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Thomas Berger, Christoph Brezinka und Gerhard Luef (Hrsg.)
Neurologische Erkrankungen in der Schwangerschaft
SpringerWienNewYork
Ao. Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger Ao. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Luef Universitätsklinik für Neurologie, Innsbruck, Österreich
Ao. Univ.-Prof. Dr. Christoph Brezinka Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Innsbruck, Österreich
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ISBN-10 3-211-00492-0 SpringerWienNewYork ISBN-13 978-3-211-00492-0 SpringerWienNewYork
Vorwort
Neurologische Erkrankungen in der Schwangerschaft stellen eine nicht zu unterschätzende diagnostische und therapeutische Herausforderung, sowohl für Neurologen wie Gynäkologen und Geburtshelfer dar. Die Auswirkungen einer Schwangerschaft einer Patientin mit einem neurologischen Leiden sind außerordentlich komplex und umfassen sowohl Änderungen in der Verlaufsdynamik des Grundleidens wie Umstellungen in einer laufenden Therapie. Auch der Einsatz neurologischer, insbesondere neuroradiologischer Zusatzdiagnostik wird durch die Schwangerschaft betroffen. Das Interaktionsfeld zwischen Erkrankungen des Nervensystems und Schwangerschaft reichen von der Risikorolle der Schwangerschaft selbst bei der Manifestation neurologischer Erkrankungen über die durch die neurologische Erkrankung bedingten Risken für die Schwangerschaft bis zu den vielfältigen Risken neurologischer Therapien für den Verlauf der Schwangerschaft und die Entwicklung des Kindes. Das Spektrum neurologischer Erkrankungen, welche durch Schwangerschaften ausgelöst oder modifiziert werden können, ist außerordentlich breit und reicht von den Autoimmunerkrankungen des Nervensystems wie die Multiple Sklerose über Bewegungsstörungen wie das Restless-Legs-Syndrom oder zerebrale Gefäßerkrankungen wie Sinusvenenthrombosen oder arterielle Hirngefäßerkrankungen. Viele der etablierten Pharmakotherapien in der Neurologie sind in der Schwangerschaft wegen potentieller Feto- oder Embryo-Toxizität nicht oder nur modifiziert einsetzbar – ein häufiges Problem in der Betreuung von Schwangeren mit Epilepsie oder Migräne. Gegenüber dieser komplexen Situation lassen klassische Lehrbücher der Neurologie oft eine ausreichende Berücksichtigung der Besonderheiten der Schwangerschaft im Management neurologischer Erkrankungen vermissen. Umso willkommener ist die vorliegende von Th. Berger, C. Brezinka und G. Luef herausgegebene Zusammenstellung der diagnostischen und therapeutischen Aspekte neurologischer Erkrankungen in der Schwangerschaft und der Schwangerschaft als Auslöser neurologischer Syndrome. Es schließt in seiner umfassenden Abhandlung der wichtigsten Themenfelder eine wichtige Lücke und wird für Frauenärzte und Neurologen ein gleichermaßen nützliches wie tägliches Nachschlagewerk sein. Werner Poewe Vorstand der Univ. Klinik für Neurologie Innsbruck
Vorwort
Neurologie und Geburtshilfe sind enger verknüpft als man auf den ersten, durch die Anatomie gelenkten Blick vermuten möchte. Krampfanfälle in der Schwangerschaft waren bereits im alten Ägypten bekannt. Im Jahr 1574 beschreibt Johannes Schenck von Grafenberg: „Da plötzlich, noch im Schlaf, wurde sie (seine Frau Apollonia), zweifellos von der Erinnerung an das Feuer erschreckt, von einem so fürchterlichen Krampf gepackt, dass sie ihre Augen verdrehte, die Hände verkrampfte, die Wirbelsäule durchstreckte und deutlich hörbar mit den Zähnen knirschte. Alle ihre Glieder und Muskeln zitterten und zuckten; sie verlor die Besinnung und war bald aller äußeren und inneren Sinne beraubt. Der Fötus wurde im Uterus in alle Richtungen hin- und hergeschleudert, bald an die Flanken, dann nach oben gegen die Eingeweide, seltener nach unten; dies alles bot einen Anblick, der ebenso fürchterlich wie bedauernswert war.“ Bis heute ist es allerdings nicht gelungen, die Pathomechanismen, die dieses Krankheitsbild verursachen, aufzuklären. Da bei der Eklampsie, wie bei vielen anderen neurologischen Symptomen in der Schwangerschaft eine kausale Therapie fehlt, kann eine optimale Betreuung dieser Patientinnen nur durch ein Zusammenwirken von „Neurologie“ und „Geburtshilfe“ erzielt werden. Das Buch, das sie gerade in den Händen halten, erlaubt Ihnen, schwangerschaftsbedingte neurologische Symptome und neurologische Krankheiten in der Schwangerschaft aus der Sicht beider Disziplinen zu betrachten und somit besser zu verstehen und zu behandeln. Das Projekt ist an einem Universitätsklinikum entstanden, an dem die Abteilungen für Neurologie und Frauenheilkunde im selben Gebäude, nur durch ein Stockwerk getrennt, untergebracht sind. Die Weitsicht der Planer, beide Fachrichtungen räumlich zu verbinden, war zukunftsweisend. Die enge Verknüpfung der beiden Disziplinen ermöglicht eine rasche und optimale Betreuung von Schwangeren mit lebensbedrohlichen oder zumindest die Lebensqualität stark einschränkenden Krankheitsbildern. Voraussetzung ist aber auch eine reibungslose Kommunikation, die nur erreicht werden kann, wenn beide Partner dieselbe Sprache sprechen. Bisher fehlte in unseren Bibliotheken ein derartiges Kompendium, das einerseits die beiden Disziplinen näherrücken lässt und andererseits das Verständnis für die jeweils andere Fachrichtung erhöht. Damit wird dieses Buch eine große Lücke schließen. Christian Marth Vorstand der Univ. Klinik für Frauenheilkunde Innsbruck
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Autoren
XI
Einleitung
XV
Eklampsie und Prä-Eklampsie
1
Epilepsie
27
Gabriele Johanna Sixt
Migräne und andere Kopfschmerzen
71
Christoph Schmidauer
Cerebrovaskuläre Erkrankungen
107
ZNS-Infektionen
125
Günther Stockhammer, Theresa Kindl, Herwig Kostron, Thomas Auberger, Armin Muigg
Hirntumorerkrankungen
139
Birgit Högl, Elisabeth Brandauer
Schlaf
183
Morbus Parkinson und andere extrapyramidale Bewegungsstörungen
211
Thomas Berger
Multiple Sklerose
231
Julia Wanschitz
Immun-mediierte neuromuskuläre Erkrankungen – Neuropathie, Myopathie, Myasthenie
253
Periphere Nervenläsionen
265
Neuroradiologie
281
Anästhesie und Schmerztherapie
301
Stichwortverzeichnis
319
Christoph Brezinka Gerhard Luef
Erich Schmutzhard
Nadja Stefanova, Roberta Granata Gregor K. Wenning
Wolfgang Löscher Stefan Felber, Alexandra Felber Gottfried Mitterschiffthaler
Verzeichnis der Autoren
Auberger Thomas, OA Dr. med. univ. Univ. Klinik für Strahlentherapie, Medizinische Universität Innsbruck Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Österreich Tel.: ++43-512-504-22801, Fax: ++43-512-504-22812, e-mail:
[email protected] Berger Thomas, Ao. Univ.-Prof. Dr. med. univ., MSc Leiter der Allgemeinen Neurologischen Ambulanz, Leiter der AG Neuroimmunologie & Multiple Sklerose, Univ. Klinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Österreich Tel.: ++43-512-504-23860, Fax: ++43-512-504-24260, e-mail:
[email protected] Brandauer Elisabeth, OÄ Dr. med. univ. Neurologisches Schlaflabor, Univ. Klinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Österreich Tel.: ++43-512-504-23890, Fax: ++43-512-504-23842, e-mail:
[email protected] Brezinka Christoph, Ao. Univ.-Prof. Dr. med. univ., PhD Univ. Klinik für Frauenheilkunde, Medizinische Universität Innsbruck Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Österreich Tel.: ++43-512-504-24135, Fax: ++43-512-504-23055, e-mail:
[email protected] Felber Alexandra, Dr. med. univ. Univ. Klinik für Radiodiagnostik II, Medizinische Universität Innsbruck Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Österreich Tel.: ++43-512-504-27095, Fax: ++43-512-504-27096, e-mail:
[email protected]
XII
Felber Stefan, Univ.-Doz. Dr. med. univ. Chefarzt, Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie, Stiftungsklinikum Mittelrhein Johannes-Müller-Str. 7, D-56068 Koblenz, Deutschland Tel.: ++49-261-137-1207, Fax: ++49-261-137-1935, e-mail:
[email protected],
[email protected] Granata Roberta, Ass. Prof. Dr. med. univ. Univ. Klinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Österreich Tel.: ++43-512-504-23866, Fax: ++43-512-504-24260, e-mail:
[email protected] Högl Birgit, Ao. Univ.-Prof. Dr. med. univ. Leiterin des Neurologischen Schlaflabors, Univ. Klinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Österreich Tel.: ++43-512-504-23811, Fax: ++43-512-504-23842, e-mail:
[email protected] Kindl Theresa, DGuKS Univ. Klinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Österreich Tel.: ++43-512-504-23858, Fax: ++43-512-504-24260 Kostron Herwig, Ao. Univ.-Prof. Dr. med. univ. Univ. Klinik für Neurochirurgie, Medizinische Universität Innsbruck Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Österreich Tel.: ++43-512-504-27452, Fax: ++43-512-504-27453 e-mail:
[email protected] Löscher Wolfgang, Ao. Univ.-Prof. Dr. med. univ., PhD Leiter der Elektrophysiologie und Neuromuskulären Ambulanz, Medizinische Universität Innsbruck Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Österreich Tel.: ++43-512-504-23886, Fax: ++43-512-504-24260, e-mail:
[email protected]
XIII
Luef Gerhard, Ao. Univ.-Prof. Dr. med. univ. Leiter der Arbeitsgruppe „Epilepsie und Frau“ der Österreichischen Sektion der Internationalen Liga gegen Epilepsie, National Coordinator des Europäischen Schwangerschaftsregister EURAP, Univ. Klinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Österreich Tel.: ++43-512-504, Fax: ++43-512-504, e-mail:
[email protected] Mitterschiffthaler Gottfried, Ass. Prof. Dr. med. univ. Univ. Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, Medizinische Universität Innsbruck Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Österreich Tel.: ++43-512-504-24319, Fax: ++43-512-504, e-mail:
[email protected] Muigg Armin, OA Dr. med. univ. Univ. Klinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Österreich Tel.: ++43-512-504-23909, Fax: ++43-512-504-24260, e-mail:
[email protected] Schmidauer Christoph, OA Dr. med. univ. Leiter der Neurologischen Notfallambulanz, Leiter der Neurosonographie und der Neurovaskulären Ambulanz, Univ. Klinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Österreich Tel.: ++43-512-504-23871, Fax: ++43-512-504-23873, e-mail:
[email protected] Schmutzhard Erich, Univ.-Prof. Dr. med. univ. Leiter der Neurologischen Intensivstation, Univ. Klinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Österreich Tel.: ++43-512-504-23853, Fax: ++43-512-504-24243, e-mail:
[email protected] Sixt Gabriele Johanna, OÄ Dr. med. univ. Neurologische Abteilung, Regionalkrankenhaus Bozen Lorenz-Böhler-Str. 5, I-39100 Bozen, Italien Tel.: ++39-0471-90 8589, Fax: ++39-0471-90 8591, e-mail:
[email protected]
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Stefanova Nadia, Dr. med. univ., PhD Univ. Klinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Österreich Tel.: ++43-512-504-24365, Fax: ++43-512-504-24266, e-mail:
[email protected] Stockhammer Günther, Ao. Univ.-Prof. Dr. med. univ. Leiter der Neuroonkologischen Ambulanz, Univ. Klinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Österreich Tel.: ++43-512-504-24239, Fax: ++43-512-504-24260, e-mail:
[email protected] Wanschitz Julia, OÄ Dr. med. univ. Univ. Klinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Österreich Tel.: ++43-512-504-23886, Fax: ++43-512-504-24260, e-mail:
[email protected] Wenning Gregor Karl, Univ.-Prof. Dr. med. univ., PhD Leiter der Klinischen Neurobiologie, Univ. Klinik für Neurologie Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Österreich Tel.: ++43-512-504-23920, Fax: ++43-512-504-23852, e-mail:
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Einleitung
Was hat drei Männer veranlasst, ein Buch über „Neurologische Erkrankungen in der Schwangerschaft“ zu verfassen? Erstens wurde uns in unserer jahrelangen engen klinischen Zusammenarbeit zunehmend bewusst, dass es jenseits der eigenen klinischen und wissenschaftllichen Spezialgebiete viele Unklarheiten und Unsicherheiten in der alltäglichen Betreuung von schwangeren Patientinnen mit neurologischen Erkrankungen gibt. Die häufigen diesbezüglichen Diskussionen formierten langsam die Idee, ein entsprechendes Buch zu verfassen – durchaus im eigennützigen Ansinnen, unsere bisherige postgraduale Weiterbildung um eine neue, sozusagen autodidaktische, Facette durch die Herausgabe eines Buches zu bereichern. Zweitens hat uns unsere interdisziplinäre klinische Tätigkeit gelehrt, wie wichtig, wie häufig unterschätzt, die gemeinsame Entscheidungsfindung durch den Diskurs in gegenseitiger fachlicher Anerkennung für das Wohl unserer Patientinnen ist. Mit diesem Buch wollen wir beitragen, die interdisziplinäre Zusammenarbeit bei der Betreuung schwangerer Patientinnen mit neurologischen Erkrankungen zu vertiefen. Schließlich sind Schwangerschaft und Geburt von zentraler menschlicher Bedeutung, weswegen dieses Buch auch eine Hommage an unsere Patientinnen ist, die vor, während und nach ihrer Schwangerschaft die Bürde einer Diagnose oder von Auswirkungen einer neurologischen Erkrankung einzigartig meistern mussten. Das vorliegende Buch ist das erste deutschsprachige interdisziplinäre Handbuch für FrauenärztInnen, NeurologInnen, AllgemeinmedizinerInnen und alle anderen KollegInnen, die Patientinnen mit neurologischen Erkrankungen während der Schwangerschaft beraten und betreuen. Ausgehend von der klinischen und wissenschaftlichen Expertise der AutorInnen haben wir versucht, neurologische Krankheitsbilder aktuell und detailliert, klar strukturiert und praxisrelevant darzustellen, um zur kompetenten Betreuung betroffener Frauen vor und während ihrer Schwangerschaft beizutragen. Es ist uns bewusst, dass nur selten etwas in Perfektion gelingt – daher würden wir uns sehr über andere Meinungen, Kritiken und Verbesserungsvorschläge zu diesem Buch und seinen Inhalten freuen. An dieser Stelle möchten wir uns bei allen AutorInnen sehr bedanken, für ihre spontanen Zusagen, an diesem Buch mitzuwirken, ihr Fachwissen, ihre fundierten Beiträge und die wertvolle Zeit, die sie dem Gelingen dieses Buches gewidmet haben.
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Unser ganz besonderer Dank gilt Frau Magister Renate Eichhorn vom Springer Verlag Wien. Ihr sofortiges Interesse, ihre uneingeschränkte Unterstützung und vor allem ihre unendliche Geduld waren entscheidend für die Realisierung dieses Buchprojektes. Thomas Berger Christoph Brezinka Gerhard Luef
Eklampsie und Prä-Eklampsie
Christoph Brezinka
Fallbericht Eine 26-jährige Lehrerin einer Klosterschule fühlte sich nicht gut und ließ sich von ihrem Bruder in das nahegelegene Bezirkskrankenhaus fahren. Auf der Fahrt beobachtete der Bruder, wie sie ohnmächtig wurde und krampfte. Die junge Frau erlangte erst nach mehreren Stunden im Krankenhaus wieder das Bewusstsein. Sie gab an, dass sie sich seit drei Tagen schlecht fühlte, seit einer Woche Fieber um 38° habe, weiters Erbrechen, Durchfall, Bauchschmerzen. Sie nehme die Pille, sei nie schwanger gewesen, die Menstruation während der letzten Monate sei regelmäßig gewesen. Die klinische Untersuchung zeigte einen Zungenbiss, weißliche Striae am Abdomen und einen fraglichen abdominalen Tumor. Die Laboruntersuchung ergab ausgeprägte Thrombopenie, Anämie, deutlich erhöhte LDH und GOT. Sie wurde in die nächstgelegene Universitätsklinik zur Plasmapherese bei Verdacht auf idiopathische thrombozytopenische Purpura geschickt. Das Labor an der Universitätsklinik zeigte Hinweise auf eine thrombotische Mikroangiopathie. Der Ultraschall zeigte freie Flüssigkeit im Abdomen und einen malignitätsverdächtigen Tumor im Unterbauch. Die Frau klagte über starke Kopfschmerzen. Beim CT stellt der Radiologe im Unterbauch einen lebenden Fetus in der ca. 28 SSW fest und rief den Gynäkologen. Dieser stellte ein Hellp-Syndrom fest, macht eine sofortige Sectio und entwickelte ein 980 g schweres, gesundes Mädchen. Thrombozyten und Leberwerte normalisierten sich innerhalb weniger Tage. Die Patientin verweigert ein angebotenes psychologisches Konsil und wurde nach einer Woche entlassen. Auch das Kind, das sich sehr gut entwickelte, konnte einige Wochen später von seiner Mutter aus der Kinderklinik abgeholt werden. Fazit: negierte Schwangerschaft, die durch Hellp-Syndrom-Symptomatik und eklamptischen Anfall auffällig wurde.
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Christoph Brezinka
Einführung Die Eklampsie ist die neurologische Erkrankung der Schwangerschaft schlechthin. Bei keiner anderen schwangerschaftstypischen Erkrankung steht die neurologische Symptomatik so dramatisch im Vordergrund. Andererseits gibt es keine neurologische Erkankung, die so exklusiv auf die Schwangerschaft konzentriert ist: keine Frau, die nicht schwanger ist – oder gerade erst schwanger war –, und erst recht kein Mann, wird jemals an Eklampsie erkranken. Eklampsie betrifft Frauen in der Schwangerschaft mit einer Häufung im dritten Schwangerschafts-Trimenon und in der der Nähe des Geburtstermins. Allerdings sind auch sehr frühe Fälle um die 20. SSW beschrieben worden, ebenso Fälle, bei denen die Eklampsie drei Wochen nach der Geburt aufrat, wobei während der Schwangerschaft nie eine Symptomatik aufgefallen war, die einen Verdacht auf diese postpartale Entwicklung hätte lenken können. Die Eklampsie ist durch ihre massive neurologische Symptomatik definiert, die Prä-Eklampsie weist erst in ihrer schwerwiegenden Ausprägung neurologische Symptome auf. Wegen der sprachlichen Nähe, die einen zeitlichen und kausalen Bezug unterstellt, der manchmal, aber nicht immer gegeben ist, wird in diesem Kapitel auch die Prä-Eklampsie besprochen.
Der eklamptische Anfall Der eklamptische Anfall entspricht klinisch einem epileptischen Anfall. Die Anfälle beginnen meist im Mundbereich, innerhalb weniger Sekunden kommt es zu generalisierten tonisch-klonischen Krämpfen, Zyanose und Bewusstlosigkeit mit Übergang ins Koma. Ungefähr 5–10% der Patientinnen mit Eklampsie entwickeln neurologische Komplikationen, wie kortikale Blindheit, Aphasie, Psychosen und Paresen von Extremitäten. Diese neurologischen Ausfallserscheinungen können reversibel, aber auch irreversibel sein und z.B. zu bleibenden Gesichtsfeldeinschränkungen und Visusverminderungen führen. Eklampsie wird immer ein seltenes und vor allem unerwartetes Ereignis sein. Nach derzeitigen epidemiologischen Zahlen ist in Mitteleuropa ein Fall von Eklampsie auf 2500 Schwangerschaften zu erwarten, das sind zwischen 25 und 28 Fälle pro Jahr in Österreich und der Schweiz und 250 Fälle pro Jahr in Deutschland.
Eklampsie und Prä-Eklampsie
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Prodrome Prodromalsymptome, die oft nur wenige Minuten, manchmal nur Sekunden dauern, sind an Intensität rasch zunehmender starker Kopfschmerz („wie noch nie zuvor im Leben“), Unruhe, Bewusstseinsstörungen, Sehstörungen und weitere fokale neurologische Defizite, dazu meist starker Blutdruckanstieg. Tabelle 1. Differenzialdiagnose der Eklampsie modifiziert nach (Sibai 2005a) • Cerebrovaskuläre Ursachen – Blutung – rupturiertes Aneurysma oder Gefäßfehlbildung – Embolie oder Thrombose von Hirnarterien – venöse Thrombose von Hirnvenen • Hypoxisch-ischämische Enzephalopathie • Angiom • Hypertensive Enzephalopathie • Epileptischer Anfall • Primärer oder metastatischer Hirntumor • Stoffwechselstörung: Hypoglykämie, Hyponatriaämie • Reversible posteriore Leukenzephalopathie • Thrombophilie • Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (Moschcowitz-Syndrom) • Postpunktionssyndrom • Cerebrale Vaskulitis
Sofortmaßnahmen Prinzipiell muss jeder epileptiforme Anfall in der Schwangerschaft als Eklampsie betrachtet und behandelt werden, bis sichergestellt ist, dass es vielleicht „nur“ ein Grand-Mal-Anfall war (siehe Tabelle 1). Die erste Sofortmaßnahme bei einem eklamptischen Anfall besteht in der Links-Seitenlage, dem Freihalten der Atemwege und der Verabreichung von Sauerstoff. Die Faustregel lautet heute „Patientin stabilisieren – Kind herausholen“. Wenn die Schwangere nicht schon in einem Krankenhaus ist, so muss sie so rasch wie möglich mit dem schnellsten zur Verfügung stehenden Fahrzeug (Hubschrauber, Notarztwagen) dorthin gebracht werden. Wo verfügbar, sollte Pulsoxymetrie zum Monitoring der Schwangeren eingesetzt werden. Medi-
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Christoph Brezinka
kamentös ist das Mittel der ersten Wahl Magnesiumsulfat, welches über eine großlumige Leitung in einer Dosierung von 4–6 g (entspricht 16–24 mmol) in 10–15 Minuten verabreicht wird. Benzodiazepine kommen heute nur zum Einsatz, wenn es unter Magnesium zu weiteren Krämpfen kommt. Mittels rascher Ultraschalluntersuchung muss Vitalität, Reife und Gefährdung des Kindes festgestellt und dann eine Entscheidung zur Schwangerschaftsbeendigung getroffen werden. Tabelle 2. Behandlung der Eklampsie und der schweren hypertensiven Schwangerschaftskomplikationen nach den Leitlinien der DGGG (Rath et al. 2002) 1. Magnesiumsulfat 4–6 g iv im Bolus über 15–20 Minuten 2. Minimale Erhaltungsdosis Magnesiumsulfat 1–2 g/h bis 24–48 h post partum 3. Antihypertensive Therapie: z.B. 5 mg Dihydralazin iv alle 20 Minuten oder perfusorgesteuert 2–20 ml/h
Definitionen Antepartale Eklampsie Epileptische Anfälle beginnen vor Einsetzen der Wehen, wobei Eklampsie, die vor der 28 SSW auftritt, als frühe antepartale Eklampsie bezeichnet wird. Intrapartale Eklampsie Epileptische Anfälle treten auf, nachdem regelmäßige Wehen begonnen haben und die Fruchtblase gesprungen ist. Postpartale Eklampsie Epileptische Anfälle treten nach Geburt der Plazenta in den Tagen und Wochen nach der Geburt auf. Für dieses Zustandsbild wurde auch der Name postpartale zerebrale Angiopathie als Synonym verwendet.
Eklampsie und Prä-Eklampsie
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Entwicklung eines Krankheitsbildes Das Krankheitsbild der Eklampsie war bereits im Altertum bekannt. Die schwangere Frau, die scheinbar aus heiterem Himmel generalisierte Krämpfe entwickelt, das Bewusstsein verliert und schließlich an dieser „uterinen“ oder „hysterischen Epilepsie“ verstirbt, beschrieben bereits Hippokrates (4. Jh. v. Chr.) und Galen (2. Jh. n. Chr.) (Ong 2004). Die Therapieversuche im Lauf der Jahrhunderte waren heroisch und meist genauso tödlich wie die Erkrankung: Überliefert sind die Inhalation übelriechender Dämpfe, Einläufe, forciertes Erbrechen mit „vin emetique“, großzügiger Aderlass, das Anbringen von Blutegeln, aber auch so dramatische chirurgische Therapieversuche wie Kraniotomie, Mastektomie und Exzision der Nierenkapsel (O’Dowd 2000). Am Anfang der modernen Medizin in den ersten gedruckten medizinischen Lehrbüchern der beginnenden Neuzeit, finden wir konkrete Beschreibungen von eklamptischen Anfällen. Der durch die deutsche Übersetzung seiner Bücher auch im deutschen Sprachraum sehr einflussreiche französische Geburtshelfer Mauriceau (1637–1709) schrieb: „Wenn aber das Weib nach den paroxysmos nicht mehr zu Sinnen kommt, sondern da als ganz unempfindlich liegt, zu dem Mund aus röchelt und schaumet, pflegen gemeinlich beide, Mutter und Kind, darüber das Leben zu lassen, wenn man die Frauen nicht förderlichst zur Niederkunft hilft.“ (Mauriceau 1680). Wie furchterregend die Eklampsie war, dass sie nur durch dämonische Einflüsse erklärt werden konnte, zeigt ein Fall aus der Ostschweiz aus dem Jahr 1683. Drei Jahre nachdem das geburtshilfliche Lehrbuch von Mauriceau in Basel auf deutsch erschienen war, notiert das Ratsprotokoll von St. Gallen: Ein Bürger klagt, „die Hellerin“ habe seiner hochschwangeren Ehefrau acht Tage vor ihrer Niederkunft auf dem Eiermarkt mit den Händen über den Bauch herabgestrichen, die Schwangere sei „in ernstlich grossen schrecken und zitthern geraten, hernach ganz verwirrt im Haupt worden… …habe unaussprechliche Geburtsschmerzen ausgestanden. Dabei habe sie 34 mal das kindliwehe1 bekommen, dass sie in 3 Tagen ausser ihr selbst gewesen und ihro drei stücklin von der zung gebissen habe und schließlich mit einem toten Kind niedergekommen sei“. Die der Auslösung des eklamptischen Anfalls Beschuldigte, die 61-jährige Anna Hellerin aus Berneck, wurde als Hexe verbrannt (Tschaikner 2003). Als Therapie der Eklampsie war um 1600 von dem einflussreichen Chirurgen-Geburtshelfer Jacques Guillemau (1550–1631) das „accouchement forcé“, die erzwungene Geburt, eingeführt worden. Bei der Tochter seines Lehrers, des berühmten Chirurgen und Leibarztes des Königs, Ambroise Paré, war es zu einer Eklampsie gekommen und Guillemau hatte mit einer 1 Kindliwehe: altertümlicher Ausdruck für jede Form von Krampfanfällen einschließlich epileptischer Anfälle (Deutsches Epilepsiemuseum).
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Christoph Brezinka
inneren Wendung und Extraktion des Feten das Leben der jungen Frau gerettet. Mit diesem Erfolgsbericht als Grundlage kam es zu einer raschen Verbreitung dieses Eingriffs. Es war die Zeit, in der das jahrtausendealte Monopol der Hebammen in der Geburtshilfe von chirurgisch orientierten Ärzten und Wundärzten zunehmend gebrochen wurde. In einer Ära, in der ein Kaiserschnitt grundsätzlich den Tod der Mutter bedeutete und nur durchgeführt wurde, um einem eventuell noch lebenden Kind das Sakrament der Taufe spenden zu können, schien die beschleunigte Vaginalgeburt der einzige therapeutische Ansatz, mit dem das Leben der Schwangeren vielleicht gerettet werden konnte. Zahlreiche Frauen verstarben an den drastischen Manövern zur Erweiterung der Zervix uteri, die notwendig waren, um überhaupt an das Kind heranzukommen. Diese reichten von manuellen Dilatationsversuchen bis zum Einbringen von Dilatatoren –„Metreuryntern“ – aus Holz, Metall, selbst mit ledernen Blasebälgen wurde versucht, die Zervix zu erweitern. Bei Erstgebärenden führte die Anwendung dieser Instrumente meist unweigerlich zu Zervixrissen und häufig zu nicht mehr zu beherrschenden Blutungen. Auch das Einschneiden der Zervix durch den Arzt, um damit leichter die Faust in den Uterus einbringen zu können und das Kind herauszuholen, war ein drastischer Eingriff mit hoher Mortalitätsrate. Die rätselhafte Erkrankung beschäftigte die Medizin weiter: Nicholas Puzos schrieb 1759, dass der Ausgang umso schlechter sei, je länger die Krämpfe bei der Schwangeren andauerten und je rascher sie wiederkamen. Während Puzos noch das damalige Breitbandtherapeutikum für nahezu alle Krankheiten – den großzügigen Aderlass – als Therapie empfahl, war ungefähr zur gleichen Zeit die Oberhebamme von Paris, Madame Le Boursier de Coudray, fest vom accouchement forcé überzeugt: „Die Frau kann überhaupt nur gerettet werden, wenn man sie rasch entbindet.“ Der Ausdruck Eklampsie (eklampsein – blitzen, leuchten, herausbrechen) selbst wird unterschiedlichen Autoren zugeschrieben: Francois Chaussier in Paris und Carl Braun in Wien sollen den Begriff jeweils im 19. Jahrhundert geprägt haben. Alexander Hamilton, Professor of Midwifery in Edinburgh, verwendete ihn bereits 1781. Seine Theorie der Pathogenese entsprach dem Denken der Zeit: Convulsions of pregnancy arise from fullness when the woman has been overheated by stimulating food and drink, confined air and other mismanagement (zit. bei O’Dowd 2000). Ab 1840 wurde mit den Fortschritten in der analytischen Chemie die Messung des Eiweiß im Harn möglich, man entdeckte einen zeitlichen Zusammenhang von Proteinurie zur Eklampsie und J. Lever vom Guy’s Hospital, London, konnte 1843 schreiben: „Frauen … die später Krämpfe bekommen, haben schon davor Eiweiß im Urin sowie geschwollene Füße und Augenlider.“ Daraufhin hielt man Eklampsie für eine spezielle Form der Nephritis. 1849 wurde die Kombination von Proteinurie und Ödemen als Toxemia of Pregnancy (Schwangerschaftsvergiftung, Schwangerschaftstoxikose) definiert, ein Ausdruck, der sich bis heute gehalten hat. 1896 entwickelte Sci-
Eklampsie und Prä-Eklampsie
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pione Riva-Rocci das Sphygmomanometer und man erkannte den Zusammenhang mit Blutdruckerhöhung. Ab 1910 war die industrielle Fertigung der Blutdruckmessgeräte so weit fortgeschritten, dass man von nun an begann, routinemäßig bei Schwangeren den Blutdruck zu messen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts versuchten verschiedene Ärzte einen therapeutischen Gegenentwurf zum accouchement forcé mit seiner hohen Müttersterblichkeit. Hastings Tweedy erreichte in der Dubliner Frauenklinik im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts eine Senkung der Eklampsie-Mortalität auf 8% durch eine Kombination von Morphium-Gabe, Sauerstoffmaske und Venaesectio (Tweedy 1911). Der russische Arzt Wasili Stroganoff (1857–1938) entwickelte ungefähr zeitgleich in St. Petersburg eine Methode, wobei Morphium, Chloroform und Chloralhydrat zur Sedierung gegeben wurden, die Patientin in einem dunklem Einzelzimmer betreut und möglichst wenig Untersuchungen ausgesetzt wurde. So war es ihm gelungen, die Eklampsie-Mortalität in St. Petersburg auf 5% zu senken. Das StroganoffRegime wurde über 50 Jahre lang angewendet und konnte die mütterliche Mortalität auf 3% und die neonatale Mortalität auf 20% reduzieren (Stroganoff 1935). Erstmals standen nun nicht-chirurgische Therapieansätze zur Verfügung, auch die Zusammenhänge dieser rätselhaften tödlichen Erkrankung wurden langsam plausibel. So verwundert es nicht, dass in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zum Thema Eklampsie mehr geschrieben wurde als über jedes andere geburtshilfliche Thema: O’Donel Brown zählte von 1909 bis 1912 insgesamt 1009 Publikationen zu dem Thema. Die günstigen Zahlen aus Dublin und St. Petersburg betrafen Patientinnen, bei denen das Anfallsgeschehen erst im Krankenhaus stattfand und die dann sofort entsprechend einem aufwändigen Protokoll behandelt wurden. Betrachtete man die Mortalität insgesamt und rechnete auch jene Frauen dazu, die nie ein Krankenhaus erreichten, so lag sie bis in die 1950er Jahre bei über 50%. In einer historischen Kohorte stellte Menon fest, dass die mütterliche Mortalität 7% betrug, wenn die Geburt des Kindes innerhalb von 2 Stunden nach dem eklamptischen Anfall stattfand, aber auf 42% stieg, wenn bis zur Geburt mehr als 24 Stunden vergingen (Menon 1961). Es dauerte bis ca. 1930, bis das accouchement forcé, das auch nach Einführung der Antisepsis, der Blutkonserven und Antibiotika eine Mortalitätsrate von 18 bis 63% aufwies, endgültig aufgegeben wurde. In Form des raschen Kaiserschnittes bei Eklampsie ist es heute in weitaus weniger gefährlicher Form allerdings wieder zurückgekehrt und dominiert das therapeutische Handeln bei der prä- und intrapartalen Eklampsie. Den magnesiumsulfathaltigen Salzen der Epsom-Quelle in der englischen Grafschaft Surrey, den „Epsom Salts“, war seit dem 17. Jahrhundert eine heilende Wirkung als Purgativum und zur Prophylaxe von „Fallsucht“ zugeschrieben worden. Ballantyne beschrieb 1910, wie er bei neun Frauen mit Eklampsie durch subkutane Injektionen sowie mit Einläufen und Magenspülungen mit Magnesiumsulfat keinen einzigen Todesfall hatte (Ballantyne 1910).
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In England und in Europa wurde dieser Bericht ignoriert, in den USA führten einige Jahre später erste vielversprechende Berichte über den Einsatz von intravenös verabreichtem Magnesium rasch zu einer nahezu flächendeckenden Anwendung des erfolgreichen, nebenwirkungsarmen und billigen Medikaments (Lazard 1925). In Europa und Asien hatte man Erfolge mit verschiedenen „lytischen Cocktails“, wobei Mischungen von Antikonvulsiva mit Opiaten und Sedativa, meist Chlorpromazin, Phenytoin und Pethidin, angewandt wurden. 1954 erschien der erste Bericht über die erfolgreiche Anwendung von Benzodiazepinen, die daraufhin außerhalb der USA bis zum Jahr 2000 viel verwendet wurden. Gleichzeitig wurden auch immer mehr Antihypertensiva (Hydralazin, Methyl-Dopa, Betablocker) verwendet. Auch Phenythoin und Chlormethiazol wurden vereinzelt angewendet. Für das Überleben des Kindes war die rasche Krankenhausaufnahme und dort die rasche Beendigung der Schwangerschaft von entscheidendem Einfluss auf die Prognose. In einer Bilanz der Eklampsie-Fälle von 1963–1966 zeigte sich eine gestaffelte kindliche Mortalität: diese lag bei 14%, wenn die Geburt innerhalb von 6 Stunden stattfand, und stieg auf 62%, wenn der Intervall zwischen 12 und 24 Stunden dauerte (Llopez-Lera et al. 1976).
Magnesium zu Therapie und Prophylaxe Seit den großen weltweiten Multizenter-Studien zu Magnesium, die seit Mitte der 1990er Jahre erschienen sind, ist diese Substanz unbestritten als Prophylaktikum und Therapeutikum für Eklampsie. Es hatte sich an Kollektiven von über 10 000 Patientinnen herausgestellt, dass Magnesium zur Prophylaxe und Therapie der Eklampsie gegenüber Benzodiazepinen und Phenytoin deutliche Vorteile brachte (Duley und Henderson-Smart 2000, The Magpie Trial Study Group 2002, CET-Trial 1995). Auch ein rezenter Vergleich von Magnesium mit dem Kalzium-Kanal-Blocker Nimodipin bei der Anfallsprophylaxe bei Patientinnen mit schwerer Prä-Eklampsie, fiel eindeutig zu Gunsten des Magnesium aus (Belfort et al. 2003). Die unmittelbare pharmakologische Wirkungsweise von Magnesium ist bis heute unklar. Nach neuen Studien mit Phasenkontrast-MRI zeigte sich bei EklampsiePatientinnen, die einen intravenösen Magnesiumbolus erhielten, keine Gefäßveränderung der Hirnarterien, die auf einen bis dahin vermuteten vasodilatatorischen Effekt des Magensium hinwies (Hatab et al. 2005). Sibai hat ausgerechnet, dass 2% der Schwangeren mit schwerer Prä-Eklampsie einen eklamptischen Anfall erleiden, wenn sie kein Magnesium zur Prophylaxe bekommen – diese Quote reduziert sich auf 0,6% bei Magnesium-Infusion. Das bedeutet, dass man 71 Frauen mit schwerer Prä-Eklampsie behandeln muss, um einen Anfall zu verhindern. Behandelt man auch
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Frauen mit leichter Prä-Eklampsie, so vermehrt sich die Zahl der unnötig behandelten Frauen auf 400 – für einen verhinderten Eklampsie-Fall (Sibai 2005b). Während es immer wieder Zweifel gab, ob hochdosiertes Magnesium für das Kind wirklich unschädlich ist, hat eine rezente große Multizenterstudie aus Australien keine schädlichen Auswirkungen der Substanz auf Fetus und Neugeborenes aufgezeigt (Crowther et al. 2003). Die mütterlichen Magnesium-Nebenwirkungen sind meist lediglich irritierend – Hitzegefühl, Nausea, Benommenheit. Allerdings sind bei mütterlicher Intoxikation durch Überdosierung von Magnesium auch Todesfälle beschrieben und auch einige Frauen, die nur um Haaresbreite am Leben erhalten werden konnten (Bohman und Cotton 1990). Genaue Kontrolle der Dosierung und Überwachung der Patientin müssen bei dem bedrohlichen Bild der schweren PräEklampsie und/oder dem gerade stattgefundenen eklamptischen Anfall ohnehin selbstverständlich sein. In der Zusammenschau der Studien zeigt sich, dass Magnesiumsulfat dann den größten Nutzen in der Prophylaxe hat, wenn vor Beginn der Infusion strenge Kriterien der schweren Prä-Eklampsie angelegt werden. Somit ist auch die Gefahr des Übersehens von Nebenwirkungen am geringsten, weil es sich bei diesen Frauen ohnehin schon um durch Pflege, Hebammen und Ärzte sehr genau überwachte Patientinnen handelt.
Epidemiologie der Eklampsie heute Während der letzten 80 Jahre zeigt sich ein bemerkenswerter Rückgang der Eklampsie-Inzidenz in den entwickelten westlichen Ländern. In einer Langzeitstudie aus Schottland zeigte sich eine Reduktion um 90% im Verlauf von 60 Jahren. Hatten 1930 noch 7 von 1000 schottischen Schwangeren Eklampsie entwickelt, waren es 1990 nur noch 0,7 von 1000 Schwangeren (Neilson 2001). In der Dritten Welt ist die Eklampsie-Inzidenz nach wie vor sehr hoch: Während man für Mitteleuropa heute mit maximal einem Fall von Eklampsie bei 2000 Schwangeren rechnen muss, kommt es in Bangladesch zu einem Fall bei 35 Schwangerschaften, in Kolumbien zu einem Fall bei 124 Schwangerschaften (Conde-Agudelo und Kafury-Goeta 1998). Während die Eklampsie-Mortalität in Westeuropa heute bei 2% liegt, beträgt sie in Dacca (Bangladesch) ca. 20%. Die WHO rechnet mit 150 000 mütterlichen Todesfällen durch Eklampsie pro Jahr weltweit, dies entspricht einem Drittel der weltweiten mütterlichen Gesamtmortalität. Die Seltenheit der Eklampsie in Mitteleuropa ist natürlich Grund zur Freude, dies macht sie aber zu einer „vergessenen“ Erkrankung, was dazu führt, dass es bei den wenigen Frauen, die daran erkranken, gefährlich lange dauern kann, bis eine Diagnose gestellt wird, wie das Fallbeispiel zu Beginn dieses Kapitels zeigt. Während sich die
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Eklampsie in den Ländern der Dritten Welt meist aus dem Kollektiv der zahlreichen unbehandelten und unterbehandelten Hochdruck-Schwangeren entwickelt, sind es in Europa eher die atypischen Formen und Ausprägungen der Erkrankung. Aus Studien in Europa und den USA zeigte sich, dass mindestens 20% der Frauen, die während oder nach der Schwangerschaft Eklampsie entwickelten, keinerlei Prodrome bemerkt und auch nie erhöhte Blutdruckwerte aufgewiesen hatten (Sibai 2005a). In diese Gruppe fallen auch jene Fälle, die Tage nach der Entlassung auftreten (Munjuluri et al. 2005).
Pathophysiologie des eklamptischen Anfalls Die Frage, wie sich aus einem Zustand mit „nur“ hohem Blutdruck und Proteinurie (der Prä-Eklampsie) bei einigen schwangeren Patientinnen innerhalb weniger Minuten ein Zustand mit generalisierten Krämpfen entwickeln kann, ist nach wie vor ungeklärt. Bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts ging man davon aus, dass am Beginn der Eklampsie eine durch Vasospasmen verursachte verminderte zerebrale Perfusion stand. Diese Vasospasmen würden danach ein zytotoxisches Hirnödem auslösen. Nach neueren Erkenntnissen, vor allem mit Hilfe von MRI und PET-Bildgebung bei Frauen mit Eklampsie, ist diese Minderperfusion durch Vasospasmen nur der erste Teil eines Prozesses, der in zwei Stufen abläuft: nachdem die Minderperfusion zunächst einen Zusammenbruch der Blut-Hirnschranke ausgelöst hat, kommt es in Folge davon zu einer zerebralen Hyperperfusion (Friese et al. 2002). Auch ist dieses Geschehen bei weitem nicht so folgenlos und reversibel, wie lange Zeit angenommen wurde: Zeeman und Mitarbeiter fanden im MRI bei 26 von 27 Frauen mit Eklampsie Zeichen von Hirnödem, das vor allem den subcorticalen Bereich im Parieto-Occipitallappen betraf. Acht dieser Frauen wiesen Zeichen von zerebralen Infarkten auf (Zeeman et al. 2004). Bei der Anwendung von PET fanden Zunker et al. bei Patientinnen nach eklamptischen Anfällen unregelmäßig verteilten vermehrten GlukoseMetabolismus (Zunker et al. 2002, Zunker et al. 2003). Das EEG ist bei Frauen mit Eklampsie hochgradig abnormal, wobei es aber keine Eklampsietypischen Muster gibt. Auch führt die Therapie mit Magnesium zu keiner Verbesserung des EEG (Sibai 2005a).
Risikoprofil der Patientin Die Eklampsie ist so selten geworden, dass epidemiologische Vergleiche schwierig sind. Historische Kohorten und Kohorten aus der Dritten Welt zei-
Eklampsie und Prä-Eklampsie
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gen meist wenig Übereinstimmung mit den heutigen Patientinnen in Mitteleuropa. Daher muss in der Folge das Risikoprofil der wesentlich häufigeren Prä-Eklampsie besprochen werden, im Wissen, dass die Eklampsie lediglich ein Segment der schweren Prä-Eklampsie darstellt. Aus großen epidemiologischen Studien zeigt sich ein erhöhtes Prä-Eklampsie-Risiko bei Frauen, bei denen die Schwangerschaft schon nach kurzer Kohabitationszeit mit dem Partner eingetreten war, bei Frauen bei denen seit der letzten Schwangerschaft viele Jahre vergangen waren und bei Frauen, die eine Schwangerschaft mit neuem Partner hatten (Skjaerven et al. 2002). Dies weist andererseits auf einen protektiven Effekt von langer Kohabitation vor Eintritt der Schwangerschaft hin, was durch den Sperma-induzierten Aufbau einer mütterlichen Immuntoleranz gegenüber paternalen Antigenen erkärt wird. Bei Frauen mit Schwangerschaft mit „viel“ Plazenta, etwa bei Mehrlingen, Hydrops und Mole, zeigt sich ebenfalls eine erhöhte Prä-EklampsieInzidenz. Für die Prä-Eklampsie gibt es auch Hinweise auf eine genetische Prädisposition mit einem autosomal-rezessiven Erbgang (Tower 2004). Ein erhöhtes Risiko, im Laufe der Schwangerschaft Prä-Eklampsie zu entwickeln (und damit auch ein erhöhtes Risiko für Eklampsie) haben besonders junge und besonders alte Schwangere, adipöse Frauen, Frauen mit vorbestehendem chronischen Hochdruck, Frauen mit Nierenerkrankungen und Frauen mit jeder Form der Glucoseintoleranz, vom Gestationsdiabetes bis zum juvenilen Diabetes. Durch die diabetogene Neigung von Frauen mit PCO (polyzystisches Ovar-Syndrom) kann auch deren Schwangerschaft durch Prä-Eklampsie verkompliziert werden. Vorbestehende systemische Erkrankungen wie Systhemischer Lupus Erythematodes, Thrombophilie und Antiphospholipidsyndrom sowie Über- und Unterfunktionen der Schilddrüse führen in der Schwangerschaft zu einer erhöhten Prä-Eklampsie-Inzidenz. Zu den weiteren klinischen Risikofaktoren wie Ernährung, Arbeit und Lebensstil wird auf die Übersicht von Gaugler-Senden verwiesen (GauglerSenden et al. 2005).
Prä-Eklampsie Seit der Einführung der routinemäßigen Blutdruckmessung bei Schwangeren um 1910 schien der Zusammenhang zwischen hohem mütterlichem Blutdruck und Eklampsie so logisch, dass daraus sogar der bis heute gültige Name für den Bluthochdruck, der sich bei bisher normotensiven Frauen in der Schwangerschaft entwickelt, Prä-Eklampsie lautet. Diese Namensgebung ist ungewöhnlich, weil damit eine pathophysiologische Kontinuität suggeriert wird, die nur in Einzelfällen besteht. Niemand käme auf die Idee, die Obstipation als Prä-Ileus zu bezeichnen. Die prägnanteste Definition der Prä-Eklampsie stammt von Brown, der sie als
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„gefäßverengenden Prozess, assoziiert mit capillary leak und Reduktion der Perfusion der mütterlichen Nieren, Leber und des Gehirns und der Plazenta“ bezeichnete (Brown und de Swiet 1999). Im deutschen Sprachraum war bis vor wenigen Jahren die Bezeichung EPHGestose (E-Edema, P-Proteinuria, H-Hypertension) für die Beschreibung des hohen Blutdrucks in der Schwangerschaft gebräuchlich. Diese Bezeichnung hatte den Nachteil, dass das unsicherste und unwichtigste Symptom – die Ödeme – an erster Stelle stand und der Hochdruck am Schluss (Harlow und Brown 2001). Derzeit ist für die Hochdruckerkrankungen der Schwangerschaft eine sehr unhandliche Definition verbindlich, die von einer Konsensuskonferenz in einer interdiszipliniären Groß-Kommission erarbeitet wurde, der Working Group Report on High Blood Pressure in Pregnancy des National Insitute of Health (Tabelle 3). Hierbei wird die Eklampsie mit der Prä-Eklampsie als Punkt 2 zusammengefasst als ausschließlich in der Schwangerschaft auftretender Hochdruck mit Proteinurie, Ödemen und, bei Eklampsie, Krämpfen. Die bisher weit verbreiteten Ausdrücke PIH (pregnancy induced hypertension, auf Deutsch SIH – schwangerschaftsinduzierter Hochdruck) sollen nun nicht mehr verwendet werden, die Bezeichnung EPH-Gestose erst recht nicht. Tabelle 3. Diagnostische Kriterien zu Hochdruckerkrankungen in der Schwangerschaft. NIH Working Group Report on High Blood Pressure in Pregnancy 2001 (NIH 2001, Roberts et al. 2003, Lenfant 2001) 1. Chronischer Hochdruck: Hochdruck, der bereits vor der Schwangerschaft bestand oder vor der 20. SSW diagnostiziert wurde 2. Prä-Eklampsie, Eklampsie: Ausschließlich in der Schwangerschaft auftretender Hochdruck mit Proteinurie, Ödemen und – bei Eklampsie – Krämpfen 3. Prä-Eklampsie auf chronischen Hochdruck gepfropft: Plötzlicher Blutdruckanstieg oder Vermehrung der Proteinurie bei Frau mit bestehender Hochdruckerkrankung 4. Schwangerschafts-Hochdruck: Hochdruck, der nach der 20. SSW erstmals diagnostiziert wurde, ohne Proteinurie a) Vorübergehender Hochdruck (transient hypertension): Tritt im dritten Trimenon auf, hat keine Auswirkung auf Gravidität, bis 12 Wochen post partum verschwunden b) Chronischer Hochdruck: Hochdruck, der nach der 12. SSW post partum immer noch besteht
Eklampsie und Prä-Eklampsie
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Im klinischen Alltag hat sich die Unterscheidung der „milden“ Prä-Eklampsie von der „schweren“ Prä-Eklampsie als nützlich erwiesen. Deutlich erhöhter Blutdruck, erhebliche Proteinurie, Kopfschmerz und im Ultraschall messbar reduziertes Fruchtwasser sind die Kriterien, die schwere Prä-Eklampsie zu einem Zustandsbild machen, das eine sofortige stationäre Aufnahme mit Therapie und vor allem genauer Überwachung nötig macht. In Anbetracht der schwer vorherzusagenden fetalen oder mütterlichen Verschlechterung wird in so einem Fall jenseits der 24. SSW eine fetale Lungenreifungsinduktion mit Betamethason empfohlen. So kann im Fall einer vorzeitigen und vielleicht akuten Schwangerschaftsbeendigung mit Sectio dem Kinderarzt ein Kind mit weniger Beatmungsproblemen übergeben werden, als es ohne Lungenreifung der Fall wäre. Definition Prä-Eklampsie Hypertension über 140/90 (mehrfach gemessen) Proteinurie über 300 mg/24 h (de facto mehrfach Prot ++ im Harn-Stic) Definition „milde“ und „schwere“ Prä-Eklampsie Milde Prä-Eklampsie: wenn Hochdruck und Proteinurie bestehen, aber noch kein Hinweis auf Endorgan-Schaden vorliegt. Schwere/Severe Prä-Eklampsie: RR 160/110 und Proteinurie über 5 g/24 h mit Hinweis auf Endorgan-Schädigung (Kopfschmerz, Sehstörung, Oberbauchschmerz, Oligohydramnie, im Ultraschall fetale Wachstumsretardierung IUGR)
Prä-Eklampsie: Diagnostik Neben den objektivierbaren Blutdruckwerten, Harn- und Serumparametern sowie den messbaren Größen im fetalen Ultraschall wie Fruchtwassermenge, Wachstumsretardierung und erhöhter Doppler-Widerstand in der Umbilikalarterie, sind die subjektiven Symptome der Patientin sehr variabel und werden auch sehr unterschiedlich ausgedrückt. Die in ärmlichen Verhältnissen lebende Ausländerin, die kaum der deutschen Sprache mächtig ist, wird ihr Krankheitsgefühl ganz anders übermitteln als die gebildete Frau, die sich zu jedem Symptom im Internet informiert hat. Je schwerer die objektiven Parameter der Prä-Eklampsie, desto gravierender sind die subjektiven Symptome: Bauchschmerzen, die sich als Nausea, Gefühl allgemeiner Übelkeit, aber auch stechender Schmerz im rechten oberen Abdominal-Quadranten manifestieren kann, Kopfschmerzen mit und ohne Seh-
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störungen, Schwindel, Parästhesien. Alle Schwangeren haben eine leichte Hyperreflexie, daher ist die neurologische Untersuchung im Einzelfall sehr unspezifisch für die Feststellung einer erhöhten Eklampsie-Neigung bei der PräEklampsie-Patientin. Schließlich ist noch die Ödem-Neigung zu beachten, die sich im Auftreten von Beinödemen manifestieren kann – wie bei vielen gesunden Schwangeren – aber auch in dramatischen Ödemen im Gesichts- und Halsbereich, die bei einem notwendigen Kaiserschnitt erhebliche Intubationsprobleme bereiten können. Schließlich muss noch die Oligurie als wichtiges Symptom beachtet werden, was aber meist nur nach Legen eines Dauerkatheters und bei gewissenhafter Einfuhr-Ausfuhrbilanzierung gelingt. Am Allerwichtigsten ist aber die Blutdruckmessung, wobei rezente Studien zeigten, dass nicht nur der erhöhte diastolische Blutdruck prognostisch ungünstig ist, sondern bereits systolische Blutdruckwerte um 160 dramatische Folgen bei der unbehandelten Prä-Eklampsie-Patientin haben können (Cunningham 2005).
Hellp-Syndrom Die im Fallbeispiel zu Beginn des Kapitels beschriebene Patientin hatte sowohl Eklampsie als auch ein Hellp-Syndrom. Daher muss an dieser Stelle auch kurz das Hellp-Syndrom erwähnt werden (H – hemolysis; EL – elevated liver enzymes; LP – low platelets), welches bei ca. 1 von 300 Schwangeren auftritt und neben der Eklampsie die wohl gefährlichste Komplikation während der Schwangerschaft darstellt. Es ist eine Sonderform der Prä-Eklampsie, die durch erhebliche Synthesestörungen der Leber gekennzeichnet ist. Der fulminante Verlauf kündigt sich meist mit starken Oberbauchschmerzen an, weshalb Oberbauchschmerzen alleine oder erst recht in Kombination mit Kopfschmerzen bei einer Schwangeren nie bagatellisiert, symptomatisch behandelt oder gar auf den folgenden Tag vertröstet werden dürfen! In den meisten Fällen wird das Hellp-Syndrom zu einer raschen Beendigung der Schwangerschaft mittels Sectio führen, unter intensivmedizinischen Bedingungen mit exakter Überwachung der Patientin ist eine konservative Therapie bis zur Wirksamkeit der medikamentös induzierten fetalen Lungenreifung möglich (Visser und Wallenburg 1995, Haddad et al. 2000).
Ätiologie der Prä-Eklampsie Im Foyer des Lying-in Hospital, der größten Universitäts-Frauenklinik in Chicago, hängt zwischen Gedenkplatten für Semmelweis und Porro demonstra-
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tiv eine leere Marmor-Gedenkplatte, auf die der Name dessen graviert werden soll, der eines Tages „das Geheimnis der Prä-Eklampsie“ lüftet. Die Prä-Eklampsie ist eine reine schwangerschaftsspezifische Erkrankung des Menschen. Nach der oben zitierten Definition besteht das Krankheitsbild aus hohem Blutdruck und Proteinurie, die bei einer bis dahin asymptomatischen Schwangeren nach der 20. SSW auftreten. Bei Tieren ist die Prä-Eklampsie nicht bekannt, erst vor kurzem gelang die vielversprechende Neuzucht von Prä-Eklampsie-Maus- und Ratten-Modellen (Davisson et al. 2002, Sharkey et al. 2001). Die Ätiologie der Prä-Eklampsie liegt nach wie vor im Dunkeln, es scheint aber sicher zu sein, dass Fehler bei der Entwicklung der Plazenta kausal sind. Zu Beginn der Schwangerschaft findet eine Invasion fetaler Zellen, der Trophoblastzellen, in das mütterliche Endometrium statt. Diese Zellen wachsen bei der gesunden Schwangeren ein Stück weit entlang der mütterlichen Blutgefäße und kleiden deren Innenwand regelrecht aus. Dadurch werden die Spiralarterien des Endometriums zu einem Gefäßpool mit niedrigem Widerstand, dessen Wände sich nicht kontrahieren können. Auf diese Weise kommt nährstoff- und sauerstoffreiches mütterliches arterielles Blut direkt zur Placenta, die Zufuhr kann durch lokale Vasokonstriktion auch nicht eingeschränkt werden, dies wird durch die Auskleidung der Endstrombahn der mütterlichen Gefäße mit fetalen Zellen verhindert. Wenn diese Trophoblastinvasion aber unvollständig ist, so ist die Basis für eine Reihe von für die Mutter und das sich entwickelnde Kind schädlichen Entwicklungen gelegt. Da die Spiralarterien nicht so ausgeweitet sind, wie bei normaler Trophoblastinvasion, gelangt in Folge weniger mütterliches Blut pro Zeiteinheit zur Austauschfläche mit der Plazenta. Dies führt zu einem Minderwuchs der Plazenta, was wiederum zu einer Wachstumsretardierung des Kindes führt. Eine der Theorien zur Entstehung des Hochdrucks bei Prä-Eklampsie ist die, dass der mütterliche Körper durch Blutdruckerhöhung versucht, gegen den Widerstand der nicht dilatierten Spiralarterien doch noch Blut in Richtung des sich entwickelnden Kindes zu pumpen. Einzelne Autoren gehen so weit, dem unterernährten Fetus zu unterstellen, dass er dem mütterlichen Organismus Signale gibt, damit dieser durch eine Erhöhung des Blutdrucks für eine bessere Versorgung seiner Plazenta sorgt (Haig 1993). Jeder Gynäkologe kennt den Befund, wenn bei einer Sectio Caesarea an einer Prä-Eklampsie-Patientin bei Eröffnung des Peritoneums eine Menge Ascites herausrinnt. Bei der gesunden Schwangeren ist von den ersten Wochen nach der Konzeption an das Plasmavolumen erhöht, ein Zustand, der als „physiologische Hämodilution der Schwangerschaft“ bezeichnet wird. Ein zentrales pathophysiologisches Element der Prä-Eklampsie ist, dass das intravasale Volumen der betroffenen Schwangeren auf dem der nichtSchwangeren bleibt, dagegen aber das interstitielle Volumen deutlich erhöht ist. Diese Leakage ins Interstitium führt bei der Schwangeren zu geringerer kardialer Preload, erhöhtem kardialen Auswurf und Hypovolämie. Segmen-
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tale Vasospasmen in den Arteriolen führen zu erhöhten arteriellen Druck, die dadurch potenziell geschädigten Organe sind Leber, Niere und Gehirn. Die Nierenperfusion ist bei der Prä-Eklampsie reduziert, und auf dem in der Gravidität unphysiologisch niedrigen Niveau einer Nicht-Schwangeren. Als Ursache für eine derartige Dysfunktion der Trophoblastinvasion gibt es immunologische, entzündliche und auch genetische Interpretationen: Immunologisch: Eine der gängigen immunologischen Erklärungen ist die, dass an der Oberfläche der Trophoblastzellen HLA-G exprimiert ist und sich im engsten Kontakt mit dem mütterlichen Gewebe befindet. Eventuell liegt
Tabelle 4. Labor-Parameter bei Prä-Eklampsie (Rath et al. 2002). In Anlehnung an die Working Group on High Blood Pressure in Pregnancy 2000 und Martin Jr et al. 1999) Parameter
Pathologisch – Hinweis auf Prä-Eklampsie
Hämoglobin
> 13 g/dl
Hämatokrit
> 38%
Thrombozyten
< 100.000/µl
– ein Abfall der Thrombozyten muss innerhalb weniger Stunden kontrolliert werden (Cave: Hellp-Syndrom) SGPT
Anstieg
SGOT
Anstieg
LDH
Anstieg
Bilirubin (indirekt)
> 1,2 mg/dl
Harnsäure
> 6 mg/dl
Kreatinin
> 1,2 mg/dl
Eiweiß im Urin
> 0,3 g/24 h
Haptoglobin
Abfall
Andere Blutgerinnungsteste (z.B. Antithrombin
< 70%
Fibrinogenabfall
< 150 mg/dl
D-Dimer Anstieg oder vergleichbare Tests wie TAT (Thrombin-Antithrombin-Komplex) oder FP 1+2 (Prothrombin-Fragmente)
Eklampsie und Prä-Eklampsie
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die Ursache für die Invasionsstörung in einer Veränderung in den HLA-GOberflächenproteinen (Nelson 2001). Inflammatorisch: Eine entzündlichen Reizung des Endothels gilt auch als Ursache für die spätere Entwicklung von Prä-Eklampsie und Eklampsie. Genetisch: Dies beruht darauf, dass Prä-Eklampsie-Patientinnen gehäuft Störungen im Gerinnungssystem aufweisen: Frauen mit Thrombophilie, Antiphospholipidsyndrom, Faktor V-Leiden-Mangel, Protein-C-Resistenz, Hyperhomozysteinämie und eine Reihe weiterer Defizite in diesem komplexen System haben ein deutlich erhöhte Inzidenz von hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen bis zur Eklampsie (de Groot et al. 1999, van Pampus et al. 1999). Während es vor wenigen Jahren noch so schien, als ließe sich das Problem der Prä-Eklampsie auf jene Frauen reduzieren, die eine genetische Störung in einem oder mehreren Gerinnungsfaktor hatten, so zeigte die intensive Beschäftigung mit der Gerinnung, dass die Thrombophilie-Neigung nur einen Teilaspekt des komplexen Problems erklärt. Bei der Assoziation zwischen Faktor-V-Leiden und Prä-Eklampsie erwies sich bei Metaanalysen, dass je kleiner eine Studie war, desto stärker die Assoziation erschien, je größer die Patientinnengruppen, umso schwächer (Morrison et al. 2002).
Der Zusammenhang zwischen Prä-Eklampsie und Eklampsie Die Eklampsie ist keine gesetzmäßige Fortsetzung der Prä-Eklampsie. Sie scheint viel eher ein „Subset“, eine spezifische Pathologie, zu sein, die bei einem kleinen Prozentsatz der Prä-Eklampsie-Patientinnen auftritt. In einer rezenten Studie, in der 53 Fälle von Eklampsie analysiert wurden, waren in 32 von 53 Fällen (60%) die epileptischen Krämpfe das allererste Symptom, d.h. es war keine Phase mit erkennbarer Prä-Eklampsie vorausgegangen. In diesem Kollektiv wären nur 9 der 53 Fälle bei strikter Befolgung der Standards und Leitlinien zu verhindern gewesen (Katz et al. 2000). In einer weiteren Studie mit 89 Patientinnen mit Eklampsie hatten 29 Frauen (33%) den eklamptischen Anfall nach der Geburt, 23 dieser 29 hatten die Eklampsie später als 48 Stunden nach der Geburt, eine Zeit, in der die Wöchnerinnen in vielen Ländern, in denen das klinische Wochenbett abgeschafft wurde, schon lange wieder zu Hause sind. Der Großteil dieser Frauen hatte Prodrome, 87% hatten Kopfschmerzen, 44% Visusstörungen und 22% Nausea. Nur 7 der 21 Frauen gingen wegen der Beschwerden zum Arzt, nur bei einer einzigen Frau wurde auf Grund der Prodrome die richtige Diagnose gestellt (Chames et al. 2002).
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Geburtsleitung, Geburtsmodus Es gibt keine verbindliche Empfehlung zum Geburtsmodus bei Frauen mit Prä-Eklampsie. Wenn die Schwangerschaft beendet werden soll, kann durchaus eine Vaginalgeburt angestrebt werden. Diese muss – meist mit Prostaglandinen – eingeleitet werden, wobei die Geburtsdauer umso länger zu kalkulieren ist, je unreifer der Muttermundbefund zu Beginn der Einleitung ist. Wenn bei der Schwangeren nicht eine Neigung zur Frühgeburtlichkeit besteht, wird der Befund umso unreifer sein, je früher im dritten Trimenon der Schwangerschaft die Notwendigkeit zur Schwangerschaftsbeendigung auftritt. Auch wird eine medikamentöse Geburtseinleitung bei einer Frau, die ihr erstes Kind bekommt, wesentlich länger dauern als bei einer Mehrgebärenden. In größeren Studien zeigte sich bei Geburtseinleitung bei Prä-Eklampsie eine längere Geburtsdauer und auch eine höhere Sectiofrequenz als bei Frauen, die wegen anderer Indikationen eingeleitet wurden (Edwards und Witter 1997). Die Wahrscheinlichkeit, dass die Einleitung ein Misserfolg wird und man nach mehreren Stunden frustraner Wehen doch zur Kaiserschnittentbindung übergehen muss, ist bei Frauen mit Prä-Eklampsie viermal höher. Magnesium, das auch lange als Tokolytikum gegeben wurde, kann auch unter der Geburtseinleitung weiter intravenös gegeben werden, es hat keinen nachweisbaren wehenhemmenden Effekt, wenn eine Schwangerschaft wegen schwerer Prä-Eklampsie eingeleitet werden muss. Frauen unter Magnesium hatten keinen längeren Geburtsverlauf, als jene, die zur Anfallsprophylaxe Phenytoin bekommen hatten (Atkinson et al. 1995). Auch wenn die Aussicht, bei einer schweren Prä-Eklampsie vor dem Geburtstermin zu einer Vaginalgeburt zu kommen, nicht besonders gut ist, sollte die klinisch überwachte Vaginalgeburt mit der Patientin in einer Besprechung der Geburtsmodi als Alternative zur Sectio dargelegt werden. Nach der Geburt – gleichgültig ob vaginal oder per Sectio – sollte Magnesium intravenös noch 24–48 Stunden weiter gegeben werden. Wenn nach Absetzen der intravenösen Medikation noch Druckwerte höher als 160/110 gemessen werden, wird empfohlen, die Infusion noch einmal für 24 Stunden zu geben (Isler et al. 2003).
Eklampsie und Prä-Eklampsie
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Prä-Eklampsie-Therapie
Antihypertensive Therapie Der Hochdrucktherapie in der Schwangerschaft sind ganze Kongresse, eigene Zeitschriften- und Monographie-Reihen und sich konkurrierende internationale Fachgesellschaften gewidmet. Eine nur einigermaßen fundierte Übersicht würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen und es wird auf die regelmäßig erscheinenden Review-Artikel verwiesen (Khedun et al. 1997). Ziel der Pharmakotherapie soll es sein, den mütterlichen Blutdruck auf etwa 150/100 zu senken, zu rasche und zu drastische Blutdrucksenkungen können vor allem dem Feten, aber auch der Mutter, massiven Schaden zufügen. 1. Alfa-Methyl Dopa ist ein zentral wirksamer „falscher Neurotransmitter“, der den peripheren Gefäßwiderstand reduziert, ohne den Output des Herzens zu beeinflussen. Es ist das Medikament mit dem verbreitetsten Einsatz in der Schwangerschaft, an dessen Sicherheit und Zuverlässigkeit alle weiteren Medikamente gemessen werden. Methyl-Dopa wird mit 250 mg im 6-StundenAbstand begonnen und kann bei mangelnder Wirkung auf 500 mg viermal täglich gesteigert werden. Die Tageshöchstdosis beträgt 4 g/d. 2. Dihydralazin (Nepresol®) ist eines der ältesten und auch bewährtesten Antihypertensiva, das direkt über die Relaxation der glatten Arteriolenmuskulatur wirkt. Intravenös als Bolus oder als Dauerinfusion gegeben stellt es derzeit immer noch die Standardtherapie dar, die eine Schwangere erhält, die mit deutlich erhöhtem Blutdruck in ein Krankenhaus kommt. Durch zu rasche Blutdrucksenkung wurden Fälle von akutem fetalen Distress beschrieben. Ein weiterer Nachteil ist der sehr unterschiedliche Wirkungseintritt. Bei Tachykardie ist Dihydralazin kontraindiziert, Anwendung gleichzeitig mit Betablockern und Kalziumantagonisten sollte vermieden werden. Die orale Therapie (25–50 mg zweimal täglich; bis zu 200 mg auf den Tag verteilt) ist z.B. in Österreich nicht mehr möglich, da der Hersteller die Tablettenform vom Markt genommen hat. 3. Nifedipin (z.B. Nifebene®). Zu diesem Kalziumantagonisten aus der Gruppe der Dihydroperidin-Derivate liegen in der Schwangerschaft die meisten Erfahrungen vor. Er wird oral gegeben, begonnen wird mit 10-mgKapseln, die unter entsprechender Kontrolle im 30-Minuten-Abstand verabreicht werden. Die maximale Tagesdosis beträgt 120 mg/d. 4. Labetalol (z.B. Trandate®). Dieser kombinierte Beta- und Alfablocker (Verhältnis Beta- zu Alfa-Blockade 7:1) ist vor allem in Skandinavien und England als first-line-Therapie der Prä-Eklampsie weit verbreitet. Labetalol senkt den Blutdruck, ohne die utero-plazentare Perfusion zu vermindern (Belfort
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et al. 2002). Labetalol kann intravenös und oral gegeben werden. Die orale Anfangsdosis beträgt 300 mg und die höchste Tagesdosis 2400 mg/d. 5. Betablocker (z.B. Seloken®) führen zu einer Reduktion des kardialen Outputs, damit auch zu einer Minderdurchblutung des Uterus. Zurückhaltung ist bei diesen Medikamenten auch in Verbindung mit anderen der oben angeführten Antihypertensiva angezeigt (Vermillion et al. 1999). Für die Behandlung des Hochdrucks bei Prä-Eklampsie sind ACE-Hemmer ungeeignet. Bei dieser Medikamentengruppe wurden fetale Fehlbildungen, vor allem der Nieren und der Nierengefäße sowie der Schädelknochen, beobachtet. Hochdruckpatientinnen, die schwanger werden, sollten so rasch als möglich von ACE-Hemmern auf andere Antihypertensiva umgestellt werden. Ebenfalls kontraindiziert sind – bis auf Ausnahmesituationen – in der Schwangerschaft die Thiazid-Diuretika wie Lasix®, da sie das intravaskuläre Volumen reduzieren. Es herrscht Konsens darüber, dass eine gezielte Hochdrucktherapie erst ab Druckwerten von über 160/105 begonnen werden soll. Für einen günstigen Effekt einer Behandlung der leichten Hypertonie in der Schwangerschaft gibt es keine Evidenz, weder für den mütterlichen, noch für den fetalen Outcome. Durch die Behandlung hat die betroffene Patientin – auch die chronische Hypertonikerin – kein reduziertes Risiko von Prä-Eklampsie.
Hämodilution Nicht unumstritten, aber nach wie vor verbreitet ist die therapeutische Hämodilution bei Prä-Eklampsie (Boito et al. 2004). Schwangere mit PräEklampsie haben einen niedrigen kolloidosmotischen Druck, daher kann zu großzügige Hämodilution zu einem Lungenödem und selbst einem Hirnödem führen. Ein Lungenödem kündigt sich mit Tachypnoe und Tachykardie an, besonders gefährdet ist die Frau unmittelbar nach der Geburt. Hier muss gerade das in der Vor- und Nachbereitung einer Sectio übliche großzügige „tropfen lassen“ von Infusionen genau überwacht werden. Häufige Kontrollen und exakte Pflege- und OP-Überwachungsprotokolle bei Hämodilution werden dringend empfohlen. Ziel der Therapie muss sein, eine mütterliche Gefäßschädigung durch den hohen Blutdruck zu vermeiden, dabei aber den Blutdruck nicht so weit zu senken, dass die utero-plazentare Perfusion in Mitleidenschaft gezogen wird. Konsens besteht, dass ein mehrfach gemessener diastolischer Blutdruck von 110 mm/hg und darüber mit Antihypertensiva therapiert werden muss.
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Sehstörungen in der Schwangerschaft Berichtet eine Schwangere über Sehstörungen, so muss zunächst einmal der Verdacht auf ein Hirnödem und/oder eine angehende kortikale Blindheit bei nicht erkannter Prä-Eklampsie und Hellp-Syndrom im Vordergrund stehen (Amata 2001). Der erste Schritt muss eine Blutdruckkontrolle und eine Harnkontrolle auf Eiweiß sein. Bei normalem Blutdruck und bei einschlägiger Anamnese ist eine Migräne wahrscheinlich (siehe Kapitel Migräne und andere Kopfschmerzen). Als weitere mögliche Differentialdiagnosen der Sehstörung in der Schwangerschaft sind die exsudative Netzhautablösung, eine Okklusion der Retina-Arteriolen bei Fruchtwasserembolie, eine Optikusneuritis bei Multipler Sklerose, eine Chiasma-Ischämie bei venöser Thrombose oder eine Chiasmakompression bei Hypophysentumoren. Eine diabetische Retinopathie entsteht ca. 15 Jahre nach Beginn der Grunderkrankung, also bei der juvenilen Diabetikerin mit frühem Krankheitsbeginn (und inadequater Therapie) genau in dem Alter, in dem sie schwanger ist. Die Methanol-Intoxikation in der Schwangerschaft wurde in Mitteleuropa und den USA bei polytoxikomanen Drogensüchtigen beschrieben (Hantson et al. 1997, Belson und Morgan 2004). Die bei unterernährten Schwangeren in Nepal, Kambodscha und Indien beschriebene Nachtblindheit Ratauni ist auf einen Vitaminmangel zurückzuführen und sollte bei Migrantinnen mit Sehstörungen in die Differentialdiagnose mit einbezogen werden (Christian 2002).
Langzeitfolgen In einer rezenten Langzeitstudie aus Schottland zeigte sich, dass Frauen, die in der Schwangerschaft Prä-Eklampsie hatten, nicht nur eine erhöhte Wahrscheinlichkeit hatten, später im Leben Hypertonie zu entwickeln, sondern auch später eine deutlich erhöhte Mortalität an Schlaganfällen aufwiesen. Eine norwegische Studie zeigte einen Zusammenhang von Prä-Eklampsie vor der 37. SSW mit einer 8-fachen Erhöhung des Risikos, in den nächsten 13 Jahren des Beobachtungszeitraums an einer kardiovaskulären Erkrankung zu versterben. Auch diese Zahlen betreffen Prä-Eklampsie-Fälle und nicht Fälle von Eklampsie. Da die Eklampsie eine der extremsten Ausprägungen der Prä-Eklampsie ist, muss gerade das kleine Kollektiv der Patientinnen nach Eklampsie als besonders Insult-gefährdet im späteren Leben gelten.
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Wiederholungsrisiko, Prophylaxe Jede von Eklampsie oder Prä-Eklampsie betroffene Patientin interessiert sich in erster Linie, ob es in der nächsten Schwangerschaft wieder zu einem Auftreten der Symptome kommen wird. Die Risikoberechnungen sind für Patientinnen wie für Therapeuten verwirrend und im Einzelfall nicht besonders hilfreich. Sie reichen von 5% bei spät aufgetretener Eklampsie bis zu 25% Wiederholungsrisiko bei „early onset“ Prä-Eklampsie, jenen Fällen, bei denen die Symptome schon um die 20. SSW manifest wurden. Auch Frauen mit Hellp-Syndrom zeigen ein signifikantes Wiederholungsrisiko, in jedem größeren Klinikum kennt man aus dem eigenen Einzugsbereich Frauen, die hintereinander bei drei Schwangerschaften Hellp-Syndrom entwickelten (Sibai et al. 1995). Hoffnungen auf eine taugliche medikamentöse Prophylaxe haben sich bisher kaum erfüllt. Weder Fischölkapseln, noch orales Magnesium noch zahlreiche andere Medikationen und diätetische Maßnahmen haben in kontrollierten Studien an großen Patientinnengruppen einen nachweislichen Nutzen gebracht (Takser und Fraser 2004). Eine besondere Rolle spielt Aspirin: nachdem es in den 1980er Jahren schien, dass Aspirin das Breitband-Prophylaktikum gegen Hochdruckerkrankungen in der Schwangerschaft sein könnte, erschienen nach 1990 einige ernüchternde Multizenterstudien. In den letzten Jahren zeigt sich aber, dass die Prophylaxe mit niedrig dosiertem Aspirin, am besten schon perikonzeptionell begonnen, bei Frauen mit einer durch die vorhergehende Schwangerschaft belastenden Anamnese zu einer niedrigeren Rezidiv-Häufigkeit führt (Ruano et al. 2005, Coomarasamy et al. 2003, Duley et al. 2004). Denkbar wäre es, dass sich auf Basis der derzeit laufenden Studien in einigen Jahren eine Kombination von Aspirin mit Kalzium, Vitamin C und E zur Prä-Eklampsie-Prophylaxe bei Frauen mit spezifischen Risiken etabliert. Sowohl bei Frauen mit einer entsprechenden Vorbelastung (Mutter oder Schwestern hatten Prä-Eklampsie-Schwangerschaften), als auch bei Frauen mit Prä-Eklampsie-Eklampsie-Hellp-Syndrom bei der ersten Schwangerschaft kann derzeit bei einer weiteren Schwangerschaft nur engmaschige Kontrolle von Mutter und Fetus, Ultraschallüberwachung einschließlich Doppler und vor allem Achtsamkeit auf mögliche Prodrome der Erkrankung – durch die Schwangere selbst und ihre Therapeuten – eine adäquate Prophylaxe darstellen.
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Epilepsie
Gerhard Luef
Epilepsie
Epidemiologie Epilepsie ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen. Epilepsien umfassen eine Vielzahl von heterogenen Erkrankungen, welche epileptische Anfälle als gemeinsames Symptom besitzen. 0,5–1% der Bevölkerung leidet an Epilepsien. Die Inzidenz für einen ersten unprovozierten Anfall rechnet man auf 26–70 pro 100 000 Einwohner (Hauser 1997, Olafson und Hauser 1999, MacDonald et al. 2000). Die Inzidenz ist aber nicht für alle Altersgruppen gleich. Sie gestaltet sich zweigipfelig mit einem Gipfel in den ersten Lebensmonaten und einem zweiten dann im höheren Alter. 50% der Epilepsien beginnen vor dem 20. Lebensjahr, 25% erst nach dem 60. Lebensjahr.
Pathogenese und Vererbung Zwei Faktoren tragen entscheidend zum Auftreten einer Epilepsie bei, wobei diese Faktoren einzeln wirksam sein oder auch zusammenwirken können: – eine ererbte Bereitschaft zu epileptischen Anfällen, – eine angeborene oder erworbene Hirnschädigung. Epilepsie ist also keine Erbkrankheit im engeren Sinn, denn es werden nicht die Anfälle an die Nachkommen vererbt, sondern nur die Neigung zu Anfäl-
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Gerhard Luef
len. Nur bei ca. 5–10% der Kinder und Jugendlichen mit Epilepsien ist die Epilepsie vererbt worden. Finden sich bei einem Menschen, der keine weiteren Erkrankungen neben einer Epilepsie hat, in der Familie weitere Personen mit einer Epilepsie, so nennt man diese Form idiopathische Epilepsie. Neben der idiopathischen beschreibt man noch die symptomatische Epilepsie. Die angeborene oder erworbene Hirnschädigung überwiegt als Ursache für diese Form bei weitem, wobei es zahlreiche unterschiedliche Möglichkeiten der Hirnschädigung gibt. Weitaus am häufigsten handelt es sich um schädigende Einflüsse, welche das Gehirn während seiner Entwicklung treffen, also bereits vor der Geburt, während der Geburt und in den ersten Lebensjahren. Bei Kindern spielen vor allem vorübergehender starker Sauerstoffmangel (z.B. bei der Geburt), Infektionen, Hirnfehlbildungen und Stoffwechselstörungen eine Rolle. Daneben können Hirnverletzungen durch Unfälle, Infektionen, Hirntumoren und Durchblutungsstörungen in jedem Lebensalter zu epileptischen Anfällen führen. Entgegen früherer Vermutungen ist es wichtig zu wissen, dass in der ganz überwiegenden Zahl der symptomatischen Epilepsien kein fortschreitendes Hirnleiden besteht, sondern dass meist die Narbe einer längst abgelaufenen Hirnschädigung für das Auftreten der Anfälle verantwortlich ist. Die Einteilung der epileptischen Anfallsformen erfolgt nach dem Vorschlag der internationalen Liga gegen Epilepsie (Commission on classification and terminology 1989) (Tabelle 1). Schwangerschaften epilepsiekranker Frauen beschäftigen Neurologen und Gynäkologen gleich häufig. Die Fertilität epilepsiekranker Frauen ist auf 50–80% im Vergleich zu gesunden Gleichaltrigen vermindert. Dies hat biologische, medikamentöse und psycho-soziale Gründe, die in den folgenden Bereichen Partnerschaft/Kinderwunsch, (Hypo-) Sexualität, Konzeption, Schwangerschaftsverlauf ihren Niederschlag finden. Etwa 1% aller Schwangeren leiden an einer Epilepsie. Die Mehrzahl dieser Schwangerschaften verläuft komplikationslos und es werden gesunde Kinder geboren. Eine Epilepsie stellt also in der Regel keinen Grund dar, auf Kinder zu verzichten. Es besteht zwar für Kinder epilepsiekranker Eltern ein leicht erhöhtes Fehlbildungsrisiko, die Angst vor Fehlbildungen ist aber meist zu groß und das Risiko kann zusätzlich verringert werden, wenn eine Schwangerschaft sorgfältig geplant wird und vorbeugende Maßnahmen getroffen werden. Etwa 0,3–0,5% aller Geburten betreffen Frauen mit einer Epilepsie. Zahlreiche Fragen wie „hat die Schwangerschaft einen Einfluss auf Epilepsien“ oder „haben Epilepsien einen Einfluss auf das geburtshilfliche Outcome“, sowie zum prinzipiellen Management von Epilepsie bei Frauen im gebärfähigen Alter, zur Teratogenität von Antiepileptika (AED) und epilepsiebezogene Notfälle während der Schwangerschaft, treten häufig auf. Ärzte werden von ihren Patientinnen häufig gefragt: „Darf ich schwanger
Epilepsie
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werden? Schaden mir die Antiepileptika? Darf ich mein Kind stillen?“ Aufgrund einer unrealistischen Risikoeinschätzung bezüglich Genetik, teratogenem Risiko, Gefahr durch Anfälle und Versorgung des Kleinkindes werden Frauen häufig falsch beraten. Tabelle 1. Klassifikation epileptischer Anfallsformen (Int. Liga gegen Epilepsie, 1981) 1.
Partielle (fokale, lokalisierte) Anfälle
1.1.
Einfache partielle Anfälle (ohne Bewusstseinsstörung)
1.1.1. mit motorischen Zeichen fokal motorisch ohne March fokal motorisch mit March (Jackson-Anfall) versiv postural phonatorisch (Vokalisation ohne Unterbrechung des Sprechens) 1.1.2. mit somatosensorischen oder spezifisch-sensorischen Symptomen (elementare Halluzinationen) somatosensorisch visuell auditiv olfaktorisch gustatorisch vertiginös 1.1.3. mit autonomen Symptomen oder Zeichen epigastrische Sensationen Blässe Schwitzen Erröten Gänsehaut Pupillenerweiterung 1.1.4. mit psychischen Symptomen, Störungen höherer zerebraler Funktionen (allerdings nur selten ohne Störung des Bewusstseins; häufiger bei komplexen partiellen Anfällen) dysphasisch dysmnestisch (z.B. Déjà-vu-Erlebnis) kognitiv (Dämmerzustände, gestörtes Zeitgefühl) affektiv (Angst, Erregung) Illusionen (Dysmorphopsien) strukturelle Halluzinationen
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1.2.
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Komplexe partielle Anfälle
1.2.1. einfacher partieller Beginn, gefolgt von einer Bewusstseinsstörung mit einfachen partiellen Merkmalen, gefolgt von einer Bewusstseinsstörung mit Automatismen 1.2.2. mit Bewusstseinsstörung zu Beginn nur mit Bewusstseinsstörung mit Automatismen 1.3.
Partielle Anfälle, die sich zu generalisierten tonisch-klonischen Anfällen (GTC) entwickeln (GTC mit partiellem oder fokalem Beginn; sekundär generalisierte partielle Anfälle)
1.3.1. einfache partielle Anfälle mit sekundärer Generalisierung 1.3.2. komplexe partielle Anfälle mit sekundärer Generalisierung 1.3.3. einfache partielle Anfälle, die sich zunächst zu komplexen partiellen entwickeln und danach sekundär generalisieren 2.
Generalisierte Anfälle
2.1.
Absencen nur mit Bewusstseinsstörung mit Automatismen mit leichten klonischen Komponenten mit atonischen Komponenten mit tonischen Komponenten mit autonomen Komponenten
2.2.
Atypische Absencen Tonusveränderungen können deutlicher sein Beginn und Ende des Anfalls häufig nicht abrupt
2.3.
Myoklonische Anfälle einzeln multipel
2.4.
Klonische Anfälle
2.5.
Tonische Anfälle
2.6.
Tonisch-klonische Anfälle
2.7.
Atonische Anfälle
3.
Nicht klassifizierbare Anfälle
Epilepsie
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Es wurde lange Zeit Patientinnen mit Epilepsie abgeraten Kinder zu bekommen. Mit der sich verbessernden Kenntnis der Epilepsie- und Anfallsformen, mit dem wachsenden Wissen über Vererbung der Epilepsie und der Möglichkeit einer besseren Betreuung von Schwangerschaften epilepsiekranker Frauen wird ein Umfeld geschaffen, in dem Patientinnen die Erfüllung des Kinderwunsches erheblich erleichtert werden kann. Auch die Verbesserungen in der Pränataldiagnostik und somit der Früherkennung etwaiger Fehlbildungen und das Erarbeiten verschiedener Möglichkeiten der Vorbeugung haben epilepsiekranken Frauen neue Wege eröffnet. Doch stehen wir noch lange nicht am Ende der Möglichkeiten, um Schwangerschaften dieser Patientinnen sicherer zu gestalten. Es stehen noch viele Fragen offen und es gibt sicherlich noch etliche Verbesserungsmöglichkeiten in der Therapie der Epilepsie in Zeiten einer Schwangerschaft. Um die Therapiemöglichkeiten verbessern zu können, muss aber mehr Klarheit über die verschiedenen Risiken erlangt werden. Beratung Die schwangere Frau mit Epilepsie braucht wesentlich mehr einfühlsame und fachkundige Beratung als eine gesunde Schwangere. Über 90% der Schwangerschaften verlaufen weitgehend problemlos (Delago-Escueta und Janz 1992). Auch die Anfallsfrequenz ist nur bei sehr wenigen Patientinnen gesteigert. Trotzdem ist es wichtig, dass im speziellen Fall einer Schwangerschaft einer Frau mit Epilepsie verschiedene Fachkräfte zusammenarbeiten. Neurologen sollten also mit Gynäkologen, Internisten, Hebammen, Pädiatern und der genetischen Beratungsstelle in Kontakt stehen. Es sollte in Abstimmung mit den anderen Abteilungen eine ideale Therapie erarbeitet werden, mögliche Absetzversuche einer antiepileptischen Therapie besprochen werden und das Risiko von Fehlbildungen und Schwangerschaftskomplikationen gemeinsam erörtert werden. Ein gewisser Anteil von Frauen hat ihre Schwangerschaften nicht geplant oder hat vor Eintreten der Schwangerschaft keinen Arzt aufgesucht. In Tirol suchen 84,9% der Schwangeren vor der 12. Schwangerschaftswoche einen Arzt auf (Oberaigner und Leitner 2003), in den USA im Vergleich dazu nur 50% (American Academy of Neurology 1998). Auch ein Teil der an Epilepsie erkrankten Frauen versäumt es in den ersten paar Wochen unter ärztlicher Kontrolle zu sein. Dies steigert besonders bei diesen Patientinnen das Risiko einer Fehlgeburt oder von Schwangerschaftskomplikationen. Es ist deshalb von besonderer Wichtigkeit genau in diesen ersten paar Wochen die Patientin unter regelmäßiger Kontrolle zu behalten. Schwangerschaften von Frauen mit Epilepsie zeigen öfter Spontanaborte und andere Komplikationen (Russell et al. 1996, American Academy of Neurology 1998). Diese Komplikationen sind wahrscheinlich multifaktoriell. Sie können Folge der Behandlung mit AED sein und beinhalten psychosoziale und sozioökonomische Faktoren.
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Bei einer optimalen Beratung der Schwangeren sollten speziell folgende Punkte beachtet werden: – gute Ernährung und guter Gesundheitszustand vor Schwangerschaftseintritt, – vorsichtiger Umgang mit der Patientin, – Schlafhygiene, – Folsäurezufuhr und entsprechende Serumspiegel, – gute Anfallskontrolle mit möglichst niedriger AED-Zufuhr. Schwangerschaftskomplikationen Verschiedene Studien (Hiilesmaa et al. 1985, Nelson und Ellenberg 1998) berichten von vermehrtem Auftreten von Schwangerschaftskomplikationen wie Gestosen, Blutungen, vorzeitiger Plazentalösung oder vorzeitigen Wehen bei an Epilepsie erkrankten Frauen. Das relative Risiko für Komplikationen ist 1,5- bis 3-mal höher als das von Frauen ohne Epilepsie (Hiilesmaa et al. 1985, Nelson und Ellenberg 1998). Das erhöhte Risiko für Komplikationen ist ebenso multifaktoriell bedingt. Eine aktuelle prospektive Studie von 643 Schwangerschaften von Frauen mit Epilepsie zeigt, dass die Häufigkeit von Komplikationen bei Schwangerschaften von Frauen mit Epilepsie vergleichbar mit jenen ohne Epilepsie ist, außer für Spontanaborte, Anämie, zystische Ovarien und fibroiden Uterus (Sindhu 2005, Thomas 2006). Neben den Anfällen an sich, die durch Hypoxie dem Ungeborenen schaden können und der gewissen Teratogenität der AED spielt auch der Lebensstil der Frau eine große Rolle. Widersprüchliche Berichte gibt es bezüglich erhöhtem Risiko einer nicht proteinurischen Hypertension (Richmond 2004), Prä-Eklampsie, Eklampsie und Plazenta abruptio bei Frauen mit Epilepsie. Wichtig ist auf jeden Fall die Gesundheit der Frau, eine gesunde Ernährung und eine möglichst gute Lebensqualität. Zigaretten, Alkohol und die Einnahme anderer Medikamente oder Drogen sollten vermieden werden. Die Patientin sollte regelmäßig zu ärztlichen Kontrollen gehen. So können schwankende Serumspiegel der Medikamente in den Griff bekommen und etwaige Komplikationen früh erkannt werden. Umfangreiche und gute Betreuung durch einen Facharzt sind deshalb von besonderer Wichtigkeit für eine Senkung der Schwangerschaftskomplikationen und ein positives Ergebnis der Schwangerschaft. Anfallshäufigkeit Beim Großteil der Patientinnen mit Epilepsie bleibt die Anfallshäufigkeit während der Schwangerschaft gleich, 17–35% zeigen hingegen eine Anfallshäufung. Das Risiko für einen Anfall ist im ersten Trimenon und am Ende der
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Schwangerschaft am höchsten. Am höchsten ist die Zunahme von Anfällen unter einer Therapie mit Oxcarbazepin und Lamotrigin (Eurap study group 2006). Bei den meisten Patientinnen liegt die Zunahme von Anfällen jedoch an mangelndem Schlaf oder nicht regelmäßiger Einnahme der antiepileptisch wirksamen Medikamente. Der Grund dafür ist meistens, dass viele werdende Mütter fürchten die Medikamente könnten dem Fetus schaden (Delago-Escueta und Janz 1992). Entbindung Mit Ausnahme weniger Frauen verläuft die Entbindung bei den Patientinnen ohne größere Komplikationen. Nur 1–2% der Mütter haben während der Entbindung Anfälle. Trotzdem scheint es, dass etwas mehr Entbindungen Unterstützung brauchen. Das wären z.B. Einleitung durch den Arzt, Hilfsmittel wie Vakuumpumpe, Forzeps-Zange oder der Kaiserschnitt. Eine finnische Studie (Hiilesmaa 1982, Hiilesmaa et al. 1985) ergab, dass bei 160 Kontrollschwangerschaften genau gleich viele Komplikationen auftraten wie bei den 160 untersuchten Schwangerschaften von Epilepsie-Patientinnen. Deshalb bemerkt Hiilesmaa (Hiilesmaa 1982), dass viele Epilepsie-Patientinnen Unterstützung während der Entbindungen bekommen, auch wenn es nicht wirklich nötig wäre. Diese Aussage bestätigen auch die Angaben des Statistischen Bundesamtes Deutschlands. In einer Pressemitteilung vom 4. November 2003 wird der Prozentsatz von Kaiserschnitten mit 22,6% angegeben. Dieser ist tendenziell steigend – 1991 wurden nur 15,3% der Frauen mittels Sectio entbunden. Vaginal-operative Entbindungen sind im Sinken (Vakuumextraktion: 4,5%, Forzepszange: 1,4%). Diese Angaben sind für gesunde Mütter berechnet worden. Ebenso verzeichnet das Tiroler Geburtenregister 2002 einen ähnlich hohen Anteil an Sectiones (20,9%) (Oberaigner und Leitner 2003). Im Vergleich dazu entbinden 70,1% der Tirolerinnen spontan und 8,5% mittels einer vaginal-entbindenden Operation. 0,5% entbindet durch vaginale Beckenendlagengeburt. Genaue Zahlen zu Entbindungen bei an Epilepsie erkrankten Frauen sind nicht verfügbar. Vererbungsrisiko Epilepsien sind bis auf wenige Ausnahmen keine Erbkrankheit im eigentlichen Sinn. Vererbt wird nämlich nicht die Epilepsie selbst, sondern die Anfallsbereitschaft, also die Neigung zu Anfällen. Leidet ein Elternteil an einer idiopathischen Epilepsie, so liegt das Risiko für das Kind an einer Epilepsie zu erkranken bei 1:25. Hat ein Elternteil eine symptomatische Epilepsie, so beträgt das
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Risiko 1:67. Wenn beide Elternteile an Epilepsie erkrankt sind, überschreitet das Risiko 1:25. Der Vererbungsmodus einer Epilepsie ist nicht einfach zu erstellen, weil nicht alle Anfälle ätiologisch zugeordnet werden können. Retrospektive Studien zeigen einen gewissen genetischen Faktor bei einigen Epilepsiearten. So beschreibt eine australische Studie (Scheffer und Berkovic 2003) den Zusammenhang der idiopathischen Epilepsie mit der Fehlfunktion bestimmter Ionenkanalsubeinheiten, welche mittels Mutationen bestimmter Gene vererbt wird. Jedoch sind die Vererbungsmuster nicht klar. Eine große italienische Studie (Guerrini et al. 2003) berichtet vom Versagen bestimmter Muster im Vererbungsmodus bei Familien mit Epilepsie. Epilepsie der Mutter und primär generalisierte Anfälle erhöhen das Risiko, dass das Kind an Epilepsie erkrankt. Wenn die Mutter aber an einer symptomatischen Epilepsie, z.B. posttraumatisch, leidet, ist das Risiko für das Kind auch an Epilepsie zu erkranken fast vernachlässigbar im Vergleich zum Risiko der Normalbevölkerung. Hier liegt das Risiko zwischen 0,7 und 1% (American Academy of Neurology 1998).
Antiepileptika in der Schwangerschaft Die Dauerbehandlung Die Epilepsie ist eine chronische Erkrankung, welche einer Dauerbehandlung bedarf. Die meisten Patientinnen nehmen AED zur Anfallsreduktion. Da speziell, wie schon erwähnt, in der Schwangerschaft eine optimale Anfallskontrolle gefragt ist, müssen Frauen unter Antiepileptika-Therapie diese meist weiterführen. Dabei sollte das Antiepileptikum mit bester Anfallskontrolle und möglichst niedrigen Nebenwirkungen Mittel der Wahl sein. Am besten wäre es, wenn man das bei der Patientin am besten wirksame Medikament vor Eintreten der Schwangerschaft festlegen könnte, um nicht währenddessen Umstellungen vornehmen zu müssen. Wichtig ist auf jeden Fall, dass man die Serumspiegel der Frau regelmäßig kontrolliert, da diese im Laufe der neun Monate schwanken bzw. wie im Fall von Lamotrigin am ersten Trimenon stark absinken (Tran 2004, Pennel 2004). Es gibt aus tierexperimentellen Studien Hinweise, dass nahezu alle AEDs eine gewisse Teratogenität besitzen. Studien an Patienten sind weniger klar zu definieren, deuten aber auf teratogenen Effekt von AEDs hin. (American Academy of Neurology 1998). Kinder epilepsiekranker Frauen, die während der Schwangerschaft Antiepileptika einnehmen, unterliegen einem erhöhtem Risiko für Fehlbildungen (grobstrukturelle und Minoranomalien), intrauterine Wachstumsverzögerungen und postnatale Entwicklungsstörungen. Das Risiko für große Fehlbildungen unter Monotherapie mit den so genann-
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ten klassischen Antiepileptika ist 2- bis 3-fach erhöht und liegt bei 4–8% gegenüber 2,3% in der Normalbevölkerung (Kretz 2006). Absetzversuche Die sicherlich effektivste Methode, um Nebenwirkungen einer Therapie mit AEDs zu verhindern, wäre diese vor Beginn der Schwangerschaft abzusetzen. Die American Academy of Neurology (AAN) und deren Quality Standards Subcommittee (QSS) (American Academy of Neurology 1998) empfehlen folgende Voraussetzungen: – – – – –
Anfallsfreiheit für zwei bis fünf Jahre, Vorliegen nur einer Art der Epilepsie, normale Resultate bei neurologischen Untersuchungen, normaler Intelligenzquotient, normales EEG.
Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt werden, muss mit einem erneuten Auftreten von epileptischen Anfällen gerechnet werden. Das Risiko für ein Wiederauftreten von Anfällen ist kumulativ, aber am höchsten in den ersten sechs Monaten nach Absetzen der Medikamente. Deshalb ist es wichtig, dass das Absetzen mindestens sechs Monate vor dem Eintreten der Schwangerschaft begonnen wird, damit der Anfang der Schwangerschaft nicht in diese Zeit fällt. Medikamenten-Monitoring Das sorgfältige Monitoring der Einnahme von AEDs, deren Serumspiegel, sowie der Anfallshäufigkeit und Anfallsschwere, ist von großer Bedeutung (American Academy of Neurology 1998). Die körperlichen und psychosozialen Risiken von Schäden bei Mutter oder Fetus, die mit Anfällen während der Schwangerschaft verbunden sind, machen eine möglichst gute Anfallskontrolle zu einem ganz wichtigen Pfeiler in der Behandlung von schwangeren epilepsiekranken Frauen. Deshalb ist es auch ganz wichtig schwangere Patientinnen möglichst umfassend aufzuklären und ihnen die Unumgänglichkeit einer guten Compliance vor Augen zu führen. Auch dass sie regelmäßig die Serumspiegel der einzelnen Wirkstoffe prüfen lassen sollte, muss die Patientin wissen. Wenn Anfälle mit einer Monotherapie gut kontrolliert werden können, sollte man dieses AED beibehalten. Etwaige Änderungen der Therapie zu Zwecken von Risikoreduktion bezüglich der Teratogenität sollten nicht vorgenommen werden. Man würde nämlich damit gleichzeitig das Risiko einer Exazerbation der Anfälle beträchtlich steigern. Wenn man aber doch
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auf Grund einer Anfallshäufung die Therapie ändern muss, sollte man das möglichst erst nach einem mehrwöchigen Bestehen der Schwangerschaft tun, da dann die für letale und schwere Fehlbildungen ausschlaggebende Zeit weitgehend vorüber ist. Sich überlappende Medikamentenkonzentrationen beim Wechsel von einer Monotherapie zu einer anderen belasten den Fetus zusätzlich. Die Compliance der Patientinnen kann während der Schwangerschaft aus Furcht vor der Teratogenität der Antiepileptika herabgesetzt sein. Umfassende Informationen der Mutter über die Schädlichkeit etwaiger Anfälle oder gar eines Status Epilepticus können die Mitarbeit verbessern. Es gibt noch keinen Konsens wie häufig Frauen zur Kontrolle kommen oder wie oft Medikamentenspiegel geprüft werden sollten. AED-Spiegel schwanken während der Schwangerschaft (Luef 1990). Sie sinken während der Schwangerschaft und steigen wieder nach der Entbindung und im Wochenbett. Spiegel freier, nicht proteingebundener Anteile bleiben konstanter. Die Testung der Gesamtspiegel dagegen ist weniger günstig, weil Gesamtspiegel nichts über die Wirkung in der Schwangerschaft aussagen und nicht genug Aussagekraft in Bezug auf hohe bzw. mittlere Spiegel freier Anteile haben (Luef 1991). Eine Untersuchung vor Eintreten der Schwangerschaft und ein Messen der Spiegel freier Anteile am Anfang jedes Trimenons müssten für eine Frau mit Anfallskontrolle ausreichend sein. Häufigere Kontrollen sind dann anzuraten, wenn Anfälle auftreten, wenn die Frau Nebenwirkungen spürt und wenn Non-compliance vermutet wird. Die primäre Indikation für Änderungen der Therapie, sei es in der Dosis als auch des Antiepileptikums, bleiben nach wie vor schlechte Anfallskontrolle und Nebeneffekte der Medikamente. Der starke Spiegelabfall von Lamotrigin am Ende des ersten Trimenons und die beobachtete Anfallshäufung kann eine Dosisadaptierung erforderlich machen (EURAP study group 2006, Tomson et al 2006). Pränatale Diagnostik Alle Patientinnen, die mit AED therapiert werden, sollten über die Möglichkeit der pränatalen Diagnostik informiert werden (American Academy of Neurology 1998, Crawford 2005). Zwischen dem 14. und 21. Entwicklungstag vollzieht sich der Schluss des Neuralrohres. Bogenschlussanomalien können ab der 12. SSW mit dem Ultraschallgerät detektiert werden. Sicher diagnostizieren kann man sie ab der 18. SSW. Zwischen der 20. und 24. SSW lassen sich orofaziale und kardiale Fehlbildungen erkennen. Man kann heutzutage mit Hilfe der neueren hochauflösenden Ultraschallgeräte rund 94% der Neuralrohrdefekte entdecken (Mc Fayden 1998). Auch das Alpha-Fetoprotein (AFP) kann Hinweise auf Entwicklungsprobleme des Fetus geben. Alleiniges Messen des AFPs im Serum reicht jedoch nicht
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aus, weil in 20 bis 25% mit einem falsch negativen Ergebnis gerechnet werden muss. Ab der 16. SSW kann der AFP-Spiegel in der Amnionflüssigkeit gemessen werden. Da diese Untersuchung ein Abortrisiko von 1% birgt, sollte man zuerst die Ergebnisse von Ultraschall und AFP abwarten. In Kombination können Sonographie und AFP-Messung im Serum die Rate der falsch negativen Ergebnisse auf 1% senken. AED-Management post partum Bei einigen Frauen wird es nötig sein, die AED-Dosis, vor allem bei Lamotrigintherapie während der Schwangerschaft zu erhöhen. Deshalb sollte man das Monitoring der nicht-proteingebundenen AED-Spiegel im Serum auch nach der Entbindung fortführen. Mit der Umkehrung der physiologischen Umstellungen während der Schwangerschaft können auch die Medikamentenspiegel acht Wochen nach Entbindung auf die Dosis vor Schwangerschaftseintritt gesenkt werden. Weiterführen der hohen Dosen könnten zu Intoxikation von Mutter und Kind führen.
Fehlbildungen Große Fehlbildungen Kongenitale größere Fehlbildungen sind strukturelle Defekte, die während der Entwicklung eines Organs oder Organsystems auftreten. Diese führen zu erheblicher Dysfunktion des Organs oder zum Tod und müssen operativ behandelt werden. Beispiele für größere Fehlbildungen sind Neuralrohrdefekte, Herzfehlbildungen, Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte, intestinale Atresien und Fehlbildungen des Urogenitaltrakts. Man findet größere Fehlbildungen in 2–3% der Kinder gesunder Mütter. Für Kinder von Müttern mit Epilepsie liegt das Risiko hingegen bei 4–6% (Samren et al. 1997, Morrow 2005). Die Stellung der einzelnen Faktoren, die ein erhöhtes Auftreten von Fehlbildungen bewirken, ist aber noch nicht geklärt. Epilepsie betrifft zwischen 0,5 und 1% der Schwangeren (Russell et al. 1996). Ungefähr 80% dieser Frauen werden mit AEDs therapiert. Sie müssen meist die Therapie in der Schwangerschaft wegen der Gefahr von Anfällen weiterführen. Das Fortführen der Therapie ist aber einer der Risikofaktoren für Fehlbildungen bei den Nachkommen. Speziell die Polytherapie kann in Zusammenhang mit Fehlbildungen gesetzt werden (Kaneko et al. 1998, 1999, Holmes et al. 2001, Holmes et al. 2004, Morrow et al. 2005). Eine große prospektive Studie aus Japan, Italien und Kanada mit 983 Kindern
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(Kaneko et al. 1999) zeigte, dass bestimmte Kombinationen besonders schlecht sind. Valproinsäure mit Carbamazepin und Phenytoin mit Primidon und Phenobarbital brachten dabei das höchste Risiko für Fehlbildungen mit sich. In der Studie bemerkte man auch ein erhöhtes Risiko für einzelne Medikamente. Primidon führte hier die Liste mit 14,3% an, gefolgt von Valproinsäure mit 11,1% und Phenytoin mit 9,1%. Carbamazepin (5,7%) und Phenobarbital (5,1%) hatten ein deutlich niedrigeres Risiko. In der Studie von Kaneko et al. mit 983 Schwangerschaften (Kaneko et al. 1999) wird ein gewisses dosisabhängiges Risiko von Valproinsäure angesprochen. Eine Dosis unter 1000 mg/Tag und ein Serumspiegel unter 70 µg/ml scheinen hierbei die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Fehlbildungen drastisch zu reduzieren. Das UK Schwangerschaftsregister (Morrow et al. 2005) und das firmeneigene Lamotrigin-Register (Cunnington 2005) machen auf das Risiko der Kombination von Valproinsäure und Lamotrigin aufmerksam, welche sich durch den Abbaumechanismus von Lamotrigin erklären lassen (Tomson et al. 2006). Neben den Medikamenten an sich und der teratogenen Wirkung verschiedenster Metaboliten spielen noch andere Faktoren eine wichtige Rolle. Einer dieser Faktoren ist sicherlich der genetische Hintergrund, also die Möglichkeit der Vererbung zur Neigung von Fehlbildungen. Man hat verschiedenste Genloci in Verbindung mit generalisierten familiären Epilepsien gebracht. Es wurden Loci detektiert, die in Zusammenhang mit familiären generalisierten Epilepsien gebracht werden können (Durner et al. 1998). Einer dieser Loci befindet sich auf dem kurzen Arm des Chromosom 6 und zeigt Assoziation mit dem Auftreten der juvenilen myoklonischen Epilepsie (Greenberg et al. 1998). Genetisch determiniert sind neben der Anfälligkeit für Fehlbildungen auch auf der Basis der Vererbung festgelegte Enzymaktivitäten im Bezug auf den Metabolismus reaktiver Zwischenstufen. Wenn eine Patientin als „poor metabolizer“ gilt und somit nur schwache Enzymaktivität aufweist, akkumulieren sich die reaktiven Anteile und erhöhen somit die Wahrscheinlichkeit für Fehlbildungen. Das erhöhte Risiko ist sicher multifaktoriell bedingt, doch zeigt sich schon eine Verbindung zwischen der Einnahme bestimmter Antiepileptika und dem Auftreten spezieller größerer Fehlbildungen. Epileptische Anfälle während der Schwangerschaft Ein wichtiger Faktor sind epileptische Anfälle während der Schwangerschaft. Besonders Anfälle im ersten Trimenon schädigen das Ungeborene. Die vor allem während eines großen Anfalles eintretende Hypoxie ist für das Kind im Mutterleib besonders schädigend. Kleinere Anfälle scheinen weniger Einfluss auf den Ausgang der Schwangerschaft zu haben als Grand-mal-Anfälle (Beyen-
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burg und Schmutzler 2004). Bei großen Anfällen kommt der Fetus in einen Zustand der Hypoxie. Dieser Zustand kann schädigend auf das in diesem Bezug empfindlichste Organ, das Gehirn des Kindes, wirken. Das wiederum kann zu geistigen Entwicklungsstörungen und späteren Lernschwierigkeiten führen. Polytherapie Polytherapie und höhere Medikamentendosen erhöhen das Risiko von Fehlbildungen. Die Kombination von mehreren AED ist bekanntlich schlechter als eine Monotherapie. Eine Studie an nordamerikanischen Frauen (Holmes et al. 2001) beschreibt ein Auftreten von Fehlbildungen bei 28% im Vergleich zu 8,5% bei Kontrollkindern. Dies ergibt eine odds ratio für betroffene Kinder von 4,2. Das bestätigt die Annahme, dass nicht die Kombination per se das Risiko definiert, sondern welche Wirkstoffe zusammentreffen. So hat z.B. die Verbindung von Valproinsäure, Carbamazepin, Phenobarbital, mit oder ohne Phenytoin einen besonders hohen teratogenen Effekt (Lindhout et al. 1984). Ein deutlich erhöhtes Risiko besteht bei Verbindungen mit dem Benzodiazepin, Clonazepam (Samren et al. 1999) und der Kombination von Valproat und Lamotrigin (Morrow et al. 2005) Auch das Einnehmen von Phenobarbital mit Koffein scheint vermehrt Fehlbildungen hervorzurufen. Solange jedoch genaue Wirkungsmechanismen der Metaboliten und Interaktionen verschiedener Stoffe nicht geklärt sind, sind alle Kombinationen von AEDs während der Schwangerschaft mit Vorsicht zu genießen. Sozioökonomischer Status und Familienanamnese Der sozioökonomische Status und die Familienanamnese sind zwei weitere Faktoren, die Einfluss auf das Fehlbildungsrisiko nehmen können. Dafür gibt es mehrere Gründe. Ein Grund ist, dass Mütter, die selbst schon Fehlbildungen haben, eine geringere Chance bei der Partnerwahl haben und auch meist einen niedrigeren Bildungsgrad und ökonomischen Status. Wenn also in der Familie Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen bekannt sind, ist es wahrscheinlicher, dass eines der Nachkommen den genetischen Defekt übernimmt. Dabei muss nicht genau dieselbe Fehlbildung vererbt werden. Meist wird in erster Linie die Prädisposition zu Entwicklungsstörungen weitergegeben. Das bedeutet, dass Nachkommen ein weniger stabiles genetisches Material erhalten und anfälliger für Störungen werden. Es gibt aber auch bestimmte Genloci, denen definierte Fehlbildungen zugeordnet werden können, so wie Lippenspalten und Gaumenspalten einen Locus am kurzen Arm des Chromosom 6 haben (Näheres siehe Kapitel Antiepileptika und Teratogenität).
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Kleine Fehlbildungen Kleine Fehlbildungen sind solche, die nicht operativ behandelt werden müssen. Auch sie gründen in einem Entwicklungsdefekt. Der Zeitpunkt ihrer Entstehung ist aber meistens später anzusetzen und ihr Umfang im Bezug auf Ausdehnung und Schwere ist geringer. Kleine Fehlbildungen sind häufiger als große. Die Häufigkeit einer bestimmten kleinen Fehlbildung im Einzelnen überschreitet aber definitionsgemäß nicht die 4%. Man hat bei der Therapie mit Antiepileptika spezielle Muster von Fehlbildungen entdeckt und beschrieben. Dabei hat man sie in sechs Syndrome eingeteilt. Fetales Trimethadion-Syndrom Die Idee von der Verbindung von Trimethadion mit Fehlbildungen in utero kam 1970 auf, als eine Frau, die unter letztgenannter Therapie vier Aborte erlitten hatte, nach darauffolgender Umstellung auf Primidon zwei gesunde Kinder zur Welt brachte. Man untersuchte danach 14 Kinder von Frauen, die in der Schwangerschaft Trimethadion eingenommen hatten und sah, dass nur zwei dieser 14 Kinder gesund waren. Und nur drei Kinder überlebten, die zwei gesunden eingeschlossen. German und Mitarbeiter beschrieben folgende Fehlbildungen in Verbindung mit Trimethadion-Therapie der Mutter: Entwicklungsrückstand, Augenbrauenstellung in V-Form, niederer Ohrenansatz, intrauteriner Wachstumsrückstand, Herzfehlbildungen, Sprachschwierigkeiten, epikanthale Falte, unregelmäßige Zahnstellung, Mikrozephalus, Inguinalhernie (German et al. 1970). Fetales Hydatoin-Syndrom Das fetale Hydantoin-Syndrom wurde erstmals 1975 beschrieben, wobei Hydantoin in Kombination mit Barbituraten untersucht wurde (Hanson and Smith 1975). Man bemerkt dabei auch die Ähnlichkeit zum fetalen Alkoholsyndrom. Eine andere Studie beschreibt (Hanson et al. 1976), dass 11% der Kinder, deren Mütter Phenytoin eingenommen haben, das Vollbild und weitere 30% Anteile des Syndroms zeigen. Kelly zählt zum fetalen HydantoinSyndrom folgende Fehlbildungen: Kraniofaziale Anomalien, breite nasale Brücke, kurze, nach oben gerichtete Nase, tief sitzende Ohren, stark hervortretende Lippen, epikanthale Falte, Hypertelorismus, weiter Mund, Ptosis oder Strabismus, distale digitale Hypoplasie, intrauteriner Wachstumsrückstand und Intelligenzdefekte (Kelly et al. 1984). Darauffolgende Studien zeigen, dass das Vollbild dieses Syndroms doch eher selten ist. Am häufigsten findet man bei diesen Kindern nur Hypertelorismus oder distale digitale Hypoplasie.
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Primidonembryopathie Bei der Primidonembryopathie werden beschrieben: Hirsutismus an der Stirn, dicke Nasenwurzel, distale digitale Hypoplasie, antevertierte Nasenlöcher, langes Philtrum, gerade dünne Oberlippe, nach unten hängende Mundwinkel und psychomotorische Retardierung. Eine Untersuchung (Gustavson und Chen 1985) bemerkt aber, dass diese Fehlbildungen auch mit einem erniedrigten Folsäurespiegel einhergehen könnten und eben dieser der Auslöser für Entwicklungsanomalien sein könnte. Fetales Phenobarbital-Syndrom In eine skandinavische Studie (Seip et al. 1976) werden Kinder mit verschiedenen typischen Fehlbildungen, die man später im erweiterten Sinn als fetales Phenobarbital-Syndrom bezeichnet hat, beschrieben. Dieses Syndrom beinhaltet folgende Fehlbildungen: Entwicklungsrückstand, kurze Nase, niedere Nasenbrücke, Hypertelorismus, epikanthale Falte, Ptosis, tief liegende Ohren, weiter Mund, vorgewölbte Lippen, Prognathie, distale digitale Hypoplasie. Seip bemerkt aber auch, dass man mit der Zusammenfassung dieser Kombination von Fehlbildungen als Syndrom vorsichtig sein sollte, weil verschiedene andere Einflussfaktoren eine gewisse Rolle spielen könnten. Fetales Valproinsäure-Syndrom Die Verbindung zwischen Valproinsäure-Einnahme der Mutter und Auftreten von Fehlbildungen ist immer noch ein großes und aktuelles Thema. Zahlreiche Studien (Brown et al. 1981, Gomez 1981, Robert und Guibaud 1982) haben sich in der Vergangenheit mit dem erhöhten Risiko für Fehlbildungen beschäftigt. Man zählt im Allgemeinen kraniofaziale Anomalien, eine untere epikanthale Falte, eine kleine, nach vorn gerichtete Nase, eine schmales Philtrum, eine flache Nasenbrücke, eine lange Oberlippe und herabhängende Mundwinkel zu den Fehlbildungen, die mit Valproinsäure-Therapie in Zusammenhang stehen. Über den genauen Mechanismus der Teratogenität ist man sich noch nicht im Klaren. Auf jeden Fall spielt der Abbau von reaktiven Metaboliten eine wichtige Rolle. Ein interessanter Diskussionspunkt ist dabei die Dosisrelation dieses Wirkstoffes. Fetales Carbamazepin-Syndrom Viele Ärzte sind in den letzten Jahren von der Polytherapie nicht mehr auf die Valproinsäure als Monotherapie, sondern auf Carbamazepin (CBZ) umgestiegen (Ceci et al. 1996). Kinder von Müttern mit CBZ-Therapie zeigen
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jedoch auch gemeinsame Fehlbildungen: epikanthale Falte, kurze Nase, langes Philtrum, hypoplastische Nägel, Mikrozephalus und Entwicklungsrückstand. In einer prospektiven Studie, in der das Risiko einer Therapie mit Carbamazepin untersucht wurde, wird berichtet, dass 35 Kinder von 72 Schwangerschaften Fehlbildungen aufweisen. Dabei zeigen 11% kraniofaziale Defekte, 26% Fingernagel-Hypoplasie und 20% Entwicklungsrückstand. Die Ähnlichkeit zwischen Kindern unter CarbamazepinTherapie und solchen mit fetalem Hydantoin-Syndrom ist wahrscheinlich dadurch zu erklären, dass beide Substanzen auf gleichem Wege metabolisiert werden. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass nicht der Wirkstoff selbst, sondern metabolische Zwischenstufen die Teratogenität bestimmen. Das wiederum würde bedeuten, dass interindividuelle Enzymaktivitäten diagnostische Wichtigkeit bekämen. Eine Enzymunterfunktion, wie es bei „poor metabolizern“ der Fall ist, führt nämlich zur Anhäufung von reaktiven Zwischenstufen und somit auch zu einem erhöhten Risiko für Fehlbildungen. Die klinische Relevanz der Unterscheidung der einzelnen Syndrome ist fraglich. Die einzelnen Syndrome sind nämlich nicht einfach abzugrenzen und zeigen etliche Gemeinsamkeiten. So wird die Gesichtshypoplasie mit allen AEDs in Verbindung gesetzt (Yerby et al. 1992). Des Weiteren spielen auch andere Faktoren mit Sicherheit eine gewisse Rolle. Einer dieser Faktoren ist Folsäuremangel. Ebendieser entsteht nämlich bei AED-Einnahme durch gesteigerten Umsatz und reduzierte Dekonjugation. Das Risiko des Folsäuremangels wird zu einem späteren Zeitpunkt noch näher betrachtet. Genetische Prädisposition Das Risiko, ein Kind mit Fehlbildungen unter Antiepileptikaeinnahme zur Welt zu bringen, hängt von mehreren Faktoren ab. Neben dem teratogenen Effekt der Medikamente und der eventuell schädlichen Wirkung von großen Anfällen während der Schwangerschaft könnte auch der genetische Hintergrund eine Rolle spielen. Man hat genetische Defekte identifiziert, die im Zusammenhang mit der Epilepsie stehen. Studien an Familien von Patienten mit Neuralrohrdefekten und Lippen-Gaumen-Spalte und Studien an Familien mit Epilepsie haben gezeigt, dass die Loci der Gendefekte sowohl für Spaltbildungen als auch für die Epilepsie am kurzen Arm des Chromosoms Nummer 6 zu finden sind (Durner et al. 1998). Das untersuchte Gen für Lippenspalte und Gaumenspalte ist gekoppelt mit dem Faktor XIIIa und ist entweder identisch oder gekoppelt mit dem Gen für idiopathische generalisierte Epilepsie, welche nahe der HLA-Region liegt. Der kurze Arm des Chromosoms 6 beinhaltet auch ein menschliches, zum t-Komplex der Maus homologes Gen. Alterationen des t-Komplexes der Maus sind bei der Entwicklung von Defekten der Neuralstrukturen der Maus beteiligt. Wie aber das mensch-
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liche dem t-Komplex der Maus homologe Gen, eine Epilepsie und die Entwicklung von Geburtsdefekten miteinander in Verbindung stehen könnten, ist noch zu klären. Sicher ist, dass familiäre Formen generalisierter Epilepsien an genauen Genloci definiert werden können. Die juvenile myoklonische Epilepsie zeigt z.B. Verbindung zu Veränderungen des Locus EJM-1 auf Chromosom 6 (Greenberg et al. 1998). Verschiedene Allele an diesem Locus scheinen auch für das Auftreten von Absencen und Grand-mal-Anfällen verantwortlich zu sein. Tieferer Einblick in die Welt der Genetik wird also für den Bereich der Einstufung von Fehlbildungsrisiko und Vererbung der Neigung zu Anfällen notwendig sein. Ein großer Erfolg wäre es, wenn man diesen Aspekt bei der Berechnung des Risikos einer Schwangerschaft in Zukunft mit einbeziehen könnte.
Antiepileptika und Teratogenität Pharmakogenetik und Medikamenteninteraktionen Der Metabolismus von Antiepileptika ist ein sehr wichtiger Faktor in Bezug auf deren teratogene Wirkung. Die Aktivität der abbauenden Enzyme unterliegt einer gewissen interindividuellen Variabilität. Sie ist abhängig von der pharmakogenetischen Prädisposition, also von der individuell genetisch festgelegten Möglichkeit, auf einen bestimmten Wirkstoff zu reagieren. Diese Variabilität der abbauenden Enzyme und die Wirkung von zusätzlich eingenommenen Medikamenten sind relevant für das teratogene Potenzial. Wenn eines der Medikamentenbestandteile teratogen ist, so ist das Gleichgewicht zwischen metabolischer Aktivierung und Entgiftung ausschlaggebend. Gesteigerte Aktivierung oder herabgesetzte Entgiftung, oder beides zusammen, führen zur Akkumulation des reaktiven Metaboliten. Genetische Defekte im Ablauf der Entgiftung und Inhibition des Entgiftungsvorgangs durch spezifische Medikamenteninteraktionen zeigen jedoch größere Auswirkung auf die Teratogenität als eine übermäßige Steigerung von Aktivierungsprozessen. Die genauen Wege der Entgiftung, der Ablauf einer verstärkten Aktivierung und die genetische Lokalisation von Defekten dieser Abläufe sind noch nicht geklärt. Bessere Einsicht in diese Abläufe wird uns eine Basis für Prävention durch korrekte Medikamenteneinstellung geben und uns ermöglichen, Vorsorgeuntersuchungen individueller zu gestalten (Lindhout 1992).
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Valproinsäure als Monotherapie Valproinsäure Monotherapie ist bekannt dafür, ein erhöhtes Risiko für große kongenitale Fehlbildungen in sich zu bergen. Ungefähr zehn Jahre nach der Markteinführung haben sich die ersten Zeichen einer möglichen teratogenen Wirkung gezeigt. Tierexperimentell zeigte sich bei Mäusen eine Verbindung zwischen Valproinsäure und Neuralrohrdefekten (Brown et al. 1981). Darauf folgten die ersten Berichte von Neuralrohrdefekten nach ValproinsäureTherapie der Mutter (Gomez 1981, Robert und Guibaud 1982). Ein Risiko von 1–2% wurde anhand dieser ersten und einiger kleinerer retrospektiver Studien angenommen. Studien, die mehrere Zentren zusammenfassen, haben ein Risiko von 3,8% ergeben (Samren et al. 1997). Diese Untersuchungen haben auch eine deutliche Tendenz zu bestimmten Fehlbildungen im Zusammenhang mit der Neuralrohrentwicklung gezeigt. In einer Berliner Untersuchung (Koch et al. 1992) hat man das Ergebnis von Schwangerschaften epilepsiekranker Frauen zwischen den Jahren 1976 und 1990 zusammengefasst und sich mit der Wirkung einiger bestimmter Antiepileptika in Monotherapie speziell beschäftigt. Die Studie hat dabei ein beträchtliches Risiko für Malformationen bei Valproinsäure-Monotherapie und ein etwas weniger hohes Risiko bei mütterlicher Einnahme von Phenytoin oder Phenobarbital ergeben. Die Ergebnisse haben aber auch ein gewisses Risiko bei allen Antiepileptika in der Schwangerschaft belegt. Im Allgemeinen ist die Fehlbildungsrate zweimal höher gewesen als bei Frauen, die keine Antiepileptika eingenommen hatten. Eine Studie der Universitätsklinik Rotterdam (Samren et al. 1997) hat ebenfalls das erhöhte Risiko einer Valproinsäure-Monotherapie bestätigt. In dieser Studie sind die Ergebnisse von fünf europäischen Studien nochmals aufgearbeitet und zusammengefasst worden. Sie bestätigen das relativ hohe Risiko, das von einer Valproinsäure-Monotherapie ausgeht: Das absolute Risiko für Neuralrohrdefekte ist bei 3,8% gelegen, im Unterschied zu 1,0% bei Carbamazepin und nahezu 0% bei andere Monotherapien. Eine Zusammenfassung der fünf europäischen Studien (Samren et al. 1997) hat überdies auf die besondere Relevanz der Dosierung von Valproinsäure in Monotherapie hingewiesen. Es wird eine gewisse Verbindung zwischen der Häufigkeit bestimmter Fehlbildungen und Dosen über 1000 mg/Tag ersichtlich. Zu diesen Malformationen gehören hauptsächlich Neuralrohrdefekte und Hypospadie. Frauen mit Dosen unter 600 mg/d hatten keinen Anstieg des Risikos gezeigt. Auch in einer japanisch-italienischen Arbeit wird von deutlich erhöhten Risiken bei Valproinsäure-Therapie über 1000 mg/Tag oder einem Serumspiegel höher als 70 µg/ml berichtet (Kaneko et al. 1999). Diese Aussagen zeigen die Wichtigkeit von möglichst niedrigen Dosen in der Schwangerschaft. Lindhout berichtet, dass 1–2% der Valproinsäure ausgesetzten Feten Neuralrohrdefekte entwickeln. Dabei handelt es sich meist um eine offene lumbosakrale Myelozele oder eine Spina bifida aperta, nicht aber um
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Anenzephalie (Lindhout et al. 1992). Fehlbildungen unter Valproinsäure Monotherapie: – – – – – – – – – – – –
Spina bifida mit oder ohne Hydrozephalus (28%) Ventrikelseptumdefekt (1,6%) Fallot’sche Tetralogie (1,6%) Vorhofseptumdefekt (1,6%) Kraniosynostosis Meningozele offene lumbosakrale Myelozele Inguinalhernie Hypospadie Mikrozephalus kraniofaziale kleinere Fehlbildungen skelettale, genitale kleinere Fehlbildungen
Besorgniserregend sind jüngst publizierte Daten zu psychomotorischen Entwicklungsverzögerungen bei Kindern mit pränataler VPA-Exposition. (Schmitz 2006). Kinder deren Mütter während der Schwangerschaft VPA einnahmen, zeigten eine signifikant verminderte Intelligenz. Diese aufgrund methodischer Mängel noch diskussionswürdigen Ergebnisse machen weitere prospektive Studien mit größeren Patientenkollektiven erforderlich. Carbamazepin Da Valproinsäure-Monotherapie teratogene Nebenwirkungen zeigt und bei Phenytoin Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten und kongenitale urogenitale und Herzfehlbildungen berichtet werden, haben einige Neurologen die Gabe von Carbamazepin bevorzugt. Es können jedoch auch unter Carbamazepin Fehlbildungen beobachtet werden (Lindhout et al. 1984, Rosa et al. 1991). Rosa führt in seiner Studie an, dass 0,9% der Feten, deren Mutter in der Schwangerschaft mit Carbamazepin behandelt worden sind, eine Spina bifida aperta entwickeln (Rosa et al. 1991). Lindhout berichtete schon früher vom Auftreten von größeren Fehlbildungen und Spina bifida unter Carbamazepin in Monotherapie oder Kombinationstherapie (Lindhout et al. 1984). Er stellt einen erhöhten Anteil des Metaboliten Carbamazepin-10,11-Epoxid sowohl unter Carbamazepin-Monotherapie als auch unter verschiedenen Antiepileptika-Kombinationen fest. Am höchsten ist der Anteil bei Kombinationen aus Carbamazepin mit Phenobarbital, Valproinsäure und Phenytoin, gefolgt von Kombinationen von Carbamazepin mit Valproinsäure und Phenytoin und von Carbamazepin mit Phenobarbital und Valproinsäure. Genau diese Kombinationen zeigen auch ein erhöhtes Auftreten von Fehlbildungen. Bei der Gabe von Carbamazepin, Phenobarbital, Valproinsäure, mit oder
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ohne Phenytoin, beschreibt Lindhout ein Auftreten von Fehlbildungen bei 58% der Kinder. Phenytoin und Phenobarbital Behandlungen mit Phenytoin und Phenobarbital zeigen ein leicht erhöhtes Risiko für Fehlbildungen. Diese sind vor allem Herzfehlbildungen, orofaziale und urogenitale kleinere Malformationen. Die zwei Medikamente im Einzelnen zeigen jeweils auch ein spezifisches Bild an Fehlbildungen: Mit Phenytoin kann besonders oft eine Nagel- oder Phalangealhypoplasie assoziiert werden. Bei Phenobarbital findet man überdurchschnittlich oft kraniofaziale Hypoplasien. Beide Malformationen verschwinden aber im Laufe der Kindheit. Es zählen die beiden Wirkstoffe deshalb zu den eher leicht teratogenen (Koch et al. 1992). Trotzdem gibt es zu wenige Studien zu Monotherapien, um genaueres zu der Wirkung der einzelnen Medikamente sagen zu können. In einer Arbeit aus Montreal (Dansky et al. 1992) wird von Ventrikelseptumdefekten und Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten bei hohen Plasmaspiegeln von DPH und PB berichtet. Eine Studie aus Japan (Kaneko et al. 1992) zeigt eine signifikante Assoziationen zwischen der Einnahme von Methylphenobarbital und dem Auftreten von Fehlbildungen. Im Vergleich zwischen den geläufigsten Antiepileptika haben die einzelnen Wirkstoffe folgende Inzidenz gezeigt: 4,6% bei Phenytoin, 10% bei Phenobarbital und 28,6% bei Methylphenobarbital. Primidon indessen hat eine Inzidenzrate von 0%, Carbamazepin 7,3% und Valproinsäure 7%. Man erklärt sich die erhöhte Teratogenität von Metylphenobarbital auf folgende Weise: Dieses Medikament ist ein Razemat aus R- und S-Isomeren. Das S-Isomer wird beim Abbau in der Leber demethyliert, während das RIsomer schneller durch hydroxylieren und demethylieren eliminiert wird. Da die Aktivität der Leberenzyme interindividuell variiert, gibt es „rapid metabolizers“ und „poor metabolizers“. Letzteren fehlt die Möglichkeit der Hydroxilierung des R-Isomers. Sie akkumulieren deshalb Abbauzwischenstufen. 18% der japanischen Bevölkerung scheint zu den langsam Metabolisierenden zu gehören, bei den Europäern sind es nur 5%. Deshalb ist die teratogene Wirkung von Methyphenobarbital auch besonders in Japan aufgefallen. Phenobarbital scheint einen sehr komplexen Weg im Abbau zu unterlaufen. Der Metabolismus zeigt Verbindungen zum Metabolismus von Phenytoin. Deshalb steigen die Spiegel von Zwischenstufen bei der Kombination von beiden bei den „poor metabolizern“ umso mehr an. Die daraus resultierende erhöhte Teratogenität bestätigt eine weitere japanische Studie (Kaneko et al. 1992), die zeigt, dass die meisten Frauen mit Kindern mit Fehlbildungen Methylphenobarbital und Phenytoin in der Schwangerschaft eingenommen haben.
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Die erhöhte Teratogenität von Phenytoin in einzelnen Fällen ergibt sich aus der Bildung von Epoxiden als Abbaustufen und der kovalenten Bindung dieser Epoxide an embryonales Gewebe. In dieser festen Bindung wirkt das Epoxid toxisch und lässt sich in Verbindung mit Fehlbildungen setzen. Tierexperimentelle Versuche mit Ratten bestätigen dies: Tiere mit inhibierter Epoxid-Hydrolase haben einen Anstieg an kovalenten Bindungen von Metaboliten und gleichzeitig ein erhöhtes Auftreten von Missbildungen bei den Rattenfeten (Kaneko et al. 1992). Man weiß von Phenytoin, Carbamazepin und anderen Antiepileptika, dass sie auf die mikrosomalen Enzyme der menschlichen Leber wirken. Sie induzieren verschiedene hepatische Enzyme und fördern die Oxidation einiger Medikamente und anderer Wirkstoffe. Auch die fetale Leber ist mit einem Monooxygenasesystem ausgestattet und könnte die Bildung von Epoxiden begünstigen. Andererseits besitzt die Leber des Fetus auch hepatische und extrahepatische Enzyme, die den Abbau der Epoxide antreiben. Weiter finden wir in der menschlichen Leber Sulfhydryl- und Glutathiongruppen, welche spontan oder enzymgetrieben mit den reaktiven Metaboliten reagieren. Das Gleichgewicht von Enzymen, die die Bildung von Metaboliten katalysieren, und solchen, die deren Abbau fördern, scheint also ein wichtiger Faktor in der Entstehung von Fehlbildungen zu sein. In einer in Südostfrankreich durchgeführten Kohortenstudie (Dravet et al. 1992) wurde das teratogene Risiko, das von einer Phenytoin-Therapie ausgeht, untersucht. Phenytoin weist in dieser Studie eine signifikante Verbindung mit Herzfehlern auf. Besonders hoch ist das Risiko für Herzfehlbildungen bei Kombination von Phenytoin mit Phenobarbital. Die Zweierkombination hat eine odds ratio von 6,93 im Vergleich zur Monotherapie mit Phenobarbital. Benzodiazepine Dravet beschreibt ein grenzwertiges Risiko für Fehlbildungen bei einer Benzodiazepintherapie. Besonders Mikrozephalie wird in Verbindung mit Benzodiazepinen erwähnt (Dravet et al. 1992). Neue Antiepileptika Innerhalb des letzten Jahrzehnts sind zahlreiche neue Antiepileptika (Felbamat, Gabapentin, Lamotrigin, Levetiracetam, Oxcarbazepin, Pregabalin, Tiagabin, Topiramat, Vigabatrin und Zonesamid) am europäischen Markt zugelassen worden und weitere Substanzen werden noch in Studien untersucht. Sobald neue Antiepileptika im Handel erhältlich sind, besteht die Möglichkeit, dass unter ihrer Therapie eine Schwangerschaft eintritt. Verschiedene der neuen Antiepileptika scheinen weniger Nebenwirkungen
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zu haben und somit besser verträglich zu sein. Genaueres über das Risiko für Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen ist aber noch nicht bekannt. Am besten untersucht und mit älteren Antiepileptika vergleichbare Daten liegen derzeit lediglich von Lamotrigin vor (Morrow et al. 2005, Cunnington 2005). Neben den wenigen bisher durchgeführten Patientenstudien sind die meisten Untersuchungen präklinischer Art. Diese sind jedoch schwierig auf den Menschen zu beziehen, weil innerhalb verschiedener Spezies Pharmakokinetik und Pharmakodynamik variieren können. Weiters sind Kombinationen von Wirkstoffen nicht experimentell getestet. Da aber die neuen Medikamente oft als Zusatzpräparat genommen werden, wäre dieser Aspekt wichtig. Metabolische Interaktionen könnten den teratogenen Effekt steigern, wie dies bereits in der Kombination Lamotrigin und Valproinsäure beobachtet wurde (Morrow et al. 2005, Cunnington 2005). Zudem sind die genauen Wirkmechanismen der älteren AEDs noch nicht gänzlich geklärt. Das Problem besteht darin, dass die Zahl der Patientinnen unter Monotherapie eines Antiepileptikums meist zu klein ist, damit die Untersuchung genügend Aussagekraft bekommt (Kondo 1996, Mountouris 2003, Meischenguiser 2004). Zudem sind Dosiseffekte unzureichend untersucht. Ein weiteres Problem ist auch, dass die verschiedenen Studien nicht ohne weiteres verglichen werden können. Es fehlen Bewertungskriterien, die von allen Untersuchenden in identischer Form angewendet werden müssen. Und es fehlen genaue einheitliche Definitionen von größeren und kleineren Fehlbildungen, von Testverfahren, vom Einschluss weiterer Risikofaktoren, von Auswertungskriterien. Um diesem Problem entgegen zu steuern, hat man 1998 das „European Registry of anti-epileptic drugs and pregnancy“ (EURAP) gegründet. Ärzte, die mit diesem Programm zusammenarbeiten, gehen alle nach denselben Regeln vor und geben die Möglichkeit für große Patientenkollektive unter vergleichbaren Umständen. Trotz der geringen Möglichkeit Schwangerschaftsrisiken neuerer Medikamente an Patientinnen zu studieren, gibt es einige interessante Untersuchungen zu diesem Thema. Eine aktuelle Studie (Kaaja et al. 2003) veranschaulicht ein erhöhtes Risiko bei der Einnahme von Oxcarbazepin. Diese Forschungsgruppe (Kaaja et al. 2003) berechnet für das Fehlbildungsrisiko bei Therapie mit dem Medikament eine angepasste odds ratio von 10,8. Carbamazepin hat ihren Berechnungen nach im Vergleich nur eine angepasste odds ratio von 2,5 und Valproinsäure von 4,1. Da die Studien mit den neuen Medikamenten aber bekanntlich noch zu wenig Patienten beinhalten, sind diese Werte mit Vorsicht zu genießen. Das International Lamotrigine Pregnancy Registry wurde 1992 von der Herstellerfirma GSK ins Leben gerufen, um den neuen Wirkstoff Lamotrigin gezielt in Bezug auf Schwangerschaften zu untersuchen. Das dieses Projekt leitende Scientific Advisory Committee stellte 2002 seine ersten Ergebnisse vor (Tennis und Eldridge 2002) und wird nach wie vor halbjährlich aktualisiert an die Ärzteschaft verteilt (Cunnington 2005). Die Daten bestätigen ein gewisses erhöhtes Risiko für größere Fehlbildungen im Vergleich zur Normalbevölkerung. Laut letzten Berechnungen
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weisen 2,9% (12/414) der Kinder größere Fehlbildungen bei LamotriginMonotherapie auf, und 12,5% bei Polytherapie in Kombination mit Valproinsäure. Dass Lamotrigin in Kombination mit Valproat einen erhöhten teratogenen Effekt hat, berichten auch weitere firmenunabhängige Untersuchungen (Morrow et al. 2005). Ausreichende Erfahrungen und gesicherte Daten nicht nur hinsichtlich der Teratogenität der neuen Antiepileptika, sondern auch in Hinblick auf deren Auswirkung auf die spätere psychomotorische Entwicklung des Kindes sind von besonderer Bedeutung, um diese sicherer und effektiver in der Schwangerschaft und Stillzeit einsetzen zu können.
Folsäure Die Folsäure Vitamin B 9, Pteryolglutaminsäure. Die Folsäure ist eine Sammelbezeichnung für Verbindungen aus dem Pteridinring, einer p-Aminobenzoesäure und einem oder mehreren Glutaminsäureresten. Es ist ein hitze- und lichtempfindliches, wasserlösliches Vitamin. Folsäuremoleküle sind an zahlreichen kritischen biochemischen Reaktionen, bei denen einzelne Kohlenstoffatome umgeschichtet werden müssen, beteiligt. Ihre biologisch aktive Form ist das Tetrahydrofolat (FH4). Mit der Folsäure als Coenzym bei der Umschichtung von C1-Kohlenstoffatomen können für die DNA-Synthese essentielle Purine und Pyrimidine zusammengestellt werden. Dieser Kohlenstofftransfer ist aber auch für den Abbau der Aminosäuren Glycin, Serin, Homocystein, Methionin und Histidin notwendig und spendet die Methylgruppe des Cholins. Folsäure wird vor allem mit der Nahrung aufgenommen (Blattgemüse, Leber, Hefe, Milch), sowie im Dünndarm durch Darmbakterien synthetisiert. Der Bedarf für Erwachsene liegt bei 150 mg freie Folsäure pro Tag, bzw. Folsäureäquivalenten, die mit 300 mg Nahrungsfolat erreicht werden können. Mangelerscheinungen: Folsäure zählt allgemein zu den kritischen Nährstoffen in allen Bevölkerungsgruppen. Zu den Risikogruppen zählen vor allem Säuglinge, die mit adaptierter Milch ernährt werden, Kinder in der Pubertät, Schwangere, Stillende und Alkoholkranke. Mangel- und Fehlernährung, gesteigerter Bedarf und Medikamente (z.B. Antiepileptika, hormonale Kontrazeptiva, Chemotherapeutika und Zytostatika) können eine megaloplastische Anämie, Leuko- und Thrombopenie, Schleimhautveränderungen in der Mundhöhle und im Magen-Darm-Trakt, Durchfälle, Resorptionsstörungen, neurologische Veränderungen, Wachstums- und Fortpflanzungsstörungen sowie Fehlbildungen des Fetus und Frühgeburten hervorrufen.
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Bedeutung von Folsäure in der Entwicklung In den letzten vier Jahrzehnten haben epidemiologische Studien gezeigt, dass ein Zusammenhang zwischen größeren und kleineren Fehlbildungen, pränatalem und postnatalem Wachstumsrückstand, Entwicklungsverzögerung, einer Epilepsie der Schwangeren und dem Folsäurehaushalt besteht. Es sind also nicht nur Risikofaktoren wie genetische Neigung zu Fehlbildungen, mütterliche Anfälle und teratogene Effekte der Antiepileptika als solche, sondern auch durch diese Medikamente herbeigeführte niedrige Folsäurespiegel von Bedeutung. Die ersten Erkenntnisse zur Wichtigkeit der Folsäure bei der Behandlung von Schwangeren mit Epilepsie gehen auf einen Bericht von Meadow aus dem Jahre 1968 (Meadow 1968) zurück. Wie oben erwähnt, führt Folsäuremangel zu einer Reihe charakteristischer Störungen. Diese betreffen besonders das sich rasch teilende Gewebe, so z.B. das erythropoetische System oder das sich entwickelnde neurale Gewebe bei Feten. Defekte in Enzymen, Aufnahme oder Umwandlung der Folsäure in seine verschiedene Formen katalysieren, können angeboren sein (Löffler 1998). Bekannt ist hierbei der angeborene Defekt der Methylentetrahydrofolatreduktase, welcher zu Homocysteinurie und Entwicklungsrückstand führt. Der Defekt der Formiminotransferase ist assoziiert mit Auftreten von Formiminoglutamat im Urin und wahrscheinlich auch mit Intelligenzdefekt und megaloblastärer Anämie. Hereditäre Folsäuremalabsorption, welche zu niedrigen Folatspiegeln führt, kann zu megaloblastäre Anämie, progressivem neurologischem Abbau und schlechtem Gedeihen führen. Der damit in Verbindung stehende Vitamin B12-Mangel ähnelt dem Krankheitsbild des Folsäuremangels. Der Grund dafür ist, dass Vitamin B12 ein Kofaktor des Folsäure-abhängigen Enzyms Methioninsynthetase ist. Es gibt also bekanntlich einige Krankheitsbilder, die mit Folsäuremangel in Zusammenhang stehen, so wie z.B. megaloblastäre Anämie, Intelligenzdefekt, Aminoacidurie, kortikale Atrophie und vertrikuläre Dilatation. Eine spezielle Darstellung des protektiven Effekts der Folsäure ereignete sich Ende der 80er Jahre (Watson-Duff und Cooper 1994). Aufgrund der Verwüstung durch einen Hurrikan wurde die Bevölkerung Jamaikas einige Monate mit Hilfsgütern aus Dosen versorgt. Die sonst sehr niedrige Inzidenz an Spina Bifida und Neuralrohrdefekten stieg daraufhin auf das Vierfache. Untersuchungen ergaben, dass die Bevölkerung sonst durch die lokale Diät mit Folsäure gut versorgt gewesen war und durch die Dosenkost diesen natürlichen Schutz plötzlich nicht mehr besessen hatte. Diese retrospektiven Beobachtungen zeigen also, dass Folsäure durch gewisse Naturprodukte in ausreichendem Maß zugeführt werden kann, bei Änderung der Diät der Schutz jedoch versagt.
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Tierexperimentelle Folsäurestudien Es gibt zahlreiche Tiermodelle zur Untersuchung des Folsäurehaushalts. Besonders Hasen mit hereditärer Brachydaktilie, Mäuse, Ratten und Hasen mit Lippen- oder Gaumenspalte und Mäuse, Ratten und Hamster mit Neuralrohrdefekten werden in den Studien erwähnt. Petter berichtet 1977, dass nach Folsäure- und Vitamin B12-Substitution von Ratten mit hereditärer Brachydaktilie sowohl die megaloblastäre Anämie als auch das Auftreten von Fehlbildungen bei den Nachkommen vermindert werden konnten (Petter et al. 1977). Neuralrohrdefekte Die curly tail-Maus ist ein Zuchttier mit speziellen genetischen Mutationen. Diese führen zu Defekten bei der Herstellung von DNA und Neuralrohrdefekten bei den Nachkommen. Senner und Adinolfi (Seller und Adinolfi 1981) vergleichen die Störungen der curly tail-Maus mit dem Effekt, den ein Folsäuremangel oder ein Antifolat haben. Eine andere Studie mit Hamstern (Moffa und White 1983) zeigt vermehrtes Auftreten von Fehlbildungen bei folsäurearmer Diät oder Gabe des Antagonisten Methotrexat. Beschrieben werden hier Wachstumsrückstand, Neuralrohrdefekte, niedrige Serumproteinwerte und starke Anämie. Im Gegensatz dazu haben die Forscher eine andere Gruppe von Hamstern mit Folsäuremangel mit 5-Methyltetrahydrofolat substituiert. Deren Nachkommen haben zwar weniger häufig Fehlbildungen gehabt, jedoch hat man die niedrigen Serumproteinwerte nicht beeinflussen können. Hat man aber mit normalem Rattenserum substituiert, konnten alle Effekte behoben werden. Dies zeigt, dass wahrscheinlich komplexere Mechanismen beteiligt sind. Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte, skelettale Defekte und andere Fehlbildungen Wie zuvor (Petter et al. 1977) erwähnt, kann man Folsäuremangel mit Fehlbildungen bei den Nachkommen in Verbindung bringen. Die Art und Anzahl und Häufigkeit ist abhängig von Stärke, Dauer und dem zeitlichen Auftreten des Mangels, aber auch vom untersuchten Tier, also von dessen Genetik. Bei einer Studie mit Ratten z.B. hat eine folsäurefreie Diät oder Antagonistenzufuhr X-Methyl-Pteroylglutaminsäure und Succinylsulfathiazol (zur Unterdrückung der intestinalen Vitaminsynthese) zum Auftreten von Lippen- oder Gaumenspalten, Skelettdefekten, urogenitalen und kardiovaskulären Fehlbildungen (Dansky et al. 1992) geführt. Eine Studie mit Mäusen und eine mit Hasen, beide bei Gabe von Methotrexat (Jordan et al. 1977), haben Steigerung des Risikos für Gaumenspalten und Skelettdefekte gezeigt. Umgekehrt
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berichtet Sutton (Sutton et al. 1998) in einer aktuellen Studie von Mäusen, die mit einer für Methotrexat resistenten Form von Dihydrofolatreduktase therapiert worden sind. Bei diesen Mäusen ist die Rate der Fehlbildungen nach Methotrexatgabe deutlich reduziert gewesen. Es gibt eine große Anzahl von tierexperimentellen Studien zu diesem Thema. Nager haben jedoch besonders viel speziesspezifische Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, die beim Primaten nicht auftreten. Da machen Fehlbildungen im Bereich des Gesichtsschädels aus tierexperimentellen Studien schwer auf den Menschen übertragbar. Der Effekt der Folsäure ist also beim Menschen noch nicht zur Gänze geklärt. Patientenstudien mit Folsäure Es ist bekannt, dass in der Schwangerschaft eingenommenes der Folsäure entgegenwirkendes Aminopterin und dessen Methylderivat Methotrexat beim Fetus zu Fehlbildungen führen. Zu diesen Fehlbildungen gehören kraniofaziale Fehlbildungen, Gaumenspalten, skelettale Defekte, Neuralrohrdefekte und schwerer Wachstumsrückstand (Jordan et al. 1977, Nguyen et al. 2002). Deshalb gelten diese beiden Wirkstoffe bei Schwangeren als strengstens kontraindiziert. Sie werden aber auch heute noch in verschiedenen Bereichen verwendet: zur Behandlung von ektopen Schwangerschaften, von Neoplasien, Autoimmunkrankheiten und bestimmten entzündlichen Vorgängen (Nguyen et al. 2002). Umgekehrt gibt es einige Studien zum protektiven Effekt von Folsäuresubstitution. Forschungsarbeiten zur Verabreichung von Multivitaminpräparaten mit kleinen Mengen an Folsäurezusatz, meist 0,4 g, haben hierbei gezeigt, dass man damit die Inzidenz von Fehlbildungen senken kann. Welche Mechanismen aber für die günstige Auswirkung bei Substitution genau beteiligt sind, konnte bisher nicht festgelegt werden (Wild et al. 1986). In einer Studie in Westaustralien (Bower und Stanley 1989) wird berichtet, dass Folsäuresubstitution einerseits und diätetische Folsäurezufuhr andererseits sehr wohl das Risiko für Spina bifida und andere Neuralrohrdefekte senken können. In einer späteren Forschungsarbeit berichten die Letztgenannten (Bower und Stanley 1992), dass Folsäurezufuhr aber keinen protektiven Effekt gegenüber anderen Mittelliniendefekten außer Neuralrohrdefekten hat. Folsäure, Antiepileptika und Schwangerschaftsergebnisse Folsäure-Blutwert in Bezug auf Antiepileptika Untersuchungen zeigen Verbindungen zwischen niedrigen Folsäurewerten im Serum und in Erythrozyten und einer Behandlung mit Antiepileptika.
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Der Folsäure entgegengesetzte Effekte von Phenytoin, Phenobarbital und Pirimidon wurden bereits bestätigt. Man vermutet aber auch denselben Effekt durch Carbamazepin und Valproinsäure. Man konnte die negative Wirkung auf den Folsärehaushalt zudem in tierexperimentellen Studien nachweisen. Netzloff, Streiff et al. (Netzloff et al. 1979) berichten von Forschungsarbeiten an Ratten. Sie beschreiben bei Verabreichung einer teratogenen Dosis von Diphenylhydantoin (Phenytoin) an die Mutter neben Sauerstoffmangel bei den Rattenembryonen auch relevantes Sinken der Folsäurespiegel bei diesen. Dansky et al. (Dansky et al. 1992) berichten von einer negativen Korrelation zwischen Serumwerten von Folsäure und Serumwerten von Phenytoin und Phenobarbital in einer epidemiologischen Studie. Es konnte jedoch keine Verbindung mit erhöhten Carbamazepin- oder Valproinsäurewerten hergestellt werden. Auch Polytherapie scheint das Risiko für Folsäuremangel zu steigern, besonders Kombinationen aus Phenytoin, Phenobarbital oder Primidon. Hypothesen zum antifolaten Effekt von Antiepileptika gibt es viele. Einige Forscher empfehlen erschwerte intestinale Aufnahmen von Folsäure als ausschlaggebenden Faktor. Andere (Blair et al. 1981) stellten bei tierexperimentellen Studien an Ratten fest, dass neben Ethanol und Methotrexat und in vitro-Puffern mit niedrigem Salzgehalt auch Phenytoin das saure Mikroklima des Jejunums verändert. Es kann ein erhöhter Oberflächen-ph-Wert registriert werden, welcher indirekt proportional zur Folsäureabsorption zu sein scheint. Die Parallele zwischen der Absorption und Änderungen des Oberflächen-phWertes bestärken also die Vermutung, dass Folsäureaufnahme in Verbindung mit dem Mikroklima des Jejunums steht und mit den Schwankungen des ph-Wertes variiert. Folsäurespiegel während der Schwangerschaft Bei normalen Schwangerschaften ohne Folsäure-Zusatztherapie fallen Serumwerte kurz vor der Entbindung und im Wochenbett am tiefsten. Bei machen Frauen sinken auch die Konzentrationen in weißen Blutkörperchen, normalerweise jedoch nur leicht. Dieser Fall der Serumspiegel und Zellkonzentrationen steht in Zusammenhang mit den physiologischen Veränderungen im mütterlichen Organismus während der Schwangerschaft und zusätzlich mit einem erhöhten Folsäurebedarf des Fetus speziell in den letzten Wochen. Auch die darauf folgende Muttermilchernährung des Kindes treibt den Folsäureverbrauch in die Höhe. Frauen, die Wirkstoffe, welche den Folsäurespiegel noch weiter senken – und Antiepileptika können wir bekanntlich zu diesen Wirkstoffen zählen –, zu sich nehmen, haben also ein höheres Risiko für Mangel als normale Schwangere. In einer kanadischen Studie (Dansky et al. 1992) wird berichtet, dass bei Schwangeren unter Antiepileptika Behandlung mit Folsäureergänzung die Defizite sehr schnell behoben werden können und man die Frauen mit Mangel
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innerhalb des ersten Trimesters auf höhere Serumspiegel bringen kann, als nicht substituierte Patientinnen. Folatkonzentrationen in Erythrozyten steigen nicht so schnell an, steigen aber auf normale bis übernormale Werte. Eine Vergleichsgruppe von Patientinnen wird in dieser Studie nicht substituiert. Bei ihnen werden mit dem Verlauf der Schwangerschaft sinkende Spiegel gemessen. Konzentrationen in den Erythrozyten sinken jedoch fast gar nicht, was zur Überlegung führt, dass mit der Nahrung aufgenommene Folsäure und Speicher im Körper der Mutter ausreichen, um diese Zellen mit dem Vitamin zu versorgen. Folsäure und Ergebnisse der Schwangerschaften Forschungen an verschiedensten Nagetieren haben ergeben, dass Einnahme von Phenytoin oder Valproinsäure dosisabhängig zur Senkung des Folsäurespiegels und demzufolge zu vermehrtem Auftreten von Fehlbildungen führt. Eine tierexperimentelle Studie an Hühnerembryonen bestätigt die Ergebnisse der Patientenstudien (Lewis et al. 1998): Gruppe 1 ist dabei die Kontrollgruppe, die in normalem Nährmedium herangezüchtet wird. Gruppe 2 wächst im Vergleich dazu in einem Medium, das 500 µg/ml Phenytoin enthält, heran, und Gruppe 3 in einem Medium, das neben derselben Konzentration Phenytoin auch 0,4 µg/ml Folsäure enthält. Als Resultat zeigen 86,6% der Kontrolltiere intakte Neuralrohre, 80% der Gruppe 2 und 46,6% der Gruppe 3 wiesen Neuralrohrdefekte auf. Diese Forschungsarbeit weist also sehr gut auf den teratogenen Effekt von Phenytoin hin, unterstreicht aber auch gleichzeitig den Nutzen der Folsäurezufuhr für den Feten. An der Universität von North Carolina hat man versucht, weibliche Mäuse mit Folsäuremangel heranzuzüchten, um näheren Einblick in Mechanismen, die bei durch AED-Therapie verursachtem Folsäuremangel ablaufen, zu erlangen. Das ist gelungen, indem den Mäusen eine strenge folsäurearme Diät und zusätzlich 1% Succinyl Sulfathiazol verabreicht wurden. Als Ergebnis wurden nicht nur die typischen Zeichen des Folsäuremangels an den Blutwerten registriert (niedrige Serum- und Erythrozyten-Folsäurewerte und hohe Homocystein-Plasmaspiegel), sondern auch bei Schwangerschaften dieser speziellen Mäuse mehr Aborte und Fehlbildungen vermerkt (Burgoon et al. 2002). Zu klären ist aber auch noch der Mechanismus, der zu diesen niedrigen Folsäurewerten führt. Es gibt Vermutungen, dass z.B. Phenytoin und Valproinsäure verschiedene Abbauwege der Folsäure beeinflussen und dabei teratogene Stoffwechselprodukte hervorbringen. Hansen und Billings untersuchen in ihrer Forschungsarbeit trächtige Mäuse, die sie mit Phenytoin therapieren (Hansen und Billings 1985). Es soll die Hypothese gestärkt werden, dass der teratogene Effekt von diesem Medikamente über den Weg des daraus resultierenden Folsäuremangels entsteht. Die Untersuchungen ergeben, dass Phenytoin die Aktivität des Enzyms 5,10-Methylentetrahydrofolatreduktase
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in der Leber sowohl der nicht-trächtigen als auch trächtigen Swiss WebsterMäuse senkt. Es kann demzufolge ein niedrigerer Spiegel des im Plasma zirkulierenden Tetrahydrofoltats gemessen werden. Zwar können diese Enzymund Plasmaveränderungen nicht in den Embryonen festgestellt werden, aber Ergebnisse zeigen einen deutlichen Anstieg der Fehlbildungsrate, besonders in Bezug auf Gaumenspalten. Epidemiologische Studien Es gibt etliche Studien an gesunden Frauen, die die Wichtigkeit ausreichender Folsäurespiegel während der Schwangerschaft beweisen (Watson-Duff und Cooper 1994, McDonald et al. 2003, Moore et al. 2003). Entsprechende Folsäurezufuhr senkt das primäre und sekundäre Risiko, ein Kind mit Neuralrohrdefekt zur Welt zu bringen. Die optimale Dosis der Folsäureersatztherapie ist nicht definitiv geklärt. Eine groß angelegte amerikanische Studie (McDonald et al. 2003) empfiehlt gesunde Frauen im gebährfähigen Alter mit 0,4 mg/d und Frauen mit Kindern mit Neuralrohrdefekten mit 4 mg/d zu substituieren. Ausreichende Folsäurezufuhr senkt zudem auch das Risiko ein Kind mit Herzfehler oder urogenitalen Fehlbildungen zur Welt zu bringen. Schon entsprechende, in der Nahrung enthaltene Folsäure soll das Risiko eines Neuralrohrdefektes um 54% senken (McDonald et al. 2003, Moore et al. 2003). Die Forschungsgruppe aus Helsinki (Hiilesmaa et al. 1983) beschreibt in ihrer Arbeit keine Änderungen des Folsäurespiegels und keine Zunahme der Fehlbildungsrate unter Phenytoin- und Phenobarbital-Therapie. Ein Grund für die Dokumentation weniger Fehlbildungen könnte sein, dass in dieser Studie die Aborte innerhalb der ersten 24 Schwangerschaftswochen nicht beachtet worden sind. Folsäurespiegel sind erst ab der 8. Schwangerschaftswoche gemessen worden. Da jedoch der kritische Zeitpunkt in Bezug auf Folsäuremangel in der 6. SSW (zwischen dem 21. und 26. Tag nach Konzeption) liegt, sind die Ergebnisse nicht sehr aussagekräftig. Zudem ist bei den meisten Patientinnen der Spiegel erst gemessen worden, nachdem die Substitutionstherapie begonnen worden war. Auch dieser Fakt kann die Werte verfälscht haben. Nichtsdestotrotz empfiehlt es sich, Patientinnen in der Schwangerschaft zu substituieren, besonders bei höher Dosen von Antiepileptika (Hiilesmaa et al. 1983). Eine andere Forschungsarbeit (Dansky et al. 1992) beobachtet 116 Schwangerschaften in Montreal. Man vermerkt bei 18,4% der von Patientinnen unter Antiepileptika-Therapie zur Welt gebrachten Kinder größere Fehlbildungen, wie Ventrikelseptumdefekt, hypertrophische Kardiomyopathie mit endokardialer Fibroelastose und Leitungsdefekt, Lippenspalte, Gaumenspalte, Hydrozephalus und Hypospadie. Auch kleinere Defekte (Inguinalhernie und Klumpfuß) werden beobachtet. Als auffallend wird beschrieben, dass jene Frauen mit schlechterem Schwangerschaftsergebnis vor dem Eintritt der Schwangerschaft niedrige Serumwerte
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und Erythrozytenkonzentrationen an Folsäure gehabt haben. Die Werte des ersten Trimenons sind niedriger gewesen als bei Frauen mit gesunden Nachkommen. Signifikant tiefe Spiegel von 4 ng/ml und darunter konnten bei Frauen gemessen werden, deren Kinder Fehlbildungen aufgewiesen haben und jenen, die einen Abortus erlitten haben. In Korrelation dazu ist auffallend, dass hohe Spiegel von Phenytoin und Phenobarbital zu den eben genannten Fehlbildungen und zu Aborten geführt haben. Bei Patientinnen, die Kinder mit skelettalen Fehlbildungen und Hernien zur Welt gebrachten haben, haben im ersten Trimenon keine so signifikant tiefen Serumwerte und auch weniger starke Verbindung zur Einnahme der vorher erwähnten Medikamente gezeigt. Diese Erkenntnisse bestärken die Vermutung, dass hohe AED-Spiegel mit niedrigen Folsäurewerten und somit mit bestimmten teratogenen Effekten korrelieren. Ein interessantes Ergebnis liefert auch eine eigene Untersuchung bezüglich Aborten in Verbindung mit Folsäurezufuhr. Es zeigt nämlich sehr signifikant (p = 0,01), dass Folsäure einem Abort entgegenwirken kann. Untersucht worden sind hierbei Patientinnen, die die Substitution innerhalb des ersten Trimenons begonnen hatten. Von den Aborten sind nur jene gewertet worden, die sich spontan ereigneten oder aufgrund von Fehlbildungen oder anderen Anomalien induziert worden waren. Dabei ergab sich ein relatives Risiko für einen Abort von 3,293 (odds ratio: 3,7232, 95% CI: 1,293–10,774) bei keiner Einnahme von Folsäure und von 0,3 (odds ratio: 0,268, 95% CI: 0,093–0,774) bei Folsäurezufuhr. Folsäuresubstitution hat also eindeutig einen protektiven Effekt in Bezug auf Aborte (Pittschieler 2006). Die tägliche Dosis der Folsäureersatztherapie Folsäure wird üblicherweise in zwei verschiedenen Dosen angeboten: 0,4 mg und 5 mg. Die niedrigere der beiden ist in den gängigen Multivitaminpräparaten, die höhere in speziellen Präparaten wie z.B. Folsan® enthalten. Bei der Analyse von Folsäurezufuhr und Aborten zeigt sich, wie bereits erwähnt, in unserer Studie ein sehr signifikanter protektiver Effekt. Betrachtet man die Aborte in Relation zur Dosis, so zeigt eine höhere Dosis nicht unbedingt bessere Wirkung. Ein reines Folsäurepräparat wird meist erst vom Neurologen verordnet. Dies geschieht fast immer zu einem späteren Zeitpunkt. Es könnte also sein, dass jene Frauen mit hoher Dosis diese oft zu spät bekommen haben.
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Vitamin K-Mangel des Neugeborenen M. haemorrhagicus neonatorum (engl: hemorrhagic disease of the newborn) Kurzdefinition Blutgerinnungsstörung der Neugeborenen durch verminderte Synthese der Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren. Risikofaktoren sind Stillen, chronische Diarrhö, Antibiotika-Langzeittherapie, bestimmte Medikamenteneinnahme der Mutter, Frühgeburt, cholestatischer Ikterus. Symptome: Blutung am 3.–7. Lebenstag (Melaena, Kephalhämatom, intrakraniell), als Spätmanifestation nach 2–10 Wochen. Therapie: bei Vitamin-K-Mangelblutungen 2 mg Vitamin K i.v.; Prophylaxe: am 1. und 4. Lebenstag 2 mg Vitamin K p.o. Epidemiologie und Ätiopathogenese der Zerebralblutungen Auf 30 000 Neugeborene kommt es einmal zu Blutungen (in 50% im Gehirn, hiervon in 1/4 der Fälle tödliche Verläufe) meistens in der 1. Lebenswoche und besonders in den ersten 24 Stunden. Diese Blutungen sind auf einen Mangel und/oder eine gestörte Aufnahme von Vitamin K zurückzuführen. Vitamin K kommt im menschlichen Darm in zwei Fraktionen vor: K1 sind Phytochinone aus der Nahrung, K2 sind Menachinone von unseren Darmbakterien und aus Leber, Geflügel und Fisch. Das Vitamin K gelangt durch die Nahrung in die kindliche Leber und aktiviert dort viele Gerinnungsfaktoren, die gegenüber dem Erwachsenen in wesentlich niedrigerer Konzentration vorliegen, aber die gleiche Aufgabe erfüllen, nämlich die Stabilisierung eines Blutgerinnungs-Gleichgewichtes. Dieses Gleichgewicht ist beim Neugeborenen sehr labil. Neben Ernährungsfaktoren spielen einige Medikamente, die der Mutter verabreicht werden (Antibiotika, Cumarine, Tuberkulostatika, Acetylsalizylsäure, Antiepileptika), eine sehr wichtige Rolle als Ursache von Vitamin K-Mangel des Neugeborenen. Die Pathogenese des Vitamin K-Mangels durch AEDs ist noch unklar. Man vermutet, dass bestimmte enzyminduzierende Anteile der Medikamente die Plazentaschranke überqueren können. Diese induzieren dann mikrosomale Enzyme in der fetalen Leber. Die Letztgenannten wiederum können den Abbau von Vitamin K fördern. Man empfiehlt also, alle Frauen, die enzyminduzierende Antiepileptika (Carbamazepin, Phenytion, Oxcarbazepin, Phenobarbital) einnehmen, mit Vitamin K(1) vor der Geburt zu versorgen. Nicht funktionstüchtige Vorstufen von Gerinnungsfaktoren, die Vitamin K-abhängig
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dekarboxyliert werden müssen, um wirksam zu sein, werden häufiger im Nabelschnurblut von Kindern AED-behandelter Mütter gefunden als bei Kindern in der Normalbevölkerung. Die Substitution von Frauen unter AED-Therapie mit 10 mg/d Vitamin K1 ab der 36. Schwangerschaftswoche hat ein Verschwinden dieser Vorstufen gezeigt (American Academy of Neurology 1998). Orale Zufuhr von Vitamin K1 zeigt keine bzw. wenig Risiken für epilepsiekranke Frauen. Die American Association of Pediatrics (AAP) und das American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG) empfehlen stattdessen die Substitution von 1 mg Vitamin K1 den Neugeborenen. Andererseits hat eine aktuelle Studie aus Helsinki (Kaaja et al. 2002) gezeigt, dass es keinen Unterschied macht, ob man Frauen substituiert oder nicht. Man vergleicht dort 667 Neugeborene epilepsiekranker Mütter mit 1334 Neugeborenen gesunder Mütter. Keine dieser Mütter ist vor der Entbindung mit Vitamin K substituiert worden. Alle Neugeborenen haben aber 1 mg Vitamin K(1) intramuskulär verabreicht bekommen. 5 Kinder (0,7%) von Müttern mit Epilepsie und 5 Kinder (0,3%) gesunder Mütter haben Blutungen gehabt. Bei allen waren es intrakranielle Blutungen. Von den fünf Patientinnen, deren Kinder eine Blutung erlitten hatten, hatte keine große Anfälle oder zu hohe Serumspiegel eines Antiepileptikums gehabt. Es hat sich somit kein signifikanter Unterschied (p = 0,3) bei Epilepsie und AED-Therapie hervorheben lassen. Signifikant schlechtere Ergebnisse zeigten jedoch jene Frauen, die einen niedrigen Bildungsgrad hatten oder an Alkohol-Abusus litten. Da diese beiden Charakteristika häufiger bei Frauen mit Epilepsie zutreffen als bei Kontrollpersonen, kann dieser Risikofaktor zuzüglich eine Rolle spielen. Es wird noch mehr Studien geben müssen, damit man die Wichtigkeit (oder auch nicht) von Vitamin K-Substitution genauer einstufen kann.
Epilepsie und geistige Entwicklung des Kindes Während der Schwangerschaft eingenommene AEDs nehmen über den gemeinsamen Blutkreislauf von Mutter und Kind Einfluss auf das Ungeborene im Mutterleib (Annegers 1997, Hanson und Smith 1975). Diese Medikamente überwinden sehr schnell die Plazentaschranke und werden vom Fetus aufgenommen. Besondere Wirkung üben sie dabei auf das Gehirn des Kindes aus (Kuhnz et al. 1988). Deshalb nimmt man an, dass AEDs eine Gefahr für die gesunde Entwicklung des Gehirns des Kindes darstellen. Entwicklungsstörungen des Nervensystems können sich in Form von Fehlbildungen wie Neuralrohrdefekten bemerkbar machen. Sie können aber auch zu funktionellen Störungen führen. Diese fallen oft am Anfang nicht so sehr auf und werden deshalb meist erst im Vorschulalter oder noch später entdeckt. Direkte Nebeneffekte der Antiepileptika treten nicht nur bei der Mutter, son-
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dern genauso beim Fetus oder Neugeborenen auf, da das Kind ja mit dem Kreislauf der Mutter in Verbindung steht bzw. stand (Meador 2002). Für einige Zeit andauernde Sedierung beim Neugeborenen ist ein recht häufiges Symptom bei Primidon- oder Phenobarbital-Therapie, manchmal sogar, wenn diese Wirkstoffe im therapeutischen Bereich liegen. Bei Gabe von Phenytoin oder Valproinsäure ist dieses Symptom dagegen meist nur kurzzeitig vorhanden (Koch et al. 1996). Antiepileptika in Blut und Muttermilch Wie viel genau über die Plazenta in den fetalen Organismus aufgenommen wird, ist noch nicht geklärt. Auch wie hoch die Belastung durch Medikamente bei Ernährung mit Muttermilch ist, steht noch nicht fest. Sicher ist, dass das Kind sowohl über das Blut als auch über die Milch der Mutter Anteile der Wirkstoffkonzentration aufnimmt. Nau und Mitarbeiter berichten von Serumspiegelmessungen in sehr frühem Gestationsalter (Nau et al. 1982). Diese ergeben, dass man auch schon bei Embryonen Phenytoin, Primidon, Phenobarbital, Carbamazepin und deren Abbaustufen im Gewebe nachweisen kann. Da die fetale Leber die Fähigkeit besitzt einige dieser Wirkstoffe zu reaktiven, Metaboliten umzubauen, bleibt der Übertritt ins fetale Blut wahrscheinlich nicht ohne Folgen. Die Konzentration der Medikamente im Blut des Fetus entspricht normalerweise jener der Mutter. Nur Valproinsäure akkumuliert aus bisher unerklärlichen Gründen. Die Elimination der Wirkstoffe ist beim Fetus variabel. Sie ist abhängig von dessen Allgemeinzustand, von der prä- und perinatalen Enzyminduktion, von der Absorption und von der Bindung an Proteine. Ernährung mit Muttermilch scheint dem Neugeborenen keinen Schaden zuzufügen, auch wenn das Kind über diese einen gewissen Anteil der im Blut der Mutter vorhandenen Wirkstoffe aufnimmt. Phenobarbital in der Muttermilch jedoch wird vom Kind vermehrt aufgenommen und kann zu Serumspiegeln führen, die gleich hoch wie die der Mutter oder sogar höher sind. Auch Carbamazepin und Ethosuximid können ebenso verstärkt über die Milch aufgenommen werden. Ethosuximid ist ein bei Absencen eingesetzter Wirkstoff, der über Hemmung von Kalziumkanälen die inhibitorische synaptische Transmission mittels GABA verbessert. Kuhnz et al. (Kuhnz et al. 1984) berichten, dass zur Geburt gemessene Verhältnisse zwischen fetalen und mütterlichen Serumkonzentrationen von Ethosuximid 0,97 betragen und die Halbwertszeit dieses Wirkstoffes im kindlichen Organismus immerhin zwischen 32 und 38 Stunden beträgt. Die Wirkstoffkonzentration in der Muttermilch entspricht ihren Messungen nach der Serumkonzentration der Mutter. Das Verhältnis von Milch zu Mutter beträgt 0,86. Mit Muttermilch gefütterte Kinder zeigen Serumspiegel zwischen 15 und 40 µg/ml. Diese Werte zeigen, dass Feten und brustgefütterte Kinder unter deutlichem Einfluss der Antiepileptika stehen. Es überrascht deshalb nicht, dass über 50% der untersuch-
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ten Neugeborenen von Müttern unter Antiepileptika-Therapie in ihrem Verhalten auffallen und fast nochmals die Hälfte dieser Kinder schwere Verhaltensstörungen zeigen (Kuhnz et al. 1984). Gründe dafür könnten Entzugssymptome oder protrahierte Wirkungen der Medikamente sein. Es könnten aber auch schwerwiegendere Entwicklungsstörungen und Hirnschädigungen dahinter stecken, die zu bleibenden Schäden führen. Eine andere Forschungsarbeit der Uniklinik Berlin (Kuhnz et al. 1988) bestätigt das häufige Auftreten von Verhaltensabnormitäten bei betroffenen Neugeborenen. Die Forschungsgruppe bemerkt, dass bei Phenobarbital-Therapie der Mutter einige Neugeborene direkt nach der Geburt eine sehr hohe freie Serumkonzentration dieses Medikaments haben. Diese Kinder sind durch den Wirkstoff sediert, in der Vigilanz gestört, haben eine herabgesetzte Aufmerksamkeit und verlangsamte Motorik (Meador 2002). Jene Kinder jedoch, deren Halbwertszeit für Phenobarbital kurz ist, haben Entzugsymptome. Bei diesen Kindern ist Ernährung mit Muttermilch eindeutig angebracht, weil so ein zu schneller Abfall der Serumspiegel verhindert werden kann. Neuere Antiepileptika tendieren dazu, in höheren Konzentrationen in die Muttermilch überzugehen als ältere Substanzen (Öhman 2002, Thomas 2006). Störungen in Verbindung mit bestimmten AEDs Es gibt einige Berichte, die einen Zusammenhang zwischen AED-Einnahme der Mutter während der Schwangerschaft und darauffolgenden Entwicklungsstörungen des kindlichen Gehirns wahrscheinlich machen. Betroffene Kinder zeigen auch sehr häufig eine niedrigere intellektuelle Fähigkeit und geistigen Entwicklungsrückstand. Antiepileptika, die besonders in diesem Zusammenhang erwähnt werden, sind Trimethadion (Feldman et al. 1977) und Phenytoin (Hanson et al. 1976). Eine weitere Arbeit in diesem Zusammenhang stimmt den Ergebnissen von Hanson et al. nicht zu: es wird zwar ein erhöhtes Auftreten von Fehlbildungen bei Gabe von Phenytoin und Barbituraten erwähnt, aber ein damit verbundenes häufigeres Vorkommen von Intelligenzdefekten nicht bestätigt (Majewski et al. 1981). Diese Studie zeigt Verbindung zwischen mütterlicher Epilepsie und geistigen Entwicklungsproblemen der Nachkommen, aber ohne Hinweise auf Bezug zu bestimmter Medikamenteneinnahme. Majewskis Ergebnisse werden durch eine finnisch-amerikanische Studie (Shapiro et al. 1976) bestätigt. Letztere fasst Untersuchungen an einer großen Zahl von Mutter-Kind-Paaren zusammen. Hierbei werden 305 Kinder vermerkt, deren Mütter AEDs während der Schwangerschaft eingenommen haben. Diese Kinder zeigen eine Fehlbildungsrate von 10,5% gegenüber 6,4% in der Normalbevölkerung ihrer Studie. Die genannte Fehlbildungsrate kann aber nicht in Verbindung mit einer bestimmten Medikamenteneinnahme gesetzt werden. Vielmehr glauben Shapiro et al. (Shapiro et al. 1976), dass der genetische Hintergrund eine erhebliche Rolle spielt. Auch
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die erniedrigten Werte bei motorischen und geistigen Tests im Alter von 8 Monaten und 4 Jahren werden auf den Faktor der Vererbung zurückgeführt. Diesen Behauptungen entgegen setzt sich eine andere Studie (Scolnik D. et al. 1994). Diese Studie an 36 Kindern nach Carbamazepin-Monotherapie der Mutter und 34 Kindern nach Phenytoin-Monotherapie beweist negativen Einfluss auf Intelligenzwerte. Intelligenzquotienten werden anhand des Bayley- und des McCarthy-Tests entsprechend der Altersstufe gemessen. Diese Tests ergeben einen durchschnittlich um 10 Punkte tieferen IQ-Wert für Kinder nach Phenytoin-Behandlung im Vergleich zu Kontrollkindern. Auch beim Reynell-Sprachentwicklungstest punkten die betroffenen Kinder entsprechend tiefer. Ein IQ-Wert von 84 und darunter ist bei Phenytoin-exponierten Kindern viel häufiger zu finden als bei normalen. Untersuchungen derselben Forschungsgruppe (Scolnik et al. 1994) an Carbamazepin-exponierten Kindern ergeben keinen Unterschied zu Kontrollkindern bei diesen speziellen Tests. Carbamazepin scheint also im Vergleich zu Phenytoin keine dementsprechend teratogene Wirkung auszuüben. Eine andere Arbeit hebt den Vorteil von Carbamazepin im Vergleich zu anderen Therapieformen hervor (Gaily et al. 2004). Getestet wurden in diesen Untersuchungen verbale und nonverbale IQ-Werte. Kinder mit Valpoinsäure- oder Polytherapie zeigten hierbei viel niedrigere IQ-Werte (durchschnittlich 82 bzw. 85 im Vergleich zu 96 bei Carbamazepin). Valproinsäure in Monotherapie und Polytherapie wurde auch in anderen Studien untersucht (Adab et al. 2001). In einer retrospektiven Studie wurde die Häufigkeit von Nachhilfebedarf bei Schulkindern beobachtet. In jener Gruppe von Kindern, deren Mütter während der Schwangerschaft mit Valproinsäure therapiert worden sind, beträgt die odds ratio für Nachhilfeunterricht im Vergleich zu Kontrollkindern 1,49. Dabei stellt Polytherapie mit Valproinsäure ein noch bedeutenderes Risiko dar als Monotherapie. Carbamazepin hat im Vergleich dazu mit einer odds ratio von 0,26 ein sehr geringes Risikoprofil. Wie bereits angeführt, bedarf es jedoch genauerer Daten aus prospektiven Studien mit größeren Patientenzahlen und detaillierteren Untersuchungen (Schmitz 2006). Familiäres Umfeld Das familiäre Umfeld, in dem ein Kleinkind aufwächst, trägt in gewissem Maße zu seiner geistigen Entwicklung bei. Man sollte deshalb diesen Faktor nicht außer Acht lassen, wenn man die Möglichkeit des Auftretens eines Intelligenzdefektes berechnen und genauer studieren möchte. Es gibt etliche Untersuchungen zum Thema Kleinkindesentwicklung und Umfeld, wenige jedoch, die sich mit dem speziellen Fall der Epilepsie der Mutter befassen. Eine aktuelle Studie (Dawson et al. 2003) befasst sich mit der geistigen Entwicklung von Kindern depressiver Mütter. Diese berichtet, dass Kinder, deren Mütter an aktiver Depression leiden, ein erhöhtes Risiko für Verhaltens-
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störungen und emotionelle Probleme haben. Messungen der Hirnaktivität weisen auf niedrigere Aktivität im frontalen und parietalen Bereich hin. Zudem entwickeln diese Kinder leichter schulische Probleme, Konzentrationsschwierigkeiten und Hyperaktivität. Dieselben Symptome findet man auch bei einigen Kindern, deren Mütter an Epilepsie leiden. Thiels und Steinhausen berichten von einer Untersuchung, die das familiäre Umfeld einer Familie mit epilepsiekranker Mutter in Bezug zu geistiger Entwicklung der Nachkommen setzt (Thiels und Steinhausen 1994). Diese Untersuchung ergibt, dass einerseits die Psychopathologie der Mutter selbst, andererseits auch die gesamte familiäre Situation eine Rolle spielen. Test der Psychopathologie der epileptischen Mutter ergeben schlechtere Ergebnisse bei kleineren Störungen, aber keine Unterschiede zur Normalbevölkerung bei gröberen Störungen. Diese Störungen, eingebettet im familiären Umfeld, ergeben fast keinen Unterschied des Funktionierens der Familie zu anderen Familien. Familien aus höheren sozioökonomischen Schichten schneiden hierbei wesentlich besser ab. Sozioökonomischer Status Sowohl die Untersuchung der Familien depressiver Mütter (Dawson et al. 2003) als auch jene epilepsiekranker Mütter (Gaily et al. 1990) haben ergeben, dass der sozioökonomische Status eine gewisse Rolle spielt. Kinder, die in Familien mit höherem sozioökonomischem Status aufwachsen, haben deutlich bessere Intelligenzwerte. Zudem haben kleinere psychopathologische Störungen der Mutter wesentlich weniger Einfluss. Neben dem unterschiedlichen familiären Umfeld nimmt der sozioökonomische Status auch Einfluss auf die Selektion der mütterlichen Intelligenz. So kann man deutlich mehr Frauen mit niedrigem Intelligenzquotienten in der Gruppe jener mit niedrigerem Status finden. Diesen Fakt führen Forscher einerseits auf deren Genetik (Gaily et al. 1988) und frühkindliche Förderung, andererseits auf geringere Chancen bei der Partnerwahl zurück (Yerby 1997). Anfälle Der Stellenwert der Anfälle während der Schwangerschaft in Verbindung mit kindlicher geistiger Retardierung wird kontrovers diskutiert. Gaily et al. behaupten, dass es einen Zusammenhang zwischen partiellen Anfällen der Mutter und niedrigen IQ-Werten der Nachkommen gibt (Gaily et al. 1990). Besonders gefährlich ist das Auftreten eines generalisierten Anfalls. Durch die Hypoxie der Mutter fällt der Fetus in einen Zustand der Asphyxie. Da das Gehirn auf Sauerstoffmangel sehr empfindlich reagiert, kann dieser Zustand dem sich gerade entwickelnden Gehirn erheblichen Schaden zufügen. Auch Goodlin et al. bestätigen dies (Goodlin et al. 1984). Majewski et al. legen
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dar, dass jene Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft Anfälle erlitten haben, ein höheres Risiko (16,5%) für zerebrale Störungen, geistige Retardierung eingeschlossen, haben (Majewski et al. 1981). Kinder, deren Mütter anfallsfrei waren, haben nur ein Risiko von 5,7%. Es wurden Lernschwierigkeiten in Bezug auf Anfälle im letzten Trimenon untersucht. Gaily et al. berichten in einer anderen Arbeit (Gaily et al. 1988), dass ihren Untersuchungen zufolge Anfälle in der Schwangerschaft keine nachhaltige Wirkung auf das Ungeborene ausüben. Auch eine Studie der Uniklinik Zürich (Steinhausen et al. 1994) findet keine Verbindung zwischen mütterlichen Anfällen und geistigen Störungen beim Kind. Die Meinungen gehen sichtlich auseinander. Dies zeigt, dass die Entwicklung von geistigen Störungen aus einem Zusammenspiel von Faktoren entsteht. Je nach Disposition von Mutter und Kind und Umweltfaktoren üben diese Faktoren mehr oder weniger Einfluss aus. Zur Interpretation müssen deshalb die einzelnen Faktoren näher betrachtet und aufgearbeitet werden. Fehlbildungen Kleinere und größere Fehlbildungen sind ein Zeichen dafür, dass Störungsfaktoren während der Entwicklungsphase des jeweiligen Organs präsent waren. Diese Störungsfaktoren haben bewirkt, dass im Zeitraum ihres Einwirkens die normale Entwicklung angehalten wurde. Die Schritte, die stattfinden hätten sollen, werden danach entweder übersprungen oder müssen nachgeholt werden. Daraus entsteht dann eine einfache Verzögerung mit späterer normaler Entwicklung oder bei Überspringen eines Schrittes eine Fehlbildung. So wie auf diese Weise körperliche Fehlbildungen entstehen, können auch geistige Störungen daraus resultieren. Zu bemerken ist, dass die Schwere der geistigen Retardierung mit der Anzahl der Fehlbildungen korrespondiert. Lindahl und Michelsson (Lindahl und Michelsson 1986) veranschaulichen diese Behauptung in einer Studie mit 395 Risikokindern im Alter von neun Jahren. Kleine Fehlbildungen werden anhand eines modifizierten Bewertungsschemas nach Waldrop und Halverson klassifiziert. Kinder mit kleineren Fehlbildungen nehmen dann an verschiedenen Tests zur Einstufung ihrer geistigen Fähigkeiten teil. Dabei schneiden sie deutlich schlechter bei einem kognitiven Test und bei der Prüfung der motorischen Fähigkeiten ab. Zudem kann man in dieser Gruppe auch mehr unterentwickelte und untergewichtige Kinder notieren. In der Kontrollgruppe ist es eher Hyperaktivität, welche mit einem gehäuften Auftreten von Fehlbildungen assoziiert ist. Psychosoziale Auffälligkeiten Bei Kindern, die in ihrer geistigen Entwicklung gestört worden sind, können verschiedenste Symptome Hinweis auf eine Störung geben. Einige dieser
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Symptome sind Stereotypien, Sprachentwicklungsstörungen, Sprachstörungen, sensorische und motorische Störungen, Hyperaktivität, Störungen in der Zuwendung, Abhängigkeit, Depression, Angstzustände, Asthma, Ekzem, Anfälle, Essstörungen, Somatisation, Enkopresis, Enuresis oder Schlafstörungen. Leichte Störungen fallen im täglichen Leben des Kleinkindes nicht so sehr auf. Erst mit Beginn der Schulbildung werden sie oft erkannt. Zur Testung verschiedenster Schwächen gibt es unterschiedliche, speziell gewichtete Tests (Steinhausen et al. 1994). Die Bayley-Skala misst die geistige Entwicklung des Kleinkindes bis zum 15. Lebensmonat. Der Home Inventury-Test wird bei Kindern zu Beginn des zweiten Jahres angewendet. Hier wird die Umgebung des Kleinkindes qualitativ und quantitativ anhand sozialer, emotioneller und kognitiver Unterstützung eingestuft. Die Wechsler Primary and Preschool Scale of Intelligence (WPPSI) oder Wechsler Infant Scale of Cognition (WISC) sind Tests zur Schulreife-Einstufung. Die Entwicklung der Motorik lässt sich mit der Mc Carthy Motor Scale bei Sechsjährigen gut mit Normwerten von Gleichaltrigen einstufen.
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Gerhard Luef
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Migräne und andere Kopfschmerzen
Gabriele Johanna Sixt
Leitsymptom Kopfschmerz Einleitung Kopfschmerzen gehören mit zu den häufigsten Beschwerden, über die Patienten klagen. Die Lebenszeitprävalenz von Kopfschmerzen beträgt an die 99% (Rasmussen et al. 1991). Mit Abstand die beiden häufigsten Kopfschmerzformen sind der Kopfschmerz vom Spannungstyp und die Migräne. Das Spektrum der Kopfschmerzerkrankungen ist groß; es reicht vom harmlosen selbstlimitierenden Symptom bis hin zur lebensbedrohlichen Erkrankung. Die richtige Einordnung und Einschätzung des Symptoms Kopfschmerz ist deswegen außerordentlich wichtig. Aber auch als Symptom einer ungefährlichen Erkrankung kann Kopfschmerz die Betroffenen im alltäglichen Leben beeinträchtigen, sie sogar völlig außer Funktion setzen. Da Östrogene und andere Geschlechtshormone durch ihren Einfluss auf den Blutfluss und auf Neurotransmitter mit dem trigeminovaskulären System direkt und indirekt interagieren, können Kopfschmerzen durch die Schwangerschaft beeinflusst werden (von Wald 2002). Einteilung von Kopfschmerzen Die internationale Kopfschmerzgesellschaft führt in ihrer Klassifikation mehr als 150 verschiedene Kopfschmerzformen an (Headache Classification Committee, 2004). Gemäß ihrer Pathophysiologie kann man eine Unterteilung in primäre und sekundäre/symptomatische Kopfschmerzen vornehmen. Zu den primären/idiopathischen Kopfschmerzen gehören alle Kopfschmerzsyndrome, die zwar eine organische Ursache haben, bei denen sich jedoch weder eine Strukturläsion noch ein pathologischer Befund
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Gabriele Johanna Sixt
in anderen Untersuchungen als Kopfschmerzursache nachweisen lässt. Der Kopfschmerz selbst ist also die Erkrankung. Beispiele für die häufigsten primären Kopfschmerzsyndrome sind der Tabelle 1 zu entnehmen. Bei den sekundären Kopfschmerzen (Tabelle 2) ist der Kopfschmerz Symptom einer anderen Erkrankung. Es findet sich entweder eine strukturelle Läsion in der bildgebenden Diagnostik oder ein anderer pathologischer Befund (Labor, Liquor, ophthalmologische Untersuchung etc.) als Kopfschmerzursache. Von den primären Kopfschmerzen werden in diesem Kapitel die Migräne und der Kopfschmerz vom Spannungstyp besprochen. Diese beiden Kopfschmerzformen sind mit Abstand die beiden häufigsten Kopfschmerzerkrankungen überhaupt. Die Migräne wird zudem meist durch die Schwangerschaft in ihrem Verlauf beeinflusst. Der Cluster-Kopfschmerz, der sehr viel häufiger bei Männern als bei Frauen vorkommt, scheint normalerweise nicht durch den Menstruationszyklus, Schwangerschaft oder Puerperium beeinflusst zu werden (Manzoni et al. 1988). Ein rezenter Fallbericht beschreibt allerdings eine Patientin, die typische Cluster-Kopfschmerzattacken hatte, welche immer zur Zeit der Menstruation auftraten und durch kontinuierliche Einnahme oraler Kontrazeptiva zu verhindern waren (Petzold et al. 2003). Tabelle 1. Beispiele für primäre/idiopathische Kopfschmerzen • Migräne • Kopfschmerz vom Spannungstyp • Cluster-Kopfschmerz und andere trigemino-autonome Kopfschmerzerkrankungen • Seltene primäre Kopfschmerzsyndrome (chronische paroxysmale Hemikranie, primärer stechender Kopfschmerz, primärer Hustenkopfschmerz, Kopfschmerz durch körperliche Anstrengung oder bei sexueller Aktivität etc.)
Tabelle 2. Beispiele für sekundäre/symptomatische Kopfschmerzen • Kopfschmerz bei Gefäßstörungen (Subarachnoidalblutung, intrakranielles Hämatom, Arteriitis, Sinusvenenthrombose) • Arterieller Hochdruck (exogen bedingt, Phäochromozytom, PräEklampsie/Eklampsie) • Idiopathische intrakraniale Drucksteigerung (Pseudotumor cerebri) • Kopfschmerz bei Infektionen (Meningitis, viraler oder bakterieller Infekt) • Kopfschmerz bei Stoffwechselstörungen (Hypoxie, Hypoglykämie) • Kopfschmerzen bei Erkrankungen im HNO-Bereich und im Bereich der Augen (Sinusitis, Refraktionsanomalien, Glaukom)
Migräne und andere Kopfschmerzen
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Die anderen oben angeführten primären Kopfschmerzerkrankungen sind sehr selten. Aufgrund geringer Patientenzahlen fehlen systematischen Untersuchungen zu deren Verlauf in der Schwangerschaft. Alle sekundären Kopfschmerzen können in der Schwangerschaft ebenso wie auch außerhalb der Schwangerschaft auftreten. Die Subarachnoidalblutung und die Sinusvenenthrombose weisen in der Schwangerschaft eine erhöhte Inzidenz auf. Anatomische und pathophysiologische Überlegungen zu Kopfschmerzen Kopfschmerz entsteht durch Aktivierung von schmerzsensitiven Strukturen des Schädels. Die großen extrakraniellen Gefäße, die proximalen Anteile der intrakraniellen Arterien, die venösen Sinus und die Dura mater besitzen schmerzempfindliche freie C-Faserendigungen, die über den ersten Ast des Nervus trigeminus, den N. ophthalmicus, und das Ganglion Gasseri die Neurone des sensiblen Trigeminuskerns (Nucleus caudalis) im Hirnstamm erreichen (trigeminovaskuläres System). Strukturen der hinteren Schädelgrube werden von den sensiblen Nerven der Wurzel C2 versorgt. Zwischen dem N. trigeminus und den Nerven der oberen Zervikalwurzeln bestehen Anastomosen. Dadurch ist zu erklären, warum der Schmerz bei der Migräne nicht nur temporal oder frontal lokalisiert sein kann, sondern ebenso parietal, okzipital oder nuchal. Umgekehrt kann eine Irritation der Zervikalwurzeln auch zu einer Schmerzausstrahlung nach frontal führen (Kerr 1961). Im Tierexperiment an Primaten führt Stimulation von vaskulären Afferenzen zur Aktivierung von Neuronen des Nucleus caudalis n. trigemini und von Neuronen des Hinterhorns auf Höhe C1 und C2 (trigeminozervikaler Komplex) (Hoskin et al. 1999, Goadsby et al. 1997). Von dort wird das nozizeptive Signal über den quintothalamischen Trakt zu den medialen Kernen des posterioren Komplexes des Thalamus und dann zum Kortex (Insula, frontaler Kortex, anteriores Zingulum) übertragen. Aktivierung des trigeminovaskulären Systems führt lokal zur Erhöhung des zerebralen Blutflusses, zu perivaskulärem Ödem und zur Freisetzung von schmerzvermittelnden und gefäßaktiven Peptiden wie Substanz P, Calcitonin-gene related peptide (CGRP) und vasoaktivem intesinalem Peptid. Das trigeminovaskuläre System ist bei sämtlichen Kopfschmerzformen involviert. Es kann durch unterschiedliche Mechanismen aktiviert werden (direktes Trauma, mechanische, chemische und humorale Faktoren). Auch Östrogen und andere Geschlechtshormone interagieren mit dem trigeminovaskulären System. Östrogene haben einen Einfluss auf die Gefäßreaktivität, indem sie die Konzentration von Vasodilatatoren wie Stichstoffmonoxid (NO) erhöhen und Vasokonstriktoren wie Endothelin vermindern (Gerhard und Creager 1996). Darüber hinaus konnte tierexperimentell in der Spätschwangerschaft eine reduzierte Sensitivität intra- und extrakranieller Gefäße auf adrenerge Stimulation nachgewiesen werden (Hardebo und Edvinsson 1977).
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Gabriele Johanna Sixt
Diagnostik Die Erhebung einer ausführlichen Anamnese ist der wichtigste Schritt in der diagnostischen Zuordnung von Kopfschmerzen. Bei den meisten primären Kopfschmerzformen ist sie das einzige zielführende diagnostische Instrument. Weder die klinische Untersuchung noch etwaige Zusatzdiagnostik ergeben einen pathologischen Befund. Darüber hinaus ist die Anamnese Grundvoraussetzung für das therapeutische Vorgehen, da ein und dieselbe Kopfschmerzerkrankung sehr unterschiedlich verlaufen kann. Da es für die meisten Patienten sehr schwierig ist, Schmerzen exakt zu schildern, sollte der Arzt gezielte Fragen stellen (Tabelle 3). Lässt sich ein Kopfschmerzsyndrom nicht eindeutig einer primären Kopfschmerzerkrankung zuordnen, bzw. findet sich in der neurologischen Untersuchung ein pathologischer Befund, muss weitere Diagnostik durchgeführt werden, denn dann besteht der Ver-
Tabelle 3. Kopfschmerzanamnese Seit wann? Bereits vor der Schwangerschaft Kopfschmerzen? Wie oft? Lokalisation? Dauer einer Kopfschmerzattacke? Intensität? Beeinträchtigung bei der Verrichtung der täglichen Aktivitäten? Schmerzcharakter? Verlauf? Langsame Entwicklung versus plötzlichem Auftreten? Wann treten die Kopfschmerzen auf? Tageszeitliche Bindung (ausschließlich nachts)? Begleitsymptome? Auraphänomene? Auslösefaktoren? Bisherige Therapie? Positive Familienanamnese?
Migräne und andere Kopfschmerzen
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Kopfschmerz in der Schwangerschaft
Neurologischer Status unauffällig?
Nein
+
Kopfschmerz vom Spannunstyp oder Migräne?
Ja
Nein
Symptomatische Behandlung
erfolgreich
nicht erfolgreich, Kopfschmerz persistierend
sorgfältige Beobachtung
Diagnostische Abklärung: Labor Bildgebung Liquor Toxika (Serum, Harn)
Abbildung 1. Diagnostischer Algorhithmus
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Gabriele Johanna Sixt
Tabelle 4. Indikationen für bildgebende Diagnostik • Plötzliches Auftreten außergewöhnlich starker Kopfschmerzen (Donnerschlagkopfschmerz) • Neurologischer Herdbefund außerhalb einer Migräneaura • Hohes Fieber und Meningismus • Therapierefraktäre, progrediente Kopfschmerzen dacht auf eine symptomatische Kopfschmerzform. Bei einigen primären Kopfschmerzsyndromen, wie z.B. dem Hustenkopfschmerz oder dem Kopfschmerz durch körperliche Anstrengung oder sexuelle Aktivität, darf diese Diagnose erst nach Ausschluss einer Ursache gestellt werden. In der Schwangerschaft wird man besonders genau abwägen, ob die Durchführung bildgebender Diagnostik notwendig ist. Wenn es sich um eine bereits seit langem bestehende Kopfschmerzerkrankung handelt und die gegenwärtigen Beschwerden den früheren Beschwerden im Charakter gleichen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass es sich um eine gefährliche Kopfschmerzerkrankung handelt. Bei den in der Tabelle 4 angeführten Punkten, sollte man bildgebende Diagnostik allerdings auch in der Schwangerschaft in Betracht ziehen. In der Abbildung 1 ist das Vorgehen beim Symptom Kopfschmerz anhand eines diagnostischen Algorhithmus dargestellt. Therapie Primäre Kopfschmerzen wie die Migräne und der Kopfschmerz vom Spannungstyp können nur symptomatisch behandelt werden. Da es sich zwar um lästige Beschwerden, aber nicht um eine gefährliche Krankheit handelt, sollte vor einer medikamentösen Therapie, die nie absolute Sicherheit für das Ungeborene garantiert, eine nicht-pharmakologische Behandlung erfolgen. Bei den sekundären Kopfschmerzen steht prinzipiell die Behandlung der Grundkrankheit im Vordergrund.
Migräne Klinik Die Migräne ist eine Erkrankung mit periodisch auftretenden Kopfschmerzattacken, die typischerweise mit vegetativen Begleitsymptomen wie Übelkeit bis hin zum Erbrechen sowie Photo-, Phono- und Osmophobie (Abneigung
Migräne und andere Kopfschmerzen
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Tabelle 5. Diagnostische Kriterien (IHS, 2003) Migräne ohne Aura (früher: einfache Migräne, Hemikranie) A Mindestens 5 Attacken, welche die Kriterien B–D erfüllen B Kopfschmerzattacken, die (unbehandelt oder erfolglos behandelt) 4–72 Stunden anhalten C Der Kopfschmerz weist mindestens 2 der folgenden Charakteristika auf: 1. einseitige Lokalisation 2. pulsierender Charakter 3. mittlere oder starke Schmerzintensität 4. Verstärkung durch körperliche Routineaktivitäten (z.B. Gehen oder Treppensteigen) oder diese führen zu deren Vermeidung D Während des Kopfschmerzes besteht mindestens eines: 1. Übelkeit und/oder Erbrechen 2. Photophobie und Phonophobie E Nicht auf eine andere Erkrankung zurückzuführen Typische Aura mit Migränekopfschmerz (früher: klassische Migräne, opthalmische, hemiparästhetische, hemiplegische oder aphasische Migräne, migraine accompagnée, komplizierte Migräne) A Mindestens 2 Attacken, welche die Kriterien B–D erfüllen B Die Aura besteht aus mindestens einem der folgenden Symptome, nicht aber aus einer motorischen Schwäche: 1. vollständig reversible visuelle Symptome mit positiven (z.B. flackernde Lichter, Punkte oder Linien) und/oder negativen Merkmalen (d.h. Sehverlust) 2. vollständig reversible sensible Symptome mit positiven (d.h. Kribbelmissempfindungen) und/oder negativen Merkmalen (d.h. Taubheitsgefühl) 3. vollständig reversible dysphasische Sprachstörung C Wenigstens 2 der folgenden Punkte sind erfüllt: 1. homonyme visuelle Symptome und/oder einseitige sensible Symptome 2. wenigstens ein Aurasymptom entwickelt sich allmählich über ≥ 5 Minuten hinweg und/oder verschiedene Aurasymptome treten nacheinander in Abständen von ≥ 5 Minuten auf 3. jedes Symptom hält ≥ 5 Minuten und ≤ 60 Minuten an D Kopfschmerzen, die die Kriterien B–D für eine Migräne ohne Aura erfüllen, beginnen noch während der Aura oder folgen der Aura innerhalb von 60 Minuten E Nicht auf eine andere Erkrankung zurückzuführen
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Gabriele Johanna Sixt
gegen Gerüche) einhergehen. Häufig wird der Kopfschmerz in Ruhe als drückend empfunden, bei körperlicher Aktivität als pochend, pulsierend. Rund 10–15% der Migränepatienten haben vor Beginn der Kopfschmerzen eine Aurasymptomatik, d.h. neurologische Reiz- oder Ausfallserscheinungen, die sich langsam über 5–10 Minuten entwickeln und sich normalerweise innerhalb von 60 Minuten komplett zurückbilden. Die häufigsten Aurasymptome sind visuelle Phänomene, wie ein sich langsam ausbreitendes Flimmern, gezackte Fortifiaktionsspektren („Teichopsie“), partielle Gesichtsfeldausfälle bis hin zur Hemianopsie. Typische, aber weniger häufige Aurasymptome sind auch einseitige, sich langsam ausbreitende Sensibilitätsstörungen (Parästhesien, Dysästhesien, Hypästhesien), eine Sprachstörung oder eine motorische Schwäche (dann als hemiplegische Migräne zu klassifizieren). Häufig treten mehrere Aurasymptome gleichzeitig oder in Folge auf. Die Symptome der Migräneaura entwickeln sich langsam und unterscheiden sich dadurch von der transitorisch-ischämischen Attacke, bei der das neurologische Defizit fast immer schlagartig auftritt. Die diagnostischen Kriterien der internationalen Kopfschmerzgesellschaft (IHS) der Migräne ohne und mit Aura sind der Tabelle 5 zu entnehmen. Migräne und Geschlechtshormone Es gibt ein Reihe von Hinweisen, dass ein Zusammenhang besteht zwischen Migräneverlauf und Veränderungen der weiblichen Geschlechtshormone, wie sie biologischerweise im Leben einer Frau vorkommen (Tabelle 6). Die Erstmanifestation der Migräne liegt häufig um den Zeitpunkt der Menarche, viele Patientinnen geben ein vermehrtes Auftreten der Attacken in zeitlichem Zusammenhang zur Menstruation an, viele Patientinnen erfahren während der Schwangerschaft eine Besserung ihrer Migräne. Der Verlauf der Migräne zur Zeit der Menopause ist sehr variabel (Granella et al. 1993, Cupini et al. 1995, Neri et al. 1993). Nachdem die Menopause längere Zeit besteht (mehr als 2 Jahre) wird schließlich häufig eine Besserung oder gar ein Sistieren beobachtet. Epidemiologie In den westlichen Industrienationen und den USA wird die Prävalenz der Migräne bei Frauen mit 16–25%, bei Männern mit 6–9% angegeben (Merikangas et al. 1990, Rasmussen et al. 1991). Frauen im gebärfähigen Alter stellen die Gruppe mit der höchsten Prävalenz dar. Eine Reihe von sowohl retrospektiven (Tabelle 7a) als auch prospektiven (Tabelle 7b) Studien beschäftigte sich mit der Frage, welchen Einfluss die Schwangerschaft auf den Migräneverlauf hat. Der größere Teil der Patientinnen hat in der Schwangerschaft eine Besserung der Migräne zu erwarten. Der Anteil beträgt in den unterschiedlichen
Migräne und andere Kopfschmerzen
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Tabelle 6. Einfluss der Geschlechtshormone auf den Migräneverlauf 1. Im Erwachsenenalter ist die Migräne beim weiblichen Geschlecht 2–3 x häufiger als beim männlichen, während bei Kindern das Verhältnis ausgeglichen ist. Dieser hormonelle Einfluss tritt bei der Migräne ohne Aura im Vergleich zur Migräne mit Aura stärker zutage (Bousser 1999). 2. Die Migräne beginnt bei 1/3 der Patientinnen mit der Menarche (Silberstein 1996). 3. Bei 40–60% der Migränepatientinnen zeigt sich eine deutliche menstruelle Gebundenheit der Migräneattacken (Edelson 1985, Silberstein 1996), 7% leiden an einer so genannten echten menstruellen Migräne, d.h. an Attacken, die ausschließlich während der Menstruation bzw. bis zu 2 Tage davor oder 3 Tage danach auftreten (McGregor et al. 1990). 4. In der Schwangerschaft wird die Migräne meist besser. Postpartal treten Migräneattacken gehäuft auf (siehe Tabelle 7). 5. Nach der Menopause kommt es meist zur Besserung oder zum Sistieren der Migräne (Neri et al. 1993). 6. Hormonale Antikontrazeptiva können den Migräneverlauf beeinflussen. Eine Verschlechterung wird bei 24–35%, eine Besserung bei 5–8% der Patientinnen beschrieben. Unverändert tritt die Migräne bei 44–67% auf (Granella et al. 1993, Cupini et al. 1995, Mueller 2000). Bei triphasischen Antikontrazeptiva treten die Migräneattacken üblicherweise in der 7-tägigen Einnahmepause im Pillenzyklus auf. Bei der Migräne mit Aura kommt es hingegen bei 50–57% zu einer Verschlechterung (Granella et al. 2000, Cupini et al. 1995). Bei manchen Patientinnen kommt es zur Erstmanifestation in der ersten Monaten der Pilleneinnahme (Whitty et al. 1966, Bousser und Massiou 1993). 7. Eine Östrogenersatztherapie nach der Menopause kann zur Exazerbation einer Migräne führen (Kudrow 1975). Studien zwischen 57–87% (Lance und Anthony 1966, Sommerville 1972, Ratinahirana et al. 1990, Granella et al. 1993, Maggioni et al. 1997, Chen et al. 1994, Sances et al. 2003). Zu einer kompletten Remission der Migräne kommt es bei 17–78% (Sommerville 1972, Granella et al. 1993, Maggioni et al. 1997, Chen et al. 1994, Scharff et al. 1997, Sances et al. 2003, Ertresvåg et al. 2005). In manchen Studien ist die Besserung besonders deutlich im zweiten und dritten Trimenon, bei Patientinnen mit mentruationsgebundener Migräne, bei Beginn der Migräne mit der Menarche, bei Migräne ohne Aura und bei Primipara. Eine prospektive Studie fand nur bei 41% der Patientinnen eine Besserung, die Kopfschmerzaktivität wurde nicht beeinflusst durch eine vorbestehende mentruationsgebundene Migräne, Parität oder Besserung bei
38 200 31 7/38 (18%) 17/31 (55%) 7/31 (23%) 24/31 (77%) inkludiert unter Verschlechterung 7/31 (23%) (oder unverändert) n.b.
Anzahl der schwangeren Pat. mit Kopfschmerz/Migräne
Anzahl der Schwangerschaften
Vorbestehende Migräne
Erstmanifestation Migräne
Besserung der Migräne
Remission der Migräne
Besserung + Remission der Migräne
Migräne unverändert
Migräne verschlechtert
Variabler Verlauf
8/147 (5,4%)
10/147 (6,8%)
11/147 (7,5%)
102/147 (69%)
inkludiert unter Besserung
102 (69%)
16 (10,9%)
n.b.
147
116 (90 MO, 26 MA)
703
Ratinahirana (1990)
n.b.
20/571 (3,5%)
167/571 (29,2%)
384/571 (67%)
99 (17,4%)
285 (50%)
12 (1,3%)
571
943
943
1300
Granella (1993)
n.b.
n.b.
102 (21%)
n.b.
80 (17%)
302 (62%)
n.b.
n.b.
n.b.
484 Migräne
55 000*
Chen (1994)
MA Migräne mit Aura, MO Migräne ohne Aura, TTH Kopfschmerz vom Spannungstyp, n.b. nicht bekannt.
200
Anzahl der untersuchten Patientinnen
Sommerville (1972)
Tabelle 7a. Migräneverlauf in der Schwangerschaft: retrospektive Studien
n.b.
3/81 MO (3,8%) 0 MA 0 TTH
2/12 MA (16,6%) 8/81 MO (9,8%) 6 TTH (18,2%)
10/12 MA (83%) 70/81 MO (86,4%)
3/12 MA (25%) 2/81 MO (32%)
7/12 MA (58,4%) 44/81 MO (54,4%)
1 MO
92
n.b.
126 (81 MO, 12 MA, 33 TTH)
430
Maggioni (1997)
80 Gabriele Johanna Sixt
n.b.
n.b. n.b. 2/30 (6,7%)
Remission der Migräne
Migräne unverändert Migräne verschlechtert Kopfschmerz verschlechtert
n.b. n.b. 4/49 (8,2%)
n.b.
20/49 (41%)
1. Trim. 10,6% 2. Trim. 53,2% 3. Trim. 78,7% 3. Trim. 12,8% 0/49 n.b.
n.b. 1. Trim. 46,8% 2. Trim. 83,0% 3. Trim. 87,2% n.b.
n.b.
49 Migräne (47 MO, 2 MA)
392
Sances (2003)
81/410 (20%) 59/410 (14%) n.b.
215/856 (25,1%) Remission 236/410 (58%)
n.b. 34/410 (8%)
410 Migräne, 856 nichtmigränöse Kopfschmerzen 7/365 (1,9%)
1631
Ertresvåg (2005)
* Patientinnen, die am „National Institues of Health-supported Collaborative Perinatal Project“ teilnahmen MA Migräne mit Aura, MO Migräne ohne Aura, TTH Kopfschmerz vom Spannungstyp, KS Kopfschmerz, n.b. nicht bekannt.
11.5 (38,3%)
Besserung der Kopfschmerzen
49 (18 Migräne, 16 TTH, 15 kombinierter Kopfschmerz) 14 (1. Trimester) n.b. n.b.
30 (11 Migräne, 8 TTH, 11 kombinierter Kopfschmerz) n.b. 11 (36,7%) 17 (56,7%) im 2. Trimenon
49
Marcus (1999)
30
Erstmanifestation KS Besserung der Migräne
Erstmanifestation Migräne
Anzahl der untersuchten Patientinnen Anzahl der schwangeren Pat. mit Kopfschmerzen
Scharff (1997)
Tabelle 7b. Migräneverlauf in der Schwangerschaft: prospektive Studien
Migräne und andere Kopfschmerzen 81
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vorhergegangenen Schwangerschaften. Hierzu ist anzumerken, dass in der Studie allerdings auch Patientinnen mit Kopfschmerzen vom Spannungstyp und Patientinnen mit Migräne und gleichzeitig Kopfschmerzen vom Spannungstyp inkludiert waren, eine reine Migräne bestand nur bei insgesamt 18 Patientinnen (Marcus et al. 1999). Bei einigen Frauen tritt die Migräne in der Schwangerschaft unverändert (8–30%) auf, selten (3–14%) kommt es zur Verschlechterung (Ratinahirana et al. 1990, Granella et al. 1993, Maggioni et al. 1997, Chen et al. 1994, Ertresvåg et al. 2005). Migränepatientinnen, welche ausschließlich Attacken mit Aura haben, scheinen eher keine Besserung der Migräne in der Schwangerschaft zu erfahren (Kelman, 2004). Ebenfalls eher selten (1,3–18%) kann Migräne auch erstmals in der Schwangerschaft auftreten (Sommerville 1972, Ratinahirana et al. 1990, Granella et al. 1993, Ertresvåg et al. 2005). Meist handelt es sich um Berichte einer Migräne mit Aura. Dies dürfte daran liegen, dass Patientinnen, die erstmals in der Schwangerschaft einen Kopfschmerz mit fokaler neurologischer Symptomatik entwickeln, einen Arzt aufsuchen (Chancellor 1990, Wright 1986). Die Diagnose Migräne mit Aura als Erstdiagnose in der Schwangerschaft muss mit Vorsicht gestellt werden. Kopfschmerzen in Verbindung mit einem neurologischen Defizite können auch Symptom einer gefährlichen sekundären Kopfschmerzerkrankung wie z.B. Sinusvenenthrombose oder Prä-Eklampsie/Eklampsie sein. Postpartal treten Migräneattacken meist gehäuft auf (30–40%) (Aubé 1999, Silberstein 2001). Postpartale Kopfschmerzen können auch Folge einer Spinalanästhesie, einer akzidentiellen Durapenetration bei Periduralanästhesie oder Symptom einer postpartalen Eklampsie sein. Migräne und Stillperiode Das Stillen führt abhängig von der Stillfrequenz und -intensität zur Amenorrhoe, die im Mittel sechs Monate dauert (Labbok et al. 1997). Im Allgemeinen hält die Besserung der Migräne, wie sie im 2. und 3. Trimenon während der Schwangerschaft bestand, während der postpartalen Zeit mit stillenden Migränepatientinnen an. In der bereits oben zitierten Studie von Sances et al. (2003) kommt es im 1. postpartalen Monat bei 100% der Patientinnen, welche nicht stillten, zum Wiederauftreten der Migräne, hingegen nur bei 43,2% der stillenden Patientinnen. Pathophysiologie Migräne wird zu den neurovaskulären Kopfschmerzerkrankungen gerechnet. Primär neuronale Ereignisse führen sekundär zu Veränderungen an den Gefäßen mit Vasodilatation und Permeabilitätserhöhung. Die Episodizität und die intra- bzw. interindividuelle Variabilität der Erkrankung lassen sich am
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ehesten durch eine Dysfunktion eines Ionenkanals aminerger Hirnstammkerne, die die neuronalen Einflüsse auf kraniale Gefäße modulieren, verstehen. Bei der familiär hemiplegischen Migräne, einer seltenen Unterform der Migräne mit Aura, konnten Mutationen eines neuronalen spannungsabhängigen P/Q-Calcium-Kanals, einer Na+/K+-Pumpe und eines spannungsabhängigen Natrium Kanals identifiziert werden (Ophoff et al. 1996, De Fusco et al. 2003, Dichgans et al. 2005). Mutationen anderer Ionenkanäle könnten für die Aura bzw. den Migränekopfschmerz verantwortlich sein. Wie oben erwähnt, nimmt man bei der Migräne eine Dysfunktion von Hirnstamm- bzw. dienzephalen Kernen an. Diese spielen bei der Modulation nozizeptiver Reize eine Rolle. Mit Hilfe der PET (Positronenemissionstomographie) konnte während spontaner Migräneattacken eine erhöhte Aktivität von Arealen im Hirnstamm entsprechend dem dorsalen Raphekern (v.a. serotonerg) und dem Locus coeruleus (v.a. noradrenerg) nachgewiesen werden. Diese Aktivierung bleibt auch nach erfolgreicher Attackentherapie mit dem spezifischen Migränemittel Sumatriptan weiter bestehen. Die Rückkehr zur Ausgangsaktivität erfolgt erst im attackenfreien Intervall (Weiller et al. 1995). Die schmerzempfindlichen freien C-Faserendigungen der Dura und der Gefäße erreichen über den ersten Trigeminusast und das Ganglion Gasseri die Neurone des Nucleus caudalis im Hirnstamm. Die C-Fasern enthalten vasoaktive Neuropeptide wie Substanz P und Calcitonin gene related peptide (CGRP). Während akuter Migräneattacken konnte eine erhöhte Ausschüttung von CGRP nachgewiesen werden (Goadsby et al. 1990). Im Tierversuch führte die Ausschüttung der Neuropeptide nach Stimulation des Ganglion Gasseri zu einer Kettenreaktion mit Vasodilatation kleiner meningealer Gefäße, erhöhter endothelialer Permeabilität, perivaskulärer Plasmaextravasation, Aktivierung von Thrombozyten, Degranulation von Mastzellen und Freisetzung von Entzündungsmediatoren wie Histamin, Serotonin, Prostaglandinen. Für diese Effekte wurde der Begriff „neurogene Entzündung“ geprägt (Moskowitz et al. 1989). Trotz der vielen Hinweise gibt es nur wenige Untersuchungen zum Einfluss der Geschlechtshormone auf die Migräne. Die menstruelle Migräne scheint durch den abrupten Östrogenabfall kurz vor der Menstruation getriggert zu werden. In einer Reihe von Experimenten, die in den 70er Jahren durchgeführt wurden, konnte gezeigt werden, dass die prämenstruelle Verabreichung von Östrogen das Auftreten der Migräneattacke verhindert. Nach Gabe von Progesteron verzögert sich zwar die Menstruation, nicht jedoch die Migräneattacke. Das Fluktuieren des Östrogenspiegels scheint also der entscheidende Trigger der menstruellen Migräne zu sein (Martin und Behbehani 2006, Sommerville 1972a, Sommerville 1972b, Sommerville 1975). Warum jedoch dieser Östrogenabfall der Auslöser für eine Migräneattacke ist, bleibt unklar. Es wurde eine Reihe von Studien zur Bestimmung des Hormonstatus von Patientinnen mit menstrueller Migräne durchgeführt. Konsistente Ergebnisse ließen sich nicht erzielen. Zudem wurden nur bei wenigen Studien Nicht-Migränepatientinnen und Migränepatientinnen ohne mens-
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truelle Migräneattacken als Kontrollgruppe untersucht. Die Mehrzahl der Studien fand keine veränderten Östrogen- bzw. Progesteronspiegel bei Patientinnen mit menstrueller Migräne (Epstein et al. 1975, Davies et al. 1989). Auch Bestimmungen der Konzentrationen von Testosteron, Follikel-stimulierendem Hormon (FSH) und luteinisierendem Hormon (LH) ergaben Normalbefunde (Silberstein und Merriam 1991). Folgende biochemische und hormonelle Veränderungen wurden bei Patientinnen mit menstrueller Migräne beobachtet: erhöhte Prolaktinfreisetzung durch Dopaminantagonisten, fehlende LH-Antwort auf Naloxon in der späten lutealen Phase (hinweisend auf verminderte hypothalamische Opioidaktivität) (Martignoni et al. 1987), Verlust der hormonellen Antwort auf Clonidin als Hinweis auf eine verminderte prämenstruelle Sensitivität der postsynaptischen α2-Rezeptoren (Facchinetti et al. 1989), verminderte Magnesiumkonzentration in Leukozyten (Facchinetti et al. 1991). Andere Faktoren, die eine Rolle bei der Entstehung der menstruellen Migräne spielen könnten, sind ein direkter Effekt des Östradiols auf die Gefäßreaktivität mit einer durch den Östrogenentzug induzierten Vasodilatation (Eccles et al. 1984), eine erhöhte Prostaglandin E2- und F2-Sekretion (Nattero et al. 1989) und ein verminderter Serotoningehalt der Thrombozyten (Hannington et al. 1982). Ob diese Beobachtungen nur Epiphänomene darstellen oder ursächlich an der Auslösung der menstruellen Migräne beteiligt sind, ist nicht geklärt. Die überwiegend zu beobachtende Besserung der Migräne in der Schwangerschaft führt man analog zu den Beobachtungen bei menstrueller Migräne auf den anhaltend hohen Östrogenspiegel (bis zu 100-fach erhöht) und die Unterdrückung von Hormonfluktuationen zurück (Edelson 1985). Andere Hypothesen schlagen einen veränderten Serotoninmetabolismus in der Schwangerschaft und erhöhte Endorphinspiegel in den letzten beiden Trimestern vor (Sicuteri 1980). Durch Experimente weiß man, dass in der Schwangerschaft die Schmerzschwelle erhöht ist (Gintzler 1980, Cogan und Spinnato 1986). Durch chronische Verabreichung eines Opiatantagonisten bei schwangeren Ratten wurde diese Erhöhung der Schmerzschwelle blockiert. Daraus leitet sich ab, dass die Erhöhung der Schmerzschwelle durch ein endogenes Opioidsystem vermittelt wird (Dawson-Basoa und Gintzler 1993). Ob dies allerdings auch eine Rolle bei der Migräne spielt, ist unklar. All diese Konzepte versuchen, die Besserung der Migräne in der Schwangerschaft zu erklären. Eine Verschlechterung oder gar Neuauftreten kann dadurch nicht erklärt werden. Man sollte aber nicht vergessen, dass sowohl die Migräneerkrankung als auch eine einzelne Migräneattacke multifaktoriell bedingt sind. Eine Rolle spielen nicht nur endogene (genetische, hormonelle) Veränderungen sondern auch exogene Faktoren wie physischer und psychischer Stress.
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Genetik Aus Familien- und Zwillingsstudien sowie in den letzten Jahren durch molekulargenetische Untersuchungen weiß man, dass Migräne eine genetisch determinierte Erkrankung ist. Für die familiär-hemiplegische Migräne (FHM), eine seltene autosomal dominant vererbte Unterform der Migräne, konnten bisher Mutationen auf drei verschiedenen Chromosomen identifiziert werden. Bei der FHM1 finden sich Mutationen im CACNA1A-Gen auf Chromosom 19p13, bei der FHM2 Mutationen im ATP1A2-Gen auf Chromosom 1q13 (Ophoff et al. 1996, De Fusco et al. 2003). Erst kürzlich wurde von einer Mutation im SCN1A-Gen auf Chromosom 2q24 bei drei Familien mit familiär-hemiplegischer Migräne berichtet (Dichgans et al. 2005). Bei der häufigen Migräne ohne und mit typischer Aura konnten diese Mutationen bisher nicht nachgewiesen werden. Verwandte ersten Grades von Patienten mit Migräne ohne Aura haben ein 1,9-fach erhöhtes Risiko, selbst an Migräne ohne Aura zu erkranken. Bei der Migräne mit Aura ist das Risiko für Verwandte ersten Grades sogar 4-fach erhöht. Die Konkordanzrate bei zweieiigen Zwillingen liegt bei ca. 14%, bei eineiigen Zwillingen bei ca. 50% (Haan et al. 1997). Da also ein Erbgang mit unvollständiger Penetranz vorliegt, müssen noch andere, nicht genetische Faktoren an der Entstehung der Krankheit beteiligt sein. Diagnostik Die Diagnose Migräne wird durch Erhebung einer sorgfältigen Anamnese in Verbindung mit einem unauffälligen neurologischen Untersuchungsbefund gestellt. Bei klarer Anamnese und normalem neurologischem Status ist weitere Diagnostik weder indiziert noch hilfreich. Die Diagnose Migräne kann dadurch nicht weiter gesichert werden. Bei Verdacht auf symptomatische Kopfschmerzformen allerdings ist die Durchführung von Zusatzuntersuchungen zur Diagnosestellung unentbehrlich. Differenzialdiagnose In der Schwangerschaft muss man bei Erstmanifestation einer Migräne oder aber bei Änderung der Kopfschmerzcharakteristik einer vorbestehenden Migräneerkrankung symptomatische Kopfschmerzformen als mögliche Ursache bedenken. Eine wichtige Differenzialdiagnose in der Schwangerschaft stellt die Sinusvenenthrombose dar. Zum einen ist das Risiko, eine Sinusvenenthrombose in der Schwangerschaft zu entwickeln, erhöht, zum anderen kann die klinische Symptomatik mit Kopfschmerzen und vegetativen Begleitsymptomen von einer Migräneattacke ununterscheidbar sein. Die fokal-neurologische Symptomatik bei der Sinusvenenthrombose kann ge-
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rade initial fluktuierend sein und somit eine Migräneaura imitieren. Weitere relevante Differenzialdiagnosen sind die idiopathische intrakranielle Drucksteigerung (Pseudotumor cerebri) und die Kopfschmerzen als Symptom einer Prä-Eklampsie/Eklampsie v.a. ab der 20. Schwangerschaftswoche. Therapie Allgemeines Die Migräne per se birgt weder ein erhöhtes Risiko für die Schwangere noch für den Fötus. Sie ist nicht assoziiert mit einer erhöhten Rate an Fehlgeburten, kongenitalen Fehlbildungen oder Totgeburten (Wainscott et al. 1978). Eine potenzielle Gefahr für den Embryo bzw. Fötus kann aber von Medikamenten zur Behandlung der Migräne ausgehen; kein Medikament kann als absolut unbedenklich eingestuft werden. Es sollten deswegen in der Schwangerschaft noch mehr als sonst sämtliche nicht-medikamentöse TherapieverTabelle 8. Einteilung der Medikamente nach Risikokategorien der FDA Kategorie A Kontrollierte humane Studien ergeben keinen Hinweis auf ein Risiko Kategorie B Kein Hinweis auf ein Risiko beim Menschen, aber Fehlen von kontrollierten humanen Studien Kategorie C Ein Risiko beim Menschen kann nicht ausgeschlossen werden Kategorie D Hinweise auf ein Risiko beim Menschen durch humane Studie oder Tierexperimente Kategorie X In der Schwangerschaft kontraindiziert, Risiko überwiegt in jedem Fall einen möglichen Benefit des Medikamentes Tabelle 9. Einschätzung von Medikamenten für das Stillen • • • • •
(E) (F) (G) (H) (I)
kontraindiziert vorübergehendes Abstillen erforderlich Effekt unklar, aber bedenklich Vorsicht geboten kompatibel
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fahren ausgeschöpft werden (Schlaf, lokale Kälteapplikation, Biofeedback, progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen). Viele Frauen mit Migräneattacken leichter bis mittlerer Intensität sind bereit auf Medikamente zu verzichten, wenn sie darüber aufgeklärt werden, dass die Migräne nach dem ersten Trimenon häufig besser wird oder gar für die Dauer der Schwangerschaft sistieren kann. Gerade aber im ersten Trimenon, der kritischen Zeit der Organogenese, kann es in Unkenntnis der Schwangerschaft ungewollt zur Medikamenteneinnahme kommen (schätzungsweise sind 50% der Schwangerschaften ungeplant). Eine medikamentöse Behandlung kann außerdem notwendig werden, wenn die Migräne in unveränderter Schwere auftritt. Die FDA (Food and Drug Administration) teilt alle in den USA zugelassenen Medikamente in 5 Risikokategorien (A, B, C, D, X) ein (siehe Tabelle 8) (Briggs et al. 2002). Berücksichtigt wird sowohl das potenzielle Risiko für den Fötus (Embryotoxizität, Fötotoxizität, Teratogenität) als auch der mögliche Nutzen eines Medikamentes bei einer bestimmten Erkrankung. Eine Einschätzung der Medikamente für das Stillen erfolgte durch die amerikanische Vereinigung der Pädiater (Tabelle 9) (American Academy of Pediatrics 1994). Akuttherapie Die meisten Patienten haben bereits die Erfahrung gemacht, dass Reizabschirmung und Rückzug in ein abgedunkeltes, lärmgeschütztes Zimmer die Migränesymptome lindert. Hilfreich können auch das Auflegen von Eis oder einem kalten Waschlappen auf die Stirn bzw. Schläfe sein. Gelegentlich können Patientinnen im Anfangsstadium den Schmerz mit einer Tasse Kaffee kupieren. Gelingt es nicht, den Kopfschmerz durch nicht pharmakologische Tabelle 10. Akuttherapie der Migräneattacke 1. Stufe: nicht-pharmakologisch Rückzug in dunkles, ruhiges Zimmer Entspannung, Schlaf Lokale Kälteapplikation Ev. Tasse Kaffee 2. Stufe: pharmakologisch Metoclopramid 10–20 mg und 1. Wahl Paracetamol 500–1000 mg oder 2. Wahl NSAR (Naproxen 500 mg, Ibuprofen 400–800 mg) im 2. Trimenon oder 3. Wahl Acetylsalicylsäure 1000 mg im 2. Trimenon
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Tabelle 11. Medikamentenklasse
Risiko für den Fötus (FDA)
Stillen
Einfache Analgetika
Paracetamol Koffein* Acetylsalicylsäure
B B C (D)
I I H
Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)
Ibuprofen Indomethacin Naproxen Diclofenac
B (D) B (D) B (D) B (D)
I I I I
Spezifische Migränemittel (Mutterkornalkaloide, Triptane)
Ergotamin/ Dihydroergotamin Sumatriptan Rizatriptan Zolmitriptan
X C C C
E H H H
Antiemetika
Metoclopramid Domperidon**
B
G
Andere
Metamizol** Prednison* Morphine*
B (D***) B (D)
I I
In der 3. Spalte ist die Einordnung in die FDA-Katergorien erwähnt. Der Buchstabe in Klammer bezieht sich auf das 3. Trimenon bzw. die Zeit kurz vor der Geburt. * Von der österreichischen Kopfschmerzgesellschaft nicht zur Akuttherapie der Migräneattacke empfohlen, ** in den USA nicht zugelassen, deswegen keine Einteilung in die FDA-Kategorien, *** im 1. Trimenon.
Maßnahmen auf ein erträgliches Maß herabzusetzen, können in der Schwangerschaft die in Tabelle 10 erwähnten Medikamente verwendet werden (Pfaffenrath et al. 1998). Wenn ein Analgetikum allein nicht ausreichend wirksam ist, sollte es unabhängig davon, ob eine Übelkeit besteht oder nicht, mit einem Antiemetikum kombiniert werden. Antiemetika kupieren nicht nur die bei einer Migräneattacke meist bestehende Übelkeit, sondern verbessern auch die Resorption der Analgetika, welche durch Stase der Magenperistaltik in der Migräneattacke deutlich vermindert ist. In der Tabelle 11 sind sämtliche Medikamente aufgeführt, welche zur Attackenkupierung der Migräne in Verwendung sind. Zu beachten ist, dass nicht alle der angeführten Medikamente von der österreichischen bzw. der deutschen Kopfschmerzgesellschaft in den jeweiligen Therapierichtlinien zur Migränebehandlung empfohlen werden, da der wissenschaftliche Wirksamkeitsnachweis zum Teil fehlt. Paracetamol kann in therapeutischen Dosen über kürzere Zeit in allen Stadien der Schwangerschaft relativ sicher verwendet werden.
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Koffein. Der Konsum mäßiger Dosen bis zu 300 mg (1 Tasse Kaffee enthält 66–146 mg Koffein) dürfte kein Risiko für den Fötus darstellen. Hohe Dosen (≥ 300 mg) vermindern das Plazentagewicht und stehen ev. in Zusammenhang mit Spontanaborten und Infertilität. Acetylsalicylsäure sollte in der für die Migränebehandlung notwendigen hohen Dosierung von 500–1500 mg vermieden werden, da es in dieser Dosierung mit erhöhter fötaler Mortalität, intrauteriner Wachstumsretardierung, kongenitaler Salicylatintoxikation und Hämorrhagien assoziiert ist. NSAR sind im ersten und zweiten Trimenon relativ sicher. Am Ende der Schwangerschaft reduzieren sie die Amnionflüssigkeit, peripartal können sie den Geburtsvorgang hemmen. Zusätzlich erhöhen sie das Blutungsrisiko. Durch Hemmung der Prostaglandinsynthese haben sie auch einen Einfluss auf Ovulation, Implantation und Plazentavaskularisation und können bei Langzeitanwendung zu reversibler Infertilität führen (Mendonca et al. 2000, Stone et al. 2002). Bei Einnahme von Acetylsalicylsäure oder NSAR (besondere Vorsicht bei Indomethacin und Diclofenac geboten) im dritten Trimenon besteht die Gefahr eines vorzeitigen Verschlusses des Ductus arteriosus Botalli mit konsekutiver pulmonaler Hypertension beim Neugeborenen mit ev. fatalem Ausgang. Bei Nichtansprechen auf einfache Analgetika verwendet man zur Behandlung der Migräneattacke spezifische Migränemittel. Seit den 90er Jahren steht hierzu die Substanzgruppe der Triptane (Sumatriptan, Zolmitriptan, Rizatriptan, Eletriptan, Almotriptan, Frovatriptan) zur Verfügung. Die Triptane aktivieren postsynaptisch vasokontriktive 5-HT 1B/1D-Rezeptoren auf der Oberfläche der glatten Gefäßmuskulatur und hemmen die Plasmaextravasation sowie Freisetzung vasoaktiver Neuropeptide durch präsynaptische 5-HT 1D (und B)-Rezeptoren. Ferner binden Triptane an Neurone der Hirnstammkerne des N. trigeminus und hemmen so die Transmission von Schmerzsignalen. Sie sind den Mutterkornalkaloiden an Wirksamkeit überlegen und weisen aufgrund ihrer hohen Rezeptorspezifität weniger Nebenwirkungen auf. In der Schwangerschaft sind sie allerdings nicht zugelassen. Alle Triptane werden von der FDA in die Risikokategorie C eingeordnet. Zum Sumatriptan gibt es mehrere prospektive Studien, die sich mit dem Fehlbildungsrisiko nach Sumatriptanexposition in der Schwangerschaft (überwiegend erstes Trimenon) beschäftigen. Bei mehreren Hundert schwangeren Patientinnen (z.T. überlappende Populationen) konnte im Vergleich zu Kontrollgruppen bzw. zur Normalbevölkerung weder ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko noch eine erhöhte Spontanabortrate gefunden werden (Shuhbaiber et al. 1998, O’Quinn et al. 1999, Reiff-Eldridge et al. 2000, Källén et al. 2001, Fox et al. 2002). Die bisher erhobenen Daten zu Sumatriptan und Schwangerschaft sind also ermutigend. Allerdings ist die Zahl an Schwangerschaften unter Sumatriptanexposition noch zu gering, um definitiv ein vielleicht auch nur gering erhöhtes Risiko für Fehlbildungen aus-
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zuschließen. Hinzu kommt, dass die Kinder meist kurz nach der Geburt beurteilt wurden. Um eine Fehlbildung endgültig ausschließen zu können, müsste eine abschließende Beurteilung erneut im Alter von 4 Jahren erfolgen. Bis zur endgültigen Sicherheit sollte daher schwangeren Frauen weiterhin Sumatriptan nicht verabreicht werden. Bei versehentlicher Einnahme ist ein Schwangerschaftsabbruch allerdings nicht indiziert (Loder 2003). Im Gegensatz zu den Mutterkornalkaloiden führt Sumatriptan nicht zu Uteruskontraktionen (Feniuk et al. 1989). Eine rezente Veröffentlichung mit Daten aus dem Schwangerschaftsregister der Firma Merck & Co. findet auch bei der Substanz Rizatriptan keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Spontanaborte oder kongenitale Fehlbildungen. Bei insgesamt 65 prospektiven Berichten von Lebendgeburten wurden zwei kongenitale Anomalien beobachtet, was einem prozentuellen Anteil von 3,1% entspricht und damit nicht höher ist als in der Normalbevölkerung zu erwarten (Fiore et al. 2005). Prinzipiell kann derzeit die Einnahme von sämtlichen Triptane in der Schwangerschaft nicht empfohlen werden. Die Datenlage ist noch zu gering. Präparate, die Ergotamin oder Dihydroergotamin enthalten, so genannte Mutterkornalkaloide sind in der Schwangerschaft absolut kontraindiziert. Im Tierexperiment (Ratten) sind hohe Dosen embryotoxisch, niedrige Dosen teratogen. Mutterkornalkaloide führen durch Vasokonstriktion und durch langanhaltende Uteruskontraktionen zur Verminderung der Plazentaperfusion. In großen Studien war die Fehlbildungsgsrate deutlich erhöht. Die intestinale Atresie ist eine charakteristische durch Ergotamine verursachte Fehlbildung. Metoclopramid kann als relativ sicher angesehen werden. Es ist nicht assoziiert mit Spontanaborten oder kongenitalen Malformationen. Domperidon ist in den USA nicht zugelassen. In Tierexperimenten bis zu einer Dosis von 160 mg/kg/Tag war es weder embryotoxisch noch teratogen. Aufgrund der möglichen ZNS-Nebenwirkungen von Metoclopramid und Domperidon ist Vorsicht in der Stillzeit geboten. Metamizol ist bei der Migräneattacke gut wirksam. Aufgrund einer möglichen Überempfindlichkeitsreaktion mit den Symptomen eines Schocks oder Blutzellschädigungen (Agranulozytose, Leukopenie, Thrombozytopenie), die auch nach mehrfach komplikationsloser Anwendung auftreten können, sollte es prinzipiell nur bei Versagen anderer Medikamente verwendet werden. Im ersten Trimenon darf es nur bei zwingender Notwendigkeit angewendet werden, bei Einnahme in den letzten 6 Wochen der Schwangerschaft besteht das Risiko für einen vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus Botalli. Metamizol geht nur in geringer Menge in die Muttermilch über. Prednison wird nur beim Status migränosus in Ausnahmefällen eingesetzt. Die unter Cortison beschriebenen orofazialen Spaltbildungen sind speziesspezifisch für Ratten. Es gibt Einzelfallberichte über das Auftreten einer kongenitalen Katarakt (Kraus 1975). Morphine sind generell bei Migräne schlecht wirksam. In der Kopfschmerzbehandlung sollten sie nur bei akuten, sehr starken sekundären Formen wie
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z.B. der SAB gegeben werden. Da sie die Plazenta sehr rasch passieren, besteht bei wiederholtem Gebrauch eine hohe Gefahr der Entwicklung einer Abhängigkeit beim Fötus. Wenn sie nur ganz kurze Zeit eingenommen werden, sind sie relativ sicher. Hinweise auf Teratogenität bestehen nicht. Status migränosus Eine stark beeinträchtigende Migräneattacke, die länger als 72 Stunden andauert, wird als Status migränosus bezeichnet. Diese Migränekomplikation ist selten, sie entwickelt sich fast ausschließlich durch missbräuchliche Einnahme von spezifischen Migränemitteln über längere Zeit. Bei trotz analgetischer Behandlung langanhaltenden Kopfschmerzen ev. mit autonomen Begleitsymptomen, ist eine sorgfältige neurologische und allgemeinmedizinische Untersuchung unabdingbar, um sekundäre Kopfschmerzformen auszuschließen (Sinusvenenthrombose, Meningoenzephalitis, Blutung, PräEklampsie, metabolische Ursache). Nach Ausschluss anderer Kopfschmerzursachen kann eine durch orale Medikamente in der Schwangerschaft nicht beherrschbare Migräne durch intravenöse Verabreichung von Medikamenten behandelt werden (siehe Tabelle 12). Tabelle 12. Behandlung des Status migränosus Metoclopramid (10 mg) i.v. und Paracetamol 1000 mg i.v. und/oder Prednison 100–250 mg
Prophylaxe Die Migräneprophylaxe hat zum Ziel sowohl die Attackenfrequenz als auch die Attackenintensität herabzusetzen. Eine Prophylaxe wird dann als erfolgreich angesehen, wenn es zu einer mindestens 50%igen Reduktion der Häufigkeit und des Schweregrades der Migräneattacken kommt. Während der Schwangerschaft ist eine prophylaktische Therapie nur ganz ausnahmsweise indiziert. Sie sollte auf Patientinnen mit lang anhaltenden, häufigen Attacken mit heftigem Erbrechen oder ausgeprägter und prolongierter fokaler neurologischer Symptomatik im Rahmen einer Aura beschränkt bleiben. In diesen Fällen kann die Migräneattacke eine Gefährdung für die Schwangere und damit für den Fötus darstellen (Dehydratation, ev. migränöser Infarkt bei zusätzlich
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verändertem Gerinnungsstatus). Bei Beginn einer Prophylaxe ist zu bedenken, dass sich ein Behandlungserfolg frühestens nach 6–8 Wochen einstellt. Eine bereits vor der Schwangerschaft begonnene Prophylaxe sollte abgesetzt werden. Zum einen ist in der Schwangerschaft eine Besserung der Migräne zu erwarten, zum anderen hält nach dem Absetzen der prophylaktische Effekt häufig noch einige Monate an. Zur Prophylaxe sollten primär nicht-pharmakologische Maßnahmen angewendet werden (siehe Tabelle 13). Sie sind für Patientin und Ungeborenes gefahrlos. Ist eine medikamentöse Prophylaxe unabdingbar, kann diese mit β-Rezeptorenblockern unter Beachtung der fötalen und neonatalen Toxizität durchgeführt werden. Eine Alternative stellt die Gabe von Magnesium dar. Tabelle 13. Migräneprophylaxe Nicht-pharmakologisch Geregelter Lebensrhythmus, Biofeedback, progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen, Akupunktur Pharmakologisch Propranolol 40–160 mg oder Metoprolol 100–200 mg und/oder Magnesium 600 mg Tabelle 14. Medikamentenklasse
Risiko für den Fötus (FDA)
Stillen
Betablocker
Metoprolol Propranolol
C C
I I
Calciumantagonisten
Flunarizin*** Verapamil
C
E I
Antiepileptika
Valproinsäure Topiramat
D C
I G
Serotoninantagonisten
Pizotifen* Methysergid*
C D
H
Antidepressiva
Amitryptilin
C
G
Andere
Magnesium
B
I
* In Österreich nicht mehr im Handel, ** in der Migräneprophylaxe derzeit noch nicht zugelassen, jedoch Hinweise auf positiven Effekt in mindestens einer kontrollierten Studie, *** in den USA nicht zugelassen, deswegen keine Einteilung in den FDA-Kategorien.
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Die Datenlage zur Wirksamkeit von Magnesium in der Migräneprophylaxe ist allerdings widersprüchlich. Eine Studie fand bei einer Dosis von 600 mg/Tag eine Reduktion der Migränefrequenz um 40% (Peikert et al. 1996), eine andere multizentrische Studie fand keine verbesserte Wirkung im Vergleich zu Plazebo (Pfaffenrath et al. 1996). Die Tabelle 14 zeigt die Einordnung der zur Prophylaxe verwendeten Medikamente in die FDA-Kategorien bzw. die Einschätzung für das Stillen. Betablocker sind nicht teratogen, weisen aber eine fötale und neonatale Toxizität auf. Beschrieben sind intrauterine Wachstumsretardierung sowie vermindertes Plazentagewicht. Neugeborene, deren Mütter peripartal Betablocker eingenommen haben, sollten in den ersten 24–48 Stunden bezüglich Bradykardie, Hypoglykämie und Atemdepression überwacht werden. Flunarizin ist in Tierversuchen nicht teratogen. Dennoch sollte es in der Schwangerschaft nur mit Vorsicht angewendet werden. Flunarizin reichert sich in der Muttermilch an. Deshalb sollte bei Gebrauch dieses Medikamentes abgestillt werden. Amitryptilin ist das klassische Medikament zur Behandlung des chronischen Spannungskopfschmerzes. Zur Prophylaxe der reinen Migräne hat es einen eher begrenzten Stellenwert. In den letzten Jahren zeigten verschiedene Antiepileptika eine prophylaktische Wirkung bei der Migräne. Zugelassen zur Migräneprophylaxe sind mittlerweile Valproinsäure und Topiramat. Valproinsäure wird mit einer ganzen Reihe von Fehlbildungen (Neuralrohrdefekte, cardiale Fehlbildungen, Gesichtsdysmorphien, Skelettdeformationen) in Zusammenhang gebracht. In der Schwangerschaft sollte es zur Prophylaxe der Migräne unbedingt vermieden werden. Topiramat wurde erst kürzlich in der Migräneprophylaxe zugelassen. In Tierversuchen war es teratogen. Beim Menschen kann ein Risiko nicht ausgeschlossen werden. Topiramat wird in der Milch von stillenden Ratten gefunden. Ob es auch in die Milch stillender Patienten sezerniert wird, ist unbekannt. Die Anwendung von Magnesium in der Schwangerschaft ist unproblematisch und wird ohnehin von den meisten Gynäkologen wegen Verringerung des Prä-Eklampsie-Risikos empfohlen. Lediglich sehr hohe Dosen können beim Fötus zu Hypocalcämie und Rachitis führen.
Kopfschmerz vom Spannungstyp Klinik Beim Kopfschmerz vom Spannungstyp handelt es sich meist um einen holokraniellen Kopfschmerz. Der Schmerzcharakter wird als dumpf-drückend angegeben, die Intensität ist niedrig bis mittel. Das Vorkommen von neurologischen
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Symptomen sowie das Auftreten von Erbrechen sind nicht vereinbar mit dieser Diagnose. Im Gegensatz zur Migräne bleiben die Patienten während einer Attacke meist arbeitsfähig; gelegentlich bessert sich der Kopfschmerz sogar durch Bewegung an der frischen Luft. Unterschieden wird eine episodische (sporadisch bzw. häufig auftretend) von einer chronischen Form. Definitionsgemäß spricht man von der chronischen Form bei Auftreten des typischen Kopfschmerzes an durchschnittlich ≥ 15 Tagen/Monat über mindestens 3 Monate. Epidemiologie Etwa 40–60% aller Menschen leiden in ihrem Leben an der episodischen Form des Kopfschmerzes vom Spannungstyp. Die Prävalenz der chronischen Form beträgt rund 3%. (Göbel et al. 1994). Beim Kopfschmerz vom Spannungstyp scheint es in einem geringeren Prozentsatz (28–36%) als bei der Migräne zur Besserung während der Schwangerschaft zu kommen (Rasmussen 1993, Maggioni et al. 1997). Allerdings gibt es hierzu nur sehr wenige systematische Untersuchungen. Ein Zusammenhang zwischen Kopfschmerzen vom Spannungstyp und hormonellen Veränderungen in der Schwangerschaft scheint nicht zu bestehen. Auch die Veränderungen der Geschlechtshormone im weiblichen Zyklus beeinflussen den Verlauf dieser primären Kopfschmerzerkrankung nicht. Therapie Der Kopfschmerz vom Spannungstyp wird in der Intensität als niedrig bis mittel angegeben. Die Behandlung sollte aus diesem Grund in der Schwangerschaft, wenn irgend möglich nicht-pharmakologisch erfolgen (Bewegung an der frischen Luft, Ruhe, lokale Kälteapplikation). Falls eine medikamentöse Therapie notwendig ist, bieten sich Paracetamol 500–1000 mg oder im zweiten Trimenon auch ein NSAR an (siehe Migränetherapie). Im seltenen Fall des Auftretens eines chronischen Spannungskopfschmerzes sollten ebenfalls nicht-medikamentöse Verfahren zur Anwendung kommen: progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen, Stressbewältigungstraining, EMG-Biofeedback, ev. Physikotherapie. Die üblicherweise in der Prophylaxe des chronischen Spannungskopfschmerzes verwendeten trizyklischen Antidepressiva sind in der Schwangerschaft und Stillzeit nicht unbedenklich (FDA-Risikokategorie C). Eine Assoziation mit verschiedenen Fehlbildungen (Extremitätenverkürzungen, Mikrognathie, Hypospadie) kann nicht sicher ausgeschlossen werden.
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Sekundäre Kopfschmerzen Subarachnoidalblutung Die Inzidenz der Subarachnoidalblutung wird in der Normalbevölkerung mit 6–12/100 000 (Linn et al. 1996) angegeben, in der Schwangerschaft ist das Risiko bis zu 5-fach erhöht (Simolke et al. 1991). Der Kopfschmerz bei einer Subarachnoidalblutung beginnt typischerweise plötzlich, erreicht in kürzester Zeit sein Schmerzmaximum und ist außerordentlich stark (symptomatischer „Donnerschlagkopfschmerz“). Klinisch kann sich die SAB mit bloßem Kopfschmerz präsentieren, aber auch zusätzlich mit fokal-neurologischen Zeichen bis hin zur Bewusstseinsstörung. Auf Grund der dramatischen Auswirkungen ist es wichtig, bei allen akut einsetzenden Kopfschmerzen, die bereits initial das Schmerzmaximum erreichen, an eine Subarachnoidalblutung zu denken. Da die Subarachnoidalblutung fast immer mit einem hohen Blutdruck einhergeht, muss differentialdiagnostisch an Kopfschmerzen im Rahmen einer Eklampsie gedacht werden. Zu Diagnostik, Prognose, Therapie verweise ich auf das Kapitel Cerebrovaskuläre Erkrankungen. Intrazerebrale Blutung Auch das Risiko, eine intrazerebrale Blutung in der Schwangerschaft zu erleiden, ist erhöht. Im Puerperium ist es sogar noch höher als in der Schwangerschaft. Die häufigsten Ursachen sind Gefäßmalformationen und die Eklampsie (Kittner et al. 1996, Sharshar et al. 1995). Die klinische Symptomatik wird charakterisiert durch akut einsetzende fokale Ausfälle, epileptische Anfälle, Hirndrucksymptomatik und Kopfschmerzen unterschiedlicher Intensität. Zu die Diagnostik, Prognose, Therapie verweise ich auf das Kapitel Cerebrovaskuläre Erkrankungen. Sinusvenenthrombose Das Schlaganfallrisiko ist in der Schwangerschaft bis zu 13-fach erhöht. In 60–80% der Fälle ist die zerebrale Venenthrombose Ursache für einen Schlaganfall in der Schwangerschaft (Wiebers 1985). Die Inzidenzraten liegen in Westeuropa und Nordamerika im Mittel bei 10–20 pro 100 000 Schwangerschaften (Simolke et al. 1991). Besonders häufig tritt die Sinusvenenthrombose allerdings im Puerperium auf (Cantu und Barinagarrementeria 1993). Kopfschmerz ist häufig das Initialsymptom bei der Sinusvenenthrombose. Meist entwickelt er sich langsam progredient über Tage bis Wochen. In bis zu 10% der Patienten tritt er wie bei der Subarachnoidal-
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blutung akut auf (de Bruijn et al. 1996). Fast immer kommen als Zeichen der intrakraniellen Drucksteigerung Übelkeit und Erbrechen hinzu. Im weiteren Verlauf treten epileptische Anfälle und neurologische Herdzeichen auf. Die Thrombose des Sinus sagittalis superior kann sich als langsam progredienter Kopfschmerz ohne neurologisches Defizit präsentieren (Bousser et al. 1985). Zu die Diagnostik, Prognose, Therapie verweise ich auf das Kapitel Cerebrovaskuläre Erkrankungen. Kopfschmerz zurückzuführen auf eine idiopathische intrakraniale Drucksteigerung Von einer idiopathischen intrakranialen Drucksteigerung (früher verwendete Begriffe: gutartige intrakraniale Drucksteigerung, Pseudotumor cerebri) spricht man bei erhöhtem Liquordruck (> 20 cm H2O bei nichtadipösen, > 25 cm H2O bei adipösen Patienten, bestimmt durch Lumbalpunktion im Liegen) ohne Hinweis auf eine Raumforderung, Ventrikelerweiterung oder andere Ursachen für eine Druckerhöhung wie z.B. venöse Thrombosen. Die Ätiologie ist unbekannt; es wird eine Assoziation mit einer Reihe von verschiedenen Faktoren, darunter Übergewicht, Gewichtszunahme, endokrinologische, hämatologische und metabolische Störungen sowie verschiedene Medikamente berichtet. Einige Einzelfallberichte sowie Übersichtsartikel erwähnen die Schwangerschaft als möglichen ätiologischen Faktor (Dandy 1937, Bulens et al. 1979). Diese Assoziation ist jedoch nicht gesichert. Klinik Die Leitsymptome sind diffus lokalisierte tägliche Kopfschmerzen, die sich beim Husten oder Pressen verstärken, beidseitige Stauungspapille und fluktuierende ein- oder beidseitige Sehstörungen. Intensität und Häufigkeit korrelieren mit den Schwankungen des intrakranialen Druckes. Die visuellen Symptome reichen von verschwommenem Sehen („transiente Obskurationen“ kurzer Dauer) bis hin zum kompletten Visusverlust. Perimetrisch lassen sich periphere Gesichtsfelddefekte mit vergrößertem blinden Fleck feststellen. Es können auch Doppelbilder durch ein- oder beidseitige Abduzensparese auftreten. Epidemiologie/Verlauf in der Schwangerschaft Die Inzidenz wird mit 1:100 000/Jahr angegeben, bei übergewichtigen Frauen im gebärfähigen Alter steigt sie auf 19:100 000/Jahr. Frauen sind bis zu 8-mal häufiger betroffen als Männer. Die einzige Fall-Kontrollstudie, die sich mit der idiopathischen intrakranialen Drucksteigerung in der Schwan-
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gerschaft beschäftigt, fand keine erhöhte Inzidenz im Vergleich zu altersgematchten Patientinnen mit der gleichen Parität (Digre et al. 1984). Auftreten kann die gutartige intrakraniale Drucksteigerung prinzipiell im Laufe der gesamten Schwangerschaft, am häufigsten kommt sie in der ersten Hälfte vor. Die Abortrate scheint im Vergleich zur Normalbevölkerung nicht erhöht zu sein. Patientinnen haben in nachfolgenden Schwangerschaften kein höheres Risiko für ein Rezidiv einer gutartigen intrakranialen Drucksteigerung als außerhalb einer Schwangerschaft. Therapie Als Therapie der idiopathischen intrakranialen Drucksteigerung sollte normalerweise zunächst die Gewichtsreduktion stehen. Von dieser Maßnahme ist in der Schwangerschaft abzuraten, jedoch sollte darauf geachtet werden, dass keine übermäßige Gewichtszunahme stattfindet. Andere Therapieoptionen wie wiederholte Liquor-Entlastungspunktionen (20–50 ml) und medikamentöse Behandlung mit Azetazolamid (bis zu 1 g/Tag, FDA-Kategorie C) und Furosemid (bis zu 250 mg/Tag, FDA-Kategorie C) sollten in der Schwangerschaft von der Ausprägung der Klinik insbesondere der Visusreduktion abhängig gemacht werden. Bei progredienter Visusverschlechterung trotz medikamentöser Therapie muss auch in der Schwangerschaft eine Optikusscheidenfensterung bzw. die Anlage eines lumboperitonealen Shunts in Betracht gezogen werden (Shapiro et al. 1995). Die idiopathische intrakraniale Drucksteigerung stellt keine Indikation zum Kaiserschnitt dar (Evans et al. 2000). Schwangerschaftinduzierte Hypertonie Bei der schwangerschaftinduzierten Hypertonie im Rahmen einer PräEklampsie/Eklampsie treten neben den Symptomen Ödem und Proteinurie auch Kopfschmerzen auf. Der Kopfschmerz tritt zeitlich mit dem Anstieg des Blutdruckes auf. Er sistiert nicht notwendigerweise sofort nach Normalisierung des Blutdrucks, sondern hält unter Umständen bis zu sieben Tage nach Blutdrucksenkung an.
Fallbericht: Aktuelle Anamnese: Eine 36-jährige Frau in der 28. Schwangerschaftswoche stellt sich in der Ambulanz wegen Kopfschmerzen vor. In den letzten zwei Monaten traten insgesamt neun Kopfschmerzattacken auf. Vor den Kopfschmerzen beschreibt
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sie eine visuelle Aurasymptomatik, wie sie sie bereits bei früheren Kopfschmerzattacken erfahren hatte. Diese Aura bildete sich nach spätestens 30 Minuten komplett zurück. Nach einem freien Intervall von ca. weiteren 30 Minuten entwickelte sie mittelstarke bitemporale Kopfschmerzen, die sich bei körperlicher Bewegung verstärkten. Assoziiert sind die Kopfschmerzen mit einer Photo- und Phonophobie. Die letzten vier Attacken unterschieden sich dadurch, dass es im Anschluss an die visuelle Aurasymptomatik zu Kribbelparästhesien im Bereich der Finger der linken Hand mit langsamer Ausbreitung über den Unterarm bis zum Gesicht einschließlich der Lippen kam. Auch diese Symptomatik bildete sich innerhalb von 30 Minuten zurück, bereits gegen Ende der Sensibilitätsstörung entwickelte sich der typische Kopfschmerz, der unbehandelt den ganzen Tag anhielt. Vorgeschichte: Seit dem 15. Lebensjahr leidet sie an einer Migräne mit typischer Aura (zunächst Fortifikationsspektren, dann ein sich langsam ausbreitendes Skotom). Einige Jahre lang hatte sie ca. 2 Attacken/Monat, danach nur noch sehr seltene Attacken (ca. 1–2/Jahr). Während ihrer ersten Schwangerschaft vor drei Jahren hatte sie insgesamt fünf Migräneattacken mit Aura. Danach war sie bis zur aktuellen Schwangerschaft beschwerdefrei. Familienanamnese: Der Vater litt früher an einer Migräne mit Aura. Neurostatus: unauffällig Diskussionpunkte: 1. Kann sich eine Migräne im 2.und 3. Trimenon der Schwangerschaft verschlechtern? 2. Ist die Neuentwicklung einer Aura mit sensiblen Symptomen besorgniserregend? 3. Muss weitere Diagnostik durchgeführt werden? 4. Therapie? Akuttherapie? Prophylaxe? Kommentar: In beiden Schwangerschaften hat die Patientin eine Verschlechterung ihrer Migräne erfahren. In den meisten epidemiologischen Untersuchungen mit allerdings retrospektivem Studiendesign findet sich eine Besserung der Migräne in der Schwangerschaft, und zwar vor allem im zweiten und dritten Trimenon. In der Studie von Granella et al. kam es bei 72% der Patientinnen mit einer Migräne ohne Aura zu einer Besserung in der Schwangerschaft, bei den Patientinnen mit einer Migräne mit Aura nur bei 43%. Da in den meisten Studien nicht unterschieden wird zwischen Migräne mit und ohne Aura, kann nicht beurteilt werden, ob der Verlauf der Migräne
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mit Aura in der Schwangerschaft prinzipiell anders ist. Hormonelle Veränderungen in der Schwangerschaft sind nur ein Faktor, die auf den Migräneverlauf einen Einfluss haben. Eine Verschlechterung der Migräne in der Schwangerschaft kann auch mit Stress, Angst oder gestörtem Nachtschlaf zusammenhängen (Merikangas et al. 1990). Die langsame Entwicklung wie auch das Verteilungsmuster der Sensibilitätsstörungen von distal nach proximal einschließlich perioralem Bereich sind außerordentlich typisch für eine Migräneaura. Sehr häufig sind bei Patienten mit einer Migräne mit Aura mehrere Systeme (bei dieser Patientin das visuelle und sensible) involviert. Nach visuellen Symptomen sind Sensibilitätsstörungen die häufigsten Aurasymptome. Die meisten Patienten mit einer visuellen Aura haben zumindest gelegentlich auch Aurasymptome, die die Extremitäten betreffen. Aufgrund des typischen Ablaufs, der kompletten Reversibilität der neurologischen Reiz- und Ausfallserscheinungen in weniger als 60 Minuten, den nachfolgenden halbseitigen Kopfschmerzen, die die Patientin bereits seit langer Zeit kennt und aufgrund des unauffälligen neurologischen Untersuchungsbefundes im Intervall kann die Diagnose einer Migräne mit Aura gestellt werden. Eine Ischämie kann allein durch den Ablauf der Symptome nahezu ausgeschlossen werden. Aus den oben genannten Gründen besteht keine Indikation für die Durchführung bildgebender Diagnostik. Bisher wurde bei der Patientin keine Therapie durchgeführt. Als Akuttherapie der Kopfschmerzen, die immerhin einen ganzen Tag anhalten, kann bedenkenlos Paracetamol 500–1000 mg p.o. verabreicht werden – um so mehr, da die Patientin bereits im letzten Trimenon ist. Der Beginn einer medikamentösen Prophylaxe ist trotz gehäufter Attacken nicht indiziert, da Betablocker, die einzigen Medikamente, die in der Schwangerschaft in der Migräneprophylaxe gegeben werden sollten, sehr langsam aufdosiert werden müssen und der Eintritt der Wirkung frühestens acht Wochen nach Erreichen der wirksamen Dosis zu erwarten ist (in der Migräneprophylaxe sind meist relativ hohe Dosierungen von Betablockern notwendig). Insgesamt hätte die Patientin somit in der Schwangerschaft keinen Behandlungserfolg mehr durch die Prophylaxe. Eine nicht-medikamentöse Prophylaxe wie Erlernen von Entspannungsmethoden hingegen kann nicht nur einen positiven Effekt auf die Migräne, sondern auch auf den Geburtsverlauf haben.
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Cerebrovaskuläre Erkrankungen
Christoph Schmidauer
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Pathogenese Lange Zeit wurde die gesamte Schwangerschaft inklusive Postpartalperiode als eingeständiger Risikofaktor für Ischämien bezeichnet. Studien zeigen jedoch, dass vor allem postpartal das Risiko erhöht ist. (Sloan und Stern 1994, Grosset et al. 1995). Die pathogenetischen Faktoren während einer Schwangerschaft eine Ischämie zu erleiden sind die gleichen wie bei Nicht-Schwangeren der gleichen Altersgruppe. Die Schwangerschaft dürfte vor allem bei primär gefährdeten Patientinnen einen zusätzlichen Risikofaktor darstellen, ist jedoch oft nur als einziger Risikofaktor zu identifizieren. Pathogenetisch stehen arterothrombotische (ausgehend von arteriosklerotischen Gefäßplaques) und kardioembolische Gefäßverschlüsse, sowie auch lakunäre Infarkte im Rahmen einer cerebralen Mikroangiopathie im Vordergrund. Als nicht-arteriosklerotische Gefäßpathologie ist vor allem die Dissektion (d.h. Ruptur der Gefäßintima) zu nennen, die meistens spontan oder nach Bagatelltraumen auftritt, und seltener bei angeborenen Gefäßmissbildungen, wie der fibromuskulären Dysplasie (Luscher et al. 1987). Reversible Gefäßveränderungen im Sinne von Vasospasmen treten vor allem im Rahmen von Eklampsie bzw. Prä-Eklampsie auf und sind für 24% der Ischämien bei schwangeren Frauen verantwortlich (siehe auch Kapitel Eklampsie und Prä-Eklampsie). Selten sind in der Schwangerschaft auch medikamentöstoxische Ursachen von Vasospasmen und epileptischen Anfällen beschrieben (Brick 1988, Geraghty et al. 1991, Barinagarrementeria et al. 1992, Comabella et al. 1996, Roh et al. 1998, Akins at al. 1996, Granier et al. 1999, Singhal 2004). Die während der Schwangerschaft physiologischen Änderungen im Gerinnungssystem führen zu einer Situation der Hyperkoagulabilität. Fibrinogen, wie auch die Gerinnungsfaktoren sind während der Schwangerschaft erhöht. Erniedrigte At-III-Werte, Plasminogen und Protein-S-Spiegel sowie eine gesteigerte Thrombozytenaggregation führen zu einer erhöhten Gerinnungsbereitschaft (O’Riordan und Higgins 2003) In einer Arbeit (Cumming et al. 1995) konnte auch eine erworbene Resistenz gegen aktiviertes Protein-C gezeigt werden. Hormonelle Einflüsse im Rahmen der Schwangerschaft dürften zusätzlich eine Rolle spielen. Das Ovarielle Hyperstimulation-Syndrom, welches eine Komplikation der medikamentösen Fertilisation ist, kann in seiner schwersten Ausprägung unter anderem zu lebensbedrohlichen thrombembolischen Ereignissen führen, so auch zu Schlaganfällen, wenngleich jene äußerst selten sind und bislang nur 14 Fallberichte hierzu publiziert wurden (Sadek et al. 1998, Elford et al. 2002). An hämatologischen bzw. immunologischen prädisponierenden Erkrankungen ist vor allem das Antiphospholipid-Antikörpersyndrom, die thrombozytopenische Purpura, die während der Schwangerschaft dreimal häufiger
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als bei Frauen im vergleichbaren Alter auftritt, und die (in Europa sehr seltene) Sichelzellanämie zu nennen (Upshaw et al. 1985, Wiebers und Whisnant 1985, Kittner et al. 1996). Insgesamt bleibt jedoch auch wie bei nicht schwangeren Patientinnen der gleichen Altersgruppe die Ursache einer cerebralen Ischämie in 30 bis 40% unklar. Die arterielle Hypertonie – neben einer Vielzahl anderer (u.a. Diabetes mellitus, Hyperlipidämie, Übergewicht, Rauchen) – erhöht als der klassische Risikofaktor für cerebrovaskuläre Erkrankungen das Risiko für Ischämien auf das 6-fache (Rodgers et al. 1996, Laws et al. 2004). Umgekehrt wurde eindeutig gezeigt, dass die Senkung des Blutdrucks bei arterieller Hypertonie das Risiko für einen Schlaganfall um 30–40% (Yusuf et al. 2000, Laws et al. 2004) reduziert. Auch im Rahmen der Schwangerschaft spielt die Hypertonie eine wesentliche Rolle. In der National Hospital Discharge Survey-Studie zeigt sich eine Risikoerhöhung auf das 15-Fache für Ischämien und cerebrale Blutungen (Lanksa und Kryscio 2000). Andere Untersuchungen zeigen, dass das Risiko bei hypertensiven Schwangeren auf das 2- bis 3-Fache erhöht ist (Lidegaard 1995, Sharshar et al. 1995, Witlin et al. 2000).
Diagnostik Die diagnostische Abklärung schwangerer Schlaganfallpatientinnen darf sich nicht von Nichtschwangeren unterscheiden. Oberstes Ziel ist eine rasche Klärung der zugrunde liegenden Pathogenese, dies ist für das weitere Procedere unerlässlich. Insbesondere zur Differenzierung Blutung oder Ischämie ist eine cerebrale Bildgebung durchzuführen. Über die Anwendung von Computertomographie und Magnetresonanztomographie sei auf das Kapitel Neuroradiologie und Schwangerschaft verwiesen. Wenn verfügbar, ist eine Magnetresonanztomographie (MRT) auf Grund der fehlenden Strahlenbelastung der Computertomographie vorzuziehen. Ein weiterer Vorteil der MRT ist die Möglichkeit der gemeinsamen Darstellung von Hirnparenchym und cerebralen Gefäßen. Mit der extra- und intracraniellen Farbduplexsonographie können vor allem arteriosklerotische Gefäßwandveränderungen, aber auch stenosierende Veränderungen (arteriosklerotisch, Dissektionen) nachgewiesen werden. In den meisten Fällen ist die Kombination beider nicht invasiver Methoden (Neurosonographie und MRT) zur Klärung der Gefäßsituation ausreichend. Eine cerebrale Angiographie ist daher nur in Ausnahmefällen notwendig.
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Therapie Die (systemische/lokale) Lysetherapie mit rt-PA oder Urokinase von akuten Schlaganfällen in der Schwangerschaft wird sehr kontroversiell diskutiert. Über die Anwendung von rt-PA (systemische und lokale Lyse) und Urokinase (lokale Lyse) in der Schwangerschaft und Stillzeit liegen nur sehr begrenzte Erfahrungen vor und der Wissenstand beschränkt sich auf Einzelfallberichte. Im Falle einer akuten, schweren oder lebensbedrohlichen Ischämie ist der Nutzen für die Mutter (geringere Behinderung) gegen das eventuelle Risiko für das Kind (intrauterine Blutung, spontaner Abort) abzuwägen. Grundsätzlich ist während der Schwangerschaft die Thrombolyse wegen des erhöhten maternalen und fetalen Blutungsrisikos kontraindiziert und es ist vorgesehen, dass bei jeder Frau im gebärfähigen Alter vor der Lysetherapie ein Schwangerschaftstest durchgeführt wird. Insgesamt wurden bislang 175 Fälle berichtet, in denen Schwangere wegen eines thrombembolischen Ereignisses (3 Patientinnen mit Schlaganfall) mit rt-PA, Streptokinase oder Urokinase lysiert wurden (Turrentine et al. 1995). Die Studie zeigt eine maternale Mortalität von 1,2%, maternale Blutungen in 8,1%, eine fetale Mortalität von 5,8% sowie 8% Frühgeburten. Es existieren aber nunmehr 4 Publikationen mit insgesamt 11 Patientinnen, die wegen eines während ihrer Schwangerschaft aufgetretenen Schlaganfalls mit entweder intravenöser oder intraarterieller rt-PA bzw. Urokinase behandelt wurden (Dapprich und Boessenecker 2002, Elford et al. 2002, Johnson et al. 2005, Murugappan et al. 2006). Die zugrundeliegenden Ursachen der cerebralen Ischämien waren Absetzen der Antikoagulation bei biomechanischem Herzklappenersatz, peristierendes Foramen ovale, Hyperkoagulopathie, Thrombozytose bei Polyzythämia vera und Ovarielles HyperstimulationsSyndrom. Sieben der beschriebenen 11 Frauen erlitten den Schlaganfall im ersten Trimenon. Der maternale Outcome war sehr gut: 9 Patientinnen hatten eine komplette und eine Patientin eine inkomplette Remission ihrer neurologischen Symptomatik. Als Nebenwirkungen zeigten sich ein intrauterines Hämatom, ein Glutealhämatom und zwei asymptomatische intracerebrale Blutungen. Eine Patientin hingegen verstarb an den Folgen einer iatrogenen, katheterbedingten Gefäßdissektion. Sechs gesunde Kinder wurden geboren, es kam zu 3 elektiven, von den Müttern gewünschten Schwangerschaftsabbrüchen, und zu zwei Fehlgeburten (2 bzw. 3 Tage nach Applikation von Urokinase). Zur Teratogenität von thrombolytischen Medikamenten gibt es aber weder in der Literatur noch seitens der Herstellerfirmen genaue Untersuchungen. Zusammenfassend ist gegenwärtig festzuhalten, dass aus diesen Fallberichten keine generelle Empfehlung zur Lysetherapie in der Schwangerschaft abgeleitet werden kann. Basierend auf den publizierten Fällen erscheint jedoch die Therapie mit iv oder ia rt-PA oder ia mit Urokinase generell für die Mutter eine sichere Therapie zu sein, für das Kind können diesbezüglich aber keine Aussagen getroffen werden. Bis mehr Daten vorliegen wird die akute
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individuelle Situation einer schwangeren Frau mit cerebraler Ischämie, die die sonst üblichen Kriterien zur Lysetherapie erfüllt, vermehrt zu Diskussionen hinsichtlich der Abwägung des potenziellen therapeutischen Nutzens für die Mutter versus des kindlichen Risikos führen, wobei möglicherweise die intraarterielle Lyse auf Grund der niedrigeren Dosis und der geringeren systemischen Effekte der iv Lyse vorzuziehen ist. Für die Akuttherapie der cerebralen Ischämie stehen weiters Thrombozytenfunktionshemmer sowie fraktioniertes und unfraktioniertes Heparin zur Verfügung. Grundsätzlich ist die medikamentöse Therapie und Sekundärprävention wie bei nicht-schwangeren Patientinnen durch die zugrunde liegende Ätiologie bestimmt. Für die Rezidivprophylaxe existieren keine randomisierten und kontrollierten Studien bei schwangeren Frauen. Daher muss man sich in den Empfehlungen der Analogie zu anderen Studien, wie beispielsweise der Thromboseprophylaxe oder der Antikoagulation bei Frauen mit kardialen Erkrankungen, bedienen. Bei Indikation zur Thrombozytenfunktionshemmung ist Aspirin in einer Dosis von 50 bis 150 mg Aspirin täglich im zweiten und dritten Trimenon empfohlen (Sacco et al. 2006). Bei höheren Dosierungen nimmt aber vor allem das peripartale Blutungsrisiko zu. Die Gabe von Aspirin im ersten Trimenon unterliegt hingegen einer strengeren Indikationsstellung, alternativ kann im ersten Trimenon ein nieder-molekulares Heparin eingesetzt werden, gefolgt von Aspirin in oben genannter Dosierung ab dem zweiten Trimenon. Bezüglich der Verwendung von Ticlopidin bzw. Clopidogrel liegen keine ausreichenden Daten vor. Unfraktioniertes Heparin ist nicht plazentagängig und daher für den Fetus als unproblematisch anzusehen. Eine Verlängerung der aPTT auf das 1,5- bis 2Fache des Ausgangswertes unter engmaschigem PTT-Monitoring ist zu empfehlen. Mögliche Indikationen für eine systemische Heparinisierung sind Gefäßdissektionen, Klappenerkrankungen (ausgenommen bakterielle Endokarditis), nachgewiesene Thromben, sowie Erkrankungen mit erhöhter Gerinnungsneigung. Niedermolekulare Heparine sind ebenfalls nicht plazentagängig und auf Grund der niederen Blutungskomplikationen sicher in der Anwendung für Mutter und Fetus. In der akuten Schlaganfalltherapie sollte die Indikation vor allem auf die Thromboseprophylaxe reduziert bleiben. In der Langzeitprophylaxe während der Schwangerschaft sind die niedermolekularen Heparine eine sichere und wirkungsvolle Therapie. Bei schwangeren Patientinnen mit einem hohen Risiko thrombembolischer Ereignisse, die grundsätzlich bei Nichtschwangerschaft eine Antikoagulation erhalten würden, wird folgendes Vorgehen empfohlen: niedermolekulare Heparine s.c.
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während der gesamten Schwangerschaft, angepasst an die Resultate engmaschiger Faktor Xa-Kontrollen (Sacco et al. 2006). Cumarine sind plazentagängig und assoziiert mit spontanem Abortus, fetalen Blutungen, fetalen Fehlbildungen, sowie einer erhöhten fetalen Mortalität, insbesondere in der 6. bis 12. SSW (Donaldson und Lee 1994). Cumarine sind somit in der Schwangerschaft nur äußerst selten, bei speziellen Situationen (z.B. bei biomechanischen Herzklappenersatz oder Kontraindikationen gegen Heparin) und nach eingehender Aufklärung der Patientin indiziert (Bates et al. 2004). Zusammenfassend ist sowohl in der Akuttherapie eine Therapie mit Aspirin in niedriger Dosis (50–150 mg), sowie eine Antikoagulation mit fraktioniertem und unfraktioniertem Heparin empfohlen. Bezüglich des Geburtsmodus in der Akutphase gibt es keine einheitlichen Richtlinien, sowohl die Sectio wie auch Spontangeburten mit und ohne Anästhesie werden beschrieben (Donaldson 1991, Sharma et al. 1995) – daher ist der Geburtsmodus je nach klinischem Befund und/oder körperlicher Beeinträchtigung der Patientin zu wählen. Bei stillenden Müttern ist sowohl die Gabe von unfraktioniertem oder niedermolekularem Heparin oder Heparinoiden wie auch Cumarinen möglich. Neuerliche Schwangerschaft Eine Schwangerschaft nach einem erlittenen Schlaganfall wird immer noch als hohes Risiko für ein Rezidiv angesehen. Daher wird auch von vielen Frauen eine neuerliche Schwangerschaft nicht in Betracht gezogen. Tatsächlich haben Frauen im Allgemeinen nach einem Schlaganfall jedoch kaum ein Risiko (0–1%), einen neuerlichen Schlaganfall während einer folgenden Schwangerschaft zu erleiden (Lamy et al. 2000, Coppage et al. 2003). Grundsätzlich ist somit ein vorangegangener ischämischer Schlaganfall keine Kontraindikation für eine neuerliche Schwangerschaft, auch die Entscheidung bezüglich des Geburtsmodus, Sectio versus Spontangeburt, sollte nicht durch die vorausgegangene Ischämie beeinflusst werden. Voraussetzungen für eine neuerliche Schwangerschaft sind aber – in Abhängigkeit der zugrunde liegenden Pathogenese des früheren Schlaganfalls – die gegebenenfalls engmaschige Kontrolle von Risikofaktoren (z.B. arterielle Hypertonie) und eine möglicherweise auch während der Schwangerschaft durchzuführende Sekundärprävention. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ist jedenfalls notwendig, um eine fundierte Aufklärung, Beratung und Betreuung der Patientin mit neuerlichem Kinderwunsch bzw. während der Schwangerschaft zu gewährleisten.
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Sekundärprävention Eine Antikoagulantientherapie ist indiziert bei Patienten nach Beinvenenthrombose, mechanischer Herzklappe, Antiphospholipid Antikörpersyndrom oder anderen Erkrankungen mit einem hohen Rezidivembolierisiko. Als Substanzen stehen Heparine (unfraktioniertes oder niedermolekulare Heparine oder Heparinoide), Cumarine und Aspirin zur Verfügung. Cumarine sind auf Grund der Plazentagängigkeit (Blutungsrisiko, teratogen) kontraindiziert, unfraktioniertes oder niedermolekulare Heparine sind somit während der Schwangerschaft die Mittel der Wahl und sind nach den vorliegenden Daten als sicher einzustufen. Patientinnen die als Sekundärprävention Aspirin einnehmen müssen, können die Therapie während der Schwangerschaft beibehalten (≤ 150 mg). Höhere Dosen sind insbesondere im ersten Trimester abzulehnen (Bates et al. 2004).
Cerebrale Sinus- und Hirnvenenthrombosen Epidemiologie und Pathogenese Die Schwangerschaft, insbesondere das Puerperium gilt als eigenständiger Risikofaktor für Sinusvenenthrombosen (SVT). Die Häufigkeit wird unterschiedlich angegeben. In einer Serie wird die Inzidenz mit mehr als 1 auf 2 500 Geburten (Carroll et al. 1966), in anderen mit weniger als 1 pro 10 000 Geburten angegeben (Cross et al. 1968, Simolke et al. 1991, Lanksa und Kryscio 2000). Der Großteil der SVT (75%) tritt in der zweiten und dritten Woche postpartal auf (Donaldson 1991, Cantu und Barinagarrementeria 1993), selten auch während des dritten, und noch seltener im ersten und zweiten Trimenon (Lavin et al. 1978). Neben angeborenen und erworbenen Gerinnungsstörungen ist die Sectio mit einer erhöhten Thromboseneigung assoziiert (Lanksa und Kryscio 2000). Klinik Das klinische Erscheinungsbild von SVT ist vielfältig und oft auch schwierig zu diagnostizieren. Anders als bei arteriellen Gefäßprozessen entwickeln sich die Beschwerden in 65% subakut oder schleichend (Masuhr et al. 2004), der Verlauf ist oft fluktuierend. Kopfschmerzen sind in unterschiedlicher Ausprägung das häufigste primäre Symptom, diese können den neurologischen Ausfällen Stunden bis Wochen vorausgehen. Es treten sowohl
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fokale und diffuse neurologische Störungen, wie Vigilanzstörungen jeden Grades (56%), epileptische Anfälle (48%), zentrale Paresen (58%), Stauungspapillen (27%), Verwirrtheitszustände (17%), psychotische Zustände (25%) auf (Masuhr et al. 2004). In einem Drittel der Fälle kommt es zusätzlich zu intracerebralen Blutungen. Diagnostik Im cerebralen CT lässt sich mit dem „empty triangle sign“ (32%) ein spezifisches Zeichen nachweisen. Die übrigen CT-Veränderungen sind meist unspezifisch mit ödematösen Veränderungen, vorwiegend parasagittal umschriebene Hypodensitäten oder intracerebralen Blutungen. Eine CT-Angiographie ist wegen des Kontrastmittels sowohl in der gesamten Schwangerschaft wie auch postpartal bei stillenden Müttern kontraindiziert. Die MRT in Kombination mit MR-Angiographie ist sensitiver als das CCT und kann sowohl den Thrombus, wie auch spezifische venöse Veränderungen mit ausreichender Sicherheit nachweisen (Villringer et al. 1989). Eine zusätzliche cerebrale arterielle Angiographie ist bei ausreichender MR-Qualität nicht notwendig. Therapie Eine Antikoagulationstherapie mit intravenösem Heparin ist die Therapie der Wahl. Eine Plazebo-kontrollierte Studie konnte einen signifikanten Vorteil der Heparintherapie nachweisen (Einhäupl et al. 1991). In einer prospektiven, nicht randomisierten Untersuchung wurden heparinisierte und nicht-heparinisierte Patienten hinsichtlich des Einflusses der Therapie auf die Entstehung intracerebraler Blutungen verglichen. Die Blutungen waren unter Heparin seltener, auch eine bei bereits bestehender intracerebraler Blutung begonnene Heparintherapie wirkte sich auf den Verlauf günstig aus (Einhäupl et al. 1991). Die Therapie sollte unmittelbar nach Diagnosestellung mit einer initialen Bolusgabe von 3 000 bis 5 000 Einheiten begonnen werden, eine aPTT-Verlängerung auf das Doppelte des Ausgangswertes ist anzustreben. Die risikoreiche lokale Lysetherapie (Niwa et al. 1998) sollte nur für Patientinnen, die sich unter der Standardtherapie verschlechtern, in Erwägung gezogen werden. Nach klinischer Stabilisierung ist eine Umstellung auf Cumarin-Präparate überlappend durchzuführen. Bei Auftreten einer Sinusvenenthrombose während der Schwangerschaft ist aufgrund der möglichen teratogenen Wirkung und der Plazentagängigkeit von Cumarinen eine iv. oder sc. Heparintherapie während der gesamten Schwangerschaft notwendig. Die Antikoagulation sollte je nach zugrunde liegender Ätiologie etwa sechs Monate fortgesetzt werden.
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Verlauf Durch die besseren diagnostischen Möglichkeiten und insbesondere durch die Einführung der Antikoagulantientherapie konnte die Mortalität von 30% auf 5% gesenkt werden (Masuhr et al. 2004). In einer Untersuchung von 67 schwangerschaftsassoziierten SVT betrug die Mortalität 9% (Cantu und Barinagarrementeria 1993). Im Vergleich zu den arteriellen Infarkten sind die Residualsymptome bei venösen Thrombosen deutlich geringer (Enevoldson und Russell 1990, Donaldson 1991). Neuerliche Schwangerschaft Diese Frage ist schwierig zu beantworten, da keine gesicherten Daten vorliegen. Rezidive bei einer neuerlichen Schwangerschaft sind sehr selten (Donaldson 1991). Bei fünf eigenen Patientinnen trat während einer neuerlichen Schwangerschaft kein Rezidiv auf. Die Einnahme weiblicher Sexualhormone oder Kontrazeptiva ist nach einer SVT abzulehnen.
Intracranielle Blutungen Epidemiologie Intracerebrale Blutungen (ICH) sind für 10–15% aller Schlaganfälle verantwortlich. ICHs als Komplikation einer Schwangerschaft sind selten, die Inzidenzzahlen schwanken zwischen 0,5 und 5 pro 10 000 Schwangerschaften (Dias und Sekhar 1990, Maymon und Feijgin 1990, Simolke et al. 1991, Sharshar et al. 1995). Die Mortalität beträgt zwischen 25 und 60% und trägt somit in hohem Maße zur Mortalität schwangerer Frauen bei. Die Rolle der Schwangerschaft als Risikofaktor für intracerebrale Blutungen ist unklar. Einige Autoren sprechen von einem fünfmal höheren Risiko von schwangeren gegenüber nicht-schwangeren Frauen im gebärfähigen Alter, andere Autoren sehen das Risiko nicht erhöht (Wiebers und Whisnant 1985, Horton et al. 1990). In der sechswöchigen Postpartalperiode steigt jedoch das relative Risiko für ein ICH auf 28%, verglichen mit dem Risiko in der Schwangerschaft von 2,5% (Kittner et al. 1996). Andere Autoren fanden für die Postpartalperiode ein ähnlich hohes Risiko (Sameshima und Nagaya 1999, Witlin et al. 2000). Manche Erkrankungen, die im Rahmen der Schwangerschaft auftreten, wie die Eklampsie (siehe Kapitel Eklampsie und Prä-Eklampsie) und die disseminierte intraversale Gerinnung (wie etwa beim Hellp-Syndrom) sind mit einer erhöhter Blutungsneigung assoziiert.
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Eine Zunahme der Aneurysma- und hypertensiven Blutungen im letzten Trimenon sind ein indirekter Hinweis auf einen begünstigenden Einfluss der Schwangerschaft auf das Blutungsrisiko. Hypertensive Blutungen aus arteriellen Gefäßmalformationen treten im Vergleich mit der normalen Bevölkerung während der Schwangerschaft häufiger auf (Toffol et al. 1987, Nencini et al. 1988, Bevan et al. 1990). Subarachnoidalblutung Klinik 50% der intracraniellen Blutungen während der Schwangerschaft sind Subarachnoidalblutungen (SAB), assoziiert mit einer hohen Mortalität (Barno und Freeman 1976). Das Leitsymptom der SAB ist der plötzlich auftretende, intensive, meist occipital betonte Kopfschmerz mit nachfolgender Nackensteifigkeit (100%). Zusätzlich sind Übelkeit/Erbrechen (70%), Bewusstseinsstörungen (45%), fokale neurologische Ausfälle (30%), epileptische Anfälle (6%), sowie akute Verwirrtheitszustände (2%) zu beobachten. Pathogenese 70–90% der SABs sind durch angeborene cerebrale Aneurysmen oder arterovenöse Malformationen (AVM) verursacht. Das Auftreten von Aneurysmablutungen steigt mit Zunahme des kardialen Outputs und des maternalen Blutvolumens, 6% im ersten, 30% im zweiten, 55% im dritten Trimenon und 9% in den ersten sechs Wochen postpartal (Hunt et al. 1974). Die Häufigkeit von AVM-Blutungen ist in der gesamten Schwangerschaft sowie postpartal gleich. Die Schwangerschaft scheint den natürlichen Verlauf von AVMs hinsichtlich der spontanen Blutung negativ zu beeinflussen, wobei hier die Zunahme des Blutvolumens eine entscheidende Rolle spielen dürfte (Robinson et al. 1974). Der Verlauf und die Prognose von AVM-Blutungen in der Schwangerschaft sind schlechter und zeigen auch ein höheres Nachblutungsrisiko (Robinson et al. 1972, Dias und Sehkar 1990, Pozzati et al. 1996). Diagnostik Eine Subarachnoidalblutung ist eine lebensbedrohliche Erkrankung und weist ein hohes Rezidivrisiko, vor allem in der Akutphase auf. Eine Abklärung ist somit unverzüglich durchzuführen. Die cerebrale Computertomographie bestätigt den Verdacht in über 90% der Fälle durch den Nachweis
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freien Blutes. Bei CT-negativen Fällen ist eine Lumbalpunktion durchzuführen. Eine cerebrale Panangiographie zum Nachweis einer eventuellen Blutungsquelle ist im Anschluss daran notwendig. Therapie Wie bei nicht-schwangeren Patientinnen ist die Verhinderung einer Rezidivblutung durch eine rasche operative oder endovaskuläre Versorgung den Aneurysmas das vorrangige Ziel. Bei chirurgisch oder endovaskulär versorgbaren Aneurysmen ist eine endovaskuläre Behandlung der chirurgischen Therapie vorzuziehen. Bei intakter Gravidität oder am Geburtstermin ist primär die Versorgung des Aneurysmas durchzuführen, dies reduziert signifikant die maternale und fetale Morbidität und Mortalität (Gianotta et al. 1986, Dias und Sehkar 1990, Sadasivan et al. 1990). Bei suffizienter Versorgung ist eine normale Geburt möglich. Bei nicht versorgbaren Aneurysmen ist eine elektive Sectio so rasch als möglich indiziert. Bei Patientinnen mit bereits eingetretenen Wehen, Eklampsie oder bei drohender Gefahr für den Fetus wird unabhängig von der Versorgbarkeit des Aneurysmas eine Notfallsectio empfohlen (Lennon et al. 1984, Donaldson 1991, Levy und Jaspan 1999). Richtlinien zur Behandlung von symptomatischen AVMs während der Schwangerschaft können auf Grund der Datenlage nicht konklusiv gegeben werden. Obwohl das Nachblutungsrisiko mit 25–30% angegeben wird, ist eher eine Versorgung nach Beendigung der Schwangerschaft und nach Normalisierung der hämodynamischen Veränderungen anzustreben. Empfohlen wird eine elektive Sectio in der 38. Schwangerschaftswoche, um eine Rezidivblutung durch kardiovaskuläre Komplikationen der Wehen zu verhindern (Laidler et al. 1987, Sadasivan et al. 1990, Sharma et al. 1995, Yih und Cheong 1999). Prognose Trotz der besten Therapie ist die Mortalität und Morbidität von Subarachnoidalblutungen während der Schwangerschaft hoch. Für Aneurysmablutungen wird die mütterliche Mortalität mit 13–35% und die fetale Mortalität mit 7–25% angegeben (Robinson et al. 1972, Robinson et al. 1974, Minielly et al. 1979, Dias und Sehkar 1990). Für Subarachnoidalblutungen im Rahmen einer AVM beträgt die mütterliche Mortalität 8–28% und die kindliche Mortalität 9–18% (Robinson et al. 1972, Robinson et al. 1974, Dias und Sehkar 1990, Horton et al. 1990, Sadasivan et al. 1990).
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Neuerliche Schwangerschaft Bei versorgter Blutungsquelle (Aneurysma, AVM) besteht keine Kontraindikation für eine neuerliche Schwangerschaft. Spontane intracerebrale Blutungen Klinik Intracerebrale Blutungen (ICH) präsentieren sich wie ein ischämischer Schlaganfall mit fokalen neurologischen Ausfällen. Meistens treten zusätzlich Kopfschmerzen, vegetative Symptome, sowie eine rasche Bewusstseinsverschlechterung auf. Pathogenese Die Hypertonie, vor allem im Rahmen der Prä-Eklampsie, Eklampsie und des HELLP-Syndroms, ist auch bei Schwangeren die häufigste Ursache für spontane intracranielle Blutungen. Die Blutungen treten typischerweise im Bereich der Basalganglien, Thalamus, Cerebellum oder Pons auf (Donaldson 1991, Kittner et al. 1996, Drislane und Wang 1997, Mas und Lamy 1998). Die zweithäufigste Ursache für primär intracerebrale Blutungen sind Aneurysmen und AVMs. Bei bis zu 20% der Patientinnen bleibt jedoch die Ursache unklar (Sharshar et al. 1995, Kittner et al. 1996). Diagnostik Die cerebrale Computertomographie ist in der Akutphase die sensitivste Methode zum Nachweis einer intracerebralen Blutung. Bei Patientinnen mit unklarer Blutungsursache ist zur Abklärung einer möglichen Gefäßmissbildung eine MR-Angiographie in den meisten Fällen ausreichend (Shojaku et al. 1996). Therapie Eine konservative Therapie unter exaktem Blutdruckmonitoring und Behandlung ist anzustreben. Eine chirurgische Entfernung ist nur bei Patienten mit progredienter klinischer Verschlechterung auf Grund einer zunehmenden raumfordernden Wirkung der Blutung indiziert. Diese kann unter speziellen neurochirurgischen und anästhesiologischen Vorkehrungen während der
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Schwangerschaft durchgeführt werden (Reece et al. 1984, Ponsot et al. 1994). Patientinnen nach einer intracerebralen Blutung können unter exaktem hämodynamischem Monitoring normal entbinden. Vorteile einer Sectio gegenüber einer Spontangeburt konnten nicht gezeigt werden. (Donaldson 1991). Neuerliche Schwangerschaft Bei spontanen ICHs ohne Nachweis einer Blutungsquelle besteht keine Kontraindikation für eine neuerliche Schwangerschaft.
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ZNS-Infektionen
Erich Schmutzhard
Einleitung Viele Frauen haben während der Schwangerschaft Infektionen, die sich weder auf die Mutter selbst noch auf den Fötus oder das Neugeborene auswirken. Es gibt aber während der Schwangerschaft Infektionskrankheiten, die sowohl erhebliche Auswirkungen auf die schwangere Mutter als auch auf den Fötus bzw. Neugeborenen haben können. Einzelne Infektionen, wie z. B. eine Malaria, führen zu einem erhöhten Risiko einer Fehl- bzw. Frühgeburt, dem gegenüber verursachen andere Infektionen bei der schwangeren Frau nur minimale Symptome, haben aber mitunter verheerende Auswirkungen auf das Überleben des Fötus oder die frühkindliche Entwicklung. Letztlich können intrapartal erworbene Infektionen (z.B. Herpes simplex Virus Typ II) eine perinatale, sogar lebensbedrohliche Erkrankung verursachen. Da sowohl die spezifische als auch die angeborene Immunität („innate immunity“) während der Schwangerschaft gegenüber unterschiedlichen Erregern auch unterschiedlich beeinträchtigt sein kann, können bestimmte pathogene Agenzien während der Schwangerschaft zu einer stärkeren, potenziell bedrohlichen Infektion führen. Dieses Kapitel wird also in zwei Abschnitte unterteilt, der erste befasst sich mit den Auswirkungen von Infektionen und Infektionserregern auf die schwangere Mutter, wenn diese in der Schwangerschaft – bei eben veränderter angeborener oder erworbener Immunität – unterschiedlich schwere Krankheitsverläufe verursachen. Der zweite Teil stellt die Auswirkungen von intrauterinen bzw. intrapartalen (teratogenen) Infektionen auf den Embryo/ Fötus dar. Tabelle 1 listet die Erreger auf, die bei schwangeren Frauen einen potentiell schwereren, evtentuell sogar lebensbedrohlichen Verlauf nehmen können, Tabelle 2 die Erreger, die intrauterin bzw. intrapartal zu neurologischen Erkrankungen, vor allem auch neurologischen Läsionen, intrauteriner Schädi-
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Erich Schmutzhard
gung mit erhöhter intrauteriner Todesrate sowie zu postnatalen/frühkindlichen Entwicklungsstörungen führen können.
Veränderungen der Immunantwort während der Schwangerschaft In der Schwangerschaft ist das mütterliche Immunsystem einer großen Herausforderung durch fetale Antigene ausgesetzt, obwohl die fetale und mütterliche Blutzirkulation anatomisch getrennt sind und die Oberflächen(Allo-) Antigene auf den Trophoplasten maskiert sind. Die Modifikation der mütterlichen zellmediierten Immunantwort (wichtig für Abstoßungsreaktion) wird durch die fetale Produktion von immunsuppressiven Substanzen und Zellen, die in die mütterliche Zirkulation eindringen (z.B. fetale Supressor TZellen, Alpha-Fetoprotein, durch fetale Lymphozyten stimulierte Lymphokine etc.), bedingt. Außerdem wird lokal in hohen Konzentrationen vorhandenen Hormonen, wie Progesteron, Östrogene, Gontrotopin etc. eine immunmodulierende Wirkung innerhalb der Plazenta zugeschrieben. ZusätzTabelle 1. Pathogene Erreger, die einen schweren Krankheitsverlauf bei Schwangeren verursachen können (modifiziert nach Johnson 2002) Mycobacterium tuberculosis Listeria monocytogenes Brucella melitensis Plasmodium falciparum Influenzaviren Varizella Zoster Virus (nur bei Erstinfektion – Varizellen)
Tabelle 2. Pathogene Erreger, die bei einer fetalen Infektion zu einer neurologischen Symptomatik führen (modifiziert nach Johnson 2002 und Schmutzhard 2000) Treponema pallidum Toxoplasma gondii Rubella Virus Parvovirus B 19 Cytomegalievirus Andere Herpesviren, insbes. Herpes simplex-Viren Humanes T-Zell lymphotropes Virus (HTLV) 1 Humanes Immundefizienz-Virus (HIV I und II)
ZNS-Infektionen
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lich wird eine mütterliche Immunantwort durch die verstärkte Synthese von Nebennierenrindenhormonen (Kortikosteroiden), anderen löslichen immunmodulierenden Faktoren und Molekülen, sowie blockierenden Antikörpern, verstärkter Produktion von Suppressorzellen, sowie verminderten T-Zellen (und mehr B-Zellen im peripheren Blut) reduziert bzw. verändert. Im Gegensatz dazu ist jedoch die angeborene Immunität während der Schwangerschaft häufig eher aktiviert und möglicherweise dafür verantwortlich, dass die überwiegende Zahl der Infektionen bei Schwangeren nicht übermäßig schwer verläuft. Da vor allem zellmediierte Immunantworten durch die Schwangerschaft supprimiert werden, sind vor allem intrazelluläre Organismen sowohl für Mutter als auch Fötus von potenziell größerer Gefahr.
Spezielle ZNS-Infektionen mit erhöhter mütterlicher Morbidität Obligate intrazelluläre Bakterien, wie Mycobacterium tuberculosis, Listera monocytogenes, Brucella melitensis, bedingen eine erhöhte Morbidität und Mortalität von schwangeren Frauen. Wenngleich die Reaktivierungsrate von Mycobacterium tuberculosis durch die Schwangerschaft nicht erhöht wird, verläuft die Erkrankung als solche, insbesondere auch eine ZNS-Tuberkulose, wie auch eine Listeria monocytogenes-Infektion häufig schwerer bei schwangeren Frauen. Listeria moncytogenes und Brucella spp. führen außerdem häufiger zu fetalen oder neonatalen Infektionen, Abortus, Frühgeburt und fetalem Tod. Während Spirochäten, insbesondere Treponema pallidum sich auf den sich entwickelnden Fötus fatal auswirken oder zumindest eine schwere neurologische Erkrankung verursachen, wurde eine Infektion mit dem Erreger der Lyme-Borreliose, Borrelia burgdorferi, nur in Einzelfällen mit fetalem Tod vergesellschaftet berichtet, und dieser scheint bei der Mutter keine höhere Pathogenizität zu haben. In den USA wurde eine erhöhte mütterliche Sterblichkeit durch die Infektion mit dem invasiven Pilz Coccidioides immitis berichtet. Durch die anwachsende Zahl von Reisenden in tropische Urlaubsgebiete und durch zunehmende Immigration von Menschen aus tropischen Ländern nach Europa ist die Malaria in unseren Breitengraden mittlerweile keine seltene exotische Erkrankung mehr. Plasmodium falciparum ist sicherlich der intrazelluläre Parasit, der am häufigsten und auch am ausgeprägtesten direkt die mütterliche Gesundheit affiziert. Die Schwangerschaft erhöht per se die Parasitendichte, während der Schwangerschaft werden erhöhte mütterliche Sterblichkeit und malariabedingte Morbidität, bei bis zu 50% Abortus, Frühgeburt und Totgeburt berichtet. Die ZNS-Verlaufsform der P. falciparum-Malaria, die zerebrale Malaria, wie auch die meisten anderen Organmanifestationen einer P. falciparum-Malaria müs-
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Erich Schmutzhard
sen mit intravenösem Chinin behandelt werden, eine Substanz, die einen Abortus induziert, sowie sich durch die chinininduzierte Insulinfreisetzung schädigend auf den Fötus auswirkt. Eine Infektion mit dem Protozoon Toxoplasma gondii stellt normalerweise für die schwangere Frau keine besondere Bedrohung dar, ist jedoch eine wesentliche Ursache für eine konnatale neurologische Erkrankung. Hierzu ist in einzelnen Ländern (z.B. Österreich, Frankreich) ein spezifisches Screeningprogramm für alle Schwangeren eingerichtet. Die Neurotropie von Meningitis und Enzephalitis auslösenden Viren wird durch die Schwangerschaft üblicherweise nicht verändert, weder in der Häufigkeit noch in der Intensität der ZNS-Erkrankung. Allerdings verlaufen einige nicht neurologische virale Infektionen während der Schwangerschaft besonders schwer bis lebensbedrohend, z.B. Infektionen mit Influenza-Viren (insbesondere Pneumonien) oder Varizellen, sowie eine Hepatitis E-Infektion, diese vor allem im dritten Schwangerschaftstrimenon. Die Behandlung von Infektionen während der Schwangerschaft muss naturgemäß auf die besondere Situation Rücksicht nehmen. Bestimmte Antibiotika, z.B. Aminoglykoside und Tetrazykline, sind während der Schwangerschaft kontraindiziert, von anderen antimikrobiellen Substanzen gibt es zu wenig Information über potentielle Embryo- oder Fetotoxizität, sie müssen bei lebensbedrohlichen mütterlichen Erkrankungen trotzdem eingesetzt werden (z.B. Mefloquin bei P. falciparum-Malaria). Grundsätzlich können alle Totimpfstoffe als sicher während der Schwangerschaft bezeichnet werden.
Kongenitale/konnatale Infektionen des Nervensystems Kongenitale Infektionen werden in utero erworben und zeichnen sich durch eine deutlich erhöhte Fehlgeburts- und Abortusrate aus. Die klinisch neurologische Symptomatik ist meist zum Zeitpunkt der Geburt feststellbar, kann sich aber auch erst im Verlaufe des späteren Lebensalters entwickeln. Häufig sind Fehlbildungen an anderen Organen, d.h. über das zentrale Nervensystem hinausgehend, begleitende und schwerwiegende Symptome. Perinatal, d.h. intra partum, erworbene Infektionen werden hauptsächlich durch Herpes simplex (Typ II)-Viren, Entero- und Parvoviren verursacht. Tabelle 3 listet die wesentlichen epidemiologischen Parameter der intrauterin/transplazentar erworbenen kongentialen ZNS-Infektionen, den kritischen Infektionszeitpunkt während der Schwangerschaft, die Inzidenz der maternalen und vor allem der kongenitalen Infektion. Parvovirus B19, Coxsackieviren, Poliomyelitis und Influenzaviren können während der Schwangerschaft und auch intrapartal eine fetale/neonatale Infektion, besonders Enzephalitis und Myokarditis, verursachen.
Inzidenz der maternalen Infektion
2%
bisher nur Einzelfallberichte – multiple kongenitale Anomalien
bis 80% (lokale Infektion) (Reaktivierung) selten: maternale disseminierte HSV-Infektion (Mortalität: 50%)
Erreger
Zytomegalievirus
Epstein-Barr Virus
Herpes simplexVirus
bei primärer maternaler Infektion: 30–40% bei Reaktivierung einer latenten Infektion: 0,9–1,5%
Häufigkeit der transplazentaren/intrauterinen Transmission bei bestehender maternaler Infektion
0,0005–0,001% bei lokaler Infektion (der LebendReaktivierung: +/–0% geborenen) bei disseminierter maternaler Infektion: bis zu 50%
0,2–2% (der Lebendgeborenen)
Inzidenz der kongenitalen Infektion
< 20. SSW
HSV I 60–70% HSV II 25–40%
beinahe 100%
50–90% entsprechend der sozialen Schicht
Seropositivität der weiblichen Bevölkerung (15–45 Jahre)
(Fortsetzung siehe nächste Seite)
4.–24. SSW
Kritischer Infektionszeitpunkt
Tabelle 3. Epidemiologie der intrauterin/transplazentar erworbenen kongenitalen ZNS-Infektionen
ZNS-Infektionen 129
nach Einführung der aktiven Immunisierung: sehr selten
abhängig von sozio-ökonomischer Schicht, Drogenabhängigkeit, HIV-Positivität etc.
0,4%
Rötelnvirus
Treponema pallidum
Toxoplasma gondii
0,2%
fetale Infektion: bis zu 0,1% (abhängig von sozialer Schicht, etc.)
0,04–0,08% während Epidemien: bis zu 2%
Einzelfälle
?
Herpes Zoster
Inzidenz der kongenitalen Infektion
0,01–0,05% Einzelfälle
Inzidenz der maternalen Infektion
Varicella Zoster-Virus Varizellen schwerer Verlauf bei Schwangeren (Pneumonie!)
Erreger
< 11. SSW +++ 12.–16. SS ++ 17.–30. SS + > 30. SSW Ø
< 20. SSW
< 20. SSW
Kritischer Infektionszeitpunkt
> 50% von den Infizierten: 75% asymptomatisch 16% milde Infektion 8% schwere Infektion
?
85% bei allgem. Impfempfehlungen für Mädchen älter 14 Jahre: 90–95%
90%
90%
Seropositivität der weiblichen Bevölkerung (15–45 Jahre)
< 13. SSW 25% bis 80% < 26. SSW 54% > 27. SSW 65%
hängt vom Stadium der während der maternalen Infektion ab: gesamten SS primäres Stadium: 70–100% sekundäres Stadium: 100% Latenzstadium: 30%
bei primärer maternaler Infektion infiziert sympt. < 11. SSW 90% 87% 12.–16. SSW 55% 60% 17.–30. SSW 34% 6% > 30. SSW 70% 0%
1–2%
bis zu 25%
Häufigkeit der transplazentaren/intrauterinen Transmission bei bestehender maternaler Infektion
130 Erich Schmutzhard
muskuläre Hypotonie
Hydranenzephalie Mikrozephalie porencephale Zysten Enzephalomalazie Migrationsstörungen
Epstein-Barr-Virus
Herpes Simplex-Virus
selten 10%
muskuläre Hypotonie epileptische Anfälle, Migrationsstörung Enzephalitis Hydrocephalus intrakranielle Kalzifikationen Diabetes insipidus
50%
Einzelfallberichte
20–30% sehr selten
50%
Mikrozephalie
Zytomegalievirus
Häufigkeit
Neurologische Symptomatik
Erreger
Chorioretinitis Opticusatrophie
15%
Häufigkeit
(Fortsetzung siehe nächste Seite)
Mikrognathie Kryptorchismus Katarakt Metaphysitis Thrombozytopenie
Hepatosplenomegalie Thrombozytopenie Petechien haemolytische Anämie Inguinalhernie Pneumonie
Frühgeburt/Untergewicht (small for date) Chorioretinitis Mikrophthalmie
Andere Organmanifestation systemische Symptomatik
Tabelle 4. Perinatal bestehende ZNS-Symptomatik, systemische Symptomatik und Organmanifestation kongenitaler Infektionen
ZNS-Infektionen 131
Neurologische Symptomatik
psychomotorischer Entwicklungsrückstand mentale Retardierung epileptische Anfälle
Innenohrschwerhörigkeit/ Taubheit mentale Retardierung psychomotorische Entwicklungsverzögerung prämature Synostosen der Fontanellen intrakranielle Kalzifikationen Mikrozephalus
Leptomeningitis Meningovaskulitis – zerebrale Ischämien intrauteriner Entwicklungsrückstand (Frühgeburt, small for date)
Erreger
Varicella Zoster-Virus
Rötelnvirus
Treponema pallidum Die frühe kongenitale Syphilis ist meist bei der Geburt nur teilweise vorhanden, die Symptome treten
75%
Häufigkeit
Häufigkeit
Uveitis Keratitis Opticusneuritis Opticusatrophie Fieber Lymphadenopathie
Katarakt Glaukom Retinopathie korneale Trübung Mikrophthalmie Myopie angeborene Herzerkrankung offener Ductus arteriosus Pulmonalarterienstenose Ventrikelseptumdefekt Thrombozytopenie Hepatosplenomegalie Knochenzysten Pneumonie
37–74%
häufig häufig
hypoplastische Extremitäten Oligodaktilie verzögerte Knochenentwicklung Hautaplasie Pigmentierungsstörung
Andere Organmanifestation systemische Symptomatik
132 Erich Schmutzhard
häufig häufig
Chorioretinitis Fieber Ikterus Lymphadenopathie Hepatosplenomegalie Exanthem Pneumonie Diarrhöe
Hydrocephalus Kalzifikationen epileptische Anfälle Hypothalamusdysfunktion mentale Retardierung Innenohrschwerhörigkeit neurologische Herdsymptome
Andere Organmanifestation systemische Symptomatik
Toxoplasma gondii
Häufigkeit Periostitis Osteochondritis patholog. Frakturen Pneumonie purulente, blutige Rhinitis (Coryza) makulopapulöses oder vesikulo-bullöses Exanthem (Pemphigoid) Condylomata lata Leberversagen Pankreatitis Glomerulonephritis nephrotisches Syndrom Enterocolitis Anämie Thrombopenie disseminierte intravasale Koagulopathie
Neurologische Symptomatik
jedoch immer vor Beendigung des 2. Lj. auf
Erreger
häufig
Häufigkeit
ZNS-Infektionen 133
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Erich Schmutzhard
Die Tabelle 4 zeigt die perinatale bestehende neurologische Symptomatik und die systemische Symptomatik und Organmanifestation kongenitaler/ intrauterin erworbener Infektionen. CMV, Rötelnvirus, Treponema pallidum und Toxoplasma gondii verursachen bei intrauteriner Akquisition ZNSSymptome, die häufig/gelegentlich erst postnatal manifest werden. Infektionen mit Herpesviren (HSV I, II, VZV, CMV) sollten virostatisch mit Aciclovir bzw. Ganciclovir frühestmöglich behandelt werden. Morbidität und Mortalität wird dadurch bei Schwangeren (Varizellen) und neugeborenen Kindern (HSV II, CMV) reduziert. Jede schwangere Frau mit einer primären, sekundären oder tertiären Syphilis während der Schwangerschaft oder die vor ihrer Schwangerschaft unzureichend behandelt wurde, muss spätestens während der Schwangerschaft ausreichend antibiotisch therapiert werden (Penicillin G). Das Screening auf Lues gehört daher zur serologischen Untersuchung einer Schwangeren. Eine schwangere Frau mit einer akuten Toxoplasma gondii-Infektion wird mit Spiramycin 3 g täglich, bei Verdacht auf eine materno-fetale Transmission mit zusätzlich Pyrimethamin (1 mg/kg KG/Tag) und Sulfadiazin (100 mg/kg KG/Tag) behandelt. Grundsätzlich gilt, dass Neugeborene, die eine in utero-Infektion erlitten haben und zum Zeitpunkt der Geburt nur geringe oder keine Symptome zeigen (z.B. bei CMV-Infektion, Syphilis, Toxoplasmose) unter allen Umständen unverzüglich post partum therapiert werden müssen, um später manifest werdende neurologische und auch andere Organmanifestationen zu minimieren. Weltweit werden pro Jahr ungefähr 600 000 Kinder mit HIV infiziert geboren. Es gibt keinen Hinweis, dass eine Schwangerschaft den HIV-Infektionsverlauf (d.h. die Entwicklung von AIDS) beschleunigt. Die Transmission von der HIV-positiven Mutter auf den Fötus bzw. Neugeborenen geschieht ungefähr bei einem Viertel der Fälle, eine dokumentierte hohe Virämierate scheint der entscheidende Faktor sein. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass sogar via Muttermilch eine HIV-Infektion post partum auf das Neugeborene übertragen werden kann. Der HIV-Test in der Schwangerschaft wird heute in Österreich, Deutschland und in der Schweiz angeboten, er ist aber, etwa im Gegensatz zum Lues-Test, nicht verpflichtend im sanitätspolizeilichen Sinn. Es ist ganz wesentlich, dass Geburtshelfer und Kinderarzt von einer HIV-Infektion der Mutter wissen, um vor und nach der Geburt die entsprechenden Massnahmen in die Wege zu leiten. HIV-infizierte Neugeborene erscheinen zum Zeitpunkt der Geburt in den meisten Fällen unauffällig, die Hälfte entwickelt innerhalb des ersten Lebensjahres meist neurologische Symptome im Sinne einer progressiven Enzephalopathie. Bei bis zu 90% der HIV-infizierten Kinder wird eine zumindest geringgradige Entwicklungsverzögerung beobachtet. Letztlich existiert noch eine zweite Gruppe von Kindern, bei denen erst nach Jahren (im Durchschnitt im 6. Lebensjahr) eine neurologische Symptomatik im Sinne
ZNS-Infektionen
135
der progressiven Enzephalopathie auftritt. Eine – relativ kleine – Gruppe von Neugeborenen hat bereits zum Zeitpunkt der Geburt eindeutige neurologische Symptome im Sinne einer akuten Enzephalopathie mit epiletischen Anfällen, Mikrocephalie, Ataxie, Myoklonien, kortikaler Blindheit, sowie – selten – opportunistischen Infektionen. Die Diagnose einer HIV Infektion zum Zeitpunkt der Geburt ist schwierig, da Neugeborene typischerweise maternale Antikörper aufweisen, die bis zu 15 Monate persistieren können. Aus diesem Grund wird die Diagnose einer Neugeborenen-HIV-Infektion mittels Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR) gefordert. Azidothymidin (AZT) wird zur Behandlung von HIV-infizierten Kindern und schwangeren Frauen eingesetzt, in einer prospektiven randomisierten Studie konnte eine erhebliche Reduktion der materno-fetalen Transmission gesehen werden, wenn AZT zumindest im letzten Trimenon und zum Zeitpunkt der Entbindung der Mutter verabreicht wurde. Kaiserschnitt und Vermeidung des Stillens reduziert ebenfalls die HIV-Transmissionsrate. Tabelle 5 listet die Prognose kongenitaler ZNS-Infektionen auf. Tabelle 5. Prognose kongenitaler ZNS-Infektionen Erreger
Mortalität
Neurologische Langzeitfolgen
Abortushäufigkeit
Zytomegalievirus
10–30%
bis zu 90%
häufig
Epstein-Barr-Virus
bisher nur Einzellfallberichte
Herpes simplexVirus
50% (bei disseminierter Infektion)
bei kindlicher lokaler Infektion: 0 bei disseminierter Infektion: bis zu 50%
25%
Varicella ZosterVirus
30% (bei maternalen Varizellen) 0% (bei maternalem Herpes Zoster)
bei maternalen Varizellen 25% bei maternalem Herpes Zoster 1–2%
?
Rötelnvirus
10–20%
50%
5%
Treponema pallidum
bis 40%
wenn unbehandelt: bis 100%
?
Toxoplasma gondii
6%
25% (ZNS) Chorioretinitis 75%
?
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Erich Schmutzhard
Prophylaxe Allgemeine Prophylaxe-Maßnahmen, Chemoprophylaxe oder Immunprophylaxe bestimmen das Umgehen mit intrauterinen, kongenitalen oder intrapartalen Infektionen im Präventivsinn. Gescreent wird jede Schwangere bereits bei der ersten Schwangerenuntersuchung auf Röteln und Lues, in Österreich auch auf Toxoplasmose. Hepatitis- und HIV-Screening wird teils bei allen Schwangeren, teils bei Risikogruppen durchgeführt. Wissen um fehlende Immunität und potenzielle Bedrohung durch spezifische Keime muss der Schwangeren entsprechend vermittelt werden. Die angebotenen Maßnahmen reichen vom Schwangerschaftsabbruch, bei RötelnInfektion im ersten Trimenon, bis zur Therapie bei Lues und dem Hinweis, bei negativem Toxoplasmosetiter häufige Infektionsquellen (Katzen, rosa gebratenes Lammfleisch) in der Schwangerschaft zu meiden. Besondere Vorsicht ist bei Neugeborenen mit kogenitalen Zytomegalievirusoder Rötelninfektionen angebracht, da diese Virusausscheider und damit eine potenzielle Infektionsquelle sind. Empfängliche schwangere Frauen sollten entsprechende Hygienemaßnahmen beachten. Bei maternaler Herpes simplex-Virus Typ II-Infektion (d.h. Herpes genitalis) ist eine Kaiserschnitt-Entbindung angezeigt, dasselbe gilt für eine floride primäre Treponema pallidum-Infektion der Mutter. Die wesentliche Chemoprophylaxe besteht in der korrekten Therapie der maternalen Infektion mit CMV, Herpes simplex-Virus, Varizellen, Syphilis, Toxoplasmose und HIV – allerdings fehlen prospektive randomisierte Studien, die diese Konsensusempfehlung tatsächlich auch objektiviert hätten. Nach Einführung der Rötelnimpfung, insbesondere für Mädchen ab dem 14. Lebensjahr, ist die Zahl der kongenitalen Rötelninfektionen teilweise um > 99% gesunken. Eine passive Immunisierung mit Hyperimmunglobulin konnte weder für das CMV, das EBV noch das Rötelnvirus als wirksam belegt werden. Schwangere Frauen sollten nicht aktiv gegen Röteln geimpft werden, eine Schwangerschaft soll über den Zeitraum von zwei Monaten nach der Impfung vermieden werden.
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ZNS-Infektionen
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Hirntumorerkrankungen
Günther Stockhammer Theresa Kindl Herwig Kostron Thomas Auberger Armin Muigg
Einleitung Das Auftreten von Tumorerkrankungen in der Schwangerschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten an Häufigkeit zugenommen und verkompliziert etwa eine von 1000 Schwangerschaften (Oduncu et al. 2003). Die Diagnose einer Tumorerkrankung in der Schwangerschaft bedeutet immer einen Konflikt, einerseits möglichst rasch eine spezifische onkologische Therapie für die Mutter einzuleiten und andererseits den Fetus keinem therapiebedingten Risiko auszusetzen. Das medizinische Faktenwissen zur Biologie der Tumorerkrankungen und den therapeutischen Optionen ist die Grundlage – die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem Geburtshelfer die Voraussetzung – solch schwierige Therapieentscheidungen bestmöglich treffen zu können. Da es nicht möglich ist, in dieser Patientengruppe prospektive, randomisierte Studien durchzuführen, und auf Grund der relativen Seltenheit dieser Befundkonstellation stützen sich diagnostische und therapeutische Empfehlungen derzeit vorwiegend auf Kasuistiken. In Form von Serien- oder Einzelfallberichten wurden in der Literatur zahlreiche – auch seltene – Hirntumorerkrankungen während der Schwangerschaft berichtet (Isla et al. 1997, Tewari et al. 2000, Lutterbach 2001, Erdogan et al. 2002, Goldstein und DeAngelis 2002, Mackenzie et al. 2005). Durch enorme Fortschritte in der bildgebenden Diagnostik ist heute die Diagnosestellung einer Hirntumorerkrankung in der Schwangerschaft besser möglich. Mit Verbesserungen der neurochirurgischen Techniken, der Strahlentherapietechniken, der Chemotherapie-Optionen und den Fortschritten in der palliativen Therapie ist die Behandlung intrakranieller Neoplasien auch in der
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Schwangerschaft differenzierter und individueller geworden. Auch das Wiedererlangen der Fertilität mit Normalisierung hypophysärer Funktionen durch Fortschritte der Hormondiagnostik und Hormontherapie hat zu Verbesserungen von Therapieoptionen und zu realisierbarem Kinderwunsch von Frauen mit Hypophysentumoren geführt. Ziel dieses Kapitels ist es eine Übersicht und einen Leitfaden zum diagnostischen und therapeutischen Vorgehen bei den am häufigsten in der Schwangerschaft anzutreffenden intrakraniellen Neoplasien zu vermitteln.
Klassifikation und Epidemiologie Kein anderes Organ beinhaltet eine so große Vielfalt an Tumorerkrankungen verschiedenster histogenetischer Herkunft wie das Zentralnervensystem (ZNS). Die Einteilung der ZNS-Tumoren erfolgt nach der international üblichen WHO-Klassifikation (Kleihues et al. 2002) und ist in vereinfachter Form in Tabelle 1 dargestellt. Insgesamt ist das Risiko einer Schwangeren an einem Hirntumor zu erkranken nicht höher als das Erkrankungsrisiko einer nicht-schwangeren Frau vergleichbaren Alters (Haas et al. 1986, Roelvink et al. 1987, Simon 1988, Tewari et al. 2000). Hirntumoren können aber besonders in der Schwangerschaft große diagnostische und therapeutische Probleme verursachen. Viele Hirntumorerkrankungen, insbesondere die malignen Entitäten, treten häufiger postmenopausal im höheren Lebensalter der Frau auf. Bestimmte Hirntumoren allerdings betreffen bevorzugt jüngere Frauen, dies gilt insbesondere für niedriggradige Gliome und Meningeome. Eine Tumorentität, das Chorionkarzinom, ist spezifisch mit der Schwangerschaft assoziiert (Goldstein und DeAngelis 2002). In den letzten 20 Jahren ist ein Anstieg der Inzidenz von Hirntumoren für alle Altersgruppen zu beobachten. Gründe für diesen Inzidenz-Anstieg sind einerseits eine überproportionale Zunahme spezifischer Tumorentitäten – insbesondere des Primären ZNS-Lymphoms – und zum anderen die Einführung der Computertomographie (CT) und der Magnetresonanztomographie (MRT) in die Hirntumordiagnostik (Jukich et al. 2001). Nach publizierten Daten des amerikanischen Hirntumor-Registers aus den Jahren 1990–1994 beträgt die jährliche Inzidenz primärer intrakranieller Tumoren altersunabhängig 11,5/100 000 Einwohner mit einer gering höheren Inzidenz für Männer gegenüber Frauen von 12,1 versus 11,0 (Surawicz et al. 1999). Meningeome stellen dabei die einzige Tumorentität dar, die signifikant häufiger bei Frauen zu beobachten ist (Surawicz et al. 1999). Alters- und geschlechtsunabhängig entfallen unter den primären intrakraniellen Tumoren 58% auf Gliome, 20% auf Meningeome, 14% auf Hypophysenadenome und 7% auf Akustikusneurinome (Walker et al. 1985). Für
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Tabelle 1. Klassifikation der Hirntumoren (dargestellt in vereinfachter Form in Anlehnung an die WHO-Klassifikation, Kleihues et al. 2002) A. Neuroepitheliale Tumoren A.1. Astrozytäre Tumoren Pilozytisches Astrozytom Diffuses Astrozytom Anaplastisches Astrozytom Glioblastoma multiforme A.2. Oligodendrogliale Tumoren Oligodendrogliom Anaplastisches Oligodendrogliom A.3. Ependymale Tumoren Ependymom Anaplastisches Ependymom A.4. Tumoren des Plexus choroideus Plexuspapillom Plexuskarzinom A.5. Neuronale and neurogliale Tumoren Gangliozytom Dysembryoplastischer neuroepithelialer Tumor Gangliogliom Anaplastisches Gangliogliom Zentrales Neurozytom A.6. Pinealistumoren Pineozytom Pineoblastom A.7. Embryonale Tumoren Medulloblastom Primitiv Neuroektodermaler Tumor (PNET) B. Meningeale Tumoren Meningeom Atypisches Meningeom Anaplastisches Meningeom C. Tumoren der Nervenzellscheiden Neurinom (Schwannom) Anaplastisches Neurinom Neurofibrom Anaplastisches Neurofibrom (Neurofibrosarkom) D. Primares ZNS-Lymphom E. Keimzelltumoren F. Tumoren der Sellaregion Hypohysenadenom Hypohysäres Adenokarzinom Kraniopharyngiom G. Metastatische Tumoren
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Tabelle 2. Verteilung der Hirntumorentitäten in der Allgemeinbevölkerung und in der Schwangerschaft (* Walker et al. 1985, ** Roelvink et al. 1987) Allgemeinbevölkerung* Schwangerschaft** Anteil (%) Anteil (%) Gliome Meningeome Akustikusneurinome Medulloblastome Primäre ZNS-Lymphome Ependymome Hypophysenadenome Keimzelltumoren
58 20 7 2,2 1,3 1,2 14 0,2
32 29 15 3 keine Angaben 1,5 keine Angaben keine Angaben
Frauen im gebärfähigen Alter wird die Verteilung der Tumorentitäten mit 32% für Gliome, 29% für Meningeome und 15% für Akustikusneurinome angegeben (Roelvink et al. 1987, Goldstein und DeAngelis 2002). Zur Häufigkeitsverteilung einzelner Hirntumorentitäten in der Schwangerschaft zeigte die ausgedehnteste Metaanalyse aus 86 unterschiedlichen Arbeiten mit Analyse von 223 Fällen von Hirntumorerkrankungen in der Schwangerschaft (Roelvink et al. 1987), dass die relative Häufigkeit der einzelnen Tumorentitäten in der Schwangerschaft vergleichbar mit Nichtschwangeren vergleichbaren Alters ist. Damit verschiebt sich für Frauen im gebärfähigen Alter diese Verteilung mit Überrepräsentation von niedriggradigen Gliomen, Meningeomen und Akustikusneurinomen (Tabelle 2).
Pathophysiologische Aspekte Bezüglich möglicher Interaktionen hormoneller Faktoren in der Schwangerschaft und dem Wachstumsverhalten von Hirntumoren liefern klinische Beobachtungen und experimentelle Daten die Grundlage. Hervorstechend unter den intrakraniellen Tumoren ist die zweifach höhere Inzidenz von Meningeomen bei Frauen, das gehäufte Auftreten von Meningeomen mit Mammakarzinomen und ein beschleunigtes Meningeomwachstum in der Lutealphase des Menstruationszyklus. Diese klinischen Daten legen nahe, dass hormonelle Einflüsse bei dieser Tumorentität von Bedeutung sind (Carroll et al. 2000, Goldstein und DeAngelis 2002). Auch experimentelle Daten mit der häufigen Nachweisbarkeit von Hormonrezeptoren an Meningeomzellen stützen diese Vermutung (Isla et al. 1997). So wurde eine starke Expression
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von Progesteron-Rezeptoren in etwa 70% (Lee et al. 1989) und von Östrogen-Rezeptoren in etwa einem Drittel der Meningeome (Lesch und Gross 1987, Kostron et al. 1990) nachgewiesen. In zahlreichen Kasuistiken wurde während der Schwangerschaft ein beschleunigtes Wachstum von Meningeomen berichtet, welche dadurch in der Schwangerschaft erst symptomatisch wurden. Neben hormonellen Einflüssen werden eine verstärkte Flüssigkeitsansammlung und ein erhöhtes Blutvolumen während der Schwangerschaft als weitere pathogenetische Faktoren diskutiert, die zur Volumszunahme von Meningeomen in der Schwangerschaft beitragen könnten (Goldstein und DeAngelis 2002). Mit neuen Erkenntnissen zur Bedeutung der Angiogenese bei soliden Tumoren wurde auch der potenzielle Einfluss von PlGF („Placenta Growth Factor“) in Hirntumoren untersucht. Dabei konnte in unterschiedlichen primären und metastatischen Hirntumoren mittels quantitativer RT-PCR in 64% aller Hirntumoren eine PlGF mRNA Expression nachgewiesen werden und das Expressionsmuster korrelierte bei primären Hirntumoren mit dem Vaskularisierungsgrad (Nomura et al. 1998). Die klinische Relevanz dieser experimentellen Daten ist derzeit noch unklar. In klinisch-epidemiologischen Untersuchungen hat sich bisher kein hormoneller Effekt für das Neuauftreten von Hirntumoren verifizieren lassen (Goldstein und DeAngelis 2002). In einer Analyse des schwedischen Geburtenregisters von 1925–1975 wurden über 1000 Patientinnen mit Meningeomen und über 1600 mit Gliomen hinsichtlich Zahl der Geburten untersucht. Hierbei war Schwangerschaft kein Risikofaktor für die Neuentstehung von Hirntumoren (Lambe et al. 1997). Nach derzeitigem Wissensstand stellt die Schwangerschaft kein Risiko dar häufiger an einem Hirntumor zu erkranken, jedoch können vorbestehende hormonabhängige Tumoren, wie Meningeome, ein beschleunigtes Wachstum aufweisen und damit erst in der Schwangerschaft symptomatisch werden.
Klinische Präsentation Die klinische Präsentation von Hirntumoren, initial und zum Zeitpunkt der Diagnose ist in Tabelle 3 zusammengefasst. Obwohl die klinische Präsentation von Hirntumorerkrankungen bei Schwangeren sich nicht von Nichtschwangeren unterscheidet, können bestimmte Symptome von Hirntumoren gerade in der Schwangerschaft fehlgedeutet werden. Dies gilt besonders für das Erbrechen, welches in der Frühschwangerschaft häufig ist, aber auch bei Hirntumoren in der Schwangerschaft in bis zu 25% auftritt. So kann anhaltendes Erbrechen als Hyperemesis gravidarum im Falle einer Hirntumorerkrankung fehlinterpretiert werden (Van Calenbergh et al. 2001). Auch das Auftreten von Kopfschmerzen in der Schwangerschaft kann große
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differentialdiagnostische Schwierigkeiten bereiten. Kopfschmerz, hervorgerufen durch eine Hirntumorerkrankung, ist meist diffus verteilt und wird oft als „dumpfer Druck im Kopf“ beschrieben. Anfänglich intermittierend, meist in den frühen Morgenstunden vorhanden und infolge Schwankungen des intrakraniellen Druckes besonders intensiv beim Aufrichten, Bücken oder Pressen, nehmen diese Kopfschmerzen im Verlauf der Tumorerkrankung an Intensität und Dauer zu. Sie sind häufig Initialsymptom, speziell bei frontaler oder parietaler Tumorlokalisation, die Seitenbetonung der Schmerzen ist lokalisatorisch verwertbar. Auch eine Liquorzirkulationsstörung durch Aquäduktverschluss oder Abflussstörung im Bereich des vierten Ventrikels infolge einer Raumforderung im Bereich der hinteren Schädelgrube manifestiert sich über den konsekutiven Hydrozephalus mittels diffuser, heftiger Kopfschmerzen und schwallartigem Erbrechen. Neuaufgetretene peristierende Kopfschmerzen, insbesondere verbunden mit Erbrechen oder fokal neurologischen Symptomen erfordern eine bildgebende Diagnostik (Goldstein und DeAngelis 2002). Epileptische Anfälle – speziell bei Erstmanifestation im Alter zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr – sind häufig Erstsymptom einer zerebralen Tumorerkrankung. Bis zu 40% aller intrakranieller Tumoren, besonders die niedriggradigen Gliome und Meningeome, manifestieren sich klinisch mit einem epileptischen Anfall. In mehr als 20% der Fälle treten Anfälle Jahre vor einem anderen neurologischen Symptom des Tumors auf, sodass für jeden ersten epileptischen Anfall eine genaue strukturelle bildgebende Abklärung zu fordern ist. Die langsam infiltrativ wachsenden, niedrig-malignen, meist Cortex-nahe gelegenen Oligodendrogliome führen am häufigsten zu einer „therapieresistenten“ Tumorepilepsie. Nicht nur in der intialen Diagnostik, sondern auch im Verlauf der zerebralen Tumorerkrankung spielt die neurologische Untersuchung eine wichtige Rolle. Tabelle 3. Klinische Präsentation von Hirntumoren, initial und zum Zeitpunkt der Diagnose (McKeran und Thomas 1980)
Epileptische Anfälle Kopfschmerzen Organisches Psychosyndrom Hemiparese Erbrechen Sprachstörung Sehstörungen Hemihypästhesie Hemianopsie Hirnnervenausfall
Initial (%)
Diagnose (%)
38 35 17 10 8 7 4 3 2 2
54 71 52 43 31 27 18 14 8 1
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Fokale neurologische Störungen wie Gesichtsfeld-Defekte, Doppelbilder und Augenmotilitätsstörungen, Ataxie, Hemihypästhesie, Hemiparese oder Aphasie sind zur klinischen Tumorlokalisation von Bedeutung. Sie führen den Patienten auf Grund der oft schweren Beeinträchtigung zum Arzt. Schwierigkeiten ergeben sich meist in der frühen Erkennung und richtigen Deutung von Persönlichkeitsveränderungen oder kognitiven Störungen, sodass besonders Frontalhirn- als auch Temporallappentumoren zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits eine beträchtliche Größenausdehnung erreicht haben können. Eine exakte Außenanamnese ist daher ebenfalls von großer Bedeutung.
Diagnostik Eine Übersicht zu den diagnostischen Verfahren in der Abklärung von ZNSTumoren ist in Tabelle 4 dargestellt. Der Verdacht auf Vorliegen einer Hirntumorerkrankung erfordert auch in der Schwangerschaft eine Bildgebung mittels MRT oder CT. Die MRT liefert hierbei die detailliertesten Informationen zur Lokalisation, zur Größenausdehnung und zum Ausmaß des perifokalen Ödems einer zerebralen Raumforderung (Simon 1988). Über die Anwendung neuroradiologischer Methoden in der Schwangerschaft wird auf das Kapitel Neuroradiologie und Schwangerschaft verwiesen. Trotz hoher Sensitivität im Nachweis zerebraler Raumforderungen ist das „Imaging Pattern“ nicht spezifisch für eine bestimmte Tumorentität und nur durch eine histologische Gewebsdiagnose ist eine spezifische Hirntumordiagnose möglich. Dies erfolgt je nach vermuteter Entität, Lokalisation und Multiplizität entweder im Rahmen einer elektiven diagnostischen Biopsie oder im Rahmen der Tumorresektion als Primärtherapie. Nach Vorliegen der histopathologischen Diagnose ist dann interdisziplinär die weitere Therapie festzulegen. Zur Operationsplanung kann in ausgewählten Fällen eine zerebrale Angiographie erforderlich sein. Sie ermöglicht eine Aussage über die Tumorvaskularisation, Lagebeziehung zwischen Tumor und arteriellem bzw. venösem Gefäßsystem. In der Schwangerschaft steht hierzu alternativ eine MR-Angiographie zur Verfügung (Shojaku et al. 1996). Auch nuklearmedizinische Untersuchungen mittels SPECT („Single-Photon Emission Computed Tomography“) und PET („Positron Emission Tomography“) können in spezifischen Fragestellungen, wie etwa dem Proliferationsverhalten von Tumoren oder der Differenzierung von strahlenbedingten Veränderungen und einem Tumorrezidiv Zusatzinformationen zur MRT oder CT-Untersuchung liefern (Holzer et al. 1993, Kracht et al. 2003). Beide Untersuchungsmodalitäten sind in der Schwangerschaft absolut kontraindiziert (Nicklas und Baker 2000). Bei Tumoren im Bereich der Hypophyse ist ergänzend zur bildgebenden Un-
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Tabelle 4. Diagnostik der ZNS-Tumoren und Durchführbarkeit in der Schwangerschaft Anamnese (inklusive Außenanamese) Klinisch-neurologischer Status (einschließlich neuropsychodiagnostischer Beurteilung) Bildgebung Magnetresonanztomographie (MRT) Computertomographie (CT) Cerebrale Angiographie Nuklearmedizinische Untersuchungen SPECT PET Liquor-Diagnostik Stereotaktische oder offene Biopsie (falls nicht die offene Tumorresektion bereits als Primärtherapie indiziert ist)
möglich möglich nur bei strengster Indikation kontraindiziert kontraindiziert möglich möglich
tersuchung ein Hormonstatus (siehe Abschnitt Hypophysenadenome) und eine Gesichtsfelduntersuchung durchzuführen. Die Liquordiagnostik dient zum Nachweis einer Meningeosis neoplastica und kann in der Differentialdiagnose zu entzündlichen ZNS-Erkrankungen erforderlich sein. Zudem kann die Bestimmung spezifischer Tumormarker im Liquor in Relation zur Serumkonzentration, etwa von beta-HCG und alphaFetoprotein, zum Nachweis und zum Therapie-Monitoring bei intrakraniellen Keimzelltumoren hilfreich sein (Posner 1995).
Therapie von Hirntumoren in der Schwangerschaft Allgemeine Therapierichtlinien Die Therapie einer Hirntumorerkrankung wird durch eine Schwangerschaft erheblich verkompliziert. Schnell wachsende Tumoren, wie maligne Gliome, benötigen auf Grund ihres raschen Wachstums eine unverzügliche Therapie, unabhängig vom Gestationsalter, während bei langsam wachsenden Tumoren bei entsprechender Symptomkontrolle eine spezifische onkologische Therapie ohne wesentliches Risiko für die Mutter in der Regel auch erst nach der Geburt eingeleitet werden kann (Tewari et al. 2000). Letztlich sind die Therapieentscheidungen in Abhängigkeit von der zugrunde
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liegenden Tumorentität, der neurologischen Symptomatik und deren Progredienz, dem Gestationsalter und der Intensität des Kinderwunsches individuell zu treffen. Danach richtet sich auch die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch, eine vorzeitige Entbindung durch Kaiserschnitt oder das Abwarten bis zum Entbindungstermin. Eine hierbei viel verwendete Option ist das Abwarten bis zur 28. SSW, dann erfolgt nach medikamentös induzierter Lungenreife die vorzeitige Entbindung mittels Sectio. Nach einer kurzen Darstellung allgemeiner Therapierichtlinien bei Hirntumorerkrankungen in der Schwangerschaft, möchten wir versuchen – soweit dies nach der derzeitigen Datenlage möglich ist – für die häufigsten Hirntumorentitäten spezifische Therapieempfehlungen zu geben. Antiepileptika-Therapie Da die langsam wachsenden Tumoren, insbesondere die niedriggradigen Gliome und Meningeome bei Frauen im geschlechtsreifen Alter relativ überrepräsentiert sind und diese Tumoren häufig durch Anfälle symptomatisch werden, ist bei Auftreten einer Hirntumorerkrankung in der Schwangerschaft auch relativ häufig mit einer symptomatischen Tumorepilepsie zu rechnen. Die Therapierichtlinien entsprechen den im Kapitel Epilepsie und Schwangerschaft dargestellten Empfehlungen für die Richtlinien der AntiepileptikaTherapie bei symptomatischen Epilepsien in der Schwangerschaft. Die Indikation zur antiepileptischen Therapie ist bei Vorliegen einer Hirntumorerkrankung bereits nach dem ersten Anfall gegeben. Wenn bislang kein epileptischer Anfall aufgetreten ist, so ist eine prophylaktische Antiepileptika Therapie bei Hirntumoren nicht indiziert (Glantz et al. 2000). Steroide können durch eine Enzyminduktion die Antiepileptika-Serumspiegel beeinflussen. Da bei Hirntumorerkrankungen häufig Steroide zum Einsatz kommen, sind auf mögliche Interaktionen von Antiepileptika mit Steroiden besonderes Augenmerk zu legen und regelmäßig die Antiepileptika-Spiegel zu kontrollieren. Wie gravierend Antiepileptika ihrerseits den Metabolismus anderer Substanzen, etwa von Chemotherapeutika, beeinflussen, findet bisher in den therapeutischen Überlegungen bei Hirntumorerkrankungen noch zu wenig Berücksichtigung und ist bisher auch zu wenig gut untersucht. Interessant in diesem Zusammenhang sind die Ergebnisse einer Irinotecan-Studie bei Patienten mit malignen Gliomen, die gravierende Interaktionen dieses Zytostatikums bei gleichzeitiger Einnahme von Antiepileptika zeigte (Friedman et al. 1999). Im Falle einer postpartal erforderlichen Chemotherapie wären Lamotrigen und Levetiracetam auf Grund der geringsten Interaktionen mit Chemotherapeutika diesbezüglich die günstigsten Substanzen. Diese könnten künftig bei ausreichender Wirksamkeit und fehlender Teratogenität die bevorzugten Antiepileptika auch bei einer Tumorepilepsie in der Schwangerschaft werden.
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Steroid-Therapie Kortikosteroide kommen bei Hirntumoren häufig zur Anwendung um ein peritumorales Ödem zu behandeln und damit den intrakraniellen Druck zu senken. Bei Vorliegen eines solchen peritumoralen Ödems führen Steroide rasch zu einer klinischen Besserung und stellen eine effektive Therapie zur Symptomkontrolle über Wochen oder gar über Monate ohne zusätzliche Tumortherapie dar (Goldstein und DeAngelis 2002). Dadurch kann gerade bei Vorliegen einer Hirntumorerkrankung in der Schwangerschaft oft essentielle Zeit gewonnen werden, um die onkologische Therapie bis zur Erlangung der fetalen Reife mit Sectio oder sogar bis zur Spontangeburt mit ausreichend guter Symptomkontrolle der Mutter zu verzögern. Indem sie bei erforderlicher vorzeitiger Sectio die pulmonale Reifung des Föten beschleunigen und dadurch respiratorische Komplikationen beim Frühgeborenen verringern, können Kortikosteroide hierbei in zweifacher Weise hilfreich sein (Goldstein und DeAngelis 2002). Während Kortikosteroide bei allen ZNS-Tumoren nur durch Besserung des peritumoralen Ödems zur Symptomkontrolle führen, sind sie beim ZNSLymphom auch schon Teil der onkologischen Therapie. In etwa einem Drittel der Patienten mit Primären ZNS-Lymphomen ist durch Steroidgabe allein eine komplette bildgebende Remission zu erzielen, die bis zu Monaten anhalten kann (Pirotte et al. 1997). Daher ist bei bildgebendem Verdacht auf Vorliegen eines ZNS-Lymphoms zur histologischen Diagnosestellung unbedingt die Biopsie vor Einleiten einer Steroidtherapie zu fordern. Während der Schwangerschaft ist Prednison dem Dexamethason vorzuziehen, da es metabolisiert wird bevor es die Plazenta passiert (Goldstein und DeAngelis 2002). Als initiale empirische Dosis wird 100 mg/die empfohlen mit Dosisanpassung in Abhängigkeit vom klinischen Bild. Besonders für Schwangere gilt es, die Dosis und die Dauer der Steroidgabe so gering und so kurzzeitig als klinisch vertretbar zu halten, sowie eine genaue interdisziplinäre Überwachung durchzuführen. Geburtsmanagement Ein erhöhter intrakranieller Druck gilt als Kontraindikation für eine Spontangeburt. Liquordruckverläufe, die bei gesunden Gebärenden während der Geburt gemessen wurden, zeigten während der Uteruskontraktionen Liquordruckanstiege bis zu 28 cm Wassersäule, welche mit Anstiegen des systemischen Blutdrucks korrelierten (Hopkins et al. 1965). Diese Uteruskontraktionen waren nur dann mit einem signifikanten Liquordruckanstieg verbunden, wenn die Wehen mit starken Schmerzen einhergingen (Marx 1961). Solche Liquordruckanstiege können bei Patientinnen mit vorbestehendem erhöhtem intrakraniellem Druck zur zerebralen Herniation führen. Somit muss jede Patientin individuell bezüglich der Möglichkeit einer vaginalen
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Spontangeburt oder der Notwendigkeit einer Sectio beurteilt werden (Finfer 1991). In der Regel besteht keine Kontraindikation zur Spontangeburt bei Vorliegen von Tumoren, die meist ohne wesentliche Massenverschiebung oder Hirnödem einhergehen, wie Meningeomen, niedriggradigen Gliomen, Hypophysentumoren oder Akustikusneurinomen. Für Patientinnen mit signifikanter zerebraler Raumforderung sollte großzügig die Indikation zur Sectio in Allgemeinnarkose oder Periduralanästhesie gestellt werden. Operative Therapie zerebraler Tumoren Die Art der Intervention, Resektion versus Biopsie, offen versus stereotaktisch, richtet sich in erster Linie nach der bildgebend vermuteten Tumorentität und der Operabilität in Abhängigkeit von Tumorlokalisation, Multiplizität und Tumorausdehnung. So ist bei Verdacht auf Vorliegen eines Glioms oder Meningeoms die maximal mögliche Tumorresektion die beste Primärtherapie, während etwa bei bildgebendem Verdacht auf Vorliegen eines Primären ZNS-Lymphoms die chirurgische Intervention in der Biopsiegewinnung, meist in Form einer stereotaktischen Biopsie, besteht und die Strahlen-/Chemotherapie die eigentliche Tumortherapie darstellt. Kraniotomie und offene Tumorresektion Nach Diagnostik und präoperativer Planung wird die Kraniotomie in Allgemeinnarkose durchgeführt. Nach Umschneiden des Knochens und Eröffnung der Dura wird ein oberflächlicher Tumor delineiert und unter Zuhilfenahme mikrochirurgischer Techniken reseziert. Tiefer gelegene Tumoren werden über anatomische Fissuren oder über den kürzest möglichen Weg, entweder Ultraschall- oder stereotaktisch geführt, entfernt. Oberste Priorität ist die maximale Funktionserhaltung, wobei eventuell auch Tumor in funktionellen Arealen, wie Motorkortex oder Sprachregion, belassen wird. Eine Reihe neuer Techniken unterstützt heute die funktionserhaltende Tumorresektion, wie Neuronavigation, intraoperative elektrophysiologische Methoden mit sensorisch und motorisch evozierten Potenzialen zur intraoperativen Funktionsüberwachung und intraoperatives Imaging mit CT oder MRT. Offene Biopsie Diffuse oder multiple oberfächlich liegende Raumforderungen werden über ein Bohrloch oder eine kleine Kraniotomie nur biopsiert bzw. eine innere Dekompression zur Entlastung durchgeführt. Die histologische Beurteilung dieser Präparate ist in der Regel valider in der offenen als der stereotaktischen Biopsie durchzuführen. Ein weiterer Vorteil der offenen Biopsie liegt
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darin, dass der Zeitaufwand und damit auch die Belastung für die Patientin im Vergleich zur technisch aufwendigeren stereotaktisch geführten Biopsie deutlich geringer ist. Stereotaktische Biopsie Die stereotaktische Biopsie erfolgt wahlweise in Lokal- oder in Allgemeinnarkose über ein kleines Bohrloch. Tiefliegende, multiple oder diffuse Raumforderungen stellen die Hauptindikationen zur stereotaktischen Biopsie dar. Raumforderungen in eloquenten Arealen mit hohem Risiko eines zusätzlichen neurologischen Defizits werden ebenfalls einer minimal invasiven stereotaktischen Biopsie unterzogen. Shunt-Implantation bei Hydrozephalus Raumforderungen nahe der Mittellinie oder in der hinteren Schädelgrube verursachen häufig eine Liquorabflussstörung mit konsekutivem Hydrozephalus okklusus. Die Liquorabflussstörung wird durch Anlage einer Liquordrainage über ein Shuntsystem behandelt. Eine solche Shunt-Implantation stellt einen kurzen und komplikationsarmen Eingriff in Allgemeinnarkose dar und kann zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft sicher durchgeführt werden (Goldstein und DeAngelis 2002). Bei funktionierendem Shunt-System besteht keine Kontraindikation gegen eine Spontangeburt (Liakos et al. 2000). Strahlentherapie Die Strahlentherapie stellt neben der Neurochirurgie die wichtigste Behandlungsmodalität für ZNS-Tumoren dar und kommt praktisch bei jeder malignen und auch bei zahlreichen benignen Hirntumoren zur Anwendung. Bei primär chirurgisch zu behandelnden Tumoren erfolgt die Bestrahlung in der Regel postoperativ, bei Germinomen, Lymphomen und multiplen Metastasen stellt sie die Primärtherapie – zum Teil in Form einer kombinierten Radiochemotherapie – dar. Die Bestrahlung erfolgt in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle perkutan mit schnellen Photonen mittels Linearbeschleuniger. Die moderne dreidimensionale, CT-gestützte Bestrahlungsplanung ermöglicht dabei eine größtmögliche Schonung des gesunden Gewebes. Das Zielvolumen richtet sich nach der Histologie und der Multiplizität des Tumors. Auf diesen Überlegungen basieren drei grundsätzliche Volumenkonzepte, die Bestrahlung der erweiterten Tumorregion, die Ganzhirnbestrahlung oder die Bestrahlung der gesamten Neuroachse. Bei den meisten hirneigenen Tumoren, ausgenom-
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men sind Primäre ZNS-Lymphome, Medulloblastome bzw. PNET und Germinome, umfasst das Zielvolumen ein erweitertes Tumorfeld, das die Tumorregion mit einem Sicherheitssaum einschließt. Dieser Sicherheitssaum ist wesentlich von der Histologie und dem Wachstumsverhalten der Tumoren, aber auch von der Bestrahlungstechnik und Fixation abhängig. Gutartige Tumoren, wie Hypophysenadenome, benötigen nur einen Sicherheitssaum von wenigen Millimetern. Bei hochmalignen Tumoren, wie Glioblastomen, sollte das Bestrahlungsvolumen einen Sicherheitssaum von mindestens 2 cm einschließen. Um Lagerungsungenauigkeiten zu vermeiden, wird der Patient in einer individuell angefertigten Gesichtsmaske oder mittels eines Mundstücks fixiert. Primäre oder metastatische Hirntumoren, die eine multilokuläre Tumorerkrankung des Gehirns darstellen, wie ZNS-Lymphome oder multiple Hirnmetastasen, werden durch eine Ganzhirnbestrahlung therapiert. Die Bestrahlung wird über seitlich opponierende Gegenfelder durchgeführt. Zur Behandlung einzelner kleiner Hirnmetastasen (maximal 3–5 Metastasen) ist auch eine stereotaktische Strahlentherapie möglich, die mittels eines KobaltGerätes (Gamma-Knife) in einer einzigen Sitzung oder mittels eines Präzisions-Linearbeschleunigers in einer oder mehreren Sitzungen erfolgen kann. Hierbei werden nadeldünne Strahlen aus vielen Richtungen (beim GammaKnife-Gerät aus mehr als 250 halbkugelförmig angeordneten Kobalt-Quellen, beim Linearbeschleuniger aus einem sich auf vielen Kreisbögen um das Ziel bewegenden Strahl) auf ein nur wenige Millimeter großes Ziel gelenkt. Diese beiden Methoden werden auch als Radiochirurgie bezeichnet (Stieber und Ellis 2005). Die hierfür nötige Präzision erfordert es, dass der Kopf des Patienten um weniger als einen Millimeter bewegt werden kann. Dies wird durch einen sogenannten Stereotaxierahmen möglich, der auf dem knöchernen Schädel aufgeschraubt und am Tisch befestigt wird. Aber auch Gaumenplatten, die mittels einer Vakuumpumpe fixiert werden, erfüllen bereits zumeist die hohen Präzisionskriterien. Neue Bestrahlungsmethoden, wie die Intensitäts-modulierte Strahlentherapie (IMRT) und die Strahlentherapie mit Protonen (Wasserstoff-Ionen), haben die Präzision der Dosisverteilung im Tumor weiter erhöht und die Schonung des umliegenden Normalgewebes noch weiter verbessert (Blomquist et al. 2005). Insbesondere die Protonentherapie, die auch für die Behandlung frühkindlicher Tumore verstärkt zur Anwendung kommt, kann als Therapiemethode der Wahl angesehen werden, wenn eine Bestrahlung in der Schwangerschaft als unbedingt notwendig erachtet wird. Leider gibt es bisher in Europa noch kaum moderne Protonentherapiezentren, sodass diese Therapie zur Zeit vorwiegend in den USA durchgeführt werden muss. Bei Protonen lässt sich die Verteilung im Gewebe durch die Variation der Energie derart steuern, dass im Eintrittskanal vor dem Tumor die Dosis mehr als 60% reduziert werden kann und hinter dem Tumor keinerlei Dosis mehr auftritt (Blomquist et al. 2005). Bei ZNS-Tumoren, die mit einer hohen Gefahr der Liquordissemination be-
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haftet sind, wie beispielsweise Medulloblastome, muss die gesamte Neuroachse bestrahlt werden. Das Zielvolumen umfasst die zerebralen Liquorräume und den Spinalkanal bis einschließlich des 2. Sakralwirbels. Die Bestrahlung erfolgt in Bauchlage in einer individuell angefertigten Schale. Das Neurokranium wird über seitlich opponierende Gegenfelder bestrahlt, der Spinalkanal über dorsale Stehfelder, wobei an den Feldanschlüssen die Divergenz des Strahles exakt ausgeglichen werden muss. Eine Hirnbestrahlung während der Schwangerschaft ist prinzipiell möglich (Kal und Struikmans 2005). Auf Grund der potenziellen Teratogenität für den Fetus (De Santis et al. 2005) sollte jedoch grundsätzlich versucht werden, jede Form einer ZNS-Bestrahlung bis nach der Geburt zu verschieben. In seltenen Fällen kann bei ZNS-Tumoren eine Radiotherapie in der Schwangerschaft zwingend erforderlich werden. Hierzu sollten jedoch ausschließlich coplanare Felder (d.h. nicht nach caudal gewinkelte Felder) verwendet werden. Mittels in-vivo-Dosimetrie und Phantom-Messungen wurden für eine Teilhirnbestrahlung mit 60 Gy, wie sie beim Glioblastom üblich ist, eine Streustrahldosis im Fetus von 0,05 bis 0,1% der Zielvolumendosis im Tumor gemessen (Greskovich und Macklis 2000). Diese Dosis liegt unter der Grenzdosis von 0,1 Gy, bei der im Allgemeinen ein Schwangerschaftsabbruch empfohlen wird. Bis zu dieser Dosis besteht lediglich ein minimal erhöhtes Leukämierisiko. Sonst sind keine messbaren Folgen zu erwarten (Sneed et al. 1995). Erst ab einer Dosis von 0,1 bis 0,5 Gy würde die Fehlbildungsrate deutlich ansteigen. Zu berücksichtigen ist, dass die spontane Fehlbildungsrate bereits 4–6% beträgt, sodass dieser Wert auch als tolerables Maximum für eine fetale Strahlenbelastung akzeptiert werden darf. Eine Bestrahlung der Mamma mit 50 Gy ist vergleichsweise nicht tolerabel, da hier in Abhängigkeit von der Schwangerschaftsperiode eine Fetus-Dosis von 0,15–2 Gy gemessen wird. Noch ausgeprägter ist diese bei der Bestrahlung der Neuroachse, bei der zusätzlich meist noch eine nicht tolerable direkte Strahlendosis hinzukommt. Von wesentlicher Bedeutung ist es, dass die für die Bestrahlung verwendeten Photonenenergien möglichst unter 8 MeV, sicher aber unter 10 MeV, betragen. Erst oberhalb einer Photonenenergie von 8 MeV entstehen als Teil der Streustrahlung auch Neutronen, deren relative biologische Wirksamkeit gegenüber Photonen bis zum Faktor 20 erhöht sein kann. Dies bedeutet, dass dann eine Bestrahlung von 1 Gy einer Personendosis von 20 Sv (Sievert) gegenüber 1 Sv bei Photonen entspricht. Von weiterer Bedeutung ist, dass die Felder möglichst klein gehalten werden, da die Streustrahldosis exponentiell mit dem Abstand zum Feldrand ansteigt. Die Streustrahlung setzt sich aus winzigen Strahlenkopf-Lecks, Streuung an Kollimatoren, Blenden und Abschirm-Blöcken, Streuung im Patienten und Raum- und Luftstreuung zusammen. Im Abstand von 20–30 cm sind nur noch die Patientenstreuung und die Dosis aus Strahlerkopf-Lecks relevant. Nur letztere kann durch Abschirmung des Fetus reduziert werden. Das höchste Risiko der Teratogenität oder eines Abortus besteht bei einer Be-
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strahlung im ersten Trimenon. In der Präimplantationsphase (Tag 1–10) führen 0,1 Gy in 1–2% zum Tod und mit gleicher Wahrscheinlichkeit zu Fehlbildungen (Greskovich und Macklis 2000, Timins 2001, De Santis et al. 2005, Kal und Striukmans 2005). Das Risiko schwerer geistiger Retardierung bei Bestrahlung in der 8. bis 15. Woche beträgt 4% pro 0,1 Sv. Daher sollte Schwangeren mit einem malignen Hirntumor, der eine sofortige Therapie verlangt, in der Frühschwangerschaft eine Interruptio angeraten werden (Goldstein und DeAngelis 2002). Falls keine Interruptio vorgenommen wird, sollte versucht werden die Radiatio bis zum zweiten Trimenon hinauszuzögern. In dieser Phase der Schwangerschaft ist eine Gehirnbestrahlung der Mutter für den Föten mit einer erhöhten Gefahr einer kindlichen Leukämie, aber nicht mehr mit einer erhöhten Missbildungsrate behaftet (Goldstein und DeAngelis 2002). Bei Bestrahlung in der 16. bis 25. Woche beträgt das Risiko 1% pro 0,1 Sv. Das bedeutet, das Risiko verringert sich vom Ende des ersten Trimenons bis zum Ende des zweiten Trimenons deutlich, liegt aber für eine Schädelbestrahlung insgesamt immer innerhalb der Spontanraten. Dosen von 0,5 Gy erzeugen dagegen in 40% der Fälle Mikroencephalie und sind daher inakzeptabel. Die Bestrahlung der Neuroachse verursacht deutlich höhere Dosen. Das embryonale Krebsrisiko liegt über alle Phasen bei 14% pro Gy mit besonderer Gefährdung im ersten Trimenon. Im Bereich von 0,05 bis 0,25 sind Wachstumsverzögerungen zu erwarten. Diese beiden Punkte sind auch für eine Schädelbestrahlung relevant. Zusammenfassend ist eine Schädelbestrahlung in keiner Schwangerschaftsphase völlig auszuschließen. Man wird das Risiko mit der Mutter besprechen müssen. Das Risiko für den Fetus ist direkt korreliert mit der Gesamtstrahlenexposition, die aus der Streustrahlung resultiert. Diese Streustrahlung kann durch entsprechende Abschirmung des mütterlichen Abdomens reduziert werden, sodass mit den modernen Bestrahlungstechniken und einer entsprechenden Strahlentherapieplanung das fetale Risiko minimal gering gehalten werden kann (Sneed et al. 1995). Die Bestrahlung des Spinalkanals sollte auf jeden Fall unterbleiben, wenn nicht die Prognoseverbesserung der Mutter ein hohes Risiko schwerer geistiger Schäden des Kindes rechtfertigt. Therapie und Management spezifischer Tumorentitäten in der Schwangerschaft Gliome Unter den primären Hirntumoren nehmen Gliome in der Gesamtpopulation als auch bei Schwangeren den größten Anteil ein (Goldstein und DeAngelis 2002). Gliome nehmen von Astrozyten oder Oligodendrozyten ihren Ursprung und repräsentieren eine Tumorgruppe unterschiedlicher Malignität. Nach international üblicher WHO-Klassifikation werden Gliome in
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niedriggradige („benigne“) und höhergradige (maligne) Gliome eingeteilt (Tabelle 1). Der Malignitätsgrad bestimmt die weitere Therapie und die Prognose. Zudem ist von den histopathologischen Kriterien das Vorhandensein eines oligodendroglialen Tumoranteils von prognostischer Relevanz. Künftig werden molekulare Tumormarker, wie chromosomale Tumoraberrationen – derzeit am besten evaluiert die positive Korrelation des 1p-Verlust bei anaplastischen Oligodendrogliomen mit der Chemosensitivität – die therapeutischen Entscheidungen und prognostische Einschätzung mitbestimmen (Ino et al. 2001, Smith et al. 2000). Die Therapieentscheidungen bei Schwangeren mit Gliomen können große Schwierigkeiten bereiten und die Notwendigkeit und der Zeitpunkt einer operativen Therapie oder Strahlentherapie ist in erster Linie wieder durch den Malignitätsgrad des Glioms bestimmt. Höhergradige Gliome Zu dieser Gruppe zählen das anaplastische Astrozytom WHO III, das anaplastische Oligodendrogliom WHO III, das oligoastrozytäre Mischgliom WHO III und das Glioblastoma multiforme WHO IV – als maligneste Variante aller Gliome. Maligne Gliome bedürfen auch in der Schwangerschaft einer sofortigen Diagnose und Therapie. Diese Empfehlung wird erhärtet durch publizierte Fallanalysen von sieben Patientinnen mit malignen Gliomen, die zwischen der 27. und 32. SSW symptomatisch wurden (Tewari et al. 2000). Fünf der sieben Patientinnen mit malignen Gliomen präsentierten sich mit Hirndruckzeichen, wovon drei dieser Patientinnen an einer zerebralen Herniation verstarben. Die zwei überlebenden Patientinnen zeigten schwere neurologische Ausfälle nach Notfallkraniotomie. Die restlichen zwei Patientinnen, die vor der neurologischen Verschlechterung behandelt wurden, erhielten Antiepileptika und Steroide gefolgt von einer elektiven Sectio in der 32. oder 35. SSW. Unmittelbar nach Sectio wurde die Kraniotomie durchgeführt, gefolgt von einer Radiatio mit anhaltender Tumorremission (Tewari et al. 2000). Aus diesen Kasuistiken folgerten die Autoren, dass ein Hinauszögern der Therapie maligner Gliome in der Schwangerschaft ein zu hohes Risiko für die Mutter darstellt (Tewari et al. 2000). Durch die knöcherne Ummantelung des Gehirns führen die rasch und diffus infiltrierend wachsenden malignen Gliome, mit einer Tumorvolumensverdoppelung innerhalb von etwa drei Wochen bei Glioblastomen, mit dem zusätzlichen, meist ausgeprägten peritumoralen Ödem zur raschen Erhöhung des intrakraniellen Druckes, welcher unbehandelt rasch zum Tod durch zerebrale Herniation führt. Im MRT oder CT stellen sich diese Tumoren meist als singuläre Raumforderungen mit inhomogener Kontrastmittelanspeicherung und deutlichem perifokalem Ödem dar (Goldstein und DeAngelis 2002). Nach
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Einleiten der antiödematösen Therapie durch Kortikosteroid-Gabe ist die chirurgische Volumens- und Zytoreduktion in der Regel der erste und wichtigste Schritt in der Therapie. Das Ziel der chirurgischen Therapie besteht in einer maximalen Tumorresektion bei maximaler Erhaltung der neurologischen Funktionen, wobei Tumor in funktionell wichtigen Arealen zugunsten der Funktion zurückbelassen wird (Hentschel und Sawaya 2003). Nur bei Inoperabilität der Raumforderung beschränkt sich die chirurgische Intervention auf die Diagnosestellung mittels stereotaktischer Biopsie, wie in unserer Kasuistik in Abbildung 1 dargestellt. Die histologische Diagnose bestimmt die weitere adjuvante onkologische Therapie und die Prognoseeinschätzung. Es besteht in der Literatur Konsensus darüber, dass der chirurgische Eingriff bei Verdacht auf Vorliegen eines malignen Glioms nicht bis nach der Geburt hinausgezögert werden sollte und zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft mit einem vertretbaren Risiko für den Fetus gerechtfertigt ist, ausgenommen die Schwangere ist bereits nahe am Geburtstermin, sodass das Kind rasch mittels Sectio entbunden werden kann (Goldstein und DeAngelis 2002, Mackenzie et al. 2005). Die postoperative Standardtherapie eines malignen Glioms besteht bei jüngeren Patienten in der kombinierten Strahlen-/Chemotherapie in Form einer erweiterten Tumorfeldbestrahlung und der Gabe eines Alkylans, meist mit einem Nitrosoharnstoffderivat oder Temozolomid (Behin et al. 2003, DeAngelis 2001). Zur Chemotherapie anaplastischer Oligodendrogliome und oligoastrozytärer Mischgliome kommt meist eine Polychemotherapie mit CCNU, Vincristin und Natulan zur Anwendung (Cairncross 1998). Trotz maximaler Therapie ist die Prognose für maligne Gliome weiterhin schlecht – mit medianen Überlebenszeiten für Patienten mit Glioblastoma muliforme von 1 Jahr und für Patienten mit anaplastischen Astrozytomen von 2–3 Jahren. Da das Alter einen wesentlichen prognostischen Faktor darstellt, zählen Schwangere mit malignen Gliomen auf Grund des jungen Alters zur prognostisch günstigeren Gruppe (DeAngelis 2001). Aus diesen Grundlagen stellt sich bei Schwangeren mit malignen Gliomen die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt der adjuvanten Therapien und damit verknüpft die Frage nach der Notwendigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs. Für Patientinnen im frühen letzten Trimenon ist die Beendigung der Schwangerschaft empfohlen, sobald eine ausreichende fetale Reife gegeben ist. Eine perkutane konventionelle oder stereotaktische Strahlentherapie kann in der Schwangerschaft unter entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen relativ gefahrlos mit nur minimaler Strahlenexposition des Föten verabreicht werden (Sneed et al. 1995). Eine Radiatio während der Gravidität nach vorheriger Diagnosesicherung mitttels stereotaktischer Biopsie sollte vor allem für Patientinnen erwogen werden, die noch weit von einer fetalen Reife entfernt sind. Die postoperative Strahlentherapie sollte in Abhängigkeit vom Stadium der Schwangerschaft geplant werden. Bei Vorliegen eines malignen Glioms in der Früschwangerschaft sollte die Bestrahlung unbedingt vor der
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Abbildung 1. Fallbericht: Eine 29-jährige Patientin wurde im letzten Trimenon mit fokal-komplexen Anfällen und kognitiven Störungen symptomatisch. MR T1 nach Gd-Applikation (a) und T2 (b) bei Diagnosestellung in der 30. SSW. Das MRT zeigt eine ausgedehnte rechts-temporal und frontobasal gelegene inhomogene Raumforderung mit Infiltration des Corpus callosum und der Basalganglien mit fokalen Kontrastmittelaufnahmen und zystischen Tumoranteilen. Die Patientin erhielt Carbamazepin und Steroide. Unter dieser Therapie bestand eine gute Symptomkontrolle. Die stereotaktische Biopsie aus einem Kontrastmittel-aufnehmenden Tumoranteil ergab ein anaplastisches Astrozytom WHO Grad III. Die Patienten brachte termingerecht mittels Spontangeburt ein gesundes Kind zur Welt. Drei Wochen nach der Geburt wurde eine kombinierte Strahlen-/Chemotherapie mit einer erweiterten
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Tumorfeldbestrahlung (mit 60 Gy Tumorgesamtdosis) und einer 12-monatigen Temozolomid-Chemotherapie eingeleitet. Die MR-Verlaufskontrolle 22 Monate nach Diagnosestellung zeigte in T1 nach Gd-Applikation (c) und T2 (d) ein „stable disease“.
Entbindung erfolgen und ist ab dem zweiten Trimenon mit einem vertretbaren Risiko für den Föten möglich. Bei Diagnose des malignen Glioms im zweiten oder dritten Trimenon können die Therapieentscheidungen individueller getroffen und klinische und bildgebende Befunde miteinbezogen werden. So kann beispielsweise bei einer Patientin mit guter Symptomkontrolle nach makroskopischer in-toto-Resektion eines anaplastischen Astrozytoms die postoperative Radiotherapie mit einem vertretbaren Risiko um Wochen verzögert werden, wenn rasch eine Entbindung nach Eintreten der fötalen Reife möglich ist. Im Gegensatz hierzu ist bei einer Patientin mit einem bioptisch verifizierten inoperablen Glioblastom eine Verzögerung der Radiatio nicht vertretbar und sollte unter maximalen Sicherheitsvorkehrungen für das Kind unverzüglich eingeleitet werden (Goldstein und DeAngelis 2002). Die Chemotherapie, die bei malignen Gliomen den geringeren palliativen Stellenwert als die Radiotherapie hat und ein beträchtliches Risiko für den Föten darstellt, sollte erst nach der Entbindung eingeleitet werden (Goldstein und DeAngelis 2002). Von der derzeitigen Datenlage gibt es keine Evidenz, dass eine parallel zur Strahlentherapie eingeleitete adjuvante Chemotherapie effektiver ist als nach Abschluss der Radiatio (Goldstein und DeAngelis 2002). Die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch richtet sich nach dem Gestationsalter und der Intensität des Kinderwunsches. Bei Diagnose eines malignen Glioms im ersten Trimenon sollte der Patientin eine Interruptio empfohlen werden, da jede erforderliche Therapie in der Frühschwangerschaft mit dem höchsten Risiko verbunden ist und bei Fortbestehen der Schwangerschaft doch eine beträchtliche Verzögerung für die adjuvante onkologische Therapie resultieren kann. Auf Grund der rein palliativen Behandlungsmöglichkeiten und der schlechten Prognose werden derzeit bei malignen Gliomen verschiedene experimentelle Therapieansätze in Form von Gentherapie (Stockhammer et al. 1997), Antisense-Therapie (Pulkkanen und Yla-Herttuala 2005), photodynamischer Therapie (Kostron et al. 2002) und Immunotoxintherapie (Cokgor et al. 2000, Hall 2000) evaluiert. Für alle diese Therapien stellt eine Schwangerschaft bei derzeit noch unabschätzbarem Risiko für den Föten eine absolute Kontraindikation dar.
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Niedriggradige Gliome Zu dieser Gruppe zählen das pilozytische Astrozytom WHO I, die diffus wachsenden Astrozytome WHO II, das Oligodendrogliom WHO II und das oligoastrozytäre Mischgliom WHO II. Das pilozytische Astrozytom, als benigneste Variante und typischem Tumor im Kindes- und Jugendalter, hat unter den astroglialen Tumoren deshalb eine Sonderstellung, weil es auf Grund seines langsamen Wachstums, seiner meist scharfen Begrenzung und guten Resektabilität eine ausgezeichnete Prognose besitzt. Diese Tumoren werden von der WHO als einzige in dieser Gruppe als Grad I-Tumoren eingestuft. Sie sind typischerweise im Kleinhirn, Hypothalamus oder dem optischen System lokalisiert. Die alleinige chirurgische Therapie führt in über 90% zu einer Heilung. Niedriggradige diffuse Astrozytome WHO II treten meist im jüngeren Erwachsenenalter auf. Es sind typische Tumoren der Großhirnhemisphären, können seltener aber auch im Hirnstamm auftreten und sind wegen ihres unscharf begrenzten diffus infiltrierenden Wachstums schwer radikal entfernbar. Oligodendrogliome WHO II umfassen etwas mehr als 5% aller intrakraniellen Tumoren und bis 15% aller Gliome. Sie treten gehäuft im jüngeren Erwachsenenalter und vorzugsweise in den Großhirnhemisphären auf. Zytogenetisch zeigt diese Tumorgruppe Unterschiede zu Astrozytomen, hier sind in erster Linie Veränderungen an den Chromosomen 1p und 19q zu beobachten. Tumoren, die aus verschiedenen glialen Komponenten zusammengesetzt sind, werden Mischgliome genannt, wobei das aus signifikanten astrozytären und oligodendroglialen Anteilen bestehende Oligo-Astrozytom WHO II die häufigste Spielart ist. Niedrigradige Gliome werden häufig mit epileptischen Anfällen bei sonst unauffälligem neurologischem Befund symptomatisch. Bildgebend stellen sie sich meist als nicht-kontrastmittelaufnehmende Raumforderungen dar, hypodens im CT und hyperintens im T2-gewichteten MRT (Goldstein und DeAngelis 2002). Die maximal mögliche chirurgische Resektion ist die Therapie der Wahl, was auf Grund der diffusen Ausdehnung selten möglich ist. Bei Inoperabilität wird die Diagnose mittels stereotaktischer Biopsie gestellt. Die postoperative Therapie besteht bei vorhandenem Resttumor oder Inoperabilität in einer erweiterten Tumorfeldbestrahlung, womit die Überlebenszeiten nach subtotaler Resektion signifikant verbessert werden, mit 5-Jahresüberlebensraten bei WHO Grad II-Astrozytomen von 40–50% versus 15–25% ohne Radiotherapie. Bei Oligodendrogliomen, insbesondere wenn große Stahlenfelder erforderlich sind, wird in den letzten Jahren auch vermehrt vor Einleiten einer Radiatio der Response auf eine PCV-Chemotherapie abgewartet (Mason et al. 1996). Auf Grund des biologisch benigneren Verhaltens und den besseren Behandlungsmöglichkeiten ist bei WHO Grad II-Oligodendrogliomen die mediane Überlebenszeit mit 16 Jahren wesentlich besser als mit 5 Jahren für Astrozytome WHO II.
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Im Gegensatz zu malignen Gliomen ist die Wahrscheinlichkeit, dass niedriggradige Gliome eine akute operative Intervention in der Schwangerschaft benötigen, drastisch geringer. Diese Tumoren haben in der Regel einen asymptomatischen Verlauf über Jahre und mit Antiepileptika und nötigenfalls auch Kortikosteroiden kann die onkologische Therapie bis zur fötalen Reife hinausgezögert werden. In Fallanalysen zu schwangerschaftsassoziierten Hirntumoren wurden aus einem Kollektiv von 126 413 Schwangeren sieben Patientinnen mit Hirntumoren beschrieben (Isla et al. 1997). In diesem Kollektiv waren auch zwei Patientinnen mit supratentoriellen niedriggradigen Astrozytomen und eine Patientin mit einem rasch progredienten Hirnstammgliom, bei dem auf Grund der Lokalisation eine histologische Verifizierung nicht möglich war, inkludiert (Isla et al. 1997). Bei einer Patientin wurde in der 10. SSW ein multifokales Astrozytom WHO II diagnostiziert und als initiale Therapie eine partielle Tumorresektion durchgeführt. In der 20. SSW erlitt die Patientin einen Spontanabortus. Drei Monate später erfolgte eine weitere Teilresektion gefolgt von einer Strahlentherapie. Bei der zweiten Patientin mit einem supratentoriellen Astrozytom WHO II wurde kurz nach vaginaler Termingeburt eine Kraniotomie mit Tumorresektion durchgeführt, gefolgt von der adjuvanten Radiotherapie. Die Patientin mit dem rasch progredienten Hirnstammgliom verstarb drei Monate nach Diagnosestellung an der Tumorprogredienz, obwohl noch während der Schwangerschaft eine Radiotherapie eingeleitet und in der 33. SSW vaginal entbunden wurde. Diese Kasuistiken unterstreichen die relativ guten Ergebnisse bei Auftreten von supratentoriellen niedriggradigen Gliomen in der Schwangerschaft, wenn die Therapie bis zur fetalen Reife hinausgezögert werden kann. Aus diesen Erfahrungen empfehlen die Autoren einen niedriggradigen Tumor – falls die neurologischen Symptome beherrschbar sind – nur symptomatisch mit Antiepileptika und Steroiden bis zur Geburt zu behandeln. Mit der operativen Therapie und – falls erforderlich – nachfolgenden Radiatio kann bei diesen Tumoren in der Regel bis zur Beendigung der Schwangerschaft gewartet werden (Isla et al. 1997). Nur bei nichtbeherrschbaren neurologischen Symptomen sollte eine Kraniotomie in der Schwangerschaft erfolgen (Giannini und Bricchi 1999). Falls eine Radiotherapie unverzüglich erforderlich werden sollte, wie am ehesten bei progredienten Hirnstammgliomen zu erwarten, kann diese ohne wesentliche Gefahr im zweiten und dritten Trimenon durchgeführt werden (Sneed et al. 1995). Häufig sind diese Tumoren bereits für Jahre vorbestehend und können über weitere Jahre ohne klinische Progredienz weiterbestehen (Goldstein und DeAngelis 2002). Es könnten daher jüngere Patientinnen mit niedriggradigen Gliomen durchaus Kinderwunsch haben. Nach interdisziplinärer Beratung und bei guter Tumorkontrolle besteht bei diesen Patientinnen kein zwingender Grund gegen eine erfolgreiche Schwangerschaft (Goldstein und DeAngelis 2002).
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Ependymome Ependymome können in jedem Lebensalter auftreten, werden aber häufiger bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen beobachtet. Sie sind innerhalb des Ventrikelsystems lokalisiert, meist im 4. Ventrikel, weniger häufig in den Seitenventrikeln und neigen zur Infiltration ins Hirnparenchym. Nach histopathologischen Kriterien werden sie in gut differenzierte Ependymome WHO II und anaplastische Ependymome WHO III unterteilt. Die Primärtherapie besteht wiederum in der maximal möglichen chirurgischen Tumorresektion und, in Abhängigkeit von der Radikalität der Operation und der Histologie, in der postoperativen Strahlentherapie. Bei Tumoren ohne Nachweis einer Liquoraussaat genügt eine Bestrahlung der erweiterten Tumorregion bis 54 Gy, bei Ependymomen mit Liquorbefall muss die gesamte Neuroachse bestrahlt werden, der gesamte Liquorraum bis 36 Gy und die erweiterte Tumorregion bis 54 Gy, wobei im Gegensatz zur Radiatio des Cerebrums die Bestrahlung der Neuroachse eine ernsthafte Gefährdung des Fetus mit einem hohen Risiko einer geistigen Retardierung auch noch Ende des zweiten Trimenon darstellt (im ersten Trimenon Risiko der Mikroenzephalie > 50%). Die 5-Jahresüberlebensrate liegt bei 60%. In der Arbeit von Isla et al. waren auch zwei Patientinnen mit Ependymomen inkludiert. In beiden Fällen konnte die Therapie bis zur fetalen Reife hinausgezögert werden. Bei beiden Patientinnen wurde eine Kraniotomie mit Tumorresektion, entweder mit gleichzeitiger Sectio im letzten Trimenon oder kurz nach vaginaler Termingeburt, durchgeführt, gefolgt von einer postoperativen Radiatio. Nach den bisherigen geringen Erfahrungen ist das zu empfehlende Vorgehen zur Therapie dieser Tumoren in der Schwangerschaft vergleichbar mit jenem bei niedriggradigen Gliomen (Isla et al. 1997). Primitive neuroektodermale Tumoren (PNETs) und Medulloblastom Der Begriff primitive neuroektodermale Tumoren (PNET) bezeichnet Neoplasien, die ihren Ursprung aus neuronalen und glialen Vorläuferzellen nehmen und das Bild eines undifferenzierten, kleinzelligen Tumors bieten. Das Medulloblastom ist definiert als PNET des Kleinhirns, der vorzugsweise bei Kindern auftritt und in 14–30% der Fälle im Erwachsenenalter. Damit machen diese Tumoren etwa 1% aller adulten ZNS-Tumoren aus. Während diese Tumoren im Kindesalter meist in der Mittellinie am Dach des 4. Ventrikels ihren Ausgang nehmen und als Tumoren des Kleinhirnwurmes imponieren, treten sie im Erwachsenenalter zu 2/3 als scheinbar extraaxial entstandene Tumoren im Kleinhirnbrückenwinkel oder Tentorium auf und können in diesen Lokalisationen differentialdiagnostisch schwierig gegenüber Neurinomen oder Meningeomen abgrenzbar sein (Becker et al. 1995).
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PNET/Medulloblastome neigen zur Aussaat in die Liquorräume durch Einwachsen in den 4. Ventrikel oder in den Subarachnoidalraum. Die Therapie dieser Tumoren besteht in einer maximalen Tumorresektion gefolgt von einer postoperativen Bestrahlung des gesamten Liquorraumes bis 36 Gy und einer Aufdosierung der Tumorregion auf 54 Gy. Auch hier gilt, dass die Bestrahlung der Neuroachse wegen der hohen Gefährdung des Fetus nach Möglichkeit unterbleiben sollte. In der prognostisch ungünstigen Gruppe verbessert die zusätzliche Chemotherapie die Prognose (Jackacki 2005). Die 5-Jahresüberlebensraten nach einer Kombinationstherapie aus Operation, Bestrahlung und Chemotherapie liegen heute bei 60%. In der Literatur sind nur insgesamt acht Kasuistiken von PNET/Medulloblastomen in der Schwangerschaft mitgeteilt (Bellezza et al. 1997), hiervon berichten zwei bemerkenswerte Kasuistiken über eine Metastasierung in die Plazenta (Brossard et al. 1994, Pollack et al. 1993). Eine Patientin mit bekanntem vorbestehendem Medulloblastom wurde in der 20. SSW infolge einer ossären Metastasierung symptomatisch. Die Schwangerschaft wurde in der 29. SSW per Sectio beendet. Der postoperative Verlauf war charakterisiert durch unbeherrschbare Blutungskomplikationen bei Koagulopathie. Autoptisch zeigte sich neben den bekannten ossären Metastasen auch eine Metastasierung in die Placenta. Auf Grund der außergewöhnlich raschen Tumorprogression und des dramatischen Krankheitsverlaufs während der Schwangerschaft wurde von den Autoren über mögliche hormonelle Faktoren spekuliert (Pollack et al. 1993). Eine weitere Kasuistik berichtet über eine 25-jährige Patientin mit neu diagnostiziertem PNET im zweiten Trimenon der Schwangerschaft (Varveris et al. 2002). Noch während der Schwangerschaft wurde unter entsprechender Abschirmung des Fetus eine externe Radiatio eingeleitet. Infolge Tumorprogression erfolgte in der 27. SSW die Sectio. Es wurde ebenfalls eine Metastasierung des PNET in die Plazenta verifiziert. Die Patientin verstarb 14 Monate nach Primärdiagnose unter dem Bild einer Multiorganmetastasierung. Als mögliche Ursache dieses ungünstigen Verlaufes wurde auch die Problematik einer nicht zeitgerecht eingeleiteten Chemotherapie bei dieser Tumorerkrankung diskutiert (Varveris et al. 2002). Vermutungen über einen ungünstigeren Verlauf dieser Tumorerkrankung infolge hormoneller Faktoren während der Schwangerschaft sind derzeit rein spekulativ (Becker et al. 1995). Zusammenfassend ist aus den bisherigen Erfahrungsberichten als Therapieempfehlung bei Verdacht auf Vorliegen eines PNET/Medulloblastom in der Schwangerschaft eine möglichst rasche Diagnosesicherung mittels Biopsie oder Tumorresektion erforderlich. Falls die histologische Beurteilung einen PNET/Medulloblastom bestätigt, besteht die Indikation zu einer unverzüglichen Therapie, bestehend aus bestmöglicher Resektion – falls keine leptomeningeale Aussaat oder Fernmetastasierung bereits vorliegt – gefolgt von einer Radiatio ohne Bestrahlung der Neuroachse und gegebenenfalls Einleiten einer Chemotherapie ohne zeitliche Verzögerung. Bei klarer Indikation zur Chemotherapie ist nur bei Vorliegen einer fortgeschrittenen Schwanger-
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schaft eine geringe Verzögerung bis zum Einleiten der Therapie zu rechtfertigen. Meningeome Die Gruppe der Meningeome beinhaltet überwiegend gutartige Varianten (WHO I), die wesentlich selteneren semimalignen atypischen Meningeome (WHO II) und die malignen anaplastischen Formen (WHO III), mit einer Häufigkeitsverteilung dieser Untergruppen von 89%, 10% und 1% (Chamberlain 2001). In 5% der Fälle treten sie multipel auf. Mit dem atypischen Meningeom (WHO II) wurde ein Subtyp identifiziert, der sich durch subtile histo- und zytomorphologische Auffälligkeiten von klassischen Meningeomen unterscheidet und eine erhöhte Rezidivneigung zeigt (Maier et al. 1992). Das anaplastische Meningeom bietet definitive Zeichen der Malignität (WHO III) mit hoher Rezidivneigung aber selten auftretenden Fernmetastasen (1%). Diese Tumoren leiten sich von Arachnoidalzellen oder meningealen Fibroblasten ab und treten meist in unmittelbarem Bezug zur Dura mater an typischen Lokalisationen auf, der Falx, dem Tentorium und der Schädelbasis. Durch das langsame Wachstum können Meningeome eine außerordentliche Größe erlangen bis sie symptomatisch werden. Meningeome sind stark vaskularisierte Tumoren mit entsprechender Darstellung in den bildgebenden Verfahren. Die Häufigkeit liegt bei 2,3/100 000, wobei Frauen doppelt so häufig betroffen sind wie Männer, mit bevorzugtem Auftreten im mittleren und späteren Lebensalter (Chamberlain 2001). Mögliche pathophysiologische Beziehungen zwischen Meningeomen und hormonellen Einflüssen wurden bereits unter Punkt 3 dargestellt. Obwohl nach den bisher bekannten epidemiologischen Daten die prozentuelle Häufigkeit von Meningeomen bei Schwangeren nicht höher ist als bei Nichtschwangeren, kann die Schwangerschaft einen dramatischen Einfluss auf vorbestehende, ja sogar klinisch stumme Meningeome haben (Goldstein und DeAngelis 2002). Zahlreiche Kasuistiken beschreiben das Auftreten klinischer Symptome während der Schwangerschaft und eine Reversibilität dieser Symptome nach der Geburt (Bickerstaff et al. 1958, DeGrood et al. 1987, Fox et al. 1990, Wan et al. 1990). Die Therapie erster Wahl bei Meningeomen stellt die operative Therapie dar (Chamberlain 2001). Diese kann in den meisten Fällen bis zur Zeit nach der Entbindung verschoben werden. Ein perifokales Ödem wird, wie bei Gliomen, mit Steroiden behandelt und eine mit Meningeomen häufig auftretende symptomatische Epilepsie macht den Einsaz von Antiepileptika erforderlich. Nur wenn durch die Tumorlokalisation oder das Tumorwachstum eine ernste neurologische Symptomatik hervorgerufen wird, ist die Indikation für eine sofortige operative Therapie während der Schwangerschaft gegeben. Anzu-
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streben ist die chirurgische Radikaloperation, wobei auch der Ansatz reseziert werden sollte. Im Bereich der Schädelklotte sind sie häufig gut resezierbar, können aber dann nur unvollständig zu entfernen sein, wenn sie in Nachbarschaftsstrukturen, venöse Sinus, Orbita oder Nasennebenhöhlen, einwachsen. Insbesondere Meningeome der Schädelbasis gehören zu den schwierigsten neurochirurgischen Eingriffen, wobei vielfach nur eine Teilresektion des Tumors gelingt. Komplett resezierte Meningeome müssen nicht nachbestrahlt werden. Eine Bestrahlungsindikation liegt nur bei subtotaler Resektion oder maligner Transformation vor. Für Meningeome ist die angestrebte Zielvolumendosis 50–54 Gy, für maligne Meningeome 60 Gy. Alternativ werden bei kleinvolumigen Rest- oder Rezidivtumoren auch die Gamma-Knife-Therapie oder die stereotaktische Konvergenzbestrahlung angewandt (Chamberlain 2001). Die mittlere Überlebenszeit beträgt 12 Jahre. Typische Meningeome weisen eine Rezidivrate von 3% nach 5 und 21% nach 25 Jahren auf, atypische 38% nach 5 Jahren und maligne Meningeome bis zu 78% nach 5 Jahren (Chamberlain 2001). Da 70% der Meningeome Progesteron-Rezeptoren exprimieren, wird an einigen Zentren im Rahmen experimenteller Protokolle auch eine Hormontherapie mit einem Antiprogesteron (Mifepristone-RU 486) mit wechselndem Erfolg eingesetzt (Sartor et al. 1996). Ein zunehmender Verlust der Hormonrezeptor-Expression bei Rezidiven (Strik et al. 2002) und ein unterschiedliches Expressionsmuster von Steroidrezeptor-Koaktivatoren (Carroll et al. 2000) könnte für diese unterschiedlichen Ansprechraten der Meningeome unter Hormontherapie verantwortlich sein. Eine Chemotherapie mit Hydroxyurea wurde von einem Zentrum bei einigen Kasuistiken mit inoperablen Meningeomen mit mäßig gutem Erfolg eingesetzt, ansonsten spielt die Chemotherapie bei diesen Tumoren derzeit noch keine Rolle. Akustikusneurinome Als seltene Tumorerkrankung in der Schwangerschaft wurde auch das Neurinom (Schwannom) beschrieben, intrakraniell mit bevorzugter Lokalisation im Kleinhirn-Brückenwinkel als Akustikusneurinom. Diese Tumoren sind ebenso wie Meningeome extraaxial lokalisiert und meist benigne. Sie wachsen langsam und treten bevorzugt im 40.–50. Lebensjahr auf. Bei einer einseitigen Hyp- oder Anakusis muss ein Akustikusneuriom mittels MRT ausgeschlossen werden. Durch mikrochirurgische Techniken und neurophysiologisches Monitoring ist es meist möglich diese Tumoren radikal, mit Erhaltung des Nervus facialis, zu entfernen. Im Falle des Rezidivs ist die Reoperation anzustreben. Bestrahlung mittels Gamma-Knife wird in einzelnen Zentren alternativ zur operativen Therapie angewendet (Muacevic et al. 2004).
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In einer kürzlich publizierten Arbeit wurden die Erfahrungen mit zwei in der Schwangerschaft symptomatisch gewordenen Patientinnen mit Akustikusneurinomen berichtet (Kachhara et al. 2001). Eine Patientin, die im letzten Trimenon symptomatisch wurde, wurde unmittelbar nach Sectio einer Tumorresektion unterzogen, und die zweite Patientin, die im zweiten Trimenon symptomatisch wurde, wurde während der Schwangerschaft der Tumorresektion unterzogen, gefolgt von einem komplikationslosen Verlauf der weiteren Schwangerschaft (Kachhara et al. 2001). Die Autoren stellten die Vermutung an, dass eine erhöhte Tumorvaskularität während der Schwangerschaft ein erhöhtes Risiko spontaner Einblutungen bei diesen Tumoren in sich birgt. Hypophysenadenome Diese Tumoren nehmen von Zellen des Hypophysenvorderlappen ihren Ursprung und umfassen etwa 15% der intrakraniellen Tumoren. Abhängig von ihrer Größe werden Mikroadenome (≤ 1cm) von Makroadenomen (> 1 cm Durchmesser) unterschieden. Die Klassifikation der Hypophysenadenome richtet sich nach dem immunhistochemischen Expressionsmuster, wobei drei Gruppen unterschieden werden: monohormonale Adenome, plurihormonale Adenome und nicht-immunreaktive Adenome. Eine weitere Subtypisierung kann elektronenoptisch vorgenommen werden (Saeger 1996, Tabelle 5). Unabdingbar für eine korrekte Klassifizierung ist daher die immunhistochemische Untersuchung auf Expression der sechs Vorderlappenhormone, ACTH (adrenokortikotropes Hormon), Prolaktin, HGH (humanes growth hormone = STH, somatotropes Hormon) und die Glykoproteidhormone FSH (follikelstimulierendes Hormon), TSH (Thyroidea-stimulierendes Hormon) und LH (luteinisierendes Hormon) und die Untersuchung auf Expression der α-Untereinheit der Glykoproteidhormone. Letztere Untersuchung ist wichtig, weil bei ausschließlicher Expression der α-Kette ihre Bestimmung als klinischer Verlaufsparameter dienen kann. Die wichtigsten klinischen Syndrome, die durch Hypophysenadenome verursacht werden können, sind die Hyperprolaktinämie, die Akromegalie infolge STH-Überexpression und der Morbus Cushing infolge ACTH-Überexpression. Bei nicht-immunreaktiven Adenomen handelt es sich klinisch meist um nicht funktionelle Adenome, die auf Grund lokaler Drucksymptomatik auffällig werden. Hervorzuheben ist eine in der Schwangerschaft auftretende physiologische Volumenszunahme des Hypophysenvorderlappens auf bis zu doppelte Größe, wie dies in MR-Untersuchungen gezeigt wurde, und eine physiologische Änderung der hormonellen Sekretion mit Zunahme von Prolaktin und Abnahme von FSH und LH (Jan und Destrieux 2000). Abzugrenzen von einem Hypophysenadenom ist die lymphozytäre Hypophysitis, die im letzten
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Tabelle 5. Klassifikation der Hypophysenadenome (modifiziert nach Saeger 1996) Monohormonale Adenome • STH (GH)-Zell-Adenome • Prolaktin-Zell-Adenome • ACTH-Zell-Adenome • Glykoproteidhormonhaltige Adenome (β-FSH, β-LH, β-TSH und α-Untereinheit in wechselnder Zusammensetzung) Plurihormonale Adenome • STH-/Prolaktin-Adenome • STH-/Prolaktin-/Glykoproteidhormon-Adenome • Andere Nicht-immunreaktive Adenome Unklassifizierbare Adenome
Trimenon oder in der frühen postpartalen Periode auftreten kann (Vizner et al. 2002). Die Assoziation eines Panhypopituitarismus mit MRT-Veränderungen könnten eine hyphophysäre Apoplexie infolge einer intratumoralen Ischämie oder Hämorrhagie vortäuschen (Jan und Destrieux 2000). Prolaktinome sind die häufigsten hormonsezernierenden Hypophysenadenome und verursachen häufig Infertilität (Colao et al. 2002). Daher ist eine erfolgreiche Therapie des Prolaktinoms meist Voraussetzung für das Eintreten einer Schwangerschaft. Während in der Schwangerschaft Mikroadenome praktisch nie eine signifikante Größenzunahme aufweisen und daher selten Komplikationen verursachen, zeigen bis zu ein Drittel der Makroadenome eine deutliche Progredienz in der Schwangerschaft (Bronstein 2005). Daher wird von einigen Klinikern eine operative Resektion von Makroadenomen vor einer gewünschten Schwangerschaft empfohlen. Die Primärtherapie der Prolaktinome besteht heute in der Gabe von Dopaminagonisten (Colao et al. 2002, Nomikos et al. 2001). Der therapeutische Effekt dieser Therapie ist aber nur solange gegeben, solange das Medikament kontinuierlich eingenommen wird (Nomikos et al. 2001). Die Hauptindikationen zur operativen Behandlung der Prolaktinome sind fehlender Response auf die Behandlung mit Dopaminagonisten oder Intoleranz der medikamentösen Therapie (Nomikos et al. 2001). Die Remissionsraten der operativen Behandlung liegen zwischen 54 und 86%. Auf Grund der besonders hohen Remissionsraten von 82% bei Mikroprolaktinomen wird von einigen Klinikern auch hier die Operation als sinnvolle Alternative zur Langzeit-medikamentösen Therapie gesehen (Nomikos et al. 2001). Andere Kliniker empfehlen, diese Patientinnen zuerst mit Bromocriptin bis zum Eintreten einer Schwangerschaft zu behandeln und danach Bromocriptin unter engmaschigen Verlaufskontrollen abzusetzen. Im Falle einer Progredienz erfolgt
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die Operation oder die Wiederaufnahme der Bromocriptin-Therapie (Laws und Thapar 2001). Patientinnen mit Hypophysenadenomen bedürfen ebenfalls einer engen neurologisch-gynäkologisch interdisziplinären Betreuung, die neurologischfachärztlichen Kontrollen sind in monatlichen Abständen empfohlen. Alle Patientinnen mit einem Hypophysenadenom sollten vor Eintreten der Schwangerschaft ein Ausgangs-MRT durchführen und im Falle einer klinischen Progredienz kontrolluntersucht werden. Im Falle einer Tumorprogredienz, besonders bei Auftreten von Gesichtsfelddefekten, sollte eine unverzügliche Therapie eingeleitet werden, primär die Gabe von Bromocriptin mit rascher Dosissteigerung. Bei fehlendem Response besteht die Indikation zur transsphenoidalen Tumordekompression. Mit der Entwicklung neuer Dopaminagonisten ist in den letzten Jahren besonders Cabergolin auf Grund seiner potenten und langanhaltenden Wirkung auf die Prolaktinfreisetzung als Alternative zu Bromocriptin von zunehmendem Interesse. Cabergolin erwies sich nach bisherigen Erfahrungen dem Bromocriptin hinsichtlich Effizienz und Verträglichkeit als überlegen (Colao et al. 2002). Eine kürzlich publizierte Kasuistik berichtet über eine erfolgreiche Behandlung eines großen Makroprolaktinoms mit Cabergolin, verabreicht ab der 18. SSW, nachdem mit Bromocriptin kein Response zu erzielen war (Liu und Tyrrell 2001). Obwohl bisher noch keine negativen Effekte auf Schwangerschaft oder Fetus bekannt sind, wird auf Grund zu geringer Erfahrungen zu Cabergolin in der Schwangerschaft derzeit noch nach Erreichen der Fertilität das Absetzen von Cabergolin vor der Konzeption empfohlen (Colao et al. 2002). HGH-produzierende Tumoren verursachen eine Akromegalie, ein Krankheitsbild, das einige Schwangerschaftsrisiken in sich birgt, insbesondere eine Carbohydrat-Intoleranz, einen Diabetes mellitus und eine Cardiomyopathie (Molitch 1998). Eine chirurgische Tumortherapie kann besonders bei Patientinnen mit Akromegalie in der Schwangerschaft erforderlich werden. Bei geschlechtsreifen Frauen mit Akromegalie kann eine Therapie mit Octreotid, Bromocriptin, Operation oder Radiatio wieder zu Menses und Fertilität führen. Bromocriptin wurde bereits bei vielen Patientinnen während der Schwangerschaft ohne bekannte teratogene Effekte eingesetzt. Auch über den erfolgreichen Einsatz das Somatostatin-Analogs Octreotid in der Schwangerschaft bei Patientinnen mit Akromegalie wurde bereits in der Literatur berichtet (Neal 2000, Mikhail 2002, Fassnacht et al. 2001). Octreotid wurde bisher im ersten Trimenon bei sieben Frauen mit Akromegalie, davon bei einer Patientin während der gesamten Schwangerschaft, und bei einer Patientin mit Thyrotropin-sezernierendem Hypophysenadenom noch während der gesamten Schwangerschaft eingesetzt, ohne dass bisher Nebenwirkungen beobachtet wurden (Neal 2000). In einer bemerkenswerten Fallbeschreibung konnte bei einer 40-jährigen Patientin mit Akromegalie und Amenorrhoe nach Octreotid-Therapie eine Schwangerschaft im 43. Lebensjahr erzielt werden. Auf Grund eines zugrunde liegenden Makroadenoms und Auftreten neurologischer Symptome bei Versuch der Dosisre-
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duktion wurde die Octreotid-Therapie auch während der Schwangerschaft fortgeführt. Damit waren eine gute hormonelle Kontrolle und eine normale Schwangerschaft und Geburt zu erreichen. In einer weiteren Kasuistik wird trotz eines beträchtlichen materno-fetalen Octreotid-Transfers über ein normales Längenwachstum beim Säugling berichtet (Fassnacht et al. 2001). Nach diesen bisherigen kasuistischen Erfahrungen scheint eine OcrteotidTherapie in der Schwangerschaft eine sinnvolle und sichere Option zu sein, auf Grund der derzeitigen geringen Datenlage ist jedoch eine generelle Therapieempfehlung hierzu noch nicht möglich (Fassnacht et al. 2001). ACTH-sezernierende Hypophysentumoren wurden ebenso wie TSH-sezernierende während der Schwangerschaft bisher nur selten in der Literatur berichtet (Coyne et al. 1992, Caron et al. 1996). Die Therapie dieser Adenome besteht in der Resektion und Octreotid-Gabe. Ein Fallbericht beschreibt die Gabe von Octreotid bei einer Patientin mit TSH-sezernierendem Hypophysenadenom in der Schwangerschaft (Caron et al. 1996). Zuerst wurde Octretid bei Eintreten der Schwangerschaft pausiert. Nach Tumorprogredienz, sechs Monate später, wurde die Octreotid-Therapie wieder aufgenommen, gefolgt von einer komplikationsfreien weiteren Schwangerschaft und Geburt (Caron et al. 1996). Null-Zell-Tumoren der Hypophyse verursachen in der Regel keine hormonellen Symptome während der Schwangerschaft, können aber besonders in der Schwangerschaft größenprogredient sein und sollten auch in der Schwangerschaft mit MR- und Gesichtsfelduntersuchungen verlaufskontrolliert werden. In ausgewählten Fällen ist auch eine Indikation zur Radiatio gegeben. Eine Bestrahlung erfolgt postoperativ bei Resttumoren oder Rezidiven. Der Sicherheitssaum kann klein gehalten werden, die Zielvolumendosis beträgt 50 Gy. Die Erfolgsquote (d.h. Verminderung der Hormonproduktion) beträgt bei Prolaktinomen 44–70%, bei M. Cushing 60–80% und bei Akromegalie 80% (Chandler et al. 2003). Primäre ZNS-Lymphome Überraschenderweise liegen in der Literatur bisher keine Berichte über Primäre ZNS-Lymphome in der Schwangerschaft vor, obwohl diese Tumoren sowohl bei immunkompetenten als auch bei immunsupprimierten Patienten eine deutliche Inzidenzzunahme um das 7- bis 10-Fache innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte aufweisen und inzwischen bis zu 6% aller primären intrakraniellen Tumoren darstellen (Behin et al. 2003). Primäre ZNS-Lymphome treten überwiegend bei Erwachsenen mit Inzidenzspitzen bei immunkompetenten Patienten in der 6. Dekade und bei Transplantations- und AIDS-Patienten um das 35. bis 40. Lebensjahr auf. Männer erkranken häufiger an einem Primären ZNS-Lymphom mit einer Geschlechtsverteilung von 2:1 (Schabet 1999).
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Maligne Lymphome können ubiquitär im ZNS auftreten. Rund 60% betreffen den supratentoriellen Raum, meist im Bereich der Basalganglien und periventrikulär, 15% die hintere Schädelgrube und 25–50% treten multipel auf (60–80% bei AIDS-Patienten). Eine meningeale Aussaat findet sich in 30–40% und ein Augenbefall tritt in 15–20% der Patienten auf. Fernmetastasen Primärer ZNS-Lymphome treten im späteren Verlauf in 5–12% aller Patienten auf. Die klinische Symptomatik Primärer ZNS-Lymphome ist wegen ihrer variablen Lokalisation oft wechselnd und unspezifisch, 50–80% aller Patienten bieten neurologische Herdausfälle und 10–30% Zeichen einer intrakranieller Drucksteigerung. Sehstörungen durch Augenbeteiligung (Uveitis, Retinabefall) treten in 10–20%, oft vor neurologischen Ausfällen, auf. Epileptische Anfälle hingegen sind bei diesen Tumoren auf Grund der meist Cortex-fernen Lokalisation selten. CT oder MRT zeigen singuläre oder multiple, vorwiegend periventrikuläre, Kontrastmittel-anspeichernde Raumforderungen, die malignen Gliomen oder Metastasen ähneln können, in der Regel aber weniger peritumorales Ödem zeigen. Die Methode der Wahl zur Diagnosesicherung Primärer ZNS-Lymphome ist heute die meist stereotaktisch geführte Biopsie. Da Steroidgaben durch Tumorzell-Lyse die histologische Diagnostik unmöglich machen können, sollten sie vor einer Biopsie nur bei lebensbedrohlichen Hirndruckzeichen angewandt werden (Plasswilm et al. 2002). Auf eine Biopsie kann nur verzichtet werden, wenn ein direkter Tumorzellnachweis aus dem Liquor oder aus einer Glaskörperaspiration gelingt. Die überwiegende Mehrzahl der Primären ZNS-Lymphome sind hochmaligne großzellige Non-Hodgkin-Lymphome vom B-Zelltyp (DeAngelis 2001). Diese Tumoren zeigen eine hohe Malignität und weisen trotz guter Remissionen auf initiale Behandlung eine schlechte Langzeit-Prognose auf. Im Gegensatz zu anderen Hirntumoren beeinflusst das Ausmaß der chirurgischen Resektion nicht die Prognose und sollte sich auf die alleinige bioptische Verifizierung beschränken. Eine Chemotherapie in Form einer Hochdosis-Methotrexat-Therapie stellt heute die Therapie der Wahl dar und zeigt komplette Responses in 50–80% (DeAngelis 2001), während Chemotherapie-Regime, die in der first-line-Therapie systemischer Lymphome zur Anwendung kommen, ineffektiv sind (DeAngelis 2001). Bis vor wenigen Jahren galt die alleinige Strahlentherapie mit Ganzhirnbestrahlung mit 40 Gy – mit oder ohne 10–15 Gy Aufsättigung auf das Tumorbett – als Standardtherapie. Mit alleiniger Strahlentherapie liegt beim Primären ZNS-Lymphom die mediane Überlebenszeit bei 12–18 Monaten (Nelson 1999), während durch die zusätzliche Hochdosis-MethotrexatTherapie bei immunkompetenten Patienten eine mediane Überlebensdauer von über 40 Monaten erreicht wird (DeAngelis et al. 1992, DeAngelis 2001). Allerdings zeigen Langzeitüberlebende nach dieser multiodalen Therapie eine erhebliche Langzeit-Neurotoxizität (Abrey et al. 1998).
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Eine interessante Kasuistik berichtet über die Diagnose eines Primären ZNS-Lymphoms bei einer 25-jährigen immunkompetenten Patientin in der frühen postpartalen Phase, ein Monat nach einer komplikationsfreien Spontangeburt eines gesunden Kindes. Nach Einleiten einer Steroidtherapie war die stereotaktische Biopsie nicht diagnostisch. Bemerkenswert an dieser Kasuistik war die über vier Jahre anhaltende komplette Remission dieser Raumforderung, die sich im Rezidiv bioptisch als Primäres ZNSLymphom verifizieren ließ (Pirotte et al. 1997). In der Literatur sind einige Kasuistiken mit anhaltenden Remissionen von 6 bis 60 Monaten nach alleiniger Steroid-Therapie beschrieben (Pohl et al. 1989, Pirotte et al. 1997). In etwa 1/3 der Patienten kommt es mit alleiniger Steroidgabe zu einer kompletten bildgebenden Remission. Für Patientinnen mit einem Primären ZNS-Lymphom könnte daher mit Steroiden allein eine ausreichende Tumorkontrolle während einer Schwangerschaft erzielt und in Abhängigkeit vom Steroid-Response die weitere onkologische Therapie postpartal eingeleitet werden (Pirotte et al. 1997). Hirnmetastasen Etwa die Hälfte aller Hirntumoren stellen Metastasen dar, und deren Inzidenz ist ansteigend (Posner 1995). Sie manifestieren sich als singuläre oder multiple Rundherde, gelegentlich auch in Kombination mit einer diffusen Aussaat entlang der Meningen und im Liquor in Form einer Meningeosis carcinomatosa. Am häufigsten handelt es sich um Metastasen von Lungen-, Mamma-, Kolon- oder Nierenzellkarzinomen oder von malignen Melanomen (Tabelle 6). In bis zu 10% der Fälle handelt es sich um eine Metastase eines bis dahin nicht bekannten Primärtumors. Ein wesentlicher Gesichtspunkt in der Schwangerschaft scheint die häufig späte Diagnosestellung der Hirnmetastasen oder generell der zugrunde liegenden Tumorerkrankung zu sein, zum Teil bedingt durch die restriktive Haltung des behandelnden Arztes gegenüber einer forcierten Abklärung bei intakter Schwangerschaft. Insgesamt ist eine fortgeschrittene Tumorerkrankung mit systemischer Metastasierung während der Schwangerschaft selten anzutreffen. Mit Ausnahme des Chorionkarzinoms tritt keine spezifische Tumorerkrankung gehäuft in der Schwangerschaft auf. Es liegen lediglich Einzelfallberichte über Hirnmetastasen bei Bronchialkarzinomen (Chen et al. 1998, Mujaibel et al. 2001) sowie bei Mammakarzinomen während einer Schwangerschaft vor (Ishikawa et al. 2002). Im Gesamtkollektiv ist die Prognose von Patientinnen mit Hirnmetastasen schlecht. Nur für wenige solide Tumoren, wie dem Chorionkarzinom, gibt es einen kurativen Therapieansatz. Vereinzelt werden jedoch Langzeitüberlebende bis zu 11,5 Jahre nach erfolgreicher neurochirurgischer Entfernung von solitären Hirnmetastasen beobachtet (Saitoh et al. 1999). Bei kontrollierter Primärtumorerkrankung und einer Lebenserwartung über sechs Monate
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Tabelle 6. Inzidenz der Hirnmetastasen bei Frauen (* American Cancer Society 2002, ** Sawaya et al. 2001) Tumor
Anzahl der Verstorbenen *
% Metastasen **
Bronchus-Ca Mamma-Ca Colon-Ca Melanom Pankreas-Ca Lymphom Genital-Ca Nieren-Ca Sarkom Schildrüsen-Ca Andere
65 700 39 600 28 800 2 700 20 400 12 300 26 200 4 400 1 900 800 21100
32 21 6 48 5 5 2 11 15 17 19
sollte eine maximale palliative Therapie angestrebt werden. Bei einer Lebenserwartung unter sechs Monaten ist durch eine alleinige Steroidtherapie eine transiente Verbesserung der Lebensqualtität für Wochen zu erreichen. Die neurochirurgische Entfernung zerebraler Metastasen mit nachfolgender Radiotherapie führt zu einer signifikanten Lebensverlängerung und erhöht die Lebensqualität bei Patienten mit singulären Hirnmetastasen (Patchell et al. 1990, Patchell et al. 1998). Hirnmetastasen werden postoperativ mit bis zu 40 Gy Ganzhirnbestrahlung nachbehandelt. Nicht resezierbare singuläre Hirnmetastasen werden nach einer Ganzhirnbestrahlung lokal bis zu maximal 60 Gy aufdosiert. Multiple Hirnmetastasen erhalten eine primäre Ganzhirn-Radiotherapie bis 40 Gy. Auch während einer Schwangerschaft ist eine Strahlentherapie von Hirnmetastasen möglich, sollte aber erst ab dem zweiten Trimenon durchgeführt werden. In einem Fallbericht über eine Ganzhirnbestrahlung im Rahmen einer solitären Metastase eines Bronchuskarzinoms mit 30 Gy in der zweiten Schwangerschaftshälfte war mittels spezieller Technik eine Minimierung der Strahlendosis für den Fötus auf 0,3 cGy Gesamtdosis möglich (Magne et al. 2001). Auch die stereotaktische Radiochirugie (GammaKnife oder Linearbeschleuniger) hat in den letzten Jahren in der palliativen Threapie von Hirnmetastasen einen zunehmend größeren Stellenwert eingenommen. Mittels stereotaktisch geführter hochdosierter Radiotherapie können schonend und in kurzer Zeit auch mehrere Hirnmetastasen effektiv behandelt werden (Flickinger 2001). Untersuchungen zur zerebralen Gamma-Knife-Therapie an einem Phantom ergaben eine fetale oder ovarielle Strahlendosis von maximal 0,27 cG/min, sodass eine radiochirurgische Bestrahlung als eine sichere Therapie bei bestimmten, selektonierten
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Patienten während des zweiten und dritten Trimenons empfohlen werden kann (Ioffe et al. 2002, Yu et al. 2003). Chorionkarzinom Chorionkarzinome sind die häufigsten systemischen Karzinome in der Schwangerschaft (Sawle et al. 1998) und können sich aus Trophoblastengewebe nach einer molaren Schwangerschaft, nach einem Abortus, nach einer extrauterinen Gravidität oder einer Termingeburt entwickeln. Die Inzidenz beträgt 1 auf 50 000 Termingeburten (Smith et al. 2005). Hirnmetastasen treten im Verlauf dieses Malignoms häufig auf, zwischen 14 und 28%, meist in Kombination mit Lungenmetastasen. Bei Frauen im gebärfähigen Alter und Hirnmetastasen bei unbekanntem Primärtumor sollte differentialdiagnostisch auch an ein Chorionkarzinom gedacht werden. Dabei kommt dem Serum beta-HCG (beta-human chorionic gonadotropin)-Spiegel eine große Bedeutung in der Diagnose zu. Sollte dieser deutlich erhöht sein, verbunden mit typischen Ultraschallergebnissen (fehlender Nachweis einer Schwangerschaft, aber intrauterin stark vaskularisiertes Trophoblastgewebe) (Juniaux 2000), so kann auf eine histologische Diagnosesicherung mittels Hirntumorbiopsie oder Metastasektomie verzichtet werden. Neben der klinischen Präsentation mit subakuten neurologischen Symptomen können Hirnmetastasen infolge der Besonderheit dieser Tumoren in Gefäße zu infiltrieren auch apoplektiform mit intrazerebralen oder subarachnoidalen Blutungen symptomatisch werden (Fadli et al. 2002). Erhöhte Liquor beta-HCG-Konzentrationen können auf eine ZNS-Metastasierung hinweisen (Wass et al. 1982). In einer rezenten Arbeit wurde die diagnostische Wertigkeit von Liquor beta-HCG systematisch anhand von 10 Patientinnen mit Hirnmetastasen eines Chorionkarzinoms mittels Bestimmung eines Liquor/Serum beta-HCG-Quotienten untersucht (Bakri et al. 2000). Hierbei erwies sich diese Liquor-Tumormarker-Bestimmung als wenig sensitiv und der Stellenwert der Liquor beta-HCG-Bestimmung für die Diagnose von Hirnmetastasen aus dem Liquor wurde in Frage gestellt (Bakri et al. 2000). Wie in anderen Arbeiten zu Liquor-Tumormarker bereits gezeigt, sind Erhöhungen eines Tumormarkers im Liquor nur zu erwarten, wenn die ZNS-Metastasierung mit einer Meningeosis carcinomatosa einhergeht oder Hirnparenchymmetastasen in unmittelbarer Nähe zum Liquorraum vorliegen (Stockhammer et al. 2000). Chorionkarzinome sind sowohl chemo- als auch strahlensensitive Tumoren. Bei rechtzeigtiger Diagnosestellung werden mit kombinierter RadioChemotherapie 5-Jahres-Überlebensraten von bis zu 83% beschrieben (Schechter et al. 1998). Besonders Hochdosis-Chemotherapien scheinen die Prognose wesentlich zu verbessern (Altintas und Vardar 2001). In einer kürzlich publizierten Studie wurden die Behandlungsergebnisse von 39
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Patientinnen mit Hirnmetastasen eines Chorionkarzinoms zwischen 1981 und 2000 ausgewertet. Nach Hochdosis-Chemotherapie waren 80% dieser Patientinnen in anhaltender Remission (Newlands et al. 2002). Auch die Diagnose von Hirnmetastasen eines Chorionkarzinoms während einer intakten Schwangerschaft und deren erfolgreiche Behandlung wurde kürzlich in Fallberichten mitgeteilt (McNally et al. 2002, Mamelak et al. 2002).
Kinderwunsch bei Vorliegen einer Hirntumorerkrankung Im Falle eines Kinderwunsches nach vorausgegegangener oder bestehender Hirntumorerkrankung sind es im wesentlichen zwei praktisch relevante Fragen, die hierbei besondere Beachtung und ein spezifisches Wissen erfordern: Wie hoch ist das genetische Risiko für das Kind, ebenfalls an einem Hirntumor zu erkranken, und ist unter Berücksichtigung der Prognose und einer möglichen Infertilität als Folge der onkologischen Therapie ein Kinderwunsch sinnvoll und möglich. Genetisches Risiko bei hereditären Tumorerkrankungen des ZNS Die meisten ZNS-Tumoren treten spontan auf und sind nur selten Ausdruck einer genetischen Grunderkrankung. Diese seltenen hereditären Tumorsyndrome, die mit einem deutlich erhöhten familiären Risiko einer Hirntumorerkrankung einhergehen, stellen die Neurofibromatose, das Turcot-Syndrom, die Von Hippel-Lindau-Erkrankung, die Tuberöse Sklerose und das Li-Fraumeni Syndrom dar. Im folgenden soll nur die häufigste Erkrankung aus diesem Formenkreis, die Neurofibromatose, näher dargestellt werden. Neurofibromatose Typ 1 (NF-1) NF-1 repräsentiert 90% aller Neurofibromatosefälle, wird autosomal dominant vererbt und weist eine Häufigkeit von 1 auf 3 000 auf. In der Regel zeigt sich die NF-1 innerhalb der ersten 5 Lebensjahre. Als diagnostische Kriterien einer NF-1 müssen zwei oder mehrere der folgenden Merkmale vorhanden sein: Verwandschaftsverhälntis Grad 1 mit einer an NF-1 erkrankten Person; 6 oder mehr Cafe-ou-Lait-Flecken; 2 oder mehr Neurofibrome; „Sommersprossen“ in der Axilla oder Leiste; Gliom des N. opticus; 2 oder mehr Lisch-Knötchen; Dysplasie des Os spenoidale oder der langen Röhrenknochen.
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Neurofibromatose Typ 2 (NF-2) NF-2 gilt als zentrale Form der NF, betrifft 1 aus 50 000, repräsentiert nur 10% der NF und wird ebenso autosomal dominant vererbt. Molekularbiologisch findet sich ein Defekt am Chromosom 22. In 25% treten Meningeome assoziert zur NF-2 auf. Als diagnostische Kriterien einer NF-2 müssen zwei oder mehrere der folgenden Merkmale vorhanden sein: Verwandtschaftsverhältnis Grad 1 mit einer an NF-2 erkrankten Person; beidseitiges Akustikusneurinom; einseitiges Akustikusneurinom oder 2 der folgenden Tumoren: Neurofibrom, Meningeom, Gliom, Schwannom; preseniler Katarakt. Kinderwunsch und Prognose der Hirntumorerkrankung In dieser oft schwierigen Entscheidung nach Kinderwunsch bei Vorliegen einer Hirntumorerkrankung der Frau hat die interdisziplinäre neurologischgynäkologische Zusammenarbeit erneut große Bedeutung. Dem NeuroOnkologen kommt eine spezielle beratende Funktion zu, wobei insbesondere eine Prognoseeinschätzung bezüglich des weiteren Verlaufs der Tumorerkrankung und die potenziell erforderlichen diagnostischen und therapeutischen Interventionen bei Tumorprogression in der Schwangerschaft Berücksichtigung finden sollten. Bei hochmalignen Hirntumoren, die bei Auftreten von Rezidiven ein rasches therapeutisches Handeln erfordern und bezüglich einer längerfristigen Prognose als sehr ungünstig einzustufen sind, wie maligne Gliome, PNET oder primäre ZNS-Lymphome, sollte von einer Schwangerschaft abgeraten werden. Bei niedriggradigen Gliomen, mit einem 5-Jahres-Überleben von 50% für Astrozytome und 80% für Oligodendrogliome, gibt es keine zwingenden Argumente gegen eine Schwangerschaft, vorausgesetzt dass die Tumorerkrankung zum Zeitpunkt der geplanten Konzeption gut kontrolliert ist. Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings die besonders bei diesen Tumoren häufig erforderliche Anfallstherapie, die eine Aufklärung und Verhaltensrichtlinien wie bei anderen Epilepsie-Patientinnen erfordert (siehe Kapitel Epilepsie und Schwangerschaft). Am schwierigsten zu beantworten ist wohl die Beratung hinsichtlich Kinderwunsch bei Vorliegen von hormonabhängigen Hirntumoren, wie dem Meningeom und Hypophysenadenom, da mit einer möglichen rascheren Progression infolge einer Schwangerschaft zu rechnen ist. Nur bei starkem Kinderwunsch ist in Erwägung dieses Risikos eine Schwangerschaft nach unserer Meinung gerechtfertigt.
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Infertilität nach Therapie einer Hirntumorerkrankung Die Gefahr einer Infertilität ist sowohl beim Mann als auch bei der Frau gegeben, wenn im Rahmen der onkologischen Therapie eine Chemotherapie erforderlich war. In der Therapie der Gliome sind es besonders die am häufigsten eingesetzten Substanzen aus der Gruppe der Nitrosoharnstoffderivate (BCNU, ACNU und CCNU), die mit dem Risiko einer Infertilität verbunden sind. Nach tierexperimentellen Untersuchungen ist nach Gabe hoher Dosen von Nitrosoharnstoffen regelmäßig eine vorübergehende Infertilität nachweisbar (Yegana et al. 1988). Auch das im Rahmen des häufig bei malignen Hirntumoren angewandten PCV-Protokoll verwendete Alkylans Procarbazin trägt ein hohes Risiko der Infertilität (Schrader et al. 2001). Das Risiko der Infertilität nach PCV-Therapie wird in der Literatur mit bis zu 80% angegeben (Howell und Shalet 1998). Bezüglich des langfristigen Infertilitätsrisikos liegen Daten von Patientinnen vor, die im Kindesalter an einem Medulloblastom behandelt wurden. In einer Arbeit wurden 21 Mädchen, die im Kindesalter wegen eines Hirntumors mittels Neuroachsenbestrahlung und einer Chemotherapie mit einem Nitrosoharnstoff und Procarbazin behandelt wurden, hinsichtlich gonadaler Funktionen nachuntersucht (Clayton et al. 1989). Obwohl die meisten anfänglich eine ovarielle Dysfunktion aufwiesen, besserte sich diese in den weiteren Jahren spontan, sodass längerfristig vermutlich auch die Fertilität wieder gegeben war (Clayton et al. 1989). Auch die im Rahmen der Therapie des primären ZNS-Lymphoms angewandte Chemotherapie mit Gaben von Hochdosis-Methotrexat beinhaltet ein hohes Risiko der Infertilität (King et al. 1985). Das Infertilitäts-Risiko des zuletzt in der Therapie maligner Gliome etablierten Temozolomid ist derzeit noch unbekannt. Bei Patienten und Patientinnen mit Hirntumorerkrankungen im Kindesalter oder fertilen Alter ist daher vor Einleiten der Chemotherapie an eine mögliche Asservierung von Ei- oder Samenzellen zu denken.
Literatur Abrey LE, DeAngelis LM, Yahalom J (1998) Long-term survival in primary CNS lymphoma. J Clin Oncol 16: 859–863 Altintas A, Vardar MA (2001) Central nervous system involvement in gestational trophoblastic neoplasia. Eur J Gynaecol Oncol 22: 154–156 Bakri YN, Ezzat A, Akhtar, Dohami, Zahrani (2000) Malignant germ cell tumors of the ovary. Pregnancy considerations. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 90: 87–91 Becker RL, Becker AD, Sobel DF (1995) Adult medulloblastoma: review of 13 cases with emphasis on MRI. Neuroradiology 37: 104–108
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Schlaf
Birgit Högl Elisabeth Brandauer
Einführung Schlafstörungen während der Schwangerschaft sind so charakteristisch, dass sie in die Internationale Klassifikation der Schlafstörungen als eigenständige Diagnose aufgenommen wurden, und als „schwangerschaftsassoziierte Schlafstörung“ der Gruppe der „Proposed Sleep Disorders“ zugerechnet werden (ICSD 2001). Sie sind gekennzeichnet durch einen biphasischen Verlauf mit exzessiver Schläfrigkeit in den ersten drei Monaten und ausgeprägter Insomnie in den letzten drei Monaten der Schwangerschaft. Im zweiten Trimenon ist der Schlaf meistens weitgehend ungestört. Als Ursachen für die steigende Gesamtschlafzeit und die Zunahme von geplanten Tagschlafepisoden im ersten Trimenon werden vor allem hormonelle Umstellungen angenommen, wohingegen die Ein- und Durchschlafstörung im dritten Trimenon vorwiegend exogen mit Rückenschmerzen, häufigem Harndrang, Kindsbewegungen und Einschränkungen beim Finden einer bequemen Schlafposition erklärt werden. In der post partum-Periode können Schlafstörungen persistieren. Es handelt sich dann häufig um ein Schlafmangelsyndrom mit erschwertem morgendlichen Aufstehen und erhöhter Tagesschläfrigkeit, welches durch eine Diskrepanz zwischen Schlafbedarf und tatsächlich erhaltenem Schlaf auf Grund der Bedürfnisse des Neugeborenen in der Nacht bedingt ist (ICSD 2001).
Diagnostische Kriterien Die Kriterien für die schwangerschaftsassoziierte Schlafstörung (ICSD 780.59-6) sind in Tabelle 1 dargestellt. Bei Vorhandensein von Insomnie oder
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Birgit Högl, Elisabeth Brandauer
Tabelle 1. Schwangerschaftsassoziierte Schlafstörung. Kriterien der International Classification of Sleep Disorders a) Insomnie oder exzessive Schläfrigkeit b) Beginn der Schlafstörung mit der Schwangerschaft, persistierend während der Schwangerschaft c) In der Polysomnographie entweder häufige Arousals und reduzierte Schlafeffizienz oder verlängerte nächtliche Schlafperiode d) Im Multiplen Schlaflatenz-Test mittlere Schlaflatenz unter 10 Minuten e) Keine andere medizinische oder psychiatrische Erkrankung ist für das Hauptsymptome verantwortlich f) Abwesenheit anderer Schlafstörungen, die für die Symptome verantwortlich sein könnten Minimalkriterien: a) plus b).
erhöhter Tagesschläfrigkeit und deren Auftreten in zeitlichem Zusammenhang mit der Schwangerschaft sind die Minimalkriterien bereits erfüllt. Die Störung wird als chronisch bezeichnet, wenn sie länger als einen Monat persistiert. Diese Kriterien sind jedoch rein deskriptiv, sodass man sich nicht mit der Kodierung begnügen darf. Insomnie oder Hypersomnie in der Schwangerschaft haben häufig spezifische und behandelbare Ursachen, nach denen gezielt gesucht werden muss.
Physiologie und Pathophysiologie von Schlafstörungen in der Schwangerschaft Das Schlaf-Wach-Verhalten unterliegt nach dem Modell von Alexander Borbely homöostatischen und zirkadianen Einflüssen. Die Einschlafneigung wird beeinflusst durch die Dauer der vorangegangenen Wachepisode (homöostatischer Anteil) und durch die vor allem im Nucleus suprachiasmaticus des Hypothalamus lokalisierte „Innere Uhr“, welche die Bereitschaft zum Schlaf innerhalb der 24-Stunden-Periode reguliert (zirkadianer Anteil) (Borbely 1982). Die unterschiedlichen Schlafstadien des Non-REM-Schlafes (Stadium I–II werden häufig als oberflächlicher, Stadium III/IV als Tiefschlaf bezeichnet) und des Rapid Eye Movement (REM)-Schlafes sind gekennzeichnet durch ein charakteristisches Zusammenspiel von Kernarealen bzw. Neurotransmittern, die in zahlreichen Tierexperimenten, Läsionsstudien, Schlaf-
Schlaf
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laboruntersuchungen und in den letzten Jahren auch bildgebenden Untersuchungen näher charakterisiert wurden (Braun et al. 1997). Zahlreiche Hormone können zu Insomnie und Tagesschläfrigkeit beitragen. Ihre Sekretion unterliegt zirkadianen Schwankungen (Cortisol, Prolaktin, Melatonin, Oxytocin) oder ist an bestimmte Schlafphasen gebunden (Wachstumshormon). So wird z.B. ein Zusammenhang zwischen dem Östrogenanstieg und einer bei fortgeschrittener Schwangerschaft häufig gefundenen REM-Schlafreduktion gegen Ende der Schwangerschaft diskutiert; Progesteron hingegen wird auf Grund seines sedierenden Effekts in Zusammenhang mit vermehrter Tagesschläfrigkeit gesehen (Santiago et al. 2002). Im Verlauf der Schwangerschaft kommt es auch zu einem Anstieg von Cortisolkonzentrationen. Einflüsse von Cortisol auf den Schlaf bei gesunden Probanden wurden wiederholt gezeigt (Born et al. 1989, Steiger et al. 1998). Auch relative Veränderungen von Melatonin im Sinne einer alterierten Cortisol:Melatonin-Ratio wurden bei Patientinnen mit Schlafstörungen im dritten Trimenon beschrieben, wobei jedoch absolute Veränderungen der zirkadianen Melatoninsekretion in mehreren Studien nicht gefunden wurden (Santiago et al. 2001).
Untersuchungen des Schlafes bei schwangeren Frauen Mehrere Fragebogenstudien, Schlaftagebuchuntersuchungen und polysomnographische Untersuchungen haben den Schlaf in der Schwangerschaft untersucht und wurden von Santiago zusammengefasst (Santiago et al. 2001). Die subjektiven Studien zeigten im ersten Trimenon eine vermehrte Gesamtschlafzeit und Tagesschläfrigkeit, jedoch auch Zunahme von Insomnie, im zweiten Trimenon hingegen eine Normalisierung der Gesamtschlafzeit oder vermehrtes Erwachen. Im dritten Trimenon kam es zu einer Zunahme der Insomnie, Reduktion der Gesamtschlafzeit, Zunahme von nächtlichen Aufwachereignissen, in manchen Studien auch vermehrter Tagesschläfrigkeit. Polysomnographisch fand sich im ersten Trimenon eine vermehrte Gesamtschlafzeit und Reduktion der Tiefschlafstadien III und IV, sowie eine verkürzte mittlere Schlaflatenz unter 10 Minuten im multiplen Schlaflatenztest. Im zweiten Trimenon war die Gesamtschlafzeit normal, jedoch fiel bezüglich des Anteiles der einzelnen Schlafstadien eine Reduktion der tiefen Non-REM-Schlafstadien III und IV, und eine Reduktion des REMSchlafes zugunsten der oberflächlichen Schlafstadien I und II auf. Im dritten Trimenon zeigten sich eine Reduktion der Gesamtschlafzeit, des Tief- und des REM-Schlafes, sowie eine Zunahme von Aufwachereignissen und eine Zunahme des Schlafstadium I (Hertz G 1992), dessen restaurativer Wert immer wieder kontrovers beurteilt wird. Es ist bemerkenswert, dass die in der Regel als subjektiv bewertete Instru-
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Birgit Högl, Elisabeth Brandauer
mente Schlaftagebuch und -fragebogen mit den generell als objektiv akzeptierten polysomnographischen Untersuchungen gut übereinstimmten. Dies deutet darauf hin, dass das Problem der Schlaffehlwahrnehmung (ICSD 2001), einer bei Insomnien anderer Ursache häufig gefundenen Begleiterscheinung mit Diskrepanz zwischen subjektiver und objektiver Gesamtschlafzeit bei schwangeren Patientinnen keine größere Rolle spielt. Das Alter der Mutter korrelierte mit dem Ausmaß der Schlafstörungen (Worth et al. 2002), nicht jedoch das Geburtsgewicht des Kindes (Hedman et al. 2002). Auch nach der Geburt bleibt der Schlaf der Mutter bis etwa zur 12. Woche hochgradig fragmentiert mit zahlreichen Wachphasen während der Nacht, wobei die ersten beiden Wochen post partum die geringste Schlafeffizienz und höchste nächtliche Wachzeit zeigten, und die aktographisch geschätzte Wachzeit sogar noch deutlich über der subjektiv erlebten Wachzeit lag (Kang et al. 2002), was als eine situativ bedingte Minderbewertung der Wachphasen durch die Mutter des Neugeborenen oder möglicherweise auch als Ausdruck einer schweren Schlafdeprivation gewertet werden kann. Ab der 13. Woche normalisierte sich der Schlaf nicht, sondern kehrte lediglich auf das Niveau des letzten Trimenons zurück (Kang et al. 2002). Eine finnische Studie zeigte auch 3 Monate nach der Entbindung sogar noch kürzere Gesamtschlafzeiten als im letzten Trimenon der Schwangerschaft (Hedman et al. 2002). Im Gegensatz zu diesen beiden Untersuchungen, die den Schlaf der Mutter zuhause widerspiegeln, zeigt sich im Schlaflabor der Schlaf zwei Wochen nach der Entbindung normalisiert (Driver et al. 1992).
Konsequenzen von Schlafmangel in der Schwangerschaft Verschiedene Arbeiten befassten sich mit den Konsequenzen von Schlafmangel während der Schwangerschaft. Casey und Mitarbeiter untersuchten subjektive Gedächtnisveränderungen und objektive Tests. Schlafverlust war zwar mit berichteten Gedächtnisveränderungen assoziiert, aber nicht mit der Performance bei objektiven Tests (Casey et al. 1999). Auch Poser konnte bei Frauen mit benigner Schwangerschaftsencephalopathie keinen Zusammenhang zwischen den kognitiven Veränderungen und Schlafentzug finden (Poser et al. 1986). Schlafverlust hatte auch keine Folgen auf die Stimmung am ersten Tag post partum (Mead-Bennet et al. 1990). Eine Untersuchung an schwangeren Ärztinnen, die hohen Arbeitszeiten und Schlafentzug ausgesetzt waren, zeigte keine erhöhte Rate an Frühgeburten, Aborten oder congenitalen Defekten, jedoch ein erhöhtes Risiko für vorzeitige Wehen (Osborn et al. 1990).
Schlaf
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Schlafbezogene Atemstörungen Während der Schwangerschaft kommt es zu weitreichenden Änderungen im respiratorischen System. Dabei kommen gegensätzliche Einflüsse zum Tragen, die die Entwicklung einer schlafbezogenen Atemstörung einerseits fördern (z.B. vermehrte Durchblutung der Mucosa der oberen Luftwege) und andererseits hemmen können (z.B. protektiver Effekt erhöhter Progesteronspiegel). Die Prävalenz von manifesten schlafbezogenen Atemstörungen in der Schwangerschaft ist nicht sicher bekannt. Es wird jedoch angenommen, dass viele schlafbezogene Atemstörungen bei schwangeren Patientinnen undiagnostiziert bleiben.
Pathophysiologie Vor allem im dritten Trimenon wird in der Mucosa der oberen Luftwege eine Hyperämie, Hypersekretion und Ödem beschrieben, welche als Ursache für schlafbezogene Atemstörungen gesehen wird (Elkus et al. 1992). Der Widerstand in den oberen Luftwegen nimmt im zweiten und dritten Trimenon zu (Loube et al. 1996). Im Verlauf der Schwangerschaft kommt es jedoch auch zu einer Zunahme der Ventilation, welche mit der Progesteronzunahme in Zusammenhang stehen könnte (Contreras et al. 1991). Der erhöhte Atemantrieb bei gleichzeitiger vermehrter mucosaler Durchblutung in den oberen Luftwegen erhöht möglicherweise das Risiko des Auftretens von obstruktiven Schlafapnoen, welche durch einen Kollaps der oberen Luftwege bedingt durch den inspiratorischen Sog entstehen (Santiago et al. 2001). Progesteron führt ansonsten auch zu einer Zunahme der Aktivität des M. genioglossus, der die oberen Luftwege dilatiert, und wirkt somit protektiv gegen deren Obstruktion während des Schlafs (Popovic et al. 1998). Ein protektiver Effekt von Progesteron wird auch als Erklärung dafür gesehen, dass obstruktive Schlafapnoesyndrome bei nicht schwangeren Frauen sehr viel seltener sind als bei Männern (Popovic et al. 1998). Zur Pathophysiologie der Veränderungen der Atmung in der Schwangerschaft tragen ferner eine reduzierte funktionale Residualkapazität, reduziertes kardiales Auswurfvolumen in liegender Position und reduziertes Residualvolumen bei. Gegen Ende der Schwangerschaft ist die Abnahme des Residualvolumens und der funktionellen Reservekapazität besonders ausgeprägt. Am stärksten sind die Einschränkungen in der 36. Woche, wenn der Fundusstand bei Erstgebärenden am höchsten ist. Gegen Ende der Schwangerschaft nimmt die arterielle Sauerstoffsättigung im
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Liegen im Vergleich zu aufrechter Position bereits im Wachzustand ab (Santiago et al. 2001).
Schnarchen, Obstruktives Schlafapnoesyndrom und Hypoventilationssyndrome Zahlreiche Studien haben eine Zunahme von Schnarchen und erhöhtem Widerstand in den oberen Luftwegen bzw. deren partielle Obstruktion im Schlaf während der Schwangerschaft gezeigt (Loube et al. 1996, Conolly et al. 2001). Schnarchen ist bei Schwangeren häufiger als bei nicht schwangeren Frauen. In der Untersuchung von Hedmann et al. 2002 berichteten 5,2% von 325 Frauen über häufiges Schnarchen vor der Schwangerschaft, während es im letzten Trimenon 10,4% waren, der Unterschied war jedoch nur im Vergleich zur post partum-Periode (4,2%) signifikant. In zwei anderen Studien schnarchten 14 bzw. 23% der Schwangeren im letzten Trimenon, während dies bei nur 4% bereits vor Eintreten der Schwangerschaft der Fall war (Loube et al. 1996, Franklin et al. 2000). Ob Schnarchen negative Auswirkungen auf den Fetus hat (Franklin et al. 2000) oder nicht (Loube et al. 1996), ist bislang umstritten. Diese widersprüchlichen Ergebnisse kommen vermutlich dadurch zustande, weil diese Studien nicht zwischen primärem und obstruktivem Schnarchen unterschieden haben. Lediglich obstruktives oder Crescendo-Schnarchen ist Ausdruck einer schlafbezogenen Atemstörung mit partieller Verlegung der oberen Luftwege, wohingegen primäres Schnarchen zu keiner relevanten Beeinträchtigung der Atmung führt. Durch eine Vertiefung der Anamnese (Lageabhängigkeit des Schnarchens, Häufigkeit, Klangcharakter, Lautstärke, Crescendo, explosive oder andere Beigeräusche) und vor allem beobachtete Atempausen und Tagesschläfrigkeit lässt sich diese Frage manchmal bereits anamnestisch näher eingrenzen. Obstruktive Apnoen während des Schlafs sind gekennzeichnet durch repetitive Verschlüsse der oberen Luftwege, die zu Sauerstoffentsättigungen führen. Sie sind mitbedingt durch eine physiologische Tonusminderung in der Muskulatur der oberen Luftwege beim Übergang vom Wachzustand zum Schlaf, eine mechanische Verengung der oberen Luftwege vor allem in Rückenlage und durch die oben genannten schwangerschaftsspezifischen Gründe. Eine Apnoe wird in der Regel erst durch ein Arousal beendet, welches den Tonus der Muskulatur der oberen Luftwege wiederherstellt und dadurch die Atemwege wieder öffnet. Konsequenzen von obstruktiven Schlafapnoen sind, bedingt durch vermehrte nächtliche Katecholaminausschüttung, eine arterielle Hypertension, die sich zunächst als non-dipping
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während der Nacht präsentieren kann, und eine Nykturie, die durch vermehrte ANP-Ausschüttung durch mechanische Stimulation des linken Herzvorhofes im Rahmen bei Apnoen auftretenden großen intrathorakalen Druckschwankungen bedingt ist – in der Folge entwickelt sich auch ein deutlich erhöhtes Risiko für kardio- und cerebrovaskuläre Folgeerkrankungen. Bei Hypopnoen oder obstruktivem Schnarchen kommt es lediglich zu einem partiellen Verschluss der oberen Luftwege mit erhaltendem Restluftfluss, jedoch vermehrter Atemanstrengung und häufig begleitender Sauerstoffdesaturation, wobei die partielle Obstruktion während der Inspiration in videopolygraphischen Aufzeichnungen auch häufig gut hörbar ist. Schlafbezogene Atemstörungen während der Schwangerschaft sind unterschiedlicher Natur und die Studienergebnisse nicht einheitlich. Einige Autoren fanden keine Zunahme von Hypo- und Apnoen oder Sauerstoffdesaturationen selbst im letzten Trimenon (Brownell et al. 1986, Nikkola et al. 1996), andere hingegen signifikant häufigere Sauerstoffdesaturationen (Feinsilver et al. 1992). Obstruktive Apnoen während des Schlafs wurden an kleinen älteren Patientenserien und bei Einzelfällen mit Schwangerschaftskomplikationen beschrieben, wobei eine polygraphische Diagnostik in der Regel nicht erfolgt ist (Santiago et al. 2001). Einige Patienten erhielten eine nasale CPAP-Therapie, bei einem Teil der publizierten Fälle wurde jedoch auch keine Therapie durchgeführt. Eine Patientin erhielt ein Tracheostoma (Hastie 1991), wobei diese Therapieform heute auf Grund der weit entwickelten nasalen CPAPTechnologie und gangbarer Alternativen bei Unverträglichkeit de facto nicht mehr zum Einsatz kommt. Wahrscheinlich sind schwere obstruktive Schlafapnoesyndrome in der Schwangerschaft nicht sehr häufig (Loube et al. 1996). Adipöse Schwangere haben jedoch ein erhöhtes Risiko, eine schlafbezogene Atmungsstörung zu entwickeln und zeigen im Vergleich zu normalgewichtigen Schwangeren signifikant höhere Apnoeindices, mehr Schnarchen und Sauerstoffdesaturationen (Maasilta et al. 2001). Diese Veränderungen zeigten sich bereits in der 12. Woche und persistierten bei der Folgeuntersuchung in der 30. Woche. Jedoch nur eine der elf adipösen Patientinnen, die auch eine PräEklapmsie hatte, erfüllte die Kriterien für ein obstruktives Schlafapnoesyndrom (Maasilta et al. 2001). Bei Schwangeren jenseits der 35. Woche war die mittlere Sauerstoffsättigung während der Nacht generell niedriger als bei Kontrollen, bei einem Teil der Betroffenen lag sie während mehr als 20% der Aufzeichnungszeit unter 90% (Bourne et al. 1995). Eine andere Studie untersuchte die Atmung im Schlaf während der 36. Woche und post partum (3 bis 6 Monate nach der Entbindung). Zu beiden Zeitpunkten zeigte sich eine identische mittlere und minimale Sauerstoffsättigung. Während der Schwangerschaft waren jedoch Apnoen und Hypopnoen seltener, sodass die Autoren dieser Untersuchung die vermehrte respiratorische Stimulation durch erhöhte Progesteronspiegel in der Spätschwangerschaft als protektiv interpretierten.
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Behandlung schlafbezogener Atemstörungen in der Schwangerschaft Therapie der Wahl für das obstruktive Schlafapnoesyndrom in- und außerhalb der Schwangerschaft ist die nasale CPAP-Therapie. Diese ist für Mutter und Fetus sicher (Santiago et al. 2001, Charbonneau et al. 1991). Frauen, deren Schlafapnoesyndrom mit nasalem CPAP therapiert wurde, sollen im Vergleich zu unbehandelten Frauen mehr normalgewichtige Kinder zur Welt gebracht haben (Santiago 2001). Die Uvulopalatopharyngoplastik (UPPP) ist manchmal zur Reduktion des Schnarchens geeignet, führt jedoch meist nur zu einer geringeren Abnahme von Hypo- und Apnoen, sodass dieses Verfahren nicht als Mittel der ersten Wahl zur Behandlung des Schlafapnoesyndroms gilt. Auch eine PrognathieSchiene kann die oberen Luftwege durch Vorverlagerung des Unterkiefers erweitern und die Atmung im Schlaf verbessern. Unterstützende Maßnahmen sind außerdem die Vermeidung der Rückenlage, Vermeidung von Alkohol und Sedativa, und Restriktion der Gewichtszunahme. Tracheostomie ist heute Dank der guten Verfügbarkeit der CPAP-Therapie nicht mehr erforderlich. Bei periodischer Atmung im Schlaf während der Schwangerschaft wurde nasale Zugabe von Sauerstoff empfohlen (Awe et al. 1979). Manche Autoren empfehlen die Verabreichung einer nasalen Sauerstofftherapie bis 2 l pro Minute auch bei schwangeren Patientinnen mit obstruktivem Schlafapnoesyndrom, die eine CPAP-Therapie nicht tolerieren (Littner et al. 1996, Santiago et al. 2001). Wenn eine adäquate Sauerstoffversorgung des Fetus durch die genannten Therapieoptionen nicht erreicht werden kann, ist im Einzelfall unter Umständen eine rasche Entbindung erforderlich (Littner et al. 1996). Patientinnen mit vorbestehendem obstruktiven Schlafapnoesyndrom müssen während der Schwangerschaft, vor allem in den letzten Monaten, regelmäßig Screeninguntersuchungen unterzogen werden, um erforderlichenfalls den nasalen CPAP-Druck anpassen zu können.
Nächtliche Hypertonie und Prä-Eklapmsie In einer Studie mit ambulanten 24-Stunden-Blutdruckmessungen zeigte sich bei einem Drittel der Schwangeren zumindest bei einem Teil der vier konsekutiven Messungen über den Verlauf der Schwangerschaft Non-Dipping, welches als nächtlicher Blutdruckabfall unter 10% im Vergleich zum Tage definiert wurde. Da jedoch gegen Ende der Schwangerschaft ein Fünftel der Frauen untertags schlief und während Nachtperioden wach war,
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brachte erst die Berücksichtigung der aktuell schlafend verbrachten Zeit (im Vergleich zur Einteilung in Tag und Nacht) die Unterschiede zutage (Taylor et al. 2001). Bei Prä-Eklapmsie ist der nächtliche Abfall der Blutdruckwerte abgeflacht oder revertiert (Edwards 2000, Brown et al. 2001), d.h. non-dipping kann als möglicher Hinweis auf Prä-Eklampsie gewertet werden. Mittels Drucktransducer fanden die Autoren eine inspiratorische Limitation des Luftflusses (Upper Airway Resistance Syndrom) während 72% der Gesamtschlafzeit, jedoch kein wesentliches Schnarchen und unauffällige Apnoe- und Hyponoeindices unter 10 pro Stunde bei beiden Gruppen. Auch in einer anderen Studie hatten Frauen mit Prä-Eklampsie im Schlaf eine signifikant größere Limitation des inspiratorischen Atemflusses als gesunde Schwangere, die jedoch auch hier nicht mit Sauerstoffdesaturationen einherging (Conolly et al. 2001). Frauen mit Prä-Eklampsie zeigten im Vergleich zu 28% der gesunden Schwangeren auch mittels akustischer Reflexionsmessung einen signifikant engeren oberen Luftweg im Sitzen und im Liegen als die gesunden (Iczi et al. 2003). Frauen mit Prä-Eklampsie hatten polysomnographisch zudem eine alterierte Schlafstruktur mit signifikanter Zunahme des Schlafstadiums III und IV, welche von manchen Autoren als Hinweis auf ein beginnendes cerebrales Ödem gewertet wird (Edwards et al. 2000). Die nasale CPAP-Therapie senkt schlafinduzierte Blutdruckanstiege bei Patientinnen mit Prä-Eklampsie, welche über lange Strecken des Schlafs einen erhöhten Widerstand in den oberen Luftwegen zeigten. Dies ist auch deswegen bedeutsam, als durch die bessere Blutdruckkontrolle die Zeit in utero verlängert werden kann (Edwards et al. 2000).
Kyphoskoliose Außerhalb der Schwangerschaft manifestiert sich eine respiratorische Insuffizienz in der Regel erst bei hochgradiger Kyphoskoliose oder im Rahmen von Infektionen. Es kann jedoch zu chronischer Hypoventilation mit Hypoxämie, Polyzythämie und pulmonaler Hypotension sowie Cor pulmonale kommen. Zusätzlich wird angenommen, dass die kleinen Atemzugvolumina einen Verschluss der oberen Luftwege fördern. Bei Kyphoskoliose ist die funktionelle Reservekapazität vermindert und möglicherweise die ventilatorische Antwort auf Hyperkapnie reduziert. Die Apnoen sind am ausgeprägtesten im REM-Schlaf, da im Gegensatz zum Non-REM-Schlaf hier das Zwerchfell der einzige aktive Atemmuskel ist und die thorakale Muskulatur in ihrer Aktivität sistiert.
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Eine unserer Patientinnen mit hochgradiger Kyphoskoliose zeigte bereits in der 20 Schwangerschaftswoche längere Hypoventilationsphasen im REMSchlaf, während derer Sauerstoffentsättigungen bis auf 80% auftraten. Sie wurde auf nasale BiPAP-Therapie eingestellt und konnte durch regelmäßiges Screening und steigende Druckanpassung bis zur Sectio in der 32. Woche erfolgreich therapiert werden (Kaehler 2002)
Schlafmedizinische Erkrankungen und Schwangerschaft Restless Legs Syndrom Das Restless Legs Syndrom (RLS) ist eine noch häufig übersehene Ursache von Schlafstörungen bei Schwangeren. Nach neueren epidemiologischen Untersuchungen hat das RLS eine Prävalenz von etwa 10% in der Bevölkerung (Rothdach et al. 2000, Ulfberg et al. 2000 und 2001, Högl et al. 2005) und betrifft Frauen doppelt so häufig als Männer, wobei die Ursache dafür noch unbekannt ist. Allerdings weisen neuere Studien darauf hin, dass die Parität hier eine Rolle spielt. Bei Frauen bestand eine positive Korrelation zwischen Kinderzahl und dem Risiko an RLS zu leiden (Berger et al. 2004) Schwangerschaft ist eine der häufigsten Ursachen für ein sekundäres RLS. Die Prävalenz des RLS nimmt im Verlauf der Schwangerschaft zu (Hedman et al. 2002) und liegt bei 20–37,7% im letzten Trimenon (Mc Parland et al. 1990, Högl et al. 2002, Hedman et al. 2002). Über die Ursachen wird noch spekuliert. Eine besondere Rolle in der Pathophysiologie des RLS spielt Eisen. Neuere Studien zur Pathophysiologie des RLS haben gezeigt, dass Patienten trotz normalem Blutbild, normaler Serumeisen- und Ferritinwerte im Liquor erniedrigtes Ferritin und erhöhtes Transferrin aufwiesen, ebenso wurden mittels MRT eine erniedrigte Eisenkonzentration in Substantia nigra und im Nucleus ruber bei RLS-Patienten gefunden (Allen et al. 2001, Allen und Earley 2001). Eisenmangel könnte beim RLS in der Schwangerschaft daher von besonderer Bedeutung sein. Ein Zusammenhang zwischen RLS in der Schwangerschaft und niedrigem Ferritin wurde von Sun gezeigt (Sun 1998). Obwohl die Patientinnen in der Regel eisensubstituiert werden, kann beispielsweise ein nicht resorptionsfördernder Einnahmemodus mit den Mahlzeiten ein möglicher Grund für einen dennoch bestehenden sublatenten oder latenten Eisenmangel, oder auch nur für einen im unteren Normbereich liegenden Ferritinspiegel sein, welcher ein RLS auslösen oder zumindet aggravieren kann (Allen et al. 2003). Wir haben an unserer Ambulanz für Schlafstörungen selbst Schwangere mit schwerem RLS bei Eisenmangel trotz oraler Substitution gesehen, deren Beschwerden nach effektiver Beratung und Therapie sistierten. Die Beratung betrifft vor allem die richtige Einnahme der oralen Eisen-
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substitution, d.h. möglichst auf nüchternen Magen. Eine andere Studie zeigte einen Zusammenhang zwischen niedrigem Folsäurespiegel und Häufigkeit von RLS (Lee et al. 2001). Schwangere mit RLS hatten im Vergleich zu Schwangeren ohne RLS-Gruppe niedrigeres Serumferritin und niedrigere Folsäurespiegel vor der Konzeption und während der gesamten Schwangerschaft. Darüberhinaus brauchte die RLS-Gruppe signifikant länger, um einzuschlafen und zeigte vermehrte Depressionszeichen (Lee et al. 2001). Eine weitere Untersuchung zeigte, dass schwangere Patientinnen mit RLS mehr Beinödeme hatten als schwangere Patientinnen ohne RLS (Kurella et al. 2002). Venöse Stase könnte möglicherweise tatsächlich ein RLS aggravieren, da das Anlegen einer Blutdruckmanschette um den Oberschenkel bei Patientinnen mit vorbestehendem RLS die Beschwerden aggravierte (Richard Allen, persönliche Mitteilung), manche Patientinnen mit RLS im Sitzen konsistent stärkere Beschwerden als im Liegen angeben, und nach Sklerotherapie einer gleichzeitig vorhandenen Varikosis vorübergehend auch eine Verbesserung des RLS sporadisch beobachtet wurde. Eine Behinderung des venösen Rückflusses aus den unteren Extremitäten in fortgeschrittenem Verlauf der Schwangerschaft ist daher als Ursache einer möglichen Verschlechterung eines vorbestehenden RLS denkbar. Nach der Entbindung remittiert das RLS bei Patientinnen, bei denen es erst im Verlauf der Schwangerschaft aufgetreten ist, meist spontan (Högl et al. 2002, Hedman et al. 2002). Bei einem Teil der Frauen, die in späteren Jahren ein idiopathisches RLS entwickeln, lässt sich allerdings retrospektiv erfragen, dass die erste RLS-Episode während der Schwangerschaft aufgetreten ist. Darüberhinaus kann ein transitorisches RLS auch als Komplikation der Entbindung durch in Spinalanästhesie auftreten (Högl et al. 2002). Therapie des RLS in der Schwangerschaft Wenn ein RLS vorliegt, gilt bei schwangeren Patientinnen der erste Blick dem Eisenstoffwechsel. Selbst wenn sich in der Laboruntersuchung keine Anämie oder Mikrozytose und kein manifester Eisenmangel zeigen und lediglich das Ferritin erniedrigt ist, soll substituiert werden. Die International Restless Legs Study Group empfiehlt darüber hinaus sogar, bei im unteren Normbereich liegenden Serumferritinwerten (je nach Labor 12–20 µg/l) Eisen zu substituieren, bis zu einem Ferritinspiegel von über 45 µg/l (Allen et al. 2003). In vielen Fällen genügen darüberhinaus physikalische Maßnahmen, um das schwangerschaftsassoziierte RLS zu lindern. Die meisten Patientinnen empfinden kaltes Abduschen der Beine oder Bürsten und Massagen der Waden als hilfreich. Auch das Auflegen von kalten, feuchten Handtüchern im Bett wird als angenehm empfunden. Darüber hinaus wird kühles, festes Material bei der Bettwäsche (z.B. Leinen) gegenüber Viskose, Frottee oder anderen weicheren bzw. Kunststoffmaterialien bevorzugt.
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Ferner kommt Magnesium zum Einsatz, welches in einer kleinen Studie hilfreich war, wobei Dosen von 12 mmol eingesetzt wurden (Hornyak et al. 1988). Auch Folsäuresubstitution wurde empfohlen (Lee et al. 2001). Eine weitergehende medikamentöse Therapie des RLS während der Schwangerschaft sollte möglichst vermieden werden. Wenn eine spezifische Therapie des RLS dennoch erforderlich ist, sollte Levodopa/Benserazid auf Grund der knochenmarkstoxischen Effekte des Benserazid vermieden und statt dessen ggf. Levodopa/Carbidopa eingesetzt werden. Dopaminagonisten sind nicht teratogen, hemmen aber die Milchsekretion. Bei wenigen publizierten Fällen über Behandlung des Morbus Parkinson in der Schwangerschaft mit Levodopa oder Dopaminagonisten sind keine Fehlbildungen aufgetreten (DeMari et al. 2002). Beim Schwangerschafts-RLS kann auch Clonazepam, welches beim idiopathischen RLS als Therapeutikum der zweiten Wahl gilt, verwendet werden. Dabei sollten jedoch möglichst kleine Dosen (etwa 0,25 mg) verwendet werden, um ein Floppy Infant Syndrom bei der Geburt zu vermeiden. Opiate wie Oxycodon und Codein sollten besonders schweren Fällen vorenthalten bleiben und nur für kurze Zeit eingesetzt werden, da sie bei chronischem Gebrauch zu intrauterinem Wachstumsrückstand, neonatalem Abstinenzsyndrom und Verzögerungen in der psychomotorischen und kognitiven Entwicklung führen können (Legido et al. 1997). Eine neuere Alternative ist auch Gabapentin, dessen Wirksamkeit beim RLS belegt ist (Garcia-Borreguero et al. 2002). In einer Kohorte von über 3000 Gabapentin behandelten Patienten in England kam es bei elf Geburten zu keinen Fehlbildungen (Wilton et al. 2002). Insgesamt wird die Datenlage jedoch als unzureichend bewertet, um sichere Empfehlungen für die Behandlung des RLS in der Schwangerschaft zu geben. Eine Auflistung der für die Behandlung des RLS verwendeten Medikamente mit ihrer FDA-Bewertung für die Schwangerschaft findet sich in Hening et al. 1999. Periodic Limb Movements in Sleep (PLM) Periodische Beinbewegungen im Wachzustand oder im Schlaf werden bei etwa 80% der RLS-Patienten gefunden. Sie sind in der Polysomnographie charakteristisch als 0,5 bis 5 Sekunden dauernde, alle 5 bis 90 Sekunden wiederkehrende, und in Serien von mindestens vier auftretende Aktivationen des Musculus tibialis anterior, das bei jeder Polysomnographie von beiden Beinen abgeleitet werden sollte. Sie sind diagnosestützend für das Restless Legs Syndrom, werden jedoch auch bei asymptomatischen Patientinnen gefunden und haben deswegen per se noch keine sicher pathologische Bedeutung. Eine solche kommt ihnen jedoch dann zu, wenn bedingt durch die PLM in der Polysomnographie eine Schlaffragmentierung mit Arousals oder Aufwachereignissen erkennbar ist und/oder die Patientinnen Tagesschläfrig-
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keit zeigen. Differentialdiagnostisch muss beachtet werden, dass auch bei einem obstruktiven Schlafapnoesyndrom mit periodisch wiederkehrenden Apnoen, gefolgt von Arousal PLM-ähnlich aussehende Beinbewegungen auftreten können, die jedoch durch die mit den Mikroaufwachereignissen einhergehenden Bewegungen bedingt sind und nach suffizienter Behandlung des obstruktiven Schlafapnoesyndroms mit Elimination der periodisch wiederkehrenden Arousals sistieren sollten. In einer aktographischen Untersuchung bei 10 Schwangeren im letzten Trimenon wurden periodische Beinbewegungen bei allen Frauen beschrieben, wobei die Autoren aber eine wenig verbreitete und nicht validierte Messmethode verwendeten (Nikkola et al. 1996). Parasomnien In der Kindheit ist Schlafwandeln mit einer Prävalenz von 20% sehr häufig, bei etwa 2% persistiert es bis ins Erwachsenenalter (Ohayon 1999). Das pathophysiologische Konzept geht von einem dissoziierten Erwachen mit motorischer Aktivierung bei gleichzeitiger Persistenz von Schlaf in bestimmten Hirnarealen aus und wurde kürzlich bildgebend erhärtet (Bassetti et al. 2000). Eine kürzlich publizierte Community Studie bei 325 Schwangeren zeigte, dass Parasomnien während der Schwangerschaft in der Regel seltener auftreten als vor der Schwangerschaft. Dies gilt für Somniloquie, Schlafwandeln, Bruxismus und Einschlafmyoklonien. Hypnagoge Halluzinationen blieben unverändert. Die einzige Parasomnie, die im Verlauf der Schwangerschaft zuzunehmen scheint, sind Schlafparalysen (Hedmann et al. 2002). Über rhythmische Bewegungsstörungen im Schlaf wie z.B. Jactatio capitis nocturna gibt es unseres Wissens nach keine Berichte, auch nicht über Pavor und REM-Schlaf-Verhaltensstörungen, welche in dieser Altersgruppe ohnehin sehr selten sind. Dies widerlegte frühere Ansichten über eine Exacerbation von Parasomnien in der Schwangerschaft, zumindest scheinen einige dazu publizierte Fallstudien die Ausnahme und nicht die Regelsitutation darzustellen. Differentialdiagnostisch ist vor allem bei atypischer Präsentation von Parasomnien (Erstauftreten im Erwachsenenalter, stereotypes oder gewalttätiges Verhalten, geclustertes Auftreten mit wiederholten Ereignissen in einer Nacht) ein epileptisches Geschehen auszuschließen. Eine weitere Differentialdiagnose stellt die REM-Schlafverhaltensstörung dar, die jedoch in der Schwangerschaft sehr selten ist (allenfalls bei jungen Patientinnen mit Narkolepsie vorkommen kann). Bei Vorhandensein von motorischer Aktivität verbunden mit lebhafter Traumerinnerung sollte diese Differentialdiagnose durch Zuweisung in ein neurologisches Schlaflabor ausgeschlossen werden. Zu beachten ist auch, dass manche in der Schwangerschaft gelegentlich verwendeten Hypnotika (mehr dazu siehe unten) wie z.B. Zolpidem Schlafwandeln exacerbieren können (Mendelson et al. 1995, Harazin et al. 1999).
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Therapie Therapeutisch steht beim Schlafwandeln die Sicherung des Schlafumfeldes im Vordergrund, da Verletzungsgefahr besteht. Diese kommt zustande durch die ausreichende motorische Aktivität, um das Bett zu verlassen, jedoch in inadäquater Wahrnehmung von Hindernissen oder inadäquater Verarbeitung der Wahrnehmung der Umgebung, die beispielsweise dazu führen kann, dass Patienten aus dem Fenster klettern und stürzen. Es ist deshalb erforderlich, eine potentielle Verletzungsgefahr darstellende Möbel wie scharfkantige Glastische zu entfernen und Ausgänge adäquat zu sichern (Abmontieren von Fenstergriffen). Das Bett sollte gut gepolstert und nicht zu hoch sein. In manchen Fällen kommen Benzodiazepine zum Einsatz, es existieren hierfür jedoch keine kontrollierten Studien. Auch Hypnose oder autogenes Training mit formelhafter Vorsatzbildung („sobald meine Füße das Bett verlassen, wache ich auf“) sind mit Erfolg eingesetzt worden. Träumen in der Schwangerschaft Dagan und Autoren befassten sich speziell mit Träumen von Frauen während der ersten Schwangerschaft. Die Hypothese der Autoren, dass die Träume von schwangeren Frauen mehr schwangerschaftsbezogene Inhalte zeigen würden, wurde bestätigt. Die Träume beinhalteten den eigenen und den Körper des Babys, die Schwangerschaft, das Baby, wie z.B. aktionsloses Zusammensein mit dem Baby, in Einzelfällen Elemente des Geburtsprozesses, Vernachlässigung, Austausch oder vermeintlichen Tod des Babys. Dabei zeigten die Träume der Schwangeren kein höheres Maß an Ängstlichkeit als in der Kontrollgruppe (Dagan et al. 2001). Die Schwangeren träumten nicht vermehrt von Familie und Partner. Manche Autoren berichten von einer Zunahme von Albträumen in der Schwangerschaft (Hertz et al. 1992), in der bereits erwähnten Übersichtsstudie von Hedmann wurde jedoch auch bei Albträumen eine signifikante Abnahme gefunden (Hedmann et al. 2002b). Da Albträume jedoch auch ein Hinweis auf eine schlafbezogene Atemstörung oder kardiale Rhythmusstörung sein können, sollten sie ggf. abgeklärt werden. Narkolepsie Bei der Narkolepsie handelt es sich um eine primäre Störung des SchlafWach-Systems mit einer Prävalenz von etwa 0,5‰ der Bevölkerung. Sie ist charakterisiert durch exzessive Tagesschläfrigkeit mit unfreiwilligem Einschlafen selbst in unpassenden Situationen oder der Notwendigkeit, sich untertags häufig zum Schlafen hinzulegen. Besonders charakteristisch sind auch die so genannten Kataplexien, d.h. kurze Verluste des Tonus der Halte-
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muskulatur in Verbindung mit starken Gemütsregungen (Lachen, Freude, Ärger, etc.). Begleitend können weitere Symptome wie hypnagoge Halluzinationen und Schlafparalysen auftreten. Im Schlaflabor findet sich nachts eine verkürzte Schlaflatenz, häufig Sleep Onset REM-Perioden, darüber hinaus eine Fragmentation des Nachtschlafes mit vermehrten Aufwachereignissen und eine Dissoziation des REM-Schlafes mit vermehrter tonischer und phasischer Muskelaktivität. Im Multiplen Schlaf-Latenz-Test werden bei mindestens zwei von fünf Durchgängen Sleep Onset REM-Perioden gefordert, und es zeigt sich eine häufig auf Mittelwerte unter fünf Minuten verkürzte Schlaflatenz. Pathophysiologisch spielt das Hypokretin/ Orexin System eine Rolle. Dieses von Zellen im dorsolateralen Hypothalamus produzierte Neuropeptid, welches eine Rolle in der Schlaf-Wach-Regulation und in der Nahrungsaufnahme spielt, ist im Liquor vor allem bei Narkolepsie und Kataplexie vermindert (Mignot et al. 2002). Nach Schätzungen aus verschiedenen Ländern ist davon auszugehen, dass es sich bei der Narkolepsie um eine weithin unterdiagnostizierte Krankheit handelt (Mayer 2000). Da ein Erkrankungsgipfel im jungen Erwachsenenalter liegt, sind auch Frauen mit Kinderwunsch betroffen. Es existiert eine Assoziation mit HLA DQB1*0602, welches bei kaukasischen Narkolepsiepatienten in 93% und in der sonstigen kaukasischen Bevölkerung in 18% gefunden wird. Obwohl eine bis zu 20- bis 40-fache Häufung von Narkolepsie bei Familienangehörigen gefunden wird, stellt das Vorhandensein einer Narkolepsie in der Regel keinen Grund dar, von einer Schwangerschaft abzuraten. Therapie In der Behandlung der Narkolepsie kommen für die Tagesschläfrigkeit vor allem Stimulantien und für die Kataplexien, Schlafparalysen und hypnagogen Halluzinationen vor allem trizyklische Antidepressiva, Serotonin und Noradrenalin Reuptake-Hemmer zum Einsatz. Während der Schwangerschaft sollten Stimulantien bzw. sog. „wakefulnessenhancing drugs“ nicht oder nur nach sehr sorgfältiger Nutzen-Risiko-Analyse eingesetzt werden (Hoover-Stevens et al. 2000). Viele schwangere Patientinnen verzichten von sich aus auf Stimulantien und entgegnen der Tagesschläfrigkeit durch mehrere eingeplante Schlafepisoden, die häufig einen sehr hohen restaurativen Wert zeigen. Bei berufstätigen Patientinnen ist unter Umständen eine Krankschreibung erforderlich, um regelmäßige Daytime-Naps zu ermöglichen. Stimulantien sind im Tierversuch teratogen. Prospektive kontrollierte Studien über den Gebrauch in der Schwangerschaft liegen nicht vor, jedoch zahlreiche Berichte über deren Einnahme bei zunächst unbemerkter Schwangerschaft. Pemolin, ein indirektes Sympathomimetikum, wird als das sicherste Stimu-
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lans während der Schwangerschaft empfohlen (Hoover-Stevens et al. 2000, Mayer 2002). Es wird in der Narkolepsietherapie jedoch auf Grund seiner Hepatotoxizität nur noch in sehr seltenen Fällen eingesetzt. In einer Fallserie von mit Dextramphetamin behandelten Frauen sind keine vermehrten Fehlbildungen beobachtet worden, weiters werden Mazindol und Methamphetamin als sicherer eingestuft (Mayer et al. 2002). Für Methylphenidat liegen keine ausreichenden Daten vor. Modafinil soll nach den Angaben des Herstellers in der Schwangerschaft nur bei äußerster Notwendigkeit eingesetzt werden. Das Schwangerschaftsregister der Herstellerfirma enthält im August 2002 66 Fälle, von denen bei 18 der Ausgang noch offen oder unbekannt war. Bei ausgeprägten Kataplexien ist jedoch deren Behandlung auch in der Schwangerschaft erforderlich, da es zu Stürzen mit Verletzungsgefahr kommen kann, und außerdem durch die Kataplexie-assoziierte Lähmung auch der Atemhilfsmuskulatur eine hypoxische Schädigung des Fetus nicht ausgeschlossen werden kann. Am sichersten werden auf Grund ihres langjährigen Einsatzes Trizyklika (Mayer 2000) und Serotoninreuptakehemmer wie Paroxetin und Fluoxetin (Hoover-Stevens et al. 2000) eingeschätzt; die neueren Antidepressiva sollten auf Grund noch nicht ausreichender Erfahrung vermieden werden.
Weitere Ursachen von Schlafstörungen in der Schwangerschaft Weitere Ursachen von Schlafstörungen in der Schwangerschaft sind Wadenkrämpfe und Lumbalgien, die mehr als die Hälfte der Schwangeren betreffen und bei einem Teil der Patientinnen nachts stärker ausgeprägt sind als am Tag. In den letzten Wochen vor der Geburt wird es für schwangere Frauen zunehmend schwierig, eine bequeme Schlafposition zu finden. Kindsbewegungen sind eine weitere Ursache für nächtliches Erwachen bei Schwangeren. Kindsbewegungen sind eines der Zeichen für eine aktive Schlafphase, welche das fetale Korrelat für REM-Schlaf ist, wobei aber die muskuläre Atonie noch nicht ausgebildet ist. Eine kleine Studie zeigte einen engen Zusammenhang zwischen aktivem fetalem Schlaf und mütterlichen Wachphasen (Worth et al. 2002). Sodbrennen oder Nykturie sind weitere Ursachen für gestörten Schlaf in der Schwangerschaft (Santiago et al. 2001). Auch nächtliche Enuresis nahm von 0,3% vor Eintreten der Schwangerschaft auf 6,5% im dritten Trimenon zu (Hedman et al. 2002b).
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Praktische Abklärung von Schlafstörungen in der Schwangerschaft Eine sorgfältige und ausführliche Schlafanamnese ist unabdingbarer Bestandteil der Abklärung und kann wesentlich zur Klärung der Ursachen beitragen. Sie ist erforderlich, um spezifische Störungen des Schlafes oder Wachheit, die einer spezifischen Behandlung bedürfen, nicht unter dem deskriptiven Begriff „Pregnancy Associated Sleep Disorder“ zu subsummieren bzw. zu übersehen. Die Anamnese erfasst zunächst die Schlafgewohnheiten mit Zubettgehund Aufstehzeiten und ggf. Anzahl und Dauer von Schlafepisoden tagsüber (Naps). Man fragt nach der subjektiv geschätzten Schlaflatenz, Anzahl und Dauer der nächtlichen Aufwachepisoden (und falls dies angegeben werden kann, nach deren Ursache). Kämpfen gegen den Schlaf tagsüber oder unbeabsichtigtes Einnicken müssen gesondert angesprochen werden. Schlafbezogene Atemstörungen werden mit der Frage nach Schnarchen, dessen eventuell vorhandener Lageabhängigkeit, sowie möglicherweise fremdbeobachteten Atemaussetzern erfasst. Ein Restless Legs Syndrom wird durch Abfragen der kürzlich revidierten Kriterien (siehe Tabelle 2) der International Restless Legs Study Group ausgeschlossen (Walters et al. 1995, Allen et al. 2003). Parasomnien, z.B. Schlafwandeln und/oder Albträume, sind getrennt zu erfragen, auch bei jeder einzelnen angegebenen Beschwerde wird nochmals genau der zeitliche Zusammenhang zwischen Beginn der Schwangerschaft und den Beschwerden erfasst. Wichtig ist auch eine genaue Anamnese hinsichtlich eingenommener Medikamente, den Genuss von Tee, Kaffee oder anderen coffeinhaltigen Getränken, sowie Gewohnheiten bezüglich Alkohol und Rauchen. Das Vorliegen einer Depression oder Angsterkrankung muss sorgfältig erhoben und ausgeschlossen werden.
Tabelle 2. Essentielle Kriterien für das Restless Legs Syndrom (Allen et al. 2003) • Bewegungsdrang in den Beinen, oft verbunden mit unangenehmen Missempfindungen • Auftreten der Beschwerden in Ruhe bzw. bei körperlicher Inaktivität • Besserung durch Bewegung (zumindest solange die Bewegung anhält) • Verschlechterung am Abend und in der Nacht (zumindest früher einmal vorhanden)
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Indikation für weiterführende Untersuchungen Labor Bei Patientinnen mit RLS ist in jedem Fall als Minimalprogramm die Untersuchung von Eisen, Ferritin, Tansferrin, sowie Folsäure erforderlich. Die Bestimmung der Schilddrüsenparameter ist bei Insomnie, Hypersomnie und RLS sinnvoll. Zahlreiche weitere Laboruntersuchungen sind je nach Kontext sinnvoll und sollten nach Untersuchungen in einer neurologischen Schlafambulanz durchgeführt werden. Screening-Untersuchungen der nächtlichen Atmung Die Indikation zum Schlafapnoescreening ist bei Risikopatientinnen (Schnarchen, Adipositas, Retrognathie, Thoraxdeformitäten, non-dipping) gegeben. Auch Patientinnen mit vorbekanntem bzw. vorbehandelten Schlafapnoesyndrom sollten regelmäßig gescreent werden, um ggf. den nasalen CPAP-Druck anpassen zu können. Beim Schlafapnoescreening in der neurologischen Schlafambulanz werden verschiedene relevante diagnostische Parameter erfasst: Sauerstoffsättigung, Herzfrequenz, thorakale und abdominale Atemexkursionen, der Atemstrom und der nasale Druck (Widerstand an der Nase), sowie Schnarchen. Diese Untersuchungen müssen ggf. mehrfach im Verlauf der Schwangerschaft wiederholt werden. Polysomnographie (PSG) Bei pathologischem Befund im Screening erfolgt die PSG zur ggf. Therapieeinleitung. Sie ist indiziert vor allem auch bei Hypersomnie oder Insomnie, welche mit Schnarchen oder auch Adipositas einhergeht (Santiago et al. 2001), ebenso bei irregulärem oder Crescendo-Schnarchen und/oder beobachteten Atempausen. Darüberhinaus ist sie bei ungewöhnlich stark ausgeprägter Tagesschläfrigkeit oder bei schwerem RLS in manchen Fällen erforderlich.
Schlaf
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Therapie Behandlung von Schlafstörungen in der Schwangerschaft Wenn mittels einer ausführlichen Schlafanamnese und ggf. Zusatzuntersuchungen eine spezifisch behandelbare Ursache für die Schlafstörung ausgeschlossen wurde, kommen symptomatische Therapiestrategien zum Einsatz. Die in den frühen 60er Jahren aufgetretenen fetalen Fehlbildungen durch Thalidomid und eine generell veränderte Einstellung gegenüber der Medikamenteneinnahme während der Schwangerschaft haben dazu geführt, dass Schwangere heute selten Hypnotika einnehmen (0,9% im ersten, 0% im zweiten, und 2,2% im letzten Trimenon, Hedman et al. 2002) und vielmehr Beratung über alternative Strategien wünschen. Dabei steht die Beratung über schlafhygienische Maßnahmen im Vordergrund, verhaltenstherapeutischen Strategien können ebenfalls zum Einsatz kommen. Nicht-medikamentöse Therapie Die Grundpfeiler der nicht-medikamentösen Therapie von Schlafstörungen umfassen Schlafhygiene, Entspannungsverfahren und weitere verhaltenstherapeutische Maßnahmen wie kognitive Techniken, paradoxe Intention, Stimuluskontrolle und Schlafrestriktion. Empfehlungen für eine gute Schlafhygiene sind in Tabelle 3 zusammengefasst. Eine wesentliche Bedeutung kommt der Optimierung des Schlafumfeldes zu. Dies beinhaltet die Auswahl einer subjektiv angenehmen Matratze und Bettwäsche, Möglichkeit zur Abdunkelung des Raumes und weitestgehender Lärmschutz. Das Erlernen von Entspannungstechniken sowie der Einsatz von kognitiven Techniken sind in vielen Fällen hilfreich. Techniken wie die paradoxe Intention („ich will nicht schlafen“) spielen in der Schwangerschaft eine geringere Rolle. Beim Stimulus-Control-Ansatz erhält die Patientin die Instruktion, das Bett zu verlassen, sobald sie nachts wach liege, und es erst wieder aufzusuchen, wenn ausgeprägte Schläfrigkeit sich eingestellt hat, um es gegebenenfalls wieder zu verlassen, wenn das Einschlafen nicht in einer vorher definierten Zeitspanne (meist 10 Minuten) gelingt. Dieser Ansatz ist vor allem in den Fällen hilfreich, in denen eine kognitive Fixierung auf das Einschlafenwollen im Vordergrund steht. Der in der Behandlung mancher Insomnieformen außerhalb der Schwangerschaft oft verwendete Ansatz der Schlafrestriktion (Verkürzung der Zeit im Bett, um den Schlafdruck zu erhöhen) kann auf Grund der eingeschränkten Praktikabilität und der – wenn auch nur im Tierversuch erwiesenen (Suchecki et al. 1991) – negativen Auswirkungen von Schlafdeprivation auf den Fetus nicht empfohlen werden.
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Tabelle 3. Gute Bedingungen für den Schlaf schaffen: Schlafhygienische Regeln • Einhalten der individuell notwendigen Schlafmenge (der individuelle Schlafbedarf ist sehr unterschiedlich und kann sich im Laufe der Schwangerschaft zeitweise in die eine oder andere Richtung verändern) • Einhalten regelmäßiger Schlafzeiten: auch am Wochenende, im Urlaub • Verzicht auf Tagesnickerchen: Durch Tagschlaf kommt es zum Abbau des Schlafdruckes (bei im Vordergrund stehender Hypersomnie sind Nickerchen jedoch erlaubt) • Angenehme Schlafbedingungen: leicht kühle Zimmertemperatur, Licht- und Schallisolierung, Entfernung von „Stressoren“ aus dem Schlafzimmer, z.B. Schreibtisch, Bügelbrett; ev. Verbannung des schnarchenden Ehepartners aus dem Schlafzimmer • Entfernung von Uhren aus dem Schlafzimmer: wenn Wecker unbedingt notwendig – Umdrehen • Entfernen von Fernseher und Radio aus dem Schlafzimmer • Ausgeglichene Ernährung: Hunger und übervoller Magen stören den Schlaf; beschränkte Flüssigkeitsmengen (Harndrang) • Koffeinkarenz am Abend: Kaffee, Schwarztee, Cola • Alkohol- und Nikotinkarenz: schlafstörende Wirkung von Nikotin; abendlicher Alkoholgenuss fördert zwar das Einschlafen, fragmentiert jedoch den Nachtschlaf, vermindert Tiefschlaf • Körperliches Training: 4–6 Stunden vor dem Schlafengehen durchgeführtes Training ist dem Schlaf förderlich. Sportliche Betätigung kurz vor dem Schlafengehen bewirkt das Gegenteil. Wirksam ist nur regelmäßiges Training. • Entspannende Abendgestaltung: Vermeidung von Tätigkeiten, die innere Erregung und körperliche Anstrengung verursachen.
Weitere nicht-medikamentöse Maßnahmen Auch regelmäßiges körperliches Training (Goodwin et al. 2000) und das Einstellen des Rauchens verbesserten den Schlaf von Schwangeren. Wenn Lumbalgien Ursache der Schlafstörungen sind, kann eine geeignete Lagerung, physikalische Therapie mit Massage und lokaler Wärme zum Einsatz kommen. Im dritten Trimenon ist es unter Umständen sinnvoll, die Flüssigkeitsaufnahme in den Stunden vor dem Schlafengehen zu reduzieren, um die Häu-
Schlaf
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figkeit von notwendigen Blasenentleerungen zu senken. Gegen den Einsatz von Hausmitteln wie ein Glas warme Honigmilch bestehen keine Bedenken – hier kann die Zufuhr einer geringen Menge von Kohlenhydraten bzw. die Tatsache, dass Milch Tryptophan enthält, dessen schlafförderne Wirkung in früheren medikamentösen Zubereitungen genutzt wurde, sogar förderlich sein. Alkoholhaltige Zubereitungen sollten hingegen vermieden werden. Bei nächtlichen Wadenkrämpfen ist Magnesium hilfreich (Roffe et al. 2002). Pflanzliche Mittel Oral verabreichter Baldrian verbessert objektive Schlafparameter (Schulz et al. 1994) und hat im Tierversuch keine embryotoxischen Wirkungen gezeigt (Tufik et al. 1994). Auch Hopfen-Baldrian-Kombinationen sind wirksam. Vor dem unkritischen Einsatz pflanzlicher Mittel kann jedoch nur gewarnt werden. Medikamentöse Therapie von Schlafstörungen In der Schwangerschaft sollten Hypnotika möglichst nicht eingesetzt werden bzw. nur in spezieller Indikation und in sehr kleinen Dosen. Wenn eine medikamentöse Therapie der Insomnie während der Schwangerschaft dennoch erforderlich ist, kommen die folgenden Substanzgruppen in Frage: Benzodiazepine, Benzodiazepinrezeptoragonisten, sedierende Antidepressiva und Antihistaminika. In manchen Fällen von temporärer Insomnie externer Ursachen ist eine vorübergehende medikamentöse Behandlung sinnvoll, um eine Chronifizierung zu vermeiden (Dingemanse et al. 1995). Eine andere Situation liegt vor, wenn die Schlafstörung im Rahmen einer Angsterkrankung oder Depression der Mutter auftritt. Hier ist in der Regel eine klare Behandlungsindikation gegeben, um potenziellen Schaden von Mutter und Kind fernzuhalten. Diesbezüglich sei der Leser auf weiterführende Literatur verwiesen (z.B. Nulman et al. 2002, Ward und Zamorski 2002, Weisberg et al. 2002). Die sog. klassischen Schlafmittel sind die Benzodiazepine. Der guten subjektiven und objektiven Wirksamkeit stehen Nachteile wie Toleranzentwicklung und Abhängigkeitsgefahr gegenüber. Benzodiazepine sind zur Behandlung von akuten Insomnien (und in ausgewählten Fällen zur Durchbrechung des Circulus Vitiosus im Rahmen eines umfassenden Behandlungskonzeptes bei chronischen Insomnien) indiziert, vorausgesetzt sie werden nur über wenige Wochen verabreicht und anschließend ausgeschlichen. Um das Risiko für kongenitale Fehlbildungen zu minimieren, sollten Benzodiazepine verwendet werden, deren Safety Records möglichst viele Jahre beinhalten und die möglichst niedrigste Dosis für die kürzeste Dauer gegeben werden (Iqbal et al. 2002).
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Die Daten bezüglich Teratogenität und postnataler Entwicklung sowie Auswirkungen auf das Verhalten sind inkonsistent. Die erhöhte Inzidenz von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten unter Diazepam ist widersprüchlich (Iqbal et al. 2002), ebenso die Existenz eines Benzodiazepin-induzierten EmbryoFetopathiesyndroms (Laegrei et al. 1990) mit u.a. Mikrozephalie, DandyWalker-Malformation mit Lissencephalie, Dysmorphie, Gaumenspalten und mentaler Retardation wurde nicht bestätigt (Iqbal et al. 2002). Es wurden jedoch ein neonatales Entzugssyndrom und eine Floppy-Infant-Syndrom bei Kindern beobachtet, die parenteralen Diazepamdosen größer als 30 bis 40 mg pro Tag während der Schwangerschaft oder Wehentätigkeit ausgesetzt waren. Beide Syndrome waren reversibel. Iqubal und Mitarbeiter kommen zu dem Schluss, dass die Daten nicht ausreichend sind, um eine höhere fetale Fehlbildungsrate zu belegen, und dass die Mehrzahl der Evidenz indiziert, dass Diazepam während der Schwangerschaft keine negativen Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes hat. Benzodiazepine sollten jedoch nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung und nicht im ersten Trimester eingesetzt werden. Die günstigste Einstufung erhielt Clonazepam, auch Diazepam kann zum Einsatz kommen (jedoch nicht während der Laktation). Hingegen sollten Lorazepam und Alprazolam während der Schwangerschaft nicht verwendet werden. Die mögliche Verschlechterung einer schlafbezogenen Atemstörung durch Benzodiazepine (bedingt durch die höhere Weckschwelle und muskelrelaxierende Wirkung) ist jedoch zu beachten. Die Benzodiazepinrezeptoragonisten Zolpidem und Zopiclon haben – trotz einiger Unterschiede im Rezeptorbindungsverhalten und im Schlafprofil, die eher von theoretischer Bedeutung sind – ein ähnliches Profil von Wirkung, Nebenwirkungen und Indikationen wie die Benzodiazepine (Dingemanse 1995). Über die Verwendung von Zopiclon in der Schwangerschaft gibt es keine prospektiven Studien. Wesentliche teratogene Effekte sind nicht bekannt (Diav-Citrin et al. 2000). Eine prospektive kontrollierte Kohortenstudie verglich den Ausgang der Schwangerschaft nach Exposition gegenüber Zopiclon im ersten Trimenon. Bei keiner der 31 behandelten Frauen kam es zu im Zusammenhang mit Zopiclon stehenden kongenitalen Malformationen (Diav-Citrin et al. 2000). Für Zolpidem liegen Tierversuchsdaten vor, nach denen es im Gegensatz zu Diazepam und Alprazolam bei pränataler Exposition nicht zu Verhaltensänderungen kommt (Cannizzaro et al. 2002). Pränatale Exposition gegenüber Diazepam und Alprazolam, aber nicht Zolpidem beeinflusst die Verhaltensantwort auf Stress bei Ratten unter manchen Bedingungen. Zolpidem hat auch einen Uterus-relaxierenden Effekt (Alvares de Sotomajor et al. 1997). Diphenhydramin und andere sedierende Antihistaminika werden seit Jahrzehnten zur Behandlung von schwangerschaftsassoziierten Schlafstörungen, Nausea und Allergien eingesetzt, ohne dass ein höheres Fehlbildungsrisiko augenscheinlich geworden wäre. Sie haben im Tierversuch zu verzögerter
Schlaf
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gonadaler Entwicklung und Änderungen des adulte Verhaltens geführt und sollten nicht im ersten Trimenon eingenommen werden. Sie haben einen mild schlafinduzierenden Effekt, häufig folgt jedoch eine rasche Toleranzentwicklung. Ausgeprägte Sedierung des Neugeborenen wurde ebenfalls beschrieben (Miller et al. 2000). Das Antidepressivum Trazodon wird seit einigen Jahren wieder vermehrt und mit gutem Erfolg in der Behandlung der Insomnie eingesetzt (Saletu-Zyhlarz et al. 2001). Für diese Substanz existiert eine multizentrische prospektive Studie über die Sicherheit in der Schwangerschaft. Dabei fand sich keine erhöhte Fehlbildungsrate unter Trazodon (Einarson und Einarson 2005). Über die Sinnhaftigkeit des Einsatzes von sedierenden Antidepressiva statt Benzodiazepinen in der Behandlung der Insomnie gibt es jedoch seit Jahren eine intensive Diskussion. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Schwangerschaft multiple Veränderungen mit sich bringt, die im Schlaf ihren – teilweise physiologischen – Niederschlag finden. Bei ausgeprägter Insomnie oder Tagesschläfrigkeit sollte sorgfältig nach der Ursache gefahndet werden, um möglichst spezifisch behandeln zu können. Vor allem Risikopatientinnen sollten nach Schnarchen gefragt und ggf. einer Schlafapnoe-Screening-Untersuchung unterzogen werden. Die ausgeprägte Schlafstörung in den ersten Monaten nach der Entbindung ist vorwiegend exogen bedingt. Hier könnte nur durch eine Übernahme der Versorgung des Neugeborenen durch andere Familienangehörige, die der Mutter einige Stunden ununterbrochenen Schlaf sichert, eine Entlastung erreicht werden.
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Morbus Parkinson und andere extrapyramidale Bewegungsstörungen
Nadia Stefanova Roberta Granata Gregor K. Wenning
Bewegungsstörungen in der Schwangerschaft sind auf Grund ihres seltenen Auftretens bislang wenig untersucht worden. Es existieren keine zuverlässigen epidemiologischen Angaben und evidenzbasierte therapeutische Richtlinien fehlen weitgehend. Unter den verschiedenen Bewegungsstörungen sind das Restless-Legs-Syndrom (RLS), die Chorea gravidarum (CG), die Parkinson-Krankheit (PK), der essentielle Tremor (ET) und die HuntingtonKrankheit (HK) am häufigsten. Wichtige Aspekte der schwangerschaftsassoziierten Bewegungsstörungen sind die pränatale Gendiagnostik erblicher Erkrankungen, spezifische metabolisch-hormonelle Veränderungen sowie die Teratogenität der zur Verfügung stehenden Medikamente. In diesem Kapitel wird die verfügbare Literatur zu Bewegungsstörungen in der Schwangerschaft und ihrer Behandlung zusammengefasst.
Restless-Legs-Syndrom RLS tritt bei über 20% der Schwangeren im dritten Trimenon auf und ist damit die häufigste Bewegungsstörung in der Schwangerschaft (Sahota et al. 2003). Die Häufung von RLS während der Schwangerschaft hängt mit physiologisch-hormonellen und anderen Faktoren wie Folsäure- und Eisenmangel zusammen. Darüberhinaus dürften auch genetische Faktoren für die Induktion von RLS während der Schwangerschaft mitverantwortlich sein (Mata et al. 2006). Zur klinischen Symptomatik, Diagnostik und therapeutischen Möglichkeiten bei RLS sei auf das Kapitel Schlaf verwiesen.
Erbgang
AD *
AD *
AD *
AD *
AD *
AD*
AR
X-chromosomal rezessiv
AD
AR
AR
Erkrankung
HK
HDL2
SCA17
DRPLA
SCA3/ MJD
SCA2
Choreaacanthocytose
McLeod-Syndrom
Neuroferritinopathie
AT und ATDL
AOA 1 and 2
APTX / 9p (AOA 1) SETX / 9q (AOA 2)
ATM / 11q (AT) MRE11 / 11q (ATLD)
FTL / 19q
XK / Xp
VPS13A (früher CHAC) / 9q
Ataxin-2 / 12q
MJD / 14q
DRPLA / 12p
TBP / 6q
JPH3 / 16q
4p16.3
Gen / Lokation
Tabelle 1. Genetik der choreatischen Syndrome (Cardoso et al. 2006)
Aprataxin (AOA 1) Senataxin (AOA 2)
ATM (AT) MRE 11 (ATLD)
FTL
XK-Protein
Chorein
Ataxin-2
Ataxin-3
Atrophin-1
TBP
Junctophilin-3
Huntingtin
Genprodukt
Kindesalter oder Adoleszenz (später bei AOA 2)
Kindesalter
20–55 Jahre
40–70 Jahre
20–50 Jahre
30–35 Jahre
35–40 Jahre
≈ 20 Jahre
10–30 Jahre
20–40 Jahre
35–50 Jahre
Beginn (Alter)
212 Nadia Stefanova et al.
AR
X-chromosomal rezessiv
AR
AD
AD
Pantothenatkinaseassoziierte Neurodegeneration (Hallervorden-SpatzSyndrome)
Lesch-Nyhan-Krankheit
Wilson Krankheit
PKD/PKC
BHC
TITF-1 / 14q; andere
unbekannt / 16p
ATP7B / 13q
HPRT / Xq
PANK2 / 20p
Gen / Lokation
Thyroid TranskriptionsFaktor 1
Unbekannt
Kupfer-transportierende P-Typ ATPase
Hypoxanthin-Guanin PhosphoribosylTransferase
Pantothenatkinase 2
Genprodukt
Kindesalter
< 1–40 Jahre
< 40 Jahre
Kindesalter
Kindesalter oder auch später
Beginn (Alter)
HDL1, HDL3 und HDL4 sind sehr selten und deswegen nicht in dieser Tabelle aufgeführt. * Störungen, die auf CAG-Trinukleotid-Expansionen basieren (HK beruht auf CAG Wiederholungen, HDL2 beruht auf CAG/CTG-Wiederholungen; SCA 17 beruht auf CAG/CAA-Wiederholungen); Inverse Beziehung zwischen Manifestationsalter und Repeat-Zahl. HK Huntington-Krankheit, HDL Huntington’s Disease Like, SCA spinocerebelläre Ataxie, MJD Machado-Joseph-Krankheit, BHC benign hereditary chorea, DRPLA Dentatorubropallidoluysische Atrophie, AT Ataxia telangiectasia, ATDL AT Disease Like, AOA Ataxie mit okulomotorischer Apraxie, PKD/PKC Paroxysmale kinesiogene Dyskinesie/Choreoathetose, AFP alpha Fetoprotein, CEA karzinoembryogenes Antigen.
Erbgang
Erkrankung
Morbus Parkinson und andere extrapyramidale Bewegungsstörungen 213
214
Nadia Stefanova et al.
Chorea Gravidarum Die CG ist ein seltenes choreatisches Syndrom (Cardoso 2002) und für bis zu 4% aller Chorea-Fälle verantwortlich (siehe Tabelle 1, Cardoso et al. 2006). Früher war die CG vor Beginn der Schwangerschaft häufig mit rheumatischem Fieber und Sydenham-Chorea assoziiert. In letzter Zeit spielen bei Patientinnen mit CG aber zunehmend andere Ätiologien wie Lupus erythematodes oder immunologische Faktoren wie Antiphospholipid- oder Antibasalganglien-Antikörper eine Rolle (Lubbe und Walker 1983, Asherson et al. 1988, Branch 1990, Karageyim et al. 2002). Klinisch zeigen die Patientinnen meist distal betonte choreatische Hyperkinesien der Extremitäten, die seltener auch stamm- und orofacial betont sein können. In Einzelfällen wurden hemichoreatische Verläufe beschrieben. Bei der Hälfte der Patientinnen tritt die CG nach dem ersten Trimenon auf und lässt bei einem Drittel der Fälle spontan vor der Geburt nach und bildet sich ansonsten nach der Entbindung zurück. Die früher erhöhte Mortalität der CG hat sich auf Grund der medizinischen Fortschritte deutlich reduziert, in seltenen Fällen kann es aber zu Hyperthermie, Rhabdomyolyse, Myoglobulinurie und Tod kommen. Der Schweregrad der Chorea lässt in den meisten Fällen während der Schwangerschaft nach. Bei etwa 20% der CG-Patientinnen kommt es während der nachfolgenden Schwangerschaften aber zum neuerlichen Auftreten einer Chorea. Tabelle 2. Notfalltherapie mit Neuroleptika (NL) bei ausgeprägter Chorea während der Schwangerschaft Zu bevorzugen
Zu vermeiden
Klassische NL
Atypische NL
Klassische NL
Atypische NL
Haloperidol (0,5–5 mg/d)
Olanzapin (2,5–7,5 mg/d)
Chlorpromazin
Clozapin
Trifluoperazine (1–4 mg/d)
Risperidon (0,5–3 mg/d)
Doperidol
Amisulpirid
Quetiapin (50–400 mg/d)
Thioridazin
Aripiprazol
Flupentixol Fluphenazin Grundsätzlich sollten Neuroleptika vor allem im ersten Trimenon vermieden werden (FDA Klasse C). Falls dennoch eine Therapie auf Grund einer Gefährdung von Mutter und/oder Kind bei massiven choreatischen Hyperkinesien erforderlich ist, sollten minimal-effektive Dosen eingesetzt werden. (Eberhard-Gran et al. 2005, Trixler et al. 2005, McKenna et al. 2005, Diav-Citrin et al. 2005, Usher et al. 2005, Klier et al. 2006).
Morbus Parkinson und andere extrapyramidale Bewegungsstörungen
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Die Therapie der Chorea erfolgt generell mittels Dopamin-Rezeptor-Antagonisten (Neuroleptika) oder Dopamin-Depletoren (z.B. Tetrebenazin). Alle Vertreter dieser Substanzklassen sind allerdings (potenziell) teratogen (FDA Klasse C) und im ersten Trimenon der Schwangerschaft zu vermeiden. Andererseits ist die choreatische Symptomatik bei den meisten Schwangeren mit CG selbstlimitierend und mild ausgeprägt, sodass eine symptomatische Therapie oft nicht erforderlich ist. Bei Gefährdung von Mutter oder Kind durch massive Hyperkinesien muss in Einzelfällen eine Neuroleptika-Therapie erwogen werden (Tabelle 2). Ist die CG mit Antiphospholipid-Antikörpern assoziiert, sollte je nach klinischer Symptomausprägung interdisziplinär über eine Therapie mit Steroiden und Thrombozytenaggregationshemmern (Acetylsalicylsäure) entschieden werden (Karageyim et al. 2002).
Huntington-Krankheit Die HK ist eine autosomal-dominante Erkrankung mit vollständiger Penetranz, aber variabler Expressivität. Die häufigere adulte Form ist durch progrediente choreodystone Hyperkinesien sowie psychische und kognitive Störungen gekennzeichnet, welche in den meisten Fällen 15–20 Jahre nach Erkrankungsbeginn zum Tod führen. Die Krankheitssymptome manifestieren sich häufig um das 35. bis 50. Lebensjahr. Die juvenile Form (WestphalVariante) geht mit einer akinetisch-rigiden Symptomatik einher und führt bereits im Jugend- oder jungen Erwachsenenalter zum Tod. Ein entscheidender wissenschaftlicher Durchbruch war die Identifikation des HK-Gens am N-terminalen Ende des kurzen Arms von Chromosom 4 (4p16.3) (The Huntington’s Disease Collaborative Research Group 1993). Es handelt sich um ein etwa 210 kb großes Gen, das ein als Huntingtin bezeichnetes Protein mit noch unbekannter Funktion kodiert. Das HK-Gen weist eine instabile (CAG-)n-Trinukleotidsequenz auf (Andrew et al. 1993). Bei einer Expansion von mehr als 38 CAG-Wiederholungen wird heute die molekulargenetische Diagnose einer HK gestellt. Meistens haben aber die Anlageträger bereits ihre Familienplanung abgeschlossen, wenn sie Symptome der HK entwickeln. Wichtige Themen in Bezug auf Schwangerschaft und HK sind daher die genetische Beratung präsymptomatischer Familienangehöriger bzw. Anlageträger sowie die Pränatal-Diagnostik. Obgleich die Gendiagnostik zur Verfügung steht, nehmen nicht alle HKFamilienangehörigen mit Kinderwunsch eine präsymptomatische oder pränatale Testung in Anspruch. Lesca et al. (Lesca et al. 2002) untersuchten 815 Paare mit erhöhtem HK-Risiko und Wunsch nach präsymptomatischer Testung. Bei 38 der Frauen kam es im Studienzeitraum zu einer Schwangerschaft. 71% dieser Frauen wünschten eine Fortsetzung der Schwangerschaft mit Durchführung der präsymptomatischen Testung nach Entbindung. In
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Nadia Stefanova et al.
21% der Fälle wurde die präsymptomatische Testung während der Schwangerschaft durchgeführt. 8% der Frauen entschieden sich für einen Schwangerschaftsabbruch vor Durchführung des präsymptomatischen Gentests. Eine pränatale Diagnostik erfolgte in nur 4 Fällen. NeurologInnen sollten symptomatische Patienten oder präsymptomatische Individuen mit erhöhtem Erkrankungsrisiko einer genetischen Beratungsstelle zuführen. Ausführliche Beratung mit psychologischer Unterstützung nach Mitteilung des Testergebnisses ist vor allem bei präsymptomatischer oder pränataler Diagnostik erforderlich. Eine pränatale Diagnostik sollte prinzipiell nur bei einer Bereitschaft zum Schwangerschaftsabbruch durchgeführt werden. Die Behandlung der HK ist in erster Linie symptomatisch. Es sollte kritisch geprüft werden, ob eine symptomatische Therapie der Hyperkinesien oder der psychischen Störungen inklusive Wesensänderung, Verlust der Impulskontrolle und Depressivität während der Schwangerschaft indiziert ist. Wie bereits oben erwähnt sind Neuroleptika als Substanzklasse während der Schwangerschaft nicht empfohlen und sollten nur in Einzelfällen bei massiven Hyperkinesien oder florider Psychose eingesetzt werden. Benzodiazepine sollten im ersten Trimenon vermieden werden, sind aber nicht nur antichoreatisch wirksam, sondern können auch störende Verhaltensauffälligkeiten bessern (Quinn und Schrag 1998). Etwa 35–70% der HK-Patienten entwickeln psychiatrische Symptome, vor allem eine depressive Störung mit ausgeprägter Antriebslosigkeit (Craufurd et al. 2001). Generell können Trizyklika wie Nortriptylin oder Desipramin bei schwangeren Frauen mit depressiver Symptomatik eingesetzt werden, da sie nicht mit einer erhöhten Fehlbildungsrate einherzugehen scheinen (American Academy of Pediatrics 2000).
Parkinson-Krankheit Die PK ist eine neurodegenerative Erkrankung mit progredientem Verlust der dopaminergen Neurone in der Substantia nigra pars compacta. Charakteristisch ist das gleichzeitige Auftreten von alpha-Synuclein-haltigen Einschlüssen (Lewy-Körperchen) in den degenerierenden Neuronen. Die Kombination einer charakteristischen Bewegungsverlangsamung (Bradykinesie) mit mindestens einem von drei weiteren Zusatzsymptomen (Rigidität, PillendreherRuhetremor und Störung der posturalen Reflexe) ist nach den Londoner Parkinson-Kriterien obligat für die Diagnose eines Parkinson-Syndroms (Hughes et al. 1992). Darüberhinaus gibt es weitere Ein- und Ausschlusskriterien, welche die Diagnose einer PK als Ursache des Parkinson-Syndroms unterstützen (Tabelle 3). Das Erkrankungsalter liegt bei 10% der Patienten vor dem 40. Lebensjahr, bei 30% vor dem 50. Lebensjahr, während 40% zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr erkranken (Tanner und Goldman 1994). Frauen
Morbus Parkinson und andere extrapyramidale Bewegungsstörungen
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Tabelle 3. London Parkinson Diagnose-Kriterien (Hughes et al. 1992) Die klinische Diagnose der PK erfolgt in 4 Schritten: • Es wird das Vorliegen eines Parkinson-Syndroms (PS) nachgewiesen. • Es wird das Vorliegen eines symptomatischen PS oder häufiger Differenzialdiagnosen ausgeschlossen. • Es werden typische Warnsymptome für das Vorliegen einer nichtidiopathischen Erkrankung beachtet. • Im weiteren Verlauf der Erkrankung wird die Diagnose PK, soweit möglich, durch ergänzende Kriterien bestätigt. 1. Schritt: Diagnose eines Parkinson-Syndroms Akinese (Verlangsamung bei der Initiierung und Durchführung willkürlicher Bewegungen, progressive Verlangsamung und Abnahme der Amplitude bei repetitiven Bewegungen) und mindestens eines der folgenden Symptome: • muskulärer Rigor, • Ruhetremor (4–6, selten 9 Hz; Auftreten in Ruhe, Abnahme bei Bewegungen), • posturale Instabilität, die nicht primär durch visuelle, vestibuläre, zerebelläre oder propriozeptive Störungen erklärbar ist. 2. Schritt: Anamnestische Kriterien, die auf ein symptomatisches PS oder häufige DD hinweisen können: • Behandlung mit Neuroleptika oder anderen Dopaminrezeptorblockern zum Zeitpunkt der Erstmanifestation der Parkinson-Symptome, • Nachweis eines zerebralen Tumors oder Hydrocephalus communicans im CCT, • wiederholte zerebrale ischämische Insulte, die mit einer stufenweisen Verschlechterung der Parkinson-Symptomatik assoziiert waren, • rezidivierende Schädel-Hirn-Traumen in der Vorgeschichte, • diagnostisch gesicherte Enzephalitis in der Vorgeschichte, • seltene Intoxikationen, • Remissionen über längere Perioden (bei den extrem seltenen psychogenen Parkinson-Symptomen). 3. Schritt: Warnsymptome, die auf ein atypisches PS hinweisen können: • Nichtansprechen auf hohe Dosen L-DOPA (1000 mg/d) nach Ausschluss einer Malresorption (z.B. im Dünndarmbereich), • frühzeitig im Verlauf auftretende schwere Störungen des autonomen
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• • • • • • • • • • • •
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Nervensystems (orthostatische Hypotension, Synkopen, Impotenz, Harninkontinenz oder -retention, Anhidrose), supranukleäre vertikale Blickparese, zerebelläre Zeichen, okulogyre Krisen, frühe posturale Instabilität und Stürze, positives Zeichen nach Babinski, soweit nicht anderweitig erklärt (z.B. Schlaganfall), innerhalb des 1. Jahres auftretende Demenz mit Sprach- und Gedächtnisstörungen, innerhalb des 1. Jahres auftretende fluktuierende visuelle Halluzinationen, Apraxie, Somnolenzphasen, spontan oder nach Neuroleptikagebrauch, ausgeprägter Antecollis, deutliche Dysarthrie, deutliche Dysphagie.
4. Schritt: Unterstützende Kriterien für eine PK Wenn mindestens drei der folgenden Symptome gegeben sind, spricht dies für eine sichere PK: • einseitiger Beginn und/oder persistierende Asymmetrie im Krankheitsverlauf (einschließlich L-Dopa-induzierter Dyskinesien), • Ruhetremor (s. o.), • eindeutig positives Ansprechen (> 30% Verbesserung) auf L-DOPA (ohne dass das Symptom Ruhetremor ansprechen muss), • nicht durch Zusatzsymptome (Systemüberschreitung) komplizierter klinischer Verlauf von 10 oder mehr Jahren.
sind geringer betroffen als Männer (Häufigkeit F:M = 9,9:19,0 per 100.000) (Van Den Eeden et al. 2003). In einer rezenten Studie unserer eigenen Arbeitsgruppe lag die Parkinson-Prävalenz bei über 50-Jährigen bei 7% und nahm altersabhängig deutlich zu (Wenning et al. 2005). Mehr als 10 Genorte (Tabelle 4) sind für die PK bereits nachgewiesen worden, davon sind die Genprodukte teilweise funktionell charakterisiert. Es können autosomal-dominante und autosomal-rezessive Erbgänge unterschieden werden. Der klinische Phänotyp ist sehr variabel, es finden sich klassische Verläufe mit der oben beschriebenen Klinik, daneben aber auch atypische Fälle mit fehlendem Ansprechen auf L-Dopa und Symptomen einer Multisystemerkrankung. Insgesamt liegt bei etwa 5–10% aller Parkinson-PatientInnen eine genetisch bedingte PK vor. In Verdachtsfällen ist eine neurogenetische Abklärung und Beratung zu empfehlen.
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Tabelle 4. Genetik der Parkinson-Krankheit (Gasser 2005) Locus/ Gen
Erbgang
Beginn (Alter)
Pathologie
Position Protein/Gen
PARK 1
dominant 40. LJ
PARK 2
rezessiv
PARK 3
dominant 60. LJ
Nigrale Degene- 2p13 ration mit LK, Plaques und Tangles
unbekannt
PARK 4
dominant 30. LJ
Nigrale Degene- 4q21 ration mit LK, neuronale Vakuolen im Hippocampus
AlphaSynuklein Triplikation
PARK 5
dominant um das 50. LJ
keine Pathologie 4p14 berichtet
Ubiquitin-CTerminalHydrolase L1
PARK 6
rezessiv
30.–40. LJ keine Pathologie 1p35-37 PINK1 berichtet
PARK 7
rezessiv
30.–40. LJ keine Pathologie 1p38 berichtet
PARK 8
dominant um das 60. LJ
Nigrale Degene- 4q21 ration mit LK
20.–40. LJ Nigrale Degene- 6q25 ration ohne LK
variable alphaSynuclein- und Tau-Pathologie
12cen
AlphaSynuclein Parkin
DJ-1 LRRK2
PARK 10 dominant 50.–60. LJ keine Pathologie 1p32 (?) berichtet
unbekannt
PARK 11 dominant spät (?)
unbekannt
keine Pathologie 2q34 berichtet
LK Lewy Körperchen, LJ Lebensjahr.
Daten zum Verlauf der PK während der Schwangerschaft sind limitiert. Hagell et al. (Hagell et al. 1998) beschrieben 33 Schwangerschaften bei 24 Frauen mit PK. In 46% der Fälle war eine Verschlechterung der Symptomatik während oder kurz nach der Schwangerschaft zu beobachten, möglicherweise als Ausdruck einer Interaktion von hormonellen Veränderungen und dopaminergem Funktionsstatus. Andere Autoren berichten über eine Minde-
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rung der PK-Progression während der Schwangerschaft (z.B. Shulman et al. 2000). Zusätzliche Einflussfaktoren auf den Krankheitsverlauf schwangerer PK-Patientinnen sind physische und psychische Stressoren. Basis der Therapie der PK ist die Dopaminsubstitution durch die Gabe von L-Dopa oder alternativ Dopaminagonisten. Darüberhinaus stehen weitere Substanzklassen wie Amantadin, MAO-B und COMT-Inhibitoren zur Verfügung. Viele dieser Medikamente sind jedoch auf Grund ihrer tierexperimentellen Teratogenität während der Schwangerschaft und während des Stillens nicht empfohlen (tw. FDA Klasse C). In manchen Fällen ist aber auf Grund der ausgeprägten Parkinsonsymptomatik eine dopaminerge Therapie unerlässlich. Zahlreiche Kasuistiken sprechen dafür, dass ein komplikationsloser Verlauf der Schwangerschaft unter oraler Dopaminergika-Therapie möglich ist. Über die L-Dopa-Therapie (Monotherapie oder in Kombination mit Carbidopa oder Benserazid) von Parkinson-Patientinnen während der Schwangerschaft liegen einige Erfahrungsberichte vor (Cook und Klawans 1985, Allain et al. 1989, von Graevenitz et al. 1996, Hagell et al. 1998, BenitoLeon et al. 1999, Routiot et al. 2000, Shulman et al. 2000, de Mari et al. 2004, Mucchuit et al. 2004, Scott und Chowdhury 2005). Bis auf einen Fall Tabelle 5. Kasuistiken zur Dopaminagonisten-Therapie während der Schwangerschaft bei Parkinson-Patientinnen Referenz
Dopaminagonist
Dosis Mono-/Kombina- Komplikamg/Tag tionstherapie tionen
Benito-Leon et al. 1999
Bromocriptin 20
Monotherapie
keine
Hagell et al. 1998*
Bromocriptin 7,5
Levodopa/ Benserazid
keine
De Mari et al. Pergolid 2002
3
L-Dopa/DCI?
keine
Mucchiut et al. 2004
Pramipexol
4,5
Monotherapie
keine
Scott und Chowdhury 2005
Cabergolin
1–4
L-Dopa/ Carbidopa
Placentaruptur in der 32. SSW**
*
Aufgrund der raschen Symptomprogression wurde im zweiten Schwangerschaftsmonat Bromocriptin abgesetzt und L-Dopa aufdosiert. ** Parkinson-Patientin mit einer Kombinationstherapie aus Cabergolin und L-Dopa/Carbidopa während zweier konsekutiver Schwangerschaften. Während der zweiten Schwangerschaft trat eine Placentaruptur auf. Da die erste Schwangerschaft komplikationslos verlief, gibt es keinen sicheren Hinweis darauf, dass die dopaminerge Therapie für die Placentaruptur in der zweiten Schwangerschaft verantwortlich war.
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einer fraglichen Assoziation mit Osteomalazie traten keine Komplikationen auf. Daten zur Sicherheit der Dopaminagonisten (FDA Klasse B oder C) bei Schwangeren stammen in erster Linie von Patientinnen mit Hyperprolaktinämie. In diesen Fällen wurden jedoch deutlich geringere Tagesdosen im Vergleich zur Parkinson-Therapie eingesetzt. Nur in wenigen Fällen wurde über den Schwangerschaftsverlauf bei Parkinson-Patientinnen unter Dopaminagonisten-Therapie berichtet, sichere Hinweise für Komplikationen fanden sich dabei nicht (Tabelle 5). Non-Ergot-Dopaminagonisten sollten auf Grund ihres günstigeren Nebenwirkungsprofils (v.a. keine erhöhte Herzklappenfibroserate, Peralta et al. 2006) bevorzugt eingesetzt werden. MAO-B-Hemmer (FDA Klasse C) weisen eine nur geringe Anti-Parkinson-Wirkung auf und sollten angesichts der tierexperimentell nachgewiesenen Teratogenität bei schwangeren PKPatientinnen nicht eingesetzt werden, obgleich in Einzelkasuistiken keine Fehlbildungen oder andere gravierende Nebenwirkungen beobachtet wurden (Kupsch und Oertel 1998). Im Gegensatz dazu war Amantadin (FDA Klasse C) in 4 berichteten Fällen mit kardiovaskulären Fehlbildungen assoziiert und sollte aus diesem Grund nicht in der Parkinson-Therapie von Schwangeren eingesetzt werden (Nora et al. 1975). COMT-Hemmer wie Entacapon oder Tolcapon sind prinzipiell bei Parkinson-Patienten mit motorischen Wirkungsschwankungen (sog. „wearing-off“ unter L-DopaTherapie) indiziert und reduzieren die kumulative tägliche „off“-Zeit um 1–2 Stunden. Publizierte klinische Daten zur Sicherheit der COMT-Hemmer während der Schwangerschaft liegen nicht vor, die FDA führt Entacapon in der Sicherheitsstufe C auf.
Dystonie Unter dem Begriff Dystonie wird ein Syndrom anhaltender Muskelkontraktionen, das zu Fehlhaltungen und repetitiven Bewegungen führt, verstanden. Die Prävalenz der Dystonien bei über 50-Jährigen liegt bei 1,8% (Wenning et al. 2005). Neuropathologische und neurochemische Untersuchungen sowie die strukturelle Bildgebung sind bei primären Dystonien unauffällig. Dennoch wird pathophysiologisch eine Funktionsstörung der Basalganglien und des sensomotorischen Kortex angenommen (Hallett 1998, Berardelli et al. 1998). Die derzeit gängige Klassifikation unterteilt die Dystonien nach der Ätiologie (idiopathisch oder primär, symptomatisch oder sekundär) nach dem Alter (infantile, juvenile und adulte Form) und nach ihrer topischen Verteilung (fokale, segmentale, multifokale, generalisierte Dystonie, Hemidystonie) (Fahn et al. 1998). Die idiopathische Torsionsdystonie (ITD) ist eine primäre Dystonie, die sich in der Regel als Gangstörung während der Kind-
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Tabelle 6. Genetik der Dystonien (Bhidayasiri et al. 2006) Gen Locus
Krankheit
Erbgang
Chromosom
DYT1
Oppenheim Torsionsdystonie
aut. dom. 9q34
TorsinA
DYT2
früh beginnende Dystonie
aut. rez.
nicht identifiziert
DYT3
Lubag (Dystonie Parkinson)
X-rezessiv Xq13.1
Multipletransskriptsystem
DYT4
Spasmodische Dysphonie
aut. dom. unbekannt
nicht identifiziert
DYT5
Dopa-responsive Dystonie
aut. dom. 14q22.1
GTP Cyclohydrolase I
DYT6
Craniocervicale Dystonie (Mennoniten)
aut. dom. 8p21-q22
nicht identifiziert
DYT7
Familiärer Torticollis
aut. dom. 18p
nicht identifiziert
DYT8
Paroxysmale non-kine- aut. dom. 2q33-q35 siogene Choreoathetose (Mount-Rebak)
Myofibrillogenese Regulator 1
DYT9
Paroxysmale Dystonie mit Spastik
nicht identifiziert
unbekannt
aut. dom. 1p21
Protein
DYT10 Paroxysmale kinesiogene Choreoathetose
aut. dom. 16p11.2-q12.1 nicht identifiziert
DYT11 Myoclonus-Dystonie
aut. dom. 7q21-q23
EpsilonSarkoglycan
DYT12 Schnell beginnendes Dystonie-ParkinsonSyndrom
aut. dom. 19q13
Na+/K+ATPase alpha3
DYT13 Cervico-craniobrachiale Dystonie
aut. dom. 1p36
nicht identifiziert
DYT14 Dopa-responsive Dystonie
aut. dom. 14q13
nicht identifiziert
DYT15 Myoclonus-Dystonie
aut. dom. 18p11
nicht identifiziert
aut. dom. Autosomal dominant, aut. rez. autosomal rezessiv.
Morbus Parkinson und andere extrapyramidale Bewegungsstörungen
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heit manifestiert und anschließend generalisiert. Im Gegensatz dazu treten die fokalen Dystonien im Erwachsenenalter auf. Sie können verschiedene Körperregionen betreffen (Blepharospasmus, Torticollis, oromandibuläre Dystonie, spasmodische Dysphonie, Graphospasmus u.a.), eine Ausbreitung wird hierbei kaum beobachtet. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Gene in Familien mit ITD und anderen primären Dystonien identifiziert, die fortlaufend als DYT1, 2, 3, etc. bezeichnet werden (Tabelle 6) (Bhidayasiri et al. 2006). Analog zur PK stehen bei Kinderwunsch bzw. Schwangerschaft die genetische Beratung und Risiken der pharmakologischen Therapie im Vordergrund. Rogers und Fahn (Rogers und Fahn 1994) beschrieben zehn schwangere Dystonie-Patientinnen. Drei Patientinnen hatten eine partielle oder komplette Remission, zwei zeigten eine Exazerbation der Dystoniesymptomatik und die übrigen Patientinnen zeigten keine klinische Verschlechterung während der Schwangerschaft. Gwinn-Hardy und Kollegen (Gwinn-Hardy et al. 2000) untersuchten den Zusammenhang zwischen Dystonie und hormonellen Einflüssen inklusive Schwangerschaft an mehr als 250 Patientinnen. Insgesamt zeigten sich keine signifikanten Korrelationen. Die Therapie der Dystonie umfasst neben medikamentösen Strategien die lokale Injektionsbehandlung mit Botulinumtoxin sowie die tiefe Gehirnstimulation. Bei dringendem Verdacht auf eine Dopa-responsive Dystonie und klinischer Behandlungspflichtigkeit sollte eine symptomatische dopaminerge Therapie erfolgen (siehe Abschnitt Parkinson-Krankheit). In den letzten Jahren konnten erhebliche Fortschritte in der symptomatischen Behandlung von Dystonien verzeichnet werden. In diesem Zusammenhang ist die Einführung von Botulinumtoxin (Typ A und Typ B) in die klinische Routine besonders hervorzuheben, da die Substanz heute für die meisten Patienten mit fokalen Dystonien das Mittel der ersten Wahl darstellt. Es existieren keine kontrollierten Daten zu Botulinumtoxin während der Schwangerschaft. Einige Fallberichte zeigen jedoch, dass eine Schwangerschaft auch unter der Behandlung mit Botulinumtoxin trotz tierexperimenteller Hinweise auf Teratogenität erfolgreich beendet werden kann (Newman et al. 2004, Bodkin et al. 2005, Morgan et al. 2006). Im Einzelfall sind der therapeutische Nutzen und das potenzielle Risiko abzuwägen. Rezente Studiendaten belegen die Wirksamkeit und Sicherheit der tiefen Gehirnstimulation bei Schwangeren mit primären Dystonien (Paluzzi et al. 2006).
Tourette-Syndrom Das Tourette-Syndrom ist eine Bewegungsstörung mit motorischen und vokalen Tics und Beginn vor dem 18. Lebensjahr. Klinische Untersuchungen haben gezeigt, dass das Tourette-Syndrom überdurchschnittlich häufig mit
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dem Auftreten zusätzlicher psychiatrischer Begleitsymptome bzw. Verhaltensauffälligkeiten assoziiert ist. Es gibt kaum Daten über das TouretteSyndrom während der Schwangerschaft, nicht zuletzt da diese Bewegungsstörung bei Männern viel häufiger auftritt als bei Frauen. Stress und schwangerschaftsassoziierte Symptome, wie Übelkeit und Erbrechen, korrelierten im ersten Trimenon mit dem aktuellen Schweregrad bei 31 Tourette-Patientinnen (Leckman et al. 1990). Tics sprechen in der Regel gut auf Neuroleptika wie Haloperidol oder Pimozid an (Hyde und Weinberger 1995) (siehe Tabelle 2). Die American Pediatric Academy empfiehlt trotz des Risikos neonataler extrapyramidal-motorischer Symptome bzw. trotz potenzieller Teratogenität bei schwangeren Frauen mit therapiepflichtigem Tourette-Syndrom hochpotente Neuroleptika (z.B. Haloperidol) (American Academy of Pediatrics 2000). Bezüglich Pimozid ist die Datenlage unzureichend, sodass keine Empfehlungen ausgesprochen werden können. Häufig müssen zusätzlich zu den Tics Zwangssymptome sowie Aufmerksamkeitsstörungen (Attention Deficit Hyperactivity Disorder) behandelt werden. Die medikamentöse Therapie umfasst selektive SerotoninReuptake-Hemmer, Trizyklika und Methylphenidat. Die Richtlinien der AAP empfiehlt Fluoxetin für die Behandlung der Zwangsstörungen bei schwangeren Tourette-Patientinnen. Alternative Optionen stellen Fluvoxamin, Paroxetin und Sertralin dar (American Academy of Pediatrics 2000).
Wilson-Krankheit Bei der WK (hepatolenticuläre Degeneration) handelt es sich um eine autosomal-rezessiv vererbte Kupferstoffwechselstörung mit vermehrter Kupfereinlagerung in Leber, Zentralnervensystem, Kornea, Nieren und andere Organe. Das verantwortliche Gen wurde auf dem langen Arm des Chromosoms 13 (13q14.3) lokalisiert und kodiert für die P-Typ Kupfer-Transporter ATPase (Tanzi et al. 1993, Petrukhin et al. 1993). Klinisch ist die Erkrankung eine Multiorganerkrankung mit einer entsprechenden Vielfalt von internistischen, neurologischen, psychiatrischen, ophthalmologischen und anderen Symptomen. Die weltweite Prävalenz der Erkrankung wird mit 10–30 Erkrankten pro 1 Million angegeben (Bachmann et al. 1979, Brewer 2005), mit einer Genfrequenz von 1:180. Bei den meisten Patienten beginnt die Erkrankung zwischen dem 10. und 25. Lebensjahr, mit einer großen Streuung der Erstmanifestation vom 5. bis 50. Lebensjahr. Typische Symptome sind Leberzirrhose, Chorea, Tremor, psychiatrische Symptome und Kayser-Fleischer-Ring als Ausdruck der Kupferablagerung in der Hornhaut. Insgesamt wird zwischen zwei unterschiedlichen Verlaufsformen unterschieden: einem rasch fortschreitenden, zwischen dem 5. und 20. Lebensjahr auf-
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tretenden juvenilen Typ mit hepatischer Präsentation, der unbehandelt innerhalb von 5–7 Jahren letal verläuft, und einem nach dem 20. Lebensjahr auftretenden Typ mit dominanter neuropsychiatrischer Symptomatik. Publizierte Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit der verschiedenen Therapieoptionen legen nahe, dass ein günstiger Verlauf der Schwangerschaft nur bei konsequenter Behandlung mit Penicillamin (1. Wahl) und Trientin (2. Wahl) zu erwarten ist. Unbehandelte Frauen mit symptomatischer WK neigen zu Komplikationen wie Fehlgeburten und sekundärer Infertilität (ovarielle Dysfunktion durch freies Kupfer). Sternlieb (Sternlieb 2000) empfiehlt die Gabe von 0,75–1 g Penicillamin oder Trientin täglich in den ersten beiden Trimenonen mit einer nachfolgenden Reduktion auf 0,5 g/Tag. Die Unterbrechung dieser Therapie ist mit einem hohen Risiko von Hämolyse und Leberversagen sowie maternaler Mortalität assoziiert. Bedenken bezüglich der möglichen Teratogenität von Penicillamin oder Trientin sind angesichts der niedrigen Dosen sowie der vorliegenden Daten aus 153 Schwangerschaften mit nur sehr seltenen Fehlgeburten und einem Fall einer Fehlbildung (Kiefer-Gaumenspalte) nicht gerechtfertigt (Sternlieb 2000). Nebenwirkungen dieser Medikamente während der Stillzeit sind ebenfalls nicht berichtet worden (Sternlieb 2000).
Essentieller Tremor ET ist generell die häufigste Bewegungsstörung und durch einen bilateralen Halte- und Aktionstremor der Hände mit einer Frequenz von 4–12 Hz charakterisiert (Sethi 2003). Die ET-Prävalenz liegt in der Allgemeinbevölkerung zwischen 1,7 und 5,5% (Tanner und Goldman 1994). Ungefähr 50% der ETPatienten zeigen eine autosomal-dominante Vererbung (Hubble et al. 1989). Mehrere Genloci sind mit ET assoziiert (Louis und Ottman 1996), die verantwortlichen Gene sind allerdings bislang nicht identifiziert worden. Typischerweise beginnt der ET schleichend mit zum Teil jahrelangem Plateau. Äußere Stressoren können die ET-Symptomatik verschlechtern, sodass auch während der Schwangerschaft eine Zunahme der Tremorintensität oder Demaskierung des Tremors möglich ist. Eine Gefährdung von Mutter oder Kind ist aber in aller Regel nicht gegeben. Die pharmakologische Therapie des ET schließt Primidon und Propanolol ein. In den letzten Jahren sind die primär als Antiepileptika verwendeten Topiramat (Connor 2002) und Gabapentin (Louis 2001) hinzugekommen. Primidon und Propanolol weisen ein teratogenes Potenzial auf und sollten daher bei Schwangeren nicht oder sehr zurückhaltend eingesetzt werden. Die Anwendung bzw. das Risiko von Antiepileptika in der Schwangerschaft wird ausführlich im Kapitel Epilepsie beschrieben.
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Zusammenfassung Bewegungsstörungen treten während der Schwangerschaft insgesamt selten auf und führen unbehandelt nur in wenigen Ausnahmefällen (z.B. WK) zu einer Gefährdung von Mutter und Kind. Die meisten Daten zur Sicherheit und Effektivität der verschiedenen Medikamente zur Behandlung von Bewegungsstörungen während der Schwangerschaft stammen aus Tierversuchen und einzelnen Fallberichten. Prinzipiell können viele der erwähnten Pharmaka teratogene Effekte auslösen, sodass eine spezifische Therapie von Bewegungsstörungen während der Schwangerschaft zurückhaltend und im gegebenen Falle nach vollständiger Aufklärung und in interdisziplinärer Absprache erfolgen sollte. Die Autoren danken Frau Dr. M. Stampfer-Kountchev für die Mitarbeit bei der Literatursuche.
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Sonderdruck aus Neurologische Erkrankungen in der Schwangerschaft Herausgegeben von T. Berger, C. Brezinka und G. Luef © Springer-Verlag/Wien 2007 – Printed in Austria – Nicht im Handel
Multiple Sklerose
Thomas Berger
Allgemeines Epidemiologie und Demographie Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste neurologische Erkrankung des jungen Erwachsenenalters mit dem potenziellen Risiko einer permanenten Behinderung. Weltweit sind etwa 2 Millionen Menschen von MS betroffen, in Österreich nach einer rezenten Untersuchung mehr als 8 500 (Baumhackl et al. 2002). Der Erkrankungsbeginn liegt bei 70% der Patienten zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr. Frauen sind zwei- bis dreimal häufiger von MS betroffen als Männer (Noseworthy et al. 2000). Pathogenese Neuropathologisch definiert sich MS als chronischer Entzündungsprozess in der vorwiegend weißen Substanz des zentralen Nervensystems (ZNS), gefolgt von selektiver Demyelinisierung, variablem Oligodendrozyten- und Axonverlust, sowie schließlich Ausbildung von Glianarben (Lassmann 1998). Neben diesen Gewebedestruktionen (Plaques) finden sich aber auch Zeichen der Regeneration (= Remyelinisierung). Pathogenetisch nimmt man an, dass MS eine Autoimmunerkrankung ist (Sospedra und Martin 2005). Basierend auf einer gewissen genetischen Suszeptibilität und getriggert durch einen oder mehrere exogene Faktoren (möglicherweise frühere Virusinfektionen) kommt es zur initialen T-Zell-mediierten Entzündungsreaktion. In weiterer Folge bedingen nun immunologische Effektormechanismen einerseits die Amplifikation des initialen Entzündungsprozesses und andererseits die Demyelinisierung und Axondestruktion im ZNS. In jüngster Zeit gelang es, vier neuropathologische Subtypen der Demyelinisierung zu definieren, die darauf hindeuten, dass individuelle MS-
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Patienten einen individuellen immunpathogenetischen Verlauf haben könnten (Lassmann et al. 2001). Diese neuropathologischen Erkenntnisse sind nun die Basis für die immunologische und neuroradiologische Subtypsierung von MS-Patienten, hierbei könnten insbesondere verschiedene Antikörper bedeutsam sein (Berger 2004). Klinische Symptome und Verlaufsformen Symptome der Multiplen Sklerose Die Polytopie der entzündlich-entmarkenden Läsionen im Gehirn und Rückenmark führt zu einem oft heterogenen Krankheitsbild und birgt durch die große Symptom- bzw. Befundvielfalt oft (differential-) diagnostische Schwierigkeiten (Berger und Deisenhammer 1996). Die Vielzahl der klinischen Symptome und Befunde ist Tabelle 1 zu entnehmen. Das Ausmaß des neurologischen Defizits wird durch die „Expanded Disability Status Scale“ (EDSS) nach Kurtzke bzw. den „Multiple Sclerosis Functional Composite Score“ (MSFC) objektiviert. Die Charakterisierung einer Erkrankung aus dem Formenkreis der MS erfordert neben der Diagnose und Differentialdiagnose vor allem auch die Definition des Krankheitsbeginns, der bisherigen Krankheitsdauer, der Häufigkeit, Schwere und Dauer von Krankheitsschüben, sowie des Schweregrades der Behinderung und der bisherigen Verlaufsform (siehe Berger und Deisenhammer 1996). Der Schub Ein Krankheitsschub ist durch das Neu- oder Wiederauftreten neurologischer Symptome für zumindest 24–48 Stunden definiert. Zwischen zwei voneinander abgegrenzten Schüben sollte ein Zeitraum von mindestens einem Monat liegen. Die durchschnittliche jährliche Schubrate liegt zwischen 0,2–1,2 Schüben pro Jahr. Die individuelle Schubrate variiert in Abhängigkeit von Patientenalter und Krankheitsverlauf: sie ist in der Regel bei jüngeren Patienten und in den ersten fünf Jahren der Erkrankung höher und nimmt mit Dauer der Erkrankung auf Grund des natürlichen Verlaufs spontan ab, auch deshalb, weil ein Übergang in eine sekundär chronisch progrediente Verlaufsform erfolgen kann. Angaben über die Schubrate sind in prospektiven Studien höher als in retrospektiven und zusätzlich direkt proportional zur Untersuchungsfrequenz. Daraus ergibt sich, dass die Schubrate kein alleinig sicheres Äquivalent der Krankheitsaktivität darstellt und in der Bewertung von Therapieerfolgen kritisch beurteilt werden muss. Aus diesem Grund wird in Studien und in der Praxis der Effekt einer The-
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Tabelle 1. Klinische Symptome bei Multipler Sklerose 1. Visuelles System und Optomotorik – Retrobulbär-/Optikusneuritis (E: 35%, V: 75%), Blickparesen (V: 11%), Nystagmus (E: 20%, V: 70%) 2. Sensibilitätsstörungen (E: 20–40%, V: 40–80%) 3. Motorik (E: 18–40%, V: 80%) – Paresen, Spastizität 4. Koordinationsstörungen (E: 10%, V: 80%) – Extremitäten/Rumpf/Stand/Gangataxie, Tremor, Schwindel, Nystagmus, Dysarthrie 5. Schmerzen (V: 20–60%) – Akute (paroxysmale) Schmerzen: u.a. Spasmen, Trigeminusneuralgie, Kopfschmerzen – Chronische Schmerzen (V: 50%): u.a. Spastizität, Kontrakturen, Allodynie 6. Vegetative Funktionsstörungen – Blase (V: 50–80%), Mastdarm, Sexualfunktion (Männern im V: bis 80%, Frauen im V: bis 45%), andere vegetative Dysfunktionen (u.a. Schlaf, Temperaturregulation, Schweißsekretion) 7. Psychophysische Störungen – Fatigue (V: 70–90%) – Psychiatrische Veränderungen: u.a. Depression (V: 50%), selten Psychosen (NW von Steroiden) – Neuropsychologische Veränderungen: u.a. kognitive Defizite (V: 40–60%), Demenz (4–7%) 8. Paroxysmale Symptome (V: 5–20%) – u.a. Lhermitte Zeichen, Trigeminusneuralgie, epileptische Anfälle (E: < 1 %, V: 8%), tonische Hirnstammanfälle, paroxysmale Dysarthrie (und Ataxie) 9. Seltene Symptome – Hör- und Geruchstörungen, periphere Fazialisparese, Fazialismyokymien, Aphasie, extrapyramidale Bewegungstörungen E Auftreten als Erstsymptom, V Auftreten im Verlauf einer MS.
rapie nunmehr an der Verhinderung oder Verzögerung der Krankheitsprogression gemessen. Von tatsächlichen Krankheitsschüben sind Pseudoschübe und paroxysmale Symptome abzugrenzen. Eine bereits vorbestehende neurologische Symptomatik kann sich durch äußere Einflüsse transient verschlechtern, ist aber in der Regel selbstlimitierend, sobald der exogene Auslöser wegfällt. Auslöser
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von Pseudoschüben sind beispielsweise Hitzeexposition, fieberhafte Infekte und Menstruation (es kommt in diesen Situationen zu einer Erhöhung der Kerntemperatur, diese bewirkt am demyelinisierten Axon einen transienten elektrophysiologischen Leitungsblock), sowie Depression und schließlich Medikamente. Paroxysmale Symptome sind definiert als anfallsweise, oft nur Sekunden anhaltende, schubunabhängige, inkonstante Symptome, die ebenfalls durch exogene Trigger (Hitzeexposition, Lagewechsel, physische und psychische Belastungssituationen) ausgelöst werden können. Klinische Verlaufsformen der Multiplen Sklerose 80–90% der Patienten haben einen initial schubförmigen Verlauf mit kompletter oder inkompletter Remission der neurologischen Symptomatik. Nach 10–15 Jahren entwickeln 30–40% der (unbehandelten) Patienten einen sekundär chronisch-progredienten Verlauf. 10–20% der Patienten erkranken an einer primär chronisch-progredienten Verlaufsform (Berger und Deisenhammer 1996, Noseworthy et al. 2000). Neben den oben genannten Verlaufsformen umfasst der Formenkreis der MS auch akute Krankheitsbilder und seltene Sonderformen. Zu den sehr seltenen akuten MS-Erkrankungen gehört die Encephalomyelitis disseminata acuta (Marburg) mit fulminantem und zumeist letalem Verlauf auf Grund großer, konfluierender destruktiver Entmarkungsherde im zentralen (und auch peripheren) Nervensystem. Die akute disseminierte Encephalomyelitis (ADEM) bzw. die akute transverse Myelitis treten para- bzw. postinfektiös (Tage bis Wochen nach einem Infekt) auf. Sonderformen sind die myelinoklastische diffuse Sklerose (Encephalitis periaxialis diffusa Schilder), die konzentrische Sklerose (Balo) und die Neuromyelitis optica (Devic). Die Lebenserwartung der an MS erkrankten Patienten ist gegenüber der Allgemeinbevölkerung nur marginal erniedrigt. Todesfälle, die in Zusammenhang mit MS stehen, sind dann durch (heutzutage mittlerweile deutlich seltenere) schwere Sekundärkomplikationen (beispielsweise Pneumonie, Pulmonalembolie, Urosepsis) und durch Suizide bedingt. Diagnose und Differentialdiagnose Die Diagnose der MS ist eine primär klinische, dementsprechend ist die Trias Anamnese, subjektives Beschwerdebild und objektiver klinisch-neurologischer Befund noch immer von entscheidender diagnostischer Bedeutung (Berger und Deisenhammer 1996, Noseworthy et al. 2000). Zusätzlich zur Anamnese und dem klinisch-neurologischen Untersuchungsbefund stützt sich die Diagnose auf paraklinische Untersuchungen (Magnetresonanztomographie, MRT; Liquordiagnostik; evozierte Potentiale, EVP). Die MRT
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des Gehirns und Rückenmarks ist die sensitivste Methode zur Erfassung von MS-Plaques, 98% der Patienten haben entweder hyperintense T2-gewichtete oder hypointense bzw. kontrastmittelanreichernde T1-gewichtete Läsionen, die typischerweise periventrikulär in der weißen Substanz des ZNS lokalisiert sind. Der typische Liquorbefund zeigt eine normale bis gering erhöhte Zellzahl mit einigen aktivierten Lymphozyten und Makrophagen, einen erhöhten IgG-Index (Wert des relativen Anteils an intrathekal produziertem IgG), sowie bei 97% von MS-Patienten so genannte oligoklonale Banden in der isoelektrischen Fokussierung. Visuell, akustisch, somatosensorisch oder motorisch EVP sind bis auf die visuell EVP weniger in der Primärdiagnostik als vielmehr in der Funktionsdiagnostik bei MS bedeutsam. Bis vor kurzem waren die Diagnosekriterien nach Poser entscheidend, seit kurzem werden zunehmend jene nach McDonalds (McDonalds et al. 2001) verwendet. Diese neuen Diagnosekriterien sind gegenüber früher um die MRT ergänzt und lassen nunmehr nur noch drei diagnostische Möglichkeiten zu: sichere, mögliche oder keine MS. Die Differentialdiagnose umfasst ein großes Spektrum an monotopen und polytopen Läsionen des ZNS und an metabolischen beziehungsweise genetisch bedingten neurologischen Erkrankungen (siehe Noseworthy et al. 2000). Differentialdiagnostische Schwierigkeiten ergeben sich aus dem Verlauf dieser Erkrankungen, die zum Teil einen schubhaft-remittierenden oder fluktuierenden Verlauf haben und so eine Erkrankungen aus dem Formenkreis der MS imitieren. Behandlung Grundsätzlich unterscheidet man die Therapie des akuten Krankheitsschubes, die immunmodulierenden und immunsuppressiven prophylaktischen Intervalltherapien bei schubhaft-remittierender und sekundär chronisch-progredienter MS, sowie symptomatische Therapien. Zur detaillierten Übersicht der nachfolgend beschriebenen Therapien wird auf die Empfehlungen der deutschsprachigen MS Therapie Konsensus Gruppe (MSTKG) verwiesen (Rieckmann et al. 1999, Rieckmann et al. 2002). Therapie des akuten Krankheitsschubes Jeder eindeutige Erkrankungsschub sollte mit hochdosierten Glukokortikoiden behandelt werden. Nach Ausschluss eines Infektes und unter adäquatem Magenschutz werden in der Regel 500 bis 1000 mg Methylprednisolon über 3 bis 5 Tage intravenös verabreicht, gegebenenfalls gefolgt von einer kurzen Ausschleichphase mit oralem Methylprednisolon. Auf Grund mangelnder Langzeiteffekte sind Glukokortikoide als Dauertherapie nicht indiziert.
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Immunmodulierende Therapien Rekombinantes Interferon-beta (IFNβ) wirkt antiviral, antiproliferativ und immunmodulierend. Gegenwärtig nimmt man an, dass die immunmodulierende Wirkung bei MS in erster Linie über die Hemmung proinflammatorischer Zytokine und deren dadurch geminderte Wirkung auf Immunzellen und die Bluthirnschranke ausgeübt wird. Glatiramerazetat (GA) ist ein synthetisches Polypeptid aus 4 Aminosäuren (Glutaminsäure, Lysin, Alanin und Tyrosin) und übt seine immunmodulierende Wirkung via Aktivierung von T-Suppressorzellen aus. Der therapeutische Effekt (Verringerung der Schubrate, Verzögerung der Krankheitsprogression, sowie Reduktion von MRT-Läsionen) von IFNβ und GA wurde mehrfach in großen randomisierten, doppelblinden und Plazebo-kontrollierten Studien nachgewiesen. Daher sind Avonex® (IFNβ-1a) 30 µg 1 x wöchentlich i.m., Betaferon® (IFNβ-1b) 250 µg jeden 2. Tag s.c., Copaxone® (GA) 20 mg täglich s.c. und Rebif® (IFNβ-1a) 22 µg bzw. 44 µg 3 x wöchentlich s.c. für die Therapie der schubhaften MS zugelassen. Zusätzlich zur Indikation schubhafte MS ist Avonex® für die Behandlung bereits nach dem ersten Krankheitsschub („early treatment“) und Betaferon® für die sekundär chronisch-progrediente MS (mit superponierten Schüben) approbiert. Die modulierende Wirkung von intravenösen Immunglobulinen (IVIg) auf zelluläre und vor allem humorale Immuneffektormechanismen wird bei einigen neurologischen Erkrankungen, insbesondere bei Antikörper-mediierten (z.B. Guillain-Barre-Syndrom, multifokale motorische Neuropathie, Dermato- und Polymyositis, sowie Myasthenia gravis) seit Jahren erfolgreich genutzt. Bei schubhafter und progredienter MS ist der Einsatz von IVIg aber derzeit nur bei ausgewählten Indikationen sinnvoll, insbesondere weil es bezüglich der Dosierung noch keinen internationalen Konsens gibt. Immunsuppressive bzw. eskalierende Therapien bei Multipler Sklerose Immunsuppressive bzw. eskalierende Therapien sind bei folgenden Verlaufsformen der schubhaften oder sekundär chronisch-progredienten MS gegenwärtig indiziert: sehr hohe Schubfrequenz, prolongierte Schübe mit deutlich funktioneller Beeinträchtigung, sowie rasche (schubhafte) Krankheitsprogression. Zum Einsatz kommen Mitoxantron i.v., alternativ auch Cyclophosphamid i.v. oder eine Plasmapherese. Diese Therapien sollten in Indikation und Durchführung erfahrenen MS-Zentren vorbehalten sein. Andere Immunsuppressiva werden entweder nur noch sporadisch eingesetzt (Azathioprin, Cyclosporin, Methotrexat) oder derzeit in klinischen Studien geprüft.
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Monoklonale Antikörper Monoklonale, humanisierte Antikörper sind derzeit Gegenstand intensiver Untersuchungen als Therapie bei MS. Sie könnten zukünftig das Behandlungsspektrum bei MS als Immunmodulatoren (z.B. Natalizumab, Tysabri®, oder Daclizumab) oder Immunsuppressiva (z.B. Rituximab, Mabthera®) erheblich erweitern.
Multiple Sklerose und Schwangerschaft Nachdem sich MS mehrheitlich bei Frauen zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr manifestiert, sind Kinderwunsch und Schwangerschaft ein zentrales Gesprächthema zwischen MS-Patientinnen und ihren behandelnden Ärztinnen und Ärzten. Die betroffenen Frauen beschäftigen Themen wie Fertilität, Auswirkungen der MS auf eine Schwangerschaft, Folgen einer Schwangerschaft auf die MS oder mögliche Komplikationen bei der Geburt. Historische Aussagen, wie „Ein Schwangerschaftsabbruch bei MS wird empfohlen“ (Beck 1913) oder „I know multiple sclerosis to begin during pregnancy, remain stationary until the next preganancy and then become more progressive“ (Gowers 1901), ungenügende Beratungen auf Grund mangelnder Informationen und daraus resultierenden Ängste über eine mögliche Verschlechterung des Krankheitsbildes haben bis vor nicht allzu langer Zeit viele MS-Patientinnen trotz Kinderwunsch von einer Schwangerschaft abgehalten oder gar zu einem Schwangerschaftsabbruch bewogen. Die nachfolgenden Kapitel handeln davon, dass aus neurologischer Sicht keine MS-Patientin von ihrem Wunsch nach einem oder mehreren Kindern abzuhalten ist, sondern vielmehr dahingehend aufgeklärt werden muss, dass weder MS einen negativen Einfluss auf eine Schwangerschaft, noch die Schwangerschaft auf MS hat. Bis auf das Risiko eines postpartalen Krankheitsschubes hat die Schwangerschaft sogar einen eher günstigen Einfluss auf den zukünftigen MS-Krankheitsverlauf. Schwangerschaft aus neuroimmunologischer Sicht Zellmediierte Autoimmunerkrankungen, wie MS oder Rheumatoide Arthritis, neigen zur Besserung während einer Schwangerschaft. Autoimmunerkrankungen, die hingegen durch überwiegend humorale Immunfaktoren bedingt sein dürften, wie Myasthenie oder Systemischer Lupus Erythematodes, tendieren jedoch zur Verschlechterung während der Schwangerschaft. Schwangerschaft kann als „physiologische Immunsuppression“ angesehen
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werden und hat somit potente Effekte auf die MS-Krankheitsaktivität (Abramsky 1994). Dieser positive Einfluss der Schwangerschaft auf MS wird durch maternale, fetale und plazentare Faktoren vermittelt. Das Immunsystem wechselt in der Schwangerschaft von einem überwiegend zellulären zu einem überwiegend humoralen Immunstatus (Wegman 1993), wodurch sichergestellt wird, dass der Fetus nicht als „Transplantat“ erkannt und abgestoßen wird (Raghupathy 1997). MS gilt als eine primär Th1-Zell-mediierte Erkrankung (Sospedra und Martin 2005). Schwangerschaft bedingt einen zunehmenden Übergang von Th1- auf Th2-Zellen (Piccinni et al. 2000), dadurch werden vermehrt die anti-inflammatorischen Zytokine Interleukin (IL)-4, IL-10 und Transforming-Growth-Faktor-β (TGF-β) produziert (Gilmore et al. 2004). Diese entzündungshemmenden Zytokine bewirken die Antagonisierung pro-inflammatorischer Zytokine (IL-2, IFN-γ und Tumor Nekrose Faktorα), die in der Propagierung der Entzündung bei MS involviert sind. Zusätzlich könnte das ausschließlich von Synzytiotrophoblasten gebildete IFNτ von immunmodulierender Bedeutung während der Schwangerschaft sein (Khan et al. 1998). Schließlich führt die vermehrte Aktivierung von Th2-Zellen zu einer verstärkten Produktion humoraler Immunfaktoren, vor allem von Antikörpern. Schließlich nimmt man auf Grund der hormonellen Veränderungen während einer Schwangerschaft an, dass auch bestimmte Hormone in dieser Zeit eine entscheidende Auswirkung auf die MS haben. Östrogene, Progesteron, Testosteron, Prolaktin und Glukokortikoide sind im maternalen Serum nachweisbar und scheinen die MS-Krankheitsaktivität günstig zu beeinflussen (Riskind et al. 1991, Voskuhl 2003). Östrogene fördern beispielsweise die Produktion des anti-inflammatorischen Th2-Zytokins IL-10 (Kim et al. 1999) und werden daher bereits auf ihr therapeutisches Potenzial bei MS untersucht (Sicotte et al. 2002). Einfluss von Multiple Sklerose auf die Schwangerschaft Auf Grund der nachfolgend beschriebenen Studien und Erfahrungen erscheint es sicher, dass MS keinerlei negativen Einfluss auf eine Schwangerschaft hat. Daher ist die Schwangerschaft einer MS-Patientin auch a priori keine Risikoschwangerschaft. Die Fertilität wird durch MS nicht beeinflusst. Obwohl es prima vista den Anschein hat, dass Frauen mit MS durchschnittlich weniger Kinder als gesunde Frauen haben, so ist dieser Umstand wohl darauf zurückzuführen, dass MS-Patientinnen aus Sorge über ihren zukünftigen Krankheitsverlauf oder jene mit verstärkter Krankheitsaktivität (hohe Schubfrequenz oder bereits fortgeschrittener Behinderungsgrad) eher auf eine Schwangerschaft verzichten. Eine in-vitro-Fertilisation scheint bei MS grundsätzlich möglich. Einschränkend muss aber angemerkt werden, dass es hierfür keine Studiendaten gibt,
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sondern nur einzelne Berichte zu unproblematischer in-vitro-Fertilisation bei MS-Patientinnen im Rahmen anderer Studien (beispielsweise Orvieto et al. 1999). MS hat ebenso keine Auswirkungen auf die Konzeption und birgt kein Risiko für das Ungeborene und die Geburt. MS-Patientinnen haben gegenüber gesunden Frauen kein höheres Risiko für ektope Schwangerschaften, Spontanaborte, Frühgeburten oder Schwangerschaftskomplikationen (beispielsweise Eklampsie) (Sweeney 1955, Poser et al. 1979, Birk et al. 1990, Sadovnick et al. 1994, Mueller et al. 2002). Neugeborene von MS-Patientinnen haben normale Geburtsgewichte (Worthington et al. 1994, Mueller et al. 2002) und kein erhöhtes Risiko für kongenitale Fehlbildungen (Poser et al. 1979, Birk et al. 1990, Sadovnick et al. 1994, Mueller 2002). Einfluss der Schwangerschaft auf Multiple Sklerose Der ursprünglich irrigen Ansicht, dass eine Schwangerschaft einen negativen Einfluss auf den Verlauf einer MS haben würde, wurde erstmals 1948 von Douglass widersprochen: „… MS has no detrimental effect on pregnancy or offspring and is not an indication for pregnancy termination.“ Bereits die nächste Publikation wies darauf hin, dass es bei 52 MS-Patientinnen mit 70 Schwangerschaften zwar eine Zunahme der Schubaktivität im Puerperium gab, es jedoch zu keiner Beschleunigung der Krankheitsaktivität durch die Schwangerschaften kam (Tillman 1950). In weiterer Folge konfirmierten zahlreiche retrospektive (Sweeney 1955, Millar et al. 1959, Schapira et al. 1966, Korn-Lubetzki et al. 1984, Nelson et al. 1988, Frith und McLeod 1988) und prospektive Studien (Roullet et al. 1994, Worthington et al. 1994, Verdu et al. 1994, Confavreux et al. 1998, Vukusic et al. 2004), dass es während der Schwangerschaft zu einer deutlichen Abnahme der Schubaktivität kommt. Die während der Schwangerschaft reduzierte MS-Krankheitsaktivität wird auch durch (wenn auch spärliche) MRT-Ergebnisse objektiviert. Eine Studie mit seriellen MRT-Untersuchungen zeigte, dass es während des letzten Trimenons zu einer dramatischen Abnahme von aktiven und neuen MRT-Läsionen kam (Van Walderveen et al. 1994). Die europäische, multizentrische PRIMS (Pregnancy In Multiple Sclerosis) Studie (Confavreux et al. 1998) untersuchte die Auswirkungen von 269 Schwangerschaften auf den Krankheitsverlauf von 254 MS-Patientinnen. Die Studie belegte, dass es zu einer deutlichen Abnahme der durchschnittlichen jährlichen Schubaktivität von 0,7 Schüben vor Eintritt einer Schwangerschaft auf 0,2 Schübe im letzten Trimenon kam. Dies entspricht einer Schubreduktion von mehr als 70% während einer Schwangerschaft. Die zeitlich extendierte Folgeuntersuchung (Confavreux et al. 2000) bewies außerdem eindrücklich, dass der weitere MS-Krankheitsverlauf (im Sinne von Krankheitsschüben und -progression) weder durch die Schwangerschaft, noch durch
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die Zahl der Schwangerschaften, den Geburtsmodus oder eine Epiduralanästhesie negativ beeinflusst wurde: die jährliche Schubrate entsprach jener vor Eintritt der Schwangerschaft. Andere Studien zeigten weitere günstige Auswirkungen einer Schwangerschaft: im Gegensatz zu kinderlosen Frauen haben Mütter ein geringeres Risiko an MS zu erkranken (Runmarker und Andersen 1995); MS-Patientinnen mit früheren Schwangerschaften haben ein geringeres Risiko zur sekundär chronisch-progredienten Verlaufsform (Runmarker und Andersen 1995); schließlich scheinen sich Schwangerschaften günstig auf Krankheitsprogression (durch deren Verzögerung) und Behinderung (Verzögerung des Eintritts einer potenziellen Behinderung) auszuwirken (Thompson et al. 1986, Poser und Poser 1987, Roullet et al. 1993, Stenager et al. 1994, Verdru et al. 1994, Runmarker und Andersen 1995, Confavreux et al. 2000). Dem günstigen Einfluss einer Schwangerschaft auf MS steht jedoch das erhöhte Risiko eines Krankheitsschubes in den ersten sechs Monaten post partum gegenüber, welches durch etliche retrospektive (Millar et al. 1959, Korn-Lubetzki et al. 1984, Nelson et al. 1988) und prospektive (Roulett et al. 1993, Confavreux et al. 1998) Studien belegt wurde. In dieser Zeit erhöht sich die durchschnittliche Schubrate um 70%, wobei die Schübe vor allem innerhalb der ersten 3 Monate post partum auftreten (Birk et al. 1990). Das individuelle Risiko eines postpartalen Schubes liegt bei 30–40% (Confavreux et al. 1998). Es scheint, als ob der einzige potenzielle prädiktive Faktor für einen postpartalen Schub eine höhere Schubfrequenz vor und während der Schwangerschaft wäre (Vukusic et al. 2004). Der Geburtsmodus hat auf das Risiko eines postpartalen Schubes keinen Einfluss, ebensowenig eine Epiduralanästhesie (Nelson et al. 1988, Confavreux et al. 1998, Vukusic et al. 2004). Hingegen könnte eine Spinalanästhesie mit einem erhöhten postpartalen Schubrisiko assoziiert sein (Stenuit und Marchand 1968, Bamford et al. 1978, Bader et al. 1988), wobei aber unklar ist, ob die mit Spinalanästhesie assoziierten postpartalen Schübe nicht tatsächlich dem generellen postpartalen Schubrisiko entsprechen. Hauptverantwortlich für das postpartale Schubrisiko dürften daher im Allgemeinen wieder hormonelle und immunologische Faktoren sein, vor allem der Rückwechsel von Th2- auf Th1-Zellen mit ihren entsprechenden immunologischen Konsequenzen. Trotz des verstärkten Auftretens von Krankheitsschüben in diesen ersten drei bis sechs Monaten post partum sinkt die durchschnittliche jährliche Schubrate danach wieder auf 0,7 und ist somit wieder gleich wie vor einer Schwangerschaft (Confavreux et al. 1998, Vukusic et al. 2004). Sollte bei einer MS Patientin ein postpartaler Schub auftreten, so hat dies im Allgemeinen keinen negativen Einfluss auf den weiteren Krankheitsverlauf oder Behinderungsgrad (Poser et al. 1979, Thompson et al. 1986, Weinshenker et al. 1989, Confavreux et al. 2001).
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Diagnose Multiple Sklerose während der Schwangerschaft Der Beginn einer MS ist während der Schwangerschaft selten, weniger als 10% aller MS-Patientinnen haben ihren Erstschub in dieser Zeit (Thompson et al. 1986, Runmarker und Andersen 1995). Sollten aber während einer Schwangerschaft erstmalig Symptome verdächtig für eine MS auftreten, so ist das übliche diagnostische Procedere einzuleiten. Lumbalpunktion und evozierte Potenziale sind bedenkenlos durchzuführen, für die MRT-Untersuchung (allerdings ohne Kontrastmittel) wurden keine negativen Kurzzeiteffekte für den Embryo beschrieben (Schwartz 1994). Kausale und symptomatische Therapien während der Schwangerschaft Kausale Therapien Generell sind alle immunmodulierenden und immunsuppressiven Therapien während der Schwangerschaft und der Stillperiode kontraindiziert. Eine entsprechende Empfehlung wurde von der National MS Society publiziert (NMSS 2002). Tabelle 2 listet die zugelassenen kausalen Therapien und deren FDA-Schwangerschaftskategorien auf. Obwohl letztlich nur für die meisten Immunsuppressiva teratogene Schäden nachgewiesen sind (Bermas und Hill 1995, Danesi und Del Tacca 2004), müssen auf Grund der derzeit geltenden Produktinformationen der Herstellerfirmen bereits bei einer geplanten Schwangerschaft alle Therapien, inklusive der Immunmodulatoren, abgesetzt werden. Bei einer geplanten Schwangerschaft müssen Patientinnen daher vorab informiert werden, dass das Pausieren der immunmodulierenden Therapie das Risiko eines Schubes birgt. Im Falle einer ungeplanten Schwangerschaft ist es unbedingt erforderlich, die bestehende immunmodulierende oder immunsuppressive Therapie unverzüglich abzusetzen. Für die immunmodulierenden Therapien (IFNβ-1a, -1b und GA) gibt es bislang keinen Hinweis auf Teratogenität. Ein Schwangerschaftsregister für IFNβ-1a 22 und 44 µg umfasst 1400 Frauen und bislang 37 Schwangerschaften, die während Plazebo-kontrollierter Studien beziehungsweise deren Extensionsphasen auftraten. Es wurden 45% gesunde Geburten, 7% Frühgeburten, 21% elektive Aborte und 27% Spontanaborte registriert (SandbergWollheim et al. 2002). Für GA existiert das größte Schwangerschaftsregister: aus kontrollierten und offenen Studien wurden nahezu 2400 Frauen und 40 Schwangerschaften in dieses Register aufgenommen, hinzu kommen noch 345 Schwangerschaftsberichte aus Postmarketing-Analysen (Coyle et al. 2003). Von den aus Studien analysierten 40 Schwangerschaften wurden 60% frühzeitig abgebrochen, bei 17% kam es zu einem Spontanabortus und 20% waren ge-
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Tabelle 2. Risiko von kausalen Therapien Präparat
Dosierung
FDAKategorie
30 µg wöchentl. i.m.
C
IFNβ-1a (Rebif®)
22/44 µg 3 x wöchentl. s.c.
C
IFNβ-1b (Betaferon®)
250 µg jeden 2. Tag s.c. C
Glatiramerazetat (Copaxone®)
20 mg täglich s.c.
B
Immunglobuline
Nicht etabliert
C
Mitoxantron (Novantron®)
6–12 mg/m2 alle 3 Monate iv. bis zu einer Kumulativdosis von 140 mg/m2
D
Immunmodulatoren IFNβ-1a (Avonex®)
Immunsuppressiva
Cyclophosphamid Nicht etabliert (Endoxan®)
D
Azathioprin (Imurek®)
2–3 x 50 mg täglich p.o. D
Methotrexat
7–12 mg p.o. einmal/Woche
X
B Keine Evidenz für ein humanes Risiko, C Risiko ist nicht ausgeschlossen, D Evidence für ein humanes Risiko, X Absolute Kontraindikation.
sunde Geburten. Bei einem Kind wurde eine Lippenspalte diagnostiziert, wobei aber die Mutter während der Schwangerschaft Carbamazepin eingenommen hatte. In der Postmarketing Analyse sind von den 345 Schwangerschaften Details zu 215 Schwangerschaften bekannt: 155 gesunde Geburten, 43 Spontanaborte, 9 elektive Aborte, eine ektope Schwangerschaft und 6 kindliche Fehlbildungen (Wachstumsretardierung, Fingeranomalie, Kardiomyopathie, Urethrostenose, Anencephalie, Nebennierenzysten). Basierend auf diesen Daten ist davon auszugehen, dass lediglich IFNβ mit einem gering erhöhten Risiko für Spontanaborte assoziiert ist, dass aber im Allgemeinen MS-Patientinnen mit früherer immunmodulierender Therapie gegenüber gesunden Frauen kein signifikant höheres Risiko hinsichtlich Schwangerschaftskomplikationen oder kindlichen Fehlbildungen aufweisen.
Multiple Sklerose
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Tabelle 3. Risiko von häufig verwendeten symptomatischen Therapien Präparat
Indikation
FDAKategorie
Amantadin
Fatigue
C
Amitriptylin
Depression, Schmerzen
C
Baclofen
Spastizität
C
Benzodiazepine
Spastizität
D
Carbamazepin
Schmerzen, parxoysmale Symptome, Anfälle
C
Fluoxetin
Depression, Fatigue
C
Gabapentin
Schmerzen, Fatigue, Spastizität
C
Modafinil
Fatigue
C
Oxybutynin
Inkontinenz
B
Steroide
Akuter Schub
C
Tizanidin
Spastizität
C
Tolterodin
Inkontinenz
C
B Keine Evidenz für ein humanes Risiko, C Risiko ist nicht ausgeschlossen, D Evidence für ein humanes Risiko, X Absolute Kontraindikation.
Symptomatische Therapien Neben den kausalen Therapien wird in Abhängigkeit der bestehenden Residualsymptome eine Vielzahl symptomatischer Therapien angewandt. Grundsätzlich sollten bei einer geplanten oder eingetretenen Schwangerschaft analog zu den kausalen Therapien vorgegangenen werden. Sämtliche symptomatische medikamentöse Therapie sollten auf Grund ihrer Risikoeinschätzung durch die FDA (siehe Tabelle 3) weitgehend pausiert und nichtmedikamentöse symptomatische Therapien, beispielsweise neurophysiotherapeutische Maßnahmen, verstärkt verordnet werden. Kortikosteroide und Schwangerschaft Hochdosiertes Methylprednisolon kann, wie vorher beschrieben, zur Therapie eines akuten Schubes verwendet werden, die Indikation sollte aber
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strenger gestellt werden: im Falle eines milden Schubes kann auch auf diese Therapie verzichtet werden. Teratogene Nebenwirkungen wurden bislang nur im Rattenmodell nachgewiesen (Fraser und Sajoo 1995). Wiederholte Gaben hochdosierter Glukokortikosteroide könnten aber kindliche Wachstumsverzögerungen verursachen (Bermas und Hill 1995, Crowley 1995). Methylprednisolon ist zur Schubtherapie während der Stillphase zulässig. In einer pharmakokinetischen Studie wurde gezeigt, dass 4–6 Stunden nach intravenöser Kortikosteroidtherapie nur 0,025% der verabreichten Dosis in der Muttermilch nachweisbar waren (Greenberger et al. 1993). Daher ist während der Stillperiode lediglich darauf zu achten, dass Stillen und die Verabreichung von Methylprednisolon eine zeitliche Trennung aufweisen. Im seltenen Falle eines schweren Schubereignisses während einer Schwangerschaft kann alternativ zu hochdosiertem Methylprednisolon auch eine Therapie mit IVIg (siehe unten) oder eine Plasmapherese (Khatri et al. 1990, Shah et al. 2000, Airas et al. 2005) durchgeführt werden. Postpartale Therapie der Multiplen Sklerose Während der Stillzeit sind immunmodulierende und immunsuppressive Therapien weiterhin kontraindiziert. Sollte die Patientin ihr Kind nicht stillen oder der Zeitpunkt der Beendigung der Stillperiode gekommen sein, dann ist der unmittelbare Wiederbeginn der ursprünglichen Therapie beziehungsweise der Neubeginn einer immunmodulierenden Therapie sehr zu empfehlen um das Risiko eines postpartalen Schubes zu minimieren. Nachdem 30–40% der MS-Patientinnen einen postpartalen Krankheitsschub erleiden, wird seit längerem eine postpartale Schubprophylaxe mit IVIg diskutiert. Der Vorteil der IVIg besteht darin, dass diese unbedenklich in der Stillperiode verabreicht werden können (Thornton und Ballow 1993). In zwei ersten Studien wurden 9 und 14 Patientinnen mit IVIg in einer Dosierung von 0,4 g/kg KG über 5 Tage post partum behandelt, gefolgt von einmaligen IVIg-Gaben nach 6 und 12 Wochen. Unter diesem Therapieregime kam es zu keinen postpartalen Schüben (Achiron et al. 1996, Orvieto et al. 1999). Aus derselben Forschungsgruppe wurde rezent eine größere Studie publiziert (Achiron et al. 2004), in der 108 Patientinnen in drei Therapiegruppen randomisiert wurden. Die Gruppe von Patientinnen, die seit Beginn ihrer Schwangerschaft IVIg erhielten, zeigte eine 50%ige Reduktion der postpartalen Schübe. Eine andere Pilotstudie zeigte, dass durch die Gabe von IVIg (60 g bzw. 10 g innerhalb der ersten 24 Stunden post partum, gefolgt von 10 g monatlich über 6 Monate) die postpartale Schubfrequenz um 33% reduziert werden konnte (Haas et al. 2000). Diese Ergebnisse gaben Anlass zur europäischen multizentrischen GAMPP (Gammaglobulins Post Partum)Studie, bei der 163 Patientinnen eingeschlossen und in zwei Behandlungs-
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gruppen randomisiert wurden. Gruppe 1 erhielt 150 mg/kg IVIg innerhalb 24 Stunden post partum, gefolgt von 150 mg/kg IVIg monatlich für 5 Monate. Gruppe 2 wurde folgendermaßen behandelt: 450 mg IVIg innerhalb 24 Stunden post partum, dann 300 mg/kg am Tag 2 und 150 mg/kg am Tag 3, gefolgt von 150 mg/kg IVIg monatlich für 5 Monate. Nach Abschluss der Studie deuten präliminäre Ergebnisse auf einen superioren Effekt der höheren IVIgDosierung hinsichtlich der Reduktion postpartaler Schübe hin (Haas et al. 2004). Für definitive Schlussfolgerungen müssen aber die finalen Studienergebnisse und deren Publikation abgewartet werden. Aufklärung und Beratung In Anbetracht der Tatsache, dass die Mehrheit aller Schwangerschaften nicht geplant ist, ist die Aufklärung und Beratung von MS-Patientinnen bereits zum Zeitpunkt der Diagnosestellung essentiell. MS-Patientinnen sind bei ihren Überlegungen zur Familienplanung hauptsächlich über zwei Unsicherheiten besorgt: die mangelnde individuelle Prädiktion ihres Krankheitsverlaufs und ob eine Schwangerschaft einen negativen Einfluss auf ihren Krankheitsverlauf haben könnte (Smeltzer 2002). Hier muss die/der Neurologin/Neurologe zentral beratend wirken, in erster Linie durch umfassende Informationen über den grundsätzlich eher günstigen Einfluss einer Schwangerschaft auf den Verlauf einer MS. Individuelle Faktoren, wie das Alter der Patientin, ein bereits bestehender höherer Behinderungsgrad oder der bisherige Verlauf der MS müssen aber zusätzlich bei der Entscheidung zu einer Schwangerschaft berücksichtigt und angesprochen werden. Beispielsweise sollte eine Patientin mit einer bereits bestehenden Querschnittssymptomatik über eine mögliche erschwerte Schwangerschaft oder Geburt hingewiesen werden (Young 1994). Schließlich muss bereits zum Zeitpunkt des Aufklärungsgesprächs anlässlich der Diagnose die Frage nach einem genetischen MS-Risiko angesprochen werden. MS ist grundsätzlich keine Erbkrankheit, aber es gibt wenige Familien, in den MS häufiger vorkommt. Das Erkrankungsrisiko bei Kindern eines an MS erkrankten Elternteils beträgt etwa 3% (gegenüber dem allgemeinen Risiko von 0,3% innerhalb einer Population) (Sadovnick und Baird 1985, Robertson et al. 1996).
Zusammenfassung Schwangerschaft hat einen offenbar günstigen Einfluss auf den Krankheitsverlauf der MS. Andererseits hat MS keinen negativen Einfluss auf den Ver-
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lauf einer Schwangerschaft. Obwohl ein erhöhtes postpartales Schubrisiko besteht, hat dies keinen negativen Einfluss auf den weiteren Krankheitsverlauf. Zur Prävention postpartaler Schübe werden zukünftig vermutlich vermehrt intravenöse Immunglobuline therapeutisch eingesetzt werden. Letztendlich sind aber der Wunsch nach einem Kind und die Entscheidung für eine Schwangerschaft höchst persönliche Überlegungen von MS-Patientinnen. Die Aufgabe der/des Neurologin/Neurologen ist es, Frauen mit MS mit umfassenden Informationen in ihrer individuellen Lebensplanung und Entscheidungsfindung zu unterstützen.
Tabelle 4. Auf einen Blick … • Schwangerschaft hat einen günstigen Einfluss auf den Krankheitsverlauf der MS. • MS hat keinen negativen Einfluss auf den Verlauf einer Schwangerschaft und auf die Geburt. • Es besteht zwar ein erhöhtes postpartales Schubrisiko, ein postpartaler Schub hat aber keinen negativen Einfluss auf den weiteren MSKrankheitsverlauf. • Immunmodulierende und immunsuppressive Therapien sind in der Schwangerschaft und Stillzeit kontraindiziert und müssen bereits bei geplanter Schwangerschaft abgesetzt werden. • Symptomatische Therapien müssen bei geplanter und eingetretener Schwangerschaft auf teratogene Risiken überprüft werden. • Nach dem Ende der Stillperiode ist der unmittelbare Wiederbeginn der ursprünglichen immunmodulierenden oder immunsuppressiven Therapie beziehungsweise der Neubeginn einer immunmodulierenden Therapie zu empfehlen. • Die Aufklärung und Beratung hinsichtlich einer zukünftigen Schwangerschaft sollte bereits zum Zeitpunkt der Diagnose einer MS im Rahmen des Diagnosegesprächs erfolgen.
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Immun-mediierte neuromuskuläre Erkrankungen – Neuropathie, Myopathie, Myasthenie
Julia Wanschitz
Einleitung Im reproduktionsfähigen Alter treten Autoimmunerkrankungen bei Frauen gehäuft auf. Die Schwangerschaft und damit verbundene hormonelle Veränderungen haben unterschiedliche Auswirkungen auf immun-mediierte Erkrankungen. Durch eine Modulation der Balance pro- und antiinflammatorischer Faktoren werden Zell-mediierte Immunmechanismen gehemmt, während humoral vermittelte Mechanismen und die Produktion von Immunglobulinen stimuliert werden (Elenkov et al. 2001, Formby 1995). Dadurch erklärt sich die klinische Beobachtung, dass vorwiegend Zell-mediierte Krankheiten wie z.B. Multiple Sklerose oder Rheumatoide Arthritis während der Schwangerschaft einen benigneren Verlauf zeigen (Confavreux et al. 1998, Kanik und Wilder 2000), wohingegen humoral vermittelte Erkrankungen wie z.B. Systemischer Lupus Erythematodes unter einer Schwangerschaft oft exazerbieren (Mok und Wong 2001).
Guillain-Barré-Syndrom Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist eine erworbene, immun-mediierte Polyradikuloneuropathie (Hartung et al. 2002, Hughes und Cornblath 2005). Die Symptome treten häufig im Anschluss an banale Infekte der oberen Atemwege oder des Gastrointestinaltraktes auf und umfassen aufsteigende Paresen, Sensibilitätsstörungen und Areflexie. Der Verlauf des akuten GBS ist monophasisch und selbstlimitiert. Der Höhepunkt der Erkrankung wird definitionsgemäß nach maximal 4 Wochen erreicht (Asbury und Cornblath 1990).
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Die Pathogenese der Erkrankung wird durch humorale und zelluläre Immunmechanismen vermittelt, welche zu einer primären Schädigung der Myelinscheiden peripherer Nerven führen (Hartung et al. 2002, Hughes et al. 1999). Das Ausmaß einer sekundären axonalen Schädigung bestimmt den Langzeitverlauf und die Prognose des GBS. Der Schweregrad der Erkrankung und das Auftreten persistierender Paresen werden durch immunmodulatorische Therapien positiv beinflusst (Hughes et al. 2006). Während die Inzidenz des GBS während der Schwangerschaft erniedrigt zu sein scheint, ist sie postpartal erhöht (Cheng et al. 1998). Primär axonale Varianten des GBS sind mit persistierenden Paresen und einer hohen Mortalität behaftet (Feasby et al. 1986), ihre Inzidenz ist jedoch in der Schwangerschaft nicht erhöht. Die Diagnostik des GBS erfolgt wie außerhalb der Schwangerschaft mittels elektrophysiologischer Untersuchungen und Lumbalpunktion. Die Therapie des GBS in der Schwangerschaft unterscheidet sich nicht von der allgemein üblichen außerhalb der Schwangerschaft: entweder die möglichst frühe Plasmapherese, die erfolgreich in allen drei Trimenonen bei Schwangeren mit akutem GBS durchgeführt wurde (Hurley et al. 1991), oder die Gabe von intravenösen Immunglobulinen (Yamada et al. 2001). Kortikosteroide sind anhand rezenter Studienergebnisse während der akuten Krankheitsphase nicht indiziert (Hughes et al. 2006). In schweren Fällen mit beatmungspflichtiger Ateminssuffizienz oder autonomer Dysfunktion kann eine vorzeitige Schwangerschaftsbeendigung durch Sectio notwendig sein (Brooks et al. 2000).
Chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie Die chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) wird als eigene Krankheitsentität angesehen. Die Abgrenzung vom akuten GBS wird durch eine Progression der Symptome über zumindest acht Wochen nach Krankheitsbeginn definiert. Die Diagnose basiert auf einer distinkten Verteilung symmetrischer proximaler und distaler Paresen und Sensibilitätsstörungen, demyelinisierenden Veränderungen in der Elektrophysiologie und/oder Nervenbiopsie und einer Eiweißerhöhung im Liquor (Ad Hoc Subcommittee of the American Academy of Neurology AIDS Task Force 1991). Der Verlauf ist chronisch progredient oder schubhaft remittierend. In der Schwangerschaft, insbesondere im dritten Trimenon und unmittelbar postpartal, besteht ein höheres Risiko ein Rezidiv zu erleiden (McCombe et al. 1987). An immunmodulatorischen Therapien ist die Wirksamkeit von Kortikosteroiden, Plasmapherese und intravenösen Immunglobulinen belegt (Dyck et
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al. 1982, Hahn et al. 1996, Hahn et al. 1996), diese können auch in der Schwangerschaft angewandt werden.
Multifokal motorische Neuropathie mit Leitungsblock Eine Sonderform einer erworbenen immun-mediierten Neuropathie ist die multifokal-motorische Neuropathie (MMN) mit Leitungsblöcken. Das Alter zu Beginn der Erkrankung liegt zwischen 20 und 75 Jahren. Frauen sind insgesamt seltener betroffen als Männer, daher kommt die MMN nur sehr selten in der Schwangerschaft vor. Motorische Ausfälle umfassen asymmetrische, vorwiegend distale Paresen, welche bevorzugt die oberen Extremitäten betreffen. Muskelatrophien sind in unterschiedlichem Ausmaß vorhanden, bei ausgeprägten Leitungsblöcken können jedoch schwere Paresen mit einer normalen Trophik der Muskulatur kontrastieren. Faszikulationen (Muskelzuckungen) sind nicht selten und können insbesondere im Falle einer Hirnnervenbeteiligung die Abgrenzung von einer Vorderhornzellerkrankung erschweren. Klinisch relevante Sensibilitätsstörungen sind nicht vorhanden (Pestronk 1998). Therapeutisch profitieren Patienten mit MMN von wiederholten Gaben intravenöser Immunglobuline (Leger et al. 2001), wohingegen Kortikosteroide zu einer Verschlechterung führen (Donaghy et al. 1994). Die Therapie mit Cyclophosphamid ist zwar in 70% der Patienten mit MMN effektiv, aber im ersten Trimenon kontraindiziert und im weiteren Verlauf der Schwangerschaft nur in seltensten Ausnahmefällen notwendig (Feldman et al. 1991, Pestronk 1998). In einer rezenten Publikation wurde bei drei Patientinnen mit MMN eine Verschlechterung vorbestehender Paresen und Auftreten von Paresen und Leitungsblöcken in zuvor nicht betroffenen Muskeln während der Schwangerschaft berichtet, welche auf erhöhte Spiegel von Steroiden und hormonelle Einflüsse auf das Immunsystem während der Schwangerschaft zurückgeführt wurden. Alle drei Patientinnen wurden mit intravenösen Immunglobulinen ohne Zwischenfälle behandelt, die Symptome erreichten jedoch erst nach Beendigung der Schwangerschaft den Ausgangszustand (Chaudhry et al. 2002).
Myasthenia gravis Die Myasthenia gravis (MG) ist eine Antikörper-mediierte Autoimmunerkrankung, die durch eine Störung der neuromuskulären Transmission bedingt ist
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und sich klinisch als belastungsabhängige Muskelschwäche mit intermittierenden Symptomen wie Ptose, Doppelbildern, Schluckstörungen, generalisierten Paresen und Ateminsuffizienz in schweren Fällen manifestieren kann. Die Erkrankung ist bei Frauen doppelt so häufig wie bei Männern, mit einem Erkrankungsgipfel in der 2. und 3. Lebensdekade, und betrifft somit häufig Frauen im gebärfähigen Alter (Batocchi et al. 1999). In ca. 85% der Fälle mit generalisierter MG sind Antikörper gegen nikotinerge Azetylcholinrezeptoren der postsynaptischen Membran der motorischen Endplatte im Serum nachweisbar (Vincent und Newsom-Davis 1985). Diese Autoantikörper sind hochspezifisch für das Vorliegen einer Myasthenie, sie führen im Laufe der Erkrankung nicht nur zu einer funktionellen Blockade der Azetylcholinrezeptoren, sondern durch Komplementaktivierung auch zu einer Reduktion der Rezeptoren und morphologischen Veränderungen der postsynaptischen Membran (Drachman 1994). Bei einem Teil der so genannten „seronegativen“ Formen einer Myasthenia gravis wurden Antikörper gegen die muskelspezifische Rezeptor-Tyrosinkinase MuSK gefunden (Hoch et al. 2001). Diese MuSK-Antikörper verhindern im Tierexperiment das „Agrin-induzierte Clustering“ von Azetylcholinrezeptoren und führen dadurch zu einer neuromuskulären Übertragungsstörung (Liyanage et al. 2002). Eine abnorme Phosphorylierung und indirekte Inaktivierung der Azetylcholinrezeptoren durch Faktoren im Serum der Patienten dürfte gleichfalls eine Rolle bei einem Teil der seronegativen Formen der Myasthenie spielen (Plested et al. 2002). Anhand epidemiologischer Untersuchungen sind Einflüsse einer Schwangerschaft auf den Verlauf der MG hochgradig variabel (Plauche 1983). In einer Studie, die 64 Schwangerschaften bei 47 Patientinnen mit Myasthenia gravis verfolgte, wurde bei 19% eine Verschlechterung, bei 22% eine Verbesserung, bei 59% keine Beeinflussung der Symptomatik durch die Schwangerschaft beobachtet. Eine Vorhersage des Verlaufes ließ sich auch bei den nachfolgenden Schwangerschaften nicht treffen. Das erste Trimenon der Schwangerschaft und das erste Monat post partum stellten die kritischen Perioden für eine Exazerbation der Myasthenie dar (Batocchi et al. 1999). Die elektrophysiologische Untersuchung erfolgt mittels repetitiver niederfrequenter Nervenstimulation, wobei in 50–75% der Fälle ein so genanntes Dekrement nachweisbar ist (Oh et al. 1982). In 98% der Fälle lässt sich anhand eines pathologisch erhöhten Jitters in der Einzelfaserelektromyographie die Diagnose bestätigen (Sanders und Stalberg 1996). Als pharmakologischer bed-side-Test führt Edrophonium (Tensilon®) intravenös verabreicht zu einer passageren Besserung der Muskelschwäche (Daroff 1986). Zur symptomatischen Therapie kann Pyridostigmin, möglichst niedrig dosiert (bis 600 mg/d) eingesetzt werden. Bis dato wurden nach 50-jähriger Anwendung von Pyridostigmin nur in einem einzigen Fall mit Gabe extrem hoher Dosen während der Schwangerschaft mögliche teratogene Effekte be-
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richtet (Niesen und Shah 2000). Als immunsuppressive Therapie sind in der Schwangerschaft Kortikosteroide zu bevorzugen. Hier ist zu beachten, dass Steroide zu Beginn der Therapie die Symptomatik verschlechtern können (Miller et al. 1986), die Patientinnen müssen in der Einstellungsphase sorgfältig überwacht werden. In schwereren Fällen können hochdosierte intravenöse Immunglobuline (Ferrero und Durelli 2002, Wolfe et al. 2002) verabreicht werden. Immunsuppressiva wie Azathioprin oder Cyclophosphamid sind wegen möglicher teratogener Effekte zumindest im ersten Trimenon kontrandiziert, während Methotrexat mit einem Fortbestehen der Schwangerschaft grundsätzlich unvereinbar ist. Zur Behandlung der myasthenen Krise wurde die Plasmapherese erfolgreich eingesetzt (Balint et al. 2000, Levine und Keesey 1986) und hat in der Schwangerschaft keine erhöhte Komplikationsrate (Watson et al. 1990). In 10–15% der Patienten mit MG besteht eine Assoziaton mit Thymomen, in weiteren 70% der Patienten mit MG besteht eine Thymushyperplasie (Castleman 1966). Maligne Thymome in der Schwangerschaft sind selten, die Assoziation mit einer Schwangerschaft hat jedoch eine schlechte Prognose (Goldman 1974). Unabhängig von dem Nachweis einer Thymuspathologie im Thorax-CT wird vor dem 60. Lebensjahr eine Thymektomie empfohlen. In mehreren Studien wurde nach Thymektomie eine Erhöhung der Remissionsrate und eine signifikante klinische Verbesserung in bis zu 2/3 der Fälle beobachtet (Masaoka et al. 1996, Remes-Troche et al. 2002, Sanders und Scoppetta 1994, Tellez-Zenteno et al. 2003), wenngleich die Zeitspanne bis zum Auftreten einer Remission bis zu 5 Jahre dauern kann (Perlo et al. 1971). Anhand dieser Daten ist es sinnvoll vor einer geplanten Schwangerschaft eine Thymektomie durchzuführen, da dadurch die Inzidenz von Exazerbationen während der Schwangerschaft gesenkt werden kann (Eden und Gall 1983). Eine Reihe von Medikamenten kann eine Myasthenie verschlechtern. Darunter ist vor allem Magnesiumsulfat, welches zur Behandlung der Eklampsie und Prä-Eklampsie verwendet wird, zu nennen (Howard 1990). Ebenso sind Muskelrelaxantien bei Myasthenie kontraindiziert, bei operativen Eingriffen sollte wenn möglich eine Spinal- oder Epiduralanästhesie durchgeführt werden. Jodhältige Kontrastmittel können zu einer transienten Aggravierung der myasthenen Symptome führen (Chagnac et al. 1985). 10–20% der Neugeboren von Patientinnen mit MG entwickeln das Syndrom einer neonatalen Myasthenie, welches durch passiven Transfer von Antikörpern durch die Plazenta bedingt ist (Donaldson et al. 1981). Die Symptome einer transienten Muskelschwäche mit Trinkschwäche, Muskelhypotonie und respiratorischer Insuffizienz manifestieren sich innerhalb der ersten Tage nach der Geburt und können für Wochen persistieren (Papazian 1992). Die supportive Behandlung des Kindes kann durch Cholinesteraseinhibitoren ergänzt werden. Die Gabe von intravenösen Immunglobulinen hat sich als ineffektiv erwiesen (Tagher et al. 1999). In den meisten Fällen remittiert die Symptomatik spontan (Papazian 1992). In einigen Studien wurde
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eine Korrelation zwischen der Höhe des Antikörpertiters gegen Azetylcholinrezeptoren im Serum der Mutter und der Inzidenz einer neonatalen Myasthenie beobachtet (Gardnerova et al. 1997, Keesey et al. 1977, Morel et al. 1988, Ohta et al. 1981), die Angaben in der Literatur sind jedoch widersprüchlich (Batocchi et al. 1999, Lefvert und Osterman 1983). Die maternalen Antikörper blockieren die Funktion der fetalen Isoform des Azetylcholinrezeptors, daher stellt die Bestimmung der Ratio der Antikörperspiegel gegen die fetale und die adulte Form des Azetylcholinrezeptors den zuverlässigeren Prädiktor der Entwicklung einer neonatalen Myasthenie dar (Gardnerova et al. 1997). Antenatal kann eine intrauterine Hemmung kindlicher Bewegungen bedingt durch Antikörper gegen die fetale Form des Azetylcholinrezeptors (Polizzi et al. 2000) zu Entwicklungsstörungen einschließlich Arthrogryposis multiplex congenita, pulmonaler Hypoplasie und Polyhydramnion führen. Bei Hochrisikopatientinnen kann eine Reduktion der Antikörper durch Plasmapherese die Gefahr kongenitaler Anomalien vermindern (Carr et al. 1991). Während der Geburt kann durch eine Schwäche der abdominellen Muskulatur die Austreibungsphase verlängert werden, der kontraktile Apparat des Uterus wird durch die Erkrankung nicht beeinflusst. Die Indikation zur Sectio ist aus geburtshilflicher Sicht großzügig zu stellen (Genkins et al. 1987).
Dermatomyositis/Polymyositis Die Dermatomyositis und Polymyositis sind immun-mediierte inflammatorische Myopathien. Die Dermatomyositis unterscheidet sich von der Polymyositis durch die Hautbeteiligung (heliotropes Exanthem) und wird durch eine humoral bedingte Schädigung der muskelversorgenden Gefäße verursacht. Die Polymyositis ist hingegen durch eine T-Zell-mediierte Immunreaktion gegen Muskelzellen charakterisiert (Dalakas und Hohlfeld 2003). Beide Erkrankungen können isoliert oder in Assoziation mit Kollagenosen vorkommen. Klinisch bestehen proximal betonte Paresen, myopathische Veränderungen in der Elektromyographie und eine Erhöhung der Creatinkinase im Serum. In der Muskelbiopsie finden sich entzündliche Infiltrate und Muskelnekrosen. Das Auftreten einer Dermatomyositis oder Polymyositis in der Schwangerschaft ist selten, da ein bimodaler Erkrankungsgipfel das gebärfähige Alter weitgehend ausspart (Bohan et al. 1977). Die Schwangerschaft führt bei Patientinnen mit einer präexistenten inflammatorischen Myopathie selten zu einer Exazerbation, wenn dann eher gegen Ende der Schwangerschaft (Rosenzweig et al. 1989). Im Gegensatz dazu tritt eine de novo-Erkrankung bevorzugt im ersten und zweiten Trimenon (Rosenzweig et al. 1989, Satoh et al. 1994) oder post partum auf (Gutierrez et al. 1984). Spontane Aborte in bis zu 30%, eine Unreife des Kindes und eine vorzeitige Ge-
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burt sind häufige Komplikationen (Gutierrez et al. 1984, Rosenzweig et al. 1989, Satoh et al. 1994). Therapeutisch sind Steroide das Mittel der ersten Wahl, alternativ können intravenöse Immunglobuline verwendet werden (Dalakas 1999).
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Periphere Nervenläsionen
Wolfgang Löscher
Einleitung In der Schwangerschaft treten manche periphere Nervenläsionen häufiger auf als in einer nicht-schwangeren Kontrollpopulation, andererseits können periphere Nervenläsionen mögliche Komplikationen der Geburt darstellen. Die Prognose peripherer Nervenläsionen in der Schwangerschaft ist im Allgemeinen günstig, hängt jedoch vom Ausmaß der Schädigung ab. Nach der Einteilung von Seddon (Seddon 1972) werden grundsätzlich drei Schweregrade peripherer Nervenläsionen unterschieden: Die Neurapraxie, die Axonotmesis und die Neurotmesis. Die meisten Nervenläsionen in der Schwangerschaft fallen in die Gruppe der Neurapraxie, welche die mildeste Form einer Nervenläsion mit ausgezeichneter Prognose darstellt. Dabei bleiben die Axone intakt und es kommt auf Grund einer Schädigung der die Nervenfasern umgebenden Myelinscheide lediglich zu einer Überleitungsstörung der Nervenaktionspotenziale, wahrscheinlich bedingt durch metabolische Veränderungen in einem umschriebenen Bereich der Myelinscheide. Ein typisches Beispiel sind Sensibilitätsstörungen der ulnaren Finger bei längerer extremer Flexion des Ellbogens, die sich nach Ausstrecken des Armes rasch wieder zurückbilden. Wirkt ein Trauma jedoch länger auf einen peripheren Nerven ein, wie z.B. bei Nervenkompressionen, kann es zu einer manifesten Schädigung der Myelinscheide kommen und die Rückbildung der Beschwerden dauert auch nach Beseitigung der Kompression oft mehrere Monate. Bei einer Axonotmesis kommt es zu einer Läsion der Axone mit jedoch intakter endoneuraler Nervenscheide. Der Waller’schen Degeneration der Axone distal des Läsionsortes folgt die Regeneration der Axone vom Schädigungsort zum Zielmuskel entlang der erhaltenen Nervenscheide. Diese Regeneration erfolgt mit einer Geschwindigkeit von ca. 2–3 cm/Monat und dauert entsprechend dem Abstand von Schädigungsort und Zielmuskel oft viele Monate. Bei einer inkompletten Axonotmesis kann die Reinnervation
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jedoch auch über intramuskuläres kollaterales ,Sprouting‘ rascher erfolgen. Eine zumindest teilweise Erholung von der Schädigung ist immer zu erwarten, oft kommt es auch zur vollständigen Regeneration. Die schwerste Schädigung nach der Einteilung von Sneddon stellt die Neurotmesis dar. Sie entspricht einer Schädigung von Myelinscheide und Axon. Die Prognose einer Neurotmesis ist in der Regel ungünstig und eine operative Revision sollte rasch erfolgen. Das Grundprinzip der Therapie peripherer Nervenläsionen ist die Beseitigung der auslösenden Ursachen. Da schwangerschaftsbedingte Nervenläsionen meistens durch Kompressionen verursacht sind und die Dauer der Kompression in der Schwangerschaft selbstlimitierend ist, sind operative Eingriffe nur in Ausnahmefällen notwendig. Außerdem sind die meisten Nervenläsionen in der Schwangerschaft inkomplett und haben somit von vornherein eine günstige Prognose.
Idiopathische Fazialisparese Die idiopathische Fazialisparese betrifft Frauen im gebärfähigen Alter 2- bis 4-mal häufiger als gleichaltrige Männer, und ist in der Schwangerschaft zusätzlich 2- bis 3-mal häufiger als bei nicht schwangeren Frauen gleichen Alters (Cohen et al. 2000, Hilsinger et al. 1975). Die Inzidenz der idiopathischen Fazialisparese in der Schwangerschaft betrug in einer größeren Studie 45,1/100 000 Geburten (Hilsinger 1975). Meistens entwickelt sich die Parese im letzten Trimenon, aber auch postpartal ist das Risiko noch erhöht (Hilsinger 1975, Cohen 2000, Danielides 1996, Falco 1989). Selten entwickelt sich eine beidseitige Fazialisparese und auch recurrente Paresen wurden beschrieben (McGregor 1987, Deshpande 1990). Die Ursache der idiopathischen Fazialisparese ist die Schwellung des Nerven im Fazialiskanal und eine daraus resultierende Leitungsunterbrechung. Es wird vermutet, dass physiologische Veränderungen während der Schwangerschaft, wie z.B. Hyperkoagulabilität, Hypertonus, vermehrte extrazelluläre Flüssigkeit und Immunsuppression, zur Fazialisparese prädisponieren (Cohen et al. 2000). Andere schwangerschaftsassoziierte Komplikationen scheinen keinen Risikofaktor für die Entstehung einer idiopathischen Fazialisparese darzustellen (Hilsinger et al. 1975), obwohl in einer anderen Studie bei Patientinnen mit Fazialisparese häufiger auch eine Prä-Eklampsie vorhanden war (Falco und Eriksson 1989). Die Fazialsparese wird meist plötzlich bemerkt, indem das Auge nicht mehr geschlossen und die Stirn nicht mehr gerunzelt werden kann, sowie der Mundwinkel herabhängt. Gelegentlich berichten die Patientinnen ein taubes Gefühl im Bereich der Wange, eine Sensibilitätsstörung lässt sich aber nicht
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objektivieren. Hinzu kommen Störungen des Geschmackes, da die Geschmacksfasern für die vorderen 2/3 der Zunge mit dem N. fazialis im Fazialiskanal verlaufen. Die Diagnose ist klinisch einfach zu stellen, doch sollten relevante Infektionen ausgeschlossen werden. Insbesondere eine Herpesinfektion des äußeren Gehörganges kann mit einer peripheren Fazialisparese verbunden sein, das Ramsey-Hunt-Syndrom, und verlangt eine gezielte antivirale Therapie. Auch eine Fazialisparese im Rahmen einer Cytomegalievirus-Infektion während der Schwangerschaft wurde berichtet (Walters und Redman 1984). Als diagnostische Hilfe bietet sich die Magnetstimulation des N. fazialis an, mit der sich innerhalb der ersten 4–5 Tage nach Auftreten der Beschwerden eine idiopathische von einer symptomatischen Parese meistens abgrenzen lässt (Rosler et al. 1995). Die Prognose der kompletten Fazialisparese in der Schwangerschaft scheint, obwohl generell günstig, doch etwas schlechter zu sein als bei Nichtschwangeren. Während sich eine inkomplette Fazialisparese nahezu immer innerhalb von mehreren Monaten vollständig zurückbildet, wurde eine vollständige Remission bei kompletten Paresen in der Schwangerschaft in nur 52% berichtet, verglichen mit 77–88% in einer Vergleichspopulation (Gillman et al. 2002). Die Therapie der idiopathischen Fazialisparese in der Schwangerschaft ist umstritten. In der Therapie der idiopathischen Fazialisparese außerhalb der Schwangerschaft mehrt sich die Evidenz, dass Steroide effektiv sind. Zur Therapie der idiopathischen Fazialisparese in der Schwangerschaft liegen derzeit keine kontrollierten Untersuchungen vor und die Berichte aus unkontrollierten Anwendungen sind widersprüchlich (Falco und Eriksson 1989, Hilsinger et al. 1975). Im Vordergrund steht die Vermeidung von sekundären Schäden an Bindehaut und Cornea durch den verminderten oder fehlenden Lidschlag. Künstliche Tränenflüssigkeit sowie ein Uhrglasverband zumindest nachts sind bei kompletten Paresen absolut indiziert.
Karpaltunnelsyndrom Das Karpaltunnelsyndrom (KTS) ist die bei weitem häufigste periphere Nervenläsion während der Schwangerschaft. Die Angaben über die Inzidenz während der Schwangerschaft schwanken stark und liegen in den meisten Studien zwischen 25% (Voitk et al. 1983) und 62% (Padua et al. 2001). Interessanterweise berichteten in einer Umfrage an 1000 Frauen nur ca. 50% der Betroffenen ihre Symptome ihrem behandelnden Arzt (Voitk et al. 1983). Eine Ausnahme stellt eine Studie von 14 579 Schwangerschaften dar, die sehr strenge Einschlusskriterien verwendete und eine sehr niedrige KTS Inzidenz von nur 0,34% fand (Stolp-Smith et al. 1998). Ein KTS tritt während der Schwangerschaft gehäuft im dritten Trimenon auf und betrifft in bis zu 75% der Fälle beide Hände (McLennan et al. 1987,
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Stolp-Smith et al. 1998, Voitk et al. 1983, Wand 1990). Das klinische Bild ist anfänglich vor allem durch nächtliche Parästhesien und Schmerzen in der Hand, welche meist die radiale Seite betreffen, gekennzeichnet. Allerdings scheint das schwangerschaftsassoziierte KTS häufiger als das idiopathische KTS auch mit tagsüber persistierenden Schmerzen einherzugehen (Seror 1998). Im weiteren Verlauf kann es auch zu motorischen und sensiblen Ausfallserscheinungen kommen, mit Hypästhesien der Finger I–III und des radialen Fingers IV, sowie zur Parese und im Extremfall einer Atrophie der Mm. opponens und abductor pollicis brevis. Ursache des KTS ist generell eine relative Enge des Karpaltunnels und die daraus resultierende Irritation beziehungsweise Läsion des N. medianus. Die erhöhte Inzidenz des KTS während der Schwangerschaft wird meist mit der hormonell bedingt vermehrten Flüssigkeitseinlagerung im Gewebe und der dadurch entstehenden zusätzlichen Kompression des N. medianus erklärt. In einer neueren Studie zeigte sich dementsprechend auch eine Korrelation zwischen dem Ödem des Gewebes im Karpaltunnel und dem elektrophysiologischen Schweregrad des KTS (Padua et al. 2001). Prä-Eklampsie, Hypertonie und Ödeme stellen Risikofaktoren für die Entwicklung eines KTS während der Schwangerschaft dar, während maternales Alter und Gewichtszunahme offensichtlich keine Rolle spielen (Voitk et al. 1983). Allerdings ist die Datenlage hierzu teilweise widersprüchlich (Turgut et al. 2001, Wand 1990). Neben dem typischen klinischen Bild hilft die elektrophysiologische Untersuchung bei der Diagnosestellung und vor allem bei der Abschätzung des Schweregrades. Die wichtigsten Parameter der elektrophysiologischen Untersuchung sind die distale motorische Latenz des N. Medianus, die sensible Nervenleitgeschwindigkeit und die Amplitude des sensiblen und motorischen Reizantwortepotenzials. Gering verlängerte distale motorische Latenzen und eine verlangsamte sensible Nervenleitgeschwindigkeit bei unauffälligen motorischen und sensiblen Amplituden stellen leichtere Formen eines KTS dar. Die Reduktion der Amplitude oder gar das Fehlen des sensiblen Reizantwortepotentials sind Ausdruck einer zunehmenden Schädigung des N. medianus. In schwersten Fällen kann es auch zu einer Reduktion der Amplitude des motorischen Reizantwortepotenzials mit entsprechenden Veränderungen in der Nadelelektromyographie kommen. Das Ausmaß dieser Veränderungen ist eine wichtige Hilfe bei der Entscheidung über Therapiemaßnahmen. Prinzipiell ist die Prognose eines schwangerschaftsassoziierten KTS günstig, meistens bessern sich die Beschwerden nach der Geburt (Stolp-Smith et al. 1998, Turgut et al. 2001). Eine neuere Arbeit zeigt allerdings, dass von unbehandelten Patientinnen ein Jahr nach der Geburt noch immer 54% über anhaltende Symptome berichten (Padua et al. 2002). Der stärkste Prädiktor für persistierende Symptome sind das Auftreten von Beschwerden früh in der Schwangerschaft (Stahl et al. 1996) sowie das Ausmaß der Gewichtszunahme in der Schwangerschaft (Padua et al. 2002). Interessanterweise waren ausgeprägte Symptome mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einer Besse-
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rung assoziiert, ähnliches konnte auch für das nicht-schwangerschaftsassoziierte KTS gezeigt werden (Padua et al. 2002, Padua et al. 2001). Diese Ergebnisse erschweren allerdings die Indikationsstellung für invasivere Behandlungen. Neben der etablierten operativen Spaltung des Ligamentum carpi transversum stehen auch konservative Therapiemöglichkeiten zur Verfügung. Auf Evidenz basierende Daten zeigen, dass in der Behandlung des idiopathischen KTS orale Steroide, die Injektion von Steroiden in den Karpaltunnel, die Schienung der Hand sowie die Ultraschallbehandlung wirksam sind (Gerritsen et al. 2002). Randomisierte kontrollierte Therapiestudien zum KTS während der Schwangerschaft liegen jedoch keine vor. In der Behandlung mit oralen Steroiden hat sich die Behandlung mit 20 mg Prednisolon über 14 Tage als gleich effizient erwiesen wie eine Behandlung über 4 Wochen (Chang et al. 2002). Therapien mit Diuretika, nicht-steroidalen antiinflammatorischen Medikamenten oder Vitaminen sowie die Laserakupunktur haben sich hingegen als nicht wirksam gezeigt (Gerritsen et al. 2002). Aus Studien gesicherte Indikationen zur operativen Versorgung in der Schwangerschaft liegen leider nicht vor, in den meisten Fällen ist aber wohl eine konservative Therapie ausreichend. Eine retrospektive Studie kommt zum Schluss, dass das Auftreten des KTS früh in der Schwangerschaft, ein positiver Phalen-Test innerhalb von 60 Sekunden (d.h. Parästhesien in den Fingern I–III bei Flexion im Handgelenk) sowie eine verminderte ZweipunktDiskrimination eine Indikation für einen operativen Eingriff darstellen (Stahl et al. 1996). Pathophysiologische Überlegungen legen aber nahe, spätestens bei einer elektrophysiologisch verifizierten motorischen Schädigung des N. medianus eine Operation in Betracht zu ziehen.
Nervus ulnaris-Neuropathie Läsionen des N. ulnaris im Ellbogenbereich, das Sulcus N. ulnaris-Syndrom (SUS), sind das zweithäufigste Kompressionssyndrom an der oberen Extremität. Die Angaben über das Auftreten eines SUS während der Schwangerschaft schwanken zwischen der zu erwartenden Inzidenz von 2% (Voitk et al. 1983) und einer erhöhten Inzidenz von 12% (McLennan et al. 1987). Entsprechend diesen spärlichen Daten liegen auch keine Daten über schwangerschaftsassoziierte Ursachen vor. Das klinische Bild ist geprägt von Parästhesien im kleinen Finger und gelegentlich auch Schmerzen entlang der ulnaren Unterarmkante. Im weiteren Verlauf kann es zum Sensibilitätsverlust des 5. und des ulnaren 4. Fingers, zur Schwäche der Fingerspreizung und Beugung des distalen Endgliedes des Kleinfingers kommen. Insbesondere letzteres ist hilfreich zur klinischen Abgrenzung des SUS gegen eine distale Ulnarisläsion.
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Ort und Ausmaß der Schädigung lassen sich sehr einfach durch eine elektrophysiologische Untersuchung bestimmen. Insgesamt scheint auch die Prognose des SUS während der Schwangerschaft, ähnlich dem des KTS, günstig zu sein und konservative Therapiemaßnahmen sind in der Regel ausreichend. Allerdings ist die Wirksamkeit nicht-operativer Therapien zur Behandlung des SUS derzeit durch keine nennenswerten randomisierten kontrollierten Studien belegt. Da das SUS, wie die meisten idiopathischen Nervenkompressionssyndrome, Folge eines Überlastungssyndroms der betroffenen Extremitäten ist, ist vor allem die Ruhigstellung des Ellbogens mit Schienen, sowie die Vermeidung von Druck und/oder Zugbelastungen des Nerven empfehlenswert. Die zusätzliche Behandlung mit NSAR (Paracetamol) oder oraler Cortisontherapie (Methylprednisolon) kann versucht werden. Ob die häufig verordneten physikalischen Therapien, wie therapeutischer Ultraschall, Iontophorese, manuelle Lymphdrainage, Kurzwelle und andere, den Verlauf günstig beeinflussen können, ist ungeklärt.
Neuralgische Schulteramyotrophie (Parsonage-Turner-Syndrom) Das nach den Erstbeschreibern (Parsonage und Turner 1948) benannte Syndrom ist typischerweise durch plötzlich auftretende Schmerzen in einem Arm, vor allem der Schulterregion, gekennzeichnet, die sich nach ca. 2 Wochen wieder rückbilden. Einige Tage nach Auftreten der Schmerzen kommt es zu Paresen der Schultergürtelmuskulatur, meist des oberen Plexus brachialis, oft gefolgt von Atrophien der betroffenen Muskulatur. Seltener sind auch einzelne Nerven wie der N. thoracicus longus, N. interosseus anterior, N. accessorius, N. laryngeus recurrens oder N. phrenicus betroffen (van Alfen und van Engelen 2006). Die Prognose der Neuralgischen Schulteramyotrophie wird meist als günstig angegeben, ca. 80% der Patienten erholen sich innerhalb von 2 Jahren (Tsairis et al. 1972). Allerdings zeigt einen neuere große retrospektive Studie, dass die Prognose nicht so günstig ist, wie bisher angenommen (van Alfen und van Engelen 2006). In der Therapie der neuralgischen Schmerzen hat sich die Gabe von Analgetika (in der Schwangerschaft: Paracetamol) oder Steroiden (Methylprednisolon) etabliert, allerdings wird dadurch der Krankheitsverlauf nicht beeinflusst, jedoch der Schmerz gelindert. Während das idiopathische Parsonage-Turner-Syndrom in der Schwangerschaft anscheinend nicht gehäuft auftritt, können Attacken bei der sehr seltenen hereditären Form durch Schwangerschaften ausgelöst werden (Klein et al. 2002, Redmond et al. 1989, van Alfen und van Engelen 2006).
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Nervus cutaneus femoris lateralis-Neuropathie (Meralgia parästhetica) Die klinischen Beschwerden sind charakterisiert durch Taubheit und brennende, vereinzelt auch sehr schmerzhafte Missempfindungen im Bereich des Versorgungsgebietes des N. cutaneus femoris lateralis am ventro-lateralen Oberschenkel. Es wird zwar allgemein behauptet, dass die Meralgia parästhetica in der Schwangerschaft gehäuft auftritt (Ecker und Woltman 1938, Pearson 1957, Rhodes 1957), in der größten berichteten Serie von 150 Patienten aus dem Jahr 1938 fanden sich aber nur drei schwangere Frauen (Ecker und Woltman 1938) und neuere epidemiologische Daten liegen bislang nicht vor. Anzunehmen ist, dass bei der Meralgia parästhetica der Nervus cutaneus femoris lateralis durch die schwangerschaftsbedingte Gewichtszunahme und Hyperlordose gedehnt und unter dem Ligamentum inguinale komprimiert wird. In der Regel bilden sich die Beschwerden nach der Geburt zurück. Die nebenwirkungsärmste Behandlung der Meralgia parästhetica in der Schwangerschaft ist die lokale Infiltration im Bereich des Ligamentum inguinale mit einem Lokalanästhetikum u.U. mit Beimengung von Cortison. Für die üblicherweise zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen verwendeten Medikamente, z.B. Carbamazepin, Gabapentin, Amitriptylin, besteht in der Schwangerschaft eine relative Kontraindikation, sodass diese vermieden werden sollten. Als Ultima Ratio steht die chirurgische Transposition des Nerven zur Verfügung.
Lumbosacrale Plexopathie Eine Läsion des lumbosacralen Plexus ist während der Schwangerschaft selten, wird jedoch gelegentlich im dritten Trimenon beobachtet (Delarue et al. 1994, Turgut et al. 1997). Ein großer Fetus, schmales Becken, die Positio occipitalis posterior des fetalen Schädels und Primigravida stellen Risikofaktoren dar. Der Plexus lumbosacralis wird von den Nervenwurzeln L4–S2 gebildet, und die Nervenwurzeln L4 und L5 bilden den oberen Anteil des Plexus, der in das eigentliche Becken eintritt. Erst weiter distal schließen sich die Nervenwurzeln S1 und S2 an. Der Kopf des Feten kann im proximalen Beckenabschnitt isoliert den oberen Plexusanteil komprimieren. Schmerzen in Hüfte und Gesäß mit Ausstrahlung vor allem in den ventralen Unterschenkel und den Fußrücken sind die ersten Symptome. Sehr selten können sich im weiteren Verlauf Paresen und Sensibilitätsstörungen ent-
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Abbildung 1. Plexus lumbosacralis
wickeln, welche vor allem das Versorgungsgebiet des N. peroneus betreffen, während der N. tibialis selten mitbetroffen ist. Das klinische Bild mit Fußund Großzehenheberparese wird daher leicht mit einer Peroneusparese im Bereich des Fibulakopfes verwechselt. Mittels einer elektrophysiologischen Untersuchung lässt sich die Schädigung jedoch einfach und schnell lokali-
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sieren. Die Prognose ist meist günstig, allerdings kann es bis zur Rückbildung motorischer Ausfälle 6 bis 12 Monate dauern. Läsionen des lumbosacralen Plexus können auch unter der Geburt auftreten und die Geburt mittels Zange stellt neben der oben erwähnten einen weiteren Risikofaktor dar (Feasby et al. 1992, Gibbs und Beydoun 1993, Gonik et al. 1984). Auch bei dieser postpartalen lumbosacralen Plexopathie sind vorwiegend die oberen Anteile des Plexus betroffen. Klinisch ist auch die postpartale Plexopathie kaum von einer Peroneusparese im Bereich des Fibulakopfes, die gelegentlich vorkommt, zu unterscheiden, mittels Nervenleitgeschwindigkeitsmessungen ist dies jedoch einfach und verlässlich möglich. Die Prognose der postpartalen lumbosacralen Plexopathie ist ebenfalls günstig (Katirji et al. 2002).
Nervus peroneus-Neuropathie Läsionen des N. peroneus im Bereich des Fibulakopfes, die klassische Peroneusparese, treten selten unter der Geburt auf. In einer retrospektiven Untersuchung von 143 019 Geburten wurde eine Inzidenz von 3,5/100 000 gefunden (Vargo et al. 1990). Die Parese ist schmerzlos und die Patientinnen bemerken die Fußheberparese erstmals wenn sie aufstehen. Ursache der Peroneusparese ist die Kompression des Nerven im Bereich des Fibulakopfes durch eine prolongierte Hyperflexion des Knies, längeres Verweilen in hockender Stellung und eine Kompression des Nerven durch die Beine unterstützende Gegenstände (Babayev et al. 1998, Colachis et al. 1994, Reif 1988). Eine Kuriosität stellt die einmal beschriebene distale Peroneusparese dar, verursacht durch den Druck, den der Gatte der Patientin mit seinen Händen am Knöchel, offenbar beim Versuch die Geburt zu unterstützen, ausübte (Sabra und Dawson 1989). Wie alle peripheren Nervenläsionen während der Geburt, kommt auch die Peroneusparese häufiger bei längerem Verweilen in der Steinschnittlage und bei verlängerter Pressperiode vor (Wong et al. 2003). Die elektrophysiologische Untersuchung hilft bei der Diagnosestellung, vor allem in der Abgrenzung zur lumbosacralen Plexopathie und auch in der Prognosestellung. Zur Diagnose ist eine frühzeitige Untersuchung empfehlenswert, zur Prognosestellung empfiehlt sich eine Untersuchung 3–4 Wochen nach Auftreten der Parese. Prinzipiell ist die Prognose günstig, bei einer deutlichen axonalen Schädigung kann die Rückbildung jedoch bis zu 12 Monaten dauern und auch inkomplett sein. Therapeutisch empfiehlt sich bei ausgeprägten Paresen eine Peroneusschiene um sekundäre Verletzungen des Sprunggelenks zu vermeiden, außerdem erleichtert sie das Gehen deutlich. Bei kompletten Paresen empfiehlt sich bis zum Beginn der Reinnervation, welche mittels regelmäßigen elektromyographi-
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schen Verlaufsuntersuchungen festgestellt werden kann, die elektrische Muskelstimulation zur Vermeidung einer Muskelatrophie.
Nervus femoralis-Neuropathie Eine postpartale Parese des N. femoralis trat um die Jahrhundertwende, wahrscheinlich auf Grund anderer geburtshilflicher Gepflogenheiten, mit einer höheren Inzidenz von 4.7% auf. Heutzutage ist die Inzidenz um vieles geringer, und eine retrospektive Untersuchung von 143 019 Geburten fand eine Inzidenz von 2,8/100 000 (Vargo et al. 1990). Eine mögliche Ursache ist die Kompression des Nerven unter dem Ligamentum inguinale während prolongierter Hüftbeugung, aber auch eine Dehnungsläsion durch extreme und prolongierte Abduktion und Außenrotation der Oberschenkel (al Hakim und Katirji 1993). Auch beidseitige Läsionen sind beschrieben worden (Donaldson et al. 1985). Die Parese verläuft schmerzlos, und wird daher erstmals beim Aufstehen nach der Geburt bemerkt. Das typische klinische Bild zeigt eine Quadricepsparese mit Aussparung des M. iliopsoas und Verlust des Patellarsehnenreflexes (al Hakim und Katirji 1993). Sensibilitätsausfälle betreffen den ventralen und lateralen Oberschenkel sowie das Versorgungsgebiet des N. saphenus, den medialen Unterschenkel. Die Prognose ist im Allgemeinen sehr günstig, da es sich um demyelinisierende Druckläsionen handelt (al Hakim und Katirji 1993).
Nervus iliohypogastricus-Neuropathie Isolierte Druck- und Dehnungsläsionen des N. iliohypogastricus können, wenn auch selten, in der Schwangerschaft vorkommen. Häufigkeiten von 1–3/5 000 Schwangerschaften werden berichtet (Carter und Racz 1994). Der Nerv wird durch die Dehnung der Bauchwand an seinen Durchtrittstellen durch die Mm. transversus abdominis, obliquus internus und externus, welche er auch innerviert, gezerrt. Die typischen Beschwerden sind neuropathische Schmerzen, die unter den Nabel, über die Symphyse oder gelegentlich auch in die Flanke ausstrahlen. Relevante Paresen treten nicht auf, da die oben genannten Muskeln auch durch den N. ilioinguinalis und die beiden caudalen Thorakalnerven versorgt werden. Im Regelfall bessern sich die Beschwerden rasch nach der Geburt, bei starken Schmerzen kann eine lokale Nervenblockade mit 0,5% Bupivacaine, 10 mL, hilfreich sein (Huffnagle et al. 1996).
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Nervus obturatorius-Neuropathie Eine Läsion des N. obturatorius während der Geburt ist extrem selten, jedoch gelegentlich beschrieben worden (Hopf 1974, Lindner et al. 1997, Warfield 1984). Der fetale Kopf kann beim Durchtritt durch das Becken den N. obturatorius, gebildet aus den Nervenwurzeln L2–L4, vor seinem Eintritt in den Canalis obtruatorius komprimieren. Ein plötzlicher Schmerz in der Leiste und im proximalen Oberschenkel sind die ersten Symptome, gefolgt von Paresen der Adduktoren und der Mm. obturatorius und gracilis sowie einer Sensibilitätsstörung im Bereich des medialen Oberschenkels. Die Parese fällt vor allem beim Gehen auf, wobei es durch ein Überwiegen der Abduktoren zu einer Circumduktion des Beines kommt. Über den Verlauf ist auf Grund der wenigen Fälle keine sichere Aussage zu treffen, doch, wie allgemein, gilt auch für die Obturatoriusneuropathie, dass die Prognose bei inkompletten Läsionen günstig ist, bei kompletten die Remission nur unvollständig sein kann. Die Entwicklung eines chronischen Schmerzsyndroms wurde berichtet, konnte aber mit einem Obturator-Nervblock erfolgreich behandelt werden (Warfield 1984).
Nervus pudendus-Neuropathie Nach vaginalen Geburten berichten 4,8% (Faridi et al. 2002) bis 22% (Fynes et al. 1999) der Frauen über Stuhlinkontinenz unterschiedlichen Ausmaßes. Das Risiko für das Auftreten einer Inkontinenz ist bei der ersten Geburt am größten, und wenn die Symptome persistieren, besteht nach einer zweiten Geburt ein erhöhtes Risiko für eine Verschlechterung der Kontinenz (Fynes et al. 1999). Patientinnen mit einer transienten oder okkulten Inkontinenz nach der ersten Geburt haben ein hohes Risiko eine permanente Inkontinenz nach einer zweiten Geburt zu entwickeln (Fynes et al. 1999). Dies hat zur Überlegung geführt, bei Patientinnen mit einem erhöhten Inkontinenzrisiko eine elektiven Sectio durchzuführen, da es nach einer elektiven Sectio nicht zu Inkontinenz zu kommen scheint (Faridi et al. 2002). Die postpartale Inkontinenz wird nicht nur durch eine Läsion des N. pudendus (Tetzschner et al. 1997a, 1997b), sondern auch eine mechanische Läsion des M. Sphinkter ani (Willis et al. 2002) verursacht. Eine Läsion des N. pudendus begünstigt jedoch bei einer mechanischen Schädigung des Sphinkters die Entstehung einer Inkontinenz (Tetzschner et al. 1995). Die Langzeitprognose der Inkontinenz nach Geburten ist nicht sicher zu beurteilen, eine persistierende Pudendusschädigung scheint jedoch die Entstehung von Inkontinenz auch Jahre nach der letzten Geburt zu begünstigen (Snooks et al. 1990) und mit der Anzahl der Geburten steigt das Inkontinenzrisiko (Ryhammer et al. 1996).
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Neuroradiologie
Stefan Felber Alexandra Felber
Einleitung Diagnostische oder interventionelle neuroradiologische Maßnahmen in der Schwangerschaft werden insgesamt selten notwendig. Zumeist handelt es sich um zerebrale oder spinale neurologische Notfälle der Mutter, die einer unmittelbaren Abklärung bedürfen (Donaldson 1991, Bodis et al. 1998). Seltener wird eine Magnetresonanztomographie erforderlich, um zerebrale Ultraschallbefunde des Feten weiter abzuklären (Huisman et al. 2002). Das Indikationsspektrum für zerebrale Schnittbilduntersuchungen reicht von Akuterkrankungen, meist zerebrovaskuläre Notfällen wie ischämische Insulte oder Subarachnoidalblutungen über Verlaufsuntersuchungen bei klinischer Verschlechterung einer bekannten neurologischen Erkrankung bis hin zu den zerebralen Manifestationen der Prä-Eklampsie und Eklampsie. Klinisch wird die Indikation zur neuroradiologischen Diagnostik bei epileptischen Anfällen, fokalneurologischen Ausfällen und Bewusstseinsstörungen gestellt. Wirbelsäulenbeschwerden sind während der Schwangerschaft zwar häufig, die neuroradiologische Diagnostik wird aber in der Regel nur beim akuten kompletten oder inkompletten Querschnittssyndrom notwendig. Die wichtigsten Methoden in der Neuroradiologie sind die Computertomographie (CT) und die Magnetresonanztomographie (MRT) sowie die diagnostische und interventionelle digitale Subtraktionsangiographie (DSA). Das Nativröntgen und die Myelographie werden heute während der Schwangerschaft nicht mehr eingesetzt. In der Folge sollen die Indikationen zu neuroradiologischen Untersuchungen und Interventionen unter Berücksichtigung möglicher Nebenwirkungen für das ungeborene Kind und die werdende Mutter diskutiert werden.
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Allgemeines zum Strahlenschutz in der Schwangerschaft Der Einsatz von ionisierenden Strahlen in der Therapie, aber auch in der Diagnostik kann zur Zellschädigung führen. Dosisabhängig können die Struktur- und Funktionseinheiten der Zelle direkt (deterministisches Risiko) oder die genetische Information im Zellkern (stochastisches Risiko) geschädigt werden. In der neuroradiologischen Diagnostik wird bei adäquaten Untersuchungstechniken nicht mit Strahlendosen zu rechnen sein, die eine direkte Fruchtschädigung verursachen könnten. Das Risiko einer Schädigung des Zellkernes durch Röntgenstrahlen ist allerdings kumulativ (Strahlenschutz 100, 1999). Die Strahlenschutzverordnung ist im Hinblick auf die diagnostische Untersuchung von Schwangeren allgemein gehalten. Der Paragraph 42 über den besonderen Schutz während Schwangerschaft und Stillzeit lautet unter Punkt 2: Falls eine Schwangerschaft nicht ausgeschlossen werden kann oder bereits festgestellt wurde, sind je nach Art der medizinischen Exposition – insbesondere wenn Bauch und Beckenregionen betroffen sind – den Grundsätzen der Rechtfertigung, insbesondere der Dringlichkeit, und der Optimierung der medizinischen Exposition besondere Aufmerksamkeit zu widmen, wobei die Exposition sowohl der Schwangeren als auch des ungeborenen Kindes zu berücksichtigen ist. Dies bedeutet für den Neuroradiologen und den Zuweiser, dass bei Frauen im gebärfähigen Alter sich die überweisende Person und die anwendende Fachkraft nachweislich danach zu erkundigen haben, ob diese Frauen schwanger sind oder stillen, sofern dies für die konkrete Exposition von Bedeutung ist. Falls eine Schwangerschaft nicht ausgeschlossen werden kann, in der Praxis ist dies nach dem 10. Tag der letzen Menstruation der Fall, muss bei der diagnostischen Exposition mit Röntgenstrahlen von zwei Patienten, Mutter und dem möglichen Embryo, ausgegangen werden. Die Strahlenschutzverordnung in Deutschland im Entwurf vom August 2000 lautet unter § 55 (4): Bei gebärfähigen Frauen beträgt der Grenzwert für die über einen Monat kumulierte Dosis an der Gebärmutter 2 Millisievert. Für ein ungeborenes Kind, das auf Grund der Beschäftigung der Mutter einer Strahlenexposition ausgesetzt ist, beträgt der Grenzwert für die Körperdosis vom Zeitpunkt der Mitteilung über die Schwangerschaft bis zu deren Ende 1 Millisievert. Für die Diagnostik geben die Strahlenschutzrichtlinien keine exakten Dosisgrenzwerte an, da auch höhere Strahlendosen in Kauf genommen werden müssen, falls das Leben der Mutter (und damit auch des Feten) durch eine verzögerte Diagnose und Behandlung gefährdet ist. Die Strahlenschutzrichtlinien verpflichten vielmehr die betreuenden Ärzte zu einer besonders sorgfältigen Indikationsstellung und den (Neuro-) Radiologen zur Anwendung der am wenigsten belastenden Technik für Mutter und Kind. Die Entscheidungsfindung kann schwierig sein, da die genaue Berechnung der Uterusdosis von individuellen Faktoren der Mutter und der Art und Technik
Neuroradiologie
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der durchgeführten diagnostischen Röntgenuntersuchung abhängt. Wurde eine Röntgenuntersuchung in Unkenntnis der Schwangerschaft durchgeführt oder auf Grund einer medizinisch begründeten Indikation notwendig, sollte die individuelle Uterusdosis gegebenfalls durch einen Strahlenschutzexperten, (Neuro-) Radiologen oder Medizinphysiker abgeschätzt werden.
Strahlendosis und intrauterine Strahlenschädigungen Physikalisch gesehen gibt jede Strahlenquelle eine Energiedosis ab, die in Gray (Gy) angegeben wird. Je nach Art der Strahlenquelle und der Strahlung (Primär- und Streustrahlung) wird mittels Strahlengewichtungsfaktoren die Äquivalenzdosis berechnet, die in Sievert (Sv) angegeben wird. Die Äquivalenzdosis wird dann mit Gewebegewichtungsfaktoren, die sich summieren können, in die Effektive Dosis umgerechnet, welche ebenfalls in Sv angegeben wird (Strahlenschutz 100, 1999). In der Tabelle 1 sind effektive Strahlendosen für gängige radiologische Untersuchungen aufgeführt (Strahlenschutz 118, 2000). Die effektiven Dosen sind dabei der natürlichen Strahlenbelastung durch die kosmische Strahlung, auch Hintergrundstrahlung (zwischen 1,5 und 7,5 mSv/Jahr) gegenübergestellt. Ein Thoraxröntgen (0,02 mSv) entspricht demnach 2 bis 3 Tagen natürlicher Strahlenbelastung. Die höchsten Strahlendosen (bis weit über 10 mSv) fallen bei Abdomen-CT-Untersuchungen an, wobei der Uterus dem Primärstrahl ausgesetzt ist. Demgegenüber wird der Uterus bei einer zerebralen CT-Untersuchung nur durch Streustrahlen in der Längsachse des Körpers belastet. Von der etwa 0,1-mSv-Dosis im Primärstrahl erreicht nur wenig Strahlung den Uterus, sodass eine zerebrale Computertomographie etwa 2 Tage natürliche Strahlenbelastung für den Uterus entsprechend ist. Umgerechnet auf die höhere kosmische Strahlung bei Flugreisen wäre dies einem mehrstündigen Interkontinentalflug gleichzusetzen. In der Tabelle 2 sind effektive Uterusdosen bei gängigen radiologischen Untersuchungen aufgeführt (Strahlenschutz 100, 1999; Osei und Faulkner 1999). Das Strahlenrisiko für das Ungeborene ist auch abhängig davon, in welchem Entwicklungsstadium die Exposition auftritt (Strahlenschutz 100, 1999). In den ersten beiden Wochen der Schwangerschaft ist die Zellzahl des Embyos noch gering, das stochastische Risiko gilt ebenfalls als gering. Man geht davon aus, dass 1982 bei ca. 1% der Frauen, die nicht wussten, dass sie schwanger waren, ein Abdomenröntgen im ersten Trimenon durchgeführt wurde (Mossmann und Hill 1982). Das dabei aufgetretene Strahlenrisiko wurde gering gegenüber anderen Risiken der Schwangerschaft eingeschätzt. Das deterministische Risiko einer Strahlenexposition in der Frühschwangerschaft ist der Frühabort, wobei die Rate der Spontanaborte so hoch liegt, dass
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Tabelle 1. Representative Effektivdosen bei diagnostischer Strahlenexposition, adaptiert nach (Strahlenschutz 100 1999, Strahlenschutz 118 2000, Osei und Faulkner 1999) Untersuchung
Effektivdosis (mSV)
Äquivalent zum Zeitraum natürlicher (kosmischer) Strahlenexposition
Extremitäten (eine Ebene)
< 0,01
< 1,5 Tage
Thorax (pa)
0,02
3 Tage
BWS oder Becken (pa)
0,7
4 Monate
Abdomen (ap)
1,0
6 Monate
LWS (eine Ebene)
1,3
7 Monate
Ausscheidungsurographie
2,5
14 Monate
CT Kopf
2,3
12 Monate
CT Thorax
8
3,6 Jahre
CT Abdomen, Becken, LWS
> 10
> 4,5 Jahre
Natürliche Strahlenexposition (regional)
1,5–7,5 per anno
Die Werte für individuelle Patienten (Körperumfang, volle oder leere Blase), untersucht mit unterschiedlichen Parametern (KV, mAs, Abstand etc.), an unterschiedlichen Institutionen können erheblich davon abweichen!
ein Zusammenhang mit einer diagnostischen Röntgenuntersuchung statistisch im Einzelfall sehr unwahrscheinlich ist (Foulquier und Le Breton 1997, Brent 1989). Im Stadium der Organogenese (3.–8. Schwangerschaftswoche) besteht ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko. Aus Tierversuchen und den Erfahrungen aus Nagasaki und Hiroshima nimmt man eine Dosisschwelle von 100–200 mSv beziehungsweise bis 500 mGy an (Strahlenschutz 100 1999, Osei und Faulkner 1999, Foulquier und Le Breton 1997, Brent 1989). Solche Dosen sollen auch zur geistigen Retardierung führen können, wobei 100 mSv den Intelligenzquotienten um 3 Punkte verringern sollen (Strahlenschutz 100 1999). In der Fetalperiode (9. Schwangerschaftswoche bis zur Geburt) besteht das Risiko einer Wachstumsverzögerung und mentalen Retardierung nach Exposition mit Röntgenstrahlen (Strahlenschutz 100 1999, Foulquier und Le Breton 1997, Brent 1989, Timins 2001). Ab einer effektiven Dosis von ca.
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Tabelle 2. Repräsentative, berechnete Effektivdosen für den Uterus adaptiert nach (Strahlenschutz 100 1999, Strahlenschutz 118 2000, Osei und Faulkner 1999) Untersuchung
Uterus (Effektiv)-Dosis mSv
Schädel Rö (pro Ebene)
0,01
Schädel CT
0,005
Thorax Rö (pro Ebene)
0,01
Thorax CT
0,06–1
Becken Rö (pro Ebene)
1,4–4,2
Becken CT
25–79
LWS Rö (pro Ebene)
1,7–10
Abdomen CT
8–49
Durchleuchtung (Thoraxniveau)
0,04–0,2 pro Sekunde
Die Werte für individuelle Patienten (Körperumfang, volle oder leere Blase), untersucht mit unterschiedlichen Parametern (KV, mAs, Abstand etc.), an unterschiedlichen Institutionen können erheblich davon abweichen! Die angenommene Schwellendosis für deterministische Schädigungen des ungeborenen Kindes liegt bei 100 mSv. Die Dosis für stochastische Schäden kummuliert, statistisch ist eine Zunahme des Risikos im späteren Leben Malignome zu entwickeln ab 10 mSv diskutiert worden.
400 mSv kann mit einer mentalen Retardierung gerechnet werden (Strahlenschutz 100 1999, Foulquier und Le Breton 1997, Brent 1989, Timins 2001). Solche Dosiswerte werden in der neuroradiologischen Diagnostik allerdings nicht erreicht. Im Hinblick auf das stochastische Risiko betrachtet man das Ungeborene wie ein Kind bis zu 10 Jahren. Jede Röntgenuntersuchung erhöht das Risiko für das Auftreten späterer Malignomerkrankungen (Strahlenschutz 100 1999). Die Risikozunahme ist zwar gegenüber dem natürlichen Risiko für das Auftreten solcher Erkrankungen gering, aber jede Röntgenexposition führt zu einer kumulativen Zunahme. Manche Arbeiten gehen von einer messbaren Risikozunahme ab 10 mSv aus (Bithell und Stiller 1988, Wakeford und Little 2002). Statistisch gesehen soll die Bestrahlung von 1 Million Feten mit jeweils 1 mGy zu 175 zusätzlichen onkologischen Erkrankungen bis zum 15. Lebensjahr führen (Bithell und Stiller 1988). Insgesamt ist das durch diagnostische neuroradiologische Röntgen- und CT-Untersuchungen verursachte Strahlenrisiko sowohl für das unge-
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Stefan Felber, Alexandra Felber
borene Kind als auch die Mutter als gering einzustufen (Osei und Faulkner 1999). Im Folgenden sollen nun die neuroradiologischen Methoden und Indikationen detaillierter behandelt werden.
Nativröntgenuntersuchungen und Myelographie Das Nativröntgen der Extremitäten und der Wirbelsäule ist in der Traumatologie von Bedeutung. Hier gibt es Abschätzungen über das Strahlenrisiko bei polytraumatisierten Patientinnen (Mann et al. 2000). In der Neuroradiologie wird man beim Schädelhirntrauma auf Grund des höheren Informationsgehaltes immer die Indikation zur Computertomographie anstatt zur Schädelnativaufnahme in zwei Ebenen stellen. Dies gilt auch für die Diagnostik der Nasennebenhöhlen und des Felsenbeins. Beim Querschnittsyndrom besteht auf Grund des höheren diagnostischen Informationsgehaltes primär die Indikation zur MRT, die Myelographie ist in der Schwangerschaft obsolet geworden. Die früher übliche Nativaufnahme zur Vermessung der Beckenmaße ist heute von Ultraschall und MRT ersetzt worden. Insgesamt besteht in der neuroradiologischen Diagnostik bei Schwangeren keine Indikation zu Nativröntgen oder Myelographie mehr.
Computertomographie Die Computertomographie hat eine wesentliche Bedeutung in der neuroradiologischen Notfalldiagnostik. Die Strahlenbelastung der CT-Untersuchungen des Hirnschädels ist bei gezielter Indikation in allen Stadien der Schwangerschaft vertretbar. Die wichtigsten Indikationen sind der Verdacht auf eine akute intrakranielle Blutung und das akute Schädel-HirnTrauma. Bei diesen Fragestellungen ist die CT immer noch der MRT gleichwertig. So genannte gewöhnliche Kopfschmerzen stellen keine Indikation zur CT dar. Kritischer zu sehen ist die CT-Untersuchung der Wirbelsäule. Besonders die CT der Lendenwirbelsäule kann zu einer hohen (> 30 mSv) Strahlenbelastung für den Uterus (Strahlenschutz 100 1999, Strahlenschutz 118 2000, Osei und Faulkner 1999) führen. Da die MRT zudem eine höhere Aussagekraft als die CT besitzt, sollte bei allen Fragestellungen, die den Spinalkanal, das Rückenmark und die Nervenwurzeln betreffen, in der Schwangerschaft die MRT primär eingesetzt werden. Dies gilt auch für die neue Generation der Spiral- und Mehrzeilen-CT-Ge-
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räte. Die Kontrastmittelgabe ist bei der CT-Untersuchung möglich. Jodinierte Kontrastmittel können zwar die Schilddrüsenfunktion des Feten beeinflussen und zur Dehydratation des Fetus führen (Bodis et al. 1998), teratogene Effekte wurden am Menschen bisher nicht beschrieben.
Angiographie und Neurointervention Die Angiographie und Intervention als invasive Methode mit relativ hoher Strahlenbelastung kommt in der Schwangerschaft nur bei wenigen Indikationen in Frage. Die Hauptindikationen sind die aneurysmatische Subarachnoidalblutung und die Thrombose der Arteria basilaris. In beiden Fällen kann die Diagnose zwar in den meisten Fällen auch mit der CT und MRT gestellt werden, die Angiographie bietet aber die Möglichkeit des unmittelbaren therapeutischen Eingriffs. Obwohl bei beiden Indikationen das Leben der Mutter als höheres Interesse im Vordergrund steht, soll die Strahlenbelastung für das ungeborene Kind überlegt werden. Bei der Durchleuchtung von Thorax, Hals und Kopf zur Kathetermanipulation kann von einer effektiven Uterusdosis von 0,04 bis 0,2 mSv pro Sekunde ausgegangen werden (Strahlenschutz 100 1999). Lediglich bei der Durchleuchtung der Art. femoralis und der abdominellen Aorta, wo sich der Uterus im Primärstrahlengang befindet, fallen höhere Strahlendosen an (Damilakis et al. 2001). Bei Schwangeren handelt es sich zumeist um jüngere Frauen, deren Aorta und supraaortale Gefäße wenig atherosklerotische Veränderungen aufweisen, deshalb ist in der Regel zur Kathetermanipulation wenig Durchleuchtungszeit notwendig. Rechnet man die bildgebenden Serien dazu, verursacht die diagnostische Angiographie der Hirngefäße durch einen erfahrenen Neuroradiologen eine effektive Uterusdosis unter 10 mSv. Bei neurointerventionellen Eingriffen, etwa zum endovaskulären Verschluss eines Basilarisaneurysmas oder zur Fibrinolyse einer Basilaristhrombose fallen längere Durchleuchtungszeiten an und es sind weitere Serien zur Dokumentation des Behandlungsergebnisses notwendig, wobei die Überschreitung einer effektiven Uterusdosis von 50 mSv selten notwendig werden wird. Bei vitaler Indikation der Mutter ist das Strahlenrisiko der Angiographie und gegebenenfalls therapeutischen endovaskulären Behandlung für das ungeborene Kind vertretbar und liegt unterhalb der angenommenen Schwelle für Organfehlbildungen, Wachstumsverzögerung oder mentale Retardierung (Damilakis et al. 2001). Die individuell angefallene effektive Uterusdosis muss möglichst exakt berechnet und dokumentiert werden.
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Magnetresonanztomographie und Magnetresonanz-Angiographie Die MRT hat sich in den letzten 15 Jahren als die wichtigste Technik in der Neuroradiologie etabliert. Neben dem überlegenen Weichteilkontrast für den Nachweis fokaler intrazerebraler Veränderungen und dem Fehlen von Knochenartefakten ermöglichen moderne MRT-Geräte den frühzeitigen Nachweis von zerebralen Ischämien mittels diffusionsgewichteter Pulssequenzen. Time of flight (TOF) und Phasenkontrast (PC) MR-Angiographietechniken ermöglichen die Darstellung der intrakraniellen Gefäße mit hoher anatomischer Auflösung und ohne Kontrastmittel innerhalb weniger Minuten. Bei gezielter Anwendung können extra- und intrakranielle Stenosen, Verschlüsse, Aneurysmen und Gefäßmalformationen diagnostiziert werden. Die MRT basiert auf der physikalischen Interaktion (Kernspinresonanz) von Wasserstoffatomen mit Radiofrequenzwellen (63 MHz bei 1,5 Tesla) innerhalb eines starken Magnetfeldes. In der Medizin werden Feldstärken zwischen 0,1 bis zu mehr als 4 Tesla eingesetzt. Zudem werden rasch wechselnde magnetische Gradientenfelder im Millitesla-Bereich zur Ortskodierung eingesetzt. In der klinischen Diagnostik werden zumeist Geräte zwischen 0,5 bis 1,5 Tesla eingesetzt. Dabei haben sich bisher keine biologischen Nebenwirkungen, weder durch das statische Magnetfeld noch durch die zeitlich wechselnden Magnetfelder nachweisen lassen (Foulquier und Le Breton 1997). Bisher konnten keine Auswirkungen der MRT auf die intrauterine Entwicklung nachgewiesen werden (Shellock und Kanal 1991, FDA 1988, Schwartz und Crooks 1982). Die MRT wird bei Schwangeren empfohlen, wenn andere nicht-ionisierende Methoden (Ultraschall) nicht zielführend sind (Shellock und Kanal 1991). Die amerikanische Food and Drug Association (FDA) schränkt ein, dass obwohl keine Auswirkung auf die fetale Entwicklung bekannt sind, die Unbedenklichkeit im ersten Trimenon nicht bewiesen ist (FDA 1988). In der Neuroradiologie wird man auch im ersten Trimenon zur MRT raten, wenn wie beim akuten Querschnittsyndrom oder bei dem Verdacht auf eine Enzephalitis oder zerebrale Ischämie die alternative CT einen deutlich geringeren diagnostischen Informationsgehalt aufweist. Während der Schwangerschaft sollten keine MR-Kontrastmittel verabreicht werden. Gadoliniumhaltige Kontrastmittel hatten im Tierversuch, allerdings in sehr hoher Dosierung, teratotoxische Effekte gezeigt (Berlex 1994). Diese spielen postnatal keine Rolle, da diese Kontrastmittel sehr schnell renal eliminiert werden, und auch beim Neugeborenen unbedenklich sind. Intrauterin führt die renale Filtration der Kontrastmittel in die Ammnionflüssigkeit dazu, dass sie vom Fetus oral wieder aufgenommen werden (Shellock und Kanal 1996). Durch diesen Kreislauf ist die Halbwertszeit verlängert und eventuelle toxische Effekte durch Destabilisierung des komplexgebunden Gadoliniums sind nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen. Da MR-Kon-
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trastmittel in die Muttermilch übertritt, ist bei der ansonsten unbedenklichen Kontrastmittelgabe in der Postpartalperiode die Muttermilch für 2–3 Tage zu verwerfen. Die gängigen Einschränkung beziehungsweise Ausschlusskriterien für die MRT (magnetisierbare intraorbitale oder intraokuläre Fremdkörper, manche zerebrale Aneurysmaclips, Herzschrittmacher, Neurostimulatoren, gewisse metallische Implantate) gelten natürlich auch während der Schwangerschaft (Shellock und Kanal 1991). Insgesamt ist die MRT während des zweiten und dritten Trimenons der Schwangerschaft in der Neuroradiologie die Methode der Wahl. Im ersten Trimenon wird der Einsatz nicht generell empfohlen, bei neuroradiologischen Indikationen ist der MRT gegenüber dem CT der Vorzug zu geben, wenn mehr diagnostische Information zu erwarten ist.
Die wichtigsten Indikationen Im Folgenden sollen die wichtigsten Indikationen und neuroradiologischen Untersuchungsstrategien übersichtsartig aufgeführt werden. Vorrangig handelt es sich um akute neurologische Erkrankungen, die oft im vitalen Interesse der Mutter diagnostisch abgeklärt werden müssen. Das therapeutische Vorgehen ist in diesen Fällen zwar prinzipiell unabhängig von der Schwangerschaft, der Neuroradiologe hat aber die Verpflichtung, eine für das ungeborene Kind möglichst schonende Diagnosestrategie zu wählen. Dies gilt um so mehr, wenn Verlaufskontrollen einer bekannten neurologischen Erkrankung während der Schwangerschaft notwendig werden. Intrakranielle Blutungen Jede intrakranielle Blutung stellt, unabhängig von der Ätiologie, eine unmittelbare Notfallindikation zur neuroradiologischen Diagnostik und gegebenenfalls neurochirurgischen oder neurointerventionellen Therapie dar (Bodis et al. 1998). Sowohl die CT als auch die MRT können akute Blutungen nachweisen. Die Strahlenbelastung der CT ist gering und bei dieser Indikation unbedingt vertretbar. Die MRT kann durch die Möglichkeit der gleichzeitigen MR-Angiographie die Ursache der Blutung weiter eingrenzen und in manchen Fällen die Angiographie ersetzen. Intrakraniellen Blutungen während der Schwangerschaft sind mit einer Inzidenz von etwa 10 auf 100 000 Schwangerschaften selten, weisen aber eine hohe Mortalität (maternal > 35%; fetal > 17%) auf und sind insgesamt für 5–12% aller maternalen Todesfälle verantwortlich (Bodis et al. 1998, Dias 1994, Dias und Sekhar 1990). Abgesehen vom Schädelhirntrauma sind die
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Aneurysmablutung und die Blutung aus einer Gefäßmalformation die häufigsten Ursachen (75% Aneurysmablutung versus 25% Blutung aus einer arteriovenösen Malformation) (Dias und Sekhar 1990). Seltenere Ursachen sind intrakranielle Blutungen bei Eklampsie, embolischer Infarkt, Sinusvenenthrombose, Vaskulopathien (Vaskulitis, Kokain u.a.) und als Rarität beim metastasierenden Chorionkarzinom (Bodis et al. 1998). Der Zeitpunkt der Blutung ist in 6% das erste Trimenon der Schwangerschaft, in 31% das zweite Trimenon und 55% der Blutungen treten im letzten Trimenon und peripartal auf. Postpartal sinkt die Häufigkeit auf 8% ab (Dias und Sekhar 1990, Barret et al. 1982, Hunt et al. 1974). Als Risikofaktoren zählen die Hypertonie und Eklampsie (Bodis et al. 1998). Die aneurysmatische Subarachnoidalblutung stellt unabhängig von der Schwangerschaft eine unmittelbare Behandlungsindikation dar. Die Re-Blutungsrate liegt innerhalb von 2 Monaten bei 70% (Pool 1965). Die primäre Diagnosestrategie ist CT und Angiographie. Aneurysmen im hinteren Kreislauf werden auch in der Schwangerschaft primär endovaskulär behandelt (Abbildung 1). Bei Aneurysmen im vorderen Kreislauf kommt je nach klinischem Zustand und Aneurysmakonfiguration sowohl die neurointerventionelle als auch die neurochirurgische Therapie in Frage. Wie oben ausgeführt, ist die Strahlenbelastung einer endovaskulären Aneurysmabehandlung im Einzelfall durchaus vertretbar. Bei der Aneurysmablutung im letzten Trimenon empfehlen einige Autoren die Therapie des Aneurysmas nach einer vorzeitigen Beendigung der Schwangerschaft durch Sectio (Shahabi et al. 2001, El Gawly 1992).
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b
c
Abbildung 1. Auch in der Schwangerschaft ist bei Verdacht auf eine Subarachnoidalblutung die CT als Notfalluntersuchung indiziert (a). Zum Nachweis der Blutungsquelle erfolgt die Angiographie, welche in diesem Fall ein Basilarisspitzenaneurysma zeigt (b). In dieser Lokalisation wird das Aneurysma endovaskulär durch ablösbare Platinspiralen verschlossen (c). Die Strahlenbelastung bei endovaskulären Eingriffen sollte zwar individuell berechnet werden, liegt aber in der Regel weit unter der theoretischen Schwellendosis für Missbildungen und Retardierung
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Weniger klar definiert ist das Vorgehen bei zufällig nachgewiesenen intrakraniellen Aneurysmen. Das Risiko einer Subarachnoidalblutung aus einem inzidentiellen Aneurysma ist bei Hypertonie und Eklampsie, besonders im dritten Trimenon und peripartal, erhöht, wobei der Kaiserschnitt keinen Vorteil bringen soll (Dias und Shekar 1990, Barret et al. 1982). Größenveränderungen von inzidentiellen Aneurysmen während der Schwangerschaft sind beschrieben (Ortiz et al. 1997). Die rezente Literatur geht davon aus, dass bei kleinen Aneurysmen (< 8mm) das Behandlungsrisiko gleich oder größer als das Risiko des natürlichen Verlaufes ist (ISUIA 1988). Allerdings wurde bei dieser statistischen Abschätzung die Aneurysmageometrie nicht im Detail berücksichtigt. Das Stroke Council der American Heart Association sieht das Vorgehen differenzierter (Bederson et al. 2000). Für das Management inzidentieller Aneurysmen in der Schwangerschaft bleiben viele Fragen offen: Soll ein inzidentielles Aneurysma vor einer Schwangerschaft oder vor der Geburt behandelt werden oder genügt es, kleine Aneurysmen mittels MR-Angiographie auf Größenveränderungen zu kontrollieren? Ab welcher Größe oder Größenzunahme sollte behandelt werden? Ist Kaiserschnitt oder Vaginalentbindung die sicherere Geburtsleitung? Die Diagnose- und Behandlungsstrategie bei inzidentiellen Aneurysmen in der Schwangerschaft ist gegenwärtig eine individuelle interdisziplinäre Einzelfallentscheidung. Intrakranielle Blutungen aus zerebralen arteriovenösen Malformationen (AVM) sind für ca. 2% aller maternalen Todesfälle in der Schwangerschaft verantwortlich. Hypertonie und Eklampsie werden mit einer erhöhten Blutungsgefahr assoziiert (Dias und Shekar 1990). Hat eine zerebrale AVM während der Schwangerschaft geblutet, erfolgt die Diagnose und Behandlung entsprechend der Gefährdung der Mutter (Bodis et al. 1998, Dias 1994). Die Diagnose kann mit der CT oder besser MRT gestellt werden, die Behandlungsplanung basiert auf der angiographisch verifizierten Angioarchitektur der Malformation. Falls notwendig, kann eine präoperative Embolisation durchgeführt werden, man wird allerdings mit Rücksicht auf die Strahlendosis bestrebt sein, mit einer Embolisationssitzung auszukommen. Manche Autoren empfehlen bei Blutungen im letzten Trimenon die Sectio. Das Erstsymptom der meisten zerebralen AVM ist nicht die Blutung, sondern ein epileptischer Anfall. Dann wird die Diagnose in der Regel mittels MRT und MRA gestellt. In der Literatur geht man von einer etwas höheren Blutungsgefahr zerebraler AVM bei Frauen zwischen dem 20. und dem 40. Lebensjahr aus (Karlsson et al. 1997), wobei auch die Rezidivblutungsrate während der Schwangerschaft höher ist. Die unkomplizierte Schwangerschaft stellt kein erhöhtes Blutungsrisiko dar, auch hat sich kein Unterschied zwischen Vaginalentbindung und Kaiserschnitt gezeigt (Velut et al. 2000). Eine vor oder während der Schwangerschaft diagnostizierte AVM, welche noch nie geblutet hat, kann konservativ behandelt werden und mittels MRT und MRA kontrolliert werden (Abbildung 2). Die individuelle Angioarchitek-
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Abbildung 2. Die MRT, angefertigt nach einem fokal eingeleiteten generalisierten zerebralen Anfall zeigt eine links temporale arteriovenöse Malformation. Im T2-Bild (a) ergibt sich kein Anhaltspunkt für vorangegangene Blutungen aus der Malformation. Zentral im Nidus liegt eine venöse Ektasie mit langsamem Fluss. Die Lokalisation bezieht das Wernicke’sche Sprachareal mit ein. Die TOF MRA (b) zeigt dilatierte zuführende Äste aus der A. cerebri media und den arteriovenösen Shunt in die kortikalen Venen tur der AVM (hohe AV-Kurzschlüsse, flussbedingte Aneurysmen der angiomversorgenden Gefäße und Stenosen der drainierenden Venen) ist im Einzelfall als Risikofaktor für eine Blutung zu berücksichtigen. Die zerebrale Ischämie Der ischämische Schlaganfall ist mit einer Inzidenz von 3–18 auf 100 000 Schwangerschaften nicht häufiger als bei Frauen dieser Altersgruppe insgesamt (Bodis et al. 1998, Wiebers und Whisnant 1985). Bei Frauen, die nach einem Schlaganfall schwanger werden, stellt die Schwangerschaft kein Risiko für ein Rezidiv dar (Lamy et al. 2000). Ein erhöhtes Risiko besteht bei Hypertonie und Eklampsie sowie kurz vor bis kurz nach der Geburt. Die häufigsten Ursachen sind arterioarterielle (Wiebers und Whisnant 1985) und paradoxe Embolien, lokale Arteriopathien (z.B. Dissektionen, Vaskulitiden) und die Arteriosklerose. Die neuroradiologische Diagnostik erfolgt heute mittels MRT und MRA. Veränderungen des Diffusionskoeffizienten sind bereits wenige Minuten nach Auftreten einer Ischämie nachweisbar. Damit gelingen der frühe Nachweis von kleinen und klinisch stummen Ischämien und der Beweis unterschiedlich alter Ischämien bei rezidivierenden Embolien. Die MRA kann heute auch subtile Befunde wie Gefäßverschlüsse, intrakranielle Stenosen (Felber et al. 2000) und Dissektionen (Auer et al. 1998) nachweisen und spontane Rekanalisationen bestätigen (Abbildung 3). Bei
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a
b
Abbildung 3. Embolisch bedingte Ischämie im Territorium der linken A. cerebri posterior bei sonographisch nachgewiesenen Vegetationen auf der Aortenklappe. In der diffusionsgewichteten MRT (a) kommt bereits zwei Stunden nach Auftreten der Hemianopsie das von der Ischämie betroffene Gewebe in der Sehrinde zur Darstellung. In der TOF MRA zeigt sich, dass bereits eine spontane Rekanalisation der linken A. cerebi posterior eingetreten ist (b)
a
b
c
Abbildung 4. Das MRT wurde auf Grund von seit 2 Tagen bestehenden Kopfschmerzen und einem fokal-motorischen Anfall kurz vor dem errechneten Geburtstermin durchgeführt. Im T2-Bild (a) findet sich lediglich eine geringe kortikale Signalsteigerung im Sulcus centralis. Die Diffusionsgewichtung zeigt ein größeres Territorial eingeschränkter Diffusion durch ein kortikales zytotoxisches Ödem (b). Die Phasenkontrast-MRA (geschwindigkeitskodierende Gradienten: VENC = 0–15 cm/sec; kein Kontrastmittel) beweist die Thrombose der Vena rolandica auf der rechten Seite (c)
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der Erstuntersuchung der Halsgefäße, dem Nachweis eines funktionell offenen Foramen ovale und für Verlaufsuntersuchungen kommt dem Ultraschall eine wichtige Rolle zu. Die transkranielle Dopplersonographie ist zur Abschätzung von Kollateralisierungen wichtig. Die Angiographie mit lokaler intra-arterieller Fibrinolyse wurde erfolgreich bei der Basilaristhrombose eingesetzt (Morris 1998). Die Hirnvenen- und Sinusthrombose tritt mit einer Inzidenz von 11 auf 100 000 Schwangerschaften vorwiegend in der Peripartalperiode auf. Es ist noch nicht klar, ob die höhere Inzidenz nach Kaiserschnitt durch den Eingriff oder durch die Patientenselektion bedingt ist (Lanska und Kryscio 2000). Die Diagnose erfolgt mit MRT und MRA, wobei die Phasenkontrast-MRT als Methode, die kein Kontrastmittel benötigt, zum Einsatz kommen sollte (Abbildung 4). Tritt eine Hirnvenen- und Sinusthrombose postpartal auf, so ist die kontrastmittelunterstützte MRA die Methode der Wahl. Zu den neurologischen Manifestationen der Prä-Eklampsie und Eklampsie zählt das so genannte reversible posteriore Leukencephalopathie-Syndrom (RPLS). Klinisch treten epileptische Anfälle, Sehstörungen und weitere fokale Ausfälle auf. Im T2-gewichteten MRT-Bild finden sich hyperintense Marklagerveränderungen, akzentuiert in den Okzipitallappen, die eine für das vasogene Ödem charakteristische Zunahme des Diffusionskoeffizienten aufweisen (Hinchey et al. 1996). Die Prognose des nicht nur bei der Eklampsie auftretenden Syndroms ist zumeist gut (Abbildung 5). Die post partum zerebrale Vasculopathie ist eine seltene Erkrankung, die ohne Assoziation zur Eklampsie oder Hypertonie zu zerebralen Infarkten
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c
Abbildung 5. Sehstörungen und Kopfschmerzen gaben Anlass zu dieser MRT-Untersuchung. Im T2-gewichteten Bild finden sich hyperintense Veränderungen in beiden Okzipitallappen (a). Die Diffusionsgewichtung zeigt okzipital erhöhte Diffusionskoeffizienten, die ein vasogenes Ödem beweisen, wie es für die reversible posteriore Leukencephalopathie charakteristisch ist (b). Mit der klinischen Besserung bilden sich auch die Veränderungen im MRT zurück (c)
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oder Blutungen führt. Angiographisch finden sich segmentale Stenosen der intrakraniellen Gefäße wie bei der isolierten zerebralen Vaskulitis. Im Gegensatz zur Vaskulitis weist die postpartale zerebrale Vaskulopathie eine gute Prognose auf (Geocadin et al. 2000). Andere Indikationen Akut entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems können auch während der Schwangerschaft auftreten. Die Sensitivität der Nativ-MRT ist derjenigen des CTs deutlich überlegen (Abbildung 6). Maligne Neoplasien können auch während der Schwangerschaft auftreten oder sich verschlechtern. Die Inzidenz ist mit einer Patientin unter 1000 Schwangerschaften nicht so selten (Barber 2001). Neben dem in der Schwangerschaft vorkommenden metastasierenden Chorionkarzinom reicht das Spektrum von den tumorösen Malignomen bis zu den hämoproliferativen Erkrankungen. Benigne Tumore, darunter das Meningeom und das Hypophysenadenom können während der Schwangerschaft durch den geänderten Flüssigkeitshaushalt ihre Größe ändern und gegebenenfalls symptomatisch werden. Die MRT ist auf Grund der Multiplanarität der CT
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Abbildung 6. 24-jährige Patientin mit fokalen Bewegungsstörungen, die im ersten Trimenon auftraten. Das T2-gewichtete MRT (a) zeigte signalintensive Veränderungen in den Basalganglien rechts, die auf Grund klinischer Symptome und fehlender Raumforderung als demyelinisierend zugeordnet wurden. Im letzten Trimenon fand sich eine deutliche Zunahme der neurologischen Ausfälle. Im MRT bestand ebenfalls eine deutliche Befundprogredienz (b), die Hirnbiopsie ergab eine progressive multifokale Leukencephalographie (PML)
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überlegen. Da im MRT die Kontrastmittelgabe auf Grund der fetalen Rezirkulation nicht gegeben werden sollte, könnte zur Dignitätsbeurteilung eine kontrastmittelunterstützte CT notwendig werden. Fetales MRT Zunehmend wird der Neuroradiologe auch in die Differentialdiagnose von Erkrankungen des fetalen Nervensystems einbezogen. Auch mit modernen Ultraschallgeräten sind manche ZNS Fehlbildungen und Erkrankungen des Fetus nicht eindeutig zuzuordnen. Ab dem zweiten Trimenon kann die MRT bedenkenlos zur intrauterinen Untersuchung des Feten eingesetzt werden (Abbildung 7).
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b
Abbildung 7. Der Ultraschall bei diesem Fetus in der 33 Schwangerschaftswoche ergab den Verdacht auf einen Hydrocephalus internus. Die MRT mit T2-gewichteten (a) und T1-gewichteten (b) schnellen Sequenzen ergab multiple zerebrale Einblutungen unterschiedlichen Alters, vermutlich im Rahmen einer Enzephalitis
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Zusammenfassung Viele neuroradiologische Untersuchungen in der Schwangerschaft erfolgen im vitalen Interesse der Mutter. Trotzdem darf der Strahlenschutz des Ungeborenen nicht außer Acht gelassen werden. Strahlenbelastende Untersuchungen wie Becken- und LWS-Röntgen, die lumbale Myelographie und das LWS-CT sind heute obsolet, da die MRT bei fehlender Belastung mehr diagnostische Informationen liefert. Die Computertomographie des Schädels bleibt, vor allem in der Diagnose zerebraler Blutungen Methode der ersten Wahl. Die effektive Strahlendosis für den Uterus ist bei der zerebralen CT minimal und entspricht etwa der höheren kosmischen Strahlung bei einem mehrstündigen Interkontinentalflug. Die diagnostische und interventionelle Angiographie ist bei der Subarachnoidalblutung und Hirnblutung aus einem Aneurysma oder einer Gefäßmalformation notwendig und durchführbar. Die Strahlenbelastung für das ungeborene Kind liegt sicher unterhalb der Schwellendosis für deterministische Schädigungen (Fehlbildungen, Retardierung). In Kauf genommen werden muss ein – wenn auch geringes – stochastisches Risiko, wobei die Inzidenz für das Auftreten maligner Erkrankungen nach neueren statistischen Berechnungen bereits ab einer Exposition von 10 mSv ansteigen soll. Allerdings ist das natürliche Risiko für das Auftreten solcher Erkrankungen um ein mehrfaches höher, sodass durch die Strahlenexposition nur ein minimales zusätzliches Risiko bedeutet. Die stochastischen Effekte sind kumulativ, dies ist bei wiederholten Untersuchungen zu bedenken. In der Neuroradiologie insgesamt, nicht nur in der Schwangerschaft, ist die MRT zur wichtigsten Methode geworden. In der Schwangerschaft haben MRT-Untersuchungen grundsätzlich ohne Kontrastmittel zu erfolgen, während jodhältige Kontrastmittel für CT und Angiographie bei entsprechender Indikation verabreicht werden können. Bisher konnten keine negativen Auswirkungen von statischen Magnetfeldern und zeitlich veränderten elektromagnetischen Feldern auf die intrauterine Entwicklung festgestellt werden. Im zweiten und dritten Trimenon der Schwangerschaft ist die MRT zur neuroradiologischen Diagnostik des Zentralnervensystems von Mutter und Kind bedenkenlos zu empfehlen. Im ersten Trimenon gibt es keine uneingeschränkte Empfehlung, weil es keinen endgültigen Beweis für die Unschädlichkeit der MRT gibt allerdings wird von der MRT nicht abgeraten, wenn die Diagnose mit nicht-ionisierenden Methoden nicht gestellt werden kann. In der Neuroradiologie weisen die alternative Methoden CT, Röntgen und Angiographie ein zumeist geringe Strahlenbelastung auf, sodass bei allen Indikationen, wo die MRT einen diagnostischen Vorteil bietet, die Methode auch im ersten Trimenon eingesetzt werden kann. Die Abwägung der Vor- und Nachteile und die Verpflichtung zur adäquaten Diagnose unter maximalem Schutz für das ungeborene Kind obliegen dem Neuroradiologen.
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Die flächendeckende Versorgung mit MRT-Geräten ist mittlerweile ausreichend, um die zunehmenden Indikationen auch in der Schwangerschaft abdecken zu können.
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Anästhesie und Schmerztherapie
Gottfried Mitterschiffthaler
Seit einigen Jahren hat die Anästhesie zur Sectio Caesarea einen völlig gewandelten Stellenwert, die Sectiorate ist in Mitteleuropa in den letzten Jahren von 10 bis 25% gestiegen. Frauen wünschen sich nicht nur die Sectio, sondern auch ein ganz bestimmtes Anästhesieverfahren. Informationen über die Anästhesie und Entbindung mittels Sectio sind überall, rasch und teilweise auch sehr sachlich erhältlich. Wir Anästhesisten rechnen mit steigenden operativen Entbindungen, zunehmendem Durchschnittsalter und vermehrten Grunderkrankungen schwangerer Frauen. Die Grunderkrankungen, die nicht nur den Verlauf der Schwangerschaft und Geburt beeinflussen können, sondern auch für die Wahl des Anästhesieverfahrens entscheidend sind, sollen interdisziplinär exakt und sorgfältig abgeklärt und dokumentiert werden. Gerade bei neurologischen Erkrankungen gibt es häufig postpartal Diskussionen über eine Verschlechterung oder gehäufte Komplikationen, wenn eine Regionalanästhesie (RA) gegeben wird.
Anästhesieverfahren bei der Sectio Caesarea Spinalanalgesie (SPA) Die SPA hat den Vorteil des raschen Wirkeintritts und der einfachen Technik, ist preiswert und eignet sich auch für dringliche Indikationen. Von Nachteil ist die rasch einsetzende Hypotension, die aber mit entsprechender Volumengabe als Prophylaxe und durch die Gabe von Vasokonstriktoren behebbar ist. Bei der single dose-SPA besteht jedoch keine Möglichkeit der intraoperativen Steuerbarkeit oder der postoperativen Schmerztherapie. Die
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Versagerrate ist geringer als bei der Epiduralanalgesie. Zur Sectio ist diese Methode heutzutage zumeist erste Wahl. Epiduralanalgesie (EDA) Die EDA wird fast immer kontinuierlich als Kathetertechnik durchgeführt und hat den Vorteil der fraktionierten Gabe der Lokalanästhetika (LA) mit geringerem Blutdruckabfall infolge der langsam eintretenden Sympathikolyse. Die Qualität der Schmerzfreiheit bei der Sectio ist aber nicht optimal, folglich muss gelegentlich mit Opioiden oder Ketamin intravenös ergänzt werden. Bei liegendem EDA-Katheter kann gegebenenfalls schnell ein kurzwirksames, rasch einsetzendes LA und Opioid injiziert und so auch eine dringliche Sectio durchgeführt werden (Ng et al. 2004). Kombinierte Spinal-Epidural-Analgesie (CSE) Eine CSE kombiniert die Vorteile der SPA und der EDA. Bei dieser aufwändigen Technik wird sehr wenig LA und/oder Opioid intrathekal verabreicht, mit dem epidural liegenden Katheter kann die Anästhesiedauer und auch Ausbreitung gesteuert werden. Diese Technik wird gern bei der vaginalen Geburt eingesetzt, da eine Sympathikolyse nur selten und in geringem Ausmaß auftritt. Die Patientenzufriedenheit ist bei dieser Methode sehr hoch, potenzielle Nebenwirkungen und Komplikationen sind mit der EDA vergleichbar (Hughes et al. 2006). Kontinuierliche Spinalanalgesie (CSA) Bei dieser Technik wird wie bei der SPA punktiert, zusätzlich aber ein sehr dünner Katheter intrathekal eingeführt. Vorteile bei dieser spinalen Analgesie sind der rasche Wirkbeginn, die Steuerbarkeit (Verlängerung) der Anästhesie, die Möglichkeit der postoperativen Schmerztherapie und die hervorragende Qualität. Diese Methode wird vor allem bei Patientinnen mit schweren Grunderkrankungen, z.B. mit dekompensierten Herzvitien, zur Sectio eingesetzt. Allgemeinanästhesie (AA) Die AA wird in 15–30° Seitenlage durchgeführt. Nach Präoxygenierung über 3 Minuten wird in sog. „rapid sequence“ eingeleitet. Die neuen volatilen Anästhetika haben gegenüber Halothan eine geringere Wirkung auf den Uterus und werden daher bevorzugt, wobei eine Reduktion der Konzentrationen
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auf 2/3 erforderlich und auch hinsichtlich seiner Wirkung auf den Fetus vertretbar ist (Adams et al. 2003). Hauptprobleme der AA sind: • • • •
Schwierige Intubation Instabile Hämodynamik und Intubationsstress Erhöhtes Aspirationsrisiko Awareness (Wahrnehmen von Ereignissen während der Anästhesie, in 0,2–2% der Patienten) • Interaktionen mit Pharmaka, z.B. verstärkt Magnesium die Wirkung von Muskelrelaxanzien und Opiaten (Kroin et al. 2000) Nach wie vor ist die AA aber die Methode der ersten Wahl bei der Notfallsectio, bei antikoagulierten Patientinnen und natürlich bei jenen Frauen, die andere Anästhesieverfahren nicht wünschen.
Postoperative Schmerztherapie nach der Sectio Caesarea Nach Sectio in Allgemeinanästhesie Zur postoperativen Schmerztherapie werden hier am häufigsten intramuskuläre Opioide verwendet, vor allem weil diese Analgetika leicht zu handhaben sind – oft werden diese aber zu niedrig dosiert. Empfehlung: Piritramid 0,2 mg/kg; Meperidin 1 mg/kg; bei MorphinGabe sollen zusätzlich Antiemetika verabreicht werden. Die intravenöse PCA (Patient Controlled Analgesia) ist die optimale patientenorientierte, aber auch aufwändigere Methode. Vorteile bestehen zweifellos darin, dass die Patientinnen die Analgesie selbst steuern, wodurch sie unabhängig sind und mit Schmerzen bzw. mit Nebenwirkungen der Therapie umzugehen lernen. Infolge der großen interindividuellen Intensitätsbreite des postoperativen Schmerzes ist durch die genannten Vorteile dieser Methode die Patientenzufriedenheit sehr hoch. Es stehen verschiedene Pumpen zur Verfügung, die ein 24-Stunden-Schmerzdienst mit verschiedenen Programmen handhabt. Beispiele zur Dosisempfehlung für einen 50 ml Perfusor: • Piritramid 45 mg (3 Ampullen) auf 50 ml NaCl 0,9%: 2–3 ml/h • Tramadol 500 mg (5 Ampullen) auf 50 ml NaCl 0,9%: 3 ml/h • Morphin 50 mg (5 Ampullen) auf 50 ml NaCl 0,9%: 2 ml/h
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Gottfried Mitterschiffthaler
Eine intravenöse Schmerztherapie ist zwar weniger aufwändig, aber problematischer in der Steuerung der analgetischen Wirkung. Hauptnebenwirkung ist die deutliche Sedierung, eine primäre Atemdepression ist hingegen relativ selten. Empfehlung: Pritramid 15 mg auf 10 ml NaCl 0,9% verdünnen und je 2 ml alle 5–10 Minuten verabreichen bis eine deutliche Schmerzerleichterung eintritt.
Nach Sectio in EDA oder CSE Über den liegenden EDA-Katheter werden Lokalanästhetika, Opioide und andere Adjuvantien (z.B. Clonidin) meist kontinuierlich über Perfusion oder als PCEA (Patient Controlled Epidural Anaesthesia) verabreicht. Bevor eine Methode gestartet wird, soll eine orientierende neurologische Untersuchung durchgeführt werden und am Krankenblatt (SchmerzdienstProtokoll) dokumentiert werden. Empfehlung zur Dosierung als Bolus: z.B. Ropivacain 0,1–0,2% 8–10 ml je nach bestehender Ausbreitung (Adjuvantien sind möglich!). Diese einfache Methode ist zu bevorzugen, die Kombination mit anderen Analgetika ist empfehlenswert (Lim et al. 2001).
Empfehlung zur Dosierung als PCEA (nach dem Innsbruck Manual, Voelckel und Holz-Hölzl 2005): Zusammensetzung für 250 ml Reservoir: 31 ml Bupivacain 0,5% 10 ml Fentanyl 0,5 ml Suprarenin 208,5 ml NaCl 0,9% Einstellung der Pumpe (lumbale EDA):
Rate 8 ml/h Bolus 4 ml (maximal 2 boli/h)
Adjuvante Pharmaka Clonidin (Catapresan®) wirkt als α ´ 2-adrenerger Agonist mit spinalen, supraspinalen und peripheren Mechanismen. Die epidurale Gabe (150 µg) benötigt wegen der kurzen Wirkzeit eine Infusion, die intrathekale Gabe (75 µg)
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ist hingegen besser. Nebenwirkungen können sein: Sedierung, Abfall von Blutdruck und Herzfrequenz. Neben der verbesserten Blockadequalität kann es zu verspäteter Rückkehr der Motorik kommen. Adrenalin in der üblichen Dosierung von 1: 200 000 hat keinen Effekt auf die Kontraktilität oder die Perfusion des Uterus (Vercauteren et al. 1996). Die EDA ist das effektivste schmerztherapeutische Behandlungsverfahren mit einer sehr hohen Zufriedenheit der Patientinnen. Die günstigen Effekte (verbesserte Ventilation, herabgesetztes Risiko von Thrombose und Embolie, Steigerung des myokardialen Sauerstoffangebots) sind nur in einem einheitlichen Schmerzkonzept erreichbar. Aus anästhesiologischer Sicht ist besonders wichtig, dass sich alle behandelnden Ärzte an ein Konzept (Schmerzrezept) halten. Nur bei starken Nebenwirkungen (Sedierung, Atemdepression, verlängerter motorischer Block) soll davon abgegangen werden. Es ist von Vorteil, die patientenkontrollierte Schmerztherapie von einem über 24 Stunden verfügbaren Schmerzteam durchzuführen zu lassen (Bodner et al. 1997, Scholz et al. 1997).
Anästhesie und Schmerztherapie bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen Diskusprotrusion und -prolaps Patientinnen mit Beschwerden als Folge einer Diskusprotrusion bzw. eines Diskusprolaps sind hier die weitaus größte Patientinnengruppe. Bandscheibenprobleme neigen sehr häufig zur Exazerbation während der Schwangerschaft. Je nach Schweregrad der neurologischen Symptome müssen entsprechende therapeutische Maßnahmen getroffen werden, diese reichen von physiotherapeutischen bzw. physikalischen über medikamentös-analgetische bis zur operativen Therapie. Entgegen anderen Meinungen sehen wir aber keine Kontraindikation zur EDA und vaginalen Geburt, eine sorgfältige neurologische Untersuchung im Vorfeld ist jedoch notwendig. Es wurden aber häufiger eine „fleckige“ Ausbreitung der Analgesie beobachtet, in diesem Fall ist eine neuerliche Katheterpositionierung unumgänglich. Bei Patientinnen post Laminektomie kann die EDA-Punktion jedoch schwieriger sein. Entsprechend unserer Erfahrung soll mindestens ein Zwischenwirbelraum oberhalb der Operationsnarbe punktiert werden, vorteilhaft ist die Anlage einer CSE (Sprung et al. 1999).
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Epilepsie Bei Patientinnen mit Epilepsie können durch Hypoventilation und leichte Hypoxämie epileptische Anfälle provoziert werden. Parenterale Opioide wie Piritramid dürfen verabreicht werden, die Gabe von Sauerstoff und das Monitieren der Sauerstoffsättigung sind dann aber erforderlich. Zur Häufigkeit, Diagnose und Therapie von epileptischen Anfällen in der Schwangerschaft bzw. zur Betreuung von schwangeren Frauen mit bestehender Epilepsie sei auf das Kapitel Epilepsie verwiesen. Um aber Stressreaktionen für Patientinnen zu minimieren empfehlen wir bei Patientinnen mit Epilepsie die Anlage einer frühzeitigen EDA. EDA zur vaginalen Geburt: Die Dosierung des LA soll in kleinen Schritten (3 ml) erfolgen, um hohe Plasmakonzentrationen zu vermeiden. Eine höhere Rate an fetaler Bradycardie nach Anlage einer EDA (LA mit Opioiden) wird neuerdings diskutiert, exaktes fetales Monitoring ist deshalb indiziert.
Elektive Sectio Caesarea: Es sollte eine Regionalanästhesie angestrebt werden, wobei die kontroversiellen Diskussionen bezüglich der anzuwendenden Anästhesiemethode noch immer nicht abgeschlossen sind.
Allgemeinanästhesie: Interaktionen von Antiepileptika mit Muskelrelaxanzien sind gehäuft. Es kommt zu stark verlängerter Wirkung der Relaxanzien mit gefährlichem postoperativem „hang over“, erhöhtem Risiko einer insuffizienten Spontanatmung und Aspiration.
Multiple Sklerose (MS) Da MS weder die Fertilität, die Schwangerschaft und auch nicht den Geburtsvorgang beeinflusst, kann eine lumbale PDA zur vaginalen Geburtserleichterung jederzeit und auch in klinisch üblicher Dosierung gegeben werden. Die Schmerztherapie kann ebenso mit allen Analgetika in klinisch üblichen Dosierungen durchgeführt werden. Grundsätzlich besteht ein erhöhtes Schubrisiko in den ersten 3–6 Monaten post partum, dieses scheint aber nicht durch die Wahl des Anästhesieverfahrens beeinflusst zu sein
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(siehe auch Kapitel Multiple Sklerose). Wie auch bereits im Kapitel Multiple Sklerose beschrieben, können durch exogene Trigger (beispielsweise Stress, Schmerz, Fieber, Infektionen) sog. Pseudoschübe ausgelöst werden – daher wird aus anästhesiologischer Sicht besonderer Wert auf die Kontrolle und Vermeidung dieser äußerlichen Auslösefaktoren gelegt, beispielsweise durch peripartale Temperaturkontrolle – es soll ein Temperaturanstieg größer 1°C unbedingt vermieden werden, eventuell muss die Patientin entsprechend behandelt und ggf. auch gekühlt werden. Maligne Hyperthermie (MH) Die MH ist eine autosomal dominant vererbte Muskelerkrankung. Succinylbischolin (ein depolarisierendes Relaxans) und alle volatilen Anästhetika sind streng kontraindiziert. Eine EDA zur vaginalen Entbindung ist frühzeitig anzustreben (Pollock und Langton 1997). Bei lebensbedrohlichen Komplikationen kann eine AA unumgänglich sein, die Intubation mit hohen Dosen von Rocuronium oder Opioid ist aber möglich, beide Pharmaka gelten als sicher. Ephedrin zur Therapie der Hypotension wurde verwendet, es kann bei 1000-facher Überdosierung im Tierversuch Muskelkontrakturen auslösen. Dantrolene als Mittel der Wahl muss in diesem Fall in jedem Operationssaal bereitstehen, um Krisen zu behandeln. Eine Prophylaxe ist hingegen umstritten. Nach der Operation muss eine MH-Patientin 6 Stunden lang in einer Aufwachstation beobachtet werden, weil auch späte MH-Reaktionen bekannt sind (Simon 1994). Myasthenia gravis (MG) Patientinnen mit MG sind in laufender neurologischer Kontrolle, eine interdisziplinäre Konferenz soll schon in der frühen Schwangerschaft stattfinden. Die physiologischen Veränderungen während der Schwangerschaft bedingen häufig eine Anpassung der Anticholinesterase-Pharmaka (Physostigmin). Bei Verschlechterung (Ateminsuffizienz, Aspiration) wird eine neurologische Intensivtherapie erforderlich (Beatmung, Plasmapherese, Cortison, Immunsupression). Häufige Ultraschall-Untersuchungen sind notwendig und können eingeschränkte Bewegungen speziell des Diaphragmas, pulmonale Hypoplasie und Hydramnion entdecken. Zur vaginalen Geburt wird eine frühzeitige EDA gestartet, um Stress und mütterliche muskuläre Erschöpfung zu verhindern. Parenterale Opioide während der Geburt sind titriert zu geben, da primär der Atemantrieb abgeschwächt ist und einer Hypoventilation Vorschub leistet (Plauche 1983). Zur Sectio Caesarea wird immer primär eine Regionalanästhesie angestrebt,
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die hohe erforderliche Ausdehnung der SPA oder EDA kann allerdings die Atmung bei bereits kompromittierten Patientinnen nochmals und dann massiv einschränken. Probleme bei der Sectio in AA sind die hohe Empfindlichkeit und verlängerte Wirkdauer für Muskelrelaxanzien. Eine intensivmedizinische Betreuung unter anästhesiologischer Leitung ist unbedingt vonnöten, da eine neuerliche postoperative Dosis-Änderung von Physostigmin problematisch ist. Es drohen Ateminsuffizienz, Pneumonie und Aspiration (Djelmis et al. 2002). Rückenmarksläsionen Das Hauptproblem bei Läsionen des Rückenmarks oberhalb von Th7 ist die autonome Hyperreflexie, die während der Geburt sogar lebensbedrohlich sein kann. Diese autonome Dysfunktion kann mit den Symptomen Schwitzen und Hautrötung minimal ausgeprägt sein. Lebensbedrohlich wird die Situation bei massiver Hypertension mit der Gefahr der intrazerebralen Blutung. PDA und SPA schalten die über den Sympathikus geleiteten Stimuli aus und verhindern solche Reaktionen (Schonwald et al. 1981, Plötz und von Hugo 1996). Patientinnen nach Stabilisierungsoperationen der Wirbelsäule sind nicht nur schwierig zu punktieren, die ausreichende Ausbreitung des LA intrathekal wie epidural kann gering sein. Wir bevorzugen deshalb die CSE-Technik zur Sectio (Agostini et al. 2000). Spina bifida Die Zahl der Patientinnen mit operierter offener Wirbelsäule steigt. Wegen der stark veränderten Anatomie der Wirbelsäule wird eine RA seltener infrage kommen. Eine unbeabsichtigte Durapunktion ist dann häufiger, außerdem ist die Verteilung des LA schlecht vorhersehbar, sodass es zu „fleckiger“ Analgesie kommt. Eine exakte neurologische Diagnostik inklusive Neuroradiologie ist bei diesen Erkrankungen unbedingt vor der Schwangerschaft und ggf. vor der Entbindung notwendig. Die Spina bifida occulta ist häufiger – sieht man meist als Zufallsbefund –, wichtig für den Anästhesisten ist, dass oberhalb der Läsion punktiert wird. Herpes simplex-Infektion Es gibt allgemeinen Konsens, dass EDA, SPA, CSE jederzeit bei dieser Infektion möglich sind. Die präoperative Prophylaxe mit Aciclovir (Dosis-Optimierung) ist jedoch angezeigt. Es sollte eine genaue Differenzierung von HSV I (oral) und HSV II (genital) stattfinden. Eine neurologische Untersuchung hat zu klären, ob es beispielsweise anamnestische und/oder klinische Hinweise auf eine (Meningo-)Ence-
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phalitis, Affektion des N. trigeminus oder Schmerzregionen, die einem Dermatom entsprechen, gibt. Zusätzlich sind Symptome eine Keratitis und andere Infekte zu eruieren bzw. auszuschließen. Ob Morphin oder Fentanyl (Sufentanil) verabreicht wird, ist wegen des potenziellen Risikos einer neuerlichen Exazerbation nicht gesichert. Unsere Erfahrung zeigte, dass es bei mehreren Patientinnen, die Morphin erhielten, wohl zu Pruritus, aber zu keinen Exazerbationen kam. Wir geben Opioide (Fentanyl, Sufentanil) adjuvant epidural und intrathekal, verzichten aber wegen des Pruritus auf die Morphingabe (Davies et al. 2005). HIV Infektion Es gibt derzeit keinen Anhaltspunkt, dass eine Allgemeinanästhesie einer Regionalanästhesie vorzuziehen sei, auch die Progression der Erkrankung ist Tabelle 1. Management bei HIV-Infektion A Präoperatives Management – spezielle Prämedikation des Anästhesisten braucht mehr Zeitaufwand – orale Pharmaka sind in strengen Dosisintervallen vorgeschrieben – Hygieneaufwand im Operations-Bereich oder im Kreißsaal – rechtzeitiger Kontakt mit Hebamme und Team der Perinatologie B Allgemeinanästhesie zur Sectio – Patientinnen sind empfindlicher auf GABA-erge Pharmaka (Sedativa, Thiopental, u.ä.) – Bei bestehender peripherer Neuropathie ist die Wirkung von Muskelrelaxanzien verdoppelt – Postoperativ treten häufig extrapyramidale Symptome auf (Avidan et al. 2002) C Schmerztherapie – kurzwirksame Opioide perioperativ bevorzugen (Alfentanil, Remifentanil), Pethidin und Piritramid an der Station – durch die Anlage einer CSE oder EDA ist die Schmerztherapie über den Katheter einfacher zu gestalten. Wir bevorzugen ein langwirksames LA (Ropivacain) kombiniert mit Clonidin (Bremerich et al. 2003). D Schmerztherapie bei postpunktionellem Syndrom – bei Perforation immer Liquor für Hygiene einsenden – Ausschöpfen der konservativen Therapie – Kochsalz-patch – Kochsalz-Perfusion des Epiduralraumes – autologer „blood patch“
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schwer abschätzbar. Grundsätzlich sind regionale Verfahren als sicher zu bewerten. Bei fehlenden Studien kann keine Aussage gemacht werden, ob die epidurale (Merke: die Arachnoidea dient als Schutz) der spinalen Regionalanästhesie vorzuziehen ist. Zum Management von schwangeren Patientinnen mit HIV-Infektion siehe Tabelle 1.
Neurologische Komplikationen nach Regionalanästhesie Postpunktionelles Syndrom Grundsätzlich können postpartal auftretende Kopfschmerzen verschiedenste Ursachen haben, zur Differenzierung der Ursachen ist eine neurologische Untersuchung notwendig (siehe Kapitel Migräne und andere Kopfschmerzen). Der postpunktionelle Kopfschmerz beginnt in der Regel innerhalb von 48 Stunden und kann bis zu 7 Tagen (in Ausnahmefällen auch weit länger) anhalten. Charakteristisch sind plötzlich auftretende starke Kopfschmerzen, die jedoch lageabhängig sind, d.h. im Sitzen und Stehen zunehmen und sich im Liegen bessern. Hinzu können weitere Symptome in folgender Häufigkeit auftreten: Nackensteifigkeit (57%), Rückenschmerzen (32%), Übelkeit (22%), selten eine Hörstörung (0,5%) mit/ohne Tinnitus und Doppelbilder (0,4%). Man nimmt an, dass es sich beim postpunktionellen Syndrom um ein Liquorunterdrucksyndrom handelt, das durch ein Duraleck entsteht, wodurch Liquor ins Gewebe entweicht. Die Produktionsrate des Liquors beträgt – unabhängig vom Liquordruck – konstant 0,36 ml/min, was etwa einer Tagesmenge von 500 ml gleichkommt. Bei einem durchschnittlichen Liquorvolumen eines Erwachsenen von ca. 150 ml bedeutet dies, dass der Liquor täglich drei- bis viermal ausgetauscht wird. Der plötzliche (durch die Punktion) Verlust von mehr als 20 ml Liquor kann ein postpunktionelles Syndrom verursachen. Das Risiko einer intrathekalen Punktion mit der Tuohy-Nadel bei geburtshilflichen EDA liegt bei 1,5%, bei 52% dieser Patientinnen kommt es zum Auftreten von Kopfschmerzen. Nach Spinalpunktionen mit dünnen Spinalkanülen, z.B. zur Sectio, liegt das Risiko von Kopfschmerzen bei 1,7%. Für das Management des postpunktionellen Syndroms sind folgende Schritte erforderlich: • Präoperative Aufklärung der Patientin über die Möglichkeit einer Duraperforation mit postpunktionellem Syndrom. • Aufklärung nach Duraperforation: mit der Patientin die Situation und den
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Tabelle 2. Therapie des postpunktionellen Syndroms • (Relative) Bettruhe: die Symptome bei postpunktionellem Syndrom, vor allem die Kopfschmerzen, sind im Liegen am erträglichsten. Die Inzidenz und der Verlauf werden durch Bettruhe jedoch nicht beeinflusst. • Ausreichende Hydratation (Normovolämie!) anstreben. Übertriebene intravenöse Flüssigkeitsgabe (ohne Hypovolämie) bringt jedoch keinen Nutzen – führt nicht zu vermehrter Liquorproduktion! Grundsatz: Trinken lassen nach Möglichkeit A. Milde Verlaufsform: • Eine symptomatische Schmerztherapie ist hier ausreichend. Jede Medikation, die die Schmerzen lindert, wird zur Auflösung der Symptomatik führen: NSAR sind effektive initiale Analgetika gegen postpunktionellen Kopfschmerz. B. Moderate Verlaufsform: • Einsatz von zerebralen Vasokonstriktoren und koffeinhaltigen Substanzen: z.B. Thomapyrin® 4x1(–2) Tbl oder als Alternativen in äquianalgetischer Dosierung: Tonopan® oder Cafergot® • ACTH (Synacten®): als Alternative z.B. wenn „blood patch“ stark erhöhtes Risiko darstellt. Dosierung entweder niedrig: 25 E oder hoch 1,5 E/kg (als Kurzinfusion binnen 20 min, da ACTH eine kurze Halbwertszeit hat). C. Schwere Verlaufsform: „Goldstandard“ für die Behandlung schwerer Verlaufsformen des postpunktionellen Syndroms ist aus anästhesiologischer Sicht der „Epidurale Blood Patch“ (EBP) • Der prophylaktische EBP nach jeder Duraperforation ist nicht empfohlen, denn einerseits führt nicht jede Perforation zu einem postpunktionellen Syndrom und andererseits ist die Rezidivrate nach prophylaktischen EBP deutlich erhöht. Zu bedenken ist, dass ein EBP eine invasive therapeutische Maßnahme darstellt. • Es gibt keine Regeln für den optimalen Zeitpunkt eines EBP. Üblicherweise führt man für 12–24 Stunden einen konservativen Therapieversuch durch und entscheidet dann über die Durchführung eines EBP. • Bei schweren Verlaufsformen mit starkem Kopfschmerz und bei allen Formen mit neurologischen Auffälligkeiten (Doppelbilder, Tinnitus, etc.) ist der EBP allerdings indiziert. • Die Erfolgsrate eines EBP liegt bei 70–90%, nur in Einzelfällen wird nach sorgfältiger Evaluierung einer zweiter blood patch notwendig sein.
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Praktische Durchführung – Epiduraler Blood Patch • Aufklärung und Einverständnis der Patientin • Durchführung nur an einer Aufwachstation • 2 Anästhesisten(innen) • Großkalibriges Venflon • Lagerung: Seitenlage, es ist nicht sinnvoll Patienten mit lageabhängigem Kopfschmerz im Sitzen zu punktieren • Streng aseptisches Aufsuchen der alten Punktionsstelle • Wenn möglich Punktion des unmittelbar tiefer liegenden Zwischenwirbelraumes, da epidural verabreichtes Blut sich mehr nach kranial (2/3) als nach kaudal (1/3) verteilt. • Nach Punktion des Epiduralraumes sterile Abnahme von 20 ml Blut durch den/die zweite(n) Kollegen(in) • Blut langsam epidural verabreichen (in 5-ml-Schritten) • Die Patientin über ein Druckgefühl im Rückenbereich oder Schmerzen in den Beinen befragen. Bei Schmerzen oder Druckgefühl Verabreichung sofort stoppen, wenn das Druckgefühl nachlässt, kann langsam weiterinjiziert werden. Injektion beenden, wenn Druckgefühl sofort nach Weiterinjektion erneut auftritt. • Benötigte Menge 15 ml – nie mehr als 20 ml geben • 2 Stunden Rückenlage
Folgeverlauf besprechen. Exakte Dokumentation der Symptomatik. Ggf. neurologische Konsiliaruntersuchung, jedenfalls bei Auftreten neurologischer Symptome, die über Kopfschmerzen hinausgehen. • Information an betreuende GynäkologInnen, Stationspersonal und Anästhesie-Team. • Zeitpunkt der ersten anästhesiologischen Konsilaruntersuchung festlegen. • klares, schriftliches Behandlungsregime Zur Therapie des postpunktionellen Syndroms siehe Tabelle 2. Rückenschmerzen Rückenschmerzen (in erster Linie lumbalgiforme Schmerzen) sind ein sehr häufiges postpartales Problem. Es gilt als sicher, dass nach EDA zur Geburt diese Schmerzen weder häufiger noch intensiver auftreten. Nach Sectiones kommt es aber nicht häufiger als bei anderen Operationen zu transitorischen Nervenläsionen. Ursachen von Rückenschmerzen in der ersten postpartalen Woche sind in Tabelle 3 zusammengefasst. Selten treten nach einer SPA ziehende Schmerzen im Gesäß (vor allem auch
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einseitig) auf, die in die Hinterseite der unteren Extremität einschießen. Diese Symptome sind eine toxisch bedingte Nebenwirkung nach beispielsweise Lidocain, ausnahmsweise auch nach Bupivacain zur Sectio. Tabelle 3. Ursachen von Rückenschmerzen in der ersten Woche post partum (Rorarius et al. 2001) • Chronische antepartale Rückenschmerzen, inklusive vorbestehende Cervikalgie, Dorsalgie, Lumbalgie; Diskusprotrusion; Diskusprolaps; Foramenstenose; etc. • Regionalanästhesie: – Gewebetrauma bei Mehrfachpunktionen – Nervenverletzung, Wurzelverletzung, Nadeltrauma – Abszess – Epidurales Hämatom • Fallberichte: – Vertebrale Osteomyelitis – Septische pelvine Thrombophlebitis – Rückenmarkstumor etc.
Harnretention Harnretention ist ein multifaktorielles, häufiges (1: 200), aber in der Regel relativ geringes Problem. Abhängig ist das Auftreten einer Harnretention von der Dauer der Anästhesie, der Konzentration des LA und dem Opiat-Zusatz (Morphin >> Fentanyl > Sufentanil) auf. Selten kommt es nach einer Sectio zu einem Harnverhalten, häufiger hingegen nach Vaginalgeburten mit instrumenteller Beendigung (17,3%). Die Rolle der EDA ist ungeklärt, da andere geburtshilfliche Faktoren (Trauma, Ödem) überwiegen. Nach der Rückkehr der Motorik und der Patientenmobilisation soll auch die Detrusoraktivität zur Blasenentleerung wiederkehren. Sehr wichtig ist, dass vor allem postpartal auf eine mögliche Harnretention hingewiesen wird, um einer Überdehnung (mit konsekutiver Blasenatonie) vorzubeugen. Da auch im Rahmen verlängerter Geburten mehr Volumen verabreicht wird, ist eine Einfuhr-AusfuhrBilanz wichtig. Ein sehr einfaches, klinisch leicht anwendbares und billiges Monitoring ist der „bladder scanner“ womit stets das Blasenvolumen sehr genau gemessen werden kann. Für das Management einer Harnretention sind folgende Schritte erforderlich: • Information vor der Entbindung • Erklärung und Aufklärung (vor Anlagen einer EDA) • Bladder Scan
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• Einmal-Katheterismus • Versagen die üblichen konservativen Maßnahmen kann Naloxon (0,8 mg) intravenös verabreicht werden, dies hebt allerdings nur eine opiatbedingte Blasendysfunktion auf
Tabelle 4. Differentialdiagnosen der peripartalen Paralyse Trauma – Peripher: dekompensierte Neuropathie bei z.B. Diabetes mellitus Iatrogene Nadelverletzung bei Injektion – Zentral: direkte Verletzung des Rückenmarks durch Nadel oder Katheter Vaskuläre Ursachen – Arteria spinalis anterior Syndrom – Epidurales Hämatom – Infarkt – Luftembolie – Fruchtwasserembolie – Herzstillstand (hypoxischer Schaden) Chemisch – Injektion irritierender Lösungen, Verwechslungen Infektion – Epiduraler Abszess – Meningitis, Enzephalomyelitis – HIV Kongenital – Spinale Zysten – Syringomyelie – AV-Abnormalitäten Neoplasmen – Dermoide, Zysten – Menigeome Degenerativ – Diskusprolaps – M. Paget – Spinale Stenose – Ankylosierende Spondylitis
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Peripartale Paralyse Eine peripartale Paralyse ist die schwerste neurologische Komplikation mit der drohenden bleibenden Querschnittslähmung. Werden aber die Symptome früh erkannt und die Therapie früh eingeleitet, so bestehen gute Chancen einer vollständigen Erholung. Das schlechte Prognose mancher Patientinnen der Geburtshilfe ist oft durch ein zu langsames Management begründet: die Zeit ist der entscheidene Faktor für das Outcome! Die führenden Symptome sind: • plötzlich auftretende radikuläre Schmerzen • plötzlich zunehmende Paraparese bis -plegie • plötzliche radikuläre Sensibilitätsausfälle • fehlende Muskeleigenreflexe Die Vieldeutigkeit der Symptome erschwert die Differentialdiagnose und benötigt den neurologischen Spezialisten! Ursachen zur peripartalen Paralyse sind in Tabelle 4 angeführt. Die gefürchtetste Komplikation ist das epidurale Hämatom. Die Inzidenz beträgt 1: 180 000 bei EDA und 1: 250 000 bei SPA. Es wird eine venöse Blutung durch Nadel- oder Katheterverletzung angenommen. Ein erhöhtes Risiko besteht bei chronischer Einnahme gerinnungshemmenden Pharmaka (Kombination ASS und Heparin!) und traumatischer Punktion. Für das Management der peripartalen Paralyse sind folgende Schritte erforderlich (Paech et al. 1998): • sofortige neurologische Untersuchung • exakte Dokumentation • interdisziplinäres Konsilium: Neurologie, Geburtshilfe, Anästhesie, Hebamme • MRI-Untersuchung • ev. neurochirurgische Intervention Als Vorbeugemaßnahmen und für eine sichere Praxis dienen die Richtlinien der Tabelle 5. Nervenläsionen Die Inzidenz von Nervenläsionen beträgt 0,9–21%. Die Symptome reichen von transienten Beschwerden bis zu permanten Funktionsschäden mit beispielsweise Paresen. Häufiger treten periphere Nervenläsionen nach instrumentell beendeten Geburten auf. Die am häufigsten betroffenen Nerven
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Tabelle 5. Peripartale Paralyse: Richtlinien für eine sichere Praxis Hämatom – Ausschluss einer Koagulopathie – Vermeide Kombinationen Heparin mit nonsteroidalen Analgetika – Heparin 1-mal pro Tag verordnen – Exaktes Timing entsprechend der Fachgesellschaften Infektion – Kurze Katheterverweilzeiten bei Risikopatientinnen (Diabetes mellitus, Immunsuppression) – Verbandskontrollen – durchsichtige Folien verwenden Katheter entfernen und bakteriologische Abstriche bei lokalen Reizerscheinungen – Exakte Verlaufskontrollen und Dokumentation von Rückenschmerzen LA – Dosisreduktion und titrierte Gaben – Patientinnen mit bestehender motorischer Blockade nicht auf Allgemeinstationen legen – Kürzeste und nicht übersteigerte Steinschnittlagerungen bei Sectio Patienteninformation – Informiere Patientin exakt über Beinschwäche und Schmerzsymptomatik – Informiere über therapeutische Probleme (Hämatom und Laminektomie) Beobachtung – Interdisziplinäre Zusammenarbeit nach Zuständigkeit – Dokumentation von Rückenschmerzen und motorischer Schwäche – Achtung bei neu auftretender motorischer Schwäche nach Entfernen des EDA-Katheters Diagnose – Neurologisches Konsiliar – MRI – Neurochirurgisches Team (Notfall) Training – Stationsbesprechungen, Fortbildungskurse – Hebammen, Hebammenambulanz – Anästhesie-Sprechstunde – Interdisziplinäre wie wöchentliche perinatale Konferenzen – Vorzeitige Erfassung der Risikopatientinnen
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sind: N. cutaneus femoris lateralis, N. femoralis und N. obturatorius. Die Behandlung obliegt stets dem Neurologen, hierzu siehe das Kapitel Periphere Nervenläsionen.
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Stichwortverzeichnis
ACE Hemmer 20 Acetylcholinesterase-Hemmer 256, 307 Acetylsalicylsäure 57, 89, 111, 113, 215 Aciclovir 134, 308 Adrenokortikotropes Hormon 164 Akromegalie 164 Akustikusneurinom 163, 173 Albträume 196, 199 Alpha-Methyl Dopa 19 Allgemeinanästhesie 302, 303, 306, 307, 308 Alpha-Fetoprotein 36, 126 Amantadin 220, 221, 243 Amitryptilin 93, 243, 271 Anästhetika, volatile 302, 307 Aneurysma, cerebrales 116, 118, 288, 290, 291, 297 Blutung 290 Clip 289 Endovaskuläre Versorgung 117, 287, 290 Angiographie 287, 290, 291, 294, 297 Angiopathie, postpartale cerebrale 4, 294 Antibiotika 128, 134 Antidepressiva 94, 197, 203, 205, 216, 243 Antiepileptika 29, 31, 57, 58, 93, 147, 162 Absetzversuch 35 Monotherapie 35 Muttermilch 59 Polytherapie 37, 39 Serumspiegel 36 Antihistaminika 204
Antihypertensive Therapie 4, 19 Antikoagulation 111, 112, 114 Antiphospholipid-Antikörper Syndrom 11, 108, 113, 214, 215 Arterielle Hypertonie 3, 11, 12, 18, 72, 97, 109, 118, 268, 290, 292, 294 Arterio-venöse Malformation 116, 118, 290, 291 Aura Epilepsie 29 Migräne 77, 82 Autoimmunerkrankung 231, 253 Axonotmesis 265 Azathioprin 236, 242, 257 Azetazolamid 97 Azidothymidin 135 Baclofen 243 Benzodiazepine 39, 47, 194, 196, 203, 204, 216, 243 Benzodiazepinrezeptoragonist 204 Betablocker 20, 93 Biofeedback 87, 92, 94 Blood Patch 308, 311 Borrelia burgdorferi 127 Botulinumtoxin 223 Bromocriptin 165, 220 Brucella melitensis 126, 127 Bruxismus 195 Cabergolin 166, 220 Carbamazepin 38, 39, 44, 45, 47, 57, 243, 271 Fetales C. Syndrom 41
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CCNU 155 Chorea Gravidarum 214 Chorionkarzinom 140, 169, 171, 290, 295 Chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie 254 Clonidin 304, 308 Cluster Kopfschmerz 72 Coccidioides immitis 127 Computertomographie 283, 284, 286, 288, 289, 290, 295, 297 COMT-Hemmer 220, 221 Coxsackie-Viren 128 Cumarine 112, 113, 114 Cyclophosphamid 236, 242, 255, 257 Cyclosporin 236 Daclizumab 237 Dantrolen 307 Demyelinisierung 231 Dermatomyositis 258 Deterministisches Risiko 282, 283, 297 Diabetes mellitus 11, 21, 109, 166, 316 Digitale Subtraktionsangiographie 281 Dihydralazin 19 Diskusprolaps/-protrusion 305, 313 Dissektion (Gefäß-) 108, 110, 292 Domperidon 88 Donnerschlagkopfschmerz 76, 95 Dopaminagonisten 165, 194, 220 Dopaminrezeptor-Antagonist 215 Dosisgrenzwert 282 Durchleuchtung 287 Dystonie 221 Einschlafmyoklonie 195 Eisen (-mangel) 192, 200
Stichwortverzeichnis
Eklampsie 2, 17, 72, 86, 95, 97, 108, 115, 118, 290, 292, 294 Elektrophysologische Untersuchung 254, 256, 268, 272 Enteroviren 128 Enzephalitis 128, 131, 288, 308 Ependymome 160 Epiduralanalgesie 240, 302, 304, 305, 306, 307, 312, 313, 315 Epilepsie/epileptische Anfälle 27, 95, 114, 116, 131, 132, 135, 144, 195, 291, 294, 306 Anfallshäufigkeit 32 Idiopathische E. 28 Juvenile myoklonische E. 43 Symptomatische E. 3, 28, 162 Epstein-Barr Virus 129 Ergotamine 90 Essentieller Tremor 225 Ethosuximid 59 Evozierte Potentiale 234, 235, 241 Faktor-V-Leiden 17 Fazialisparese, idiopathische 266 FDA Risikokategorien 86, 92, 215, 220, 242, 243 Fehlbildung 37, 40, 89, 90, 239 Felbamat 47 Fertilität 28, 237 Fetales Trimethadion Syndrom 40 Flunarizin 93 Folsäure 49, 200 Mangel 42 Follikelstimulierendes Hormon 84, 164 Furosemid 97 Gabapentin 47, 194, 225, 243, 271 Gamma-Knife 151, 163, 170 Ganciclovir 134 Genetik 85
Stichwortverzeichnis
Choreatische Syndrome 212 Dystonien 222 Epilepsie 33, 38, 42 Essentieller Tremor 225 Hereditäre Tumorerkrankungen des ZNS 172 Huntington-Krankheit 215 Migräne 85 Multiple Sklerose 245 Narkolepsie 197 Parkinson-Krankheit 219 Prä-Eklampsie 11, 17 Wilson Krankheit 224 Glatiramerazetat 236, 241, 242 Glioblastoma multiforme 154, 173 Gliome Höhergradige 154 Niedriggradige 158 Grand-Mal Anfall 38 Gray (Gy) 152, 283 Guillain-Barre-Syndrom 253 Hämodilution 20 Hämatom, epidural 315 Halluzination, hypnagoge 195, 197 Halothan 302 Harnretention 313 Hellp-Syndrom 14, 22, 115, 118 Heparine 111, 113, 114, 316 Herpes-simplex-Virus 126, 128, 129, 267, 308 Herzschrittmacher 289 Hirnmetastasen 151, 169, 171 Hirntumoren 28, 139, 295 Humanes Immundefizienz-Virus (HIV I und II) 126, 134, 308 Humanes T-Zell lymphotropesVirus 126 Human growth hormone 164 Humoraler Immunstatus 238, 254 Huntington-Krankheit 215 Hypokretin/Orexin System 197
321
Hypophysenadenom 164, 295 IgG-Index 235 Immun-mediierte neuromuskuläre Erkrankungen 253 Immunmodulierende Therapie 236, 241, 244, 254 Immunsuppressive Therapie 236, 241, 244 Infertilität 174 Influenza-Viren 126, 128 Insomnie 183 Interferon-beta 236, 241, 242 Interferon-tau 238 Intracerebrale Blutung 72, 95, 115, 118, 286, 289, 297 Intravenöse Immunglobuline 236, 242, 244, 254, 255, 257, 259 Intubation 303 In-vitro-Fertilisation 238 Ionisierende Strahlen 282 Ischämie, cerebrale 10, 107, 288, 292 Akuttherapie 111 Jactatio capitis nocturna 195 Karpaltunnelsyndrom 267 Kataplexien 196 Ketamin 302 Koffein 89, 199 Kongenitale Infektion 128, 135 Konnatale Infektion 128 Kontrastmittel 257, 287, 288, 297 Kopfschmerzen 13, 17, 71ff, 113, 116, 144, 310 Postpartal 82 Primäre 71 Sekundäre 72 Kyphoskoliose 191
322
Labetalol 19 Lamotrigin 33, 36, 38, 39, 47, 48, 147 L-Dopa 194, 217, 218, 220 Leukencephalopathie, posteriore, reversible 294 Levetiracetam 47, 147 Li-Fraumeni Syndrom 172 Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte 37, 46, 51, 225 Liquordiagnostik 96, 146, 171, 234, 235 Listeria monocytogenes 126, 127 Lokalanästhetika 302, 308, 316 Lues 136 Lumbalgie 198, 202, 312 Lumbalpunktion 96, 97, 117, 241, 254 Lumbosakrale Plexopathie 271, 273 Luteinisierendes Hormon 84, 164 Lyme Borreliose 127 Lymphom, primäres ZNS 167 Lymphozytäre Hypophysitis 164 Lysetherapie 110, 114, 294 Magnesium (-sulfat) 4, 8, 18, 93, 194, 257, 303 Magnetresonanztomographie 234, 288, 289, 292, 294, 295, 297 fetale 296 Magnetstimulation 267 Malaria 127, 128 Malformation 44 Maligne Hyperthermie 307 MAO-B-Hemmer 220, 221 Medulloblastom 160 Melatonin 185 Meningeome 162, 173, 295 Meningeosis carcinomatosa, neoplastica 146, 169 Meningitis 72, 128, 132
Stichwortverzeichnis
Meperidin 303 Meralgia parästhetica 271 Metamizol 90 Methanol Intoxikation 21 Methotrexat 52, 168, 174, 236, 242, 257 Metoclopramid 90, 91 Migräne 71, 76 ff Menstruelle M. 79 Postpartale M. 82 Status migränosus 91 Mikroangiopathie, cerebrale 108 Mitoxantron 236, 242 Modafinil 198, 243 Monoklonale Antikörper 237 Morbus hämorrhagicus neonatorum 57 Morphine 90, 303, 308 Multifokal motorische Neuropathie mit Leitungsblöcken 255 Multiple Sklerose 231, 306 Pseudoschub 234, 307 Musculus sphincter ani 275 Mutterkornalkaloide 90 Myasthenia gravis 237, 255, 307 Neonatale M. g. 257 Mycobacterium tuberculosis 126, 127 Myelographie 286, 297 Narkolepsie 196 Nasale CPAP Therapie 189, 190, 191, 200 Natalizumab 237 Natulan 155 Nervenblockade, lokale 274, 275 Nervus cutaneus femoris lateralis 271, 317 facialis 267 femoralis 274, 317 iliohypogastricus 274 medianus 268 obturatorius 275, 317
Stichwortverzeichnis
peronäus 272 pudendus 273, 275 ulnaris 269 Neuralgische Schulteramyotrophie 270 Neuralrohrdefekt 36, 37, 44, 51, 55, 57 Neurapraxie 265 Neurofibromatose 172 Neuroleptika 214, 216, 224 Neurostimulator 289 Neurotmesis 265 Nichtsteroidale Antirheumatika 89, 94, 269, 270, 311 Nifedipin 19 Nitroseharnstoffderivate 155, 174 Obstruktives Schlafapnoe Syndrom 188, 190, 195 Octreotid 166 Östrogene 73, 83, 126, 185, 238 Östrogenrezeptoren 143 Oligoklonale Banden 235 Opiate / Opioide 194, 302, 303, 306, 307, 308, 313 Ovarielles Hyperstimulationssyndrom 108, 110 Oxcarbazepin 33, 47, 48, 57 Oxybutynin 243 Paracetamol 88, 91, 94, 270 Paralyse, peripartale 315 Parasomnien 195, 199 Parkinson Krankheit 194, 216 Parvovirus B19 126, 128 Patient Controlled Analgesia 303, 304 Pavor 195 Pemolin 197 Penicillamin 225 Pergolid 220 Periodic Limb Movements in Sleep 194
323
Peronäusschiene 273 Phenobarbital 38, 39, 44, 45, 46, 57, 58 Fetales P. Syndrom 41 Phenytoin 38, 39, 44, 45, 46, 47, 57, 58 Fetales Hydantoin Syndrom 40 Piritramid 303, 304, 306, 308 Plasmapherese 236, 244, 254, 258, 397 Plasmodium falciparum 126, 127 Plazenta 15 Plexus brachialis 270 Plexus lumbosacralis 271 Polymyositis 258 Polysomnographie 194, 200 Polyzystisches Ovar Syndrom 11 Positron Emissions Tomographie 83, 145 Postpunktionelles Syndrom 310, 311 Prä-Eklampsie 11, 72, 86, 97, 108, 118, 189, 191, 266, 268, 294 Pränatale Diagnostik 36 Pramipexol 220 Pregabalin 47 Pregnancy Associated Sleep Disorder 199 Primidon 38, 39, 225 Embryopathie 41 Primitive neuroektodermale Tumoren 160 Procarbazin 174 Prolaktin 84, 164, 185, 238 Prolaktinom 165 Pseudotumor cerebri 72, 86, 96 Pyridostigmin 256, 307, 308 Pyrimethamin 134 Querschnittsyndrom 286, 288, 315
324
Radiochirurgie 151 Ramsey-Hunt-Syndrom 267 Ratauni 21 REM-Schlaf-Verhaltensstörung 195 Restless-Legs-Syndrom 192, 195, 199, 211 Rhythmische Bewegungsstörung im Schlaf 195 Rituximab 237 Röntgen 283, 284, 286, 297 Röteln 130, 136 Ropivacain 304 Rubella Virus 126 Sauerstoffdesaturation 189 Schädelhirntrauma 286, 289 Schläfrigkeit 183 Schlafbezogene Atemstörung 187, 189 Schlaf Hygiene 32, 201 Mangel 183, 186 Paralyse 195, 197 Störung 183 Schlafwandeln 195 Schmerztherapie, postoperative 303 Schnarchen 188, 199, 200 Schwangerschaftskomplikationen 32, 239 Sehstörungen 21, 96, 144, 233, 294 Shunt Implantation 150 Sievert (Sv) 153, 283 Single Photon Emission Computed Tomography 145 Sinusvenenthrombose 72, 85, 95, 113, 290, 294 Sleep Onset REM-Periode 197 Somniloquie 195 Spannungskopfschmerz 71, 76, 82, 93 Spina bifida 44, 45, 52, 308
Stichwortverzeichnis
Spinalanalgesie 240, 301, 312, 315 kontinuierliche 302 Spinal-Epidural-Anästhesie, kombiniert 302, 304, 305, 308 Spiramycin 134 Spontanabortus 31, 239, 241 Stereotaktische Biopsie 150 Steroide 90, 91, 127, 148, 155, 168, 215, 235, 243, 254, 255, 257, 259, 267, 269, 271, 307, 311 Stochastisches Risiko 282, 283, 297 Strahlenschutzverordnung 282 Strahlentherapie 150, 159, 168 Stroganoff Regime 7 Stuhlinkontinenz 275 Subarachnoidalblutung 72, 95, 116, 287, 290, 297 Sulcus nervi ulnaris Syndrom 269 Sulfadiazin 134 Sympathikolyse 302 Tagesschläfrigkeit 183, 184, 196 Temozolomid 155, 174 Teratogenität 241 Tesla 288 Testosteron 84, 238 Thrombozytenfunktionshemmer 111, 215 Thymom 257 Thyroidea-stimulierendes Hormon 164 Tiagabin 47 Tizanidin 243 Tolterodin 243 Topiramat 47, 93, 225 Tourette Syndrom 223 Toxoplasma gondii 126, 128, 130, 136 Träume 196 Treponema pallidum 126, 127, 130, 136
Stichwortverzeichnis
Trientin 225 Triptane 89 Trophoblastinvasion 15, 16 Tuberöse Sklerose, 172 Turcot Syndrom 172 T-Zellen 126, 231, 238, 240, 258
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Vigabatrin 47 Vincristin 155 Vitamin K-Mangel 57 Von Hippel-Lindau Erkrankung 172 Wilson Erkrankung 224
Uterusdosis 282, 283, 287 Valproinsäure 38, 44, 45, 58, 93 Fetales V. Syndrom 41 Varizella-Zoster-Virus 126, 128, 130 Vaskulopathie 290 Vasospasmus 108
Zellulärer Immunstatus 126, 238, 254 Zonesamid 47 Zytokine 238 Zytomegalievirus 126, 128, 129, 136, 267