihr An führer, vergessen Sie das nie.« »Ganz bestimmt nicht«, versicherte ihm Kurt Buck mit flinker Zunge. »Nebenbei bemerkt: Unser Anführer sind Sie, Sir.« Kaunas sah ihn mißbilligend an – aus alter Gewohnheit, schließlich war er einst Bucks Vorgesetzter gewesen. Da ihn der junge, streb same Gardist rangmäßig mittlerweile überholt hatte, verkniff er sich aber jeden Kommentar, das stand ihm nicht mehr zu. Musaschi war der gestrenge Blick des Hauptfeldwebels nicht ent gangen. Der Japaner reagierte auf Bucks Frechheit mit der ihm an geborenen asiatischen Gelassenheit. »Das vorlaute Wort ist ein Anrecht der Jugend«, bemerkte er nur. Mach bloß nicht so viel Wind wegen der lumpigen zehn Jahre, die du älter bist als ich, dachte Kurt Buck, hütete sich aber, seine Gedanken laut auszusprechen, denn das wiederum stand ihm nicht zu. Für den kämpferischen Leutnant, der sich einst in den Saturnrin gen unter härtesten Bedingungen zu einer Peilboje »durchgebissen« hatte, war der japanische, etwas verzärtelt wirkende Hauptmann ein unerfahrener Neuling, der sich seine Belobigungen und Auszeich nungen erst noch verdienen mußte. Trotzdem dachte er keine Se kunde daran, ihm die Zusammenarbeit zu verweigern, das hätte er als unprofessionell empfunden. Im übrigen konnte ihm Akira Musaschi einen Haufen Schwierig keiten bereiten, darauf wollte er es nicht anlegen. Glücklicherweise verübelte ihm sein Vorgesetzter die spaßige Bemerkung nicht – vorausgesetzt, Buck deutete sein seltsames Lächeln richtig… * Eric Santini, mit dem die Garde auf dem Raumhafen von Drei zu sammentraf, war schon eher ein Mann nach Bucks Geschmack. Kurt hatte bereits von dem eigenwilligen, kompromißlosen Major gehört
und bewunderte ihn insgeheim. Santini sei hart, aber gerecht, hieß es. Ihn hätte er lieber zum Kompanieführer gehabt als den »Leiset reter« Musaschi, der ihm irgendwie nicht ganz geheuer war. Konnte man sich im Ernstfall wirklich auf den Asiaten verlassen? Sowohl die Gardisten als auch ein Teil der Flottenangehörigen verließen das Schiff, um sich auf dem Flughafen die Beine zu ver treten. Einige der Männer kannten die Wetterverhältnisse auf Grah von früheren Einsätzen her und waren innerlich darauf vorbereitet – äußerlich schwitzten sie trotzdem. Die Neuen traf es noch härter, wie ein gezielter Tief schlag in die Magengrube. Wer konnte und durfte, zog sich gleich wieder ins Schiff zurück. Edmundo Rossi durfte nicht. »Ich brauchte dringend was zu trinken«, stöhnte er. »Wo ist hier die nächste Bar?« »Hab ich dir nicht gesagt, daß du dir wünschen wirst, auf dem schnellsten Weg wieder zurückzufliegen?« krächzte Antoine Cha roux mit trockener Kehle. Daniel Charoux hatte ebenfalls Durst, doch er sagte nichts, wie üb lich. Hauptmann Musaschi schien die brütende Hitze nichts auszuma chen, zumindest sah man ihm nichts an. Gemeinsam mit MacCor mack und Elizondo begrüßte er den Major. »Ist es auf Grah üblich, daß die militärische Verstärkung von hochrangigen Persönlichkeiten abgeholt wird?« erkundigte sich der Japaner verwundert. »Seit das terranische Zentralkommando auf Grah vom Feind komplett ausgelöscht wurde, herrscht bei uns Personalmangel«, antwortete ihm Santini. »Die unteren Dienstgrade haben derzeit alle Hände voll zu tun. Genau wie ich, doch in letzter Zeit komme ich viel zu wenig nach draußen.« … nach draußen. Beinahe hätte er gesagt: … an die frische Luft. Doch von Frischluft konnte auf diesem Planeten nun wirklich keine Rede sein.
»Als erstes beziehen Sie Ihre Quartiere«, ordnete Santini an, MacCormacks Einverständnis voraussetzend. »Die Räume sind alle kli matisiert, anders könnte man es als Mensch auf Dauer hier nicht aushalten.« Er musterte den japanischen Hauptmann mit verwunderter Miene. Musaschi deutete seinen Blick richtig und tippte sich an die Stirn – was nicht als Ungehörigkeit gemeint war, so etwas hätte er nie ge wagt. »Alles im Leben ist ausschließlich eine Frage des Geistes, Herr Major. Jedes unangenehme Empfinden spielt sich in erster Linie hier oben ab; das gilt für extreme Kälte ebenso wie für brütende Hitze.« »Es ist nicht allein die Hitze, die ich als unangenehm empfinde«, erklärte ihm Santini. »Ich hasse so ziemlich alles auf Grah: das Wet ter, die Flora und Fauna, die Bevölkerung…« »Freunden Sie sich damit an«, riet Musaschi ihm. »Ändern Sie Ihre innere Einstellung, und schon sehen Sie Ihren Aufenthalt auf Grah in einem ganz neuen Licht.« »Anfreunden? Mit den Grakos?« warf MacCormack ein. »Das wäre mit Sicherheit zuviel verlangt. Auch mir sind die Schatten nach wie vor suspekt, obwohl die meisten von ihnen mittlerweile auf unserer Seite stehen – zumindest behaupten sie das. Wir Menschen haben sie damals besiegt. Aber kann man ein Eroberervolk wirklich in die Knie zwingen und danach dauerhaft in Frieden mit ihm leben?« Er wandte sich Santini zu. »Ohne Männer wie Sie, die bereit sind, im Zuge der Friedenssi cherung auf jede Bequemlichkeit zu verzichten und tagtäglich aufs neue ihre Haut zu riskieren, wäre es um die Menschheit schlecht bestellt. Hoffen wir, daß sich das Grako-Problem ein paar Genera tionen weiter von selbst löst. Wenn es keine Grakos mit Halbraum feldern mehr gibt…« »… dann tauchen irgendwo neue Probleme auf«, unterbrach San tini ihn. »Im Weltall gibt es noch mehr Spezies, die es nicht gut mit uns meinen – oder mit den Grakos.«
MacCormack nickte. Im Grunde genommen wußte niemand, wem der Angriff der Fremden eigentlich gegolten hatte – den Bewohnern von Grah oder der Besatzungsmacht. Menschen und Grakos zogen in diesem Fall ausnahmsweise an einem Strang. Raumhafen Drei war nicht der einzige Hafen auf Grah; die anderen waren jedoch weitaus kleiner und technisch noch nicht auf dem neuesten Stand. Somit war dieser hier das wichtigste planetare Tor zum Weltraum. Der Hafen war von einem weiträumigen, labyrinthartigen Gewirr von Straßen und Häusern umgeben, das undurchschaubar, fast schon chaotisch wirkte. Sämtliche Gebäude waren durch systema tisch angelegte Gänge und Korridore verbunden, die sich strecken weise in hundert Metern Tiefe fortsetzten. »Drei« nannten die Ein heimischen auch ihre Stadt, wie die Kennziffer des Raumhafens. Das Wahrzeichen der Stadt war ein gewaltiges, terrassenförmig angelegtes Gebäude, das aus der üblichen Bebauung herausragte: der Regierungssitz. Gemessen an menschlichen Verhältnissen waren die Räume überdurchschnittlich groß; immerhin mußten sich die Gordos frei darin bewegen können. Die Schwarze Garde wurde im Regierungsgebäude untergebracht, wo derzeit reichlich Platz war. Die Besatzung der HAMBURG blieb auf ihrem Schiff.
5.
21. Mai… »Wir gedenken heute eines Ereignisses, das für die Erde von nicht zu überschätzender historischer Bedeutung ist«, sagte Henner Tra wisheim. Der Regierungschef stand hinter dem Rednerpult und machte eine rhetorische Pause, während er seinen Blick über das erlesene Publikum gleiten ließ. Es bestand überwiegend aus promi nenten Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Raumflotte. Darunter auch Ren Dhark und die Besatzung der POINT OF. »Das Ereignis, von dem ich spreche, geschah am 21. Mai 2051 und jährt sich am heutigen Tage. Ich spreche von dem Start des Kolonisten raumers GALAXIS unter Kommandant Sam Dhark. Wir wissen alle, was geschah. So mögen wenige Sätze genügen, um das Ereignis noch einmal in Erinnerung zu rufen. Die GALAXIS startete zum De neb-System. Durch eine Fehlfunktion des damals verwendeten Ant riebs, der auf dem sogenannten ›Time‹-Effekt beruhte, wurde das Schiff jedoch in die Weiten der Galaxis hinausgeschleudert und mußte schließlich auf dem Planeten Hope im Col-System notlan den…« Ren Dhark hörte den salbungsvollen Worten, die irgendein ano nymer Schreiberling für den Regierungschef verfaßt hatte, kaum zu. Seine Gedanken schweiften in die Vergangenheit. Schließlich hatte er selbst an diesem Flug unter dem Kommando seines Vaters teilge nommen. Trawisheim hatte zweifellos recht, wenn er feststellte, daß die Ge schichte der Menschheit ohne dieses Ereignis vermutlich in anderen Bahnen verlaufen wäre. Neben Dhark saß Amy.
Sie trug ein elegantes Kleid, so wie auch die anderen Gäste in Ga launiformen, Sonntagskombinationen oder edle Roben gehüllt war en. In der Reihe mit Dhark und Amy hatten Dan und Anja Riker Platz genommen. Neben ihnen saß Marschall Bulton, Rikers Nachfolger im Amt des Chefs der terranischen Flotte. Trawisheim fuhr mit seiner Rede fort und wurde plötzlich un terbrochen. Eine Tür hatte sich geöffnet und ein kleines, flinkes Et was wuselte über den Boden. Trawisheim hielt unwillkürlich inne. Das Publikum sah sich um. Ein schwergewichtiger, bärtiger Mann hatte den Raum betreten. Es war niemand anderes als der Fremdtechnikspezialist Chris Shanton. Er war Kolonist an Bord der GALAXIS gewesen und hatte schon von daher jedes Recht, an dieser Zeremonie teilzunehmen. In seiner Begleitung befand sich Oberst Ralf Larsen. Auch er hatte ehedem am Flug der GALAXIS teilgenommen und war später unter anderem Erster Offizier der POINT OF gewesen, bevor er während Ren Dharks Orn-Expedition sein erstes eigenes Kommando auf dem S-Kreuzer INVERNESS bekommen hatte. Und das kleine wuselige Etwas, das über den Boden schnellte, kurz vor dem Rednerpult stoppte und den amtierenden Regierungschef interessiert einen Moment lang anstarrte, war natürlich der Robo thund Jimmy. Äußerlich glich er einem Scotchterrier. Beobachter, die sich weni ger mit der Bestimmung von Hunderassen auskannten, dachten vielleicht auch an ein Wollknäuel. Der Spitzname Brikett auf Beinen, mit dem dieser Roboter auch schon belegt worden war, bezog sich auf das pechschwarze Kunstfell der Maschine. Shanton war Jimmys Konstrukteur. Durch einen Hardwarefehler bildeten sich bei diesem immer neue Subprogramme, die man dafür verantwortlich machte, daß der Hund zu quasi selbständigem Handeln fähig war.
Inwiefern er dabei den Turingsprung gemacht und echte Intelli genz entwickelt hatte, war nach wie vor umstritten. Auf jeden Fall war dieser im übrigen auch sprachfähige Roboter hund ein einzigartiges Faktotum, das zumeist mit oder um Chris Shanton herum auftauchte. Jimmy stand einen Augenblick lang einfach nur auf allen Vieren da und dreht sich dann wieder um. Er lief zu Shanton zurück, der in einer der hinteren Reihen Platz nahm. Amy wandte sich an Ren. »Die beiden sehen ziemlich mitgenom men aus«, flüsterte sie ihm zu. »Oder vertue ich mich da?« »Scheint mir auch so«, bestätigte Dhark. Was mochte da geschehen sein? Trawisheim tat so, als wäre nichts geschehen und setzte seine Rede einfach fort. »Wo immer Shanton jetzt auch herkommen mag – ich werde ihn mir nachher beim Empfang schnappen«, flüsterte Dhark Amy zu. »Hast du Henner Trawisheims Gesicht gesehen, als Chris den Raum betrat?« fragte Amy zurück. »Nein.« »Er wird alles tun, um zu verhindern, daß ihr euch einigt. Wart’s ab!« »Ich weiß.« Ren Dhark grinste. »Aber wenn ein kleiner Junge, der das Abenteuer sucht, einem großen Jungen, der aus demselben Holz geschnitzt ist, eine Expedition vorschlägt, dann dürfte jemand wie Trawisheim dagegen kaum anstinken können.« * Im Anschluß an die Zeremonie gab es einen Stehempfang. Zwanglose Plaudereien füllten die Luft mit einem für derartige An lässe sehr charakteristischen Klangteppich, durch den ab und zu das Geklirr der Champagnerflöten hindurchdrang, mit denen angesto ßen wurde.
Ren Dhark drängte sich durch die Menge, ging direkt auf Shanton zu. Amy hielt sich abseits und unterhielt sich angeregt mit den Ri kers. Aber sie behielt die Szenerie um Shanton im Auge. Dhark begrüßte den schwergewichtigen Fremdtechnikspezialisten. Anschließend wandte er sich auch kurz Larsen zu. »Sie können sich nicht vorstellen, was wir hinter uns haben«, be richtete Shanton. »Wir waren mit der KONRAD ZUSE zu einem Testflug unterwegs, um einen von Bell und mir konstruierten Sup rasensor mit bis dahin unbekannten Möglichkeiten zu testen.« Shanton atmete tief durch. Die Erlebnisse, von denen er berichtete, mußten noch sehr frisch sein. Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. Er schien sich einfach jemandem mitteilen zu müssen. Shanton rang noch einmal gehörig nach Luft und fuhr dann fort: »Eigentlich sollte unser Superrechner einmal dazu in der Lage sein, die Manöver ganzer Flotten verbände zu koordinieren. Aber das verdammte Ding hat sich selbständig gemacht.« Ren Dhark runzelte die Stirn. »Selbständig?« echote er. Shanton zuckte mit den Achsen. »Ich habe kein passenderes Wort dafür. Konrad hat nach und nach die Lebensfunktionen der Besat zung ausgeschaltet und uns quasi von Bord geworfen. Am Schluß aktivierte er die Selbstzerstörung.« »Wir sind soeben erst mit den anderen Überlebenden an Bord eines Bergungsschiffes in Cent Field gelandet und hierher gebracht wor den«, ergänzte Larsen. »Das Ganze kommt einer Katastrophe gleich!« ergriff wieder Shanton das Wort. »Chris, ich weiß nicht, ob das der richtige Zeitpunkt ist, aber die POINT OF steht auf dem Landefeld von Cent Field bereit, um zu einer neuen Expedition aufzubrechen…« Ein Ruck ging durch Shantons massigen Körper. Er hob die Augenbrauen. »So?«
»Es geht darum, endlich das Rätsel der Goldenen zu lösen.« In knappen Worten berichtete Dhark dem Fremdtechnikspezialis ten von den Nachforschungen, die er mit seiner Mannschaft auf Ba bylon angestellt hatte, erzählte von der Vitrine mit dem goldenen Salter, auf die sie gestoßen waren und erwähnte den erst vor zwei Jahrhunderten gelöschten Datenspeicher. Chris Shanton bekam große Augen. Das Interesse war ihm über deutlich anzusehen. Als Dhark dann von dem Hypersignal berich tete, das der Gigantsender von Babylon plötzlich zum Kurr gen-System abgestrahlt hatte, gab es kein Halten mehr. »Wann soll es losgehen?« fragte Shanton. »Ich gehe doch davon aus, daß Sie mir von der Sache deswegen erzählen, weil Sie auf meine Anwesenheit bei dem Unternehmen Wert legen!« »Ich hatte gehofft, daß Sie so reagieren!« erwiderte Ren Dhark. »Eigentlich könnte es sofort losgehen. Es ist alles bereit.« »Geben Sie mir 24 Stunden!« bat Shanton. »Dann könnte ich mich auf die Expedition vorbereiten und alles regeln, was noch vorher zu regeln ist!« »Kein Problem«, sagte Dhark. »Es ist schon lange überfällig, daß die Herkunft jenes Goldenen endlich näher erforscht wird«, fand Shanton. »Und wenn ich dann an den goldenen Planeten denke, den wir Richtung Orn verfolgten und der uns abgehängt hat wie ein Gepard die Schnecke…«* Die Stimme von Henner Trawisheim unterbrach jetzt das Gespräch zwischen Ren Dhark und Chris Shanton. »Wie ich sehe, sind Sie beide sich bereits einig geworden«, knurrte der Regierungschef. Es war ihm deutlich anzusehen, wie sehr ihm das mißfiel. »Ich habe soeben über mein Armbandvipho einen Kurzbericht von der Katastrophe an Bord der KONRAD ZUSE er halten…«
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Siehe Drakhon-Zyklus Band 24, »Die geheimen Herrscher«
»Das Schlimmste, was ich seit langem erlebt habe!« gab Shanton zurück. »Wäre es da nicht besser, Sie würden sich erst einmal darum kümmern, die Ursachen des Unglücks aufzuklären?« hakte Trawis heim nach. Sein Tonfall war schneidend. »Statt dessen wollen Sie sich mit Ren Dhark zusammen auf eine sicherlich reizvolle, aber derzeit nicht vordringliche Expedition machen.« »Bell kann sich um die Ursache des Desasters auf der KONRAD ZUSE kümmern«, erwiderte Shanton. »Der ist dafür ohnehin besser qualifiziert.« Trawisheim verschränkte die Arme. Sein Gesicht wirkte starr. »Ich habe Dhark gegenüber meine Mei nung zu dieser Sache schon geäußert.« Shanton runzelte die Stirn. Vor lauter Begeisterung für die Idee einer Expedition, die das Rätsel der Goldenen lösen sollte, schien er erst nach und nach zu realisieren, daß sein oberster Dienstherr nicht im Traum daran dachte, ihm die Erlaubnis zu geben, daran teilzu nehmen. »Ich werde meine Zustimmung dazu nicht erteilen«, erklärte Tra wisheim klipp und klar. »Sie stehen im Sold der Flotte, und das be deutet, daß ich Sie dort hinschicken kann, wo Sie am meisten ge braucht werden.« »Ich brauche Urlaub!« protestierte Shanton. »Bei mir hat sich in zwischen einiges an Urlaubstagen und Überstunden aufgehäuft! Und jetzt, nach dieser Katastrophe, muß ich mich erst einmal erholen und zu meinem inneren Gleichgewicht zurückfinden.« Trawisheim machte eine wegwerfende Handbewegung. Er verzog das Gesicht. »Daß ich nicht lache!« knurrte er. »Dreimal darf ich raten, wo Sie Ihren angeblichen Erholungsurlaub verbringen werden. Auf einem Kreuzfahrtschiff namens POINT OF, wenn ich mich nicht irre!« »Ist das nicht meine Sache?« fragte Shanton.
Seine blitzenden Augen musterten den Regierungschef eindring lich. Henner Trawisheim schüttelte verzweifelt den Kopf. Insgeheim mußte er Shanton sogar Recht geben. Ihm stand Urlaub zu, so wie jedem anderen Flottenangehörigen auch. Es gab keinen rechtlich auch nur annähernd triftigen Grund, ihm seinen Wunsch nach dem Antritt dieses Urlaubs zu verweigern. Schon gar nicht nach den Ereignissen um die KONRAD ZUSE! Und wo er diesen Urlaub verbrachte, war tatsächlich seine Privat sache, sofern er damit nicht die Sicherheit der Flotte oder Terras gefährdete. Aber davon konnte nun wirklich keine Rede sein. »Springen Sie über Ihren Schatten, Commander der Planeten«, versuchte es Chris Shanton erneut. »Ich verspreche, mich täglich per To-Richtspruch bei Bell zu melden, damit ich bei der Aufklärung des KONRAD ZUSE-Desasters wenigstens auf dem Laufenden bleibe.« Dhark grinste. »Na, was ist? Mehr kann man doch wohl nicht er warten, oder?« Trawisheim machte eine wegwerfende Handbewegung. »Viel Glück! Aber erwarten Sie jetzt nicht, daß ich Ihre Begeiste rung für diese Expedition teile.« »Wir hätten das Rätsel des Goldenen schon lange lösen müssen«, fand Shanton. »Und ich habe mir vor längerer Zeit schon ein paar Gedanken zu dem Problem gemacht. Erstens meine ich…« Trawisheim unterbrach Shanton, bevor sich dieser vor lauter Be geisterung in Rage reden konnte. »Ich fände es ehrlich gesagt besser, wenn Sie erst einmal der Frage nachgehen würden, was mit der KONRAD ZUSE eigentlich schief gelaufen ist? Wie konnte es zu der Katastrophe kommen?« Shanton zuckte mit den Achseln. »Wie gesagt, was das angeht, habe ich volles Vertrauen zu Monty Bell, der ja nicht umsonst Leiter der Forschungsstadt von Alamo Gordo ist.«
Ein Summton ertönte und zeigte an, daß den Regierungschef eine Nachricht über Vipho erreichte. »Sie entschuldigen mich«, sagte Trawisheim. »Wir sehen uns sicher später noch.« Dhark und Shanton sahen dem Commander der Planeten nach. Jimmy hielt sich dicht bei Shanton, während Larsen gerade einem der Roboterkellner ein Sektglas abnahm. »Freut mich, daß Sie an Bord sind, Shanton«, gab Ren Dhark seiner ehrlichen Freude Ausdruck. »Arc Doorn brennt schon darauf, wie der mit Ihnen zusammenzuarbeiten!« »Die Freude ist ganz meinerseits«, gab Shanton zurück. Er machte eine Geste in Richtung des Regierungschefs, der inzwischen in der Menge verschwand. »Er ist ziemlich sauer, was? Es muß lange her sein, daß ich ihn das letzte Mal so erlebt habe.« »Er weiß, daß er nichts tun kann, um zu verhindern, daß einer der Topleute im Regierungsdienst die Reise der POINT OF mitmacht.« »Und das wurmt ihn.« »Genau. Am liebsten hätte er die ganze Expedition verhindert.« Shanton lachte so dröhnend, daß sich einige der in der Nähe ste henden Gäste umdrehten. »Kann es sein, daß Trawisheim schon den Tag verflucht, an dem er Ihnen die POINT OF im Namen der Re gierung als persönlichen Besitz übergeben hat?« »Wahrscheinlich verflucht er insgeheim eher Wallis, der mit der Gründung der Stiftung dafür gesorgt hat, daß ich nicht an Trawis heims Gängelband hänge!« »Wir kennen ihn beide. Er wird darüber hinwegkommen!« »Hoffen wir’s!« Shanton blickte auf sein Chronometer. »Start in vierundzwanzig Stunden?« fragte er. »Ich schätze, davon ist schon eine halbe ver gangen, und ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen, bevor es losgehen kann. Zuerst muß ich duschen und mich etwas aufs Ohr legen.« Er deutete auf Jimmy, der sich dicht an seinem Hosenbein
hielt. »Sie haben doch sicher nichts dagegen, wenn mein treues Hündchen die Reise mitmacht!« »Nein, ganz und gar nicht!« erwiderte Dhark. * Am Abend besuchten Arc und Doris Doorn Chris Shanton in des sen Wohnung. Der Fremdtechnikspezialist hatte sich geduscht und frischgemacht. Die Schrecken der Katastrophe an Bord der KONRAD ZUSE hatte Shanton einigermaßen verarbeitet, auch wenn ihn die Frage, wie es dazu hatte kommen können, natürlich weiter beschäftigte. »He, das ist eine Überraschung!« begrüßte Shanton seine Gäste. »Ich nehme an, daß Sie beide zu einem Cognac nicht nein sagen würden!« »Es ist uns eine Ehre, Mr. Shanton«, sagte Arc. »Wissen Sie was? Wir arbeiten schon so lange zusammen, da soll ten wir jetzt, da wir hier bei einem Cognac zusammensitzen werden, die Formen etwas lockern. Unsere Vornamen sind uns gegenseitig ja bekannt…« Arc Doorn lachte. »Flüchtig, Chris! Flüchtig!« »Doris! Arc! Was steht ihr hier herum? Nehmt Platz. Ich werde mal Gläser und Cognac holen.« Arc Doorn grinste. »Wie ja bekannt ist, hast du stets einen erlese nen Tropfen im Schrank!« Die beiden Männer verband nicht nur ein ähnliches Interesse für die Technologie fremder Spezies, sondern auch eine Freundschaft, die in langen Jahren der Zusammenarbeit gewachsen war. Schließlich kannten sie sich seit ihrer gemeinsamen Zeit auf der GALAXIS. Später, ab 2053, hatten sie zusammen die Ast-Stationen aufgebaut.
Im Jahr davor hatte Doorn die Krankenschwester Doris Eyck ge heiratet. Wie alle Frauen der Besatzungsmitglieder machte sie die Expedition der POINT OF mit. Seitdem sich das Schiff im Privatbe sitz befand, war das möglich. Shanton verschwand einen Moment im Nachbarraum und kehrte mit drei Gläsern und einer Flasche Cognac zurück. Er war bekannt dafür, ein Liebhaber dieses Getränks zu sein. Er blickte auf das Eti kett der Flasche, klopfte sich an den Bauch und meinte: »Man sollte es eigentlich lassen, mit diesem kalorienhaltigen Treibstoff zu fahren, aber…« Er seufzte. »Delamain XO. Mehr als 30 Jahre alt. Unwiders tehlich. Wie heißt es so schön? Das Fleisch ist schwach und die Kehle durstig!« Shanton war ein Genießer. Zwar konnte er wie ein Besessener an einem Projekt arbeiten, aber er gehörte nicht zu denjenigen, die darüber in eine Art Arbeitsaskese verfallen wären. Genuß – besonders in Form eines guten Cognac – war für ihn der Ausgleich, den er brauchte, um kreativ zu bleiben. Shanton schenkte seinen Gästen ein. »Auf die Expedition!« sagte Shanton, während er das Glas hob. »Auf die Expedition!« echoten Doris und Arc. Der Ingenieur nahm einen kräftigen Schluck und atmete tief durch. »Ich habe mich den Nachmittag über erst einmal ein bißchen aufs Ohr gehauen«, meinte Shanton dann. »So richtig erholsam war das allerdings auch nicht. Ich hatte Alpträume. Eines der Besatzungs mitglieder der KONRAD ZUSE wurde von einem sich schließenden Schott in zwei Hälften geteilt. So etwas vergißt man nicht…« »Was ist denn schiefgegangen?« fragte Doorn. Er hatte in der Zwischenzeit einiges über diesen Vorfall gehört. Die Nachricht über die Rebellion des von Professor Monty Bell und Chris Shanton konstruierten Suprasensors hatte sich in Flottenkreisen wie ein Lauffeuer verbreitet. Shanton nahm einen weiteren Schluck aus seinem Glas und schenkte sich anschließend nach. Er machte ein ratloses Gesicht. Sein
Blick ging ins Nichts und schien einen Augenblick lang durch die Doorns hindurchzusehen. »Ich weiß es nicht. Eigentlich lief die Testfahrt der KONRAD ZUSE ganz normal. Wir waren alle hochzu frieden, bis es zu den ersten Ausfällen kam… Ja, man muß eigentlich von regelrechten Anschlägen auf die Mannschaft sprechen! Es sind einige gute Männer dabei zu Tode gekommen. Schließlich hat Kon rad die Herrschaft über die Lebenserhaltungssysteme erlangt.« Shanton schüttelte den Kopf. »Wir haben regelrecht mit ihm ver handelt. Er hat sich wie ein krimineller Erpresser verhalten und die Mannschaft dazu gezwungen, sich zu entwaffnen… Ich erspare euch die Einzelheiten. Das Ende vom Lied dürfte sich herumgesprochen haben.« »Das Schiff ist explodiert«, stellte Arc fest. »Ja. Du kannst dir den Krieg gegen eine Schiffs-KI, die sämtliche lebensnotwendigen Systeme beherrscht, sicher lebhaft vorstellen. Wir befanden uns schließlich in einem stockdunklen Raumschiff, in dessen Innerem Vakuum und außerdem erhöhte Gravitation herrschten. Bis auf 8 g stieg sie an! Da kann man kaum noch atmen! Dieser verdammte Rechner wußte schon, wie er uns wirksam außer Gefecht setzen konnte…« Jimmy kam in diesem Moment aus einem Nebenraum. Er sprang auf einen freien Sessel und schaute aufmerksam in die Runde. »Wie du siehst, habe ich Gäste«, sagte Shanton. »Guten Abend«, sagte der Robothund in Richtung der Doorns und senkte dabei leicht den Kopf. Seine Zunge hing heraus. Äußerlich war nicht zu sehen, daß sich in dieser Zunge ein Impulsstrahler be fand. Die Doorns erwiderten schmunzelnd die Begrüßung. »Jimmy war es, der es schließlich schaffte, ins Herz des Rechners vorzudringen und mit seinem Impulsstrahler so große Zerstörungen anzurichten, daß Konrad starb«, berichtete Shanton nach einer kur zen Pause weiter. »Ja, mir fällt ehrlich gesagt kein passenderer Aus
druck dafür ein. Konrad starb. Er verhielt sich die ganze Zeit über wie eine Person. Allerdings wie eine sehr bösartige.« »Dann hat er den Turingsprung gemacht und ein eigenes Be wußtsein entwickelt?« hakte Arc nach. »Das werden wir im Nachhinein wohl kaum noch feststellen kön nen, denn bevor Jimmy ihn tötete, schaffte es Konrad noch, einen Selbstzerstörungsmechanismus zu aktivieren. Wir hatten fünfzehn Minuten, um das Schiff zu verlassen, aber alle Schotts waren von Konrad verriegelt worden. Mit knapper Not konnten wir entkom men. Kurz danach explodierte das Schiff.« Arc blickte jetzt ebenso ratlos drein wie Shanton. »Ich verstehe das nicht, es muß doch irgendeinen Grund dafür geben, daß dieser Suprasensor urplötzlich sein Verhalten dermaßen verändert hat. Selbst wenn er einen Turingsprung hinter sich hatte, mußte der aus ihm doch nicht unbedingt ein derart bösartiges Monstrum machen, das rücksichtslos darangeht, die Mannschaft zu vernichten.« »Was meinst du, worüber ich mir schon die ganze Zeit den Kopf zerbreche?« sagte Shanton. Er fuhr sich mit einer fahrigen Handbe wegung über den Kopf und zupfte sich anschließend an einem seiner Barthaare. »Du kennst mich. Du weißt, wie ich arbeite, und von Monty Bell kann man auch nicht gerade sagen, daß er ein Stümper ist. Wir haben im Vorfeld alles sorgfältig getestet, dann sind wir zum unbewohnten Fomalhaut-System geflogen und haben dort die Si mulation eines koordinierten Flottenmanövers ablaufen lassen…« »Keinerlei besondere Vorkommnisse?« hakte Doorn noch einmal nach. Shanton schüttelte den Kopf. »Nicht, daß ich mich erinnern könnte. Das heißt…« »Was?« »Während die Simulation lief, hatten wir kurz Kontakt zu einem Fremdraumer, aber…« Shanton brach ab und biß sich auf die Unter lippe. »Was war das für ein Raumschiff?«
»Es war nicht zu identifizieren. Ungefähr 350 Meter lang, aber von irregulärer Form. Erst dachten wir, es wären Nogk, weil sie sich mit weicher Transition davonmachten. Aber die Energiesignaturen un terschieden sich deutlich von denen, die wir von den Nogk ken nen…« »Dieses fremde Schiff könnte die Ursache für das Desaster gewesen sein«, war Arc Doorn plötzlich überzeugt. »Auf die Schiffe, die das Gerrck-System angriffen, treffen dieselben Merkmale zu, wie du sie von dem unbekannten Raumer bei Fomalhaut schilderst. Auch sie transitierten nach Art der Nogk, so daß man den Zielpunkt ihres Raumsprungs nicht anmessen konnte…« »… aber es waren keine Nogk«, vollendete Shanton. »An deiner Vermutung könnte etwas dran sein.« »Wie lief eure Kontaktaufnahme ab?« fragte Doorn. »Als wir die Unbekannten anfunkten, bekamen wir zuerst keine Antwort. Wir ließen anschließend Konrad die Kontaktaufnahme übernehmen und den Fremden ein Basissignal senden, woraufhin ein Datenstrom den Suprasensor erreichte.« »Was war der Inhalt?« »Ließ sich nicht entschlüsseln.« »Es könnte sich um eine Art Virus gehandelt haben.« »Du meinst, die Unbekannten haben Konrad umprogrammiert?« Shanton nickte. »Ich werde Monty Bell auf diese Möglichkeit hin weisen.« Er deutete auf Jimmy. »Jedenfalls hat unser Brikett auf Be inen sich als absolut loyal erwiesen. Ohne ihn säße ich jetzt nicht hier…« »Dafür könnte man mir ruhig etwas mehr Respekt entgegenbrin gen«, erhob der Robothund seine Stimme. »Zum Beispiel, indem man Bezeichnungen wie Brikett auf Beinen zukünftig unterläßt!« »Chris hat das sicher nicht böse gemeint«, meldete sich Doris zu Wort. »Achtlos dahergesagte Diskriminierungen sind wie ein Stich ins Herz«, sagte Jimmy.
Doris runzelte die Stirn. Sie wandte sich an Shanton. »Fängt er jetzt an, Gefühle zu simulieren, oder hat er wirklich welche?« wunderte sie sich. Shanton hob die Augenbrauen. »Wo ist der Unterschied? Sag mir überhaupt mal ein klares Merkmal, anhand dessen man zweifelsfrei unterscheiden kann, ob man es nur mit einem hochkomplexen Programm oder mit einer Persönlichkeit zu tun hat.« »Oder vielleicht nur mit einer simulierten Persönlichkeit«, ergänzte Arc. »Meine Bemerkung war lediglich eine nüchterne Feststellung«, behauptete Jimmy schließlich. Alle lachten. Nur Jimmy blickte stumm in der Runde umher. Shanton schenkte den Doorns noch einmal nach. »Was wird unser erstes Ziel sein, wenn wir mit der POINT OF aufbrechen?« fragte Shanton schließlich, nachdem er auch sich selbst das Glas noch einmal gefüllt hatte. »Ich nehme an, es geht noch einmal zum Planeten der Kurrgen. Schließlich mußten wir von dort überstürzt aufbrechen, als uns die Nachricht von den Ereignissen im Gerrck-System erreichte.«
6.
Nachdem sich die Gardisten halbwegs akklimatisiert hatten, wur den vierundzwanzig »Auserwählte« mit der Untersuchung der Ro boterwracks beauftragt. Wer sie dabei beobachtete, konnte leicht den Eindruck gewinnen, es mit verspielten Kindern zu tun zu haben. Scheinbar ausgelassen »wühlten« sie in den teils zerschmolzenen, teils noch recht gut er haltenen Metallresten, als befänden sie sich auf einem ganz norma len Schrottplatz, auf der Suche nach brauchbaren Ersatzteilen für den privaten Schweber. Dieser erste Eindruck täuschte allerdings. MacCormack, Musaschi, Buck und die anderen gingen bei ihrer Arbeit durchaus »erwachsen« vor. Sorgsam überprüften sie die fremdartigen Maschinen und re gistrierten jedes auffällige Detail. Selbst die »Frischlinge« unter den Gardisten lieferten wichtige Beiträge, schließlich waren sie nicht allein aufgrund ihrer kämpferischen Fähigkeiten, sondern vor allem wegen ihrer herausragenden Intelligenz in die Garde aufgenommen worden. Akira Musaschi und Kurt Buck ergänzten sich perfekt. Beide ver fügten über ausreichend technisches Fachwissen, wobei der in Ro botertechnik erfahrenere Hauptmann seinem Untergebenen meist ein, zwei Schritte voraus war. Wann immer Buck auf etwas stieß, das ihm eine Inaugenscheinnahme wert zu sein schien, hatte Musaschi es bereits vor ihm entdeckt. Zweimal war der Leutnant zwar schneller, doch er hatte das Gefühl, daß ihm der zur Höflichkeit erzogene Ja paner absichtlich den Vortritt ließ – damit Buck »sein Gesicht wah ren« konnte. Kurt rechnete dem Kompanieführer diese großzügige Geste hoch an. Sieht so aus, als würden wir doch noch recht gute Freunde, dachte er im stillen.
Damit nicht jeder Gardist allein vor sich hin wurstelte, statt seine Forschungsergebnisse mit den anderen zu teilen, hatte MacCormack Korporal Jaschin damit beauftragt, sämtliche Einzelheiten schriftlich festzuhalten und sie bei der Abschlußbesprechung als Gesamtes vorzulegen. Dabei assistierte Wladimir ein schmalbrüstiger Rekrut namens Piet Lessing, ein junger Holländer, der von seinen Kameraden »Lessi« genannt wurde. Piet wirkte irgendwie dauernervös auf seine Mit menschen, die er mit seiner Nervosität regelrecht ansteckte. Er selbst schien davon nichts zu merken und hielt sich für die Ruhe selbst. Jaschin und Lessing warteten nicht erst ab, bis sie zu den »Tator ten« gerufen wurden. Wo immer es zu erregten Diskussionen kam, waren sie zur Stelle und holten detailgetreue Informationen ein. Lessi hatte einen tragbaren Suprasensor bei sich und gab fortwäh rend Daten ein, so fingerflink, daß jede Chefsekretärin vor Neid er blaßt wäre. Kenneth MacCormack erkannte zweifelsfrei die alten Gegner von Deneb IV wieder. Mit dem Mut der Verzweiflung waren Farnham, er und die übrigen Soldaten gegen die fremden Kampfmaschinen an getreten. Hier lagen nun Tausende davon zu seinen Füßen, so, wie er sie am liebsten sah: zerstört und kampfunfähig. * »Die fremden Roboter sind terranischen Konstruktionen eigentlich unterlegen«, faßte Jaschin anhand des vorhandenen Informations materials bei der Abschlußbesprechung zusammen. »Ihre Rechner ermöglichen ihnen nur eine beschränkte Autonomie. Ihnen wurde aber – ganz gleich, um welches Modell es sich handelt – ein ho chentwickelter, extrem miniaturisierter To-Richtfunksender einge baut, mit einer besonders aufwendigen Richtkontrolle und -nachführung. Offensichtlich wurden die Roboter von außen ge steuert.«
»Unmöglich«, meinte Kurt Buck. »Die Rechner in den Mutter schiffen müßten dafür über eine enorme Kapazität verfügen.« »Vielleicht sind sie mit Hyperkalkulatoren ausgestattet«, merkte MacCormack an. »Verzeihung, daß ich Ihnen widerspreche«, erwiderte Musaschi. »Doch angesichts der Vielzahl der Roboter, die allerorten auf den Planeten herabregneten, wäre selbst ein Hyperkalkulator mit einer solchen Leistung überfordert.« Der Oberstleutnant nickte. »Sie haben völlig recht. Wenn ich un sere derzeitigen Erkenntnisse und mein früheres Zusammentreffen mit den bizarren Robotern miteinander kombiniere, fällt mir noch eine andere Möglichkeit ein: Auf den Schiffen befinden sich keine von Intelligenzen gesteuerten Rechner, sondern extrem leistungsfä hige Großrechner, die fast den gesamten Platz an Bord einnehmen. Die Fremdraumer fliegen also ohne Mannschaft.« Er dachte kurz nach und sagte dann: »Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen: Die Schiffe selbst sind extrem leistungsfähige Großrechner.« Erstaunt sahen ihn alle, die sich im Konferenzraum des Regie rungsgebäudes versammelt hatten, an. »Durchs Weltall fliegende Großrechner?« fragte schließlich Zug führer Kaunas. »Ist das nicht ein bißchen zu sehr… Science-fiction?« »Sehe ich genauso«, stimmte Major Santini ihm zu. »Ich kenne die Berichte der überlebenden Raumschiffskommandanten und hatte außerdem ein persönliches Gespräch mit Commander Dhark.« Man merkte ihm an, daß er die Unterredung mit Ren Dhark als eine besondere Ehre empfand. »Beschädigte eigene Schiffe wurden von den Fremden mit einem Riesenaufwand beschützt und vom Kampfplatz wegtransportiert«, fuhr Santini fort. »Am Ende ließen sie kein einziges zurück. Sie ret teten damit den Besatzungen der havarierten Raumer das Leben. Ein derartiges Vorgehen macht nur bei denkenden, fühlenden Wesen Sinn, nicht bei Maschinen.«
Musaschi hielt es dennoch für möglich, daß sich keine Besatzungen an Bord der fremden Schiffe befunden hatten. »Es ist für mich durchaus vorstellbar, daß sie sich bis zu einem gewissen Grad ei genständig durchs All bewegen – im Rahmen ihrer Programmierung natürlich. Ihre Erbauer könnten ihnen den Befehl eingegeben haben, angeschossene Kampfraumer nicht dem Gegner zu überlassen, da mit niemand technische Geheimnisse ausspionieren kann. Hinzu kommt, daß solche speziellen Rechnerraumer, oder wie man sie auch nennen mag, mit Sicherheit überaus teuer in der Herstellung sind. Aus den beschädigten Schiffen läßt sich bestimmt noch so manches wertvolle Teil ausbauen.« »Wegen ein paar Ersatzteilen riskiert man doch nicht, daß bei einer aufwendigen Rettungsaktion weitere teure Raumschiffe angeschos sen oder gar zerstört werden«, gab Kaunas zu bedenken. »Nein, das würde sich unterm Strich nicht lohnen. Und was das Wahren von militärischen Geheimnissen angeht: Eine Selbstzerstörungsanlage erfüllt denselben Zweck – so wie bei den Robotern.« »Was, wenn die Rechnerraumer Verstand hätten?« fragte Kurt Buck in die Runde. Er hatte nicht lange über das nachgedacht, was er da sagte, es war ihm einfach so herausgerutscht. Beinahe hätte er sich für die unqualifizierte Bemerkung entschul digt, da bekam er Schützenhilfe von Akira Musaschi. »Der Gedanke ist gar nicht mal so abwegig, Leutnant. Immerhin gibt es mindestens einen nachgewiesenen Fall von einer Maschine mit echtem Bewußtsein: Artus, der Roboter mit Seele.« »Nachgewiesen wurde meines Wissens nach überhaupt nichts«, widersprach ihm der Hauptfeldwebel. »Artus hat ein Bewußtsein – sagt Artus. Artus denkt – sagt Artus. Artus fühlt – sagt Artus. Viel leicht ist er aber nur ein defekter Blechmann, der sich lediglich ein bildet, ein lebendiges Wesen zu sein.« MacCormack erwähnte in diesem Zusammenhang Artus’ Aben teuer auf dem Mars. Im Oktober 2058 hatte der Roboter den Welt
raumveteran Roy Vegas aus den Fängen eines denkenden Groß rechners gerettet, der eine ganze Roboterarmee gegen die beiden eingesetzt hatte. Angeblich war der intelligente Rechner, der sich selbst Einsamer genannt hatte, von seinem Volk auf dem Mars zu rückgelassen worden. Abzuholen brauchten sie ihn jetzt nicht mehr – Artus hatte bei seiner Befreiungsaktion keine halben Sachen ge macht. »Vielleicht wäre es von Nutzen, wenn wir ›Artus, den Außerge wöhnlichen‹ zur Beratung hinzuziehen?« schlug Jaschin vor. »Er ist offizielles Besatzungsmitglied der POINT OF, man kommt nur schwer an ihn heran«, entgegnete MacCormack. »Ich halte es eh für sinnvoller, mit Roy Vegas zu reden. Er befand sich siebenund vierzig Jahre in der Gewalt des Einsamen und könnte uns sicherlich wertvolle Erkenntnisse über ihn liefern.« Damit war die Besprechung fürs erste beendet. Über To-Funk setzte sich MacCormack mit Farnham in Verbin dung. Der Generalmajor sagte ihm zu, Kontakt zu Roy Vegas auf zunehmen. * VERGANGENHEIT: Mitte 2051 Col-System – Planet Hope Kontinent Main Island – Kolonistenstadt Cattan Ein langgestreckter Bau mit mehreren Räumen. Irgend jemandes Assistent zu sein ist alles andere als eine befriedigende Aufgabe. Craig und Ossorn waren unbestreitbar Kapazitäten auf dem Ge biet der Astrophysik, und ich hatte gehofft, von ihnen zu lernen – doch sie degradierten mich vom ersten Tag an zum passiven Zuschauer und Kaf feeholer. »Jeder hat mal klein angefangen, Nepomuk«, verspotteten sie mich, wenn ich mich darüber beschwerte.
Wahrscheinlich konnten sie mich nicht ausstehen, immerhin hatte ich mich offen als Anhänger des Rocco-Regimes bekannt. Wenn ich ihnen nur die Wahrheit sagen könnte… Von dem Tag an, als sich Rocco zum Präsidenten von Cattan aufge schwungen hatte, haßte ich ihn! Mißliebige Personen wie Ren Dhark, Sohn unseres verstorbenen Raumschiffskommandanten Sam Dhark, hatte Rocco in die Verbannung geschickt – vermutlich waren sie längst nicht mehr am Leben. Damit es mir nicht genauso erging, schwieg ich zu Roccos Verbre chen, so wie die meisten Bürger von Cattan. Mehr noch: Ich gab mich in der Öffentlichkeit als höriger Gefolgsmann des Machthabers aus, allen Schmähungen zum Trotz, damit er mir blind vertraute, falls er mal in meine Nähe kam… Bisher waren wir beide noch nie auf Tuchfühlung gegangen, sonst hätte ich dem unterdrückten Volk von Cattan längst zeigen können, auf wessen Seite ich wirklich stand. Die Kugel in der selbstgebauten Projektilwaffe in meiner linken Hemdbrusttasche war ausschließlich für ihn bestimmt. Le diglich einen einzigen Schuß konnte ich mit dem primitiven Gerät, das wie eine Anstecknadel aussah, abgeben – aber das würde mir genügen, wenn er nur nahe genug an mich herankam. Eine Zeitlang war Rocco regelmäßig zu uns ins Beobachtungszentrum gekommen, um nach dem Rechten zu sehen und Informationen einzuholen; leider hatte sich nie eine passende Gelegenheit für mich ergeben. Mittler weile zeigte er kaum noch Interesse am Geschehen im Weltall. Den Radar beobachtern hatte er sogar verboten, Großalarm zu geben, wenn noch einmal überraschend unbekannte Schiffe aus Weltraumtiefen auftauchten und die Grenzen des Col-Systems passierten. Seither gab es eine strikte Nachrich tensperre, trotz des vorangegangenen Angriffs aus dem All, bei dem die GALAXIS – unsere letzte Hoffnung auf Rückkehr zur Erde – endgültig zerstört worden war. »Wir müssen uns eben mit der Tatsache abfinden, daß in diesem Teil der Milchstraße reger Betrieb herrscht«, hatte Rocco sein leichtsinniges Ver halten begründet. »Mit ständigem Alarm und dem Verkriechen in Schutz
räumen erzieht man sich keinen Menschen, einer Gefahr kaltblütig ins Auge zu blicken.« … erzieht man sich keinen Menschen… Was für ein menschenverachtender, kaltschnäuziger Tyrann! Wieder einmal beobachteten Craig und Ossorn einen (hoffentlich) vorü berziehenden Raumschiffspulk – und wieder einmal wurde die Cattaner Bevölkerung über die eventuell drohende Gefahr im unklaren gelassen. Die Schiffe kamen aus der Richtung, aus der man die magnetischen Störungen angemessen hatte. Zufall? Oder befanden sie sich vor irgend etwas auf der Flucht? Das Vipho schaltete sich ein. Rual, ein Experte der Raumradarabteilung, meldete sich und stellte den beiden Astrophysikern eine merkwürdig an mutende Frage. »Wie verhält sich Masse bei Erreichen der Lichtgeschwindigkeit?« Ossorn fühlte sich veralbert und wies den Radarexperten auf Einsteins allseits bekannte wissenschaftliche Thesen hin. Daraufhin behauptete Rual allen Ernstes, der aus circa fünfhundert Schiffen bestehende Pulk würde sich dem Col-System mit einer Geschwindigkeit von 1,1 Licht nähern. »Und jetzt fliegen die Raumer sogar mit 1,42 Licht und sind immer noch im Normaluniversum und auf unseren Bildschirmen!« ertönte es aufgeregt aus dem Vipho. »Das kann es doch nicht geben! Begreifen Sie jetzt, was ich Sie eben gefragt habe?« »Ihr Raumradar ist keinen Schuß Pulver wert!« fuhr Craig Rual unbe herrscht an. Der Mann am Radar versicherte ihm hoch und heilig, daß seine Ortungsgeräte samt und sonders perfekt funktionierten. Die fremden Raumschiffe hatten ohne Zweifel die Lichtmauer durchbrochen. Und es kam noch dicker… »Der Verband fliegt im Augenblick mit 1,59 Licht und dreht noch mehr auf!« sagte Rual, der sich dabei fast verschluckte. »Wir sollten Rocco hinzuziehen«, schlug ich vor – nicht ohne Hinterge danken. »Ha! Das nenne ich einen Weisen!« Ossorn tippte sich mit dem Zeige finger vielsagend an die Stirn. »Ich bitte doch nicht Cattans Präsidenten zu
mir, um mich bis auf die Knochen zu blamieren. Bist du scharf auf meinen Job, Nepomuk? Dann laß dir was Besseres einfallen.« »Kann man eigentlich noch etwas sehen, wenn man sich selbst schneller als das Licht bewegt?« wollte Rual wissen. Ossorn riet ihm unfreundlich, mal ein Schulbuch zur Hand zu nehmen und kappte abrupt die Verbindung. Allen wissenschaftlichen Lehren zum Trotz raste dreiundzwanzig Minu ten nach diesem unergiebigen Gespräch der beobachtete Raumschiffsverband mit sage und schreibe 3,71 Licht durchs Col-System und verschwand in den Tiefen des Alls. Hätte das Radar die überlichtschnellen Schiffe nicht als grelle Leuchtpunkte auf den Bildschirmen sichtbar gemacht, hätte niemand etwas von dem »Blitzbesuch« mitbekommen. Im Konferenzzimmer nebenan, der den Wissenschaftlern und Raum fahrttechnikern im Hause auch als Aufenthaltsraum diente, wurde noch Stunden später heiß über den unglaubwürdigen Vorfall diskutiert. Zu meinem Bedauern war Rocco nicht mit dabei, ihn schien das alles nicht im geringsten zu interessieren, oder es hatte ihn niemand informiert. Ich wollte den großen, verqualmten Raum gerade verlassen, als es plötzlich ganz still wurde. Rual meldete über den Hauslautsprecher den Durchflug eines weiteren, kleineren Schiffsverbands. »Sie kamen aus der gleichen Richtung wie der große Verband und haben denselben Kurs eingeschlagen. Ihre Fluggeschwindigkeit beträgt…« Alle hielten den Atem an. »… 8,03 Licht!« Mit 8,03 Lichtgeschwindigkeit im Kontinuum bleiben – die Experten runde war fassungslos. Meine Hoffnung, wenigstens jetzt würde sich Rocco hier sehen lassen, erfüllte sich nicht. Somit mußte ich weiter geduldig auf meine Chance warten. Früher oder später, dessen war ich mir ganz sicher, würde den gewissen losen Machthaber sein verdientes Schicksal ereilen. Wenn er nicht durch meine Hand starb, dann durch die eines anderen heimlichen Widerstands kämpfers.
Oder es erwischte ihn irgendwann bei einem Angriff aus dem Weltall… * GEGENWART: Elf Jahre später, Mitte 2062 »Diese Biester sind weder Fisch noch Fleisch«, sprach Edmundo Rossi im Flüsterton ins Funkgerät seines Panzeranzuges. Hauptfeldwebel Kaunas warnte ihn mit einem scharfen Blick da vor, noch mal den Mund aufzumachen. Auch von seinen Kameraden erntete der Sizilianer zahllose böse Blicke durchs Visier ihrer Helme. Kaunas’ Zug durchquerte einen stockfinsteren, künstlich angeleg ten Tunnel. Wände und Decken des Tunnels waren feucht, und auf dem Boden trat man von einer Pfütze in die nächste. Unter der Decke hingen merkwürdige Lebewesen: fledermaus große Fliegen, deren Körper von glänzenden Schuppen bedeckt waren; sie rochen ziemlich streng nach Fisch. Offenbar befanden sie sich im Ruhezustand, deshalb hatte der Zugführer angeordnet, die Scheinwerfer aus- und die Nachtsichtgeräte einzuschalten. Zudem hatte er striktes Gesprächsverbot angeordnet – schließlich wollte man keine schlafenden »Was-auch-immer« wecken. Kaunas rechnete damit, auf der anderen Seite des Berges auf halbwegs intelligentes Leben zu treffen. Irgend jemand mußte den Tunnel ja gebaut haben. Die Wände wiesen zweifelsfrei Spuren von primitiven Werkzeugen auf. Leise gingen die Männer weiter. Niemand wußte, was in den nächsten Minuten passieren würde – und genau das war das Span nende an solchen Erkundungsgängen. * Der zweite Zug war nicht der einzige, der sich auf Gebirgserkun dung befand. An anderer Stelle war Leutnant Kurt Buck mit dem
ersten Zug unterwegs, um ebenfalls die Umgebung auszukund schaften. Vor ihnen erstreckte sich eine große Wiese. Das Gras reichte den Männern bis zu den Knien. »Paßt auf, wo ihr hintretet«, sagte Buck. »Wer weiß, was für Krabbelviecher sich im Gras verbergen.« Abrupt blieb Daniel Charoux stehen. Er wurde kreideweiß im Ge sicht. »Keine Angst, ich beschütze dich, falls dich ein Käfer in die Wade beißt«, merkte sein Bruder belustigt an und schlug ihm mit der fla chen Hand auf den Rücken. »Und nun geh weiter. Je schneller wir das alles hinter uns bringen, um so früher können wir in unser Quartier zurückkehren.« Daniel rührte sich keinen Zentimeter vom Fleck. »Besser, ihr bleibt mir vom Leibe«, sagte er zu den anderen, die teils weitergingen, teils stehenblieben. »Ich bin eben auf was Merk würdiges drauf getreten, auf irgendeine Art Gerät, das ein klicken des Geräusch von sich gab.« »Vielleicht eine Tretmine«, bemerkte einer seiner Kameraden. »Sind die Dinger nicht seit Jahrzehnten geächtet und verboten?« »Auf Terra schon«, erwiderte Kurt Buck. »Aber auf einem fremden Planeten muß man theoretisch mit allem rechnen. Wir hätten die Wiese vor dem Betreten mit unseren Metallsensoren abtasten sol len.« Wenig später stand fest, daß im Erdreich zahlreiche jener unbe kannten Geräte verborgen waren. Buck ließ eins ausgraben und un tersuchte es genauer. Es handelte sich tatsächlich um eine Form von Tretmine, eine heimtückische Waffe, die hier auf der Wiese ein Massensterben auslösen konnte. »Stellt man den Fuß darauf, sendet sie sofort ein Funksignal aus und aktiviert dadurch die übrigen Minen«, erklärte Buck. »Nimmt man den Fuß wieder herunter, explodieren alle gleichzeitig.«
»Dann sollten wir machen, daß wir hier wegkommen«, meinte Antoine Charoux. »Je mehr Abstand wir zu meinem Bruder gewin nen, um so besser ist das für uns.« »Danke für dein familiäres Mitgefühl«, sagte Daniel. »Er hat ein Gemüt wie ein Fleischerhund, aber er hat recht«, machte Buck ihm deutlich. »Wenn Ihr Fehltritt tatsächlich ein Infer no auslösen sollte, darf nicht der komplette Zug ausgelöscht wer den.« Er ordnete umgehend die Räumung des Platzes an. Da man in zwischen wußte, wo sich die Minen jeweils befanden, mußte nie mand befürchten, beim Rückzug in die gleiche Situation wie Daniel zu geraten. Die Truppe ging auf sichere Distanz zu ihm. Lediglich Kurt Buck und Antoine Charoux blieben zurück – denn selbstver ständlich ließ Antoine seinen »kleinen« Bruder nicht im Stich; er hatte nur manchmal ein loses Mundwerk. »Wir brauchten ein Gegengewicht«, überlegte Buck laut. »Einen schweren Stein oder ein Teil von unserer Ausrüstung, irgendwas, das wir an Daniels Stelle auf den Auslöser legen könnten. Hauptsa che, es wiegt exakt so viel wie er. Im Inneren der Miene befinden sich Sensoren, die jede Gewichtsveränderung registrieren. Schon die kleinste Schwankung löst die Explosion aus.« »Es war eine Fehlentscheidung, Kesey im Lager zurückzulassen«, bemerkte Daniel mißbilligend. »Er wüßte jetzt sicherlich, was zu tun wäre.« Vorgesetzte zu kritisieren war normalerweise nicht seine Art, doch wenn man sozusagen mit einem Bein in der Hölle stand, war einem alles egal. Buck schaute ihn fragend an. »Kesey? Wer ist Kesey?« »Groß, etwas korpulent, Schnurrbart«, antwortete Daniel. »Sie ha ben ihm auf den Bauch geklopft, Herr Leutnant, und eine fiese Be merkung zu seinem Übergewicht gemacht.« *
In einer Talsenke hatten die Garde und die TF ein provisorisches Lager errichtet. Dort machte sich Korporal Jaschin mit dem dritten Zug abmarschbereit. Major Elizondo protestierte. »Ich beabsichtige, ebenfalls Erkun dungstrupps auszuschicken. Wenn wir alle unterwegs sind, wer bewacht dann das Lager?« »Eine unbekannte Gegend auf einem fremden Planeten auszufor schen ist kein harmloser Spaziergang«, hielt Kompanieführer Mu saschi höflich, aber bestimmt dagegen. »Die Gardeangehörigen wurden speziell für derartige Situationen ausgebildet. Sie und Ihre Mannschaft sichern das Lager, Herr Major, das ist eine genauso wichtige und ehrenvolle Aufgabe.« »Sagen Sie mir nicht, was ich zu tun und zu lassen habe«, herrschte Elizondo ihn an. »Vergessen Sie nicht, wer von uns beiden den hö heren Rang hat. Und was die Ausbildung bei der Terranischen Flotte betrifft: Meine Männer sind nicht besser oder schlechter ausgebildet als Ihre.« Musaschi bezweifelte das, verkniff sich aber jede Anmerkung da zu, um den Major nicht noch mehr auf die Palme zu bringen. Eines mußte er allerdings klarstellen. »Da wir zwei verschiedenen Waffengattungen angehören, spielt Ihr höherer Rang keine Rolle für mich, Herr Major, bei allem Res pekt. Sie und Ihr Schiff wurden zu unserer Unterstützung abgestellt, nicht umgekehrt. Die Entscheidungen treffen demnach wir.« »Auf dem Schiff befiehlt immer nur einer, und das ist der Kapitän«, entgegnete Hector Elizondo unnachgiebig. »Wir sind aber nicht mehr auf Ihrem Schiff, Kapitän Elizondo«, sagte der Japaner, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Die HAMBURG, beziehungsweise das, was noch von ihr übrig ist, be findet sich viele Kilometer von hier entfernt.« In diesem Augenblick erfüllte ein ohrenbetäubendes Krachen die Luft, und der Boden erzitterte. Auf der Wiese am Waldrand waren
sämtliche Minen hochgegangen – nicht nacheinander, sondern alle auf einmal. * Der Explosionsdonner war bis ins Innere des Berges zu hören. Kaunas und sein Zug sahen bereits Licht am Ende des Tunnels und liefen darauf zu. Die großen »Fischfliegen« unter der Höhlendecke erwachten aus ihrem Ruhezustand. Sie ließen sich auf die Männer herabfallen und saugten sich an deren Panzeranzügen fest. Die Gardisten griffen nach ihren Waffen. Plötzlich verschwand alles um sie herum. Die Fliegen, der Tunnel, der ganze Berg – alles löste sich auf wie ein Spuk. Kaunas, Buck, Musaschi, Elizondo, die Charoux-Brüder… – alle fanden sich von einem Moment auf den anderen auf dem riesigen, total leeren Übungsdeck der HAMBURG wieder. »Übung abgebrochen!« hallte eine Computerstimme übers Deck. »Wer hat das angeordnet?« fragte Hauptfeldwebel Kaunas ärger lich. »Ich!« Kenneth MacCormacks gestrenge Stimme brachte jeden so fort zum Schweigen. »Manöverkritik in zehn Minuten im großen Konferenzraum. Die übrigen bleiben hier auf dem Deck.« Die übrigen – das waren die zahllosen niederen Dienstgrade. Zur Manöverbesprechung waren nur die Ränge vom Hauptfeldwebel aufwärts an zugelassen. Eine Ausnahme bildeten die Zugführer, so daß auch Korporal Jaschin daran teilnehmen durfte. Elizondo und MacCormack hatten sich vor der Übung auf ein ge meinsames Abschlußgespräch zwischen Garde und TF geeinigt, allerdings hatte es erst Stunden später stattfinden sollen. Während sich der Kapitän aktiv am Manöver beteiligt hatte, hatte sich der Oberstleutnant als neutraler Beobachter in der technischen Zentrale aufgehalten. Offenbar hatte ihn etwas sehr verärgert, andernfalls
hätte er das Ganze nicht abgebrochen, bevor es überhaupt richtig begonnen hatte. MacCormack hatte in der Trainingszentrale angeordnet, auf der Stelle die »Minen« hochgehen zu lassen und anschließend die ge samten Simulationen abzuschalten. Ohne holographische Land schaften, künstlich erzeugte Geräusche, Aromastoffe und all das sonstige Drumherum war das in kühles Licht getauchte Deck nichts weiter als ein mächtiger Raum mit diversen strategisch verteilten Apparaturen. Die drei Gardezüge und die Kampftruppe der HAMBURG hatten hier massig Platz. Wer nicht an der Besprechung teilnahm, setzte sich auf den kahlen Fußboden und wartete ab. * »Ich habe mir das dilettantische Hin und Her eine Weile ruhig mit angesehen – dann hielt ich es nicht mehr aus!« donnerte MacCor mack im Konferenzraum los, obwohl noch nicht alle Platz genom men hatten. »Könnte es sein, daß Sie und Ihre Männer derlei Übun gen nicht ernst genug nehmen? Jedes Manöver, egal ob auf freiem Gelände oder auf den speziell dafür errichteten Übungsdecks, dient als Vorbereitung für den Ernstfall. Im Klartext: Was wir hier machen, ist kein Spiel!« »Ich hatte Sie gewarnt, Herr Oberstleutnant«, sagte Major Elizon do. »Schon die erste gemeinsame Übung, die Hauptmann Musaschi und ich auf dem Flug nach Grab, angesetzt hatten, geriet zur mittle ren Katastrophe. Sie waren bei diesem Desaster nicht anwesend, sonst hätten Sie erst gar keinen zweiten Versuch vorgeschlagen. Die Garde und die Mannschaft der HAMBURG passen einfach nicht zusammen.« »Sie wissen, daß das nicht stimmt, Herr Major«, widersprach MacCormack. »Zugegeben, die Männer pflaumen sich manchmal gegenseitig an – aber wenn es darauf ankommt, können sie sich auf
einander verlassen, das haben sie bei früheren Einsätzen bereits be wiesen.« »Es sind nicht immer dieselben Personen, die hier an Bord aufei nandertreffen«, argumentierte Hector Elizondo. »Mag ja sein, daß die Aufnahme bei einer Elitetruppe wie der Schwarzen Garde für jeden gestandenen Soldaten das Endziel all seiner Wünsche darstellt. Auf meinem ›alten Kahn‹ hingegen bleibt man nur so lange, wie es unbedingt nötig ist. Kein Rekrut und schon gar kein Offizier reißt sich darum, seinen Dienst auf der HAMBURG zu absolvieren; mein Schiff taugt nicht einmal als militärisches Karrieresprungbrett. Kein Wunder, daß sich in meinem Suprasensor die Versetzungsgesuche häufen. Glücklicherweise sorgt Marschall Bulton immer wieder für ausreichend Nachschub.« »Wenn man Sie so reden hört, könnte man meinen, die komplette Mannschaft der HAMBURG bestünde nur aus Strafversetzten«, entgegnete Kenneth MacCormack, der sich wieder etwas beruhigte. »Sie haben jede Menge gute Leute in Ihrer Mannschaft, Major Eli zondo, die sich nicht zu verstecken brauchen. Im übrigen habe auch ich es derzeit mit vielen Neulingen in der Truppe zu tun. Das rech tfertigt jedoch nicht eine derart schlechte Leistung, wie sie heute auf dem Übungsdeck hingelegt wurde, so etwas ist durch nichts zu ent schuldigen. Selbst gestandene Gardisten erledigten die ihnen zuge dachten Aufgaben nur lasch. Lediglich Hauptfeldwebel Kaunas hat mitgedacht, als er vor dem Betreten des Bergtunnels die Panzeran züge mit den Nachtsichtgeräten aus dem Lager holen ließ. Es wäre mehr als leichtsinnig gewesen, ohne ausreichenden Schutz dort hi neinzugehen. Laut Simulationsprogramm handelt es sich bei den ›Fischflüglern‹ um hochgiftige Lebewesen, deren Biß in die unge schützte Haut zum sofortigen Tod führt.« »Wer hat sich denn diese schwachsinnige Programmierung aus gedacht?« knurrte Jannis Kaunas. Die Antwort seines weitaus ranghöheren Vorgesetzten ließ ihn er blassen. »Das war ich. Haben Sie wirklich geglaubt, ich würde mich
mit purem Zuschauen begnügen? Das komplette Manöverszenario stammt von mir.« * Auch auf dem erloschenen Übungsdeck wurde diskutiert. »Die Simulationen waren hervorragend«, stellte Antoine Charoux anerkennend fest. »Ich hatte wirklich das Gefühl, auf einer blühen den Bergwiese zu stehen; es roch nach Gras und Blumen. Schade, daß die ganze Idylle urplötzlich in die Luft gesprengt wurde. Wie fühlst du dich, Daniel?« »Als hätte ich bei meiner eigenen Beerdigung mitgewirkt«, ant wortete sein Zwillingsbruder. »Der Oberstleutnant muß wirklich stinksauer auf uns gewesen sein, als er die ›Minen‹ zündete. Dich scheint das alles weniger mitgenommen zu haben.« »Als die Wiese detonierte, war ich ziemlich erschrocken«, gab An toine offen zu, »genau wie Leutnant Buck. Glücklicherweise stellten die Bildgeber und sonstigen Simulationsgeräte kurz darauf ihre Funktion ein.« »Hätten wir Kesey mitgenommen, wie ich es vorgeschlagen hatte, wären wir rechtzeitig und unbeschadet aus dem Minenfeld heraus gekommen«, war sich Daniel Charoux sicher. Auf dem Hinflug hatte er des öfteren kleinere Streifzüge durchs Schiff unternommen und dabei den dreißigjährigen, leicht überge wichtigen Bordmechaniker und Sprengstoffexperten Sergeant Kesey kennengelernt. Beide hatten sich miteinander angefreundet. »Was hatten Sie eigentlich gegen Kesey einzuwenden?« fragte im Konferenzraum MacCormack Kurt Buck. »Der Mann kennt sich aus mit dem Entschärfen von Sprengladungen, den hätten Sie gut ge brauchen können.« »Hätte ich vorher geahnt, daß wir in ein Minenfeld geraten wür den, hätte ich ihn natürlich mitgenommen«, verteidigte sich Buck.
»Aber für einen längeren Erkundungsmarsch erschien er mir doch ein wenig zu korpulent.« »Kesey ist genauso gut in Form wie jeder hier an Bord«, nahm Elizondo seinen Sergeant in Schutz. »Er ist passionierter Wanderer und Bergsteiger und wäre Ihnen im Gebirge von großem Nutzen gewesen. Daniel Charoux wußte das.« Buck hob die Schultern. »Ich nicht, tut mir leid.« »Sie hätten sich über Kesey schlau machen sollen«, warf MacCor mack ihm vor. »Gefreiter Charoux hatte Ihnen vorgeschlagen, den Sergeant mitzunehmen, doch Sie haben nur mit halbem Ohr zuge hört. Statt dessen fanden Sie es amüsant, Kesey auf den Bauchansatz zu klopfen und eine herablassende Bemerkung zu machen. Für diese Überheblichkeit hat Sie das Schicksal hart bestraft.« »Das Schicksal?« bezweifelte Kurt. »Ich vermute eher, Sie haben die Minen im Gras deponiert, Sir.« »Das ist halt der Vorteil, wenn man von der technischen Zentrale aus das Geschehen auf dem Übungsdeck beobachtet«, sagte MacCormack freiheraus. »Man kann bestehende Programmierungen sowohl löschen als auch ergänzen und somit direkten Einfluß auf das Geschehen nehmen.« »Was sagt ihr eigentlich zu der fiktiven Vorgeschichte?« fragte derweil auf dem Übungsdeck einer der wartenden TF-Soldaten, Ike Olson, in die Runde. »Abgestürzt auf einem fremden Planeten, nach einem Weltallgefecht mit den Bewohnern… Was hatten wir in jenem Sonnensystem eigentlich zu suchen?« »Forscherdrang!« beantwortete Piet Lessing, der unruhig auf sei nem Hosenboden hin und her rutschte, Olsons Frage. »Wir von der Schwarzen Garde sind geradezu beseelt davon.« »Wir von der Schwarzen Garde«, äffte ihn TF-Feldwebel Huck Sawyer nach, ein breitschultriger Kerl mit etwas zu langen Haaren. »Du führst dich auf, Kleiner, als wärst du der Gardeveteran schlechthin. Ich war schon beim ersten Einsatz eurer Truppe auf der
HAMBURG – aber du warst damals noch nicht mit dabei. Sag mal, kannst du nicht stillsitzen?« »Ich sitze still«, behauptete Lessi, dem seine Zappelei gar nicht aufzufallen schien. »Es stimmt, ich bin noch nicht lange bei der Garde, doch ich stehe meinen Mann wie jeder andere von uns auch. Also nennen Sie mich gefälligst nicht ›Kleiner‹! Gehen Sie lieber mal zum Friseur.« Er hätte es als Gefreiter nie gewagt, einem Gardefeldwebel gege nüber einen solchen Ton anzuschlagen, aber »Huckleberry«, wie Sawyer von seinen TF-Kameraden gerufen wurde, flößte ihm nicht den geringsten Respekt ein. Was fiel diesem ungepflegten Kerl überhaupt ein, ihn zu duzen? »Genaugenommen gibt es bei der Garde ausschließlich Neulinge«, merkte Kesey dazu an. »Die Truppe wurde doch erst vor fünf, sechs Jahren gegründet.« »Was nicht zwangsläufig bedeutet, daß wir alle Anfänger sind«, warf einer der älteren Gardisten ein. »Euer Kapitän bezeichnete uns mal pauschal als ›Grünschnäbel, die auf irgendwelchen Planeten abgesetzt werden, um Pfadfinder zu Spielen‹. Dabei ließ er wohl außer acht, daß manch einer von uns bereits eine steile Karriere bei der Terranischen Flotte hinter sich hatte, bevor er zur Garde stieß. Hauptmann Musaschi ist das beste Beispiel dafür.« »Ein merkwürdiger Geselle«, meinte der vierundzwanzigjährige, rothaarige Ike Olson, dessen Gesicht voller Sommersprossen war. »Total undurchschaubar – gegen den möchte ich nicht pokern. Ap ropos…« Er zog einen Stapel Spielkarten aus seiner Hosentasche. »Hat jemand Lust auf ein Spielchen? Oder wollen wir würfeln?« »Wenn wir uns nicht alle besser vertragen, ist jeder Einsatz das reinste Würfelspiel«, fuhr in der Zwischenzeit MacCormack im Konferenzraum mit seiner Manöverkritik fort. »Die Soldaten müssen lernen, zusammenzuarbeiten, anstatt sich laufend gegenseitig zu behindern. Das gilt auch für die höheren Dienstgrade, Hauptmann
Musaschi. Kleinliches Kompetenzgerangel lenkt nur von der eigent lichen Aufgabe ab. Das Lager war unzureichend gesichert, während Sie sich mit Major Elizondo gestritten haben. Was für ein günstiger Zeitpunkt für einen Angriff von außen! Im Ernstfall hätte Ihre Nachlässigkeit möglicherweise zahlreiche Menschenleben gekostet.« Akira Musaschi nickte schuldbewußt. Für ihn war der Tadel eines höheren Vorgesetzten eine schlimme Sache, eine Scharte, die er bei nächstbester Gelegenheit unbedingt auswetzen mußte. »Wir sollten den Mantel des Schweigens über diese peinliche An gelegenheit decken und mit unserem kleinen Manöver noch mal ganz von vorn anfangen«, schlug Hector Elizondo vor. »Eine ausgezeichnete Idee, Herr Major«, erwiderte Musaschi lä chelnd. MacCormack atmete auf. Offensichtlich war es ihm gelungen, sich in allen Punkten verständlich zu machen. Per Vipho setzte er sich mit der technischen Zentrale in Verbin dung und gab Anweisung, die abgespeicherte Gebirgssimulations welt nochmals vollständig zu aktivieren. In dieser Sekunde wurde planetenweiter Alarm ausgelöst… * Auf dem Übungsdeck wurde die entsprechende Simulation aufs neue erschaffen. Die wartenden Soldaten von der TF und der Garde erhoben sich vom »Felsboden« und bereiteten sich auf die Fortsetzung ihres Ma növereinsatzes vor. »Ich nehme an, es herrschen die gleichen Voraussetzungen wie bei der vorigen Übung«, schätzte Kesey. »Oder?« Ratlosigkeit auf allen Gesichtern. Ohne höhere Vorgesetzte kam man sich beim Militär irgendwie verloren vor.
In diesem Augenblick brach die ganze Simulation erneut zusam men. Auf dem Deck herrschte die übliche, von kühlem Licht erhellte Leere. »Was ist denn nun schon wieder los?« murrte Feldwebel Huckle berry. Rundum schalteten sich die Großbildschirme ein. Auf jedem davon war Hauptmann Musaschi zu sehen. »Auf ganz Gran wurde Alarm ausgelöst«, teilte er den Soldaten mit. »Ein Verband von achtzehn nicht identifizierbaren Schiffen ist am Rand des Gerrck-Systems aufgetaucht. Sie fliegen im Normal raum mit Überlichtgeschwindigkeit. Laut Ortungsabteilung beträgt die derzeitige Geschwindigkeit 3,8 Licht. Unsere Ovoid-Raumer befinden sich bereits im All, um die Fremden abzufangen, sollten sie dem Planeten zu nahe kommen. Das militärische Bodenpersonal auf Grah stellt sich ebenfalls auf einen erneuten Angriff ein. Die zivile Bevölkerung zieht sich in die Schutzräume zurück.« Rossi griente. »Öfter mal was Neues: Raumschiffe mit Überlich tgeschwindigkeit. Ziemlich unrealistisch, aber ein recht origineller Manöverauftakt.« »Etwas mehr Bodenständigkeit wäre mir lieber«, entgegnete Ike Olson. »Jeder von uns weiß, daß es unmöglich ist, mit Überlichtge schwindigkeit durchs normale Kontinuum zu fliegen. Lediglich die Ringraumer sind dazu fähig, weil ihr Intervallfeld in seinem Inneren ein eigenes Kontinuum bildet.« »Die fremden Schiffe rasen jetzt mit leicht verminderter Ge schwindigkeit auf die Sonne zu«, fuhr Akira Musaschi fort. »Verlas sen Sie sofort das Deck, und begeben Sie sich auf Ihre Posten. Wir machen die HAMBURG für den Notfall Start- und angriffsbereit.« »Ich bin etwas verwirrt, Sir!« sagte Antoine Charoux laut und deutlich. »Warum sollen wir fürs Manöver das Übungsdeck verlas sen?«
Die Stimme des Japaners klang ruhig und gelassen wie gewohnt, als er mit ernster Miene antwortete: »Dies ist keine Übung. Ich wie derhole: keine Übung! Befolgen Sie umgehend meine Befehle.« Langsam und lustlos, teils mit ratlosen Mienen, begaben sich die Soldaten zu den Antigravschächten. Hauptmann Akira Musaschi ging das alles nicht schnell genug. Er stand am Rande der Verzweiflung. Auf Grah gab es tatsächlich pla netenweiten Alarm, die Ovoid-Ringraumer waren tatsächlich ins Weltall gestartet, die HAMBURG mußte sich tatsächlich auf ein eventuelles Eingreifen vorbereiten – und die auf dem Übungsdeck befindlichen Soldaten hielten alles weiterhin für ein Manöver… Wie sollte er ihnen den Ernst der Lage nur deutlich machen? Ihm blieb nur ein einziges Mittel, eines, das er abgrundtief verab scheute!
7.
Am nächsten Tag brach die POINT OF auf. Hen Falluta nahm die Position des Piloten ein. Beide Rikers hielten sich ebenso im Leitstand des Schiffs auf wie Chris Shanton und Arc Doorn. Die POINT OF hob vom Landefeld des Raumhafens Cent Field bei Alamo Gordo ab. Ein 180 Meter durchmessender, ringförmiger Ko loß, der nun mit maximalen Beschleunigungswerten dem All ent gegenstrebte. Glenn Morris, seines Zeichens Cheffunker der POINT OF, meldete sich von der Funk-Z aus. »Die Raumkontrolle von Cent Field meldet, daß das Loch im pla netaren Schutzschirm der Erde freigeschaltet ist.« »Gut«, murmelte Ren Dhark. »Koordinaten wurden überspielt!« meldete Ortungsoffizier Tino Grappa. Sein Blick war auf die große Bildkugel gerichtet, die in der Mitte der Zentrale zu finden war. Darin war die Projektion des planetaren Schutzschirms zu sehen, der die Erde nach wie vor aus Sicherheitsgründen umgab. Die Stelle, an der sich in wenigen Sekunden eine Öffnung in diesem Schirm bilden würde, war markiert. »Wir passieren die Öffnung im Schutzschirm in exakt zehn Se kunden!« meldete Falluta, der angestrengt auf die Anzeigen seiner Konsole blickte. Unwillkürlich und stumm zählte Ren Dhark einen Countdown von zehn bis null herunter. Die POINT OF hatte die Öffnung mit gewohnter Präzision passiert. Das Loch schloß sich sofort wieder. Auf der großen Bildkugel bot sich das Bild des freien Weltraums.
Mit eingeschaltetem SLE-Antrieb jagte das Ringschiff Richtung Marsbahn. Nach wenigen Minuten hatte es auf dreiviertel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. »Alles fertigmachen zur Transition«, befahl Dhark. »Unser erstes Ziel ist der Planet der Kurrgen, den wir so plötzlich verlassen muß ten.« »Ja, Sir«, bestätigte Falluta. Dhark wandte sich an Dan Riker. »Ich hoffe, daß wir diesmal er folgreicher sind…« Das letzte Mal waren die Terraner mit Salven von MG-Feuer empfangen worden. Die erste Begegnung der Menschen mit den Kurrgen war zunächst alles andere als positiv verlaufen. Und gerade, als es zu einem ersten Gespräch gekommen war, hatte die POINT OF den Planeten verlas sen müssen, um den unbekannten Angreifern aus dem Gerrck-System zu begegnen. Aber jetzt kehren wir zurück! dachte Dhark. Im nächsten Augenblick setzte die POINT OF zur ersten Transition an. * Doorn und Shanton hatten um Rechnerzeit beim Checkmaster ge beten, und Dhark hatte dem Anliegen sofort zugestimmt. Die beiden wollten die Theorie, nach der möglicherweise das fremde Schiff im Fomalhautsystem für Konrads Fehlfunktion ver antwortlich war, durch den Bordrechner der POINT OF überprüfen zu lassen. Die beiden Wissenschaftler fütterten den Checkmaster mit allen über die Tragödie der KONRAD ZUSE verfügbaren Daten. »Es ist extrem unwahrscheinlich, daß die Fehlfunktion von Konrad durch die Kontaktaufnahme der Fremden gezielt herbeiführt wur de«, äußerte der Checkmaster nach eingehender Analyse.
»Aber es ist das einzige außerplanmäßige Ereignis, das wir ver zeichnen konnten«, stellte Chris Shanton klar. »Darüber hinaus liegt ein Zusammenhang zu den Angreifern im Gerrck-System nahe, und deren Feindseligkeit steht ja wohl außer Frage.« »Die Daten über Konrad liegen mir vor. Es sind umfangreiche Si cherheitssysteme installiert gewesen, so daß es sehr schwer wäre, den Rechner von außen zu manipulieren.« »Das heißt, wir müssen einfach nur von einer Fehlfunktion Kon rads ausgehen?« mische sich Arc Doorn ein. »Diese Fehlfunktion könnte ihre Ursache in der Größe des Rech ners haben.« »Dazu bitte nähere Erläuterungen!« forderte Shanton. »Kann die pure Größe eines Suprasensors derartige Erscheinungen, wie wir sie bei Konrad erleben mußten, auslösen?« »Suprasensoren können nicht beliebig in ihrer Leistungsfähigkeit gesteigert werden. Dasselbe gilt für Hyperkalkulatoren, die eine bestimmte spezifische Baugröße niemals überschreiten dürfen, sonst kann es zum Turingsprung kommen und damit zur Entwicklung eines eigenen Bewußtseins. Sämtliche vorliegenden Daten deuten darauf hin, daß genau dies geschehen ist.« »Ein Turingsprung heißt aber nicht automatisch, daß der betroffe ne Rechner dadurch gefährlich wird«, gab Shanton zu bedenken. »Die Wahrscheinlichkeit ist aber sehr groß.« »Und was ist mit dem Checkmaster der POINT OF?« mischte sich Doorn ein. »Ich bin ein Einzelstück mit organischen Komponenten«, war die Antwort, so als würde die vom Checkmaster fast wie ein Naturge setz postulierte Feststellung von der begrenzten Leistungsfähigkeit und Baugröße eines Rechners für ihn nicht gelten. »Neben einem Turingsprung bei Konrad gibt es noch eine andere Erklärungsmög lichkeit«, erklärte der Checkmaster anschließend. »Daß Konrad durch fremde, organisch basierte Intelligenzen beeinflußt wurde, ist so gut wie ausgeschlossen. Die Wahrscheinlichkeit setze ich bei unter
fünf Prozent an. Aber angenommen, an Bord des Schiffes, mit dem die KONRAD ZUSE zuvor Kontakt hatte, hätte sich ein intelligenter Rechner befunden, wäre es durchaus denkbar, daß er Zugriff auf Konrads Systeme erlangte und sie beeinflußte.« Arc Doorn war skeptisch. »Ein intelligenter Rechner?« Der Sibirier verschränkte die Arme vor der Brust. »Ehrlich gesagt bezweifle ich, ob es so etwas über haupt gibt. Vielleicht gibt es ab und zu den Anschein davon, aber wirkliche Intelligenz?« Er schüttelte den Kopf. In diesem Augenblick betrat ein von Wallis Industries gebauter humanoider Roboter vom preiswerten Großserientyp die Zentrale der POINT OF. Er trat auf Doorn und Shanton zu. Beide sahen den Roboter etwas irritiert an. »Artus!« entfuhr es Doorn. »Ich habe euer Gespräch mit dem Checkmaster über meinen pri vaten Kommunikationskanal belauscht«, eröffnete der sogenannte »Roboter mit Gefühl«, der seit über drei Jahren die vollen Bürger rechte besaß. Durch die Vernetzung von 24 Cy borg-Programmgehirnen mit seiner Suprasensorik war Artus zu einer echten künstlichen Intelligenz geworden. Nachweislich hatte eines dieser Programmgehirne einen Baufehler. Der war anmeßbar. Aber um seine Natur zu erkennen, hätte man den Kleinrechner öff nen müssen. Damit war Artus aus naheliegenden Gründen ganz und gar nicht einverstanden. Er richtete seine Optik auf Doorn. »Wer hat hier bezweifelt, daß es wirkliche künstliche Intelligenzen gibt?« fragte der Roboter. »Ich verfüge inzwischen nicht nur über Intelligenz, sondern auch über Persönlichkeit, und diese Tatsache ist seit über drei Jahren auch offiziell durch die Verleihung der vollen Bürgerrechte an mich anerkannt.« Doorn verdrehte genervt die Augen. »Ach, Artus…«
»Für den Checkmaster dürfte im übrigen dasselbe zutreffen, auch wenn er offenbar einfach zu bescheiden ist, es zuzugeben. Daß er eine genauso intelligente Person ist wie ich oder Chris Shanton, steht für mich jedoch außer Frage.« »So ein Quatsch!« knurrte Doorn. »Was dich betrifft, habe ich da inzwischen meine Zweifel«, fügte Artus noch hinzu. Doorn machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wir können ja gerne mal deinen Blechschädel öffnen und nach deiner Intelligenz suchen!« meinte er. Artus hob den Kopf etwas an. »Ich habe in dieser Hinsicht nichts zu verbergen!« erklärte er. »Vorausgesetzt, wir öffnen auch den Schädel eines gewissen Arc Doorn und suchen dort ebenfalls nach Intelligenz und Persönlichkeit – so wir sie denn finden! Die POINT OF verfügt über eine gut aus gerüstete medizinische Abteilung, die meines Wissens auch zu komplizierten Eingriffen in der Lage ist.« Doorn blickte Artus mit großen Augen an und war einen Moment lang einfach nur baff, während Chris Shanton sein dröhnendes Ge lächter hören ließ. »Jetzt hat er es dir aber gegeben, Arc«, meinte er. »Das mußt du zugeben!« »Verbal mattgesetzt«, konnte sich Artus eine fast triumphierende Bemerkung nicht verkneifen. »Das trifft es wohl am besten. Aller dings habe ich mir ja jegliche Überheblichkeit gegenüber minder bemittelten organisch basierten Intelligenzen abgewöhnt, weil das der sozialen Akzeptanz meiner Person förderlich ist. Daher werde ich auf diesem Punkt nicht länger herumreiten.« »Wie gnädig!« giftete Doorn. »Ihr versteht doch meine bildliche Redeweise, oder? Auf etwas herumreiten bedeutet in diesem Fall nämlich nicht, daß man auf dem Rücken eines üblicherweise vierbeinigen Tieres Platz nimmt und…« »Blechmann!« unterbrach Arc Doorn ihn daraufhin ärgerlich.
Der Checkmaster meldete sich zu Wort. »Wird die reservierte Rechenzeit noch benötigt, oder ist die Anf rage bereits beendet?« * Die POINT OF tastete sich mit mehreren Raumsprüngen an das Kurrgen-System heran. Der letzte Sprung führte den Ringraumer auf die Höhe des fünften Planeten. Dort trat die POINT OF aus dem Hyperraum aus und schaltete auf den SLE-Antrieb um. Insgesamt waren acht Planeten in diesem System zu finden, das in den Katalogen der Terranischen Flotte die Bezeichnung A-23.451 trug. Planet III war in vieler Hinsicht einmal ein Zwilling der Erde ge wesen, bis die einheimischen humanoiden Intelligenzen daraus eine Atomwüste gemacht hatten. Der Stand der Technik entsprach dem frühen 21. Jahrhundert auf der Erde. Rivalitäten unter den einzelnen Nationen der Kurrgen hatten dem Planeten ein Schicksal beschert, das durchaus auch der Erde hätte blühen können, wenn in der späten Prä-Raumfahrtära die Politiker der Großmächte auf den berühmten roten Knopf gedrückt hätten. Auf dem Kurrgenplaneten hatten sie es getan. Die wenigen Über lebenden hausten jetzt in Bunkern, während sich Flora und Fauna an der Oberfläche den veränderten Verhältnissen angepaßt hatten. Dieser Planet war somit in Dharks Augen auch ein Mahnmal, das daran erinnerte, wie schnell Ehrgeiz, Geltungsstreben und Mißver ständnisse in eine Katastrophe führen konnten. Die Kurrgen mußten nun seit Generationen mit den Folgen leben. Im SLE-Flug erreichte die POINT OF Planet III und schwenkte in eine stabile Umlaufbahn ein. Die Ortung hatte nichts Außergewöhnliches zu vermelden. Es be fand sich kein fremdes Schiff in der Nähe. Allerdings herrschte bis lang auch bei der Suche nach Artefakten der Worgun Fehlanzeige.
Tino Grappa kündigte an, die Oberfläche einer eingehenden Unter suchung durch die Abtaster zu unterziehen. Die Ergebnisse konnte man anschließend durch den Checkmaster auswerten lassen. »Vielleicht ergibt sich dadurch ja ein Hinweis, der uns weiterb ringt«, meinte Anja Riker, die Chefmathematikerin der POINT OF. Neben Shanton und Doorn gehörte sie zu den wichtigsten Exper ten für Worguntechnik. »Kein Landeanflug?« fragte Hen Falluta. Der Erste Offizier drehte sich zu seinem Kommandanten um. Dhark schüttelte den Kopf. »Wir wollen die Kurrgen nicht erschrecken. Ihre primitiven Pro jektilwaffen können zwar dem Schiff nichts anhaben, aber wir wol len eine aggressive Reaktion auf unser Auftauchen schließlich nicht unnötig provozieren.« »Was schlägst du vor?« fragte Dan Riker. »Eine Landung mit ein paar Flash?« »Genau.« Dhark ließ den Blick kreisen. »Ich möchte, daß außer Shanton und Doorn auch du an der Mission teilnimmst, Amy!« wandte er sich an den weiblichen Cyborg. »Außerdem zwei Flash piloten.« »Das ist ein heikler Flug. Das sollte jemand machen, der schon mal dort war«, meinte Amy. »Doraner und Wonzeff«, nickte Dhark. Mike Doraner und Pjetr Wonzeff hatten bereits zum ersten, an sonsten nur aus Cyborgs bestehenden Landetrupp gehört, der mit den Kurrgen Kontakt aufgenommen hatte. Sie waren also für diese Aufgabe geradezu prädestiniert. »Und ich darf wahrscheinlich mal wieder in der Umlaufbahn auf dich warten und das Kommando übernehmen«, schloß Dan Riker. Begeistert klang das nicht gerade, aber Riker hätte sich gehütet, in Anwesenheit der Mannschaft den Anspruch zu stellen, selbst an der Landung teilzunehmen. Bei aller Freundschaft, die ihn mit Ren
Dhark verband, war er eben doch nur die Nummer zwei an Bord der POINT OF. * Drei Flash wurden ausgeschleust. Sie durchdrangen mit einge schaltetem Intervall die Außenhaut der POINT OF. Beim Intervall flug wurde das Raumschiff in ein eigenes Kontinuum transferiert, was die Durchdringung fester Materie möglich machte. Ren Dhark selbst flog Flash 003, nachdem er Flash 001 Pjetr Won zeff vor einiger Zeit als besondere Anerkennung für dessen Ver dienste überlassen hatte. Amy Stewart saß mit Dhark in dem zwei sitzigen Beiboot. Mike Doraner war ein erfahrener Raumpilot, der schon am Flug der GALAXIS teilgenommen hatte. Er flog Flash 002, dessen Zweitsitz von Chris Shanton besetzt wurde. Pjetr Wonzeff, der Pilot des dritten an dieser Mission teilnehmen den Flash, war Ukrainer und galt als einer der profiliertesten Flash piloten an Bord der POINT OF. Seit Flash 001 für ihn reserviert war, ging er bei seinen Einsätzen noch motivierter zur Sache als bisher. Bei ihm war Arc Doorn an Bord. Alle Teilnehmer an der Expedition trugen Schutzanzüge gegen die Strahlung sowie Schwerkraftneutralisatoren. Einzige Ausnahme war Amy, die als Cyborg auf einen Schwerkraftneutralisator verzichten konnte. Sie wurde auch so mit der im Vergleich zum Erdniveau mehr als doppelt so hohen Schwerkraft auf der Oberfläche des Kurrgenplaneten fertig. Gegen die harte Strahlung hingegen, die weite Landstriche unbe wohnbar machte, mußte auch sie sich schützen. Die drei Beiboote der POINT OF tauchten in die Atmosphäre von Planet III ein. Tiefer und tiefer sanken sie der Oberfläche entgegen, bis schließlich erste Konturen der Landschaft erkennbar wurden.
Ren Dhark hatte die Absicht, noch einmal die Position des Bunkers anzufliegen, in dem General Noreg und seine Leute zu finden waren. Leider war die erste Kontaktaufnahme mit den Kurrgen einfach zu kurz gewesen, um irgendwelche neueren Informationen über dieses Volk sammeln zu können. Schließlich erreichten die Flash die Oberfläche des Planeten. Die Verwüstungen, die der Atomkrieg verursacht hatte, waren nicht zu übersehen. Es gab zahllose Ruinen, in denen die Kurrgen einst gelebt hatten. Blühende Metropolen mußten darunter gewesen sein, wenn man nach den verwaisten Industrieanlagen und den im posanten Stadtzentren ging, die Dhark und seine Begleiter jetzt überflogen. Was hätte aus ihnen werden können, wenn sie sich nicht selbst in diese furchtbare Lage gebracht hätten! überlegte Dhark. Die Menschheit war technologisch gesehen nur wenige Jahrzehnte weiterentwickelt ge wesen, als sie schließlich auf die technischen Hinterlassenschaften der Worgun stieß und dadurch einen vorher für unmöglich gehal tenen Sprung machte. Dhark wußte nur zu gut, daß nicht viel gefehlt hätte, und die Erde hätte ein ähnlich deprimierendes Bild geboten, wie es heute der Planet der Kurrgen tat. Zum Hochmut über die törichten Kurrgen bestand also kein Anlaß. Pflanzen, die wohl auf Grund von strahlungsbedingten geneti schen Veränderungen zum Riesenwuchs neigten, überwucherten teilweise die Ruinen bereits so nachhaltig, das man manchmal kaum noch erkennen konnte, daß es sich um ehemalige Metropolen han delte. Die Flash fanden zielsicher die Position der Bunkeranlage wieder, in der General Noreg und seine Leute hausten. »Landeanflug!« befahl Dhark, der über Funk mit allen anderen Insassen der an diesem Einsatz beteiligten Maschinen in Verbindung stand. Die Flugbahnen der drei Flash senkten sich nahezu synchron.
Als sie schließlich den Boden erreichten, landeten sie sanft und beinahe lautlos direkt vor dem Eingang der Bunkeranlage. »Bislang wurden wir wenigstens nicht beschossen, so wie der Suchtrupp, den du beim letzten Mal ausgesandt hast«, stellte Amy fest. »Ich hoffe, das bleibt so«, murmelte Dhark. Mike Doraner meldete sich über Funk. »Meinen Ortungsanzeigen nach befinden sich bewaffnete Kurrgen in der Nähe. Sie beobachten uns.« »Ihnen dürfte noch lebhaft in Erinnerung sein, daß ihre Waffen nicht allzuviel gegen uns ausrichten konnten«, vermutete Dhark. »Steigen wir aus und zeigen damit unsere Bereitschaft zur Kontakt aufnahme.« Dhark war der erste, der den Flash verließ. Die anderen folgten nach und nach. Die Falthelme ihrer hauchdünnen Schutzanzüge trugen sie ge schlossen. Schließlich war die Strahlung auf der Oberfläche von Planet III immer noch gefährlich. Die angelegten Schwerkraftneutralisatoren sorgten dafür, daß sich die Schwerkraft von 2,1 g nicht auswirken konnte. Chris Shanton deutete auf das verschlossene Schott, durch das man ins Innere des Berges gelangen konnte. Seit der ersten Expedition der POINT OF zum Kurrgenplaneten wußten sie, daß sich im Inneren nicht nur militärische Anlagen, sondern auch Wohnkomplexe be fanden. »Wenn die Kurrgen uns nicht öffnen, stehen wir hier wie bestellt und nicht abgeholt«, meinte er. »Wir müssen ihnen letztlich die Entscheidung darüber lassen, ob sie den Kontakt mit uns noch einmal aufnehmen wollen«, sagte Dhark. »Anders können wir ihr Vertrauen nicht gewinnen.« Und letzteres war notwendig, damit sie hoffen konnten, von den Überlebenden des Atomkrieges die Informationen zu bekommen,
die sie suchten. Hinweise auf verborgene Artefakte der Worgun zum Beispiel. In diesem Moment begann sich das Schott zu bewegen. »Wenn man vom Teufel spricht…« murmelte Pjetr Wonzeff. Kurrgen in Strahlenschutzanzügen öffneten das Schott. Sie trugen einfache Projektil Waffen, hielten diese aber gesenkt und schienen keine feindliche Absicht zu haben. Einer der gedrungen wirkenden, im Durchschnitt etwa 1,65 Meter großen Humanoiden, deren muskulöser Körperbau erkennbar durch die hohe Schwerkraft geprägt war, begann zu sprechen. Seine Worte wurden per Translator übersetzt. »Kommt herein«, sagte er. »Ihr seid willkommen.« Das ließen sich Dhark und die anderen nicht zweimal sagen. Die Kurrgen nahmen sie in die Mitte und führten sie ins Innere des Bunkers. Zunächst kamen sie durch einen hallenartigen Vorraum, in dem allerlei Fahrzeuge und Gerätschaften standen, die man brauchte, um sich an der Oberfläche zu bewegen. Den technischen Stand schätzte Doorn auf das späte zwanzigste oder frühe einundzwanzigste Jahr hundert der irdischen Geschichte. Offenbar hatte es seit dem ver heerenden Atomkrieg kaum eine Weiterentwicklung bei den Kurr gen gegeben, wenn man einmal davon absah, daß sie gelernt hatten, in einer für sie absolut lebensfeindlichen Umgebung zu überleben. Aber der Druck dieses Überlebenskampfes mußte so groß gewesen sein, daß er bislang weitergehende Entwicklungen zumindest auf technischem Gebiet verhindert hatte. Es waren wohl einfach nicht die Mittel dafür vorhanden, beispielsweise die vor dem Krieg be gonnene Raumfahrt weiterzubetreiben und vielleicht mit neuen Generationenschiffen fremde Welten zu erreichen, um dort ein bes seres Leben fristen zu können. Die Terraner wurden durch ein weiteres Schott geführt und ge langten in einen Raum, dessen Wände mit glatten Fliesen versehen
waren. An der Decke befanden sich Apparaturen, die an Duschköpfe erinnerten. »Was soll das hier sein? Eine primitive Dekontaminationszelle?« fragte Chris Shanton. »Wahrscheinlich«, stimmte Arc Doorn zu. Wasser begann aus den Duschköpfen herauszuschießen. Ähnliche Apparaturen befanden sich auch an den Wänden, so daß sowohl die Kurrgen als auch ihre terranischen Gäste von allen Seiten abgespritzt wurden. Der Sinn der Maßnahme lag auf der Hand. Jeder Partikel, das von draußen eingeschleppt wurde, war im Grunde genommen nichts anderes als strahlender Sondermüll; jedes ins Innere der Anlage gelangte Sandkorn stellte eine gefährliche Strahlenquelle dar. Also mußte verhindert werden, daß irgend etwas von draußen ins Innere der Anlage gelangte. Die Prozedur dauerte mehrere Minuten. Man konnte dabei kaum die Hand vor Augen sehen. Dhark war froh, als es vorbei war. Einer der Kurrgen, die sich derselben Prozedur unterworfen hatten, öff nete durch die Betätigung eines Wandschalters eine Tür, durch die die Gruppe den Dekontaminationsraum verlassen konnte. Der Raum dahinter wirkte steril und verfügte über so gut wie keine Einrichtung. Es gab glatte, hohe Wände und eine kalte Beleuchtung, die im Farbton an Neonlicht erinnerte. Die Kurrgen begannen damit, ihre Schutzanzüge abzustreifen. Darunter trugen sie Uniformkombinationen. Nun wurden auch ihre rüsselartigen Nasen sichtbar, die ihnen ihr charakteristisches Aus sehen verliehen. Einer der Kurrgen forderte Dhark und seine Leute auf, die Schutzanzüge abzulegen. Der Translator an Dharks Gürtel kam in zwischen recht gut mit dem Kurrgenidiom klar. »Nichts, was außen war, darf nach innen«, erläuterte der Fremde. »Es bringt sonst den unsichtbaren Tod.«
»Sollen wir uns darauf einlassen, Sir?« fragte Mike Doraner zwei felnd. Shanton antwortete anstelle des Kommandanten der POINT OF. »Meinem Dosimeter nach können wir das bedenkenlos tun. Die Strahlenwerte sind hier zwar im Vergleich zum Erdniveau noch immer leicht erhöht, aber wenn wir uns nicht gerade über Jahre hier aufhalten, sind keine Spätfolgen zu erwarten.« Eine Pause entstand. Die Kurrgen hatten ihre Anzüge zum Großteil schon abgelegt und blickten die Terraner jetzt erwartungsvoll an. »Also gut«, entschied Dhark schließlich. »Lassen wir uns darauf ein.« Er war sich sehr wohl bewußt, daß sie sich damit den Kurrgen in gewisser Weise auslieferten. Eine Flucht an die Oberfläche war ohne Schutzanzug unmöglich. Ihr Aufenthaltsbereich war nun auf die unterirdischen Bunkeranlagen beschränkt. Aber Dhark hoffte, daß die andere Seite dies als Entgegenkommen und Vertrauensbeweis ansah. Er begann damit, seinen Schutzanzug zu öffnen. Die anderen folgten seinem Beispiel. Als sie fertig waren, folgten sie ihren kurrgischen Begleitern durch einen Korridor. Schließlich gelangten sie in einen Raum, der mit einem Tisch und primitiven Sitzmöbeln ausgestattet war. Den Terranern wurde Platz angeboten. An der Tür standen bewaffnete kurrgische Wächter. Sie waren uniformiert wie offenbar jeder männliche Kurrge, der in diesem Bunker lebte. Weibliche Exemplare der Spezies, die es ja ganz offen sichtlich auch geben mußte, hatten sie diesmal noch nicht gesehen. Was sind wir jetzt eigentlich? Gefangene oder Gäste? ging es Ren Dhark angesichts dieser Szenerie unwillkürlich durch den Kopf. Die Kurr gen scheinen sich in dieser Frage noch nicht ganz entschieden zu haben.
Durch eine zweite Tür betrat ein Kurrge mit prächtig geschmückter Uniform den Raum. Seine Brust war mit Plaketten behängt, bei de nen es sich offenbar um die kurrgische Entsprechung von Ordenund Ehrenzeichen handelte. Das mußte General Noreg sein. Die Beschreibungen, die Ren Dhark von Doraner, Wonzeff und den anderen Angehörigen des ersten Landetrupps erhalten hatte, waren eindeutig. Der General musterte die Terraner eingehend. Was seine Mimik betraf, so glaubte Dhark darin ein tiefes Mißt rauen erkennen zu können. Andererseits handelte es sich um die Mimik eines Außerirdischen, in der äußerlich ähnliche Signale, wie sie auch in der menschlichen Mimik eine Rolle spielten, vielleicht eine völlig andere Bedeutung hatten. Also waren übereilte Rück schlüsse nicht ratsam. Schließlich frage der General: »Was haben diese verfluchten Thei ner für Lügen über uns erzählt?« »Was sind Theiner?« fragte Dhark. Der Translator vermochte für diesen Begriff offensichtlich keine Entsprechung zu finden. »Die, die mit dem Sternschiff geflogen sind, waren Theiner«, er klärte der General. Offenbar handelte es sich um die Bezeichnung einer anderen, rivalisierenden Nation auf dem Kurrgenplaneten, wobei für Terraner nicht erkennbar war, ob dieser Begriff vielleicht nur eine Beleidigung und nicht die offizielle Bezeichnung darstellte. »Die Theiner auf dem Generationsschiff sind tot«, berichtete Dhark und erläuterte dann kurz das, was über deren Schicksal bekannt war. Daß sie auf Babylon gelandet waren, in die Wirren des Grakokrieges gerieten, im Inneren einer noch aktiven Pyramide überlebt hatten und schließlich auf Grund ihrer in den Jahrhunderten des Raumflugs erworbenen Empfindlichkeit gegenüber Viren und Keimen sowie einer Auseinandersetzung mit terranischen Siedlern zu Grunde ge gangen waren.
Ein meckernder Laut kam über die dünnen Lippen des Generals. Offenbar handelte sich um die kurrgische Entsprechung eines scha denfrohen Lachens. »Das geschieht ihnen recht«, sagte General Noreg. »Tote Theiner sind mir die liebsten, und es wäre mir Genugtuung zu wissen, daß sie ihr verdientes Schicksal erleiden mußten.« Irritierenderweise schien ihn das tragische Ende seiner Artgenos sen zu freuen. »Die Theiner waren eure Feinde?« fragte Dhark. »Damals – im Krieg?« »Sie sind es noch!« korrigierte der General. »Seit vierhundert Jah ren bekämpfen wir diese Mißgeburten. Leider haben viel zu viele von ihnen den großen Schlagabtausch überlebt…« Der große Schlagabtausch… Damit mußte der atomare Konflikt gemeint sein, der diese Welt verwüstet hatte. Aber der alte Haß schien in der Zwischenzeit ebensowenig ver schwunden zu sein wie die tödliche Strahlung. Kaum zufassen! dachte der Kommandant der POINT OF. Der Atomkrieg, der aus einer blühenden Welt eine Wüste machte, ist vierhun dert Jahre her, und die Nachfahren jener Narren, die ihn damals vom Zaun brachen, haben offenbar nichts Besseres zu tun, als sich auch weiterhin zu bekämpfen! Dhark überlegte, ob vielleicht jetzt der richtige Zeitpunkt gekom men war, um die Sprache auf das eigentliche Anliegen der Terraner zu bringen. Gab es Artefakte der Worgun auf dem Kurrgenplaneten? Es mußte schließlich einen Grund dafür geben, daß der in der goldenen Statue von Babylon befindliche Gigantsender in Aktion getreten war und seine Impulse ausgerechnet hierher geschickt hat te. Dhark wollte eine Frage stellen. Sein Mund öffnete sich halb, aber kein Laut kam über seine Lippen.
Die Worte zerflossen förmlich in seinem Bewußtsein. Er konnte sich auf einmal nicht mehr auf das konzentrieren, was er eigentlich hatte sagen wollen. Auf einmal fühlte er sich unendlich leicht. Was geht hier vor sich? durchzuckte es noch seine Gedanken, ehe sich alles vor seinen Augen zu drehen begann. Er konnte noch erkennen, daß Chris Shanton von seinem Stuhl hinunterrutschte. Dann war alles vorbei. Schwärze legte sich über sein Bewußtsein. * Da war ein Lichtpunkt, der immer größer wurde. Vorsichtig öff nete Ren Dhark die Augen. Ein leichter Kopfschmerz machte sich bemerkbar, verebbte aber nach wenigen Augenblicken. Langsam tauchte Rens Bewußtsein wieder an die Oberfläche. Verschwommen erinnerte er sich an das, was zuletzt geschehen war. Er hatte sprechen wollen und es nicht geschafft. Eine Falle! dachte er. Und wir waren dumm genug, hineinzutappen! Dhark hatte keine Ahnung, wieviel Zeit vergangen war oder wo er sich befand. Als das Bild vor seinen Augen endlich klar wurde, starrte er auf eine Decke, die von Leuchtelementen unterbrochen wurde. Er spürte einen unglaublichen Druck auf der Brust und hatte im ersten Augenblick Schwierigkeiten, zu atmen. Der Schwerkraftneutralisator! Sie haben ihn mir abgenommen! wurde ihm sofort klar. Er versuchte sich zu bewegen und stellte fest, daß man ihn nackt auf einer Pritsche festgeschnallt hatte. »Bist du wach?« hörte er Amys Stimme. Er wandte den Kopf.
Auch sie war – wie die anderen Mitglieder des Landetrupps – nackt auf eine Pritsche gefesselt worden. »Die haben uns buchstäblich alles abgenommen«, meinte Dhark. Er atmete schwer. Waffen und Viphos waren weg. Aber das Schlimmste war das Fehlen der Schwerkraftneutralisatoren. »Ich bekomme kaum Luft!« rief Chris Shanton, für den dieser Um stand durch sein Übergewicht besonders unangenehm war. Auf jedem der Terraner lastete nun das doppelte Körpergewicht. Nur Amy hatte damit als Cyborg natürlich kein Problem. Dhark wandte sich kurz zur anderen Seite, wo sich die Pritschen mit Doraner und Wonzeff befanden. Als er sich anschließend wieder Amy zuwandte und den Blick kurz an ihrem wohlgeformten Körper entlanggleiten ließ, meinte die Cyborg-Frau flüsternd: »Wenn du mich so anschaust, kann es dir ja wohl nicht allzu schlecht gehen, Ren!« Dhark ächzte und lächelte matt. »Drücken wir es so aus: Ich lebe noch. Warum hast du nicht auf das Zweite System umgeschaltet, bevor das Gas, dem man uns offenbar ausgesetzt hat, bei dir zu wirken begann?« »Ich sah keinen Anlaß dafür – und dann war es zu spät.« »Das verstehe ich nicht.« »Ren, dieser General Noreg und seine Leute sind offenbar genauso dem Betäubungsgas ausgesetzt worden wie wir, deshalb habe ich zu spät begriffen, was vor sich geht!« »Ich hätte nicht gedacht, daß unser zweiter Empfang auf diesem Planeten noch unangenehmer wird als der erste«, meldete sich Mike Doraner zu Wort. Eine Tür öffnete sich. General Noreg und mehrere schwerbewaff nete Soldaten traten ein. Noreg hielt den Translator zwischen Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand. Offenbar wollte er sich verständigen und hatte begriffen, daß dies ohne dieses Gerät nicht möglich war. Der Translator war noch immer aktiviert.
»Ich hoffe, es geht Ihnen gut«, schnarrte es aus dem Lautsprecher, nachdem der Kurrge ein paar Worte gesagt hatte. Mit der freien Hand faßte er sich kurz an den Kopf und verzog dabei das Gesicht. Offenbar litt er noch unter den Nachwirkungen des Betäubungsga ses. »Mir persönlich geht es nicht gut, da ich dasselbe Gas einatmen mußte wie Sie, um Sie auszuschalten und dabei nicht frühzeitig Ihr Mißtrauen zu erregen. Also reizen Sie mich nicht unnötig durch unkooperatives Verhalten. Sie würden es bereuen.« Er ließ kurz den Blick über die nackten Körper der Terraner schweifen. Bei Amy verweilte dieser Blick deutlich länger als bei den anderen. Die anatomischen Unterschiede zwischen ihr und den Männern fielen ihm vermutlich auf. Ob der nackte Körper einer Terranerin auf ihn eine gewisse Attraktivität ausübte oder ob er in Amy nichts weiter als eine groteske Verzerrung und Verfremdung des kurrgi schen Begriffs von weiblicher Schönheit erblickte, war nicht zu sa gen. »Die Wächter werden Ihnen jetzt die Fesseln lösen«, erklärte der General nach einer quälend langen Pause. »Ich weise Sie darauf hin, daß jeglicher Widerstand vollkommen zwecklos ist.« Dhark konnte dem nur zustimmen. Vor allem die erhöhte Schwerkraft hätte jeden Widerstand im Keim erstickt. Nacheinander wurden die Fesseln gelöst. Dhark rieb sich die Handgelenke. »Wir haben Ihre technischen Gerätschaften untersucht, die Sie bei sich getragen haben«, erklärte der General anschließend. »Mein Respekt. Kommunikationsgeräte, Geräte zur Manipulation der Schwerkraft, Apparate zur Übersetzung verschiedener Sprachen und Waffen auf einem Niveau, von dem wir nur träumen können… Manche dieser Dinge werden uns sicher helfen, die verhaßten Thei ner endlich zu besiegen und für immer vom Antlitz dieses Planeten zu tilgen.«
Ein knurrender Laut schloß sich dieser Äußerung an. Der Trans lator wußte damit offenbar nichts anzufangen, denn er blieb stumm. Daher weht also der Wind! überlegte Ren Dhark. Sie wollen unsere Technologie übernehmen… Auch die Menschheit hatte ja einst die Technologie der Worgun geerbt und damit viele Jahrhunderte eigener Entwicklung über sprungen. Daß eine solche Idee auch die Anführer der Kurrgen faszinierte, war naheliegend. Andererseits war der Gedanke beängstigend, daß diese unverbes serlich kriegerischen Humanoiden ihre Scharmützel in Zukunft mit schweren Blastern anstatt mit vergleichsweise harmlosen Maschi nengewehren austrugen. »Wir haben auch die Raumgleiter untersucht, die vor dem Eingang unseres Bunkers abgestellt wurden«, fuhr der General fort. »Leider ließen sie sich nicht öffnen.« Und das ist auch gut so! dachte Dhark. »Wie ich schon sagte, geht es mir auf Grund gewisser Umstände momentan nicht besonders gut, daher werde ich nicht viel Geduld haben.« Eine Pause folgte. Das Gesicht des Generals verzog sich zu einer Grimasse. Er bleckte die Zähne, was ihm etwas Raubtierhaftes gab. »Ich möchte, daß Sie uns in den Gebrauch dieser Raumfahr zeuge einweisen. Wir wissen ja inzwischen, daß sie dem Beschuß durch unsere Waffen mühelos standhalten. Mit ihrer Hilfe könnten wir tief ins Gebiet der Theiner fliegen und sie endgültig auslöschen!« Er ballte die Hände zu Fäusten. »Seien Sie kooperativ. Die Alterna tive will ich Ihnen gerne in aller Deutlichkeit schildern: Wenn Sie meinen Forderungen nicht nachkommen, werde ich einen nach dem anderen aus ihrer Gruppe töten.« Der General trat nahe an Dhark heran, der sich inzwischen mit Mühe von seiner Pritsche erhoben hatte.
Allen Terranern machte die hohe Schwerkraft sichtlich zu schaffen. Amy hingegen ließ sich nicht anmerken, daß sie davon nicht betrof fen war. Der Kurrge deutete mit dem Finger auf Dhark. »Sie sind der Anführer!« stellte er fest. Dhark nickte, wobei ihm in der nächsten Sekunde einfiel, daß sein Gegenüber diese Geste wahrscheinlich nicht verstand. »Ja«, sagte er daher. »Dann werden Sie mich und meine Leute im Gebrauch der Raum schiffe unterweisen. Wie öffnet man sie?« Dhark schwieg. Der General machte ein Zeichen, bellte einige Befehle, von denen der Translator nicht alles zu erfassen vermochte. Die Wächter packten daraufhin Amy an den Armen. »Sie ist die Schwächste von allen«, sagte General Noreg. »Bringt sie hinaus.« Die Soldaten gehorchten. Amy wurde abgeführt. Den letzten Blick wandte sie Ren Dhark zu, dann schloß sich die Tür hinter ihr. Der General fixierte Ren Dhark mit einem durchdringenden Blick. »Es liegt jetzt ganz bei Ihnen, ob dieses Mitglied Ihrer Gruppe in nerhalb der nächsten Augenblicke sein Leben aushaucht«, sagte er kalt.
8.
»Seid ihr blöd oder taub, ihr verdammten Höllenkreaturen?! Nu schele ich etwa? Zum letzten Mal, in aller Deutlichkeit: Dies ist keine Übung! Unbekannte überlichtschnelle Raumschiffe dringen ins Gerrck-System ein und nehmen Kurs auf die Sonne! Habt ihr es jetzt endlich begriffen, elende Dreckfresser, oder sprecht ihr kein Anglo ter? Ich werde jeden von euch, der sich nicht innerhalb von zehn Sekunden im Laufschritt dorthin begibt, wo er hingehört, persönlich und eigenhändig mit dem Schwert köpfen und seine Überreste im nächstbesten Schredder entsorgen! Habe ich mich verständlich ge nug ausgedrückt?« Hatte er. Weder die Angehörigen der Schwarzen Garde noch die Mannschaftsangehörigen der HAMBURG hatten den friedfertigen, stets auf Harmonie bedachten japanischen Hauptmann Musaschi jemals derart fluchen hören. Wenn er dermaßen aus der Haut fuhr, konnte das nur eins bedeuten: Er meinte wirklich, was er sagte. »Das mit den überlichtschnellen Schiffen kaufe ich ihm irgendwie immer noch nicht ab«, keuchte Kesey – rannte aber wie alle anderen auf die Antigravschächte zu, die sie auf die anderen Decks der HAMBURG transportierten, aufwärts oder abwärts. * Die fremden Schiffe jagten mit leicht sinkender Geschwindigkeit durchs All. In der Ortungszentrale wurden die angemessenen Werte und die von den mit Sternensog fliegenden Ringraumern übermit telten Daten wieder und wieder überprüft – es gab keinen Zweifel an ihrer Richtigkeit. Mittlerweile wußte man, daß die Raumschiffe der Fremden sie benhundert Meter lang waren und die äußere Form von Schildkrö tenpanzern hatten. Viel mehr war nicht in Erfahrung zu bringen,
schon gar nicht, warum sie so schnell fliegen konnten, ohne aus dem Hier und Jetzt gerissen zu werden. Überall auf dem Kugelraumer kam es zu Äußerungen wie »Ers taunlich!«, »Unfaßbar!«, »Unglaublich!« oder »Unmöglich!«. Hart näckige Skeptiker beharrten darauf, daß es sich um einen unerklär lichen Ortungsfehler handeln müsse. »Vielleicht ein Virus, der nicht nur unsere Anlage, sondern auch die Ortungsgeräte auf den Ringraumern befällt«, überlegte Elizondo, der ebenfalls der Fraktion der Skeptischen angehörte. Dem war aber nicht so. Hauptfeldwebel Berneck, zuständig für die einwandfreie Funktion sämtlicher Weltall-Beobachtungsgeräte an Bord der HAMBURG, war die lebende Garantie dafür, daß kein technisches Versagen vorlag. Keiner kannte sich mit der Ortung besser aus als er. Ursprünglich hatte er eine astrophysikalische Aus bildung absolviert, doch auch beim Militär bekam man nicht zwangsläufig den Job, den man sich wünschte. Deshalb bildete sich Berneck unablässig weiter, so daß er stets mehrere Eisen im Feuer hatte. Warum er trotz seiner vorbildlichen Eigeninitiative letzten Endes dennoch auf der HAMBURG gelandet war, war ihm selbst ein Rätsel. Irgend etwas machte er offenbar falsch. Berneck schien die Überlichtgeschwindigkeit der schildkrötenpanzerförmigen Schiffe jedenfalls nicht sonderlich zu überraschen. »Alles schon mal dage wesen«, sagte er nur, als man ihn auf das unerklärliche Phänomen ansprach, und er murmelte etwas von einer Wiederholung vergan gener Ereignisse, einem Deja-vu-Erlebnis. * Die Ovoid-Ringraumer wurden von den unbekannten Schiffsbe satzungen überhaupt nicht beachtet. Statt auf die Funkrufe der ter ranischen Schiffe zu reagieren, verlangsamten die Fremden in Son nennähe lediglich noch einmal ein wenig ihr Tempo, änderten ihren Kurs und jagten dann mit hoher Überlichtgeschwindigkeit aus dem
Gerrck-System hinaus. Da sie während ihres Durchflugs keine agg ressiven Handlungen begangen hatten, ließ man sie ziehen. Nur die HAMBURG nahm die Verfolgung auf. Die Schwarze Garde hatte eh gerade nichts Besseres zu tun… und dann war da noch die Sache mit dem Forscherdrang. * »Ich hatte erwartet, daß Sie sich heftig gegen mein Vorhaben, die Fremden zu verfolgen, widersetzen würden«, sagte Oberstleutnant MacCormack auf der Kommandobrücke zu Major Elizondo. »Statt dessen haben Sie sofort den Start eingeleitet.« »Wir beide sind weiß Gott nicht immer einer Meinung«, räumte der Kapitän ein. »Aber in diesem Fall sind wir uns ausnahmsweise einig. Auch mich interessiert brennend, woher die Fremden kamen und wohin sie wollen. Und falls es uns gelingt, das Geheimnis ihres Antriebs zu lüften, sind wir die Helden der Nation.« »Verstehe, Sie versprechen sich von der Sache einen Anschub für Ihre Karriere.« »Mit einem Anschub gebe ich mich nicht zufrieden. Meine Karriere soll Flügel kriegen, die mich hoch hinaustragen – höher und höher, weit weg von diesem Schiff.« Die HAMBURG steuerte den Rand des Gerrck-Systems an. Da der Kugelraumer über keinen Sternensog-Antrieb verfügte, brauchte man mit hoher Unterlichtgeschwindigkeit circa drei Stunden dafür – eine Zeitspanne, die MacCormack nutzte, um den Bericht über die Roboterwracks per To-Funk nach Terra zu schicken und von Chris topher Farnham einen offiziellen Forschungsauftrag einzuholen. Der Generalmajor genehmigte die Mission, die dazu dienen sollte, Nä heres über die Besatzungen der »Schildkröten« in Erfahrung zu bringen und eventuell mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Daran, daß die Unbekannten bereitwillig das Geheimnis ihres Antriebs lüften würden, glaubte MacCormack nicht. Deshalb stellte
er ein Expertenteam zusammen, das sich während der Verfolgungs jagd damit beschäftigen sollte. MacCormack nahm sich vor, bei den Gesprächen so oft wie mög lich anwesend zu sein. * Als die HAMBURG das Gerrck-System verließ, waren die Fremden viel weiter voraus, als man vermutet hatte; sie waren fast schon aus der Ortung verschwunden. In gerader Linie flogen sie auf den drei Lichtjahre entfernten Nachbarstern zu und hatten jetzt etwa 150fache Lichtgeschwindigkeit. Da sie nur wenig Energie abstrahlten, waren sie gerade noch zu orten. Ab und zu verschwanden sie vom Schirm, doch Kapitän Elizondo ließ sich nicht abschütteln und fand sie im mer wieder. Bei den Experten der Garde sorgte derweil Hauptfeldwebel Ne pomuk Berneck für erstaunte Gesichter. Er berichtete von seinen Erlebnissen auf Hope, im Jahre 2051. Damals war er noch Assistent der berühmten Astrophysiker Vince Ossorn und Wren Craig gewe sen, die mittlerweile zur astronomischen Abteilung der legendären POINT OF gehörten. »… war an eine Verfolgung der überlichtschnellen Schiffe natürlich nicht zu denken. Schließlich war die POINT OF mit all ihren wun derbaren technischen Möglichkeiten noch nicht entdeckt worden.« »Bleibt die Frage, ob es sich bei den Fremden von damals um die selbe Spezies wie heute handelt, oder ob es mehrere Völker gibt, die über diesen unerklärlichen Antrieb verfügen«, meinte Kurt Buck. »Das können wir klären, wenn wir Kontakt zu ihnen aufgenom men haben«, entgegnete Hauptmann Musaschi. »Zunächst einmal sollten wir uns der Frage widmen: Wie schaffen es die Fremden, mit Überlichtgeschwindigkeit zu fliegen und dabei trotzdem im Nor malraum zu verbleiben? Ich hatte den Eindruck, daß sie die Sonne Gerrck dazu benutzten, um den Kurs zu ändern und neuen Schwung
zu holen. Vielleicht bringt uns diese Beobachtung der Lösung ein Stück näher.« Die Unterredung wurde unterbrochen, da die HAMBURG in Transition ging. * Hector Elizondo bemühte sich nach Kräften, die »Schildkröten« nicht aus der Ortung zu verlieren. Die HAMBURG transitierte an den zuletzt angepeilten Aufenthaltsort der vorausrasenden Acht zehnerflotte und setzte sofort danach Hyperfunksprüche auf allen Kanälen ab. Die Fremden, die inzwischen wieder beschleunigt hat ten und erneut weiter weg waren, als ihre Verfolger gedacht hatten, antworteten nicht. »Sie hören unser Signal wahrscheinlich nicht«, meinte der Funker. »Oder sie wollen es nicht hören«, erwiderte der Kapitän. »Na schön, spielen wir halt Katz und Maus.« Da die Fremden ihren Kurs seit Verlassen des Gerrck-Systems nicht mehr geändert hatten, gab Elizondo Anweisung, direkt in das namenlose Nachbarsystem zu transitieren. Dort wollte er die kleine Flotte erwarten. Bald darauf tauchte die HAMBURG wieder aus dem Hyperraum auf. In diesem System gab es ein paar längst verlassene Außenposten der Grakos, aber keine bewohnten Planeten. Der Kugelraumer aktivierte die Tarnanlage, ging in eine Umlaufbahn um die Sonne und wartete dort auf die fremden Schiffe. * »An diese verfluchten Transitions-Nebenwirkungen gewöhne ich mich nie«, grunzte Hauptfeldwebel Kaunas. »Höchste Zeit, daß man uns einen Ringraumer für unsere Einsätze im All zur Verfügung stellt. Der Teufel soll diese altersschwache Schaluppe holen!«
Er wandte sich Korporal Jaschin zu. »Wo waren wir stehengeblie ben? Sie hatten uns gerade Ihre ziemlich gewagte Theorie eines Magnetfeldantriebs nahebringen wollen, Korporal. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, hangeln sich die Fremden an den interstel laren Magnetfeldern entlang oder so ähnlich. Was sollen wir darun ter verstehen?« »Die Fremden – ich kann es allmählich nicht mehr hören«, warf MacCormack ein. »Wollen wir ihnen nicht endlich einen Namen verpassen?« »Wenn Sie uns sagen, wie sie aussehen, lasse ich mir was einfal len«, entgegnete Buck. »Bisher kennen wir nur das Aussehen ihrer Schiffe«, konstatierte einer der Anwesenden. »Welche Farbe hat eigentlich die Außenhül le?« »Laut den mir vorliegenden Meldungen der Ovoid-Ringraumerkommandanten konnte man aufgrund der enorm hohen Geschwindigkeit keine exakte Farbbestimmung vornehmen«, erwiderte MacCormack. »Alles verschwamm Grau in Grau. Viel leicht weiß ja Hauptfeldwebel Berneck mehr darüber.« Nepomuk Berneck hob abwehrend die Hände. »Laßt mich da bitte raus, ich habe alles gesagt, was ich weiß. Mit unseren technisch un zureichenden Möglichkeiten damals konnten wir froh sein, daß wir überhaupt irgend etwas auf den Bildschirm bekamen. Vorüberzie hende Leuchtpunkte – mit mehr kann ich nicht dienen.« »Grau in Grau«, wiederholte ein anderer am Konferenztisch die Worte des Oberstleutnants. »Weshalb nennen wir sie nicht einfach ›Greys‹?« Drei weitere Vorschläge wurden unterbreitet, von denen sich jeder auf die Form der Schiffe bezog. Nach einer kurzen Abstimmung lag »Grey« jedoch weit vorn. Die Namenswahl hatte zwar ein paar Mi nuten in Anspruch genommen, doch auch solche unwichtig er scheinenden Kleinigkeiten gehörten nun einmal zu einer Konferenz,
schließlich mußte man sich den anderen Gesprächsteilnehmern ge genüber irgendwie verständlich machen. »Mal angenommen, es ist den Greys gelungen, die Massenkont rolle zu perfektionieren und die Massenwirkung ihrer Schiffe, die technisch bedingt die Form eines Schildkrötenpanzers haben, nach außen exakt auf Null zu regeln«, setzte Wladimir Jaschin seine wa gemutige Erläuterung fort. »Dadurch würde Einsteins Formel e = mc2 für sie bedeutungslos werden, da m gleich Null und somit auch e gleich Null wäre.« »Seit wann können es sich einzelne Milchstraßenvölker aussuchen, welche physikalischen Regeln für sie gelten?« unterbrach Berneck ihn amüsiert. »Wir unterliegen alle gleichermaßen den Gesetzen der Physik.« »Vielleicht kommen die Greys nicht aus der Milchstraße«, sagte ein junger Offizier. »Ist doch egal, woher sie kommen«, entgegnete sein Sitznachbar. »Man taucht nicht mir nichts, dir nichts in unserem Teil des Weltalls auf und setzt mal eben sämtliche wissenschaftlichen Erkenntnisse außer Kraft.« »Wie schon gesagt, es handelt sich lediglich um eine Theorie«, re dete Jaschin unverdrossen weiter. »Ich weiß selbst, wieviel Phantasie hierbei mit im Spiel ist, trotzdem würde ich meine Ausführungen gern zu Ende bringen. Falls zutrifft, was ich eben geäußert habe, arbeiten die Greys nicht mit Rückstoßantrieben, sondern ›hangeln‹ sich – wie Hauptfeldwebel Kaunas es ausdrückte – an den interstel laren Magnetfeldern entlang, sprich: Ihre Schiffe fliegen stets von einer Sonne zur nächsten weiter, angetrieben durch Interaktion mit dem jeweiligen Magnetfeld. In der Nähe einer Sonne sind sie nur knapp überlichtschnell. Wieviel genau die Höchstgeschwindigkeit am fernsten Punkt zwischen zwei Sternen beträgt, werden weitere Messungen ergeben – nach derzeitigen Erkenntnissen dürfte sie in etwa bei 800facher LG liegen. Danach werden die Schiffe stetig
langsamer, bis sie sich – jetzt zitiere ich Hauptmann Musaschi – an der nächsten Sonne wieder neuen Schwung holen.« »Ich könnte mir vorstellen, daß sie den Magnetfeldantrieb auch bei Unterlichtgeschwindigkeit nutzen, da er dank Massenkontrolle sehr energiesparend sein dürfte«, bemerkte Leutnant Buck, winkte aber gleich wieder ab. »Was rede ich da eigentlich? Wladimirs Theorie ist so sehr an den Haaren herbeigezogen, daß… daß…« »Daß sie fast schon wieder wahr sein könnte«, ergänzte Akira Musaschi lächelnd den Satz. Wieso weiß er schon wieder, was ich denke? dachte Kurt Buck. Er ist schlimmer als eine Mutter – oder ein Vater… »Moment mal«, ergriff erneut Hauptfeldwebel Berneck das Wort. »Irgendwas paßt da nicht zusammen. Als 2051 auf Hope die ersten überlichtschnellen Schiffe angemessen wurden, jagten sie mit stetig steigender Geschwindigkeit aufs Zentralgestirn zu. Laut Korporal Jaschins Theorie hätte ihnen aber kurz vor dem Erreichen der Sonne allmählich die Puste ausgehen müssen, salopp ausgedrückt.« »Nicht zwangsläufig«, widersprach Jaschin. »Haben Sie jemals an einem Zehntausendmeterlauf teilgenommen, Herr Hauptfeldwebel? Dann wissen Sie sicherlich, daß man sich unterwegs eine gewisse Menge Kraft und Atem aufspart, um in der letzten Runde noch mal kräftig aufzudrehen. Die Entfernung von einer Sonne zur nächsten ist nicht auf jeder Strecke gleich; die Greys tun also gut daran, für den Endspurt immer ein paar Energiereserven parat zu haben. Was geschah damals, nachdem die Schiffe die Sonne passiert hatten?« »Sie wurden schneller und schneller«, antwortete Berneck. »Einer der Verbände raste mit 8,03 Licht aus unserem System. Diese Zahl faszinierte mich dermaßen, daß ich sie bis heute im Gedächtnis be hielt.« »Bislang ist noch gar nicht erwiesen, daß Ihr damaliges Abenteuer in irgendeinem Zusammenhang mit den Greys steht«, sagte Oberst leutnant MacCormack und erhob sich von seinem Sitzplatz. »All mählich bin ich es leid, ohne konkrete Beweise über Dinge zu disku
tieren, für die es vielleicht eine ganz einfache, einleuchtende Erklä rung gibt.« »Eine einfache, einleuchtende Erklärung für Überlichtgeschwin digkeit?« fragte ihn Musaschi schmunzelnd. »Verlangen Sie nicht mehr von der realen Welt, als sie Ihnen zu geben bereit ist, Sir. Unerklärliches fällt zunächst einmal in den Bereich der Phantasie – deren Grenzen zur Realität bekanntlich fließend sind.« * MacCormack, Elizondo und Musaschi einigten sich darauf, ihren Leuten eine Ruhepause zu gönnen, bis die Greys am Zentralgestirn des Nachbarsystems eingetroffen waren. Jeder nutzte die Zeit so gut es ging für sich. Edmundo Rossi liebte es, sich auf der Liege auszustrecken und dem süßen Nichtstun hinzugeben. Und Jannis Kaunas liebte es, ihn mitten im Dösen hochzuscheuchen. Leider waren ihm die Hände gebunden – gegen angeordnete Freizeit konnte selbst er nichts aus richten. Also ließ er den »langen Kerl« ausnahmsweise in Frieden. Antoine Charoux suchte die Nähe von Frauen, die an Bord der HAMBURG allerdings nicht gerade zahlreich vertreten waren. Bei der kämpfenden Truppe hielt er zumindest vergebens nach ihnen Ausschau. »Hat es sich bis hierher noch nicht herumgesprochen, daß das weibliche Geschlecht genauso gutes Impulsstrahlfutter abgibt wie das männliche?« brummelte er, als er unverrichteterdinge in sein Quartier zurückkehrte. Auch im Sanitäts- und Verwaltungsbereich hatte er sein Glück versucht – doch die Damen dort hätten vom Alter her seine Mütter sein können. Antoine fühlte sich auf dem riesigen Schiff auf einmal ganz allein. Sein Bruder Daniel mochte das Alleinsein, dann hatte man mehr Ruhe zum Lesen. Augenblicklich hatte es ihm ein im Antiquariat erstandenes Buch angetan, das in einem alten Gespensterschloß
spielte. Der Autor hatte längst das Zeitliche gesegnet – er hatte am 20.02.2022 (an seinem 67. Geburtstag) nach einer besonders guten und starken Tasse Bohnenkaffee einen Herzanfall erlitten und sel bigen nicht überlebt. Piet Lessing verbrachte seine Zeit damit, unruhig auf den Decks herumzustreifen. Wo immer er auftauchte, machte er die Leute ner vös, und sie waren froh, wenn er wieder ging. Sergeant Kesey hielt sich am liebsten in der Kantine auf, wo er seiner Lieblingsbeschäftigung nachging: Er half dem Bordkoch beim Verfeinern und Kreieren der Mahlzeiten. Kesey aß gern, schlang aber nicht wahllos alles in sich hinein. Bei ihm mußte es nicht nur für den Gaumen, sondern auch fürs Auge stimmen. Der Koch war für jede Hilfe in der Küche dankbar; wenn ihm Ke sey allerdings zu sehr in die Arbeit reinredete, »verdonnerte« er ihn auch schon mal zum Kartoffelschälen. Der sparsame Sergeant erwies sich als wahrer Schälmeister – niemand vom Küchenpersonal pro duzierte dünnere Kartoffelschalen als er. Der vierzigjährige Hauptfeldwebel Nepomuk Berneck, der auf grund seines leicht angegrauten Backenbartes mindestens zehn Jahre älter wirkte, vertiefte sich ebenfalls gern in Bücher. Allerdings las er keine Romane wie Daniel Charoux, sondern Fach- und Sachbücher, die ihm, so hoffte er, beruflich von Nutzen sein konnten. Er war fest entschlossen, mit der nächsten Beförderung von der HAMBURG wegzukommen. Aber wurde man auf diesem Schiff überhaupt be fördert? Schließlich war der Kapitän schon seit einer halben Ewigkeit Major. Auch Feldwebel Huck Sawyer, der seine freien Stunden am liebs ten in der Koje verbrachte, mit einer hochprozentigen »Wärmfla sche« im Arm, wartete seiner Ansicht nach schon viel zu lange auf die längst fällige Beförderung. Während seiner Dienstzeit bei der Terranischen Flotte hatte er sich nie etwas zuschulden kommen las sen, und er war seinen Vorgesetzten gegenüber immer loyal gewe
sen. Dennoch entsprach sein Dienstgrad nicht seinem Alter, er hätte schon viel weitergekommen sein müssen. Auf dem Schiff, auf dem er vorher gedient hatte, hatte ihm der Kapitän mangelnde Eigeninitiative vorgeworfen und ihm nahege legt, ein Versetzungsgesuch einzureichen. Es hatte wie ein Befehl geklungen, dem Huckleberry sofort nachgekommen war. Zu seinem Erstaunen hatte es mit der Versetzung innerhalb weniger Tage ge klappt. Wahrscheinlich hatte der Kapitän seine Beziehungen spielen lassen, um ihn so schnell wie möglich loszuwerden. Manchmal hatte Huck Sawyer das Gefühl, daß ihn seine Mitmen schen nicht für voll nahmen. Nicht einmal dieser nervöse Gefreite von der Garde hatte Respekt vor ihm gehabt. Wo sollte das noch hinführen? Er mußte endlich lernen, sich durchzusetzen, dann würde man ihn auch schneller befördern. Der vierundzwanzigjährige Däne Ike Olsen hatte noch nie einen Gedanken an seine Schulterklappen verschwendet. Wenn man ihn beförderte, beförderte man ihn halt, wenn nicht, dann nicht. Er po kerte und würfelte gern – und auch sonst war das Leben für ihn ein Spiel. Karriere war ihm egal. Falls es ihm eines Tages beim Militär nicht mehr gefiel, würde er eben was anderes machen. Die Welt stand ihm offen, als wäre sie nur für um geschaffen worden. Kurt Buck und Wladimir Jaschin konnten es kaum erwarten, daß die Grey-Flotte endlich eintraf. Sie wollten unbedingt mehr über die Fremden herausfinden, und das lieber heute als morgen. Beide ahnten nicht, daß ihre Geduld noch auf eine harte Probe ge stellt werden würde… * Das Nachbarsystem von Gerrck machte seinem »Namen« alle Ehre. Es war namenlos – und wahrscheinlich würde auch in Millionen von Jahren kein denkendes Wesen auf die absurde Idee kommen, diesem
System eine Bezeichnung zu geben, die über irgendwelche nichtssagenden Zahlenkolonnen hinausging. Major Hector Elizondo hatte einige der »toten« Planeten mit Fern sensoren abtasten lassen. Nie zuvor hatte er so viel »Abso lut-Gar-Nichts« auf seinem Bildschirm gesehen. Nicht einmal die unheimlichen Grakos, die in jenem Niemand-System einst ein paar Außenposten eingerichtet hatten, paßten hierher. Elizondo stellte sich vor, wie sie dort unten Gespenstern gleich aneinander vorbei huschten, wandelnde Hyperraumblasen auf Einödhöfen – und eine Gänsehaut rieselte ihm über den Rücken. Zu seiner grenzenlosen Erleichterung kamen die, auf die er warte te, stetig näher, so daß er bald von hier wegkommen würde… Wäre es nach Nepomuk Berneck gegangen, hätten die Greys ruhig noch eine Weile länger unterwegs sein können, er hatte es mit dem Weiterfliegen nicht eilig. Derzeit las er eine lexikalische Abhandlung über Fremdvölker. Insbesondere das Volk der Utaren faszinierte ihn. Die Utaren werden selten größer als einen Meter. Augen, Haut und Haare sind blau. Sie bevorzugen Kleidung mit grellen Farben. Ihre Regierung besteht aus drei unterschiedlich großen Gruppen: der Kleinen Weisheit, der Großen Weisheit und der Weisheit. Jede Kaste hat einen eigenen Sprecher – die kleine Weisheit sogar eine Sprecherin: Bo Bora. Sie stellt in ihrem Volk eine Ausnahmeerscheinung dar, denn die meisten Utarenfrauen sind poli tisch total desinteressiert. Die Raumschiffe der Utaren sind pyramidenför mig. Esmaladan ist ihr Heimatplanet; zudem gründeten sie noch ein paar kleinere Kolonien. Es folgte eine alphabetische Kurzauflistung der wenigen utari schen Kolonien. Eine davon, ein nicht sonderlich großes, weitgehend unbeachtetes Sonnensystem namens Walim, lag mehr als 3000 Lichtjahre von Esmaladan entfernt. Der Hauptfeldwebel klappte das Lexikon zu und lauschte einer Durchsage aus der Zentrale. Draußen in der Einöde des Weltalls tat sich etwas.
*
Drei Tage nach Verlassen des Gerrck-Systems trafen sie endlich ein. Achtzehn Raumschiffe in Schildkrötenform. Sie schossen auf die Sonne zu, änderten erneut ihren Kurs und peilten mit steigender Geschwindigkeit den Nachbarstern an. »Soll ich Funksprüche aussenden?« erkundigte sich der Funker. »Nein!« entschied Kapitän Elizondo. »Ganz offensichtlich wollen sie keinen Kontakt mit uns, sonst hätten sie auf die letzten Versuche reagiert. Wir folgen ihnen unter Tarnschutz.« »Wie lange?« fragte sein Erster Offizier. »So lange es nötig ist«, lautete die Antwort von MacCormack, der direkt neben Elizondo stand. »Wenn es sein muß, heften wir uns monatelang an ihre Fersen, bis wir in Erfahrung gebracht haben, wer sie sind und wohin sie wollen.« »Monatelang?« wiederholte der Kapitän. »Ob ich so viel Zeit zur Verfügung habe…« »Dieses Schiff ist im Auftrag der Garde unterwegs«, stellte der Oberstleutnant klar. »Sie haben das Kommando an Bord – doch die Befehlsgewalt über unseren Einsatz liegt bei mir.«
9. Amy Stewart wartete ab. Widerstandslos ließ sie sich von zwei Kurrgen-Soldaten aus dem Raum führen und filterte die wütenden Rufe Ren Dharks aus, der in verständlichem Zorn den Kurrgen die Pest an den Hals wünschte. Allen voran General Noreg, der für die momentane Situation die Verantwortung trug. Hinter ihr schloß sich das Sicherheitsschott und trennte Amy von den Gefährten. Als sie sich nicht schnell genug bewegte, wurden die beiden Kurrgen rabiat, zerrten und stießen sie mit sich. Wohin brachten sie sie? Sie schaltete auf ihr Zweites System um und gaukelte den Kurrgen weiterhin nur vor, unter der ungewohnt hohen Schwerkraft zu leiden. In Wirklichkeit spielte die im Vergleich zur Erde doppelte Schwerkraft keine Rolle für sie. Ihr Programmgehirn kalkulierte die Chancen durch, die sie gegen die zwei Soldaten hatte. Das Überraschungsmoment auf ihrer Seite, konnte sie es schaffen und die beiden Männer ausschalten. Dabei mußte sie deren Waffen an sich bringen und versuchen, Ren und die anderen zu befreien. Noch wartete sie ab. Hoffentlich ist die Zelle, in die ich gebracht werde, nicht zu weit entfernt! dachte sie. Aber dann wurde die Distanz zu den Gefährten immer größer, bis sie dann doch endlich eine Zelle erreichten und einer der Kurrgen einen Schalter betätigte, der die Tür öffnete. Jetzt! entschied ihr Programmgehirn. Schlagartig wurde Amy aktiv. Einer der Kurrgen glaubte besonders einsatzfreudig sein zu müs sen und kam mit in die Zelle, wobei er den Cyborg mit sich zerrte. Von der Art, wie er sie anfaßte, fühlte sie sich angesichts ihrer Nacktheit besonders belästigt. Blitzschnell schlug sie zu, aber ihr
Programmgehirn überschätzte die Widerstandskraft des Soldaten und dosierte den Hieb etwas zu stark. Als der Kurrge zusammenb rach, erkannte Amy anhand der Art, wie er fiel, daß er tot war! Phanten! befahl ihr Programmgehirn. Dir Körper erzeugte eine Reizspannung von 6,38 Volt und löste damit eine rasende Vermehrung des F-Virus vom Planeten Bittan aus. Die Masse wurde vom Programmgehirn kontrolliert und zum geeigneten Zeitpunkt mit einer Steuerspannung zwischen 0,003 und 0,047 Volt aktiviert. Dann trat sie ins Medium, wodurch jede Flüs sigkeit und jedes Gasgemisch im organischen Körper gebunden wurde. Dieser Zustand konnte nur für neun Tage und sechs Stunden aufrechterhalten werden; danach löste das Virus einen blitzartig wirkenden Krebs aus. Aber in der Zeitspanne, in welcher das Phantvirus aktiv war, war ein Cyborg zu unvorstellbaren Leistungen fähig. Er konnte sich in giftigen Atmosphären ohne technische Hilfsmittel ebenso bewegen wie unter dem Hochdruck auf dem Meeresgrund oder im Vakuum des Weltraums. Im gleichen Moment, in dem Amy Stewart phantete, wurde sie für die Kurrgen zu einer praktisch unverwundbaren Gegnerin. Der zweite Soldat riß seine Waffe hoch und wollte schießen. Amy war schneller, erreichte ihn mit einem weiten Sprung aus der Zelle hinaus und machte ihn mit einem Hieb kampfunfähig. Sein Gesicht zeigte Fassungslosigkeit; soviel erkannte sie auch ohne Studium der kurrgischen Physiognomie. Er konnte nicht begreifen, wie eine nackte Gegnerin, die noch dazu an eine wesentlich geringere Schwerkraft gewöhnt war, sich der maßen rasant bewegen und beide Männer unschädlich machen konnte. Dieses Rätsel nahm er mit sich in die Bewußtlosigkeit. Seine Waffe und die seines toten Kameraden nahm der Cyborg an sich. Dann machte sie sich auf den Rückweg zu Ren und den ande ren.
Sie kam nicht weit. Unbemerkt von ihr war Alarm ausgelöst wor den. Unvermittelt wimmelte es von Kurrgen-Soldaten, die aus Räumen und Seitengängen auftauchten. Diesmal machten sie sich keine Gedanken über die Unversehrtheit der fremden Frau. Sie eröffneten sofort das Feuer aus ihren Projek tilwaffen. Trotz der hohen Rechnerkapazität bekam Amy Schwierigkeiten, die Schußbahnen anhand der Positionen der Schützen und dem Aufblitzen der Mündungsfeuer zu berechnen. Die Gegner waren zu viele. Sie versuchte, die Gegner mit gezieltem Beschuß niederzuhalten, während sie sich langsam vorwärtsbewegte. Aber sie bekam Prob leme damit, weil die Übermacht der Kurrgen sie ihrerseits immer wieder in Deckung zwang. Hatte sie vorhin noch bedauert, einen Kurrgen-Soldaten mit den bloßen Händen getötet zu haben, blockierte ihr Programmgehirn jetzt jede Form von Gewissensnot. Sie wurde mit Waffengewalt an gegriffen und mußte sich mit allen Mitteln wehren, um zu überleben. Und überleben mußte sie nicht nur um ihrer selbst willen, sondern auch, um Ren und den anderen zu helfen. Bis ein Entsatzkommando von der POINT OF eintraf, konnte es eine Weile dauern – zumal erst einmal ein Hilferuf über Funk abgestrahlt werden mußte. Wie aber ohne Technik? Man hatte ihnen schließlich nicht nur die Kleidung, sondern logischerweise die gesamte Ausrüstung genommen. Schuß auf Schuß jagte sie aus den Waffen und streckte einen Kurrgen nach dem anderen nieder. Sie nahm keinerlei Rücksicht auf ihre heimtückischen Gegner mehr. Immerhin waren die Terraner in friedlicher Absicht in diese Bunkeranlage gekommen. Magazine leer! Die beiden erbeuteten Waffen konnte sie wegwer fen. Die Magazine waren verschossen. Ohnehin hatten sie recht lange vorgehalten. Das verwendete Kaliber mußte sehr klein sein, damit so viele Patronen in die Magazine paßten.
Amy wollte den Zustand der Waffenlosigkeit nicht akzeptieren. Als sie eine Chance sah, ging sie wieder mit bloßen Händen vor. Sie griff drei Soldaten an, die nahe beieinanderstanden. Die fühlten sich einer unbewaffneten, nackten Frau gegenüber weit überlegen, nur hatten auch sie noch nie etwas von Cyborgs gehört. Im nächsten Moment war Amy über ihnen, und mit gezielten Griffen und Schlä gen, die zu schnell kamen, um abgewehrt zu werden, schaltete die nackte Frau sie aus. Blutüberströmt lagen drei tote Kurrgen am Bo den. Mit Waffen und Ersatzmunition waren sie gut bestückt. Wieder in jeder Hand eine Pistole, wollte Amy weiter vordringen. Aber in den Sekunden, in welchen sie sich neu bewaffnet hatte, waren andere Kurrgen nahe herangekommen. Sie hatten den Mo ment genutzt, in dem Amy beschäftigt war. Und jetzt schossen sie aus kürzester Distanz auf sie. Treffer, registrierte das Programmgehirn und zählte mit, wie viele Kugeln in ihren Körper einschlugen. Über die Rückschaltphase sprang eine Erinnerung sie an. Parallel lief sie auf einer zweiten Ebene des Denkens in ihr ab. Vor ihrem geistigen Auge sah sie in der Galaxis Orn Holger Alsop, wie er von Gisol an Bord der POINT OF zurückgebracht wurde. Von einem Blasterschuß zerteilt, im Einsatz gefallen. Auch Cyborgs waren nicht unsterblich! Die Erinnerung konnte sie in ihrem Handeln nicht beeinflussen, aber getroffen wurde sie schon wieder. Eiskalt zählte das Prog rammgehirn den sechsten Treffer. Immer noch stand sie aufrecht und wurde für die Kurrgen erneut zum Mirakel. Einige wandten sich ab und ergriffen die Flucht, weil ihnen diese fremde Frau, die nicht zu töten war, unheimlich wurde. Den Befehlen ihrer Vorgesetzten gehorchten sie nicht mehr. Amy schoß zwei weitere nieder und stürmte wieder vorwärts. Die Kurrgen zeigten sich immer fassungsloser und verloren an Kampf qualität. Das nutzte Amy sofort aus.
Sie setzte den Flüchtenden nach. Und mit jedem Schritt kam sie ihren Gefährten näher… * General Noreg zuckte leicht zusammen, als er die draußen fallen den Schüsse hörte. Auch die anderen Kurrgen-Soldaten zeigten leichte Unruhe. Ren Dhark ahnte, was hinter der Tür vorging. Amy, die fortgebracht worden war, um als vermeintlich schwächste im Team zuerst in einer Todeszelle auf ihre Hinrichtung zu warten, hatte es geschafft, freizukommen und sich den Weg zurück zu er kämpfen. Dhark versuchte das triumphierende Blitzen seiner Augen zu verbergen, indem er sie halb schloß. Dann wandte er sich den ande ren zu und gab ihnen Zeichen, nicht auf das Geballere da draußen zu reagieren. Noreg rief einigen seiner Soldaten Befehle zu. Auch ohne Über setzungshilfe war Dhark klar, was der General wollte: Sie sollten nachsehen, was da los war, und ihm Bericht erstatten. Drei der schwerbewaffneten Männer verließen den Raum. Ren versuchte etwas zu erkennen, solange die Tür ein Stück weit geöffnet war, konnte aber nichts und niemanden sehen. Der wilde Kampf spielte sich wohl noch in einiger Entfernung ab. Nacheinander sah Noreg die Terraner prüfend an, als überlege er, wer jetzt zur Hinrichtung gebracht werden sollte. Dabei hatte er das bisher nicht einmal mit Amy geschafft. Die Schüsse wurden lauter. Amy biß sich durch. General Noreg zeigte immer stärker werdende Unruhe. Es fehlte nicht mehr viel daran, daß er ausrastete. Diesen Augenblick fürch tete Dhark, wenn er eintrat, ehe Amy hier auftauchte. Er setzte alles auf den Cyborg. Amy war die einzige, die unter den Überschwer kraftbedingungen überhaupt kampffähig war. Wenn es Noregs
Männern gelang, sie auszuschalten, war das Spiel verloren. Da flog die Tür auf! Eine einzelne Gestalt tauchte auf. Noreg schrie einen erneuten Be fehl. Seine Männer, die bis zu diesem Moment ihre schweren Waffen auf die Terraner gerichtet hatten, obgleich das völlig überflüssig war angesichts der Kampfunfähigkeit der Gefangenen, fuhren herum und schossen auf Amy. Ren stöhnte auf. Er sah, wie seine Gefährtin gleich mehrfach ge troffen wurde, und glaubte selbst den Schmerz der Treffer zu spü ren. Daß das praktisch unmöglich war, solange sie auf ihr Zweites System geschaltet hatte, entzog sich in diesen Minuten seinem Be greifen. Amy, ebenfalls schwerbewaffnet, tanzte wild wie ein Moskito hin und her, um weiteren Treffern zu entgehen. Sie selbst feuerte auf die Kurrgen-Soldaten und streckte eine Handvoll von ihnen nieder. Plötzlich hatte sie den General im Schußfeld! Einer seiner Männer warf sich dazwischen, wild auf Amy schie ßend. Aber sie konnte seinen Kugeln ausweichen. Statt dessen schickte sie ihn selbst ins Nirwana, und mit einigen Schüssen rahmte sie Noreg förmlich ein. Das machte auch dem letzten Kurrgen klar, daß die Schlacht verloren war. Wenn sie weiterkämpften, kostete das den General das Leben, nur war der im Gegensatz zu seinen Solda ten nicht bereit, sich zu opfern, um sein großes Ziel zu erreichen. Er wollte die Flash der Terraner und einen Schnellkurs für die ausersehenen Piloten, aber nicht um den Preis seines Lebens! Schließlich wollte er mit den sagenhaften Flugmaschinen der Frem den anschließend noch eine siegreiche Schlacht gegen die Feinde führen! Deshalb kapitulierte er jetzt! Aber er sann garantiert schon nach einem Ausweg, nach einer Hinterlist, um das Blatt wieder zu wenden und aus dieser Nieder lage doch noch einen Sieg zu machen.
Aber jetzt war es erst einmal Amy, die Befehle erteilte. Ihr Prog rammgehirn hatte die Grundzüge der Kurrgensprache aufgenom men, und der Cyborg kam bestens damit zurecht. General Noreg bestätigte die Befehle. Zuerst zögernd, dann rasch legten seine Soldaten die Waffen ab. Noreg sprach in ein tragbares Funkgerät. »Na also«, kommentierte Amy zufrieden. »Warum nicht gleich so?« * Ren starrte Amy an. Sie bot einen Anblick, wie er ihn sich zuvor höchstens in seinen Träumen hatte vorstellen können. Sie stand da, in jeder Hand eine Waffe, eine wilde, nackte Amazone, die mit dem Blut der Kurrgen besudelt war. Ihre eigenen Verletzungen waren nicht zu erkennen, da sie wegen des Phantzustandes nicht bluteten. So, wie sie jetzt dastand, erschien sie Dhark schöner denn je. Amy trat jetzt nahe an den General heran. Sie hielt eine der Waffen direkt auf seinen Kopf gerichtet. Jeder der Anwesenden begriff: Wenn sie die Waffe auslöste, würde Noregs Gehirn an der Zellen wand kleben. Wieder erteilte der Cyborg Anweisungen. Noreg gab sie an einen der überlebenden Soldaten weiter. Der Mann verließ den Raum und kehrte wenig später mit der Kleidung und Ausrüstung der Men schen zurück. Er schien heilfroh zu sein, daß er den Packen, unter dem er fast zusammenbrach, hier fallen lassen konnte. Absichtlich hatte Amy nur einen einzigen Soldaten losschicken lassen, damit der genügend beschäftigt war. »Los, zieht euch an«, stieß Dhark hervor, kämpfte sich gegen die hohe Schwerkraft zu den Utensilienhaufen durch und begann, seine eigene Kleidung herauszusuchen und anzulegen, zuletzt den Schwerkraftneutralisator und das Vipho. Er atmete erleichtert auf,
als der Gravitationsdruck von ihm wich und er sich endlich wieder normal bewegen und richtig atmen konnte. Auch die anderen kleideten sich wieder an. Dhark nahm Amy die Waffen ab, mit denen sie immer noch den General und seine Solda ten in Schach hielt, damit auch sie in ihre Kleidung schlüpfen konnte. Herrisch forderte sie Noregs Uniformjacke und wischte sich dann damit das Kurrgenblut so weit wie möglich vom Körper, ehe sie sich anzog. Fassungslos sahen die Kurrgen ihr dabei zu. Sie wußten, daß Amy mehrfach von den Geschossen ihrer Kameraden getroffen worden war, sahen jetzt auch die Einschußöffnungen in ihrem Körper und konnten nicht begreifen, daß ein so verletztes Wesen überhaupt noch in der Lage war, sich aufrecht zu bewegen. Ren machte sich Sorgen um sie. Ihm war klar, daß sie sich im Phantzustand befand. Aber was geschah, wenn sie diesen Zustand wieder beendete – beenden mußte, wenn das Virus sie nicht um bringen sollte? »Verdammt, bin ich froh, daß ich wieder einen Schwerkraftneutra lisator habe«, ächzte Chris Shanton, der dank seines Übergewichts noch mehr gelitten hatte als die anderen. »Verdammt, sind wir froh, daß Sie Ihre Kleidung zurückbekom men haben«, grinste Flashpilot Mike Doraner ihn an, um dann einen bedauernden Blick auf Amy Stewart zu werfen. »Wenn Sie die Lady weiter so anstarren, wird Dhark ihnen eine scheuern«, warnte Shanton düster. »Die Lady wird das Anstarren wohl überleben«, konterte Amy. »Sie sind ja alle nur neidisch, daß Sie nicht so gut aussehen wie ich.« Kann man als Cyborg Humor dieser Art besitzen? fragte sich Ren, der oft genug in seinem Leben mit Cyborgs zu tun gehabt hatte. Er drängte den Gedanken beiseite. Es gab jetzt Wichtigeres zu tun. Er schaltete sein Vipho ein. »Dhark an POINT OF. Dan, bitte mel den…«
*
Der schwarzhaarige Mann im Kommandositz des Ringraumers wurde um so unruhiger, je länger sich Dhark und die anderen nicht meldeten. Mehrmals fragte er in der Funk-Z nach, erntete aber nur Schulterzucken. »Die sechs Viphos sind offenbar in Betrieb, wie die Echokontrolle feststellt, nur scheint keiner auf Anrufe zu reagieren. Ich versuch’s alle fünf Minuten…« Stillschweigend wurden daraus Wartezeiten von zehn Minuten, aber immer noch nahm niemand die ständigen Anrufe aus der POINT OF entgegen. Auf Rikers Kinn hatte sich ein rötlicher Fleck gebildet, deutliches Zeichen seiner inneren Erregung. Immer öfter überlegte er, ob er nicht mit der POINT OF eingreifen sollte, um seinen Freund Ren zu unterstützen. Etwas lief in der unterirdischen Bunkeranlage im Felsmassiv nicht so, wie es eigentlich sollte! Ren und die anderen mußten in Gefahr sein, dessen wurde Riker immer sicherer. Warum sonst meldeten sie sich schon so lange Zeit nicht? »Schiff startklar machen«, ordnete er schließlich an. Es half alles nichts – er mußte herausfinden, was mit den fünf Männern und der Frau geschah, und er dachte nicht daran, noch einen oder mehrere Flash in Gefahr zu bringen. Wenn er kam, dann gleich mit dem ganzen Schiff! Nicht kleckern, klotzen! Diese alte taktische Maxime des legendä ren Panzergenerals Guderian hatte auch noch in Zeiten der über lichtschnellen Raumfahrt nichts von ihrer Bedeutung verloren. Die einzelnen Stationen des Ringraumers überschlugen sich fast mit den Klarmeldungen. Es war, als hätten alle nur darauf gewartet, daß diese Entscheidung fiel. »Sta –«
Da riß es den schwarzhaarigen, untersetzten Mann fast herum. Unvermittelt hatte die Funk-Z den Viphoanruf direkt auf die Kom mandozentrale geschaltet! »Dan, bitte melden…« »Hier bin ich, Ren!« rief Riker in das Mikrofonfeld der Bordver ständigung. »Was zum Teufel ist bei euch los, daß sich kein Mensch rührt?« »Wir hatten ein paar Verständigungsschwierigkeiten, Dan«, erwi derte Dhark. »Komm, ‘raus mit der Sprache!« drängte Riker. Er ahnte, daß hin ter diesen »Verständigungsschwierigkeiten« wesentlich mehr steck te, als sein Freund jetzt sagen wollte. »Wir brechen den Kontakt vorerst ab«, sagte Dhark. »Die Flash sind kontaminiert. Hol sie per Fernsteuerung an Bord und schicke uns ein paar andere, die uns abholen. Ich sende einen Peilstrahl.« »Nicht nötig«, mischte sich Glenn Morris aus der Funk-Z ungefragt ein. »Ich habe Ihr Vipho mit der Echokontrolle erfaßt und überspiele die Daten via Checkmaster an die Flash.« »In Ordnung«, sagte Dhark. Nach all den Jahren, die er nun schon mit der Worgun-Technologie vertraut war, hatte er deren Möglich keiten immer noch nicht verinnerlicht. Da mußte erst ein Spezialist kommen, um die einfachste Idee greifbar zu machen! Dan Riker war trotzdem nicht zufrieden. »Jetzt mal Butter bei die Fische, Ren!« verlangte er kategorisch. »Was ist passiert? Muß ich erst selbst rüberkommen und dir die Würmer aus der Nase ziehen?« Da endlich entschloß Ren Dhark sich wenigstens zu einem Kurz bericht. Währenddessen lief die Bergungsaktion bereits an. * Noch während Ren Dhark berichtete, was sich konkret in der ge schützten Bergfestung der Kurrgen tief im Felsgestein abgespielt
hatte, ließ Dan Riker die sechs Flash der Gruppe Dhark per Fern steuerung in die POINT OF holen. Fähnrich Häkkinen, der laut Plan gerade in der Zentrale seinen Dienst versah, bekam diesen Auftrag. Da die Maschinen draußen vor dem Bunkerzugang geparkt waren, hatten sie eine Menge Strahlung abbekommen, mit welcher der Pla net nach vier Jahrhunderten immer noch verseucht war, und mußten in ihren Hangars im Flashdepot dekontaminiert werden. Um den Menschen diese nicht gerade angenehme Prozedur zu ersparen, schickte Riker sechs weitere Flash mit je einem Piloten los, um die Gruppe Dhark direkt aus dem Bunker zu holen. Mit einge schalteten Intervallfeldern durchdrangen die zweisitzigen Flugge räte den massiven Fels, als existiere er überhaupt nicht. Rul Warren, Pfeifenraucher und normalerweise die Gemütlichkeit in Person, gefiel es nicht, wie die Kurrgen mit Commander Dhark und den anderen umgegangen waren. Über Vipho hatten er und die anderen Piloten, zu denen auch der Roboter Artus gehörte, mitge hört, was Dhark zu berichten hatte. Trotzdem blieb er besonnen: »Brennkreise aus!« ging sein Befehl an die Kameraden. »Wir landen mit Intervall und eingeschaltetem An tigrav. Der Bunker darf nicht verseucht werden.« * Ren Dhark grinste erleichtert, als er die sechs Flash nacheinander aus der Wand des Raumes hervorgleiten sah. Die Intervallfelder erloschen. Die spinnenbeinartigen Ausleger klappten aus den zylindrischen Druckkörpern heraus und berührten mit ihren Landetellern den Boden. Federnd setzten die Flash auf. Sie waren so aufgestellt, daß ihre Strahlantennen in alle Richtungen zeigten. Die Kurrgen wichen beeindruckt zurück, aber sie gerieten regel recht in Panik, als der Ausstieg eines Flash hochgefahren wurde und ein metallenes Ungeheuer herauskletterte, das nur entfernt einem
Kurrgen oder einem Menschen glich. Zu allem Überfluß konnte diese unheimliche Konstruktion auch noch sprechen! »Einsteigen, schnell!« donnerte es aus den Raumklanglautspre chern des Ungeheuers. »Bevor die hinterlistige Bande noch auf dumme Gedanken kommt!« Die Aufforderung erklang auf Angloter und kurrgisch zugleich. Allen voran schwang sich Dhark in den vordersten Flash, dessen Ausstiegsluke sofort geschlossen wurde; nur eine Sekunde später loderte das schützende Intervallfeld auf und hüllte das Beiboot der POINT OF ein. Rücken an Rücken saßen die beiden Insassen jetzt in der kleinen Kabine. Schon waren sechs Flash auf dem Weg zurück in den Ringraumer. Start mit Antigrav! Im Schutz der Intervallfelder stiegen die Flash schwerelos in die Höhe und verschwanden wie Schemen in der massiven Betondecke! Erst draußen schalteten die sechs Piloten den SLE wieder ein. Kurz darauf glitten die Maschinen auf ihre Hangarbettungen im Flashdepot der POINT OF. Dhark atmete auf und dachte an Amy. Sie waren wieder in Sicherheit! * In der Festung im Bergmassiv blieb ein General zurück, dessen Selbstvertrauen enorm erschüttert war. In den letzten Stunden war en er und seine Männer mit Dingen in Berührung gekommen, die einfach unvorstellbar waren. Eine Frau, die schier unverwundbar schien – wenn das nicht nur für sie galt, sondern für alle Angehöri gen ihrer Rasse, dann waren diese Terraner völlig unbesiegbar, dann konnte man ihnen ihre seltsamen Flugobjekte nicht abnehmen, die in der Lage waren, feste Materie zu durchfliegen, als bestände die nur aus Luft. Dann konnte man sie nicht erpressen. Dann kam man nicht gegen sie an, wurde nicht mit ihnen fertig.
Damit waren die Kriegspläne General Noregs vorerst gestorben. Ohne die Supertechnik der Fremden, mit deren Besitz er schon seit ihrem ersten Auftauchen gerechnet hatte, brauchte er einen Angriff auf die Feinde erst gar nicht zu versuchen. Er war erschüttert. Seine Pläne waren undurchführbar geworden. Und vielleicht hatte er sogar das Vertrauen seiner Soldaten verloren. Immerhin waren etliche von ihnen beim Kampf gegen die einzelne Person, eine nackte Frau, die auf den ersten Blick so schwach er schien, gefallen, viele waren verletzt, einige von ihnen für immer dienstunfähig geworden. Für sie alle war die Begegnung mit diesen Terranern ein Schock. Ihm ging eine finstere Befürchtung durch den Kopf: Was, wenn die Fremden mit der anderen, verfeindeten Nation Thein Kontakt auf nahmen und es etwa zu einem Bündnis zwischen ihnen kam? Dann war ein Angriff des Feindes auf den Felsenbunker nur noch eine Frage der Zeit, und gegen die Supertechnik der Fremden hatten Noregs Truppen nicht den Hauch einer Chance! Flugobjekte, die von nichts aufzuhalten waren… wie sollte man sich ihrer erwehren? Wie sie zerstören? Noreg wußte keinen Ausweg. * Unterdessen befand sich die Gruppe um Ren Dhark wieder in der POINT OF. Der Commander des Ringraumers wartete einen Mo ment, bis die beiden Insassen des anderen Flash das Depot verlassen hatten. Jeweils zwei Flash lagen nebeneinander in ihren Bettungen in den kleinen Hangars, die voneinander getrennt waren. Beim Einflug in den Ringraumer spielte es keine Rolle, ob der SLE eingeschaltet war oder nicht. Eine geheimnisvolle Konstruktion der Worgun sorgte dafür, daß die Energie keine Zerstörungen im Unitall anrichten konnte. In der Anfangszeit, als sie alle noch begannen, die Einrichtungen der POINT OF kennenzulernen, hatten die Flashpilo
ten Doraner und Wonzeff einen riskanten Test durchgeführt; über mehrere Minuten hinweg hatten sie den SLE im Depot brennen las sen. Das Material hatte keinen Schaden davongetragen, aber der Hangar war mit härtester r-Strahlung verseucht worden und mußte in einem aufwendigen und teuren Prozeß dekontaminiert werden. Dhark war stinkwütend auf das eigenmächtige und gefährliche Verhalten der beiden Piloten gewesen, die ohne die ausgeklügelten Sicherheitssysteme der Worgun eine Menge Schaden hätten anrich ten können, aber er kam an dem Ergebnis ihres Experiments nicht vorbei. Arc Doorn hatte dann herausgefunden, daß der Brennkreis eines Flash innerhalb des Depots und beim Durchfliegen der Außenhülle in ein eigenes Mini-Intervallfeld gehüllt wurde. Warum dieses Intervallum aber ausschließlich im Innern von Ringraumern akti viert wurde, blieb bis heute ein Rätsel. * Ren Dhark suchte die Medostation auf. Noch während des Rück flugs hatte er die Anweisung erteilt, daß Amy Stewart dort vorstellig werden sollte. Immerhin war sie mehrfach angeschossen worden. Sie trug nur noch ihren Slip, während Manu Tschobe, der Chef der Medostation, sie untersuchte. Dhark warf ihm einen etwas eifer süchtigen Blick zu – aber Tschobe betrachtete den attraktiven weib lichen Cyborg nur mit den Augen des Mediziners. Verblüfft sah er Amy ins Gesicht. »Sie sind wirklich angeschossen worden?« Sie nickte. »Aber die Sonde kann keine Kugel in Ihrem Körper entdecken, und Wunden sehe ich auch nicht.« Sie nickte wieder. »Sind Sie noch im Phant?«
Sie nickte zum dritten Mal, fügte aber jetzt hinzu: »Vorsichtshalber, Doktor Tschobe. Die Kugeln wurden bereits ausgeschieden und die Wundkanäle und Einschußöffnungen durch vom Phantvirus be schleunigtes Zellwachstum geschlossen. Ich werde noch dreieinhalb Stunden im Phant verbleiben und den Zustand dann aufheben.« »Das hat das Programmgehirn errechnet?« fragte der schwarze Mediziner. »Jetzt nicken Sie nicht dauernd, sondern sagen doch mal was, bitte!« »Habe ich doch bereits, und warum soll ich in Worte fassen, was ohnehin logisch ist?« Aus ihr klang Cyborg-Denken. Ren Dhark war nicht sicher, was er von der Sache halten sollte. Er sorgte sich um Amy, war aber zugleich auch beeindruckt. Daß die Fähigkeiten der neuesten Cyborggeneration, zu der sie gehörte, dermaßen weit gingen, fand er mehr als erstaunlich. Holger Alsop hätte aber auch das nicht geholfen, war ihm klar. Alsop, der jetzt in Orn Teil einer Sonne und damit des ganzen Kosmos geworden ist… »Du hast einen Tag Ruhepause«, sagte er. »Warum das?« wollte sie stirnrunzelnd wissen, während sie be gann, eine frische Uniform anzulegen, die in die Medostation ge bracht worden war. »Ich bin einsatzfähig…« »In meiner Eigenschaft als Kommandant ordne ich diese Pause an.« Dagegen gab es keinen Einwand. Nur Ren Dhark fragte sich selbst, ob er diese Anordnung auch ge troffen hätte, wenn sie einen der anderen Cyborgs betroffen hätte, oder ob es nur seine Sorge um und Zuneigung zu Amy Stewart war, die ihn so entscheiden ließ… * Anschließend beraumte er eine Lagebesprechung in der Zentrale an, bei der auch der Checkmaster, der geniale Bordrechner der POINT OF, direkt zugeschaltet war. Daß das klappte, dafür hatte
Anja Riker gesorgt, die sich als ausgewiesene Expertin in Wor gun-Supermathematik hier ein wenig fehl am Platz fühlte. Andere schienen das nicht so zu sehen. Vor allem die jungen Offi ziersanwärter, die er ebenfalls hinzubeordert hatte. Die Männer, die einen Teil ihrer Ausbildung an Bord des immer noch perfektesten Ringraumers absolvierten, schielten immer wieder mal zur Galerie hoch, wo Anja an einem der Kontrollpulte stand und sich sichtlich langweilte. Wie üblich trug sie keine Borduniform, sondern Jeans und einen ihrer geliebten Pullover, die alle wenigstens eine Nummer zu eng waren. Dhark schmunzelte. Warum sollten die Jungs nicht ihren Spaß haben? Vorausgesetzt, es blieb beim Anschauen, und sie konnten ihre Finger bei sich behalten. Da verstand die attraktive Chefma thematikerin des Ringraumers absolut keinen Spaß. Vor einem Jahr hatte ein Fähnrich in die Medostation gebracht werden müssen, weil er Anja mehr mit den Händen als mit den Augen betrachten wollte… Danach hatte er auf eine Beschwerde vorsichtshalber verzichtet, aber dringend um seine Versetzung auf eines der regulären Ausbil dungsschiffe der terranischen Flotte gebeten… Dhark umriß mit wenigen Worten, was sie in der Bunkeranlage der Kurrgen im Fels erlebt hatten. »Was schlagen Sie vor, Herrschaften?« fragte er anschließend und sah aufmerksam in die Runde. Gerade bei einigen der Fähnriche zuckte es regelrecht. Sie hatten durchaus Ideen, trauten sich aber nicht, die einfach so vorzubringen. Dahinter steckte zuviel Respekt vor den alten Hasen an Bord, vor ihrer Erfahrung – also hielt man sich erst einmal zurück, um nicht als vorlaut abgestempelt zu werden… Der kraushaarige Ahmad Azhari war es, der sich dann doch zu Wort meldete, als die Angehörigen der Stammbesatzung durch ihr Schweigen signalisierten, daß sie ebenso wie Dhark dem Nachwuchs eine Chance geben wollten. Bewährt euch oder fallt auf die Nase, hieß es immer, aber wenn ihr fallt, dann steht sofort wieder auf und geht das Problem von einer anderen Seite an!
Azhari, der bei seiner Rundumausbildung Tendenzen zeigte, trotz einiger Schwachpunkte einmal ein brauchbarer Pilot oder Navigator zu werden, hob die Hand. »Ich muß immer wieder an die Kurrgen denken, deren Raumschiff auf Babylon gestrandet ist«, sagte er. »Sie gehörten offenbar der an deren großen an dem Atomkrieg beteiligten Zivilisation an. Bevor wir uns noch einmal mit dem General auseinandersetzen, sollten wir erst Kontakt zu den anderen herstellen.« »Wie kommen Sie darauf, daß das nützlich wäre?« fragte Dan Ri ker. Azhari ließ sich nicht einschüchtern. »Wir sind doch hier, weil wir dem Peilstrahl des Goldenen gefolgt sind, oder irre ich mich da?« »Sie irren sich nicht«, bestätigte Dhark. »Unnötig, es extra zu er wähnen.« »Offenbar doch, Commander«, verteidigte der junge Offiziersan wärter sich. »Mister Riker fragte nach dem Nutzen eines weiterge henden Kontaktes, und ich bin gerade dabei, diesen Nutzen zu er läutern. Darf ich weitersprechen?« »Sie dürfen nicht – Sie sollen«, grinste Riker, wurde aber sofort wieder ernst. »Der Feind meines Feindes ist mein Freund«, sagte Azhari. Dharks Brauen senkten sich. »Solche Sprüche höre ich gar nicht gern, Ahmad«, verwarnte er den Fähnrich. »Das ist eine Schwarz weißmalerei, die zu leicht Vorurteile schüren kann. Vielleicht stehen uns die anderen Kurrgen ebenso negativ gegenüber wie die unseres wackeren Generals Noreg. Vielleicht rechnen auch sie damit, von unserer Technik zu profitieren und die anderen endlich doch noch vernichtend zu schlagen.« Azhari kroch etwas in sich zusammen. Riker wollte ihn aufmun tern, aber Fähnrich Haiko Häkkinen mischte sich ein. »Mit einer der beiden Parteien verbünden sollten wir uns auf keinen Fall. Aber im anderen Punkt hat Azhari recht – finde ich.« »Sprechen Sie weiter«, verlangte Dhark.
»Wir wissen bis jetzt noch nicht genau, wohin auf diesem Planeten der Peilstrahl zeigte, weil er vorher abbrach. Deshalb…« »Das ist irrelevant«, mischte sich der Checkmaster ein. »Die Rota tion des Planeten läßt eine genaue Zieldefinition des Peilstrahls nicht zu. Lediglich eine Breitengradbestimmung wäre möglich und sinn voll.« Dhark nickte bedächtig. Häkkinen ließ sich vom Einwurf des Checkmasters nicht beirren. »Da uns dieser Peilstrahl eben nur das System und den Planeten der Kurrgen zeigte, werden wir suchen müssen, wo die anderen sich versteckt halten. Ich denke, es war Zufall, daß wir gleich zu Anfang auf dieses Bergmassiv mit dem unterirdischen Großbunker gestoßen sind.« »Es war eine gezielte Suche, Freundchen«, sagte Mike Doraner, der stellvertretend für die anderen Flashpiloten an der Besprechung teilnahm. »Das dürfte doch jedem noch in Erinnerung sein.« »Hat sich eigentlich noch keiner von Ihnen die Frage gestellt, weshalb der Peilstrahl des Goldenen uns hierher verwies?« fragte Dhark. »Wir haben ihn geortet, unsere Zelte auf Babylon abgebro chen und sind hierher geflogen. Warum? Was will uns der Goldene zeigen? Ich kann mir nicht vorstellen, daß es nur etwas mit dem abgestürzten Kurrgen-Raumer zu tun hat. Das war ein zu unbedeu tender Vorfall, wenn man es mal aus der Perspektive der einstigen Herren Babylons sieht. Da war unsere Inbesitznahme des Planeten vor einigen Jahren schon wesentlich wichtiger, ebenso der Krieg gegen die Grakos. Was aus ein paar Schiffbrüchigen wird, die die Welt nicht mehr verlassen können, ist aus der Sicht eines steuernden Rechners unbedeutend, da die Anzahl der Überlebenden zu gering ist. Es muß also hinter dieser Wegweisung noch etwas anderes ste cken.« »Du denkst hoffentlich nicht an so eine Aktion wie damals, als wir dem Ruf des Signalsterns in Raumtiefen folgten und auf der anderen Seite der Galaxis Drakhon entdeckten«, seufzte Dan Riker. »Ren, ein
solches Abenteuer reicht mir. Mein Bedarf an anderen Galaxien ist vorerst gedeckt.« »Dan, ich glaube, wir werden noch viele Dinge finden, die wir uns jetzt nicht mal im Traum vorstellen können, und die möglicherweise noch großartiger sind als Drakhon oder Orn«, lächelte Dhark. »Selbst was die Hinterlassenschaften der Worgun in unserer Galaxis angeht, haben wir erst einen Bruchteil dessen angekratzt, was es noch zu finden gibt.« »Und du meinst, unser jetziger Weg führt uns zu einem weiteren Kratzer?« Der Commander der POINT OF zuckte mit den Schultern. »Der Peilstrahl allein ist mir zu vage«, sagte er. »Da wir nicht wis sen, was auf diesem Planeten er uns zeigen soll, werden wir danach suchen müssen. Also werden wir zusehen, daß wir die Kurrgen-Welt möglichst rasch kartographieren. Und vor allem möglichst gründ lich! Hat jemand Einwände oder bessere Vorschläge?« Allgemeines Kopf schütteln war die Antwort. Auch der Check master äußerte sich nicht weiter dazu. Er schwieg sich auch aus, als Ren Dhark anfragte, ob ein Hintergrund der Peilstrahl-Wegweisung zu errechnen sei. »Na, dann wollen wir mal«, beschloß er endlich. »Jeder auf seine Station. Einsatzbefehle ergehen in Kürze.«
10.
Die Flotte der Greys flog von Stern zu Stern – und die HAMBURG blieb ihr unter Tarnschutz ständig auf den Fersen. Die Prozedur war immer die gleiche. Sobald Elizondos Astronomen mit großer Si cherheit das voraussichtliche nächste Ziel der Greys errechnet hat ten, transitierte der Kugelraumer dorthin, verbarg sich im Sonnen orbit und wartete auf die Ankunft der Flotte. Und nachdem sie vorübergezogen war: The same procedure… Während der unterschiedlich langen Wartezeiten ging es auf der HAMBURG hoch her – die »Faulenzerei« war nur ein Ausnahmefall gewesen. Drei Tage hatte jeder nur seinen normalen Dienst zu ver richten brauchen und ansonsten den lieben Gott einen guten Mann sein lassen dürfen. Jetzt mußte man wieder damit rechnen, rund um die Uhr beschäftigt zu werden, abgesehen von den notwendigen Schlafpausen. Elizondo und Musaschi stellten Übungspläne auf, die es in sich hatten. Nicht einmal sich selbst verschonten sie – beide nahmen an sämtlichen Manövern höchstpersönlich teil. Sogar Kenneth MacCormack beteiligte sich manchmal an den fiktiven Kämpfen gegen erfundene Gegner, um in Form zu bleiben. Zu den drei Zügen der Schwarzen Garde kamen zwei weitere hinzu, die von der Schiffsbesatzung gebildet wurden. Natürlich konnte nicht jedes Besatzungsmitglied an allen Übungen teilnehmen, denn es gab an Bord zahlreiche Posten, die durchgehend besetzt werden mußten, insbesondere im medizinischen Bereich und an den Kontrollen. Doch dank eines ausgeklügelten Schichtplans kam fast jeder mal an die Reihe, der eine mehr, der andere weniger. Sergeant Kesey sah die Manöver als willkommene Gelegenheiten, der Enge des Maschinenraums zu entfliehen. Wann immer es sich ergab, ließ er sich auf die Liste setzen. Bei seinen Kameraden galt er
deshalb als Streber mit Karriereambitionen. Derlei Hänseleien prall ten jedoch an seinem dicken Fell ab. »Ich betrachte die HAMBURG halt als fliegendes Hotel«, sagte er mit einem Augenzwinkern. »Die Betten sind zwar etwas hart, dafür aber stimmt die Verpflegung. Und das abwechslungsreiche Unter haltungsprogramm ist kaum noch zu überbieten.« Nachdem Mannschaft und Garde bei mehreren Manövern auf dem Übungsdeck ausreichend bewiesen hatten, daß ihre Züge Hand in Hand arbeiten konnten, steigerte MacCormack den Schwierigkeits grad. Er ordnete an, gemischte Züge aufzustellen, bestehend aus Besatzungsmitgliedern und Gardeangehörigen. Den Oberbefehl über alle fünf Züge übernahmen Musaschi und Elizondo gemein sam. Beide vertrugen sich mittlerweile recht gut. Von nun an wurde ein stetiges Bäumchen-wechsel-dich-Spiel praktiziert. MacCormack schien seinen Spaß daran zu haben, die Züge immer wieder neu zu besetzen. Sogar die Zugführer tauschte er aus, wenn er es für richtig hielt. Doch mit Spaß hatte das alles nichts zu tun. Es war ihm sehr wich tig, daß jeder mal mit jedem zusammenkam. Im Ernstfall konnte man sich schließlich auch nicht aussuchen, mit wem man Seite an Seite kämpfte. Bevor es mit dem nächsten Manöver losging, bereitete man sich erst einmal auf die bevorstehende Ankunft der Grey-Flotte vor. * Jeder nahm seinen gewohnten Posten ein, als sich die schildkrö tenpanzerförmigen Schiffe aus der Ferne näherten – wie gewohnt mit Überlichtgeschwindigkeit im unteren Bereich. Inzwischen befand sich die HAMBURG 150 Lichtjahre vom Gerrck-System entfernt. Alle bisher angeflogenen Sterne hatten keine bewohnten Planeten aufweisen können. Zu Begegnungen mit ande ren Raumschiffen war es bisher auch noch nicht gekommen. Offen
bar bevorzugten die Greys ruhige Milchstraßenregionen. Eventuell hatten sie ein ganz bestimmtes Reiseziel im Auge, an das sie sich mit aller Vorsicht heranpirschten. Oder sie waren Weltraumpiraten auf der Suche nach leichter Beute. Vielleicht hielten sie Ausschau nach schlecht gesicherten Planeten und einzelnen Raumschiffen mit unzureichender Bewaffnung. Die achtzehn Schiffe leiteten an der Sonne eine leichte Kursände rung ein und jagten dann mit frischem Schwung wie vom Katapult abgeschossen davon. Schon bald hatte die astronomische Abteilung errechnet, welches Nachbarsystem sie aller Voraussicht nach als nächstes »besuchen« würden. »Die Sternkarten weisen es als Walim-System aus. Es gehört zum Interessengebiet der Utaren, das von Terra respektiert wird. Was genau die blauen Zwerge dort verloren haben, hat nie jemand über prüft. Laut unseren Unterlagen haben sie angefangen, den vierten Planeten, auf dem Lebensbedingungen wie auf der Erde herrschen, zu kolonisieren. Dabei legen sie jedoch keine besonders große Eile an den Tag. Unseren Informationen zufolge leben augenblicklich nur ein paar Hundert Utaren auf Spug, wie sie den Planeten offiziell benannt haben.« Kapitän Elizondo schaltete sein Vipho ab und zog nachdenklich die Stirn kraus. Spug gehörte den Utaren nicht erst seit gestern. Warum hatten sie nicht längst einen größeren Teil ihrer Bevölkerung nach hier gebracht? Waren die Bedingungen dort doch nicht so ideal, wie sie ursprünglich geglaubt hatten? Hector Elizondo kam ein schrecklicher Gedanke: Vielleicht setzten die Utaren auf Spug unliebsame Personen aus. Politische Quertrei ber. Oder Schwerverbrecher. Nur kurz dachte er daran, den Planeten aus Sicherheitsgründen zu meiden. Die Utaren auf Spug hatten ein Recht darauf, zu erfahren, daß eine unbekannte Flotte in ihr System eindrang, damit sie sich nötigenfalls in Sicherheit bringen konnten. Zwar hatten die Greys bisher noch
niemanden angegriffen, aber das hatte nicht viel zu besagen – au ßerhalb des Gerrck-Systems waren sie noch auf keinen bewohnten Planeten gestoßen. Grah hatten sie vielleicht nur deshalb ungescho ren gelassen, weil der Heimatplanet der Grakos, beschützt von einer Ringraumerflotte, die sofort Präsenz gezeigt hatte, ein zu fetter Bro cken für sie gewesen wäre. Hingegen war ein Überfall auf eine Handvoll argloser Siedler weniger risikoreich. »Kurs auf Spug«, ordnete der Major an. »Bevor wir wieder in Warteposition gehen, werden wir die Utaren warnen und ihnen unsere Hilfe anbieten.« Damit war das geplante nächste Manöver bis auf weiteres aufge schoben. Die meisten der dafür eingeteilten Soldaten nahmen diese Nachricht voller Erleichterung auf. Die Transition ins Walim-System wurde eingeleitet… * Obwohl Spug bewohnt war, konnte die Ortung der HAMBURG keine Raumschiffe im System ausmachen. Offenbar nahmen es die Utaren mit der Überwachung nicht so genau. »Ganz schön leichtsinnig«, meinte Kapitän Elizondo kopfschüt telnd. Er brachte die HAMBURG möglichst nahe an den Planeten heran und setzte kurz hintereinander mehrere UKW-Sprüche an die Uta ren ab. Um ihnen zu zeigen, daß die Terraner in friedlicher Absicht kamen, setzte er in Abstimmung mit MacCormack den Tarnschutz außer Kraft. Eine Weile schien es, als würden die Funksprüche nirgends ein treffen, denn die Bewohner von Spug hüllten sich in Schweigen. Erst nachdem Elizondo es erneut versuchte, kam eine Antwort. »Ihr seid hier unerwünscht, Terraner. Wir untersagen euch die Landung auf unserem Planeten. Kehrt um und fliegt wieder nach Hause.«
»Das war deutlich«, sagte MacCormack, der im Sessel neben Eli zondos Kommandostuhl saß – ein Anblick, der bis vor kurzem noch undenkbar gewesen wäre. »Genausogut hätten sie sagen können: Verpißt euch!« »Derlei Ausdrücke übersetzen unsere Translatoren erst gar nicht«, behauptete der Erste Offizier, der seinen Sessel extra für den Oberstleutnant von der Garde geräumt hatte. Die Ortungsabteilung peilte den Ausgangspunkt der Sendung an. Das Gebiet war schnell ausgemacht und wurde auf den Bildschirm geholt. »Donnerwetter!« entfuhr es Elizondo. »So etwas hätte ich den kleinen Kerlchen gar nicht zugetraut.« Auch die übrigen Offiziere auf der Kommandobrücke staunten. Offensichtlich hatten die Utaren inmitten der unberührten Land schaft eine mächtige Stadt errichtet, von beeindruckender Größe und hypermodern. »Das sehen wir uns näher an«, entschied MacCormack. Der Kapitän war dagegen. »Spug ist ein international anerkannter Hoheitsbereich der Utaren. Wir dürfen ihre Rechte nicht verletzen. Wenn sie uns hier nicht haben wollen, ziehen wir halt unseres We ges.« »Interessiert es Sie denn gar nicht, warum sie uns hier nicht haben wollen? Die Utaren und die Terraner sind nicht miteinander ver feindet, es gibt daher keinen Grund, uns derart schroff zu behandeln. Es sei denn, man hat etwas zu verbergen.« »Wollen Sie einen politischen Konflikt heraufbeschwören, Herr Oberstleutnant?« »Selbstverständlich nicht, Herr Major. Ich möchte den Utaren le diglich meine Hilfe anbieten.« »Die sie aber nicht wollen.« »Weil sie bisher noch nicht wissen, in welcher Gefahr sie schweben. Wir landen und berichten ihnen von der herannahenden fremden Flotte.«
»Das können wir ihnen ebensogut über Funk mitteilen.« Die kleine Auseinandersetzung fing allmählich an, lauter zu wer den. War dies das abrupte Ende wochenlanger friedlicher Zusam menarbeit? Hector Elizondo hoffte auf einen Karrieresprung, der ihn von der HAMBURG wegbringen würde. Wenn er auf dieser Reise aber für politischen Zündstoff sorgte, der die diplomatischen Beziehungen zwischen Terra und Esmaladan einfrieren ließ, brauchte er an andere Schiffe gar keinen Gedanken mehr zu verschwenden – man würde ihn auf dem maroden alten Pott versauern lassen. Kenneth MacCormack hingegen betrachtete sich nicht als Karrie rist, sondern in erster Linie als Wissenschaftler und Forscher. Farn ham hatte ihm einen Forschungsauftrag erteilt. Wo stand denn ge schrieben, daß sich dieser Auftrag ausschließlich auf die Greys be zog? Ein kleines Abweichen vom üblichen Weg lag sicherlich mit drin. Zwei Männer – zwei Meinungen. Der eine führte Terras brillan teste Elitetruppe an – der andere hatte nur die Befehlsgewalt über dieses Schiff. Ein dritter Mann brachte die beiden Streitenden wieder zusammen: Jack Ornelas, Zweiter Offizier an Bord. Zu seinem Zuständigkeits bereich gehörten auch Funk und Ortung. »Dies ist keine von Utaren errichtete Stadt«, teilte er seinem Kapi tän nach Auswertung der Daten mit. »Wenn das Neubauten sind, bin ich ab heute Commander des Universums. Die Stadt ist wesent lich älter. Im übrigen wohnt dort niemand, es hält sich nur ein ge ringer Teil der Planetenbewohner dort auf. Die meisten Utaren be finden sich am Stadtrand, wo sie sich häuslich eingerichtet haben.« MacCormack und Elizondo schauten sich an. »Ein Forschungslager«, lautete MacCormacks Vermutung, die Elizondo mit einem Nicken bestätigte. »Wie es aussieht, haben die Utaren ihren Anspruch auf Spug nur aus einem einzigen Grund angemeldet«, konstatierte der Oberst
leutnant. »Sie entdeckten Spuren einer verschollenen Zivilisation und wollen nun aus ihrem Fund neue archäologische und technische Erkenntnisse gewinnen – ohne ihr Wissen mit jemandem teilen zu müssen.« »Ganz schön unsozial von ihnen«, entgegnete Elizondo. »Heißt das, Sie sind jetzt mit der Landung auf Spug einverstan den?« fragte ihn MacCormack. »Es könnte zumindest nichts schaden, mal einen Blick in die Stadt zu werfen«, antwortete der Kapitän. »Was auch immer es dort zu entdecken gibt, es gehört den Utaren nicht allein. Hinterlassen schaften von fremden Völkern sind so eine Art, äh, Weltallkulturer be, das uns allen zugänglich gemacht werden muß.« »Und warum gehört Commander Dhark dann die POINT OF, Sir?« erwiderte Ornelas grinsend. Sein Vorgesetzter blieb ihm die Antwort nicht schuldig. »Ren Dhark setzte seinen historischen Fund zur Rettung zweier Galaxien ein und mehr. Wir alle schulden ihm unser Leben, deshalb wurde ihm das Schiff geschenkt. Andernfalls wäre es selbstverständlich Allgemeingut.« »Heißt das, jeder in der Milchstraße dürfte dann damit fliegen?« hakte der Zweite im Scherz nach. »Auch die Rateken?« Der Major seufzte und gab Landebefehl. Im Grunde genommen war ihm die Stadt herzlich egal. Aber falls es dort unten irgendwel che historischen Schätze oder technischen Errungenschaften »abzu sahnen« gab, wollte er mit dabeisein. Vor seinem inneren Auge sah er sich bereits als »strahlenden Helden« mit vollen Laderäumen nach Terra zurückkehren – wo er Marschall Bulton als erstes sein Verset zungsgesuch auf den Tisch knallen würde. * »Achtung! Achtung! Ich rufe das Schiff der Terraner! Drehen Sie sofort um! Sie verletzen die Grenzen des utarischen Reiches! Wenn
Sie nicht sofort den Landevorgang abbrechen, werden wir Sie mit unseren schweren Geschützen vom Himmel holen!« Auf der HAMBURG reagierte niemand auf die Funksprüche der Utaren. Man hatte die Bildgeber abgeschaltet und hielt lediglich die akusti schen Kanäle offen – natürlich nur in eine Richtung, damit die Uta ren nicht verstehen konnten, was auf der Brücke gesprochen wurde. »Die Kerlchen blasen sich ganz schön auf«, sagte Kapitän Elizondo. »Sie verfügen über gar keine schweren Geschütze, und mit ihren leichten Waffen werden sie es kaum wagen, einen Vierhundertme terraumer anzugreifen.« »Möglicherweise haben sie noch ein As im Ärmel«, unkte der Erste Offizier. »Beispielsweise einen ihrer Pyramidenraumer, bewaffnet bis unter die Dachspitze.« Elizondo ließ sich nicht beirren. »Gäbe es hier irgendwo Raum schiffe, hätten unsere Ortungsgeräte sie längst ausgemacht. Ornelas läßt sich nicht so schnell austricksen, und dank Berneck ist unsere Beobachtungstechnik nahezu unfehlbar. Er ist ein Genius auf seinem Gebiet. Mit ihm habe ich einen guten Griff getan.« »Wo wir gerade von einem As im Ärmel reden«, sagte er zu MacCormack. »Sind Ihre Züge einsatzbereit? Die Utaren werden versu chen, uns nach der Landung am Aussteigen zu hindern. Zu ihrem Pech haben sie keine Ahnung von der Geheimwaffe, die wir an Bord mitführen: die Schwarze Garde.« »Achtung! Achtung!« ertönte es erneut aus den Funklautsprechern. »Kommandant des terranischen Schiffes, dies ist unsere letzte War nung! Wenn Sie nicht sofort umkehren, werden Sie es bereuen.« * Ungeachtet aller Drohungen landete die HAMBURG in der Nähe des Forschungslagers. Zahlreiche metergroße, blaue Utaren im bun ten Arbeitsdreß umzingelten das Raumschiff. Sie waren mit Kara binern und sonstigen Handfeuerwaffen ausgestattet.
Auf der HAMBURG öffneten sich mit einem Schlag alle Ausgänge. Und dann war der sprichwörtliche Bär los! Selbst aus den Notaus stiegen stürmten bewaffnete Soldaten – ein nahezu unendlicher Strom, der nicht abzubrechen schien. Drei Züge der Schwarzen Garde bahnten sich schwerbewaffnet ihren Weg nach draußen, begleitet von vereinzelten, zweibeinigen Großserienrobotern, welche an Bord normalerweise die Drecksar beiten verrichteten, aber jederzeit zu Kampfmaschinen umprog rammiert werden konnten. Zwei weitere, von der Besatzung der HAMBURG gebildete Züge folgten. Auch die Utaren verfügten über einige Arbeitsroboter. Die taten allerdings das, wofür man sie hierher transportiert hatte: sie arbei teten – auf den Ausgrabungsfeldern rund um die Stadt und inner halb der Stadt selbst. Eben noch hatten die Utaren die HAMBURG umzingelt – jetzt hatte die HAMBURG (beziehungsweise deren Besatzung) sie ein gekreist. Man ließ den »kleinen Blauen« nicht die geringste Chance zur Gegenwehr. Kompanieführer Hauptmann Akira Musaschi sollte als erster mit den Utaren sprechen und sie beruhigen, so hatten es MacCormack und Elizondo beschlossen. Doch kaum hatte der Japaner seinen Translator aktiviert, trat einer der Utaren, der schon ein wenig betagt wirkte, auf ihn zu und blickte ihm fest in die Augen – von unten nach oben. »Mein Name ist Bo Borundo, ich bin der Kommandant unserer Forschungstruppe. Sagen Sie Ihren Männern, Sie sollen die Waffen niederlegen und sich ergeben, Terraner!« verlangte er unmißver ständlich. »Steigen Sie unbewaffnet in Ihr Schiff, und kommen Sie nie wieder – dann lassen wir Sie am Leben!« Verdammt, wir haben zu hoch gepokert! dachte Ike Olsen, der in vor derster Reihe des dritten Zuges stand. Auch MacCormack hatte plötzlich das Gefühl, in einen Hinterhalt gelockt worden zu sein. Wie hatte er nur so leichtsinnig sein können?
11.
Wenig später startete die POINT OF. Sie ging in eine niedrige Pol-zu-Pol-Umlaufbahn, die leicht versetzt war, so daß der Ring raumer über kurz oder lang die gesamte Oberfläche des Planeten mit seinen Ortungen erfassen konnte. Zusätzlich wurden sämtliche Flash ausgeschleust, um weitere Messungen anzustellen. Besonders vorsichtig mußten sie dabei nicht vorgehen. Sie hatten in General Noregs Festung einen ungefähren Einblick in das techni sche Niveau erhalten, auf dem sich die Nachkommen derer befan den, die damals den Atomkrieg überlebt hatten. Falls es denen überhaupt möglich war, die Flugobjekte zu orten – was zu bezwei feln war –, würden sie sie kaum ernsthaft bedrohen können. Der gesamte Luftraum des Planeten gehörte den Terranern. »Adler und Maulwürfe«, ordnete der Zweite Offizier Leon Bebir sie ein, als er seine Schicht antrat und das Kommando über den Ringraumer übernahm. Rund einen Tag dauerte es, bis die Adler den gesamten Planeten kartographiert und die erfaßten Daten verarbeitet hatten. Dann wußten sie, wo die Maulwürfe steckten… * Auf zwei großen Kontinenten fanden sie die Spuren ausgelöschter Großstädte. Der Atomkrieg, der hier vor 400 Jahren geführt wurde, mußte furchtbar gewesen sein. Es war so viel Radioaktivität freige setzt worden, daß der gesamte Planet verseucht wurde. Die krieg führenden Parteien mußten Superbomben benutzt haben, deren Strahlung vom Wind über den ganzen Planeten getrieben wurde und auch in den entlegensten Gegenden dafür gesorgt hatte, daß alles höher organisierte Leben abstarb. Wenige Tier- und Insekten arten waren mutiert, hatten sich der Strahlung angepaßt, die auch
heute noch überall letale Werte zeigte. Auch die Flora hatte sich über die Jahrhunderte extrem verändert. Vergleiche abgestorbener Pflanzen mit im Wachstum befindlichen lieferten den Beweis dafür. Schon beim Anflug auf den Planeten hatten sie intelligentes Leben vom All aus nicht mehr feststellen können. Wenn überhaupt etwas, dann fanden sie überall nur Ruinen. Auch jetzt, bei der intensiveren und gezielteren Suche; seit dem »Bunkerfund« wußten sie immerhin, wonach sie Ausschau halten mußten. Die POINT OF überflog gerade wieder einmal die dem Bunker im Berg gegenüberliegende Halbkugel des Planeten, als die Energieortung plötzlich Aktivitäten feststellte. Tino Grappa, Chef der Ortung und der Legende nach mit seinen Instrumenten verheiratet, ging der Sache sofort auf den Grund. Er schaltete spezielle Filter dazwischen, um bessere Werte zu erhalten, und ließ die Resultate vom Checkmaster durchrechnen. »Diese Aktivitäten kommen allerdings aus einem küstennahen Bereich eines Meeres, Dhark«, unterrichtete er den Commander des Ringraumers. »Damit haben wir bisher nicht gerechnet. Deshalb ist uns die Anlage auch bei den ersten Umkreisungen entgangen. Dazu kommt, daß wie in Noregs Bunker die Energie nicht ständig freige setzt wird, sondern nur in bestimmten Intervallen.« »Aus dem Meer?« überlegte Dhark. »Das heißt, daß es einen akti ven Stützpunkt unter Wasser gibt?« »So sieht’s aus«, bekräftigte Grappa. »Hier, die Koordinaten! Wir hatten das Glück, gerade zum richtigen Moment in der Nähe zu sein. Tausend Kilometer weiter hätten wir wahrscheinlich nichts bemerkt. Die Energieleistung der Konverter, die da unten regelmäßig ein- und ausgeschaltet werden, ist sehr gering, oder sie schaffen es, die Emis sionen so abzuschirmen, daß sie eher durch einen Zufall angepeilt werden können denn durch eine systematische Suche.« »Hm«, brummte Dhark.
»Unter Wasser«, sann Dan Riker. »Wenn wir Pech haben, ist es ein vorgeschobener Posten der Noreg-Kurrgen, dessen Besatzung dar auf wartet, hier ein bißchen Krieg spielen zu dürfen.« Daran wollte Dhark nicht glauben. »Sie müßten in Verbindung miteinander stehen, und das hätten wir gemerkt.« »Bist du sicher?« »Ganz sicher, Dan«, sagte Dhark. Er hielt diese Anlage eher für ein Gegenstück zum Bunker auf der anderen Seite des Planeten. Aber warum war sie auf den Meeresboden verlegt worden? Wasser schützte sicher nicht so gut wie Fels. Trotzdem gab es dort unten Leben, wie die energetische Aktivität verriet. Oder – gab es dort nur noch Maschinen, die stur nach ihrem Programm handelten, obwohl es ihre Erbauer längst nicht mehr gab? So lange, bis sie aus Materialermüdung irgendwann zerfielen? »Hier stimmt etwas nicht«, murmelte er leise. »Aber was?« Es blieb ihnen nichts übrig, als es sich näher anzuschauen. * Dhark wollte weitere Auseinandersetzungen vermeiden. Der Är ger mit Noreg reichte ihm völlig. Das mußte sich hier nicht wieder holen. Deshalb wurde die Gegend zunächst aus dem Weltall einge hend erkundet. Die POINT OF verlangsamte und schwebte über der Küstenlandschaft. Etwas tiefer bewegten sich die Flash, hielten sich aber möglichst in der Deckung von Wolken. Dhark hatte diese Anordnung aus einem Gefühl heraus getroffen. Warum, konnte er nicht sagen. Aber er hatte gelernt, seinen Gefühlen zu vertrauen. Schon bald darauf wußte er, daß die Entscheidung, sich »unsich tbar« zu machen, richtig gewesen war. Denn hier war plötzlich alles anders! Die Flash sendeten ihre Beobachtungen an die POINT OF.
Dort, wo das Meeresufer der energetischen Aktivität am nächsten war, gab es Leben, nur war dieses Leben nicht pflanzlich oder tie risch, sondern durchaus intelligent! »Ich fasse es nicht«, stieß Leon Bebir hervor und beugte sich vor, als könne er dadurch besser sehen, was die Bildkugel über dem In strumentenpult zeigte. Sie gab wieder, was die Flash als Filmse quenzen zur POINT OF sendeten. »Das sind ja Menschen… nein, Kurrgen«, verbesserte er sich sofort. »Kurrgen, die an der Oberfläche leben und keine Schutzanzüge brauchen…« Waren sie Umweltangepaßte, deren Metabolismus sich an die Strahlung gewöhnt hatte? Oder…? »Grappa«, rief Dhark dem Mailänder hinter seinen Ortungen zu, aber er brauchte nicht zu fragen. Grappa wußte auch so, was der Commander wollte. »Strahlung wie überall auf dem Planeten, mit kleinen Abwei chungen vom Durchschnitt, nur sind die so unbedeutend, daß sie sich auf die vierte Stelle hinterm Komma reduzieren.« »Also letale Werte wie auch auf der anderen Seite?« »Wie überall auf dem Planeten, ja! Sagte ich doch!« Grappa klang etwas mürrisch, weil der Commander ihm offenbar nicht glauben wollte. »Soll ich Ihnen die Daten überspielen?« »Nicht nötig, Tino. Danke.« Die Männer in der Zentrale sahen völlig überrascht in der Bildku gel, was sie auf diesem Planeten nie zu sehen erwartet hatten. Es gab eine große Bucht, in welcher ein weitgehend natürlicher Hafen angelegt worden war. Lange, breite Landungsstege ragten weit ins tiefere Wasser hinaus. Das Ufer war nicht abgemauert; wenn der Wasserstand durch Gezeitenwechsel stieg, mußte die ganze Umgebung geflutet werden. Riker zerstreute die Befürchtung seines Freundes. »Die Gezeiten sind hier kaum spürbar, der Pegel steigt und fällt gerade mal um einen Meter. Das ist bei dieser abgeschrägten Uferlinie unbedeutend.
Wer den Hafen angelegt hat, brauchte sich nicht viel Mühe zu ma chen.« In der Hafennähe schien es eine Art mittelalterliche Siedlung zu geben. Niedrige Holzbauten, breite Wege dazwischen, aber auch schmale, düstere Gassen und offenbar eine fehlende Kanalisation. Abfälle lagen vor den Häusern auf der Straße und zeigten an, daß die hiesigen Kurrgen ein recht normales Leben führten – orientiert an mittelalterlichen Standards. Dhark widmete sich intensiv dem kleinen Ort und dem Hafen. Sogar Bootsverkehr mit Segelschiffen war zu sehen. Und ihre Be satzungen gaben sich ebenfalls ungeschützt der Strahlung preis! »Unglaublich, daß wir das nicht schon früher bemerkt haben«, sagte Dhark kopfschüttelnd. »Ob es das ist, worauf wir mit dem Peilstrahl aufmerksam gemacht werden sollten?« »Was meinst du damit?« »Resistenz gegen r-Strahlung«, sagte Dhark. »Diese Kurrgen dürf ten theoretisch doch überhaupt nicht leben, oder? Vielleicht hat es hier einen Volksstamm gegeben, der einen natürlichen Widerstand oder eine größere Anpassungsfähigkeit besaß, so daß diese Wesen auch ohne Schutzmaßnahmen an der Oberfläche überleben konn ten.« Anja Riker, die von ihrem Platz am Checkmaster aus das Gespräch mitbekam, tippte eine Anfrage in die Tastatur des Bordgehirns. Au genblicke später erschien die Antwort auf einem kleinen Anzeige schirm. Vorliegende Informationen reichen nicht für eine Bewertung aus. »Dann werden wir mal dafür sorgen, daß wir mehr Informationen bekommen«, sagte Dhark. Riker sah ihn an. »Was hast du vor?« »Mit einer kleinen Kommandoeinheit landen und uns vor Ort umsehen«, beschloß er. Er beugte sich zu dem Feldmikrofon der Bord Verständigung vor. »Ich benötige Freiwillige für einen Sonder einsatz«, sagte er. »Folgende Qualifikationen sind erwünscht…«
*
Dieser Wunsch schränkte die Menge der Freiwilligen schon mal ein. Wie erwartet, hätten sich sonst fast alle an Bord gemeldet – ein schließlich Amy Stewart, deren vom Kommandanten verordneter freier Tag nun vorüber war. »Wir lassen uns von den Flash so weit außerhalb der Ortschaft absetzen, daß niemand die Maschinen sieht. Das Kommando wird Waffen bekommen, die aber nicht offen, sondern in Taschen und Rucksäcken zu tragen sind«, ordnete Dhark an. »Wir sind nicht auf Konfrontation aus, sondern wollen Kontakt, nicht mehr und nicht weniger. Wenn wir äußerlich unbewaffnet aussehen, werden die hiesigen Kurrgen sicher eher Vertrauen schöpfen. Zumindest wer den sie uns nicht sofort als Feinde einstufen. Und da sie die Flash nicht sehen werden, können sie auch dahingehend gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen.« »Hoffentlich funktioniert es so, wie Sie sich das vorstellen, Dhark«, unkte Bebir. »Warum nicht? Natürlich werden wir ohne Hochtechnologie nicht auskommen, aber wir verstecken sie eben vor direkter Sicht. Daß wir auch jetzt wieder Schwerkraftneutralisatoren am Mann haben, wird niemandem auffallen, weil wir die unter der Kleidung tragen.« »Und die Strahlung?« fragte Riker. »Hast du die vergessen?« »Nein. Wir werden leichte Schutzanzüge brauchen.« »Und die tragen wir auch unter unserer Kleidung, wie? Du stellst dir das alles etwas zu einfach vor, Ren«, kritisierte Dan. »Das ist der einzige Knackpunkt.« Dhark verzog das Gesicht. »Natürlich werden wir die Schutzanzüge über der Kleidung tragen müssen, anders ist es ja nicht möglich.« »Und die geschlossenen Helme?« »Bleiben geschlossen. Wenn wir auf die Kurrgen stoßen, wird mir schon eine Erklärung dafür einfallen.«
»Dir? Nein, mein Lieber.« Riker legte seinem Freund die Hand auf die Schulter. »Diesmal bleibe ich nicht in der Etappe. Diesmal gehe ich mit raus, und du sitzt dir in der Zentrale Schwielen an den ana tomischen Südpol! Ich hab’ längst genug von der Sorte gesammelt.« »Du…« »Ich diskutiere nicht darüber«, sagte Riker hart. »Diesmal nicht, Ren, und wenn du tausendmal der Kommandant bist. Ich habe jah relang immer wieder zurückgesteckt. Jetzt will ich auch mal nach vorn. Warum sollte ich sonst an Bord sein? Nur um mich auf Sitz wache zu langweilen? Nein, Ren. Dieses Kommando führe ich an. Erinnerst du dich an die Zeit, als wir noch kleine Leutnants der So laren Flotte und dann der GALAXIS waren? Damals haben wir uns auch immer abgewechselt, wenn es darum ging, Raumhafenkneipen zu erobern und trockenzulegen. Als du Commander der Planeten wurdest, war das alles vorbei. Du warst immer vorneweg und ich hintendran. Wahrscheinlich deshalb bist du kein Commander der Planeten mehr, sondern nur noch Privatier und Commander der POINT OF! Du kannst nicht delegieren, glaubst immer alles selbst machen zu müssen.« »Und jetzt willst du hier die Seehafenkneipe erobern und trocken legen?« Ren lachte leise, als er das in diesem Moment etwas ver blüffte Gesicht seines Freundes sah. Er verstand Dan ja nur zu gut. Der wollte auch mal etwas erleben. »Einverstanden«, sagte er deshalb knapp. Riker stutzte. »So schnell gibst du nach?« »Im Alter wird man weiser und ruhiger«, grinste der Commander. »Dann sieh mal zu, daß du Informationen einholst. Wen nimmst du mit?« »Mich«, rief Anja vom Checkmaster her. »Kommt gar nicht in die Tüte!« widersprach Dan. »Du bleibst schön brav an Bord.« »Ich denke ja gar nicht daran!«
»Aber ich«, versetzte Dan. »Wer soll sonst die Forschungen in der W-Mathematik weiter voranbringen, wenn nicht du? Wer soll unse ren Checkmaster so richtig schön austricksen, wenn nicht du? Anja, wir sind doch alle froh, daß du deine Lehrverpflichtungen auf Terra aufgegeben hast und wieder bei uns an Bord bist.« »Geschwätz«, winkte sie ab. »Nein, Anja, meine ehrliche Meinung. Du wirst gebraucht. Und zwar hier, nicht da unten auf dem Planeten. Ich schwöre dir, daß ich auch keinem Kurrgen-Mädchen schöne Augen machen werde…« »Dummer Hund«, seufzte sie. »Ich protestiere trotzdem gegen diese Zurücksetzung.« »Zur Kenntnis genommen, Chefmathematikerin Riker«, schnarrte ihr Mann. »Wen du nicht mitnimmst, haben wir nun geklärt«, stellte Ren fest. »Kommen wir zu den Leuten, die mit von der Partie sein werden.« »Percival Brack«, begann Riker und hatte mit diesem einen der drei Cyborgs der brandneuen G-Serie benannt. Percival »Val« Brack war ebenso wie seine beiden Kollegen zur Weltraumausbildung zur POINT OF abkommandiert worden, wie auch die Fähnriche, von denen Riker Haiko Häkkinen aufrief. Außerdem Leutnant Hornig und schließlich Artus. Diese Entscheidung löste bei Dhark Stirnrunzeln aus. Er wußte, daß Riker dem Roboter nicht ganz unkritisch gegenüberstand. Aber Ren sagte nichts dazu. Er hatte seinem Freund freie Hand gegeben. Da konnte und wollte er dessen Auswahl nicht in Frage stellen, auch wenn er sich fragte, weshalb Dan den Roboter mitnahm. Zumal der sich durch sein martialisches Aussehen ja wirklich von jedem Kurr gen unterschied und damit genau das tat, was eigentlich vermieden werden sollte: auf eine fraglos vorhandene Hochtechnologie hin weisen! Sie ließen sich Zeit. Über den Küstenstreifen war die Nacht he reingebrochen. Die warteten sie ab, weil sie in der Dunkelheit ohne hin nichts ausrichten konnten. Aber die mutierte Natur würde ihnen
aus der Nachtschwärze heraus weit mehr zu schaffen machen als bei Tage. Erst als der Morgen graute, setzten fünf Flash Riker und seine vier Begleiter außerhalb der Siedlung ab und kehrten dann sofort zu den Depots in der POINT OF zurück. Obgleich sie sich nur kurze Zeit draußen aufgehalten hatten, haftete ihnen bereits Radioaktivität an. Die zylindrischen, zweisitzigen Flugkörper mußten dekontaminiert werden, ehe ihre Piloten aussteigen konnten. * Die kleine Gruppe bewegte sich durch eine trostlose Felslandschaft auf die Siedlung am Horizont zu. Einige Kilometer Fußmarsch durch teilweise sehr unwegsames Gelände waren zurückzulegen. Riker, Häkkinen und Hornig drehten die Abgabeleistung ihrer Schwerk raftneutralisatoren etwas höher, so daß etwas weniger als Erd schwerkraft auf ihnen lastete. Das erleichterte den langen Gepäck marsch genügend. Dem Cyborg und Artus machte die doppelte Schwerkraft des Planeten nichts aus. Der Roboter trug wie alle anderen einen Rucksack mit einem Mul tikarabiner auf den Rücken geschnallt und einen Beutel mit einem Schockstrahler an der »Hüfte«, im Gegensatz zu den anderen aber keinen Schutzanzug. Den brauchte er nicht. Seine Hülle war, wie er Dan Riker erklärte, aus einem strahlungs hemmenden Material gefertigt, das ähnlich wie Blei wirkte. Ra dioaktive Partikel konnten sich zwar anheften, aber die Hülle nicht durchdringen und damit auch nicht die Programmgehirne in seinem Kopf schädigen. Riker fragte sich, was die Kurrgen zum Aussehen des Maschi nenmenschen sagen würden, dessen tonnenförmiger Oberkörper auf einem Modul saß, das die Beine steuerte, und dessen Kopf eher ei nem metallenen Totenschädel glich.
Wenn ihre Zivilisation sich auf einem entsprechend niedrigen Ni veau befand, würden sie ihn vielleicht sogar für einen Dämon halten. Aber Riker glaubte nicht daran. Er hielt die primitive Bauweise der Hafenansiedlung für Tarnung. Damit gaukelten die strahlungsre sistenten Kurrgen etwaigen Besuchern vor, daß sie sich auf dem kulturellen und technischen Stand des Mittelalters befanden. Noch ahnte er nicht, welche Überraschung da tatsächlich auf ihn wartete… Das Gelände war nur wenig bewachsen. Hier und da gab es kleine Büsche und Hechten. Die Pflanzen besaßen kein wirklich einheitli ches Aussehen, obgleich sie im Grundtypus der gleichen Pflanzen familie angehörten. Die Strahlung hatte im Lauf der Zeit für ent sprechende Mutationen gesorgt. »Keine Tiere«, murmelte Leutnant Hornig über Helmfunk. »Keine Insekten…« »Also auch keine Stechmücken, nach denen Sie schlagen müßten«, witzelte Riker. Hornig verdrehte die Augen. »Die könnten doch eh nicht durch das Schutzanzugmaterial stechen! Sie haben manchmal verrückte Ideen, Oberst…« Der grinste. Natürlich hielten die Anzüge sogar Skorpionstichen stand. Dabei waren sie aus hauchdünnem Material gefertigt, das nur wenig auf trug. Die Worgun hatten mit diesen Anzügen kleine Meisterstücke geschaffen. Längst zählten sie zur Standardausrüstung der terrani schen Flotte, seit man im Industriedom von Deluge auf dem Planeten Hope einen Maschinensatz gefunden hatte, der die weltraumtaug lichen Anzüge als Massenprodukt herstellte, nachdem er erst einmal ans Laufen gebracht worden war. Ursprünglich hatten Dhark und seine Gefährten diese filmdünnen Anzüge in der Ringraumerhöhle gefunden, als sie die damals noch nicht fertiggestellte POINT OF entdeckten und die fehlenden Maschinensätze einbauten.
Wo in den Anzügen sich Sauerstoff- und Stromversorgung befan den, war ein Rätsel. Die Gürtel waren entschieden zu flach, selbst wenn man Folienspeicher für die Energie in Betracht zog und die Atemluft dermaßen komprimierte, daß eine Sauerstoffpatrone bei spontaner Entladung zur Kältebombe wurde, die im Umkreis von einem halben Kilometer alles in Froststarre versetzte. Irgendwo hat ten auch die Speichermöglichkeiten ihre Grenzen. Die Klarsichthelme ließen sich einfach lösen und wie Kapuzen zurückschlagen, wo sie sich dann automatisch zusammenfalteten. Nanotechnik sorgte dafür, daß das Material sich »erinnerte«, wie es gefaltet zu liegen hatte. »Langweilige Gegend«, maulte Leutnant Hornig gerade wieder. Im nächsten Moment war von Langeweile nichts mehr zu spüren. Plötzlich waren sie da…! * »Vorsicht!« schrie Riker. Aus den kargen Felsspalten kamen sie hervor und griffen die Gruppe sofort an. Vielleicht hatten sie die Terraner schon einige Zeit verfolgt und beobachtet, denn sie verschmolzen bis zur Unkenn tlichkeit mit der Umgebung. Erst jetzt, da sie angriffen, wurden sie einigermaßen sichtbar. Chamäleoneffekt! durchzuckte es Riker. Es waren riesige Würmer; zumindest sahen sie auf den ersten Blick so aus. Etwa einen Meter lang waren ihre Körper, und die Köpfe bestanden fast vollständig aus riesigen Mäulern, die einen Men schenkopf in einem Stück verschlucken konnten. Sie waren von scharfen Zähnen gerahmt. Von mehreren Seiten zugleich kamen sie heran, bewegten sich dabei mit wilden Sprüngen, bei denen sie ihren Körper zusammen zogen und wieder ausdehnten. Unglaublich schnell waren sie. Nicht
einmal der Cyborg schaffte es, schnell genug an seine Waffen zu kommen. Die Biester stürzten sich auf Artus, der die Vorhut der kleinen Gruppe bildete. Der Roboter setzte auf mechanische Kraft zur Ab wehr. Mit gezielten Tritten schleuderte er sie meterweit davon, aber sie gaben nicht auf, griffen ihn sofort wieder an. Da zerquetschte er einige von ihnen unter seinen Metallfüßen, stampfte sie nieder. Eine grünlichbraune Flüssigkeit spritzte aus den Körpern hervor, und wo sie den Felsboden traf, zischte und brodelte es; Dämpfe stiegen auf. Ein organischer Brei von übelkeitserregendem Aussehen quoll aus aufgerissenen Körperstellen. Prompt übergab sich Leutnant Hornig. Wenigstens war er schlau genug, dafür nicht den Helm zu öffnen. Er nahm es in Kauf, mit der stinkenden Brühe im Helm zu leben, die allmählich durch das Halsanschlußstück weiter ins Innere des An zugs zu sickern begann. Immerhin wurde er so nicht von der Strah lung erwischt. Nachdem Artus den fünften Wurm zertreten hatte, verschwanden die übrigen wieder in den Felsspalten. »Verdammt«, keuchte Hornig klebrig und war bemüht, nicht noch einmal zur Stätte des Massakers zu schauen, damit ihm nicht gleich schon wieder übel wurde, »mußte das sein, Artus? Hättest du sie nicht einfach beschäftigen können, bis wir unsere Waffen hervorge holt hätten? Das hätte sicher keine so große Sauerei gegeben.« Er atmete schwer. Die Lufterneuerung in seinem W-Anzug arbei tete und begann den Gestank seines Auswurfs zu neutralisieren. »Es bestand die Gefahr, daß die Würmer sich leichteren Gegnern zugewandt hätten – nämlich euch Menschen«, erklärte Artus sein radikales Tun. »Und zwar sehr schnell. So aber waren sie mit mir beschäftigt. Das war besser.« Dan Riker betrachtete die Stellen, wo die grünlichbraune Flüssig keit verdampft war. Sie hatte tatsächlich Löcher in den steinigen Boden gebrannt.
»Blut, das hochgradig säurehaltig ist«, stellte er fest. »Himmel, was muß das für ein Organismus sein, der das selbst aushält? Jetzt wundert mich, daß diese Wesen sich überhaupt zertreten ließen. Sie müßten doch viel zäher und schwerer zerstörbar sein.« »Das müßte ich in der POINT OF untersuchen können«, sagte Fähnrich Häkkinen. Riker sah ihn überrascht an. »In meiner Freizeit beschäftige ich mich mit Exobiologie«, erklärte Häkkinen. »Und ich weiß, daß die Medostation der POINT OF über die Möglichkeiten verfügt, derlei Untersuchungen durchzuführen.« Riker räusperte sich. »Ich bin mir nicht sicher, ob das in diesem Fall wirklich sinnvoll ist. Diese lieben Tierchen dürften keine wirklich große Rolle spielen. Also kein Grund, einen dieser Hobbits in die POINT OF zu bringen und die Reste vor der Untersuchung um ständlich zu entstrahlen.« »Hobbits?« fragte der Fähnrich stirnrunzelnd. »Wie kommen Sie ausgerechnet auf diese Bezeichnung? Wie Tolkiens Hobbits sehen die ja nun wirklich nicht aus.« »Aber sie sind ebenso verfressen, was die eine wie die andere Spe zies gleichermaßen präzise beschreibt. Beide tun wohl für eine reichhaltige Mahlzeit alles. Immerhin hatten sie uns offenbar auf ihre Speisekarte gesetzt.« Unterdessen kauerte Häkkinen sich neben einem der zerquetschten Hobbits nieder. Hornig, der das aus den Augenwinkeln sah, begann schon wieder zu würgen. Er verstand nicht, daß die anderen keinen solchen Ekel verspürten wie er, und er bewunderte den Fähnrich, der sich jetzt intensiv mit der ekelhaften Masse beschäftigte. »Ich gehe schon mal ein Stück vor, wenn’s recht ist«, sagte er, »und löse Artus für eine Weile an der Spitze ab.« »Genehmigt«, sagte Riker. Hornig entfernte sich. Für ihn war es besser, wenn er aus der Nähe der Kadaver verschwand. Die überlebenden Hobbitwürmer würden ihn sicher nicht angreifen. Sie hatten mit Artus schlechte Erfahrun
gen gemacht und waren nicht daran interessiert, eine weitere solche Niederlage zu kassieren. * Haiko Häkkinen brauchte nicht lange, um die Reste der Würmer zu untersuchen. Ohne die Hilfsmittel der POINT OF kam auch nicht sehr viel dabei heraus. »Strahlungsmutanten«, sagte er schließlich. »Wie auch alle anderen Tierarten, die wir bisher gesehen haben, nur war von denen keine so aggressiv, uns anzugreifen.« »Wir sehen etwas anders aus als die Kurrgen«, sagte Val Brack, der Cyborg. »Deshalb passen wir nicht in das Beuteschema dieser Vie cher.« »Das hat andere Tiere auf anderen Planeten nicht gestört«, warf Riker ein, der sich an einige entsprechende Erlebnisse erinnerte. Die schienen nie etwas davon gehört zu haben, daß Terraner nicht zu ihrer üblichen Beute gehörten, sondern sahen nur das nahrhafte Fleisch. Häkkinen setzte gleich noch eins drauf. »Diese Zähne sind scharf und die Muskeln in dem Schnappmaul stark genug, um wie eine Stahlbügelfalle zuzuschlagen. Wenn die sich nicht mit Artus be schäftigt hätten, sondern mit uns, wäre es ihnen ein leichtes gewe sen, mit ihren Zähnen unsere Schutzanzüge zu durchschlagen. Ich bin sicher«, fügte er hinzu, »daß grundsätzlich alles Leben auf dieser Welt geschädigt ist.« »Außer es hatte die Chance, sich in Bunkern zu verkriechen und darin die Jahrhunderte zu überdauern«, vermutete Riker. Sie sahen sich an. »Wir gehen weiter«, entschied der Oberst a.D. *
Die Gruppe marschierte weiter auf die Siedlung am Meer zu. Ein weiterer Angriff der Hobbitwürmer erfolgte nicht. Riker nahm an, daß die Tiere jetzt auch hinter ihnen zurückblieben. Die Landschaft wurde um so weniger felsig, je näher das Meeresufer kam, und diese gefräßigen Chamäleoniden fanden kaum noch Möglichkeiten, sich zu tarnen. Statt dessen wurden hin und wieder andere, kleinere Tiere von den Schritten der Männer und des Roboters aufgeschreckt und suchten das Weite. Immer wieder sah Fähnrich Häkkinen ihnen sehnsüchtig nach; zu gern hätte er einige von ihnen auf dem Labortisch der POINT OF gehabt. Er ging völlig in seinem Element auf, berichtete von seinen privaten Forschungen, wo immer sich eine Gelegenheit bot. Mehr und mehr kam Riker zu der Ansicht, daß der Mann als Raumerpilot vielleicht entschieden unterfordert war. Häkkinen ge hörte in die Labore eines Forschungsraumers! Auf der einen Seite war er glücklich, an diesem Bodeneinsatz teil nehmen zu können, um sein Wissen zu erweitern, auf der anderen Seite aber unglücklich, weil er es nicht genügend erweitern konnte, zumindest für seine Begriffe. Riker beschloß, eine entsprechende Empfehlung an das Ober kommando der terranischen Flotte zu schreiben. Wenn die zeitweise Abordnung junger Offiziersanwärter zur Schulung in der POINT OF etwas Gutes hatte, dann, daß sie hier eher ihren Fähigkeiten und Interessengebieten entsprechend gefördert werden konnten als im Massenbetrieb TF. Je näher sie der Ansiedlung kamen, desto mehr hatten die Men schen das Gefühl, über einen 400 Jahre alten Schrottplatz zu gehen. Die Bilder, welche die Flash am vergangenen Abend in die POINT OF gesendet hatten, zeigten nicht das ganze Ausmaß des Unheils, sondern hatten sich auf die Ansiedlung und den Hafen direkt be schränkt. Hier stieß die Gruppe auf eine Straße – oder das, was vor Jahr hunderten einmal eine Straße gewesen war. Hier und da stachen die
Reste von Lichtmasten wie überdimensionale Strohhalme in die Höhe, verrostet und vom Verfall gezeichnet. Leutnant Hornig, der sich an einen dieser Masten lehnte, um auf die anderen zu warten, wäre beinahe gestürzt, als der Mast unter dem leichten Druck seines Körpers plötzlich zerbröckelte. Was auf den Boden prallte, zerbrach in unzählige Einzelteile und zerfiel teilweise zu Staub. »Was der Atomkrieg nicht geschafft hat, schafft unser Leutnant«, grinste Riker. »Lassen Sie wenigstens die Häuser heil, wenn wir nachher in der Siedlung sind.« »Aye, Sir«, brummte Hornig verdrossen, dessen Klarsichthelm immer noch angetrocknete Spuren seines Mageninhalts zeigte. Der Mann sah sich vom Pech regelrecht verfolgt und bedauerte schon, sich freiwillig für diesen Einsatz gemeldet zu haben. Beim nächsten Mal würde er sicher etwas zurückhaltender sein. Nach irdischen Maßstäben war dies eine vierspurige Ausfallstraße gewesen, mit breiten Fußgängerwegen rechts und links, aber die waren mittlerweile völlig von Flechten und harten, stacheligen Grä sern überwuchert. Im Straßenbelag zeigten sich große Löcher mit weiter bröckelnden Rändern. In einigen hatte sich Regenwasser gesammelt, andere waren flach und trocken. Und dazwischen hatten sich Spuren in den Boden gefressen, die in wilden Kurven um die Superschlaglöcher herumführten und zeigten, daß diese Straße durchaus noch benutzt wurde. Aber sicher nicht von Autos, sondern eher von Karren, wel che von Kurrgen geschoben oder von Tieren gezogen wurden. Erstaunlicherweise gab es immer noch keine Insekten. Dabei hätten die doch am ehesten den Atomschlag überleben müssen. Statt dessen gab es kleine Flugreptile, die Chukawalla-Echsen ähn lich sahen, aber über Flughäute nach Art von Fledermäusen verfüg ten. Nur waren diese Flughäute nicht samtpelzig, sondern von fei nen Schuppen überzogen. Neugierig beobachteten die Flug-Chukawallas die Menschen, richteten sich sogar halb auf den Hinterläufen auf.
»Wie bei uns die Erdmännchen«, kommentierte Val Brack. »Eher wie junge Hunde, die darauf warten, daß wir ihnen ein paar Futterbrocken zuwerfen«, sagte Häkkinen. »Verrückte Misch form…« Riker wandte sich ab. Er marschierte weiter auf das Hafendorf zu. Im Vorfeld erhoben sich einige zerfallene technische Relikte. Ma schinen, die irgendwelche Tätigkeiten ausgeübt hatten, bis sie wegen Energiemangel ausgefallen waren oder ihre elektronischen Steue rungen durch die r-Strahlung irreparabel beschädigt und abge schaltet wurden. Sogar etwas, das wie ein Fahrzeug aussah, stand von Gestrüpp umwuchert neben der Straße. Ein Baum wuchs mitten hindurch. »Das Ding könnte mal ausgesehen haben wie unsere Straßenk reuzer der 50er und 60er Jahre im vorigen Jahrhundert«, sagte Riker. Gebäudereste aus Stein zeigten sich hier und da. Abgetragene, eingestürzte Dächer, leere Tür- und Fensteröffnungen. Bröckelnde Grundstücksmauern, eingerissene, niedergepreßte Zäune. Das waren die Überreste einer früheren Stadt. Man hatte sie aufgegeben, teilweise abgetragen, um das Material anderweitig zu verbauen, und so war näher am Wasser die jetzige Ansiedlung entstanden. Hier war der Krieg wohl nur vorbeigezogen. Offenbar war in die ser Gegend keine Atombombe eingeschlagen, hier hatte nur die weltweite Strahlung gewirkt. Immer näher kam die Gruppe der Siedlung. Und dann sahen sie den ersten leibhaftigen Kurrgen! * Hornig wurde schon wieder grün im Gesicht. Irgendwie schienen ihm der Planet und alles, was sich darauf befand, nicht zu bekom men. Aber diesmal schaffte er es, seinen Mageninhalt bei sich zu behalten.
Der Kurrge, der am Straßenrand zwischen Sträuchern halb ver steckt kauerte, sah die Fremden erschrocken an. Dann sprang er auf und hetzte in wilden Sprüngen davon. Und zwar auf drei Beinen! »Eine Mutation«, stieß Häkkinen hervor. »Offenbar sind sie hier doch nicht so resistent gegen Radioaktivität, wie wir dachten.« Langsam gingen sie weiter. Nach kurzer Zeit erreichten sie die Ansiedlung und traten ein. Es gab keine Wächter, keine Schutz mauer gegen räuberische Horden oder feindliche Heere, wie es auf der Erde in jener Epoche üblich gewesen war, die der entsprach, in welche die Kurrgen hier zurückgefallen waren. Sie erwarteten keine Überfälle auf die Siedlung. Hier herrschte Frieden – oder eine erheb liche Trägheit der Bewohner. Andere Kurrgen liefen ihnen über den Weg. Sie schienen sich nicht im geringsten über die Anwesenheit der Fremden in ihren seltsamen Anzügen zu wundern, allenfalls dem Roboter wichen sie etwas scheu aus. Der war mit seiner nur entfernt menschenähnlichen Konstruktion und seinem metallischen Glänzen doch etwas zu un heimlich für sie. So etwas hatten sie wohl noch nie gesehen. Aber als sie merkten, daß er sich völlig friedlich verhielt, verloren sie ihre Scheu. Die Kurrgen selbst unterschieden sich enorm voneinander. Da waren mehr als nur die normalen Unterschiede, wie sie bei allen Angehörigen einer bestimmten Spezies auftraten, so daß man die Individuen voneinander unterscheiden konnte. Hier gab es tiefgrei fende Veränderungen der Gene, die sich bei jedem anders auswirk ten. Von wegen resistent… Die wenigen Kurrgen, die vor Generationen den Krieg außerhalb der Bunker überlebt hatten, waren alle schwer von den Strahlungs folgen gezeichnet. Jeder wies andere Mutationen auf. Der Dreibeinige, den sie unterwegs aufgeschreckt hatten, war kei ne Ausnahme. Andere besaßen teilweise verkürzte Gliedmaßen,
Schwänze anstelle der Steißbeine, drei bis fünf Arme, andere hüpften auf einem Bein oder bewegten sich zwangsläufig im Krebsgang, weil ihre Füße quer an den Beinen saßen. Unproportional kleine und große Köpfe saßen auf überlangen Hälsen oder direkt auf dem Kör per, es gab unterschiedliche Ohren und Nasen, runde Mundöffnun gen, die ständig geöffnet waren, und verschieden viele Augen. Bei manchen der Geschöpfe lag die Haut stellenweise direkt auf den Knochen. Einer besaß zu den normalen Atmungsorganen Kiemen wie ein Fisch, einem anderen wuchsen Schwimmhäute zwischen den Fingern und Zehen. Bei einem weiteren lagen die Organe völlig frei in einem offenen Brustkorb. Etliche der Mutanten waren von nässenden oder sogar blutenden Geschwüren übersät. Diesmal reagierte Hornig fast normal. »Furchtbar«, raunte Val Brack, der trotz Umschaltung auf sein Zweites System Erschütterung über das Schicksal dieser Wesen empfand. »Wenn ich mir vorstelle, daß ein Atomkrieg auf der Erde ähnliche Folgen gezeigt hätte… das hat sich wohl keiner der dama ligen Politiker wirklich vorstellen können. Nur gut, daß sie trotzdem alle vernünftig geblieben sind und die atomaren Waffen nur zur Abschreckung verwendet haben!« Dan Riker nickte. »Wir selbst hätten dabei vielleicht sogar noch ein wenig Glück gehabt, weil wir zur ersten oder zweiten Generation danach gehören. Da wären die genetischen Veränderungen wohl noch nicht so weit fortgeschritten wie hier, wo die Strahlung vier Jahrhunderte lang wirken konnte.« Je mehr mutierte Kurrgen sie erlebten, desto erschreckender wurde für sie noch etwas anderes: Mindestens die Hälfte von ihnen war schwachsinnig. »Dieses ganze Szenario sollte man filmen und General Noreg vor führen«, knurrte Riker frustriert. »Vielleicht begreift er dann endlich, wie unsinnig es ist, den Krieg immer noch weiterführen zu wollen.«
Aber er zweifelte am Erfolg. Noreg und seine Anhänger waren Fanatiker, die samt all ihren Vorfahren immer in der Sicherheit eines Bunkers gelebt hatten. Sie würden die Aufnahmen als Fälschungen abtun und immer noch davon ausgehen, daß die Gegner von einst eine Bedrohung darstellten. Die Terraner hatten auf ihrem Weg ins Weltall schon viele Planeten gesehen, die entweder durch Angriffe aus dem Raum oder durch die Unvernunft ihrer Bewohner zerstört worden waren, vielfach auch durch atomare Gewalten. Auch über Hope war einst ein Strah lungsorkan hinweggezogen, hatte alles Leben ausgelöscht und sogar die Worgun gezwungen, den Planeten aufzugeben und damit das fantastische Höhlensystem, dieses Großlabor der beiden genialen Wissenschaftler Margun und Sola. Aber die Ruinen eines toten Planeten zu sehen war etwas anderes, als die überlebenden Opfer eines Atomkriegs direkt kennenzulernen. Riker spürte Übelkeit – und Haß. Haß auf jene, die für diesen Krieg verantwortlich waren. Sie waren seit Jahrhunderten tot, aber ihr unseliges Werk gab es immer noch… * Je weiter Riker und seine Begleiter in die Ansiedlung vordrangen, desto negativer wurde ihr Eindruck. Die Häuser waren zwar aus Stein erbaut, aber noch wesentlich primitiver, als die Bilder aus den Flash es hatten vermuten lassen. Man hatte die Steine nur grob zu sammengefügt und nicht einmal Mörtel verwendet. Aus der Nähe sah alles schlimm aus. In den holprigen Straßen lag jede Menge Unrat, den zu entfernen niemand sich bemüßigt fühlte. Wozu auch? Die Verfärbungen an den Sockeln der Häuser wiesen darauf hin, daß es häufig zu Über flutungen kam, aus welchem Grund auch immer; der Gezeiten Wechsel konnte dafür nicht verantwortlich sein. Jedenfalls über
nahm dann das Wasser die Rolle der Müllabfuhr und schwemmte die Abfälle fort. Oder verteilte sie noch weiträumiger… Riker und Brack betraten eines der Häuser. Teilnahmslos sahen die darin wohnenden Mutanten ihnen zu, wie sie sich einen Eindruck verschafften. Es gab wie außerhalb der Ortschaft in den Ruinen keine verschließbaren Fenster und Türen; es gab nur die Öffnungen, durch die jeder kommen und gehen konnte, wie es ihm gerade paßte. Die meisten der Häuser waren zweigeschossig, aber nicht immer führte eine Treppe auch nach oben. Die hatte man beim Bauen wohl einfach vergessen. Es gab rußgeschwärzte Feuerstellen, aber keine Rauch abzüge. Wenn hier die Herdfeuer brannten, mußte sich der Kü chenraum in eine qualmende Hölle verwandeln. Nicht gerade die gesündeste Umgebung für die Bewohner. Auch die »intelligenten« Mutanten waren wohl eher dumm. Sonst hätten sie bestimmt längst etwas getan, um diese unmöglichen Zu stände zu ändern und die Lebensqualität zu verbessern. Riker spürte Wut darüber in sich, obgleich sein Verstand ihm sagte, daß diese Wesen keine Schuld an ihrer Dummheit und Trägheit trugen. Es war wohl in ihren veränderten Genen verankert. Oder sie hatten es sich zur Lebensphilosophie gemacht, sich einzureden, daß es ja ohnehin niemals wieder so werden konnte wie vor dem Krieg, wozu also sich anstrengen, etwas unternehmen? Da waren ihm die komplett Schwachsinnigen sogar noch lieber. Die konstruierten ihre Scheinwelten um sich herum. Frustriert verließen die beiden Männer das Haus wieder, das sie besichtigt hatten. Immer häufiger näherten sich jetzt Mutanten den Terranern. Was sie sagten, konnte niemand verstehen. Die Mi ni-Translatoren steckten noch in den Rucksäcken und hätten erst herausgekramt werden müssen, aber auch Brack und Artus mit dem in ihren Programmgehirnen gespeicherten Wissen um die Kurr gensprache waren nicht in der Lage, die meist lallenden Laute zu übersetzen.
Das hier verwendete Idiom war wohl eine stark verstümmelte Version dessen, was im Bunker gesprochen wurde. Aber die Gesten waren eindeutig. Die Kurrgen, die zu den Terranern kamen, waren Bettler. Riker scheuchte sie mit unmißverständlichen Handbewegungen fort. Aber sie kamen immer wieder, und sie wurden immer mehr. For dernd streckten sie die Hände aus und redeten auf die Menschen ein. Was erwarteten sie? Einer zupfte an Hornigs Schutzanzug. Der Leutnant, ohnehin ge streßt, rastete aus. Schwungvoll holte er aus, um den Bettler nie derzuschlagen. Da schnellte die Hand des Cyborgs vor und fing die Bewegung ab, drückte den Arm des Leutnants nach unten. »Verzeihung, Sir«, sagte Brack. In Hornigs Augen funkelte es. Brack gehörte wie die anderen Fähnriche zu den Auszubildenden, stand also im Rang unter dem Leutnant. Aber dann wurde Hornig ruhig. Er entzog sich bedächtig dem Griff des Cyborgs. »Sie hatten recht, Fähnrich Brack«, murmelte er. »Tut mir leid. Aber irgendwie läuft mir heute alles verquer.« Inzwischen wurden sie von weiteren Bettlern umringt. Riker be gann um die Rucksäcke mit der Ausrüstung zu fürchten. Vor allem um die Waffen. »Du könntest dich nützlich machen, Artus«, sprach er den Roboter an. »Sorge dafür, daß wir in Ruhe gelassen werden. Langsam reicht’s mir nämlich.« Artus erledigte den Auftrag auf seine Weise. Mit seinem Aussehen den Kurrgen schon etwas unheimlich, drehte er seine Lautsprecher voll auf und gab einen langgezogenen, schauerlichen Brüllton von sich. Der Schalldruck ließ wahrhaftig einen Stein aus einer Haus wand poltern. Kreischend flüchteten die Mutanten. Diesmal kehrten sie nicht zurück.
»Danke«, sagte Riker und nickte dem Roboter zu. Jetzt hatten sie Ruhe vor den Bettlerhorden. * Mit dem Anlegen des Hafens hatten die Mutanten sich nicht sehr viel Mühe gegeben. Sie nutzten eine natürliche Uferformation aus. Hier gab es allerdings keinen Hinweis darauf, daß es zu Kriegszeiten einen besseren, moderneren Hafen gegeben haben könnte. Der jet zige schien sehr viel später angelegt worden zu sein. In seiner Ma chart und Materialqualität glich er der Siedlung. Einen wesentlich besseren Eindruck machten einige schmucke Dhaus, die an den Landestegen vor Anker lagen. Schlanke, schnell aussehende Segelboote mit dreieckigem Segel, wie sie auf der Erde auch heute noch von arabischen Seefahrern verwendet wurden. Aber wer hatte sie erbaut? Die hier ansässigen Mutanten sicher nicht. Zu solchen Leistungen waren sie überhaupt nicht mehr fähig. Es gab auch keine Werften in der Nähe. Das war Riker schon bei der Annäherung von einer Anhöhe aus aufgefallen. Wieder ein Rätsel mehr… Die Gruppe ging zum Hafen. Angesichts des unheimlichen Artus hielten die Mutanten respektvollen Abstand. Sein erschreckendes Gebrüll, mit dem er die Bettler verjagt hatte, steckte ihnen wohl noch in den Gliedern. Riker rechnete damit, an Bord der Dhaus einigermaßen normal aussehende Kurrgen zu sehen, vielleicht sogar mit Schutzanzügen bekleidet, um die radioaktive Strahlung fernzuhalten. Das waren dann wohl die Erbauer der Segler. Aber falls sie wirklich an Bord waren, zeigten sie sich nicht. Es gab auch sonst keinen Hinweis auf die Erbauer der Boote. Die Terraner sahen sich ein bißchen im Hafen um, aber alles, was sie sahen, waren
Schauerleute, die damit beschäftigt waren, eine der Dhaus zu entla den. Dafür zumindest waren die Mutanten zu gebrauchen. Sie schleppten über wackelige, schmale Planken große Kisten von Bord auf den annehmbar breiten Landesteg. Die Kisten, oben offen, landeten auf Flachwagen mit Rädern, die aus großen Holzscheiben bestanden. War einer dieser Flachwagen beladen, stemmten sich vier, fünf Mutanten dagegen und schoben ihn zum Ufer. Daß die Scheiben miserabel zentriert waren und die Flachwagen deshalb so eierten, daß die Kisten teilweise ins Rutschen kamen, störte nie manden. Nur ein etwas intelligenter aussehender Kurrge brüllte Anweisungen. Währenddessen wurde der nächste Wagen in Position gebracht und beladen. Plötzlich strauchelte ein Träger am Ende der Planke, und die Kiste, die er vor sich her schleppte, knallte auf den Lande steg und zerbarst. Ihr gesamter Inhalt verteilte sich über den Steg und teilweise ins Wasser. Es handelte sich um merkwürdig gestaltete Fische. Offenbar lebte die Stadt hauptsächlich von deren Fang. Der auf sichtführende Kurrge bekam einen Tobsuchtsanfall und trieb die anderen mit Fausthieben an. Hektisch begannen sie, die Fische einzusammeln und zusätzlich auf andere Kisten aufzupacken. »Die Fische scheinen recht wertvoll zu sein«, überlegte Häkkinen. »Sonst würde man sie nicht wieder einsammeln, sondern sie einfach ins Wasser fegen. Fehlt nur, daß sie gleich nach den Viechern tau chen, die ins Wasser gefallen sind.« Der Entladevorgang wurde endlich fortgesetzt. Da streckte Hornig den Arm aus und deutete aufs offene Meer. Von dort rauschte mit hoher Geschwindigkeit eine weitere Dhau heran. Sie sollte den Hafen nie erreichen…
12. »Sie sind frech, Bo Borundo! Frech und unverschämt!« Akira Musaschi blickte dem alten Utaren fest in die Augen – von oben nach unten, dann verzog er seine Mundwinkel zu einem brei ten Grinsen. »Und gerade das gefällt mir an Ihnen, Bo. Sie lassen sich nichts gefallen. Selbst in aussichtslosen Situationen zeigen Sie Ihrem Ge gner die Zähne.« »Heißt das, Sie starten gleich wieder ins All?« fragte der Utare hoffnungsvoll. »Wir sind Weltallreisende und legen hier lediglich eine Rast ein«, versprach ihm der Hauptmann, schränkte aber sogleich ein: »Eine Rast von unbestimmter Zeit.« »Sie nehmen mich nicht für voll«, sagte Bo Borundo resignierend. »Weil Sie größer sind als ich, glauben Sie, Sie könnten mit mir ums pringen, wie es Ihnen beliebt. Nur zu, trampeln Sie ruhig auf mir herum, ich bin es gewohnt.« Trampeln Sie ruhig auf mir herum gehörte üblicherweise nicht zum allgemeinen Sprachgebrauch auf Esmaladan. Zur besseren Ver ständlichkeit setzten die Translatoren mitunter Idiome der Sprecher in gebräuchliche Redewendungen der Zuhörenden um. »Jetzt klingen Sie aber gar nicht mehr wie das Raubtier, das ich gerade in Ihnen gesehen habe«, entgegnete Hauptmann Musaschi enttäuscht. »Wo ist plötzlich Ihr Stolz geblieben? Eben noch wollten Sie es mit einer ganzen Armee aufnehmen.« »Ich bluffe gern«, gestand der Utare kleinlaut ein. »Aber darin bin ich ziemlich gut, oder?« Rund um die HAMBURG entspannte sich die Situation. Eben noch hatte beinahe jeder seine Waffen auf jeden gerichtet – nun ließen sowohl die Utaren als auch die Terraner ihre Karabiner, Impuls
strahler, Paraschocker, Mi-Ras und Karabiner sinken. Dies war we der die Zeit noch der Ort für einen blutigen Kleinkrieg. »Ich schlage vor, wir fangen noch einmal von vorn an, großer Mann«, sagte Bo Borundo. »Herzlich willkommen auf Spug, An führer der Terraner. Unsere Regierungen pflegen diplomatische Beziehungen; das sollten wir uns hier, weit weg von unseren Hei matplaneten, zum Vorbild nehmen.« »Ein guter Vorschlag«, meinte der Japaner. »Aber bitte nennen Sie mich nicht großer Mann. Wie Sie unschwer vergleichen können, zähle ich unter meinesgleichen nicht unbedingt zu den Größten.« »Das mit dem ›großen Mann‹ bezog sich auf Ihre Persönlichkeit«, berichtigte der Utare im gleichen höflichen Tonfall. »Himmel, schleimt der sich ein«, flüsterte Hauptfeldwebel Nepo muk Berneck, Anführer des Zuges A, der von der Besatzung der HAMBURG gebildet wurde, Feldwebel Huck Sawyer, Führer des B-Zuges, zu. »Nebenbei bemerkt: Der Bursche trägt einen Frauen namen. Aus meinen Lehrbüchern weiß ich, daß die Sprecherin der ›Kleinen Weisheit‹ ebenfalls Bo heißt – Bo Bora, um genau zu sein.« »Und wenn schon«, erwiderte Huckleberry. »Auch auf der Erde werden einige Namen von Frauen und Männern gleichermaßen verwendet. Chris zum Beispiel bedeutet sowohl Christine als auch Christopher.« Berneck nickte. »So wird es wohl sein. Ich trau Bo Borundo nicht. Er ist eine starke Persönlichkeit, lenkt aber viel zu schnell ein.« »Er weiß eben, wann er verloren hat«, meinte Sawyer. »Einer wie der steckt Niederlagen nicht so einfach weg«, wider sprach Berneck. »Der Typ ist verschlagen bis zum Gehtnichtmehr. An dem werden wir noch unsere helle Freude haben.« Nachdem Musaschi das Eis zwischen den Parteien gebrochen hat te, stellte er Bo Borundo seinen Vorgesetzten Oberstleutnant Ken neth MacCormack sowie den Kapitän des Schiffes, Major Hector Elizondo, vor. Der Lagerkommandant wunderte sich, warum ihn der
Ranghöchste nicht zuerst begrüßt hatte; er schien sogar ein bißchen gekränkt zu sein. »Hauptmann Musaschi ist so etwas wie unser Fremdvölkerexper te«, erklärte ihm MacCormack glaubhaft – und meinte das auch so. Akira Musaschi war sozusagen seine Idealbesetzung für die Büh nenaufführung von »Kontakte herstellen zu fremden Völkern, ohne dabei ins Fettnäpfchen zu treten«. Den höflichen Asiaten brachte so schnell nichts aus er Ruhe, sogar auf direkte Beleidigungen reagierte er gelassen. Der Hauptmann verfügte zweifelsohne über ein gutes Einfühlungsvermögen. * In einer der Lagerbaracken fand eine Besprechung zwischen bei den Völkern statt. Es nahmen MacCormack, Elizondo, der Erste und der Zweite Offizier der HAMBURG, Musaschi, die Zugführer sowie zehn Utaren daran teil. Bo Borundo stellte klar, daß es sich bei den insgesamt 320 Lager bewohnern ausschließlich um Zivilisten handelte. Bewaffnet waren die Chemiker, Historiker, Archäologen, Techniker und Arbeiter an geblich nur zum Selbstschutz. Die Utaren am Konferenztisch waren laut eigenem Bekunden Wissenschaftler und Ingenieure; auch zwei Vorarbeiter waren mit darunter. Akira Musaschi hatte sein »Glücksschwert« bei sich, das er sich extra vom Schiff hatte holen lassen. Es lag auf seinem Schoß, einge wickelt in ein mit japanischen Schriftzeichen besticktes Tuch. Bo Borundo hielt das lange Paket für ein Gastgeschenk und war schon gespannt, wann man es ihm übergeben würde. »Natürlich wollen wir unsere Zufallsentdeckung mit keinem tei len«, rechtfertigte sich einer der Ingenieure, Te Tennak. »Das ist doch verständlich, oder? Ihr Terraner seid doch genauso auf euren eige nen Vorteil bedacht.«
»Wir beabsichtigen nicht, euch irgend etwas streitig zu machen«, versicherte ihm MacCormack. »Wir möchten uns hier lediglich ein wenig umschauen, zu Forschungszwecken. Außerdem wollen wir euch vor einer möglicherweise drohenden Gefahr warnen. Eine Flotte unbekannter Schiffe – wir nennen die Insassen ›Greys‹, haben sie aber noch nie zu Gesicht bekommen – fliegt ins Walim-System ein. Kann sein, daß sie es nur durchqueren wollen, wie schon viele Systeme zuvor. Vielleicht entschließen sie sich aber auch, Spug an zugreifen. Ihr seid nur wenige, und die Artefakte, die ihr inzwischen ausgegraben beziehungsweise aus der Stadt geholt habt, sind eine lohnende Beute.« »Ihr wißt über unsere Fundstücke Bescheid?« regte sich Bo Bo rundo auf. »Demnach seid ihr doch nur zum Spionieren hierherge kommen!« »Kein Grund zur Aufregung«, beruhigte ihn Hauptmann Musa schi. »Der Herr Oberstleutnant klopft nur ein bißchen auf den Busch. Ist doch logisch, daß ihr bei euren Nachforschungen so einiges ge funden habt, schließlich seid ihr schon lange genug hier. Im übrigen sind die besonders großen Zelte am Rande eures Lagers nicht zu übersehen – auch nicht die schwerbewaffneten Wachen davor. Man braucht nur eins und eins zusammenzuzählen.« »Das mit dem Zusammenzählen habe ich begriffen«, erwiderte Bo Borundo. »Doch warum schlägt Ihr Vorgesetzter ein Gebüsch?« »Ist nur so eine Redewendung«, ergriff wieder MacCormack das Wort. »Ich will gar nicht wissen, was ihr in den Zelten alles einlagert, geht mich ja auch nichts an. Aber wozu die Wachen davor? Wurden sie extra unsertwegen aufgestellt? Oder gibt es Diebe unter euch?« »Utaren bestehlen sich nicht gegenseitig«, behauptete Ho Hogan, ein Vorarbeiter. »Es ist wegen der Mott – primitive Waldlebewesen von fast drei Metern Größe. Sie kommen manchmal nachts in unser Lager, auf der Suche nach Nahrung. Wenn sie in die Zelte eindrin gen, zerstören sie wertvolles Material. Wer sich ihnen in den Weg stellt, sollte gut bewaffnet sein. Ein Paraschocker reicht nicht aus, die
Bestrahlung macht sie nur wütend. Denken Sie daran, wenn Sie ei nem Mott begegnen, Bewohner von Terra.« »Was hoffentlich nie der Fall sein wird«, warf Bo Borundo ein. »Meist überfallen die Mott unser Lager im Rudel, aber es gibt auch Einzelgänger unter ihnen, Ausgestoßene, die von der Herde ausge schlossen wurden. Erst kürzlich haben wir einen einzelnen Mott beim Überklettern der Umzäunung erwischt und mit Karabiner schüssen vertrieben. Er wird sicherlich wiederkommen.« Bo bemühte sich, einen furchtsamen Eindruck zu vermitteln, doch das kaufte ihm MacCormack nicht ab. Borundo wirkte auf ihn wie jemand, der schon viel erlebt und mitgemacht hatte, einer, den nichts, aber auch rein gar nichts mehr erschüttern konnte. Daß er ab und zu in die Rolle des weinerlichen, von seinem Umfeld ausge nutzten Versagers schlüpfte, war nichts weiter als ein Täuschungs manöver; damit wollte er seine Gegner in Sicherheit wiegen. Bo rundo, der offen zugab, daß er gern bluffte, war ein Meister im Tief stapeln. Man tat gut daran, ihn mit Vorsicht zu genießen. Mit stockender Stimme schilderte er den Terranern, wie man ihn vor langer Zeit auf Esmaladan regelrecht dazu genötigt hatte, die Leitung der Forschungsarbeiten auf Spug zu übernehmen. »Nicht einmal meine Mitarbeiter durfte ich mir selbst auswählen. Das hat die Große Weisheit für mich übernommen. Später brachte man uns alle mit einem Raumschiff hierher. Seitdem haben wir un seren Heimatplaneten nicht mehr gesehen. Unterstützung von außen erhalten wir keine, wir sind weitgehend auf uns selbst gestellt. Selbstverständlich geht es uns nicht schlecht. Wir verfügen über die technischen und biologischen Möglichkeiten, selbst Lebensmittel zu produzieren oder uns als Sammler und Jäger zu betätigen. Unsere Forschungsergebnisse schicken wir in sporadischen Abständen per Hyperfunk nach Esmaladan. Wenn man dort irgendwann der Mei nung ist, daß wir genügend Artefakte gesammelt und die Stadt ausreichend erforscht haben, wird man uns abholen. Leider haben
wir bisher noch nichts Gescheites gefunden. Somit bleibt uns vorerst nur das Heimweh.« Ich breche gleich in Tränen aus, dachte Musaschi. Auch er ließ ich von Borundos chamäleonhaften Stim mungs-Schwankungen nicht täuschen. Theoretisch konnte er die Wahrheit sagen – ebensogut konnte jedes seiner Worte pure Lüge sein. Stocherte er wirklich im Dunkeln, was die Erforschung der frem den Stadt anging? Oder verbarg er in den Zelten wichtige Funde von unschätzbarem Wert? Befehligte er tatsächlich eine Zivilistentruppe? Oder bestand seine Mannschaft überwiegend aus Soldaten? Die Art, wie einige von ihnen ihre Waffen hielten, sprach zumindest dafür. Umgekehrt traute auch Bo Borundo den Terranern nicht über den Weg. MacCormack hatte ihn vor der bevorstehenden Ankunft einer fremden Flotte gewarnt. Daraufhin ließ Bo erst einmal mit Hyper tastern den Raum absuchen. Das Ergebnis der Suche wurde ihm während der Konferenz von einem Ortungsmitarbeiter in die Baracke gebracht. »In deinen Berechnungen steckt ein gravierender Fehler«, hielt der Lagerkommandant seinem Untergebenen vor. »Die fremden Schiffe können unmöglich derart schnell sein.« »Sie können, glauben Sie mir«, mischte sich Kapitän Elizondo ein. »Eine logische Erklärung dafür haben wir allerdings noch nicht ge funden. Wenn Sie wollen, nehmen wir Sie alle mit an Bord der HAMBURG. Mit den achtzehn Schiffen können wir es unmöglich aufnehmen, deshalb wäre es am besten, wir bringen uns in Sicher heit.« »Ich muß nachdenken«, blockte der betagte Utare ab. »Wir verta gen unser Gespräch.« »Vertagen« lautete die Translator-Übersetzung. Gemeint war je doch eine kurze Unterbrechung, was die Terraner auch so verstan den.
»Wir haben nicht alle Zeit der Welt«, machte MacCormack seinen utarischen Gesprächspartnern ungeduldig klar. »Andererseits kann eine Gesprächspause nichts schaden. Wir werden die Zeit nutzen, um uns ein bißchen in der Stadt umzusehen.« »Das verbiete ich Ihnen!« brauste Bo Borundo auf – womit er wie der einen Ausschnitt von seinem wahren Gesicht zeigte. Als ihm dies bewußt wurde, verlegte er sich rasch aufs Bitten. »Wir können Ihnen leider nicht gestatten, sich unbeaufsichtigt in der Stadt aufzuhalten, das wäre viel zu gefährlich. Bitte haben Sie dafür Verständnis.« »Wir passen schon auf uns auf«, machte MacCormack ihm klar. »Drei unserer fünf Züge werden die Stadt in Augenschein nehmen, zwei sondieren die Umgebung rund ums Lager.« »Die Umgebung sondieren«, wiederholte Bo Borundo, als hätte er den Satz nicht richtig verstanden. »Ist das denn nötig?« »Unbedingt«, antwortete Musaschi an MacCormacks Stelle. »Ihre Truppe ist eine reine Arbeitsmannschaft. Demzufolge gibt es unter Ihnen niemanden, der sich professionell um die Geländesicherung kümmert. Das übernehmen jetzt wir, falls Sie einverstanden sind.« »Und falls ich nicht einverstanden bin?« entgegnete Bo Borundo. Musaschi lächelte. »Das war sicherlich eine rein rhetorische Frage, nicht wahr? Tun wir so, als wäre sie nie gestellt worden.« * Die Schiffe der Greys näherten sich unaufhaltsam, daher war für eine gründliche Erforschung der Stadt nicht genügend Zeit. Die drei Züge unter Leitung von Buck, Kaunas und Jaschin schwärmten am Stadtrand aus, um wenigstens einen oberflächlichen Eindruck zu gewinnen. Sie hatten strikten Befehl, sofort zum Schiff zurückzukehren, falls sie in Schwierigkeiten gerieten oder die Ver bindung abbrach. Die teils recht eigenartigen Gebäude waren mit Sicherheit nicht von Terranern errichtet worden, dafür waren sie zu fremdartig. Ex
trem fremdartig. Außerdem wäre ein Mensch von der Erde wohl niemand auf den aberwitzigen Gedanken gekommen, eine riesige Industrieanlage mitten in einem Wohngebiet zu errichten, bezie hungsweise Wohnhäuser direkt auf einem monströsen Industriege lände zu bauen. »Was war wohl zuerst da?« fragte Rossi seinen Zugführer, der neben ihm herging. »Schwer zu sagen«, antwortete Jannis Kaunas. »Man könnte mei nen, es sei beides gleichzeitig hochgezogen worden. Vielleicht sind die Häuser eine Art Arbeitersiedlung.« »Wie praktisch«, meinte der Sizilianer. »Vor dem Zubettgehen wirft man noch einen letzten Blick auf die Fabrik, in der man tagsü ber geschuftet hat, und dann geht man mit dem beruhigenden Ge fühl zu Bett, daß der Arbeitsplatz noch da ist. Was hier wohl her gestellt wurde?« »Um das herauszufinden, müßten wir in die stillgelegten Hallen hinein. Leider ist alles verschlossen – dafür haben vermutlich die Utaren gesorgt. Mal sehen, ob wir wenigstens auf ein offenstehendes Wohnhaus stoßen.« Gemessen an irdischen Verhältnissen waren die Straßen zwischen den Häusern und Industrieanlagen recht schmal. Zwar boten sie genügend Platz zum Gehen, und auch Schweber wären hier prob lemlos aneinander vorbeigekommen, dennoch fühlten sich die Männer irgendwie eingeengt. Eingeengt – und bespitzelt. Nur selten lief ihnen ein utarischer Arbeiter über den Weg, die Terraner mißtrauisch beäugend. Trotzdem wurden die Gardisten das Gefühl nicht los, aus den Häusern heraus fortwährend beo bachtet zu werden, wahrscheinlich von Utaren, die sich darin ver bargen. Hin und wieder schwebte ein utarischer Arbeitsroboter durch die Straßen. Sie hatten keine Beine und bewegten sich auf Prallfeldern. Die Anzahl ihrer beweglichen Arme richtete sich nach der Tätigkeit,
die sie jeweils zu verrichten hatten. Jeder Roboter war mit einem Handstrahler zur Selbstverteidigung ausgestattet. »Bewaffnete Arbeitsroboter?« wunderte sich Kaunas und zog die Stirn kraus. »In einer unbewohnten Stadt?« »Vielleicht ist sie gar nicht unbewohnt«, sagte der jüngere Cha roux. »Möglicherweise verbergen sich düstere Gestalten in der Ka nalisation – falls es hier überhaupt ein unterirdisches Kanalnetz gibt.« »Damit können wir uns jetzt nicht befassen«, erwiderte der Unte roffizier. »Konzentrieren wir uns lieber auf die Oberfläche. Es wäre sicherlich interessant, die Häuser zu inspizieren. Leider sind sie verschlossen.« »Um was wollen wir wetten, daß ich innerhalb der nächsten sieben Minuten auf eine offene Tür stoße?« fragte Rossi. »Falls nicht, schlagen wir ein Fenster ein«, schlug der ältere Cha roux vor, fügte aber einschränkend hinzu: »Vorausgesetzt, die Scheiben sind aus Glas. Genausogut könnten sie aus irgendeinem unzerstörbaren durchsichtigen Material bestehen. Selbst auf der guten alten Erde ist längst nicht mehr alles Glas, was wie Glas aus sieht.« * Auch Wladimir Jaschin überlegte, ob er eins der Wohnhäuser be treten sollte. Er befahl Nick Ganztler, die Türen jedes Gebäudes zu kontrollieren, an dem sie vorüberkamen. Vor einem mehrstöckigen Haus wurde Nick fündig. Allerdings sah es etwas anders aus als die übrigen, so als ob es noch nicht fertig gestellt war. Fensterscheiben fehlten gänzlich. »Wahrscheinlich befand sich das Haus noch im Bau, oder es wurde gerade von Grund auf renoviert, als die damaligen Bewohner die Stadt verließen«, vermutete der junge Gardist. »Das zeugt von einem überstürzten Aufbruch. Gehen wir hinein?«
»Was denn sonst?« erwiderte der Korporal brummig. Er ging voran. Nick und ein paar weitere Soldaten folgten ihm. Sie fanden sich in einer halbfertigen Eingangshalle wieder. Es gab mehrere Antigravschächte, die jedoch außer Funktion waren – wie auch sonst alles in dieser Stadt. Antoku Seiwa entdeckte eine aufwärtsführende Treppe. Genau genommen verdiente sie den Namen Treppe gar nicht, es handelte sich mehr um eine schmale, ziemlich steile Stiege. Wladimir schickte Ganztler hinauf. Der machte sich daran, Stufe für Stufe zu erklimmen, so vorsichtig wie möglich. Der Multikarabiner, der über seiner Schulter hing, machte die Sache nicht leichter, die Waffe schien ihn regelrecht nach hinten zu ziehen. Seine Hände tasteten nach einem Geländer, aber es existierte keines. In dieser Sekunde bebte das Gebäude. Die ganze Stadt wurde von einem Vibrieren erfaßt. Tief unter der Erde wurden mächtige Meiler hochgefahren. Der Gardist geriet auf der Treppe ins Schwanken, ausgerechnet kurz vor den letzten paar Stufen. Er konnte sich nirgends festhalten und stürzte rücklings die steile Stiege hinunter. * Einige Zeit zuvor: Kenneth MacCormack und Akira Musaschi waren im For schungslager zurückgeblieben. Getrennt voneinander schlenderten sie scheinbar ziellos an den lieblos errichteten Hütten und großen, bewachten Zelten vorbei. Dabei versuchten sie den Eindruck zu er wecken, sich nur mal ein bißchen die Beine zu vertreten, sich die Zeit zu vertreiben, bis Bo Borundo seine Entscheidung getroffen hatte. In Wahrheit hielten sie Augen und Ohren und auch alle sonstigen Sinne offen.
Die im Lager anwesenden Utaren begegneten ihnen voller Mißt rauen und achteten darauf, daß die Terraner nirgends hineingingen oder hineinschauten. Das umzäunte Lager war auf einer freien Fläche zwischen der Stadt und einem größeren Waldgebiet errichtet worden. Berneck und Sawyer durchstreiften mit ihren Zügen den Wald in der Nähe der Umzäunung, wobei sie ihre Aufmerksamkeit vor allem den Si cherheitseinrichtungen widmeten. »Im Fall eines Angriffs aus dem All wäre die Chance der Utaren gleich Null«, sagte der Ortungsspezialist der HAMBURG, mehr zu sich selbst als zu seinen ihn begleitenden Männern. »Wir müssen sie halt überzeugen, mit uns zu kommen«, entgeg nete Ike Olsen. »Notfalls mit Gewalt.« Berneck schüttelte den Kopf. »Dazu haben wir kein Recht. Wenn sie sich unbedingt dieser Gefahr aussetzen wollen, so ist das ihr freier Wille, und den dürfen wir ihnen nicht nehmen.« Inzwischen war MacCormack von der anderen Seite her an der Umzäunung eingetroffen. An einer Stelle wies sie frische Beschädi gungen auf. Offenbar hatte die Alarmvorrichtung versagt, denn der Oberstleutnant konnte weit und breit keine herannahenden Wachen entdecken. Auch sonst wirkte dieser Lagerabschnitt wie ausgestor ben. Die hier befindlichen Baracken standen leer. Wahrscheinlich be fanden sich die Bewohner derzeit in der Stadt oder auf einer der vielen Ausgrabungsstätten ringsum. MacCormack hätte sich die Ausgrabungen gern einmal näher angesehen. Leider lief ihm all mählich die Zeit davon… Er blickte in Richtung der HAMBURG, die in einiger Entfernung in voller »Pracht« und Größe auf ihrem Landeplatz in Lagernähe stand. Selbstverständlich wurden die Eingänge bewacht. Zudem waren an Bord alle Posten nach wie vor besetzt. Lediglich die Fußtruppe hatte das Schiff verlassen.
MacCormack vernahm ein Geräusch und drehte sich um. Er sah eine gebückte, massige Gestalt aus einer der Hütten kommen – eine Art aufrechtgehendes Tier. Als es den Menschen erblickte, richtete es sich angriffslustig zu voller Größe auf. Spitze Zähne, kurzes Fell, bestialischer Gestank… Obwohl MacCormack nur über eine unzulängliche Beschreibung der Mott ver fügte, wußte er sofort, daß er einen vor sich hatte. Einen jener ge fährlichen Einzelgänger, vor denen er gewarnt worden war. Kenneth war nur mit der Dienstwaffe ausgerüstet. Ein Blaster schuß hätte das fremde Wesen auf der Stelle zerrissen. Aber noch hatte es ihm nichts getan, nur laut Ho Hogans Aussage war der Mott ein blutrünstiges Ungeheuer. Vielleicht hatte der Vorarbeiter ja ge logen. MacCormack zögerte einen Augenblick zu lange, den Mott zu tö ten. Als er die Waffe ziehen wollte, warf sich das Ungeheuer mit einem gewaltigen Sprung auf ihn…
13.
»Die haben ja ein unwahrscheinliches Tempo drauf«, brummte Dan Riker. »Wenn sie nicht bald das Segel drehen oder wenigstens reffen, knallen sie aufs Ufer!« »Oder zwischen die anderen Boote«, ergänzte Hornig. »Das dürfte eine Menge Kleinholz geben. Wollen die ›Schiffe versenken‹ spielen, oder was?« In der Tat war das Tempo, mit dem das Boot vom offenen Meer auf den Eingang des Hafens zugefahren kam, viel zu hoch. Der Moment nahte, an dem jedes Bremsmanöver zu spät kam. Dann half nur noch abdrehen… falls der Wendekreis der Dhau klein genug dafür war. Die Gesetze der Physik ließen sich nun mal nicht betrügen. Und Wende- und Bremsmanöver, die mit einem Räderfahrzeug auf der Straße problemlos waren, wurden hier zu einem nervenaufreiben den Abenteuer, weil Haft- und Gleitreibung zwei völlig verschiede ne Dinge waren… Auf einmal hatte Riker das Gefühl, als sei die viel zu schnell an laufende Dhau vor etwas auf der Flucht! Aber wovor? Wer oder was bedrohte sie? Plötzlich schäumte das Wasser auf. Etwas kam aus der Tiefe em porgeschossen, etwas Unglaubliches, das eigentlich nur aus See mansgarn gesponnen sein sollte. Aber es war wirklich existent. Ein Meeresungeheuer! Es war riesig, hatte eine Länge von mindestens zwanzig Metern. Die Flossen waren wie Raubtierpranken geformt. Das gewaltige Maul war allemal groß genug, einen Flash mit einem einzigen Zu schnappen zu verschlingen. Und es war noch schneller als das Schiff! Dessen Steuermann mußte von der Existenz der Bestie gewußt haben und hatte alles versucht, in die Sicherheit des Hafens zu ent
kommen. Aber es war ihm nicht gelungen. Das Ungeheuer hatte die Dhau doch noch vorher erreicht. Es jagte in einem gewaltigen Sprung neben dem Segler aus dem gischtenden Wasser in die Höhe, zeigte sich dabei sekundenlang in voller Größe und krachte dann mit seiner ganzen beeindruckenden Masse auf die Schiffsmitte. Die Dhau zerbarst. Die Besatzung wurde von Bord geschleudert. Jetzt sah Riker seine Hoffnung enttäuscht, normale Kurrgen an Bord der Schiffe zu finden. Auch diese Kurrgen waren Mutanten. Sie klatschten ins Wasser zurück und versuchten in verzweifelter Ans trengung, schwimmend das Ufer zu erreichen. Das Ungeheuer machte sich über die Kisten her, in denen die selt samen Fische gelagert wurden. Offenbar hatte die Mannschaft der Dhau einen sehr guten Fang gemacht, denn es trieben viele Kisten auf dem Wasser. Einige davon waren zerborsten. Das Ungeheuer schnappte nach den toten Fischen und schaufelte sie förmlich in sein großes Maul. Dann waren die Fischkisten an der Reihe. Die wurden einfach mitsamt Inhalt verschlungen. Das Biest schien unersättlich. Der komplette Fang reichte ihm nicht aus. Es begann die Schwimmer in Richtung Hafen zu verfolgen, um auch sie zu fressen. »Nein«, flüsterte Riker erschüttert. »Nicht das auch noch…« Er bereute es, sich auf die Bodenerkundung eingelassen zu haben. Aber ansonsten stände Ren jetzt hier, denn der Einsatz war ja be schlossene Sache. Es war vielleicht gut, daß Dan ihm die Führung des Kommandos abgenommen hatte. So blieb dem Freund dieser grausige Anblick erspart. Artus handelte ohne Befehl. Er griff blindlings über seine Schulter und zog mit traumhafter Sicherheit seinen Multikarabiner aus dem Rucksack. Er richtete die schwere Waffe aus. Die Anzeige der Visiereinrichtung brauchte er nicht. Er berechnete Distanz und Vorhaltewinkel und feuerte, Se kunden bevor die Bestie ihr erstes Opfer erreichte.
Artus benötigte nur einen einzigen Strahlschuß, den er über die Distanz von fast einem Kilometer abfeuerte. Grell blitzte es aus dem Projektionsdorn in der leicht trichterförmigen Mündung auf, dann spannte der leuchtende Energiefinger eine tödliche Brücke zwischen Schütze und Ziel. Der Energiestrahl zerteilte das Ungeheuer glatt in zwei Hälften. Grünbraunes Blut schwappte aus den beiden Körper hälften hervor und brachte Teile des Wassers zum Verdampfen. Säureblut… das Seeungeheuer schien mit den Hobbitwürmern ver wandt zu sein. Artus wirbelte die bullige Waffe einmal wie ein Held im Western film um die Hand und ließ sie dann wieder im Rucksack ver schwinden. Währenddessen versanken die beiden Hälften der Bestie in der Tiefe. »So viel zum Thema ›Zeigt den Kurrgen nicht, über welche über legene Technik wir verfügen‹«, bemerkte der Cyborg. »Sollte ich diese armen Teufel sterben lassen?« rechtfertigte sich Artus. »Es war die einzige Möglichkeit, sie zu retten.« »Artus hat korrekt gehandelt«, entschied Riker. Der Roboter nickte zufrieden. * Die meisten der Kurrgen-Mutanten, die das Geschehen mit großen Augen verfolgt hatten, flüchteten Hals über Kopf. Mit weiten Sprüngen verließen sie den Hafen, rannten, hüpften oder galop pierten zu den Häusern und verschwanden darin. Ob sie sich da tatsächlich sicherer fühlten? Auf jeden Fall hatten sie Angst. Weniger vor dem Meeresungeheuer, sondern vor der Strahlwaffe, die Artus eingesetzt hatte. Aber aus welchem Grund? Alle anderen Reaktionen deuteten doch darauf hin, daß sie an sich nichts Ungewöhnliches in den Terranern
sahen. Sonst hätten die Horden von Bettlern sie vorhin ja wohl kaum so bedrängt. Was also war hier wirklich los? Von den Mutanten, die nicht davonliefen, gab es einige, die jubel ten, den Terranern zuwinkten und offenbar hell erfreut waren, daß Artus das Ungeheuer erlegt hatte. Und einige wenige – sehr wenige – kletterten in ihre Boote, um die Überlebenden der zerstörten Dhau zu bergen und an Land zu bringen. Riker und Brack gingen auf die Jubelnden zu, von denen einige sogar so etwas wie Freudentänze aufführten. Da es jetzt nicht mehr darauf ankam, die Hochtechnologie zu verbergen, hatte er von dem Cyborg den Minitranslator aus seinem Rucksack nehmen und sich in die Hand drücken lassen. Dieses kleine Wunderwerk der Technik basierte auf einer Ent wicklung der Rateken, nur war deren Übersetzermaschine noch ein großer, schwerer Klotz gewesen, der bei Einsätzen nur selten mit geführt wurde, weil er auf einer Antigravplatte transportiert werden mußte. Aber innerhalb kürzester Zeit hatten terranische Wissen schaftler und Ingenieure dieses Gerät weiterentwickelt und minia turisiert. Inzwischen gehörten Translatoren zur Standardausrüstung der Raumschiffe. Aber während die lernfähigen Programme sonst in relativ kurzer Zeit genügend Begriffe aufnahmen und zusammenstellten, um daraus mit heuristischer Logik die Übersetzerqualität zu optimieren, wollte es hier nicht so richtig klappen. So wie die allgemein orien tierten Programmgehirne von Cyborg und Roboter nicht so recht mit den lallenden Lauten des hiesigen Dialekts zurechtkamen, klappte es auch bei den speziell für diese Aufgabe konstruierten Translatoren nicht. Mehr als eine rudimentäre Verständigung mit den Kurrgen war nicht machbar. Die von ihnen verwendete, verstümmelte Sprache war höchst primitiv, verfügte über einen sehr geringen Wortschatz und überhaupt keine Grammatik.
Daran scheiterten Rikers Versuche, mehr über das gerade Erlebte herauszufinden. Plötzlich sah Artus eine Bewegung, die nicht in das normale Schema paßte. Bei einem Menschen hätte man gesagt, er sah sie aus den Augenwinkeln. Bei Artus waren es fließende Randbereiche sei ner optischen Wahrnehmung, die bei knapp über 180 Grad Rund sicht lagen. Er folgte dem Instinkt seiner KI und warf sich nach vorn. Es gab einen harten, metallischen Schlag. Irgendwo knallte es laut. Von Artus’ stählernem Brustkorb prallte eine großkalibrige Kugel ab, die ansonsten Riker getroffen hätte. Durch den Aufprall plattge schlagen, heulte sie als Querschläger davon, einem Taumelgeschoß gleich, schlug in die Bordwand einer Dhau und riß da ein Loch knapp über der Wasserlinie! Die Männer fuhren herum und griffen zu den Waffen. In einiger Entfernung auf dem Weg zur Ansiedlung, die von den Kurrgen großzügig »Stadt« genannt wurde, sahen sie einen offenbar nicht mutierten Kurrgen mit Schutzanzug und rauchendem Gewehr. Woher kam dieser Mann? Woher hatte er seine Ausrüstung? Artus zielte mit dem Schocker auf ihn und wollte den Abzug betä tigen, doch ehe er den Schuß auslösen konnte, verstellten Mutanten die Schußbahn, und der Anzugträger konnte davonrennen und in der Stadt untertauchen. Häkkinen spurtete ebenfalls los. Sein Ziel war es, den Fremden zu verfolgen und vielleicht sogar stellen zu können. Aber er kam nicht dazu. Mutanten stellten sich ihm in den Weg. Er hätte sie nieder schlagen oder paralysieren müssen, um weiterzukommen. Aber selbst dann wäre der Fremde im Vorteil geblieben und hätte seinen Vorsprung weiter ausbauen können. Denn die Auseinander setzung mit den Mutanten würde Häkkinen Zeit kosten. Zähneknirschend gab er auf und kehrte langsam zu den anderen zurück. Der Schütze war erfolgreich untergetaucht.
*
Die Mutanten, die sich den Terranern in den Weg gestellt hatten, behaupteten, der Fremde sei ein Gott, der Gutes tue, und dem dürfe man – anders als dem bösen Gott des Meeres – nichts tun. Das zu mindest ging aus ihrem Kauderwelsch hervor, das der Translator mühsam zusammenbastelte. »Ein toller Gott, der auf uns schießt!« knurrte Riker verdrossen. »Den bösen Gott des Meeres zu töten war also eine gute Tat, und zum Dank dafür darf der gute Gott des Wasweißich uns umbringen wollen? Ich glaube, eure Vorstellungen von Gut und Böse sind ziemlich durcheinander geraten!« Niemand habe gesagt, es sei eine gute Tat gewesen, den bösen Gott zu töten, hielt man ihm entgegen. Es sei nur nicht verboten, gegen ihn anzugehen. Aber er hätte auch nicht getötet werden dürfen. Riker schüttelte den Kopf. »Ich glaub’s ja nicht«, stöhnte er und wandte sich wieder an die Mutanten. »Ihr habt aber fröhlich über seinen Tod gejubelt! Und dadurch sind auch viele von euch gerettet worden, die dieses Monstrum sonst einfach gefressen hätte!« Götter forderten eben ihre Opfer, wurde ihm nun bedeutet. Das sei der Lauf der Dinge. Und die Fremden in ihren glänzenden, bunten Anzügen und den Helmen müßten eben damit rechnen, daß ein Gott den anderen zu rächen versuchte. Das zumindest ging aus der holprigen und lückenhaften Überset zung hervor. »Für mich sieht das so aus, als gehörten der Fremde und das Biest irgendwie zusammen«, sagte Fähnrich Häkkinen nachdenklich. »Als ob es sein Haustierchen wäre.« »Schönes Haustierchen«, knurrte Val Brack. Über die Rückschalt phase, die sein organisches Gehirn mit dem Programmgehirn ver knüpfte und verhinderte, daß er unmenschlich und nur logikorien tiert agierte wie ein Roboter, empfand der Cyborg Wut und Enttäu
schung. »Was uns jetzt noch fehlt, ist, daß die Geretteten gleich über uns herfallen, weil wir dem bösen Meeresgott ins Handwerk ge pfuscht haben.« »Dergleichen soll schon vorgekommen sein«, griff Artus auf sein umfangreiches Speicherwissen zurück, das er ständig erweiterte. »Auf Planet drei im System Garema…« »… sind Dinge passiert, die uns hier und jetzt überhaupt nicht interessieren!« unterbrach ihn Riker. Leutnant Hornig nickte. »Meine Herren, hat sich eigentlich schon mal jemand die Frage gestellt, woher dieser sogenannte gute Gott stammt? Zu den mutierten Kurrgen gehört er jedenfalls nicht, und er weiß um die Radioaktivität, denn sonst würde er kaum einen ge schlossenen Schutzanzug tragen.« Der Kurrge hatte auf den ersten Blick keine körperlichen Mißbil dungen gezeigt. Er mußte also in einem Bunker aufgewachsen sein. Wie alle normalen, nicht Strahlungsgeschädigten Kurrgen war er etwa 1,65 Meter groß, etwa 120 Kilo schwer, von stämmigem, mus kulösem Körperbau und ansonsten humanoid. Woher kam er? Von der anderen Seite des Planeten? Sicher nicht. Eher schon von jenem Objekt in der Wassertiefe, das in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen energetische Akti vitäten zeigte. Es war schon verblüffend, fand Riker, daß eine primi tive und eine technisch hochstehende Kultur unmittelbar nebenei nander existieren konnten. Wie auch immer – mehr war aus den Mutanten nicht herauszube kommen. Riker überlegte schon, ob er die Mission hier abbrechen sollte; immerhin war eine akute Gefährdung gegeben. Und das bisher er zielte Resultat stand in keinem vernünftigen Verhältnis dazu. Sie kamen bei den Primitiven einfach nicht weiter.
Riker seufzte. Er wollte soeben den Befehl zum Rückzug geben, holte Luft – als etwas geschah, womit zu diesem Zeitpunkt keiner von ihnen mehr hatte rechnen können! * Abermals tauchte etwas aus der Tiefe auf, nur befand es sich diesmal nicht draußen vor dem Hafen, sondern direkt darin! Es war auch kein Meeresungeheuer. Seine Hülle schimmerte metallisch. Wasser lief in Strömen ab, während das Objekt immer höher emporwuchs. Obenauf ein nied riger Turm, der von einer Luke verschlossen wurde, und ein Rohr, das allerdings nur wenige Handbreit emporragte. Offenbar war man tiefer gefahren, so daß das Seerohr nicht benutzt werden konnte. Am Bug befanden sich große Mündungen. Dahinter steckten ga rantiert die Werferrohre für Torpedos. Oben, hinter dem Turm, fuhr eine Luke auf, und eine Antennenkonstruktion schraubte sich em por. Die Antenne befand sich in permanent kreisender Bewegung. Radar, dachte Riker. Das Ding ist ein gottverdammtes modernes Un terseeboot! Schriftzeichen an der Bootshülle waren nicht zu erkennen. Aber auf jeden Fall handelte es sich um ein sehr großes Boot. Die Erbauer hatten nicht an Platz gespart. Die drangvolle Enge wie in den irdi schen U-Booten vom Beginn des vorigen Jahrhunderts gab es hier sicher nicht. Wer groß baute, verbaute auch viel Masse! Entsprechend hoch mußte die Antriebsleistung sein. Mit etwas Mühe holte Riker sein Armbandvipho aus dem Ruck sack und schnallte es sich jetzt ans Handgelenk. Der Helmfunk reichte zwar für eine reibungslose Kommunikation der Männer un tereinander, aber nicht bis zur POINT OF hinauf. »Riker an POINT OF«, sagte er leise in das Aufnahmefeld des Ge rätes. Augenblicke später erhellte sich der kleine Bildschirm und
zeigte das Gesicht des Cheffunkers Glenn Morris, der es sich nicht nehmen ließ, bei dieser Aktion selbst Dienst zu tun. »Was zeigt die Energieortung der POINT OF in unserer Umgebung an?« fragte Riker. »Schnell – es könnte sein, daß hier gleich einiges drunter und drüber geht.« Morris stellte keine Fragen. Er schaltete zur Ortungsabteilung durch. Dort saß Tino Grappa an den Instrumenten. »Nichts, Riker«, meldete Grappa. »Da ist nichts. Nur die schwa chen Emissionen des Lebenserhaltungssystems ihrer Schutzanzüge und die etwas höheren Werte von Artus. Ansonsten ist da nichts. Ist es das, was Sie wissen wollten?« »Nein, verdammt! Hier ist wie der Springteufel aus der Kiste ein…« Ein U-Boot aufgetaucht, wollte er sagen, kam aber nicht dazu. Grappa unterbrach ihn. »Wir messen einen mit etwa halber Leistung laufenden Atomreaktor an. Die derzeitige Energieabgabe liegt bei nicht ganz einem Gigawatt. Yell, wieso haben wir den übersehen?« Grappas Kollege mußte etwas unglücklich eingestehen, daß er keine Ahnung hatte. »Das ist ein verdammt großes U-Boot«, berichtete Riker. »Es ist gerade im Hafen aufgetaucht. Es muß sich mit Schleichfahrt genä hert haben.« »Kein Grund für uns, den Reaktor nicht zu orten«, knurrte Grappa. »Yell, das werden wir noch üben, und jetzt schalten Sie Filter Raz-13 und Rann-G ein, dann kriegen Sie ein ebenso klares Bild auf Ihren Schirm wie ich hier…« »Aber das sind doch Filter, die Abschirmungen… hm… Ortungs schutz umgehen, soweit der mit worgunbekannten Frequenzen ar beitet.« »Eben!« »Was ist mit der Unterwasserstation im Meer?« wollte Riker wis sen. »Ist da auch jemand erwacht?«
»Sie meinen, das U-Boot könnte von dort gekommen sein? Das läßt sich so nicht sagen. Da brauchten wir Kurs- und Geschwindigkeits daten. Der Status des Energieerzeugers der Unterwasseranlage ist unverändert. Riker, ich gebe das an den Commander weiter. Der soll die POINT OF feuerbereit machen, ja? Wenn Sie sich nicht immer wieder in regelmäßigen Abständen melden, nehmen wir die ganze Gegend unter Strichpunkt-Beschuß.« Eine solche Anweisung stand dem Chef der Ortung eigentlich nicht zu, aber die Mannschaft der POINT OF war ein verschworenes Team, in dem man davon ausgehen konnte, daß alles Hand und Fuß hatte, das von irgend jemandem vorgetragen wurde. »Warten Sie, geben Sie noch keinen Alarm«, widersprach Riker. »Halten Sie uns und die Umgebung erst mal nur unter Beobachtung. Alles weitere entscheiden Dhark oder ich.« Tino Grappa empfand das nicht als Zurechtweisung, weil es auch keine war. »Riker, Ende.« Der Einsatzleiter schaltete sein Vipho wieder aus. Inzwischen hatte sich die Szene vor ihm etwas verändert. * Kein Wasser lief mehr von dem großen Atom-U-Boot ab. Das Lenzen der Wassertanks war abgeschlossen. Das U-Boot wurde von einem absoluten Könner am Ruder zentimetergenau an einen der Landestege gebracht. Die Wassertiefe hier reichte aus pas Boot legte an. Im nächsten Moment flog die Turmluke auf. Nichtmutierte Kurr gen in Schutzanzügen kamen an Deck. Ihre Anzüge sahen allerdings anders aus als die des Attentäters, der auf Riker geschossen hatte, um dann unter dem Schutz der Mutanten irgendwo zwischen den Häusern der Siedlung zu verschwinden. Die Seefahrer vertäuten das U-Boot am Pier. Auch sie wurden von den Mutanten bejubelt. Das hieß, daß sie nicht zum ersten Mal hier
waren. Wieder mußte Riker an die Energiestation im Meer denken. Ein Bunker, in dem jene lebten, die das Boot entsandt hatten? Aber das mußte nicht unbedingt sein. U-Boote dieses Formats besaßen eine ungeheure Reichweite. Ebensogut konnte es von der anderen Seite des Planeten kommen. Und damit der Gruppierung angehören, die Wirrköpfe wie diesen kriegslüsternen General Noreg hervorgebracht hatten? Die Besatzung des U-Bootes entdeckte natürlich Rikers Gruppe am Landesteg sofort. Deren Schutzanzüge waren ihnen ebenso fremd wie ihre hohe, schlanke Statur; noch auffälliger war aber natürlich Artus. Ein paar der Kurrgen kamen direkt zu ihnen herüber. Die Rang abzeichen an ihren Anzügen sagten Riker nichts. Sie unterschieden sich von denen, die die Terraner bei der Bunkerbesatzung gesehen hatten. Es konnte natürlich sein, daß die Marine ihre eigenen Insig nien hatte, aber irgendwie wollte Dan nicht so recht daran glauben. Diese hier schienen einer anderen Nation anzugehören. Das ließ ihn auf eine Verständigung hoffen. In dieser Hoffnung bestärkte ihn, daß die Kurrgen nicht gleich ihre Waffen in Bereit schaft nahmen. Sie hielten wohl auch mehr von friedlichem Kontakt als von kriegerischen Konflikten. Ob sie in den Hafenkneipen, wo immer es die auch geben mag, auch so friedlich sind? fragte Riker sich etwas amüsiert. Hier kam man jedenfalls sofort ins Gespräch. Nun funktionierten auch die Translatoren bestens, weil die Sprache dieser Seefahrer nicht so degeneriert war wie die der Mutanten. »Habt ihr etwas davon mitbekommen, daß der Große Fresser end lich erledigt ist?« erkundigte sich einer der Männer. Die Kurrgen verständigten sich nicht über Helmfunk, sondern über ein Lauts prechersystem ihrer Schutzanzüge. »Meinst du das Ungeheuer, das heute eine Dhau zerstörte und die Besatzung verschlingen wollte? Den bösen Gott des Meeres?« fragte Häkkinen.
»Gott?« Der Seefahrer lachte spöttisch auf. »Ihr Landratten kommt auf Ideen… das war kein Gott, sondern nur ein nutzloser Fresser. Wir hörten, er sei erledigt worden.« »Aber deshalb seid ihr doch bestimmt nicht hergekommen.« Der Seefahrer winkte ab. »Bestimmt nicht. Wenn’s nach uns ginge, hätten wir dem Biest längst einen Torpedo ins Maul geschossen. Aber wir haben das Miststück nie erwischt. Schön, daß es tot ist.« »Das waren wir«, sagte Häkkinen. »Genauer gesagt, der da.« Dabei wies er auf Artus. Die Seefahrer sahen sich um. »Sieht etwas komisch aus, euer Freund. Was ist das denn für ei ner?« fragte der Wortführer. »Ein Roboter.« »Ein intelligentes Wesen«, verbesserte Artus den Fähnrich sofort. »Wenn ihr diesen großen Fresser tatsächlich abgeknallt habt, habt ihr auf jeden Fall ein gutes Werk getan. Dann kann er die Siedler und Fischer hier wenigstens nicht mehr in Angst und Schrecken verset zen. Woher kommt ihr eigentlich, Freunde? Ihr seht etwas seltsam aus. So klapperdürr, als hättet ihr seit Monaten nichts Richtiges mehr zu essen bekommen, und so lang, als wolltet ihr die Wolken vom Himmel kratzen.« »Von da kommen wir ja auch«, sagte Riker und deutete nach oben. »Wir sind von den Sternen hierher gekommen, aus dem Weltraum.« »Oh«, machte der Kurrge. »Na schön, das ist euer Problem. Dürfte schwierig sein, da im Nichts ein Haus zu bauen, wie? Nichts, worauf man bauen kann…« »Wir wohnen auf einem Planeten wie ihr, aber wir sind mit einem Schiff durch das Weltall hierher geflogen.« »Schiffe fahren, sie fliegen nicht.« »Das wiederum ist euer Problem«, schmunzelte Riker. Der Kurrge wirkte etwas verblüfft, dann lachte er, und die anderen stimmten mit ein. Wer lacht, hegt keine bösen Absichten, dachte Dan.
»Woher wißt ihr überhaupt, daß das Meeresungeheuer getötet worden ist?« fragte er. »Zu dem Zeitpunkt wart ihr doch sicher noch ziemlich weit weg.« »Stimmt, sonst hätten wir es ja selbst abgeschossen«, sagte der Kurrge. »Aber so was spricht sich eben herum.« »Wie?« Der Kurrge nickte dreimal heftig, das kurrgische Äquivalent zum terranischen Schulterzucken. »Man erzählt sich dies und das und jenes, wenn der Tag lang ist. Ich weiß nicht, woher wir das wissen. Interessiert mich auch nicht. Ich mache meine Arbeit und hoffe, daß ich in ein paar Jahren abmustern kann. Dann nehme ich mir zwei oder drei Frauen, zeuge ein Dutzend gesunder Kinder und…« So genau wollte Riker das nun auch wieder nicht wissen. Aber das Gespräch fand jetzt ohnehin ein Ende. Denn Arrgol verließ das U-Boot. * Arrgol war der Kommandant des U-Bootes. Trotz des Strahlen schutzanzuges, den er ebenso wie seine Leute trug, war er eine im posante Erscheinung. Er war noch etwas massiger und breitschult riger als die normalen Kurrgen und auch etwa einen halben Kopf größer als der Durchschnitt. Mit seiner lauten, tiefen Baßstimme war er sofort absoluter Herr der Lage. Er erkannte mit einem Blick, daß Dan Riker der Anführer der Gruppe war. Dem Roboter schenkte er nur einen mißtrauischen Seitenblick. »An die Arbeit, Männer«, dröhnte seine Stimme. »Fürs Dummschwätzen werdet ihr nicht be zahlt.« Wie aufgescheuchte Hühner im Garten setzten seine Leute sich in Bewegung, um sich um ihre Arbeit zu kümmern. Arrgol nahm die Terraner ein wenig zur Seite, daß sie seinen Leuten nicht im Weg standen. »Aus dem Weltraum, eh?« Damit gestand er, von Bord des Schiffes aus mitgehört zu haben.
Riker bestätigte. »Und Sie kommen von der Unterseezentrale?« »Darüber sind Sie informiert?« wunderte sich der Kapitän. »Wie?« »Wir haben die Energieemissionen Ihres Kraftwerks geortet.« »Verdammt«, knurrte Kapitän Arrgol. »Schätze, daran werden wir noch arbeiten müssen. Was Sie können, können andere vielleicht auch.« »Warum öffnen Sie den Ortungsschutz zeitweilig?« fragte Riker. »Was wissen Sie davon?« »Vermutung«, gestand Dan. »Ich kann mir nämlich nicht vorstel len, daß Sie das Kraftwerk immer nur für kurze Momente hochfah ren und dann wieder abschalten. Das wäre doch auf Dauer zu um ständlich. Also muß da eine Barriere sein, die Sie mit weniger Auf wand öffnen und schließen können, so oft und so lange Sie wollen.« »Warum soll ich es leugnen?« Der Kurrge nickte dreimal heftig. »Sie haben’s ja herausgefunden. Streite ich es ab, mache ich mich lächerlich. Außerdem glaube ich nicht, daß von Ihnen Gefahr für uns ausgeht. Mit Ihrer überlegenen Weltraumtechnik hätten Sie uns längst ins Nichts blasen können.« »Sie überschätzen unsere Möglichkeiten.« »Sicher nicht. Ich bin kein Dummkopf. Nicht so wie die da«, er deutete auf die Ansiedlung. »Ich sehe, ich denke nach, ich komme zu Resultaten. Sie wissen nicht zufällig auch, wo sich unsere Wohn kuppel befindet?« »Ich sagte doch schon, daß wir Dir Kraftwerk angemessen haben.« »Ja, das Kraftwerk.« Der U-Boot-Kommandant lachte dröhnend. »Mehr nicht?« »Ist da denn noch mehr?« »Wir wären Narren, wenn wir es unseren Gegnern so einfach machten. Die Wohnkuppel ist nicht dort, wo Sie sie vermuten. Aber ich werde den Teufel tun, es Ihnen zu erzählen, wenn Sie’s nicht selbst herausfinden.« Er sah seinen Leuten eine Weile bei der Arbeit zu, brüllte hin und wieder Anweisungen. Die Männer luden große, verschlossene Käs
ten aus, wie es vorhin ähnlich bei der Dhau gewesen war. Aber hier ließen sie nicht die Mutanten die Fracht über schmale Planken ba lancieren. An der dem Landesteg zugewandten Seite hatte sich ein Frachtschott geöffnet, das herunterklappte und eine Art Plattform bildete, die Schiff und Pier miteinander verband. Über diese breite Metallplatte war es einfach, die Fracht zu löschen. Wie zuvor die Kisten mit den Fischen, wurden auch diese Behälter auf hölzerne Flachwagen geladen und in Richtung Ansiedlung ge schoben. »Haben Sie in der Stadt Kontakt mit irgend jemandem aufge nommen?« wollte Arrgol wissen. Riker schüttelte den Kopf. Stadt, nennt er diese Ansammlung primiti ver Steinhütten. Stadt! Ich würd’s nicht mal Dorf nennen… »Wir haben uns ein Haus angesehen, ein paar Bettler erschreckt und sind dann zum Hafen gegangen. Warum fragen Sie?« »Neugier ist eine meiner besten Eigenschaften«, versicherte der Kurrge. »Also keine Kontakte?« »Nein. Wenn man mal davon absieht, daß ein nichtmutierter Kurrge in einem Schutzanzug auf uns geschossen hat. Die Mutanten haben dafür gesorgt, daß wir ihn nicht verfolgen und zur Rede stel len konnten. Sein Schutzanzug sah übrigens etwas anders aus als Ihrer und die Ihrer Leute.« »Ihre Anzüge sehen übrigens auch etwas anders aus als unsere«, versetzte der Kapitän. »Wissen Sie etwas über diesen Attentäter? Oder über seine Hin termänner?« wollte Riker wissen. »Das Reich unserer Gegner hat Spione in der Stadt«, sagte Arrgol offen. »Wir wissen davon, aber wir kennen sie nicht, wissen nicht, wo sie sich versteckt halten. Aus den Mutanten ist nichts herauszu bekommen, obgleich sie uns eine Menge verdanken.« Er knurrte wölfisch. »Dieser General Noreg hat noch immer nicht genug vom Krieg und will die letzte Bastion seiner Feinde unbedingt vernichten. Es gibt eben Leute, die lernen nie dazu.«
»Die letzte Bastion – ist das Ihre submarine Station, die Kuppel, oder ist es diese Stadt?« »Diese Stadt ist ein Experiment, ob man die wenigen Überlebenden der Oberfläche wieder zivilisieren kann«, sagte Arrgol. »Diejenigen, die außerhalb der Kuppeln und Bunker irgendwie überleben konn ten, sind ja alle strahlungsgeschädigt in der zehnten oder elften Ge neration. Und sie sind im Laufe der Jahrhunderte auf die Stufe von Barbaren zurückgefallen, die nicht mal mehr wissen, wie man sich die Fingernägel schneidet. Nun, Sie haben sie ja wohl kennengelernt. Wir versuchen, sie zu fördern und wieder nach vorn zu bringen.« »Das ist lobenswert«, sagte Dan. »Wir können natürlich schlecht Schulen bauen und diese armen Teufel den Umgang mit Messer und Gabel lehren«, sagte Arrgol sarkastisch. »Das würde die Aufmerksamkeit der Gegner garantiert auf uns richten.« »Wie das?« »Ihre Spitzel treiben sich überall auf dieser Welt herum, um Spuren von uns zu finden.« »Die Spione in der… hm… Stadt haben Ihr U-Boot aber garantiert gesichtet und werden das melden.« »Damit wissen sie aber noch lange nicht, wo unsere Basis ist. Der Aktionsradius unserer Schiffe ist praktisch unbegrenzt. Wir könnten unseren Stützpunkt sogar direkt vor ihrer Nase haben. Und wir se hen zu, daß sie uns nicht finden. Dan Riker, im gleichen Moment, wo ich zu der Entscheidung komme, daß Sie zu unseren Feinden gehö ren oder für sie spionieren, werde ich Sie und Ihre Begleiter unver züglich töten.« »Das ist ein klares Wort«, sagte Riker. »Auch wenn ich bezweifle, daß Sie dazu in der Lage wären.« Aber er war sicher, daß es nicht soweit kommen würde. Selbst wenn Kapitän Arrgol sich gegen die Terraner entschied, würde er es nicht schaffen, sie zu töten. Das war General Noreg nicht einmal mit einer viel größeren Anzahl von Soldaten gelungen. Immerhin war da
auch noch der Cyborg Val Brack, mit seiner den Kurrgen weit über legenen Reaktionsschnelligkeit und Kraft. Nicht zu vergessen Artus, bei dessen Konstruktion der Einsatz als Kampfroboter ein wesentli cher Parameter gewesen war. Und zur Not waren da noch die POINT OF und die Flash, die die kleine Gruppe heraushauen wür den. Wie auf der anderen Seite des Planeten. »Was die Mutanten angeht«, fuhr Arrgol derweil fort, »wären sie mit solchen Schulen auch völlig überfordert. Und noch mehr damit, wenn wir sie vorübergehend zu uns in die Unterseekuppel holen würden. Wir können nur hier draußen wirklich etwas tun, und es ist ein langwieriger Prozeß. Vermutlich werden wir mehrere Generationen benötigen, um sie wieder auf ein kulturell annehmbares Niveau zu heben. Bei vielen von ihnen wird das aber so oder so nicht funktio nieren, und auch nicht bei deren Nachkommen.« »Sie meinen die Schwachsinnigen.« »Ja«, sagte Arrgol erstaunlich leise. »Es sind bedauernswerte Ge schöpfe. Wir können ihnen nicht helfen. Ihre Gehirne sind seit Ge nerationen geschädigt und schrumpfen von einer Nachkommen schaft zur nächsten immer weiter. Eines Tages werden sie vom In tellekt her nur noch wie Tiere sein. Der Veränderungsprozeß ist nicht rückgängig zu machen. Und jetzt entschuldigt mich. Ich habe zu tun.« Er ließ die Terraner stehen und stapfte auf die Häuser zu. * Gut eine Stunde später kehrte Arrgol zu seinem U-Boot zurück. Über das, was er in der Stadt getan hatte, verlor er kein Wort. Unterdessen waren die Männer des Bootes und die Schauerleute der Mutanten mit dem Ausladen fertig. Da sie keine weiteren An
weisungen erhalten hatten, setzten sie die Unterhaltung mit den Terranern fort. Sie hatten mitbekommen, wie frei und offen ihr Kapitän mit die sem Dan Riker und seinen Begleitern redete, also machten sie aus dem, was sie zu erzählen hatten, auch kein Geheimnis. Sie bekamen nicht mit, daß Val Brack einen äußerst kurzgefaßten Situationsbe richt in sein Vipho raunte, um Ren Dhark und die POINT OF über die neuen Erkenntnisse zu informieren. Die waren allerdings bisher nicht sonderlich berauschend. Währenddessen erfuhren die anderen, daß die nichtmutierten Kurrgen aus der unterseeischen Kuppel die Bewohner der Ansied lung unterstützten. Deshalb war das U-Boot auch jetzt wieder im Hafen. Offensichtlich waren die Mutanten aus eigener Kraft nicht in der Lage, für eine ausgewogene Kompletternährung zu sorgen. Zu dem waren sie zum Jagen zu dumm und zum Ackerbau zu träge. Das einzige, was sie einigermaßen beherrschten, war der Fischfang. »Und natürlich das Feilschen um den günstigsten Preis«, fügte der Kurrge hinzu, der anfangs die Unterhaltung begonnen hatte. »Sie versuchen immer wieder, mehr für sich dabei herauszuschlagen, wenn unser Kapitän die Tauschgeschäfte abwickelt.« »Du willst damit doch nicht etwa andeuten, daß ihr ihnen Fische abhandelt?« Riker verzog das Gesicht. »Diese seltsamen Viecher, die sie heute vom Meer herbrachten, als das Ungeheuer ihre Dhau zer schmetterte?« Der Seemann lachte. »Heilige Götterspucke«, ächzte er. »Wir leben im Wasser, in fischreichen Gestaden, und kaufen den Mutanten Fi sche ab? Das fehlte uns gerade noch! Außerdem kann man mit die sen Dingern nichts Richtiges anfangen. Die sterben sofort, wenn man sie berührt! Und dann verdorren sie in kurzer Zeit so, daß man sie nicht mehr essen kann.« »Aber was wollen die Mutanten dann damit?« wollte Fähnrich Häkkinen wissen.
»Sie nehmen sie als Brennmaterial für ihre Küchenherde. Was wir den Mutanten als Unterstützung liefern, ist Kunstnahrung aus Al genprodukten. Da sind alle möglichen natürlichen Aufbaustoffe drin, und mit etwas Würze kann man sie sogar mit jeder gewünsch ten Geschmacksrichtung versehen.« »Außerdem bekommen sie einfache Werkzeuge, mit denen sie auch umgehen können, damit sie nötige Reparaturen an ihren selt samen Karren und auch an ihren Häusern selbst durchführen kön nen«, ergänzte ein anderer. »Und hin und wieder bekommen sie von uns auch neue Fischerboote, die wir für sie bauen.« Daher also, dachte Riker. Zumindest eines der Rätsel hatte damit seine Lösung gefunden. »Und was bekommt ihr als Gegenleistung?« fragte er neugierig weiter. »Wenn’s schon keine Dörrfische sind…« Der Seefahrer entgegnete: »Die Mutanten versorgen uns dafür mit seltenen Kristallen, die sie aus den Bergen holen. Dafür brauchen sie sich nicht mal besonders anzustrengen, weil die Kristalle ganz dicht unter der Oberfläche liegen, und für alles andere haben sie ja unsere Werkzeuge. Wir brauchen die Kristalle für unsere Computertech nologie.« Inzwischen war Kapitän Arrgol herangekommen. Er klatschte in die Hände, was bei den Handschuhen der Schutzanzüge etwas merkwürdig klang. »Genug geschwätzt, Männer«, rief er. »Alle Mann an Bord! Wir laufen wieder aus.« In die Seeleute kam Bewegung. Das anregende und informative Gespräch war vergessen. Männer begannen die Trossen zu lösen, mit denen das U-Boot eher symbolisch am Pier vertäut war. Andere machten sich bereit, das Ladeschott zu schließen. »Das war es dann wohl, Mann aus dem Weltraum«, wandte sich Arrgol an Riker. »Es war interessant, Sie und Ihre Leute kennenzu lernen. Aber ich fürchte, wir werden uns wohl nicht wiedersehen. Es
sei denn, Sie wollen sich hier ansiedeln.« Er machte eine Bewegung in Richtung der Mutantenstadt. »Das auf keinen Fall«, sagte Dan, der sich nichts Schlimmeres vor stellen konnte, als den Rest seines Lebens unter den verdummten und entstellten Geschöpfen zubringen zu müssen. Dabei war das etwas, womit ein Raumfahrer ständig rechnen mußte: gestrandet auf einem fremden Planeten, bei fremden Be wohnern, und ohne eine Möglichkeit, Hilfe herbeizufunken… Un willkürlich fragte er sich, wie vielen Menschen das bereits zugesto ßen war. Damals, als die ersten Fernraumschiffe mit dem unzuver lässigen »Time«-Effekt verlorengegangen waren. Oder erst vor ein paar Jahren bei den Kämpfen gegen die Grakos. Von Schattenrau mern abgeschossen und auf irgendwelchen Planeten niedergegan gen, von denen nie jemand etwas gehört hatte. »Vielleicht können wir unseren endgültigen Abschied ja noch et was verschieben, Kapitän«, sagte er. Aber Arrgol verneinte. »Wir müssen zurück ins Schiff«, sagte er. »Unsere Strahlenschutzanzüge halten die Gefahr leider nur für we nige Stunden ab. Das…« er machte eine kurze Sprechpause, »… ist übrigens auch der Grund, daß wir es nicht riskieren können, in der Stadt nach den Agenten des Generals zu suchen. Es ist zu gefährlich für uns. Wir können nicht abschätzen, wie lange eine solche Suche dauern kann, und wir werden nicht riskieren, daß auch nur einer von uns strahlenkrank wird. Sie scheinen da wesentlich risikofreu diger zu sein. Ihre Anzüge sind doch ziemlich dünn. Sie sollten auch so bald wie möglich zu Ihrem Weltraumschiff zurückkehren, ehe Sie irreparable Genschäden erleiden.« »Unsere Anzüge sind zwar dünner, aber offenbar viel leistungsfä higer«, gab Riker zurück. »Ohne überheblich klingen zu wollen… da kommt mir übrigens gerade eine für Ihr Volk interessante Idee.« Natürlich war ihm diese Idee nicht gerade erst gekommen. Er grübelte schon eine Weile darüber, wie er sie dem U-Boot-Kommandanten schmackhaft machen konnte.
»Vielleicht können wir Ihnen da helfen«, sagte er. »Dazu müßte ich aber zunächst mit dem Befehlshaber der Überlebenden in der Un terseekuppel sprechen. Ich bitte Sie, das zu arrangieren.« Arrgol sah ihn verblüfft an. »Sie sind verrückt«, sagte er dann. * »Heißt das ja oder nein?« hakte Riker nach. »Das kann ich nicht allein entscheiden«, sagte Arrgol, nachdem er seine Verblüffung weitgehend überwunden hatte. »Ich bin nur ein unbedeutender kleiner U-Boot-Kommandant.« »Aber Sie könnten über Funk nachfragen und die Genehmigung einholen.« »Funk klappt unter Wasser nicht«, widersprach Arrgol. Riker lächelte. »Ich bin sicher, daß Sie nicht völlig auf Kommuni kation verzichten wollen. Also wird die Kuppel in gewissen Zeitab ständen eine Funkboje zur Oberfläche steigen lassen. Ganz abgese hen davon: Wir verfügen schon sehr lange über die Möglichkeit, uns auch unter Wasser miteinander zu verständigen. Warum soll das bei einem Volk wie dem Ihren anders sein, das seit Jahrhunderten auf dem Meeresgrund lebt?« Arrgol starrte ihn eine Weile an. Dann nickte er. »Sie haben recht, Dan Riker«, sagte er. »Dennoch werde ich es nicht tun.« »Warum nicht? Wir sind nicht Ihre Feinde. Wir sind auch keine Agenten oder Söldner General Noregs.« »Dessen bin ich sicher«, sagte Arrgol bedächtig. »Sonst hätte ich mich nicht so lange und so ausführlich mit Ihnen unterhalten. Aber es besteht die Gefahr, daß der Gegner den Funkkontakt bemerkt und die Gegenstation anpeilt. Vergessen Sie nicht den Mann, der auf Sie geschossen hat. Er dürfte immer noch aktiv sein. Wenn er die Posi tion der Unterseekuppel ermitteln kann… nein, das ist zu gefährlich.
Bis jetzt wissen die anderen nicht, wo sie uns finden können, und das soll auch so bleiben, Dan Riker.« Der verzog das Gesicht. Wenn Arrgol nicht wollte, mußten sie es eben mit anderen Mitteln versuchen. Sie konnten dem U-Boot mit Flash folgen, auch unter Wasser. Sie… »Wir machen es anders«, sagte Arrgol in seine Überlegungen hi nein. »Sie kommen mit an Bord. Das nehme ich auf meine Kappe. Wenn wir die Kuppel erreicht haben, sehen wir weiter.« * Das Schott wurde endgültig geschlossen und die Taue gelöst. Kurrgen und Terraner mußten sich der Mühe unterziehen, zum Turm hinaufzuklettern und sich dort einzuschleusen. Das dauerte eine Weile, weil die Männer und auch Artus zunächst dekontami niert werden mußten, ehe sie ins Schiffsinnere gehen konnten. Jetzt erst streiften die Kurrgen ihre entstrahlten Schutzanzüge ab. Auch die Terraner konnten endlich ihre Helme öffnen und zurück in den Nacken klappen, wo sich das filmdünne Material kapuzenartig zusammenfaltete und nicht weiter auftrug; ein Vorgang, der von den Seeleuten staunend beobachtet wurde. Im Gegensatz zu ihnen be hielten die Terraner ihre Anzüge aber an. Kurz vorm Ablegen hatten die Mutanten noch eine Kiste an den Pier geschleppt, die mit blauschimmernden Kristallen bis zum Rand gefüllt war. Das waren wohl die Kristalle, welche die Kuppelkurrgen für ihre Computer benötigten. Sie brachten die Kiste an Bord und waren dann die letzten, die den Weg durch die Turmschleuse nah men und entstrahlt wurden. Ein stärkerwerdendes Summen deutete darauf hin, daß der Reak tor hochgefahren wurde. Die elektromagnetischen Abschirmungen verbrauchten einen großen Teil des Stroms und sorgten für das ty pische Statiksummen und -brummen. Dazwischen mischte sich ein rhythmisches Stampfen und ein vom Heck kommendes Rauschen.
Ein leichter Ruck ging durch das U-Boot. Die Antriebsturbinen liefen an; die Schrauben rotierten und setzten das Schiff in Bewegung. Vorsichtig, um mit seiner gewaltigen Masse keine ungewollten Zer störungen anzurichten, wurde es vom Steuermann aus dem Hafen gebracht und aufs offene Meer hin ausgerichtet. Riker und die anderen befanden sich zusammen mit dem Kapitän, dem Rudergast und zwei weiteren Kurrgen, die vor einer Unmenge von Instrumenten saßen und deren Anzeigen wachsam beobachte ten, auf der Kommandobrücke. »Kurs liegt an, Kapitän«, sagte der Steuermann. Arrgol schaltete den Maschinentelegrafen auf »Volle Kraft voraus«. Das Atom-U-Boot, dessen Namen die außerplanetarischen Passa giere nicht einmal kannten, nahm rasch Fahrt auf.
14.
Der Mott hatte MacCormack fast erreicht. Der zog zwar den Blaster aus dem Holster, aber er würde erst abdrücken können, wenn sich die Klauen des Ungeheuers schon in sein Fleisch gegraben hatten. Blitzartig ließ er sich nach links fallen und rollte sich auf dem Boden ab. In diesem Augenblick schob sich ein kleines, wieselflinkes Männ lein zwischen den Gardeoffizier und die Bestie. Es war kein Utare, dafür war er etwas zu groß… MacCormack erkannte Akira Musaschi. In Gegenwart des Drei metermonstrums wirkte der Japaner noch kleiner, als er eh schon war. Der Hauptmann entfernte mit raschem Griff das bestickte Tuch von seinem Schwert und schleuderte es in die Höhe, von wo aus es langsam wieder herabsegelte. Alles Nachfolgende geschah so schnell, daß MacCormack es kaum mitbekam. Zweimal kurz hintereinander zischte das antike Samu raischwert der Musaschis durch die Luft – dann ging der Riese zu Boden. Noch bevor das Untier der Länge nach hinfiel, fing der asia tische Schwertkämpfer das herabschwebende Tuch auf und wickelte das Schwert wieder darin ein. MacCormack trat auf ihn zu, um sich zu bedanken. Ob Blut an der Klinge klebte, konnte er nicht mehr sehen. Die klaffende Wunde am Hals des Mott war hingegen unübersehbar. Plötzlich tauchte Bo Borundo hinter einer der Hütten auf. War es Zufall, daß er gerade jetzt kam? Oder hatte er schon die ganze Zeit über dort gestanden und absichtlich nicht eingegriffen? Beim Anblick des leblosen Ungeheuers tat er jedenfalls ganz ers taunt. »Ihr habt großes Glück, Terraner. Für manche von uns war die erste Begegnung mit einem Mott auch die letzte. Ich habe Sie beide gesucht, um Ihnen mitzuteilen, daß wir beschlossen haben, auf Spug
zu bleiben. Gerade habe ich die Funkzentrale angewiesen, per Hy perfunk Unterstützung von Esmaladan anzufordern.« Kaum hatte er ausgesprochen, vibrierte die Erde… * »Danke, du hast mir das Leben gerettet«, sagte Nick Gantzler zu seinem Zugführer. Wladimir war ihm nach oben gefolgt und hatte beherzt zugegriffen, als sein Freund beinahe die Stiege herunterge fallen war. Bescheiden winkte der ab. »Übertreibst du da nicht ein wenig? Du wärst sicherlich mit ein paar blauen Flecken davongekommen.« »Das weiß man bei solch einem Sturz nie«, entgegnete Gantzler. Viel weitergebracht hatte der halsbrecherische Aufstieg die beiden Männer nicht. Die Treppe endete an einer unverschlossenen Me talltür. Der Raum dahinter war leer. Durch ein Fenster konnte man nach draußen in die Stadt sehen. Dort herrschte augenblicklich große Aufregung. Alles was Beine hatte, befand sich auf dem Weg ins Lager. Die Utaren, weil sie es mit der Angst zu tun bekamen, und die Terraner, weil man ihnen in puncto Schwierigkeiten einen klaren Befehl erteilt hatte. Nur die Beinlosen blieben, wo sie waren: Die Arbeitsroboter ver ließen die Stadt nicht. Allerdings legten einige von ihnen ein paar merkwürdige Verhaltensweisen an den Tag. Maschinen, die mit hoher Geschwindigkeit in den Straßen unterwegs waren, verloren plötzlich die Orientierung und prallten gegen Gebäude. Andere schalteten sich einfach ab. Ein Roboter drehte völlig durch und fing an, auf flüchtende Utaren zu schießen. Wie durch ein Wunder war noch keiner verletzt wor den. Von ihrem Standort am Fenster aus konnten Jaschin, Ganztler und Seiwa, der soeben hinzukam, den um sich schießenden Roboter se hen.
»Wir müssen sofort dorthin und ihn eliminieren«, entschied Wla dimir. Antoku nahm seinen Multikarabiner von der Schulter. »Bis wir dort eintreffen, könnte es schon Tote gegeben haben. Ich erledige ihn von hier.« Er klappte das Helmvisier herunter und aktivierte den Kampf modus. Einen sauberen Schuß später hatte Bo Borundos For schungsgruppe einen sündhaft teuren Roboter weniger. * Sowohl in der Zentrale des Forschungslagers als auch auf der Kommandobrücke der HAMBURG wurde heftig diskutiert. Men schen und Utaren tauschten ihre Meßdaten aus. Es gab keinen Zweifel: Bevor unter der Stadt starke Energiemissionen angemessen wurden, sehr wahrscheinlich verursacht durch das Anlaufen riesiger Meiler, war von der Grey-Flotte ein Hyperfunkimpuls ausgesendet worden. Vermutlich hatte dieser Impuls auch zu den kurzfristigen Ausset zern bei einigen Arbeitsrobotern geführt. Inzwischen hatte man von der Zentrale der Utaren aus alle Roboter mittels eines Fernbefehls gänzlich abgeschaltet. Ein weiteres Problem ließ sich leider nicht so schnell in den Griff bekommen: Der Hyperfunkimpuls hatte nicht nur die technischen Anlagen aktiviert, sondern auch ein Gerät tief unter der Stadt, das ein starkes Störfeld erzeugte. Die Hyperfunksender funktionierten zwar, es ging aber trotzdem kein Ton ab. Selbst To-Richtfunk wurde von dem Störfeld unterbunden. Offensichtlich beabsichtigte die fremde Flotte diesmal nicht, das System lediglich zu durchqueren. Sie wußte genau, wie man die tote Stadt wieder zum Leben erweckte – und sie würde mit Sicherheit hierherkommen.
»Vielleicht handelt es sich um die einstigen Bewohner der Stadt«, sagte Musaschi auf der HAMBURG zu MacCormack. Mittlerweile waren alle Soldaten aufs Schiff zurückgekehrt. »Ebensogut könnten es die Nachfahren der früheren Stadtbewoh ner sein«, erwiderte MacCormack. »Wollen Sie hierbleiben und sie danach fragen?« »Unsere Familie hatte schon seit jeher Zigeunerblut in den Adern«, behauptete Musaschi. »Wir halten uns nie länger an einem Ort auf als nötig.« Kenneth konnte sich nicht besinnen, jemals von einem japanischen Zigeuner gehört zu haben, doch er verkniff sich jede Anmerkung dazu, es gab jetzt Wichtigeres zu tun. Möglicherweise ahnten die Greys noch nichts von der Anwesenheit zweier fremder Spezies auf ihrem Planeten. Keiner wußte, wie sie auf ungebetene Gäste reagie ren würden, deshalb war es das Klügste, schleunigst von hier zu verschwinden. Hector Elizondo war überzeugt, daß die Greys längst über ihre Anwesenheit Bescheid wußten. »Sie haben das Störfeld aktiviert, damit wir keine Hilfe herbeifunken können.« »Könnte sein«, räumte MacCormack ein. »Oder aber sie haben einfach nur pauschal die komplette Technik in Gang gesetzt, damit alles am Laufen ist, wenn sie heimkommen. Über die Ausdehnung des Feldes ließen sich leider keine zuverlässigen Daten ermitteln, doch ich schätze, im All sind wir aus dem Einflußbereich heraus. Wir werden von dort aus Esmaladan anfunken, damit die Führung der Utaren ihrem störrischen Forscherteam Hilfe schickt. Außerdem kann es nichts schaden, auch Terra zu benachrichtigen, falls wir selbst welche brauchen.« In diesem Augenblick kam eine Botschaft von Bo Borundo herein. Er hatte sich doch noch entschlossen, sich mit all seinen Mitarbeitern evakuieren zu lassen. Ein Entschluß, der von den Terranern begrüßt wurde – und den sie kurz darauf schon wieder bereuen sollten.
*
Der Abzug der Utaren von Spug vollzog sich quälend langsam. Während ihres Aufenthaltes hatten sie bei diversen Ausgrabungen alles mögliche zutage gefördert; das wollten sie auf gar keinen Fall zurücklassen. Auch sonst schienen sie sich in der Stadt alles unter den Nagel gerissen haben, was nicht eingeschlossen oder festge bunden war. Damit ihnen die Terraner nichts »wegguckten«, ver packten sie in ihren Zelten und Hütten jedes Artefakt sorgsam in Kisten oder wickelten es in Tücher und Planen ein. Selbstverständlich wollte man den Rückkehrern auch nicht die umfangreiche Ausrüstung überlassen. Jedes Gerät, jedes Werkzeug mußte mit an Bord – kein einziger Spaten durfte zurückbleiben. Nicht zu vergessen die Roboter… MacCormack wurde allmählich unruhig. Hätten die Garde und die TF mit angepackt, wäre der Transport aufs Schiff viel schneller vonstatten gegangen. Doch die Utaren lehnten jedes Hilfsangebot konsequent ab, wohl aus Angst, die Menschen könnten ihnen einen Teil ihrer Schätze stehlen. Elizondo nahm das Ganze gelassen hin. »Wir haben reichlich Zeit. Die Schiffe der Greys sind noch weit weg. Im Augenblick scheinen sie auf Sparflamme zu fliegen, vermutlich, um ihre Reserven zu schonen.« Irgendwann riß auch der längste Geduldsfaden. Oberstleutnant MacCormack reichte es jetzt – er sprach ein deutliches Machtwort. »Entweder ihr steigt ein, oder ihr bleibt hier!« machte er Bo Borundo klar. »In exakt fünfzehn Minuten starten wir ins All.« »Tun Sie uns das bitte nicht an«, erwiderte der alte Utare mit verzweifeltem Gesichtsausdruck. »Wir haben noch nicht alles auf geladen.« »Ersparen Sie mir Ihr weinerliches Gehabe!« stauchte MacCormack ihn undiplomatisch zusammen. »In einer Viertelstunde geht es los, mit oder ohne Utaren an Bord!«
Borundo ließ die Maske fallen. »Wie Sie wollen«, entgegnete er mit zorniger Miene. »Aber ich warne Sie! Wagen Sie es ja nicht, heimlich nach Spug zurückzukehren und sich an unseren Fundstücken zu vergreifen.« Sekunden später entspannte sich seine Gesichtshaut wieder. Er wirkte jetzt wie die Freundlichkeit in Person. »Ansonsten haben Sie natürlich völlig recht«, gestand er ein. »Un ser Leben und das Ihrer Besatzung darf nicht gefährdet werden. Wir kommen sofort an Bord.« Er drehte sich um und begab sich zu seinen Männern. Die Art, wie er ging, erinnerte an einen wehleidigen, von allen Krankheiten der Welt geplagten Greis, dem das Schicksal übel mitgespielt hatte. An dem ist wirklich ein Schauspieler verlorengegangen, dachte MacCormack. * Als die HAMBURG aus Spugs Atmosphäre trat, präsentierte sich das weite Weltall, wie es von jeher war: schwarz und still, mit ein paar Lichtpunkten in der Ferne. Die Ortungsstrahlen tasteten die nähere Umgebung ab, konnten aber nichts erfassen – und die Grey-Flotte war noch weit fort. Es drohte also keine unmittelbare Gefahr. MacCormack hielt von der Zentrale aus eine kleine Ansprache, die überall an Bord zu hören war. Er bedankte sich bei der TF für die gute Zusammenarbeit mit der Garde in den vergangenen Wochen und äußerte die Hoffnung, daß es auch auf künftigen gemeinsamen Reisen durchs All so bleiben würde. »Sollten uns die Greys verfolgen und es kommt zum Kampf, er warte ich von euch, daß ihr eure Kameraden von der Terranischen Flotte tatkräftig unterstützt«, appellierte er in seinem letzten Satz an die Gardeangehörigen. »Unterstützung können wir immer gebrauchen«, hörte man kurz darauf die Stimme von Kapitän Elizondo. Weiter kam er nicht. Eine
dringende Nachricht aus der Ortungsabteilung schnitt ihm das Wort ab. »Siebzehn!« meldete Jack Ornelas aufgeregt. »Wir können nur noch siebzehn Grey-Schiffe ausmachen!« »Schutzschirme aktivieren!« befahl Elizondo. Doch es war schon zu spät. Ein Impulsstrahl jagte von irgendwo her heran und beschädigte den Kugelraumer an der Backbordseite. Sekundenbruchteile danach schlug ein Wuchtgeschoß ein. In der Waffensteuerung reagierte man sofort und feuerte aus vol len Rohren in die Richtung, aus welcher der Strahl gekommen war. Bei dieser Vorgehensweise hatten Treffer Seltenheitswert, da ge tarnte Schiffe nach jedem Abfeuern üblicherweise blitzschnell ein Ausweichmanöver einleiteten und daher nur schwer zu erwischen waren. Manchmal hatte man allerdings Glück. Ein Zufallstreffer, vielleicht auch nur ein günstiger Streifschuß führte beim gegnerischen Schiff zum Zusammenbruch des Tarnfeldes. Jetzt konnten die Beobach tungsgeräte voll erfassen, wogegen man kämpfte. Viel Nutzen brachte das jedoch nicht. Weitere Impulsstrahlen schlugen auf der HAMBURG ein und verhinderten den Aufbau der Abwehrschirme. Gleichzeitig richteten sie schwere Schäden im Triebwerksbereich an. Noch war der Giant-Raumer in der Lage, zurückzuschießen. Die Männer an den Bordgeschützen konnten sogar einen Volltreffer anbringen. Der blieb jedoch wirkungslos. Anstatt ein Loch in die Außenhülle zu reißen, warf der Treffer den Grey-Raumer lediglich aus der Bahn – wie ein welkes Blatt, das man anpustete. Wenig später ging das fremde Schiff wieder auf Angriffskurs, so als wäre überhaupt nichts passiert. Hector Elizondo machte sich schwere Vorwürfe. Er hätte die Schutzschirme und die eigene Tarnvorrichtung von Anfang an akti vieren sollen. Und einen Hyperfunkspruch nach Terra hatte er auch noch nicht abgeschickt…
Jetzt blieb ihm dafür keine Zeit mehr. Der »waidwunde« Kugel raumer torkelte durchs All wie ein angeschossener, aus den Einge weiden blutender Hirsch durch den Wald. Eine Notlandung wurde eingeleitet. Die HAMBURG tauchte wieder in die Atmosphäre von Spug ein. Elizondo war ein hervorragender Schiffsführer. Aber einen derart angeschlagenen Raumer konnte selbst er nicht mehr sicher nach unten bringen. Kurz bevor die HAMBURG hart am Boden aufschlug, irgendwo auf dem Planeten, fern von der Industriestadt, fragte er sich, welches Genie wohl auf den Gedanken gekommen war, zu prüfen, wie viele Schiffe sich noch in der fremden Flotte befanden… Dann wurde es Nacht um ihn. * »Daten erfassen – so viele wie möglich!« rief Akira Musaschi. Am liebsten hätte er selbst ein paar Schaltungen vorgenommen, doch er kannte sich mit Ortungstechnik nicht gut genug aus. Eben deshalb hatte er den Zweiten Offizier direkt nach dem Start ins All gebeten, ihn hier ein bißchen herumzuführen. Ornelas hatte ihm gezeigt, wie man die Fernabtaster einsetzte und ihn sogar mit einer kleinen Aufgabe betraut, eine, bei der man nicht viel verkehrt machen konnte: »Zählen Sie doch mal die Schiffe in der Flotte der Greys.« In jenem Augenblick, dem letzten Moment des Friedens an Bord, hatte noch niemand ernsthaft damit gerechnet, angegriffen zu wer den… Erst als der Gegner mit aller Macht zuschlug, wurde jedem auf der Kommandobrücke klar, wie leichtsinnig man sich verhalten hatte. Die HAMBURG war arglos in eine heimtückische Falle getappt. Ornelas, Berneck und die übrigen in der Ortungsabteilung befind lichen Mitarbeiter taten das einzig Sinnvolle: Sie richteten ihre Tast strahler auf das fremde, merkwürdig geformte Schiff und speicher
ten sämtliche eingehenden Daten gleich mehrfach an verschiedenen Speicherplätzen ab. Falls ein Treffer in diesem Teil des Raumers einschlug, genügte es, wenn wenigstens einer der Datenträger ge rettet wurde… »… oder wir müssen uns auf den eingebauten Datenträger hier oben drin verlassen«, sagte Hauptmann Musaschi und tippte sich an die Schläfe. »Prägt euch so viel ein, wie in eure Gehirne hineingeht. Jedes Detail könnte wichtig sein.« Bald darauf kam es zu der harten Notlandung auf Spug. Ein Teil der Außenhülle des Kugelraumers platzte an der Seite auf – wie bei einer reifen Frucht, die man aus großer Höhe fallen ließ. * »Schadensmeldung!« war das erste Wort, das Elizondo von sich gab, als er aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte. »Verluste: 28 Tote, davon elf Gardisten, keine Utaren«, meldete sein Erster Offizier. »Wir haben 43 ernsthaft Verletzte, die sich in medizinischer Versorgung befinden; Leichtverletzte wurden nicht registriert. Materialschäden gab es in so gut wie jeder Abteilung. Insbesondere die Ortungsabteilung wurde ziemlich verwüstet. Der Zweite Offizier trug eine Armverletzung davon, rettete sich aber aus eigener Kraft aus den Trümmern. Hauptfeldwebel Berneck konnte leider nicht mehr lebend geborgen werden. Hauptmann Musaschi hingegen hatte ungeheures Glück. Er war unter einem Tisch ein geklemmt. Man zog ihn dort ohne einen Kratzer hervor. In der Hand hielt er einen Datenträger mit wichtigen Daten über das angreifende Schiff.« »Wurde es vernichtet?« fragte Elizondo hoffnungsvoll. »Wir rechnen jeden Moment damit, daß es uns ortet und angreift«, lautete die enttäuschende Antwort. »Glücklicherweise funktionieren die meisten unserer Waffen noch. Wir haben sie bereits nach oben
ausgerichtet, damit wir die verdammten Greys gleich mit einem Feuerwerk empfangen können, sobald sie sich am Himmel zeigen.« Elizondo saß in seinem Kommandosessel. Er hatte eine leichte Ge hirnerschütterung. Man hatte ihn bereits ärztlich versorgt, er trug einen Kopf verband. Trotz starker Rückenschmerzen stand er auf und blickte sich in der Zentrale um. Rundherum lag fast alles in Trümmern. Einer der Brückenoffiziere saß vor seinem Schaltpult, hatte Ober körper und Arme über die Konsole gebeugt und den Kopf auf die Seite gelegt – so als ob er schlief. Anhand seiner weit aufgerissenen Augen erkannte Elizondo, daß er nie mehr erwachen würde. »Wir hatten leider noch keine Gelegenheit, ihn wegzubringen«, entschuldigte sich der Erste. »Überall auf dem Schiff ist der Teufel los. Brände werden gelöscht, wertvolle Geräte sichergestellt, Ver letzte versorgt…« »Ist Oberstleutnant MacCormack noch am Leben?« »Ja, Sir, er und einige Gardisten prüfen gerade, wie viele unserer neuen Absetzer mit ›Time‹-Antrieb noch funktionstüchtig sind.« In diesem Augenblick wurden auf der HAMBURG sämtliche noch intakten Strahlengeschütze abgefeuert. Unablässig, ohne erkennbare Feuerpausen dazwischen. Das angeschlagene Schiff bebte. Auf eini gen Decks glaubte man, es ächzen und stöhnen zu hören, wie ein altes Haus kurz vor dem Zusammenbruch. Ein letzter, gequälter Aufschrei? * Als die HAMBURG zum ersten Mal auf Spug gelandet war, war es auf jenem Teil des Planeten hellichter Tag gewesen. Hier und jetzt verdunkelte sich der Himmel. Nicht, weil urplötzlich die Abend dämmerung hereinbrach – sondern weil sich siebenhundert Meter pures Unheil am Firmament ausbreiteten.
Die Greys – oder wie auch immer sie sich selbst nannten – hatten das Wrack ihrer Verfolger entdeckt und wollten ihnen nun den Rest geben. Mit ernsthafter Gegenwehr rechneten sie nicht mehr… Ganz offensichtlich kannten sie die menschliche Spezies nicht. Wenn es darum ging, die eigene Haut zu retten, wehrten sich die Menschen bis zuletzt, sogar dann, wenn die Situation völlig aus sichtslos erschien. Unablässig feuerten die Männer der HAMBURG eine Energieladung nach der nächsten auf den Angreifer ab, um ihm keine Gelegenheit zu geben, einen gezielten Todesschuß anzubrin gen. Die Taktik, falls man das überhaupt so nennen durfte, zeigte Er folg. Zwar wich die »Riesenschildkröte« dem Störfeuer geschickt aus, kam jedoch selbst nicht zum Schuß und zog sich wieder ins All zurück. Zum Jubeln sah man an Bord der HAMBURG dennoch keinen Grund. In den meisten Abteilungen gab es Tote zu beklagen, und sobald die restlichen Grey-Schiffe hier eintrafen, würden es mit Si cherheit noch mehr werden. In den vergangenen Wochen hatten Mannschaft und Garde des öfteren dem Tod ins Auge geblickt – einem imaginären Tod, der nur in ihrer Phantasie und auf dem Holo-Manöverdeck stattgefunden hatte. Diesmal war echtes Blut geflossen. Keiner der Toten würde gleich wieder aufstehen und sich vornehmen, beim nächsten Mal besser auf sich aufzupassen. Wer in den letzten Minuten an Bord gestorben war, blieb für alle Zeiten liegen. So wie Edmundo Rossi, den seine sizilianische Familie nie wie dersehen würde. Auch für den leidenschaftlichen Spieler Ike Olsen war der letzte Würfel gefallen. Feldwebel Huck Sawyer sorgte sich nicht mehr um seine Beförde rung. Den Einschlag eines Wuchtkanonengeschosses der Greys hatte er nicht überlebt.
Antoine Charoux war in einen deaktivierten A-Gravschacht ge stürzt, hatte sich aber »nur« das linke Bein gebrochen. Sein Bruder Daniel kümmerte sich um ihn. * MacCormack ordnete an, die HAMBURG so schnell wie möglich zu räumen. Etwa zweihundert Kilometer entfernt lag ein hohes Ge birge, das als Versteck geeignet war. Fünf der Absetzer befanden sich noch in einwandfreiem Zustand, so daß der Evakuierung nichts im Wege stand. Pro Absetzer konnte man fünfzig Personen trans portieren (von den Utaren paßten etwas mehr hinein), weshalb mehrere Flüge nötig waren. Die Aktion zog sich bis zum Abend hin… Gott sei Dank bestand keinerlei Gefahr, daß die Evakuierung aus dem All beobachtet werden konnte, da man aufgrund des ho chentwickelten Tarnschutzes der Absetzer für die Greys »unsich tbar« war. Kapitän Elizondo verließ mit der letzten Gruppe das Schiff. Er hatte sich oft gewünscht, von der HAMBURG wegzukommen – aber so hatte er sich das nicht vorgestellt. Selten in seinem Leben hatte er sich so erbärmlich gefühlt. Ihm war, als würde er einen guten alten Freund im Stich lassen, einen, zu dem er nie besonders nett gewesen war. * Nach Abschluß der Evakuierung flog ein Absetzer noch einmal zum leeren Wrack zurück. Kurt Buck, Jannis Kaunas und Wladimir Jaschin, ausgerüstet mit Garde-Panzeranzügen und Handwaffen, wollten noch möglichst viel von der Ausrüstung der Garde aus dem Schiff bergen, wertvolles und für ihre Flucht vielleicht nützliches Material. Die Utaren lamentierten, man möge gefälligst auch ihre
Ausgrabungsobjekte in Sicherheit bringen, doch sie stießen auf taube Ohren. Niemand wußte, wieviel Zeit den drei mutigen Gardisten noch blieb, sie mußten sich beeilen… Während Musaschi den Aufbau des Lagers organisierte, zog sich MacCormack in einen der Absetzer zurück und legte den Datenträ ger, den der Japaner in der Ortungsabteilung der HAMBURG si chergestellt hatte, in ein Wiedergabegerät ein. Die Schiffe der Greys waren mit Impulsgeschützen und Wucht kanonen ausgerüstet. Letztere entsprachen im Prinzip den terrani schen Konstruktionen, schienen aber eine höhere Reichweite zu ha ben. Die Geschosse bestanden nicht aus Tofirit, sondern aus einem wesentlich leichteren Material. Deswegen waren die angerichteten Schäden geringer. Die »Schildkrötenschiffe« verfügten über keine Schutzschirme, zumindest hatten sie während der Kampfhandlungen keine akti viert. Sie hatten eine glatte Außenhaut. Auffällig waren die scharfen, fast »eckigen« Ausweichmanöver des Schiffes. Bei einem Volltreffer war das angreifende Schiff aus der Bahn geworfen worden, ohne Beschädigungen davonzutragen. Es hatte den Waffen der HAMBURG einfach keinen Widerstand entgegengesetzt, so daß jegliche Waffenwirkung nutzlos verpufft war. Nachdenklich schaltete MacCormack das Gerät ab. Sollte an Ja schins abstruser Theorie mit der perfekten Massenkontrolle doch etwas dran sein? In diesem Augenblick drangen insgesamt achtzehn Grey-Schiffe in die Atmosphäre ein. Etwas später kam es in Richtung der Landestelle der HAMBURG zu einer gewaltigen atomaren Explosion. Kapitän Major Hector Elizondo wurde von einem Wechselbad der Gefühle erfaßt. Sein Herz stand für einen Augenblick still, als ihm bewußt wurde, daß er soeben sein ungeliebtes »Zuhause« verloren hatte – für immer und endgültig. Eigentlich hätte er sich darüber
freuen müssen, doch Freude war das einzige, was er momentan nicht empfand. Auch MacCormack war nicht nach Heiterkeit zumute. Er und die anderen Gardisten befürchteten, etwas viel Wertvolleres als ein Raumschiff verloren zu haben: drei Kameraden.
15.
Nach exakt zwei Stunden und acht Minuten schneller Fahrt wandte Kapitän Arrgol sich endlich wieder an seine Gäste, nachdem er sich während der ganzen Zeit dazwischen vorwiegend um sein Boot und seine Mannschaft gekümmert hatte. »Wir sind bald am Ziel«, teilte er mit. »Wie geht es dann weiter?« wollte Riker wissen. »Das hängt davon ab, wie man in der Kuppel entscheidet«, sagte Arrgol. »Mit etwas Pech für Sie bekomme ich den Befehl, Sie einfach über Bord zu werfen. Aber«, schränkte er sofort ein, »das kann ich mir nicht vorstellen. Ich werde in Kürze Funkverbindung zur Kup pel aufnehmen. Danach sehen wir weiter.« »Trotz der Gefahr, abgehört und angepeilt zu werden?« fragte Brack etwas mißtrauisch. »In dieser Tiefe besteht die Gefahr nicht«, beruhigte der massige Kommandant. Genau drei Minuten später gab es einen furchtbaren Schlag. Die Hülle des U-Bootes dröhnte wie eine gesprungene Glocke. Der Schlag erschütterte das gesamte Schiff. Im nächsten Moment brach die Energieversorgung zusammen. Die Beleuchtung in der Kommandobrücke erlosch jäh. »Auf Notstrom umschalten!« brüllte der Kapitän. Das Licht flackerte, wurde dann stabil. Aber die Notbeleuchtung brachte nur ein diffuses Dämmerlicht zustande. Warnlampen fla ckerten auf. Eine Sirene produzierte eine klägliche Tonfolge, die mit einem normalen Alarmsignal nicht viel gemein hatte. Schließlich hämmerte ein Mann wütend auf einen Schalter, und das atonale Wimmern verstummte. »Wir sinken«, rief jemand entsetzt. »Wir sinken immer tiefer!« »Maschinenraum«, knurrte Arrgol in die Bordsprechanlage. »Was, bei der Wasserschlange, ist bei euch da hinten los?«
Der Lautsprecher übertrug, daß mehrere Männer aufgeregt durcheinanderredeten. Aber niemand schien in der Lage zu sein, dem Kommandanten Auskunft zu erteilen. »Echolot zeigt fallende Werte. Verlieren weiter an Höhe und an Geschwindigkeit«, meldete der Navigator. »Turbinen laufen aus, werden abgekoppelt«, kam endlich eine Meldung aus dem Maschinenraum. »Wir sind ohne Antrieb.« »Na klasse«, flüsterte Leutnant Hornig. »Das ist heute ja so richtig mein Tag!« Immer noch flackerten die Warnlampen. Es wurden immer mehr. »Wenn wir die Maschine nicht wieder flottbekommen, sind wir erledigt, Herrschaften, ist Ihnen das klar?« knurrte Kapitän Arrgol. »Wir können hier unten nicht aussteigen, der Wasserdruck ist zu hoch und die Distanz zur Oberfläche zu groß.« »Sie sagten doch, daß wir nicht mehr weit von der Kuppel entfernt sind, Kapitän«, wandte Fähnrich Häkkinen ein. »Können wir uns nicht über den Meeresboden bis dorthin durchschlagen?« »Nicht zugehört, wie?« fuhr Arrgol ihn an. »Der Wasserdruck ist zu hoch!« Er wandte sich dem Steuermann zu. »Wir müssen nach oben, um jeden Preis. Wie Sie das machen, ist mir egal, aber machen Sie es – schnellstens!« »Aye, Kapitän«, preßte der Rudergast hervor. »Strahlung wird frei«, kam es im nächsten Moment aus der Bord sprechanlage. »Maschinenraum wird geräumt. Achtung – Strah lungsalarm für das gesamte Schiff!« »Uns bleibt auch nichts erspart«, keuchte Arrgol. »Brücke an alle Stationen. Strahlungsalarm! Sofort Schutzanzüge anlegen. Ich wie derhole: Sofort Schutzanzüge anlegen. Verschlußzustand wird vor bereitet. Maschine: Was ist mit dem verdammten Reaktor?« Überall vergrößerte die allgemeine Hektik sich noch beträchtlich. Als die Kurrgen ihre Schutzanzüge anlegten, schlossen auch Riker und seine Leute ihre Falthelme wieder. Dan checkte die Strah
lungswerte mit dem Multimeßinstrument seines Armbandgeräts. Er erschrak. Die Anzeige verriet rasch steigende Strahlungswerte im bisher sauberen Boot. Auch in der Kommandobrücke war die Ra dioaktivität schon deutlich meßbar. Es gab nur eine Erklärung dafür: Der Atomreaktor ging durch. Und es blieb zu wenig Zeit… * Riker bot dem Kommandanten seine Hilfe an. Langsam drehte Arrgol den Kopf und sah ihn durch die Helmscheibe verzweifelt an. »Ich glaube, das schaffen auch Sie nicht mehr«, seufzte er. »Wenn ich die Fernanzeige der Instrumente des Maschinenraums richtig deute, hat irgend etwas den Kühlkreislauf des Reaktors gestört. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Kernschmelze eintritt. Sehen Sie sich die Werte an. Die Radioaktivität im Reaktorraum ist jetzt schon so hoch, daß kein Mensch oder Kurrge sie ertragen könnte, egal ob mit oder ohne Schutzanzug!« »Unterschätzen Sie unsere Anzüge nicht«, sagte Riker. Die waren immerhin von den Worgun entwickelt worden und um ein Vielfa ches besser als die Anzüge der Kurrgen. Aber der Kapitän fuhr fort: »Bei allem Respekt vor Ihrer durchaus überlegenen Technik – aber sehen Sie sich die Anzeigen doch an. Es ist nicht nur die Radioakti vität, die sich langsam aber sicher durch die Wände frißt und das gesamte Boot kontaminiert. Es ist auch die Hitze. Vergessen Sie nicht, da wird nichts mehr gekühlt! Die Temperatur im Maschinen raum liegt schon bei 200 Grad. Wer da nicht schnell genug raus kommen konnte, ist jetzt tot.« Als habe er nur darauf gewartet, meldete sich der Chefingenieur. »Wir sind dabei, das Schott zum Maschinenraum zu versiegeln. Melde drei Mann Verlust. Sie konnten nicht rasch genug evakuiert werden.«
Kapitän Arrgol sah Riker bezeichnend an. »Sagte ich es nicht? – Maschine, machen Sie sich nicht die Arbeit, zu versiegeln. Das nützt nichts mehr. Das Boot ist bereits verseucht. Und wenn der Reaktor durchbrennt, stört sich die atomare Energie auch nicht an der Spezi albehandlung.« Er holte tief Luft. »Daran wird auch der Verschlußzustand nichts ändern«, fügte er hinzu. »Es ist vorbei, Herrschaften! Wenn wir nicht rechtzeitig auftauchen und das Boot verlassen können, war das hier unsere allerletzte gemeinsame Fahrt.« Er schwieg einen Moment und sagte dann kaum hörbar: »Und selbst wenn wir noch rechtzeitig aussteigen können, überleben wir nicht. Die Reaktorexplosion erwischt uns auf jeden Fall.« »Trotzdem haben wir noch eine Chance«, sagte Artus unvermittelt. »Ich kann im Reaktorraum nach dem rechten sehen. Ich kann Strahlung und Temperatur leichter ertragen als ein Mensch oder ein Kurrge.« »Natürlich«, entfuhr es dem Kapitän. »Du bist eine Maschine.« »Keine Maschine«, widersprach Artus. »Ich bin ein intelligentes Lebewesen maschinellen Ursprungs. Wann wird das Universum das endlich begreifen?« »Kennst du dich mit Reaktortechnik aus?« fragte Arrgol, ohne auf Artus’ Vorhaltung einzugehen. »Natürlich, sonst würde ich mich ja nicht zur Verfügung stellen«, erwiderte der Roboter. »Ich habe alles über die unterschiedlichen Reaktortypen und Techniken gelesen und gespeichert. Ich könnte jederzeit einen bauen, wenn man mir das nötige Material zur Ver fügung stellte.« »Du brauchst keinen neuen Reaktor zu bauen, nur den alten wie der zusammenzuflicken«, bremste Riker seinen Tatendrang. Arrgol überlegte. Dann stimmte nach kurzem Zögern zu. »Ich nehme das Angebot gern an. Mach dich an die Arbeit, intelli gentes Lebewesen maschinellen Ursprungs. Aber schnell, wenn’s geht, ja? Und ohne erst lange mit dem Reaktor zu diskutieren.«
*
Schon vorher hatte Artus viel Aufmerksamkeit an Bord erregt. Natürlich, denn ein solches Individuum wie ihn hatte noch kein Kurrge jemals zuvor erlebt. Aber jetzt sahen sie ihn erst recht stau nend an, als er durch das U-Boot in Richtung Maschinenraum ging, und der eine oder andere mußte seinen Kameraden erst daran erin nern, daß sie es hier mit einem Roboter zu tun hatten und nicht mit einem exotischen Wesen aus den Abgründen der Fantasie. Artus drang durch eine Schleuse in den Reaktorraum vor. Zu sei ner Verblüffung schwappte jede Menge Wasser herein. Als der Ausgleich hergestellt war und Artus den Raum dahinter betrat, wurde er von kochendem Meerwasser umspült. Damit hatte er nicht gerechnet! Der Raum stand voll unter Wasser. Aber das brodelte und verdampfte laufend, weil die Temperatur auf mittlerweile 250 Grad gestiegen war. Woher kam diese Unmenge an Wasser? Aus dem Kühlkreislauf des Reaktors ganz bestimmt nicht. Dafür war es ein fach zu viel. Artus sah sich aufmerksam um. Das Brodeln des Wassers beeint rächtigte seine optischen Systeme kaum. So entdeckte er alsbald, daß die Wand des Reaktorraums einged rückt war und ein großes Loch aufwies. Wie war es entstanden? Artus rief Daten aus seinen Speichern ab und verglich sie miteinan der und mit dem, was er hier sah. Er kam zu dem Schluß, daß offenbar außen am U-Boot eine Sprengladung gezündet worden war. Diese Ladung hatte das Leck in die Druckhülle gerissen, worauf das Meerwasser hereingeströmt war. Das war der heftige Schlag gewesen, der das Boot erschüttert hatte. Als Artus sich weiter umsah, entdeckte er die Kühlleitung des Reaktors, die von der Explosion zusammengefaltet worden war. Er prüfte ihre Stabilität und packte dann zu. Mit seiner Maschinenkraft
konnte er sie notdürftig wieder zurechtbiegen, ohne daß das Mate rial im Zuge dieser neuerlichen kalten Verformung brach und un dicht wurde. Das Resultat zeigte sich ziemlich bald. Der Kühlkreislauf des Reaktors war wiederhergestellt. Der Atomofen kühlte relativ rasch ab. Die Anzeige des Thermometers sank rapide. Artus verließ den Reaktorraum. Draußen warteten einige Männer und entstrahlten den Roboter, soweit das nötig und sinnvoll war. Allerdings hatte sich längst eine schwache Grundstrahlung im Schiff ausgebreitet und mittlerweile auch den letzten Raum erreicht. Mit etwas Glück hatten die meisten Insassen nichts davon abbe kommen, weil sie rasch genug ihre Schutzanzüge anlegen konnten. Die anderen hatten eben Pech. Wenn sie die Katastrophe überlebten, würden sie so schnell wie möglich in ein Lazarett gebracht werden müssen, um sich dort untersuchen und gegebenenfalls behandeln zu lassen. Dan Riker verstand die Kurrgen nicht. Ringsum waren überall die Spuren eines furchtbaren Atomkriegs, und trotzdem setzten sie nach wie vor auf Kernenergie zur Stromerzeugung. Fehlte nur, daß sie auch noch über atomare Waffen verfügten… Auch auf Terra wurde nach wie vor Atomenergie eingesetzt. Aber hier war die Technik praktisch narrensicher geworden. Sicherheits und Schutzvorrichtungen mit wenigstens fünffacher Redundanz waren der Mindeststandard. Man hatte aus Katastrophen der Ver gangenheit gelernt. Die Kurrgen dagegen hatten diese Technik im Laufe der Jahrhunderte nicht sonderlich weiterentwickelt, sondern verließen sich auf das, was damals funktioniert hatte. Es hatte gefäl ligst auch heute noch so zu funktionieren. Der Bericht über den technischen Zustand, den Artus herunter schnarrte, als er wieder auf der Kommandobrücke war, erschreckte die Terraner. Auf das Hasardspiel, mit einer so primitiven, stö rungsanfälligen Technik durch die Ozeane zu fahren, hätte keiner von ihnen sich eingelassen. Nicht einmal im Vollrausch.
Artus berichtete, was er gesehen und repariert hatte. Kapitän Arrgol war entsetzt. »Das verstehe ich nicht«, stieß er hervor. »Wie, bei allen Wassergeistern, konnte eine Bombe außen am Schiff plaziert werden? Und wann?« »Während der Tauchfahrt bestimmt nicht«, meinte der Steuer mann. »Allenfalls im Hafen. Aber da waren wir doch fast alle drau ßen…« »Und mit Entladen oder Schwatzen beschäftigt«, sagte Arrgol. »Ich wette, niemand hat auf das Wasser geachtet, oder auf Gestalten, die sich in der Nähe herumtrieben. Vielleicht hat sich sogar ein Agent des Generals unter uns gemischt. Ich denke da an den Attentäter, der auf die Terraner schoß. Garantiert wäre es doch keinem eingefallen, nach den aufsteigenden Luftblasen eines Tauchers Ausschau zu halten, oder wonach auch immer.« Riker nickte. Der Kapitän hatte nicht ganz unrecht. Arrgol nahm sich jetzt den Maat vor, der für die Hüllenüberwa chung zuständig war. Dem hätte es doch auffallen müssen, wenn jemand ihnen einen Sprengkörper an die Außenhülle heftete. Aber der beteuerte seine Unschuld. Er verwies auf seine Instrumente. Die hatten nichts angezeigt. Auch die Protokolle, die mehrere Tage bis zum Beginn der Fahrt zurückreichten, lieferten keine Anhaltspunkte. Wenn es nach der Überwachungstechnik ging, konnte es diese Bombe nicht gegeben haben. Leutnant Hornig war es schließlich, der daraufkam, die Kiste mit den Kristallen zu untersuchen, die unmittelbar vor der Abfahrt noch verladen worden war. Er ging ganz einfach davon aus, daß die Ur sache, wenn sie draußen nicht zu finden war, drinnen zu finden sein mußte. »Das will ich sehen«, knurrte der Kommandant und winkte den Männern zu. »Kommen Sie mit.« Sie folgten ihm. Im Frachtraum hielten sie die Schutzanzüge wieder geschlossen, die viele von ihnen geöffnet hatten, nachdem der Strahlungsalarm
aufgehoben worden war. Die kurrgischen Anzüge waren ihren Trä gern doch ein wenig unangenehm. Was ein Problem blieb, war die anhaltende Sinkfahrt. Der Ruder gast schaffte es einfach nicht, das Boot wieder zu stabilisieren und steigen zu lassen. Der Reaktor arbeitete nur noch mit einem Bruchteil seiner ursprünglichen Leistung; die Antriebsturbinen bekamen nicht genug Energie. In die Tanks war Preßluft eingeblasen worden, um das darin befindliche Wasser, das als Tauchgewicht diente, zu ent fernen. Aber das half alles nicht. Das U-Boot war zu schwer! Brack vermutete neben dein durch die Sprengung entstandenen Leck noch weitere Beschädigungen in der Hülle. Kleine Risse reichten schon aus, die Wabenzellen der Schiffswandung vollaufen zu lassen, die durch ihre Sandwichbauweise eigentlich das Boot leichter und zu gleich stabiler machen sollten. Wenn diese Waben alle vollgelaufen waren, schleppte das U-Boot zusätzliches Gewicht mit sich herum, das von der geringen Antriebsleistung nicht mehr ausgeglichen werden konnte. Im Frachtraum winkte der Kapitän zwei Matrosen heran, die die Kiste zu entleeren hatten. Und tatsächlich, ganz unten fand sich ein Störgerät, gut in der Ladung zwischen den Kristallen versteckt. Es erzeugte ein schwa ches elektromagnetisches Feld, das sich auf der äußeren Hülle des U-Bootes absetzte und es Agenten des Generals so offenbar ermög licht hatte, eine Bombe an den Druckkörper zu heften, ohne daß dies von den Überwachungsgeräten angezeigt werden konnte. Ihre Tastimpulse wurden einfach umgeleitet und faßten ins Leere. Kapitän Arrgol schüttelte den Kopf, eine Geste, die bei Kurrgen und Terranern die gleiche Entsprechung hatte. »Also haben wir die Bombe wohl tatsächlich im Hafen verpaßt bekommen«, sagte er. »Und zwar im letzten Moment, als wir aus liefen. Da muß der Attentäter zugelangt haben. Er hat gesehen, daß wir die Kiste mit dem Störgerät an Bord nahmen und wußte, daß er jetzt endlich zuschlagen konnte. Und da von uns niemand mehr
draußen war, konnte uns der Agent auch nicht auffallen. Hoffentlich haben ihn die Schiffsschrauben mit ihrem Sog erwischt und zu Fischfutter verarbeitet.« »Und wie geht es jetzt weiter, Kapitän?« fragte der Navigator. »Fragen Sie mich was Einfacheres«, brummte Arrgol. Was dann kam, überraschte sie alle. * Plötzlich erklang ein lautes, dröhnendes Klopfen und Hämmern an der Schiffshülle. Der Kapitän legte den Kopf etwas schräg und lauschte. »Code«, sagte er dann und schaltete die Sprechanlage um. »Wer ist da draußen?« fragte er. »Na also, es geht doch«, krächzte eine fremde Stimme. »Sie leben also noch. Erbitten Kurzbericht.« »Da kann ja jeder kommen«, gab Arrgol zurück. »Identifizieren Sie sich.« »Obermaat Raulfor mit Rettungstrupp vom U-Boot TANAR. Sie sind die TARANTOR, wenn wir richtig vermuten, ja? Was ist pas siert?« So erfahren wir endlich auch mal, wie dieses Schiffchen heißt, dachte Riker, der angestrengt lauschte. Er hatte schon damit gerechnet, die POINT OF für ein Bergungsmanöver anfordern zu müssen. Aber wenn ein anderes kurrgisches Schiff hier auftauchte, vereinfachte das alles. Die POINT OF hätte mühelos eintauchen und die TARANTOR samt umgebendem Wasser per Intervallfeld aus dem Meer heben können. Aber damit hätten sie ein Geheimnis preisge geben, das zu lüften Riker noch nicht gewillt war, und Ren Dhark wäre darüber auch nicht gerade erfreut gewesen. Obermaat Raulfor hatte es irgendwie geschafft, von draußen eine Funkverbindung herzustellen, um sich mit den Insassen der TARANTOR unterhalten zu können. »Die TANAR«, seufzte Arrgol. »Wie kommen Sie ausgerechnet jetzt hierher?«
»Spezialauftrag. Mehr kann ich Ihnen ohne Genehmigung meines Kommandanten nicht sagen. Wie sieht es bei Ihnen an Bord aus? Sie sind nicht mehr manövrierfähig, habe ich recht?« »Haben Sie. Kapitän Arrgol spricht. Wir sinken. Können Sie uns irgendwie an Bord nehmen?« »Dafür sind wir hier. Wir haben eine Schlauchverbindung zwi schen unserem und Ihrem Turm gelegt. Sie brauchen bloß die Luke zu öffnen und umzusteigen. Unser Kommandant heißt Sie an Bord willkommen.« »Wir steigen über, Obermaat. Die TARANTOR müssen wir auf geben. Wir werden sie per Selbstzerstörungschaltung sprengen. Vielen Dank für die Hilfe.« »Sie werden sich noch wundern«, prophezeite der Mann von der TANAR. »Noch etwas – sprengen Sie nicht. Vielleicht werden wir Ihr Schiff genauer untersuchen müssen.« »Verstanden. Wir kommen an Bord. Achtung: Wir haben einige Gäste an Bord, die etwas ungewöhnlich aussehen. Sie stammen nicht von unserem Planeten.« »Oh, schön«, sagte der Obermaat. »Na, damit werden wir wohl leben können.« * Ein Mann nach dem anderen stieg um an Bord der TANAR, wäh rend die beiden durch den Schlauch miteinander verbundenen Schiffe gemeinsam dem Meeresboden entgegensanken. Eine Meis terleistung der beiden Männer an den Rudern, trotz der weitgehen den Manövrierunfähigkeit der TARANTOR entgegen diversen Un terströmungen immer den gleichen Abstand voneinander zu halten. Das Umsteigen brauchte seine Zeit. Der Kapitän der TANAR hatte angeordnet, daß die Kameraden des sinkenden Schiffes dekontami niert wurden – und zwar einzeln, einer nach dem anderen. Er wollte
gründliche Arbeit. Daran, daß Strahlungsreste an Bord seines Schif fes gelangten, war er nicht interessiert. Sicher wäre es auch einfacher gewesen, die Männer der TARANTOR zusammen in einem größeren Raum zusammenzub ringen und danach erst zu entstrahlen, was den Vorgang des Um steigens wesentlich beschleunigt hätte. Aber scheinbar hatte der andere Kapitän alle Zeit der Welt zur Verfügung. Wartete er viel leicht auf etwas? Das leckgeschlagene Boot sollte nicht gesprengt werden, weil eine Untersuchung bevorstand! Da kochte doch jemand ein verdammt heißes Süppchen, fand Arrgol. Etwas stimmte nicht. Er beschloß, vorsichtig zu sein und warnte auch die Terraner. Noch fünf Kurrgen befanden sich an Bord, unter ihnen der Kapi tän, der sein Schiff als letzter verlassen wollte. Gerade war Dan Riker als letzter seiner Gruppe in den Turm geklettert, um durch den Schlauch das andere U-Boot zu erreichen. Obermaat Raulfor lehnte am hochgeklappten Verschlußdeckel des Turms. Dan sah, daß die Röhre zusammenfaltbar war. Sie spannte sich um ein gutes Dutzend Ringe und war mit besonderen Haft-Verschlüssen beinahe wasserdicht mit der Schiffshülle verbunden. Nur kleine Pfützen sickerten durch, trotz des hier unten schon enormen Was serdrucks. Die Kunststoffröhre war halb transparent und das Meer dahinter in dieser Tiefe schwarz, so daß praktisch nichts zu sehen war, was sich außerhalb befand. Nichts außer diesem hellen Schatten. Heller Schatten? Schatten sind dunkel! Das, was sich dicht an der Röhre befand, war kein Schatten, sondern ein bewegliches Etwas von enormer Größe. Im nächsten Moment rammte es den Verbindungsschlauch und riß ihn an der TARANTOR ab. Gewaltige Wassermengen drängten mit einem Schlag herein und griffen nach Mensch und Kurrge. Riker schaffte es gerade noch, den Falthelm zu schließen. Da war schon nur noch Wasser um ihn herum, das ihm mit seinem Druck
die Luft aus den Lungen preßte. Die blitzschnelle Kompression nahm ihm beinahe das Bewußtsein. Übelkeit explodierte förmlich in ihm. Vor seinen Augen wurde es schwarz, dann flammten bunte Blitze, um erneut der Dunkelheit zu weichen. Er war nahe an der Grenze zur Bewußtlosigkeit und schnob Blut durch die Nase, weil etliche Äderchen geplatzt waren. In seinen Ohren pochte und häm merte es schmerzhaft. Zwischendurch konnte er sehen. Verschwommen zeigte sich ihm ein Ungeheuer. Eines wie das Monstrum, das vor dem Hafen der Mutanten die Dhau zerstört hatte. Riker sah den Obermaat im riesi gen Maul der Bestie verschwinden und nicht wieder auftauchen. Nur eine Blutwolke wurde aufgewirbelt. Dan kämpfte gegen die Bewußtlosigkeit an und darum, wenigstens vorübergehend wieder sehen zu können. Unglaubliche Konzentra tion und Kraft setzte er dabei ein und wußte: Wenn er die Besinnung verlor, war er der nächste Naschhappen der Bestie! Hatte Kapitän Arrgol sich nicht gewünscht, das Monstrum mit ei nem Torpedo ins Maul zu stoppen? Es war ihm nicht vergönnt gewesen. Aber es gab mehrere dieser Seeungeheuer, und wieder kam Arrgol nicht zum Zug. Dafür aber Dan Riker. Irgendwie schaffte er es, seinen Blaster einzusetzen. Der Strahl brachte eine Wasserlanze zum Kochen, die als Begleiterscheinung des Strahlschusses in den schuppigen Körper des Ungeheuers fuhr. Es gab ein Schmerzgebrüll von sich, das Riker erfreulicherweise nicht hören konnte, aber der Schalldruck, vom Wasser getragen, ließ seinen ganzen Körper vibrieren. Das Ungeheuer starb und sank nach unten weg. Da endlich gab Riker seinen Kampf auf. Schwärze hüllte ihn ein. Er erwachte in der Medostation der TANAR. *
Medizin aus dem mitgeführten Medopack war wesentlich effekti ver als die Behandlungsversuche der Kurrgen. Nach etwa zwei Stunden fühlte Riker sich zwar noch angeschlagen, aber wieder so weit fit, daß er sein Krankenlager verlassen und an Besprechungen teilnehmen konnte. Die Mannschaft der TANAR staunte nicht schlecht über die Fremden und ihren Roboter. Die ließen sich von neugierigen Blicken nicht stören. Der Kommandant der TANAR erlaubte keinem seiner Gäste, die Kommandobrücke zu betreten. Die Besprechung fand in der Offi ziersmesse statt, einer nicht besonders geräumigen Kabine, die je doch in Relation zu den Abmessungen des Atom-U-Bootes relativ groß war. Lapidar erklärte der Kommandant, daß er eigentlich die Aufgabe hatte, die TARANTOR abzuschießen. »Warum?« fuhr Arrgol entsetzt auf. »Ihr Schiff strahlte ein klar erkennbares Peilsignal aus«, sagte der andere Kommandant. Arrgol gab einen Fluch wieder, der in einer schmutzigen Hafen spelunke eher am Platz gewesen wäre statt in der Messe eines mo dernen, gepflegten U-Bootes. »Offenbar hat man uns also neben der Bombe auch noch einen Sender angehängt«, ächzte er. »Ihr Götter, wenn die Explosion nicht rechtzeitig erfolgt wäre – man hätte uns bis in die Hangarschleusen der Kuppelstadt verfolgen können! Aber so kam die Bombe dem Gegner zuvor, die Explosion hat auch den Peilsender zum Ver stummen gebracht – oder sendet der immer noch?« »Er sendet nicht mehr«, sagte der andere Kapitän. »Was eigentlich schade ist. Der Gegner würde die Position des Wracks ansteuern und für unsere Torpedos perfekte Zielscheiben darstellen. Aber jetzt wird man vielleicht mißtrauisch und vorsichtig.« »Mir egal«, brummte Arrgol. »Mein Schiff ist kaputt. Jemand sollte sich ganz schnell überlegen, wie er mir Ersatz beschafft.«
»Das ist nicht mein Problem«, sagte der andere Kommandant. »Wir bringen Sie alle erst mal zur Unterseekuppel der Überlebenden.« * Artus hatte die ganze Zeit über ein merkwürdiges Gefühl. Irgend etwas an der Geschichte stimmte nicht. Die Sache mit Bombe und Peilsender konnte nicht alles sein. Der Roboter suchte seine gespeicherten Dateien über dieses spe zielle Thema ab und hatte schon nach selbst für seine Verhältnisse kurzer Zeit Erfolg. Nach nur 19,5 Millisekunden fand er etwas über alte U-Boote und verarbeitete dieses Wissen so, daß er es anwenden und vortragen konnte. So kam er zu der Erkenntnis, daß auf der Hülle des zerstörten Bootes auch noch ein weiteres Gerät, ein kleiner Peiltorpedo gewe sen sein könnte, der in der Lage wäre, den Schraubengeräuschen des zweiten U-Bootes zu folgen. Daß das zweite Boot erscheinen mußte, war zwangsläufig. Die Lo gik besagte, daß man in der Kuppel reagieren mußte, wenn man das Peilsignal vom ersten Boot ortete. Schon aus Sicherheitsgründen… War das zweite Boot nahe genug, löste der Peiltorpedo sich vom ersten Schiff und verfolgte das zweite Boot bei seiner Heimkehr bis zur Kuppel! Dabei sendete er die Koordinaten an eine Leitstelle des Gegners. Und dann… Artus eilte zur Brücke der TANAR. Dort verweigerte man ihm kategorisch den Zutritt. Der Komman dant war weniger leutselig als Kapitän Arrgol und vertrat die An sicht, daß jeder, der nicht zur Führungsmannschaft des Bootes ge hörte, im Kommandostand nichts zu suchen hatte. »Aber ich muß den Kommandanten sprechen. Dringend«, ver langte Artus kategorisch.
»Der Kommandant ist beschäftigt«, wehrte der Wachhabende ab, der breitbeinig draußen vor dem Schott zur Kommandobrücke stand und jedem Unbefugten den Zutritt verwehrte. Artus errechnete eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, daß ihnen allen nicht mehr sehr viel Zeit blieb. Er griff zum Schocker und schoß den Marinesoldaten kurzerhand nieder. Der würde in ein paar Stunden wieder aufwachen und starke Kopfschmerzen haben. Aber Artur fand das besser, als wenn sie alle bald überhaupt keine Schmerzen mehr verspürten, weil sie tot waren. Die Möglichkeit bestand immerhin. Die Wahrscheinlichkeit betrug 49 Prozent. Ohne anzuklopfen öffnete Artus das Schott und trat ein. Gerade in dem Moment schaltete der Kommandant den Antrieb ab, da man die Unterseekuppel erreicht hatte. Wie groß sie war, ließ sich für Artus nicht absehen, aber er las Daten von einem Bildschirm ab, die offenbar die Lage der Kuppel beschrieben. Demzufolge war die Anlage gigantisch und möglicherweise dop pelt so groß wie General Noregs Bunker. »Funk, senden Sie eine Nachricht an die Station. Sie sollen die Hangarschleuse öffnen. Befehlscode 15-Ge-3-En. Meine Signatur hinzufügen«, befahl er Kommandant. »Aye, Kapitän. Wird ausgeführt… Moment, da ist etwas!« Der Kommandant und Artus traten gleichzeitig vor und stießen gegeneinander. Der Kurrge maß den Roboter mit einem finsteren Blick. »Was willst du denn hier, Maschine? Das Betreten der Kom mandobrücke ist Unbefugten verboten. Wache…« »Ich protestiere energisch. Ich bin mehr als nur eine Maschine. Außerdem bin ich hier, um…« »Mit Verlaub, Kapitän, aber läßt sich diese Grundsatzdiskussion vielleicht auf später verschieben?« wandte der Funker ein. »Ich messe ein Peilsignal an.« »Das ist es«, rief Artus. »Genau deshalb bin ich hier! Es handelt sich um…«
»Distanz weniger als ein Kilometer«, meldete der Funker unbeirrt. »Der Peiler sendet seine Koordinaten in Endlosmodus.« Der Kommandant fluchte und verwünschte General Noreg und seine Leute in den Schlund des größten Vulkans. »Peilsender abschießen!« befahl er. »Nein«, protestierte Artus. »Wir könnten das Gerät manipulieren und…« »Ich sagte: Abschie… ist das hier ein kurrgisches Atom-U-Boot oder ein stinkendes Schleimkrötennest, in dem jeder kommen und gehen kann, wie es ihm beliebt?« fauchte der Kommandant. Der nächste Unbefugte stürmte in die Zentrale! * Minuten vorher hatte Dan Rikers Vipho angesprochen. Die POINT OF meldete sich! »Dan, es ist etwas passiert«, sagte Ren Dhark rauh. »Raus mit der Sprache!« forderte sein Freund. »Es wird dich nicht erfreuen. Aus dem Bergbunker General Noregs ist eine schwere Atomrakete gestartet worden. Sie fliegt mit Kurs auf die andere Seite des Planeten.« »Also zu uns?« Riker schnappte nach Luft. Dhark nickte. »Leider. Sie hat ihr Ziel fast schon erreicht.« »Und das ist Grappa entgangen?« keuchte Riker. »Ich fasse es nicht!« »Er konnte die Rakete nicht vorher orten«, sagte Dhark. »Weil die POINT OF sich ganz auf die Überwachung des Außenteams kon zentrierte und die andere Seite des Planeten nicht länger beachtet hat… das war wohl ein Fehler, was, Alter?« »Das kannst du laut sagen«, knurrte Riker. »Es könnte der größte Fehler sein, den jemals ein Mensch gemacht hat!« Dann begann er zu laufen. Zur Kommandobrücke…
16.
»Unglaublich…« Einer der Rekruten hatte es laut ausgesprochen; die Stimme hallte von der Decke der kathedralenartigen Höhle wider und brach sich mit einem schwachen Echo an den Wänden. Noch immer starrten die Soldaten fassungslos auf ihren Kamera den, den die Sanitäter der ANZIO eben aus dem Wasser des unte rirdischen Sees gezogen und wieder auf die A-Gravtrage gelegt hat ten. Ihre Gesichter waren vom gespenstischen Schein des unirdi schen Lichts Übergossen, das seinen Ausgangspunkt im Teich hatte. »Mein Gott! Er ist am Leben!« stieß Michael »Mike« Kesch hervor. Seine Reaktion war für jeden in der Höhle nachvollziehbar. Nicht, weil alle von der Freundschaft zwischen den beiden Männern wuß ten, sondern wegen dem, was sich abgespielt hatte, nachdem Kana auf eine plötzliche Eingebung des Majors aus der medizinischen Station der ANZIO in die Höhle geschafft und ins Wasser gelegt worden war. Der Sanitätsmaat beugte sich zu dem Soldaten, der vor kurzer Zeit noch unrettbar verloren schien und bereits im Sterben gelegen hatte. Die schrecklichen Wunden, die ihm von dem Rudel Gendoggen zugefügt worden waren, hatten sich unter dem Einfluß des Wassers in mysteriöser Weise wie im Zeitraffertempo geschlossen. Jetzt, we nige Minuten später, waren nur noch Narben zu erkennen, und selbst die wurden langsam unsichtbar. »Nicht zu fassen«, murmelte er kopfschüttelnd und vergewisserte sich zum wiederholten Mal, daß sein Patient wirklich lebte. Er fühlte seinen Puls und leuchtete mit einer kleinen Lampe in Kanas Augen. »Ist mir absolut unbegreiflich«, brachte es sein Kollege auf den Punkt. »Wenn ich es nicht selbst miterlebt hätte, würde ich jeden, der mir diese Geschichte erzählte, für einen Aufschneider halten…«
»Machen Sie mal Platz, Soldat!« McGraves schob Kesch zur Seite und musterte Kana aufmerksam. »Wie geht es Ihnen, Fähnrich?« »Ich… ich weiß nicht genau, was ich Ihnen darauf antworten soll, Sir.« »Schmerzen?« »Ich… glaube nicht. Nein, keine Schmerzen.« »Wie fühlen Sie sich?« »Als hätte ich einen wundersamen Heilungsprozeß durchgemacht, Sir«, gestand der Rauminfanterist mit einem dünnen, unsicheren Grinsen. Er schwang die Beine von der Antigravliege und ließ die Beine vom Rand hängen; er wirkte ein wenig lächerlich in dem kur zen, hellgrünen Hemd aus den Beständen der Krankenstation. »Das haben Sie, Soldat«, nickte McGraves und zog die Unterlippe zwischen die Zähne, einziges Zeichen seiner augenblicklichen Ver fassung. Mehr ließ der Major von seiner maßlosen Überraschung nicht nach außen dringen. »Das haben Sie ganz offensichtlich«, fuhr er fort, »auch wenn es uns allen noch ein Rätsel ist, was der Auslöser dafür war.« »Dort haben Sie Ihre Ursache«, ließ sich der Sanitäter vernehmen; der Obermaat machte eine Kopfbewegung in Richtung des Teiches, der die Kaverne mit seinem unwirklichen Licht erhellte. McGraves gab einen unbestimmten Laut von sich und fixierte das Corpus delicti. Der Teich. Er erstreckte sich von Wand zu Wand in die Tiefe der Höhle und bot keine Möglichkeit, ihn zu umgehen, um zum jenseitigen Ende zu gelangen. Dort, erreichbar nur durch oder über das Wasser, befand sich eine etwa fünf Meter große, rätselhaft anmutende Pumpenap paratur, die den Anschein erweckte, als würde sie nichts anderes tun, als geschäftig wie ein Perpetuum mobile das Wasser anzusau gen, nur um es mit armdickem Strahl aus dem merkwürdig ge formten Kopfstück wieder in den See zu befördern.
Die Scheinwerfer der Soldaten tanzten über den Teich und mach ten aus ihm einen golden leuchtenden, facettierten Spiegel von ge radezu surrealer Schönheit. Die Sicht auf den Grund des tiefgoldenen Wassers wurde durch die ständige Bewegung der winzigen Wellen verwehrt, die der Rückstrom verursachte. McGraves konnte sich nicht helfen, irgendwie hatte er das irratio nale Gefühl, etwas Lebendiges vor sich zu haben. Etwas, das eine Art Zwang auszuüben schien. Etwas, das rief und lockte… Erschaudernd fühlte der Major, wie sich die Haut seines Rückens körnte – und war regelrecht dankbar, als ihn die Stimme des Sanitä ters aus diesem eigenartigen Zustand riß. »Wir haben da noch einen Patienten, Sir!« Er wies auf den Solda ten, der in einigen Schritten Entfernung, vom Schuß des Majors ins Land der Träume geschickt, betäubt auf dem Boden lag und leise schnarchte. Derek Stormond war beim Eindringen in die unterirdi sche Kaverne von der ursprünglich verletzten Gendogge angefallen worden, die ihn, sonderbar auch dies, als »lebenden Schutzschild« gegen die Terraner einsetzt hatte, ehe McGraves sie und den Rekru ten mit einem breitgefächerten Paralysestrahl ins Land der Träume geschickt hatte. »Seine Verwundungen«, fuhr der Sanitäter fort, »scheinen mir zwar nicht unmittelbar tödlich zu sein, aber wissen wir, welche fremdartigen Keime und Bakterien diese Tiere mit sich rumschlep pen? Ich schlage vor, wir lassen ihm die gleiche Behandlung zuteil werden wie Kesch, oder was meinen Sie?« »Selbst wenn es diesmal nicht funktionieren sollte, kann es zu mindest nicht schaden«, nickte McGraves. »In Ordnung, tun Sie es!« Die beiden Sanitäter trugen den noch immer Bewußtlosen, der sein Schnarchen um kein Dezibel verringerte, zum Beckenrand und lie ßen ihn unter den aufmerksamen Blicken aller vorsichtig ins Wasser gleiten.
Erneut wiederholte sich das Schauspiel: Stormond tauchte unter, um Sekunden später prustend, aber hellwach den Kopf durch die Wasseroberfläche zu strecken. »He, ihr Trantüten!« rief er, und im Zwielicht der Kaverne war sein Grinsen zu sehen. »Wollt ihr mir nicht raushelfen?« Wortlos gehorchten die Sanitäter. »Ihnen scheint es gutzugehen, Rekrut?« »Bestens, Sir«, beantwortete der junge Mann McGraves’ Frage, während das Wasser aus seiner Uniform floß und eine Pfütze um seine Füße bildete. Dabei geschah etwas Merkwürdiges: Eine Welle von Eigendynamik lief durch die Lache; das Wasser schien sich auf eine unerklärliche Weise zu organisieren, floß trotz des unebenen Felsenbodens zusammen und bewegte sich langsam jedoch erstaun lich zielgerichtet in Richtung des Teiches. McGraves, der als einziger diesen Vorgang zu bemerken schien, hütete sich, ihm in einer Anwandlung unreflektiertem Animismus bewußtes Handeln zuzuschreiben, dennoch hatte er, zum zweiten mal eigentlich, das vertrackte Gefühl, es hier mit einem lebenden Organismus zu tun zu haben. Unsinn! Er rief sich zur Ordnung. Nein, er durfte in die Natur dieses Teiches nichts hineinprojizieren, was nicht enthalten sein konnte. Aber von einem war er mittlerweile überzeugt: Sahara war geheimnisvoller als alle ahnten. Stormond fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht, dann durch das nasse Haar, während er mit einem breiten Lachen hinzu fügte: »Habe mich selten besser gefühlt, Sir!« »Hmm«, brummte der Major; über seiner Nasenwurzel bildete sich eine Falte. »Sehen Sie mal nach seinen Wunden!« wandte er sich an den Sanitäter. »Sind nicht mehr vorhanden, Sir. Die Narben beginnen bereits zu verblassen.«
»Was zum Teufel geht hier eigentlich vor?« sagte McGraves irri tiert. »Das kann ja kein normaler Mensch verarbeiten. Was ist das nur für eine Maschine?« »Ein Jungbrunnen!« ließ sich eine Stimme vernehmen. Das Gesicht des Majors verfinsterte sich noch mehr. »Unterlassen Sie Ihre unqualifizierte Äußerungen, Soldat!« schnappte Nunez; der Stabsfeldwebel zog die richtigen Schlüsse aus McGraves’ Miene. »Es gibt keine Jungbrunnen!« »Das stimmt so nicht!« widersprach Lee Kana, dem nicht mehr anzusehen war, daß er noch vor kurzem mit dem Tod gerungen hatte. »Ich komme aus Florida und erinnere mich noch an die Er zählungen und Sagen der Ureinwohner über existierende Brunnen, in denen alle Gebrechen, auch die des Alterns, geheilt werden konnten.« »Pah!« schnarrte Nunez. »Ammenmärchen.« »Die den spanischen Eroberern immerhin ausgedehnte Expeditio nen wert waren«, blieb Kana hartnäckig. »Cortes selbst hatte eigens dafür ausgewählte Truppen zusammengestellt, um den Jungbrun nen aufzuspüren, als ihm von dessen Vorhandensein berichtet wor den war.« »Das ist ja alles faszinierend«, versetzte Nunez lakonisch, »und interessant und so weiter. Aber was bringt es uns? Nichts. Zu keiner Zeit wurde die Existenz dieses ominösen Jungbrunnens dokumen tiert. Der Himmel mag wissen, was dieser… dieser Teich oder mei netwegen auch Brunnen tatsächlich ist.« »Uns hat er jedenfalls nicht geschadet, ganz im Gegenteil«, mischte sich Stormond ein. »Vielleicht sollten Sie selbst mal reinsteigen, um die Erfahrung zu machen, die Kana und ich gemacht haben.« Er machte eine einladende Geste. »Schluß der Debatte«, beendete McGraves’ Stimme die Diskussion, die in eine Richtung abdriftete, welche ihm überhaupt nicht paßte. »Niemand steigt mehr ins Wasser, ehe wir nicht genau wissen, wo rum es sich hier handelt. Ist das verstanden?«
In dieser Sekunde schlug ein Signal an. Major McGraves schaltete an seinem Armbandvipho. Oberst Vegas meldete sich aus der ANZIO; der Ovoid-Ringraumer stand in einer fixen Höhe von zehn Kilometern genau über der Tal senke. »Bericht, Major.« McGraves informierten den Kommandanten in knappen Sätzen und fast chronologischer Reihenfolge darüber, was vorgefallen war. Der weißhaarige Oberst hörte zu, ohne zu unterbrechen. »Danke«, sagte er, als der Major geendet hatte. »Ich bin schon eine ziemliche Weile im Geschäft«, fuhr er fort, »und in dieser Zeit ist mir einiges an wilden und unglaublichen Geschichten zu Ohren ge kommen, aber das schlägt alles. Ehrlich gesagt, Chester, wenn mir diese Geschichte jemand anderer vorgetragen hätte, hätte ich ent weder gelacht oder den Mann für einen gewaltigen Aufschneider gehalten.« »Würde ich verstehen«, gestand McGraves mit einem schwachen Grinsen. »Ginge mir nicht anderes, Oberst. Aber ich war Zeuge, habe es mit eigenen Augen gesehen.« »Und ist es das, was es nach der Ansicht einiger Ihrer Männer zu sein scheint… ein Jungbrunnen?« »Ich möchte mich da nicht festlegen.« McGraves wiegte unschlüs sig den Kopf. »Nur eines kann bislang mit Sicherheit gesagt werden: Die Apparatur ist kein terranisches Erzeugnis. Das ist aber auch schon alles. Meiner Meinung nach bedarf es ausgedehnter, intensiver Untersuchungen, um diese geheimnisvolle Anlage zu ergründen.« Vegas schwieg einige Augenblicke. Dann traf er seine Entschei dung: »In Ordnung, Chester, ziehen Sie ihre Truppe aus der Höhle ab. Lassen Sie nur zwei Mann zur Bewachung am Eingang. Ich komme mit der ANZIO hinunter, danach werden wir über unser weiteres Vorgehen beraten. Und Major, bringen Sie die beiden Männer mit an Bord, die die Segnungen des Wassers erfahren durf ten.«
Erst nachdem Oberst Vegas sich aus der Phase ausgeklinkt hatte, wurde dem Major bewußt, daß die letzte Bemerkung des Komman danten eindeutig ironisch gemeint gewesen war. Zehn Minuten später schrillte das Pfeifen brutal verdrängter Luftmassen über das Land, und der gewaltige, metallene Reifen landete am Rand der Mulde. Die Wandungen des 45 Meter hohen Ringkörpers schimmerten im fahlen Licht des beginnenden Son nenuntergangs, dem eine Periode langer Dämmerung folgen würde. Der Major hatte die Zeitspanne bis zum Eintreffen der ANZIO dazu genutzt, seinen Haupt- und Stabsfeldwebeln genaue Befehle zu geben. Sofort nachdem die ANZIO zur Ruhe gekommen war und der Wind die aufgewirbelten Staubmassen in westliche Richtung auf den fernen Höhenzug davontrug, schwärmten die Rauminfanteris ten aus und sicherten die Umgebung von Lager und Schiff in weitem Umkreis mit einer gestaffelten Postenkette gegen mögliche Angriffe durch neue Horden von Gendoggen. Die zehn gepanzerten Schwe ber waren an strategischen Punkten aufgefahren und sicherten mit ihren schweren Waffen ihrerseits die Infanteristen. Zu diesem Zeitpunkt betraten McGraves, die beiden Sanitäter so wie Kana und Derek Salzman bereits die ANZIO. * Major McGraves schickte die beiden geretteten Soldaten unter Be gleitung der Sanitäter in die Medo-Abteilung, um anschließend den Kommandanten noch einmal und diesmal in allen Einzelheiten über den mysteriösen Fund in der Höhle zu unterrichten. Die Zusammenkunft fand im Konferenzraum statt, der unmittelbar an die Hauptzentrale grenzte. Da es sich um Vorgänge auf Sahara handelte, war auch Pal Bretan zugegen, der Beauftragte der Regie rung der Kolonie. »Ich habe so das Gefühl«, bekannte der Major abschließend, »daß wir es hier mit einem Fund von großer Tragweite zu tun haben
könnten. Sollte sich bestätigen, was an Gerüchten, Spekulationen und Halbwahrheiten unter den Leuten bereits kursiert, stehen uns noch einige sehr turbulente Tage bevor. Was werden Sie tun, Oberst?« Vegas mußte nicht überlegen. »Wir werden«, tat er seine Ent scheidung kund, »eine Gruppe bilden, die sich des Artefakts an nimmt und es untersucht, um herauszufinden, womit wir es zu tun haben.« »Davon kann ich nur abraten«, meldete sich Bretan zu Wort. Vegas drehte den Kopf und musterte mit seinen blauen Augen den Kolonisten auf der anderen Seite des Tisches. Er sagte beiläufig im Gesprächston: »Ach ja! Weshalb?« »Ich muß leider darauf bestehen, daß Ihre Leute die Finger davon lassen«, bedauerte er. »Zumindest vorerst, bis die Administration der Kolonie darüber entschieden hat, was mit dem Fund zu gesche hen hat. Ein unsachgemäßes und unkoordiniertes Vorgehen könnte mehr zerstören, als es an Erkenntnissen bringt.« »Die Administration? So, so.« Vegas zog die Stirn in Falten. »Was läßt Sie hoffen, ich würde Ihren Rat befolgen?« Bretans Mund wurde schmal. »Sie befinden sich auf Sahara«, sagte er hölzern und gab sich Mühe, den Ärger nicht an die Oberfläche schwappen zu lassen, den Vegas’ Worte in ihm auslöste. »Das ist mir bekannt«, versetzte Vegas trocken, dem rasch klar geworden war, daß ein echter Jungbrunnen für Sahara um ein Viel faches wertvoller sein mußte, als es das Exportgeschäft mit Ratzfatz je werden würde. »Mir ist allerdings nicht bekannt, daß die Kolonie sich jemals um eine Loslösung von Terra bemüht hätte oder gar daß so etwas genehmigt worden wäre. Sahara ist demnach folgerichtig Teil der Erde. Ergo sehe ich mich als Repräsentanten der terrani schen Regierung und habe die bindende Pflicht, deren Rechte ge ltend zu machen. Ganz abgesehen davon, daß wir sehr kompetente Wissenschaftler an Bord haben.«
Die steile Falte auf Bretans Stirn erschien wieder. Er preßte die Lippen zusammen und sagte: »Entgegen Ihrer Annahme gibt es auch auf Sahara einige sehr fä hige Köpfe, die durchaus in der Lage sind, mit einem Phänomen wie dem Jungbrunnen umzugehen.« Vegas nickte und erwiderte trocken: »Ich höre Sie wohl, Mister Bretan, doch fehlt mir der rechte Glaube. Ist es denn nicht so, daß die LYRA ausschließlich Kolonisten an Bord hatte, die auf der Suche nach Agrarwelten waren? Vermute ich richtig, wenn ich behaupte, es befanden sich überwiegend Handwerker, Landwirte und Agrarbio logen an Bord, oder wurde mir da etwas Falsches berichtet?« Bretan war knallrot angelaufen. Abrupt stand er auf. »Ich bin hier, Mister Vegas«, bewußt verwandte er die zivile An rede, »weil die Administration es so beschlossen hat, nicht um mich beleidigen zu lassen. Stecken Sie sich Ihre Vermutungen doch sonstwo…« Vegas war ebenfalls aufgestanden. Er überragte den Kolonisten um eine ganze Kopflänge. Sein Gesicht war plötzlich hart, sein Ton schneidend. »Ja?« sagte er in unheilvollem Ton, als Bretan ver stummte. »Ach was, gehen Sie doch zum Teufel!« Der Kolonist drehte sich um und ging genau fünf Meter auf das Schott zu, bis ihn Vegas an rief. »Mister Bretan! Sind Sie weiter an einer Zusammenarbeit interes siert, oder ziehen Sie es vor, den Beleidigten zu spielen und einge schnappt zu bleiben?« Pal Bretan blieb stehen. Schließlich drehte er sich um. »Ich höre?« Das Schweigen dauerte lange. Die beiden Männer starrten sich an. Es war klar: Bretan erwartete, daß Vegas den ersten Schritt unter nahm. Schließlich sagte der Oberst in geschäftsmäßigem Ton: »Ehe wir uns erneut in die Wolle kriegen – einigen wir uns doch darauf, uns
nicht zu streiten, bevor wir nicht wissen, womit wir es bei dem Ar tefakt in der Höhle zu tun haben. Können wir auf dieser Basis ar beiten?« Bretan nickte. »Akzeptiert.« »Gut. Dann kann ich davon ausgehen, daß Sie bei der Exploration dabei sein werden?« »Informieren Sie mich, sobald es losgeht«, nickte Bretan und ver ließ den Konferenzraum. Major McGraves hatte interessiert die verbale Auseinandersetzung der beiden Männer verfolgt. Er konnte nicht umhin, in gewisser Weise Pal Bretans Haltung Respekt zu zollen; der Kolonist ließ sich nicht so ohne weiteres ins Bockshorn jagen. Konnte interessant werden, die weitere Entwicklung zu verfolgen… »Ist etwas, Major?« fuhr der Kommandant ehester McGraves an, dessen Miene seine Gedanken widerzuspiegeln schien. »Nichts, Oberst, gar nichts!« beeilte der sich zu versichern. »Das will ich meinen«, knurrte Roy Vegas. »Gehen wir. Es gibt ei niges zu tun.« Die nächsten sechzig Minuten waren mit dem Zusammenstellen des Teams ausgefüllt. Doktor Neel meldete sich aus der Medizin beim Major. Beide Soldaten seien kerngesund, ließ er wissen. Ne benwirkungen des Bades waren keine festgestellt worden. Im Ge genteil, dem Assistenzarzt zufolge konnten die beiden ihren phy siologischen Werten zufolge glatt zehn Jahre jünger sein, als sie es laut Geburtsurkunde waren. »Sie sind also diensttauglich?« »Uneingeschränkt«, versicherte Dan Neel. »Warum fragen Sie, Major? Versuchen die beiden Ihnen etwa etwas anderes einzure den?« »Nein, nein«, erwiderte McGraves und musterte Lee Kana und Derek Stormond, die sich vor wenigen Minuten bei ihm gemeldet hatten, von der Seite. »Danke, Doktor.«
»Nicht dafür«, brummte der und unterbrach die Verbindung. »Tja, meine Herren, von medizinischer und meiner Seite aus spricht nichts gegen eine Teilnahme an der Expedition zurück in die Höhle. Aber das letzte Wort hat der Kommandant. Ihn müssen Sie überzeugen, Sie mitzunehmen. Aber fragen Sie mich nicht, mit wel chen Argumenten Sie ihm kommen müssen, um das zu erreichen.« Es war leichter als erwartet. Vegas hörte sich nicht mal die Argumentation der beiden richtig an. »Ja«, meinte er nur, und ließ zwei perplexe Soldaten verstummen, die sich eine ausgefeilte Argumentation zurechtgelegt hatten, um das zu erreichen, was ihnen der Oberst, noch ehe sie loslegen konn ten, mit einem knappen »Ja« gewährte. »Sonst noch was?« »Nein, Sir. Danke, Sir.« »Melden Sie sich in der exogeologischen Abteilung bei Hauptmann Plotnikoff. Wegtreten.« »Jawohl, Sir!« Beide Rekruten salutierten und machten sich davon. Schließlich, nach noch einmal sechzig Minuten, verließ eine Gruppe Männer unterschiedlichster wissenschaftlicher und militä rischer Ausbildung die ANZIO und stapfte durch den Sand in die Mulde hinab. Das zerstörte Dorf erweckte zuerst das Interesse des Teams. »Ich möchte«, ordnete Oberst Vegas an, der die Untersuchungs gruppe begleitete, obwohl er von deren Arbeit selbst wenig ver stand, »daß das Lager und die Leichen der Echsen untersucht wer den, wobei es mich besonders interessiert, wodurch oder womit dieser Platz, der zweifelsohne die Anfänge einer zivilisatorischen Kultur zeigt, zerstört worden sein könnte.« »Als ob jemand versucht hätte, die Entwicklung einer Spezies ge waltsam zu unterbinden«, sagte Mark Skyler, der Anthropologe. »Hören Sie, Rob«, wandte er sich an Plotnikoff, den Chefgeologen. »Weiß man etwas über das Alter Saharas?«
»Es entspricht in etwa dem der Erde.« »Hmm… auf der Erde – und anderen vergleichbaren Welten – ist in deren Frühzeit, ehe sich eine permanente Zivilisation etablierte, eine Kultur nach anderen emporgestiegen und wieder zerfallen und hat ihre Überreste hinterlassen. Eine Hinterlassenschaft, auf der wiederum die nächstfolgende Zivilisation aufgebaut hat. Warum ist das hier nicht geschehen?« Er wandte sich an Pal Bretan. »Wurden von Ihren Scoutbooten je Exkursionen über die Oberfläche ge macht?« »Natürlich. Als wir nach Wasser suchten, wurde ein kleiner Teil des Planeten vermessen.« »Warum nur ein kleiner?« »Weil es zu gefährlich wurde. Überall stießen wir auf Echsen. Sie schienen allgegenwärtig zu sein. Und als diese begannen, sich auf die Kolonie zu konzentrieren, mußten wir unsere ganze Kraft darauf verwenden, unser Überleben zu sichern. Da geriet das Kartogra phieren Saharas etwas in den Hintergrund, Sie verstehen.« »Natürlich. Ich wollte eigentlich auch nur wissen, ob jemals auf der Oberfläche Saharas Ruinen gefunden worden sind, von denen man auf das Vorhandensein früherer Zivilisationen oder Kulturen hätte schließen können.« »Nein«, versicherte Bretan. »Es sind nie derartige Hinterlassen schaften gefunden worden. Allerdings hatten wir bis heute auch keine Zeit für genaue Nachforschungen, aber eines Tages werden wir das Versäumte nachholen.« Inzwischen hatten sie den Eingang zur Höhle erreicht. Minuten später sah Oberst Vegas zum ersten Mal mit eigenen Augen das Phänomen in der Höhle: den golden schimmernden Teich und die goldene Apparatur an dessen Ende. Seine Verblüffung entsprach der des gesamten wissenschaftlichen Teams, von dem keiner die Höhle bislang zu Gesicht bekommen hatte.
Es war Plotnikoff, der die staunende Starre seiner Kollegen abrupt zerstörte, indem er laut sagte: »Lassen Sie uns an die Arbeit gehen, meine Herren. Ich glaube, der Koch hat etwas von einem ausge zeichneten Abendessen erwähnt – ich möchte es auf keinen Fall versäumen.« Eine halbe Stunde später hatten die Wissenschaftler aus den mit gebrachten Modulen eine provisorische Laboreinrichtung in der Höhle aufgebaut. Instrumente und Ausrüstungsgegenstände, Elektronenmikroskope, Chromatographen und andere geheimnis volle Apparaturen. »Eben alles, was ein moderner Alchimist des 21. Jahrhunderts zur Ausübung seines geheimen Wissens benötigt«, erklärte Harry Bingham, der Exobiologe, mit einem ironischen Fun keln in den Augen auf Vegas’ neugierige Fragen. »Und wozu dient das da?« Der Oberst legte die Hand auf einem stumpf schimmernden Würfel. »Zu Trennung und Analyse von Proteinen, Sir.« Bingham war ein magerer, knochiger Mann mit einem zerfurchten Gesicht und einer kraftvollen Baßstimme. »Sie meinen organisches Leben.« Bingham wackelte heftig mit dem Kopf, seine Art der Bejahung. »Falls wir welches finden sollten.« »Im Wasser.« »Richtig, Sir. Das ist es doch, was Sie vermuten, nicht wahr?« »Irgendeine Erklärung muß es ja für das Phänomen geben«, mur melte Roy Vegas. Kraetsch, der am Rande des Teiches auf den Knien herumwuselte und mit seinem Kombimeßgerät hantierte, sagte gedehnt: »Ich habe da eine Art Störung auf meinem Gerät verzeichnet, Sir. Für einen Augenblick hat sich eine Amplitude auf dem Schirm gezeigt, als ich den Meßlaser auf die Wasseroberfläche richtete.« »Glauben Sie…« »Es ist möglich«, antwortete der Physiker im Rang eines Ober leutnants auf die unvollendete Frage, »das bedeutet Arbeit für uns,
Hobin.« Er trieb seinen Assistenten an. »Vorwärts, man erwartet Ergebnisse. Ja, ich weiß, unser Geschäft ist ein hartes. Aber es geht hier nicht um einen kleinen Physiker wie Sie oder mich, sondern es geht darum, diesem Planeten ein Geheimnis zu entreißen. Sie haben recht: Ich weiß nicht, ob Magie dahintersteckt. Aber weil ich das nicht weiß, läßt es mir keine Ruhe.« Vegas sah McGraves an, der ebenso amüsiert zurückblickte. Horia Kraetsch war bekannt für seine Selbstgespräche, wenn er sich der Lösung eines vertrackten Problems widmete. »Da haben wir es ja!« rief Kraetsch mit wilder, triumphierender Stimme. »Kommandant«, wandte er sich den Oberst, »Zwei Neuig keiten, eine gute, eine schlechte. Welche wollen Sie…« »Mister Kraetsch!« sagte Vegas drohend. »Also die gute zuerst. Der Teich ist mit Energie aufgeladen, daran besteht kein Zweifel. Die schlechte Nachricht, es ist eine uns unbe kannte Form.« »Haben Sie nicht mal was Positives auf Lager?« knurrte Vegas mißgelaunt. »Tut mir leid. Kann ich nicht mit dienen«, bedauerte der Physiker. Vegas knurrte wieder. »Was ist mit Ihnen, Mister Sauter«, richtet er das Wort an den Hydrologen. »Haben Sie das Wasser inzwischen analysiert?« »Hol’s der Teufel!« ertönte Sauters helle Stimme durch die Höhle. »Es gibt noch eine weitere schlechte Nachricht – da ist kein Unter schied festzustellen!« »Das heißt?« fragte Vegas scharf. »Das bedeutet, das Wasser ist nichts als Wasser, Oberst. Die Proben sind absolut rein, keine Kontamination durch irgendwelche Subs tanzen oder Energien. Was immer Kraetsch mißt beziehungsweise gemessen hat, außerhalb des Teichs ist nichts davon da. Allerdings ist das Wasser von ausgezeichneter Qualität, sicher schmeckt es hervorragend…«
Ehe auch nur irgendwer einschreiten konnte, hatte Sauter das Kolbengefäß, in dem sich die Probe befand, an den Mund gesetzt und den Inhalt in einem Zug hinuntergestürzt. »Soviel zur Jungbrunnen-Theorie«, brummte McGraves mit einer Ich-hab’s-ja-schon-immer-gesagt-Miene in Richtung Kanas und Stormonds. Pal Bretan sagte: »Aber irgend etwas muß doch diesen extremen Heilungsprozeß verursachen!« »Das tut es auch, nämlich die goldene Maschine«, warf Lee Kana in die Debatte – der junge Soldat fühlte sich sichtlich wohl inmitten des Kreises von Wissenschaftlern – und deutete auf das Aggregat im Hintergrund der Höhle. Kraetsch sagte gedankenvoll: »Junger Mann, ich bin geneigt, Ihre Theorie als eine Arbeitsgrundlage zu akzeptieren. Das Wasser scheint in der Tat nur als Trägermedium für die von dieser Maschine erzeugte Energie zu dienen.« »Emittiert die geheimnisvolle Maschine denn überhaupt irgend welche Energien, Mister Kraetsch?« »Das läßt sich nicht feststellen, Oberst. Sie scheint perfekt abge schirmt zu sein.« »Weshalb schauen wir sie uns nicht aus der Nähe an?« schlug Bingham vor. Alles blickte auf den Oberst, der nach einigen Sekunden des Nachdenkens sein Einverständnis signalisierte. Bei der Ausrüstung befand sich auch ein transportabler Prallfeld generator; sein Feld schlug eine vier Meter breite Bahn über die Wasserfläche. Auf diese Weise gelangte man trockenen Fußes bis hinüber zur goldenen Maschine. Was nicht viel brachte. Auch aus der Nähe gab die Apparatur keines ihrer sicher vorhandenen Geheimnisse preis. »Wir sollten versuchen, sie zu öffnen«, meinte Kraetsch und rieb seine Hände aneinander; es raschelte wie trockenes Gras.
»Auf keinen Fall!« rief Vegas laut und scharf über das Wasser. »Kommen Sie auf der Stelle wieder zurück, meine Herren! Gott weiß, was für Kräfte wir dabei entfesseln! Wir haben absolut keine Ah nung, womit wir es hier zu tun haben. Zudem sind wir mehr als ungenügend ausgestattet. Nicht einmal unsere wissenschaftliche Ausrüstung an Bord dürfte für einen Fall wie diesen ausreichen.« Er schwieg einige Sekunden, und dann sagte er in die absolute Stille der Höhle, die von dem geheimnisvollen Leuchten aus dem Wasser er hellt war: »Ich werde Unterstützung von der Erde anfordern.« Widerstrebend ließen die Forscher von dem fremden Artefakt ab. Vegas kontaktierte die ANZIO. »Geben Sie mir Hauptmann Bekian«, befahl er seinem Ersten Offi zier, nachdem Olin Monro auf dem kleinen Bildschirm des tragbaren Viphos zu sehen war. Das Bild auf dem Schirm wechselte. »Mister Bekian«, kam Vegas umgehend zur Sache, »setzen Sie ei nen To-Funkspruch an das Flottenhauptquartier ab. Empfänger: Dienststelle Marschall Bulton. Wir brauchen hier ein Expertenteam für extraterrestrische Artefakte, er wird wissen, was alles dazu nötig ist. Und machen Sie es dringend. Informieren Sie mich umgehend, sobald die Antwort kommt. Verstanden?« »Aye, Sir. Laut und deutlich.« Die ANZIO klinkte sich aus. »Sagen Sie, Mister Bretan«, wandte sich Vegas an den Sicherheits chef des Ersten Bürgers von Sahara. »Ist Ihnen schon einmal ein solcher Lagerplatz der Klugechsen untergekommen?« »Ich sehe so etwas zum ersten Mal«, gestand Pal Bretan. »Weshalb fragen Sie?« »Nur so ein Gedanke, Mister Bretan. Danke für die Auskunft.« Vegas ließ den Kolonisten stehen und bewegte sich durch die Höhle. »Sir, mit allem Respekt, darf ich Sie einen Augenblick stören?« »Ja, Soldat?« Vegas blieb stehen. Lee Kana schloß zu ihm auf.
»Die Höhle macht zwar den Eindruck, als sei sie alt. Aber genau wissen wir das nicht. Sollten wir nicht eine geologische Analyse machen, um ihr tatsächliches Alter herauszufinden?« »Sie meinen, um herauszufinden, wie lange der Jungbrunnen schon existiert?« »Richtig, Sir.« »Nichts dagegen einzuwenden.« Der Oberst gab die entsprechen den Anweisungen an den Chefgeologen. Noch während die Analysen liefen, meldete sich die ANZIO. Die Nachricht aus dem Schiff war nicht dazu angetan, die Laune des Obersten zu heben. Sein Dritter Offizier übermittelte ihm, daß das Flottenhauptquartier mitteilen ließ, es würde mindestens eine Woche dauern, bis man ein Schiff zur Verfügung stellen könne und eine Mannschaft zusammenhabe. »Tut mir leid, daß ich keine erfreulichere Nachricht für Sie habe, Skipper«, sagte der Dritte Offizier bedauernd. »Danke, Mister Bekian. Vegas Ende.« Für eine endlose Sekunde schien sich der Kommandant nur müh sam beherrschen zu können. Mit bitterer Miene fluchte er: »Ver dammt, begreift denn niemand im Hauptquartier, wie bedeutend dieser Fund hier ist?« »Vielleicht habe ich da etwas, das Sie wieder etwas aufmuntert, Sir.« Plotnikoff war an ihn herangetreten. »Was könnte das schon sein«, brummte Vegas, um sich sogleich für seine schlechte Laune zu schämen. »Erzählen Sie, Robert, was kön nen Sie mir mitteilen?« »Wir haben die Höhle einer eingehenden mineralogischen Analyse unterzogen«, meinte der Chefgeologe der ANZIO, »aber nichts Un gewöhnliches gefunden. Sie besteht aus einer Mischung von Silika ten.« »Sand also!«
»Richtig, Sir. Unter hohem Druck gebackener und geschmolzener Sand. Mit Einschlüssen von Gestein aus den Tiefen des Planeten.« »Radioaktivität?« »Ich habe das gemessen, aber keine gefunden, Oberst.« »Und wo ist nun die Aufmunterung, die Sie mir offerierten?« »Obwohl sie den Eindruck vermittelt, jahrtausendealt zu sei, ist die Höhle erst vor maximal zwanzig Jahren entstanden.« Vegas zog höchst überrascht die Brauen hoch. »Wodurch, Robert? Waren es Beben? Gaseruptionen? Vulkanismus?« »Ich bitte Sie, Sir, wo denken Sie hin!« Plotnikoff schüttelte mit leichtem Tadel den Kopf. »Träfe Ihr Weltuntergangsszenario zu, sähe die Oberfläche aber verdammt anders aus. Nein, jemand hat sie schlicht und einfach mit Energiewerkzeugen aus dem Untergrand herausgeschnitten.« »So einfach?« »So einfach«, bestätigte der Geologe. »Ich kann es nicht glauben«, sagte Pal Bretan, der hinzugetreten war. »Glauben Sie es ruhig«, versicherte Plotnikoff dem Kolonisten. »Die Höhle ist um ein ganzes Stück jünger als Sie.« »Und was fangen wir mit dieser Erkenntnis an?« fragte Chester McGraves mit seinem traurigen Don-Quichote-Gesicht. »Zumindest wissen wir, daß sie künstlich angelegt wurde«, warf Mark Skyler in die Debatte. »Bringt uns das irgendwelche verwertbaren Erkenntnisse?« bohrte der Major nach und gab gleich selbst die Antwort: »Nein, es bringt uns keinen Schritt weiter. Wir haben nicht den kleinsten Fingerzeig, wer dahinterstecken könnte.« Vegas blickte auf sein Chrono und sagte bestimmt: »Heute werden wir dieses Rätsel nicht mehr lösen, und vermutlich auch in den nächsten Tagen nicht. Es sei denn, der oder die Unbekannten, die den Jungbrunnen angelegt haben, tun uns den Gefallen und zeigen sich vorher auf die eine oder andere Weise.«
»Haben Sie jemand bestimmten im Sinn?« fragte Plotnikoff. »Wie sollte ich«, wehrte Vegas entschieden ab, obwohl ihm seit ei niger Zeit eine Vermutung im Kopf herumschwirrte, die sich auf einen Vorfall bezog, der vor vier Jahren auf Munro III geschehen war. Konnte gut sein, daß die Synästheten vom noch immer unent deckten Planeten Calda dahintersteckten. Aber diese Vermutung behielt er für sich.
17. »Wie zum Teufel konnte das geschehen?« Mit gefurchter Stirn beugte sich Wassilio Stavros vor und fixierte Pal Bretan, der ihm vom Schirm entgegenblickte. Eben hatte ihm sein Sicherheitschef von den Ereignissen in der unterirdischen Höhle berichtet. »Verdammt!« fuhr Stavros unfreundlich fort, und dann noch einmal mit allem Nachdruck: »Verdammt! Mußten Sie mir den Tag versauen?« Wenig beeindruckt von Stavros’ Gemütszustand erwiderte Bretan ebenso grob: »Tut mir leid, wenn Sie es so sehen, Bürgermeister. Aber ich sollte Sie über alles informieren. Schon vergessen?« »Natürlich nicht…« Stavros bewegte mißmutig den Kopf. »Danke, Pal«, sagte er nach einer Weile. »Halten Sie weiter Augen und Ohren auf. Kein Wort zu irgend jemandem, Sie erstatten nur mir Bericht. Verstanden, Bretan?« »Natürlich, Bürgermeister.« Pal Bretan nickte und verzog dabei den Mund, aber ein Lächeln war es nicht. Wassilio Stavros trennte die Verbindung. In Gedanken versunken starrte er auf den leeren Schirm. Nach einer Weile brannte er sich eine Zigarre an. Kein fermentiertes Kakteenkraut aus heimischer Produktion, sondern sündhaft teure Importware von der fernen Erde. Eines der Privilegien, die sich Wassilio Stavros in seiner Posi tion als Erster Bürger dieser Kolonie gestattete. Er hatte noch andere, aber an die mochte er im Augenblick nicht denken. Schließlich stand er auf und stellte sich vor das Fenster seines Bü ros. Vor seinen Blicken breitete sich Sahara-Stadt aus, die einzige An siedlung auf Sahara, dem dritten Planeten dieses Systems. Sahara, wie die Kolonisten Munro III getauft hatten, war eine heiße Trocken weit – und ein Notbehelf, genau betrachtet. Eigentlich hatte das Kolonistenschiff LYRA ein anderes Ziel angepeilt gehabt, als es
am 7. Mai 2051 mit 10.000 Menschen an Bord von der Erde aus seine Reise ins All angetreten hatte. Nur erreichte das Schiff dieses Ziel nie; nach einem Versagen des »Time«-Sprungantriebs war das Raum schiff in relativer Nähe einer Sonne vom GO-Typ aus dem Hyper raum gefallen. Das System besaß fünf Planeten und lag etwa 117 Lichtjahre senkrecht zur galaktischen Ebene von Terra entfernt. Mit den an Bord vorhandenen Scoutbooten, deren Sprungtrieb werke nicht in Mitleidenschaft gezogen worden waren, hatte man damals alle Kolonisten nach Munro III evakuiert, dem einzigen Pla neten innerhalb der Biosphäre, während die LYRA im Unterlichtbe trieb ihre Reise fortgeführt hatte, um schließlich zwei Jahre später, im Mai 2053, auf Sahara zu landen, wo man sie schon sehnlichst erwar tete. Wassilio Stavros starrte durch die Isolierscheiben hinaus, ohne je doch wirklich etwas zu sehen; alle seine Gedanken kreisten aus schließlich um die veränderte Situation. Mechanisch saugte er an der Zigarre. Während der Rauch dem Sog der Klimaanlage folgte, versuchte er mit der Unsicherheit fertigzu werden, die Pal Bretans Bericht in ihm ausgelöst hatte. Aus heiterem Himmel gerieten hier plötzlich Dinge und Ereignisse an die Öffent lichkeit, die eigentlich nicht hätten ans Tageslicht kommen dürfen – zumindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Und schon gar nicht wäh rend der Anwesenheit eines Flottenschulschiffes von Terra. Je länger er darüber nachdachte, um so mehr steigerte sich seine Nervosität. Er blickte auf die Stadt – auf seine Stadt, wie er gern zu erwähnen pflegte –, als sähe er sie zum ersten Mal in seinem Leben. Oder zum letzten Mal. Von seinem Standort aus konnte er am nördlichen Stadtrand den ausgedehnten Laborkomplex von GenLabs sehen, was seine Laune noch mehr verschlechterte. Plötzlich schmeckte auch die sündhaft teure Zigarre nicht mehr. Nachhaltig fluchend wandte er sich ab und entsorgte sie im Aschenbecher.
Es half nichts, die Ereignisse erforderten es, daß er reagierte. Ent scheidungen mußten getroffen werden, und zwar schnell. Stavros war ein breitschultriger, massiger Mann Ende vierzig. Muskulös, kräftig und zu allem entschlossen; ohne letztere Eigen schaft (und ein paar andere) wäre er niemals in der Hierarchie der Kolonie so weit aufgestiegen – und hätte sich vor allem nicht so lange halten können. Allerdings, wenn seine kleinen Manipulationen aufgedeckt werden würden, wäre es sicher aus mit seiner Position. Stavros holte tief Luft. Von welcher Warte man die Sache auch ansah, irgendwie hatte er die unterschwellige Besorgnis, zum ersten Mal auf der Verliererseite zu stehen. Er konnte nicht behaupten, daß ihm das behagte. Mit dem Gefühl einer sich abzeichnenden Katastrophe aktivierte er das Vipho auf seinem Arbeitstisch. Auf dem Schirm erschien der Kopf eines Mannes, der konzentriert etwas zu studieren schien. »Büro von GenLabs«, sagte er ohne aufzusehen, »Solomon Green, Direktor. Was kann ich…« er hob den Blick und registrierte erst jetzt, wer ihn da zu sprechen wünschte. »Hallo, Bürgermeister. Was ver schafft mir die Ehre?« »Wir müssen uns sehen«, kam Stavros sofort zur Sache. Green war drauf und dran, das Ansinnen des Bürgermeister ab schlägig zu bescheiden. Dann schien er zu bemerken, in was für einer Stimmung Wassilio Stavros war, dennoch sagte er: »Ich bin sehr beschäftigt. Termine, Sie wissen schon…« »Ist mir sowas von egal«, ließ ihn Stavros wissen. »Leider kann ich überhaupt keine Rücksicht auf Ihren Terminkalender nehmen, Green. Es gibt Neuigkeiten, die keinen Aufschub dulden. Keine be sonders guten, muß ich hinzufügen. Tatsächlich sind sie richtigge hend beschissen.« »Ich höre«, sagte Green alarmiert. »Nicht über die Phase«, wehrte Stavros ab. Green verzog das Gesicht.
»Na gut«, sagte er. »Ich erwarte Sie.« Auf der Fahrt durch Sahara-Stadt ertappte sich Wassilio Stavros dabei, wie er unwillkürlich Ausschau nach Echsen hielt. Die Geißel von Munro III. Gleich nach der Landung hatte sich der Planet als extreme Tro ckenwelt entpuppt. Nicht, daß die Kolonisten damit nicht hätten fertig werden können. Aber neben dem erschreckenden Mangel an Wasser und den rauhen, klimatischen Bedingungen besaß Sahara zu allem Überfluß eine lebensbedrohliche Fauna aus aggressiven Ech sen, derer sich zu erwehren die Kolonisten für Jahre in einen harten und blutigen Überlebenskampf verstrickte. Bis zum Sommer 2058 hatte sich die Anzahl der Überlebenden der LYRA-Havarie um ein Fünftel verringert. Die Population von anfänglich 10.000 galakti schen Aussiedlern reduzierte sich während der sieben Jahre auf 8.000 Personen, bis endlich die unzähligen Maßnahmen zum Schutz von Leib und Leben griffen. Man hatte begonnen, mit neuem Mut in die Zukunft zu investie ren, als zu allem Überfluß das System auch noch Schauplatz eines mißglückten Erstkontaktes zwischen Menschen und Caldarern wurde, der zu einer kriegerischen Auseinandersetzung eskalierte, welche erst die terranische Flotte beendete. In der Folge stellet Terra fünf Schiffe der Hunter-Klasse im System bereit, um den Schutz der Kolonie zu gewährleisten. Jetzt schrieb man das erste Drittel des Jahres 2062. Vier Jahre waren ins Land gegangen. Die Caldarer hatten sich nicht mehr gezeigt. Und auch die Gefahr, von Echsen angefallen zu werden, schien vorüber, seit GenLabs sich mit den genmanipulierten Hunden auf Sahara etabliert hatte, die eigens für die Jagd auf die Echsen gezüchtet wurden. Innerhalb der terranischen Enklave lebte man jetzt in rela tiver Sicherheit vor den blutrünstigen Bestien; seit längerem schon hatte sich keine Klugechse, die Alpha-Population unter den Echsen, mehr in der Nähe der Stadt gezeigt. Draußen allerdings, in den Ei
nöden und Wüsten des Planeten, mußte man nach wie vor auf der Hut sein. Der weiß lackierte Gleiter Stavros’, an dessen Flanken in wuchtigen Blockversalien das Wort BÜRGERMEISTER stand, bewegte sich schnell über die deutlich markierte Piste, die vom Stadtrand bis zum etwas außerhalb liegenden Laborkomplex von GenLabs führte. Es war früher Vormittag. Das Chrono im Armaturenbrett zeigte den Wert an, der zehn Uhr morgens auf Sahara entsprach. Fünf Minuten später tauchte der erste Sperrzaun um GenLabs auf. Stavros verringerte die Fahrt und bremste mit absterbenden Sum men vor dem Tor, das aus einem Energievorhang zwischen zwei massiven Säulen bestand. Das Wächterhäuschen daneben war ein Kunststoffkubus in düste rem Rot und machte den gleichen abweisenden Eindruck wie die Gesichter der beiden Posten, die mit den Händen an den Kolben der Waffen auf den Schweber des Bürgermeisters zukamen. Auf den Uniformen der Männer zeichnete sich das Emblem von GenLabs deutlich ab. »Nun öffnen Sie schon. Sie kennen mich doch«, knurrte Stavros mißmutig, wie immer ungehalten darüber, daß er als Bürgermeister keine freie Fahrt bekam. Leider hatte Wallis Industries darauf be standen, daß das Grundstück, auf dem GenLabs errichtet worden war, nicht unter die Gerichtsbarkeit von Sahara fiel und als exterri toriale Enklave galt. Wer immer die Forschungsstation aufsuchte, betrat den Boden von Eden. »Nur keine Aufregung«, erwiderte der Posten. »Wir haben unsere Anweisungen. Niemand fährt hier einfach so durch. Auch Sie nicht, Bürgermeister.« Er schaltete an seinem Armbandgerät, dann tippte er grüßend an seinen Mützenrand. »Passieren.« Mit aufheulendem Aggregat schoß der Dienstgleiter des Bürger meisters, kaum daß der Energievorhang erloschen war, durch die Toröffnung und steuerte auf den inneren Sicherheitskreis zu. Er er wartete, auch hier wieder mit den Launen der Posten konfrontiert zu
werden, doch zu seiner Überraschung winkte ihn der Wächter ein fach durch. GenLabs bestand aus drei großen Bauten, die in einem offenen Viereck angeordnet waren. Die Gebäude waren untereinander mit transparenten Laufgängen verbunden. Eine große To-Richtfunkantenne war zu erkennen und mehrere kleine Anten nen. Hinter dem Komplex der zwei- und dreistöckigen Flachbauten schimmerte die Kuppel eines Meilers. Am Rand der weitläufigen Anlage befanden sich die eingezäunten und teilweise überdachten Zwinger, in denen die Gendoggen nach ihrer Invitrogeburt aufge zogen wurden. Stavros parkte vor dem Verwaltungsgebäude. Mit einer mörderischen Laune warf er die Gleitertür ins Schloß und ging zwischen den hochstämmigen Kakteen zum Eingang. Im Inne ren der Lobby verzichtete er auf den Antigravlift, lief über die breite, geschwungene Treppe in den dritten Stock hoch, stürmte ohne an zuklopfen in Greens Büro und pflanzte sich in den Besuchersessel vor dessen ausladenden Schreibtisch. »Nehmen Sie ruhig Platz, Wassilio«, meinte Green, ein agiler Mann um die sechzig mit dem professionellen Gehabe des erfolgreichen Wissenschaftlers und Leiters eines bedeutenden Unternehmens. Mit seinen glatten Gesichtszügen und dem silbergrauen, sorgfältig zu rückgekämmten Haar machte er den Eindruck eines freundlichen Mannes, doch die hellblauen Augen verrieten ihn: Sie wechselten zwischen lebloser Eisigkeit und brennender Intensität. Männer wie er gingen weit, um ihre Ziele zu erreichen. Unter Umständen sogar sehr weit, wenn es sein mußte. Jetzt sagte er: »Was haben Sie für ein Problem, Bürgermeister, das Sie mir unbedingt unter vier Augen mitteilen müssen?« Stavros stieß prustend die Luft aus. »Eines?« versetzte er heftig und wedelte wütend mit der Hand durch die Luft. »Ich fange besser gar nicht erst an, die Probleme zu zählen. Und von wegen ich. Wir haben diese Probleme.«
Das Wir hatte durchaus seine Berechtigung. Die beiden von Bildung und Herkunft her so unterschiedlichen Männer verband ein kleines, schmutziges Geschäftsgeheimnis, das sie vor der Öffentlichkeit gekonnt verbargen: Solomon Green hatte damals beim Start des Gendoggen-Zuchtprogramms ausgedehnte Analysen der verschiedenen Echsenarten unternommen. Dabei hatte es sich herausgestellte, daß insbesondere die sogenannten »Klug echsen« einen derart hohen Intelligenzgrad aufwiesen, daß sie nach terranischen Gesetzen eigentlich als intelligente Spezies eingestuft werden mußten. Das Vorhandensein einer intelligenten Spezies je doch machte die Besiedlung ihres Planeten durch die Menschen unmöglich. Sahara hätte nach geltendem Recht sofort evakuiert und sich selbst überlassen werden müssen, um die Entwicklung einer originären Zivilisation nicht zu gefährden. Wassilio Stavros’, von Green unter vier Augen über die im Grunde genommen gesetzwidrige Situation seiner Kolonie in Kenntnis ge setzt, hatte seinen Exportschlager, das großes Geschäft mit Ratzfatz, in die Binsen gehen sehen. Nun war der Bürgermeister jemand, den aussichtslose Situationen zu Höchstleistungen anspornten und der mit Argumenten und Worten anderen seine persönliche Vorstellung als deren eigene Ideale einzureden vermochte. Er hatte deshalb Green davon überzeugen können, seine Entdeckung über die mög liche Entwicklung der Klugechsen zu einer höheren, mit Intelligenz versehenen Lebensform geheimzuhalten. Natürlich nur im Interesse von Sahara. Und Green war durchaus bereitgewesen, sich der glas klaren Argumentation Stavros’ anzuschließen. Natürlich nicht Sa haras, sondern nur seines eigenen Interesses wegen – nämlich für ein Prozent des Ratzfatz-Umsatzes der Kolonie, zu transferieren auf sein Nummernkonto bei der Wallis-Bank auf Eden. Stavros hatte dies nach Einhaltung der vorgeschriebenen Denkpause als eine ange messene Entschädigung empfunden, Green zu dessen philanthropi scher Einstellung beglückwünscht und seinerseits – nur um die Pa rität zu wahren, verstand sich – ebenfalls ein Prozent für sich abge
zweigt. Diese Einstellung wiederum gefiel Solomon Green so gut, daß er Stavros zu einem Nummernkonto bei der gleichen Bank auf Eden verhalf – was auch für Nichtbürger des Planeten kein Problem bedeutete. Wahrlich, zwei geschäftstüchtige Ehrenmänner von echtem Schrot und Korn. Jetzt runzelte Green die Stirn, während das konziliante Lächeln aus seinem Gesicht verschwand, als hätte es jemand mit einem feuchten Lappen von einer Schiefertafel gewischt. »Was ist geschehen, Bürgermeister?« Stavros blinzelte und brauchte knapp drei Minuten, um Green eine Zusammenfassung jenes Berichtes zu geben, den er von Pal Bretan bekommen hatte, wobei er die unterirdische Kaverne, den See und die geheimnisvolle Maschine vorerst nicht ins Spiel brachte. »Wir wollten es doch unter allen Umständen geheimhalten, aber ob das jetzt noch so ohne weiteres möglich sein wird… verdammter Bockmist!« sagte er mit tiefer Inbrunst. »Das bedeutet Schwierigkei ten für uns. Und ich hasse Schwierigkeiten.« Daran war etwas Wahres. Wassilio Stavros besaß eine ausgeprägte Abneigung gegen alles Unvorhersehbare. Seiner Meinung nach diente es nur dazu, ihm das Leben auf Sahara schwer zu machen. Green hatte sich schweigend angehört, was Stavros über die Ent deckung des Dorfes zu berichten hatte. Er musterte ihn abwägend. »Und das ist alles?« fragte er, als der Bürgermeister geendet hatte. »Ist das nicht genug?« Unwirsch rieb sich Stavros das unrasierte Kinn. »Nicht, um einen derartigen Aufstand zu machen«, versetzte der wissenschaftliche Leiter von GenLabs kühl. »Ich mache mir einfach Sorgen, weil die Besatzung der ANZIO ein Dorf der Klugechsen gefunden hat. Wer weiß, welche Folgen daraus entstehen können.«
»Keine!« Greens Stimme hatte eine gewisse Schärfe, die Stavros als Mißbilligung seiner Argumentation ansah. »Außerdem«, fuhr Green fort, »waren Sie es, der der ANZIO die Manöverübungen auf der anderen Seite des Planeten gestattete. Ich war von Anfang an dage gen…« »Müssen Sie mich daran erinnern«, murrte der Erste Bürger von Sahara. »Jammern Sie nicht rum. Beruhigen Sie sich. Nichts wird so heiß gegessen, wie’s gekocht wird.« »Dann frage ich mich, warum sich noch immer so viele den Mund verbrennen«, brummte Stavros. Er legte eine Hand in den Nacken und massierte einen verspannten Muskel. »Was also unternehmen wir?« »Nichts.« »Wie?« Stavros verstand nicht. »Versuchen Sie mir damit eine Botschaft zukommen zu lassen?« »Es gibt keinen Grund, nervös zu werden«, beruhigte ihn Green. »Überlegen Sie doch mal, Bürgermeister. Das von uns in die Wege geleitete gezielte Aussetzen von Gendoggen überall dort, wo immer unsere automatischen Sonden Klugechsen aufgespürt haben, hat mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit inzwischen zu deren völliger Aus rottung geführt. Daß die Besatzung der ANZIO eine der Bestien zu Gesicht bekommt, ist sehr unwahrscheinlich. Ich habe mir die Auf zeichnungsprotokolle der Sonden angesehen. Seit mehr als sechs Wochen wurde keine einzige Klugechse mehr entdeckt.« »Vielleicht haben sie nur gelernt, sich vor den Sonden zu verste cken.« »Unwahrscheinlich!« Green hob die Stimme etwas an, aber noch verlor er nichts von seiner Gelassenheit. »So unwahrscheinlich wie Ihre Behauptung, Ihre Gendoggen seien unfruchtbar.« Solomon Green richtete sich auf. »Was wollen Sie damit behaupten?« schnappte er.
»Keine Behauptung«, erwiderte Stavros. »Es ist erwiesen, daß Ihre angeblich sterilen Hunde auf der anderen Seite des Planeten Junge haben. Es überrascht mich, daß es Sie überrascht.« »Kann man wohl sagen«, gestand Green mit in Falten gelegter Stirn. »Das dürfte eigentlich nicht sein. Genaugenommen ist es sogar unmöglich.« »Sabotage?« fragte Stavros. »Im eigenen Haus? Kann ich… Moment!« Das Tischvipho vor Green summte auf. Die Bildfläche stand so, daß Stavros sie nicht einsehen konnte. Es war auch, nachdem Green die Antworttaste gedrückt hatte, nichts zu hören; das Vipho arbeitete mit gerichteten Schwingungen, die nur Green vernehmen konnte. Was der Wissenschaftler erfuhr, schienen keine erfreulichen Dinge zu sein, dementsprechend fiel seine Antwort aus. Ärgerlich sagte er: »Unsinn. Was Sie da vorbringen, Doktor, mag ja aus Ihrer Sicht stimmen. Sie lassen dabei nur eines außer acht.« Eine kleine Pause entstand. »Genau. Ja, das vergessen Sie, vergessen es ständig«, erwiderte Green. »Nicht Sie, sondern ich bin der wissenschaftliche Leiter von GenLabs, ich ganz allein. Und ich habe diese Anordnung erlassen, ob sie Ihnen paßt oder nicht. Wo kämen wir denn hin, wenn jeder tun würde, was ihm gerade in den Sinn kommt?« Erneute Pause. »Nichts da! Auf keinen Fall! Natürlich gibt es andere Möglichkei ten, aber Sie sollten es sich genau überlegen… gut, wenn Sie nicht anders wollen. Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen und Ihnen Bescheid geben, Russo.« Green drückte die Aus-Taste und wandte sich wieder Stavros zu. »Entschuldigen Sie, Bürgermeister. Immer diese aufmüpfigen Jungwissenschaftler, die glauben, alles besser zu wissen. Ich fürchte, ich muß mich von einem meiner Mitarbeiter trennen… wo waren wir stehengeblieben? Ach so, bei der Sabotage. Wie gesagt, ich kann es mir nicht vorstellen«, wehrte Solomon Green ab.
Ich schon, dachte der Bürgermeister und hatte dabei das Bild einer bestimmten Wissenschaftlerin vor Augen, deren offen gezeigte Für sorge für die Gendoggen ihm schon länger suspekt erschien. Er sprach den Verdacht allerdings nicht aus, für eine konkrete Be schuldigung fehlte ihm der Beweis – noch. »Ich möchte Sie um etwas bitten, Green«, gab er der Diskussion eine scheinbar andere Wendung. »Ja? Worum?« »Stellen Sie mir für kurze Zeit Ihren Spezialgleiter zur Verfügung.« Wenn Green überrascht war, ließ er nichts davon nach außen dringen. »Haben Sie keinen in Ihrem Fuhrpark?« Stavros grinste spöttisch und streckte die Beine von sich. »Schon, aber nicht mit einer derart ausgefeilten Tarnvorrichtung neuester Bauart wie in Ihrem. Sie wissen schon, jenes Prachtstück, mit dem Sie unbemerkt von den Kolonisten große Mengen Ihrer Gendoggen auf die andere Seite des Planeten haben bringen lassen, um die Klug echsen auszurotten.« Green räusperte sich kurz. »Darf man fragen, wozu Sie ihn benö tigen?« »Man darf«, nickte Stavros gönnerhaft. »Ich möchte in der näheren Umgebung des Dorfes sämtliche Spuren beseitigen, damit mir die Terraner nicht auf die Schliche kommen.« »Ah ja.« Green strich sich über die Stirn, beugte sich ein wenig vor und starrte Stavros an wie die Schlange das Huhn. »Könnte es nicht vielmehr darum gehen, daß Sie die goldene Maschine in Ihren Besitz bringen wollen, die auf so sagenhafte Weise heilt?« Stavros’ Miene machte innerhalb von einer Achtelsekunde einem Ausdruck Platz, als habe er starke Zahnschmerzen. »Wie zum Teufel haben Sie das erfahren? Wer hat Ihnen davon berichtet?« Green maß ihn mit einem eigentümlichen Blick. »Es geht hier wohl kaum um die Frage, wie oder durch wen ich es erfahren habe…« – er würde den Teufel tun und seine Spitzel preisgeben, die ihn über alle
Schritte des Bürgermeisters unterrichteten – »… sondern um die Tatsache, daß Sie mir es verheimlichen wollten, Stavros.« Greens Tonfall war ärgerlich – der Tonfall eines Mannes, der vor kurzer Zeit noch der Meinung gewesen war, alles im Griff zu haben, dann aber hatte erkennen müssen, daß jemand anderer dabei war, ihn klamm heimlich über den Tisch zu ziehen. Jemand, der nicht mal annähernd so intelligent und genial war wie er selbst. Die steile Falte auf Greens Stirn erschien wieder. Er preßte die Lippen ärgerlich zusammen und sagte: »Kein netter Zug von Ihnen, Bürgermeister. Ich dachte bislang, wir wären Partner. Wollen Sie mich zwingen, meine Meinung zu revidieren?« Kein Laut von außen drang in den Raum. Im Hintergrund des großen Raums führten teuere Apparate suprasensorische Zwie gespräche. Die Luft war hervorragend klimatisiert und ließ verges sen, daß draußen schon jetzt mehr als dreißig Grad herrschten. Die beiden Männer starrten sich an. »Ich hatte nicht wirklich vor, Sie im unklaren zu lassen, Solomon«, sagte Stavros nach wenigen Sekunden, »sondern die Maschine erst von einigen vertrauenswürdigen Technikern untersuchen zu lassen, ehe ich Ihnen von ihr erzähle.« »Natürlich, Wassilio. Natürlich.« Green hatte wieder sein Poker gesicht aufgesetzt. »Ich hatte auch nicht wirklich angenommen, daß Sie sie mir vorenthalten wollten. Ich wollte Sie lediglich wissen las sen, daß ich davon Kenntnis habe und nicht gerade glücklich über diese Entwicklung bin sowie darüber, daß Sie mir nicht uneinge schränkt vertrauen.« Der Leiter von GenLabs verstand sein Spiel. Er spielte es oft, und er spielte es gut. Eine genau dosierte Mischung aus Anklage, ärgerli cher Verletztheit und einem Hauch Verständnis für seinen Partner. Im Grunde genommen waren die beiden Ehrenmänner aufeinander angewiesen. Keiner konnte ohne den anderen dieses Nebengeschäft mit dem Kakteenschnaps durchziehen. Aber das, was sich in Greens rastlosem Verstand abzeichnete, würde das Geschäft mit dem
Schnaps bei weitem übertreffen und ihren Profit in schwindelerre gende Höhen treiben. »Verstehe«, sagte Stavros. »Ich dachte mir bereits, daß Sie nicht begeistert sein würden. Aber es verhält sich so, wie ich sagte.« Friß es oder laß es sein, dachte er. Solomon Green fraß es selbstverständlich nicht, ließ es aber dabei bewenden. Er sagte: »Ich habe da etwas im Sinn, was wirklich viel Geld brächte, wenn Sie bereit wären mitzuspielen, Wassilio.« Stavros signalisierte Green mit einer Geste fortzufahren. Der Leiter von GenLabs interpretierte die Handbewegung des Bürgermeisters als Interesse und fuhr fort: »Wir gründen ein Ge meinschaftsunternehmen zur Ausbeutung des Jungbrunnens. Nur wir beide. Weder Wallis Industries noch Sahara werden daran par tizipieren. Das Geld fließt einzig und allein in unsere Taschen, zu gleichen Teilen. Interessiert?« Stavros war interessiert. »Dann hören Sie zu…« Und Solomon Green erläuterte dem staunenden Bürgermeister seine Vision vom wirklich großen Geld. * Ein Geräusch. Roy Vegas bewegte sich im Schlaf, wachte aber nicht auf. Das Geräusch wurde lauter, wuchs zu einem Summen, das Dring lichkeit verbreitete. Vegas öffnete die Augen, sah nichts. »Licht«, murmelte er. Der Stimmensensor reagierte sofort, schaltete die Lampe auf dem kleinen Tisch neben dem Bett ein. Und erneut meldete sich das Vipho daneben. »Ist ja gut.« Von einem Augenblick zum anderen war der Kom mandant der ANZIO hellwach. Er warf die Decke beiseite, zwinkerte
sich den letzten Schlaf aus den Augen und setzte die Beine auf den Boden. Dann tastete er das Vipho ein. Das Gesicht des Offiziers vom Dienst erschien auf dem kleinen Schirm. »Was gibt es, Nummer Zwei?« Vegas unterdrückte ein Gähnen und warf einen Blick auf das Zeitfenster des Kabinenchronos: sechs Uhr morgens Schiffszeit, die gleichzeitig planetare Zeit war. Sahara besaß mit seiner Rotationsgeschwindigkeit von 23,7 Stunden fast den gleichen Vierundzwanzigstundenrhythmus wie Terra, und der fiel zufällig synchron mit der Bordzeit zusammen. Was selten genug vorkam. »Mein Dienst beginnt erst in einer Stunde«, versuchte der Kom mandant das Unvermeidliche abzuwenden und gähnte demonstra tiv. »Tut mir leid, Oberst«, bedauerte Jay Godel, der zweite Offizier, mit einem Lächeln, »aber wir haben Besuch. Ich glaube, Sie sollten sich das ansehen.« »Hmm«, brummte Vegas. »Wenn ich Ihr unverfrorenes Grinsen richtig deute, Mister Godel, kann dieser Besuch nicht sooo wichtig sein.« »Kommt darauf an, Sir.« Der Erste Offizier lächelte dünn. Vegas runzelte die Stirn. »Bericht, Nummer Zwei.« Jay Godel kam ohne Umschweife zur Sache. Seinen Worten zufolge war vor wenigen Minuten aus Richtung Sahara-Stadt eine Staffel Gleiter mit den Insignien der Kolonialpolizei erschienen und am Rand der Mulde unmittelbar vor der ANZIO gelandet. Roy Vegas hatte sich inzwischen einige Hände Wasser ins Gesicht geschüttet, sich angekleidet und hörte die letzten Worte des Ersten Offiziers auf dem Weg zur Leitzentrale über sein Armbandvipho. Das Zentraleschott zischte auf. Vegas betrat den doppelstöckigen, kathedralenartigen Raum.
»Kommandant auf der Brücke«, sagte Jay Godel förmlich und nickte. »Guten Morgen, Sir.« Roy Vegas nickte ebenfalls, ging nach vorne und setzte sich in den Kommandosessel. Er lehnte sich zurück und ließ seinen Blick durch den Kontrollraum schweifen, ehe er sich auf den großen Bildschirm konzentrierte, der unmittelbar vor ihm lag. »Sicherheitsstatus, Mister Godel?« »Ich habe keine Alarmstufe veranlaßt, Oberst«, erwiderte der Zweite Offizier knapp. »Unsere Taster registrieren keine nennens werten Bedrohungspotentiale. Die Polizisten sind nur mit Schockern ausgestattet.« »In Ordnung, Nummer Zwei«, sagte Vegas. Er deutete auf den Schirm, der in aller Deutlichkeit die Gleiter zeigte. Deren Besatzun gen waren inzwischen ausgestiegen und begannen damit, einen weiten Ring um die ANZIO zu bilden, wobei ihnen die unter freiem Himmel biwakierenden Rauminfanteristen McGraves’ mit mehr oder minder lautstarken und anzüglichen Kommentaren hilfreich zur Seite standen. »Was versuchen die da?« zeigte sich Vegas erstaunt. »Äh, sie kreisen uns ein, Sir.« »Und wozu soll das gut sein?« Godel schnitt eine Grimasse. »Da bin ich überfragt, Kapitän.« »Merkwürdiges Verhalten«, bekannte Vegas und versuchte, ein ernsthaftes Gesicht zu machen. »Ob es mit unserem Fund zusam menhängt?« »Könnte ich mir vorstellen«, sagte eine laute Stimme vom Eingang her. Chester McGraves kam in die Zentrale und nahm Platz vor einer freien Konsole. Er hatte die letzten Worte des Obersten noch mitge hört. »Woher haben die Wind von der Sache bekommen?« »Woher schon?« knurrte der Major der Rauminfanterie ungehal ten. »Wir nähren doch die Natter an unserer Brust.«
»Sie spielen auf Bretan an?« McGraves’ Miene war beredt genug. Vegas wandte sich an seinen Zweiten Offizier. »Wie groß ist die Streitmacht aus Sahara-Stadt?« »Eine knappe Hundertschaft Polizisten… Kapitän, da tut sich was!« Aus dem Ring der Belagerer lösten sich drei Personen und kamen auf die ANZIO zu, die sich wie eine uneinnehmbare, unitallene Ringburg drohend am Rand der Senke in den hitzeflimmernden Himmel stemmte. »Holen Sie sie näher heran, Kadett Sivertsen«, befahl Vegas dem jungen Mann an der FZ-Konsole. Das Bild auf dem Schirm änderte sich, die drei Männer erschienen im Vergrößerungsfokus. »Sieh an, sieh an«, sagte Vegas. »Bürgermeister Stavros. Warum überrascht mich das nicht?« »Und seine beiden Paladine Peradinides und Malmgren«, ergänzte der Major. »Sehen verflixt martialisch aus. Könnte man richtig Angst bekommen.« Einer der Kadetten lachte – und verstummte sofort wieder, als sich der für die Ausbildung verantwortliche Oberstabsbootsmann kurz räusperte. »Wer hat Dienst an der Schleuse?« wandte sich Vegas an seine Nummer Zwei. »Oberbootsmann Gyori.« »Lassen wir ihn herausfinden, was Stavros von uns will.« Während der Zweite Offizier seine Anweisungen nach unten wei tergab, wandte sich Vegas an seinen ehemaligen Ersten Offizier und Navigator auf der SPECTRAL. »Chester, informieren Sie Ihre Truppe. Die Männer sollen sich zu rückhalten. Ich wünsche keine Provokation und vor allem keine Konfrontation. Es wäre nicht fair den Kolonisten gegenüber. Sie verstehen?«
Chester McGraves verstand, wie er zu erkennen gab. Gegen seine hochgerüsteten und für jede Art von Kampf ausgebildeten Rekruten würde die Kolonialpolizei hoffnungslos ins Hintertreffen geraten. * »Was kann ich für Sie tun, Bürgermeister?« erkundigte sich Vegas freundlich, als Stavros und seine beiden Subdirektoren unter Be gleitung zweier Männer der Schiffssicherheit in der Hauptzentrale der ANZIO erschienen. »Ich muß Sie in aller Eindringlichkeit ersuchen, Ihr illegales Han deln sofort zu beenden, Kommandant«, kam Stavros ohne Um schweife zur Sache. »Illegales Handeln?« echote Vegas schroff, fügte dann aber – sach lich wie immer – hinzu: »Sie sehen mich überrascht. Ich bin mir nicht bewußt, etwas Illegales zu tun beziehungsweise getan zu haben. Sie sollten mir schon erklären, worum es geht, Bürgermeister.« »Ist Ihnen das Kolonialrecht vertraut?« fragte Stavros. »In Auszügen«, gestand Vegas. »Experte bin ich keiner. Allerdings haben wir eine umfangreiche Datenbank an Bord, auf die wir jeder zeit Zugriff haben, sollte es sich als nötig erweisen. Ist es nötig, Bür germeister?« Anstelle einer Antwort nickte Stavros Peradinides zu, der ihm of fenbar als sein Sprachrohr und Rechtsexperte diente. Dieser erläu terte lang und breit und im salbungsvollen Ton eines Laienpredigers den verblüfft lauschenden Offizieren der ANZIO ein terranisches Gesetz aus dem Jahre 2029, nach dem Entdeckungen jedweder Art auf Kolonialplaneten, an denen mindestens ein Kolonist beteiligt war, immer der Kolonie gehörten. Er schloß: »Die Kolonie, im vor liegenden Fall also Sahara, ist ihrerseits lediglich verpflichtet, Terra kostenlos an allen aus dieser Entdeckung gezogenen Erkenntnissen und Fortschritten zu beteiligen.«
»Schön und gut«, gab Vegas zu verstehen, »Sie haben gesagt, was Sie loswerden wollten. Aber wo ist jetzt das Illegale an der Sache?« Wassilio Stavros übernahm wieder. »Ihr illegales Handeln«, kam er auf den Punkt, »ergibt sich schlüssig daraus, daß mein Sicherheits experte Pal Bretan zum Zeitpunkt der Entdeckung an Bord Ihres Schiffes war und deshalb das eben erläuterte Gesetz zum Tragen kommt. Eigentlich müßte ich Sie in meiner Eigenschaft als Vorsit zender des Gerichts von Sahara arretieren, bis geklärt ist, ob Ihre Verfehlung eine strafrechtliche Verurteilung rechtfertigt…« »Das versuchen Sie mal«, unterbrach ihn Major McGraves mit drohender Stimme, »Sie…« Eine unmerkliche Kopfbewegung des Obersten brachte ihn zum Verstummen. Stavros lächelte dünn und auch ein wenig unsicher, wie es schien, und fuhr fort: »Doch ich verzichte auf eine derartige Maßnahme, wenn Sie uns sofort ungehinderten Zugang zur Höhle und dem Aggregat gewähren.« Roy Vegas musterte schweigend die drei Männer, die ihm gege nübersaßen und unter seinen Blicken langsam unruhig zu werden begannen. Schließlich sagte er: »Akzeptiert, meine Herren. Aber nur unter der Bedingung, daß Sie Ihre Polizei von meinem Schiff zu rückziehen. Es könnte sich womöglich noch jemand verletzen. Und das wollen wir doch nicht, oder?« »Natürlich nicht«, erwiderte Stavros und erhob sich mit einem triumphierenden Glitzern in den Augen. Seiner Meinung nach hatte er auf der ganzen Linie gesiegt. Er war dieser Meinung auch noch, als er hocherhobenen Hauptes mit seinen beiden Paladinen die Zentrale verließ. Major McGraves schwieg, bis die Kolonisten außer Hörweite waren. Dann erst wandte er sich mit hochrotem Kopf an den Kom mandanten. »Ich traue dem Kerl nicht«, sagte er heftig. »Die Entde ckung ist viel zu wichtig, um in den Hände dieser Dilettanten zu verbleiben. Ich verstehe nicht, wie Sie deren Ultimatum akzeptieren konnten, Skipper.« Immer wenn er erregt war, verfiel ehester
McGraves in die vertraute Anrede, wie sie an Bord der SPECTRAL üblich gewesen war. »Stavros ist aus seiner Sicht im Recht«, versetzte Vegas. »Ich kann mich über bestehende Gesetze nicht hinwegsetzen – aber niemand verbietet mir, diese anders auszulegen, Chester.« Plötzlich lag ein jungenhaftes Grinsen auf seinen Zügen. »Unser übereifriger Bür germeister weiß noch nicht, daß er sich eben selbst ein Bein gestellt hat. Doch er wird es merken, und zwar schon sehr bald…« Vegas aktivierte eine Funkphase auf seiner Konsole, die ihn mit der Höhle verband. Als der Kontakt hergestellt war, gab er ein paar Anweisungen. Und plötzlich begannen Chester McGraves und Jay Godel unisono zu grinsen…
18. »Was zum Henker haben wir denn da!?« Wassilio Stavros’ lautstarkes Organ brach sich hallend in der Höhle. Der Bürgermeister war etwas mehr als dreißig Minuten nach seiner Unterredung mit Oberst Vegas bereits voller Tatendrang in der Ka verne aufgetaucht, um seinen »Besitz« in Augenschein zu nehmen. In seinem Gefolge lediglich einige Polizeibeamte. »Sir?« Emer Nunez, der mit den Männern seines Zuges die Bewa chung stellte, gab sich unwissend. Stavros’ Miene verhärtete sich. »Was ist das?« wiederholte er laut und aggressiv und deutete auf das, was seinen Grimm hervorgerufen hatte: Ein durchsichtiger Energieschirm spannte sich über den See, jeden Kontakt mit der leuchtenden Wasserfläche verhindernd. »Ach das…« Der Stabsfeldwebel zuckte die Schultern. »Das ist ein modifiziertes Prallfeld…« »Und dient wozu?« wurde er von Stavros unterbrochen, dessen Ärger proportional zu Nunez’ offen zur Schau getragener Gelas senheit anstieg. »Zur Sicherung«, versetzte der wuchtige Zugführer wahrheitsge mäß. In der Tat log Emer Nunez nicht. Die Wissenschaftler der ANZIO hatten das Prallfeld am Vorabend über den See gelegt, um ohne nasse Füße zur Maschine zu gelangen. Und »modifiziert« stimmte insofern ebenfalls, als Nunez nur die Anweisungen des Kommandanten befolgte. Jetzt schloß das Prallfeld auch die goldene Maschine ein und machte es unmöglich, sie zu berühren, geschweige zu untersuchen. Aber das mußte er Stavros ja nicht auf die Nase binden. »Der Fund ist zu wertvoll«, gab er dem Bürgermeister zu verste hen. »Er muß unter allen Umständen vor unbefugten Händen ge
schützt werden, bis das angeforderte Expertenteam von Terra ein getroffen ist, um seine Natur zu enträtseln.« »Los, schalten Sie das ab!« »Tut mir leid, Herr Bürgermeister«, bedauerte Nunez. »Das kann ich nicht.« »Weshalb nicht?« »Sir, wie Sie sehen können, befindet sich der Generator selbst unter dem Prallfeld«, gab ihm Nunez zu verstehen. »Er kann nur über eine durch einen Code gesicherte Fernbedienung deaktiviert werden.« »Das ist doch…!« Wassilio Stavros holte durch die geblähten Nüs tern tief Luft, während sein Gesicht rot anlief. Er machte den Ein druck, kurz vor einem Tobsuchtsanfall zu stehen. »Wer«, zischte er wie eine Sahara-Sandechse, »hat das angeord net?« »Das geschah auf meinen Befehl«, sagte Roy Vegas vom Eingang her und kam näher. »Sie… Sie…« begann Stavros. »Keine Beleidigungen«, warnte Vegas. »… Sie setzen sich schon wieder über alle Bestimmungen des Ko lonialgesetzes hinweg«, beherrschte sich Wassilio Stavros mühsam. »Das ist wohl so«, bestätigte Vegas und lächelte verbindlich, »aber nur aufgrund eines anderen, weit gewichtigeren Gesetzes.« »Davon wüßte ich aber.« »Nicht unbedingt. Aber obwohl… ja, Sie hätten sich nur ein wenig intensiver mit dem von Ihnen zitierten Bestimmungen des Koloni algesetzes beschäftigen müssen – und vor allem die Zusatzpräam beln studieren sollen.« »Zusatz was?« »Präambeln«, erklärte Vegas geduldig. »Das sind Einleitungen, die die nachfolgenden Gesetze entweder erläutern, einschränken oder erweitern.« »Und was haben die mit diesem Fund zu tun?«
»Ich erkläre es Ihnen gern«, erwiderte Roy Vegas ruhig. »Das Ge setz, auf das ich mich, so leid es mir tut, berufen muß, besagt, daß unbekannte Artefakte zur Vermeidung unbekannter Gefahren nur von Fachleuten, von entsprechend ausgebildeten Spezialisten un tersucht werden dürfen. Die sind von mir bereits angefordert, aber bis sie eintreffen, werden wohl zehn bis zwölf Tage vergehen. Bis dahin habe ich kraft meines Amtes die Maschine als Gefahrgut dek lariert. Sie und Ihre Leute, Bürgermeister, haben natürlich das Recht, bei den Untersuchungen dabeizusein und Kopien sämtlicher rele vanter Ergebnisse ausgehändigt zu bekommen. Zugriff auf das da«, Vegas machte eine Handbewegung auf das golden schimmernde Aggregat am anderen Ende der Wasserfläche, »haben Sie, respektive die Kolonie allerdings erst dann, wenn seine Gefahrlosigkeit zwei felsfrei erwiesen ist. Und jetzt«, in Vegas’ Stimme lag ein unge wohnter, metallisch harter Klang, »muß ich Sie ersuchen, diese Höhle zu verlassen.« Eine winzige Sekunde lang flackerte ein wildes Leuchten in den Augen des derbknochigen Bürgermeisters auf, dann erlosch es wie der. »Was erlauben Sie sich«, begann er. »Mit welcher Berechtigung…« Er brach ab, als er Vegas’ Miene sah. Für einen Augenblick schien es, als sei die Temperatur in der Höhle schlagartig in die Nähe des Gefrierpunktes gefallen. Dann sagte der Oberst in einem etwas versöhnlicheren Ton: »Ich bin der letzte, der Ihnen das Leben schwermachen will. Ich bin auch nicht Ihr Feind. Aber wir befinden uns hier auf einem unbekannten Planeten, ungeachtet der Tatsache, daß Ihre Kolonie, verehrter Herr Bürgermeister, seit elf Jahren existiert. Wieviel von dieser Welt haben Sie wirklich schon gesehen, haben sie kartographiert, kennen Sie von ihrer Topographie? Sie und wir wissen im Grunde herzlich wenig über die Gefahren, die diese Welt birgt. Können Sie sich vorstellen, was eine Viruserkrankung unbekannter Erreger mit Ihrer Kolonie anstellen kann? Eine Viruserkrankung, die vielleicht von dieser
Höhle ihren Ausgang nimmt? Die Sie, unwissentlich natürlich, mit in die Stadt nehmen?« »Ich glaube Ihnen kein einziges Wort«, giftete Stavros, dem die Felle wegzuschwimmen drohten. »Damit kann ich leben«, versetzte Vegas kühl. »Aber Sie verlassen jetzt mit Ihren Beamten die Höhle. Sie können erst dann zurückkeh ren, wenn unsere Mediziner zweifelsfrei festgestellt haben, daß von der Höhle keine Gefahr in puncto Viruserkrankung ausgeht.« Stavros musterte die schwerbewaffneten Rauminfanteristen, schätzte die Chancen seiner nur mit Schockern ausgerüsteten Poli zisten und tat das einzig Vernünftige: Er zog sich zurück. * »Ich fürchte, Skipper«, sagte Chester McGraves, der nach Vegas’ Rückkehr in die ANZIO umgehend vom Kommandanten über die Ereignisse in der Höhle informiert worden war, »wir haben uns ei nen Feind geschaffen.« Vegas lächelte matt und nickte, dann erwiderte er: »Wenn ich ständig auf die Befindlichkeiten von Möchtegern-Duodezfürsten Rücksicht nehmen würde, käme ich nicht voran. Mit der Übernahme dieses Kommandos habe ich eine nicht unerhebliche Verantwortung übernommen. Angesichts der Dimension unserer Aufgabe verliert Freund Stavros sehr an Bedeutung.« »Auf einen Nenner gebracht«, versetzte McGraves, »auch Sie trauen dem Bürgermeister nicht über den Weg, richtig?« »Nicht weiter als ich ihn im Blick habe«, bestätigte Roy Vegas. »Apropos Blick. Ich frage mich schon die ganze Zeit, wie Stavros auf die Idee mit dem Kolonialgesetz gekommen ist? Der betreffende Passus in diesem Gesetz wurde erst im Januar 2052 in die Präambel aufgenommen.« »Sicher?« fragte McGraves.
»Definitiv«, bestätigte der Oberst, er fuhr fort: »Ich habe mir nach Stavros’ Weggang heute morgen noch einmal den entsprechenden Text aus der Datenbank aufgerufen. 2052 war Stavros aber bereits auf Sahara und damit beschäftigt, sein und das Überleben der Kolo nie zu organisieren. Ein erneuter Kontakt mit Terra geschah nicht vor dem Sommer 2058, als terranische Einheiten die Caldarer aus dem System vertrieben. Ich glaube nicht, daß während dieser tur bulenten Zeit und auch danach jemand, der darauf aus ist, sein Ge meinwesen auf die Reihe zu kriegen, seine Nase in Gesetzestexte steckt. Falls er überhaupt auf Sahara Zugang zu ihnen hatte«, schloß der Oberst. »Sie meinen, hinter Stavros steckt jemand, der seine Fäden zieht?« »Jemand, der schlauer ist als er«, nickte Vegas. »Und wer?« Der Oberst hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. Die Geste sagte alles. In der Zentrale verrichteten die Techniker und Männer der Schichtwache ihren Dienst in gewohnter Weise. Außer den zentra letypischen Arbeitsgeräuschen gab es nur gelegentliche Anordnun gen der Instruktoren, die die Arbeit der Kadetten mit Argusaugen verfolgten. Das Hauptschott zischte. »Bretan!« sagte McGraves, der so saß, daß er den Eingang im Blick hatte. Der ehemalige Raumorter und jetzige Sicherheitschef des Ersten Bürgers von Sahara kam auf sie zu. Mit einem Kopfnicken nahm er Platz. Vegas wartete etwas, dann sagte er: »Nun, Mister Bretan, was machen die Schanzarbeiten Ihres Herrn und Meisters?« »Schanzarbeiten« war eine entschieden zu euphemistische Um schreibung dessen, was Wassilio Stavros mit seiner Polizeitruppe in den letzten Stunden unternommen hatte. Am Rand der Mulde hatten sie eine Art Lager aufgebaut, die Gleiter ähnlich einer historischen
Wagenburg darum postiert und einen Wachdienst organisiert, der offenbar rund um die Uhr die Vorgänge um den Höhleneingang ins Visier zu nehmen gedachte. Bretans Mundwinkel zuckten, es war nicht ersichtlich, ob aus Är ger oder Ironie. »Schlagen Sie nicht mich, wenn Sie eigentlich Stavros treffen möchten«, sagte er. »Ich denke, Sie sind intelligent genug, um erkannt zu haben, daß ich nicht unbedingt ein Freund des Bürger meister bin. Meine Loyalität gehört in erster Linie den Bürgern dieser Welt. Dennoch sind Stavros’ Verdienste für Sahara nicht von der Hand zu weisen. Die Kolonie wäre ohne seine fast manisch zu nen nende Arbeitswut, die natürlich oft genug diktatorische Züge hat, noch immer auf dem Stand von vor zehn Jahren. Seinem Einsatz war es zu verdanken, daß aus der anfangs von den Bürgern nur wider willig akzeptierten Kakteenschnapsbrennerei ein Verkaufsschlager großen Stils wurde, der endlich Wohlstand für die Einwohner brachte. Auch war er es, der Kontakte mit Solomon Green, dem Lei ter des Forschungsstabes von GenLabs knüpfte, was schlußendlich zum Einsatz der Gendoggen und einem Rückgang der Überfälle durch Klugechsen fast auf Null im weiten Umkreis um Sahara-Stadt führte. Sie sehen also, jede Medaille hat zwei Seiten.« Ja, dachte Vegas, eine polierte und eine weniger glänzende. Bretan war wieder aufgestanden und dabei, die Zentrale zu ver lassen. Nach zwei Schritten blieb er stehen und drehte sich noch einmal um. »Übrigens, Kommandant, es geht das Gerücht, daß Stavros Green für das Genforschungsprogramm ziemliche Zugeständnisse ge macht haben soll.« McGraves wartete, bis Bretan verschwunden war. Dann erst wandte er sich an den Oberst. »Was war das jetzt?« Vegas lachte. »Zu meiner Zeit nannte man das einen Wink mit dem Zaunpfahl.« »Ist Green etwa die treibende Kraft hinter Stavros?«
»Könnte durchaus sein.« Der Oberst nickte. »Aber das ist wohl ein hausinternes Problem, das uns nur am Rande tangiert.« »Richtig«, erwiderte McGraves. Dann wies er mit einer Kopfbe wegung auf den großen Zentraleschirm unmittelbar über der Kommandantenkonsole, der die Vorgänge am Rande der Mulde wiedergab. »Hoffentlich wird ihm nicht langweilig werden, wenn tagelang nichts geschieht.« Der Major bezog sich auf Stavros’ Einsatz vor dem Eingang zum Jungbrunnen. »Unterschätzen Sie nicht seinen Ehrgeiz, ehester«, warnte Vegas. »Männer wie Stavros sind wie Kampfhunde. Haben sie sich einmal in etwas verbissen, kann man sie nur mit Gewalt von ihrer Beute trennen.« »Apropos trennen.« McGraves stand auf. »Ich werde mich jetzt auch trennen, von Ihnen nämlich, Skipper. Meine Freischicht hat bereits vor zehn Minuten begonnen.« Die Antigravschächte und Laufbänder brachten Chester McGraves rasch durch das Schiff zum Quartier der Truppe, wo auch seine Ka bine lag. Auf dem Weg zu seiner Unterkunft hörte er aus der vorderen Mannschaftsmesse einen lautstarken Wortwechsel. Er runzelte die Stirn. Streit während der Freiwache? Nun ja. So etwas kam schon mal vor, wenn viele junge Männer auf relativ engem Raum für eine lange Zeit zusammenleben mußten. An und für sich beachtete McGraves Reibereien unter den Rekru ten außerhalb des Dienstes kaum. Dampf ablassen gehörte einfach dazu; das war zu seiner Zeit nicht anders gewesen. Außerdem war er sicher, die ranghöheren Dienst grade würden schon dafür sorgen, daß eine verbale Auseinander setzung nicht mit einer wilden Prügelei zu Ende ging, die ernsthafte Blessuren unter den Kontrahenten nach sich zog. Üblicherweise wurden körperliche Betätigungen dieser Art in den Sport- und Fit neßräumen abgehalten.
Daß Major McGraves sich dennoch entschloß, einen prüfenden Blick zu riskieren, lag daran, daß er durch das Tohuwabohu von Stimmen mehrmals das Wort »Schach« vernahm. Da er selbst von sich behauptete, ein ausgezeichneter Schachspieler zu sein, fand er es angebracht, sich kundig zu machen. Er drückte den Kontakt, und die Tür zur Mannschaftsmesse schob sich auf. Er umfaßte die Situation mit einem Blick. Etwa dreißig Männer befanden sich im Raum, verteilt an rund zehn Tischen. Die Speiseausgabe im Hintergrund war geschlossen. Auf den Tischen lagen Schachbretter und Stoppuhren, doch nie mand spielte im Augenblick. Alle redeten mehr oder weniger laut stark durcheinander. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung erkannte McGraves Feldwebel Mair. Er stand vor Kana, hatte die Arme in die Hüften gestemmt und stieß hervor: »Und ich sage dir, du kannst dir das Geld in die Haare schmieren, du hast einen falschen Zug gemacht…« »Von wegen, du kannst nur nicht verkraften, daß ich besser bin als du!« »Ich glaube, dir ist das Wasser aus dem See ins Gehirn gesickert, Platz genug hat es ja in diesem Hohlraum, den du zwischen den Ohren mit dir rumträgst. Du tickst doch nicht mehr richtig, Kame rad!« Lee Kana holte Luft und machte mit wütender Miene einen Schritt auf den Feldwebel zu. »Ich werde dir…« versprach er. Dann begriff er, daß das, was er tun wollte, möglicherweise für ihn nicht den erhofften Ausgang nehmen würde – Feldwebel Mair war einer jener Burschen, die ei nem Gegner mit bloßen Händen die Mandeln herausnahmen – und begnügte sich statt dessen damit, seiner Entrüstung weiter verbal Ausdruck zu verleihen. Ein Unbeteiligter, der zufällig diese Szene mitbekam, würde nie im Leben vermuten, daß die ganze wilde Bande ein verschworener
Haufen war, ein einziger Kampf Organismus, wenn es darauf an kam. Trotzdem fand der Major, daß es an Zeit war, einzuschreiten. »Macht mal halblang, ihr Heißsporne«, hob er seine Stimme, um den Lärm zu übertönen. »Was geht hier vor?« Sofort erstarrten alle in Habachtstellung. Major McGraves wartete einige Sekunden. »In Ordnung«, schnarrte er dann. »Rühren. Wenn ich mich recht entsinne, ist niemand hier im Dienst. Sie…« Er wandte sich an einen Fähnrich. »Klären Sie mich auf.« »Sofort, Sir! Das war so…« Wie es sich herausstellte, hatten Mair und Kana um Geld eine Par tie Schach gespielt, und der Stabsfeldwebel hatte verloren, was in seiner Karriere bisher noch nie der Fall gewesen war. Obwohl die Regeln eindeutig waren, weigerte sich Mair, die vereinbarte Summe an Kana zu zahlen. »Spielschulden sind Ehrenschulden, Mann«, wandte sich McGra ves an den Feldwebel. »Richtig, Sir.« »Und weshalb glauben Sie, sie nicht begleichen zu müssen?« Der Feldwebel zögerte keine Sekunde. »Weil Kana einen uner laubten Zug gemacht hat, Sir.« Chester McGraves Brauen hoben sich ein wenig. »Welcher Zug könnte das gewesen sein?« Jetzt herrschte Ruhe in der Messe. Alle verfolgte die Diskussion angespannt. »Er hat seinen weißen Läufer auf ein schwarzes Feld gezogen.« »Ich nehme an, Sie hatten Schwarz?« »Richtig, Sir.« McGraves fixierte Kana. »Stimmt das, Soldat?« »Natürlich nicht, Sir.« »Ich nehme an, die Partie wurde nicht notiert?«
Das war nicht der Fall, wie es sich herausstellte. Und so war die Sache schwer nachzuweisen oder zu widerlegen. »Um wieviel ging es denn?« »100 Dollar, Sir.« »Warum vergessen Sie beide nicht einfach die Sache? Betrachten Sie einfach die Partie als nicht gespielt.« Mair stieß ein Schnauben aus und schüttelte entschieden den Kopf. »Kommt nicht in Frage.« »Auch nicht für mich«, erklärte Kana steif. »Es ist eine Frage der Ehre. Ihren Vorschlag zu akzeptieren, Sir, käme einem Schuldein geständnis gleich, außerdem würde es meine Glaubwürdigkeit be schädigen. Ich habe keinen unerlaubten Zug gemacht, sondern Feldwebel Mair regulär und innerhalb kürzester Zeit besiegt.« »Hast du nicht!« »Hab ich doch!« Uneinsichtige Bande, dachte McGraves. »Und wie lösen wir jetzt das Ganze auf?« wandte er sich an die beiden. »Eine zweite Partie«, schlug Kana vor, »diesmal um 1000 Dollar. Einverstanden?« Feldwebel Kristof Mair signalisierte sein Einverständnis, wenn die Partie unter Aufsicht des Majors gespielt werden würde. Chester McGraves ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Ein Spiel mit einem derartig hohen Einsatz war eigentlich verboten. Andererseits wußte er, daß Mair ein ausgezeichneter Spieler, Kana aber nur mäßig begabt war. Daß er den Feldwebel bei der ersten Partie besiegt hatte, ließ durchaus den Schluß zu, daß er betrogen haben mußte. Die anstehende Niederlage war nur recht und billig und als Strafe an gemessen. »Gut«, löste McGraves die Spannung auf. »Einverstanden. Gespielt wird nach Bordregeln.« Die »Bordregeln« waren eigentlich die für Blitzturniere. Für die ersten 20 Züge hatten die Spieler fünf Minuten zur Verfügung, nach
zehn Minuten mußte die Partie beendet sein. War sie es nicht, ge wann der Spieler, der die meisten Figuren auf dem Feld hatte. Bei gleicher Anzahl der Steine war die Wertigkeit der Figuren für den Sieg entscheidend. War die auch gleich, entschied die Tiefe des Vorrückens in Richtung der gegnerischen Grundlinie über den Sieg. Mair und Kana nahmen wieder Platz. Der Feldwebel entschied sich auch diesmal wieder für Schwarz und überließ daher Kana den Vorteil des ersten Zuges. Seine Absicht war klar, er war auf einen raschen, vernichtenden Sieg aus und wollte gleichzeitig seinen Ge gner vorführen. Weiß war zwar dem Kontrahenten immer um einen Zug voraus, aber Schwarz im »Nachzug« konnte sich besser auf die Absichten seines Gegners einstellen. Weiß wiederum hatte durch seinen Zeitvorsprung während der ersten Züge den Vorteil der Initiative und auch etwas mehr Einfluß auf den Charakter der Spielentwicklung. Entscheidend war dieser Vorteil allerdings nicht sonderlich, denn es gab keinen Weg, ihn zwingend in eine bessere Stellung auf dem Brett umzumünzen, wenngleich der Aufbau leichter ausfiel. Schwarz hingegen mußte den weißen Anzugvorteil ausgleichen und konnte sich deshalb an fangs weniger erlauben. Ein falscher Zug in der Eröffnung war für ihn gefährlicher als für Weiß. Diese Gegebenheiten waren mit der Grund, weshalb mit Weiß etwas mehr Partien gewonnen werden konnten als mit Schwarz. Kana eröffnete das Spiel mit einem Königsgambit, was McGraves etwas verwirrte. Eine derartige Eröffnung hätte er dem Soldaten nicht zugetraut, den er nur als lausigen Spieler kannte. Als dieser dann gleich noch zu Beginn einen Bauern opferte und sogar seine Königsstellung schwächte, um sich das Zentrum des Feldes und die f-Linie für einen flotten Angriff freizumachen, nötigte diese Vorge hensweise McGraves ein anerkennendes Kopfwackeln ab. Was Kana hier abzog, war der scharfe Kampfplan einer alten und traditions reichen Eröffnung mit ihren vielen verschiedenen, spannenden Va
rianten, die der Major oft und gerne spielte. Aber Mair, als versierter und kompetenter Schachspieler, der er zweifellos war, trat diesem etwas unorthodoxen gegnerischen Angriff erfolgreich gegenüber und münzte ihn zu seinem Vorteil um, während er seinen Gegner gleichzeitig mehr und mehr in eine Position manövrierte, die nur in einer Falle enden konnte – was McGraves’ anfängliche Begeisterung über Kanas geschicktes Anfangsspiel wieder auf das ursprüngliche Maß zurückschraubte. Inzwischen drängten sich immer mehr Zuschauer um die beiden Spieler. Nach dem zwölften Zug – McGraves notierte jeden einzelnen pe nibel – raunte ihm eine Stimme ins Ohr: »Mair ist in vier Zügen matt, Sir!« McGraves blickte zur Seite. Derek Stormond, der zweite Mann, der die Segnungen des Jungbrunnens am eigenen Leib erfahren durfte, hatte offenbar schon die ganze Zeit neben ihm gestanden, ohne daß es von ihm bemerkt worden war. »Unfug!« murmelte der Major und runzelte die Stirn. »Hören Sie zu, Sir!« Stormond nannte die vier entscheidenden Züge von Kesch, die zu Mairs Mattsetzung führen würden. Obwohl sich alles in ihm sträubte, dem Gehörten Glauben zu schenken, notierte McGraves die Züge auf eine Ecke seiner Auf schriebs. Dennoch erwartete er nicht, daß die Vorhersage des Solda ten irgendeine Relevanz haben würde – und war um so erstaunter, als er miterleben mußte, wie Kana seine nächsten vier Züge in genau der Reihenfolge machte, wie von Stormond vorhergesagt. Bei jedem Zug trieb er Mair mehr in die Enge. Als er den letzten getan hatte, lehnte er sich bequem in seinem Stuhl zurück, legte den Kopf schief und blickte seinen Gegner mit unverhohlener Schadenfreude an. »Schach und matt«, sagte er genüßlich in die atemlose Stille, »in sechzehn Zügen und vier Minuten.« Mair schien zunächst nicht zu glauben, was da über ihn herein gebrochen war. Er fixierte das Brett, als sähe er es zum ersten Mal in
seinem Leben. Je länger er starrte, um so tiefer wurden die Falten auf seiner Stirn. Seine Miene war eine Mischung aus Ärger, Wut und Nachdenklichkeit. Schließlich warf er seinen König um. Das Zeichen der Aufgabe. »Gratulation«, sagte er und reichte Kana über den Tisch hinweg die Hand. »Ein fairer Sieg.« Er zögerte, dann huschte ein etwas verung lücktes Grinsen über sein Gesicht. »Wie es scheint, werde ich wohl oder übel meine Ersparnisse plündern müssen.« »Tu das, und tu es schnell. Ich glaube, die Zahlmeisterei ist noch offen.« Kana wandte sich an den Major, während Mair sich unter den bis sigen Kommentaren der Männer verabschiedete. »Habe ich Sie überzeugt, Sir, daß ich es nicht nötig habe, uner laubte Züge zu machen, um zu gewinnen?« »Voll und ganz«, bestätigte McGraves. »Sie sind ein ausgezeich neter Schachspieler. Apropos Schachspiel. Was halten Sie von einer Partie um 100 Dollar?« »Gegen Sie?« »Sehen Sie sonst noch jemanden, Soldat?« »Nichts dagegen einzuwenden. Gleiche Regeln?« »Gleiche Regeln.« * Eine Viertelstunde, nachdem ehester McGraves sie verlassen hatte, kehrte er wieder in die Hauptzentrale zurück, ein Schachbrett unter den Arm geklemmt und in Begleitung von Lee Kana und Derek Stormond. »War eine kurze Freiwache, ehester«, kommentierte Oberst Vegas McGraves’ Erscheinen verwundert. »Kurz, ja, aber auch sehr kurzweilig.« Vegas warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Wollen Sie es mir erklären?«
»Dazu bin ich gekommen, Skipper«, nickte McGraves und lächelte flüchtig. »Dazu und um ein Experiment zu starten. Ich habe einen Verdacht, brauche aber erst noch ein paar Fakten.« »Und die hoffen Sie, von mir zu bekommen?« McGraves nickte. »Mhm.« Vegas kratzte sich hinter dem Ohr. »Erst die Erklärung, ehester!« Der Major schilderte die Geschehnisse in der Messe. Als er geendet hatte, sagte Vegas: »Damit ich das richtig verstehe: Sie haben gegen ihn«, er deutete auf Lee Kana, dem sichtlich unwohl war, im Mit telpunkt des Interesses seines Kommandanten zu stehen, »im Schach verloren?« McGraves lachte kurz und, wie es schien, bitter auf. »Ich habe nicht verloren. Ich wurde vernichtet.« Der Oberst grinste leicht. »Ich verstehe, daß Ihr Ego angeknackst ist, doch ich denke, Sie werden darüber hinwegkommen. Aber Sie sagten etwas von einem Experiment?« »Ich möchte Sie bitten, nach den Bordregeln eine Partie Schach mit Soldat Kana zu spielen, Oberst, natürlich nicht um ein Preisgeld.« Vegas wölbte erstaunt die Brauen. »Das soll Ihr Experiment sein? Was wollen Sie damit herausfin den?« »Das erfahren Sie nach dem Spiel, Skipper.« McGraves lächelte plötzlich breit. »Oh, ich verstehe«, Vegas grinste zurück. »Sie wollen mich verlie ren sehen, damit Sie Ihre eigene Niederlage besser verkraften. Ist es das?« »Wo denken Sie hin, Sir? Allerdings ist das Ergebnis ein nicht unerheblicher Bestandteil des Experimentes.« Vegas war aufgrund seiner 47 Jahre langen Vernetzung mit dem Computer auf dem Mars, dem »Einsamen der Zeit«, der beste Schachspieler, der McGraves je untergekommen war, und deshalb die ideale Versuchsperson für das, was er herauszufinden hoffte.
»Das klingt höchst mysteriös. Sie machen mich neugierig, Major.« »Dann willigen Sie ein, Oberst?« Vegas blickte sich in der Zentrale um. Der Wachwechsel war in zwischen vollzogen; an den Pulten und Konsolen saß die neue Schicht, eine reduzierte Mannschaft. Man war weder in einem Ein satz, der volle Konzentration erfordert hätte, noch auf einer Expedi tionsfahrt mit dem Auftrag, neue Planeten und Sonnen zu katalogi sieren. Bis zur Ankunft der terranischen Wissenschaftlerdelegation war es noch etwas hin, die Zeit würde zur theoretischen Schulung der Kadetten genutzt werden. »Einverstanden«, sagte der Oberst und erhob sich aus dem Kom mandantensitz. »Nummer Eins! Sie haben das Schiff.« »Aye, Sir.« Captain Olin Monro, der Erste Offizier der ANZIO, verließ seinen Platz, um den von Vegas an der Hauptkonsole einzunehmen. »Gehen wir nach hinten«, schlug der Oberst vor. Die Leitzentrale der ANZIO war der einzige Raum in dem Ovoid-Ringschiff der Rom-Klasse, der sowohl von Deck vier als auch von Deck fünf zu erreichen war. In Höhe von Deck fünf besaß sie eine Galerie, die einen geschlossenen Ring bildete. »Hinten« war ein Bereich unter der umlaufenden Galerie, wo vor den Kaffee- und Getränkeautomaten ein paar bequeme Sessel und kleine Tische standen. Dort konnte man sich zu einem zwanglosen Gespräch oder einfach nur zum Abschalten niederlassen, wenn die Zeit nicht reichte, um in den Kabinen eine längere Pause einzulegen. »Und was ist Ihre Aufgabe, Rekrut Stormond?« wandte er sich an den jungen Mann. »Sind Sie zur moralischen Unterstützung Ihres Kameraden dabei?« »Weder noch«, mischte sich McGraves ein. »Er wird uns vorher sagen, wann Sie matt sein werden, Oberst.« »Dann sollte ich zusehen, daß dies nicht geschieht«, meinte Vegas leichthin und schüttelte den Kopf vor soviel Selbstbewußtsein. Er setzte sich und rückte den Stuhl zurecht.
»Fangen wir an. Ich überlasse Ihnen den ersten Zug«, meinte er und gab sich Mühe, nicht gönnerhaft zu wirken. »Sie haben Weiß – oder wollen wir den üblichen Weg gehen und losen?« »Danke, Sir. Nicht nötig. Ich nehme Weiß.« »Wissen Sie auch, worauf Sie sich einlassen, Soldat?« Es sollte als gutgemeinte Warnung gelten, verpuffte aber wir kungslos. Kana grinste nur. »Lassen wir es darauf ankommen, Sir.« Ganz schön frech, der Kleine, dachte Vegas. Na gut, sehen wir, ob er am Ende noch immer so fröhlich aussieht. Kana eröffnete und zog seinen Bauern auf e4. Kein schlechter An fang, dadurch besetzte er gleich zu Beginn das Zentralfeld und be herrschte ein zweites, nämlich d5, außerdem verschaffte er auf diese Weise seiner Dame und dem Königsläufer einen Ausgang. Vegas tat ihm den Gefallen, machte das gleiche und zog seinen schwarzen Bauern auf e5, wohl wissend, daß beide Bauern sich nur hemmten aber nicht wirklich bedrohten. Die zweckmäßigste Fortsetzung wäre jetzt Springer auf f3, dachte der Major, um den feindlichen Zentralstützpunkt e5 anzugreifen. Natürlich tat Kana genau diesen Zug, was Vegas damit quittierte, daß er seinen Springer auf c6 postierte, die beste Erwiderung: Figu renentwicklung und Decken des Bauern e5. Kana zog seinen Läufer auf b5, und Vegas konterte damit, daß er seinen Läufer nach a6 schickte. Was die beiden da absolvierten, war eine sehr gute und beliebte Eröffnung, erkannte McGraves, bekannt auch als Spanische Partie. Weiß zog seinen Läufer auf a4, Schwarz auf d6. Dann schickte Kana seinen Läufer weiter auf c4, um den Punkt d5 fest in die Hand zu bekommen und Schwarz in Bedrängnis zu brin gen. Er hätte ihn auch auf c3 postieren können, um den nachfolgen den Zug d4 zu stärken. Weiß setzte seinen Läufer auf d7 und befreite so den Springer c6 aus der Fesselung.
Zug folgte auf Gegenzug; die beiden Spieler, zwischen denen ein Altersunterschied von über fünfzig Jahren lag, legten ein Tempo vor, daß McGraves fast nicht mitkam. Es schien, als hätte Kana auf alles, was Vegas tat, sogleich die passende Antwort. Er zog scheinbar ohne zu Überlegen, rein intuitiv, aus dem Bauch heraus. Oder konnte er womöglich Gedanken lesen und »sah« jeden Zug, den Vegas sich ausdachte? Nach dem fünfzehnten Zug unterbrach McGraves als Schiedsrich ter die Partie nach einem Nicken von Stormond; er hatte den Rekru ten gebeten, ihm zu sagen, wann Kana das Spiel sicher im Sack ha ben würde. »Schwarz ist matt in fünf Zügen«, verkündete Derek Stormond. »Das sehe ich auch so«, bestätigte Lee Kana. Vegas schüttelte den Kopf. Während sich eine Falte zwischen sei nen Brauen bildete, sagte er: »Das sehe ich aber ganz anders, ich erkenne kein Matt!« »Machen wir es doch so«, schlug McGraves vor. »Die beiden jun gen Männer notieren unabhängig voneinander, wie sie sich den weiteren Verlauf der Partie vorstellen.« »Wenn es Ihrem Seelenfrieden dient, warum nicht«, gab sich Vegas kooperativ. »Es können eh nur theoretische Überlegungen sein…« »Die sich ja durch den weiteren Verlauf des Spieles belegen las sen«, meinte McGraves. »Meinetwegen«, gab sich Vegas kooperativ. »Was kann schon da bei herauskommen…« Er wartete, bis die beiden Soldaten ihre jeweiligen Notationen niedergeschrieben hatten. Dann verglich er sie mit dem, was er sich für die nächsten fünf Züge ausgedacht hatte. »Sie sehen mich überrascht«, gab er erstaunt zu. »So wollte ich weiterspielen – aber wenn ich mir die Antworten der beiden auf meine Züge ansehe, muß ich zu meiner Schande gestehen, daß ich tatsächlich nach fünf Zügen matt wäre. Wie konnte ich das überse hen?« Er schwieg kurze Zeit. »Aber ich muß ja nicht so geradlinig
weiterspielen«, fuhr er dann fort. »Es gibt Alternativen, das ist ja das Geheimnis beim Schach.« »Das bleibt Ihnen unbenommen, Sir«, bestätigte Lee Kana mit ver legener Miene, »aber was Sie auch tun, nichts bringt Sie in Sicher heit.« »Das wollen wir erst einmal abwarten«, beschied ihm der Oberst knapp. »Spielen wir weiter, mal sehen, ob Sie recht haben, junger Mann.« Es waren Verlegenheitszüge, wie es sich herausstellte. Jeder ein zelne brachte den Oberst mehr und mehr in Bedrängnis. Ehe er sich versah, hatte er sich in eine Lage manövriert, aus der er dem sofor tigen Matt nur unter schwersten Materialverlusten entkommen konnte. Also gab er auf, nach dem vierten Zug. Verblüfft und ein wenig in seiner Ehre gekränkt, wie an seiner Miene zu erkennen war, von einem Schachneuling so en passant geschlagen worden zu sein. »Zufrieden über den Ausgang des Experimentes?« wandte er sich an McGraves. »In gewisser Weise, ja«, gestand der Major. »Darf ich nun auch erfahren, was das ›Experiment‹ eigentlich war?« Es ging dabei um die Bestätigung eines Verdachtes, gestand der Major. Er hatte die Vermutung, daß das Bad im Jungbrunnen Kana und Stormond nicht nur geheilt, sondern auch intelligenter gemacht hatte. So intelligent, daß Lee Kana sogar gegen den anerkannt besten Schachspieler gewinnen konnte, obwohl er bekanntermaßen zuvor nur als unterdurchschnittlicher, ja regelrecht lausiger Spieler gegol ten hatte. »Konkrete Beweise?« »Nein. Bislang nicht mehr als eine vage Überlegung«, gestand der Major, während die beiden jungen Männer schweigend der Diskus sion folgten.
Vegas überlegte kurz. Dann drückte er die Taste des im Tisch ein gelassenen Viphos. Der kleine Schirm fuhr aus der Fläche, stellte sich schräg und wurde hell. »Medizinische Abteilung«, sagte der Oberst; er wurde ohne Zeit verzug verbunden. »Ich begrüße Sie, Oberst«, sagte der Mann auf dem Bildschirm. »Doktor«, nickte Vegas. »Sagen Sie, Erinn, Sie haben doch die me dizinische Daten der gesamten Besatzung in Ihrer Datenbank. Rich tig?« »Richtig. So wie Ihr Zahlmeister sie in den Personalakten jedes einzelnen Besatzungsmitglieds vermerkt findet, einschließlich Ihrer Stammrolle. Was ist der Grund Ihrer Frage? Gibt es ein gesundheit liches Problem?« »Nein, nein. Ich komme mit zwei jungen Männern bei Ihnen vor bei. Bereiten Sie inzwischen schon mal alles für eine Gehirnstrom messung vor.« Erinn Meichle nickte, ohne sein Gesicht zu verziehen. »Ich erwarte Sie, Oberst.« »Danke, Doktor«, sagte Vegas, schaltete ab und stand auf. »Gehen wir, meine Herren.«
19.
Meichle, ein fast hager zu nennender Mann mit einem schmalen, kantigen Gesicht und einer braunen Haartolle, die ihm ein überra schend jugendliches Aussehen gab, erwartete sie in seinem Arbeits raum. Der Chefarzt im Rang eines Majors fixierte die beiden jungen Männer mit einem inquisitorischen Blick. »Sind das die Probanden?« fragte er; es klang, als habe er gesagt: »Sind das die beiden Delin quenten?« Major McGraves nickte. »Die Rekruten Lee Kana und Derek Stor mond.« Das Stimmaufzeichnungsmodul, das der Mediziner in der Brust tasche seines lindgrünen Mantels trug, stellte eine sofortige Verbin dung zur Datenbank her und fütterte damit die Diagnoseeinheit in seinem Behandlunsgraum. »Sie hatte doch mein Assistent Doktor Neel erst vor kurzem auf dem Operationstisch, junger Mann, nicht wahr?« wunderte sich der Chefarzt. »Ich kenne den Vorgang. Dafür, daß Sie schon dem Sen senmann die Hand schütteln durften, sehen Sie aber verdammt ge sund aus. Was hat Sie bewogen, der Medizin ein Rätsel aufzugeben? War es etwa das Bad auf der Tenne… ahm, ich meine im See? Ver raten Sie mir das Geheimnis, Soldat! Wir ziehen es auf Flaschen und verdienen uns einen Wolf damit…« Er wandte sich an Roy Vegas. »Gibt es einen bestimmten Grund für die Messung der Gehirn stromaktivitäten, oder wollen Sie nur prüfen lassen, ob die beiden Burschen überhaupt etwas in der Birne haben?« spottete er mit ei nem süffisanten Grinsen. Der fünfzigjährige Mediziner – der eine hochdotierte Stelle am Sam-Dhark-Hospital in Alamo Gordo aufge geben hatte, um an Bord der ANZIO Dienst zu tun, weil ihm der Weltraum mehr bedeutete als alles andere –, bediente sich einer ab
gehackten Sprechweise mit einer merkwürdigen Betonung der letz ten Silben. »Können wir, Doktor?« Vegas’ Stimme klang leicht gereizt. »Ähem, natürlich, Kommandant… wenn Sie mir folgen wollen, meine Herren.« Er öffnete die Tür zu einem kühlen, indirekt erleuchteten Korridor und ging voran. Am Ende des Ganges, von dem zu beiden Seiten Türen abzweigten, stieß er eine Schwingtür auf. »Hier herein.« Vegas ließ seine Blicke wandern; um sie herum erstreckte sich die aseptische Einrichtung einer hochmodernen Klinik im Kleinen, ver sehen mit sämtlichen Einrichtungen zur Intensiv- und Schockbe handlung. Hinter einer transparenten Absperrung befand sich ein Dutzend Krankenbetten. Sie waren leer; der Krankenstand der ANZIO befand sich im Au genblick bei Null. »Wenn die beiden Herren hier Platz nehmen wollen!« Der Chefmediziner deutete auf zwei chromblinkende Gliedersessel mit vielgelenkigen Roboterarmen, Sonden und den in Bereitschaft blinkenden Computeranzeigen kompliziert aussehender medizini scher Geräte, die einen Patienten in allen nur erdenklichen Stellun gen fixieren konnten. Mikromeßfühler ermittelten Körpergewicht und Hautfeuchtigkeit und veränderten Form sowie Temperatur der Polster, bis sie eng anlagen und den Patienten umschlossen wie ein Kokon. Der Medoroboter am Kopfende war ein multifunktionales Gerät; mit ihm konnten sämtliche Parameter diagnostiziert, überwacht und behandelt werden. Gleichzeitig lieferten die angeschlossenen Bild schirme sämtliche Daten über Blut-pH-Werte, Blutdruck, Herztä tigkeit, Leukozytenzahl – und Gehirnwellenaktivitäten . Die Untersuchung dauerte keine Minute, dann hoben sich die Kopfteile der medizinischen Roboter wieder von den beiden Män nern und rasteten in den Ausgangsstellungen ein.
»Und, wie sieht’s aus, Erinn?« Vegas warf Doktor Meichle einen ungeduldigen Blick zu. Der Mediziner konsultierte die Zusammenfassung der Werte, die ihm der große Bildschirm lieferte. »Die beiden sind körperlich in Bestform, Kommandant, obwohl ich immer noch nicht weiß, wieso das bei Soldat Kana der Fall ist. Al lerdings…« Er zögerte, blickte noch einmal auf die Ergebnisse des medizinischen Suprasensors. »Ja, bei beiden weichen die Alphakur ven von den in ihrer Personalakte vorhandenen ab. Sie zeigen beide ein wesentlich verändertes Gehirnstrommuster. Ungewöhnlich, ja fast unglaublich…« Er verstummte und kratzte sich den Nasenrü cken. »Wie verändert?« wollte McGraves wissen. Doktor Meichle wandte sich den beiden Offizieren zu. »Sie werden die Einträge in den Stammrollen der beiden ändern müssen«, meinte er lakonisch, »ihr IQ bewegt sich im Augenblick so um die 180.« »Im Augenblick… meinen Sie damit…?« »Das meine ich«, unterbrach Meichle Major McGraves. »Die Mus ter zeigen alle Anzeichen einer ansteigenden Kurve. Ich habe keine Ahnung, wie weit es geht und wo es endet, aber richten Sie sich ru hig darauf ein, daß Sie mit den beiden hier zwei Intelligenzbolzen unter Ihren Männern haben, denen Sie bald nichts mehr beibringen können.« »Intelligenz«, brummte McGraves beim Hinausgehen, »ist nicht gleichbedeutend mit erlebter Erfahrung oder Wissen schlechthin. Lassen Sie sich das gesagt sein, Doktor…« * »Und was fangen wir mit der Erkenntnis an, daß unsere beiden Helden hier seit ihrem Bad im Jungbrunnen – mir will diese Be zeichnung noch immer nicht so recht über die Lippen – ein erhebli
ches Stück intelligenter sind als der Rest der Mannschaft, Chester?« erkundigte sich Roy Vegas. Sie hatten sich wieder unter die Galerie zurückgezogen. Major McGraves spielte unschlüssig mit einer der herumliegenden Schachfiguren und schien nicht zugehört zu haben. »Chester!« »Wie…?« Der Major schreckte auf. »Verzeihung, Kommandant, ich war gerade in Gedanken.« »Das war nicht zu übersehen«, brummte der Oberst. »Also?« »Also«, sagte McGraves seltsam zufrieden, »wissen wir jetzt auch, woher die Klugechsen ihre Klugheit bezogen haben: Aus dem Bad im Jungbrunnen nämlich.« »Sie lehnen sich ziemlich weit aus dem Fenster«, meinte Vegas widerwillig und nur mäßig überzeugt. »Das ist aber nicht alles«, ließ sich Derek Stormond hören. Vegas blickte zuerst auf McGraves, dann auf Lee Kana und zum Schluß musterte er Stormond. »Nein?« sagte er scharf. »Was noch, Soldat?« Stormond blickte McGraves an. »Erinnern Sie sich an das merk würdige Verhalten der Gendoggen, Sir, die gezielt Jagd auf uns machten und sich erst auf das Signal eines Alphatieres zurückzogen, nachdem der Großteil unserer Einheit zurückgekommen und in den Kampf eingegriffen hatte? Ein Verhalten, das auf eine höhere Intel ligenz schließen läßt, als Hunde sie im allgemeinen besitzen. Hunde jagen zwar gern in Rudeln, aber nicht in derartig großen Verbänden. Und sie gehen vor allem nicht so gezielt vor. Außerdem wäre da noch die Sache mit dem Nachwuchs eigentlich absolut steriler Tiere. Das läßt nur den Schluß zu, daß hierbei die Kräfte des Jungbrunnens eine entscheidende Rolle spielen müssen. Oder was sagen Sie?« Zögernd bewegte McGraves den Kopf. »So weit wollte ich eigentlich gar nicht gehen«, bekannte er. Vegas schnaubte widerwillig. »Das ist zu phantastisch.«
»Es ist noch viel phantastischer«, sagte Kana mit einem verlegenen Lächeln. »Darf ich reden, Sir?« Vegas machte eine Handbewegung. »Bitte, vermutlich lassen Sie sich ja sowieso nicht davon abhalten, Soldat.« »Danke, Sir. Also, wie anzunehmen, ist der Eingang zum Jung brunnen von den Klugechsen bewacht worden, die Auffindsituation der Kadaver läßt keine andere Deutung zu. Daß wir nur tote Echsen gefunden haben, legt den Schluß nahe, daß sie von Gendoggen um gebracht worden sind, deren gezieltes und gemeinschaftliches Vor gehen wir ja am eigenem Leib erfahren konnten. Gendoggen, die Jungtiere dabei hatten, obwohl Nachkommenschaft laut GenLabs völlig ausgeschlossen sein sollte.« »Zwar haben die genveränderten Doggen das Dorf vernichtet«, übernahm jetzt Derek Stormond, »und dessen Bewohner getötet, aber laut den Analysen der Wissenschaftler liegt das noch nicht so lange zurück, daß die Hunde durch die Wirkung dieses unterirdi schen Teiches schon Jungtiere hätten haben können. Zudem muß es für die genmanipulierten Hunde nahezu unmöglich gewesen sein, ein ganzes Dorf der intelligenten und extrem starken Echsen zu töten – es sei denn…« Stormond verstummte und nickte Kana zu. »Es sei denn«, übernahm dieser wieder das Wort, »sie selbst waren ebenfalls schon seit längerem intelligenzgesteigert. Das aber läßt nur eine Schlußfolgerung zu: Es gibt mindestens noch einen weiteren Jungbrunnen auf Sahara, den die Doggen für sich vereinnahmt ha ben…« »Vermutlich sogar mehrere!« brachte es Stormond auf den Punkt, die Bombe endgültig platzen lassend. »Aber das hieße… das würde ja bedeuten… Bei allen Raumgeis tern!« Vegas verstummte. Seine Wangenmuskeln traten wie Stricke hervor, so sehr preßte er die Kiefer aufeinander, als ihm die Konse quenz des eben Gehörten aufging. »Verdammt, ich habe wohl nicht richtig gehört!«
»Haben Sie doch«, McGraves setzte an, noch etwas zu sagen, als eine laute Stimme durch die Zentrale hallte: »Oberst Vegas! Dem baux hier. Ortung. Sir! Ich habe hier etwas auf den Oszillos, das Sie sich unbedingt ansehen sollten.« Captain Monro räumte sofort den Platz des Kommandanten, als Vegas nach vorne geeilt kam. »Was haben Sie, Mister Dembaux?« erkundigte sich der Kapitän bei der Ortung. »Energieechos, die sich nicht einwandfrei zuordnen lassen«, sagte der Tasterspezialist. »Nicht zuordnen? Mhm… Ihre Meinung?« »Es sieht aus, als würden von einer Stelle auf dieser Seite der Welt Energiewaffen abgefeuert, Sir.« »Wie viele?« »Schwer zu sagen, Sir. Sie sind nicht statisch, also auf einen Punkt konzentriert, sondern wandern.« »Lassen sich die einzelnen Punkte lokalisieren?« »Habe sie schon im Raster, Sir!« bestätigte der Funkobermaat. »Aber ich dachte, diese Seite wäre absolut menschenleer.« »Dachte ich auch«, knurrte Vegas. »Dachten wir alle.« »Sir, es kommen neue Echos von einer anderen Stelle des Planeten. Sie sind nur ein paar hundert Kilometer von unserer Position ent fernt!« »Läßt sich sonst noch etwas orten? Schiffe? Fahrzeuge? Gleiter? Personen?« »Negativ, Sir.« »Donner und Doria«, brach es aus Vegas heraus, der sich in Situa tionen wie dieser umgangssprachlich mit Vorliebe einer etwas we niger modernen Ausdrucks weise bediente. »Was geht dort vor?« »Finden wir es heraus, Kapitän«, schlug der Erste Offizier vor. Vegas nickte. »Mister Monro! Gelber Alarm! Die Flash sollen star ten. Alle!« »Aye, Oberst.«
*
In der metallisch schimmernden Wandung der ANZIO erschienen 14 wabenförmige Öffnungen in einem Gittermuster, als sich die Außenschotts der Doppelhangars auf Deck vier öffneten und 28 Flash wie ein Hornissenschwarm herausgeschossen kamen. Die Prallfelder der Starthilfe spukten sie geradezu hinaus in die hitze flimmernde Luft über der Wüste. 28 Miniraumboote. Zylinderförmig, zirka drei Meter lang, mit ei nem Durchmesser von eineinhalb Metern. Kommandant Roy Vegas hatte den Einsatz des kompletten Geschwaders angeordnet, besetzt mit Auszubildenden und erfahrenen Piloten; auf dem zweiten Sitz jeweils einer von Major McGraves’ Infanteristen in voller Kampf montur. Selbstverständlich hätten die Flash die Außenhülle der ANZIO auch einfach im Schutz ihrer Intervallfelder durchfliegen können. Aber Intervalle konnten ausfallen, und dann brauchte man Hangar tore. Und deren Nutzung mußte eben auch hin und wieder geübt werden. »Ausstoß vollzogen«, meldete Roul Hunter, von seinen Kameraden nur »Torpedo Hunter« tituliert, der Hangarkontrolle und seinem Geschwaderführer. »Adler Vierzehn ist draußen.« In schneller Folge kamen auch die Klarmeldungen der anderen Mini-Raumboote. »Hier Adler Eins, verstanden«, bestätigte Oberleutnant Darren Skerl über die abgeschirmte Funkphase. Der Offizier war der Kom mandant des Flashgeschwaders. »An alle. Jeder hat seine Koordina ten. Wenn ich mir das Raster ansehe, werden wir wohl kaum in Sichtweite des jeweilig anderen fliegen können. Wir halten es so: Jeder, der etwas sieht, prüft es nach, dann Meldung an mich. Wer zuerst den Verursacher der Energieechos ausfindig macht, bekommt eine Belobigung in seine Personalakte. Viel Glück, Männer!«
Roul Hunter bediente die Manuellsteuerung seiner 14, als hätte er nie etwas anderes getan, obwohl dies sein erster Einsatz unter realen Bedingungen war. Ein wenig bedauerte er, daß er die Gedankensteuerung nicht ein setzen durfte, aber dafür, so hatte sein Ausbilder getönt, seien seine Gedanken noch etwas zu unausgegoren und zu leicht von anderen Dingen beeinflußbar. Was Hunter in gewisser Weise verstehen konnte und deshalb widerspruchslos akzeptierte. Ohne ein ent sprechendes mentales Training war die Beherrschung eines derartig sensiblen Gefährts mit seinem enormen Potential nur durch Gedan ken für einen Grünschnabel wie ihn wohl mit einigen Risiken be haftet. Bei diesem Einsatz flogen alle Raumboote nur manuell gesteuert. Hunter ließ sich in seinen Sitz zurücksinken. »Wie geht es Ihnen, Soldat?« fragte er über die Bordverständigung. Der mit dem Rücken zu ihm sitzende Infanterist sagte mundfaul: »Mhm, gut.« »Schon mal in einem Flash mitgeflogen?« Rinko Morandeira grunzte nur. Hunter nahm es als Bestätigung. »Ich werde Sie sicher kutschie ren«, sagte er leutselig. »Keine Bange.« »Davon gehe ich aus«, bequemte sich der Soldat portugiesischer Abstammung zu einem vollständigen Satz, und er übertraf sich noch, indem er hinzufügte: »Andernfalls sollten Sie mir nicht auf einer einsamen Straße im Dunkeln begegnen, Kadett.« Hunter schluckte. Wen hatte man ihm denn da als Kampfgenossen zugemutet? Er beschloß, auf der Hut zu sein. Dann ärgerte er sich, daß seine Konzentration für einen Moment nachgelassen hatte. Er verdrängte alle unwesentlichen Gedanken und konzentrierte sich auf seine Anzeigen. Die Außentaster der 14 sammelten alle relevanten Daten über Schwerkraft, Atmosphäre, Licht- und Wetterverhältnisse und über trugen sie ins Innere des Flash.
Noch flog Hunter inmitten des Geschwaders, das in einer lockeren Keilformation zunächst auf jenes Gebiet zujagte, in dem die Ener gieechos zuerst aufgetreten waren. Doch nach weniger als fünf Mi nuten Flugzeit löste sich die Formation auf. Die Raumboote strebten auseinander. Jedes einzelne nahm den Punkt ins Visier, der ihm von der Orterkontrolle der ANZIO zugewiesen worden war. Unter der 14 dehnte sich die Wüste aus, vor Hitze glühend. Die Taster ermittelten Temperaturen von über fünfzig Grad. Aus der Höhe war es, als breite sich ein erstarrtes, von Goldstaub überpu dertes Meer bis zum Horizont aus. Irgendwie großartig – und glei chermaßen gefährlich wie lebensfeindlich, kam es Roul Hunter vor. Und er wußte, daß er niemals auf einer derartigen Welt würde hei misch werden können. Dann änderte sich der Anblick der Wüste, aber nur unwesentlich. Lange Kiesstreifen erschienen. Eine Art Steilufer säumte eine breite Fläche ein, die sich in nordwestliche Richtung auf eine ferne Hügel kette hin erstreckte, die wie Kamelrücken den Horizont begrenzten. Ein ausgetrocknetes Flußbett. Indiz dafür, daß es auf Sahara sehr wohl einmal Oberflächenwasser gegeben haben mußte, ausgedehnte Seen vielleicht, Flüsse allemal. Der ehemalige Wasserlauf bildete eine Folge von Kurven und Schlangenlinien. Hunter beschloß, ihm zu folgen; er verlief fast exakt in Flugrich tung. Nach wenigen Minuten ging er mit der 14 tiefer. Der gekrümmte Pfad aus grünleuchtenden Rechtecken auf dem Flugwegschirm verengte sich pulsierend mit dem Grad der Annä herung an die Koordinaten. Sie mußten jeden Augenblick den Punkt erreichen, an dem eines der Energieechos geortet worden war. »Dort drüben… könnte was sein«, sagte Morandeira. »Vier Grad Backbord.« Das Raumboot schwenkte in die Richtung ein und bremste über der bezeichneten Stelle ab. »Nein, da ist nichts«, sagte Hunter.
»Hab mich eben getäuscht«, meinte der Soldat lakonisch. Langsam flog der Flash nun dichter über dem Geröll und Kies des ehemaligen Flußbettes dahin, folgte ihm weiter nach Norden. Hun ter suchte angestrengt das rechte, Morandeira das linke Ufer ab. Alles was sie sahen, waren in der Sonne glühende Felsen, schmer zend grell schimmernder Sand und Kies und schwarze Schlagschat ten, in denen sich alles Mögliche verbergen konnte, was kleiner als ein Gleiter war. Dann verengte sich das Flußbett. Die Dünen wurden steiler, Felsen erschienen. Plötzlich bremste Hunter den Flash ab. »Hier ist etwas!« Unter ihnen, auf einer langgestreckten Sandbank, lag eine Anzahl von Tierkörpern. »Ja, ich würde sagen, wir sind an Ort und Stelle. Dreihundert Ki lometer von der ANZIO entfernt.« »Sehe ich auch so«, bestätigte Morandeira. »Schauen wir es uns aus der Nähe an.« »Natürlich.« Das Raumboot verharrte in der Luft. Hunter betätigte die Ruftaste des Funks. »Adler Vierzehn für Adler Eins!« Die Verbindung stand augenblicklich. »Adler Eins hört. Was gibt es, Mister Hunter?« »Haben die uns zugewiesenen Koordinaten erreicht. Was immer die Energieechos auf den Oszillos ausgelöst hat, es ist nichts zu se hen, außer toten Hunden.« »… Adler Zwo Sieben für Adler Eins«, drängte sich ein anderer Pilot dazwischen. »Bei uns das gleiche Szenario…« »Verdammt, Mandrake«, kam die donnernde Stimme des Ge schwaderführers aus der Phase. »Halten Sie Funkdisziplin, Mann! Ich habe noch immer Vierzehn an der Leine. Gut, Vierzehn, fahren Sie fort.«
»Eins, wir werden niedergehen und uns das Szenario aus der Nähe ansehen«, ließ Roul Hunter seinen Geschwaderführer wissen. »Vierzehn Ende.« Er landete; die sechs Spinnbeinausleger trugen sicher die Masse des 4,7 Tonnen schweren, weit überlichtschnellen Raumbootes. Er nahm seine Waffe aus der Halterung, befestigte sie am Gürtel und öffnete die Ausstiegsluke. Noch ehe er den Boden erreicht hatte, stand bereits Morandeira in zwei Schritt Entfernung und sicherte mit dem Multikarabiner die Umgebung. »Beeindruckend, Soldat«, murmelte Roul Hunter und stapfte durch den Sand auf den ersten Tierkörper zu. Als er ihn erreicht hatte, bückte er sich, um den Kadaver näher in Augenschein zu nehmen. »Gendoggen, kein Zweifel«, sagte er laut in die wispernde Stille des Wüstentages und begann plötzlich zu würgen, als ihm der Ge stank verbrannten Fleisches und die Ausdünstungen des geschun denen Leibes in die Nase stieg; in der Hitze gingen die Tiere schnell in Verwesung über. »Wenn Sie kotzen müssen, Kadett«, brummte Morandeira unge rührt, »dann bitte in die andere Richtung.« Hunter richtete sich auf, blaß um die Nase, und sah sich um. Sie waren hier in einem großen, etwa vierhundert Meter durch messenden Beckeneinschnitt, den die Strömung des längst ver schwundenen Flusses wie einen Steintopf ausgeschwemmt hatte. Die Sandbank zog sich von Westen nach Osten fast vollständig durch den Kessel – und war übersät mit Kadavern toter Tiere, er schossen mit Energiewaffen. »Mein Gott, hier hat jemand systematisch Jagd auf die Hunde ge macht und sie regelrecht abgeschlachtet.« Langsam ging Hunter zum Flash zurück, lehnte sich gegen das Gelenkbein der Landestütze und sah Morandeira an. »Wer ist für diese Schweinerei verantwortlich?«
Der Soldat zog als Ausdruck der Unkenntnis die Schultern hoch. Hunter hob den Kopf – zuckte zusammen und stieß den Arm in eine bestimmte Richtung. »Dort, sehen Sie! Sehen Sie doch!« Morandeira fuhr herum, riß den Multikarabiner hoch, während sein Daumen den Sicherungshebel umlegte; das Klacken klang überlaut in der Stille der Wüste, in der nur ein leises Winseln schwach bewegter Luft zu vernehmen war. »Was ist los?« schrie er. »Mir war, als hätte ich eine Bewegung gesehen, dort drüben.« Hunters linke Hand wies die Richtung. Morandeira suchte die Stelle ab, nahm dabei die Zieleinrichtung seiner Waffe zur Hilfe – und setzte den Karabiner mit einem unwil ligen Schnauben wieder ab. »Ich kann nichts erkennen«, sagte er und schaute Roul Hunter prüfend an. »Die Hitze hat Ihnen sicher einen Streich gespielt. Kann schon mal vorkommen unter diesen extremen Verhältnissen.« »Blödsinn«, schnappte der junge Pilot. »Ich weiß, was ich gesehen habe.« »Und was haben Sie gesehen?« Aus der Stimme des Infanteristen sprach nachsichtige Geduld. »In den aufsteigenden Luftmassen über dieser Kiesbank dort drü ben, hat sich für einen Augenblick ein blinder Einschluß gezeigt, der entgegen der herrschenden Windrichtung nach Westen ver schwand.« »Blind, hmm. Und Einschluß, na ja. Haben Sie eigentlich schon mal eine Fata Morgana gesehen in Ihrem jungen Leben, Kadett?« »Lassen Sie dieses väterliche Getue, Soldat«, erwiderte Hunter kühl und knapp. »Was ich überhaupt nicht abkann, ist, wenn man mich behandelt wie einen Grünschnabel.« »Gut«, entschied der Infanterist. »Wir schauen nach.« »Laufen oder…?« »Wir gehen. Lohnt nicht, für die kurze Strecke einzusteigen.«
Hunter zuckte mit den Schultern und nickte. Er sicherte den Flash mit einem Prallfeld und folgte Morandeira, der schon langsam los gelaufen war. Hunter beeilte sich aufzuschließen, was nicht einfach war in dem trockenen, lockeren Sand, in dem die Stiefel tiefe, kraterförmige Spuren hinterließen. Auf dem Kamm der halbmondförmigen, fla chen Düne näherten sie sich einer Kiesformation, die sich dem wandernden Sand entgegenstemmte. Unbarmherzig stach Munros Auge nach unten, und es gab so gut wie keinen Schatten. »Hier muß es gewesen sein«, sagte Hunter. »Mal sehen…« Morandeira ging in die Hocke und peilte die Kies bank entlang. Dann stand er auf und ging einige Schritte in westliche Richtung. Er bückte sich. Seine Finger in den gegliederten Hand schuhen strichen über den Boden, über die Kieselsteine. Dann nahm er einen Stein auf, legte ihn zurück und tat das gleiche an anderer Stelle. Schließlich nahm er seine Ausgangsstellung wieder ein. »Tatsächlich«, meinte er, »man könnte meinen, hier wäre etwas gestanden. Etwas Schweres, etwas Großes.« »Ach nein«, höhnte Hunter, der davon ausging, daß er von seinem Begleiter verarscht wurde. »Markieren Sie nicht den Beleidigten, Pilot«, knurrte Morandeira gutmütig. »Sehen Sie nicht die Eindrücke?« »Ich sehe gar nicht«, versetzte Hunter. »Sie stehen nicht richtig, Pilot. Kommen Sie hierher, dann haben Sie die Sonne im Rücken.« Widerstrebend folgte Roul Hunter der Aufforderung. »Ich sehe immer noch nichts«, beschwerte er sich. »Achten Sie auf den Schattenwurf. Er ist nur sehr gering, aber wenn man weiß, wonach man zu suchen hat, ist er nicht zu überse hen.« »Wer sind Sie«, begehrte Hunter auf, »der Vater aller Pfadfinder?« Morandeira lachte kollernd.
Diese Gefühlsäußerung war so unerwartet, daß Hunter regelrecht erschrak. Waren das eventuell erste Anzeichen eines beginnenden Hitzschlags? »Pfadfinder, das finde ich klasse, Pilot.« »Geht’s Ihnen auch gut, Morandeira? Ich fliege Sie in weniger als einer Minute zur ANZIO zurück, wenn es sein muß!« »Unsinn, mir geht es blendend. Schauen Sie sich endlich an, was ich meine.« »Na gut.« Hunter ging in die Hocke. Er sah nichts. Wieder nichts. Was immer der Infanterist gesehen haben woll… halt! Jetzt erkannte er, was Morandeira ihm klarzu machen suchte. Es kam nicht darauf an, etwas angestrengt sehen zu wollen. Erst wenn man begann, den Blick zu entspannen… ja, da war es! Hunter konnte die viereckigen Eindrücke im Kies erkennen. Eindrücke, wie sie die Landestützen großer Raumboote verursachten, die von vielen Piloten trotz der Möglichkeit, auf einem Antigravpolster aufsetzen zu können, noch immer ausgefahren wurden. »Sie sehen es, nicht wahr, Pilot?« »Ich gebe ja zu, daß ich es sehe«, bekannte Hunter. »Und wenn Sie mir jetzt noch sagen, welche Tonnage das Boot hat, den Hersteller und das Baujahr, dann versichere ich Sie meiner uneingeschränkten Bewunderung für die nächsten zehntausend Lichtjahre.« »Na, na, übertreiben wir jetzt nicht ein wenig?« Morandeira schlug Hunter krachend auf die Schulter, so daß dieser fast zu Boden ging. »Jetzt übertreiben aber Sie, Soldat«, ächzte Hunter und bewegte die Schulter. Es knackte vernehmlich, doch es handelte sich nur um den Verschluß der Flugweste. Der Schulterknochen selbst hatte zum Glück nichts abbekommen. »Dort!« sagte Morandeira. Hunter folgte der Richtung seines ausgestreckten Armes. Im Osten befand sich eine breite, nicht sehr hohe Felswand, vor der sich eine flache Sandbank erstreckte. Das Flußbett hatte sich hier
nicht besonders tief in den Boden gegraben. Vermutlich harter Fels als Untergrund. Zwischen ihrem Standpunkt und der Felswand, die einen Über hang bildete, an dessen Basis eine Öffnung dicht über dem Boden klaffte, lagen weitere tote Hunde. Die beiden Terraner vermieden in der mörderischen Hitze über hastete Bewegungen, während sie sich dem Felsüberhang näherten. Endlich standen sie davor; Roul Hunter hatte auf ihrem Weg hierher neunzehn tote Tiere gezählt, schrecklich zugerichtet von den Strahlschüssen unbekannter Schlächter. Die Öffnung war knapp mannshoch. Dahinter herrschte scheinbar Dunkelheit. Morandeira sah Hunter an, der starrte zurück. Dann nickten beide wie auf Kommando. »Los«, sagte der Rauminfanterist. Er nahm seine Waffe hoch und schaltete die Zieleinrichtung auf den winzigen Bildschirm über dem Lauf; das Bild war klein, aber gestochen scharf. Mit dem schweren Strahler in der Faust glitt Hunter hinter Mo randeira in die Höhle. Sie sahen vor sich einen großen, etwa hundert Meter durchmes senden Felsendom, der sich weit in den felsigen Grund hinein ers treckte. Der Boden war zunächst abschüssig, flachte sich dann aber ab. Weicher Sand, von den Winden Saharas durch Spalten und Rit zen hereingeweht, bedeckte an vielen Stellen den felsigen Boden. Licht drang von der Decke durch Risse herein, so daß man nach einer kurzen Phase der Anpassung ohne zusätzliche Beleuchtung auskam. Nach der Hitze des offenen Terrains war es hier drin angenehm kühl. Hunter runzelte die Stirn. Narrten ihn seine Sinne, oder hörte er tatsächlich das Plätschern von Wasser? Wasser in dieser Region? Offenes Wasser!
Wasser, das nicht aufwendig von Maschinen aus großen Tiefen an die Oberfläche befördert werden mußte? »Hören Sie das auch, Morandeira?« fragte er und senkte aus irgend einem unerfindlichen Grund die Stimme. »Ich höre es, es kommt von dort drüben.« Er setzte sich in Bewegung und ging auf die Ursache des Geräu sches zu, gefolgt von dem Flashpiloten. »Vorsicht, treten Sie nicht drauf«, drang seine Stimme an Hunters Ohr. »Worauf…? Oh mein Gott!« Im allerletzten Augenblick konnte Roul Hunter vermeiden, auf den kleinen Körper zu treten. »Was ist hier los?« »Sekunde, ich zeig’s Ihnen.« Rinko Morandeira nestelte an seiner Kampfweste, brachte einen Leuchtstab zum Vorschein und zündete die elektronische Fackel. Greller Lichtschein flutete durch die bogenförmige Höhle, riß jede Einzelheit der Tragödie brutal aus dem gnädigen Dunkel. Unter einem Felsbrocken lief plätschernd ein dünnes Rinnsal kla ren Wassers und sammelte sich in einer Vertiefung des Höhlenbo dens wie in einer Schüssel. Der Überstand versickerte in einer kleine Spalte. Rings um die Wasserstelle lagen die Körper toter Welpen. Hunter zählte überschlägig nicht weniger als hundert Jungtiere. Alle wiesen Schußverletzungen durch Energiewaffen auf; manche waren bis zur Unkenntlichkeit entstellt. »Hier hat jemand ganze Arbeit geleistet«, knurrte der junge Pilot wild. »Dies war mal eine Kinderstube der Gendoggen, jetzt ist es ein Massengrab.« »Sie sollten sich das nicht zu sehr zu Herzen nehmen«, riet der In fanterist, der vermutlich weit Schlimmeres in seinem Leben gesehen hatte. »Es verursacht nur schlechte Träume, Pilot.« »Schlechte Träume! Die wird derjenige kriegen, der dies zu ver antworten hat«, sagte Hunter, und die Aggressivität seiner Stimme
ließ nichts Gutes vermuten. »Machen wir, daß wir hier herauskom men, sonst muß ich wirklich noch kotzen.«
20.
Nach dem Halbdunkel der Höhle war das helle Tageslicht wie ein harter Schlag ins Gesicht. Hunter und Morandeira sputeten sich, in das klimatisierte Innere der 14 zu gelangen. Sie waren kaum in der Luft, als die ANZIO über die Kommando phase Kontakt mit dem Geschwader herstellte. Es gab neue Ortun gen im Planquadrat Blau Alpha 92/12. »Alle Flash sofort auf diesen Punkt konzentrieren!« befahl Roy Vegas. »Ihr habt gehört, was unser Kommandant angeordnet hat«, drang Skerls befehlsgewohnte Stimme aus der Funkphase der Flash. »Macht voran, Männer.« Timulin Mandrake, der beste Pilot unter den Kadetten, war offen sichtlich den Koordinaten am nächsten, oder er stand mit über geordneten Mächten im Bund. »Hab ihn!« verkündete seine triumphierende Stimme über die Funkphase. »Ausgezeichnet«, bestätigte Darren Skerl. »Sie haben Ihren Eintrag, Kadett.« »Also wieder mal Timulin«, murmelte Roul Hunter, der sich selbst Chancen ausgerechnet hatte, grenzte das genannte Planquadrat doch an jenes, in dem er sich gerade aufhielt. Irgendwann, Timulin, dachte er, werde ich dich kriegen. Doch dann hatte er keine Zeit mehr, sich auf Mandrake zu kon zentrieren. Er hatte das bewußte Planquadrat erreicht – zusammen mit dem Rest des Geschwaders. Ein fast kreisförmiges, weites Tal zwischen niedrigen, aber schrof fen Hügelketten aus dunkelroten Felsen zeigte sich den Flashpiloten. Staubfahnen wirbelten über das Terrain, bildeten lange Schleier, die mitunter die Sicht einschränkten. Für die Tasterschirme der Raum
boote war dies jedoch kein Hindernis. Gestochen scharf zeigten sie jede Einzelheit des Geschehens. Aus der Überhöhung sah Hunter einen großen Gleiter ohne jegli che Markierungen oder Kennungen. Die visuelle Erkennung war einwandfrei, doch auf den Oszillos oder Tasterschirmen erzeugte er kein Echo. Offensichtlich ein Tarngleiter neuster Bauart. Weniger modern war das, was mit ihm veranstaltet wurde: Aus den geöffneten Luken schoß die Besatzung mit Handstrahlern auf die vor dem niedrig fliegenden Gefährt flüchtenden Rudel von Gendoggen. Irgendwie erinnerte das Massaker Roul Hunter an einen alten Film, den er während seines Studiums auf der Akademie in deren Archiv entdeckt hatte. Es war dabei um das Abschießen von Büffeln aus einem fahrenden Eisenbahnzug gegangen. Schon damals hatte ihn die sinnlose Brutalität dieses Vorganges abgestoßen, hier war es nicht anders. Nur daß die Hunde nicht einfach nur blindlings vor dem flammenspeienden Ungeheuer im Himmel über ihnen davon rannten, sondern gezielt Deckungen suchten, wo sie sie nur fanden, Haken schlugen, plötzlich stehenblieben und in entgegengesetzter Richtung weiterliefen. Das war kein instinktives Verhalten, sondern unverkennbar intelligentes Reagieren auf die Bedrohung, der sie dennoch nicht entgehen konnten. »Warum nur versucht man die Gendoggen zu eliminieren?« wunderte sich Hunter halblaut über die Internverbindung der Flash. »Ohne sie nimmt doch nur die Population der Echsen wieder Über hand.« »Wüßte ich auch gern«, brummte Morandeira vom Rücksitz. »Oder versucht man vielleicht, GenLabs zu schaden?« spann Hunter den Faden weiter. »Aber aus welchem Grund?« »Das herauszufinden, dürfte schwierig werden«, kam die Antwort von hinten. »Wir kennen die internen Verhältnisse der Kolonie nicht.«
»Und wir werden sie auch nie kennenlernen«, beendete Roul Hunter die fruchtlose Diskussion. Der unbekannte Gleiter schien von der plötzlich auftauchenden Flotte der terranischen Raumboote wenig beeindruckt zu sein, die wie ein Schwärm metallischer Raubvögel über ihm kreisten; ohne erkennbare Reaktionen setzte er seine erbarmungslose Jagd auf die Hunde fort. Im hohen Tempo und mit leicht schlingerndem Kurs wie auf einer Welle reitend flog er einen Kreis, um auch die seitlich ausbrechenden Gendoggen nicht zu verfehlen. Die Besatzung hing aus den Luken und streckte rücksichtslos mit den schweren Handwaffen die Hunde nieder. Man sah, daß die Männer die Handhabung der Waffen ge wohnt waren; kaum ein Strahlschuß verfehlte sein Ziel. An ihrer Gestik konnte man erkennen, daß die Hetzjagd ihnen riesigen Spaß bereitete. »Wollen wir das unwürdige Schauspiel nicht beenden, Sir?« kam eine Stimme aus der offenen Phase. »Eins Eins«, kam die Antwort des Geschwaderführers. »Wir wer den dem ein Ende bereiten.« Schnell und präzise gab er einige Anweisungen, als Folge davon nahmen zehn der Flash Positionen hoch über dem Talkessel ein, die einen möglichen Ausbruchsversuch des Gleiters vereitelten. Adler Eins hatte inzwischen die Kommandophase auf einen offe nen Kanal geschaltet und funkte den Gleiter an. »Hier spricht Geschwaderführer Oberleutnant Skerl vom Raum schiff ANZIO. Ich ersuche Sie, augenblicklich die Jagd auf die Hunde einzustellen und sich zu erkennen zu geben.« Schweigen. »Haben Sie verstanden?« Wieder keine Reaktion. »Ich ersuche Sie, unverzüglich…« begann Skerl erneut. »Sonst was?« kam eine scharfe, helle Stimme. Offenbar die des Pi loten.
»Sonst sähen wir uns gezwungen, von uns aus Schritte zu unter nehmen, Ihrem schändlichen Treiben ein Ende zu setzen.« »Schön gesagt, Raumfahrer«, kam die ferne Stimme aus dem Glei ter, der unbeirrt seinen Vernichtungsfeldzug gegen die Gendoggen fortsetzte; wie ein Höllenbote zog er weiter seine Bahn. »Vermutlich werden Sie auch dann noch so geschwollen daherquatschen, wenn Sie den Arsch zukneifen.« Das war deutlich, dachte Hunter und bewunderte Skerl, der auf die verbale Provokation gelassen reagierte und lediglich mit kühler Stimme sagte: »Wenn Sie meinem Befehl nicht Folge leisten, werden vermutlich Sie und Ihre Kumpane es sein, die den Arsch zukneifen, um es in Ihrer Sprache zu verdeutlichen.« »Hauen Sie mit Ihren Heinis ab«, war die einzige Reaktion. »Das können wir nicht. Zu Ihrer Information: Das Ermorden intel ligenter Wesen ist verboten und wird mit schweren Strafen geahn det. Und die Gendoggen der Firma GenLabs sind zumindest an satzweise intelligent.« »Sie reden Stuß, Raumfahrer. Verschwinden Sie und lassen Sie uns unsere Arbeit tun.« »Unterlassen Sie das Töten der Tiere, ansonsten zwingen Sie uns, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen!« »Sie reden schon wieder Stuß, Raumfahrer. Wenn Sie nicht ver schwinden, werden wir auch auf Sie schießen.« »Ehe Sie zu diesem Mittel der Gewalt greifen«, riet Skerl, »sollten Sie nachdenken. Sie haben keine Chance!« »Gehen Sie zum Teufel«, kam die uneinsichtige Antwort des Glei terpiloten. »Ich sagte: Denken Sie nach! Wir sind Angehörige der terranischen Flotte, und Sie dürften auch als Halunken, die Sie zweifellos sind, kaum Illusionen darüber haben, was die Flotte mit Ihnen veranstal tet, sollten Sie unsere nagelneuen Flash auch nur ankratzen. Ganz abgesehen davon, daß Sie dazu nicht fähig sind. Dies ist unsere letzte Warnung!«
Der Gleiterpilot jagte sein Gefährt dicht über den Sand, wirbelte wahre Massen von Staub hoch, die die Sicht auf die fliehenden Hunde nahmen. Wie Blitze zuckten die Strahlschüsse der unbarm herzig feuernden Besatzung durch die Sandwolken und trafen die bedauernswerten Opfer. »Verpissen Sie sich«, ließ sich der Pilot wieder hören. »Wie Sie meinen. Sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt…« Aus dem zylindrischen Körper des Flash mit der Nummer Eins löste sich gedankenschnell ein blaßblauer Strahl und schlug in den unbekannten Gleiter. Skerl hatte mit Strichpunkt geschossen. Diese Waffe betäubte und lähmte jedes organische Lebewesen ungemein stärker und nachhal tiger als jeder Schockstrahler. Über die Außentaster hörte Roul Hunter in der 14, die am tiefsten Punkt des Geschehens schwebte, das laute Brummen eines überlas teten Aggregats, als der Pilot vor den Kontrollen zusammensackte und dabei unbeabsichtigt einige der Flugparameter verstellte. Der Gleiter begann unkontrolliert zu schlingern, bremste ab, als sei er gegen eine Mauer geflogen, stieg hoch in die Luft und stürzte dann trudelnd in die Tiefe. In allerletzter Sekunde sprang doch noch das Prallfeld der Not fallautomatik an und verhinderte, daß der Gleiter beim Aufprall in Einzelteile auseinanderbrach. Trotzdem erlitt er erhebliche Beschä digungen. Schlitternd und in einer mächtigen Staubwolke kam das Wrack der kennungslosen Maschine auf einem sanft ansteigenden Dünenhang zum Stehen. Langsam nur senkten sich die aufgewir belten Sandmassen zu Boden und bedeckten den geschundenen Rumpf mit einer gelben Staubschicht. Zu diesem Zeitpunkt waren die 14 Hunters und die 27 Timulin Mandrakes bereits neben dem Wrack gelandet. Um die havarierten Insassen sollten sich allerdings die Rauminfanteristen kümmern; die Piloten hielten Wache in den Raumbooten.
Sobald Hunter die Luke geöffnet hatte, sprang Morandeira in den Sand. Auf der anderen Seite stand Mandrakes Infanterist ebenfalls bereits in den Startlöchern. Hunter hob die Brauen, der Kerl war breit wie zwei Spinde. »He, Peiser«, ließ sich Rinko Morandeira über Funk hören. »He, Portugiese!« »Wir beide gegen das Universum also.« »Hat ganz den Anschein…« »Haltet keine Volksreden, Männer«, drängte sich Skerls harte Stimme in die lockere Konversation. »Ihr wißt, was ihr zu tun habt.« »Aye, Sir!« erklang es einstimmig. Die beiden Männer setzten sich in Bewegung; die Waffen im An schlag gingen sie auf das Wrack zu. Mit der gebotenen Um- und Vorsicht näherten sie sich der aufgesprungenen Hauptluke des un bekannten Gleiters. Morandeira blieb dicht neben der Öffnung stehen, preßte sich mit dem Rücken gegen die Wandung, drehte sich und spähte blitzschnell ins Innere. Dann nickte er Peiser zu. »Sauber!« sagte er so laut, daß die beiden Piloten ihn hören konn ten, gleichzeitig kam seine Klarmeldung auch über Funk zu den übrigen Flash. »Seht nach«, ordnete Darren Skerl an. »Verstanden. Wir sehen nach.« Die beiden Infanteristen kletterten ins Innere. »Zehn Mann«, kam Morandeiras schleppende Stimme über Funk. »Schlafen tief. Werden vermutlich einen fürchterlichen Kater haben, wenn sie aufwachen.« »Verletzte?« »Bis auf ein paar Kratzer nichts, haben Schwein gehabt.« »Schaltet auf Viphobeobachtung«, kam plötzlich eine ferne Stimme aus der ANZIO. Sie gehörte Kommandant Vegas. »Verstanden, Sir. Schalten auf Beobachtung.«
In der mehrere hundert Kilometer entfernten ANZIO und in den in der Luft wartenden Flash erhellten sich große und kleine Schirme und zeigten in gestochen scharfen Bildern die gleiche Aussicht, wie sie die beiden Infanteristen hatten, allerdings in einem durch die Optik etwas eingegrenzten Ausschnitt. Die zehn Insassen lagen reglos da, die zusammengekrümmten Körper teilweise übereinander. Die beiden Infanteristen drehten die Körper herum, so daß sie die Gesichter erkennen konnten. »Halt, Morandeira!« ließ sich McGraves hören. »Lassen Sie mich das Gesicht noch einmal sehen, das Sie eben so intensiv angeschaut haben… ah, habe ich doch richtig vermutet. Solomon Green! Merk würdig, sehr merkwürdig. Weshalb, so frage ich mich, will jemand seine eigene Schöpfung eliminieren?« »Darauf werden wir vielleicht eine Antwort bekommen, wenn wir ihn zur Rede stellen«, erwiderte Vegas. »Oberleutnant Skerl! Ich erwarte die ganze Sippschaft hier.« »Zu Befehl, Sir.« Die ANZIO klinkte sich wieder aus. Die zehn Bewußtlosen wurden auf Anordnung Skerls von Mo randeira und Peiser gefesselt. Sie befanden sich nach wie vor in tiefer Bewußtlosigkeit, aus der sie so schnell auch nicht wieder aufwachen würden. Strichpunkt legte Elefanten für lange Zeit auf die Bretter, entspre chend brutal war die Wirkung auf Menschen oder vergleichbare humanoide Spezies. Währenddessen flogen zehn Flash zur ANZIO, wo sie sich des zweiten Mannes entledigten, um dann zurückzukehren. Auf diese Weise schaffte man Platz für den Transport der Gefangenen. Die Zeit zwischen dem Eintreffen der Flash benutzten Morandeira und sein Kumpan Peiser, sich in den Einstieg des Gleiters zu setzen und abzuwarten.
In ihren Händen lagen schußbereit die Waffen, und sie achteten auf jede Bewegung, jede Veränderung um sich herum. Über ihnen standen die verbliebenen 16 Raumboote in zirka zweihundert Me tern Höhe; sie bewegten sich nur unmerklich. Ihre Taster waren in die Wüste hinaus bis zum fernen Horizont gerichtet. Die 14 und die 27 standen unweit des abgestürzten Gleiters, und ihre Piloten warteten darauf, daß der Gefangenentransport über die Bühne ging. Die beiden Soldaten blickten über das Terrain – von ihrer Warte aus waren die herumliegenden Kadaver der Gendoggen nicht zu sehen –, und Peiser sagte: »Sieht aus wie die Ruhe selbst.« »Ja. Aber meinst du nicht, daß es zu ruhig ist?« Morandeira fixierte mit gerunzelter Stirn den Kamm der nächstgelegenen Düne. »Nein, ich bin sicher. Das Schlachten ist vorbei, die Übeltäter sind gefangen…« »… und die Hunde zurückgekehrt!« Morandeira sprang auf die Füße und hob die Waffe. Er zielte ge nau, dann gab er zwei Feuerstöße ab, schwenkte dabei den Lauf. Von links nach rechts erschien auf der Düne eine Linie von Explosionen und kleinen Sandfontänen. Er traf nicht. Schoß mit Absicht daneben. Warum? Er konnte es nicht sagen. Vielleicht noch geschockt von dem Massaker an den Hunden, das er hatte miterleben müssen. Langsam machte er einige Schritte in Richtung Düne, Entschlos senheit demonstrierend. Er hätte es besser unterlassen. Hinter sich hörte er Peiser knurren: »Himmel! Sind das Bur schen…« Er fuhr herum und merkte plötzlich die Bewegungen in unmittel barer Nähe. Wie Schemen tauchten rund um das Wrack Gendoggen auf. Sie krochen aus Spalten und hinter Felsen hervor, wo sie sich die ganze Zeit versteckt gehalten hatten, auf den richtigen Moment wartend, um anzugreifen. Es waren nach etwa einer Minute nicht weniger als hundert, die die beiden Flash und den havarierten Glei
ter einkesselten. Die Versammlung auf dem Kamm der Düne war ein Ablenkungsmanöver gewesen, erkannte Morandeira jetzt. Riesige Fangzähne funkelten im Sonnenlicht. Geifer tropfte aus hechelnden Mäulern. Ein tiefes Grollen ließ die Luft vibrieren. Es schien, als würde sich der Boden bewegen, so dicht kamen die Hunde. Wie eine Flut umströmten sie die beiden Raumboote, deren Piloten gerade noch die Luken schließen konnten. Diese Hunde, so erkannte Morandeira, hatten nichts mit den freundlichen Wächtern in Sahara-Stadt gemein, die keinem Kind etwas zuleide taten. Irgend etwas hatte sie verändert, hatte sie zu wilden Bestien per vertieren lassen. GenLabs Programm schien aus dem Ruder gelaufen zu sein. »Was tun wir?« drang Peisers Stimme an das Ohr des Portugiesen. »Laß mich nachdenken.« »Denke schnell, Mann. Und denke gut.« Im Augenblick waren die Terraner in keiner beneidenswerten Si tuation. »He, Leute«, sagte Morandeira hastig, »wir könnten etwas Hilfe gebrauchen. Soviel Munition haben wir nicht, um uns alle Hunde vom Hals zu halten.« Skerls scharfe Stimme sagte: »Verschwindet im Innern des Gleiters. Die Öffnung könnt ihr für eine Zeitlang verteidigen, bis…« Skerls Stimme wurde von einer Störung überlagert. Bis was? dachte Morandeira, bis die Hunde die Überhand gewinnen? »Wird uns nichts anderes übrig bleiben«, knurrte Peiser, machte eine Kehrtwendung und warf sich über die Schwelle hinein. Während das Geheul der Gendoggen zu einem Crescendo an schwoll, machte Morandeira eine Rolle rückwärts, die ihn ebenfalls ins Innere des Gleiters beförderte. Neben seinem linken Ohr spürte er die Projektile aus Peisers Waffe sengend heiß vorbeifliegen, rollte sich nach rechts weg aus der Schußbahn, sah zwei, drei riesige schwarze Körper, die durch die
Luke ins Innere sprangen, roch die scharfe Ausdünstung von Raub tieren, hörte Peiser vor Pein aufbrüllen, vernahm das Krachen, als würden Knochen zermalmt, verspürte keinen Schmerz, sah nur ein blaßblaues Flirren… Er wunderte sich noch für den Bruchteil einer Sekunde – und dann erlosch die Welt um ihn herum, als der Strich-Punkt-Strahl, den Skerl einsetzen ließ, jede seiner Funktionen lahmlegte. Und nicht nur seine. * Roul Hunter nahm den Finger vom Auslöserknopf. Keine der Gendoggen im Freien rührte sich mehr. Wie es im Innern des Wracks aussah, daran wagte er im Augen blick nicht zu denken. Außerdem waren die zehn Flash von der ANZIO zurück. Hektik kam auf. Achtzehn der Raumboote bildeten einen Schutzkreis um das Glei terwrack, der für Gendoggen undurchdringbar war. Scharfe Kommandos ertönten. Die verbliebenen 16 Infanteristen rannten zum Gleiter. Mehrere Männer trugen die beiden bewußtlo sen Kameraden heraus und betteten sie vorsichtig auf die Rücksitze der Raumboote. Peiser war schwerverletzt, wenn nicht gar lebens gefährlich, wie einer der als Sanitäter ausgebildeten Infanteristen bemerkte. Die Gendoggen schienen sich zuerst auf ihn konzentriert zu haben, ehe sie sich Morandeira zuwandten. Den Portugiesen hatte offenbar der einsetzende Beschuß mit Strichpunkt vor Schlimmerem bewahrt. Umgehend flog man die beiden zur ANZIO zurück, um sie der Obhut der Medizinischen Station zu überantworten. Dann nahm man sich der Gefesselten an. Unsanft beförderte man sie ins Freie und deponierte sie in den Sitzen der Flash. Fünf Minuten später war alles vorüber.
Die Wüste in diesem Teil Saharas war wie immer: einsam, leer, erfüllt von wispernden Stimmen, die der Wind von weither trug. Stimmen, die sich in den schroffen Kanten hoher, steiler Felsen fin gen, für Momente verweilten, und dann wieder weiterzogen. Nur das Wrack des abgestürzten Gleiters war ein Fremdkörper. Doch er würde es nicht lange bleiben. * Das Verhör wurde in einem der Konferenzräume geführt, über die die ANZIO auf Deck fünf verfügte. An dem langgestreckten Tisch saßen insgesamt dreizehn Personen. Hinter den schweigenden Männern, die in der Wüste mit Strich punkt außer Gefecht gesetzt worden waren, standen vier Ober bootsmänner von der Schiffssicherheit. Auf der anderen Seite des Tisches saß außer Roy Vegas und dem Ersten Offizier Olin Monro noch Major McGraves. Sofort nach ihrer Ankunft auf der ANZIO hatte man die Gefange nen, unter ihnen Solomon Green, den Leiter von GenLabs, mittels Injektionen aus ihrer Bewußtlosigkeit geholt und einem Verhör un terzogen, das bereits im Ansatz als gescheitert angesehen werden mußte. Die Männer waren Angestellte von GenLabs im Außenbereich, wobei dieser Begriff ziemlich weit gefaßt sein mußte, den wenigen Informationen zufolge, die man ihnen entlocken konnte. Das war alles; mehr gaben sie nicht zu Protokoll. Green saß inmitten seiner Leute, und seinem Mienenspiel war zu entnehmen, daß er den Ablauf des Verhörs als schweren Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte ansah, der seinerseits für den Oberst schwerwiegende strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würde. Seine Eden-Staatsangehörigkeit mache ihn auf Sahara und auch an Bord eines Raumschiffes der Erde – auf das er widerrech tlich verschleppt worden sei, wie er wiederholt betonte, da man ihn
ohne sein Einverständnis in einen Zustand der Bewußtlosigkeit versetzt habe – zu einer unantastbaren Person, solange er niemanden ermordete. Jetzt sagte Green: »Sie können noch so sehr insistieren, Mister Ve gas«, provokativ unterließ er es, den militärischen Rang des Kom mandanten in die Anrede aufzunehmen, »Sie sind nicht in der Lage, mir und meinen Männern auch nur die geringste Verfehlung nach zuweisen.« Vegas machte eine Handbewegung, doch Green fuhr unbeirrt fort: »Ich weiß, Sie sind gegenteiliger Meinung. Nun gut. Was haben wir getan? Haben wir vielleicht eine Verschwörung zum Nachteil ande rer juristischer Personen angezettelt? Nein. Haben wir einen be waffneten Raubüberfall begangen? Nein. Haben wir Widerstand gegen Repräsentanten einer Staatsgewalt geleistet? Nein. Die für uns zuständige Staatsgewalt befindet sich auf Eden. Haben wir gar ein Sperrgebiet unerlaubt betreten? Nein. Die Wüste Saharas ist kein Sperrgebiet. Und nun zum letzten Anklagepunkt. Ist Ihnen entgan gen, daß ich die Gendoggen erschaffen habe? Wenn es sich heraus stellen sollte, daß eine bestimmte Population eine Fehlentwicklung darstellt, bin ich zu jeder Zeit berechtigt, diese zu eliminieren. Das steht so in den Richtlinien von GenLabs. Ich lasse Ihnen gern eine Kopie zukommen. Noch einmal und in aller Deutlichkeit: Sie versuchen seit drei Stunden auf der Basis völlig unzulänglicher sogenannter ›Beweise‹, eine Anklage zu konstruieren. Ich rate Ihnen, diese Farce zu been den.« Er lehnte sich zurück, nicht gewillt, weitere Auskünfte zu ge ben. »Das Jagen und Abschlachten intelligenter Wesen ist verboten und wird mit schweren Strafen geahndet«, sagte McGraves laut. »Und Ihre Züchtung scheint mittlerweile einen Grad der Intelligenz er reicht zu haben, der es zumindest problematisch erscheinen läßt, sie einfach als Tiere ohne eigenen Willen abzutun.«
Es riß Solomon Green fast von seinem Sitz. »Jetzt lehnen Sie sich aber weit aus dem Fenster, Major«, warnte er mit ätzender Stimme. Roy Vegas sagte bestimmt: »Sie sind intelligent, daran besteht kein Zweifel.« »Natürlich sind Hunde intelligent, Mister Vegas, auf ihre Weise. Das sind sie, seit der Mensch sie domestiziert hat. Aber daraus ab zuleiten, sie stünden bereits auf der untersten Stufe jener Treppe, die zu erklimmen wir vier Millionen Jahren benötigt haben, ist schlicht Dummheit. Hunde wälzen sich noch immer im Dreck, heben nach wie vor das Bein, haben Flöhe und sind nichts anderes als von ihren dumpfen Instinkten geleitete Jagd- und Hausgenossen. Und vielfach nicht einmal das. Bei allem Respekt, ich hätte Sie für klüger gehal ten.« »Intelligenz im Sinne bewußten, zielgerichteten Handelns, das ist es, was wir bei Ihren Gendoggen festgestellt haben.« »Wodurch haben Sie das festgestellt? Meines Wissens sind Sie Raumfahrer. Ich gestehe Ihnen zu, daß Sie eventuell noch mit einem Sextanten Ihre Position im All bestimmen können – obwohl ich da meine Zweifel habe, aber ansonsten sind Sie doch im Bereich der Genetik eine Doppelnull. Woher sollten meine Hunde«, er betonte explizit meine Hunde, »auch diese Intelligenz haben? Das Genom, das wir ihnen einpflanzen, bewirkt lediglich, daß sie besonders aggressiv auf Echsen reagieren, außerdem haben wir noch das Rudel verhalten verstärkt, als sich bei den ersten Versuchen herausstellte, daß ein einzelner Hund keine Chance gegen eine Echse hatte. Nein, nein, es gibt keine Canidae-Mutationen im Sinne Ihrer Definition.« »Und wenn es durch äußere Einflüsse doch zu einer Veränderung hin zu höherer Intelligenz käme?« Green ranzelte die Stirn, man sah förmlich, wie die Gedanken da hinter rasten. »Durch welche Einflüsse sollte, könnte das geschehen?« fragte er lauernd.
»Nichts Konkretes, war nur so ein Gedanke«, wiegelte der Oberst ab und war sich nicht sicher, ob er mit seiner Äußerung diesen So lomon Green nicht doch auf eine Spur gebracht hatte. Er befürchtete es fast. Green war ein hochintelligenter Wissenschaftler und brillan ter Genetiker, bestimmt hatte er sich schon seinen Reim darauf ge macht, weshalb Vegas und seine Führungsoffiziere so sehr davon überzeugt waren, daß seine Gendoggen mehr als nur von Urins tinkten geleitete Jäger waren. Solomon Green stand auf. »Wie schon erwähnt, wenn Sie nicht mehr vorzubringen haben, bleibt Ihnen nur, uns gehenzulassen. Ich kenne die Gesetze, ich kenne vor allem die terranischen Gesetze. Wollen Sie sich einer Klage durch Eden aussetzen? Ich denke nicht. Lassen Sie es also dabei bewenden, unsere Personalien festzustellen und uns ansonsten unserer Wege ziehen zu lassen.« Vegas und sein Erster Offizier verständigten sich wortlos, dann nickte der Oberst und sagte: »Einverstanden. Wir behalten uns al lerdings vor, die Sachlage durch eine Kommission noch einmal prü fen zu lassen. Bis dies geschehen ist, dürfen Sie Sahara nicht verlas sen.« »Wie großzügig«, spottet Solomon Green. »Würden Sie so freund lich sein, anzuordnen, daß man uns unsere persönliche Habe wieder aushändigt?« »Natürlich«, erwiderte Vegas, den die Einsicht plagte, etwas über sehen zu haben. »Dort drüben, bedienen Sie sich…« Man hatte die wenigen Habseligkeiten auf einem Tisch etwas ab seits deponiert. Green suchte sich seine Sachen heraus und verstaute sie in den Taschen an seinem Körper. Bis auf kleines, flaches Gerät, das er nachlässig in der Hand hielt. »… allerdings sind uns bedauerlicherweise die Waffen abhanden gekommen«, gestand der Oberst abschließend. »Natürlich«, sagte Green mit einem sardonischen Grinsen und drückte einen Kontakt an dem Gerät. »Ich hatte nichts anderes er wartet. Ach, wollen Sie sie haben?« fragte er, als er Vegas’ starren
Blick bemerkte, der sich auf das Gerät konzentrierte. »Es ist nur eine Fernbedienung. Jetzt allerdings wertlos. Ich überlasse sie Ihnen gern.« Der Oberst zerbiß einen Fluch zwischen den Zähnen. Er war sich sicher, daß hunderte von Kilometern entfernt vom Gleiterwrack nur noch glühende Metalltrümmer übrig sein würden. Greens »Fernbe dienung« hatte ohne Zweifel die Selbstvernichtungsanlage aktiviert, um die moderne Tarnvorrichtung nicht in die Hände der Terraner fallen zu lassen. »Gehen Sie mir aus den Augen«, knurrte er. »Nichts lieber als das«, gestand Green, noch immer das sardoni sche Grinsen um den Mund. »Sie finden uns in der Höhle des Jung brunnens, falls Ihnen noch Fragen einfallen sollten. Ich möchte nicht versäumen, Saharas geheimnisvollste Entdeckung aus der Nähe anzusehen.« »Verdammt!« fluchte Major McGraves, nachdem Solomon Green und seine Männer verschwunden waren. »Hat uns der aalglatte Mister GenLabs zum Schluß doch noch reingelegt. Ich hätte zu gern die Tarnvorrichtung seines Gleiters von unseren Technikern ausei nandernehmen lassen!« »Zu spät, Chester«, bedauerte Vegas. »Ich hätte so etwas ahnen müssen.« Er zuckte die Schultern und wandte sich an seinen Ersten Offizier. »Mister Monro, Sie finden mich in meinem Raum, falls ich gebraucht werden sollte.« »Aye, Kapitän.« Sie gingen auseinander. Jeder beschäftigt mit Gedanken, die sich darum drehten, was sich als nächstes auf dieser Welt ereignen würde. In seinem Raum angekommen, aktivierte Vegas den großen Wandbildschirm, der als »Fenster« einen Ausblick auf die Gescheh nisse an Rande der Mulde lieferte. Stavros’ Polizei absolvierte noch immer ihre Runden.
Vegas schüttelte den Kopf, nahm eine Dusche und zog eine frische Uniform an. Noch während er überlegte, in die Messe zu gehen und etwas zu essen, summte das Vipho. »Ja!« Vegas’ Stimme aktivierte das Sichtbildgerät. Erinn Meichle blickte vom Schirm. »Doktor. Probleme?« »Dieser Infanterist…« »Peiser?« fragte Vegas. »Ja, ja, Peiser. Ich fürchte, wir können nichts mehr für ihn tun. Er wird sterben, noch heute. Die Verletzungen sind zu gravierend.« Mit einem langen Blick musterte Vegas seinen Chefmediziner, der zögernd fortfuhr: »Er hat nur eine Chance, wenn Sie wissen, was ich meine.« Vegas beugte sich etwas vor und sagte dann: »Der Jungbrunnen? Ist es das, was Sie mir sagen wollen?« »Ja, Oberst.« Vegas holte tief Atem. Erst Lee Kana, dann dieser Stormond, und jetzt Peiser. Wo sollte das enden? Andererseits: Konnte er einem verweigern, was er dem anderen gestattet hatte? Das hieße in letzter Konsequenz, Herr über Leben und Tod zu spielen… »Oberst!« drängte der Mediziner. »Gut«, stimmte Vegas zögernd zu. »Tun Sie es, lassen Sie ihn hi nunterbringen.« * »Verdammt viel Publikum hier«, knurrte der Sanitäter. »War da nicht mal die Rede davon, daß sich niemand außer den Wissen schaftlern hier aufhalten darf?« Er lavierte die Antigravliege zwi schen den Männern Solomon Greens und mehreren Polizisten des Bürgermeisters vorbei bis an den Teichrand, wobei ihm die beiden
bulligen Rauminfanteristen, die den Transport ihres Kameraden bewachten, den Weg bahnten. »Na, kann mir egal sein«, beendete der Sanitäter seinen Monolog. »Sir, bitte!« Einer der Soldaten blickte Horia Kraetsch auffordernd an. Der Physiker war dazu ausersehen, das Prallfeld über dem Teich zu deaktivieren. »Sekunde, Soldat.« Kraetsch gab den Code in sein Handgerät ein, wartete die vorge schriebene Zeit, bis das Standardprüfsignal über den Sender durch gelaufen war. Dann drückte er den Deaktivierungsknopf. Das Prall feld wurde aufgehoben. Plötzlich wurde es still in der Höhle. Die Gespräche verstummten. Das Scharren von Füßen war das einzige Geräusch, als die Männer herantraten, um das Geschehen aus der Nähe zu verfolgen. Unter tatkräftiger Mithilfe eines Infanteristen tauchte der Sanitäter seinen sterbenden Patienten in das leuchtende Wasser. Ein Raunen und erregtes Murmeln erhob sich, als Peiser wieder aus dem Wasser auftauchte und quicklebendig wie Phönix aus der Asche dem Teich entstieg. Erstaunte Ausrufe ertönten, erregte Worte wurden gewechselt. Ungeachtet der unverhüllten Begeisterung über den wundersamen Vorgang der Spontanheilung begann Kraetsch mit der Reinitialisie rung des Prallfeldgenerators, um das Feld wieder über der Wasser fläche zu schließen. Aber der Physiker konnte den Vorgang nicht starten. Wassilio Stavros stand plötzlich vor ihm, einen Paralysator in der Hand, und feuerte ohne Vorwarnung auf ihn. Zu Stavros’ Überraschung sank er nicht zu Boden. Kraetsch dachte dankbar an Oberst Vegas, der in weiser Voraus sicht auf die Begehrlichkeiten, die das Wissen um die Möglichkeiten des Jungbrunnens in ansonsten normalen Menschen auszulösen
vermochte, für die Besitzer des Codes angeordnet hatte, ein körper eigenes Prallfeld zu tragen, dessen kleiner Generator am Gürtel hing. Und während er sich noch in Sicherheit wähnte und erneut das Prallfeld über dem See schließen wollte, warf Stavros den Paralysa tor mit einem Fluch von sich, zog einen Nadelstrahler aus dem Hemd und schoß damit auf den Wissenschaftler, der sich vor den Augen der entsetzten Zuschauer krümmte und röchelnd zusam menbrach. »Dieser Jungbrunnen gehört mir«, stieß Stavros keuchend hervor. »Niemand wird ihn mir je wieder vorenthalten. Niemand. Hört ihr!« Er fuchtelte wild mit dem Nadelstrahler, den sein Energiepotential zu einer höchst gefährlichen und in Privathand verbotenen Waffe machte. Man sah, daß er von Adrenalin durchströmt war. Seine Augen waren weitaufgerissen, blickten irre, und seine Bewegungen waren fahrig und wenig koordiniert. Die beiden Soldaten aus der ANZIO, die den Transport begleitet hatten, sahen sich an, nickten sich zu und sprangen nach links und rechts auseinander, Stavros dabei ins Kreuzfeuer ihrer Paraschocker nehmend. Stavros wich den gekreuzten Strahlbahnen aus, konnte aber nicht verhindern, daß er am Bein getroffen wurde. Er stieß einen kehligen Laut aus, als der Schmerz durch seine Nervenbahnen zuckte wie eine schartige Klinge. Sein Finger kramp fte sich um den Auslöser. Er feuerte, traf nicht, sondern verursachte nur ein klaffendes Loch in der Höhlendecke. Dann versagte seine Beinmuskulatur endgültig. In einer grotesken Drehbewegung stürzte er seitwärts in den Teich. Das Wasser schlug über ihm zu sammen. Und er feuerte noch immer. Was dann geschah, konnte keiner der Beteiligten mehr der Nach welt berichten.
Das leuchtende Wasser nahm die Energie des Strahlschusses auf und verteilte sie gleichmäßig in dem flüssigen Medium. Das weiche, schimmernde Leuchten nahm einen harten Glanz an, der sich in die Augen der entsetzt starrenden Männer brannte. Die goldene Maschine verfärbte sich rotglühend, begann zu pul sieren, dehnte sich aus und schrumpfte wieder, als würde sie atmen. Die Männer flohen zum Ausgang, wollten nur weg von dem un heimlichen Geschehen. Ein grelles Summen ertönte, wurde heller und heller, überstieg die menschliche Hörgrenze und ließ dennoch fast die Schädel platzen. Den Soldaten gelang es noch, über Funk die ANZIO zu warnen. Im nächsten Augenblick explodierte die Maschine mit unvorstell barer Wucht. Die Höhle und die gesamte Mulde verschwanden in einem sich ausdehnenden Feuerball. Der Boden hob sich, eruptierte Hunderte von Metern in die Luft und explodierte dort oben, wobei er sich ausbreitete wie ein Atompilz. ENDE Ein Universum Release
REN DHARK im Überblick Mittlerweile umfaßt die REN DHARK-Saga 77 Buchtitel: 16 Bücher mit der überarbeiteten Heftreihe, 26 mit der offiziellen Fortsetzung im DRAKHON- und BITWAR-Zyklus, 26 Sonderbände, sechs CHARR-Ausgaben und drei Spezialbände. Der nun folgende Überblick soll Neueinsteigern helfen, die Bücher in chronologisch korrekter Reihenfolge zu lesen. Erster Zyklus: 2051: Handlungsabschnitt HOPE/INVASION
Band 1: Band 2: Band 3: Band 4: Band 5: Sonderband 4: Sonderband 7: Sonderband 1:
Sternendschungel Galaxis (1966 /1994)
Das Rätsel des Ringraumers (1966 /1995)
Zielpunkt Terra (1966,1967 /1995)
Todeszone T-XXX (1967 /1996)
Die Hüter des Alls (1967/1996)
Hexenkessel Erde (1999)
Der Verräter (2000)
Die Legende der Nogk (1997 und Platinum
2004)
2052: Handlungsabschnitt G’LOORN Band 6: Band 7: Band 8: Sonderband 2: Sonderband 3:
Botschaft aus dem Gestern (1996) Im Zentrum der Galaxis (1997) Die Meister des Chaos (1997) Gestrandet auf Bittan (1998) Wächter der Mysterious (1998)
2056: Handlungsabschnitt DIE SUCHE NACH DEN MYSTERIOUS
Band 9:
Band 10:
Sonderband 12:
Band 11:
Band 12:
Band 13:
Sonderband 8:
Band 14:
Sonderband 5:
Sonderband 6:
Band 15:
Band 16:
Das Nor-ex greift an (1967 /1997)
Gehetzte Cyborgs (1967,1968 /1997)
Die Schwarze Garde (2001)
Wunder des blauen Planeten (1968 /1998)
Die Sternenbrücke (1968 /1998)
Durchbruch nach Erron-3 (1968 /1999)
Der schwarze Götze (2000)
Sterbende Sterne (1968,1969 /1999)
Der Todesbefehl (1999)
Countdown zur Apokalypse (2000)
Das Echo des Alls (1969 /1999)
Die Straße zu den Sternen (1969 /2000)
Zweiter Zyklus: 2057/58: DRAKHON-Zyklus 2057: Handlungsabschnitt DIE GALAKTISCHE KATASTROPHE Band 1:
Band 2:
Sonderband 10:
Sonderband 9:
Band 3:
Band 4:
Band 5:
Sonderband 11:
Band 6:
Band 7:
Band 8:
Sonderband 13:
Das Geheimnis der Mysterious (2000)
Die galaktische Katastrophe (2000)
Ex (2000)
Erron 2 – Welt im Nichts (2000)
Der letzte seines Volkes (2000)
Die Herren von Drakhon (2000)
Kampf um IKO 1 (2001)
Türme des Todes (2001)
Sonne ohne Namen (2001)
Schatten über Babylon (2001)
Herkunft unbekannt (2001)
Dreizehn (2001)
Sonderband 14:
Band 9:
Band 10:
Band 11:
Sonderband 16:
Band 12:
Sonderband 17:
Krisensektor Munros Stern (2001) Das Sternenversteck (2001) Fluchtpunkt M 53 (2002) Grako-Alarm (2002) Schattenraumer 986 (2002) Helfer aus dem Dunkel (2002) Jagd auf die Rebellen (2002)
2058: Handlungsabschnitt EXPEDITION NACH ORN Cyborg-Krise (2002) Band 13:
Band 14:
Weiter denn je (2002) Sonderband 18:
Rebell der Mysterious Sonderband 19:
Im Dschungel von Grah (2003) Band 15:
Welt der Goldenen (2002) Band 16:
Die Verdammten (2003) Band 17:
Terra Nostra (2003) Sonderband 20:
Das Nano-Imperium (2003) Band 18:
Verlorenes Volk (2003) Band 19:
Heerzug der Heimatlosen (2003) Sonderband 21:
Geheimnis der Vergangenheit (2003) Band 20:
Im Zentrum der Macht (2003) Band 21:
Unheimliche Welt (2003) Band 22:
Die Sage der Goldenen (2004) Sonderband 22:
Gisol-Trilogie 1: Der Jäger (2003) Sonderband 23:
Gisol-Trilogie 2: Der Rächer (2004) Sonderband 24:
Gisol-Trilogie 3: Der Schlächter (2004) Band 23:
Margun und Sola (2004) Band 24:
Die geheimen Herrscher Sonderband 15:
Die Kolonie (2002; Kurzgeschichten aus ver schiedenen Zeiträumen des Serienkosmos) Sonderband 25: Jagd nach dem »Time«-Effekt
FORSCHUNGSRAUMER CHARR (sechsteiliger, abgeschlossener Mini-Zyklus) Sonderband 26: Wächter und Mensch
Dritter Zyklus: 2062: BITWAR-Zyklus Band 1: Band 2:
Großangriff auf Grah Nach dem Inferno
Einzelromane ohne Handlungsbindung an die Serie, welche ca. sieben bis acht Jahre nach dem Ende des ersten Zyklus in einem »alternativen« RD-Universum spielen: Spezialband 1: Spezialband 2: Weltraum (2002) Spezialband 3: (2003)
Sternen-Saga / Dursttod über Terra (2001) Zwischen gestern und morgen / Echo aus dem Als die Sterne weinten / Sterbende Zukunft