T. Kircher S. Gauggel Neuropsychologie der Schizophrenie Symptome, Kognition, Gehirn
Tilo Kircher Siegfried Gauggel
Neuropsychologie der Schizophrenie Symptome, Kognition, Gehirn Mit 199, zum Teil farbigen Abbildungen und 35 Tabellen
123
Prof. Dr. med. Tilo Kircher Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinikum der RWTH Aachen Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen
Prof. Dr. phil. Siegfried Gauggel Institut für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie Universitätsklinikum der RWTH Aachen Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen
ISBN-13 978-3-540-71146-9 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2008 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und MarkenschutzGesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Renate Scheddin Projektmanagement: Renate Schulz Lektorat: Dr. Johannes Kühnle, Heidelberg Dr. Astrid Horlacher, Dielheim Layout und Einbandgestaltung: deblik Berlin Satz: Fotosatz-Service Köhler, Würzburg SPIN: 11782049 Gedruckt auf säurefreiem Papier
2126 – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort Die »Gruppe der Schizophrenien« ist die faszinierendste und komplexeste psychische Störung des Menschen. Durch sie werden die fundamentalen Konstituenten der Person betroffen, nämlich Denken, Fühlen, Wahrnehmung, Willensbildung und Handeln. Der Schizophrenie – wobei wir von keiner nosologischen Entität ausgehen können1 – liegt eine Störung des Gehirns zugrunde, unserem komplexesten Organ, dessen Funktionsweise wir erst in Ansätzen beginnen zu verstehen. Durch die schillernde Vielfalt der Symptome und der Kompliziertheit des Gehirns, widersetzt sich die Schizophrenie einfachen pathophysiologischen Erklärungsmechanismen und stellt daher eine große Herausforderung für die Forschung dar. In den letzten Jahren erzielten die Neurowissenschaften große Fortschritte, wovon auch die Forschung zur Ätiologie und Pathogenese über die Schizophrenie erheblich profitiert hat. Seit Ende der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts hat sich eine große Anzahl an Befunden zur Kognitionspsychologie und Bildgebung der Schizophrenie angesammelt, die für den Einzelnen kaum mehr überschaubar sind. Das vorliegende Buch soll nun erstmalig für den deutschsprachigen Raum eine Übersicht über den aktuellen Erkenntnisstand liefern, wobei wir dieses Buch in der Tradition der Arbeiten von, unter anderen, Wilhelm Wund, Emil Kraepelin und Carl Gustav Jung sehen, die experimentalpsychologische Methoden in die Psychiatrie eingeführt und zur ersten Blüte gebracht haben, im Sinn einer »experimentellen Psychopathologie« (Kraepelin). Dies trägt auch der in den letzten Jahren zu verzeichnenden Denosologisierung in der psychiatrischen Diagnostik Rechnung. Den inhaltlichen Schwerpunkt in diesem Herausgeberwerk bilden einerseits Befunde zu kognitiven Domänen (wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis), andererseits neuropsychologische Modellvorstellungen zur Entstehung von Symptomen (z. B. Halluzinationen, formale Denkstörungen) sowie ihren neuralen Korrelaten. Ziel der verschiedenen Forschungsansätze ist es, die Entstehung von Symptomen und kognitiven Störungen mit naturwissenschaftlichen Methoden zu erklären und die Verbindung zwischen psychischen und neuralen Prozessen aufzuzeigen. Auf das Verhältnis von erklärenden und verstehenden Ansätzen wird in mehreren Kapiteln eingegangen. Ein Wort der Vorsicht: Es darf nicht vergessen werden, dass es sich bei neuropsychologischen Domänen, Symptomen und ihren neuralen Korrelaten, um Konstrukte handelt. Diese kommen nicht notwendigerweise so als Entitäten in der Natur vor. Dies gilt auch für bildgebende Befunde. Die in diesem Buch gezeigten funktionellen Aktivierungen sind letztlich mathematische Wahrscheinlichkeiten, die zur Veranschaulichung auf Gehirne projiziert werden. Diese dürfen nicht naiv als »reale Hirnaktivierungen« gesehen werden, sondern als Endstrecke komplexer Modellannahmen über die Funktion des Gehirns, komplexer technischer Aufnahmeverfahren und komplizierter mathematischer Berechnungen. Vor einer Überinterpretation sei deshalb explizit gewarnt, weil überschwänglich aufgebauschte Befundinterpretationen, insbesondere zu neurowissenschaftlichen Modethemen, zu Enttäuschungen in der Zukunft führen könnten. Im ersten Teil des Buches wird in konzeptuelle und methodische Grundlagen eingeführt, die für das Verständnis der Erkrankung, ihrer Erforschung, die Forschungsmethoden und ihre Grenzen fundamental sind. Nur wer über Möglichkeiten und Grenzen von Modellen und Methoden weiß, kann auch die darauf aufbauenden Befunde und Interpretationen kritisch würdigen. Im zweiten Teil des Buches werden Befunde zu den einzelnen kognitiven Domänen zusammengefasst, wobei jeweils komplementäre Geschwisterkapitel, eines zur Neuropsychologie, eines zu den neuralen Korrelaten der einzelnen Domänen, gegenüber gestellt sind. In jedem Kapitel wird eine Einführung zur Definition der Domänen und ihrer experimentellen Zugangsmöglichkeit gegeben. Gleiches gilt für den dritten Teil des Buches, wo wichtige Symptome bzw. Symptomkomplexe in analoger Weise behandelt werden. Hier ist insbesondere faszinierend, wie einzelne Symptome mittels bildgebender Verfahren mit den neuralen Korrelaten in Verbindung gebracht werden können.
1
Der besseren Lesbarkeit wegen sprechen wir von »Erkrankung« und »der Schizophrenie«, obwohl wir von einer heterogenen Ätiologie ausgehen, die aber bisher noch nicht zu einer vernünftigen Neuklassifikation geführt hat.
VI
Vorwort
Im letzten Teil werden verschiedene Ansätze zur Therapie kognitiver Störungen bei Schizophrenie vorgestellt. Das Buch wird abgerundet durch einen Hirnatlas, der die Orientierung erleichtern und weiterhin zur Standardisierung der Nomenklatur beitragen soll. Bei allen Autoren sowie bei Frau Scheddin und Frau Schulz vom Springer-Verlag möchten wir uns herzlich für ihre Arbeit und Unterstützung zum Gelingen dieses Buches bedanken. Wir würden uns freuen, wenn es fächerübergreifend breites Interesse bei Klinikern, Wissenschaftlern und Studenten der Medizin und Psychologie finden würde. Aachen, im Oktober 2007 Tilo Kircher und Siegfried Gauggel
VII
Inhaltsverzeichnis I 1
1.1 1.2 1.3
3.4
Grundlagen Schizophrene Psychosen im Spannungsfeld von Kognition, Affekt und Volition – Die psychiatriehistorische Perspektive . . . . . . . Paul Hoff und Anastasia Theodoridou Die paradigmatische Rolle der Schizophrenie . Bedeutende Psychosekonzepte mit Blick auf die Rolle der Kognition . . . . . . . . . . . . . Kognition und darüber hinaus – Zur Zukunft des Schizophreniebegriffs . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
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4
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4
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10 11
2
Was ist Kognition? Grundlagen und Methoden Siegfried Gauggel
2.1 2.2 2.3 2.4
Einleitung . . . . . . . . . . . . Historisches . . . . . . . . . . . Kognitive Neuropsychologie Perspektiven . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . .
3
Methodik der funktionellen Magnetresonanztomographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Thilo Kellermann, Tony Stöcker und N. Jon Shah
3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6 3.1.7 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3 3.3.1 3.3.2
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Überblick zur Funktionsweise der Magnetresonanztomographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Atomkerne, Spins und makroskopische Magnetisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Resonanz: Hochfrequenzpulse und das Magnetresonanzsignal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relaxationsmechanismen und MR-Kontrastverhalten MR-Bildgebung: Ortskodierung durch Gradientenfelder und die MR-Sequenz . . . . . . . . . . . . . . . . Einfluss der MR-Sequenz auf die Bildqualität . . . . . Komponenten eines MR-Tomographen . . . . . . . . . MRT-Sicherheitsaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Messmethodik der fMRT . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ultraschnelle Bildgebung: EPI . . . . . . . . . . . . . . . Suszeptibilitätsgewichtung mittels des T2*-Kontrastes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vor- und Nachteile der fMRT bei starken Magnetfeldern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . fMRT-Qualitätskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . Physiologische Grundlagen der fMRT . . . . . . . . . . Arten des fMRT-Kontrastes . . . . . . . . . . . . . . . . . Der BOLD-Mechanismus und die hämodynamische Impulsantwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 13 17 17 18
3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.4.5 3.5
20 21
. . . . . . . .
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27 27 29 30 32 32 33 35
Grundlagen der Diagnostik einer schizophrenen Psychose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die drei Säulen der Diagnostik in der Psychiatrie . . . ICD-10, DSM-IV und zukünftige Klassifikationssysteme – Wird die Diagnose der Schizophrenie aufgelöst?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ätiologie der Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . Die Schizophrenie als genetisch vermittelte Enzephalopathie – Die ersten Risikogene NR-1 und Dysbindin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welche Umweltfaktoren sind für den Ausbruch einer schizophrenen Psychose relevant? . . . . . . . . Gen-Umwelt-Interaktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . Pathophysiologie der Schizophrenie: Jenseits der Dopaminhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die neurobiologischen Grundlagen der Schizophrenie Hirnentwicklungsstörung, degenerativer Prozess oder beides? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Mehrläsionshypothese (»Several Hit Hypothesis«) – Ein integratives pathophysiologisches Konzept. . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1.1 4.1.2
4.2 4.2.1
4.2.2 4.2.3 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3
37 37
38 38
38 39 39 39 39 40 41 42 42
5
Genetische Aspekte neuropsychologischer Störungen bei schizophrenen Patienten . . . . . . . 44 Michael Wagner und Wolfgang Maier
5.1 5.2
Familiarität schizophrener Störungen . . . . . . . . . . Neuropsychologische Endophänotypen der Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neurophysiologische Besonderheiten bei Verwandten schizophrener Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Endophänotypen und Variation des genetischen Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genetische High-risk-Studien . . . . . . . . . . . . . . . Erblichkeit von Endophänotypen . . . . . . . . . . . . .
5.2.1
26
. . . . . . . .
4.1
25 25 25 25 25
. . . . . . . .
Diagnose, Ätiologie und Neuropathophysiologie der Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Peter Falkai
4.4 21 22 23 24 24 24
. . . . . . . .
4
20 20
Konstruktion und Auswertung von fMRT-Experimenten . . . . . . . . . . . . . . Vorverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . Experimentelle Designs . . . . . . . . . . . . Statistische Analyse von fMRT-Zeitreihen Gruppenstatistiken . . . . . . . . . . . . . . Multiples Testen . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5
45 45 46 48 48 49 50
VIII
Inhaltsverzeichnis
5.3
Molekulargenetik der Schizophrenie – Assoziationsund Kopplungsuntersuchungen . . . . . . . . . . . . . Assoziations- und Kopplungsbefunde zur Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genvarianten und Endophänotypen der Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neuropsychologische Störungen und Psychosen bei velokardiofazialem Sydrom . . . . . . . . . . . . . . Dispositionsgene und Endophänotypen . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3.1 5.4 5.4.1 5.4.2 5.5
50 53 53 53 55 57
6
Verlauf kognitiver Störungen bei Schizophrenien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Seza Özgürdal und Georg Juckel
6.1 6.2 6.3
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kognitive Leistung und neuropsychologische Tests Frühverlauf von kognitiven Störungen bei der Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kognitive Störungen bei High-Risk-Kindern . . . . . Kognitive Störungen bei Prodromalpatienten der Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kognitive Störungen bei schizophrenen Patienten Einfluss von Verlaufsparametern auf kognitive Störungen bei der Schizophrenie . . . . . . . . . . . Trait- und State-Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . Vulnerabiliätsmarker, Episodenmarker und erworbene Beeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Diskussion . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.4 6.4.1 6.4.2 6.5
. .
59 59
. .
60 60
.
62 64
. .
66 66
. . .
67 67 68
7
Kognition bei Kindern und Jugendlichen mit Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Claudia Mehler-Wex, Christina Schwenck und Andreas Warnke
7.1 7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.4 7.2.5 7.2.6 7.3 7.3.1
Altersspezifische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . Neurokognitive Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exekutive Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Visuelle Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ereigniskorrelierte Potentiale . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungen zu Risikoprobanden . . . . . . . . . . Kinder und Jugendliche mit genetischem Risiko für Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kinder und Jugendliche mit Belastung durch schizotype Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Studien zum Vergleich mit dem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom . . . . . . . . . . . . . Studien zum Vergleich mit affektiven Erkrankungen Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.4
8
Kognition bei Modellpsychosen . . . . . . . . . . . 82 E. Gouzoulis-Mayfrank
8.1 8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4 8.3
Rationale für die Forschung mit Psychosemodellen Humane pharmakologische Psychosemodelle . . . Das PCP-/Ketamin-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . Das LSD-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Amphetaminmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Cannabinoidmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . Kognition in humanen pharmakologischen Psychosemodellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kognition im NMDA-Antagonistenmodell . . . . . . Kognition im LSD-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . Kognition im Amphetaminmodell . . . . . . . . . . . Kognition im Cannabinoidmodell . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
71 73 73 74 74 74 75 75 76
8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4 8.4
. . . . .
83 85 86 86 87 87
. . . . . . .
88 89 91 92 92 93 94
9
Zum Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein – Philosophische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Michael Pauen
9.1 9.2 9.2.1 9.2.2 9.3 9.3.1 9.3.2 9.4 9.4.1 9.4.2 9.4.3 9.4.4 9.5
Der Begriff des Bewusstseins . . . . Grundsatzprobleme . . . . . . . . . . Dualismus . . . . . . . . . . . . . . . . Monismus . . . . . . . . . . . . . . . . Methodische Fragen . . . . . . . . . . Reduktion und Emergenz . . . . . . Phänomenales Bewusstsein . . . . . Einzelprobleme . . . . . . . . . . . . . Subjektivität . . . . . . . . . . . . . . . Willensfreiheit und Verantwortung Handlungs- und Willensfreiheit . . . Freiheit als Selbstbestimmung . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
Zur Beziehung von Phänomenologie und Kognitionspsychologie – Die Konzeptgeschichte der schizophrenen Intentionalitätsstörung . . . . 105 Christoph Mundt
10.1 10.2 10.3
Das Methodenparadigma der Phänomenologie Störung der Intentionalität in der Schizophrenie Neurokognitive Entsprechungen zur Psychopathologie der Intentionalität . . . . . . . Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10.4
. . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . .
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97 97 98 99 101 101 101 102 102 102 103 103 104 104
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76
11
Psychopathologie und Neurowissenschaften . . 118 Wolfgang Gaebel und Jürgen Zielasek
11.1 11.2 11.3 11.3.1 11.3.2
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychopathologie der Schizophrenie Was sind »Neurowissenschaften«? . . Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fächer der Neurowissenschaften . . .
78 78 79 79 80
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119 120 120 120 121
IX Inhaltsverzeichnis
11.4 11.5 11.5.1 11.5.2 11.5.3 11.5.4 11.6
Welche »Neurowissenschaften« sind für die Psychopathologie der Schizophrenie relevant? . . . . Konzepte der Verbindung von Neurowissenschaften und Psychopathologie der Schizophrenie . . . . . . . Modularität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Netzwerkmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendung in der Schizophrenieforschung . . . . . Funktionale Psychopathologie . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
121 123 123 125 125 127 129 129
12
Schizophrenie und Schlaf . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Sören Krach und Michael Grözinger
12.1 12.2 12.3 12.4 12.5
Neuropsychologie und Schlaf . . . . . . . . . . . . Grundbegriffe der Schlafphysiologie . . . . . . . Hirnaktivierung im Schlaf . . . . . . . . . . . . . . Schizophrenie und Schlafstörungen . . . . . . . . Neuropsychologische Parameter, Schizophrenie und Schlaf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kritische Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12.6
II
. . . .
. . . .
. . . .
133 133 135 137
. . . 138 . . . 139 . . . 139
Kognitive Domänen und ihre neuralen Korrelate Wahrnehmung – Psychologie . . . . . . . . . . . . . 145 Andreas Fallgatter, Julia Langer
13.1 13.2 13.3 13.3.1 13.3.2 13.3.3 13.3.4 13.3.5 13.4 13.5
Warum Wahrnehmung? . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen akustisch evozierter Potenziale . . . Einzelne akustisch evozierte EKP-Komponenten Frühe akustisch evozierte Potenziale . . . . . . . P50 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . N100 (N1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . N200 (N2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »mismatch negativity« . . . . . . . . . . . . . . . . Visuelle Defizite bei Schizophrenien . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
Wahrnehmung – Bildgebung . . . . . . . . . . . . . 155 Heike Thönnessen und Klaus Mathiak
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auditorische Verarbeitung bei Schizophrenie . . . . . Anatomie des auditorischen Systems . . . . . . . . . . Sprachverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionelle Bildgebung des auditorischen Systems Kombination von funktionaler Bildgebung und Elektroenzephalogramm (EEG) . . . . . . . . . . . 14.3.2 Kombination von funktionaler Bildgebung und Magnetenzephalographie (MEG) . . . . . . . . . .
146 146 147 147 147 150 150 151 152 154 154
156 156 156 157 157 158 159
160 161 161 161 162 162 162 162 163 163 163 164
15
Aufmerksamkeit – Psychologie . . . . . . . . . . . . 166 Norbert Kathmann und Benedikt Reuter
15.1 15.2
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Differentialpsychologische Aufmerksamkeitskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Testverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interpretation von Testleistungen . . . . . . . . . . Kognitions- und neuropsychologische Konzepte der Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alertness . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vigilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selektive Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . Störungen der Aufmerksamkeitsfunktionen bei Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leistungen in psychometrischen Aufmerksamkeitstests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alertness . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vigilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufmerksamkeitszuwendung zu seltenen und aufgabenrelevanten Reizen . . . . . . . . . . . Räumliche Aufmerksamkeitsverteilung . . . . . . . Latente Hemmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Negative Priming . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15.2.1 15.2.2 15.3
13
14.1 14.1.1 14.1.2 14.2 14.3 14.3.1
14.3.3 Integration von BOLD- und MEG-Signal . . . . . . . . 14.4 Denkstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.1 Anatomische Korrelate von Denkstörungen im auditorischen System . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.2 Funktionelle Bildgebung bei Denkstörungen . . . . . 14.5 Halluzinationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5.1 Anatomische Korrelate von Halluzinationen im auditorischen System . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5.2 Funktionelle Bildgebung bei Halluzinationen . . . . . 14.6 Komplexe auditorische Stimuli . . . . . . . . . . . . . . 14.7 Verteilte neuronale Netzwerke bei auditorischen Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.8 Verknüpfung auditorischer und limbischer Systeme 14.9 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15.3.1 15.3.2 15.3.3 15.4 15.4.1 15.4.2 15.4.3 15.4.4 15.4.5 15.4.6 15.4.7 15.5
16
. . 167 . . 167 . . 167 . . 169 . . . .
. . . .
169 169 170 170
. . 173 . . 173 . . 174 . . 174 . . . . . .
. . . . . .
175 176 176 177 178 178
Aufmerksamkeit – Bildgebung . . . . . . . . . . . . 180 Bianca Voß und Renate Thienel
16.1
Hirnphysiologische Korrelate von Aufmerksamkeitskomponenten bei Gesunden . . . . . . . . . . . . . . . 16.1.1 Die drei Aufmerksamkeitssysteme nach Posner und Petersen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1.2 Das Aufmerksamkeitsmodell nach van Zomeren und Brouwer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1.3 Befunde aus bildgebenden Studien bei Gesunden . 16.2 Hirnfunktionelle Aufmerksamkeitsdefizite bei Patienten mit Schizophrenie . . . . . . . . . . . . .
181 181 182 183 185
X
Inhaltsverzeichnis
16.2.1 Defizite der selektiven Aufmerksamkeit bei Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2.2 Befunde aus bildgebenden Untersuchungen bei Patienten mit Schizophrenie zur selektiven Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2.3 Defizite im Bereich Daueraufmerksamkeit bei Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2.4 Befunde aus bildgebenden Studien zu Defiziten in der Daueraufmerksamkeit bei Schizophrenie 16.3 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
Arbeitsgedächtnis – Psychologie . . . . . . . . . . . 231 Robert Christian Wolf und Henrik Walter
19.1 19.2 19.2.1 19.2.2 19.2.3 19.2.4 19.3
Das Arbeitsgedächtnis: Konzept und Modell . . . Arbeitsgedächtnistests: Domänen und Prozesse . Verbales Arbeitsgedächtnis . . . . . . . . . . . . . . Räumliches Arbeitsgedächtnis . . . . . . . . . . . . Zentrale Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere verbale Paradigmen . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsgedächtnis und Psychopathologie schizophrener Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsgedächtnisdefizite in der Schizophrenie – ein spezifisches Defizit? . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsgedächtnisdefizite in der Schizophrenie – eine supramodale Störung? . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . 185
. . . 186 . . . 189 . . . 190 . . . 193 . . . 193
19.4
. . . . . .
. . . . . .
232 234 234 236 236 236
. . 237 . . 238
17
Motorik – Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Thomas Jahn
19.5
17.1 17.2 17.2.1 17.2.2 17.2.3
Konzepte der Motorikforschung . . . . . . . . . . . . . Methoden der Motorikforschung . . . . . . . . . . . . Beispiel Motoskopie: Brief Motor Scale (BMS) . . . . . Beispiel Motometrie: Motorische Leistungsserie (MLS) Beispiel Motografie: Manual zur kinematischen Analyse motorischer Zeichen (MAZ) . . . . . . . . . . . Motorik als Gegenstand der Schizophrenieforschung Antipsychotikainduzierte extrapyramidalmotorische Symptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskrete motorische Zeichen als neurologische »soft signs« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definition und Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . Prävalenzen und Korrelate . . . . . . . . . . . . . . . . . Motorische »soft signs« als Vulnerabilitätsmarker . . Okulomotorische Dysfunktionen . . . . . . . . . . . . . Definition und Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . Blickfolgesystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sakkadensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Störungen der Manumotorik . . . . . . . . . . . . . . . Veränderte motorische Lateralisierung . . . . . . . . . Zusammenschau und Integration der Befunde . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
195 195 196 196
19.6
20
Arbeitsgedächtnis – Bildgebung . . . . . . . . . . . 242 Oliver Gruber
196 197
20.1
Neuronale Korrelate von Arbeitsgedächtnisfunktionen im menschlichen Gehirn . . . . . . . . . . . . . Pionierstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modelle der funktionellen Organisation des lateralen präfrontalen Kortex und des Arbeitsgedächtnisses Funktionelle Neuroanatomie des Arbeitsgedächtnisses aus einer evolutionsbiologischen Perspektive Die komplementäre Rolle experimentell-neuropsychologischer Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . Neuronale Grundlagen gestörter Arbeitsgedächtnisfunktionen bei schizophrenen Patienten . . . . . . . . Konzeptuelle Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . Funktionell-bildgebende Studien zum Arbeitsgedächtnis bei Schizophrenie: Heterogene Ergebnisse und interpretatorische Herausforderungen . . . . . . Funktionelle Bildgebung des Arbeitsgedächtnisses und Psychopathologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchung gestörter zerebraler Konnektivität . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17.3 17.4 17.5
198
20.1.1 20.1.2
199 199 200 201 202 202 204 205 205 209 211 214
20.1.3
18
Motorik – Bildgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Johannes Schröder
20.2.4 20.3
18.1 18.2 18.2.1 18.2.2 18.2.3
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Morphometrische Untersuchungen . . . . . . . . . . . Zerebelläre Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungen des Gesamthirns . . . . . . . . . . . . Entstehung der morphometrischen Veränderungen und Entwicklung der NSS . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionelle Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . Funktionelle Magnetresonanztomographie . . . . . . Mögliche Medikamenteneffekte . . . . . . . . . . . . . fMRT unter Kontrolle der Bewegungsleistung . . . . . Training und klinischer Verlauf . . . . . . . . . . . . . . Bildgebende Verfahren und das Verständnis der NSS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17.5.1 17.5.2 17.5.3 17.6 17.6.1 17.6.2 17.6.3 17.7 17.8 17.9
18.3 18.3.1 18.3.2 18.3.3 18.3.4 18.4
217 218 218 219 220 221 221 223 224 225 228 229
20.1.4 20.1.5 20.2 20.2.1 20.2.2
20.2.3
. . 239 . . 241 . . 241
243 243 243 243 246 246 247 247
248 249 249 250 251
21
Gedächtnis – Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Cornelia Exner
21.1
Stärke der Beeinträchtigungen im Gedächtnisbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beeinträchtigte Gedächtnissysteme . . . . . . . . Langzeitgedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis . . . . . . . . . . Materialeffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbales Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . Visuell-räumliches Gedächtnis . . . . . . . . . . . Autobiographisches Gedächtnis . . . . . . . . . . Emotionales Material . . . . . . . . . . . . . . . . .
21.2 21.2.1 21.2.2 21.3 21.3.1 21.3.2 21.3.3 21.3.4
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
254 254 254 257 257 257 257 258 258
XI Inhaltsverzeichnis
21.4 Beeinträchtigte Prozesse und Mechanismen . . . . . 21.4.1 Enkodierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.4.2 Speicherung und Erhalt von Informationen im Langzeitgedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.4.3 Abruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.4.4 Kontextgedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.4.5 Metagedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.5 Gedächtnisdefizite im Kontext anderer kognitiver Defizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.5.1 Intellektuelles Leistungsniveau . . . . . . . . . . . . . . 21.5.2 Verarbeitungsgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . 21.5.3 Aufmerksamkeitsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.5.4 Exekutive Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.6 Gedächtnisdefizite im Krankheitsverlauf . . . . . . . . 21.6.1 Gedächtnisdefizite im Prodromalstadium . . . . . . . 21.6.2 Gedächtnisdefizite bei Erstmanifestation . . . . . . . 21.6.3 Gedächtnisdefizite im Langzeitverlauf der Erkrankung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.6.4 Gedächtnisdefizite bei nicht erkrankten Verwandten schizophrener Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.7 Zusammenhänge von Gedächtnisdefiziten und psychopathologischer Symptomatik . . . . . . . 21.7.1 Zusammenhänge mit der Symptomschwere . . . . . 21.7.2 Zusammenhänge mit Symptomdimensionen . . . . 21.7.3 Einfluss von Erkrankungsphasen . . . . . . . . . . . . . 21.7.4 Vergleich mit anderen psychischen Störungen . . . . 21.8 Einfluss weiterer Moderatorvariablen . . . . . . . . . . 21.8.1 Geschlechtsunterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.8.2 Alterseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.8.3 Medikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.9 Prognostischer Wert von Gedächtnisdefiziten für den Rehabilitationsverlauf . . . . . . . . . . . . . . . 21.10 Gedächtnisdefizite im Kontext neurobiologischer Schizophreniemodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.11 Behandlung von Gedächtnisdefiziten . . . . . . . . . . 21.11.1 Medikamentös . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.11.2 Neuropsychologische Therapie . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
259 259 260 261 261 261 262 262 262 262 262 263 263 263 263 264 264 264 264 265 265 266 266 266 266 267 267 267 267 268 268
22
Gedächtnis – Bildgebung . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Susanne Weis und Axel Krug
22.1
Funktionelle Neuroanatomie des nondeklarativen(impliziten) Gedächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . Klassische Konditionierung . . . . . . . . . . . . . . . Priming . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozedurales Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionelle Neuroanatomie des expliziten (deklarativen) Gedächtnisses . . . . . . . . . . . . . . Gedächtniseinspeicherung (Enkodierung) . . . . . . Gedächtnisabruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Meta-Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturelle Veränderungen von relevanten Gehirnregionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22.1.1 22.1.2 22.1.3 22.2 22.2.1 22.2.2 22.2.3 22.3
. . . .
271 271 271 271
. . . .
272 274 278 281
. 282
22.3.1 Strukturelle Veränderungen des Gehirnes im Kontext neurobiologischer Schizophreniemodelle . . . . . . . 283 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
23
Exekutivfunktionen – Psychologie . . . . . . . . . . 285 Bernhard Müller
23.1 23.1.1 23.1.2 23.1.3 23.1.4 23.2 23.3 23.4
Modelle exekutiver Funktionen . . . . . . . . . . . . . Das »Supervisory-Attentional«-System . . . . . . . . Die zentrale Exekutive des Arbeitsgedächtnisses . . Exekutive Funktion als Handlungssteuerung . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lokalisation exekutiver Leistungen . . . . . . . . . . Tests zur Untersuchung exekutiver Leistungen . . . Befunde zu exekutiven Leistungen bei Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exekutive Leistung im Verlauf der Erkrankung . . . Prodromalphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exekutive Leistung bei früh erkrankten Patienten . Exekutive Leistungen bei ersterkrankten Patienten Exekutive Funktionen im Krankheitsverlauf . . . . . Exekutive Leistungen und Symptomatik . . . . . . . Genetik und exekutive Leistungen . . . . . . . . . . . Medikation und exekutive Leistungen . . . . . . . . Weitere Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23.4.1 23.4.2 23.4.3 23.4.4 23.4.5 23.4.6 23.4.7 23.4.8 23.4.9 23.4.10 23.5
. . . . . . .
286 286 287 287 288 288 289
. . . . .
295 295 295 295 296 296 296 297 297 298 299 299 300
. . . . . . .
24
Exekutivfunktionen – Bildgebung . . . . . . . . . . 303 Nina Y. Seiferth und Renate Thienel
24.1 24.2
Exekutive Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildgebung von Exekutivfunktionen im Allgemeinen und bei Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhibition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsgedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monitoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kognitive Flexibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planen, Entscheiden, Problemlösen . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24.2.1 24.2.2 24.2.3 24.2.4 24.2.5 24.3
304 304 305 308 309 310 312 314 314
25
Sprachverständnis – Psychologie . . . . . . . . . . . 316 Benjamin Straube, Antonia Green und Tilo Kircher
25.1 25.2 25.2.1 25.2.2 25.3
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachverstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen des Sprachverstehens . . . . . . . . . . . Störungen des Sprachverstehens . . . . . . . . . . . Defizitebenen des Sprachverstehens bei Patienten mit Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Defizite der frühen perzeptuellen Verarbeitung . . Defizite auf der semantischen Ebene . . . . . . . . . Defizite auf syntaktischer Ebene . . . . . . . . . . . . Defizite im pragmatischen Verständnis . . . . . . . .
25.3.1 25.3.2 25.3.3 25.3.4
. . . .
317 317 317 322
. . . . .
322 322 323 324 324
XII
25.4 25.4.1 25.4.2 25.4.3 25.4.4
Inhaltsverzeichnis
Klinische Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenhang mit Symptomgruppen . . Verlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachrezeptionsstörungen – spezifisch für Schizophrenie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.4.5 Sprachtherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
327 327 327 329
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
329 329 330 330
28 28.1 28.2
Soziale Kognition – Bildgebung . . . . . . . . . . . . 357 Leonhard Schilbach und Kai Vogeley
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neurowissenschaftliche Untersuchungen von sozialer Kognition bei Schizophrenie . 28.2.1 Hirnstrukturelle Untersuchungen . . . . . . 28.2.2 Funktionelle Bildgebung bei Schizophrenie 28.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . 358 . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
359 359 359 363 364
26
Sprachverständnis – Bildgebung . . . . . . . . . . . 332 Antonia Green, Benjamin Straube und Tilo Kircher
29
Metakognition – Psychologie . . . . . . . . . . . . . 367 Steffen Moritz
26.1 26.2 26.3 26.4 26.4.1 26.4.2 26.4.3 26.4.4 26.5 26.6 26.6.1 26.6.2 26.7 26.7.1 26.7.2 26.7.3 26.8
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick über beteiligte Hirnareale . . . . . . Strukturelle Veränderungen . . . . . . . . . . . Grundlegende Sprachverarbeitungsaspekte Hören . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachdiskrimination . . . . . . . . . . . . . . . Phonem-Erkennung . . . . . . . . . . . . . . . . Audiovisuelle Sprachverarbeitung . . . . . . . Sprachverarbeitung auf Wortebene . . . . . . Sprachverarbeitung auf Satzebene . . . . . . Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kontextverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . Komplexe Aspekte der Sprachverarbeitung . Metaphern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pragmatikverständnis . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenhang mit Geschlecht, Genetik, anderen Symptomen und Krankheitsverlauf Geschlechtsunterschiede . . . . . . . . . . . . Genetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenhang mit anderen Symptomen . Krankheitsverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29.1 29.2
Terminologisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Korrespondenz subjektiver und objektiver kognitiver Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Subjektive kognitive Defizite . . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung subjektiver kognitiver Defizite für Behandlung und Verlauf . . . . . . . . . . . . . . . . Subjektive Wahrnehmung von Urteilsverzerrungen Verzerrte Vorstellungen eigener Denkvorgänge . . . Metagedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gedächtniskonfidenz bei korrekten und inkorrekten Gedächtnisurteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ursachen metakognitiver Dysfunktionen bei Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26.8.1 26.8.2 26.8.3 26.8.4 26.9
27 27.1 27.2 27.3
. . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . .
333 333 334 334 334 334 335 336 336 339 339 339 342 342 342 342
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
343 343 344 344 344 345 345
29.2.1 29.2.2 29.2.3 29.2.4 29.3 29.4 29.5 29.6
348 351 352 352 353 354 355 355
368 368 369 369 370 371 371 372 372 374
30
Metakognition – Bildgebung . . . . . . . . . . . . . . 375 Siegfried Gauggel
30.1 30.2
Metakognition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychologische Paradigmen (Aufgaben) zur Untersuchung metakognitiver Prozesse . . . Wichtige Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . Metakognition und Störungsbewusstsein . . Lokalisation metakognitiver Prozesse . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30.3 30.4 30.5 30.6
Soziale Kognition – Psychologie . . . . . . . . . . . 347 Martin Brüne
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schizophrene Kernsymptomatik und Theory of Mind Neuropsychologische Untersuchungen zur Theory of Mind bei Schizophrenien . . . . . . . . . . . 27.3.1 Symptomatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27.3.2 Theory of mind und pragmatisches Sprachverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27.3.3 Spezifität von ToM-Defiziten . . . . . . . . . . . . . . . . 27.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
368
31 31.1 31.1.1 31.1.2 31.2 31.2.1 31.2.2
. . . . . 376 . . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
377 377 377 378 379 379
Intelligenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Andreas Wittorf und Stefan Klingberg
Das Konstrukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 Intelligenztheorien und -tests . . . . . . . . . . . . . . . 382 Intelligenz und Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . 384 Historische Wurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 Neuropsychologische Defizite als Kernsymptome der Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 31.2.3 Befunde zur Intelligenzforschung bei Schizophrenien 385 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
XIII Inhaltsverzeichnis
III
32
32.1 32.1.1 32.1.2 32.1.3 32.1.4 32.1.5 32.2 32.2.1 32.2.2 32.2.3 32.2.4 32.2.5 32.2.6 32.3 32.3.1 32.3.2 32.3.3 32.3.4 32.4 32.4.1 32.4.2 32.5
33.3.3 Funktionelle Bildgebung und Konnektivitätsuntersuchungen mittels elektromagnetischer Verfahren 422 33.3.4 Störung der Entstehung von Halluzinationen mittels TMS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 33.4 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . 424 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426
Symptome und ihre neuralen Korrelate Halluzinationen – Psychologie . . . . . . . . . . . . . 393 Daniela Hubl, Thomas Koenig, Werner Strik und Thomas Dierks Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Halluzinationen bei Schizophrenie . . . . . . . . . . . . Epidemiologie der Halluzinationen . . . . . . . . . . . Halluzinationen bei anderen psychiatrischen Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Halluzinationen bei somatischen Erkrankungen . . . Halluzinationen bei Gesunden und deren pathologische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . Kognitive Modelle zur Entstehung und Aufrechterhaltung von akustischen Halluzinationen . . . . . . Grundkonditionen und kognitive Basismechanismen der Halluzinationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überschreiten der Wahrnehmungsschwelle durch intrinsische hypervalente kognitive Schemata . . . . Defizientes Selbstmonitoring innerer Sprache . . . . Ektope Erregungen durch gestörte Diskursplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Halluzinationen bei tauben Schizophrenen . . . . . . Halluzinationen – vergessene Erinnerungen? . . . . . Neurobiologisch-neuropsychiatrische Kombinationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neuronale Erwartungshaltungen . . . . . . . . . . . . Neurobiologisch-kognitives Modell . . . . . . . . . . . Neuropsychiatrisches 4-Komponenten-Modell . . . . Integration neurophsyiologischer Studien und neuropsychologischer Modellen . . . . . . . . . . Phasischer Charakter der Halluzinationen und Wechselwirkungen mit dem Affekt . . . . . . . . Phasischer Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Halluzinationen und Affekt . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
394 394 394 395 395 396 396 398 399 400 404 404 405
34.1 34.2
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phänomenologie und Konzepte formaler Denkstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Parallelen zu neurologischen Syndromen . . . . . . Differenzialdiagnostische Spezifität von formalen Denkstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein kognitives Modell der Sprachproduktion . . . Lexikale Selektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Form Encoding . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Artikulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstmonitoring und Fehlerkorrektur . . . . . . . Kognitionspsychologische und linguistische Befunde bei positiven formalen Denkstörungen . Formale Denkstörungen als Dysfunktion des mentalen Lexikons . . . . . . . . . . . . . . . . . Exekutivfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formale Denkstörungen und Theory of Mind . . . Schlussfolgerungen und Zusammenfassung . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34.3 34.4 34.5 34.5.1 34.5.2 34.5.3 34.5.4 34.6 34.6.1 34.6.2 34.6.3 34.7
. . 428 . . 428 . . 431 . . . . . .
. . . . . .
432 432 433 434 434 434
. . 434 . . . . .
. . . . .
436 438 440 441 441
35
Formale Denkstörungen – Bildgebung . . . . . . . 443 Carin Klaerding und Tilo Kircher
35.1 35.2
409
35.2.1 35.2.2
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturelle Bildgebung und formale Denkstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der obere Temporallappen . . . . . . . . . . . . . . Medialer temporaler Kortex und präfrontale Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ruheblutflussmessungen und Desorganisationssyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der obere Temporallappen . . . . . . . . . . . . . . Frontaler Kortex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktivierungsstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neuronale Korrelate positiver FDS während kontinuierlicher Spontansprache . . . . . . . . . . . Temporale Lateralisationsstörungen bei positiven FDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Negative FDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Syntax und FDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachverarbeitung und FDS . . . . . . . . . . . . . Kontextverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wortselektion/Arbeitsgedächtnis . . . . . . . . . . Primingstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wortflüssigkeit und Assoziation . . . . . . . . . . .
409 409 409 410 411
Halluzinationen – Bildgebung . . . . . . . . . . . . . 412 Thomas Dierks und Daniela Hubl
33.1 33.2
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturelle zerebrale Veränderungen im Zusammenhang mit Halluzinationen Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Studienübersicht . . . . . . . . . . . . . . . Funktionelle zerebrale Veränderungen im Zusammenhang mit Halluzinationen Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Studienübersicht . . . . . . . . . . . . . . .
33.3.1 33.3.2
Formale Denkstörungen – Psychologie . . . . . . . 427 André Kirner, Nadja Zellagui und Tilo Kircher
406 406 407 408
33
33.2.1 33.2.2 33.3
34
35.3 35.3.1 35.3.2 35.4 35.4.1
. . . . . . . . 413
35.4.2
. . . . . . . . 413 . . . . . . . . 413 . . . . . . . . 414
35.4.3 35.4.4 35.5 35.5.1 35.5.2 35.5.3 35.5.4
. . . . . . . . 416 . . . . . . . . 416 . . . . . . . . 417
. . 444 . . 444 . . 444 . . 445 . . . .
. . . .
445 445 445 446
. . 446 . . . . . . . .
. . . . . . . .
447 448 448 448 448 449 450 451
XIV
Inhaltsverzeichnis
35.6 Integration: Dyskonnektivität . . . . 35.6.1 Die »Dyskonnektivitätshypothese« der Schizophrenie . . . . . . . . . . . 35.6.2 Diffusionsgewichtete Bildgebung . 35.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . 452 . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
452 453 454 454
36
Wahn – Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 Steffen Moritz und Tania Lincoln
36.1 36.2 36.3 36.3.1 36.3.2 36.3.3 36.3.4 36.3.5 36.3.6 36.3.7 36.4
Terminologisches . . . . . . . . . . . . . . . . . Probleme des Wahnbegriffs . . . . . . . . . . Kognitionspsychologische Wahntheorien . . Attributionsstil . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstwert und Wahn . . . . . . . . . . . . . . Voreiliges Schlussfolgern . . . . . . . . . . . . Störungen der attentionalen Verarbeitung Need for closure . . . . . . . . . . . . . . . . . Unkorrigierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . Theory of Mind . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kognitive Modelle und therapeutische Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36.5
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
457 457 457 458 459 460 463 463 463 464
. . . . . . 465 . . . . . . 466 . . . . . . 467
37
Wahn – Bildgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 Martin Voss, Peter Kalus, Astrid Knobel und Andreas Heinz
37.1 37.2
Anatomische und bildgebend-korrelative Studien . Neurobiologische Erklärungsmodelle: Störung der dopaminergen und glutamatergen Transmission in anatomischen und bildgebenden Studien . . . . . Dopamin als Neuromodulator . . . . . . . . . . . . . . Dopamin-Glutamat-Interaktionen . . . . . . . . . . . . Bildgebende Untersuchungen neuropsychologischer Erklärungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahnstimmung und Wahnwahrnehmungen . . . . . Kognitive Bias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfolgungs- und Beeinflussungswahn als »Theory of Mind«-Störung . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37.2.1 37.2.2 37.3 37.3.1 37.3.2 37.3.3 37.4
38 38.1 38.2 38.3
469
471 471 474 476 476 476 479 481 481
Ich-Störungen – Psychologie . . . . . . . . . . . . . . 484 Dirk Leube und Katharina Pauly
Symptome der Ich-Störung . . . . . . . . . . . Erfassen von Ich-Störungen . . . . . . . . . . . Beispiel für die experimentalpsychologische Untersuchung von Ich-Störungen . . . . . . . 38.4 Modelle der Ich-Störungen . . . . . . . . . . . 38.4.1 Reafferenz und Vorwärtsmodelle . . . . . . . . 38.4.2 Spiegelneurone und Imitation . . . . . . . . . 38.5 Zusammenhang von Phänomenologie und Neurobiologie der Ich-Störung . . . . . . .
. . . . . 485 . . . . . 486
38.6
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495
39
Ich-Störungen – Bildgebung . . . . . . . . . . . . . . 496 Dirk Leube und Katharina Pauly
39.1
Ich-Erleben, Sensomotorik und das menschliche Gehirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.2 Die zerebrale Lokalisation der Ich-Störung . . . . . . . 39.2.1 Feedforward-Mechanismen und Bewegungskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.2.2 Intention, kognitive Kontrolle und Zielrepräsentation 39.2.3 Spiegelneurone, Imitation und Vorstellung von Handlungen und die Unterscheidung von eigenen und fremden Handlungen . . . . . . . . 39.3 Störungen des Ich-Erlebens im Rahmen neurologischer Syndrome . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
489 489 489 492
. . . . . 494
498 500
502 504 504 505
40
Affektstörungen – Psychologie . . . . . . . . . . . . 506 Valentin Markov und Ute Habel
40.1 40.1.1 40.1.2 40.2 40.2.1
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Affekt und Emotion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolle und Funktion der Emotionen . . . . . . . . . . . . Emotionstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Emotionstheorien nach James-Lange und Cannon-Bard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kognitive Emotionstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . Evolutionsbiologische Theorieansätze . . . . . . . . . Affektive Beeinträchtigungen bei der Schizophrenie Emotionsinduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Emotionsinduktion und emotionales Erleben . . . . . Emotionale Ausdrucksfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . Emotionale Diskrimination . . . . . . . . . . . . . . . . . Emotionales Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezifische Therapiemöglichkeiten affektiver Beeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40.2.2 40.2.3 40.3 40.4 40.4.1 40.4.2 40.4.3 40.4.4 40.5 40.6 40.7
507 507 507 507 508 508 508 509 510 510 513 513 515 516 517 518 518
41
Affektstörungen – Bildgebung . . . . . . . . . . . . 520 Irina Falkenberg und Frank Schneider
41.1 41.2
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionelle Bildgebung von emotionalem Erleben und Verhalten – Befunde bei Gesunden . . . . . . . . Emotionales Erleben – zugrunde liegende Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Emotionale Diskriminationsfähigkeit . . . . . . . . . . Emotionales Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . Olfaktorik und Affektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionelle Bildgebung des emotionalen Erlebens und Verhaltens schizophrener Patienten . . . . . . . .
41.2.1 . . . .
497 498
41.2.2 41.2.3 41.2.4 41.3
521 522 522 522 523 524 525
XV Inhaltsverzeichnis
41.3.1 Neuronale Korrelate von Affektstörungen bei Schizophreniepatienten – Ergebnisse struktureller und funktioneller Untersuchungen . . . . . . . . . . . 525 41.3.2 Funktionelle Bildgebung des emotionalen Erlebens schizophrener Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 41.3.3 Emotionale Diskriminationsfähigkeit . . . . . . . . . . 527 41.3.4 Emotionales Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 41.3.5 Olfaktorik und Affektivität bei Schizophreniepatienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 41.3.6 Der Einfluss genetischer Faktoren auf die Emotionsverarbeitung bei schizophrenen Patienten . . . . . . 529 41.4 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . 529 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530
42
Negativsymptomatik – Psychologie . . . . . . . . . 532 Stefan Lautenbacher
42.1 42.2 42.3 42.4
Fallgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Positive und negative Symptome der Schizophrenie Zusammenhang zwischen negativen Symptomen und neuropsychologischen Dysfunktionen . . . . . . Hirnstrukturelle Veränderungen bei Negativsymptomatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prognose des Krankheitsverlaufs durch neuropsychologische Dysfunktionen und Negativsymptomatik . . Neuropsychologie der schizophrenen Depression . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42.5 42.6 42.7 42.8
533 533 533 534 535 535 536 537 537
43
Negativsymptomatik – Bildgebung . . . . . . . . . 539 Ralf Schlösser, Gerd Wagner und Heinrich Sauer
43.1 43.2 43.2.1 43.2.2 43.3 43.3.1
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hirnstrukturelle Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . Magnetresonanztomographie (MRT) . . . . . . . . . »Diffusion tensor imaging« (DTI) . . . . . . . . . . . . Funktionelle Bildgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungen von Blutfluss und Metabolismus in Ruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktivierungsstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezifische Tracerstudien . . . . . . . . . . . . . . . . Therapieverlaufsuntersuchungen . . . . . . . . . . . Magnetresonanzspektroskopie . . . . . . . . . . . . . 1 H-Spektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 P-Spektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43.3.2 43.3.3 43.4 43.5 43.5.1 43.5.2 43.6
. . . . .
540 540 540 545 547
. . . . . . . . .
547 548 550 552 553 553 554 554 555
44
Katatonie – Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 560 Georg Northoff
44.1 44.1.1 44.1.2 44.1.3
Symptome der Katatonie . Motorische Symptome . . Behaviorale Symptome . . Affektive Symptome . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
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. . . .
. . . .
. . . .
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. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
561 561 561 562
44.2 44.2.1 44.2.2 44.2.3 44.3 44.3.1 44.3.2 44.4
Subjektives Erleben der Katatonie . . . . . . . . . . . Motorische Symptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . Subjektives Erleben der motorischen Symptome . Subjektives Erleben der affektiven Symptome . . . Neuropsychologische Befunde bei der Katatonie . Visuelle räumliche Fähigkeiten . . . . . . . . . . . . . Emotional-basierte Entscheidungsfähigkeit . . . . . Pathopsychologische Hypothesen der Symptome der Katatonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44.4.1 Pathopsychologie der motorischen Symptome . . 44.4.2 Pathopsychologie der behavioralen Symptome . . 44.4.3 Pathopsychologie der affektiven Symptome . . . . 44.5 Zusammenschau der dargestellten Befunde . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
. . . . . . .
563 563 563 564 564 564 564
. . . . . .
565 565 565 566 566 566
Katatonie – Bildgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 Georg Northoff und Rabea Paus
45.1 45.1.1 45.2 45.2.1 45.2.2 45.3 45.3.1 45.4
Strukturelle Befunde der Katatonie . . . . . . . . Computertomographie (CT) . . . . . . . . . . . . . Funktionale Befunde der Katatonie . . . . . . . . Magnetresonanztomographie (MRT) . . . . . . . rCBF und SPECT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elektrophysiologische Befunde der Katatonie . . MRCP (»Movement-related cortical potentials«) Pathophysiologische Hypothesen aufgrund der Befunde durch Bildgebung bei Katatonie . . 45.4.1 Pathophysiologie der motorischen Symptome . 45.4.2 Pathophysiologie der affektiven Symptome . . . 45.4.3 Pathophysiologie der behavioralen Symptome . 45.5 Zusammenschau der dargestellten Befunde . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
568 568 568 568 569 570 570
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
570 570 571 572 572 573
IV Therapie 46
Kognitive Verhaltenstherapie bei schizophrenen Störungen – Einfluss auf Symptome und Kognition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 Stefan Klingberg, Andreas Wittorf und Gerhard Buchkremer
46.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46.2 Ansätze kognitiver Verhaltenstherapie . . . . . . . . 46.2.1 Überblick über kognitiv verhaltenstherapeutische Ansätze in der Behandlung schizophrener Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . 46.2.2 Kognitive Verhaltenstherapie zur Behandlung von psychotischen Symptomen . . . . . . . . . . . . 46.3 Wirkprinzipien kognitiver Verhaltenstherapie bei psychotischen Symptomen . . . . . . . . . . . . . 46.3.1 Beziehungsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46.3.2 Individuelles Vorgehen/Fallkonzeption . . . . . . . .
. 578 . 578
. 578 . 579 . 580 . 580 . 581
XVI
Inhaltsverzeichnis
46.3.3 Bearbeitung der den Wahn aufrechterhaltenden Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46.3.4 Bearbeitung wahnrelevanter kognitiver Prozesse . . 46.3.5 Wirkprinzipien der Bearbeitung von Halluzinationen 46.3.6 Berücksichtigung der neuropsychologischen Funktionsfähigkeit als potenziell limitierenden Faktor 46.4 Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie in Bezug auf die Reduktion psychotischer Symptome . . . . . 46.4.1 Metaanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46.4.2 Behandlungsleitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46.5 Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie in Bezug auf die Veränderung von kognitiven Prozessen . . . . 46.5.1 Wirksamkeit für klassisch neuropsychologische Merkmale/kognitive Defizite . . . . . . . . . . . . . . . 46.5.2 Wirksamkeit in Bezug auf kognitive Verzerrungen . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48.4 48.4.1 48.4.2 48.5 48.5.1 48.5.2 48.5.3 48.5.4 48.6
Pharmakotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . Antipsychotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nichtantipsychotisch wirksame Pharmaka . Aktuelle Entwicklungsstrategien . . . . . . . Dopaminerge Strategien . . . . . . . . . . . . Serotonerge Strategien . . . . . . . . . . . . . Glutamaterge Strategien . . . . . . . . . . . . Cholinerge Strategien . . . . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
587
49
Kognition und Rehabilitation . . . . . . . . . . . . . 613 Ulrich Müller und Thomas Becker
587 587 587
49.1 49.2 49.3 49.4 49.5 49.6 49.7 49.8 49.9 49.10 49.11 49.12
Rehabilitation der Schizophrenie in Deutschland . Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kognitionen ≠ (Neuro)Kognition . . . . . . . . . . . . Kognition und psychosoziales Funktionsniveau . . Neuropsychologie der Adhärenz (engl. adherence) Substanzmissbrauch und Kognition . . . . . . . . . . Affektive Störungen und Apathie . . . . . . . . . . . Schizophrenie im Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . Langzeitmedikation und Neurokognition . . . . . . Pharmakotherapie kognitiver Defizite . . . . . . . . Neuropsychologische Rehabilitation . . . . . . . . . Ausblick und Fazit für die Praxis . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
581 581 584 584 585 585 586
47
Kognitives Training bei Schizophrenie . . . . . . . 589 Stefan Bender und Alexandra Dittmann-Balcar
47.1 47.2 47.3
Veränderbarkeit kognitiver Defizite . . . . . . Kognitive Trainingsprogramme . . . . . . . . . Kognitives Training in der Bewertung durch Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirksamkeit und Generalisierung . . . . . . . Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47.4 47.5 47.6
. . . . . 590 . . . . . 591 . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
593 594 597 597 598
48
Pharmakotherapie kognitiver Störungen . . . . . 599 Gerhard Gründer
48.1 48.2
Konzepte und Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . Neurobiologie kognitiver Störungen bei Schizophrenien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dopaminerge Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . Serotonerge Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glutamaterge Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . Cholinerge Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . GABAerge Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Negative Wirkungen von Pharmaka auf kognitive Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48.2.1 48.2.2 48.2.3 48.2.4 48.2.5 48.3
V
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
604 604 607 609 609 609 610 610 610 610
614 614 614 615 617 617 618 618 618 619 620 621 622
Anhang
. . 600 . . . . . .
. . . . . .
601 601 601 602 603 603
. . 603
Hirnatlas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 Katrin Amunts, Karl Zilles Farbtafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 678
XVII
Autorenverzeichnis Amunts, Katrin, Prof. Dr. med.
Exner, Cornelia, Dr. phil.
Green, Antonia, Dipl.-Psych.
Institut für Medizin (IME), Forschungszentrum Jülich, 52425 Jülich E-Mail:
[email protected] und Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Klinische Psychologie und Psychotherapie, Fachbereich Psychologie, Philipps-Universität Marburg, Gutenbergstr. 18, 35037 Marburg E-Mail:
[email protected]
MR Neuroimaging – Kognitive Neuropsychiatrie, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Becker, Thomas, Prof. Dr. med. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II, Universität Ulm, Ludwig-Heilmeyer-Str. 2, 89312 Günzburg E-Mail:
[email protected]
Bender, Stefan, Priv.-Doz. Dr. med. LWL-Kliniken Marsberg, Weist 45, 34431 Marsberg, E-Mail:
[email protected]
Brüne, Martin, Priv.-Doz. Dr. med. Westfälisches Zentrum für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinik Bochum, Alexandrinenstraße 1, 44791 Bochum E-Mail:
[email protected]
Buchkremer, Gerhard, Prof. Dr. med. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinik Tübingen, Osianderstr. 24, 72076 Tübingen E-Mail:
[email protected]
Dierks, Thomas, Prof. Dr. med. Abt. für Psychiatrische Neurophysiologie, Universitätsklinik für Klinische Psychiatrie, Bolligenstr. 111, CH-3000, Bern 60, Schweiz E-Mail:
[email protected]
Dittmann-Balcar, Alexandra, Dipl.-Psych. LWL-Kliniken Marsberg, Weist 45, 34431 Marsberg E-Mail:
[email protected]
Falkai, Peter, Prof. Dr. med. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität des Saarlandes, 66421 Homburg/Saar E-Mail:
[email protected]
Grözinger, Michael, Priv.-Doz. Dr. med. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universiätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstr. 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Falkenberg, Irina, Dr. med. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Gruber, Oliver, Prof. Dr. med. Medizinische und Klinische Psychologie, Universität des Saarlandes, 66421 Homburg/Saar E-Mail:
[email protected]
Fallgatter, Andreas, Prof. Dr. med. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Würzburg, Füchsleinstraße 15, 97080 Würzburg E-Mail:
[email protected]
Gründer, Gerhard, Prof. Dr. med. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Gaebel, Wolfgang, Prof. Dr. med. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Bergische Landstr. 2, 40629 Düsseldorf E-Mail:
[email protected]
Habel, Ute, Priv.-Doz. Dr. rer. soc.
Gauggel, Siegfried, Prof. Dr. phil.
Heinz, Andreas, Prof. Dr. med.
Institut für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Universitätsklinikum RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité, Universitätsmedizin Berlin, Campus Mitte, Schuhmannstraße 20/21, 10117 Berlin E-Mail:
[email protected]
Gouzoulis-Mayfrank, Euphrosyne, Prof. Dr. med.
Hoff, Paul, Prof. Dr. med. Dr. phil.
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität zu Köln, Kerpener Str. 62, 50937 Köln E-Mail:
[email protected]
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Psychiatrische Universität Zürich, Lengstraße 31, CH-8029 Zürich, Schweiz E-Mail:
[email protected]
Hubl, Daniela, Dr. med. Abt. für Psychiatrische Neurophysiologie, Universitätsklinik für Klinische Psychiatrie, Bolligenstr. 111, CH-3000 Bern 60, Schweiz E-Mail:
[email protected]
XVIII
Autorenverzeichnis
Jahn, Thomas, Prof. Dr. phil.
Klingberg, Stefan, Priv.-Doz. Dr. phil.
Lincoln, Tania, Dipl.-Psych. Dr.
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, TU München, Ismaninger Straße 22, 81675 München E-Mail:
[email protected]
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinik Tübingen, Osianderstr. 24, 72076 Tübingen E-Mail:
[email protected]
Klinische Psychologie und Psychotherapie, Fachbereich Psychologie, Philipps-Universität Marburg, Gutenbergstraße 18, 35037 Marburg E-Mail:
[email protected]
Juckel, Georg, Prof. Dr. med.
Knobel, Astrid, Dr. med.
Maier, Wolfgang, Prof. Dr. med.
Westfälisches Zentrum für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinik Bochum, Alexandrinenstraße 1, 44791 Bochum E-Mail:
[email protected]
Psychiatrische Universitätsklinik der Charité, im St. Hedwig-Krankenhaus, Große Hamburger Str. 5-11, 10115 Berlin E-Mail:
[email protected]
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Bonn, Sigmund-Freud-Str. 25, 53127 Bonn E-Mail:
[email protected]
König, Thomas, Priv.-Doz. Dr. sc. nat. Kalus, Peter, Priv.-Doz. Dr. med. Psychiatrische Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig Krankenhaus, Turmstr. 21, 10559 Berlin E-Mail:
[email protected]
Abt. für Psychiatrische Neurophysiologie, Universitätsklinik für Klinische Psychiatrie, Bolligenstr. 111, CH-3000 Bern 60, Schweiz E-Mail:
[email protected]
Markov, Valentin, Dipl.-Psych. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Krach, Sören, Dipl.-Psych. Dr. rer. nat. Kathmann, Norbert, Prof. Dr. rer. nat. Institut für Psychologie, Humboldt-Universität zu Berlin Unter den Linden 6,10099 Berlin E-Mail:
[email protected]
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universiätsklinikums der RWTH Aachen, Pauwelsstr. 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Mathiak, Klaus, Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Krug, Axel, Dipl.-Psych. Kellermann, Thilo, Dipl.-Psych. Dr. rer. medic. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Kircher, Tilo, Prof. Dr. med. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Kirner, André, Dr. med.
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Mehler-Wex, Claudia, Prof. Dr. med. Kinder- und Jugendpsychiatrie, Universitätsklinikum Ulm, Steinhövelstraße 5, 89075 Ulm E-Mail:
[email protected]
Langer, Julia, Dipl.-Psych. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Würzburg, Füchsleinstraße 15, 97080 Würzburg E-Mail:
[email protected]
Lautenbacher, Stefan, Dipl.-Psych. Prof. Dr. phil.
Moritz, Steffen, Priv.-Doz. Dr. phil. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Martinistr. 52, 20246 Hamburg E-Mail:
[email protected]
Abt. Physiologische Psychologie, Universität Bamberg, Markusplatz 3, 96045 Bamberg E-Mail:
[email protected]
Müller, Bernhard, Priv.-Doz. Dr. phil.
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Klaerding, Carin, MA
Leube, Dirk, Dr. med.
Müller, Ulrich, Priv.-Doz. Dr. med.
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Dep. of Experimental Psychology & Psychiatry, University of Cambridge, Downing Site, Camebridge, CB2 3EB, United Kingdom E-Mail:
[email protected]
Klinik für Psychiatrie, Universität Essen, Virchowstr. 147, 45205 Essen E-Mail:
[email protected]
XIX Autorenverzeichnis
Mundt, Christoph, Prof. Dr. med.
Sauer, Heinrich, Prof. Dr. med.
Stöcker, Tony, Dr. rer. nat.
Klinik für Allgemeine Psychiatrie mit Poliklinik, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Universitätsklinikum Heidelberg, Voßstr. 2, 69115 Heidelberg E-Mail:
[email protected]
Klinik für Psychiatrie, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Philosophenweg 3, 07743 Jena E-Mail:
[email protected]
Institut für Medizin, Forschungszentrum Jülich, 52425 Jülich E-Mail:
[email protected]
Schilbach, Leonhard, Arzt
Straube, Benjamin, Dipl.-Psych.
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der Universität zu Köln, Kerpener Str. 62, 50924 Köln E-Mail:
[email protected]
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Northoff, Georg, Prof. Dr. phil. Dr. med. Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin, Universitätsklinikum, Leipziger Str. 44, 39120 Magdeburg E-Mail:
[email protected]
Özgürdal, Seza, Dipl.-Psych. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ruhr-Universität Bochum, Alexandrinenstraße 1, 44791 Bochum E-Mail:
[email protected]
Pauen, Michael, Prof. Dr. phil. Institut für Philosophie, Universität Magdeburg, Zschokkestr. 32, 39016 Magdeburg E-Mail:
[email protected]
Pauly, Katharina, Dipl.-Psych. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Strik, Werner, Prof. Dr. med. Schlösser, Ralf, Priv.-Doz. Dr. med. Klinik für Psychiatrie, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Philosophenweg 3, 07743 Jena E-Mail:
[email protected]
Schneider, Frank, Prof. Dr. med. Dr. rer. soc. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Schröder, Johannes, Prof. Dr. med. Klinik für Allgemeine Psychiatrie mit Poliklinik, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Klinikum der Universität Heidelberg, Voßstr. 4, 69115 Heidelberg E-Mail:
[email protected]
Universitätsklinik für Klinische Psychiatrie, Bolligenstr. 111, CH-3000, Bern 60, Schweiz E-Mail:
[email protected]
Theodoridou, Anastasia, Dr. med. Psychiatrische Universität Zürich, Lengstraße 31, CH-8029 Zürich, Schweiz E-Mail:
[email protected]
Thienel, Renate, Dipl.-Psych. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Thönnessen Heike, Dipl.-Psych. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Schwenck, Christina, Dr. phil.
Vogeley, Kai, Prof. Dr. phil. Dr. med.
Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin, Universitätsklinikum, Leipziger Str. 44, 39120 Magdeburg
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Würzburg, Füchsleinstraße 15, 97080 Würzburg E-Mail:
[email protected]
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität zu Köln, Kerpener Str. 62, 50937 Köln E-Mail:
[email protected]
Reuter, Benedikt, Dipl.-Psych.
Seiferth, Nina, Dipl.-Psych.
Voß, Bianca, Dipl.-Psych.
Institut für Psychologie, Klinische Psychologie Humboldt-Universität zu Berlin Unter den Linden 6,10099 Berlin E-Mail:
[email protected]
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Shah, Jon, Prof. Dr. rer. nat.
Voss, Martin, Dr. med.
Institut für Medizin, Forschungszentrum Jülich, 52425 Jülich E-Mail:
[email protected]
Psychiatrische Universitätsklinik der Charité, im St. Hedwig-Krankenhaus, Große Hamburger Str. 5-11, 10115 Berlin E-Mail:
[email protected]
Paus, Rabea
XX
Autorenverzeichnis
Wagner, Gerd, Dr. med.
Warnke, Andreas, Prof. Dr. med.
Zellagui, Nadja, Dipl.-Psych.
Klinik für Psychiatrie, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Philosophenweg 3, 07743 Jena E-Mail:
[email protected]
Kinder- und Jugendpsychiatrie, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Füchsleinstr. 15, 97080 Würzburg E-Mail:
[email protected]
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Wagner, Michael, Dipl.-Psych. Prof. Dr. phil.
Weis, Susanne, Dr. rer. nat.
Zielasek, Jürgen, Priv.-Doz. Dr. med.
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail:
[email protected]
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Bergische Landstr. 2, 40629 Düsseldorf E-Mail:
[email protected]
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Bonn, Sigmund-Freud-Str. 25, 53105 Bonn E-Mail:
[email protected]
Walter, Henrik, Prof. Dr. med. Dr. phil. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Bonn, Sigmund-Freud-Str. 25, 53105 Bonn E-Mail:
[email protected]
Wittorf, Andreas, Dipl.-Psych. Dr. rer. soc. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinik Tübingen, Osianderstraße 24, 72072 Tübingen E-Mail:
[email protected]
Wolf, Robert Christian, Dr. med. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III, Universität Ulm, Leimgrubenweg 12-14, 89075 Ulm, E-Mail:
[email protected]
Zilles, Karl, Prof. Dr. med. Institut für Neurowissenschaften und Biophysik - Medizin, Forschungszentrum Jülich, 52425 Jülich E-Mail:
[email protected] und C. & O. Vogt-Institut für Hirnforschung, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Universitätsstr. 1, 40225 Düsseldorf E-Mail:
[email protected]
I
Grundlagen 1
Schizophrene Psychosen im Spannungsfeld von Kognition, Affekt und Volition – Die psychiatriehistorische Perspektive – 3 Paul Hoff und Anastasia Theodoridou
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Was ist Kognition? Grundlagen und Methoden – 12 Siegfried Gauggel
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Methodik der funktionellen Magnetresonanztomographie
– 19
Thilo Kellermann, Tony Stöcker und N. Jon Shah
4
Diagnose, Ätiologie und Neuropathophysiologie der Schizophrenie – 36 Peter Falkai
5
Genetische Aspekte neuropsychologischer Störungen bei schizophrenen Patienten – 44 Michael Wagner und Wolfgang Maier
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Verlauf kognitiver Störungen bei Schizophrenien
– 58
Seza Özgürdal und Georg Juckel
7
Kognition bei Kindern und Jugendlichen mit Schizophrenie – 70 Claudia Mehler-Wex, Christina Schwenck und Andreas Warnke
8
Kognition bei Modellpsychosen
– 82
E. Gouzoulis-Mayfrank
9
Zum Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein – Philosophische Aspekte – 96 Michael Pauen
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10
Zur Beziehung von Phänomenologie und Kognitionspsychologie – Die Konzeptgeschichte der schizophrenen Intentionalitätsstörung – 105 Christoph Mundt
11
Psychopathologie und Neurowissenschaften Wolfgang Gaebel und Jürgen Zielasek
12
Schizophrenie und Schlaf
– 132
Sören Krach und Michael Grözinger
– 118
1
1 Schizophrene Psychosen im Spannungsfeld von Kognition, Affekt und Volition – Die psychiatriehistorische Perspektive Paul Hoff und Anastasia Theodoridou
1.1
Die paradigmatische Rolle der Schizophrenie
1.2
Bedeutende Psychosekonzepte mit Blick auf die Rolle der Kognition – 4
1.3
Kognition und darüber hinaus – Zur Zukunft des Schizophreniebegriffs – 10 Literatur
– 11
–4
1
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Kapitel 1 · Schizophrene Psychosen im Spannungsfeld von Kognition, Affekt und Volition – Die psychiatriehistorische Perspektive
1.1
Die paradigmatische Rolle der Schizophrenie
Schizophrenie ist nicht irgendeine psychische Erkrankung, sondern eine der zentralen Herausforderungen für die psychiatrische Praxis und Forschung, seit es dieses Fach im Sinne einer ärztlichwissenschaftlichen Spezialdisziplin gibt, also spätestens seit der Aufklärung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Nun hat diese schwere und oft chronische Erkrankung im Laufe der Geschichte der Psychiatrie häufig den Namen gewechselt. Und auch die dahinterstehenden theoretischen Konzepte waren starken Veränderungen unterworfen. Klar war im Grunde immer nur, dass es sich um eine Erkrankung handelt, die in der Regel nicht nur zu einzelnen psychischen Beeinträchtigungen (»Symptomen«) führt, sondern die das Erleben und Verhalten der betroffenen Person umfassend, »im Kern« tangiert und beeinträchtigt. So nimmt es nicht wunder, dass sich die gesamte Debatte um den Aufbau und die Funktionsweise der Psyche – heute eher: des Mentalen – auch im Umfeld der Fragen nach dem Wesen derjenigen Erkrankungen wiederfindet, die früher »Verrücktheit« oder »Wahnsinn« genannt wurden und die heute unter den Bezeichnungen »Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen« Eingang in das ICD-10 (und in ähnlicher Weise in das DSM-IV TR) gefunden haben (WHO 1991; APA 2000). Nimmt man noch die große gesundheitspolitische und volkswirtschaftliche Bedeutung schizophrener Erkrankungen hinzu, so kann sicherlich von einer paradigmatischen Rolle des Schizophreniebegriffs und seiner Historie innerhalb der Psychiatrie gesprochen werden. Diese Entwicklung soll im Folgenden unter besonderer Berücksichtigung des kognitiven Bereiches nachgezeichnet werden. Bei der hierbei getroffenen Auswahl von Konzepten und Argumenten war natürlich nicht die wissenschaftshistorische Vollständigkeit das Ziel, sondern der Versuch eines Brückenschlages zwischen richtungweisenden älteren Positionen und den aktuell diskutierten Fragen. Der Akzent liegt dabei nur aus Platzgründen deutlich mehr auf der Psychiatrieals auf der Psychologiegeschichte. Besonders auffallend, für manche vielleicht auch irritierend, ist – bei aller Verschiedenheit auf der sprachlichen Ebene – die Parallelität der zugrunde liegenden Fragen, mit denen sich Autoren wie Kraepelin und Bleuler beschäftigten und mit denen auch wir uns heute konfrontiert sehen. 1.2
Bedeutende Psychosekonzepte mit Blick auf die Rolle der Kognition
Das durch die Aufklärung markant veränderte Verständnis von Individuum und Gesellschaft hatte auch einen wesentlichen Einfluss auf den Umgang mit psychisch Kranken. Waren diese zuvor sehr oft als bloße Randfiguren der Gesellschaft eingeordnet worden, die ähnlich wie Kriminelle auszugrenzen seien, so kam es im 18. Jahrhundert zu ernsthaften Bemühungen, die Psychia-
trie als medizinische Wissenschaft zu etablieren und ihre Patienten entsprechend als Kranke zu respektieren. Und über eine der tragenden Säulen der Aufklärung, den Rationalismus, kommt hier das kognitive Moment ins Spiel: Die gezielte und systematische Anwendung der menschlichen Vernunft war das Ziel des neuzeitlichen Wissenschaftsbegriffes. Das Wort »Wissenschaft« selbst bekam einen betont positiven Bedeutungshof, gab es doch für die überzeugten Rationalisten des 18. Jahrhunderts nur vorläufig, nicht aber grundsätzlich unlösbare Probleme. Die Vernunft, die Ratio, werde, so die feste Überzeugung, den gesamten Bereich menschlichen Erkennens und Handelns früher oder später durchdringen. Umgekehrt war es nun aber auch möglich, die psychiatrisch Erkrankten, allen voran die Psychotiker, als Personen zu betrachten, die zumindest vorübergehend und teilweise diese zentrale Fähigkeit des vernunftgemäßen Handelns eingebüßt hatten, aber eben als Folge einer Krankheit und nicht aufgrund der Intervention einer metaphysischen Instanz oder eigenen Fehlverhaltens. Und so war es nur konsequent, sie – wie die anderen Patienten mit körperlichen Erkrankungen auch – unter den ausdrücklichen Schutz einer medizinischen Disziplin zu stellen, der der Auftrag erteilt wurde, Entstehungsbedingungen und Behandlungsmöglichkeiten zu erforschen und einzusetzen. Das – im weitesten Sinne – kognitive Defizit der Psychosekranken konnte ab der Aufklärung also zur Anerkennung der Patientenrolle und des damit verbundenen Behandlungsanspruches beitragen. So sehr dies theoretisch ein Fortschritt gewesen sein mag, so wenig darf man sich aber darüber hinwegtäuschen, dass es bis zur Entwicklung wirksamer Behandlungsverfahren de facto noch ein sehr langer Weg war; auch und gerade in der Aufklärungszeit wurden allerlei zwar rationalistisch untermauerte und insoweit sicher gut gemeinte, letztlich aber – aus heutiger Sicht – inhumane Verfahren angewandt, wie etwa der Drehstuhl zur Beruhigung von erregten Patienten. Aufklärerisch ist auch die von dem Philosophen Christian Wolff vertretene »rationale Psychologie«, die sich klar von der sensualistischen Assoziationslehre David Humes und Etienne Bonnot de Condillacs abgrenzte. Interessanterweise kam das assoziationspsychologische Denken im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer neuerlichen Blüte – und dies mit beträchtlichem Einfluss auf die Psychiatrie, etwa durch die Arbeiten von Theodor Ziehen, Hermann Ebbinghaus, Carl Wernicke oder Sigmund Freud. Heute würde man wohl von der Konkurrenz zwischen »top-down«- und »bottom-up«-Prozessen sprechen, wenn es darum geht, ob übergeordnete und vorgängige, um nicht zu sagen apriorische kognitive Konstrukte die Sinneswahrnehmungen sinnhaft ordnen oder ob die Sinneswahrnehmung im Sinne einer Selbstorganisation derartige Ordnungsprinzipien erst – gleichsam a posteriori – schafft. Aber solch differenzierte Betrachtungsweisen mit Hilfe eines breiteren Kognitionsbegriffes gelangen erst viel später: Historischer Ausgangspunkt war die eher schroffe Gegenüberstellung von Rationalismus und Assoziationspsychologie.
5 1.2 · Bedeutende Psychosekonzepte mit Blick auf die Rolle der Kognition
Die »rationale Psychologie« beschritt nämlich zunächst einmal vorwiegend den rational-deduktiven und eben nicht den empirisch-induktiven Weg: Das Seelenleben sei in verschiedene Funktionen oder »Vermögen« gegliedert, die bei jeder Interpretation empirischer Beobachtungen zugrunde zu legen seien. In der Folge entstanden zahlreiche Spielarten der »Vermögenspsychologie«, denen allerdings zumindest die Unterscheidung von Denken, Fühlen und Wollen gemeinsam war. In der Philosophie hat Immanuel Kant am einflussreichsten diesen psychologischen Ansatz vertreten. Eine klare Abgrenzung vom Rationalismus der Aufklärung nahmen Autoren vorwiegend des deutschen Sprachraums vor, die heute als Vertreter der »romantischen Psychiatrie« bezeichnet werden. Da das Interesse der Romantiker ganz allgemein dem Affektiven, dem Unverständlichen, Spontanen und Irrationalen galt, entstand ein natürliches Interesse an der Psychopathologie. Zentrales Anliegen der psychiatrischen Autoren dieser Zeit war es, die individuelle, auf den einzelnen Lebenslauf gerichtete Perspektive in die Lehre von Verursachung, klinischem Erscheinungsbild, Verlauf und Behandelbarkeit von seelischen Störungen einzubringen. Dabei wurde nun dem Bereich der Affekte, der »Leidenschaften«, großes Gewicht beigemessen. Dem eher kognitionslastigen aufklärerischen Rationalismus warf man vor, auf der Suche nach allgemein gültigen »Naturgesetzen« die überindividuelle, den einzelnen Menschen nur zufällig betreffende Regel überzubewerten und so das Individuum in seiner Einzigartigkeit zu vernachlässigen. Nichtsdestotrotz entwarf Johann Christian August Heinroth, ein prominenter Vertreter der romantischen Psychiatrie, ein der späteren psychoanalytischen Konzeption in Teilen verblüffend ähnliches Instanzenmodell des Seelenlebens, in dem er »Instinkte«, »Bewusstsein« und »Über-Uns« unterschied und auf diese Weise eine Art von übergeordneter kognitiver Struktur einführte (Marx 1990, 1991). Der Begriff der persönlichen Verantwortung für das eigene Leben und damit bis zu einem gewissen Grad auch für die eigenen Krankheiten spielte eine zentrale Rolle im Denken der romantischen Psychiater. Bei Heinroth hatte dies eine radikal anmutende Konsequenz in forensischer Hinsicht: Wer, so Heinroth, im Zustand schwerer geistiger Störung eine Straftat begehe, habe zwar aktuell nicht gewusst, was er tue, sei aber dennoch für die Tat verantwortlich, da ja das Hineingeraten in die Psychose zurückzuführen sei auf vorwerfbare Fehlverhaltensweisen. Etwa ab den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts setzte wiederum eine Gegenbewegung gegen das romantische Denken ein, die sich an die erstarkenden »positiven« Naturwissenschaften anzulehnen trachtete. Eine herausragende Erscheinung in diesem Zusammenhang, Wilhelm Griesinger, forderte nachhaltig, die klinische Psychiatrie habe sich dem psychophysischen Problem empirisch und nicht metaphysisch zu stellen, sie habe also psychophysiologische Forschung zu betreiben. Das ebenso bekannte wie oft ohne Zusammenhang und verkürzt wiedergegebene Zitat, wonach Geisteskrankheiten Gehirnkrankheiten sind, stellt eine begriffliche Verdichtung des wohldurchdachten Konzepts
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Griesingers dar, für welches die klinische Diagnostik und Nosologie gerade nicht hinter einer platten »Hirnmythologie« verschwinden dürfe. Griesinger wandte sich nämlich gegen jede Art von unkritischer Spekulation, sowohl naturphilosophischromantischer als auch materialistischer Orientierung. Sein Hauptziel war die Etablierung der Psychiatrie als eigenständige, empirisch arbeitende Wissenschaft, die ärztlichem Ethos verpflichtet ist, also psychisch Kranke als Kranke ernst nimmt. Von ihrem Selbstverständnis her war seine Psychiatrie sowohl neurobiologisches Forschungsprogramm als auch angewandte ärztliche Anthropologie (Hoff u. Hippius 2001). Es war ein psychopathologisches Konzept, nämlich die gemeinsam mit seinem Lehrer Albert Zeller entwickelte Idee der Einheitspsychose, das Griesingers Namen vom Erscheinen seines Hauptwerks Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten (1845, 2. Aufl. 1861) an bis in die aktuelle Diskussion fest mit Grundfragen der psychiatrischen Nosologie verbindet. Allerdings ging es Griesinger gerade nicht um ein nosographisches Aufspalten in einzelne Krankheitseinheiten, sondern im Gegenteil um die Darstellung des »Irreseins« als eines einzigen Morbus (Einheitspsychose), der gesetzmäßig mehrere Stadien durchläuft. Und dabei tauchen affektive und kognitive Schwerpunkte auf, nämlich primär die affektive Störung, dann die wahnhafte Entgleisung, die »Verrücktheit«, und schließlich, sofern nicht Stillstand oder Remission eintreten, das schwere und schließlich irreversible Defizit auf der kognitiven und der Handlungsebene, in heutiger Terminologie eine Demenz. Allerdings akzeptierte Griesinger später Snells Beschreibung einer »primären Verrücktheit« (1865), der gerade kein affektives Vorstadium vorauszugehen brauche und widerrief in diesem besonderen Punkt seine eigene frühere Konzeption. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelten sich die Naturwissenschaften, auch die Biologie, rasch weiter. Für die Psychiatrie besonders wichtig wurden die Fortschritte der Neuroanatomie, die Lehre von der zerebralen Lokalisation bestimmter Leistungen wie Motorik und Sensibilität, aber auch Sprache und Gedächtnis. Wesentlich bereichert wurde diese Forschungsrichtung durch die Entwicklung neuer Techniken wie etwa das von Bernhard von Gudden konstruierte Mikrotom zur Fertigung von sehr dünnen Hirnschnitten. Allerdings erfüllten sich damalige Hoffnungen nicht, nunmehr rasch zu einer verlässlichen Korrelation zwischen Hirnmorphologie und psychopathologischen Symptomen – etwa kognitiven Störungen bei der Psychose – zu gelangen. Wohl aber geriet die Debatte um den Psychosebegriff – wie alle anderen psychiatrischen Themen – unter den Einfluss der Degenerationslehre: Diese Theorie prägte weit über den engeren medizinischen oder auch psychiatrischen Bereich hinaus das geistige Profil des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts entscheidend mit (Pick 1989). Der für die Psychiatrie besonders relevante Teil dieser Lehre ging davon aus, dass über viele Generationen hinweg innerhalb einer Familie eine zunehmende »seelische Degeneration« auftreten kann, wobei die Reihe von leichten
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Kapitel 1 · Schizophrene Psychosen im Spannungsfeld von Kognition, Affekt und Volition – Die psychiatriehistorische Perspektive
psychischen Auffälligkeiten wie Nervosität oder geringe Belastbarkeit über markante affektive Störungen und psychotische Episoden bis hin zu schwersten kognitiven Störungen, heute Demenz genannt, reicht. Mit Emil Kraepelins Lehre von der »Dementia praecox« trat in der Nachfolge Kahlbaums die klinisch-pragmatische Verlaufsforschung in den Vordergrund des Interesses. Kraepelin versuchte als überzeugter Schüler von Wilhelm Wundt experimentalpsychologisches – wir würden heute sagen: neuropsychologisches – Vorgehen in der psychiatrischen Forschung zu etablieren (Hoff 1992). Dies bezog sich natürlich stark auf kognitive Elemente. So entwickelte Kraepelin vor allem während seiner Heidelberger Zeit eine Reihe von Testverfahren zur Erfassung kognitiver Funktionen bei Gesunden und psychisch Kranken (z. B. den nach ihm benannten und teilweise heute noch gebräuchlichen) Rechentest. Und die Darstellung kognitiver Auffälligkeiten bei psychiatrischen Patienten nahm bei ihm wie bei den meisten Klinikern der Jahrhundertwende einen breiten Raum ein, wenn auch der Begriff Kognition selbst noch nicht verwendet wird. Die Rede ist vielmehr von Störungen des Denkens, der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses und der Willensbildung. Wegen der besonderen Bedeutung Kraepelins gerade für das spätere Selbstverständnis des Faches Psychiatrie (Stichwort: Neokraepelinianismus) sollen seine Vorstellungen zur Struktur des Psychischen mit Bezug auf eigene Vorarbeiten (Hoff 1994) etwas detaillierter erläutert werden. Kraepelin entwirft dabei zwei grundlegende Einteilungen der seelischen Leistungen, eine eher klinisch-deskriptiv ausgerichtete und eine weitere, die einen großen Bogen von den einzelnen psychopathologischen Leistungen und Symptomen bis hin zur allgemeinen anthropologischen Ebene spannt. Betrachten wir zunächst die deskriptive Ebene: Hier unterscheidet Kraepelin vier Grundfunktionen der menschlichen Psyche, nämlich Wahrnehmung, intellektuelle Operationen, Gefühl und Handeln. Dabei betont er wiederholt, dass in der klinischen Praxis eine strikte Trennung zwischen den Bereichen nicht möglich ist. Diese deskriptive Aufteilung dient also vorwiegend der Übersichtlichkeit; sie erhebt nicht den Anspruch, eine gleichsam naturgegebene Ordnung des Seelenlebens abzubilden. Zu den psychopathologischen Störungen des Wahrnehmungsvorganges rechnet er die Sinnestäuschungen, die Trübungen des Bewusstseins und – ganz im Sinne Wundts – die Störungen der »aktiven Apperzeption«. Letztere finden sich allerdings in etwas anderer Formulierung auch in der zweiten Kategrie der intellektuellen Operationen wieder. Deren psychopathologische Varianten wiederum unterteilt Kraepelin in die Störungen der Reproduktion (Gedächtnisstörungen), der Assoziation und Begriffsbildung – dies ist die erwähnte Überschneidung mit der »aktiven Apperzeption« – und schließlich der Geschwindigkeit des Vorstellungsverlaufes. Die dritte Kategorie, das Gefühlsleben, wird psychopathologisch lediglich dichotomisiert in quantitative und qualitative Störungen. Die Kategorie des Handelns schließlich enthält die Un-
tergruppen der quantitativen und qualitativen Willensstörung, diejenige der krankhaften Triebe und die Handlungsstörungen, die Folge von Wahnsymptomatik und Gefühlsstörungen sind. Einen weit profunderen – und für die aktuelle Debatte bedeutungsvolleren – Einblick in Kraepelins Menschenbild ermöglicht die von ihm durchgeführte zweite Systematik, die sich ebenfalls seinem Lehrbuchkapitel über die allgemeine Psychiatrie entnehmen lässt. Es wird deutlich, dass Kraepelin hier einen wesentlichen Schritt über die bloße Deskription seelischer Funktionen und deren Störungen hinausgeht. Er strukturiert die Gesamtheit des Seelenlebens hierarchisch durch und erörtert die Bedeutung der einzelnen Ebenen für das Erkenntnisvermögen schlechthin. Einer im Sinne des Realismus als unabhängig gedachten Außenwelt steht unter der Annahme eines psychophysischen Parallelismus der seelische Apparat des Menschen gegenüber, dessen Existenz und Erkennbarkeit ebenfalls, philosophisch gesprochen, in realistischer Weise als gegeben vorausgesetzt und gerade nicht hinterfragt wird. Die sich auf diese Weise ergebende Stufenleiter reicht von den Sinneswahrnehmungen bis zu derjenigen seelischen Leistung, die Kraepelin in den ersten Auflagen noch als »Weltanschauung» bezeichnet. Diesen Begriff lässt er ab der 5. Auflage zugunsten einer neutralen Umschreibung – »Ausbildung allgemeinerer, umfassender Vorstellungen« (Kraepelin 1896, S. 148) – fallen. Die Außenwelt komme, so Kraepelin, zunächst über die rein perzeptive Sinneswahrnehmung in Kontakt zum menschlichen Organismus und dessen seelischer Ebene. Sodann entstehe eine assoziative Verbindung dieser Sinnesdaten, wobei hier allerdings noch rein zufällige Verbindungen ohne wertende oder gar langfristig planende Strukturierungen stattfänden. Allerdings spielten im Gegensatz zu dem bloß passiven Vorgang des sinnlichen Perzipierens hier schon Affekte eine gewisse steuernde Rolle, und die hier gemeinten »Assoziationen« stellten bereits die Verbindung zum Gedächtnis her. Ganz im Sinne der Wundtschen Psychologie kommt aber erst auf der nächsten Stufe, derjenigen der »apperzeptiven Verbindungen«, das zustande, was man die innere seelische Einheit nennen könnte. Auf dieser Ebene nämlich werde inhaltlich gewichtet, würden Begriffe gebildet und relevante Informationen gezielt in das Bewusstsein gehoben, unwichtige ignoriert. Hier spielt also schon die auch für Kraepelin ganz entscheidende seelische Funktion des Willens eine Rolle. Die nächste Ebene enthält die höheren kognitiven Funktionen, womit in erster Linie Urteilen und Schließen gemeint sind. Begriffe werden hier nicht mehr nur gebildet und erinnert, sondern gezielt zur Strukturierung und Bewertung der Außenwelt eingesetzt. Auf der letzten Ebene schließlich geht es um die Weiterentwicklung allgemeiner begrifflicher Grundlagen zum persönlichen Selbstverständnis, zur Weltanschauung eines Menschen. Dass diese letztgenannten Kategorien natürlich eng mit den Bereichen der Affektivität, des Gedächtnisses und der willentlichen Steuerung verbunden sind, ist evident.
7 1.2 · Bedeutende Psychosekonzepte mit Blick auf die Rolle der Kognition
Besonderer Erwähnung wert ist Kraepelins Einführung der Funktion der »Einbildungskraft« in der 7. Auflage. Sie zählt auch zu den »Verstandesleistungen«, soll aber offensichtlich das Moment des Spontanen und Kreativen stärker in den Vordergrund rücken. Auf diese Weise kommt es zu einer ebenso eigenartigen wie für Kraepelin typischen Mischung aus Elementenpsychologie und Voluntarismus. Insgesamt trifft man bei Kraepelin – vor allem mit Blick auf den besonders komplexen Bewusstseinsbegriff – nicht auf eine derartig breite und theoretisch fundierte Diskussion wie bei Wundt. Ihm geht es weit eher um die im engeren Sinne medizinischen Zusammenhänge. Im Bereich des Wahnes vertritt Kraepelin eine insoweit modern anmutende Auffassung, als Wahn für ihn mehr ist als eine reine Denkstörung. Vielmehr entspringe er »inneren Zuständen« des Patienten, sei »stets von mehr oder weniger lebhaften Gefühlen begleitet« und »zunächst wenigstens immer auf das engste verknüpft mit der eigenen Person, mit seiner Stimmung und mit seiner Stellung zur Umgebung.« (Kraepelin 1903, S. 213). Gleichwohl wird der Affekt nicht zum entscheidenden pathogenetischen Faktor für die Wahnentstehung. Kraepelin schwankt zwischen einer eher peripheren Wichtung der Affekte, die den Wahn lediglich begünstigen, und der immer wieder angedeuteten These, dass es ohne markante affektive Beteiligung gar nicht zum Wahn kommen könne. Die experimentelle Psychologie im Sinne einer nicht-materialistischen (Natur-) Wissenschaft der Seele sollte für Kraepelin zu einem zentralen psychiatrischen Forschungsparadigma werden, welches auch für die anatomischen, ätiologischen und für die dem klinischen Verlauf geltenden Studien sichere Orientierungshilfen hätte bereitstellen sollen. Dieser Anspruch konnte, was auch Kraepelin bewusst war, nicht eingelöst werden: Denn im Unterschied zur Arbeitspsychologie erlangte Kraepelins experimentalpsychologischer Forschungsansatz weder die erhoffte breite Akzeptanz innerhalb der Psychiatrie, noch ließen sich die erhobenen experimentellen Daten praxisrelevant in den psychiatrischen Alltag integrieren. Im Übrigen besteht (abgesehen von Wundt) kaum eine Verbindung von Kraepelin zu Vertretern anderer zeitgenössischer psychologischer Konzepte: Erwähnt seien etwa Franz Brentanos Entwurf einer streng empirischen, zugleich aber auch die Intentionalität hervorhebenden Bewusstseinspsychologie, die Würzburger Schule der experimentellen Denkpsychologie (Oswald Külpe, ebenfalls ein Schüler Wundts), die facettenreichen gestalttheoretischen Ansätze (Christian von Ehrenfels), feldtheoretische Konzepte (Wolfgang Köhler, Kurt Lewin) oder Edmund Husserls phänomenologische Richtung. Somit gab es zwar eine allgemeinpsychologische Konzeption bei Kraepelin, doch blieb deren Einfluss auf die konkrete psychiatrische Diagnostik und auf die psychiatrische Forschung bescheiden. Bei aller Aufmerksamkeit, die er den – im heutigen Sinne – kognitiven Auffälligkeiten bei Psychosepatienten widmete, legte Kraepelin also noch keine eigentlich »kognitionspsychologische« Sicht der Dementia praecox vor.
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Skepsis nicht gegenüber der Anerkennung der Vielzahl gestörter Funktionen bei der Schizophrenie, seien sie kognitiver, affektiver oder voluntativer Art, wohl aber gegenüber dem Postulat der wissenschaftlich erkennbaren Krankheitseinheit Schizophrenie wurde von einer ganzen Reihe von Autoren geäußert – allen voran von Alfred Erich Hoche, einer unter psychiatriegeschichtlichen Aspekten in mehrfacher Hinsicht wichtigen Figur. Für ihn war dieses Postulat zu spekulativ, mindestens aber in Anbetracht der empirischen Datenlage verfrüht. Er sprach von der »Jagd nach dem Phantom« Krankheitseinheit und spottete in unverkennbarer Anspielung auf Kraepelins zahlreiche kleine und große Änderungen der nosologischen Grenzen, dass man eine trübe Flüssigkeit – nämlich das klinische Bild und den Verlauf seelischer Störungen – nicht dadurch klarer mache, dass man sie von einem Gefäß in das andere gieße (zusammengefasst dargestellt in Hoche 1912). Demgegenüber schlug er vor, die Frage der natürlichen Krankheitsentitäten als – vorläufig oder grundsätzlich – unbeantwortbar zurückzustellen und sich der Erarbeitung empirisch abgesicherter, den Belangen von Praxis und Forschung vollauf genügender Symptomenkomplexe zu widmen. Dieser später »syndromal« genannte Ansatz hat sich weitgehend durchgesetzt, was freilich die Existenz von »hinter« den Syndromen stehenden Krankheitseinheiten nicht prinzipiell ausschließt. Die beiden Tübinger Psychiater Robert Gaupp und Ernst Kretschmer entwarfen einen psychopathologischen Ansatz auch zum Verständnis schizophrener Psychosen, der von der isolierten Betrachtung einzelner Symptome, kognitiver wie affektiver, wegführte und sowohl die Persönlichkeitseigenschaften als auch deren biographische Hintergründe einbezog – und dies nicht nur als pathoplastische, sondern auch als pathogenetische Faktoren. Das kognitive Paradoxon des Wahnes – grobe Realitätsverkennung im Sinne einer inhaltlichen Denkstörung bei weitgehend unbeeinträchtigtem formalen Denken – sollte dadurch entschärft werden, dass der Wahn zumindest teilweise als psychologisch verständliche, wenn auch ungewöhnliche Reaktion auf eine ganz bestimmte Konstellation vorwiegend seelischer und sozialer, aber auch körperlicher Bedingungen verstanden wird. Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass kognitive Prozesse, v. a. solche im Bereich der Entscheidungsfindung, bei paranoiden Menschen nicht so unauffällig sind, wie es die klassische Definition des Wahnes als einer rein inhaltlichen Denkstörung lange hat vermuten lassen (Bottlender et al. 1999). Kretschmers konstitutionsbiologischer Ansatz versuchte darüber hinaus, bestimmte körperliche Merkmale, v. a. den Körperbautypus, mit seelischen Eigenschaften und Störungen in Verbindung zu bringen. Kretschmer forderte in heute sehr aktuell anmutender Weise eine »mehrdimensionale« psychiatrische Diagnostik. Einen wieder anderen Weg beschritt der bedeutende Kliniker und Forscher Carl Wernicke. Seine psychiatrische Systematik, die viele Elemente der früheren Assoziationspsychologie aufnahm, sah in den endogenen Psychosen Analoga der neurologischen Systemerkrankungen, deren anatomische Grundlagen zu dieser
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Kapitel 1 · Schizophrene Psychosen im Spannungsfeld von Kognition, Affekt und Volition – Die psychiatriehistorische Perspektive
Zeit mehr und mehr bekannt wurden. Entsprechend waren die psychotischen Erkrankungen für ihn Ausdruck der Beeinträchtigung einzelner oder mehrerer psychischer und psychomotorischer Systeme. Die von Wernicke begründete Schule wurde von K. Kleist und K. Leonhard fortgeführt. Diese Autoren definierten unter Ablehnung der als zu grob empfundenen dichotomen Nosologie Kraepelins zahlreiche distinkte psychiatrische Krankheitseinheiten, die bezüglich ihrer Genese, familiären Belastung, Symptomatik, ihres Verlaufs und ihrer Therapie scharf zu trennen seien. Am prägnantesten hat diesen Gedanken Karl Leonhard in seiner Einteilung der endogenen Psychosen (1980) herausgearbeitet. Dieser Ansatz stellt den markantesten Gegenpol zum einheitspsychotischen Konzept Griesingers dar. Und auch hier scheinen – ohne dass die Begriffe fallen – kognitionspsychologische Elemente immer wieder durch, etwa wenn Leonhard bei einigen seiner Subtypen der Schizophrenie die Denk-, Wahrnehmungs- und Sprachstörung betont (etwa bei der phonemischen Paraphrenie), während er bei anderen die affektive Komponente als besonders relevant ansieht. Der Zürcher Psychiater Eugen Bleuler schlug 1911 vor, nicht mehr, wie Kraepelin, von der Dementia praecox, sondern in Anbetracht der symptomatologischen, möglicherweise aber auch ätiologisch-pathogenetischen Heterogenität dieser Erkrankungen von der »Gruppe der Schizophrenien« zu sprechen, ein Vorschlag, der sich weithin durchsetzte. Für die systematische Erfassung psychopathologischer Phänomene gerade auch mit Blick auf die Kognition wurden Bleulers Unterscheidungen zwischen Grundsymptomen und akzessorischen Symptomen sowie zwischen primären und sekundären Symptomen bedeutsam: Die Grundsymptome – Ambivalenz, Assoziationsstörungen, gestörte Affektivität und Autismus – sind nach Bleuler bei jeder schizophrenen Erkrankung vorhanden, akzessorische hingegen – wie halluzinatorische Erlebnisse oder Wahn – können, müssen aber nicht hinzutreten. Ganz anders, nämlich ätiologisch, ist die zweite Unterscheidung gedacht: Primäre Symptome resultieren unmittelbar aus dem auch von ihm vermuteten zugrunde liegenden neurobiologischen Krankheitsprozess, während die sekundären Symptome bereits psychische Reaktionen des Betroffenen auf die Krankheit darstellen. Richtungweisend wurde auch Bleulers Beitrag zum Verlauf schizophrener Erkrankungen, insoweit er die ausgesprochen pessimistische Auffassung Kraepelins vom notwendig schlechten Verlauf der »Dementia praecox« verließ und die Gruppen der teilweise oder sogar vollständig remittierten Patienten beschrieb. Jüngst hat Christian Scharfetter (2006) Bleulers Werk aus psychopathologischer und wissenschaftstheoretischer Perspektive einer umfassenden und kritischen Würdigung unterzogen. Karl Jaspers stellte in seiner epochalen »Allgemeinen Psychopathologie« (1913) diesem Fach erstmals ein ebenso umfassendes wie undogmatisches theoretisches Orientierungsraster zur Verfügung. Überdehnungen von einzelnen methodischen oder konzeptuellen Ansätzen hätten, so Jaspers wiederholte Warnung, unweigerlich dogmatische Erstarrung zur Folge. Dabei hatte er die als »Hirnmythologien« gebrandmarkten unreflektierten Identifizierungen
neuroanatomischer oder neurophysiologischer Befunde mit seelischem Erleben ebenso im Auge wie klinisch nicht überzeugende metaphysische Spekulationen über Entstehung und Wesen psychischer Störungen. Insoweit war es auch für Jaspers ebenso klar wie unproblematisch, dass schizophrene Psychosen nie nur auf der kognitiven oder affektiven Ebene würden verstanden werden können, sondern nur unter Einbeziehung der Gesamtheit des betroffenen Seelenlebens, um seinen Ausdruck zu verwenden. Kurt Schneider vertrat bezüglich der Pathogenese schizophrener Psychosen die in der deutschsprachigen Universitätspsychiatrie seit langem fest verankerte Auffassung, dass es sich bei den endogenen Psychosen letztlich um organische Störungen des Zentralnervensystems handle. Diesen Standpunkt nennt er das »Somatosepostulat«, was für seinen von Methodenkritik und wissenschaftlichem Purismus geprägten Stil sehr charakteristisch ist: Es geht eben um eine Modellvorstellung, ein Postulat, ein, wie er es nannte, »heuristisches Prinzip«, das andere Entstehungsmodi keineswegs ausschließe. Methodenkritik und Selbstbeschränkung waren auch die Leitideen von K. Schneiders Hauptwerk Klinische Psychopathologie, 2007 in der 165. Auflage erschienen. Er entwarf eine vorwiegend deskriptive Psychopathologie, die das Psychische aber nicht assoziationspsychologisch atomisiert, sondern den klinisch sinnvollen, verstehenden Gesamtzusammenhang wahrt. Kennzeichnend ist das Ringen um eine präzise psychopathologische Begrifflichkeit, was auch zur Herausarbeitung der »Symptome ersten Ranges« führte, bei deren Vorliegen in Abwesenheit greifbarer hirnorganischer Störung K. Schneider »in aller Bescheidenheit« von Schizophrenie zu sprechen empfahl. Und diese Symptome haben nun – aus heutiger Sicht – sehr viel mit Kognition und deren Einschränkung bei der schizophrenen Psychose zu tun: Gedankenbeeinflussung, das Gefühl des Gemachten, Stimmen in Rede und Gegenrede – zu diesen und verwandten Phänomenen gibt es aus jüngerer Zeit interessante empirische Befunde und theoretische Überlegungen, etwa aus dem Umfeld der »theory of mind«-Konzeption (Frith 1992). In den 50er und 60erJahren des 20. Jahrhunderts hatte eine psychiatrische Richtung starken Einfluss, die »anthropologische Psychiatrie«, die sich explizit auf eine bestimmte philosophische Theorie, nämlich die Existentialontologie Martin Heideggers, bezog. Die von Ludwig Binswanger begründete Daseinsanalyse arbeitete den existenzphilosophisch und gerade nicht psychologisch gemeinten Aspekt des Individuellen an Genese, Ausgestaltung und Therapie seelischen Gestörtseins heraus. Hier findet sich bei strikter Ablehnung elementaristischer Psychologie eine Hinwendung zur Ganzheit seelischer Akte und zu deren Struktur. Psychose, v. a. in ihrer wahnhaften Ausgestaltung, ist eine besondere, von einer Einschränkung der Freiheitsgrade im Erleben und Handeln, vom »Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit«, von der »Unfähigkeit zum Perspektivenwechsel« gekennzeichnete Störung im Lebensvollzug des Menschen (Blankenburg 1971). Kognitive Elemente sind hier, wenn auch in einem dem heutigen Wissenschaftsbegriff eher fremden Verständnis durchaus zu er-
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kennen: Die Psychose als auch sinnhafter (nicht: sinnvoller!) Teil der individuellen Biographie, der Wahn nicht nur als kognitive Störung etwa der Informationsverarbeitung oder Entscheidungsfindung, sondern auch als kognitive – besser: als personale – Leistung, um in Anbetracht drohenden psychotischen Zusammenbruchs wenigsten irgendeine, wenn auch krankhafte Ordnung in die Dinge zu bringen. In der Psychologie hatte es freilich schon eine viel längere, sich durchaus als empirisch verstehende Tradition gegeben, die sich ebenfalls entschieden gegen ein elementaristisches Verständnis psychischer Phänomene wandte. Unter dem Schlagwort, das Ganze sei eben mehr als die bloße Summe seiner Teile, ging es hier um eine Perspektive, die einerseits die personale Ganzheit betonte, andererseits aber diese Ganzheit sehr wohl binnendifferenzierte, nun aber gerade nicht in additive Elemente, sondern in komplexe und an den Rändern nicht scharf voneinander abgetrennte Strukturen. Diese ursprünglich aus der Wahrnehmungsforschung stammende »Gestaltpsychologie« gelangte vor allem über das Werk Klaus Conrads in die Psychiatrie. Conrad hatte mit einer explizit der Gestaltpsychologie entlehnten Methodik eine neue psychopathologische und verlaufsorientierte Sichtweise der schizophrenen Psychose entwickelt, die dem Fach bis heute zahlreiche Impulse gegeben hat. Sein Kerngedanke war dabei, die gestaltanalytische Methode als »dritten Weg« zwischen die zwar weiterhin wichtigen, aber je zu kurz greifenden klassischen Wege der Deskription einerseits (zu statisch und zu wenig differenziert) und Hermeneutik bzw. Deutung andererseits (zu wenig überprüfbar und zu spekulativ) zu positionieren (Conrad 1958). Ebenfalls gestalt- und strukturpsychologisch fundiert ist der über Jahrzehnte weiterentwickelte psychopathologische Entwurf des Heidelberger Psychiaters Werner Janzarik: Für ihn gestalten sich normale und pathologisch verformte psychische Vorgänge auf zwei Ebenen, der strukturellen und der dynamischen. Dynamik steht dabei vor allem für Affektivität und Antrieb, Struktur für überdauernde Charakteristika der Person, etwa Werthaltung, Persönlichkeitszüge, Interaktionsmuster (Janzarik 1988). In fruchtbarer Weise wurde dieser theoretische Rahmen auf so verschiedene psychopathologische Gebiete wie die psychotischen Syndrome (schizophrener und affektiver Prägung), die Persönlichkeitsstörungen und, diagnosenunabhängig, die Beurteilung der Schuldfähigkeit im strafrechtlichen Gutachten angewandt. Der ebenso originelle, differenzierte und psychopathologisch noch lange nicht völlig ausgelotete Ansatz der »Strukturdynamik« erschließt sich allerdings schon aus sprachlichen Gründen nicht leicht und steht zudem noch gleichsam quer zu der seit Jahren vorherrschenden Tendenz zu einer besonders einfachen und operationalisierbaren psychiatrischen Terminologie. Und noch eine weitere psychologiehistorische Reminiszenz ist hier erforderlich: Wilhelm Wundt war es ja schon in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts um die wissenschaftliche Beschreibung und experimentelle Untersuchung der bewussten seelischen Vorgänge gegangen, also zweifellos eines Teils dessen, was wir heute als kognitive Prozesse bezeichnen. Dabei setzte er
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aber gerade nicht nur auf die verfremdende Laborsituation, sondern anerkannte die Introspektion ausdrücklich als unverzichtbares Handwerkszeug, um die interessierenden Phänomene überhaupt erreichen zu können. Introspektion war aber bei Wundt geradezu das Gegenteil von individuell-beliebigem Empfinden, nämlich ein Instrument, um durch das individuelle psychische Erleben überindividuelle strukturelle Elemente des Mentalen zu erkennen. Die daraus vor allem im englischsprachigen Raum entwickelten theoretischen Modelle des Strukturalismus und Funktionalismus gewannen allerdings keinen sehr großen Einfluss auf die psychiatrische Forschung und Praxis. Außerdem verloren diese Konzepte selbst auch innerhalb der Psychologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die rasante Verbreitung des Behaviorismus an Bedeutung. Der Behaviorismus wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von John B. Watson begründet. Hier steht das beobachtbare Verhalten und – im Falle einer psychischen Störung – dessen Veränderung durch Verhaltenstherapie im Vordergrund und nicht der unbewusste, erst durch Interpretation subjektiv und intersubjektiv zugänglich werdende Konflikt. Da eine wirklich strenge Beschränkung auf beobachtbares Verhalten einschließlich der sprachlichen Äußerungen des Patienten sowohl für diagnostische wie für therapeutische Bedürfnisse zunehmend als nicht ausreichend empfunden wurde und darüber hinaus neue empirische und konzeptuelle Forschungsergebnisse zum Gedächtnis, zur Sprachentwicklung und zum Lernen hinzukamen, entstand in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts das, was später die »kognitive Wende in der psychologischen Forschung« genannt werden sollte. Erst einiges später und in Verbindung mit der sprunghaften Entwicklung neuer psychiatrischer Forschungsmethoden im Bereich der Neurophysiologie, der Bildgebung und, jüngst, der molekularen Psychiatrie, erreichte diese kognitive Wende in vollem Umfang die Schizophrenieforschung (und natürlich auch die Erforschung anderer seelischer Störungen). Als paradigmatisch für diese Entwicklung wird oft die Arbeit von McGhie und Chapman von 1961 genannt, die sich mit Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsstörungen bei Frühformen der Schizophrenie beschäftigt – einem wahrlich aktuellen Thema. Seither nimmt die Anzahl kognitionswissenschaftlicher Befunde bei schizophrenen Patienten kontinuierlich zu. Bemerkenswert ist der Umstand, dass sich die kognitionsorientierten Forschungsstrategien – wie Neurophysiologie, Bildgebung und molekulare Psychiatrie übrigens auch – häufig wenig oder gar nicht an klassische diagnostische Entitäten halten, sondern an Syndrome oder gar einzelne Symptome. Und dies ist durchaus programmatisch gemeint im Sinne einer Denosologisierung der psychiatrischen Forschung: Ziel ist hier eine »funktionale Psychopathologie«, der es um die diagnosenunabhängige Erfassung biologischer Korrelate bestimmter – gestörter oder ungestörter – seelischer Funktionen geht, etwa Affektregulation, kognitive Prozesse und Gedächtnis (van Praag et al. 1987). Mit zunehmendem Wissensstand über die beginnende Schizophrenie rückte auch die Früherkennung in den Mittelpunkt der
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Kapitel 1 · Schizophrene Psychosen im Spannungsfeld von Kognition, Affekt und Volition – Die psychiatriehistorische Perspektive
Untersuchungen. Die ersten systematischen Untersuchungen zum Beginn der Schizophrenie (z. B. Lindelius 1970) zeigten eine Latenzzeit von etwas über vier Jahren zwischen der ersten produktiven Episode und der ersten psychiatrischen Krankenhausaufnahme. Auch spätere Untersuchungen wie die ABC-Studie von Häfner et al. belegten, dass sich der Beginn der Schizophrenie in den meisten Fällen der direkten klinischen Beobachtung entzog (zusammengefasst dargestellt in Häfner 2002). Bestanden in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts noch Zweifel daran, dass kognitive Funktionen bei schizophrenen Patienten valide gemessen werden können, zeigten in den 90er Jahren publizierte Verlaufsuntersuchungen von frühoder ersterkrankten schizophrenen Patienten unter anderem eine Stabilität der neurokognitiven Störungen. Mit diesen Befunden stellte sich ein Wandel ein hin zu der Erkenntnis, dass kognitive Defizite »Kernsymptome« zumindest einer Subgruppe schizophrener Erkrankungen sind. Untersuchungen an Verwandten schizophren Erkrankter erhärteten diese Position. Mit »Kernsymptomen« sind hier Merkmale gemeint, die den der Erkrankung zugrundeliegenden Prozess widerspiegeln, wie auch immer man ihn pathogenetisch oder ätiologisch definieren mag (vgl. Jaspers 1910). Zahlreiche Untersuchungen haben in jüngster Vergangenheit zeigen können, dass bereits vor und bei Manifestation der Erkrankung kognitive und neuropsychologische Veränderungen vorliegen (Hoff et al. 1992). Familienstudien mit Blick auf Verwandte ohne psychotische Symptome erhärten die Perspektive der »Kernsymptome«, also kognitiver Einschränkungen, die nicht schon Folge der Erkrankung oder auch der Behandlung sind (Kremen et al. 1994). Somit wurden kognitive Beeinträchtigungen zunehmend als Ausdruck einer neuronalen Entwicklungsstörung und nicht eines neurodegenerativen Vorgangs gesehen. Bestimmte kognitive Defizite werden aktuell als aussichtsreiche Kandidaten für den Status als »Endophänotyp« im Sinne der Definition von Gottesman u. Gould (2003) angesehen. Bislang sind freilich die neurobiologischen Befunde bei der individuellen Risikoabschätzung in der Früherkennung nur eingeschränkt verwendbar, da die vorliegenden Studien nur gruppenstatistische Unterschiede herausgearbeitet haben. Die sehr wünschenswerte Verbesserung der Prädiktion durch eine Kombination mehrerer Untersuchungsebenen (Psychopathologie, Anamnese, Neurophysiologie, Neuropsychologie, bildgebende Verfahren) ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. Interessant und, mit Blick auf die an partikularistischen Dogmen und methodischen Selbstüberschätzungen reiche Geschichte der Psychiatrie, erfreulich ist der Umstand, dass in jüngerer Zeit produktive, wenn auch spannungsreiche Konvergenzen von früher einander feindlich gesonnenen Richtungen beobachtet werden können. So etwa hielt die noch junge Sozialpsychiatrie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine markante Distanz zur etablierten, psychopathologisch und zunehmend neurowissenschaftlich ausgerichteten klinischen Psychiatrie. Sie wandte sich der komplexen Interaktion zwischen dem unmittelbaren familiären und beruflichen Umfeld des psychisch Kranken einer-
seits und seinem weiteren gesellschaftlichen Umfeld andererseits zu. Daraus leitete sie empirisch untermauerte Hypothesen zur Genese, zur symptomatischen Ausgestaltung, zum therapeutischen Ansprechen und vor allem zum Langstreckenverlauf seelischer Störungen unter besonderer Berücksichtigung rehabilitativer Aspekte ab (Rössler 2004). Versuche zu einer solch umfassenden Sichtweise hat es freilich in der Geschichte unseres Faches immer wieder gegeben. Erinnert sei beispielhaft an Arthur Kronfelds viel zu wenig bekannten, außerordentlich anspruchsvollen Psychiatrieentwurf von 1920 (»Das Wesen der psychiatrischen Erkenntnis«) oder an Luc Ciompis Konzept der »Affektlogik« (1982). Doch erst jüngst kommt es in größerem Maßstab zu einer in wissenschaftlichen Projekten konkretisierten Zusammenschau der (im weitesten Sinne) sozialpsychiatrischen und kognitionspsychologisch-neurowissenschaftlichen Perspektive. Es hat sich dafür sogar schon ein neuer Begriff etabliert, nämlich derjenige der »Sozialen Kognition« (Pinkham et al. 2003). 1.3
Kognition und darüber hinaus – Zur Zukunft des Schizophreniebegriffs
Trotz aller Fortschritte nicht zuletzt in der kognitionswissenschaftlichen Schizophrenieforschung der letzten Jahre darf man nicht übersehen, dass der Begriff der Schizophrenie teilweise vehement kritisiert wird. Und in der Tat stellt sich die – schon für Kraepelin und Bleuler aktuelle – Frage, wie sinnvoll das Zusammenfassen von bekanntlich sehr heterogen Krankheitsbildern unter der einen diagnostischen Überschrift »Schizophrenie« ist. Schärfer formuliert: Ist der heutige Schizophreniebegriff ein möglichst rasch zu beseitigendes Relikt des späten 19. bzw. des frühen 20. Jahrhunderts oder kann er, angereichert durch die jüngeren Forschungsergebnisse nicht zuletzt der Neuropsychologie auch heute noch als sinnvolle Richtschnur für die psychiatrische Praxis und Forschung dienen? Ohne auf diese Frage eine erschöpfende Antwort geben zu können, seien doch abschließend einige Argumente genannt, die die weitere Diskussion prägen dürften: »Schizophrenie« ist auch und gerade unter Berücksichtigung der jüngeren Forschungsergebnisse keine »natürliche Krankheitseinheit« im Sinne Kraepelins, also keine ein für allemal biologisch vorgegebene Einheit. Vielmehr handelt es sich um eine wesentlich psychopathologisch und zunehmend auch neuropsychologisch definierte diagnostische Konvention. Wenn heute eine Aufsplitterung oder gar Abschaffung des Schizophreniebegriffes im Kontext der in wenigen Jahren zu erwartenden neuen Versionen unserer Diagnosemanuale, also ICD 11 und DSM V, prognostiziert wird, so erinnert dies im Übrigen markant an die Debatte zwischen Emil Kraepelin (die Dementia Praecox) und Eugen Bleuler (die Gruppe der Schizophrenien). Wenn wir aber unsere diagnostischen Entitäten als wesentlich psychopathologisch gestützte Konventionen erkennen, dann können sie generell und speziell im Bereich der Schizophrenieforschung sehr wohl weiterhin als nützliche Wegmarken dienen. Denn nicht
11 Literatur
nur ist die moderne psychiatrische Forschung in hohem Maße abhängig von neurowissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern auch umgekehrt läuft eine isolierte und eben nicht psychopathologisch fundierte neurowissenschaftliche Empirie Gefahr, den Zusammenhang zur klinischen Basis und damit an Relevanz zu verlieren. Psychopathologische und neurowissenschaftliche (einschließlich neuropsychologische) Schizophrenieforschung schließen sich also keineswegs aus, ja sie sind im Grunde noch nicht einmal Konkurrenten: Vielmehr sind sie immer mehr aufeinander angewiesen, denn sie bearbeiteten unterschiedliche Aspekte desselben komplexen und nur der conditio humana zuzuordnenden Zustandsbildes, das wir gemeinhin Psychose nennen. Anders ausgedrückt: Was wir für eine sinnvolle Weiterentwicklung und allenfalls auch Ablösung des Schizophreniebegriffes wirklich brauchen, ist die Verbindung eines über die Kriterienkataloge hinaus erweiterten Verständnisses von Psychopathologie einerseits (Hoff 2006) mit einer klinisch orientierten, nicht nur die kognitive, sondern auch die affektive Dimension berücksichtigenden Neuropsychologie, Bildgebung und psychiatrischen Genetik andererseits. In Anbetracht der vielen Irrwege der Psychosenforschung in den letzten 200 Jahren mag dies auch eine – und nicht die unwesentlichste – Lehre sein, die wir aus dem Studium der Historie unseres Faches ziehen können und sollten.
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2 Was ist Kognition? Grundlagen und Methoden Siegfried Gauggel
2.1
Einleitung
2.2
Historisches
2.3
Kognitive Neuropsychologie – 17
2.4
Perspektiven Literatur
– 13 – 13
– 18
– 17
13 2.2 · Historisches
2.1
Einleitung
Die kognitive Psychologie ist ein Teilgebiet der Psychologie, in dem die Prozesse und Funktionen erforscht werden, die zielgerichtetes und intelligentes Verhalten ermöglichen. Kognitive Psychologen versuchen die Elemente unseres Bewusstseins zu identifizieren und das Zusammenwirken dieser Einheiten zu verstehen. Es geht in der kognitiven Psychologie also um die Beschreibung der funktionellen Architektur unseres Geistes. Kognitionen stellen dabei die elementarsten Einheiten dar, wobei Mitte des 20. Jahrhunderts der Begriff der Kognition an die Stelle der traditionellen Bezeichnung des »Geistigen« bzw. des »Seelischen« getreten ist.
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fallen ganz unterschiedliche Prozesse und Funktionen wie beispielsweise das Gedächtnis, die Wahrnehmung, die Aufmerksamkeit, die Wissensrepräsentation, die Sprache, das Problemlösen und Planen sowie letztlich auch das Bewusstsein. Zu den kognitiven Prozessen werden heute auch die Emotionen und die Motivation gerechnet (. Abb. 2.1). An der Erforschung kognitiver Prozesse ist nicht nur die Psychologie beteiligt, sondern auch andere Disziplinen wie etwa die Philosophie, Informatik, Linguistik, Biologie und Medizin. Das gesamte Forschungsfeld wird Kognitionswissenschaft genannt. Liegt die Betonung auf der interdisziplinären Erforschung der neuronalen Grundlagen und der Implementierung kognitiver Prozesse im Gehirn, spricht man von den kognitiven Neurowissenschaften (. Tab. 2.1).
Funktion kognitiver Modelle Kognitive Modelle und Methoden sollen helfen, Fragen nach dem möglichen Funktionieren mentaler Vorgänge zu beantworten, z. B. nach dem Funktionieren des Gedächtnisses, der emotionalen Bewertung oder des Sprachverständnisses. Kognitiven Modellen kommt dabei die Rolle zu, die dem Erleben und Verhalten zugrunde liegenden Informationsverarbeitungsvorgänge von der Enkodierung der Umweltreize über die internen perzeptiv-attentiven und mnestischen Verarbeitungsschritte hin bis zur beobachtbaren Handlung zu erklären.
Der Begriff »Kognitionen« hat sich als Sammelbegriff für die verschiedenen menschlichen Denkprozesse etabliert. Hierunter . Abb. 2.1. Untersuchungsgegenstände der kognitiven Psychologie
2.2
Historisches
Die Ursprünge der experimentellen kognitiven Psychologie lassen sich bis in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen. 1879 richtete Wilhelm Wundt in Leipzig das erste psychologische Labor ein und untersuchte in zahlreichen Experimenten das, was wir heute als kognitive Prozesse bezeichnen. Wundt, aber auch der Gedächtnisforscher Ebbinghaus (1885) und der Ophtalmologe Donders (1868) schufen mit ihren Untersuchungen, in denen zahlreiche für die damalige Zeit innovative Methoden zur Reaktionszeiterfassung und Reizpräsentation zum Einsatz kamen, die Grundlage der kognitiven Psychologie. Als Untersuchungsmethode verwendete Wundt hauptsächlich die Introspektion (Innenschau), bei der geübte Beobachter unter sorgfältig kontrol-
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Kapitel 2 · Was ist Kognition? Grundlagen und Methoden
. Tab. 2.1. Überblick und Charakteristik der verschiedenen Forschungsdisziplinen, die sich mit der Erforschung kognitiver Prozesse beschäftigen
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Disziplin
Beschreibung
Methoden
Kognitive Psychologie (cognitive psychology)
Teildisziplin der Psychologie, die das Ziel verfolgt, intelligentes menschliches Verhalten zu erforschen; Kognitive Psychologen möchten die funktionelle Architektur des menschlichen Denkens verstehen.
Experimente mit Reaktionszeiten und Fehlern als wichtige abhängige Variablen. Als unabhängige Variablen dienen Reize und Aufgabenstellungen unterschiedlicher Komplexität.
Kognitive Neuropsychologie (cognitive neuropsychology)
Teildisziplin der Psychologie, in der der Zusammenhang zwischen dem Gehirn und dessen Funktionen untersucht wird. Der Fokus liegt auf den kognitiven Prozessen.
Quasiexperimentelle Studien mit hirngeschädigten Patienten, aber auch experimentelle Studien mit gesunden Probanden, wobei die Hirnaktivierung mittels fMRI, EEG oder anderen Methoden gemessen wird.
Kognitionswissenschaften (cognitive science)
Die Kognitionswissenschaft ist ein interdisziplinärer Wissenschaftszweig, dessen Ziel es ist, intelligentes Verhalten zu erforschen.
Zur Anwendung kommt eine Vielzahl an Methoden: experimentelle Designs, bildgebende Verfahren, computerbasierte Modellierungen und Simulationen (z. B. konnektionistische Architekturen und Modelle); weniger stark auf zelluläre und genetische Aspekte gerichtet.
Kognitive Neurowissenschaften (cognitive neuroscience)
Umfassendes und interdisziplinäres Forschungsgebiet, in dem intelligentes Verhalten von Menschen, aber auch von Tieren erforscht wird. Bei der Forschung werden auch molekulare und genetische Mechanismen erforscht.
Zur Anwendung kommen experimentelle Designs, bildgebende Verfahren, genetische und zelluläre Analysemethoden, Tierexperimente, computerbasierte Modellierungen und Simulationen (z. B. konnektionistischer Architekturen und Modelle); der Fokus liegt auf der neuronalen Implementierung kognitiver Prozesse.
Kognitive Neuropsychiatrie (cognitive neuropsychiatry)
Teilgebiet der Psychiatrie, das sich mit den kognitiven Prozessen beschäftigt, die den verschiedenen psychischen Störungen zugrunde liegen. Ziel ist es, psychische Störungen anhand von kognitionspsychologischen Theorien zu verstehen.
Patienten mit psychischen Störungen stehen im Mittelpunkt, wobei mit experimentellen Designs die kognitiven Störungen der Patienten untersucht werden.
lierten Bedingungen über die Inhalte ihres Erlebens (Bewusstseins) berichteten (Costall 2006). Wund ging dabei von der Annahme aus, dass die Tätigkeit des menschlichen Geistes vor allem über die Selbstbeobachtung und -beschreibung erforscht werden kann.
Ein Beispiel für ein Introspektionsexperiment (Mayer u. Orth 1901): Die Versuchspersonen werden instruiert, frei zu assoziieren. Der Versuchsleiter sagt der Versuchsperson ein Stichwort (z. B. Haus), auf das diese so schnell wie möglich mit dem ersten Wort antworten soll, das ihr zu dem Stichwort einfällt. Der Versuchsleiter misst die Assoziationszeit, d. h. die Zeit, die verstreicht, bis die Versuchsperson antwortet. Anschließend berichtet die Versuchsperson über alle ihre bewussten Erfahrungen vom Moment der Reizvorgabe bis zur Antwort.
Im Laufe der Zeit zeigte sich, dass der introspektive Forschungsansatz mit einer Reihe von Problemen behaftet ist. Hauptproblem
war, dass in den verschiedenen psychologischen Forschungslaboren mit der Methode der Introspektion keine einheitlichen Ergebnisse erzielt wurden. Die Untersuchungsbefunde waren zu divers, schwer replizierbar und ließen sich daher nicht zu einer Theorie integrieren. Es wurde immer ersichtlicher, dass allein mit der Methode der Introspektion kein reliabler und valider Einblick in das Erleben und Verhalten von Menschen gewonnen werden kann. Viele wichtige Aspekte geistiger Prozesse scheinen der bewussten Erfahrung nicht zugänglich. Aus diesem Grund kam es in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhundert in den USA und dann auch in anderen Ländern zu einer strikten Ablehnung der introspektiven Methodik und zur »behavioristischen Revolution« (Mandler 2002). Die Behavioristen vertraten die Auffassung, dass sich die Psychologie ausschließlich mit beobachtbarem Verhalten sowie den vorausgehenden Bedingungen und nachfolgenden Konsequenten (»ABC der Psychologie«) zu beschäftigen habe und nicht mit den aus ihrer Sicht nicht oder nur schwer zugänglichen mentalen (geistigen) Prozessen. Mentale Prozesse wurden deshalb aus der Forschung ausgeblendet und Experimente
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immer häufiger mit Tieren (z. B. Tauben, Ratten) durchgeführt. Das Verdienst der behavioristischen Forschung bestand in der Etablierung einer objektiven experimentellen Forschung und der Gewinnung einer Vielzahl an Erkenntnissen über Lern- und Motivationsprozesse (z. B. operante Prinzipien), die schnell Eingang in klinische und pädagogische Bereiche fanden. Problematisch waren aber der enge Fokus und die strikte Nichtbeachtung mentaler Prozesse. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde deshalb die Kritik an dem engen Forschungsansatz der Behavioristen immer lauter. Mit dem Aufkommen der Informationstechnologie und -theorie (inkl. der Kybernetik), der Entstehung der Erforschung künstlicher Intelligenz und aufgrund von Einflüssen aus der Linguistik (Analyse der Sprachstruktur) sowie der Entwicklung einer Handlungstheorie in der Psychologie (Miller, Galanter u. Pribram 1960) wurden die Schwächen des behavioristischen Forschungsansatzes und dessen begrenzte Aussagekraft bei alltagspraktischen Problemen (z. B. bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit von Menschen) immer deutlicher. Es dauert nicht lange, und es folgte Mitte des 20. Jahrhunderts die sog. »kognitive Wende« (»cognitive revolution«), die eigentlich keine richtige Revolution, sondern vielmehr eine Erweiterung der Perspektive und der Methoden der Forscher war (Miller 2003; . Tab. 2.2). Kognitive Psychologen sehen das Denken als Aktivität eines Systems menschlicher Informationsverarbeitung (analog zu der Arbeitsweise eines Computers), wobei dieses System eine begrenzte Verarbeitungskapazität hat, Informationen in aktiver Weise verarbeiten (kodieren, dekodieren, transformieren) und als mentale Repräsentationen speichern kann. Das Informationsverarbeitungssystem kann auf der Grundlage seines eigenen internen Wissens und anhand von Erwartungen Handlungspläne entwickeln und so zielgerichtet auf äußere Reize reagieren.
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Die kognitive Psychologie hat sich durch diese Sichtweise zu einer Wissenschaft der menschlichen Informationsverarbeitung entwickelt, wobei ihr Ziel in der Identifizierung kognitiver Prozesse und Wissensbestände liegt, die den alltäglichen Aktivitäten von Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Erinnerung, Lernen, Verstehen und Problemlösen zugrunde liegen. Im Vergleich zum Behaviorismus wird in der Forschung die aktive und zielgerichtete Rolle des Individuums betont und die Existenz kognitiver Prozesse und mentaler Repräsentationen nicht mehr in Frage gestellt. Menschen gestalten mit Hilfe ihrer Fähigkeit zur Informationsverarbeitung aktiv ihre Realität, wobei das Verhalten und Erleben auch von motivationalen und emotionalen Faktoren abhängt. Kennzeichnend und beispielhaft für die Entwicklung des Informationsverarbeitungsansatzes sind die Untersuchungen von Sternberg (1966) und das von ihm entwickelte Forschungsparadigma (das Sternberg-Paradigma). Sternberg untersuchte in seinen Experimenten die Informationssuche und den Informationsabruf im Arbeitsgedächtnis. Bei seinen Studien hat er den Probanden sequenziell eine Liste von Items dargeboten, wobei die Darbietungsrate etwa ein Item pro Sekunde betrug. Die Anzahl der präsentierten Items lag zwischen 1 und 6 und ist damit so klein, dass alle Items im Kurzzeitgedächtnis gespeichert werden können. Nach der Darbietung der Items wurde eine Pause (ca. 3 s) eingefügt und anschließend das Testitem präsentiert. Die Versuchsperson musste dann so schnell wie möglich entscheiden, ob das Testitem in der gezeigten Liste der Items enthalten war oder nicht (Wiedererkennen). Die Beantwortung der Aufgabe erfolgt durch einen Tastendruck, wobei die Reaktionszeit (beginnend mit der Darbietung des Testitems bis zum Tastendruck) gemessen wurde. Sternberg fand einen linearen Zusammenhang zwischen der Länge der Liste der gezeigten Items und der Reaktionszeit, der erkennen lässt, dass bei der Suche der Zuwachs pro Item konstant ist (ca. 40 ms Zuwachs pro Item). Sternberg lieferte mit seinen Studien also Hinweise darauf, dass bei der Suche im Kurzzeitge-
. Tab. 2.2. Wichtige Meilensteine in der jüngeren Geschichte der kognitiven Psychologie 1948
Norbert Wiener begründet mit seinen Forschungsarbeiten die Kybernetik (»Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine«).
1956
George Miller publiziert einen Artikel »The Magical Number Seven, Plus or Minus Two« über das Gedächtnis und zeigt, dass Menschen eine begrenzte Informationsverarbeitungskapazität aufweisen.
1957
Noam Chomsky beschäftigt sich in einer Publikation mit den syntaktischen Strukturen der menschlichen Sprache. In seinem Buch skizzierte er das Forschungsgebiet der Psycholinguistik.
1958
Donald Broadbent beschäftigt sich mit Aspekten der Wahrnehmung und Kommunikation (»Perception and Communication«).
1959
Der Linguist Noam Chomsky kritisiert in einer Buchbesprechung das Buch von Skinner zur Sprache (»Verbal Behavior«).
1967
Ulric Neisser schreibt das erste Lehrbuch der kognitiven Psychologie (»Cognitive Psychology«) und prägt damit diesen Begriff.
1971
Alfred Bandura entwickelt die Idee des Beobachtungslernens und stellt die »Social Learning Theory« vor.
1977
Die Zeitschrift »Cognitive Science: a Multidisciplinary Journal of Artificial Intelligence, Psychology, and Language« wird gegründet.
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Kapitel 2 · Was ist Kognition? Grundlagen und Methoden
Reaktionszeitmessung
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Die Messung von Reaktionszeiten ist für die kognitive Psychologie eine der wichtigsten Methoden, um die Informationsverarbeitung des Menschen zu untersuchen. Bei der Messung von Reaktionszeiten wird angenommen, dass aus der Zeit, die für die Verarbeitung von Reizen benötigt wird, auf die zur Verarbeitung benötigten kognitiven Prozesse geschlossen werden kann. Hierbei kommt die Subtraktionsmethodik, die von Franciscus Cornelius Donders 1868 entwickelt wurde, zum Einsatz. Bei dieser Methode wird die Reaktionszeit bei zwei Aufgaben gemessen, die sich in der Informationsverarbeitung nur bei einer Operation (bzw. in einem Verarbeitungsprozess) unterscheiden. Besteht eine Reaktionszeitdifferenz zwischen den beiden Aufgaben, wird angenommen, dass diese Differenz die Zeitdauer widerspiegelt, die der zusätzliche Verarbeitungsprozess bzw. -schritt benötigt. Sternberg (1969) schlug eine weitere Analysemethode, die additive Faktorenmethode, vor: Bei dieser Methode werden nicht die Reaktionszeiten einzelner Prozesse subtrahiert, sondern es wird die Unabhängigkeit bzw. die Additivität der kognitiven Prozesse, die die Reaktion bedingen und aus denen sich die Reaktionszeit zusammensetzt, überprüft.
Ab Mitte des 20. Jahrhunderts wurde der kognitionspsychologische Forschungsansatz immer weiter ausgebaut und auf eine Vielzahl kognitiver Prozesse und Problemstellungen wie das Problemlösen, die Aufmerksamkeit und das Lernen sowie die Sprachverarbeitung und -produktion ausgedehnt; eine Übersicht bieten Funke u. Frensch (2006). Die Forschung basiert dabei auf der sog. Computermetapher, bei der die Eigenschaften des menschlichen kognitiven Systems mit der Hardware eines modernen Computers verglichen werden. Wesentliche Eigenschaften des Informationsverarbeitungssystems sind: a) Das kognitive System ist ein Symbole prozessierendes System, das Prozesse und Daten enthält (Symbolprozessierung). b) Die Daten werden mit Hilfe von Prozessen (z. B. Enkodierung) manipuliert und transformiert, die unterschiedlich viel Zeit benötigen. c) Das kognitive System verfügt über einen Prozessor mit beschränkter Kapazität.
dächtnis die Liste der dargebotenen Items sequentiell abgesucht und bei jedem Item einzeln geprüft wird, ob es mit dem Testitem identisch ist oder nicht. Anhand seiner Untersuchungsergebnisse entwickelte Sternberg eine Theorie der menschlichen Informationsverarbeitung, die mit den sequentiellen Rechenschritten eines Computers vergleichbar ist. Zuerst muss der Reiz enkodiert und dann mit jedem Element der im Arbeitsgedächtnis gespeicherten Zahlenmenge verglichen werden. Anschließend muss der Proband zu einem Urteil kommen und eine entsprechende Handlung ausführen. Die einzelnen Verarbeitungsschritte wurden von Sternberg in einem Flussdiagramm (heute auch Kästchen-und-Pfeil-Diagramme oder »Boxologische Modelle«genannt) dargestellt, wobei die Art der Darstellung zu einem Markenzeichen der Kognitiven Psychologie wurde (. Abb. 2.2). [Flussdiagramme haben nicht nur innerhalb der Psychologie eine lange Tradition, sondern auch in der Neurologie (z.B. die historischen »diagram makers« Wernicke, Lichtheim, Liepmann).]
Der Informationsverarbeitungsansatz hat zu einem großen Aufschwung innerhalb der psychologischen Forschung geführt und die Theoriebildung enorm bereichert. In den letzten Jahren kam allerdings auch Kritik an der Computermetapher auf. Insbesondere wurde kritisiert, dass die menschliche Informationsverarbeitung nicht mit der eines Computers vergleichbar ist und neurobiologische Gegebenheiten bei dieser Metapher vernachlässigt werden. Als alternative Sichtweise wurde vorgeschlagen, menschliche Kognitionen am besten in Analogie zu den Eigenschaften des Gehirns zu verstehen (Gehirnmetapher). Entsprechend wird angenommen, dass das kognitive System aus elementaren, neuronenähnlichen Bausteinen besteht, die miteinander in enger Verbindung stehen. Die auf dieser Annahme basierenden kognitiven Modelle werden als konnektionistische Netzwerke (syn. künstliche neuronale Netzwerke, parallel verteilte Prozessmodelle) bezeichnet (Arbib 1995). Im Gegensatz zu den Informationsverarbeitungsmodellen werden jetzt nicht mehr explizite Regeln und Symbole genutzt, sondern verteilte Repräsentationen, die als Aktivierungsmuster in einem Netzwerk für die Repräsentation der Konzepte verantwortlich sind. Computerbasierte Modellierungen und Simulationen wurden zu einem wichtigen Handwerkszeug der Forscher (Jacobs 2007). Ein Netzwerk besteht in der Regel – entsprechend dem Aufbau des Gehirns – aus verschiedenen Ebenen oder Schichten (z. B. Input- und Output-Einheiten), wobei die Eigenschaften
. Abb. 2.2. Das Informationsverarbeitungsmodell von Sternberg (1975) für die Suche und den Abruf im Kurzzeitgedächtnis. Vier Verarbeitungsschritte bzw. -stufen können unterschieden werden. Die Informations-
verarbeitung kann auf jeder der vier Stufen experimentell durch bestimmte Variablen (z. B. durch die Lesbarkeit des Reizes, die Länge der Lernliste) beeinflusst werden.
17 2.4 · Perspektiven
. Abb. 2.3. Graphische Darstellung eines konnektionistischen Netzwerkmodells
seiner Einheiten, die Art und Weise der Verbindungen und die Algorithmen (Lernregeln), auf deren Grundlage die Stärke der Verbindungen zwischen den Einheiten bestimmt werden, das Netzwerk charakterisieren. Die einzelnen Netzwerke können assoziierte Netzwerke beeinflussen und deren Aktivierungsgrad entweder erhöhen oder reduzieren (. Abb. 2.3). 2.3
Kognitive Neuropsychologie
Kognitive Prozesse sind gebunden an ein biologisches Substrat; lange Zeit war in diesem Zusammenhang über den Sitz der Seele spekuliert worden. Mitte des 19. Jahrhunderts, als die zentrale Bedeutung des Gehirns für kognitive Prozesse evident wurde, begann dann die eigentliche systematische Erforschung der Lokalisation kognitiver Prozesse. Entscheidend hierfür war auf der einen Seite die Entstehung einer anatomischen, physiologischen und neurologischen Hirnforschung und auf der anderen Seite die Etablierung der experimentellen Psychologie (Wundt, Fechner, Ebbinghaus etc.). Die Gehirne von Mensch und Tier wurden analysiert und aufgrund histologischer Unterschiede untergliedert (z. B. Brodmann 1909). Durch Stimulations- und Ablationsexperimente (z. B. Ferrier 1886) sowie klinische Beobachtungen über Zusammenhänge zwischen der Lokalisation von Hirnschädigungen und Verhaltensstörungen (Broca 1861; Liepmann 1900) konnte das Ver-
2
ständnis des Zusammenhangs zwischen Struktur und Funktion deutlich verbessert und der enge Zusammenhang aufgezeigt werden. Es waren hier vor allem Patientenstudien, die einen immer detaillierteren Aufschluss über die Lokalisation von Funktionen und deren modularen Charakter gaben und zur Etablierung des Faches »Neuropsychologie« mit seiner klinischen (Walsh u. Darby 2005) und kognitiven (Rapp 2002) Ausrichtung führten. Mit Einführung bildgebender Verfahren (z. B. der funktionellen Kernspintomographie) hat sich das methodische Repertoire der Forscher nochmals deutlich erweitert. Es war zwar schon mit Entdeckung des Elektroenzephalogramms (EEG) und der ereigniskorrelierten Potentiale (EKP) möglich, die neuronalen Aktivitäten, die mit kognitiven Prozessen einhergehen, zu untersuchen (Luck 2005). Allerdings war und ist die räumliche Auflösung dieser Methode gering. Mit der in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelten Magnetresonanztomographie (MRT) und der anhand dieser Technik entwickelten funktionellen MRT (fMRT) lässt sich dieser Nachteil aber ausgleichen (Conlan 2001). Mit Hilfe der fMRT kann nicht nur die metabolische Aktivität kortikaler, sondern auch die Aktivität subkortikaler Strukturen bei der Durchführung kognitiver Aufgaben untersucht werden. Eine Kombination beider Verfahren (fMRI und EKP) stellt heute das Optimum an räumlicher und zeitlicher Auflösung dar, um neuronale Prozesse zu registrieren und Zusammenhänge zwischen Struktur und Funktion zu etablieren. Diese Kombination von neurowissenschaftlichen und experimentalpsychologischen Methoden bildet die Grundlage der Kognitiven Neurowissenschaften (Posner u. DiGirolamo 2000). 2.4
Perspektiven
Theorien und Modelle der kognitiven Psychologie und daraus abgeleitete experimentelle Paradigmen bilden die elementare Grundlage, um das menschliche Denken und dessen neuronale Implementierung zu untersuchen. Solche Theorien und Modelle sind auch unverzichtbar, um die Charakteristiken psychischer Störungen zu verstehen. Es nimmt daher kein Wunder, dass erst kürzlich auf die Bedeutung der kognitiven Psychologie für das Verständnis psychischer Störungen hingewiesen und das neue Forschungsgebiet der kognitiven Neuropsychiatrie postuliert wurde (Halligan u. David 2001). Die Vertreter der kognitiven Neuropsychiatrie verstehen sich dabei als Grenzgänger zwischen der kognitiven Neuropsychologie und der Psychiatrie. Sie möchten kognitive Modelle psychischer Störungen entwickeln und gleichzeitig die neuronalen Grundlagen der gestörten Prozesse verstehen. Eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen dieses Vorhabens besteht in der Weiterentwicklung der kognitiven Psychologie und der Verfeinerung kognitiver Theorien und Modelle. Nur durch eine immer feinere Analyse sowohl auf psychologischer als auch neuronaler Seite wird es möglich sein, die funktionelle Architektur des menschlichen Geistes und dessen neuronale Implementierung zu verstehen (Gauggel u. Lautenbacher
18
Kapitel 2 · Was ist Kognition? Grundlagen und Methoden
2003). Gleiches gilt natürlich auch für das Verständnis der Pathologie des menschlichen Geistes.
2
Literatur Arbib MA (1995) The handbook of brain theory and neural networks. MIT Press, Cambridge, Mass Broca PP (1861) Loss of speech, chronic softening and partial destruction of the anterior left lobe of the brain. http://psychclassics.yorku.ca/ Broca/perte-e.htm. Gesehen 12.07.2007 Brodmann R (1909) Vergleichende Lokalisationslehre der Großhirnrinde. Barth, Leipzig Conlan R (2001) A life-saving window on the mind and body: the development of magnetic resonance imaging. National Academy of Sciences, Washington, DC. http://www.beyonddiscovery.org. Gesehen 12.07.2007 Costall A (2006) ‘Introspectionism’ and the mythical origins of scientific psychology. Conscious Cogn 15(4): 634–654 Donders FC (1868) Die Schnelligkeit psychischer Processe: Erster Artikel. Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medicin, S 657–681 Ebbinghaus H (1885/1992) Über das Gedächtnis: Untersuchungen zur experimentellen Psychologie. Neue, unveränd. und ungek. Ausgabe nach der 1. Aufl. 1885. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt Ferrier D (1986) The functions of the brain. Smith, Elder & Co, London Funke J, Frensch PA (2006) Handbuch der Allgemeinen Psychologie – Kognition. Hogrefe, Göttingen Gauggel S (2003) Die Neurowissenschaften als integrative Kraft für die Klinische Psychologie, Psychiatrie und Neurologie. In: Lautenbacher S, Gauggel S (Hrsg) Neuropsychologie psychischer Störungen. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio, S 489–504
Halligan PW, David AS (2001) Cognitive neuropsychiatry: towards a scientific psychopathology. Nature Neurosci Rev 2: 209–215 Jacobs A (2007) Kognitive Modellierung und Simulation. In: Gauggel S, Herrmann M (Hrsg) Handbuch der Neuro- und Biopsychologie. Hogrefe, Göttingen, S 54–60 Liepmann H (1900) Das Krankheitsbild der Apraxie (»motorische Asymbolie«) aufrund eines Falles von einseitiger Apraxie. Monatsschr Psychiatr Neurol 8: 15–44 Luck SJ (2005) An introduction to the event-related potential technique. MIT Press, Cambridge, Mass Mandler G (2002) Origins of the cognitive (r)evolution. J Hist Behav Sci 38(4): 339–353 Mayer A, Orth J (1901) Zur qualitativen Untersuchung der Assoziationen. Z Psychol Physiol Sinnesorg 26: 1–13 Miller GA (2003) The cognitive revolution: a historical perspective. Trends Cogn Sci 7: 141–144 Miller GA, Galanter E, Pribram KH (1960) Plans and the structure of behavior. Holt, New York Posner MI, DiGirolamo GJ (2000) Cognitive neuroscience: origins and promise. Psychol Bull 126(6): 873–889 Rapp B (2002) The handbook of cognitive neuropsychology. What deficits reveal about the human mind. Taylor & Francis, Hove Sternberg S (1966) High-speed scanning in human memory. Science 153: 652–654 Sternberg S (1969) Memory-scanning: mental processes revealed by reaction-time experiments. Am Sci 57(4): 421–457 Sternberg S (1975) Memory scanning: new findings and current controversies. Quart J Exp Psychol 27: 1–32 Walsh K, Darby D (2005) Neuropsychology. A clinical approach, 5th edn. Elsevier Churchill Livingstone, London
3
3 Methodik der funktionellen Magnetresonanztomographie Thilo Kellermann, Tony Stöcker und N. Jon Shah
3.1
Überblick zur Funktionsweise der Magnetresonanztomographie – 20
3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6 3.1.7
Atomkerne, Spins und makroskopische Magnetisierung – 20 Resonanz: Hochfrequenzpulse und das Magnetresonanzsignal – 20 Relaxationsmechanismen und MR-Kontrastverhalten – 21 MR-Bildgebung: Ortskodierung durch Gradientenfelder und die MR-Sequenz – 21 Einfluss der MR-Sequenz auf die Bildqualität – 22 Komponenten eines MR-Tomographen – 23 MRT-Sicherheitsaspekte – 24
3.2
Messmethodik der fMRT
3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4
Ultraschnelle Bildgebung: EPI – 24 Suszeptibilitätsgewichtung mittels des T2*-Kontrastes – 25 Vor- und Nachteile der fMRT bei starken Magnetfeldern – 25 fMRT-Qualitätskontrolle – 25
3.3
Physiologische Grundlagen der fMRT – 25
– 24
3.3.1 Arten des fMRT-Kontrastes – 25 3.3.2 Der BOLD-Mechanismus und die hämodynamische Impulsantwort
– 26
3.4
Konstruktion und Auswertung von fMRT-Experimenten – 27
3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.4.5
Vorverarbeitung – 27 Experimentelle Designs – 29 Statistische Analyse von fMRT-Zeitreihen – 30 Gruppenstatistiken – 32 Multiples Testen – 32
3.5
Zusammenfassung und Ausblick Literatur
– 35
– 33
3
20
Kapitel 3 · Methodik der funktionellen Magnetresonanztomographie
3.1
Überblick zur Funktionsweise der Magnetresonanztomographie
Die Methode der Magnetresonanztomographie (MRT) hat seit ihrer Entdeckung 1973 eine rasante Entwicklung genommen und ist heutzutage ein bildgebendes Verfahren in der klinischen Routine. Auch in anderen Bereichen, wie z. B. Qualitätskontrolle von Lebensmitteln, Porositätsbestimmung von Gesteinen und zur Beobachtung von Tierversuchen in der Pharmaindustrie, stellt die MRT oftmals die Methode der Wahl dar. Neben der Nicht-Invasivität der Untersuchung beruht die Stärke der MRT darauf, dass Bilder mit unterschiedlichsten (Gewebe)kontrasten dargestellt werden können. Ungefähr seit 1992 werden mit der funktionellen MRT (fMRT) Untersuchungen der Gehirnfunktionen durchgeführt. Um erfolgreich in diese spannenden und interdisziplinären Wissenschaften (Physik, Neurobiologie, Medizin, Psychologie, Informatik, …) einzusteigen, ist Grundlagenwissen in den jeweiligen Teilgebieten erforderlich. Die Bearbeitung und Interpretation der Daten muss mit großer Sorgfalt erfolgen, die ohne ein grundlegendes Verständnis der MR-Physik, der Physiologie sowie der statistischen Datenverarbeitung kaum möglich ist. Das vorliegende Kapitel gibt lediglich einen kleinen Einblick; als weiterführende Literatur sind hier Weishaupt et al. (2001) für eine allgemeine Einführung in die MRT sowie Buxton (2002) und Moonen u. Bandettini (2002) für eine speziellere Abhandlung der fMRT empfohlen. 3.1.1 Atomkerne, Spins und makroskopische
Magnetisierung Beim Spin handelt es sich um eine physikalische Eigenschaft subatomarer Teilchen (Protonen, Neutronen, Elektronen, …); er ist somit – ähnlich wie Masse und Ladung – eine charakteristische physikalische Größe. Das Wasserstoffatom (ein einzelnes Proton) ist aufgrund seiner Häufigkeit im menschlichen Organismus in der medizinischen Kernspintomographie von fast ausschließlichem Interesse. Der Spin bzw. der Eigendrehimpuls des Protons erzeugt ein magnetisches Feld, dessen Stärke über das magne. Abb. 3.1. a Nach Erzeugung eines MR-Signals durch einen HF-Puls, d. h. Erzeugung transversaler Magnetisierung Mxy, kann eine Spule senkrecht zur z-Achse (bzw. des äußeren Feldes B0) die transversale Magnetisierung messen. b Dieses MR-Signal wird als »free induction decay« (FID) bezeichnet und gleicht einer exponentiell gedämpften Schwingung
a
tische Moment ausgedrückt wird, welches wiederum vom Spinzustand sowie der Art des Atomkerns abhängt. In einem äußeren magnetischen Feld präzediert das magnetische Moment um die Achse der Feldrichtung mit der Larmor-Frequenz, welche linear mit der Magnetfeldstärke zunimmt. Ohne ein äußeres Magnetfeld sind die Orientierungen der Spins vollkommen zufällig verteilt. Im MR-Tomographen richten sich jedoch alle magnetischen Momente entweder parallel oder antiparallel zur Feldrichtung aus, die in einem kartesischen Koordinatensystem als z-Richtung bezeichnet wird. Aufgrund der zufälligen Verteilung der SpinPräzession existiert keine resultierende Komponente des magnetischen Moments innerhalb der x-y-Ebene. Da die parallele Ausrichtung (magnetisches Moment und äußeres Magnetfeld zeigen in die gleiche Richtung) energetisch günstiger ist, existiert ein Überschuss von parallel zu antiparallel orientierten Spins. ! In einem äußeren Magnetfeld wächst in der Probe (dem Patienten) durch Superposition aller magnetischen Momente (Spins) eine makroskopische Magnetisierung in Feldrichtung an.
3.1.2 Resonanz: Hochfrequenzpulse
und das Magnetresonanzsignal Im thermischen Gleichgewicht, d. h. nach Einbringen der Probe in das Magnetfeld (bzw. des Patienten in den Tomographen) und Ausrichtung der Spins, gibt es keine weiteren Wechselwirkungen. Zur Messung eines Signals muss das System aus dem Gleichgewicht gebracht werden. ! Das MR-Signal wird durch einen elektromagnetischen Hochfrequenzpuls (HF-Puls) erzeugt. Dieser Anregungspuls muss mit der Larmor-Frequenz der präzedierenden Protonenspins erfolgen, weshalb man von Kernspinresonanz (oder Magnetresonanz) spricht.
Der im Radiowellenbereich liegende HF-Puls rotiert die Spins in die x-y-Ebene. Danach ist auch die makroskopische Magnetisierung nicht mehr parallel zum äußeren Feld orientiert. Der Drehb
21 3.1 · Überblick zur Funktionsweise der Magnetresonanztomographie
winkel ist determiniert über Dauer und Stärke des HF-Pulses. Man kann also z. B. erreichen, dass alle magnetischen Momente genau auf die x-Achse gedreht werden (90°-Puls). Nach dem HFPuls kehren die Spins in ihre Gleichgewichtslage zurück. Bei diesem Vorgang wird elektromagnetische Strahlung mit der LarmorFrequenz emittiert, die mit Hilfe einer Spule über das faradaysche Induktionsgesetz gemessen werden kann (. Abb. 3.1). 3.1.3 Relaxationsmechanismen
und MR-Kontrastverhalten Das MR-Signal klingt exponentiell mit einer Zeitkonstanten T2 ab und wird mit FID (»free induction decay«) bezeichnet. Gleichzeitig kehrt die makroskopische Magnetisierung wieder in das thermische Gleichgewicht mit einer Zeitkonstanten T1 zurück. Diese Relaxationszeiten hängen vom jeweiligen Gewebe ab. ! Die medizinische und klinische Bedeutung der MRT folgt aus der Tatsache, dass sie über verschiedene gewebespezifische Parameter in der Bildgebung unterschiedlichste Kontraste erlaubt. Die drei wichtigsten Parameter sind die Protonendichte, die Längsrelaxationszeit T1 und die Querrelaxationszeiten T2.
Eine MRT-Messsequenz, die z. B. Variationen im Parameter T1 abbildet, nennt man T1-gewichtete MR-Bildgebung. Als Beispiel für die starke Abhängigkeit des Bildkontrasts von den Relaxationszeiten zeigt . Abb. 3.2 drei axiale Aufnahmen der gleichen Schicht, jeweils mit unterschiedlicher Gewichtung. 3.1.4 MR-Bildgebung: Ortskodierung durch Gradi-
entenfelder und die MR-Sequenz
nicht jedoch die Ortsabhängigkeit des Signals zur Bildgebung. Dafür muss eine Zuordnung zwischen den MR-Signalanteilen und den zugehörigen kleinen wohldefinierten Volumina innerhalb der Probe, den sogenannten Voxeln (das 3-dimensionale Pendant zum Pixel), gefunden werden. Diesen Zusammenhang ermöglichen die Gradientenspulen. ! Die Gradientenfelder sorgen dafür, dass dem zeitlich und räumlich statischen starken äußeren Magnetfeld ein räumlich linear variierendes schwaches Magnetfeld überlagert wird. Dadurch unterscheiden sich die Larmor-Frequenzen der Protonen in Abhängigkeit von ihrer räumlichen Lage.
Durch eine Frequenzanalyse (Fourier-Analyse) des gemessenen MR-Signals kann die jeweilige Raumposition der verschiedenen Frequenzanteile zum MR-Bild rekonstruiert werden. Man unterscheidet 3 Arten der Ortskodierung: 1. Bei der Schichtselektion wird der Gradient zeitgleich zum HF-Puls und senkrecht zur Schicht geschaltet, so dass die Anregung nur in einer wohldefinierten Schicht stattfindet, wobei die Schichtdicke durch die Stärke des Gradientenfeldes bestimmt ist. 2. Die Frequenzkodierung schaltet einen Gradienten entlang einer Raumrichtung zeitgleich zur Signalaufnahme, so dass die oben angesprochene Überlagerung von Raumfrequenzen im Signal vorliegt. 3. Die unter 1. und 2. beschriebenen Schritte werden nun in der MR-Sequenz mehrfach wiederholt, wobei vor der Signalaufnahme noch eine Phasenkodierung durch ein entsprechendes Gradientenfeld entlang der noch verbleibenden dritten Raumrichtung stattfindet. Durch Variation dieses Gradienten wird ebenfalls eine Frequenzkodierung in der Abfolge der Messwiederholungen erzeugt.
Die bisherigen Ausführungen beschreiben das Verfahren zur Generierung des MR-Signals aus einer Gesamtheit von Protonen,
a
b
3
c
. Abb. 3.2a–c. Durch geeignete Wahl der MR-Sequenz-Parameter kann die Art des Gewebekontrasts durch verschiedene Gewichtungen manipuliert werden: a Protonendichte, b T1-Gewichtung und c T2-Gewichtung
22
Kapitel 3 · Methodik der funktionellen Magnetresonanztomographie
Box 1: Die MR-Sequenz: das Messprotokoll der MR-Bildgebung Die Teilabbildungen in . Abb. 3.3 beschreiben einerseits eine sog. Gradientenechosequenz und andererseits, wie die Schal-
tung von HF-Pulsen und Gradienten zur Datenaufnahme und anschließend zum MR-Bild führt.
3
a
b
. Abb. 3.3. a Das Pulsdiagramm beschreibt die zeitliche Schaltung von Hochfrequenzpuls (HF), Schichtselektions-Gradient (Gz), Phasenkodiergradient (Gy) und Frequenzkodiergradient (Gx), wobei die mehrfachen Linien bei Gy eine Wiederholung der gesamten Pulsfolge für jeden Phasenkodierschritt bedeuten. b Die k-Raum-Trajektorie beschreibt die zugehörige Abtastung der Raumfrequenzen durch die Sequenz. Hier entspricht jede Wiederholungsmessung
! Durch Überlagerung der Gradientenfelder in x-, y- und z-Richtung können beliebig orientierte Schichten angeregt und in diesen Schichten die Phasen- und Frequenzkodierung durchgeführt werden.
Die Entwicklung neuer MR-Sequenzen ist aktueller Forschungsgegenstand; dabei wird versucht, HF-Pulse und Gradientenfelder so zu schalten, dass Bildqualität und Gewebekontrast verbessert und die Messzeit reduziert werden. Die Wirkungsweise einer einfachen MR-Sequenz ist in 7 Box 1 dargestellt. Prominente Beispiele einiger wichtiger MR-Sequenzen und ihrer Eigenschaften liefert die Literatur (Weishaupt et al. 2001; Stöcker u. Shah 2006); eine exakte und ausführliche physikalische Beschreibung findet sich bei Haacke et al. (1999). 3.1.5 Einfluss der MR-Sequenz
auf die Bildqualität Einer der wichtigsten Parameter in jeder MR-Sequenz ist die Repetitionszeit TR – die Zeit zwischen zwei HF-Puls-Anregungen. Sie bestimmt die Messzeit und sollte deshalb klein sein. Zudem verhindert eine kleine TR eine komplette T1-Relaxation, so dass die nächste Anregung ein geringeres MR-Signal, d. h. ein geringeres Signal-zu-Rausch-Verhältnis (SNR) ergibt. ! Das SNR wird mit abnehmendem TR kleiner.
Das MR-Bild liegt als Matrix vor, und die Größe der einzelnen Bildpunkte (Voxel) bestimmt die Auflösung. Das Sichtfeld oder
c
d
einer Zeile mit unterschiedlichem Abschnitt auf der ky-Achse. Die Position im k-Raum wird durch die Flächen unter den Gradientenpulsformen bestimmt. Während der Frequenzkodierung (dies entspricht den Pfeilen von links nach rechts) wird das Signal aufgenommen und der k-Raum mit Daten gefüllt. c Die Messdaten im k-Raum. d Die Messdaten nach der Fourier-Transformation im Bildraum
die Größe des Bildes in Millimeter wird als »Field of View« (FoV) bezeichnet (bei nicht quadratischem FoV ist der Wert für beide Bildachsen anzugeben). ! Mit einer Erhöhung der Auflösung sinkt das SNR, da durch die verringerten Voxeldimensionen sich die Zahl der Spins pro Voxel vermindert, die zum MR-Signal beitragen.
Eine weitere wichtige Eigenschaft der MR-Bildgebung sind die unterschiedlichen Abbildungsfehler, auch Artefakte genannt, die verschiedene physikalische Ursachen haben und deren Kenntnis für die Interpretation von MR-Aufnahmen unbedingt notwendig ist. Hier sollen nur kurz die wichtigsten Quellen für Artefakte genannt werden. Ob und wie stark diese Artefakte im MR-Bild auftreten, hängt von der verwendeten MR-Sequenz und der MRTHardware ab. 1. Bewegungsartefakte: Jegliche Bewegung des Probanden während der Messung führt zu (teilweise korrigierbaren) Abbildungsfehlern (7 Abschn. 3.4.1) und muss durch Fixation weitgehend vermieden werden. Des Weiteren kann auch Blutfluss zu Artefakten führen. 2. Chemische Verschiebung: Hier bewirken leichte Veränderungen der Larmor-Frequenzen aufgrund unterschiedlicher lokaler Magnetfelder in der jeweiligen Molekülstruktur eine falsche Ortskodierung und so räumliche Verschiebungen dieser Anteile im MR-Bild. Besonders prominent ist die sog. Fett-Wasser-Verschiebung. 3. Suszeptibilitätsartefakte: Lokale Inhomogenitäten des äußeren Feldes können zu Bildverzerrungen führen. Solche Feldinhomogenitäten treten an Gewebegrenzen auf, die mit einer
23 3.1 · Überblick zur Funktionsweise der Magnetresonanztomographie
3
. Abb. 3.4a–d. Verschiedene Artefakte (Abbildungsfehler) bei MR-Aufnahmen. a Bewegungsartefakte (hier insbesondere Augenbewegung), b Chemische Verschiebung, c Suszeptibilitätsartefakte, d »Fold-Over«-Artefakt. (»Ghost«-Artefakt . Abb. 3.5)
a
b
c
d
starken Veränderung der magnetischen Suszeptibilität einhergehen, also insbesondere an Gewebe-Luft-Grenzen. 4. Aliasing (»wrap around«): Wird der FoV kleiner als das Objekt gewählt, so werden Anteile außerhalb des Bildes mit einer falschen Frequenz kodiert; sie »falten« sich an der gegenüberliegenden Seite in das Bild (»fold over«). 5. Ghosting: Dieses Artefakt ist insbesondere in der EPI-Sequenz für die fMRT aufzufinden (7 Abschn. 2.1). Hier werden benachbarte k-Raum-Linien in unterschiedlicher Richtung gemessen, so dass schon geringste Abweichungen der Gradienten zu einer Phasenverschiebung zwischen geraden und ungeraden Linien führen. Dies äußert sich im Bildraum in einer Kopie des eigentlichen Bildes, welche um den halben FoV verschoben ist und als Ghost bezeichnet wird. ! Die Art der MR-Sequenz sowie die Wahl ihrer Parameter bestimmen den Bildkontrast, die Auflösung, die Messzeit und die Bildqualität (SNR und Abbildungsfehler).
3.1.6 Komponenten eines MR-Tomographen Der Kernspintomograph ist ein Gerät, in welchem makroskopische Magnetisierung in der Probe (bzw. im Probanden) durch ein starkes Magnetfeld erzeugt wird, durch HF-Pulse aus der Feldrichtung gedreht und ein MR-Signal erzeugt wird, dessen Präzessionsfrequenzen dann über örtlich variierende Gradientenfelder so manipuliert werden, dass die messbaren kleinen oszillierenden Induktionsströme durch eine Frequenzzerlegung räumlichen Bereichen (den Voxeln) zugeordnet werden können. Das starke äußere Feld im Tomographen wird durch einen supraleitenden Magneten erzeugt (die übliche klinische Feldstärke ist 1,5 Tesla). Um die schwachen MR-Signale störfrei aufnehmen zu können, muss der Tomograph von der Außenwelt elektromagnetisch abgeschirmt sein, d. h., der komplette Raum gleicht einem faradayschen Käfig. Weiterhin muss das äußere Feld extrem homogen sein, was durch sog. Shim-Spulen erreicht wird, in denen Kompensationsströme fließen und die vorhandenen Inhomogenitäten ausgleichen (»shimming«). Die Gradientenspulen erzeugen die Gradientenfelder. Die starken schnell wechselnden Ströme in diesen Spulen verursachen starke mechanische Kräfte, die auf das System wirken und so die Ursache für die starke akustische Belastung bei einer MRT-Untersuchung
24
3
Kapitel 3 · Methodik der funktionellen Magnetresonanztomographie
sind. Die HF-Spulen schließlich generieren bzw. empfangen die HF-Signale zur Erzeugung und Detektion des MR-Signals. Vorbzw. Nachverstärkung ist wichtig, um einen entsprechend starken HF-Puls zu senden bzw. um das schwache MR-Signal zu detektieren. Die Spulen müssen optimal an die Larmor-Frequenz von Protonen angepasst sein (»Tuning«), und Frequenz und Phase des Signals müssen möglichst unverzerrt gesendet bzw. empfangen werden. Da das SNR bei abnehmendem Spulenvolumen zunimmt, gibt es spezielle Spulen für verschiedene Anwendungen (z. B. Kopfspulen in der Hirnforschung). 3.1.7 MRT-Sicherheitsaspekte Die MRT ist ein vollständig nichtinvasives Verfahren, das mit keinerlei ionisierender Strahlenbelastung verbunden ist. Allerdings sind bestimmte Vorsichtsmaßnahmen sehr streng einzuhalten, da ansonsten ein hohes Gefahrenpotential bestehen kann. Hier ist in erster Linie die Stärke des äußeren Magnetfelds zu erwähnen. ! Das Einbringen jeglicher ferromagnetischer (eisenhaltiger) Objekte in den Magnetraum ist verboten, da auf diese durch das starke Magnetfeld extreme Kräfte wirken. Dies betrifft insbesondere auch Implantate (z. B. künstliche Gelenke, Herzschrittmacher).
Die HF-Pulse können bei »Überdosierung« eine Erwärmung des Probanden zur Folge haben, ähnlich dem Mikrowelleneffekt. Klinische MR-Tomographen haben deshalb einen Mechanismus, der eine Überschreitung der Maximaldosis verhindert. Auch die schnellen Wechselfelder der Gradientenschaltung sind eine mögliche Gefahrenquelle. Bei sehr hoher Schaltfrequenz können schwache Ströme in den Körper induziert werden, die Nervenstimulationen verursachen. Neben technischen Gefahrenpotentialen kann auch Klaustrophobie in einigen Fällen den Einsatz von MRT ausschließen.
a
b
. Abb. 3.5a–c. Schnelle Bildgebung mit der EPI. a Das Pulsdiagramm der EPI-Sequenz: Das gesamte Bild wird nach einem HF-Puls akquiriert. b Die zugehörige k-Raum-Trajektorie, in der benachbarte Linien in um-
3.2
Messmethodik der fMRT
3.2.1 Ultraschnelle Bildgebung: EPI Im Gegensatz zu anderen MR-Sequenzen wird bei der Methode des »echo planar imaging« (EPI) nicht in jedem TR-Intervall eine Phasenkodierung durchgeführt, sondern alle Phasen- und Frequenzkodierschritte werden mittels sehr schnell geschalteter Gradienten nach einer einzigen HF-Anregung durchgeführt; deshalb spricht man auch von einer »Single-shot«-Sequenz. ! Die EPI-Sequenz (Echo-planare Bildgebung) ermöglicht es, eine Schicht in weniger als einer Zehntelsekunde (/ s) aufzunehmen. Diese Geschwindigkeit ist für die funktionelle MRT sehr gut geeignet, da die Hirnaktivität mit hoher zeitlicher Auflösung abgebildet werden kann. Eine Aufnahme des gesamten Gehirns bei einer Auflösung von ca. 3×3×3 mm3 kann in 2–3 s erfolgen.
Die maximale Auflösung der EPI-Sequenz ist beschränkt: Im Normalfall wird eine Schicht mit 64×64 Bildpunkten aufgenommen, maximal sind 128×128 Bildpunkte sinnvoll, da nach der Anregung das MR-Signal schnell abklingt und keine Zeit für eine größere Anzahl von Phasen- und Frequenzkodierungen bleibt. In . Abb. 3.5 sind das MR-Pulsdiagramm, die zugehörige k-RaumTrajektorie und MR-Bilder der EPI-Sequenz dargestellt. Die schnelle EPI-Bildgebung hat eine unvermeidbare Verminderung der Bildqualität zur Folge; die Methode ist in der Regel von allen in 7 Abschn. 1.4 beschriebenen Bildartefakten betroffen, wobei mittlerweile Verbesserungen des Verfahrens eine fast komplette Unterdrückung der Abbildungsfehler ermöglichen.
c gekehrter Richtung durchlaufen werden. c Die EPI-Aufnahme eines homogenen Wasserzylinders zeigt deutlich Ghost-Artefakte (7 Abschn. 3.1.5)
25 3.3 · Physiologische Grundlagen der funktionellen MRT
3.2.2 Suszeptibilitätsgewichtung
3
3.2.4 fMRT-Qualitätskontrolle
mittels des T2*-Kontrastes Das mit der EPI-Sequenz detektierte MR-Signal folgt einem mit der Zeitkonstanten T2* beschriebenen exponentiellen Abfall. Dieser ist der in 7 Abschn. 2.1.3 beschriebenen T2-Relaxation sehr ähnlich, allerdings liegt aufgrund der Phaseninkohärenz benachbarter Spins, die durch Feldinhomogenitäten verursacht wird, eine noch schnellere Signalschwächung (T2*
Dies ist gleichzeitig ein Vor- und ein Nachteil: Einerseits ist die EPI-Sequenz damit besonders geeignet zur Abbildung funktionell bedingter Signaländerungen (7 Abschn. 3.3.2), andererseits sind EPI-Bilder aufgrund ihrer Suszeptibilitätsgewichtung anfällig gegenüber Bildartefakten. 3.2.3 Vor- und Nachteile der fMRT
bei starken Magnetfeldern Wie in 7 Abschn. 1.1 erläutert, nimmt die Frequenz des MR-Signals – und somit seine Energie – mit der Feldstärke zu. Da der zu untersuchende »Blood-oxygen-level-dependency«-Kontrast (BOLD-Kontrast) der fMRT extrem gering ist (7 Abschn. 3.3), ist die Durchführung von fMRT bei erhöhter Feldstärke von großem Vorteil. Das höhere Feld bewirkt ein größeres SNR im MR-Bild und damit einen verbesserten BOLD-Kontrast. Während klinische MR-Tomographen üblicherweise (noch) eine Feldstärke von 1,5 Tesla haben, erhöht sich in letzter Zeit die Anzahl der fMRTStudien an 3T-Geräten deutlich, und viele neurowissenschaftliche Institute schaffen sich solche Tomographen an. Auch wesentlich höhere Felder (4 T, 7 T, 9,4 T) sind schon oder werden momentan implementiert. Trotz der damit verbundenen enormen Kosten sind diese Mühen notwendig, um eine verbesserte Hirnforschung zu ermöglichen. Allerdings sind fMRT-Messungen bei hohen Feldern keineswegs unproblematisch: zwar überwiegt immer der Gewinn an SNR, doch sind viele der mit der EPI-Technik verbundenen Probleme bei hohen Feldern noch extrem verstärkt; insbesondere die Suszeptibilitätsartefakte nehmen deutlich zu. Des Weiteren treten allgemeine Probleme mit der Bildhomogenität auf, deren Lösung aktueller Forschungsgegenstand der MRTTechnik ist. ! Bei starken Magnetfeldern nimmt das SNR des MR-Signals zu und ermöglicht eine sensitivere fMRT; gleichzeitig sind aber auch die Bildartefakte verstärkt.
Es hat sich gezeigt, dass zwar einerseits die grundlegenden Aussagen robuster fMRT-Studien experimentell valide und verifizierbar sind, aber andererseits geringe Abweichungen in Wiederholungsmessungen kaum zu vermeiden sind. Die Ursachen hierfür sind vielschichtig und sollten mittels geeigneter qualitätssichernder Maßnahmen soweit wie möglich reduziert werden. ! Das experimentelle Design, der Proband sowie die fMRT-Technik beeinflussen die fMRT-Datenqualität und müssen soweit möglich über qualitätssichernde Maßnahmen kontrolliert werden.
Die Analyse von Test- und Re-Test-fMRT-Experimenten lässt – wie von Specht et al. (2003) gezeigt wurde – Aussagen über die Reliabilität und Variabilität des jeweiligen Experiments zu. Qualitätssichernde Maßnahmen geben Aufschluss über die statistischen Eigenschaften der Daten (Verteilungsfunktion und Streuung); sie wurden detailliert von Stöcker et al. (2005) untersucht. Hier zeigt sich, dass für die Qualitätskontrolle der fMRTHardware Messungen an sog. MR-Phantomen geeignet sind. Diese Messungen sollen nicht allein die Reliabilität des MR-Tomographen quantifizieren, sondern insbesondere auch mögliche Störeinflüsse von Peripheriegeräten erfassen. Die meisten fMRTUntersuchungen verlangen Geräte zur Stimulation des Probanden und/oder zur Aufzeichnung von Probanden-Reaktionen. Das wichtigste Kriterium für Peripheriegeräte der fMRT ist, dass sie die MR-Messung in keiner Weise oder nur geringstmöglicherweise beeinflussen. Des Weiteren ist nach Stöcker et al. (2005) die Qualitätskontrolle der In-vivo-Daten ebenso ein unverzichtbarer Bestandteil von fMRT-Patientenstudien, um Fehlinterpretationen der Ergebnisse auszuschließen. 3.3
Physiologische Grundlagen der fMRT
3.3.1 Arten des fMRT-Kontrastes Dieser Abschnitt erläutert kurz die physiologischen Grundlagen für die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT). Ziel der fMRT ist es, einen Kontrast zwischen aktiven und ruhenden Hirnregionen abzubilden. Hierfür gibt es im Wesentlichen drei Verfahren, die alle auf dem regionalen zerebralen Blutfluss (rCBF) beruhen. ! Die fMRT ist ein indirektes Verfahren, welches nicht die eigentliche neuronale Aktivität, sondern den zeitlich versetzten regionalen zerebralen Blutfluss in aktiven Regionen abbildet.
1. Die ersten fMRT-Experimente wurden mit intravenös applizierten exogenen MR-Kontrastmitteln durchgeführt. Obwohl das Verfahren einen sehr guten Kontrast liefert, wird es heutzutage aufgrund des deutlich erhöhten Aufwands und des damit verbundenen invasiven Eingriffs kaum noch genutzt.
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3
Kapitel 3 · Methodik der funktionellen Magnetresonanztomographie
2. Ein zweites Verfahren ist die perfusionsbasierte fMRT, bei der durch einen HF-Puls eine Markierung der Spins im arteriellen Blutfluss bewirkt wird. Diese markierten Spins führen dann zu lokalen Signaländerungen in aktiven Hirnregionen im MR-Bild. Auch dieses Verfahren ist mit erhöhtem technischen Aufwand verbunden. 3. Die dritte und mit Abstand am meisten genutzte Methode ist die BOLD-fMRT (7 Abschn. 3.3.2). 3.3.2 Der BOLD-Mechanismus und die hämo-
dynamische Impulsantwort Der zerebrale Blutfluss kann – wie in den 90er Jahren erstmals gezeigt wurde – als ein körpereigenes Kontrastmittel für die fMRT genutzt werden. Zunächst wurde das Phänomen aufgezeigt und kurz darauf ein physiologisches Modell für diesen Umstand entdeckt; dieser wurde als BOLD-Effekt (»blood-oxygen-level-dependency«) bezeichnet, da der Oxygenierungsgrad des Blutes die Ursache ist. Im Blut wird der für den Metabolismus notwendige Sauerstoff über das Hämoglobin-Molekül transportiert. Dessen Eisenatom bestimmt im Verbund mit dem Sauerstoff die magnetischen Eigenschaften: Ist Sauerstoff angebunden, spricht man von Oxihämoglobin, welches ähnliche magnetische Eigenschaften hat wie das umliegende Hirngewebe. Andernfalls spricht man von Deoxihämoglobin, welches paramagnetisch ist und insofern zu einer Verkürzung der Relaxationszeit T2* führt. Ein »Überschuss« an Deoxyhämoglobin sorgt also für eine Verminderung des MR-Signals. Allerdings bewirkt der Sauerstoffverbrauch aktiver Neuronen kein lokal vermindertes MR-Signal, sondern das Gegenteil ist der Fall.
. Abb. 3.6. Nach neuronaler Aktivität folgt eine Erhöhung (Überkompensation) des Anteils von Oxihämoglobin im regionalen Blutfluss, die zu einer Erhöhung des MR-Signals führt. Dieses Phänomen ändert kurz-
! Der regionale Blutfluss überkompensiert den Sauerstoffverbrauch in aktiven Hirnregionen mit einer Erhöhung des Anteils von Oxihämoglobin; dies führt zu einer lokalen Vergrößerung von T2* und somit zu einer lokalen Erhöhung des MR-Signals in T2*-gewichteten Aufnahmen.
Der Vorgang ist schematisch in . Abb. 3.6 dargestellt. Die Physiologie des BOLD-Mechanismus, d. h. der genaue Zusammenhang zwischen zerebralem Blutfluss und -volumen sowie der zerebralen Sauerstoffextraktionsrate, ist nach wie vor Gegenstand der aktuellen Forschung. In Tierexperimenten konnte durch simultane fMRT und Potentialableitung der Nachweis über die Korrelation zwischen gemessener Hirnaktivität und dem BOLDEffekt erbracht werden (Logothetis et al. 2001). ! Experimentell bestätigt ist der zeitliche Verlauf des BOLD-Effekts, die sog. hämodynamische Impulsantwort. Es konnte gezeigt werden, dass die Überkompensation des Sauerstoffgehalts um ca. 5 s verzögert zur eigentlichen neuronalen Aktivität stattfindet.
Danach fällt die im MRT als Signalanstieg sichtbare Aktivierung rasch ab und ein Gleichgewicht stellt sich wieder ein (. Abb. 3.7). Weiterhin wurde mehrfach experimentell bestätigt, dass sich die Impulsantworten einzelner Reize linear kombinieren lassen – zumindest dann, wenn das Interstimulusintervall nicht kleiner als 2 s ist. Durch viele Wiederholungen gleichartiger Reize und unterschiedlicher Synchronisation (bzw. »Asynchronisation«) zwischen den Reizen und den MR-Messungen (»Jittern«) lassen sich auch funktionelle Mechanismen untersuchen, die in einem Zeitraum stattfinden, der deutlich unterhalb der oben beschriebenen Verzögerung von 5 s liegt (7 Abschn. 3.4.2).
fristig lokal die magnetischen Eigenschaften im Gewebe und wird als BOLD-Effekt bezeichnet
27 3.4 · Konstruktion und Auswertung von fMRT-Experimenten
3.4
3
Konstruktion und Auswertung von fMRT-Experimenten
Grundlage für die statistische Analyse von fMRT-Experimenten ist eine möglichst präzise Zuordnung des BOLD-Signals in Raum und Zeit. Diese Zuordnung ist prinzipiell äquivalent zu der grundsätzlicheren Fragestellung, wann bzw. unter welchen Bedingungen sich die Aktivität wo im Gehirn ändert. Die möglichst genaue Lokalisation des Signals geschieht durch die räumliche Vorverarbeitung der Daten, während die eigentliche statistische Analyse sich mit der Frage befasst, welche experimentellen Manipulationen, die vornehmlich über die Zeit der Messung kontrolliert variiert werden, führten zu einer Veränderung des gemessenen Signals. 3.4.1 Vorverarbeitung
. Abb. 3.7. Die zeitliche Veränderung des MR-Signals aufgrund des BOLD-Effekts wird als hämodynamische Antwortfunktion bezeichnet und konnte bisher experimentell in weiten Teilen des Gehirns bestätigt werden
Der BOLD-Effekt erlaubt einen indirekten Nachweis neuronaler Aktivität in der Größenordnung von 0,5–5% des MR-Signals (bei 1,5 Tesla), d. h. zum Teil unterhalb des Störsignalpegels (Rauschen). Deshalb werden Voxelgrößen von 10–40 mm3 in der EPISequenz verwendet, was etwa einer Kantenlänge von 2–3,5 mm bei isotropen Voxeln entspricht. Bei einer höheren Auflösung wäre das SNR nicht ausreichend, um den BOLD-Kontrast abzubilden. ! Generell ist das BOLD-Signal in aktiven Regionen zu gering, um Unterschiede zum umliegenden Gewebe sichtbar zu machen, weshalb in der fMRT der Unterschied zwischen aktiver und passiver Phase im zeitlichen Verlauf dargestellt wird.
Um die Unterschiede zwischen aktiver und passiver Phase statistisch valide detektieren zu können, sind spezielle Versuchsanordnungen und Auswertungsstrategien notwendig, die in den verbleibenden Abschnitten dieses Kapitels erläutert werden.
Die räumliche Vorverarbeitung besteht in der Regel aus drei bis vier Schritten, die in diesem Abschnitt behandelt werden und meistens in folgender Reihenfolge durchgeführt werden: 1. Die Bewegungskorrektur trägt der Tatsache Rechnung, dass ein Proband über die Dauer des Experiments hinweg seinen Kopf mehr oder weniger stark bewegt. 2. Die sog. »slice-time-correction« wird in der Regel nur bei ereigniskorrelierten Designs durchgeführt und berücksichtigt, dass ein Volumen aus mehreren Schichten besteht, die zeitlich leicht versetzt gemessen werden. 3. Durch die Normalisierung wird das anatomisch individuelle Gehirn auf ein »Musterhirn« angepasst, um Unterschiede zwischen Probanden in der Anatomie auszugleichen. 4. Die Glättung (»smoothing«) dient dem Ausgleich von interindividuellen Unterschieden in der funktionellen Neuroanatomie des Gehirns, d. h. in Gruppenstatistiken können Aktivierungen dann besser entdeckt werden, wenn die einzelnen Probanden zwar benachbarte, aber dennoch räumlich nicht überlappende Voxel aktivieren. Ohne auf die genauen Algorithmen einzugehen, kann das Prinzip der Bewegungskorrektur als Kombination von Verschiebungen
Exkurs Psychologische Experimente Ein psychologisches Experiment zeichnet sich dadurch aus, dass der Proband eine bestimmte Aufgabe über die Dauer des Experiments erfüllen soll. Während des Experiments werden durch den Versuchsleiter kontrolliert die Bedingungen verändert. Diese Veränderungen können in einer leicht modifizierten Instruktion an den Probanden bei identischem Stimulusmaterial bestehen oder umgekehrt in modifiziertem Stimulusmaterial bei gleich bleibender Aufgabenstellung. Diese Manipulationen der sog. unabhängigen Variablen haben hypothetisch einen Einfluss auf die gemes-
sene, die sog. Ziel- oder abhängige Variable. In psychologischen Experimenten bildet die Reaktionszeit sehr häufig die abhängige Variable, während in fMRT-Experimenten das BOLD-Signal die Zielvariable darstellt. Die statistische Analyse dient der zufallskritischen Absicherung, d. h., es wird untersucht, ob Unterschiede in der gemessenen Zielvariablen (also des BOLD-Signals und damit der neuronalen Aktivität) tatsächlich auf die Manipulationen der unabhängigen Variable(n) zurückgehen und nicht allein durch zufällige Schwankungen bzw. Messfehler verursacht wurden.
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3
Kapitel 3 · Methodik der funktionellen Magnetresonanztomographie
und Drehungen (sog. Starrkörpertransformationen) sowie Stauchungen (bzw. Streckungen) und Scherungen (sog. affine Transformationen) verstanden werden (. Abb. 3.8). Ein EPI-Bild aus der Zeitreihe wird als Referenz gewählt, auf die die restliche Zeitreihe durch die oben erwähnten Transformationen möglichst gut angepasst wird. Diese Passung wird durch die übliche Methode der kleinsten Quadrate erreicht, d. h. die quadrierte Differenz zwischen einem Bild der Zeitreihe und dem Referenzbild wird durch Manipulation der Transformationen minimiert. Es existieren hierbei sechs Parameter für Starrkörpertransformationen plus zusätzliche sechs für die affinen Transformationen, d. h. Verschiebungen entlang der drei Raumdimensionen, Rotationen um die drei Raumdimensionen sowie Stauchungen und Scherungen entlang den drei Dimensionen. Als Referenzbild wird sehr häufig das erste Bild der Zeitreihe verwendet, wobei darauf geachtet werden muss, dass sog. DummyScans bereits aus der Zeitreihe entfernt wurden. Diese DummyScans bestehen üblicherweise aus ca. drei EPI-Messungen, die der experimentellen Messung in einem Durchgang vorangehen. Der Hintergrund hierfür besteht in einer wesentlich stärkeren T1-Gewichtung der ersten Bilder im Vergleich zum Rest der Zeitreihe, was zu Problemen bei der Minimierung der Differenzen führen kann.
Da die Akquisition eines EPI-Volumens relativ lange dauert (etwa 2–3 MR-Signale bei 1,5 Tesla), ist eine Korrektur des zeitlichen Versatzes bei der Erhebung unterschiedlicher Schichten erforderlich (7 Abschn. 2.1). Diese sog. »slicetTime-correction« ist allerdings nur bei ereigniskorrelierten Designs nötig, bei denen zeitliche Aspekte sehr kritisch sind. Bei der Korrektur wird die Zeitreihe eines Voxels durch Fourier-Transformationen in ihre verschiedenen Frequenzen und Phasen zerlegt. Eine zeitliche Verschiebung wird dann durch eine Addition (bzw. Subtraktion) einer Konstanten zur jeweiligen Phase erreicht und mittels Interpolation wird das Frequenzspektrum des phasenverschobenen Signals wieder in eine Zeitreihe umgerechnet. Die Referenzschicht, auf die alle anderen Schichten zeitlich korrigiert werden, sollte so gewählt werden, dass eine Region von Bedeutung in dieser Referenzschicht lokalisiert ist. Auf diese Weise werden Interpolationsartefakte in diesem Hirnareal minimiert. Durch die räumliche Normalisierung wird die Aufnahme eines individuellen Gehirns so gedreht, verschoben und auch regelrecht »verbogen«, dass es nach dieser Prozedur möglichst deckungsgleich zu einem Standardhirn ist. Der große Vorteil eines solchen Verfahrens liegt in der hohen Objektivität bezüglich der anatomischen Zuordnung von Aktivierungen, da die Anatomie des Standardhirns sehr gut bekannt ist. Ein solches Standard-
. Abb. 3.8a,b. Darstellung der verschiedenen Transformationen bei der Bewegungskorrektur (nach Wohlschläger et al. 2006). a Verschiebungen
und Drehungen entlang der drei Raumachsen, b Stauchungen (bzw. Streckungen) und Scherungen
a
b
29 3.4 · Konstruktion und Auswertung von fMRT-Experimenten
hirn wurde vom International Consortium for Human Brain Mapping (ICBM) definiert; es ermöglicht eine anatomische Bestimmung anhand von dreidimensionalen Millimeter-Koordinaten, die die Entfernung von der anterioren Kommissur angeben. 3.4.2 Experimentelle Designs Bevor wir uns der quantitativen, d. h. statistischen Analysewidmen, müssen wir uns zunächst mit einigen nicht-quantitativen Methoden bezüglich des experimentellen Designs befassen. Diese Methoden basieren auf modelltheoretischen Überlegungen und Annahmen zu der Frage, wie es möglich ist, gemessene Hirnaktivität
3
einem bestimmten kognitiven Prozess zuzuordnen. Das zugrunde liegende Prinzip ist die sog. kognitive Subtraktion (Posner et al. 1988), bei der – im einfachsten Fall – der Proband im Scanner lediglich zwei verschiedene Bedingungen bearbeitet hat (7 Box 1). Entscheidend ist hierbei der Unterschied zwischen Experimentalund Kontrollbedingung, der im Idealfall einzig und allein in der kognitiven Komponente besteht, die Gegenstand der jeweiligen Studie ist. Bei der Subtraktionsmethode wird von der Hirnaktivität während der Experimentalbedingung die Aktivität in der Kontrollbedingung abgezogen, so dass das entstandene Differenzbild das Aktivitätsmuster der kognitiven Komponente reflektiert. Die zeitliche Alternierung zwischen den Bedingungen hängt im Wesentlichen von experimentalpsychologischen Überlegun-
Box 2: Konstruktion ereigniskorrelierter Designs Da die Abtastperiode bei der fMRT ( Wiederholzeit TR) mit 2–3 s in etwa einem gebräuchlichen Interstimulusintervall (ISI) entspricht, müssen ereigniskorrelierte Designs mit besonderer Sorgfalt konstruiert werden (Dale 1999). Wenn die Stimuluspräsentationen immer synchron mit den EPI-Scans einsetzen, wird die hämodynamische Antwort immer an denselben Zeitpunkten auf
der Kurve abgetastet. Die schwarzen Messpunkte in . Abb. 3.9 veranschaulichen dies am Beispiel einer TR von 3 s. Daher sollten die Stimuli nicht immer synchron mit einer Messung einsetzen, sondern zeitlich leicht versetzt werden, was als »Jittern« bezeichnet wird. Die kreisförmigen und quadratischen Messpunkte verdeutlichen dies anhand eines Jitters von 1 und 2 s.
. Abb. 3.9. Theoretischer Signalverlauf nach einem einzigen Stimulus (gestrichelte Linie) und mögliche Abtastung durch EPI-Messungen mit einer TR von 3 s. Die sternförmigen Datenpunkte stellen hypothetische Messwerte an 10 Ereignissen dar, die mit den Messungen synchronisiert sind, wobei ihre Onsets ebenfalls auf einen gemeinsamen Startpunkt (Zeit 0) festgesetzt wurden. Die kreisförmigen und
quadratischen Datenpunkte stellen zusätzliche Messwerte dar, wenn mit einem Jitter von 1 s (kreisförmige Punkte) bzw. 2 s (quadratische Punkte) gemessen wurde. Hierfür wären zusätzliche 20 Ereignisse erforderlich, sofern pro Abtastpunkt 10 Ereignisse gemessen werden sollen
30
3
Kapitel 3 · Methodik der funktionellen Magnetresonanztomographie
gen ab, wobei aus messtechnischen Gründen eine zu langsame Periode des Designs vermieden werden muss. Die beste Effizienz bietet ein sog. Blockdesign, bei dem die unterschiedlichen Bedingungen für jeweils 15–30 s andauern und sich periodisch abwechseln. Ein Block umfasst wegen seiner Dauer in der Regel mehrere Stimuli eines Typs (d. h. einer Bedingung). Viele Fragestellungen lassen sich allerdings nicht im Rahmen eines Blockdesigns beantworten, z. B. wenn vermieden werden muss, dass der Proband Erwartungshaltungen bezüglich kommender Stimuli entwickelt oder eine schnelle Habituation an die präsentierten Reize zu befürchten ist. In solchen Fällen kann ein ereigniskorreliertes Design die bessere Alternative sein. Hierbei werden die Stimuli aller Bedingungen (pseudo)randomisiert dargeboten, so dass es der Versuchsperson unmöglich ist, den nächsten Stimulustyp vorherzusagen (7 Box 2). 3.4.3 Statistische Analyse
von fMRT-Zeitreihen Die folgenden Abschnitte sollen in die Grundprinzipien des generellen linearen Modells (»general linear model«, GLM) einführen, welches das Fundament der statistischen Analyse darstellt. Hierbei werden bewusst lediglich die Grundlagen des GLM behandelt, die z. B. Varianzhomogenität und Unabhängigkeit zwischen den Beobachtungen (Scans) voraussetzen. Diese Annahmen werden u. a. aufgrund von Autokorrelationen in der Zeitreihe verletzt und . Abb. 3.10a,b. Modellfunktionen für ein Blockdesign (a) und ein ereigniskorreliertes Design (b). Die gestrichelten Kurven entsprechen dem idealisierten Signalverlauf, während die Punkte auf den Kurven die möglichen Beobachtungen bei einer TR von 3 s darstellen. Die horizontalen und vertikalen Linien sollen die Anbzw. Abwesenheit des Stimulus kodieren
a
b
müssen durch Erweiterungen des GLM korrigiert werden (Kiebel 2003; Worsley u. Friston 1995). Auf diese Korrekturen und Erweiterungen des GLM kann hier nicht eingegangen werden. Bei der statistischen Analyse wird die Zeitreihe jedes Voxels mit einem Modell verglichen. Das Modell für diesen Vergleich erhalten wir aus der Kombination zweier Informationen: 1. der zeitlichen Abfolge der Stimuli und 2. der (theoretischen) Antwortfunktion nach einem Stimulus (. Abb. 3.7 und . Abb. 3.9). Die Abfolge von Stimuli ist zu jedem Zeitpunkt lediglich durch die Alternativen »vorhanden« oder »nicht vorhanden« kodiert, während die theoretische Antwortfunktion kontinuierlich variiert (. Abb. 3.7). Durch die mathematische Operation der Faltung dieser beiden Funktionen entsteht die Modellfunktion, also der zu erwartende Zeitverlauf in einem perfekt auf die Stimuli antwortenden Voxel (. Abb. 3.10). Während die zeitliche Dynamik des BOLD-Kontrasts in jedem Voxel erhoben wird, werden gleichzeitig die verschiedenen Bedingungen experimentell manipuliert. In diesen Fällen wird für jede Bedingung (mit Ausnahme der Kontrollbedingung) einzeln eine solche Modellfunktion generiert; die Modellfunktionen werden in der sog. Designmatrix zusammengefasst ( . Abb. 3.11). Außerdem wird eine zusätzliche Spalte an die Designmatrix angehängt, die aus einer Konstanten besteht, um den globalen Mittelwert abzubilden. Nach dem allgemeinen linearen Modell besteht Beziehung zwischen den Daten Y und dem Modell X: (1)
31 3.4 · Konstruktion und Auswertung von fMRT-Experimenten
3
. Abb. 3.11. Das Beispiel zeigt die Designmatrix (unten) eines ereigniskorrelierten Designs mit 6 unterschiedlichen Bedingungen und einer Konstanten. Die Spalten beinhalten die graustufenkodierten Prädiktoren der 6 Bedingungen. Sie beinhalten ähnlich wie die schwarzen Punkte in
. Abb. 3.10 die vorhergesagte Zeitreihe, nur in anderer graphischer Form. Der dargestellte Kontrast (oben) testet die Hypothese in jedem Voxel darauf, ob das BOLD-Signal in der ersten Bedingung größer ist als in der vierten
Wenn es tatsächlich eine Beziehung zwischen dem Modell und den Daten gibt, so sollten die unbekannten Parameter β deutlich von Null verschieden sein. Wäre dies nicht der Fall, so würde der Term Xβ im Vergleich zum ebenfalls unbekannten Fehlerterm ε sehr klein. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Größen bildet die Grundlage des statistischen Tests und wird entscheidend von einer adäquaten und sorgfältigen Designkonstruktion (7 Abschn. 3.4.2) sowie von der Datenqualität (7 Abschn. 3.2.4) beeinflusst. Der Vektor β umfasst so viele Parameter, wie X Spalten hat, d. h. für jede Experimentalbedingung (plus den globalen Mittelwert) gibt es einen Parameter. Die Methode der kleinsten Quadrate erlaubt es, durch Minimierung des Fehlerterms den Parameter β zu schätzen:
Konkrete Hypothesen werden durch die Berechnung von Kontrasten getestet. Die Hypothese muss in einen Kontrast »übersetzt« werden, der ausgewählte Bedingungen aus der Designmatrix miteinander vergleicht; . Abbildung 3.11 veranschaulicht eine solche Übersetzung anhand eines Beispiels. Das Modell enthält 6 Spalten (Designmatrix, unten), die die Zeitverläufe für verschiedene Bedingungen modellieren, und eine zusätzliche Konstante. Die Zeit verläuft in dem Modell von oben nach unten, während die Bedingungen den Spalten zugeordnet sind. Der graphisch dargestellte Kontrast testet die Hypothese in allen Voxeln darauf, ob das BOLD-Signal in der ersten Bedingung größer als in der vierten ist. Die Zeile oberhalb der Graphik gibt den numerischen Wert des Kontrasts als Zeilenvektor (cT) wieder. Das Prinzip eines solchen Hypothesentests besteht darin, den Kontrast der Parameterschätzer ins Verhältnis zu seinem Standardfehler zu setzen:
(2) Hierbei ist XT die Transponierte von X (Vertauschung von Spaltenund Zeilenvektoren) und (XTX)–1 die Inverse von XTX; d. h. beide Terme miteinander multipliziert ergeben die Einheitsmatrix.
(3)
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3
Kapitel 3 · Methodik der funktionellen Magnetresonanztomographie
Der Zähler entspricht also dem Kontrast der Parameterschätzer, während der Nenner seiner geschätzten Standardabweichung entspricht. Der Bruch unter dem Wurzelzeichen enthält die Fehlervarianz, wobei sich , die geschätzte Größe von ε, durch Umformung der Gleichung 1 ergibt und J bzw. L die Anzahl der Zeilen bzw. Spalten in der Designmatrix reflektieren (283 und 7 im Beispiel aus . Abb. 3.11). Der Wert t stellt die t-verteilte Prüfgröße mit J–P Freiheitsgraden dar, der die Nullhypothese testet, dass der Kontrast der Parameterschätzer den Wert null ergibt (Im Beispiel aus . Abb. 3.11 wird die gerichtete Nullhypothese getestet, dass Bedingung 1 nicht mehr Aktivierung aufweist als Bedingung 4.). Für diesen Test wird die Prüfgröße mit dem entsprechenden Wert der t-Verteilung mit J–P Freiheitsgraden beim Fehlerniveau α verglichen. Errechnet man auf diese Weise eine Statistik in jedem Voxel, so ergibt sich ein dreidimensionales »Aktivierungs«-Bild des Gehirns. ! Die Teststatistik in jedem Voxel errechnet sich aus dem Verhältnis zwischen dem Kontrastschätzer und seinem Standardfehler. Somit liefert sie Informationen über Differenzen in den Aktivierungen zwischen unterschiedlichen Bedingungen und über die Genauigkeit, mit der diese Differenzen erfasst wurden.
3.4.4 Gruppenstatistiken In der Regel werden mehrere Probanden mit demselben Paradigma untersucht, so dass am Ende einer Studie die Ergebnisse auf die Population(en) generalisiert werden können, aus der die Versuchspersonen zufällig gezogen wurden. Die Analyse verläuft hierbei auf 2 Ebenen, wovon die erste die hier beschriebene Analyse der
fMRT-Zeitreihe jedes einzelnen Probanden ist. Die Analyse auf der zweiten Ebene erfolgt dann ebenfalls voxelweise an (gleichartigen) Kontrastbildern (cTβ) der Versuchspersonen, die als Daten in die Gruppenanalyse eingehen. Je nach Fragestellung wird für diese Berechnung ein geeignetes statistisches Modell gewählt, das den grundlegenden Standard-Modellen entspricht. Bei der Generalisierung auf eine Population kommen z. B. ein Einstichproben-tTest, ein paariger t-Test oder eine Varianzanalyse mit Messwiederholungen in Frage. Für Fragestellungen, die auf Populationsunterschiede zielen, können der Zweistichproben-t-Test oder eine Varianzanalyse ohne Messwiederholung sinnvoll sein. Vorsicht ist immer bei Analysen geboten, die an mehreren verschiedenen Kontrasten derselben Versuchspersonen berechnet werden, da solche Mehrfachbeobachtungen an den Probanden nicht unabhängig sind und hierfür wiederum korrigiert werden müssen. Bei Tests auf Unterschiede zwischen Populationen ist eine hinreichende Homogenität der Datenqualität zwischen den Gruppen unerlässlich (Stöcker et al. 2005). 3.4.5 Multiples Testen Das Problem der multiplen Vergleiche in der funktionellen Bildgebung ist eine recht schwierige und noch dazu nicht zufriedenstellend gelöste Aufgabe. Es dreht sich um die Tatsache, dass nicht eine einzige Hypothese getestet wird, sondern mehrere, nämlich in jedem einzelnen Voxel. Bei einer typischen fMRT-Analyse liegt man – nach der Normalisierung und Maskierung, d. h. nur Voxel innerhalb des Gehirns werden in Betracht gezogen – bei einer Größenordnung von 200.000 Voxeln. Die Fehlerwahrscheinlichkeit erster Art α wird vor der Analyse spezifiziert (üblicherweise
Exkurs Nonparametrische Verfahren Eine Alternative zu den hier vorgestellten Analysemethoden bieten nonparametrische Verfahren. Das Prinzip dieser Methoden besteht in der Annahme der Austauschbarkeit experimenteller Labels unter der Nullhypothese. Beispielsweise kann unter der Annahme der Gleichheit zweier Stichproben (Nullhypothese) die Zugehörigkeit der Daten zu der einen oder anderen Gruppe beliebig vertauscht werden (Resampling), ohne dass das Ergebnis einer solchen Vertauschung sich wesentlich von der tatsächlichen Zugehörigkeit unterscheiden würde. Dieses Resampling wird mit verschiedenen Vertauschungen möglichst oft wiederholt, um auf diese Weise die tatsächliche Verteilung der Daten unter der Nullhypothese zu generieren. Daraufhin kann der Wert der tatsächlichen Zugehörigkeit mit der generierten Verteilung der permutierten Werte verglichen werden. Diese Methoden sind auch unter dem Namen Permutationstests bekannt und haben den Vorteil, dass sie im Gegensatz zu den parametrischen Verfahren keine Annahmen über die zugrunde liegende Verteilung machen und daher als verteilungsfrei be-
zeichnet werden (Brammer et al. 1997). Außerdem sind sie bei kleinen Stichproben häufig sensitiver als entsprechende parametrische Tests (Nichols u. Holmes 2002). Ein Nachteil von Permutationstests liegt darin, dass sie sehr rechenintensiv sind, was allerdings durch immer besser ausgerüstete Computer zu relativieren ist. Entscheidender ist eher der Nachteil, dass Resamplingmethoden zwar verteilungsfrei, aber keineswegs frei von Annahmen sind. So ist bei ihnen im Vorfeld zu prüfen, ob und auf welche Weise experimentelle Labels überhaupt unter der Nullhypothese vertauschbar sind. Bei Gruppenanalysen sind Annahmen über eine bestimmte Vertauschbarkeit relativ leicht zu prüfen und auch meistens erfüllt. Zeitreihenanalysen, wie sie für fMRT-Daten nötig sind, können u. a. aufgrund bestehender Autokorrelationen in der Regel nicht mittels Resamplingmethoden ausgewertet werden, weshalb sie sich nur für Gruppenstatistiken eignen. Zwar können fMRT-Zeitreihen auch so transformiert werden, dass sie die Voraussetzungen für Permutationstests erfüllen, allerdings erhöht sich dadurch der rechnerische Aufwand (Bullmore et al. 2001).
33 3.5 · Zusammenfassung und Ausblick
mit 5%) und bezieht sich auf die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Nullhypothese verwerfen, obwohl sie wahr ist. Nehmen wir einmal an, wir hätten ein Statistikbild einer fMRT-Analyse mit 200.000 Voxeln, von dem wir wissen, dass kein einziges Voxel aktiv war. Idealerweise würden unsere 200.000 durchgeführten statistischen Tests dies auch in jedem einzelnen Voxel bestätigen. Wenn wir aber für unser α 5% wählen und dieses Niveau bei jedem individuellen Test anwenden, würden wir uns erwartungsgemäß in 5% der Fälle irren und daher auch falsch positive Ergebnisse in 10.000 Voxeln erwarten, obwohl in Wahrheit kein Voxel aktiv war! Ohne auf verschiedene Korrekturmethoden im Detail eingehen zu können, sollen 3 von ihnen kurz skizziert werden (vgl. auch . Abb. 3.12): 1. die Kontrolle des Fehlers 1. Art über alle unabhängigen Tests hinweg (Kontrolle des sog. family-wise error, FWE), 2. die Kontrolle des Fehlers 1. Art über die Größe eines aktivierten Clusters, d. h. über die Anzahl zusammenhängender Voxel, die über einer unkorrigierten Schwelle liegen (hier bezeichnet als cluster-thresholding by Monte-Carlo simulations, CTMC), 3. die Kontrolle der Falsch-Positiv-Rate (sog. false discovery rate, FDR). Die Kontrolle des FWE bei einem spezifizierten Niveau α geschieht bei unabhängigen Tests durch die Bonferroni-Korrektur, bei der jeder individuelle Test nicht bei α durchgeführt wird, sondern bei α, geteilt durch die Anzahl unabhängiger Tests. Für das Beispiel oben würde dies bedeuten, dass jedes Voxel nicht bei 5%, sondern bei 0,000025% getestet würde. Allerdings wäre diese Variante sehr konservativ, da davon auszugehen ist, dass die Beobachtungen in den Voxeln nicht unabhängig voneinander sind. Die Theorie der gaußschen Wahrscheinlichkeitsfelder berücksichtigt diesen Umstand und ist daher in der Regel sensitiver als Bonferroni (Worsley 1996), wobei dennoch die Kontrolle des FWE bei dem spezifizierten Niveau gewährleistet ist. Bei der CTMC-Methode hingegen wird zunächst eine unkorrigierte Schwelle festgelegt, anhand derer eine ausreichende Zahl an Simulationen unter der Nullhypothese durchgeführt werden (mindestens 1.000, besser 10.000). Dem Algorithmus werden dabei außerdem diverse räumliche Eigenschaften des Suchvolumens übergeben (Slotnick 2005), um möglichst realistische Simulationen durchführen zu können. Bei jeder Simulation wird ein Statistikbild generiert, das eine bestimmte Zahl »aktivierter« Voxel enthält, obwohl keines aktiv gewesen sein sollte, da die Bilder unter der Nullhypothese simuliert wurden. Diese Zahl wird stufenweise reduziert, indem die Mindestgröße eines Clusters sukzessive erhöht wird, d. h., es werden nur noch solche Voxel als aktiv deklariert, die in einer Gruppe von räumlich zusammenhängenden, aktivierten Voxeln liegen. Die Größe eines Clusters wird über die Anzahl der (aktivierten) Voxel darin definiert. Wenn unser Fehlerniveau α bei 5% und die Anzahl der Simulationen auf 10.000 festgelegt wurden, wird die Mindestgröße eines Clusters so lange
3
erhöht, bis nur noch in 5% der Fälle oder weniger – also in 500 oder weniger Simulationen – aktivierte Voxel zu beobachten sind. Die Korrektur durch die CTMC-Methode besteht nach den Simulationen also darin, die festgelegte, unkorrigierte Schwelle und die resultierende Mindestgröße eines aktivierten Clusters auf das tatsächliche Statistikbild anzuwenden. Die Kontrolle der Falsch-positiv-Rate (FDR) ermöglicht eine langfristige Kontrolle falsch-positiver Entscheidungen unter allen Tests, in denen die Nullhypothese verworfen wurde (Genovese et al. 2002). Praktisch bedeutet dies, dass wir falsch-positive Voxel in unserer Entscheidung per se zulassen. Wir definieren lediglich einen Prozentsatz falscher Entscheidungen unter den zurückgewiesenen Tests, wobei wir im Einzelfall nicht wissen, wie hoch dieser Prozentsatz tatsächlich ist, da der Algorithmus lediglich eine langfristige Kontrolle der FDR erlaubt. 3.5
Zusammenfassung und Ausblick
In diesem Kapitel wurde der Weg von der Datenakquisition bis zur Auswertung von fMRT-Daten skizziert. Eine Einführung in die physikalischen Grundlagen der MRT bereitete das Fundament für das Verständnis der EPI-Sequenz und des BOLD-Kontrasts. Der Zusammenhang zwischen hämodynamischer Antwort und neuronaler Aktivität wiederum liegt der Subtraktionsmethode zugrunde, die u. a. das Design des psychologischen Experiments beeinflusst. Die experimentell manipulierten Bedingungen werden nach der Datenerhebung und -vorverarbeitung in ein statistisches Modell überführt. Konkrete Hypothesen können nach der Modellanpassung an die Daten in Form von Kontrasten getestet werden. Hierbei ist das Problem der multiplen Vergleiche aufgrund der vielen getesteten Voxel zu berücksichtigen. Sowohl in der Messtechnik als auch in der Datenanalyse gibt es in der aktuellen Forschung Fortschritte, auf die hier nicht eingegangen werden konnte. Hier ist z. B. die parallele Bildgebung oder die Hochfeldbildgebung auf Seiten der Messtechnik zu nennen. Neuere Analyseverfahren wie psychophysiologische Interaktionen oder »dynamic causal modelling« erlauben eine Charakterisierung der Interaktionen zwischen mehreren Hirnregionen, die möglicherweise von kognitiven Prozessen moduliert werden.
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Kapitel 3 · Methodik der funktionellen Magnetresonanztomographie
3
. Abb. 3.12. Darstellung der 3 Korrekturmethoden. Alle Fehlerraten sind bei 10% festgelegt worden. Jeder Datensatz besteht aus einem 100×100 Pixel großen Bild, in dessen Mitte ein Signal auf das Hintergrundrauschen addiert wurde (10×10 Pixel groß). Zeilenweise handelt es sich immer um denselben Datensatz, der nicht korrigiert oder mit der jeweiligen Korrek-
turmethode dargestellt ist. Erwartungsgemäß gibt es je einen Fehler für die Kontrolle des FWE und der CTMC-Methode, die beide graphisch gekennzeichnet sind. Die genauen Prozentsätze der FDR sind jeweils mit angegeben und zeigen, dass diese durchaus variieren, aber über die 10 Datensätze hinweg bei etwa 10% liegen
35 Literatur
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4 Diagnose, Ätiologie und Neuropathophysiologie der Schizophrenie Peter Falkai
4.1
Grundlagen der Diagnostik einer schizophrenen Psychose – 37
4.1.1 Die drei Säulen der Diagnostik in der Psychiatrie – 37 4.1.2 ICD-10, DSM-IV und zukünftige Klassifikationssysteme – Wird die Diagnose der Schizophrenie aufgelöst? – 38
4.2
Ätiologie der Schizophrenie – 38
4.2.1 Die Schizophrenie als genetisch vermittelte Enzephalopathie – Die ersten Risikogene NR-1 und Dysbindin – 38 4.2.2 Welche Umweltfaktoren sind für den Ausbruch einer schizophrenen Psychose relevant? – 39 4.2.3 Gen-Umwelt-Interaktionen – 39
4.3
Pathophysiologie der Schizophrenie: Jenseits der Dopaminhypothese – 39
4.3.1 Die neurobiologischen Grundlagen der Schizophrenie – 39 4.3.2 Hirnentwicklungsstörung, degenerativer Prozess oder beides? – 40 4.3.3 Die Mehrläsionshypothese (»Several Hit Hypothesis«) – Ein integratives pathophysiologisches Konzept – 41
4.4
Zusammenfassung Literatur
– 42
– 42
37 4.1 · Grundlagen der Diagnostik einer schizophrenen Psychose
Grundlagen der Diagnostik einer schizophrenen Psychose
4.1
4.1.1 Die drei Säulen der Diagnostik
in der Psychiatrie Die Diagnostik in der Psychiatrie beruht auf den drei Säulen psychopathologischer Befund im Querschnitt, Ausschluss einer hirnorganischen Ursache und Beurteilung des Verlaufs. Da die Diagnose der Schizophrenie nach wie vor mit einem nicht unerheblichen Stigma verbunden ist und darüber hinaus der Diagnosestellung bei 80% der Betroffenen teilweise eine lebenslange medikamentöse Rezidivprophylaxe folgt, ist hierbei sorgfältiges Vorgehen dringend erforderlich. Die Erhebung des psychopathologischen Befundes ist die Basis des klinisch-diagnostischen Prozesses in der Psychiatrie. Er umfasst die in folgender Übersicht dargestellten Domänen und ist bei der Schizophrenie, mit Ausnahme der Bereiche Bewusstsein und Orientierung, gestört.
Funktionsstörungen Bei voller Symptomausprägung stehen Störungen der folgenden Funktionen im Vordergrund: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Konzentration und Aufmerksamkeit Inhaltliches und formales Denken Ich-Funktionen Wahrnehmung Intentionalität und Antrieb Affektivität und Psychomotorik
Störungen der Funktionen 2–4 werden zusammenfassend auch als Produktiv-, Plus- oder Minus-Symptomatik, diejenigen der Funktionen 5–6 als Defizit-, Minus- oder NegativSymptomatik bezeichnet.
Im Vergleich zu einem deskriptiv-phänomenologischen Ansatz, den die deutsche Psychiatrie über weite Strecken des letzten Jahrhunderts prägte, verkürzen standardisierte psychopathologische Instrumente wie die Brief Psychiatric Rating Scale (BPRS) oder die Positive And Negative Syndrome Scale (PANSS) die psychopathologische Detailarbeit, führen aber zu keiner Verbesserung in der Reliabilität der Diagnosestellung. Andererseits haben erst standardisierte Untersuchungsinstrumente wie die Research Diagnostic Criteria (RDC) dazu geführt, dass Untersuchungen über die weltweite Prävalenz der Schizophrenie möglich wurden. Diese auch häufig kritisch diskutierte Vereinfachung der Erhebung des psychopathologischen Befundes im Querschnitt sollte aber nicht davon entbinden, dass die wesentlichen psychopathologischen Bereiche systematisch erfragt werden. Ein diesbezügliches Training entweder auf der Grundlage der PANSS oder des Systems der Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie
4
(AMDP) erscheint notwendig, um ausreichende psychopathologische Kenntnisse zu erhalten. Die Erhebung des psychopathologischen Befundes ist eine Grundfertigkeit im Fachbereich Psychiatrie und Psychotherapie, die vergleichbar ist mit der reliablen Erhebung eines körperlichen bzw. neurologischen Untersuchungsbefundes. Es sollte an dieser Stelle betont werden, dass die initiale Verdachtsdiagnose auf der klinischen Erstuntersuchung beruht. Die initiale Verdachtsdiagnose wiederum ist häufig ausschlaggebend für weitere diagnostische und therapeutische Schritte. Die zweite Säule der Diagnostik umfasst den Ausschluss hirnorganischer Ursachen, die ebenfalls zu Schizophrenieformen oder sogar klinisch nicht von der Schizophrenie zu unterscheidenden Syndromen führen können. Die folgende Übersicht fasst die obligaten Untersuchungen bei diesem Prozess im Rahmen der Erstmanifestation einer Schizophrenie zusammen. Auch an dieser Stelle sollte betont werden, dass jeder Patient mit einer psychiatrischen Erkrankung gründlich körperlich-neurologisch zu untersuchen ist, um eine Vielzahl komorbider internistischer, aber auch neurologischer Erkrankungen auszuschließen, die bei 50% der Betroffenen die Symptomatik verschlechtern und bei 30% die Symptomatik mit erklären können. Neben dem körperlich-neurologischen Befund gehört eine Kontrolle der relevanten Laborparameter und – zumindest einmal zum Zeitpunkt der Erstdiagnose – eine strukturelle Bildgebung dazu. Gemessen an dem Stigma und den lebenslangen Therapiekonsequenzen ist die Durchführung einer strukturellen Bildgebung für jeden Patienten mit der Erstmanifestation einer Schizophrenie als obligat zu fordern.
Good Clinical Practice (Gaebel u. Falkai 2006, S. 35) Bei einer Erstmanifestation der Schizophrenie sollte in jedem Fall mindestens durchgeführt werden: 4 eine komplette körperliche und neurologische Untersuchung, ggf. mit testpsychologischer Untersuchung in den Bereichen Exekutivfunktionen, Gedächtnisleistungen und Aufmerksamkeit 4 ein Blutbild und Differentialblutbild 4 die Bestimmung des C-reaktiven Proteins 4 Leberwerte 4 Nierenwerte 4 TSH 4 Drogen-Screening 4 eine orientierende strukturelle Bildgebung des Gehirns (CT/MRT) Ein raumfordernder oder entzündlicher Prozess muss ausgeschlossen werden. Bei entsprechendem Verdacht sollte ein HIV-Test, eine Lues-Serologie, eine Untersuchung des Liquor cerebrospinalis, ein EEG, ein EKG, eine Röntgen-Thorax-Untersuchung oder eine spezielle weiterführende bildgebende Diagnostik mittels zerebralem CT oder MRT erfolgen.
38
4
Kapitel 4 · Diagnose, Ätiologie und Neuropathophysiologie der Schizophrenie
Die dritte Säule, die Beurteilung des Verlaufs im Längsschnitt, ist insbesondere differenzialdiagnostisch von großer Bedeutung. Psychotische Symptome können u. a. als Ausdruck eines Drogenkonsums bzw. einer Intoxikation auftreten, sie können Folge einer emotional sehr belastenden Situation sein, die kurzfristig zu psychotischen Symptomen führen oder die Manifestation einer schweren wahnhaften Depression oder schizoaffektiven Psychose bedeuten. Jede der genannten diagnostischen Entitäten erfordert ein spezielles diagnostisches sowie therapeutisches Vorgehen; die Beurteilung des Verlaufs stellt somit eine eine wesentliche Säule des diagnostischen Prozesses dar. In diesem Zusammenhang sollte auch betont werden, dass Symptome einer Schizophrenie kontinuierlich über einen Monat (nach ICD-10) bzw. sechs Monate (nach DSM-IV) vorliegen müssen, bevor die Diagnose gestellt werden kann. Der Vollständigkeit halber sei nochmals auf die diagnostischen Kriterien einer Schizophrenie nach ICD-10 hingewiesen. 4.1.2 ICD-10, DSM-IV und zukünftige
Klassifikationssysteme – Wird die Diagnose der Schizophrenie aufgelöst? Diagnostische Klassifikationssysteme wie ICD-10 oder DSM-IV basieren auf der reliablen Erfassung von Symptomen, die zu Syndromen und schließlich Diagnosen zusammengefügt werden. Die Diagnose z. B. der Schizophrenie beruht auf Konventionen, wie die Entwicklung von ICD und auch DSM in den letzten Jahrzehnten gezeigt hat. Rund 3/4 aller Patienten mit einer Schizophrenie weisen einen paranoid-halluzinatorischen Subtyp auf. Nur ein kleiner Prozentsatz ist charakterisiert durch die Hebephrenie mit frühem Krankheitsbeginn und bleibender Symptomatologie und ein noch kleinerer Prozentsatz hat eine katatone Symptomatik. Obwohl letztere besonders auffällig ist, scheint sie in den letzten Jahrzehnten – vielleicht mit dem Auftreten neuer pharmakologischer Behandlungsmöglichkeiten durch Stimmungsstabilisatoren – weitgehend aus dem klinischen Alltag verschwunden zu sein. Die Klassifikation nach Leonard berücksichtigt noch stärker den Verlaufsaspekt in seiner Subtypisierung, konnte sich aber im Wesentlichen nicht durchsetzen, da die reliable Abgrenzung der Subsyndrome im klinischen Alltag nur unvollständig gelingt. Angeregt durch Befunde auf dem Gebiet der Genetik, Neuropsychologie und Bildgebung gibt es Bestrebungen, in DSM-IV-R bzw. -V die diagnostische Einheit Schizophrenie weitgehend aufzugeben und durch neurobiologisch fundierte Entitäten zu ersetzen. Inwiefern das gelingt, bleibt abzuwarten, da neurobiologische Befunde wahrscheinlich nur Einzelaspekte der klinischen Phänomenologie abbilden und sich somit die Frage stellt, inwiefern man hierdurch überhaupt eine für die Therapie brauchbare Nomenklatur entwickeln kann. Wahrscheinlich wird eine Kombination aus psychopathologischen Subsyndromen und reliablen neurobiologischen Markern den zukünftigen Weg kennzeichnen.
4.2
Ätiologie der Schizophrenie
4.2.1 Die Schizophrenie als genetisch vermittelte
Enzephalopathie – Die ersten Risikogene NR-1 und Dysbindin Familien- und Zwillingsuntersuchungen legen für die Schizophrenie eine Heretabilität von 50% nahe (Shields u. Gottesman 1977). Erste hypothesenfreie Suchstrategien auf der Grundlage von Linkage-Studien konnten aber erst in den letzten Jahren die ersten Risikogene (Maier 1999) bestätigen. Zu diesen gehören unter anderem das Neuregulin-1-Gen sowie das DystrobrevinGen, die eine überzeugende Replikationssituation aufzeigen (siehe z. B. Falkai u. Maier 2006). Entgegen der meisten Erwartungen sind die genannten Risikogene nicht primär in den Dopaminstoffwechsel involviert, sondern haben, wie beispielsweise das Neuregulin-1-Gen, multiple Funktionen in der Hirnentwicklung, aber auch Aufrechterhaltung wichtiger Funktionen im ausgereiften Gehirn (z. B. Harrison u. Law 2006). Neuregulin-1 beispielsweise ist beteiligt an der neuronalen Migration, der Aufrechterhaltung der Integrität der Myelinscheiden sowie der Aufrechterhaltung synaptischer Prozesse (Corfas et al. 2004; Harrison und Law 2006) und hier insbesondere im Bereich des glutamatergen Systems (Harrison u. Weinberger 2005). Welche Rolle das Neuregulin-1-Gen in der Pathophysiologie der Schizophrenie hat, ist zur Zeit unklar. Bisher konnten noch keine Mutationen gefunden werden, die auf eine gestörte Expression der Proteinprodukte deuten würden. Vielmehr liegen die meisten Varianten des genetischen Codes (Single Nucleotid Polymorphisms (SNIPs)) in so genannten kodierenden Regionen, d. h. sie sind somit an der Regulation der Quantität des Genprodukts beteiligt. Darüber hinaus ist das Neuregulin-1-Gen in seiner Funktion sehr komplex, da es über neun Isoforme verfügt. Expressionsstudien am humanen Postmortem-Gewebe zeigen, dass einzelne SNIPs aus hoch mit Schizophrenie assoziierten Genabschnitten keinen signifikanten Einfluss auf die Menge der Messenger-RNA (mRNA) haben, sondern vielmehr einzelne Isoforme differentiell reguliert sind (zur Übersicht siehe Harrison u. Law 2006). Dies ist insofern von Bedeutung, als einzelne Isoforme an spezifischen neuralen Vorgängen beteiligt sind. So spielt z. B. das Isoform-3 eine zentrale Rolle bei der Begrenzung des Umfangs von Myelinscheiden (Michailov et al. 2004). Darüber hinaus scheint Neuregulin-1 auch an der Migration inhibitorischer Interneurone beteiligt zu sein, die wahrscheinlich bei schizophrenen Patienten signifikant reduziert sind, ferner ist es in die Aufrechterhaltung synaptischer Prozesse miteinbezogen. Es ist somit durchaus denkbar, dass Gene wie Neuregulin-1 mit ihren Genprodukten in verschiedene Vorgänge involviert sind, die zentral für die Pathophysiologie der Schizophrenie von Bedeutung sind.
39 4.3 · Pathophysiologie der Schizophrenie: Jenseits der Dopaminhypothese
4.2.2 Welche Umweltfaktoren sind
für den Ausbruch einer schizophrenen Psychose relevant? Wie an anderer Stelle ausgeführt, ist die Heritabilität der Schizophrenie mit ca. 50% anzusetzen. Das heißt mit anderen Worten, ca. 50% des Risikos, dass ein Mensch eine schizophrene Psychose entwickelt, wird zu ca. 50% von genetischen Faktoren beeinflusst. Die anderen 50% unterliegen nicht genetisch vermittelten Umweltfaktoren. Zu diesen zählen unter anderem Schwangerschaftsund Geburtskomplikationen, Geburtsort und Geburtszeitpunkt, das Alter des Vaters zum Zeitpunkt der Konzeption und der Gebrauch bzw. Missbrauch von Cannabis im Vorfeld des Erkrankungsausbruchs. Für sich genommen erhöhen diese Umweltfaktoren das Erkrankungsrisiko nur um ein bis zwei Prozent. Berechnet man aber ihr additives Potential, so erklären sie ca. 30% des Risikos. 4.2.3 Gen-Umwelt-Interaktionen Wie oben angedeutet, wächst die Zahl der Gene, die vom Status eines Kandidatengens zu dem eines Risikogens wechseln. In absehbarer Zeit wird somit die Zahl der Risikogene für eine Schizophrenieerkrankung schätzungsweise zwischen 50 und 100 liegen. Aktuelle Übersichtsarbeiten (z. B. Harrison u. Weinberger 2005) postulieren hypothetisch, dass wichtige Risikogene wie Dysbindin oder Neuregulin an der Funktion der glutamatergen Synapse beteiligt sind. Andere potentielle Risikogene wie Disk-1 oder AKT-8 gehören nicht dazu und sind teilweise pathophysiologisch mehr oder weniger unbekannt. Die Zuordnung der entdeckten Risikogene zu einer pathophysiologisch schlüssigen Kaskade kann bisher nicht bestätigt werden. Darüber hinaus scheinen Polymorphismen, z. B. des COMT-Gens oder des 5-HTT-Gens (Serotonintransporter-Gen), eine modifizierende Funktion z. B. auf Funktionen des Arbeitsgedächtnisses (COMT) oder der Aktivierung des Mandelkerns (5-HTT-Gen) auszuüben, ohne dass eine Assoziation zum Krankheitsrisiko der Schizophrenie besteht. Einzelne Studien verweisen auf eine Interaktion zwischen Umweltfaktoren wie schweren negativen Lebensereignissen und Polymorphismen des 5-HTT-Gens (Caspi et al. 2003). Ein ähnlicher Zusammenhang findet sich zwischen COMT-Genotyp, Haschischkonsum und der Wahrscheinlichkeit, eine Schizophrenie zu entwickeln. Bislang mangelt es an weiteren komplexen Modellen zur Interaktion verschiedener Umweltfaktoren, die zu einer Erhöhung des Schizophrenierisikos führen könnten. Erste Ansätze legen nahe, dass das parallele Vorliegen des Risikohaplotypen von modulierenden Genen wie COMT und des Risikohaplotyps von Neuregulin-1 das Risiko für eine Schizophrenie erhöhen. Somit werden zukünftig Modelle, die Gen-Gen-, Umweltfaktor-Umweltfaktor- und Gen-Umweltfaktor-Interaktionen zusammenfügen, von zentraler Bedeutung sein. Das hier skizzierte Problem von Gen-Umweltfaktor-Interaktionen gilt nicht
4
nur für die Schizophrenie, sondern auch für alle anderen komplexen Erkrankungen innerhalb und außerhalb der Psychiatrie. 4.3
Pathophysiologie der Schizophrenie: Jenseits der Dopaminhypothese
4.3.1 Die neurobiologischen Grundlagen
der Schizophrenie Für Emil Kraepelin war die Schizophrenie – wie für Wilhelm Griesinger – eine Gehirnerkrankung. Entsprechend beauftragte Kraepelin namhafte Wissenschaftler wie Nissel, Gaub und Alzheimer, die hirnmorphologischen Grundlagen der Dementia praecox zu identifizieren. Dies geschah vor dem Hintergrund verbesserter histologischer Schneide- und Färbeverfahren. In dieser Zeit wurde die pathomorphologische Grundlage des Morbus Parkinson und der Chorea Huntington entdeckt. Dementsprechend ging man davon aus, dass den Schizophrenien Veränderungen im Bereich des Kortex und Thalamus zugrunde lägen. Die ersten Arbeiten von Alzheimer (1897) schienen Veränderungen im Neokortex zu bestätigen. Bis 1951 erschienen ca. 200 weitere Arbeiten zu diesem Thema, ohne dass man sich in diesem Jahr auf dem ersten internationalen Kongress für Neuropathologie auf ein gemeinsames neuronales Substrat einigen konnte. Hieraus wurde geschlossen, dass den schizophrenen Psychosen keine hirnstrukturellen Veränderungen zugrunde lägen (z. B. Peters 1967). Obwohl parallel hierzu pneumenzephalographische Untersuchungen, unter anderem von Huber (Huber 1961) auf hirnstrukturelle Veränderungen hinwiesen, hielt sich dieses Dogma bis Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts. Erst die Einführung nichtinvasiver bildgebender Verfahren wie der Computertomographie konnten die pneumenzephalographischen Befunde einer Ventrikelerweiterung bestätigen (Johnstone et al. 1976). Insbesondere die seit Beginn der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts eingesetzte Kernspintomographie erlaubte die reliable Abgrenzung subkortikaler Strukturen. Mittlerweile gibt es eine konsistente, metaanalytisch gestützte Literatur zu hirnmorphologischen Veränderungen bei schizophrenen Psychosen. Neben einer subtilen Volumenreduktion des Gesamthirns von 3% findet sich eine Erweiterung der Seitenventrikel und insbesondere des dritten Ventrikels von 10–15%. Darüber hinaus ist die graue Substanz, insbesondere in frontotemporalen Regionen, reduziert. Bezüglich des Temporallappens findet sich eine konsistente, in der Regel bilaterale Volumenreduktion des Hippocampus, des Mandelkerns, der Regio entorhinalis und des Gyrus temporalis superior (Lawrie u. Abukmeil 1998; Wright et al. 2000). Mittlerweile besteht darüber hinaus wenig Zweifel an einer Volumenreduktion des Thalamus, des Cerebellums und an Volumenverschiebungen der Basalganglien. Kurz zusammengefasst wäre damit die Schizophrenie eine Enzephalopathie mit frontotemporalem Schwerpunkt. Diese Veränderungen sind in verschiedenen Phasen der Erkrankung vom Prodrom über die Erstmanifestation (Steen et al. 2006) bis
40
Kapitel 4 · Diagnose, Ätiologie und Neuropathophysiologie der Schizophrenie
hin zum rezidivierenden Verlauf nachweisbar, ebenso wie bei Patienten, die nie neuroleptisch behandelt worden sind (z. B. Bogerts et al. 1985). Mittlerweile wissen wir, dass typische und atypische Neuroleptika durchaus einen differentiellen Effekt haben in dem Sinne, dass typische Neuroleptika eher das Volumen der Basalganglien und des Thalamus erhöhen, und Atypika die Basalganglienvolumina reduzieren und das Thalamusvolumen erhöhen (Scherk u. Falkai 2006).
4 4.3.2 Hirnentwicklungsstörung, degenerativer
Prozess oder beides? Mitte/Ende der 80-er Jahre kamen verschiedene Autoren zu dem Schluss, dass die bei der Schizophrenie auftretenden Veränderungen Folge einer gestörten Hirnentwicklung seien (z. B. Jakob u. Beckmann 1986; Weinberger 1988). In den letzten fünf Jahren wächst die Zahl prospektiver, gut kontrollierter Studien mit Hilfe bildgebender Verfahren, die einen chronisch progredienten Verlust der grauen Substanz, insbesondere in frontotemporalen Regionen, nachweisen (z. B. DeLisi et al. 1995; Hulshoff Pol et al. 2001, 2002, 2004). Insofern stellt sich die Frage, ob die Schizophrenie eine Hirnentwicklungsstörung, ein degenerativer Prozess oder möglicherweise eine Kombination aus beiden Prozessen darstellt. Argumente, die für eine gestörte Hirnentwicklung sprechen, kommen unter anderem aus prospektiven Untersuchungen an Kindern und zeigen, dass solche, die später eine Schizophrenie entwickeln, sich bezüglich der Entwicklungsmeilensteine wie motorische Entwicklung, Sprachentwicklung und sozialer Ängstlichkeit von den Kindern unterscheiden, die später gesund bleiben (z. B. Isohanni et al. 2001). Darüber hinaus gibt es Untersuchungen filmischer Aufzeichnungen der Bewegungsmuster von Kindern, die später eine Schizophrenie entwickelten. Hier fanden sich ebenfalls Hinweise auf eine motorische Ungeschicklichkeit im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen (Walker et al. 1994). Schließlich wurden jahrelang Studien mit bildgebenden Verfahren in diese Richtung interpretiert, da es in der Regel für die Volumenveränderungen keine Korrelation mit der Krankheitsdauer gab, was im Sinne einer früh angelegten Veränderung interpretiert wurde (z. B. Falkai u. Bogerts 1995). Ein dritter Bereich, der immer wieder eine Hirnentwicklungsstörung zu bestätigen schien, waren Post-mortem-Untersuchungen an Gehirnen verstorbener Patienten mit einer Schizophrenie. So beschrieben Jakob u. Beckmann (1986) eine Störung der Migration der sogenannten Prä-Alphazellen in der Regio entorhinalis. Da dieser Migrationsvorgang am Ende des zweiten Trimenons in utero abgeschlossen ist, wurde dieser Befund folgerichtig als Hinweis auf eine gestörte Hirnentwicklung interpretiert. Es folgten eine Reihe von Replikationen, aber mindestens ebenso viele Nonreplikationen dieses Befundes. Erst eine quantitative Nachuntersuchung konnte diese Befundlage bestätigen (Falkai et al. 2000; Kowalenko et al. 2003). Ähnlich steht es um viele andere Befunde aus dem
Bereich der Neuropathologie, die sich im Sinne einer Hirnentwicklungsstörung interpretieren ließen. Ist die Schizophrenie somit ein klassisch degenerativer Prozess?
Klassisch degenerative Erkrankungen wie die Alzheimer-Krankheit oder der Morbus Parkinson zeichnen sich über weite Strecken des Krankheitsbildes durch einen Verlust von Nervenzellen, eine reaktive Aktivierung von Gliazellen und einen zunehmenden Funktionsverlust auf der Verhaltensebene aus. Quantitative Postmortem-Untersuchungen in verschiedenen Regionen des Neokortex liefern bei der Schizophrenie keinen konsistenten Hinweis auf einen Verlust von Neuronen (z. B. Selemon et al. 1998; Vogeley et al. 2003). Selbst in Hirnregionen wie dem Hippocampus, wo eine deutliche Volumenreduktion von bis zu 15% nachgewiesen werden konnte (Bogerts et al. 1990), ergab sich konsekutiv am gleichen Material kein Hinweis auf Neuronenverluste (Hurlemann et al. 2005). Ebenso wenig fanden sich am gleichen Material in derselben Region Hinweise auf eine Erhöhung der Astrozyten, was im Sinne eines entzündlichen Abräumprozesses gewertet werden könnte (Falkai et al. 1999). Betrachtet man schließlich neuropsychologische Parameter als Maße für gestörte Kognition bei der Schizophrenie, so konnte der überwiegende Teil prospektiver Studien zumindest für die Mehrheit der Patienten keine Zunahme des Defizits im Verlauf der Erkrankung feststellen (z. B. Hoff et al. 1999). Insgesamt sprechen die hier dargelegten Argumente nicht für einen klassisch degenerativen Prozess. Wie sind dann aber die Volumenverluste z. B. in verschiedenen kortikalen Arealen im Verlauf der Erkrankung zu erklären? Die meisten Post-mortem-Untersuchungen zeigen keine Zellzahlreduktion, sondern eher eine Zunahme der Zelldichte bei reduziertem Volumen, was am ehesten auf eine Verminderung des Neuropils hinweist (Selemon et al. 1998). Zu dem Neuropil gehören im Wesentlichen Synapsen, Axone und Dendriten. Systematische Untersuchungen an synaptischen Proteinen scheinen zu belegen, dass in den frontotemporalen Schlüsselregionen verschiedene relevante synaptische Proteine reduziert exprimiert sind (Barr et al. 2004). Interessanterweise handelt es sich hier insbesondere um Proteine, die am sogenannten SNARE-Komplex beteiligt sind, der ein zentraler Bestandteil der Vesikelbildung ist. Erste Untersuchung legen nahe, dass möglicherweise darüber hinaus Steuerungsproteine, die so genannten Komplexine, und zwar hierbei die inhibitorischen Anteile, reduziert exprimiert werden (Sawada et al. 2005). Neben dieser Störung der synaptischen Maschinerie gibt es seit kurzem Hinweise auf eine Beeinträchtigung der Neuroneogenese (Reif et al. 2006). Die Neuroneogenese und Synaptogenese stellen einen Mechanismus zur Regeneration des ausgereiften Gehirns dar. Mittlerweile ist bekannt, dass auch beim erwachsenen Menschen um die Seitenventrikel herum und im Bereich des Hippocampus Nervenzellen ständig neu gebildet werden. Im Hippocampus geht man von ca. 40.000 Neuronen pro Tag aus, die zum großen Teil untergehen, die aber teilweise in das bestehende neuronale Netzwerk eingebaut und dort funktionell relevant
41 4.3 · Pathophysiologie der Schizophrenie: Jenseits der Dopaminhypothese
werden. Erste Untersuchungen legen nahe, dass hierdurch wichtige kognitive Funktionen, z. B. im Bereich des episodischen Gedächtnisses, aufrechterhalten werden. Abweichend von der Vorstellung, dass die Neuroneogenese nur bei affektiven Störungen beeinträchtigt ist, zeigen aktuelle Daten eine umschriebene Beteiligung psychotischer Syndrome und hier insbesondere der Schizophrenie (Reif et al. 2006; Toro u. Deakin 2006). Zusammenfassend ist somit davon auszugehen, dass die Schizophrenie höchstwahrscheinlich eine Hirnentwicklungsstörung ist, wobei die gestörten Prozesse die Hirnreifung sowie die Aufrechterhaltung wichtiger Prozesse im reifen Gehirn umfassen. Am ehesten betrifft das reparative Vorgänge, wie sich am Beispiel der Synaptogenese und Neuroneogenese darstellen ließ. Volumenreduktionen, z. B. kortikaler Regionen, sind entsprechend auf eine Störung solcher reparativer Vorgänge und wahrscheinlich auf eine »funktionelle Degeneration« zurückzuführen. 4.3.3 Die Mehrläsionshypothese
(»Several Hit Hypothesis«) – Ein integratives pathophysiologisches Konzept Wie an mehreren Stellen dargestellt, ist unser Wissen zur Ätiologie, aber auch zur Pathogenese der Schizophrenie, nach wie vor unvollständig. Im Folgenden wird trotzdem der Versuch zur Bildung eines integrativen pathophysiologischen Konzeptes unternommen. Erster Schritt: Gabaerges Defizit Es bestehen kaum Zweifel, dass erstgradig Angehörige von Patienten mit einer Schizophrenie für die meisten neurobiologischen, aber auch Verhaltensparameter im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen ein Defizit aufweisen. In der Regel zeigen sie einen so genannten intermediären Phänotyp, das heißt sie weisen Werte auf, die sie zwischen psychiatrisch unauffälligen Kontrollpersonen und ihren erstgradigen Angehörigen mit einer Schizophrenie positionieren (zur Übersicht s. Zobel u. Maier 2004). Elektrophysiologischen Untersuchungen zufolge weisen erstgradig Angehörige unter anderem ein Defizit in der so genannten Präpulsinhibition (PPI) auf (Zobel u. Maier 2004). Ein wesentlicher Teil der zugrunde liegenden Vulnerabilität für die Entwicklung einer Schizophrenie dürfte somit ein Defizit inhibitorischer Elemente, insbesondere des gabaergen Systems, darstellen. Selbiges ist die Basis für viele neurokognitive Defizite, die ebenfalls bei erstgradig Angehörigen zu finden sind. Ein solches Defizit ist zwar eine wichtige, aber nicht alleinige Voraussetzung zur Entwicklung einer schizophrenen Psychose.
Netzwerkes, namentlich im Bereich des gabaergen Systems, zusätzlich zentrale Bestandteile des glutamatergen Systems, wie der NMDA-Rezeptor, funktionell beeinträchtigt sind. Hirnstrukturelle Untersuchungen zeigen, dass Träger des Risikohaplotyps für Neuregulin-1 im Vergleich zu gesunden Angehörigen bilateral reduzierte Hippocampusvolumina aufweisen. Einschlägige Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen scheinen hierbei einen zusätzlichen Beitrag zur Volumenreduktion zu leisten (Ebner et al. 2006). Entsprechend dürften sowohl genetische als auch nicht genetisch basierte Faktoren das Risiko für eine schizophrene Psychose additiv erhöhen. Dritter Schritt: Hyperdopaminerges Syndrom Wie aus . Abb. 4.1 hervorgeht, wird das dopaminerge System über das glutamaterge System aktiviert und über die Zwischenschaltung des gabaergen Systems inhibiert. Wir wissen um die Bedeutung einer fein abgestimmten Interaktion aus diesen drei Transmittersystemen für eine reibungslose Funktion der neuronalen Netzwerke im Bereich frontotemporothalamischer Regionen. Fehlt es aber, wie oben angedeutet, an inhibitorischen Elementen und ist die Steuerungsfähigkeit des glutamatergen Systems beeinträchtigt, scheint bei weiteren umweltbedingten Stressoren, wie z. B. kontinuierlichem Cannabisgebrauch, dieses fein abgestimmte Netzwerk zusammenzubrechen und zu einem hyperdopaminergen Syndrom zu führen. Dieses äußert sich auf der Verhaltensebene als produktiv psychotische Symptomatik. Vierter Schritt: Von der funktionellen Beeinträchtigung zum bleibenden strukturellen Defizit
Wie wir wissen, führen polymorph psychotische Störungen zu einer vorübergehenden Beeinträchtigung der Hirnfunktionen, wie wir dies von Schädelhirntraumata ersten Grades kennen. Es wird postuliert, dass bei polymorph psychotischen Syndromen
Zweiter Schritt: Glutamaterges Defizit
Die funktionelle Einordnung der ersten Risikogene Dysbindin und Neuregulin-1 legt eine Beteiligung an der Aufrechterhaltung der glutamatergen Synapse nahe. Darauf gründet die Hypothese, dass neben dem Defizit inhibitorischer Elemente des neuronalen
4
. Abb. 4.1. Schematische Darstellung der Interaktion zwischen gabaergem, glutamatergem und dopaminergem System
42
4
Kapitel 4 · Diagnose, Ätiologie und Neuropathophysiologie der Schizophrenie
die reparativen Mechanismen ausreichend intakt sind, um die Funktionsfähigkeit des neuronalen Netzwerks in einem überschaubaren Zeitraum wiederherstellen zu können. Liegt aber ein Defizit im Bereich dieser reparativen Mechanismen vor, namentlich der Synaptogenese und Neuroneogenese, so kann sich das Gehirn nur langsam oder unzureichend erholen. Es kommt zu weiteren Defiziten, welche die Funktionsfähigkeit des Gehirns längerfristig beeinträchtigen. Dies rechtfertigt die Hypothese, dass dieses Defizit in der Folge zu einer »funktionellen Degeneration« führt. Das Phänomen kennen wir durchaus in der Folge von umschriebenen Hirnläsionen, z. B. bei Schlaganfällen. Kleine Läsionen führen zu einer Beeinträchtigung der gesamten Hemisphäre. Meines Erachtens sind die bei der Schizophrenie zu beobachtenden Prozesse, die zu einer bleibenden kortikalen Atropie führen, Ausdruck einer Beeinträchtigung neuronaler Kompensationsmechanismen, die in der Folge zu einer »funktionellen Degeneration« führen. Aus tierexperimentellen Untersuchungen geht hervor, dass eine kontinuierliche Überaktivität des glutamatergen Systems zu einer reduzierten Synthese synaptischer Proteine und einer reduzierten Vitalität von Neuronen führen. Dies bewirkt nicht den Untergang von Neuronen, sondern eher eine »Vita reducta«, die im Sinne einer Hypofunktion gewertet werden kann. 4.4
Zusammenfassung
Die Schizophrenie hat weltweit eine Prävalenz von ca. 1%, betrifft in der Regel junge Erwachsene zwischen dem 25. und 35. Lebensjahr und ist nach wie vor für die Hälfte der Betroffenen mit einer ungünstigen Prognose verbunden. Nur 15% finden eine längerfristige Anstellung auf dem primären Arbeitsmarkt, und nur 30% sind in der Lage, eine längerfristige Partnerschaft einzugehen. Das voll ausgebildete Krankheitsbild der Schizophrenie umfasst die wesentlichen Domänen menschlichen Verhaltens und Erlebens. Die Diagnose fußt auf der Beurteilung des psychopathologischen Befundes im Querschnitt, dem Ausschluss einer primären oder sekundären Hirnerkrankung und schließlich der Beurteilung des Verlaufs. Ätiologisch handelt es sich um eine komplexe Erkrankung, in der genetische und Umweltfaktoren interagieren. Mit den ersten beschriebenen Risikogenen Neuregulin-1 und Dysbindin sind Gene in die Diskussion gekommen, die von der Hirnentwicklung bis hin zu Vorgängen im reifen Zentralnervensystem eine Rolle spielen. Zu den relevanten Umweltrisikofaktoren gehören neben Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen der Geburtsort, der Geburtsmonat, das Alter des Vaters, der Status als Emigrant und der frühe und kontinuierliche Gebrauch von Cannabis. Pathophysiologisch gesehen ist die Schizophrenie am ehesten eine Störung der Gehirnentwicklungs- und Reifungsvorgänge. Es ist davon auszugehen, dass hierbei Vorgänge wie die Synaptogenese und Neuroneogenese beeinträchtigt sind, die einen zentralen Bestandteil der Regenerationsfähigkeit des Zentralnervensystems darstellen.
Im Rahmen eines integrativen pathophysiologischen Ansatzes wird ein Mehrstufenmodell vorgeschlagen. Der erste Schritt umfasst im Sinne einer Basisvulnerabilität eine Reduktion inhibitorischer Elemente des neuronalen Netzwerks, insbesondere des gabaergen Systems. Der zweite Schritt umfasst eine genetisch determinierte Instabilität des glutamatergen Systems. Schritt eins und zwei führen unter dem Einfluss weiterer Umweltfaktoren, wie dem kontinuierlichen frühen Genuss von Cannabis, zu einem hyperdopaminergen Syndrom, das die Basis für psychotisches Erleben ist. Sind die regenerativen Mechanismen in der Lage, die durch die Hyperdopaminergie erzeugten Folgeschäden zu reparieren, erfolgt auch auf der Verhaltensebene eine restitutio ad integrum. Gelingt dieses nicht, kommt es infolge der beeinträchtigten Funktionsfähigkeit der neuronalen Netzwerke zu einer funktionellen Degeneration. Es wird die Aufgabe der nächsten Jahre sein, diese Vorgänge besser zu verstehen, um insbesondere bei einem frühen Beginn der Erkrankung kausal in den pathophysiologischen Prozess eingreifen zu können.
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4
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5 Genetische Aspekte neuropsychologischer Störungen bei schizophrenen Patienten Michael Wagner und Wolfgang Maier
5.1
Familiarität schizophrener Störungen
– 45
5.2
Neuropsychologische Endophänotypen der Schizophrenie
– 45
5.2.1 Neurophysiologische Besonderheiten bei Verwandten schizophrener Patienten – 46 5.2.2 Bildgebung – 48 5.2.3 Endophänotypen und Variation des genetischen Risikos – 48 5.2.4 Genetische High-risk-Studien – 49 5.2.5 Erblichkeit von Endophänotypen – 50
5.3
Molekulargenetik der Schizophrenie – Assoziations- und Kopplungsuntersuchungen
– 50
5.3.1 Assoziations- und Kopplungsbefunde zur Schizophrenie
5.4
Genvarianten und Endophänotypen der Schizophrenie
5.4.1 Neuropsychologische Störungen und Psychosen bei velokardiofazialem Sydrom – 53 5.4.2 Dispositionsgene und Endophänotypen – 53
5.5
– 50
Fazit und Ausblick Literatur
– 57
– 55
– 53
45 5.2 · Neuropsychologische Endophänotypen der Schizophrenie
5.1
Familiarität schizophrener Störungen
Familienstudien zeigen übereinstimmend, dass bei Angehörigen schizophrener bzw. psychotischer Patienten Sekundärfälle mit Schizophrenie gehäuft auftreten (1–16%); die Vergleichswerte für Angehörige Gesunder liegen deutlich niedriger (0–2%). Das Erkrankungsrisiko steigt dabei mit dem Grad der genetischen Verwandtschaft. In Familien nichtpsychotischer psychiatrischer Patienten (etwa bei unipolar Depressiven) findet sich eine solche Häufung von Schizophrenien aber nicht. Die Weitergabe der Erkrankung folgt keinem mendelschen Erbgang, was für genetisch komplexe Erkrankungen typisch ist. Familiäre Häufungsmuster können grundsätzlich auch durch nichtgenetische familiäre Umgebungsfaktoren bedingt sein. Eine große Anzahl von Zwillingsstudien belegt jedoch die Relevanz genetischer Faktoren für das Auftreten der Schizophrenie. Die aus dem Verhältnis der Konkordanzraten monozygoter und dizygoter Zwillinge ermittelte Schätzung der durch genetische Faktoren erklärbaren Varianz (Heritabilität) beträgt etwa 80%; familiäre Umgebungsfaktoren erklären nur etwa 10% der Varianz (Metaanalyse von Sullivan et al. 2003). Die Heritabilität der Schizophrenie ist somit deutlich höher als bei anderen psychiatrischen Erkrankungen (z. B. wird die Heritabilität der MajorDepression auf weniger als 40% geschätzt). Krankheitsbegünstigend wirken auch Umgebungsfaktoren wie Geburtskomplikationen (v. a. wenn diese zu Sauerstoffmangel führen), Infektionen der Mutter im zweiten Trimester der Schwangerschaft und Cannabiskonsum. In Adoptionsstudien wurde zudem die krankheitsfördernde Rolle von ungünstigen Sozialisationsbedingungen deutlich, dies gilt v. a. bei bestehender familiärer (genetischer) Belastung mit der Erkrankung. Auch die Beobachtung erhöhter Erkrankungsraten bei sozial ausgegrenzten Immigranten spricht dafür, dass sozialer Stress – im Einklang mit dem klassischen VulnerabilitätsStress-Modell der Schizophrenie – ein krankheitsbegünstigender Faktor ist. . Wahrscheinlich wirken einige genetische Faktoren in Interaktion mit individuumspezifischen Umgebungsvariablen (z. B. Sauerstoffmangel bei der Geburt, Cannabiskonsum in der Adoleszenz, soziale Stresserfahrungen im jungen Erwachsenenalter) oder mit gemeinsamen familiären Umgebungsvariablen (z. B. häufige Infektionskrankheiten, Ernährung). In welchem Ausmaß solche Gen-Umwelt-Interaktion zur hohen Heritabilität der Schizophrenie beitragen, ist bisher unklar. Da die Konkordanzrate für Schizophrenie bei früh getrennten und bei gemeinsam aufgewachsenen monozygoten Zwillingen ähnlich ist (etwa 50%), kann man nicht nur schlussfolgern, dass Umweltfaktoren wichtig sind (sonst betrüge die Konkordanz dieser Zwillingspaare 100%), sondern auch, dass wichtige Umweltfaktoren entweder allgegenwärtig vorhanden sein müssen (etwa Stress in der Adoleszenz) oder aber pränatal (z. B. Virusinfektionen) bzw. früh im Leben wirken. Heritabilität ist ein Begriff, der sinnvoll ist nur in Bezug auf die jeweils untersuchten Populationen mit den dort herrschenden Umgebungsbedingungen; die heutigen Heritabilitätsschätzungen
5
beziehen sich durchweg auf Menschen, die im späten 19. und im 20. Jahrhundert in den westlichen Industrieländern gelebt haben. Um sich die Abhängigkeit der Erblichkeit einer Erkrankung von den Umweltbedingungen zu verdeutlichen, stelle man sich eine Kultur vor, in der alle Menschen von Jugend an rauchen – Lungenkrebs wäre dann eine überwiegend erbliche Erkrankung. Keineswegs lässt sich aus hoher Erblichkeit ein schicksalhafter Determinismus ableiten. Vielmehr sind gerade vom besseren genetischen und biologischen Verständnis der Erkrankung auch neue Einflussmöglichkeiten (einschließlich nichtpharmakologischer, etwa psychotherapeutischer Maßnahmen) auf Entstehung und Verlauf der Schizophrenie zu erwarten. Nach heute überwiegender Einschätzung stellt die Schizophrenie eine polygene, multifaktoriell bedingte Erkrankung dar, wobei jedes einzelne Gen nur zum Phänotyp beiträgt und weder hinreichend noch notwendig zur Ausbildung der Erkrankung ist; es beeinflusst jedoch ihre Auftretenswahrscheinlichkeit. Die heute im Rahmen der Schizophrenie diskutierten Gene werden daher als Suszeptibilitätsgene (synonym: Vulnerabilitätsgene, Dispositionsgene) bezeichnet. Das in den letzten Jahren stark angewachsene, jedoch immer noch spärliche Wissen über diese Gene wird in 7 Abschn. 5.3 kurz dargestellt. Bei Kindern schizophrener Patienten wurden auch gehäuft psychopathologische Auffälligkeiten beobachtet, die zwar der Symptomatik einer Schizophrenie verwandt sind, jedoch zur Diagnose einer Schizophrenie nicht ausreichen. Einige dieser Auffälligkeiten lassen sich als Persönlichkeitsstörungen charakterisieren, die in den Klassifikationssystemen DSM-IV und ICD-10 als »schizotypisch« bezeichnet werden. Auch diskrete Sprachstörungen und formale Denkstörungen sind bei Angehörigen vermehrt beobachtbar. Diese Befunde begründeten das Konzept des sog. schizophrenen Spektrums, das neben der Schizophrenie eben alle jene psychopathologisch definierten Merkmale umfasst, die sich in Familien schizophrener Patienten gehäuft finden. Neben den klinischen, d. h. unmittelbar beobachtbaren oder berichtetenpsychischenPhänomenenhabenFamilienuntersuchungen auch vermehrt Auffälligkeiten in neuropsychologischen und biologischen Merkmalen erbracht, die nur mit Hilfe von Apparaturen oder Testverfahren erhoben werden können. Diese Auffälligkeiten findet man in stärker ausgeprägter Form auch bei an Schizophrenie erkrankten Menschen, teilweise Jahre vor der ersten Diagnose und Behandlung. 5.2
Neuropsychologische Endophänotypen der Schizophrenie
Da Gene sich zunächst auf Hirnstruktur und Hirnfunktion auswirken und nur indirekt zu Krankheiten beitragen, werden zunehmend auch Zusammenhänge von Genen mit neuroanatomischen oder neuropsychologischen Merkmalen untersucht, die im Rahmen von psychischen Erkrankungen verändert sind. Wie in vielen Kapiteln dieses Buches eingehend dargestellt, weisen
46
5
Kapitel 5 · Genetische Aspekte neuropsychologischer Störungen bei schizophrenen Patienten
schizophrene Patienten – als Gruppe betrachtet – Defizite in zahlreichen neuropsychologischen Testverfahren auf, die nicht auf die medikamentöse Behandlung zurückführbar sind. Eine Metaanalyse von Studien, die schizophrene Patienten mit Gesunden hinsichtlich mindestens eines Leistungsbereiches verglichen, zeigt in verschiedenen Funktionsbereichen Leistungsminderungen im Umfang von 0,46–1,41 Standardabweichungen (Heinrichs u. Zakzanis 1998). Die deutlichsten Einbußen fanden sich in den Bereichen des verbalen Gedächtnisses, der exekutiven Funktionen und der Aufmerksamkeit. Im intraindividuellen Langzeitverlauf sprechen die Daten für eine relative Stabilität der Defizite. Diese korrelieren erheblich und bedeutsam mit der klinischen (Negativ-)Symptomatik und v. a. mit dem Verlauf, z. B. im Hinblick auf die soziale Anpassung. Sie werden daher auch zunehmend als Grundlage der sozialen Behinderung dieser Patienten erkannt, und ihre Besserung wird als Therapieziel bedeutsam. Kognitive Defizite und auch neurophysiologische Auffälligkeiten sind somit intrinsischer Bestandteil des Phänotyps der Schizophrenie, auch wenn diese Defizite in den diagnostischen Kriterien (bisher) nicht vorkommen. Zahlreiche Daten sprechen dafür, dass diese Defizite zumindest teilweise genetische Ursachen haben. Bei biologischen Angehörigen Schizophrener, die selbst nie in ihrem Leben an einer psychischen Erkrankung litten, treten überzufällig häufig Normabweichungen in neuropsychologischen und -physiologischen Parametern auf, die sich auch bei Schizophrenen finden. Dies gilt sowohl für »High-risk-Kinder« schizophrener Eltern als auch für erwachsene Verwandte, die die Risikoperiode für die Entwicklung einer Erkrankung bereits weitgehend durchlaufen haben. Solche – meist nur gering ausgeprägten und nur im gruppenstatistischen Vergleich erkennbaren – Normabweichungen bei Anghörigen werden heute als Endophänotpyen der Erkrankung bzw. der Erkrankungsvulnerabilität angesehen. Gottesman u. Gould (2004) haben einen Überblick über die Entwicklung dieses Begriffs gegeben und eine Definition vorgestellt (7 Box 1). ! Als neuropsychologische Endophänotypen im engeren Sinne werden v. a. Aufmerksamkeitsdefizite, Beeinträchtigungen des deklarativen Gedächtnisses und exekutive Funktionen einschließlich des Arbeitsgedächtnisses diskutiert.
Das verbale Gedächtnis, über das Lernen von Wortlisten oder Geschichten operationalisiert, ist in mehreren Untersuchungen mit erwachsenen Angehörigen Schizophrener als signifikant reduziert beschrieben worden. Wie bei den schizophrenen Patienten scheint das deklarative Gedächtnis auch bei den Angehörigen die am stärksten beeinträchtigte Funktion zu sein; generell ist das Defizitprofil bei Patienten und Angehörigen über mehrere Funktionsbereiche hinweg ähnlich. Exekutive Funktionen (Abstraktion und Flexibilität) wurden meist mit dem Wisconsin Card Sorting Test (WCST) erfasst. Die Befundlage ist hier – in Bezug auf die Familienangehörigen Schizophrener – nicht ganz einheitlich; einige große Studien fanden
Box 1: Endophänotyp-Kriterien (Gottesman u. Gould 2004) 1. 2. 3.
4. 5.
Assoziation des Merkmals mit der Erkrankung Erblichkeit des Merkmals Weitgehend unabhängig vom Krankheitsstadium (z. B. auch in der Prodromalphase oder bei Remission der Symptome nachweisbar) Endophänotyp und Erkrankung kosegregieren (werden in Familien gemeinsam weitergegeben) Der bei Erkrankten gefundene Phänotyp tritt bei nicht erkrankten Familienangehörigen häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung
hier keine Beeinträchtigungen, metaanalytisch sind diese jedoch zu sichern, was auch für andere klassische exekutive Aufgaben (Stroop-Interferenz, Trail Making Test B) gilt. Bei den Aufmerksamkeitsmaßen ergibt der Continuous Performance Test (CPT), v. a.bei erschwerten Anforderungen, zuverlässig Unterschiede zwischen Angehörigen Schizophrener und Kontrollprobanden. Sitskoorn et al. publizierten 2004 eine Metaanalyse zu kognitiven Defiziten bei Angehörigen schizophrener Patienten (. Tab. 5.1). Sie fassten die Ergebnisse von 37 Studien zu neuropsychologischen Leistungen von Angehörigen ersten Grades (Kinder, Geschwister und/oder Eltern schizophrener Patienten) im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden – veröffentlicht im Zeitraum von 1980 bis 2002 – zusammen.. Ähnlich wie bei schizophren Erkrankten zeigten sich Beeinträchtigungen in verschiedenen kognitiven Funktionsbereichen. Die mittleren Effektstärken lagen zwischen 0,28 und 0,54; dies entspricht etwas weniger als der Hälfte der bei schizophrenen Patienten gefundenen Defizite. Die größten Normabweichungen (d~0,5) bei Untersuchungen mit Angehörigen fanden sich hiernach im Bereich des verbalen Gedächtnisses und bei visomotorischen Aufgaben, gefolgt von Maßen wie dem Continuous Performance Test oder dem Wisconsin Card Sorting Test (d~0,3). 5.2.1 Neurophysiologische Besonderheiten
bei Verwandten schizophrener Patienten Okulomotorik. Sehr konsistente Befunde liegen bezüglich okulomotorischer Funktionsstörungen bei Angehörigen schizophrener Patienten vor. Es kommt bei einem Teil der Angehörigen zu Störungen der langsamen Augenfolgebewegungen (reduzierte Amplitude, Einstreuung von kleinen Sakkaden). In der Antisakkadenaufgabe werden reflexive Sakkaden schlechter gehemmt, eine Metaanalyse (Calkins et al. 2004) berichtet für Antisakkadenfehler bei Angehörigen eine mittlere Effektstärke von d=0,61. Parameter der Antisakkadenaufgabe weisen zudem selbst eine hohe Heritabilität auf.
5
47 5.2 · Neuropsychologische Endophänotypen der Schizophrenie
. Tab. 5.1. Metaanalyse von Sitskoorn et al. (2004) zu neurokognitiven Defiziten bei Angehörigen schizophrener Patienten. Effektstärkemaß: Mittelwertsdifferenz bezogen auf die gepoolte Standardabweichung (d) Test oder Funktion
Anzahl Studien
Anzahl Kontrollen
Anzahl Angehörige
Mittlere Effektstärke
95% Konfidenzintervall
Verbales Gedächtnis
15
397
600
0,54
0,43–0,66
Trail Making Test B
12
608
816
0,51
0,36–0,67
Trail Making Test A
10
360
483
0,38
0,23–0,53
Zahlenspanne
10
239
391
0,35
0,19–0,50
Verbale Flüssigkeit
13
373
514
0,35
0,14–0,56
Continuous Performance Test
11
406
545
0,33
0,09–0,57
Visuelles Gedächtnis
8
401
747
0,30
0,10–0,50
Wisconsin Card Sorting Test
19
310
550
0,29
0,14–0,43
Stroop Interferenztest
8
798
891
0,28
0,06–0,50
. Tab. 5.2. Übersicht zu neurophysiologischen und experimentellpsychologischen Endophänotypen. Effektstärkemaß: Mittelwertsdifferenz bezogen auf die Standardabweichung gesunder Kontrollen. (Nach Braff u. Light 2005) Endophänotyp
Schizophrene Patienten
Angehörige ersten Grades
Patienten mit schizotypischer Persönlichkeitsstörung
Antisakkaden
4,88–6,38
1,38–3,75
0,75–1,36
Langsame Augenfolgebewegungen
2,00–3,00
0,29–1,30
0,29
Formale Denkstörungen
1,56–2,98
0,34–0,83
1,04–1,28
Arbeitsgedächtnis
1,42–2,20
0,42
0,73–1,04
P50 Suppression
0,92–1,29
0,79
0,79
Reaktionszeit
0,59–1,05
0,44
0,79–0,99
Prepulse Inhibition
0,51–0,85
1,00
1,45
Span of Apprehension
0,50–2,50
0,60–1,50
Continuous Performance Test
0,45–3,30
0,46–2,97
0,45–0,78
Executive Functioning
0,47–1,05
0,73–1,60
0,72
P300
0,45–1,05
0,17
0,36
Visual Backward Masking
0,33–0,65
0,43–0,57
0,45–0,67
Es handelt sich nicht um eine systematische Metaanalyse aller Studien, sondern um eine Darstellung der Bandbreite der Ergebnisse ausgewählter Studien (Literaturangaben in Braff u. Light 2005). Ergebnisse publizierter Metaanalysen zu den hier genannten Verfahren sind im Text dieses Kapitels bzw. in . Tab. 5.1 berichtet
48
5
Kapitel 5 · Genetische Aspekte neuropsychologischer Störungen bei schizophrenen Patienten
Evozierte Potentiale. Auch für mehrere Komponenten akusti-
Rezeptordichte
scher ereigniskorrelierter Potenziale liegen Befunde bei Angehörigen schizophrener Patienten vor. Die P50-Komponente (50 ms nach einem Reiz) weist bei ihnen eine geringere Amplitude und eine geringere Habituation (Suppression) bei rascher Reizwiederholung auf (Letzteres wird oftmals als »sensory gating« bezeichnet). Eine Metaanalyse (Bramon et al. 2005) der zahlreichen Studien zur P300 ergab bei Verwandten eine systematisch kleinere P300-Amplitude (d=0,61) und längere Latenzen (d=0,50). Interpretiert werden diese neurophysiologischen Normabweichungen als möglicherweise genetisch bedingte Störungen der Informationsverarbeitung und der Aufmerksamkeit.
PET-Untersuchungen mit Liganden für Dopamin(D1- und D2-)rezeptoren haben bei nicht erkrankten Zwillingsgeschwistern schizophrener Patienten eine erhöhte D2-Rezeptordichte in den Basalganglien (im Caudatum) und eine erhöhte D1-Rezeptordichte im präfronalen und superior temporalen Cortex und im Gyrus angularis ergeben (Hirvonen et al. 2006). Veränderungen im dopaminergen System scheinen somit bereits Teil der Vulnerabilität für die Erkrankung zu sein, unabhängig von der Erkrankung und der Behandlung mit antipsychotischer Medikation. Dies ist auch im Hinblick auf die medikamentöse Prävention von Erkrankungen bei Personen mit erhöhtem Psychoserisiko relevant.
5.2.2 Bildgebung
5.2.3 Endophänotypen und Variation
des genetischen Risikos Regionale Hirnvolumina Bei Angehörigen Schizophrener wurden in einigen Studien Volumenminderungen des Hippocampus, des Gyrus temporalis superior und Vergrößerungen der Seitenventrikel oder des dritten Ventrikels beschrieben; v. a. letzteres scheint ein konsistenter Befund zu sein. Seidman et al. (2002) fanden bei Angehörigen schizophrener Patienten, v. a. wenn noch weitere Mitglieder derselben Familie erkrankt waren, eine Volumenminderung des linken Hippocampus, die mit verbalen Gedächtnisdefiziten korrelierte. In anderen Studien waren v. a. lateraltemporale, frontale und frontostriatale Regionen bei Personen mit erhöhtem familiärgenetischen Risiko vermindert , während das Hippocampusvolumen nur bei manifester Erkrankung oder bei Vorliegen von Geburtskomplikationen reduziert war. McDonald et al. (2002) fanden eine – mit der »genetischen Risikomasse« zunehmende – Vergrößerung der Ventrikel bei Angehörigen der Maudsley-Familienstudie.
Funktionelle Kernspintomographie Die funktionelle Kernspintomographie hat sich auch bei Untersuchungen mit Angehörigen Schizophrener als sensitive Methode erwiesen. Verwendet wurden hier Paradigmen, die sich auf gestörte kognitive Prozesse bei Patienten und Angehörigen beziehen – z. B. episodisches Gedächtnis, Arbeitsgedächtnis, exekutive Kontrolle, Antisakkaden. Mehrfach konnte bei Angehörigen Schizophrener, auch bei normaler Verhaltensleistung, eine veränderte Hirndurchblutung in jenen Regionen festgestelt werden, die den geforderten kognitiven Prozessen bekanntermaßen zugrunde liegen. So fanden Raemakers et al. (2006), dass Geschwister schizophrener Patienten auch bei noch ausreichender Hemmung von Reflexsakkaden eine striatale Minderaktivierung zeigen, wie sie auch bei erkrankten Patienten beobachtbar ist. Insofern bestätigt die funktionelle Bildgebung die mit traditionellen neuropsychologischen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse. Besonders zur Exploration der Effekte von Kandidatengenen (7 Abschn. 5.4) ist die funktionelle Kernspintomographie künftig sicher von von großer Bedeutung.
Familäre Häufung bzw. stärkere Ausprägung krankheitsassoziierter Phänotypen ist ein Hinweis auf genetische Beeinflussung, aber noch nicht beweisend. Zwei Untersuchungsstrategien sind besonders informativ, um die genetische Ursache weiter zu erhärten und jene Endophänotypen zu identifizieren, die besonders stark mit schizophrenieassoziierten Genen zusammenhängen: die Untersuchung sog. obligater (oder wahrscheinlicher) Genträger und die Untersuchung von Zwillingen, die diskordant sind für die Erkrankung mit Schizophrenie. In beiden Strategien werden Personen mit unterschiedlicher Ausprägung des genetischen Schizophrenierisikos miteinander verglichen. Bei einer dritten, weniger aussagekräftigen Untersuchungsstrategie werden nichtpsychotische Angehörige schizophrener Patienten danach unterschieden, ob sie – außer dem Indexpatienten – einen weiteren Angehörigen ersten Grades mit einer Schizophrenie hatten (»multiplex families«) oder nicht (»simplex families«). Dabei wird davon ausgegangen, dass bei ersteren eine höhere Belastung mit krankheitsassoziierten Genen besteht (»genetic loading«) als bei letzteren. Eine Studie fand bei solchen »Multiplex«-Angehörigen auch tatsächlich stärkere Defizite im Bereich des verbalen und visuellen Kurzzeitgedächtnisses als bei »Simplex«-Angehörigen, die sich allerdings auch noch von den Kontrollgruppen unterschieden (Faraone et al. 2000). Problematisch ist hier, dass es bei Erkrankungen mit geringer Penetranz (wie bei der Schizophrenie) wesentlich von der Familiengröße und der Vollständigkeit der Untersuchung einer Familie abhängt, ob ein weiterer Erkrankungsfall identifizierbar ist. Die folgenden beiden Forschungsstrategien sind daher zur Prüfung von »Gendosis«-Effekten informativer. Wahrscheinliche Anlageträger. Aufgrund von weiteren schizophrenen Erkrankungsfällen in der Herkunftsfamilie ist es bei einem kleinen Teil der nicht an einer Psychose erkrankten Eltern schizophrener Patienten wahrscheinlich, dass sie Überträger krankheitsassoziierter Gene sind, sog. obligate Anlageträger. Gleiches gilt für nicht selbst erkrankte Geschwister schizophrener Patienten, deren Kind an einer Schizophrenie erkrankt ist. Diese
49 5.2 · Neuropsychologische Endophänotypen der Schizophrenie
Konstellation ist selten, aber besonders informativ, erlaubt sie doch, die vermutete Wirkung krankheitsrelevanter Gene (die bei der betreffenden Person mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhanden sind), auf neuropsychologische und neurophysiologische Leistungen zu untersuchen. Dabei kann aufgrund des Alters der Untersuchten weitgehend ausgeschlossen werden, dass diese noch an einer Schizophrenie erkranken werden. Harris et al. (1996) fanden bei wahrscheinlichen Anlageträgern schlechtere Leistungen in den Aufmerksamkeitsfunktionen als bei den Elternteilen ohne einen weiteren erkrankten Angehörigen. Zudem unterschieden sich die gesunden obligaten Anlageträger in diesem Funktionsbereich nicht von ihren erkrankten Kindern. Die gleiche Arbeitsgruppe aus Colorado fand bei diesen wahrscheinlichen Genträgern und ihren erkrankten Kindern zudem eine gestörte Inhibition reflexiver Sakkaden und eine erhöhte Häufigkeit von antizipatorischen Sakkaden bei langsamen Augenfolgebewegungen. In der Londoner Maudsley-Familienstudie zeigte sich eine verlängerte Latenz der akustischen P300 nicht nur bei schizophrenen Patienten, sondern auch gehäuft bei deren Elternteilen, die aufgrund der Familienanamnese wahrscheinliche Anlageträger waren. Diese Elternteile zeigten ebenso wie die erkankten Kinder eine fehlende Volumenasymmetrie frontaler Hirnregionen; dies war bei Elternteilen, die eine »leere« Familienanamnese für Schizophrenie aufwiesen, nicht der Fall. Auch neurologische »soft signs« – diagnostisch unspezifische neurologische Störungen wie eine leicht erschwerte motorische Koordination – treten bei Elternteilen mit Sekundärfällen der Erkrankung in ihrer Herkunftsfamile vermehrt auf. Die Ergebnisse aus diesen meist kleinen Stichproben wahrscheinlicher Anlageträger sprechen dafür, dass bestimmte Störungen der Informationsverarbeitung gemeinsam mit der Disposition zur Schizophrenie vererbt werden. Zwillingsstudien. Eine dem Obligate-Carrier-Ansatz verwandte
und hinsichtlich der Probandengewinnung nicht minder aufwändige Forschungsstrategie besteht in der Untersuchung monozygoter (MZ) und dizygoter (DZ) Zwillinge, die diskordant sind für das Merkmal Schizophrenie. Denn diese teilen 100% oder 50% ihrer Gene mit einem Erkrankten, ohne aber (bisher) selbst diese Erkrankung entwickelt zu haben. Der Vergleich mit einer weiteren Gruppe gesunder Probanden ohne psychiatrische Erkrankungen in der Herkunftsfamilie gestattet nun in eleganter Weise, jene Merkmale zu identifizieren, die mit der genetischen Nähe zur Schizophrenie dosisabhängig variieren. Cannon et al. (2000) untersuchten 48 Zwillingspaare diskordant für Schizophrenie (18 MZ, 30 DZ) und 55 parallelisierte Kontrollzwillingspaare (28 MZ, 27 DZ) mit einer umfangreichen neuropsychologischen Testbatterie. Als mit der genetischen Nähe assoziierte Maße zeigten sich das räumliche Arbeitsgedächtnis, die geteilte Aufmerksamkeit, Intrusionsfehler beim Abruf einer Wortliste sowie die Reaktionszeit bei der Wahl visueller Zielreize, d. h. in erster Linie präfrontal lokalisierte Funktionen. Dazu passt, dass morphometrisch v. a. der polare und dosolateral präfrontale Kortex mit zunehemder genetischer Nähe vermindert sind, während
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zusätzliche krankheitsbezogene Volumenminderungen in superior temporalen und superior parietalen Regionen nachweisbar sind (Cannon et al. 2002). Die beiden oben dargestellten Forschungsstragien, die Angehörige mit unterschiedlicher genetischer Risikomasse untersuchen, stimmen darin überein, dass Aufmerksamkeits- und Exekutivfunktionen stärker noch als das verbale Gedächtnis mit der genetischen Belastung variieren. Dies steht in einem interessanten, bislang nicht befriedigend zu erklärenden Kontrast zur Metaanalyse von neuropsychologischen Angehörigenstudien von Sitskoorn et al. 2004 (. Tab. 5.1), die das verbale Gedächtnis als besonders betroffen zeigt. Möglicherweise sind die verwendeten Testverfahren im Bereich der Aufmerksamkeits- und Exekutivfunktionen heterogener und etwas weniger reliabel als die verwendeten Gedächtnistests. 5.2.4 Genetische High-risk-Studien Beginnend mit der Arbeit von Barbara Fish in New York wurden in den USA, Europa und Israel seit Mitte des 20. Jahrhunderts sog. genetische High-risk-Studien durchgeführt, d. h. prospektive Untersuchungen mit Kindern schizophrener Eltern, bei denen auch verschiedene (zwischen den Studien leider nur gering überlappende) neuropsychologische Variablen erhoben wurden. Die sechs bis 1980 begonnenen und teilweise noch andauernden Studien ergaben Erkrankungsraten zwischen 7,7% und 20,8% bei den Kindern mit einem schizophrenen Elternteil, verglichen mit 0%–2,9% bei den Kindern psychisch gesunder Eltern, wobei sich die Probanden zum Zeitpunkt der letzten Untersuchung meist im dritten oder vierten Lebensjahrzehnt befanden (Erlenmeyer-Kimling et al. 2000). Affektive Störungen traten bei den Kindern mit einem schizophrenen Elternteil hingegen nicht gehäuft auf. Als prognostisch relevant für die Entwicklung einer späteren Schizophrenie oder einer Spektrumsstörung erwiesen sich dabei motorische Koordinationsstörungen und Aufmerksamkeitsstörungen, wobei allerdings die eingeschränkte Breite der erfassten Funktionen berücksichtigt werden muss. So wurden etwa deklarative Gedächtnisfunktionen bei den schon länger begonnenen High-risk-Untersuchungen nicht erfasst. Bei aktuellen Projekten, etwa bei der Edinburgh-Risikostudie unter Leitung von Eve Johnstone, bei der Jugendliche aus Familien mit mehreren Erkrankungsfällen prospektiv untersucht wurden, werden deutlich breitere Untersuchungsbatterien verwendet. Bisherige Verlaufsdaten der Edinburgh-Studie weisen hier auf eine krankheitsprädiktive Bedeutung insbesondere von verbalen Gedächtnisdefiziten hin. Auch längsschnittliche Kohortenuntersuchungen und auf Fallregistern basierende retrospektive Untersuchungen sprechen dafür, dass Patienten bereits lange vor dem Ausbruch der Erkrankung durch Entwicklungsverzögerungen, verminderten Intelligenzquotienten (IQ), diskrete neurologische Auffälligkeiten, erhöhte Ängstlichkeit und Neigung zum Alleinsein charakterisiert sind. Das Aufwachsen mit einem schizophrenen Elternteil kann
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Kapitel 5 · Genetische Aspekte neuropsychologischer Störungen bei schizophrenen Patienten
als Ursache für diese Auffälligkeiten hier ausgeschlossen werden; es ist deshalb wahrscheinlich ist, dass neuropsychologische Funktionsdefizite frühe Vorboten einer beginnenden schizophrenen Erkrankung sein können. Patienten mit sog. schizophrenietypischen Basisstörungen (selbstberichtete kognitive oder perzeptuelle Störungen) oder mit abgschwächter Positivsymptomatik haben ein deutlich erhöhtes Risiko zur Entwicklung einer Psychose (10–50% je nach Symptomkonstellation und Nachbeobachtungszeitraum). Menschen mit diesen Symptomen befinden sich daher möglicherweise im Vorläuferstadium einer Psychose (Prodrom). Auch bei dieser Gruppe finden sich Defizite in mehreren neuropsychologischen Funktionsbereichen, insbesondere bei episodischem Gedächtnis und exekutiven Funktionen. Diese Funktionsdefizite könnten grundsätzlich auch zur Vorhersage und damit zur indizierten Frühintervention bei beginnenden Psychosen beitragen. Erste Ergebnisse internationaler Studien sprechen dafür, dass auch bei klinisch (über Symptome, nicht über die psychiatrischen Familienanamnesen) identifizierten »Prodromalpatienten« v. a. geringe verbale Gedächtnisleistungen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit eines späteren Übergangs in eine Psychose verbunden sind (Lencz et al. 2006). 5.2.5 Erblichkeit von Endophänotypen Einige Studien belegen, dass die im Rahmen von Endophänotypuntersuchungen verwendeten Verfahren bzw. Variablen in mittlerem Ausmaß erblich sind. Zwillings- und andere Familienstudien berichten Heritabilitätswerte für die oben beschriebenen Parameter im Bereich von 0,20–0,70, was für eine genetische Grundlage nicht nur der Erkrankung Schizophrenie, sondern auch der mit ihr typisch assoziierten Funktionsstörungen spricht. Diese Erblichkeitsschätzungen entstammen allerdings unterschiedlichen, oft kleinen Stichproben, so dass bislang nicht klar erkennbar ist, welche der verschiedenen Endophänotypen vergleichsweise stärker, welche schwächer genetisch determiniert sind. 5.3
Molekulargenetik der Schizophrenie – Assoziations- und Kopplungsuntersuchungen
Im ersten Abschnitt dieses Kapitels wurde bereits die hohe Erblichkeit der Schizophrenie angesprochen. Nach Jahren erfolgloser Suche sind nun erste Kandidatengene identifiziert worden, die Teil der molekularen Grundlage dieser Heritabilität sind. 5.3.1 Assoziations- und Kopplungsbefunde
zur Schizophrenie In den letzten Jahren konnten genetische Assoziationen zu verschiedenen Varianten in den Genen für Dysbindin (DTNBP1)
auf Chromosom 6p, Neuregulin-1 (NRG1) auf Chromosom 8p, sowie den interagierenden Genen G72/DAOA (D-amino-acid oxidase activator) und G30 auf Chromosom 13 und DAAO (D-amino acid oxidase) auf Chromosm 12 mehrfach repliziert werden. Auch für RGS4 (Regulator of G-Protein signalling) auf Chromosom 1q21 liegen mehrere positive Studien vor. DNASequenzvarianten in jedem der genannten Gene sind in mindestens 8 unabhängigen Studien mit ganz überwiegend positiven Ergebnissen untersucht worden. Markerspezifische Metaanalysen liegen aktuell für Neuregulin, G72/G30 und RGS4 vor, für das Neuregulin-1-Gen gibt es starke Hinweise auf moderate Risikosteigerungen bei Vorliegen spezifischer Marker; die Evidenz für G72/G30 und RGS4 ist schwächer. Dysbindin und Neuregulin-1 sind sehr wahrscheinlich Dispositionsgene für die Schizophrenie, in abgeschwächter Form gilt dies auch auch für den Genort G72. Noch sind aber in keinem Fall die direkt pathogen wirksamen Genvarianten identifiziert. Erst wenn diese gefunden sind und deren zur Erkrankung beitragende Effekte aufgedeckt wurden, kann mit Sicherheit von Dispositionsgenen gesprochen werden. Die assoziierten Risikovarianten finden sich ganz überwiegend nicht im kodierenden Bereich. Das heißt, dass nicht die Anleitung zur Herstellung der Proteine verändert ist, sondern der Hinweis, wie viel Protein hergestellt werden soll. Für die assoziierten Allele bzw. Haplotypen (= Allelkombinationen) dieser gut replizierten Kandidaten liegt das relative Risiko in den positiven Studien zwischen 1,1 und maximal 2,0. Neben der nur geringen Risikosteigerung durch die einzelnen Varianten ist das Fehlen diagnostischer Spezifität hervorzuheben. So sind mit Schizophrenie assoziierte Allele bei NRG1, G30 und DISC1 vermutlich auch mit bipolar affektiven Störungen assoziiert, was sich nur teilweise auf das Vorkommen psychotischer Symptome bei bipolaren Störungen zurückführen lässt. Weitere Kandidaten für Dispositionsgene sind das GRM3Gen, für welches in 8 Studien eine Assoziation bestätigt werden konnte, und das AKT1-Gen, während die postulierte Assoziation einer funktionellen Variante des Gens für die Catechol-O-Methyltransferase (COMT) auf Grund einer Metaanalyse zweifelhaft ist. Funktionelle Relevanz der postulierten Dispositionsgene
Die Entdeckung der ersten assoziierten Risikovarianten in mutmaßlichen Dispositionsgenen der Schizophrenie bietet die Chance, diejenigen zellulären und subzellulären Vorgänge zu identifizieren, die zentralen Anteil an der Pathophysiologie dieses Krankheitsbildes haben. Diese funktionellen Untersuchungen sind v. a. zur Entdeckung der DNA-Sequenzvarianten, die einen direkten Einfluss auf die Krankheitsentstehung nehmen, Voraussetzung. Erstaunlicher Weise sind diese untersuchten Gene und ihre Varianten auf den ersten Blick nicht mit Mechanismen wie einem gestörten Dopaminmetabolismus assoziiert. Vielmehr handelt es sich um recht komplexe Gene wie das Neuregulin (NRG-1), welches Funktionen von der Zellmigration bis zur Expression der Neurotransmitterrezeptoren umfasst. Harrison u. Weinberger (2005)
51 5.3 · Molekulargenetik der Schizophrenie – Assoziations- und Kopplungsuntersuchungen
Exkurs Einige genetische Grundbegriffe Der genetische Code auf den Molekülsträngen der 23 menschlichen Chromosomenpaare besteht aus einer Sequenz der vier Basen Adenin (A), Thymin (T), Guanin (G), und Cytosin (C). Die gegenüberliegenden Stränge verknüpfen sich zu Basenpaaren, wobei sich stets A mit T und G mit C kombinieren; der zweite Molekülstrang trägt also denselben Informationsgehalt wie der erste. Die gesamte DNA-Sequenz des Menschen (Genom) umfasst etwa 3,2 Milliarden Basenpaare. Nur ein kleiner Teil (ca. 2%) der humanen DNA-Sequenz bildet die sog. Gene, jene DNA-Abschnitte, die den Bauplan für alle Proteinmoleküle beinhalten. Ca. 1/3 der Gene werden im Gehirn exprimiert und tragen somit zu normalen und gestörten Hirnfunktionen bei. Beim Menschen finden sich ca. 35.000 verschlüsselte Gene. Nur der kleinere Teil der DNA-Sequenz wird in einem Protein exprimiert, während die restlichen Segmente entweder zur Regulation der Expression der Gene beitragen (z. B. Promotorbereiche) oder stumm bleiben. Man nennt die Stelle, an der im Genom eine bestimmte genetische Information vorgesehen ist, einen Genort oder genetischen Locus, der jeweils wegen der paarigen Anordnung der autosomalen Chromosomen in paariger Form besetzt ist. Die Übersetzung von Genen in die Aminosäuren eines Proteins erfolgt durch die Expression der Gene in den Zellkernen. Die Genexpression wird dabei nicht nur von genetischen Faktoren (z. B. Promotorbereichen) reguliert; auf allen Stufen können auch Umweltfaktoren die Expressionsstärken modifizieren. Proteine stellen die Bausteine für die Körperorgane und die dort ablaufenden Funktionen dar. Proteine steuern z. B. als Enzyme Stoffwechselprozesse, die (a) für die Informationsübertragung, (b) für spezifische Funktionen wie z. B. das Arbeitsgedächtnis und (c) für die Wirkung von Medikamenten relevant sind. Zu Proteinen gehören auch Rezeptoren. Verschiedene Varianten eines Gens können als unterschiedliche Varianten eines Proteins exprimiert werden, die möglicherweise quantitative oder qualitative funktionelle Konsequenzen haben; z. B. kann das Bindungsverhalten an verschiedenen genetischen Varianten eines Rezeptors quantitativ unterschiedlich sein.
DNA-Sequenzvarianten (Polymorphismen) Die DNA-Sequenz kann zwischen Chromosomen sowohl intra- als auch interindividuell variieren. Ein Genort, der von verschiedenen DNA-Sequenzvarianten besetzt wird, heißt polymorph. Unterschiedliche Varianten an einem Genort werden Allele genannt. Menschen können sich bezüglich der Varianten des jeweils doppelt vorhandenen Gens unterscheiden (sog. Heterozygotie). DNASequenzvarianten kommen auch in der überwiegenden Mehrzahl der Gene vor und zwar sowohl im exprimierten Bereich (Exon), im Promotorbereich als auch in den anderen, nichtexprimierten Bereichen.Varianten in den beiden erstgenannten Bereichen können 6
zu einer veränderten Menge oder Funktion exprimierter Genprodukte (Proteine) beitragen. Weicht in der DNA-Sequenz eines Gens im exprimierenden Bereich (Exon) nur ein Buchstabe von der korrekten Bauanleitung ab, kann die Abfolge der Aminosäuren im Protein und damit dessen Funktionsfähigkeit sich ändern oder die gesamte Proteinsynthese abbrechen, so dass der Zellhaushalt empfindlich gestört werden kann. Es gibt aber auch sog. »stumme« Abweichungen von der korrekten DNA-Sequenz, die keine Folgen für die Zusammensetzung und Funktion der Proteine haben (weil verschiedene Basenabfolgen zum Teil identische Aminosäuren codieren). Ist nur eine einzige Base innerhalb der DNA-Sequenz ausgetauscht, dann bezeichnet man dies als SNP (Single Nucleotide Polymorphism), während Mikrosatelliten Wiederholungen eines DNA-Fragments von wechselnder Länge sind. Haplotypen sind Kombinationen von Markern (bzw. Markerausprägungen) innerhalb eines Gens, die ebenso wie einzelne SNP oder Mikrosatelliten auf Assoziation mit einer Erkrankung geprüft werden können.
Assoziationsstudien Assoziationsstudien stellen fest, ob Varianten eines Gens bei Merkmalsträgern oder Erkrankten häufiger oder seltener vorkommen als bei Kontrollen. Unterschiedliche Allelfrequenzen können durch zwei verschiedene Mechanismen zustande kommen: Entweder das Allel verändert selbst ein Genprodukt (Protein), das für die Krankheitsentstehung mitverantwortlich ist, oder es ist einem unmittelbar krankheitsrelevanten Genort auf demselben Chromosom benachbart; in diesem Falle spricht man von einem genetischen Marker. Zwischen Allelen am Marker und am Krankheitsort besteht Kopplungsungleichgewicht, d. h. beide treten in der untersuchten Population überzufällig häufig oder selten gemeinsam auf. Genetische Assoziationsstudien haben aufgrund verschiedener Störfaktoren ein hohes Risiko für falsch-positive Befunde. Mehrere Replikationen sind daher eine entscheidende Voraussetzung für die Validität von Ergebnissen.
Kopplungsstudien Kopplungsanalysen haben Familien mit mehr als einem Erkrankungsfall zum Gegenstand und stellen fest, ob dort die genetische Variation an einem Genort zusammen mit der Erkrankung übertragen wird. Die Methode war in der Vergangenheit bei der Suche nach kausalen Genen für monogene Erkrankungen enorm erfolgreich (z. B. bei monogenen Formen geistiger Behinderung wie beim fragilen X-Syndrom). Es wird untersucht, ob die Ausprägung an einem Genort zusammen mit dem phänotypischen Merkmal in den Familien übertragen wird (Kosegregation). Falls eine Kosegregation gefunden wird und sich diese als replizierbar erweist, kann auf ein Krankheitsgen innerhalb einer größeren Region (Kandidatenregion) um den gekoppelten Marker geschlossen werden. Im Weiteren ist diese Region näher einzugrenzen, bis das Krankheits-
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Kapitel 5 · Genetische Aspekte neuropsychologischer Störungen bei schizophrenen Patienten
gen und dessen ursächliche Mutationen identifiziert sind (Methode der »positionalen Klonierung«). Auch bei nichtmonogenen Erkrankungen, wozu alle häufigeren psychischen Störungen gehören, hat sich diese Methode sehr bewährt, um Kandidatenregionen festzulegen. Das Auffinden von krankheitsbeeinflussenden Genen ist allerdings bei diesen nichtmonogenen Störungen sehr schwierig. In Kopplungsanalysen ist also ein genetischer Marker nicht nur für sich selbst bezüglich der Lage informativ, sondern für eine Region auf dem Genom, in der der Marker liegt. Kopplungsuntersuchungen mit DNA-Markern stellen ein außerordentlich effizientes Mittel zur Lokalisation von Krankheitsgenen dar; man braucht nämlich nur eine begrenzte Anzahl von über das Genom verteilten Markern, um Regionen auf dem Genom zu lokalisieren, die Krankheitsgene beinhalten. Die minimale Anzahl von Markern, die erforderlich ist, um über das gesamte Genom hinreichend Informationen zu erhalten, beträgt 300– 500; Kopplungsanalysen können nicht nur bei binären Merkmalen (erkrankt vs. nichterkrankt), sondern auch bei quantitativ ausgeprägten Eigenschaften (z. B. bei kognitiven Leistungsparametern) durchgeführt werden. Bei genetisch beeinflussten Erkrankungen mit nicht-mendelschen (komplexen) Erbgängen, wie sie auch die Schizophrenie darstellt, hat sich in den vergangenen Jahren eine schrittweise Abfolge aus Kopplungs- und Assoziationsuntersuchungen als besonders erfolgversprechend erwiesen:
1. Genomweite Kopplungsanalysen. Bei dieser hypothesenfreien Suchstrategie werden größere Abschnitte auf dem Chromosom (Kandidatenregionen) markiert, in dem zur Krankheit beitragende Gene liegen können.
kommen in ihrer Zusammenfassung zu dem Schluss, dass die heute diskutierten Dispositionsgene an vielfältigen Prozessen der Hirnentwicklung und an der prä- und postsynaptischen glutamatergen Transmission beteiligt sind. . Tabelle 5.3 stellt in Anlehnung an Harrison und Weinberger (2005) die bislang identifizierten Gene dar, die derzeit als Dispositionsgene für die Schizophrenie bzw. psychotische Störungen betrachtet werden können. Die pathogenen Varianten in diesen Genen, die direkt das Erkrankungsrisiko beeinflussen, sind aber bisher noch nicht identifiziert. Auch ist das Wissen über die Funktion dieser Gene bislang noch sehr begrenzt. Sicher lässt sich jedoch bereits jetzt schlussfolgern, dass es nicht das Schizophreniegen oder ein kausales Erkrankungsgen gibt, sondern dass mehrere Suszeptibilitätsgene zum Erkrankungsrisiko beitragen. Die oben genannten genetischen Assoziations- und Kopplungsbefunde entstammen durchweg Studien, die die Erkrankung selbst als Phänotyp verwendeten. Es gibt jedoch auch Ver-
2. Replikation und Eingrenzung von Kandidatenregionen. Falsch-positive Kopplungsbefunde sind angesichts der erforderlichen multiplen Testung wahrscheinlich, so dass Replikationen in unabhängigen Stichproben zur Validierung unerlässlich sind; auch Metaanalysen können hilfreich sein. Replizierbare Kopplungsbefunde grenzen sog. Kandidatenbereiche über 1.000 oder mehr Kilobasen (kB) ein, in denen wahrscheinlich Dispositionsgene liegen. Dieser Bereich lässt sich durch zusätzliche genetische Marker zwar weiter eingrenzen, doch im Gegensatz zu monogenen Erkrankungen können bei komplexen Störungen Kopplungsstudien das Dispositionsgen meist nicht identifizieren. Chromosomen weisen nach Anfärbung jeweils ein charakteristisches Bandenmuster auf, das Kandidatenregionen oder Genorte bezüglich ihrer Lage auf diesen Banden beschreibt; z. B. bedeutet 1p13-2 die zweite Untereinheit der 13. Bande auf dem kurzen Arm von Chromosom 1.
3. Identifikation von Risikoallelen/-haplotypen in Dispositionsgenen durch Assoziationsstudien. Assoziationsuntersuchungen zeigen ein höheres räumliches Auflösungsvermögen. Assoziationen bestehen über kürzere Strecken als Kopplungen. In Fall-Kontroll-Studien kann daher zur weiteren Eingrenzung nach Assoziationen zwischen der Erkrankung und genetischen Markern gesucht werden.
4. Identifikation der pathogenen Mutanten im Dispositionsgen. Mit dieser Strategie sind mittlerweile z. B. bei der Schizophrenie und der Alzheimer-Krankheit Dispositionsgene identifiziert worden. Die Suche nach den pathogenen Mutanten ist bei der Schizophrenie bisher jedoch noch nicht erfolgreich gewesen. Lediglich bei der Alzheimer-Krankheit wurde ApoE4 als eine pathogene Mutante festgestellt.
suche, Kopplungsanalysen anhand quantitaver Endophänotypen durchzuführen, die in Familienuntersuchungen gewonnen werden. Bei einer Kopplungsanalyse in Familien schizophrener Patienten, bei der ein solcher aus verschiedenen neuropsychologischen Parametern zusammengesetzter Wert verwendet wurde, wurde eine Kopplung dieses Phänotyps mit einer Region auf Chromosom 6 beschrieben (Hallmayer et al. 2005). Eine finnische Studie erhielt bei einem ähnlichem Vorgehen positive Kopplungssignale auf Chromosom 4q (für verbales Gedächtnis) und 2p (Arbeitsgedächtnis), die jeweils stärker waren als für die Diagnose Schizophrenie (Paunio et al. 2004). Derartige Untersuchungen liefern Hinweise auf Kandidatenregionen, in denen für Hirnentwicklung und Hirnfunktion – und mittelbar dann auch für die Schizophrenie – relevante Gene lokalisiert sein könnten. Bisher ist es aber noch nicht gelungen, auf diese Weise ein Risikogen für Schizophrenie oder ein »Kognitionsgen« zu identifizieren.
53 5.4 · Genvarianten und Endophänotypen der Schizophrenie
. Tab. 5.3. Mögliche Dispositionsgene für Schizophrene mit einer summarischen Bewertung der bisherigen Evidenz durch Harrison u. Weinberger (2005, modifiziert). Biologische Plausibilität bezieht sich auf bisher erkennbare Zusammenhänge der Gene mit Prozessen, die für die Pathophysiologie der Schizophrenie als relevant erachtet werden Gen
Genort
Assoziation mit Schizophrenie
Biologische Plausibilität
DTNBP1
6p22
+++++
++
NRG1
8p12−21
+++++
+++
COMT
22q11
++++
++++
RGS4
1q21−22
+++
+++
GRM3
7q21−22
+++
++++
DISC1
1q42
+++
++
G72 (=DAOA)
13q32−34
+++
++
G30 (=DAAO, DAO)
12q24
++
++++
PPP3CC
8p21
+
++++
CHRNA7
15q13−14
+
+++
PRODH2
22q11
+
++
Akt1
14q22−32
+
++
! Für alle bisher diskutierten Dispositionsgene gilt, dass 1. multiple, über Populationen oft unterschiedliche Polymorphismen mit der der Erkrankung assoziiert sind, 2. die jeweils krankheitsassoziierten Varianten bei Gesunden und Erkrankten in der Regel häufig sind (es handelt sich also nicht um seltene Mutationen), 3. die jeweiligen Varianten nur mit einer geringen, maximal zweifachen Steigerung des Erkrankungsrisikos verbunden und weder notwendig noch hinreichend für die Erkrankung sind, 4. die pathogenen Varianten bislang noch unbekannt sind.
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5.4.1 Neuropsychologische Störungen und
Psychosen bei velokardiofazialem Sydrom Aus Mikrodeletionen auf dem langen Arm von Chromosom 22 (22q11) resultieren verschiedene klinische Syndrome (darunter das velokardiofaziale Syndrom, VCFS), die v. a. durch angeborene Herzfehler, Gesichtsmissbildungen, Gaumenanomalien und einen sprachlichen und psychomotorischen Entwicklungsrückstand gekennzeichnet sind. Die Intelligenzleistungen von Kindern mit VCFS streuen erheblich und liegen im Mittel bei einem IQ von etwa 70. Im Vergleich zu gleichintelligenten Kontrollpersonen sind bei VCFS-Patienten zudem Störungen der visuellen Wahrnehmung, der Problemlösung und der Abstraktionsfähigkeit vorhanden. Erst in den letzten Jahren hat man erkannt, dass Patienten mit VCFS eine erhöhte Rate von psychotischen Störungen (Schizophrenien, bipolare Störungen) aufweisen, eine größere Studie fand bei 12 von 50 VCFS-Patienten (24%) eine schizophrene Psychose (Murphy u. Owen 2001). Auch andere Hinweise sprechen für einen Zusammenhang zwischen einer Region auf dem langen Arm von Chromosom22 mit schizophrenen und bipolaren Störungen. Bei schizophrenen Patienten treten 22q11-Deletionen überzufällig häufig auf. Ferner wurden in mehreren Kopplungs- und Assoziationsstudien Regionen in der Nähe der VCFS-Region auf Chromosom 22 mit Schizophrenie bzw. bipolaren Störungen assoziiert. Diese Daten legen nahe, dass mindestens ein Gen auf Chromosom 22 in der Ätiologie sowohl der Schizophrenie als auch des VCFS eine Rolle spielt. Viele der Veränderungen bei VCFS sind eindeutig auf Störungen in der frühen Phase der embryonalen Entwicklung zurückzuführen. Da auch bei der Schizophrenie zahlreiche Hinweise auf eine neuronale Entwicklungsstörung während der Embryonalphase vorliegen, ist es eine attraktive Hypothese, dass zumindest ein für die neuronale Entwicklung relevantes Gen auf 22q11 lokalisiert ist. Interessanterweise liegt auch das Katecholamintransferase-(COMT-)Gen in dem betreffenden Chromosomenabschnitt. Dieses ist jedoch nicht für die embryonale Entwicklung, sondern für den Dopaminstoffwechsel von Bedeutung und wird aus diesem Grund mit Schizophrenie bzw. mit Frontalhirnfunktionen in Zusammenhang gebracht. 5.4.2 Dispositionsgene und Endophänotypen
5.4
Genvarianten und Endophänotypen der Schizophrenie
In diesem Abschnitt sollen einige neuere Ergebnisse zum Zusammenhang spezifischer, mit Schizophrenie assoziierter Genvarianten, mit Endophänotypmaßen berichtet werden. Diese Ergebnisse bilden, zusammen mit anderen Daten (etwa zur regionalen Genexpression), die Grundlage für die Einschätzung der funktionellen Bedeutung und biologischen Plausibilität der bisher identifizierten Kandidatengene, wie sie auch in . Tab. 5.2 zum Ausdruck kommt.
Bisher ist weitgehend unbekannt, wie die im 7 Abschn. 3 dargestellten Gene zu einer schizophrenen Erkrankung führen sollen. Die Endophänotypen (. Abb. 5.1) bieten sich aufgrund ihrer biologischen Nähe zu den Genen als sensitive Maße an, um funktionelle Auswirkungen spezifischer Genvarianten zu prüfen. Hier wird im Moment intensiv geforscht; jeden Monat erscheinen neue Arbeiten, die man mit gesunder Skepsis betrachten sollte, bis sich die jeweiligen Effekte replizieren lassen. Es ist absehbar, dass diese Art der Forschung die nächsten Jahre der Schizophrenieforschung stark prägen wird, zumal sie in bereits mit Endo-
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Kapitel 5 · Genetische Aspekte neuropsychologischer Störungen bei schizophrenen Patienten
phänotypmaßen charakterisierten Stichproben post hoc durchführbar ist: Die DNA und damit die Möglichkeit zur Bestimmung von Polymorphismen steht auch lange nach Abschluß der Erhebung zur Verfügung. COMT. Bei schizophrenen Patienten gibt es zahlreiche Hinweise
5
für eine verminderte dopaminerge Signalübertragung in präfrontalen Regionen bei gleichzeitig gesteigerter dopaminerger Aktivität in mesolimbischen Arealen. Ein präfrontaler Dopaminmangel kann nicht nur durch eine verminderte Bereitstellung, sondern auch durch einen beschleunigten Abbau von Dopamin verursacht werden. Für den Dopaminabbau ist neben der Monoaminooxidase (MAO) auch die Catechol-O-methyltransferase (COMT) zuständig, wobei zwei etwa gleich häufige funktionelle (d. h. physiologisch unterschiedlich wirksame) Polymorphismen (Met und Val) im COMT-Gen auf Chromosom 22q11 vorliegen. Das MetAllel führt zu einer deutlichen Abnahme der COMT-Enzymaktivität, und daher zu einer Zunahme der Dopaminkonzentration gerade im präfrontalen Kortex. Man sollte also erwarten, dass die Zahl der Met- bzw. Val-Allele (0, 1, oder 2) zu besseren oder schlechteren dopaminabhängigen kognitiven Leistungen führt. Tatsächlich fanden Egan et al. (2001) in einer inzwischen klassischen Studie mit 175 schizophrenen Patienten, 219 nicht an einer psychotischen Störung erkrankten Geschwistern dieser Patienten sowie 55 gesunden Kontrollprobanden eine dosisabhängige Assoziation des Val-Allels mit der Zahl perseverativer Fehler im Wisconsin Card Sorting Test, der Arbeitsgedächtnis, Konzeptbildung und Flexibilität prüft. Die durch den COMT-Genotyp erklärte Varianz der WCST-Fehlerzahl betrug freilich nur wenige Prozent. Egan et al. (2001) erhärteten den vermuteten Zusammenhang von COMT-Genotyp und Arbeitsgedächtnis mit einer funktionellen Kernspinuntersuchung. In zwei getrennten Stichproben fand sich eine stärkere dorsolateral präfrontale und cinguläre Aktivierung durch die Beanspruchung des Arbeitsgedächtnisses bei den Personen mit Val/Val-Genotyp, was angesichts der gleich guten Verhaltensleistung der Gruppen als Zeichen einer verminderten Effizienz interpretiert werden kann. Varianten von RGS4 (. Tab. 5.2) könnten in Wechselwirkung mit COMT-Varianten stehen. Zudem sind Interaktionen des Risikofaktors Cannabiskonsum mit dem COMT-Met-Val-Polymorphismus beschrieben worden. Interessant ist auch, dass der COMT-Inhibitor Tolcapone bei homozygoten Trägern des Val-Allels zu verbesserten, bei homozygoten Trägern des Met-Allels zu verschlechterten kognitiven Leistungen führt. Dies lässt sich unter Annahme eines umgekehrt u-förmigen Zusammenhangs von (frontaler) Dopaminkonzentration und Leistung gut erklären (Meyer-Lindenberg u. Weinberger 2006): Die Träger des zu stärkerer COMT-Aktivität (und damit geringerer frontaler Dopaminkonzentration) führenden COMT-Val-Allels profitieren, während die Dopaminkonzentration bei den Met-Homozygoten bereits »optimal« ist und pharmakologisch nur wieder verschlechtert werden kann. Auch wenn das COMT-Val-Allel einer neueren Metaanalyse zufolge insgesamt nicht signifikant mit der Erkrankung Schizo-
phrenie assoziiert ist, so zeigt sich doch ein bemerkenswerter Einfluss dieses Polymorphismus auf einige kognitive Endophänotypyen der Schizophrenie. GRM3. Aus der Arbeitsgruppe von Daniel Weinberger entstammt auch eine Arbeit zum metabotroben Glutamatrezeptor GRM3 (Egan et al. 2004). GRM3 ist ein interessantes Kandidatengen für Schizophrenie, da die Region auf 7q21, die dieses Gen umfasst, in Kopplungsstudien mit der Erkrankung assoziiert war und zumindest zwei Assoziationsstudien Zusammenhänge von benachbarten SNP in GRM3 mit der Erkrankung fanden (wie bei allen anderen Genen gibt es aber auch negative Assoziationsbefunde). Egan et al. (2004) fanden auch in ihrer Stichprobe einen häufigen erkrankungsassoziierten Haplotyp in diesem Gen. Ein einzelner SNP innerhalb dieses Haplotyps unterschied am deutlichsten zwischen Patienten und Gesunden. Dieser krankheitsassoziierte SNP innerhalb des GRM3-Gens war mit schlechterer Leistung im California Verbal Learning Test (einer Wortlistengedächtnisaufgabe) und geringerer lexikalischer Wortflüssigkeit korreliert, nicht aber mit Arbeitsgedächtnis, mentaler Flexibilität und Aufmerksamkeit. Gesunde Probanden, die homozygot waren für den krankheitskorrelierten SNP, zeigten eine höhere präfrontale Aktivierung bei einer Arbeitsgedächtnisaufgabe sowie eine geringere hippocampale Aktivierung beim Einprägen von verbalem Material; beides kann aufgrund von Vorbefunden als weniger effiziente regionale Aktivierung bei Trägern des Risiko-SNP interpretiert werden. GRM3 reguliert synaptisches Glutamat, welches stark mit dem durch Magnetresonanzspektroskopie messbaren N-AcetylAspartat (NAA) korreliert ist. Tatsächlich war die NAA-Konzentration im linken und im rechten dorsolateralen präfrontalen Cortex bei Trägern des Risiko-SNP geringer; eine neuere Studie konnte diesen Zusammenhang replizieren. Bei Egan et al. (2004) zeigten sich also mehrere aufeinander bezogene funktionelle Endophänotypen durch den krankheitsassoziierten SNP gleichsinnig ungünstig beeinflusst. Auch wenn die Zusammenhänge quantitativ schwach waren, erhärten diese Daten die biologische Plausibilität von GRM3 als Risikogen der Schizophrenie. G72/G30 – DAAO. Diese beiden interagierenden Gene, die die
NMDA-vermittelte glutamaterge Signaltransmission beeinflussen, waren in mehreren Studien mit Schizophrenie oder bipolaren Störungen assoziiert. Aus der Familienstudie des National Institute of Mental Health in den USA liegt eine erste Arbeit zu neuropsychologischen Effekten vor, die zwei repliziert mit Psychosen assoziierte SNP im G72 Gen auf neurofunktionelle Auswirkungen prüften. Einer dieser SNP war bei schizophrenen Patienten mit der Leistung in Arbeitsgedächtnis und Aufmerksamkeit assoziiert, sowie bei Gesunden mit hippocampaler Dysaktivierung während einer episodischen Gedächtnisaufgabe (Goldberg et al. 2006). Alpha-7 Nikotinrezeptor. Freedman et al. (1997) fanden in Familien Schizophrener eine Kopplung von verminderter P50-Sup-
55 5.5 · Fazit und Ausblick
pression mit einem Polymorphismus am Genort des Alpha-7Nikotinrezeptors auf Chromosom 15. Myles-Worsley et al. (1999) zeigten in Mehrgenerationenfamilien mit mehreren Schizophrenen eine Kopplung zwischen einem Inhibitionsphänotyp (gebildet aus P50-Suppression und Antisakkadenfehlern) und einem Abschnitt auf Chromosom 22. In beiden genannten Studien ergab sich keine Kopplung der genetischen Marker zum klinischen Phänotyp. Dennoch wird auch aufgrund dieser Befunde der Alpha-7-Nikotinrezeptor als möglicher Ansatzpunkt für eine pharmakologische Beeinflussung kognitiver Störungen bei Schizophrenen untersucht. Dysbindin. Die Assoziation von Dysbindin mit Schizophrenie ist gut gesichert, über Studien hinweg sind jedoch teilweise verschiedene SNP bzw. aus diesen konstruierte Haplotypen bedeutsam. Auch für Dysbindin zeigen erste Arbeiten Zusammenhänge mit neuropsychologischen Variablen: Gesunde Personen mit einem Riskohaplotyp hatten dabei geringere globale kognitive Leistungen bzw. ein geringeres räumliches Arbeitsgedächtnis (Burdick et al. 2006). Neuregulin. Neuregulin ist ein komplexes, sehr großes Gen mit vielfältigen Funktionen im Nervensystem (z. B. Zellmigration, Expression von Neurotransmitterrezeptoren, glutamaterge Signalübertragung). Die krankheitsassoziierten Haplotypen sind über Stichproben hinweg nur teilweise replizierbar, doch insgesamt ist die Beteiligung von Neuregulin an der Entstehung der Schizophrenie inwischen gut gesichert. Bei Personen einer genetischen High-risk-Stichprobe fand man kürzlich einen SNP, der in einigen Studien Bestandteil eines Risikohaplotyps war, signifikant assoziiert mit der Entwicklung psychotischer Symptome im Nachbeobachtungszeitraum, mit vermindertem prämorbidem IQ und mit verminderter fMRI-Aktivierung frontaler und temporaler Regionen in einer Satzergänzungsaufgabe (Hall et al. 2006). DISC1. Zwei unmittelbar benachbarte Gene auf Chromosom 1q42, einem durch Kopplungsanalysen als Kandidatenregion identifizierten Bereich, werden als mögliche Dispositionsgene für Schizophrenie angenommen: DISC1 und TRAX. Cannon et al. (2005) untersuchten eine Zwillingskohorte in Finnland mittels neuropsychologischer Tests und struktureller Kernspirntomographie. Die Zwillingsstichprobe umfasste 59 für Schizophrenie konkordante oder diskordante ein- und zweieiige gleichgeschlechtliche Zwillingspaare, sowie 59 gut parallelisierte gesunde Zwillingspaare ohne psychiatrische Familienanamnese. Innerhalb der 1q42-Region wurden 7 SNP (7 Exkurs in Abschn. 5.3) innerhalb der beiden Kandidatengene typisiert. Ein bei gesunden Zwillingen nur selten beobachtbarer Haplotyp (eine spezifische SNP-Kombination), der Marker aus beiden benachbarten Genen umfasste, trat bei erkrankten Zwillingen und ihren Zwillingsgeschwistern achtmal häufiger auf. Speziell dieser krankheitsassoziierte Haplotyp war mit schlechteren Leistungen im räumlichen Arbeitsgedächtnis, bei der Reaktionszeit und beim verbalen
5
Langzeitgedächtnis assoziiert. Außerdem war der Risikohaplotyp mit einer signifikanten Volumenminderung im präfrontalen Cortex assoziiert. In einer früheren Auswertung der volumetrischen Daten hatte die gleiche Arbeitsgruppe bereits gezeigt, dass eben diese präfrontalen Cortexregionen sensitiv sind für die genetische Verwandtschaft mit einem schizophren Erkrankten (7 Abschn. 2.3). Diese Ergebnisse machen wahrscheinlich, dass die beiden hier untersuchten Gene für die bisherigen Kopplungsbefunde in der Region 1q42 verantwortlich sind und ihre krankheitsfördernde Wirkung über eine Störung von Struktur und Funktion des präfrontalen Cortex vermittelt wird. 5.5
Fazit und Ausblick
Neuropsychologische Funktionsstörungen sind bei vielen psychiatrischen Störungsbildern, so auch bei der Schizoprenie, Ausdruck der biologischen Ursachen der Erkrankung. Ein erheblicher genetischer Einfluss auf das Erkrankungsrisiko für eine Schizophrenie ist gut belegt. Es ist kaum zweifelhaft, dass Genvarianten, wahrscheinlich in Wechselwirkung mit Umweltfaktoren, sowohl die Disposition zur Entwicklung einer Schizophrenie beeinflussen, als auch zu den hirnstrukturellen und -funktionellen Normabweichungen beitragen, die im Rahmen dieser Störung vielfach gefunden werden. Diese meist nur gruppenstatistisch identifizierbaren neuropsychologischen Normabweichungen können als Endophänotypen verstanden werden, die unmittelbarer als die Erkrankung genetisch beeinflusst sein können. . Abb. 5.1 stellt dieses Grundkonzept noch einmal anschaulich dar. Die erforderlichen Fallzahlen zum Nachweis der quantitativ jeweils nur geringen Zusammenhänge von Genvarianten mit neuropsychologischen Parametern im weiteren Sinn erfordern große, oftmals nur multizentrisch zu sammelnde Kollektive von Patienten und gesunden Probanden, die mit reliablen Methoden untersucht werden. Ob die Erfassung von Endophänotypen auch zur Entdeckung von neuen krankheitsrelevanten Genen führt, ist bislang noch offen. Sicher ist jedoch nach den Arbeiten der letzten Jahre, dass neuropsychologische (einschließlich hirnstruktureller und -funktioneller) Verfahren höchst sensitive Werkzeuge zur Prüfung der funktionellen Bedeutung möglicher Dispositionsgene sind, die in traditionellen Kopplungs- und Assoziationsstudien mit dem Phänotyp der manifesten Erkrankung gefunden werden (MeyerLindenberg u. Weinberger 2006). Viele der »Risikogene« für die Erkrankung Schizophrenie beeinflussen offenbar kognitive Funktionen auch in der gesunden Bevölkerung. Recht unerwartet trägt gerade die Genetik der Neuropsychologie schizophrener Störungen somit auch zu einer generellen »molekularen Neuropsychologie« bei. Da neuropsychologische Funktionsstörungen stärker noch als Positiv- und Negativsymptomatik zu sozialer Behinderung und Arbeitsunfähigkeit beitragen, kommt dem besseren Verständnis der biologischen und genetischen Ursachen
56
Kapitel 5 · Genetische Aspekte neuropsychologischer Störungen bei schizophrenen Patienten
5
. Abb. 5.1. Endophänotypen (intermediäre Phänotypen) als Brücke zwischen Genotyp und klinischem Phänotyp (mod. nach Zobel u. Maier 2004). Endophänotypen sind weniger komplex determiniert als die klinischen Symptome einer Erkrankung, unmittelbarer mit den primären Ursachenfaktoren verbunden und auch bei Personen nachweisbar, die
aufgrund protektiver Faktoren keine manifeste Erkrankung entwickeln (z. B. Verwandte von Patienten). Empirisch mit der Schizophrenie assoziierte Genvarianten können mithilfe von Endophänotypen auf mögliche funktionelle und strukturelle Auswirkungen getestet werden
dieser Störungen auch in therapeutischer Hinsicht Bedeutung zu. Die Herausarbeitung des Dopamin abbauenden COMT als eines Moderators frontaler Hirnfunktionen führte etwa zu dem neuen pharmakologischen Ansatz, einen COMT-Inhibitor im Hinblick auf kognitive Leistungsverbesserungen schizophrener Patienten zu testen. Auch die auf der Endophänotypforschung basierende klinische Prüfung eines Alpha-7-Nikotinrezeptor-Agonisten fand in einer Pilotstudie positive Effekte auf neuropsychologische Funktionen schizophrener Patienten (Olincy et al. 2006). Neue pharmakologische Ansatzpunkte auf Basis bisheriger und künftiger genetischer Befunde sind zu erwarten. Neuropsychologische Verfahren werden auch bei der Wirksamkeitsprüfung entsprechender Therapien zentral sein.
Die Molekulargenetik kognitiver Funktionen und Funktionsstörungen wird, nicht zuletzt aufgrund der gentechnischen Entwicklungen, die z. B. genomweite hypothesenfreie Assoziationsstudien ermöglichen, auch in den kommenden Jahren ein dynamisches Forschungsgebiet darstellen. Es bestehen dabei nicht geringe Aussichten, dass sich gerade aus der Genetik kognitiver Funktionsstörungen neue Perspektiven und Ansatzpunkte für eine wirksamere Behandlung jener neuropsychologischen Funktionsstörungen ergeben, die viele Menschen mit einer schizophrenen Erkrankung einschränken.
57 Literatur
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6 Verlauf kognitiver Störungen bei Schizophrenien Seza Özgürdal und Georg Juckel
6.1
Einleitung
– 59
6.2
Kognitive Leistung und neuropsychologische Tests – 59
6.3
Frühverlauf von kognitiven Störungen bei der Schizophrenie – 60
6.3.1 Kognitive Störungen bei High-Risk-Kindern – 60 6.3.2 Kognitive Störungen bei Prodromalpatienten der Schizophrenie – 62 6.3.3 Kognitive Störungen bei schizophrenen Patienten – 64
6.4
Einfluss von Verlaufsparametern auf kognitive Störungen bei der Schizophrenie – 66
6.4.1 Trait- und State-Merkmale – 66 6.4.2 Vulnerabiliätsmarker, Episodenmarker und erworbene Beeinträchtigungen – 67
6.5
Zusammenfassung und Diskussion Literatur
– 68
– 67
59 6.2 · Kognitive Leistung und neuropsychologische Tests
6.1
Einleitung
Die Beobachtungen kognitiver Auffälligkeiten bei schizophrenen Störungen gehen bis Kraepelin (1893) und Bleuler (1911) zurück. Die Auffassung eines stetigen Leistungsabfalls in kognitiven Parametern wurde von Kraepelin (1893) mit dem Begriff der »Dementia praecox« (vorzeitiges Irresein) verdeutlicht. Er glaubte, dass die Fehlfunktionen des Denkens bei der Schizophrenie vor und während der Erkrankung vorhanden seien und sich im Krankheitsverlauf bis hin zum »Irresein« verschlimmerten (Kraepelin 1909); Bleuler hingegen sah in den von ihm beobachteten kognitiven Leistungseinbußen Anzeichen der Erkrankung, die Schwankungen unterworfen seien. Kraepelins pessimistische Denkweise trifft nach dem heutigen Stand des Wissens nicht auf alle Erkrankten zu. Nur ca. 1/3 der Verläufe führt zu einer dauerhaften Verschlechterung des Zustands, der in Aspekten der sozialen Situation wie Ehestand, Arbeitsverhältnis, Lebensstandard und soziale Integration mit Behinderungen einhergeht (Frank 2000). Bezogen auf die kognitiven Störungen bedeutet dieser negative Verlauf, dass defizitäre kognitive Funktionen bei schizophrenen Patienten unter allen anderen Variablen klinisch besonders ungünstige Einflüsse auf die psychosoziale Funktionsfähigkeit haben (Green 1996, 2004). Unter kognitiven Störungen werden Defizite in der Informationsaufnahme und -verarbeitung sowie der Verarbeitungsgeschwindigkeit verstanden. Diese resultieren bei der Schizophrenie zumeist in Störungen der selektiven Aufmerksamkeit, der Daueraufmerksamkeit sowie Gedächtnisstörungen. Auch Beeinträchtigungen der Handlungsplanung und -ausführung, allgemein unter Störungen der exekutiven Funktionen zusammengefasst, zählen
dazu. Bis heute ist unklar, ob es sich bei diesen Störungen um generalisierte oder spezifische kognitive Funktionsdefizite handelt. Wenn auch in vielen Untersuchungen ein allgemein vermindertes kognitives Leistungsvermögen bei Schizophrenen beobachtet werden konnte, überwiegen doch die Aufmerksamkeits- und verbalen Gedächtnisdefizite. Bei dem Versuch, den Verlauf kognitiver Störungen bei der Schizophrenie zu beschreiben, steht zunächst die Frage nach dem ersten Auftreten dieser Störungen im Vordergrund. Wie früh beginnen diese Beeinträchtigungen im Denken? Was bedeutet ihr frühes Auftreten? Nicht zuletzt interessiert die Frage, wie sich Parameter kognitiver Funktionen über den Krankheitsverlauf verändern. Sind es spezifische Funktionsdefizite oder ist die Schizophrenie ein generalisierter Defekt, der allgemein zu einem herabgesetzten kognitiven Leistungsvermögen führt? Eine daraus resultierende Frage ist, ob sich im Verlauf der Erkrankung eine Progredienz beobachten lässt, die sich von einer spezifischen bis hin zu einer generalisierten Störung weiterentwickelt. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erfahren, welchen Einfluss die Symptomatologie, Pharmako- und Psychotherapie auf den Verlauf der kognitiven Dysfunktionen haben. 6.2
Kognitive Leistung und neuropsychologische Tests
Neben standardisierten neuropsychologischen Testverfahren, die, wie z. B. Intelligenztests, die allgemeine Leistungsfähigkeit erfassen, gibt es auch spezifische Tests zur Prüfung von Aufmerksamkeits-,
. Tab. 6.1. Beispiele für Testverfahren zur Erfassung neurokognitiver Defizite bei schizophrenen Patienten Kognitiver Funktionsbereich
Untersuchungsverfahren
Autoren
Verbale Intelligenz
Mehrfachwahlwortschatztest (MWT/B)
Lehrl 1989
Wortflüssigkeit/-produktivität – Lexikalische – Semantische
Regensburger Wortflüssigkeitstest (RWT) – Nennen von »S-Wörtern« – Aufzählen von Tieren bzw. Produkten aus dem Supermarkt
Aschenbrenner et al. 2000
Kognitives Tempo
Finger-Tapping-Test (FTT)
Reitan u. Wolfson 1996
Trail-Making-Test (TMT/A)
Reitan 1958
Merkfähigkeit/Gedächtnis – Verbal – Arbeitsgedächtnis
– Auditiver Lern- und Merkfähigkeitstest (AVLT) I+II – Continuous-Performance-Test (CPT)
Heubrock1992 Rosvold et al. 1956
Aufmerksamkeit/Konzentration/Vigilanz
Continuous-Performance-Test (CPT)
Rosvold et al. 1956
Kognitive Umstellfähigkeiten/Interferenz
Stoop-Interferenztest (ST)
Stroop 1935
Trail-Making-Test (TMT)
Reitan 1958
Wisconsin-Karten-Sortiertest (WCST)
Berg 1948
Problemlöseverhalten/Kategorisierungsfähigkeiten/Planungsbefähigung
6
60
Kapitel 6 · Verlauf kognitiver Störungen bei Schizophrenien
Wahrnehmungs- und Gedächtnisfunktionen. Die eingesetzten Verfahren sollen in Bezug auf das Testmaterial und die Durchführungsbedingungen standardisiert erfolgen und zur Vergleichbarkeit der Einzelleistung mit der Leistung einer Vergleichspopulation normiert sein. . Tab. 6.1 gibt eine Zusammenfassung von Tests, die bei der Schizophrenie aufgrund beobachteter Minderleistungen in diesen Bereichen häufig eingesetzt werden. 6.3
Frühverlauf von kognitiven Störungen bei der Schizophrenie
6.3.1 Kognitive Störungen bei High-Risk-Kindern
6
Die familiäre Häufung der Schizophrenie lässt auf einen genetischen Zusammenhang schließen. Deshalb untersuchten die ersten Längsschnittstudien Verwandte von schizophren Erkrankten, um einen Einblick in die Pathogenese der Erkrankung zu gewinnen. Wenngleich die Schizophrenie im familiären Umfeld der Menschen, die an der Erkrankung leiden, gehäuft auftritt, gehen 80% der Schizophrenien und Störungen aus dem Schizophreniespektrum nicht auf eine familiäre Belastung zurück. Aufgrund des in Abhängigkeit vom Verwandtschaftsgrad steigenden Risikos für die Erkrankung verfolgen alle Studien mit biologischen Verwandten von Schizophrenen das Ziel, sog. Vulnerabilitätsmarker für die Erkrankung zu identifizieren. Dazu gehört auch die Beobachtung dieser Auffälligkeiten im langzeitlichen Verlauf. Die klassischen High-Risk-Studien definieren den Hochrisikostatus aufgrund einer familiären Belastung mit Schizophrenie. Als High-Risk-Kinder wurden in früheren Verlaufsstudien Kinder mit mindestens einem schizophrenen Elternteil bezeichnet.
Einzig die Edinburgher Studie, begonnen 1994 als letzte Studie dieser Art, untersuchte Kinder, bei denen mindestens 2 Verwandte ersten oder zweiten Grades an Schizophrenie erkrankt waren. Seit den 20er Jahren entstanden verschiedene High-RiskProjekte; zu den größeren unter ihnen gehören die Untersuchungen in New York, Kopenhagen, Helsinki, Edinburgh, Schweden und Israel. . Tab. 6.2 gibt einen Überblick über die Studien, deren Schwerpunkt auf der Untersuchung von kognitiven Störungen lag. Neben neuroanatomisch und neuropsychologisch sichtbaren Auffälligkeiten existieren eine Reihe weiterer Anzeichen der Erkrankung, die aufgrund ihrer diskreten Ausprägung als »neurological soft signs« bezeichnet werden und bereits vor Ausbruch der Erkrankung und bei Angehörigen ersten Grades zu beobachten sind (Jahn 2000). Sie stellen sensorische und motorische Störungen dar, die den Bereichen Feinmotorik und sensorische Leistungen zugeordnet werden. Ihre Pathogenese und Lokalisation im Gehirn ist bislang noch ungeklärt. Ihre korrelative Beziehung zu den neuropsychologischen Störungen lässt auf Defizite in motorischen, sensorischen und kognitiven Funktionen auf zerebraler Ebene schließen. Vergleichbar mit Bleulers Konzept der latenten Schizophrenie als eines subklinischen Ausdrucks der Anlage zur Schizophrenie werden »neurological soft signs« als mildeste Form der Störung angesehen, da sie auch bei Verwandten ersten Grades schizophrener Patienten beobachtet werden konnten. Auch für die Untersuchung des Frühverlaufs von kognitiven Störungen bei der Schizophrenie sind »neurological soft signs« sehr wichtige Indikatoren, da die Testung höherer geistiger Funktionen in Abhängigkeit vom Alter der Untersuchungspopulation nur eingeschränkt durchführbar ist. Dennoch können »neurological soft signs« nicht als eine Frühform von kognitiven Stö-
. Tab. 6.2. Überblick zu Studien mit Hochrisiko-Populationen Studie
Untersuchungspopulation
Beginn
Untersuchungszeitraum
Israeli High-Risk Study (Marcus et al. 1987; Mirsky et al. 1995a)
Kinder schizophrener Eltern
1964
Erstuntersuchung mit 8 Jahren; letzte Untersuchung mit 40 Jahren
New York High-Risk Study (ErlenmeyerKimling u. Cornblatt 1987, 1992)
Kinder schizophren oder affektiv erkrankter Eltern
1971
Erstuntersuchung mit 9 Jahren; letzte Untersuchung mit 30 Jahren
Jerusalem Infant Development Study (Marcus et al. 1981)
Kinder von schizophrenen, affektiv erkrankten oder an anderen psychischen Störungen leidenden Eltern
1973
Erstuntersuchung bei Geburt; letzte Untersuchung mit 21 Jahren
Swedish High-Risk Study (McNeil u. Kaij 1987)
Kinder von schizophrenen und an affektiven Psychosen erkrankten Müttern
1973
Erstuntersuchung bei Geburt; letzte Untersuchung mit 22 Jahren
Edinburgh High-Risk Study (Hodges et al. 1999; Johnstone et al. 2000)
Verwandte ersten und zweiten Grades von Schizophrenen
1994
Alter bei Erstuntersuchung zwischen 16 und 25 Jahren; Follow-Up im 18-Monate-Intervall über 5 Jahre
Copenhagen High-Risk Study (Mednick u. Schulsinger 1968)
Kinder von schizophrenen Müttern
1962
Erstuntersuchung mit 15 Jahren, Follow-Up im 5-Jahres-Intervall über ca. 30 Jahre
61 6.3 · Frühverlauf von kognitiven Störungen bei der Schizophrenie
rungen angesehen werden, da sie auch gemeinsam mit diesen auftreten können. Vielmehr handelt es sich bei beiden um Marker der Vulnerabilität auf der Grundlage gemeinsamer neurobiologischer Substrate. So begannen die in Israel und in Schweden durchgeführten Langzeitstudien über kognitive Auffälligkeiten bereits während der Schwangerschaft der Mütter, um prä- und perinatale Faktoren sowie neurologische Auffälligkeiten, wie sie die »neurological soft signs« darstellen, prospektiv untersuchen und ihren Zusammenhang zu kognitiven Störungen erfassen zu können.
6
gesunden Probanden. Die Nachkommen schizophrener Eltern zeigten also eine Performanz, die zwischen den Werten Gesunder und Schizophrener einzuordnen war. Es zeigte sich, dass sich die Aufmerksamkeitsleistungen in der Zeitspanne vom 11. bis 17. Lebensjahr bei Kindern schizophrener Eltern verbesserten. Dennoch zeigten sie mit 26 Jahren schlechtere Leistungen als altersgleiche Nachkommen gesunder Eltern. Auch in anderen Längsschnittstudien mit Angehörigen schizophrener Patienten lagen die Werte für kognitive Fähigkeiten zwischen jenen ihrer erkrankten Verwandten und gesunder Kontrollprobanden (z. B. Faraone et al. 2000).
Israelische Verlaufsstudien Eine erste Langzeituntersuchung zu den Frühverläufen von kognitiven Störungen bei der Schizophrenie wurde 1965 in Israel durchgeführt: die National Institute of Mental Health Israeli Kibbutz-City Study (Marcus et al. 1987). Untersucht wurden Kinder mit einem schizophrenen Elternteil von der Kindheit bis zum frühen Erwachsenenalter. Als Kontrollgruppe wurden Nachkommen gesunder Eltern parallel herangezogen. Eine weitere Verlaufsuntersuchung bei israelischen Kindern, die Jerusalem Infant Development Study, begann im Jahre 1973, nahm die Beobachtungen von Hochrisikokindern mit einem schizophrenen Elternteil bereits vorgeburtlich auf und setzte diese bis zum mittleren Kindesalter fort. Die NIMH Kibbutz-City High-Risk study In dieser Studie wurden 50 Hochrisikokinder mit einem schizophrenen Elternteil, von denen eine Hälfte im Kibbutz (eine Art Kollektiv mit Kinderbetreuung durch das dort tätige Personal) und die andere Hälfte in Städten unter der Erziehung ihrer Eltern aufwuchsen. Ihre Daten wurden verglichen mit jenen von 50 Kindern gesunder Eltern, die in den Variablen Alter und Umweltbedingungen der Hochrisikopopulation angepasst wurden. Die Probanden wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Hinblick auf kognitive Funktionen untersucht, die im Alter von 11, 17, 26 und 32 Jahren erfasst wurden. Der hier getestete Funktionsbereich betraf vor allem die Aufmerksamkeit. Die Testbatterie, die hier zum Einsatz kam, beinhaltete zur Messung der fokussierten Aufmerksamkeit Teile aus dem WAIS (Wechsler Adult Intelligence Scale, Wechsler 1981), den Stroop-Test und den Trail-Making-Test (Reitan et al. 1974). Eine weitere Komponente der Aufmerksamkeit, die Vigilanz oder Daueraufmerksamkeit, wurde mit dem CPT (ContinuousPerformanceTest) gemessen. Der WCST (Wisconsin Card Sorting Test) wurde zur Prüfung der Exekutivfunkionen, d. h. zur Überprüfung der Fähigkeit eingesetzt, den Aufmerksamkeitsfokus bei entsprechender Anforderung flexibel auszurichten. Die Ergebnisse zeigten ein allgemein gegenüber den Kontrollpersonen reduziertes Funktionsniveau im Bereich der Aufmerksamkeit bei den Kindern von Schizophrenen, wenngleich diese Unterschiede nur im Bereich der Daueraufmerksamkeit signifikant waren. Die Leistungen der Schizophrenen waren hingegen signifikant gemindert gegenüber den Leistungen der
The Jerusalem Infant Development Study 1973 begannen Joseph Marcus und Mitarbeiter die prospektive Studie »The Jerusalem Infant Development Study«. Eingang in die Studie fanden Kinder mit einem erkrankten Elternteil. Die Mütter waren zu Beginn der Untersuchung schwanger. Auf der Grundlage der elterlichen Diagnose ergaben sich 19 Fälle für Schizophrenie, 6 Fälle für affektive Störungen und 14 Fälle für Persönlichkeitsstörungen und Neurosen, 19 Fälle mit gesunden Eltern. Die Untersuchungszeitpunkte lagen 3 Tage, 14 Tage, 4 Monate, 8 Monate und 12 Monate nach der Geburt sowie im Schulkindalter (Spanne 8 bis 13 Jahre). Getestet wurde die motorische und sensorische Funktionsfähigkeit. 44% der Nachkommen von schizophrenen Eltern zeigten im Schulalter ein signifikant gemindertes Niveau neurologischer Funktionsfähigkeit gegenüber den Nachkommen gesunder Eltern und Eltern mit anderen psychischen Erkrankungen. Bei diesen Auffälligkeiten handelte es sich um perzeptuell-kognitive und motorische Dysfunktionen, wenngleich selten beide gleichzeitig bei einem Kind vorhanden waren. Eher zeichnete sich ab, dass perzeptuell-kognitive Störungen bei Kindern von Schizophrenen prävalierten. Es zeigte sich bei Kindern schizophrener Eltern eine Stabilität von r=0,61 zwischen den Ergebnissen für das erste Lebensjahr und für das mittlere Kindesalter. Obgleich diese Stabilität sehr hoch ist, konnte sie nur für einen Teil schizophrener Nachfahren gesichert werden.
Die Schwedische Verlaufsstudie Die Schwedische Verlaufsstudie (»Swedish High-Risk Study«) begann 1973 und wurde nach einem Follow-Up-Untersuchungszeitraum von 22 Jahren (±2 Jahre) abgeschlossen. Schubert u. McNeil untersuchten aus dem südwestlichen Raum Schwedens Kinder von schizophrenen sowie gesunden schwangeren Müttern vorgeburtlich bis zwei Jahre nach ihrer Geburt sowie mit 6 und 22 Jahren. Zum letzten Untersuchungszeitpunkt waren die neuropsychologischen Daten von 28 Kindern schizophrener Mütter, 22 Kindern von Müttern mit affektiven Psychosen (bipolare und unipolare Depression), 15 Kindern von Müttern mit schizoaffektiver Störung und 9 Kindern von Müttern mit unspezifischen Psychosen verfügbar. Zum Vergleich konnten die Daten von 88 Kindern gesunder Mütter herangezogen werden. Aufgrund der geringen Stichprobengrößen bei der Hochrisikopopulation wur-
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Kapitel 6 · Verlauf kognitiver Störungen bei Schizophrenien
den die Erkrankungen nur in zwei größere Gruppen unterteilt: Psychosen aus dem affektiven und schizophrenen Formenkreis. Geprüft wurden neurologische Funktionen in motorischen, sensorischen und kognitiven Bereichen. Die Untersuchungen fanden drei bis vier Tage nach der Geburt, mit 6 Jahren sowie mit 22 Jahren statt. Die Nachkommen schizophrener Mütter zeigten in allen getesteten Bereichen signifikant hohe neurologische Abweichungen im Vergleich zu Kindern mit gesunden Müttern sowie Müttern mit affektiven Psychosen. Im Langzeitverlauf zeigte sich eine Stabilität der neurologischen Testergebnisse zwischen dem 6. und 22. Lebensjahr für die Gruppen der Hochrisiko- und der Kontrollprobanden.
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Andere Studien Auch die Arbeiten der Forschungsgruppe Cornblatt et al. (1999) und Erlenmeyer-Kimling et al. (2000) im New Yorker High-RiskProjekt zeigten bei Nachkommen von schizophrenen Eltern zeitlich stabil Dysfunktionen im Bereich der Aufmerksamkeit. Diese zeigten sich prädiktiv für spätere Probleme in der sozialen Integration dieser Kinder. Gleiches konnte nicht für Kinder von depressiv erkrankten Eltern gefunden werden. Aufmerksamkeitsdefizite gingen bei 58% der Kinder von Schizophrenen die Entwicklung späterer Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis voraus. Bezogen auf die allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit zeigen einige Arbeiten einen niedrigeren IQ-Wert unter den Kindern von Schizophrenen. In der Edinburgher High-risk-Studie konnte eine Abnahme allgemeiner Intelligenzleistungen bei Hochrisikopersonen, die später psychotische Symptome entwickelten, festgestellt werden (Cosway et al. 2000). Ein derartiger Zusammenhang konnte in der New Yorker High-Risk-Studie nicht bestätigt werden. Die Arbeiten von Walker et al. (1994) zeigten bei später an Schizophrenie erkrankten Menschen im Kleinkindalter von 2 Jahren signifikant mehr motorische und affektive Auffälligkeiten als bei ihren gesunden Geschwistern. Diese Auffälligkeiten erwiesen sich aber als nicht bis ins Erwachsenenalter stabil. In nahezu allen Längsschnittstudien mit Angehörigen schizophrener Patienten lagen die Werte für kognitive Fähigkeiten zwischen denen ihrer erkrankten Verwandten und der gesunden Kontrollprobanden. Die dargestellten Untersuchungen des prämorbiden kognitiven Funktionsniveaus bei Erkrankten und bei einem Teil ihrer nicht erkrankten Angehörigen lassen eine kognitive Vulnerabilität für Schizophrenie annehmen. Es existieren Hinweise aus einigen Langzeituntersuchungen, dass frühe kognitive Auffälligkeiten wie eine gestörte Aufmerksamkeit, die Störung des Kurzzeitgedächtnisses und motorische Störungen bei Hochrisikoindividuen die spätere Entwicklung der Schizophrenie vorhersagen können (Erlenmeyer-Kimling et al. 2000; Mirsky et al. 1995b). Um aber generelle Aussagen machen zu können, bedarf es auch der gesonderten Untersuchung und dem Vergleich von Hochrisikogruppen mit und ohne kognitive
Störungen. Bis heute gibt es keine spezifischen prädiktiven kognitiven Vulnerabilitätsmarker für einen Risikostatus der Schizophrenie. Die High-Risk-Studien konnten zeigen, dass sich eine verminderte kognitive Leistungsfähigkeit in den Bereichen der Aufmerksamkeit und der perzeptuell-kognitiven und motorischen Funktionen auch bei nicht erkrankten erstgradig Verwandten von Schizophrenen zeigt. Dabei liegen die Leistungen der Kinder von Schizophrenen zwischen denen ihrer erkrankten Verwandten und gesunder Kontrollprobanden. Längsschnittlich konnte eine Stabilität dieser kognitiven Auffälligkeiten vom Kindes- bis ins Erwachsenenalter beobachtet werden. Wenngleich diese bereits bei erstgradigen Verwandten von Schizophrenen beobachteten kognitiven Leistungseinbußen eine Vulnerabilität für die Erkrankung darstellen, gibt es keine für die Schizophrenie spezifischen prädiktiven kognitiven Vulnerabilitätsmarker. 6.3.2 Kognitive Störungen bei Prodromal-
patienten der Schizophrenie Die Prodromalphase der Schizophrenie wird heute über das Vorhandensein von Basissymptomen sowie attenuierten Positivsymptomen oder kurzen intermittierenden psychotischen Symptomen definiert (Ruhrmann et al. 2003; Klosterkötter et al. 2005). Hinzu kommt eine Klassifizierung anhand entweder genetischer/ erworbener biologischer Vulnerabilität oder Schizotypie mit dem gemeinsamen Auftreten von signifikanten Leistungseinbrüchen im globalen Funktionsniveau des Prodroms. Verschiedene Manuale dienen dazu, die Symptome der Prodromalphase zu erfassen. Die Abklärung der Basissymptome erfolgt mittels BSABS (Bonner Skala zur Abklärung von Basissymptomen, Huber u. Gross 1989). Die Basissymptome sowie das genetische Risiko, gekoppelt mit einem Leistungsabfall, bilden das psychoseferne Stadium. Für die Erfassung der attenuierten Positivsymptome (APS, Attenuated Positive Prodromal Syndrome) und kurzen intermittierenden psychotischen Symptome (BLIPS, Brief Intermittant Psychotic Syndrome), die als Kriterien für das psychosenahe Stadium gelten, werden das CAARMS (Comprehensive Assessment of At Risk Mental States, Yung et al. 2005) oder das SIPS (Structured Interview for Prodromal Syndromes, Miller et al. 2002) eingesetzt. Neuere Arbeiten geben Hinweise auf bereits herabgesetzte kognitive Funktionsfähigkeiten in der Gruppe der Ultra-HighRisk-Personen, die aufgrund des Vorhandenseins psychosenaher Symptome so bezeichnet werden. Hawkins et al. (2004) fanden Defizite in den Bereichen der visuellen Aufmerksamkeit und der Wortflüssigkeit bei Hochrisikoindividuen, verglichen mit gesunden Kontrollpersonen. Eine weitere Untersuchung, die der Schweizer Arbeitsgruppe von Geschwandtner (Geschwandtner et al. 2003), konnte ebenfalls eine herabgesetzte Leistungsfähigkeit in neuropsychologischen und motorischen Bereichen bei Risikoprobanden für Psychosen feststellen.
63 6.3 · Frühverlauf von kognitiven Störungen bei der Schizophrenie
In der Arbeit von Niendam et al. (2006) wurden Hochrisikoindividuen im Hinblick auf verbale Lern- und Reproduktionsfähigkeit, Verarbeitungsgeschwindigkeit und das Arbeitsgedächtnis untersucht. Während verbale Gedächtnisleistungen der Prodromalpatienten sich signifikant von der Normpopulation
unterschieden, konnten hier keine Unterschiede bezüglich visueller Gedächtnisleistungen und Arbeitsgedächtnisleistungen festgestellt werden. Verbale Gedächtnisleistungen sagten in dieser Studie ein vermindertes soziales Funktionsniveau, gemessen mit dem SAS (UCLA Social Attainment Survey), vorher.
Eigene Ergebnisse neuropsychologischer Untersuchungen bei schizophrenen Prodromal- und bei erstmanifestierten Patienten In einer eigenen Studie untersuchten wir die kognitive Leistung in den Bereichen der allgemeinen Intelligenz, der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses sowie exekutiver Funktionen bei 58 Prodromal(davon 34 Personen männlichen und 20 weiblichen Geschlechts; Alter im Mittel 24,67±5,12 Jahre) und 37 erstmanifestierten Patienten (davon 27 Personen männlichen und 10 Personen weiblichen Geschlechts; Alter im Mittel 28,30±6,32 Jahre; Özgürdal [zur Publikation eingereicht]). Als Vergleich zu den Werten einer Kontrollgruppe dienten uns die Erwartungswerte der Normierungsstichprobe der einzelnen verwendeten Tests.
Verglichen mit der Normpopulation erbrachten Prodromalpatienten für die meisten neuropsychologischen Tests unterdurchschnittliche Leistungen (. Abb. 6.1). Diese Leistungen zeigen eine hohe Variation in Abhängigkeit von kognitionsspezifischen Bereichen. Die Intelligenzleistungen im verbalen und nonverbalen Bereich befanden sich im guten durchschnittlichen Normalbereich. Defizite hingegen zeigten sich bei verbalen und nonverbalen Gedächtnisleistungen. Deutliche Beeinträchtigungen zeigten sich bei den Vigilanz- und Arbeitsgedächtnisleistungen.
. Abb. 6.1. Neurokognitive Defizite bei Prodromalpatienten der Schizophrenie (gegenüber Normwerten)
Jedoch erbrachten die Prodromalpatienten im Bereich logisch abstrahierender und schlussfolgernder Denkfähigkeiten signifikant bessere Leistungen als Erstmanifestierte. Im Bereich der exekutiven Funktionen zeigten Prodromalpatienten gegen-
über Erstmanifestierten tendenziell bessere und altersnormgemäße Kategorisierungsfähigkeiten und begingen weniger Perseverationsfehler (. Tab. 6.3).
. Tab. 6.3. Vergleich kognitive Leistungen bei Prodromal- und erstmanifestierten Patienten Prodromalpatienten
Erstmanifestierte Patienten
Anzahl (n)
58
37
Nonverbaler IQ
112,41 (11,45)
102,69 (10,29)
p=0,01
Exekutive Funktionen (Anzahl Kategorien)
5,75 (0,71)
4,75 (1,49)
p=0,06
Exekutive Funktionen (Anzahl Perseverationsfehler)
54,50 (18,80)
43,25 (15,06)
p=0,08
Werte in Klammern stellen Standardabweichungen dar
6
Signifikanz
64
6
Kapitel 6 · Verlauf kognitiver Störungen bei Schizophrenien
Sowohl in funktionellen als auch in strukturellen bildgebenden Verfahren (funktionelle Magnetresonanztomographie, fMRT; Magnetresonanztomographie, MRT) konnten bei der Schizophrenie Dysfunktionen und strukturelle Auffälligkeiten in verschiedenen Gehirnregionen wie dem präfrontalen Kortex, dem Hippokampus, dem Cingulum und dem lateralen Temporallappen gefunden werden. In Zusammenhang mit den bei der Erkrankung zu beobachtenden neuropsychologischen Fehlleistungen wurde der dorsolaterale präfrontale Kortex in Bezug zu exekutiven Funktionen gesehen. In einer MRT-Studie von Pantelis et al. (2003) wurde gezeigt, dass diejenigen Prodromalpatienten, die später psychotisch wurden, weniger graue Substanz im frontalen und temporalen Kortex im Vergleich zu gesund gebliebenen Prodromalpatienten zeigten. Ferner wurde eine weitere Abnahme der grauen Substanz bei diesen Patienten längsschnittlich beobachtet. Bei der Untersuchung neuroanatomischer Korrelate kogntiver Dysfunktionen bei Prodromalpatienten wurde in der funktionellen bildgebenden Studie von Morey et al. (2005) festgestellt, dass Ultra-high-risk-Personen gegenüber Gesunden bei aufgabenirrelevanten und -relevanten Reizen keine differenzierende frontostriatale Aktivierung zeigten. Diese Studien verdeutlichen, dass strukturelle und funktionelle Auffälligkeiten, die korrelative Beziehungen zu bestimmten kognitiven Funktionen zeigen, bereits vor Beginn der Erkrankung vorhanden zu sein scheinen und in einigen Fällen auch fortschreitend verlaufen. Auch andere Autoren konnten bei vergleichbaren Testbatterien ähnliche Faktorenstrukturen bei erstmanifestierten Schizophrenen ermitteln (Friis et al. 2002). Diese Ergebnisse deuten auf sechs identifizierbare und voneinander unabhängige neurokognitive Basisdimensionen hin. 6.3.3 Kognitive Störungen bei schizophrenen
Patienten Spezifische Funktionsbereiche kognitiver Beeinträchtigungen und ihr Verlauf über die Erkrankung In Heinrichs u. Zakzanis (1998) Metaanalyse treten neben einem allgemeinen Defizit in der Schizophrenie ausgeprägte Einbußen in den Bereichen Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Exekutivfunktionen hervor. Eine sehr große Bedeutung kommt dabei der Frage ihrer Remittierbarkeit zu. Die Bezeichnungen für die Beobachtung dieser Defizite reichen von Kraepelins »dementia praecox« bis hin zum »stubborn deficit« (hartnäckiges Defizit). So wurden die Untersuchungen zum Entwicklungsverlauf kognitiver Dysfunktionen bei der Schizophrenie von einer alternativen Fragestellung geleitet: Verschlechtert sich das kognitive Leistungsniveau im Laufe der Krankheit gemäß einer Neurodegeneration oder verbleibt es auf einem Ausgangsplateau? Gedächtnisdefizite sind bei Schizophrenen im Vergleich zu Patienten mit Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma milder
ausgeprägt. Die Überprüfung von Kurzzeit- und Langzeitgedächtnisleistungen deutet auf eine stärkere Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses hin. Verbale Gedächtnisdefizite sind auch insofern von Bedeutung, als sie funktionelle Beziehungen zu bestimmten Gehirnarealen wie dem Temporallappen zeigen. Sie sind, wie eine Studie von Hill et al. (2004a) an neuroleptisch unbehandelten Patienten zeigen konnte, bereits bei Ausbruch der Erkrankung vorhanden. Die beeinträchtigten Bereiche deuten auf Defizite im verbalen Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis hin. Eine Studie der Arbeitsgruppe von Hill et al. (2004b) konnte zeigen, dass zu Anfang der Erkrankung bei Testung der unmedizierten Patienten ein alle kognitiven Domänen umfassendes Defizit vorlag. Eine Follow-up-Untersuchung 6 Wochen nach der Medikation ergab zwar leichte Verbesserungen in visuellen Gedächtnisleistungen und der visuellen Wahrnehmung, aber die verbalen Gedächtnisleistungen hatten sich zunehmend verschlechtert. Nach weiteren 6 Monaten erreichten die verbalen Gedächtnisleistungen das Baselineniveau. In allen anderen Bereichen blieben die Leistungen über einen 2-JahresFollow-up-Zeitraum konstant auf einem Level unter dem der Gesunden. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass es sich bei kognitiven Störungen eher um allgemeine Defizite handelt, die im Verlauf unverändert bleiben. Dennoch konnte sich auch eine von akuten Krankheitsphasen abhängige Leistungsbeeinträchtigung beobachten lassen, die weiter unten dargestellt wird. Schizophrene Patienten zeigen in allen vorgenannten Auffälligkeiten starke inter- und intraindividuelle Unterschiede. Die Ursachen für diese Variabilität sind jedoch bis heute nicht abschließend geklärt. Wenngleich in einzelnen Querschnittstudien Performanzunterschiede zwischen prodromalen, erstmanifestierten und chronisch schizophrenen Patienten aufgezeigt werden konnten, so zeigt sich in Langzeitstudien kein intraindividueller Leistungsabfall über die Erkrankungsdauer (Sobizack et al. 1999; Özgürdal et al. 2007). Hoff et al. (1992) konnten durch Studien an ersterkrankten und chronisch erkrankten Schizophrenen bereits bei Krankheitseintritt ein reduziertes kognitives Funktionsniveau feststellen, das jedoch im weiteren Untersuchungsverlauf nicht abnahm. In einer Längsschnittstudie von Gold et al. (1999), in der Erstmanifestierte in einem 5-Jahres-Follow-up neuropsychologisch untersucht worden waren, zeigte sich ebenfalls keine Verschlechterung des kognitiven Funktionsdefizits. Ebenso konnte auch in Kohortenstudien an chronisch schizophrenen Patienten kein signifikanter Abfall der Leistungen beobachtet werden (Goldberg et al. 1993). In den meisten Langzeitstudien, die den Verlauf von kognitiven Auffälligkeiten in Abhängigkeit von Verlaufsparametern wie Zeit und Erkrankungsdauer betrachten, ist kein progressiver Abfall neuropsychologischer Leistungen zu beobachten, wie eine neue Metaanalyse von Hoff et al. (2005) zeigt. In ihrer eigenen Studie haben die Autoren ersterkrankte Patienten über einen Zeitraum von 10 Jahren untersucht. Sie konnten zwar in kognitiven Bereichen keine Verbesserung bei schizophrenen Patienten im Vergleich zu Gesunden feststellen, jedoch blieb auch
65 6.3 · Frühverlauf von kognitiven Störungen bei der Schizophrenie
eine Abnahme von kognitiven Funktionsbeeinträchtigungen aus. Dass bei Gesunden größere Lern- oder Wiederholungseffekte als bei schizophrenen Menschen auftreten, könnte auf die höhere interindividuelle Variabilität der Performanzleistungen in der Gruppe der schizophrenen Patienten zurückzuführen sein. Bereits in einer früheren bildgebenden Follow-up-Studie (Magnetresonanztomographie) untersuchten die Autoren den Verlauf kognitiver Beeinträchtigungen bei Erstmanifestierten im Zusammenhang mit morphologischen Auffälligkeiten und konnten keinen Zusammenhang zwischen Veränderungen in der Morphologie und kognitiven Leistungsparametern feststellen. Über einen Zeitraum von ca. 4 bis 5 Jahren nach der Ersterkrankung blieb das gegenüber den Gesunden um 1 bis 2 Standardabweichungen niedrigere Funktionsniveau der Patienten unverändert bestehen (Hoff et al. 1999). Um die starke Varianz und den Anteil von nicht kognitiv beeinträchtigten Schizophrenen zu verstehen, wurde auch eine eingeschränkte allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit, die charakteristisch für eine Gruppe von schizophrenen Patienten sein könnte, diskutiert. Wienöbst (1993) konnte in seiner Studie nach Maßgabe der Leistungsverläufe drei Gruppen von schizophrenen Patienten unterscheiden. Hierfür ließ er den WCST vor, während und nach einem Interventionsdurchgang absolvieren. Dabei ließen sich die Performanzverläufe der Leistungen der schizophrenen Patienten in die Gruppen der »Highscorer«, der »Lerner« und der »Nichtlerner« einordnen. Die »Highscorer« haben im Vor- und im Nachtest hohe Leistungen. Die »Lerner« zeigen zwar im ersten Durchgang niedrige Leistungen, können aber im Nachtest die gleichen Leistungen erbringen wie die »Highscorer«. Die Gruppe der »Nichtlerner« hingegen zeigt lediglich im Interventionsdurchgang leichte Verbesserungen und im Nachtest fast das gleiche niedrige Ausgangsniveau. Dieser Befund impliziert das Vorhandensein von verschiedenen Lerntypen innerhalb Gruppen schizophrener Patienten, so dass hier die Frage aufkommt, ob neben spezifischen Funktionsbeeinträchtigungen in einer Subgruppe von Patienten ein generalisiertes Funktionsdefizit besteht. In der Forschungsliteratur mehren sich Befunde, dass kognitive Störungen im Zusammenhang mit den verschiedenen Verläufen der schizophrenen Erkrankung stehen. Ein geringes prämorbides sowie bei Beginn der Erkrankung vorhandenes kognitives Funktionsniveau geht mit mangelnder sozialer Eingliederung und Funktionsfähigkeit einher. Diese Beobachtung ist jedoch nicht gleichzusetzen mit der Verschlechterung der kognitiven Symptomatik im Verlauf der Erkrankung. Für eine derartige Neurodegeneration liegen keine einheitlichen Befunde vor. Munro et al. (2002) konnten zeigen, dass ein geringes intellektuelles Niveau zu Beginn der Erkrankung zu einem chronischen Verlauf, mangelnder sozialer Eingliederung und Zugehörigkeit zu einer niedrigeren sozialen Schicht führte. Der Eindruck einer degenerativen Erkrankung könnte also daher kommen, dass die Outcome-Variablen bei einigen Patienten durch das
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schon vorhandene Leistungsdefizit schlechter ausgeprägt sind als bei jenen, die keine kognitiven Auffälligkeiten zeigen. Um weitere Erklärungen für die Heterogenität der kognitiven Leistungen innerhalb Gruppen schizophrener Patienten zu finden, wurden Zusammenhänge zwischen Diagnosegruppen und psychopathologischen Symptomen einerseits und kognitiven Beeinträchtigungen andererseits untersucht.Die heutige Befundlage deutet auf spezifische kognitive Beeinträchtigungen bei der Schizophrenie hin, die sich im Verlauf der Erkrankung nicht wesentlich zu verändern scheinen, wobei bei einer signifikanten Untergruppe der Patienten auch eine Progression zu beobachten ist. Dennoch scheint bei einem geringen Teil der Patienten ein generalisiertes Funktionsdefizit vorzuliegen. Insgesamt ist die Datenlage zur Ausprägung und zum Verlauf von kognitiven Störungen bei der Schizophrenie sehr heterogen. Kognitive Störungen haben einen negativen Einfluss auf soziale Variablen, der sich im Alltag der Patienten in Form mangelnder sozialer Integration bemerkbar macht.
Symptomatik der Schizophrenie und kognitive Störungen Die Unterscheidung zwischen Negativ- und Positivsymptomen der Schizophrenie ist historisch begründet. Während die Positivsymptomatik Halluzinationen, Wahnvorstellungen und formale Denkstörungen umfasst, werden Sprachverarmung, Aufmerksamkeitsstörungen, Affektverflachung, Anhedonie und Apathie zur Negativsymptomatik gezählt. Da Dysfunktionen in der Kognition wie im Bereich der Aufmerksamkeit bereits bei sog. Hochrisikopersonen beobachtet werden konnten, wurde daraus gefolgert, dass diese früher als negative Symptome auftreten (. Abb. 6.2). In nur wenigen Fällen nimmt der Schweregrad dieser Dysfunktionen im Verlauf der Erkrankung zu. Die Frage nach den Beziehungen zwischen kognitiven Beeinträchtigungen und klinischen Subsyndromen in Form einer Positivnegativdichotomie ist nach wie vor durch eine inkonsistente Befundlage geprägt. Als zusätzliche Erschwernis kommt auch bei der Untersuchung dieser Frage eine große Variabilität der kognitiven Leistungen innerhalb schizophrener Gruppen hinzu. Wenngleich einige Aspekte der Aufmerksamkeit und die exekutiven Funktionen stärkere Beeinträchtigungen in produktiven Krankheitsphasen zeigen und starke Zusammenhänge zur desorganisierten Symptomatik und zu formalen Denkstörungen aufweisen, resultieren diese Beobachtungen aus Querschnittsuntersuchungen. Bell u. Mishara (2005) untersuchten über sechs Monate den Verlauf negativer Symptome im Zusammenhang mit neurokognitiven Veränderungen und konnten keine Abhängigkeit der kognitiven Performanzleistungen von einer Verschlechterung oder Verbesserung der Negativsymptomatik feststellen. Zu einem ähnlichen Ergebnis waren Hughes et al. (2003) gekommen. Auch sie konnten keinen Zusammenhang zwischen dem Verlauf von Positivund Negativsymptomen und neuropsychologischen Leistungen feststellen.
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Kapitel 6 · Verlauf kognitiver Störungen bei Schizophrenien
. Abb. 6.2. Symptomverläufe bei der Schizophrenie
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Das Fazit: Bislang fehlen konsistente Ergebnisse, die das Auftreten von kognitiven Störungen einer Subgruppe von Patienten mit entweder Postiv- oder Negativsymptomatik zuordnen können. Trotz der Zusammenhänge zwischen negativen Symptomen und Beeinträchtigungen kognitiver Funktionen klären sie zusammen nur ca. 15% der Varianz auf (O’Leary et al. 2000). Es ist noch unklar, obkognitiveDysfunktionenindirekteroderindirekter,vermittelnder Verbindung zur Negativsymptomatik stehen. Ein großer Teil der Negativsymptomatik wie Affektverflachung, Anhedonie und Apathie wird zudem auf emotionale Störungen zurückgeführt. Aus diesem Grund schlagen einige Autoren eine eher symptom- als syndromorientierte Untersuchung dieser Frage vor (Cohen u. Docherty 2005). 6.4
Einfluss von Verlaufsparametern auf kognitive Störungen bei der Schizophrenie
6.4.1 Trait- und State-Merkmale Die Bedeutung des Auftretens von kognitiven Störungen bei der Schizophrenie betrifft zum einen die Frage nach ihrer Spezifität für die Erkrankung und zum anderen ihre zeitliche Erstreckung, also ihre Stabilität. Während bildgebende Untersuchungsmethoden eine direktere Erforschung der Ursachen der Schizophrenie ermöglichen können, stellen neuropsychologische Untersuchungsverfahren indirekte Messverfahren dar, die kognitive Störungen als eventuelle Indikatoren für diese biologischen Grundlagen annehmen. Als Marker oder Trait-Merkmale werden diese Indikatoren als Ausdruck einer biologischen Vulnerabilität angesehen. Während Trait-Merkmale zeitstabile Merkmale darstellen,
die nicht nur in Akutphasen der Erkrankung vorhanden sind, stellen State-Merkmale aktuelle Zustandsvariablen dar, die in Abhängigkeit von Krankheitsphasen auftreten. Aus diesem Grund ist es wichtig zu ermitteln, ob kognitive Dysfunktionen zeitstabile Merkmale darstellen. Wie zuvor dargestellt, sind niedrige Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistungen bereits bei Personen mit einem hohen Risiko für Schizophrenie vorhanden. Im Falle verbaler Gedächtnisdefizite wird angenommen, dass diese zeitlich stabil sind: Sie sind bereits bei ersterkrankten Patienten vorhanden und liegen in ihren Ausprägungen bei den Angehörigen Schizophrener zwischen den Leistungen von gesunden Kontrollprobanden und den Betroffenen. In der Verlaufsstudie von Wittorf (2003) an Ersterkrankten zeigten sich Auffälligkeiten der primären Gedächtnisleistungen (Merkspanne) nur in der psychotischen Phase der Erkrankung, während sekundäre Gedächtnisleistungen (verzögerter Abruf) in der Akutphase der Erkrankung zwar verstärkt auftraten, aber auch in der Remissionsphase vorhanden waren. Im Bereich exekutiver Funktionen und der Aufmerksamkeit konnte ebenfalls eine Zunahme der Beeinträchtigungen in Akutphasen der Erkrankung verzeichnet werden, wenngleich auch diese Beeinträchtigungen bereits vor der Erkrankung und in Remissionsphasen vorhanden sein können (Liu et al. 2000; Erlenmeyer-Kimling et al. 2000). Dabei ist es nachvollziehbar, dass bei einem schizophrenen Menschen mit einer desorganisierten Symptomatik, die mit einer verminderten Fähigkeit einhergeht, intendierte Handlungen zu beenden, bestimmte exekutive Funktionsleistungen in akuten Krankheitsphasen weiter abnehmen. Sie stellen somit vor allem zustandsabhängige Funktionseinbußen dar. Interessant ist in diesem Zusammenhang das Konzept der Basissymptome. Basissymptome werden
67 6.5 · Zusammenfassung und Diskussion
als Komponenten der neuropsychologischen Vulnerabilität für Schizophrenie angesehen (Huber u. Gross 1989; Klosterkötter 1988). Die Übergangsreihenhypothese von Klosterkötter erklärt die Schizophrenie im Rahmen eines Prozesses zunehmender stressorbedingter Irritation bereits bestehender Informationsverarbeitungsstörungen. Basissymptome sind somit sowohl Indikatoren für eine »basale Irritation« des Informationsverarbeitungssystems (Klosterkötter) im Sinne von Vulnerabilitätsfaktoren als auch prodromale Symptome, die in der Entwicklung der Schizophrenie in deren Symptome übergehen. Sie sind somit zeitstabile Merkmale für eine gestörte Informationsverarbeitungskapazität, die durch Stress bedingte mangelnde Kompensation von Anforderungen in die charakteristischen Krankheitssymptome übergehen. Sie stellen erworbene Beeinträchtigungen der Kognition dar, die in allen Phasen der Erkrankung mehr oder minder ausgeprägt vorhanden sein können (. Tab. 6.4). Zusammenfassed ist festzustellen, dass es keinen typischen Marker für die Schizophrenie gibt. Kognitive Dysfunktionen treten nicht bei allen schizophren erkrankten Menschen und allen ihren Kindern auf. Kognitive Störungen bei schizophrenen Menschen können in verschiedenen Krankheitsphasen auftreten und unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Ätiologie und ihres Verlaufes. Als mögliche Erklärung könnten zum einen die unterschiedlichen Arten von Aufmerksamkeit und Gedächtnisfunktionen, die defizitär ausgeprägt sind, dienen. Während einige Teilbereiche dieser Funktionen (z. B. selektive vs. Daueraufmerksamkeit) episodisch gestört sein können, könnten wiederum andere als episodenunabhängige Marker betrachtet werden. Demzufolge schlagen einige Autoren eine Unterteilung kognitiver Störungsbereiche in verschiedene Untergruppen vor (. Tab. 6.4):
. Tab. 6.4. Einteilung kognitiver Beeinträchtigungen schizophrener Patienten. (Mod. nach Wykes u. von der Gaag 2001) Prämorbid
Akut
Remittiert
Vulnerabilitätsmarker (z. B. Vigilanz gemessen mittels CPT, Liu et al. 2000)
+
+
+
Episodenmarker (z. B. selektive Aufmerksamkeit gemessen mittels StroopTest, Baxter u. Liddle 1998)
–/+
++
–/+
Erworbene Beeinträchtigungen (z. B. Gedankenblockaden und andere Basissymptome, s. o.)
–/+
++
++
+ = leicht ausgeprägt; ++=stark ausgeprägt; – = nicht vorhanden
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6.4.2 Vulnerabiliätsmarker, Episodenmarker
und erworbene Beeinträchtigungen Ähnlich sieht es bei der Frage nach der Spezifität aus. Kognitive Störungen kommen nicht nur bei der Schizophrenie vor, obwohl sie in ihrem Falle gehäufter auftreten. Dennoch scheinen sie bei der Depression in Abhängigkeit von Akutphasen aufzutreten, so dass sie in ihrem Falle eher State-Charakter besitzen könnten. Hingegen verdeutlichen Befunde bereits seit Längerem, dass auch bei affektiven Erkrankungen kognitive Störungen als Restsymptomatik überdauern können. Schließlich sind sie auch bei Angehörigen von affektiv erkrankten Menschen bereits vorhanden, wobei diese im Vergleich zu Angehörigen von Schizophrenen bessere Ergebnisse zeigen. Ebenso inkonsistent sind auch Befunde zum Zusammenhang zwischen Verlaufsparametern der Schizophrenie wie Krankheitsdauer und kognitiven Störungen. Auch hier zeigen nicht alle Studien Unterschiede zwischen ersterkrankten und chronisch erkrankten Patienten in ihren Testleistungen auf. 6.5
Zusammenfassung und Diskussion
Heutige Erkenntnisse bestätigen die Vorstellung von kognitiven Störungen als Vulnerabilitätsmarkern der Erkrankung, die bereits in prodromalen Stadien, mit Beginn der Erkrankung und bei einigen Angehörigen schizophrener Patienten vorhanden sein können. Diese Ergebnisse besagen, dass bei einigen Patienten ein breites niedriges Funktionsniveau in allen kognitiven Bereichen besteht, welches aber individuell und über verschiedene kognitive Domänen stark variiert und bei prämorbid niedrigem kognitiven Funktionsniveau zu einer schlechteren sozialen Integration der Patienten führt. Bei der Mehrzahl der Patienten überwiegen Aufmerksamkeits- und verbale Gedächtnisdefizite, so dass ein generalisiertes neurokognitives Defizit schizophrener Patienten gemäß der heutigen Datenlage eher nur für einen Teil besonders beeinträchtigter Patienten anzunehmen ist. Kognitive Störungen können vor, während und in akuten Phasen der Erkrankung auftreten, ohne dass sie sich in den meisten Fällen im weiteren Verlauf der Erkrankung verschlechtern. Was den Zusammenhang zwischen kognitiven Störungen und den Syndromen einer Positiv-, Negativ- und Desorganisationssymptomatik betrifft, so kann ein Großteil neurokognitiver Fehlleistungen nicht durch die Symptomatik erklärt werden. Kognitive Beeinträchtigungen gewinnen zunehmend an prognostischer Bedeutung in Bezug auf den Verlauf der Erkrankung in den Parametern der sozialen Kompetenz, der Selbstständigkeit und der Wiedereingliederung in den Beruf. Dies ist insofern relevant, als eine große Anzahl schizophrener Patienten unter starken kognitiven Einbußen leidet und in sozialer Hinsicht schwere Krankheitsverläufe zeigt.
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Kapitel 6 · Verlauf kognitiver Störungen bei Schizophrenien
Literatur
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7 Kognition bei Kindern und Jugendlichen mit Schizophrenie Claudia Mehler-Wex, Christina Schwenck und Andreas Warnke
7.1
Altersspezifische Besonderheiten
– 71
7.2
Neurokognitive Parameter
7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.4 7.2.5 7.2.6
Aufmerksamkeit – 73 Gedächtnis – 74 Exekutive Funktionen – 74 Sprache – 74 Visuelle Funktionen – 75 Ereigniskorrelierte Potentiale
7.3
Untersuchungen zu Risikoprobanden
– 73
– 75
– 76
7.3.1 Kinder und Jugendliche mit genetischem Risiko für Schizophrenie – 76 7.3.2 Kinder und Jugendliche mit Belastung durch schizotype Erkrankungen – 78 7.3.3 Studien zum Vergleich mit dem Aufmerksamkeitsdefizit-HyperaktivitätsSyndrom – 78 7.3.4 Studien zum Vergleich mit affektiven Erkrankungen – 79
7.4
Zusammenfassung Literatur
– 80
– 79
7
71 7.1 · Altersspezifische Besonderheiten
7.1
Altersspezifische Besonderheiten
Die Prävalenz schizophrener Erkrankungen in der Gesamtbevölkerung beträgt maximal 1%, im Kindes- und Jugendalter (d. h. bis zum 18. Lebensjahr) hingegen erkranken nur 2 von 100.000 Personen (McKenna 1994). Bei nur 0,1–1% aller Schizophrenen tritt die Erkrankung vor dem 10. Lebensjahr auf, bei 4% vor dem 15. Lebensjahr (Mehler-Wex u. Warnke 2004). Es handelt sich somit um eine in dieser Altersgruppe im Vergleich zum Erwachsenenalter äußerst seltene Erkrankung. Die Symptomatik schizophrener Erkrankungen stellt sich – anders als bei Erwachsenen – im Kindes- und Jugendalter oft wesentlich unspezifischer dar. Als häufigste Symptome im Rahmen einer ersten schizophrenen Episode sind affektive Schwankungen, bizarres Verhalten und Negativsymptome wie Lust- und Antriebslosigkeit sowie kognitive und sprachliche Defizite zu nennen (Mehler-Wex u. Warnke 2004), während die für ältere Jugendliche und Erwachsene typischen Produktivsymptome wie Wahn und Halluzinationen relativ selten zu verzeichnen sind (Asarnow u. Karatekin 2001; . Tab. 7.1). Aufgrund der diffusen Symptomatik werden v. a. bei jungen Kindern als Erst- oder Verdachtsdiagnose zunächst oftmals andere Störungsbilder vermutet, z. B. Entwicklungsverzögerungen, Lernbehinderungen oder Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrome (ADHS) (. Tab. 7.2). Schaeffer u. Ross (2002) fanden in ihrer Studienpopulation schizophren erkrankter Kinder retrospektiv eine bis zu zweijährige Verzögerung bis zur eigentlich korrekten Diagnosefindung »Schizophrenie«. Es steht außer
. Tab. 7.1. Zeitliche Symptomentwicklung bei kindlicher Schizophrenie. (Mod. nach Asarnow u. Karatekin 2001) Alter
Entwicklungsstörungen
0–30 Monate
Defizitäre Sprachentwicklung Verzögerte motorische Entwicklung
31 Monate bis <6 Jahre
Sprachprobleme Schulleistungsschwäche
Stimmungslabilität Unselbstständigkeit Grundlose Affektdurchbrüche Tagträumereien Hyperaktivität Impulsivität Konzentrationsstörung
6–8 Jahre
Mangel an altersentsprechender sozialer Kompetenz
Unlogisches Denken Inadäquater Affekt
9–11 Jahre
Verhaltens- und Wesensauffälligkeiten
Halluzinationen Wahn
. Tab. 7.2. Häufige Vordiagnosen der kindlichen Schizophrenie (n gesamt = 17). (Mod. nach Schaeffer u. Ross 2002) Psychiatrische Diagnose
Patienten Anzahl (n)
%
Entwicklungsverzögerung/ Lernbehinderung
9
53
Hyperkinetisches Syndrom
8
47
»Bipolare« Stimmungsschwankungen
7
41
Depression
4
24
Zwang
3
18
Generalisierte Angststörung
2
12
»Asperger-Syndrom«
2
12
Frage, dass durch den Einsatz symptomgeleiteter medikamentöser Strategien (z. B. Stimulanzien, in 77% der Fälle; Schaeffer u. Ross 2002) schizophrene Syndrome exazerbieren sowie durch den Zeitverlust bis zur spezifischen Behandlung Aggravierungen des Krankheitsschweregrades eintreten können. Bildgebende Untersuchungen zeigten bei besonders jung erkrankten Patienten bereits zu Krankheitsbeginn stark ausgeprägte Ventrikelerweiterungen im Sinne einer generalisierten Zerebralatrophie, wohingegen bei älter erkrankten Jugendlichen initial keine morphologischen Besonderheiten im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen zu detektieren waren. Allerdings kommt es in dieser Gruppe im Krankheitsverlauf zu ähnlich ausgeprägter Atrophie (Badura et al. 2001; Mehler u. Warnke 2002). Somit scheinen VEOS (»very early onset schizophrenia«), d. h. Schizophrenieerkrankungen bis zum 13. Lebensjahr, bereits zu Beginn der Erkrankung mit einem größeren Ausmaß hirnorganischer Auffälligkeiten assoziiert zu sein, als dies bei älteren Patienten der Fall ist. Retrospektive Untersuchungen zeigten, dass das Ausmaß der zu Krankheitsbeginn imponierenden Atrophie der grauen Substanz bei kindlichen Schizophrenien mit dem prämorbiden Funktionsniveau, den im Rahmen der Schizophrenie verbliebenen neurokognitiven Fähigkeiten und dem Intelligenzquotienten korreliert (Gur et al. 1998; Rapoport et al. 1997). Da die endgültige Ausreifung des Ventrikelsystems erst im frühen Jugendalter einsetzt (Rapoport et al. 1997), besteht somit im Vorfeld eine vulnerable Phase. Im Rahmen von Hirnreifungsstörungen des kindlichen Gehirns könnten zerebral angelegte, prämorbide Strukturanomalien demnach ein wichtiger primärer pathogenetischer Faktor der VEOS sein; bei Schizophreniebeginn in späteren Altersstufen hingegen können die morphologischen Veränderungen wahrscheinlich auch sekundär zur psychiatrischen Erkrankung entstehen. Die sog. Entwicklungshypothese der VEOS (. Abb. 7.1) bietet ein plausibles Erklärungsmodell für den schleichenden
72
Kapitel 7 · Kognition bei Kindern und Jugendlichen mit Schizophrenie
7
. Abb. 7.1. Entwicklungsbiologische Hypothese der frühen Schizophrenie
Verlauf, die stärker ausgeprägte, übergreifende Symptomatik und die deutlich schlechtere Prognose der VEOS in Abgrenzung zu schizophrenen Erkrankungen mit Beginn im späteren Jugend- oder Erwachsenenalter. Katamnesestudien beschreiben eine mangelhafte Remission bei bis zu 50% der jungen Schizophreniepatienten (Eggers u. Bunk 1997); Trott et al. (1999) zeigten, dass über 80–90% der Patienten, die um das 11. Lebensjahr an Schizophrenie erkrankt waren, zehn Jahre später weder einen Schulabschluss, noch eine selbstständige Wohnform, noch einen Beruf im öffentlichen Arbeitsmarkt aufweisen konnten. Ungünstige prämorbide Prognoseindikatoren sind kognitive Beeinträchtigungen und soziale Defizite wie Scheu und Zurückgezogenheit. Je besser die prämorbiden Alltags- und Sozialkompetenzen und je reifer der Patient, desto schneller kann sich der Betroffene in seine frühere, bereits etablierte Lebenssituation wieder einfinden. . Abb. 7.1 zeigt ein Entwicklungsmodell der Schizophrenie, modifiziert für Patienten mit frühem Erkrankungsbeginn. Genetische Vulnerabilität, Schwangerschafts- oder Geburtskomplikationen und postnatale exogene Einflussfaktoren (Infekte, Verletzungen etc.) bilden die Grundlage einer hirnorganischen Entwicklungsstörung mit Auffälligkeiten der zerebralen Morphologie sowie neurobiologischer und -psychologischer Funktionen. Diese äußern sich auf Symptomebene im frühen Kindesalter durch diffuse Entwicklungsdefizite (sprachlich, motorisch, ko-
gnitiv, sozial), im weiteren Verlauf durch Denkstörungen und schließlich – oft erst im späten Jugendalter – durch Exazerbation einer Schizophrenie. Die Zusammenschau der genannten Aspekte legt die Hypothese einer von der neurologischen Entwicklung und Reifung abhängigen, eigenen ätiopathogenetischen Entität der VEOS nahe. Exkurs Selteneres Auftreten, ein von erwachsenen Patienten abweichendes, unspezifischeres Symptombild und die deutlich ungünstigere Prognose zeichnen frühkindliche Schizophrenien als eine besondere Subgruppe aus. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die zu Krankheitsbeginn vergleichsweise schwerer wiegende zerebrale Atrophie. Aus den Beobachtungen lässt sich das Ziel ableiten, objektiv messbare Marker der Schizophrenie zu detektieren, um eine möglichst frühe Diagnosefindung und eine spezifische Behandlung zu gewährleisten. Neben neurobiologischen Parametern der Bildgebung und Biochemie sind v. a. neurokognitive Testverfahren als frühe Prädiktoren schizophrener Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter Gegenstand der aktuellen Forschung.
73 7.2 · Neurokognitive Parameter
7.2
Neurokognitive Parameter
Neurokognitive Testleistungen sind sensible Parameter zur Überprüfung komplexerer zentralnervöser Funktionen; sie stellen gleichzeitig ein Bindeglied sowohl zu psychopathologisch-klinischen Manifestationsformen als auch zu biologischen zerebralen Prozessen dar. Insofern ist die Eignung neurokognitiver Tests als potentiell prädiktive Marker schizophrener Erkrankungen immer wieder Gegenstand der Diskussion. Insbesondere bei schizophrenen Kindern mit primärer hirnorganischer Atrophie sind prämorbide Entwicklungsstörungen u. a. kognitiver Funktionen anzunehmen. Im Weiteren sollen die wichtigsten Untersuchungsergebnisse dargestellt werden. Als kognitive Risikofaktoren schizophrener Erkrankungen erscheinen Daueraufmerksamkeit, räumliches Arbeitsgedächtnis, Wortgedächtnis und exekutive Funktionen des präfrontalen Kortex wie abstraktes Denken, Wortflüssigkeit und Hemmung von dominanten Reizreaktionen am vielversprechendsten; des Weiteren sind Störungen von Augenfolgebewegungen und ereigniskorrelierte elektrophysiologische Potentiale wie die P50-Reaktion, P300-Amplitude und P300-Latenz zu berücksichtigen (Michie et al. 2000). 7.2.1 Aufmerksamkeit Bereits 1987 zeigten Asarnow et al., dass Kinder mit Schizophrenie ebenso wie Kinder mit autistischen Störungen im WISC-R (Wechsler Intelligence Scale for Children, revised) deutlich schlechter abschnitten als gesunde Kontrollpersonen; dies gilt sowohl für den erlangten Gesamt-IQ als auch für die Subskalen Verbal- und Handlungsteil. Signifikant schlechter als die autistischen Kinder zeigten sich diejenigen mit Schizophrenie nur hinsichtlich der Unablenkbarkeit: Hier erzielten die Schizophreniepatienten noch schlechtere Ergebnisse als im Verbal- und Handlungsteil. Bei schizophrenen Erkrankungen zeigt sich die Aufmerksamkeitsbeeinträchtigung in der Testung sehr früh und unabhängig von der Überprüfungsdauer, auch bleibt sie im Testverlauf stabil (Van den Bosch et al. 1996). Aufmerksamkeitsleistungen stehen im Zusammenhang mit der individuellen Rehabilitations- und Resozialisationsprognose bei schizophren Erkrankten und sind somit auch von klinischer und therapiespezifischer Bedeutung. Daueraufmerksamkeitstests umfassen neben der eigentlichen Vigilanzleistung, d. h. der Befähigung, über längere Zeitspannen ein bestimmtes zielgerichtetes Verhalten aufrecht zu erhalten, als weitere Komponenten selektive Aufmerksamkeit und attentive Kontrolle. Durch selektive Aufmerksamkeit wird die Differenzierung in zielgebundene, relevante und nicht zielführende, irrelevante Reize gewährleistet; attentive Kontrolle setzt voraus, dass parallel erforderliche Informationsverabeitungsprozesse integrierbar sind. Ein gängiges Verfahren der Daueraufmerksamkeitsmessung stellt der computergestützte Continuous Performance Test (CPT)
7
dar. Schizophrene Patienten sind bereits bei einfacheren Aufgabenstellungen (Reaktion auf einfach isolierten Reiz, Reaktion auf einfache Reizsequenz) der CPT beeinträchtigt (Cornblatt u. Keilp 1994). Komplexere Aufgaben (Version Identical Pairs; d. h. Entdeckung bestimmter Zahlenabfolgen oder Muster i. S. eines ständigen Abgleichs zwischen Arbeitsgedächtnis und Stimulus) zeigten bei Schizophreniepatienten neben einer geringen Trefferquote und einer hohen Rate an falsch-positiven Reaktionen sowohl Defizite der Zahlen- als auch der Formerkennung, während affektiv Erkrankte neben einer geringen Trefferquote nur Probleme in der Formerkennung aufwiesen (Cornblatt et al. 1989). Eine Korrelation zwischen CPT-Ergebnis und Krankheitsschwere bzw. -stadium (akut vs. chronisch) wurde verneint. Vielmehr bleibt das prämorbide Aufmerksamkeitsdefizit im Schweregrad ungefähr ab dem 7. Lebensjahr auch nach Krankheitsbeginn stabil; eine Verbesserung – jedoch meist nicht auf das Niveau Gesunder – unter Medikation ist aber zu beobachten (Michie et al. 2000). Die CPT vermag über komplexere Versionen (Identical Pairs oder Degraded Stimulus) auch bei Verwandten ersten Grades subtile Aufmerksamkeitsdefizite zu erkennen (Laurent et al. 1999). Allerdings sind Abweichungen der Daueraufmerksamkeit keine spezifischen Prädiktoren für eine spätere Schizophrenieerkrankung; lediglich die Ergebnisse der schwierigsten Version der CPT-Identical Pairs (Version mit 4 Ziffern), angewandt in spätem Kindes- bzw. frühem Jugendalter, zeigte in einer kleinen Studiengruppe von Risikopersonen eine Korrelation mit dem späteren Eintritt einer Erkrankung aus dem Formenkreis der Schizophrenien (6 später Erkrankte von n=21; Cornblatt et al. 1999). Prämorbide Aufmerksamkeitsdefizite im Kindes- und Jugendalter prädizieren jedoch eine ungünstigere Prognose der schizophrenen Erkrankung im Hinblick auf soziale Readaptation und kognitive Rehabilitation (Silverstein et al. 2002). Ein anderes Paradigma der Aufmerksamkeit ist die Reaktionsgeschwindigkeit: Diese ist generell bei schizophren Erkrankten länger als bei Kontrollpersonen. Anders als Gesunde sind schizophrene Patienten im Kindes- und Jugendalter bei regulärer Stimulusfolge (ab 4 s-Intervall) noch verlangsamter als bei einer irregulären Folge, was die Unfähigkeit zu gezielter rascher Reaktion veranschaulicht (Asarnow u. Karatekin 2001). Zahn et al. (1998) wiesen bei Kindern mit Schizophrenie im Vergleich zu Gesunden generell höhere Reaktionszeiten auf, v. a. bei unterschiedlich sensorischen Reizstimuli (akustisch und optisch), die durch eine Reaktion der jeweils zugeordneten Hand beantwortet werden sollten. Die erkrankten Kinder zeigten jedoch, anders als erwachsene Schizophreniepatienten, weniger Schwierigkeiten mit der Bedingung, unterschiedliche sensorische Reize stets mit der gleichen, dominanten Hand zu beantworten; somit sind insbesondere Verknüpfungsprozesse bei kindlichen Patienten als altersabhängig deutlich stärker eingeschränkt anzusehen.
74
Kapitel 7 · Kognition bei Kindern und Jugendlichen mit Schizophrenie
7.2.2 Gedächtnis
7
Als wichtige neurokognitive Parameter gelten die Gedächtnisfunktionen, deren Beeinträchtigung bei Kindern und Jugendlichen mit Schizophrenie vor allem für das verbale Gedächtnis nachgewiesen wurde; als Ursache nennen die Autoren Veränderungen im Frontallappen. Yeo et al. (1997) verglichen in ihrer Untersuchung Kinder mit einer Störung aus dem Formenkreis der Schizophrenien mit Kontrollprobanden hinsichtlich ihrer verbalen Gedächtnisleistungen und stellten auch nach Auspartialisierung der intellektuellen Fähigkeiten signifikante Unterschiede zwischen den Probandengruppen fest. Insbesondere die Leistung für das sprachliche Gedächtnis, gemessen mit Testverfahren zu Textgedächtnis und rückwirkender verbaler Inhibition, war bei den klinischen Probanden beeinträchtigt. Bezüglich Hochrisikoprobanden für Schizophrenie konnten Niemi et al. (2002) in ihrer Übersichtsarbeit zu 16 Studien Beeinträchtigungen im verbalen Gedächtnis neben anderen neurokognitiven Funktionsdefiziten als einen wichtigen Risikofaktor für die Entwicklung einer Schizophrenie identifizieren (vgl. auch Erlenmeyer-Kimling et al. 2000). Exkurs Karatekin u. Asarnow (1998) verglichen Gedächtnisfunktionen von Kindern mit Schizophrenie oder ADHS und Gesunden anhand der Subskala Zahlenspanne des WISC-R. Hier ergaben sich gleichwertige Beeinträchtigungen des verbalen und räumlichen Gedächtnisses beider Krankheitsgruppen. Das bedeutet, dass die so ermittelten Beeinträchtigungen nicht als spezifisch für Kinder mit dem Störungsbild der Schizophrenie angesehen werden können.
7.2.3 Exekutive Funktionen Kindliche und jugendliche Schizophreniepatienten zeigten im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen Differenzen von bis zu zwei Standardabweichungen bei exekutiven und visuoräumlichen Funktionen, wobei es hinsichtlich des Ausprägungsgrades keine signifikanten Unterschiede in den Altersgruppen gab (Rhinewine et al. 2005). Im Wisconsin Card Sorting Test (WCST), der Abstraktionsfähigkeit, Problemlösestrategien, Daueraufmerksamkeit und geistige Flexibilität misst, produzierten schizophrene Kinder signifikant mehr Wiederholungsfehler als Gesunde; dies lässt auf das Festhalten an einem nicht mehr geltenden Problemlösungsprinzip und auf mangelnde Flexibilität schließen (vgl. Asarnow u. Karatekin 2001). Anders als bei gesunden und autistischen Kindern nahm die Fehlerquote der Zufallsantworten trotz Instruktion des Lösungsprinzips bei schizophrenen Kindern noch mehr zu als im Testteil ohne Instruktion; zusätzliche Hilfestellungen werden anscheinend nicht nur nicht verstanden oder angewandt, sondern tragen zur weiteren Verunsicherung bei.
Das Ausmaß prämorbider Defizite im Kindes- und Jugendalter im Bereich exekutiver Funktionen korreliert mit späteren Einschränkungen bei sozialen und kognitiven Fähigkeiten schizophrener Patienten (Silverstein et al. 2002). 7.2.4 Sprache Auf eine Beeinträchtigung der sprachlichen Fähigkeiten weisen die im Vergleich zu Gesunden schlechteren Ergebnisse hinsichtlich des Verbal-IQ (WISC-R) und des rezeptiven Wortschatzes (Peabody Vocabulary Test – revised) hin (Asarnow u. Karatekin 2001). Hinzu kommen offensichtliche Schwierigkeiten, komplexere Sachverhalte oder Instruktionen zu begreifen; selbst nonverbale, rhythmusgeleitete Wiedergaben von akustisch dargebotenen Stimuli zeigten sich bei schizophrenen Kindern defizitär. Hierbei kommen auch Interferenzen von Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsschwächen als Ursachen in Frage. Verzögerungen des Spracherwerbs (Sprechbeginn nicht vor dem 30. Lebensmonat) wurden bei 72% der später an Schizophrenie erkrankten Kinder und Jugendlichen retrospektiv als prämorbide Besonderheiten eruiert (Asarnow 1999). Die sprachlichen Defizite werden jedoch aufgeholt, d. h. zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Schizophrenie sind keine signifikanten Differenzen zwischen erkrankten und gesunden Kontrollpersonen mehr vorhanden. Asarnow geht deshalb nicht von einem konstanten Defekt aus, sondern von einer initialen Reifungsverzögerung, die möglicherweise die Grundlage für reduzierte Informationsverarbeitungsprozesse bei schizophrenen Patienten mit resultierender Reizüberflutung und eingeschränktem Erwerb automatisierter Vorgänge bildet. Caplan et al. (1992) stellten bei Kindern mit Schizophrenie, ähnlich wie bei Erwachsenen, eine relative Spracharmut fest; als Kennzeichen im Kontext formaler Denkstörungen detektierten sie einen selteneren Gebrauch von sprachlichen Bezügen und Hinweisen zur Kohärenzherstellung sowie häufigere Brüche der Konversation durch lose Assoziationen und unklare Referenzen. Seltener finden auch inhaltlich verbindende Konjunktionen und Wortstammwiederholungen (lexikalische Kohäsion) Verwendung sowie Ellipsen, d. h. unvollständige Sätze, die ein Verständnis des Gegenübers aufgrund vorausgegangener Kommunikation voraussetzen. Die Sprache Schizophrener spiegelt somit multiple Verständnis-, Informationsverarbeitungs-, Gedächtnis- sowie Wahrnehmungsdefizite auf höheren kognitiven Ebenen wider. Exkurs Als Zeichen einer allgemeinen Entwicklungsverzögerung bei Kindern und Jugendlichen mit Schizophrenie wurden neben den Verzögerungen des Spracherwerbs in gleichem Ausmaß, d. h. bei 72% der Betroffenen, zudem motorische Defizite (insbesondere Koordinationsschwächen) beobachtet, ferner, bei 28%, eine muskuläre Hypotonie (Asarnow 1999).
75 7.2 · Neurokognitive Parameter
7.2.5 Visuelle Funktionen Visuelle Wahrnehmungstests (z. B. Span of Apprehension Task) ergaben, dass die selektive Wahrnehmung eines visuellen Schlüsselreizes in Abhängigkeit von der steigenden Zahl ablenkender Zusatzstimuli bei schizophren erkrankten Kindern mit gesunden, jedoch jüngeren Kontrollprobanden übereinstimmt, aber im Vergleich zu altersentsprechenden Kontrollpersonen erschwert ist (vgl. Asarnow u. Karatekin 2001) – offensichtlich ein Hinweis auf einen Reifungsdefekt. Die Wahrnehmung von Schizophrenieerkrankten und jüngeren Gesunden folgt dem Grundmuster, den Bildschirm – im Gegensatz zu deutlich flexibler verfahrenden Gesunden gleichen Alters – zunächst in den oberen Quadranten zu scannen. Bei der Aufgabe, so viele präsentierte Buchstaben wie möglich wiederzugeben, erscheinen die Schizophreniepatienten jedoch nicht beeinträchtigt, so dass von einem funktionsfähigen ikonischen Gedächtnis auszugehen ist. Auch die für den Beginn des optischen Stimulus stehende Initialsakkade der Augen zeigte keine Abweichung zwischen schizophrenen Kindern und Gesunden; schlechtere Ergebnisse erzielten v. a. ADHS-Vergleichspersonen. Sowohl ADHS- als auch Schizophreniepatienten zeigten keine Einschränkungen hinsichtlich der bildschirmübergreifenden Aufmerksamkeit; im Testbereich der fokussierten Aufmerksamkeitsfähigkeit schnitten sie jedoch signifikant schwächer ab als Gesunde. Bei Fragestellungen zu präsentierten Bilderszenen fokussierten Schizophrene – auch irrelevante Bildausschnitte – insgesamt länger als ADHS-Patienten und Kontrollpersonen; Kinder mit ADHS hingegen fielen durch wesentlich kürzere Fixierungszeiten und raschere Fokuswechsel auf als jene der Schizophrenie- und der Kontrollgruppe. Abnormalitäten der Augenfolgebewegungen gelten als replizierbare Korrelate eines erhöhten Risikos, an Schizophrenie zu erkranken, wenngleich sie nur im Zusammenhang mit anderen Faktoren als konkreter und spezifischer Hinweis gewertet werden dürfen. Exkurs Der Vorgang, einem sich bewegenden Objekt mit den Augen zu folgen, setzt sich zu 90% zusammen aus 4 vorausgerichteten Sakkaden mit deutlicher 1–4°-Amplitude und postsakkadischer Verlangsamung mit Zielannäherung, 4 Sakkadensprüngenzurintermittierenden,korrigierenden Adaptation der Blickbewegung an das Objekt, 4 größeren antizipatorischen Augenbewegungen mit mindestens 4°-Amplitude, die ebenfalls postsakkadische Verlangsamungen implizieren. Eine Ausreifung des Systems ist bis zur mittleren Adoleszenz zu erwarten.
Verstärkt bei schizophrenen Kindern und Jugendlichen, aber auch bei gesunden Kindern und Jugendlichen mit hohem genetischen Risiko einer Schizophrenieerkrankung sind – im Ver-
7
gleich zu gesunden Kontrollpersonen – nach Ross (2003) glatte Augenfolgebewegungen in zwei Bereichen beeinträchtigt: hinsichtlich der relativen Geschwindigkeit der Augenfolgebewegung bezogen auf das Objekt und hinsichtlich des sakkadischen Systems (Häufigkeit antizipatorischer, führender und intrusiver Sakkaden). Darüber hinaus zeigten schizophren Erkrankte mehr Korrekturerfordernisse im Sinne von Aufholsakkaden und unspezifischen Sakkaden als Risikoprobanden. Eine Korrelation zur Einnahme von neuroleptischer Medikation zeigte sich nicht; altersabhängig war lediglich die relative Geschwindigkeit der Augenfolgebewegung. Bei erwachsenen Patienten mit Schizophrenie wurden – im Vergleich zu Kontrollprobanden – ferner antisakkadische Augenfolgebewegungen als auffällig identifiziert. In ihrer Studie untersuchten Ross et al. (2005) auch dieses Paradigma an Patienten im Kindes- und Jugendalter. Da sich die Daten aufgrund von Bodeneffekten jedoch nicht verwerten ließen, empfehlen die Autoren, diese Aufgabe nicht zum Nachweis eines Endophänotyps im entsprechenden Altersbereich zu verwenden. Exkurs Sakkadische Augenfolgebewegungen werden im Rahmen der Identifikation von Endophänotypen für Schizophrenie (v. a. CHRNA7) als Untersuchungsgegenstand operationalisiert (Ross et al. 2005). Da die Rate der vorausgerichteten Sakkaden bereits zum 6. Lebensjahr dem Erwachsenenniveau entspricht (Ross 2002) und – in Abgrenzung zu bipolaren Erkrankungen, Autismus und ADHS – spezifisch und sensitiv für Schizophrenie zu sein scheint (Ross 2000), muss dieser Parameter als ein potentieller prämorbider Marker genetischer Vulnerabilität für Schizophrenie bereits ab dem frühen Kindesalter und als Ausdruck einer zerebralen Entwicklungsverzögerung gewertet werden (Randall u. Ross 2003). Allerdings ist bei der Interpretation Vorsicht geboten, da auch bei 20% der gesunden Kontrollprobanden Auffälligkeiten in der Rate führender Sakkaden zu finden sind. In einer Untersuchung von Ross et al. (2005), bei der schizophrene Kinder und Jugendliche mit ihren nicht erkrankten Verwandten und Kontrollprobanden verglichen wurden, zeigten sich Auffälligkeiten im Bereich der sakkadischen Reaktionsinhibition und der räumlichen Genauigkeit ausschließlich bei den erkrankten Probanden, während die genetisch vorbelasteten gesunden Versuchs- und die Kontrollpersonen vergleichbare Leistungen erzielten.
7.2.6 Ereigniskorrelierte Potentiale Eine Übersicht zu Studien mit ereigniskorrelierten Potentialen bei Kindern mit Schizophrenie geben Asarnow u. Karatekin (2001). Diesen Studien liegen die neuropsychologischen Testungen Partial-Report Span of Apprehensions und CPT zugrunde;
76
7
Kapitel 7 · Kognition bei Kindern und Jugendlichen mit Schizophrenie
die Ergebnisse zu den wichtigsten Parametern seien im Folgenden dargestellt: 1. Contingent Negative Variation (CNV), Paradigma für Orientierung, Vorbereitung und Bereitschaft zur Reizreaktion: Hier fanden sich die Werte für Schizophreniekranke zumeist im Normbereich. 2. Processing Negativity (PN), Summe der CNV-Amplituden innerhalb 400 ms poststimulatorisch, Paradigma der reizinduzierten Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsprozesse: Die PN-Amplitude wurde bei schizophrenen Kindern im Vergleich zu Gesunden einhellig als verringert beschrieben, was eine fehlerhafte Aufteilung der Informationsverarbeitungskapazität abzubilden scheint. 3. P300-Amplitude, Index der instruktionsgeleiteten Erkennung bedeutsamer vs. unbedeutsamer Stimuli, Auftreten 400–500 ms poststimulatorisch: Übereinstimmend wurden reduzierte P300-Amplituden bei schizophrenen Kindern im Vergleich zu Kontrollpersonen gefunden. Die P300-Latenz ist bei erwachsenen Schizophrenen normgerecht; bei Kindern gibt es nur in einer Studie Hinweise auf eine Verlängerung der Latenz. 4. P1/N1(Verhältnis der frühesten positiven und negativen Amplitude)-Asymmetrie, Zeichen der Lateralisierung visueller Reizverarbeitungsprozesse (physiologische Rechts>linksAsymmetrie): An Schizophrenie erkrankte Kinder weisen keine physiologische Asymmetrie auf, d. h. ihre elektrophysiologische, stimulusinduzierte Aktivierung beruht entweder auf einem Lateralisierungsdefekt oder auf pathologisch abweichender Informationsprozessierung. 7.3
Untersuchungen zu Risikoprobanden
Verwandte ersten Grades schizophrener Patienten weisen i. d. R. leicht- bis mittelgradige neuromotorische und neurokognitive Beeinträchtigungen auf, auch wenn sie selbst nicht an Schizophrenie erkrankt sind. Im Vordergrund stehen hierbei v. a. verbale und nonverbale Gedächtnisleistungen sowie Aufmerksamkeits- und sprachliche Defizite (Übersicht s. Asarnow et al. 2002b; Niemi et al. 2002; Davalos et al. 2004). Familiäre Belastungen durch schizotype Störungen und schizoaffektive Erkrankungen gelten aufgrund ihrer psychopathologischen Ähnlichkeit ebenfalls als potentielle Risikofaktoren der Schizophrenie. Da prodromale Symptome schizophrener Erkrankungen sich oft durch kognitive Einschränkungen und Negativsymptome auszeichnen, liegt außerdem die differentialdiagnostische Abgrenzung zum Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) und zu affektiven Störungen nahe.
Exkurs Das als genetischer Subtypus der Schizophrenie zu wertende 22Q11.2-Deletionssyndrom geht ebenfalls mit arithmetischen, visuoräumlichen, exekutiven und sprachlichen Defiziten einher. Als organisches Korrelat besteht, vergleichbar mit schizophrenen Erkrankungen, eine gesamtzerebrale, frontotemporoparietal betonte Atrophie (Zinkstok u. van Amelsvoort 2005).
7.3.1 Kinder und Jugendliche mit genetischem
Risiko für Schizophrenie Im Rahmen einer prospektiven Geburtskohortenstudie wurden im Alter von 7 Jahren an 32 später an Schizophrenie erkrankten Kindern, an 25 ihrer nicht schizophrenen Geschwister und an psychiatrisch Gesunden sieben Subtests des WISC durchgeführt (Mosaiktest, Bilderordnen, Zahlenspanne, Zahlen-Symbol-Test, Wortschatztest, allgemeines Verständnis, allgemeines Wissen). Sowohl die späteren Patienten als auch ihre nicht erkrankten Geschwister wichen in den Subtests Bilderordnen, Wortschatztest und Zahlen-Symbol-Test signifikant von gesunden Kontrollpersonen ab. Lediglich in der Zahlen-Symbol-Verarbeitung ergab sich eine signifikant schlechtere Leistung der späteren Patienten im Vergleich zu ihren Geschwistern, in den anderen Subtests konnten keine bedeutsamen Unterschiede zwischen später Erkrankten und Nichterkrankten gefunden werden (Niendam et al. 2003; . Abb. 7.2). Letzteres spiegelt die ausgeprägten Defizite der visuomotorischen Arbeitsgeschwindigkeit und Verarbeitungsgeschwindigkeit des Arbeitsgedächtnisses insbesondere bei den zukünftigen Schizophreniepatienten wider. Die Schwächen im Subtest Bilderordnen könnten mit Defiziten in der Fähigkeit, mentale Sequenzen herzustellen, in Einklang zu bringen sein, allerdings sind Einflüsse der prämorbid angelegten sozialen Entwicklungsverzögerung mit eingeschränkten sozialen Kompetenzen zu berücksichtigen. Wie die Defizite im Wortschatztest zeigen, muss von Schwierigkeiten im Spracherwerb ausgegangen werden. Die Ähnlichkeiten der Einschränkungen von späteren Patienten und ihren Geschwistern unterstreicht die genetische Komponente der Schizophrenie. In der Edinburgh High Risk Study ergab die Durchführung einer ausführlichen neuropsychologischen Testbatterie bei 104 Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 16 bis 25 Jahren mit mindestens zwei Schizophrenieerkrankten in der nahen Verwandtschaft im Vergleich zu Kontrollpersonen folgende Ergebnisse (Byrne et al. 1999): 1. signifikant schlechtere Ergebnisse in der Leistungsdiagnostik (Wechsler Adult Intelligence Scale, revised, kurz WAIS-R) sowohl hinsichtlich des Gesamt-IQ als auch jeweils im Handlungs- und Verbalteil sowie ein beeinträchtigtes prämorbides intellektuelles Funktionsniveau (National Adult Reading Test);
77 7.3 · Untersuchungen zu Risikoprobanden
7
. Abb. 7.2. Subtestscores der Wechsler Intelligence Scale for Children, revised (WISC-R): Vergleich von 7-Jährigen, die später an Schizophrenie erkrankten, ihren Geschwistern und gesunden Kontrollprobanden (Geburtskohortenstudie). (Nach Niendam et al. 2003)
2. hinsichtlich exekutiver Funktionen – korrelierend mit dem Ausmaß der familiären Belastung mit Schizophrenie – signifikante Verlangsamung und höhere Fehlerquoten in einem Satzergänzungstest (Hayling Sentence Completion Test, HSCT); 3. bezüglich kognitiver Kontrolle und Enkodierung (WAIS-R, Rechenskala) bei männlichen Personen niedrigere Scores; 4. Defizite im Lernen (Rey Auditory Verbal Learning Test, RAVLT) und in der verzögerten Wiedergabe von Gedächtnisinhalten. Eine reduzierte primäre intellektuelle Begabung zeigte sich assoziiert mit vermehrten Schwächen neurokognitiver Funktionen, insbesondere Lernfähigkeiten, weniger jedoch mit genetischer Belastung. Einschränkungen exekutiver Funktionen hingegen korrelierten mit dem genetischen Risiko und mit stärkerer Zerebralatrophie. Exkurs In der Edinburgh High Risk Study (Byrne et al. 1999) ergaben sich keine Einschränkungen der Risikoprobanden bezüglich Stroop Colour Word Test, Verbal Fluency and Semantic Category, Continuous Performance Test Identical Pairs (CPT-IP), Token Test und Annett Handedness Scale. Die Autoren begründeten das Fehlen der eigentlich aus früheren Studien mit Risikokindern zu erwartenden Differenz im CPT-IP mit einem Nachreifen der Daueraufmerksamkeitsfähigkeit im Alter.
Asarnow et al. (2002a) untersuchten im Community-ControlDesign normal begabte Kinder, die selbst weder an einer Erkran-
kung aus dem Formenkreis der Schizophrenien noch an einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom litten. Eine Subgruppe verfügte in der weiteren Aszendenz – jedoch nur in 4,5% der Fälle bei den Eltern – über eine familiäre Belastung mit Schizophrenie, die andere Gruppe nicht. In allen Tests, die durchgeführt wurden, erlangten die Probanden Ergebnisse im Normbereich, jedoch schnitten die Kinder mit familiärer Belastung in einigen Untersuchungen signifikant schlechter ab, so in der Begabungsdiagnostik (WISC-R) bezüglich des Gesamt-IQ, des Weiteren in den Subtests zum neuromotorischen Funktionsniveau (Subskala visuomotorische Koordination der WISC-R) und zu expressivem (Wortschatz Subskala der WISC-R) sowie rezeptivem Sprachvermögen (Peabody Picture Vocabulary Test, revised, PPVT-R; BildWort-Zuordnung). Im Sprachgedächtnis (California Verbal Learning Test for Children, CVLT-C) ergab sich im Gegensatz zu anderen Studien (Seidmann et al. 1998) kein Unterschied zwischen den Gruppen, was durch die entferntere verwandtschaftliche Belastung in der Asarnow-Studie bedingt sein könnte, während in den anderen Studien meist Risikoprobanden mit schizophreniekranken Angehörigen ersten Grades untersucht wurden. Die Eltern der Probanden mit familiärer Belastung erzielten – ohne selbst an Schizophrenie erkrankt zu sein – signifikant niedrigere Scores im Wortschatzsubtest der WAIS-R als die Eltern der Probanden ohne familiäre Belastung, wobei eine Korrelation zu den neurokognitiven Leistungen der kindlichen Probanden bestand (Asarnow et al. 2002b). Es ist zu vermuten, dass die kognitiven Schwächen der Eltern das neurokognitive Funktionsniveau ihrer Kinder zusätzlich bedingen. Eine Weitergabe der Disposition für Schizophrenie ist somit unabhängig von klinischer Manifestation einer schizophrenen Erkrankung über
78
Kapitel 7 · Kognition bei Kindern und Jugendlichen mit Schizophrenie
mehrere Generationen und entferntere Verwandtschaftsgrade möglich. Exkurs
7
Als weitere Indikatoren eines erhöhten Schizophrenierisikos wurden bei 51 Kindern (Alter 6–15 Jahre) mit mindestens einem an Schizophrenie erkrankten Elternteil im Vergleich zu normalen Kontrollpersonen signifikante Defizite im Bereich der Sprache (Wortschatz) und der Handlungsinhibition gefunden (Davalos et al. 2004), des Weiteren deutliche Schwächen im Arbeitsgedächtnis. Einschränkungen in emotionaler Wahrnehmung als Korrelat für die häufig bereits prämorbid zu beobachtenden sozialen Defizite konnten nicht bestätigt werden. Bei 71 gesunden Kindern von Schizophreniekranken wurden im Vergleich zu den Kontrollpersonen ohne genetisches Risiko schlechtere Leistungen im Trail Making Test A und B detektiert, ein Maß für okulomotorisches Scannen, psychomotorische Geschwindigkeit und exekutive Funktionen (Gochmann et al. 2004).
7.3.2 Kinder und Jugendliche mit Belastung
durch schizotype Erkrankungen Schizotypie gilt als Risikofaktor der Schizophrenie mit ähnlichen neuropsychologischen Befunden wie Auffälligkeiten des räumlichen und verbalen Arbeitsgedächtnisses (Larrison et al. 2000), Beeinträchtigungen in der Continuous Performance Task (Lenzenweger et al. 2001) und Reduktion der P300-Amplitude (Kimble et al. 2000). Schizotype Jugendliche um das 13. Lebensjahr zeigten in einer Studie kognitive Einschränkungen (WISC-R), Defizite der Wortflüssigkeit und der exekutiven Funktionen (WCST) sowie vermehrte neurologische »soft signs« (Barrantes-Vidal et al. 2003). Diwadkar et al. (2005) verglichen schizotype und nicht schizotype Jugendliche mit jeweils schizotypen Eltern und neutralen Kontrollen. Hierbei wurden mehrere diagnostische Dimensionen verknüpft: die Oculomotor Delayed Response Task (ODR) als Paradigma des frontalkortexgesteuerten räumlichen Arbeitsgedächtnisses, der Wisconsin Card Sorting Test (WCST) als Maß für exekutive Funktionen und magnetresonanztomographische Bildgebung zur Erhebung zerebralmorphologischer Korrelate. Schizotype Risikopersonen wiesen mehr Perseverationsfehler im WCST auf als nicht schizotype Risiko- und gesunde Kontrollpersonen. In der ODR zeigten alle Risikopersonen in Abweichung von den gesunden Kontrollpersonen keine altersabhängige Leistungsverbesserung, sondern vielmehr eine Verschlechterung, die jedoch bei den schizotypen Risikopersonen stärker ausgeprägt war als bei den nichtschizotypen, was Entwicklungsstörungen des präfrontalen Kortex als wichtigen pathogenetischen Risikofaktor nahe legt. In beiden Risikogruppen, bei der schizotypen jedoch in stärkerem Ausmaß, fanden sich Atrophien der grauen Substanz im inferioren und dorsolateralen Frontalkortex, ante-
rioren Cingulum und Zerebellum. Die Studienergebnisse unterstreichen die hohe Relevanz genetischer Vorbelastungen mit Schizotypie und insbesondere klinisch manifester Schizotypie als potentiell prädiktiven Markern der Schizophrenie. Neumann u. Walker (2003) fanden bei Adoleszenten ebenso wie bei Erwachsenen mit schizotyper Störung in Abgrenzung zu anderen Persönlichkeitsdiagnosegruppen Korrelationen zwischen erhöhter und ungesteuerter motorischer Kraftanwendung und Negativsymptomen sowie Perseverationsfehlern im Wisconsin Card Sorting Test. Die Autoren schlossen hierbei auf eine Verknüpfung von Negativsymptomen und kognitiven Fähigkeiten höherer Ordnung mit gemeinsamem subkortikalen Ursprung. Murray et al. (2006) detektierten im Rahmen einer nordfinnischen Geburtskohorte für Schizophreniepatienten eine Korrelation zwischen motorischer Entwicklungsverzögerung im Kindesalter und neurokognitiven Schwächen (insbesondere Wortlernen, räumlich visuellem Arbeitsgedächtnis und exekutiven Funktionen) im Erwachsenenalter. Auch hier werden beide Phänomene demselben pathogenetischen Prozess zugeordnet unter Annahme eines longitudinalen Kontinuums. 7.3.3 Studien zum Vergleich mit dem Aufmerk-
samkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom Da ADHS-Symptome generell häufiger bei Schizophrenierisikopersonen beobachtet werden und diese besondere komorbide Subgruppe mehr psychosenahe Symptome aufweist als Risikopersonen ohne ADHS (Keshavan et al. 2003), muss eine neurobiologische Verwandtschaft dieser beiden Störungsbilder diskutiert werden (vgl. Mehler-Wex et al. 2006). Öner u. Munir (2005) verglichen 41 Kinder mit ADHS mit 24 genetisch bedingten Hochrisikoprobanden für schizophrene Erkrankungen und gesunden Kontrollpersonen, jeweils im Durchschnittsalter von 11 Jahren, hinsichtlich ihres Handlungs- und Verbal-IQs (WISC-R) und im Speziellen bezüglich der exekutiven Funktionen. Als Instrumente wurden der Stroop Color Word Interference Test herangezogen, der die situativ flexible Adaptation der Aufmerksamkeit und die Inhibition automatischer Verhaltensweisen fordert, und der Wisconsin Card Sorting Test (WCST), der Abstraktionsfähigkeit, Problemlösestrategien, Daueraufmerksamkeit und geistige Flexibilität misst. Im Ergebnis zeigten sich sowohl ADHS-Patienten als auch die Risikoprobanden signifikant schlechter als die gesunden Kontrollpersonen im Hinblick auf die WISC-R-Subskalen Allgemeines Wissen und Verbal-IQ. Im Handlungs-IQ und Bilderergänzen schnitten die Risikoprobanden schlechter als ADHS-Patienten und Kontrollprobanden ab. Als Besonderheit wurden die Risikoprobanden nochmals differenziert in eine Subgruppe mit ADHS, die auch zu über 50% mit Stimulanzien behandelt wurde, und eine Subgruppe ohne ADHS. Die Risikogruppe mit ADHS erzielte zudem schlechtere Ergebnisse als die Kontrollgruppe in den Subtests Allgemeines Verständnis und Bilderordnen als Hinweis auf Einschränkungen im visuellen und verbalen Verständnis
79 7.4 · Zusammenfassung
und wies von allen Gruppen den niedrigsten Handlungs-IQ auf. Auffälligkeiten im räumlichen Vorstellungsvermögen wurden in keiner Gruppe detektiert (Normalscores in Mosaiktest und Figurenlegen). Im WCST erlangten ADHS-Patienten und Risikoprobanden schlechtere Ergebnisse als Gesunde, der Stroop-Test ergab keine signifikanten Unterschiede. Insgesamt kristallisierte sich die Risikosubgruppe mit komorbidem ADHS als schwächste Gruppe heraus. Exkurs Asarnow (1999) und Asarnow et al. (2002b) fanden bei 21% der Eltern von schizophrenen Kindern im Unterschied zu Eltern von Kindern mit ADHS schlechtere Leistungen in visueller Informationsverarbeitung (Partial Report Span of Apprehension Test) und exekutiven Funktionen (CPT, Trail Making Test B).
7.3.4 Studien zum Vergleich mit affektiven
Erkrankungen Erlenmeyer-Kimling et al. (2000) führten innerhalb des New York High Risk Project bei durchschnittlich zunächst 9-jährigen, bei erneuter Verlaufsuntersuchung 30-jährigen Nachkommen schizophrener vs. affektiv erkrankter vs. gesunder Eltern eine Regressionsanalyse zur Überprüfung von Spezifität und Sensitivität potentieller Schizophrenieprädiktoren durch. Hierbei zeigte sich bei den Nachkommen an Schizophrenie Erkrankter die höchste Sensitivität für das Regressionsmodell Wortgedächtnis (diese Variable klärte 83% der Varianz auf, Grobmotorik 75% und die unabhängige Prädiktorvariable Ablenkbarkeit 58%; ein aus den Variablen abgeleitetes Modell zur Vorhersage des Auftretens einer Schizophrenie ergab eine Sensitivität von 50% bei einer Spezifität von 90%), bei den Probanden mit affektiv erkrankten Eltern für das Regressionsmodell Grobmotorik (50%, vs. 25% bei Gedächtnis). Alle Defizite wurden bereits im prämorbiden Zustand und somit unabhängig vom Krankheitsstatus festgestellt; die Ausprägung zeigte sich besonders gravierend und in Abgrenzung zu der Gruppe mit affektiv erkrankten Eltern offensichtlich spezifisch bei Probanden mit an Schizophrenie erkrankten Eltern. Dem Regressionsmodell der Ablenkbarkeit wird durch die Autoren aufgrund der geringsten Rate an falschpositiven Diagnosestellungen (18%) eine große Bedeutung als spezifischer Indikator späterer Schizophrenie zugemessen. In gleichem Sinne bestätigten Schubert u. McNeil (2005) signifikante Defizite in der selektiven Aufmerksamkeit und darüber hinaus in Wortgedächtnis und Grammatik bei Kindern von Müttern mit Schizophrenie versus Kindern von Müttern mit schizoaffektiven Erkrankungen, d. h., hier erfolgte eine zusätzliche Spezifizierung bestimmter – v. a. durch Aufmerksamkeitsdefizite und sprachlich geprägter – neurokognitiver Muster als Marker der Schizophrenie.
7.4
7
Zusammenfassung
Schizophrene Störungen treten im Kindes- und Jugendalter deutlich seltener als im Erwachsenenalter auf und sind durch ein differierendes Symptombild, eine ungünstigere Prognose sowie deutlichere hirnstrukturelle Veränderungen gekennzeichnet. Um die Erkrankung frühzeitig diagnostizieren und behandeln und dadurch den Verlauf positiv beeinflussen zu können, hat sich die Forschung der letzten Jahre verstärkt um die Identifikation spezifischer kognitiver Auffälligkeiten bemüht. Bei Weitem können die Ergebnisse in diesem Feld nicht als erschöpfend bezeichnet werden, es zeichnen sich jedoch in mehreren Bereichen richtungsweisende Erkenntnisse ab. Ein wichtiger kognitiver Parameter, in dem sich an Schizophrenie erkrankte Kinder und Jugendliche von gesunden Vergleichsgruppen unterscheiden, ist die Aufmerksamkeitsleistung. Hier zeigen die erkrankten Probanden sowohl schlechtere Vigilanzleistungen in der Überprüfung der Daueraufmerksamkeit als auch eine verlangsamte Reaktionsgeschwindigkeit. Eine beeinträchtigte Gedächtnisleistung konnte im Kindes- und Jugendalter v. a. für das verbale Gedächtnis nachgewiesen werden, das auch unter Berücksichtigung der allgemeinen intellektuellen Fertigkeiten im Vergleich zu gesunden Probanden schlechter ausgeprägt ist. Darüber hinaus wurden in verschiedenen Untersuchungen Auffälligkeiten schizophrener Patienten im Kindes- und Jugendalter in den Bereichen der exekutiven Funktionen sowie der rezeptiven und expressiven sprachlichen Fertigkeiten festgestellt. Das für das Erwachsenenalter bereits gut erforschte Paradigma der glatten und sakkadischen Augenfolgebewegungen weist im Kindes- und Jugendalter erste interessante Ergebnisse auf; in diesem Bereich sind jedoch weitere Untersuchungen notwendig, um Aussagen über die Spezifität und Eignung als endophänotypischen Nachweis treffen zu können. Dagegen decken sich die Auffälligkeiten im Bereich ereigniskorrelierter Potentiale bei Kindern und Jugendlichen mit einer Schizophrenie weitgehend mit denjenigen, die im Erwachsenenalter nachzuweisen sind. Die Erfassung der aufgeführten Parameter ist aus zwei Gründen von Bedeutung: 4 Einerseits können sie im Rahmen der Diagnostik neben neurokognitiven Untersuchungen eine wichtige Rolle spielen, um eine schizophrene Erkrankung zu identifizieren. 4 Andererseits geben sie auch in Bezug auf therapeutische Schwerpunkte wichtige Hinweise, denn Defizite in den genannten Bereichen erschweren die Reintegration. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt beschäftigt sich mit Auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen, die zwar noch nicht an Schizophrenie erkrankt sind, jedoch ein erhöhtes genetisches Risiko für diese Erkrankung aufweisen. Diese Probanden zeigen gegenüber Vergleichsgruppen ohne genetisches Risiko schon früh beeinträchtigte kognitive Leistungen – etwa in den Bereichen des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit und der sprachlichen Fertigkeiten. Allerdings treten viele dieser Beeinträch-
80
7
Kapitel 7 · Kognition bei Kindern und Jugendlichen mit Schizophrenie
tigungen unabhängig davon auf, ob im späteren Alter eine schizophrene Erkrankung tatsächlich ausbricht oder nicht. Die Auffälligkeiten sind somit im Sinne einer erhöhten und sich neurokognitiv manifestierenden genetischen Vorbelastung und weniger als spezifische Prädiktoren für die Erkrankung zu interpretieren. Diejenigen Parameter, in denen sich später erkrankte von gesund bleibenden Kindern und Jugendlichen unterscheiden, sind die visuomotorische Geschwindigkeit und die Verarbeitungsgeschwindigkeit des Arbeitsgedächtnisses. Da eine schizotype Persönlichkeitsakzentuierung als ein Risikofaktor für die Entwicklung einer schizophrenen Erkrankung gilt, ist die Untersuchung von Kindern und Jugendlichen mit diesem Störungsbild hinsichtlich kognitiver Parameter ein weiterer Forschungsbereich, der in diesem Kapitel besprochen wurde. Fazit: Bei Kindern und Jugendlichen mit einer schizotypen Persönlichkeitsakzentuierung zeigen sich – im Vergleich mit nicht betroffenen Kontrollgruppen – Defizite in Funktionsbereichen, die sich mit denjenigen schizophrener Kinder und Jugendlicher decken. In mehreren Studien konnten verminderte Leistungen in den Bereichen Arbeitsgedächtnis, Vigilanz, sprachliche und exekutive Funktionen nachgewiesen werden. Schließlich lässt sich auch eine Deckungsgleichheit in der kognitiven Symptomatik zwischen Kindern und Jugendlichen mit einer Schizophrenie und Kindern und Jugendlichen mit ADHS oder affektiven Erkrankungen feststellen. Dabei zeigten die Schizophreniepatienten allerdings eine noch schlechtere Leistung bei handlungsbezogenen, technisch-konstruktiven Aufgabenstellungen als die ADHS-Patienten und bei Aufgaben zu Wortgedächtnis und Aufmerksamkeitsleistung als die Patienten mit affektiven Erkrankungen. Zum Forschungsstand der neuropsychologischen Veränderungen bei Schizophrenien des Kindes- und Jugendalters sind folgende Aspekte kritisch anzumerken: Die Stichprobengrößen der Studien sind zumeist sehr klein, eine Replikation der Befunde wäre oft wünschenswert. Die Datenbewertung wird oft erschwert, da häufig keine Differenzierung nach Altersstufen, Geschlecht, Krankheitsphase (akut versus remittiert versus rezidiviert) oder Schizophreniesubtypen erfolgt. Des Weiteren werden nicht immer Medikationseffekte berücksichtigt. Hier ergibt sich weiterer Forschungsbedarf nach differenzierterer Erfassung verschiedener psychopathologisch, pathogenetisch und prognostisch relevanter Einflussfaktoren.
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8 Kognition bei Modellpsychosen E. Gouzoulis-Mayfrank
8.1
Rationale für die Forschung mit Psychosemodellen
8.2
Humane pharmakologische Psychosemodelle – 85
8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4
Das PCP-/Ketamin-Modell – 86 Das LSD-Modell – 86 Das Amphetaminmodell – 87 Das Cannabinoidmodell – 87
8.3
Kognition in humanen pharmakologischen Psychosemodellen – 88
8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4
Kognition im NMDA-Antagonistenmodell Kognition im LSD-Modell – 91 Kognition im Amphetaminmodell – 92 Kognition im Cannabinoidmodell – 92
8.4
Zusammenfassung Literatur
– 94
– 93
– 89
– 83
83 8.1 · Rationale für die Forschung mit Psychosemodellen
8.1
Rationale für die Forschung mit Psychosemodellen
Unter der Diagnose Schizophrenie werden Störungen mit unterschiedlichen Symptomen, stark variierendem Verlauf und funktionellem Outcome subsumiert. Vermutlich handelt es sich bei der Schizophrenie um eine Gruppe neurobiologisch heterogener Störungen mit lediglich überlappender Symptomatik und starken Fluktuationen in Abhängigkeit von Krankheitsstadium und Medikationsstatus. Als Ergebnis sind neurobiologische Befunde bei Patienten mit Schizophrenie – u. a. auch die hier interessierenden Befunde zu Kognition und Hirnaktivität – häufig inkonsistent und mit hohen Varianzen behaftet. Aufgrund dieser Heterogenität des schizophrenen Syndroms und der damit verbundenen methodischen Probleme in der Forschung stellt das Einbeziehen von Psychosemodellen eine sinnvolle Ergänzung des Methodenarsenals der biologischen Psychoseforschung dar. Hier erscheint wichtig, dass sich humane und tierexperimentelle Modelle im Sinne der translationalen Forschung ergänzen können. Psychosemodelle werden grundsätzlich als syndromale – und nicht nosologische – Modelle verstanden, und es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sie immer nur Teilaspekte der Störung bzw. des Schizophreniespektrums abdecken. Sie können von ätiopathogenetischen Vorstellungen zur Schizophrenie, von psychopathologischen Symptomen oder von kognitiven Leistungsstörungen und/oder Konzepten ausgehen, die wiederum als mit der Schizophrenie assoziiert angesehen werden. Im tierexperimentellen Bereich existieren nebeneinander vielfältige Psychosemodelle: Ausgehend von ätiopathogenetischen Vorstellungen der Schizophrenie wurde bisher am intensivsten das entwicklungsneurobiologische Modell der neonatalen ventral-hippocampalen Läsion (NVHL) bei Nagern beforscht (Castner et al. 2004). Bei diesen kurz nach der Geburt läsionierten Tieren zeigen sich im Erwachsenenalter behaviorale Auffälligkeiten wie abnorme soziale Interaktionen und Defizite im Arbeitsgedächtnis, »sensorimotor gating« (Präpulsinhibition des StartleReflexes: PPI, 7 Abschn. 8.2) und latente Inhibition sowie lokomotorische Überreaktion auf Stress, Umgebungswechsel und pharmakologische dopaminerge Stimulation, die wiederum durch Gabe von Antipsychotika teilreversibel sind. So wird das von ätiopathogenetischen Hypothesen ausgehende NVHL-Modell durch die kognitiven bzw. Verhaltensauffälligkeiten der Versuchstiere validiert, die wiederum ihr Pendant in den Befunden bei Patienten mit Schizophrenie haben. Weitere tierexperimentelle Modelle umfassen das postnatale Hypoxiemodell (Modell der geburtshilflichen Komplikationen) und pharmakologische Modelle (Amphetamin-, Halluzinogen- und Cannabinoidmodelle mit akuter oder subchronischer Substanzgabe), die mit z. T. ähnlichen behavioralen Auffälligkeiten einhergehen wie das NVHL-Modell. Die relevanten humanexperimentellen Modelle sind wiederum allesamt pharmakologische Modelle; sie gehen von den psy-
8
choseähnlichen bzw. psychotomimetischen Akuteffekten verschiedener Substanzen aus. Zu diesen Substanzen zählen die sog. klassischen Halluzinogene wie Meskalin, Lysergsäurediethylamid (LSD) und Psilocybin, die dissoziativen Anästhetika Phencyclidin (PCP) und Ketamin (KET) sowie eingeschränkt auch die Amphetaminstimulanzien und Cannabinoide. Die psychoseähnlichen Akutwirkungen dieser Substanzen (7 Abschnitt 8.2) tragen zusammen mit der Kenntnis über ihre pharmakologischen Mechanismen zur Formulierung biochemisch-/ pharmakologischer Hypothesen der Schizophrenie bei. In der humanen Modellpsychoseforschung werden Aspekte der Hirnfunktion in pharmakologisch induzierten psychoseähnlichen Syndromen untersucht, und es werden Assoziationen zwischen der Psychopathologie und der Hirnfunktion, in diesem Fall den kognitiven Funktionen, gesucht. Dabei ist es durchaus von Vorteil, dass verschiedene pharmakologische Modelle existieren, die sich untereinander im psychopathologischen Prägnanztyp unterscheiden. Welche grundsätzlichen Vorteile bieten aber Modellpsychosestudien hinsichtlich der Erfassung kognitiver Parameter im Vergleich zu klinischen Untersuchungen mit Patienten? In der Modellpsychose erleben Gesunde unter Pharmaka psychische Zustände, die den floriden produktiv-psychotischen Entgleisungen endogen psychotischer Patienten ähneln. Die Gesunden behalten aber zumindest unter mittleren Substanzdosen in der Regel die Einsicht in die experimentelle Natur der Situation und die Kontrolle über ihr Verhalten.Sie können auch bei relativ komplexen Aufgaben kooperieren und mit modernen technischen Methoden untersucht werden und sind in der Lage, ihr Erleben gut zu schildern. Die Möglichkeit, Zielparameter vor und während der Drogenwirkung zu untersuchen – d. h. die Möglichkeit der intraindividuellen Kontrolle – verringert die Varianz der Daten. Diese methodischen Vorteile können potentiell zu wichtigen Einsichten in die biologische Natur psychotischer Prozesse führen. Somit kann die Modellpsychose als eine einzigartige Möglichkeit erachtet werden, intraindividuell den Übergang vom normalen Wachbewusstsein zum psychotischen Zustand auf psychopathologischer und gleichzeitig auf neurobiologischer Ebene zu erfassen. Nach einem kurzen historischen Abriss werden in den nachfolgenden Kapiteln die wichtigsten humanexperimentellen Psychosemodelle und insbesondere die Befunde zur Kognition beschrieben. Auf eine eingehende Darstellung der tierexperimentellen Modelle muss hier verzichtet werden.
84
Kapitel 8 · Kognition bei Modellpsychosen
Exkurs Halluzinogene in der Psychiatrie: Eine historische Perspektive
8
Halluzinogene Substanzen haben bereits sehr früh eine wichtige Rolle in der Kulturgeschichte der Menschheit gespielt. Verschiedene Stoffe – wie Meskalin, Psilocybin, Dimethyltryptamin und Skopolamin – kommen weltweit in mehreren Pflanzenarten vor. Sie rufen beim Menschen intensive und komplexe qualitative Veränderungen des Bewusstseins hervor, die affektive, kognitive und Wahrnehmungsvorgänge erfassen und häufig transzendentale sowie kosmisch-mystische Erfahrungen beinhalten. Aus diesem Grund hat der Gebrauch halluzinogener Pflanzen im Rahmen von religiösen Zeremonien wie für medizinische Heilungszwecke weltweit eine lange Tradition. Der aktuell bekannteste Halluzinogenkult ist der Peyotismus mexikanischer Indianerstämme, der wahrscheinlich um 300 v. Chr. begann und heute noch von einzelnen Stämmen in Mexiko, im Westen der USA und in Canada ausgeübt wird. Der durch Meskalin, den aktiven Bestandteil des Peyote-Kaktus, veränderte Bewusstseinszustand stellt im Rahmen der kultischen Zeremonien den Höhepunkt der mystisch-göttlichen Erfahrung derRitualteilnehmerdar.Die traditionellen PeyoteZeremonien mischten sich Ende des 19. Jahrhunderts mit christlichen Elementen und werden gegenwärtig innerhalb der Native American Church of the United States ausgeführt. Im Gegensatz zum kultischen ist das wissenschaftliche Interesse an den Wirkungen halluzinogener Stoffe beim Menschen relativ jung. Es begann Ende des 19. Jahrhunderts, als der Berliner Botaniker und Toxikologe Louis Lewin während einer Forschungsreise durch Mittelamerika Kenntnis vom den Peyote-Ritualen indianischer Stämme in Mexiko erhielt. Lewin und sein Kollege Heffter führten die ersten chemischen Analysen des Peyote-Kaktus durch und isolierten vier Alkaloide einschließlich Meskalin. Noch im ausgehenden 19. Jahrhundert nahmen einzelne Wissenschaftler die ersten unsystematischen Experimente mit getrockneten Teilen des Kaktus vor. Der erste Meilenstein der systematischen Forschung war die synthetische Herstellung von Meskalin um 1915, da nunmehr die Substanz konstant verfügbar war und die Dosierung standardisiert werden konnte. Die frühe Phase der systematischen humanexperimentellen Forschung mit Halluzinogenen begann an der Psychiatrischen Klinik der Universität München unter der Leitung von Emil Kraepelin. Als Verfechter humanexperimenteller Forschungsstrategien sah er im Einsatz psychoaktiver Substanzen eine einzigartige Möglichkeit, »künstliche Geistesstörungen« zu induzieren und sie unter standardisierten Bedingungen zu untersuchen. In den 20er und 30er Jahren folgten wichtige psychopathologische und wahrnehmungspsychologische Untersuchungen an mehreren Universitäten in Deutschland, den Niederlanden und England (Übersicht in: Gouzoulis-Mayfrank et al. 1998b). Besonders eindrucksvoll und phänomenologisch differenziert sind die Arbeiten von Kurt Beringer an der Heidelberger Psychiatrischen Universitätsklinik. In der Zusammenschau sah Beringer derart weit 6
reichende Ähnlichkeiten zwischen dem Meskalinrausch und den Erlebnissen schizophrener Patienten zu Beginn und während der akuten Episoden, dass er den Meskalinrausch als ein »künstliches Psychosemodell« beschrieb. Aus diesem Begriff wurde in den 50er Jahren der Terminus »Modellpsychose« abgeleitet. Der zweite Meilenstein der Halluzinogenforschung war die Entdeckung der psychotropen Wikungen von Lysergsäurediäthylamid (LSD) durch den Schweizer Chemiker Albert Hoffmann im Jahr 1943. In deren Folge setzte eine Periode intensiver Forschung ein; in zahlreichen, renommierten Forschungsabteilungen in Europa und den USA wurde mit LSD und zusätzlich auch mit weiteren sukzessive neu entdeckten oder synthetisierten Stoffen wie Psilocybin, Dimethyltryptamin (DMT) und Phencyclidin experimentiert. Die Wirkungen von LSD und Psilocybin wurden als im Wesentlichen meskalinähnlich beschrieben, und die meisten – wenn auch nicht alle – Wissenschaftler aus jener Zeit betonten die Ähnlichkeiten des LSD- und des Psilocybinrausches mit floriden endogenen Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis. Dabei stützten sie sich auf Untersuchungen an gesunden Probanden und an Patienten mit Schizophrenie. Hervorzuheben sind die umfangreichen Untersuchungen von Paul Hoch an der Columbia Universität in New York in den 50er Jahren, wonach chronisch erkrankte Patienten mit Defizitsymptomen relativ bland auf LSD reagierten, wohingegen Patienten mit floriden oder uncharakteristischen »pseudo-neurotischen« Symptomen überwiegend eine deutlich verschärfte Symptomatik bzw. eindeutige psychotische Manifestationen unter LSD zeigten. Auf der Basis solcher Ergebnisse wurden Halluzinogene in den 50er und 60er Jahren vereinzelt als Hilfsmittel in der Differentialdiagnose von Fällen mit sog. »latenter Schizophrenie« eingesetzt. Als Erklärung für die Attraktivität und den großen Einfluss der Modellpsychoseforschung in den 50er und 60er Jahren kann man drei Gründe anführen: Es waren die chemische Ähnlichkeit zwischen halluzinogenen Substanzen und den Neurotransmittern Adrenalin und Serotonin (. Abb. 8.1), die Entdeckung serotoninantagonistischer Effekte von LSD an peripherem Gewebe und im Zentralnervensystem (ZNS) und schließlich die Tatsache, dass LSD schon in den extrem niedrigen Dosen des μg-Bereichs wirksam ist. Diese drei Punkte stellten wichtige Argumente für metabolisch-toxische Hypothesen der Schizophrenie dar, wonach aufgrund metabolischer Defekte entstehende, halluzinogenähnliche endogene Substanzen (»Schizotoxine«) autotoxisch für die Entstehung endogener Psychosen verantwortlich sein könnten. Somit entwickelten sich aus der Modellpsychosestrategie heraus Hypothesen zur Ätiologie der Schizophrenie, wie z. B. die Transmethylierungs-, Adrenochrom- und Indol- bzw. Serotoninhypothese, die wiederum den Hintergrund für umfangreiche Forschungsaktivitäten bildeten. Als dritter Meilenstein der Halluzinogenforschung muss die Entwicklung von Phencyclidin (PCP; Sernyl£) als neues Narkose-
85 8.2 · Humane pharmakologische Psychosemodelle
. Abb. 8.1. Strukturformeln klassischer Halluzinogene und verwandter Neurotransmitter
mittel Ende der 50er Jahre angesehen werden. PCP wurde seit 1957 in klinischen Studien eingesetzt. Charakteristisch für seine Wirkung waren eine relativ geringe narkotische und atemdepressive, aber ausgezeichnete analgetische Potenz, womit der Begriff »dissoziatives Anästhetikum« verständlich wird. Nach dem Beginn der klinischen Studien fielen jedoch schwer wiegende psychiatrische Komplikationen in der Aufwachphase auf, wie z. B. Verwirrtheitszustände, Halluzinationen, Erregung und bizarres oder aggressives Verhalten. Aufgrund dieser Beobachtungen wurde PCP für den Humanbereich nie vermarktet. NachVersuchen mit subanästhetischen Dosen von PCP an gesunden Probanden und schizophrenen Patienten kam die Gruppe um Gerald Rosenbaum und Elliot Luby in Detroit zu dem Schluss, dass PCP zur Erzeugung von Modellpsychosen besser geeignet sei als die anderen Halluzinogene, da es typische Symptome schizophrener Psychosen – wie formale Denkstörungen, Negativismus, Feindseligkeit, Apathie und Aufmerksamkeitsstörungen – imitiere, aber weniger optische Halluzinationen hervorrufe, die typisch für die
8.2
Humane pharmakologische Psychosemodelle
Das neu erwachte Interesse an der Modellpsychoseforschung ab etwa Anfang der 90er Jahre lässt sich durch das bessere Verständnis der Halluzinogenwirkungen erklären. Entscheidende Impulse für diese Entwicklung kamen 4 aus der pharmakologischen Differenzierung der Serotonin (5-HT)-Rezeptorsubtypen und der Erkenntnis, dass klassische Halluzinogene des LSD-Typs Agonisten an 5-HT2A- und 5-HT2C-Rezeptoren sind, 4 ferner aus den Erkenntnissen über die antagonistischen Eigenschaften atypischer Neuroleptika vom Clozapin-Typ an 5-HT-Rezeptoren
8
anderen Halluzinogene, aber untypisch für die Schizophrenie seien. Die wissenschaftliche Diskussion um die Eignung von halluzinogeninduzierten Rauschzuständen als Modellen für schizophrene Psychosen war in den 60er Jahren noch nicht entschieden, als sich das Forschungsklima durch die Popularisierung der Halluzinogene und die Drogenwelle allmählich, aber entschieden wandelte. Bis dahin waren die Substanzen in den Händen der Wissenschaftler, aber den breiten Bevölkerungsschichten weitgehend unbekannt. Parallel zur Ausbreitung der Hippiekultur und der Drogenwelle häuften sich die Berichte über Komplikationen – wie psychotische Rauschverläufe, länger dauernde induzierte Psychosen, tödliche Unfälle und Suizide – in Zusammenhang mit dem unkontrollierten Konsum von Halluzinogenen. Dadurch und durch die umfangreichen kulturellen Auswirkungen der Drogenwelle wurde der Umgang mit halluzinogenen Substanzen in den meisten Ländern strengen Kontrollen unterworfen. Letztlich kam es auch innerhalb der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zu einer Diskreditierung der humanexperimentellen Forschung mit Halluzinogenen. Mitentscheidend für diese Wende war die zuvor teilweise unkritisch-euphorische Darstellung des allgemeinen Nutzens von Halluzinogenerfahrungen für jeden Menschen zur Bewusstseinserweiterung und spirituellem Wachstum. Diese Erfahrungen führten angesichts der alarmierenden Berichte über die Gefahren des Halluzinogenkonsums zu einer Gegenbewegung mit allgemeinem Misstrauen gegenüber dieser Forschung. Abgesehen von diesen politischen Gesichtspunkten spielten aber auch das damalige mangelnde Verständnis der pharmakologischen Wirkungen der Halluzinogene und die Misserfolge der Forschungsaktivitäten eine Rolle, die etwa zur gleichen Zeit dieTransmethylierungs- und Adrenochrom-Hypothesen der Schizophrenie nicht hinreichend stützen konnten. So schwand Mitte der 60er Jahre das Interesse an an der Modellpsychoseforschung. Bis etwa Anfang der 90er Jahre können wir eine weitgehende Karenz in der Humanforschung mit Halluzinogenen verzeichnen.
4 und aus Befunden, die strukturelle Veränderungen serotonerger Neurone oder Rezeptoren im Gehirn schizophrener Patienten nachwiesen. Diese Forschungsergebnisse trugen zu einer Wiederbelebung der Serotonin-Hypothese der Schizophrenie bei und machten die klassischen Halluzinogene des LSD-Typs wieder attraktiv für die Forschung (Pechnick u. Ungerleider 1997). Ein weiterer Motor für die Wiederbelebung der Modellpsychosestrategie war die Entdeckung der Glutamat-NMDA(N-Methyl-D-Aspartat)-Rezeptor-antagonistischen Eigenschaften der dissoziativen Anästhetika des PCP-Typs. In neuerer Zeit wurden die alten experimentellen Arbeiten mit PCP sowie die Erfahrungen aus der Drogenszene aufgegriffen; erneut kam die Mei-
86
Kapitel 8 · Kognition bei Modellpsychosen
nung auf, dass der PCP-Rausch das beste Schizophreniemodell darstelle, da er Merkmale aufweise, die sowohl Positiv- als auch Negativ-Symptomen der Schizophrenie entsprechen (Javitt u. Zukin 1991). Diese Auffassung – obwohl auch nicht einstimmig geteilt – stellt ein zentrales Argument für die aktuelle Glutamathypothese der Schizophrenie dar. Bei der Frage nach dem »besten« Psychosemodell sollten wir nicht unbeachtet lassen, dass Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis ätiopathogenetisch komplexe Störungen mit Beteiligung mehrerer Hirnregionen und Transmittersysteme und unterschiedlichen psychopathologischen Prägnanztypen sind. Angesichts dieser Komplexität ist es grundsätzlich denkbar, aber auch vorteilhaft, nicht ein einziges, sondern verschiedene pharmakologische Psychosemodelle und ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu betrachten. Nachfolgend werden die vier wichtigsten zur Verfügung stehenden Humanmodelle näher beschrieben.
8
8.2.1 Das PCP-/Ketamin-Modell Am umfangreichsten ist die Datenlage zu Ketamin (KET), einer Phencyclidin-(PCP-)ähnlichen Substanz. Sowohl KET als auch PCP sind Narkosemittel und haben komplexe pharmakologische Wirkungen. Allerdings wirken die Substanzen bei den subanästhetischen Dosen, die in der Modellpsychoseforschung zur Anwendung kommen, relativ spezifisch als kompetitive Antagonisten an Glutamat-NMDA-Rezeptoren. Somit steht das KET-Modell als das Glutamat-NMDA-Antagonisten-Modell der Psychose fest. Präklinische Daten legen nahe, dass die Blockade der NMDARezeptoren durch KET zu einer vermehrten Glutamatfreisetzung und damit zu einer Stimulierung postsynaptischer metabotroper Glutamatrezeptoren, z. B. im präfrontalen Kortex, führt. Diese Stimulierung kann wiederum eine Zunahme der Dopaminfreisetzung mit unphysiologisch starker Stimulierung postsynaptischer Rezeptoren zur Folge haben. In den historischen Arbeiten aus den 50er Jahren wurden unter PCP Verwirrtheitszustände, Halluzinationen, Erregung oder Apathie, bizarres oder aggressives Verhalten, Negativismus und Feindseligkeit beschrieben. In einer Reihe von methodisch anspruchsvollen, placebo-kontrollierten, experimentellen Studien aus den 90er Jahren wurden bei gesunden Probanden unter subanästhetischen Dosen von KET mittels freier Interviews und standardisierter Fragebögen und Instrumente eine Fülle von Phänomenen beschrieben, die einerseits dissoziativen, andererseits aber auch Positiv-, Negativ-, und kognitiven Symptomen der Schizophrenie ähneln. Eindrucksvoll, allerdings auch unspezifisch, sind ausgeprägte Depersonalisations- und Derealisationsphänomene sowie Veränderungen des Zeit- und Raumerlebens, die sich unter KET – aber auch unter LSD-ähnlichen Halluzinogenen – zeigen. Charakteristisch für KET sind Veränderungen des Körpererlebens mit z. T. bizarren Körperschemastörungen, subjektive Konzentrations- und Aufmerksamkeitsdefizite sowie eine psychomotorische Verlangsamung, mimische Starre, z. T. kataton anmutende Ele-
mente in Körperhaltung und -bewegung, emotionale Indifferenz, Desinteresse an sozialem Austausch und ausgesprochene Wortkargheit. Grundsätzlich können bei der psychomotorischen Verlangsamung und dem sozialen Rückzugsverhalten auch bei subanästhetischen Dosen von Ketamin Sedierungsaspekte eine Rolle spielen, allerdings erscheinen und fühlen sich die Probanden unter den subanästhetischen Dosen von KET typischerweise nicht müde, sondern »distant« bzw. von der Umwelt auf seltsame Weise »entkoppelt« oder »isoliert« (Krystal et al. 1994). Im direkten Vergleich mit einem LSD-artigen, serotonerg wirksamen Halluzinogen ließen sich diese Besonderheiten von KET auch experimentell im kontrollierten Doppelblind-Desgin belegen (Gouzoulis-Mayfrank et al. 2005). In der Zusammenschau dieser Daten erscheint KET bzw. das NMDA-Antagonistenmodell als geeignetes Modell für undifferenzierte, produktive Psychosen mit Positiv-, Negativ-, kognitiven und katatonen Symptomen. Heuristisch sehr wertvoll, wenngleich aus ethischen Gründen stark unter Kritik geraten, sind experimentelle Untersuchungen mit KET, die in den 90er Jahren in den USA bei Patienten mit Schizophrenie durchgeführt wurden. Bei Patienten unter stabiler antipsychotischer Medikation zeigten sich unter KET sehr kurzdauernde Zunahmen der psychotischen Symptome für die Dauer der pharmakologischen Wirkung der Substanz (<30 Min.). Bei Patienten, die keine antipsychotische Medikation erhielten, konnte eine Zunahme der psychotischen Symptome verzeichnet werden, die zumindest bei einer Studie über die rein pharmakologische Wirkdauer der Substanz hinausging, bis zu 24 Stunden andauerte und eine antipsychotische Medikation notwendig machte (Lahti et al. 1995). Dabei wurden die KET-induzierten Phänomene durch die »eigenen« Krankheitssymptome der Patienten geprägt und sie konnten von diesen z. T. nicht unterschieden werden. So hatten Patienten mit einer Vorgeschichte von typischen Halluzinationen (kommentierende Stimmen) die gleichen Stimmen unter KET; Patienten mit einer Vorgeschichte von Wahnsymptomen waren unter KET deutlich misstrauischer als andere Patienten; und schließlich wurden Patienten mit deutlichem sozialen Rückzug und psychomotorischer Verlangsamung unter KET mutistisch (Malhotra et al. 1997). Gerade diese Beobachtungen unterstützten die Vorstellung, dass eine NMDA-Rezeptordysfunktion in einigen Aspekten der Pathophysiologie von Psychosen involviert sein könnte und dass KET als valides Psychosemodell betrachtet werden kann. 8.2.2 Das LSD-Modell Relativ umfangreich ist die Datenlage auch zum serotonergen Psychosemodell bzw. zu Halluzinogenen des LSD-Typs, die als Agonisten oder partielle Agonisten an Serotonin-5HT2A- und z. T. auch an 5HT2C- und 5HT1A-Rezeptoren wirken. Unter den aktuellen Studien seit Beginn der 90er Jahre liegt eine Untersuchung mit Meskalin vor, ansonsten aber nur Untersuchungen mit den kürzer wirksamen und damit für experimentelle Zwecke besser geeigne-
87 8.2 · Humane pharmakologische Psychosemodelle
ten Substanzen Psilocybin und Dimethyltryptamin (DMT). Unter diesen Studien finden sich nicht nur placebokontrollierte, sondern auch anspruchsvollere Doppelblind- und randomisierte Designs mit Kontrollen durch Placebo und weitere psychotrope Substanzen wie Amphetamin, Ecstasy und Ketamin (GouzoulisMayfrank et al. 1999, Gouzoulis-Mayfrank et al. 2005). Bei diesen Studien wurden mittels freier Interviews und standardisierter Fragebögen und Instrumente in erster Linie Phänomene beschrieben, die Positivsymptomen der Schizophrenie ähneln. Wie unter Ketamin treten auch hier starke Depersonalisations- und Derealisationsphänomene sowie Veränderungen des Zeit- und Raumerlebens bis hin zum subjektiv empfundenen völligen Stillstehen der Zeit bzw. Erleben einer Weltraumdimension, auf. Besonders charakteristisch für die serotonergen Halluzinogene sind ferner lebhafte, farbenfrohe optische Phänomene und Synästhesien. Allerdings treten in der Regel zusätzlich akustische Wahrnehmungsveränderungen, Akoasmen und z. T. auch Halluzinationen sowie abnorme leibliche Sensationen auf. Die Veränderungen im Bereich des formalen Gedankenganges und des Kontaktverhaltens sind äußerst variabel und so können Probanden unter Psilocybin oder DMT bisweilen denk-, und affektarm sowie willenlos passiv wirken. Überwiegend finden sich jedoch eher eine assoziative Lockerung bei normalem oder sogar vermehrtem Mitteilungsdrang und starke affektive Beteiligung mit z. T. eindruckvollen, abrupten Wechseln zwischen euphorisch verklärten und ängstlich gequälten Erlebnispassagen. In der Zusammenschau erscheint das serotonerge LSD-Modell als ein geeignetes Modell für paranoid-halluzinatorische oder schizoaffektive produktive Psychosen. 8.2.3 Das Amphetaminmodell Amphetaminstimulanzien (AMPH) wirken als indirekte Dopaminagonisten und lösen in üblichen Einmaldosen in der Regel ein (hypo)manisches Syndrom mit allgemeiner Aktivierung, Hypervigilanz und Euphorisierung, ggf. auch mit Logorrhoe und motorischer Unruhe aus. Bei sehr hohen Dosen und/oder nach wiederholten, kurz aufeinander folgenden Gaben können AMPH jedoch auch psychotische Phänomene im Sinne von Wahrnehmungsveränderungen, Misstrauen, Hostilität und wahnhaften Situationsumdeutungen hervorrufen. Diese fakultativ psychotomimetischen Eigenschaften hoher Amphetamindosen und die Auslösung schizophrenieähnlicher paranoid-halluzinatorischer Psychosen durch den regelmäßigen Konsum (»Speed-Paranoia«) wurden bereits in den 50er Jahren erkannt und bildeten in den 70er Jahren ein zentrales Argument für die Dopaminhypothese der Schizophrenie. Seitdem hat das AMPH-Modell der Schizophrenie im Zusammenhang mit dem Phänomen der Sensitivierung (zunehmend stärkere behaviorale Effekte bei wiederholter Exposition mit niedrigen Dosen) vor allem in der tierexperimentellen Psychoseforschung eine große Rolle gespielt (Castner et al. 2004). Auch im humanexperimentellen Bereich konnte das Prinzip der Sensitivierung zumindest für einen Teil der Akuteffekte
8
von AMPH (Antriebsteigerung) nachgewiesen werden (Strakowski et al. 2001). In der Zusammenschau der älteren und neueren Befunde gilt das AMPH-Modell als ein geeignetes Modell für paranoide oder paranoid-halluzinatorische Psychosen. Dennoch sind AMPH als »challenges« in der humanexperimentellen (Modell)Psychosefor schung nur bedingt geeignet, da die psychoseähnlichen Veränderungen erst unter hohen, nebenwirkungsreichen Dosen (und selbst dann nicht zuverlässig) auftreten. Exemplarisch sei eine neuere, methodisch besonders anspruchsvolle Studie mit gesunden Probanden genannt, bei der die Effekte von AMPH und Ketamin in relativ hohen i. v.-Dosen untersucht wurden. Dabei zeigten sich unter AMPH Größenideen, euphorische Stimmung und Unruhe/Antriebsteigerung, aber keine wahnhaften Ideationen und auch kaum Wahrnehmungsveränderungen sowie eine bereits deutliche Blutdrucksteigerung. Diese Befunde zeigen, dass dem Experimentieren mit AMPH im Humanbereich enge Grenzen gesetzt sind (Krystal et al. 2005). 8.2.4 Das Cannabinoidmodell Cannabis wird aus der Pflanze Cannabis Sativa gewonnen und durch Rauchen oder oral (z. B. Haschischkuchen) konsumiert. Der Hauptwirkstoff Δ-9-Tetrahydrocannabinol (Δ-9-THC) hat agonistische Wirkungen an körpereigenen Cannabinoid-CB1Rezeptoren im ZNS, deren Dichte vor allem im Hippocampus, Cerebellum, in Basalganglien, im anteriorem Cingulum und frontalem Kortex hoch ist. Die Aktivierung von CB1-Rezeptoren wirkt modulierend auf eine Vielzahl anderer Systeme ein. So kommt es beispielsweise zu einer Verstärkung der DopaminFreisetzung im mesolimbischen und mesokortikalen System, zu einer Reduktion der GABA-Freisetzung aus Interneuronen und einer Reduktion der Acetylcholinfreisetzung aus cholinergen hippocampalen Neuronen. Beim szenetypischen Konsum wirkt Cannabis in erster Linie entspannend, euphorisierend und löst eher diskrete Wahrnehmungsveränderungen aus. Demnach bleiben die psychotropen Effekte in der Regel im subpsychotischen Bereich. Ausgeprägtere Depersonalisations- und Derealisationserscheinungen sowie Halluzinationen, Verwirrtheit und wahnhafte Situationsumdeutungen sind jedoch nach hohen Dosierungen oder als Komplikation bei regelmäßigem Konsum keine Seltenheit. Darüber hinaus ist der regelmäßige Cannabiskonsum bei Patienten mit Schizophrenie mit einem früheren Erstmanifestationsalter und häufigeren Rezidiven der Psychose assoziiert. Diese Beobachtungen sind mit der Vorstellung vereinbar, dass Cannabinoide propsychotische Eigenschaften besitzen, und sie tragen zu der aktuellen Hypothese einer Rolle des Endocannabinoidsystems bei der Pathogenese der Schizophrenie bei. Bei experimentellen Studien mit oraler Gabe von Δ-9-THC entsprechen die psychischen Effekte in der Regel den subpsychotischen Phänomenen des szenetypischen Cannabiskonsums. Bei
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8
Kapitel 8 · Kognition bei Modellpsychosen
intravenöser Verabreichung in Form einer Bolusinfusion werden jedoch deutlich höhere Plasmaspiegel innerhalb weniger Minuten erreicht, und die Intensität der psychopathologischen Phänomene ist deutlich stärker. Im Rahmen einer placebokontrollierten Doppelblind-Studie mit Cross-over-Design wurden unter intravenös verabreichtem Δ-9-THC ausgeprägte paranoide Umdeutungen der experimentellen Situation, Ich-Störungen, starke Veränderungen der akustischen Wahrnehmung, Desorganisiertheit, Gedankenabreißen, assoziative Lockerung und Agitiertheit beschrieben (D’Souza et al. 2004). Schließlich konnte bei stabil medizierten Patienten mit Schizophrenie nach i. v.-Gabe von Δ-9-THC eine kurzfristige Zunahme sowohl der Positiv- als auch der Negativsymptomatik verzeichnet werden (D’Souza et al. 2005). Diese Ergebnisse belegen, dass Δ-9-THC bei i. v.-Gabe psychoseähnliche Phänomene hervorruft, die hinsichtlich ihrer Intensität durchaus den Effekten von Ketamin oder Psilocybin entsprechen. Somit kann der Δ-9-THC-Rausch als Psychosemodell angesehen werden. Ein direkter experimenteller Vergleich mit Ketamin und/oder Halluzinogenen des LSD-Typs steht allerdings noch aus. So lässt sich derzeit (noch) nicht eindeutig sagen, ob das Cannabinoidmodell sich qualitativ von den anderen Modellen unterscheidet.
8.3
Kognition in humanen pharmakologischen Psychosemodellen
Patienten mit Schizophrenie weisen Störungen im Bereich der Aufmerksamkeitsfunktionen, des Arbeitsgedächtnisses und exekutiver Funktionen, der Merkfähigkeit und des Lernens auf. Darüber hinaus gehören Auffälligkeiten bei elektrophysiologischen Korrelaten kognitiver Funktionen (z. B. P300, Mismatch-Negativität, Präpulsinhibition des Startle-Reflexes (PPI) und P50-Gating) und bei der hirnfunktionellen Repräsentation kognitiver Prozesse (Positronenemissionstomographie und funktionelle Magnetresonanztomographie) zu den bestabgesicherten neurobiologischen Befunden bei Patienten mit Schizophrenie. Somit lag es nahe, diese kognitive Funktionen bei experimentellen Psychosen zu untersuchen. Der bei weitem größte Teil der Studien seit den 90er Jahren wurde am Ketamin- bzw. NMDA-Antagonisten-Modell durchgeführt. Dies lässt sich einerseits mit dem Interesse an der Glutamathypothese der Schizophrenie erklären, andererseits damit, dass Ketamin als Arzneimittel, das nicht dem BtmG unterliegt, leichter zugänglich ist als andere Halluzinogene. Demnach nimmt hier die Beschreibung der Untersuchungsbefunde mit Ketamin den breitesten Raum ein. Eine Übersicht
. Tab. 8.1. Übersicht über die vorliegenden kognitiven Leistungsdaten für die verschiedenen humanen pharmakologischen Psychosemodelle Modell
PCP/Ketamin
LSD-Typ
Amphetamin
Psychotisches Syndrom
Undifferenziert/kataton
Paranoid-halluzinatorisch/ schizoaffektiv
Paranoid (bei Hochdosis)
Vigilanz
(p)
l
l
l
RT einfach
l / (p)
l
(n)
(p) / l
Daueraufmerksamkeit
p
p
n bei Niedrigdosis
Ablenkbarkeit
p
p
n bei Niedrigdosis n bei Niedrigdosis
(p)
n bei Niedrigdosis
p
Perseverationsfehler
p
p
Orientierung der Aufmerksamkeit (Inhibition of Return)
p
p
Arbeitsgedächtnis
p
p
Wortflüssigkeit
p
Cannabinoid
p bei Hochdosis p (n) / n
Semantic priming Merkfähigkeit / Lernen
pp
P300
p
Mismatch Negativität
p
(p)
P50
l
p
Präpuls-Inhibition des Startle Reflexes
l/n
l / p / n ISI- und dosisabhängig
(p)
p: Leistungsdefizit, n: Leistungssteigerung, l: kein Effekt, ( ): Tendenz, ISI: Interstimulus-Intervall
(p) bei Hochdosis
p / pp
89 8.3 · Kognition in humanen pharmakologischen Psychosemodellen
über die verfügbaren kognitiven Leistungsdaten bei den hier besprochenen humanen pharmakologischen Psychosemodellen findet sich in . Tab. 8.1. 8.3.1 Kognition im NMDA-Antagonistenmodell
Vigilanz und Konzentrationsleistungen, frontale exekutive Funktionen, Gedächtnis und Lernen Bei Ketamin (KET) lässt sich ein subanästhetischer, psychotomimetischer Dosisbereich eingrenzen, bei dem die Probanden psychotisches Erleben schildern (Positiv- und Negativsymptome) und dabei wach und in groben, orientierenden Tests kognitiver Funktionen (wie der Mini-Mental-State Examination) sowie in ihrer Reaktionsbereitschaft bei einfachen Reaktionszeittests (wie dem Continuous Performance Test, kurz: CPT) ungestört sind, obwohl sie psychomotorisch verlangsamt und »entrückt« erscheinen. Dabei zeigen sich aber bei differenzierterer Testung Defizite in der Daueraufmerksamkeit (mehr Treff- und Auslassfehler beim CPT), verminderte phonematische Wortflüssigkeit, stärkere Ablenkbarkeit, mehr Perseverationsfehler beim Wisconsin Card Sorting Test (»frontale« Funktionen, exekutive Kontrolle) und Leistungseinbußen bei Arbeitsgedächtnisaufgaben, wenn neben dem kurzfristigen Behalten auch eine Manipulation des zu memorierenden Materials verlangt wird. Schließlich lassen sich am deutlichsten bzw. am konsistentesten Defizite bei der Merkfähigkeit und bei Lernleistungen nachweisen (Krystal et al. 1994, 2005; Übersicht in: Morgan u. Curran 2006). Interessanterweise ist die Gedächtnisleistung insbesondere dann beeinträchtigt, wenn die Enkodierungsphase unmittelbar vor oder unter KET erfolgt, d. h. wenn unter dem Einfluss von KET gelernt wird. Hingegen ist die Gedächtnis- bzw. Lernleistung im Wesentlichen regelrecht, wenn die Lernphase vor der Gabe von KET abgeschlossen ist und erst die Abrufphase unter KET erfolgt (Honey et al. 2005b). Diese Befunde stehen in Einklang mit der Vorstellung, dass NMDA-Antagonisten die Entwicklung der Long Term Potentiation (LTP) im Hippokampus und damit neue Lernvorgänge blockieren, während einmal etablierte LTP und erfolgtes Lernen nicht mehr beeinträchtigt werden (Übersicht in: Morgan u. Curran 2006). In der Regel sind die Beeinträchtigungen des freien Abrufens und der Rekognition stärker ausgeprägt als die Beeinträchtigungen von Arbeitsgedächtnis bzw. Konzentrationsfähigkeit und bleiben auch nach Berücksichtigung der Einschränkung des Arbeitsgedächtnisses als Kovariante signifikant (Malhotra et al. 1996). Interessanterweise zeigen neuere fMRT-Studien unter KET eine vermehre Aktivierung in den entsprechenden Netzwerken bei Gedächtnisund Arbeitsgedächtnisaufgaben, selbst wenn die Leistung (noch) im Normbereich liegt (Honey et al. 2004, 2005a). Auf der Basis der experimentellen Befunde ist allerdings unklar, ob bzw. wie eng die mnestischen Defizite mit den psychotischen Phänomenen zusammenhängen: Bereits bei einer relativ frühen Arbeit zeigte sich, dass die Verschlechterungen der mnes-
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tischen Leistungen unter KET nicht mit den psychoseähnlichen Positiv- oder Negativsymptomen korrelierten (Malhotra et al. 1996). Auch wurde ein Zusammenhang von formalen Denkstörungen unter KET mit dem Arbeitsgedächtnis beschrieben, nicht aber mit dem deutlicheren Defizit im semantischen Gedächtnis (Adler et al. 1998). Schließlich war in einer neueren Studie unter KET zwar das Erinnern an die Quelle des Lernmaterials beeinträchtigt, aber bei Unsicherheit war die Tendenz zur Fremdattribution eher abgeschwächt: Das heißt, dass ein Proband, der, wenn er unter KET Wortlisten gelernt hatte, beim späteren Abrufen nicht sicher war, ob er ein Wort selbst gelesen oder durch den Versuchsleiter vorgelesen bekommen hatte, eher zu der Annahme neigte, dass er es selbst gelesen hatte. Im Gegensatz hierzu wurde bei Patienten mit Schizophrenie eine vermehrte Tendenz zur Fremdattribution beschrieben (Übersicht in: Morgan u. Curran 2006). Auf der anderen Seite zeigte eine aktuelle fMRT-Studie, dass das Ausmaß der frontalen Hirnaktivität bei Eintreten von Prädiktionsfehlern nach einem Lernassoziationsparadigma (»mismatch« zwischen Erwartung und Ergebnis) mit den Beziehungsideen und dissoziativen Phänomenen unter KET korrelierte (Corlett et al. 2006). In der Zusammenschau besteht hinsichtlich des Zusammenhanges zwischen mnestischen Defiziten und psychotischen Symptomen unter KET weiterhin Klärungsbedarf. Schließlich wurden die Effekte von KET auf kognitive Leistungen auch bei Patienten mit Schizophrenie untersucht. Malhotra et al. (1997) beschrieben bei einer Gruppe von unmedizierten Patienten das gleiche Muster kognitiver Einbuße wie bei den gesunden Kontrollprobanden bei insgesamt stärkerer Ausprägung der Beeinträchtigungen: Es zeigten sich unter KET leichte Verschlechterungen von Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis, aber deutlichere Verschlechterungen des freien Abrufens und der Rekognition (Malhotra et al. 1997).
Räumliche Orientierung der Aufmerksamkeit Neben der Daueraufmerksamkeit sind im Rahmen der klinischen und experimentellen Psychoseforschung auch Aspekte der räumlichen Orientierung der Aufmerksamkeit relevant.
In typischen Tests zur Orientierung der Aufmerksamkeit müssen die Probanden ein zentrales Kreuz mit den Augen fixieren und so schnell wie möglich durch Tastendruck reagieren, sobald sie einen definierten Zielreiz (z. B. einen Stern) in einem von zwei Quadraten rechts oder links im peripheren Gesichtsfeld wahrgenommen haben. In manchen »trials« wird die Aufmerksamkeit zuvor durch einen Hinweisreiz (»cue«) entweder dorthin gelenkt, wo nachfolgend der Zielreiz auftritt (»valid cueing«), oder in die entgegengesetzte Richtung (»invalid cueing«). Hierbei ziehen periphere »cues« (z. B. das kurze Aufleuchten des einen Quadrates in der Pepipherie) die Aufmerksamkeit automatisch, d. h. ohne entsprechende Intention, auf sich.
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Kapitel 8 · Kognition bei Modellpsychosen
Bei peripheren, nicht prädiktiven »cues« lässt sich in Abhängigkeit vom Zeitintervall zwischen Hinweis- und Zielreiz (»stimulus onset asynchrony« = SOA = Zeit vom Beginn des Hinweis- bis zum Beginn des Zielreizes) eine biphasische Antwortfunktion erkennen: Bei kurzen SOA (<200 ms) sind erwartungsgemäß die Reaktionszeiten (RT) bei invaliden »trials« länger als die RT bei validen »trials«, da die Aufmerksamkeit durch den invaliden Hinweisreiz zunächst in die »falsche« Richtung gelenkt worden war und von dort wieder entkoppelt und in die richtige Richtung gelenkt werden muss (»disengagement and reorienting of attention«). Im Gegensatz hierzu findet man bei längeren SOA (>250 ms) längere RT in validen als in invaliden »trials«. Dieses zunächst überraschende Phänomen wird überwiegend als ein automatischer, präattentiver, inhibitorischer, d. h. »filternder« Mechanismus interpretiert, der den Organismus davor bewahrt, sich wiederholt der Reizquelle zuzuwenden, die sich zuvor als irrelevant herausgestellt hatte. Entsprechend dieser Vorstellung wird dieses Phänomen »Inhibition of Return« (IOR) genannt. Demnach dürfte die IOR die Ablenkbarkeit des Organismus durch irrelevante periphere Ereignisse minimieren und die Effizienz von bewusst intendierten Suchvorgängen steigern. Die IOR wird vermutlich auf Hirnstammebene im Colliculus Superior generiert, sie wird jedoch durch höhere Hirnzentren wie Cerebellum, ventrolateraler Thalamus und parietotemporale sowie frontale prämotorische Kortexareale moduliert. Einige Untersuchungen beschrieben eine Beeinträchtigung der IOR bei Patienten mit Schizophrenie. Diese könnte mit einer verstärkten Verarbeitung redundanter, irrelevanter Stimuli einhergehen und war in einer Studie mit einer stärkeren Ablenkbarkeit in einem modifizierten CPT assoziiert. Letztlich ist es vorstellbar, dass aus dem IOR-Defizit eine sensorische Überstimulierung resultiert, dass es schwerer wird, den willentlich gewählten Aufmerksamkeitsfokus aufrechtzuerhalten und dass es zur »kognitiven Fragmentierung« und Entstehung psychotischer Symptome kommt. Passend zu dieser Vorstellung wurde experimentell eine Reduktion der IOR unter subanästhetischen Dosen von S-KET gezeigt, und zwar nicht nur unter einer höheren Dosis mit stark ausgeprägten psychotomimetischen Effekten, sondern bereits unter einer niedrigeren Dosis, die nur präpsychotische Phänomene induzierte (Gouzoulis-Mayfrank et al. 2006). In einer aktuellen fMRT-Studie fand sich unter einer mittleren KETDosis mit »nur« präpsychotischen Effekten und einem leichten, unter dem Signifikanzniveau liegenden IOR-Defizit eine vermehrte Aktivierung frontaler und temporaler Kortexareale, die zum modulierenden Netzwerk der IOR gehören (Daumann et al. eingereicht).
P300 und Mismatch-Negativität (MMN) Die P300 und die Mismatch-Negativität (MMN) sind Komponenten der ereigniskorrelierten akustisch evozierten Potenziale, die dann auftreten, wenn unter ansonsten gleichförmigen, sog. Standardtönen physikalisch abweichende Stimuli präsentiert werden, die einen wahrnehmbaren Unterschied, z. B. hinsichtlich Frequenz oder Dauer im Vergleich zu den Standardtönen vorweisen. Die P300 tritt im Zeitbereich von 250–400 ms nach dem abweichenden Stimulus auf und ist von einer gezielten Aufmerksamkeit auf diesen abhängig, d. h. sie tritt dann auf, wenn die Probanden wissen, dass abweichende Stimuli zu erwarten sind und sie sie beispielsweise zählen sollen. Im Gegensatz hierzu tritt die MMN im relativ frühen Zeitbereich von 100–250 ms nach dem abweichenden Stimulus auf; sie ist unabhängig von gezielter Aufmerksamkeit, d. h. sie tritt auch dann auf, wenn die Probanden keine besondere Instruktion erhalten und nicht wissen, dass abweichende Stimuli zu erwarten sind.
Die P300 gilt als elektrophysiologisches Korrelat der gezielten Aufmerksamkeit, während die MMN als Indikator für automatische, präattentive, d. h. »vorbewusste« Aufmerksamkeitsprozesse angesehen wird. Die MMN scheint aufgrund tierexperimenteller Daten vor allem von einer intakten, durch NMDA-Rezeptor vermittelten glutamatergen Transmission abhängig zu sein. Bei Patienten mit Schizophrenie wurden mehrfach eine Amplitudenminderung der P300 und der MMN beschrieben und mit einer gestörten Aufmerksamkeit und frühen Informationsverarbeitung in Zusammenhang gebracht. Vereinzelt wurden diese Auffälligkeiten auch bei gesunden Angehörigen von Patienten mit Schizophrenie gefunden, was als Hinweis auf eine genetische Disposition angesehen werden kann. Unter KET zeigte sich eine Reduktion der P300 bereits bei einer sehr niedrigen Dosis, die nur sehr diskrete psychische Effekte hervorrief, die weit von psychotischen Phänomenen entfernt waren (Oranje et al. 2000). Hingegen war eine Reduktion der MMN erst bei höheren Dosen zu verzeichnen, die zumindest präpsychotische, wenn nicht vollpsychotische Phänomene hervorriefen, aber noch im subanästhetischen Bereich blieben (Oranje et al. 2000; Umbricht et al. 2000; KreitschmannAndermahr et al. 2001). Interessanterweise war eine kleinere Amplitude der MMN vor der KET-Gabe mit stärkeren psychoseähnlichen Effekten unter KET, aber nicht unter dem serotonerg wirksamen Halluzinogen Psilocybin, assoziiert. Dieser Befund kann dahingehend interpretiert werden, dass eine kleine MMN einen vulnerableren Funktionszustand des Glutamat-NMDA-Systems widerspiegelt, das sich durch die Gabe eines NMDA-Rezeptorantagonisten empfindlicher stören lässt (Umbricht et al. 2002).
»Sensorimotor gating« Der Startle- oder Schreckreflex ist ein primitiver Schutzreflex. Er stellt die motorische Antwort auf einen intensiven, plötzlichen
91 8.3 · Kognition in humanen pharmakologischen Psychosemodellen
sensorischen Stimulus im Sinne eines unwillkürlichen, nicht unterdrückbaren »Zusammenzuckens« mit Augenschluss sowie generalisierten Flexions- und Extensionsbewegungen dar. Es handelt sich um einen Hirnstammreflex, an dessen Regulation jedoch höhere Hirnzentren beteiligt sind. Beim Menschen wird als Mass für die Startle-Reaktion die Amplitude des Augenschlussreflexes elektromyographisch mittels Oberflächenelektroden über dem M. orbicularis oculi abgeleitet. Der Startle-Reflex habituiert schnell bei wiederholter Reizdarbietung und wird bei Präsentation eines schwachen Stimulus ca. 30–300 ms vor dem eigentlichen startle-auslösenden Reiz inhibiert (Präpulsinhibition = PPI). Theoretisch triggert der präattentive Detektionsprozess des Präpulses eine sensomotorische Hemmung für rasch nachfolgende Stimuli (»sensorimotor gating«), um eine möglichst effiziente und komplette Analyse des Präpulses zu gewährleisten. »Sensorimotor gating« und Habituationsprozesse werden als Konstrukte automatischer Inhibitions- bzw. Filtermechanismen in der Verarbeitung sensorischer Stimuli angesehen. Zum »sensorimotor gating« gehörend bzw. als Ausdruck einer sehr frühen Habituation wird auch das sog. P50 gating verstanden: Hierbei wird bei einer Abfolge von zwei identischen akustischen Stimuli und einem Interstimulusintervall von etwa 500 ms die P50 Komponente des akustisch evozierten Potenzials auf den zweiten Stimulus in ihrer Amplitude reduziert. PPI und P50 sollen Mechanismen widerspiegeln, die den sensorischen Input regulieren, ablenkende Stimuli herausfiltern und so vor einer sensorischen Überladung schützen. Sowohl PPI als auch P50 werden als im wesentlichen von bewusster Aufmerksamkeit unabhängige, »präattentive« Prozesse angesehen. In zahlreichen Studien konnte bei schizophrenen Patienten eine Reduktion der PPI und eine Beeinträchtigung des P50-gating nachgewiesen werden. Überwiegend werden diese Veränderungen als Ausdruck einer genetischen Vulnerabilität angesehen. Passend hierzu wurden bei tierexperimentellen Untersuchungen unter PCP und KET, aber auch unter LSD und ähnlichen serotonergen Halluzinogenen wiederholt PPI-Defizite beschrieben. Überraschenderweise zeigten sich in den Humanexperimenten unter subanästhetischen Dosen von KET, die leichtere präpsychotische Symptome oder sogar stärker ausgeprägte, eindeutig psychotische Phänomene induzieren, entweder keine Veränderungen der »sensorimotor gating«-Parameter oder sogar eine Verstärkung der PPI (Duncan et al. 2001, Van Berckel et al. 1998, Heekeren et al. 2007). Vor dem dargelegten theoretischen Hintergrund müssten diese Befunde bedeuten, dass die Probanden unter KET besonders gut »inhibieren« bzw. irrelevante Informationen »herausfiltern« konnten. Wenn man sich die psychopathologischen Effekte von KET vor Augen führt und bedenkt, dass wir es hierbei mit einer »Modellpsychose« zu tun haben, dann erscheint diese Interpretation äußerst kontraintuitiv. Künftige Untersuchungen mit Variationen von Untersuchungsparametern wie Präpulsintensitäten und Puls-Präpuls-Latenzen, könnten hier zur Klärung der möglicherweise nur scheinbaren Widersprüche in der Befundlage beitragen.
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8.3.2 Kognition im LSD-Modell Die frühen Studien aus der 50er und 60er Jahren beschrieben unter LSD und/oder Meskalin dosisabhängig Beeinträchtigungen der verschiedenen kognitiven Leistungen wie Aufmerksamkeit und Konzentration, Ablenkbarkeit, Reaktionsbereitschaft, Gedächtnis und Lernen. Die aktuellen Studien bestätigen Einschränkungen der Reaktionsgeschwindigkeit, der Daueraufmerksamkeit bzw. des Arbeitsgedächtnisses (z. B. im Continuous Performance Test) und der Zeitwahrnehmung unter Psilocybin und DMT (Gouzoulis-Mayfrank et al. 2002; Umbricht et al. 2003; Carter et al. 2005; Wittmann et al. 2006). Im Allgemeinen erscheinen jedoch die kognitiven Leistungen unter serotonerg wirksamen Halluzinogenen weniger stark oder weniger umfassend beeinträchtigt im Vergleich zu dem NMDA-Rezeptorantagonisten KET. Insbesondere wurden bei den aktuellen Studien bisher keine stärkeren mnestischen Defizite beschrieben, wie sie für das NMDA-Antagonistenmodell charakteristisch sind. In einer Studie mit Psilocybin zeigte sich eine Einschränkung der verbalen assoziativen Leistungsfähigkeit bei einer Wortassoziationsaufgabe; damit verbunden zeigte sich in der Positronenemissionstomographie (PET) eine Abnahme der aufgabenassoziierten Aktivierung lateral-präfrontal links und im Broca-Areal (Gouzoulis-Mayfrank et al. 1999). Interessanterweise wurde in der gleichen wie auch in anderen Studien mit Psilocybin, Meskalin und KET unter Ruhebedingungen oder bei monotonen, automatisiert ablaufenden Aufgaben – wie z. B. einer einfachen Wortrepetition – eine vermehrte regionale Hirnaktivität lateralpräfrontal und im anterioren Cingulum beschrieben (Hermle et al. 1992; Vollenweider et al. 1997a, 1997b; Gouzoulis-Mayfrank et al. 1999). Diese Befundkonstellation steht im Einklang mit dem Konzept einer frontalen Dysfunktion oder Ineffizienz bei Psychosen: Hierbei findet sich eine diffus vermehrte Aktivität frontaler neokortikaler und limbischer Regionen in Ruhe oder bei relativ leichten kognitiven Aufgaben und (noch) normgerechter Performanz, jedoch gleichzeitig eine verminderte Aktivität umschriebener frontaler Regionen bei kognitiven Aufgaben mit höherem Anforderungsprofil und defizitären Leistungen. Ähnlich wie unter S-KET zeigte sich auch unter Psilocybin und DMT eine Reduktion der »Inhibition of Return« (IOR) sowohl unter einer höheren Dosis mit stark ausgeprägten psychotomimetischen Effekten als auch unter einer niedrigeren Dosis, die nur präpsychotische Phänomene induzierte (Gouzoulis-Mayfrank et al. 2002, 2006). Diese Befunde stehen im Einklang mit der Vorstellung, dass das IOR-Defizit einen basalen, präattentiven Mechanismus widerspiegelt, der bei verschiedenen Unterformen psychotischer Störungen wirksam sein dürfte bzw. zur Entwicklung verschiedener psychotischer Syndrome beitragen könnte. Hinsichtlich der elektrophysiologischen Korrelate kognitiver Prozesse zeigten sich hingegen Unterschiede zum NMDARezeptorantagonistenmodell: Anders als unter KET war die »präattentive« MMN unter Psilocybin nur sehr diskret und nicht signifikant in der Amplitude reduziert (Umbricht et al. 2003).
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Kapitel 8 · Kognition bei Modellpsychosen
Dieser Befund steht im Einklang mit der Vorstellung, dass die MMN deutlich von der glutamatergen NMDA-Rezeptorfunktion abhängig ist. Schließlich wurden auch einzelne Untersuchungen zum »sensorimotor gating« mit Psilocybin und Dimethyltryptamin (DMT) durchgeführt. Bei einer Studie wurde unter Ayahuasca (ein DMT-haltiges Getränk) eine Reduktion der P50 nachgewiesen (Riba et al. 2002). Die nach klinischen und tierexperimentellen Daten erwartete Reduktion der Präpulsinhibition (PPI) des Startle-Reflexes konnte allerdings zunächst nicht nachgewiesen werden. Stattdessen zeigten sich entweder keine eindeutigen Veränderungen oder, ähnlich wie bei KET, der kontraintuitive Befund einer Zunahme der PPI und dies selbst bei hohen, eindeutig psychotomimetischen Dosierungen (Gouzoulis-Mayfrank et al. 1998a, Riba et al. 2002, Heekeren et al. 2007). Interessanterweise berichtete die neueste Studie in diesem Bereich eine differentielle Modulation der PPI durch Psilocybin in Abhängigkeit vom Präpuls-Puls- bzw. Interstimulusintervall (ISI): So war die PPI unter Psilocybin bei den üblicherweise zur Anwendung kommenden ISI von 60–240 ms unverändert (ISI: 60 ms) oder erhöht (ISI 120 ms oder höher), aber bei einem sehr kurzen ISI von 30 ms reduziert. Die Bedeutung dieser Ergebnisse ist derzeit noch nicht ausreichend geklärt bzw. verstanden. (Vollenweider et al. 2007). 8.3.3 Kognition im Amphetaminmodell In niedrigen Einmaldosen führen Amphetamine (AMPH) bei gesunden Probanden und bei medizierten Patienten mit Schizophrenie in der Regel zu einer Verbesserung frontal exekutiver Funktionen und Arbeitsgedächtnisleistungen, vor allem wenn die Leistungen zuvor relativ niedrig waren. Zudem führen sie in fMRT- und PET-Studien zu einer Fokussierung der neuralen Aktivität auf die für die jeweilige kognitive Aufgabe relevanten Hirnregionen. Die höhere »Effizienz« der neuralen Systeme wird als Ausdruck der Stimulation von Dopamin-D1-Rezeptoren im präfrontalen Kortex durch die AMPH-induzierte Freisetzung von Dopamin interpretiert. Diese AMPH-Dosen liegen jedoch weit unterhalb der psychotomimetischen Schwelle, und es ist bekannt, dass die Stimulation der D1-Rezeptoren in einer umgekehrt u-förmigen Funktion mit der Arbeitsgedächtnisleistung assoziiert ist. Somit ist bei hohen AMPH-Dosen und unphysiologisch starker D1-Rezeptorstimulation eine Leistungsverschlechterung zu erwarten (Castner et al. 2004). Hierzu passen einige Befunde beim tierexperimentellen AMPH-Sensitiverungsmodell der Schizophrenie, die sich sowohl bei Ratten als auch bei Primaten nachweisen lassen: Die Versuchstiere entwickeln bei wiederholter, intermittierender AMPH-Gabe und allmählicher Dosissteigerung Verhaltensweisen, die als Positiv- und Negativsymptome angesehen werden können, und sie zeigen darüber hinaus deutliche und langandauende Beeinträchtigungen in Arbeitsgedächtnisaufgaben (Castner et al. 2004). Im humanexperimentellen Bereich konnte das Prinzip der Sensiti-
vierung für einen Teil der psychotropen Akuteffekte von AMPH (Antriebsteigerung), aber bisher nicht für das Arbeitsgedächtnis nachgewiesen werden (Strakowski et al. 2001). Besonders interessant erscheint eine neuere Studie mit gesunden Probanden, bei der die Effekte von AMPH und KET in relativ hohen i. v.-Dosen miteinander verglichen und zusätzlich auch die additiven und interaktiven Effekte der beiden Substanzen untersucht wurden (Krystal et al. 2005). Unter beiden Substanzen alleine zeigten sich Beeinträchtigungen von »Immediate« und »Delayed Recall«. Diese waren jedoch unter AMPH deutlich geringer ausgeprägt als unter KET, und sie ließen sich aufgrund der Befundkonstellation ausschließlich auf eine Beeinträchtigung des Arbeitsgedächtnisses zurückführen. Erstaunlicherweise zeigten die Probanden unter der Kombination von AMPH und KET geringere Beeinträchtigungen des »Immediate« und »Delayed Recall« als unter KET alleine. Diese Befunde sprechen dafür, dass eine pharmakologische Verstärkung der dopaminergen Transmission im Kortex zu einer Besserung glutamat-NMDA-assoziierter kognitiver Defizite führen könnte, obwohl eine unphysiologische Verstärkung der dopaminergen Transmission für sich mit kognitiven Einbußen einhergeht (Krystal et al. 2005). 8.3.4 Kognition im Cannabinoidmodell Experimentelle Untersuchungen zeigen, dass Δ-9-THC bei oraler oder inhalativer Aufnahme in szeneüblichen mittleren Dosierungen zu überwiegend diskreten Leistungeinbussen im Bereich des Arbeitsgedächtnisses und der Merkfähigkeit führt, während Reaktionszeiten und Vigilanz unbeeiträchtigt sein können. Bei höheren Dosen und insbesondere bei i. v.-Verabreichung in psychotomimetischer Dosierung finden sich unter Δ-9-THC eine vermehrte Ablenkbarkeit durch irrelevante Reize, eine Tendenz in Richtung vermehrter Perseverationen bei der Prüfung der Wortflüssigkeit, Einschränkungen von Arbeitsgedächtnis und Merkfähigkeit (schlechtere Leistungen für »Immediate« und »Delayed Recall« für Wortlisten) und z. T. auch Beeinträchtigungen der Lernleistung über mehrere Durchgänge (Übersicht in: Ranganathan u. D’Souza 2006). Grundsätzlich scheinen alle Teilaspekte der Gedächtnisfunktion (Arbeitsgedächtnis und Langzeitgedächtnis mit Enkodierung, Konsolidierung und Abrufen) durch Δ-9-THC störbar zu sein, allerdings erscheint das Arbeitsgedächtnis in den meisten Studien weniger beeinträchtigt als das Langzeitgedächtnis, und bei dem Letzteren zeigen sich überwiegend stärkere Einschränkungen beim freien Abrufen im Vergleich zu der Wiedererkennleistung. Die letzteren Befunde wurden dahingehend interpretiert, dass Δ-9-THC das Abrufen wahrscheinlich stärker als die Enkodierung beeinträchtigt. Allerdings wird das Abrufen von Informationen, die unter normalen Bedingungen gelernt wurden, durch Δ-9-THC nicht gestört. Dies und der relativ konsistente Befund häufigerer Intrusionen und falsch-positiver Antworten bei der Wiederkennung unter Δ-9THC könnten dafür sprechen, dass Δ-9-THC am ehesten den
93 8.4 · Zusammenfassung
Prozess des Transfers von Informationen ins Langzeitgedächtnis und die Konsolidierung stört (Ranganathan u. D’Souza 2006). Zu den möglichen Mechanismen der kognitiven Veränderungen unter Δ-9-THC wird gemutmaßt, dass eine Aktivierung der CB1-Rezeptoren auf GABA-Interneuronen durch die Abschwächung der Freisetzung von GABA zu einer Beeinträchtigung der Synchronisation der Pyramidenzellaktivität und somit indirekt zu Beeinträchtigungen normaler Filtermechanismen und assoziativer Leistungen führen könnte. Die mnestischen Beeinträchtigungen könnten dadurch erklärt werden, dass die Aktivierung der CB1-Rezeptoren zu einer Blockierung der LongTerm-Potentiation (LTP) und/oder zu einer verminderten Freisetzung von Acetylcholin aus cholinergen hippocampalen Neuronen führt. Schließlich könnten die Effekte auf das Arbeitsgedächtnis dadurch erklärt werden, dass die Aktivierung der CB1-Rezeptoren zu einer Stimulation der mesopräfrontalen DA-Aktivität und somit zu einer unphysiologisch starken Aktivierung von D1-Rezeptoren im präfrontalen Cortex führt. Interessanterweise führt eine chronische Cannabisexposition bei Versuchstieren zu einer behavioralen Sensitivierung für Cannabis und Amphetamine, was dafür spricht, dass Cannabis zumndest einen Teil seiner Wirkungen über das dopaminerge System ausübt (Ranganathan u. D’Souza 2006). Schließlich wurde bei einer klinischen Untersuchung Δ-9THC an medizierte Patienten mit Schizophrenie und residualer Symptomatik i. v. verabreicht. Die Patienten hatten erwartungsgemäß primär ein schlechteres Leistungsniveau, verglichen mit den gesunden Probanden. Interessanterweise zeigte sich bei den Patienten unter Δ-9-THC tendenziell eine weitere Zunahme der Fehler bei einem einfachen Vigilanztest, aber keine Zunahme der Ablenkbarkeit und der Perseverationen bei der Prüfung der Wortflüssigkeit. Allerdings zeigten die Patienten unter Δ-9-THC eine deutliche weitere Verschlechterung der Merkfähigkeit (schlechtere Leistungen für »Immediate« und »Delayed Recall« für Wortlisten) und auch zusätzlich eine Verschlechterung der Lernleistung über die konsekutiven Lerndurchgänge. Diese Befunde sprechen für eine stärkere Sensitivität der Schizophreniepatienten im Vergleich zu gesunden Menschen für die Effekte von Δ-9-THC auf Gedächtnis und Lernen (D’Souza 2005). Weitere Untersuchungen zu den Akuteffekten von Δ-9-THC auf die hirnfunktionellen Korrelate neuropsychologischer Leistungen, »sensorimotor gating«, Mismatch-Negativität u. ä. stehen derzeit noch aus. 8.4
Zusammenfassung
Die Modellpsychoseforschung stellt eine sinnvolle Erweiterung des Methodenarsenals der biologischen Psychoseforschung dar. Hier ergänzen sich humane und tierexperimentelle Modelle im Sinne einer translationalen Forschung und bieten die Möglichkeit, syndrombezogene, psychoseassoziierte Konzepte in Laborexperimenten zu überprüfen.
8
Die humanexperimentellen Psychosemodelle sind pharmakologische Modelle und gehen von den psychoseähnlichen bzw. psychotomimetischen Akuteffekten von Halluzinogenen und NMDA-Rezeptorantagonisten sowie eingeschränkt auch von Amphetaminstimulanzien und Cannabinoiden aus. Dabei erscheint das Ketamin- bzw. NMDA-Antagonistenmodell als geeignetes Modell für undifferenzierte, produktive Psychosen mit Positiv-, Negativ-, und katatonen Symptomen. Hingegen wird das serotonerge LSD-Modell als ein geeignetes Modell für paranoid-halluzinatorische oder schizoaffektive produktive Psychosen angesehen. Das Amphetamin- bzw. Dopaminmodell ist – bei ausreichend hohen Dosen – ein ausgezeichnetes Modell für paranoide Psychosen, allerdings sind hier dem Experimentieren im Humanbereich aufgrund der dosisabhängigen Toxizität enge Grenzen gesetzt. Eine sichere Positionierung des Cannabinoidmodells ist beim derzeitigen Stand der Forschung noch nicht möglich. Die insgesamt deutlichsten kognitiven Defizite finden sich im Ketaminmodell, und hier stehen mnestische Beeinträchtigungen, vor allem im Bereich der Enkodierung im Vordergrund. Allerdings ist derzeit noch unklar, ob diese mnestischen Defizite – oder eher andere kognitive Störungen – mit dem Auftreten der psychotischen Phänomene in Zusammenhang stehen. Unter diesen anderen Störungen finden sich Beeinträchtigungen des Arbeitsgedächtnisses, kontrollierter und automatischer (präattentiver) Aufmerksamkeitsfunktionen, der Mismatch-Negativität und z. T. auch der »sensorimotor gating«-Parameter. Im LSDModell sind die kognitiven Leistungen insgesamt weniger stark beeinträchtigt; so werden keine stärkeren mnestischen Defizite beschrieben und die Mismatch-Negativität ist wenig verändert, allerdings finden sich – ähnlich wie im Ketaminmodell – Aufmerksamkeits- und Arbeitsgedächtnisstörungen. Soweit bisher beurteilbar, ähnelt das kognitive Profil beim Cannabinoidmodell eher demjenigen beim Ketamin, allerdings sprechen die Befunde hinsichtlich der mnestischen Auffälligkeiten weniger für eine Störung der Enkodierung, sondern vielmehr für eine Störung des Transfers von Informationen ins Langzeitgedächtnis und der Konsolidierung. Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis sind ätiopathogenetisch komplexe Störungen mit Beteiligung mehrerer Hirnregionen und Transmittersysteme und unterschiedlichen psychopathologischen Prägnanztypen. Angesichts dieser Komplexität erscheint es grundsätzlich vorteilhaft, verschiedene pharmakologische Psychosemodelle und ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu betrachten. Vergleichende Untersuchungen können zu einer Klärung der Zusammenhänge zwischen Transmitterdysbalancen, psychotischen Symptomen und kognitiven Prozessen beitragen.
94
Kapitel 8 · Kognition bei Modellpsychosen
Literatur
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9 Zum Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein – Philosophische Aspekte Michael Pauen
9.1
Der Begriff des Bewusstseins
9.2
Grundsatzprobleme
– 97
– 97
9.2.1 Dualismus – 98 9.2.2 Monismus – 99
9.3
Methodische Fragen
– 101
9.3.1 Reduktion und Emergenz – 101 9.3.2 Phänomenales Bewusstsein – 101
9.4
Einzelprobleme – 102
9.4.1 9.4.2 9.4.3 9.4.4
Subjektivität – 102 Willensfreiheit und Verantwortung – 102 Handlungs- und Willensfreiheit – 103 Freiheit als Selbstbestimmung – 103
9.5
Fazit – 104 Literatur
– 104
97 9.2 · Grundsatzprobleme
Die Klärung des Verhältnisses von Gehirn und Bewusstsein wirft eine Vielzahl von philosophischen und empirischen Fragen auf. Aus philosophischer Sicht sind dabei drei Bereiche zu unterscheiden: 4 Grundsatzfragen: Abgesehen von begrifflichen Klärungen, wie sie insbesondere der Begriff des Bewusstseins erfordert, geht es dabei erstens um eine möglichst genaue Bestimmung der grundsätzlichen Alternativen, die im Verhältnis von Geist und Gehirn denkbar sind, insbesondere um die wichtigsten Varianten von Dualismus und Monismus. 4 Methodische Fragen: Sie betreffen das Verhältnis der unterschiedlichen wissenschaftlichen und vorwissenschaftlichen Beschreibungsebenen der Hirnforschung von der Molekularbiologie über die kognitive Neurobiologie bis zur Psychologie. Hier geht es einerseits um die Frage, ob man auf die Dauer auf höherstufige Ansätze wie etwa die der Psychologie zugunsten basaler z. B. molekularbiologischer Ansätze verzichten kann. Komplementär dazu stellt sich zweitens die Frage, ob es möglich ist, psychische Phänomene, so wie wir sie aus der Perspektive der ersten Person kennen, umfassend durch neurobiologische Theorien zu erklären, die die Perspektive der dritten Person einnehmen. 4 Einzelprobleme: Hier geht es insbesondere um das Problem des Selbstbewusstseins und das Problem der Willensfreiheit. Von ihrer Klärung hängen u. a. die in der Öffentlichkeit z. T. lebhaft diskutierten Konsequenzen der Hirnforschung für unser Menschenbild und Selbstverständnis ab. 9.1
Der Begriff des Bewusstseins
Die zentrale Frage wird traditionell als Leib-Seele Problem bezeichnet; heute spricht man üblicherweise von dem Verhältnis zwischen psychischen und neuronalen Prozessen. In der Veränderung der Formulierung werden wichtige Entwicklungen sichtbar. Während die ältere Tradition in der Medizin ebenso wie in der Philosophie Geist und Körper als unterschiedliche Substanzen einander gegenüberstellt und damit praktisch zwangsläufig zu dualistischen Auffassungen gelangt, unterscheidet man heute zwischen psychischen und physischen Prozessen. An diesen Prozessen können unterschiedliche Eigenschaften auftreten, u. a. die Eigenschaft des »bewusst Seins«. Fraglich ist, ob diese Eigenschaft mit bestimmten physischen Eigenschaften identifiziert werden kann. Es wird heute im Allgemeinen nicht mehr erwartet, dass sich der Begriff des Bewussteins streng definieren lässt. Dennoch ist eine Klärung des Begriffs sinnvoll. Das auszeichnende Merkmal von bewussten Prozessen ist nämlich, dass wir zu ihnen einen »unmittelbaren«, also nicht durch Wahrnehmungen oder andere Schlussfolgerungen vermittelten Zugang aus der Perspektive der ersten Person haben. Personen haben zu ihren bewussten Schmerzen, Gedanken, Wahrnehmungen und Emotionen einen Zugang, der erstens keiner anderen Person offensteht und den sie
9
selbst zweitens weder gegenüber unbewussten Zuständen noch gegenüber ihrem Körper besitzen: Das Gehirn einer Person kann jeder Außenstehende genauso beobachten, wie dies der Person selbst möglich ist. Offenbar handelt es sich bei diesem unmittelbaren Zugang aus der Perspektive der ersten Person um ein Merkmal, durch das sich bewusste Zustände von allen anderen Prozessen und Gegenständen in unserer Welt unterscheiden. Als mental werden solche Zustände bezeichnet, die aktuell möglicherweise nicht bewusst sind, jedoch bewusst werden können. Üblicherweise treten solche bewussten Zustände dann auf, wenn etwas als neu und wichtig beurteilt wird. So laufen z. B. die meisten Verhaltensweisen beim Autofahren normalerweise unbewusst ab. Bewusst schaltet und kuppelt man normalerweise nur dann, wenn etwas Außergewöhnliches passiert und daher nach einer neuen Problemlösung gesucht werden muss, etwa weil die Kupplung nicht mehr richtig funktioniert. Es versteht sich von selbst, dass sich hieraus keine Definition von Bewusstsein ergibt. Wer bewusste Erfahrungen nicht selbst aus der Perspektive der ersten Person kennt, dem hilft auch ein solches Merkmal nichts. Immerhin kann man zu einer weiteren Klärung des Bewusstseinsbegriffs kommen, indem man eine Reihe typischer Formen von Bewusstsein unterscheidet: 4 Bewusstsein als Wachheit im Unterschied zu vollständiger Bewusstlosigkeit. 4 Kognitives Bewusstsein: Bewusste Zustände, deren Inhalt man üblicherweise in einem Satz ausdrücken kann. Beispiel: Den Wunsch haben, dass das Wetter sich bessert. 4 Phänomenales Bewusstsein: Die spezifische Qualität z. B. von Farbempfindungen, Schmerzzuständen oder Emotionen, also die Art und Weise, »wie es ist«, in diesen Zuständen zu sein. Manchmal spricht man in diesem Zusammenhang auch von Qualia. 4 Selbstbewusstsein: Bewusstsein, das eine Person von sich selbst hat, also von ihren geistigen Zuständen, ihren körperlichen Merkmalen und ihrer eigenen Biographie. Entscheidend ist dabei, dass die Person ein Bewusstsein davon hat, dass es hier um ihre eigenen Zustände geht. 9.2
Grundsatzprobleme
Die zentrale philosophische Frage lautet nun, in welchem Verhältnis diese Bewusstseinsprozesse zu den physischen Vorgängen im Gehirn stehen (einen genaueren Überblick über diese Probleme bieten Pauen 2001; Beckermann 1999). Philosophische Antworten auf diese Frage versuchen nicht etwa, empirische Befunde zu ersetzen. Vielmehr zeigen sie, welche allgemeinen Interpretationen man sinnvollerweise aus bestimmten empirischen Daten ableiten kann. Solche allgemeinen Interpretationen bilden Hintergrundannahmen, die zwar für einzelne Experimente von geringerer Bedeutung sind, jedoch u. a. unsere Auffassungen darüber steuern, was aussichtsreiche Forschungsstrategien sind. So wäre es z. B. wenig sinnvoll, große Anstrengungen für die Erfor-
98
Kapitel 9 · Zum Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein – Philosophische Aspekte
schung der neuronalen Grundlagen bestimmter geistiger Prozesse zu machen, wenn man der Auffassung ist, dass diese Prozesse gar keine neuronale Grundlage haben. 9.2.1 Dualismus
9
Ganz grundsätzlich kann man hier zunächst zwischen dualistischen und monistischen Positionen unterscheiden. Dualisten bestreiten, dass psychische Prozesse physische Prozesse sind. Sie gehen also davon aus, dass hier ein Unterschied besteht, der u. a. dazu führen kann, dass die psychischen Prozesse auch in der Abwesenheit physischer Prozesse auftreten können. Dennoch gestehen Dualisten heute üblicherweise zu, dass das Auftreten von Bewusstseinszuständen abhängig ist von bestimmten Vorgängen im Gehirn; diese gelten allerdings als nicht hinreichend für das Auftreten von Bewusstsein (Popper u. Eccles 1989; Libet 1994). In jedem Falle gehen auch die meisten Dualisten heute davon aus, dass Bewusstsein eine Eigenschaft von psychischen Prozessen ist, die im Prinzip auch in Abwesenheit dieser Eigenschaft auftreten können. Praktisch keine Rolle mehr spielt heute dagegen der Substanzdualismus, wie er ursprünglich von Descartes (1972) vertreten wurde und sehr vielen traditionellen Mythen und religiösen Lehren zugrunde liegt (Sheils 1978). Hier wird z. B. eine Seelensubstanz von der körperlichen Substanz unterschieden. Abgesehen davon, dass solche Substanzen bislang niemals gefunden wurden und der Verweis auf eine solche Substanz keine Erklärung für das Auftreten von Bewusstsein liefert, sondern die Schwierigkeiten nur von der physischen auf die nichtphysische Ebene verlagert, steht diese Position auch vor der Schwierigkeit, deutlich zu machen, was denn mit der geistigen Substanz passieren soll, wenn das Bewusstsein abwesend ist. Immerhin verliert diese Substanz damit ja das Merkmal, durch das sie definiert ist; auf der anderen Seite fällt die Vorstellung schwer, dass solche Substanz in Abhängigkeit von der Gegenwart von Bewusstsein kommt und geht. Der wichtigste Unterschied zwischen den einzelnen Varianten des Dualismus besteht in der Antwort auf das Problem der mentalen Verursachung. Vertreter des interaktionistischen Dualismus akzeptieren, dass geistige Prozesse auf physische Prozesse einwirken; Vertreter des Epiphänomenalismus bestreiten dies. Beide Parteien sind sich allerdings einig darüber, dass physische Prozesse auf geistige Prozesse einwirken.
Interaktionistischer Dualismus Der interaktionistische Dualismus kommt damit einer sehr weit verbreiteten Vorstellung entgegen. Üblicherweise geht man nämlich davon aus, dass geistige Prozesse eine – wie auch immer vermittelte – Wirkung auf physische Prozesse haben. Das bedeutet, dass Überlegungen, Emotionen und Empfindungen unter den Ursachen dafür sind, dass Personen in einer bestimmten Weise handeln, über diese Prozesse sprechen, sich an sie erinnern etc. Interaktionistische Dualisten führen dies zurück auf die Einwir-
kung geistiger auf physische Prozesse und zwar auf eine Einwirkung, die nicht durch andere physische Prozesse zu erklären ist. Diese Annahme erscheint extrem plausibel, doch sie wirft eine Reihe schwerwiegender Probleme auf. Eine der zentralen Voraussetzungen empirischer Forschung ist das sog. Prinzip der kausalen Geschlossenheit. Es unterstellt, dass nur physische Prozesse als Ursachen anderer physischer Prozesse in Frage kommen. Dieses heuristische Prinzip könnte sich als falsch erweisen, doch dies würde gegen alle Erfahrungen verstoßen, die wir bislang bei der Erforschung der Natur gemacht haben. Es kommt hinzu, dass durch eine Einwirkung nichtphysischer Prozesse auf physische Prozesse auch die Energieerhaltungssätze in Frage gestellt würden – wie sonst sollten geistige Prozesse einen Einfluss auf physische Prozesse in unserem Gehirn ausüben? Vielleicht kann man einen solchen Energieaustausch bestreiten, doch dann wird die Sache erst recht rätselhaft. Diese Schwierigkeiten waren bereits in der Cartesianischen Lehre aufgetreten; Descartes selbst war es ebenso wenig wie seinen Nachfolgern gelungen, hier zu einer befriedigenden Lösung zu kommen. Immerhin denkbar wäre es, geistige Zustände als physische Zustände eines neuen Typs zu klassifizieren. Solche Zustände könnten dann Wirkungen auf andere Zustände ausüben, ohne damit in einen Konflikt zu unseren wissenschaftlichen Prinzipien zu geraten. Auch diese Option erscheint nicht übermäßig attraktiv – die Schwierigkeiten des interaktionistischen Dualismus erweisen sich also als recht hartnäckig. Dennoch dürften sie nicht ausreichen, diese Position schon aus theoretischen Gründen, also alleine wegen ihrer inneren Widersprüche oder ihres Mangels an Plausibilität, zurückzuweisen.
Epiphänomenalismus Dennoch haben nicht zuletzt die Schwierigkeiten, die der interaktionistische Dualismus mit dem Problem der mentalen Verursachung hat, zur Entwicklung einer zweiten Variante des Dualismus geführt, nämlich des Epiphänomenalismus. Epiphänomenalisten entgehen dem Problem der mentalen Verursachung, weil sie geistige Zustände als prinzipiell unwirksam betrachten. In ihren Augen sind geistige Zustände zwar von physischen Prozessen abhängig, sie selbst üben jedoch keinerlei Wirkungen aus. Dies gilt für physische Prozesse ebenso wie für andere psychische Prozesse. Wenn also die Verletzung eines Fingers eine Schmerzempfindung verursacht, die Person einen Schmerzlaut von sich gibt und anschließend ihren Finger wegzieht, dann spielt die Schmerzempfindung in der Erklärung für das Zustandekommen der Schmerzäußerung und der anschließenden Bewegung genausowenig eine Rolle wie für die Erklärung der Erinnerung an diesen Vorgang: Alle diese Phänomene basieren ausschließlich auf physischen Wirkungen; nur auf diese Wirkungen kann sich daher auch die Erklärung dieser Phänomene berufen. Die geistigen Zustände dagegen sind reine Begleiterscheinungen, die mit den eigentlich wirksamen physischen Prozessen einhergehen. Der Epiphänomenalismus entgeht damit dem Problem der mentalen Verursachung, kann aber auf der anderen Seite die
99 9.2 · Grundsatzprobleme
großen Unterschiede zwischen der mentalen und der physischen bzw. neuronalen Ebene sehr einfach darauf zurückführen, dass wir es hier in der Tat auch mit unterschiedlichen Prozessen zu tun haben. Diese Vorteile erkauft der Epiphänomenalismus allerdings mit gravierenden Schwierigkeiten. Dies betrifft erstens die Frage, warum sich Bewusstsein in der Evolution überhaupt ausbilden konnte. Da es keine Wirkungen hat, kann es auch keinen Selektionsvorteil bieten. Zweitens ist es einfach unplausibel anzunehmen, dass unsere Schmerzen und Farbempfindungen nicht unter den Ursachen dafür sind, dass wir über Schmerzen und Farbempfindungen sprechen, vor allem aber, dass unser Bewusstsein nicht unter den Ursachen dafür ist, dass der Epiphänomenalismus Theorien über das Bewusstsein entwickelt. Der gravierendste Einwand lautet schließlich drittens, dass der Epiphänomenalismus das Wissen über die Existenz von Bewusstseinszuständen gefährdet. Da mentale Zustände keine neuronalen Prozesse sind, können letztere theoretisch auch in der Abwesenheit mentaler Zustände auftreten. Es ist also theoretisch möglich, dass eine Person auf der neuronalen Ebene in einem Schmerzzustand ist, aber überhaupt nichts empfindet. Die subjektive Sicherheit, solche Situationen niemals erlebt zu haben, besagt nichts: Da mentale Zustände keinerlei Wirkungen besitzen, würde ihre Abwesenheit in keiner Weise auffallen, und zwar unabhängig davon, wie oft dies passiert. Dann aber lässt sich nicht ausschließen, dass es ständig zu solchen Situationen kommt. Wenn man also die Sicherheit bezüglich der Existenz mentaler Zustände nicht untergraben will, dann muss man den Epiphänomenalismus zurückweisen. All dies spricht dafür, dass die theoretischen Probleme, die der Epiphänomenalismus aufwirft, so gravierend sind, dass diese Position letztlich nicht akzeptabel ist (vgl. Pauen 2000b). Der Epiphänomenalismus bietet daher keine zureichende Grundlage für eine angemessene Interpretation naturwissenschaftlicher Daten. 9.2.2 Monismus Im Gegensatz zu Dualisten behaupten Monisten, dass es nur eine Art von Entitäten geben kann. Im Prinzip könnten dies auch psychische Entitäten sein, faktisch spielen heute aber nur noch die physikalistischen Varianten des Monismus eine Rolle. Ihnen zufolge ist alles, was es auf unserer Welt gibt, physisch; auch geistige Prozesse müssen daher als physische Prozesse verstanden werden.
Radikaler Materialismus Abermals lassen sich zwei prinzipiell unterschiedliche Positionen unterscheiden. Radikalen Formen des Materialismus zufolge sind geistige Zustände »in Wirklichkeit« physische Zustände. Insbesondere die Wissenschaften müssen sich daher auch nur mit physischen Zuständen befassen; geistige Prozesse, so wie sie aus der Perspektive der ersten Person bekannt sind, stellen keinen legitimen Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis dar. Einer
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älteren Variante dieser Position zufolge bedeutet dies, dass Aussagen über geistige Phänomene restlos in Aussagen über physische Phänomene, insbesondere in Aussagen über Verhaltensdispositionen übersetzbar sind. Wenn ich also von meinen Schmerzen berichte, dann meine ich damit in Wirklichkeit ein ganz bestimmtes Muster von Verhaltensdispositionen, beispielsweise die Tendenz, eine Schmerzäußerung zu machen, ein Schmerzmittel zu nehmen oder aber meinen Körper von der Quelle des Schmerzes zu entfernen. Der sog. Eliminative Materialismus geht noch einen Schritt weiter und stellt die Existenz geistiger Phänomene generell in Frage. Diese sind uns nämlich keineswegs unmittelbar zugänglich, sodass ihre Existenz zweifelsfrei gewiss wäre. Geistige Prozesse werden hier betrachtet als Artefakte einer sog. Alltagspsychologie, die eigentlich der Erklärung und Prognose von Verhalten dient. Da die Neurowissenschaften auf die Dauer bessere Erklärungen und Prognosen für unser Verhalten liefern werden, wird die Alltagspsychologie auf längere Sicht verschwinden. Damit entfällt aber auch die Basis für die Postulate dieser Theorie. Genauso wie die Aufgabe der Phlogistontheorie zur Zurückweisung der Annahmen über die Existenz des Phlogistons geführt hat, genauso soll die Ersetzung der Alltagspsychologie durch eine bessere neurowissenschaftliche Theorie dazu führen, dass auch die von dieser Theorie postulierten geistigen Zustände aufgegeben werden. Spätere Generationen werden also nicht mehr von geistigen Zuständen sprechen, sondern nur noch von den ihnen zugrunde liegenden neuronalen Vorgängen. Beide Varianten des radikalen Materialismus spielen heute nur noch eine sehr untergeordnete Rolle. Die Übersetzung von mentalistischen Aussagen in Aussagen über Verhaltensdispositionen hat sich als undurchführbar erwiesen. Ganz abgesehen davon ist es offenbar unzutreffend, dass mit Aussagen über mentale Phänomene in Wirklichkeit Verhaltensdispositionen gemeint sind. Mit Aussagen über Schmerzen sind in der Regel Schmerzen und eben kein einfaches Schmerzverhalten gemeint. Offenkundiger noch sind die Unzulänglichkeiten des Eliminativen Materialismus. Zum einen ist es einfach unplausibel anzunehmen, dass geistige Zustände bloße Postulate einer Theorie sein sollen. Abgesehen davon scheint sich der Vertreter des Eliminativen Materialismus in einen Widerspruch zu verwickeln: Auf der einen Seite muss er annehmen, dass man Wissen von seiner Theorie erwerben kann. Dies setzt nach der Standarddefinition von Wissen jedoch voraus, dass man die Aussagen der Theorie glaubt. Andererseits bestreitet der Eliminative Materialismus aber die Existenz von Glaubenszuständen und entzieht sich damit eine unverzichtbare Grundlage.
Identitätstheorie All dies bedeutet, dass auch die radikalen Varianten des Materialismus keine attraktiven Vorschläge für die Interpretation empirischer Daten über den Zusammenhang zwischen psychischen und physischen Prozessen machen können. Im Gegensatz dazu stellt die Identitätstheorie schon allein deshalb eine plausiblere
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Kapitel 9 · Zum Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein – Philosophische Aspekte
Alternative dar, weil sie geistigen Phänomenen in wesentlich höherem Maße gerecht wird. Mit den Vertretern radikaler Varianten des Materialismus sind sich die Identitätstheoretiker in der Annahme einig, dass es nur eine Art von Entitäten gibt: Es existieren also keine immateriellen Seelen neben den uns bekannten physischen Prozessen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Identitätstheorie die Realität psychischer Prozesse in Frage stellen würde: Im Gegenteil. Aus Sicht der Identitätstheorie sind geistige Prozesse ein genau so legitimer Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen wie physische Vorgänge. Die zentrale Behauptung der Identitätstheoretiker lautet nur, dass sich unsere Untersuchungen über psychische Prozesse auf genau den gleichen Gegenstand beziehen wie unsere Untersuchungen über bestimmte physische Prozesse. Dabei unterscheiden sich die beiden wichtigsten Varianten der Identitätstheorie allerdings in der Art und Weise, wie sie die Identitätsbeziehung verstehen: Typenidentitätstheoretiker sind der Auffassung, dass Typen von mentalen Zuständen mit Typen von neuronalen Prozessen identisch sind. Es müssten daher alle Zustände, die wir als Schmerzen bezeichnen, identisch sein mit neuronalen Prozessen eines bestimmten Typus. Hieraus ergibt sich eine Eins-zu-eins-Zuordnung zwischen einem neuronalen und einem mentalen Typ. Es ist jedoch mehr als umstritten, ob es eine solche Eins-zu-eins-Zuordnung von mentalen und neuronalen Prozessen geben kann. Wir können einfach nicht damit rechnen, dass Schmerzen z. B. bei anderen Lebewesen genauso realisiert sind wie bei Menschen. Die Antwort auf dieses Problem liefert die Theorie der Tokenidentität. Sie behauptet, dass jedes einzelne Vorkommnis eines bestimmten Typs mentaler Zustände physisch realisiert sein muss. Unterschiedliche Vorkommnisse eines Typs mentaler Zustände können jedoch durch physische Zustände unterschiedlichen Typs realisiert sein. Schmerzzustände bei anderen Lebewesen können also eine andere physische Grundlage haben als menschliche Schmerzzustände. Häufig gehen Vertreter der Tokenidentitätstheorie davon aus, dass man mentale Zustände durch ihre Funktion, d. h. ihre typischen Ursachen und Wirkungen charakterisieren kann. Diese Auffassung knüpft an behavioristische Vorstellungen an, sie unterscheidet sich von ihnen allerdings durch die Annahme, dass mentale Zustände nicht restlos in einer Sprache zu erfassen sind, in der nur von Verhaltensdispositionen die Rede ist. Die Identitätstheorie hat eine Reihe prinzipieller Vorzüge. So vermag sie auf der einen Seite nicht nur der eigenständigen Realität geistiger Prozesse gerecht zu werden, vielmehr bietet sie auch eine elegante Lösung des notorischen Problems der mentalen Verursachung. Wenn geistige Prozesse identisch mit physischen Prozessen sind, dann sind sie kraft dieser Identität auch kausal wirksam: Niemand bezweifelt nämlich ernsthaft die kausale Wirksamkeit physischer Prozesse. Wesentliche Schwierigkeiten ergeben sich für diese Theorie zunächst aus der Identitätsbehauptung selbst. Offenbar ist es unsinnig zu behaupten, dass eine Sache mit einer anderen identisch sein soll; andererseits ist die Identität einer Sache mit sich selbst
trivial. Tatsächlich ist die Frage nach der Identität aber sinnvoll, wenn möglicherweise unterschiedliche Zugänge zu einem Objekt bestehen. Die Behauptung, dass Abendstern und Morgenstern miteinander identisch sind, ist weder trivial noch unsinnig. Sie bedeutet, dass der hellste Stern am Abendhimmel und der hellste Stern am Morgenhimmel ein und dasselbe Objekt sind, nämlich die Venus. Wenn wir unterschiedliche Zugänge zu einem Objekt haben, dann bedeutet das gleichzeitig, dass uns dasselbe Objekt auch ganz unterschiedlich erscheinen kann. So können wir ein Musikinstrument gleichzeitig hören und sehen. Das Instrument, das wir hören, ist dann identisch mit dem Objekt, das wir sehen, doch unsere visuelle und akustische Erfahrung unterscheiden sich gravierend voneinander. Ein Mangel an Ähnlichkeit ist also für sich genommen noch kein Einwand gegen eine Identitätsbehauptung. Tatsächlich lassen sich Identitätsbeziehungen praktisch niemals zweifelsfrei empirisch nachweisen. Dennoch kann es gute Gründe für eine Identitätsbehauptung geben, auch wenn wir niemals ausschließen können, dass uns bei solchen Behauptungen ein Irrtum unterläuft. Schwierigkeiten bietet die Identitätstheorie auch insofern, als es unplausibel erscheint zu behaupten, dass die große Vielfalt psychischer Prozesse, so wie wir sie aus der Perspektive der ersten Person erfahren, identisch sein soll mit neuronalen Aktivitäten. Auch diese Theorie steht also vor einer großen Zahl von Schwierigkeiten, doch es ist zumindest denkbar, dass diese Probleme sich lösen lassen. Ebenso wie der interaktionistische Dualismus bietet die Identitätstheorie also einen prinzipiell akzeptablen Ansatz zur Interpretation von empirischen Daten. Doch welche Daten würden für die Identitätstheorie, welche für den Dualismus sprechen? Interaktionistische Dualisten behaupten, dass bestimmte Veränderungen auf der physischen Ebene auf mentale Prozesse zurückgeführt werden müssen. Identitätstheoretiker bestreiten dies. Wenn Dualisten also davon ausgehen, dass Willensakte handlungswirksam werden können, dann muss es bei den neuronalen Prozessen, die eine Handlung einleiten, Veränderungen geben, die nicht auf andere physische Prozesse, sondern eben nur auf den immateriellen, geistigen Willensakt zurückzuführen sind. Sollte es dagegen keine Indizien für eine solche Einwirkung geben und sollten sich außerdem stabile und spezifische Korrelationen zwischen bestimmten geistigen und physischen Prozessen nachweisen lassen, dann könnte dies gute Gründe für die Identitätsbehauptung liefern, immer vorausgesetzt, auch die theoretischen Probleme könnten zufriedenstellend gelöst werden. Mit Hilfe philosophischer Überlegungen ist also nicht nur eine genauere Bestimmung der Alternativen möglich, die sich bei der Beschreibung des Verhältnisses von Geist und Gehirn bieten, vielmehr liefern theoretische Überlegungen auch eine gewisse Auswahl zwischen mehr oder minder sinnvollen Alternativen. Die Entscheidung zwischen den verbleibenden Alternativen ist dann zumindest im Prinzip auf der Basis empirischer Befunde möglich. Die bislang vorliegenden Untersuchungen geben jedoch keinen Hinweis darauf, dass nichtphysische geistige Vorgänge auf
101 9.3 · Methodische Fragen
neuronale Abläufe einwirken – im Gegenteil: Alles spricht dafür, dass neuronale Prozesse stets rein naturalistisch erklärt werden können. Abgesehen davon stellt der Monismus eine äußerst sinnvolle Forschungshypothese dar: Die Suche nach den neuronalen Ursachen bestimmter Veränderungen kann nur dann aussichtsreich sein, wenn man im Prinzip unterstellt, dass es solche neuronalen Ursachen gibt. Der Monismus – und damit die Identitätstheorie – bietet also eine sinnvolle Forschungsheuristik. 9.3
Methodische Fragen
9.3.1 Reduktion und Emergenz Abgesehen von diesen Grundsatzproblemen befassen sich Philosophen auch mit bestimmten methodischen Fragen. Angesichts der Vielfalt der Zugänge zu Gehirn und Bewusstsein, wie sie die Hirnforschung, die Psychologie, aber auch die Perspektive der ersten Person bieten, stellt sich insbesondere die Frage nach dem Verhältnis dieser unterschiedlichen Ansätze. Hier ist zunächst wieder die Klärung von zwei Begriffen erforderlich, die in der Diskussion über die Hirnforschung eine sehr große Rolle spielen, nämlich die direkt voneinander abhängigen Begriffe Reduktion und Emergenz (Beckermann 2002; Kim 2002; Stephan 1999). Viele der Missverständnisse kommen durch eine Verwechslung der wissenschaftstheoretischen Bedeutung von »Reduktion« mit der alltagssprachlichen Bedeutung von »reduzieren« zustande. Wenn etwas im alltagssprachlichen Sinne reduziert wird, dann ist anschließend weniger, im Extremfall praktisch gar nichts mehr da. Eine solche Form der Reduktion geistiger Prozesse wäre offenbar inakzeptabel. Bei einer Beschränkung auf den terminologischen Gebrauch von Reduktion ist dies jedoch nicht zu befürchten. Terminologisch ist mit Reduktion nämlich einfach eine erklärende Zurückführung gemeint. Eine entscheidende Bedeutung spielen in der neueren Diskussion vor allem die sog. reduktiven Erklärungen. So könnte man z. B. die im Alltag zu beobachtende Eigenschaft von Wasser, bei 0°C unter Normalbedingungen zu gefrieren, auf die Elementareigenschaften von H2O-Molekülen zurückführen, z. B. auf die Kristallgitterstrukturen, die sich unterhalb von 0°C zwischen diesen Molekülen bilden. Würde dies gelingen, dann könnten wir Fragen, die sich in Bezug auf das höherstufige Phänomen ergeben, durch Theorien über die Elementareigenschaften beantworten. Es sollte sich von selbst verstehen, dass reduktive Erklärungen die Existenz der reduzierten Phänomene nicht in Frage stellen – im Gegenteil: Reduktive Erklärungen machen verständlich, wie die Phänomene zustande kommen und bestätigen damit deren Existenz. Sollten wir also irgendwann einmal in der Lage sein, bestimmte geistige Eigenschaften auf neuronale Prozesse zurückzuführen, dann dürfte dies auch unser Verständnis dieser Prozesse verbessern; unsere Überzeugung, dass es diese Prozesse
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tatsächlich gibt, bliebe davon jedoch unberührt: Schmerzen verschwinden nicht dadurch, dass man ihre neuronale Grundlage versteht. Ist eine Eigenschaft nicht reduktiv erklärbar, dann nennen wir sie üblicherweise emergent. Damit ist nicht gemeint, dass es sich um eine mysteriöse, nicht physische Eigenschaft handelt. Entscheidend ist lediglich, dass wir mit unseren Erklärungsversuchen prinzipiell scheitern, obwohl es sich um eine physische Eigenschaft handelt. Emergente Eigenschaften unterscheiden sich von reduktiv erklärbaren Eigenschaften also nicht in Bezug auf ihren Status als physische Eigenschaften, sondern lediglich in Bezug auf ihr Verhältnis zu wissenschaftlichen Theorien. Reduktiv erklärbare Eigenschaften lassen sich auf basale Prozesse zurückführen; bei emergenten Eigenschaften ist dies grundsätzlich nicht möglich. 9.3.2 Phänomenales Bewusstsein Gerade hier gibt es jedoch nach Ansicht sehr vieler Autoren prinzipielle Hindernisse (Levine 1983; Jackson 1982; Pauen 1999). In der Tat ist es schwer vorstellbar, wie Erkenntnisse über das Verhalten von Neuronen Aufschluss über die qualitativen Aspekte z. B. von Schmerzempfindungen geben sollen. Die Frage ist keinesfalls nur von akademischem Interesse. Wäre es prinzipiell ausgeschlossen, die qualitativen Aspekte von Bewusstseinszuständen auf physische Prozesse zurückzuführen, dann würde sich daraus nicht nur eine unüberwindbare Grenze neurobiologischer Forschung ergeben, vielmehr stellte sich auch die Frage, ob es sich bei den nicht erklärbaren Eigenschaften wirklich nur um physische Eigenschaften handelt oder ob unsere naturwissenschaftlichen Erklärungen hier nicht einfach deshalb scheitern müssen, weil wir es nicht mit natürlichen Eigenschaften zu tun haben. Es spricht jedoch einiges dafür, dass sich dieses Problem auf die Dauer auflösen lässt. Die philosophische Diskussion der letzten Jahre hat nämlich gezeigt, dass einige der Gründe, auf die man den Eindruck einer unüberwindbaren Erklärungslücke üblicherweise zurückführt, durchaus angreifbar sind. Abgesehen davon hat sich auch in der bisherigen Geschichte der Hirnforschung immer wieder der Eindruck einer unüberwindlichen Grenze aller natürlichen Erklärungen eingestellt: Auch die Cartesianische Idee, dass geistige Prozesse auf eine immaterielle Seelensubstanz zurückzuführen seien, entstand nicht zuletzt daraus, dass naturalistische Erklärungen auf dem zeitgenössischen Stand der Erkenntnis einfach unvorstellbar erscheinen mussten. Solche Grenzen unseres Vorstellungsvermögens haben sich mit dem Fortschritt der Wissenschaften immer wieder verändert. Insofern sollte man vorsichtig sein, aus unseren heutigen Schwierigkeiten, uns bestimmte Lösungen vorzustellen, gleich auch die prinzipielle Unmöglichkeit solcher Lösungen abzuleiten.
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Kapitel 9 · Zum Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein – Philosophische Aspekte
9.4
Einzelprobleme
Gegenstand der philosophischen Auseinandersetzung mit den Problemen von Geist und Gehirn sind schließlich auch eine Reihe von Einzelproblemen. Hier ist die Berührung mit der konkreten empirischen Forschung am engsten. Dabei geht es um Probleme, die von großer allgemeiner Bedeutung sind und häufig zu erregten öffentlichen Diskussionen geführt haben. Im Mittelpunkt der neueren Auseinandersetzung steht zum einen das Problem von »Ich« bzw. Subjektivität, zum zweiten das Problem von Willensfreiheit und Verantwortung. Beide Fragen eignen sich zudem zur Illustration der prinzipiellen Unterschiede zwischen philosophischer und empirischer Arbeit: Während eine philosophische Auseinandersetzung der Frage gilt, was wir sinnvollerweise unter Selbstbewusstsein oder Willensfreiheit verstehen können, was also sinnvolle Kriterien für diese Eigenschaften sind, geht es in der empirischen Forschung vor allem um die Frage, ob wir diese Kriterien erfüllen. 9.4.1 Subjektivität
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Die öffentliche Auseinandersetzung mit Problemen von Subjektivität und Willensfreiheit hat sich vor allem an der Behauptung entzündet, die Wissenschaft werde früher oder später den illusionären Charakter dieser Annahmen aufweisen. Es leuchtet ein, dass die Konsequenzen wissenschaftlicher Erkenntnisse für das Menschenbild bzw. für Selbstbewusstsein und Willensfreiheit davon abhängen, was man sinnvollerweise unter Willensfreiheit verstehen kann. In der Diskussion über die Subjektivität ist oftmals die Rede von einem »Ich« oder einem »Selbst«. Skeptiker argumentieren, dass die Annahme eines solchen »Ich« nicht mit den Erkenntnissen von Hirnforschung und Psychologie vereinbar sei (Dennett 1991; Metzinger 1996). Oft wird dabei vorausgesetzt, dass das Ich eine Art einheitlicher Substanz oder doch zumindest ein Zentrum im Gehirn sein müsse, in dem alle Wahrnehmungen zusammenlaufen und von dem alle Handlungsimpulse ausgehen. Es fällt nicht schwer zu zeigen, dass es weder eine solche IchSubstanz gibt noch ein entsprechendes Zentrum im Gehirn, in dem alle Stränge zusammenlaufen. Die philosophisch interessante Frage ist allerdings, ob wir ein derartiges Zentrum bzw. eine solche Ich-Substanz überhaupt benötigen, um mit Recht davon sprechen zu können, dass wir über Subjektivität bzw. ein Ich verfügen. Zweifel daran ergeben sich schon aus unserem alltagssprachlichen Begriffsgebrauch. Natürlich reden wir im Alltag normalerweise nicht von unserem Ich, wenn wir uns auf uns selbst beziehen. Wenn wir diesen Ausdruck gebrauchen, dann verwenden wir ihn als Pronomen der ersten Person Singular und beziehen uns damit auf die körperlich-geistige Person, auf die andere sich mit unserem Namen beziehen können. Vorausgesetzt wird dabei allerdings, dass diese Person über bestimmte Fähigkeiten verfügt. Konkret muss sie imstande
sein, ihre eigenen Wünsche, Charaktermerkmale und körperlichen Eigenschaften als ihre eigenen Eigenschaften zu erkennen, sie muss also über Selbstbewusstsein verfügen (Tugendhat 1979). Dieses Selbstbewusstsein fehlt z. B. kleinen Kindern, die sich »verstecken,« indem sie sich die Augen zuhalten: Solche Kinder begreifen ihre eigene Wahrnehmung noch nicht als ihre eigene Wahrnehmung und verwechseln sie daher mit dem, was es überhaupt zu sehen gibt. Erforderlich ist zudem, dass eine solche Person eine leidlich stabile Vorstellung von ihren eigenen Besonderheiten hat, also ein Selbstkonzept. Außerdem setzen wir üblicherweise voraus, dass Personen ihre eigene Geschichte kennen, dass sie also über ein autobiographisches Gedächtnis verfügen. Von einer Person, die diese Fähigkeiten hat, können wir sagen, dass sie ein »Ich« besitzt; sind eine oder mehrere dieser Fähigkeiten gestört, dann reden wir üblicherweise von einer mehr oder minder starken »Ich-Störung.« Setzt man an die Stelle einer mysteriösen Ich-Substanz einen solchen Katalog von Fähigkeiten, der einigermaßen das erfasst, was wir von einer selbstbewusstseinsfähigen Person erwarten, dann entfällt der Gegensatz zwischen Wissenschaft und Subjektivität. Diese Fähigkeiten lassen sich empirisch untersuchen; wir können also feststellen, unter welchen Bedingungen diese Fähigkeiten entstehen, wann sie gestört werden und was ihre neuronalen Grundlagen sind. So hat sich z. B. herausgestellt, dass die Theory of Mind eine zentrale Rolle für die Entstehung von Selbstbewusstsein hat: Geistige Zustände kann ich nämlich nur in dem Maße als meine eigenen erkennen, in dem ich sie von den geistigen Zuständen anderer unterscheiden kann; doch gerade dazu bedarf es einer Theory of Mind (Pauen 2000a). Sie fehlt nicht nur bei Kindern, die sich verstecken, indem sie sich ihre Augen zuhalten, sondern auch bei Kindern, die an den berühmten »false belief tasks« scheitern. Solche Kinder schreiben z. B. anderen automatisch die Überzeugungen zu, die sie selbst haben, auch wenn es offensichtlich ausgeschlossen ist, dass die anderen die notwendigen Informationen besitzen. Offensichtlich liegt hier eine Unfähigkeit vor, zwischen der eigenen und der fremden kognitiven Perspektive zu unterscheiden. 9.4.2 Willensfreiheit und Verantwortung Das Problem der Willensfreiheit hat in den letzten Jahren in der öffentlichen Diskussion über die Konsequenzen der Neurowissenschaften eine besondere Rolle gespielt. Grundlage war auch hier die Annahme, dass der Fortschritt in den Neurowissenschaften die Willensfreiheit nahezu zwangsläufig als eine Illusion erweisen werde. Unterstellt wird dabei in der Regel, dass Willensfreiheit unvereinbar mit Determination ist. Sollten die Neurowissenschaften – wie von vielen Autoren erwartet – zu der Erkenntnis führen, dass auch in unserem Gehirn Naturgesetze gelten, die zumindest auf der makrophysikalischen Ebene zu deterministischen Prognosen führen, dann wäre damit die Willensfreiheit widerlegt (Prinz 1996; Singer 2002).
103 9.4 · Einzelprobleme
Ähnlich wie bei dem Problem des Ich setzt auch eine Abschätzung der Konsequenzen experimenteller Befunde für das Problem der Willensfreiheit zunächst eine Verständigung darüber voraus, was man sinnvoll unter Willensfreiheit verstehen kann. Entscheidend ist dabei die Frage, ob Willensfreiheit tatsächlich unvereinbar ist mit dem Bestehen von Determination. 9.4.3 Handlungs- und Willensfreiheit Generell kann man zwei unterschiedlich weitreichende Freiheitsbegriffe einander gegenüberstellen, nämlich Handlungs- und Willensfreiheit (Pauen 2004; Bieri 2001). Handlungsfreiheit setzt voraus, dass eine Person so handelt, wie es ihrem faktischen Willen entspricht. Wenn jemand eine Zigarette raucht und diese Handlung auf den entsprechenden Willensakt zurückzuführen ist, dann handelt er frei im Sinne der Handlungsfreiheit. Handlungsfreiheit gibt es auch in einer determinierten Welt, denn natürlich kann man auch in einer solchen Welt so handeln, wie es dem eigenen Willen entspricht; es ist dann determiniert, dass man will und so handelt. Handlungsfreiheit ist daher eine kompatibilistische Position, ihr zufolge sind Freiheit und Determination miteinander kompatibel. Es ist kaum umstritten, dass diese Vorstellung von Freiheit zu schwach ist. Handlungsfrei wäre in dem obigen Beispiel nämlich auch ein Kleptomane, sofern er seinem Willen entsprechend handeln kann. Doch offenbar würden wir in diesem Falle nicht von Freiheit sprechen, weil der Wille des Kleptomanen unter dem Diktat seines Zwangs steht. Dieser Intuition sucht der Begriff der Willensfreiheit gerecht zu werden; er fordert, dass auch der Wille einer Person frei ist. Was das genau bedeutet, ist allerdings umstritten. Zuweilen wird angenommen, dass eine Person unter identischen Bedingungen zwei unterschiedliche Handlungsoptionen hat. Dies ist in einer determinierten Welt offenbar ausgeschlossen. Versteht man Willensfreiheit in dieser Form, dann hat man es mit einer Variante des Inkompatibilismus zu tun: Freiheit und Determination wären inkompatibel. Für diese Position spricht, dass sie zeigen kann, warum ein Kleptomane nicht frei ist: Er könnte unter identischen Bedingungen nicht anders handeln. Auf der anderen Seite wirft diese Position Schwierigkeiten bei der Unterscheidung von Freiheit und Zufall auf; wenn unter identischen Bedingungen sowohl die eine wie auch die andere Handlungsoption möglich ist: Wie kann man dann noch davon sprechen, dass die Handlung vom Handelnden abhing? Vielmehr entscheidet unter diesen Bedingungen offenbar der Zufall darüber, welche der beiden Optionen realisiert wird – auch wenn der Zufall seinen Ort möglicherweise im Kopf oder in den Gedanken der handelnden Person hat. Viele Autoren haben sich daher um eine kompatibilistische Konzeption von Willensfreiheit bemüht. Diese Konzeption muss also auf der einen Seite stärker sein als die traditionellen Vorstellungen von Handlungsfreiheit, auf der anderen Seite
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sollte sie aber die Vereinbarkeit von Freiheit und Determination erhalten. Ein besonders einflussreicher Versuch wurde von Harry Frankfurt entwickelt (Frankfurt 1971). In seinen Augen kommt es darauf an, dass eine Person sich den Wunsch, der die Handlung bestimmt, in einem Wunsch zweiter Ordnung zu eigen macht. Dass Frankfurts Theorie stärker ist als die traditionelle Konzeption von Handlungsfreiheit, zeigt sich daran, dass er den typischen Einwänden entgeht, die man gegen die Handlungsfreiheit vorbringen kann: Ein Kleptomane ist Frankfurts Konzeption zufolge nämlich gerade nicht frei, sofern man voraussetzt, dass er seinen Zwang nicht willentlich akzeptiert. Dennoch hat Frankfurts Konzeption eine Reihe gravierender Schwächen. Besonders problematisch ist dabei die Gefahr eines Regresses: Ausgangspunkt von Frankfurts Konzeption ist die plausible Annahme, dass Handlungen nicht schon deshalb frei sind, weil sie sich auf einen Willensakt der Person zurückführen lassen. Aus diesem Grund fordert Frankfurt ja die Übereinstimmung mit den Wünschen zweiter Ordnung. Wenig plausibel erscheint jedoch die Annahme, eine Handlung würde frei durch die Übereinstimmung mit einem unfreien Wunsch zweiter Ordnung. Mit demselben Recht, mit dem man von einem Willensakt erster Ordnung verlangt, dass er in einem Wunsch zweiter Ordnung akzeptiert wird, kann man von dem Wunsch zweiter Ordnung verlangen, dass er in einem Wunsch dritter Ordnung akzeptiert wird etc. Damit aber gerät Frankfurt in einen Regress, von dem nicht zu sehen ist, wie er aufzulösen sein sollte. 9.4.4 Freiheit als Selbstbestimmung Eine Alternative zu Frankfurts Versuch, Willensfreiheit und Determination miteinander zu vereinbaren, kann ansetzen bei zwei allgemein akzeptierten Intuitionen. Zum einen wird im Alltag üblicherweise unterstellt, dass freie Handlungen nicht unter Zwang stehen dürfen; freie Handlungen müssen autonom sein. Zweitens erfordert Freiheit aber auch eine Abgrenzung gegenüber dem Zufall. Der entscheidende Unterschied zwischen einem Zufall und einer freien Handlung besteht offenbar darin, dass eine freie Handlung eine Person zu ihrem Urheber hat. Beiden Forderungen, also der nach Autonomie und der nach Urheberschaft, kann man gerecht werden, wenn man Freiheit als Selbstbestimmung versteht. Selbstbestimmung impliziert die Abgrenzung von Zwang und Zufall und wird damit beiden obigen Forderungen gerecht. Von einer selbstbestimmten Handlung kann offenbar dann die Rede sein, wenn die Handlung sich auf den Handelnden selbst zurückführen lässt, konkret auf die Wünsche, Bedürfnisse und Überzeugungen, die man dem Handelnden selbst zuschreiben kann. Verletzt wäre die Forderung nach Selbstbestimmung hingegen dann, wenn eine Handlung durch äußere Einflüsse zustande käme oder wenn sie zufällig geschähe. Entscheidend ist nun, dass eine Kleptomanie oder eine Rauschgiftsucht offenbar
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Kapitel 9 · Zum Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein – Philosophische Aspekte
nicht unmittelbar Sache der Person sind, sondern als ein äußerer Zwang betrachtet werden können – genau deshalb gehen wir ja davon aus, dass solche Zustände die Freiheit einer Person einschränken. Mit Hilfe geeigneter Kriterien kann man daher systematisch zwischen solchen Eigenschaften unterscheiden, die man einer Person zuschreiben kann, und solchen, bei denen dies – wie z. B. bei einer Kleptomanie oder einer Rauschgiftsucht – nicht möglich ist. Entscheidend ist nun, dass man auf der Basis einer solchen Vorstellung von Selbstbestimmung deutlich machen kann, warum Freiheit und Determination miteinander vereinbar sind. Zum einen wäre es offenbar unproblematisch, wenn eine Handlung determiniert ist, vorausgesetzt, sie ist durch den Handelnden selbst determiniert. Dann kann man nämlich sagen, dass sie selbstdeterminiert oder eben selbstbestimmt ist. Umgekehrt würde die Aufhebung einer solchen Determination keinen Gewinn an Freiheit bringen, sondern nur die Wahrscheinlichkeit einer Handlung vergrößern, die den Wünschen und Überzeugungen des Handelnden widerspricht. Ein Mehr an Freiheit ist damit offenbar nicht zu gewinnen. Doch wenn die Aufhebung der Determination nicht zu einem Mehr an Freiheit führt, dann kann das Fortbestehen der Determination keine Einschränkung der Freiheit zur Folge haben. Das aber heißt nichts anderes, als dass Freiheit und Determination miteinander vereinbar sind. Treffen diese Überlegungen zu, dann würde der Nachweis, dass es im menschlichen Gehirn mit guten naturwissenschaftlichen Dingen zugeht, unsere Fähigkeit, frei zu handeln, nicht in Frage stellen. Ähnlich wie bei der Diskussion über Ich und Subjektivität erweisen sich also auch hier die spektakulären Prognosen als unzutreffend: Die Gefahr, dass die neurowissenschaftliche Forschung unser Menschenbild als illusionär erweist, scheint also weit geringer zu sein, als dies oft behauptet wird. Tatsächlich hat sich unser Menschenbild zumindest in seinen Grundzügen in der Vergangenheit als erstaunlich stabil erwiesen. Es wäre daher verwunderlich, wenn in der Gegenwart plötzlich derartige Veränderungen auftreten würden – auch wenn dies nicht völlig auszuschließen ist. 9.5
Fazit
Philosophische Fragen entstehen bei der Auseinandersetzung mit Problemen von Geist und Gehirn also vor allem dort, wo es um die Klärung von Normen und Begriffen geht. Philosophische Untersuchungen können zu einem genaueren Verständnis zentraler Begriffe beitragen. Dies betrifft die grundlegenden Positionen von Monismus und Dualismus ebenso wie unsere Vorstellung vom Ich und unsere Idee von Willensfreiheit. Solche Klarstellungen können auch die interdisziplinäre Arbeit erleichtern, die unerlässlich ist, wenn wir das Verhältnis von Geist und Gehirn einmal wirklich verstehen wollen.
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10 Zur Beziehung von Phänomenologie und Kognitionspsychologie – Die Konzeptgeschichte der schizophrenen Intentionalitätsstörung Christoph Mundt
10.1
Das Methodenparadigma der Phänomenologie – 106
10.2
Störung der Intentionalität in der Schizophrenie – 109
10.3
Neurokognitive Entsprechungen zur Psychopathologie der Intentionalität – 113
10.4
Zusammenfassung und Ausblick Literatur
– 116
– 116
10
106
Kapitel 10 · Zur Beziehung von Phänomenologie und Kognitionspsychologie
10.1
Das Methodenparadigma der Phänomenologie
Der Titel dieses Kapitels stellt die Beziehung zwischen Phänomenologie und Kognitionspsychologie heraus, also zunächst einen Methodenaspekt. Das Verhältnis der beiden Wissenschaftsbereiche berührt über die Methodologie hinaus Fragen der Perspektivität auf Schizophreniepatienten und die mit den unterschiedlichen methodischen Zugängen möglicherweise einhergehenden Veränderungen von Grundannahmen wie etwa dem Menschenbild, der Auffassung von freiem Willen (Heinze et al. 2006), der Einschätzung des Entwicklungspotentials der Patienten, ihrer Intersubjektivität und Intentionalität, ihrem sozialen Lebensraum. Ausufernde methodologische Überlegungen sind meist etwas langweilig und lesen sich zäh. Dennoch muss begonnen werden mit einer kurzen Standortbestimmung zur Frage, was Phänomenologie ist und womit sie sich beschäftigt (Mundt u. Backenstrass 2005). Dabei soll auch die konkrete Anwendbarkeit phänomenologischer Beobachtungen und Erkenntnisse exemplifiziert werden. In einem anschließenden umfangreicheren Abschnitt werden dann die Inhalte mit Ergebnissen der Forschungsparadigmen dargestellt, anhand derer die unterschiedlichen Methoden von Phänomenologie und Kognitionswissenschaften erläutert, ihre divergente Perspektivität beschrieben und die möglichen wechselseitigen Bezugnahmen aufeinander diskutiert werden. In einem letzten Abschnitt sollen die eigentlichen Methodenprobleme und bisherige Ansätze zu ihrer Überwindung mit einem Ausblick auf Integration dargestellt werden. Der Begriff »deskriptive Phänomenologie« hat sich seit Karl Jaspers (Jaspers 1973) eingebürgert für die Beschreibung von psychischen Symptomen in Analogie zu dem v. a. Kraepelin zugeschriebenen medizinischen Krankheitsmodell psychopathologischer Symptome. Die Beschreibungen gelten als mehr oder minder objektive Feststellungen, die in Symptominventaren, Checklisten und standardisierten Interviews erfasst werden können. Über das medizinisch-naturwissenschaftliche Paradigma hinausgehend hat Jaspers für die Generierung der SyndromKonzepte sowie für die nur indirekt zu erschließenden Symptome pathologischer Subjekterfahrung den Ausdruck »anschauende Vergegenwärtigung« gewählt, eine natürlich subjektive, wenn auch auf klinischer Erfahrung beruhende mentale Repräsentation des abnormen Subjekterlebens beispielsweise, das ein Schizophrenie-Patient mit dafür eigentlich nicht geeigneten Vokabeln und Redewendungen unserer Alltagssprache mitteilt. Insbesondere Erlebnissymptome bedürfen dabei einer oft nicht reflektierten intersubjektiven Vermittlung, die bekanntlich einen nicht unerheblichen Reliabilitätsverlust bewirken kann. Deskriptive Phänomenologie im Sinne von Jaspers tut sich leichter mit Ausdruckssymptomen, weil hier die intersubjektive Vermittlung zwischen erleidendem Subjekt und Untersucher entfällt; Störfaktor ist lediglich die unterschiedliche Wahrnehmung und interpretative Komponente der Beschreibung zwischen Untersuchern.
Die von Jaspers übernommene Unterscheidung von Verstehen und Erklären mit den zugehörigen Begriffen seelische Entwicklung und organischer Prozess beziehen sich zum einen auf diese Unterscheidung von intersubjektiver Einfühlung und Rekonstruktion des Subjekterlebens des anderen gegenüber einer unmittelbar beobachtenden, dem Untersucher als faktisch erscheinenden Verhaltensweise; zum anderen beziehen sie sich auf die Wahrnehmung einer Funktion, eines vermuteten kausalen Zusammenhangs, z. B. der Feststellung eines Motivs, das eine Handlung bewirkt oder einer organischen Störung, z. B. einer Cortisolgabe, die eine Psychose bewirkt hat. Für den ordnenden Blick auf funktionale Zusammenhänge und die Vielzahl von häufig miteinander auftretenden Phänomenen zu Syndrom- oder Krankheitsgruppen beruft sich Japsers auf die Methode der Idealtypen nach Max Weber (Weber 1980, 2006). Idealtypen stellen gewissermaßen eine in Erfahrung wurzelnde Bilanz nach der Häufigkeit dar, mit der bestimmte Symptomcluster oder Symptomprofile auftreten. Max Weber hat die später von Jaspers mit der erwähnten »anschauenden Vergegenwärtigung« generierten Idealtypen als etwas intuitiv Gefundenes betrachtet, das gleichwohl Validität haben kann und beispielsweise für die qualitative Geschichtsschreibung ein wesentliches Fundament, vergleichbar statistischen Verfahren in empirischen Studien, darstellt. Man kann die Idealtypenbildung aber auch als Summe der Ähnlichkeiten von Erfahrungen betrachten, die das Gehirn des Untersuchers mit seinen prozeduralen Lernerfahrungen aus kontingenten Vorkommnissen gewissermaßen errechnet hat. Die anschauende Vergegenwärtigung gewinnt die Prägnanz der Idealtypenbildung durch das Herstellen einer invarianten Kernstruktur, die sich aus einer Vielzahl von Einzelstrukturen entwickeln lässt. Der Vergleich varianter Einzelstrukturen, beispielsweise verschiedener Kombinationen von Persönlichkeitszügen, die bei Individuen gefunden werden, wird auf häufige überzufällige Konstellationen hin betrachtet; der Vergleich arbeitet dann eidetisch durch Reduktion aus der Vielzahl der Varianten einen invarianten Kern des Typus heraus. Am Ende der wiederholten eidetischen Reduktion wird sich ein prägnanter Kernbereich eines Idealtypus gegenüber einem durchmischteren weniger prägnanten Randbereich des Typus zeigen. Der Erkenntnisprozess der eidetischen Reduktion zu einer durch anschauende Vergegenwärtigung gewonnenen Typologie kann robuster gestaltet werden, wenn das Figur-Hintergrund-Verhältnis der durch anschauende Vergegenwärtigung entstandenen Einzelwahrnehmungen und der Gesamtheit, auf die sich alle Einzelwahrnehmungen beziehen, groß gehalten wird (Sigmund 2004); beispielsweise ein einzelner schizophrener Patient gegen die Gesamtheit aller Schizophrenen, aller Neurosen, aller psychisch Kranken einer repräsentativen Population. Ein guter Figur-HintergrundKontrast erhöht die Prägnanz der Typenfindung, ein geringer Kontrast erhöht die Wahrscheinlichkeit der Generierung von nicht validen oder zu wenigen Typen. Die zu isolierenden Merkmale müssen sich von der Hintergrundpopulation aber nicht nur
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quantitativ, sondern auch qualitativ genügend prägnant abheben. Eine Schizophrenia symplex ist beispielsweise schwerer scharf zu definieren als eine paranoid halluzinatorische Schizophrenie. Damit stellt sich natürlich das Problem, ob auch der Hintergrund durch vorher erarbeitete Idealtypenbildung intuitiv gewonnen wurde – z. B. ein Subtyp der Schizophrenie gegen deren Gesamtheit, gegen positiv definierte Gesundheit oder gegen eine repräsentative Population – oder ob hierzu ein externes Kriterium zur Verbesserung von Reliabilität und dann auch Validität benutzt wird. Dies beträfe in unserem Beispiel der Idealtypenfindung für den schizophrenen Patienten innerhalb der Gesamtheit aller psychisch Kranken die Grenzziehung zwischen psychisch krank und nicht krank, normvariant oder gesund. Ein externes Kriterium würde möglicherweise die Reliabilität verbessern, nicht unbedingt aber die Validität, da es sich aus der Charakteristik der Wesensmerkmale entfernen würde, die durch anschauende Vergegenwärtigung möglich sind, wenn beispielsweise der körperliche Habitus, der Blutzuckerspiegel oder das Ventrikelvolumen als Grenzkriterium eingesetzt würde. Eine Alternative dazu wäre ein Feed-back-Mechanismus innerhalb der Ordnungsstrukturen der anschauenden Vergegenwärtigung, z. B. ein Interaktions-Feed-Back. Sigmund (2004) hat dazu das »Praecox-Gefühl« von Rümke als Beispiel gewählt, das eine Unstimmigkeit der emotionalen Einstellung des schizophrenen Patienten zum Gesprächsgegenstand und zur emotionalen Korrespondenzverfassung des Untersuchers im Gespräch zum Hintergrund hat. Ist diese in der Phänomenologie als Intentionalitätsstörung bearbeitete Passungsminderung oder Passungsverfehlung von Seiten des Patienten zu spüren, würde dies ein Wesensmerkmal darstellen und damit eine mit dem Praecox-Gefühl überzufällig häufige Konstellation anderer Wesensmerkmale als Idealtypisch bestärken. Dieses Merkmal würde also innerhalb der Ordnungsstrukturen der auf subjektive Wahrnehmung begrenzten phänomenologischen Analyse von Wesensmerkmalen beschränkt bleiben, aber dennoch ein Außenelement aus der Interaktion mit einem anderen Menschen innerhalb dieser Ordnungsstruktur zur Geltung bringen. Als Kriterien der Selbstüberprüfung und damit als ein Beitrag zur Objektivierung phänomenologischer Befundgenerierung unter Beibehaltung der Nutzung der subjektiven, introspektiv erarbeiteten Wahrnehmungsfähigkeit dienen 4 die anschauende Vergegenwärtigung, 4 die eidetische Reduktion, 4 die Kontraststeigerung des Figur-Hintergrund-Verhältnisses zwischen beiden 4 und die Suche nach Paradigmen interner interaktiver Rückkoppelung 4 oder, wenn adaptierbar, Paradigmen externer Rückkoppelung. Die subjektive, introspektiv erarbeitete Wahrnehmungsfähigkeit stellt damit in gewisser Weise ein Pendant zu den experimentellen objektivierenden Ansätzen dar, die die subjektgestützte Wahr-
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nehmung gezielt verblinden. Diese Parallele bezieht sich allerdings ausschließlich auf die Herstellung einer Nachvollziehbarkeit der generierten Befunde durch andere und die Suche nach Falsifizierungsmöglichkeiten. Unberührt bleibt der positivistische Ansatz des Hempel-Oppenheim-Schemas (Hempel u. Oppenheim 1948), dem der phänomenologische Ansatz als ein subjektbezogener und damit letztlich aus der Natur unseres Wahrnehmungsapparates erwachsener Wahrnehmungs- und Deutungshorizont gegenüber steht. Diese Unterscheidungen haben Bedeutung für den philosophischen Status der diagnostischen Klassifikationssysteme, die aus den jeweiligen Ansätzen hervorgegangen sind: Die durch eidetische Reduktion und mehr noch die hermeneutisch gefundenen Aussagen haben selbstinterpretierenden, konstruktivistischen Charakter, die objektivierend-verblindenden reklamieren, beobachterunabhängiges Faktenwissen zu generieren (Mundt u. Backenstrass 2005). Idealtypen spielen eine entscheidende Rolle für die Konstituierung der nosologischen Entität Schizophrenie, zu deren Definition die wissenschaftliche Psychiatrie erst knapp 100 Jahre nach ihrer exakten Beschreibung in der belletristischen Literatur [vgl. »Lenz« und »Woyzeck« von Georg Büchner (Büchner 2006, 2005)] bei James Crighton (1998) gelangt ist. Bis heute gibt es zum Teil erheblich voneinander abweichende Auffassungen hinsichtlich der Definition, sodass das Krankheitsbild bislang wesentlich durch Konvention getragen wird. Die phänomenologische Methode der Idealtypenbildung enthält also einen der Kontingenzerfahrung entsprechenden sachlichen und verlässlichen Kern, der aber, der varianten Lebenserfahrung der Individuen entsprechend, an der Merkmalsperipherie eine zunehmende Unschärfe aufweist, die prinzipiell nicht zu beseitigen ist. Der eigentliche Kernbereich des Idealtypus muss in seiner Reinheit im Extremfall nicht unbedingt vorkommen und kann dennoch als Definitionsmerkmal zur Eingrenzung einer Klasse von Phänomenen dienen (Kraus 1994). Anschauende Vergegenwärtigung, einfühlendes Verstehen und Idealtypenbildung stellen intellektuelle Techniken dar, die sich in hohem Maße auf das durch Ausbildung und Erfahrung möglichst verfeinerte Sensorium und damit subjektive Urteil des Untersuchers stützen. Damit ergibt sich ein methodologischer Gegensatz zur experimentellen Neuropsychologie, die sich in zwei Aspekten grundsätzlich vom phänomenologischen Ansatz unterscheidet, nämlich darin, dass 1. subjektive Wahrnehmung und Bewertung als nicht verallgemeinerbar soweit wie irgend möglich eliminiert werden müssen und 2. konsequenterweise damit der Untersuchungsgegenstand als etwas Objektives genommen wird, was nicht durch den Untersucher mitbestimmt wird, wie es im intersubjektiven Prozess der Vermittlung eines Erlebnissymptoms der Fall ist. Einen Schritt weiter als die deskriptive Phänomenologie geht die anthropologische Phänomenologie (Fuchs u. Mundt 2002). Der
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Kapitel 10 · Zur Beziehung von Phänomenologie und Kognitionspsychologie
von Husserl gebrauchte Begriff der »epoché« oder des Einklammerns einer aktuellen konkreten subjektiven Sichtweise zugunsten des allgemeinen »Phänomens« – z. B. der Sinnfindung für eine noch unklare, diffuse Wahrnehmung – nutzt ebenfalls die Wahrnehmungsfähigkeit des Subjektes, allerdings mit dem Anspruch einer gewissen Objektivität, wie sie aber auch in der Idealtypenbildung enthalten ist. Die epoché bzw. das »Einklammern« haben ebenfalls eine gewisse Nähe zur auch mit objektivierenden Methoden arbeitenden Gestaltpsychologie, die ähnlich wie Husserl von Wesensmerkmalen spricht, mit denen noch in den dürftigsten Andeutungen Sinn und Bedeutung erkannt werden – am bekanntesten bei der Gesichterwahrnehmung. Dies gelingt nur durch die »transzendentale Organisation« von Bedeutungsgehalten, die besonders aufdringlich bei Gesichterwahrnehmungen aktiviert werden können, die allerdings eben gerade in den psychotischen kognitiven Entgleisungen auch ungezügelt und überschießend aktiviert werden können, und dann eben Sinnhaftes erkennen, wo es keinen von anderen Beobachtern geteilten Sinnzusammenhang gibt. Eine Störung der Bereitschaft, Wesensmerkmale wahrzunehmen und ihnen auf der konkreten Ebene Sinn zuzuweisen, findet sich beispielsweise im Symptom des Konkretismus bei Schizophreniepatienten. Blankenburg (Blankenburg 1971) hat die Entfremdung symptomarmer Hebephreniepatienten im Alltagsgeschehen wesentlich auf diese Störung der epoché, also das gewissermaßen leichtfüßige Hin- und Herspringen zwischen konkreten und abstrakten Bedeutungszumessungen, Spaß und Ernst, Metapher und Konkretem im Alltagsleben bezogen. Obzwar nicht im engeren Sinne zur Phänomenologie zu rechnen, sondern als eigenständiges Methodengebiet zu betrachten, sei hier ergänzend die hermeneutische Technik erwähnt (Gadamer 1965; Holm-Hadulla 1997). Auch die Hermeneutik stützt sich ganz entschieden auf die Wahrnehmungsfähigkeit des Subjekts, seine möglichst weit gespannte Assoziationsfähigkeit, die allerdings im Gegensatz zur im Subjekt verbleibenden Idealtypenbildung der epoché der Verallgemeinerbarkeit dadurch näher kommen will, dass ein dialektischer Prozess mit einem anderen Subjekt oder mit einem Gegenstand stattfindet, durch den jede Perspektive, jede Wahrnehmung und jede Feststellung auf mögliche Alternativen, Umspielungen und Varianten angeschaut und aus diesem Prozess dann eine kernhaft Bestand gewinnende Interpretation herausgearbeitet wird. Hermeneutische Prozesse spielen z. B. in der Psychotherapie eine zentrale Rolle, im Wechselspiel von Selbstpräsentation der Patientin, Wahrnehmung durch die Therapeutin, Deutung oder Klärung, Verarbeitung und erneute Präsentation. Kritisch kann gegen die subjektgestützten Untersuchungsund Erkenntnisansätze eingewandt werden, dass sie lediglich operative Vorgehensweisen seien, die aus der Struktur unseres humanen Wahrnehmungsapparates für psychische und intersubjektive Prozesse entstanden sind, dass sie aber keine übergeordnete Erkenntnisstrategie darstellen, die sich von unserem Wahrnehmungsapparat unabhängig macht und ihre Methoden nach
Maßgabe des aufzuklärenden Problems wählt. Man kann sich letztlich nur auf eine Gültigkeit der gewonnenen Aussagen bestenfalls nach Maßgabe der bekannten Unsicherheitsspielräume im Rahmen der Subjekterfahrung und der intersubjektiven Abläufe mit ihren stets begrenzten Passungen und ihren Missverstehensmöglichkeiten beziehen. Noch anders ausgedrückt: Diese Methoden und die mit ihnen gewonnenen Erkenntnisse haben konstruktivistischen Charakter im Gegensatz zum vermeintlichen oder wirklichen faktischen Charakter der im Sinne des Neopositivismus mit objektivierenden Methoden gewonnenen Befunde. Diese Kritik kann aber auch in ein positives Argument zugunsten dieser Ansätze gewendet werden, wenn es nämlich explizit und intendiert um die Generierung von Erkenntnissen geht, die in dem durch die Methode begrenzten Rahmen der Introspektion und Interaktion gerade wegen ihres subjektiven Charakters besonders relevant sind. Dies trifft für einen Teil der Psychopathologie und für den weitaus größten Teil der Psychotherapie zu. Evolutionsbiologen (Johnston 1999; Fabrega 2004; Stanghellini u. Mundt 1997) gehen davon aus, dass ein wesentlicher Teil unseres Wahrnehmungsapparates einschließlich unseres emotionalen Bewertungssystems für unsere Wahrnehmungen des sozialen Anderen unserer Selbstwahrnehmung und einer Art Monitoring des intersubjektiven Prozesses zwischen uns und anderen Menschen dient. Die mitmenschliche Umgebung hat für Erfolg, Überlebensfähigkeit, Durchsetzungsfähigkeit und Reproduktionsfähigkeit mittlerweile die weitaus größere Bedeutung als die Auseinandersetzung mit der physischen Umgebung gewonnen. Die Existenz der auf soziales Fehlverhalten spezialisierten »pop out emotions« (Johnston 1999) und die komplexen Strukturen von altruistischem Verhalten (Stanghellini u. Mundt 1997) mit der ausdifferenzierten Neurobiologie des »altruistischen Bestrafens« (de Quervain et al. 2004) stellen Beispiele dar, wie die Evolution den Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Intentionsapparat des Menschen auch biologisch auf den sozialen Anderen ausgerichtet hat. Subjektiv erfahrene Verhaltens- und Persönlichkeitstypologien haben damit für die Orientierung des Menschen in der sozialen Welt eine hohe Relevanz; der kompetente Umgang mit ihnen ist ein essentieller Bestandteil psychischer Gesundheit, und deren Wiederherstellung im Falle ihres Verlusts ist wesentliches Ziel der psychotherapeutischen Behandlung. Unter dieser Perspektive sollte sich der Vorwurf der »Nur-Subjektgestütztheit« phänomenlogischer und hermeneutischer Methodik erübrigen; sie stellt vielmehr die eigentlich adäquate Methodik für diesen Bereich der Intersubjektivität dar, dessen Entwicklung die Natur beim Menschen so sehr forciert hat. Anders verhält es sich, wenn Diagnosemanualen das medizinische Modell letztlich genetisch determinierter Störungen zugrunde gelegt wird. Dann steht eine der Subjekterfahrung nicht zugängliche Welt der Molekularbiologie im Mittelpunkt, die zwar auf verschlungenen Wegen schließlich manifestes Erleben und Befinden beeinflusst, aber eben nicht unmittelbarer Gegenstand von Phänomenologie und Hermeneutik sein kann, wie umgekehrt die emotionale, stimmungsmäßige Färbung des subjektiven
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Erlebens nicht ohne Befragung des Subjekts zugänglich wird. Die unmittelbar am Subjekterleben und an klinischen Phänomenen forschenden experimentellen psychopathologischen und psychologischen Ansätze stellen einen Berührungspunkt der beiden Methodenwelten dar, dessen optimale Handhabung noch nicht gefunden ist (vgl. Mundt 2003). Als derzeit erreichbares Optimum erscheint der intensive Dialog zwischen den beiden Paradigmen, der beständige Wechselschritt (Mundt 1989; Gröben 1986) in der wechselseitigen Überprüfung der von den jeweiligen Paradigmen generierten Hypothesen. Vermieden werden sollte die Übertragung von anthropomorphen suggestiven Begriffen des experimentellen auf den lebensweltlichen Methodenbereich, wie etwa durch Grawe versucht, der nicht mehr den Patienten, sondern das Gehirn psychotherapieren (vgl. Grawe 2003) wollte. Eine andere Anthropomorphisierung von Befunden stellen die Bezeichnungen dar, mit denen im Experiment aufscheinende Funktionen von neuronalen Netzwerken charakterisiert werden, z. B. die auf Einzelzellableitungen im Präfrontalen Cortex beruhende Bezeichnung des intermodalen Informationsabgleichs als »Supervisory System« (Norman u. Shallice 1986). Spezifische Erläuterungen über die Paradigmengrenzen hinweg können aber der anderen Seite außerordentlich hilfreich sein und das Verständnis ihrer Befunde durch eine breitere Informationsbasis vertiefen. Ein Beispiel dafür ist etwa die wahrscheinliche, aber nicht zu sichernde Annahme aus der Verhaltenstherapie , dass nach erfolgreicher Expositionstherapie – etwa bei Angststörungen – eine Stärkung der exekutiven Kontrollfunktionen und anderer »Top-down«-Modulationen stattfindet, während die gewissermaßen Unruhe stiftenden Amygdala-Aktivitäten nicht wesentlich verändert werden. Dies erklärt auch die »Re-instatement«-Effekte des Wiederaufflackerns von Phobien sowohl unter entsprechender spezifisch traumatisierender Restimulierung wie unter Ich-schwächenden Zuständen bei geminderten Kontrollfunktionen. Beide Phänomene sind aus reinen Verhaltensstudien beobachtbar und theoretisch formulierbar; die neurobiologische Parallele bekräftigt, sichert, präzisiert die beobachteten Funktionsabläufe. Umgekehrt können aus den Details phänomenologischer und hermeneutisch gewonnener Analysen neue Fragestellungen an die Neurobiologie, aber auch Kritik entstehen, die wiederum zu neuen Fragestellungen aus der Neurobiologie heraus beitragen kann. Die Effizienz einer solchen Wechselschrittmethodik wird durch die Verwischung der Paradigmen geschmälert, durch ihre saubere Trennung verbessert. Zusammenfassend lässt sich zur Frage, was Phänomenologie sei, festhalten, dass die Methoden der »anschauenden Vergegenwärtigung«, der Idealtypenbildung durch eidetische Reduktion, der epoché und des »Einklammerns« sowie der hermeneutische Prozess im Gegensatz zur objektivierenden Methodik die subjektive Wahrnehmung gezielt nutzen, nicht ohne sie aber mit den genannten Techniken in einem gewissen Ausmaß nachvollziehbar zu machen. Subjekterfahrungen sind gerade wegen ihres Status der Selbst-interpretation für die Selbstregulation des Sub-
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jekts, die Befähigung zu Intersubjektivität und damit für die Psychotherapie eminent wichtig. Die subjektgestützte Wahrnehmungs- und Erkenntnismethode eignet sich naturgemäß besonders dafür, das Subjekterleben bzw. Phänomene, die an Intersubjektivität gebunden sind oder aus Intersubjektivität hervorgehen, zu erforschen. In den neurokognitiven Wissenschaften wird dies als Erste-Person-Perspektive bezeichnet. Die intersubjektive Dimension kann man sinnvoller Weise als Zweite-Person-Perspektive bezeichnen, während die Dritte-Person-Perspektive den objektivierenden Standpunkt repräsentiert (Vogeley u. Fink 2003). Interessante Allgemeinbefunde zur Erste-Person-Perspektive stellen die Hinweise dar, 4 dass die neuronalen Netzwerke für die Repräsentation und Funktionalität des Selbst offenbar weitgehend identisch sind mit den Netzwerken, die die Lage und die Position des Körpers im Raum abbilden und kontrollieren, sich also funktional daraus zu einer Abstraktionsleistung von einem Körperselbst zu einem psychosozialen Selbst entwickelt haben und 4 dass es definierte Hirnstrukturen entlang der Mittellinie gibt, die bei Referenzen auf das Selbst ansprechen und dass der »default mode« des Gehirns, der Ruhezustand, offenbar weitgehend identisch ist mit einem auf den sozialen Anderen gerichteten rezeptiven oder intentionalen Zustand (Vogeley et al. 2004). Das Wechselspiel von Neuropsychologie und Phänomenologie wird nun im Folgenden in dem für die Psychopathologie und Therapie der Schizophrenie wichtigen phänomenologischen Forschungsfeld der Intentionalität paradigmatisch ausgeführt. 10.2
Störung der Intentionalität in der Schizophrenie
Dieser zweite Teil des Beitrages ist dreigegliedert: In einem ersten Teil wird ausgeführt, was die phänomenologische Begrifflichkeit des Terminus Intentionalität für die Erhellung der Psychopathologie der Schizophrenie leisten kann. Dabei wird auf die Parallelität der phänomenologischen Begriffe und der neuropsychologischen Konstrukte abgehoben. Im zweiten Abschnitt dieses Kapitels wird ausgeführt, wie nach heutigen Vorstellungen Intentionalität entsteht und arbeitet, wiederum aus der psychologischpsychopathologischen und aus der neurobiologischen Perspektive. Dabei wird bereits zunehmend auf die Pathologie der Intentionalität in der Schizophrenie eingegangen. Im dritten Abschnitt wird schließlich eine Ergänzung der Sicht durch empirische Forschung vorgenommen, die sich auf Intentionalität bezieht und zum Teil Bestätigung, zum Teil Infragestellung liefern kann. Die parallele Entwicklung und wechselseitige Bezugnahme philosophischer und neuropsychologischer Ansätze zum Verständnis der Wirklichkeitskonstituierung lassen sich nur historisch entwickeln. Der Gebrauch des Terminus »Intentionalität«
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Kapitel 10 · Zur Beziehung von Phänomenologie und Kognitionspsychologie
und die inhaltliche Ausgestaltung des entsprechenden Konzeptes gehen in der Psychiatrie auf Franz Brentano zurück (Brentano 1874, 1924–1928), der bereits bei der Objektkonstituierung eine aus der Apperzeption herausentwickelte, konstruktive Komponente der Sinngebung wirksam sah. Parallel dazu hat die Gestaltpsychologie (von Ehrenfels 1890; Janzarik 1988) einen empirischen Ansatz zur Untersuchung von Sinnkonstituierung und -zuschreibung zu Perzepten entwickelt – gewissermaßen die Vorläuferin der experimentellen Neuropsychologie heute. Die Psychiatrie wurde über Krüger, Wellek, K. Conrad und Janzarik (Janzarik 1988) erreicht. Es bot sich die Unterscheidung von protopathischer Gestaltbildung nach Maßgabe von sich aufdrängenden Wesensmerkmalen und der epikritischen Durchgliederung der Gestalt aus Erfahrungswissen für die Interpretation der akuten Schizophrenie an. Sinngemäß unterschieden die Autoren den protensiv-intentionalen, d. h. gestaltenden, vom impressiven, d. h. erlittenen Wahrnehmungsmodus. Conrad (1958) hat diese Begrifflichkeit auf die beginnende Schizophrenie angewandt, deren erstes Stadium, die Wahnstimmung, durch das Gleitendwerden der Sinnsetzungen, einer Kernfunktion der Intentionalität, geprägt ist, sodass zunächst Unsicherheit über die Bedeutung der Wahrnehmungen entsteht, später »Perplexität« und eventuell eine Pseudorestituierung der Wirklichkeit durch neue, nicht mehr mit der sozial abgestimmten Wirklichkeit in Übereinstimmung stehende Wahnstrukturen. Die Gestaltpsychologie hat mit ihren Begriffen der Struktur, der Teil- und Gliedstrukturen (Krüger u. Wellek) die Psychosenpsychologie weiter beeinflusst (Janzarik 1988). Insbesondere im Zusammenspiel von seelischer Struktur und Affektdynamik wurde eine wesentliche Vorbedingung für die Entgleisung der Affektdynamik bei schwacher oder spannungsvoller, wenig integrierter Struktur gesehen. Halluzinosen stellten sich unter dieser Perspektive nicht als Wahrnehmungsstörung, sondern als Loslösung einer »freilaufenden« Gliedstruktur unter hohem Affektdruck dar. Intentionalität ist in diesem strukturdynamischen Sinne wesentlich durch strukturelle Bindung von Affektdynamik und die Fähigkeit zur Desaktualisierung von im aktuellen Bewusstseinsfeld störenden Inhalten gekennzeichnet. In der deskriptiven Psychopathologie hatte zuvor schon Beringer (Beringer 1924) vom verkürzten intentionalen Bogen bei Schizophrenen mit Bezug auf die Sprachproduktionen gesprochen. Gemeint war das Verfehlen einer schlüssigen Aussage am Ende von Sätzen oder Satzpassagen, z. B. in der Schizophasie, sodass ein gewisser Sinngehalt zwar erahnt, aber nicht präzisiert werden konnte (Mundt 1988). Die vage und unterstrukturierte, mit einer Überzahl an Aspekten befrachtete Sprache mancher Schizophrener wurde von Berze und Gruhle (1929) als »Mangel an teleologischer Disziplin« beschrieben, ebenfalls eine Umschreibung schwacher Intentionalität im Sinne von Fähigkeit zur Sinnkonstituierung. Vergleichbar damit ist schließlich auf einem allgemeineren Persönlichkeitsniveau, das auch Handlungen mit einschließt, der Ausdruck »seelische Ataxie« (Stransky 1904), der sich, bezogen auf Affekt- und Handlungssteuerung, an den Inten-
tionalitätsbegriff anlehnte. Diese Formulierungen hatten noch weitgehend metaphorischen Charakter, ohne zu einer funktionellen Erhellung des Prozesses der Sinnkonstituierung beizutragen. Gleichwohl wurde durch die Umschreibungen der zentrale Phänomenbereich einer funktionalen schizophrenen Kernstörung eingegrenzt. Eine sowohl psychopathologische wie philosophische Präzisierung erfuhr der Intentionalitätsbegriff durch Blankenburg (Blankenburg 1971) mit seinen Fallanalysen hoch differenzierter Patienten mit symptomarmen Schizophrenien. Diese Patienten schilderten in eindrucksvoller Weise, wie quälend der Verlust der von Gesunden unbemerkt bleibenden Voraussetzungen unserer intersubjektiven Alltagsabstimmungen ist. Sie bestehen in den unwillkürlichen kurzen Zeichen, die wir körpersprachlich, durch ein hingeworfenes Wort, durch die Stimmlage, durch Blickkontakt, eine Körperwendung, einen Blick geben. Der durch diesen reichen, aber ohne bewusste Wahrnehmung fließenden Strom kontinuierlicher Information entstehende Grad der Sicherheit gibt erst die Basis für bewusstes wechselseitiges Einfühlen und das Verstehen von Bezugnahme untereinander durch Selbstreflexion und Reflexion des vom sozialen Anderen Mitgeteilten. Blankenburg hat diese Störung, die er als Kernstörung der Schizophrenie angesehen hat, mit dem Intentionalitätsbegriff von Husserl wissenschaftlich zu erschließen versucht und die »transzendentale Organisation« der Vorbedeutungen im unbewussten intersubjektiven Informationsstrom als bei Schizophrenen defizient angesehen. Schon von ihm wurde die bei vielen Patienten zu beobachtende Hyperreflexiertheit als ein untauglicher Kompensationsversuch für die nicht mehr verfügbaren tragenden Automatismen der Sinnabstimmung mit dem sozialen Anderen interpretiert. Etwa zur gleichen Zeit hat sich in der analytischen Philosophie des Geistes eine intensivere Beschäftigung mit dem Intentionalitätsbegriff entwickelt, die die Psychiatrie v. a. über Dennett (1971) und Searles (1987) erreicht hat. Dennett sprach mit Bezug auf höhere Lebewesen von intentionalen Systemen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie einander Intentionen zuschreiben. Er hat drei unterschiedliche Ebenen der Komplexität unterschieden, in denen die Systeme aufeinander Bezug nehmen können, verkürzt: Subjekt zu Objekt, Subjekt zu Subjekt authentisch und Subjekt zu Subjekt täuschend. Er hat die so entstehende Reziprozität als etwas Charakteristisches für »intentionale Systeme« angesehen. Der soziale Andere mit dem in der Reziprozität wirksamen emotionalen Austausch wird gewissermaßen zu einem Sprungbrett für den intentionalen Akt des Einzelnen. Die einander verstärkende Wechselseitigkeit interaktiver Intentionalität wurde unter Bezug auf den mit intentionalen Akten verbundenen Affekt auch von Quine betont (Quine 1960). Searles hat drei Elemente des Ablaufs einer Intention bis hin zur Sinngebung für ein Perzept oder einen Handlungsentwurf beschrieben: Repräsentationen und Metarepräsentationen als Fundus potentieller Sinngestalten, sozusagen das platonische Element; den »intentional state of mind«, also eine Art gerichteter
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innerer mentaler Verfasstheit mit einer beispielsweise durch die Stimmung vorgebahnten präferentiellen Bereitschaft zur Sinngebung, sozusagen das A-posteriori-Element Kants; und schließlich den eigentlichen Akt der Sinnsetzung im Sinne des Gestaltschlusses, sozusagen das transzendentale Repräsentation und Aktualität zusammenfügende husserlsche Element. Auf der Basis der bis dahin entwickelten Intentionalitätskonzepte der philosophierenden Psychopathologie Mitte der 80er Jahre entstand eine Klassifikation schizophrener Residualsyndrome nach Maßgabe einer Typologie der Ruhe- und Rückzugspositionen intentionaler Anstrengungen. In diesen Ruhepositionen konnten die akut psychotischen Störungen der Intentionalität im Sinne der unvollständigen oder impressiven Gestaltbildung weitgehend zum Abklingen kommen (Mundt 1990, 1991, 1984). Vor allem der die Gesamtpersönlichkeit beanspruchende und hohe Energie fordernde Abstimmungsprozess der Sinnsetzungen mit dem sozialen Anderen, wie er in der Sprache, den Haltungen zueinander und zu wichtigen Fragen des Lebens, aber auch im Detail zu Gewohnheiten im Haus und in der Familie, am Arbeitsplatz und in übergreifenden Zielsetzungen benötigt wird, stellt den Bereich dar, in dem Entlastung geschaffen werden muss, wenn es zu einer Stabilisierung intentionaler Restfunktionen unter der Schwächung dieser Fähigkeit in der schizophrenen Erkrankung kommen soll. Drei gewissermaßen archetypische Ruhepositionen mit verminderter Intentionalitätsleistung zugunsten einer Stabilisierung der Gesamtheit mentaler Funktionen wurden anhand eines großen Kollektivs chronischer und residualer Schizophrenien beschrieben: 4 die reine Asthenie (Glatzel u. Huber 1968), gekennzeichnet durch Langsamkeit und geschwächte intentionale Leistungen mit Rückzug in eine Vita minor; 4 der Autismus im Sinne der Bleulerschen Privatweltlichkeit in chronisch wahnhaften Zuständen, in denen die Abstimmung mit dem sozialen Anderen für die affektbeladenen zentralen Lebensthemen zugunsten einer Abkapselung mit eigenweltlichen Sinnsetzungen aufgegeben worden ist; und schließlich 4 die extern durch einen äußeren Rahmen oder stützende Beziehungen strukturierten hebephrenieähnlichen Verläufe ohne nennenswerten Vitalitätsverlust, aber mit sehr wenig Struktur durch eingeschliffene Sinnbezüge und Handlungsabläufe, die in stabilen, langfristigen, stützenden Rehabilitations- und Familienverhältnissen noch erhebliche Nachreifungen erreichen können. Diese Patienten zeigen Flüchtigkeit und Unverbindlichkeit von Sinnsetzungen unterhalb der Schwelle zur Akuterkrankung wie beispielsweise in der Wahnstimmung, aber doch in einem Maß, dass Kontinuität, Kohärenz und Verbindlichkeit nachhaltig dauerhafter sozialer Einbettung nicht mehr erreicht werden können. Das Intentionalitätskonzept in seiner damaligen psychopathologischen Ausformulierung stellte eine Gegenposition zum Vulnerabilitätskonzept dar, indem es den schizophrenen Patienten vorwiegend als defizienten und behinderten Menschen kon-
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zipiert, der sich schützen, abschirmen und einschränken muss, um nicht wieder zu erkranken. Das Intentionalitätskonzept sieht hingegen den Patienten als zur spontanen Sinnsuche drängenden Menschen, dem die Entwicklung von Sinnstrukturen, Lebensthemen und -zielen aufgegeben ist, die ihn, auch wenn sie nicht zur Erfüllung kommen, zur Persönlichkeit werden lassen und Identität stiften. Natürlich muss auch auf diesem Weg Überforderung vermieden werden. Gleichwohl kommt damit eine andere Einstellung zu psychotisch Kranken ins Spiel, die das Recht auf die Sinnsetzungen eigener Art unter erschwerten Bedingungen (z. B. in der Kunst psychisch Kranker) anerkennt, ernst nimmt und sich dem angebotenen Perspektivwechsel aussetzt. Ende der 90er Jahre wurde die Intentionalitätsdiskussion durch das neu erwachte Interesse an der »Erste-Person-Perspektive« wieder aktuell. Parnas (Parnas et al. 2002; Sass u. Parnas 2002) konnte auf eine bereits 30-jährige Erfahrung mit High-risk-Studien für Schizophrenie zurückblicken, als er durch eine Fokussierung auf das Subjektivitätserleben Schizophrener eine verbesserte Spezifizierung der Kernstörung der Schizophrenie fand. Parnas bezog sich wesentlich auf das Werk von Minkowsky, der wiederum von dem Lebensphilosophen Bergson beeinflusst war und den Kernbereich der Störung der Schizophrenie in einer vermindert gefühlten Lebendigkeit des Selbst sah. Selbstverständlichkeiten wie das Wiedererkennen des eigenen Gesichts im Spiegel, die Hierarchie von auffälligen und weniger auffälligen Eindrücken im Alltag, die Stabilität der Identität von Objekten und die Steuerbarkeit von Aufmerksamkeit und Bewusstheit zerreißen gewissermaßen den Zugriff auf den Alltag und den Halt in der Realität durch Mikrostörungen der Wahrnehmung und des Denkens. Schizophrene berichten qualitativ abnorme, evtl. depressiv aussehende Verfassungen, dazu quantitative Minderungen der Vitalität, die zu Unrecht als Negativsymptome bezeichnet würden Minkowski (1927) hat insbesondere auch auf den zeitdynamischen Prozess des vitalen Realitätskontaktes bei Schizophrenen hingewiesen. Für Minkowsky ist Leben schlechthin und der menschliche Realitätskontakt im Besonderen durch sein Fließen gekennzeichnet. Stillstand von Wahrnehmung und aktiv vitalem Realitätskontakt führe zu Stillstand und damit zum Zusammenbruch intentionaler Leistungen; stattdessen trete dann eine statische Raumdimension als Stützung in Erscheinungen, eine Verräumlichung der Zeit. Minkowskys Lehrer Bergson betrachtete Subjekterleben als mediiert durch das Körper-Selbst, das sich nur als zeitliche Erstreckung und Fluss in der Zeit konzeptualisieren lasse. Erfahrungen streichen vorbei und neue drängen heran. Janzarik sprach in diesem Sinne von »aktiv heran gelebter Situation«, die wiederum druch Entwicklungsanstoß oder Krise auf das Subjekt und seine intentionale Verfassung zurückwirkt. Der Zeitfluss enthalte das Element der Gerichtetheit auf die Zukunft; nur so könne das Selbst sich fühlen und bestätigen. Der Verlust des Zeitflusses führe zur Solidität und Verräumlichung (Urfer 2002). Auf Minkowski geht die Unterscheidung von gefülltem und leerem Autismus zurück, eine Differenzierung, die sich auch auf
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Kapitel 10 · Zur Beziehung von Phänomenologie und Kognitionspsychologie
den Autismusbegriff von Bleuler anwenden lässt: Gefüllter Wahn ist durch intensive Erlebnisse, z. B. Wahnwahrnehmungen und die Systematisierung eines Wahns gekennzeichnet. Intentionalität im Sinne der Abstimmung von Sinnsetzungen gegen den Intentionsdruck des sozialen Anderen wird, aufgegeben und in die privatweltliche und damit unverbindliche Sinnsetzung des Autismus verlagert. Der leere Autismus bleibt arm an innerseelischen Inhalten und Prozessen. Die Abschirmung gegenüber der überwältigenden Intentionalität Anderer mit ihren Intrusionen in das Selbst der ihnen ausgesetzten Schizophrenen oder Präschizophrenen steht im leeren Autismus ganz im Vordergrund, eine Sichtweise, die sich in anderer Sprache das familientherapeutische Expressed-Emotion-Konzept zu eigen gemacht hat. Konzeptuell weicht die Autismuskonzeption Minkowskys von der Bleulers ab. Er betrachtet Autismus weder als pathologischen Rückzug noch als ein Vorherrschen einer inneren Welt, sondern als eine veränderte Haltung gegenüber der mitmenschlichen Umgebung. Für Minkowsky ist die Störung der Intersubjektivität die Kernstörung gewesen, für Bleuler hingegen die Assoziationsauflockerung, deren Folge die Störung der Intersubjektivität sei. Bleuler dürfte wohl beide Bedeutungen des Autismus in nicht immer ganz scharfer Trennung verwendet haben. Mit seinen empirischen Studien hat Bleuler eine sehr klarsichtige Aussage von Minkowsky bestätigt, dass nämlich Schizophrenie aus zwei Komponenten bestehe: Schizoidie sei die spezifische Vorbedingung für die Erkrankung, in der eine Unverträglichkeit für sich nicht pathologischer Persönlichkeitszüge und verminderte Vitalität des Selbst und des Realitätskontaktes gegeben seien. Hinzukommen müsse eine unspezifische Noxe, wie etwa ein aversives Lebensereignis. Das erstere sei nicht morbide, das letztere mache das erstere zur Pathologie. Diese Aussage von Minkowsky deckt sich nicht nur ausgezeichnet mit den aktuellen empirischen Befunden von Parnas, sondern auch mit dem Vulnerabilitätskonzept (Zubin u. Springer 1977; Klosterkötter 1988). Aktuelle Entwicklungen
Durch die von Kircher (2003), Vogeley u. Newen (2000) und Northoff (2001) berichteten, mit bildgebenden Verfahren erhobenen Befunde über neuronale Netzwerke, die aktiviert werden, wenn es um selbstreferentielle psychische und kognitive Prozesse geht, wurde auch das wechselseitige Interesse von Philosophen und Neuropsychologen an der Konzeption des Selbst in der jeweils anderen Wissenschaft reaktiviert. In der Sozialpsychologie hatte seit William James und insbesondere durch George Herbert Mead die Unterscheidung einerseits eines prozesshaft den Selbstreflexionsvorgang repräsentierenden Ich-Teils des Selbst und andererseits eines den sozialen Anderen repräsentierenden »Blick des Anderen« (Seidler 2001) als soziales Selbst den intentionalen Charakter des Selbst hervorgehoben: Das Selbst als soziales Organ repräsentiert mit den späteren empirisch untersuchten Konstrukten der Selbstzeitigung und der Selbstwirksamkeit in der Sozialpsychologie das Zentrum intentionaler
Gestaltung von individualer Sinnhaftigkeit des Erlebens und Handelns im sozialen Raum (Mundt et al. 2007). Metzinger (o.J.) hat am Beispiel der Identitätsstörungen des Capgras- und des Cotard-Syndroms Identität als eine transitive Beziehung zu sich selbst bezeichnet. Nicht die Kontinuität und »Ununterscheidbarkeit« des Selbst über seine biographische Erstreckung sei das Wesentliche, sondern die transitive Beziehung des Selbst zu sich selbst. Metzinger greift zum Verständnis des Capgras-Syndroms Gedanken auf, die bereits bei Minkoswky, Blankenburg und Parnas angeklungen waren, dass es nämlich eine den bewussten Reflexionen vorhergehende intuitiv-gefühlsmäßige Erfassung von Sinnzuschreibungen im Wechselspiel mit dem sozialen Anderen gebe, die uns im Alltagsgeschehen verankere. Diese gefühlsmäßige, unbewusste Qualität des Selbst zeige sich in Selbstvergessenheit (»self-transparency«): Wir fühlen und agieren direkt, ohne buchstäblich den Schritt, den wir tun, zu planen und bewusst auszuführen. Minkowsky hat – heute bestätigt durch neuropsychologische Forschung – die Basis für ein integratives, selbstvergessenes Selbst im vital erlebten und gelebten Leib gesehen im Gegensatz zum dinglichen Körper. Erst auf dieser Basis einer Selbstvergessenheit kann die bewusste Selbstreflexion aufbauen. Im Cotard-Syndrom, dem nihilistischen Wahn der Melancholie, in der der Körper in Teilen oder als Ganzes als nicht mehr existent, als abgestorben wahrgenommen wird, ist das gefühlsmäßige intuitive Erleben des Leibes durch die pathologische Erstarrung der Gefühle in der Melancholie ausgefallen. Ausgehend davon, dass sich die Basis der vorbewussten gefühlsmäßig intuitiven Sinnkonstituierung wesentlich über das Körpererleben abspiele, müsse im Fall der melancholischen nihilistischen Wahnbildung des Cotard-Syndroms das bewusst sich selbst reflektierende Ich logischerweise zu dem Schluss kommen, dass der Körper entweder nicht mehr existent sei oder dass er auf die dingliche Qualität des abgestorbenen, leblosen Körpers reduziert werde und damit die Qualität des Toten erhalte. Metzinger unterstellt hier den Zwang zur Adaptation an die wahrgenommene Realität und die Bindung der Qualität des »Selbst« an die mögliche Selbstvergessenheit (»self-transparency«). Das Streben des mentalen Gefüges nach Kohärenz und Integration von Sinnsetzungen müsse dann zwangsläufig zu der erwähnten Aussage des nihilistischen Wahns kommen. Metzingers Konzept knüpft damit an eine vitalistische, körperbezogene Vorstellung intentionaler Leistungen an, wie sie sich beispielhaft im Sinn suchenden Verhalten der Person zu sich selbst äußert – bei Minkowsky mit dem »elan vital« und der »Verkörperung« des Selbst, bei Blankenburg mit dem von ihm beobachteten Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit für symptomarme hebephrene Patienten. Intentionale Leistungen finden sich schon in der orientierenden Sinnrichtung durch emotionale Bewertungen einer Wahrnehmung (»appraisals«) (Kraus u. Merten 1996) und in gefühlsgetönten Zuständen intentionaler Gerichtetheit. In den neurokognitiven Wissenschaften gibt es dazu eine Entsprechung in der von Damasio beschriebenen viszeralen Emotionalität, der Aus-
113 10.3 · Neurokognitive Entsprechungen zur Psychopathologie der Intentionalität
dehnung der spiegelneuronenbasierten Korepräsentationen von Handlungen und Gemütszuständen auf das praktische Ineinandergreifen der Handlungsintentionalität mehrerer Individuen, wie es auch bei Tieren im Detail beschrieben worden ist, und schließlich in der Bevorzugung von mentalen Zuständen der Gerichtetheit auf den sozialen Anderen, sei es für die Intentionalität des sozialen Anderen, sei es für die Wahrnehmung aufsteigender Konkretisierungen von Intentionen aus dem Selbst in den »default modes« des »ruhenden Gehirns« (Vogeley et al. 2004). 10.3
Neurokognitive Entsprechungen zur Psychopathologie der Intentionalität
Den Versuch einer direkten Bezugnahme philosophischer und neurokognitiver Begrifflichkeit aufeinander zur Beschreibung gestörter Sinnzuschreibung haben Fuchs und Kaiser unternommen. Dafür eignet sich besonders gut der von Merleau-Ponti so genannte intentionale Bogen, dessen psychopathologisches Pendant bei Schizophrenen in den 1920er Jahren Beringer unter Bezugnahme auf diesen Terminus beschrieben hatte (7 Abschn. 10.2). Fuchs (2007b) hat in der Aufbereitung der philosophischen Begrifflichkeit für die Parallelisierung zur neurokognitiven Literatur auf Husserl zurückgegriffen, der den intentionalen Bogen in Retentio, Präsentatio und Protentio untergliedert hat. Mit dieser Dreigliedrigkeit kommt die Zeitdimension intentionaler Leistungen ins Spiel – und deren Störung. Die Retention meint die Bewahrung des Erfahrenen im Gedächtnis und den Rückgriff darauf für die Sinnzuschreibungen, Präsentatio das Andrängen oder den aktiven Aufruf von Inhalten und Assoziationen im Augenblick oder die sich einstellenden Sinneswahrnehmungen, deren Bedeutungsgehalt erst erzeugt werden muss; Protentio meint die Ausrichtung auf die Zukunft mit der Konstituierung von Zielrichtungen und Zielsetzungen. Dieser Dreiteilung lassen sich von neuropsychologischer Seite zwanglos das autobiographische und v. a. das Arbeitsgedächtnis als Äquivalent der rententio zuordnen; das AttentionalSupervisory-System mit exekutiver Kontrollfunktion der praesentatio; und das »preparatory set« zur Vorbereitung einer in die Zukunft zielenden Handlung der Protentio. Die von Kaiser und Weisbrod (Kaiser u. Weisbrod 2007) beschriebenen zugehörigen Befunde charakterisieren mentale Funktionen, wie sie aus den introspektiv gewonnenen Aussagen der Philosophie und psychopathologischen Phänomenologie gewonnen wurden. Neben der horizontalen zeitlichen Gliederung des intentionalen Bogens gibt es eine vertikale Gliederung in einerseits unbewusste Vorgänge, die prozedural erlernt wurden und entsprechend unwillkürlich und zum Teil unbemerkt ablaufen, und andererseits bewusst gestaltete und kontrollierte Abläufe. Sowohl die Zeitlichkeit wie das Einfangen der unbewussten, gewissermaßen technischen Intentionalität, die den Untergrund für die dadurch erst mögliche reflektierende Intentionalität darstellt, betrifft eine Vielzahl gut untersuchter Phänomene – wie etwa die Filterung und Bahnung
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von Eindrücken, wie sie beim Musikhören, bei der Sprachproduktion, der visuellen Informationsverarbeitung zur Gestaltbildung hin und bei den motorischen Abläufen zu beobachten und neurokognitiv hinsichtlich der Netzwerkfunktionen zum Teil relativ gut aufgeklärt sind. Der Strom dieser im prozeduralen Gedächtnis des Körpers verankerten Fähigkeiten aus »tacit knowledge« ermöglicht eine Unmittelbarkeit und Schnelligkeit intentionaler Detailleistungen, die reflektierend nicht zu erzeugen wäre (»mediated immediacy«, gemeint: mediated by tacit knowledge). Diese von Husserl als passive Synthesis zusammengefassten Leistungen werden wesentlich beflügelt durch die erwähnte Korepräsentation von intendierten Bewegungen beobachteter Interaktionspartner – jüngst in der Ornithologie am Beispiel von Jungadlern gezeigt, die mit einem neu gewonnenen Weibchen gemeinsames Jagen einüben. Die in diesem Fall notgedrungen »schweigend« bleibende Bezugnahme zweier »intentionaler Systeme« (Dennett) aufeinander benötigt etwa zwei bis drei Wochen, um zu höchst effizienten gemeinsamen Handlungen zu gelangen, die sich durch minimale Richtungsbewegungen, Haltungen und Flugmanöver bei der Beutesuche und Sichtung wechselseitig mitteilen, wobei komplexe, nicht leicht abzustimmende Handlungen wie Täuschungsmanöver (z. B. Scheinangriffe eines der Partner zum Vorteil eines wirklichen Angriffs des anderen Partners) zum Einsatz kommen. In Ausdehnung des Arbeitsprinzips der Spiegelneurone, die den intentionalen Zustand eines beobachteten Anderen oder seine in einer Handlung sich zeigende Intention im Beobachter korepräsentieren, geht die wechselseitige interaktive Führung der Intentionen zweier Interaktionspartner einen Schritt weiter zu einer wesentlich dichteren und v. a. kontrollierteren Sinnzuweisung. Diese praxiologische Perspektive setzt auch Gallagher (2007, 2004) der »theory theory« der Intersubjektivität Schizophrener entgegen, indem er sich auf Max Scheler beruft und die impliziten körpersprachlichen Signale als Orientierungsmarker für die wechselseitigen Sinnatributionen betont. Er weist darauf hin, dass bereits 2-jährige noch vor einer theoriegeleiteten Selbstreflexion Symbolisationen übernehmen können und Prätention von ernst gemeintem Verhalten auf der Basis von praktischen Gepflogenheiten unterscheiden können – etwa die Handhabung einer Banane als Telefonhörer. Interaktiv handelndes Verstehen ist an den praktisch sinnvollen und nützlichen intentionalen Kontext gebunden, was unter evolutionstheoretischen Gesichtspunkten plausibel erscheint. Die Differenzierung von »biologischen« und physikalischen Bewegungen und damit der Einsatz mutueller Intentionalität muss für das Individuum Vorteile durch soziale Verstärkung bringen. Es wurde damit für den evolutionären Selektionsprozess »emergent property«. Fuchs führt die Gefährdung des Schizophrenen, einen Verlust an Selbstvergessenheit und an damit verbundenen Automatismen zu erleiden, auf die weiträumige Überlappung der neuronalen Netzwerke für Resonanz von intentionalen Handlungen und Zuständen des Interaktionspartners mit den Netzwerken, die das entsprechende eigene Handeln repräsentieren, zurück, einschließlich der entfremdeten Externalisierung eigener Regungen
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Kapitel 10 · Zur Beziehung von Phänomenologie und Kognitionspsychologie
mit der Folge erlebter Fremdbeeinflussung. Das Integrationsdefizit in diesem Bereich ist bei Hochrisikokindern für Schizophrenie bereits im Kleinkindalter in der Motorik, in den kognitiven Leistungen und in der Emotionsregulierung sichtbar. Für den protensiven Teil des intentionalen Bogens sieht Fuchs eine konusartige Verengung des Assoziationsstroms durch Wertungsprozesse gegenüber den andrängenden Assoziationen mit zunehmender Fokussierung. Das Konzept des Supervisory-Systems wurde hierzu als neurokognitive Parallelkonzeption gesehen. Die entsprechenden Funktionsabläufe bei der Sprachgenerierung beginnen mit der Dreigliederigkeit von allgemeiner Aktivierung des semantischen Netzwerks, selektiver Hemmung zur Fokusbildung und »spreading activation« zur Vorbereitung des übernächsten Reduktionsschrittes. Eine zwanglos für die philosophische wie für die neurokognitive Perspektive brauchbare Terminologie für die Beschreibung dieser Vorgänge hat Janzarik (2004) mit der strukturdynamischen Psychopathologie entwickelt. Als Autopraxis wurde das bereits durch Basisfilterung und Selektion unter Top-down-Beeinflussung vorgeformte Andrängen seelischer Inhalte und Assoziationen bezeichnet, zu dem von der neurokognitiven Seite das Prinzip der hebbschen – von Singer (1997) untersuchten – Oszillation bei Assoziationen in Parallele gesetzt werden kann. Die konusförmige Einengung des protensiven Teils der Intentionalität (Fuchs 2007b) entspricht dem psychischen Feld mit seinen verschiedenen Vektoren, die die Hierarchisierung von Perzepten,
Assoziationen und die Wahrscheinlichkeit der daraus resultierenden Sinngestalten definieren (Lewin 1963). Die in der klinischen Psychiatrie wesentlichen und für die Wahrnehmung des Klinikers aufdringlichen affektdynamischen Gesichtspunkte kommen damit ins Spiel. Sie sind sowohl in der Philosophie wie in den neurokognitiven Wissenschaften nicht ausreichend für die Dysfunktionen in den Psychosen berücksichtigt worden. Die dort dagegen ausführlich gewürdigten Störungen mangelnder Hemmungsfähigkeit wurden als Desaktualisierungsschwäche bei Schizophrenen beschrieben (Janzarik 2004) und in Ergänzung zu den im Mikrosekundenbereich ablaufenden Prozessen der Filterund Aufmerksamkeitsstörungen, auf die sich die neurokognitiven Wissenschaften konzentriert haben, auch auf den langfristigen entwicklungspsychologischen Aufbau der Fähigkeit zur Desaktualisierung durch Lebenserfahrung und Selbstsicherheit ausgedehnt. Der Aufbau kohärenter Erfahrungs- und Handlungsstrukturen mit übergreifenden Zielsetzungen, Festigung der damit entstehenden intentionalen Makro-Strukturen in einem sozialen Netzwerk persönlicher Bindungen, das aktiv protensive »Heranleben« von Situationen, deren Gestaltung und Meisterung können Desaktualisierungsfähigkeit in Angstsituationen stärken zuungunsten von Passivitätserleben und Überflutung durch Intentionalität Anderer. Es handelt sich um Fähigkeiten, die nicht nur im neurokognitiven Mikrobereich, sondern auch im intentionalen Makrobereich der Lebensführung bei Prodromalverläufen Schizophrener in auffälliger Weise unterentwickelt bleiben.
Philosophie
Psychopathologie
Neurocognition
Retention (Meta-) Repräsentationen Schema
Struktur Wertematrix Inner working model
Autobiographisches Episodengedächtnis Kontingenzerfahrungen: Konditionieren, Habituierung
Präsentation Elan vital, tacit knowledge Aktualisierung Imagination
Autopraxis Impressiver Wahrnehmungsmodus Narrative Lebensthemen
Prinzip Hebb’sche Oszillationen Top-down regulierte Perzepte Globale Aktivierung, z. B. semantisches Netzwerk, priming, spreading activation
Protention Aktualisierungskonus Futur-II-Perspektive Intrusive intentionale Splitter aus Automismen-Verlust
Struktur-Dynamisches Kohärenzprinzip Aktivierter Komplex der Werte-Matrix Protensiver Wahrnehmungsmodus Desaktualisierung
Preparatory set Supervisory systems Exekutive Kontrollfunktion Dezisionale Stimulusvermehrung
Der Zusammenbruch der passiven Synthesis, des »tacit knowledge«, wird übereinstimmend in Philosophie, in klinischer Psychopathologie und Neuropsychologie als Ursache für die häufige Hyperreflexion schizophrener Patienten angesehen, weil der Verlust an Automatismen bei Schizophrenen kompensiert werden muss durch bewusst kontrollierte Prozesse bis hin zur reflektierten Schrittsetzung. Selbst in leichteren Ausprägungsformen führt der Automatismenverlust zu einer massiven Überfrachtung und damit Verlangsamung der bewussten, reflektierenden Intentionali-
tät, der »aktiven Synthesis«, sodass zunehmend intentional nicht mehr eingebundene protensive Durchbrüche von randständigen Wahrnehmungen, Gedanken oder Handlungsimpulsen vorkommen müssen, die als positive oder Produktivsymptome vom intendierenden Selbst als entfremdet erlebt werden (Fuchs 2007b). Bestehen diese Zustände einer Überlastung der intentionalen Kräfte durch Automatismenverlust länger fort, kommt es entweder zu größeren Dammbrüchen gegenüber nicht intendierten Inhalten als psychotische Symptome oder den beschriebenen in-
115 10.3 · Neurokognitive Entsprechungen zur Psychopathologie der Intentionalität
tentionalen Ruhepositionen mit ihren unterschiedlichen Modi. In diesen Ruhepositionen wird die Relation von innerem und äußerem Informationsfluss, affektiver Befrachtung und geschwächter intentionaler Formung in den beschriebenen Modi Rückzug, reduziertes dauerhaftes Sinn-Gleiten mit externer Strukturierung oder durch Abschirmung in Eigenweltlichkeit mit sozial nicht mehr abgestimmten Bedeutungssetzungen entlastet; der Krankheitsprozess kann damit zum Stillstand kommen. Phänomenologie und empirische Studien
Das strukturdynamische Modell der Psychosenpsychopathologie bietet sich aufgrund seines in enger Anlehnung an die klinische Phänomenologie entwickelten Begriffsapparates als Bindeglied der philosophisch-psychologischen Theorien der Schizophrenie für den Brückenschlag zur experimentellen Neuropsychologie an (Mundt u. Weisbrod 2004). Neben den bereits erwähnten Parallelen sei hier noch kurz die Parallele des Autopraxis-Priming erläutert. Der Sinnbezug zwischen Wörtern kann sowohl durch automatische wie durch kontrollierte Prozesse beeinflusst werden. Zur Verflüssigung des Denkablaufs ist Priming unbedingt wichtig, um den »Konus in die Zukunft (Fuchs 2007b), d. h. zunächst einmal die wahrscheinlichste Abfolge der Assoziationen für den Intentionsprozess durch frontale Kontrollfunktionen anzubieten. Die Inhibition der entfernteren semantischen Begriffe ist bei schizophrenen Patienten als ein direktes Korrelat der Desaktualisierungsstörung im Mikrobereich gestört. Die weiter reichende Aktivierung entlegenerer Assoziationen dürfte eine wesentliche Rolle für die kreative Potenz mancher (Prä-)Schizophrener spielen. Die Störung der selektiven Hemmung des Assoziationsstroms könnte auch einen Beitrag zum Verständnis der Konkretismusneigung schizophrener Patienten leisten, zu deren Vermeidung die Zusammenschau mehrerer Abstraktionsebenen im jeweils aktuell geforderten Verstehensrahmen notwendig ist: Handelt es sich um Ernst oder Spaß? Bei schizophrenen Patienten mit akutem Wahn, der von Phänomenologen ebenfalls als Konkretismusäquivalent interpretiert wird, gibt es die Neigung des »jumping to conclusions«, des vorschnellen Sichfestlegens auf eine Sinnzuweisung, bevor alle Möglichkeiten der Interpretation ausgelotet sind und die wahrscheinlichste Lösung gefunden wurde. Die Vermeidung der vorschnellen Festlegung einer Bedeutungszuweisung zugunsten einer Prüfung alternativer Sinnzuweisungen kann erfolgreich trainiert werden, wenn die Patienten üben, flache, unemotionale und deshalb wahrscheinlich trügerische, aus katathymem Druck heraus entstandene Erinnerungen zu unterscheiden von lebhaften, emotional vitalen Erinnerungen, die einen realen Hintergrund haben (Moritz et al. 2006). Die Verbindung von eingeschränktem Arbeitsgedächtnis und der Notwendigkeit, unübersichtliche und möglicherweise mit affektiver Spannung belastete Alternativen von Interpretationsmöglichkeiten durch einen längeren Klärungsprozess als mentale Repräsentationen aufrechtzuerhalten, kann nicht lange genug durchgestanden werden und wird eben durch eine vorschnelle und sei es falsche Entscheidung beendet. Auch der v. a. für wahnhafte Pa-
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tienten und langfristigen Verlauf von Janzarik beschriebene Vorgang der »Strukturverformung« wurde von Spitzer (1996) mit der Veränderung des kortikalen Mappings von Metarepräsentationen und einem bei Schizophrenen veränderten Signalrauschabstand für die Gestaltbildungen in Parallele gesetzt. Dadurch komme es dann zu Gestaltbildungen und Sinnzuweisungen, die nach Maßgabe der inneren Aktualisierungsbereitschaften in einem mehr impressiven als kritisch abwägenden, protensiven Wahrnehmungsmodus ausgewählt und verstetigt werden. Weitere empirische Befunde zur Entsprechung von konzeptuellen Ansätzen der Philosophie und Psychologie einerseits und neurokognitiven experimentellen Ansätzen andererseits werden von Sass u. Parnas (2002) berichtet. Störungen des Subjekterlebens mit »perplexity« sind am spezifischsten für die Störungen aus dem Schizophreniespektrum mit familiärer genetischer Belastung und möglicherweise für die Vor- und Frühformen der Schizophrenie. Auch in älteren Studien fanden sich als Schizophrenieprodrome Störungen der Selbstdemarkation, der Flüssigkeit und Kohärenz von Narrativen und der Selbstidentität bereits im Schulalter. Aufgabenbezogene frühe Störungen des Selbst zeigen eine gute Prädiktion der späteren Erkrankung. Dabei sind Störungen des Selbst nicht Teil der ICD-10-Definition von Schizophrenie. Der hohe kognitive Aufwand, den Schizophrene z. B. zur Kompensation bei Automatismusverlust leisten müssen, kann auch durch vermehrte Ablenkbarkeit und affektive Überlastung – z. B. durch ein Konfliktthema – bedingt sein (Burgett et al. 1998). Hyperreflexie in diesem Sinn kann bereits vor dem Manifestwerden von konkreten Symptomen eine Selbstzentriertheit der Wahrnehmungen erzeugen, die ebenfalls einen Beitrag zur Prädiktion des Übergangs von Prodromalstadien in Psychosen leisten kann (Maggini u. Raballo 2004). So vergeblich die Hyperreflexie bei Automatismenverlust zur Kompensation prozedural erlernter mentaler Basisabläufe ist, so nützlich kann aber kognitives Training im Bereich von Einstellungen und Bewertungen sein, die Wahnthemen betreffen. So zeigte sich, dass von Patienten mit Wahngewissheit, denen »Theory-of-mind«-Aufgaben gegeben worden waren, die zunächst in der Erste-Person-Perspektive, dann aus der Dritte-Person-Perspektive berichtet werden sollten, etwa ein Drittel beim Übergang auf die Dritte-Person-Perspektive den Wahn korrigieren konnten (Gambini et al. 2004). Dies deckt sich mit den Befunden, die analog bei neurologischen Anosognosiepatienten gefunden worden sind. Die Metarepräsentationen bilden dann offenbar bei diesen Patienten eine noch stabilere Interpretationsbasis als die direkte Anmutung durch Wesensmerkmale im impressiven Wahrnehmungsmodus. Dabei spielt auch die affektive Ladung auf diesen Inhalten eine Rolle. Die klinische Erfahrung zeigt, dass sämtliche Übergänge von der vollen Wahnüberzeugung über langsame Entaktualisierung mit relativer Gleichgültigkeit ohne Korrektur bis hin zu vollständiger Distanzierung vorkommen. Die Abhängigkeit kognitiver Leistungen in Form von Wortklassifikationen von der affektiven Befrachtung eines Inhalts zeigte sich bei Schizophrenen mit wie ohne Wahn (Holt et
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Kapitel 10 · Zur Beziehung von Phänomenologie und Kognitionspsychologie
al. 2006). Kognitive Verhaltenstherapie führt vorzugsweise dann zur Auflösung des Wahns, wenn unter Therapie eine Reduktion des »investment of affect« in den Wahninhalt gelingt, womit es dann zu einer Verbesserung der intentionalen Leistung und zur sozial abgestimmten Bedeutungszuweisung kommt. 10.4
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Zusammenfassung und Ausblick
Ein Blick auf den gegenwärtigen Stand der Diskussion gestörter Intentionalität als psychopathologischem Kernsyndrom der Schizophrenie zeigt, dass ein ursprünglich aus der Philosophie entwickeltes Konzept über die klinische Psychiatrie zu den experimentellen neurokognitiven Wissenschaften vorgedrungen ist. Die Prozesse der Sinnzuschreibung stehen dabei in allen drei Wissenschaftszweigen – der Philosophie, der klinischen Psychiatrie und der experimentellen Neuropsychologie – im Mittelpunkt.Übereinstimmend wird eine zeitliche Staffelung intentionaler Prozesse der Sinngewinnung beschrieben sowie eine horizontale Hierarchie selbstdistaler Vorbahnungen von Sinngewinnung auf der perzeptiven Ebene, auf einer mittleren Ebene der selbstproximalen Aktivierung von kognitiven Schemata und Kontrollprozessen und auf der abstrakten Ebene der bewussten Reflexion. In allen dreiWissenschaftsbereichen wurden Phänomene der wechselseitigen Irritation, aber auch der Kompensation der Fähigkeit zu sozial abgestimmten Sinnzuschreibungen über hierarchische Top-down-Prozesse wie über diachronisch gestaffelte horizontale Prozesse beschrieben. Die Bezugnahme der beiden Wissenschaftsbereiche Philosophie und kognitive Neurowissenschaften aufeinander hat sich weiter intensiviert, wobei für beide Seiten die z. T. kontroversen Auffassungen zentraler Fragen des Menschenbildes, der Sinnfindung, der Willensfreiheit, der Selbstkonstituierung und der Intersubjektivität eine Triebfeder für den Dialog darstellen. Für eine Klinifizierung des Austauschs wäre die in ersten Ansätzen vorhandene Einbindung der klinischen Psychopathologie und Psychotherapieforschung nützlich, die ein bis jetzt noch nicht ausgeschöpftes Potenzial an verbindender Terminologie und einen großen Reichtum an beobachteten klinischen Phänomenen zur Verfügung stellt. Insbesondere die Gestaltpsychologie, die strukturdynamische Psychopathologie und die empirische Sozialpsychologie könnten eine wertvolle Mittelstellung zwischen philosophisch basierter Phänomenologie und neurokognitiven Wissenschaften einnehmen und vermitteln. Inhaltlich besteht Übereinstimmung über die drei Gebiete hin, dass die zentrale Störung der stabilen und gleichwohl flexiblen Sinnfindung Schizophrener bereits entscheidend im Bereich der Perzepte und der frühen Verarbeitung durch filternde, selektierende und zu komplexeren Schemata ordnende Prozesse gestört ist. Charakteristisch für die Konvergenz der Auffassungen ist die Zahl der Synonyme in diesem Bereich wie Selbstvergessenheit, natürliche Selbstverständlichkeit, Automatismenverlust. Eigentümlich vernachlässigt werden hingegen die Krankheitsverlaufsprozesse und ihre Ausgänge zu Residualsyndromen als
Gegenstand gemeinsamer Forschung. Der Fokus liegt meist auf akuten Störungsformen. Aber auch Residualbildungen würden hohe Aufmerksamkeit verdienen, denn sie reflektieren die wenn auch unter erschwerten Bedingungen stattfindende kompensatorische Intentionalität und Selbstgestaltung des Individuums. Dabei spielt nicht nur der durch pharmakologische Reduktion der affektiven Überstimulierung erleichterte Erhalt einer reduzierten Restintentionalität sondern auch die soziale Rahmung mit der Anbahnung von Intentionen durch das Angebot stabilisierender Interaktionen eine entscheidende Rolle für die Wiederherstellung der Intentionalität, und sei es in einer abgeschirmten Ruheposition.
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11 Psychopathologie und Neurowissenschaften Wolfgang Gaebel und Jürgen Zielasek
11.1
Einführung
– 119
11.2
Psychopathologie der Schizophrenie – 120
11.3
Was sind »Neurowissenschaften«?
11.3.1 11.3.2
Definition – 120 Fächer der Neurowissenschaften
11.4
Welche »Neurowissenschaften« sind für die Psychopathologie der Schizophrenie relevant? – 121
11.5
Konzepte der Verbindung von Neurowissenschaften und Psychopathologie der Schizophrenie – 123
11.5.1 11.5.2 11.5.3 11.5.4
Modularität – 123 Netzwerkmodelle – 125 Anwendung in der Schizophrenieforschung Funktionale Psychopathologie – 127
11.6
Zusammenfassung und Ausblick – 129 Literatur
– 129
– 120
– 121
– 125
119 11.1 · Einführung
11.1
Einführung
Das Verhältnis der Psychopathologie zu den Neurowissenschaften zu beschreiben, ist heute eine umfangreichere Aufgabe als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Der Grund dafür ist ein erheblicher Wissenszuwachs über die neurobiologischen Grundlagen psychischer Störungen aufgrund von technologischen Fortschritten in der Neurogenetik, den bildgebenden Verfahren wie der funktionellen Kernspintomographie und den psychophysiologischen Verfahren wie der Magnetenzephalographie. Aus dieser Perspektive heraus stellt sich die Frage, wie neurobiologische Faktoren zu psychopathologischen Phänotypen führen und die Lücke zwischen diesen beiden Bereichen geschlossen werden kann. In der Regel wird bei der Antwort auf diese Frage davon ausgegangen, dass genetische Faktoren oder Umweltfaktoren auf das Gehirn und seine Funktionselemente einwirken, woraus dann klinisch beobachtbare psychopathologische Erscheinungsformen resultieren (MeyerLindenberg u. Weinberger 2006). Für die Art der Störungseinwirkung sind prinzipiell mehrere Möglichkeiten denkbar: 1. Eine neurobiologische Störungseinwirkung führt zu einer psychischen Störungsfolge (Beispiel: Ein Tumor des Temporallappens hat eine Temporallappenepilepsie zur Folge; im Rahmen der Epilepsie kommt es zu psychischen Störungen. Das Problem der Entstehung der psychischen Störung ist damit aber nur auf eine andere Ebene verschoben, denn nun stellt sich die Frage, auf welche Weise eine epileptische Erregungssteigerung des Gehirns zu einem psychopathologischen Symptom führt.) In solchen Fällen liegt die Störung häufig, jedoch nicht notwendigerweise, offen zutage. 2. Eine neurobiologische Störungseinwirkung führt zu einem objektiv feststellbaren Endophänotypen, der mit einem psychopathologisch feststellbaren klinischen Bild assoziiert ist (Beispiel: Es lässt sich elektrophysiologisch eine verminderte Präpulsinhibition feststellen, die mit einer Aufmerksamkeitsstörung einhergeht. Hier wäre die ursächliche neurobiologische Störungseinwirkung eventuell gar nicht mehr nachweisbar, weil sie beispielsweise in einer frühen ontogenetischen Entwicklungsstufe eingewirkt hat, der Endophänotyp wäre jedoch neben der Psychopathologie noch feststellbar.) Dabei bleibt es zunächst offen, ob zwischen dem Auftreten der psychophysiologisch – also neurowissenschaftlich – feststellbaren Störung der Präpulsinhibition und dem psychopathologischen Befund einer Aufmerksamkeitsstörung ein kausaler Zusammenhang besteht. 3. Eine neurobiologische Störungseinwirkung führt zu einer erhöhten Vulnerabilität für eine zweite Störung (z. B. durch einen belastenden Umweltfaktor, der ohne Vulnerabilität nicht schädlich wäre), und nur das Zusammenwirken beider Störungen führt zur Psychopathologie (»Two-hit-Hypothesen«). Die beiden Störungen können konsekutiv oder simultan wirken. 4. Schließlich ist es möglich, dass eine rein psychische Störung auf ein neurobiologisches Funktionssystem einwirkt, dessen Störung dann einen psychopathologischen Befund zur Folge hat.
11
Erwähnt werden muss hier auch die Möglichkeit, dass mehrere der unter 1–4 genannten Alternativen synergistisch zusammenwirken können, sodass bei psychischen Störungen auch multiple Ursachen in komplexer Weise interagieren können. Im Rahmen solcher komplexen multifaktoriellen Störungsmodelle werden heute insbesondere Gen-Umwelt-Interaktionen betrachtet, die für die Ausprägung psychischer Störungsbilder als besonders relevant anzusehen sind (. Abb. 11.1). Eine in diesem Sinne »neurowissenschaftlich feststellbare Störung« ist jede Störung der Gehirntätigkeit, die sich mittels neurowissenschaftlicher Methoden objektiv erfassen lässt. Substrate der Störungseinwirkung können vom Gen über das Neuron oder die Gliazelle bis zu kortikalen Neuronenverbänden in Form von vertikalen Kortexsäulen oder umschriebenen Hirnarealen sämtliche anatomischen, physiologischen oder psychologischen Funktionseinheiten des Gehirns sein, deren Störung zu einem psychopathologisch feststellbaren Phänotyp führt. Die Störungseinwirkungen und die Störungsauswirkungen können prinzipiell reversibel oder irreversibel sein, sie können dimensionalen (Dosis-Wirkungs-Beziehung) oder kategorialen (Entweder-OderPrinzip) Charakter haben.
. Abb. 11.1. In der obersten Zeile ist die ursprüngliche Sichtweise der direkten Gen-Phänotyp-Interaktion dargestellt. Dieser einfache lineare Zusammenhang besteht bei vielen genetischen Erkrankungen, bei denen Mutationen oder Deletionen von Genen unmittelbaren Einfluss auf den Phänotyp nehmen. In der mittleren Zeile ist dargestellt, dass »Endophänotypen« den Krankheitsphänotyp in der Erforschung genetischer Ursachen psychischer Störungen auch ersetzen oder ihm vorangehen können, da sie dem »neurowissenschaftlichen« Ursprung der Störung näher sind. Sie stellen objektiv messbare Veränderungen von elektrophysiologischen, morphologischen oder laborchemischen Parametern dar, die oft einfacher oder reliabler festzustellen sind als der klinische Phänotyp und damit zumindest hypothetisch eine engere Verbindung zum Genotyp haben. In der unteren Zeile ist dargestellt, dass Umweltfaktoren auf allen Ebenen der Kausalkette vom Gen zum Phänotyp modulierend einwirken können. (Nach Caspi u. Moffitt 2006)
120
11
Kapitel 11 · Psychopathologie und Neurowissenschaften
Gegenwärtig werden in den Neurowissenschaften (insbesondere der Neurogenetik und der Neurophysiologie) viele neue Einzelbefunde gesammelt, die noch unverbunden nebeneinander stehen. Es stellt sich aber die grundsätzliche Frage, wie denn überhaupt eine neurobiologische Störung der Gehirnfunktion zu einem psychopathologischen Phänotyp führt. Wir werden dieses Problem getreu des Themas dieses Buches in erster Linie anhand des Beispiels der Schizophrenie erläutern und dabei ganz besonders den konzeptionellen Rahmen der Verbindungen von neurowissenschaftlichem Befund und psychopathologischer Reaktion aufzeigen. Wir werden zunächst die Psychopathologie der Schizophrenie (in der Definition der modernen Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV) erläutern. Danach werden wir den Begriff »Neurowissenschaften« definieren und anhand ausgesuchter Beispiele erläutern, welche Rolle die Neurowissenschaften bereits heute für ein verbessertes Verständnis der Ätiopathogenese psychopathologischer Befunde haben. Anschließend diskutieren wir die Frage, welchen Neurowissenschaften aktuell oder zukünftig für die Erforschung der Psychopathologie der Schizophrenie eine tragende Rolle zukommen dürfte. Die aktuellen Überlegungen zur Beziehung von Phänomenologie und Kognitionspsychologie werden in 7 Kap. 10 des vorliegenden Bandes behandelt, sodass wir ergänzend einen Schwerpunkt legen auf modulare, evolutionärpsychologische und konnektionistische Überlegungen, die derzeit in den kognitiven Neurowissenschaften, aber auch in der Psychiatrie, zunehmenden Platz in der wissenschaftlichen Diskussion einnehmen. Dies führt zur funktionellen Psychopathologie als diagnostischem Rahmen einer neuen Klassifikation psychischer Störungen, die auf bereits vorhandener oder noch zu erhoffender neurowissenschaftlicher Erkenntnis aufbaut, aber auch zu hypothesengeleiteten Vorhersagen führt, sodass sie einer empirischen Überprüfung unterzogen werden kann. 11.2
Psychopathologie der Schizophrenie
Die von Kraepelin eingeführte Unterteilung der endogenen Psychosen in die Dementia praecox und die manisch-depressive Erkrankung (»Kraepelinsche Dichotomie«) liegt auch den heute gültigen Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-IV zugrunde, wird allerdings aufgrund neuerer Befunde zu genetischen Risikofaktoren, die beiden Erkrankungsgruppen gemeinsam sind, wieder in Frage gestellt (Craddock u. Owen 2005). Man muss einwenden, dass Kraepelin selber durchaus klinische Überlappungsbereiche zwischen beiden Erkrankungsgruppen feststellte (Marneros 2006). Die Entstehung des Begriffes »Schizophrenie« geht auf Eugen Bleuler zurück, während Jasper die noch heute gebräuchlichen psychopathologischen Grundbegriffe formulierte. Es war Kurt Schneider, der durch die Einführung der Unterteilung in Symptome ersten und zweiten Ranges erstmals eine Art Operationalisierung in die Schizophrenie-Diagnostik einführte. In den 50er Jahren entstand mit der aufkommenden
Psychopharmakaentwicklung die Notwendigkeit, die psychopathologischen Begriffe und ihre Anwendung für die Diagnostik zunächst im nationalen Rahmen festzulegen. Daraus entstand die »Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie« (AMDP), die 140 Merkmale des psychischen und des somatischen Befundes verbindlich definierte und sich im klinischen Alltag des deutschsprachigen Raums durchgesetzt hat (AMDP 1995). Im internationalen Rahmen setzte sich im angloamerikanischen Raum die operationalisierte Klassifikation psychischer Störungen mittels des Diagnostic and Statistical Manuals in der 4. Revision (»DSM-IV«) durch, in vielen anderen Ländern – so auch in Deutschland – die internationale Krankheitsklassifikation der Weltgesundheitsorganisation (10. Revision, »ICD-10«). Die Vorteile dieser operationalisierten und vereinheitlichten Diagnostik sind v. a. eine einheitliche Begriffsdefinition und eine Verbesserung der Reliabilität psychiatrischer Diagnostik. Allerdings gibt es auch Nachteile: Die heute geläufigen Klassifikationssysteme fassen evtl. verschiedene Erkrankungen unter einem Begriff wie z. B. »Schizophrenie« zusammen, für genetische Untersuchungen nicht gerade eine gute Voraussetzung. Die ursprüngliche Heterogenität des Krankheitsbegriffes »Schizophrenie« wird dadurch verschleiert, es ist zunehmend von »der« Schizophrenie die Rede, obwohl sich hinter diesem Begriff ursprünglich eine ganze Erkrankungsgruppe verbarg. Aktuell werden die Nachfolgeklassifikationssysteme (ICD-11 und DSM-V) entwickelt, wobei sich bereits abzeichnet, dass zumindest im Bereich der Schizophrenie eine »Dekonstruktion« des Psychosebegriffes erfolgen soll, die möglicherweise durch neurobiologische Befunde begründet werden soll. Aktuell gibt es jedoch noch kein klares Bild hierzu, eine entsprechende Forschungskonferenz der American Psychiatric Association im Frühjahr 2006 konnte keine klaren neuen Konzepte erarbeiten. Neue Störungskonzeptionen dürften weiterhin auf klinischen Phänotypen beruhen, für deren Erfassung die psychopathologische Befunderhebung eine zentrale Rolle spielen wird. Es scheint noch zu früh zu sein, die Schizophreniediagnostik ganz auf neurobiologische Befunde aufzubauen. 11.3
Was sind »Neurowissenschaften«?
11.3.1 Definition Es gibt keine einheitliche oder gar verbindliche Begriffs-Definition. Neben der eher lexikalischen Auffassung, dass all diejenigen Fachdisziplinen die Neurowissenschaften bilden, die sich mit Nervenzellen und den aus ihnen aufgebauten Strukturen beschäftigen, finden wir die funktionale Definition von Kandel wegweisend. Danach ist es die Aufgabe der Neurowissenschaften,Verha ltensweisen anhand von Gehirnaktivitäten zu erklären – also zu verstehen, wie Millionen einzelner Nervenzellen im Gehirn zusammenarbeiten, um Verhalten zu erzeugen, und wie diese Zellen
121 11.4 · Welche »Neurowissenschaften« sind für die Psychopathologie der Schizophrenie relevant?
ihrerseits durch die Umwelt, einschließlich des Verhaltens anderer Menschen, beeinflusst werden (Kandel 1996, S. 6). Hier wurde die Öffnung gegenüber den Umwelteinflüssen bereits mit einbezogen. Dies liegt sicherlich nicht nur daran, dass Kandel hauptsächlich Lernvorgänge untersucht hat, sondern mag auch dadurch beeinflusst sein, dass Kandel ausgebildeter Psychiater ist. Somit ist diese Definition vielleicht auch ein Beispiel dafür, dass nicht nur die Neurowissenschaft die Psychiatrie beeinflusst, sondern umgekehrt auch die Psychiatrie mit ihrem sehr speziellen Erfahrungsschatz den Neurowissenschaftlern etwas mitzuteilen hat. 11.3.2 Fächer der Neurowissenschaften Zu den Neurowissenschaften zählen eine ganze Reihe von klinischen und vorklinischen Fachgebieten sowie Forschungsrichtungen, die sich in vielen Fällen überlappen oder ergänzen. Hierzu gehören neben den klinischen Fächern Psychiatrie, Neurologie, Psychosomatische Medizin und Neuroradiologie/Neuroimaging die Psychologie sowie die naturwissenschaftlichen Grundlagenfächer – u. a. die Neuroanatomie, Neurochemie, Neurogenetik und Neurophysiologie. Darüber hinaus gehören auch Subspezialisierungen in anderen Fachbereichen zum erweiterten Kreis der »Neurowissenschaften«, z. B. Neurophilosophie und Neuroökonomie. Die Grenzen zwischen diesen Fachgebieten sind dabei oft fließend. 11.4
Welche »Neurowissenschaften« sind für die Psychopathologie der Schizophrenie relevant?
Einige der hier erwähnten »neurowissenschaftlichen« Disziplinien haben für die Pathophysiologie der Schizophrenie in den letzten Jahren eine besondere Bedeutung erlangt. Dabei ist die Tendenz zu beobachten, dass mit zunehmenden methodischen und technologischen Fortschritten letzten Endes auch die Schizophrenieforschung davon profitiert. Man muss aber auch konzedieren, dass keine einzige Neurowissenschaft bislang in der Schizophrenieforschung die Ätiopathogenese völlig erklären kann. Heute geht man daher immer noch von einem multikausalen pathophysiologischen Geschehen aus, das letzten Endes morphologisch zu einer Störung der Zytoarchitektur des Gehirns führt und neurobiochemisch eine Störung des Dopaminstoffwechsels zur Folge hat. Die Evidenz für eine Störung des Dopaminstoffwechsels stammt aus psychopharmakologischen und neurobiochemischen Untersuchungen zur Inhibiton der Dopaminbindung an D2-Rezeptoren des Gehirns durch Antipsychotika sowie aus Imaging-Studien zur Aktivität von Dopaminrezeptoren in den Gehirnen von an Schizophrenie Erkankten. Als Techniken kamen und kommen hierbei die Positronenemissionstomographie
11
(PET) und die Magnetresonanzspektroskopie (MRS) zum Einsatz. Darüber hinaus gibt es Hinweise für eine Rolle weiterer Neurotransmitter wie Gammaaminobuttersäure sowie Glutamin und deren Rezeptoren bei der Entstehung psychotischer Symptome. Nachdem die Psychopharmakologie in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts die ersten neurobiologischen Erkenntnisse zur Pathophysiologie der Schizophrenie erbracht hatte, folgte in den 70er und 80er Jahren die Domäne der Psychophysiologie sowie der kraniellen Bildgebung. Im Bereich der Psychophysiologie – einem Gebiet der Neurophysiologie – gelangen quasi in Echtzeit erstmals Einblicke in die Funktionsweise neuromentaler Prozesse, meist im Rahmen von Elektroenzephalographieuntersuchungen und der Bestimmung Evozierter Potentiale unter bestimmten experimentellen Bedingungen, die einzelne Aspekte der Gehirnfunktion untersuchten. Dies führte dazu, dass beispielsweise Störungen der Augenbewegungen oder eine verminderte Präpulsinhibition als elektrophysiologische Befunde bei an Schizophrenie Erkrankten festgestellt wurden. Auch Funktionsstörungen des Frontalhirns wurden und werden mittels elektrophysiologischer Methoden weiterhin bei Schizophreniepatienten untersucht. Auswirkungen der Gabe von Antipsychotika wie z. B. dem Clozapin auf das menschliche EEG und die damit verbundene erhöhte zerebrale Erregbarkeit sind Domänen klinischer Routine-EEGUntersuchungen in psychiatrischen Kliniken. Moderne wissenschaftliche Untersuchungen beschäftigen sich mit Konnektionsstörungen, die sich z. B. in einer verminderten oszillatorischen Kopplung verschiedener Gehirnareale elektro- oder magnetenzephalographisch bei an Schizophrenie Erkrankten messen lassen. Auf dem Gebiet der kraniellbildgebenden Verfahren wurden mittels der damals neuen kraniellen Computertomographie und kraniellen Magnetresonanztomographie in den 70er und 80er Jahren geringe Erweiterungen der Seitenventrikel und eine Verminderung der kortikalen grauen Substanz bei Schizophreniepatienten gefunden. Auf der strukturellen Untersuchungsebene erfolgten auch viele neuroanatomisch-neuropathologische Untersuchungen, die im Wesentlichen subtile Veränderungen der kortikalen Zytoarchitektur beschrieben. In neuerer Zeit werden zunehmend auch Veränderungen der Myelinisierung und damit der Weißen Substanz untersucht, die möglicherweise die Grundlage für die oben erwähnten Störungen der funktionellen Konnektivität sind. Erst ab den 90er Jahren trat als neues Verfahren die funktionelle Kernspintomographie (functional magnetic resonance imaging, fMRI) hinzu, die neben der statischen Bildgebung auch eine dynamisch-funktionelle Untersuchung des Gehirns erlaubt, wobei insbesondere die nicht durchgängig bestätigte Hypothese einer frontalen Funktionsstörung sowie die Unterbrechung von Verbindungen anderer Gehirnareale mit den Frontallappen im Vordergrund des Interesses stehen. Für die Verknüpfung von neurowissenschaftlichen und psychopathologischen Befunden nimmt das fMRI eine zentrale Stellung als Forschungsinstrument ein, wobei gegenwärtig der Fokus auf der Korrelation von fMRIBefunden mit genetischen Risikofaktoren liegt. Darüber hinaus
122
11
Kapitel 11 · Psychopathologie und Neurowissenschaften
zeigen sich neue Möglichkeiten funktioneller Untersuchungen, indem man fMRI-Provokationsteste einsetzt, die bestimmte, funktionell gut definierte Untereinheiten der Gehirnfunktion belasten und damit eventuell nur bei Vorliegen bestimmter Vulnerabilitätsfaktoren dekompensieren lassen. Auch die Beobachtung der Aktivierung von primär-auditorischen oder Spracharealen bei akustischen Halluzinationen im Kontrast zum »inneren Sprechen« bei Gesunden führt dazu, dass ausgehend von der Lokalisierbarkeit dieser psychopathologischen Phänomene nunmehr die pathophysiologischen Prozesse dieser bislang nur subjektiv berichteten psychotischen Erlebensweisen auch objektiv untersuchbar werden (Übersicht bei Matthews et al. 2006). Dies bedeutet neue Perspektiven für die Entwicklung von antipsychotischen Medikamenten. Eine für die Psychopathologie wichtige Frage ist, ob die funktionelle Bildgebung auch über die basalen Funktionen (z. B. akustische Halluzinationen) hinausgehende mentale Zustände oder Vorgänge objektivierend darstellen kann. Unter geeigneten experimentellen Umständen ist dies möglich; sogar unbewusste Vorgänge können dabei dargestellt werden, was jedoch auch ethische Implikationen hat: Darf man »Gedanken lesen« (Übersicht bei Haynes u. Rees 2006)? Hierbei waren bislang eine gewisse modulare Funktionalität und anatomische Abgrenzbarkeit wichtige Voraussetzungen, jedoch können mittels neuartiger Auswerteverfahren auch dynamische oder nicht lokalisierte höhere Gehirnfunktionen auf diese Weise abgebildet werden. Aus neurowissenschaftlicher Sicht ist dabei die Korrelation von elektrischer Gehirnaktivität und fMRI-Befunden immer noch ein Hauptproblem. Eine topographische Organisation scheint sich nur für basale Input-Output-Prozesse nachweisen zu lassen, höhere Gehirnfunktionen sind wohl eher als dynamische Verknüpfungen mehrerer Areale interpretierbar. Außerdem zeigt sich, dass dieselbe Gehirnregion bei ganz unterschiedlichen Aufgaben aktiviert werden kann. Wir werden darauf in 7 Abschn. 11.5 noch näher eingehen. Die fMRI bietet neue technische Möglichkeiten zur Untersuchung der Lokalisierbarkeit höherer (integrativer) Gehirnfunktionen, indem sie dynamische Aspekte der räumlichen Aktivitätsverteilung mit einbezieht (Haynes u. Rees 2006). Etwa ab der Mitte der 90er Jahre hielten genetische Studien vermehrt Einzug in die Psychiatrie. Es wurde eine Reihe von Genen identifiziert, die bei an Schizophrenie Erkrankten verändert sind. Diese genetischen Veränderungen gehen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko einher, es handelt sich um Risikoallele. Eine Übersicht über genetische Assoziationsstudien bei an Schizophrenie Erkrankten findet sich in 7 Kap. 5. Einige der Gene scheinen – die traditionellen Grenzen der Kraepelinschen Dichotomie überschreitend – jedoch eher für einen psychotischen Phänotyp als für eine bestimmte ICD-10- oder DSM-V-Diagnose zu prädisponieren (Craddock et al. 2006). Darüber hinaus hat keine dieser Genveränderungen eine 100%ige phänotypische Penetranz, zudem kommt die entsprechende Genveränderung auch bei Gesunden vor. Die Auswirkungen der Genveränderungen auf die Struktur oder gar Funktion der betroffenen Proteine sind noch weit-
gehend unbekannt. Der pathophysiologische Pfad vom Gen über das Protein zur psychopathologischen Störung ist also zumindest in der Schizophrenieforschung noch ungeklärt. Dennoch zeichnet sich ab, dass die Risikogene für Prozesse wie die Myelinisierung, die Formation von Synapsen (z. B. Neuregulin 1) oder den Neurotransmitterstoffwechsel (Catechol-O-Methyl-Transferase) wichtig sind. Dadurch geraten Untersuchungen zu genetischen Korrelaten veränderter Gehirnfunktionen bei an Schizophrenie Erkrankten zunehmend in das Interesse (Turner et al. 2006), sodass gegenwärtig beispielsweise die Auswirkungen von COMT-Mutationen auf fMRI-Parameter untersucht werden. Andererseits gibt es Stimmen, die Skepsis gegenüber einer rein genetisch konzeptualisierten Taxonomie und Nosologie psychischer Störungen äußern (Kendler 2006; Robert und Plantikow 2006). Aus konzeptueller Sicht stellt sich darüber hinaus die Frage, inwiefern solche genetischen Veränderungen durch Interaktion mit Umweltfaktoren psychische Störungen auslösen. Ein wesentlicher neurobiologischer Umweltfaktor, dessen Erforschung aus der Entwicklungsneurobiologie stammt, ist die intrauterine Virusinfektion und der durch sie ausgelöste Pathomechanismus, der zur Schizophrenie führt. Hierbei werden aktuell auch wieder immunologische Untersuchungen zur Pathogenese der Schizophrenie durchgeführt. In jüngster Zeit spielen Fragen der psychologischen Ursachen psychischer Störungen eine Rolle. Hierbei sind besonders die Fortschritte der Kognitions- und der Emotionspsychologie zu nennen, die sich der modernen bildgebenden und psychophysiologischen Verfahren bedienen, um die Grundlagen physiologischer Gehirnfunktionen zu entschlüsseln. Ein konkretes Beispiel aus der Kognitionsforschung ist die Rolle, die sozialkognitiven Prozessen in der Pathophysiologie von psychopathologischen Phänomenen zukommt. Bei der Schizophrenie wird beispielsweise erforscht, wie sich Störungen der mimischen Affekterkennung auswirken und inwiefern sie durch spezielle psychophysiologisch fundierte Trainingsprogramme zu korrigieren sind (Wölwer et al. 2005). Ganz aktuell sind Ansätze, die Gen-Umwelt-Interaktionen und die durch sie begründete Heterogenität der klinischen Phänomenologie psychischer Störungen mit neurowissenschaftlichen und epidemiologischen Untersuchungen kombinieren, um die Komplexität dieser pathophysiologischen Zusammenhänge zu ergründen (Caspi u. Moffitt 2006). Dabei geht es zentral um die Frage, wie die »externen« Umwelteinflüsse und die »internen« Genveränderungen letztlich auf ein neurobiologisch determinierbares Substrat einwirken und dadurch die psychopathologischen Phänomene verursachen. Die neurobiologischen Auswirkungen schädigender Umwelteinflüsse wie Schwangerschaftsinfektionen, aber auch sozialpsychologischer Noxen wie Traumatisierungen geraten ebenfalls zunehmend in den Fokus neurowissenschaftlicher Untersuchungen, insbesondere unter dem Aspekt der Prävention psychischer Störungen (Übersicht bei Fishbein 2000). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in der Schizophrenieforschung die jeweils aktuellen Forschungsmethoden aus
123 11.5 · Konzepte der Verbindung von Neurowissenschaften und Psychopathologie der Schizophrenie
11
den neurowissenschaftlichen Fachdisziplinen in großem Umfang angewendet wurden und werden, ohne dass sich bisher daraus klare und eindeutig belegbare neurobiologische Ursachen der Erkrankungsgruppe der Schizophrenien herauskristallisiert hätten. Wir kennen zwar eine Reihe von neurobiologischen, psychologischen, physiologischen, genetischen oder anatomischen Befunden, die bei an Schizophrenie Erkrankten verändert sind, jedoch haben diese Befunde bislang lediglich im Bereich der Neurotransmitterforschung zu therapeutischen Konsequenzen geführt. 11.5
Konzepte der Verbindung von Neurowissenschaften und Psychopathologie der Schizophrenie
Wer neurowissenschaftliche Erkenntnisse auf psychische Störungen und hier insbesondere die Schizophrenie anwenden möchte, kommt nicht darum herum, seinen Überlegungen explizit oder implizit ein Konzept der Arbeitsweise des menschlichen Gehirns zugrunde zu legen. Es wird immer klarer, dass die Psychiatrie dazu Konzepte benötigt, die über Neurotransmitter, Synapsen und Nervenleitungen hinausgehen. Ein Verständnis der Funktionsweise des gesunden Gehirns ist aber die unabdingbare Voraussetzung für das Verständnis der Pathophysiologie psychischer Störungen. Dabei gibt es einerseits weitgehend automatisierte basale Prozesse, andererseits aber auch noch nicht so gut verstandene höhere integrative Prozesse. Emotionen und Prozesse subjektiver Erfahrens- und Willensbildung interagieren mit kognitiven Prozessen. Die Schizophrenie ist eine Erkrankung, die den Willen, die Gedanken, die Wahrnehmungen, aber auch die Emotionen, mithin das gesamte »Selbst«-Konstrukt des Betroffenen in Mitleidenschaft zieht. Aus diesen Überlegungen und den Beispielen des 7 Abschn. 11.4 lässt sich schließen, dass der Pathophysiologie der bei den Schizophrenien beobachtbaren Psychopathologie komplexe Abläufe zugrunde liegen dürften, die wahrscheinlich pathogenetische Faktoren aus der Neurobiologie, der Kognitionsund der Emotionspsychologie sowie der Soziobiologie im weitesten Sinne in individueller Weise zusammenführen. Der psychotische Phänotyp wäre dann im Sinne Kraepelins die gemeinsame beobachtbare Konsequenz und fast schon die stereotype Reaktionsweise der »menschlichen Maschine« auf verschiedenartige äußere (»Umwelt«) und innere (»Gene«) Einwirkungen (Kraepelin 1920). Dabei finden sich bei Patienten mit Schizophrenie keine groben strukturellen Gehirnläsionen. Es herrschen allenfalls subtile, eher auf der mikroskopischen als auf der makroskopischen Ebene anzusiedelnde Veränderungen vor. Demgegenüber steht funktionell gesehen ein ausgesprochen schwerer psychopathologischer Phänotyp, dessen Entstehung daher auch eher funktionell verstanden werden kann. Es geht um eine Funktionsstörung des Gehirns, und wer diese verstehen will, muss sich mit dem Substrat der Gehirnfunktion, also der Funktionsweise
. Abb. 11.2. Störungen haben Auswirkungen auf Gehirnfunktionen, sodass insbesondere bei komplexen Phänotypen Störungen in mehreren Funktionsbereichen auftreten. Bei modularen Störungsansätzen werden diesen Funktionsbereichen entsprechende Module der Gehirnfunktion zugeordnet, die auch im gesunden Zustand die entsprechende physiologische Funktion tragen. Durch die Identifizierung von Modulen ist es möglich, durch gezielte Eingriffe in die Module psychische Störungen zu simulieren oder neue Therapieverfahren zu entwickeln, die Funktionsspezifität besitzen und daher von traditionellen Diagnosekriterien unabhängig betrachtet werden können
(und nicht nur der Struktur) des Gehirns auseinandersetzen (Kraepelin 1920). Die Grundüberlegung im Hinblick auf phänotypisch komplexe und interindividuell stark variierende Erkrankungen wie die Schizophrenie ist hierbei, dass der komplexe Phänotyp in eine Vielzahl einfacherer, funktional definierter Phänotypen »dekonstruiert« wird, die einer experimentellen psychopathologischen Untersuchung unterzogen werden können (»funktionale Psychopathologie«; . Abb. 11.2). Funktionelle Untereinheiten des Gehirns werden hierbei als »Module« bezeichnet. 11.5.1 Modularität Historisch gesehen gehen modulare Ansätze in der Psychiatrie auf die jacksonsche Schichtenlehre des 19. Jahrhunderts, die »präformierten Mechanismen« von Kraepelin zu Beginn des 20. Jahrhunderts und auf die Vorstellung des »Triune Brain« von MacLean aus der Mitte des 20. Jahrhunderts zurück. In der Kognitionspsychologie sowie der Kognitionsphilosophie spielen heute Überlegungen zur Modularität von Gehirnfunktionen eine wichtige Rolle. Psychologische und neurobiologische Grundlagen sind Befunde aus der Spracherwerbsforschung (Chomsky) sowie der Untersuchung der Funktion des visuellen Kortex (Marr). Fodor (1983) entwickelte daraus erstmals eine umfassende Theorie, nach der es periphere »Inputmodule« gibt, die die eingehenden Umweltinformationen in einem informationell abgekapselten Prozess in eine »Sprache des Geistes« übersetzen. In dieser Form werden die Informationen an zentrale, nach Fodor nicht
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Kapitel 11 · Psychopathologie und Neurowissenschaften
modular aufgebaute Prozessierungseinheiten weitergegeben, die Zugriff auf mehrere Inputmodule haben können und in der Lage sind, Informationen miteinander auszutauschen. Fodor charakterisierte die Funktionsweise dieser Inputmodule durch eine Reihe von Kriterien (. Tab. 11.1). . Tab. 11.1. Charakteristika von peripheren Inputmodulen nach Fodor (1983)
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Eigenschaft
Beschreibung
Domänen-Spezifität
Nur eine bestimmte Art von Reizen wird vom jeweiligen Inputmodul verarbeitet
Obligatorische Funktionsweise
Wann immer das Modul durch einen adäquaten Reiz aktiviert wird, erledigt es seine Aufgabe ohne weitere Trigger und mit einem Ergebnis, das nicht anders wahrgenommen werden kann, als es die Verarbeitungsart des Inputmoduls vorgibt
Ohne Zugriff durch höhere Verarbeitungseinheiten
Zentrale Verarbeitungseinheiten haben keinen Zugriff auf die modulinternen Prozesse, insbesondere nicht auf modulinterne »Zwischenergebnisse«
Schnell
Module erledigen ihre Aufgabe in wenigen hundert Millisekunden
Informationell abgekapselt
Module haben keinen Zugriff auf Informationen anderer Module oder zentraler Verarbeitungseinheiten; die Art und Weise der Inputverarbeitung wird weitgehend nicht durch subjektive Erfahrungen und Einschätzungen verändert, diese spielen erst auf höheren – nach Fodor nichtmodular aufgebauten – Verarbeitungsebenen eine Rolle
»Flacher output« (»shallow output«)
Die Verarbeitung kann sich nur auf die adäquaten Inputreize beziehen und nur basale Kategorisierungen zur Folge haben, die sich unmittelbar aus diesen Reizen ergeben
Durch eine fixierte neuronale Architektur charakterisiert
Nur Inputmodule sind durch eine fixierte neuronale Architektur gekennzeichnet
Durch spezifische und charakteristische Funktionsstörungen gekennzeichnet
z. B. Agnosien, Aphasien
Durch spezifische ontogenetische Entwicklungsschritte gekennzeichnet
Fodor bietet dies aufgrund der 1983 verfügbaren Informationen mehr als Hypothese an, jedoch geht er davon aus, dass die Ontogenese von Inputmodulen durch eine charakteristische Sequenz mit bestimmter Geschwindigkeit erfolgt
Diese Kriterien beziehen sich auf die Input-Module, da Fodor ausdrücklich zentrale Verarbeitungseinheiten oder Gedächtnisspeicher in diesem Sinne als nichtmodular aufgebaut ansah. 1. Wichtig ist hierbei, dass eine genetische Prädetermination von Gehirnstrukturen, die im Laufe der weiteren Ontogenese Modulfunktionen übernehmen, bei weitem nicht bedeutet, dass ein diese Strukturen nutzendes Modul »angeboren« ist. In den Kognitionswissenschaften, die für die Betrachtung von Modularität zunächst einen großen Einfluss hatten, ist wichtig festzuhalten, dass ein Verständnis kognitiver Funktionen voraussetzt, die Eigenschaften möglicher Module genau zu eruieren und auch die Ursprünge dieser Eigenschaften zu verstehen. Dies ist nicht mit einer einfachen Checkliste der Fodor-Kriterien getan. Vielmehr müssen die Module funktional untersucht werden, um ihre Eigenschaften zu erkennen, und dabei mag es auch Module geben, die eben nicht in allen neun Punkten der Definition Fodors entsprechen (Ramus 2006). Ramus sieht in diesem Zusammenhang vier Arbeitsgebiete als besonders wichtig an:Überprüfung einer eventuellen genetischen Prädeteminiertheit der Modulstruktur und ihrer dadurch bedingten funktionalen Charakteristika (»pre-specification«’) 2. Überprüfung, ob die Modulfunktion durch die Struktur oder genetische Begrenzungen auf bestimmte Arten der zu verarbeitenden Informationen (»commitment«) eingeschränkt wird 3. Überprüfung, ob dieselbe Modulfunktion auch von anderen Modulen übernommen werden kann (»unicity«) 4. Überprüfung, ob Lernerfahrungen nötig sind, damit ein Modul seine volle Funktionsfähigkeit erlangen kann, unter der Fragestellung, inwiefern sich dadurch die Modulstruktur oder die Art der Informationsverarbeitung (»tuning«) verändert Problematisch wird die Lektüre der »Modularitätsliteratur« meistens dann, wenn die Art der Moduldefinition nicht klar beschrieben wird, denn Fodors Kriterien sind nicht die einzigen (Seok 2006). Umstritten ist bis heute aber auch die Frage, ob die höheren »zentralen« Funktionseinheiten modular oder nichtmodular aufgebaut sind. In der sog. »Evolutionären Psychologie« wird davon ausgegangen, dass alle neuromentalen Funktionseinheiten – inklusive der zentralen Verarbeitungseinheiten – modular aufgebaut sind (. Abb. 11.3). Diese Hypothese wird als »Massive Modularitätshypothese« bezeichnet (Übersicht bei Carruthers 2006). Auf deren Boden wurden bereits Modelle zur Erklärung der Entstehung psychischer Störungen durch Störungen von neuromentalen Modulen entwickelt (Murphy u. Stich 2000; Kennair 2003), wobei auch hier teils kritische Einwände zu bedenken sind (Karmiloff-Smith 1992) und die scheinbar einfache Reduktion des Problems auf die Fehlfunktion von Modulen nicht die Antwort auf alle Fragen sein kann. Dieser Einwand gilt allerdings für die gesamte Problematik der Verknüpfung von psychopathologischen Symptomen mit neuronalen Aktivitäten; der »neuronal turn« (Klosterkötter 2005) ist noch nicht
125 11.5 · Konzepte der Verbindung von Neurowissenschaften und Psychopathologie der Schizophrenie
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. Abb. 11.3. In der Modul-Hypothese Fodors sind die peripheren Inputeinheiten des Gehirns modular aufgebaut, während die zentralen Verarbeitungs- und Gedächtniseinheiten nichtmodular aufgebaut sind (linker Teil der Abbildung). In der Evolutionären Psychologie werden demgegenüber auch die zentralen Verarbeitungseinheiten als modular aufgebaut angesehen, sodass sich das Modell der »Massiven Modularität« ergibt (rechter Teil der Abbildung).
in der Lage, die Erste-Person-Perspektive des subjektiv erlebten mentalen Zustands zu ersetzen. Allerdings liefert die Grundhypothese der Modularität von Geist und Gehirn experimentell überprüfbare Hypothesen für die Funktionsweise des Gehirns im gesunden wie im erkrankten Zustand, zudem bietet sie einen theoretischen Rahmen für die Verbindung von neuronaler Grundfunktion, Störungseinwirkungen und klinischer Phänomenologie. Insofern bietet sie auch einen hilfreichen theoretischen Rahmen für weitergehende experimentelle psychopathologische Untersuchungen, muss jedoch in der nächsten Stufe durch experimentelle Untersuchungen überprüft werden (Kennair 2003; Gaebel et al. 2006). 11.5.2 Netzwerkmodelle Den modularitätsbasierten Modellen stehen konnektionistische Modelle gegenüber, die besonderen Wert auf die Verbindungen zwischen Nervenzellen in Neuronenverbänden legen. Hier werden parallel arbeitende Prozessoreinheiten postuliert, die aus miteinander vernetzten Untereinheiten bestehen (»parallel distributed processing«; Rummelhart u. McClelland 1986). Hier spielen neuronale Netzwerkmodelle eine Rolle, die einerseits in Computersimulationen aufgebaut werden, andererseits aber auch ganz konkret als »Neurochips« für die Untersuchung des Einflusses von Störfaktoren oder Medikamenten in vitro auf die elektrische Aktivität von »neuronalen Mininetzwerken« dienen können. Ein Anwendungsbeispiel aus der Psychiatrie findet sich bei Gramowski et al. (2006). Solche Neurochips werden zukünftig Einblicke in neurowissenschaftliche Grundfunktionen neuronaler Netzwerke erlauben, und insbesondere ihre experimentelle Beeinflussbarkeit dürfte neue Erkenntnisse auch für die Diagnostik und Therapie psychischer Störungen haben. Psychophysiologische Untersuchungen zur »Bindung« verschiedener Gehirnareale durch hochfrequente Gammaoszilla-
tionen haben konnektionistischen Ansätzen in den letzten Jahren neuen Auftrieb gegeben (Übersicht bei Uhlhaas u. Singer 2006). Im Konnektionismus spielt informationelle Abkapselung wie in der Modularitätshypothese keine Rolle, alle funktionalen Untereinheiten können prinzipiell mit allen anderen verbunden sein und damit auch einen Rückgriff oder kontrollierenden Einfluss auf andere Einheiten ausüben. Eine ausführliche Übersicht zur Bedeutung konnektionistischer Modelle sowie der Erklärung psychopathologischer Phänomene auf der Grundlage neuronaler Netzwerke findet sich bei Stein u. Ludik (1998). In jüngster Zeit gibt es allerdings Bestrebungen, die Hypothesen der Modularität mit denen des Konnektionismus zu verbinden (Calabretta u. Parisi 2004). 11.5.3 Anwendung in der Schizophrenieforschung Die hier beschriebenen Modelle wurden bereits auch in der Schizophrenieforschung untersucht. Im Hinblick auf die Modularität sprach Jablensky im Bereich der Schizophrenieforschung bereits von »modularen Endophänotypen« (Jablensky 2004). Im wesentlichen wird es allerdings in den nächsten Jahren darauf ankommen experimentell psychopathologisch zu überprüfen, inwiefern physiologoische Gehirnprozesse auf modularen Grundeinheiten beruhen, und dass der modulare Aufbau bestimmter Hirnfunktionen auch die Grundlage einer funktional orientierten Psychopathologie sein kann (Gaebel et al. 2006). Hier bietet sich gerade die Schizophrenieforschung an, bei der jüngste genetische Befunde darauf hindeuten, dass bestimmte genetische Veränderungen z. B. in Genen der Neuregulin-1-Familie zu einem bestimmten psychopatholologischen Phänotyp prädisponieren. So sind bestimmte Genpolymorphismen des Neuregulin-1-Gens mit einem psychotischen Phänotyp bei Schizophrenie, bipolarer affektiver Störung und der Alzheimer-Demenz assoziiert (Crad-
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Kapitel 11 · Psychopathologie und Neurowissenschaften
dock et al. 2006; Go et al. 2005). Dies deutet darauf hin, dass bestimmte Genveränderungen über die Beeinflussung – noch genauer zu definierender – neuromentaler Module zu einem funktional definierten klinischen Phänotyp führen. Die neuromentalen Module wären dabei die Substrate der Störeinwirkung und entsprächen Kraepelins »präformierten Mechanismen« der »menschlichen Maschine«. Ein aus der Modultheorie entspringender Forschungsansatz könnte so aussehen, dass für künftige klinische Studien nicht mehr die klassischen Diagnosekriterien der ICD10 oder des DMS-IV herangezogen werden, sondern funktional definierte klinische Phänotypen. Das Vorliegen einer bestimmten funktional bedeutsamen Psychopathologie würde die Indikation zu einer für die jeweilige Funktionsstörung spezifischen therapeutischen Intervention zur Folge haben. Ein Beispiel wäre der Einsatz eines Trainingsprogramms der mimischen Affekterkennung bei an Schizophrenie Erkrankten, wenn eine Störung des Moduls der mimischen Affekterkennung z. B. mittels standardisierter testpsychologischer Verfahren festgestellt wird (Wölwer et al. 2005). Die Bedeutung konnektionistischer Ansätze in der Schizophrenieforschung wurde insbesondere in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts untersucht (beispielsweise Weinberger 1993; Spitzer 1997; Aakerlund u. Hemmingsen 1998). Neuere Untersuchungen führen zusätzlich neurobiologisch fundierte Netzwerkstörungen ein, wodurch psychopathologische Phänomene der Schizophrenie wie Halluzinationen in Modellen nachvollzogen werden können (Hoffman u. McGlashan 2001). Meist erreichen die Modelle oder Simulationen aber nur die Erklärung einzelner Phänomene, und auch die Integration von Umweltund Geneinflüssen konnte noch nicht hinreichend berücksichtigt werden. Schon vor 15 Jahren postulierten Cleghorn und Albert, dass bei der Schizophrenie eine »Diskonnektion« funktional verbundener Gehirnareale eine wichtige Rolle spielt. In diese Reihe von Untersuchungen fallen auch Überlegungen zur Schizophrenie und anderer psychischer Störungen als einer »white matter disease« (Davis et al. 2003; Flynn et al. 2003). So finden sich Störungen der funktionalen Konnektivität bei an Schizophrenie Erkrankten (Symond et al. 2005), wobei möglicherweise Phänomene des Signal-Rausch-Abstandes, die durch Dopamin mediiert werden, eine Rolle spielen (Burns 2004; Winterer u. Weinberger 2004). Ferner wurde bei an Schizophrenie Erkrankten eine Verminderung der neuronalen Synchronie beispielsweise bei der Verarbeitung visueller Reize ermittelt (Spencer et al. 2003). Hier bieten sich mittels funktioneller Kernspintomographie und psychophysiologischen Untersuchungen – z. B. »Go-no go«-Paradigmen (Zielasek et al. 2005) – neue Möglichkeiten, diese theoretisch hergeleiteten Bindungsphänome auch gezielt auf bestimmte neuromentale Funktionselemente hin experimentalpsychopathologisch zu untersuchen (Kumar u. Cook 2002). Magnetenzephalographische Untersuchungen bei an Schizophrenie Erkrankten mittels visueller Reize deuten auf eine gestörte Netzwerkarchitektur hin (Löw et al. 2006). Auch die für die »Gestalterkennung« wichtige Synchronisation verschiedener
weit voneinander entfernter Gehirnareale wurde bei an SchizophrenieErkrankteninelektroenzephalographischenUntersuchungen mit einer gestörten Synchronisation dieser Areale in Verbindung gebracht (Uhlhaas et al. 2006). Eine Übersicht zur Rolle von Synchronisationsvorgängen für psychische Störungen findet sich bei Uhlhaas u. Singer (2006). Therapeutisch können neuronale Synchronisationsvorgänge durch Neurofeedback oder repetitive transkranielle Magnetstimulation beeinflusst werden, wobei hierzu jedoch zunächst klinische Studien mit größeren Fallzahlen abzuwarten sind (Gruzelier 2002; Uhlhaas u. Singer 2006; Cordes et al. 2006). Die Netzwerkmodelle erklärten, auf welche Weise durch Störungen von Netzwerkfunktionen bestimmte psychopathologische Phänome entstehen könnten. Sie erklärten aber nicht, warum es zu der Störung kam. Alle diese Untersuchungen sind Beispiele dafür, wie sich aus neuen kognitionspsychologischen, philosophischen und neurowissenschaftlichen Befunden neue Paradigmen in der Schizophrenieforschung entwickeln lassen, die allerdings durch experimentelle psychopathologische Untersuchungen überprüft werden müssen, wofür sich auf der »Mikroebene« Neurochips, auf der »Makroebene« funktional-psychopathologische Untersuchungen anbieten. Während es bislang darum ging, mehr oder weniger zufällig entdeckte antipsychotisch wirksame Pharmaka durch biochemische Veränderung zu optimieren, geht es nunmehr darum, molekulare neurowissenschaftliche Grundlagen der Psychopathologie aufzudecken, um dann gezielt Substanzen oder psychotherapeutische Verfahren zu entwickeln, die in die Pathophysiologie gezielt eingreifen (Insel u. Scolnick 2006). Dies ist ein hohes Ziel, das bislang jedoch noch nicht erreicht wurde, da unser Wissen um die Pathophysiologie psychischer Störungen und hier insbesondere der Schizophrenie noch zu beschränkt ist. Lewis u. Gonzalez-Burgos (2006) haben hierzu vorgeschlagen, man müsse zunächst die »core features«, d. h. die zentralen Symptome, identifizieren und deren molekulare Grundlage verstehen, um deren Veränderung in der Erkrankung nachvollziehen zu können und hier schließlich therapeutisch eingreifen zu können. Allerdings sind die dazu gemachten Vorschläge (Arbeitsgedächtnis, Neurotransmitter) noch zu weit entfernt von der Pathophysiologie der wirklich relevanten klinischen Symptomatik, bei der es gegenwärtig nur schwer vorstellbar erscheint, dass sie sich auf Neurotransmitterveränderungen reduzieren lässt. Vielmehr geht es bei psychopathologischen Phänomen wie Wahn oder Halluzinationen wahrscheinlich um die Störung zentraler Verarbeitungseinheiten des Gehirns, deren Identifizierung die erste Aufgabe wäre. Dass bei ihrer Funktion auch Phänomene des Arbeitsgedächtnisses oder der synaptischen Übertragung eine wichtige Rolle spielen, steht außer Frage.
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11.5.4 Funktionale Psychopathologie Dror u. Thomas (2005) haben den Gedanken propagiert, dass die Funktionsweise des menschlichen Gehirns – basierend auf der Annahme einer neuromentalen Modularität – durch einen multimodalen kognitiv-neurowissenschaftlichen Ansatz erfasst und auch in ihrer psychopathologischen Ausprägung erforsch- und verstehbar ist. Grundgedanke einer funktionalen Psychopathologie ist die Vorstellung, dass Störungen psychischer Funktionen die Ursache der klinisch beobachtbaren psychopathologischen Phänomene sind. Kritisch für die weitere Diskussion ist die Frage, wie Module definiert werden und ob auch zentrale Prozessoren modular aufgebaut sind. Für die Zwecke der funktionellen Psychopathologie gehen wir in Anlehnung an Fodor davon aus, dass die peripheren Inputmodule im Sinne Fodors modular aufgebaut sind, die zentralen Verarbeitungseinheiten aber auch nichtmodular – weil domänenübergreifend aktiv – strukturiert sind. Dies schließt nicht aus, dass einige Funktionseinheiten auch durchaus Eigenschaften von Modulen haben, insofern sie beispielsweise eine sehr umgrenzte, aber doch domänenübergreifendeFunktion haben wie beispielsweise die mimische Affekterkennung. Wichtig für eine Anwendung in der Psychiatrie ist, dass ihre Funktion gut überprüfbar, idealerweise experimentell beeinflussbar (»Challenge«-Teste) und durch Messverfahren erfassbar ist (wobei letztere sowohl gut validierte funktionale psychophysiologische Skalen als auch elektrophysiologische Befunde oder Durchblutungsänderungen in der fMRI sein können).
Moduldefinition für eine funktionale Psychopathologie (Gaebel et al. 2006) Module der funktionalen Psychopathologie sind 4 angeboren und genetisch definiert 4 evolutionär selektiert und adaptiert 4 domänenspezifisch 4 mit anderen Modulen funktionell fördernd oder hemmend vernetzt 4 mit multiplen Ein- und Ausgängen versehen 4 durch charakteristische Fehlfunktionen ausgezeichnet, die zu domänenspezifischen, klinisch relevanten Störungsbildern führen
Wir betonen hierbei insbesondere die gegenseitig fördernde und hemmende Vernetzung der Module untereinander, wobei sowohl Bottom-up- als auch Top-down-Kontrollmechanismen wirksam werden können. Die informationelle Abkapselung, die für Fodor ein zentraler Gedanke ist, scheint uns zwar für einige Module nachvollziehbar (s. Fodor 1983), jedoch ist sie in einem konnektionistischen Netzwerk kaum aufrechtzuerhalten. Hierzu sind weitergehende experimentelle psychopathologische Untersuchungen dringend erforderlich. Die Untersuchung von psychischen Störungen und
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besonders der Schizophrenie erscheinen hierfür geeignet, denn bei der Schizophrenie scheinen gerade die zentralen Verarbeitungseinheiten gestört zu sein. Dennoch darf man nicht übersehen, dass möglicherweise auch Störungen früher Informationsverarbeitungsprozesse für die Psychopathologie der Schizophrenie relevant sein könnten, was jedoch experimentelltechnisch jeweils zu überprüfen wäre. Prinzipiell wären verschiedene Arten der Störung der Modulfunktion oder der Verbindung von Modulen untereinander denkbar, die bei der Planung entsprechender Untersuchungen Berücksichtigung finden müssten.
Prinzipien der Ätiopathogenese gestörter Modulfunktionen oder der Verbindungen von Modulen und zentralen Verarbeitungseinheiten 4 Ausfall eines oder mehrerer Module 4 Fehlverarbeitung im peripheren Inputmodul und dadurch Weitergabe fehlverarbeiteter Informationen (»garbage out«) 4 Ansteuerung eines zentralen Verarbeitungsprozessors durch im Inputmodul fehlverarbeitete Informationen (»garbage in«) 4 Verlangsamung der Informationsübertragung im Modul oder in den Verbindungen des Moduls 4 verringerte Antwortamplitude (»low output«) 4 Spontanaktivität (z. B. bei Halluzinationen) 4 episodische Unterbrechung der Modulfunktion oder der Modulverbindungen 4 verzögerter Wechsel zwischen Modulen (»switching«) 4 verringerte Informationsübertragungskapazität 4 fehlender Zugriff auf Kontextinformationen (Verbindungsunterbrechung, Störungen zentraler domänenübergreifender Gedächtnisspeicher) 4 fehlende oder aberrante Phasensynchronisierung bei oszillatorischen Prozessen (»tuning«) Fehlfunktion zentraler Verarbeitungsprozessoren, z. B. fehlerhafte Bedeutungszuweisung zu an sich irrelevanten Informationen aus den Inputmodulen (»aberrant salience« nach Kapur 2003)
Konvergierende Daten aus den Neurowissenschaften, die in den folgenden Kapiteln dieses Buches im Detail beschrieben werden, zeigen deutlich, dass die Fehlfunktion neuronaler Netzwerke oder neuromentaler Module des Gehirns die konzeptuelle Grundlage der Entstehung psychischer Störungen ist (Andreasen 1997). Verfahren der kraniellen Bildgebung, der Psychophysiologie oder der experimentellen Kognitions- und Emotionspsychologie decken zunehmend die grundlegenden Mechanismen der Wirkungsweise des menschlichen Gehirns im Gesunden auf und zeigen, auf welche Weise bestimmte Störungsmechanismen auf die »Substrate« der »menschlichen Maschine«, nämlich die
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Kapitel 11 · Psychopathologie und Neurowissenschaften
präformierten Mechanismen oder »Module«, einwirken und dadurch zu einer psychopathologischen Krankheitsausprägung führen. Diese Befunde und die Erkenntnisse der Neurophysiologie von der Einzelzellableitung bis zur Untersuchung komplexer neuronaler Netzwerke mittels funktioneller Kernspintomographie, Elektroenzephalographie und Magnetenzephalogrpahie fließen mit klinischen Untersuchungen in der funktionellen Psychopathologie zusammen, die über funktional definierte Phänotypen einen Zugang zur Pathophysiologie der psychischen Störungen sucht. Hierbei kommen gezielte »Challenge«-Verfahren zum Einsatz, die die Intaktheit physiologischer Funktionen experimentell und auf verschiedenen Ebenen überprüfen. Diese Belastungstests wären in klassischen Ansätzen Untersuchungen in Situationen, in denen bestimmte Module aktiviert und damit »herausgefordert« werden. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse werden dann bei Patienten mit psychischen Störungen zu diagnostischen Zwecken angewendet. Fernziel ist es, durch die simultane Anwendung mehrerer experimentalpsychologischer Testverfahren, aber auch bildgebender und elektrophysiologischer Verfahren ein genaueres Bild der Ursachen, Pathophysiologie und Therapierbarkeit psychischer Störungen zu gewinnen. Praktische Ansätze hierzu wurden bereits vorgestellt, wobei es um die gestörte funktionale Konnektivität und ihre messtechnische Erfassung mittels funktioneller Kernspintomographie und Elektroenzephalographie geht (Stephan et al. 2006). Als neuer Aspekt bietet es sich auch an, Modulfunktionen experimentell mittels repetitiver transkranieller Magnetstimulation zu beeinflussen. Dieser neue experimentelle Ansatz hat z. B. bei der Untersuchung von Gedächtnissystemen interessante Befunde zur »parallelen Prozessierung« und zur Verschaltung verschiedener kortikaler Areale erbracht (Koch et al. 2005; Übersicht bei Floel u. Cohen 2006). Beispielsweise könnte bei an Schizophrenie Erkrankten ein solcher Ansatz bei der Funktion der mimischen Affekterkennung Anwendung finden, da hierbei eine zeitlich aufgrund von magnetenzephalographischen Untersuchungen gut bekannte Abfolge von Aktivierungen in verschiedenen Gehirnarealen stattfindet (Ioannides et al. 2004). Man könnte sich vorstellen, dass durch gezielten Einsatz der repetitiven transkraniellen Magnetstimulation (rTMS) die Störung, die bei an Schizophrenie Erkrankten gefunden wird, auch bei Gesunden experimentell herbeigeführt und damit unter kontrollierten Bedingungen untersucht werden kann. Gerade für ein so heterogenes und variables Krankheitsbild wie die Schizophrenie bietet sich ein solcher innovativer Ansatz an, da hierbei das Problem des »Zusammenwerfens« von Patienten mit unterschiedlichen Erkrankungen in der Diagnosegruppe »Schizophrenie« umgangen wird. Umgekehrt gewinnt man Informationen dadurch, dass nunmehr Patienten mit vergleichbaren funktionalpsychopathologischen Störungsbildern, die bislang aufgrund divergierender weiterer Symptome laut den gängigen Diagnosekriterien in verschiedenen Diagnosegruppen einzuordnen waren, nun unter dem Begriff einer »Modulstörung« wieder – neurowissenschaftlich korrekt – zusammengeführt werden. Unter historischen As-
pekten hat Jablensky kürzlich die verschiedenen Ansätze zu einer phänotypischen Subtypisierung der Schizophrenie referiert, wobei er genau wie wir einen mulitmodalen, auf neurokognitiven Endophänotypen basierenden Ansatz für erfolgversprechend hielt (Jablensky 2006). Gerade die Klassifikation der klinischen Übergangsformen und anderer, nach den gegenwärtigen Diagnosekriterien nur schwer einzuordnender psychotischer Krankheitsbilder (Marneros 2006), dürfte von einem funktionalen Ansatz sehr profitieren. Die Hoffnung besteht darin, durch einen solchen multimodalen, funktionalpsychopathologischen Diagnoseansatz letzten Endes die Störung bestimmter neuromentaler Module nachweisen zu können, welche dann auch »moduspezifisch« therapiert werden kann. In der multimodalen Diagnostik werden Verfahren wie das »Pheno chipping«, das aus einer Batterie neuropsychiatrischer Tests besteht und der Subtypisierung psychotischer Erkrankungen dienen soll, möglicherweise eine Rolle spielen (Nicolescu et al. 2006). In ähnlicher Weise gingen Tamminga und Holcomb (2005) vor, die Studiengruppen anhand von Befunden aus der Untersuchung des zerebralen Blutflusses und aus psychophysiologischen »Challenge«-Studien zur Einteilung der an Schizophrenie Erkrankten vorschlugen und auch durchführten in der Hoffnung, durch die Aufdeckung molekularer Zusammenhänge von Psychopathologie und Ätiopathogenese zu einer verbesserten, molekularmedizinisch begründbaren Therapie zu kommen. In der Endstufe des Aufbaus der modularen Diagnostik in der Psychiatrie werden neuromentale Module zum zentralen Bindeglied von Psychopathologie und Neurowissenschaften. Sie sind die Träger und Baueelemente der physiologischen Gehirnfunktionen und gleichzeitig sind sie die Substrate der Störungseinwirkungen aus der Umwelt, der genetischen Risikofaktoren, der individuellen biographischen Lernerfahrungen sowie der Wirksamkeit von psychotherapeutischen und medikamentösen Verfahren. Sie sind damit gleichzeitig das Bindeglied der neurowissenschaftlich orientierten Psychopathologie und der Einflusssphäre psychosozialer, kultureller und biographischer Aspekte der Krankengeschichte, sodass auch hier nur ein scheinbarer, aber kein tiefgehender konzeptioneller Widerspruch zwischen einer biologisch orientierten und einer »personalen« Psychiatrie besteht. Die Subjektivität des Erlebens wird auch in der modularen Diagnostik eine wichtige Rolle spielen. Erkenntnisse aus der Psychologie werden über die modulare Diagnostik in der Psychiatrie schneller genutzt und verstärkt in die psychiatrische Diagnostik eingebunden. Was im Hinblick auf die Anwendung in der alltäglichen klinischen Praxis zunächst kompliziert und aufwändig klingt, wird auf lange Sicht eher zu einer Vereinfachung z. B. durch einfache, aber gut validierte Moduluntersuchungen in der psychiatrischen Diagnostik führen. Bis es soweit ist, sind zunächst Forschungsprojekte notwendig, um die modulare Diagnostik zu etablieren und zu validieren. Daher wird in der nächsten Zukunft die Standarddiagnostik durch Moduluntersuchungen allenfalls ergänzt, aber noch nicht ersetzt werden können.
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Zusammenfassung und Ausblick
Die Anwendung der Techniken der Molekular- und Zellbiologie sowie moderner bildgebender Verfahren im Bereich der Neurowissenschaften beschleunigte den Erkenntnisgewinn in der Neuroanatomie, Neurophysiologie, Neurochemie und Psychologie. Die Anwendung dieser Erkenntnisse auf die Pathophysiologie neurologischer Erkrankungen ermöglichte erstaunliche Fortschritte; im Bereich der psychischen Störungen haben sich hier entscheidende Fortschritte erst in den letzten Jahren eingestellt. Eine Übersicht zu methodischen und historischen Aspekten der Neurowissenschaften und ihrer Bedeutung für die Neurologie und Psychiatrie findet sich bei Cowan et al. (2000). Dennoch war der Fortschritt in der Psychiatrie nicht ganz so rasant; immer noch klafft eine Lücke zwischen einem immensen Wissenszuwachs in der funktionellen Kernspintomographie, der Neurogenetik und der Kognitionspsychologie auf der einen Seite und der klinischen Psychiatrie auf der anderen Seite. Trotz aller neurowissenschaftlichen Fortschritte zeigt die Erfahrung, dass die »Erste-PersonPerspektive« mit Blick auf innerpsychische Prozesse für die Diagnosestellung relevant ist (Klosterkötter 2005). Auch die von uns favorisierte modularkonnektionistische Hypothese wird sie integrieren müssen. Noch ist es im Gebiet der biologischen Psychiatrie nicht gelungen, eine klare pathophysiologische Kausalkette zu identifizieren, die genetischen Risikofaktoren mit ihren Auswirkungen auf Zellbausteine, deren Bedeutung für die normale Gehirnfunktion und schließlich ihre pathophysiologische Auswirkung auf neuromentale Funktionseinheiten und die dadurch verursachte Psychopathologie zu erklären. Inwiefern neue neurowissenschaftliche Verfahren wie die Proteomik, Untersuchungen zur Epigenetik, die Stammzellforschung oder neue Tiermodelle hier hilfreich sein werden, bleibt abzuwarten (Gould u. Manji 2004). Der neurowissenschaftliche Erkenntnisgewinn der letzten Jahre im Bereich der psychischen Störungen deutet aber bereits darauf hin, dass sich eine neue Nosologie psychischer Störungen entwickeln wird, die mehr an neurowissenschaftlich determinierten pathophysiologischen Erkenntnissen als an der klinischen Phänomenologie orientiert sein wird, ohne die subjektiven Perspektiven des Betroffenen ersetzen zu wollen. Die Entwicklung der neuen Diagnosesysteme ICD-11 und DSM-V ist in vollem Gange, aber noch erscheint es zumindest für die Schizophrenie als sehr unwahrscheinlich, dass das Versprechen einer pathophysiologisch fundierten »neurowissenschaftlichen« Nosologie und Taxonomie schizophrener Störungen in absehbarer Zeit und bereits für diese revidierten Diagnosesysteme erfüllt werden kann. Gerade die jüngsten Erkenntnisse aus der genetischen Epidemiologie der Schizophrenie zeigen, dass eher der umgekehrte Weg zurück zu einer funktionalen Psychopathologie als Grundlage der Einteilung psychischer Störungen erfolgversprechender erscheint. Psychische Erkrankungen waren traditionell in der Mehrzahl diejenigen Gehirnerkrankungen, bei denen sich keine strukturelle Gehirnläsion fand. Wurde durch technologische Fortschritte dann doch eine strukturelle Gehirnläsion identifiziert, wurde die
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Erkrankung zur Domäne der Neurologie. Auf diese Weise teilte sich das klinische Fachgebiet, das ursprünglich einmal die »Nervenheilkunde« war, in die Neurologie und die Psychiatrie auf. In der Schizophrenieforschung identifizieren Neurogenetiker immer mehr Risikogene für die Schizophrenie. Neuroanatomen beschreiben Veränderungen der Feinstruktur des Gehirns bei an Schizophrenie Erkrankten, Neurophysiologen definieren »modulare Endophänotypen« und in der Neuroradiologie werden mittels funktioneller Kernspintomographie die Hirnareale dargestellt, die bei Halluzinationen aktiviert werden. Mittels repetitiver transkranieller Magnetstimulation können Halluzinationen unterdrückt werden, und es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis neuartige, pathophysiologisch fundierte Therapieverfahren in der Schizophreniebehandlung zur Verfügung stehen (Lewis u. Gonzalez-Burgos 2006). Im Vergleich zu manch klassischer »neurologischer« Erkrankung mehren sich die Hinweise, dass die Schizophrenie eine Gehirnerkrankung ist, allerdings mit einer komplexen Genetik, vielfältigen Endophänotypen, multiplen klinischen Ausprägungsformen und unterschiedlicher Prognose. Die Tendenz zur »Re-Biologisierung« lässt sich nicht nur in der Schizophrenieforschung belegen, sondern gilt für die Psychiatrie allgemein, sodass Insel u. Quirion (2005) von der Psychiatrie als einer »Klinischen Neurowissenschaft« sprachen. Den Biologisierungstendenzen stehen Bestrebungen gegenüber, in der Psychiatrie wieder auf die »Person« zu fokussieren, beispielsweise im Programm des gegenwärtigen Präsidenten der World Psychiatric Association, Juan E. Mezzich, der die »personale Psychiatrie« zum Hauptthema seiner Präsidentschaft gemacht hat. Noch klafft eine Lücke zwischen den aktuellen Fortschritten der Neurowissenschaften auf dem Gebiet der psychischen Störungen und der Wahrnehmung der Psychiatrie als klinisch-wissenschaftlichem Fachgebiet mit zunehmend neurowissenschaftlicher Prägung. Dennoch ist die Psychiatrie das klinische Fachgebiet, in dem exemplarisch die Integration biologischer, psychischer und sozialer Krankheitsfaktoren im klinischen Alltag praktiziert wird. Eine in solcher Weise pragmatische Integrationsrolle kann die Psychiatrie allerdings nur ausüben, wenn die konzeptionellen Grundlagen des Verhältnisses von Neurowissenschaften und Psychopathologie geklärt sind.
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Kapitel 11 · Psychopathologie und Neurowissenschaften
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12 Schizophrenie und Schlaf Sören Krach und Michael Grözinger
12.1
Neuropsychologie und Schlaf – 133
12.2
Grundbegriffe der Schlafphysiologie
12.3
Hirnaktivierung im Schlaf
12.4
Schizophrenie und Schlafstörungen
12.5
Neuropsychologische Parameter, Schizophrenie und Schlaf – 138
12.6
Kritische Stellungnahme Literatur
– 139
– 133
– 135
– 139
– 137
133 12.2 · Grundbegriffe der Schlafphysiologie
12.1
Neuropsychologie und Schlaf
Neuropsychologie beschäftigt sich überwiegend mit dem wachen Menschen. Allerdings ist das Gehirn auch im Schlaf aktiv. Deshalb soll hier über den Zusammenhang zwischen Schlaf und kognitiven Prozessen referiert werden. Alle derzeit vorliegenden Erkenntnisse stützen einhellig die Hypothese, dass Schlaf nicht mit passiver Regeneration gleichgesetzt werden darf, sondern ein aktiver, zur Wachheit komplementärer Zustand des Gehirns ist. Das naive Modell eines abgeschalteten biologischen Computers wird unserer Nachtruhe in keiner Weise gerecht. Dies trifft auch für die Energieeinsparung zu, die im Schlaf weitaus geringer ist, als üblicherweise angenommen wird. Carskadon und Dement bezeichnen Schlaf als einen »reversiblen Verhaltenszustand, bei dem sich die Wahrnehmung von den umgebenden Reizen loslöst und vermindert auf diese reagiert wird« (Carskadon u. Dement 2005).
Ausgehend von unserem subjektiven Erleben und unserer Beobachtung anderer Menschen im Schlaf setzen wir diesen Zustand verminderter Ansprechbarkeit intuitiv mit einem Sistieren der Informationsverarbeitung gleich. Experimente dazu lassen jedoch ein völlig anderes Bild entstehen. Auch in Abwesenheit des Wachbewusstseins sind Vorgänge in unserem Gehirn aktiv, die für unsere Gesamtpsyche sehr bedeutsam sind (Hobson u. PaceSchott 2002). Während des Schlafs können kognitive Prozesse auch ohne bewusste Mitarbeit der Probanden mit vielfältigen Methoden untersucht werden. Insbesondere aus dem Bereich der evozierten Potenziale gibt es hierzu zahlreiche Untersuchungen (Atienza et al. 2002; Atienza et al. 2001; Coenen 1995; Mograss et al. 2006; Roschke et al. 1995b). Auch Studien mit funktioneller Kernspintomographie und Positronenemissionstomographie haben dazu erste Ergebnisse beigetragen (Hobson et al. 1998a, 1998b; Maquet 2000; Maquet et al. 2003). Der heutige Wissensstand läßt erahnen, dass unser Wachbewusstsein nur einen kleinen Ausschnitt der Informationsverarbeitung im Gehirn ausmacht. Eine zweite Linie von Untersuchungen beschäftigt sich mit der Frage, wie kognitive Prozesse im Wachzustand den nachfolgenden Schlaf beeinflussen, und umgekehrt, wie Informationsverarbeitung im Schlaf sich auf das Wachbewusstsein auswirkt. Beide Ansätze basieren auf der experimentellen Erkenntnis, dass Schlaf zusammen mit dem Wachbewusstsein eine komplex organisierte Einheit bildet. Kognitive Vorgänge im Wachzustand ergänzen komplementär solche während des Schlafs und umgekehrt. Dies wird am Beispiel des Gedächtnisses besonders deutlich. In Tierversuchen zeigte sich, dass im Wachzustand aufgenommene Eindrücke während der Nacht erneut aufgerufen und modifiziert werden (Born et al. 2006; Lee u. Wilson 2002; Louie u. Wilson 2001). Was eine solche Weiterverarbeitung von Tageseindrücken genau beinhaltet, ist bisher nur in Ansätzen bekannt. Flüchtige Gedächtnisspuren werden verfestigt, in bereits
12
bestehende Wissenssysteme integriert, komprimiert, neue Assoziationen werden aufgebaut und bereits bestehende Inhalte neu gewichtet oder gelöscht. Die während des Schlafs reorganisierte und integrierte Information steht dann unserem Wachbewusstsein unmittelbar zur Verfügung und kann zur Lösung neuer Aufgaben verwendet werden. Die enge Koordination von Prozessen während des Wachens und Schlafens findet sich nicht nur auf einer globalen Ebene für das gesamte Gehirn, sondern auch lokal für bestimmte Regionen. Werden einzelne Areale des Kortex im Wachzustand durch spezielle Aufgaben besonders in Anspruch genommen, so zeichnen sich diese während der Nacht durch eine verstärkte Deltawellentätigkeit aus (Borbely 2001). Eine komplementäre Funktion von Wachzustand und Schlaf kann somit als zunehmend gesichert angenommen werden. Daraus wird verständlich, dass pathologische Prozesse bei Störungen wie Schizophrenie sowohl im Wachen als auch im Schlaf betrachtet werden müssen, um ein vollständiges Verständnis krankhafter Funktionen zu ermöglichen. 12.2
Grundbegriffe der Schlafphysiologie
Für sich betrachtet ist Schlaf kein homogener Zustand. Grob werden paradoxer Schlaf, auch REM-Schlaf (REM: »rapid eye movement«) genannt, und Non-REM-Schlaf unterschieden. REMSchlafphasen zeichnen sich durch die charakteristischen schnellen Augenbewegungen aus, durch einen generell herabgesetzten Muskeltonus sowie durch ein EEG, das mit niedrigen Amplituden und schnellen Frequenzen dem des Wachzustandes relativ ähnlich ist. Im REM-Schlaf treten starke Schwankungen der vegetativen Parameter wie Atmung, Temperatur und Pulsschlag auf. Der Non-REM-Schlaf wird in vier weitere Schlafstadien unterteilt. Entsprechend der für Weckungen notwendigen niedrigen Reizintensität werden die Schlafstadien I und II als leichter Schlaf bezeichnet. Charakteristisch für das Schlafstadium II ist das Auftreten von Schlafspindeln, bestehend aus einer Serie von Wellen im Frequenzbereich von 12–16 Hz, sowie von K-Komplexen (hochamplitudige biphasische langsame Wellen). Die Schlafstadien III und IV, wegen der erhöhten Weckschwelle auch Tiefschlafphasen (SWS: »slow wave sleep«) genannt, sind im EEG durch hochamplitudige langsame Deltawellen gekennzeichnet. Diese entstehen durch die Synchronisation parallel ausgerichteter kortikaler Neurone. Nach dem Einschlafen kommt es in der Regel zunächst zu einer kontinuierlichen Zunahme der Schlaftiefe bis zum Tiefschlaf. Dieser Prozess setzt sich jedoch nicht über die gesamte Nacht hinweg fort. Vielmehr kehrt er sich nach 60–90 min um, die Frequenz der EEG-Signale nimmt wieder zu und ihre Amplitude ab. Dieses als Desynchronisation bezeichnete Phänomen wird vom Hirnstamm über das aufsteigende retikuläre System vermittelt und zeigt eine Aktivierung kortikaler Funktionen an. In der Folge kann der Schläfer erwachen. Alternativ können schnelle konjugierte Augenbewegungen auftreten und den Be-
134
Kapitel 12 · Schizophrenie und Schlaf
. Abb. 12.1. Schematische Abbildung des Schlafverlaufs (Hypnogramm)
12
ginn einer REM-Phase anzeigen. Damit einhergehend reduziert sich der Tonus der übrigen Körpermuskulatur drastisch. Puls, Blutdruck und Atmung werden unregelmäßiger, und es treten Erektionen des Penis bzw. Anschwellungen der Klitoris auf. Im Verlauf einer Nacht wechseln sich Phasen des Tiefschlafs und des REM-Schlafs in regelmäßigen Zeitabständen ab (. Abb. 12.1). Dadurch entsteht ein zyklisches Muster von neuronaler Synchronisation und kortikaler Aktivierung, das sich alle 90–100 min wiederholt. Die Zyklen sind in ihrer Struktur allerdings nicht identisch. In der ersten Nachthälfte findet sich 80% des gesamten SWS. Die zweite Nachthälfte ist dagegen eher durch den REM-Schlaf geprägt. Somit nimmt der Anteil an REM-Schlaf im Laufe der Nacht zu, der Anteil an Non-REM-Schlaf ab.
Träumen wird traditionell mit dem REM-Schlaf in Verbindung gebracht. Nach Weckungen aus REM-Schlafphasen berichten Probanden in 70–95% der Fälle über szenisches Traumerleben. Allerdings werden Träume auch bei 5–10% der Weckungen aus Non-REM-Phasen angegeben (Solms 2000). Auch qualitativ unterscheiden sich REM- und Non-REM-Traumberichte. Träume im REM-Schlaf zeichnen sich insbesondere durch sensorische Empfindungen, bizarre Handlungen und Bilder, ein erhöhtes emotionales Erleben, verminderte Selbstreflexion, Orientierungslosigkeit und ein herabgesetztes Arbeitsgedächtnis aus, wohingegen NonREM-Träume als eher logisch und klar umrissen (»thoughtlike«) beschrieben werden. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass Träume während der gesamten Schlafdauer auftreten.
Exkurs Polysomnographie Bei der Polysomnographie werden mehrere Biosignale während der Nacht aufgezeichnet. Zur Erfassung der Schlafstadien wird das Elektroenzephalogramm (EEG), das Elektromyogramm (EMG) und das Elektrookulogramm (EOG) benötigt. Der Auswerter ordnet jedem Zeitintervall von meist 30 s Dauer das zugehörige Schlafstadium zu. Den sich daraus ergebenden zeitlichen Verlauf der einzelnen Schlafstadien über die Nacht bezeichnet man als Schlafprofil, die abstrahierte Struktur als Schlafarchitektur. Daneben werden meist das Elektrokardiogramm (EKG), die Sauerstoffsättigung und der Atemfluss aufgezeichnet. Zahlreiche andere Messgrößen wie die Thorax- und Bauchexkursionen, die Temperatur, die groben Lageveränderungen, die Bewegungen der Beine, die Atemgeräusche sowie die visuelle und akustische Beobachtung im Video können die Untersuchung im Bedarfsfall ergänzen. Je nach Komplexität der Fragestellung kann das Verfahren auch ambulant durchgeführt werden. Erstaunlicherweise beeinträchtigen
die Verkabelung und die sonstigen äußeren Umstände die Qualität der Messung nicht wesentlich, wenn sich die Probanden in einer Eingewöhnungsnacht an die Unannehmlichkeiten gewöhnen konnten. Als Standardisierung bei der Festlegung der Schlafstadien wird weltweit das Manual von Rechtschaffen u. Kales verwendet, welches im Auftrag der Association for the Psychophysiological Study of Sleep (APSS) entwickelt wurde (Rechtschaffen u. Kales 1968). Aus dem Schlafprofil wird eine Reihe von Parametern extrahiert, die das Schlafverhalten während der Messnacht beschreiben. Als REM-Latenz wird dabei die Zeit zwischen Einschlafen (Stadium I oder höher) und dem ersten Auftreten des Schlafstadiums REM bezeichnet, als REM-Dichte die Anzahl schneller Augenbewegungen pro im REM-Schlaf verbrachter Zeit. Schlafeffizienz meint den prozentualen Anteil von als Schlaf klassifizierter Zeit an der im Bett verbrachten Zeit.
135 12.3 · Hirnaktivierung im Schlaf
12
Exkurs Neurotransmitter und Schlaf Der Funktionszustand des gesamten Körpers, insbesondere aber des Gehirns, unterscheidet sich im Schlaf und im Wachzustand, aber auch zwischen den verschiedenen Schlafphasen. Viele Neurotransmittersysteme und Neurohormone sind an dieser Umschaltung der Arbeitsmodi beteiligt. Unter anderem sind die monoaminergen Substanzen Noradrenalin, Serotonin, Dopamin sowie Orexin, Histamin und Acetylcholin in komplexen Interaktionen an der Schlafregulation beteiligt. Die Raphe-Kerne im mittleren und hinteren Hirnstamm bilden den wichtigsten Ausgangspunkt serotonerger Bahnen. Diese innervieren weite Teile des Gehirns und tragen während des Schlafs zu einer Dämpfung der Vigilanz bei. Werden noradrenerge Bahnen, die aus dem Locus Coeruleus entspringen, im Schlaf aktiviert, so kommt es zu einer Desynchronisation des EEG, einhergehend mit einem Arousal. Die Freisetzung von Noradrenalin führt in der Regel zu einer Anhebung der Vigilanz. Non-REM/REM-Zyklen entstehen durch eine reziproke Interaktion monoaminerger REM-off- und cholinerger REM-on-Neurone. Gleichzeitig wird der kortikale Aktivierungszustand und die damit einhergehende synchronisierte bzw. desynchronisierte EEG-Tätigkeit über die aufsteigenden Bahnen des retikulären Aktivierungssystems (ARAS: »ascending reticular activating system«) moduliert. Das ARAS besteht aus zwei Bahnen, die dem Hirnstamm entstammen und in den Kortex projizieren. Die erste Bahn enthält cholinerge Projektionen von pedunculopontinen und laterodorsalen Kernen des Tegmentums zum Thalamus. Die zweite Bahn projiziert ins basale Vorderhirn und in den Kortex; sie besteht aus serotonergen (ausgehend vom dorsalen und medialen RapheKern), noradrenergen (ausgehend vom Locus Coeruleus), histaminergen (ausgehend vom Tubero-Mamillar-Komplex) und dopaminergen (ausgehend vom ventralen Periaquäduktalen Grau) Efferenzen (Dzirasa et al. 2006).
12.3
Hirnaktivierung im Schlaf
Untersucht man die Veränderungen des regionalen zerebralen Blutflusses während des Schlafes mit funktionellen Bildgebungstechniken (PET, fMRT), ergibt sich für leichten Schlaf (Stadien I und II), Tiefschlaf (Stadien III und IV) und REM-Schlaf jeweils ein eigenes charakteristisches Bild: Vor allem der REM-Schlaf zeichnet sich durch ein sehr hohes Aktivierungsniveau aus (Hobson u. Pace-Schott 2002; . Abb. 12.2). Die Ergebnisse zahlreicher PET- und fMRT-Studien unterstreichen die Beteiligung limbischer und paralimbischer Strukturen (Braun et al. 1997; Maquet et al. 1996; Nofzinger 2005). Die hohen Aktivierungen der Amygdalae während der REM-Phasen scheinen der mit REM-Schlafträumen einhergehenden starken Emotionalität (7 Abschn. 12.2) zu entsprechen (Hobson u. Pace-Schott 2002; Maquet u. Franck 1997). Auch in den häufig im Zusammenhang
Der Neurotransmitter Dopamin ist sowohl im Wachzustand als auch im Non-REM-Schlaf an der Aufrechterhaltung der Vigilanz beteiligt. In Übereinstimmung damit spielen dopaminerge Mechanismen bei der Wirkung von Psychostimulanzien eine wichtige Rolle. Dies triftt wahrscheinlich auch auf die neuere Substanz Modafinil zu, die den Dopaminrücktransporter hemmt (Wisor u. Eriksson 2005). Die Rolle des Dopamins für den REM-Schlaf und das Träumen ist komplex und noch nicht endgültig geklärt. Bei Experimenten an Mäusen wurde die wichtige Rolle des dopaminergen Tonus für die Koordination der Aktivierung thalamo-kortikaler Netzwerke während des REM-Schlafs festgestellt. Bei einer medikamentös erzeugten Blockade von D2-Rezeptoren dagegen zeigten sich synchronisierte Oszillationen, die charakteristisch für eine Hemmung thalamo-kortikaler Netzwerke sind und sonst eher in Non-REM-Phasen beobachtet werden (Dzirasa et al. 2006). Medikamente wie Amphetamine, die den dopaminergen Tonus erhöhen, können bei Gesunden psychotische, REM-Schlaf-ähnliche Zustände hervorrufen oder die psychotischen Zustände schizophrener Patienten verstärken (Snyder 1972). In einer Studie an Patienten mit Läsionen des basalen Vorderhirns, bei denen die dopaminergen ventromedial-frontalen Fasern zerstört waren, waren die Patienten nicht mehr in der Lage, Traumschlaf zu erleben (Solms 2000). Insbesondere bei der dopaminergen Transmission gibt es gewisse neurobiologische Ähnlichkeiten zwischen dem REM-Schlaf und psychotischen Zuständen. Auf der psychopathologischen Ebene wurde auf diese Ähnlichkeiten bereits durch Freud und Kraepelin hingewiesen. Andererseit muss darauf hingewiesen werden, dass der Traum als Modell schizophrener Störungen insofern versagt, als bei letzteren hauptsächlich akustische, im Traum aber vorwiegend visuelle Erlebnisse ohne äußere Reizquelle vorherrschen.
mit Gedächtnisprozessen als relevant erachteten Strukturen des entorhinalen Kortex, des Gyrus Dentatus und des Hippocampus (CA3-Region) findet man während der REM-Phasen selektive Aktivierungen. Hierbei steht der Informationsfluss vom Neokortex zum Hippocampus im Vordergrund. Da das Subiculum sowie das primäre hippocampale Outputfeld, die CA1-Region, aufgrund erhöhter Kortisolspiegel während der REM-Phasen blockiert sind, kommt es zu keiner Kommunikation in die entgegengesetzte Richtung (vom Hippocampus in den Neokortex). Aus diesem Grund sind während des REMSchlafes einzelne neokortikale Fragmente aktiviert, denen der durch den Hippocampus vermittelte zeitliche und räumliche Kontext fehlt. Nach Payne und Nadel könnte dies eine Erklärung für die teilweise als sehr bizarr erlebten REM-Träume liefern, denen es an Sinnhaftigkeit und Kohärenz mangelt (Payne u. Nadel 2006).
136
a
Kapitel 12 · Schizophrenie und Schlaf
b
c
d
. Abb. 12.2a–d. PET-Aktivierungen bei Kontrast-REM minus SWS (Braun et al. 1997). a Pons; b Basalganglien, kaudaler Teil des orbitalen Kortex, basales Vorderhirn, anteriorer Teil der Insula, fusiformer-infero-
a
b
temporaler Kortex. c Thalamus, anteriorer cingulärer Kortex, parahippocampaler Kortex, auditorischer Assoziationskortex. d medialer Teil des Präfrontalkortex (7 Farbtafeln, S. 649)
c
. Abb. 12.3a–d. PET-Aktivierungen bei Kontrast Wach minus REM (Braun et al. 1997). a Cerebellum, b orbitaler Kortex, c dorsolateraler Prä-
d frontalkortex (DLPFC), d dorsolateraler Präfrontalkortex (DLPFC), inferiorer Teil des Parietalkortex (7 Farbtafeln, S. 649)
12
a
b
c
. Abb. 12.4a–d. PET-Aktivierungen bei Kontrast SWS minus Wach (Braun et al. 1997). a Pons, Cerebellum; b Basalganglien, basales Vorderhirn, anteriorer Teil der Insula, orbitaler Kortex; c Thalamus, anteriorer
Eine Deaktivierung des dorsolateralen Präfrontalkortex (DLPFC) sowie medialer parieteler Regionen im REM-Schlaf gelten als weiterere stabile Befunde (vs. Wachzustand und NonREM-Schlaf; . Abb. 12.3; Hobson u. Pace-Schott 2002; Maquet et al. 1996; Nofzinger 2005). Die Integrität dieser Region ist für strukturiertes, zielorientiertes Denken notwendig, einer Funktion die während der REM-Schlafträume kaum zu beobachten ist (Payne u. Nadel, 2006). Im Gegensatz zum REM-Schlaf ist das globale Aktivierungsniveau im SWS, mit Ausnahme der Region des ventromedialen
d
cingulärer Kortex, dorsolateraler Präfrontalkortex (DLPFC); d anteriorer cingulärer Kortex, dorsolateraler Präfrontalkortex (DLPFC), inferiorer Teil des Parietalkortex (7 Farbtafeln, S. 649)
Präfrontalkortex (VMPFC), herabgesetzt (Dang-Vu et al. 2005; . Abb. 12.4). Der Informationsfluss während der Tiefschlaf-
phase verläuft im Vergleich zum REM-Schlaf in umgekehrter Richtung: Potenziale werden im SWS hauptsächlich vom Hippocampus (CA1- und CA3-Region) über den entorhinalen Kortex in den Neokortex gesendet (Buzsaki 1996, 1998). Nach Sirota und Mitarbeitern verläuft der Informationsaustausch während des Tiefschlafs wahrscheinlich sogar bidirektional (Hippocampus l Neokortex) (Sirota et al. 2003).
137 12.4 · Schizophrenie und Schlafstörungen
12.4
Schizophrenie und Schlafstörungen
Gestörte Schlafrhythmen sowie eine veränderte Schlafarchitektur sind bei nahezu allen psychiatrischen Erkrankungen zu beobachten. In den vergangenen Jahrzehnten wurde versucht, spezifische Schlafeigenschaften für einzelne psychiatrische Störungen zu identifizieren. Dies gelang, je nach Art der Störung, mit unterschiedlichem Erfolg. Im Fokus der Forschung standen hauptsächlich affektive Störungen, v. a. die Depression. Bei remittierten Patienten mit chronischen Psychosen weisen akute Störungen des Schlafverhaltens auch in Abwesenheit objektiver Untersuchungsergebnisse oft deutlich auf eine drohende Reexazerbation hin. Schlafstörungen gehören zu den empfindlichsten Frühzeichen psychotischer Episoden (Dencker et al. 1986). Die Patienten klagen über häufiges Erwachen, vermehrten Verbrauch von Schlafmedikamenten oder Umtriebigkeit während der Nacht. Da Schlafstörungen ihrerseits das Auftreten von Symptomen provozieren, ist eine konsequente Behandlung solcher Beschwerden dringend indiziert. Mit dem Abklingen der akuten Psychose bessern sich meist auch die Schlafstörungen. Das Niveau von gesunden Personen wird jedoch in der Regel weder subjektiv noch objektiv erreicht (Maixner et al. 1998). Insofern sind Schlafprobleme sowohl »Trait«- als auch »State«-Merkmale der Schizophrenie. Wiederkehrende Merkmale einer gestörten Schlafarchitektur bei Schizophrenie sind reduzierte Tiefschlafphasen (Schlafstadium IV/SWSp), Veränderungen in der Schlafkontinuität (Einund Durchschlafstörungen, engl. »sleep onset insomnia« und »sleep maintenance insomnia«) sowie eine verringerte REM-Latenz. In der Literatur gilt der Mangel an Tiefschlaf (insbesondere des Schlafstadiums IV) bei schizophrenen Patienten dabei als konsistentester Befund (Feinberg et al. 1969; Goder et al. 2004; Hiatt et al. 1985; Keshavan et al. 1995; Poulin et al. 2003; Yang u. Winkelman 2006; Zarcone u. Benson 1997). Zu einer diesbezüglich eher abweichenden Ansicht gelangen Benca und Kollegen in einer metaanalytischen Untersuchung der Schlafparameter schizophrener Patienten (Benca et al. 1992). Bei ihrer Analyse von 12 Studien (mit insgesamt 239 untersuchten Patienten) fanden sich bei schizophrenen Patienten – im Gegensatz zu Patienten mit affektiven Störungen und gesunden Kontrollprobanden – keine Veränderungen in Bezug auf Tiefschlafzeit oder prozentualen Anteil des Tiefschlafs pro Nacht. Aufgrund der Ergebnisse einer längsschnittlich angelegten EEG-Studie (Zeitraum von 4 Wochen bis zu 1 Jahr) mit schizophrenen Patienten empfehlen Keshavan und Mitarbeiter, eher zwischen variablen (»state-related«) und invarianten (»trait-related«) Schlafparametern bei Schizophrenie zu unterscheiden (Keshavan et al. 1996). In ihrer Studie zeigte sich, dass die REMSchlafparameter (REM-Latenz, REM-Dichte) stärker state-abhängig waren, d. h. innerhalb akuter Krankheitsphasen stärker variierten, wohingegen die Tiefschlafparameter (SWS-Zeit und prozentualer SWS-Anteil) unabhängig vom momentanen Status der Erkrankung (Prodromalphase, akute Krankheitsphase oder
12
Residualphase) relativ stabil blieben. Dieser Befund bestätigt sich auch in einer Studie von Maixner und Mitarbeitern, die den Effekt von antipsychotischer Medikation auf allgemeine Schlafparameter untersuchten (Maixner et al. 1998). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen Ganguli und Kollegen in ihrer Studie an jungen, zuvor nicht pharmakologisch behandelten schizophrenen Patienten (Ganguli et al. 1987). Der Tiefschlafanteil in der untersuchten Gruppe lag in ihrer Studie über die verschiedenen Krankheitsphasen hinweg auf einem relativ konstanten Niveau. Er korrelierte negativ mit dem Vorliegen einer Negativsymptomatik. Keshavan und Kollegen untersuchten in einer prospektiv angelegten Studie die Schlafparameter in einer Gruppe enger Angehöriger schizophrener Patienten (HR; engl. »high risk subjects/ first degree relatives«; Keshavan et al. 2004b). Es zeigte sich, dass auch in der HR-Gruppe der Tiefschlafanteil signifikant unter dem Niveau einer gesunden Kontrollgruppe lag. Die Autoren spekulieren, dass möglicherweise eine veränderte Schlafarchitektur, insbesondere der Tiefschlaf, als ein möglicher früher Marker für die Entwicklung einer Schizophrenie in Frage kommt. Einheitliche Befunde liegen auch in Bezug auf eine gestörte Schlafkontinuität schizophrener Patienten vor (Benca et al. 1992; Chouinard et al. 2004; Ganguli et al. 1987; Keshavan et al. 1990; Lauer et al. 1997; Monti u. Monti 2005; Poulin et al. 2003; Tandon et al. 1992; Yang u. Winkelman 2006). Hierbei werden die Parameter Schlaflatenz (SLn), Schlafeffizienz (SEp), Wachzeit nach Schlafbeginn (WASOn, engl. »wake after sleep onset«), Häufigkeit des nächtlichen Erwachens pro Nacht (engl. »awakenings« n) und Gesamtschlafzeit (TSTp, engl. »total sleep time«) angegeben. Insbesondere in den Phasen einer Krankheitsverschlechterung (»waxing phase«) gilt eine subjektiv gestörte Schlafkontinuität als erster Indikator für eine beginnende psychotische Episode: Der Patient schläft unruhig, der Schlaf wird ständig unterbrochen, oder die Nacht wird zum Tag (vgl. auch Hoyt 2005; Keshavan et al. 2004b; Kupfer et al. 1970). Nach Hoyt könnte ein gestörter Schlafrhythmus unter anderem das Resultat einer Überaktivität des dopaminergen Systems sein (Hoyt 2005). Die Befunde bezüglich einer veränderten REM-Schlafarchitektur bei Schizophrenie sind im Vergleich zu den beobachteten Veränderungen des Tiefschlafes bzw. der Schlafkontinuität weitaus weniger einheitlich. Die von den meisten Autoren festgestellten Veränderungen umfassen eine geminderte REM-Latenz (Benca et al. 1992; Chouinard et al. 2004; Hiatt et al. 1985; Keshavan et al. 1990; Monti u. Monti 2005; Poulin et al. 2003; Tandon et al. 1992; Zarcone et al. 1987) sowie eine allgemeine Reduktion des REM-Schlafanteils pro Nacht (Kupfer et al. 1970). Es wurde allerdings auch über unveränderte REM-Schlafparameter bei schizophrenen Patienten berichtet (Chouinard et al. 2004; Feinberg et al. 1969; Ganguli et al. 1987; Yang u. Winkelman 2006). Wenn REM-Auffälligkeiten bei Schizophrenen tatsächlich eher »state«- als »trait-related« sind (Keshavan et al. 1996), könnte sich diese Variabilität der Befunde aus der Verschiedenheit der Kollektive erklären. Einige Ergebnisse sprechen für diese Hypothese. So fanden Poulin et al. bei Krankheitsverschlechterungen und
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Kapitel 12 · Schizophrenie und Schlaf
Ersterkrankungen eine verringerte REM-Latenz (Poulin et al. 2003). Tandon et al. zeigten, dass kurze REM-Latenzzeiten insbesondere mit schwereren psychotischen Symptomen einhergingen (Tandon et al. 1992). Einer Studie von Feinberg et al. zufolge traten kurze REM-Latenzzeiten v. a. bei aktiv halluzinierenden Patienten auf (Feinberg et al. 1965). Nach Yang et al. ist die Schwere der Symptome eher mit der REM-Dichte (Frequenz der Augenbewegungen; 7 Abschn. 10.2) korreliert (Yang u. Winkelman 2006). Daneben gibt es Hinweise, dass bei schizophrenen Patienten nicht die REM-Architektur selbst, sondern die Regulation des REM-Schlafs gestört ist. Zarcone et al. (1975) fanden nach selektivem REM-Schlafentzug bei Patienten im Gegensatz zu Gesunden keinen REM-Rebound.. Die bisher erwähnten klassischen Parameter des Schlaf-EEGs vermitteln eine phänomenologische Beschreibung des Signals und einen globalen Eindruck vom Funktionsniveau des ZNS. Für eine detaillierte Charakterisierung der Informationsverarbeitung im Gehirn sind sie nicht adäquat. Ausgehend von verschiedenen theoretischen Modellen wurden deshalb Parameter entwickelt, die kognitive Prozesse besser abbilden können. Beispielsweise lässt sich die funktionelle Konnektivität verschiedener Hirnbereiche anhand der Kohärenz ihrer EEG-Signale erfassen. Wahrscheinlich aufgrund von Inhomogenitäten der untersuchten Patientengruppen sind die Ergebnisse bisher noch uneindeutig. Daneben wurde das spontane Schlaf-EEG mit Methoden des deterministischen Chaos untersucht. Dabei fanden sich signifikante Unterschiede zwischen schizophrenen Patienten und entsprechend ausgesuchten Kontrollpersonen (Keshavan et al. 2004a; Roschke u. Aldenhoff 1993; Roschke et al. 1994, 1995;), die auf Defizite in der Informationsverarbeitung hinweisen. Es ist gut vorstellbar, dass bestimmte pathologische Veränderungen der Informationsverarbeitung sich nicht im Ruhezustand des Gehirns und somit im spontanen Schlaf-EEG bemerkbar machen, sondern erst bei der Prozessierung äußerer Reize. Dieser Ansatz kann trotz der eingeschränkten Reagibilität des Gehirns auch im Schlaf verfolgt werden. Dazu werden während der Nacht Lichtblitze und Töne appliziert und die dadurch visuell und akustisch evozierten Potentiale gemessen. Es fand sich während des REM-Schlafs bei schizophrenen Patienten im Vergleich zu Kontrollpersonen eine erhöhte Resonanz im Thetabereich (Roschke et al. 1998). Insgesamt geben die erwähnten Untersuchungen Hinweise darauf, dass bei schizophrenen Patienten die Prozessierung von Information während des Schlafs verändert ist. 12.5
Neuropsychologische Parameter, Schizophrenie und Schlaf
Neuropsychologische Parameter im engeren Sinne lassen sich bei schlafenden Probanden nur in begrenztem Ausmaß und mit hohem Aufwand untersuchen: Eine häufig verwendete Methode besteht darin, Probanden oder Patienten vor einer polysomnogra-
phischen Messung kognitiv anspruchsvolle Aufgaben durchführen zu lassen und anschliessend das Schlaf-EEG zu registrieren. Beobachtete Veränderungen im Schlaf-EEG können dann mit den Verhaltensdaten (meist der neuropsychologischen Messdaten vom Abend vs. der neuropsychologischen Messdaten vom darauf folgenden Morgen) in Beziehung gesetzt werden (Goder et al. 2004). Um Erkenntnisse über den Einfluss der verschiedenen Schlafstadien auf kognitive Prozesse [z. B. des Gedächtnisses (Born et al. 2006): Enkodierung vs. Abruf; episodisch vs. prozedural; räumlich vs. verbal] zu erhalten, werden einzelne Schlafstadien selektiv depriviert und auf diese Weise ihre Wichtigkeit für die untersuchten Prozesse bestimmt (Yaroush et al. 1971). Korrelationen zwischen neuropsychologischen Beeinträchtigungen und dem Tiefschlaf bei Schizophrenie werden von verschiedenen Autoren berichtet: Orzack und Kollegen verweisen auf eine inverse Beziehung zwischen einer Störung der Daueraufmerksamkeit und SWS (Orzack et al. 1977). Keshavan und Mitarbeiter finden einen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Desorganisiertheit und der Anzahl der Deltawellen (»total delta count«) (Keshavan et al. 1995). Goder et al. (2004) zeigen eine positive Beziehung zwischen visuospatialer Gedächtnisbeeinträchtigung und SWS-Defizit. Die Erforschung des Schlafes mit hochauflösenden bildgebenden Verfahren wie funktioneller Kernspintomographie (fMRT) in Kombination mit EEG, EKG, EMG etc. steht noch am Anfang. Haupthindernisse sind starke, wechselseitig auftretende Artefakte im EEG und fMRT. Während einer Messung im Kernspintomographen zu schlafen bildet eine weitere Schwierigkeit (hoher Geräuschpegel auf Grund der Gradientenschaltungen, unbequeme Liegehaltung, Enge des Kernspintomographen). Entwicklungen von »leisen« Sequenzen (Lovblad et al. 1999) und speziellen Programmen zur Artefaktkorrektur für kombinierte fMRT- und EEG-Messungen versprechen Abhilfe. Um die Schwierigkeiten zu umgehen, die bei einer zeitgleichen Messung von fMRT und EEG auftreten, kann man den sog. sleep inertia effect nutzen (Dinges 1990; Tassi u. Muzet 2000): »Sleep inertia« beschreibt die Verlangsamung, die man direkt nach einem plötzlichen Aufwachen aus dem Schlaf empfindet und die 10–30 min andauert (Tassi u. Muzet 2000). Verschiedene Autoren berichten auch über kürzere (Sallinen et al. 1998) oder längere (Rogers et al. 1989) »Sleep-inertia«-Intervalle. Die Dauer variiert dabei je nach Schwierigkeit der anschließend zu bearbeitenden kognitiven Aufgabe. Während dieses Zeitintervalls befindet sich das Gehirn zum Teil noch im Arbeitsmodus der vorherigen Schlafphase. Auf diese Weise können kognitive Prozesse während unterschiedlicher Schlafphasen untersucht werden (Hobson u. Pace-Schott 2002; Tassi u. Muzet 2000). Blagrove et al. (2006) untersuchten anhand dieses Effektes die Sensitivität für selbst produzierte taktile Stimulation, jeweils kurz nachdem gesunde Probanden aus einer REM- oder Non-REMSchlafphase geweckt wurden. Aus Vorarbeiten ist bekannt, dass eine taktile Selbststimulation im Wachzustand bei gesunden Probanden als weniger »kitzelig« eingeschätzt wird, als wenn die
139 Literatur
gleiche Stimulation extern ausgelöst wird (Blakemore et al. 1998, 2000). Erklärt wird dies über ein »internal forward model«, welches die selbst produzierte Berührung antizipiert und dadurch das »Kitzelgefühl« stärker dämpft, als wenn es durch einen nichtvorhersagbaren Reiz ausgelöst wird. Dies gilt nicht für Schizophreniepatienten (Blakemore et al. 2000). In der Studie von Blagrove und Kollegen zeigte sich, dass speziell die Probanden, die aus REM-Schlafphasen (mit Traumerlebnis) geweckt wurden, eine gedämpfte Wahrnehmung und ein vermindertes »self-monitoring« - ähnlich dem bei schizophrenen Patienten tagsüber zu beobachtenden Verhalten - über die eigene taktile Stimulation hatten. Nach Ansicht der Autoren passt dieses Phänomen im Gebrauch des »internal forward models« während der REM-Schlafphasen gut zu den mit Träumen assoziierten bizarren Erlebniszuständen. Weitere Ableitungen bezüglich eines Zusammenhangs zum alltäglichen Erleben schizophrener Patienten werden allerdings nicht gemacht (Blagrove et al. 2006). Basierend auf den Beobachtungen Emil Kraepelins (Monographie »Über Sprachstörungen im Traume«; Kraepelin 1910) entwickelte Spitzer einen Ansatz, um neuropsychologische Aspekte der Sprache während des (Traum-)Schlafs zu studieren: Mit Hilfe eines »Priming«-Paradigmas konnte er nachweisen, dass gesunde Probanden, die aus Non-REM- sowie REM-Schlafphasen geweckt wurden und daraufhin direkt eine Wortentscheidungsaufgabe durchführen mussten, nur nach den REM-Phasen einen im Vergleich zum Wachzustand erhöhten semantischen Bahnungseffekt zeigten, d. h. von einem zuvor präsentierten »Prime« profitierten (Spitzer 1993). Erklärt wird dies über eine cholinerg vermittelte diffuse Aktivierung (»spreading activation«) bei gleichzeitiger herabgesetzter Fähigkeit zur Fokussierung aufgrund dopaminerger Minderaktivierung während der REM-Schlafphase. Das Zusammenspiel beider Neuromodulatoren könnte den bizarren und hyperassoziativen Charakter von Träumen ausmachen. Nach Spitzer bestehen damit auf phänomenologischer (Denkstörungen), neuropsychologischer (verstärkte »Priming«-Effekte) und neurobiologischer Ebene (gestörte dopaminerge Transmission) Gemeinsamkeiten zwischen dem REMSchlaf und der schizophrenen Symptomatik (Spitzer 1993). Die Arbeitsgruppe um Stickgold konnte in einer Weiterentwicklung des erwähnten »Priming«-Paradigmas zeigen, dass Probanden nach einem Aufwachen aus einer REM-Schlafphase sogar stärker von schwachen (»Prime«: Dieb – »Target«: falsch) als von starken »Primes« (»Prime«: kurz – »Target«: lang) profitierten (Stickgold et al. 1999). Während des Tages zeigt sich dieser Effekt in entgegengesetzter Richtung. Auch dieser Befund passt gut in eine erhöhte und erleichterte Aktivierbarkeit semantischer Netzwerke nach dem Aufwachen aus einer REM-Schlafphase. Ein ähnlicher Effekt wurde bei schizophrenen Patienten mit Störungen im formalen Denken dokumentiert, die, im Gegensatz zu gesunden Kontrollprobanden, von indirektem semantischen »Priming« (»Prime«: Streifen – [Mediator: Tiger] – »Target«: Löwe) profitieren (Spitzer et al. 1993a, 1993b).
12.6
12
Kritische Stellungnahme
Neben den erwähnten technischen Einschränkungen bleiben viele Schwierigkeiten in diesem Forschungsfeld bestehen: 1. Die meisten Studien arbeiten mit sehr kleinen Stichprobengrößen. 2. Die Homogenität der untersuchten Patientengruppe bezüglich Symptomatik oder Phase der Krankheit (akut, subakut, chronisch etc.) ist selten gegeben. 3. Die Konfundierung der Daten durch Unterschiede in Alter und Geschlecht. 4. Unterschiede in der verwendeten »Scoring«-Methode für die Polysomnographie. 5. Verzerrungen der Ergebnisse durch die Art der Medikation (z.Β. typische vs. atypische Neuroleptika) oder Phase der medikamentösen Behandlung (medikamentnaive, chronische oder Patienten auf Medikamentenentzug). Mehrere Forschergruppen diskutieren die Länge der erforderlichen »Washout«-Periode. Nach Tandon et al. (1992) dauert diese Phase ca. 4 Wochen; Neylan et al. (1992) finden dagegen bei Neuroleptika noch residuale Effekte nach 6 Wochen. Neuropsychologische Parameter des Schlafs werden in Zukunft mithilfe innovativer Bildgebungstechniken noch stärker an Bedeutung gewinnen. Auch für die Untersuchung eines beeinträchtigten Schlafverhaltens bei psychiatrischen Erkrankungen bilden funktionelle Bildgebungstechniken mit einer hohen räumlichen Auflösung (fMRT) eine zusätzliche Herangehensweise. Hirnphysiologische Effekte psychologisch-therapeutischer Interventionen sowie der Einfluss der Art der Medikation auf psychiatrische Erkankungen lassen sich auf diese Weise zukünftig über den gesamten Tag verfolgen. Die Erforschung des komplexen Zusammenspiels von Tag- und Nachtrhythmus in Abhängigkeit zur verabreichten Medikation, zur Chronizität und Symptomatologie der Erkrankung sowie zu neuropsychologischen Variablen gilt dabei als eine spezielle Herausforderung für zukünftige Forschergruppen.
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Kapitel 12 · Schizophrenie und Schlaf
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Kognitive Domänen und ihre neuralen Korrelate 13
Wahrnehmung – Psychologie – 145 Andreas Fallgatter, Julia Langer
14
Wahrnehmung – Bildgebung
– 155
Heike Thönnessen und Klaus Mathiak
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Aufmerksamkeit - Psychologie – 166 Norbert Kathmann und Benedikt Reuter
16
Aufmerksamkeit - Bildgebung
– 180
Bianca Voß und Renate Thienel
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Motorik – Psychologie
– 194
Thomas Jahn
18
Motorik – Bildgebung
– 216
Johannes Schröder
19
Arbeitsgedächtnis – Psychologie – 231 Robert Christian Wolf und Henrik Walter
20
Arbeitsgedächtnis – Bildgebung – 242 Oliver Gruber
21
Gedächtnis – Psychologie – 252 Cornelia Exner
22
Gedächtnis – Bildgebung – 270 Susanne Weis und Axel Krug
23
Exekutivfunktionen – Psychologie – 285 Bernhard Müller
24
Exekutivfunktionen – Bildgebung
– 303
Nina Y. Seiferth und Renate Thienel
25
Sprachverständnis – Psychologie – 316 Benjamin Straube, Antonia Green und Tilo Kircher
26
Sprachverständnis – Bildgebung
– 332
Antonia Green, Benjamin Straube und Tilo Kircher
27
Soziale Kognition – Psychologie – 347 Martin Brüne
28
Soziale Kognition – Bildgebung – 357 Leonhard Schilbach und Kai Vogeley
29
Metakognition – Psychologie – 367 Steffen Moritz
30
Metakognition – Bildgebung
– 375
Siegfried Gauggel
31
Intelligenz
– 381
Andreas Wittorf und Stefan Klingberg
13
13 Wahrnehmung – Psychologie Andreas Fallgatter, Julia Langer
13.1
Warum Wahrnehmung?
13.2
Grundlagen akustisch evozierter Potenziale
13.3
Einzelne akustisch evozierte EKP-Komponenten – 147
13.3.1 13.3.2 13.3.3 13.3.4 13.3.5
Frühe akustisch evozierte Potenziale P50 – 147 N100 (N1) – 150 N200 (N2) – 150 »mismatch negativity« – 151
13.4
Visuelle Defizite bei Schizophrenien – 152
13.5
Zusammenfassung Literatur
– 154
– 146
– 154
– 147
– 146
13
146
Kapitel 13 · Wahrnehmung – Psychologie
13.1
Warum Wahrnehmung?
Kognitive Dysfunktionen und Defizite in der Aufmerksamkeit sind im Rahmen der Krankheitsbilder aus dem schizophrenen Formenkreis gut bekannt und erforscht. Es stellt sich jedoch die Frage, ob Störungen in der Informationsverarbeitung zeitlich nicht schon wesentlich früher auftreten, also noch bevor die Aufmerksamkeit auf einen Reiz gerichtet und er kognitiv verarbeitet wird: in der Wahrnehmung. Neuropsychologisch gesehen weisen Patienten, die an Schizophrenien erkrankt sind, auch Defizite in der grundlegenden sensorischen Informationsverarbeitung auf (Butler u. Javitt 2005). Präattentive »automatische sensorische Verarbeitungssysteme« sind unter anderem deswegen wichtig, weil sie dazu dienen, beständig die Umwelt zu überwachen und unwichtige von wichtigen Reizen zu unterscheiden. Irrelevante Reize werden ausgeblendet, wichtigen wird Aufmerksamkeit zugewandt. Nach dieser Selektion können dann aufmerksamkeitsabhängige kognitive Prozesse stattfinden. Defizite in der Wahrnehmung können sich demnach negativ auf nachfolgende Informationsverarbeitungsschritte auswirken (Braff u. Light 2004). Auch liegt die Vermutung nahe, dass Fehler in der frühen sensorischen Informationsverarbeitung mit positiven Symptomen, vor allem mit Halluzinationen, in Zusammenhang stehen könnten. Als Untersuchungsmethode für die defizitäre Wahrnehmung bei schizophrenen Patienten bietet sich die Elektroenzephalographie mit der Aufzeichnung ereigniskorrelierter Potenziale (EKP) an. Sensorisch evozierte EKP sind nicht vom Verhalten der Probanden abhängig und liefern objektive Maße von Gehirnfunktionen. Aus diesem Grund werden im folgenden Kapitel hauptsächlich Ergebnisse aus EKP-Studien vorgestellt und ihre Relevanz für die sensorische Informationsverarbeitung im Rahmen der Schizophrenien erörtert. Der Schwerpunkt liegt dabei im
. Abb. 13.1. Schematische Darstellung akustisch evozierter Potenziale mit Bezeichnung der einzelnen Komponenten
akustischen Bereich, da hierzu die umfangreichsten Forschungsergebnisse vorliegen. 13.2
Grundlagen akustisch evozierter Potenziale
Unter ereigniskorrelierten Potenzialen (EKP) versteht man alle hirnelektrischen Potenziale, die vor, während und nach einem sensorischen, motorischen oder psychischen Ereignis im EEG messbar sind. Ihre Amplituden sind kleiner als die des Spontan-EEGs, da sie seltener als diese auftreten und eine stärkere Lokalisation bezüglich ihres Entstehungsortes aufweisen. Grundsätzlich korreliert die Amplitude eines EKP mit der Anzahl funktionstüchtiger Neurone, die für den beobachteten Prozess verantwortlich sind. Aus diesem Grund können ein Fehlen, eine Reduktion oder ein Überschießen einer Amplitude Aufschluss über den Funktionszustand des untersuchten Nervengewebes geben. Auf eine Stimulation mit einem akustischen Reiz hin lassen sich im EEG verschiedene charakteristische Wellen beobachten, die als akustisch evozierte Potenziale bezeichnet werden (. Abb. 13.1). Nach der Latenz ihres Auftretens lassen sie sich in frühe, mittlere und späte Potenziale unterscheiden (Maurer et al. 1988). Je früher ein Potenzial vom Reiz aus gesehen auftritt, desto genauer lässt sich sein Ursprungsort lokalisieren. Die frühen akustisch evozierten Potenziale (FAEP) lassen sich in den ersten 10 Millisekunden (ms) nach der Darbietung eines Reizes aufzeichnen. Sie werden mit den römischen Zahlen I–VII bezeichnet und haben ihre Entstehungsorte im Hörnerv (I), im Hirnstamm (II–V) und im Zwischenhirn (VI und VII). Die mittleren und späten AEP entstehen durch die Verarbeitung des akustischen Reizes in kortikalen Strukturen. Je nach dem Grad der Beeinflussung von reizspezifischen bzw. psychischen Faktoren werden AEP in exogene und endo-
147 13.3 · Einzelne akustisch evozierte EKP-Komponenten
gene Komponenten eingeteilt. Bis 100 ms nach Darbietung eines akustischen Stimulus gelten evozierte Potenziale als exogen, da sie hauptsächlich in Abhängigkeit von den physikalischen Eigenschaften des Reizes moduliert werden. Ab 100 ms nach dem Reiz werden Potenziale als endogen angesehen, da sie zunehmend unter dem Einfluss von psychologischen Faktoren wie Aufmerksamkeit, Vigilanz und Interpretation stehen. Sie sind abhängig von der Interaktion des Probanden mit dem auslösenden Stimulus. Auch bei fehlender Stimulation, etwa dem Ausbleiben eines erwarteten Reizes, können sie ausgelöst werden. In Wirklichkeit erfolgt der Übergang von exogen zu endogen fließend, sodass auch noch bei späten Potenzialen Unterschiede in Abhängigkeit von der Reizintensität gefunden werden können. 13.3
Einzelne akustisch evozierte EKP-Komponenten
13
u. a. das sensorische Gating untersuchen. Sensorisches Gating beschreibt eine Antworthabituation auf die wiederholte Darbietung eines Reizes, die präattentiv, also ohne Aufmerksamkeitszuwendung, stattfindet. Das sensorische Gating gilt als eine Art Filtermechanismus und bildet die Grundlage der Fähigkeit, sich in einer sensorisch überladenen Umwelt zurechtzufinden (Potter et al. 2006). Dies geschieht durch das Ausklammern von bedeutungslosen oder redundanten Reizen. Die P50-Amplitude auf einen wiederholten akustischen Stimulus fällt dabei deutlich geringer aus als bei der ersten Darbietung. Es gibt zwei Versuchsanordnungen, mit denen sich das sensorische Gating mittels der P50-Suppression erfassen lässt: Das »Doppelklick-« und das »Steady-State-Paradigma« (. Abb. 13.2). Beim Doppelklickparadigma hört der Proband zwei in ihren physikalischen Eigenschaften identische Klicks, die in einem zeit-
Im Folgenden wird nur auf akustisch evozierte ereigniskorrelierte Potenziale innerhalb der ersten 200 ms nach dem Stimulus eingegangen, die direkt mit der Wahrnehmung und den damit verbundenen informationsverarbeitenden Prozessen in Zusammenhang stehen. Mit größerem zeitlichen Abstand folgende EKP (z. B. die P300) reflektieren überwiegend kognitive und emotionale Verarbeitungsprozesse und werden in diesem Kapitel nicht behandelt. 13.3.1 Frühe akustisch evozierte Potenziale
Allgemein Frühe akustisch evozierte Potenziale (FAEP) treten in den ersten 10 ms nach Präsentation eines akustischen Reizes auf und repräsentieren die Weiterleitung der Information vom Hörnerv über den Hirnstamm und das Zwischenhirn (. Abb. 13.1). Sie bestehen zumeist aus postsynaptischen Potenzialen und werden mit der sog. Fernfeldtechnik über Elektroden an der Kopfoberfläche abgeleitet (Maurer et al. 1988).
Schizophrenien Bisher erschienene Studien über FAEP bei Patienten mit Schizophrenien sprechen dafür, dass keine Veränderung im Vergleich mit gesunden Kontrollpersonen vorliegt (Pfefferbaum et al. 1980; Brecher u. Begleiter 1985). Die Reizweiterleitung über Hörnerv und Hirnstamm zu kortikalen Bereichen liefert also keinen Beitrag zur Erklärung von Defiziten im akustischen System bei Schizophrenien. 13.3.2 P50
Allgemein Die P50 ist ein positiver EKP-Gipfel, der ca. 40–80 ms nach Darbietung eines akustischen Reizes auftritt. Mit ihrer Hilfe lässt sich
. Abb. 13.2. Schematische Darstellung akustischer Paradigmen zur Untersuchung einzelner EKP-Komponenten
148
Kapitel 13 · Wahrnehmung – Psychologie
. Abb. 13.3a, b. Schematische EKP-Darstellung der P50, ausgelöst durch das Doppelklickparadigma bei gesunden Probanden (a) und schizophrenen Patienten (b)
a
13
b
lichen Abstand von 500 ms aufeinander folgen. Der erste stellt dabei den konditionierenden Stimulus (S1) dar, der zweite den Teststimulus (S2). Der erste Ton aktiviert dabei hemmende neuronale Systeme, wodurch die elektrophysiologische Antwort auf den zweiten Ton wesentlich schwächer ausfällt (. Abb. 13.3a). Ausgewertet wird, wie stark diese Hemmung ausfällt. Die EEGWellen werden dabei über dem Vertex (über Cz fällt die P50 erfahrungsgemäß am stärksten aus) gemessen und getrennt für S1 und S2 gemittelt. Anschließend wird der sog. »Gating-Quotient (Q)« (S2/S1) gebildet, der die Qualität des sensorischen Gatings abbildet. Ein Wert Q von 0,5, also 50% Suppression, gilt als normal. Insgesamt werden als Messwerte beim Doppelklickparadigma die Amplituden von S1 und S2 erhoben, sowie die S1-Latenz und der S2/S1-Gating-Quotient. Im Steady-State-Paradigma werden Klicks kontinuierlich in einer relativ hohen Frequenz dargeboten (z. B. 10 Klicks pro Sekunde). Die gemittelte P50-Amplitude über alle Trials hinweg dient dabei als Indikator für das Ausmaß des sensorischen
Gatings. Höhere Amplituden deuten dabei auf ein mangelhaftes sensorisches Gating hin. Generell lässt sich die P50-Welle mit den beiden beschriebenen Paradigmen reliabel identifizieren. Auch die Amplituden nach S1 und S2 und ihre Latenzen können hinreichend genau gemessen werden. Wie gut die P50 als EKP-Potenzial erkannt werden kann, zeigte eine Studie von Boutros et al. (1993), bei der 96% Übereinstimmung zwischen mehreren auswertenden Personen in der Identifikation der P50 gezeigt wurde. Das neuronale Netzwerk, das für die Generierung der P50 und das sensorische Gating verantwortlich ist, lässt sich bis heute noch nicht mit Sicherheit abgrenzen. Sicher scheint die Beteiligung des Hippocampus und des Gyrus temporalis superior (primärer auditorischer Kortex/Heschl’s Gyrus), aber auch dem präfrontalen Kortex wird eine immer größere Rolle bei diesem ereigniskorrelierten Potenzial zugesprochen. Ebenso wird eine Beteiligung von temporoparietalen Kortexbereichen nicht ausgeschlossen. In Hinsicht auf die Neurotransmission
149 13.3 · Einzelne akustisch evozierte EKP-Komponenten
scheinen viele Systeme in die Regulation der P50 involviert zu sein (Acetylcholin, Dopamin, GABA, Glutamat, Noradrenalin und Serotonin). Eine besondere Rolle scheint der α-7-Untereinheit der nikotinergen Acetylcholinrezeptoren zuzukommen, da deren Verlust zu verringertem sensorischem Gating führt (Adler et al. 1998).
Schizophrenien Ein großer Teil der an Schizophrenien erkrankten Patienten weist eine Verminderung des sensorischen Gatings auf. Die P50-Suppression fällt deutlich kleiner aus als bei gesunden Kontrollprobanden. Die elektrophysiologische Antwort auf den Teststimulus (S2) ist dabei gegenüber dem konditionierten Stimulus (S1) kaum oder gar nicht reduziert (. Abb. 13.3b). Es gibt viele Theorien darüber, wie dieser sehr konstante Befund mit den positiven und negativen Symptomen schizophrener Erkrankungen in Zusammenhang stehen könnte. Am naheliegendsten scheint, dass eine sensorische Überbelastung durch den defekten Filtermechanismus oder eine generelle Beeinträchtigung bei der Verarbeitung von sensorischen Informationen im zentralen Nervensystem mit den Symptomen assoziiert ist. Genauso gut wäre es aber auch denkbar, dass das verminderte sensorische Gating mit verschiedenen kognitiven Beeinträchtigungen einhergeht, die ebenfalls bei schizophrenen Erkrankungen auftreten (Potter et al. 2006). Die häufigste Interpretation beinhaltet dabei ein Defizit in der Daueraufmerksamkeit. In Bezug auf die Symptome muss bedacht werden, dass auch Familienangehörige von schizophrenen Patienten ein schlechtes sensorisches Gating, ausgedrückt durch eine verminderte P50-Suppression, aufweisen. Eine nicht normal (also um mindestens 50%) verringerte S2-Amplitude stellt also einen Vulnerabilitätsfaktor für Schizophrenien dar (Freedman et al. 1987). Ungeklärt ist bis jetzt die Frage, ob es sich beim beobachteten Defizit im sensorischen Gating um eine notwendige oder eine hinreichende Bedingung für die Entwicklung von schizophrenen Symptomen handelt. Der klinische Zusammenhang zwischen der verringerten P50-Suppression bei Schizophrenien und neuropsychologischen Funktionen wurde bisher nur unzureichend erforscht. Am stärksten ausgeprägt ist er bei Maßen, die die Aufmerksamkeit und die Informationsverarbeitung erfassen. Studien zeigen hier eine Verbindung zwischen verringertem sensorischen Gating und schlechterer Aufmerksamkeitsleistung bei schizophrenen Patienten. Dies drückt sich vor allem durch eine leichtere Ablenkbarkeit und eine schlechtere Vigilanzleistung aus. Keinen Zusammenhang gibt es mit der Verarbeitungsgeschwindigkeit, logischem Schlussfolgern und Problemlösen sowie dem verbalen und visuellen Lernen und Gedächtnis. Eventuell korreliert eine schlechte P50-Suppression mit Komponenten des Arbeitsgedächtnisses. Patienten mit höheren Gating-Quotienten schnitten auch im Zahlenspannentest schlechter ab (Potter et al. 2006). Unklar bleibt die Relevanz des sensorischen Gatings für positive und negative Symptome der Schizophrenien. Die meisten
13
Studien vermuten eine Assoziation mit dem negativen Symptombereich. Yee et al. (1998) fand P50-Suppressionsunterschiede zwischen Patienten mit minimaler und schwerer Aufmerksamkeitsschwäche. Je schlechter dabei die Aufmerksamkeit, desto schlechter auch das sensorische Gating. Die Vielzahl der Erscheinungsformen schizophrener Erkrankungen spiegelt sich auch in der P50-Suppression wider. So weisen Patienten mit akut verlaufenden Erkrankungen aus dem schizophrenen Spektrum (zykloide Psychosen nach Leonhard) eine normale P50-Suppression auf, während schizophrene Patienten mit jahrelangem, progredienten Krankheitsverlauf und ausgeprägter Negativsymptomatik durch eine nahezu aufgehobene P50-Suppression charakterisiert sind (Ringel et al. 2004). Die Untersuchung der P50 liefert damit erste Hinweise, dass sich Erkrankungen aus dem schizophrenen Spektrum nicht nur hinsichlich der Psychopathologie, sondern auch in ihrer Hirnfunktion unterscheiden. Bezüglich der Auswirkungen von Medikamentengabe auf die P50-Suppression lassen sich drei Gruppen bilden: konventionelle Antipsychotika, Antipsychotika der 2. Generation und andere, nicht schizophreniespezifische Wirkstoffe (Potter et al. 2006). Unter konventionellen Antipsychotika lässt sich i. Allg. keine Veränderung der P50-Suppression beobachten. Die elektrophysiologische Auffälligkeit bleibt bestehen, obwohl bei den Symptomen klinisch gesehen eine Verbesserung eintritt. Mit den Antipsychotika der 2. Generation gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Ergebnisse, die keine klaren Schlüsse über einen Effekt der Medikation auf den Gating-Quotienten zulassen. Manche Studien berichten von einem niedrigeren Gating-Quotienten während der Behandlung mit Clozapin, sowohl im Vergleich zu den Ausgangswerten der Patienten als auch im Vergleich zur Behandlung mit konventionellen Antipsychotika. Vordergründig ließe dieses Ergebnis auf eine Verbesserung des sensorischen Gatings schließen, allerdings entsteht der Unterschied nicht durch eine Verringerung der S2-Amplitude, sondern durch eine generelle Erhöhung der S1-Amplitude. Clozapin wirkt sich also eher nicht auf das eigentliche sensorische Gating aus. Vielmehr wirkt es über einen anderen, noch unbekannten pharmakologisch-physiologischen Mechanismus auf die P50-Amplitude. Der Zusammenhang mit der P50-Suppression wurde bisher nur mit zwei Wirkstoffen untersucht, die nicht zur Gruppe der Antipsychotika gehören: Donezepil und Ondansentron. Beide wirken auf das cholinerge System und erhöhen die Verfügbarkeit des Neurotransmitters Acetylcholin. Bei Patienten, die mit einem dieser beiden Medikamente behandelt wurden, konnte eine deutliche Abnahme des Gating-Quotienten beobachtet werden, was für eine Verbesserung des sensorischen Gatings spricht (Potter et al. 2006). Im Gegensatz zu Clozapin wird der kleinere Quotient durch eine Abnahme der S2-Amplitude verursacht, die sich nicht mehr von der gesunder Kontrollpersonen unterscheidet. Ein ähnlicher »Normalisierungseffekt« lässt sich kurzfristig auch mit Nikotin erzielen (Adler et al. 1998). Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung der α-7-Untereinheit des nikotinergen
150
Kapitel 13 · Wahrnehmung – Psychologie
Acetylcholinrezeptors für die Regulierung des sensorischen Gatings. 13.3.3 N100 (N1)
Allgemein Die N100 ist eine frühe negative Kompontente, die 90–200 ms nach der Darbietung eines Reizes auftritt. Sie stellt das neurophysiologische Korrelat einer Orientierungsreaktion dar. Unabhängig von der Modalität kann die N100 von jedem neuartigen Reiz ausgelöst werden. Am stärksten ausgeprägt ist sie über dem jeweiligen primären Projektionsareal. Sie trägt Kennzeichen von exogenen und endogenen Komponenten und nimmt somit eine Zwischenstellung ein. Obwohl sie zu einem großen Teil physikalische Eigenschaften widerspiegelt (exogen), wird sie auch durch die Aufmerksamkeit (endogen) moduliert (Eimer 1994). Sowohl mit zunehmender Reizintensität als auch mit gesteigerter Aufmerksamkeit wird die N100-Amplitude höher. Sie verringert sich im Gegenzug mit zunehmender Länge des Interstimulusintervalls. Bei sehr langen Abständen zwischen zwei Reizen verschwindet sie schließlich ganz. Beim mehrmaligen Wiederholen des gleichen Reizes findet eine Habituation, also eine Abnahme der N100-Amplitude statt.
Schizophrenien Im reinen Wahrnehmungsbereich gibt es wenige Befunde über eine N100-Veränderung bei Schizophrenien. In einigen Studien wurden niedrigere Amplituden gemessen (z. B. Pfefferbaum et al. 1980), was auf ein Defizit in der Orientierung auf akustische Reize hindeuten könnte (. Abb. 13.4).
13
. Abb. 13.4. Schematische Darstellung der N100-Komponente mit verringerter Amplitude für schizophrene Patienten im Vergleich zu gesunden Probanden
13.3.4 N200 (N2) Die N200 entsteht bei der Bewertung eines Reizes durch das Individuum, weswegen sie zu den endogenen Komponenten gehört. Die Bewertung kann dabei sowohl passiv (d. h. ohne direkte Aufmerksamkeit) als auch aktiv (d. h. mit gerichteter Aufmerksamkeit) stattfinden. In Abhängigkeit von den Versuchsbedingungen, der EKP-Topographie und der Latenz kann die N200 in drei Subkomponenten gegliedert werden. Die N2a ist unabhängig von der Aufmerksamkeitslenkung. Sie tritt auf, wenn in einer raschen Folge gleicher Reize plötzlich ein seltener, abweichender Reiz erscheint. Aufgrund ihrer Unabhängigkeit von der gerichteten Aufmerksamkeit wird sie als passiver Unterscheidungsprozess gedeutet (Näätänen 1990). Die N2b weist eine längere Latenz auf als die N2a. Ihr Maximum liegt im frontozentralen Bereich. Im Gegensatz zur N2a lässt sie sich nur beobachten, wenn der Proband sich auf den abweichenden Reiz konzentriert. Meist folgt ihr eine P300, die die bewusste Verarbeitung des Reizes anzeigt. Aus diesem Grund werden die beiden Komponenten oft unter dem Begriff N2b-P3-Komplex zusammengefasst. Dieser wird als elektrophysiologisches Korrelat eines aktiven Entscheidungsprozesses interpretiert, als Voraussetzung für die anschließende Reaktion. Bei der N2c liegt der topographische Schwerpunkt parietal. Sie wird durch die Kategorisierung unterschiedlicher Reize ausgelöst. Besondere Beachtung im Zusammenhang mit Schizophrenien findet die N2a-Komponente, da sie die Grundlage der »mismatch negativity« bildet, auf die im folgen Abschnitt näher eingegangen wird.
151 13.3 · Einzelne akustisch evozierte EKP-Komponenten
13.3.5 »mismatch negativity«
Allgemein Physiologisch gesehen stellt die »mismatch negativity« (MMN) die erste messbare Gehirnantwort dar, die zwischen einem häufigen und einem seltenen abweichenden akustischen Reiz unterscheidet. Die »klassische« Methode, mit der sich eine MMN auslösen lässt, ist das Oddball-Paradigma (. Abb. 13.2). Dabei wird dem Probanden eine Folge gleicher Töne dargeboten, die von selten auftretenden abweichenden Tönen oder durch die Auslassung eines Tones unterbrochen wird. Währenddessen richtet sich die Aufmerksamkeit der untersuchten Person auf eine andere Aufgabe (häufig in einer anderen Sinnesmodalität, z. B. visuell), sodass sie von den akustischen Reizen abgelenkt wird. Erstellt man eine Differenzkurve zwischen dem EKP des Standardtons und dem EKP des abweichenden Tons, lässt sich eine Negativierung um 200 ms nach dem Beginn des Reizes feststellen, die als MMN bezeichnet wird. Die Kurve des abweichenden Tones ist dabei ins Negative verschoben (. Abb. 13.5). Dieser Unterschied spiegelt die fehlende Übereinstimmung des seltenen Tons mit den Standardtönen wider. Der ankommende Reiz wird mit den vorher gespeicherten Reizen der gleichen Sinnesmodalität verglichen. Die MMN reflektiert also einen gedächtnisbasierten Vergleichsprozess. Je größer der wahrgenommene Unterschied, desto höher fällt die MMN-Amplitude aus und desto kürzer werden die Latenz und die Dauer des Peaks. Akustisch ausgelöst zeigt sie eine frontotemporale Zentrierung. Generiert wird die MMN in den jeweiligen primären und sekundären Kortexbereichen. Zusätzlich lassen sich auch Beiträge aus dem dorsolateralen präfrontalen Kortex nachweisen (Braff u. Light 2004). Die MMN besitzt eine hohe Retest-Reliabilität und lässt sich mit einer Vielzahl von abweichenden Tönen auslösen (Unterschiede in Frequenz, Dauer, Intensität, räumliche Lokation). Auch . Abb. 13.5. Schematische Darstellung der »mismatch negativity« bei der Abweichung eines wiederholt dargebotenen Reizes für gesunde Probanden und schizophrene Patienten
13
die Art der Ablenkungsaufgabe kann variieren (visuelle Diskriminationsaufgabe, Ansehen eines Videos, Lesen eines Buches), ohne dass die MMN davon beeinflusst wird. Ebenso verhält es sich mit der Aufmerksamkeit. Sowohl im passiven (ohne Beachten der Töne) als auch im aktiven (mit Konzentration auf die Töne) Oddball-Paradigma lässt sich eine MMN beobachten. Allerdings wird sie in der aktiven Bedingung meist von der N2b-Komponente überlappt (Näätänen 1990). Die MMN ist also nicht von der Bedeutung des Reizes für das Individuum abhängig. Im auditorischen Bereich wird die MMN als Spur des akustischen Arbeitsgedächtnisses angesehen, wobei hier das Augenmerk vor allem auf dem Prozess der Enkodierung in den sensorischen Speicher liegt. Dort verbleibt die Information bis zu 10 s lang. Die MMN gibt somit einen Hinweis auf Menge und Genauigkeit der extrahierten und weitergeleiteten Information. Generell wird sie oft genutzt, um frontotemporale Netzwerke bei verschiedenen Krankheitsbildern zu untersuchen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass sie relativ einfach erhoben werden kann und mit wenig Anstrengung vonseiten des Probanden verbunden ist, da sie als präattentives Maß keine bewusste Antwort erfordert.
Schizophrenien Die MMN ist eine der am häufigsten untersuchten EKP-Komponenten bei schizophrenen Patienten. Seit Shelley et al. (1991) zum ersten Mal mit ihrer Hilfe ein Defizit in der frühen auditorischen Informationsverarbeitung bei Schizophrenien beschreiben konnten, wurde die MMN mit den unterschiedlichsten Versuchsbedingungen erforscht (Michie 2001). Bisher erschienen weit über 40 Studien, die den anfänglichen Befund bestätigen: Schizophrene Patienten zeigen im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen frontal eine deutlich reduzierte MMN-Amplitude (. Abb. 13.4). Dieses Defizit wird nicht durch Medikation mit Antipsychotika vermindert. Auch eine Veränderung in der
152
13
Kapitel 13 · Wahrnehmung – Psychologie
Krankheitssymptomatik (z. B. Entwicklung von einer akuten Krankheitssymptomatik in einen Residualzustand) geht nicht mit einer Zunahme der MMN-Amplitude einher. Sowohl Patienten mit bipolaren Störungen (Catts et al. 1995) als auch mit Depressionen unterscheiden sich in ihren MMN-Amplituden nicht von Gesunden (Michie 2001). Die reduzierte elektrophysiologische Antwort auf einen abweichenden Stimulus tritt also nicht grundsätzlich als Folge einer schweren psychischen Krankheit auf, sondern scheint »schizophreniespezifisch« zu sein. Auf der funktionellen Ebene korrelieren ausgeprägt niedrige MMNAmplituden bei schizophrenen Patienten mit dem allgemeinen Funktionsniveau. Je größer das im EKP gemessene Defizit, desto eher leben Patienten in hoch strukturierten geschützten Einrichtungen (Michie 2001). Als weiterer stabiler Befund gilt die Reduktion der MMN bei gesunden Verwandten von Patienten mit Schizophrenien im Vergleich zu Kontrollpersonen ohne eine psychische Erkrankung in der Familie. Das Defizit in der frühen auditorischen Informationsverarbeitung kann also nicht Folge der Erkrankung sein, sondern besteht schon vor Krankheitsausbruch. Die reduzierte MMN-Amplitude stellt somit einen guten Vulnerabilitäsmarker für Schizophrenien dar (Braff u. Light 2004). Diese Annahme wird durch Studien gestützt, die keine Veränderung der MMN bei schizophrenen Patienten während der Behandlung mit Neuroleptika nachweisen konnten (Braff u. Light 2004; Korostenskaja et al. 2005). Die bisherigen Ergebnisse zeigen keinen Einfluss von Haloperidol, Clozapin, Risperidon und Olanzapin auf die MMN. Die positive Wirkung (atypischer) Neuroleptika auf aufmerksamkeitsspezifische Prozesse scheint sich also nicht auf die präattentive Informationsverarbeitung zu erstrecken. Was sagt aber nun die Reduktion der MMN-Amplitude über die Art des Defizits im auditorischen System von schizophrenen Patienten aus? Hierzu gibt es drei Theorien: Die erste unterstellt ein Problem mit dem akustischen sensorischen Gedächtnis. Die zweite nimmt an, dass an Schizophrenien Erkrankte besondere Schwierigkeiten damit haben, Informationen über die Zeitdauer eines Stimulus zu verarbeiten, da sich die deutlichsten MMNDefizite bei Odd-ball-Paradigmen mit Variationen in der Tondauer abzeichnen. Die dritte Theorie vermutet ein verändertes Zeitfenster, in dem die Integration von Stimuluseigenschaften stattfindet. Dieses »window of temporal integration« bezieht sich auf die ersten 200 ms eines Tons, in denen eine Aufsummierung der akustischen Energie stattfindet. Aus diesem Grund werden 200 ms lange Töne als lauter wahrgenommen im Vergleich mit 100 ms langen Tönen, auch wenn sie sich sonst in allen Eigenschaften – wie dem Schalldruck – gleichen. Ein Befund, der gegen die erste Möglichkeit eines allgemeinen Defizits im akustischen sensorischen Gedächtnis spricht, ist die Tatsache, dass schizophrene Patienten zwar auf Töne, die in ihrer Dauer vom Standardton abweichen, eine kleinere MMNAmplitude zeigen, auf Abweichungen in der Frequenz jedoch eine MMN zeigen, die sich nicht deutlich von der gesunder Pro-
banden unterscheidet. Die MMN auf die veränderte Dauer eines Tones stand bei schizophrenen Patienten dabei in keinem Zusammenhang mit der MMN auf einen in der Frequenz abweichenden Ton. Dies lässt eine generelle Dissoziation zwischen zwei Generatoren der MMN auf verschiedene Reizeigenschaften vermuten. Im akustischen sensorischen Gedächtnis liegt wohl kein prinzipielles Defizit bei an Schizophrenien Erkrankten vor, da die MMN auf große Abweichungen in der Frequenz sehr kräftig ausfällt. Die bisherigen Forschungsergebnisse lassen die dritte Theorie am plausibelsten erscheinen, wenn auch die zweite nicht ausgeschlossen werden kann, da auch sie mit der Verarbeitung zeitlicher Reizeigenschaften zu tun hat. Untersuchungen zeigen, dass die MMN-Defizite bei Schizophrenen nur auftreten, wenn der Abstand der Töne in der Standardfolge kleiner als 300 ms ist. Im auditorischen Kortex scheint es getrennte Netzwerke für eine langsame und eine schnelle Zeitverarbeitung nicht sprachlicher Laute zu geben (Griffiths et al. 1997). Experimente mit Pausendauereinschätzungen zeigen, dass die zeitliche Auflösung des auditorischen Systems bei Patienten mit Schizophrenien nicht i. Allg. betroffen ist, sondern dass Defizite wohl auf das bereits erwähnte Zeitfenster zur Integration von zeitlichen Eigenschaften eines Reizes (»window of temporal integration«) zurückzuführen sind (Michie 2001). Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die neuronalen Prozesse, die an der Entstehung der MMN beteiligt sind, bei schizophrenen Patienten stark beeinträchtigt sind. Daran beteiligt ist sicherlich ein Defizit in der zeitlichen Integration von Reizeigenschaften, die mit der frühen Phase des auditorisch-sensorischen Gedächtnisses zusammenfällt. 13.4
Visuelle Defizite bei Schizophrenien
Patienten, die an Schizophrenien erkrankt sind, weisen nicht nur im audiorischen Bereich Defizite in der grundlegenden sensorischen Informationsverarbeitung auf. Auch im visuellen System sind die frühen Stadien dieses Prozesses betroffen. Saccuzzo et al. (1974) beobachtete erstmals Dysfunktionen bei der visuellen »backward masking«-Aufgabe bei schizophrenen Patienten, also in den frühesten Komponenten der visuellen Informationsverarbeitung. Diese Studie war u. a. deswegen von Bedeutung, da sie ein Defizit im psychophysiologisch definierten schnellen visuellen Pfad andeutete. In der frühen visuellen Informationsverarbeitung werden zwei verschiedene Pfade unterschieden, auf denen die Information von der Retina in den Kortex gelangt: Der magnozelluläre (schnelle) und der parvozelluläre (langsame) Pfad (Butler u. Javitt 2005). Der magnozelluläre Pfad leitet die visuelle Information in niedriger Auflösung sehr schnell zum Kortex. Er ist an der Entscheidung beteiligt, ob etwas unsere Aufmerksamkeit erregt; ferner ist er für die Verarbeitung von allgemeinen Reizeigenschaften zum Zwecke der Kategorisierung verantwortlich. Er rea-
153 13.4 · Visuelle Defizite bei Schizophrenien
13
. Tab. 13.1. Überblick akustisch evozierte EKP und ihre Veränderung bei Schizophrenien Potenzial
Latenz
Bedeutung
Veränderung bei Schizophrenie
Auslösendes Paradigma
Medikamenteneffekte bei Schizophrenien (Studienergebnisse)
FAEP
1–10 ms
Weiterleitung sensorischer Informationen
–
Akustische Stimulation mit Klick-Reizen
–
P50
40–80 ms
Sensorisches Gating, Filtermechanismus
Defizitäre P50-Suppression, vermindertes sensorisches Gating
Doppelklickparadigma, Steady-state-Paradigma
Verbesserung: Nikotin, Donezepil, Ondansentron, unklar: Clozapin
N100
90–200 ms
Orientierungsreaktion auf einen neuen Reiz
Verringerte Amplituden
Odd-ball-Paradigma
–
MMN
Ca. 200 ms
Integration zeitlicher Eigenschaften eines akustischen Reizes, Unterscheidung bekannter vs. neuer Reiz
Verringerte MMN-Amplitude
Odd-ball-Paradigma
Keine Verbesserung: Haloperidol, Risperidon, Clozapin, Olanzapin
giert vor allem auf Helligkeitskontraste. Der parvozelluläre Pfad gibt im Gegensatz dazu die visuelle Information in hoher Auflösung deutlich langsamer an den Kortex weiter und ist an der Verarbeitung detaillierter Strukturen von Reizen und an der Objekterkennung beteiligt. Er spricht auch auf Farbkontraste an. Beide Systeme beginnen in der Retina und führen über den Nucleus lateralis geniculate im Thalamus zum primären visuellen Kortex (V1). Von dort wird die magnozellulär vermittelte Information v. a. in den parietookzipitalen dorsalen Strom geleitet, wo sie zur Wahrnehmung von Bewegung und räumlicher Information beiträgt. Die parvozellulär vermittelte Information gelangt in den ventralen Strom (temporookzipitale Kortexbereiche) und wird für die Farb- und Formwahrnehmung genutzt. Auf verschiedenen Ebenen kommt es zu Überschneidungen und zum Informationsaustausch zwischen den beiden Pfaden. Der dorsale Strom leitet schneller. Eine seiner wichtigsten Rollen ist es wahrscheinlich, relevante Informationen blitzlichtartig hervorzuheben, damit sie auf den ventralen Strom übertragen werden können. Die Überschneidungen der beiden Pfade können also die Aktivität innerhalb der ventralen Pfadstrukturen modulieren. Visuelle Defizite bei schizophrenen Patienten sind vor allem beim Entdecken von Bewegungen, bei der Geschwindigkeitsbestimmung und der räumlichen Lokalisierung zu finden. Es handelt sich dabei um Aufgaben, die hauptsächlich mit dem magnozellulären Pfad in Zusammenhang stehen und bei denen die Entdeckung von niedrigen Kontrasten und kleinen Stimuli eine wichtige Rolle spielt. Die in einigen Studien beobachtete Schwäche in der Objekterkennung kann auf fehlerhafte Informationsübertragung an den ventralen (parvozellulären) Strom zurückgeführt werden (Doniger et al. 2002). Elektrophysiologische Studien mit visuell evozierten Potenzialen (VEP) bestätigen die Vermutung, dass der magnozelluläre Pfad bei schizophrenen Patienten nicht in ausreichendem Maße funktioniert. Eine Art der Ableitung sind dabei die »steady-
state«-VEP (ssVEP), bei denen Reize sehr schnell nacheinander dargeboten werden, sodass eine Habituation der höheren kortikalen Reaktionen eintreten kann. Dadurch verstärkt sich die Sensitivität für bewertende Antworten auf einem niedrigeren nichtkortikalen Niveau. Werden die beiden Systeme getrennt voneinander angesprochen, was sich etwa durch ein Aufblinken im Gegensatz zu einer Luminanzänderung des Reizes bewerkstelligen lässt, zeigen schizophrene Patienten nur im magnozellulären Bereich niedrigere Potenziale als gesunde Kontrollpersonen. Die Ableitungen von kortikalen visuellen Reaktionen, bei denen Reize langsamer dargeboten werden, zeigen eine verringerte P1-Amplitude bei Patienten mit Schizophrenien. Mit ihnen konnte auch ein Defizit in der Kontrastschwelle und in der Geschwindigkeitsunterscheidung beschrieben werden. Letztere ist dabei unabhängig vom Kontrast des gezeigten Stimulusmaterials. Die visuelle Information von Bewegungen scheint also nur ungenügend verarbeitet zu werden. In Bezug auf klinische Variablen zeigt sich, dass größere Dysfunktionen in der Kontrastschwelle mit schlechteren neuropsychologischen Funktionen einhergehen. Ebenso verhält es sich mit sozialen Fertigkeiten, was an einer Störung der sozialen Wahrnehmung liegen könnte. Die Defizite in der frühen visuellen Informationsverarbeitung bei schizophrenen Patienten scheinen nicht durch Medikamentengabe beeinflusst zu werden; sie treten häufiger und in stärkerer Ausprägung bei Patienten mit überwiegender Negativsymptomatik auf. Des Weiteren handelt es sich um einen »schizophreniespezifischen« Befund, da andere psychische Krankheitsbilder (wie z. B. Depressionen) keine Defizite im visuellen Verarbeitungssystem aufweisen. Weil die beschriebenen Auffälligkeiten auch bei Verwandten ersten Grades von Patienten mit Schizophrenien zu beobachten sind, handelt es sich bei ihnen möglicherweise um einen Vulnerabilitätsfaktor (Butler u. Javitt 2005).
154
Kapitel 13 · Wahrnehmung – Psychologie
Da im visuellen System vor allem Glutamat als Neurotransmitter vorkommt, sind diese Ergebnisse mit der »Glutamat-Theorie« der Schizophrenien gut vereinbar (Tsai u. Coyle 2002). 13.5
Zusammenfassung
Schizophrene Patienten weisen sowohl in der akustischen als auch in der visuellen Wahrnehmung sehr spezifische Defizite auf. In der auditorischen Informationsverarbeitung, gemessen mit EKP, sind die mangelnde P50-Suppression und die verringerte Mismatch-Negativität dabei die wichtigsten Befunde. Erstere deutet einen mangelhaften Filtermechanismus an und wirkt sich auf die Daueraufmerksamkeit aus. Letztere gilt als Hinweis auf ein Defizit in der zeitlichen Integration von Reizeigenschaften, die mit der frühen Phase des auditorisch-sensorischen Gedächtnisses zusammenfällt. Auch in der visuellen Reizverarbeitung sind schizophrene Patienten auffällig, wenn es um Geschwindigkeitswahrnehmung und Kontrasterkennung geht. Die beschriebenen Auffälligkeiten sind recht spezifisch für Schizophrenien, lassen sich also nicht bei anderen psychischen Erkrankungen beobachten. Gleichzeitig weisen Verwandte ersten Grades schizophrener Patienten elektrophysiologisch die gleichen Defizite auf, sodass sie nicht erst im Rahmen der Erkrankung entstanden sein können. Weitere Forschungsarbeit ist vonnöten, um zu verstehen, ob die angesprochenen Wahrnehmungsdefizite ausreichend oder hinreichend für die Entwicklung von negativen und positiven Symptomen sind und in welchem Zusammenhang sie mit kognitiven und attentiven Dysfunktionen stehen.
13
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14
14 Wahrnehmung – Bildgebung Heike Thönnessen und Klaus Mathiak
14.1
Einleitung
14.1.1 14.1.2
Auditorische Verarbeitung bei Schizophrenie Anatomie des auditorischen Systems – 156
14.2
Sprachverarbeitung
14.3
Funktionelle Bildgebung des auditorischen Systems
14.3.1
14.3.3
Kombination von funktionaler Bildgebung und Elektroenzephalogramm (EEG) – 158 Kombination von funktionaler Bildgebung und Magnetenzephalographie (MEG) – 159 Integration von BOLD- und MEG-Signal – 160
14.4
Denkstörungen
14.4.1 14.4.2
Anatomische Korrelate von Denkstörungen im auditorischen System Funktionelle Bildgebung bei Denkstörungen – 161
14.5
Halluzinationen
14.5.1 14.5.2
Anatomische Korrelate von Halluzinationen im auditorischen System Funktionelle Bildgebung bei Halluzinationen – 162
14.6
Komplexe auditorische Stimuli – 162
14.7
Verteilte neuronale Netzwerke bei auditorischen Aufgaben
14.8
Verknüpfung auditorischer und limbischer Systeme
14.9
Zusammenfassung
14.3.2
Literatur
– 156
– 164
– 156
– 157 – 157
– 161 – 161
– 162
– 163
– 163
– 162
– 163
156
Kapitel 14 · Wahrnehmung – Bildgebung
14.1
Einleitung
14.1.1 Auditorische Verarbeitung
bei Schizophrenie Die Schizophrenie ragt unter den neuropsychiatrischen Störungen in Bezug auf die defizitäre auditorische Verarbeitung hervor, sodass funktionelle Bildgebungsdaten des auditorischen Systems zur Formulierung von neuen Hypothesen gemäß der zugrunde liegenden Pathophysiologie beitragen können (. Abb. 14.1). Die Phänomenologie, deren charakteristische positive Symptome der Psychose, Halluzinationen (meist verbalauditorisch), Wahn und formale Denkstörungen, weisen auf den linken Temporallappen als gestörte Struktur hin, was vom klassischen neuropathologischen Blickpunkt aus früh diskutiert wurde (siehe Kraepelin 1919). Strukturelle Abweichungen des Temporallappens, seiner Form und seines Volumens wurden wiederholt bei Patienten mit Schizophrenie beschrieben (Suddath et al. 1989). Einige Abweichungen wurden insbesondere nahe dem auditorischen Kortex in
der oberen Temporalwindung, meist in der linken Hemisphäre, gefunden (Shenton et al. 1992). Weitere Berichte zeigten Veränderungen des Planum temporale (PT) in dem auditorischen Assoziationsarealen lokalisiert sind (Shapleske et al. 1999). 14.1.2 Anatomie des auditorischen Systems Auf der (verdeckten) Oberfläche des Temporallappens liegt die heschlsche Querwindung. In dieser findet sich der primäre auditorische Kortex. Um diesen herum angeordnet sind die sekundären, tertiären und Assoziationsareale. In der Primatenliteratur werden deswegen auch die Termini core, belt und parabelt verwendet. Posteriore Anteile des superioren temporalen Gyrus (STG) gelten als sprachverarbeitend und werden als Teil des Wernicke-Areals angesehen. Die meisten Studien haben eine Reduktion des Volumens der Gehirnsubstanz im STG festgestellt (Shenton et al. 1992). Das PT ist ein heteromodaler Assoziationskortex, der eine kritische Rolle in der Sprachverarbeitung und dem Denken spielt und eine linksdominante asymmetrische Funktion in der normalen Bevölkerung aufweist (Geschwind u. Levitsky 1968; . Abb. 14.2). Frühere Studien haben die Aufhebung oder Umkehrung der Asymmetrie bei schizophrenen Patienten beschrieben
14
. Abb. 14.1. Schema der aufsteigenden auditorischen Pfade von der Cochlea bis zum primären auditorischen Kortex. Die Überlagerung auf einem Profilschnitt durch einen MR-Datensatz gibt einen Eindruck der anatomischen Verhältnisse. Im auditorischen System beginnt die bilaterale Verarbeitung sehr früh. Die Kerngruppen im Hirnstamm und Thalamus tragen zu Verarbeitungsschritten bei, in denen räumliche, spektrale und dynamische Muster extrahiert werden. Vom Thalamus existieren direkte Bahnen zum primären und auch zum sekundären auditorischen Kortex. Der primäre auditorische Kortex liegt vorwiegend auf der heschlschen Querwindung. Sekundäre und Assoziationskortizes sind um diesen herum organisiert. (Mathiak, Universität Tübingen, 2004) (7 Farbtafeln, S. 650)
. Abb. 14.2. Geschwinds (1965) Adaptation des Lichtheim-WernickeModells schlägt getrennte auditorische, visuelle und motorische Pfade für die Sprachverarbeitung vor. Zusätzlich wird der supramarginale Gyrus (Sm. g.) als verantwortlich für Lexikonzugriff und Benennen gesehen. Der auditorische Kortex (A. c.) und Wernicke-Areal (W) führen die Klangund Phonemanalyse durch. Letztere Struktur ist über den Fasciculus arcuatus (Arc. f.) mit dem Broca-Areal (B) verbunden, das artikulatorische Handlung plant, die über den Motor-Kortex (M1) in ein motorisches Programm übersetzt werden. Der primäre visuelle Kortex (V1) und der Gyrus angularis (Ang. g.) bilden die sensorische Achse beim Lesen. (Mathiak, Universität Tübingen, 2004) (7 Farbtafeln, S. 650)
157 14.3 · Funktionelle Bildgebung des auditorischen Systems
(Barta et al. 1997). Hirayasu et al. (2000) berichtete über eine Reduktion des Volumens der linken PT bei Patienten mit Schizophrenie schon in der ersten Episode – im Vergleich mit gesunden Kontrollprobanden und erstmalig manisch Erkrankten. ! Schizophrenie ist durch defizitäre auditorische Verarbeitung gekennzeichnet. Strukturelle Abweichungen des Temporallappens, seiner Form und seines Volumens wurden wiederholt bei schizophren Erkrankten beschrieben, wobei eine Störung der Asymmetrie und eine Reduktion des Volumens des linken Planums temporale eine wichtige Rolle zu spielen scheinen.
14.2
Sprachverarbeitung
Evozierte Potenziale und Felder wurden vielfältig eingesetzt zur Untersuchung von grundlegenden Sprachprozessen z. B. während der phonetisch-phonologischen Enkodierung (Kasai et al. 2002a) und bei semantischen Fehlern im Sprachgebrauch schizophren Erkrankter. Bei der Untersuchung der Mismatch-Negativität (MMN; 7 Kap. 13), die durch Sprachklänge erzeugt wurde (phonetische MMN; Kasai et al. 2002b) und deren neuromagnetische Äquivalente (Kasai et al. 2002a) haben sich Störungen in der automatischen Diskriminierung von Phonemgrenzen bei schizophrenen Patienten gefunden. Zur Analyse der Sprachverarbeitung bei schizophrenen Patienten präsentierten Yamasue et al. (2004) einfache Wörter mit Abweichungen über Vokalgrenzen (Standard: »a«; Deviant: »o«). In ihrer kombinierten MEG- und MRI-Studie untersuchten sie einerseits die Evozierung der MMN und evaluierten andererseits die strukturelle Beschaffenheit des heschlschen Gyrus (HG) und des Planum temporale (PT). Schizophrene Patienten zeigten neben einer verminderten MMN-Amplitude auch strukturelle Abweichungen im PT. Im Vergleich zur Kontrollgruppe wurde ein vermindertes Volumen der grauen Substanz im linken PT, nicht jedoch im rechten PT oder dem HG beobachtet. Ferner korrelierte die linkshemisphärische Ausprägung der MMN signifikant mit der Reduktion des Volumens der Gehirnsubstanz im linken PT. Diese Ergebnisse legen nahe, dass strukturelle Anomalien des PT mit beeinträchtigten Sprachverarbeitungsprozessen bei schizophren Erkrankten einhergehen. Die Befunde von Yamasue et al. (2004) stehen im Einklang mit einer früheren Studie von Kwon et al. (1999). In Ergänzung dazu beschrieben Kasai et al. (2003) ein vermindertes Volumen der linken HG bei Patienten mit Erstmanifestation einer Schizophrenie. Als weiteres Instrument zur Untersuchung von Sprachverarbeitungsprozessen findet die N400, eine Teilkomponente der ereigniskorrelierten Potenziale (7 Kap. 13), in zahlreichen Studien Anwendung. Erstmals wurde sie von Kutas u. Hillyard (1980) beschrieben. Eine typische Aufgabe zur Evozierung der N400 ist die Präsentation von Sätzen, die mit einem Wort enden, das semantisch nicht in den zuvor aufgebauten Satzkontext passt. Bei
14
Inkongruenz lässt sich ca. 400 ms nach Stimulusdarbietung ein negatives Potenzial beobachten. Die Amplitude der N400 ist umso größer, je geringer sich die assoziative Nähe zwischen den auslösenden und den vorangegangenen Wörtern verhält. Im Vergleich zu Kontrollgruppen zeigten schizophrene Patienten sowohl eine verlängerte Latenz als auch eine verminderte Ausprägung der N400-Amplitude nach Präsentation eines unsinnigen Satzes wie beispielsweise »I take coffee with cream and dog«. Unabhängig von der Modalität, in der die Reize präsentiert werden, konnte sowohl bei Gestensprache als auch bei auditiver oder visueller Präsentation eine N400 registriert werden. Physikalische Abwandlungen wie etwa die Buchstabengröße lösten keine N400 aus (Kutas u. Hillyard 1980). Die N400 muss als komplexes Potenzial verstanden werden, bei dem die Aktivität mehrerer neuronaler Generatoren involviert ist (Stöhr et al. 2005). Deshalb lassen sich Veränderungen der N400 bei vielen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen beobachten. Latenzverzögerungen und Amplitudenminderung wurden desgleichen bei verschiedenen Formen von Demenz, bei aphasischen Patienten und Patienten mit ParkinsonErkrankung gefunden. ! Evozierte Potenziale haben in zahlreichen Studien zur grundlegenden Erforschung von Sprachverarbeitungsprozessen beigetragen. Sowohl eine verlängerte Latenz als auch eine verminderte Amplitude der N400 stellen ein beständiges Merkmal bei schizophrenen Patienten dar. Strukturelle Anomalien des linken STG wurden wiederholt mit beeinträchtigter Sprachverarbeitung in Zusammenhang gebracht, aber auch eine veränderte strukturelle Beschaffenheit des heschlschen Gyrus (HG) wurde beschrieben.
14.3
Funktionelle Bildgebung des auditorischen Systems
Das Verfahren des fMRI wurde genutzt, um die Quelllokalisation von ereigniskorrelierten Potenzialen nachzuweisen (Opitz et al. 1999). Wible et al. (2001) fanden eine reduzierte Aktivierung in beidseitigen STG während eines auditorischen Mismatch-Designs bei schizophrenen Patienten. Ein wichtiger Punkt bezüglich der EEG-MEG-Methodik ist, dass durch das stimulusbezogene Mitteln die zeitlichen Veränderungen und hemisphärische Spezialisierungen für die Verarbeitung von eingehenden Prozessen verdeckt werden können, die möglicherweise durch Top-down-Mechanismen vermittelt werden. Eine vielversprechende Methode, diesen Punkt zu klären, könnte die Nah-Infrarot-Spektroskopie (NIRS) sein. Diese hat zwar nur eine mäßige Zeitauflösung, ist aber ideal, nichtinvasiv und flexibel, den zeitlichen Verlauf in kognitiven Prozessen zu analysieren. Die gleichzeitige oder vergleichende Aufnahme von PET oder fMRI und EEG oder MEG (multimodale Integration) wird weiterentwickelt, um die Beschränkungen der zeitlichen und räumlichen Auflösung zu über-
158
Kapitel 14 · Wahrnehmung – Bildgebung
winden (Mathiak u. Fallgatter 2005). Dies erscheint besonders bedeutend für die Schizophrenieforschung. 14.3.1 Kombination von funktionaler Bildgebung
und Elektroenzephalogramm (EEG) Bei Patienten mit chronischer Schizophrenie liegt bei bestehenden linksseitigen temporalen Defiziten eine Reduktion der P300Amplitude vor (Rogers et al. 1991). Die P300 zählt zu den späten Potenzialen mit einer Latenz von 300–600 ms. Sie wird mit Hilfe eines klassischen Odd-ball-Paradigmas (7 Kap. 13) untersucht und durch Verletzung einer zuvor aufgebauten Erwartung evoziert. Bei Erstmanifestation einer Schizophrenie wurde ebenfalls
eine verminderte Evozierung der P300 beschrieben. McCarley et al. (2002) untersuchten Patienten mit Erstmanifestation einer Schizophrenie sowie Patienten mit beginnender affektiver Psychose in einer kombinierten EEG- und fMRI-Studie. Sie konnten zeigen, dass die linkstemporalen Abweichungen der P300-Amplitude mit einer Reduktion der grauen Substanz des linken STG bei schizophren Erkrankten einhergeht (. Abb. 14.3). Dieser Befund bestätigte sich nicht bei Patienten, die unter einer affektiven Psychose litten, was auf ein spezifisches Merkmal der schizophrenen Erkrankung hinweist. In einer kombinierten Studie von Youn et al. (2003) konnte mittels Dipollokalisation gezeigt werden, dass die Hauptgeneratoren der Mismatch-Negativität (7 Kap. 13) im STG lokalisiert sind. Schizophrene Patienten zeigten signifikante Unterschiede
14
. Abb. 14.3. McCarley et al. (2002) fanden eine Korrelation zwischen der P300-Amplitude und einem anatomischen Volumenmaß im linken Temporallappen. Ersterkrankte zeigten eine umso kleinere P300-Amplitude, desto kleiner der linke hintere Gyrus superior temporalis gemessen wurde. Diese Korrelation fand sich vorwiegend in links- und schwächer
in rechtstemporalen Elektroden. Für dasselbe Volumenmaß in der rechten Hemisphäre waren die Korrelationen deutlich geringer, aber ähnlich verteilt. (McCarley et al. 2002, Copyright 2002 American Medical Association) (7 Farbtafeln, S. 651)
159 14.3 · Funktionelle Bildgebung des auditorischen Systems
14
in der Hemisphärenlateralisation. Dabei korreliert der linkshemisphärische ECD (»equivalent current dipole«) negativ mit den Punktwerten der positiven Symptome der PANNS (»positiv and negative syndrom scale«). Die Mismatch-Negativität wird mit frühen auditorischen Informationsverarbeitungsprozessen in Verbindung gebracht und in zahlreichen Studien bei Schizophrenie als defizitär beschrieben. Die Ergebnisse dieser Studie deuten auf eine linkshemisphärische Akzentuierung von Defiziten der MMN bei Schizophrenen hin und zeigen ferner einen Zusammenhang zwischen Positivsymptomatik und Beeinträchtigungen im linken auditorischen Kortex. 14.3.2 Kombination von funktionaler Bildgebung
und Magnetenzephalographie (MEG) Eine wichtige Einschränkung der funktionellen Bildgebung des auditorischen Systems besteht darin, dass vor allem die fMRI mit einem hohen Geräuschpegel verbunden ist, der eigene neuronale Aktivierungen erzeugt. Nicht nur unter Anwendung von fMRI, sondern auch bei den meisten anderen Verfahren ist eine qualitativ hochwertige Klangübertragung technisch sehr aufwendig. Im fMRI-Bereich werden dabei unterschiedliche Ansätze verfolgt. Die meisten Studien ignorieren schlicht das Geräusch und gehen davon aus, dass es sich nur um ein Störgeräusch handelt, dessen Effekte sich heraussubtrahieren ließen. Allerdings muss mit einer Reduktion der neuronalen oder hämodynamischen Antworten gerechnet werden oder mit der Maskierung von neuronalen Organisationsprinzipien (z. B. der Tonotopie). Hall et al. (1999) haben deshalb das Prinzip der pausierenden Messungen (»sparse sampling« oder »silent fMRI«) vorgeschlagen. Aufgrund der Hämodynamik werden die neuronalen Antworten im fMRI mit einer Verzögerung von 6 s gemessen, sodass die Laute in einer Messpause präsentiert werden können. Insofern besteht die Möglichkeit, nur alle 10–15 s eine Messung durchzuführen und folglich die Töne in einer relativen Ruhephase darzubieten. Auf diese Weise können auch diffizile auditorische Aufgaben untersucht werden (z. B. Mathiak et al. 2006). Als nachteilig erweist sich hierbei die geringe Anzahl von Messungen, die eine unzureichende Ausprägung der Kontraste zur Folge hat. Alternativ können die Geräusche des MR selbst zur auditorischen Stimulation verwendet werden. Als besonderer Vorteil kann sich hier ergeben, dass auch in anderen Modalitäten exakt dieselben – aus dem MR aufgenommenen – Stimuli verwendet werden können (z. B. im MEG bei Mathiak et al. 2002). Somit lassen sich ohne Probleme multimodale Messansätze verfolgen, die auch bei Patienten mit Schizophrenie Anwendung finden können (Kircher et al. 2004; . Abb. 14.4). Eine kombinierte fMRI- und MEG-Studie von Kircher et al. (2004) nutzte die Idee, störende Hintergrundgeräusche des MRI-Scanners für die akustische Stimulation zu verwenden. Die Scannergeräusche wurden aufgezeichnet und ebenfalls im MEG präsentiert, um MMN-Antworten bei Patienten mit Schizophrenie und Gesunden zu untersuchen (. Abb. 14.5). So-
. Abb. 14.4. Schema zur vergleichbaren Aufnahme von MEG- und fMRI-Signal zur Messung der Mismatch-Antworten. Den häufigen Scannergeräuschen werden seltene (20%) abweichende Schaltungen eingefügt, die entweder kürzer oder leiser sind. Die MEG-Mismatch kann direkt nach dem Stimulus gemessen werden; sie wird als Differenz zwischen häufigen und seltenen Antworten ermittelt. Im fMRI tritt die Antwort verzögert auf. Deswegen können auch die Bilder während der »falschen« Gradientenschaltung verworfen werden. Die häufigen Klänge bilden dabei die »Baseline«. (Kircher et al. 2004) (7 Farbtafeln, S. 651)
mit war die Möglichkeit gegeben, neuromagnetische und hämodynamische Resonanzen identischer Stimulation zu untersuchen und die beiden Gruppen zu vergleichen. Wie erwartet zeigten die schizophrenen Patienten eine verminderte MMN im Vergleich zur Kontrollgruppe. Die präzise Lokalisation der Hauptgeneratoren konnte jedoch nicht unter Anwendung des MEG gewährleistet werden. Mit Hilfe des fMRI und seiner hohen räumlichen Auflösung konnte gezeigt werden, dass die untersuchten Gruppen Unterschiede im sekundären auditorischen Kortex (PT), nicht aber im primären auditorischen Kortex (HG) aufwiesen. Auditorisch evozierte Felder (AEF) stellen einen reliablen Parameter zur Analyse funktionaler hemisphärischer Unterschiede dar. AEF werden im primären auditorischen Kortex generiert. Der AEF-Dipol ist bei gesunden Probanden stärker linkshemisphärisch lokalisiert. Hajek et al. (1997) untersuchen auditorisch evozierte magnetische Felder und strukturelle Veränderungen bei schizophrenen Patienten und gesunden Kontrollen in einer kombinierten MEG- und fMRI-Studie. Sie fanden sowohl signifikant unterschiedliche Latenzen der AEF als auch Abweichungen entsprechend der Dipollokalisation zwischen der Patienten- und der Kontrollgruppe. Sie beschrieben eine linkshemisphärische Volumenreduktion des posterioren superioren temporalen Gyrus
160
Kapitel 14 · Wahrnehmung – Bildgebung
14
. Abb. 14.5. Das hämodynamische Pendant der Mismatch-Negativität findet sich als Aktivierung der auditorischen Kortizes. Im Mapping wurde nur bei der Lautstärkeänderung eine signifikante Differenz bei den Pa-
tienten gefunden. Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass bereits die auditorische Verarbeitung gestört ist. (Kircher et al. 2004) (7 Farbtafeln, S. 652)
(pSTG) bei schizophren Erkrankten. Die separate Analyse der grauen und weißen Substanz konnte zeigen, dass die Verminderung des Volumens auf eine Reduktion der grauen Substanz zurückzuführen ist. Nicht nur die morphologischen sondern auch die funktionalen Daten deuten auch in dieser Studie auf linkshemisphärische Beeinträchtigungen bei Schizophrenen hin.
14.3.3 Integration von BOLD- und MEG-Signal Eine direkte Unterscheidungsmöglichkeit zwischen dem BOLDund neurophysiologischen Signalen haben wir als Synchronizität bezeichnet (Mathiak u. Fallgatter 2005). Das MEG- (und EEG-) Signal beruht auf der simultanen Aktivität von tausenden von
161 14.4 · Denkstörungen
. Abb. 14.6. Schema für die Signalerzeugung in MEG und fMRI bei neuronaler Aktivierung. Bei der Messung des MEG tritt durch die Entfernung der Sensoren und uneindeutige Quellenlösungen eine räumliche Glättung ein. Im fMRI ist dies durch die langsame hämodynamische Antwort vorwiegend eine zeitliche Glättung. Weiter wird die MEG-Antwort – vor allem bei evozierten Feldern – durch einen Synchronizitätsfaktor moduliert. Jede Art von zeitlicher Verschiebung neuronaler Antworten hat zur Folge, dass diese sich in den gemessenen Signalen gegenseitig auslöschen. Diesen multiplikativen Faktor kann man über die Differenz der Logarithmen bestimmen: Synchronizität = log(MEG) – log(fMRI). (Reprinted from Mathiak u. Fallgatter 2005, with permission from Elsevier)
Dendritenbäumen von Pyramidenzellen. Insbesondere evozierte Antworten, die aus vielen Messwiederholungen gemittelt werden, zeigen nur eine Aktivität, die mit derselben Latenz ohne zufällige oder vom Hirnzustand abhängige Fluktuationen streng reproduziert werden kann. Wohingegen die BOLD-Antwort als Maß des lokalen Energieverbrauches angesehen werden kann und somit primär unabhängig vom genauen Zeitverhalten der Aktivierung ist. Diese Unterscheidung können wir nun als zusätzliches Maß einführen, wenn Messungen in fMRI und MEG (oder EEG) durchgeführt werden. Die Synchronizität kann als multiplikativer Faktor verstanden (. Abb. 14.6) und somit formal entweder als Quotient von MEG- und BOLD-Amplitude oder mathematisch äquivalent als Differenz der Logarithmen berechnet werden. Die so definierte Synchronizität haben wir für die Daten aus der kombinierten MEG-fMRI-Studie zur Mismatch-Negativität ausgewertet (Kircher et al. 2004). Dabei stellte sich heraus, dass bei Patienten mit Schizophrenie eine um den Faktor 1,6–2 niedrigere Maßzahl festzustellen war. Neben der guten Übereinstimmung dieses Befundes mit einer Dyskonnektivitätshypothese der Schizophrenie weist der relativ hohe Effekt darauf hin, dass Konnektivitätsmaße geeigneter sein können, um schizophrenietypische Änderungen mit funktionellen Bildgebungsdaten zu beschreiben. Hier ist allerdings noch einiges an Arbeit zu leisten, um eine integrierte Datenanalyse von MEG, EEG und fMRI standardisiert durchführen zu können.
14
! Die Verwendung der fMRT für die Untersuchung auditorischer Funktionen ist mit einigen besonderen technischen Schwierigkeiten verbunden. Ein wichtiges Problem ist der hohe Geräuschpegel, den der Scanner während jeder Bildaufnahme verursacht. Ein häufig verwendetes Verfahren stellt das sog. »sparse imaging« dar. Hierbei werden die Schallreize während einer Ruhephase dargeboten, in der der Scanner inaktiv ist. Andere Studien nutzten die Idee, die störenden Hintergrundgeräusche des MRI-Scanners für die akustische Stimulation zu verwenden. Die Kombination auditorisch evozierter elektrischer Potenziale oder neuromagnetischer Felder mit strukturellen und funktionellen MRI-Untersuchungen kann zusätzliche Informationen zu Störungen bei Schizophrenie liefern.
14.4
Denkstörungen
14.4.1 Anatomische Korrelate von Denkstörungen
im auditorischen System Denkstörung und Veränderung des Temporallappens wurden miteinander in Verbindung gebracht. Allerdings sind die Befunde der unterschiedlichen Studien nicht vollständig konsistent. Shenton et al. (1992) haben die Beziehung von Denkstörung und MRI-Volumen bei Schizophrenie beschrieben. Im Vergleich zu Kontrollen hatten die Patienten eine signifikante Verminderung der grauen Substanz im linken vorderen Hippocampus und der Amygdala, dem linksparahypocampalen Gyrus und dem linken STG. Das Volumen des linken hinteren STG korrelierte mit dem Wert für den Denkstörungsindex (R = –0,81). Allerdings misslang es DeLisi et al. (1994), diese Befunde zu replizieren. 14.4.2 Funktionelle Bildgebung
bei Denkstörungen Um den Zusammenhang zwischen Sprache und formalen Denkstörungen zu untersuchen, wurden in einer fMRI-Studie Bilder des Rohrschach-Tests präsentiert und die Patienten dazu angehalten, zu jedem Bild ihre Eindrücke zu schildern. Kircher et al. (2001) fanden heraus, dass die Schwere der positiven Denkstörungen mit dem Aktivitätsniveau im linken oberen und mittleren temporalen Gyrus korrelierte. McGuire et al. (1998) fanden in einem ähnlichen Experiment mit PET vergleichbare Ergebnisse. Die Schwere der formalen Denkstörung korrelierte invers mit der Ausdehnung der Regionen, die mit der Regulation und der Selbstbeobachtung von Sprachproduktion verbunden sind. ! Auf struktureller Ebene weisen Patienten mit Denkstörungen Veränderungen des Temporallappens auf. Im Vergleich zu gesunden Kontrollgruppen zeigten Patienten sowohl eine Volumen6
162
Kapitel 14 · Wahrnehmung – Bildgebung
verminderung der grauen Substanz des linken superioren temporalen Gyrus (STG) als auch eine Reduktion des Volumens in der linken vorderen Region des Hippocampus und der Amygdala.
14.5
Halluzinationen
14.5.1 Anatomische Korrelate von Halluzinationen
im auditorischen System Neuroanatomische Studien von auditorischen Halluzinationen haben nicht unbedingt die erwarteten Resultate geliefert, obwohl einige Forscher angenommen haben, dass der Temporallappen als möglicher Ort assoziierter Störungen in Betracht kommt und für die Evozierung auditorischer Halluzinationen Verantwortung trägt. Havermans et al. (1999) untersuchten die P300 und MRI-Volumenmaße bei schizophrenen Patienten mit und ohne auditorischen Halluzinationen. Sie fanden keine Hinweise auf Volumenverminderung der Temporallappenstruktur in der kombinierten Patientengruppe im Vergleich zu Kontrollen oder in den Patienten mit und ohne Halluzinationen. Nur die Patienten mit Halluzinationen zeigten eine linkshemisphärische P300-Reduktion insbesondere im Vergleich zwischen den halluzinierenden Patienten und den Kontrollpersonen. Barta et al. (1990) beschrieben, dass die Reduktion des linksseitigen STG stark und selektiv mit der Schwere von auditorischen Halluzinationen korreliert. Im Gegensatz dazu fanden DeLisi et al. (1994) keine unterschiedlichen Volumina des vorderen STG im Vergleich zwischen schizophren Erkrankten in der ersten Episode und gesunden Kontrollen (7 Kap. 33). Bei Patienten mit formalen Denkstörungen oder auditorischen Halluzinationen konnte keine Untergruppe mit reduzierten Größen des STG oder des PT bestätigt werden.
14
14.5.2 Funktionelle Bildgebung
bei Halluzinationen Die Ergebnisse von funktionellen Bildgebungsstudien mit PET, SPECT und fMRI im Hinblick auf Halluzinationen haben interund intraindividuelle Ansätze verfolgt. Allerdings scheinen die Befunde bislang inkonsistent zu sein. Einige Studien haben gezeigt, dass die Temporallappenabnormitäten oder ein verteiltes Netzwerk von kortikalen und subkortikalen Arealen der Schizophrenie zugrunde liegen. Cleghorn et al. (1992) beobachteten, dass halluzinierende Patienten einen signifikant geringeren Metabolismus in auditorischen und Wernicke-Arealen aufweisen als nicht halluzinierende Patienten. Ergebnisse einer SPECT-Studie, die schizophrene Patienten zunächst in einer Phase prominenter auditorischer Halluzinationen und anschließend nach Besserung untersuchten, deuten darauf hin, dass auditorische Halluzinationen mit einer funktionalen Überaktivität des linken STG einhergehen.
Im Gegensatz dazu konnten Silbersweig et al. (1995) mittels PET eine Überaktivierung subkortikaler Kerne, limbischer Strukturen und paralimbischer Regionen nachweisen, wenn die Patienten instruiert wurden, während der Halluzinationen einen Knopf zu drücken. Shergill et al. (2000) haben eine fMRI-Studie durchgeführt, in der die Patienten sofort nach dem Scan berichteten, wann sie Halluzinationen erfahren haben. Ein verteiltes Netzwerk von kortikalen und subkortikalen Arealen einschließlich des frontotemporalen Kortex und der limbischen und paralimbischen Regionen sowie des Thalamus schienen an den Halluzinationen beteiligt zu sein. Silbersweig et al. (1995) untersuchten direkt die zugrunde liegende Aktivierung während der kurzen, transienten Halluzinationen. Ein einzelner medikamentennaiver und fünf weitere Patienten, die an aktiven Psychosen mit häufigen Halluzinationen litten, wurden untersucht. Mit Hilfe des eigens entwickelten Studiendesigns wurden spezifische Hirnaktivitäten während der Halluzinationen erfasst. Limbische und subkortikale Aktivitäten inklusive der thalamischen und hippocampalen Strukturen wurden bilateral aktiviert. Diese Untersuchungen haben die Modellbildung zur Symptomentstehung weitergebracht, indem neuropathologische Befunde in limbischen und subkortikalen Arealen mit neokortikalen sensorischen Dysfunktionen von Symptomen korreliert wurden (Silbersweig u. Stern 1996). Inzwischen wurden weitere Studien durchgeführt, um die Hirnaktivität bei Halluzinationen zu untersuchen. Dierks et al. (1999) nutzten die fMRI, um Phasen mit akustischen Halluzinationen zu beschreiben, in denen Aktivierungen des primären auditorischen Areals auftraten. Lennox et al. (1999) fanden, dass die Aktivität des rechten auditorischen Assoziationskortex mit auditorischen Halluzinationen variiert (7 Kap. 33). Akustische Halluzinationen können auch als Störung der Verarbeitung komplexer auditorischer Signale verstanden werden. ! Strukturelle Untersuchungen bei Patienten mit Halluzinationen weisen auf volumetrische Veränderungen der linksseitigen STG hin und korrelieren mit der Stärke der auditorischen Halluzinationen. Die Resultate von Studien mittels PET und SPECT konnten bei Patienten einen signifikant verringerten Metabolismus in auditorischen und Wernicke-Arealen nachweisen. Die an Halluzinationen beteiligten Regionen setzten sich aus einem Netzwerk von kortikalen und subkortikalen Arealen zusammen, die sowohl frontotemporale, limbische und paralimbische Regionen zu umfassen scheinen.
14.6
Komplexe auditorische Stimuli
David et al. (1996) verglichen in ihrer fMRI-Studie auditorische Kortexaktivierung zu gesprochenem Text während häufiger auditorischer Halluzinationen und halluzinationsfreier Phasen. Die
163 14.9 · Zusammenfassung
Stärke der Antwort auf auf die externe Stimulation war während der Halluzinationen im Vergleich zu halluzinationsfreien Phasen reduziert, zumindest was die Anzahl der aktivierenden Voxel betrifft. Woodruff et al. (1997) berichten über eine vertauschte Asymmetrie von auditorischer Kortexaktivierung in Antwort zu Sprachstimuli, was sich dadurch auszeichnete, dass bei den Patienten eine größere und stärkere rechtshemisphärische anstatt linkshemisphärische Aktivierung zu beobachten war. Auch in diesen Studien besteht die Einschränkung, dass es Interferenzen mit dem fMRI-Geräusch gibt. 14.7
Verteilte neuronale Netzwerke bei auditorischen Aufgaben
Cohen et al. (1998) beschrieben eine Korrelation der metabolischen Rate im FDG-PET im mittleren Präfrontalkortex mit der Genauigkeit von auditorischer Diskriminationsleistung in gesunden Kontrollen. Bei den unmedizierten schizophrenen Patienten war die gemessene metabolische Rate signifikant geringer und unkorreliert zur Testleistung bei normalen Verhaltensdaten. Diese Daten konnten von denselben Autoren repliziert und erweitert werden (Cohen et al. 1998). Die regionale metabolische Rate war auch im hinteren Putamen beeinträchtigt. Zusätzlich fanden sich gestörte niedrige rechtsmediopräfrontale Kortexbefunde, die klinische Antwortraten auf Neuroleptikagabe besser vorhersagten als Basalganglien und zingulärer Metabolismus. Diese Studien belegen, dass auch nichttemporalen Arealen eine wichtige Rolle bei komplexer auditorischer Verarbeitung zukommt. Holcomb et al. (1996) untersuchten in Verhaltensexperimenten die Fähigkeit der Patienten, Töne zu diskriminieren. Dabei waren Patienten mit Schizophrenie langsamer und weniger genau bezüglich Melodie- und Frequenzdiskriminationsaufgaben. Insbesondere fand sich eine signifikante Reduktion in der Genauigkeit, wenn die Zieltöne vertauscht waren. O’Leary et al. (1996) untersuchten auditorische Aufmerksamkeitsdefizite bei Schizophrenie im PET. Umgebungsgeräusche und Sprachstimuli mit sinnlosen oder sinnvollen Wörtern wurden über beiden Ohren getrennt oder gemeinsam dargeboten und sollten entweder beachtet oder ignoriert werden (selektive Aufmerksamkeit). Dabei fanden die Autoren über alle Bedingungen bei den Patienten signifikant geringere Aktivierungen im rechten, aber höhere Aktivierungen im linken STG als bei den Kontrollen. Auch im MEG fand Linnville et al. (1995) eine verminderte Aktivierung der linken neuromagnetischen Quellstärke bei Aufmerksamkeitsmodulation. Zusätzlich zum auditorischen Kortex gilt es auch, Interaktionen mit anderen Hirnarealen sowie Modulationen durch benachbarte Areale zu überprüfen. Gestörte Interaktionen bei Schizophrenie zwischen frontalen und temporalen Arealen können als sicher dokumentiert gelten (Friston u. Frith 1995). Diese Konnektivitätsstörungen sind wahrscheinlich im engen Zusammen-
14
hang mit den auditorischen Verarbeitungsdefiziten zu sehen. Somit sind auch die kognitiven Einflüsse auf die auditorische Verarbeitung von Bedeutung. Carter et al. (1996) zeigten spezifische Aufmerksamkeitsdefizite für lokalisierte Ziele bei Schizophrenie als vermutlich linkshemisphärische Funktion. Die Schwere dieses Defizits korrelierte mit dem Niveau von auditorischen Halluzinationen im jeweiligen Patienten. Silverstein et al. (1996) zeigten, dass Patienten mit Schizophrenie weniger erfolgreich kontextuelle Informationen nutzen können, um die höheren auditorischen Signale zu unterdrücken. 14.8
Verknüpfung auditorischer und limbischer Systeme
Weiter muss das limbische und paralimbische System auch in Bezug auf die auditorische Verarbeitung bei Schizophrenie betrachtet werden. Friston et al. (1992) fanden eine Hyperaktivität im linksparahippocampalen Bereich bei Schizophrenie. Da diese Aktivierung nicht mit den Symptomen korrelierte, bleibt es unklar, ob die Hyperaktivität primär bei Schizophrenie entsteht oder als Antwort auf die gestörte Verarbeitung sekundär erscheint. Silbersweig et al. (1995) fanden spezifischere Interaktionen mit Halluzinationen und gestörten neuronalen Signaturen der limbischen Struktur. 14.9
Zusammenfassung
In der funktionellen Bildgebung zeigen sich ausgesprochen konsistente Störungen des auditorischen Systems bei Schizophrenie. Das bezieht sich bereits auf die Anatomie, wobei hier vorwiegend die linke, sprachdominante Hemisphäre betroffen zu sein scheint. Ähnlich finden sich auch bei sprachlichen oder anderen komplexen auditorischen Signalen globale Störungen der Signalanalyse, aber auch Lateralitätsverschiebungen. Teilweise finden sich Korrelationen der Bildgebungsdaten mit klinischen Befunden. Das konsistente Bild weist auf eindeutige neurobiologische Ursachen hin, aber die hohe Variabilität über Patientengruppen und teilweise misslungene Reproduktionen der Befunde zeigen, dass der Zusammenhang vom Endophenotyp der funktionellen Störung im zentralauditiven System und der Schizophrenie noch unklar ist. Insbesondere integrierte Bildgebungsverfahren, die dynamische und Konnektivitätsmaße mit anatomischen Informationen verbinden, scheinen für ein funktionelles Verständnis dieser Dysfunktionen hilfreich zu sein.
164
Kapitel 14 · Wahrnehmung – Bildgebung
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14
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15 Aufmerksamkeit – Psychologie Norbert Kathmann und Benedikt Reuter
15.1
Einleitung
15.2
Differentialpsychologische Aufmerksamkeitskonzepte – 167
15.2.1 15.2.2
Testverfahren – 167 Interpretation von Testleistungen
15.3
Kognitions- und neuropsychologische Konzepte der Aufmerksamkeit – 169
15.3.1 15.3.2 15.3.3
Alertness – 169 Vigilanz – 170 Selektive Aufmerksamkeit
15.4
Störungen der Aufmerksamkeitsfunktionen bei Schizophrenie – 173
15.4.1 15.4.2 15.4.3 15.4.4 15.4.5 15.4.6 15.4.7
Leistungen in psychometrischen Aufmerksamkeitstests Alertness – 174 Vigilanz – 174 Aufmerksamkeitszuwendung zu seltenen und aufgabenrelevanten Reizen – 175 Räumliche Aufmerksamkeitsverteilung – 176 Latente Hemmung – 176 Negative Priming – 177
15.5
Zusammenfassung und Ausblick – 178 Literatur
– 167
– 178
– 169
– 170
– 173
167 15.2 · Differentialpsychologische Aufmerksamkeitskonzepte
15.1
Einleitung
»Aufmerksamkeit« ist ein Begriff für verschiedene Eigenschaften menschlicher Informationsverarbeitung. Von Aufmerksamkeit sprechen wir z. B. dann, wenn die Informationsverarbeitung in bestimmter Weise ausgerichtet wird. Beobachten wir unsere Umgebung, werden wir bestimmte Veränderungen umso genauer wahrnehmen, je aufmerksamer wir sind. Lenken wir unsere Aufmerksamkeit auf Ausschnitte der Umgebung, etwa einen bestimmten Gesprächspartner, werden die Worte unseres Gesprächspartners nicht nur sensorisch registriert, sondern auch bezüglich ihrer Bedeutung weiterverarbeitet. In den Beispielen bezieht sich Aufmerksamkeit auf die Ausrichtung der Umweltwahrnehmung. In der wissenschaftlichen Literatur wird der Aufmerksamkeitsbegriff manchmal auch für Prozesse verwendet, die nicht auf die Wahrnehmung begrenzt sind. So bezeichnet der Begriff »attentional control« auch Prozesse, die z. B. für die Bearbeitung des Stroop-Tests erforderlich sein sollen. In diesem Test wird ein Reaktionskonflikt dadurch erzeugt, dass ein Farbwort in einer nicht dem Wortsinn entsprechenden Farbe gedruckt ist und die Druckfarbe benannt werden muss. Da wir aus Gewohnheit dazu neigen, das Wort zu lesen, bereitet die Benennung der Farbe Schwierigkeiten. Leistungsminderungen in dieser Aufgabe können darauf beruhen, dass die Aufmerksamkeit nicht effizient genug auf den gerade relevanten Reizaspekt (die Druckfarbe) gelenkt wird. Denkbar ist aber auch, dass die Neigung, eine gewohnte Reaktion (nämlich das Lesen des Wortes) auszuführen, mehr oder weniger stark unterdrückt werden kann. Dieser Prozess der Handlungskontrolle wird in einem weiteren Sinne ebenfalls als Aufmerksamkeit bezeichnet, sinnvollerweise aber den exekutiven Funktionen zugeordnet. Tatsächlich sind wahrnehmungsbezogene Aufmerksamkeit und Handlungssteuerung nicht sauber trennbare Prozesse. Die wesentliche Funktion von Aufmerksamkeit dürfte nämlich letztlich immer darin bestehen, die besten Voraussetzungen für angepasste Handlungen zu schaffen. In diesem Kapitel werden Aufmerksamkeit und Handlungssteuerung trotz ihrer funktionalen Verknüpfung begrifflich getrennt und die detaillierte Darstellung auf Prozesse der Ausrichtung oder Lenkung von Wahrnehmung begrenzt. Prozesse der Handlungssteuerung werden ausführlicher im Kapitel über exekutive Funktionen (vgl. 7 Kap. 23 u. 24 in diesem Band) behandelt. Wahrnehmungsbezogene Aufmerksamkeit kann selbst wiederum in verschiedener Weise spezifiziert und untersucht werden. Es lassen sich grob drei unterschiedliche wissenschaftliche Traditionen unterscheiden: 1. In der Differenziellen Psychologie wurden Testverfahren entwickelt, die auf einer relativ alltagsnahen Defintion von Aufmerksamkeit beruhen. Dabei wird Aufmerksamkeit als eigenständige kognitive Leistung verstanden und mittels korrelativer Untersuchungen von anderen Fähigkeitsbereichen (z. B. Intelligenz, Gedächtnis etc.) abgegrenzt.
15
2. Kognitionspsychologische Ansätze sind an kognitiven Prozessen interessiert. Hier wird hauptsächlich mit experimentellen Methoden untersucht, wie sich Veränderungen operational definierter Aufmerksamkeitsprozesse auf die Informationsverarbeitung auswirken. 3. Neuropsychologische Ansätze stammen ursprünglich aus der Beobachtung spezifischer Funktionsausfälle nach bestimmten Hirnläsionen. Moderne Ansätze suchen aber auch bei gesunden Probanden nach den neuronalen Korrelaten von Aufmerksamkeitsfunktionen. Diese Analysen erfolgen häufig unter Verwendung experimenteller Paradigmen der Kognitiven Psychologie. Daher werden kognitions- und neuropsychologische Ansätze in der nachfolgenden Übersicht nicht unterschieden. 15.2
Differentialpsychologische Aufmerksamkeitskonzepte
In der Differentiellen Psychologie wird Aufmerksamkeit als eigenständige Eigenschaft oder Fähigkeit verstanden, die aber zugleich Voraussetzung zur Erbringung bestimmter anderer kognitiver Leistungen ist. Zur Erfassung von Aufmerksamkeit wurden zumeist Testverfahren entwickelt, die möglichst geringe Anforderungen an spezifische andere Fähigkeiten, wie etwa sprachliche oder mathematische Fähigkeiten, stellen. Dadurch soll die Testleistung relativ stark durch die Aufmerksamkeit selbst bestimmt sein. Diese Verfahren werden manchmal auch als Konzentrationstests bezeichnet. 15.2.1 Testverfahren In Durchstreichtests sollen die Probanden in einer großen Menge relativ ähnlicher Objekte eine Teilmenge von Objekten mit bestimmten Merkmalen entdecken. Im deutschen Sprachraum ist der d2 Aufmerksamkeits-Belastungstest (9. Aufl.; Brickenkamp 2002) weit verbreitet. In Zeilen, welche die Buchstaben d oder p und jeweils 1 bis 4 Striche an derem oberen und unteren Rand zeigen, sollen Buchstaben d mit zwei Strichen entdeckt und durch Durchstreichen markiert werden. Als Aufmerksamkeitsmaße werden die Anzahl der in vorgegebener Zeit bearbeiteten Zeichen, die Menge der Fehler (Auslassungen und falsch markierte Zeichen) sowie verschiedene Kombinationen aus diesen beiden Parametern als Gesamtleistungswerte berechnet. Ein weiteres Aufgabenkonzept zur Erfassung von Aufmerksamkeit ist im Zahlen-Verbindungs-Test (ZVT; 2. Aufl.; Oswald u. Roth 1987) und im international bekannteren Trail-MakingTest (TMT; Reitan 1992) verwirklicht. In diesen Tests sind Zahlen oder Buchstaben auf einem Testblatt räumlich verteilt und müssen mit einem Stift in der richtigen Reihenfolge mit einer Linie verbunden werden (siehe Kasten). Auch Intelligenztests enthalten Aufgaben, die zur Erfassung von Aufmerksamkeit her-
168
Kapitel 15 · Aufmerksamkeit – Psychologie
angezogen werden. Ein Beispiel ist der Zahlen-Symbol-Test aus dem Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene (WIE; von Aster et al. 2006), in dem eine vorgebene Regel zur Zuordnung von Zahlen zu abstrakten Symbolen möglichst schnell auf eine weitere Abfolge der Symbole angewendet werden muss. Ein weiteres Bei-
Ausgewählte Testverfahren Trail-Making-Test (TMT; Reitan, 1992) Der Trail-Making-Test (TMT; Reitan 1992) stammt aus der Halstead-Reitan Neuropsychological Testbattery. Er besteht aus den Testteilen A und B, denen jeweils ein Übungsbeispiel vorangestellt ist. In Teil A sind die Zahlen 1–25 unregelmäßig über das Testblatt (Format DIN A4; vgl. . Abb. 15.1 verteilt. Sie sollen möglichst schnell in aufsteigender Reihenfolge mit einem Bleistiftstrich verbunden werden (1-2-3 etc.). In Teil B sind die Zahlen 1–13 und die Buchstaben A–L (zusammen wiederum 25 Zeichen) unregelmäßig über ein gleich großes Testblatt verteilt. Hier sollen Zahlen und Buchstaben abwechselnd verbunden werden (1-A-2-B-3 etc.). Das Leistungsmaß ist die Bearbeitungszeit. Für den TMT liegen relativ neue Normen einer umfangreichen, nach Alter und Geschlecht stratifizierten Stichprobe (N=911) aus Kanada vor. Der Test ist schnell durchführbar (Gesamtdauer mit Instruktion und Übung max. 10 min). Reliabilität und Objektivität entsprechen den allgemeinen Anforderungen an Leistungstests. Der Erwartungswert für Schizophreniepatienten liegt um etwa 0,7 Standardabweichungen unter dem Erwartungswert für Gesunde. Es empfiehlt sich, die Testleistung im Teil A zunächst operational als visumotorische Geschwindigkeit zu interpretieren. Unter Berücksichtigung anderer Testergebnisse können Leistungsdefizite eventuell als Störung unspezifischer Aufmerksamkeitsfunktionen bzw. als Konzentrationsstörungen interpretiert werden. Die in Teil B zusätzlich geforderte Fähigkeit zum Wechsel zwischen den Reizklassen wird oft als kognitive Umstellfähigkeit beschrieben. Sie ist eher den Exekutivfunktionen zuzuordnen.
15
spiel ist die Prüfung der Zahlenspanne (vorwärts), das ist die maximale Anzahl der Ziffern, die Probanden nach einmaligem Hören in richtiger Reihenfolge wiedergeben können. Die Zahlenspanne wird auch als Aufmerksamkeitsspanne bezeichnet, meist allerdings dem Arbeitsgedächtnis zugeordnet.
Reizen mit Warnton subtrahiert wird. Die Ermittlung von Normwerten erfolgte an einer relativ großen, nach Alter und Bildungsjahren stratifizierten Normstichprobe (N=599) und berücksichtigt Alterseffekte. Der Test ist schnell durchführbar (Gesamtdauer max. 10 min) und entspricht den üblichen Anforderungen an Reliabilität und Objektivität. Die TAP enthält auch Untertests zur visuellräumlichen Aufmerksamkeitsverschiebung und zur Messung der Vigilanz. Diese können zur Beantwortung spezifischer Fragen herangezogen werden. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die Normierung dieser Untertests auf deutlich kleineren Stichproben beruht. Die TAP-Untertests Go/Nogo und Geteilte Aufmerksamkeit werden in der neuropsychologischen Praxis häufiger eingesetzt. Bei ihnen ist aber zu bedenken, dass sie komplexe Reaktionsanforderungen stelle n. Angesichts der deutlichen Handlungskontrollstörungen vieler Schizophreniepatienten sind diese Untertests wenig geeignet, spezifische Aufmerksamkeitsdefizite abzubilden.
Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP, Zimmermann u. Fimm 2002) In der TAP sind eine Reihe kognitionpsychologischer Reaktionszeitparadigmen als computergestützte Testverfahren für die neuropsychologische Diagnostik umgesetzt. Im Untertest Alertness erscheint in jedem Durchgang ein Kreuz in der Mitte eines Computerbildschirms, woraufhin die Probanden möglichst schnell mit einem Tastendruck reagieren sollen. In zwei von insgesamt vier Blöcken mit je 20 Durchgängen ertönt kurz vor Erscheinen des Kreuzes ein Warnton. Die einfache Reaktionszeit (ohne Warnton) gilt als Maß für tonische Alertness, ist aber mit motorischen Vorbereitungsprozessen konfundiert. Ein geeigneteres Maß zur Abbildung von Aufmerksamkeitsprozessen ist der Kennwert für phasische Alertness, für den der Reaktionszeitmedian bei Reizen ohne Warnton vom Median bei
. Abb. 15.1. Aufgabenprinzip des Trail-Making-Tests (TMT), Teil A. Die Zahlen sollen in aufsteigender Reihenfolge und so schnell wie möglich mit einem Bleistift verbunden werden. Achtung: Die Abbildung dient der Veranschaulichung. Sie entspricht nicht dem Originaltestblatt des TMT-A
169 15.3 · Kognitions- und neuropsychologische Konzepte der Aufmerksamkeit
15
15.2.2 Interpretation von Testleistungen
15.3.1 Alertness
Trotz faktorenanalytischer Evidenz für Aufmerksamkeit als gemeinsame Testkomponente sind individuelle Leistungsdefizite von klinischen Gruppen in geeigneten Testverfahren nur bedingt als reine Aufmerksamkeitsstörungen interpretierbar. Zu berücksichtigen ist, dass Tests notwendigerweise komplexe Handlungskomponenten enthalten. Die Probanden sollen Aufgaben schnell und fehlerfrei durchführen. Typischerweise bestimmen sie dabei das Arbeitstempo selbst und achten darauf, ob und welche Fehler sie machen. Folglich passen sie dann ihre Arbeitsweise im Laufe des Tests an. Die Testleistung ist insofern immer auch durch die Art und Weise der Handlungsregulation determiniert, und schlechte Ergebnisse können auch auf Störungen der Handlungsregulation beruhen. Eine sinnvolle Interpretation individueller Testwerte ist dann möglich, wenn weitere Tests durchgeführt werden, in denen die Komponenten Aufmerksamkeit und Handlungsregulation anders gewichtet sind. Zeigt eine klinische Gruppe Defizite in mehreren Tests, kann man die Interkorrelationen betrachten. Korrelieren zwei Aufmerksamkeitstests untereinander hoch, beide aber nicht mit einem Test mit hohen Anforderungen an die Handlungsregulation, ist dies ein Indiz dafür, dass die verminderten Testleistungen in den Aufmerksamkeitstests tatsächlich mit der gemeinsamen Aufmerksamkeitskomponente zu tun haben. Letztlich ist aber eine genaue Analyse beeinträchtigter kognitiver Funktionen in der Regel nur dann möglich, wenn die Fähigkeitskomponenten mit kognitionspsychologischen Methoden experimentell dissoziiert werden (vgl. 7 Abschn. 15.3). Der Nutzen von differenzialpsychologisch begründeten Leistungstests besteht v. a. darin, dass mit ihnen das Leistungsniveau in komplexeren Fähigkeitsbereichen zuverlässig und ökonomisch quantifiziert werden kann.
Der englische Begriff »alertness« wird im Deutschen oft mit Wachheit übersetzt (Zimmermann u. Fimm 2002). Gemeint ist die Aufnahmefähigkeit des kognitiven Apparates für Umweltreize. Oft wird Alertness in Reaktionszeitaufgaben gemessen, in denen die Probanden auf einen neutralen Reiz hin eine Taste drücken sollen (manuelle Einfachreaktionen). Die Geschwindigkeit solcher Einfachreaktionen wird dabei als Indikator für den aktuell gegebenen Wachheitszustand (tonische Alertness) angesehen. In einer Variante dieses Aufgabentyps wird die Reaktionszeit gemessen, wenn kurz vorher ein Warnreiz (zum Beispiel ein Ton) präsentiert wurde. Dabei zeigen gesunde Probanden kürzere Reaktionszeiten als in Bedingungen ohne Warnreiz, was als Steigerung des Aufmerksamkeitsniveaus (phasische Alertness) in Erwartung eines Reizes hoher Priorität interpretiert wird (Posner u. Petersen 1990).
15.3
Kognitions- und neuropsychologische Konzepte der Aufmerksamkeit
In der Kognitionspsychologie werden mehrere Prozesse, die unsere Umweltwahrnehmung ausrichten oder lenken, als Teilkomponenten der Aufmerksamkeit bzw. als abgrenzbare Aufmerksamkeitssysteme postuliert (z. B. Posner u. Petersen 1990). Die einzelnen Vorschläge sind unterschiedlich gut empirisch begründet. Eine einheitliche, empirisch begründete und taxonomisch befriedigende Einteilung verschiedener Aufmerksamkeitsprozesse ist beim gegenwärtigen Stand der Forschung noch nicht verfügbar. Die nachfolgende Übersicht über wichtige Konzepte der Kognitions- und Neuropsychologie folgt daher einer pragmatischen Gliederung. Die zuerst beschriebenen Konzepte der Alertness und Vigilanz beziehen sich auf die generelle Aufnahmefähigkeit für Umgebungsreize. Anschließend werden Konzepte vorgestellt, die sich auf die Selektion von Wahrnehmungsinhalten beziehen.
. Abb. 15.2. EKP zwischen Erscheinen eines zentralen Punktes (Warnreiz; erscheint bei –1,5 s) und Auftreten eine peripheren Punktes (erscheint bei 0 s links oder rechts vom zentralen Punkt). Die Probanden sollten den zentralen Punkt fixieren und bei Auftreten des peripheren Punktes so schnell wie möglich zum Punkt hinschauen (Prosakkade, Abbildung a) oder die Fixation fortsetzen und bei einem späteren Tonsignal zum peripheren Punkt hinschauen (verzögerte Prosakkade, Abbildung b). Die Negativierung in den letzten 500 ms vor dem peripheren Reiz (CNV) reflektiert in b) vor allem die Erwartung des Reizes und in a) zusätzlich motorische Vorbereitung. Schizophreniepatienten haben nur in b) eine insgesamt gegenüber Gesunden reduzierte CNV-Amplitude. Die Antizipation einer unmittelbaren motorischen Reaktion führt bei Gesunden, aber nicht bei Patienten zu einer größeren CNV-Amplitude in a) gegegnüber b). Das zeigt, dass die CNV-Reduktion auf fehlende motorische Vorbereitung und wahrscheinlich nicht auf ein Defizit in der phasischen Alertness (i. S. einer reizbezogenen Aufmerksamkeitssteigerung) zurückzuführen ist. [Adaptiert aus Reuter et al. (2006a)]
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Kapitel 15 · Aufmerksamkeit – Psychologie
Im Zeitraum zwischen einem Warnreiz und einem Reiz, der zur Reaktion auffordert, ist eine langsame Negativierung des hirnelektrischen Potenzials an der Kopfoberfläche messbar. Diese »contingent negative variation« (CNV) wird häufig als Korrelat der phasischen Aufmerksamkeitserhöhung interpretiert (. Abb. 15.2). Allerdings ist zu beachten, dass die CNV neben der Reizerwartung auch motorische Vorbereitungsprozesse reflektiert (Reuter et al. 2006a). 15.3.2 Vigilanz
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Vigilanz wird von vielen Autoren mit Daueraufmerksamkeit gleichgesetzt. Es steht also der tonische Aspekt von Aufmerksamkeit im Vordergrund. Die Operationalisierung erfolgt über Aufgaben, in denen über längere Zeit Reizabfolgen beobachtet und selten vorkommende Veränderungen in der Abfolge bemerkt und angezeigt werden müssen. Die klassische Aufgabe ist die »Mackworth clock«, in der ein Uhrzeiger gelegentlich nicht um eine, sondern um zwei Einheiten springt. Die modernen Varianten der Vigilanzaufgabe sind die »Continuous Performance Tests« (CPT). Dabei sind kognitiv relativ anspruchslose Reizdiskriminationsaufgaben über 10–20 min zu bearbeiten. Die Reizabfolge ist schnell (etwa 1 Reiz pro Sekunde) und ungefähr 20–25% der Reize sind Zielreize. Die Fehlerzahl und die Reaktionszeiten über die gesamte Aufgabe sowie der Verlauf der Leistungskennwerte über die Zeit ergeben die Zielmaße. In Anlehnung an die Signalentdeckungstheorie werden die Diskriminationssensitivität und die Reaktionsneigung getrennt berechnet. Das Vigilanzdekrement, also der Abfall der Diskrimationssensitivität über die Zeit gilt als besonders interessant für die Schizophrenieforschung (Nuechterlein et al. 1994). Die verwendeten Aufgaben unterscheiden sich in der Schwierigkeit sowie den involvierten kognitiven Anforderungen. Im reizdegradierten CPT sind die Stimuli durch zufällige Pixelinversion sehr unscharf und damit schwer zu identifizieren (vgl. . Abb. 15.3). Die Identicalpairs-Version erfordert eine Reaktion immer dann, wenn sich ein Reiz wiederholt. Diese Aufgabe stellt erhöhte Ansprüche an das Arbeitsgedächtnis. Dies ist auch in der AX-Version der Fall, in der nur reagiert werden soll, wenn ein X auf ein A folgt. Hier wird zusätzlich exekutive Kontrolle verlangt, da Reaktionen auf andere Buchstaben, die einem A folgen, gehemmt werden müssen. CPT erfreuen sich in der Schizophrenieforschung großer Beliebtheit, weil sie beanspruchen, einen wichtigen Aspekt von Aufmerksamkeit in relativ reiner Form messen zu können. Dies gilt insbesondere für die reizdegradierte Version des CPT. Gute CPT enthalten eine integrierte Lern- und Trainingsphase, um die Vertrautheit des Probanden mit der Testprozedur sicherzustellen. Erst dann können Vigilanzabfälle über die Zeit reliabel sichtbar gemacht werden.
. Abb. 15.3. Beispielstimuli aus dem reizdegradierten Continuous Performance Test (CPT). Die Aufgabe besteht darin, bei Erscheinen der Ziffer 0 eine Taste zu drücken. Es werden insgesamt 480 Stimuli mit einem Interstimulusintervall von 1,1 s für jeweils 43 ms dargeboten. Die Zielreizwahrscheinlichkeit beträgt 25%. Die Stimuli sind aufgrund einer 40- bis 43-prozentigen zufälligen Pixelinversion schwer diskriminierbar (vgl. Kathmann et al. 1996)
15.3.3 Selektive Aufmerksamkeit Auch bei hoher Alertness und Vigilanz werden nicht alle Informationen in gleicher Weise wahrgenommen und weiterverarbeitet. Vielmehr nimmt das Individuum Reize, die in einer bestimmten Situation bedeutsam sind, eher wahr als unbedeutende Reize. Dabei ziehen manche Merkmale Aufmerksamkeit auf sich (z. B. ein plötzliches lautes Geräusch, das Hören des eigenen Namens). Auf bestimmte räumliche oder inhaltliche Aspekte der Umgebung kann das Individuum seine Aufmerksamkeit aber auch aktiv ausrichten (z. B. einzelne Menschen in einer Gruppe, Gegenstände in einer bestimmten Ecke eines Raumes). Diese Phänomene sind typische Beispiele für selektive Aufmerksamkeit.
Dimensionen selektiver Aufmerksamkeit Selektionsprozesse unterscheiden sich auf mehreren Dimensionen, von denen einige nachfolgend skizziert werden. Sinnesmodalität. Selektion kann sich auf Reize aller Sinnesmoda-
litäten beziehen. Meistens wurden jedoch visuelle oder auditive Reize untersucht. Einige Mechanismen der Reizselektion sind offenbar unabhängig von der Sinnesmodalität, z. B. die bevorzugte Verarbeitung von seltenen oder aufgabenrelevanten Reizen. Andererseits weisen die einzelnen Sinnessysteme auch Besonderheiten auf.
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Zeitpunkt der Selektion. Verschiedene Teilprozesse der Reizverarbeitung können zwar parallel ablaufen, es lässt sich aber dennoch sinnvoll zwischen frühen Prozessen – wie der Analyse physikalischer Reizeigenschaften – und späten Prozessen – wie der Evaluation eines Reizes im Hinblick auf seine Handlungsrelevanz – unterscheiden. Die Filtertheorie von Broadbent (1958) nimmt an, dass schon nach der Analyse physikalischer Reizmerkmale eine Selektion stattfindet (frühe Selektion). Andere Autorenhaben vorgeschlagen, dass alle eingehenden Umweltreize einer weitergehenden Analyse unterzogen werden, die z. B. die Identifikation visueller Reize als Objekte oder die semantische Analyse sprachlicher Informationen einschließt. Eine Selektion findet demnach erst in späteren Stadien der Reizverarbeitung statt, etwa bei der Speicherung im Gedächtnis oder der Reaktionssteuerung (späte Selektion). Pragmatisch kann man davon ausgehen, dass es Selektionsprozesse an verschiedenen Stellen im Informationsverarbeitungsprozess gibt. Steuerung der Selektion. Selektionsprozesse können sowohl
durch Umweltreize als auch durch Handlungsziele oder Aufgaben ausgelöst werden. Bei einer Determinierung durch Umweltreize wird die Selektion als exogen oder automatisch bezeichnet. Bei einer Determination durch Handlungsziele werden die Selektionsprozesse durch im System bereits repräsentierte Informationen gesteuert. Sie werden daher auch als »intern« oder »kontrolliert« bezeichnet. In den meisten natürlichen Situationen ist selektive Aufmerksamkeit vermutlich durch das Zusammenwirken von Umweltreizen und Handlungszielen bestimmt. Mit experimentellen Untersuchungsmethoden ist es dennoch möglich, reizgesteuerte von zielgerichteten Komponenten selektiver Aufmerksamkeit zu trennen.
Methoden der experimentellen Erforschung selektiver Aufmerksamkeit Die nachfolgende Beschreibung selektiver Aufmerksamkeitsprozesse ist nach Methoden gegliedert, nicht zuletzt weil in der Forschungspraxis diese Prozesse operational definiert werden. Außerdem steht eine einheitliche Konzeptualisierung selektiver Aufmerksamkeit derzeit noch aus. Häufig werden in experimentellen Aufgaben Reaktionszeiten untersucht. Dabei wird beispielsweise aus der Differenz der Reaktionszeiten auf verschiedene Reize das Ausmaß der unterschiedlichen Aufmerksamkeitszuwendung erschlossen. Die Begrenzung der Methoden liegt darin, dass damit keine direkten Einblicke in den Zeitverlauf der Selektion gegeben werden. Als Indikator für Aufmerksamkeitsprozesse wird daher manchmal zusätzlich das ereigniskorrelierte Potenzial (EKP) des Elektroenzephalogramms untersucht, das relativ genaue Aussagen über die zeitliche Dimension der untersuchten Prozesse ermöglicht.
Aufmerksamkeitszuwendung zu seltenen und aufgabenrelevanten Reizen In sog. Oddball-Aufgaben werden seltene Reize als Zielreize definiert, die beantwortet werden müssen. Allerdings ist bei diesem
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Aufgabentyp die Handlungsrelevanz der Stimuli mit der Häufigkeit des Auftretens konfundiert, so dass Kontrolle sowohl durch Handlungsziele (»bei diesem Reiz muss gedrückt werden«) als auch durch Reizeigenschaften (»dieser Reiz ist seltener als andere«) erfolgt. Im ereigniskorrelierten Hirnpotenzial, das durch diese Zielreize ausgelöst wird, lässt sich eine positive Komponente beobachten, die bei auditorischen Reizen etwa 300 ms nach Erscheinen des Reizes ihr Maximum erreicht und deshalb P300 oder P3 genannt wird. Die P3 wird oft als neurophysiologisches Korrelat einer verstärkten Aufmerksamkeitszuwendung zu den Zielreizen interpretiert. Dafür spricht zum Beispiel, dass die Amplitude der P3 davon abhängig ist, wie relevant der Stimulus für die zu bearbeitende Aufgabe ist. Dagegen besteht kein direkter Bezug zu Reaktionsparametern. Die Latenz von etwa 300 ms zeigt, dass die P3 eher späte Prozesse der Reizverarbeitung reflektiert. Möglicherweise handelt es sich dabei um eine Aktualisierung von Gedächtnisrepräsentationen, die zur Evaluation der Handlungsrelevanz von über längere Zeit nicht registrierten Reizen notwendig ist. Die P3 reflektiert damit wahrscheinlich das Resultat einer Kaskade von Aufmerksamkeitsprozessen, die seltene und handlungsrelevante Reize einer besonderen Verarbeitung zuführen. Hinweise auf frühere Aufmerksamkeitsprozesse liefern EKPKomponenten, die der P3 vorausgehen. Die sogenannte N1 wird etwa 100–140 ms nach der Präsentation visueller oder auditorischer Reize gemessen. Eine N1 tritt auch dann auf, wenn der Reiz für die aktuelle Aufgabe nicht relevant ist, hat aber bei aufgabenrelevanten Reizen eine größere Amplitude. Die Amplitudendifferenz zwischen aufgabenrelevanten und aufgabenirrelvanten Reizen ist ein Indikator für frühe Selektion zu einem Zeitpunkt, zu dem die Reizevaluation noch nicht abgeschlossen ist. Bei aufgabenrelevanten Reizen kann vor der P3 noch eine weitere negative Komponente gemessen werden, die um 200 ms nach einem Reiz auftritt und deshalb N2 genannt wird. Die N2 ist bei aufgabenirrelevanten Reizen kaum oder gar nicht zu beobachten und kann deshalb als Indikator für zielgerichtete Selektion gelten (Mathalon et al. 2004). Zur Unterscheidung von der ebenfalls nach etwa 200 ms auftretenden Mismatch-Negativität (MMN) oder N2a wird die klassische N2 heute oft als N2b bezeichnet. Als MMN bezeichnet man eine erhöhte Negativierung als automatische Reaktion auf physikalisch abweichende Reize (z. B. wenn in einer Abfolge identischer Töne ein Ton mit abweichender Tonhöhe oder längerer Dauer auftritt).
Räumliche Aufmerksamkeitsverschiebung Ein wichtiger Aspekt eines Reizes ist seine Position im Raum. Das gilt im Prinzip für Reize in allen Modalitäten. Prozesse der räumlichen Aufmerksamkeitsverteilung im visuellen System wurden bisher am genauesten untersucht. In einer häufig benutzen Untersuchungsanordung sollen Probanden einen zentralen Reiz betrachten und so schnell wie möglich eine Taste drücken, wenn links oder rechts davon ein neuer Reiz erscheint (. Abb. 15.4). Wird der Ort des Erscheinens 100–200 ms vorher markiert,
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Kapitel 15 · Aufmerksamkeit – Psychologie
rechterhalten wird. Erscheint der Zielreiz später, muss die Aufmerksamkeit erneut an den gleichen Ort verlagert werden. Nach dieser Modellvorstellung ist die Rückkehr der Aufmerksamkeit an den zuvor beachteten Ort gegenüber einer Orientierung auf neue Reize an anderen Orten erschwert bzw. gehemmt. Der Effekt wird daher oft als »inhibition of return« (IOR) beschrieben. Vieles deutet darauf hin, dass dieser Mechanismus die Funktion hat, die Orientierung auf neue Umweltreize zu erleichtern (Klein 2000).
Gelernte Unaufmerksamkeit im Paradigma der Latenten Hemmung
. Abb. 15.4. Typische Versuchsanordnung zur Untersuchung visuellräumlicher Aufmerksamkeitsverschiebung. Die Probanden sollen zunächst das zentrale Kreuz fixieren (obere Reihe). Der Hinweisreiz (Einrahmung eines der peripheren Kästchen) erscheint zum Beispiel nach 1 s (mittlere Reihe). Bei Erscheinen des Zielreizes soll so schnell wie möglich eine Taste gedrückt werden. Der Zeitabstand zwischen Hinweisreiz und Zielreiz variiert je nach Studie zwischen 100 und 1200 ms
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z. B. durch eine Einrahmung der Position, ist die Reaktion auf den Zielreiz schneller als in einer Kontrollbedingung, in der nur die zentrale Position entsprechend markiert wird. Das belegt, dass ein räumlicher Hinweisreiz die visuelle Aufmerksamkeit für Raumpositionen erhöhen und folglich die Entdeckungsleistung verbessern kann. Posner und Kollegen haben diese Eigenschaft der visuellen Aufmerksamkeit mit einem Scheinwerfer verglichen, der einzelne Stellen in der Umgebung genauer beleuchten kann. Werden gelegentlich invalide Hinweisreize präsentiert, sind die Reaktionszeiten langsamer als ohne Hinweisreiz oder bei validen Hinweisreizen. Daraus wurde geschlossen, dass der Hinweisreiz eine automatische Verschiebung der Aufmerksamkeit auf seine Position erzeugt (exogene Aufmerksamkeitsverschiebung). Erscheint der Zielreiz überraschend auf der anderen Seite, muss die Aufmerksamkeit vom Ort des Hinweisreizes gelöst (»disengage«-Prozess) und aktiv verlagert (»move«-Prozess) werden, damit sie am Zielort neu gebunden (»engage«-Prozess) werden kann (Posner et al. 1988).
Inhibition of return Ein Reaktionszeitvorteil durch valide Hinweisreize tritt nur auf, wenn der Zeitabstand zwischen Hinweisreiz und Zielreiz weniger als 250–300 ms beträgt. Bei größeren Zeitabständen zwischen validem Hinweisreiz und Zielreiz ist die Reaktion auf den Zielreiz langsamer als auf einen Zielreiz ohne Hinweisreiz. Man vermutet, dass die exogen ausgelöste Bindung der Aufmerksamkeit an den Ort des Hinweisreizes nur für einen sehr kurzen Zeitraum auf-
Für den Organismus ist es ebenso wichtig, Ressourcen nicht mit der Verarbeitung irrelevanter Reize zu verschwenden, wie die Aufmerksamkeit auf wichtige Reize zu lenken. Ein solcher adaptiver Mechanismus spiegelt sich im Phänomen der Latenten Hemmung, das als Ausdruck gelernter Unaufmerksamkeit interpretiert wird. Latente Hemmung bedeutet, dass eine Assoziation weniger effizient gelernt wird, wenn der zu assoziierende Reiz zuvor bereits wiederholt ohne Konsequenzen dargeboten wurde. Verglichen wird mit Reizen, die neu sind, d. h. in der vorherigen Phase nicht dargeboten wurden. Interessanterweise lässt sich Latente Hemmung mit verschiedenen Lernaufgaben zeigen und das sowohl beim Menschen wie auch bei verschiedenen Tierarten, so dass von einem grundlegenden adaptiven Mechanismus der Informationsverarbeitung auszugehen ist (Lubow u. Gewirtz 1995). Die Erklärung, dass Latente Hemmung durch eine erworbene Aufmerksamkeitsverminderung auf den irrelevanten
. Abb. 15.5. Ereigniskorrelierte Hirnpotenziale bei Latenter Hemmung. Gepunktete Kurve: EKP der Gruppe, die den Hinweisreiz in einer vorherigen Maskierungsaufgabe bereits präsentiert bekam. Durchgezogene Kurve: EKP der Gruppe, bei der der Hinweisreiz während der Maskierungsaufgabe nicht vorkam. Nach Präexposition ist die N1-Komponente kleiner, obwohl der Hinweisreiz (CS+) in der Assoziationsaufgabe gleich informativ ist wie in der nicht-präexponierten Gruppe. Der Hinweisreiz sagt das Erscheinen des imperativen Reizes (»Ja«), der mit einer schnellen Reaktion zu beantworten ist, zu 100% vorher, in Durchgängen ohne diesen Hinweisreiz folgt der Reiz »Nein«, auf den hin keine Reaktion erfolgen soll. (Adaptiert aus Kathmann et al. 2000)
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Reiz zustande kommt, wird durch ein Experiment gestützt, in dem ereigniskorrelierte Hirnpotenziale während der Aufgabe gemessen wurden (Kathmann et al. 2000). Der präexponierte Reiz löste in der nachfolgenden Lernphase eine kleinere N-Amplitude aus als ein nichtpräexponierter (. Abb. 15.5). Latente Hemmung ist in der Schizophrenieforschung von besonderem Interesse, weil es 1. eine präzise Operationalisierung eines Aspektes von Aufmerksamkeit liefert, und 2. in engem Zusammenhang zum dopaminergen System steht. In Tiermodellen zeigte sich, dass der Effekt nach der Gabe von Amphetamin abgeschwächt und nach der Gabe von Dopaminantagonisten wieder normalisiert wird. Beim Menschen wurden ähnliche Effekte gefunden. Neuroleptika erzeugten sogar einen vergrößerten Effekt Latenter Hemmung. Zuletzt wurden Aufgabenvarianten entwickelt, die einen Vergleich von präexponierten und nichtexponierten Reizen innerhalb einer Person erlauben und damit einen individuellen Index Latenter Hemmung liefern. Differenzialpsychologische und klinische Fragestellungen sollten damit zukünftig besser beantwortbar sein.
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graue Ziffer (z. B. eine 2) im vorangegangenen Durchgang weiß, also irrelevant, ist die Latenz bis zur Ausführung der Reaktion länger, als wenn vorher eine andere Ziffer zu ignorieren war oder wenn die 2 unmittelbar zuvor auch grau, also Zielreiz war (. Abb. 15.6). Dieser Effekt ist hoch automatisiert und robust und wird als transienter Ausdruck einer inhibitorischen Aktivität, die auf die Repräsentation des zu ignorierenden Reizes wirkt, verstanden (Tipper 2001). Es können sowohl räumliche als auch identitätsbezogene Merkmale (Bedeutung, Name, Farbe etc.) zur Hemmung führen. Allerdings besteht noch kein Konsens über den genauen Mechanismus, der NP vermittelt (May et al. 1995). Negative-Priming-Phänomene sind von allgemeinpsychologischer Seite gut untersucht, so dass durch geeignete Wahl von Aufgabenbedingungen sehr subtile Aspekte von Aufmerksamkeitsprozessen erfassbar werden. Dies macht sie für die Charakterisierung von Aufmerksamkeitsauffälligkeiten bei psychischen Störungen interessant. 15.4
Störungen der Aufmerksamkeitsfunktionen bei Schizophrenie
Negative Priming Selektion als Funktion der Aufmerksamkeit steht auch im Mittelpunkt des Negative-Priming-Paradigmas. Negative Priming (NP) bezeichnet das Phänomen, dass auf Stimuli langsamer und weniger genau reagiert wird, wenn diese unmittelbar zuvor als Distraktoren zu ignorieren waren. In einer typischen Anordnung werden z. B. Paare aus weißen und grauen Ziffern dargeboten, und auf die graue Ziffer ist jeweils zu reagieren. War eine
. Abb. 15.6. Aufgaben zur Erzeugung des Negative-Priming-Effektes. Links: Räumliche Aufgabe, bei der immer auf die Taste gedrückt werden soll, die der räumlichen Position des O entspricht. Durchgänge, in denen an der Stelle, an der im vorherigen Durchgang der Distraktor (X) erschien, das Target präsentiert wird, sind Negative-Priming-Durchgänge. Rechts: Identitätsaufgabe, bei der immer auf die Ziffer in grauer Farbe mit entsprechendem Tastendruck zu reagieren ist. Durchgänge, in denen die graue Ziffer der weißen Ziffer (Distraktor) im vorherigen Durchgang entspricht, sind Negative-Priming-Durchgänge
15.4.1 Leistungen in psychometrischen
Aufmerksamkeitstests In einigen älteren Untersuchungen wurde gezeigt, dass Schizophreniepatienten den Test d2 langsamer und fehlerhafter bearbeiten als Gesunde. Dabei zeigten hospitalisierte Patienten und Patienten mit akuter Positivsymptomatik stärkere Leistungsdefizite als ambulant behandelte und als arbeitsfähig eingestufte Patienten. Zahlreiche Untersuchungen gibt es zur Zahlenspanne und zum TMT-A. In einer Metaanalyse wurde für den Unterschied zwischen Schizophreniepatienten und Gesunden eine mittlere Effektstärke (Cohens d) von d=0.61 in der Zahlenspanne und d=0.70 im TMT-A ermittelt (Heinrichs u. Zakzanis 1998). Das bedeutet, dass Schizophreniepatienten im Durchschnitt um weniger als eine Standardabweichung vom Mittelwert der Gesunden abweichen und damit eine erhebliche Überlappung der Testwertverteilungen beider Gruppen vorliegt. In der gleichen Metaanalyse war die Effektstärke für den Stroop-Test d=1.11 und für verbale Lern- und Gedächtnisleistungen d=1.41. Eine Faktorenanalyse legt nahe, dass die Gesamtleistung im Test d2 und die Bearbeitungszeiten im TMT-A und im ZahlenSymbol-Test bei Schizophreniepatienten eine gemeinsame Komponente haben (Jaeger et al. 2003). Alle drei Testleistungen zeigten hohe Ladungen auf einem »Aufmerksamkeits«-Faktor, der von einem »Arbeitsgedächtnis«-Faktor getrennt werden konnte. Der Arbeitsgedächtnisfaktor war unter anderem durch hohe Ladungen der Zahlenspanne gekennzeichnet. Aufmerksamkeitsleistungen konnten damit von Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnisleistungen abgegrenzt werden, obwohl beide Funktionsbereiche bei Schizophreniepatienten beeinträchtigt sind. Allerdings kann die
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Natur der Aufmerksamkeitsstörung mit diesen Testverfahren nur grob charakterisiert werden. Für differenzialpsychologische Leistungstests liegen einige Verlaufsuntersuchungen vor. Sie zeigen, dass schon Kinder und Jugendliche, bei denen später eine Schizophrenie diagnostiziert wurde, moderate Leistungsdefizite aufweisen. Bei Patienten in frühen Stadien der bereits diagnostizierten Erkrankung finden sich dann deutlichere Gruppenunterschiede zu gesunden Kontrollprobanden. Mit einer Reduktion positiver oder negativer Symptome kann es zu kurzfristigen Leistungsverbesserungen kommen. Defizite sind aber auch in weitgehend symptomfreien Krankheitsphasen beobachtbar. Unabhängig von Symptomveränderungen scheinen atypische und in geringerem Maße auch konventionelle Neuroleptika leistungsverbessernde Effekte zu haben. Die relativen Defizite gegenüber Gesunden verändern sich zumindest über Zeiträume von 1–10 Jahren nicht wesentlich. Diese Verlaufscharakteristika wurden für verschiedene kognitive Leistungen beobachtet und sind nicht spezifisch für Aufmerksamkeitsfunktionen. 15.4.2 Alertness
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Bei manuellen Einfachwahlreaktionen, die zur Prüfung der (tonischen) Alertness eingesetzt werden, zeigen Schizophreniepatienten konsistent längere Reaktionszeiten als gesunde Probanden. Es ist jedoch fraglich, ob diese Leistungsdefizite auf eine Störung der Alertness zurückgeführt werden können. Dagegen spricht zum Beispiel, dass Schizophreniepatienten in einfachen Blickbewegungsaufgaben normale Reaktionszeiten haben. In der Prosakkadenaufgabe muss, ausgehend von zentraler Fixation, ein plötzlich auftauchender peripherer Reiz so schnell wie möglich refixiert werden. Solche Prosakkaden werden von Schizophreniepatienten mit normaler Latenz ausgeführt. Das spricht gegen eine generelle Verlangsamung in der Verarbeitung einfacher Umgebungsreize. Die Verlangsamung bei manuellen Reaktionen ist eher auf deren spezielle Anforderungen zurückzuführen. Möglicherweise besteht bei Schizophreniepatienten ein fundamentales Defizit in der Initiierung willkürmotorischer Reaktionen. Im Gegensatz zu Prosakkaden erfolgt die Handlungssteuerung nicht quasireflektorisch durch den Umgebungsreiz, sondern über die Aktivierung instruierter bzw. erlernter Reiz-Reaktions-Verbindungen. Bei sakkadischen Blickbewegungen, die nicht zu einem auftauchenden visuellen Reiz hin ausgeführt werden, sondern willkürlich auf eine vorgegebene Raumposition, sind die Reaktionszeiten von Schizophreniepatienten ähnlich verzögert wie bei manuellen Reaktionen (Reuter et al. 2007). Reaktionszeitanalysen zur Bestimmung der phasischen Alertness von Schizophreniepatienten sind in der Literatur selten zu finden. Wang et al. (2005) verwendeten den »attention network test« (ANT) und berechneten die Differenz zwischen der Reaktionszeit in einer nicht vorgewarnten Bedingung und der Reaktionszeit in einer vorgewarnten Bedingung als Maß für phasische
Alertness. Es zeigte sich kein Unterschied zwischen gesunden Probanden und neuroleptisch behandelten Patienten mit chronischer Schizophrenie. Andere Studien deuten allerdings darauf hin, dass unbehandelte Patienten einen geringeren Vorteil durch den Warnreiz haben als Kontrollpersonen. Schizophreniepatienten zeigen eine Reduktion der CNVAmplitude im Zeitraum zwischen einem Warnreiz und einem imperativen Reiz, was auf eine Störung der phasischen Alertness hinweisen könnte. Reuter et al. (2006a) untersuchten die CNV zwischen einem Warnreiz und einem zweiten Reiz, der keine unmittelbare motorische Reaktion verlangte. In diesem Fall reflektiert die CNV kaum noch motorische Vorbereitung, sondern vor allem die Erwartung eines Umgebungsreizes im Sinne der phasischen Alertness. Hier zeigten Schizophreniepatienten deutlich geringere Abweichungen der CNV-Amplitude gegenüber gesunden Probanden als in einer Bedingung mit unmittelbarer Reaktion (vgl. . Abb. 15.2). Das Ergebnis legt nahe, dass reduzierte CNV-Amplituden von Schizophreniepatienten v. a. eine beeinträchtigte motorische Vorbereitung widerspiegeln. Defizite der phasischen Alertness scheinen hingegen weniger bedeutsam zu sein. 15.4.3 Vigilanz Vigilanz- und Vigilanzverlaufsmessungen mit dem CPT wurden bei Schizophreniepatienten sowie bei deren nichterkrankten Angehörigen durchgeführt. Die Arbeitgruppe um Nuechterlein in Los Angeles zeigte mit dem reizdegradierten CPT, dass Vigilanzeinbußen tatsächlich auf eine Vulnerabilität für Schizophrenie hinweisen können (Nuechterlein et al. 1994). Allerdings fand sich bei Patienten und deren Angehörigen meist nur ein Niveauunterschied, kaum aber ein verstärktes Vigilanzdekrement, also ein ausgeprägteres Nachlassen der Leistung über die Zeit. Dies liegt vermutlich an der gewählten Schwierigkeit der Aufgabe. Verwendet man Stimuli mit systematisch verteilter Degradierung (40–43%), wird der Leistungsunterschied zwischen Patienten und gesunden Kontrollpersonen mit der Zeit größer. Allgemein wird jedoch beklagt, dass die verschiedenen CPT-Versionen nur ungenügend vergleichbar sind. So variieren Testdauer, Stimulusmaterial und Präsentationstechnik, ohne dass deren Auswirkungen hinreichend bekannt sind. Die »Identical pairs«-Version des CPT wurde ebenfalls in Familienstudien eingesetzt. Im New York High Risk Project wurden Kinder schizophrener Mütter längsschnittlich untersucht und Prädiktoren für das Auftreten der Erkrankung identifiziert. Es zeigte sich, dass Einbußen, die mit diesem CPT im Kindes- und Jugendalter gefunden wurden, tatsächlich zur Vorhersage der Schizophreniefälle beitrugen (Cornblatt u. Keilp 1994). Generell erwiesen sich die anspruchsvolleren Varianten des CPT (degradiert, identical pairs, AX; vgl. 7 Abschn. 15.3.2) als sensitiver für Vigilanzdefizite von nichterkrankten Angehörigen schizophrener Patienten als die Standardversion. Die langzeitliche Stabilität der Messwerte scheint bei der
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degradierten Version am höchsten zu sein. Dies ist ein Hinweis darauf, dass Vigilanz bei hoher perzeptueller Belastung Eigenschaftscharakter hat, während zusätzliche Anforderungen an das Arbeitsgedächtnis und die exekutive Kontrolle die Zustandsabhängigkeit der Messung erhöhen. Mit dem reizdegradierten CPT wurden im Vergleich von schizophrenen und bipolaren Patienten zunächst keine Unterschiede gefunden, allerdings blieben die Testwerte bei Schizophreniepatienten relativ stabil, während sie bei bipolaren Patienten deutlich symptombezogener waren. Neuerdings konnte die diagnostische Spezifität von Vigilanzdefiziten verbessert werden, indem auch Reaktionszeitparameter, v. a. bezüglich der Treffer, einbezogen wurden. Zusammenhänge zwischen Vigilanzdefiziten und dem Symptomprofil von Schizophreniepatienten sind nur tendenziell erkennbar. So wurde gelegentlich eine Assoziation mit der Negativsymptomatik berichtet. Insgesamt scheint das Vigilanzdefizit schizophrener Patienten ein relativ stabiles Basismerkmal ihrer Störungsdisposition zu sein. Ein interessanter Ausblick ergibt sich aus einer Analyse von 64 über mehrere Jahre sehr sorgfältig dokumentierten Fällen. Hier fand sich, dass das Vigilanzniveau mit der Rückfallhäufigkeit in schwachem, aber signifikantem Zusammenhang stand (Kathmann et al. 1996).
einer reduzierten Lateralisierung des EKP einher, wie sie auch bereits in Oddball-Aufgaben beobachtet wurde. Prozesse der Reizanalyse und Prozesse der Reizselektion sind in diesen Aufgaben nur schwer zu trennen. Die P3 reflektiert Prozesse der Reizevaluation, die wahrscheinlich durch den Grad der Aufmerksamkeitszuwendung beeinflusst sind. Allerdings ist eine verringerte P3-Amplitude noch kein eindeutiger Indikator einer selektiven Aufmerksamkeitsstörung. Umgekehrt ist auch eine normale P3-Amplitude nicht unbedingt ein Zeichen intakter Aufmerksamkeitsfunktionen. Das verdeutlicht eine Studie von Kayser et al. (2001). Hier wurden normale P3-Amplituden in Oddball-Aufgaben beobachtet, obwohl frühere EKP-Komponenten deutliche Hinweise auf veränderte Aufmerksamkeitsprozesse der Schizophreniepatienten gaben. So waren die N1-und die N2b-Amplituden nach auditorischen Zielreizen bei Schizophreniepatienten deutlich kleiner als bei gesunden Probanden. Die Autoren vermuteten, dass die normale P3-Amplitude das Resultat einer Kompensation der Störung früher Aufmerksamkeitsprozesse ist. Eine Studie von Kathmann et al. (1995) fand bei Schizophreniepatienten ebenfalls normale P3-Amplituden in einer StandardOddball-Aufgabe. Wurden die Aufmerksamkeitsanforderungen gesteigert, vergrößerten sich allerdings nur die P3-Amplituden der gesunden Probanden, nicht aber die der Patienten.
15.4.4 Aufmerksamkeitszuwendung zu seltenen
Frühe Indikatoren für gestörte Selektionsprozesse: N1 und N2b
und aufgabenrelevanten Reizen Reduzierte P3-Amplituden als Indikatoren für Aufmerksamkeitsstörungen Wenn Schizophreniepatienten auf seltene Töne reagieren sollen, ist ihre P3-Amplitude meist kleiner als die von Gesunden (Ford 1999). Dieser oft replizierte Befund wird als Indiz für eine Störung der Selektion relevanter Reize angesehen. Da die P3 späte Prozesse der Reizevaluation abbildet, reflektiert eine reduzierte Amplitude allerdings wohl eher indirekte Folgen und weniger das unmittelbare Korrelat von gestörten Selektionsprozessen. Reduzierte P3-Amplituden zeigen Schizophreniepatienten nicht nur bei seltenen und handlungsrelevanten Reizen, sondern auch bei auditorischen Schreckreizen, die keine Reaktion erfordern. In diesem Fall ist die P3 eher das Resultat einer automatischen Aufmerksamkeitszuwendung. Mehrere Studien haben gezeigt, dass die Amplitude der auditorisch evozierten P3 bei Schizophreniepatienten über temporalen Arealen der linken Gehirnhälfte stärker reduziert ist als über der rechten. Das wird mit Veränderungen im linken temporalen Kortex in Verbindung gebracht und verweist auf eine besondere Beeinträchtigung lateralisierter Verarbeitung. Dafür sprechen auch Untersuchungen mit dichotischen Höraufgaben, bei denen dem linken Ohr ein anderer Reiz (z. B. eine gesprochene Silbe) als dem rechten Ohr dargeboten wird (z. B. ein Ton). Dabei zeigen Schizophreniepatienten Schwierigkeiten bei der Identifikation von Reizen, die auf dem rechten Ohr dargeboten werden (Bruder et al. 1999). Diese Schwierigkeiten gehen mit
Reduzierte Amplituden der N1 und der N2b auf aufgabenrelevante Reize zeigten Schizophreniepatienten konsistent in vielen Studien und unter verschiedenen experimentellen Bedingungen, zum Beispiel in dichotischen Höraufgaben, visuellen Diskriminationsaufgaben und Wiedererkennungsaufgaben für Worte. Sie treten also unabhängig von der Stichprobe, der Reizmodalität oder der Art der Aufgabe auf. Das lässt vermuten, dass reduzierte N1- und N2b-Amplituden bei Schizophreniepatienten eine globale Störung in der Selektion bedeutsamer Reize reflektieren und nicht auf Veränderungen modalitätsspezifischer Wahrnehmungsprozesse beruhen. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um eine Störung zielgerichteter Selektion. Für eine Reduktion der N1-Amplitude auf nicht beachtete Reize gibt es wenig Evidenz. Demgegenüber wurde wiederholt gezeigt, dass Schizophreniepatienten die bei Gesunden gefundene Erhöhung der N1-Amplitude auf zu beachtende Reize gegenüber zu ignorierenden Reizen nicht zeigen. Dieser Unterschied zwischen Gesunden und Schizophreniepatienten tritt insbesondere dann auf, wenn eine frühe Reizselektion für die Aufgabenbearbeitung strategisch günstig ist (Mathalon et al. 2004). Diese Beobachtung unterstützt die Annahme, dass Schizophreniepatienten Schwierigkeiten haben, ihre Aufmerksamkeit zielgerichtet und situationsangepasst auf bestimmte Umweltreize zu lenken.
Zusammenfassung Das ereigniskorrelierte Potenzial nach seltenen und aufgabenrelevanten Reizen hat mehrere Komponenten, deren Amplituden
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bei Schizophreniepatienten reduziert ist. Kleinere N1- und N2bAmplituden bei aufgabenrelevanten Reizen reflektieren wahrscheinlich eine Störung der zielgerichteten Selektion von Reizen. Eine reduzierte P3-Amplitude verweist auf eine Störung in der Aktualisierung von Gedächtnisinhalten, die mit dem Reiz verknüpft sind. Sie kann jedoch Folge der vorangehenden Selektionsstörung sein. 15.4.5 Räumliche Aufmerksamkeitsverteilung
Kurzfristige Aufmerksamkeitsverschiebung nach visuell-räumlichen Hinweisreizen
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Schizophreniepatienten reagieren langsamer als gesunde Probanden, wenn auf Zielreize an verschiedenen Orten im Raum mit einem einfachen Tastendruck reagiert werden soll. Genaueren Aufschluss über die Intaktheit räumlicher Aufmerksamkeitsprozesse geben Experimente mit räumlichen Hinweisreizen (. Abb. 15.4). Meist werden Hinweisreize verwendet, die häufig am Ort des Zielreizes (80%; valide Hinweisreize) und selten am gegenüberliegenden Ort (20%; invalide Hinweisreize) erscheinen. Bei kurzen Zeitabständen zwischen Hinweisreiz und Zielreiz (<200 ms) zeigen Schizophreniepatienten eine überproportional verlangsamte Reaktion auf Zielreize im rechten visuellen Feld, wenn diese auf einen ungültigen Hinweisreiz im linken visuellen Feld folgen (Danckert et al. 2004). Daraus wurde geschlossen, dass diese Patienten Schwierigkeiten haben, die durch den Hinweisreiz automatisch ausgelöste Fokussierung der Aufmerksamkeit auf einen Ort im linken visuellen Feld zu lösen. Dieses Reaktionsmuster, das dem von Patienten mit Läsionen im parietalen Kortex entspricht, konnte allerdings nicht durchgängig repliziert werden. Aufgetreten sind solche Asymmetrien v. a. bei ersterkrankten und unmedizierten Patienten, während viele Untersuchungen an neuroleptisch behandelten Patienten mit chronischer Schizophrenie keine Auffälligkeiten gefunden haben. Es ist denkbar, dass die zugrunde liegende Störung räumlicher Aufmerksamkeitsprozesse nur in bestimmten Krankheitsphasen auftritt und durch neuroleptische Medikation normalisiert wird. Abgesehen von der Asymmetrie zeigen die meisten Studien mit räumlichen Hinweisreizen keinen abweichenden Validitätseffekt bei Schizophreniepatienten im Vergleich zu gesunden Probanden. Eine Ausnahme stellen Bedingungen mit häufigen invaliden und seltenen validen Hinweisreizen dar. Gesunde Probanden reagierten hier bei invaliden (also der Zielreizseite gegenüberliegenden) Hinweisreizen schneller. Vermutlich führt die höhere Wahrscheinlichkeit von invaliden Hinweisreizen dazu, dass es zu einer zielgerichteten Verlagerung der Aufmerksamkeit auf die gegenüberliegende Seite kommt und so die Entdeckung dort auftretender Zielreize erleichtert wird. Schizophreniepatienten reagierten dagegen auch in dieser Aufgabenvariante schneller, wenn Hinweisreiz und Zielreiz auf der gleichen Seite erschienen. Sie zeigten also Evidenz für eine reizgeleitete räum-
liche Aufmerksamkeitverteilung, obwohl diese unter den genannten Bedingungen seltener zu einem Reaktionsvorteil führt als eine zielgerichtete Aufmerksamkeitsverschiebung. Das ist ein deutlicher Hinweis auf Defizite in der zielgerichteten Ausrichtung visuell-räumlicher Aufmerksamkeit.
Inhibition of return (IOR) Schizophreniepatienten zeigen oft keinen oder einen geringeren IOR-Effekt (siehe 7 Abschn. 15.3.3) als gesunde Probanden (Gouzoulis-Mayfrank et al. 2004). Einige Studien lassen vermuten, dass die initiale Aufmerksamkeitsverschiebung zum Ort des Hinweisreizes bei Schizophreniepatienten länger anhält als bei gesunden Probanden und dass der gegenläufige IOR-Mechanismus später einsetzt. Dabei scheint auch der Reaktionsmodus eine Rolle zu spielen. In einer Studie, in der die Probanden mit einer Blickbewegung zum Zielreiz reagierten, waren bei langen Reizabständen keine signifikanten IOR-Unterschiede zwischen Schizophreniepatienten und Gesunden zu beobachten, in anderen Studien mit manuellen Reaktionen hingegen schon. Der IOR-Effekt wird nicht nur durch bloße Hinweisreize ausgelöst, sondern auch durch zu beantwortende Zielreize. So zeigte sich der Effekt auch in einer Sakkadenaufgabe, in der Probanden stets auf links oder rechts von einem Fixationsreiz erscheinende Zielreize mit Blickbewegungen reagieren sollten. Die Reaktionen waren langsamer, wenn ein Zielreiz am gleichen Ort erschien wie der vorangegangene, als wenn der Zielreizort wechselte (Reuter et al. 2006b). Dieser IOR-Effekt erwies sich in einer neuen Studie bei Schizophreniepatienten nicht als vermindert, sondern tendenziell sogar als vergrößert im Vergleich zu gesunden Probanden (Franke et al. 2007). Der Zeitabstand zwischen zwei Zielreizen betrug in dieser Blickbewegungsaufgabe 2,5 s. In den Standarduntersuchungen zu IOR bei Schizophreniepatienten wurden ansonsten nur Zeitabstände von bis zu 1200 ms zwischen Hinweis- und Zielreiz untersucht. Der geringere IOR-Effekt bei den kürzeren Zeitabständen und der tendenziell größere Effekt bei den längeren Zeitabständen lassen vermuten, dass IOR bei Schizophreniepatienten nicht nur später einsetzt, sondern auch länger anhält als bei gesunden Probanden. Es ist aber noch genauer zu untersuchen, welche Rolle die unterschiedlichen Reaktionsanforderungen (insbesondere manuelle Reaktionen vs. Blickbewegungen) spielen. 15.4.6 Latente Hemmung Baruch et al. (1988) waren die ersten, die nachgewiesen haben, dass Schizophreniepatienten verminderte Latente Hemmung zeigen. Das galt allerdings nur für akut erkrankte Patienten, nicht aber für chronische. Letztere waren zum Zeitpunkt der Untersuchung frei von Halluzinationen und anderen positiven Symptomen. Die präexponierte Gruppe akuter Patienten lernte eine neue Assoziation mit diesem Reiz sogar schneller als die nicht präexponierte Gruppe, während sich in den Leistungen chro-
177 15.4 · Störungen der Aufmerksamkeitsfunktionen bei Schizophrenie
nischer Patienten ebenso wie jenen der gesunden Probanden ein Effekt Latenter Hemmung widerspiegelte. Der verringerte Hemmungseffekt der akuten Patienten war sechs Wochen später bei einer Folgeuntersuchung bereits nicht mehr zu beobachten. Dies könnte an der sich langsam entfaltenden Wirkung der neuroleptischen Medikation, nämlich einer zunehmenden Dopaminblockade, gelegen haben. Der Einfluss der dopaminergen Transmission auf die Latente Hemmung gilt als relativ gut belegt (vgl. . Abb. 3.3). Der Befund von Baruch et al. wurde später bestätigt. Dabei zeigte sich auch, dass nicht die Gesamtschwere der Störung das Hemmungsdefizit erklärt, sondern die Dauer der Erkrankung und der relative Anteil der Positivsymptomatik an der Gesamtsymptomatik. Derzeit ist nicht geklärt, ob krankheitsspezifische Veränderungen des Dopaminsystems, die kumulierte Wirkung der neuroleptischen Medikation oder adaptive kognitive Prozesse, die sich im Verlauf der Erkrankung entwickeln, für die variierende Ausprägung des Effekts der Latenten Hemmung bei Schizophreniepatienten entscheidend sind. In einer Studie, die statt einer instrumentellen Lernaufgabe eine Reaktionszeitaufgabe mit validem Hinweisreiz verwendete (Kathmann et al. 2000; vgl. 7 Abschn. 15.3.3 und . Abb. 15.5), zeigten Schizophre-
. Abb. 15.7. Reaktionslatenzen und N1-Amplituden auf den Hinweisreiz (CS+) in Gruppen von gesunden Probanden (KON), akuten Schizophreniepatienen (ak SCH) und teilremittierten Schizophreniepatienen (re SCH). Alle Gruppen zeigen einen Effekt latenter Hemmung in der Reaktionslatenz. Bei gesunden Probanden ist die N1-Amplitude nach Präexposition vermindert, bei teilremittierten Patienten unverändert und bei akuten Patienten erhöht. (Adaptiert aus Kathmann et al. 2000)
15
niepatienten ebenso wie gesunde Probanden einen deutlichen Reaktionszeitnachteil, wenn sie mit dem Hinweisreiz Vorerfahrung hatten (. Abb. 15.7). Die N-Amplitude des EKP auf den Hinweisreiz war bei akuten Schizophreniepatienten in der präexponierten Gruppe höher als in der Gruppe ohne Präexposition (. Abb. 15.7). Das legt nahe, dass – trotz vorheriger Irrelevanz – dieser Reiz vermehrte Aufmerksamkeit auf sich zog, anstatt wie bei gesunden Probanden mit verminderter Aufmerksamkeit verarbeitet zu werden. Teilremittierte Patienten lagen wie erwartet zwischen akuten Patienten und gesunden Probanden. Schizophreniepatienten scheinen also weniger kontextadäquat zu selektieren; sie verarbeiten ihre Umgebung eher reiz- als aufgabengesteuert. Diese Auffälligkeit steht sehr wahrscheinlich in Verbindung mit der floriden psychotischen Symptomatik, die v. a. von Wahn und Halluzinationen gekennzeichnet ist. 15.4.7 Negative Priming Die Stärke der kognitiven Hemmung im Negative-Priming-Paradigma erwies sich bei Schizophreniepatienten wiederholt als vermindert (z. B. MacQueen et al. 2003). Ein solcher Befund kann so interpretiert werden, dass entweder die Irrelevanz der Distraktoren in der Informationsverarbeitung nicht genügend repräsentiert ist oder dass die Hemmung nicht effizient gelingt. Da die Patienten durchaus in der Lage sind, die Basisaufgabe effizient zu bewältigen, kann eine mangelnde Aufgabenorientierung nicht die Erklärung für das NP-Defizit sein. Verringertes NP bei Schizophreniepatienten wurde in verschiedenen Aufgabenvarianten festgestellt, die räumliches oder identitätsbezogenes Priming induzierten. Daraus könnte man die Vermutung ableiten, dass ein aufgabenübergreifender Hemmungsmechanismus beeinträchtigt ist. Allerdings finden sich auch Ergebnisse, die damit inkompatibel sind. So war in einer Stroop-Aufgabe das NP-Defizit nur bei sehr kurzen Präsentationszeiten nachweisbar, was eher auf eine perzeptuelle Einbuße als auf eine echte Schwäche der kognitiven Hemmung hinweist. Bei räumlichen NP-Aufgaben fand sich die Abhängigkeit von der Darbietungszeit nicht. Mehrfach wurde gezeigt, dass der individuelle psychopathologische Zustand der Patienten in Zusammenhang mit der NP-Stärke steht. Akute Patienten mit starker Ausprägung psychotischer Symptome waren durchweg mehr in ihrer Fähigkeit zu kognitiver Hemmung eingeschränkt als remittierte Patienten sowie chronische mit relativ geringer Positivsymptomatik. Deutliche Anzeichen mangelnden Realitätskontaktes sagten schlechtes NP vorher, während die Negativsymptomatik kaum mit NP korrelierte. Dies konnte in einer eigenen Studie bestätigt werden. Überwog die Positivsymptomatik gegenüber der Negativsymtomatik, war kein Negatives Priming mehr zu beobachten, überwog dagegen die Negativsymptomatik gegenüber der Positivsymptomatik, zeigten die Patienten größere NP-Effekte als Gesunde (. Abb. 15.8). Als Gesamtgruppe unterschieden sich die Patienten nicht von den Kontrollen. Dies unterstreicht, wie
178
Kapitel 15 · Aufmerksamkeit – Psychologie
. Abb. 15.8. Negative-Priming-Effekte in der Identitätsaufgabe bei Gruppen von gesunden Probanden (KON), Schizophreniepatienten mit vorwiegender Positivsymptomatik (SCH-P) und Schizophreniepatienten mit vorwiegender Negativsymptomatik (SCH-N). Bei SCH-P-Patienten ist der Negative-Priming-Effekt fast gänzlich verschwunden, bei SCH-N-Patienten im Vergleich zu gesunden Probanden hingegen vergrößert (Kathmann, unveröffentlichte Daten)
wichtig eine symptomorientierte Betrachtung kognitiver Auffälligkeiten bei Schizophreniepatienten ist. 15.5
15
Zusammenfassung und Ausblick
Aufmerksamkeit ist ein Begriff, der für verschiedene Eigenschaften menschlicher Informationsverarbeitung verwendet wird. In der Differenziellen Psychologie wird Aufmerksamkeit oft als eine Voraussetzung für die Erbringung sonstiger kognitiver Leistungen verstanden und mit psychometrischen Leistungstests erfasst. In solchen Tests zeigen Schizophreniepatienten moderate Leistungsdefizite. Solche Defizite reflektieren neben unspezifischen Leistungsbeeinträchtigungen vermutlich auch Störungen der Reizselektion und der Handlungsregulation. Eine genauere Charakterisierung der Störungen erscheint aber nur möglich, wenn verschiedene Prozesse mit kognitionspsychologischen Methoden experimentell dissoziiert werden. In der Kognitionspsychologie unterscheidet man zwischen Aufmerksamkeit als einer globalen Aufnahmefähigkeit für Umgebungsreize und Aufmerksamkeit im Sinne von Prozessen zur Selektion von Wahrnehmungsinhalten. Wenn man die allgemeine Aufnahmefähigkeit über die Geschwindigkeit der Entdeckung neuer Reize operationalisiert (Alertness), findet man bei Schizophreniepatienten keine gravierenden Störungen. Die Fähigkeit zur Aufrechterhaltung der Alertness über die Zeit wird als Vigilanz oder Daueraufmerksamkeit bezeichnet. Sie wurde häufig mit dem Continuous Performance Test untersucht. Dabei zeigten Schizophreniepatienten und deren erstgradig Verwandten zumeist geringere Entdeckungsleistungen als Gesunde.
Prozesse selektiver Aufmerksamkeitszuwendung wurden mit verschiedenen Methoden untersucht. Das ereigniskorrelierte Potenzial nach visuellen und auditorischen Reizen ist bei Schizophreniepatienten v. a. dann verändert, wenn der Reiz für eine aktuelle Aufgabe beachtet werden muss. Das Auftreten neuer visueller Reize führt bei Schizophreniepatienten wie bei Gesunden zu einer Fokussierung der Aufmerksamkeit am Reizort. Jedoch können Schizophreniepatienten die Aufmerksamkeit weniger gut von einem Reizort lösen und zielgerichtet an einen anderen Ort verlagern. Wird in einem bestimmten Kontext gelernt, dass ein Reiz irrelevant ist, wird er in einem neuen Kontext weniger gut mit neuen Reizen assoziiert als andere Reize. Diese vermutlich auf »gelernter Unaufmerksamkeit« basierende Latente Hemmung ist bei Schizophrenie weniger stark ausgeprägt. Auch die unmittelbare Hemmung irrelevanter Reizaspekte ist bei Patienten mit Schizophrenie reduziert. Insgesamt beziehen sich Aufmerksamkeitsstörungen von Schizophreniepatienten vorwiegend auf Selektionsprozesse. Dabei ist insbesondere die zielgerichtete Steuerung der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung beeinträchtigt. Es finden sich aber auch Störungen relativ automatischer Prozesse, die normalerweise zur Nichtbeachtung von irrelevanten Informationen führen. Die fehlende Hemmung irrelevanter Informationen ist mit dem Auftreten positiver Symptome verknüpft. Ansonsten ist die Befundlage für Zusammenhänge zwischen Aufmerksamkeitsstörungen und spezifischer Psychopathologie uneinheitlich. Die meisten der beschriebenen Störungen sind nicht auf psychopharmakologische Behandlung zurückzuführen. Eher führen Neuroleptika zu einer gewissen Normalisierung der kognitiven Funktionen. Für die weitere Forschung sollten genauere Hypothesen zum Zusammenhang zwischen experimentell definierten Aufmerksamkeitsprozessen und einzelnen psychopathologischen Symptomen formuliert und gezielt überprüft werden.
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16 Aufmerksamkeit – Bildgebung Bianca Voß und Renate Thienel
16.1
Hirnphysiologische Korrelate von Aufmerksamkeitskomponenten bei Gesunden – 181
16.1.1 16.1.2 16.1.3
Die drei Aufmerksamkeitssysteme nach Posner und Petersen – 181 Das Aufmerksamkeitsmodell nach van Zomeren und Brouwer – 182 Befunde aus bildgebenden Studien bei Gesunden – 183
16.2
Hirnfunktionelle Aufmerksamkeitsdefizite bei Patienten mit Schizophrenie – 185
16.2.1 16.2.2
Defizite der selektiven Aufmerksamkeit bei Schizophrenie – 185 Befunde aus bildgebenden Untersuchungen bei Patienten mit Schizophrenie zur selektiven Aufmerksamkeit – 186 Defizite im Bereich Daueraufmerksamkeit bei Schizophrenie – 189 Befunde aus bildgebenden Studien zu Defiziten in der Daueraufmerksamkeit bei Schizophrenie – 190
16.2.3 16.2.4
16.3
Zusammenfassung und Ausblick – 193 Literatur
– 193
181 16.1 · Hirnphysiologische Korrelate von Aufmerksamkeitskomponenten bei Gesunden
Wie im vorangegangenen Kapitel dargestellt, gehören Störungen der Aufmerksamkeit zu den grundlegenden Charakteristika der schizophrenen Symptomatik. Zur genaueren Darstellung dieser Defizite werden in diesem Kapitel zuerst die in der funktionellen Magnetresonanztomographie(fMRT)-Forschung gängigen Einteilungen in Aufmerksamkeitssubkomponenten beschrieben. Im Anschluss werden dann diejenigen Komponenten, die im Zusammenhang mit Schizophrenie besonders relevant sind, genauer diskutiert. Das Verständnis von Aufmerksamkeit und deren Beeinträchtigung zu verbessern gehört zu den wichtigen Zielen der Kognitionswissenschaften und ist trotzdem nur sehr schwer zu erfassen. Das Hauptproblem liegt nach wie vor in der Einigung auf eine allgemeingültige Definition des Begriffs und der Reichweite des Phänomens »Aufmerksamkeit«. Für diese zwei Fragen existieren vermutlich genauso viele Antworten und Meinungen, wie es Aufmerksamkeitsforscher gibt. Der Grund für dieses Problem ist darin zu sehen, dass Aufmerksamkeit ein sehr komplexes Phänomen darstellt, das nur durch explizite Schwerpunktsetzung einzugrenzen ist. Das Problem der nach wie vor uneinheitlichen und teilweise auch widersprüchlichen Definition von Aufmerksamkeitskomponenten und deren Zuordnungen kann im Rahmen dieses Kapitels nicht gelöst werden. Aus diesem Grund wurden für dieses Kapitel die wesentlichen Defizite, die bei Schizophrenie nachweisbar sind und bereits mit Hilfe von bildgebenden Untersuchungen eingehender untersucht wurden, herausgegriffen. Sie werden im Folgenden genauer dargestellt. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um zwei Aufmerksamkeitskomponenten: Aufmerksamkeitsaktivierung und Aufmerksamkeitsselektivität. Entsprechend der Schwierigkeit, ein komplexes Konstrukt wie Aufmerksamkeit bei Gesunden hinreichend befriedigend und umfassend zu beschreiben, kann auch bezogen auf die funktionelle Untersuchung der bei Schizophrenie veränderten zerebralen Aufmerksamkeitsprozesse nicht von Dysfunktionen in einzelnen, abgrenzbaren zerebralen Strukturen ausgegangen werden, die Störungen im Bereich der Aufmerksamkeit bei den Patienten erklärbar machen. Vielmehr handelt es sich um eine Vielzahl kortikaler und subkortikaler Strukturen, die durch komplexe Verschaltungen Aufmerksamkeitsprozesse ermöglichen oder deren normale Abläufe behindern. Mittels bildgebender Verfahren konnten einige dieser neuronalen Systeme identifiziert werden. Das hirnfunktionelle Wissen über die zum Teil autonom, zum Teil intergagierend arbeitenden Netzwerke kann auch therapeutisch-rehabilitativ von großem Nutzen sein. Aufmerksamkeitsdefizite gelten als schizophrenietypisch, sie sind genetisch veranlagt, entwicklungsstabil und können nicht durch die Einnahme antipsychotischer Mediaktion verbessert werden. Vor allem Defizite im Bereich der Aufmerksamkeit gehören zu den stabilen Merkmalen der Schizophrenie und wurden bereits von Kraepelin als charakteristisches Merkmal der Dementia praecox beschrieben:
16
»… so besteht doch dabei nicht selten große Ablenkbarkeit, die ein längeres Festhalten bei demselben Gegenstande unmöglich macht«. (Kraepelin 1904, S 179)
Nach Ansicht von Kraepelin standen die Schwierigkeiten der betroffenen Patienten, ihre Aufmerksamkeit für eine beliebig lange Zeit aufrechtzuerhalten, in engem Bezug zu der von ihm ebenfalls beschriebenen pathologischen Diskontinuität des Denkens. Eugen Bleuler hingegen sprach von einer gestörten selektiven Aufmerksamkeit mit einer korrespondierenden erhöhten Distraktibilität: »Die Auslese, die die normale Aufmerksamkeit unter den Sinneseindrücken trifft, kann bis auf Null herabgesetzt sein, sodass fast alles registriert wird, was den Sinnen zugeht. Die bahnende wie die hemmende Eigenschaft der Aufmerksamkeit ist also in gleicher Weise gestört«. (Bleuler 1911, S 56)
16.1
Hirnphysiologische Korrelate von Aufmerksamkeitskomponenten bei Gesunden
Um von Aufmerksamkeitsdefiziten oder -abweichungen sprechen zu können, bedarf es zunächst eines Referenzbefundes, also einer Darstellung von Aufmerksamkeitskomponten, wie sie im sog. Normalfall oder bei ungestörter Verarbeitung ablaufen würden. Mit diesen Befunden können dann die Ergebnisse von Patienten mit Schizophrenie verglichen werden, um Unterschiede oder Abweichungen festzustellen. Aktuelle neuropsychologische Aufmerksamkeitstheorien (7 Kap. 15) postulieren eine unterschiedlich große Anzahl funktionell unterscheidbarer, sich zum Teil überlappender Aufmerksamkeitsnetzwerke. In diesem Kapitel wollen wir versuchen, einen Einblick über bislang bestehende bzw. aktuell diskutierte Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Aufmerksamkeitsforschung zu geben, die mit Hilfe von bildgebenden Verfahren gewonnen wurden. Die konzeptuellen Hintergründe dieses Kapitels folgen zwei verschiedenen Aufmerksamkeitsmodellen: zum einen dem Aufmerksamkeitsmodell von Posner und Petersen und zum anderen dem Modell von van Zomeren und Brouwer. Diese Modelle werden im Folgenden noch einmal kurz dargestellt, bevor dann im weiteren Verlauf die Ergebnisse aus bildgebenden Untersuchungen bei Gesunden berichtet werden. 16.1.1 Die drei Aufmerksamkeitssysteme
nach Posner und Petersen Gemäß dem Modell von Posner und Petersen (1990) liegen der Aufmerksamkeit drei unterscheidbare Subsysteme zugrunde, die mit unterschiedlichen zerebralen Netzwerken und Neurotransmittersystemen assoziiert werden:
182
Kapitel 16 · Aufmerksamkeit – Bildgebung
! Die drei Aufmerksamkeitssysteme nach Posner/Petersen: 1. Aufmerksamkeitsaktivierung/Alertness 2. Aufmerksamkeitsausrichtung/Orienting 3. Exekutive Kontrolle/Executive Functioning
Aufmerksamkeitsaktivierung/Alertness Der Begriff »Alertness« beschreibt die ungerichtete Aufmerksamkeit bzw. die allgemeine Reaktionsbereitschaft und Wachheit. Er bezieht sich somit auf eine Änderung des internen Zustandes in Vorbereitung auf die Wahrnehmung eines Reizes. Diese grundsätzliche Aktivierung kann auch als basale Aufmerksamkeitsdimension verstanden werden und ist Voraussetzung höherer oder komplexerer Aufmerksamkeitsfunktionen wie beispielsweise der Vigilanz oder der fokussierten Aufmerksamkeit. Hirnfunktionell ist dieses Aufmerksamkeitssystem mit Aktivierungen in rechtshemsphärischen frontalen und parietalen Arealen assoziiert und wird mit dem Norepinephrinsystem in Verbindung gebracht (Witte u. Marrocco 1997). Als Maß für Alertness dient gewöhnlich die Differenz zwischen der Reaktionszeit auf einfache visuelle Reize mit und ohne Warnton. Die allgemeine Wachheit wird noch einmal in tonische und phasische Wachheit unterschieden. Tonische Wachheit bezeichnet den physiologischen Wachzustand des Organismus, phasische Wachheit hingegen beschreibt die plötzliche Zunahme der Aufmerksamkeit als unmittelbare Folge eines Warn- oder Hinweisreizes.
Aufmerksamkeitsorientierung/Orienting Diese Aufmerksamkeitskomponente dient der Selektion von Informationen aus dem sensorischen Input. Dies kann reflexiv oder willkürlich, verdeckt oder offen erfolgen. Diese Aufmerksamkeitskomponente wird auch als selektive oder fokussierte Aufmerksamkeit bezeichnet. Im allgemeinen Sprachgebrauch bezieht sich der Ausdruck »Aufmerksamkeit« in den meisten Fällen auf eben diese Komponente, da sie dem Verständnis von Konzentrationsfähigkeit oder der Fähigkeit, Informationen gezielt auszuwählen, stetig und zielgerichtet einer Aufgabe nachzugehen und konkurrierende Handlungstendenzen zu unterdrücken, entspricht.
16
! Selektive oder fokussierte Aufmerksamkeit bezeichnet die Fähigkeit, schnell und richtig auf relevante Stimuli zu reagieren und sich nicht von irrelevanten Aspekten einer Aufgabe oder anderen Stimuli ablenken zu lassen.
Aufmerksamkeitsorientierung wird auch als »posteriores Aufmerksamkeitssystem« bezeichnet, da sie u. a. den posterioren Parietalkortex, den superioren Colliculus und den lateralen Pulvinarkern im posterolateralen Thalamus umfasst. Es werden drei Subsysteme des Aufmerksamkeitsausrichtungssystems unterschieden: »Disengagement« (Loslösung/Entkopplung des Aufmerksamkeitsfokus), »Shifting« (Verschiebung der Aufmerksamkeit) und »Engagement« (Fokussierung/Kopplung auf/an das neue Objekt). Die Aufmerksamkeitsausrichtungsfunktion kann durch
die Applikation von Hinweisreizen (auch »Cues« genannt) variiert werden, indem der Hinweisreiz anzeigt, wo die Versuchsperson im Raum den zu orientierenden Stimulus erwarten kann. Durch solche Cues induzierte Aufmerksamkeitsausrichtungsreaktionen gingen in einer fMRT-Studie mit Aktivierung im superioren Parietallappen einher. Neurochemisch spielt bei der »Aufmerksamkeitsausrichtung« v. a. Acetylcholin eine wichtige mediierende Rolle (Friedman 2004; Muir et al. 1992; Witte et al. 1997).
Exekutive Kontrolle/Executive Functioning Diese Komponente der Aufmerksamkeit umfasst komplexe mentale Vorgänge, die der Lösung von Antwortkonflikten, dem Planen, der Inhibition und dem »set-shifting« dienen. Diese Vorgänge werden oft in Aufgaben mit kognitivem Konflikt, wie zum Beispiel dem Stroop-Test (Stroop 1935), erfasst. Neuronale Korrelate exekutiver Aufmerksamkeitsfunktionen liegen im anterioren zingulären Kortex, im lateralen präfrontalen Kortex sowie in den Basalganglien. Diese Funktionen sind vorwiegend dopaminmediiert. 16.1.2 Das Aufmerksamkeitsmodell
nach van Zomeren und Brouwer Das Aufmerksamkeitsmodell nach van Zomeren und Brouwer (1994) systematisiert zentrale Aspekte der Aufmerksamkeit und unterscheidet dabei zwei wesentliche Aspekte der Aufmerksamkeit (. Abb. 16.1): Selektivität und Intensität. Dem Bereich der Selektivität werden in diesem Modell die fokussierte sowie die geteilte Aufmerksamkeit zugeordnet, zu dem Aspekt der Intensität gehören die langfristige Aufmerksamkeit, die noch einmal unterschieden wird in Vigilanz und Daueraufmerksamkeit sowie die Aufmerksamkeitsaktivierung oder Alertness, die weiter unterschieden wird in tonische und phasische Aufmerksamkeitsaktivierung.
Daueraufmerksamkeit und Vigilanz Da für dieses Kapitel, in dem v. a. auf Aufmerksamkeitsbefunde aus der Schizophrenieforschung eingegangen werden soll, die Komponente der längerfristigen Aufmerksamkeit eine wesentliche Rolle spielt, wollen wir im folgenden Abschnitt diese Komponente, die gemäß dem Modell von van Zomeren und Brouwer zu dem Aspekt der Aufmerksamkeitsintensität gehört, vertiefen. Bei der Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum unterscheidet man zwei Begriffe: ! Vigilanz bezeichnet die Fähigkeit, relevante, aber nur selten und unregelmäßig auftretende Stimuli über lange Zeitperioden (Minuten bis Stunden) zu entdecken. Daueraufmerksamkeit hingegen bezeichnet die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit über längere Zeit hinweg auf eine oder mehrere Informationsquellen zu richten, um relevante Stimuli zu entdecken, die in höherer zeitlicher Dichte auftreten.
183 16.1 · Hirnphysiologische Korrelate von Aufmerksamkeitskomponenten bei Gesunden
16
. Abb. 16.1. Darstellung des Aufmerksamkeitsmodells nach van Zomeren und Brouwer (1994)
Gemeinsam ist beiden Konstrukten der Aspekt der längerfristigen Aufmerksamkeitszuwendung; der Unterschied zwischen Vigilanz und Daueraufmerksamkeit liegt in der Frequenz der relevanten Reize. Da im Rahmen der Schizophrenieforschung diese Begriffe mitunter gleichgesetzt werden, sollen in diesem Kapitel vorwiegend allgemeine Defizite im Bereich der längerfristigen Aufmerksamkeit bei Schizophrenie dargestellt werden und lediglich an einigen Stellen explizit auf differenzielle Aspekte von Vigilanz und Daueraufmerksamkeit eingegangen werden. An diesem Punkt wird noch einmal deutlich, wie schwierig eine Abgrenzung zwischen den verschiedenen Aufmerksamkeitskonzepten ist und wie schwierig sich eine eindeutige Definition verschiedener Aufmerksamkeitskomponenten gestaltet. Aus diesem Grund ist es notwendig, bei Berichten über Ergebnisse aus dem Bereich der Aufmerksamkeitsforschung Angaben über das jeweils zugrunde liegende Aufmerksamkeitskonzept zu machen. 16.1.3 Befunde aus bildgebenden Studien
bei Gesunden Das Aufmerksamkeitsnetzwerk von Posner und Petersen wurde auch mit Hilfe bildgebender Verfahren untersucht. Hierbei lag ein besonderes Interesse auf der Klärung der Frage, ob die drei Netzwerke voneinander unabhängig arbeiten oder ob es zwischen den einzelnen Komponenten Vernetzungen und Interaktionen gibt.
Der Attention Network Test Um die drei von Posner und Petersen postulierten Aufmerksamkeitsnetzwerke zu untersuchen, wurde ein spezielles Paradigma entwickelt (. Abb. 16.2), welches in der Lage ist, mit Hilfe einfacher Variationen die drei Netzwerke spezifisch zu beanspruchen. Das Verfahren wurde daher als »Attention Network Test« (ANT) bezeichnet und ist auch für die Durchführung bildgebender Untersuchungen gut geeignet, da es als Reaktionskriterium lediglich einen Tastendruck verlangt. Der ANT ist eine Kombination aus Paradigma mit Distraktorreizen (Flanker-Paradigma) und Reaktionszeitaufgabe mit Hinweisreizen. In der ereigniskorrelierten (»event-related«) Form nach Fan et al. (2002) werden nach rechts oder links weisende Pfeile über oder unter einem Fixationskreuz dargeboten. Die Aufgabe der Versuchsperson ist es jeweils anzugeben, ob der Pfeil nach rechts oder links weist. Diese »Targets« (Ziele) werden zum Teil durch die sog. Flanker-Reize flankiert, die aus entweder neutralen, konguenten (zusätzliche Pfeile, die in dieselbe Richtung wie der Target-Pfeil zeigen) oder inkongruenten, zusätzlichen Pfeilen bestehen. Zusätzlich werden diese Stimuli in der Bedingung »Cue« (Hinweisreiz) durch einen vorangehenden Reiz (»Cue«) antezediert. Die Bedingung »Cue« beinhaltet keinen, einen einfachen, einen doppelten oder räumlich variierende Hinweisreize. Diese Hinweisreize beeinflussen die Reaktionszeit auf die Targetstimuli. Mit Hilfe des Attention Network Test konnten Fan et al. (2005) die drei spezifischen Netzwerke für Aufmerksamkeitsaktivierung, -ausrichtung und exekutive Kontrolle bei gesunden Probanden
184
16
Kapitel 16 · Aufmerksamkeit – Bildgebung
. Abb. 16.2. Illustration des Attention Network Tests. Dargestellt sind sowohl der Ablauf des Tests als auch Beispiele für die zwei Target-Bedingungen (kongruent vs. inkongruent) sowie die drei Hinweis-Variationen
(kein Hinweisreiz, zentraler Hinweisreiz, orientierender Hinweisreiz). (Reprinted from Fan et al. 2005, with permission from Elsevier)
weitgehend unabhängig voneinander nachweisen. Dabei kann jede Aufmerksamkeitskomponente mit Hilfe verschiedener ANTParameter erfasst werden: Aufmersamkeitsaktivierung wurde ermittelt über den Vergleich der Reaktionen auf Durchgänge mit zentralem Hinweisreiz und Durchgängen ohne Hinweisreiz (. Abb. 16.3, »alerting network«), Aufmerksamkeitsausrichtung wurde ermittelt über den Vergleich der Reaktionen auf Durchgänge mit räumlichem Hinweisreiz und Durchgängen mit zentralem Hinweisreiz (. Abb. 16.3,»orienting network«), und die exekutive Kontrolle wurde ermittelt über den Vergleich der Reaktionen auf kongruenteundinkongruenteHinweisreize(. Abb. 16.3,»executive network«). Die Autoren konnten somit nachweisen, dass sich unterscheidbare Aktivierungsmuster in spezifischen kortikalen Arealen abhängig von den drei Aufmerksamkeitsnetzwerken darstellen lassen. Die Aktivierungen entsprachen dabei den Erwartungen. In der Aufmerksamkeitsaktivierungsbedingung (»Alertness«) konnten signifikante Aktivierungen innerhalb des häufig replizierten frontoparietalen Netzwerkes sowie im Thalamus nachgewiesen werden, innerhalb der Aufmerksamkeitsausrichtungsbedingung wurden die ebenfalls aus der Literatur bekannten vorwiegend posteriorparietalen Aktivierungen nachgewiesen, so-
wie bei der Bedingung zur Erfassung der exekutiven Kontrolle Aktivierungen in den Bereichen des anterioren Zingulums und frontaler Areale sowie im fusiformen Gyrus. Bildgebende Studien, die die Mechanismen der längerfristigen Aufmerksamkeit bei gesunden Kontrollprobanden untersuchten, konnten übereinstimmend sowohl für das Konzept der Vigilanz als auch für das Konzept der Daueraufmerksamkeit ein rechtshemisphärisches frontoparietales Netzwerk nachweisen. Dabei stammt der Großteil der Ergebnisse aus PET-Studien. So wiesen beispielsweise Pardo et al. schon 1991 stärkere Aktivierungen im dorsolateralen präfrontalen Kortex und im superioren Parietalkortex nach, Paus et al. konnten 1997 mit einem 60-Minuten-Vigilanzparadigma eine zeitabhängige Abnahme der zerebralen Aktivität im ventrolateralen und dorsolateralen präfrontalen Kortex, in Regionen des Parietal- und Temporallappens sowie im Thalamus nachweisen. Das rechtshemisphärische frontoparietale Netzwerk ist auch in fMRT-Studien nachgewiesen worden. So konnten Lewin et al 1996 mit Hilfe ihres Paradigmas nachweisen, dass bei einem Paradigma zur Daueraufmerksamkeit unabhängig von der Modalität der dargebotenen Stimuli Aktivierungen im besagten Netzwerk zu finden sind (. Abb. 16.4).
185 16.2 · Hirnfunktionelle Aufmerksamkeitsdefizite bei Patienten mit Schizophrenie
16.2
16
Hirnfunktionelle Aufmerksamkeitsdefizite bei Patienten mit Schizophrenie
16.2.1 Defizite der selektiven Aufmerksamkeit
bei Schizophrenie
. Abb. 16.3. Darstellung der Aktivierungen innerhalb der drei Aufmerksamkeitsnetzwerke bei Gesunden (Reprinted from Fan et al. 2005, with permission from Elsevier) (7 Farbtafeln, S. 653)
. Abb. 16.4. Nachweis des frontoparietalen Netzwerks zur Daueraufmerksamkeit (aus Lewin et al. 1996) (7 Farbtafeln, S. 653)
Wie bereits beschrieben, bezeichnet der Begriff der selektiven oder fokussierten Aufmerksamkeit die Auswahl von Informationen aus dem sensorischen Input, die einer genaueren Verarbeitung zugeführt werden sollen. Dieser Selektionsprozess verläuft sehr komplex und vielfältig und hat sich bei Patienten mit Schizophrenie als mitunter stark beeinträchtigt erwiesen. Um die Defizite im Bereich der selektiven Aufmerksamkeit bei Patienten mit Schizophrenie verstehen zu können, ist es hilfreich, noch einmal kurz die wesentlichen Merkmale ungestörter selektiver Aufmerksamkeit in Erinnerung zu rufen. Bei Prozessen selektiver Aufmerksamkeit wird die Aufmerksamkeit einer ausgewählten Reizquelle zugewandt, wobei gleichzeitig andere Reizquellen ausgeblendet werden. Diese Aufmerksamkeitsverlagerung wird als »shift of attention« bezeichnet und kann sowohl offen bzw. bewusst als auch verdeckt bzw. unbewusst ablaufen. Anstelle der Bezeichnungen offen vs. verdeckt spricht man auch von »overt« bzw. »covert orienting«. Beide Formen der Orientierung können sowohl reflexiv durch externale Stimulation als auch willentlich durch internal generierte Signale kontrolliert werden. Patienten mit Schizophrenie haben Schwierigkeiten, ihre Aufmerksamkeit auf bestimmte, relevante Stimuli zu fokussieren und dabei gleichzeitig irrelevante Stimuli auszublenden bzw. zu ignorieren. Ihre Aufmerksamkeit ist aus diesem Grund leichter ablenkbar, was im Alltag zu starken Konzentrationsbeeinträchtigungen führt und in der Folge weiterführende kognitive Funktionen beeinträchtigt. Schizophrene Patienten verarbeiten irrelevante und redundante Informationen bewusst statt automatisch, was im Sinne einer Reizüberflutung zu einer Überbeanspruchung der Verarbeitungskapazität führt, die u. a. durch die Gedächtnis- bzw. Aufmerksamkeitsspanne festgestellt werden kann. Dies ruft einerseits positive Symptome wie positive formale Denkstörungen, Wahn und z. T. Halluzinationen hervor, andererseits kommt es im Sinne sekundärer Kompensationsmechanismen zu sozialem Rückzug, Affektverflachung und eingeengtem Aufmerksamkeitsfeld, also zu Negativsymptomen. Einige Untersucher fanden eine Assoziation zwischen Störungen der selektiven Aufmerksamkeit und Paranoia sowie positiver Symptomatik, während eine generell verminderte Verarbeitungskapazität mit negativer Symptomatik und gestörter »alertness« (Aktivierung, Wachheit) zusammenhing (Gebauer u. Lamberti 1995).
186
Kapitel 16 · Aufmerksamkeit – Bildgebung
Paradigmen zur Untersuchung der selektiven Aufmerksamkeit bei Schizophrenie Das Oddball-Paradigma Selektive Aufmerksamkeit oder Aufmerksamkeitsausrichtung kann mit Hilfe des sog. Oddball-Target-Detection-Test erhoben werden. In diesem Paradigma soll die Versuchsperson per Knopfdruck auf bestimmte, unregelmäßig dargebotene Zielreize (»targets«) reagieren, während sie gleichzeitig häufig wiederkehrende Standardreize (»standards«) ignorieren soll. Dieses Paradigma kann in auditorischer oder visueller Form dargeboten werden. In einer häufig angewandten Variante des Oddball-Paradigmas, dem »Oddball Novelty Task«, wird neben den häufig wiederkehrenden Standardreizen zusätzlich ein Distraktorreiz dargeboten, der aus nichtwiederholten neuartigen Reizen (»novels«) besteht, auf die ebenso wie auf die Standardreize keine Verhaltensantwort erfolgen soll. Diese Variante ermöglicht neben dem Vergleich zwischen Ziel- und Standardreiz auch den Vergleich zwischen Ziel- und neuen Reizen und ist daher besonders für die Aufklärung der Aufmerksamkeitsauffälligkeiten im Rahmen der Schizophrenie geeignet. Denn so kann spezifisch untersucht werden, ob Patienten mit Schizophrenie Defizite im Umgang mit seltenen oder neuartigen Reizen haben oder ob es differenziertere Auffälligkeiten im Umgang mit seltenen Reizen gibt in Abhängigkeit davon, ob diese Stimuli verhaltensrelevant sind oder nicht.
druckt wurde) gerichtet werden bei simultaner Ausblendung einer anderen prominenten Dimension (das gedruckte Wort als solches). In Anlehnung an das Konzept von Shiffrin u. Schneider (1977), nach dem Aufmerksamkeitsprozesse in einerseits automatische, unbewusst und schnell ablaufende, und andererseits kontrollierte, bewusste und kapazitätsfordernde Informationsverarbeitung unterschieden werden, untersucht der Stroop-Test die Tendenz, automatisiert auf dominante, aber situationsunangemessene Reize anstatt kontrolliert auf nicht dominante, aber relevante Stimuli zu reagieren. Die Verarbeitung des nicht dominanten Stimulus beruht also auf der aktiven Inhibition der dominanten/automatisierten Reaktionstendenz. Defizite schizophrener Patienten, die sich in erhöhten Reaktionszeiten im Stroop-Test zeigen, können sowohl auf einer gestörten Inhibition des automatisierten Prozesses als auch auf einer Störung der kontrollierten Verarbeitung beruhen (Carter et al. 1997; Taylor et al. 1994). Präattentive Defizite hingegen, wie das »sensory gating«-Defizit, beruhen auf einer gestörten Inhibition automatisierter Verarbeitung. Beide Maße werden jedoch meist als gestörte Filterfunktion verstanden. 16.2.2 Befunde aus bildgebenden Untersuchungen
bei Patienten mit Schizophrenie zur selektiven Aufmerksamkeit
Der Stroop-Test
16
Eine weitere Möglichkeit zur Erfassung von Prozessen selektiver Aufmerksamkeit bietet der Stroop-Test (Stroop 1935). Dieses Paradigma stellt ein weit verbreitetes Maß für die Erfassung von Prozessen selektiver Aufmerksamkeit und exekutiven Funktionen dar. Da die Abgrenzungen innerhalb der verschiedenen kognitiven Bereiche (z. B. zwischen Aufmerksamkeit und Exekutivfunktionen oder zwischen Aufmerksamkeit und Funktionen des Arbeitsgedächtnisses) mitunter sehr schwer zu setzen sind, sei an dieser Stelle auch auf 7 Kap. 24 dieses Buches verwiesen, in dem ausführlich auf Exekutivfunktionen und u. a. auch auf den Einsatz des Stroop-Tests zur Untersuchung dieser Exekutivfunktionen eingegangen wird. Die Versuchsperson wird gebeten, die Farbe, in der ein (Farb-)Wort gedruckt wurde, zu benennen und somit gleichzeitig die automatisierte Tendenz der semantischen Enkodierung zu unterdrücken, um kontrolliert die Analyse der Druckfarbe einleiten zu können (Keller u. Grömminger 1995; . Abb. 16.5). So soll die Aufmerksamkeit selektiv auf eine Dimension des dargebotenen Stimulus (die Farbe, in der das Wort ge-
Selektive Aufmerksamkeit und deren Störungen lassen sich klassisch in EEG-Untersuchungen mit Hilfe der P300 oder P3 nachweisen. Diese ereigniskorrelierten Potenziale (EKP) bilden die Reaktionen bzw. die unbewusste Orientierung hin zu neuartigen Stimuli ab. Die Amplitude dieser P300 ist bei Schizophrenie signifikant geringer als bei gesunden Probanden. Diese Amplitudenreduktion nach der Präsentation irrelevanter Reize zeigte sich zum Beispiel in einer Studie zur selektiven Aufmerksamkeit bei Patienten mit Schizophrenie von Iwanami et al. (1996). Sowohl die zu beachtenden Reize als auch die irrelevanten Stimuli riefen bei schizophrenen Patienten eine reduzierte Hirnaktivität (Amplitude) hervor. Da beide Maße miteinander korrelierten und andere Autoren die P300 auch als mögliches Maß des aktiven inhibitorischen neuronalen Prozesses ansehen, folgerten die Autoren daraus, daß beide EEG-Maße den gleichen pathophysiologischen Prozess abbilden: eine gestörte Inhibition neuronaler Bahnen, welche sich auf der Verhaltensebene in erhöhten Reaktionszeiten niederschlägt.
. Abb. 16.5. Der Stroop-Test (Stroop 1935) und seine verschiedenen Bedingungen (7 Farbtafeln, S. 653)
187 16.2 · Hirnfunktionelle Aufmerksamkeitsdefizite bei Patienten mit Schizophrenie
Der inhibitorische Prozess, durch den Personen Stimuli ignorieren, um auf andere selektiv reagieren zu können, wird als aktiver Mechanismus verstanden, der durch Paradigmen wie »sensory gating« erfasst werden kann. Sensory gating ist ein neurophysiologisches Korrelat der Filterung senorischen Inputs und kann durch elektrophysiologische Messungen dargestellt werden. Als Maß des Sensory gating wird die Präpulsinhibition herangezogen, welche die Minderung eines Schreckreflexes nach der vorherigen Applikation eines Warntones erfasst. Schizophrene Patienten zeigen eine weniger ausgeprägte Reduktion des Schreckreflexes, sie profitieren also weniger von dem Warnreiz als Gesunde. Somit bildet Sensory gating die neurophysiologische Unfähigkeit ab, Stimuli auszublenden. Mit Hilfe des auditorischen Oddball Novelty Test konnte die Arbeitsgruppe um Liddle diese gefundenen Effekte aus EEG-Studien aufgreifen und erweitern, indem sie die kortikalen Areale, die diesen Abweichungen zugrunde liegen, im fMRT untersuchten (Liddle et al. 2006). Somit konnten sie neben der hohen zeitlichen Auflösung der Aufmerksamkeitsabläufe, die durch EEG-Untersuchungen ermöglicht wird, auch eine funktionelle Abbildung dieser Prozesse – und somit auch eine sehr gute räumliche Darstellung der hirnphysiologischen Korrelate – bei Schizophreniepatienten erreichen. Dabei griffen die Autoren auf ein 3-Ton-Oddball-Paradigma zurück, das vielfach in EEG-Studien eingesetzt wird. In diesem Paradigma wird zwischen drei Stimulusarten unterschieden, die in auditorischer Form dargeboten werden: Standardreize (»standards«), die häufig dargeboten werden und auf die die Versuchspersonen nicht reagieren sollen, Zielreize (»targets«), die selten dargeboten werden und auf die die Versuchspersonen per
. Abb. 16.6. Darstellung der Ergebnisse (transaxiale Schnitte) von Liddle et al. (2006, Cambridge University Press): Dargestellt sind die signifikanten Aktivierungscluster während der Verarbeitung von Target-Stimuli im Vergleich zur Baseline-Bedingung. a Gesunde Kontrollprobanden; b Patienten mit Schizophrenie; c Areale, in denen die Aktivierungen der gesunden Kontrollprobanden signifikant größer waren als die der Patienten mit Schizophrenie. Das Signifikanzniveau lag bei p<0,05 nach Korrektur für multiple Vergleiche
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Tastendruck reagieren sollen und neuartige Reize (»novels«), die ebenfalls selten dargeboten werden und auf die die Versuchspersonen nicht reagieren sollen. Die Stichprobe dieser Untersuchung bestand aus 28 Patienten und 28 gesunden Kontrollprobanden. Die Arbeitsgruppe konnte mit Hilfe dieses Oddball Detection Tests nachweisen, dass die zerebralen Aktivierungsmuster von Schizophreniepatienten bei dem Vergleich zwischen der Verarbeitung von Target- und Standardreizen deutlich von denen gesunder Kontrollprobanden abweichen (. Abb. 16.6). So fanden sie z. B. deutlich geringere Aktivierungen bei Reaktion auf den Target-Reiz in drei Bereichen: Amygdala-Hippokampus-Komplex (paralimbischer Kortex im frontalen Operculum, rostraler und kaudaler anteriorer zingulärer Kortex), posteriorer zingulärer Kortex (heteromodale Assoziationsbereiche inklusive Frontalkortex und intraparietaler Sulcus) und subkortikale Strukturen (hier vorwiegend Thalamus, ventrales Striatum und Zerebellum). In diesen Bereichen zeichneten sich die gesunden Kontrollprobanden durch signifikant höhere Aktivierungen aus als die Patienten mit Schizophrenie. Auch bei dem Vergleich der Aktivierungsunterschiede zwischen der Verarbeitung von Target- und Novelreizen konnten die Autoren differenzielle Unterschiede zwischen den beiden untersuchten Gruppen feststellen. Die Gruppe der gesunden Kontrollprobanden zeigte signifikant höhere Aktivierungen in 4 Arealen: Amygdala (linksseitig), frontales Operculum (linksseitig), rostraler anteriorer zingulärer Kortex und subkortikal im Bereich der Basalganglien (. Abb. 16.7). Die Ergebnisse dieser Studie lassen zwei Schlussfolgerungen zu: Bei Schizophreniepatienten können Minderaktivierungen bei der Verarbeitung von aufmerksamkeitsbindenden, selten auf-
188
Kapitel 16 · Aufmerksamkeit – Bildgebung
. Abb. 16.7. Darstellung der Ergebnisse (transaxiale Schnitte) von Liddle et al. (2006, Cambridge University Press): dargestellt sind die signifikanten Aktivierungscluster während der Verarbeitung von Target-Stimuli im Vergleich zur Verarbeitung von Novel-Stimuli. a Gesunde Kontrollprobanden; b Patienten mit Schizophrenie; c Areale, in denen die Aktivierungen der gesunden Kontrollprobanden signifikant größer waren als die der Patienten mit Schizophrenie. Das Signifikanzniveau lag bei p<.05 nach Korrektur für multiple Vergleiche
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tretenden Stimuli nachgewiesen werden, die unabhängig von der weiteren Verarbeitung der Stimuli als Target- oder Novelreize sind. Die Autoren der Studie weisen darüber hinaus in der Interpretation ihrer Ergebnisse darauf hin, dass die nachgewiesenen Defizite im Bereich Amygdala, ventrales Striatum, orbitofrontaler Kortex und rostraler anteriorer zingulärer Kortex eine wichtige Informationsschleife unterbrechen, die in ungestörtem Fall die schnelle Auswahl von Zielen beeinflusst. Eine Unterbrechung dieser Schleife, wie sie durch diese Studie nachgewiesen wurde, kann zur Erklärung der längeren Reaktionszeiten schizophrener Patienten bei der Ausführung des Oddball-Paradigmas herangezogen werden; sie kann darüber hinaus Hinweise für die Ursache der erhöhten Ablenkbarkeit bzw. der Defizite im Bereich Konzentrationsfähigkeit der Patienten geben. Bei einer weiteren Untersuchung dieser Arbeitsgruppe (Laurens et al. 2005) konnte ebenfalls mit Hilfe eines auditorischen Oddball Detection Tests gezeigt werden, dass es zwischen gesunden Kontrollprobanden und Schizophreniepatienten deutliche Aktivierungsunterschiede während der Verarbeitung der Distraktorreize innerhalb des kortikolimbischen Netzwerkes gibt. Dieses Netzwerk steuert bei gesunden Kontrollpersonen sowohl die Verarbeitung von Target-Reizen als auch die unwillkürliche Reorientierung der Aufmerksamkeit von der Target-Detektion hin zur Verarbeitung von zufällig auftretenden neuartigen Reizen, sodass man davon ausgehen kann, dass dieses kortikolimbische Netzwerk allgemein für die Verarbeitung von auffälligen bzw. hervorstechenden/salienten Stimuli zuständig ist. Auffälligkeiten in Form von Minderaktivierungen fanden sich bei Schizophreniepatienten dabei in folgenden Strukturen: im heteromodalen Asso-
ziationskortex am intraparietalen Sulcus Precuneus und dorsolateralen Frontalkortex sowie im prälimbischen Kortex im rostralen anterioren zingulären Kortex und im posterioren zingulären Kortex. Darüber hinaus fanden sich ausschließlich rechtshemisphärisch signifikante Aktivierungsunterschiede im Bereich von Amygdala, Hippokampus, parahippokampalem Gyrus und an der temporoparietalen okzipitalen Junktion. Letztgenannte ist im Zusammenhang mit der bei Schizophrenie nicht beeinträchtigten Aktivierung im ventralen Frontalkortex von Bedeutung, da Auffälligkeiten in nur einem dieser beiden Areale darauf schließen lassen, dass bei Schizophrenie die Fähigkeit, Neuartigkeit grundsätzlich evaluieren zu können, bestehen bleibt, wohingegen spezifische Schwierigkeiten darin bestehen, die Relevanz der jeweiligen neuartigen Stimuli für nachfolgendes Verhalten zu erkennen. Diese Fähigkeit ist bei Schizophrenie stark beeinträchtigt. Subkortikal traten bei den Schizophreniepatienten verminderte Aktivierungen im Thalamus, den Basalganglien und im Zerebellum auf. Die bei Schizophrenie nachgewiesenen Auffälligkeiten im dorsalen frontoparietalen System (unter Einbezug des intraparietalen Sulcus und des superioren Frontalkortex) sind in Bezug auf die Identifizierung der Eigenschaften der neuartigen (salienten) Stimuli und die anschließende Planung von darauf folgenden Verhaltensweisen bzw. Intentionen wichtig: Werden solche salienten Ereignisse vom ventralen frontoparietalen System entdeckt, führt dies zu einer Unterbrechung der Aktivität des dorsalen Netzwerkes, und die Aufmerksamkeit wird in der Folge reorientiert bzw. umgeleitet vom momentan ablaufenden Prozess hin zur Verarbeitung des salienten Ereignisses. Die bei Schizo-
189 16.2 · Hirnfunktionelle Aufmerksamkeitsdefizite bei Patienten mit Schizophrenie
phrenie nachgewiesene dorsale frontoparietale Minderaktivierung verdeutlicht, dass die Patienten insbesondere bei der Reorientierung ihrer Aufmerksamkeitsressourcen Schwierigkeiten haben, wenn ein neuartiger salienter Stimulus die Aufgabe oder Tätigkeit, die gerade die Aufmerksamkeitsressourcen gebunden hat, unterbricht. Ferner kann durch die nachgewiesene Minderaktivierung im Bereich der rechtshemisphärischen posterioren temporoparietalen Junktion, welche die Ermittlung von Verhaltenstendenzen als Reaktion auf saliente Informationen steuert, die bei Schizophrenie üblicherweise zu beobachtende erhöhte Ablenkbarkeit erklärt werden. Bildgebende Studien, die mit Hilfe des Stroop-Tests die Defizite im Bereich der selektiven Aufmerksamkeit der Schizophrenie untersuchten, wiesen v. a. Auffälligkeiten im Bereich des anterioren Zingulums nach. So konnte sowohl in PET- als auch in fMRTStudien ein Zusammenhang zwischen der Leistung schizophrener Patienten während der inkongruenten Stroop-Bedingung und einer im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden reduzierten Aktivierungshöhe im anterioren zingulären Kortex nachgewiesen werden. Diese Aktivierungsreduktion steht in Übereinstimmung mit Ergebnissen aus Verhaltensdaten, in denen nachgewiesen wurde, dass die Patienten zwar in Bezug auf die Reaktionszeiten ähnlich gut wie die Kontrollprobanden abschnitten (also in der Lage waren, den Test schnell und mit vergleichbarer Fehleranzahl durchzuführen), allerdings eine erhöhte Fehlerinterferenz aufwiesen. Das bedeutet, dass die Patienten deutlich mehr Fehler bei inkongruenten Trials als bei kongruenten Trials machten. Diese erhöhte Fehlerinterferenz ist ein Nachweis für Defizite in selektiven Aufmerksamkeitsprozessen, da sie verdeutlicht, dass die Patienten leichter durch irrelevante Aspekte der Stimuli ablenkbar sind als die gesunden Kontrollprobanden. Einschränkend muss an diesem Punkt zu bedenken gegeben werden, dass bislang keine Studien existieren, die den Zusammenhang zwischen Leistungen im Stroop-Test und Schizophrenie bei unmedizierten Patienten untersuchen. Vorliegende Studien beziehen sich bislang ausschließlich auf neuroleptisch vorbehandelte Patienten, sodass nicht abschließend ausgeschlossen werden kann, dass die gefundenen Abweichungen durch die neuroleptische Medikation der Patienten verursacht wurden und kein Abbild der Pathophysiologie der Schizophrenie darstellen. Studien, die Defizite im Bereich des Arbeitsgedächtnisses bei Schizophrenie untersuchten, konnten aber bei unmedizierten Patienten ebenfalls eine reduzierte Aktivität des anterioren zingulären Kortex nachweisen, sodass davon ausgegangen werden kann, dass diese Region für die selektiven Aufmerksamkeitsdefizite der Schizophrenie ebenfalls eine herausragende Bedeutung hat. 16.2.3 Defizite im Bereich Daueraufmerksamkeit
bei Schizophrenie Defizite im Bereich der Daueraufmerksamkeit gehören zu den stabilen Merkmalen der Schizophrenie. Sie sind relativ stabil, un-
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abhängig von der jeweiligen Krankheitsphase. Sie sind sowohl bei chronischen Patienten als auch bei medikamentennaiven Patienten im Rahmen der Erstmanifestation einer Schizophrenie sowie deren blutsverwandten Angehörigen ersten Grades und den Nachkommen schizophrener Patienten (der sog. Hochrisikogruppe) nachweisbar. So konnte z. B. in einer Studie von Egan et al. (2000) ein erhöhtes relatives Risiko für die Geschwister schizophrener Patienten bezogen auf deren Leistungen im Continuous Performance Test (CPT) nachgewiesen werden. Aufgrund der Tatsache, dass sich auch bei Angehörigen der Hochrisikogruppe, die selber keinerlei psychotische Merkmale zeigen, vergleichbare, wenn auch geringer augeprägte Vigilanzdefizite nachweisen lassen, werden Defizite bei der längerfristigen Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit als ein kognitiver Vunerabilitätsmarker für Schizophrenie angesehen. Mit Hilfe verschiedener CPT-Varianten konnte ebenfalls konsistent nachgewiesen werden, dass Schizophreniepatienten im Vergleich zu gesunden Probanden Defizite im Bereich der Daueraufmerksamkeit aufweisen. Diese Defizite zeigten sich über verschiedene Messzeitpunkte stabil und von jedweder Behandlung der Schizophrenie unbeeinflusst. Auch im Vergleich von Patienten mit verschiedenen affektiven Störungen, wie z. B. einer Major Depression oder einer bipolaren Störung mit oder ohne psychotische Merkmale konnte gezeigt werden, dass Schizophriepatienten auch in diesem Vergleich immer noch deutlich schlechtere Leistungen im Bereich der Daueraufmerksamkeit zeigen als die Patienten mit affektiven Störungen, obwohl auch diese Patienten deutlich schlechter abschnitten als die Gesunden (Chen et al. 1998). Die Ergebnisse aus Studien zu Leistungen im Bereich der Daueraufmerksamkeit mit Hilfe des CPT stehen in Bezug zur Psychopathologie der Schizophrenie, da mit Defiziten in diesem Bereich neben einem Nachweis für die von den Patienten selbst oft beklagten Konzentrationsstörungen besonders die Negativsymptomatik der Schizophrenie und das Auftreten von formalen Denkstörungen in Zusammenhang gebracht werden.
Standardparadigmen zur Erhebung von Vigilanz und Daueraufmerksamkeit Der Continuous Performance Test Defizite in Vigilanz und Daueraufmerksamkeit sind seit langer Zeit Gegenstand der neuropsychologischen Schizophrenieforschung. Die Messung der Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit setzt eine Beobachtung des Verlaufs der perzeptuellen Sensibilität über die Zeit voraus. Dies wird durch den Continuous Performance Test (CPT) ermöglicht, der sich darüber hinaus auch für den Einsatz in bildgebenden Untersuchungsverfahren eignet und durch einfache Variation sowohl verschiedene Schwierigkeitsstufen als auch eine Unterscheidung zwischen Vigilanz und Daueraufmerksamkeit ermöglicht. Der CPT wurde ursprünglich von Rosvold et al. (1954) zur Untersuchung von Aufmerksamkeitsdefiziten bei hirngeschädigten Patienten entwickelt und eingesetzt. In einer typischen Auf-
190
Kapitel 16 · Aufmerksamkeit – Bildgebung
. Abb. 16.8. CPT-Ablauf mit »0-back«-Bedingung (Aufmerksamkeit) und »2-back«-Bedingung (Arbeitsgedächtnis). Die Probanden sollen per Tastendruck auf Target-Buchstaben (grau umrandet) reagieren
gabe sollen die Probanden zwischen schnell hintereinander dargebotenen Target- und Non-Target-Stimuli unterscheiden. In der einfachsten Durchführungsform beobachten die Probanden eine Serie von einzelnen Ziffern oder Buchstaben, die kontinuierlich mit einer festgelegten Geschwindigkeit präsentiert werden. Die Aufgabe besteht für die Probanden darin, bestimmte TargetStimuli zu entdecken und per Knopfdruck auf diese zu reagieren bei gleichzeitiger Ausblendung bzw. Nichtreaktion auf die anderen Stimuli. Der Target-Stimulus kann dabei sowohl ein einzelnes Event, beispielsweise der Buchstabe »X« innerhalb einer Sequenz von Buchstaben (. Abb. 16.8), oder ein kontextabhängiges Event, wie z. B. der Buchstabe »X«, wenn er nach dem Buchstaben »A« erscheint, sein. Weitere Variationen des CPT beinhalten verschiedene Darstellungsformen der Stimuli, z. B. des sog. »degraded CPT«, bei dem die Stimuli zu einem bestimmten Prozentsatz verzerrt dargeboten werden, um die Aufgabenschwierigkeit zu erhöhen. Neben der selektiven Aufmerksamkeit können CPT-Variationen auch Inhalte des Arbeitsgedächtnisses (sog. »n-back-tasks«) erfassen, bei denen eine bestimmte Anzahl von Stimuli im Gedächtnis bewahrt werden muss, um einen aktuell präsentierten Target-Stimulus als solchen zu erkennen.
16
16.2.4 Befunde aus bildgebenden Studien
zu Defiziten in der Daueraufmerksamkeit bei Schizophrenie Defizite in visueller Daueraufmerksamkeit treten bei Patienten mit Schizophrenie so häufig auf, dass mit Hilfe verschiedener Studien versucht wurde, diese Defizite als phänotypisch für Schizophrenie nachzuweisen. Untersuchungen zur Daueraufmerksamkeit mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) konnten zeigen, dass bei Patienten mit Schizophrenie das oben beschriebene rechtshemisphärische frontoparietale Netzwerk signifikant weniger aktiviert ist als bei gesunden Kontrollprobanden. In der
rechten Hemisphäre sind Hypoaktivierungen im Bereich des dorsolateralen präfrontalen Kortex, des dorsolateralen Temporallappens und des inferioren Parietallappens sowie subkortikal im Bereich des Thalamus nachweisbar, die die zerebralen Korrelate für die auch auf Verhaltensebene signifikant schlechteren Leistungen in Testverfahren zur Daueraufmerksamkeit abbilden. Im Vergleich zu den Leistungen gesunder Kontrollprobanden zeigen sowohl Schizophreniepatienten als auch Verwandte ersten Grades (Hochrisikogruppe) Beeinträchtigungen bei der Entdeckung von verhaltensrelevanten Zeilreizen in sog. »target detection tasks« zur Daueraufmerksamkeit. Im Rahmen dieser Untersuchung stellte sich heraus, dass sich die Ergebnisse auf der Verhaltensebene z. T. deutlich von den Ergebnissen auf neuronaler Ebene unterscheiden. So konnten z. B. Sponheim et al. (2006) in einer elektrophysiologischen Studie zur visuellen Daueraufmerksamkeit, in der sowohl Schizophreniepatienten als auch Hochrisikoprobanden (Verwandte ersten Grades) und gesunde Kontrollprobanden untersucht wurden, zeigen, dass auf Verhaltensebene nur die Gruppe der Schizophreniepatienten Defizite aufwies, während die Gruppe der Hochrisikoprobanden sich hier nicht signifikant von der Gruppe der gesunden Kontrollprobanden unterschied. Auf neuronaler Ebene hingegen zeigte die Gruppe der Hochrisikoprobanden dieselben Auffälligkeiten wie die Gruppe der Schizophreniepatienten. Auffälligkeiten bei der Gruppe der Hochrisikoprobanden fanden sich hier v. a. in verzögerten langsamen positiven Amplituden (P300) der parietalen Regionen und vermehrten frühen posterioren (P1) und rechts frontalen (anterioren N1) Potenzialen (. Abb. 16.9), was die Autoren zu dem Fazit führte, dass eine genetische Veranlagung für Schizophrenie mit vermehrten schnellen und verzögerten langsamen Potenzialen assoziiert ist und auf neuronaler Ebene durch eine rechtshemisphärische frontal-posteriore parietale Dysfunktion repräsentiert werden. FMRT-Studien kamen bei dem Versuch, die neuronalen Korrelate von Daueraufmerksamkeit zu ergründen, zum Teil zu recht unterschiedlichen Ergebnissen. So fanden sich beispielsweise bei Schizophreniepatienten im Vergleich zu den Ergebnissen für gesunde Kontrollprobanden geringere Aktivierungen im Bereich des rechten medialen Präfrontalkortex, des rechten Zingulums und des rechten Thalamus. Andere Untersuchungen wiesen Dysfunktionen im dorsolateralen Präfrontalkortex bei ersterkrankten, medikamentennaiven Schizophreniepatienten nach. PET-Untersuchungen wiesen v. a. Auffälligkeiten im Bereich des Frontallappens nach. In diesem Areal wurde im Gegensatz zu den Ergebnissen gesunder Kontrollprobanden während der Durchführung des CPT kein erhöhter Blutfluss (rCBF) nachgewiesen. Strukturelle Untersuchungen bezüglich der Abbildung von Daueraufmerksamkeit auf kortikaler Ebene zeigen neben vergrößerten Ventrikeln eine Beteiligung des medialen Temporallappens (Amygdala, Hippocampus und parahippocampaler Gyrus), des superioren temporalen Gyrus, des Parietallappens und sub-
191 16.2 · Hirnfunktionelle Aufmerksamkeitsdefizite bei Patienten mit Schizophrenie
. Abb. 16.9. Gemittelte ereigniskorrelierte Potenziale von Schizophreniepatienten, biologischen Verwandten ersten Grades von Schizophreniepatienten und gesunden Kontrollprobanden für Target-Trials während des CPT »degraded stimulus«. Gelbe Linien = Schizophreniepatienten,
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blaue Linien = Verwandte ersten Grades, grüne Linien = gesunde Kontrollprobanden (Reprinted from Spanheim et al. 2006, with permission from Elsevier) (7 Farbtafeln, S. 654)
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Kapitel 16 · Aufmerksamkeit – Bildgebung
kortikaler Bereiche (hier v. a. Cerebellum, Corpus Callosum, Basalganglien und Thalamus). Eine Studie von Salgado-Pineda et al. (2003), die mit Hilfe von VBM (»voxel based morphometry«) strukturelle Unterschiede zwischen Schizophreniepatienten und gesunden Kontrollprobanden während der Durchführung des CPT-IP (CPT, »identical pairs«) untersuchte, fand neben signifikanten Unterschieden in den Verhaltensdaten – Schizophreniepatienten machten deutlich mehr Auslassungs- und Diskriminationsfehler – auch signifikante Veränderungen im Bereich der grauen Substanz der Schizophreniepatienten. So konnten sie auf kortikaler Ebene einerseits im anterioren cingulären Gyrus, im inferioren linken frontalen Gyrus und im rechtem Claustrum eine Abnahme der Dichte der grauen Substanz nachweisen (. Abb. 16.10). Andererseits kam es in einem Cluster, das aus dem linken Putamen, der linken Insula, dem rechten supramarginalen Gyrus und dem linken superioren temporalen Gyrus gebildet wurde, zu einer Dichtezunahme der grauen Substanz. Die Befunde von Salgado-Pineda et al. (2003) bezüglich der abnehmenden Dichte der grauen Substanz in bestimmten kortikalen Bereichen stimmen mit Befunden verschiedener anderer VBM-Studien überein, die sich ebenfalls mit Schizophrenie be-
schäftigen. Die Autoren wiesen ferner subkortikal eine Volumenabnahme im rechten und linken Thalamus nach. Diese Volumenreduktion im Thalamus zählt neben Befunden zu verkleinerter Ventrikelgröße bei Schizophreniepatienten zu den konsistentesten Befunden der Literatur der bildgebenden Schizophrenieforschung. Eine Korrelationsanalyse der Ergebnisse zeigte signifikante Korrelationen v. a. zwischen der Ausprägung des Signal-Entdeckungs-Indexes des CPT (d’) und der Dichte der grauen Substanz im Bereich des linken Thalamus, des linken angularen und supramarginalen Gyrus und im linken inferioren frontalen und postzentralen Gyrus, welches die Autoren als erneuten Nachweis für die hohe Bedeutung des Frontallappens an gestörten Aufmerksamkeitsprozessen ansehen. ! Sowohl funktionelle als auch strukturelle und PET-Studien weisen bei Patienten mit Schizophrenie im Vergleich zu Gesunden Auffälligkeiten im Thalamus, anterioren Zingulum und inferioren Parietallappen auf. Aus diesem Grund kann davon ausgegangen werden, dass besonders in diesen Arealen die fraglichen, bei Schizophrenie eingeschränkten Daueraufmerksamkeit stattfinden.
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. Abb. 16.10. Signifikante Abnahme der grauen Substanz bei Schizophreniepatienten (Reprinted from Salgado-Pineda et al. 2003, with permission from Elsevier) (7 Farbtafeln, S. 655)
193 Literatur
16.3
Zusammenfassung und Ausblick
Störungen der Aufmerksamkeit sind eine überdauernde Charakteristik von Patienten mit Schizophrenie. Da diese Störungen weitgehend unabhängig von der schizophrenen Symptomatik existieren und den funktionellen Outcome wesentlich beeinflussen, wurde in jüngerer Zeit vermehrt versucht, auch mit Hilfe von bildgebenden Verfahren die zerebralen Korrelate dieser Defizite genauer zu ergründen. Bei Schizophrenie finden sich im Wesentlichen Beeinträchtigungen im Bereich der selektiven Aufmerksamkeit und im Bereich der längerfristigen Aufmerksamkeit. Deshalb wurden in diesem Kapitel Befunde aus bildgebenden Untersuchungen dargestellt, die sich speziell mit beiden Aufmerksamkeitskomponenten befassen. Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass die bei Patienten mit Schizophrenie nachgewiesenen Defizite in diesen Aufmerksamkeitskomponenten nicht eng umschriebenen zerebralen Lokalisationen zuzuordnen sind. Vielmehr treten bei Patienten mit Schizophrenie bei der Bearbeitung von spezifischen Aufmerksamkeitsparadigmen Abweichungen zwar an vielen unterschiedlichen Orten innerhalb sog. Aufmerksamkeitsnetzwerke auf; die grundsätzliche Struktur dieser Netzwerke, wie sie bei der Untersuchung von gesunden Probanden festgestellt wurde, bleibt aber bei den Patienten erhalten. Aufmerksamkeitsdefizite bei Schizophrenie in bildgebenden Untersuchungen zeichnen sich also abhängig von der untersuchten Aufmerksamkeitskomponente und dem eingesetzten Paradigma durch eine Vielzahl von zerebralen Abweichungen aus, die durch weitere Forschungsarbeiten in Zukunft miteinander und mit einem allgemeingültigen Aufmerksamkeitskonzept in Verbindung gebracht werden sollten.
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17 Motorik – Psychologie Thomas Jahn
17.1
Konzepte der Motorikforschung
– 195
17.2
Methoden der Motorikforschung
17.2.1 17.2.2 17.2.3
Beispiel Motoskopie: Brief Motor Scale (BMS) – 196 Beispiel Motometrie: Motorische Leistungsserie (MLS) – 196 Beispiel Motografie: Manual zur kinematischen Analyse motorischer Zeichen (MAZ) – 196
17.3
Motorik als Gegenstand der Schizophrenieforschung
17.4
Antipsychotikainduzierte extrapyramidalmotorische Symptome – 198
– 195
– 197
17.5
Diskrete motorische Zeichen als neurologische »soft signs« – 199
17.5.1 17.5.2 17.5.3
Definition und Untersuchung – 199 Prävalenzen und Korrelate – 200 Motorische »soft signs« als Vulnerabilitätsmarker
17.6
Okulomotorische Dysfunktionen
17.6.1 17.6.2 17.6.3
Definition und Untersuchung Blickfolgesystem – 204 Sakkadensystem – 205
17.7
Störungen der Manumotorik – 205
17.8
Veränderte motorische Lateralisierung
17.9
Zusammenschau und Integration der Befunde – 211 Literatur
– 214
– 201
– 202
– 202
– 209
195 17.2 · Methoden der Motorikforschung
17.1
Konzepte der Motorikforschung
Für die Beschreibung und Analyse motorischen Verhaltens – und welches Verhalten wäre nicht motorisch – existiert bis heute keine allgemein verbindliche Taxonomie. Die bekannte Unterteilung in Grob- und Feinmotorik dorientiert sich an Masse und Kraftaufwand der beteiligten Muskeln (grob: Haltung, Lokomotion, Gestik; fein: Okulomotorik, Manumotorik, Mimik). Im Hinblick auf die Art der Bewegung unterscheidet man abgrenzbare, diskrete Bewegungen (z. B. Heben, Zwinkern) von fortlaufenden, repetitiven (z. B. Staubwischen, Schwimmen). Eine spezielle, beim Menschen sehr wichtige Form des Verhaltens ist die Zielmotorik (Greifen, Zeigen). Es gibt relativ einfache Bewegungen (Nicken) und sehr komplexe (Schreiben). Manche geschehen intentional im Rahmen sozialer Kommunikation (Sprechen, Streicheln), andere eher unbewusst und selbstbezüglich (Fingertrommeln, Kratzen). Bewegungen können auf relativ niedrigem neuronalem Organisationsniveau und daher gänzlich unwillkürlich ablaufen (Schmerz- oder Schreckreflexe, Niesen), oder aber höchste Konzentration und Willensanstrengung verlangen (Exploration unbekannten Terrains hinter feindlichen Linien). Aus kognitionspsychologischer Perspektive fundamental ist die Unterscheidung zwischen kontrollierter und automatisierter Bewegungssteuerung, wobei diese häufig durch Lernprozesse aus jener hervorgeht (z. B. beim Autofahren). Diese Unterscheidung entspricht weitgehend derjenigen zwischen einer »open-loop«Steuerung (durch überlernte motorische Programme) und einer »closed-loop«-Regelung (durch selbstadjustierende kybernetische Regelkreise). Bei der »closed-loop«-Regelung können Wahrnehmungsprozesse (einschließlich Propriozeption) während der Bewegung korrigierend in diese eingreifen (wie hoffentlich beim Einparken). Bei der »open-loop«-Steuerung werden Bewegungen vorprogrammiert und dann so schnell und automatisch ausgeführt, dass sie währenddessen nicht mehr korrigierbar sind. Gleichwohl bzw. gerade deshalb sind derartige »ballistische« Bewegungen oft erstaunlich präzise (wie beispielsweise beim Musizieren). Kognitionspsychologisch relevant ist auch die Frage, welche Bewegungen einem selbstbezogenen (egozentrischen) oder einem umweltbezogenen (allozentrischen) Koordinatensystem folgen und wie dies zentralnervös repräsentiert ist. Zwar sind all diese Unterscheidungen letztlich unzureichend für die Beschreibung konkreten Alltagsverhaltens, das in aller Regel – eingebettet in einen unaufhörlichen Strom meist zweckgerichteten, adaptiven Verhaltens – auf komplexe Weise alle genannten Aspekte mehr oder minder zeitgleich in sich vereint (der Bühnenauftritt eines Konzertpianisten). Für die wissenschaftliche Analyse motorischen Verhaltens und seiner Störungen sind aber die o. g. Unterscheidungen von Nutzen (Schmidt 1988; Zimmermann u. Kaul 1999). Hinsichtlich der kognitionspsychologischen (einschließlich kybernetischen) und neurobiologischen (neuroanatomischen, neurophysiologischen) Grundlagen der Motorik hat sich unser Wissen in den letzten Jahrzehnten so enorm erweitert, dass sich an dieser Stelle aus Platzgründen der
17
Versuch einer Darstellung verbietet und auf die einschlägige Fachliteratur verwiesen werden muss (einen aktuellen Einstieg bieten Bear et al. 2007). 17.2
Methoden der Motorikforschung
Auch die in der Motorikforschung verwendeten Untersuchungsmethoden mögen auf den ersten Blick verwirrend vielfältig erscheinen. Grundlegend ist die Einteilung in motoskopische, motometrische und motografische Methoden: 4 Motoskopie: Diese besteht in der (un-)systematischen Beobachtung und qualitativen Beurteilung von spontan auftretendem, alltäglichem Verhalten oder von Verhalten, das im Sinne einer klinischen Probe provoziert wird. Die klinische neurologische Untersuchung (Reflexprüfung, Seiltänzergang, Finger-Nase-Versuch) ist ein Beispiel hierfür. Auch die Verwendung standardisierter Ratingskalen zur Beurteilung motorischer Leistungen, selbst wenn diese nach testpsychologischen Prinzipien entwickelt wurden und psychometrischen Gütekriterien entsprechen, ist noch Motoskopie, da hierbei nur eine gestufte Experteneinschätzung, aber keine objektive Messung von Bewegungsaspekten erfolgt. 4 Motometrie: Hier sind nicht nur die zu untersuchenden Verhaltensweisen durch standardisierte Instruktionen und Vorgaben i. d. R. genauer festgelegt als bei der Motoskopie, es werden auch wohldefinierte Leistungsaspekte in physikalischen Einheiten gemessen – etwa Reaktions- und Bewegungszeiten, Genauigkeit von Ziel- oder Folgebewegungen, Kraftaufwand, Geschicklichkeit im Umgang mit diversen Manipulanda, Sortierleistung u. a. Obwohl hier eine objektive Quantifizierung (z. B. Bewegungszeiten in Millisekunden) erfolgt, bildet diese doch eher »äußere« Merkmale der Bewegungen oder deren Effekte ab, nicht die Bewegung in Raum und Zeit selbst. 4 Motografie: Hierunter fallen schließlich alle Methoden, bei denen eine Aufzeichnung der Bewegungsabläufe selbst erfolgt, sei es in ein, zwei oder drei Raumdimensionen zugleich, sei es polygrafisch, videografiert oder mittels Ultraschalloder Infrarottechniken. Aus den aufgezeichneten Bewegungstrajektorien ergeben sich Rückschlüsse auf die Dynamik der Bewegungssteuerung. Insbesondere neuere Methoden der kinematischen Bewegungsanalyse erlauben eine »mikrobehaviorale« Beschreibung und Quantifizierung auch solcher Bewegungskomponenten und -merkmale, die motoskopisch gar nicht wahrnehmbar sind. Auch wenn am Anfang der Motorikforschung die unsystematische Motoskopie stand und die Motografie heute mittels computergestützter Messanordnungen und Analyseverfahren betrieben wird, so sind doch Methoden aus allen drei Klassen schon seit mehr als 100 Jahren in Gebrauch (historische Beispiele bei Jahn 1999). Nachfolgend werden drei – für die Schizophreniefor-
196
Kapitel 17 · Motorik – Psychologie
schung relevante – Beispiele aus den genannten drei Methodenklassen skizziert. 17.2.1 Beispiel Motoskopie: Brief Motor Scale
(BMS) Die BMS ist eine Ratingskala zur zeitökonomischen Untersuchung diskreter neurologischer Zeichen bei erwachsenen psychiatrischen Patienten (Jahn et al. 2006a, b; deutschsprachige Fassung bei Jahn 2004a, Anhang G). Sie enthält 10 motorische Aufgaben, von denen 6 sowohl rechts- als auch linksseitig (R/L) durchgeführt und beurteilt werden: 4 Pronation-Supination (R/L) 4 Diadochokinese 4 Oseretzki-Test 4 Finger-Daumen-Opposition (R/L) 4 Rhythmisches Fußklopfen (R/L) 4 Faust-Ring-Probe (R/L) 4 Faust-Kante-Ballen-Probe (R/L) 4 Rhythmusproduktion 4 Bilaterales Fingerklopfen 4 Fixationsschwäche (R/L) Jede Aufgabe wird nach manualisierten Anweisungen durchgeführt und anschließend auf einer 3-stufigen Skala von 0 (keine Störung) bis 2 (deutliche Störung) beurteilt, wobei für jedes Item aufgabenspezifische Urteilsanker vorgegeben werden. Die 10 Items werden (nach Mittelung der 6 R/L-Items) zu zwei Subskalen zusammengefasst, die im Unterschied zu den meisten anderen »soft signs«-Skalen faktorenanalytisch gesichert sind: motorische Koordination und motorische Sequenzierung. Außerdem kann ein Skalengesamtwert berechnet werden, der von minimal 0 bis maximal 20 Punkten variieren kann. Wie viele andere klinische Ratingskalen ist die BMS zwar weitgehend standardisiert und auch auf bestimmte Testgütekriterien hin untersucht, jedoch nicht normiert. 17.2.2 Beispiel Motometrie:
Motorische Leistungsserie (MLS)
17
Die MLS ist ein apparatives Verfahren zur Erfassung verschiedener Aspekte der Manumotorik, das von Schoppe (1974) in Anlehnung an die umfangreichen faktorenanalytischen Untersuchungen von Fleishman und Mitarbeitern (z. B. Fleishman u. Ellison 1962) eingeführt wurde. Auf einer metallischen Arbeitsplatte, die mit Bohrungen, Fräsungen und Kontaktflächen versehen ist, sind mit seitlich angebrachten Kontaktstiften uni- bzw. bilateral verschiedene statische und dynamische Aufgaben für Finger-, Hand- und Armbewegungen durchzuführen, bzw. es müssen unter Zeitdruck Metallstifte in seitliche Lochreihen der Arbeitsplatte eingesteckt werden. Für die rechte und linke Hand
bei ein- und beidhändiger Durchführung werden je nach Aufgabe Geschwindigkeits- und/oder Genauigkeitsmaße berechnet, die an verschiedenen Stichproben gesunder und neurologisch beeinträchtigter Patienten normiert wurden. Dadurch werden nach Fleishman folgende 6 Faktoren der Feinmotorik erfasst, die zusammen über 85% der Gesamtvarianz in den Testkennwerten erklären (in Klammern die MLS-Aufgabenbezeichnungen): 4 Arm-Hand-Stetigkeit (Steadiness) 4 Handgelenk-Finger-Geschwindigkeit (Tapping) 4 Präzision der Arm-Hand-Bewegungen (Liniennachfahren) 4 Geschwindigkeit präziser Arm-Hand-Bewegungen (Aiming) 4 Handgeschicklichkeit (Lange Stifte stecken) 4 Fingergeschicklichkeit (Kurze Stifte stecken) Die MLS wird häufig ergänzt durch den »Pursuit Rotor«, ein ebenfalls motometrisches Untersuchungsverfahren, bei dem ein Kontaktgriffel möglichst genau mit einem (in der Standardversion) kreisförmig bewegten Lichtpunkt mitzuführen ist, wobei unterschiedliche Geschwindigkeiten vorgegeben werden können. Resultierende Leistungsvariablen dieser Trackingaufgabe zur Beurteilung der psychomotorischen Koordination sind die Anzahl und die Dauer der Kontaktverluste zwischen Lichtpunkt und Griffel. In einer neueren Version ist die MLS Bestandteil des computergestützten Wiener Testsystems (WTS) der Firma Schuhfried/Mödling, mit Normen für eine Standard- und zwei Kurzformen. 17.2.3 Beispiel Motografie:
Manual zur kinematischen Analyse motorischer Zeichen (MAZ) Dieses Manual beschreibt Durchführung und Auswertung einer ebenfalls standardisierten, apparativen Untersuchung diskreter motorischer Zeichen. Im Unterschied zur MLS ziehlt das MAZ jedoch auf die Quantifizierung charakteristischer Bewegungsmerkmale selbst. Es wurde Mitte der 1990er Jahre im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes »Computergestützte Mikroanalyse diskreter motorischer Koordinationsstörungen schizophrener Patienten« entwickelt und ist ausführlicher in Jahn (2004a, Anhang H) beschrieben. Es umfasst ein Tapping-Experiment, mehrere Aufgaben zu neurologisch diskreten Zeichen (Pronation-Supination, Faust-RingProbe, Faust-Kante-Ballen-Probe, Stehversuch nach Romberg und Tretversuch nach Unterberger), sowie zwei Aufgaben zur Erfassung extrapyramidalmotorischer Symptome (Tremor und Rigidität). Der technische Aufwand ist höher als bei den vorangegangenen Methodenbeispielen (siehe Kasten). Für jede Aufgabe des MAZ wurden geeignete kinematische Variablen (Position, tangentiale oder maximale Geschwindigkeit und Beschleunigung einzelner Marker oder Winkel zwischen Markern usw.) nach ihren psychometrischen Eigenschaften, ihrer diskriminanten Validität zur Unterscheidung beeinträchtigter
197 17.3 · Motorik als Gegenstand der Schizophrenieforschung
In technischer Hinsicht basiert die Untersuchung nach dem MAZ auf dem computergestützten Ultraschallmesssystem CMS 50© der Firma Zebris Medizintechnik GmbH/Isny. Über die Hard- und Software-Komponenten dieses Systems hinaus (IBM©-kompatibler PC mit spezieller Schnittstellenkarte, diverse Ultraschallminiatursender, Empfangsmikrofone im Panel auf fahrbarem Bodenstativ, CMS Data Version 1.2, Balance Screen
17
Version 3.1) wird zur kinematischen Datenanalyse das Programm 3DA© Version 1.2 der Firma MedCom/München benötigt (die genannten Hard- und Software-Komponenten sind in der Zwischenzeit durch neuere Modelle bzw. Versionen ersetzt worden, die bei den Herstellern erfragt werden können). Eine Illustration des Untersuchungsprinzips am Beispiel der Faust-Kante-Ballen-Probe leistet . Abb. 17.1.
b . Abb. 17.1a,b. Untersuchungsanordnung für die dreidimensionale kinematische Analyse diskreter motorischer Zeichen nach dem MAZ. a Orientierung der Raumachsen in Relation zum Messpanel mit seinen drei Empfangsmikrofonen. Der Ursprung der Koordinaten X, Y, Z liegt immer beim mittleren (unteren) Mikrofon des Messpanels. Eine Seitwärtsbewegung des Armes, die bei der hier gezeigten Anordnung in der X-Achse sichtbar wäre, würde bei frontaler Positionierung des Messpanels dementsprechend in der Y-Achse erscheinen. b Positionierung der ultraschallemittierenden Marker M1 bis M3 am Beispiel der Faust-Kante-Ballen-Probe (Abbildungen aus Jahn 2004a, S. 325 u. 328)
a
und unbeeinträchtigter Motorik sowie ihrer Interkorrelationen mit anderen Variablen ausgewählt (Prinzip der Identifikation nicht redundanter Markiervariablen anhand von Faktorenanalysen; Jahn u. Cohen 1999). Das MAZ führt weit über motografische und motometrische Messmethoden hinaus; dafür verlangt es aber auch eine besondere Ausstattung und Expertise und ist – nicht zuletzt wegen der fehlenden Normierung – derzeit nur für Forschungszwecke geeignet. 17.3
Motorik als Gegenstand der Schizophrenieforschung
Die neuropsychologische Analyse motorischer Beeinträchtigungen ist bei schizophren erkrankten Patienten dadurch erheblich erschwert, dass die infrage stehenden Phänomene gerade bei dieser Patientengruppe außerordentlich vielgestaltig, inter- wie intraindividuell variabel und ätiologisch heterogen sind. Es lassen
sich mindestens drei einander teilweise überlappende Phänomenkreise unterscheiden (Jahn 2005): 4 katatone Symptome 4 antipsychotikainduzierte extrapyramidale Symptome 4 diskrete motorische Zeichen im Sinne neurologischer »soft signs« Diese Aufzählung bildet insofern auch die historische Entwicklung der Untersuchung motorischer Auffälligkeiten bei schizophrenen Patienten ab, als katatone Symptome und Zustandsbilder bereits die Psychiater des 19. und frühen 20. Jahrhunderts stark beschäftigten, was u. a. zur Definition eines katatonen Subtyps der Schizophrenie führte. Als man dann nach 1952 (Entdeckung der antipsychotischen Wirksamkeit von Chlorpromazin) die unerwünschten extrapyramidalmotorischen Nebenwirkungen der Neuroleptika bemerkte und gleichzeitig unter den neuen Behandlungsmethoden die Katatonien seltener zu werden schienen, verlagerte sich das Interesse. Bald galten alle motorischen Ano-
198
Kapitel 17 · Motorik – Psychologie
malien bei schizophrenen Patienten als pharmakogen und nicht morbogen bedingt. Dieser Perspektivwechsel war so nachhaltig, dass erst wieder daran erinnert werden musste, dass zu den motorischen und psychomotorischen Auffälligkeiten der Schizophrenien schon aus der präneuroleptischen Ära eindrückliche Beschreibungen existieren, weshalb es nicht statthaft ist, diese als Epiphänomene der Pharmakobehandlung zu betrachten (Manschreck 1986). In der Folge erwachte das Interesse an katatonen Erscheinungen erneut und man erkannte, dass der scheinbare Rückgang des betreffenden Subtyps der Schizophrenie nicht unwesentlich mit den inzwischen veränderten diagnostischen Gepflogenheiten zusammenhing (Höffler et al. 1995). Etwa zeitgleich erhielt die Untersuchung diskreter motorischer Zeichen im Sinne neurologischer «soft signs« erheblichen Auftrieb. Diskrete motorische Zeichen waren zwar ebenfalls schon früh im Kontext katatoner Symptome beschrieben worden (Beispiele in Jahn 1999), wurden aber erst nach der biologischen Wende der Psychiatrie ab etwa 1980 zu einem systematisch bearbeiteten Forschungsgegenstand, was sich auch in der Entwicklung einschlägiger Ratingskalen niederschlug. Darüber hinaus sind heute zahlreiche weitere motorische Anomalien schizophren erkrankter Patienten bekannt. Beispiele hierfür sind okulomotorische Dysfunktionen, Störungen der manumotorischen Kraftkontrolle, Koordinationsprobleme bei einfachen repetitiven und komplexen sequenziellen Bewegungsfolgen sowie abweichende Muster in der Lateralisierung motorischer Funktionen. Es ist eine noch offene Frage, inwieweit sich diese und andere Befunde, die sich in erster Linie der Anwendung motometrischer und motografischer Untersuchungsmethoden verdanken, in die drei »klassischen« Phänomenkreise motorischer und psychomotorischer Anomalien bei schizophrenen Patienten einordnen lassen, die bisher nahezu ausschließlich motoskopisch untersucht worden sind. Da der Katatonie im vorliegenden Band zwei eigene Kapitel gewidmet sind (7 Kap. 44, 45; s. auch Jahn 2004b), wird diese im Folgenden ausgepart. 17.4
17
Antipsychotikainduzierte extrapyramidalmotorische Symptome
Wichtigster Pfeiler sowohl der akuten wie der rezidivprophylaktischen Schizophreniebehandlung sind spezifisch antipsychotisch wirksame Medikamente, die in Neuroleptika der 1. Generation (Chlorpromazin u. a. seit 1952) und in Neuroleptika der 2. Generation (Clozapin u. a. seit 1989) eingeteilt werden. Letztere werden auch als »Atypika« bezeichnet, weil sie im Gegensatz zu den älteren, konventionellen Neuroleptika bei gleicher Wirksamkeit untypischerweise keine bzw. deutlich weniger ausgeprägte extrapyramidalmotorische Symptome (EPS) verursachen. EPS umfassen sowohl Hypo- wie Hyperkinesen und werden in akute und persistierende motorische Syndrome unterteilt. Da akute EPS v. a. zu Beginn einer Neuroleptikabehandlung auf-
treten, werden sie im deutschen Sprachraum als »frühe« EPS bezeichnet. Nach Dose (2005) ist diese Gepflogenheit insofern zu kritisieren, als sie leicht den Blick dafür verstellt, dass akute EPS auch im weiteren Verlauf einer Neuroleptikabehandlung auftreten können (bei Dosissteigerung, aber auch bei Dosisreduktion, bei Schwankungen des Plasmaspiegels infolge von Arzneimittelinteraktionen, bei physischem und psychischem Stress) und dann nicht fehlinterpretiert werden dürfen. Zu den akuten EPS-Syndromen werden fokale Dyskinesien und Dystonien (Grimassen, Muskelspasmen der Zunge, des Gesichtes, des Nackens, Rumpf- und Hüfttorsion), Akathisie (Bewegungsdrang, Unruhe) und das Parkinsonsyndrom gerechnet. Letzteres, auch als neuroleptisches Parkinsonoid bezeichnet, umfasst Hypo- und Bradykinese, Hypomimie (Maskengesicht), Tonuserhöhung (muskuläre Rigidität oder Rigor, Zahnradphänomen), Mikrografie, Sprech- und Schluckstörungen, verminderte Schrittlänge, schlurfender Gang, reduzierte Mitbewegungen sowie Tremor. Trotz der Ähnlichkeit dieser Symptome mit denen des Morbus Parkinson, welche Anlass für die Namensgebung war, bestehen Unterschiede im Erscheinungsbild. Beispielsweise tritt die Symptomatik des neuroleptisch induzierten Parkinsonsyndroms symmetrisch auf, der Tremor ist höherfrequent (8–12 Hz) und kein reiner Ruhetremor. Zu den späten EPS-Syndromen schließlich zählen in erster Linie extrapyramidale Hyperkinesien (tardive Dyskinesien, TD). Diese imponieren als unwillkürliche choreiforme, athetoide oder dystone Bewegungsstörungen v. a. im orofazialen Bereich, können aber auch Extremitäten, Rumpf oder Becken betreffen. Die kumulative Inzidenz dieser oft irreversiblen Spätfolgen wächst beträchtlich mit der Dauer und dem Ausmaß der Neuroleptikaeinnahme, insbesondere bei Verwendung hochpotenter Medikamente. Da in der Literatur unter dem Begriff der extrapyramidalen Symptome EPS meist nur die akuten (frühen) Syndrome zusammengefasst und den TD gegenübergestellt werden, soll diese terminologische Unterscheidung hier beibehalten werden. . Tab. 17.1 fasst die wichtigsten antipsychotikainduzierten Bewegungsstörungen zusammen. Demnach schwanken die in der Literatur berichteten Prävalenzen für EPS und TD zum Teil erheblich. Häufigkeit und Intensität der Störungen hängen von zahlreichen Faktoren ab, zu denen insbesondere Patienten- und Medikamentenmerkmale, Dosishöhe sowie zeitliche Aspekte des Behandlungsregimes zählen. Die Komplexität dieser Einflussfaktoren mag – zusammen mit den unterschiedlichen Erhebungsmodalitäten – die extremen Streubreiten zu einem gewissen Teil erklären. Nach Höffler (1995) könnten die massiven Inkonsistenzen in den berichteten Prävalenzen aber auch die schwierige differenzialdiagnostische Bewertung bestimmter Haltungs- und Bewegungsanomalien als pharmakogen oder morbogen widerspiegeln. Obwohl EPS eindeutig unerwünschte, von den meisten Patienten als störend empfundene Medikamentennebenwirkungen darstellen, waren Kliniker lange Zeit der Meinung, deren Einsetzen markiere die Dosishöhe, ab der eine antipsychotische Wir-
199 17.5 · Diskrete motorische Zeichen als neurologische »soft signs«
17
. Tab. 17.1. Extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen antipsychotisch wirksamer Substanzen, insbesondere von Neuroleptika der 1. Generation (modifiziert nach Jahn 1999; Prävalenzangaben nach Höffler 1995) Klinisches Erscheinungsbild
Höchste Auftretenswahrscheinlichkeit
Streubreite der Prävalenzangaben
Akute (meist frühe) Dystonien und Dyskinesien
Muskelspasmen der Zunge, des Gesichts, des Nackens oder Rückens, okulogyre Krisen, Blepharospasmen, Dysarthrie, Dysphonie, Dysphagie
1–5 Tage
2.3–66.7%
Parkinsonsyndrom
Hypo- und Bradykinese, Rigor, Tremor, Maskengesicht, schlürfender Gang
5–30 Tage
8.6–72.0%
Akathisie
Unruhe, »Trippeln«, Bewegungsdrang
5–40 Tage
5.5–41.0%
Tardive (späte) Dystonien und Dyskinesien
Orofaziale Dyskinesien, Retro- und Torticollis, Blephorospasmen, choreo-athetoide Schleuderbewegungen der Extremitäten, Schaukelbewegungen des Oberkörpers, Hüftrotationen
Monate bis Jahre
8.4–70.0%
kung eintrete. Dies führte zur Konzeption der »neuroleptischen Schwelle«, die in Abhängigkeit von der unterschiedlichen »neuroleptischen Potenz« eines Wirkstoffes erreicht bzw. knapp überschritten werden müsse, sowie zur Entwicklung eines Handschriftentests, der bereits subklinische Anzeichen beginnender EPS (Mikrografie) objektivieren und damit frühestmöglich das Überschreiten der neuroleptischen Schwelle signalisieren sollte (Haase 1983). PET-Studien haben gezeigt, dass konventionelle Neuroleptika ihre antipsychotische Wirkung ab einer Blockade von etwa 60–70% der striatalen Dopamin D2-Rezeptoren entfalten; bei 75–80%iger Rezeptorblockade stellen sich allerdings akute EPS ein. Dieses therapeutische Fenster ist noch schmaler bei den hochpotenten konventionellen Neuroleptika. Erst die Entwicklung der Atypika hat gezeigt, dass eine antipsychotische Wirkung auch weitgehend ohne EPS möglich ist (auf andere, ebenso sorgfältig zu beachtende vegetative, metabolische oder sonstige Nebenwirkungen wird hier nicht eingegangen). Die Rezeptorbindungsprofile und damit auch die wahrscheinlichen Wirkmechanismen der atypischen Neuroleptika sind uneinheitlich. Diskutiert werden u. a. die 5-HT2-Blockade, die relative D1:D2-Affinität sowie selektiv limbische antidopaminerge Effekte. Allerdings bewirken auch Atypika eine D2-Rezeptorblade (am wenigsten Clozapin und Quetiapin). Aripiprazol wird gelegentlich als erstes »Antipsychotikum der 3. Generation« bezeichnet, mit sogar besonders hoher Affinität zum DopaminD2-Rezeptor, bei gleichzeitig aber partiell agonistischem Effekt auf diesen Rezeptortyp. Obwohl die geringere Wahrscheinlichkeit von EPS bei Behandlung mit Atypika inzwischen in mehreren Metaanalysen bestätigt wurde (erstmals durch Leucht et al. 1999), spielen doch die in den Primärstudien jeweils verwendeten konventionellen Vergleichsmedikamente und ihre Dosierungen eine bedeutsame Rolle. Bei kritischer Betrachtung scheint der Vorteil der Atypika geringer auszufallen, wenn zu Vergleichszwecken niedrigpotente
oder geringere Mengen hochpotenter konventioneller Neuroleptika herangezogen werden (Pierre 2005). Auch ist zu beachten, dass die Wahrscheinlichkeit akuter EPS für die verschiedenen Atypika dosisabhängig unterschiedlich ist (Weiden 2007). Die Auftretenswahrscheinlichkeit von TD nach längerer Atypikaeinnahme ist noch kaum untersucht. Eine erste Metaanalyse von Correll et al. (2004) anhand von 11 Längsschnittstudien mit jeweils mindestens einjährigem Beobachtungszeitraum erbrachte bei erwachsenen schizophrenen Patienten (Jugendliche und Ältere ausgenommen) ein etwa 5-fach niedrigeres Risiko für TD im Vergleich zum konventionellen Neuroleptikum Haloperidol. Wie die Autoren selbst bemerken, sind die Primärstudien methodisch noch zu uneinheitlich und die Beobachtungszeiträume noch zu kurz, um sichere Aussagen treffen zu können. Zusammen mit dem weiterhin breiten Einsatz konventioneller Antipsychotika bedeutet dies alles, dass EPS als unerwünschte, die Behandlungscompliance beeinträchtigende und damit rückfallgefährdende Medikamentennebenwirkungen nach wie vor bedeutsam sind. 17.5
Diskrete motorische Zeichen als neurologische »soft signs«
17.5.1 Definition und Untersuchung Innerhalb eines weiten Katatoniebegriffes wurden bereits um 1900 auch ausgeprochen diskrete motorische Störungen beschrieben. In neuerer Zeit belegen Untersuchungen zu neurologischen »soft signs« bei schizophrenen Patienten (Boks et al. 2000; Heinrichs u. Buchanan 1988), dass neben sensorischen und integrativen Funktionen vor allem motorische Funktionen beeinträchtigt sind, von eher basalen Koordinationsleistungen (z. B. Diadochokinese, Finger-Nase-Versuch) bis zu komplexen Bewegungssequenzen (z. B. Finger-Daumen-Opposition, Faust-Kante-
200
Kapitel 17 · Motorik – Psychologie
Ballen-Probe). Diskrete motorische Störungen als Teilmenge neurologischer »soft signs« können – wie diese insgesamt – als Beeinträchtigungen definiert werden, die 4 nicht schon im Alltagsverhalten der Patienten grob auffällig sind, 4 keine eindeutigen Rückschlüsse auf lokalisierbare Schädigungen des peripheren oder zentralen Nervensystems zulassen, 4 dennoch wahrscheinlich eine neurologische Ursache haben.
erwähnte Brief Motor Scale (BMS) entwickelt, die nur die für die Unterscheidung schizophrener Patienten von Gesunden diskriminationsstärksten Aufgaben zusammenfasst. Entsprechend gering ist die Stichprobenüberschneidung individueller BMSSummenwerte von schizophrenen Patienten und gesunden Kontrollprobanden (. Abb. 17.2). 17.5.2 Prävalenzen und Korrelate
Zur standardisierten Erfassung von »soft signs« wurden verschiedene Untersuchungsskalen entwickelt (. Tab. 17.2). Im Unterschied zu ähnlichen Skalen, mit denen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Untersuchungen zum Konzept der »minimalen zerebralen Dysfunktion« durchgeführt wurden, zielen diese Instrumente speziell auf die Erfassung von »soft signs« bei erwachsenen psychiatrischen Patienten. Eigene Itemanalysen haben gezeigt, dass gerade motorische Aufgaben zur klinischen Beurteilung neurologischer »soft signs« gute bis sehr gute psychometrische Eigenschaften aufweisen. Auf dieser Grundlage wurde die bereits in 7 Abschn. 17.2
Die sich aus zahlreichen Untersuchungen (zusammenfassend Bombin et al. 2005; Jahn 1999) ergebenden mittleren Prävalenzraten neurologischer »soft signs« liegen bei schizophrenen Patienten mit 60–70% rund 10-mal höher als bei Gesunden (um 6%) und deutlich höher als bei anderen psychiatrischen Patienten (30–40%). Bei dimensionaler Betrachtung (Anzahl positiver Zeichen bzw. Summenwert aus mehrstufigen Bewertungen) weisen Stichproben schizophrene Patienten ohne Ausnahme signifikant mehr bzw. ausgeprägtere »soft signs« als Gesunde auf, meist auch gegenüber anderen Patientengruppen. Soziodemografische Variablen (Alter, Geschlecht, Bildungsniveau, Schichtzugehörigkeit)
. Tab. 17.2. Standardisierte Ratingskalen zur Erfassung neurologischer »soft signs«. (Modifiziert nach Jahn 2005) Neurological Evaluation Scale (NES)
Heidelberger NSS-Skala (HD-NSS)
Cambridge Neurological Inventory (CNI)
Standardized Neurological Examination (SNE)
Brief Motor Scale (BMS)
Erstveröffentlichungsjahr
1989
1993
1995
2000
2006
Anzahl Items
26 (davon 14 bilateral)
16 (davon 10 bilateral)
80 (davon 11 bilateral)
23 (davon 9 bilateral)
10 (davon 6 bilateral)
Itemcodierung (Schweregradstufen)
3 Stufen: 0–2
4 Stufen: 0–3
4 Stufen: 0, 0.5, 1, 2
4 Studen: 0–3
3 Stufen: 0–2
Anzahl Subskalen
4 (a priori-definiert)
keine
8 (a priori-definiert)
5 (faktorenanalytisch gewonnen)
2 (faktorenanalytisch gewonnen)
Beurteilungsbasis
35-minütige, standardisierte Untersuchung
standardisierte Untersuchung
20–40-minütige, standardisierte Untersuchung
standardisierte Untersuchung
15–20-minütige, standardisierte Untersuchung
Skalenhomogenität
k. A.
Cronbachs α =0,85
k. A.
Cronbachs α =0,85
Cronbachs α =0,83
Retestreliabilität
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
rtt=0,84 (Gesamtscore)
Interraterreliabilität
ICC=0,95 (Gesamtscore) 0,00 d ICC d 1,00 (Items)
r=0,88 (Gesamtscore)
0,82dKendalls Wd1,00 (14 ausgewählte Items)
ICC=0,97 (Gesamtscore) 0,40dKappad0,75 (meiste Items)
0,70dKappad1,00 (meiste Items)
Diagnostischer Schwellenwert
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
Gesamtscore !1,5
17
Quellenangaben zu den Instrumenten in Jahn (1999, 2005)
201 17.5 · Diskrete motorische Zeichen als neurologische »soft signs«
17
. Abb.17.2. Stichprobenverteilung individueller Summenwerte der Brief Motor Scale (BMS) bei schizophren erkrankten Patienten und ge-
sunden Kontrollprobanden. Ergebnisse einer trizentrischen Studie. (Mod. nach Jahn et al. 2006a)
sind mit »soft signs« nicht korreliert. Negative Korrelationen mit dem Intelligenzniveau wurden wiederholt berichtet, erklären aber höchstens 15% der Varianz. Nur vereinzelt fanden sich Zusammenhänge mit dem bisherigen Krankheitsverlauf (prämorbide Anpassung, Ersterkrankungsalter, Krankheitsdauer, Anzahl und Dauer früherer Hospitalisierungen). Schizoaffektive Patienten unterscheiden sich nicht von schizophrenen. Auch bestehen kaum Unterschiede zwischen hospitalisierten und nicht hospitalisierten Patienten, obwohl im Behandlungsverlauf eine Reduktion neurologischer Zeichen beschrieben wurde, wenn auch nicht auf das Niveau Gesunder (Schröder et al. 1993). »Soft signs« sind möglicherweise prädiktiv für einen ungünstigeren Krankheitsverlauf und dementsprechend ausgeprägter bei chronisch schizophrenen Patienten. Obwohl mehrere Untersuchungen auf einen Zusammenhang zwischen »soft signs« und negativen Symptomen der Schizophrenie hinweisen, sind die Befunde zu psychopathologischen Korrelaten insgesamt uneinheitlich. Speziell motorische »soft signs« korrelieren hoch mit formalen, nicht aber mit inhaltlichen Denkstörungen. Signifikante Zusammenhänge bestehen darüber hinaus mit einer Vielzahl neuropsychologischer Defizite einschließlich sprachlicher und mnestischer Funktionen. Am häufigsten repliziert wurde ein Zusammenhang zwischen motorischen »soft signs« und exekutiven Leistungsdefiziten (z. B. Anzahl der perserverativen Fehler im WCST – Wisconsin Card Sorting Test). Ergebnisse bildgebender Verfahren werden von Schröder (7 Kap. 18) referiert.
Hervorzuheben ist, dass mit wenigen Ausnahmen bisher keine bedeutsamen Zusammenhänge zwischen »soft signs« und neuroleptischer Dosishöhe, Expositionszeit und extrapyramidalmotorischen Medikamentennebenwirkungen gefunden wurden. Auch die Art der Medikation (konventionell vs. atypisch) scheint ohne Einfluss zu sein. Neurologische »soft signs« konnten auch bei neuroleptikanaiven schizophrenen Patienten vermehrt nachgewiesen werden. ! Neurologische »soft signs«, die v. a. eine Vielzahl diskreter motorischer Zeichen beeinhalten, sind bei schizophrenen Patienten häufig, mit den meisten Krankheitsaspekten unkorreliert und nicht als Epiphänomen der Behandlung mit Antipsychotika erklärbar. Sie korrelieren weniger mit psychopathologischen Symptomen als mit neuropsychologischen Defiziten und Hirnanomalien.
17.5.3 Motorische »soft signs«
als Vulnerabilitätsmarker Von größtem Interesse sind Ergebnisse retrospektiver und prospektiver (Längsschnitt-)Studien, die zeigen, dass diskrete motorische Störungen in vielen Fällen bereits lange vor Ausbruch der Psychose bestehen (Niemi et al. 2003). Ein origineller Untersuchungsansatz ist die Auswertung privater Videoaufnahmen aus der Kindheit schizophren erkrankter Personen (Walker et al.
202
Kapitel 17 · Motorik – Psychologie
1994). Aufnahmen aus verschiedenen Entwicklungsphasen der späteren Patienten wurden mit solchen ihrer gesund gebliebenen Geschwister hinsichtlich Alter und Spielsituation so weit wie möglich parallelisiert. Beim Betrachten der Videosequenzen waren überraschenderweise nicht nur Experten, sondern auch Laien in der Lage, überzufällig häufig diejenigen Kinder zu identifizieren, die später an einer Schizophrenie erkranken sollten. Die mehrfach replizierten Ergebnisse dieses auch als »archival-observational method« bezeichneten Forschungsansatzes konvergieren mit Befunden prospektiver Langzeitstudien an Kindern schizophrener Eltern. Nach diesen Studien weist etwa die Hälfte dieser Kinder motorische »soft signs« auf, die durch verschiedene Entwicklungsphasen hindurch bis in die Adoleszenz und das Erwachsenenalter hinein persistieren und – zusammen mit sozial unangepasstem Verhalten und basalen Aufmerksamkeitsstörungen – eine gewisse prognostische Validität zur Vorhersage schizophrener Spektrumsstörungen haben. Passend hierzu belegen mehrere Studien erhöhte Prävalenzen motorischer »soft signs« bei erstgradig Verwandten von schizophrenen Patienten sowie bei Cluster-APersönlichkeitsstörungen, insbesondere Schizotypie (Jahn 1999). Insgesamt ist festzuhalten, dass bei schizophren erkrankten Patienten ein ganzes Spektrum diskreter motorischer Koordinationsstörungen im Sinne neurologischer »soft signs« nachgewiesen werden kann. Die in prospektiven Längsschnittuntersuchungen an Kindern schizophrener Eltern gewonnenen Befunde sprechen – zusammen mit den retrospektiv aus der Kindheit schizophrener Patienten, aber auch an Angehörigen und schizotypen Personen gewonnenen Untersuchungsergebnissen – dafür, dass die motorischen »soft signs« mit dem genetisch übertragenen Erkrankungsrisiko assoziiert sind. 17.6
Okulomotorische Dysfunktionen
17.6.1 Definition und Untersuchung
17
Bereits 1908 beschrieben Diefendorf und Dodge bei Patienten mit Dementia Praecox ein durch sakkadische Unterbrechungen zerhacktes Muster langsamer Augenfolgebewegungen (Diefendorf u. Dodge 1908). Bei Gesunden und Patienten anderer Diagnosegruppen (Manie, Depression, Patienten mit »paralytischer Demenz« und Epilepsie) fanden sich derartige Anomalien nicht bzw. nur in wenigen Fällen. Im Gegensatz zu den langsamen Augenfolgebewegungen waren die schnellen sakkadischen Augenbewegungen der an Dementia praecox leidenden Patienten nicht beeinträchtigt, woraus die Autoren schlossen, dass die beobachteten Anomalien kein Nebenprodukt allgemeiner Beeinträchtigungen der Aufmerksamkeit seien, sondern ein fundamentales kognitives Defizit anzeigten. Die Vorzüge und Möglichkeiten, die diese Autoren in einer experimentellen Untersuchung der Augenbewegungen psychiatrischer Patienten sahen sowie der Einfallsreichtum, mit dem sie diese Untersuchung apparativ bewerkstelligten, verdienen noch heute, gewürdigt zu werden (s. Box).
Eine historische Untersuchung von Augenbewegungen bei Patienten mit Dementia Praecox Diefendorf u. Dodge (1908) hoben folgende Vorteile der Untersuchung okulomotorischer Funktionen bei psychiatrischen Patienten hervor: 4 Augenbewegungen seien als motorisches Verhalten weder ungewöhnlich noch schwierig. Im Gegenteil handele es sich ontogenetisch um die am frühesten entwickelten Formen motorischer Organisation, die auch noch bis ins hohe Alter erhalten blieben, wenn andere motorische Fähigkeiten oder gar das Erlernen neuer motorischer Fertigkeiten schon stark eingeschränkt seien. 4 Im Alltag liefen Augenbewegungen für gewöhnlich unwillkürlich und unbewusst ab, sie seien einfach Teil der mechanischen Adjustierung des visuellen Apparates und wenn überhaupt, dann werde nur das Ergebnis dieser Adjustierung und nicht diese selbst zum Gegenstand mehr oder minder bewusster Verarbeitung. 4 Die relative Uniformität der lebenslangen Beanspruchung dieses motorischen Systems lasse es für differenzielle Fragestellungen (Vergleich zwischen verschiedenen Personengruppen) ideal erscheinen: »Probably no other form of reaction is common to so many different persons in so high a state of development« (S. 452). 4 Schließlich sei die Technik zur Aufzeichung von Augenbewegungen vergleichsweise einfach und ohne außergewöhnliche Beanspruchung der Patienten anwendbar. Die von Diefendorf und Dodge benutzte Untersuchungstechnik war nicht so einfach, wie sie behaupteten. Der »Dodge Photochronograph« war eine 1,5 m lange, kameraähnliche Anlage mit ölbetriebener Mechanik zur kontinuierlichen Abwärtsbewegung lichtempfindlicher Platten. Eine 4,5 m entfernt aufgestellte Lichtquelle wurde auf die Cornea des vor der röhrenartigen Öffnung des Gerätes sitzenden Probanden gerichtet, sodass diese das Licht in den Tunnel der Kamera reflektierte. Sobald ein Stimulus in das Blickfeld des Probanden gebracht und das Objektiv der Kamera geöffnet war, zeichnete der vom Auge reflektierte Lichtbogen in Abhängigkeit von der Augenbewegung eine Spur auf die Fotoplatte. Ein Mechanismus zur taktmäßigen Unterbrechung der Lichtquelle sorgte dafür, dass die fotografische Spur auf der sich abwärts bewegenden Platte aus einer Reihe feiner Punkte bestand. Aus der Frequenz der intermittierenden Lichtunterbrechung und der Bewegungsgeschwindigkeit der Photoplatten ließen sich die zeitlichen Charakteristika der Augenbewegungen zusätzlich zu den räumlichen Charakteristika berechnen. Die Präzision dieser Untersuchungsanlage war derjenigen heutiger Messmethoden – der Elektrookulografie (EOG) bzw. der Infrarot-Reflektrometrie (IRR) – durchaus ebenbürtig.
203 17.6 · Okulomotorische Dysfunktionen
17
a
b
. Abb. 17.3a,b. Okulomotorische Untersuchungsparadigmen. a Langsame Blickfolgebewegung: Ein Zielpunkt bewegt sich auf einer (gedachten) horizontalen Linie hin und her. Der Blick soll diesem Ziel möglichst genau folgen. Links ein Bewegungsausschnitt mit niedrigem Gain (Verhältnis Ziel- zu Augengeschwindigkeit) und kompensatorischen Aufholsakkaden. Rechts eine intrusive Sakkade, die den Blick vom Ziel entfernt.
b Antisakkadenaufgabe: Nach einem variablen Fixationsintervall erscheint für 1 s ein peripherer Reiz. Es soll eine Sakkade zur Gegenseite erfolgen. Auf der rechten Seite ein typisches Bewegungsbeispiel: Der Blick geht zunächst instruktionswidrig zum peripheren Reiz (falsche reflektorische Prosakkade), wird aber rasch korrigiert. (Aus Kathmann 2004; mit freundlicher Genehmigung des Autors)
204
Kapitel 17 · Motorik – Psychologie
Auf die Arbeit von Diefendorf und Dodge (1908) folgten nur zwei Replikationen; danach geriet sie in Vergessenheit. Erst die Wiederentdeckung des okulomotorischen Phänomens durch Holzman et al. (1973) provozierte so viele Nachfolgeuntersuchungen, dass heute die Beeinträchtigung von Smooth Pursuit Eye Movements (SPEM), auch als Eye Tracking Dysfunction (ETD) bezeichnet, zu den am besten replizierten Befunden der experimentalpsychologischen Schizophrenieforschung gehört (Levy et al. 1993). In neuerer Zeit verstärkt untersucht wurden daneben sakkadische Augenbewegungen, insbesondere im Rahmen von sog. Antisakkadenaufgaben. Beide okulomotorischen Untersuchungsparadigmen illustriert . Abb. 17.3. Die in ihnen auftretenden okulomotorischen Beeinträchtigungen schizophren erkrankter Patienten werden auch unter dem Begriff Eye Movement Dysfunction (EMD) zusammengefasst. Wurde in früheren SPEM-Untersuchungen die Güte der polygrafisch aufgezeichneten Augenfolgebewegungen zunächst nur global anhand qualitativer Expertenratings beurteilt, so setzten sich bald quantitative Leistungsparameter durch: der Root Mean Square Error (RMSE) für die generelle Abweichung der Folgebewegung von der Targetbewegung (Trackinggüte), Anzahl und Amplituden intrusiver (antizipatorischer oder aber SquareWave-)Sakkaden bzw. von Korrektursakkaden sowie insbesondere der Gain, berechnet als das Verhältnis der Augengeschwindigkeit zur Zielgeschwindigkeit. Im Falle der Antisakkadenaufgabe werden vor allem der Anteil richtiger Reaktionen bzw. von Richtungsfehlern (falsche Prosakkaden) sowie Latenzen, Amplituden und Spitzengeschwindigkeiten korrekter Antisakkaden bzw. inkorrekter Reflexsakkaden quantifiziert. 17.6.2 Blickfolgesystem
17
Die Prävalenz beeinträchtigter SPEM bei schizophren erkrankten Patienten wird in der Forschungsliteratur mit 20–70%, vereinzelt sogar mit bis zu 85% angegeben. Diese stark variierenden Angaben sind auch auf unterschiedliche, letztlich immer arbiträre Unterscheidungskriterien zurückzuführen. Inferenzstatistische Auswertungen der üblichen Leistungsmaße (qualitatives Rating, RMSE, Gain, Anzahl intrusiver Sakkaden) belegen fast immer signifikante Unterschiede zwischen Patienten und Gesunden. Eine Metaanalyse von 10 Studien ergab eine mittlere Effektstärke für den Gain von d=0,93 (Friedman et al. 1991). Daraus folgt, dass tatsächlich das langsame Folgesystem gestört ist und nicht allein das Sakkadensystem, zumal intrusive Sakkaden meist nicht häufiger sind als bei Gesunden, wohl aber korrektive Sakkaden, vermutlich als funktionale Folge eines reduzierten Gain. Die SPEM-Störung ist intraindividuell außerordentlich stabil, relativ unabhängig vom Remissionsgrad, auch in gänzlich symptomfreien Intervallen aufzeigbar, allerdings diagnostisch nicht wirklich spezifisch, denn auch affektive Erkrankungen sowie Zwangsstörungen gehen mit ähnlichen – wenn auch meist geringer ausgeprägten bzw. selteneren – SPEM-Beeinträchtigungen einher.
Im Unterschied zu den Befunden bei schizophren erkrankten Patienten kommen diese aber hier v. a. in aktuen Krankheitsstadien vor und korrelieren stärker mit dem Schweregrad der Psychopathologie (die Annahme, dass die Behandlung mit Lithium ursächlich sei für die SPEM-Störung von Patienten mit bipolaren Störungen, kann inzwischen als widerlegt gelten). Bei schizophrenen Patienten korrelieren Negativsymptome deutlicher als Positivsymptome mit der SPEM-Störung; insgesamt spricht die Mehrzahl der Untersuchungen aber für den Trait-Charakter der SPEM-Störung bei Schizophrenie. Die SPEM-Störung ist kein Epiphänomen der Pharmakobehandlung, wie die meist vernachlässigbaren Korrelationen zwischen SPEM-Maßen und der neuroleptischen Dosis, der Vergleich vorübergehend unbehandelter schizophener Patienten mit Gesunden und Untersuchungen an neuroleptikanaiven Patienten zeigen. Tatsächlich scheinen noch nie mit Antipsychotika behandelte Patienten ein eher größeres Gaindefizit aufzuweisen. Da eine experimentell induzierte Fokussierung der Aufmerksamkeit auf das Blickziel zu einer – allerdings nur vorübergehenden – Normalisierung der SPEM-Störung führt, nahm man eine Weile an, diese sei durch eine Beeinträchtigung der visuellen Aufmerksamkeit verursacht. Dieser Befund war allerdings nicht verlässlich replizierbar. Weitere Untersuchungen mit dem DualTask-Paradigma, bei dem die Aufmerksamkeit von der okulomotorischen Aufgabe durch eine parallel konkurrierende (visuelle oder akustische) Aufgabe abgelenkt wird, zeigten eine z. T. deutlichere Verbesserung der Blickfolgeleistung schizophren erkrankter Patienten. Dies führt zu der alternativen Hypothese, dass bei diesen Patienten die üblicherweise automatische (»open-loop«) Steuerung der Blickfolge beeinträchtigt ist, so dass Ablenkung einen normalisierenden Effekt hat. Weitere Aufschlüsse über das bei der SPEM-Störung vorliegende basale Defizit versuchte man durch experimentelle Aufgabenvariationen und eine zunehmend genauere Analyse der okulomotorischen Leistung zu gewinnen, wobei es von Vorteil ist, dass die neuronalen Grundlagen der okulomotorischen Syteme bereits gut erforscht sind. So zeigte sich etwa, dass schizophrene Patienten am Beginn von Folgebewegungen zwar korrekte initiale Aufholsakkaden machen, nachfolgende Korrektursakkaden bei der Abstimmung auf das Blickziel aber deutlich ungenauer sind als bei Gesunden. Bei vorübergehend unsichtbarem Zielreiz ist der prädiktive Gain beeinträchtigt, ein Defizit, das sich übrigens auch bei gesunden Angehörigen nachweisen ließ. Da initiale Aufholsakkaden ausschließlich auf retinaler Information basieren, während Korrektursakkaden im Bewegungsverlauf auch auf extraretinalen Quellen beruhen müssen, ist möglicherweise die Prädiktionsschwäche das eigentliche Funktionsdefizit. Korrelationen zwischen SPEM-Maßen und neuropsychologischen Testleistungen zeigen signifikante Zusammenhänge v. a. mit Aspekten der Daueraufmerksamkeit (CPT – Continuous Performance Test; insbesondere in Versionen, die auch Anforderungen an das Arbeitsgedächtnis stellen), sowie mit exekutiven Funktionsstörungen (z. B. Anzahl von Perseverationen im WCST
205 17.7 · Störungen der Manumotorik
– Wisconsin Card Sorting Test – sowie eingeschränkte Wortflüssigkeit). Auch mit der NES-Subskala »Sequenzierung komplexer motorischer Akte« fanden sich vereinzelt signifikante Zusammenhänge, so dass die SPEM-Störung möglicherweise in einen umfassenderen Kontext von exekutiven Beeinträchtigungen und motorischen Koordinationsstörungen zu stellen ist. Zwillingsuntersuchungen belegen, dass die Leistungsfähigkeit des langsamen Blickfolgesystems wesentlich genetisch determiniert ist. Tatsächlich zeigen auch viele Verwandte schizophrener Patienten beeinträchtigte SPEM. Interessanterweise erwies sich die SPEM-Störung bei Zwillingen, die für Schizophrenie diskordant waren, als meist konkordant. Auch in psychometrisch definierten Hochrisikogruppen finden sich gehäuft SPEM-Störungen, so in mehreren Untersuchungen an Personen mit schizotypischen Persönlichkeitsmerkmalen. Es gibt Anhaltspunkte für eine Beziehung zwischen der SPEM-Störung und einer bestimmten Genregion auf Chromosom 6p. Wie kaum ein anderer Befund erfüllen damit die Störungen langsamer Augenfolgebewegungen die Kriterien für einen biologischen Marker des genetisch übertragenen Erkrankungsrisikos für Schizophrenie. Ein entsprechendes Transmissionsmodell konnte in amerikanischen und norwegischen Familienuntersuchungen kreuzvalidiert werden (Holzman 1989). Allerdings fanden sich erhöhte SPEM-Raten auch in Familien von affektiv erkrankten Patienten. Die mangelnde diagnostische und familiäre Spezifität der SPEM-Störung weist darauf hin, dass der damit erfasste genetische Vulnerabilitätsfaktor möglicherweise nicht schizophreniespezifisch ist (Kathmann 2004). 17.6.3 Sakkadensystem Die Fehlerraten schizophren erkrankter Patienten in der Antisakkadenaufgabe rangieren zwischen 30 und 70% und sind damit wesentlich höher als die der meisten gesunden Kontrollprobanden, bei denen zwischen 0 und maximal 25% fehlerhafte Reaktionen vorkommen. Daher trennt dieses Maß schizophrene und gesunde Stichproben noch besser als die SPEM-Leistung. Auch sind die Latenzen korrekt ausgeführter Antisakkaden bei Schizophrenen häufig erhöht, während die Metrik reflexiver Sakkaden (Latenz, Amplitude und Geschwindigkeit) unauffällig ist. Wie die SPEM-Störung ist die Antisakkadenstörung diagnostisch nicht spezifisch, doch wurde auch hier eine familiäre Häufung und das Vorkommen bei psychometrisch definierten Hochrisikoprobanden (Schizotypie) mehrfach repliziert. In einer Untersuchung trat das Antisakkadendefizit nur in solchen Familien auf, in denen der erkrankte Indexproband ebenfalls fehlerhafte Antisakkaden produzierte – ein Argument für die gemeinsame genetische Übertragung von Krankheitsdisposition und Okulomotorikstörung. Die bisherigen Forschungsergebnisse zu möglichen Medikamenteneinflüssen und zu neuropsychologischen Korrelaten entsprechen weitgehend den schon hinsichtlich der SPEM-Störung
17
referierten Befunden. Allerdings vermindern konventionelle Neuroleptika die Amplitude von Antisakkaden und anderen Willkürsakkaden, und antipsychotikainduzierte EPS, insbesondere TD, beeinrächtigen die Fähigkeit zu Antisakkaden möglicherweise eher als die SPEM. Die funktionalen Ursachen der Antisakkadenstörung sind noch nicht befriedigend geklärt. Zwei Prozesse wirken bei der Generierung von Antisakkaden zusammen: das Unterlassen einer reflexiven, reizgetriebenen Reaktion und das gleichzeitige Initiieren einer auf interner Zielrepräsentation basierenden Willkürhandlung. Zahlreiche entwicklungsneurologische, tier- und humanexperimentelle sowie klinische Studien sprechen für eine gewisse Unabhängigkeit von Inhibition und Generierung bei der Sakkadenkontrolle. Die Effekte experimenteller Aufgabenvariationen auf die Reaktionslatenzen schizophrener Patienten im Rahmen der Antisakkadenaufgabe legen derzeit die Schlussfolgerung nahe, dass bei diesen Patienten in erster Linie eine Schwäche beim Generieren von Willkürsakkaden vorliegt. Da schizophrene Patienten in Antisakkadenaufgaben aber generell auch mehr Fehler machen, könnte ein Hemmungsmangel zusätzlich gegeben sein. Entsprechend kommen als Störungsorte sowohl der dorsolaterale präfrontale Kortex als auch die frontalen Augenfelder in Betracht. 17.7
Störungen der Manumotorik
Manumotorische Leistungen gelten in der neuropsychologischen Diagnostik seit langem als relativ einfach zugängliche Indikatoren des Reifungsgrades und der Integrität des ZNS. Entsprechend häufig wird die Schnelligkeit und Genauigkeit einfacher oder komplexer Koordinationsleistungen untersucht. Beispielsweise schlossen Günther u. Gruber (1983) sowie Günther et al. (1986) aus einer breit angelegten Untersuchung motorischer Funktionen mittels der Motorischen Leistungsserie (MLS), modifizierter Aufgaben aus der Lincoln-Oseretzky-Motor-Development-Scale (LOM) sowie dem Motorikuntertest der Luria-Nebraska-Neuropsychological Battery (LNNB) auf das Vorhandensein eines »Psychotic Motor Syndrome« (PMS) sowohl bei schizophren Erkrankten als auch bei endogen Depressiven. Dessen Merkmale persistierten jedoch nur bei den schizophrenen Patienten auch im symptomfreien Intervall und waren mit psychopathologischen und medikamentenbezogenen Variablen kaum korreliert. Hierzu passen vorläufige Ergebnisse aus einer eigenen, laufenden Längsschnittuntersuchung zu den neuropsychologischen Determinanten des Therapieoutcomes bifokaler Psychoedukationsgruppen bei stationär behandelten schizophrenen Patienten. Als Teil einer umfangreichen neuropsychologischen Testbatterie werden drei MLS-Aufgaben im Abstand von 14 Tagen wiederholt vorgegeben. Zwischen dem ersten und dem zweiten Untersuchungstermin liegt die randomisierte Aufteilung der Patienten auf eine von zwei Behandlungsbedingungen, die dem eigent-
206
17
Kapitel 17 · Motorik – Psychologie
lichen psychoedukativen Gruppentraining vorgeschaltet sind: a) Stationäre Standardbehandlung ohne vs. b) stationäre Standardbehandlung mit täglich einstündigem computergestützten kognitiven Training. Dieses experimentelle Treatment hat beim jetzigen Stand der Datenerhebung (N=62) auf das MLS-Profil von kognitiv Trainierten und Untrainierten keinerlei Einfluss; ebenso wenig wie der Verlauf der Psychopathologie (Medianhalbierung der PANSS-Differenzwerte zwischen erstem und zweitem Messzeitpunkt), wie in . Abb. 17.4 dargestellt. Obwohl sich beide Patientensubgruppen hinsichtlich ihrer psychopathologischen Entwicklung sehr deutlich voneinander unterscheiden, sind die MLS-Leistungsprofile zu beiden Zeitpunkten praktisch identisch: Die Ergebnisse der Tremorprüfung liegen im Vergleich zur Referenzgruppe gleichaltriger Gesunder jeweils im Normbereich (»steadiness«: Fehlerzahl und Fehlerdauer), doch sind die mittlere Bearbeitungsdauer einer Fingergeschicklichkeitsaufgabe (lange Stifte stecken) sowie, etwas weniger deutlich, das maximalschnelle Finger-Handgelenk-Tapping unterdurchschnittlich. Als normierte Testbatterie ist die MLS besonders gut geeignet, diagnosespezifische motorische Leistungsprofile und ihre zeitlichen Veränderungen abzubilden. Insofern überrascht ein wenig, dass sie doch eher selten in der Schizophrenieforschung eingesetzt wird. In vielen neuropsychologischen Schizophreniestudien wurde aber wenigstens das maximalschnelle Fingertapping auf die eine oder andere Weise apparativ untersucht. So stellten bereits Shakow u. Huston (1936) in ihrer heute noch lesenswerten Untersuchung an 123 schizophrenen Patienten, 60 gesunden Probanden sowie 13 manisch-depressiven Patienten fest, dass schizophrene Patienten beim Fingertapping im Vergleich zu Gesunden nicht nur deutlich verlangsamt, sondern als Gruppe in ihrer Leistung heterogener (erhöhte interindividuelle Varianz) und über mehrere Wiederholungen der gleichen Aufgabe auch schwankender (erhöhte intraindividuelle Variabilität) waren. Die zahlreichen Untersuchungen in der Folgezeit haben wir bereits an anderer Stelle ausführlich gewürdigt (Jahn u. Klement, 2004). Wesentliche Ergebnisse aus 35, über einen Zeitraum von 66 Jahren (1936–2002) publizierten Untersuchungen zum Fingertapping bei insgesamt 1.572 schizophren (einschließlich 89 schizoaffektiv) erkrankten Patienten, 214 Patienten mit anderen psychiatrischen Diagnosen (davon 145 Patienten mit uni- bzw. bipolaren affektiven Erkrankungen) sowie 813 psychiatrisch und neurologisch gesunden Kontrollen sind: 4 Schizophrene Patienten sind beim maximalschnellen Fingertapping langsamer als gesunde Kontrollprobanden und zeigen außerdem eine erhöhte intraindividuelle Variabilität (über Aufgabenwiederholungen) sowie eine erhöhte interindividuelle Varianz (unter gleichen Aufgabenbedingungen). Die beiden letztgenannten Aspekte wurden bisher allerdings nur selten untersucht. 4 Es besteht kein signifikanter Unterschied zwischen schizophrenen und schizoaffektiven Patienten, die sich gleichermaßen von manischen wie depressiven Patienten unterscheiden.
4 Die Retest-Reliabilität der maximalen Tappinggeschwindigkeit ist in Stichproben schizophrener Patienten ähnlich hoch wie in Stichproben gesunder Probanden, weshalb diese motorische Leistung für Verlaufsmessungen geeignet ist: Im Unterschied zu affektiv erkrankten Patienten ist die Verlangsamung der schizophrenen Patienten auch während symptomfreier Intervalle signifikant, was für eine Trait-Charakteristik spricht. 4 Bei schizophrenen Patienten findet sich das gleiche Muster biosozialer Korrelate wie bei Gesunden: ein Alterseffekt (langsameres Tapping ab 60 Jahren), ein Geschlechtseffekt (schneller bei Männern), kein Zusammenhang mit Intelligenz oder Bildungsniveau. Die Handpräferenz scheint sich nicht in der gewohnten Weise auf die Tappingleistung auszuwirken (Nivellierung auf niedrigem Niveau anstatt dominante Seite schneller als subdominante; s. u. 7 Abschn. 17.8). 4 Langsamere Tappingleistungen schizophrener Patienten sind (tendenziell) assoziiert mit der Erkrankungsdauer, schleichendem Krankheitsbeginn, prämorbiden Persönlichkeitsstörungen sowie vorherrschender Negativsymptomatik. Vereinzelt fanden sich Zusammenhänge mit kognitiven, insbesondere exekutiven Funktionsstörungen. 4 Schlechtere Tappingleistungen schizophrener Patienten gehen u. a. einher mit vergrößerten relativen Volumina der Basalganglien, verringertem relativen Volumen des Frontallappens, verminderter Aktivierung der primärmotorischen bzw. sensomotorischen Kortizes und der SMA sowie selektiv erhöhter ipsilateraler Koaktivation im ipsilateralen Pallidum. Strukturelle und funktionelle neuronale Abnormitäten könnten somit an der Verursachung des defizitäen Fingertappings schizophrener Patienten beteiligt sein (7 Kap. 18). 4 Untersuchungen an nicht medizierten Patienten, Korrelationen mit der neuroleptischen Dosis, mit EPS (in den wenigsten Studien durch Ratingskalen erfasst) sowie Vergleiche zwischen konventionellen und atypischen Antipsychotika zeigen überwiegend keine oder nur geringe Zusammenhänge mit der Tappingleistung. Schizophene Patienten erbringen nicht nur im Vergleich zu Gesunden, sondern auch zu affektiv erkrankten Patienten selbst dann noch schlechtere Tappingleistungen, wenn sie die Bewegungen mit . Abb. 17.4a,b. Mittelwerte und 95% Konfidenzintervalle von 4 moto- 7 metrischen Leistungsparametern (alterskorrigierte T-Werte, nur rechte Hand) aus 3 Aufgaben der Motorischen Leistungsserie (MLS) einer laufenden Längsschnittstudie an stationär behandelten schizophrenen Patienten. a 1. Zeitpunkt; b 2. Zeitpunkt, 14 Tage später. Linke Spalte: Patienten mit geringer bzw. fehlender psychopathologischer Besserung in dieser Zeit; rechte Spalte: Patienten mit deutlicher bis sehr deutlicher Besserung. Die vier Testprofile sind nahezu identisch (ANOVA mit Messwiederholungen: Haupteffekte Gruppe: 0,00≤F1,60≤0,49; n. s.; Haupteffekte Zeitpunkt: 0,09≤F1,60≤2,60; n. s.; Wechselwirkungen Gruppe × Zeitpunkt: 0,01≤F1,60≤1,14; n. s.)
207 17.7 · Störungen der Manumotorik
a
b
17
208
Kapitel 17 · Motorik – Psychologie
einem externen (meist akustischen) Taktgeber synchronisieren sollen. Die geringere Synchronisationsleistung zeigt sich dabei am deutlichsten gerade in solchen Frequenzbereichen, die eine »Vorhersage« des nächsten Signals begünstigen (zwischen 80 und 120 bpm). Dies spricht gegen ein allgemeines motivationales Defizit oder bloße Unaufmerksamkeit als Ursache, wiederbelebt aber ältere Hypothesen zu einem »redundanzassoziierten« kognitiven Defizit schizophrener Patienten. Interessanterweise scheint diese manumotorische Synchronisationsstörung mit formalen Denkstörungen einherzugehen. Detaillierte Analysen der Verteilungsform von Antizipationsintervallen beim synchronisierten Fingertapping (Jirsa et al. 1996) deuten auf eine bei schizophrenen Patienten im Vergleich zu Gesunden veränderte 40 Hz-Aktivität in einzelnen Strukturen des Gehirns. Zusätzliche Plausibilität erhält diese Hypothese dadurch, dass die 40 Hz-Aktivität des Gehirns durch eine Reihe unterschiedlicher Neurotransmitter gesteuert wird, wobei . Abb. 17.5a–c. Beispiele für Fingertapping-Bewegungen von a einem gesunden Probanden und b,c zwei schizophrenen Patienten. Dargestellt sind als obere Kurve jeweils die Ortstrajektorie (horizontale Winkeländerung unter dem Zeigefinger) und – als untere Kurve – das Geschwindigkeitsprofil der Bewegung (Winkelgeschwindigkeiten) über die Zeit. Jeweils rechts außen sind die Auf- und Abwärtsbewegungen der Fingerspitzen in der sagittalen Ebene dargestellt. Die Probanden a und b sind hinsichtlich zentraler kinematischer Kennwerte (Frequenz, mittlere Amplitude und Variationskoeffizient des Verhältnisses von Maximalgeschwindigkeit zu Amplitude pro Bewegungssegment) typisch für die mittleren Leistungen der Kontrollprobanden bzw. der schizophrenen Patienten. Proband c ist ein extremes Beispiel für das Ausmaß der motorischen Verlangsamung und der erhöhten intraindividuellen Variabilität der Bewegungsausführung, wie sie nur bei schizophrenen Patienten vorkommen. (Aus Jahn u. Klement 2004, S. 167)
17
sich insbesondere Veränderungen im dopaminergen und serotonergen System störend auswirken können. Bemerkenswert ist, dass die wenigsten Untersucher die intraindividuelle Variabilität der Bewegungsausführung näher analysiert haben, obwohl dies ein wesentlicher Befund bereits von Huston u. Shakow (1936) gewesen war. Die genaueste Untersuchung ermöglichen computergestützte Methoden der kinematischen Bewegungsanalyse. Das Fingertapping eines gesunden und zweier schizophren erkrankter Probanden (Instruktionsbedingung »schnellstmöglich«), wie sie in einer eigenen Untersuchung an 26 stationär behandelten schizophrenen Patienten und nach Alter, Geschlecht und Händigkeit parallelisierten gesunden Kontrollprobanden gefunden wurden, illustriert . Abb. 17.5. In insgesamt 3 kinematischen Tappingstudien mit zusammen 83 schizophrenen Patienten und 117 nach Alter und Händigkeit gematchten gesunden Kontrollen wiesen, gemessen am 10.
209 17.8 · Veränderte motorische Lateralisierung
bzw. 90. Perzentil der entsprechenden Kennwerteverteilung gesunder Probanden, 73,5% der Patienten maximale Tappingleistungen auf, die durch abnorme Verlangsamung, abnorm erhöhte Variabilität oder beide Phänomene zugleich gekennzeichnet waren (Jahn u. Klement 2004). Subgruppenunterschiede innerhalb des schizophrenen Spektrums bestanden nicht, ebenso wenig signifikante Korrelationen mit klinischen Merkmalen wie Krankheitsdauer, Zahl der Hospitalisierungen, sozioökonomisches Funktionsniveau, Psychopathologie und abnormale unwillkürliche Bewegungen. Auch die neuroleptische Tagesdosis und klinisch eingeschätzte Medikamentennebenwirkungen korrelierten zwar signifikant, in der Höhe aber nur gering mit einzelnen kinematischen Parametern. In einer anderen Serie kinematischer Untersuchungen zur feinmotorischen Dysdiadochokinese beim repetitiven Zeichnen übereinandergelagerter Kreise auf einem Digitalisiertablett wurden ähnliche Ergebnisse gewonnen (Jahn 1999). Insbesondere die intraindividuelle Variabilität bei der Steuerung einzelner Bewegungssegmente konnte immer wieder repliziert und in qualitativer wie quantitativer Hinsicht von derjenigen alkoholkranker Patienten und von Patienten mit Morbus Parkinson abgegrenzt werden. Eine signifikant erhöhte intraindividuelle motorische Variabilität bei der feinmotorischen Dysdiadochokinese zeigten auch psychiatrisch unbehandelte studentische Probanden mit ausgeprägten schizotypischen Persönlichkeitsmerkmalen im Vergleich zu nicht schizotypen gleichaltrigen Kontrollen (Jahn et al. 2001). Die kinematische Bewegungsanalyse von Aufgaben, wie sie üblicherweise bei der klinischen Prüfung motorischer »soft signs« verwendet werden, ermöglicht die bereits erwähnte MAZ, der auch die o. g. Tappingergebnisse entstammen. Auf damit gewonnene Untersuchungsergebnisse kann hier nicht weiter eingegangen werden (Jahn u. Cohen 1999). Auch andere Autoren verwenden zunehmend häufiger kinematische Analysemethoden zur Untersuchung motorischer Bewegungsstörungen bei schizophrenen Patienten. So nutzten Putzhammer u. Klein (2006) die ultraschallgestützte 3D-Messanlage von Zebris für die kinematische Analyse von Gangparametern und diadochokinetischen Handbewegungen in unterschiedlichen Stichproben schizophrener (u. a. auch neuroleptikanaiver) Patienten und konnten zahlreiche Abweichungen von der Leistung Gesunder feststellen sowie – anders als im Falle von Patienten mit Morbus Parkinson – einen geringeren »normalisierenden« Effekt gelenkter Aufmerksamkeitszuwendung zur jeweiligen Aufgabe. Jogems-Kosterman et al. (2001) ließen schizophrene Patienten den Zahlen-Symbol-Test aus dem WechslerIntelligenztest sowie das Kopieren vertrauter und unvertrauter geometrischer Figuren auf einem Digitalisiertablett ausführen und fanden im Vergleich zu Gesunden sowohl verlängerte Latenzen der Bewegungsinitiierung (als Indikator eines Planungsdefizts) als auch langsamere Bewegungszeiten (als Ausdruck eines Motordefizits). Mergl et al. (2000) illustrieren anhand diverser Beispiele die Anwendungsmöglichkeiten der kinematischen Analyse von Schreibtablettdaten in der Psychiatrie.
17.8
17
Veränderte motorische Lateralisierung
Abweichungen hinsichtlich anatomischer und funktioneller Hemisphärenasymmetrien – auch in anderen als i. e. S. motorischen Domänen – sind schon lange ein Fokus der Schizophrenieforschung (Gruzelier 1999). In diesen Kontext gehört auch die Beobachtung vieler Kliniker, dass sich unter schizophren erkrankten Patienten auffallend viele Linkshänder befinden. Eine vielzitierte Übersicht zu diesem Thema kam nach narrativer Auswertung von 23 Studien zu dem Schluss, dass Schizophrenie weniger mit Linkshändigkeit, als mit verminderter motorischer Lateralisierung bzw. Gemischthändigkeit einhergehe (Satz u. Green 1999). Demnach wären schizophrene Patienten häufiger ambidexter als Personen aus der Allgemeinbevölkerung. Eine erste Metaanalyse von 19 Untersuchungen zur Händigkeit schizophren erkrankter Patienten fand allerdings erhöhte Prävalenzen sowohl für gemischte als auch für Linkshändigkeit im Vergleich zu gesunden, aber auch psychiatrischen Kontrollen (Sommer et al. 2001). Die parallele metaanalytische Auswertung von 10 Studien zum dichotischen Hören und 39 Studien zu anatomischen Hemisphärenasymmetrien bestätigte ebenfalls die Hypothese einer verminderten zerebralen Lateralisierung in dieser Patientengruppe. Dragovic u. Hammond (2005) kritisierten beide Übersichtsarbeiten u. a. hinsichtlich zu selektiver Studienauswahl, fehlender Berücksichtigung unterschiedlicher Untersuchungsinstrumente als mögliche Quelle uneinheitlicher Studienergebnisse sowie inkonsistentem Gebrauch des Begriffes »Nichtrechtshändigkeit«. Ursprünglich war dieser Begriff von Geschwind u. Galaburda (zit. nach Dragovic u. Hammon 2005, S. 410) lediglich dazu geprägt worden, Personen zu charakterisieren, die keine ausgeprägte rechtsseitige Handpräferenz erkennen lassen, was alle linkshändigen, gemischthändigen und nur schwach rechtshändigen Personen zusammenfasst, ohne aber die Differenzierung zwischen diesen aufgeben zu wollen. Um die Frage zu klären, ob die unbestrittene Tendenz schizophrener Patienten weg von der üblichen Händigkeitsverteilung (»leftward shift«) auf häufigere Linkshändigkeit, häufigere Gemischthängigkeit oder lediglich auf Nichtrechtshändigkeit zurückgeht und welche Rolle bei der Beantwortung dieser Frage die in der Forschungsliteratur verwendeten Messinstrumente spielen, legten Dragovic u. Hammond (2005) eine eigene Metaanalyse vor (s. Box). Die Ergebnisse der Metaanalyse von Dragovic und Hammond (2005) bestätigen einerseits, dass schizophren erkrankte Patienten als Gruppe durch eine Schwäche in der Ausbildung der sonst üblichen zerebralen Asymmetrie gekennzeichnet sind, widerlegen andererseits aber auch die seit der einflussreichen Übersichtsarbeit von Satz u. Green (1999) vorherrschende Meinung, der Links-Shift in der Händigkeitsverteilung schizophrener Patienten sei ganz überwiegend auf eine erhöhte Prävalenz von Gemischthändigkeit zurückzuführen. Auch die von Satz u. Green (1999) zur Diskussion gestellte Hypothese, in der fehlenden mo-
210
Kapitel 17 · Motorik – Psychologie
Eine aktuelle Metaanalyse zur Händigkeit schizophrener Patienten Dragovic u. Hammond (2005) werteten 42 zwischen 1972 und 2004 erschienene Untersuchungen sowie unveröffentlichte Daten der Western Australia Family Study of Schizophrenia (WAFSS) aus. Die Untersuchungen differierten hinsichtlich Patientenrekrutierung (stationär und ambulant), Stichprobengrößen (24≤N≤1.744), Krankheitsdiagnosekriterien, Händigkeitsprüfung (19 verschiedene Instrumente von der einfachen Frage »Mit welcher Hand schreiben Sie?« bis zu einem 32 Items umfassenden Fragebogen) sowie Klassifikationsregeln für Händigkeitssubtypen. Aus den (entsprechend der jeweiligen Stichprobengrößen gewichteten) Prävalenzen für Links-, Gemischt- und Nichtrechtshändigkeit in den schizophrenen und gesunden Stichprobengruppen berechneten die Autoren Odds Ratios. Für Studien ohne Kontrollprobanden wurden Vergleichswerte aus (möglichst großen) anderen Untersuchungen mit identischer Operationalisierung der Händigkeit und identischer Definition von Handpräferenzsubtypen herangezogen. Ein möglicher Publikationsbias konnte durch Inspektion der »funnel plots« sowie durch Asymmetrie-Tests weitgehend ausgeschlossen werden. Sofern die Annahme der Homogenität verworfen werden musste (Woolf-QTest), wurde anstelle eines Modells mit festen Effekten eines mit Zufallseffekten zur Berechnung der gepoolten Odds Ratios benutzt. . Tabelle 17.3 enthält für jeden Handpräferenzsubtyp die Anzahl der berücksichtigten Studien (identisch mit der Anzahl der berechneten Effektstärken) und die Gesamtstichprobengrößen der Patienten und Gesunden. . Abbildung 17.6 illustriert die daraus gewonnenen mittleren Odds Ratios für jeden Handpräferenzsubtyp mit den jeweiligen 95%-Konfidenzintervallen. Die Ergebnisse dieser Metaanalyse zeigen, dass alle drei Handpräferenzsubtypen bei schizophrenen Patienten im Ver-
. Abb. 17.6. Mittlere Odds Ratios und ihre 95%-Konfidenzintervalle für drei Subtypen der Handpräferenz in Stichproben schizophrener Patienen im Vergleich zu Gesunden. (Daten aus Dragovic u. Hammond, 2005; eigene Abbildung)
17
. Tab. 17.3. Datenbasis der Metaanalyse von Dragovic u. Hammond (2005) Handpräferenz
Anzahl Studiena
N Schizophrene
N Gesunde
Linkshändigkeit
16
3.175
65.284
Nichtrechtshändigkeit
23
5.223
14.960
Gemischthändigkeit
23
3.507
9.573
a
Die Anzahl der Studien summiert sich nicht zu 42, da einige Studien mehr als eine Effekstärke beitrugen.
gleich zu Gesunden signifikant häufiger vorkommen – die 95%Konfidenzintervalle schließen das Odds Ratio 1 nicht mit ein. Die Magnituden unterscheiden sich nur wenig, am höchsten ist diejenige für exklusive Linkshändigkeit, am niedrigsten diejenige für Nichtrechtshändigkeit. Die Autoren konnten weiter zeigen, dass für die Heterogenität der Studienergebnisse weniger die Unterschiede hinsichtlich der Schizophreniediagnostik als vielmehr diejenige der Händigkeitsdiagnostik verantwortlich waren. Die separate Analyse der beiden wichtigsten Händigkeitsfragebogen, des Edinburgh Handedness Inventory (EHI) und Annett’s Handedness Questionnaire (AHQ), führte zu teilweise deutlich unterschiedlichen mittleren Odds Ratios. Diese betrugen beispielsweise für Gemischthändigkeit 2,84 im Falle des EHI und nur 1,19 im Falle des AHQ.
211 17.9 · Zusammenschau und Integration der Befunde
torischen Lateralisierung vieler schizophren erkrankter Patienten manifestiere sich ein (vermutlich diffuser oder multifokaler) Insult während der intrauterinen Entwicklung und damit ein nichtgenetischer Faktor in der frühen Hirnreifung, muss angesichts dieser Ergebnisse infrage gestellt werden. Eine ganze Reihe von anatomischen Post-mortem-Studien, funktional-bildgebenden und psychophysiologischen Untersuchungen demonstrieren die verschiedenen Aspekte reduzierter zerebraler Asymmetrie bei schizophren erkrankten Patienten, sodass eine Anomalie der genetischen Mechanismen, die normalerweise für die Ausbildung dieser Asymmetrien verantwortlich sind, nicht auszuschließen ist. Die einflussreiche Theorie von Annett (2002), wonach die Handpräferenz quasi als Nebenprodukt der während der Hirnreifung genetisch gesteuerten Sprachlateralisierung sowie teilweise auch durch Zufallsfaktoren zustande kommt, ist kongruent mit der Annahme von Crow (2004), wonach bei schizophren erkrankten Patienten durch eine Mutation des »right shift«-Gens die normale Entwicklung in der Ausbildung der zerebralen Asymmetrie beeinträchtigt sein könnte. Dies würde freilich nicht bedeuten, dass prä- oder perinatale Ereignisse überhaupt keine Rolle spielten könnten; sie würden vor dem Hintergrund primär genetischer Mechanismen aber den Zufallsfaktoren zugerechnet. Allerdings muss erwähnt werden, dass die Idee einer im Wesentlichen (mono-)genetischen Determination der Händigkeit nicht unwidersprochen geblieben ist. Eine kürzlich veröffentlichte, gepoolte Auswertung von drei prospektiven Längsschnittstudien an Kindern schizophrener Eltern brachte keinerlei Anhaltspunkte für abweichende Handpräferenzen in dieser speziellen Hochrisikogruppe (ErlenmeyerKimling et al. 2005). Möglicherweise ist dieses Ergebnis der Vermischung verschiedener Händigkeitsinstrumente (neben EHI und AHQ der Lincoln-Oseretzky-Motor-Test) zuzuschreiben, was von den Autoren nicht diskutiert wird. Beim gegenwärtigen Stand der Forschung sind zwei weitere Aspekte von Interesse: Zum einen gibt es Hinweise darauf, dass die motorische Lateralisierung zumindest einer Subgruppe schizophren erkrankter Patienten intraindividuellen Schwankungen unterliegt. Zum anderen scheinen gemischthändige Patienten zu schwereren Krankheitsverläufen mit einer erhöhten Anzahl formaler Denkstörungen und Negativsymptomen sowie stärker ausgeprägten neuropsychologischen Defiziten zu neigen, was die klinische Relevanz der hier dargestellten Befunde unterstreicht. Zu bedenken ist allerdings auch, dass Antipsychotika dosisabhängige asymmetrische Effekte auf reziproke interhemisphärische Prozesse ausüben können (Gruzelier 1999), was die Interpretation von Studienergebnissen erschwert. 17.9
Zusammenschau und Integration der Befunde
Bereits King (1975) fasste die Vielzahl der Ergebnisse aus motorischen Untersuchungen an schizophren erkrankten Patienten
17
dahingehend zusammen, dass mindestens drei Bewegungskomponenten gegenüber gesunden Probanden verlangsamt seien: 4 die Zeit, die zur Initiierung einer Bewegung benötigt wird 4 die maximale Geschwindigkeit, mit der eine gezielte Bewegung erfolgt 4 die maximale Geschwindigkeit, mit der eine repetitive Bewegung ausgeführt werden kann Wir wir gesehen haben, haben sich diese Befunde bis heute in einer beeindruckenden Zahl von Studien als robust replizierbar erwiesen. Darüber hinaus belegen nicht zuletzt unsere eigenen, kinematischen Untersuchungsergebnisse, dass neben der Verlangsamung auch eine deutlich erhöhte intraindividuelle Variabilität des Bewegungsvollzuges kennzeichnend für die Mehrzahl schizophren erkrankter Patienten ist. Schließlich schneiden schizophrene Patienten meist auch schlechter ab in Geschicklichkeitsaufgaben und machen mehr Fehler bei der willkürlichen Bewegungskontrolle. Wie schwerwiegend sind die (nicht pharmakogenen) motorischen Störungen schizophrener Patienten im Vergleich zu anderen neuropsychologischen Befunden? Einen Anhaltspunkt hierfür liefert die mittlere Effektstärke manumotorischer Minderleistungen schizophren erkrankter Patienten im Vergleich zu Gesunden im Kontext neuropsychologischer Funktionsdefizite, wie sie einer Metaanalyse von Zakzanis et al. (1999) entnommen werden kann (. Abb. 17.7). Demnach liefern Beeinträchtigungen der Manumotorik die zweithöchste mittlere Effektstärke überhaupt, wobei die berücksichtigten Primärstudien allerdings nur vier motorische Tests (einzeln oder kombiniert) verwendeten: das Purdue und das Grooved Pegboard, sowie den Finger Tapping und den Grip Strength Test aus der Neuropsychologischen Testbatterie von Halstead-Reitan. Neben der Griffstärke gingen also nur motometrische Maße der Fingergeschicklichkeit (Pegboards) und der Tappinggeschwindigkeit ein. Dennoch belegen diese Daten, welche zentrale Bedeutung gerade den motorischen Funktionsstörungen innerhalb eines breiten Spektrums neuropsychologischer Defizite schizophren erkrankter Patienten zukommt. Die im Rahmen dieses Kapitels dargestellten Befunde aus anderen motorischen Funktionsbereichen unterstreichen diese Bedeutung, werfen aber auch die Frage auf, welche Zusammenhänge zwischen den einzelnen motorischen Befunden in dieser Patientengruppe bestehen mögen. Sind diese Befunde Ausdruck eines »generalisierten« motorischen Defizits? Zu dieser Frage gibt es derzeit noch kaum empirische Ergebnisse, da die verschiedenen motorischen Untersuchungsparadigmen bisher nur höchst selten miteinander kombiniert wurden. Eigene, bisher noch unveröffentlichte Ergebnisse an stationär behandelten schizophrenen Patienten, die sowohl klinisch mit der Neurological Evaluation Scale (NES) als auch apparativ hinsichtlich langsamer Augenfolgebewegungen (EOG) und Fingertapping (kinematische Analyse nach MAZ) untersucht worden waren, zeigt . Tab. 17.4.
212
Kapitel 17 · Motorik – Psychologie
. Abb. 17.7. Mittlere Effektstärken (Cohens d) für den Unterschied zwischen schizophrenen Patienten (SCHIZ) und gesunden Kontrollprobanden über verschiedene neuropsychologische Leistungsdomänen, von links nach rechts abnehmend geordnet (L+G = Lernen und Gedächtnis). Zum Vergleich sind auch die entsprechenden mittleren Effektstärken von Patienten mit unipolaren Depressionen (Major Depressive Disorder; MDD) bzw. mit Zwangsstörungen (Obsessive Compulsive Disorder; OCD) dargestellt. Die negativen Effektstärken wurden für die Darstellung positiv gepolt. (Daten aus der Metaanalyse von Zakzanis et al. 1999; eigene Abbildung aus Jahn u. Rockstroh 2006, S. 401)
. Tab. 17.4. Spearman-Rangkorrelationen zwischen den beiden motorischen Subskalen der Neurological Evaluation Scale (NES), der Güte langsamer Augenfolgebewegungen sowie der Schnelligkeit und intraindividuellen Variabilität des Fingertappings bei stationär behandelten schizophrenen Patienten (38≤N≤42). In Klammern die Korrelationen nach Auspartialisierung extrapyramidaler Symptome (Simpson-Angus-Scale). (Jahn et al. unveröffentlicht) NESMotCo
17
NESMotSeq
SPEMRMSE
NES-MotSeq
0,67* (0,63*)
SPEMRMSE
0,23 (0,14)
0,29 (0,22)
TAP-Freq
–0,33* (–0,19)
–0,44* (–0,37*)
–0,33* (–0,23)
TAP-Var
0,15 (0,06)
0,09 (0,02)
–0,02 (–0,07)
TAPFreq
–0,09 (0,01)
Abkürzungen: NES-MotCo: NES-Subskala »Motor Coordination«. NES-MotSeq: NES-Subskala »Sequencing of Complex Motor Acts«. SPEM-RMSE: Root Mean Square Error der Smooth Pursuit Eye Movements. TAP-Freq: kinematisch analysierte Frequenz des maximalschnellen Fingertappings. TAP-Var: kinematisch analysierte Variabilität (Variationskoeffizient des Quotienten aus maximaler horizontaler Winkelgeschwindigkeit und Bewegungsamplitude) des maximalschnellen Fingertappings. * p≤0,05 (zweiseitig, keine Alpha-Adjustierung)
Nach diesen Untersuchungen korreliert nur die maximale Fingertappinggeschwindigkeit signifikant mit allen anderen motorischen Leistungsvariablen, wobei die Korrelationen niedriger ausfallen, wenn klinisch eingeschätzte EPS herauspartialisiert werden. Einerseits sind also die verschiedenen, allesamt gut replizierbaren motorischen Anomalien schizophren erkrankter Patienten relativ eigenständige Befunde (man beachte insbesondere das völlig unkorrelierte intraindividuelle Variabilitätsmaß aus dem Fingertapping), andererseits müssen stets auch mögliche Konfundierungen mit antipsychotikainduzierten Bewegungsanomalien bedacht werden. Dass die in diesem Kapitel besprochenen motorischen Dysfunktionen schizophrener Patienten nicht als Epiphänomene der Behandlung mit Antipsychotika betrachtet werden dürfen, wurde mehrfach betont. In diesem Sinne bewerten auch Wolff u. O’Driscoll (1999) die über einen Zeitraum von 35 Jahren akkumulierte Evidenz aus Untersuchungen an antipsychotikanaiven Patienten und Hochrisikopopulationen hinsichtlich des eindeutig gehäuften Vorkommens motorischer Anomalien wie Störungen langsamer Augenfolgebewegungen, neurologischer »soft signs«, Störungen der Kraftkontrolle sowie spontaner Dyskinesien (choreoathetoide Bewegungen) und Parkinsonismus (Tremor, Rigor, Bradykinese). Meist wird stillschweigend angenommen, motorische Anomalien schizophrener Patienten seien wesentlich zentralnervösen Ursprungs. Tatsächlich sind beispielsweise abnorme bewegungsassoziierte zerebrale Potenziale nachweisbar, nicht aber normabweichende zentrale oder periphere Nervenleitgeschwindigkeiten (Kubota et al. 1999). Mehrere Untersucher berichteten jedoch über distale morphologische (meist atrophische) Veränderungen der Muskelfasern, über Verändungen der subterminalen Motoneurone und motorischen Endplatten (vermehrte axonale Ver-
213 17.9 · Zusammenschau und Integration der Befunde
zweigungen, Verdickungen und Degenerationen), Alterationen der α-Motoneuron-Erregbarkeit, pathologische EMG-Merkmale i. S. höheramplitudiger und verbreiterter Muskelfaserpotenziale sowie abnorme muskuläre Enzympegel. Einige dieser neuromuskulären Anomalien kommen ebenso wie das verlangsamte Fingertapping nicht nur bei schizophren erkrankten Patienten selbst, sondern auch bei ihren erstgradig Verwandten deutlich häufiger vor als bei gesunden Kontrollen, wobei jedoch noch unklar ist, ob diese ebenso wie das defizitäre Fingertapping mit einer familiären Häufung psychotischer Erkrankungen assoziiert ist (Flykt et al. 2000). Insgesamt erscheint die Schizophrenie im Lichte dieser Befunde als eine »Systemerkrankung«, die periphere Effektoren ebenso wie das ZNS betrifft. Spekuliert wird über eine grundlegende Funktionsveränderung der Zellmembran als gemeinsamen basalen Faktor. Am ehesten können sich pathophysiologische Interpretationsversuche der okulomotorischen Dysfunktionen schizophren erkrankter Patienten auf ein reiches, v. a. anhand elektrophysiologischer Tierexperimente und bildgebender Untersuchungen gewonnenes Hintergrundwissen über die zentralnervösen Grundlagen der fraglichen motorischen Leistungsaspekte stützen. Langsame Blickfolgebewegungen und Sakkaden werden von einem weitgehend überlappenden okulomotorischen Netzwerk gesteuert, das insbesondere das parietale, aber auch das frontale und das supplementäre Augenfeld sowie weitere präfrontale Areale involviert. Die Effekte von Läsionen in den genannten Gebieten sind relativ gut untersucht (u. a. Latenzverlängerung von Antisakkaden, hypometrische Amplituden, fehlerhafte reflexive Sakkaden). Einige Regionen sind spezifisch bedeutsam für bestimmte Augenbewegungen, so etwa der dorsolaterale präfrontale Kortex für Anti- und Gedächtnissakkaden oder das Areal V5 für SPEM. Auf dieser Grundlage lassen sich lokalisatorische Hypothesen zur Erklärung differierender Muster gestörter okulomotorischer Funktionen bei schizophrenen Patienten formulieren. Beispielsweise sollten Patienten mit einem Antisakkadendefizit, aber ohne SPEM-Störung, am ehesten im dorsolateralen präfrontalen Kortex eine Dysfunktion aufweisen (Kathmann 2004). Damit sollten dann auch Minderleistungen in exekutiven neuropsychologischen Tests assoziiert sein usw. Trotz dieser und anderer, teilweise recht spezifisch formulierter ätiologischer Hypothesen ist die Pathophysiologie okulomotorischer Dysfunktionen bei schizophrenen Patienten aber noch keineswegs befriedigend geklärt. Noch weitgehend im Dunkeln liegen die Ursachen der ebenso zuverlässig replizierbaren, phänomenologisch aber weit inhomogeneren neurologischen »soft signs«, die – wie bereits hervorgehoben – neben motorischen auch sensorische und integrative Funktionen betreffen. Die hier involvierten kortikalen und subkortikalen Netzwerke sind so unterschiedlich und weit verzweigt, dass die Idee einer basalen, ubiquitären, dabei eher diskretdiffusen Hirnfunktionsstörung naheliegt – sofern man überhaupt gewillt ist, eine mehr oder minder gemeinsame Grundlage solch unterschiedlicher klinischer Phänomene anzunehmen.
17
Die weitreichendsten Vorstellungen zur Verursachung und zum Stellenwert neurologischer »soft signs« im Rahmen schizophrener Erkrankungen hat Meehl in seiner bis in die 1960er Jahre zurückreichenden Schizotaxietheorie der Schizophrenie entwickelt (Meehl 1990). Im Rahmen seines multifaktoriellen Schizophreniemodelles fasst Meehl motorische »soft signs« wie die Dysdiadochokinese neben anderen anatomischen, neurophysiologischen und psychometrischen Auffälligkeiten als pleiotrope Wirkungen eines »Schizogens« und damit als substratnahe Indikatoren einer ubiquitären minimalen Funktionsaberration (schizotaxia) bei der synaptischen Signalübertragung (synaptic slippage) auf. Über einen mehrstufigen Prozess wechselseitiger Verschränkung genetischer und erfahrungsbedingter Faktoren resultiert eine spezifische Persönlichkeitsstruktur (schizotypy) mit subklinischen Denkstörungen (cognitive slippage), Anhedonie und sozialem Rückzug. Die betroffenen Personen seien unter dem Einfluss äußerer und innerer Stressoren besonders vulnerabel für psychotische Dekompensationen (schizophrenia). Neurologische »soft signs« sind in dieser Perspektive nicht selbst ätiopathogenetisch wirksam; als potenzielle biologische Vulnerabilitätsmarker sind sie aber eben auch kein randständiges Kuriosum der Schizophrenieliteratur. Die in prospektiven Längsschnittuntersuchungen an Kindern schizophrener Eltern gewonnenen Befunde zur prognostischen Validität motorischer »soft signs« bei der Vorhersage späterer schizophrener Spektrumsstörungen (einschließlich Cluster-A-Persönlichkeitsstörungen) sind mit dieser Sichtweise vereinbar. Die Annahme, dass das »synaptic slippage« (nicht die Schizophrenie – tatsächlich formulierte Meehl als erster ein genetisches »Mixed-Model« der Schizophrenieentstehung) sogar durch einen Hauptgeneffekt determiniert sein könnte, führte Meehl zur Entwicklung einer Reihe von statistischen Verfahren (taxometric methods), die auf den Nachweis latenter dichotomer Klassen anhand der Analyse kontinuierlicher Verteilungsformen potentieller phänotypischer Merkmalsindikatoren abzielen. Diese taxometrischen Methoden sind in mehreren Studien erfolgreich angewandt worden, die tatsächlich Hinweise auf latente dichotome Klassen beispielsweise aus Persönlichkeitsmerkmalen der Schizotypie gewannen. ! Das wichtigste Ergebnis der Motorikforschung bei schizophrenen Patienten ist, dass einige gut replizierbare motorische Dysfunktionen bereits prämorbid lange vor Ausbruch der Erkrankung bestehen, später in symptomfreien Intervallen persistieren sowie gehäuft bei Verwandten schizophren erkrankter Patienten sowie in psychometrisch definierten, psychiatrisch unbehandelten Risikopopulationen (Schizotypie) vorkommen.
Mit dem Nachweis, das diese motorischen Dysfunktionen keine Medikamentenartefakte und auch nicht nur Korrelate der Krankheitsschwere oder akuter psychopathologischer Merkmale sind, sondern aussichtsreiche Kandidaten für Vulnerabilitätsmarker und damit möglicherweise genetisch relevante Endophänotypen darstellen – wie übrigens einige kognitive Defizite schizophrener
214
Kapitel 17 · Motorik – Psychologie
Patienten auch (7 Kap. 5) – ist ein wichtiger Schritt über die klinische Beschreibung der Schizophrenien hinaus gelungen. Insofern ist und bleibt die Untersuchung motorischer Funktionsstörungen bei schizophren erkrankten Patienten ein lohnendes Betätigungsfeld, das allerdings – anders als die Untersuchung kognitiver Störungen – derzeit wohl größere Bedeutung für ätiologische Fragen als für therapeutisch-rehabilitative Erfordernisse hat. Danksagung. Herrn Priv.-Doz. Dr. med. Stefan Leucht (München) danke ich für die kritische Durchsicht des Abschnittes über antipsychotikainduzierte Bewegungsstörungen. Einige der hier erstmals präsentierten eigenen Daten stammen aus seitens der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Studien: »Computergestützte Mikroanalyse diskreter motorischer Koordinationsstörungen schizophrener Patienten« (DFG Ja 680/2-1) und »Psychoedukation bei schizophren Erkrankten: Neuropsychologisches Leistungsniveau und kognitivesTraining als Determinanten des Therapieerfolges« (DFG Ja 680/4-1).
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18 Motorik – Bildgebung Johannes Schröder
18.1
Einleitung
18.2
Morphometrische Untersuchungen
18.2.1 18.2.2 18.2.3
Zerebelläre Veränderungen – 218 Untersuchungen des Gesamthirns – 219 Entstehung der morphometrischen Veränderungen und Entwicklung der NSS – 220
18.3
Funktionelle Untersuchungen – 221
18.3.1 18.3.2 18.3.3 18.3.4
Funktionelle Magnetresonanztomographie – 221 Mögliche Medikamenteneffekte – 223 fMRT unter Kontrolle der Bewegungsleistung – 224 Training und klinischer Verlauf – 225
18.4
Bildgebende Verfahren und das Verständnis der NSS – 228 Literatur
– 217
– 229
– 218
217 18.1 · Einleitung
18.1
18
Einleitung
Diskrete motorische und sensorische Störungen oder neurologische »soft signs« (NSS) werden regelmäßig bei schizophrenen Psychosen beobachtet. Die Störungen betreffen vor allem repetitive Bewegungen, etwa bei der Diadochokinese, oder aber komplexere sensorische Leistungen wie die Zwei-Punkte-Diskrimination. Beispielhaft finden sich in der folgenden Übersicht typische NSS mit der Heidelberger Skala zusammengefasst.
Die Heidelberger NSS-Skala Ozeretzki-Test Dysdiadochokinese Pronation/Supination Daumen-Finger-Opposition Artikulation Gangbild Seiltänzergang Zwei-Punkte-Diskrimination Finger-Nase-Versuch »First-edge-palm«-Test Rechts-links-Orientierung Graphaesthesie Hand-Gesichts-Test Stereognosis Arm-Halte-Versuch Spiegelbewegungen
Besonders ausgeprägt sind NSS bei akut Erkrankten, während sie bei Patienten mit remittierter Symptomatik bzw. ihren erstgradig Verwandten erheblich geringer, aber immer noch stärker als in der Allgemeinbevölkerung ausfallen. Hieraus folgt, dass NSS sowohl mit zustandsabhängigen »State«-Charakteristika schizophrener Psychosen als auch mit ihren zeitlich stabilen »Trait«Merkmalen assoziiert sind. Diese Feststellung wird einerseits durch Verlaufsstudien unterstrichen, die einen Rückgang der NSS mit Stabilisierung der psychopathologischen Symptomatik sowohl im Akut- als auch im mittelfristigen Verlauf erbrachten (Schröder et al. 1992; Bachmann et al. 2005). Dagegen blieben die NSS bei gesunden Probanden im Verlauf weitgehend stabil (. Abb. 18.1). Dementsprechend wurden in zahlreichen Querschnittsuntersuchungen signifikante Korrelationen zwischen NSS und der psychopathologischen Symptomatik, insbesondere zu Denkstörungen und Negativsymptomen, bestätigt. Umgekehrt beschrieben Familienuntersuchungen Auffälligkeiten bei genetisch belasteten, phänotypisch jedoch gesunden Verwandten manifest Erkrankter. Besonders deutlich stellen sich
. Abb. 18.1. Neurologische »soft signs« (NSS) im Verlauf über 14 Monate. Während NSS bei gesunden Probanden (n=22) auf niedrigem Niveau stabil blieben, veränderten sie sich bei ersthospitalisierten Patienten mit Schizophrenien (n=39) entsprechend der psychopathologischen Symptomatik. Bei günstigen Verläufen kam es zu einem deutlichen Abfall, während bei chronischer Symptomatik die NSS persistierten. (Nach Bachmann et al. 2005)
diese Unterschiede in Zwillingsuntersuchungen dar (Torrey et al. 1994): Während in konkordanten, monozygoten Paaren die NSS bei beiden Zwillingen gleichermaßen erhöht sind, zeigen bei diskordanten Paaren jeweils die manifest erkrankten Zwillinge die höchsten Scores. Noch größer wird dieser Unterschied bei heterozygoten diskordanten Paaren. Auch diese Befunde belegen klar einen genetischen Faktor in der Entstehung der NSS, der jedoch die Pathogenese offenbar nicht vollständig erklären kann. Anders sind die Unterschiede bei monozygoten diskordanten Zwillingen kaum zu verstehen. ! NSS sind sowohl mit zustandsabhängigen »State«- als auch zeitlich stabilen »Trait«-Charakteristika schizophrener Psychosen assoziiert.
Eine Entstehung der NSS infolge möglicher extrapyramidaler Nebenwirkungen der neuroleptischen Medikation ist aus zahlreichen Gründen unwahrscheinlich, u. a. da NSS auch bei neuroleptikanaiven Patienten auftreten und sich die NSS-Scores unter neuroleptischer Therapie mit Remission der Symptomatik, wie oben diskutiert, reduzieren (Übersicht in Schröder 1998). Zudem werden NSS regelmäßig auch unter atypischen Neuroleptika beobachtet. NSS sind demnach sowohl mit dem Schweregrad der psychopathologischen Symptomatik im Verlauf als auch mit einer gene-
218
Kapitel 18 · Motorik – Bildgebung
tischen Belastung assoziiert. Dieser doppelte Bezug der NSS zu »State«- als auch »Trait«-Charakteristika schizophrener Psychosen ist für Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren von entscheidender Bedeutung: Dürften plastische Merkmale wie funktionelle zerebrale Auffälligkeiten am ehesten mit den »State«Aspekten korrespondieren, so ist auch zu erwarten, dass morphologische Veränderungen als zeitlich überdauernde, wenn nicht stabile Befunde mit den »Trait«-Aspekten der NSS assoziiert sind. Beide Dimensionen zerebraler Veränderungen morphologische und funktionelle Auffälligkeiten – sollten demnach gleichermaßen in entsprechenden Untersuchungen berücksichtigt werden. Leider liegen derartige Studien noch nicht vor. Im Folgenden werden deshalb zunächst die morphometrischen, im Anschluss dann die funktionellen Studien vorgestellt. Den Schwerpunkt bilden Untersuchungen mit der Magnetresonanztomographie (MRT); ergänzend werden angesichts der noch lange nicht vollständigen Datenlage Studien mit anderen funktionellen Untersuchungsverfahren referiert. Anhand der Gesamtschau der Studien sollen die wichtigsten Hypothesen zu den NSS bei schizophrenen Psychosen zusammenfassend diskutiert werden. Den Abschluss bildet dann ein kritischer Ausblick auf zukünftige Untersuchungen. 18.2
18
Morphometrische Untersuchungen
Seit ersten Arbeiten mit der Pneuenzephalographie, die im deutschen Sprachraum von Jacobi und Winkler, später der Arbeitsgruppe um Huber vorgelegt wurden, haben morphometrische Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren einen festen Platz in der Schizophrenieforschung (Übersicht in Schröder 1998). Allerdings blieb lange eine direkte Beurteilung des Gehirns nicht möglich; allenfalls konnte von Erweiterungen des Ventrikelsystems indirekt auf Veränderungen angrenzender Strukturen geschlossen werden. Diese Einschränkung galt auch für erste computertomographische Untersuchungen, die sich v. a. auf mögliche Zusammenhänge zwischen NSS und der Weite der Lateralventrikel als Maß für eine globale Hirnvolumenminderung richteten. Derartige Abhängigkeiten waren jedoch nicht zu bestätigen. Dagegen beschrieben mehrere Autoren übereinstimmend signifikante Korrelationen zwischen NSS und der Weite des dritten Ventrikels bzw. Veränderungen der Caputi nuclei caudati (Übersicht in Bottmer et al. 2005). Auch wenn diese ersten Untersuchungen durch die erwähnten methodischen Unzulänglichkeiten eingeschränkt blieben, konnten die Befunde – insbesondere der Zusammenhang zwischen NSS und Veränderungen in den Nn. caudati – später mit der MRT bestätigt werden. Allerdings kommen zahlreiche gerade für NSS wichtige Strukturen wie der sensomotorische Kortex oder das Zerebellum mit der Computertomographie nur bedingt zur Darstellung. Hier brachte die MRT insbesondere mit den neuen Algorhythmen zur Bildauswertung entscheidende Verbesserungen.
18.2.1 Zerebelläre Veränderungen Morphometrische MRT-Untersuchungen möglicher zerebraler Korrelate der NSS wurden zunächst durch Keshavan et al. (2003; zit. nach Bottmer et al. 2005) und die eigene Arbeitsgruppe (Bottmer et al. 2005) vorgelegt. Bei 17 ersterkrankten Patienten mit schizophrenen Psychosen beschrieben Keshavan und Kollegen umgekehrte Korrelationen zwischen dem zerebellären Volumen und zwei faktorenanalytisch identifizierten Subskalen der Neurological Evaluation Scale, die repetitive motorische Aufgaben bzw. kognitive und perzeptuelle Leistungen umfassten. Ferner waren die Volumina des li. Nucleus caudatus und des li. heteromodalen Assoziationskortex signifikant mit den NSS korreliert. Während die Ergebnisse zum Nucleus caudatus den Befunden einer computertomographischen Studie entsprechen (Schröder et al. 1992), wurden hinsichtlich des Zerebellums vergleichbare Ergebnisse von Bottmer et al. (2005) bei 37 ersthospitalisierten Patienten mit schizophrenen Psychosen beschrieben. Die auf der Heidelberger Skala protokollierten NSS waren signifikant mit dem Volumen der rechten, nicht aber linken Kleinhirnhemisphäre korreliert (. Abb. 18.2), wobei dieser Zusammenhang insbesondere auf die Items, die repetitive Bewegungen bewerteten, zurückzuführen war. Dass diese Assoziation nicht ein bloßes Artefakt des Schweregrades der Erkrankung darstellte, wurde dadurch belegt, dass zwischen der Ausprägung der psychopathologischen Symptomatik und den Volumina der Kleinhirnhemisphären allenfalls marginale Korrelationen bestanden, die das Signifikanzniveau klar verfehlten. Dagegen waren die Volumina der Frontal-, Temporal-, Parietal- und Okzipitallappen wie auch das Gesamthirnvolumen nicht mit den NSS assoziiert. Weitergehende Analysen, etwa im Hinblick auf Substrukturen wie den sensomotorischen Kortex, waren aus methodischen Gründen nicht möglich. Das Zerebellum selbst bildet jedoch eine hochdifferenzierte Struktur, die sich vorläufig in das Corpus medularis sowie die
. Abb. 18.2. NSS und Volumen des rechten Zerebellums bei schizophrenen Psychosen. Höhere NSS-Scores sind mit geringeren zerebellären Volumenwerten assoziiert (r=–0,41, p<0,05)
219 18.2 · Morphometrische Untersuchungen
18
. Abb. 18.3a,b. Segmentierung des Zerebellums. Auf sagittalen Schichten wird das Zerebellum fortlaufend in seine fünf Untereinheiten segmentiert (a), anhand derer dann eine dreidimensionale Rekonstruktion möglich ist (b) (7 Farbtafeln, S. 655)
a
Lobuli anteriores, posteriores, superiores und posteriores inferiores differenzieren lässt. In einer weiteren Studie (Thomann et al. 2005) wurden die betreffenden Strukturen manuell segmentiert und zwischen 21 Patienten mit schizophrenen Psychosen und 10 gesunden Probanden verglichen (. Abb. 18.3). 18.2.2 Untersuchungen des Gesamthirns Signifikante Unterschiede waren demnach mit niedrigeren Werten bei den Patienten auf die Corpora medulare beschränkt. Innerhalb der Patientengruppe waren lediglich die lobuli superiores und posteriores inferiores mit den NSS korreliert. Auch wenn diese Ergebnisse eine Assoziation zwischen NSS und zerebellären Auffälligkeiten stützen, machen sie doch weitere Untersuchungen an größeren Patientengruppen erforderlich. Unklar bleibt weiterhin, ob die genannten zerebellären Strukturen in unterschiedlicher Weise bei schizophrenen Psychosen betroffen sind, oder aber differenziell mit den verschiedenen NSS korrelieren. Gerade diese Hypothese kann jedoch nur anhand größerer Patientengruppen sinnvoll überprüft werden, deren Untersuchung freilich durch den mit der manuellen Segmentation verbundenen Aufwand limitiert wird. Eine methodische Alternative bietet die voxelbasierte Morphometrie (VBM). Dabei werden die Bilddatensätze jedes einzelnen Untersuchungsteilnehmers auf ein »Standardhirn« normiert, in dem die Intensitätswerte in jedem Voxel die Verteilung in der gesamten Untersuchungsgruppe wiedergeben. Diese Werte lassen sich dann zwischen definierten Gruppen vergleichen oder aber mit anderen Variablen korrelativ in Beziehung setzen. Dieser Ansatz wurde in den letzten Jahren von zwei Arbeitsgruppen verfolgt: Dazzan et al. (2004) untersuchten bei 77 ersterkrankten Patienten mit schizophrenen Psychosen die auf der Neurological Evaluation Scale protokollierten NSS im Hinblick auf morphometrische Veränderungen im MRT. Dabei waren höhere NSS-Scores signifikant mit geringeren Volumina von Putamen, Globus pallidus und Thalamus korreliert. Störungen der sensorischen Integration verwiesen auf kleinere Volumina der Gyri präzentralis, temporalis superior und medialis sowie des Gyrus lingualis. Erwartungsgemäß fanden sich zwischen NSS und der antipsychotischen Medikation keine Zusammenhänge. Die Stu-
b
die erweiterte damit die bereits zitierten Ergebnisse anderer morphometrischer Untersuchungen entscheidend. Aus technischen Gründen erschien der Arbeitsgruppe jedoch ein Einschluss des Zerebellums nicht sinnvoll. Zudem wurden die Ergebnisse nicht anhand einer gesunden Kontrollgruppe überprüft. An einer eigenen Untersuchung wurden deshalb zusätzlich 22 gesunde Probanden, die hinsichtlich Alter und Geschlecht 42 Patienten mit schizophrenen Ersterkrankungen angeglichen waren, beteiligt (Thomann et al. 2006). Die mit der Heidelberger Skala erhobenen NSS-Scores wurden mit den Signalintensitäten in der MRT korreliert. Erwartungsgemäß lagen die NSS-Scores der Patienten erheblich über denen der gesunden Kontrollgruppe (15,1±3,5 vs. 3,8±1,6; p<0.001). In der Patientengruppe waren erhöhte NSS-Scores mit verringerten Volumina der Gyri präund postzentralis, dem prämotorischen Areal, dem Nucleus caudatus und Thalamus sowie des Zerebellums korreliert. Bei den Gesunden erreichten lediglich die Zusammenhänge zwischen NSS und den Volumina von drei kleineren frontalen Arealen (gyri front. inf. und gyrus front. med. re) Signifikanzniveau, weitergehende Zusammenhänge bestanden nicht (. Abb. 18.4). Diese Befunde entsprechen den von Dazzan und Kollegen beschriebenen Ergebnissen, wobei zusätzlich eine Differenzierung zwischen der prä- und postzentralen Rindenregion möglich wurde. Ebenfalls konnten die Zusammenhänge zwischen NSS und zerebellären, aber auch Veränderungen im Nucleus caudatus und Thalamus bestätigt werden. Dass sich bei Gesunden die Zusammenhänge auf ein frontales Areal beschränken, verweist auf die in dieser Gruppe erwartungsgemäß geringe Ausprägung der NSS einschließlich der im physiologischen Bereich geringeren morphologischen Variabilität im Zentralorgan. Gerade im Hinblick auf die fraglichen Veränderungen in den Nn. caudati ist nach möglichen Einflüssen durch die neuroleptische Behandlung insbesondere mit konventionellen Präparaten zu fragen. Dass letztere Veränderungen der D2-Dopaminrezeptoren in den Basalganglien induzieren, wurde in einer eigenen Untersuchung mit der Single-Photon-Emissionscomputertomographie (SPECT) und dem Radioliganden IBZM als Tracer deutlich. Darin wurden 15 schizophren Erkrankte in neuroleptikanaiven Zustand und nach standardisierter Therapie mit Benperidol (12–16 mg über 25 Tage) untersucht. Die Studie belegte eine er-
220
Kapitel 18 · Motorik – Bildgebung
. Abb. 18.4a,b. Voxelbasierte Morphometrie: Darstellung der Hirnregionen, in denen die Dichte der grauen Substanz korreliert ist. Überlagerung der Ergebnisse auf eine entfaltete Standardhirnoberfläche (a); bzw. auf ein T1-gewichtetes Standardhirn (b) (height threshold p<0,001, unkorrigiert; extented threshold = 200 voxels) (7 Farbtafeln, S. 656)
a
b
höhte IBZM-Bindung und damit »upregulation« der D2-Dopaminrezeptoren nach neuroleptischer Therapie bei den Patienten, die einen unbefriedigenden Behandlungserfolg mit prononcierten Negativsymptomen und extrapyramidalen Nebenwirkungen zeigten. Demgegenüber war die »Rezeptor-Upregulation« nicht mit den NSS assoziiert. Letztere reduzierten sich bei den Patienten mit günstigem Behandlungsverlauf, um bei unbefriedigendem Behandlungserfolg weitgehend unverändert nachweisbar zu bleiben (Schröder et al. 1998; zit. nach Schröder 1998). ! Nach den Ergebnissen der diskutierten morphometrischen Studien sind NSS mit Auffälligkeiten in den sensomotorischen Kortizes, der SMA, den Basalganglien und im Thalamus, aber auch im Zerebellum assoziiert.
18
Psychomotorische Auffälligkeiten und Apathie bilden einen integralen Bestandteil der Negativsymptomatik. Korrelative Beziehungen zwischen Negativsymptomatik und NSS wurden wiederholt in klinischen Studien bestätigt (Übersicht in ▶ Kap. 17; vgl. Jahn 2005), wie die Negativsymptomatik ihrerseits mit prononcierten Veränderungen im frontalen Kortex und anterioren Zingulum korrespondiert (Übersicht in Schröder 1998). Farrow et al. (2005) vertieften diese Zusammenhänge, indem sie morphometrische Veränderungen im Hinblick auf das apparativ über 24 h aufgezeichnete Aktivitätsniveau bei 17 langjährig Erkrankten mit schizophrenen Psychosen untersuchten. Die VBM ergab einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Volumen des links-
hemispärischen anterioren Zingulums und dem Aktivitätsniveau, nicht aber anderen frontalen Arealen. Die Autoren sahen diesen Befund als Ausdruck der Schrittmacherfunktion des anterioren Zingulums für das Aktivitätsniveau, eine Interpretation, die auch die Assoziation von Veränderungen der Struktur mit psychomotorischen Störungen erklärt. 18.2.3 Entstehung der morphometrischen
Veränderungen und Entwicklung der NSS Hinweise auf die Genese der diskutierten zerebralen Veränderungen ergeben sich aus der Studie von Ridler et al. (2006). Die Arbeitsgruppe untersuchte die Zusammenhänge zwischen motorischer Entwicklung und Hirnmorphologie in der vierten Lebensdekade bei 142 Angehörigen der nordfinnischen Kohortenstudie. Bei den 1966 Geborenen wurde die frühkindliche motorische Entwicklung, insbesondere das Alter bei Erreichen der Meilensteine (selbstständiges Stehen, Gehen mit bzw. ohne Hilfe) prospektiv evaluiert; im Alter zwischen 33 und 35 Jahren wurden dann die MRT aufgenommen. Bei 49 Studienteilnehmern war eine schizophrene Psychose bekannt; gegenüber den übrigen Probanden der Studiengruppe war bei ihnen eine diskrete Verzögerung der motorischen Entwicklung auffällig. Die Assoziationen zwischen Indizes der frühkindlichen motorischen Entwicklung und Hirnmorphologie wurden mit der VBM untersucht.
221 18.3 · Funktionelle Untersuchungen
Bei den gesunden Probanden war eine rasche motorische Entwicklung in der frühen Kindheit mit höheren Intensitätswerten in der grauen Substanz des präfrontalen Kortex einschließlich der SMA der linkshemisphärischen Capita Nn. caudati und Thalami sowie im medialen Zerebellum assoziiert. Entsprechende Zusammenhänge fanden sich für die Intensitätswerte in der weißen Substanz im Bereich der Frontallappen, des linkshemisphärischen Parietallappens sowie in der Umgebung der linkshemisphärischen Nn. caudati und Thalami. Diese Zusammenhänge galten nur für die gesunden Probanden und konnten nicht auf die schizophren Erkrankten übertragen werden. ! Neuere Studien mit der voxelbasierten Volumetrie führen zu der Hypothese, dass die mit den NSS assoziierten zerebralen Veränderungen wenigstens zum Teil erst mit Manifestation schizophrener Psychosen entstehen.
Natürlich kann die Richtung der Zusammenhänge zwischen motorischer Entwicklung in der Kindheit und Hirnmorphologie im Erwachsenenalter aus diesen Ergebnissen allein nicht abgelesen werden: Eine frühe motorische Entwicklung könnte über Reifungsmechanismen die Hirnmorphologie beeinflussen, wie umgekehrt eine rasche Reifung die motorische Entwicklung fördern dürfte. Veränderungen in den hier identifizierten Hirnregionen – der motorischen Areale im frontalen Kortex, der Basalganglien, des Thalamus sowie des Zerebellums – wurden, wie bereits dargestellt, konsistent bei schizophrenen Psychosen im Zusammenhang mit NSS beschrieben. Letztere fallen offenbar nicht mit Störungen der frühkindlichen motorischen Entwicklung zusammen; schon aus diesem Grunde galt die Assoziation zwischen motorischer Entwicklungsverzögerung und zerebralen Auffälligkeiten in der Studie von Ridler und Kollegen nicht für die später schizophren Erkrankten. Tatsächlich unterliegen NSS zahlreichen, auch unmittelbar morbogenen Einflüssen, die sich, wie die eingangs zitierten Verlaufsstudien zeigen, erst nach klinischer Manifestation der Erkrankung manifestieren. Andererseits ist ein Zusammenhang zwischen NSS und Störungen der frühkindlichen motorischen Entwicklung unbestritten, wie er von Ridler und Kollegen (2006) neuerlich belegt wurde. Nach dieser Feststellung ist zu erwarten, dass die für die NSS entscheidenden zerebralen Veränderungen nicht in dem Sinne präformiert sind, als dass sie schon früh, etwa in der Kindheit, zu überdauernden morphologischen Veränderungen führten. Thompson et al. (2001) verglichen die Hirnentwicklung in der Adoleszenz bei je zwölf schizophren erkrankten bzw. gesunden Jugendlichen. Zu Beginn der Studie waren die Teilnehmer im Mittel 13 Jahre alt; über einen fünfjährigen Verlauf wurden drei MRT aufgenommen. Nach den Ergebnissen der VBM-Analysen betrafen die ersten Defizite die Parietalregionen. Im Studienverlauf dehnten sich die Unterschiede zu Ungunsten der schizophren Erkrankten in die Temporal- und Frontallappen aus, wo sie insbesondere die sensomotorischen und dorsolateralen präfrontalen Kortizes sowie das frontale Augenfeld betrafen. Demnach entstehen die mit den NSS assoziierten zerebralen Auffälligkeiten erst in der Ado-
18
leszenz und nicht bereits der frühen Kindheit. Diese Feststellung wird zumindest indirekt durch die von Ridler et al. (2006) mitgeteilten Befunde gestützt, die schließlich keine signifikanten Korrelationen zwischen frühkindlichen Entwicklungsstörungen und den erst im Erwachsenenalter erhobenen morphologischen Auffälligkeiten bei den schizophren Erkrankten fanden. Zusammengenommen entsprechen diese Befunde dem von der Arbeitsgruppe um Andreasen (1996) vorgeschlagenen kortikozerebellären-thalamisch-kortikalen System, dessen Störungen zu typisch schizophrenen Symptomen führen sollen. Hierzu zählen gerade relativ diskrete und durch eine hohe Variabilität gekennzeichnete kognitive Defizite, für die Andreasen den Begriff der »kognitiven Dysmetrie« vorschlägt. Dass NSS pathogenetisch auf eine derartig zentrale Funktionsstörung verweisen, mag auf den ersten Blick überraschen, wird aber schon durch die eingangs zitierten Assoziationen zwischen NSS und der genetischen Belastung gestützt. Diese Schlussfolgerung wird durch die signifikanten Korrelationen zwischen NSS, der psychopathologischen Symptomatik, aber auch kognitiven Störungen unterstrichen (Übersicht in Schröder 1998). Andererseits können die zitierten Zusammenhänge nur einen Teil der Variablität der NSS erklären; so sind die angesprochenen morphologischen Auffälligkeiten selbst bei schizophrenen Psychosen durchaus unterschiedlich ausgeprägt. Unabhängig von der sicher noch unvollständigen Datenlage ist deshalb nach den Zusammenhängen zwischen NSS und funktionellen zerebralen Veränderungen zu fragen. 18.3
Funktionelle Untersuchungen
18.3.1 Funktionelle Magnetresonanztomographie Mit Einführung der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) zu Beginn der 90er Jahre stand erstmals ein robustes, dabei Patienten und gesunde Probanden nur wenig belastendes Verfahren zur Darstellung zerebraler Aktivierungsvorgänge zur Verfügung. Tatsächlich hatten schon die ersten Studien mit der fMRT Aktivierungsvorgänge und ihre Störungen bei schizophrenen Psychosen unter repetitiven Bewegungen zum Thema. Diese Untersuchungen konnten sich auf Vorstudien, v. a. mit der Positronenemissionstomographie (PET), beziehen, die erste Hinweise auf eine veränderte Hirnaktivierung, insbesondere in den sensomotorischen Kortizes und der SMA, erbrachten. So beschrieben Günther et al. (1994; zit. n. Schröder 1998) eine verringerte Sauerstoffausschöpfung bei 13 schizophren Erkrankten gegenüber 14 gesunden Probanden, die besonders die sensomotorischen Kortizes und die SMA betraf. Vergleichbare Befunde ergab die Untersuchung von 79 schizophren Erkrankten, bei denen die neuroleptische Behandlung für wenigstens vier Wochen ausgesetzt wurde und 47 gesunden Probanden im PET mit Fluordesoxyglucose als Tracer. Patienten mit einer desorganisierten Symptomatik zeigten hierin neben den höchsten NSS-Scores
222
18
Kapitel 18 · Motorik – Bildgebung
auch prononcierte Veränderungen in den sensomotorischen und angrenzenden parietalen Kortizes (Übersicht in Schröder 1998). Die erste systematische fMRT-Untersuchung wurde von Kim et al. (1993; zit. nach Schröder 1998) bei 15 gesunden Probanden (zehn Rechts- und fünf Linkshändern) durchgeführt. Bei allen Probanden konnte die Arbeitsgruppe eine signifikante Aktivierung der sensomotorischen Kortizes unter kontra- wie ipsilateraler Daumen-Finger-Opposition beobachten. Hinsichtlich der Aktivierung unter ipsilateraler Oppositionsbewegung ergab sich ein Lateralisierungseffekt mit höheren Aktivierungswerten im links- gegenüber dem rechtshemisphärischen sensomotorischen Kortex. Die fünf untersuchten Linkshänder waren durch nahezu spiegelbildliche Verhältnisse ausgewiesen. Die Pionierarbeit setzte damit nicht nur die fMRT erstmals in einer neurowissenschaftlichen Untersuchung ein, sondern beschrieb auch als erste systematisch den Lateralisierungseffekt unter ipsilateraler Bewegung. Wenig später wurde dieser Befund in der ersten »psychiatrischen« fMRT-Studie (Schröder et al. 1995) repliziert: Wiederum wurde die Aktivierung der sensomotorischen Kortizes unter Daumen-Finger-Opposition – einem typischen NSS – mit einer modifizierten FLASH-Sequenz untersucht. Neben 7 gesunden Probanden wurden 10 schizophren Erkrankte eingeschlossen; alle Patienten waren auf Clozapin (287,5±177,6 mg/d) eingestellt und wurden nach Remission der Akutsymptomatik vor Abschluss der stationären Behandlung untersucht. In einem Blockdesign wurden je 60 Aufnahmen unter Oppositionsbewegung mit der rechten bzw. linken Hand aufgenommen; die Bewegungsleistung wurde anhand der Heidelberger NSS-Skala unter fMRT klinisch beurteilt. Unter der Hypothese, dass an der Daumen-Finger-Opposition neben dem sensomotorischen Kortex auch die SMA beteiligt ist, wurde die Hirnaktivität in einer entsprechenden axialen Schicht dargestellt und auf eine kongruente T1-gewichtete Aufnahme superponiert. Da konfektionierte Programme zur Bildanalyse noch nicht allgemein zur Verfügung standen, wurde die Aktivität in jedem Pixel im Vergleich zwischen Ruhe- bzw. Bewegungsperioden mittels t-Test auf signifikante Veränderungen (p<0,005) geprüft. Zur regionalen Quantifizierung wurde ein Gitter aus 6×5 quadratischen Regionen den Aufnahmen überlagert und die regionale Hirnaktivierung als mittlerer t-Wert für die resultierenden 30 »regions of interest« ermittelt. Unter der Oppositionsbewegung zeigten alle Patienten und Probanden eine signifikante Aktivierung in den kontra- und ipsilateralen sensomotorischen Kortizes sowie der SMA. Gegenüber den gesunden Probanden waren die schizophren Erkrankten durch herabgesetzte Aktivierungswerte ausgewiesen; dieser Befund erreichte für den rechtshemisphärischen Kortex unter kontralateraler, für den linkshemisphärischen Kortex unter kontra- und ipsilateraler Oppositionsbewegung Signifikanzniveau (. Abb. 18.5). Während die gesunden Probanden einen Lateralisationseffekt zu Gunsten des linkshemisphärischen Kortex unter ipsilateraler Oppositionsbewegung zeigten, bestanden
. Abb. 18.5. Aktivierung der sensomotorischen Kortizes unter Daumen-Finger-Opposition bei schizophren Erkrankten und gesunden Probanden. Die Aktivierungswerte der schizophren Erkrankten liegen deutlich über denen der gesunden Probanden; darüber hinaus wird der aufgehobene Lateralisierungseffekt zu Gunsten des linkshemisphärischen Kortex unter ipsilateraler, d. h. linksseitiger Daumen-Finger-Opposition bei den schizophren Erkrankten deutlich (nach Schröder et al. 1995)
bei den schizophren Erkrankten umgekehrte Verhältnisse: Hier überstieg die Koaktivierung des rechtshemisphärischen sensomotorischen Kortex unter ipsilateraler Bewegung die entsprechenden linkshemisphärischen Werte. Unter kontralateraler Oppositionsbewegung blieb ein entsprechender Lateralisationseffekt aus. Entsprechende Verhältnisse bestanden in der SMA; allerdings erreichte hier der Unterschied zwischen schizophren Erkrankten und gesunden Probanden nur unter linksseitiger Daumen-Finger-Opposition Signifikanzniveau. Dagegen konnten Buckley et al. (zit. nach Schröder 1998) diese Effekte in einer fMRT-Studie an je neun schizophren Patienten und gesunden Probanden nicht bestätigen. Die Autoren wiesen jedoch auf die von den anderen Studien deutlich abweichende Klinik der Patienten hin. Während die zitierten Studien nur postakute Patienten einschlossen, wurden hier chronisch Erkrankte beteiligt. Auch die Medikation (je 1 Patient erhielt Olanzapin oder Perazin, je 2 Patienten Haloperidol oder Melperon, 3 Patienten Clozapin) war sehr heterogen, wobei 5 Patienten als Nonresponder eingestuft wurden. Weitere Unterschiede betrafen die Bildakquisition mit einer geringen Zahl von Aufnahmen und einem deshalb erforderlichen niedrigen Signifikanzniveau bei der Bildauswertung. Zudem ließ die Arbeitsgruppe Patienten und gesunde Probanden die geforderte Daumen-Finger-Opposition vor den fMRT-Untersuchungen trainieren. Gerade dieser Unterschied ist von außerordentlicher Bedeutung, beschrieben doch die noch zu diskutierenden Studien anderer Autoren unter Training kompensatorische Effekte bei schizophren Erkrankten bzw. eine Ökonomisierung der Hirnaktivierung bei Gesunden. Letztere führt demnach zu einer reduzierten
223 18.3 · Funktionelle Untersuchungen
Hirnaktivierung trotz Leistungssteigerung. Damit nivellieren sich jedoch entsprechende Gruppenunterschiede zwischen schizophren Erkrankten und Gesunden unter Training. Damit sind die aus klinischer Sicht entscheidenden möglichen Einflussgrößen benannt: Medikation und Bewegungsleistung bzw. Training und Verlauf. Diese werden im Folgenden anhand einschlägiger Studien diskutiert. ! Zahlreiche Untersuchungen mit funktionellen bildgebenden Verfahren erbrachten Auffälligkeiten in den sensomotorischen Kortizes und der SMA unter typischen NSS bei schizophrenen Psychosen.
18.3.2 Mögliche Medikamenteneffekte Mögliche Einflüsse der neuroleptischen Therapie auf das fMRTSignal unter einem einfachen motorischen Paradigma wurden erstmals von Braus et al. 1999 untersucht. Unter sequenzieller Fingerbewegung (Bewegungsfrequenz 2–3 Hz) zeigten 14 neuroleptikanaive ersterkrankte Schizophrene ähnliche Aktivierungsmuster im primären motorischen Kortex und der SMA wie 15 gesunde Probanden. Demgegenüber bestand eine generelle Signalreduktion im sensomotorischen Kortex bei 13 Patienten, die konventionelle Neuroleptika erhielten. Weitere 13 Patienten, die mit einem atypischen Neuroleptikum behandelt wurden, zeigten diesen Effekt nicht; allerdings bestand eine signifikante Aktivitätsminderung in der SMA in beiden Behandlungsgruppen im Vergleich zu den unbehandelten Patienten und den gesunden Probanden. Weitere Angaben, etwa zur klinischen Symptomatik oder zum möglichen Einfluss der Bewegungsgeschwindigkeit, finden sich nicht. Unabhängig von diesen methodischen Fragen interpretierten die Autoren diese Unterschiede als Ausdruck differenzieller Effekte konventioneller bzw. atypischer Neuroleptika. Diese Ergebnisse konnten teilweise von Müller et al. (2002) bestätigt werden. Die Regensburger Arbeitsgruppe untersuchte je zehn Patienten, die fest auf Haloperidol oder Olanzapin eingestellt waren sowie zehn unbehandelte Patienten. Zehn gesunde Probanden bildeten die Kontrollgruppe. Als motorische Aufgabe wurde eine Oppositionsbewegung von Daumen und Zeigefinger mit der linken Hand vorgegeben, die, 15 min vor dem fMRT eingeübt, mit einer Frequenz von etwa 1,5 Hz durchzuführen war. Wie in den bereits zitierten früheren Untersuchungen zeigten Patienten und Probanden eine Aktivierung der kontralateralen sensomotorischen Kortizes, bei den unbehandelten Patienten und gesunden Probanden auch der rechtshemisphärischen Basalganglien bzw. des ipsilateralen Kleinhirns. Im sensomotorischen Kortex erreichten die unbehandelten Patienten die höchsten Aktivierungswerte, gefolgt von den gesunden Probanden. Die Befunde der auf Olanzapin bzw. Haloperidol eingestellten Patienten lagen signifikant darunter. Tatsächlich waren ähnliche Befunde für unbehandelte Patienten schon in den oben diskutier-
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ten PET-Studien nachgewiesen worden, während die herabgesetzten Werte unter Medikation den bereits zitierten Studien, aber auch den Ergebnissen von Nordhoff et al. (1996; zit. n. Schröder 1998; Spence et al. 1997) entsprachen. Rogowska et al. (2004) schlossen je 21 schizophren Erkrankte unter stabiler Medikation und 21 gesunde Probanden ein. Die Daumen-Finger-Oppositionsbewegung wurde, wie in der Heidelberger Skala beschrieben, vorgegeben; angestrebt wurde eine Bewegungsfrequenz etwa 1 Hz. 17 Patienten waren auf konventionelle Neuroleptika (davon 1 auf Thioridazin) eingestellt; 4 Patienten erhielten atypische Präparate. Im Gruppenvergleich waren signifikant reduzierte Aktivierungswerte bei den schizophren Erkrankten in den sensomotorischen Kortizes und der SMA auffällig; weitere Unterschiede betrafen das Zerebellum. Auch der Lateralisationseffekt bei Gesunden bzw. seine Aufhebung bei den Patienten wurde repliziert. Differenzielle Effekte zwischen konventionellen und atypischen Präparaten konnten vorbehaltlich methodischer Einschränkungen – v. a. der dann geringen Gruppengröße – nicht bestätigt werden. Die zitierten Studien machen zwar Medikationseffekte als solche wahrscheinlich, ohne jedoch die pathogenetischen Zusammenhänge im Detail aufklären zu können. Sicherlich sind erhöhte Aktivierungswerte bei unbehandelten Patienten schon aus klinischer Sicht durchaus plausibel, wurden vergleichbare Effekte doch in PET- bzw. SPECT-Studien vorbeschrieben. Die daraus zu erwartende »Normalisierung« zunächst erhöhter Aktivierungswerte entspricht weiter dem eingangs beschriebenen Rückgang der NSS-Scores unter neuroleptischer Therapie. Die vorliegenden Querschnittsuntersuchungen erlauben jedoch kaum eine verlässliche Differenzierung zwischen Effekten seitens der psychopathologischen Symptomatik, v. a. ihrer Stabilisierung unter Medikation bzw. unmittelbaren pharmakogenen Einflüssen auf zerebrale Aktivierungsvorgänge. Insbesondere lässt der einfache Vergleich zwischen Patientengruppen, die auf unterschiedliche Neuroleptika eingestellt sind, zahlreiche Störgrößen wie Lebensalter, Verlaufsform, Ausbildung oder Geschlecht unberücksichtigt. Dass diese Größen zerebrale Aktivierungsvorgänge beeinflussen können, wird schon durch die Abhängigkeiten zwischen diesen Größen und den NSS-Scores in klinischen Studien deutlich. Dem entspricht, dass die Studienergebnisse gerade hinsichtlich der Frage differenzieller Effekte atypischer Neuroleptika erheblich differieren. Zusätzlich wird der Vergleich zwischen den zitierten Studien durch zahlreiche methodische Unterschiede erschwert: Gaben Braus et al. und Rogowska et al. eine Daumen-Fingeropposition vor, ließ die Regensburger Arbeitgruppe die Untersuchungsteilnehmer lediglich repetitiv Daumen und Zeigefinger berühren. Die Bewegungsgeschwindigkeit wurde in den Studien weder einheitlich vorgegeben noch kontrolliert; strebten Müller et al. eine Frequenz von 1,5 Hz an, gaben Braus et al. Werte zwischen 2 und 3 Hz, Rogowska et al. dagegen um 1 Hz vor. Letztere kontrollierten die tatsächliche Bewegungsleistung zusätzlich über eine Videokamera. Tatsächlich liegen die damit angesprochenen Ge-
224
Kapitel 18 · Motorik – Bildgebung
. Tab. 18.1. Bewegungsleistung im Vergleich zwischen schizophren Erkrankten und gesunden Probanden. Mittelwerte und Standardabweichungen für »langsame«, »mittelschnelle« und »schnelle« Pronation und Supination mit der rechten bzw. linken Hand Gesunde Probanden
Frequenz (Hz)
Amplitude (°)
Variabilität (%)
Schizophrene Erkrankte
»langsam«
»mittelschnell«
»schnell«
»langsam«
»mittelschnell«
»schnell«
0,4±0,2
0,7±0,5
1,1±0,5
0,3±0,2
0,9±0,9
1,2±0,8
0,4±0,3
0,6±0,5
1,1±0,7
0,3±0,2
0,8±0,4
1,4±0,6
121±36
130±49
117±48
98±37
104±42
107±46
124±27
124±31
126±51
116±35
106±41
110±37
17,6±5,7
13,7±2,2
13,5±2,7
16,9±5,1
21,8±7,8
18±5,7
15,2±1,9
15,5±1,8
13,8±2,9
18,1±5,3
22,6±13
17,2±5,0
schwindigkeitsunterschiede in einem Bereich, der in gezielten Untersuchungen entsprechender Effekte zu einer signifikanten Steigerung der Aktivierungswerte führte (. Tab. 18.1). 18.3.3 fMRT unter Kontrolle
der Bewegungsleistung
18
Ungeachtet zahlreicher methodischer Einschränkungen, genannt seien hier nur die begrenzte Zahl von Wiederholungsuntersuchungen sowie die schwierigen Untersuchungsbedingungen, wiesen schon erste Untersuchungen mit SPECT bzw. PET bei Gesunden eine zunehmende Aktivierung der sensomotorischen Kortizes mit höherer Bewegungsleistung nach. Zumal diese Effekte grundsätzlich auch bei schizophrenen Psychosen gelten, haben wir in einer weiteren fMRT-Studie die Aktivierung der sensomotorischen Kortizes und der SMA bei zwölf Patienten mit Schizophrenien gegenüber zehn gesunden Probanden unter simultaner Aufzeichnung und Analyse der Bewegungsleistung untersucht (Schröder et al. 1999). Letztere erlaubte nicht nur eine Kontrolle der Bewegungsfrequenz, sondern auch anderer Parameter, die wie Änderungen der Bewegungsgeschwindigkeiten und -beschleunigung bei schizophrenen Psychosen charakteristisch verändert sind (vgl. ▶ Kap. 17). Damit war es auch möglich, auf eine Vorgabe der Bewegungsgeschwindigkeit, z. B. mit einem Metronom, zu verzichten. Letzteres hätte eine zusätzliche Aufmerksamkeitsanforderung in das experimentelle Design eingeführt, durch die Patienten gegenüber den Gesunden a priori benachteiligt worden wären. Stattdessen wurden die Untersuchungsteilnehmer wie folgt instruiert: 4 »Bitte bewegen Sie Ihre Hand so langsam wie möglich, aber ohne zu stocken.« 4 »Bewegen Sie Ihre Hand mittelschnell und achten Sie auf eine gleichmäßige Drehbewegung.« 4 »Bitte bewegen Sie Ihre Hand so schnell wie möglich.«
Wie zu erwarten, wurden die höchsten Bewegungsfrequenzen bei den größeren Geschwindigkeitsstufen beobachtet (. Tab. 18.1). Signifikante Gruppenunterschiede bestanden nicht; bei der dritten Geschwindigkeitsstufe erreichten die Patienten mit 1,2+0,8 Hz (rechte Hand) und 1,4+0,6 Hz (linke Hand) sogar geringfügig höhere Bewegungsfrequenzen als die gesunden Probanden (1,1+0,5 Hz rechte Hand; 1,1+0,7 Hz linke Hand). Die Spannweite der Bewegungsfrequenz unterschied kaum zwischen den Untersuchungsgruppen und schwankte um 1.1 Hz. Entsprechende Ergebnisse fanden sich für die Bewegungsamplitude; wiederum waren keine signifikanten Unterschiede zwischen schizophren Erkrankten und gesunden Probanden auszumachen. Waren die äußeren Merkmale des Bewegungsablaufs – Frequenz und Amplitude – damit zwischen den Gruppen vergleichbar, ergaben sich deutliche Unterschiede für die Variabilität der Geschwindigkeit als Maß für Automatisierung und Dynamik der Bewegung: Hier zeigten die schizophren Erkrankten eine signifikant höhere Variabilität gegenüber den gesunden Probanden; ein Befund, der grundsätzlich auf ein höheres Maß an Führung und Korrektur der Abläufe deutet. Die korrespondierenden Aktivierungswerte in den sensomotorischen Kortizes unter kontralateraler Pronation/Supination sind in . Abb. 18.6 wiedergeben. In beiden Untersuchungsgruppen war ein signifikanter Anstieg der Aktivierungswerte mit höheren Geschwindigkeiten zu beobachten; auch die in der Abbildung nicht dokumentierten Werte unter ipsilateraler Pronation/Supination zeigten einen entsprechenden Effekt. Gegenüber den gesunden Probanden war bei den schizophren Erkrankten die Aktivierung der sensomotorischen Kortizes unter kontralateraler Bewegung verringert. Auch in der SMA lagen die Werte der schizophren Erkrankten unter denen der gesunden Probanden. Allerdings verfehlte dieser Befund das Signifikanzniveau. Demgegenüber ergab die oben referierte eigene Vorstudie (Schröder et al. 1995) wie die Untersuchungen von Günther et al. (1994; zit. n. Schröder 1998) signifikante Veränderungen der SMA. In Anbetracht der kleinen Untersuchungsgrup-
225 18.3 · Funktionelle Untersuchungen
18
quenziellen Bewegung stärker ausgeprägt, die gegenüber der freien Bewegung in beiden Untersuchungsgruppen zu deutlich höheren Aktivierungswerten führte. Allerdings verfehlten diese Aktivierungsunterschiede wohl angesichts der geringen Gruppengrößen das Signifikanzniveau. ! Die sensomotorischen Kortizes und die SMA werden in Abhängigkeit von der Bewegungsgeschwindigkeit und -komplexität aktiviert; dieser Effekt gilt für gesunde Probanden wie schizophren Erkrankte gleichermaßen.
. Abb. 18.6. Aktivierung der sensomotorischen Kortizes unter kontralateraler Pronation und Supination bei schizophren Erkrankten und gesunden Probanden. Angegeben sind jeweils die Aktivitätswerte unter langsamer, mittelschneller und schneller Pronation/Supination, die in beiden Gruppen unter Beschleunigung signifikant zunehmen. (Nach Schröder et al. 1995)
pen sind Stichprobeneffekte für die divergierenden Ergebnisse durchaus wahrscheinlich. Darüber hinaus gilt die Funktion der SMA als außerordentlich aufgabenabhängig (Deecke 1996; zit. n. Schröder 1998), so dass auch Unterschiede zwischen den verwandten motorischen Paradigmata zu diskutieren sind. Hier ist plausibel, dass Daumen-Finger-Positionsaufgaben typische SMA-Funktionen wie Planung und zeitliche Strukturierung von Bewegungsfolgen (Tanji u. Shima 1996) stärker fordern als die durch eine Apparatur vorgegebenen Pronations-/Supinationsbewegungen. Tatsächlich wurde ein Einfluss der Komplexität von Bewegungsfolgen auf zerebrale Aktivierungsmuster durch die von Mattay et al. (1997; zit. n. Schröder 1998) vorgelegte Untersuchung gestützt. Verglichen wurden zerebrale Aktivierungsmuster bei 7 schizophren Erkrankten und 8 gesunden Probanden unter »sequenzieller« Durchführung der Daumen-Finger-Oppositionsaufgabe (die einzelnen Fingerkuppen werden vom Daumen nacheinander berührt) bzw. unter Verzicht auf Vorgabe einer festen Bewegungsreihenfolge. Dabei wurden die Bewegungen nur mit den Fingern der rechten Hand durchgeführt. Von zwei Ausnahmen abgesehen waren die untersuchten Patienten wenigstens 15 Jahre erkrankt; therapeutisch wurden unterschiedliche Neuroleptika, insbesondere Risperidon (n=3) und Haloperidol (n=2) eingesetzt. Im Vergleich zu den Gesunden zeigten die Patienten eine höhere Aktivierung der ipsilateralen, d. h. rechtshemisphärischen sensomotorischen Kortizes mit einem erniedrigten Lateralisationskoeffizienten. Darüber hinaus lag die Aktivierung der kontralateralen sensomotorischen Kortizes, wie auch der SMA, in der Patientengruppe deutlich unter den Werten der gesunden Probanden. Diese Unterschiede waren unter der se-
Die Untersuchungen ergaben damit eine Abhängigkeit der zerebralen Aktivierung von der Bewegungsleistung. Dieser Zusammenhang galt sowohl für Gesunde wie schizophren Erkrankte; er war auch auf Frequenz und Komplexität der untersuchten Bewegungen anwendbar. Unabhängig davon waren die Patienten durch herabgesetzte Aktivierungswerte im sensomotorischen Kortex ausgewiesen. Während sich dieser Befund unabhängig von der Bewegungsfrequenz bestätigte, beschrieben Mattay et al. (1997) mit höherer Bewegungskomplexität eine Verstärkung der Aktivierungsdefizite bei den schizophren Erkrankten. Eine wichtige Ursache hierfür ist sicherlich in der Beteiligung eines größeren Netzwerkes mit Einschluss zahlreicher Strukturen unter der von Mattay et al. (1997) vorgegebenen komplexen Bewegung zu suchen. Diese Beobachtung lässt nach möglichen Trainingseffekten fragen, da die Komplexität einer Bewegung doch kein starres Maß bildet, sondern maßgeblich vom Trainingszustand abhängig ist. Analog sind weiter Behandlungseffekte zu untersuchen, da sich das Leistungsniveau mit Stabilisierung des Zustandsbildes i. Allg. verbessert, wie sich umgekehrt NSS-Scores reduzieren. 18.3.4 Training und klinischer Verlauf Schon 1967 demonstrierten Ingvar und Risberg in ihrer Pionierstudie Veränderungen der regionalen Hirndurchblutung unter kognitiven Anforderungen. Trotz des geringen Auflösungsvermögens der damaligen Technik wurden nicht nur Durchblutungsanstiege zwischen 5 und 8% unter kognitiver Aktivität (Zahlennachsprechen rückwärts), sondern kasuistisch auch eine Abschwächung dieses Effektes bei Wiederholungsmessungen nach einigen Tagen nachgewiesen. In der wohl ersten systematischen Studie untersuchte Richard Haier aus der Arbeitsgruppe um Monte Buchsbaum, University of California/Irvine, bei 8 jungen Männern den zerebralen Glukosemetabolismus im PET vor und nach dem Training einer komplexen motorisch-visuospatialen Aufgabe, die durch ein Computerspiel (»TETRIS«) gegeben war (Haier et al. 1992). Tägliches Training über 4-8 Wochen führte zu einer Leistungssteigerung unter dramatischer Reduktion der kortikalen Glukoseaufnahme; ein Effekt, der besonders Precuneus, Gyrus front. med. sup., Gyrus cingulum, Hippokampus und Zerebellum betraf, d. h. Hirnareale, die für Mustererkennung und -verarbeitung sowie für motorische Abläufe entscheidend sind. Friederici et al. (1993) beschrieben einen korrespon-
226
Kapitel 18 · Motorik – Bildgebung
dierenden Effekt für die neuronalen Korrelate kognitiver Lernprozesse am Beispiel des Erwerbs einer artifiziellen Sprache, deren grammatikalischer Aufbau sich am Regelwerk natürlicher Sprachen orientierte. Ein größerer Lernerfolg ging mit einer reduzierten neuronalen Aktivität des linken Hippokampus, aber erhöhten Aktivität des linken Gyrus front. inf. einher. Während der Aktivitätsabfall im Hippokampus auf die verbesserte mnestische Verfügbarkeit der Kunstsprache verweist, korrespondiert die erhöhte links-präfrontale Aktivierung mit einer höheren Inanspruchnahme dieser für das syntaktische Verständnis entscheidenden Region. Tatsächlich wurden vergleichbare Effekte auch für motorische Aufgaben mit einer reduzierten Aktivierung des sensomotorischen Kortex (Shadmehr u. Holcomb 1997; zit. nach Schröder 1998) beschrieben. Diese Befunde stützen die Hypothese, dass die neuronale Aktivierung durch Training effizienter wird. Ergänzend ist denkbar, dass mit Training eine Auswahl derjenigen kognitiven Strategien verbunden ist, die zur Lösung der Aufgaben den geringsten Energiebedarf beanspruchen. Auch eine Untersuchung des Arbeitsgedächtnisses unter einem »n-back«-Paradigma bestätigte diesen Ökonomisierungseffekt unter Training (Hempel et al. 2004). Zwischen 3 im Abstand von jeweils 2 Wochen liegenden Messzeitpunkten wurde die »n-back«-Aufgabe von 9 jungen Probanden trainiert, deren a
b
Leistung sich erwartungsgemäß rasch optimierte. Dagegen stellte sich in der funktionellen MRT zunächst bei der ersten Verlaufsuntersuchung nach zwei Wochen eine signifikante Steigerung der Aktivierungswerte (. Abb. 18.8) dar. Nach einem weiteren zweiwöchigen Training hatte sich mit Abschluss der Studie die Leistungssteigerung konsolidiert, während in der funktionellen MRT die Aktivierungswerte auf ihr Ausgangsniveau zurückgekehrt waren. Diese »Ökonomisierung der Hirnaktivierung unter Training« erscheint vordergründig paradox, wird jedoch schon durch die Reduktion des zerebralen Energiebedarfs verständlich. Training kann damit Reservekapazitäten schaffen bzw. freisetzen. Tatsächlich wurden korrespondierende Veränderungen in einzeitigen Untersuchungen von Büchel et al. (1999; zit. nach Hempel et al. 2004) beschrieben. ! Training führt bei Gesunden zu einer »Ökonomisierung« (. Abb. 18.7) der Hirnaktivierung mit verringerten Aktivierungswerten bei gesteigerten neuropsychologischen Leistungen gegenüber dem Ausgangsniveau.
Die Arbeitsgruppe um Kodama et al. (2001) untersuchte 9 neuroleptisch stabil eingestellte schizophren Erkrankte und 10 altersangeglichene gesunde Probanden vor bzw. nach Training einer komplexen Daumen-Finger-Oppositionsaufgabe im fMRT. c
18 . Abb. 18.7a–c. »Ökonomisierung« der Hirnaktivierung unter Training mit Veränderungen der zerebralen Aktivierung (Blood Oxygen Level Dependent/BOLD) in der funktionellen Magnet-Resonanz-Tomographie (a) vor sowie (b) nach 2 bzw. (c) 4 Wochen Training unter Bearbeitung einer »n-back« bei 9 gesunden Probanden (p<0,001, uncorrected; k=10).
Unter Training erhöhte sich zunächst bei verbesserter Testleistung die Aktivität der beteiligten frontoparietalen Areale, die sich dann mit Konsolidierung der Leistungssteigerung bei der dritten Untersuchung wieder in Richtung des Ausgangsniveaus reduzierte (nach Hempel et al. 2004) (7 Farbtafeln, S. 656)
227 18.3 · Funktionelle Untersuchungen
18
. Abb. 18.8. Trainingseffekte bei schizophren Erkrankten und gesunden Probanden im Vergleich. Während sich die Aktivierungswerte bei den Gesunden verringern, zeigen die Patienten in ihrer Mehrzahl erhöhte Werte. (Nach Kodama et al. 2001)
Dabei wurden die Untersuchungsteilnehmer aufgefordert, mit dem Daumen die Kuppen der Finger II-V in einer vorgegebenen Reihenfolge zu berühren. Das Training wurde durch einen der Autoren selbst supervidiert. Die Erstuntersuchungen bestätigten die schon oben diskutierte signifikante Verringerung der Aktivierungswerte in den prämotorischen Kortizes bei den schizophren Erkrankten. Training über 1 Woche führte sowohl bei Patienten als auch gesunden Probanden zu einer erheblichen Steigerung der Bewegungsleistung. Allerdings war dieser Leistungsgewinn bei den Patienten geringer ausgeprägt, sodass ein signifikanter Gruppenunterschied bestehen blieb. In der Zweituntersuchung zeigten die gesunden Probanden eine signifikante Reduktion der Aktivierungswerte, während bei den schizophren Erkrankten ein signifikanter Anstieg zu verzeichnen war. Der Unterschied zwischen den Untersuchungsgruppen wurde so nivelliert (. Abb. 18.8). Wie auch die Bewegungsleistung war dieser Effekt nicht mit der Intensität der neuroleptischen Behandlung assoziiert. Mit Darstellung des Trainingseffekts bei schizophrenen Psychosen gewinnt die von der Arbeitsgruppe um Kodama vorgelegte Studie besondere Bedeutung. Tatsächlich sind vergleichbare Effekte bei schizophrenen Psychosen bisher nur kasuistisch (Wexler et al. 2000; Wykes et al. 2002; zit. nach Hempel et al. 2004) beschrieben worden. Demnach kann der »Ökonomisierungseffekt« nicht direkt auf schizophrene Psychosen übertragen
werden. Dieses Ergebnis ist nicht nur für den Vergleich der hier diskutierten Studien, in denen oft weitergehende Angaben zum Trainingszustand fehlen, entscheidend, sondern erweitert auch unser Verständnis der neuronalen Basis von Trainingseffekten. Nach den diskutierten Studien sind NSS mit einer herabgesetzten Aktivierung der sensomotorischen Kortizes – teilweise auch der SMA – sowie einem aufgehobenen Lateralisierungseffekt assoziiert. Diese Befunde sind weder auf Einflüsse durch die Medikation noch durch die herabgesetzte Bewegungsleistung per se erklärbar. Die Arbeitsgruppe Bertolino et al. (2004) untersuchte die Stabilität dieser Befunde im klinischen Verlauf unter standardisierter Behandlung über einen Zeitraum von 8 Wochen. Dabei ließ sie sich von zahlreichen Befunden leiten, nach denen Veränderungen physiologischer Lateralisierungseffekte bei Schizophrenien stabile »Trait«-Marker der Erkrankung im Gefolge früher Entwicklungsstörungen bilden. Hypothetisch sei deshalb zu erwarten, dass die bloß quantitativen Aktivierungsveränderungen, etwa in den sensomotorischen Kortizes, nur vorübergehenden »State«-Charakter trügen, während der aufgehobene Lateralisierungseffekt – wie entsprechende Phänomene bei anderen neuropsychologischen Defiziten – zeitlich stabil bliebe. Nach 4- und 8-wöchiger Therapie mit Olanzapin (durchschnittliche Dosis: 20,3+7,4 mg/d) wurden 17 Patienten mit schizophrenen Psychosen im fMRT unter einer einfachen motorischen Aufgabe untersucht. Alle Patienten waren zu Beginn der
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Kapitel 18 · Motorik – Bildgebung
Studie neuroleptikanaiv (n=9) oder über wenigstens 4 Wochen neuroleptikafrei (n=8) und befanden sich in einem akutpsychotischen Zustand. Die Kontrollgruppe bestand aus 17 gesunden Probanden. Den Untersuchungsteilnehmern wurde eine einfache, visuell geleitete Aufgabe vorgegeben, bei der die jeweilige Position eines Punktes auf einem Schirm durch Druck eines entsprechenden Knopfes mit der rechten Hand nachzuvollziehen war. Unter der neuroleptischen Medikation stabilisierte sich die psychopathologische Symptomatik erwartungsgemäß, während sich die Bewegungsleistung weder im Verlauf veränderte noch zwischen Patienten und Gesunden signifikant unterschied. Die fMRT-Untersuchungen zeigten Aktivierungen der kontra- und ipsilateralen senso- und prämotorischen Kortizes, der SMA, aber auch parietaler Areale. Bei der Erstuntersuchung waren die Patienten gegenüber den gesunden Probanden durch eine herabgesetzte Aktivierung im kontralateralen sensomotorischen Kortex ausgewiesen; ein Unterschied, der sich bei der Abschlussuntersuchung 4 Wochen später nivelliert hatte und damit das Signifikanzniveau verfehlte. Demgegenüber war in der Patientengruppe bei beiden Untersuchungen eine höhere Koaktivierung des rechtshemisphärischen (und damit ipsilateralen) sensomotorischen Kortex auffällig, die zu einem kleineren Lateralisationskoeffizienten führte. Mögliche Lerneffekte, v. a. aber die Vergleichbarkeit des gewählten Paradigmas mit klinisch gängigen NSS, wurden von den Autoren nicht diskutiert. ! Nach den Ergebnissen bisheriger Verlaufsstudien haben Trainingsniveau und psychopathologische Symptomatik entscheidenden Einfluss auf zerebrale Aktivierungsstörungen unter NSS.
Die Studien belegten damit Veränderungen der Aktivierung in den sensomotorischen Kortizes, die auf das durchgeführte Training bzw. die Stabilisierung des Zustandsbildes unter neuroleptischer Therapie zurückzuführen waren. Bemerkenswert erscheint die Kohärenz der jeweiligen Effekte; sowohl ein Training als auch die Stabilisierung des Zustandesbildes im Verlauf führten zur Kompensation der Aktivierungsdefizite. Unabhängig voneinander machten beide Beobachtungen Neuroleptikaeffekte unwahrscheinlich, blieb die Behandlung doch im Studienverlauf jeweils unverändert. 18.4
18
Bildgebende Verfahren und das Verständnis der NSS
Nach den vorliegenden Studien korrespondieren NSS bei Schizophrenien mit Veränderungen in den sensomotorischen Kortizes, der SMA, aber auch den Basalganglien, dem Thalamus und dem Zerebellum. Morphometrische Auffälligkeiten wurden in allen genannten Strukturen beschrieben, während funktionelle Veränderungen eher in den kortikalen Arealen identifiziert wurden. Dem entspricht, dass die fMRT als das am häufigsten eingesetzte Verfahren sensitiv auf eine ganze Reihe möglicher Störgrößen reagiert, die in ihrer Mehrzahl weniger dem Verfahren als
solchem, sondern dem Untersuchungsdesign und dessen Unwägbarkeiten anzulasten sind. Schon aus diesen Gründen führen die diskutierten Ergebnisse kaum zu einem geschlossenen Modell der NSS, das letztlich eine Kenntnis der Pathophysiologie schizophrener Psychosen als solcher voraussetzen dürfte. Allerdings können die Einzelbefunde, entlang der klinischen Charakteristika der NSS diskutiert, hypothesenhaft verdichtet werden. In diesem Sinn entscheidend sind hier der Nachweis von NSS in Risikopopulationen mit Erhöhung der Scores im Übergang zur manifesten Psychose wie – umgekehrt – ihr Rückgang mit Remission der psychotischen Symptomatik. Für die mit den NSS assoziierten morphologischen Veränderungen wurden jüngst durch Ridler et al. (2006) korrelative Zusammenhänge mit der motorischen Entwicklung zu Beginn des zweiten Lebensjahres hergestellt. Diese Verbindungen galten jedoch nur für gesunde Probanden, nicht aber schizophren Erkrankte. Diese Dissoziation verweist auf den janusköpfigen Charakter der NSS, die sich weder eindeutig als »Trait«- noch »State«Merkmale auffassen lassen. Tatsächlich konnten Thompson und Mitarbeiter in einer mehrjährigen Verlaufsstudie bei schizophren erkrankten Adoleszenten zeigen, dass die fraglichen Veränderungen in der SMA und den sensomotorischen Kortizes kaum auf die Kindheit zurückgehen, sondern offenbar erst in der Adoleszenz entstehen. Das Befundmuster mit seiner zeitlichen Dynamik verweist gleichzeitig auf weitere, mit der Erstmanifestation vergesellschaftete Veränderungen, wie sie etwa mit einer Expression von DNA-Abschnitten, die denen humaner endogener Retroviren homolog sind, nachgewiesen wurden (Karlsson et al. 2001). Demgegenüber kann der Rückgang der NSS-Scores im Verlauf anhand der Studienlage nur mit Vorbehalt diskutiert werden; zu groß sind die methodischen Unterschiede zwischen den funktionellen Untersuchungen, als dass sie weitgehende Schlüsse erlaubten. Immerhin beschrieben zahlreiche Untersuchungen eine verminderte Aktivierung der sensomotorischen Kortizes, z. T. auch der SMA, neben einem aufgehobenen physiologischen Lateralisierungseffekt. Ein Einfluss der aktuellen Medikation konnte ebenso wenig wie ein Einfluss der bloßen Bewegungsfrequenz bestätigt werden. Demgegenüber unterlag die Aktivierung der genannten Areale durchaus Effekten seitens der Komplexität der Bewegungen und wurde zusätzlich durch den Trainingzustand und die psychopathologische Symptomatik beeinflusst. Die genannten Parameter können kaum isoliert voneinander betrachtet werden. Die Komplexität einer Bewegung bildet kein absolutes Maß, sondern ist vom Trainingszustand abhängig. Dass letzterer entscheidend mit der psychopathologischen Symptomatik fluktuiert, wird durch die schon eingangs zitierten NSS-Verlaufsstudien unterstrichen. Insofern korrespondieren die zitierten Befunde durchaus mit den Verlaufscharakteristika der NSS, auch wenn diese Schlussfolgerung noch durch weitere große, prospektiv angelegte Untersuchungen zu bestätigen bleibt. In derartigen Studien sollten die NSS unbedingt mit geeigneten Apparaturen vorgegeben und in ihrer Durchführung kont-
229 Literatur
rolliert werden (vgl. ▶ Kap. 17). Die Untersuchungen sollten im Verlauf unter standardisierter neuroleptischer Medikation an psychopathologisch definierten Zeitpunkten – etwa in zeitlicher Nähe zur Akutexazerbation oder bei Remission der Akutsymptomatik – durchgeführt werden. Schwieriger erscheint die Kontrolle von Trainingseffekten, die am ehesten durch ein Parallelgruppendesign möglich ist. Der damit angesprochene Aufwand ist sicherlich hoch, wird jedoch durch die zentrale Stellung der NSS im klinischen Gesamtbild schizophrener Psychosen gerechtfertigt. NSS sind wie kaum ein anderes neuropsychologisches Merkmal mit der psychopathologischen Symptomatik assoziiert und können gleichzeitig relativ einfach untersucht werden. Schon aus diesen Gründen dürften sie auch künftig im Fokus der Forschung bleiben. ! Mit bildgebenden Verfahren konnten Veränderungen in den sensomotorischen Kortizes, der SMA, den Basalganglien und dem Thalamus sowie im Zerebellum als Korrelate der NSS bei schizophrenen Psychosen identifiziert werden. Nach den morphometrischen Ergebnissen dürften diese Befunde nicht nur prämorbid gegeben sein, sondern zum Teil erst mit Manifestation der Psychose entstehen. Die funktionellen Untersuchungen konnten nicht nur die morphometrischen Befunde bestätigen, sondern weiterführend auch den psychopathologischen Zustand und das Trainingsniveau als entscheidende Einflussgrößen beschreiben. Inwieweit mit diesen Befunden die Klinik der NSS – insbesondere ihre Abhängigkeit sowohl von »State«- als auch von »Trait«-Charakteristika schizophrener Psychosen – erklärbar wird, bleibt in weiteren Studien zu überprüfen.
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Kapitel 18 · Motorik – Bildgebung
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19
19 Arbeitsgedächtnis – Psychologie Robert Christian Wolf und Henrik Walter
19.1
Das Arbeitsgedächtnis: Konzept und Modell – 232
19.2
Arbeitsgedächtnistests: Domänen und Prozesse – 234
19.2.1 19.2.2 19.2.3 19.2.4
Verbales Arbeitsgedächtnis – 234 Räumliches Arbeitsgedächtnis – 236 Zentrale Exekutive – 236 Weitere verbale Paradigmen – 236
19.3
Arbeitsgedächtnis und Psychopathologie schizophrener Störungen – 237
19.4
Arbeitsgedächtnisdefizite in der Schizophrenie – ein spezifisches Defizit? – 238
19.5
Arbeitsgedächtnisdefizite in der Schizophrenie – eine supramodale Störung? – 239
19.6
Zusammenfassung Literatur
– 241
– 241
19
232
Kapitel 19 · Arbeitsgedächtnis – Psychologie
19.1
Das Arbeitsgedächtnis: Konzept und Modell
Das Arbeitsgedächtnis (AG) – eine der kürzesten und am wenigsten selektiven Gedächtnisformen – wurde im Vergleich zum Lang- und Kurzzeitgedächtnis vergleichsweise spät konzeptualisiert (Baddeley 1986, 2003). Es nimmt im Bereich der bisher innerhalb der kognitiven Psychologie postulierten Gedächtnismodalitäten insofern eine Sonderstellung ein, als es als grundlegende Bedingung fast aller höheren kognitiven Leistungen des Menschen angesehen wird. Für eine Vielzahl kognitiver Prozesse, etwa grundlegende mathematische Operationen bis hin zu sprachlichen und komplexeren visuell-räumlichen Leistungen, gilt es als eine der wesentlichen kognitiven Voraussetzungen. Allgemein wird das AG an der Schnittstelle zwischen Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, Langzeitgedächtnis, kognitiver Kontrolle und Handlungsplanung angesiedelt. Das AG unterscheidet sich von anderen Gedächtnisformen insbesondere dadurch, dass es aus mehreren interagierenden Subsystemen und einer kontrollierend regulierenden Instanz besteht, seine Kapazität begrenzt ist und das eingespeicherte Material nur für kurze Zeit zur Verfügung steht. Der Umstand, lediglich vorübergehend nützlich oder relevant zu sein (GoldmanRakic 1994) grenzt das AG am deutlichsten von Gedächtnismodellen ab, die über längere Zeitabschnitte hin konzipiert sind – etwa vom Kurz- und Langzeitgedächtnis. Im historischen Kontext betrachtet, waren es gerade die konzeptionellen Schwierigkeiten und die Defizite der »klassischen« Kurz- und Langzeitgedächtniskonzepte, die die Entwicklung eines neuen Gedächtnismodells begünstigt haben dürften (Baddeley 2003). Allen derzeit gängigen AG-Modellen ist gemeinsam, dass im AG Wahrnehmungsinhalte kurzfristig eingespeichert, aufrechterhalten und bei Bedarf manipuliert werden, um später spezifischen kognitiven und verhaltensrelevanten Tätigkeiten zur Verfügung stehen zu können (Miyake u. Shah 1999). Als einfaches Beispiel sei hier das Aufschlagen eines Telefonbuchs in der Absicht genannt, eine gewünschte Nummer herauszufinden, diese Nummer einzuspeichern, zu behalten, bis ein Telefon erreicht werden kann, diese Nummer zu wählen, um sie anschließend wieder aus dem Gedächtnis zu entfernen bzw. zu vergessen. Andere Beispiele beinhalten komplexere kognitive Prozesse, die eine sequenzielle Durchführung erfordern, etwa die Multiplikation größerer Zahlen wie 68×7, die von den meisten Menschen in einem seriellen Verfahren (etwa 60×7+8×7) gelöst wird. Ein intaktes AG ist notwendig, um einen korrekten, zielführenden Vergleich früherer mit späteren Wahrnehmungsinhalten gewährleisten zu können. Der Vergleich kann sich dabei durchaus über mehrere Wahrnehmungsszenen erstrecken, sofern für diesen Vorgang gerade die Kontinuität der vergleichenden Operationen verhaltensrelevant ist. Diese kann etwa erforderlich sein, um plötzliche handlungsrelevante Veränderungen der Umwelt festzustellen oder um ein wesentlich situationsabhängiges Verhalten oder eine neue Vorgehensweise an geänderte Verhältnisse anpassen zu können.
Der Begriff »Arbeitsgedächtnis« wurde erstmals von Miller, Galanter und Pribram eingeführt und später von Baddeley und Hitch aufgegriffen (Baddeley u. Hitch 1974). Von den zuletzt aufgeführten Autoren stammt auch das wohl einflussreichste und am besten untersuchte AG-Modell, das später von Alan Baddeley substanziell ausdifferenziert und erweitert wurde. Gestützt auf Vorarbeiten und Theorien von Norman und Shallice und des »supervisory attentional system«-Modells unterteilte Baddeley das AG-System zunächst in zwei Subsysteme: eine »phonologische Schleife« (»phonological loop«) und einen »visuell-räumlichen Skizzenblock« (»visuo-spatial sketchpad«). Zudem wurde eine diesen Subsystemen übergeordnete Kontrollinstanz postuliert, die sog. »zentrale Exekutive« (»central executive«), die selbst jedoch nicht in wesentlichem Umfang die Speicherung von Informationen leistet, sondern regulierende und koordinierende Funktionen wahrnimmt (. Abb. 19.1). ! Im Arbeitsgedächtnis werden Wahrnehmungsinhalte unterschiedlicher Modalitäten für einen begrenzten Zeitraum enkodiert, eingespeichert und bei Bedarf manipuliert, um weiterführenden kognitiven und verhaltensrelevanten Prozessen zur Verfügung zu stehen. Informationen im Arbeitsgedächtnis sind lediglich von vorübergehender Relevanz in einem kontinuierlichen Informationsverarbeitungsprozess und unterliegen verhältnismäßig engen Kapazitätsgrenzen.
Die Existenz einer subvokalen phonologischen Schleife, die z. B. das Verstehen eines verschachtelten Satzes bzw. von Sprachzusammenhängen überhaupt ermöglichen soll, lässt sich auf Verhaltensebene durch eine Reihe bekannter Effekte stützen: So werden visuell präsentierte, ähnlich klingende Phoneme schlechter wieder erinnert als phonetisch unterscheidbare Elemente; auch korreliert die unmittelbare Gedächtnisspanne mit der jeweiligen Wortlänge, was auf subvokale artikulatorische Wortwiederholungseffekte hinweist. Zur phonologischen Schleife gibt es daher eine Vielzahl empirischer Hinweise, dass dieses Subsystem aus zwei dissoziierbaren Komponenten besteht – einem Speicher zur Erfassung (»phonological store«) und einem System zur aktiven Wiederholung phonologischer Informationen (»articulatory rehearsal mechanism«). Der phonologische Speicher hat eine begrenzte Informationsspanne und Aufrechterhaltungsdauer; deshalb ist ein kontinuierliches verbales Rehearsal erforderlich, wenn Information über eine längere Zeitspanne aufrechterhalten werden soll. Das verbale Rehearsal kann unter Verwendung der sog. »artikulatorischen Suppression« gestört werden. Artikulatorische Suppression bedeutet, dass Probanden während der Durchführung eines AG-Tests die Möglichkeit genommen wird, etwa verbale Informationen aktiv innerlich aufzusagen, d. h. durch den RehearsalMechanismus kontinuierlich aufzufrischen. Dies kann beispielsweise durch die kontinuierliche Wiederholung sinnloser Silben erfolgen, die während der Aufrechterhaltung verbaler Information lautlos ausformuliert werden und letztlich mit der verbalen AG-Prozessierung interferieren. Die Methode der artikulato-
233 19.1 · Das Arbeitsgedächtnis: Konzept und Modell
19
. Abb. 19.1. Das Arbeitsgedächtnismodell nach Alan Baddeley (modifiziert nach Baddeley 1986, 2003). Mit einer gestrichelten Linie umrandet sind die vier Teilbereiche des von Baddeley aktualisierten und modifizierten Arbeitsgedächtnismodells. Mit einer gepunkteten Linie umrandet: Komponenten des ursprünglichen Dreikomponenten-AG-Modells nach Baddeley und Hitch (Baddeley u. Hitch 1974). Die untere Leiste symbolisiert die Interaktionen mit dem Langzeitgedächtnis, dem Bereich der
visuellen Semantik und der Sprache. Die Pfeile symbolisieren Wechselwirkungen der einzelnen Subkomponenten. Ursprünglich überwiegend als attentionales und regulierendes »Top-down«-System konzipiert, kommt der »zentralen Exekutive« durch den neu eingeführten episodischen Speicher eine zentrale Rolle bei der Konsolidierung des episodischen Langzeitgedächtnisses und des »bindings« episodischer Information zu. (Baddeley 2003)
rischen Suppression konnte in den letzten Jahren etwa dahingehend experimentell genutzt werden, bei gesunden Probanden die Dissoziation eines sprachgestützten und eines sprachlich unabhängigen AG-Systems nachzuweisen, das möglicherweise bei Subsyndromen aus dem schizophrenen Formenkreis differenziell beeinträchtigt ist (Gruber et al. 2005). Der visuell-räumliche Skizzenblock wurde von Baddeley in Analogie zum verbalen Subsystem konzipiert und ist zuständig für das nonverbale Einspeichern visueller und räumlicher Informationen. Bis heute die vergleichsweise am wenigsten untersuchte Komponente des Baddeleyschen AG-Modells, hat der »visuospatial sketchpad« angesichts neuerer Konzepte zwei weitere Unterscheidungen erfahren: So soll ein passiver visueller Speicher verantwortlich sein für das temporäre Behalten visueller Merkmale von Objekten, räumlicher Gegebenheiten oder Szenen, während ein aktiver räumlicher Mechanismus zielgerichtetes Handeln und Planen unter stabilen oder wechselnden räumlichen Situationen ermöglichen soll. Die zentrale Exekutive verhält sich zu den verbalen und räumlichen Komponenten im Sinne einer regulierenden Instanz, die der Kontrolle der beiden Subsysteme dient. Sie wird in einer Vielzahl von Situationen gefordert, so etwa bei der Lösung von Aufgaben, die flexible Handlungsplanung und kontextbezogene Entscheidungen erfordern, oder in Situationen, bei denen automatisiertes, reizgeleitetes Verhalten am ehesten zu einem Misserfolg führen würde. Aus evolutionspsychologischer Perspektive ermöglicht eine intakte Exekutive das gebündelte Erfassen neuer, schwieriger oder potenziell gefährlicher Situationen, die eine Reevaluation alter Strategien verlangen oder die Unterdrückung re-
flexgeleiteter und damit möglicherweise inadäquater Antworten erfordern (Baddeley 1986). Somit rückt das Konzept der »zentralen Exekutive« in die Nähe dessen, was gemeinhin unter »Exekutivfunktionen« subsumiert wird. Mit diesem Begriff wird eine relativ uneinheitliche Gruppe kognitiver Fähigkeiten bezeichnet, die gemeinhin bevorzugt mit dem präfrontalen Kortex assoziiert werden und eine Vielzahl neurokognitiver Aktivitäten umfassen, beispielsweise Planen, Problemlösen, alternierendes Wechseln eines kognitiven Sets und das Alternieren zwischen zwei oder mehreren Aufgaben. Exekutive Fertigkeiten sind insbesondere für das adaptive Gleichgewicht eines Organismus angesichts wechselnder Umweltanforderungen relevant. Sie bilden daher eine Voraussetzung für ein langfristig zielgerichtetes Verhalten, im Gegensatz zu reflexgeleiteten und automatisiert rigiden Antworten. Eine derartige Kontrollinstanz menschlichen Verhaltens erfordert das Abwägen gegenwärtiger und zukünftiger umweltbezogener Ausgangsvoraussetzungen, das Generieren und die Evaluation möglicher Antwortalternativen sowie die Wahl einer möglichst angemessenen Reaktion. Subkomponenten adäquaten Verhaltens können hierbei etwa der Erwerb von Wissen sein, aber auch Abstraktion, die Fähigkeit zur zielgerichteten Durchführung einzelner Teilschritte, geistige Flexibilität oder die Inhibition reflexartiger Antworten. Dass schizophrene Patienten Defizite bei der Durchführung von Tests aufweisen, denen exekutives (frontales) Lösungsverhalten zugeschrieben wird, konnte bislang vielfach nachgewiesen und repliziert werden (Wolf et al. 2006a). Ursprünglich als Dreikomponentenmodell konzipiert, wurde das Baddeleysche AG-Modell erst vor wenigen Jahren um ein zusätzliches Subsystem ergänzt – den sog. episodischen Speicher
234
Kapitel 19 · Arbeitsgedächtnis – Psychologie
(»episodic buffer«, Baddeley 2000). Die Einführung einer neuen Komponente bzw. die Ergänzung des ursprünglichen Modells wurde erforderlich, weil eine Interaktion zwischen AG und Langzeitgedächtnis durch das initiale Dreikomponentenmodell nur unzureichend ermöglicht wurde und die ursprünglichen Subsysteme nur begrenzt miteinander interagieren konnten. Nicht zuletzt fehlte dem Dreikomponentenmodell ein überzeugender »Chunking«-Mechanismus, der von den verbalen und räumlichen Subsystemen oder von der zentralen Exekutive nicht hinreichend erfüllt wurde. Der episodische Speicher wurde von Baddeley als begrenztes Speichersystem an der Schnittstelle von AG und Langzeitgedächtnis angesiedelt und soll insbesondere ein »Binding« episodischer Informationsstränge ermöglichen.
19
kapazität und Vigilanzniveau assoziiert, der Stroop-Test mit der Inhibition präpotenter Antworten und der WCST vor allem mit Handlungsplanung, dem Folgen einer einheitlichen Regel und kognitiver Flexibilität. Insbesondere in Bezug auf funktionell bildgebende Verfahren sind komplexere Aktivierungsaufgaben aufgrund mehrerer theoretisch dissoziierbarer Subprozesse auch weniger geeignet, diskrete kognitive Operationen zu isolieren und auf deren neuronale Implementierung zu schließen. 19.2
Arbeitsgedächtnistests: Domänen und Prozesse
Im Folgenden soll kurz auf gebräuchliche AG-Tests und deren Relevanz für die Schizophrenieforschung eingegangen werden. Hierbei wird das AG im engeren Sinne operationalisiert als Funktion, die vorübergehend relevante Information für einen kurzen Zeitraum speichert und diese entweder aufrechterhält oder manipuliert (s. hierzu auch Lee u. Park 2005).
! Das Arbeitsgedächtnismodell von Alan Baddeley postuliert gegenwärtig zwei Subkomponenten für verbales und räumliches Material sowie eine diesen Systemen übergeordnete exekutive Instanz. Die »zentrale Exekutive« besitzt keine direkten mnemonischen, sondern regulative und koordinierende Funktionen. Der »episodische Speicher« steht als Bindeglied zwischen verbaler und räumlicher Domäne einerseits und episodischem Gedächtnis und zentraler Exekutive andererseits.
19.2.1 Verbales Arbeitsgedächtnis
Mit zunehmendem Interesse an der Erforschung des AG in der Schizophrenie und der zunehmenden Anzahl empirischer Untersuchungen scheinen Definition und Operationalisierung dieses Konzepts in einzelnen empirischen Untersuchungen immer mehr zu divergieren. Ursprünglich wurde von Baddeley angenommen, dass das AG als einheitliches System an einer Vielzahl verschiedener kognitiver Prozesse beteiligt und in seiner Kapazität limitiert ist (Baddeley 2003). Die Frage, ob das AG als einheitliches interagierendes System aufzufassen ist oder ob es sich dabei um voneinander unabhängige Module handelt, kann jedoch derzeit nicht abschließend beantwortet werden. Daher wurde beispielsweise vorgeschlagen, AG-Prozesse nach deren überwiegender Funktion zu untersuchen und zu bewerten, etwa wenn ein Test überwiegend Enkodierungsprozesse, Aufrechterhaltungs- oder Manipulationsvorgänge erfordert oder wenn einzelne Komponenten des Baddeleyschen Modells (etwa die phonologische Schleife) durch artikulatorische Suppression prozessspezifisch gestört werden. Vor einem eher klinisch-pragmatischen Hintergrund sind indessen reduktionistische Modelle zu werten, die eine Zweiteilung des AG vorschlagen, etwa in ein System, das überwiegend eine transiente Informationsspeicherung leistet, und in eine exekutive Instanz, die diese Prozesse kontrolliert (Perry et al. 2001). Für die Interpretation experimenteller Befunde erschwerend kommt auch der Umstand hinzu, dass aus der derzeitigen Literatur nicht immer eindeutig hervorgeht, was als AG-Funktion bezeichnet wird und ob diese auch mit geeigneten experimentellen Instrumenten getestet wurde. So wurden beispielsweise Tests wie der Trail-Making-Test, der Stroop-Test oder der Wisconsin Card Sorting Test (WCST) immer wiederholt als »AG-Tests« bezeichnet, obwohl diese Tests nicht ausschließlich AG-Funktionen prüfen – der Trail-Making-Test ist insbesondere mit Prozessierungs-
Das verbale AG kann im einfachsten Fall mit einfachem Nachsprechen von Zahlenreihen mit aufsteigendem Schwierigkeitsgrad getestet werden (Reihen à 3–9 Zahlen). Hierbei kann die Wiedergabe der Reihen in derselben Reihenfolge (vorwärts) oder rückwärts getestet werden. Die »Vorwärts«-Bedingung testet in erster Linie die Aufrechterhaltung gespeicherten Materials, die »Rückwärts«-Bedingung weiter gehend Manipulations- und Abgleichsprozesse. Daneben existiert eine Reihe mittlerweile als klassisch zu bezeichnender Aufgaben, etwa das »Brown-Peterson« Paradigma. Es erfordert die Präsentation verbaler Stimuli für wenige Sekunden, gefolgt von einem kurzen Delay, das meist ausgefüllt wird durch eine konkurrierende Aufgabe mit Distraktorcharakter. Anschließend wird eine Wiedergabe (»retrieval«) der zuvor präsentierten Stimuli verlangt. Der prozentuale Anteil korrekter Antworten nimmt dabei in der Regel mit steigender Stimulusanzahl oder zunehmender Komplexität der Distraktoraufgabe ab. Alternativ kann das verbale AG auch mit Varianten des sog. »letter-number«Paradigmas getestet werden, wie es etwa als Subtest des WAIS-R verwendet wird. Hierbei erfolgt zunächst die Präsentation einer in ihrer Länge variierenden Zahlen/Buchstaben-Kombination, anschließend ist ein Umsortieren der Zahlen und Buchstaben in aufsteigender bzw. alphabetischer Reihenfolge erforderlich. Im Retrieval kann beispielsweise nach Umstellung des Stimulusmaterials die geänderte Reihenfolge abgefragt werden (. Abb. 19.2). Als für die funktionelle Bildgebung besonders relevant haben sich in diesem Zusammenhang verbale »item recognition«- bzw. »delayed response«-Tests erwiesen (sowie deren visuell-räumliche Analoga), wie sie weiter unten ausführlicher beschrieben werden. AG-Leistung und komplexere sprachliche Funktionen – etwa Sprachverarbeitungskapazität – können mittels »reading span«-Tests geprüft
235 19.2 · Arbeitsgedächtnistests: Domänen und Prozesse
. Abb. 19.2a–e. Gebräuchliche Testbeispiele zum verbalen und räumlichen Arbeitsgedächtnis. a Aufgabe vom »Sternberg-Typ« (Sternberg 1966): Initiale AG-Auslastung (»load«) von drei Buchstaben im Stimulusset (z. B. 2000 ms), gefolgt von der Aufrechterhaltung des Materials während eines Delayintervalls variabler Länge (z. B. 6000 ms) mit anschließender Wiedergabe in der »probe«-Phase bei Präsentation des Zielreizes (z. B. 2000 ms). Die AG-load kann von 1 bis zu 9 Buchstaben (oder andere Stimuli) parametrisiert werden. Die aufgrund der variablen Anzahl sensorisch unterschiedliche Präsentation in der Stimulusphase ist eine mögliche konfundierende Variable bei der Auswertung ereigniskorrelierter fMRT-Designs (s. hierzu auch 7 Kap. 20) aufgrund des Auftretens enkodierungsassoziierter Aktivität. Das Experimentaldesign erlaubt ausschließlich die Untersuchung von »maintenance«-Funktionen. Experimentelle Varianten beinhalten z. B. die Einführung einer parametrisierten Manipulationskomponente (b) oder die Verwendung »artikulatorischer Suppression« (Gruber et al. 2005, 2006), siehe hierzu auch 7 Kap. 20). b Modifizierter »Sternberg«-Test mit parametrisierter Manipulationskomponente (Wolf et al. 2006b; Wolf u. Walter 2005): In der Stimulusperiode (2000 ms) erscheinen stets drei graue Großbuchstaben, von denen anschließend einer, zwei oder alle durch ein kurzes Aufleuchten hervorgehoben wurden. Der Proband soll sich nun ausschließlich von den hervorgehobenen Buchstaben den jeweils nächsten Buchstaben im Alphabet merken (parametrisierte Manipulationskomponente). Der mentale Zugriff und die Umordnung im Alphabet während des Delays (6000 ms) ist ein gradueller Prozess – die Anforderung steigt analog zum »klassischen« Sternberg-Test mit der AG-Auslastung, d. h. mit der Anzahl der erscheinenden Buchstaben, die mit steigendem »load« eine intensivere verbale Prozessierung verlangt. In der Wiedergabeperiode wird ein kleiner Buchstabe präsentiert, und der Proband muss entscheiden, ob dieser Buchstabe zu den zuvor gemerkten gehörte oder nicht. Die Kon-
19
trollbedingung besteht aus einer rein motorischen Anforderung bei annähernd gleichbleibenden Stimulusbedingungen. Dabei werden in der Stimulusperiode stets drei große »X« präsentiert; in der Wiedergabephase soll anschließend ein kleines »x« per Tastendruck stereotyp bestätigt werden. Im dargestellten Beispiel sollte der Buchstabe »t« in der Wiedergabephase als richtiger Folgebuchstabe von »S« identifiziert werden. c »Reordering«-Test (modifiziert nach D’Esposito et al. 2000): Initiale AGAuslastung von 4 Buchstaben im Stimulusset, alphabetisches Umsortieren (Manipulation) des Materials während eines Delayintervalls variabler Länge und Wiedergabe in der »probe«-Phase gemäß der Position des Zielbuchstaben in der alphabetischen Reihenfolge. In diesem Beispiel steht nach alphabetischem Umsortieren der Buchstaben der Buchstabe »h« an zweiter Stelle. d Räumlicher »delayed-response«-Test nach Goldman-Rakic (Goldman-Rakic 1994): In der Stimulusperiode wird in einer von acht möglichen Positionen ein Zielreiz für 500 ms präsentiert, dessen räumliche Lage über einen kurzen Delayzeitraum (z. B. 3000–6000 ms) aktiv aufrechterhalten werden muss. In der Wiedergabephase erfolgte im Originalexperiment eine Augenbewegung des Versuchstieres zur zuvor gezeigten Zielposition. Andere experimentelle Varianten erfordern eine motorische Antwort, etwa per Tastendruck, wenn der in der Wiedergabeperiode gezeigte Stimulus mit der zuvor gemerkten Position übereinstimmt. e »N-back«-Test (experimentelles Rationale u. a. bei Cohen et al. 1997; Walter et al. 2003): In der »0-back«-Bedingung wird immer dann eine Antwort verlangt (Reaktion per Tastendruck), wenn ein bestimmter Zielreiz präsentiert wird. In der »1-back«-Bedingung ist immer dann eine Antwort erforderlich, wenn der gezeigte Buchstabe mit dem zuvor präsentierten Buchstaben übereinstimmt, in der »2-back«-Bedingung ist immer dann eine Antwort erforderlich, wenn der präsentierte Buchstabe mit dem vorletzten identisch ist; die jeweils korrekte Antwort ist in der Abbildung rot markiert (7 Farbtafeln, S. 657)
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Kapitel 19 · Arbeitsgedächtnis – Psychologie
werden. Dieser Ansatz ist v. a. in der experimentellen kognitiven Psychologie gebräuchlich, wurde jedoch in der Schizophrenieforschung vergleichsweise seltener verfolgt. 19.2.2 Räumliches Arbeitsgedächtnis Das räumliche AG kann im einfachsten Fall durch die sog. Blockspanne (Corsi-Block) getestet werden. Analog zur Zahlenspanne werden hier räumliche Sequenzen angezeigt (Reihen von 3–9 Blöcken), die sowohl vor- als auch rückwärts wiedergegeben werden können. Komplementär zum Corsi-Block überprüft die sog. Musterspanne (»pattern span«) visuelle AG-Leistungen für zunehmend komplexere zweidimensionale Muster. Beide Tests ergänzen einander und sind insofern nicht redundant, als experimentelle Befunde eine Dissoziation zwischen visuellem und räumlichem AG stützen. Über diese Testmodalitäten hinaus basieren viele der in der Schizophrenieforschung verwendeten Paradigmen zum räumlichen AG auf »delayed response«-Paradigmen, wie sie etwa von Goldman-Rakic (1994) und Mitarbeitern entwickelt wurden (. Abb. 19.2). Überwiegend aus der elektrophysiologischen Primatenforschung stammend, erfordern solche Aufgaben beispielsweise eine Sakkade des Versuchtieres zu einem zuvor präsentierten Punkt in der Peripherie. Die Affen werden dabei so trainiert, dass der zuvor gezeigte Stimulus für eine Zeitspanne von einigen Sekunden »on-line« aufrechterhalten werden musste. Einzelzellableitungen während der Durchführung derartiger AG-Aufgaben (mit einer Vielzahl unterschiedlicher visuell-räumlicher Stimuli) konnten eine Beteiligung präfrontaler Neurone bei der Einspeicherung und Aufrechterhaltung der Information im AG nachweisen und somit die enge Verbindung zwischen AG-Leistung und lateralem präfrontalen Kortex weiter erhärten. Vor diesem Hintergrund wurde auch der Beweis erbracht, dass die AG-Leistung von der adäquaten Stimulation dopaminerger D1-Rezeptoren im präfrontalen Kortex abhängt. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass nuklearmedizinische Befunde bei Patienten mit Schizophrenie eine verminderte Verfügbarkeit von D1-Rezeptoren im präfrontalen Kortex aufzeigen konnten, die mit negativen Symptomen und verminderter AG-Leistung korrelierte. Eine erhöhte Rezeptorverfügbarkeit erwies sich als Prädiktor größerer AG-Auslastung. Vor allem bei unbehandelten, akut erkrankten Patienten scheint eine kortikale Hochregulation von D1-Rezeptoren vorzuliegen, die möglicherweise kompensatorischer Natur ist und eine wahrscheinliche Folge eines dopaminergen Defizits im präfrontalen Kortex widerspiegelt (siehe hierzu auch ▶ Kap. 20).
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19.2.3 Zentrale Exekutive Die zentrale Exekutive ist die wichtigste, gleichzeitig aber auch heterogenste und am wenigsten systematisch untersuchte Komponente des AG-Modells von Baddeley. Das ursprüngliche Kon-
zept der Exekutive berücksichtigte all diejenigen Prozesse, die nicht direkt durch die untergeordneten Subsysteme erfasst werden konnten, insbesondere in Bereichen der Aufmerksamkeit, Verhaltensregulierung und der kognitiven Kontrolle. Bislang wurde in der Schizophrenieforschung der differenzielle Beitrag der »zentralen Exekutive« meist indirekt mit Hilfe von Tests untersucht, denen innerhalb des neuropsychologischen Inventars »exekutive«, an Funktionen des frontalen Kortex geknüpfte Lösungsstrategien beigemessen wurden, wie beispielsweise der »Tower of London«-Test oder der WCST. Vielfach ist die »zentrale Exekutive« mit sog. »dual tasks« (Simultanverarbeitung zweier unterschiedlicher Aufgaben) geprüft worden bzw. mit Tests, die einen Wechsel innerhalb zweier (oder mehrerer) Testanordnungen erfordern. Das Rationale dieser Prüfform betont die koordinative Funktion der »zentralen Exekutive« hinsichtlich Aufmerksamkeitsoptimierung und kontrolliertem Wechsel zwischen mehreren kapazitätslimitierten kognitiven Sets. 19.2.4 Weitere verbale Paradigmen Eine weitere Einteilung gängiger verbaler AG-Paradigmen hat sich v. a. in Bezug auf funktionell bildgebende Verfahren als sinnvoll erwiesen. Dabei können anhand der in diesen Tests überwiegend geprüften kognitiven Teilleistung bzw. AG-Subkomponente Paradigmen unterschieden werden, die entweder überwiegend die Aufrechterhaltung (»maintenance«) eines Stimulus oder komplexere, exekutive Leistungen erfordern (»manipulation«). Die reine Aufrechterhaltung eines Stimulussets kann beispielsweise durch den sog. »Sternberg«-Test (Sternberg Item Recognition Paradigm, SIRP) geprüft werden. Dieses klassische Paradigma gehört zu den »delayed-response«- bzw. »item recognition«-Tests und wurde in den letzten Jahrzehnten überwiegend dazu verwendet, Phänomene im Kurzzeitgedächtnis zu erforschen (Sternberg 1966). Hierbei wird über einen kurzen Zeitraum ein Stimulussatz präsentiert (1–9 Buchstaben), der aktiv »on-line« aufrechterhalten muss (etwa durch wiederholtes Verbalisieren des Stimulusmaterials); anschließend muss so schnell und präzise wie möglich entschieden werden, ob ein Zielbuchstabe zum präsentierten Stimulussatz gehört oder nicht. Typischerweise kann mit steigender AG-Anforderung bzw. AG-Auslastung (»load«), d. h. mit steigender Buchstabenanzahl, ein Abfall der Testleistung und ein Anstieg der Reaktionszeit nachgewiesen werden, die in der Regel als lineare Funktion abgebildet werden kann (Sternberg 1966). Manipulationsaufgaben hingegen implizieren überwiegend kognitive Prozesse, die über eine reine Aufrechterhaltung eines initial präsentierten Stimulusmaterials hinausgehen und beispielsweise eine Umstrukturierung oder einen kontinuierlichen Abgleich des zu merkenden Stimulussets erfordern. Ein mittlerweile als klassisch zu bezeichnendes Manipulationsparadigma ist der sog. »n-back«-Test, dem insbesondere in der funktionell bildgebenden Neuropsychiatrie ein hoher experimenteller Stellenwert beigemessen wird. Weshalb sich gerade das »n-back«-Para-
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digma in der funktionell bildgebenden Literatur durchgesetzt zu haben scheint, muss weitgehend spekulativ bleiben, vielleicht weil es eines der ersten in der Bildgebung eingesetzen Verfahren war (Cohen et al. 1997). »N-back«-Tests haben den experimentellen Vorteil einer relativ einfachen Manipulationsanforderung und gewährleisten ein hohes Maß an Stimulusvariabilität (verbal, visuell, räumlich etc.) bei gleich bleibenden Testanforderungen. Nicht zuletzt induzieren sie bei gesunden Kontrollprobanden zuverlässig eine robuste bilaterale frontoparietale Aktivierung, die den Vergleich mit einem Patientenkollektiv vereinfacht (zum Rationale des »n-back« siehe auch . Abb. 19.2). Wesentlicher Nachteil des »n-back«-Paradigmas sind hingegen die mangelhafte Parametrisierbarkeit (mit Patientenkollektiven selten durchführbar bis »3-back«) und die Interaktion einer Vielzahl theoretisch unterscheidbarer kognitiver Subprozesse, etwa Stimulusabgleich, -inhibition und -aufrechterhaltung, die eine eindeutige Trennung dieser Teilleistungen erschwert. ! Die experimentelle Operationalisierung des Arbeitsgedächtnisses erfolgt zumeist als mnemonische oder exekutive Funktion, die vorübergehend relevante Information für einen definierten Zeitraum aufrechterhält oder manipuliert. Unterschiedliche experimentelle Zugänge zum Arbeitsgedächtnis erschweren derzeit eine abschließende Aussage über eine modellinhärente Domänen- oder Prozessspezifität des Systems. Die neuronale Architektur von Arbeitsgedächtnisprozessen ist wesentlich mit Funktionen des präfrontalen und parietalen Kortex sowie der Basalganglien assoziiert und prozessual weitgehend unspezifisch, wenngleich es auch Hinweise auf eine domänenspezifische neuronale Dissoziation gibt.
19.3
Arbeitsgedächtnis und Psychopathologie schizophrener Störungen
Innerhalb der klinisch neurowissenschaftlichen Forschung der vergangenen 15 Jahre hat das AG-Konzept in der Schizophrenie maßgeblich dazu beigetragen, neurobiologisch geprägte Modelle schizophrener Störungen und schizophrener Psychopathologie zu generieren und zu differenzieren. Diese Entwicklung wurde maßgeblich von der Neurowissenschaftlerin Patricia GoldmanRakic geprägt, die im Zuge ihrer Untersuchungen am präfrontalen Kortex von Makakenaffen anhand von Einzelzellableitungen nachweisen konnte, dass präfrontale Neurone spezifisch und selektiv feuern, wenn ein Stimulus für wenige Sekunden aktiv »online« gehalten wird, und dass damit der präfrontale Kortex eine herausragende Rolle bei der aktiven Aufrechterhaltung von Informationen über einen definierten Zeitraum hinweg spielt. Anhand theoretischer Überlegungen zum AG (aktive Aufrechterhaltung und Manipulation externer Stimuli für eine kurze Zeitspanne), zur Funktion des präfrontalen Kortex (kognitive Kontrolle verbaler und räumlicher AG-Domänen) und zur Psychopathologie schizophrener Störungen (etwa fehlerhafte Stimu-
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luspersistenz, Stereotypien, Fokussierung auf irrelevante Inhalte, fehlgeleitetes Bewerten und Schlussfolgern etc.) postulierte Goldman-Rakic ein AG-Defizit als zentrale kognitive Störung schizophrener Patienten: »I argue that the ability to keep ideas in mind – working memory – is the basic psychological process that allows‚ active mental operations’ and prevents the tyranny of external stimuli.« (Goldman-Rakic 1994, S. 354).
Die Verknüpfung von AG-Leistung, präfrontalem Kortex und Schizophrenie sollte sich bis heute als für die klinische kognitive Neurowissenschaft besonders einflussreich und fruchtbar erweisen. Auf klinischer Beschreibungsebene wurden in der Folgezeit AG-Defizite wiederholt mit ganz spezifischen psychopathologischen Befunden in Verbindung gebracht, insbesondere mit formalen Denkstörungen. Es ist denkbar, dass das Unvermögen, sprachliche Inhalte für einen definierten Zeitraum aufrechtzuerhalten oder neue an alte Gedächtnisinhalte anzupassen, zu typischen formalen Denkstörungen wie Tangentialität, Verlangsamung, Spracharmut, beschleunigtem Redefluss bis hin zur »Schizophasie« führen kann. In der Tat wurde eine Verbindung zwischen sprachlichen Leistungen und AG-Kapazität wiederholt nachgewiesen, insofern als Sprachverständnisdefizite in der Schizophrenie stark mit der AG-Leistung, der verbalen Spanne und mit zunehmender Satzkomplexität assoziiert sind. Weiterhin konnte in diesem Zusammenhang gezeigt werden, dass Sprachverständnis und formale Denkstörungen stark miteinander korrelieren. Dabei gibt es auch Hinweise dafür, dass der Grad der formalen Desorganisation (etwa Gedankenentgleisung, umständliches Denken, Inkohärenz) unmedizierter Patienten mit einer Schizophrenie zu Beginn eines akuten Krankheitsschubs stark mit der AG-Leistung korreliert. Ausgehend von der Positiv-Negativ-Dichotomie schizophrener Störungen ergeben sich eine Reihe von Implikationen für eine mögliche Pathogenese und Aufrecherhaltung schizophrener Kernsymptome. Es ist denkbar, das beispielsweise negative Symptome (etwa affektive Verflachung, Alogie, Anhedonie, Motivationsmangel, sozialer Rückzug) auf dem Boden verminderter AG-Kapazität und reduzierter AG-Leistung entstehen oder zumindest dadurch begünstigt werden, wenn attentionale und AGDefizite etwa das Unvermögen zur Folge haben, relevante Stimuli sicher von irrelevanten Reizen zu unterscheiden. Wenn dadurch sinnvolle Stimuluskombination und -wiedergabe, adäquater Informationsabgleich und sprachlich-kommunikative Fähigkeiten beeinträchtigt werden, ist es denkbar, dass Patienten, die Defizite in diesen Bereichen aufweisen, größere Schwierigkeiten haben, in eine erfolgreiche soziale Beziehung einzutreten oder diese aufrechtzuerhalten. In der Tat konnte eine Assoziation von Negativsymptomen und AG-Dysfunktion vielfach repliziert werden: Akut erkrankte Patienten zeigten zu Beginn der psychotischen Episode eine schlechtere Testleistung bei der Durchführung von Aufgaben, die sowohl die AG-Leistung für bekannte als auch für neue Objekte prüften. Nach vier Monaten wurden die Patienten
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Kapitel 19 · Arbeitsgedächtnis – Psychologie
erneut untersucht. Dabei hatte sich die AG-Leistung zum zweiten Zeitpunkt insgesamt zwar gebessert, jedoch waren die AG-Defizite für neue Objekte weiterhin vorhanden. Eine Korrelation von Negativsymptomen (gemessen anhand der Positiv-und-Negativsyndrom-Skala [PANSS]) mit der AG-Leistung war erst im Stadium der Teilremission gegeben (Park et al. 2002). Die Assoziation von Negativsymptomen und AG ist möglicherweise auf ein gemeinsames neuronales Substrat zurückzuführen, insofern postuliert wurde, dass Patienten mit prominenter Negativsymptomatik ein ausgeprägteres präfrontales Defizit aufweisen. Zudem scheinen insbesondere Patienten mit Negativsymptomen von der Wirkung atypischer Neuroleptika auf die AG-Funktion zu profitieren, möglicherweise aufgrund einer Besonderheit des dopaminergen Katabolismus im präfrontalen Kortex. Das Verhältnis von AG-Defiziten zu positiven Symptomen (Halluzinationen, Wahn, Ich-Störungen) bleibt Gegenstand wissenschaftlicher Kontroverse. Auf theoretischer Ebene könnten zumindest einige psychotische Symptome (Gedankeneingebung und -ausbreitung, das »Gefühl des Gemachten«, Passivitätsphänomene oder Halluzinationen) durch das Vorhandensein von AG-Defiziten erklärt werden. Schizophrene Patienten hätten demnach ein Defizit in der erfolgreichen, kohärenten Repräsentation intern generierter sensorischer Informationen, sodass eine fehlerhafte interne Selbstüberwachung eigener Handlungen zur fehlerhaften Attribuierung und »autonoëtischen Agnosie« führen kann. Indessen konnte ein eindeutiger Zusammenhang zwischen psychotischen Zuständen und AG-Funktion empirisch nicht immer konsistent bestätigt werden (Wolf et al. 2006a). > Arbeitsgedächtnisdefizite bei Patienten mit einer Schizophrenie sind insbesondere mit formaler Desorganisation und Negativsymptomen assoziiert. Im Vergleich zu anderen psychiatrischen Störungen sind Arbeitsgedächtnisdefizite jedoch weder diagnosespezifisch, noch erlauben sie derzeit eine reliable psychopathologische Subtypisierung schizophrener Störungen. Inwiefern eine Störung des Arbeitsgedächtnisses lediglich als ein Epiphänomen eines strukturellen oder funktionellen präfrontalen Defizits betrachtet werden kann, ist gegenwärtig nicht hinreichend geklärt.
19.4
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Arbeitsgedächtnisdefizite in der Schizophrenie – ein spezifisches Defizit?
Obwohl wiederholt die Frage gestellt wurde, ob kognitive Defizite in der Schizophrenie selektiv oder generalisiert sind, weisen ausführliche Metaanalysen darauf hin, dass bei schizophrenen Patienten im Vergleich zu anderen kognitiven Funktionen das AG zu den Bereichen gehört, die ausgeprägte Funktionseinbußen aufweisen. AG-Defizite finden sich sowohl bei neuroleptikanaiven als auch bei unmedizierten und medizierten Patienten mit der Diagnose einer Schizophrenie. Ein AG-Defizit ist mit typischen antipsychotischen Substanzen im Verlauf relativ schwer bzw. nur unbefriedigend behandelbar, obwohl einige der »atypischen« neuro-
leptischen Substanzen im Vergleich zu »Typika« zumindest teilweise zu einer Verbesserung führen können. Defizite im AG sind relativ unabhängig von demografischen und klinischen Faktoren wie beispielsweise Alter, Geschlecht, prämorbide Intelligenz, Erkrankungsdauer oder antipsychotische Medikation, obwohl es auch Hinweise darauf gibt, dass Substanzen mit anticholinerger Komponente eine vorbestehende reduzierte AG-Leistung zusätzlich verschlechtern können. Das Ausmaß der AG-Funktion ist nicht zuletzt von sozialpsychiatrischer Relevanz, insofern als es einen prognostischen Wert hinsichtlich der psychosozialen Rehabilitationsfähigkeit und des Therapieergebnisses besitzt und als einer der wichtigsten Prädiktoren für die Dauer eines Angestelltenverhältnisses gilt (siehe hierzu auch Wolf et al. 2006a). Auch asymptomatische Verwandte schizophrener Patienten zeigen subtile bis manifeste Störungen im AG, deren Korrelate mit funktionell bildgebenden Verfahren visualisiert und von gesunden Probanden abgegrenzt werden können. Defizite des räumlichen AG sind bereits bei nicht erkrankten mono- und dizygoten Zwillingen von an einer Schizophrenie erkrankten Patienten vorhanden und scheinen unabhängig vom primären kulturellen Umfeld aufzutreten. Zudem konnte gezeigt werden, dass Defizite im räumlichen AG bei Hochrisikoprobanden bereits vor Ausbruch der Erkrankung vorhanden sind und dass diejenigen Probanden, die im Verlauf manifest erkranken, vor Ausbruch der Erkrankung eine relativ schlechtere Testleistung aufweisen. Ob die AG-Leistung bei später erkrankten Personen bevorzugt mit der Entwicklung prominenter Negativsymptome assoziiert ist, bleibt derzeit spekulativ und Gegenstand weiterer Untersuchungen. Experimentelle Befunde haben wiederholt auf die Bedeutung einer AG-Dysfunktion innerhalb des gesamten Spektrums schizophreniformer Erkrankungen hingewiesen: AG-Defizite beschränken sich nicht ausschließlich auf die Schizophrenien im engeren psychopathologischen Sinn, sie lassen sich reliabel auch bei Patienten mit einer schizophreniformen, schizoaffektiven oder schizotypen Störung aufzeigen (Wolf et al. 2006a). In diesem Zusammenhang bedeutend ist der Begriff des »Endophänotyps«. Damit wird, in Analogie zum Phänotyp, der ein äußerlich erkennbares Merkmal beschreibt, ein inneres Merkmal, z. B. ein neuropsychologisches oder »Gehirnmerkmal« bezeichnet, das charakteristisch für eine Krankheit ist (siehe ▶ Kap. 20). Insgesamt betonen bisherige Befunde zur AG-Leistung von Hochrisikopersonen und von Patienten mit Störungen aus dem erweiterten Formenkreis der Schizophrenien die Bedeutung des AG als eines potenziell endophänotypischen Charakteristikums dieser psychiatrischen Erkrankungen. Defizite im AG konnten jedoch auch bei anderen psychiatrischen Störungen nachgewiesen werden, beispielsweise bei depressiven Störungen oder bei Patienten mit einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Bezüglich anderer kognitiver Domänen, etwa hinsichtlich des episodischen Gedächtnisses, scheint das AG hierbei deutlich geringer beeinträchtigt und im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen weniger trennscharf zu sein. Vereinzelt konnte zudem gezeigt werden, dass in remittierten Phasen de-
239 19.5 · Arbeitsgedächtnisdefizite in der Schizophrenie – eine supramodale Störung?
pressiver Erkrankungen AG-Defizite weniger prominent sind als Einbußen der Aufmerksamkeits- oder Konzentrationsleistung. Insgesamt bleibt es daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch ungeklärt, ob AG-Defizite ausschließlich oder zumindest hauptsächlich bei Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis vorzufinden bzw. zumindest für bestimmte Domänen (Gruber et al. 2006) charakteristisch sind oder ob ein präfrontales Defizit, das zu einer AG-Störung führen kann, ein aus diagnostischer Sicht eher unspezifischer Befund verschiedener psychiatrischer Störungen ist. ! Arbeitsgedächtnisdefizite bei schizophrenen Patienten können unabhängig von soziodemografischen Merkmalen oder dem Medikamentenstatus vorgefunden werden. Ein Arbeitsgedächtnisdefizit lässt sich auch bei anderen Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis und bei nicht erkrankten Hochrisikoprobanden nachweisen, sodass eine differenzielle, domänenspezifische Störung des Arbeitsgedächtnisses möglicherweise zur Charakterisierung bestimmter kognitiver Endophänotypen herangezogen werden kann. In Bezug zu anderen psychiatrischen Erkrankungen können jedoch Defizite im Arbeitsgedächtnis – zumindest auf Verhaltensebene – nicht als diagnosespezifisch gelten.
19.5
Arbeitsgedächtnisdefizite in der Schizophrenie – eine supramodale Störung?
Ob bestimmte Komponenten bzw. Domänen des AG-Systems bei Patienten mit einer Schizophrenie im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen selektiv und differenziell beeinträchtigt sind, bleibt weiterhin Gegenstand der Forschung. Schizophrene Patienten weisen etwa in Aufgaben, die selektiv die phonologische Schleife testen, signifikant schlechtere Ergebnisse auf als gesunde Probanden, wobei hier zusätzlich eine Dissoziation hinsichtlich verbaler und nichtverbaler auditorischer AG-Testleistung vorhanden zu sein scheint. Möglicherweise gibt es zudem bestimmte Patientensubgruppen bzw. Subsyndrome, die nicht ausschließlich eine verbale AG-Störung, sondern zusätzlich Defizite im verbalen Kurz- und Langzeitgedächtnis aufweisen. Auch das visuell-räumliche AG schizophrener Patienten ist als beeinträchtigt zu werten. Sowohl bei der Durchführung von räumlichen als auch von »pattern span«-Tests sowie von Aufgaben, die eine räumliche Sequenzierung erfordern, weisen schizophrene Patienten eine signifikant schlechtere Testleistung auf. Neuere Arbeiten konnten frühere Ergebnisse replizieren und darüber hinaus zeigen, dass Defizite im visuell-räumlichen AG als endophänotypischer Marker in der Schizophrenie gelten können: Eine Dysfunktion im räumlichen Bereich konnte beispielsweise bei nicht erkrankten Zwillingen und Verwandten von Patienten mit einer Schizophrenie nachgewiesen werden; auch zeigen Hochrisikoprobanden bereits vor der Manifestation psychotischer Symptome eine beeinträchtigte Leistung im räumlichen AG. Wiederholt konnte auch eine Dysfunktion in der Ver-
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arbeitung von Objekten demonstriert werden. Park et al. (2002) konnten den Nachweis erbringen, dass bei der Durchführung eines »delayed-response«-Tests mit Präsentation bekannter und neuer Muster schizophrene Patienten in beiden Modalitäten schlechter abschneiden als gesunde Kontrollen. Defizite im AG für Objekte (komplexe Muster, Figuren, Gesichter) konnten bei schizophrenen Patienten mehrfach nachgewiesen werden, wobei hier das AG für konkrete Objekte möglicherweise stärker betroffen ist als das räumliche AG. Nicht zuletzt beschränken sich diese Defizite nicht alleine auf räumliche Eigenschaften eines Stimulus, sondern umfassen mehrere Modalitäten, etwa Identität, Ausdruck, Position eines menschlichen Gesichts in einem definierten Raum (Gooding u. Tallent 2002). Bislang wenig untersucht sind Bereiche im AG, die ein »binding« von Information erfordern. »Memory binding« bezeichnet die Fähigkeit, Verknüpfungen zwischen sensorisch unterschiedlichen Stimuli zu bilden, die als sinnvolles Ganzes innerhalb einer zeitlichen oder räumlichen Einheit wahrgenommen werden können. Patienten mit einer Schizophrenie, die sich beispielsweise entweder ein Objekt, eine räumliche Position oder die Kombination von Objekt und Position merken müssen, zeigen im Vergleich zu gesunden Probanden bevorzugt dann eine schlechtere Testleistung, wenn eine integrative, domänenübergreifende Kombinationsleistung erbracht werden muss. Dieses Phänomen wurde dahingehend gewertet, dass Prozesse, die kohärente Repräsentationen im AG über eine definierte Zeitspanne aufrechterhalten, bei Patienten mit einer Schizophrenie gestört sind. Eine alternative Interpretation dieser Befunde umfasst jedoch auch eine selektive Störung des episodischen Speichers, der bevorzugt die multimodale Integration unterschiedlicher Reizquellen leisten soll (Baddeley 2003). Generell ist jedoch bei der Bewertung dieser Daten auch die unterschiedliche Komplexität der miteinander kontrastierten Bedingungen zu berücksichtigen. Dieser Umstand gewinnt insbesondere in der Schizophrenieforschung an Bedeutung, da Verhaltensunterschiede bzw. Unterschiede der zerebralen Aktivierung nicht selten durch die unterschiedliche Testleistung und motivationale Faktoren maßgeblich beeinflusst werden können (Walter u. Wolf 2002; Wolf et al. 2006a). Untersuchungen mit »dual tasks«, die methodisch auf die Testung von Funktionen der zentralen Exekutive zielen, zeigten bei schizophrenen Patienten konsistent eine Störung dieser Komponente, wenngleich hinsichtlich des relativen Ausprägungsgrades der Dysfunktion eine ausschließliche Beteiligung der zentralen Exekutive im Vergleich zu anderen Subkomponenten nicht immer nachgewiesen werden konnte. In Bezug auf komplexere kognitive Anforderungen konnten frühere Arbeiten eine Assoziation zwischen AG-Defiziten schizophrener Patienten und komplexeren exekutiven Aufgaben zeigen, etwa im »Tower of London«-Test oder im WCST, die im Wesentlichen komplexere kognitive Fertigkeiten wie zielgerichtetes Planen, das Aufrechterhalten einer zum Erfolg führenden Strategie und den Grad der Umstellungsflexibilität untersuchen. »Tower«-Tests etwa involvieren insofern ein hohes Maß an Materialaufrechterhaltung, als sinnvolle Bewe-
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Kapitel 19 · Arbeitsgedächtnis – Psychologie
gungsfolgen über kürzere Zeiträume hin vorweggenommen und mit der weiteren Handlungsplanung abgeglichen werden müssen. In einer Studie von Pantelis et al. (1997) waren die Testergebnisse schizophrener Patienten während der Durchführung einer visuell-räumlichen AG-Aufgabe und des »Tower«-Tests signifikant schlechter als die Leistung von Patienten mit frontalen Läsionen und noch deutlich schlechter als die von Patienten mit fokalen Läsionen des temporalen Kortex. Allerdings fand sich keine Korrelation zwischen der Leistung während der visuell-räumlichen Aufgabe mit der Leistung im »Tower«-Test, was zum einen auf eine gemeinsame Störung der exekutiven Komponente hinweisen könnte, zum anderen auf eine zusätzliche Dysfunktion verbaler Subsysteme bei der Lösung der Planungsaufgabe. Aus klassischer neuropsychologischer Sicht wird die Leistung im WCST als Maß für die Abstraktions- und Problemlösekapazität, für die Fähigkeit zum effektiven Strategiewechsel im jeweiligen Kontext, bewertet sowie als Maß für die »kognitive Flexibilität« eines Individuums. Dass Patienten mit einer Schizophrenie Defizite bei der Durchführung dieses Tests haben, konnte bislang hinreichend belegt werden. Der WCST ist zumindest in einigen Aspekten eng an AG-Leistungen gekoppelt, was dazu geführt hat, dass einige Autoren den WCST als AG-Test bezeichnet haben, obwohl damit noch eine Reihe weiterer Parameter erhoben werden. In der Tat konnte nachgewiesen werden, dass die AG-Leistung mit der Anzahl an Perseverationen negativ und mit der maximal durchgeführten Kategorienanzahl positiv korreliert ist. Zudem ergeben sich Hinweise auf eine gewisse Spezifität der räumlichen AG-Leistung, bezogen auf die Testleistung im WCST. Neuere Arbeiten konnten das enge Verhältnis zwischen der Testleistung im WCST und der AG-Funktion wiederholt hervorheben; so etwa McGurk et al. (2004), die einen Zusammenhang zwischen dem »letter-number«Test und der Leistung im WCST zeigen konnten, nicht jedoch zwischen räumlichem AG und WCST. Diese Autoren diskutierten ihre Ergebnisse vor dem experimentellen Hintergrund der Studie, insbesondere aufgrund der Ähnlichkeit der kognitiven Prozesse im »letter-number« Test und im WCST, die überwiegend Manipulationsprozesse wie die Sequenzierung und das Umsortieren von Information erfordern. Anhand erweiterter Testbatterien zum AG konnte jedoch auch gezeigt werden, dass mit dem WCST mehr als reine AG-Leistungen untersucht werden. Pukrop et al. (2003) untersuchten 66 schizophrene Patienten mit insgesamt 8 verschiedenen AG-Tests. Mittels Hauptkomponentenanalyse zeigten sich in der Kontrollgruppe 3 unterschiedliche AG-Komponenten, die sich jedoch in der Patientengruppe nur in 2 Fällen replizieren ließen. Die dritte Komponente war ausschließlich durch den WCST definiert, was dahingehend interpretiert wurde, dass dieser Test nicht ausschließlich AG-Subprozesse untersucht, sondern vor einem deutlich komplexeren Hintergrund bewertet werden muss. ! Arbeitsgedächtnisdefizite bei Patienten mit einer Schizophrenie erstrecken sich über sämtliche Komponenten des Baddeleyschen Arbeitsgedächtnismodells. Dabei scheinen Leistungen, 6
die mit der zentralen Exekutive und der visuell-räumlichen Domäne assoziiert sind, besonders betroffen zu sein. Indessen kann derzeit als gesichert gelten, dass eine Störung des Arbeitsgedächtnisses schizophrener Patienten »supramodal« ist, sich also weitgehend unabhängig von der kognitiven oder sensorischen Domäne manifestiert.
Insgesamt lassen die bislang erhobenen testpsychologischen Daten derzeit noch nicht eine abschließende Schlussfolgerung zu, inwiefern und in welchem Ausmaß bei Patienten mit einer schizophrenen Störung einzelne Modalitäten oder Subkomponenten selektiv gestört sind. Die Datenlage weist vielmehr trotz methodischer Unterschiede (Fallzahlen, Krankheitsdauer, klinische Ausprägung, Medikation, Testunterschiede, teils unzureichende methodische Sensitivität) am ehesten auf das Vorhandensein eines supramodalen AG-Defizits hin. Die Erklärungsansätze dieses Phänomens sind heterogen: So wird derzeit beispielsweise angenommen, dass schizophrene Patienten insbesondere an einer Dysfunktion von Enkodierungs- und Manipulationsprozessen (und weniger an einem reinen Speicherungsdefizit) leiden und dass diese Störung möglicherweise die weitere Informationsverarbeitung beeinträchtigt (Wolf et al. 2006a). Nicht zuletzt wurde die limitierte Kapazität des AG-Systems mehrfach als einschränkender Faktor für Leistungsunterschiede bei der Durchführung von AG-Tests diskutiert, insbesondere im Zusammenhang mit der neuronalen Prozessierungskapazität des präfrontalen Kortex (Walter u. Wolf 2002). Diese Annahmen werden u. a. auch von formalen Metaanalysen gestützt: Lee und Park identifizierten zwischen 1980 und 2004 insgesamt 124 für die Berechnung von Effektstärken geeignete Studien zur AG-Funktion schizophrener Patienten. Die Metaanalyse zeigte, dass eine AG-Störung bei Patienten mit einer Schizophrenie domänenübergreifend, d. h. multimodal ist, wobei visuell-räumliche Defizite möglicherweise prominenter sind (Lee u. Park 2005). Interessanterweise ließen sich in dieser Metaanalyse Effekte im Delay (. Abb. 19.2) nicht nachweisen – eine Verlängerung des Aufrechterhaltungs- und Manipulationsintervalls führte nicht zu einer Änderung der Effektstärke. Die Autoren interpretierten diese Ergebnisse dahingehend, dass angesichts der Supramodalität der AG-Störung sich eine prozessspezifische Erforschung des AG bei Patienten mit einer Schizophrenie (d. h. getrennt nach Enkodierung, Sequenzierung, Aufrechterhaltung, Manipulation und Wiedergabeprozessen) möglicherweise als eher richtungsweisend herausstellen könnte als die isolierte Untersuchung einzelner AG-Subsysteme. Alternative theoretische und experimentelle Ansätze gehen hingegen von einer gewissen Prozessspezifität von AG-Defiziten zumindest bei bestimmten, psychopathologisch noch näher zu charakterisierenden Patientenkollektiven aus (Gruber et al. 2005). Unter Verwendung robuster AG-Paradigmen zeigte sich bei schizophrenen Störungen etwa eine Beeinträchtigung sowohl des verbalen als auch des räumlichen AG unter artikulatorischer Suppression, bei schizoaffektiven Störungen dagegen nur eine relative Störung des räumlichen AG. Inwieweit die Beeinträchtigung
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des verbalen AG sich als trennscharf zwischen den beiden Diagnosen erweist, muss hingegen anhand von Studien mit größeren Probandenzahlen gezeigt werden. > Formale Metaanalysen konnten zeigen, dass eine Störung des Arbeitsgedächtnisses bei Patienten mit einer Schizophrenie domänenübergreifend ist. Eine Zunahme des Aufrechterhaltungs- und Manipulationsintervalls scheint dabei zu keiner signifikanten Änderung der Effektstärken zu führen, sodass aus prozessualer Sicht das primäre Defizit in der frühen Enkodierungs- und Manipulationsphase zu vermuten ist. Angesichts einer Supramodalität des Arbeitsgedächtnisdefizits könnte sich eine zukünftige prozessspezifische Erforschung der Arbeitsgedächtnisfunktion schizophrener Patienten als richtungsweisend erweisen.
19.6
Zusammenfassung
Das Arbeitsgedächtnis (AG) gilt als eines der zentralen Konzepte zur Erklärung von Kognitionsdefiziten und der Phänomenologie schizophrener Störungen. Da eine Vielzahl höherer geistiger Leistungen größtenteils in elementare AG-Leistungen fraktioniert werden kann bzw. AG-Prozesse involviert, könnten Defizite im AG auf der Verhaltensebene eine Reihe von Phänomenen erklären, die bei schizophrenen Patienten manifest werden: 4 Störungen zielgerichteten und adäquaten Verhaltens 4 Defizite der Handlungsplanung und Entscheidungsfindung 4 desorganisierte Kognitionsprozesse 4 charakteristische formale Denkstörungen Eine AG-Störung von Hochrisikoprobanden, etwa Verwandten ersten Grades von Patienten mit einer Schizophrenie und Patienten mit einer Störung aus dem schizophrenen Formenkreis, unterstreicht die Bedeutung des AG als eines endophänotypischen Merkmals bzw. als eines Suszeptibilitätsmarkers innerhalb des gesamten Spektrums schizophreniformer Erkrankungen. Auf Verhaltensebene konnte experimentell aufgezeigt werden, dass schizophrene Patienten eine ausgeprägte Störung des AG aufweisen und dass diese kognitiven Einbußen nicht als Korrelat eines allgemeinen kognitiven Defizits oder gar als testabhängiges Artefakt betrachtet werden dürfen. Vielmehr scheinen AG-Defizite bei Patienten mit einer Schizophrenie supramodal zu sein, wobei möglicherweise die visuell-räumliche Domäne bevorzugt betroffen ist. Alternativ wird insbesondere ein Defizit der Stimulusenkodierung und der Informationsmanipulation diskutiert, das sich domänenübergreifend manifestiert. Hier wird v. a. präfrontalen Arealen eine besondere Rolle bei der Realisierung von Manipulationsvorgängen im AG und der Ausübung »kognitiver Kontrolle« zugeschrieben. Die neurokognitive Endophänotypisierung von Patienten mit einer Störung aus dem schizophrenen Formenkreis anhand voridentifizierter neuronaler AG-Netzwerke könnte in den kommenden Jahren einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung diagnostischer Systeme auf neurobiologischer Basis leisten.
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20 Arbeitsgedächtnis – Bildgebung Oliver Gruber
20.1
Neuronale Korrelate von Arbeitsgedächtnisfunktionen im menschlichen Gehirn – 243
20.1.1 20.1.2
Pionierstudien – 243 Modelle der funktionellen Organisation des lateralen präfrontalen Kortex und des Arbeitsgedächtnisses – 243 Funktionelle Neuroanatomie des Arbeitsgedächtnisses aus einer evolutionsbiologischen Perspektive – 243 Die komplementäre Rolle experimentell-neuropsychologischer Forschung – 246 Zusammenfassung und Ausblick – 246
20.1.3 20.1.4 20.1.5
20.2
Neuronale Grundlagen gestörter Arbeitsgedächtnisfunktionen bei schizophrenen Patienten – 247
20.2.1 20.2.2
20.2.4
Konzeptuelle Vorbemerkungen – 247 Funktionell-bildgebende Studien zum Arbeitsgedächtnis bei Schizophrenie: Heterogene Ergebnisse und interpretatorische Herausforderungen – 248 Funktionelle Bildgebung des Arbeitsgedächtnisses und Psychopathologie – 249 Untersuchung gestörter zerebraler Konnektivität – 249
20.3
Zusammenfassung
20.2.3
Literatur
– 251
– 250
243 20.1 · Neuronale Korrelate von Arbeitsgedächtnisfunktionen im menschlichen Gehirn
20.1
Neuronale Korrelate von Arbeitsgedächtnisfunktionen im menschlichen Gehirn
20.1.1 Pionierstudien Die neuronale Implementierung von Arbeitsgedächtnisfunktionen im menschlichen Gehirn wurde in den letzten ca. 15 Jahren maßgeblich durch die Anwendung moderner funktionell-bildgebender Verfahren vorangetrieben. Dabei stützten sich die Pionierarbeiten der frühen 90er Jahre im Wesentlichen auf das bereits in 7 Kap. 19 vorgestellte psychologische Arbeitsgedächtnismodell von Baddeley. Die drei hierbei vorgeschlagenen Subkomponenten des Arbeitsgedächtnisses (phonologische Schleife, visuell-räumlicher Skizzenblock und zentrale Exekutive) wurden dabei jeweils isoliert voneinander mittels Positronen-EmissionsTomographie (PET) bzw. funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) untersucht. Als neuronale Korrelate des sprachlichen Arbeitsgedächtnisses, d. h. der phonologischen Schleife, wurden vorwiegend linkshemisphärische, sprachassoziierte Gehirnareale identifiziert (Paulesu et al. 1993). Hierzu gehören das Broca-Areal, der laterale und mediale prämotorische Kortex sowie das kontralaterale, d. h. rechte Cerebellum, die gemeinsam dem artikulatorischen Rehearsal-Mechanismus zugrunde liegen. Nicht zuletzt aufgrund vorhergehender Studien mit Patienten mit zentralnervösen Läsionen wurde der Sitz des phonologischen Speichers im linken posterioren Parietallappen angenommen. Neuronale Korrelate für die von Baddeley angenommene kognitive Komponente des visuell-räumlichen Skizzenblocks wurden insbesondere im Bereich des posterioren präfrontalen Kortex in der Nähe der sog. frontalen Augenfelder sowie im Bereich des intraparietalen Kortex gefunden (Jonides et al. 1993). Als möglicher Sitz der zentralen Exekutive wurde auf der Grundlage einer funktionell-bildgebenden Studie der dorsolaterale präfrontale Kortex postuliert (D’Esposito et al. 1995). 20.1.2 Modelle der funktionellen Organisation
des lateralen präfrontalen Kortex und des Arbeitsgedächtnisses Im Anschluss an diese Pionierstudien im Bereich der funktionellen Bildgebung des Arbeitsgedächtnisses wurden die Ergebnisse zur phonologischen Schleife und zum visuell-räumlichen Skizzenblock durch weitere Studien mehrheitlich repliziert, wohingegen die Frage der neuronalen Korrelate der zentralen Exekutive in der Folgezeit häufig kontrovers diskutiert wurde. In diesen Zusammenhang sind auch funktionell-bildgebende Studien zu stellen, die sich vermehrt der Frage einer Dichotomie zwischen reinen Haltefunktionen im Arbeitsgedächtnis und darüber hinausgehenden Prozessen der Ver- und Bearbeitung von Arbeitsgedächtnisinhalten (vielfach als »Manipulationsprozess« bezeichnet) widmeten. Von mehreren einflussreichen Autoren
20
wurde dabei insbesondere eine funktionelle Segregation des lateralen präfrontalen Kortex propagiert in der Weise, dass der ventrolaterale präfrontale Kortex ausschließlich in die Funktion des reinen Aufrechterhaltens von Information im Arbeitsgedächtnis involviert sei, während der dorsolaterale präfrontale Kortex für Manipulationsprozesse, d. h. für komplexere exekutive Leistungen des Arbeitsgedächtnisses zuständig sei (Owen 1997; D’Esposito et al. 1999). Dieses sog. prozessspezifische Modell der funktionellen Organisation des lateralen präfrontalen Kortes grenzt sich somit deutlich ab von dem domänenspezifischen Modell, das insbesondere von der Arbeitsgruppe um Patricia Goldman-Rakic auf der Grundlage von zahlreichen anatomischen und neurophysiologischen Untersuchungen an nichtmenschlichen Primaten vorgeschlagen wurde (Goldman-Rakic 1996). Hier wurde dem ventrolateralen präfrontalen Kortex eine bevorzugte Rolle beim Aufrechterhalten (und Manipulieren) visueller Objektinformationen zugesprochen, dem dorsolateralen präfrontalen Kortex hingegen eine bevorzugte Rolle beim Aufrechterhalten (und Manipulieren) visuell-räumlicher Information. Dieselbe Arbeitsgruppe stellte auch dem kognitionspsychologischen Modell des menschlichen Arbeitsgedächtnisses nach Baddeley ein sog. neurobiologisch orientiertes Modell des Arbeitsgedächtnisses gegenüber, ebenfalls auf der Grundlage der umfangreichen neurobiologischen Studien mit Makaken (Goldman-Rakic 1996). Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Modellen besteht in der Grundannahme von Patricia Goldman-Rakic, dass sog. exekutive Phänomene nicht auf Prozessen beruhen, die in einem separaten neurofunktionellen System lokalisiert werden können, sondern dass diese Phänomene aus der dynamischen Interaktion zwischen verschiedenen Systemen resultieren, die jeweils für sich allein genommen auch basaleren kognitiven Funktionen dienen (Goldman-Rakic 1996; Gruber u. Goschke 2004). Zusammengefasst geht es also hier auch wieder um die Fragen, wie exekutive Leistungen, d. h. Leistungen der Planung und Steuerung komplexer zielgerichteter Handlungen neuronal organisiert sind, ob es eine zentrale Exekutive (ein zentrales exekutives neuronales System) gibt oder ob multiple Prozesse für exekutive Handlungssteuerung zuständig sind und ob diesen jeweiligen exekutiven Prozessen ein separierbares neurofunktionelles System zugrunde liegt oder ob sie aus dem dynamischen Zwischenspiel multipler Systeme resultieren. 20.1.3 Funktionelle Neuroanatomie
des Arbeitsgedächtnisses aus einer evolutionsbiologischen Perspektive Die offenbaren Widersprüche zwischen den dargestellten Modellen zum Arbeitsgedächtnis und zur funktionellen Organisation des präfrontalen Kortex lassen sich vermutlich am ehesten durch evolutionsgeschichtlich bedingte Unterschiede in der kognitiven Grundausstattung von Menschen und nichtmenschlichen Primaten erklären. Dabei kommt insbesondere der menschlichen
244
Kapitel 20 · Arbeitsgedächtnis – Bildgebung
Sprachfähigkeit eine tragende Rolle zu. So wird zum Beispiel angenommen, dass die Entwicklung von Sprache zu einer anatomischen Verlagerung präfrontaler Hirnareale geführt haben könnte, die raum- und objektbezogenen Prozessen im Arbeitsgedächtnis dienen. Zudem wurde in neueren Studien damit begonnen, den dynamisch-funktionellen Einfluss, den die Verfügbarkeit von Sprache auf Arbeitsgedächtnisfunktionen und deren funktionelle Implementierung im menschlichen Gehirn hat, systematisch zu untersuchen (Gruber u. von Cramon 2001; Gruber u. Goschke 2004). Hierbei wurde die sog. artikulatorische Suppression verwendet, bei der die Versuchspersonen aufgefordert werden, während der Durchführung der Gedächtnisaufgabe zusätzlich irgendwelche Lautäußerungen ohne Bezug zu den zu erinnernden Informationen von sich zu geben. Durch diese Technik, die bereits von Baddeley zur Etablierung seines kognitionspsychologischen Modells des Arbeitsgedächtnisses verwendet wurde, wird den Probanden die Möglichkeit genommen, die Ge. Abb. 20.1a–c. Funktionelle Neuroanatomie spezifischer Subkomponenten des menschlichen Arbeitsgedächtnisses (Haltefunktionen für verschiedene Informationsdomänen) (Gruber u. von Cramon 2003). a, b Duale Architektur des verbalen (sprachlichen) Arbeitsgedächtnisses (Gruber 2001; Gruber u. von Cramon 2003). a Neuronale Implementierung des artikulatorischen Rehearsal-Mechanismus in einem hauptsächlich linkshemisphärischen Netzwerk sprachassoziierter Gehirnareale (Broca-Areal, linker Gyrus praecentralis, linker intraparietaler Kortex, prä-SMA und rechtes Cerebellum). b Neuronale Implementierung des komplementären nicht-artikulatorischen Mechanismus zum Aufrechterhalten phonologischer Information in einem bilateralen Netzwerk anterior-präfrontaler und inferior-parietaler Gehirnareale. c Neuronale Implementierung des Mechanismus zum Aufrechterhalten visuell-räumlicher Information in einem bilateralen Netzwerk posterior-präfrontaler (frontale Augenfelder) und intraparietaler Cortices (7 Farbtafeln, S. 658)
20
dächtnisinformation innerlich wiederholt aufzusagen, d. h. sie können nicht auf ihre wahrscheinlich artspezifischen verbalen Gedächtnisstrategien zurückgreifen. Die Verwendung der Technik der artikulatorischen Suppressionen stellt somit auf der Grundlage des Arbeitsgedächtnismodells nach Baddeley die zweckmäßigste Methode dar, die neuronalen Korrelate des phonologischen Speichers zu untersuchen. Da die artikulatorische Suppression mit der Verwendung des artikulatorischen Rehearsals interferiert, ist zu erwarten, dass menschliche Probanden unter diesen Aufgabenbedingungen auf den Mechanismus des phonologischen Speicherns alleine rekurrieren müssen. Gemäß alternativer neurobiologischer Modelle des Arbeitsgedächtnisses wäre zudem zu erwarten, dass die menschlichen Probanden dabei auf dieselben oder zumindest ähnliche neuronale Mechanismen zurückgreifen wie nichtmenschliche Primaten. Dies wurde kürzlich in einer ganzen Serie von systematisch aufeinander aufbauenden funktionell-hirnbildgebenden Experimenten bestätigt
245 20.1 · Neuronale Korrelate von Arbeitsgedächtnisfunktionen im menschlichen Gehirn
(Gruber 2001; Gruber u. von Cramon 2001, 2003; Gruber u. Goschke 2004). ! Dabei konnte zum einen – mehrfach repliziert – die duale Architektur des sprachlichen Arbeitsgedächtnisses bei Menschen demonstriert werden, die sich aus zwei experimentell weitgehend dissoziierbaren, i. Allg. jedoch funktionell interagierenden neuronalen Systemen zusammensetzt.
Während der artikulatorische Rehearsalprozess sich – wie bereits durch viele Vorstudien belegt – auf ein Netzwerk aus linkshemisphärischen Arealen (Broca-Areal, linker Gyrus praecentralis, linker intraparietaler Kortex), dem kontralateralen rechten Cerebellum und der Prae-SMA stützt (. Abb. 20.1a), ist ein nichtartikulatorischer Mechanismus zum Aufrechterhalten phonologischer Informationen implementiert durch ein bilaterales Netzwerk, das insbesondere den anterioren präfrontalen Kortex entlang des Sulcus frontalis intermedius (bzw. Gyrus frontalis medius) sowie den Lobulus parietalis inferior einschließt (. Abb. 20.1b). Demnach ist der phonologische Speicher als angenommene kognitionspsychologische Komponente des Arbeitsgedächtnisses nach Baddeley wohl nicht in einem Gehirnareal lokalisierbar, wie dies von manchen Autoren angenommen wird, sondern stützt sich stattdessen auf ein komplexes Netzwerk parietaler und präfrontaler Gehirnregionen (Gruber 2001), wie in späteren experimentell-neuropsychologischen Studien bei Patienten mit Läsionen im Bereich des anterioren präfrontalen Kortex bestätigt werden konnte (Gruber et al. 2005).
20
tion in domänenspezifischer Weise von der neuronalen Implementierung sprachlicher Arbeitsgedächtnisleistungen abgrenzen lässt (Gruber u. von Cramon 2001, 2003).
Visuelles Arbeitsgedächtnis für Objektinformationen (z. B. Farbe oder Form) (Gruber u. von Cramon 2001) scheint dabei nochmals neuroanatomisch anders organisiert zu sein als das visuelle Arbeitsgedächtnis für Rauminformation (Gruber u. von Cramon 2003), wobei sich beide neurofunktionellen Systeme auf im Wesentlichen bilaterale Netzwerke mit (eher posterioren) präfrontalen kortikalen Arealen und parietalen Arealen stützen (. Abb. 20.1c). Letztlich fanden sich in dieser Serie von Studien mögliche neuronale Korrelate für einen domänenunspezifischen »episodischen Speicher«, wohingegen keinerlei Hirnaktivität entdeckt wurde, die nach strengen ursprünglichen Modellannahmen von Baddeley einer »zentralen Exekutive« zugesprochen werden könnte (Gruber u. von Cramon 2003). Auf der Basis dieser systematischen Reevaluation der funktionellen Neuroanatomie des menschlichen Arbeitsgedächtnisses und konvergierender Befunde aus der Primatenforschung konnte ein funktionell-neuroanatomisches Modell des menschlichen Arbeitsgedächtnisses erarbeitet werden, das eine Synthese darstellt zwischen dem kognitionspsychologischen Modell nach Baddeley und dem neurobiologisch orientierten Modell nach Patricia Goldman-Rakic (Goldman-Rakic 1996; Gruber u. Goschke 2004; Gruber et al. 2005).
! Bezüglich visuell-räumlicher Arbeitsgedächtnisleistungen konnte in den genannten Studien gezeigt bzw. bestätigt werden, dass sich deren funktionell-neuroanatomische Organisa6
! Gemäß diesem evolutionsgeschichtlich orientierten Modell setzt sich das menschliche Arbeitsgedächtnis im Wesentlichen aus zwei unterschiedlichen neurofunktionellen Systemen zusammen, die vermutlich in unterschiedlichen evolutionären Kontexten entstanden sind (. Abb. 20.2).
. Abb. 20.2. Evolutionsgeschichtlich orientiertes funktionell-neuroanatomisches Modell des menschlichen Arbeitsgedächtnisses (Gruber u. Goschke 2004; Gruber et al. 2005). Dargestellt sind neuronale Systeme, die dem visuell-räumlichen und dem nicht-artikulatorischen phonologischen Arbeitsgedächtnis sowohl beim Menschen als auch bei nicht-
menschlichen Primaten dienen (linker Teil der Abbildung), sowie das artikulatorische Rehearsal-System, das nach Rekodierung der sensorischen Information in den sprachlichen Code als leistungsstärkerer und prädominierender Arbeitsgedächtnismechanismus offenbar nur Menschen zur Verfügung steht (rechter Teil der Abbildung) (7 Farbtafeln, S. 658)
246
Kapitel 20 · Arbeitsgedächtnis – Bildgebung
Hierbei handelt es sich zum einen um ein Arbeitsgedächtnissystem für verschiedene (visuelle, auditorische und möglicherweise weitere) Modalitäten, das neuronal durch mehrere domänenbzw. modalitätsspezifische präfrontoparietale und präfrontotemporale Netzwerke repräsentiert ist. Da derartige Netzwerke nicht nur bei Menschen, sondern auch bei nichtmenschlichen Primaten identifiziert werden konnten, handelt es sich hierbei vermutlich um ein phylogenetisch älteres Arbeitsgedächtnissystem. Demgegenüber ist offenbar nur bei Menschen ein zweites, wesentlich sprachbasiertes System zu finden, das sich auf die hauptsächlich linkshemisphärischen Sprachareale stützt und dem artikulatorischen Rehearsal im verbalen Code zugrunde liegt. Hierbei handelt es sich um einen bei Menschen prädominierenden Arbeitsgedächtnismechanismus, der in zahlreiche höhere kognitive Funktionen involviert zu sein scheint und z. B. auch eine wesentliche Rolle für das Aufrechterhalten von zeitlicher Information im Arbeitsgedächtnis spielt (Gruber et al. 2000). 20.1.4 Die komplementäre Rolle experimentell-
neuropsychologischer Forschung Ein wesentliches Verdienst der zuletzt genannten Studien darin besteht, dass die Aktivierung spezifischer neurofunktioneller Systeme nicht nur einmalig dargestellt, sondern mehrfach konsistent repliziert werden konnte. Diesen Studien ist wie allen funktionellen Bildgebungsstudien aber inhärent, dass sie nur Aussagen treffen können über die Korrelation bzw. Assoziation von Änderungen der Hirnaktivität auf der einen Seite und spezifischen Aufgabenstellungen im Bereich des Arbeitsgedächtnisses auf der anderen Seite. ! Hier kommt neuropsychologischen Forschungsansätzen eine wichtige komplementäre Rolle zu insofern, als zusätzliche experimentell-neuropsychologische Untersuchungen bei Patienten mit isolierten fokalen Läsionen benötigt werden, um zweifelsfrei nachzuweisen, dass bestimmte Gehirnregionen essenziell sind für das Erbringen bestimmter kognitiver Leistungen (Gruber et al. 2005; Honey u. Fletcher 2006).
20
Am überzeugendsten ist hierbei der Nachweis empirischer Evidenz für das Vorliegen einer doppelten Dissoziation in dem Sinne, dass ein Patient mit einer Läsion im Areal A – bei vollständig erhaltener Funktion Y – den Verlust der psychologischen Funktion X aufweist, wohingegen ein Patient mit einer Läsion im Areal B genau umgekehrt eine beeinträchtigte Funktion Y bei erhaltener Funktion X aufweist. Anhand einer solchen doppelten Dissoziation konnte kürzlich z. B. gezeigt werden, dass einerseits die Funktionstüchtigkeit des Broca-Areals notwendig ist für die erfolgreiche Durchführung einer verbalen Arbeitsgedächtnisaufgabe mit artikulatorischem Rehearsal und dass anderseits anteriore präfrontale Cortices im Bereich des Gyrus frontalis medius bzw. Sulcus frontalis intermedius notwendige Teilaufgaben übernehmen beim nicht-artikulatorischen Aufrechterhalten phono-
logischer Information (im phonologischen Speicher; Gruber et al. 2005). Zukünftige weitere experimentell-neuropsychologische Nachweise solcher doppelten Dissoziationen sind notwendig, um die im Rahmen funktionell-bildgebender Studien postulierten Struktur-Funktions-Beziehungen für Arbeitsgedächtnisfunktionen weiter zu validieren. 20.1.5 Zusammenfassung und Ausblick Während demnach bezüglich der funktionellen Neuroanatomie domänen- und modalitätsspezifischer reiner Haltefunktionen im Arbeitsgedächtnis weitgehend konsistente Befunde vorliegen, wird die neurofunktionelle Implementierung von komplexeren exekutiven Be- und Verarbeitungsprozessen im Arbeitsgedächtnis noch sehr kontrovers diskutiert, sodass hier noch kein abschließendes Urteil getroffen werden kann. Neuere funktionellbildgebende Studien haben sich auch zunehmend der Frage angenommen, ob verschiedene Gehirnareale an einzelnen, zeitlich aufeinanderfolgenden Prozesskomponenten des Arbeitsgedächtnisses (Informationsenkodierung, Informationsaufrechterhaltung, Informationsabruf) differenziell beteiligt sind. Auch hier ist die Befundlage noch recht heterogen, wobei allgemein beschrieben wird, dass die Aktivierungsmuster in diesen einzelnen Phasen von Arbeitsgedächtnisaufgaben sich einerseits partiell voneinander unterscheiden, andererseits jedoch auch vielfach überlappen (Manoach et al. 2003). Als weitgehend konsistenter Befund kann gelten, dass inferiore frontale Areale der linken Hemisphäre eine bevorzugte Rolle bei der Enkodierung von Informationen in das Arbeitsgedächtnis (wie auch in das Langzeitgedächtnis) spielen, während dem tiefen frontooperkularen Kortex (betont der rechten Hemisphäre) eine bevorzugte Rolle beim Abruf von Informationen (aus dem Arbeitsgedächtnis wie aus dem Langzeitgedächtnis) zukommt (Wolf et al. 2006b). Andererseits muss betont werden, dass derartige vermeintlich exakte Zuordnungen von Funktionen zu bestimmten Hirnstrukturen mit Vorsicht zu betrachten sind, da es i. Allg. sehr kompliziert ist, strikte Struktur-Funktions-Beziehungen im menschlichen Gehirn nachzuweisen. Zum einen scheinen nämlich einzelne Gehirnregionen an verschiedenen kognitiven Funktionen teilzuhaben (Duncan u. Owen 2000; Gruber u. Goschke 2004). Zum andern können vermeintlich diskrete Funktionen oft eben nicht in einzelnen Arealen lokalisiert werden; vielmehr resultieren sie offenbar aus der Interaktion multipler Hirnareale in weitverzweigten Netzwerken (Gruber u. von Cramon 2003; Gruber u. Goschke 2004). Angesichts dieser Forschungslage sind inzwischen weltweit mehrere Arbeitsgruppen dazu übergegangen, Arbeitsgedächtnisfunktionen nicht nur bezüglich der mit ihnen einhergehenden lokalen Aktivitätsänderungen in einzelnen Gehirnarealen zu untersuchen, sondern auch bezüglich der funktionellen und dynamischen Interaktionen zwischen Gehirnarealen in komplexen Netzwerken. Von diesem Forschungsansatz sind in den nächsten Jahren viele weiterführende Erkenntnisse darüber
247 20.2 · Neuronale Grundlagen gestörter Arbeitsgedächtnisfunktionen bei schizophrenen Patienten
zu erwarten, wie verschiedene Subfunktionen des Arbeitsgedächtnisses aus der konzertierten Interaktion zwischen verschiedenen Gehirnarealen resultieren. Die aktuelle Forschung zu den neuronalen Grundlagen von Arbeitsgedächtnisstörungen bei Schizophrenie ist allerdings gut beraten, sich insbesondere auf solche Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung zu stützen, die aufgrund einer ausgewählten Methodologie, eines systematischen Forschungsansatzes sowie mehrfacher Replikationen als weitgehend gesichert betrachtet werden können. Hierzu gehört im Bereich von Arbeitsgedächtnisfunktionen v. a. die Erkenntnis, dass die kognitionspsychologisch differenzierbaren Haltefunktionen im Arbeitsgedächtnis – d. h. artikulatorisches Rehearsal, nichtartikulatorisches Aufrechterhalten (Speichern) phonologischer Informationen, visuell-räumliches Arbeitsgedächtnis und visuell-objektbezogenes Arbeitsgedächtnis – sich auf unterschiedliche neurofunktionelle Systeme im Sinne eines stark linkshemisphärisch betonten prämotorisch-parietalen Systems bzw. multipler bilateraler präfrontoparietaler und präfrontotemporaler Netzwerke stützen (. Abb. 20.1 u. 20.2). 20.2
Neuronale Grundlagen gestörter Arbeitsgedächtnisfunktionen bei schizophrenen Patienten
20.2.1 Konzeptuelle Vorbemerkungen ! Die Erforschung der neuronalen Grundlagen von Störungen des Arbeitsgedächtnisses bei Schizophrenie setzt eine grundlegende Kenntnis der neuronalen Implementierung von Arbeitsgedächtnisfunktionen im gesunden menschlichen Gehirn voraus.
Wie oben dargestellt, herrscht hierbei in der Literatur nur bezüglich des Involviertseins spezifischer neuronaler Netzwerke beim Aufrechterhalten von Informationen verschiedener Modalitäten weitgehend Konsens. Bezüglich der neuronalen Grundlagen sowohl komplexerer exekutiver Verarbeitungsprozesse im Arbeitsgedächtnis als auch der zeitlich aufeinanderfolgenden Subkomponenten Enkodierung, Haltefunktion und Gedächtnisabruf besteht nach wie vor deutlicher Klärungsbedarf. Ungeachtet dessen wurde bereits in den letzten Jahren eine Vielzahl funktionellbildgebender Studien veröffentlicht, die sich mit Arbeitsgedächtnisfunktionen bzw. -dysfunktionen bei schizophrenen Patienten befassen. Hierbei ist hervorzuheben, dass hirnbildgebende Aktivierungsstudien ein sehr probates Mittel sind, um lokale Hirnaktivitätsänderungen im Rahmen kognitiver Prozesse zu identifizieren. Hingegen ist es aufgrund verschiedener methodischer Limitationen fraglich, inwieweit diese Methode bei direkter Anwendung bei Patienten mit entsprechenden kognitiven Defiziten in der Lage ist, die neuronalen Korrelate der gestörten Funktion unmittelbar darzustellen (Price u. Friston 1999; Gruber et al. 2005). Hierfür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Einerseits ist das Verhältnis von Arbeitsgedächtnisleistung bzw. allgemeiner
20
kognitiver Leistung und der Signalphysiologie in Aktivierungsstudien offenbar sehr komplex und bislang weitgehend unaufgeklärt. So ist es beispielsweise nicht möglich, in entsprechenden Studien beobachtete Minderaktivierungen als ursächlich für eine verminderte Arbeitsgedächtnisleistung zu interpretieren, da multiple andere Interpretationsmöglichkeiten bestehen (Honey u. Fletcher 2006; Wolf et al. 2006a). Unabhängig von jeglichen Pathologien können Minderaktivierungen generell auftreten, wenn bei Probanden eine geringere Leistungsbereitschaft oder Leistungsfähigkeit vorliegt, beispielsweise aufgrund von Konzentrationsmangel, Unaufmerksamkeit, geringer Motivation oder der Anwendung ineffizienter Strategien. Etwas eindeutiger ist die Interpretation der Ergebnisse von Aktivierungsstudien bei Patienten nur dann, wenn diese zum Beispiel Hyperaktivierungen (bei geringerer oder vergleichbarer Leistung) der Patienten zeigen oder wenn Hypoaktivierungen bei vergleichbaren Leistungen in den verwendeten Tests auftreten. Ein zweites, allgemeineres Problem von Studien, die versuchen, »Struktur-Dysfunktions-Beziehungen« bei neuropsychiatrischen Störungsbildern herzustellen, besteht in der Vielzahl von Einflussfaktoren, die sich auf das Verhältnis von Struktur- und Funktionsveränderungen in pathologischen Zuständen auswirken können. Hierzu gehören zum Beispiel Diaschisiseffekte, d. h. der Umstand, dass Schädigungen in Teilen des Gehirns aufgrund der hochkomplexen Verschaltung zwischen verschiedenen Gehirnregionen indirekt auch die Funktion anderer Gehirnareale beeinträchtigen können. Bei der Interpretation von Hinweisen auf mögliche Zusammenhänge zwischen lokalen Hirnaktivitätsänderungen und neuropsychiatrischen Störungsbildern sind daher physiologische und pathophysiologische Interaktionen zwischen Gehirnregionen mit zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ergibt sich auch die Frage, ob – zumindest in einem ersten Schritt – experimentell-neuropsychologische Untersuchungen, die sich direkt auf ein weitgehend etabliertes Grundlagenwissen bezüglich der neuronalen Korrelate von Subkomponenten des Arbeitsgedächtnisses stützen, bereits logische Evidenzen erbringen können bezüglich der neuronalen Grundlagen insbesondere selektiver Arbeitsgedächtnisstörungen schizophrener Patienten. Für diese Annahme spricht, dass die meisten funktionell-bildgebenden Studien zum Thema Arbeitsgedächtnis bei Schizophrenie bei den Patienten im Prinzip dieselben neuronalen Netzwerke aktiviert fanden wie bei gesunden Kontrollprobanden. ! Dies spricht für die sehr plausible Grundannahme, dass die Funktion Arbeitsgedächtnis in den Gehirnen psychiatrischer Patienten prinzipiell nicht anders implementiert ist als bei gesunden Menschen. Die Unterschiede zwischen schizophrenen Patienten und gesunden Kontrollprobanden waren in der Regel lediglich quantitativer Natur, wobei Minderaktivierungen im Rahmen von reduzierter Arbeitsgedächtnisleistung jedoch nicht eindeutig zu interpretieren sind.
Vor dem Hintergrund dieser noch offenen methodischen Fragen sollen nun die Ergebnisse funktionell-bildgebender Studien zu
248
Kapitel 20 · Arbeitsgedächtnis – Bildgebung
Arbeitsgedächtnisfunktionen und -dysfunktionen bei Schizophrenie in einer kritischen Übersicht dargestellt werden. 20.2.2 Funktionell-bildgebende Studien
zum Arbeitsgedächtnis bei Schizophrenie: Heterogene Ergebnisse und interpretatorische Herausforderungen Basierend auf sehr frühen bildgebenden Studien mit nuklearmedizinischen Verfahren wie der Single-Photon-Emissions-Tomographie (SPECT) und der Positronen-Emissions-Tomographie (PET), deren Ergebnisse zur Hypothese einer funktionellen Hypofrontalität bei Schizophrenie führten, fokussierten spätere funktionell-bildgebende Studien zu Arbeitsgedächtnisaktivierungen bei schizophrenen Patienten bevorzugt auf den präfrontalen Kortex. ! Hierbei konnte eine Hypofrontalität bei schizophrenen Patienten in etwa 60% der Studien bestätigt werden; in den übrigen Studien fanden sich jedoch auch signifikante Hyperaktivierungen des präfrontalen Kortex und zum Teil keine Unterschiede in den präfrontalen Aktivierungen zwischen schizophrenen Patienten und gesunden Kontrollpersonen (Walter u. Wolf 2002; Wolf et al. 2006a).
Dieses sehr heterogene Bild bezüglich möglicher frontaler Aktivitätsunterschiede zwischen schizophrenen Patienten und gesunden Kontrollen im Rahmen von Arbeitsgedächtnisaufgaben wurde mit methodischen Unterschieden zwischen den einzelnen Studien in Verbindung gebracht. Neben dem bereits oben disku. Abb. 20.3. Hypothetisches Modell zum Zusammenhang zwischen kognitiver Leistungsfähigkeit im Verhältnis zu aktuellen Anforderungen und der fMRT-Signalphysiologie in aufgabenrelevanten neurofunktionellen Systemen. In vereinfachter schematischer Form ist der komplexe wechselseitige Zusammenhang zwischen (1) dem Grad der Leistungsanforderung von kognitiven Aufgaben an neurofunktionelle Systeme, die beispielsweise dem Arbeitsgedächtnis zugrunde liegen (x-Achse), (2) deren funktionellen (bei der Schizophrenie pathologisch verminderten) Kapazitätsgrenzen (Farbkodierung) und (3) den hieraus vermutlich resultierenden, auf den ersten Blick widersprüchlichen Aktivierungsunterschieden zwischen schizophrenen Patienten und gesunden Kontrollen in fMRT-Studien (aufgetragen an der y-Achse) dargestellt (7 Farbtafeln, S. 659)
20
tierten wichtigen Einfluss der Arbeitsgedächtnisleistung spielen hierbei insbesondere auch Unterschiede in der Komplexität der verwendeten Aufgaben bzw. Paradigmen, unterschiedliche Verfahren der Datenanalyse und Unterschiede in der Stichprobenzusammensetzung bei einer mit großer Wahrscheinlichkeit vorliegenden ätiologischen Heterogenität des Krankheitsbildes Schizophrenie eine Rolle. Mit Hinblick auf die wechselseitige Abhängigkeit zwischen der Arbeitsgedächtnisleistung und der Aktivität arbeitsgedächtnisrelevanter Hirnregionen wurde folgendes Erklärungsmodell postuliert: Hirnaktivierungen, die mit kognitiven Leistungen in Zusammenhang stehen, steigen parallel zur Zunahme der Aufgabenanforderungen an, bis die Kapazitätsgrenzen des neurofunktionellen Systems erreicht sind; bei Überschreitung dieser (individuellen) Kapazitätsgrenzen verringern sie sich wieder (Manoach 2003). Hieraus ergibt sich eine sog. »invertierte U-Funktion«, die den Zusammenhang zwischen kognitiver Leistungsanforderung und Signalphysiologie in funktionellen Bildgebungsstudien beschreibt (. Abb. 20.3). Hierbei wird angenommen, dass diese invertierte U-Kurve bei schizophrenen Patienten als Ausdruck einer pathologisch eingeschränkten Leistungsfähigkeit des neurofunktionellen Systems nach links verschoben ist. Hierdurch würden sich bei geringen Aufgabenanforderungen im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden zunächst Hyperaktivierungen ergeben, bei sehr hohen Aufgabenanforderungen hingegen würden sich Hypoaktivierungen darstellen lassen. Inwieweit dieses Erklärungsmodell den sehr komplexen Zusammenhang zwischen kognitiver Leistung und der Signalphysiologie in betroffenen neurofunktionellen Systemen hinreichend beschreibt, müssen zukünftige Studien noch weiter evaluieren. Der generelle Einfluss der Verhaltensleis-
249 20.2 · Neuronale Grundlagen gestörter Arbeitsgedächtnisfunktionen bei schizophrenen Patienten
tung konnte hingegen bereits in einer kürzlich durchgeführten Metaanalyse nachgewiesen werden (Wolf et al. 2006a). ! Umso wichtiger sind demzufolge solche Studien, bei denen verschiedene Gruppen von Patienten und/oder Kontrollen nach sorgfältigem Matching der Arbeitsgedächtnisleistungen hinsichtlich der mit der Aufgabendurchführung einhergehenden Aktivierungsintensitäten miteinander verglichen werden.
Hierbei könnten beispielsweise Unterschiede zwischen schizophrenen Patienten und gesunden Kontrollprobanden Hinweise auf kompensatorische Prozesse geben, die es den ausgewählten Patienten erlauben, die pathophysiologisch bedingten (latenten) Dysfunktionen des beteiligten neurofunktionellen Arbeitsgedächtnissystems zu kompensieren. ! Qualitative Unterschiede zwischen Patienten und Kontrollen, also beispielsweise Aktivierungen, die sich nur bei Patienten, nicht hingegen bei gesunden Normalprobanden finden, könnten in der Tat direkte Hinweise auf pathophysiologische Prozesse liefern.
Ein schönes Beispiel für eine Studie mit Performanz-Matching ist die von Callicott et al. (2004), die im Rahmen von Arbeitsgedächtnisaufgaben bei kognitiv vollständig leistungsfähigen gesunden Geschwistern schizophrener Patienten ein abnormes Aktivierungsverhalten im Bereich des präfrontalen Kortex zeigen konnte. Demgemäß ist davon auszugehen, dass bezüglich möglicher Dysfunktionen neurofunktioneller Systeme funktionell-bildgebende Verfahren bei sorgfältiger Anwendung sogar noch sensitiver sein können als experimentell-neuropsychologische Verhaltensuntersuchungen, bei denen solche Dysfunktionen ggf. durch kompensatorische Prozesse maskiert werden. Aufgrund der noch bestehenden methodischen Unwägbarkeiten, insbesondere angesichts des komplexen und unaufgeklärten Zusammenhanges zwischen Testleistung und Signalphysiologie, sind jedoch in funktionellbildgebenden Studien mit Patienten mehr noch als bei den weiter oben beschriebenen Grundlagenstudien Replikationen sowie direkte Untersuchungen der Test-Retest-Reliabilität erforderlich, um die Generalisierbarkeit der erhobenen Befunde zu bestätigen.
20
20.2.3 Funktionelle Bildgebung des Arbeits-
gedächtnisses und Psychopathologie In einigen wenigen funktionell-bildgebenden Studien wurden Korrelationen beschrieben zwischen Hirnaktivitätsänderungen und dem anhand etablierter Skalen bestimmten Schweregrad psychopathologischer Symptome. Im Gegensatz zu entsprechendenexperimentell-neuropsychologischenVerhaltensuntersuchungen ist hierbei jedoch besonders zu beachten, dass psychopathologische Symptome selbst (wie in anderen Kapiteln dieses Buches dargestellt) mit umschriebenen Hirnaktivitätsänderungen einhergehen und damit zu einer Konfundierung der tatsächlich arbeitsgedächtnisbezogenen Aktivierungen führen können. 20.2.4 Untersuchung gestörter zerebraler
Konnektivität Aktuelle Arbeiten aus der neurowissenschaftlichen Grundlagenforschung ergaben – wie oben beschrieben – Hinweise, dass kognitive Funktionen nicht in einzelnen umschriebenen Gehirnarealen zu lokalisieren sind, sondern vielmehr auf dynamischen Interaktionen zwischen verschiedenen Gehirnregionen in weitverteilten Netzwerken beruhen. In diesem Zuge hat auch in der funktionell-bildgebenden Forschung zur Schizophrenie die Hypothese einer gestörten zerebralen Konnektivität zuletzt zunehmend Beachtung gefunden (Gruber u. Falkai 2003). Parallel zur Untersuchung der strukturellen Integrität neuronaler Faserbündel (. Abb. 20.4) wurden hierbei insbesondere auch Untersuchungen zu Veränderungen der funktionellen und/oder effektiven Konnektivität zwischen Gehirnregionen bei schizophrenen Patienten durchgeführt. ! Hierbei ergaben sich beispielsweise Hinweise auf eine gesteigerte Konnektivität zwischen Thalamus und präfrontalem Kortex sowie auf eine verminderte Konnektivität zwischen präfrontalem Kortex und Cerebellum, eine Beobachtung, die mit dem von Andreasen propagierten Konzept einer bei schizophrenen Psychosen vorliegenden »kognitiven Dysmetrie« in Einklang steht (. Abb. 20.5) (Schlösser et al. 2003).
. Abb. 20.4a, b. Der Zusammenhang zwischen Störungen neuronaler Netzwerkfunktionen (a Neuronale Korrelate von bei schizophrenen Patienten gestörten Arbeitsgedächtnisprozessen) und gestörter zerebraler Konnektivität (b Darstellung neuronaler Faserbündel mittels Diffusionstensor-Bildgebung) ist Gegenstand aktueller Forschung zur Neurobiologie der Schizophrenie (Gruber u. Falkai 2003) (7 Farbtafeln, S. 659)
a
b
250
Kapitel 20 · Arbeitsgedächtnis – Bildgebung
sich insbesondere auf die neuronalen Korrelate des Aufrechterhaltens von Informationen verschiedener Modalitäten im Arbeitsgedächtnis beziehen. ! Weitgehend übereinstimmend konnte gezeigt werden, dass verschiedene neuronale Netzwerke zuständig sind für das Aufrechterhalten von sprachlicher bzw. phonologischer Information (einerseits mittels eines artikulatorischen, andererseits mittels eines nichtartikulatorischen Mechanismus) sowie von visuell-räumlicher oder visuell-objektbezogener Information (. Abb. 20.1 u. 20.2).
Darüber hinaus beinhaltet das Konstrukt Arbeitsgedächtnis noch weitaus komplexere Funktionen im Bereich exekutiver Prozesse sowie Teilfunktionen der Gedächtnisenkodierung und des Gedächtnisabrufs, für die die Datenlage aus den bisherigen funktionell-bildgebenden Studien jedoch noch nicht eindeutig ist.
. Abb. 20.5. Veränderungen der effektiven Konnektivität zwischen Gehirnregionen mit Arbeitsgedächtnisfunktionen bei schizophrenen Patienten. Pfeile mit gestrichelten Linien kennzeichnen eine bei Schizophrenie (im Vergleich zu Gesunden) gesteigerte effektive Konnektivität (z. B. zwischen dem Thalamus [THAL] und dem dorsolateralen präfrontalen Kortex [DLPFC]), Pfeile mit gepunkteten Linien hingegen eine relativ verminderte Konnektivität (z. B. zwischen dem dorsolateralen präfrontalen Kortex [DLPFC] und dem kontralateralen Cerebellum [CB]) (Schlösser et al. 2003)
Andere Studien wiederum fanden Veränderungen, die im Sinne einer gestörten Interaktion zwischen präfrontalen und temporalen Arealen zu deuten sind (Meyer-Lindenberg et al. 2001). 20.3
Zusammenfassung
! Störungen des Arbeitsgedächtnisses sind bei schizophrenen Patienten weit verbreitet; sie werden gemeinhin als Kerndefizite angesehen, die ggf. sogar einen kognitiven Endophänotyp darstellen, der sich als hilfreich in der Erforschung der Ätiologie schizophrener Störungen erweisen könnte (Glahn et al. 2003; Gruber et al. 2005, 2006).
20
Aufgrund ihrer sehr guten Operationalisierbarkeit sind Arbeitsgedächtnisfunktionen und -dysfunktionen zudem gut zu untersuchen. Als vorteilhaft erweist sich ferner, dass es in den letzten Jahrzehnten bereits zu zahlreichen Erkenntnissen bezüglich der neuronalen Implementierung von Arbeitsgedächtnisfunktionen beim Menschen wie beim Tier gekommen ist. Gleiches gilt für Grundlagenkenntnisse aus der hirnbildgebenden Forschung, die
! Auf der Basis der genannten Grundlagenerkenntnisse können sowohl experimentell-neuropsychologische Verhaltensuntersuchungen zu Arbeitsgedächtnisleistungen als auch funktionell-bildgebende Studien hilfreich sein, um die neuronalen Grundlagen von Arbeitsgedächtnisdefiziten bei der Schizophrenie zu ermitteln (Gruber et al. 2005; Wolf et al. 2006a).
Der Erfolg dieser wissenschaftlichen Bemühungen wird maßgeblich davon beeinflusst werden, inwieweit methodische Grenzen der jeweiligen Verfahren im Hinblick auf die Interpretationsmöglichkeiten von Ergebnissen hinreichend Berücksichtigung finden. ! Auf der Grundlage bisheriger Studien lässt sich am ehesten konstatieren, dass zumindest bei einem großen Teil schizophrener Patienten Arbeitsgedächtnisdefizite vorliegen und dass diese Defizite sich insbesondere in einer verminderten Leistungsgrenze der an den jeweiligen Arbeitsgedächtnisfunktionen beteiligten neurofunktionellen Systeme manifestieren; hieraus resultiert in der graphischen Darstellung eine nach links verschobene invertierte U-Kurve, die das Verhältnis zwischen Arbeitsgedächtnisanforderungen und Aktivität in arbeitsgedächtnisrelevanten Hirnarealen beschreibt (. Abb. 20.3).
Hierbei handelt es sich freilich um ein Erklärungsmodell, das aufgrund zukünftiger Studien noch falsifiziert bzw. verfeinert werden kann. Neuere Studien zum Arbeitsgedächtnis sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der Schizophrenieforschung richten ihr Augenmerk zunehmend auf Aspekte der funktionellen Integration, d. h. auf die dynamischen Interaktionen zwischen verschiedenen Gehirnregionen, die in ihrer Gesamtheit als neurofunktionelle Netzwerke spezifischen Arbeitsgedächtnisleistungen zugrunde liegen (. Abb. 20.4 u. 20.5). Von derartigen Studien sind in Zukunft noch tiefere Einsichten in die neurofunktionelle Implementierung von Arbeitsgedächtnisfunktionen im gesunden menschlichen Gehirn wie auch in die neuronalen Grundlagen von Dysfunktionen des Arbeitsgedächtnisses bei schizophrenen Störungen zu erwarten. Ein weiteres interessantes Arbeitsfeld ergibt sich durch die Kombination mit molekularge-
251 Literatur
netischen Untersuchungen, in deren Rahmen der Einfluss verschiedener genetischer Faktoren auf Arbeitsgedächtnisleistung bzw. Arbeitsgedächtnisdefizite (u. a. auch in Interaktion mit Umwelteinflüssen) untersucht werden kann. Auch der Einfluss psychopharmakologischer Interventionen auf Arbeitsgedächtnisfunktionen stellt ein weites Feld für aktuelle und zukünftige Forschungsarbeiten dar. Ferner könnte die Untersuchung des prädiktiven Wertes von Arbeitsgedächtnisfunktionen und ihren neurofunktionellen Korrelaten für die Vorhersage des Verlaufs und der individuellen therapeutischen Response schizophrener Patienten in Zukunft von besonderem klinischem Interesse sein. Sollten sich Arbeitsgedächtnisdysfunktionen als geeigneter neurokognitiver Endophänotyp der Schizophrenie erweisen, wären entsprechende Untersuchungen auch bedeutsam für die Erforschung der Pathophysiologie und Ätiopathogenese von Erkrankungen des Formenkreises der Schizophrenien.
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20
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21 Gedächtnis – Psychologie Cornelia Exner
21.1
Stärke der Beeinträchtigungen im Gedächtnisbereich – 254
21.2
Beeinträchtigte Gedächtnissysteme – 254
21.2.1 21.2.2
Langzeitgedächtnis – 254 Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis – 257
21.3
Materialeffekte
21.3.1 21.3.2 21.3.3 21.3.4
Verbales Gedächtnis – 257 Visuell-räumliches Gedächtnis – 257 Autobiographisches Gedächtnis – 258 Emotionales Material – 258
21.4
Beeinträchtigte Prozesse und Mechanismen – 259
21.4.1 21.4.2 21.4.3 21.4.4 21.4.5
Enkodierung – 259 Speicherung und Erhalt von Informationen im Langzeitgedächtnis Abruf – 261 Kontextgedächtnis – 261 Metagedächtnis – 261
21.5
Gedächtnisdefizite im Kontext anderer kognitiver Defizite – 262
21.5.1 21.5.2 21.5.3 21.5.4
Intellektuelles Leistungsniveau – 262 Verarbeitungsgeschwindigkeit – 262 Aufmerksamkeitsprozesse – 262 Exekutive Funktionen – 262
21.6
Gedächtnisdefizite im Krankheitsverlauf – 263
21.6.1 21.6.2 21.6.3 21.6.4
Gedächtnisdefizite im Prodromalstadium – 263 Gedächtnisdefizite bei Erstmanifestation – 263 Gedächtnisdefizite im Langzeitverlauf der Erkrankung – 263 Gedächtnisdefizite bei nicht erkrankten Verwandten schizophrener Patienten – 264
– 257
– 260
21.7
Zusammenhänge von Gedächtnisdefiziten und psychopathologischer Symptomatik – 264
21.7.1 21.7.2 21.7.3 21.7.4
Zusammenhänge mit der Symptomschwere – 264 Zusammenhänge mit Symptomdimensionen – 264 Einfluss von Erkrankungsphasen – 265 Vergleich mit anderen psychischen Störungen – 265
21.8
Einfluss weiterer Moderatorvariablen
21.8.1 21.8.2 21.8.3
Geschlechtsunterschiede – 266 Alterseffekte – 266 Medikation – 266
21.9
Prognostischer Wert von Gedächtnisdefiziten für den Rehabilitationsverlauf – 267
21.10
Gedächtnisdefizite im Kontext neurobiologischer Schizophreniemodelle – 267
21.11
Behandlung von Gedächtnisdefiziten
21.11.1 21.11.2
Medikamentös – 267 Neuropsychologische Therapie – 268
Literatur
– 268
– 266
– 267
21
254
Kapitel 21 · Gedächtnis – Psychologie
21.1
Stärke der Beeinträchtigungen im Gedächtnisbereich
Schwierigkeiten von schizophrenen Patienten bei Lern- und Gedächntisanforderungen sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten ins Zentrum der neuropsychologischen Schizophrenieforschung gerückt. Währen die »Pioniere« des Krankheitskonzeptes, Kaepelin und Bleuler, noch davon ausgingen, dass Gedächtnisleistungen einen eher unbeeinträchtigten Bereich der kognitiven Leistungsfähigkeit schizophrener Patienten darstellten, gelten Gedächtnisstörungen – neben exekutiven Funktionsstörungen – heute als ein hervorstechendes kognitives Merkmal der Schizophrenie. So fanden Heinrichs u. Zakzanis (1998) in ihrer Metaanalyse über 204 Studien mit insgesamt 7.420 Patienten den Bereich des verbalen Gedächtnisses von allen untersuchten kognitiven Domänen am meisten beeinträchtigt (ES d=1,41). Auch Aleman et al. (1999) stellten in ihrer Metaanalyse über 70 Studien weitreichende und stabile Gedächtnisdefizite bei schizophrenen Patienten fest. Am stärksten war dabei der freie Abruf von Inhalten aus dem Langzeitgedächtnis betroffen (ES d=1,21). Mehr als 2/3 der Patienten (in der Metaanalyse von Heinrichs u. Zakzanis 1998: 78%) wiesen Testwerte unter dem Median der Gesamtstichprobe (gemittelt über Gesunde und Patienten) auf. Unklar ist zusätzlich, ob diejenigen Patienten, die normale oder überdurchschnittliche Ergebnisse in Bezug auf die Normdaten erreichen, wirklich unbeeinträchtigte Gedächtnisleistungen haben. Möglicherweise sind in dieser Gruppe auch Personen enthalten, die verglichen mit ihrem IQ doch unter dem erwarteten Gedächtnisleistungsniveau liegen. Es kann also als gesichert gelten, dass vor dem Hintergrund von Defiziten in vielen kognitiven Bereichen Gedächtnisdefizite bei schizophrenen Patienten einen Schwerpunkt der Beeinträchtigung bilden.
! Die Mehrzahl schizophren Erkrankter leidet unter Lern- und Gedächtnisdefiziten. Das Leistungsniveau bei Gedächtnisanforderungen liegt durchschnittliche 1,2–1,5 Standardabweichungen unter dem gesunder Personen.
21.2
Beeinträchtigte Gedächtnissysteme
Heutige Modellvorstellungen der Kognitiven Psychologie sehen das Gedächtnis nicht als eine universelle Einheit an. Es werden verschiedene Speicher unterschieden, die sich sowohl hinsichtlich der zeitlichen Dauer der Gedächtnisspuren, hinsichtlich der gespeicherten Inhalte als auch hinsichtlich der beteiligten Hirnareale unterscheiden (. Abb. 21.1 für einen Überblick und eine Zusammenfassung dieser Gedächtnismodelle). 21.2.1 Langzeitgedächtnis
Deklaratives (explizites) Gedächtnis Gedächtnistests, die in der Schizophrenieforschung Verwendung finden, untersuchen in ihrer Mehrzahl Prozesse und Inhalte des episodischen Gedächtnisses. Hierbei muss verbales oder bildhaftes Material, das in der Einspeicherphase vorgelegt wird, intensional gelernt und sofort im Anschluss oder mit zeitlicher Verzögerung von i. d. R. 20–45 min reproduziert werden. Im Bereich des episodischen Gedächtnisses wurden regelmäßig die größten Beeinträchtigungen von schizophrenen Patienten festgestellt. In der Metaanalyse von Aleman et al. (1999) war der freie Abruf von Inhalten aus dem Langzeitgedächtnis am stärksten betroffen (ES d=1,21). Weniger stark, aber dennoch signifikant beeinträchtigt, waren die Abrufleistungen bei Vorgabe von Hinweisreizen (ES d=0,78) oder bei Wiedererkennens-
Exkurs Mehrspeichermodelle des Gedächtnisses In Hinblick auf den zeitlichen Verlauf der Gedächtniseinspeicherung und die Dauer des Erhalts der Gedächtnisspuren wird zwischen sensorischen Registern, dem Kurzzeit- oder Arbeitsspeicher und dem Langzeitgedächtnis unterschieden. Das Kurzzeitgedächtnis stellt keinen passiven Zwischenspeicher dar. Die hier stattfindenden aktiven Kontrollprozesse ermöglichen eine Selektion und Elaboration von Informationen, die dann in das Langzeitgedächtnis überführt werden (7 Kap. 19 zum Arbeitsgedächtnis). Das von Squire (1987) postulierte Modell multipler Langzeitgedächtnissysteme hat die weiteste Akzeptanz und Verbreitung erfahren (. Abb. 21.1) Dabei werden auf der obersten Ebene ein deklaratives (explizites) und ein nondeklaratives (implizites) Gedächtnissystem unterschieden. Das deklarative Gedächtnissystem umfasst dem Bewusstsein zugängliche, gezielt abrufbare Gedächtnisinhalte. Diese lassen sich inhaltlich noch einmal in ein
episodisches Gedächtnis für autobiographische, nach Ort und Zeit definierte Erinnerungen und ein semantisches Gedächtnis für sog. Weltwissen (Schulwissen, semantische Kenntnisse) unterteilen. Das nondeklarative oder auch implizite Gedächtnis ermöglicht dem Organismus erfahrungsbedingte Verhaltensänderungen, ohne dass diese notwendigerweise bewusst werden müssen. Unter diesem Oberbegriff wird eine ganze Reihe verschiedener Gedächtnisphänomene zusammengefasst: 1. das Erlernen motorischer, perzeptueller und kognitiver Fertigkeiten 2. einfache Konditionierungsprozesse 3. Priming-Effekte, d. h. der Einfluss vorgeschalteter (subliminaler) Sinneseindrücke auf die nachfolgende Informationsverarbeitung 4. nichtassoziatives Lernen, d. h. Habituierungs- und Sensitivierungsvorgänge
255 21.2 · Beeinträchtigte Gedächtnissysteme
21
. Abb. 21.1. Modell multipler Gedächtnissysteme nach Squire (1987)
aufgaben (ES d=0,64) (. Abb. 21.2). Defizitäre Gedächtnisleistungen wurden dabei für die Verwendung der unterschiedlichsten Materialien und Aufgabentypen festgestellt: Schizophrene Patienten sind gesunden Kontrollprobanden deutlich unterlegen beim Behalten von Wortlisten, Wortpaaren und kurzen Geschichten als auch beim Behalten von bildhaftem Material in Form von einfachen und komplexen Motiven oder Bildpaaren. Da die Einspeicherung und Konsolidierung von Inhalten im semantischen Gedächtnis über einen langen Prozess erfolgt, kann . Abb. 21.2. Mittlere Effektstärken für die Unterschiede zwischen Patienten mit Schizophrenie und Kontrollprobanden über verschiedene Gedächtnismaße (Abbildung nach Daten aus der Metaanalyse von Aleman et al. 1999)
nur der Abruf aus dem semantischen Gedächtnisspeicher untersucht werden. Dafür eignen sich z. B. Wissenstests, Wortschatztests, Wortproduktionsaufgaben (verbale Flüssigkeit, verbale Konzeptbildung, Synonyme) sowie Kategorisierungsaufgaben. Solche Aufgaben sind häufig auch Bestandteil von Intelligenztests, sodass hier eine konzeptuelle Überlappung besteht. Schizophrene Patienten sind bei einer Vielzahl von Aufgaben beeinträchtigt, die einen Zugriff auf das semantische Gedächtnis verlangen oder den Umfang semantischer Speicher abbilden (Rossell u. David 2006). Das semantische Lexikon scheint insgesamt reduziert zu sein, die
256
21
Kapitel 21 · Gedächtnis – Psychologie
logischen Bezüge zwischen Inhalten sind schwächer und undifferenzierter (Assoziationsbildung fehlerhaft) und die Aktivierung von Inhalten auf unterschiedlichen Zugriffswegen (z. B. Bilder vs. Wörter vs. Beschreibungen) erfolgt langsamer und fehlerhafter. Dadurch kann es auch zu einer erleichterten Aktivierung von inhaltlich eigentlich entfernten Konzepten (Assoziationslockerung) kommen. Eine Reihe von experimentellen Prozeduren (z. B. Effekte von Häufigkeit, Hinweisreizen, Priming etc.) gestatten eine Unterscheidung von Speicher- versus Abrufschwierigkeiten. Einen Überblick leisten Rossel u. David (2006). Die semantischen Verarbeitungsprobleme schizophrener Patienten scheinen bereits auf der Ebene des Umfangs und der Organisation des semantischen Speichers zu liegen und sind relativ unabhängig vom jeweiligen Zugriffsweg oder -zeitpunkt, sie können also eher als ein Speicherproblem definiert werden. Episodisches und semantisches Gedächtnis existieren nicht unabhängig voneinander: Semantische Gedächtnisinhalte können als Kondensat ehemals episodischer Inhalte angesehen werden, die über die Zeit ihre zeitlichen, räumlichen und emotionalen Bezüge verloren haben. Andererseits ist ein stetiger Zugriff auf das semantische Gedächtnis notwendig, um neue episodische Inhalte einordnen und enkodieren zu können. Es scheint daher erwartungsgemäß, dass bei schizophrenen Patienten beide Gedächtnissysteme beeinträchtigt sind.
Nondeklaratives (implizites) Gedächtnis Implizite Lern- und Gedächtnisprozesse bei Patienten mit Schizophrenie sind bisher weit weniger ausführlich untersucht und cha-
rakterisiert worden als explizite. Schizophrene Patienten scheinen in der Lage zu sein, neue perzeptuelle (z. B. Spiegelschriftlesen), motorische (z. B. spiegelverkehrtes Zeichnen) und kognitive Fertigkeiten (z. B. Auffinden impliziter Regeln in künstlichen Grammatiken) durch wiederholte Darbietung und Durchführung zu erlernen (prozedurales Lernen). Dabei liegt ihre initiale Leistung (Reaktionsgeschwindigkeit, Fehlerrate) zwar häufig von Beginn des Lernprozesses an unter der gesunder Probanden, der Lernzuwachs (Verbesserung über die Zeit) ist aber dem Gesunder vergleichbar. Einen Überblick leisten Exner et al. (2006). Genauso wie Gesunde profitieren schizophrene Patienten von der vorangegangenen Präsentation von Stimuli (implizites Gedächtnis, Priming; 7 Exkurs »Experimentelle Paradigmen …«). Teilweise ist sogar ein vergrößerter Priming-Effekt beobachtet worden (Hyperpriming). Dieser Befund wird mit der schnelleren und weniger systematischen Aktivierungsausbreitung im semantischen Netzwerk begründet. Einige Aspekte des impliziten Lernprozesses scheinen jedoch bei schizophrenen Patienten beeinträchtigt zu sein (. Abb. 21.3). Während die generelle Fähigkeit, neue perzeptuelle, motorische und kognitive Fertigkeiten zu erwerbem, erhalten ist, profitieren schizophrene Patienten weniger als Gesunde von der wiederholten Präsentation individueller Stimuli. Mehrfach repliziert wurde dieser Befund für das implizite motorische Sequenzlernen (Serielle Reaktionszeitaufgabe): Schizophrene und gesunde Probanden verbessern in dieser Aufgabe ihre Reaktionszeit in Reaktion auf visuell dargebotene Stimuli. Gesunde zeigen aber im Vergleich mit einer zufälligen Stimuluspräsentation einen deutliche-
Exkurs Experimentelle Paradigmen zur Überprüfung von impliziten Lern- und Gedächtnisprozessen Standardisierte und normierte Testverfahren zur Überprüfung impliziter Lern- und Gedächntisprozesse sind bisher nicht verfügbar. Es existiert aber eine Reihe etablierter experimenteller Paradigmen, um nondeklarative Lern- und Gedächtnisprozesse zu untersuchen. Entsprechend dem sehr heterogenen Konzept des impliziten Gedächtnissystems sind auch dieVorgehensweisen zu seiner Erforschung sehr heterogen und können hier nur in Beispielen aufgeführt werden. Bei Verwendung in einem allgemeinen Sinn schließt der Begriff implizites Gedächtnis Prozesse des impliziten Lernens mit ein. Im engeren Sinne wird der Begriff implizites Gedächtnis vor allem in Priming-Studien verwendet. Dabei wird der Einfluss der vorangehenden, teilweise subliminalen Darbietung individueller (meist verbaler) Stimuli auf die nachfolgende Verarbeitung untersucht. Zum Beispiel ergänzen Versuchspersonen unvollständig dargebotene Wörter schneller und häufiger zu Wörtern, die in einem vorgeschalteten Durchgang bereits einmal präsentiert wurden, auch wenn sie sich an die zuvor gezeigten Wörter nicht explizit erinnern können (Wortstammpriming). Aufgaben zum impliziten Lernen verwenden zumeist nichtverbale Stimuli, die erst nach mehrmaliger Präsentation zu ver-
änderten Leistungen der Versuchsperson führen. Dabei profitieren Versuchspersonen von Regelmäßigkeiten in der Abfolge der Stimuli, meist ohne diese zu bemerken oder explizit benennen zu können. Große Verbreitung in der impliziten Lern- und Gedächtnisforschung hat die Serielle Reaktionszeitaufgabe gefunden (Serial Reaction-time Task, SRTT): In dieser Aufgabe verkürzt sich die visuomotorische Reaktionszeit gesunder Versuchspersonen auf eine feste Sequenz visueller Stimuli nach einiger Übung deutlich und nimmt bei Präsentation zufälliger Folgen wieder zu (negativer Transfer). Einige der Versuchspersonen erlangen im Verlauf der Aufgabe auch explizites Wissen über die Sequenz, aber auch diejenigen, die weder eine Sequenz bemerkt haben noch Teile davon explizit wiedergeben können, zeigen die charakteristischen Veränderungen der Reaktionszeit. Eine große Anzahl weiterer Untersuchungen hat sich mit der Fähigkeit von Versuchspersonen befasst, die internen Regeln, nach denen Sets von Stimuli aufgebaut sind, für Entscheidungen über die Grammatikalität neuer Stimulusfolgen zu verwenden, ohne diese andererseits explizit formulieren zu können oder sich ihrer Existenz auch nur bewusst zu sein (»artificial grammar learning«).
257 21.3 · Materialeffekte
21
. Abb. 21.3. Beeinträchtigungen von Patienten mit einer akuten schizophrenen Psychose beim impliziten Lernen einer visuomotorischen Sequenz (Serielle Reaktionszeitaufgabe). (Aus Exner et al. 2006, S. 44; mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)
ren Reaktionszeitvorteil, wenn die Abfolge der Stimuli regelhaft ist, d. h. einer (meist 10- bis 12teiligen) Sequenz folgt. Für Schizophrene scheint es egal zu sein, ob die Stimuli zufällig oder regelhaft (d. h. vorhersehbar) präsentiert werden. Es gelingt ihnen weniger gut als Gesunden, Regelmäßigkeiten (Redundanz) in ihrer Umgebung für die Handlungsvorbereitung und -ausführung zu nutzen. 21.2.2 Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis Bei der Untersuchung von Kurzzeitgedächtnisleistungen kann zwischen Aufgaben unterschieden werden, die die reine Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses erfassen (sog. Spannenmaße) und solchen, die die Manipulation von Informationen im Kurzzeitspeicher erfordern (Arbeitsgedächtnis im engeren Sinne). Schwierigkeiten bei Arbeitsgedächtnisanforderungen sind bei schizophrenen Patienten konsistent gezeigt worden und werden ausführlich in 7 Kap. 19 dargestellt. Die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses scheint im Vergleich zum Langzeitgedächtnis bei Patienten mit schizophrenen Störungen weniger betroffen, aber doch signifikant schlechter zu sein als bei gesunden Probanden. In der Metaanalyse von Aleman et al. (1999) betrug der durchschnittliche Unterschied zu gesunden Kontrollen ES d=0,71 (Vergleich Langzeitgedächtnis: d=1,21). Einige Studien liefern Hinweise, dass Defizite bei Schizophrenen verstärkt deutlich werden, wenn die Anzahl der Items, die kurzfristig behalten werden sollen, über die Kurzzeitspanne (7±2) hinausgehen (»Supraspan«-Maße). Solche Aufgaben verlangen den verstärkten Einsatz von Enkodierungsstrategien (Chunking, Rehearsal etc.) und machen damit spezielle Probleme von schizophrenen Patienten bei der Enkodierung von Gedächtnisinhalten deutlich, die sich auch verstärkt im Langzeitgedächtnisbereich zeigen (7 Abschn. 21.4.2).
21.3
Materialeffekte
21.3.1 Verbales Gedächtnis Schwierigkeiten schizophrener Patienten bei verbalen Gedächtnisanforderungen bilden den robustesten Befund der neuropsychologischen Schizophrenieforschung. In einem Review zu verbalen Gedächtnisleistungen bei schizophrenen Patienten fanden Cirillo u. Seidman (2003) Minderleistungen schizophrener Patienten in mindestens einem Testverfahren bei 101 von 110 Studien. Die Schwierigkeiten betreffen dabei alle Arten von Testverfahren und Indices, allerdings in unterschiedlich starkem Ausmaß. Globale verbale Gedächtnismaße (z. B. Wiedergabeleistung über alle Durchgänge oder Gedächtnisindices) machen die Defizite deutlicher als spezielle Kenngrößen, die nur einzelnde Aspekte des Lernvorgangs widerspiegeln (z. B. Vergessensrate). Die größte Schwierigkeit scheinen schizophrene Patienten mit der Generierung und Anwendung von semantischen Strategien bei der Enkodierung verbaler Inhalte zu haben (7 Abschn. 21.4.1). 21.3.2 Visuell-räumliches Gedächtnis Verglichen mit Untersuchungen zum verbalen Gedächtnis scheinen die Unterschiede zwischen Kontrollgruppen und schizophrenen Patienten bei nonverbalem Material etwas geringer, aber noch immer signifikant und klinisch bedeutsam ausgeprägt [Metaanalyse von Heinrichs u. Zakzanis (1998): ES d=0,74, Metaanalyse von Aleman et al. (1999): ES d=1,09]. Unklar ist, ob diese Befunde tatsächlich bedeuten, dass Lern- und Gedächtnisleistungen für nonverbale Materialien weniger beeinträchtigt sind als für verbale Inhalte oder ob sich hier nur Artefakte der Testkonstruktion (z. B. unterschiedliche Schwierigkeitsgrade) niederschlagen. Möglicherweise sind Materialeffekte auch vom
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Kapitel 21 · Gedächtnis – Psychologie
Überprüfung des verbalen episodischen Gedächtnisses für komplexe Inhalte mit dem Untertest »Logisches Gedächtnis« aus dem Wechsler-Gedächtnistest (WMS-R) Die Aufnahme von neuen verbalen Informationen in das Langzeitgedächtnis kann mit dem Untertest »Logisches Gedächtnis« aus dem Wechsler-Gedächtnistest in seiner revidierten Fassung (WMS-R, Härting et al. 2000) überprüft werden. Hierbei wird sowohl die kurzfristige Behaltensleistung nach einmaliger Darbietung als auch die verzögerte Abrufleistung geprüft. Der Proband wird aufgefordert, den Inhalt zweier kurzer, mündlich vorgetragener Geschichten sofort (Logisches Gedächtnis I) bzw. nach ca. 30 min (Logisches Gedächtnis II) nachzuerzählen. Es können maximal 50 Rohpunkte erreicht werden, die für die Wiedergabe von definierten Elementen der beiden Geschichten vergeben werden. Die Auswertungsobjektivität ist durch Vorgabe von Auswertungsregeln sehr gut (0,99). Die Retest-Reliabilität ist mit 0,79 für beide Abrufintervalle ebenfalls gut. Bei wiederholter Verwendung des Tests muss jedoch mit Lerneffek-
Aufgabentypus abhängig: bei Wiedererkennensaufgaben waren die Leistungen Schizophrener bei visuellem Material stärker beeinträchtigt als bei verbalem (Pelletier et al. 2005). Ähnlich wie bei verbalem Material haben schizophrene Patienten auch bei visuell-räumlichen Aufgaben besondere Schwierigkeiten bei der initialen Enkodierung und der dafür notwendigen Organisation des Materials: Schizophrene Patienten zeigen deutliche Defizite bei der visuellen Organisation komplexer visueller Vorlagen (z. B. Rey-Osterrieth Complex Figure), was sich beim Nachzeichnen aus dem Gedächtnis in einem an verstreuten Details orientierten Stil und in insgesamt schlechteren Wiedergabeleistungen zeigt. Insgesamt sind die Befunde zu visuell-räumlichen Gedächtnisleistungen heterogener als für verbales Material. 21.3.3 Autobiographisches Gedächtnis Das autobiographische Gedächtnis beinhaltet unsere persönlichen Erinnerungen, die sowohl dem episodischen Gedächtnis zugerechnet werden können (konkrete, durch Zeit und Ort definierte persönliche Erlebnisse) als auch dem semantischen Gedächtnis (Faktenwissen über die eigene Person, z. B. Geburtsdatum). Unsere autobiographischen Erinnerungen sind die Voraussetzung für die Entwicklung einer persönlichen Identität, bilden aber auch einen Erfahrungshintergrund, der uns hilft, Motive, Gefühle und Verhalten anderer Menschen zu verstehen (Theory of Mind) und interpersonelle Probleme lösen zu können. Patienten, die an Schizophrenie erkrankt sind, weisen auch Beeinträchtigungen des autobiographischen Gedächtnisses auf. Sie können insgesamt weniger persönliche Erlebnisse und Fakten erinnern. Wenn sie gebeten werden, konkrete persönliche Erlebnisse zu erinnern, berichten sie häufiger nur sehr allgemeine,
ten (durchschnittlich + 3 Punkte nach 6 Monaten) gerechnet werden. Für die Durchführung des Untertests (Vorgabe der Geschichten und zweifacher Abruf, ohne Delayzeit) müssen etwa 15 min eingeplant werden. Der Untertest »Logisches Gedächtnis« korreliert hoch mit anderen verbalen Gedächtnisleistungen, aber auch mit Tests, die Wortschatz, verbale Flüssigkeit und Konzeptbildung überprüfen – ein Hinweis darauf, dass semantische Enkodierungsprozesse bei der Realisierung der Einspeicherung von Geschichten eine große Rolle spielen. Wie auch andere verbale Gedächtnisleistungen ist die Leistung beim Nacherzählen von Geschichten zudem abhängig von Alter und Bildung/IQ. Von allen häufig eingesetzten psychometrischen Gedächtnistests gilt »Logisches Gedächtnis« als bester Prädiktor von Gedächtnisleistungen im Alltag.
wenig spezifische Erlebnisse (»over-general memory effect«). Einige Untersuchungen konnten zeigen, dass die Menge der von schizophrenen Patienten erinnerten persönlichen Erlebnisse einen starken zeitlichen Gradienten aufweist: Es werden deutlich weniger Erinnerungen aus dem jüngeren Erwachsenenalter berichtet als aus der Kindheit und der erst kürzer zurückliegenden Zeit (u-förmiger Gradient). Dieser Effekt wird mit dem Auftreten der ersten psychotischen Episode im jungen Erwachsenenalter und der damit verbundenen Beeinträchtigung von Einspeicherungs- und Konsolidierungsprozessen im autobiographischen Gedächtnis begründet (Wood et al. 2006). Die Reduktion von Menge und Konkretheit autobiographischer Erinnerungen könnte mitverantwortlich sein für die interpersonellen Probleme schizophrener Patienten und für die Entwicklung von wahnhaften Interpretationen der Motive und des Verhaltens anderer Personen (7 Kap. 36). 21.3.4 Emotionales Material Schizophrene Patienten haben Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung und Identifikation von Emotionen in den Äußerungen anderer Personen (Gesichtsausdruck, Stimmfärbung), was zum Teil zusätzlich ihre interpersonellen Schwierigkeiten erklären könnte. Weniger ist darüber bekannt, ob das Gedächtnis schizophrener Patienten für emotional bedeutsame Inhalte ebenfalls beeinträchtigt ist. Einen Überblick leisten Neumann et al. (2006). Bei gesunden Personen lässt sich ein typischer Effekt beobachten, wenn emotional bedeutsames Material gelernt werden soll: Die Erinnerungswerte für emotionales Material sind in der Regel besser als für neutrales Material (»emotionality effect«). Dieser Effekt scheint auch bei schizophrenen Patienten erhalten zu sein: Wörter mit emotionalem Inhalt werden von gesunden wie schi-
259 21.4 · Beeinträchtigte Prozesse und Mechanismen
zophrenen Probanden besser wiedererkannt als neutrale Wörter. Unklarer sind die Befunde zur Wirkung unterschiedlicher emotionaler Valenz auf die Gedächtnisleistung. Hier ergibt sich allerdings auch bei gesunden Probanden kein einheitliches Bild: Teilweise erinnern Gesunde positive Inhalte besser als negative (Pollyanna-Tendenz, z. B. mehr positive emotionale Wörter als negative einer Liste werden erinnert). Bei Verwendung von bildhaftem Material, das stärkere emotionale Reaktionen hervorruft, wird aber auch der gegenteilige Effekt beschrieben: Bilder mit negativen Inhalten werden besser erinnert. Möglicherweise spielt eher die Intensität des Arousals als die emotionale Valenz eine Rolle. Vor diesem Hintergrund lassen sich die Befunde bei schizophrenen Patienten nur schwer beurteilen. Sie scheinen unter bestimmten Umständen genau konträr zu normalen Personen zu reagieren: So erinnerten chronisch schizophrene Patienten in einer Studie anders als Gesunde mehr negative als positive Wörter. Dagegen konnten sie Bilder mit positivem Inhalt anders als Gesunde besser wiedererkennen als negative und erinnerten auch mehr positive persönliche Erlebnisse. Zusätzlich scheint die assoziative Verknüpfung von neutralen und emotionalen Stimuli für schizophrene Patienten schwerer erlernbar zu sein als Paarassoziationen mit ausschließlich neutralem Material: Exner et al. (2004) fanden ein auch im Längsschnitt (nach Remission) stabiles Defizit beim emotionalen Lernen, das zudem mit Volumenminderungen in der Amygdala korreliert war.
21.4
21
Beeinträchtigte Prozesse und Mechanismen
21.4.1 Enkodierung Schizophrene unterscheiden sich beim Erlernen von Wortlisten bereits im ersten Lerndurchgang von gesunden Vergleichspersonen oder zeigen die größten Unterschiede zu Kontrollen bereits bei der initialen Wiedergabe komplexer Geschichten. Defizitäre Lernkurven in Listenlerntests wie dem California Verbal Learning Test (CVLT) oder dem Auditory Verbal Learning Test (AVLT) legen Enkodierungsschwierigkeiten nahe. Die Gedächtnisdefizite von schizophrenen Patienten scheinen also primär ein Lerndefizit widerzuspiegeln. Verschiedene Untersuchungsergebnisse deuten darauf hin, dass schizophrene Patienten unflexible und unzureichende Enkodierungsstrategien einsetzen und dadurch Gedächtniseinspeicherung und späterer -Abruf erschwert werden. Insgesamt profitieren Schizophrene genau wie Gesunde von tieferen (semantisch orientierten) Enkodierungsstrategien. Sie wenden sie spontan weniger häufig und weniger erfolgreich an, profitieren aber bei Vorgabe der Strategie in ähnlichem Maße davon wie gesunde Probanden. Ein Beispiel für Beeinträchtigungen der semantischen Gedächtnisorganisation bei schizophren Erkrankten liefert die Studie von Brébion et al. (2004): Die Autoren untersuchten den Einfluss semantischer Enkodierungsstrategien auf den Lerner-
Überprüfung des verbalen episodischen Gedächtnisses für Listenmaterial mit dem California Verbal Learning Test (CVLT) Bei diesem Lerntest wird eine Einkaufsliste (Liste A, »Montagsliste«) von 16 Wörtern fünfmal vorgelesen. Die Wörter lassen sich vier semantischen Kategorien mit je vier Wörtern zuordnen, werden aber nicht nach Kategorien geordnet präsentiert. Nach jedem Durchgang sollen alle behaltenen Wörter in einer beliebigen Reihenfolge wiedergegeben werden. Nach den 5 Lerndurchgängen wird eine Distraktorliste (Liste B, »Dienstagsliste«) mit 16 anderen Wörtern aus vier Kategorien (zwei identische, zwei andere) ein einziges Mal vorgelesen und um Wiedergabe der erinnerten Items gebeten. Danach folgen die sofortige freie Wiedergabe sowie die erleichterte Wiedergabe mit den Kategorien als Hinweisreizen von Liste A. Nach einer Pause von 20 min werden nacheinander die verzögerte freie Wiedergabe, die verzögerte erleichterte Wiedergabe mit Hinweisreizen sowie eine Ja-Nein-Wiedererkennensprüfung durchgeführt. Das CVLT-Handbuch der amerikanischen Originalversion (Delis et al. 1987) bietet nach Geschlecht getrennte Normen in Form von Standardwerten für verschiedene Altersgruppen von 17–80 Jahren. Interne Konsistenzkoeffizienten werden nur für die einzelnen Lerndurchgänge und die Gesamtmenge des gelernten Materials (»total recall«) angegeben und liegen zwischen 0,70 und 0,92. Die Test-Retest-Reliabilitäten wurden bei insgesamt 18 Indices erhoben und liegen zwischen 0,12 (serielles Cluster) und 0,79
(verzögerte erleichterte Wiedergabe) bei einem Retest-Intervall von einem Jahr, allerdings basierend auf einer Stichprobe von nur 21 Probanden. Im englischen Sprachraum existieren weitere Normen aus größeren Stichproben. Eine deutsche Version und Normierung mit ca. 300 Probanden zwischen 18 und 60 Jahren ist in Vorbereitung (Niemann et al., in Vorbereitung). Die Maße des CVLT korrelieren mittel bis hoch mit denen anderer verbaler Gedächtnistests (AVLT, Untertests der WMS-R). Der Test wird bei verschiedenen klinischen Fragestellungen und Gruppen international sehr häufig eingesetzt. Verglichen mit anderen verbalen Gedächtnistests, wie »Logisches Gedächtnis« aus der WMS-R (7 Abschn. 21.3.1), bei denen das zu lernende Material nur einmal dargeboten wird, ermöglicht der CVLT eine differenzierte Betrachtung von Lern-, Speicherund Abrufprozessen. Erfasst werden können: 4 die Lernkurve über fünf Durchgänge 4 Lernstrategien (semantische Organisation versus serielles Lernen) 4 der Erhalt der Informationen im Langzeitspeicher (verschiedene Behaltensintervalle) 4 die Effektivität des Zugriffs unter verschiedenen Abrufbedingungen 4 der Umgang mit interferierenden Informationen (Distraktorliste)
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Kapitel 21 · Gedächtnis – Psychologie
folg von Schizophrenen und Gesunden beim Erlernen von unterschiedlich stark semantisch organisierten Wortlisten. Schizophrene reproduzierten insgesamt deutlich weniger Wörter als Gesunde aus allen verwendeten Wortlisten. Sie wendeten weniger semantische Strategien an, und der Reproduktionserfolg stand im Zusammenhang mit dem Grad der angewandten semantischen Organisation. Deutlich wurde aber auch, das Defizite in der semantischen Organisation die geringeren Reproduktionsraten schizophrener Patienten nicht vollständig erklären konnten: Auch bei statistischer Kontrolle für unterschiedliche semantische Organistionslevel blieben die Unterschiede zwischen beiden Gruppen signifikant. Eine verringerte Kapazität des Kurzzeitgedächtnisspeichers und des Arbeitsgedächtnisses trägt eventuell mit dazu bei, dass weniger Ressourcen für elaborierte Enkodierung eingesetzt werden können (7 Kap. 19 zum Arbeitsgedächtnis).
21.4.2 Speicherung und Erhalt von Informationen
im Langzeitgedächtnis Zusätzlich zu Schwierigkeiten bei der initialen Enkodierung von Gedächtnisinhalten scheinen neue Informationen im Gedächtnis von schizophrenen Patienten auch weniger gut erhalten zu bleiben. Der Erhalt bzw. das Vergessen von Informationen kann durch Variation des Behaltensintervalls untersucht werden. So wird zum Beispiel verglichen, wie gut ein Proband eine Geschichte unmittelbar nach dem ersten Hören wiedererzählen kann und wie viel er nach 30–45 min noch erinnert. Gesunde Personen können ungefähr 85–90% einer Geschichte auch bei verzögerter Wiedergabe noch erzählen. Bei schizophrenen Probanden sind es nur noch 70–75%. Ähnlich verringerte Behaltensraten zeigen sich auch beim Erlernen von Wortlisten. Vergleicht man die nach fünf Lerndurchgängen erreichte Reproduktionsrate mit der erneuten Wiedergabe nach einem Intervall von 30–45 min, so fällt auch hier die verringerte Behaltensleistung von schizophrenen Patienten auf. Neben einer verringerten Einspeicherungs- und
Exkurs Paradigmen zur Überprüfung von expliziten Gedächtnisleistungen Freie Wiedergabe (free recall): Nach dem Erlernen neuer Infor- reize sein oder ein Item, das zeitgleich mit dem geforderten darmationen sollen möglichst viele Elemente des zuvor dargebotenen Lernmaterials in beliebiger Reihenfolge oder in der Reihenfolge der vorangegangenen Darbietung (serial recall) reproduziert werden. Wiedergabe mit Hinweisreizen (cued recall): In der Wiedergabephase werden Hinweisreize gegeben, die den Probanden an das vorher gelernte Material erinnern sollen. Das können lexikalische (Anfangsbuchstabe) oder semantische (Kategorie) Hinweis-
geboten wurde (Paarassoziationslernen). Wiedererkennen (recognition): Neue Informationen, z. B. eine Wortliste, werden gelernt. Anschließend werden eines oder mehrere Elemente präsentiert, und der Proband muss angeben, ob diese(s) in den zuvor gelernten Informationen enthalten waren oder nicht. Möglichkeiten der standardisierten testpsychologischen Überprüfung von Gedächtnisleistungen sind in . Tab. 21.1 aufgeführt.
. Tab. 21.1. Empfehlungen für die testpsychologische Überprüfung von Gedächtnisleistungen bei Patienten mit Schizophrenie Erfasster Gedächtnisaspekt
Exemplarische Testverfahren
Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis
UT »Zahlenspanne vorwärts/rückwärts« (WMS-R) UT »Blockspanne vorwärts/rückwärts« (WMS-R) UT »Arbeitsgedächtnis (TAP)
Episodisches Langzeitgedächtnis Einmalige Präsentation (verbal und visuell) Lerntest Organisation des Materials Semantisches Altgedächtnis
UT »Logisches Gedächtnis I/II« (WMS-R), UT »Visuelle Reproduktion I/II« (WMS-R) CVLT, AVLT, VLMT CVLT, CFT UT » Allgemeines Wissen«, UT »Gemeinsamkeiten finden« (HAWIE-R oder WIE), UT 6 »Wortflüssigkeit« (LPS)
UT: Untertest; WMS-R: Wechsler-Gedächtnistest, revidierte Fassung; TAP: Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung; CVLT: California Verbal Learning Test; AVLT: Auditory Verbal Learning Test; VLMT: Verbaler Lern- und Merkfähigkeitstest; CFT: Rey Complex Figure Test; HAWIE-R: Hamburg-Wechsler-Intelligentest für Erwachsene, revidierte Fassung; WIE: Wechsler Intelligenztest für Erwachsene, LPS: Leistungsprüfsystem
261 21.4 · Beeinträchtigte Prozesse und Mechanismen
Lernkapazität scheint also auch ein beschleunigter Zerfall der Informationen im Langzeitgedächtnis (bzw. eine erhöhte Vergessensrate) zu den Gedächtnisdefiziten von schizophrenen Patienten beizutragen. Allerdings ist der Erhalt von Informationen im Langzeitgedächtnis – verglichen mit den Enkodierungsschwierigkeiten – bei schizophrenen Patienten nur moderat beeinträchtigt und entspricht keinesfalls dem Ausmaß von Vergessen, wie es für organisch bedingte Amnesien (z. B. nach Schädigungen in medialen Temporallappenstrukturen) typisch ist. 21.4.3 Abruf In einem typischen Gedächtnisexperiment oder -test müssen neue Informationen zunächst gelernt und eingespeichert und dann nach einer unterschiedlich langen Phase des Behaltens gezielt wieder abgerufen werden. Verringerte Abrufleistungen können dabei Defizite auf allen drei Stufen der Gedächtnisverarbeitung (Enkodierung, Speicherung und Abruf) widerspiegeln. Beim Abruf können unterschiedliche Aufgabenformate verwendet werden: Man unterscheidet mit abnehmender Schwierigkeit zwischen freier Wiedergabe, Wiedergabe mit Hinweisreizen und dem Wiedererkennen (7 Exkurs »Paradigmen zur Überprüfung von expliziten Gedächtnisleistungen«). Ein Vergleich der Abrufleistungen schizophrener Patienten bei unterschiedlichen Aufgabenstellungen (freie Wiedergabe versus Wiedererkennen) brachte in zahlreichen Studien das Ergebnis, dass Wiedererkennensleistungen weniger beeinträchtigt waren als der freie Abruf. Erhaltene Rekognitionsleistungen sprechen eher für ein Abrufdefizit. Gegen ein primäres oder ausschließliches Abrufdefizit spricht allerdings der Befund, dass die Vorgabe von Hinweisreizen schizophrenen Patienten nicht stärker hilft als Gesunden. Auch wenn das Ausmaß der Beeinträchtigung bei Wiedererkennungsaufgaben geringer ausfällt als beim freien Recall, so bleibt doch eine moderate Beeinträchtigung auch hier bestehen (Pelletier et al. 2005; ES d=0,76). Enkodierung und Abruf erfolgen zudem nicht unabhängig voneinander. Unzureichend semantisch elaborierte und eingebettete Gedächtnisinhalte sind dem gezielten Abruf weniger gut zugänglich. 21.4.4 Kontextgedächtnis Eine Hypothese zur Erklärung der episodischen Gedächtnisdefizite schizophrener Patienten besagt, dass sie spezielle Schwierigkeiten haben, die Kontextinformationen, die mit einem episodischen Gedächtnisinhalt verknüpft sind (Ort, Zeit, Quelle eines Inhaltes), einzuspeichern und abzurufen. Diese Defizite des Kontextgedächtnisses würden die Ausformung einer komplexen episodischen Gedächtnisrepräsentation erschweren. Die Gedächtnisspuren schizophrener Patienten sind demnach fraktionierter und daher fehleranfälliger. Einen Überblick und eine exemplarische Untersuchung leisten Waters et al. 2004). Ein spezieller Aspekt dieser angenommenen Störung des Kontextgedächtnisses betrifft das Quellengedächtnis, also die Er-
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innerung daran, woher ein bestimmter Gedächtnisinhalt kommt: ob ein Ereignis selbst erlebt wurde, sich nur in der Vorstellung abspielte oder ob darüber im Fernsehen berichtet wurde. Hier haben Schizophrene z. B. Schwierigkeiten, sich nach dem Erlernen von Paarassoziationen (Wort- oder Objektpaare) zusätzlich zu erinnern, ob ein Zielwort oder -objekt selbst generiert oder vom Versuchsleiter vorgegeben worden war. Diesem Aspekt der Gedächtnisstörung wird eine besondere Relevanz für die Erklärung psychotischer Symptome (speziell inhaltlicher Denkstörungen) beigemessen: möglicherweise erleben Schizophrene Produkte ihrer eigenen geistigen Tätigkeit, z. B. eigene Erinnerungen, Ideen Vorstellungen, deshalb als von außen gemacht und eingegeben, weil sie bei der Ausbildung von Gedächtnisspuren die Informationsquelle nicht mitspeichern (7 Kap. 36). 21.4.5 Metagedächtnis Metakognitive Aspekte des Gedächtnisses beziehen sich u. a. auf das subjektive Gefühl der Richtigkeit, das wir beim Abruf von Erinnerungen empfinden. Wir können uns mehr oder weniger sicher sein, ein Wort oder Bild in einer vorangehenden Lernaufgabe schon einmal gesehen zu haben, und das kann unser Antwortverhalten in einer Wiedererkennensaufgabe beeinflussen. Wenn gesunde Versuchspersonen bei Wiedererkennensaufgaben zusätzlich beurteilen sollen, wie sicher sie sich ihrer Antwort sind, so ergibt sich meist eine deutliche Differenz an subjektiver Sicherheit zwischen richtigen und falschen Antworten: Bei richtig erkannten Items sind sich die Versuchpersonen zum Zeitpunkt der Aufgabenlösung bereits ganz sicher, dass sie richtig liegen, bei falschen zweifeln sie selbst schon daran (confidence gap). Schizophrene Patienten zeigen eine deutlich verringerte Differenz subjektiver Sicherheit zwischen richtig und falsch erinnerten Items. Sie sind sich bei richtiger Erinnerung weniger sicher als Gesunde und bei falschen Lösungen sicherer als gesunde Personen (»reduced confidence gap«). Ausführlicher wird dieser Aspekt in 7 Kap. 29 dargestellt. ! Insgesamt lassen sich die schlechteren Gedächtnisleistungen schizophrener Patienten zum größten Teil auf unzureichende Enkodierungsprozesse zurückführen. Der Erhalt von Informationen im Langzeitgedächtnis scheint nur leicht beeinträchtigt zu sein. Zusätzlich zu den Enkodierungsproblemen bestehen in moderater Form Abrufschwierigkeiten. Den Enkodierungs- und Abrufschwierigkeiten schizophrener Patienten ist gemeinsam, dass auf beiden Stufen des Gedächtnisprozesses der systematische Einsatz selbstgenerierter semantischer Ordnungs- und Suchstrategien gestört ist, was eine Verbindung zu exekutiven Funktionsdefiziten nahelegt. Zudem werden kontextuelle Attribute episodischer Gedächtnisinhalte nur unzureichend und fraktioniert mitgespeichert, was die Einzigartigkeit und Vertrautheit von Erinnerungen mindert und den Zugriff auf konkrete Erinnerungen erschwert.
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262
Kapitel 21 · Gedächtnis – Psychologie
21.5
Gedächtnisdefizite im Kontext anderer kognitiver Defizite
Schizophrene Patienten weisen kognitive Beeinträchtigungen in den verschiedensten kognitiven Funktionsbereichen auf. Bei der Beurteilung einer komplexen Leistung wie Gedächtnis stellt sich also die Frage, ob nicht parallel vorhandene basale oder übergreifende Funktionsdefizite die Gedächtnisstörungen verursachen und erklären können.
tungsgeschwindigkeit scheint dabei die Menge der Informationen zu beeinflussen, die im Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis gehalten, wiederholt und ins Langzeitgedächtnis überführt werden können, und die Kapazität und Tiefe semantischer Enkodierungsschritte zu reduzieren (Brébion et al. 2000). Allerdings wurde auch deutlich, dass eine reduzierte Verarbeitungsgeschwindigkeit nur zu einem geringen Teil die Unterschiede zwischen Schizophrenen und Gesunden bei Gedächtnistests erklären kann (erklärte Varianz ca. 10%).
21.5.1 Intellektuelles Leistungsniveau
21.5.3 Aufmerksamkeitsprozesse
Intelligenz und Gedächtnisleistungen sind bei gesunden Probanden in hohem Maße voneinander abhängig. Das trifft auch auf schizophrene Patienten zu. Eine große Anzahl von Studien hat sich daher mit der Kovariation von Intelligenz- und Gedächtnisdefiziten bei schizophrenen Patienten beschäftigt (ein Überblick findet sich bei Cirillo u. Seidman 2003). In der Mehrheit haben diese Untersuchungen ergeben, dass Gedächtnisunterschiede zwischen Patienten mit Schizophrenie und gesunden Personen auch noch bestehen bleiben, wenn das Intelligenzniveau vergleichbar ist oder Unterschiede im Intelligenzniveau statistisch kontrolliert werden (Kovarianzanalysen).. Bei schizophrenen Patienten finden sich häufigere und größere Differenzen zwischen Intelligenzniveau und Gedächtnisleistung als bei Gesunden, und auch schizophrene Patienten mit hohem Intelligenzniveau weisen Gedächntisdefizite auf. Insgesamt kann also davon ausgegangen werden, dass Gedächtnisleistungen bei schizophrenen Patienten in weit stärkerem Maße betroffen sind, als auf der Grundlage von Intelligenzminderungen vorhergesagt werden könnte. Nur ein geringer Anteil der Varianz in den Gedächtnisleistungen (ca. 5%) wird durch parallel bestehende Minderungen der intellektuellen Kapazität erklärt. Dabei spielen besonders verbale Fähigkeiten eine Rolle (Wortschatz, verbale Konzeptbildungsfähigkeit), da sie die Fähigkeit von Personen zur Nutzung semantischer Enkodierungsstrategien beeinflussen.
Neben der basalen kognitiven Verarbeitungsgeschwindigkeit spielen spezifische Aufmerksamkeitsaspekte eine wichtige Rolle bei der Realisation von geistigen Aufgaben. Gestörte Aufmerksamkeitsprozesse werden seit der ersten Konzeptualisierung des Störungsbildes als Merkmal der Schizophrenie beschrieben. Sie zählen zu den Vulnerabilitätsmarkern, die auch bei Verwandten schizophrener Patienten mit erhöhtem Erkrankungsrisiko gefunden werden (7 Kap. 15). Trotz der Rolle der Aufmerksamkeit für die Gedächtniseinspeicherung sind die gefundenen Korrelationen zwischen Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistungen bei schizophrenen Patienten relativ gering. Aufmerksamkeit und Gedächtnis wiesen im Durchschnitt nur 5% gemeinsame Varianz auf (Cirillo u. Seidman 2003). Gegen eine wesentliche Rolle von Aufmerksamkeitsdefiziten bei der Verursachung von Gedächtnisstörungen bei schizophrenen Patienten spricht auch die Tatsache, dass die eigentlich enger mit der Aufmerksamkeitskapazität verknüpften Kurzzeitgedächtnisleistungen, verglichen mit den Langzeitgedächtnisleistungen, relativ unbeeinträchtigt sind.
21.5.2 Verarbeitungsgeschwindigkeit Die kognitive Verarbeitungsgeschwindigkeit hat auch bei gesunden Personen einen Einfluss auf die Leistung in Gedächtnistests. Zum Beispiel erklärt das Nachlassen der kognitiven Verarbeitungsgeschwindigkeit zu einem nicht unerheblichen Teil die Reduktion der Gedächtnisleistungen im Alter (unabhängig von demenziellen Prozessen). Bei schizophrenen Patienten ist die kognitive Verarbeitungsgeschwindigkeit generell herabgesetzt. Könnte diese Verlangsamung die Basis und daher eine Erklärung sein für die reduzierten Gedächtnisleistungen schizophrener Patienten? Verschiedene Studien bestätigen den Zusammenhang zwischen Verarbeitungsgeschwindigkeit und Gedächtnisleistung bei Patienten mit Schizophrenie. Eine verringerte kognitive Verarbei-
21.5.4 Exekutive Funktionen Wie in 7 Abschn. 21.4.1 dargestellt, lassen sich die Gedächtnisschwierigkeiten von schizophrenen Patienten zu einem großen Teil auf unzureichende Organisationsstrategien bei der Einspeicherung (Enkodierung) und beim Abruf des Materials zurückführen. Die Fähigkeit, Material hinsichtlich bestimmter Merkmale zu kategorisieren und zu gruppieren (z. B. lexikalisch, semantisch) und diese Organisationsstrategien auch selbstständig einzusetzen, kann als exekutive Funktion eingestuft werden. Holthausen et al. (2003) untersuchten in einer Gruppe von 118 schizophrenen Patienten, durch welche anderen kognitiven Funktionen sich deklarative Langzeitgedächtnisleistungen am besten vorhersagen ließen. Sie fanden sowohl bei Gesunden als auch bei schizophrenen Patienten einen engen Zusammenhang zwischen der Fähigkeit zur semantischen Organisation und verbalen Langzeitgedächtnisleistungen. Insgesamt sagen exekutive Leistungen etwa 25–30% der Varianz in den Gedächtnisleistungen voraus. Somit scheinen Defizite in exekutiven Funktionen sich von allen anderen kognitiven Defiziten am stärksten auf die
263 21.6 · Gedächtnisdefizite im Krankheitsverlauf
Gedächtnisleistungen auszuwirken, können diese aber auch nur teilweise erklären. Die Zusammenhänge zwischen exekutiven und mnestischen Leistungen bilden möglicherweise auf der Ebene der messbaren und beobachtbaren Leistungsfähigkeit Störungen in frontotemporalen Regelkreisen ab, die bei schizophrenen Patienten in funktioneller und struktureller Bildgebung wiederholt gezeigt wurden. Ausführlich wird dieser Aspekt in 7 Kap. 22 dargestellt. 21.6
Gedächtnisdefizite im Krankheitsverlauf
21.6.1 Gedächtnisdefizite im Prodromalstadium In den letzten Jahren ist verstärkt deutlich geworden, dass der Erstmanifestation einer Psychose ein häufig über Jahre währendes Prodromalstadium vorausgeht, in dem bereits subklinische Symptome der späteren Psychose deutlich werden. Dazu zählen auch Veränderungen der kognitiven Leistungsfähigkeit. Personen, die mit subklinischen Symptomen einer Psychose auffällig werden, entwickeln mit einer Wahrscheinlichkeit von 25–50% später eine manifeste Psychose. Verschiedene Studien haben die kognitiven Leistungen von Personen mit Prodromalsymptomen einer Psychose (meist identifiziert über Präventionsund Früherkennungsprogramme) untersucht (z. B. Lencz et al. 2006; 7 Studienbox). Dabei wurde deutlich, dass sich bei diesem Personenkreis ein sehr ähnliches Profil kognitiver Beeinträchtigungen findet wie bei manifest erkrankten schizophrenen Patienten: Vor dem Hintergrund eines allgemein reduzierten kognitiven Leistungsniveaus sind verbale Gedächtnisleistungen und exekutive Funktionen besonders und überproportional stark beeinträchtigt. Niedrige verbale Gedächtnisleistungen erlaubten
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eine Vorhersage, wer später mit größerer Wahrscheinlichkeit eine schizophrene Psychose entwickeln wird. 21.6.2 Gedächtnisdefizite bei Erstmanifestation Prominente Defizite bei Lern-und Gedächtnisaufgaben treten bereits bei Patienten auf, die erstmals an einer schizophrenen Psychose erkrankt sind (Erstmanifestation). Bereits hier wird das typische Profil der Beeinträchtigungen deutlich: 4 Beeinträchtigungen im Gedächtnis gehören zu den am schwersten betroffenen kognitiven Funktionsbereichen 4 auch Patienten mit insgesamt eher wenig beeinträchtigten kognitiven Funktionen weisen Gedächtnisdefizite auf 4 Gedächtnisdefizite sagen die Güte der weiteren psychosozialen Anpassung vorher 4 die Enkodierung von verbalen Gedächtnisinhalten ist besonders betroffen ! Defizite im Lern-und Gedächtnisbereich stellen ein überdauerndes kognitives Merkmal der Schizophrenie dar, das von Erkrankungsphasen und -dauer weitgehend unabhängig ist. Gedächtnisdefizite werden bereits im Prodromalstadium einer Psychose deutlich und sind in leichterer Form auch bei nicht erkrankten Verwandten schizophrener Patienten nachweisbar.
21.6.3 Gedächtnisdefizite im Langzeitverlauf
der Erkrankung Nach der Erstmanifestation einer schizophrenen Psychose kommt es im weiteren Verlauf der Erkrankung – zumindest während der ersten 10 Jahre – nicht zu einer Verschlechterung der
Studienbox Allgemeine und spezifische neurokognitive Defizite im Prodromalstadium der Schizophrenie von Lencz et al. (2006) Ziele: Art und Ausmaß kognitiver Funktionseinbußen bei Personen mit Prodromalsymptomen einer Psychose sollten beschrieben und diejenigen kognitiven Defizite bestimmt werden, die mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit des späteren Auftretens einer Psychose verbunden sind. Methode: 38 Patienten mit subklinischen schizophrenieähnlichen Positivsymptomen wurden im Rahmen eines Früherkennungsund Rehabilitationsprogrammes mit einer Batterie neuropsychologischer Testverfahren untersucht. Neben Schätzungen des prämorbiden und aktuellen Intelligenzniveaus wurden die Leistungen in 6 kognitiven Domänen, inklusive des verbalen Langzeitgedächtnisses, untersucht. Vergleichsdaten von 39 gesunden, gematchten Kontrollprobanden lagen vor. Für 33 Patienten lagen Katamnesedaten des klinischen Verlaufs für mindestens 6 Monate vor, von denen 12 eine schizophrene, schizoaffektive oder wahnhafte Psychose entwickelten.
Ergebnisse: Verglichen mit gesunden Kontrollprobanden und mit dem eigenen geschätzten prämorbiden Leistungsniveau zeigten Patienten mit Prodromalsymptomen eine allgemeine kognitive Leistungsminderung. Verbale Gedächtnisleistungen und exekutive Funktionen waren am stärksten betroffen. Patienten, die später eine Psychose entwickelten, hatten zur Baseline-Erhebung signifikant niedrigere verbale Gedächtnisleistungen als Patienten, die im Katamneseverlauf keine Psychose entwickelten. Schlussfolgerungen: Verbale Gedächtnisdefizite scheinen bei Personen mit Prodromalsymptomen einer Psychose ein zusätzliches Vulnerabilitätsmerkmal darzustellen, das mit der erhöhten Wahrscheinlichkeit assoziiert ist, in den nächsten Monaten an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis zu erkranken.
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Kapitel 21 · Gedächtnis – Psychologie
kognitiven Leistungen. Im Gegenteil: Einige der bei Erstmanifestation gefundenen Defizite verbessern sich wieder (Kurtz 2005). Verbale Lern- und Gedächtnismaße zeigen jedoch nicht das Ausmaß von Verbesserung, das aufgrund von Testwiederholungsund Lerneffekten (die bei gesunden Kontrollen beobachtet werden) zu erwarten wäre. Eine schlechtere Prognose für ihre kognitive Leistungsfähigkeit haben ältere (>50 Jahre), chronisch erkrankte und über lange Zeit institutionalisierte Patienten, bei denen es bereits innerhalb kürzerer Zeiträume (2,5 Jahre) zu einem nachweislichen kognitiven Verfall kommen kann, der über alternstypische Verschlechterungen hinausgeht (Kurtz 2005). 21.6.4 Gedächtnisdefizite bei nicht erkrankten
Verwandten schizophrener Patienten Defizite bei verbalen Gedächtnisanforderungen (hier vor allem eine reduzierte Kurzzeitgedächtnisspanne) können bereits im Kindersalter bei den Nachkommen schizophrener Patienten (Hochrisikopopulation) beobachtet werden. Angehörige ersten Grades (also z. B. Kinder und Geschwister) haben ein auf 10–15% erhöhtes Risiko, ebenfalls an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis zu erkranken. Neben Beeinträchtigungen motorischer Funktionen und Aufmerksamkeitsstörungen stellen geringe verbale Gedächtnisleistungen einen Prädiktor für die spätere Entwicklung schizophrener Psychosen dar (ErlenmeyerKimling et al. 2000). Leicht bis moderat beeinträchtigte Gedächtnisleistungen in verschiedenen Gedächtnistests ließen sich auch bei Personen im mittleren Erwachsenenalter feststellen, die gar nicht selbst an Schizophrenie erkrankt waren und auch das Alter schon überschritten hatten, in dem sich die Störung üblicherweise manifestiert, die aber einen oder mehrere Verwandte ersten Grades mit der Erkrankung in der Familie hatten. Eine aktuelle Metaanalyse fand Leistungsminderungen v. a. beim unmittelbaren freien Abruf von komplexen verbalen Gedächtnisinhalten (»Logisches Gedächtnis« aus der WMS-R, ES d=0,47) und beim verbalen Paarassoziationslernen (WMS-R) (Trandafir et al. 2006). Die verzögerte Wiedergabe war nicht beeinträchtigt. Das weist darauf hin, dass die Gedächtnisschwierigkeiten von Verwandten schizophrener Patienten eher auf der Ebene von Enkodierungsprozessen als bei Speicher- und Abrufprozesssen liegen. Personen mit mehreren schizophrenen Verwandten waren bei komplexen verbalen Gedächtnisanforderungen (»Logisches Gedächtnis« aus der WMS-R) deutlicher beeinträchtigt als Personen mit nur einem an Schizophrenie erkrankten Familienangehörigen. Die Befunde könnten so interpretiert werden, dass Gedächtnisprobleme Teil der Vulnerabilität oder Prädisposition für die Erkrankung darstellen und möglicherweise eine genetische Grundlage haben.
21.7
Zusammenhänge von Gedächtnisdefiziten und psychopathologischer Symptomatik
Wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, bestehen Störungen der mnestischen Funktionen bereits vor Ausbruch der akuten psychotischen Symptomatik, bleiben relativ unverändert über den gesamten Verlauf der Erkrankung bestehen und sind teilweise in milderer Form auch bei Verwandten schizophrener Patienten zu beobachten, die niemals an der Störung erkranken. Es stellt sich also die Frage, ob überhaupt ein Zusammenhang besteht zwischen den prominenten psychopathologischen Symptomen der Schizophrenie und den kognitiven Defiziten, z. B. Gedächtnisstörungen. 21.7.1 Zusammenhänge mit der Symptomschwere Der Schweregrad der vorliegenden psychopathologischen Symptomatik scheint insgesamt nur geringfügig mit der Schwere mnestischer Defizite zu variieren. In der Metaanalyse von Aleman et al. (1999) fanden sich vergleichbare Effektstärken in Studienpopulationen mit hoher Symptomausprägung (BPRS>35) und in Patientenpopulationen mit niedriger Symptomausprägung (BPRS<35). Insgesamt scheint der Anteil an erklärter Varianz in den Gedächtnisleistungen schizophrenrer Patienten, der auf die psychopathologische Symptomschwere zurückgeht, zwischen 5 und 16% zu liegen. 21.7.2 Zusammenhänge mit Symptomdimensionen Bei Betrachtung unterschiedlicher Aspekte der psychopathologischen Symptomatik ergibt sich auf der Ebene von Einzelstudien ein sehr uneinheitliches Bild, das erst in der quantitativen Zusammenschau der Daten aus verschiedenen Studien an Profil gewinnt. In den bereits mehrfach zitierten Metaanalysen von Aleman et al. (1999) und Heinrichs u. Zakzanis (1998) zeigten sich insgesamt nur sehr geringfügige Zusammenhänge zwischen Dimensionen der psychopathologischen Symptomatik und den Gedächtnisleistungen schizophrener Patienten. Lediglich die Negativsymptomatik zeigte sich in den Metaanalysen schwach, aber signifikant mit Gedächtnismaßen assoziiert. Zusammenhänge zwischen positiver oder desorganisierter Symptomatik und Gedächtnisleistungen wurden in einzelnen Studien gefunden, stellen aber keinen stabilen Befund dar. Neben den klassischen Symptomdimensionen (negative, positive, desorganisierte Dimension) wurde zuweilen der Einfluss despressiver Symptome auf die Gedächtnisleistung schizophrener Patienten diskutiert und gefunden. Im Kontext neuerer kognitiver Modelle zur Entstehung von Wahn und Halluzinationen wird speziellen Aspekten des Gedächtnisses (z. B. dem autobiographischen Gedächtnis und dem
265 21.7 · Zusammenhänge von Gedächtnisdefiziten und psychopathologischer Symptomatik
Quellengedächtnis) eine besondere erklärende Rolle eingeräumt. Mnestische Fehlverarbeitungen tragen laut diesen Modellvorstellungen zu einem kognitiven Verarbeitungsstil bei, der Personen vulnerabel für die Entwicklung von Halluzinationen und inhaltlichen Denkstörungen macht. Ausführlicher wird dieser Aspekt in 7 Kap. 32 und 36 dargestellt. 21.7.3 Einfluss von Erkrankungsphasen Die insgesamt über den Erkrankungsverlauf stabilen mnestischen Defizite bleiben im Wesentlichen unberührt von den Erkrankungsphasen (akut versus remittiert). Es scheint jedoch einige Gedächtnisparameter zu geben, die eher »state marker« und in akuten Erkrankungsphasen stärker betroffen sind, während sie sich in Remissionsphasen bessern oder normalisieren. Dazu gehören die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses (Zahlen- oder Blockspanne) sowie implizite Lernleistungen (Exner et al. 2006; . Abb. 21.4). Dagegen zählen verbale und visuelle Langzeitgedächtnisstörungen zu den stabilen Defiziten, die unabhängig vom Erkrankungsstatus vorliegen und sich auch bei (teilweiser) Remission der psychotischen Symptome kaum bessern, also eher »trait marker« sind. Das steht in Einklang mit Befunden, die diese Defizite auch bei nicht erkrankten nahen Verwandten schizophrener Patienten und in der Prodromalphase der Erkrankung finden. 21.7.4 Vergleich mit anderen psychischen
Störungen Schizophrenie ist nicht die einzige psychische Störung, die zu verringerten Gedächtnisleistungen führen kann: Uni- und bipolare affektive Störungen, Zwangsstörungen und posttraumatische . Abb. 21.4. Nach Remission der akuten psychotischen Symptomatik normalisiert sich das implizite Lernen bei Patienten mit Schizophrenie. (Aus Exner et al. 2006, S. 44; mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)
21
Belastungsstörungen sind mit reduzierten Gedächtnisleistungen bei einem Teil der Patienten assoziiert. Direkte Vergleiche zwischen Patienten mit Schizophrenie und anderen psychischen Störungen hinsichtlich Art und Schwere neuropsychologischer Beeinträchtigung machen jedoch Besonderheiten bei der Schizophrenie deutlich: 1. Patienten mit Schizophrenie haben die schwersten kognitiven Einbußen; auch für den kognitiven Funktionsbereich des Gedächtnisses sind die Unterschiede zum normalen Funktionsniveau bei schizophrenen Patienten am stärksten ausgeprägt 2. Patienten mit Schizophrenie haben die stabilsten Defizite; anders als z. B. bei bipolaren affektiven Störungen bleiben Gedächtnisstörungen auch in remittierten Phasen bestehen. 3. Patienten mit Schizophrenie haben die ausgedehntesten Defizite; sie sind über viele Funktionsbereiche beeinträchtigt Auch wenn nur die kognitive Domäne des Gedächtnisses angesehen wird, zeigen sich umfassende Einschränkungen, die nahezu alle Teilprozesse und unterschiedliche Gedächtnisarten und -inhalte betreffen. Dagegen bestehen bei anderen psychischen Störungen häufig nur sehr selektive und umschriebene Defizite; z. B. ist bei Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung v. a. das autobiographische Gedächtnis beeinträchtigt. Ähnlichkeiten in den neuropsychologischen Profilen unterschiedlicher psychiatrischer Patientengruppen könnten zum einen durch geteilte genetische Vulnerabilität (z. B. mit affektiven Psychosen), Überlappungen in der psychopathologischen Symptomatik (z. B. Zwangssymptome, Depressivität), die betroffenen funktionellen neuronalen Regelkreise (z. B. frontostriatale Regelkreise bei Schizophrenie und Zwangsstörung) oder allgemein durch die unterschiedliche Vulnerabilität verschiedener psychologischer Prozesse erklärt werden. Im Sinne letzterer Argumentationslinie stellen Gedächtnisleistungen aufgrund ihrer Komple-
266
21
Kapitel 21 · Gedächtnis – Psychologie
xität, ihrer Abhängigkeit von anderen kognitiven Prozessen und ihrer multiplen Repräsentation im Gehirn sicherlich einen leicht und durch verschiedenste Einflüsse störbaren psychischen Prozess dar. 21.8
Einfluss weiterer Moderatorvariablen
Trotz der robusten Befunde zu Gedächtnisdefiziten bei schizophrenen Patienten machen alle Untersuchungen auch eine große Heterogeneität der Leistungen deutlich. Dreißig Prozent der Patienten haben eine normale Gedächtnisleistung. Das unterschiedliche Ausmaß der Gedächtnisdefizite könnte durch die unterschiedliche Schwere der psychopathologischen Symptomatik erklärt werden. Aber auch andere Moderatorvariablen könnten einen modifizierenden Einfluss ausüben. Diskutiert werden hier vor allem Alters- und Geschlechtsunterschiede sowie Einflüsse der Medikation. 21.8.1 Geschlechtsunterschiede Neuropsychologische Studien mit schizophrenen Patienten weisen in der Regel ein deutliches Übergewicht männlicher Probanden auf [nach der Metaanalyse von Heinrichs u. Zakzanis (1998) sind 77% der Betroffenen Männer]. Die aus ihnen abgeleiteten Aussagen zu Gedächtnisfunktionen bei schizophrenen Patienten sind daher vorrangig für männliche Patienten gültig. Direkte Vergleichsstudien zu kognitiven Defiziten bei männlichen und weiblichen schizophrenen Patienten weisen auf Geschlechtsunterschiede hin. Frauen scheinen, insbesondere bei verbalen Aufgaben, weniger beeinträchtigt zu sein als Männer. Dieser Effekt wird mit der protektiven Wirkung von Östrogen auf das weibliche Gehirn in Verbindung gebracht. Geringere hirnmorphologische Auffälligkeiten könnten sich direkt auf neurokognitive Funktionen auswirken und indirekt über unterschiedliche Erkrankungsverläufe (z. B. höheres Alter bei Erstmanifestation, geringere Erkrankungsdauer und -schwere, besseres Niveau der prämorbiden Anpassung) einen positiv modifizierenden Einfluss auf die Gedächtnisleistungen schizophrener Patientinnen haben. Die Beurteilung von Geschlechtsdifferenzen bei kognitiven Aufgaben wird allerdings durch die unterschiedlichen Erkrankungsverläufe auch deutlich erschwert, da ein Matching weiblicher und männlicher Patienten hinsichtlich klinischer Variablen sehr schwierig ist. Häufig ist zudem die Teststärke gering, da in vielen Untersuchungen insgesamt zu wenige Versuchspersonen (meist zwischen 20 und 30) untersucht werden, als dass auch noch Untergruppen verglichen werden könnten. Diese Stichprobeneffekte könnten somit sogar zu einer Unterschätzung von Geschlechtsdifferenzen führen, da in den üblicherweise untersuchten Stichproben chronisch kranker schizophrener Patienten schwerer betroffene Frauen stärker repräsentiert sind, als es eigentlich auf der Grundlage des geringeren Basisrisikos chronischer Verläufe
bei Frauen zu erwarten wäre. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die auch bei gesunden Probanden beobachtbaren Geschlechtsdifferenzen bei kognitiven Leistungen auch bei schizophrenen Probanden vorhanden sind. In einigen kognitiven Bereichen (z. B. verbales Gedächtnis) unterscheiden sich männliche schizophrene Probanden überproportional deutlich von geschlechtgleichen Kontrollen. 21.8.2 Alterseffekte Zunehmendes Alter führt bei gesunden Personen zu einem Nachlassen der Gedächtnisleistungen. Verschlechtern sich bei einer häufig chronischen psychischen Störung wie der Schizophrenie die Gedächtnisleistungen im Alter dysproportional deutlicher? Querschnittsstudien zeigen eher, dass die Unterschiede zwischen schizophrenen Patienten und altersgematchten Kontrollpersonen über die Altersgruppen stabil bleiben. Auch Längsschnittstudien lassen keinen generell verstärkten Alterseffekt auf das Gedächtnis erkennen. Im Gegenteil ist die Assoziation zwischen Alter und Gedächtnis bei Gesunden häufig ausgeprägter als bei schizophrenen Patienten. Für eine Subgruppe von langzeithospitalisierten chronisch symptomatischen Patienten scheint sich der Alterungsprozess jedoch anders auszuwirken: Hier kommt es mit zunehmendem Alter zu einem beschleunigten, über das normale altersbedingte Maß hinausgehenden geistigem Abbau (Kurtz 2005). 21.8.3 Medikation Die Mehrzahl schizophrener Patienten erhält eine neuroleptische Medikation zur Behandlung psychotischer Symtome. Daher absolvieren auch die meisten Patienten in neuropsychologischen Studien die kognitiven Tests unter Medikation. Typische Neuroleptika haben eine Reihe von Nebenwirkungen, die die kognitive Leistungsfähigkeit und -bereitschaft vermindern: Sie führen zu psychomotorischen Veränderungen (Verlangsamung, aber auch Unruhe und erhöhtem Bewegungsdrang), und mindern Antrieb und Motivation. Ausführlicher wird dieser Aspekt in 7 Kap. 48 dargestellt. Es ist darum oft argumentiert worden, dass auch die Gedächtnisdefizite schizophrener Patienten zum Teil medikationsbedingt sind. Dagegen spricht, dass auch schizophrene Patienten, die noch nie mit Neuroleptika behandelt wurden, in ihren kognitiven Leistungen mehr als eine Standardabweichung unter gesunden Kontrollen liegen und ein vergleichbares Profil neuropsychologischer Defizite zeigen wie medizierte Patienten mit einem Schwerpunkt der Beeinträchtigung bei verbalen Gedächtnisleistungen. Typische Neuroleptika allein scheinen bei langfristiger Einnahme keinen oder einen leicht positiven Einfluss auf die Gedächtnisleistung zu haben. Allerdings machen sie häufig eine Beimedikation mit anticholinergen Substanzen zur Kontrolle extrapyramidaler Nebenwirkungen erforderlich. Anti-
267 21.11 · Behandlung von Gedächtnisdefiziten
cholinerg wirkende Substanzen (z. B. Scopolamin) führen auch bei gesunden Versuchspersonen zu schlechteren Lern- und Gedächtnisleistungen. Bei schizophrenen Patienten können daher in Abhängigkeit von der anticholinergen Dosis Gedächtnisprobleme hervorgerufen oder verschärft werden. Atypische Neuroleptika sind den typischen Neuroleptika in der Behandlung von Gedächtnisdefiziten leicht überlegen (Thornton et al. 2006). Dabei ist die unterschiedliche Effektivität in der Reduktion von Gedächtnisproblemen v. a. auf die unterschiedliche anticholinerge Wirkung bei der Behandlung mit typischen versus atypischen Neuroleptika zurückführbar. Neben intrinsischen anticholinergen Eigenschaften von Neuroleptika zählt dabei v. a. die Wahrscheinlichkeit einer anticholinergen Zusatzmedikation, und die ist natürlich bei typischen Neuroleptika größer. Demzufolge ist die Administration typischer Neuroleptika v. a. in dem Maße mindernd oder nicht förderlich für die Gedächtnisleistung, in dem sie mit einer anticholinergen Wirkung verbunden ist. 21.9
Prognostischer Wert von Gedächtnisdefiziten für den Rehabilitationsverlauf
Kognitive Beeinträchtigungen erschweren die soziale und berufliche Rehabilitation schizophrener Patienten in erheblichem Maße und häufig mehr als die prominenten Positivsymptome einer akuten psychotischen Episode. Neben Leistungen des Arbeitsgedächtnisses und bei exekutiven Funktionen sind insbesondere die Leistungen von Patienten in verbalen Langzeitgedächtnisaufgaben Prädiktoren des späteren psychosozialen Rehabilitationsverlaufs (Green et al. 2000). Metaanalytisch erwiesen sich das verbale Kurz- und Langzeitgedächtnis als die besten Prädiktoren (Effektgröße r=0,4 und 0,29, resp.). Dabei ermöglichten verbale Listen-Lerntests (CVLT, AVLT) die noch bessere Vorhersage (0,4) gegenüber Tests, die Gedächtnis nach einmaliger Präsentation des Materials (»Logisches Gedächtnis« aus der WMS-R) messen. Lerntests könnten damit das Lernpotential abbilden, über das ein Patient verfügt und das bestimmt, inwieweit er von Rehabilitationsangeboten profitieren kann. 21.10
Gedächtnisdefizite im Kontext neurobiologischer Schizophreniemodelle
Gedächtnisdefizite, die sich bei der Mehrzahl schizophrener Patienten finden, werden als Ausdruck zugrunde liegender Abweichungen in Hirnstruktur- und -funktion verstanden. Dabei kommt den in morphometrischen und funktionellen Bildgebungsstudien nachgewiesenen Struktur- und Funktionsänderungen in temporalen und frontalen Hirnregionen eine besondere Bedeutung zu. Ausführlich wird dieser Aspekt in 7 Kap. 22 dargestellt. Die Verlaufscharakteristika von Gedächtnisstörungen bei der Mehrzahl schizophrener Patienten (früher Beginn,
21
relative Stabilität nach Erkrankungsbeginn) lassen sich gut in das Modell einer neuronalen Entwicklungsstörung integrieren (»neurodevelopmental hypothesis of schizophrenia«). Einen Überblick zu neurobiologischen Schizophreniemodellen leisten beispielsweise Arolt et al. (2006). Die neurobiologische Entwicklungshypothese geht davon aus, dass teils genetisch bedingte, teils durch frühe (prä-, peri- und postnatale) Schädigungen bedingte Störungen der Hirnentwicklung die Struktur und Funktionsfähigkeit vulnerabler Hirnareale (wie z. B. des Hippocampus) beeinträchtigen. Die neuronale Fehlentwicklung zeigt sich in Risikopopulationen subklinisch bereits im Kindesalter in Störungen der motorischen, sensorischen und kognitiven Entwicklung (z. B. auch 7 Abschn. 21.6.1 und 21.6.4). Besonders kommt die Hirnentwicklungsstörung jedoch ab der Pubertät zum Tragen, wenn Jugendliche und junge Erwachsene erhöhten kognitiven und sozialen Anforderungen ausgesetzt sind. Das führt bereits vor dem Ausbruch der Psychose (während der Prodromalphase oder auch bei Verwandten) zu kognitiven Leistungsminderungen und bei Vorliegen erhöhter Vulnerabilität und stärkerer Stressoren später zum Ausbruch manifester psychotischer Symptome. In ihrer strengen Formulierung geht die neurobiologische Entwicklungshypothese davon aus, dass nach dem Einsetzen der Erkrankung (abgesehen von normalen Alterungsprozessen) keine bedeutsamen strukturellen Veränderungen des Gehirns mehr auftreten; sie grenzt sich damit von der neurodegenerativen Hypothese der Schizophrenie ab, die fortschreitende Substanzund Funktionsverluste annimmt. Damit ist sie weniger gut geeignet, den Umstand zu erklären, dass eine Subgruppe von Patienten in späteren Erkrankungsphasen eine schnelle Abnahme ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit erfährt (7 Abschn. 21.6.3). Integrative Modelle (z. B. die Two-Hit-Hypothese) versuchen, eine Brücke zwischen entwicklungsbedingten und degenerativen Aspekten zu schlagen, und können daher auch diese Befunde erklären. 21.11
Behandlung von Gedächtnisdefiziten
21.11.1
Medikamentös
Eine Behandlung mit Neuroleptika führt auch bei guter Besserung der psychotischen Symptomatik nicht automatisch zu einer gleich guten Besserung der kognitiven Defizite schizophrener Patienten. Hier wird noch einmal die partielle Unabhängigkeit dieser beiden Aspekte der Symtomatik deutlich. Die bisher mangelhafte Ansprache kognitiver Defizite auf medikamentöse Behandlung stellt eine wichtige Begrenzung der Wirksamkeit neuroleptischer Medikamente dar und einen Motor für die Suche nach neuen Präparaten. Ausführlicher wird dieser Aspekt in 7 Kap. 48 dargestellt. Wie bereits oben (7 Abschn. 21.8.3) berichtet, bieten einige atypische Neuroleptika bereits neue Behandlungsmöglichkeiten für die (verbalen) Gedächtnisdefizite schizophrener Patienten. Atypische Neuroleptika kommen dabei nicht nur ohne die Nebenwirkungen typischer Neuroleptika aus, die
268
21
Kapitel 21 · Gedächtnis – Psychologie
sich hemmend auf die kognitive Leistungsfähigkeit auswirken können (Verlangsamung, Motivations- und Antriebsminderung), sondern führen zu einer nachweislichen Leistungssteigerung. Allerdings ist diese, verglichen mit der Wirkung typischer Neuroleptika, nur gering, und auch in den Studien mit den größten Effekten wird das Leistungsniveau Gesunder nicht erreicht. Am meisten profitieren schizophrene Patienten bei Leistungsanforderungen mit hoher Geschwindigkeitskomponente von atypischer Neuroleptikamedikation, bei Lern- und Gedächtnisaufgaben eher weniger. Innerhalb der Gruppe der Atypika erwiesen sich Präparate wie Risperidon und Olanzapin besser geeignet zur Steigerung der episodischen Gedächtnisleistungen als Clozapin (Thornton et al. 2006) – wahrscheinlich wegen dessen recht hoher anticholinerger Wirkung. Clozapin ermöglichte Patienten aber einen besseren und schnelleren Zugriff auf das semantische Gedächtnis (verbale Flüssigkeit). Dennoch: Die Erwartung, dass Lern- und Gedächtnisprobleme von schizophrenen Patienten durch die bisher zur Verfügung stehenden atypischen Neuroleptika bedeutsam verringert werden, ist leider bisher nicht gerechtfertigt. Bei Patienten mit starken Gedächtnisproblemen sollte eine Medikation mit relativ geringer anticholinerger Wirkung gewählt werden. Auch bei nachgewiesenen Medikationseffekten auf die testpsychologisch messbaren Gedächtnisleistungen konnten bisher nur wenige Studien nachweisen, dass damit automatisch auch eine verbesserte Alltagskompetenz verbunden ist. 21.11.2
Neuropsychologische Therapie
Die Behandlung der kognitiven Defizite schizophrener Patienten zielt zum einen darauf ab, die Vulnerabilität für die Entstehung psychotischer Symptome zu vermindern, also eine psychopathologische Symptomreduktion zu erzielen, zum anderen soll die Funktionsfähigkeit im Alltag (interpersonelles Problemlösen, selbstständige Lebensführung, Arbeitsfähigkeit) verbessert werden. Eine ausführliche Darstellung zur neuropsychologischen Therapie findet sich in 7 Kap. 46 und 47 dieses Buches. Im Folgenden sollen nur einige gedächtnisrelevante Befunde herausgegriffen werden. Diese Konzentration auf einen kognitiven Funktionsbereich ist jedoch nur dem inhaltlichen Aufbau dieses Kapitels geschuldet. Insgesamt kann es als ein Hauptergebnis der bisherigen Evaluationsforschung angesehen werden, dass ein Training isolierter Einzelfunktionen wenig sinnvoll ist und eine Einbettung in komplexe Rehabilitationsprogramme, die auf die Verbesserung der Alltagskompetenz ausgerichtet sind, am meisten Erfolg verspricht. Obwohl es sich hier um ein Arbeits- und Forschungsfeld handelt, in dem noch viele Fragen offen sind, ermöglichen Reviews und Metaanalysen der letzten Jahre einige vorläufige Schlussfolgerungen auch für den Bereich der Gedächtnisleistungen (Twamley et al. 2003): Die Gedächtnisleistungen schizophrener Patienten lassen sich durch kognitive Trainingsprogramme nachweislich, aber nur leicht verbessern. Dabei
profitieren Patienten für ihre Gedächtnisleistungen sowohl von einem gezielten Gedächtnistraining als auch vom Training anderer kognitiver Funktionen, z. B. Aufmerksamkeit. Strategieorientiertes Training (z. B. Vermittlung semantischer Elaborationsstrategien) scheint reinem Üben überlegen zu sein. Noch größere Effekte lassen sich ersten Arbeiten zufolge durch Interventionen in der Umwelt des Patienten (individuelle externe Hilfsstrategien, z. B. Hinweisreize und Listen) erzielen. Die Verbesserung der Merkfähigkeit stellte in einigen Studien einen Prädiktor für die Verbesserung von Alltagskompetenzen dar. Die Stabilität der Effekte und Generalisierung auf Alltagskompentenzen wurde aber bisher insgesamt zu wenig untersucht. Es bleibt zu erwähnen, dass sich Besserungen der kognitiven Leistunsgfähigkeit in Test- wie Alltagssituationen auch durch andere psychosoziale Interventionen herbeiführen lassen, insbesondere wenn diese eine gut strukturierte Umgebung und strukturierte Tagesgestaltung anbieten.
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22 Gedächtnis – Bildgebung Susanne Weis und Axel Krug
22.1
Funktionelle Neuroanatomie des nondeklarativen (impliziten) Gedächtnisses – 271
22.1.1 22.1.2 22.1.3
Klassische Konditionierung – 271 Priming – 271 Prozedurales Gedächtnis – 271
22.2
Funktionelle Neuroanatomie des expliziten (deklarativen) Gedächtnisses – 272
22.2.1 22.2.2 22.2.3
Gedächtniseinspeicherung (Enkodierung) Gedächtnisabruf – 278 Meta-Gedächtnis – 281
22.3
Strukturelle Veränderungen von relevanten Gehirnregionen – 282
22.3.1
Strukturelle Veränderungen des Gehirnes im Kontext neurobiologischer Schizophreniemodelle – 283
Literatur
– 283
– 274
271 22.1 · Funktionelle Neuroanatomie des nondeklarativen (impliziten) Gedächtnisses
Wie in 7 Kap. 21 dargestellt, wird das Gedächtnis von der Allgemeinen Psychologie nicht als eine universelle Einheit angesehen, sondern es werden verschiedene Speicher unterschieden, die sich sowohl hinsichtlich gespeicherter Inhalte als auch hinsichtlich der zeitlichen Dauer der Gedächtnisspuren unterscheiden. Die verschiedenen Systeme des Kurz- und Langzeitgedächtnisses sind unterschiedlich im Gehirn repräsentiert. Jedes basiert auf spezifischen neuronalen Korrelaten, jedoch exstieren teilweise auch Überlappungen zwischen den neuronalen Netzwerken der verschiedenen Systeme des menschlichen Gedächtnisses. Die modernen bildgebenden Verfahren wie fMRT (funktionelle Magnetresonanztomographie) und PET (Positronen-EmissionsTomographie) haben wesentlich dazu beigetragen, die neuronalen Korrelate des Gedächtnisses zu identifizieren. Es besteht allgemein Einigkeit darüber, dass die Beeinträchtigung von Gedächtnisprozessen bei schizophrenen Patienten im Vergleich zu Störungen anderer kognitiver Funktionen besonders ausgeprägt ist. Betroffen sind dabei verschiedenste Aspekte der Gedächtniseinspeicherung und des Abrufes aus dem Gedächtnis. Beispielsweise benötigen schizophrene Patienten regelmäßig länger für die Enkodierung ins deklarative Gedächtnis, wobei jedoch nach wiederholten Lerndurchgängen eine normale Gedächtnisleistung erreicht werden kann. Besonders beeinträchtigt ist auch die Fähigkeit, Assoziationen und Abstraktionen beim Lernen zu erstellen. Allgemein ist meist das deklarative Gedächtnis stärker beeinträchtigt ist als das prozedurale Gedächtnis. Weiterhin scheint im deklarativen Gedächtnis das episodische (autobiographische) Gedächtnis mehr als das Gedächtnis für Fakten und Namen (semantisches Gedächtnis) gestört zu sein. Vom funktionellen Standpunkt aus gesehen, ist der freie Abruf oft mehr gestört ist als die einfache Wiedererkennung. Bezüglich der Modalität ist das verbale Gedächtnis stärker als das nonverbale betroffen, bei ersterem finden sich auch konstant Beeinträchtigungen bei erstgradigen Verwandten von Patienten, sodass eine genetische Ursache sehr wahrscheinlich ist. Eine Reihe von strukturell-bildgebenden Studien und diesbezügliche Metaanalysen (McCarley et al. 1999) hat bei Patienten mit Schizophrenie anatomische Veränderungen verschiedener Areale identifiziert, die für das Gedächtnis eine wichtige Rolle spielen. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um den medialen Temporallappen und den frontalen Kortex. Weiterhin deuten die Befunde der funktionellen Bildgebung auf eine abnormale Funktion dieser beiden für die normale Gedächtnisfunktion besonders kritischen Gehirnareale hin. Es zeigen sich bei schizophrenen Patienten sowohl Störungen im Bereich des Hippokampus und der umliegenden Areale des medialen temporalen Kortex als auch im dorsolateralen Frontallappen. Verschiedentlich wurde auch bereits vermutet, dass nicht die Störung dieser Gehirnareale selbst zu den typischen Gedächtnisstörungen führt, sondern dass diese von einer gestörten Konnektivität bzw. Interaktion dieser Areale miteinander herrühren.
22.1
22
Funktionelle Neuroanatomie des nondeklarativen (impliziten) Gedächtnisses
Im Gegensatz zum bewussten, expliziten Gedächtnis umfasst das implizite Gedächtnis eine Reihe verschiedener Gedächtnisphänomene, die zu erfahrungsbedingten Verhaltensänderungen führen können. Diese Lernprozesse finden meist nicht bewusst statt. 22.1.1 Klassische Konditionierung Es ist umstritten, ob die Prozesse der klassischen Konditionierung als eigenständiges Gedächtnissystem zu sehen sind. Die neuronalen Korrelate der klassischen Konditionierung finden sich beim Menschen nach heutigem Wissensstand hauptsächlich im Hirnstamm und im Rückenmark sowie in subkortikalen Arealen. Die neuronalen Grundlagen verschiedener Subtypen der Konditionierung sind dabei in unterschiedlichen Arealen zu finden. So geht die Konditionierung von Angst mit Aktivierungen der Amygdala einher, einer Struktur des limbischen Systems, die auch bei autobiographischen Erinnerungen eine wesentliche Rolle spielt. 22.1.2 Priming Das Priming-System ermöglicht die unbewusste Anwendung von Informationen, die zu einem früheren Zeitpunkt erworben wurden. Die neuronalen Grundlagen des Priming werden wesentlich durch die Modalität der Information bestimmt. So unterscheiden sich die Gehirnareale, die an Priming-Prozessen beteiligt sind, beispielsweise zwischen verbaler und nichtverbaler Information, bzw. zwischen visueller und auditiver Stimulation. Meist finden sich Minderaktivierungen bei bereits bekannten Informationen in Arealen des primären unimodalen Kortex und in frühen Assoziationsarealen. 22.1.3 Prozedurales Gedächtnis Das prozedurale Gedächtnis gehört ebenfalls zum Bereich des impliziten Gedächtnisses. Es ist beteiligt am unbewussten Abruf von Fähigkeiten, die typischerweise motorische Komponenten beinhalten. Es wird vermutet, dass das prozedurale Gedächtnis hauptsächlich auf Aktivierungen der Basalganglien und des Kleinhirns basiert. Auch primäre motorische Areale, sowie präund supplementärmotorische Gebiete spielen beim prozeduralen Gedächtnis eine Rolle.
22
272
Kapitel 22 · Gedächtnis – Bildgebung
22.2
Funktionelle Neuroanatomie des expliziten (deklarativen) Gedächtnisses
Im Gegensatz zum impliziten Gedächtnis umfasst das explizite oder deklarative Gedächtnis die dem Bewusstsein zugänglichen, gezielt abrufbaren Gedächtnisinhalte. Dieses System wird weiter unterteilt in semantisches und episodisches Gedächtnis. Diese beiden Systeme ähneln sich jedoch in vielerlei Hinsicht. Beide umfassen praktisch unbegrenzt große Gedächtnisspeicher, und es ist oft schwierig, die Enkodierung ins semantische Gedächtnis von der Enkodierung ins episodische Gedächtnis zu trennen. Im Gegensatz zu den Leistungen des impliziten Gedächtnisses können die Inhalte des deklarativen Gedächtnisses immer in symbolischer Notation, z. B. als Sprache, Szenen oder Bilder dargestellt werden. Die beiden Subtypen des deklarativen Gedächtnisses, also semantisches und episodisches Gedächtnis, beruhen im Wesentlichen auf denselben oder zumindest sehr ähnlichen neuronalen Korrelaten. Der wesentlichste Unterschied besteht darin, dass episodische Erinnerungen immer auch mit Kontextinformationen verknüpft sind. Es wird beispielsweise der Ort, die
Zeit und die Quelle eines Gedächtnisinhaltes erinnert. So können semantische Gedächtnisinhalte auch als ehemals episodische Gedächtnisinhalte angesehen werden, die im Laufe der Zeit ihre zeitlichen, räumlichen und emotionalen Bezüge verloren haben und somit Teil des semantischen Wissens geworden sind. Bei schizophrenen Patienten werden regelmäßig die größten Beeinträchtigungen im Bereich des deklarativen und insbesondere des episodischen Gedächtnisses festgestellt. Außerdem untersuchen Gedächtnistests, die in der Schizophrenieforschung Verwendung finden, in der Mehrzahl Prozesse des expliziten Gedächtnisses, sodass dieses System in diesem Kapitel intensiver beschrieben werden soll. Metaanalytisch (Achim u. Lepage 2005) konnte gezeigt werden, dass bei schizophrenen Patienten funktionelle Störungen der meisten Hirnareale bestehen, die an der normalen Gedächtnisleistung beteiligt sind. Die Leistungen des deklarativen Gedächtnisses basieren auf mindestens zwei grundlegenden Anteilen: zum einen der Gedächtnisformation (Enkodierung), die sowohl implizit als auch explizit, also beiläufig oder absichtlich erfolgen kann. Die zweite wesentliche Funktion ist der Abruf aus dem Gedächtnis, zum
Metaanalyse zur funktionellen Bildgebung des deklarativen Gedächtnisses bei Schizophrenie Achim u. Lepage (2005) untersuchten die Gehirnaktivierung bei gesunden und schizophrenen Probanden. Dabei wurden 18 Studien eingeschlossen, in denen Paradigmen zum episodischen Gedächtnis verwendet wurden. Insgesamt konnten die Autoren Gruppenunterschiede bei der Aktivierung in einer Vielzahl von Arealen feststellen. Die Studien wurden in drei Kategorien eingeteilt: Episodisches Enkodieren verglichen mit einer Baseline, episodischer Gedächtnisabruf gegenüber nichtepisodischem Gedächtnisabruf und hoher gegenüber niedrigem Gedächtnisabruf. Bei der Kategorie »episodisches Enkodieren« zeigten sich insbesondere höhere Aktivierungen der Kontrollgruppe im linken inferioren präfrontalen Kortex, dem rechten anterioren mittleren frontalen Gyrus, dem rechten mittleren frontalen Gyrus sowie dem rechten posterioren Hippokampus. Bei Studien, in denen episodischer dem nichtepisodischem Gedächtnisabruf gegenübergestellt wurden, zeigten Gesunde eine erhöhte Aktivierung gegenüber schizophrenen Patienten im linken präfrontalen Kortex, dem linken mittleren frontalen Gyrus, der rechten subgenualen Region, dem Thalamus (bilateral) sowie dem linken anterioren Hippokampus. Schizophrene Patienten zeigten gegenüber Gesunden eine erhöhte Aktivierung im rechten anterioren medialen Temporallappen. Studien der dritten Kategorie zeigten eine erhöhte Aktivierung bei Gesunden im rechten posterioren Hippokampus. Patienten zeigten gegenüber Gesunden eine erhöhte Aktivierung im zingulären Gyrus, dem rechten parahippokampalen Gyrus sowie dem rechten superioren parietalen Kortex.
Insgesamt betrachtet kommen Achim und Lepage zu dem Schluss, dass v. a. der linke inferiore präfrontale Kortex sowie der mediale Temporallappen die größten Aktivierungsunterschiede bei der Bearbeitung von Gedächtnisaufgaben aufweisen. Sie kommen zu dem Schluss, dass schizophrene Patienten v. a. Defizite in der spontanen Anwendung von elaborierten Strategien zur verbesserten Gedächtnisleistung haben und dies in der verminderten Aktivierung im linken inferioren präfrontalen Kortex zum Ausdruck kommt. Die verminderte Leistung sowohl beim Enkodieren wie beim Abruf von Gedächtnisinhalten liegt nach Meinung der Autoren auch in der verminderten Aktivierung im medialen Temporallappen begründet. Diese Regionen sind am Anlegen von Gedächtnisspuren beteiligt. Da bei schizophrenen Patienten neben der verminderten Aktivierung des medialen Temporallappens eine zeitgleiche erhöhte Aktivierung des parahippokampalen Gyrus stattfindet, gehen die Autoren davon aus, dass schizophrene Patienten beim Abruf von Gedächtnisinhalten eher eine Strategie verwenden, die im Gegensatz zu einer bewussten Erinnerungsstrategie eher auf Vertrautheit der Stimuli beruht. Weiterhin wurden Gruppenunterschiede in der Gehirnaktivierung im Thalamus und im Kleinhirn gefunden. Diese Befunde stützen die These, dass gerade bei schizophrenen Patienten eine Störung des kortikal-cerebellären-thalamischen-kortikalen Netzwerkes besteht, wobei diese Hypothese nach Meinung der Autoren der weiteren Überprüfung und Spezifikation bedarf (. Abb. 22.1).
273 22.2 · Funktionelle Neuroanatomie des expliziten (deklarativen) Gedächtnisses
. Abb. 22.1. Darstellung der wesentlichsten Unterschiede der neuronalen Korrelate von Gedächtnisformation und Gedächtnisabruf aus der Metaanalyse von Achim u. Lepage (2005). Die Aktivierungen sind dargestellt auf einem standardisierten dreidimensionalen Gehirn sowie auf ausgewählten koronaren Schichten. Auf der linken Seite der Abbildung sind die Aktivierungen während der Gedächtniseinspeicherung dargestellt, wäh-
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rend rechts die Aktivierungen während des Gedächtnisabrufes gezeigt werden. Im oberen Teil der Abbildung sieht man Areale, die bei gesunden Kontrollpersonen stärker aktiviert waren als bei schizophrenen Patienten, während im unteren Teil der Abbildung jeweils Areale gezeigt werden, die bei den Patienten mehr Aktivierung zeigen als bei den gesunden Kontrollpersonen. (Adaptiert aus Achim und Lepage 2005). (7 Farbtafeln, S. 660)
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Kapitel 22 · Gedächtnis – Bildgebung
Beispiel bei der Wiedererkennung oder beim freien Abruf aus dem Gedächtnis. Bis vor relativ kurzer Zeit basierten Erkenntnisse über die neuronalen Korrelate des menschlichen Gedächtnisses hauptsächlich auf neuropsychologischen Untersuchungen von Patienten mit selektiven Gehirnläsionen. Da solche Läsionen jedoch selten auf bestimmte anatomische Bereiche beschränkt sind, ist es auf Grund von Patientenstudien schwer möglich, deren spezifische Funktion zu identifizieren. Auch ist es anhand von Patientenstudien praktisch unmöglich zu entscheiden, ob gewisse Strukturen an der Gedächtnisformation oder am Abruf aus dem Gedächtnis beteiligt sind. Im Gegensatz zur Untersuchung von Patienten mit Läsionen ermöglicht es die funktionelle Bildgebung, den Zusammenhang zwischen Gehirnstruktur und -funktion systematisch im gesunden und im kranken Gehirn zu untersuchen. So wurde es möglich, die verschiedenen Teilkomponenten des menschlichen Gedächtnissystemes – insbesondere der Einspeicherung ins Ge-
dächtnis und des Abrufes aus dem Gedächtnis – gesondert zu untersuchen und die neuronalen Korrelate der einzelnen Teilprozesse zu lokalisieren. Eine Reihe von Bildgebungsstudien hat in den letzten Jahren die kortikalen und subkortikalen Netzwerke identifiziert, die an den verschiedenen Gedächtnisprozessen beteiligt sind. 22.2.1 Gedächtniseinspeicherung (Enkodierung)
Funktionelle Neuroanatomie der Gedächtniseinspeicherung im gesunden Gehirn Eine große Anzahl an Bildgebungsstudien hat versucht, die Frage zu beantworten, warum manche Erlebnisse im Gedächtnis bleiben, während andere vergessen werden. Es besteht Einigkeit darüber, dass die Art der Verarbeitung der eingehenden Information im Gehirn eine wesentliche Rolle für deren spätere Erinnerbarkeit spielt, denn eine Einspeicherung ins Gedächtnis erfolgt
Exkurs Methodische Ansätze zur Dissoziation von Vorgängen und neuronalen Korrelaten der Gedächtniseinspeicherung und des Gedächtnisabrufes (Fletcher u. Honey 2006). 1. Manipulation des Materials bzw. der Enkodierungsaufgabe Es kann Material verwendet werden, das mehr oder weniger gut für die Gedächtniseinspeicherung organisierbar ist. Leicht zu organisieren wären beispielsweise Wortlisten, welche nur Beispiele gewisser Kategorien, etwa Tiere oder Werkzeuge enthalten. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Material zu verwenden, das bereits organisiert ist. So können beispielsweiseWortlisten gelernt werden, die in verschiedenen Kategorien geordnet sind. Die Enkodierungsaufgabe kann manipuliert werden, indem entweder oberflächliche Merkmale der Stimuli bearbeitet werden müssen oder indem bereits die Enkodierungsaufgabe die Aufmerksamkeit auf semantische Attribute der Stimuli lenkt. Eine oberflächliche Aufgabe bei der Enkodierung von Wörtern könnte etwa die Entscheidung sein, ob ein Wort den Buchstaben »a« enthält. Bei einer semantischen Aufgabe muss beispielsweise für jedes Wort entschieden werden, ob es sich um ein lebendes oder ein nichtlebendes Objekt handelt. Diese Manipulation weist auf ein Defizit in der Gedächtniseinspeicherung hin, wenn die Probanden den Vorteil der semantischen Verarbeitung bzw. den Vorteil von organisierter Enkodierung nicht nutzen können. Trotz dieses deutlichen Hinweises auf ein Enkodierungsproblem kann jedoch ein Abrufdefizit nicht vollständig ausgeschlossen werden. 2. Manipulation des Zeitintervalles zwischen Lern- und Testphase Eine Störung des sofortigen Gedächtnisabrufes weist auf eine Störung der Gedächtniseinspeicherung hin, während eine Störung des späteren Abrufes eher auf ein Defizit des Gedächtnisabrufes hindeutet. Allerdings können Defizite des Abrufprozesses auch den sofortigen Gedächtniszugriff beeinträchtigen, während andererseits schlecht enkodierte Gedächtnisspuren möglicherweise
anfälliger für ein Vergessen während des längeren Zeitintervalles sind. Somit erlaubt diese Manipulation nicht unbedingt eine Trennung von Enkodierungs- und Abrufprozessen. 3. Manipulation der Hinweisreize beim Gedächtnisabruf Die Stärke der Hinweisreize beim Abruf aus dem Gedächtnis kann variiert werden. So werden beim freien Abruf minimale Hinweise gegeben, bei der Vervollständigung von Wortstämmen erhalten die Probanden teilweise Hinweise, während bei der Wiedererkennung maximale Hinweisreize vorgegeben werden. Es können auch Gedächtnisaufgaben zur Anwendung kommen, die eine Abfrage des Kontextes beinhalten. Der Proband kann beispielsweise aufgefordert werden, anzugeben, unter welcher Lernaufgabe ein bestimmter Stimulus enkodiert wurde. Eine weitere Manipulation besteht in der »Remember/Know«-Abfrage, bei der der Proband die erinnerten Stimuli als »Remember« benennt, wenn echte kontextuelle Erinnerung vorliegt. Beruht die Wiedererkennung nur auf einem Gefühl der Familiarität, so wird der Stimulus als »Know« klassifiziert. Das Vorhandensein von Materialien, die nicht frei abgerufen, aber dennoch wiedererkannt werden können, weist auf ein Defizit des Gedächtnisabrufes hin. Kann gelerntes Material im Gegensatz dazu weder frei abgerufen noch wiedererkannt werden, ist vermutlich die Enkodierung beeinträchtigt. Andererseits kann auch ein Defizit des freien Abrufes auf ein Enkodierungsproblem hinweisen. Dies ist der Fall, wenn eine schwach enkodierte Gedächtnisspur zwar noch ausreicht, ein Gefühl der Familiarität zu erzeugen, aber nicht mehr ausreichend für den freien Abruf ist. Eine gemeinsame Störung von freiem Abruf und Wiedererkennung kann allerdings auch nicht vollständig zwischen Lern- und Abrufdefiziten differenzieren.
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nur dann, wenn ein externer Stimulus vom Gehirn in einer Art und Weise verarbeitet wird, bei der neuronale Veränderungen stattfinden, die auf Dauer oder zumindest auf längere Zeit erhalten bleiben. Einen großen Schritt für die Untersuchung des Gedächtnissystems im gesunden Gehirn stellte die Einführung der Methodik des ereigniskorrelierten fMRT dar. Mit dieser Methodik wurde es möglich, den inzwischen klassischen »subsequent memory effect« (Wagner et al. 1999) zu untersuchen und damit die echten neuronalen Korrelate der erfolgreichen Einspeicherung ins Gedächtnis zu untersuchen. Dies geschieht, indem während einer Lernphase funktionelle Bildgebungsdaten erhoben werden. Anhand einer späteren Gedächtnistestung werden dann die erfolgreich gelernten Items von den vergessenen isoliert. Anhand der Verhaltensdaten wird die Gehirnaktivität während der erfolgreichen Gedächtnisformation jener während der nicht erfolgreichen Einspeicherung gegenübergestellt. Somit können die neuronalen Korrelate der erfolgreichen Enkodierung dargestellt werden. Die Wichtigkeit des Frontallappens sowohl für die erfolgreiche Einspeicherung ins Gedächtnis als auch für den Gedächtnisabruf ist unbestritten. Die Untersuchungen von Patienten mit Läsionen des Frontallappens deuten darauf hin, dass der frontale Kortex eher an den strategischen Aspekten der Gedächtniseinspeicherung als an der Gedächtnisformation selbst beteiligt ist. Somit führen Schädigungen des Frontallappens nicht notwendigerweise zu wesentlichen Beeinträchtigungen des Gedächtnissystems. Im Gegensatz dazu zeigen funktionelle Bildgebungsstudien, dass verschiedene Teile der beidseitigen Frontallappen, insbesondere des bilateralen präfrontalen Kortex, verschiedene Rollen bei der Einspeicherung und auch beim Abruf aus dem Gedächtnis spielen. Eine Vielzahl von PET- und fMRT-Untersuchungen hat gezeigt, dass der Umfang und die Tiefe der semantischen Verarbeitung des zu erinnernden Materiales und entsprechend die Aktivierungen des präfrontalen Kortex einen entscheidenden Prädiktor für die spätere Erinnerungsleistung darstellen (Fletcher u. Henson 2001). Diese Aktivierungen des präfrontalen Kortex finden sich bei der Bearbeitung von verbalem Material in der linken Hemisphäre, während entsprechende Aktivierungen der rechten Hemisphäre für nichtverbales Material( beispielsweise Gesichter oder abstrakte Muster) nachgewiesen wurden. Weiterhin wurde gezeigt, dass die Aktivierung des frontalen Kortex zunimmt, wenn der Proband aktiv an der Einspeicherung ins Gedächtnis arbeitet. Die Aktivierung des frontalen Kortex ist schwächer, wenn die Gedächtniseinspeicherung als Nebenprodukt einer oberflächlichen Verarbeitung der Stimuli erfolgt. Im Gegensatz dazu ist sie beim aktiven Lernen und bei der Benutzung von Lernstrategien erhöht. Die Aktivierung des frontalen Kortex korreliert demnach mit dem Erfolg der Gedächtniseinspeicherung. Mithin zeigen diese Studien, dass die Einspeicherung ins Langzeitgedächtnis durch Arbeitsgedächtnisrozesse gefördert wird, die im frontalen Kortex lokalisiert sind. Die semantische Verarbeitung der Stimuli geht immer einher mit einer verstärkten Aktivierung des frontalen Kortex. Gleichzeitig führt
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eine semantische (»tiefe«) Verarbeitung von Material gegenüber einer nichtsemantischen (»oberflächlichen«) Verarbeitung desselben Materials immer auch zu verbesserter Gedächtniseinspeicherung. Die intensive Verarbeitung des Materials im Arbeitsgedächtnis ist somit entscheidend für eine erfolgreiche Einspeicherung ins Langzeit-Gedächtnis. Die Aufrechterhaltung der zu verarbeitenden Information und auch deren Manipulation finden im dorsolateralen präfrontalen Kortex statt, einem Areal, das bei Arbeitsgedächtnisprozessen konsistent aktiviert ist. Dieser Teil des frontalen Kortex erleichtert vermutlich die effiziente Enkodierung von Information und wird bei hoher Speicherbelastung zusammen mit dem ventrolateralen präfrontalen Kortex zwecks Aufrechterhaltung der Information rekrutiert. Wenn Informationen schließlich nicht nur aufrechterhalten, sondern auch manipuliert werden sollen, kommt es ebenfalls zu einer verstärkten Beteiligung des dorsolateralen präfrontalen Kortex. ! Die Einspeicherung ins deklarative Gedächtnis wird gefördert durch Arbeitsgedächtnisprozesse, deren neuronale Korrelate im frontalen Kortex zu finden sind; die Lateralisierung und spezifische Lokalisation innerhalb des frontalen Kortex wird dabei vom zu lernenden Material bestimmt.
Weitere ereigniskorrelierte fMRT-Studien konnten die Wichtigkeit von präfrontalen Aktivierungen für die erfolgreiche Einspeicherung ins Gedächtnis untermauern (Brewer et al. 1998; Wagner et al. 1998) und die Funktionen der verschiedenen Teilbereiche des frontalen Kortex noch weiter differenzieren. Eine Aktivierung des (linken) präfrontalen Kortex zeigt sich insbesondere bei der semantischen Verarbeitung von Informationen, während diese enkodiert werden. Außerdem ist der linke präfrontale Kortex wesentlich an der bewussten Suche nach Gedächtnisinhalten, also dem aktiven Abruf aus dem Gedächtnis beteiligt. Eine weitere zentrale Struktur für verschiedenste Gedächtnisprozesse ist der mediale Temporallappen (MTL) und insbesondere der Hippokampus. Anhand von Läsionsstudien von Patienten mit Schädigung des Hippokampus ist dessen Wichtigkeit für Gedächtnisprozesse unbestritten. Aktivierungen des Hippokampus konnten in frühen PET- und fMRT-Studien bei der Bearbeitung von Gedächtnisaufgaben oft jedoch nicht dargestellt werden. Dies wird heute zurückgeführt auf technische Beschränkungen dieser frühen Studien (räumliche Auflösung der Daten, Suszeptibilitätsartefakte) und auf das Muster der Aktivierung des Hippokampus, die Probleme für die klassischen Subtraktionsdesigns darstellen. Neuere ereigniskorrelierte fMRT-Studien haben inzwischen wiederholt die Wichtigkeit des MTL für die erfolgreiche Einspeicherung ins Gedächtnis gezeigt. Seit ersten Studien mit verbalem (Wagner et al. 1998) und nichtverbalem Material (Brewer et al. 1998) ist dieser Befund unzählige Male repliziert worden. Hierbei wird dem Hippokampus allgemein die wichtige Funktion der Identifikation von »novelty« zugeschrieben. Er identifiziert also Ereignisse, die noch nicht bekannt sind und somit ins Gedächtnis eingespeichert werden müssen. Werden einem Probanden neue
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Kapitel 22 · Gedächtnis – Bildgebung
Materialien präsentiert, so führt dies zu einer Aktivierung des Hippokampus, die wiederum eine Einspeicherung ins Gedächtnis nach sich zieht. Diese Funktion der »novelty detection« erfüllt der Hippokampus sowohl bei verbalem als auch bei nichtverbalem Material. Genauso wie für den frontalen Kortex zeigt sich in den Aktivierungen des Hippokampus eine veränderte Lateralisierung je nach Art der zu verarbeitenden Information. Während der linke Hippokampus mehr bei verbalen Informationen aktiviert ist, ist der rechte Hippokampus eher bei der Gedächtniseinspeicherung von nichtverbalen Stimuli beteiligt. Unabhängig vom jeweiligen Material zeigt sich jedoch immer eine Korrelation zwischen dem Ausmaß der Aktivierung des Hippokampus und dem Erfolg der Einspeicherung ins Gedächtnis. Darüber hinaus wird weithin angenommen, dass die Beteiligung des Hippokampus an der Gedächtniseinspeicherung insbesondere dann von großer Bedeutung ist, wenn es sich um besonders komplexes oder räumliches Material handelt. Diese Befunde passen auch zu der weithin akzeptierten Hypothese, dass der Hippokampus insbesondere dann aktiviert ist, wenn Assoziationen und Verbindungen zwischen mehreren Komponenten eines komplexen Gedächtnisinhaltes erstellt werden müssen. Dies erklärt weiterhin, warum Aktivierungen des Hippokampus eher bei visuell-räumlichen Stimuli als bei verbalem Material gefunden werden, denn alle Wörter, die in einem Test als Stimuli verwendet werden, sind per se schon nicht mehr komplett neu. Die Tatsache, dass der Hippokampus insbesondere dann aktiviert ist, wenn Assoziationen zwischen neu gelernten Materialien bzw. zwischen alten und neuen Gedächtnisinhalten erstellt werden müssen, begründet die Wichtigkeit des Hippokampus für das echte episodische Gedächtnis, also das Gedächtnis für persönliche Erlebnisse und Erfahrungen, denn gerade episodische Erinnerungen bestehen immer aus komplexen, miteinander assoziierten Gedächtnisinhalten, die oft auch verschiedene Modalitäten umfassen. ! Im gesunden Gehirn ist der Hippokampus und der umliegende mediotemporale Kortex wesentlich an der erfolgreichen Gedächtniseinspeicherung beteiligt, insbesondere dann, wenn Assoziationen zu bereits bestehenden oder gleichzeitig gelernten Gedächtnisinhalten erstellt werden müssen.
Fernandez u. Tendolkar (2001) zeigten, dass frontale und mediotemporale Areale in Abhängigkeit voneinander zusammenarbeiten, um eine erfolgreiche Einspeicherung ins deklarative Gedächtnis zu ermöglichen (. Abb. 22.2). Hierbei erfüllt der frontale Kortex organisierende und ordnende Funktionen, bevor die zu lernende Information dem medialen Temporalkortex zur Erstellung dauerhafter Gedächtnisspuren zugeführt wird. ! Verschiedene interne und externe Einflüsse bedingen eine mehr oder weniger starke Aktivierung des frontalen und mediotemporalen Kortex bei der Verarbeitung von Informationen. Je stärker diese Aktivierungen, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis später erinnert wird.
. Abb. 22.2. Modellhafte Darstellung der an der Einspeicherung ins deklarative Gedächtnis beteiligten Areale und ihrer Interaktion. Das Modell beinhaltet eine serielle Verarbeitung innerhalb des MTL (weiße Pfeile), sowie eine parallele, bidirektionale Interaktion zwischen präfrontalen und medio-temporalen Regionen (schwarze Pfeile). Die Aktivierung des parahippokampalen Kortex (türkis), des rhinalen Kortex (lila), des Hippokampus (rosa) sowie des inferioren präfrontalen Kortex korreliert mit der erfolgreichen Einspeicherung ins Gedächtnis. Die Aktivität in medialen frontalen Arealen (blau) und in der Amygdala (orange) ist beispielsweise bei emotionalen Gedächtnisinhalten an der Einspeicherung ins Gedächtnis beteiligt. (Adaptiert aus Fernandez u. Tendolkar 2001). (7 Farbtafeln, S. 661)
Funktionelle Veränderungen der neuronalen Korrelate der Gedächtniseinspeicherung bei Schizophrenie Aus Läsionsstudien mit hirnverletzten Patienten sowie aus bildgebenden Studien an gesunden Probanden ist seit Langem bekannt, dass der Hippokampus und der umliegende Kortex des medialen Temporallappens im gesunden Gehirn wesentlich an den verschiedenen Aspekten der Gedächtnisleistung beteiligt sind. Dies gilt sowohl für die Einspeicherung ins Gedächtnis, als auch für den Abruf aus dem Gedächtnis. Im Gegensatz dazu zeigen Studien an schizophrenen Patienten, dass es sowohl während der Enkodierung als auch während des Gedächtnisabrufes zu einer veränderten Aktivierung des Hippokampus kommt, was einige der Gedächtnisstörungen in der Schizophrenie erklären kann. Eine Reihe von Verhaltensstudien deutet darauf hin, dass die Störungen des deklarativen Gedächtnisses bei schizophrenen Patienten insbesondere auf einer Störung der erfolgreichen Enkodierung beruhen (dazu ausführlich 7 Kap. 21). Eine wichtige Funktion des Hippokampus im gesunden Gehirn ist die »Novelty Detection«, also die Entscheidung, ob es sich bei eingehenden Informationen um neues Material handelt, das dann ins Gedächtnis eingespeichert werden muss, oder ob die Information bereits bekannt ist. Einige Befunde weisen darauf hin, dass gerade diese Funktion der »Novelty Detection« bei schizophrenen Patienten gestört ist. Diese Störung zeigt sich in einer
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übermäßigen Aktivierung des Hippokampus auch bei wiederholt präsentiertem Material bzw. bei anderen Low-level-Kontrollbedingungen. Werden gesunden Probanden beispielsweise in einer Versuchsbedingung neue, bisher nicht dagewesene Wörter präsentiert, während in einer anderen Versuchsbedingung dasselbe oder einige weniger Wörter immer wieder wiederholt werden, so zeigt sich normalerweise eine Aktivierung des Hippokampus für die neuen, nicht jedoch für die alten Stimuli. Im Gegensatz dazu zeigen schizophrene Patienten eine Aktivierung des Hippokampus auch in der Bedingung, in der dasselbe Material wiederholt präsentiert wird, oder auch in Kontrollbedingungen, die überhaupt keine Gedächtniskomponente enthalten. Dieser Befund zeigt sich auch für nichtverbales Material. In einer fMRT-Studie (Eyler Zorrilla et al. 2003) wurden gesunde Probanden und schizophrene Patienten untersucht. Die Versuchspersonen sahen in der Versuchsbedingung unbekannte Bilder, die ins Gedächtnis eingespeichert werden sollten. In der Kontrollbedingung wurde dasselbe Bild wiederholt gezeigt. Obwohl die schizophrenen Patienten im nachfolgenden Gedächtnistest eine den gesunden Probanden vergleichbare Leistung aufwiesen, zeigten sie während der Enkodierung die oben erwähnte veränderte mediotemporale Aktivität. Die Aktivierung des Hippokampus entsprach während der Gedächtnisaufgabe der der gesunden Probanden, während die Patienten in der Kontrollaufgabe eine erhöhte Aktivierung zeigten. Allerdings variieren die Befunde über die hippokampale Aktivierung während der Einspeicherung ins Gedächtnis. Eine weitere fMRT-Studie, bei der verbales Material benutzt wurde, fand eine reduzierte hippokampale Aktivierung während des Lernens, die mit einer beeinträchtigten Gedächtnisleistung der Patienten einherging. Bei genauerer Differenzierung der Aktivität des Hippokampus zeigte sich eine verringerte Aktivierung im posterioren Anteil des Hippokampus bei der Identifikation neuer Wörter, während die Aktivierung im anterioren Anteil des Hippokampus bei der Gedächtniseinspeicherung erhöht war (Jessen et al. 2003). Auch eine Metaanalyse (Achim u. Lepage 2005) fand eine verminderte Aktivierung des Hippokampus bei der Gedächtniseinspeicherung. Die Verknüpfung von neuen Informationen mit bereits bestehenden Gedächtnisinhalten wird als eine der wesentlichen Funktionen des Hippokampus bei der Gedächtnisbildung angesehen. Diese Aktivierungen bilden die Basis für eine spätere erfolgreiche Erinnerung von Kontextinformationen. Auch führt die Integration von zu lernenden Informationen untereinander und mit bereits bekanntem Material zu einer effizienteren Enkodierung ins Langzeitgedächtnis. Die verringerte Aktivierung des Hippokampus bei den schizophrenen Patienten erklärt somit die schlechtere Gedächtnisleistung, insbesondere wenn es sich um komplexes Material handelt. Das hippokampale System ist an der Gedächtnisbildung wesentlich beteiligt, indem es aus den vorverarbeiteten Informationen verschiedener Assoziationsareale eine konsistente Gedächtnisspur erstellt, sowie Assoziationen zu bereits vorhanden Gedächtnisinhalten herstellt. Hierbei erhält der
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Hippokampus über afferente Bahnen Information aus verschiedenen höher geordneten sensorischen Arealen, welche ihm über den endorhinalen Kortex und den parahippokampalen Kortex zugeleitet werden. Strukturelle Veränderungen im parahippokampalen Kortex, wie sie bei schizophrenen Patienten nachgewiesen werden konnten, können dieses System offensichtlich wesentlich stören. Dies gilt besonders für die Enkodierung von episodischen Erinnerungen, bei denen die Assoziation der Gedächtnisinhalte mit ihrem Kontext immer von großer Bedeutung ist. Während der Hippokampus und der mediotemporale Kortex als entscheidend für die Gedächtniskonsolidierung angesehen werden, werden dem präfrontalen Kortex allgemein eher Prozesse wie die Organisation und Selektion der zu verarbeitenden Information sowie strategischer Vorgehensweisen zugeschrieben (Fletcher u. Henson 2001). Vermutlich erklären somit Veränderungen des frontalen Kortex die Schwierigkeit schizophrener Patienten, spontan und aktiv Informationen für die Einspeicherung ins Gedächtnis zu organisieren, während hippokampale Veränderungen eine effektive Enkodierung dieser unzulänglich vorbereiteten Information verhindern. In einer Metaanalyse von 18 funktionellen Bildgebungsstudien wurde der linke präfrontale Kortex als eine derjenigen Regionen identifiziert, in der sich die Unterschiede der Gehirnaktivierung bei gesunden Versuchspersonen gegenüber schizophrenen Patienten besonders deutlich zeigten. Der linke frontale Kortex war während der Gedächtniseinspeicherung – gegenüber einer Kontrollbedingung – bei den schizophrenen Patienten immer weniger aktiviert als bei gesunden Kontrollpersonen. Diese Region ist typischerweise bei der Verarbeitung semantischer Information aktiviert, sie spielt außerdem eine wichtige Rolle bei der strategischen Suche nach Gedächtnisinhalten, bei Arbeitsgedächtnisprozessen wie der Aufrechterhaltung von erinnerter Information und der Wahl der geeigneten Reaktion. Die fehlende oder reduzierte Aktivierung des (linken) präfrontalen Kortex bei schizophrenen Patienten deutet darauf hin, dass diese Patienten weniger spontane Enkodierungsstrategien verwenden. Sie neigen dazu, die Stimuli auf einer oberflächlichen Ebene zu bearbeiten, was dann nicht zu einer erfolgreichen Einspeicherung ins Gedächtnis führt. Werden jedoch entsprechende Strategien von außen vorgegeben, so können sich schizophrene Patienten diese Strategien durchaus zunutze machen (siehe oben). Es ist also nicht in erster Linie die Fähigkeit gestört, wirksame Strategien bei der Einspeicherung ins Gedächtnis zu nutzen, sondern es ist eher so, dass schizophrene Patienten solche Strategien nicht von sich aus spontan einsetzen. Genauso wie bei gesunden Probanden geht aber eine verstärkte Verarbeitung der eingehenden Information und somit eine verstärkte Aktivierung des linken präfrontalen Kortex mit einer besseren nachfolgenden Gedächtnisleistung einher. Genauso wie bei Kontrollprobanden zeigt sich bei schizophrenen Patienten ein Unterschied in der Aktivierung des linken präfrontalen Kortex zwischen der semantischen Bearbeitung
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Kapitel 22 · Gedächtnis – Bildgebung
Exkurs Der Einfluss von Enkodierungsstrategien auf die Gehirnaktivierung
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Die Autoren einiger Studien haben sich mit dem Einfluss von extern vorgegebenen Enkodierungsstrategien befasst (BonnerJackson et al. 2005; Weiss et al. 2003). Dabei wurde die Hypothese untersucht, dass die Vorgabe von effektiven Strategien sowohl die Gedächtnisleistung als auch die damit verbundene Gehirnaktivierung verbessert. Bonner-Jackson et al. (2005) stellten fest, dass erkrankte wie auch gesunde Probanden von bestimmten Enkodierungsstrategien, wie beispielsweise der Sortierung des zu lernenden Materials in verschiedene Klassen, in gleicherWeise profitieren. Bei der bewussten Anwendung solcher Strategien zeigen Gesunde und erkrankte Probanden bezüglich der Gehirnaktivierung eine große Überschneidung. Dies gilt insbesondere in linksfrontal kortikalen Regionen, die typischerweise mit semantischer Enkodierung und bewusster Kontrolle der Enkodierungsprozesse einhergehen. Allerdings gibt es auch Gruppenunterschiede in der Aktivierung, insbesondere links- und rechtsinferiorfrontal sowie linksfrontal. In diesen Bereichen zeigen schizophrene Probanden eine erhöhte Aktivierung gegenüber der Kontrollgruppe. Bei einem Gruppenvergleich zwischen Probanden mit gleich guter Enkodierungsleistung zeigte sich allerdings nur noch eine erhöhte Aktivierung im linken inferioren Gyrus. Insgesamt betrachtet kommen die Autoren zu dem Schluss, dass schizophrene Patienten kompensatorisch weitere Regionen im präfrontalen Kortex aktivieren, um die gleiche semantische Leistung zu vollbringen. Dabei zeigen Patienten mit schlechteren Leistungen eine zusätzliche Aktivierung in mehr Arealen als Patienten mit guter Gedächtnisleistung.
(beispielsweise einer Lebend-Nichtlebend-Entscheidung für Wörter) gegenüber einer perzeptuellen Bearbeitung (beispielsweise der Entscheidung, ob ein Wort einen bestimmten Buchstaben enthält). Der Aktivierungsunterschied zwischen beiden Bedingungen ist jedoch bei den Patienten oft niedriger als bei den gesunden Kontrollpersonen, obwohl die Patienten in ihrer Gedächtnisleistung ebenfalls von den Strategien profitieren. Der reduzierte Aktivierungsunterschied zwischen oberflächlicher und tieferer Bearbeitung erklärt sich möglicherweise aus einer verstärkten Aktivierung des präfrontalen Kortex auch für die rein perzeptuelle Bedingung. Der vorherrschenden Meinung zufolge sind Teile des präfrontalen Kortex an zentralen Exekutivfunktionen beteiligt, die eine wichtige Rolle für die Aufmerksamkeit und die Organisation der Information spielen. Der Hippokampus hingegen soll an der Konsolidierung der Gedächtnisspuren für die spätere Wiedererkennung beteiligt sein. Die »zentrale Exekutive«, deren neuronale Korrelate im präfrontalen Kortex zu finden sind, ist an der vorbereitenden Organisation der Gedächtnisformation beteiligt, beispielsweise an der Organisation der eingehenden Information, an der Erstellung von semantischen Assoziationen zwischen den Stimuli und
Diese Ergebnisse werden zu großen Teilen durch PET-Untersuchungen gestützt (Weiss et al. 2003), bei denen sowohl Wörter mehrfach präsentiert wurden als auch die Probanden verschiedene weitere Enkodierungsstrategien verwenden sollten. Die Autoren fanden, dass Patienten eine geringere zerebrale Durchblutung v. a. im rechten medialen Temporallappen und im Hippokampus zeigten. Andererseits zeigten die Patienten eine erhöhte Aktivität im linken und mittleren präfrontalen Kortex gegenüber der Kontrollgruppe. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass insbesondere die hippokampale Aktivierung dafür verantwortlich sein könnte, dass bei schizophrenen Patienten keine bedeutsame Assoziation zwischen Items erreicht wird. Schizophrene Patienten konnten in beiden Studien von der Vorgabe von Enkodierungsstrategien profitieren. Dies kann zum einen daran liegen, dass insbesondere präfrontale kortikale Regionen eine erhöhte Aktivierung zeigten und somit die verminderte Aktivierung im Hippokampus teilweise kompensierten. Zum anderen kann die erhöhte Aktivierung des Hippokampus als Zeichen für ein »bewusstes« Erinnern der Items bei gesunden Probanden angesehen werden. Somit würde die Wiedererkennensleistung bei gesunden Probanden anders zu erklären sein als die verbesserte Leistung der schizophrenen Patienten, die aufgrund der erhöhten Bekanntheit mit dem Untersuchungsmaterial zustande kommt und nicht aufgrund verbesserter bewusster Erinnerung.
bereits gespeicherter Information und der Aufrechterhaltung der gerade verarbeiteten Information im Arbeitsgedächtnis. Entsprechend dieser Theorie zeigten funktionelle Bildgebungsstudien, dass der inferiore präfrontale Kortex insbesondere der linken Hemisphäre sowohl an der Enkodierung als auch am Gedächtnisabruf beteiligt ist, und zwar immer dann, wenn es darum geht, semantische Informationen vorübergehend im Arbeitsgedächtnis zu behalten, während neue Assoziationen geformt werden. Somit ist davon auszugehen, dass Störungen im präfrontalen Kortex die Schwierigkeit schizophrener Patienten bedingen, Informationen spontan ausreichend zu organisieren, um sie in entsprechend vorbereiteter Form an das mediotemporale Gedächtnissystem weiterzugeben. 22.2.2 Gedächtnisabruf
Funktionelle Neuroanatomie des Gedächtnisabrufes im gesunden Gehirn Der Abruf aus dem deklarativen Gedächtnis geschieht praktisch immer als Interaktion zwischen einem Hinweisreiz und einem Gedächtnisinhalt. Der Hinweisreiz kann entweder extern bereit-
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gestellt werden, beispielsweise wenn ein vorgegebener Wortstamm vervollständigt werden muss, oder bei einer Wiedererkennensaufgabe, bei der entschieden werden muss, ob ein bestimmtes Element neu oder bereits bekannt ist. Der Hinweisreiz kann jedoch auch intern generiert werden, wie es beim freien Abruf der Fall ist. Bei experimentellen Untersuchungen des Gedächtnisses wird der Hinweisreiz meist durch das experimentelle Setup bereitgestellt. Der Erfolg des Gedächtnisabrufes hängt von vielen Faktoren ab, nicht zuletzt natürlich auch davon, wie erfolgreich der gesuchte Gedächtnisinhalt ursprünglich ins Gedächtnis eingespeichert wurde. Gemeinsam ist dem Gedächtnisabruf jedoch immer, dass er sich zusammensetzt aus einer Reihe von mehr oder weniger sequenziell ablaufenden Teilprozessen, die teilweise vor und teilweise nach dem eigentlichen Zugriff auf den Gedächtnisinhalt stattfinden. Vor dem eigentlichen Zugriff stehen die kognitiven Operationen, die mit dem Versuch des Zugriffes auf den Gedächtnisinhalt zusammenhängen, während nach dem Zugriff weitere Prozesse mit dem Ergebnis des Gedächtniszugriffs arbeiten, zum Beispiel das Evaluieren, ob der korrekte Gedächtnisinhalt gefunden wurde. Weiterhin muss unterschieden werden zwischen dem Versuch des Abrufes aus dem Gedächtnis und der erfolgreichen Erinnerung. Die moderne funktionelle Bildgebung bietet Möglichkeiten, diese verschiedenen Teilprozesse gesondert zu untersuchen. Während ein Blockdesign ausreichend ist, den Versuch des Gedächtnisabrufes darzustellen, sind ereigniskorrelierte Studien erforderlich, um den Unterschied zwischen erfolgreichem und erfolglosem Gedächtniszugriff darzustellen. Bezüglich der neuronalen Korrelate des Gedächtnisabrufes fand eine frühe Metaanalyse, die ausschließlich auf PET-Studien beruhte, dass der Gedächtnisabruf hauptsächlich mit Aktivierungen des posterioren Hippokampus einhergeht. Den Aktivierungen des rechten frontalen Kortex, die konsistent beim Gedächtnisabruf gefunden wurden, wurden wiederum eher steuernde und koordinierende Aufgaben sowohl vor als auch nach dem Gedächtniszugriff zugeschrieben. Weitere Studien bestätigten die Vermutung, dass der rechte frontale Kortex unabhängig von der speziellen Gedächtnisaufgabe, ob Wiedererkennung oder freier Abruf, generell am Versuch des Zugriffes auf Gedächtnisinhalte beteiligt ist. Spätere Studien konnten die Funktionen des frontalen Kortex noch weiter differenzieren und postulierten, dass der rechte frontale Kortex eher mit dem allgemeinen Modus des Gedächtniszugriffs zu tun hat, während der linke frontale Kortex den Versuch des Gedächtniszugriffs steuert (Cabeza u. Nyberg 2000). Weiterhin konnten ereigniskorrelierte Studien eine Beteiligung des anterioren linken präfrontalen Kortex beim Abruf aus dem Gedächtnis insbesondere dann zeigen, wenn nicht nur ein Gedächtnisinhalt selbst, sondern auch dessen Kontext erinnert werden muss. Im Gegensatz dazu zeigt sich eine Aktivierung des dorsolateralen präfrontalen Kortex insbesondere dann, wenn das Ergebnis des Gedächtnisabrufes bezüglich gewisser Kriterien evaluiert werden muss. Andere Autoren sind der Meinung, dass
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die Lateralisation der frontalen Aktivierungen mehr vom zu erinnernden Material, also verbale versus nichtverbale Information, bestimmt wird. Eine weitere Hypothese besagt, dass präfrontale und auch temporale Regionen der linken Hemisphäre vorwiegend in den Abruf von Faktenwissen involviert sind, während dieselben Areale der rechten Hemisphäre am Abruf episodischer Informationen beteiligt sind. Verschiedene Regionen des (rechten) präfrontalen Kortex werden mit verschiedenen Komponenten des Abrufprozesses in Verbindung gebracht, beispielsweise der Mühe, die der Abruf bereitet (»retrieval effort«) und mit Monitoringprozessen nach erfolgreichem und erfolglosem Gedächtnisabruf. Auch unterscheiden sich innerhalb des frontalen Kortex die neuronalen Korrelate von versuchtem Abruf (»retrieval attempt«) und erfolgreichem Abruf (»retrieval success«). Die Beteiligung des medialen Temporalkortex am Abruf aus dem Gedächtnis ist ebenfalls unbestritten, wobei auch hier erst die neueren ereigniskorrelierten Studien klar differenzierte Aussagen erlaubten. Es besteht jedoch noch keine Einigkeit darüber, ob und welche verschiedenen Teile des medialen Temporalkortex gemeinsame oder verschiedene Aufgaben beim Gedächtnisabruf erfüllen. Während einige Autoren nur quantitative Unterschiede zwischen MTL-Aktivierungen postulieren, zeigen andere Studien echte qualitative Unterschiede. Ein wichtiger Aspekt beim Abruf aus dem Gedächtnis ist der Abruf nicht nur eines isolierten Gedächtnisinhaltes, sondern auch des Kontextes, in dem dieses Material gelernt wurde. Wie bereits erwähnt, spielt die Wiederherstellung des Kontextes insbesondere bei echten episodischen Gedächtnisinhalten eine wesentliche Rolle. Es ist im täglichen Leben oft wesentlich, dass wir uns erinnern können, wann und in welchem Umfeld sich ein gewisses Ereignis abgespielt hat. Beispielsweise müssen wir bei uns bekannten Personen nicht nur wissen, dass uns diese Person bekannt vorkommt, sondern auch noch in der Lage sein, weitere Informationen über die Person abzurufen. Um diese Effekte experimentell untersuchen zu können, werden in sog. Quellengedächtnistests (»Source Memory Tests«) die zu lernenden Stimuli in verschiedenen Kontexten dargeboten. Beispielsweise können Wörter zum einen von einer weiblichen, zum anderen von einer männlichen Stimme gesprochen werden. Während der Wiedererkennung muss der Proband dann nicht nur die Wörter erkennen, sondern auch angeben, welche der beiden Stimmen das jeweilige Wort gesprochen hatte. Eine Reihe von Studien benutzte zur Unterscheidung dieser Prozesse eine »Remeber/Know«-Abfrage, bei der Probanden für jeden richtig erkannten Gedächtnisinhalt angeben müssen, ob die Wiedererkennung nur auf einem Gefühl der Bekanntheit beruht oder ob sie den Kontext des Lernens erinnern können. Sog. »Dual Prozess«-Modelle des deklarativen Gedächtnisses postulieren einen Unterschied zwischen auf Familiarität beruhender Wiedererkennung und echter Rekognition, bei der die Erinnerung von kontextueller Information begleitet wird.
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Kapitel 22 · Gedächtnis – Bildgebung
Obwohl manche Autoren annehmen, dass es sich bei den neuronalen Korrelaten dieser Prozesse nur um quantitativ zu differenzierende Prozesse handelt, haben eine Reihe von Studien gezeigt, dass Rekollektion und Familiarität sowohl anatomisch als auch funktionell zu dissoziieren sind (Henson et al. 2003; Weis et al. 2004). Wenn der Hippokampus und der umgebende mediale temporale Kortex auch gemeinsam am Abruf aus dem Gedächtnis beteiligt sind, so haben sie doch unterschiedliche und trennbare Funktionen: Während eine verminderte Aktivierung im rhinalen Kortex ausreicht, um eine auf Familiarität beruhende Wiederkennung zu erreichen, ist ein Anstieg der Aktivierung des Hippokampus essenziell für den erfolgreichen kontextuellen Abruf und somit für das echte episodische Gedächtnis (Weis et al. 2004). ! Ein großer Teil des medialen Temporallappens ist sowohl an der Gedächtniseinspeicherung als auch am Gedächtnisabruf beteiligt. Ein bereits bekannter Stimulus muss nicht neu ins Gedächtnis eingespeichert werden und erzeugt somit keine verstärkte Aktivierung dieser MTL-Areale, was wiederum in einem Gefühl der Familiarität resultiert. Ein neuer Stimulus, der noch nicht bekannt ist, bedingt eine verstärkte Aktivierung des Hippokampus und somit eine verstärkte Einspeicherung ins Gedächtnis.
Funktionelle Veränderungen der neuronalen Korrelate des Gedächtnisabrufes bei Schizophrenie Veränderungen der hippokampalen Aktivierung zeigen sich neben der Speicherung auch beim freien Abruf. Zum Beispiel lernten in einer PET-Studie gesunde Probanden und schizophrene Patienten Listen von Wörtern zum einen unter Benutzung einer oberflächlichen Aufgabe (der Entscheidung, ob die Wörter groß oder klein gedruckt waren) und zum anderen während einer semantischen Entscheidung, bei der für jedes Wort die Frage »Handelt es sich um ein lebendiges Objekt?« beantwortet werden musste. Während der Erhebung der PET-Daten sollten die Probanden im Anschluss vorgegebene Wortstämme mit den gelernten Worten vervollständigen. Wie erwartet erinnerten beide Gruppen mehr Wörter, die in der semantischen Bedingung gelernt worden waren. Während jedoch die gesunden Probanden eine im Vergleich zur Kontrollbedingung deutlich erhöhte Aktivität des Hippokampus insbesondere während der bewussten Erinnerung zeigten, fehlte diese Modulation der Hippokampusaktivierung bei den schizophrenen Patienten, bei welchen der Hippokampus nicht nur während aller Erinnerungsbedingungen, sondern auch während der Kontrollbedingung erhöht war (Heckers et al. 1999). Ein ähnlicher Befund fand sich in einer weiteren PET-Studie (Weiss et al. 2003), bei der sowohl die Aufgabe während der Enkodierung, als auch die Häufigkeit der Präsentation der zu lernenden Wörter manipuliert wurde. Auch hier fehlte bei schizophrenen Patienten die Modulation der Hippokampusaktivierung in Abhängigkeit von der Gedächtnisaufgabe. Im Gegensatz zur oben genannten Studie ging hier jedoch die fehlende Modulation der
Hippokampusaktivität auch einher mit einer beeinträchtigten Gedächtnisleistung der schizophrenen Patienten (Weiss et al. 2003). Auch fMRT-Studien zeigten veränderte Aktivierungen bei schizophrenen Patienten, sowohl während der Gedächtniseinspeicherung als auch während des Abrufs aus dem Gedächtnis. Selbst bei unbeeinträchtigter Erinnerungsleistung zeigten schizophrene Patienten ein verändertes Muster der MTL-Aktivierung (Zorrilla et al. 2002). Während gesunde Probanden eine verstärkte Aktivierung im Hippokampus und parahippokampalen Gyrus für neue Bilder gegenüber bekannten, vorher gelernten Bildern zeigten, fand sich bei schizophrenen Patienten das gegenteilige Muster. Ähnliches zeigte sich bei einer Gedächtnisaufgabe unter Benutzung von Gesichtern (Leube et al. 2003). Die schlechtere Gedächtnisleistung der Patienten beruht dabei weniger darauf, dass diese weniger der zuvor gelernten Informationen wiedererkennen, sondern im Gegenteil darauf, dass zu viele der neuen Informationen als bereits bekannt eingestuft werden. Diese Fehler beruhen vermutlich auf der fehlenden Differenzierung der hippokampalen Aktivität zwischen alten und neuen Items. Beim Abruf aus dem Gedächtnis liegt nach Meinung vieler Forscher die Hauptfunktion der Hippokampusaktivierung in der Erinnerung von komplexem Material bzw. in der Erinnerung von kontextuellen Informationen. Auch ist der Hippokampus insbesondere dann beteiligt, wenn die Erinnerung bewusst stattfindet, im Gegensatz zur Wiedererkennung einer Information basierend auf reiner Familiarität. Die Metaanalyse von funktionellen Bildgebungsstudien (Achim and Lepage 2005) zeigte für den Gedächtnisabruf eine Minderaktivierung des Hippokampus bei schizophrenen Patienten im Gegensatz zu gesunden Kontrollpersonen. Dieser Befund passt zu den Verhaltensdaten, die zeigen, dass schizophrene Patienten besonders bei der bewussten Erinnerung und dem Abruf von kontextuellen Details und episodischen Erinnerungen beeinträchtigt sind. Dieser Befund unterstützt auch die These, dass Erinnerungen schizophrener Patienten mehr auf Familiarität als auf echter Rekollektion basieren. Insgesamt zeigen bildgebende Studien bei schizophrenen Patienten eine abnormale Funktion des Hippokampus, die oft mit gestörten Gedächtnisfunktionen einhergeht. Sie können sich jedoch selbst dann zeigen, wenn die Gedächtnisleistung intakt ist. Auch während des Abrufes aus dem Gedächtnis zeigen schizophrene Patienten reduzierte präfrontale Aktivität im Vergleich zu gesunden Normalprobanden. Eine wichtige Aufgabe des präfrontalen Kortex im gesunden Gehirn ist die Evaluation der Richtigkeit der abgerufenen Erinnerung. Eng damit zusammenhängend ist der Befund, dass der linke präfrontale Kortex insbesondere dann aktiviert ist, wenn es sich um bewusste Erinnerungen bzw. um Erinnerungen handelt, die in einen Kontext gestellt werden können. Die reduzierte Aktivierung des linken präfrontalen Kortex während der Wiedererkennung könnte somit erklären, warum schizophrene Patienten insbesondere dann Störungen zeigen, wenn es sich um die Erinnerung von komplexen Gedächtnisinhalten und um die Erinnerung des Kontextes handelt.
281 22.2 · Funktionelle Neuroanatomie des expliziten (deklarativen) Gedächtnisses
Genau wie bei der Gedächtniseinspeicherung ist der (linke) präfrontale Kortex auch beim Gedächtnisabruf an den strategischen Aspekten des Gedächtniszugriffes und an Arbeitsgedächtnisprozessen während der Erinnerung beteiligt. Die reduzierte Aktivierung des präfrontalen Kortex deutet also darauf hin, dass schizophrene Patienten auch beim Gedächtnisabruf spontan keine effizienten Strategien nutzen. Auch die Arbeitsgedächtnisprozesse nach dem Zugriff auf das Langzeitgedächtnis sind vermutlich beeinträchtigt, sodass, selbst wenn der Gedächtniszugriff erfolgreich war, die Evaluation der erinnerten Information gestört sein kann. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Prozesse des Source Monitoring bei schizophrenen Patienten besonders anfällig für Störungen sind. Hierbei handelt es sich um die Fähigkeit, nicht nur gelerntes Material wieder erkennen zu können, sondern auch in der Lage zu sein anzugeben, in welchem Kontext etwas gelernt wurde. Es konnte gezeigt werden, dass schizophrene Patienten signifikant mehr Fehler beim Source Monitoring machen als Gesunde. Auch diese Gedächtnisstörung lässt sich durch die fehlende oder zumindest reduzierte Aktivität des frontalen Kortex während des Gedächtnisabrufes erklären. Die Metaanalyse von Achim u. Lepage (2005); zeigte auch in weiteren, insbesondere dorsolateralen frontalen Arealen Unterschiede zwischen der Aktivierung bei Kontrollprobanden und schizophrenen Patienten. So zeigten Kontrollpersonen verstärkte Aktivierung im linken mittleren Frontallappen. Dieses Areal unterstützt Prozesse, die nach dem Gedächtniszugriff ablaufen, wenn der Erfolg des Gedächtnisabrufes evaluiert werden muss bzw. der Inhalt des Gedächtniszugriffes weiter verwendet werden soll. Eine Beeinträchtigung der Aktivierung dieses Areals passt zu dem Befund, dass schizophrene Patienten v. a. bei komplexeren Gedächtnisaufgaben stark beeinträchtigt sind. Auch im medialen präfrontalen Kortex zeigten Kontrollprobanden eine verstärkte Aktivierung gegenüber schizophrenen Patienten. Dieses Areal ist an Prozessen beteiligt, die mit selbstgenerierter Information oder Vorgehensweisen in Verbindung stehen. Diese Beeinträchtigung geht vermutlich auch mit dem gestörten Einsatz von selbst-generierten Strategien einher. Des weiteren deuten Unterschiede in der Aktivierung des anterioren Zingulums darauf hin, dass schizophrene Patienten mehr Anstrengung aufbringen müssen, um dieselbe oder eine ähnliche Gedächtnisleistung wie gesunde Normalprobanden zu vollbringen. Ferner fanden sich bei der Bearbeitung von Gedächtnisaufgaben Unterschiede zwischen den Patienten und der Kontrollgruppe im bilateralen Thalamus sowie im Kleinhirn. Verschiedenste Befunde haben bereits auf eine Dysfunkiton des kortikalzerebellär-thalamisch-kortikalen Netzes bei Schizophrenie hingedeutet, welches an der Modulation und Koordination verschiedenster kognitiver Funktionen beteiligt ist. Insbesondere das Kleinhirn scheint auch bei Gedächtnisprozessen eine Rolle zu spielen, wobei momentan noch umstritten ist, welche spezifische Funktion es erfüllt. Einige Autoren vertreten die Ansicht, dass das Kleinhirn nicht an den echten Gedächtnisvorgängen beteiligt ist,
22
sondern eher eine Rolle bei der Koordination von mentalen Vorgängen spielt. Eine Störung des Netzwerkes aus Arealen wie dem Kleinhirn, das die Koordination und Sequenzierung verschiedener kognitiver Funktionen beeinflusst, und höheren kognitiven Arealen wie dem frontalen Kortex führt dann zu Störungen der Koordination und Sequenzierung beim Abruf aus dem Gedächtnis. Einige Studien fanden auch eine verminderte Aktivierung in beidseitigen thalamischen Arealen sowohl bei Arbeitsgedächtnis- als auch bei episodischen Gedächtnisaufgaben. Diese verringerte Aktivierung der beidseitigen Thalami im Vergleich zu gesunden Normalprobanden fand sich insbesondere in den anterioren und den medialen dorsalen Nuklei und somit fürAreale des Thalamus, für die auch schon eine veränderte Struktur bei Schizophrenie nachgewiesen werden konnte. Allerdings korrelierte sowohl in der Gruppe der Gesunden als auch in der Gruppe der schizophrenen Patienten das Ausmaß der Aktivierung des Thalamus nicht mit der Gedächtnisleistung, sodass nicht vollständig klar ist, welche Rolle die Aktivierung des Thalamus bei den Gedächtnisaufgaben spielt. 22.2.3 Meta-Gedächtnis Als Metagedächtnis bezeichnet man das Wissen über das eigene Wissen bzw. die eigene Gedächtnisleistung. Darunter fällt beispielsweise das Gefühl der Richtigkeit, das wir beim erfolgreichen Abruf von Erinnerungen empfinden. Funktionen des Metagedächtnisses sind bisher erst in wenigen bildgebenden Studien untersucht worden.
Funktionelle Neuroanatomie des Metagedächtnisses im gesunden Gehirn Die wenigen funktionellen Bildgebungsstudien, die sich mit metakognitiven Gedächtnisvorgängen beschäftigten, weisen auf eine wichtige Rolle des präfrontalen Kortex bei diesen Vorgängen hin. Sie zeigen im Wesentlichen einen Anstieg der Aktivierung in dorsolateralen, anterioren und medialen präfrontalen Arealen mit steigendem Gefühl der Bekanntheit (Kikyo u. Miyashita 2004) sowie eine erhöhte Aktivität des inferioren präfrontalen Kortex mit steigendem subjektiven Vertrauen in die eigene Gedächtnisleistung. Auch ein Anstieg der Aktivierung des posterioren MTL mit steigerndem Bekanntheitsgefühl wurde beschrieben. Abgesehen von der Lokalisation der an metakognitiven Vorgängen beteiligten Areale spielt auch deren Interaktion eine entscheidende Rolle. Es wird vermutet, dass der mediale frontale Kortex an der Beurteilung des Vorhandenseins von Gedächtnisinhalten beteiligt ist. Der Zugriff auf diese Inhalte scheint jedoch von Erinnerungsvorgängen abzuhängen, die in Interaktion mit dem MTL von lateralen präfrontalen Arealen gesteuert werden. Es wird vermutet, dass der frontale Kortex durch ein Top-DownSignal an den MTL die zu erinnernde Information manipuliert und organisiert, Strategien entwickelt und Ergebnisse des Ge-
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Kapitel 22 · Gedächtnis – Bildgebung
dächtniszugriffes kontrolliert. Somit ist die Untersuchung der Interaktion zwischen frontalem Kortex und MTL essenziell für ein Verständnis der subjektiven Kontroll- und Steuerungsvorgänge, die auf einer metakognitiven Ebene die Gedächtniseinspeicherung und den Gedächtnisabruf kontrollieren. Es existieren jedoch noch keine bildgebenden Studien, die diese Interaktionen zufriedenstellend analysiert haben.
Funktionelle Veränderungen der neuronalen Korrelate des Metagedächtnisses bei Schizophrenie Die metakognitive Steuerung der Gedächtnisvorgänge ist bei schizophrenen Patienten beeinträchtigt. Typisch sind hierbei eine überhöhte Sicherheit bei falschen und gleichzeitig eine zu niedrige Sicherheit bei echten Erinnerungen, wodurch eine übergroße Anzahl von falschen Erinnerungen zustande kommt. Ferner sind die Beeinträchtigungen der Gedächtnisleistung beim freien Abruf aus dem Gedächtnis deutlich ausgeprägter als bei der Wiedererkennung. Von außen vorgegebene, effektive Enkodierungsstrategien können die Gedächtnisleistung verbessern. Bei der Anwendung dieser Strategien zeigen die Patienten zusätzliche Aktivierungen des präfrontalen Kortex (Bonner-Jackson et al. 2005), sodass zu vermuten ist, dass Gedächtnisstörungen bei Schizophrenie auf einer Störung der Nutzung von Enkodierungsstrategien beruhen. Also scheint nicht die im Gedächtnis gespeicherte Information selbst, sondern der Zugriff darauf gestört zu sein, sodass die Störung des deklarativen Gedächtnisses bei Schizophrenie nicht oder zumindest nicht ausschließlich auf Störungen des MTL zu beruhen scheint. Das Problem könnte vielmehr in einer Störung der Konnektivität zwischen frontalem Kortex und MTL liegen. Es wird vermutet, dass einige der kognitiven Beeinträchtigungen bei Schizophrenie im Wesentlichen als Nebenprodukte der gestörten Fähigkeit der Patienten auftreten, organisatorische Strategien anzuwenden, um die Leistung zu erhöhen. Insbesondere benutzen schizophrene Patienten bei Gedächtnisaufgaben selten organisatorische Strategien. Die neuronale Basis dieser Störung ist vermutlich im präfrontalen Kortex zu finden, möglicherweise jedoch auch in der Konnektivität dieses Areals mit anderen Arealen, die bei der jeweils zu bearbeitenden kognitiven Aufgabe von Bedeutung sind. Somit scheinen metakognitive Störungen eine wichtige Basis für die Gedächtnisstörungen bei Schizophrenie zu sein. Gedächtnisstörungen bei Schizophrenie scheinen somit eher auf der metakognitiven Ebene angesiedelt zu sein als auf der Ebene der objektiven Gedächtnisleistung. Diese Defizite hängen vermutlich eng zusammen mit weiteren Störungen der Metakognition, die wiederum einen wichtigen Vermittler zwischen grundlegenden kognitiven Defiziten und gestörter Einsicht in die eigene Krankheit darstellt.
22.3
Strukturelle Veränderungen von relevanten Gehirnregionen
In bildgebenden Studien zeigen sich nicht nur funktionelle Unterschiede zwischen Gesunden und schizophrenen Patienten. Häufig kann auch eine strukturelle Veränderung der betreffenden Regionen nachgewiesen werden. Meist handelt es sich dabei um eine Volumenreduktion der weißen und grauen Substanz. Dies betrifft mehrere Regionen im Gehirn der Patienten, besonders aber den dorsolateralen präfrontalen Kortex sowie den Temporallappen, mithin Areale, die auch für die Gedächtnisleistung von Bedeutung sind. Eine wichtige Frage ist, ob diese Veränderungen neurodegenerativ oder entwicklungsbedingt sind. Bei genetischen Veränderungen besteht die Möglichkeit, dass diese strukturellen Veränderungen auch bei Angehörigen von Patienten vorhanden sind, dann jedoch im Gegensatz zu den erkrankten Personen nicht weiter fortschreiten. Ganz allgemein gesehen, könnte die Fehlfunktion in zwei Arealen des Gehirns, die an Arbeitsgedächtnis- und Langzeitgedächtnis beteiligt sind, oder die Konnektivität dieser Areale untereinander das Muster der Schädigungen der Gedächtnissysteme bei schizophrenen Patienten erklären. Es handelt sich hierbei um den präfrontalen Kortex sowie den Hippokampus und den umgebenden parahippokampalen Kortex. Strukturelle Bildgebungsstudien sowie Post-mortem-Studien zeigen, dass sich bei schizophrenen Patienten kleinere Hippokampi und andere Veränderungen der mediotemporalen Regionen finden. Eine Metaanalyse konnte zeigen, dass selbst nach Korrektur für allgemeines Gehirnvolumen in den schizophrenen Patienten eine Verkleinerung des rechten Hippokampus um 3% und des linken Hippokampus um 2% vorliegt (Wright et al. 2000). Weiterhin fand sich eine Reduktion des parahippokampalen Volumens der rechten Hemisphäre um 5% und der linken Hemisphäre um 7%. Es wird weithin vermutet, dass diese anatomischen Veränderungen eine große Rolle für die Gedächtnisdefizite schizophrener Patienten spielen und dass kortikale Volumenminderungen die Defizite im episodischen Gedächtnis zum Teil erklären können. Befunde, die eine strukturelle Veränderung des präfrontalen Kortex zeigen, sind weitaus seltener und variabler. Dennoch ist, wie oben dargestellt, eine gestörte Funktion des präfrontalen Kortex unumstritten und wesentlich für bestimmte typische Muster der Gedächtnisstörungen bei Schizophrenie. Neben strukturellen Veränderungen scheinen auch Veränderungen in der Konnektivität zwischen Gehirnregionen von Bedeutung zu sein. Mittlerweile wird die Hypothese vertreten, dass die kognitiven Defizite bei Schizophrenie zum Teil auch durch dysfunktionale Integration von Netzwerkteilen in verschiedenen Gehirnregionen erklärt werden können. Zusätzlich zu funktionellen Untersuchungen werden deshalb auch Untersuchungen des Gehirns in Ruhe durchgeführt. Dabei werden vom Probanden keine Aufgaben bearbeitet, sondern es wird die spontane neuronale Aktivität gemessen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen zeigen, dass bei an Schizophrenie erkrankten Patienten
283 Literatur
v. a. Verbindungen des präfrontalen und des temporalen Kortex gestört sind. 22.3.1 Strukturelle Veränderungen
des Gehirnes im Kontext neurobiologischer Schizophreniemodelle Es ist wiederholt gezeigt worden, dass auch nicht erkrankte Verwandte von schizophrenen Patienten leichte Beeinträchtigungen von Gedächtnisfunktionen zeigen. Dieser Befund spricht dafür, dass die Beeinträchtigung der Enkodierung ins Gedächtnis einen Vulnerabilitätsfaktor für Schizophrenie darstellt. Auch finden sich die Beeinträchtigungen der Enkodierung bereits bei der ersten Episode der Schizophrenie und verändern sich nicht wesentlich im Laufe der Erkrankung. Diese Faktoren sprechen dafür, dass genetische Faktoren Enkodierungsdefizite bedingen. Das hippokampale Volumen ist bereits bei Personen mit einem hohen Risiko für Schizophrenie verändert, und auch nichtpsychotische Verwandte ersten Grades von Patienten mit Schizophrenie haben signifikant verkleinerte Hippokampi und signifikant schlechtere Gedächtnisleistungen als Kontrollpersonen ohne erhöhtes Risiko. Außerdem waren diese beiden Befunde signifikant miteinander korreliert, d. h., dass sowohl hippokampale Volumenänderungen als auch schlechtere Gedächtnisleistungen in Familien mit einem verstärkten genetischen Risiko für Schizophrenie verstärkt auftraten (Seidman et al. 2002). Dennoch ist anzunehmen, dass die Grundlage für die Gedächtnisbeeinträchtigungen bei Schizophrenie nicht ausschließlich genetischer Natur ist, sondern dass auch umweltbedingte Faktoren eine Rolle bei deren Entwicklung spielen. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass in eineiigen Zwillingen, bei denen jeweils ein Zwilling an Schizophrenie erkrankt ist, der kranke Zwilling kleinere Hippokampi hat als der nicht betroffene Zwilling. Dieser Befund deutet darauf hin, dass die Volumenänderung im Hippokampus nicht ausschließlich genetisch bedingt ist. Faktoren, die ein verkleinertes Volumen des Hippokampus bedingen können, sind beispielsweise Komplikationen während der Geburt. Es ist in vielen Studien gezeigt worden, dass durch die Hypoxämie bei Geburtskomplikationen das Risiko für Schizophrenie ansteigt, da Hypoxämie zu Zelltod und Verkleinerung von Zellen, insbesondere in hippokampalen Arealen, führen kann. Das Vulnerabilitätsstressmodell geht davon aus, dass eine genetische Disposition in Zusammenhang mit einem Stressfaktor zum Ausbruch der Krankheit und zu den beschriebenen Beeinträchtigungen der Gedächtnissysteme führt. Strukturell bildgebende Studien können helfen, Veränderungen im hippokampalen oder präfrontalen Bereich schon früh zu identifizieren. Longitudinale Bildgebungsstudien, die sowohl die strukturellen als auch die hirnfunktionellen Veränderungen im Verlauf der Erkrankung erfassen, werden auf längere Sicht in der Lage sein, den Beitrag genetischer und umweltbedingter Faktoren bei der Entstehung der Krankheit weiter zu isolieren.
22
Eine Studie, die die strukturellen Veränderungen im Gehirn schizophrener Patienten während des ersten Jahres sowie deren funktionelle Auswirkungen nach fünf Jahren gegenüberstellte, zeigte, dass frühe dynamische Veränderungen des Gehirnvolumens den langfristigen Ausgang der Schizophrenie vorhersagen können (Cahn et al. 2006). Eine weitere Studie unter Benutzung der voxelbasierten Morphometrie identifizierte eine Degeneration des rechten medialen temporalen Kortex, des medialen zerebellären Kortex und des bilateralen anterioren Zingulums im Laufe der schizophrenen Erkrankung (Velakoulis et al. 2002). Solche Befunde deuten darauf hin, dass die kognitiven Beeinträchtigungen im Bereich des episodischen Gedächtnisses sich zumindest zum Teil im Laufe des pathologischen Prozesses weiterentwickeln. Andererseits zeigte eine Untersuchung der degenerativen Veränderung des medialen Temporallappens und des Hippokampus keine Veränderung über die Zeit, sondern selbst die Verwandten von schizophrenen Patienten zeigten schon eine Degeneration dieser Areale im Vergleich zu gesunden Normalprobanden. ! Sowohl während der Gedächtniseinspeicherung als auch während des Abrufes aus dem Gedächtnis zeigen Patienten mit Schizophrenie abnormale Aktivierungsmuster, die im Wesentlichen in präfrontalen Arealen und im mediotemporalen Kortex, insbesondere dem Hippokampus, zu finden sind. Ferner finden sich bei schizophrenen Patienten auch strukturelle Veränderungen dieser Areale und eine gestörte Konnektivität der Areale untereinander.
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Kapitel 22 · Gedächtnis – Bildgebung
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23
23 Exekutivfunktionen – Psychologie Exekutive Funktionen bei Schizophrenie Bernhard Müller
23.1
Modelle exekutiver Funktionen – 286
23.1.1 23.1.2 23.1.3 23.1.4
Das »Supervisory-Attentional«-System – 286 Die zentrale Exekutive des Arbeitsgedächtnisses – 287 Exekutive Funktion als Handlungssteuerung – 287 Zusammenfassung – 288
23.2
Lokalisation exekutiver Leistungen
23.3
Tests zur Untersuchung exekutiver Leistungen
– 288 – 289
23.4
Befunde zu exekutiven Leistungen bei Schizophrenie
23.4.1 23.4.2 23.4.3 23.4.4 23.4.5 23.4.6 23.4.7 23.4.8 23.4.9 23.4.10
Einführung – 295 Exekutive Leistung im Verlauf der Erkrankung – 295 Prodromalphase – 295 Exekutive Leistung bei früh erkrankten Patienten – 296 Exekutive Leistungen bei ersterkrankten Patienten – 296 Exekutive Funktionen im Krankheitsverlauf – 296 Exekutive Leistungen und Symptomatik – 297 Genetik und exekutive Leistungen – 297 Medikation und exekutive Leistungen – 298 Weitere Faktoren – 299
23.5
Zusammenfassung und Ausblick Literatur
– 300
– 299
– 295
286
23
Kapitel 23 · Exekutivfunktionen – Psychologie
Viele Handlungen in unserem täglichen Leben bestehen aus gut gelernten Fertigkeiten und erfordern nur wenig Bewusstsein darüber, dass wir sie anwenden. Etwas anderes ist es, neue Fertigkeiten zu lernen. Viele erinnern sich z. B. an ihre ersten Fahrstunden: Eine Vielzahl an Hebeln und Pedalen und ein Fahrlehrer, der sie bittet, den ersten Gang einzulegen. Wenn sie am Berg die Bremse los lassen, bevor der Gang eingelegt ist, ist es gut, dass er den Überblick behält und eingreifen kann. Im Laufe der Zeit haben sie dann die erforderlichen motorischen Abläufe gelernt; sie können von Ihnen automatisiert durchgeführt werden. Jetzt müssen Sie kaum noch über das Fahren selbst nachdenken. Drei Jahre nach Ihren ersten Fahrstunden, auf dem Weg zur Arbeit, konzentrieren Sie sich während der Fahrt auf die aktuellen Nachrichten – bis vor Ihnen plötzlich die Straße gesperrt ist. Jetzt überlegen Sie, welchen Umweg Sie nehmen können, und als Sie endlich auf dem Parkplatz angekommen sind, bemerken Sie, dass Sie den aktuellen Wetterbericht verpasst haben. Die ersten Fahrstunden erfordern ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, eine Erinnerung an vorher nur theoretisch Gelerntes und eine Planung dessen, was als erstes und was als zweites zu tun ist. Diese Situation erfordert die Planung und Sequenzierung von Handlungen, deren Ablaufschritte nicht überlernt sind. Wenn das erste Anfahren erfolgreich war, gibt es keine Zeit, sich über den Erfolg zu freuen, da sofort die nächsten Regeln aufgerufen und in die Planung des nächsten Handlungsschritts eingebaut werden müssen. Neuropsychologisch bedeutet dies, dass der Inhalt des Arbeitsgedächtnisses gewechselt werden muss. Im zweiten Teil des Beispiels muss der Fokus der Aufmerksamkeit gewechselt werden. Gleichzeitig kann eine Handlungsregel, die vorher überlernt wurde, nicht mehr angewendet werden. Dies erfordert einen sog. »Set Shift« und neues vorausschauendes Planen. Das Überhören des Wetterberichts ist dabei eine aktive Inhibitionsleistung. Da die Menge der Informationen, die gleichzeitig bewusst verarbeitet werden kann, begrenzt ist, ist es erforderlich, diese von der bewussten Verarbeitung fern zu halten. In diesen zwei kleinen Beispielen finden sich wichtige Aspekte exekutiver Leistung wieder, um die es in diesem Kapitel geht.
ständnis der funktionellen Bedeutung kortikaler und subkortikaler Hirnstrukturen und ihrer Vernetzung vorangetrieben wird, sind übergreifende integrative theoretische Modelle exekutiver Funktionen schnell dazu verurteilt, durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse überholt zu werden. Drei Modelle, die aktuelles Denken über exekutive Leistungen beeinflussen, sollen hier erwähnt werden. 23.1.1 Das »Supervisory-Attentional«-System Von Norman u. Shallice (1986) stammt der Entwurf eines »Supervisory-Attentional«-System, das die Kontrolle exekutiver Funktionen übernimmt. Überlernte Routineaufgaben werden als Schemata ohne aktive Aufmerksamkeitszuwendung über das »Contention Sheduling« verarbeitet. Das »Supervisory-Attentional«-System wird aktiv, wenn Handlungsaufgaben neu oder konfliktbehaftet sind und aktive Aufmerksamkeit und Handlungssteuerung erfordern (. Abb. 23.1). Zehn Jahre später schlugen Shallice u. Burgess (1996) 8 Subprozesse vor, die die Steuerungselemente innerhalb des »Supervisory-Attentional«-Systems weiter spezifizieren und das Modell erweiterten: Danach werden, wenn die Entwicklung eines neuen Schemas erforderlich wird, folgende Prozesse durchlaufen: 1. neue Strategieansätze werden im Arbeitsgedächtnis implementiert; 2. die Ansätze werden über einen Monitoring-Prozess überwacht 3. und gegebenenfalls verworfen, 4. wenn ein spontan gewählter Strategieansatz den Monitoringund Evaluationsprozess besteht, wird er etabliert,
! Exekutive Funktionen beschreiben die Fähigkeit, Handlungen vorzubereiten, zu planen und ihre Ausführung zu überwachen. Dazu gehört auch die Fertigkeit, den Fokus der Aufmerksamkeit zu wechseln, irrelevante Inhalte auszublenden und überlernte Handlungsmuster zu inhibieren, wenn es erforderlich ist. Zu den exekutiven Leistungen werden auch Fertigkeiten wie die der Manipulation von Inhalten des Arbeitsgedächtnisses gezählt. Exekutive Funktionen interagieren deshalb eng mit anderen kognitiven Funktionen wie Aufmerksamkeit und Gedächtnis.
23.1
Modelle exekutiver Funktionen
Angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich zzt. die Erkenntnisse in den kognitiven Neurowissenschaften entwickeln und das Ver-
. Abb. 23.1. Vereinfachte Darstellung des »Supervisory-Attentional«System von Norman u. Shallice. (Nach Shallice 1982)
287 23.1 · Modelle exekutiver Funktionen
23
5. wenn keine spontanen Strategieansätze zur Verfügung stehen, muss eine Sequenz der Problemlösung durchlaufen werden, deren Überwachung Shallice u. Burgess (1996) einen eigenen Prozess zuweisen; 6. ein weiterer wichtiger Schritt in der Problemlösung einer nicht spontanen Strategie wird als ein Prozess der Zielformulierung beschrieben, 7. zwei weitere Prozesse dienen der Bildung und Realisierung von Intentionen 8. und dem Gedächtnisabruf. Der Gedächtnisabruf stellt gewissermaßen »Rohmaterial« früherer Erfahrungen mit vergleichbaren Situationen zur Verfügung, in denen ebenfalls neue Situationen die Generierung neuer Schemata notwenig machten. Diese acht Subprozesse des »Supervisory-Attentional«-Systems sind eingebettet in drei Stufen der Schemagenerierung: 1. die Bildung eines temporären neuen Schemas (Prozesse 4– 8), 2. die Implementierung im Arbeitsgedächtnis (Prozess 1) 3. und die Evaluation (Prozess 2–3) Ein wichtiger Aspekt des Modellentwurfs von Shallice besteht darin, dass er Erklärungsansätze für die Entstehung neuer Handlungsmuster vorlegt, die in Situationen entwickelt werden müssen, in denen überlerntes Verhalten nicht erfolgreich ist – z. B. in der Situation einer gesperrten Straße auf dem Weg zur Arbeit. 23.1.2 Die zentrale Exekutive
des Arbeitsgedächtnisses Ein weiteres Modell exekutiver Kontrolle wurde von Baddeley u. Hitch (1974) im Kontext von Überlegungen zum Arbeitsgedächtnis vorgelegt. Sie formulierten ein Drei-Komponenten-Modell, das eine Arbeitsgedächtniskomponente für sprachliches und visuell-räumliches Arbeitsgedächtnis enthält und eine Komponente für die exekutive Kontrolle. Später erweiterte Baddeley (2000) sein Modell um den Episodic Buffer, der als exekutive Kontrolle des Gedächtnissystems ausgelegt ist. Nach Baddeley verfügt der Episodic Buffer über Verbindungen zum Langzeitgedächtnis und zu den zwei Arbeitsgedächtnismodulen. Er macht Gedächtnisinhalte integriert verfügbar und steuert damit exekutive Leistungen wie die Fokussierung und Teilung von Aufmerksamkeit und Aufmerksamkeitswechsel (Baddeley 2003; . Abb. 23.2). In der Untersuchung von Arbeitsgedächtnisleistungen können Aufgaben mit unterschiedlichen exekutiven Leistungsaspekten unterschieden werden. In einfachen Arbeitsgedächtnisaufgaben muss vorgegebenes Material online gehalten werden, um später reproduziert zu werden und z. B. für eine einfache Entscheidung zur Verfügung zu stehen. Diese Form der Arbeitsgedächtnisaufgaben geht auf tierexperimentelle Untersuchungen zurück, wie sie in der Arbeitsgruppe von Patricia Goldman-Rakic
. Abb. 23.2. Modell exekutiver Kontrolle des Arbeitsgedächnisses von Baddeley. (Nach Baddeley 2003)
untersucht wurden (Funahashi et al. 1989). Goldmann-Rakic konnte in Tierstudien zeigen, dass es spezifische präfrontale Neurone gibt, die nur im Augenblick des kurzzeitigen Behaltens einer Information aktiv sind. Andere Ansätze betonen dagegen den Aspekt der Manipulation von Information im Arbeitsgedächtnis und damit die exekutiven Anteile der Arbeitsgedächtnisleistungen (Perry et al. 2001). Eine einfache Unterscheidung in diesem Sinn liegt z. B. im Vorwärts-und-rückwärts-Zahlennachsprechen vor. Während das Nachsprechen »vorwärts« nur den reinen Wiederabruf des vorgegebenen Materials in gleicher Reihenfolge wie bei der Vorgabe enthält, muss beim Nachsprechen »rückwärts« eine Manipulation und damit eine exekutive Leistung mit dem gespeicherten Material durchgeführt werden. Ein weiteres Beispiel solcher Arbeitsgedächtnisaufgaben mit hohem exekutivem Anteil sind die N-back-Aufgaben. Hier muss bei jedem neu präsentierten Item geprüft werden, ob es als letztes (1-back), vorletztes (2-back) oder vorvorletztes (3-back) Item schon einmal präsentiert wurde. In diesem Aufgabentyp muss der Inhalt des Arbeitsspeichers permanent manipuliert und verändert werden. 23.1.3 Exekutive Funktion als Handlungssteuerung Ein weiteres Modell exekutiver Kontrolle, das für die Untersuchungen von Teilbereichen schizophrener Symptomatik relevant ist, kommt aus dem Bereich der Untersuchung motorischer Handlungssteuerung. Basierend auf Überlegungen von Wolpert (1995) zur sensomotorischen Integration formulierte Frith (2005) Überlegungen, nach denen Patienten mit Schizophrenie Probleme in der Überwachung eigener Handlungen haben.
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Kapitel 23 · Exekutivfunktionen – Psychologie
Die Basis für erfolgreich ausgeführte Handlungen ist die Überwachung ihrer sensorischen Konsequenzen (Frith 2005). Nach Frith haben Patienten mit Schizophrenie Probleme in solchen Prozessen sensumotorischer Integration und Vorhersage. Dabei liegt nach Frith das Problem schizophrener Patienten nicht primär in der eigentlichen motorischen Ausführung der Handlungen, sondern in dem bewusstseinsfähigen Anteil der Handlungssteuerung, der mit dem Bewusstsein der Ich-Identität (Agency) verbunden ist. Anwendung hat dieses Modell in Studien zur sensorischer Prädiktion akustischer Reize gefunden. So wurde in einer Arbeit von Shergill et al. (2005) untersucht, in welchem Ausmaß ein ausgeübter Druck auf einen Finger in seiner Stärke gegenüber einem über einen Joystick und einen Apparat ausgeübten Druck unterschätzt wird. Diese Form der Modulation sensorischer Wahrnehmung wird im Kontext des Wolpert-Modells auf die Attenuation sensorischer Reizwahrnehmung bei eigenen Handlungen zurückgeführt. Patienten mit Schizophrenie zeigten in dieser Studie eine gegenüber gesunden Kontrollprobanden verminderte Attenuation der Wahrnehmung bei selbst ausgeführtem Druck, nicht aber, wenn dieser vermittelt über einen Joystick reguliert wurde. 7 Kap. 38 geht ausführlich auf die Modelle und Befunde zur Überwachung von Handlungen und ihren Bezug auf das Konzept der Agency ein. 23.1.4 Zusammenfassung Die hier vorgestellten Modelle bieten wichtige Anregungen für die Untersuchung und die theoretische Einordnung gesunder und gestörter exekutiver Handlungskontrolle. Das Modell von Shallice u. Burgess (1996) beschreibt Handlungskontrolle als ein Problem der Generierung neuer Handlungsschemata. Das Modell von Baddeley (2003) diskutiert exekutive Kontrolle aus der Sicht des Arbeitsgedächtnisses und das Modell von Frith (2005) untersucht exekutive Funktionen aus der Sicht der Steuerung und Überwachung motorischer Aktionen. Es bleibt zu bedenken, dass zzt. keines der Modelle in der Lage ist, alle relevanten Daten zu integrieren. Die Klärung der Organisation exekutiver Handlungskontrolle ist ein Feld, das sich weiter entwickeln wird. 23.2
Lokalisation exekutiver Leistungen
Traditionell werden exekutive Funktionsbereiche Verarbeitungsarealen im präfrontalen Kortex zugeschrieben. Die Grundlage dafür sind v. a. Studien aus dem Bereich der neurologischen Neuropsychologie, in denen gezeigt wurde, dass exekutive Leistungen bei frontalen Hirnschädigungen Einfluss auf Handlungssteuerung, -inhibition und -überwachung haben (Lezak 1995). Studien zur funktionellen Bildgebung von exekutiven Funktionen sind zzt. in der Humanforschung die wichtigste Methode zur Lokalisation von Hirnfunktionen. Befunde zu exekutiven
Leistungen stellt 7 Kap. 24 vor. Hier sollen nur einige grundsätzliche Überlegungen angesprochen werden. Studien zur Konnektivität frontaler Hirnregionen bei Tieren haben schon vor zwanzig Jahren Hinweise auf teilweise komplexe Vernetzungen zwischen präfrontalen Regionen und subkortikalen Strukturen ergeben. Ein wichtiges Beispiel dafür sind die Untersuchungen von Alexander (1986). Er beschrieb fünf neuronale Schaltkreise, die bei parallelem strukturellem Aufbau jeweils Verbindungen zwischen Basalganglien, dem Thalamus und dem frontalen Kortex von Affen aufweisen. Die kortikalen Bereiche dieser Schaltkreise sind das supplementär motorische Areal, das frontale Augenfeld, der dorsolaterale präfrontale Kortex, der Gyrus Cinguli und der laterale orbito-frontale Kortex, die jeweils bei unterschiedlichen Aufgaben in der Steuerung exekutiver Leistungen beteiligt sein können. Für die Funktion des Kleinhirns wurde lange Zeit angenommen, dass es ausschließlich im Kontext motorischer Steuerung relevant ist. In Tierstudien konnten Middleton u. Strick (1994) Verbindungen des Kleinhirns in präfrontale Regionen, darunter auch in den dorsolateralen präfrontalen Kortex, nachweisen. In späteren Arbeiten konnte gezeigt werden, dass diese Verbindungen reziproke Schaltkreise darstellen (Kelly u. Strick 2003). Daraus ergibt sich, dass das Kleinhirn Einfluss auf den dorsolateralen präfrontalen Kortex nehmen könnte, der beim Menschen für die Funktion des Arbeitsgedächtnisses relevant ist. Unabhängig davon fanden eine Reihe von Studien bei Patienten mit Schizophrenie verminderte Kleinhirnaktivierungen bei kognitiven Aufgaben. Vor diesem Hintergrund formulierte Andreasen et al. (1996) die Kleinhirnhypothese der Schizophrenie, nach der es bei Patienten zu einer Form kognitiver Dysmetrie kommt. Ein ganz ähnliches Prinzip gilt für die Bedeutung kortikokortikaler Netzwerke. So geben Tierstudien Hinweise darauf, dass im hinteren parietalen Kortex Repräsentationen motorischer Aktionen verarbeitet werden (Cohen u. Andersen 2002). Solche Repräsentationen motorischer Aktionen zeigten sich in einer Untersuchung von Toni et al. (2002) bei Menschen im Zusammenspiel von frontalen, parietalen und temporalen Generatoren. ! Auch wenn die Komplexität und die funktionelle Bedeutung dieser Verbindungen für exekutive Defizite bei Schizophrenie noch nicht vollständig verstanden sind, machen sie deutlich, dass ein Defizit in einer exekutiven Funktion nicht notwendig durch ein Problem im Bereich des frontalen Kortex verursacht sein muss. Eine Störung der Verarbeitung in anderen kortikalen, in subkortikalen Regionen oder im Kleinhirn kann deshalb zu Leistungsverminderungen in Tests exekutiver Funktionen führen, die ursprünglich als sog. Frontallappen-Tests galten.
289 23.3 · Tests zur Untersuchung exekutiver Leistungen
23.3
Tests zur Untersuchung exekutiver Leistungen
Es gibt eine Reihe von Tests, denen Sensitivität für exekutive Funktionsbereiche zugeschrieben wird. Einige der am häufigsten in der Schizophrenie-Forschung verwendeten Tests exekutiver Funktion sollen in diesem Abschnitt beschrieben werden. Unter funktionellen Gesichtspunkten lassen sie sich in Aufgaben zur Reaktionsinhibition, zum Arbeitsgedächtnis, zur Handlungsplanung und Handlungssteuerung und zum Lernen und Wechseln von Regeln unterteilen.
Reaktionsinhibition Go-Nogo-Aufgaben Go-Nogo-Aufgaben erfordern Entscheidungen oder lösen Konflikte zwischen einer Reaktionstendenz und der tatsächlich auszuführenden Reaktion aus. Implementierungen solcher Aufgabentypen finden sich in Continuous Performance Test-Aufgaben (CPT), in denen z. B. nur dann reagiert werden darf, wenn auf ein vorher präsentiertes A ein X präsentiert wird (AX-CPT). In dieser Aufgabe werden auf einem Computermonitor nacheinander eine Reihe von Buchstaben für z. B. jeweils 2 s präsentiert. Wenn in dieser Folge ein A erscheint, wird der Proband vorgewarnt, dass er möglicherweise gleich reagieren muss. Kommt danach ein X, führt der Proband die vorbereitete Aktion aus. Kommt ein anderer Buchstabe, muss die vorbereitete Reaktion inhibiert werden. Zusätzlich muss die Reaktion auf ein X inhibiert werden, wenn dieses nicht einem A folgt. Dieser Aufgabentyp ist eine Variante einer Daueraufmerksamkeitsaufgabe, die eine exekutive Komponente enthält. Die Trennung von neuropsychologischen Konzepten wie Aufmerksamkeit und exekutiver Kontrolle ist nicht immer vollständig in Tests realisierbar. Eine Arbeit von Callejas et al. (2005) untersuchte z. B. das Verhältnis von Aufmerksamkeitsprozessen des »Alerting« und »Orienting« im Verhältnis zu exekutiver Kontrolle. Die Autoren fanden, dass die Anregung des »Orienting«-Systems die Ausführung exekutiver Kontrolle unterstützte, während in Bezug auf das »Alerting«-System das Gegenteil der Fall war. Innerhalb einer Aufgabe kann es zu komplexen Interaktionen zwischen Aufmerksamkeitsprozessen und Prozessen exekutiver Handlungssteuerung kommen. Den AX-CPT verwendeten z. B. Barch et al. (2003) in der Untersuchung von Patienten mit Schizophrenie, bei Patienten mit anderen psychotischen Störungen und bei Kontrollprobanden. Beide Patientengruppen waren in ihrer Leistung vor der Behandlung vermindert, aber nur Patienten mit anderen psychotischen Störungen zeigten nach 4 Wochen psychiatrischer Behandlung eine verbesserte Leistung im AX-CPT. Stroop-Tests In Stroop-Tests wird der Effekt untersucht, dass für das Benennen der Farben von Farbwörtern mehr Zeit gebraucht wird, wenn das Farbwort zu der zu benennenden Farbe inkongruent ist, als für das
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Benennen von Farben oder das Lesen von farbneutral vorgegebenen Farbwörtern. Für das Benennen von in kongruenter Farbe vorgegebenen Farbwörtern zeigen sich dagegen unter bestimmten Bedingungen Reaktionszeitverkürzungen im Sinn einer Faszilitation. Der nach ihm benannte Effekt wurde von Stroop (1935) erstmals systematisch untersucht. Seine theoretische Einordnung wird aber immer noch unterschiedlich diskutiert: als Ergebnis eines Response-Konflikts, als Defizit einer ResponseInhibition oder als Defizit selektiver Aufmerksamkeit (Lezak 1995). Eine im deutschen Sprachraum häufig verwendete Papierund-Bleistift-Version stammt von Bäumler (1985). In dieser Version werden Bögen vorgelegt, auf denen sich entweder Farbstriche, in schwarz gedruckte Farbwörter oder in inkongruenter Farbe gedruckte Farbwörter befinden, die der Proband nacheinander lesen bzw. – im Fall der Farben – bennenen muss. In experimentellen Untersuchungen kommen auch häufig computergestützte Varianten zur Anwendung, in denen die Items jeweils einzeln präsentiert werden. Es gibt Hinweise darauf, dass sich die klassische Testform mit spaltenweise vorgegebenen Items und Computerversionen mit einzeln präsentierten Items in ihren psychometrischen Eigenschaften unterscheiden (Perlstein et al. 1998). In Bezug auf die Untersuchung der Reaktions- und Bearbeitungszeiten liegen aus der Untersuchung von Patienten mit Schizophrenie uneinheitliche Ergebnisse vor. In einer Untersuchung von Müller et al. (2004) zeigten 100 Patienten mit Schizophrenie gegenüber 62 Kontrollprobanden in der Untersuchung mit dem klassischen Stroop-Test nach Bäumler (1985) eine deutlich erhöhte Bearbeitungszeit in der Interferenzbedingung. In einer Faktorenanalyse über die in dieser Untersuchung verwendeten Tests bei den Kontrollprobanden zeigte sich darüber hinaus, dass die Leistung in einer semantischen Wortflüssigkeitsaufgabe in einem Faktor mit der Interferenz im Stroop- Test assoziiert war. Je mehr Wörter in der Wortflüssigkeitsaufgabe genannt wurden, desto weniger Interferenz zeigten die Probanden. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass die Fähigkeit zum Generieren von Wörtern als exekutive Leistung mit dem Ausmaß der Interferenz in einer klassischen Stroop-Aufgabe assoziiert ist. Die Anzahl der durch die Interferenz hervorgerufenen Fehler wird bei Patienten vergleichsweise konsistenter als erhöht berichtet. So wurden in einer Untersuchung von Chen et al. (2001) ersterkrankte Patienten zu Beginn ihrer Behandlung und nach Stabilisierung der Symptomatik mit einer »single-trial«Variante eines Stroop-Tests untersucht. Von insgesamt 56 Patienten hatten zum Zeitpunkt der Eingangsuntersuchung 30 noch nie eine neuroleptische Medikation erhalten. Chen fanden v. a. zum Behandlungsbeginn erhöhte Fehlerquoten bei Patienten mit Schizophrenie. Diese reduzierten sich nach fünf Wochen Behandlung, waren aber im Vergleich zu den Kontrollprobanden immer noch erhöht (. Abb. 23.3). In Bezug auf die Reaktionszeiten fand Chen dagegen keinen Effekt der Interferenz und keinen Effekt der neuroleptischen Medikation.Weitere Ergebnisse des Stroop-Effekts in der funktionellen Bildgebung werden in 7 Kap. 24 vorgestellt.
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Kapitel 23 · Exekutivfunktionen – Psychologie
23 . Abb. 23.3. Stroop-Effekt. Von links nach rechts: Farbwörter, inkongruente Farben von Farbwörtern, Farben und kongruente Farben von Farbwörtern. (7 Farbtafeln, S. 661)
mit ähnlichem Testaufbau finden sich in der computergestützten Testbatterie CANTAB. Eine international gebräuchliche Variante einer Arbeitsgedächtnisaufgabe ist der »Letter-Number Span«-Test. Hier werden unterschiedlich lange Reihen von Buchstaben und Zahlen vorgegeben, die nach Kategorie (Zahlen und Buchstaben) und dann innerhalb der Kategorie aufsteigend wiedergegeben werden müssen. So wird z. B. aus E-1-R-8-M-7 die Reihe 1-7-8-E-M-R. Diese Form der Arbeitsgedächtnisaufgabe hat einen vergleichsweise hohen exekutiven Anteil (McGurk et al. 2004), und Patienten mit Schizophrenie zeigten gegenüber den einfachen Varianten des Vorwärts-und-rückwärts-Zahlennachsprechens eine deutlich stärker beeinträchtigte Leistung (Braff et al. 2007).
Arbeitsgedächtnis Arbeitsgedächtnisaufgaben erfordern das Halten und Austauschen von Informationen für den Gebrauch in zukünftigen Handlungen und Entscheidungen – z. B. das kurzzeitige Merken einer Telefonnummer. Einfache Aufgaben wie das Wiedergeben von kurzen Zahlenreihen liegen an der Grenze zwischen Kurzzeitgedächtnisaufgaben und Arbeitsgedächtnisaufgaben und sind z. B. in klassischen Intelligenztests wie dem Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene (WIE) enthalten (von Aster et al. 2006). Es gibt eine Reihe von Varianten für die Untersuchung von Arbeitsgedächtnisleistungen. Sie unterscheiden sich einerseits hinsichtlich der Modalität, die sie untersuchen (verbal/räumlich), andererseits hinsichtlich der Fragestellungen, ob sie ein einfaches Online-Halten der Information erfordern (»delayed-matchingto-sample«-Aufgaben), ob Arbeitsgedächtnisinhalte häufig ausgetauscht werden (N-back-Aufgaben) und ob die im Arbeitsgedächtnis gehaltenen Informationen gegen ablenkende Inhalte geschützt werden müssen. In einer Metaanalyse von 124 Studien, in denen Arbeitsgedächtnisaufgaben verwendet wurden, kommen Lee u. Park (2005) zu dem Ergebnis, dass Patienten mit Schizophrenie ein über Studien hinweg reliables Arbeitsgedächtnisdefizit zeigen. Dieses ist unabhängig davon nachweisbar, ob es mit visuell-räumlichen oder mit verbalen Aufgaben untersucht wird. Die Effektstärken bei Tests zum visuell-räumlichen Arbeitsgedächtnis waren in dieser Studie etwas höher als bei Tests zum verbalen Arbeitsgedächtnis. Delayed Matching to Sample Eine interessante Variante eines Arbeitsgedächtnistests ist der computergestützte Gedächtnis- und Aufmerksamkeitstest CGT-M von Satzger u. Engel (1996). In diesem Test muss ein Stimulusbild für eine kurze Zeit eingeprägt werden. Es folgt eine Phase, in der das Bild nicht zu sehen ist und kurze Töne zur Ablenkung vorgegeben werden. Im Abschluss werden vier Bilder präsentiert, die sich nur in Details unterscheiden. Der Proband hat nun die Aufgabe, das vorher präsentierte Bild zu identifizieren. Auch wenn dieser Test international wenig Anwendung gefunden hat, ist er interessant, weil er als deutsche Entwicklung eine normbasierte Testung einer »Delayed-Matching-to-Sample«-Aufgabe implementiert. Varianten von räumlichen »Delayed-Matching-to-Sample«-Aufgaben
N-back-Aufgaben In N-back-Aufgaben im Rahmen einer »Continuous-Performance«-Aufgabe muss kontinuierlich geprüft werden, ob ein gerade präsentiertes Item mit einem vorher präsentierten N-Stellen-Item identisch ist. Wenn auf einem Computerbildschirm z. B. in kurzer Abfolge die Ziffern 3 – 6 – 4 – 9 – 4 – 1 – 5 – 7 – 2 – 7 – 9 präsentiert werden, hat der Proband die Aufgabe, zuerst beim Erscheinen der zweiten »4« und dann der zweiten »7« eine Reaktionstaste zu drücken. Abhängige Variablen sind die Anzahl der Fehler in Form von falsch-positiven Reaktionen und in Form von Auslassungen sowie die Reaktionszeiten. In der Regel wird diese Art der Aufgabe als computergestütztes Verfahren angewendet; es zeigt in Form einer »Continuous-Performance«-Aufgabe eine Abhängigkeit von Aufmerksamkeitsleistungen. In der Unterscheidung einer 0-back- und einer 2-back-Aufgabe zeigt er aber wegen der andauernden Manipulation im Arbeitsgedächtnis eine Sensitivität für exekutive Leistungen. Krieger et al. (2005) untersuchten Patienten mit Schizophrenie und Kontrollprobanden in Bezug auf einfache Reaktionszeiten, eine einfache Diskriminationsaufgabe, eine Wahlreaktionsaufgabe, eine verzögerte Reaktionsaufgabe und eine N-back-Aufgabe. Dabei konnten die Autoren zeigen, dass Fehler bei den Patienten erst mit der Einführung eines Delays in der Reaktionsantwort und bei der N-back-Aufgabe auftraten. Die Reaktionszeiten verlängerten sich dagegen schon bei der Wahlreaktionsaufgabe und waren bei den zwei Aufgaben mit Arbeitsgedächtnisanteil nochmals deutlich verlängert.
Handlungsplanung und Steuerung Wortflüssigkeit In Wortflüssigkeitsaufgaben müssen innerhalb einer definierten Zeit Wörter generiert werden, die bestimmten Bedingungen entsprechen. Im englischen Sprachraum sind Wortflüssigkeitsaufgaben auch unter der Bezeichnung »Controlled Oral Word Association« bekannt. Es gibt eine Vielzahl von Durchführungsformen und Varianten, und einer der Vorteile von Wortflüssigkeitsaufgaben ist die einfache Durchführung und die Kürze der dafür benötigten Zeit. Eine erste Form eines schriftlichen Wortflüssigkeitstests geht auf Thurstone (Thurstone 1938) zurück. Die am
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häufigsten verwendete Form der verbalen Produktion von Wörtern wurde von Benton u. Hamsher (1989) etabliert. In dieser Variante hat der Proband die Aufgabe, innerhalb von je 1 min Wörter zu generieren, die mit den Buchstaben F, A und S beginnen. Diese Testvariante wird »Semantic Fluency« genannt. In einer anderen Variante, dem »Category Fluency« müssen z. B. Tiernamen, Sportarten oder Pflanzen benannt werden. Abhängige Variablen sind die Anzahl der produzierten Wörter und die Anzahl der Fehler, die vom Probanden gemacht werden. Die Organisation der Aufgabe, Wörter zu finden, die mit dem Buchstaben »A« beginnen, beinhaltet Elemente exekutiver Handlungssteuerung. So müssen zum Begriff Auto z. B. möglicherweise nahe liegende Assoziationen wie »Motor« und »Sport« oder Wortvariationen wie Autobus inhibiert werden. Da Wortwiederholungen als Fehler gewertet werden, wird Wortflüssigkeitsaufgaben auch eine Gedächtniskomponente zugeschrieben. Der Wortflüssigkeitstest zeigt eine Sensitivität für insbesondere linksfrontale Läsionen. Wie auch bei anderen Tests exekutiver Funktionen ist er nicht spezifisch für frontale Funktionsstörungen, da auch andere Kortexbereiche für eine unauffällige Leistung in diesem Test erforderlich sind (Alvarez u. Emory 2006). Moore et al. (2006) untersuchten eine große Gruppe älterer Patienten mit Schizophrenie (n=163) und Kontrollprobanden (n=92) mit semantischen und »Category-Fluency«-Tests. Die Patienten zeigten in beiden Varianten eine verminderte Anzahl richtig benannter Wörter. Zusätzlich untersuchten die Autoren den Inhalt der benannten Wörter auf die Zahl und die Größe inhaltlicher Cluster von Wörtern und die Anzahl der Wechsel zwischen den Clustern. In der Analyse der Clusterbildung fanden die Autoren in beiden Varianten keine Unterschiede zwischen Patienten und Kontrollprobanden. In Bezug auf die Clusterwechsel unterschieden sich die Gruppen dagegen sowohl im
a
b
. Abb. 23.4. Beispiel für eine Aufgabe der Stockings of Cambridge. Die untere Hälfte zeigt die Ausgangskonfiguration, und die obere Hälfte zeigt die Zielkonfiguration. Der Proband wird in dem Test aufgefordert, die Bälle im unteren Teil einzeln so zu verschieben, dass sich die in der oberen Hälfte gezeigte Zielkonfiguration ergibt. Dafür wird eine Kugel mit
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semantischen als auch im »Category-Fluency«-Test. Damit scheinen die Patienten eher Probleme mit kognitiver Flexibilität als mit dem Zugriff auf semantische Inhalte zu haben. Tower-Tests Die sog. Tower-Tests beschreiben eine Klasse von Aufgaben, in denen Elemente wie Bälle oder Scheiben in einzelnen »Zügen« sortiert werden müssen. Dabei gibt es je nach Testvariante unterschiedliche Restriktionen. So können z. B. die Stäbe, auf denen die Elemente sortiert werden, unterschiedlich lang sein. Die Elemente der Ausgangskonfiguration müssen dann so umsortiert werden müssen, dass sie einer Zielkonfiguration entsprechen. Die Aufgabenschwierigkeit wird über die Anzahl der Züge und die Zwischenschritte definiert, die zur Lösung des Problems notwendig sind. Dadurch können sehr unterschiedliche Zielgruppen – von Kindern bis zu Personen im hohen Alter – untersucht werden. In der Lösung von Tower-Tests müssen die Züge, die zur Lösung des Problems erforderlich sind, vorher durchdacht werden. Diese Form der vorausschauenden Handlungsplanung erfordert Arbeitsgedächtnisleistungen und motorisch-räumliche Planung. Entsprechend dieser Voraussetzungen waren in einer Untersuchung von Shallice (1982) mit dem Tower of London besonders Patienten mit rechts-frontalen Läsionen beeinträchtigt. Es liegt eine Reihe von Varianten der Tower-Aufgaben vor. Die in der Schizophrenieforschung gebräuchlichsten sind der »Tower of London«, der »Tower of Hanoi« und die »Stockings of Cambridge«. Ursprünglich waren die Tower-Tests-Holzkonstruktionen. Heute werden diese Tests häufig als computergestützte Varianten verwendet. Die Ausgangssituation für ein 2-ZugProblem in der computergestützten Version der Stockings of Cambridge aus der Testbatterie CANTAB zeigt . Abb. 23.4. Die computergestützten Tower-Tests erlauben neben der Erfassung
c der Maus angeklickt und mit einem zweiten Klick an die neue Position verschoben. Die Abbildung zeigt ein 2-Zug-Problem. Hier muss zuerst die dunkelgraue Kugel in das rechte leere Feld und danach die hellgraue Kugel in das mittlere leer gewordene Feld gelegt werden
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Kapitel 23 · Exekutivfunktionen – Psychologie
der Richtigkeit der Lösungen und der Anzahl der Fehler auch die einfache Erfassung der bis zum ersten Zug verstreichendenden Zeit (Denkzeit) und die Ausführungszeit. Feldmann et al. (2006) führten die »Stockings of Cambridge« und den Wisconsin-Card-Sorting-Test (WCST) bei 22 Patienten mit Schizophrenie und 20 gesunden Kontrollprobanden durch. Die Autoren fanden, dass Patienten sich von Gesunden in der Ausführungszeit, nicht aber in der Planungszeit unterscheiden. Die Patienten brauchten v. a. bei den schwierigeren Aufgaben im Durchschnitt mehr Züge als Kontrollprobanden. Im WCST waren Patienten langsamer, wenn die Regel erlernt war (vor dem Regelwechsel), und im »Set Shifting«. Die Patienten erreichten auch weniger Kategorien und zeigten mehr perseverative Fehler. Nur die Probanden, nicht aber die Patienten zeigten eine Korrelation von Planungszeit im »Stockings of Cambridge« und der Reaktionszeit im »Set Shifting«. Die Ausführungszeit bei gesunden Probanden im »Stockings of Cambridge« war bei schwierigen Problemen mit der Reaktionszeit vor und nach »Set Shiftings« im WCST assoziiert. Bei Patienten waren diese Assoziationen dagegen nicht vorhanden. Es zeigte sich nur ein Zusammenhang zwischen Ausführungszeit bei einfachen Aufgaben und der Reaktionszeit vor einem »Set Shift« im WCST. Damit verdeutlichten die Autoren, wie Zusammenhänge zwischen Tests exekutiver Leistung, die bei Gesunden v. a. bei komplexeren Aufgaben auftreten, bei Patienten vor dem Hintergrund gestörter exekutiver Leistung nicht nachweisbar sind. Labyrinth-Tests Der erste Labyrinth-Test geht auf Porteus (1959) zurück. Bei diesem Test muss der richtige Weg durch das Labyrinth mit einem Stift eingezeichnet werden. Sein Zweck besteht darin, höhere kognitive Funktionen des vorausschauenden Planens zu untersuchen. Ursprünglich wurden Labyrinth-Tests zur Untersuchung von Patienten mit frontalen Hirnschädigungen eingesetzt. Es gibt Versionen für die Untersuchung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Durch seinen Aufbau lassen sich leicht Re-TestVersionen erstellen, die eine wiederholte Vorgabe möglich machen . Abb. 23.5. Übungsbeispiele des TrailMaking-Tests. In Teil A müssen die Zahlen nacheinander aufsteigend, ohne den Stift abzusetzen, miteinander verbunden werden (1-2-3-4 usw.). In Teil B müssen abwechselnd aufsteigend die Zahlen und die Buchstaben miteinander verbunden werden (1-A-2-B usw.). (Nach Hilger u. Kasper 2003)
und Lerneffekte minimieren. Je nach Durchführungsform können die Zeit bis zur Lösung, die Anzahl der Fehler oder auch Perseverationen untersucht werden, wenn die Patienten wiederholt einen falschen Weg einzeichnen (Daigneault et al. 1992). Lis et al. (2005) untersuchten eine computergestützte Version des Labyrinth-Tests bei Patienten mit Schizophrenie im Vergleich zu Kontrollprobanden. Dabei wurde in der einen Bedingung der bisher gegangene Weg durch das Labyrinth am Computer einmal angezeigt und einmal nicht angezeigt. Ohne Feedback ist der Test schwerer, und die Patienten zeigten deutliche Beeinträchtigungen in der Testdurchführung. Mit Feedback zeigten Patienten mehr Erfolg und weniger motorische Auffälligkeiten in der Durchführung, brauchten aber mehr Zeit als die Kontrollprobanden. Es zeigte sich, dass die Kontrollprobanden in ihren Leistungen nicht so abhängig von der visuellen Rückmeldung waren wie die Patienten. Die Bedeutung von Labyrinth-Tests in der Untersuchung von Patienten mit Schizophrenie hat in der letzten Zeit wieder an Bedeutung zugenommen. Seine einfache Vorgabe und die einfache Erstellbarkeit von Re-Test-Versionen macht ihn besonders interessant für Verlaufsuntersuchungen.
Regeln lernen und wechseln Trail-Making-Test Der Trail-Making-Test wurde als Teil der Army Individual Test Battery (1944) zur Untersuchung von Rekruten in den USA entwickelt. Die Testaufgabe besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil (Part A) müssen auf einem Blatt Kreise, in denen die Zahlen von 1–25 stehen, mit Linien verbunden werden. Im zweiten Teil (Part B) müssen Zahlen von 1–13 und Buchstaben von A–L so mit Linien verbunden werden, dass immer eine Zahl und ein Buchstabe, dann die nächste Zahl und wieder der nächste Buchstabe verbunden werden (. Abb. 23.5). Der Test ist einfach und schnell durchzuführen. Er erfasst visuelles Scanning, räumliche Sequenzierung, Arbeitsgedächtnis-, Aufmerksamkeits-, motorische und konzeptuelle Fähigkeiten und ist relativ sensitiv für Hirnschäden, ohne Aussagen über den spezifischen Bereich machen zu können,
293 23.3 · Tests zur Untersuchung exekutiver Leistungen
in dem diese lokalisiert sind (Lezak 1995). Der Trail-Making-Test wurde Teil der Halstead-Reitan-Testbatterie und hat sich wegen seiner Sensitivität für Hirnschädigungen als einzelner Test in der neurologischen Neuropsychologie etabliert (Reitan 1958). Bei Patienten mit Schizophrenie gehört der Trail-MakingTest zu den sehr häufig in Studien eingesetzten Verfahren, und Patienten mit Schizophrenie zeigen v. a. in Teil B deutliche Defizite. Aufgrund der vergleichsweise breit gestreuten Fertigkeiten, die für eine schnelle Bearbeitung notwendig sind und in die verschiedene Bereiche exekutiver Leistungen einfließen, ist dies leicht nachvollziehbar. Alleine eingesetzt, sind diese Bereiche allerdings nicht differenzierbar, weshalb der Trail-Making-Test neben seiner Funktion als Screening-Instrument v. a. in Zusammenstellungen mehrerer Tests sinnvoll einsetzbar ist. In der Differenz von Teil A und Teil B sind v. a. Aufmerksamkeitswechsel zwischen den Serien der Buchstaben und der Zahlen als relevante exekutive Funktion bedeutsam. In einer Studie von Müller et al. (2004) bei 100 Patienten und 62 Kontrollprobanden zeigten die Patienten im Trail-MakingTest verminderte Leistungen, die über zwei Standardabweichungen unter denen der Kontrollprobanden lagen. Es zeigte sich aber, dass die Variabilität der Leistungen v. a. in Teil B unter den Patienten sehr hoch war. In der Untersuchung der Frage, welche Tests am besten zwischen Kontrollprobanden und Patienten unterscheiden, zeigten sich deshalb nicht die Leistungen im TrailMaking-Test, sondern die konsistenter beeinträchtigten Gedächtnisleistungen als relevante Maße für die Unterscheidung zwischen Kontrollprobanden und Patienten. Wisconsin-Card-Sorting-Test Der Wisconsin-Card-Sorting-Test (WCST) wurde als Test zur Untersuchung der kognitiven Flexibilität bei Konzeptwechseln
. Abb. 23.6a,b. Computergestützte Fassung des Wisconsin-CardSorting-Tests nach Nelson (1976). a In der oberen Reihe befinden sich die Karten, denen die unterste Karte zugeordnet werden muss. Sie wird durch einen Tastendruck auf einen der Stapel in der mittleren Reihe abgelegt. Die Abbildung zeigt, dass eine Reihe richtiger Zuordnungen nach
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konzipiert (Berg 1948). In der Anwendung müssen Zuordnungsregeln aufgebaut und während der Testdurchführung unter Nutzung von Rückmeldungen gewechselt werden. Eine Beeinträchtigung dieser Fähigkeit führt zu perseverativem Verhalten, bei dem trotz zurückgemeldeter Fehler an den vorher eingeübten Zuordnungsregeln festgehalten wird. Der WCST wird in unterschiedlichen Durchführungs- und Auswertungsvarianten angewendet. Eine allgemein akzeptierte Durchführungsregel stammt von Milner (1963). In der MilnerVersion besteht der Test aus einem doppelten Satz von 64 Karten, auf denen 1–4 Dreiecke, Sterne, Kreuze oder Kreise in rot, grün, gelb oder blau abgebildet sind. Die Karten müssen nach den Regeln Form, Farbe und Anzahl den 4 Stimuluskarten zugeordnet werden. Die Zurordnungsregel muss der Proband aus den Rückmeldungen über die Richtigkeit seiner Entscheidung ableiten. Wenn genug richtige Zuordnungen hintereinander vorgenommen wurden, wird die Regel unangekündigt verändert. Jede Zuordnung nach der zuvor richtigen Regel wird als perseverativer Fehler bewertet. Von Nelson (1976) stammt eine modizifierte Version des WCST, bei der Zweideutigkeiten in den Rückmeldungen durch die Reduktion auf 48 Karten vermieden werden und jede Karte genau eine Übereinstimmung mit der Stimuluskarte hat. Der Regelwechsel wird in dieser Version explizit angekündigt, und ein Fehler wird nur dann als perseverativ bewertet, wenn die als falsch zurückgemeldete Regel zum zweiten Mal ausgeführt wird. Von dieser Version wurde an der Universität Wuppertal eine freie computergestützte Version erstellt, die durch die vom Computer gegebenen Rückmeldungen über die Richtigkeit der Zuordnungen zusätzlich die emotionale Belastung in der Durchführung des Tests vermindert (. Abb. 23.6).
der Regel »Anzahl der Elemente« bereits durchgeführt wurde. b Die nächste Zuordnung der Karte mit den zwei schwarzen Punkten wird nochmals positiv verstärkt. (Wisconsin-Card-Sorting-Test, freie Software: Klinische Psychologie, Universität Wuppertal)
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Kapitel 23 · Exekutivfunktionen – Psychologie
In einer Reihe von Studien etablierte Milner die Bedeutung des WCST für die Diagnostik frontaler Hirnschädigungen in der neurologischen Diagnostik (Milner 1963). Obwohl der WCST als sensitiv für exekutive frontale Leistungen gilt, kann ein schlechtes Testergebnis auch durch Defizite in anderen Bereichen – z. B. der visuellen Verarbeitung und der Gedächtnisleistung – bedingt sein. Der WCST gehört zu den sehr häufig in Studien zur Schizophrenie verwendeten Tests (Barnett et al. 2007b). Eine fMRI-Untersuchung deutet darauf hin, dass er sensitiv für die Funktion des Arbeitsgedächtnisses im Bereich des dorsolateralen präfrontalen Kortex ist. Die Sensitivität für diese Struktur zeigte sich zum Zeitpunkt des Feedbacks, unabhängig davon, ob dieses positiv oder negativ war. Auf der anderen Seite zeigten sich Aktivierungen in medialen und lateralen orbitofrontalen Arealen. Diese Aktivierungen traten zum Zeitpunkt des »Set Shifting« auf, wenn eine vorher positiv verstärkte Regel als Fehler zurückgemeldet wurde und der Proband eine Erwartungsverletzung für die vorher gelernte Regel verarbeiten musste (Monchi et al. 2001). Diese Studie macht deutlich, dass der WCST sensitiv für mehrere exekutive Subprozesse ist. Intra- und extradimensionaler Set Shift In Tests zum intra- und extradimensionalen »Shift of Attention« werden vom Probanden ähnlich wie im WCST einfache Entscheidungsregeln anhand von Rückmeldungen erlernt; danach müssen sie gewechselt werden. Die am häufigsten in der Schizophrenieforschung verwendete Variante ist die ID/ED-Aufgabe der computergestützten Testbatterie CANTAB (Robbins et al. 1998). Hier werden farbige Muster und weiße Linien einzeln und . Abb. 23.7. Intra- und extradimensionaler »Set Shift” (ID/ED). Die Abbildung zeigt die ID/ED-Aufgabe der computergestützten Testbatterie CANTAB. In dieser Aufgabe wird die Reaktion auf eines der Muster anhand von »Richtig«- bzw. »Falsch«-Rückmeldungen erlernt. Nach einer Reihe richtiger Reaktionen wird dann ein anderes Muster der gleichen Farbe verstärkt. Dieser Wechsel innerhalb der Muster definiert einen intradimensionalen »Set Shift«. In einer zweiten Phase müssen dann Reaktionen auf Linienmuster gelernt werden. Der Wechsel von den Farbmustern zu den schwarzen Linien markiert einen extradimensionalen »Set Shift« (Cambridge Cognition, Cantab)
in Kombination präsentiert. Zuerst wird anhand der Rückmeldungen die Reaktion auf eines der farbigen Muster verstärkt und damit ein Reaktionsset gebildet. Wenn diese Reaktion erlernt wurde, wird ein anderes Muster verstärkt. Der Wechsel der Reaktionsregel auf dieses neue Muster bildet den intradimensionalen »Set Shift«. Ein Wechsel der Reaktionsregel auf eines der Linienmuster definiert einen extradimensionalen »Set Shift«, da hier die implizit vorgelernte Dimension des Reagierens auf die farbigen Muster verlassen werden muss (. Abb. 23.7). Dieser Aufgabentyp ist verwandt mit dem WCST. Er hat aber trotz theoretischer Vorteile bisher nicht die gleiche Verbreitung gefunden wie der WCST. Ein wichtiger Vorteil dieses Tests ist, dass über leicht veränderte Muster der Effekt des »Set Shift« mehrfach gemessen werden kann und er damit für Wiederholungsmessungen besser geeignet ist als der WCST. Über die verminderte Schwierigkeit des intradimensionalen »Set Shift« lassen sich Testversionen anwenden, die auch für die Untersuchung von Kindern geeignet sind. Interessant ist der Test auch, weil er in einer äquivalenten Form auch bei Tieren untersucht werden kann. Jazbec et al. (2007) untersuchten die ID/ED-Aufgabe der CANTAB zusammen mit dem WCST und einer »Continuousperformance«-Aufgabe bei Patienten mit Schizophrenie und bei Kontrollprobanden. Die Autoren fanden, dass Patienten mit Schizophrenie Defizite im extradimensionalen Shift zeigten. Die Patienten ließen sich besonders durch die zusätzlich auftauchenden Linien irritieren, nachdem sie anfangs die Reaktionen auf die Muster gelernt hatten. Die Leistungen im Aufbau der Reaktionssets waren mit aufmerksamkeitsabhängigen Leistungen in der »Continuous-performance«-Aufgabe assoziiert, während Leis-
295 23.4 · Befunde zu exekutiven Leistungen bei Schizophrenie
tungen im Wechsel der Reaktionsregeln mit den eher exekutiven Leistungen im WCST assoziiert waren. 23.4
Befunde zu exekutiven Leistungen bei Schizophrenie
23.4.1 Einführung Die Neuropsychologie exekutiver Leistungen wurde zuerst im Kontext neurologischer Untersuchungen erforscht und begann vor etwa 25 Jahren, ihre Bedeutung in der psychiatrischen Forschung zu entwickeln. So formulierten Silverstein et al. (1980) erstmals die Bedeutung neuropsychologischer Testanwendungen für die Untersuchung kognitiver Leistungsminderungen bei psychiatrischen Patienten. In den nachfolgenden Jahren mehrten sich dann die Untersuchungen, in denen typische, in der neurologischen Neuropsychologie etablierte Tests in der Untersuchung schizophrener Patienten angewandt wurden. Ein Beispiel für solch eine Arbeit ist eine Studie von Bilder et al. (1985), die 32 Patienten mit Schizophrenie untersuchten; sie beschrieben Assoziationen zwischen verminderter kognitiver Leistung und Symptomen der Desorganisation. Neben Studien, die kognitive Leistungen schizophrener Patienten mit einzelnen oder wenigen Tests untersuchten, waren es v. a. Untersuchungen großer Stichproben mit umfangreichen Testbatterien, die wesentlich zur differenzierten Untersuchung kognitiver Beeinträchtigungen bei Patienten mit Schizophrenie beigetragen haben. Die Untersuchung neuropsychologischer Defizite bei Patienten mit Schizophrenie hat im Verlauf der letzten 15 Jahre eine Reihe zunehmend konvergierender Ergebnisse gebracht. Es wurde deutlich, dass Patienten mit Schizophrenie ein allgemeines Defizit in Tests unterschiedlicher kognitiver Leistungen zeigen (Bilder et al. 2000; Riley et al. 2000) und dass sie darüber hinaus spezifische Defizite bei Aufgaben haben, die Aspekte exekutiver Funktionen und des verbalen Gedächtnisses prüfen (Gilvarry et al. 2001; McKenna et al. 1990; Saykin et al. 1991). Diese Studien haben dazu beigetragen, dass die Untersuchung exekutiver Leistungen und ihrer Beeinträchtigungen bei Patienten mit Schizophrenie ein wichtiges Thema in der Untersuchung kognitiver Funktionen bei Patienten mit Schizophrenie wurden; sie markieren wegen der Bedeutung der Schizophrenieforschung eine Art kognitiver Wende in der Psychiatrie. Eine der am meisten beachteten Studien in diesem Bereich wurde von Bilder et al. (2000) durchgeführt. In dieser Studie wurden 94 ersterkrankte Patienten mit Schizophrenie und schizoaffektiver Störung mit einer Gruppe von 36 Kontrollprobanden verglichen. Die Testbatterie umfasste 41 Tests, die nach Stabilisierung der akuten Symptomatik erhoben wurden. Das Hauptergebnis dieser Studie war, dass die Patienten ein generalisiertes Defizit zeigten, das über alle Tests hinweg bei 1,5 Standardabweichungen unter der Leistung der Kontrollprobanden lag. Spezifische Beeinträchtigungen zeigten die Patienten in Bezug auf die Funktions-
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bereiche Lernen und Gedächtnis und in Bezug auf exekutive Leistungen. Ein weiteres interessantes Ergebnis dieser Studie war, dass die spezifischen exekutiven Defizite nur bei den Patienten nachweisbar waren, die eine über dem Median liegende Gesamtbeeinträchtigung ihrer Leistungen zeigten. Exekutive Leistungsbeeinträchtigungen korrelierten v. a. mit Negativsymptomatik und der allgemeinen Einschätzung des Krankheitsgrades. Damit zeigt diese Studie von Bilder et al. (2000), dass kognitive und darunter v. a. auch exekutive Defizite bei Patienten schon im frühen Krankheitsverlauf nachweisbar sind. 23.4.2 Exekutive Leistung im Verlauf
der Erkrankung Kognitive Leistungen von Gesunden ebenso wie die von Patienten mit Schizophrenie sind keine unveränderliche Größe, vielmehr können sie sich im Lauf der Entwicklung verändern. Von besonderem Interesse in diesem Bereich ist die Frage, ob Auffälligkeiten in exekutiven Leistungen schon vor Beginn der Erkrankung bestehen und wie sich diese im Verlauf der Erkrankung entwickeln. 23.4.3 Prodromalphase Eine Schlüsselmethode zur Untersuchung von Beeinträchtigungen in der Prodromalphase sind High-risk-Studien. In solchen Studien werden Menschen untersucht, die eine erhöhte Wahrscheinlichkeit zeigen, später eine Schizophrenie zu entwickeln. In der »Edinburgh-High-Risk-Study« zeigten Kinder mit einem hohen Risiko für eine Schizophrenie gegenüber solchen ohne erhöhtes Risiko Beeinträchtigungen v. a. im Bereich des Gedächtnisses, aber auch in einer Aufgabe zur Vervollständigung von Sätzen, die exekutive Anteile enthält (Byrne et al. 1999). In einer späteren Untersuchung zeigten die Autoren, dass Kinder, die später eine Schizophrenie entwickelten, Defizite in einer Gedächtnisaufgabe zeigten, in der kurze Geschichten erinnert werden mussten (Whyte et al. 2006). Dieser Befund wird durch eine weitere Studie von Lencz et al. (2006) unterstützt, in der ebenfalls in der Erstuntersuchung exekutive Beeinträchtigungen gefunden wurden. Auch hier zeigten sich aber allein die Gedächtnisdefizite als signifikanter Prädiktor für den Ausbruch der Krankheit in den nachfolgenden 6 Monaten. Diese Ergebnisse zeigen, dass bei Jugendlichen schon vor der Manifestation der ersten psychotischen Episode Defizite im Bereich exekutiver Funktionen vorhanden sind. Diese sind aber vermutlich nicht der wichtigste Prädiktor für das Ausbrechen einer späteren Schizophrenie.
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Kapitel 23 · Exekutivfunktionen – Psychologie
23.4.4 Exekutive Leistung bei früh erkrankten
Patienten
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Patienten mit frühem Krankheitsbeginn (unter 18 Jahren) und mit sehr frühem Krankheitsbeginn (unter 13 Jahren) zeichnen sich durch besonders deutliche Beeinträchtigungen in kognitiven Leistungen aus. Eine Möglichkeit zur Untersuchung früh erkrankter Patienten ist die retrospektive Untersuchung von erwachsenen Patienten. Diese Patienten zeigen im Durchschnitt auch im Krankheitsverlauf eine erhöhte Rate an schweren und chronifizierten Krankheitsverläufen. So fanden Silverstein et al. (2002) in einer retrospektiven Analyse von erwachsenen Patienten, dass exekutive Leistungsdefizite im Erwachsenenalter mit Defiziten in Schulleistungen und Sozialkontakten im Kindesalter assoziiert waren. Wegen des Einflusses von Selektionseffekten ist die Untersuchung von Kindern und Jugendlichen die bessere, aber auch deutlich aufwendigere Methode, weil es nur sehr wenige Krankheitsfälle gibt. Rhinewine et al. (2005) untersuchten Kinder und Jugendliche mit frühem und sehr frühem Krankheitsbeginn und fanden im Vergleich zu gesunden Kindern und Jugendlichen eine sehr hohe allgemeine kognitive Beeinträchtigung. Die Leistungen der Kontrollprobanden lagen bei den Patienten mit Schizophrenie im Schnitt über zwei Standardabweichungen unter denen der Kontrollprobanden. Unter den kognitiven Beeinträchtigungen waren es v. a. die exekutiven Leistungen, die in diesen zwei Gruppen besonders auffällig waren. Die Leistungsprofile der Patienten mit frühem und sehr frühem Krankheitsbeginn unterschieden sich dabei nicht voneinander. 23.4.5 Exekutive Leistungen bei ersterkrankten
Patienten Da sich die kognitive Leistung schizophrener Patienten sowohl mit dem Krankheitsverlauf als auch mit der Medikation verändern kann, sind Studien, die ersterkrankte Patienten vor einer Pharmakotherapie untersuchen, besonders interessant. Chan et al. (2006) untersuchten 78 solcher Patienten im Vergleich zu Kontrollprobanden in Bezug auf exekutive Leistungen. Die Patienten dieser Studie hatten noch keine neuroleptische Medikation erhalten. Chan fand, dass die Patienten v. a. in Aufgaben zu exekutiven Leistungen beeinträchtigt waren. Leistungen in Aufgaben, die eine Daueraufmerksamkeitskomponente enthielten, waren im Vergleich dazu weniger beeinträchtigt. Darüber hinaus korrelierten die exekutiven Leistungen wenig mit Gedächtnisleistungen. Bei Patienten mit chronischem Verlauf zeigten sich dagegen deutlichere Defizite in Aufmerksamkeitsleistungen. Dabei ist zu beachten, dass die Patienten dieser Studie akut psychotisch erkrankt waren, sodass eine Konfundierung durch Ablenkung – z. B. durch Halluzinationen, durch akute Ängste oder Wahn – zu berücksichtigen ist. In einer Studie von Hutton et al. (1998) zeigten ersterkrankte Patienten bei Aufgaben mit Sensitivität für exekutive Leistungen v. a. Probleme im Bereich der Handlungs-
planung und weniger im Bereich des »Set Shifting«. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass exekutive Leistungsminderungen bei ersterkrankten Patienten vorhanden und deutlich ausgeprägt sind. Exekutive Leistungen sind zum Zeitpunkt der ersten Erkrankung besonders dann auffällig, wenn das kognitive Leistungsniveau zum Zeitpunkt der ersten psychotischen Episode insgesamt vermindert ist (Bilder et al. 2000). 23.4.6 Exekutive Funktionen im Krankheitsverlauf Eine Reihe größerer Studien hat in den letzten Jahren die Veränderung kognitiver Leistungen über den Krankheitsverlauf hinweg untersucht. Dabei zeigte sich für den Bereich der exekutiven Leistungen, dass diese im Wesentlichen stabil bleiben. Diese Studien (7 Abschn. 23.4.4 und 23.4.5) zeigen exekutive Leistungsdefizite zum Zeitpunkt der ersten Episode einer Schizophrenie. In einer Studie von Rund et al. (2007) veränderten sich bei 111 Patienten exekutive Leistungen in den ersten 3 Jahren der Erkrankung nicht signifikant. In einer anderen Studie von Hoff et al. (1999) untersuchten die Autoren 46 Patienten und 16 Kontrollprobanden über einen Zeitraum von bis zu 5 Jahren. Die Autoren fanden nach 5 Jahren verminderte Leistungen im Bereich des verbalen Lernens und bei sensorischen Wahrnehmungsaufgaben, in denen z. B. eine auf die Haut geschriebene Zahl erkannt werden musste. Exekutive Leistungen verbesserten sich im ersten Jahr von mehr als 2 Standardabweichungen auf 1 Standardabweichung unter der Leistung der Kontrollprobanden. Über 5 Jahre und im Vergleich zu den Leistungszunahmen der Kontrollprobanden war dieser Effekt nicht signifikant. In einem weiteren Follow-up dieser Studie zeigten sich bei 21 Patienten und 8 Kontrollprobanden über einen Zeitraum von 10 Jahren ebenfalls keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf exekutive Leistungen. In einer weiteren Studie von Stirling et al. (2003) fanden die Autoren bei 24 Patienten ebenfalls keine signifikanten Veränderungen in exekutiven Leistungen und in einer Studie von Albus et al. (2006) zeigten Patienten über 5 Jahre eine Verminderung in Wortflüssigkeitsleistungen, nicht aber in Abstraktionsund Fexibilitätsmaßen. Insgesamt deuten diese Studien darauf hin, dass exekutive Leistungen sowohl Verbesserungen, v. a. mit einsetzender Behandlung, als auch Verschlechterungen zeigen können. Vor dem Hintergrund, dass die Patienten dieser langjährigen Follow-up-Studien pharmakologisch behandelt wurden, deuten diese Ergebnisse aber auch darauf hin, dass sich die exekutiven Defizite über eine mehrjährige Behandlung hinweg nicht in einem bedeutsamen Ausmaß verändern und insgesamt vergleichsweise stabil beeinträchtigt bleiben. Studien, die Patienten und gesunde Kontrollprobanden über 5 und sogar bis zu 10 Jahre in ihrem Verlauf verfolgen, sind sehr aufwendig in der Durchführung. Deshalb sind die bisher vorliegenden Daten trotz der verhältnismäßig kleinen Stichproben sehr wichtig. Ob und welche Subgruppen es innerhalb der Patienten gibt, werden zukünftige Studien zeigen müssen. Die relative
297 23.4 · Befunde zu exekutiven Leistungen bei Schizophrenie
Stabilität exekutiver Defizite im Verlauf der Erkrankung deutet darauf hin, dass diese eine von anderen Bereichen unabhängige Domäne im Sinn eines Trait-Merkmals schizophrener Symptomatik darstellen. 23.4.7 Exekutive Leistungen und Symptomatik In der klinischen Beschreibung schizophrener Symptomatik haben sich international zwei Rating-Skalen durchgesetzt. Die eine Skala ist die Skala für die Untersuchung negativer und positiver Symptomatik (PANSS) von Kay et al. (1986, 1992). In der PANSS werden neben einem Gesamtscore Scores für die positive, die negative und für die allgemeine Symptome gebildet. Die zweite gebräuchliche Skala besteht aus zwei Teilen: der Skala für die Untersuchung positiver Symptomatik (SAPS) (Andreasen 1984) und der Skala für die Untersuchung negativer Symptomatik (SANS) (Andreasen 1983). Der Vorteil solcher einheitlicher Skalen ist die erhöhte internationale Vergleichbarkeit von Symptombeurteilungen. In einer Reihe von Studien untersuchte Liddle (1992) die Struktur schizophrener Symptomatik mit Hilfe von Faktorenanalysen. Neben einem Faktor der Positiv- und der Negativsymptomatik fand er einen Faktor der Desorganisation. Diese drei Faktoren zeigten sich in einer Studie von Löffler u. Häffner (1999) für eine größere Stichprobe schizophrener Patienten über einen Verlauf von 5 Jahren als konsistent und als ausreichend für die klinische Charakterisierung der Symptomatik. Studien zur Assoziation von Symptomen zu exekutiven Leistungen haben nicht ganz konsistente Ergebnisse erbracht. Während es über verschiedene Untersuchungen hinweg eine vergleichsweise große Übereinstimmung gibt, dass positive Symptome wenig bis gar nicht mit kognitiver Leistung assoziiert sind, sind die Ergebnisse für den Bereich der Negativsymptomatik und der Desorganisation weniger einheitlich. In seiner Studie zur Neuropsychologie der Schizophrenie korrelierten Bilder et al. (2000) neuropsychologische Daten von 94 ersterkrankten Patienten mit ihrer über die SANS und die SAPS erhobenen Symptomatik. Die Daten der umfangreichen Neuropsychologie wurden in Summenscores für verschiedene Domänen neuropsychologischer Leistung umgerechnet. Exekutive Leistungen korrelierten v. a. mit Negativsymptomen wie affektiver Verflachung und Spracharmut und darüber hinaus mit einem allgemeinen Krankheitsmaß und mit der Höhe der Chlorpromazin-Äquivalente als einem Maß für die psychopharmakologische Medikation. Einen etwas anderen Ansatz verfolgten Müller et al. (2004). In einer multiplen Regressionsanalyse wurden neuropsychologische Leistungsdaten von 100 Patienten in ihrem Einfluss auf Positiv-, Negativ- und Desorganisationssymptomatik untersucht. Die Symptomatik war hier über die PANSS erhoben und faktorenanalytisch ausgewertet worden. In dieser Studie zeigte sich, dass Gedächtnisleistungen mit Desorganisationssymptomatik
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assoziiert waren. Die Negativsymptomatik war dagegen nur in einer einfachen Korrelation mit einer Wortflüssigkeitsaufgabe assoziiert. In einer weiteren Studie der Arbeitsgruppe um Nancy Andreasen (O’Leary et al. 2000) untersuchten die Autoren 134 Patienten, deren Symptomatik mit der SANS und der SAPS erhoben wurde, mit neuropsychologischen Leistungsdaten. In dieser Studie berechneten die Autoren Partialkorrelationen, bei denen der Einfluss der in der Analyse nicht untersuchten Symptomatik herausgerechnet wurde. Die Autoren fanden hier ebenfalls eine Assoziation zwischen Wortflüssigkeit und Negativsymptomatik. Gedächtnisleistungen waren in dieser Studie im Gegensatz zur Studie von Müller et al. (2004) mit Negativsymptomatik assoziiert. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Inkonsistenzen über die Studien hinweg in diesem Bereich vergleichsweise hoch sind. Wichtige Einflussfaktoren auf die Ergebnisse sind dabei neben den statistischen Methoden das Ausmaß der Erkrankung der Patienten, der Zeitpunkt der Untersuchung innerhalb des Krankheitsverlaufs, die verwendeten Skalen für die Erfassung der Symptomatik und die Tests, die für die Untersuchung der exekutiven Symptomatik erhoben wurden. Hier ist weitere Forschung notwendig. Ein Erfahrungswert ist, dass sich robuste und stabile Assoziationen gegen Unterschiedlichkeiten in methodischen Feinheiten durchsetzen. Vor diesem Hintergrund kann angenommen werden, dass das Ausmaß begrenzt ist, in dem exekutive Leistungen mit einzelnen psychopathologischen Symptomen bzw. Symptomkomplexen assoziiert sind. Die beschriebenen Verlaufsstudien zu kognitiven und darunter auch exekutiven Leistungen haben eine vergleichsweise hohe Stabilität exekutiver Leistungsminderungen über den Krankheitsverlauf hinweg gezeigt und deuten damit darauf hin, dass diese Leistungsminderungen ein Trait-Merkmal der Erkrankung darstellen. Vor dem Hintergrund der mit den psychotischen Erkrankungsphasen deutlich häufiger wechselnden klinischen Symptome ist es nachvollziehbar, warum bei den Versuchen, Kognition mit Symptomatik zu assoziieren, unterschiedliche Befunde berichtet werden. 23.4.8 Genetik und exekutive Leistungen Untersuchungen in Familien schizophrener Patienten haben nachgewiesen, dass Verwandte von schizophrenen Patienten ein erhöhtes Erkrankungsrisiko zeigen (Gottesman 1994). Dieses Risiko ist abhängig von der verwandtschaftlichen Nähe zum Indexpatienten und steigt bei Verwandten ersten Grades gegenüber der Allgemeinbevölkerung um das Zehnfache (Kendler u. Diehl 1993). Die familiäre Häufung ist nicht nur bei der Schizophrenie zu finden, sondern auch bei Erkrankungen aus dem erweiterten Spektrum der schizophrenen Störungen (Kendler et al. 1993a, b). Zwillingsstudien ergaben darüber hinaus deutlich erhöhte Konkordanzraten unter monozygoten im Vergleich zu dizygoten Zwillingen (Sullivan et al. 2003). Adoptionsstudien und High-
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Kapitel 23 · Exekutivfunktionen – Psychologie
risk-Studien fanden ebenfalls Hinweise auf genetische Faktoren, die das Risiko einer Erkrankung erhöhen, in denen sich aber auch Interaktionen mit Umweltfaktoren nachweisen ließen (Cannon u. Mednick 1993; Erlenmeyer-Kimling et al. 1997; Ingraham et al. 1995; Wahlberg et al. 1997). Klassische und moderne molekulargenetische Untersuchungen zur Identifizierung der Gene, die den vorhandenen genetischen Einfluss benennbar machen können, waren bisher nur eingeschränkt erfolgreich (DeLisi 1997). Es wird eine begrenzte Anzahl von Kandidaten-Genen diskutiert, deren Bedeutung zzt. noch nicht vollständig verstanden ist und die weiter evaluiert werden müssen (DeLisi Fleischhaker, 2007). Eine detaillierte Diskussion zu diesem Thema ist in 7 Kap. 5 zu finden. Ein Beispiel für die Untersuchung eines Kandidatengens ist der Val158Met Catechol-O-Methyltransferase Polymorphismus (COMT). Die Catechol-O-Methyltransferase ist ein Enzym, das Dopamin im Kortex metabolisiert und darüber Einfluss auf kortikale Funktionen ausübt. Die Arbeitsgruppe um Weinberger et al. (2001) hat diesen Polymorphismus wiederholt untersucht. In einer Studie von Egan et al. (2001) wurde der COMT bei Patienten mit Schizophrenie und bei Kontrollprobanden bei gleichzeitiger Durchführung des WCST untersucht. Zusammen mit einer insgesamt verminderten Leistung der Patienten zeigte sich ein Effekt der Genveränderung im COMT auf die kognitive Leistung. Interaktionseffekte zwischen den Gruppen und dem Polymorphismus waren nicht signifikant. In einer Regressionsanalyse konnten Egan et al. (2001) zeigen, dass die Varianz im COMT4% der Leistungsvarianz im WCST erklären kann. Dieser Einfluss, obwohl signifikant, ist nicht sehr groß. In einer Metaanalyse über den WCST kamen Barnett et al. (Barnett et al. 2007a) zu dem Ergebnis, dass der COMT die Leistung bei gesunden Probanden, nicht aber bei Patienten moduliert. Dieses Ergebnis akzentuiert die Befunde von Egan, bestätigt aber den grundsätzlichen Ansatz, dass der COMT über die Modulation dopaminerger Funktionen Einfluss auf exekutive Leistung hat. In der Suche nach einem Ansatz, mit dem sich Zusammenhänge zwischen dem Verhalten und seinen genetischen Grundlagen mit mehr Erfolg untersuchen lassen, ist das Konzept der sog. Endophänotypen in den Vordergrund gerückt. Endophänotypen definieren Marker der Erkrankung, die sich als eine Art intermediäre Zwischenstufe zwischen Krankheitssymptomen und Genen beschreiben lassen. Das Konzept der Endophänotypen geht auf Gottesman zurück, der die Idee, die zur Formulierung dieses Begriffs führte, schon 1967 beschrieb (Gottesman u. Shields 1967). Biologische oder Verhaltensmarker müssen eine Reihe von Kriterien erfüllen, um als Endophänotypen zu gelten: 1. der Endophänotyp ist mit der Erkrankung in der Bevölkerung assoziiert, 2. der Endophänotyp ist erblich, 3. der Endophänotyp ist im Wesentlichen unabhängig vom Krankheitsstatus, 4. der Endophänotyp und die Erkrankung zeigen innerhalb von Familien Kosegregation,
5. der Endophänotyp zeigt in Familien von Erkrankten eine höhere Auftretenswahrscheinlichkeit als in der Bevölkerung. Für das Wissen über Zusammenhänge zwischen genetischer Variation und Verhalten ist die standardisierte Untersuchung von kognitiven und darunter auch exekutiven Leistungen eine wichtige Erkenntnisquelle. Unter den für die Schizophrenie diskutierten Endophänotypen finden sich auch solche kognitiver Leistungen. So diskutieren Braff et al. (2007) neben Aufmerksamkeitsleistungen und deklarativem Gedächtnis die Arbeitsgedächtnisleistung im Sinn einer auch exekutiven Leistung als einen Kandidaten für einen kognitiven Endophänotypen. So zeigen Patienten Leistungen bei einfachen Aufgaben (»Zahlen nachsprechen vorwärts« und »Zahlen nachsprechen rückwärts«), die im Bereich zwischen 0,71 und 0,81 Standardabweichungen unter denen von Kontrollprobanden liegen. Bei Aufgaben mit hoher exekutiver Komponente wie dem »Letter-Number-Span-Test« werden dagegen Leistungen im Bereich um 1,4 Standardabweichungen unter denen von Kontrollprobanden berichtet (Gur et al. 2007). Darüber hinaus wurde nachgewiesen, dass Defizite in Arbeitsgedächtnisleistungen vergleichsweise stabil über Krankheitsstatus und Verlauf sind; sie wurden sowohl bei Patienten mit als auch ohne pharmakologische Medikation gefunden. Defizite im Arbeitsgedächtnis zeigen sich in etwas verringertem Ausmaß auch bei nicht erkrankten Familienangehörigen von Patienten, und es wurden Hinweise für die Erblichkeit von Arbeitsgedächtnisleistungen berichtet. Die Frage der Kosegregation von Arbeitsgedächtnisleistungen ist noch nicht geklärt und muss weiter untersucht werden. Damit erfüllen die Befunde zum Arbeitsgedächtnis wesentliche Voraussetzungen für einen Endophänotypen der Schizophrenie. Insgesamt können mit diesen Ansätzen in den nächsten Jahren interessante neue Befunde erwartet werden. 23.4.9 Medikation und exekutive Leistungen Die Auswirkungen der Medikation auf kognitive und besonders auf exekutive Leistungen sind wiederholt, aber mit nicht eindeutigen Ergebnissen untersucht worden. Wie in 7 Abschn. 23.4.6 zur Stabilität exekutiver Leistungen im langjährigen Verlauf der Erkrankung diskutiert wurde, sind exekutive Defizite bei Patienten mit Schizophrenie schon mit Beginn der Erkrankung vorhanden und zeigen sich im Verlauf der Erkrankung relativ stabil. In einem Überblick über Kognition unter antipsychotischer Parmakotherapie kommen Arnt u. Didriksen (2006) zu der Auffassung, dass Psychopharmaka, deren Wirkmechanismus primär auf einer hohen Dopamin-D2-Rezeptor-Bindung beruht, eine höhere Wahrscheinlichkeit für einen ungünstigen Effekt auf kognitive Leistung haben. Dies trifft v. a. auf ältere, typische Neuroleptika zu, aber auch auf neuere, atypische Neuroleptika, die in ihrem Rezeptorprofil eine hohe Dopamin-D2-Rezeptor-Bindung zeigen.
299 23.5 · Zusammenfassung und Ausblick
In einer neueren Arbeit von Lee et al. (Lee et al. 2007) zeigte sich, dass bei neuroleptikanaiven Patienten nach 8 Wochen Behandlung weder Risperidon noch Haloperidol einen Einfluss auf Leistungen im WCST hatten. Dagegen zeigten beide Präparate Effekte auf die Leistung in einem Labyrinth-Test. Da die in der Vergangenheit häufig verwendeten Maße wie der WCST eher robuste Verfahren sind, die mehrere Aspekte exekutiver und anderer Kognitionsleistungen integrieren, wird die Aufdeckung von Neuroleptikaeffekten auf Kognition möglicherweise von der Einführung spezifischerer neuropsychologischer Verfahren profitieren. Einen Ansatz dafür bildet die sog. MATRICS-Initiative. Die MATRICS-Initiative entstand im Bemühen um die Entwicklung einer standardisierten Testbatterie zur Untersuchung von pharmakologischen Effekten auf beeinträchtigte Kognition bei Patienten mit Schizophrenie. In einem mehrjährigen Diskussions- und Evaluationsverfahren wurde eine Testbatterie zusammengestellt, die es in Zukunft ermöglichen soll, in einem standardisierten Vorgehen therapeutische Effekte auf die Kognition bei Patienten mit Schizophrenie zu untersuchen. Die ersten Treffen dieser Initiative begannen 2003, und das Ergebnis wurde 2005 auf einem internationalen Kongress zur Schizophrenie vorgestellt. Es muss davon ausgegangen werden, dass diese Testbatterie in Zukunft einen wichtigen Standard zur Untersuchung von Kognition bei Patienten mit Schizophrenie bilden wird (Nuechterlein u. Green 2007). 23.4.10
Weitere Faktoren
Unter den Faktoren, die für das Verständnis exekutiver Funktionen bei Patienten mit Schizophrenie relevant sein können, ist die Frage nach dem Einfluss von Geschlechtsvariablen relevant. In der neuropsychologischen Untersuchung von ersterkrankten Patienten von Bilder et al. (2000) fanden die Autoren keine relevanten Effekte, die über die Effekte hinausgingen, die auch bei gesunden Probanden vorhanden waren. In einer Analyse über die ersten 12 Aufgaben der Olbricht-Serie der computergestützten Trainingssoftware COGPACK wurden die Leistungsdaten von über 700 Patienten einer Faktorenanalyse unterzogen und in Bezug auf das Geschlecht der Patienten ausgewertet. Dabei zeigte sich, dass nur in 2 von 6 Faktoren kognitiver Leistung Geschlechtseffekte nachweisbar waren. Diese zwei Faktoren umfassten gegenüber Männern verminderte Leistungen schizophrener Frauen in Aufgaben zu visueller Diskrimination und visumotorischer Geschwindigkeit (Müller u. Bender, unveröffentlichte Daten). In der Studie von Bilder et al. (2000) zeigte sich ein Effekt, nach dem Patienten, die insgesamt weniger stark kognitiv beeinträchtigt waren, weniger exekutive Defizite zeigten. Vergleichbare Effekte zeigten sich auch in der Untersuchung von Intelligenzmaßen. Bei Patienten mit geringerem IQ sind die exekutiven Leistungsdefizite größer als bei solchen mit höherem IQ, während Defizite in der Verarbeitungsgeschwindigkeit unabhängig vom IQ bei Patienten nachweisbar sind (Badcock et al. 2005).
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Eine weitere interessante Frage ist, ob und in welchem Ausmaß die hier beschriebenen exekutiven Leistungsbeeinträchtigungen bei Patienten mit Schizophrenie eine Relevanz für Dinge des täglichen Lebens haben. Dieser Frage gingen Semkovska et al. (2004) in einer Studie nach. Sie beobachteten Patienten und Kontrollprobanden bei einfachen Tätigkeiten des Lebens (»activities of daily living«, kurz: ADL): Ein Essen auswählen, die notwendigen Zutaten einkaufen und das Essen kochen. Vor allem beim Kochen zeigten sich bei den Patienten gegenüber den Kontrollprobanden mehr Fehler. Diese traten in der Planung auf, in der Sequenzierung von Arbeitsschritten, und sie zeigten sich in vermehrten Wiederholungen und in Auslassungen von Arbeitsschritten. Diese Fehler bei Aktivitäten des täglichen Lebens waren mit exekutiven Leistungen in neuropschologischen Tests, insbesondere denen des »Set Shifting« und der Sequenzierung assoziiert. Damit zeigt diese Studie auf eine elegante Weise, wie die bei Patienten auf einem eher abstrakten Niveau untersuchten exekutiven Leistungsdefizte eine Relevanz für Tätigkeiten des alltäglichen Lebens haben. 23.5
Zusammenfassung und Ausblick
Exekutive Leistungen sind bei Patienten mit Schizophrenie deutlich beeinträchtigt. Als Fertigkeiten der Handlungsplanung, Handlungsausführung und Handlungskontrolle stellen sie einen wichtigen und eigenständigen Faktor der Beeinträchtigung schizophrener Patienten dar. Defizite in exekutiver Leistung sind schon vor der vollständigen Manifestation der Erkrankung nachweisbar und über die Zeit verhältnismäßig stabil. Exekutive Leistungen lassen sich über neuropsychologische Verfahren erfassen, die im Kontext der Untersuchung neurologischer Störungen entstanden sind und diese nun im Kontext psychischer Erkrankung anwenden und weiterentwickeln. Wie 7 Kap. 24 zeigt, geht das vertiefte Verständnis von Hirnregionen und Systemen, die mit exekutiver Leistung korrelieren, mit der Untersuchung dieser Leistungen bei Patienten Hand in Hand. Es ist zu erwarten, dass in den nächsten Jahren das Verständnis von exekutiven Leistungsdefiziten bei Patienten mit Schizophrenie weiter präzisiert wird. Dazu werden Initiativen zur Standardisierung von neuropsychologischen Untersuchungsverfahren beitragen, die die Vergleichbarkeit über Studien hinweg erhöhen. Die Methoden der funktionellen Bildgebung werden darüber hinaus die Möglichkeit eröffnen, neue und funktionsspezifischere Verfahren zu entwickeln. Die Kombination der Untersuchung von kognitiven Leistungen mit modernen neurowissenschaftlichen Methoden wie der molekularen Genetik und der funktionellen Bildgebung macht die Untersuchung kognitiver Leistungen bei psychischen Störungen wie der Schizophrenie zu einem zentralen Motor der Erkenntnis über die Funktion und den Aufbau auch des gesunden Erlebens und Verhaltens.
300
Kapitel 23 · Exekutivfunktionen – Psychologie
Literatur
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Kapitel 23 · Exekutivfunktionen – Psychologie
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24
24 Exekutivfunktionen – Bildgebung Bildgebungsbefunde bei Schizophrenie Nina Y. Seiferth und Renate Thienel
24.1
Exekutive Funktionen
24.2
Bildgebung von Exekutivfunktionen im Allgemeinen und bei Schizophrenie – 304
24.2.1 24.2.2 24.2.3 24.2.4 24.2.5
Inhibition – 305 Arbeitsgedächtnis – 308 Monitoring – 309 Kognitive Flexibilität – 310 Planen, Entscheiden, Problemlösen – 312
24.3
Zusammenfassung und Ausblick – 314 Literatur
– 314
– 304
304
24
Kapitel 24 · Exekutivfunktionen – Bildgebung
Kognitive Prozesse, denen gemeinsam ist, dass sie eine Person in die Lage versetzen, mehrere Subprozesse zur Erreichung eines definierten Ziels in flexibler Weise zu koordinieren und zu steuern, werden als Exekutivfunktionen bezeichnet. Entsprechend ist diese Gruppe kognitiver Funktionen durch eine hochgradige Heterogenität gekennzeichnet. Zudem findet sich eine Vielzahl unterschiedlicher Paradigmen, mit deren Hilfe zum einen verschiedene Einflussfaktoren und zum anderen die zugrunde liegenden neuronalen Korrelate von Exekutivfunktionen untersucht werden. Dysfunktionen solcher Prozesse sind bei verschiedenen Krankheiten beobachtbar, so auch bei der Schizophrenie. Anhand von Befunden aus Läsionsstudien wurden exekutive Dysfunktionen bisher i. Allg. auf strukturelle oder funktionelle Pathomechanismen des Frontalkortex sowie des Parietal- und Temporalkortex zurückgeführt. Funktionell bildgebende Verfahren – wie die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) – bieten in heutiger Zeit die Möglichkeit, den Zusammenhang zwischen der Leistungsfähigkeit im Bereich der Exekutivfunktionen und der neuronalen Aktivität in umschriebenen Hirnregionen sowohl im normalpsychologischen Bereich, d. h. bei psychisch gesunden Personen, als auch bei betroffenen Patienen nachzuweisen und genauer zu untersuchen. Klar umrissene zerebrale Netzwerke für einzelne Teilfunktionen, die der Gruppe der exekutiven Funktionen zugeordnet werden, sind jedoch nach heutigem Erkenntnisstand noch nicht endgültig definiert. Dieses Kapitel wird eine kurze Übersicht über bisherige Bildgebungsbefunde zu den einzelnen Teilleistungen im normalpsychologischen Bereich geben, um anschließend jeweils auf den aktuellen Erkenntnissstand hinsichtlich der neuronalen Korrelate von Exekutivfunktionen bei Personen mit Schizophrenie einzugehen. Für eine genaue Beschreibung und Einordnung der einzelnen Teilaspekte exekutiver Funktionen sei auf 7 Kap. 23 verwiesen. Abschließend sollen diese Ergebnisse kritisch beleuchtet und ein kurzer Ausblick auf mögliche zukünftige Entwicklungen dieses Forschungsbereiches gegeben werden. 24.1
Exekutive Funktionen
! Als Exekutivfunktionen bezeichnet man solche Operationen und kognitiven Prozesse, die es einer Person erlauben, selbstständig und zielstrebig zu handeln. Sie ermöglichen das Erreichen eines übergeordneten Ziels durch die Kontrolle, Steuerung und Koordination verschiedener Subprozesse und sind die Voraussetzung dafür, dass Menschen sich zügig und erfolgreich an neuartige Situationen in der Umwelt anpassen können.
Wie bereits aus der Definiton der Exekutivfunktionen deutlich wird, liegt kaum einem Bereich menschlicher Kogniton ein vergleichbar heterogenes Konzept zugrunde. Die Exekutivfunktionen umfassen entsprechend eine wenig einheitliche Gruppe verschiedener kognitiver Leistungen. Daher ist es zumeist zweckmäßig, den Exekutivfunktionen als Oberbegriff eine Erläuterung
anhand konkreter zugehöriger Subprozesse und Beispiele hinzuzufügen. Als wesentliche Elemente sind dabei zu nennen: Inhibitionsprozesse, Antizipation, kognitive Flexiblität/Umstellungsfähigkeit, kognitive Überwachungstätigkeiten (Monitoring) sowie Korrekturverhalten, Planungsprozesse, Entscheidungsfindung und Problemlösen. All diesen einzelnen Funktionen ist die Beteiligung an der Koordination, Steuerung und Kontrolle verschiedener kognitiver Prozesse mit fundamentalem Charakter gemeinsam. Sie ermöglichen die Lösung neuer, bisher unbekannter Probleme und die Modifikation von Verhalten auf Basis veränderter Informationen über die Umwelt. Zudem ist nach klassischen Definitonsversuchen allen unter Exekutivfunktionen subsummierten kognitiven Prozessen eine Assoziation mit der Funktion des Präfrontalkortex gemeinsam, wobei diese Sichtweise infolge zahlreicher neuer Erkenntnisse aus Bildgebungsstudien weitestgehend revidiert und zunehmend um andere Hirnbereiche erweitert wurde. Zudem konnte in den letzten Jahren auch das Konzept der sog. Hypofrontalität bei Schizophrenie erweitert und ergänzt werden. Ursprünglich hatten Studien mit Hilfe der Positronenemissionstomographie (PET) ergeben, dass bei chronifizierter Schizophrenie der Metabolismus im Frontalkortex bereits im Ruhezustand herabgesetzt ist, was als Hypofrontalität bezeichnet wurde. Weinberger et al. (1994) belegten später eine Hypoaktivierung des dorsolateralen präfrontalen Kortex bei Personen mit Schizophrenie auch im fMRT, die teils auch mit dem Ausmaß der Negativsymptomatik korreliert war. Heute weiß man, dass es in Abhängigkeit von Faktoren wie dem bei der Untersuchung eingesetzten experimentellen Paradigma, der Aufgabenschwierigkeit, der Krankheitsphase des Patienten und des Subtypus der Schizophrenie zu Hypo- oder Hyperaktivierungen im Frontalkortex kommen kann. Entsprechend der Heterogenität der Exekutivfunktionen kommen verschiedene Tests und experimentelle Paradigmen zum Einsatz, um exekutive Prozesse und deren neuronale Korrelate zu erfassen. Die wichtigsten Verfahren sind bereits in 7 Kap. 23 vorgestellt worden. Für die Durchführung von fMRT- oder anderen bildgebenden Untersuchungen werden diese Paradigmen zumeist in modifzierter Version verwendet, worauf, sofern notwendig, an entsprechender Stelle näher eingegangen werden wird. 24.2
Bildgebung von Exekutivfunktionen im Allgemeinen und bei Schizophrenie
Die moderne Wissenschaft nähert sich der Frage nach den neurobiologischen Grundlagen höherer kognitiver Funktionen wie denen der Exekutivfunktionen mittels einer Kombination neuropsychologischer, neuroanatomischer, neurochemischer und molekularbiologischer Methoden. Die Untersuchung gesunder Probanden und von Patienten mit kognitiven Dysfunktionen mittels strukturell und funktionell bildgebenden Verfahren nimmt hierbei einen breiten Raum ein. Im Folgenden sollen exemplarisch einige Erkenntnisse zu den neuronalen Korrelaten exekutiver
305 24.2 · Bildgebung von Exekutivfunktionen im Allgemeinen und bei Schizophrenie
Prozesse, die überwiegend mittels MRT-Untersuchungen gewonnen wurden, im normalpsychologischen Bereich und bei Patienten mit Schizophrenie dargestellt werden. Einzelne Subfunktionen, die der Gruppe der Exekutivfunktionen zugeordnet werden können, werden dabei der Übersichtlichkeit halber getrennt behandelt. Hierbei ist anzumerken, dass der Übergang vielfach fließend ist und die vorgenommene Unterteilung der Exekutivfunktionen keine absolute Kategorisierung und Abgrenzung darstellt.
Einteilung von Exekutivfunktionen in Teilfunktionen und Abschnittsübersicht Inhibition (7 Abschn. 24.2.1) Arbeitsgedächtnis (Zentrale Exekutive; 7 Abschn. 24.2.2) Monitoring (7 Abschn. 24.2.3) Kognitive Flexibilität (7 Abschn. 24.2.4) Planen, Entscheiden und Problemlösen (7 Abschn. 24.2.5)
24.2.1 Inhibition ! Kognitive Prozesse, die der Unterdrückung einer bestimmten Handlung oder Handlungstendenz dienen, werden als Inhibition oder Reaktionsunterdrückung bezeichnet. Inhibitorische Kontrollprozesse sind kritische Komponenten jeder Handlung, da diese eine Grundvoraussetzung für Korrekturverhalten darstellen und eine präzise und fehlerfreie Leistung ermöglichen.
Inhibitionsprozesse werden mit Hilfe verschiedener Aufgaben untersucht. Zu den häufigsten in diesem Zusammenhang verwendeten Paradigmen zählen sog. Go-NoGo-Aufgaben (inkl. Stopp-Aufgaben) und der Stroop-Test (Stroop 1935).
Normalpsychologische Befunde zur Inhibition Den Go-NoGo-Aufgaben und Stopp-Aufgaben ist gemeinsam, dass während der Untersuchung wiederholt ein bestimmter Reiz präsentiert wird, auf den der Proband jeweils so schnell wie möglich reagieren muss. Bei einem Teil der Durchgänge (ca. 30%) wird den Probanden bei der Präsentation der Reize ein Hinweis (farbliche Markierung des Reizes, Tonsignal) gegeben, der signalisiert, dass in diesem Fall keine Reaktion erfolgen soll. In diesen Durchgängen muss die Reaktionstendenz bei Erscheinen eines Reizes also unterdrückt werden. In Bildgebungsstudien ließ sich zeigen, dass bei Bearbeitung solcher Aufgaben und damit an der erfolgreichen Inhibition der Reaktionstendenz insbesondere Teile des präfrontalen Kortex wie der Sulcus frontalis superior beteiligt sind (Konishi et al. 1999). Gleichzeitig scheinen die für eine erfolgreiche Reaktionsinhibition relevanten Hirnregionen und die bei fälschlicher Reaktion der Probanden aktivierten Areale nur teilweise überlappend zu sein. In einer Studie von Menon et al. (2001) zeigten sich speziell bei misslungener Reaktionsinhibition das
24
rechte anteriore und linke posteriore Cingulum, der linke Praecuneus und bilateral die anteriore Insula vermehrt aktiviert. Ein weiterer Indikator selektiver Aufmerksamkeit und exekutiver Kontrolle ist der sog. Stroop-Test. Mit Hilfe dieses Tests läßt sich ähnlich wie bei Go-NoGo-Aufgaben eine kognitive Interferenz erzeugen, die durch Inhibtionsprozesse überwunden werden muss, damit eine korrekte Reaktion erfolgen kann. Die Schwierigkeit besteht dabei darin, eine stark automatisierte Reaktionstendenz (Lesen eines Wortes) zugunsten einer willentlichen und kontrollierten Reaktion (Benennung der Druckfarbe eines Wortes) aktiv zu unterdrücken (7 Kap. 23). Der Stroop-Test wurde in klassischer Variante bisher in wenigen fMRT-Studien verwendet. Es kristallisierte sich hier insbesondere die Bedeutung des anterioren Gyrus cinguli bei Bewältigung der erzeugten kognitiven Interferenz heraus. Kritisch anzumerken ist aber, dass auch gegenteilige fMRT-Befunde berichtet wurden. So verwendeten etwa Zysset et al. (2001) eine modifizierte Stroop-Aufgabe, die ohne das Sprechen des Probanden durchzuführen ist, und fanden keinen Aktivierungsanstieg im anterioren Cingulum. Die Autoren schlussfolgerten, dass das anteriore Cingulum nicht für die eigentliche Interferenz relevant ist, sondern eher in motorische Vorbereitungsprozesse involviert ist. Dieser Interpretation widersprechen allerdings wiederum Befunde von Peterson et al. (2002), die eine Beteiligung des anterioren Cingulums auch bei Interferenz auf visuell-räumlicher Ebene mit Hilfes der sog. Simon-Aufgabe nachweisen konnten. An dieser Stelle scheint also eine genauere Definition der kognitiven Teilkomponenten inhibitorischer Kontrolle, wie sie für die Stroop-Aufgabe erforderlich ist, zur Klärung relevanter Hirnstrukturen notwendig zu sein. Exkurs Auf dem Gebiet der Reaktionsinhibiton existieren auch weniger klassiche Ansätze, wie etwa Brass et al. (2001) in einer Studie zur Unterdrückung von gelernten motorischen Handlungstendenzen, nämlich der Imitation einer wahrgenommenen Bewegung, zeigten. Die Autoren fanden beim Vergleich von imitativen vs. nicht-imitativen Fingerbewegungen eine vorherrschende Aktivierung im Gyrus frontalis medialis. Dieser Kortexbereich wurde zuvor mit Monitoringprozessen in Verbindung gebracht. Daneben zeigte sich in dieser Studie, dass auch rechtsseitig der frontopolare Kortex und der anteriore Parietalkortex sowie der Praecuneus an der Hemmung der Imitation einer präsentierten Bewegung beteiligt sind. Die Lokalisation relevanter Strukturen scheint also in diesem Fall über den Frontalkortex hinauszugehen.
Inhibition bei Schizophrenie Die neuronalen Korrelate von Inhibitionsprozessen bei Patienten mit Schizophrenie wurden mit Hilfe o. g. Paradigmen, aber auch mit Hilfe des sog. Prepulse-Inhibition-Paradigmas untersucht. Damit ist die reaktionsmindernde Wirkung eines leichten, voran-
306
Kapitel 24 · Exekutivfunktionen – Bildgebung
a
24
b
. Abb. 24.1a, b. Hypoaktivierung während Bearbeitung einer Go-NoGo-Aufgabe bei Patienten mit Schizophrenie (SZ) im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden (NC) a im dorsalen anterioren Cingulum und b im linken Gyrus frontalis medialis. (Reprinted from Arce et al. 2006, with permission from Elsevier). (7 Farbtafeln, S. 661)
kündigenden Reizes kurz vor Applikation des eigentlichen Stimulus gemeint. Hier zeigen Personen, die an einer Schizophrenie erkrankt sind, ebenso Auffälligkeiten wie bei der Unterdrückung einer natürlich vorherrschenden Reaktionstendenz (z. B. Ford et al. 2004). Zudem profitieren die Patienten kaum von der Anwesenheit prädiktiver Hinweisreize für die Inhibitionsleistung, wie es bei Gesunden der Fall ist. Zu den neuronalen Korrelaten derlei veränderter Inhibitionsleistungen und zum Einfluss von impliziten Hinweisreizen bei Patienten mit Schizophrenie haben Arce et al. (2006) kürzlich eine fMRT-Studie durchgeführt. Methodisch bemerkenswert ist an dieser Studie, dass die Autoren die Patienten und Kontrollprobanden hinsichtlich ihrer Verhaltensleistung (Fehlerrate) in der verwendeten visuellen Go-NoGo-Aufgabe parallellisiert haben. Andere Arbeitsgruppen hatten zuvor belegt, dass die Verhaltensleistung eine wichtige konfundierende Variable in Bildgebungsstudien darstellt. So konnten beispielsweise Weiss et al. (2003) zeigen, dass Patienten ausgedehntere, bilaterale Areale im Präfrontalkortex für eine vergleichbare Leistung in einer modifizierten Stroop-Aufgabe rekrutierten, während sich bei Gesunden ein vorwiegend linkshemisphärischer Anstieg fand. Eine Kontrolle der Verhaltensleistung, wie sie Arce et al. (2006) vorgenommen haben, erlaubt daher experimentalpsychologisch eine validere Interpretation der funktionellen Daten.
Hinsichtlich der Ergebnisse der zuvor erwähnten fMRT-Studie von Arce et al. (2006) berichteten die Autoren für die Patienten, abweichend von der Vergleichsgruppe der gesunden Kontrollpersonen, von a) einer verminderten Aktivierung des dorsalen anterioren Cingulums sowie des dorsolateralen präfrontalen Kortex während der Reaktionsunterdrückung (. Abb. 24.1) b) einer vermehrten inferior frontalen Aktivierung bei Verarbeitung eines impliziten Hinweisreizes c) einer vermehrten linksseitigen Praecuneus-Aktivität während der Reaktionsunterdrückung bei vorangegangenem impliziten Hinweisreiz Die Autoren deuteten dies als ein Defizit der Patienten hinsichtlich kognitiver Kontrolle und Stimulusverarbeitung, was mittels funktioneller Bildgebung auch bei vergleichbarer Verhaltensleistung beobachtbar wird. Ähnlich wie Arce et al. (2006) haben auch Rubia et al. (2001) beschrieben, dass Personen mit Schizophrenie bei gleicher Verhaltensleistung ein vermindertes BOLD-Signal linksseitig im Gyrus cinguli und im dorsolateralen Präfrontalkortex sowie vermehrte Aktivität im Thalamus und Putamen bei Reaktionsinhibition zeigen.
307 24.2 · Bildgebung von Exekutivfunktionen im Allgemeinen und bei Schizophrenie
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Exkurs Neben Go-NoGo-Aufgaben und dem Stroop-Test werden zur Untersuchung von möglichen Dysfunktionen der Reaktionsunterdrückung bei Patienten mit Schizophrenie vielfach bestimmte Paradigmen zur Steuerung von Augenbewegungen (Antisakkaden-Aufgaben) verwendet. Hier zeigen sich Patienten vielfach in der Inhibition reflexiver Sakkaden beeinträchtigt. Wenn reflexhafte, Reiz-getriggerte Augenbewegungen mit der Initiierung einer willkürmotorischen Augenbewegung in Konkurrenz stehen, haben Patienten mit Schizophrenie vielfach Schwierigkeiten, re-
flexive Sakkaden erfolgreich zu unterdrücken. Die mangelnde Inhibition solcher Augenbewegungen kann als ein biologischer Marker zerebraler Dysfunktionen verstanden werden, der weniger stark kognitiv zu modulieren ist als die Inhibitionsleistung in anderen Paradigmen. Im fMRT lässt sich bei solchen Augenbewegungsparadigmen für Patienten mit Schizophrenie eine verminderte Aktivität in thalamokortikalen Schleifen, also insbesondere im Thalamus und im dorsolateralen präfrontalen Kortex, sowie in den Basalganglien (Camchong et al. 2006) nachweisen.
Wie Vink et al. (2006) kürzlich in einer fMRT-Studie zeigten, können funktionelle Veränderungen in Hirnregionen, die mit Exekutivfunktionen assoziiert sind, auch als Hinweis auf mögliche genetische Faktoren für die Entstehung einer Schizophrenie interpretiert werden. In ihrer Studie betrachteten sie speziell die Aktivität im Striatum bei Bearbeitung einer motorischen Go-NoGo-Aufgabe bei Patienten mit manifester schizophrener Symptomatik und bei nichterkrankten Verwandten der Patienten. Die Probanden und Patienten hatten die Aufgabe, auf eine Serie von Hinweisreizen zu reagieren, wobei bei vereinzelt auftretenden Stoppreizen ihre motorische Reaktionstendenz zu unterdrücken war. Zudem konnten die Teilnehmer die Wahrscheinlichkeit
des Auftretens eines Stoppreizes antizipieren, da diese im Verlauf des Experiments linear ansteigend war. Es ergab sich eine vermehrte Aktivität im Striatum der gesunden Probanden, die positiv mit der Wahrscheinlichkeit für eine erforderliche Reaktionsunterdrückung korreliert war. Dieser Zusammenhang zwischen striataler Aktivierung und Antizipation einer Reaktionsinhibition war dabei weder bei den Patienten mit Schizophrenie noch bei deren symptomfreien Angehörigen zu beobachten (. Abb. 24.2). Hinsichtlich der Leistungsparameter zeigten sich nur die Patienten, nicht aber die gesunden Angehörigen auffällig. Die Autoren interpretierten dies dahingehend, dass striatale Dysfunktionen als Hinweis auf ein erhöhtes Erkrankungsrisiko dienen könnten.
. Abb. 24.2. Effekt der Auftretenswahrscheinlichkeit eines StoppSignals auf die Aktivität im Striatum bei (A) Patienten mit Schizophre-
nie und Kontrollpersonen und (B) in gesunden Angehörigen der Patienten und Kontrollpersonen. (Reprinted from Vink et al. 2006, with permission from Society of Biological Psychiatry)
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Kapitel 24 · Exekutivfunktionen – Bildgebung
Einen ähnlichen Ansatz verfolgten kürzlich MacDonald et al. (2006) in einer Studie mit gesunden Angehörigen von Patienten mit Schizophrenie; auch diese Untersuchung zeigte, dass gesunde Angehörige ein verändertes Aktivierungsmuster im Vergleich zu genetisch nicht vorbelasteten Personen zeigen. Bei den nichtaffizierten Angehörigen war eine deutlich verzögerte Reaktion des präfrontalen Kortex bei der Inhibition einer vorherrschenden Reaktionstendenz zu beobachten. Im Detail er-
24.2.2 Arbeitsgedächtnis ! Die zentrale Exekutive des Arbeitsgedächtnisses nach Baddeley hat die Funktion, die verfügbaren Aufmerksamkeitsressourcen adäquat auf die verbale bzw. visuell-räumliche Untereinheit zu verteilen. Daher ist es möglich, diesen Teilaspekt des Arbeitsgedächtnisses der Gruppe der exekutiven Funktionen zuzuordnen.
Das Konzept des Arbeitsgedächtnisses geht auf Baddeley u. Hitch (1974) zurück. Der wesentliche Gedanke dieses Modells ist, dass die zur Ausführung einer Aufgabe notwendigen Informationen kurzzeitig gespeichert und manipuliert werden müssen. Baddeleys Konzept beinhaltet eine verbale (»phonological loop«) und eine visuell-räumliche Untereinheit (»visuo-spacial skatchpad«), die der sog. zentralen Exekutive untergeordnet sind. Die zentrale Exekutive verhält sich zu den beiden Untereinheiten also als eine regulierende Instanz, die der Koordination und Kontrolle der Subsysteme dient. An dieser Stelle soll speziell auf die funktionelle Bildgebung zum Arbeitsgedächtnis mit besonderem Augenmerk auf die zentrale Exekutive bzw. die Überschneidung mit anderen Exekutivfunktionen eingegangen werden. Das Arbeitsgedächtnis als Gedächtniskonzept wurde bereits an anderer Stelle ausführlich behandelt (7 Kap. 19 und 20).
Normalpsychologische Befunde zum Arbeitsgedächtnis Die klassischen Arbeitsgedächtnis-Paradigmen umfassen Aufgaben, die die kurzfristige Speicherung und Manipulation von Gedächtnisinhalten erfordern wie z. B. die sog. n-back-Aufgabe. Hierzu liegen zahlreiche Bildgebungsstudien vor (7 Kap. 20). Ist man jedoch an den exekutiven Anteilen der Arbeitsgedächtnisfunktion interessiert, so sind diese Paradigmen nicht zweckmäßig. Die zentrale Exekutive des Arbeitsgedächtnisses wird daher zumeist mittels sog. Dual-Task-Aufgaben untersucht, welche die koordinierte Bearbeitung zweier verschiedener Aufgaben erfordern. In der englischsprachigen Literatur bezeichnet man den Wechsel zwischen konkurrierenden Aufgaben durch Verteilung bzw. Verlagerung kognitiver Ressourcen auch als »task switching«. Durch den Konflikt zwischen verschiedenen Bearbeitungszielen nimmt die Leistung einer Person im Vergleich zur Bearbeitung der
gab sich eine Aktivierung des Präfrontalkortex bei den Kontrollpersonen bereits zum Zeitpunkt der Vorbereitung des Verhaltens, wohingegen in der Gruppe der Angehörigen die frontale Aktivierung erst während der Reaktionsunterdrückung zu beobachten war. Dies resultierte zudem in einer verminderten Leistung (Reaktionszeitverlängerung) der Angehörigen von Patienten mit Schizophrenie, also Personen, die erblich bedingt eine erhöhte Erkrankungswahrscheinlichkeit aufweisen.
einzelnen Aufgaben ab, was als Kosten der erforderlichen exekutiven Prozesse bei Aufgabenwechsel verstanden wird. D’Esposito et al. (1995) untersuchten erstmalig die Gehirnaktivität bei Koordination zweier konkurrierender Aufgaben im fMRT. Sie beschrieben in der Dual-Task-Bedingung eine additive Aktivität im dorsolateralen präfrontalen Kortex und im anterioren Cingulum, die nicht mit der Aufgabenschwierigkeit assoziiert war. Diese Befunde sprechen für eine Beteiligung des präfrontalen Kortex an der Allokation und Koordination von Aufmerksamkeitsressourcen. Konsistent mit diesen Befunden fanden Szameitat et al. (2002) eine spezifische Aktivierung im Bereich des Sulcus frontalis inferior, des Gyrus frontalis medialis und des Sulcus intraparietalis bei Bearbeitung einer Dual-Task-Aufgabe. Die Arbeitsgruppe um D’Esposito postulierte infolge weiterer eigener Arbeiten zu dem Thema eine doppelte Dissoziation von verschiedenen Arbeitsgedächtniskomponenten im Präfrontalkortex, nämlich die Lokalisierung von Prozessen der Manipulation von Gedächtnisinhalten im dorsolateralen präfrontalen Kortex gegenüber der Enkodierung, Aufrechterhaltung und Inhibition von Informationen im ventrolateralen präfrontalen Kortex.
Mit der Differenzierung der Lokalisation von exekutiver Kontrolle im Rahmen von Arbeitsgedächtnisfunktionen und kognitiver Umstellungsfähigkeit beschäftigten sich Gurd et al. (2002) in einer Studie zum Wechsel zwischen semantischen Kategorien in einer Wortflüssigkeitsaufgabe. Hier ergab sich beim Vergleich der kortikalen Aktivierungsmuster bei mehrfachem Kategorienwechsel gegenüber der Wortflüssigkeit ohne Aufgabenwechsel eine vermehrte Aktivierung des superioren posterioren Parietalkortex. Signifikante Aktivierungen in frontalen Bereichen (anteriores Cingulum, Gyrus frontalis medialis, frontales Operculum, linker Gyrus frontalis inferior) und im Bereich des Cerebellums (Vermis) beschrieben die Autoren für den Vergleich unterschiedlich gut gelernter Kategorien. Diese Ergebnisse machen deutlich, dass auch parietale Kortexbereiche für das Verständnis exekutiver Funktionen eine Rolle spielen, inbesondere dann, wenn die Allokation des internen Aufmerksamkeitsfokus, wie in dieser Wortflüssigkeitsaufgabe mit Kategorienwechsel, erforderlich ist.
309 24.2 · Bildgebung von Exekutivfunktionen im Allgemeinen und bei Schizophrenie
Arbeitsgedächtnis bei Schizophrenie Betrachtet man die Erkenntnisse der funktionellen Bildgebung zur Arbeitsgedächtnisfunktion bei Schizophrenie, so zeigt sich weitestgehend konsistent, dass in Untersuchungen mit PET oder Single-Photon-Emission-Computed-Tomography (SPECT) eine präfrontale Minderaktivierung beobachtbar ist, die über das dopaminerge System vermittelt zu sein scheint. Die publizierten fMRT-Untersuchungen ergeben ein weniger konsistentes Bild, unterstreichen aber ingesamt die Rolle des präfrontalen Kortex. Ausmaß und Richtung (Hypo- vs. Hyperaktivierung) der Aktivierungsveränderungen sind dabei einerseits abhängig vom verwendeten Paradigma, von der Kapazität und Auslastung des Arbeitsgedächtnisses und der resultierenden Verhaltensleistung. Zum anderen haben Unterschiede in den untersuchten Patientenpopulationen einen Einfluss auf die fMRT-Befunde – z. B. den psychopathologischen Status, den syndrombezogenen Subtypus, die Krankheitsphase und den Medikamentenstatus. Entsprechend werden auch zunehmend Longitudinaluntersuchungen, meist zu Therapieeffekten, durchgeführt (7 Kap. 20; Übersicht in Wolf et al. 2006). Studien zu exekutiven Anteilen an der Arbeitsgedächtnisfunktion bei Schizophrenie, also Untersuchungen mit Hilfe von Dual-Task- oder Task-Switching-Aufgaben liegen bisher kaum vor. Dem Überschneidungsbereich von Arbeitsgedächtnis- und Antizipationsleistung widmeten sich jedoch Quintana et al. (2003). Sie beschrieben in einer fMRT-Studie bei Patienten mit Schizophrenie, dass die Patienten in einer rein mnestischen Arbeitsgedächtnisbedingung präfrontale Hyperaktivierungen zeigten. Darüber hinaus ließ sich in dieser Untersuchung zeigen, dass die Patienten in einer weiteren Bedingung, die zusätzlich die Antizipation einer Antwort erforderte, mit präfrontaler Hypoaktivieurng bei gleichzeitiger posterior parietaler Hyperaktivierung reagierten. Quintana et al. (2003) deuteten dies als eine Veränderung des Aktivitätsmusters im Präfrontalkortex bei Schizophrenie (Hypo- vs. Hyperaktivierung) in Abhängigkeit der zur Bewältigung einer spezifischen Aufgabe zur Verfügung stehenden Strukturen in einem präfrontal-posterior parietalen Netzwerk. Entsprechend den Befunden von Quintana et al. widmen sich neuere Ansätze zunehmend dem Präfrontalkortex und seiner Bedeutung für die Arbeitsgedächtnisfunktion bei Schizophrenie in seiner Konnektivität und Interaktion mit anderen Hirnarealen. Dies trägt zudem der Tatsache Rechnung, dass höhere kognitive Prozesse und Funktionen seltenst in einzelnen, isolierten Arealen umgesetzt werden, sondern in komplexen Netzwerken funktionieren. So konnten Schlösser et al. (2003) zeigen, dass bei Patienten mit Schizophrenie eine verminderte effektive Konnektivität zwischen dem präfrontalen Kortex und dem Cerebellum sowie zwischen dem Thalamus und dem Cerebellum vorliegt, bei gleichzeitig verstärkter Konnektivität zwischen Kortex und Thalamus. Dies interpretierten die Autoren, vom Ansatz her ähnlich wie Quintana et al. (2003), in Richtung einer kompensatorischen Verschiebung der effektiven Konnektivität innerhalb eines frontokortikalen-thalamo-zerebellären Netzwerks. Allerdings verwen-
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dete diese Studie ein reines »n-back«-Paradigma, also eine Arbeitsgedächtnisaufgabe ohne besondere exekutive Anteile. 24.2.3 Monitoring Die Fähigkeit, das eigene Verhalten zu verfolgen, hinsichtlich seiner Effektivität einzuschätzen und unter Umständen zu korrigieren, ist ein wichtiger Aspekt zur Anpassung an die Umwelt. Es erfordert eine interne Überwachung des eigenen Handelns, die Erkennung fehlerhafter Reaktionen und die daraus resultierende etwaige Korrektur des Verhaltens. Solche kognitiven Leistungen, die zusammenfassend als »Monitoring« bezeichnet werden, lassen sich dem Bereich der Metakognition (7 Kap. 29 und 30) zuordnen. Monitoring-Prozesse können z. B. mit Hilfe von sog. Fehlerentdeckungsaufgaben untersucht werden. Das Monitoring der eigenen Leistung und die damit verbundene Fähigkeit zur Fehlerdetektion ist eine exekutive Teilleistung, die sich bei Patienten mit Schizophrenie häufig beeinträchtigt zeigt.
Normalpsychologische Befunde zum Monitoring Aktuelle Theorien zum Monitoring und der Verarbeitung von fehlerhaften Reaktionen bzw. Konflikten postulieren eine zentrale Rolle des anterioren Cingulums bei der Überwachung eigenen Verhaltens. In kombinierten EEG- und fMRT-Studien ist gezeigt worden, dass man die Verarbeitung von fehlerhaftem Verhalten gegenüber der Wahrnehmung von Verhaltenskonflikten auf neuronaler Ebene dissoziieren kann. So berichten etwa Mathalon et al. (2003) von einer teils überlappenden, teils distinkten Rekrutierung von Anteilen des anterioren Gyrus cinguli. In dieser Studie korrelierte die fehlerassoziierte Negativierung im EEG vorwiegend mit der Aktivierung des kaudalen und rostralen Teil des anterioren Cingulums, wohingegen konfliktassoziierte EEGKomponenten mit vermehrter Aktivität im kaudalen anterioren Cingulum und im präfrontalen Kortex einhergingen.
Monitoring bei Schizophrenie Bei Patienten mit Schizophrenie haben Laurens et al. (2003) die Verarbeitung fehlerhafter Leistungen (»error processing«) im Rahmen einer Go-NoGo-Aufgabe mittels fMRT untersucht. Es kam hier zu einer Verschiebung kortikaler Aktivierungsmuster. Während die Patienten gegenüber Gesunden im Bereich des rostralen anterioren Cingulums sowie in limbischen Regionen hypoaktiviert waren, zeigten sich im Parietalkortex bei den Patienten Hyperaktivierungen. Aufgrund der Bedeutung der hier hypoaktivierten Strukturen für emotionale und motivationale Prozesse schlussfolgerten die Autoren, dass die beobachteten Verhaltensdefizite bei Personen mit Schizophrenie durch eine veränderte interne Reaktion auf die erfolgte fehlerhafte Reaktion zu erklären sind. Auch die Arbeitsgruppe um Carter (z. B. Kerns et al. 2005) berichtete, dass sich bei gesunden Personen eine fehlerkorrelierte Aktivierung des anterioren cingulären Kortex bei Überwachung der eigenen Leistung beobachten lässt, ein Zusammenhang, der
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Kapitel 24 · Exekutivfunktionen – Bildgebung
sich nicht gleichermaßen bei Patienten mit Schizophrenie nachweisen ließ. Zudem zeigten die Patienten eine schlechte Verhaltenskorrektur nach falschen Alarmen bzw. Fehlern. Insgesamt sprechen die Befunde für eine Störung der internen Überwachungsfunktionen bei Patienten mt Schizophrenie, die mit einer Dysfunktion des anterioren Cingulums einhergeht. Den Einfluss von psychopharmakologischer Medikation auf den Verlauf exekutiver Dysfunktionen hinsichtlich kognitiver Kontrolle und Fehlerverarbeitung untersuchten Snitz et al. (2005) bei neuroleptikanaiven Patienten mit Schizophrenie. Die Autoren beschrieben eine Zunahme des Aktivierungsniveaus im anterioren Cingulum nach 4 Wochen atypischer antipsychotischer Medikation bei den Patienten, wenngleich sich keine Verbesserung der Hypoaktivierung im dorsolateralen präfrontalen Kortex über den Therapiezeitraum hinweg ergab. Nicht nur bei weitestgehend abstrakten, kognitiven Aktivierungsaufgaben sind Monitoringprozesse involviert, sondern auch während der Produktion von Sprache. Präartikulatorisch werden dabei mögliche Sprachfehler über einen sog. »internal error detection loop« erkannt und korrigiert. Dieser Vorgang findet während kurzer Sprachhäsitationen statt und ist mit der Aktivität des linken posterioren Gyrus temporalis superior assoziiert (Kircher et al. 2004). Exkurs Für die Erklärung der psychopathologischen Symptome bei Schizophrenie bedeutsam ist das Konzept des sog. Self-Monitoring. Produktiven Symptomen wie akustischen Halluzinationen, formalen Denkstörungen und Ich-Störungen (7 Teil III) liegen zum Teil gestörte Efferenzkopiemechanismen zugrunde, die mit der Funktion unterschiedlicher Hirnstrukturen in Zusammenhang gebracht wurden (Kircher u. Leube 2003). Ein weiterer Begriff im Zusammenhang mit Bildgebungsstudien bei Schizophrenie ist das sog. Kontext-Monitoring (auch »Kontextverarbeitung«). Bei detaillierterer Betrachtung zeigt sich, dass mit diesem Begriff zumeist eine Variante einer Arbeitsgedächtnisaufgabe bezeichnet wird, bei der die erforderliche Reaktion auf einen Stimulus durch einen zeitlich nahen, zweiten Reiz (den »Kontext«) bestimmt wird (z. B. AX-Continous Performance Test). Ferner kann es sich bei Paradigmen zum Kontext-Monitoring um eine Kontextmodulation in Aufgaben zu Enkodierung, Konsolidierung und Abruf von Gedächtnisinhalten handeln. Solche Untersuchungen sollen entsprechend nicht Gegenstand dieses Kapitels sein.
24.2.4 Kognitive Flexibilität ! Als »kognitive Flexibilität« oder »kognitive Umstellungsfähigkeit« bezeichnet man die Fähigkeit zur Variation in Denken und Handeln als Voraussetzung für die Adaptation an veränderte Umweltbedingungen.
Ein sehr gut untersuchtes neuropsychologisches Testverfahren zur Untersuchung kognitiver Flexibilität ist die sog. Wortflüssigkeit. Entsprechend häufig kommt dieses Paradigma in Verhaltensexperimenten wie auch in fMRT-Untersuchungen zur Anwendung. Dabei hat der Proband die Aufgabe, innerhalb einer vorgegebenen Zeit möglichst viele Wörter nach festgelegten Kriterien zu generieren (7 Kap. 23). Ein weiterer Test, der in diesem Zusammenhang häufig Verwendung findet, ist der Wisconsin-CardSorting-Test (WCST; Grant u. Berg 1948). Dieser Test erfasst die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Stimulusattributen flexibel zu wechseln, was in der angloamerikanischen Literatur als »set shifting« bezeichnet wird. Der WCST wird daher häufig als Maß exekutiver Funktionen verwendet (7 Kap. 23).
Normalpsychologische Befunde zur Kognitiven Flexibilität Lurito et al. (2000) untersuchten mit ihrer Studie die Frage, zu welchen Anteilen die Wortflüssigkeit einerseits exekutive und andererseits sprachliche Funktionen abzubilden vermag. Die Autoren verglichen dazu die kortikale Aktivierung bei einer lexikalischen Wortflüssigkeitsaufgabe mit der Aktivierung bei Bearbeitung einer Reimaufgabe. Für beide Bedingungen zeigten sich Aktivierungen in Bereichen um die Fissura Sylvii (inferiorer Frontalkortex, posteriorer Teil des superioren Temporalkortex, Gyrus fusiformis), die mit Sprachfunktionen assoziiert sind. Die Bearbeitung der Wortflüssigkeitsaufgabe bedingte allerdings eine stärkere Aktivierung des DLPFC und des anterioren Cingulums als die Reimaufgabe, was für eine stärkere Beteiligung nichtsprachlicher Komponenten bei der Wortflüssigkeit spricht. Phelps et al. (1997) kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Sie konnten in ihrer Studie nachweisen, dass sich bei einer Wortflüssigkeitsaufgabe im Vergleich zum einfachen Nachsprechen von Wörtern der linke Gyrus frontalis inferior und das anteriore Cingulum vermehrt aktiviert zeigten. Forschergruppen, die die semantische Wortflüssigkeit zur Untersuchung exekutiver Funktionen verwenden, beschreiben häufig auch eine Beteiligung temporaler Kortexbereiche an der Bearbeitung dieser Aufgabe. Pihlajamaki et al. (2000) etwa berichteten die vermehrte Aktivierung des linken medialen Temporalkortex im Bereich der Hippocampusformation und des posterioren Gyrus parahippocampalis. Dies lässt sich dahingehend interpretieren, dass der laterale Temporallappen speziell für den strategischen Wortgenerierungsprozess anhand von Kategorien von Bedeutung zu sein scheint. Der WCST, als weiteres Verfahren zur Erfassung kognitiver Flexibilität, ist gegenüber der Wortflüssigkeit bisher überwiegend als Stimulationsparadigma in Bildgebungsstudien mit PET oder SPECT verwendet worden, es existieren aber auch einige fMRTUntersuchungen. Auch hier erwiesen sich der mediale und der dorsolaterale präfrontale Kortex als für die Bearbeitung des WCST relevante Areale (z. B. Volz et al. 1997). Konishi et al. (1999) beschrieben bei Stimulation mit einer Computerversion des WCST eine vermehrte Aktivität im posterioren Teil des Sulcus frontalis inferior, die zudem mit der Aufgabenschwierigkeit anstieg.
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Exkurs Insbesondere in der klinischen Forschung ist einer der Vorteile des Wortflüssigkeitstests, dass es sich um ein gut verständliches und einfach anwendbares Verfahren handelt. Bei der Verwendung der Wortflüssigkeit als Paradigma in der funktionellen Bildgebung ergibt sich aber ein methodisches Problem: Das Generieren von Wörtern, genauer: das Sprechen der Wörter, führt zwangsläufig zur Bewegung des Kiefers der Person im Magnetresonanztomographen. Aufgrund der Anfälligkeit der Magnetresonanztomographie für Bewegungsartefakte (7 Kap. 4) ist daher die sog. offene Reaktion des Probanden problematisch. Folglich ist es zu empfehlen, die Wortflüssigkeit im fMRT mit der sog. verdeckten Reaktion des Probanden durchzuführen. Hierbei werden die Wörter vom Probanden nicht laut ausgesprochen, sondern die stille Generierung eines neuen Wortes durch die Betätigung einer Reaktionstaste angezeigt. Allerdings ist dabei die Einhaltung der Instruktionen durch den Probanden notwendige Voraussetzung, da hier kein externes Leistungsmaß vorliegt. Es gibt neuerdings aber
In einer Folgeuntersuchung widmeten sich Konishi et al. (2002) zudem der Analyse einzelner Subprozesse des WCST. Sie beobachteten in ihrer Studie eine funktionelle Lateralisierung im Bereich des lateralen Frontalkortex. Während sich dieser bei Wechsel der relevanten Stimulusdimension vermehrt linkshemisphärisch aktiviert zeigte, waren die korrespondierenden rechtshemisphärischen Areale während negativer Rückmeldung aktiv. Demnach scheint der linke Frontalkortex auf die Aktualisierung der Stimulusinformationen und der rechte Frontalkortex auf die Überprüfung des eigenen Verhaltens bei negativer Rückmeldung spezialisiert zu sein.
Kognitive Flexibilität bei Schizophrenie Auch bei Patienten mit Schizophrenie hat sich ein Zusammenhang zwischen Defiziten bei der Bearbeitung der Wortflüssigkeit einerseits und einer Hypoaktivität im präfrontalen Kortex andererseits gezeigt. So konnten etwa Curtis et al. (1998) in einer fMRT-Studie belegen, dass sich zwischen Patienten und Gesunden bei parallelisierter Verhaltensleistung Aktivierungsunterschiede im linken Präfrontalkortex, der linken Insula und dem linken Gyrus frontalis inferior nachweisen ließen. Gegenüber der relativen Hypoaktivierung in den genannten Regionen bei Wortgenerierung ergab sich bei den Patienten während einfacher Wiederholung von Wörtern (Kontrollbedingung) zudem eine Hyperaktivierung des medialen Parietalkortex. Dabei waren frontale und parietale Aktivierung bei gesunden Kontrollen wie bei Patienten negativ miteinander korreliert. Andere Studien fanden neben frontalen auch lateral-temporale Aktivierungsdifferenzen bei modifizierten Wortflüssigkeitsaufgaben (Lesen vs. Satzergänzung; kontinuierliche Sprachproduktion) bei Patienten mit Schizophrenie, die sich zudem bei Patienten mit unterschiedlichen Symptomen deutlich unterschieden (z. B. Kircher et al. 2002). Insgesamt
einige Lösungsansätze für das Problem der Bewegunsartefakte bei offener verbaler Reaktion im Kernspintomographen, wie z. B. das kontinuierliche Sprechen über Aktivierungs- und Baseline-Bedingung hinweg (z. B. Kircher et al. 2000). Yetkin et al. (1995) fanden beim Vergleich der herkömmlichen Durchführung des Wortflüssigkeitstests und bei verdeckter Reaktion des Probanden heraus, dass bei beiden Varianten ähnliche Bereiche des Gehirns aktiviert waren, im Einzelnen der inferiore frontale Kortex, das anteriore Cingulum, der sensomotorische Kortex sowie der supplementär-motorische Kortex. Entsprechend der Erwartung waren aber bei offener Reaktion der Probanden mehr Artefakte zu beobachten, und es zeigte sich eine unerwünschte, starke Aktivierung des sensomotorischen Kortex durch die Bewegung von Zunge und Lippen beim Sprechen. Die verdeckte Reaktion führte hingegen zu einem besseren Signal-Rausch-Verhältnis im inferioren Frontalkortex.
scheint der psychopathologische Status auch hier eine wichtige konfundierende Variable zu sein. So verglichen etwa Fu et al. (2005) akute Patienten mit Schizophrenie mit Patienten in Remission bei steigender Aufgabenschwierigkeit und fanden stärkere Aktivierungen im anterioren Cingulum und im medialen Frontalkortex bei den akuten Patienten. Auch erwies sich zwar für beide Patientengruppen eine verminderte Aktivierung bilateral im Gyrus frontalis inferior und Gyrus cinguli sowie im rechten Gyrus frontalis medialis, aber diese Unterschiede waren für die Patienten in Remission stärker ausgeprägt. Der direkte Vergleich der Patientengruppen ergab entsprechend eine stärkere Aktivität im inferioren und dorsolateralen Frontalkortex, im anterioren Cingulum und in der Insula bei akut psychotischen Patienten. Ein weiterer interessanter Aspekt der Bildgebung in der Schizophrenieforschung ist der Grad und die Richtung der Lateralisierung von relevanten Hirnfunktionen bei Patienten mit Schizophrenie. Beispielsweise berichteten Weiss et al. (2004), dass Patienten in einer Wortflüssigkeitsaufgabe im fMRT stärker bilaterale Aktivierung des Frontalkortex, also eine weniger ausgeprägte Lateralisierung frontaler Sprachfunktionen, zeigten. Wie schon verschiedene strukturelle MRT-Studien, so kamen hinsichtlich der Lateralisierung des Frontalkortex bei Schizophrenie auch Artiges et al. (2000) in einer PET-Studie zu ähnlichen Ergebnissen. Während der Bearbeitung einer Wortflüssigkeitsaufgabe beobachteten sie einen verminderten linksfrontalen Aktivierungsanstieg, zusätzlich rechtsseitige inferior-frontale Aktvität und eine schwächere Deaktivierung im rechten inferior-parietalen Kortex bei Patienten mit Schizophrenie. Die Aktvierungsunterschiede waren rechtshemispherisch zudem negativ mit der Leistung in der Wortflüssigkeitsaufgabe korreliert. Neben Patienten mit frontalen Läsionen zeigen Patienten mit Schizophrenie auch Leistungsdefizite im WCST. Neben Weinber-
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Kapitel 24 · Exekutivfunktionen – Bildgebung
ger et al. (1994) untersuchten Volz et al. (1997) bereits vor mehreren Jahren Patienten mit Schizophrenie im Kernspintomographen bei Bearbeitung des WCST. Sie fanden eine Hypoaktivierung im rechten präfrontalen Kortex sowie eine tendenziell vermehrte Aktivität im linken Temporallappen bei den Patienten mit Schizophrenie gegenüber gesunden Kontrollpersonen. Die Autoren regten als Erklärung dieser Befunde an, dass die neurobiologische Grundlage der beschriebenen neuropsychologischen Auffälligkeiten bei Patienten gegebenenfalls nicht in einer primären Dysfunktion des Frontalkortex zu suchen ist. Stattdessen scheine diese vielmehr in einer veränderten funktionellen Konnektivität verschiedener Kortexbereiche einschließlich des Temporalkortex begründet zu sein. Mit diesen Ergebnissen in Einklang stehen auch fMRT-Befunde von Riehemann et al. (2001). Sie untersuchten neuroleptikanaive Patienten mit Schizphrenie bei Bearbeitung des WCST und achteten dabei auf eine aktive Kontrollaufgabe, um lediglich WCST-spezifische Aktivitätsunterschiede abzubilden. Die Autoren berichteten von einer rechts-frontalen und links-temporalen Minderaktivierung sowie einer Hypoaktivierung des linken Cerebellums bei den Patienten relativ zu gesunden Kontrollpersonen. Dieser Frage nach der Konnektivität von verschiedenen Hirnregionen bei Schizophrenie und deren Einfluss auf die exekutive Steuerung, wie sie im WCST messbar ist, ging konkret eine Arbeitsgruppe aus Boston nach. In einer Diffusion-Tensor-Bildgebungsstudie (DTI) untersuchten Kubicki et al. (2003) die Integrität der Faserverbindungen des Cingulums. DTI ist eine moderne MR-Methode, die im Wesentlichen auf der Messung der Diffusionsrichtung von freien Wassermolekülen in Gehirn basiert. Sie erlaubt die Darstellung einzelner Nervenbahnen und ermöglicht damit einen In-vivo-Einblick in die Mikroarchitektur des Gehirns. In der Studie von Kubicki et al. (2003) ergab sich, dass bei Patienten mit Schizophrenie geringere Werte fraktionaler Anisotropie, ein Maß für die Integrität von Nervenfasern, im cingulären Bündel nachweisbar war. Dies korrelierte zudem mit der Leistung im WCST. 24.2.5 Planen, Entscheiden, Problemlösen ! Mit Planung bezeichnet man die Fertigkeit, seine Kognition und sein Verhalten in Zeit und Raum zielorientiert und nach relevanten Kriterien zu organisieren.
Entscheidungsverhalten ist immer dann erforderlich, wenn eine gewisse Notwendigkeit einer Handlung gegeben ist. Planungsprozesse werden in Situationen notwendig, in denen ein gestecktes Ziel nur in einer Folge von Zwischenschritten erreicht werden kann. Die Grundlagen von Entscheidungen und die Koordination verschiedener Subprozesse und Teilschritte sind gleichzeitig Voraussetzung für andere höhere kognitive Leistungen wie etwa das Problemlösen.
Normalpsychologische Befunde zum Planen, Entscheiden und Problemlösen Köchlin et al. (1999) veröffentlichten eine frühe fMRT-Studie über die neuronalen Korrelate des Problemlösens und komplexer Planungsprozesse. Ziel war es, das Handeln der Probanden im Hinblick auf ein übergeordnetes Ziel während der Bearbeitung mehrerer Subziele abzubilden. Zudem wollten die Autoren den Problemlöseprozess weitestgehend isoliert betrachten, d. h. eine Konfundierung durch basalere beteiligte Prozesse vermeiden. Zu diesem Zweck beinhaltete ihr Versuchsdesign (2×2) mehrere Bedingungen mit unterschiedlichem Grad an Arbeitsgedächtnisbelastung (direkter vs. verzögerter Abruf) und mit einer unterschiedlichen Menge an synchron zu bearbeitenden Aufgaben (Single- vs. Dual-Task-Aufgaben). Somit wurde sowohl die Arbeitsgedächtnisleistung als auch die Fähigkeit zur Allokation der Aufmerksamkeit in unterschiedlichem Maße abgebildet. Dabei zeigte sich, dass der frontopolare präfrontale Kortex selektiv aktiviert war, wenn die Versuchspersonen beide Teilaspekte (Arbeitsgedächtnis und Dual-Task) integrieren mussten, also ein übergeordnetes Ziel behalten mussten, während sie gleichzeitig mehrere Teilziele bearbeiteten. Die Autoren schlussfolgerten, dass der frontopolare präfrontale Kortex demnach für komplexere Planungs- und Problemlöseprozesse von besonderer Bedeutung ist. Bei Untersuchung gesunder Probanden mittels fMRT konnten verschiedene Studien zeigen, dass insbesondere der dorsolaterale präfrontale und parietale Kortex mit Planungsfunktionen assoziiert zu sein scheint (Newman et al. 2003; Rasser et al. 2005; Schall et al. 2003). Die sog. Tower of London-Aufgabe (ToL; Shallice 1982) wird als Verfahren zur Untersuchung der Planungsfähigkeit eingesetzt (7 Kap. 23). Vorausplanung und die Entwicklung und Nutzung von Problemlösestrategien sind kognitive Teilfunktionen, die zur Lösung dieses Tests notwendig sind. Vor allem das frontal-mediierte visuell-räumliche Arbeitsgedächtnis scheint bei der Bearbeitung dieser Aufgabe erfasst zu werden. In fMRT-Studien wird der Test in computerisierter Form vorgegeben (. Abb. 24.3). In der kombinierten Positronenemissionstomographie und fMRT-Studie von Schall et al. (2003) zeigte sich bei Gesunden eine links-dorsolateral präfrontale und zerebelläre Aktivierung, die zudem schwierigkeitsgradabhängig war (Zugprobleme mit 1–5 Zügen). Entscheidungsfindung ist ein komplexer zerebraler Prozess, der erforderlich wird, sobald Uneindeutigkeit über die erforderliche Reaktion vorliegt. Dies umfasst sowohl emotionale wie kognitive Komponenten und erfordert die systematische Prüfung möglicher Handlungsalternativen und damit die Entwicklung einer Strategie. Zudem ist die Beachtung möglicher Vorerfahrungen mit den verschiedenen Handlungsalternativen nötig, um eine optimale Strategie zur Entscheidungsfindung zu gewährleisten. In einer fMRT-Untersuchung von Paulus et al. (2002) zeigten sich bei Bearbeitung einer Wahl-Reaktions-Aufgabe vermehrte Aktivierungen im rechten dorsolateralen und inferioren präfrontalen Kortex sowie im Praecuneus. Zudem betrachteten sie den Einfluss der Fehlerrate und des Grades an Vorhersagbarkeit der
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. Abb. 24.3. Exemplarische ToL-Sequenz. Jede Sequenz bestand aus Zugproblemen unterschiedlichen Schweregrades (1-, 3- und 5-Zug-Probleme). Während der Präsentationsphase (30 s) sollten die Probanden die minimale Anzahl an Zügen zur Lösung des jeweiligen Problems finden und diese anschließend verbal angeben. (Reprinted from Schall et al. 2003, with permission from Elsevier). (7 Farbtafeln, S. 662)
korrekten Reaktion auf das kortikale Aktivierungsmuster. Bei hohen Fehlerraten fanden sich prämotorische und parahippocampale Areale aktiviert, bei geringen Fehlerraten hingegen parietale und cinguläre Kortexbereiche. Diese Befunde sprechen dafür, dass die Erfahrung, die eine Entscheidung mit sich bringt, das kortikale Aktivierungsmuster bei nachfolgenden Entscheidungsfindungsprozessen merklich beeinflusst.
Studie mit einem Paradigma, bei dem die Teilnehmer die Lokation eines randomisiert präsentierten Stimulus auf dem Monitor vorhersagen sollten und dabei zwei Antwortalternativen hatten. Es konnte beobachtet werden, dass während der Entscheidung-
Planen, Entscheiden und Problemlösen bei Schizophrenie Rasser et al. (2005) konnten zeigen, dass bei Patienten mit Schizophrenie die oben bereits erwähnten präfrontalen Areale bei der Bearbeitung des Tower of London-Tests minderaktiviert waren. Auch hirnstrukturell fanden sich mit Hilfe eines neuen dreidimensionalen sog. Cortical-Pattern-Matching-Verfahrens Entsprechungen zu den funktionell erhobenen Daten. Die Lokalisation des funktionellen Defizits bei den untersuchten Patienten korrelierte in dieser Studie demnach mit dem im Vergleich zur gesunden Kontrollstichprobe verminderten Volumen an grauer Hirnsubstanz (. Abb. 24.4). Neben der Problemlösefähigkeit wurde bei Patienten, die an einer Schizophrenie leiden, auch das neuronale Aktivierungsmuster während Entscheidungsverhalten untersucht. Paulus et al. (2002) berichteten in diesem Zusammenhang von einer fMRT. Abb. 24.4. a Vergleich der grauen Substanz zwischen Patienten und 7 Kontrollen. Positive Werte indizieren erhöhte, negative Werte verminderte graue Substanz bei den Patienten. b Schwierigkeitsgradabhängige BOLD-Antwort in beiden Gruppen, mit positiver BOLD-Antwort in präfrontalen und negativer Antwort in temporalen Arealen. c Korrelation der funktionellen Aktivierung mit der kortikalen Dicke. Zusammenhang zwischen reduzierter BOLD-Antwort und kortikaler Dicke links-präfrontal, rechts-orbitofrontal, rechts superior-temporal und bilateral-parietal über die Gruppen hinweg. (Reprinted from Rasser et al. 2005, with permission from Elsevier). (7 Farbtafeln, S. 662)
a
b
c
314
24
Kapitel 24 · Exekutivfunktionen – Bildgebung
findung die untersuchten Patienten weniger stark inferior- und medial-frontal sowie superior-temporal rechtslateralisiert aktivierten. Demgegenüber zeigten sie Hyperaktivierungen im postzentralen und inferior parietalen Kortex. Die entscheidungassoziierte Aktivität im rechten Präfrontalkortex und im bilateralen Parietalkortex war zudem bei medizierten Patienten verglichen mit unmedizierten Patienten stärker ausgeprägt. In einer Folgestudie variierte diese Arbeitsgruppe (Paulus et al. 2003) zusätzlich die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs der Entscheidung sowie die Sicherheit der Teilnehmer über das Resultat ihrer Entscheidung, was deutlichen Einfluss auf das Entscheidungsverhalten hatte; die untersuchten Patienten mit Schizophrenie unterschieden sich hier nicht von den gesunden Kontrollpersonen. Für die zerebralen Aktivierungsmuster gab es hingegen einen differenziellen Gruppeneffekt: Die bilateral beobachtete parietale Aktivität während der Entscheidungsfindung war bei Gesunden dann am höchsten, wenn das Ergebnis besonders unsicher war, bei Patienten gab es diesen Zusammenhang nicht. Dies deuteten die Autoren als Funktionsstörung des Parietalkortex bei Entscheidungen mit hohem Grad an Unsicherheit bei den Patienten mit Schizophrenie.
kungen. Aufgrund der Beschreibung neuropathologischer Veränderungen im Frontalkortex bei bestimmten Patientensubpopulationen, zumeist mittels Post-mortem-Studien, und der daraus entstandenen Hypothese der Hypofrontalität bei Schizophrenie ist auch ein zunehmendes Interesse an kognitiven Prozessen zu verzeichnen, die mit der Funktion des Frontalkortex in Verbindung gebracht werden – wie etwa Exekutivfunktionen und Arbeitsgedächtnis. Die funktionelle Bildgebung konnte eine Funktionsveränderung des Forntalkortex und assoziierter Areale bestätigen, die Ergebnisse gehen dabei aber über eine bloße Minderaktivierung präfrontal-kortikal hinaus. So konnte etwa gezeigt werden, dass die Richtung der Aktivierungsveränderungen (Hypo- vs. Hyperaktivierung) in Patientenpopulationen von weiteren Faktoren wie beispielsweise dem psychopathologischen Status abhängen. Zudem wird auch in der Schizophrenieforschung die Bedeutung komplexer zerebraler Netzwerke für die Erklärung beobachteter neuropsychologischer Auffälligkeiten immer deutlicher, weshalb zunehmend auch Studien zur effektiven Konnektivität verschiedener Hirnregionen während exekutiver Prozesse bei Schizophrenie angestrengt werden.
Literatur 24.3
Zusammenfassung und Ausblick
Exekutivfunktionen dienen der Koordination, Steuerung und Kontrolle verschiedener Subprozesse. Zu der Gruppe der Exekutivfunktionen werden folglich verschiedene Prozesse gezählt; zu ihr gehören Inhibition, Monitoring, kognitive Flexibilität und Planungs-, Entscheidungs- und Problemlöseprozesse. Insgesamt sprechen die Befunde bezüglich der neuronalen Korrelate dieser Funktionen für eine wesentliche Bedeutung des präfrontalen Kortex, insbesondere des dorsolateralen Anteils. Häufig fand sich in Bildgebungsstudien aber auch eine Beteiligung des anterioren Cingulums, v. a. bei der Verarbeitung von fehlerhaften Reaktionen, ferner von Arealen im Parietal- und Temporalkortex. Eine genaue Zuordnung von Exekutivfunktionen als Gesamtheit zu einem neuroanatomischen Korrelat scheint aufgrund der Heterogenität der Prozesse nicht möglich. Die Beschreibung neuronaler Korrelate von Exekutivfunktionen erfordert daher einerseits die genaue Definition und Konkretisierung der betrachteten Teilleistung. Zum anderen hat dieser Umstand dazu geführt, dass zunehmend beteiligte Netzwerkstrukturen in den Aufmerksamkeitsfokus der Forschung gerückt sind, also der präfrontale Kortex in seiner Konnektivität zu und Interaktion mit anderen Hirnbereichen. Die weite Verbreitung und Nichtinvasivität der funktionellen Magnetresonanztomographie hat zu einer stark ansteigenden Anzahl an Untersuchungen zu neuronalen Mechanismen menschlicher Kognition und menschlichen Verhaltens geführt, die sich auch mit Pathomechanismen bei verschiedenen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen beschäftigen. Dabei ist die Schizophrenie eine der am häufigsten untersuchten Erkran-
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25 Sprachverständnis – Psychologie Benjamin Straube, Antonia Green und Tilo Kircher
25.1
Einleitung
– 317
25.2
Sprachverstehen
25.2.1 25.2.2
Grundlagen des Sprachverstehens – 317 Störungen des Sprachverstehens – 322
25.3
Defizitebenen des Sprachverstehens bei Patienten mit Schizophrenie – 322
25.3.1 25.3.2 25.3.3 25.3.4
Defizite der frühen perzeptuellen Verarbeitung Defizite auf der semantischen Ebene – 323 Defizite auf syntaktischer Ebene – 324 Defizite im pragmatischen Verständnis – 324
25.4
Klinische Faktoren
25.4.1 25.4.2 25.4.3 25.4.4 25.4.5
Zusammenhang mit Symptomgruppen – 327 Verlauf – 327 Medikation – 329 Sprachrezeptionsstörungen – spezifisch für Schizophrenie? Sprachtherapie – 329
25.5
Zusammenfassung Literatur
– 330
– 317
– 322
– 327
– 330
– 329
317 25.2 · Sprachverstehen
25.1
Einleitung
Störungen der Sprachproduktion, klinisch »formale Denkstörungen«, sind ein wichtiges diagnostisches Symptom der Schizophrenie (Bleuler 1911). Defizite in der rezeptiven Sprachverarbeitung werden genauso konsistent beschrieben und in ausgeprägten Fällen als »Konkretismus« bezeichnet. Bei der klinischen Untersuchung wird dies z. B. durch Erklären von Sprichwörtern oder Metaphern geprüft. In den Gesprächen unseres Alltags verarbeiten wir eine große Anzahl von Sätzen. Genauso gehört geschriebene Sprache zu den wichtigsten Informationsquellen des alltäglichen Lebens. Als ungestörte Kompetenzen sind gesprochene und geschriebene Sprache für soziale Interaktion von besonderer Bedeutung und ein notwendiges Werkzeug für das Gelingen von Kommunikation. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die verschiedenen Systeme, die an der Sprachverarbeitung und dem Verstehensprozess beteiligt sind. Dabei werden hauptsächlich die Bereiche hervorgehoben, die bei Patienten mit Schizophrenie gestört sind, insbesondere die frühe perzeptuelle Reizverarbeitung, die Struktur des mentalen Lexikons und die globaleren Prozesse, die beim
25
Verstehen von ganzen Sätzen und Textpassagen (Makropropositionen) von Bedeutung sind. 25.2
Sprachverstehen
Das Verstehen von Sprache umfasst im weitesten Sinn alle Schritte, die der Sprachbenutzer bei der Rezeption von Sprache durchläuft: die Sinneswahrnehmung, die Erfassung der Bedeutung einzelner kleiner Einheiten (Wörter) und die Einbindung der Einzelbedeutungen in größere Denkbezüge, also die »Sinnextraktion« aus Phrasen, Sätzen oder Texten. 25.2.1 Grundlagen des Sprachverstehens Für ein erfolgreiches Verstehen von Sprache ist eine Vielzahl von Subprozessen notwendig. Diese unterscheiden sich zum einen hinsichtlich der Modalität, in der die Sprache aufgenommen wird (geschriebener Text oder gesprochene Sprache), zum anderen in ihrer Komplexität, die von der Verarbeitung einfacher Wörter bis hin zum Verstehen mehrdeutiger Sätze und Texte reicht. Am An-
Exkurs Modell zur Sprachperzeption Ein Modell zur Perzeption einzelner Wörter beim Lesen und Zuhören wurde von Ellis u. Young (1988) vorgestellt (. Abb. 25.1). Es ist durch Läsionsstudien abgesichert und berücksichtigt sowohl ein auditives Analysesystem für gesprochene Sprache als auch ein visuelles System zur Analyse geschriebener Sprache beim Lesen. Modelle dieser Art können helfen, Störungen des Sprachverstehens auf den verschiedenen Ebenen der Sprachverarbeitung zu verstehen. Um die Subprozesse der Sprachverarbeitung geschriebener und gesprochener Sprache bis hin zum Verstehen komplexer mehrdeutiger Aussagen besser begreifen zu können, werden im Folgenden zuerst die Grundlagen der Sprachverarbeitung beschrieben. Die Aufgabe des akustischen Analysesystems besteht darin, einzelne Sprachlaute aus dem Klangspektrum der Sprache zu extrahieren. Das System vollbringt dies trotz Unterschieden in der Akzentuierung oder der Sprechgeschwindigkeit. Das Klangspektrum wird in eine Form transformiert, auf die die Repräsentationen im auditiven Eingangslexikon reagieren können. Das auditive Eingangslexikon umfasst eine Repräsentation des akustischen Spektrums all jener Wörter, die in ihrer gehörten Form bekannt sind. Repräsentationen der Bedeutung von Wörtern sind im semantischen System (mentalen Lexikon) enthalten, das diese sowohl für das auditive als auch für das visuelle Einganslexikon zur Verfügung stellt. Das visuelle Analysesystem hat drei Funktionen: Es soll in geschriebenen Wörtern Buchstaben oder Buchstaben6
reihenfolgen identifizieren, jeden Buchstaben hinsichtlich seiner Position innerhalb eines Wortes kodieren und jene Buchstaben zusammenfassen, die als Teil des gleichen Wortes zusammengehören. Die Funktion des visuellen Eingangslexikons beim Lesen ist analog der des auditiven Eingangslexikons beim Sprachverständnis. Es identifiziert Buchstabenfolgen, die bekannte geschriebene Wörter bilden. Auf ein unbekanntes Wort kann es reagieren, indem es dieses als unbekannt erklärt und die Repräsentation eines visuell ähnlichen, tatsächlich existierenden Wortes aktiviert. Soll ein Wort verstanden werden, muss seine semantische Repräsentation im mentalen Lexikon aktiviert werden. Im phonologischen/phonetischen System wird die gesprochene Form eines Wortes dem Sprecher zur Verfügung gestellt, was für die Sprachproduktion von besonderer Bedeutung ist. Gesunde Leser können sowohl unbekannte Wörter als auch sinnlose Buchstabenfolgen laut lesen. Es besteht wahrscheinlich eine sublexikale Route, die Wörter in Buchstaben oder Buchstabengruppen teilt und diese visuellen Einheiten in korrespondierende Phonemketten überträgt. Das hier beschriebene Modell ist ein einfaches Modell zum Sprach- und Leseverstehen und erklärt nicht, wie wir einzelne Sätze oder längere Rede- oder Textpassagen verstehen. Dazu kann das »structure building framework« von Gernsbacher et al. (1999) herangezogen werden (7 Exkurs »Definitionen relevanter Begriffe«).
318
Kapitel 25 · Sprachverständnis – Psychologie
. Abb. 25.1. Vereinfachtes Modell der Sprachperzeption nach Ellis u. Young (1988)
25
fang jedes Verstehensprozesses werden die perzeptuellen Signale in Sinneinheiten gegliedert und in eine mentale Repräsentation übersetzt. Anschließend fügen Integrationsprozesse höherer Ordnung diese Repräsentationen mit Hilfe der syntaktischen Informationen zusammen und erzeugen eine globale Repräsentation auf Satz- und Textebene.
Die perzeptuelle Analyse von Sprache Wenn jemand zuhören oder etwas lesen möchte, muss er als erstes die einzelnen Wörter eines Textes oder einer gesprochenen Aussage identifizieren. Der Input muss dabei perzeptuell-auditorisch analysiert werden, was einen prälinguistischen Prozess darstellt, der noch unabhängig vom semantischen Lexikon ist. Die Wahrnehmung von gesprochener und geschriebener Sprache ist insofern unterschiedlich, als sich in Abhängigkeit von der Modalität v. a. die Segmentierung in einzelne Silben, Wort- und Sinneinheiten unterscheidet.
Bei der geschriebenen Sprache werden Wörter und Sätze durch physische Grenzen voneinander abgegrenzt. Diese Grenzen sind bei der gesprochenen Sprache weniger deutlich. Gesprochener Input hat andere Hinweise, die es möglich machen, den Sprachfluss in bedeutungsvolle Segmente zu unterteilen. Dabei spielen die Prosodie, der Rhythmus und die Sprachintensität eine besondere Rolle. Die Prosodie ist besonders bei Fragen oder Befehlen wichtig. Wenn z. B. eine Frage gestellt wird, wird die Stimme am Satzende höher und unterscheidet sich so von der Betonung bei Aufforderungen oder Befehlen, bei denen sie am Satzende eher abgesenkt wird. Ferner helfen Pausen, Satzteile zu differenzieren, und auch der Sprachinhalt enthält viele Hinweise, die eine Segmentierung in bedeutungsvolle Sinneinheiten möglich machen. Bei geschriebenen Texten muss der Leser als erstes das visuelle Muster der Buchstaben verarbeiten. Dabei muss er zuerst die grundlegenden Eigenschaften der Buchstaben, also Geraden,
319 25.2 · Sprachverstehen
25
Exkurs Definitionen relevanter Begriffe Morphologie Die Morphologie ist der Teilbereich der Linguistik, der die Erforschung der kleinsten bedeutungs- oder funktionstragenden Elemente einer Sprache, der Morpheme, zum Gegenstand hat. Morpheme setzen sich aus Phonemen zusammen und bilden ihrerseits Wörter.
Phonetik Die Phonetik, als Teil der Lautlehre, ist die Lehre der von Menschen hervorgebrachten Laute. Man unterscheidet die artikulatorische Phonetik, die untersucht, welche Laute und wie die Laute beim Sprechen durch die menschliche Stimme erzeugt werden, die akustische Phonetik, die die physikalische Natur der Schallwellen untersucht, die die Laute bilden, und die auditive Phonetik, deren Forschungsgebiet die Vorgänge beim Empfang der Laute im menschlichen Ohr sind.
Syntax Die Syntax umfasst die Muster und Regeln, nach denen Wörter zu größeren funktionellen Einheiten wie Phrasen (Teilsätzen) und Sätzen zusammengestellt und Beziehungen zwischen diesen formuliert werden.
Sprache beziehungsweise sprachlichen Zeichen befasst. Die Semantik unterscheidet zwischen verschiedenen aufeinander aufbauenden Ebenen: 4 Die lexikalische Semantik beschäftigt sich mit der Bedeutung von Wörtern wie auch der inneren Strukturierung des Wortschatzes insgesamt 4 Die Satzsemantik untersucht, wie aus der Bedeutung einzelner Wörter durch ein festes Inventar an Verknüpfungsregeln die Bedeutung von größeren syntaktischen Einheiten (Phrasen) und ganzen Sätzen hervorgeht; die Interpretation eines Satzes muss dabei auf einer Analyse seiner syntaktischen Struktur aufgebaut werden 4 Die Textsemantik konzentriert sich auf die Analyse der Kombination von Sätzen als reeller oder hypothetischer Sachverhalte zu Erzählungs-, Beschreibungs- oder Argumentationszusammenhängen 4 Die Diskurssemantik arbeitet auf der Ebene von Texten verschiedener Personen, die miteinander in Beziehung stehen (Diskussion, Unterhaltung, Lehrveranstaltung, Stammtisch)
Pragmatik Die Pragmatik bezeichnet die Lehre vom Gebrauch der Sprache in Abhängigkeit von unterschiedlichen Situationen und Kontexten
Semantik Die Semantik (Bedeutungslehre) ist das Teilgebiet der Sprachwissenschaft (Linguistik), das sich mit Sinn und Bedeutung von
Kurven, Verzweigungen usw. analysieren und erkennen. Dann müssen diese Merkmale in Repräsentationen von Buchstaben und Wörtern umgesetzt werden. Anders als bei der geschriebenen Sprache bezieht sich die Analyse der gesprochenen Sprache auf kontinuierliche auditorische Informationen. Der Zuhörer ist mit einer sehr variablen Input-Formation konfrontiert, die sich von Sprecher zu Sprecher in Tonhöhe, Betonung, Dialekt und vielen anderen Faktoren unterscheiden kann. Die perzeptuelle Analyse gesprochener Sprache muss alle diese Einflussfaktoren mit einbeziehen, da es keine direkte Beziehung von der perzeptuellen Ebene bis zur mentalen Repräsentation im Gedächtnis gibt. Die meisten Theorien gehen davon aus, dass der erste Schritt zum Verstehen gesprochener Sprache eine Übersetzung des akustischen Signals in segmentierte mentale Repräsentationen und Sinneinheiten ist. Die genauen Prozesse sind dabei bislang noch relativ wenig bekannt. Einige Autoren nehmen an, dass diese Repräsentationen auf der Basis der spektralen Eigenschaften des auditiven Signals aufgebaut werden.
Semantische Netzwerke Von zentraler Bedeutung für die Repräsentation und das Verstehen von Wörtern ist das Konzept des mentalen Lexikons, das
in einem mentalen Speicher Informationen über semantische Inhalte (was ein Wort bedeutet), syntaktische Informationen (wie ein Wort mit anderen kombiniert werden kann) und Details über Wortformen (wie sie geschrieben oder ausgesprochen werden) beinhaltet. In fast allen linguistischen Theorien nimmt das mentale Lexikon eine zentrale Rolle in der Sprachverarbeitung ein. Die meisten Modelle gehen von einem gemeinsamen mentalen Lexikon für Sprachrezeption und -produktion aus, wohingegen andere getrennte Input- und Output-Lexika annehmen. ! Wortbedeutungen sind in einem semantischen Netzwerk repräsentiert.
Das mentale Lexikon hat eine sehr effiziente Struktur, die es dem Menschen ermöglicht, auf durchschnittlich 50.000 Wörter, die sich in seinem passiven Wortschatz befinden, innerhalb von Millisekunden zuzugreifen. Es ist weder alphabetisch geordnet, was den Zugriff auf Wörter aus der Mitte des Alphabets erschweren müsste, noch an feste Inhalte gebunden (Inhalte können gelernt und vergessen werden). Das mentale Lexikon kann man sich als informationsspezifisches Netzwerk vorstellen, in dem die Wortbedeutungen über konzeptuelle Knoten miteinander verbunden sind (Collins u. Loftus 1975).
320
Kapitel 25 · Sprachverständnis – Psychologie
25
. Abb. 25.2. Darstellung eines semantischen Netzes in Anlehnung an Collins u. Loftus (1975). Die Abstände zwischen den Knoten spiegeln den Grad der Verbindung zwischen zwei Konzepten wider
In einem solchen Netzwerkmodell spiegeln die Abstände zwischen den Knoten des Netzes den Grad der Verbindung zwischen zwei Konzepten wider. Nah beieinander liegende Wörter sind z. B. Hemd und Hose, weit auseinander liegende Begriffe sind etwa Kragen und Schalter (. Abb. 25.2).
Verarbeitung von Wörtern Die Verarbeitung von Wörtern und die lexikalische Verarbeitung allgemein ist ein gut untersuchtes Phänomen in der Psycholinguistik. Es herrscht große Übereinstimmung über die Komponen-
ten, die an der lexikalischen Verarbeitung beteiligt sind: das lexikalische Erfassen, die lexikalische Selektion und die lexikalische Integration. Das Ergebnis der perzeptuellen Analyse wird auf die mentalen Repräsentationen projiziert, die im mentalen Lexikon angelegt sind, was als das lexikalische Erfassen bezeichnet werden kann. Der damit verbundene lexikalische Zugriff (»lexical access«) auf die mentalen Repräsentationen ist das Ergebnis von Prozessen, bei denen Inhalte im mentalen Lexikon aktiviert werden und sich über semantische und syntaktische Attribute und Wortformen ausbreiten. Der lexikalische Zugriff ist für visuelle und auditorische Sprachwahrnehmung unterschiedlich. Wie oben erwähnt, unterscheidet sich das kontinuierliche Signal der gesprochenen Sprache klar von dem stark strukturierten Erscheinungsbild der geschriebenen Sprache. Bei der gesprochenen Sprache muss der Zuhörer versuchen, Informationen direkt aus dem kontinuierlichen Input zu erschließen, ohne sich von Variationen der Geschwindigkeit, Lautstärke oder Tonhöhe stören zu lassen. Bei geschriebenen Texten kann die Lesegeschwindigkeit angepasst, bestimmte Abschnitte können mehrfach gelesen und beliebig oft können Pausen eingelegt werden. Diese zeitliche Dimension stellt einen der bedeutendsten Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache dar. Die lexikalische Selektion, die modalitätsunabhängig ist, bezeichnet den Auswahlprozess für die passende Repräsentation, wenn mehrere Inhalte aktiviert werden; die lexikalische Integration beschreibt die Einbindung der Inhalte in eine globalere Gesamtrepräsentation. Insgesamt gibt es drei Typen von Modellen, die sich mit dem Verstehen von Wörtern beschäftigen. Die modularen Modelle (auch autonome Modelle genannt) gehen von unabhängigen separaten Modulen beim Sprachverstehen aus. Darin kann eine Repräsentation auf einem höheren Level nicht Repräsentationen
Exkurs Semantisches Priming Die Idee eines semantischen Netzwerkes wird durch Befunde mit lexikalischen Entscheidungsaufgaben (»lexical decision tasks«) in sog. Priming-Experimenten gestützt. Dabei werden den Versuchspersonen jeweils Wortpaare gezeigt. Das erste Wort des Paares (Prime) ist ein Wort, das Zweite (Target) ist entweder ein Wort oder ein Nichtwort (wie z. B. Nfuto).Wenn das Zielwort (Target) einWort ist, kann dieses inhaltlich mit dem Prime verbunden oder aber unabhängig sein (. Abb. 25.3). Bei der lexikalischen Entscheidungsaufgabe soll die Versuchsperson so schnell wie möglich entscheiden, ob das Zielwort ein existierendes Wort ist oder nicht. Die Probanden zeigen dabei schnellere und bessere Ergebnisse, wenn das Prime-Wort mit dem Target-Wort inhaltlich verbunden ist (Hemd–Hose), als wenn keine Verbindung besteht (Hut–Banane). Ähnliche Befunde lassen sich zeigen, wenn die Versuchspersonen das Zielwort aussprechen sollen. Sind Prime- und Zielwort verbunden, gelingt dies schneller und zu einem größeren Teil korrekt.
. Abb. 25.3. Versuchsaufbau eines Priming-Experimentes mit verbundenen und unabhängigen Wortpaaren. Die Probanden sollen so schnell wie möglich entscheiden, ob das Target-Wort ein Wort oder eine sinnlose Buchstabenfolge ist. Sind Prime- und Target-Wort verbunden, gelingt diese Entscheidung schneller
321 25.2 · Sprachverstehen
auf tieferen Stufen beeinflussen. Diese Ansätze lassen also nur eine inputbasierte (»bottom up«) Verarbeitung zu. In modularen Modellen können Kontextinformationen den lexikalischen Zugriff und die lexikalische Selektion nicht beeinflussen. Im Gegensatz dazu nehmen interaktive Modelle an, dass neben den perzeptuellen Informationen auch semantische Repräsentationen höherer Ordnung bei der Worterkennung mitwirken. In diesen Modellen hat der Kontext einen Einfluss auf die Worterkennung, sogar bevor der perzeptuelle Input zugänglich ist. Dies geschieht durch Voraktivierungen (»facilitation«) im mentalen Lexikon, die durch sich ausbreitende Aktivierungen (»spreading activation«) über das semantische Netzwerk erzeugt werden. Neben diesen beiden extremen Ansichten gibt es auch eine Richtung, die annimmt, dass der lexikalische Zugriff nicht durch Repräsentationen höherer Ordnung beeinflusst, die lexikalischen Selektionsprozesse allerdings auch durch Kontextinformationen verändert werden können. In diesen hybriden Modellen werden die Informationen über ein Wort, das möglicherweise durch den Kontext angekündigt wird, unterstützt und dann werden nach und nach die anderen Kandidaten ausgeschlossenen. Diese Modelle werden zur Erklärung von Befunden aus Priming-Experimenten herangezogen und stellen empirisch basierte Modelle über die Organisation des mentalen Lexikons dar.
Integration von Wörtern in Sätze Das normale Sprachverstehen erfordert mehr als das isolierte Wahrnehmen von Wörtern. Um eine Aussage eines Sprechers oder einer geschriebenen Nachricht zu verstehen, müssen semantische und syntaktische Informationen eines wahrgenommenen Wortes in eine Repräsentation des ganzen Satzes oder von Sprachbzw. Textpassagen integriert werden. Solche Integrationsprozesse laufen in Echtzeit ab, sobald wir mit linguistischem Input konfrontiert werden. Auf diese Weise wird es uns kaum bewusst, dass z. B. das Wort »Bank«, wenn es in einem Satzkontext auftaucht, zwei Bedeutungen haben kann (7 Kap. 24.3.4, Homografe). Die zum Kontext passende Bedeutung des Wortes wird in kürzester Zeit aktiviert und die zweite Bedeutung wird ausgeblendet. ! Das Verstehen von Sätzen und Texten erfordert die Integration semantischer und syntaktischer Informationen.
Für ein vollständiges Verstehen ist aber neben der Semantik auch die grammatikalische Struktur von besonderer Bedeutung. Die syntaktische Verarbeitung funktioniert sogar ohne die semantische Bedeutung. Versuchspersonen sind schneller bei der Identifikation von Wörtern aus einem Satz, wenn dieser Satz syntaktisch korrekt formuliert ist, als wenn die Grammatik unlogisch ist. Dieser Effekt bleibt auch dann, wenn der Satz semantisch keinen Sinn ergibt. Die Integration semantischer und syntaktischer Informationen stellt eine der wichtigsten Komponenten des Satzverstehens dar. Weit komplexer wird diese Integration, wenn syntaktische und semantische Inhalte mehrere Bedeutungen und Interpretationen zulassen. Dies ist z. B. bei metaphorischen oder ironischen
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Äußerungen der Fall und erfordert einen flexiblen Umgang mit den direkten Wortbedeutungen und einen stärkeren Einbezug des Kontextes und der globalen Inhaltsrepräsentation. Semantische Priming-Studien mit Wörtern und Sätzen sowie elektrophysiologische und Läsionsstudien haben in diesem Zusammenhang gezeigt, dass wir vermutlich zwei mentale Lexika besitzen: ein »Hauptlexikon« in der linken und ein »Hilfslexikon« in der rechten Hemisphäre (Beeman 1998). Diese unterscheiden sich in der voreingestellten Aktivierungsausbreitung im semantischen Netzwerk. In der linken Hemisphäre ist das Zielkonzept für eine kurze Zeit stark fokussiert aktiviert. Dies hat den Vorteil, dass klare Zielbegriffe vorliegen und fokussierte Konzepte schnell und effektiv verarbeitet werden können (»fine semantic coding«). Demgegenüber wird für das zweite mentale Lexikon in der rechten Hirnhälfte angenommen, dass Konzepte nicht so stark und fokussiert aktiviert werden wie links, dafür aber über einen längeren Zeitraum (»coarse semantic coding«). Hier können sich weitere Assoziationsfelder bilden, wie es für das Verstehen von Sätzen, Metaphern, Witzen, Doppeldeutigkeiten oder Anspielungen notwendig ist. Beide semantischen Systeme ergänzen sich in ihrer Funktion. Das linksseitige Hauptlexikon hat den Vorteil der gezielten und stark fokussierten Aktivierung spezifischer Inhalte und wird durch das rechts lokalisierte Hilfslexikon unterstützt, das weitere Assoziationsfelder auch über einen längeren Zeitraum zur Verfügung stellen kann.
Der Einfluss des Arbeitsgedächtnisses auf das Sprachverstehen In einem allgemeinen Informationsverarbeitungsmodell von Kintsch u. van Dijk (1978) wird das Verstehen und Erinnern von Texten mit Arbeitsgedächtnisfunktionen in Zusammenhang gebracht. Das Modell setzt voraus, dass die Prozesse der syntaktischen und semantischen Analyse bereits angewandt wurden, um den Text in eine Menge von Propositionen zu zergliedern. Beim Verstehen müssen im Verlauf eines Textes neue Propositionen mit früheren verknüpft werden. Um so eine Überbrückung von der einen zur anderen Proposition zu bilden, müssen Inferenzschlüsse gezogen werden. Das Modell nimmt nun an, dass es eine Kapazitätsbeschränkung für die Anzahl an Propositionen gibt, die man aktiv im Arbeitsgedächtnis behalten kann. Es werden deshalb bestimmte Propositionen ausgewählt, die nach ihrer zeitlichen Nähe untereinander und nach der Wichtigkeit des Inhaltes länger gespeichert werden. Je mehr Propositionen miteinander verknüpft werden können, desto besser wird der Text verstanden. Neben den Inferenzschlüssen zur Überbrückung von Präpositionen werden, durch das Zusammenfassen wesentlicher Textabschnitte, sog. Makropropositionen gebildet, die es dem Leser ermöglichen, globalere und auch unverbundene Inhalte zu verknüpfen. Die Annahme einer Kapazitätsbeschränkung für die Anzahl an Propositionen, die im Arbeitsgedächtnis aufrechterhalten werden können, ist kongruent mit den Befunden, die das Sprach-
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Kapitel 25 · Sprachverständnis – Psychologie
verstehen mit Aufgaben des Arbeitsgedächtnisses in Beziehung setzen. Sowohl für Patienten mit Schizophrenie als auch für gesunde Probanden lassen sich Zusammenhänge der Arbeitsgedächtnisleistung mit der Verstehensleistung finden (z. B. Condray et al. 1996). 25.2.2 Störungen des Sprachverstehens
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Störungen des Sprachverstehens umfassen jegliche Einschränkung im Prozess des inhaltlichen Verstehens sprachlicher Informationen. In deutlichster Form treten Störungen des Sprachverstehens bei Patienten mit Aphasie auf, bei denen das inhaltliche Verstehen von sprachlichem Material selektiv oder global eingeschränkt ist. Patienten mit Aphasie weisen Hirnläsionen auf. Je nach Größe und Position der Läsion treten unterschiedliche Störungen des Sprachverstehens auf. Eine besondere Aphasieform zeigt sich z. B. bei der Broca-Aphasie. Patienten, die an dieser Störung leiden, weisen zwar ein intaktes semantisches Verständnis auf, zeigen aber Schwierigkeiten, mit komplizierten syntaktischen Formulierungen umzugehen. Auf allen oben beschriebenen Ebenen der Sprachverarbeitung können Dysfunktionen auftreten, wobei sich Störungen auf perzeptueller Ebene auch auf höhere Repräsentationen auswirken können. Zur Untersuchung von Störungen des Sprachverständnisses werden verschiedene Tests eingesetzt. Speziell entwickelte Aphasie-Testbatterien enthalten verschiedene Aufgaben, die die unterschiedlichen Bereiche des Sprachverstehens betreffen (z. B. bei Hayes u. O’Grady 2003). Häufig werden bei diesen Aufgaben gesprochene oder geschriebene Texte benutzt, auf die eine Antwort oder Reaktion erfolgen soll. Ist die Antwort bzw. Reaktion richtig, wird davon ausgegangen, dass der Inhalt korrekt verstanden worden ist. Bei an Schizophrenie erkrankten Patienten lassen sich Einschränkungen des Verstehens von Sprache auf allen Ebenen mit einem Schwerpunkt auf der Konzeptbildung feststellen (Kircher 2002, 2003, Kircher et al. 2003). Ausgehend von perzeptuellen Störungen (7 Kap. 13 und 14), Dysfunktionen in der Aktivierung des mentalen Lexikons, bis hin zu Störungen integrativer Prozesse höherer Ordnung (Pragmatik, Kontextverständnis, Satzintegration, Theory of Mind), können bei Patienten mit Schizophrenie Dysfunktionen gefunden werden (7 Kap. 25.3). Weiterhin modulieren natürlich die bekannten kognitiven Defizite bei Patienten in praktisch allen Domänen das Sprachverständnis. Zum Beispiel können Dysfunktionen des Arbeitsgedächtnisses dazu führen, dass integrative Prozesse eingeschränkt möglich sind, wenn zu viele Informationen zur Verfügung stehen. Ferner können Diskursverarbeitungsdefizite auch in Beziehung zu Aufmerksamkeitsdefiziten stehen. Allerdings finden sich Sprachverständnisdefizite bei Patienten auch nach Kontrolle für die primär kognitiven Dysfunktionen, sodass sicher eine primäre Störung des Sprachverstehens auf seman-
tischer und konzeptueller Ebene bei Patienten mit Schizophrenie vorliegt. Bei Patienten mit Schizophrenie liegen somit Störungen auf allen Ebenen der Sprachverarbeitung vor – mit einem eindeutigen Schwerpunkt auf der Konzeptbildung. Diese werden zwar zusätzlich durch Defizite in anderen kognitiven Domänen moduliert, die aber nicht als Erklärung für die linguistischen Probleme ausreichen. Auf mögliche neurophysiologische Ursachen von Defiziten in der rezeptiven Sprachverarbeitung wird in 7 Kap. 26 genauer eingegangen. Im Folgenden werden die Ebenen der Sprachverarbeitungsdefizite bei Patienten mit Schizophrenie detailliert beschrieben. 25.3
Defizitebenen des Sprachverstehens bei Patienten mit Schizophrenie
Bei den Untersuchungen von Störungen der Sprachperzeption und des Sprachverständnisses bei Patienten mit Schizophrenie lassen sich verschiedene Analyseebenen unterscheiden. Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurde eine Reihe von Methoden entwickelt, die auch für die Untersuchung der Sprachrezeption bei Patienten mit Schizophrenie Anwendung gefunden haben. Bei den Patienten stehen neben perzeptuellen Defiziten v. a. die semantische Verarbeitung und ihre Integration beim Verstehen von Sätzen im Vordergrund. Interpretative Prozesse spielen v. a. beim Verständnis mehrdeutiger, ironischer oder metaphorischer Äußerungen eine besondere Rolle und erfordern eine Loslösung von der direkten wortgetreuen Bedeutung. ! Im Bereich des Sprachverstehens liegen bei Patienten mit Schizophrenie v. a. Störungen in der semantischen Verarbeitung (Konzeptbildung) und ihrer Integration beim Verstehen von längeren Ausdrücken vor.
25.3.1 Defizite der frühen perzeptuellen
Verarbeitung ! Bereits auf der perzeptuellen Ebene lassen sich bei Patienten mit Schizophrenie Defizite in der Wahrnehmung und Diskrimination von akustischen und optischen Reizen feststellen.
Bei der Detektion und Diskrimination von auditiven Tonreizen schneiden Patienten schlechter ab als gesunde Probanden (7 Kap. 26). Zur Untersuchung früher Komponenten der Reizverarbeitung werden auditiv evozierte Potenziale angewandt (7 Kap. 13, 14 und 26). Frühe evozierte Potenziale haben den Vorteil, dass sie, unabhängig von der Aufmerksamkeit, automatische erste Verarbeitungsschritte abbilden. Sowohl bei medizierten als auch bei unbehandelten Patienten mit Schizophrenie finden sich Abnormalitäten in der P50, N100 und der Missmatch-Negativität (MMN) (7 Kap. 26), was als ein generelles Defizit in der audito-
323 25.3 · Defizitebenen des Sprachverstehens bei Patienten mit Schizophrenie
risch-sensorischen Verarbeitung interpretiert wird (Kircher et al. 2002, 2003, 2004a,b; Kircher 2003). Befunde zur mangelnden Diskriminationsleistung werden u. a. auch als gestörtes »sensory gating« interpretiert. Danach können Patienten auf einer vorbewussten Ebene nicht wesentliche von unwesentlichen Informationen unterscheiden und werden auf diese Weise von den Reizen gewissermaßen überflutet. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass diese Dysfunktion der Wahrnehmung und Diskrimination von Reizen auch in Zusammenhang mit Defiziten im Sprachverständnis stehen und sich auf das semantische Netzwerk über »top down«- und »bottom up«-Prozesse auswirken. Auch im visuellen System, das wichtig für das Lesen und Verstehen geschriebener Texte ist, haben Patienten mit Schizophrenie höhere visuelle Erregungsschwellen und zeigen eine stärkere Sensitivität für rückwärtiges Maskieren (»backward masking«), wenn ein zweiter visueller Reiz, der sehr schnell nach einem ersten visuellen Reiz eingeblendet wird, den ersten überdeckt. Darüber hinaus zeigen die Patienten Defizite in der Wahrnehmung von Bewegungen, von räumlichen Bezügen und im Erkennen einfacher visueller Stimuli. Dieses Muster der Einschränkungen in der visuellen Verarbeitung bei Patienten mit Schizophrenie legt eine Dysfunktion in den ersten Stufen der visuellen Verarbeitung nahe (Butler et al. 2001). In Bezug auf sprachliche Informationen gibt es einige Befunde, die zeigen, dass Patienten eine höhere Wahrnehmungsschwelle für das Erkennen von Buchstaben aufweisen. Beispielsweise werden Buchstaben hinter einer Vielzahl bewegter Punkte von Patienten schlechter erkannt als von gesunden Probanden. 25.3.2 Defizite auf der semantischen Ebene Die semantischen Wissensbestände über die Beziehungen von Wörtern bzw. Konzepten bilden die Grundlage der konzeptuell gesteuerten Verarbeitung beim Verstehen und Sprechen. Beim Verstehen von Phrasen wird zunächst die semantische Bedeutung der einzelnen Wörter eines Satzes extrahiert, dann werden diese Bedeutungen zu einem »übergeordneten Sinn« zusammengefasst (»Makroproposition«). Dabei sind Informationen, die im semantischen und episodischen Gedächtnis gespeichert sind und die als Assoziationen zu dem Perzept aktiviert werden, besonders wichtig. Zu jeder Wortbedeutung wird ein semantisches Feld aktiviert, das es uns erleichtert, überlappende Sinnzusammenhänge zweier oder mehrerer Wörter zu integrieren (Kircher 2002, 2003, Kircher et al. 2003). Patienten mit Schizophrenie zeigen sehr häufig assoziative Störungen bei der Sprachproduktion, die sich u. a. in Gedankensprüngen oder Gedankenabreißen äußern. Assoziative Dysfunktionen lassen sich auch auf der rezeptiven Ebene des Sprachverarbeitung z. B. in Priming-Experimenten beobachten. Dabei wird angenommen, dass unterschiedliche Reaktionen auf den semantischen Kontext in Priming-Experimenten Unterschiede in der Struktur des semantischen Netzwerkes widerspiegeln.
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Das semantische Netzwerk Bei Schizophreniepatienten mit formalen Denkstörungen (nicht bei Patienten ohne dieses Symptom) zeigt sich in Priming-Experimenten mit kurzen Abständen zwischen »prime« und »target« (unter 200 ms, »automatische« Verarbeitung) ein verstärkter Priming-Effekt für indirekt miteinander verbundene Wörter (z. B. Spitzer et al. 1994) (7 Kap. 25.2.1). Dies wird als ein überaktiviertes semantisches Netzwerk (»hyperpriming«) interpretiert, in dem sehr viele Knoten überdurchschnittlich stark aktiviert werden, was eine Selektion der relevanten Inhalte stark einschränkt. Diese Überaktivierung macht sich dann nicht nur auf Wortebene, sondern auch im Kontext längerer Sätze und Texte als Sprachverständnisstörung bemerkbar. ! Patienten mit Schizophrenie und formalen Denkstörungen haben ein überaktives semantisches Netzwerk und zeigen indirektes, automatisches Hyperpriming.
Die Verarbeitung von Sätzen Auf der Verhaltensebene zeigen sich z. B. im Quick-Test (Ammons u. Ammons 1962) Unterschiede im semantischen Verstehen von Begriffen zwischen Patienten mit Schizophrenie und gesunden Versuchspersonen. Ähnliche Fähigkeiten werden auch in Subtests einer Testbatterie zum Leseverstehen (»Reading Comprehension Battery for Aphasia«, RCBA) untersucht, in der Patienten mit Schizophrenie deutliche Defizite aufweisen (Hayes et al. 2003). Darüber hinaus lassen sich in anderen Subtests der RCBA auch Einschränkungen im Verstehen von Synonymen, Sätzen und kurzen Texten zeigen. Auf der Ebene des Textverständnisses gibt es also viele Befunde, die die Einschränkungen der Verstehensleistung mit unterschiedlichen Methoden, verschiedenen Materialen und in diversen Schwierigkeitsstufen untersuchen. Insgesamt lassen sich dabei schlechtere Leistungen bei Patienten mit Schizophrenie nachweisen. Das Verstehen von Sprache umfasst mehr als das Ausbreiten von Aktivierungen eines Wortes zu seinem semantischen Nachbarn. Zum Beispiel beinhaltet das Verstehen von Sätzen auch den Aufbau einer Diskursrepräsentation oder eines Schemas darüber, wovon ein Satz eigentlich handelt. Für das Nutzen semantischer Bezüge beim Satzverstehen zeigen sich im »on-line word monitoring task« unterschiedliche Verhaltenseffekte für Patienten mit Schizophrenie und gesunde Versuchspersonen. Gesunde Probanden zeigen schnellere Reaktionszeiten in der Worterkennung, wenn das vorhergehende Verb mit dem Zielwort semantisch zusammenpasst. Patienten mit Schizophrenie profitieren hingegen nicht vom semantischen Bezug zwischen Verb und Zielwort und zeigen insgesamt langsamere Reaktionen (Kuperberg et al. 1998). Dies kann durch eine mangelnde Integration von Wortbedeutungen (»coarse semantic coding«) und Störungen in der lateralisierten Sprachverarbeitung erklärt werden (Kircher et al. 2001, 2002, 2003; Kircher 2002, 2003).
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Kapitel 25 · Sprachverständnis – Psychologie
! Probleme beim Wort-, Satz- und Textverstehen können also neben dem Befund eines hyperaktiven Netzwerkes aus den Priming-Studien und der mangelnden Integration von einzelnen Wörtern (»coarse semantic coding«) durch mangelnde Unterdrückung von irrelevanten Inhalten erklärt werden.
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Auf der anderen Seite kommen, je mehr von einem Satz verstanden wird, immer weniger Wörter in Frage, die den Satz noch sinnvoll vervollständigen könnten. Es spielen bei der Verarbeitung von Sprache also neben den rezeptiven »bottom up«-Prozessen auch konstruktive »top down«-Prozesse eine wichtige Rolle. Wörter, die durch den Satzkontext ausgeschlossen werden, werden dadurch aktiv inhibiert. Bei Patienten mit Schizophrenie werden Störungen solcher Inhibitionsprozesse, z. B. im Modell von Gernsbacher (7 Abschn. 25.3.4), unter dem Begriff der mangelnden Unterdrückung (»Subpression«) gefasst. Diese Dysfunktion kann zu einer eingeschränkten Integration, häufigen Inhaltswechseln und auf Produktionsebene zu einer allgemeinen Assoziationslockerung führen (Gernsbacher et al. 1999). Ineffiziente Unterdrückungsmechanismen können auch die häufig beschriebene Bevorzugung dominanter Bedeutungen bei mehrdeutigen Wörtern (»strong meaning response bias«) erklären, die bei Patienten mit Schizophrenie auftritt. Patienten mit Schizophrenie haben Schwierigkeiten, die dominante, aber im Satzkontext unpassende Bedeutung eines Wortes zu inhibieren. Dieser Effekt und die Effekte aus Studien zum semantischen Priming sind vielfach repliziert worden und scheinen ein stabiles Merkmal bei Patienten mit Schizophrenie darzustellen. 25.3.3 Defizite auf syntaktischer Ebene Neben der semantischen Komponente der Sprachverarbeitung und den Phänomenen, die sich bei der Untersuchung des semantischen Netzwerkes zeigen, ist auch die syntaktische Ebene, v. a. beim Verstehen von Sätzen und längeren Texten, von großer Bedeutung. Die Analyse des syntaktischen Zusammenhangs ist entscheidend für die Zuordnung bestimmter Bedeutungsinhalte in einem Satz. Zum Beispiel bedeutet Tarzans Hinweis »Jane essen Tier« vermutlich, dass er ihr etwas zu Essen anbieten möchte. Dagegen bedeutet »Tier essen Jane« wohl eine Warnung vor einem menschenfressenden Raubtier. Die unterschiedliche Bedeutung der zwei Phrasen ergibt sich aus der Anwendung einer gängigen deutschen (auch englischen) Satzstellungsregel mit Subjekt, Prädikat, Objekt und der damit verbundenen Bedeutungsattribution (aktiv versus passiv) an den jeweiligen Konstituenten (»Tier« oder »Jane«). Hörer kombinieren syntaktische und semantische Anhaltspunkte bei der Interpretation eines Satzes. ! Die Verstehensleistung von Patienten mit Schizophrenie nimmt mit der syntaktischen Komplexität der Sprache überproportional ab.
Im Token-Test (De Renzi u. Vignolo 1962), der die syntaktische Komplexität von Aufforderungen variiert, zeigt sich, dass bei Patienten mit Schizophrenie die Reduktion der Verstehensleistung mit der syntaktischen Komplexität der Anweisungen in Zusammenhang steht. Auch andere Untersuchungen legen Dysfunktionen bei der Verarbeitung wie auch der Produktion von Syntax nahe (Kircher et al. 2005). Weiterhin können auch in der »on-line word monitoring task« unterschiedliche Reaktionen auf syntaktische Verletzungen bei Patienten mit Schizophrenie und gesunden Versuchspersonen beobachtet werden (Kuperberg et al. 1998). Gesunde Probanden brauchen signifikant länger, um ein Zielwort im Satz zu erkennen, wenn dieser syntaktische Verletzungen aufweist. Patienten sind hingegen insensitiv für syntaktische Verletzungen und zeigen einheitlich langsamere Reaktionszeiten, unabhängig ob der Satz syntaktisch korrekt oder inkorrekt ist. Zwar sind häufig andere kognitive Funktionen mit den Leistungen im Sprachverstehen korreliert, doch können sie diese nicht komplett erklären, sodass es sich primär um ein spezifisches Defizit handelt. Patienten mit Schizophrenie weisen neben den Beeinträchtigungen auf semantischer Ebene ebenfalls Schwierigkeiten beim Verstehen komplexer syntaktischer Strukturen auf. Diese beiden basalen sprachlichen Komponenten sind für das Verstehen von Sätzen und Texten wichtig. 25.3.4 Defizite im pragmatischen Verständnis Nach der Bestimmung der Bedeutung von Wörtern und Phrasen in einem Satz, konstruiert der Zuhörer vermutlich eine oder mehrere präpositionale Repräsentationen (Bedeutungseinheiten), also den »übergeordneten Sinn« einer Phrase. Für die Bedeutungserfassung sind weiterhin die Einbeziehung kontextueller Bezüge und unser Wissen um die Welt (Pragmatik) wichtig. Wenn zum Beispiel jemand auf der Strasse fragt: »Wissen sie, wie spät es ist?« geht man normalerweise davon aus, dass der Fragende die Uhrzeit erfahren will und nicht die Antwort »Ja« erwartet. Zur Einbeziehung des pragmatischen Wissens in die Interpretation von Aussagen sind verschiedenartige Inferenzschlüsse notwendig. Der Begriff »Pragmatik« in Bezug auf das Verstehen von Sprache umfasst also insgesamt alle über die direkte lexikalische Bedeutung hinausgehenden Interpretationen, die z. B. beim Verstehen von indirekten Fragen oder Metaphern notwendig sind und in vielen alltäglichen Situationen auftauchen.
Diskursverstehen Die meisten Arbeiten über Dysfunktionen der Sprache bei Patienten mit Schizophrenie konzentrierten sich auf ein oder zwei spezifische Bereiche; genau so wichtig dürfte es sein, den gesamten Umfang einer gesprochenen oder gelesenen Konversation zu berücksichtigen.
325 25.3 · Defizitebenen des Sprachverstehens bei Patienten mit Schizophrenie
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Exkurs Modell zum Diskursverständnis Gernsbachers »Structure Building Framework« Ein Modell zur Erklärung der Bildung größerer Sinneinheiten im Verstehensprozess ist das »Structure Building Framework« von Gernsbacher (Gernsbacher et al. 1999). Als Ziel des Verstehensprozesses definiert es die Entwicklung einer kohärenten mentalen Repräsentation oder Struktur des Gesagten oder Geschriebenen. Sprachliche Stimuli aktivieren dabei Gedächtnisknoten, die als semantische Einheiten die mentale Struktur bilden. In den Aufbau einer mentalen Struktur sind verschiedene Subprozesse involviert: 4 der Aufbau eines Fundaments (»laying a foundation«) 4 das Einfügen relevanter Informationen (»mapping relevant information«) 4 Inhaltswechsel, um neue Substrukturen zu bilden (»shifting to initiate a new substructure«) Als erstes wird ein »Fundament« der mentalen Struktur angelegt, das den Kontext für nachfolgende Informationen bildet. Das bedeutet, dass die ersten verarbeiteten Inhalte als Ausgangsposition für das Verstehen und Einordnen aller folgenden Informationen dienen. Anschließend werden die eintreffenden neuen Informationen, wenn sie zu diesem ersten erstellten Kontext passen, in diesen eingefügt. Bei diesem »Einfügen relevanter Informationen« wird bei mehrdeutigen Begriffen die Bedeutung gewählt, die zum Kontext passt. Wenn die neuen Informationen keine Verbindung
! Patienten haben Schwierigkeiten, Verbindungen zwischen Fakten herzustellen und vorhergehende Informationen in Interpretationen mit einzubeziehen.
Die bisherigen Befunde legen nahe, dass Patienten mit Schizophrenie weniger in der Lage sind, Verbindungen zwischen Fakten herzustellen und Referenzen adäquat zu nutzen. Das Verlorengehen von Referenzen meint das Fehlen von direkten Bezügen, also Wörtern oder Wortformen, die indizieren, dass der Zuhörer zuvor präsentierte Informationen mit einbeziehen muss. In Studien zu spezifischen Aspekten des Diskurs- und Sprachverständnisses bei Patienten mit Schizophrenie werden systematisch bestimmte Diskursparameter manipuliert. Zum Beispiel benutzten Tényi et al. (2002) Stimuli, die die erwartete Relevanz von geschriebenen Diskursen verletzten. Der erste Satz in einer aus mehreren Sätzen bestehenden »Vignette« beschreibt dabei die Beziehung zwischen zwei Personen und impliziert, dass Person A einen Kommentar zu einer Eigenschaft von Person B abgibt. Person A lässt dann aber unerwarteterweise eine negative Meinung hinter ihrer Äußerung durchblicken. Zum Beispiel wird in einer Vignette ein Professor gebeten, seine Meinung über eine junge Angestellte zu äußern, und er antwortet nur »Sie ist eine Frau«. Im Unterschied zu gesunden Erwachsenen machen Patienten mit Schizophrenie
zum ersten Fundament aufweisen, wird in eine neue inhaltliche Substruktur gewechselt und eine parallele Repräsentation aufgebaut. Dabei spielen generelle kognitive Prozesse der Unterdrückung und Aktivierung eine große Rolle. Gerade bei mehrdeutigen Aussagen, Metaphern oder Ironie müssen gezielt bestimmte Bedeutungen von Wörtern unterdrückt und zum Kontext passende Interpretationen aktiviert werden. Diese Prozesse sind also von grundlegender Bedeutung für das Einfügen relevanter Informationen und für das Wechseln in neue Substrukturen. Dieses Modell eignet sich gut, um die Verständnisprozesse beim Lesen längerer Textpassagen oder beim Verstehen längerer vorgesprochener Texte zu untersuchen. Gernsbacher et al. (1999) wendeten dieses Modell auch auf das Diskursverständnis bei Patienten mit Schizophrenie an und konnten v. a. Defizite auf drei Ebenen beschreiben. Zum ersten zeigen sich eingeschränkte Unterdrückungsmechanismen darin, dass bei mehrdeutigen Aussagen die wörtliche, dominante, aber in diesem Kontext falsche Bedeutung von Worten nicht effektiv unterdrückt wird. Zum zweiten wird von einem Defizit bei der Bildung des ersten Bedeutungsfundamentes ausgegangen, was mit der mangelnden Kontextsensitivität bei Patienten mit Schizophrenie erklärt wird. Und drittens scheinen Patienten sehr oft zwischen verschiedenen Substrukturen zu wechseln, was sich in einer desorganisierten Sprache und einem eingeschränktemVerständnis längererTextpassagen widerspiegelt.
signifikant mehr Fehler, wenn sie versuchen herauszufinden, was Person A damit wirklich sagen will. Sie interpretieren in diesem Beispiel die Aussage eher wörtlich – als die Benennung ihres Geschlechts. Insgesamt scheinen Patienten mit Schizophrenie sowohl auf Satzebene, als auch im Textzusammenhang, Schwierigkeiten zu haben, die pragmatische Bedeutung von Aussagen zu nutzen bzw. zu interpretieren.
Mehrdeutigkeit/Homografe Als Homografe bezeichnet man gleich geschriebene Wörter, die verschiedene Bedeutungen haben, z. B. »Steuer« (Lenkrad vs. Abgabe). Manche Bedeutungen eines Wortes werden häufiger gebraucht als andere (dominant), und dies macht Homografe zu einem nützlichen Untersuchungsinstrument in der Sprachforschung. Denn ein und dasselbe Wort an derselben Stelle eines Satzes kann in unterschiedlichen Zusammenhängen mit denselben umgebenden Wörtern stehen, je nachdem welche Bedeutung gewählt wird. Die Entscheidung für eine Bedeutung muss anhand des Kontextes getroffen werden, d. h. aus dem Kontext kann die Wahrscheinlichkeit für die Aktivierung bestimmter semantischer Netzwerkknoten abgeleitet werden. Somit können mit Homografen Assoziationsprinzipien des semantischen Lexikons untersucht werden, z. B. mittels Priming-Studien. Anhand unterschied-
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Kapitel 25 · Sprachverständnis – Psychologie
lich langer SOA-Intervalle zeigte sich, dass bei Gesunden zunächst alle Bedeutungen eines Wortes aktiviert werden, dass dann aber anhand exekutiver Verbalgedächtnisprozesse eine Inhibierung der kontextuell unangemessenen Bedeutungen einsetzt. Denn direkt nach der Präsentation des Homografs waren sowohl die zum vorherigen Kontext passende wie auch die nicht passende Bedeutung »geprimt«, nach 1,5 s war nur noch die kontextuell adäquate Bedeutung voraktiviert. Bei Patienten mit Schizophrenie hat man beobachtet, dass sie bei Homografen die dominante Bedeutung stark bevorzugen und auch nicht in der Lage sind, den zur unüblicheren Bedeutung gehörenden Kontext für die Wahl der korrekten Bedeutung zu nutzen. Dies hat man sich bisher mit einer gesteigerten Aktivierungsausbreitung in Kombination mit verbalen Arbeitsgedächtnisdefiziten erklärt, die den Kontext nicht lange genug aufrechterhalten können, sodass letztendlich die dominante Bedeutung am längsten aktiviert bleibt.
Metaphern Neben der Auswahl kontextadäquater Inhalte mehrdeutiger Aussagen oder Texte ist beim Verstehen von Metaphern eine Sensitivität für übertragene (nicht-wörtliche) Bedeutungen erforderlich. Metaphern werden häufig in Alltagssituationen benutzt, sodass ein Defizit im Verstehen metaphorischer Äußerungen einen großen Einfluss auf das Gelingen vieler sozialer Interaktionen hat. ! Patienten mit Schizophrenie neigen dazu, metaphorische Ausdrücke wortgetreu zu interpretieren (»Konkretismus«).
Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts wurde festgestellt, dass Patienten mit Schizophrenie Schwierigkeiten haben, die richtige Bedeutung metaphorischer Äußerungen herauszufinden (Finckh 1906). Das Problem bei Patienten mit Schizophrenie besteht darin, dass sie dazu neigen, eher wortgetreue (textnahe) Interpretationen zu wählen als figurative oder bildhafte (z. B. Gorham 1956). So zeigen Patienten mit Schizophrenie schlechte Leistungen in der Bewertung, ob eine Metapher plausibel oder unplausibel ist; sie finden es schwierig, die Metaphern zu finden, die am besten zur Bedeutung eines Sprichwortes passen oder zu bewerten, ob eine Metapher für eine bestimmte Situation angemessen ist. Ferner bevorzugen sie auch dann die wortgetreue Bedeutung, wenn sie nach dem Bild gefragt werden, das am besten die Bedeutung der Metapher wiedergibt, und sie sind nicht in der Lage, Sätze so durch die Wahl eines Wortes zu vervollständigen, dass sie eine Metapher bilden. Die Schwierigkeit von Patienten mit Schizophrenie, Metaphern zu begreifen, ist also ein häufig repliziertes Phänomen und zeigt sich in unterschiedlichen Aufgaben und mit verschiedenen Untersuchungsmethoden (Kircher et al. 2007). Es bestehen verschiedene Befunde über andere Faktoren, die mit diesem Defizit in Verbindung stehen. In einer umfassenden Studie von Langdon et al. (2002) zeigte sich kein Zusammenhang zur eingeschränkten »Theory of Mind«(ToM)-Leistung (siehe unten) und dem Verständnis von Ironie. Anscheinend erfassen diese
Aufgaben unterschiedliche Anteile der Sprachdefizite, die bei Patienten mit Schizophrenie auftreten. Weiterhin sind die ToM-Leistung und das Verstehen von Ironie mit dem Schweregrad formaler Denkstörungen (FDS) verbunden, wohingegen das Verstehen von Metaphern mit negativen Symptomen und eingeschränkten Exekutivfunktionen in Verbindung steht. Die Autoren schließen daraus, dass das schlechte Verstehen von Metaphern mit einem Defizit auf der semantischen/konzeptuellen Ebene in Zusammenhang steht, also der Fähigkeit, je nach Kontext die Äußerungen angemessen zu integrieren und interpretieren (Langdon et al. 2002).
Humor und Ironie Das Verstehen von Humor, Ironie und Sarkasmus erfordert wie das Verstehen von Metaphern, dass der Zuhörer mehrere Bedeutungen bewerten und sich für die Bedeutung entscheiden muss, die am besten die kommunikativen Intentionen des Sprechers widerspiegelt. Klinische Anekdoten berichten häufig von einem gestörten Sinn für Humor bei Patienten mit Schizophrenie. Experimentelle Studien weisen darauf hin, dass abermals eine Präferenz für die wortgetreue (nicht-humorvolle) Bedeutung im Gegensatz zu einer figurativen (humorvollen) Interpretation vorliegt. Humor, Sarkasmus und Ironie wurden bisher leider kaum auf sprachlicher Ebene, sondern hauptsächlich mit Bildergeschichten und Bildwitzen untersucht. Daraus lässt sich aber ableiten, dass die konkreten, direkten Bedeutungen den interpretierten, weit gefassten Bedeutungen vorgezogen werden. Eine Studie, die direkt das Verständnis von Ironie bei Patienten mit Schizophrenie untersucht, zeigt, dass Patienten signifikant öfter ironische Äußerungen fehlinterpretierten als Kontrollprobanden (Mitchley et al. 1998). Weiterhin werden eingeschränkte Verstehensleistungen ironischer Äußerungen in Zusammenhang mit Leistungen in ToM-Aufgaben gebracht, es zeigt sich jedoch kein Zusammenhang mit dem Verständnis von Metaphern. Zudem stehen die Leistungen in der Ironieverständnisaufgabe im Zusammenhang mit formalen Denkstörungen (Langdon et al. 2002).
Theory of Mind (ToM) Seit den 70er Jahren gibt es Studien, die zeigen, dass an Schizophrenie erkrankte Patienten Schwierigkeiten haben, Sprache auf eine pragmatische Weise zu verstehen und zu nutzen. Ein etwas anderer Bereich der Pragmatik umfasst die Fähigkeit, sich in andere Personen hineinzuversetzen. ! Auf pragmatischer Ebene finden sich bei Patienten mit Schizophrenie Defizite im Verstehen von Metaphern, Ironie und Theory-of-Mind-Aufgaben. Sie korrelieren nur schwach miteinander und erklären unterschiedliche Defizite in der Sprachverarbeitung bei Patienten mit Schizophrenie.
Zum Beispiel fanden (Corcoran et al. 1995) in ihrem »hinting task«, dass sich Patienten mit Schizophrenie schlechter in andere Personen hineinversetzten können, selbst wenn man die
327 25.4 · Klinische Faktoren
Gruppenunterschiede im Intelligenzquotienten berücksichtigt. Betrachtet man die unterschiedlichen Symptomsubgruppen, so schneiden v. a. Patienten mit stark ausgeprägten Desorganisations- und Negativsymptomen am schlechtesten ab. Andere Befunde zeigen, dass die ToM-Leistungen der Patienten positiv mit ihren Leistungen in anderen kognitiven Bereichen korreliert sind, z. B. in Geschichte-Widererinnerungs-Tests, bei Problemlöse-Aufgaben und Aufgaben des induktiven Begründens. Darüber hinaus lassen sich starke Korrelationen zwischen der Leistung in einer ToM-Aufgabe, Exekutivfunktionen und Intelligenz mit dem Verständnis für Sprichwörter finden. Obwohl ToM-Aufgaben, das Verstehen von Sprichwörtern, Metaphern und Ironie ähnliche Subprozesse beinhalten, weisen sie unterschiedliche Beziehungen zueinander auf und scheinen unterschiedliche Defizite in der Sprachverarbeitung bei Patienten mit Schizophrenie aufzudecken.
Zusammenfassung Defizite im Verstehen von sprachlichem Material lassen sich auf allen Ebenen der Sprachverarbeitung in unterschiedlichem Ausmaß nachweisen. Patienten mit Schizophrenie unterscheiden sich bereits bei der frühen auditiven und visuellen Reizverarbeitung von gesunden Probanden und zeigen Defizite in der semantischen, syntaktischen und pragmatischen Komponente des Sprachverstehens. Es wird weiterhin wichtig sein, Faktoren wie Geschlecht, Alter und Symptomatologie sowie die kognitive Leistung in verschieden Domänen bei der Untersuchung der Sprachrezeption zu berücksichtigen. 25.4
Klinische Faktoren
Einschränkungen im Bezug auf das Verstehen von Sprache bei Patienten mit Schizophrenie zeigen sich, wie oben beschrieben, auf vielen Ebenen der Sprachverarbeitung. Die klinische Relevanz dieser Defizite und die Frage nach den klinischen Faktoren, die dieses Defizit beeinflussen, sollen in diesem Kapitel behandelt werden. Dabei stellt sich die Frage, ob Schwierigkeiten beim Sprachverstehen in Zusammenhang mit bestimmten Symptomen oder Syndromen stehen, ob sie sich über den Verlauf der Erkrankung ändern, welchen Einfluss Medikamente auf die Sprachverarbeitung haben und welche Rolle eine genetische Prädisposition für Schizophrenie spielt. Besonders wichtig bei den klinischen Variablen ist auch die Frage nach der Spezifität der Leistungseinschränkungen in sprachlichen Aufgaben im Vergleich zu anderen psychischen Erkrankungen.
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nie auf (Kircher et al. 2001). Formale Denkstörungen gehören für Bleuler (1911) zu den »Grundsymptomen« der Schizophrenie. Bleuler beschreibt drei entscheidende Störungen des Denkens und der Sprache bei Patienten mit FDS: (a) Störungen auf der Ebene einzelner Begriffe, (b) ein Mangel an (semantischer/pragmatischer) Verbindung der einzelnen Begriffe untereinander und (c) fehlende Zielvorstellungen. ! Defizite des Sprachverstehens treten v. a. bei Patienten mit positiven formalen Denkstörungen auf.
Der Zusammenhang von formalen Denkstörungen und sprachlichen Leistungen wurde von Rodriguez-Ferrera et al. (2001) untersucht. Sie fanden in 8 sprachlichen Tests Zusammenhänge zur allgemeinen intellektuellen Leistungsfähigkeit, doch wiesen 3 der 8 Tests auch signifikante Korrelationen mit der Stärke der formalen Denkstörung auf. Mit multiplen Regressionen und durch die Untersuchung intellektuell nicht beeinträchtigter Patienten lassen sich diese Effekte losgelöst von der allgemeinen intellektuellen Leistungsfähigkeit untersuchen. Es zeigte sich v. a. ein Zusammenhang von formalen Denkstörungen mit dem semantischen Verständnis und den Leistungen in einer Bildbeschreibungsaufgabe. Ein semantisches Defizit höherer Ordnung ist also offenbar sowohl für die linguistische Beeinträchtigung als auch für die formalen Denkstörungen relevant. Für andere Symptomgruppen ist die Befundlage eher uneinheitlich, doch konnten in einigen Studien Korrelationen mit Negativsymptomen, Positivsymptomen und Wahn gefunden werden. Auf der Ebene kognitiver Domänen zeigen sich Verbindungen zu Gedächtnisdysfunktionen und Dysfunktionen in exekutiven Aufgaben. Somit ist gesichert, dass das Ausmaß positiver formaler Denkstörungen (Zerfahrenheit, assoziative Auflockerung, Neologismen etc.) mit dem Sprachverständnis korreliert; der Zusammenhang mit anderen Symptomen ist weniger eindeutig. 25.4.2 Verlauf Neben der Frage, ob Defizite der Sprachverarbeitung in Verbindung mit bestimmten Symptomen stehen, stellt sich die Frage, wie stabil diese Defizite im Sprachverstehen über den Verlauf der Erkrankung sind. Einschränkungen in der rezeptiven Sprachverarbeitung zeigen sich bereits bei Risikoprobanden für Schizophrenie, in der Prodromalphase, in Phasen der Remission sowie bei gesunden Familienangehörigen erkrankter Personen. ! Einschränkungen des Sprachverstehens sind ein stabiles Merkmal der Schizophrenie.
25.4.1 Zusammenhang mit Symptomgruppen
Remission Vor allem in Bezug auf die Symptomgruppe der positiven formalen Denkstörungen (FDS) treten Defizite in der Produktion, aber auch in der Rezeption von Sprache bei Patienten mit Schizophre-
Herold u. Kollegen (2002) untersuchten die Leistungen remittierter Patienten in zwei ToM- und zwei Metapher-und-IronieAufgaben. Dabei zeigten sich signifikante Unterschiede in der
328
Kapitel 25 · Sprachverständnis – Psychologie
Ironie-Aufgabe, was dafür spricht, dass diese Unterschiede ein stabiles Eigenschaftsmerkmal darstellen.
Familienangehörige
25
Es ist lange bekannt, dass die Schizophrenie familiär gehäuft auftritt. Personen, deren erstgradige Verwandte an Schizophrenie erkrankt sind, haben ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer Schizophrenie (7 Kap. 5). Aufgrund dieser Erkenntnis stellt sich nun die Frage, ob sich auch auf symptomatischer Ebene Unterschiede von gesunden Verwandten schizophrener Patienten und Personen aufzeigen lassen können, die keine Verwandten mit Schizophrenie haben. In einer Adoptivstudie konnten Zusammenhänge zwischen der Ausprägung von formalen Denkstörungen bei Verwandten ersten Grades und einem erhöhten Risiko für das Auftreten einer Schizophrenie gefunden werden (Kinney et al. 1997). Condray et al. (1992) untersuchten das Sprachverstehen bei 36 Patienten mit Schizophrenie und ihren nichterkrankten erwachsenen Brüdern (n=41) sowie bei 18 normalen Kontrollprobanden. Die Sprachleistungen der von Schizophrenie nicht betroffenen Brüder unterschieden sich nicht von jenen der Gruppe der Erkrankten und waren schlechter als bei Gesunden. Es scheint also, dass die genetische Prädisposition, wie sie bei direkten Angehörigen der Patienten vorliegt, mit Einschränkungen in der rezeptiven Sprachverarbeitung einhergeht. Sprachverständnisstörungen sind demnach mit einer familiären Vulnerabilität für Schizophrenie assoziiert. Ferner ist evident, dass auch Dysfunktionen des Diskursverhaltens mit einer familiären Prädisposition zur Schizophrenie in Verbindung stehen.
Risikoprobanden Jones et al. (1994) untersuchte in einer 5.362 Personen umfassenden Kohorte die Zusammenhänge zwischen dem Erkranken an einer Schizophrenie im Erwachsenenalter und soziodemographischen und neurokognitiven Entwicklungsfaktoren in der Kindheit. Kinder, die später – im Alter von 16 bis 43 Jahren – eine Schizophrenie entwickelten, zeigten bereits bis zum 15. Lebensjahr stärkere Sprachprobleme als die Kontrollprobanden. Reichenberg et al. (2002) konnten ebenfalls prämorbid eingeschränkte Sprachfunktionen beim Leseverständnis für gesunde Probanden, die später an Schizophrenie erkrankten, nachweisen. In dieser Studie wurde das Leseverständnis als Fähigkeit gemessen, Inhalte aus unbekannten Textpassagen mit ansteigender Länge zu extrahieren. Jugendliche, die später eine Schizophrenie entwickelten, zeigten in diesem Test schlechtere Leistungen als die Kontrollgruppe und auch als Versuchspersonen, die später eine bipolare Störung entwickelten. Diese Befunde weisen auf eine prämorbide Sprachentwicklungstörung bei Patienten mit Schizophrenie hin. Arbodega u. Holzmann (1985) fanden bei 6- bis 16-jährigen Kindern schizophrener Mütter im Vergleich zu gesunden Kindern 3-fach höhere Werte im »Thought Disorder Index« (TDI) nach Johnston u. Holzmann (1979). Das Vorliegen von Denkstörungen scheint also mit einer genetischen Prädisposition bzw.
einem Risiko für das Auftreten einer Schizophrenie in Zusammenhang zu stehen. Dies wurde in anderen Studien bestätigt (Cardno et al. 2001). Eine frühe prospektive Studie von Parnas et al. (1982) untersuchte Kinder schizophrener Mütter. Formale Denkstörungen und gestörte emotionale Kontakte, hier im Alter von 15 Jahren, scheinen ein deutliches Merkmal von Kindern an Schizophrenie erkrankter Mütter zu sein und einen Prädiktor für das spätere Auftreten einer Schizophrenie darzustellen. Ein interessantes Ergebnis zeigte sich in der finnischen Adoptionsstudie von Wahlberg et al. 1997. Ein genetisches Risiko für Schizophrenie alleine sowie ein devianter Komunikationsstil in der Adoptivfamilie stand bei den Risikokindern nicht mit formalen Denkstörungen im Zusammenhang. Allerdings fand sich eine hochsignifikante Gen-Umwelt-Interaktion: Kinder mit genetischem Risiko, die in einer Adoptionsfamilie mit deviantem Kommunikationsstil aufwuchschen, hatten deutlich ausgeprägte Sprachstörungen. Sprach- und Lesestörungen scheinen mit einer genetischen Prädisposition für Schizophrenie in Zusammenhang zu stehen. Zusätzliche Untersuchungen sind notwendig, um diese Befunde weiter zu bestätigen, den Einfluss von Umweltfaktoren zu klären und mit einzelnen Suszeptibilitätsgenen in Beziehung zu setzen.
Prodromalphase Die Untersuchung von Symptomen und Auffälligkeiten vor dem Auftreten einer Schizophrenie haben das Ziel, frühzeitig Interventionen einzuleiten. Eine umfangreiche Studie von Klosterkötter et al. (2001) untersuchte eine Stichprobe von Prodromalpatienten bezüglich der Vorhersagewahrscheinlichkeit einzelner Symptome für den Übergang in eine Schizophrenie. Wenn keine Prodromalsymptome vorlagen, konnte das Eintreten einer Schizophrenie mit einer Wahrscheinlichkeit von 96% ausgeschlossen werden. Dagegen konnte insbesondere ein Cluster aus Basissymptomen die Sprachleistungen erfassen (Störungen des rezeptiven Sprachverstehens) das Auftreten einer Schizophrenie mit einer Wahrscheinlichkeit von 91% vorhersagen. Somit scheinen Funktionen der rezeptiven Sprachverarbeitung und des Sprachverstehens schon in der Prodromalphase vorzuliegen; sie eignen sich aus diesem Grund gut als Prädiktoren einer Schizophrenie.
Zusammenfassung Die Befunde, dass sich bereits prämorbid eingeschränkte Sprachfunktionen bei Schizophreniepatienten – sowohl bei Risikoprobanden als auch im Prodromalstadium – finden lassen und auch ihre Familienangehörigen Defizite im Sprachverstehen aufweisen, legen nahe, dass eingeschränkte Leistungen in der Sprachverarbeitung mit einer allgemeinen Prädisposition zur Schizophrenie in Verbindung stehen. Im Bezug auf den Verlauf der Erkrankung sind Störungen des Sprachverstehens im akuten Schub ausgeprägter, sie sind aber auch während der Remission ein stabiles Merkmal zumindest einer großen Untergruppe von Patienten.
329 25.4 · Klinische Faktoren
25.4.3 Medikation Es ist wenig darüber bekannt, wie Medikamente sich auf das Sprachverstehen bei Patienten mit Schizophrenie auswirken. Eine Arbeit von Condray et al. (1995) untersuchte in einer kontrollierten doppelblinden Studie den Einfluss von Haloperidol auf die Sprachverständnisstörungen. In einer Gruppe von Patienten wurde die Medikation beibehalten, in einer anderen durch ein Placebo ersetzt. Ein signifikant eingeschränktes Sprachverständnis konnte sowohl für Patienten unter der Placebo-Bedingung als auch für die Patienten unter der pharmakologischen Bedingung gefunden werden. Die Sprachverständnisleistung war unabhängig von einer Reihe von kognitiven und klinischen Variablen (Krankeitsdauer, Symptomatologie). Eine Studie von Goldberg et al. (2000) untersuchte ebenfalls den Effekt neuroleptischer Medikation vs. Placebo in einem »crossover«-Design auf Sprachstörungen bei Patienten mit Schizophrenie. Die Medikation besserte die Ausprägung der formalen Denkstörungen und die Effekte in einer semantischen PrimingAufgabe; die Leistung in Tests zum Sprachverstehen (z. B. TokenTest), zu Wortgenerierung und den Leistungen bei Arbeitsgedächtnissaufgaben blieb jedoch unbeeinflusst. Die beiden Befunde von Condray et al. (1995) und Goldberg et al. (2000) zeigen, dass Antipsychotika Einfluss auf automatische Prozesse im semantischen System haben (»priming«), offenbar aber nicht auf langsamere, kontrollierte Prozesse (z. B. Wortgenerierung); dies wird durch »Hyperpriming«-Befunde bei kurzer SOA bestätigt. Das semantische System lässt sich also duch dopaminerge Medikation beeinflussen, während andere kognitive Leistungen, die an kontrollierte Prozesse gebunden sind, davon weniger oder gar nicht modifiziert werden. Sprachverständnisprobleme bei Schizophrenie sind eher ein trait«-Merkmal« (andauernd, beständig), als ein »state«-Merkmal« (abhängig von aktueller Krankheitsphase). Klinisch zeigt sich allerdings der Befund, dass sich bei akut psychotischen Patienten mit formalen Denkstörungen das Sprachverständnis mit Verbesserung der psychopathologischen Symptomatik ebenfalls bessert. 25.4.4 Sprachrezeptionsstörungen –
spezifisch für Schizophrenie? Defizite in der rezeptiven Sprachverarbeitung bei Patienten mit Schizophrenie sind nach dem Gesagten ein konsistenter Befund, der sich über die unterschiedlichen Ebenen der Sprachverarbeitung erstreckt und sich mit verschiedenen Untersuchungsmethoden nachweisen lässt. Doch wie spezifisch ist dieses Defizit in Bezug auf Schizophrenie? Lassen sich ähnliche Einschränkungen auch bei Patienten mit anderen psychiatrischen Diagnosen finden? Es liegen einige Befunde vor, dass Schizophreniepatienten mit formalen Denkstörungen sich signifikant von Patienten mit Manie und Depression im Token-Test und einem Phrasenwieder-
25
holungtest unterscheiden. Dabei zeigten sich spezifische Defizite im Sprachverstehen und in der Wiederholungsleistung, die mit formalen Denkstörungen und Schizophrenie in Zusammenhang gebracht werden können. Ähnliche Unterschiede wurden mit einer etwas komplexeren Version des Token-Tests zwischen Patienten mit Schizophrenie und Patienten mit einer manischen Störung gefunden. In der Studie von Reichenberg et al. (2002) konnten anhand von Sprachverstehensleistungen gesunde Versuchspersonen, die später eine Schizophrenie entwickelten, von einer Gruppe unterschieden werden, die später an einer bipolaren Störung erkrankte. Gerade in Bezug auf die Interpretation mehrdeutiger Aussagen, Metaphern oder Ironie scheint das Hauptproblem bei Patienten mit Schizophrenie darin zu bestehen, dass sie dazu neigen, eher wortgetreue bzw. textnahe Interpretationen zu wählen als figurative oder bildhafte. Dieses Muster scheint ebenfalls relativ spezifisch für die Schizophrenie zu sein. Von einigen Autoren werden auch Diskursabnormalitäten als relativ spezifisch für Schizophrenie gesehen. Ähnliche Einschränkungen im Sprachverstehen lassen sich allerdings auch bei Patienten mit Autismus beobachten. Diese weisen, wie Patienten mit Schizophrenie, die deutlichsten Schwierigkeiten in höheren sprachlichen Funktionen wie dem Verstehen mehrdeutiger Aussagen oder ToM-Aufgaben auf. Patienten mit Schizophrenie unterscheiden sich in verschiedenen Tests zum Sprachverstehen von Patienten mit schizotypen Persönlichkeitsstörungen, Depression, Manie oder bipolaren Störungen. 25.4.5 Sprachtherapie Ansätze der Sprachtherapie gibt es v. a. für Aphasie-Patienten oder Personen, die spezifische Sprachstörungen aufweisen. Dabei stehen v. a. die Aktivierung ungenutzter Ressourcen, die störungsspezifische Behandlung und die Konsolidierung erworbener Fähigkeiten im Vordergrund. Bei Patienten mit Schizophrenie, bei denen hauptsächlich die semantische und syntaktische Komponente der Sprache beeinträchtigt ist, sind geeignete Strukturierungs- und Interpretationsstrategien von besonderer Bedeutung. Bis jetzt ist allerdings die Wirksamkeit der Sprachtherapie bei Patienten mit Schizophrenie nur wenig untersucht worden. In einer Pilotstudie eines computergestützten kognitiven Trainingsprogramms, das ursprünglich für Kinder mit sprachbasierten Lernstörungen entwickelt wurde, zeigten Vinogradov et al. (2000) erste positive Trainingseffekte auf die Sprachverarbeitung bei Patienten mit Schizophrenie. Das Computerprogramm trainiert die zeitliche Verarbeitung von Tönen, Phonemen und die ganzheitliche Sequenzierung der Sprache sowie ihr Verstehen.
25
330
Kapitel 25 · Sprachverständnis – Psychologie
25.5
Zusammenfassung
Das Verstehen von Sprache ist eine der wichtigsten menschlichen Fähigkeiten und notwendig für zwischenmenschliche Interaktion. Die Sprachverarbeitung, eine der komplexesten kognitiven Funktionen, lässt sich in viele Subprozesse unterteilen. Bei Patienten mit Schizophrenie liegen Störungen der Sprachverarbeitung auf allen Ebenen vor. Bereits bei der frühen perzeptuellen Verarbeitung visueller und auditiver Reize lassen sich bei Erkrankten Defizite feststellen. Ferner gibt es konsistente Befunde aus Priming-Experimenten über die dysfunktionale Verarbeitung einzelner Wörter und Alterationen im semantischen Netzwerk (»mentales Lexikon«). Neben diesen grundlegenden Defiziten der Sprachverarbeitung finden sich v. a. Einschränkungen bei den interpretativen Mechanismen, beim Verstehen von Sätzen, längeren Passagen (Makropropositionen), mehrdeutigen Aussagen, Metaphern und Ironie. Patienten mit Schizophrenie neigen hier dazu, die wörtliche Interpretation zu bevorzugen. Diese Defizite in der Sprachverarbeitung stehen in Zusammenhang mit formalen Denkstörungen sowie in kognitiven Tests mit dem allgemeinen Leistungsniveau, der Aufmerksamkeit und Exekutivfunktionen. Trotz einer gewissen Korrelation mit diesen Leistungsbeeinträchtigungen handelt es sich bei den Einschränkungen des Sprachverstehens um ein stabiles Merkmal, das auch nach Kontrolle kognitiver und intellektueller Parameter bestehen bleibt. Bereits gesunde Jugendliche, die erst Jahre später an Schizophrenie erkranken, zeigen Einschränkungen im Verstehen sprachlichen Materials, was auf eine früh erworbene zerebrale Dysfunktion deutet. Dies gilt auch für nicht erkrankte Geschwister, was auf eine genetische Komponente hinweist. Weiterhin konnten in einer Reihe von Studien Schizophreniepatienten anhand ihrer Leistung in Aufgaben zum Sprachverstehen von Patienten mit anderen psychiatrischen Störungen (z. B. schizotype Persönlichkeitsstörung, Depressive oder Manische Störung), abgegrenzt werden. Es handelt sich bei Sprachverarbeitungsstörungen um ein »trait«-Merkmal der Schizophrenie. Die Ursachen der Sprachverständnisstörungen bei Patienten mit Schizophrenie können am ehesten auf eine frühe Entwicklungsstörung (genetisch, prä/perinatal) zurückgeführt werden. Bildgebende Verfahren können die neuronalen Korrelate der Sprachverarbeitung aufdecken, die an der gestörten Sprachverarbeitung beteiligt sind (7 Kap. 26).
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26 Sprachverständnis – Bildgebung Antonia Green, Benjamin Straube und Tilo Kircher
26.1
Einleitung
26.2
Überblick über beteiligte Hirnareale
26.3
Strukturelle Veränderungen – 334
26.4
Grundlegende Sprachverarbeitungsaspekte
26.4.1 26.4.2 26.4.3 26.4.4
Hören – 334 Sprachdiskrimination – 334 Phonem-Erkennung – 335 Audiovisuelle Sprachverarbeitung – 336
26.5
Sprachverarbeitung auf Wortebene – 336
26.6
Sprachverarbeitung auf Satzebene
26.6.1 26.6.2
Syntax – 339 Kontextverarbeitung – 339
26.7
Komplexe Aspekte der Sprachverarbeitung – 342
26.7.1 26.7.2 26.7.3
Metaphern – 342 Pragmatikverständnis – 342 Fazit – 342
26.8
Zusammenhang mit Geschlecht, Genetik, anderen Symptomen und Krankheitsverlauf – 343
26.8.1 26.8.2 26.8.3 26.8.4
Geschlechtsunterschiede – 343 Genetik – 344 Zusammenhang mit anderen Symptomen Krankheitsverlauf – 344
26.9
Zusammenfassung Literatur
– 333
– 345
– 345
– 333
– 334
– 339
– 344
333 26.2 · Überblick über beteiligte Hirnareale
26.1
Einleitung
arbeitung bei Gesunden, die veränderten zerebralen Prozesse bei Patienten mit Schizophrenie vor.
! Auffälligkeiten in der Verarbeitung von Sprache finden sich bei Patienten mit Schizophrenie auf allen Prozessierungsebenen.
26.2 Störungen in der Sprachverarbeitung finden sich bei Patienten mit Schizophrenie in ihrer ausgeprägtesten Form klinisch als »Konkretismus«, d. h. als Festhalten an der wörtlichen Bedeutung übertragener Begriffe (»Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm«). In leichter Ausprägung – d. h. in Form von Problemen beim Verstehen von sprachlichen Ausdrücken – findet sich dieses Phänomen bei fast allen Patienten; es gilt als einer der wichtigsten Prädiktoren für das Auftreten einer Psychose im Prodromalstadium. Die Fähigkeit, sich mittels syntaktischer Strukturen über beliebige Inhalte sprachlich komplex und abstrakt verständigen zu können, unterscheidet den Menschen von allen anderen Lebewesen. Sprache ist die komplexeste kognitiv-motorische Fähigkeit des Menschen. Dies wird am Störungsbild der Schizophrenien besonders deutlich, wo sich viele Symptome im Bereich der Sprache finden. In 7 Kap. 25 wurde die Bandbreite der Veränderungen bereits vorgestellt, beginnend bei fundamentalen Prozessen auf perzeptueller Ebene bis hin zu hochkomplexen Zusammenhängen wie Ironie. Dieses Kapitel bearbeitet die neuronalen Korrelate einzelner Prozesse in aufsteigender Komplexität und stellt, jeweils ausgehend von den neuronalen Grundlagen der Sprachver-
26
Überblick über beteiligte Hirnareale
! Viele Gehirnfunktionen werden nicht von beiden Hemisphären gleichermaßen erfüllt, sondern sind lateralisiert. Sprache wird v. a. linkslateralisiert verarbeitet, aber auch die rechte Hemisphäre ist an Verständnisprozessen beteiligt. Wichtige Areale sind das Wernicke-Areal (links superior temporal) und der es umgebende superiore temporale Gyrus sowie das Broca-Areal (links inferior präfrontal) (. Abb. 26.1).
Lange wurde Sprache als eine Eigenschaft ausschließlich der linken Hemisphäre betrachtet. Inzwischen weiß man jedoch, dass vielfältige Prozesse in der rechten und linken Hemisphäre, in temporalen, frontalen und parietalen Arealen am Sprachverständnis zu unterschiedlichen Anteilen beteiligt sind. Für eine bestmögliche Leistung ist das ungestörte Zusammenspiel dieser zerebralen Regionen entscheidend. Eine erste Übersicht über die wichtigsten Funktionen des Sprachverstehens und zugehörige Hirnareale zeigt . Tab. 26.1. Die linkshemisphärische Sprachdominanz findet sich bei nahezu allen Rechtshändern, wohingegen bei Linkshändern diese Dominanz nicht so eindeutig ist.
. Abb. 26.1. Sprachrelevante Hirnregionen in der linken und rechten Hemisphäre (7 Farbtafeln, S. 663)
334
Kapitel 26 · Sprachverständnis – Bildgebung
Funktion
Areal
Hemisphäre
Primäre auditorische Verarbeitung
Heschlscher Gyrus, Planum temporale, superiorer temporaler Gyrus
Bilateral
Sprachdiskrimination
Superiorer temporaler Gyrus
Links
Phonologische Verarbeitung
Mittlerer temporaler Gyrus, inferiorer frontaler Gyrus mit Broca-Areal
Bilateral, v. a. links
Semantikverständnis
Superiorer temporaler Gyrus mit Wernicke-Areal, mittlerer temporaler Gyrus, inferiorer temporaler Gyrus, inferior parietal, inferiorer frontaler Gyrus
Bilateral, v. a. links
Syntaxverständnis
Inferiorer frontaler Gyrus
Links
Kontextverarbeitung
Temporal
Rechts
Areale, die an der Sprachverarbeitung beteiligt sind und die nicht die übliche Asymmetrie zwischen den Hemisphären aufweisen. Das Planum temporale ist die am stärksten asymmetrische Struktur des menschlichen Gehirns und üblicherweise linksseitig größer als rechts. Bei Patienten mit Schizophrenie ist diese Asymmetrie nicht so ausgeprägt; sie findet sich bereits bei Ersterkrankten (Sommer et al. 2001). Vor allem aufgrund methodischer Unterschiede gibt es jedoch keine einheitlichen Befunde, ob diese Asymmetrie auf einer linksseitigen Volumenminderung oder einer rechtsseitigen Vergrößerung oder gar einer Kombination von beidem beruht. Das Volumen der grauen Substanz des superioren temporalen Gyrus, in dem das Planum temporale liegt, ist bei Patienten mit Schizophrenie linksseitig kleiner als auf der rechten Seite und korreliert mit dem Ausmaß an positiven formalen Denkstörungen (FDS; Shenton et al. 2001). Ein ebenfalls linksseitig verringertes Volumen und eine damit verringerte zerebrale Asymmetrie findet sich bei Patienten im fusiformen und im parahippocampalen Gyrus (McDonald et al. 2000). Der Gyrus fusiformis ist beteiligt an Identifikationsprozessen, der parahippocampale Gyrus am Benennen und an Assoziationsprozessen. Solche Asymmetrien sind möglicherweise der Grund für Abnormalitäten in der Sprachentwicklung bei Jugendlichen, die später an Schizophrenie erkranken werden (7 Kap. 25).
Metapherverständnis
Präfrontal
Links
26.4
Diskursverständnis
Temporal, parietal, präfrontal
Bilateral
Prosodieverständnis
Temporal
V. a. rechts
. Tab. 26.1. Schematischer Überblick über Sprachfunktionen und primär beteiligte Hirnareale
26
Im Vergleich von Patienten und Gesunden wurde zu verschiedenen Teilbereichen des Sprachverständnisses eine reduzierte oder gar gegensätzliche Lateralisierung bei Patienten gefunden. In den folgenden Abschnitten werden die einzelnen sprachlichen Domänen und die dazugehörigen funktionellen Veränderungen bei Schizophrenie näher beschrieben. 26.3
Grundlegende Sprachverarbeitungsaspekte
26.4.1 Hören Bereits auf der einfachsten Verarbeitungsebene, beim passiven Hören von Tönen, finden sich Lateralisierungsunterschiede zwischen Patienten und Gesunden, wie mit Studien zu evozierten Potenzialen mit Magnetenzephalographie (MEG) in Kombination mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) nachgewiesen werden konnte. Die Verarbeitung von Tönen wird ausführlich in 7 Kap. 13 und 7 Kap. 14 behandelt. Da Sprachverarbeitung zum Teil im Rahmen eines Bottom-up-Prozesses stattfindet, bleibt festzuhalten, dass Störungen in der grundlegenden akustischen Reizverarbeitung zu einem suboptimalen Input für die nächsthöheren Verarbeitungsstufen führen und dass daraus additive Dysfunktionalitäten resultieren können.
Strukturelle Veränderungen 26.4.2 Sprachdiskrimination
! Die zerebrale Volumenasymmetrie sprachrelevanter Areale ist bei Schizophrenie im Planum temporale, im superioren temporalen Gyrus und im parahippocampalen und fusiformen Gyrus verringert.
Die zerebrale Asymmetrie ist bei Schizophrenie nicht nur funktionell sondern auch strukturell gestört. So fanden sich sowohl in Post-mortem-Studien als auch in strukturellen MRT-Studien vier
! Sprache aktiviert linksseitig den superioren und bilateral den mittleren temporalen Gyrus stärker als nichtsprachliche Geräusche. Bei Schizophrenie ist diese Differenzierungsleistung eher rechtslateralisiert.
Eine sehr frühe Stufe der Sprachverarbeitung ist die Differenzierung, ob es sich bei den gehörten Geräuschen um Sprache oder
335 26.4 · Grundlegende Sprachverarbeitungsaspekte
um nichtsprachliches Tonmaterial handelt. Bei Gesunden führt das Hören von menschlicher Sprache, verglichen mit nichtsprachlichen Lauten, zu einer erhöhten Aktivierung im linken posterioren superioren temporalen Gyrus (STG) und bilateral im mittleren temporalen Gyrus (MTG). Ngan et al. (2003) verwendeten ein sog. Oddball-Paradigma, um herauszufinden, ob diese Lateralisierung bei Patienten mit Schizophrenie verändert ist. In einem Oddball-Paradigma werden kontinuierlich kurze, unveränderte Hintergrundgeräusche (z.B. Piepen) präsentiert, die manchmal durch Zielreize ersetzt werden, auf die reagiert werden muss. In diesem Falle bestanden die Zielreize entweder aus einem einsilbigen Nonsenswort (z. B. /lif/) oder aus komplexen Sinuskurven (Nichtsprachliche Geräusche). Auf Verhaltensebene zeigte sich, dass Patienten, verglichen mit Gesunden, mehr Fehler machten und auch langsamer reagierten. Auf hirnfunktioneller Ebene zeigte sich im Vergleich zwischen Sprach- und NichtSprach-Bedingung bei Patienten mit Schizophrenie im STG und MTG eine nach rechts verschobene Lateralisierung. Auch die erhöhte Aktivierung in der linken temporoparietookzipitalen Übergangsregion (Gyrus angularis) zeigte, dass die Patienten stärker als Gesunde Verarbeitungsareale aktivierten, von denen man weiß, dass sie für die Verarbeitung von Semantik zuständig sind (. Abb. 26.2). Dies ist erstaunlich, da die Stimuli aus Nonsenswörtern bestanden, die keine semantische Aktivierung erfor. Abb. 26.2. Areale, die nach Ngan et al. (2003) bei der Verarbeitung von sprachlichen gegenüber nichtsprachlichen Stimuli bei Schizophreniepatienten stärker aktiviert sind als bei Gesunden (grün=linke temporoparietale Übergangsregion; blau=linker medialer Frontalkortex; gelb=rechter STG/MTG) (7 Farbtafeln, S. 663)
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derten. Dieser Vorgang könnte eine gesteigerte Aktivierungsausbreitung (»spreading of semantic activation«; vgl. 7 Kap. 34) widerspiegeln, die möglicherweise einen Kompensationsmechanismus für eine Dysfunktion im linken STG darstellt. 26.4.3 Phonem-Erkennung Eine weitere frühe Sprachverarbeitungsleistung bildet die Phonem-Erkennung, d. h. das Unterscheiden der kleinsten bedeutungsunterscheidenden Laute. Dies kann z. B. mittels EEG bzw. MEG als Mismatch-Negativität (MMN) untersucht werden, eine EKP-Komponente, die auftritt, wenn in einer Reihe gleichartiger auditorischer Standardreize (z. B. /a/) ein seltener abweichender Stimulus (z.B. /o/) dargeboten wird. Unabhängig von der Aufmerksamkeit tritt diese Negativierung auf, wenn über einen Vergleichsprozess ein Unterschied zwischen dem gespeicherten, häufigen und dem seltenen Reiz festgestellt wird. Die MMN gilt als präattentiver, d. h. automatischer Mechanismus der Kategorisierung (7 Kap. 14). Kasai et al. (2003b) konnten auf dieser niedrigen Verarbeitungsebene Dysfunktionen bei Patienten mit Schizophrenie nachweisen. Es wurde zwar keine veränderte Lateralisierung gefunden, Patienten zeigten aber eine weniger stark ausgeprägte
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Kapitel 26 · Sprachverständnis – Bildgebung
Mismatch-Negativierung im bilateralen auditorischen Kortex als Gesunde. Es wird diskutiert, dass strukturelle Veränderungen im Sinne einer Volumenminderung im STG den Dysfunktionen auf dieser fundamentalen Sprachverarbeitungsebene zugrunde liegen. Ebenso könnte eine mangelhafte NMDA-abhängige Inhibition der GABA-Neuronen zu einer Enthemmung glutamaterger und cholinerger Pfade führen, was zu einer verminderten MMN-Amplitude und Lateralisierungsunterschieden führt. 26.4.4 Audiovisuelle Sprachverarbeitung
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Gewöhnlich hören wir Sprache nicht nur (unimodal), sondern sehen sie auch in Form von Artikulationsbewegungen des Mundes (bimodal). Schon rein visuelle Artikulationsbewegungen regen ohne gleichzeitig präsentierte Laute die auditiven Sprachverarbeitungsareale im STG an. Hier findet demnach eine Integration von auditorischen und visuellen Inputs statt, was auch durch den sog. McGurk-Effekt belegt wird: Zwei unterschiedliche Laute (visuell /ga/ und auditiv /ba/) werden bei gleichzeitiger Präsentation als ein dritter Laut (/da/) wahrgenommen. Diese Integration scheint bei Schizophreniepatienten nicht verändert zu sein (vgl. Surguladze et al. 2001). Allerdings findet sich bei Patienten, die von den Lippen ablesen sollen, eine reduzierte Aktivität in denselben Arealen, die auch bei Gesunden durch diese Aufgabe aktiviert werden (Surguladze et al. 2001). Diese Dysfunktionen im auditorischen Kortex, in den Assoziationskortizes, in inferior frontalen und posterior temporalen Regionen können scheinbar auf Verhaltensebene ausgeglichen werden, solange Sprache sowohl aus dem auditorischen als auch aus dem visuellen Kanal extrahiert werden kann. In Situationen, in denen nur unimodale Informationen zur Verfügung stehen, führen diese Minderaktivierungen aber zu Verhaltensdefiziten. Bemerkenswert ist, dass bei Patienten im Gegensatz zu Gesunden in solchen unimodalen Situationen dennoch polysensorische Areale aktiviert wurden (frontal-insulostriatal, temporal, frontal, insulostriatal). Dies reflektiert möglicherweise abweichende Verarbeitungsstrategien, die zu paranoiden Symptomen und Halluzinationen führen können. 26.5
Sprachverarbeitung auf Wortebene
! Die Bedeutung von Wörtern wird in einem ausgedehnten Netzwerk der Assoziationskortizes in der linken und rechten Hemisphäre verarbeitet. Dieses Netzwerk ist bei Schizophrenie gestört, was zu mangelhafter Semantikverarbeitung führt.
Die semantische Verarbeitung von Sprache bezieht sich auf die Bedeutung und den Inhalt sprachlicher Ausdrucksformen sowie deren Beziehungen zu den bezeichneten Gegenständen und Tatsachen. Die Bedeutung von Wörtern ist in sog. semantischen
Netzwerken (7 Kap. 25) gespeichert und verknüpft. Auf neuronaler Ebene sind diese Netzwerke über weite Teile des Kortex ausgebreitet. Vor allem im linken posterioren superioren Temporallappen, aber auch im linken mittleren und inferioren Gyrus temporalis, der linken inferioren Parietalregion und der linken superioren Präfrontalregion wurden Korrelate semantischer Verarbeitung gefunden. Von dieser Linkslateralisierung wird angenommen, dass sie bei Patienten mit Schizophrenie nicht so stark ausgeprägt oder gar umgekehrt ist. Wenn die funktionelle Integrität von Hirnregionen untersucht werden soll, ist es wichtig, die Paradigmen so zu wählen, dass die Aufgabe von Patienten ebenso gut wie von Gesunden bewältigt werden kann. Ein solches Verfahren stellt der Vergleich von Wörtern dar. In einer fMRT-Studie von Tendolkar et al. (2004) sollten Probanden beurteilen, ob zwei gezeigte Wörter Synonyme waren (semantische Verarbeitung) bzw. ob zwei gezeigte Buchstabenfolgen identisch waren (perzeptuelle Verarbeitung). Der Vergleich beider Aufgaben zeigt Areale, die für die semantische Verarbeitung benötigt werden: vorwiegend linkshemisphärische Aktivierungen in temporoparietalen und frontalen Regionen sowie Bereiche im retrosplenialen Kortex und im posterioren Zingulum (RS-PCC). Bei Patienten waren v. a. die Aktivierungen im RS-PCC und im linken dorsolateralen präfrontalen (DLPFC) und orbitofrontalen Kortex schwächer als bei Gesunden. Die RS-PCC-Region wird mit verbalem Gedächtnis und der DLPFC mit dem Arbeitsgedächtnis und dem Zugriff auf das semantische Lexikon in Verbindung gebracht; diese kognitiven Funktionen sind bei Schizophrenie beeinträchtigt.
Organisation des semantischen Netzwerks: »Semantic Priming« Vom semantischen Lexikon nimmt man an, dass es in Form eines Netzwerks organisiert ist. Die Struktur dieser semantischen Netzwerke wird zumeist mit semantischen Primingparadigmen untersucht (7 Exkurs in Kap. 25.2.1). Bei Primingstudien wird durch einen Reiz (Prime) die Verarbeitung eines Zielreizes (Target), auf den reagiert werden muss, beeinflusst. Je nachdem, ob die beiden Reize in einem Zusammenhang stehen (»Stuhl«-»Tisch«) oder nicht (»Stuhl«-»Auto«), ergeben sich kürzere (Priming-Effekt) oder längere Reaktionszeiten, aus denen auf die Verarbeitung der beiden Reize geschlossen werden kann. Anhand dieser Verhaltensstudien wurde nachgewiesen, dass Patienten mit Schizophrenie und FDS ein Hyperpriming (schnellere Reaktionszeit als Gesunde) aufweisen, wenn Prime und Target indirekt verbunden sind und ein kurzer Zeitraum zwischen Prime und Target verwendet wird (»stimulus onset asynchrony«, SOA, bis ca. 300 ms). Die meisten bildgebenden Studien zum semantischen Priming verwenden ereigniskorrelierte Potenziale; es gibt hierzu nur wenige fMRT-Studien. Im EEG können Primingeffekte durch Veränderung der N400-Welle (. Abb. 26.3) untersucht werden. Deren Amplitude vergrößert sich, wenn eine Wahrnehmungserwartung verletzt wird. Eine solche Erwartungsverletzung liegt vor, wenn das Targetwort nicht zum Prime passt, d. h. die beiden
337 26.5 · Sprachverarbeitung auf Wortebene
a
b
26
c
. Abb. 26.3a–c. Beispiele für ereigniskorrelierte Potenziale bei verschiedenen semantischen und syntaktischen Regelverletzungen nach Friederici (2002): a N400 etwa 400 ms nach semantischen Verletzungen,
b »early left-anterior negativity« (ELAN) etwa 100 ms nach Wortkategorieverletzungen und c P600 etwa 600–1000 ms nach semantischen und syntaktischen Verletzungen
Wörter semantisch nicht relatiert sind. Bei relatierten Wörtern tritt wegen des Zusammenhanges keine N400 auf. Der Primingeffekt auf die N400 besteht in der Subtraktion der Amplituden von unrelatierten minus relatierten Begriffen. Die bisher vorliegenden Studien zur N400 bei Einzelwortprimingexperimenten zeigen, dass geringfügige Modifikationen im Versuchsaufbau (direkte oder indirekte Relation zwischen verwendeten Begriffen, zeitlicher Abstand zwischen Prime und Target, aktive oder passive Aufgaben, Auswahl der Probanden) zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Unterschiede zwischen Gesunden und Patienten finden sich v. a. bei direktem Priming mit kurzen SOA (<350 ms) und bei Patienten mit FDS. In diesem Fall weisen Patienten einen deutlich geringeren N400-Effekt als Gesunde auf, d. h. die N400-Amplituden auf relatierte vs. nicht relatierte Begriffe unterscheiden sich nicht. Je ausgeprägter die FDS von Patienten sind, desto schwächer fällt der N400-Effekt bei ihnen aus (Kostova et al. 2005). In fMRT-Studien werden Effekte direkten Primings sichtbar in Form einer temporalen und inferior-parietalen Reduktion der hämodynamischen Funktion (»HRF-suppression«) infolge geprimter Targets im Gegensatz zu ungeprimten Targets. Dies wird als Konsequenz des Primings angesehen, d. h. dass zur Verarbeitung geprimter Reize geringere neuronale Aktivität erforderlich ist. Bei Patienten mit Schizophrenie zeigt sich hingegen in den genannten Arealen eine gesteigerte Stoffwechselaktivität (»HRF-enhancement«) (Kuperberg et al. in press). Direkt relatierte Begriffe wie »Tiger«-»Streifen« aktivierten v. a. den inferioren präfrontalen Gyrus stärker als bei Gesunden. Indirekt relatierte Begriffe, die über einen dritten Begriff verbunden sind, der sowohl zum Prime als auch zum Target in starker Assoziation steht (»Löwe«-[Tiger]-»Streifen«), aktivierten hingegen temporale Areale. Man geht davon aus, dass dem Priming zwei verschiedene Prozessen folgen: ein initiales Ansteigen der neuronalen Aktivität, gefolgt von einer späteren Unterdrückung der neuro-
nalen Antwort. Die Befunde bei Patienten werden daher so interpretiert, dass bei ihnen die erste Phase zu stark ist oder zu lange anhält und dadurch die spätere Reduktionsphase überlagert wird. Dass das temporale »HRF-enhancement« auf indirekt verbundene Begriffe in starkem Zusammenhang zu FDS stand, stützt die Hypothese, dass FDS zu gesteigerter Aktivierungsausbreitung (Phase 1) führt. Insgesamt wird deutlich, dass bei Patienten mit FDS eine Hyperaktivierung des semantischen Netzwerkes vorliegt.
Verbales Gedächtnis Um neu eintreffende semantische Information verarbeiten zu können, wird auf jene Netzwerke zugegriffen, in denen das semantische Lexikon gespeichert ist. Dies ist sehr eng verwandt mit dem Konzept des verbalen semantischen Gedächtnisses. Sehr viele Verhaltensstudien an Patienten mit Schizophrenie haben gezeigt, dass eine der am meisten beeinträchtigten neuropsychologischen Domänen das verbale Gedächtnis ist (7 Kap. 21 u. 22). Inwiefern der Zugriff (»access«), aber auch das Lexikon selbst (»storage«) bei Schizophrenie intakt sind, wird im Folgenden dargestellt. Kognitive Aufgaben zum verbalen Gedächtnis involvieren mediale temporale Regionen sowie laterale und mediale präfrontale Kortexareale. In diesen Regionen finden sich bei Patienten mit Schizophrenie vermehrt neuropathologische Auffälligkeiten, sodass diese vermutlich den Dysfunktionen im verbalen Gedächtnis zugrunde liegen. Im verbalen Gedächtnis spielt die semantische Organisation eine zentrale Rolle. Die Theorie der »Levels of Processing« besagt, dass Stimulusinformation auf mehreren Ebenen gleichzeitig verarbeitet wird, je nachdem, welche Eigenschaften der Reiz aufweist. Zahlreiche Studien konnten zeigen, dass die Stärke der Gedächtnisspur zunimmt, wenn nicht nur oberflächlich verarbeitet wird, sondern wenn ein elaborativer semantisch-assoziativer Pro-
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26
Kapitel 26 · Sprachverständnis – Bildgebung
zess stattfindet. Wörter werden beispielsweise tiefer verarbeitet, wenn sie starke visuelle Bilder enthalten oder viele Assoziationen zu bestehendem Wissen existieren. Um die kortikalen Netzwerke dieser Prozesse sichtbar zu machen, förderten Kubicki et al. (2003) in einer fMRT-Studie die semantische Verarbeitung visuell dargebotener Wörter, indem sie die Probanden beurteilen ließen, ob das dargebotene Wort abstrakt oder konkret war. Eine oberflächliche Enkodierung sollte durch die Beurteilung erreicht werden, ob das Wort in Groß- oder Kleinbuchstaben geschrieben ist. Bei Gesunden war der linke inferiore präfrontale Kortex (LIFC) bei semantischer Enkodierung stärker aktiviert als bei oberflächlicher Enkodierung, bei Patienten hingegen waren die Aktivierungen in den beiden Versuchsbedingungen sehr ähnlich. In der semantisch zu enkodierenden Bedingung zeigte sich tendenziell sogar eine eher reduzierte Aktivierung im LIFC, was als mangelnde exekutive Kontrolle über lexikalisches Material zu werten ist. Zudem lag bei den Patienten eine gesteigerte Aktivität im linken STG vor, was die Hyperaktivierung semantischer Repräsentationen widerspiegelt (. Abb. 26.4). Diese Studie zeigte, dass bei Patienten das frontotemporale Netzwerk für die Repräsentation und Verarbeitung von Semantik gestört war, obwohl sich Patienten und Gesunde in ihren Erinnerungsleistungen nicht unterschieden. Auch Ragland et al. (2005) stellten fest, dass die semantischen Verarbeitungsfähigkeiten bei Schizophreniepatienten intakt genug sind, um von Hinweisen zu profitieren, wie Informationen organisiert werden können. Beim Gebrauch effizienterer Strategien ist der linke präfrontale Kortex bei Patienten genauso stark aktiviert wie bei Gesunden, allerdings finden sich bei Patienten stärkere Aktivierungen als bei Gesunden im Thalamus, Hippocampus und lingualen Gyrus, was residuale Leistungsschwächen widerspiegelt. Die semantischen Defizite bei Schizophrenie beruhen, so die Schlussfolgerung, nicht auf Problemen im Zugriff auf Material, sondern eher auf Problemen bei der Organisation von Information. Der Vorteil der tieferen semantischen Enkodierung wird auch deutlich in einem erfolgreicheren Abruf von Wortlisten,
a . Abb. 26.4a,b. Semantische versus nichtsemantische Enkodierung (nach Kubicki et al. 2003). a Regionen, die bei Gesunden stärker aktiviert
deren Begriffe in semantischem Zusammenhang stehen und dadurch kategorisiert werden können. Diese Strategie wird von Patienten mit Schizophrenie nicht spontan angewendet, sie lernen die einzelnen Begriffe einer Liste lieber seriell (Hazlett et al. 2000) und weisen dabei eine reduzierte frontale und erhöhte temporale Aktivität auf. Linksseitig verminderte präfrontale Aktivierungen bei Wortenkodierungs- und -abrufaufgaben wurden wiederholt gefunden, Ragland et al. (2004) fanden in der Enkodierungsphase jedoch bilaterale präfrontale Minderaktivierungen ebenso wie eine verstärkte parahippocampale Aktivität. Da keine Reduktion im Broca-Areal gemessen wurde, kann ein dysfunktionales verbales Kurzzeitgedächtnis als möglicher Erklärungsansatz ausgeschlossen werden. Auch der episodische Abruf schien nicht beeinträchtigt zu sein, da bei der Wiedererkennungsaufgabe Schizophreniepatienten im rechten anterioren präfrontalen Kortex die gleichen Aktivierungsmuster aufwiesen wie Gesunde. Allerdings war die Aktivität im dorsolateralen Anteil des linken präfrontalen Kortex, verglichen mit Gesunden, verringert. Beim Abruf der zuvor gelernten Begriffe wurde bei Patienten mit Schizophrenie rechts präfrontal eine geringere Aktivierung gemessen, orbitofrontal dagegen eine stärkere. Dies kann als größere Anstrengung im Vergleich mit Gesunden interpretiert werden. Bei Patienten waren Aktivierungen in temporolimbischen Bereichen immer stärker ausgeprägt als bei Gesunden, was als Störung der funktionalen Konnektivität zwischen präfontalen und temporal-limbischen Arealen interpretiert wurde. Die Hyperaktivierung temporaler Regionen beim Abruf entspricht einer Überelaborierung von Begriffen. Ob diese Elaborierung ein Temporallappen-Problem ist oder eher durch mangelnde kognitive Kontrolle aus dem LIFC entsteht, ist noch fraglich.
Fazit: Dyskonnektion der sprachverarbeitenden Areale Die semantischen Defizite von Schizophreniepatienten sind mit veränderten Aktivierungen v. a. im linken lateralen präfrontalen
b waren als bei Schizophreniepatienten. b Regionen, die bei Schizophreniepatienten stärker aktiviert waren als bei Gesunden (7 Farbtafeln, S. 664)
339 26.6 · Sprachverarbeitung auf Satzebene
sowie in den lateralen und medialen temporalen Kortizes (bilateral) verbunden. Da die lexikosemantische Sprachverarbeitung in mehreren über weite Teile des Kortex verteilten Arealen stattfindet, ist anzunehmen, dass diesem Problem sowohl lokale Pathologie als auch eine Störung des funktionellen Netzwerkes zugrunde liegt. Insbesondere handelt es sich auf konzeptueller Ebene um eine gestörte Organisation des semantischen Lexikons (verbales semantisches Gedächtnis), nachgewiesen durch Hyperpriming, sowie um Kontextverarbeitungs- und Assoziationsstörungen. Erschwerend kommen Probleme bei der Abspeicherung und beim Zugriff auf das Lexikon hinzu, die aber die gestörte Verhaltensleistung alleine nicht vollständig erklären können. 26.6
Sprachverarbeitung auf Satzebene
Untersuchungen auf Wortebene stellen eine sehr fragmentierte Herangehensweise dar, da im Alltag kaum Einzelwörter, sondern Sätze oder noch größere Kontexte zu verarbeiten sind. Der folgende Abschnitt stellt daher Verarbeitungsstufen vor, die aus der Interaktion mehrerer Wörter resultieren; sie werden in Experimenten untersucht, die eine realitätsnähere Herangehensweise als Einzelwort-Studien darstellen. 26.6.1 Syntax ! Syntax wird v. a. im linken lateralen inferioren Frontalkortex verarbeitet. Bei Schizophrenie treten Syntaxverarbeitungsdefizite erst in späten Verarbeitungsphasen auf.
Für die Integration von einzelnen Wörtern in Sätze spielt neben der Bedeutung der einzelnen Wörter eines Satzes auch ihre Reihenfolge beim Verarbeiten und Verstehen des Gehörten oder Gelesenen eine Rolle. Vor allem aus Studien mit Aphasiepatienten weiß man, dass Syntax in mehreren Arealen verarbeitet wird, v. a. aber in der linken inferior-frontalen Region. Im dortigen posterioren inferior-frontalen Gyrus laufen die Informationen aus anderen syntaxverarbeitenden Arealen zusammen. Elektrophysiologische Studien legen nahe, dass syntaktische Prozesse relativ unabhängig von semantischen Analysen sind, da grammatische Unregelmäßigkeiten eine positive Komponente P600 auslösen und nicht wie semantische Fehler eine negative Welle N400. Je nachdem, an welcher Stelle im Satz die syntaktische Regelwidrigkeit gegeben ist, bilden EKP (ereigniskorrelierte Potenziale) unterschiedliche syntaktische Prozesse ab: Zum einen rufen frühe morphosyntaktische Verletzungen (Verbform etc.) eine frühe links-anteriore Negativierung hervor (»early left anterior negativity«, ELAN), zum anderen werden syntaktischsemantische Integrations- und Korrekturprozesse in der eher zentral auftretenden P600 reflektiert (. Abb. 26.3). Im Gegensatz zu den semantischen Defiziten bei Schizophreniepatienten wurden syntaktische Verständnisschwierigkeiten bis-
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her erst wenig untersucht. Ruchsow et al. (2003) zeigten ihren Probanden korrekte Sätze sowie Sätze mit semantischen bzw. syntaktischen Fehlern und leiteten EKP ab. Im Gegensatz zu bereits zitierten Studien fanden sie normal ausgeprägte N400-Wellen bei Schizophreniepatienten, was daran liegen kann, dass keine chronisch Erkrankten untersucht wurden. Die syntaktische Verarbeitung schien bei den Patienten in den frühen Stufen, die die ELAN widerspiegelt, intakt zu sein, d. h. Patienten strukturierten die Syntax wie Gesunde. Erst auf höheren Verarbeitungsebenen, nämlich der Integration in zusammenhängende Repräsentationen, wurden Defizite bei Schizophrenie deutlich, da die P600 nur bei Gesunden gefunden wurde. Auch Kuperberg et al. (2006) fanden das gleiche EKP-Muster in einer ähnlichen Studie, was nahelegt, dass bei Schizophreniepatienten die Satzverarbeitung nicht durch Verarbeitung der Syntax, sondern nur durch semantische Zusammenhänge zwischen Einzelworten zustande kommt. Diese Dysfunktion auf hohem Level ist möglicherweise bedingt durch eine essenzielle Beeinträchtigung der Archivierung und durch Dysfunktionen im exekutiven Subsystem des Arbeitsgedächtnisses. 26.6.2 Kontextverarbeitung ! Die Generierung eines Kontextes findet insbesondere im Zusammenspiel von linkem und rechten Temporallappen sowie dem linken lateralen präfrontalen Kortex statt. Bei Schizophreniepatienten sind diese Regionen dysaktiviert, was zu kontextinadäquaten Interpretationen (z. B. Konkretismus) führt.
Bei der Satzverarbeitung spielt nicht nur die Reihenfolge der Worte eine Rolle, vielmehr müssen deren Bedeutungen verarbeitet und zueinander in Verbindung gesetzt werden. Hierfür sind Integrations- und Arbeitsgedächtnisprozesse notwendig. Kontextverarbeitung kann auf verschiedenen Ebenen untersucht werden: Für einen Kontext sind mindestens zwei Wörter notwendig, die zueinander in Beziehung gesetzt werden müssen, so in den bereits zitierten Einzelwort-Primingstudien, wo ein »MiniKontext« hergestellt wird. Weiterhin muss dies auf Satz- und Mehr-Satz-Ebene (Makroproposition) erfolgen. Bei den MiniKontexten in Primingstudien mit lexikalischen Entscheidungsaufgaben finden sich bei Patienten mit Schizophrenie, verglichen mit Gesunden, längere Reaktionszeiten und Latenzen für die N400. Die Verarbeitung semantischer Informationen erfolgt demnach bei Schizophreniepatienten schon bei geringer Informationsenge nur verzögert. Wenn die Einzelworte eines ganzen Satzes zueinander in Beziehung gesetzt werden, wird mit zunehmender Vollständigkeit eines Satzes seine Bedeutung klarer. Somit werden Erwartungen generiert, welches Wort am Ende des Satzes am wahrscheinlichsten auftreten wird (»cloze probability«). Indem man das Satzende hochwahrscheinlich versus niedrigwahrscheinlich gestaltet (»Ich trank meinen Kaffee mit Milch und Zucker/Socken.«) und die N400 am Satzende untersucht , kann man erkennen, wie gut Pro-
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Kapitel 26 · Sprachverständnis – Bildgebung
Exkurs Die N400 als Kontext-Generator
26
Die N400 ist eine negative EKP-Komponente, die etwa 400 ms nach einem Stimulus auftritt und die kognitiven Prozesse abbildet, mit Hilfe derer die Wortbedeutung in einen größeren kontextuellen Rahmen eingebettet wird. Der Kontext kann dabei aus nur einem Wort, einem Satz oder einem längeren Diskurs bestehen. Die Größe der N400 wird interpretiert als die mentale Anstrengung, die für den Integrationsprozess nötig ist, oder auch als Suche im mentalen Lexikon. Ein nicht in den Kontext passender Stimulus ruft eine größere N400 hervor als ein kongruenter Reiz. Übereinstimmend werden bei Schizophrenie unabhängig von der Kon-
gruenz der Stimuli und unabhängig von der Darbietungsmodalität längere Latenzen und verminderte Amplituden der N400 gefunden. Die Latenz von EKP-Komponenten gibt Aufschluss über die Geschwindigkeit der zugrunde liegenden kognitiven Prozesse, die demnach bei Schizophrenie langsamer ablaufen als bei Gesunden. Die längere Latenz bietet aber auch einen Erklärungsansatz für mangelhafte Kontextverarbeitung. Denn aufgrund der reduzierten Verarbeitungsgeschwindigkeit wird der Informationsfluss durcheinandergebracht bzw. er interferiert mit den vorausgehenden Stimuli, die erst noch verarbeitet werden müssen.
Die P300 Eine weitere EKP-Komponente, die mit der Kontextverarbeitung in Zusammenhang gebracht wird, ist die P300-Welle. Sie wird ausgelöst, wenn eine Erwartung – in Form eines falschen Reizes oder eines ausbleibenden Stimulus – nicht eintrifft. Der Positivierung geht also ein unbewusster Vergleich zwischen gespeichertem Reizmodell und dem tatsächlichen Reiz voraus. Auch im Rahmen eines Satzes kann eine P300 auftreten, wenn beispielsweise ein Wort nicht dem kontextuell erwarteten Begriff entspricht. Die P300-Komponente fällt bei Erkrankten geringer aus als bei Gesunden. Aus psychologischer Sicht entspringt die verringerte Amplitude einer limitierten Ressourcenkapazität, die der Aufgabe zuge-
banden in der Lage sind, aus dem Kontext die richtigen Schlüsse zu ziehen (»Cloze«-Technik). Klassische Primingstudien wie die bereits zitierten mit nur einem Kontextwort (»Stuhl«-»Tisch«) ermöglichen diese Erwartungsgenerierung hingegen nicht; sie sind lediglich Ausdruck eines postlexikalischen Integrationsprozesses. Kostova et al. (2003) verglichen die N400-Amplituden in einer klassischen Priming- und in einer Cloze-Technik-Aufgabe und fanden, dass Patienten mithilfe des Satzkontextes gleiche N400-Unterschiede auf hoch- versus niedrigwahrscheinliche Satzenden zeigten wie Gesunde. Bei der einfachen Primingaufgabe hingegen zeigte sich der Primingeffekt nur bei gesunden Probanden. Schizophreniepatienten sind demnach in der Lage, aus dem Kontext Erwartungen bezüglich hochwahrscheinlicher Satzfortsetzungen zu generieren. Defizite zeigen sich dann, wenn die Aufgabe erfordert, dass Stimuli in einen im Arbeitsgedächtnis gespeicherten Kontext (Prime) integriert werden. Dieses Defizit wiederum kann seinerseits mehrere Ursachen haben, etwa weil keine effiziente Enkodierung erfolgt (7 Abschn. 26.5.1 zum verbalen Gedächtnis), weil kein erfolgreicher Umgang mit den Arbeitsgedächtnisinhalten möglich ist oder weil nicht genügend Aufmerksamkeitsressourcen zur Verfügung stehen. Der Großteil der Studien zu Wort- und Satzverarbeitung bei Schizophrenie basiert auf der visuellen Modalität. Inwiefern die
wendet werden kann, da sich die Amplitudendifferenz zu Gesunden durch Anstrengung verringern lässt. Neuroanatomisch korreliert die P300 mit frontalen und temporalen Volumenminderungen. Auch der Krankheitsverlauf scheint eine Rolle zu spielen, da die Amplitudenverringerung in psychotischen Phasen stärker ausfällt als bei weniger akuten Zuständen. Mit zunehmender Krankheitsdauer vermindert sich die Amplitude weiter, und die Latenz steigt an. Die P300 wird als ein »Trait«-Merkmal gesehen, d. h. sie ist sowohl in kranken als auch in remittierten Phasen nachweisbar.
bisher dargestellten Satzverarbeitungsdefizite modalitätsspezifisch sind, untersuchten Niznikiewicz et al. (1997) in einer EKPStudie, in der Sätze sukzessive entweder auditiv oder visuell dargeboten wurden. Das letzte Wort eines Satzes war dabei entweder zum vorhergehenden Kontext kongruent oder nicht. Bei Patienten mit Schizophrenie waren unabhängig von Modalität und Kontextpassung die Latenzen der N400 länger und ihre Amplituden negativer als bei Gesunden. Auch in dieser Studie wurden keine defizitären frühen, sensorischen Prozesse gefunden, da die N100- sowie die P200-Komponenten bei Gesunden und Patienten keine gravierenden Unterschiede aufwiesen. Der bei Erkrankten defizitäre Kontextintegrationsprozess, den die N400 abbildet, ist demnach nicht von frühen dysfunktionalen Sprachverstehensprozessen beeinflusst und bezieht sich auf ein amodales Sprachverarbeitungssystem. Zur Frage nach den neuronalen Korrelaten der Kontextverarbeitung bei Patienten in Abhängigkeit von ihrer Symptomatologie führten Kircher et al. (2001) eine Untersuchung mit fMRT durch. Sie verglichen die Hirnaktivierungen von Patienten mit und ohne FDS mit denjenigen von Gesunden. Die Aufgabe bestand darin, das fehlende letzte Wort eines visuell präsentierten Satzes zu vervollständigen bzw. in der Kontrollbedingung den kompletten Satz zu lesen. Sowohl Gesunde als auch Patienten ohne FDS aktivierten bei der Vervollständigungsaufgabe
341 26.6 · Sprachverarbeitung auf Satzebene
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entspricht. Der Nachteil bei zeitlich kurz und von der Ausbreitung her eng aktivierten Konzepten ist nun, dass nicht mehr auf diese zurückgegriffen werden kann und sie deshalb erneut aktiviert werden müssten. Da dies unökonomisch wäre, gibt es ein zweites mentales Lexikon in der rechten Hemisphäre, in dem Konzepte nicht so stark und fokussiert aktiviert werden wie links, dafür aber über einen längeren Zeitraum (»coarse semantic coding«; tionsfelder bilden, wie es für das Verständnis von Sätzen, Metaphern, Witzen, Doppeldeutigkeiten oder Anspielungen notwendig ist. Wendet man dieses Konzept auf die Befunde zur Sprachverarbeitung bei Schizophrenie an, so scheint bei FDS die Lokalisierung der beiden Lexika umgekehrt lateralisiert zu sein.
Mehrdeutigkeit
. Abb. 26.5. Hirnaktivierungen einer gesunden Kontrollgruppe sowie schizophrener Patienten mit und ohne FDS bei einer Satzvervollständigungsaufgabe: Markierte Voxel zeigen Regionen, die sowohl beim Vervollständigen stärker aktiviert sind als beim Vorlesen (vgl. Text) und die auch zwischen den jeweiligen Versuchsgruppen signifikant variieren (nach Kircher et al. 2001): a FDS-Patienten (rot) vs. Schizophreniepatienten ohne FDS (grün); b FDS-Patienten (rot) vs. Kontrollprobanden (blau); c Schizophreniepatienten ohne FDS (grün) vs. Kontrollprobanden (blau) (7 Farbtafeln, S. 664)
den rechten lateralen Temporallappen stärker als bei der Kontrollaufgabe. Bei Patienten mit FDS war diese temporale Aktivierung hingegen nach links verlagert, somit seitenverkehrt (. Abb. 26.5). Diese Minderaktivierung des rechten Temporallappens bei der freien Wortgeneration kann nicht durch andere Komponenten des Satzvervollständigungsprozesses erklärt werden, da es keine Gruppenunterschiede in diesem Areal gab, wenn das letzte Wort aus zwei Vorgaben gewählt oder nur abgelesen werden sollte. Man weiß inzwischen, dass Sprachverstehensprozesse auf zwei mentale Lexika zugreifen: eines in der linken Hemisphäre (das »Hauptlexikon«) und eines in der rechten Hemisphäre (ein »Hilfslexikon«). Diese beiden unterscheiden sich im Grad der voreingestellten Aktivierungsausbreitung im Netzwerk. In der linken Hemisphäre ist das Zielkonzept stark und fokussiert aktiviert, allerdings nur für kurze Zeit. Dies hat den Vorteil, dass klare Zielbegriffe vorliegen und fokussierte Konzepte schnell und effektiv verarbeitet werden können (»fine semantic coding«; Beeman et al. 1994). Da wir beim Hören oder Lesen eines Satzes automatisch mögliche Satzenden generieren, kann es vorkommen, dass eine Aktivierung revidiert werden muss, wenn der Satzinhalt nicht der automatisch aktivierten Bedeutung
Ein weiteres Mittel zur Untersuchung des Kontextverständnisses sind Homographe. Als Homographe bezeichnet man gleich geschriebene Wörter, die verschiedene Bedeutungen haben, z. B. »Ball« (Spielzeug vs. Tanzveranstaltung). Dominante Bedeutungen eines Wortes sind solche, die häufiger gebraucht werden als andere; dies macht Homographe zu einem nützlichen Untersuchungsinstrument in der Sprachforschung. Denn ein und dasselbe Wort kann in unterschiedlichen Zusammenhängen mit denselben umgebenden Wörtern stehen, je nachdem, welche Bedeutung gewählt wird. Die Entscheidung für eine Bedeutung muss anhand des Kontextes getroffen werden, d. h. aus dem Kontext kann die Wahrscheinlichkeit für die Aktivierung bestimmter semantischer Netzwerkknoten abgeleitet werden. Somit können mit Homographen Assoziationsprinzipien des semantischen Lexikons untersucht werden. Bei Patienten mit Schizophrenie hat man beobachtet, dass sie bei Homographen die dominante Bedeutung stark bevorzugen und auch nicht in der Lage sind, den zur unüblicheren Bedeutung gehörenden Kontext für die Wahl der korrekten Bedeutung zu nutzen. Zeigt man Patienten einfach strukturierte Sätze, in denen das Subjekt ein Homograph ist, dessen Bedeutung sich aus dem Kontext ergibt, und misst die N400 am Satzende, so kann man aus dem Vergleich der Amplituden auf dominante, untergeordnete und Nomen mit nur einer Bedeutung ersehen, welche Erklärung für das schizophrenietypische Antwortverhalten am ehesten zutrifft. Tatsächlich zeigten Schizophreniepatienten bei allen Satzenden größere Amplituden als Gesunde, d. h. sie hatten unabhängig vom Inhalt generell Probleme, den Kontext bis zum Satzende aufrechtzuerhalten. Vor allem bei Patienten mit FDS war außerdem die N400 tendenziell am stärksten ausgeprägt, wenn sich das Satzende auf die nichtdominante Bedeutung des Homographs bezog (Salisbury et al. 2000). Patienten »erwarteten« demnach die dominante Bedeutung und obwohl der Kontext die andere Bedeutung nahelegte, gelang es ihnen nicht, diese Erwartung zu unterdrücken. Die Ergebnisse dieser Studie sprechen am ehesten für ein generelles Problem im verbalen Arbeitsgedächtnis, aber auch das Übergewicht der dominanten Bedeutung eines Homographs wurde bestätigt.
342
Kapitel 26 · Sprachverständnis – Bildgebung
26.7
Komplexe Aspekte der Sprachverarbeitung
26.7.1 Metaphern
26
Neben mehrdeutigen Einzelwörtern wie »Ball« gibt es auch ganze Ausdrücke, die nicht wörtlich zu verstehen sind, und die dadurch eine noch größere Herausforderung an die Verarbeitung stellen. Idiome wie »auf dem Holzweg sein« sind Redewendungen, die aus Wortverbindungen bestehen, deren Gesamtbedeutung nicht direkt aus der Bedeutung der Einzelelemente abgeleitet werden kann. Wörtlich bleiben Idiome häufig unverständlich. Metaphern hingegen sind sprachliche Ausdrücke, bei denen ein Wort zwar nicht in seiner wörtlichen, sondern in einer übertragenen Bedeutung gebraucht wird, aber so, dass zwischen dem wörtlich Bezeichneten und dem Gemeinten eine Beziehung der Ähnlichkeit besteht (z. B. bedeutet die »Mauer des Schweigens« ein »ablehnendes Schweigen«). Gesunde haben mit der Interpretation von Idiomen und Sprichwörtern in der Regel keine Probleme, allerdings steigt mit der Bekanntheit einer solchen Wendung auch bei ihnen die Wahrscheinlichkeit einer korrekten Interpretation. Patienten mit Schizophrenie hingegen neigen bei ihren Interpretationen zu Konkretismus, d. h. sie produzieren wörtliche Auslegungen. Konkretismus korreliert schwach mit dem Intelligenzniveau sowie mit exekutiven Funktionen (z. B. Problemlösen, Planen), Aufmerksamkeit und Gedächtnis. Diese Defizite bei Patienten erklären aber nicht vollständig die Neigung zum Konkretismus, weshalb insbesondere semantisch-konzeptuelle und pragmatische Defizite hierfür verantwortlich gemacht werden. Vor allem bizarre Interpretationen korrelieren mit positiven FDS bei Patienten (7 Kap. 35). Mittels elektrophysiologischer Methoden und fMRT lassen sich Korrelate von Konkretismus zeigen. In einer EKP-Studie zeigten Schizophreniepatienten bei aus zwei Wörtern bestehenden Idiomen und auch bei wörtlichen Aussagen größere N400Amplituden als Gesunde, nicht aber bei Phrasen, die keinen Sinn gaben (Strandburg et al. 1997). Dies legt nahe, dass der Einfluss des linguistischen Kontextes, den das erste der beiden Wörter offeriert, bei Schizophrenie geringer ist. Denn da Idiome als Einheiten gelernt und verarbeitet werden, wird das zweite Wort aufgrund seiner hohen Auftretenswahrscheinlichkeit quasi geprimt, was bei wörtlich zu verstehenden Sätzen in geringerem Ausmaß der Fall ist und bei Nonsensphrasen gar nicht mehr möglich ist. Bei Schizophreniepatienten scheint also die Vorhersagbarkeit des zweiten Wortes eingeschränkt. In einem natürlicheren Kontext mit Metaphern in Satzform schienen Patienten dagegen kein spezifisches Defizit bezüglich der Verarbeitung figurativer Sprache zu haben, da das Muster ihrer N400-Wellen dem der Gesunden glich und lediglich negativere Amplituden und längere Latenzen aufwies (Iakimova et al. 2005). Patienten-EKP differenzierten ebenso wie diejenigen von Gesunden zwischen unsinnigen, metaphorischen und wörtlich
zu verstehenden Sätzen. Der Gegensatz zur Idiomstudie lässt sich dadurch erklären, dass Patienten semantische Strategien vielleicht effizienter nutzen können, wenn der semantische Kontext größer ist. In beiden Studien zeigt sich jedoch ein ineffizienter Kontextintegrationsprozess in Verbindung mit langsamerer semantischer Suche. Eine Reihe neuerer fMRT-Studien hat konsistent gezeigt, dass für die Verarbeitung von Metaphern nicht, wie früher angenommen, der rechte temporale Kortex entscheidend ist, sondern der linke inferiore Frontallappen, wenn metaphorische Sätze gegen wörtliche kontrastiert werden (Rapp et al. 2004). Hier erfolgt die Integration von komplexen semantischen Ausdrücken. Der Beitrag der rechten Hemisphäre wird vermutlich ausgelöst durch Faktoren wie Satzkomplexität und Salienz. In einer fMRT-Studie wurde nun untersucht, was der konkretistischen Interpretation von Metaphern bei Patienten mit Schizophrenie zugrunde liegt. Es wurden kurze metaphorische (»Die Worte des Liebhabers sind Harfenklänge«) und wörtliche (»Die Worte des Liebhabers sind Lügen«) Sätze visuell präsentiert und die Probanden mussten angeben, ob der gezeigte Satz eine positive oder eine negative Konnotation hatte (Kircher et al. 2007). Die zu erwartenden rechtstemporalen Aktivierungen fanden sich beim Lesen von Metaphern ausschließlich bei Gesunden. Bei Gesunden wie auch bei Patienten war der linke inferiore frontale Gyrus bei der Verarbeitung von Metaphern stärker aktiviert als bei wortwörtlichen Sätzen. Bei den Patienten lag dieses Areal allerdings weiter dorsal als bei den gesunden Probanden (. Abb. 26.6). Zahlreiche Studien haben bei Schizophrenie im Bereich des Frontallappens strukturelle Veränderungen gefunden, was das veränderte Aktivierungsmuster erklären könnte. Hierfür spricht auch, dass das Ausmaß an Konkretismus am stärksten mit dieser Region assoziiert war. 26.7.2 Pragmatikverständnis Unter Pragmatik wird gemeinhin die Nutzung von Weltwissen verstanden, also beispielsweise das Wissen, dass man eine Gitarre zwar theoretisch beerdigen kann, dies aber extrem unwahrscheinlich ist wie im Satz »Der Mann beerdigte die Gitarre.« Bei den schon genannten Metaphern ist für das Verständnis der übertragenen Bedeutungen solches Wissen erforderlich und auch bei Theory-of-Mind-Aufgaben werden pragmatische Fähigkeiten gefordert. 26.7.3 Fazit Neben einer Vielzahl basaler Prozesse sind zwei Komponenten für das Verstehen komplexerer Sprache entscheidend: zum einen semantisch-konzeptuelle Verarbeitungsschritte, die links lateral frontal angesiedelt sind, und zum anderen Kontextintegrationsprozesse in rechtshemisphärischen lateralen temporalen Regionen (vgl. »coarse semantic coding«). Außerdem ist der Zugriff auf
343 26.8 · Zusammenhang mit Geschlecht, Genetik, anderen Symptomen und Krankheitsverlauf
26
. Abb. 26.6. Aktivierungen bei der Verarbeitung von Metaphern im Kontrast zu wortwörtlichen Sätzen nach Kircher et al. (2007): Bei Gesunden und Patienten finden sich Signaländerungen im linken inferioren frontalen Gyrus, allerdings in verschiedenen Regionen (links: Gesunde; rechts: Patienten mit Schizophrenie) (7 Farbtafeln, S. 664)
Exkurs Prosodie Sprache kann nicht nur in Form von Semantik, Syntax oder Pragmatik erklärt werden (»was wird gesagt?«), sondern es gibt auch Bestandteile wie die Prosodie, die nicht so eindeutig verschriftet werden können (»wie wird etwas gesagt?«). Unter Prosodie wird im Allgemeinen die Veränderung derTonhöhe im Verlauf der Rede verstanden, wodurch zum einen die emotionale Bedeutung ausgedrückt wird und zum anderen mittels Betonungen, ob es sich um eine Aussage, einen Befehl oder um eine Frage handelt (z. B. ansteigende Intonation zum Satzende bei Fragen wie »Du gehst nach Hause?«). Aus EKP-Studien ist bekannt, dass Prosodie sowohl die Semantik- als auch die Syntaxverarbeitung beeinflussen kann, beispielsweise weil aus der Prosodie auf die folgende syntaktische Struktur geschlossen werden kann. Bei Gesunden werden nicht-emotionale Betonungen linkshemisphärisch verarbeitet, vermutlich da der Prozess auf lexikalische Informationen zugreift, die in der linken Hemisphäre gespeichert sind. Die Verarbeitung emotionaler Prosodie hingegen konnte rechts-temporal lokalisiert werden. Ausgehend von einer gestei-
bilaterale temporale Areale wichtig. Ist dieses Netzwerk gestört, wie dies besonders bei Patienten mit FDS der Fall ist, so kommt es zu Symptomen wie Konkretismus. 26.8
Zusammenhang mit Geschlecht, Genetik, anderen Symptomen und Krankheitsverlauf
26.8.1 Geschlechtsunterschiede Geschlechtsspezifische Unterschiede finden sich in vielen Bereichen bei Patienten mit Schizophrenie wie auch bei Gesunden. Allerdings liegen nur wenige Befunde zur Geschlechtsspezifität
gerten Aktivität des rechten MTG bei Schizophreniepatienten stellt sich die Frage, ob diese Aktivitätssteigerung bei sprachlichen Aufgaben eine Folge erhöhter Reaktivität auf Prosodie ist. Mitchell et al. (2004) präsentierten in ihrer Studie Sätze mit freudigem bzw. traurigem Inhalt, die entweder in der passenden emotionalen Intonation oder inkongruent bzw. neutral gesprochen wurden. Diese Sätze wurden auch gefiltert präsentiert, sodass die Stimme und somit der Inhalt nicht mehr verstanden werden konnten und nur noch die emotionale Prosodie überblieb. Patienten zeigten bei der Präsentation natürlicher Sprache eine Umkehrung der normalen rechtslateralisierten Temporallappenantwort auf emotionale Prosodie, nicht aber bei gefilterter Prosodie ohne Semantik. Sollte bewusst auf die Prosodie geachtet werden, war die linke Insula bei Schizophreniepatienten stärker aktiviert als bei Gesunden. Die Insula ist eine Struktur, die bei Schizophreniepatienten kleiner ist als bei Gesunden und als Teil des limbischen Systems Informationen verarbeitet, die einen emotional relevanten Kontext herstellen.
bei Sprachverarbeitung vor. Sommer et al. (2003) untersuchten sowohl Männer und Frauen mit Schizophrenie als auch Gesunde mittels einer semantischen Entscheidungsaufgabe im fMRT und fanden bei beiden Geschlechtern der Erkrankten gleichermaßen reduzierte Sprachlateralisierungen. Diese Verschiebung beruhte jeweils auf einer gesteigerten Aktivität der rechtshemisphärischen Areale, linkshemisphärische Areale waren gleichermaßen an der Verarbeitung beteiligt wie bei Gesunden. Bei Männern wie auch bei Frauen mit Schizophrenie liegt demnach, so die Autoren, eine mangelhafte Inhibierung von nichtdominanten Spracharealen vor. Man kann daher nicht sagen, dass die Geschlechtsunterschiede bei Schizophrenie auf einer Lateralisierungsminderung beruhen, die bei Männern stärker ausgeprägt sei als bei Frauen.
344
Kapitel 26 · Sprachverständnis – Bildgebung
26.8.2 Genetik
26
Auch bei Verwandten von Schizophreniepatienten finden sich Veränderungen, die mit Sprache in Zusammenhang stehen. Gesunde erstgradige Verwandte von Erkrankten (High-risk-Personen) zeigen wie die Patienten schlechtere Leistungen im verbalen Gedächtnis und verringerte Volumina im Bereich der Amygdala und des anterioren Hippocampus (7 Kap. 22). Dyskonnektionen, die bei Schizophreniepatienten gefunden wurden, konnten nur teilweise bei High-risk-Personen bestätigt werden. Doch zumindest das medial-präfrontal-thalamisch-cerebellare Netzwerk ist weniger vernetzt als bei Gesunden, und in einem präfrontal-parietalen System wurde eine erhöhte Konnektivität gefunden (Whalley et al. 2005). Beide Befunde sind konsistent mit Ergebnissen bei Patienten. Im zuerst genannten Netzwerk wurden bei vielen kognitiven, auch sprachlichen Aufgaben Dysfunktionen gefunden, und die gesteigerte Konnektivität im letzteren System wurde bei Schizophreniepatienten als kompensatorischer Mechanismus interpretiert. Auch auf funktioneller Ebene scheinen genetische Einflüsse vorzuliegen. Bei einfachen Sprachverarbeitungsaufgaben aktivierten Gesunde ohne eine familiäre Vorbelastung mit Schizophrenie sowie an Schizophrenie Erkrankte und gesunde eineiige Zwillinge von Schizophreniepatienten linkstemporale Sprachareale gleichermaßen (Sommer et al. 2004). Rechtshemisphärische Aktivierungen fanden sich hingegen in stärkerem Maße bei gesunden Zwillingen, von denen der andere an Schizophrenie erkrankt war. Die Sprachlateralisierung war beim gesunden Zwilling allerdings nicht anders als bei seinem erkrankten Zwilling, sodass die gefundene Lateralisierungsverringerung eine genetische Prädisposition für Schizophrenie darzustellen scheint. 26.8.3 Zusammenhang zu anderen Symptomen Da viele Schizophreniepatienten auch akustische Halluzinationen haben, insbesondere Stimmen hören, ist die Frage naheliegend, ob diese inneren, selbstgenerierten Stimmen in Zusammenhang mit der Verarbeitung externer Stimmen stehen. Tatsächlich sind bei beiden Prozessen die gleichen Areale beteiligt. Der linke STG verarbeitet nicht nur externe Sprache, sondern ist auch aktiviert beim Auftreten von verbalen Halluzinationen. Aktuell halluzinierende Patienten zeigen deutlich schwächere rechtstemporale Aktivierungen (rechter MTG), wenn sie externe Sprache hören, was sich wieder normalisiert, wenn die Halluzinationen zurückgegangen sind (Woodruff et al. 1997). Auch der linke STG ist bei Halluzinationen aktiv; je ausgeprägter diese sind, desto schwächer ist dieses Areal an der Verarbeitung einer Geschichte beteiligt (Plaze et al. 2006). Stimmenhören konkurriert demnach mit externer Sprache um dieselben Verarbeitungsareale im temporalen Kortex. Ein größeres Ausmaß an Halluzinationen hängt wohl auch mit einer Verringerung der normalen Linkslateralisierung von Sprachverarbeitung zusammen (Sommer et al. 2001).
Neben Negativsymptomen wie Alogie stehen v. a. FDS im Zusammenhang mit Sprachverstehensdefiziten bei Schizophrenie. Die Aktivität im linken superioren temporalen Gyrus beim Verarbeiten gesprochener Sprache korreliert bei Schizophreniepatienten positiv mit dem Ausmaß an Denkstörungen (Weinstein et al. 2006). Auch die bereits erwähnte Verringerung der N400 (Kontextgenerierung) ist stärker ausgeprägt, wenn Patienten FDS haben und unter Wahn leiden. Ebenso treten bizarre Interpretationen bzw. Konkretismus bei FDS eher auf (Kumar u. Debruille 2004; Kostova et al. 2005; Salisbury et al. 2000). Die Zusammenhänge zwischen den beschriebenen Defiziten und FDS haben möglicherweise eine strukturelle Grundlage, da auch die schizophrenietypischen Volumenminderungen im linken STG mit FDS korrelieren (Shenton et al. 1992). Da sich die Erkrankung häufiger bei Personen mit niedrigerer Schulbildung findet, wäre es auch denkbar, dass die genannten Defizite bei Schizophrenie mit dem Intelligenzniveau korrelieren. Da dieser Faktor in den meisten Studien jedoch kontrolliert wird, kann dieser Einfluss nahezu ausgeschlossen werden. Die teils unterschiedlichen Befunde zu möglichen Defiziten in den verschiedenen Bereichen der Sprachverarbeitung sind nicht nur auf methodische Unterschiede, sondern auch auf unterschiedliche Patientensubgruppen zurückzuführen. Daher ist es schwierig, ein allgemeingültiges Muster von mit Sprachverständnisstörungen verknüpften Symptomen zu beschreiben. Es sind hierzu noch deutlich mehr Studien vonnöten. 26.8.4 Krankheitsverlauf Auch der Krankheitsverlauf steht im Zusammenhang sowohl mit volumetrischen als auch mit funktionellen Abnormalitäten bei Schizophrenie. Die strukturellen Aspekte beziehen sich auf die Temporalregion, die für die Verarbeitung von Sprache äußerst wichtig ist. Volumenminderungen sind bereits vor Symptombeginn nachzuweisen, v. a. die graue Substanz ist bei Prodromalpatienten in rechtstemporalen Gebieten und inferior frontal vermindert (Pantelis et al. 2003). Linkshemisphärische Volumenminderungen wurden in derselben Studie hingegen mit dem Fortschreiten der Erkrankung in Zusammenhang gebracht. Bei kindlichen Schizophrenien wurde aufgrund von mehr weißer Substanz ein rechtsseitig vergrößerter posteriorer STG gefunden, was als Basis für die Sprachstörungen diskutiert wird (Taylor et al. 2005). Bereits bei der ersten Hospitalisierung ist linkshemisphärisch die graue Substanz im STG, dem Heschlschen Gyrus und im Planum temporale kleiner als bei Gesunden oder bei Patienten mit affektiven Psychosen. Diese Volumenminderung ist zudem offenbar progressiv, schon nach eineinhalb Jahren ist die Abnahme weiter fortgeschritten (Kasai et al. 2003a). Unterschiede im Krankheitsverlauf bestehen behavioral sowohl prämorbid (Intelligenz- und Lesetests) als auch über die Akutphase hinaus persistierend (Kontextverarbeitungsdefizit). Auf neuronaler Ebene fanden Surguladze et al. (2001), dass Schi-
345 Literatur
zophreniepatienten im psychotischen Zustand bei nicht eindeutigen unimodalen Stimuli (bedeutungslose stille Lippenbewegungen) verstärkt polysensorische Areale aktivierten, was in Remission und bei Gesunden nicht mehr der Fall war. Eine mögliche Erklärung hierfür ist ein »top-down«-gesteuerter Versuch, die defizitäre Verarbeitung komplexer Stimuli zu kompensieren. 26.9
Zusammenfassung
So vielfältig die Prozesse sind, die an der Verarbeitung von Sprache beteiligt sind, so viele sprachliche Defizite können im Rahmen schizophrener Erkrankungen auftreten. Abnormalitäten finden sich schon auf den elementarsten Verarbeitungsstufen (Spracherkennung) und ziehen sich bis zu den komplexeren Prozessen durch (nichtwörtliche Bedeutungen). Die vorliegenden Befunde zeigen, dass die verschiedenen Sprachverarbeitungsebenen nicht isoliert voneinander zu betrachten sind, sondern komplex interagieren, was die Aktivierung komplexer zerebraler und zerebellärer Netzwerke voraussetzt. Viele Funktionen greifen auf temporale Regionen zu, die sich je nach Funktion in ihrer Lateralisierung unterscheiden. So verarbeitet die linke Hemisphäre vorrangig phonologische, morphologische und syntaktische Informationen, wohingegen die rechte Hemisphäre höhere Sprachfunktionen wie Diskurs- und Kontextverständnis und emotionale Prosodie verarbeitet. Die Ursachen der Sprachverarbeitungsdefizite, die bei Schizophrenie auftreten, sind nicht monokausal zu erklären und treten auch nicht bei allen Erkrankten gleichermaßen auf. Besonders betroffen sind zumeist Patienten mit FDS. Viele der genannten Defizite beruhen auf einer abnormalen Lateralisierung der Sprachfunktionen. Weiterhin ist von einer Dyskonnektion beteiligter Areale auszugehen. Es liegt also auf physiologisch-anatomischer Ebene sowohl eine lokale Störung der sprachrelevanten Regionen (lateral und medial frontal, lateral und medial temporal) und auch der sprachassoziierten Areale vor (parietal, subkortikal, prämotorische Areale, Zerebellum u. a.) sowie eine Störung der strukturellen und funktionellen Konnektivität zwischen diesen Arealen. Für die weitere Erforschung des Sprachverständnisses ist es sinnvoll, auch die Seite der Sprachproduktion in Betracht zu ziehen. Manche Sprachverarbeitungsmodelle (7 Kap. 25) gehen davon aus, dass Verstehens- und Produktionssysteme auf dieselben semantischen Prozesse und Repräsentationen zugreifen. Auch deuten einige der funktionellen Befunde auf identische Areale hin. Im Falle einer Übereinstimmung wäre es möglich, dass die hier im Kontext des Sprachverstehens vorgestellten Befunde auch typische FDS-Sprachproduktion erklären könnten. Insgesamt sind noch viele Studien notwendig, die Genetik, Symptomatologie, Verlauf und Medikation kontrollieren, um tieferen Einblick in die neuronalen Korrelate komplexer Sprachprozesse und deren Störungen bei Patienten zu erhalten.
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346
26
Kapitel 26 · Sprachverständnis – Bildgebung
Pantelis C, Velakoulis D, McGorry PD et al. (2003) Neuroanatomical abnormalities before and after onset of psychosis: a cross-sectional and longitudinal MRI comparison. Lancet 361 : 281–288 Plaze M, Bartres-Faz D, Martinot JL et al. (2006) Left superior temporal gyrus activation during sentence perception negatively correlates with auditory hallucination severity in schizophrenia patients. Schizophr Res 87: 109–115 Ragland JD, Gur RC, Valdez JN et al. (2005) Levels-of-processing effect on frontotemporal function in schizophrenia during word encoding and recognition. Am J Psychiatry 162: 1840–1848 Ragland JD, Gur RC, Valdez J et al. (2004) Event-related fMRI of frontotemporal activity during word encoding and recognition in schizophrenia. Am J Psychiatry 161: 1004–1015 Rapp AM, Leube DT, Erb M, Grodd W, Kircher TT (2004) Neural correlates of metaphor processing. Brain Res Cogn Brain Res 20: 395–402 Ruchsow M, Trippel N, Groen G, Spitzer M, Kiefer M (2003) Semantic and syntactic processes during sentence comprehension in patients with schizophrenia: evidence from event-related potentials. Schizophr Res 64: 147–156 Salisbury DF, O’Donnell BF, McCarley RW, Nestor PG, Shenton ME (2000) Event-related potentials elicited during a context-free homograph task in normal versus schizophrenic subjects. Psychophysiology 37: 456–463 Shenton ME, Kikinis R, Jolesz FA et al. (1992) Abnormalities of the left temporal lobe and thought disorder in schizophrenia. A quantitative magnetic resonance imaging study. N Engl J Med 327: 604–612 Shenton ME, Dickey CC, Frumin M, McCarley RW (2001) A review of MRI findings in schizophrenia. Schizophr Res 49: 1–52 Sommer I, Ramsey N, Kahn R, Aleman A, Bouma A (2001) Handedness, language lateralisation and anatomical asymmetry in schizophrenia: meta-analysis. Br J Psychiatry 178: 344–351
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27
27 Soziale Kognition – Psychologie Martin Brüne
27.1
Einführung
27.2
Schizophrene Kernsymptomatik und Theory of Mind
27.3
Neuropsychologische Untersuchungen zur Theory of Mind bei Schizophrenien – 352
27.3.1 27.3.2 27.3.3
Symptomatologie – 352 Theory of mind und pragmatisches Sprachverständnis – 353 Spezifität von ToM-Defiziten – 354
27.4
Zusammenfassung Literatur
– 348
– 355
– 355
– 351
348
Kapitel 27 · Soziale Kognition – Psychologie
27.1
Einführung
! Unter dem Begriff »soziale Kognition« versteht man allgemein die Wahrnehmung sowie die kognitive Verarbeitung von Stimuli aus der sozialen Umwelt, die dazu dient, das eigene und das Verhalten Anderer zu verstehen. Soziale Kognition ist gleichermaßen bedeutsam für bewusstes und unbewusstes Handeln in sozialen Interaktionen und umfasst im Kern das Erkennen und Interpretieren von Emotionen in Gesichtsausdrücken, Körperhaltung und Sprachmelodie, das Reflektieren eigener Befindlichkeiten und Absichten sowie das Vergegenwärtigen von Intentionen, Gedanken und Gefühlen Anderer (Adolphs 2001).
27
Dieser letztgenannte Aspekt wird im angloamerikanischen Sprachgebrauch als »Theory of Mind« (ToM) oder »Mentalising« bezeichnet (Frith 1992); eine griffige deutsche Entsprechung fehlt. Am ehesten kann noch der von Conrad (1959/1992) einge-
führte Ausdruck der Fähigkeit zum »Überstieg« als synonym aufgefasst werden. »Theory of Mind« ist ein Teilaspekt sowohl sozial-kognitiver als auch »metakognitiver« Prozesse im Sinne eines »Wissens über Wissen« (7 Kap. 28; 7 Exkurs »Theoretische Modelle zur ›Theory of Mind‹ «). Es bestehen definitorische Unschärfen bzw. Überlappungen mit »Empathie«, »visueller Perspektivübernahme« und »mentaler Rotation«, mit Prozessen, die auch neuropsychologisch und neurobiologisch sowie hinsichtlich ihrer evolutionären Entstehung miteinander verknüpft sind (Brüne u. Brüne-Cohrs 2006). Der Ausdruck ToM wurde ursprünglich von Primatologen (Premack u. Woodruff 1978) in die Kognitionsforschung eingeführt und von der Entwicklungspsychologie (Leslie 1987) aufgegriffen (7 Exkurs »Phylo- und ontogenetische Aspekte der ToM«). Die enorme Bedeutung der ToM für die soziale Interaktion wurde dann auch zunehmend durch entwicklungspsychologische
Exkurs Theoretische Modelle zur »Theory of Mind« (ToM) Bei der ToM handelt es sich um eine kognitive Teilleistung, die als Sonderform des allgemeiner verwendeten Begriffs »Metakognition« aufgefasst werden kann. Begriffe wie »Attribuierung mentaler Zustände« (»mental state attribution«), »Mentalisieren« (»mentalising«) oder »reflexives Bewusstsein« (»reflexive awareness«) werden mehr oder weniger synonym verwendet. Obwohl bereits viele Aspekte aufgeklärt werden konnten, etwa wie ToM hirnphysiologisch funktioniert, wird nach wie vor kontrovers diskutiert, wie spezifisch und selektiv die an der ToM beteiligten Mechanismen arbeiten. Im Wesentlichen werden drei theoretische Modelle diskutiert:
Modulare Organisation: Leslie et al. (2004) haben mit Bezug auf das Konzept der modularen Organisation menschlicher psychischer Funktionen die Existenz eines separaten ToM-Moduls postuliert (ToMM). Wie bei anderen domänenspezifischen kognitiven Leistungen wird auch vom ToMM angenommen, dass es nur ganz umschriebene Arten von Information bearbeitet, die die Analyse sozialer Interaktionen betrifft. Die effiziente Arbeitsweise des ToMM hängt darüber hinaus von einem sog. Selektionsprozessor (SP) ab: DasToMM ermöglicht nur basale Attribuierungen, während erst durch den SP eine sinnvolle Analyse der gedanklichen Inhalte anderer Personen vollzogen wird, indem durch Inhibition relevante von irrelevanten Kontextinformationen getrennt werden (Leslie et al. 2004). Dieser Vorgang erhöht, so die These, die Wahrscheinlichkeit, dass die Schlussfolgerungen einer Person über psychische Vorgänge einer anderen Person korrekt sind.
Metarepräsentatives Modell: Das Modell der Metarepräsentation (Perner 1991) versteht ToM primär als nicht-modular organisiert. Kleinkinder und Kinder er-
werben vielmehr im Laufe der Ontogenese aufgrund von Erfahrungen verschiedene Leistungsniveaus in ihren repräsentativen Fähigkeiten. Diese Entwicklung beginnt mit der grundlegenden Wahrnehmung des eigenen Selbst als handelndes Subjekt. Die Ausbildung der zweiten Repräsentationsstufe nach dem zweiten Lebensjahr erlaubt die Unterscheidung zwischen Realität und hypothetischen Situationen. Die Bildung von »Metarepräsentationen« ermöglicht schließlich, ähnlich einer wissenschaftlichen Theoriebildung, Repräsentationen einer anderen oder der eigenen Person zu reflektieren. Im Unterschied zum modularen Modell vertritt der metarepräsentative Ansatz den Standpunkt, dass die Unterscheidung zwischen Realität und bloßenVorstellungen bzw. Modellen nicht nur der ToM zugrunde liegt, sondern auch der grundlegenden Fähigkeit, verschiedene Ebenen der Repräsentation miteinander zu vereinigen.
Simulationstheorie: Die Simulationstheorie postuliert, dass ToM auf die Fähigkeit aufbaut, sich imaginativ in die Position einer anderen Person hineinzuversetzen (Davies u. Stone 1995). Im Unterschied zu den beiden oben genannten Modellen ist hier v. a. der Imitationsaspekt und die Introspektion bedeutsam. Dieser theoretische Schulenstreit ist bis heute nicht gänzlich gelöst. Es zeichnet sich aber zunehmend ab, dass die verschiedenen Modelle nicht unvereinbar sind und sich in vielen Aspekten ergänzen. So haben Stone u. Gerrans (2006) kürzlich argumentiert, dass zur ToM gehörige Teilaspekte wie das Erkennen von Blickrichtungen und Gesichtern sowie die Unterscheidung intentionaler von zufälliger Bewegung domänenspezifisch sind (sog. »lowerlevel« Mechanismen), während andere Mechanismen (»higherlevel«) wie Exekutivfunktionen und Metarepräsentation domänenübergreifend funktionieren.
349 27.1 · Einführung
Störungen der ToM, etwa bei Erkrankungen aus dem Autismusspektrum, deutlich; autistische Kinder sind offenbar nicht oder nur in sehr begrenzter Weise in der Lage, die psychische Perspektive anderer Personen einzunehmen, und erwerben im Laufe
27
ihres Lebens auch nur ein rudimentäres Verständnis für psychische Dispositionen ihres sozialen Gegenübers – selbst dann, wenn die betroffenen Kinder nicht geistig retardiert und in Intelligenz und Auffassung ungestört sind (Baron-Cohen 1995).
Exkurs Phylo- und ontogenetische Aspekte der ToM Vergleichende Untersuchungen an nichtmenschlichen Primaten und Menschenaffen sprechen dafür, dass sich die Fähigkeit, sich eine Vorstellung von psychischen Prozessen anderer Individuen zu machen (ToM), im Laufe der Hominidenevolution in Zusammenhang mit Selektionsdrücken aus der sozialen Umwelt entwickelte. Das durch klimatische Veränderungen bedingte Schrumpfen bewaldeter Gebiete in Ostafrika »zwang« unsere frühen Vorfahren dazu, sich zu größeren Gruppen zusammenzuschließen, um sich besser vor Räubern schützen zu können. Damit verschärfte sich allerdings auch der Konkurrenzkampf innerhalb einer Gruppe um Nahrung, Sexualpartner etc. bei gleichzeitiger Notwendigkeit zur Kooperation. Dies führte möglicherweise zu einem verstärkten Selektionsdruck im Hinblick auf soziale Intelligenz: Derjenige, der unterscheiden kann, ob altruistisches Verhalten erwidert oder ausgenutzt wird, hat auf lange Sicht einen reproduktiven Vorteil demjenigen gegenüber, der über diese Fähigkeit nicht verfügt. Rudimentäre Formen einer ToM finden sich bereits bei unseren nächsten lebenden Verwandten im Tierreich, den Schimpansen. Sie sind in begrenztem Umfang zu absichtsvoller Täuschung in der Lage. Bei Primaten besteht offenbar ein Zusammenhang zwischen der Gruppengröße und der Größe des Neokortex (den visuellen Kortex ausgenommen). Große Gehirne bringen auf der anderen Seite auch evolutionäre »Kosten« mit sich: Sie verbrauchen einen unverhältnismäßig großen Teil der Energieressourcen eines Organismus und benötigen eine enorm lange Zeit zur Reifung und Ausdifferenzierung. Die Länge der juvenilen Periode bei Primaten ist genauso wie die Gruppengröße positiv mit der Größe des nichtvisuellen Kortex korreliert, nicht dagegen mit der Länge der Tragzeit oder Schwangerschaft, der Stillperiode oder der reproduktionsfähigen Lebensspanne, was einen Zusammenhang mit sozialen Umweltdrücken nahelegt (Joffe 1997). Die Notwendigkeit einer Ausdehnung der Kindheits- und Jugendentwicklung bei Arten, die in hochkomplexen sozialen Gefügen leben, könnte beispielsweise darin begründet sein, dass die Gesamtheit möglicher sozialer Verhaltensstrategien (prozeduraler Regeln) wie z. B. der Kooperation, der strategischen Täuschung und der Manipulation anderer Individuen während der Jugendentwicklung erlernt werden müssen sowie das Wissen darüber, wann und in welchem Kontext diese Strategien anzuwenden sind. Dieser Prozess ist aber nicht nur zeitraubend, es fehlen auch »real life«-Gelegenheiten, alle möglichen Konsequenzen unterschiedlicher sozialer Interaktionsstrategien zu erproben. Es ist daher denkbar, dass die Notwendigkeit der mentalen Simulation sozialer Interaktionen die 6
Evolution der sozialen Intelligenz beeinflusst haben könnte. Versuch und Irrtum, »So-tun-als-ob-Spiel« (»pretense play«) und Lernen durch Imitation stellen bedeutsame entwicklungspsychologische Meilensteine dar, mentale Modelle sozialer Verhaltensstrategien zu entwickeln (Leslie 1987). Die ontogenetische Reifung der ToM folgt relativ invarianten Entwicklungsschritten (Baron-Cohen 1995). Bereits bei der Geburt verfügt der Säugling über einen primitiven »Absichtsdetektor« (»intentionality detector«), der durch Bewegungsreize sowohl belebter als auch unbelebter Objekte aktiviert wird. In diesem Stadium kann der Säugling noch nicht unterscheiden, ob sich ein Objekt willkürlich oder unwillkürlich in eine bestimmte Richtung bewegt. Der sog. Blickrichtungsdetektor, der in den ersten Lebensmonaten ausreift (»eye direction detector«) ermöglicht dagegen schon, Augen oder augenähnliche Stimuli wahrzunehmen und deren Blickrichtung zu erfassen. Zur weiteren Reifung der ToM gehört der Übergang von dyadischen zu triadischen Repräsentationen. Bei letzteren kann ein Objekt sowohl zu einer anderen Person als auch zum eigenen Selbst in Beziehung gesetzt werden, was Baron-Cohen (1995) als Mechanismus der geteilten Aufmerksamkeit (»shared attention mechanism«) bezeichnet. Im Alter von etwa 18 Monaten ist ein Kleinkind in der Lage zu begreifen, dass zu sehen bedeutet, etwas zu wissen (und zu wollen). Im Verhalten macht sich dies beispielsweise durch das Verwenden sog. protodeklarativer Gesten bemerkbar. Etwa zur selben Zeit ist das Kind in der Lage, sich selbst im Spiegel zu erkennen. Im Alter zwischen 18 und 24 Monaten entdeckt es den Unterschied zwischen Realität und »So-tun-als-ob«. Dieses Stadium der Reifung sozialer Kognition bildet den Übergang vom Mechanismus der geteilten Aufmerksamkeit, der die Interpretation von Verhalten hinsichtlich volitionaler mentaler Zustände und durch den Blickrichtungsdetektor hinsichtlich mentaler Wahrnehmungszustände ermöglicht, hin zur Repräsentation übergeordneter mentaler Zustände einschließlich des »So-tun-als-ob«, des Denkens, Wissens, Glaubens, Vorstellens, Träumens, Vermutens und Täuschens (Baron-Cohen 1995). Kinder können aber erst im Alter von 3–4 Jahren verlässlich zwischen ihren eigenen Annahmen und ihrem Wissen einerseits und den Annahmen und dem (Nicht-)Wissen anderer Personen andererseits unterscheiden. Erst jetzt begreifen sie, dass eine andere Person auch von einer falschen Annahme ausgehen kann (Baron-Cohen 1995). Dies wird auch als Fehlannahme erster Ordnung (»first order false belief«) bzw. Intentionalität zweiter Ordnung [»ich vermute (1), dass XY denkt (2), dass...«] bezeichnet. Im
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Kapitel 27 · Soziale Kognition – Psychologie
Alter von 6–7 Jahren sind Kinder allmählich in der Lage, Intentionalität dritter Ordnung (»second order false belief«) zu verstehen, beispielsweise anzunehmen (1), dass jemand glaubt (2), dass eine dritte Person etwas weiß (3). Diese Fähigkeit ist z. B. Voraussetzung dafür, einen Scherz oder Ironie von einer Lüge unterscheiden zu können. Sog. »Faux pas«-Situationen werden von Kindern aber erst im Alter zwischen 9 und 11 Jahren verstanden, wobei Mädchen diesen Entwicklungsschritt früher vollziehen als Jungen. Unter einem »Faux pas« versteht man allgemein eine Situation, in
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Dass auch bei Schizophrenien – analog zu den autistischen Erkrankungen – sozial-kognitive Prozesse nicht nur sekundär, sondern selektiv, d. h. unabhängig von anderen kognitiven Funktionsstörungen, beeinträchtigt sein können, ist erst in den vergangenen 20 Jahren systematisch untersucht worden (Frith 1992; Übersicht bei Brüne 2005a). Neben Störungen der Emotionsdekodierung (7 Kap. 40), des Wiedererkennens von Personen an ihren individuellen Merkmalen (etwa dem Gesicht, der Körperhaltung, etc.) sowie neben Störungen des empathischen Einfühlens – weitere wich-
der jemand etwas sagt, was er nicht hätte sagen sollen, ohne dass ihm der Fehler als solcher unmittelbar präsent ist. Zum Verstehen von »Faux pas« ist die simultane Repräsentation der mentalen Zustände von mindestens zwei Personen erforderlich: der Person, die den »Faux pas« begeht und der Person, die irritiert sein oder sich verletzt fühlen könnte. Ob sich diese Ausdifferenzierung und Verfeinerung der ToM bis in höhere Lebensalter (jenseits der Pubertät) fortsetzt, ist gegenwärtig umstritten und noch nicht ausreichend empirisch abgesichert.
tige Aspekte, die unter dem Begriff der sozialen Kognition subsumiert werden und bei Patienten mit Schizophrenien fundamental beeinträchtigt sein können – gibt es mittlerweile eine Reihe von Untersuchungen zu der Frage, inwieweit die ToM bei Patienten mit Schizophrenien funktionell beeinträchtigt ist, welche hirnmorpholischen Korrelate ToM-Störungen haben (7 Kap. 28) und welche Zusammenhänge mit psychopathologischen Syndromen und Störungen der sozialen Kompetenz bestehen (7 Box »Wie untersucht man ToM bei Patienten mit Schizophrenien?«).
Wie untersucht man ToM bei Patienten mit Schizophrenien? Viele ToM-Aufgaben, die bisher in der Schizophrenieforschung Anwendung gefunden haben, wurden ursprünglich zur Testung der Mentalisierungsfähigkeiten von Kindern entwickelt. In erster Linie handelt es sich dabei um Aufgaben, die eine klassische »false-belief«-Situation darstellen. Der klassische »Sally-und-Anne-Test« (Wimmer u. Perner 1983) basiert auf einer experimentell konstruierten Situation, in der die Versuchsperson zwischen dem eigenen Wissen (dass ein Objekt durch Anne in der Abwesenheit von Sally versteckt wurde) und dem Kenntnisstand einer beteiligten Person (Sally) unterscheiden muss. Die entscheidende Frage ist, wo Sally nach ihrer Rückkehr nach dem Objekt suchen wird: Dort, wo das Objekt war, bevor sie das Spielzimmer verlassen hatte, oder an jenem Ort, an dem das Objekt von Anne versteckt worden ist (. Abb. 27.1). Die kognitive Leistung beruht auf der Fähigkeit, eine Metarepräsentation von Sallys Wissen zu generieren (»Ich weiß, dass sie nicht weiß, wo das Objekt wirklich ist.«). Der Sally-und-Anne-Test prüft demnach die Ebene des sog. »first order false belief«. Bei einem »second order false belief« wird die kognitive Aufgabe insofern komplexer, als Annahmen darüber gemacht werden, was eine dritte Person über eine andere Person denkt – etwa die Frage, womit Anne denn rechne, wo Sally nach ihrem Ball schauen wird. Kompliziertere Sachverhalte stellen das Verstehen von Metaphern, Ironie oder »Faux pas«-Situationen dar. 6
. Abb. 27.1. Schematische Darstellung des »Sally-und-Anne-Tests« zur Untersuchung von ToM bei Kindern (Wimmer u. Perner 1983)
351 27.2 · Schizophrene Kernsymptomatik und Theory of Mind
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Theory of Mind-Tests werden üblicherweise in Form von Bildergeschichten, Cartoons oder Kurzgeschichten präsentiert (7 Box »Beispiel für einen narrativen ToM-Test«) bzw. in Form von Aufgaben, die die Interpretation von metaphorischem Bedeutungsinhalt oder Ironie von Gesprochenem abbilden. Probleme, die mit der Art der Darstellung zusammenhängen, bestehen in Interferenzen mit anderen kognitiven Leistungen wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Intelligenz. Deshalb wurden Kontrollaufgaben ähnlicher Komplexität entwickelt, die lediglich »physikalische« Sachverhalte darstellen. Die zur Verfügung stehenden ToM-Tests für Patienten mit Schizophrenien sind dennoch nicht ideal. Zum einen kann kaum
das Problem einer mangelnden lebensnahen Präsentation der Aufgaben unter experimentellen »Offline«-Laborbedingungen gelöst werden. Daher können selbst Patienten mit deutlichen Wahnsymptomen in einer Testsituation, die eher ein abstraktes Schlussfolgern erfordert, durchaus unbeeinträchtigt sein oder aber Schwierigkeiten haben, sich »spontan« in andere Personen zu versetzen. Zum andern erfüllen die existierenden ToM-Tests nicht die psychometrischen Gütekriterien standardisierter psychometrischer Tests. Schließlich ist die Vergleichbarkeit von ToMStudien bei Schizophrenien aufgrund subtiler Unterschiede in der Aufgabenpräsentation begrenzt.
Exkurs
und selbstgenerierte Gedanken werden als von außen eingegeben, als allen Anderen zugänglich erlebt oder in Form kommentierender Stimmen wahrgenommen (Conrad 1959/1992). Diese hier bereits angedeuteten Verknüpfungen schizophrener Kernsymptome mit der mangelnden Fähigkeit zur kritischen Reflexion eigener und fremder Gedanken, Gefühle und Absichten hat Frith (1992) aus neuropsychologischer Sicht präzisiert. Frith unterscheidet zwischen drei Arten von Störungsmustern, die jeweils unterschiedliche Symptome oder Symptomkonstellationen bedingen können: 1. Störungen des Handelns aufgrund eigener Willensbildung (»willed action«) 2. Störungen des Prozesses der Selbststeuerung (»self-monitoring«) 3. Störungen des kritischen Reflektierens der Absichten Anderer (»monitoring the intentions of others«)
Beispiel für einen narrativen ToM-Test (nach Happé 1994) Ein Einbrecher, der gerade einen Einbruch begangen hat, ist auf der Flucht. Auf seinem Weg wird er von einem Polizisten gesehen, der beobachtet, wie der Einbrecher einen Handschuh fallen lässt. Der Polizist weiß jedoch nicht, dass der Mann ein Einbrecher ist; er will ihm lediglich zurufen, dass er einen Handschuh verloren hat. Als der Polizist den Einbrecher anruft »Hallo Sie, bleiben Sie stehen!«, dreht sich der Einbrecher um. Sobald er den Polizisten sieht, hebt er die Hände und gesteht den Einbruch. Frage: Warum hat der Einbrecher die Hände gehoben?
Im vorliegenden Kapitel wird das Thema »soziale Kognition« aus didaktischen Gründen auf das Konzept der ToM eingegrenzt, weil der ToM in Bezug auf das theoretische Verständnis schizophrener Kernsymptome sowie auf den prädiktiven Wert von Störungen der sozialen Kompetenz bei Schizophrenien eine zentrale Bedeutung zukommt. 27.2
Schizophrene Kernsymptomatik und Theory of Mind
Die Zusammenhänge von schizophrener Kernsymptomatik und Neurokognition sind erst in jüngerer Zeit empirisch erforscht worden bzw. durch die Einführung moderner neurophysiologischer und bildgebender Verfahren erforschbar geworden. Conrad (1992) hat als Erster aus gestalttheoretischer Sicht beschrieben, wie in der apophänen Phase der beginnenden Schizophrenie die Fähigkeit zum Wechsel des Bezugssystems, zum »Überstieg«, verloren geht. Demnach entwickelt sich zunächst ein noch unbestimmtes abnormes Bedeutungserleben und in der als »Anastrophé« bezeichneten Phase schließlich das Erleben, im Mittelpunkt sämtlichen Geschehens zu stehen. Gleichzeitig werden die Ich-Grenzen des schizophren Erkrankten brüchig,
Im ersten Fall ist bei Patienten mit Schizophrenien v. a. die Umsetzung eigener Intentionen in Handlung gestört. Dies kann einerseits dazu führen, dass der Betroffene gar nicht in der Lage ist, spontanes Verhalten zu generieren, was sich klinisch als Negativsymptomatik bemerkbar machen kann. Die Übersetzung von Intention in Handlung kann auch in der Weise gestört sein, dass Verhaltensimpulse auf irrelevante Stimuli nicht unterdrückt oder Handlungen nicht terminiert werden können, was sich in desorganisiertem Verhalten bzw. Perseverationen äußern kann. Im zweiten Fall können als Folge gestörter Wahrnehmung eigener Absichten Verhaltensweisen oder eigene Gedanken als von außen gemacht empfunden werden, was die charakteristischen Ich-Störungen wie Gedankeneingebung, -ausbreitung und -entzug sowie manche Formen von akustischen Halluzinationen hervorrufen könnte (zur Differenzierung zwischen Selbst und Anderen vgl. auch Newen u. Vogeley 2003). Schließlich können Verfolgungs- und Beziehungswahn durch die Schwierigkeit eines Schizophreniekranken entstehen, Vermutungen über Absichten und Wissen Anderer kontextbezogen adäquat auf ihren Plausibilitätsgrad zu evaluieren. Frith (1992) sieht hierin ein hierarchisch aufgebautes System, demzufolge Patienten mit
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Kapitel 27 · Soziale Kognition – Psychologie
Willensstörungen und im Vordergrund stehenden Verhaltenssymptomen am schwersten in ihrer ToM beeinträchtigt seien, Patienten mit Wahnsymptomen dagegen Probleme hätten, »auf der Stelle« Absichten Anderer richtig zu interpretieren, während Patienten mit sog. »Passivitätssymptomen« wie Ich-Störungen oder akustischen Halluzinationen am wenigsten von Störungen der ToM betroffen seien. Kontrovers wird in diesem Zusammenhang diskutiert, ob Patienten mit Schizophrenien eher in zu geringem Maße die psychische Perspektive Anderer einnehmen oder ob sie in machen Fällen vielleicht sogar »übermentalisieren«. Zerfahrenheit oder Inkohärenz im Denken können beispielsweise auch dahingehend interpretiert werden, dass ein schizophrener Patient seinem Gesprächspartner ein Wissen über seine eigenen Gedanken (die des Patienten) zuschreibt, über das der Konversationspartner in Wirklichkeit gar nicht verfügen kann (Abu-Akel 1999). Ferner ist die Bedeutung der exekutiven Handlungskontrolle für die ToM umstritten. Hardy-Baylé (1994) postulieren, abweichend von Friths (1992) Modell, dass insbesondere bei Patienten mit Schizophrenien Defizite in der exekutiven Handlungsplanung die adäquate Integration kontextueller Information erschweren. Anders ausgedrückt: Das Fehlen einer mentalen Repräsentation einer vom Patienten geplanten Handlung würde gleichzeitig auch die Fähigkeit eines Patienten reduzieren, Verhaltensweisen anderer Personen eine dahinter stehende Intention zuzuschreiben. Nach Hardy-Baylés (1994) Modell müssten ToM-Defizite daher ausschließlich bei Patienten mit dominierenden Denk- und Sprachstörungen vorkommen. Die Fähigkeit zur kritischen Reflektion eigener Gedanken, Gefühle und Absichten und der anderer Personen ist bei Patienten mit Schizophrenien häufig fundamental beeinträchtigt, und – in Abhängigkeit davon, ob mehr die Eigenwahrnehmung oder die Fremdwahrnehmung gestört ist – schizophrene Kernsymptome, insbesondere die sog. Ich-Störungen sowie partiell auch Wahn und Halluzinationen, können durch Störungen dieser kognitiven Leistung hervorgerufen werden. 27.3
Neuropsychologische Untersuchungen zur Theory of Mind bei Schizophrenien
Untersuchungen zur ToM bei Schizophrenien fokussieren insbesondere auf folgende Aspekte: 1. Gibt es für die theoretischen Modelle von Frith (1992) und Hardy-Baylé (1994) empirische Belege, die für einen Zusammenhang von schizophrener Kernsymptomatik mit Störungen der ToM sprechen? 2. Bestehen Zusammenhänge zwischen Störungen des Sprachverständnisses und des Sprachgebrauchs, etwa des schizophrenen Konkretismus, mit Störungen der ToM bei Schizophrenien? 3. Sind Störungen der ToM spezifisch, d. h. unabhängig von anderen kognitiven Leistungen?
4. Sind Störungen der ToM im Längsschnitt stabil (»traitmarker«) oder mehr von der Akuität der schizophrenen Erkrankung abhängig (»state-marker«)? 5. Wie hängen ToM und soziale Kompetenz bei Schizophrenien zusammen? 27.3.1 Symptomatologie Die Arbeitsgruppe um Frith konnte in mehreren Studien zeigen, dass Störungen der ToM bei Patienten mit Schizophrenien tatsächlich häufig vorkommen, sich im Schweregrad jedoch zum Teil deutlich in Abhängigkeit von der im Vordergrund stehenden Symptomatik unterscheiden (Corcoran et al. 1995; Frith u. Corcoran 1996). Wie in Friths Modell vorhergesagt, schneiden Patienten mit Negativsymptomatik generell am schlechtesten bei Tests ab, die ein Sichhineinversetzen in andere Personen erfordern. Dies liegt vermutlich daran, dass Patienten mit Negativsymptomatik – ähnlich wie autistische Personen – nicht nur keine adäquaten Interpretationen von Absichten und Gedanken Anderer geben, sondern womöglich überhaupt keine Annahmen über psychische Befindlichkeiten anderer Personen machen. In ähnlicher Weise fanden andere Arbeitsgruppen, dass auch Patienten mit schweren psychomotorischen Störungen (»psychomotor poverty«) in ihrer Mentalisierungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind. Patienten mit formalen Denkstörungen (FDS) und desorganisiertem Verhalten sind – wie von Hardy-Baylé vorhergesagt – ebenfalls deutlich in der Lösung von ToM-Aufgaben eingeschränkt. Allerdings sind hier die Befunde uneinheitlicher. Ein Teil dieser Patienten scheint bei der Bewältigung von ToM-Tests von zusätzlich gegebenen verbalen Erläuterungen zu profitieren, während dies bei Patienten mit Negativsymptomatik nicht der Fall zu sein scheint (Sarfati et al. 1999; Sarfati u. Hardy-Baylé 1999). Umstritten ist weiterhin der Zusammenhang von ToM mit wahnhaftem Erleben. Nach Friths Modell müssten paranoide Patienten ebenfalls in ihrer Fähigkeit, psychische Prozesse Anderer korrekt zu interpretieren, beeinträchtigt sein, allerdings nicht deshalb, weil sie generell nicht in der Lage sind, anderen Personen psychische Prozesse zuzuschreiben. Für die Entwicklung eines Wahns ist eine zumindest partiell intakte ToM ja geradezu Voraussetzung. Pickup u. Frith (2001) argumentierten, dass paranoide Patienten in »Offline«-Testsituationen ToM-Aufgaben durch Analogieschlüsse lösen, »online« in konkreten sozialen Interaktionen aber das eigentliche Mentalisierungsdefizit nicht kompensieren könnten. Dies konnte aber nur in einem Teil der Studien bestätigt werden. Ein möglicher interferierender Faktor ist hier die kognitive Unflexibilität paranoider Patienten, die an einer einmal gemachten Annahme über Absichten Anderer in rigider Art und Weise festhalten und somit Schwierigkeiten haben, verfestigte Positionen aufzugeben (interessanterweise ist es in einer Studie zur ToM bei einem Teil der schizophrenen Patienten gelungen, die fehlerhafte Interpretation von Absichten
353 27.3 · Neuropsychologische Untersuchungen zur Theory of Mind bei Schizophrenien
Anderer dadurch aufzulösen, dass die wahnhaften Patienten aufgefordert wurden, die Perspektive der dritten Person einzunehmen (Gambini et al. 2004). Patienten mit reinen Passivitätssymptomen und remittierte Patienten schneiden im Vergleich zu Patienten mit desorganisierten oder Negativsymptomen bei ToM-Tests in der Regel besser ab. Dennoch besteht auch hier keine einhellige Meinung darüber, ob diese Patienten in ihrer ToM gänzlich unbeeinträchtigt sind. Dies ist hinsichtlich der Frage von Belang, ob es sich bei ToMDefiziten bei Schizophrenien um zustandsabhängige oder längsschnittstabile kognitive Störungen handelt. Es ist wohl davon auszugehen, dass die Dauer der Erkrankung einen gewissen Einfluss dergestalt hat, dass ToM-Defizite am ehesten als Folge zunehmender Negativsymptomatik ausgeprägter werden. Eine Follow-up-Studie zu dieser Frage gibt es bislang aber nicht. Ferner ist bisher nicht systematisch untersucht worden, ob sich eine antipsychotische Medikation auf die Leistung in ToMTests auswirkt. In Bezug auf die Fähigkeit, Emotionen in Gesichtsausdrücken zu interpretieren, scheinen sich Hinweise darauf zu ergeben, dass Antipsychotika keinen Einfluss haben, sich also sozial-kognitive Defizite trotz Rückbildung konventionell gemessener psychopathologischer Parameter nach Abklingen der akuten Erkrankungsphase nicht bessern (Brüne 2005a). 27.3.2 Theory of mind und pragmatisches
Sprachverständnis Störungen des Sprachgebrauchs – sowohl als Sekundärphänomen bei FDS als auch genuin – gehören zur Kernsymptomatik schizophrener Erkrankungen. Sie werden hier gesondert behandelt, weil sich in den letzten Jahren enge Bezüge zum ToM-Konzept herauskristallisiert haben. Dass Patienten mit Schizophrenien sowohl syntaktische als auch semantische Sprachstörungen haben, ist seit langem bekannt. Ebenso wurde schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts beobachtet, dass Patienten mit Dementia praecox augenfällige Probleme haben, metaphorischen Sprachgehalt zu begreifen, etwa die Bedeutung von Sprichwörtern (Brüne u. Bodenstein 2005). Neben dieser Beeinträchtigung der Dekodierung von Sprachgehalt bestehen bei Schizophrenien aber auch Störungen der sprachlichen Enkodierung. Beide Phänomene hängen damit zusammen, dass Patienten mit Schizophrenien Schwierigkeiten haben, während einer Konversation die hinter Gesagtem stehenden »wahren« Intentionen des Sprechers zu erfassen. Diese von Linguisten als »Pragmatismus« bezeichnete Fähigkeit setzt eine intakte ToM voraus. Konversation folgt in der Regel einem kooperativen Prinzip, da Sprecher und Zuhörer wechselseitig verstehen wollen, was über die konkrete Wortbedeutung hinaus an Informationen übermittelt werden soll. Dazu gehört, dass Gesprochenes quantitativ, qualitativ, angemessen, relevant und zumeist auch taktvoll sein muss. Dies gelingt aber nur dann, wenn Sprecher und Zuhörer ein Verständnis für die Gedanken, Gefühle, das tatsächliche Wissen und die
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Absichten ihres Gegenübers haben (Sperber u. Wilson 2002). Genau darin besteht für viele Patienten mit Schizophrenien die Problematik: In der Konversation können sie infolgedessen »über«oder »untermentalisieren« (Abu-Akel 1999). Auf empirischer Ebene konnten diese Zusammenhänge bestätigt werden. Zahlreiche Untersuchungen zum Sprichwörterverständnis haben gezeigt, dass besonders Patienten mit Schizophrenien dazu neigen, Sprichwörtliches »konkretistisch« zu interpretieren, d. h. sie favorisieren eine wörtliche Interpretation im Vergleich zu einer metaphorischen. Ähnlich verhält es sich mit dem Verständnis von Ironie und Sarkasmus, wobei Patienten mit Schizophrenien zum Teil auch die damit verbundenen subtilen Änderungen der Intonation nicht wahrnehmen. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass schizophrene Patienten offenbar Schwierigkeiten haben, sich bewusst zu machen, welchen Wissensstand sie mit ihren Gesprächspartnern teilen. Sie verletzen daher häufig die Regeln der kooperativen Kommunikation hinsichtlich Quantität, Qualität, Relevanz und Takt (Mitchley et al. 1998). Abu-Akel (1999) konnte in einer linguistischen Fallanalyse zweier unbehandelter schizophrener Patienten mit FDS zeigen, dass diese zwar die linguistischen Regeln der Relation und Quantität verletzten, aber dennoch versuchten, in der Konversation zu kooperieren, indem sie bestimmte sprachliche Verknüpfungen (»endophoric bridges«) benutzten. Es schien jedoch so zu sein, dass diese Patienten sich nicht bewusst waren, wie die Informationen, die von ihrem Gesprächspartner für eine effektive Konversation benötigt wurden, beschaffen sein mussten. In einer weiteren Studie zur ToM und pragmatischem Sprachgebrauch verglichen Langdon et al. (2002) das Metapher- und Ironieverständnis schizophrener Patienten mit ihrer Leistung in ToM-Aufgaben. Interessanterweise waren ToM Defizite mit einem beeinträchtigten Ironieverständnis assoziiert, nicht aber mit dem Verständnis von Metaphern. Während ToM und Ironieverständnis auch mit der Schwere formaler Denkstörungen korrelierten, hing ein defizitäres Verständnis von Metaphern mit Negativsymptomen und gestörten Exekutivfunktionen zusammen. Die Autoren schlossen daraus, dass ein beeinträchtigtes Ironieverständnis durch schlechte pragmatische Fähigkeiten der Patienten erklärt werden könnte, ein vermindertes Verständnis von Metaphern hingegen mit schlechteren semantischen Fähigkeiten. Ein Sonderfall scheint beiem Verständnis metaphorischer Äußerungen in Form von Sprichwörtern vorzuliegen. Eine neuere Studie konnte zeigen, dass die Fähigkeit schizophrener Patienten, Sprichwörter zu verstehen, ebenfalls von ihren ToMKapazitäten abhing (Brüne u. Bodenstein 2005), hingegen kaum von Exekutivfunktionen oder der allgemeinen Intelligenz. Viele Sprichwörter gehen über rein metaphorische Beschreibungen hinaus, indem sie sich auf soziale Regeln beziehen. Eine defizitäre Analyse derartiger Ausdrücke könnte daher erklären, warum Patienten mit Schizophrenien aufgrund einer gestörten ToM viele soziale Situationen nicht angemessen interpretieren können. Insgesamt stehen einige Aspekte von Störungen des pragmatischen
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Kapitel 27 · Soziale Kognition – Psychologie
Sprachverständnisses und Sprachgebrauchs bei Patienten mit Schizophrenien offenbar in engem Zusammenhang mit Störungen der ToM. Das ToM-Konzept könnte hier eine Brücke bilden zwischen den einer Beobachtung nicht zugänglichen FDS und den objektivierbaren Störungen der Enkodierung und Dekodierung von Gesprochenem. 27.3.3 Spezifität von ToM-Defiziten
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Eine wichtige Frage im Hinblick auf ToM-Defizite bei Schizophrenien besteht darin, wie spezifisch bzw. selektiv derartige Störungen sind. Neuropsychologische Untersuchungen von ToM-Fähigkeiten interferieren nämlich in hohem Maße mit Aufmerksamkeit, Handlungsplanung, der kognitiven Flexibilität, Gedächtnisleistungen und der allgemeinen Intelligenz. Eine Reihe von empirischen Studien hat sich speziell dieser Fragestellung gewidmet. Insgesamt spricht die Befundlage dafür, dass ToMDefizite bei Schizophrenien spezifisch und unabhängig von anderen kognitiven Leistungen sind. Zwar beeinträchtigen Aufmerksamkeitsdefizite, Störungen der Exekutivfunktionen und niedrigere Intelligenz das Abschneiden bei ToM-Aufgaben, allerdings bleiben Unterschiede zwischen Patienten mit Schizophrenien und gesunden Kontrollprobanden statistisch auch dann signifikant, wenn kognitive Störungen als mögliche Einflussvariablen berücksichtigt werden. Dies scheint auch weitgehend unabhängig davon zu sein, ob ToM-Aufgaben visuell mittels Bildergeschichten, Cartoons oder in Form kurzer Textvignetten präsentiert werden. Hinsichtlich der vielfach verwendeten Bilderserien konnte gezeigt werden, dass Patienten mit Schizophrenien mit Bildfolgen, die ein rein physikalisch verstehbares Szenario vergleichbarer Komplexität abbilden, weitaus geringere Schwierigkeiten haben, diese in eine logische Reihenfolge zu bringen, als mit ToM-Bilderserien. Offenbar liegen die Schwierigkeiten, ToM-Bildergeschichten zu sortieren, auch nicht allein darin begründet, dass Patienten mit Schizophrenien Probleme haben, offensichtliche Informationen zugunsten weniger hervorspringender Informationen zu unterdrücken. In einer Reihe von Experimenten, die zusätzlich zu ToM Bildergeschichten sog. ”Capture Stories« verwendeten (in der die Reaktion auf einen hervorspringenden Reiz zugunsten einer weniger offensichtlichen Information unterdrückt werden muss), fanden Langdon et al. (2001) dass schizophrene Patienten eine spezifische Beeinträchtigung bei ToM Aufgaben aufwiesen, unabhängig von den durch die »Capture Stories« untersuchten inhibitorischen Funktionen. In ähnlicher Weise interferiert auch die allgemeine Intelligenz, Handlungsplanung und kognitive Flexibilität mit dem Abschneiden von Patienten mit Schizophrenien bei ToM Tests, die sich statistisch jedoch in der Mehrzahl der Studien als unabhängige Effekte erwiesen haben (Übersicht bei Brüne, 2005a). Nach gegenwärtigem Kenntnisstand kann also gefolgert werden, dass ToM Defizite bei Schizophrenien selektiv sind, wenngleich sie in der Regel nicht den Schweregrad erreichen wie bei
autistischen Störungen. Allerdings ist auch eine nicht unerhebliche Zahl von Patienten mit Schizophrenien in ihrer ToM testpsychologisch kaum oder gar nicht beeinträchtigt. Ob dies prognostische Bedeutung hat, ist jedoch noch gänzlich unbekannt.
ToM bei Schizophrenien: Zustandsabhängig oder langzeitstabil? Friths (1992) und Hardy-Baylés (Hardy-Baylé et al. 1994) Konzeptualisierungen der ToM bei Schizophrenien postulieren, dass Patienten mit »Passivitätssymptomen«, Patienten ohne formale Denkstörungen und remittierte Patienten relativ unbeeinträchtigt hinsichtlich ihrer ToM Funktionen sind. Tatsächlich haben Untersuchungen der jeweiligen Arbeitsgruppen gezeigt, dass diese Subgruppen bei ToM Tests besser abschneiden als akuter Erkrankte, aber auch als schwer chronifizierte Patienten. Dies würde dafür sprechen, dass ToM Störungen bei schizophrenen Patienten eher zustandsabhängig sind, im Verlaufe der Erkrankung aber in der Schwere zunehmen. Die Annahme, dass ToM Defizite zustandsabhängig sind, ist jedoch durch mehrere Studien in Frage gestellt worden. Gesunde Probanden, bei denen das Ausmaß schizotypischer Merkmale systematisch erfasst wurde, und die in zwei Gruppen eingeteilt wurden (»hohe« und »niedrige« Schizoptypiewerte) unterschieden sich hinsichtlich ihrer ToM Fähigkeiten dahingehend, dass die Probanden mit hohen Werten bei ToM Tests schlechter abschnitten als die mit niedrigen Werten. Geht man von der Annahme aus, dass zwischen Schizotypie und Schizophrenie ein Kontinuum besteht, könnte dieses Ergebnis dahingehend interpretiert werden, dass ToM Defizite merkmalstabil sind. Probanden mit hohen Schizotypiewerten zeigten auch einen (nichtsignifikanten) Trend zu ausgeprägterem magischen Denken und ungewöhnlichen Wahrnehmungserlebnissen. Dies deutet darauf hin, dass ToM Defizite kausal mit psychotischen Symptomen verknüpft sein könnten (Langdon und Coltheart 2004). In anderen Studien konnte gezeigt werden, dass remittierte Patienten schlechter bei ToM Aufgaben abschnitten als gesunde Kontrollpersonen. Als Beleg für die Vermutung, dass ToM Defizite »trait-marker« darstellen, kann auch gewertet werden, dass offenbar auch klinisch gesunde Verwandte ersten Grades von Patienten mit Schizophrenien mehr Probleme bei der Lösung von ToM Aufgaben haben als genetisch unbelastete Probanden. In gleicher Weise unterstützen die Ergebnisse einer Längsschnittstudie diese Hypothese, in der schon im Kindesalter von Personen, die als Erwachsene eine Schizophrenie entwickelten, schlechtere ToM Leistungen gefunden wurden, als bei Kindern, die keine psychotische Erkrankung ausbildeten (Schiffman et al. 2004). Zusammenfassend spricht die derzeitige Datenlage eher dafür, dass es sich bei Störungen der ToM bei Patienten mit Schizophrenien um verlaufsstabile Eigenschaften handelt, die jedoch akzentuiert im Rahmen akuter Krankheitsphasen auftreten und möglicherweise auch im Verlauf der Erkrankung im Schweregrad zunehmen.
355 Literatur
ToM und soziale Kompetenz bei Schizophrenien Störungen der sozialen Kompetenz gehören zu den hervorstechendsten Merkmalen schizophrener Psychosen. Sie gehen dem Beginn der psychotischen Kernsymptomatik oftmals zeitlich deutlich voraus, sind bei Erstmanifestationen praktisch immer vorhanden und respondieren oft nur unzureichend auf eine antipsychotische Behandlung. Im Verlauf der Erkrankung nimmt die soziale Kompetenz schizophrener Patienten häufig weiter ab und trägt möglicherweise zu der hohen Rückfallrate bei (Pinkham et al. 2003). Nicht-sozial kognitive Faktoren können statistisch gesehen offenbar nur einen kleinen Teil der Varianz von Störungen der sozialen Kompetenz erklären. Es wurde daher verschiedentlich postuliert, dass Störungen der sozialen Kognition hier einen weitaus größeren Beitrag leisten könnten (Penn et al. 1997; Green et al. 2005). Allerdings haben bislang nur wenige Studien den Zusammenhang von beeinträchtigter ToM und sozialen Kompetenzstörungen bei Schizophrenien systematisch untersucht. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass eine gestörte ToM tatsächlich einen beträchtlichen Anteil der statistischen Varianz sozialer Kompetenzstörungen erklären kann und ein engerer Bezug von sozialer Kompetenz zu ToM als zu Exekutivfunktionen oder Intelligenz besteht. Allerdings ist die Dauer bzw. Chronizität der schizophrenen Erkrankung ebenfalls ein signifikanter und unabhängiger Prädiktor für Störungen der sozialen Kompetenz (Brüne 2005b). In einer kürzlich abgeschlossenen Studie bei einer unabhängigen Stichprobe von Patienten mit Schizophrenien konnte unsere eigene Arbeitsgruppe dieses Ergebnis nicht nur replizieren, sondern in einer Subgruppe von Patienten mit mindestens normaler Intelligenz zeigen, dass das Abschneiden in ToM Tests sogar etwa 50% der Varianz im Hinblick auf die soziale Kompetenz erklärten, während andere »nicht-soziale« kognitive Faktoren, Intelligenz oder Dauer der Erkrankung praktisch keine Rolle spielten (Brüne et al. 2007). Zusammen genommen spricht gegenwärtig vieles dafür, dass gestörte soziale Kompetenz bei Patienten mit Schizophrenien v. a. auf sozial-kognitive Defizite zurückzuführen ist und weniger abhängt von Intelligenz oder Exekutivfunktionen. 27.4
Zusammenfassung
Das Verständnis der schizophrenen Kernsymptomatik einschließlich formaler und inhaltlicher Denkstörungen, Halluzinationen, Konkretismus sowie unterschiedlichster Verhaltensstörungen hat durch die stärkere Beachtung sozial-kognitiver Prozesse enorm zugenommen. Neben Störungen der Emotionsdekodierung und Enkodierung bei Schizophrenien ist durch empirische Studien in den vergangenen Jahren deutlich geworden, dass die Fähigkeit, über eigene psychische Vorgänge und die anderer Personen reflektieren zu können, die unter dem Stichwort »theory of mind« (ToM) subsumiert wird, bei Patienten mit schizophrenen Psychosen erheblich beeinträchtigt sein kann. Störungen der ToM sind nicht nur eng mit bestimmten Symptomen assoziiert; sie
27
stellen auch den besten Prädiktor für Störungen des pragmatischen Sprachgebrauchs bei Schizophrenien dar sowie für Störungen der sozialen Kompetenz. Obwohl Wechselwirkungen zwischen ToM Störungen und anderen kognitiven Einbußen bestehen, so sind ToM Defizite bei Schizophrenien aller Wahrscheinlichkeit nach selektiv und spezifisch, d. h., sie sind nicht bloß eine Folge beeinträchtigter Intelligenz oder gestörter Exekutivfunktionen. Es ist darüber hinaus von herausragender Bedeutung für die Therapie schizophrener Störungen, dass ToM Defizite, zumindest nach gegenwärtigem Kenntnisstand, langzeitstabil sind und somit einen »trait-marker« darstellen bzw. vielleicht sogar die Kriterien eines Endophänotyps innerhalb der Gruppe der Schizophrenien erfüllen, nämlich Erblichkeit, Zustands-Unabhängigkeit, assoziiertes Risiko in der Allgemeinbevölkerung und gehäuftes Vorkommen bei nicht betroffenen Verwandten (Gottesman u. Gould 2003). Sollten sich diese Befunde replizieren lassen, wäre die Bestimmung genetischer Marker für sozial-kognitive Fähigkeiten theoretisch möglich. Im Hinblick auf nicht-medikamentöse Therapiestrategien ist angesichts der möglichen Nonrespons sozial-kognitiver Störungen auf Psychopharmakotherapie und der Bedeutung von ToM Störungen für das Sozialverhalten von Patienten mit Schizophrenien erforderlich, sozial-kognitive Aspekte noch stärker in psychotherapeutische Manuale zu integrieren und in bezug auf die Prävention psychotischer Störungen sozial-kognitive Fähigkeiten bereits bei Patienten mit Prodromalstadien systematisch zu erfassen.
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Kapitel 27 · Soziale Kognition – Psychologie
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28
28 Soziale Kognition – Bildgebung Leonhard Schilbach und Kai Vogeley
28.1
Einführung
28.2
Neurowissenschaftliche Untersuchungen von sozialer Kognition bei Schizophrenie – 359
28.2.1 28.2.2
Hirnstrukturelle Untersuchungen – 359 Funktionelle Bildgebung bei Schizophrenie
28.3
Zusammenfassung Literatur
– 358
– 364
– 363
– 359
358
Kapitel 28 · Soziale Kognition – Bildgebung
28.1
Einführung
! Unter dem Begriff der »sozial-kognitiven Neurowissenschaften« werden diejenigen Forschungsbemühungen verstanden, welche die neuro- und psychophysiologischen Korrelate von menschlichem Verhalten und sozialer Kognition zu erfassen versuchen (Ochsner u. Lieberman 2001).
28
Unter dem Begriff der »sozialen Kognition« (7 Kap. 27) können – in erster Näherung – all diejenigen Prozesse subsumiert werden, die zur Wahrnehmung und dem Verständnis von sich selbst und anderen Menschen beitragen. Um soziales Verhalten und damit einhergehende Kognitionen wissenschaftlich zu erfassen, werden Paradigmen konzipiert, welche überwiegend sozialpsychologische Konstrukte – hinsichtlich derjenigen menschlichen Fähigkeiten, die soziale Interaktion ermöglichen – abbilden und diese in operationalisierter Form empirisch untersuchbar machen. Dem Gebiet der sozialen Kognition kommt große Bedeutung für die Psychiatrie zu. Dies liegt daran, dass bestimmte psychiatrische Krankheitsbilder mit spezifischen Veränderungen in diesem Bereich einhergehen. Hier sind besonders Schizophrenie und Autismus zu erwähnen, aber auch affektive Störungen und Persönlichkeitsstörungen. Das Funktionieren von sozialer Kognition kann als eine Grundlage der Fähigkeit zur intrinsisch motivierenden interpersonellen Interaktion und zu prosozialem Verhalten angesehen werden. Veränderungen von sozialer Kognition und die damit einhergehende Abnahme von sozialer Kompetenz können die Lebensqualität in besonderem Maße beeinträchtigen. Sozial-kognitive Verhaltensexperimente, die das Antwortverhalten und Leistungsvermögen von Versuchspersonen in Bezug auf eine bestimmte Aufgabe testen, werden oftmals durch physiologische Messungen ergänzt. Dabei spielen im Bereich der sozialen Kognition – v. a. in der Lesart von Theorien sog. »verkörperter« Kognition – psychophysiologische Veränderungen (z. B. Herzfrequenz, Blutdruck, Hautleitfähigkeit) eine wichtige Rolle (z. B. Cacioppo 1994; Damasio 1999; Britton et al. 2006). Interessanterweise gibt es auch Hinweise dafür, dass bei Patienten, die an einer Schizophrenie leiden, veränderte psychophysiologische Reaktionsmuster vorliegen (z. B. Brekke et al. 1997; Williams et al. 2004). Experimentelle Paradigmen werden – nach Testung an gesunden Kontrollpersonen – auch bei Patienten mit umschriebenen Hirnläsionen eingesetzt, um Rückschlüsse auf die neuroanatomischen Korrelate der jeweiligen kognitiven Funktion ziehen zu können (z. B. Blair u. Cipolotti 2000; Samson et al. 2005). Neuerdings kann hierzu auch die transkranielle Magnetstimulation (TMS) eingesetzt werden, bei der passagere »Läsionen« von kortikalen Arealen induziert werden können und somit aus Versuchsteilnehmern temporär »Patienten« werden (z. B. Harmer et al. 2001). Etablierte Paradigmen werden weiterhin an Patientengruppen getestet, um zu prüfen, ob die spezifischen Anforderungen der Aufgabe dazu dienen können, Gesunde von Kranken
und innerhalb der Patientengruppe unterschiedliche diagnostische Subgruppen zu differenzieren. Ein großer Anteil der sozial-kognitiv ausgerichteten neurowissenschaftlichen Untersuchungen bedient sich sog. bildgebender Verfahren, denen ein besonderes explanatorisches Potenzial zugesprochen wird, weil sie in der Lage sind, die – für die Bearbeitung einer definierten Aufgabe notwendige und einem Verhalten zugrunde liegende – Aktivität multipler Hirnregionen und ihrer zeitlichen Zusammenhänge zu identifizieren (Raichle 2003). Darunter sind zum einen Verfahren zu verstehen, die Abbildungen der Struktur des Gehirns (Magnetresonanztomographie, kurz: MRT) generieren. Die Magnetresonanzspektroskopie (MRS) erlaubt in begrenztem Maße, die Beobachtung von biochemischen Veränderungen in einem Volumenelement durchzuführen. Zum anderen sind dies v. a. die funktionell bildgebenden Verfahren, welche umschriebene Funktionen des Gehirns darstellbar machen können (. Abb. 28.1). Diese Verfahren sind für die Untersuchung von kognitiven Leistungen von besonderer Bedeutung. Dazu zählen heute im Wesentlichen die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) und die Positronenemissionstomographie (PET). Neben den oben genannten Methoden ergänzen genetische Untersuchungen, Zwillingsstudien und entwicklungspsychologische Ansätze sowie bildgebende Untersuchungen im Kinderund Jugendalter den Forschungsbereich (Durston u. Casey 2006). Auch neuroendokrinologische Einflüsse auf das soziale Verhalten werden untersucht (z. B. Kirsch et al. 2005). Im vorliegenden Kapitel wird das Thema der sozialen Kognition bei Schizophrenie mit besonderer Berücksichtigung der Resultate von funktionell bildgebenden Untersuchungen diskutiert.
. Abb. 28.1. Aktivierungen des medialen Präfrontalkortex (MPFC) in der Überlagerung auf eine strukturelle MR-Aufnahme bei der Wahrnehmung von sozial relevanten Gesichtsausdrücken (Schilbach et al. 2006)
359 28.2 · Neurowissenschaftliche Untersuchungen von sozialer Kognition bei Schizophrenie
In Bezug auf die Schizophrenie erscheint die Verwendung von sozial-kognitiven Paradigmen zur Untersuchung des neurophysiologischen Substrates besonders aussichtsreich, da diese Domäne menschlicher Kognition besonders wichtige Aspekte der Psychopathologie abbilden kann.
28
der dopaminergen Transmission in Zusammenhang gebracht, welche die Salienz und Stabilität von externen und internen Repräsentationen verändern können und damit Belohnungs- und Lernprozesse beeinflussen (Kapur et al. 2005). 28.2.2 Funktionelle Bildgebung bei Schizophrenie
28.2
Neurowissenschaftliche Untersuchungen von sozialer Kognition bei Schizophrenie
28.2.1 Hirnstrukturelle Untersuchungen Im Vergleich zu Gesunden haben zahlreiche anatomisch-morphometrische Untersuchungen hirnstrukturelle Unterschiede bei Schizophrenie zeigen können. Dabei sind die Erweiterung der Seitenventrikel (McDonald et al. 2006), veränderte Gyrifizierungsmuster (Vogeley et al. 2001a) und Volumenminderungen sowohl einzelner kortikaler Regionen, der weißen Substanz als auch des Gesamtgehirns beschrieben (Shenton et al. 2001). Auch konnte gezeigt werden, dass verschiedene Symptome und testpsychologisch nachweisbare Leistungsminderungen mit Hirnvolumenveränderungen korrelieren (z. B. Antonova et al. 2004). Onitsuka et al. (2006) konnten außerdem den Nachweis von sowohl strukturellen als auch funktionellen Veränderungen derselben Struktur führen. Diese Veränderungen sind für den Bereich der sozialen Kognition interessant, weil sie zum Teil Hirnregionen betreffen, die während sozial-kognitiver Aufgaben rekrutiert werden. Neben Veränderungen unterschiedlicher Anteile des Frontallappens, insbesondere orbitofrontaler und cingulärer Regionen (z. B. Zhou et al. 2005), des Thalamus (Brickman et al. 2004) und des Kleinhirns (Okugawa et al. 2003) sind auch mediale und laterale Anteile des Termporallappens (Gyrus temporalis superior, Amygdala, Hippocampus, Gyrus parahippocampalis) betroffen (z. B. Yamasue et al. 2004). Unter diesen Regionen sind besonders mediale Anteile des Frontallappens für den Bereich der sozialen Kognition relevant (Amodio u. Frith 2006). Veränderungen des Temporallappens erscheinen wichtig, da diese Strukturen bekanntermaßen zur emotionalen Salienz von Stimuli beitragen (z. B. Phan et al. 2003). Cerebellothalamische Veränderungen könnten im Zusammenhang der »Cognitive dysmetria«Hypothese diskutiert werden, derzufolge neurofunktionelle Veränderungen der corticothalamocerebellocorticalen Verbindungen (CCTCC) zu spezifischen Veränderungen der Kognition und des Verhaltens führen können (Honey et al. 2005). Mit Blick auf die Ätiologie der Schizophrenie vertreten Harrison u. Weinberger (2005) die Auffassung, dass die bekannten neuropathologischen Veränderungen eher zu verlaufsstabilen »trait«-Merkmalen der Schizophrenie beitragen, wohingegen ebenfalls bekannte neurochemische Dysbalancen eher einen »state«-Beitrag zur fluktuierenden psychotischen Symptomatologie leisten. Letztere werden vornehmlich mit Veränderungen
Um Hirnaktivierungsmuster zwischen gesunden Kontrollpersonen und schizophrenen Patienten mittels fMRT vergleichen zu können, muss gewährleistet sein, dass sich zwischen den Gruppen keine signifikanten Leistungsunterschiede zeigen, da dies bereits Aktivierungsunterschiede erklären (Manoach 2003) und ein Unterschied in der neuralen Aktivierung damit nicht mehr eindeutig auf die Differenz diagnostischer Gruppen zurückgeführt werden könnte (Bullmore et al. 1999). Dementsprechend kommt der Auswahl von experimentellen Paradigmen zum Zweck der funktionellen Bildgebung bei Patienten besondere Bedeutung zu. Weiterhin sind bei der Auswahl von Patienten die Fluktuation der Symptomatik und deren Einfluss auf die Bewältigung der Aufgaben, die potenzielle Vielgestaltigkeit der Symptomatik (Positiv- vs. Negativsymptomatik), eventuelle Komorbiditäten, die Medikation und die Phase der Erkrankung (Prodromalstadium, Manifestationsstadium, Residualstadium) in Betracht zu ziehen. Dies stellt eine besondere wissenschaftliche Herausforderung dar. Diese hohen Anforderungen sind reflektiert in der Tatsache, dass bisher nur wenige funktionell bildgebende Untersuchungen verfügbar sind, die sich den neuralen Korrelaten sozialer Kognition bei Schizophrenie im engeren Sinn widmen (Russell et al. 2000, 2007; Gur et al. 2002; Brunet et al. 2003; Hempel et al. 2003; Marjoram et al. 2006).
Selbst-Fremd-Differenzierung Die sog. Ich-Störungen oder die »Desintegration des Ich« ist als eine zentrale psychopathologische Komponente der Schizophrenie beschrieben worden (Scharfetter 1999). Sie geht mit der Beeinträchtigung der Fähigkeit einher, die eigenen mentalen Zustände (Wahrnehmungen, Urteile, Gedanken, Gefühle) von denen anderer Personen, also »Selbst« und »Fremd«, verlässlich voneinander zu unterscheiden. Ich-Störungen können sich anhand von Phänomenen der Gedankeneingebung, des Gedankenentzugs oder der Gedankenkontrolle manifestieren, aber auch zum »Gefühl des Gemachten« führen, zu Derealisations- und Depersonalisationsempfindungen sowie zu Echophänomenen, in denen Patienten wahrgenommene Handlung (z. B. sprachlich oder motorisch) selbst ausführen, ohne dass dies ihrer willentlichen Kontrolle unterläge. Auch Phänomene des Wahns können als Veränderungen von Selbst-Fremd-Differenzierungsfähigkeit rekonstruiert werden insofern, als im Wahn die Fähigkeit verlorengeht, das subjektive Erleben aus der Ersten-Person-Perspektive (1PP) anhand einer quasi objektiven, unbeteiligten Außenansicht eines Anderen
360
28
Kapitel 28 · Soziale Kognition – Bildgebung
(Dritte-Person-Perspektive, 3PP) zu relativieren (zur Thematik des »Überstiegs« 7 Kap. 27). Auch die räumliche Wahrnehmung der eigenen Umgebung oder des »Umraumes« und die Positionierung des eigenen (räumlich ausgedehnten) Körpers darin stellen Anforderungen an die Fähigkeit zur Perspektivübernahme (May 2000). Interessanterweise geben die Ergebnisse von Langdon u. Coltheart (2001) Anlass zu der Annahme, dass es Zusammenhänge zwischen vermeintlich basaleren Mechanismen der Fähigkeit zur visuellen Perspektivübernahme und der Fähigkeit zur »Mentalisierung« gibt. Unter Mentalisierung oder auch »Theory of Mind« (ToM) wird die Fähigkeit verstanden, anderen mentale Zustände zuzuschreiben (Frith u. Frith 2003). Aus fMRT-Untersuchungen zur Einnahme der 1PP im Kontext der Raumkognition geht hervor, dass die Mentalisierung mit Aktivierungen von Regionen im medialen Präfrontalkortex (MPFC), im medialen Parietallappen und im oberen Temporallappen einhergeht (Vogeley u. Fink 2003). Gerade die Aktivität des Präfrontalkortex (PFC) ist auch mit der Fähigkeit der Selbst-Wahrnehmung oder des »self-monitoring« in Zusammenhang gebracht worden (Vogeley et al. 1999). Differenzielle Aktivität dieser Strukturen und medialer Anteile der Parietallappen wurden kürzlich auch in einer Metaanalyse von 27 PETund fMRT-Studien nachgewiesen, in denen »Selbst-Bezug« mittels unterschiedlichster Paradigmen in verschiedenen funktionellen Domänen ausgewertet worden war (Northoff et al. 2006). Blackwood und Kollegen untersuchten mittels fMRT die neuralen Korrelate der Wahrnehmung von Selbstrelevanz bestimmter Stimuli an einer Gruppe schizophrener Patienten, um
diesen Aspekt von Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn abzubilden (Blackwood et al. 2004). Dabei war auffällig, dass die Patienten tatsächlich in denjenigen Regionen verminderte Gehirnaktivität aufwiesen (vorderer und hinterer cingulärer Kortex), die im Zusammenhang mit dem »default mode of brain function« und Selbst-Referenzialität nachgewiesen worden sind. Das phänomenale Erleben des Beeinträchtigungswahns ist eng mit der Frage nach bestehendem oder erlebtem Selbstbezug von Wahrnehmungen verknüpft, die dann – der »mantischen« Natur des Menschen entsprechend (Hogrebe 1997) – gedeutet werden müssen. Dies könnte in der Folge zu verstärkter Mentalisierung führen, mit der die als selbstbezüglich erlebten Perzepte verarbeitet werden. Die fMRT ist auch genutzt worden, um andere typische Veränderungen der Wahrnehmung bei Schizophrenie zu untersuchen. Surguladze et al. (2006) konnten zeigen, dass gesteigerte Aktivität von parahippokampalen Strukturen positiv mit dem Schweregrad von Realitätsverzerrung (»reality distortion«) korreliert. Ähnliche Befunde waren bereits Jahre zuvor in einer PETStudie erhoben worden, bei welcher der Zusammenhang vom Schweregrad der Psychopathologie mit erhöhtem Blutfluss in medialen Anteil des linken Temporallappens deutlich gemacht wurde. Dieser Anstieg wurde von den Autoren im Sinne einer Disinhibition der Aktivität des linken Temporallappens interpretiert (Friston et al. 1992). Ragland et al. (2006) präsentierten Ergebnisse, die in ähnlichen Regionen eine Aktivitätszunahme nachwiesen, die mit der Schwere der Symptome, nicht aber mit der Leistung bei der Durchführung der im Experiment gestellten
Exkurs »Default mode of brain function« Zur Einordnung der anhand unterschiedlichster Paradigmen evozierten Aktivierungen des MPFC und des medialen Parietallappens, der sog. »cortical midline structures« (Uddin et al. 2007), ist die Entdeckung des sog. »Hirnruhezustandes« von besonderer Bedeutung: Im Zuge der Entwicklung der funktionellen Bildgebung und der Auswertung einer Vielzahl an Studien ist dieses anfangs nebenbefundlich erfasste Phänomen nun zunehmend in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. In einem kanonischen Artikel beschrieben Raichle und Mitarbeiter erstmals, dass die Gehirnaktivität in Experimentpausen reproduzierbar Aktivierungsmuster zeigt, die v. a. im Bereich der medialen Anteile der Hirnhemisphären (medialer Präfrontalkortex und medialer Parietallappen) zu finden seien (Raichle et al. 2001). Diese Regionen sind ohne gezielte externe Stimulation differenziell aktiviert und konstituieren damit einen »Ausgangszustand« oder »Ruhezustand« des Gehirns (»default mode of brain function«, »resting state«), welcher durch gezielte Bezugnahme zur Außenwelt verändert und ausgelenkt wird.Weiterhin werden diese Regionen durch Experimente aktiviert, deren Bearbeitung implizit oder explizit auf Eigenschaften des »Selbst« rekurriert, wie in einer Vielzahl von sozial-kognitiven Aufgaben zu beobachten ist. Umgekehrt wird Ak-
tivität in diesen Regionen besonders vermindert, wenn andere Areale, die nicht Teil des »default-mode«-Netzwerkes sind, zur Bearbeitung einer bestimmten Aufgabe aktiviert werden. Gusnard vertritt die Auffassung, dass die Hirnaktivität in den Default-modeRegionen dazu beiträgt, das für eine bestimmte Situation erforderliche Maß an »Selbst-Bewusstsein« zu generieren (hier verstanden als Zugang zu repräsentationalen Inhalten mit Bezug zum »Selbst« im Sinne einer Diskriminations- und Bewertungsleistung zum Zweck der Planung, Entscheidungsfindung und Verhaltenskontrolle; Gusnard 2005). Weiterhin gibt es interessanterweise Anhaltspunkte dafür, dass die Funktion und Auslenkbarkeit des Hirnruhezustandes bei unterschiedlichen Erkrankungen verändert ist (Autismus: Kennedy et al. 2006; Demenz vom Alzheimer Typ: Lustig et al. 2003; Depression: Drevets 2001; Epilepsie: Laufs et al. 2006). Da sich aber gerade die Psychopathologie der Schizophrenie charakteristischerweise durch Ich-Störungen und veränderte Selbst-Bezüge auszeichnet, ist zu erwarten, dass die Untersuchung dieser Patientengruppe hinsichtlich der Frage, ob die Aktivität der Default-Regionen als neuraler Korrelate des »Selbst« wird Geltung gewinnen können, von besonderer Bedeutung sein wird.
361 28.2 · Neurowissenschaftliche Untersuchungen von sozialer Kognition bei Schizophrenie
Aufgabe korreliert. Wie bereits eingangs erwähnt, sind auch strukturelle Veränderungen sowohl der grauen als auch der weißen Substanz in frontotemporalen Gehirnregionen nachweisbar, und es gibt Hinweise, dass diese mit funktionellen Auffälligkeiten in Zusammenhang stehen könnten (Schlosser et al. 2007). Insgesamt sind diese Befunde auch vereinbar mit der »temporo-limbic system theory« schizophrener Positivsymptome (Bogerts 1997). Eine weitere Gehirnregion, die durch Bildgebungsstudien in die Diskussion hinsichtlich der neuralen Korrelate der SelbstFremd-Differenzierung bei Schizophrenien gebracht wurde, ist der Parietallappen. Dessen inferiorer Anteil ist – so zeigen Untersuchungen an Gesunden – beteiligt bei der Repräsentation von »Selbst« und »Fremd« und somit wichtig für das Erleben der Meinhaftigkeit besonders von Handlungen (»agency«) (z. B. Ruby u. Decety 2001). Weiterhin scheint auch die Beteiligung des Kleinhirns – unter Einbeziehung von zerebelloparietalen Netzwerken – für diese Funktionen wichtig zu sein (Blakemore et al. 2003). Die Unterscheidbarkeit bei der Zuordnung von Wahrnehmungsinhalten als selbst- oder fremdzugehörig muss als wichtiger Bestandteil von psychischer Gesundheit angesehen werden. Vermutlich ist es das Zusammenwirken von posterioren Hirnregionen und der sensorischen Integration im PFC, die dies beim Gesunden realisieren. Umgekehrt könnten Störungen dieser Regionen und/oder ihrer Konnektivität zu Fehlattribuierungen und Ich-Störungen führen (Frith 2005).
Mentalisierung oder »Theory of Mind« (ToM) Neben Fähigkeiten der Selbst-Fremd-Differenzierung sind weitere sozial-kognitive Prozesse bei Schizophrenie gestört. Ein typisches Maß für diese Beeinträchtigungen ist die Fähigkeit zur »Theory of Mind« (ToM) oder zur Mentalisierung (»mentalizing«) (7 Kap. 27, Frith u. Frith 2003). Hier wird Bezug genommen auf die Fähigkeit, anderen Personen adäquat mentale Zustände zuzuschreiben, um deren Verhalten entweder vorhersagen oder erklären zu können. Dabei ist zu beachten, dass der Begriff »Theory of Mind« Bezug nimmt auf ein eher weites Feld perzeptueller und kognitiver Funktionen, sodass vielfach sehr unterschiedliche Aufgaben hierunter subsumiert worden sind. In der heutigen Diskussion werden zunehmend einzelne Komponenten dieser kognitiven Funktion differenziert und spezifisch getestet. So unterscheidet Shamay-Tsoory zwischen »kognitiver« und »affektiver« ToM im Hinblick auf die affektive Komponente dieser Aufgaben. Übliche »false belief tasks« (Wimmer u. Perner 1983) prüfen typischerweise ein eher »kognitives« Verständnis von unterschiedlich verfügbarem Wissen. Dagegen basiert das »affektive« Verständnis etwa von Ironie oder Faux-pas-Situationen eher auf empathischer Einfühlung, die affektiv angereichert verstanden werden muss (Shamay-Tsoory et al. 2007a). Die mittels fMRT erfassbaren neuralen Korrelate von ToM bei gesunden Kontrollpersonen sind mittlerweile gut bekannt und durch eine inzwischen große Anzahl an Studien repliziert: Dabei handelt es sich in der Regel um differenzielle Aktivität des MPFC, des temporoparietalen Überganges (»temporo-parietal junction«,
28
TPJ) bzw. des superioren temporalen Sulcus (STS) und Strukturen des vorderen Temporalpols (Vogeley 2001b; Saxe 2006). Vollm und Kollegen konnten zeigen, dass die Durchführung von kognitiv und affektiv angereicherten ToM-Aufgaben zu überlappenden Hirnaktivierungen bei Gesunden führt (Vollm et al. 2006). Die funktionelle Bedeutung der Aktivierung der unterschiedlichen Areale wird kontrovers diskutiert. Aktivierungen von STS und TPJ werden reproduzierbar durch die Wahrnehmung von biologischen Bewegungen (Blickwendung, Körperbewegungen) und der Zuschreibung von damit verbundenen Intentionen evoziert (z. B. Allison et al. 2000; Grosbras et al. 2005). Der anteriore Temporalpol stellt eine Konvergenzzone für sensorischen Input unterschiedlicher Modalitäten und limbischer Afferenzen dar und prozessiert somit den semantischen und emotionalen Kontext, in dem Stimuli wahrgenommen werden. Aktivierungen im Bereich des MPFC sind hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zu Subkompartimenten dieses Areals, die bestimmten kognitiven Unterfunktionen entsprechen sollen, weiter unterschieden worden (Amodio u. Frith 2006). Dabei wird auf der Basis anatomischer Merkmale zwischen anteriorem und posteriorem Anteil des rostralen MPFC (arMPFC u. prMPFC) sowie orbitofrontalem Anteil (oMPFC) differenziert. Dem posterioren Anteil wird Funktionalität im Sinne der Handlungskontrolle (»action monitoring«) und Handlungsauswahl (»response selection«) zugesprochen. Der orbitale Anteil diene der Erfassung von potenzieller Belohnung (»reward«) und Bestrafung (»punishment«). Der – anatomisch in einer Zwischenstellung befindliche – arMPFC sei für die Verarbeitung von Wissen über sich selbst (»self-knowledge«), Wissen über Personen im Allgemeinen (»person knowledge«) und das Erfassen der mentalen Zustände eines Anderen (»mentalizing«) zuständig, also für diejenigen Funktionen, die ToM im engen Sinn zugerechnet werden können. Bei schizophrenen Patienten konnte nun gezeigt werden, dass bei der Ausführung von ToM-Aufgaben Veränderungen der von Gesunden bekannten Aktivierungsmuster des MPFC zu beobachten sind. In der ersten fMRT-Studie, die sich dieser Thematik zuwandte, konnten Russell und Kollegen ein geringeres BOLDSignal im linken Gyrus frontalis inferior nachweisen (Russell et al. 2000). In einer PET-Studie von Brunet und Kollegen blieben Aktivierungen des PFC bei der Zuschreibung von Intentionen bei schizophrenen Patienten im Gegensatz zu gesunden Kontrollpersonen aus (Brunet et al. 2003). Ähnliche Ergebnisse wurden auch für die Wahrnehmung affektiv getönter Gesichtsausdrücke gezeigt, die bei Patienten zu Minderaktivierungen des anterioren Gyrus cinguli führte (Hempel et al. 2003). Vor dem Hintergrund der Funktionen, die Aktivität in diesem Gebiet bei Gesunden hervorrufen, könnte dies die veränderte Verarbeitung von sozialer Information durch die Patienten erklären. Die Unterscheidung verschiedener ToM-Komponenten erscheint auch im Hinblick auf Schizophrenie potenziell ertragreich, weil Beeinträchtigungen unterschiedlicher Komponenten spezifisch für Schizophrenie sein könnten. So konnten ShamayTsoory und Kollegen anhand der Unterscheidung von »kogni-
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Kapitel 28 · Soziale Kognition – Bildgebung
tiver« vs. »affektiver« ToM tatsächlich zeigen, dass Schizophreniepatienten v. a. in der Fähigkeit zur Bewältigung von »affektiven« ToM-Aufgaben beeinträchtigt sind und in ihrer Leistung bei der Bearbeitung dieser Aufgaben vergleichbare Ergebnisse zeigen wie Patienten mit Läsionen des ventromedialen Anteils des PFC (Shamay-Tsoory 2007b). Frith wiederum vertritt die Meinung, dass die ToM-Defizite bei Schizophrenen eher im Bereich der expliziten Zuschreibungsleistungen anhand von sozialer Information liegen und nicht in der impliziten, quasiautomatischen Zuschreibung mentaler Zustände (Frith 2004). Analog zu dieser Debatte gibt es bei der Diskussion der Mechanismen von Mentalisierung (mindestens) zwei große rivalisierende Theorien: die »Theorietheorie (TT)« und die »Simulationstheorie (ST)«. Erstere besagt, dass Mentalisierung darin besteht, die mentalen Zustände anderer zu repräsentieren. Zu diesem Zweck werden in einer bestimmten ontogenetischen Sequenz unterschiedliche Module »aktiv« (Baron-Cohen et al. 1999; Leslie 1994), die Lernprozesse möglich machen und somit zum Erfassen der Absichten, Wünsche und Intentionen anderer beitragen (Gopnik u. Meltzoff 1997). Ungeachtet unterschiedlicher Vorschläge bezüglich der entwicklungspsychologischen Sequenz vertritt die TT die Position, dass das Verständnis anderer Menschen auf der Einnahme eines »theoretical stance« basiert. Diese Perspektive beinhaltet die Annahme, dass andere Menschen über mentale Zustände verfügen und dieses Wissen benutzt wird, um das Verhalten anderer zu erklären und vorherzusagen. TT stützt sich v. a. auf Experimente, die den sog. »false belief task« verwenden, dessen Material in aller Regel die explizite Zuschreibung von Überzeugungen verlangt, eine Fähigkeit, die von den meisten Kindern im Alter von 4 Jahren entwickelt ist (Saxe et al. 2004). Die neuronalen Korrelate dieser Fähigkeit sind mittels funktioneller Bildgebung erforscht worden und umfassen die Hirnregionen MPFC, STS und TPJ. Die ST wiederum geht davon aus, dass Mentalisierung v. a. auf der Fähigkeit basiert, Gefühle und Erfahrungen zu »simulieren«, also die Situation des anderen nachzuempfinden, als würden wir uns selbst in der Situation befinden (Heal 1986). Neurophysiologisch ist die ST v. a. mit dem System der »Spiegelneuronen« (»mirror neuron system«, MNS; Iacoboni u. Dapretto 2006) in Verbindung gebracht worden, welches die Fähigkeit zur Einfühlung ermöglichen könnte (Gallese 2003). Weiterhin gibt es Vermutungen, dass die Desorganisation der höherstufigen Verarbeitung von sozialen Stimuli bei Schizophrenie auf der Unfähigkeit beruht, kontextuelle Informationen nutzbar zu machen (7 Kap. 27). Letzteres könnte als die Fähigkeit beschrieben werden, die soziale Situation anhand zusätzlicher Information – im Sinne eines Perspektivwechsels – zu interpretieren. Hierbei ließe sich ebenfalls vermuten, dass hierbei unterschiedliche Subregionen des MPFC differenziell zur Verarbeitung beitragen würden. Auch ist nicht abschließend geklärt, wie unterschiedliche Erkrankungsphasen die ToM-Fähigkeiten beeinträchtigen. So gibt es Hypothesen, dass das Auftreten von psychotischer Symptoma-
tik ToM-Fähigkeiten beeinträchtigt (Drury et al. 1998). Andererseits gibt es Ergebnisse, die zeigen, dass Antipsychotika unterschiedlichen Einfluss auf Symptome und ToM-Fähigkeit haben, was Unterschiede im neurobiologischen Substrat vermuten ließe (Mizrahi et al. 2006).
Emotionales Erleben und Verhalten Emotionales Erleben und Verhalten stellen eine wichtige Komponente sozial-kognitiver Leistungen dar und tragen fast immer substanziell zur Psychopathologie bei. So zeigt sich eine verringerte Wahrnehmungs- und Unterscheidungsfähigkeit unterschiedlicher Emotionen (v. a. negative Emotionen und Angst) (z. B. Schneider et al. 1995; Sachs et al. 2004). Die neurobiologischen Korrelate dieser Auffälligkeiten sind mittels fMRT untersucht worden, wobei sich im Vergleich zu Gesunden besonders Hypoaktivierungen im Bereich des anterioren cingulären Kortex und des Amygdala-Hippocampus-Komplex zeigten (Gur et al. 2002; Hempel et al. 2003). Auch gibt es Hinweise für relative Aktivierungsdifferenzen zwischen rechter und linker Amygdala (Kosaka et al. 2002; Holt et al. 2006). Russell und Kollegen berichten über Aktivierungen des Hippocampus bei der Wahrnehmung von angstvollen Gesichtsausdrücken bei einer Gruppe nichtparanoider Schizophrener im Vergleich zu Amygdalaaktivierungen, die sie bei einer Gruppe von Patienten mit paranoidem Erleben (jeweils im Vergleich mit einer Kontrollgruppe) feststellen konnten. Aufgrund der Gruppenunterschiede argumentieren sie, dass Aktivierungen der Amygdala am ehesten als »state«-Marker zu verstehen sind, wohingegen Mehraktivierungen des Hippocampus als »trait«-Merkmal bei Schizophrenie anzusehen seien (Russell et al. 2007). Ebenfalls wird diskutiert, inwiefern Änderungen der Amygdalaaktivierung Resultat unterschiedlicher Modulation durch die Afferenzen des PFC sein könnten, da gezeigt worden war, dass es im PFC und in medial temporal gelegenen Strukturen zu simultanen hämodynamischen Antwortmustern bei der Emotionswahrnehmung kommt (Blair et al. 1999). Zwischen diesen Regionen existieren anatomische (inhibitorische) Verbindungen (Elliott et al. 2000), anhand derer orbitofrontale Aktivität Einfluss auf die Amygdala ausüben kann (Ochsner et al. 2004). Konsistent dazu konnte gezeigt werden, dass verminderte (inhibitorische) Aktivität des PFC auf die Amygdala bei paranoider Ideation zu einem erhöhten Erregungszustand (»arousal«) führt (Williams et al. 2004). Das und Kollegen konnten andererseits auch zeigen, dass es im Rahmen von Schizophrenie zu einer Umkehr der normalen Konnektivitätsmuster zwischen medialem PFC und Amygdala bei der Wahrnehmung von Gesichtern kommt, was die Salienz der Stimuli verringern und normales Orientierungsverhalten abschwächen könnte (Das et al. 2007).
Funktionelle Bildgebung im Rahmen von Therapieüberwachung und Früherkennung Bezüglich des Einsatzes der funktionellen Bildgebung im Verlauf der Therapie gibt es ebenfalls nennenswerte Aspekte. So ist be-
28
363 28.3 · Zusammenfassung
kannt, dass antipsychotische Medikation Einfluss auf den CBF und damit auf die mittels fMRT darstellbaren Aktivierungen haben kann. Es konnte auch eine Zunahme von Aktivierungen unter Medikation gezeigt werden, die sich im subjektiven Empfinden der Patienten widerzuspiegeln schien (Stip et al. 2005). Andererseits ist anzumerken, dass Medikamenteneinnahme auch als potenzielle Konfundierung bei Studien berücksichtigt werden muss, sodass nur möglichst homogene Gruppen hinsichtlich der Präparate und der Einnahmedauer verglichen werden sollten. Außerdem konnte man zeigen, dass Antipsychotika auch Einfluss auf die neuronale Konnektivität haben (Stephan et al. 2001). Dies scheint ein besonders zukunftsweisender Ansatz zu sein, da er – ausgehend von der Vermutung, dass das neurale Substrat der Schizophrenie nur schwer als multifokales Läsionsmodell betrachtet werden kann – das Zusammenspiel von Gehirnregionen und ihren Einfluss auf kognitive Leistungen erfassbar machen kann. Diese unterschiedlichen Beiträge unterschiedlicher Regionen zu spezifischen Aufgaben könnten dann im Therapieverlauf dokumentiert und mit dem subjektiven Erleben korreliert werden. Vergleichbar vielversprechend sind Ansätze, die versuchen, funktionell bildgebende Verfahren bereits im Prozess der Früherkennung einsetzbar zu machen. Fusar-Poli et al. (2007) stellen in einem diesbezüglichen Übersichtsartikel dar, dass Angehörige von Hochrisikogruppen – so wie auch an Schizophrenie Erkrankte selbst – Auffälligkeiten in der Rekrutierung verschiedener Hirnregionen aufweisen. Auch Marjoram und Kollegen konnten zeigen, dass Verwandte von Patienten mit Schizophrenie bei der Bearbeitung einer ToM-Aufgabe im Vergleich zu einer Kontrollgruppe unterschiedliche zerebrale hämodynamische Antwort-
muster (v. a. des PFC) zeigen (Marjoram et al. 2006). Dementsprechend gibt es Grund zu der Annahme, in Zukunft anhand von vergleichbaren Paradigmen generierte Befunde eventuell als Kennzeichnung (»marker«) im Sinn eines zerebralen »Fingerabdrucks« verwenden zu können.
Zusammenfassung der Bildgebungsbefunde Brunet-Gouet u. Decety haben in einem Übersichtsartikel einen Großteil der verfügbaren Bildgebungsstudien rezensiert und kommen zu dem Schluss, dass das Krankheitsbild der Schizophrenie durch veränderte hämodynamische Antworten bestimmter Regionen des Gehirns gekennzeichnet ist und dass es diese Veränderungen sind, welche die sozial-kognitiven Defizite von Patienten erklären (Brunet-Gouet u. Decety 2006). Wir schließen uns der Meinung an, dass die bisherigen Forschungsbemühungen zur Charakterisierung dieser funktionellen Veränderungen bei Schizophrenie maßgeblich beigetragen haben. Wichtige Kerncharakteristika der Psychopathologie bei schizophrenen Psychosen sind anhand von sozial-kognitiven Paradigmen erfassbar und konnten als Veränderungen der Funktion und Konnektivität von medial temporalen Strukturen, des inferioren Parietallappens, des cingulären sowie des medial präfrontalen Kortex beschrieben werden (. Abb. 28.2). 28.3
Zusammenfassung
Das ätiologische und pathogenetische Verständnis der Schizophrenie kann in erheblichem Maße durch die Einführung und Anwendung von Konzepten der sozialen Kognition bereichert
. Abb. 28.2. Darstellung der Hirnregionen, deren neurofunktionelle Veränderungen im Zusammenhang mit den Schizophrenien gesehen werden; a Superiorer temporaler Sulcus (STS), temporoparietale Übergangsregion (TPJ), b Amygdala-HippocampusKomplex, c Medialer Präfrontalcortex (MPFC), d Parietallappen b
c
a
d
364
Kapitel 28 · Soziale Kognition – Bildgebung
werden. Mittels funktioneller Bildgebung lässt sich zeigen, dass erkrankungsassoziierte Einschränkungen von sozialer Kognition ihren Niederschlag in veränderten Hirnaktivierungsmustern finden, die auch hinsichtlich ihrer Verwendbarkeit als neurophysiologische »Endo-Phänotypen« untersucht werden könnten (Gottesman u. Gould 2003). Die neurofunktionellen Auffälligkeiten können – bisherigen Studien zufolge – unterschiedliche Merkmale der Erkrankung abbilden helfen. Krankheitsassoziierte Hirnaktivierungsmuster sind durch therapeutische Interventionen beeinflussbar und könnten als Verlaufsparameter sinnvoll werden. Erste Ergebnisse geben Anlass zu der Hoffnung, dass funktionell bildgebende Befunde in der Zukunft auch zur Früherkennung und zur Beurteilung des Therapieverlaufs nutzbar gemacht werden können.
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Kapitel 28 · Soziale Kognition – Bildgebung
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29
29 Metakognition – Psychologie Steffen Moritz
29.1
Terminologisches
– 368
29.2
Korrespondenz subjektiver und objektiver kognitiver Leistungen – 368
29.2.1 29.2.2 29.2.3 29.2.4
Subjektive kognitive Defizite – 368 Die Bedeutung subjektiver kognitiver Defizite für Behandlung und Verlauf – 369 Subjektive Wahrnehmung von Urteilsverzerrungen – 369 Verzerrte Vorstellungen eigener Denkvorgänge – 370
29.3
Metagedächtnis – 371
29.4
Gedächtniskonfidenz bei korrekten und inkorrekten Gedächtnisurteilen – 371
29.5
Ursachen metakognitiver Dysfunktionen bei Schizophrenie
29.6
Ausblick
– 372
Literatur
– 374
– 372
368
Kapitel 29 · Metakognition – Psychologie
29.1
Terminologisches
Der Begriff »Metakognition« (vom Griechischen »meta« für »über« und vom Lateinischen »cognitio« für »Erkenntnis«) subsumiert mentale Prozesse, die die Beschreibung, Bewertung und Kontrolle der eigenen Informationsverarbeitung zum Inhalt haben (das »Denken über das Denken«). Metakognition wird in diesem Kapitel eng auf die Übereinstimmung subjektiver und objektiver kognitiver Leistungen bezogen sowie auf eher qualitative kognitive Bewertungen (z. B. subjektive Antwortsicherheit, Lebendigkeit des Gedächtniseindrucks). Verwandte Domänen wie (soziales) Einfühlungsvermögen (sog. Theory of Mind) werden in 7 Kap. 27 behandelt. 29.2
Korrespondenz subjektiver und objektiver kognitiver Leistungen
29.2.1 Subjektive kognitive Defizite
29
Eine verminderte Wahrnehmung der eigenen kognitiven Leistungsfähigkeit ist bei verschiedenen neurologischen Störungsbildern beschrieben worden. Vor allem nach rechtshemiphärischem Hemineglekt oder im Rahmen einer fortgeschrittenen Multiplen Sklerose kann es zu einer (zeitlich begrenzten) Anosodiaphorie bis hin zur kompletten Anosognosie kommen (Vuilleumier 2004). Neben der Leugnung der Kernsymptomatik tritt oft eine eingeschränkte Wahrnehmung der erworbenen kognitiven Leistungseinbußen hinzu (z. B. bei einem leitenden Angestellten, der trotz gravierender Gedächtnisstörungen infolge eines schweren Schlaganfalls an seinen alten Arbeitsplatz zurück möchte, da er sich wieder »ganz der Alte« fühle). Auch die eigene Fahrtüchtigkeit wird von vielen neurologischen Patienten überschätzt, selbst wenn neben schweren neuropsychologischen Defiziten motorische Einschränkungen bestehen, die allein die praktische Beherrschung eines Kraftfahrzeugs unmöglich machen. Die Unfähigkeit, die eigenen kognitiven Defizite zu erkennen bzw. anzuerkennen, ist außerdem bei vielen Fällen von Demenz anzutreffen und wird als »kognitive Anosognosie« bezeichnet. Verkennungen des eigenen Leistungsvermögens können in extremen Fällen an Wahn erinnern, entbehren jedoch meist der dafür notwendigen imaginativen Ausgestaltung sowie der mnestischen Kapazität, Fehlattributionen zeitstabil aufrechtzuerhalten (z. B. die Ärzte wollten einen »ins Heim stecken«, um aus dem Haus eine Spielhölle zu machen). Eine Diskrepanz zwischen subjektivem und objektivem Leistungsvermögen wird auch für eine Reihe psychiatrischer Störungen angenommen. Während Depression und Zwang mit einer tendenziellen Unterschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit einhergehen, ist für schizophrene Patienten verschiedentlich das Gegenteil angenommen worden. Schizophrene Patienten klagten in mehreren von uns durchgeführten Studien allerdings über eine größere Anzahl kognitiver Störungen als gesunde Versuchsper-
sonen (Moritz et al. 2001, 2004), was angesichts objektiver Leistungseinbußen in der Mehrzahl kognitiver Domänen (v. a. Gedächtnis und Exekutivfunktionen) zunächst für eine korrekte Selbsteinschätzung spricht. Der Nachweis einer linearen Abhängigkeit beider Betrachtungsebenen ist jedoch selten gelungen. So wiesen in einer Studie an 148 psychiatrischen Patienten, deren größte Subgruppe Patienten aus dem schizophrenen Formenkreis bildeten, verschiedene subjektive Leistungsparameter entweder keine (z. B. Gedächtnis) oder eine allenfalls schwache Beziehung (Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit) zu etablierten neuropsychologischen Tests auf (Moritz et al. 2001, 2004). Bei Kontrastierung subjektiver vs. objektiver kognitiver Leistungen unterschätzten depressive Patienten ihre kognitive Leistungsfähigkeit erwartungsgetreu, während sich bei schizophrenen Patienten falsch-positive und falsch-negative Urteile die Waage hielten. Mittlerweile existiert eine Reihe von Instrumenten zur subjektiven kognitiven Leistungserfassung. Im deutschen Sprachraum finden v. a. der Fragebogen Erlebter Defizite der Aufmerksamkeit (FEDA), die Subskala Mentale Funktionen des Fragebogens Subjektives Wohlbefinden unter Neuroleptika (SWN) und der Frankfurter Beschwerde-Fragebogen (FBF) in der Schizophrenieforschung Verwendung. Angesichts der angesprochenen unbefriedigenden externen Validität subjektiver Beurteilungsskalen kommen Prouteau et al. (2004) zu einer eher ernüchternden Bewertung ihres diagnostischen Nutzens: »…subjective cognitive complaints should be taken into account in assessment of patient well-being, but cannot be used as a substitute to objective cognitive measures. The simultaneous use of subjective and objective measures of cognitive dysfunction may provide a more complete picture of individual rehabilitation targets in patients with schizophrenia«. (S. 85).
Klagen über kognitive Defizite korrelieren bei Schizophrenie sowie anderen Störungsgruppen (z. B. Antikainen et al. 2001) v. a. mit selbsteingeschätzter Depressivität. Daher ist es unverständlich und kommt fast einem Kunstfehler gleich, dass es in einigen diagnostischen Bereichen, bei denen kognitive Störungen im Vordergrund des Symptombildes stehen (z. B. Aufmerksamkeits-DefizitSyndrom, »Mild Cognitive Impairment«) gängige Praxis ist, sich mit einer eher orientierenden Erfassung subjektiver kognitiver Einschränkungen zu begnügen. Die Gefahr von falsch-positiven diagnostischen Entscheidungen ist bei Vorliegen komorbider psychiatrischer Störungen sehr hoch (z. B. bei hypochondrischen Ängsten aufgrund einer positiven Familienanamnese bezüglich Demenz oder Depression). Da eine mangelnde metakognitive Kompetenz im Sinne einer Über- oder Unterschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit weitreichende soziale und berufliche Konsequenzen nach sich ziehen kann, ist Prouteau beizupflichten, die neuropsychologische Diagnostik durch die Erfassung subjektiver kognitiver Parameter zu vervollständigen. Im Falle einer Überschätzung der eigenen kog-
369 29.2 · Korrespondenz subjektiver und objektiver kognitiver Leistungen
nitiven Kapazität besteht u. a. die Gefahr von Unfällen und beruflichem Scheitern. Wird das Leistungsvermögen dagegen unterschätzt, strebt der Betroffene eventuell eine Beschäftigung oder Ausbildung weit unterhalb seines Potenzials an. Versagensangst, gepaart mit erhöhtem Leistungsanspruch, kann im Extremfall sogar tatsächliches Scheitern verursachen im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. 29.2.2 Die Bedeutung subjektiver kognitiver
Defizite für Behandlung und Verlauf Subjektive kognitive Störungen stellen neueren Studien zufolge einen sensitiven Indikator für Neuroleptikanebenwirkungen dar. Während die selektive Gabe von konventionellen Neuroleptika selten zu einer messbaren Veränderung der objektiven Leistungsfähigkeit führt (7 Exkurs »Medikamentencocktail«), ließen sich unter dieser Medikation wiederholt dosisabhängige Verschlechterungen der selbsteingeschätzten Leistungsfähigkeit feststellen, die auch nach statistischer Kontrolle der Psychopathologie nachweisbar blieb (Moritz et al. 2000, 2002). Atypische Neuroleptika führen hingegen entweder zu einer leichten Verbesserung verschiedener kognitiver Funktionen (Keefe et al. 1999) oder zumindest zu keinen substanziellen Dysfunktionen. Subjektive kognitive Störungen nahmen unter höheren Dosen atypischer Neuroleptika in einer eigenen Studie nicht zu (Moritz et al. 2002). Subjektive kognitive Einbußen, die der Patient seiner Medikation zugeschreibt, stellen eine besondere Bedrohung der Medikamenten-»Compliance« dar (eigenmächtige Dosisreduktion und sporadische Einnahme bis hin zum Absetzen der Medikation) und bedürfen mit Blick auf die poststationäre Behandlung der besonderen Berücksichtigung. Mit dem Patienten muss in diesem Fall ausführlich erörtert werden, inwieweit die selbst beobachteten Defizite in einem zeitlichen, aber nicht kausalen Zusammenhang mit der Ansetzung oder Aufdosierung der Medikation stehen. So kommt es unter der Behandlung mit Neuroleptika bei vielen Patienten neben dem erwünschten Rückgang der psychotischen Symptomatik oft zu einem »bösen Erwachen« (v. a. bei Größenwahn). Die Erfahrung des Rückfalls und das Bewusstwerden der oft prekären sozialen und beruflichen Situation, nachdem der Schleier der Psychose sich gelichtet hat, kann zu einer postschizophrenen depressiven Entwicklung beitragen. In Exkurs »Medikamentencocktail« Im Einzelfall kann es zur Induktion kognitiver Defizite kommen. Insbesondere bei Verabreichung eines »Cocktails« aus hochpotenten typischen Neuroleptika (antipsychotisch, aber wenig sedierend), Benzodiazepinen (zur Sedierung) und anticholinergen Substanzen (zur Verminderung extrapyramidalmotorischer Nebenwirkungen) sind kognitive und hier v.a. mnestische Störungen unbedingt zu beachten
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dieser Phase beobachtete kognitive Defizite werden von manchen Patienten fälschlicherweise ihrer Medikation zugeschrieben. Wenn ein Zusammenhang mit Medikamenten wahrscheinlich ist oder zumindest nicht ausgeschlossen werden kann (v. a. bei der Medikation von zusätzlichen Substanzen wie Antiparkinsonmitteln oder Benzodiazepinen), sollte gemeinsam mit dem Patienten eine sorgfältige Kosten-Nutzen Überlegung erfolgen (Inkaufnahme des kleineren Übels). Der Patient ist darüber aufzuklären, dass kognitive Störungen, zumindest unter atypischen Neuroleptika, eher vorübergehender Natur und nach jetzigem Kenntnisstand voll reversibel sind. Unterbleibt eine solche Aufklärung, welche aufgrund der mnestischen Probleme vieler schizophrener Patienten protokolliert werden sollte, steht zu befürchten, dass der Patient seine Medikation nach der Entlassung absetzt. Neurokognitive Defizite besitzen eine gute Vorhersagekraft für einige sog. funktionelle Erfolgsparameter wie Selbstständigkeit, Arbeitsfähigkeit und soziale Kompetenz. Entsprechende Zusammenhänge wurden v. a. für das verbale Gedächtnis, exekutive Funktionen und die Daueraufmerksamkeit gesichert. Koren et al. (2004) erbrachten einen ersten Anhaltspunkt dafür, dass sich die prädiktive Bedeutung kognitiver Variablen verbessern lässt, wenn subjektive Variablen in den Kausalzusammenhang miteinbezogen werden. In ihren Untersuchungen wurden ersterkrankte schizophrene Patienten mit einer Variante des Wisconsin Card Sorting Tests (WCST) untersucht. Nach jeder Antwort sollte der Proband die Urteilssicherheit für den gerade getätigten Zug angeben (belohnt oder bestraft mit einem kleinen Geldbetrag) und entscheiden, ob dieser auf das Gesamtergebnis anzurechnen sei oder nicht. Diese metakognitiven Maße waren besser als konventionelle WCST-Maße in der Lage, die Krankheitseinsicht vorherzusagen. Übereinstimmend hierzu wurde mehrfach bestätigt, dass subjektive kognitive Störungen einen Prädiktor für einen Rückfall oder eine zukünftige symptomatische Verschlechterung darstellen. 29.2.3 Subjektive Wahrnehmung
von Urteilsverzerrungen Schizophrene Patienten weisen vielfältige kognitive Verzerrungen auf, die an der Entstehung und Aufrechterhaltung psychotischer Symptome (v. a. Wahn) beteiligt sind (7 Kap. 36). In jüngster Zeit ist untersucht worden, inwieweit sich Patienten dieser Verzerrungen bewusst sind bzw. diese vielleicht sogar willentlich einsetzen. Entgegen der vielfach replizierten Tendenz zum voreiligen Schlussfolgern (»jumping to conclusions bias«) erleben sich schizophrene Patienten als eher unentschlossen (Freeman et al. 2006). Ebenfalls im scharfen Kontrast zu der häufig anzutreffenden mentalen Rigidität schizophrener Patienten ergaben sich normkonforme Werte in Selbstbeurteilungsskalen zur Messung der Flexibilität. Die Stärkung der metakognitiven Kompetenz im Sinne einer realistischen Einschätzung kognitiver Stärken und Schwächen
370
Kapitel 29 · Metakognition – Psychologie
steht im Zentrum neuerer verhaltenstherapeutischer Behandlungsansätze der Schizophrenie (Landa et al. 2006) sowie des von uns entwickelten Metakognitiven Trainings (MKT; Moritz et al. 2007). Im Rahmen von 8 Sitzungen werden Patienten im MKT Denkverzerrungen vor Augen geführt, die Wahnbildung begünstigen (v. a. selbstdienlicher Attributionsstil, voreiliges Schlussfolgern, Unkorrigierbarkeit, »Theory of Mind«-Defizite, Überkonfidenz bei Fehlerinnerungen, übermäßiges Streben nach Gewissheit). Eingehend werden die Auswirkungen dieser Denkverzerrungen auf den Alltag im Allgemeinen und die Wahnbildung im Besonderen aufgezeigt. Die spielerischen Aufgabenserien dienen dazu, die Nachteile von z. B. hastigen Entscheidungen oder mangelnder kognitiver Flexibilität für Patienten direkt erfahrbar zu machen, um so eine kritische Reflexion und schließlich eine Korrektur des Problemlöserepertoires einzuleiten und den Automatismus dysfunktionaler Denkstile zu durchbrechen. Erste Befunde sprechen sowohl für die Machbarkeit als auch für die Effizienz dieses Ansatzes zur Reduktion der schizophrenen Positivsymptomatik (Moritz u. Woodward, im Druck).
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29.2.4 Verzerrte Vorstellungen
eigener Denkvorgänge Tony Morrison hat sich in einigen Studien mit der Frage auseinandergesetzt, welche grundlegenden Annahmen schizophrene Menschen sich über ihr Denken gebildet haben (Morrison u. Wells 2003). Für diese Fragestellung wurde u. a. der Metakognitionsfragebogen (MCQ) eingesetzt, der v. a. zur Erforschung der Rumination (Grübeln) verwendet wird. Der MCQ besteht aus folgenden Subskalen: 4 Positive Überzeugungen bezüglich Grübeln: z. B. »Nachdenken/Grübeln hilft mir, Probleme in der Zukunft zu vermeiden« 4 Negative Überzeugungen bezüglich Grübeln: z. B. »Wenn ich anfange zu grübeln, kann ich nicht mehr damit aufhören« 4 Kognitive Konfidenz: z. B. »Ich habe wenig Zutrauen in mein Namens- und Wortgedächtnis« 4 Kontrollbestreben: z. B. »Ich sollte meine Gedanken jederzeit unter Kontrolle haben« 4 Kognitives Bewusstsein z. B.: »Ich überprüfe meine Gedanken ständig« Bei Betroffenen mit Schizophrenie bestehen vielfach unrealistische Vorstellungen über das eigene Denken. Menschen mit aktuellen akustischen Halluzinationen zeigen nach Morrison u. Wells (2003) erhöhte Werte in den ersten drei MCQ-Subskalen. Metakognitive Dysfunktionen werden vielfach auch bei anderen psychiatrischen Gruppen berichtet. So ist bei Zwangspatienten ein erhöhter Anspruch an die Kontrollierbarkeit der eigenen Kognitionen gefunden worden, da im Sinne einer Gedanken-Handlungs-Fusion fälschlicherweise davon ausgegangen wird, dass »wer Böses denkt, auch Böses tut«. Einem übermä-
ßigen Streben nach Kontrolle der eigenen Gedanken kommt eventuell auch bei der Schizophrenie eine pathogenetische Bedeutung zu. Im Frühstadium einer psychotischen Entwicklung werden spontane Geistesblitze sowie Gedanken tabuisierten Inhalts (z. B. sexuelle, aggressive innere Bilder) zunächst als befremdlich registriert (sog. »als ob«-Gedanken, z. B. im Sinne des »Gemachten«) und später dann als fremd (d. h. von außen eingegeben/gesagt) externalisiert. Kontraproduktive Gedankenunterdrückung, direkte Verstärkung (z. B. indem den oft imperativen Stimmen Folge geleistet wird) und eine Bestätigungstendenz (Suche nach Belegen für die wahnhaften Annahmen unter Nichtberücksichtigung oder Leugnung widersprechender Informationen) steigern die Intensität dieser Kognitionen bis zu einem so hohen Grad, dass diese beginnen, ein Eigenleben zu führen. Nach diesem Verständnis ist Stimmenhören kein primär sensorisches Phänomen, es beruht vielmehr auf veränderten Bewertungsprozessen. Die Schwelle, eine Kognition (d. h. Erinnerung, Wahrnehmung etc.) als ich-fremd zu etikettieren, ist danach vermindert. Gesunde Menschen sind sich demgegenüber der eingeschränkten Lenkbarkeit kognitiver Prozesse stärker bewusst und messen nicht jedem unmoralischen oder persönlichkeitsfremden Gedanken eine besondere Bedeutung bei. Entscheidend für die Attribution eines Gedankens als selbstgeneriert (vs. von außen eingegeben) ist somit die Strenge der angelegten Kriterien. Die entscheidende Frage lautet somit: Wie kontrollierbar, ichhaltig, wahrnehmungsnah, aufdringlich etc. darf die Gedankenwelt noch sein, um als zugehörig erlebt zu werden? In Übereinstimmung mit der Hypothese, dass Stimmenhören auf veränderte Bewertungsprozesse und nichtsensorische Irritiationen zurückgeht, beschrieben in einer bisher unveröffentlichten Internetstudie ca. 20% untersuchter Stimmenhörer in einer von uns durchgeführten Internetstudie ihre Stimmen als stumm, d. h. nicht hörbar! Ferner zeigten schizophrene Patienten mit oder ohne Stimmenhören signifikant erhöhte Werte in der vierten MCQ-Subskala (Kontrolle der eigenen Gedanken) gegenüber Zwangspatienten und gesunden Kontrollen. Stimmenhören ist zumindest bei einer Subgruppe von Patienten somit als Behelfsbezeichnung anzusehen, persönlichkeitsfremde kognitive Phänomene als ich-fremd zu charakterisieren. Darüber hinaus gaben zwei Drittel der Stimmenhörer an, echte Stimmen von stimmlichen Halluzinationen unterscheiden zu können. Umgekehrt berichteten auch viele gesunde Probanden und Zwangspatienten, dass ihre Gedanken teilweise eine stimmliche Qualität besitzen: Diese Phänomene werden jedoch nicht unbedingt als paranormal bewertet, sondern als Teil der gedanklichen Realität akzeptiert. Zur Entfremdung von der eigenen Gedankenwelt könnte außerdem beitragen, dass Patienten oft schwerwiegende Quellengedächtnisprobleme aufweisen und nicht in der Lage sind, ihren Gedanken einen persönlichen Stempel aufzudrücken bzw. ein Gefühl der Verursachung im Nachhinein zu erleben. In Quellengedächtnisaufgaben wurde teilweise gezeigt, dass Patienten v. a. selbstgenerierte negative Stimuli einer äußeren Quelle zuschreiben.
371 29.4 · Gedächtniskonfidenz bei korrekten und inkorrekten Gedächtnisurteilen
29.3
Metagedächtnis
Im weiteren Sinne werden auch qualitative Urteile über die eigenen Kognitionen der Metakognition zugerechnet. Am intensivsten hat sich die neuere Forschungsliteratur bisher dem Metagedächtnis gewidmet. Als wesentliche Parameter sind hier die Urteilssicherheit und Lebendigkeit des Gedächtniseindrucks zu nennen sowie die Gewissheit, eine derzeit nicht abrufbare Information/Aktion zu einem späteren Zeitpunkt oder nach einem kleinen Hinweis wissen bzw. beherrschen zu können (»feeling of knowing« bzw. »feeling of doing«). Konfidenzurteile verlangen von den Probanden eine Entscheidung darüber, ob sie sich mit ihrer Gedächtnisantwort sicher oder wenig sicher sind. Oft erfolgt die Einschätzung der Konfidenz gepaart mit einer alt/neu Rekognitionsantwort (z. B. 100% sicher alt – eher sicher alt – wenig sicher alt – wenig sicher neu – eher sicher neu – 100% sicher neu). Die Lebendigkeit des Gedächtnisabrufs wird zumeist über die »remember-know«Methode bestimmt. Sofern ein Proband noch etwas von der zu memorierenden Information »im Auge« bzw. »im Ohr« hat oder sich an eine Begebenheit oder Assoziation während des Enkodierungsvorgangs erinnert, gilt dies als lebendige Erinnerung (»remember«-Urteil). Bei einer vertrautheitsbasierten Erinnerung soll der Proband dagegen ein »know«-Urteil fällen [manchmal wird noch eine weitere Unterteilung nach »guess« (geraten) vorgenommen]. Obwohl Gedächtniskonfidenz und Lebendigkeit des Gedächtniseindrucks häufig zusammenhängen, gibt es viele (semantische) Wissensinhalte, von deren Wahrheitsgehalt man zwar überzeugt ist (z. B. dass Madrid die Hauptstadt Spaniens ist), für die aber spontan keine Quelle benannt werden kann. Andererseits gibt es Gedächtnisbilder, die man noch plastisch »vor Augen« hat, für die man aber dennoch nicht die Hand ins Feuer legen könnte, z. B. nach Einnahme bestimmter Drogen oder bei frühen Kindheitserinnerungen. Angesichts der starken mnestischen Einbußen bei Schizophrenie ist es zunächst verwunderlich, dass Patienten ihre Gedächtnisantworten mit einer ähnlichen Sicherheit versehen wie gesunde Probanden (Moritz et al. 2005). Bei adäquater Reflexion der Fehlbarkeit des eigenen kognitiven Apparates sollte das Zutrauen in die eigene Leistungsfähigkeit vielmehr fundamental erschüttert sein. So konnte zudem mehrfach nachgewiesen werden, dass Patienten mit Schizophrenie meist nur blasse, d. h. wenig wahrnehmungshaltige Erinnerungen bilden (Danion et al. 1999; Huron et al. 2003). Die Lebendigkeit eines Gedächtniseindrucks scheint bei Gesunden ein recht valider Indikator für dessen Realitätsgehalt zu sein. [Eine Ausnahme von dieser Regel stellen die sog. »flashbulb memories« nach subjektiv bedeutsamen Ereignissen dar (z. B. was man am 11. September 2001 erlebt hat) sowie Fehlerinnerungen im Rahmen des Deese-Roediger-McDermottParadigmas, auf die noch näher eingegangen wird.] Authentische Gedächtnisepisoden sind meist multimodal verfügbar, während Traumbilder und »gemachte« Erinnerungen eher detailarm sind (Reisberg 2001) und oft logische und physikalische Gesetze ver-
29
letzen (z. B. dass man sich selbst agieren sieht oder eine Szene aus der Vogelperspektive wahrnimmt). Das Fehlen einer solchen lebendigen Gedächtnisspur bei schizophrenen Patienten macht den Abruf daher sowohl für falsch-negative (Vergessen) als auch für falsch-positive Urteile (Intrusionen) anfällig. Über experimentelle Studien zum Neugedächtnis hinaus wurde eine blassere Erinnerung bei Schizophrenie auch für biographische Ereignisse repliziert (Danion et al. 2005); ähnlich depressiven Patienten erinnern auch sie die eigene Biographie oft nur bruchstückhaft und vage. 29.4
Gedächtniskonfidenz bei korrekten und inkorrekten Gedächtnisurteilen
Wenngleich die subjektive Sicherheit, mit der eine Erinnerung versehen wird, entgegen landläufiger (und auch richterlicher) Meinung kein optimaler Indikator ihrer Verlässlichkeit ist, können korrekte und inkorrekte Gedächtnisantworten gesunder Probanden oft aufgrund der angegebenen Überzeugung differenziert werden: Korrekte Erinnerungen werden mit mehr Überzeugungsstärke erinnert als inkorrekte. Die Modulation mnestischer Antworten durch Konfidenzurteile ist höchst bedeutsam. Anderenfalls würden inkorrekte Bewertungen (z. B. die fälschliche Annahme, dass ein Freund mir Geld schuldet, obwohl dieses längst zurückbezahlt wurde.) dieselben verhaltensmäßigen Konsequenzen nach sich ziehen wie korrekte Urteile. Zweifel an der Richtigkeit einer Gedächtnisantwort leiten die Suche nach weiteren Informationen zur Festigung ein und bewahren so schließlich vor Fehlern. Bei Menschen mit Schizophrenie ist die Diskriminierbarkeit von Gedächtnisantworten mit Hilfe der Urteilsicherheit deutlich vermindert (Moritz u. Woodward 2006; Moritz et al. 2005); im Unterschied zu gesunden Menschen zweifeln sie nur in geringem Maße an falschen Gedächtnisepisoden (»not trustworthy tags«). Patienten mit Schizophrenie weisen bei falschen Urteilen eine abnorm erhöhte Überzeugung von deren Richtigkeit auf, während sowohl gesunde wie psychiatrische Kontrollen im Falle von Fehlern ihre Konfidenz abschwächen. Bei korrekten Urteilen ist bei schizophrenen Patienten dagegen eine verminderte Urteilssicherheit messbar. Das daraus abgeleitete Maß der Konfidenzkluft (»confidence gap«) erwies sich anders als die Genauigkeit des Gedächtnisurteils als guter Diskriminator zwischen schizophrenen Patienten und psychiatrischen Kontrollprobanden (. Abb. 29.1). Im Zusammenhang mit einer erhöhten Rate von falsch-positiven und falsch-negativen Urteilen führt die Verminderung der Gedächtniskluft zur sog. Gedächtniskontamination (»knowledge corruption«): Bei schizophrenen Menschen ist ein substanzieller Teil des subjektiven Faktenwissens (d. h. völlige subjektive Sicherheit über die Korrektheit einer Information) falsch bzw. kontaminiert. Die Handlungsfähigkeit einer Person ist dadurch deutlich beeinträchtigt, wie Lamb (1998) eindrucksvoll in seinem Roman »I know this much is true« beschreibt. Der an Schizo-
372
Kapitel 29 · Metakognition – Psychologie
. Abb. 29.1. Bei Menschen mit Schizophrenie ist die Differenz zwischen der Urteilssicherheit für korrekte gegenüber inkorrekten Urteilen im Vergleich zu gesunden und psychiatrischen Kontrollen signifikant verringert (Moritz et al. 2006). *** p<0,001
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phrenie erkrankte Patient Thomas erinnert mit dem Brustton der Überzeugung nie stattgefundene Ereignisse wie eine Begegnung mit Jimmy Carter, der ihm eine wichtige Einladung für eine Friedensmission im Mittleren Osten zukommen lassen wollte. Die von Thomas produzierten Fehlerinnerungen sind dabei nicht unbedingt wahnrelevant. Zum Beispiel erinnert er sich, dass der Stiefvater seiner Mutter einmal den Kiefer gebrochen hätte, was vom gesunden Bruder Dominique glaubhaft bestritten wird. So zeigen auch Forschungsstudien, dass Gedächtniskontamination weder auf wahnfähiges Material beschränkt ist noch ausschließlich bei akut wahnkranken schizophrenen Patienten vorkommt. Die Auseinandersetzung mit der Realität wird durch ein schwaches Fundament verlässlicher Erinnerungen empfindlich beeinträchtigt. Bei einigen chronischen Patienten werden wesentliche Teile der eigenen Biographie »editiert«. 29.5
Ursachen metakognitiver Dysfunktionen bei Schizophrenie
Bevor auf spezifische Ursachen einer verringerten Selbstwahrnehmung kognitiver Störungen bei Schizophrenie eingegangen wird, muss nochmals betont werden, dass eine geringe Korrespondenz von objektiven und subjektiven Urteilen auch bei anderen psychiatrischen wie nichtpsychiatrischen Populationen gefunden wurde und subjektive kognitive Dysfunktionen Stimmungseinflüssen unterliegen. Im Rahmen einer Depression kommt es häufig zu einer Überfokussierung vermeintlicher oder auch tatsächlicher kognitiver Einbußen. Die Unterschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit spiegelt eventuell eine generelle Tendenz zur Selbstabwertung wieder. Bei älteren depressiven Menschen tritt oft eine Verherrlichung der früheren Leistungsfähigkeit mit einhergehender unrealistischer Normerwartung
hinzu. Im Kehrbild, der Manie, ist entsprechend eine Überschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit zu beobachten. Als weiterer korrelationsmindernder Faktor sind die unterschiedlichen Bezugspunkte subjektiver und objektiver Messverfahren anzuführen. Objektive neurokognitive Verfahren sind normativ angelegt (der Proband wird mit einer Vielzahl von Probanden vergleichbaren Alters und nach Möglichkeit gleichen Geschlechts und Bildungsgrad verglichen), während die subjektive Betrachtung selten einen direkten Vergleich mit anderen Personen fordert, sondern Alltagsauffälligkeiten in meist ordinaler Abstufung zu benennen sind (z. B. »Sind Sie vergesslich?«; immer – häufig – manchmal – nie). Solche Urteile unterliegen außerdem einer subjektiven Auslegung. So gehen die Meinungen darüber auseinander, was unter »häufig« oder »manchmal« zu verstehen ist. Als spezifische Ursache für eine geringe Selbstwahrnehmung kognitiver Auffälligkeiten bei Schizophrenie sind psychotische Deutungen anzuführen (z. B. das Denkvermögen sei prinzipiell ungestört, aber durch den Einfluss von Sonnenstrahlung temporär verwirrt; ein anderer Patient erlebt sich hingegen als hypermnestische lebende Datenbank). Der in 7 Kap. 36 angesprochene selbstdienliche Attributionsstil für Misserfolg und negative Ereignisse spielt hierbei möglicherweise eine besondere Rolle. Als eine mögliche Ursache der beschriebenen verminderten Konfidenzkluft bei Schizophrenie (Überkonfidenz für Fehler bei gleichzeitiger Unterkonfidenz für korrekte Antworten) ist liberale Akzeptanz angenommen worden (Moritz u. Woodward 2006). Eine frühzeitige Beendigung von Suchprozessen führt danach im Falle von korrekten Urteilen zur mangelnden Würdigung von Hinweisreizen, die das Zutrauen in das Urteil weiter gefestigt hätten. Umgekehrt werden bei inkorrekten Urteilen widersprechende Informationen ignoriert, so dass es zur angesprochenen Gedächtniskontamination kommen kann. Bei gesunden Probanden minimiert ein sorgfältiger Suchprozess dagegen die Gefahr solcher Fehlurteile, bzw. die Bewusstwerdung der Fehlbarkeit des Urteils führt zu einer niedrigen Konfidenzeinschätzung. 29.6
Ausblick
Die Forschung zur Metakognition der Schizophrenie verspricht, krankheitsspezifische Störungen zu isolieren, die mit Hilfe objektiver neurokognitiver Parameter bisher nicht erbracht werden konnten. Eine Ergänzung der objektiven Leistungsparameter durch die »subjektive Seite« ist auch aus klinischer Sicht sinnvoll. So können subjektive Parameter für verschiedene Verlaufsvariablen wie Medikamenten-»Compliance« und symptomatisches Outcome bedeutsam sein. In Zukunft sollte mehr Augenmerk auf die Stärkung der metakognitiven Kompetenz schizophrener Patienten gelegt werden. Die (schonende) Rückmeldung des wahren Leistungsniveaus sowie Ausgleich und Korrektur fundamentaler Informationslücken und Fehlannahmen bezüglich kognitiver Vorgänge (z. B. falsche
373 29.6 · Ausblick
29
Exkurs Fehlerinnerungen Neuere Studien haben das Antwortverhalten schizophrener Patienten im »False Memory« oder auch Deese-Roediger-McDermott-Paradigma (DRM-Paradigma) untersucht. In der traditionellen Versuchsanordnung werden dem Probanden Serien relatierter Items in absteigender Verwandtschaft zu einem nicht präsentierten Köderbegriff vorgelesen (z. B. Liste: Strand, Meer, Entspannung, Erholung, fliegen, Ferien, Palmen, lesen, Abenteuer). Bei einer späteren Abfrage kommt es in etwa 50–80% der Fälle zu einer Fehlerinnerung der Köderreize (Köderbegriff: Urlaub). Um den Effekt robust zu erzielen, werden mehrere dieser Listen nacheinander vorgegeben. In einer von Miller u. Gazzaniga (1998) erstmals erprobten visuellen Version des DRM-Paradigmas werden Probanden Bilder prototypischer Szenen gezeigt (z. B. Klassenzimmer), bei denen zentrale Elemente fehlen (Schulranzen, Lehrerstuhl). Auch hier kommt es zur Fehlerinnerung der Köder in etwa derselben Größenordnung. Ein typisches Beispiel für ein DRM-Bild ist in . Abb. 29.2 wiedergegeben (Moritz et al. 2006). Der DRM- oder »False Memory«-Effekt wird auch durch Vorwarnung zumeist nicht völlig eliminiert.
Während die meisten Studien an schizophrenen Patienten keine erhöhte Anzahl von Fehlerinnerungen im DRM-Paradigma im Vergleich zu gesunden Probanden fanden (Elvevåg et al. 2004), wies eine neuere Untersuchung eine erhöhte Konfidenz für solche Urteile bei Schizophrenie nach: Schizophrenen Patienten unterlaufen demnach zwar nicht mehr Fehlerinnerungen. Aufgrund der angenommenen Authentizität sind diese aber folgenschwerer! Dieses Ergebnismuster beruht bei Menschen mit Schizophrenie auf einem vertrautheitsbasierten Abruf, während gesunde Probanden vorzugsweise solche Urteile mit hoher Konfidenz versehen, für die eine plastische Erinnerung vorliegt (Weiss et al. 2002). Eine negative Korrelation zwischen der Anzahl korrekter und Fehlerinnerungen bei Gesunden wird als Beleg eines stärkeren Rückgriffs auf episodische Informationen gewertet, während eine positive Korrelation bei Schizophrenie einen oberflächlichen, allein auf Vertrautheit basierenden Abruf widerspiegelt (für das Beispiel Klassenzimmer: »Natürlich werden da Ranzen zu sehen gewesen sein, so einen besitzt doch jeder Schüler«).
. Abb. 29.2. False Memory Paradigma. Nach kurzer Präsentation dieser und anderer prototypischer Szenen (z. B. Strand) erinnern viele Probanden Dinge, die mit der Szene üblicherweise assoziiert werden, tatsächlich aber nicht abgebildet sind (hier: Ranzen, Schwamm,
Lehrerstuhl, Zeigestock). Schizophrene Patienten wiesen in diesem Versuchsaufbau keine erhöhte Fehlerinnerungsrate auf, sind sich mit ihrem Urteil aber weitaus sicherer als gesunde Probanden (Moritz et al. 2006)
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Kapitel 29 · Metakognition – Psychologie
Vorstellungen über die Beherrschbarkeit eigener Denkvorgänge) kann helfen, wahn-förderliche Dissoziationen zwischen objektiver und subjektiver Leistungsfähigkeit zu erkennen, bevor ein Stadium der Krankheit erreicht wird, bei dem eine mangelnde Krankheitseinsicht jede kognitive Intervention nahezu unmöglich macht.
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Metakognition – 376
30.2
Psychologische Paradigmen (Aufgaben) zur Untersuchung metakognitiver Prozesse – 377
30.3
Wichtige Befunde
30.4
Metakognition und Störungsbewusstsein
30.5
Lokalisation metakognitiver Prozesse – 378
30.6
Fazit
– 379
Literatur
– 379
– 377 – 377
376
Kapitel 30 · Metakognition – Bildgebung
30.1
Metakognition
Aufbauend auf seinen entwicklungspsychologischen Studien hat Flavell (1976) in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts eine heute allgemein akzeptierte Definition des Begriffs Metakognition vorgeschlagen: » ... one’s knowledge concerning one’s own cognitive processes and products or anything related to them, e. g. the learningrelevant properties of information and data« (Flavell 1976, p 232).
Flavell beschreibt Metakognition als einen Prozess, der die aktive Überwachung (»active monitoring«) und die daraus resultierende Regulation und Kontrolle der überwachten Prozesse beinhaltet. Metakognition »... refers among other things, to the active monitoring and consequent regulation and orchestration of these processes in relation to the cognitive objects or data on which they bear, usually in the service of some concrete goal or objective« (p 232).
30
In der Psychologie hat sich der kognitive Psychologe Hart (1965, 1967) als einer der ersten mit dem Phänomen der Metakognition beschäftigt. Er interessierte sich für die Genauigkeit, mit der Personen ihre Gedächtnisleistungen einschätzen können. Genauer gesagt interessierte er sich für das Gefühl des »Sich-ErinnernKönnens« (»feeling of knowing«). Um einschätzen zu können, wie gut Personen hierbei sind, konzipierte er eine Aufgabe, bei der dem Probanden zuerst entweder ein Gedächtnistest mit freiem Abruf oder ein allgemeiner Wissenstest vorgegeben wurde. . Abb. 30.1. Überblick über die beiden zentralen metakognitiven Prozesse in der Theorie von Nelson u. Narens (1990, 1994) in Verbindung mit einer neuronalen Lokalisation der beteiligten Prozesse. Während des metakognitiven Monitorings werden Informationen über die aktuelle Situation gesammelt und ausgewertet. Die Objektebene beinhaltet die Handlung und das Verhalten einer Person und beschreibt den externen Zustand der gegenwärtigen Situation. Das metakognitive Monitoring liefert aktuelle Informationen über das Funktionieren für die Metaebene. Anhand dieser Ergebnisse kommt es – falls zielführend – zur Beeinflussung der Objektebene (bzw. spez. Informationsverarbeitungsprozesse)
Immer dann, wenn die Probanden keine Antwort geben konnten, mussten sie einschätzen, wie gut sie die richtige Antwort aus vorgegebenen möglichen Antworten (»multiple choice test«) wiedererkennen können. Nach der Einschätzung der Genauigkeit des Sich-Erinnern-Könnens (»feeling of knowing judgment«) wurde dann der Wiedererkennenstest durchgeführt. Hart konnte in verschiedenen Studien zeigen, dass ein enger Zusammenhang zwischen der Einschätzung der Genauigkeit des Sich-Erinnern-Könnens und der tatsächlichen Wiedererkennensleistung besteht. Anhand des metakognitiven Urteils der Probanden ließ sich vorhersagen, welche Items richtig wiedererkannt wurden. Nelson (1992) hat später die Forschungsarbeit von Hart weitergeführt, viele Befunde replizieren und erweitern können. 1990 hat er zusammen mit Narens eine Theorie der Metakognition vorgeschlagen, die es erlaubte, die vielen zwischenzeitlich publizierten empirischen Befunde zu integrieren (Nelson u. Narens 1990). Diese Theorie bildet die Grundlage für heutige Forschungsarbeiten. Einen schematischen Überblick über die wichtigsten Komponenten der Theorie gibt . Abb. 30.1. Nelson u. Narens (1990, 1994) unterscheiden in ihrer Theorie zwei grundlegende Prozesse, nämlich die Überwachung und die Kontrolle. Die metakognitive Überwachung (Monitoring) beinhaltet alle Prozesse, die es einer Person erlauben, ihre eigenen Denkvorgänge zu beobachten, zu bewerten und zu reflektieren. Das Monitoring basiert dabei auf metakognitivem Wissen und metakognitivem Bewusstsein. Metakognitives Wissen bezieht sich auf das explizite Wissen über die eigenen Stärken und Schwächen. Dieses Wissen erwerben wir im Laufe unseres Lebens durch Rückmeldungen auf unser Verhalten. Unter metakog-
377 30.4 · Metakognition und Störungsbewusstsein
nitivem Bewusstsein werden dagegen das Gefühl und die Erfahrungen verstanden, die wir über unser Verhalten haben, wenn wir konkrete Aufgaben bearbeiten oder mit speziellen Leistungsanforderungen (z. B. Gedächtnisabruf, Wiedererkennen) konfrontiert sind. Metakognitive Kontrolle beinhaltet bewusste Entscheidungen, die anhand der Ergebnisse der metakognitiven Überwachungsprozesse getroffen werden. Metakognitive Kontrolle beinhaltet also die Fähigkeit, die Ergebnisse des Monitorings zur zielgerichteten Veränderung des Verhaltens zu nutzen.
Entwicklungspsychologen interessieren sich v. a. für die Veränderung des metakognitiven Wissens über die Lebensspanne (z. B. Flavel 1979), während sich kognitive Psychologen mehr für das metakognitive Bewusstsein bei konkreten Leistungsanforderungen (z. B. »judgement of learning«) interessieren.
30.2
Psychologische Paradigmen (Aufgaben) zur Untersuchung metakognitiver Prozesse
Für die Erforschung metakognitiver Prozesse wurden in den letzten Jahrzehnten in der experimentellen Psychologie verschiedene Laboraufgaben entwickelt, wobei der Großteil der Paradigmen auf die Untersuchung metakognitiver Prozesse beim Gedächtnis abzielt. Charakteristisch für die Aufgaben ist, dass die beteiligten Probanden zuerst Urteile über spezifische (Gedächtnis-)Leistungen (z. B. Lernen, freier Abruf, Wiedererkennen) abgeben müssen und dann geprüft wird, wie gut diese Urteile mit der tatsächlich gezeigten Leistung übereinstimmen. Anhand von Aufgaben wie »feeling-of-knowing judgments«, »judgments of learning«, »ease-of-learning judgments«, »warmth judgments« und »judgments of comprehension« erhalten wir Informationen darüber, wie genau Personen die Effizienz ihrer Denkprozesse (insbesondere der Gedächtnisleistungen) beurteilen können. Diese Fähigkeit zur Überwachung ist für zielgerichtetes Verhalten essenziell, da wir so Informationen darüber erhalten, wie gut unsere Informationsverarbeitung dem Zweck entspricht, ein bestimmtes Handlungsziel zu erreichen. Im Gegensatz zum metakognitiven Monitoring werden metakognitive Kontrollprozesse untersucht, indem überprüft wird, ob metakognitive Einschätzungen einen Einfluss auf das Verhalten haben. Kommt beispielsweise eine Person aufgrund der metakognitiven Überwachung zur Erkenntnis, dass sie aufgrund der Kürze der Zeit bei der Prüfungsvorbereitung nicht den gesamten Lehrstoff durcharbeiten kann, kann das Ergebnis des Monitorings dazu führen, dass sie sich entscheidet, nur bestimmte Inhalte zu lernen. Der Einfluss metakognitiver Kontrollprozesse lässt sich daher in der Veränderung der Reaktionszeit, der in An-
30
spruch genommenen Studierzeit, der »Entscheidungen, welche Items gelernt werden« usw. erkennen. Anhand dieser abhängigen Variablen kann festgestellt werden, wie Personen metakognitive Urteile benutzen, um ihre Leistung strategisch anzupassen oder zu maximieren. 30.3
Wichtige Befunde
Hart (1965, 1967) konnte in seinen Studien belegen, dass es einen Zusammenhang zwischen den »feeling-of-knowing«-Urteilen und der später gezeigten korrekten Wiedererkennensleistung gibt. Andere Forscher replizierten später diesen Befund und machten deutlich, dass auch bei anderen Leistungseinschätzungen (z. B. judgment of learning) ein Zusammenhang zwischen dem »feelingof-knowing« und der Leistung besteht. Eine Übersicht leisten Metcalfe u. Shimamura (1994). Insbesondere für das metakognitive Monitoring bei Gedächtnisleistungen liegen heute viele Befunde vor. Heute wissen wir, dass Personen ihre Leistungsfähigkeit einschätzen können, diese Einschätzung aber nicht perfekt ist. Es gibt sogar eine Reihe von Situationen, in denen sich Personen konsistent überschätzen oder in ihren Urteilen regelmäßig falsch liegen (z. B. bei Zeugenaussagen). Stand anfangs die Frage im Mittelpunkt, ob metakognitives Monitoring überhaupt einen Einfluss auf das Verhalten hat, wird heute untersucht, wie Personen zu ihrem metakognitiven Urteil kommen. Wie bilden Personen metakognitive Urteile und wie kann es zu der unterschiedlichen Genauigkeit der Urteile kommen? Zwei Theorien versuchen, diese Frage beim metakognitiven Monitoring von Gedächtnisprozessen zu beantworten (Koriat u. Levy-Sador 2001). In der direkten Zugangstheorie (»direct access theory«) wird angenommen, dass das Urteil der Probanden auf den Merkmalen des Ziels (z. B. einem bestimmten Wissensinhalt) basiert, die diese erinnern können. Je mehr Merkmale des gesuchten Ziels die Person erinnern kann, desto sicherer ist ihr Urteil. Im Gegensatz dazu wird bei der Interferenz-Theorie (»interference theory«) postuliert, dass das Urteil einer Person auf einer Vielzahl von Informationen basiert. Beispielsweise kann das Urteil einer Person vom allgemeinen Wissen über einen Sachverhalt oder ein Thema beeinflusst werden. Je mehr eine Person beispielsweise über das Thema Sport weiß, desto genauer kann sie Namen von Sportlern oder die Jahreszahl bestimmter Sportereignisse abrufen oder Zusammenhänge rekonstruieren bzw. ausschließen. 30.4
Metakognition und Störungsbewusstsein
Die Untersuchung metakognitiver Prozesse ist nicht nur von wissenschaftlicher, sondern auch von erheblicher klinischer Re-
378
Kapitel 30 · Metakognition – Bildgebung
levanz, da Störungen der Überwachung bzw. des Monitoring und der Kontrolle des Verhaltens bei einer ganzen Reihe von Erkrankungen vorkommen.
DSM-IV-TR: Die meisten Patienten mit einer Schizophrenie sind hinsichtlich ihrer Psychose wenig krankheitseinsichtig. Diese verminderte Krankheitseinsicht ist weniger eine Coping-Strategie als vielmehr ein Krankheitssymptom, vergleichbar mit der fehlenden Wahrnehmung neurologischer Defizite bei Schlaganfallpatienten (Anosognosie). Die Krankheitsuneinsichtigkeit führt bei vielen Patienten zu verminderter Behandlungswilligkeit (»noncompliance«), erhöhten Rezidiv-Raten, häufigeren Zwangseinweisungen, vermindertem psychosozialen Funktionsniveau und ungünstigen Krankheitsverläufen. [Aus Saß et al. (2003)]
30
Schizophrene Patienten beispielsweise erkennen in der akuten Phase vorhandene Krankheitssymptome nicht, nehmen die Konsequenzen der Erkrankungen nicht wahr und können auch nicht erkennen, dass eine Behandlung notwendig ist (7 Box). Vergleichbare Defizite können auch bei Patienten mit einer Manie, einer Anorexia nervosa oder einer Substanzabhängigkeit auftreten. Auch bei hirngeschädigten Patienten (z. B. Patienten mit einem Schädel-Hirn-Trauma) ist das Störungsbewusstsein häufig mit der Folge beeinträchtigt, dass die Patienten sich als deutlich selbstständiger und kompetenter einschätzen, als sie tatsächlich sind.
Im klinischen Kontext hat sich die Bezeichnung »Störung der Krankheitseinsicht« bzw. »Anosognosie« für die Charakterisierung von Defiziten metakognitiver Prozesse, insbesondere des Monitorings, eingebürgert. Eine ausführliche Darstellung des Phänomens leistet Gauggel (2007).
Anhand von Studien mit hirngeschädigten Patienten ließ sich zeigen, dass eine Beeinträchtigung der Krankheitseinsicht durch eine Schädigung bestimmter neuronaler Systeme verursacht wird, die für das metakognitive Monitoring und die metakognitive Kontrolle verantwortlich sind (Laroi et al. 2004). Insbesondere nach frontalen und rechtsparietalen Läsionen treten metakognitive Defizite auf. Charakteristisch ist, dass die Patienten die Fähigkeit zur Überwachung und Korrektur ihres Verhaltens verlieren. Interessanterweise kann diese Fähigkeit sehr selektiv beeinträchtigt sein. In der Literatur wurden zahlreiche Patienten beschrieben, die ein Symptom (z. B. Hemiparese) nicht wahrnehmen konnten, ein anderes dagegen sehr wohl (z. B. Gedächtnisstörung). Hinzu kommt, dass die betroffenen Patienten häufig in der Lage sind, Defizite bei anderen Personen zu entdecken. Solche domänenspezifische Störungen der Krankheitseinsicht können auch bei schizophrenen Patienten auftreten. Rosen et al.
(1982) berichten beispielsweise, dass die von ihnen untersuchten schizophrenen Patienten mit tardiver Dyskinesie orofaziale Bewegungsstörungen in deutlich geringerem Umfang wahrnahmen als gliedmaßenbezogene Bewegungsstörungen. Erklärt wird dieses Phänomen der Selektivität mit einem Ausfall bzw. einer Störung eines modularen Überwachungssystems (z. B. für das Gedächtnis). Möglich wäre aber auch, dass ein zentrales Überwachungssystem, das mit modularen Systemen (Sprache, Gedächtnis etc.) interagiert (Theorie von Nelson u. Narens 1990, 1994), keine oder nur noch unzureichende Informationen erhält und deswegen keine zuverlässige Beurteilung der Funktionsfähigkeit eines modularen Systems mehr möglich ist (Schachter 1989). 30.5
Lokalisation metakognitiver Prozesse
Es gibt viele Belege dafür, dass der rechte Parietallappen und der präfrontale Cortex eine wichtige Rolle bei der Überwachung und Kontrolle spielen. Erste Beschreibungen von Störungen metakognitiver Prozesse stammen aus dem 19. Jahrhundert und stellen Patienten vor, die nach einem Schlaganfall spezifische sensorische oder motorische Störungen (z. B. Lähmung der rechten Seite, linksseitiger Gesichtsfeldausfall, cortikale Blindheit) nicht erkennen konnten, obwohl sie keine gravierenden intellektuellen Beeinträchtigungen aufwiesen. Fast alle der untersuchten Patienten wiesen Läsionen in der rechten Hemisphäre (insbesondere im rechtshemisphärischen inferoparietalen Cortex) auf. Allerdings gibt es auch Studien, in denen die Rolle des Thalamus (thalamische Diskonnektion) und dessen Verbindungen zum Parietallappen betont wird (Feinberg et al. 1990). Auch nach präfrontalen Läsionen kann eine Störung der Krankheitseinsicht auftreten. In zahlreichen Fallberichten und Läsionsstudien wurde dieser Befund in den vergangenen Jahrzehnten dokumentiert. Die entsprechenden Studien machen deutlich, dass es nach einer frontalen (insbesondere orbitofrontalen und dorsolateralen) Läsion zu massiven Störungen der Handlungsregulation und -überwachung (dysexekutives Syndrom) kommen kann. Von besonderem Interesse ist dabei die Beobachtung, dass Patienten mit einer frontalen Läsion häufig die korrekte Antwort wissen, dieses Wissen aber nicht zur Kontrolle ihres Verhaltens einsetzen können. Der Neuropsychologe Luria (1992) lieferte eindrucksvolle Beispiele für ein solches Verhalten. Konow u. Pribram (1970) unterscheiden deshalb zwischen Fehlererkennung (»error recognition«) und Fehlerberücksichtigung (»error utilization«). Nicht nur im Hinblick auf die Theorie von Nelson u. Narens (1990) ist diese Unterscheidung von Interesse, sondern auch weil eine solche Dissoziation auf eine unterschiedliche neuronale Implementierung dieser Prozesse hindeutet. Obwohl sich bei schizophrenen Patienten eine Störung der Krankheitseinsicht im Vergleich zu Patienten mit einer frontalen Hirnschädigung teilweise etwas anders manifestiert, gibt es doch viele Gemeinsamkeiten. Bei schizophrenen Patienten kommen vergleichbare Fehlinterpretationen somatosensorischer Informa-
379 Literatur
tionen wie bei hirngeschädigten Patienten vor. Beispielsweise erleben schizophrene Patienten mit Ich-Störungen ihre Bewegungen als fremd, ganz so, als ob sie von außen gesteuert würden. Bei hirngeschädigten Patienten kann ein in etwa vergleichbares Phänomen, das sog. »alien hand«-Syndrom auftreten. Ungewöhnliche sensorische Erfahrungen, Erfahrungen der Körperverzerrung und ein Verlust des Körperbildes sind ebenfalls bei beiden Patientengruppen zu beobachten. Genauso wie hirngeschädigte Patienten teilweise motorische Störungen – wie Lähmungen in einer frühen Phase der Erkrankung – nicht wahrnehmen, erkennen schizophrene Patienten häufig Symptome einer tardiven Dyskinesie nicht, obwohl entsprechende Symptome bei Mitpatienten ohne größere Probleme erkannt werden können (Smith et al. 1979). Verbales und visuelles Feedback führt dabei zwar zu einer Verbesserung der Wahrnehmung der Dyskinesien, hält aber nicht lange (1–2 Wochen) an (Caracci et al. 1990). Zentral für die Schizophrenie ist die Unfähigkeit, die Unplausibilität der Wahngedanken und Halluzinationen trotz gegenteiliger Informationen zu erkennen, obwohl die Patienten entsprechende Symptome bei Mitpatienten als fehlerhaft und irreal erkennen können. Hirngeschädigte Patienten tendieren dagegen häufig dazu, sich in ihrer Leistungsfähigkeit und Kompetenz zu überschätzen. Genauso wie schizophrene Patienten lassen sie sich – trotz Konfrontation mit eigenen Fehlleistungen – nur sehr schwer oder überhaupt nicht vom Gegenteil überzeugen. Die Ähnlichkeit der Symptome bei schizophrenen und frontalhirngeschädigten Patienten hat schon früh dazu geführt, schizophrene Patienten mit neuropsychologischen Tests zu untersuchen. Die neuropsychologischen Studien weisen auf viele Gemeinsamkeiten bei den beiden Patientengruppen hin und lassen deutlich Defizite in den exekutiven Funktionen (z. B. bei der Handlungsinhibition und -planung, beim Arbeitsgedächtnis) erkennen (z. B. Cools et al. 2000). Studien, in denen der Zusammenhang zwischen einer gestörten Krankheitseinsicht (erfasst mit entsprechenden Fragebögen) und neuropsychologischen Tests untersucht wurde, machen deutlich, dass insbesondere zwischen exekutiven Tests (z. B. Wisconsin Card Sorting Test) und den Skalen zur Beurteilung der Krankheitseinsicht ein enger Zusammenhang besteht (Jovanovski et al. 2007; Lysaker et al. 2003; Donohoe et al. 2005). Die eingangs vorgestellten metakognitiven Monitoring-Paradigmen wurden bislang nur vereinzelt zur Untersuchung metakognitiver Prozesse bei schizophrenen Patienten eingesetzt, sodass momentan noch keine zuverlässigen Aussagen über das metakognitive Monitoring bei schizophrenen Patienten gemacht werden können. Hinzu kommt, dass die bisherigen Befunde widersprüchlich sind. In einer aktuellen Studie haben Souchay et al. (2006) 16 schizophrene Patienten und 16 gesunde Kontrollprobanden mit einer Feeling-of-Knowing-Aufgabe untersucht. Sie fanden die schon wiederholt gezeigten Defizite beim episodischen Gedächtnis, aber überraschenderweise keine Defizite bei der Überwachung (Monitoring) des Gedächtnisses. Die Feeling-of-Knowing-Einschätzungen schizophrener Patienten unter-
30
schieden sich auch nach Bacon et al. (2007) in ihrer Genauigkeit nicht von denen gesunder Probanden. Kircher et al. (2007) fanden dagegen bei der Untersuchung von 27 schizophrenen Patienten und 19 gesunden Kontrollpersonen entgegengesetzte Ergebnisse. Schizophrene Patienten konnten ihre Gedächtnisleistungen nicht so gut einschätzen wie gesunde Probanden. Dieser Befund stimmt mit den Ergebnissen einer früheren Studie von Bacon et al. (2001) überein, in der die »Feeling-of-Knowing«-Urteile schizophrener Patienten ungenauer als die Urteile der Kontrollpersonen waren. Die Studien von Moritz u. Woodward (2006) und Moritz et al. (2006) helfen vielleicht, die Diskrepanz zwischen den verschiedenen Studien zu erklären. Die Autoren fanden heraus, dass schizophrene Patienten bei einer Gedächtnisaufgabe eine höhere Urteilssicherheit bei fehlerhaften Antworten hatten, bei richtigen Antworten die Patienten dagegen unsicherer waren. Schizophrene Patienten scheinen also weniger genau zwischen richtigen und falschen Informationen unterscheiden zu können und sind vermutlich deshalb auch anfälliger für die Entwicklung falscher Überzeugungen. 30.6
Fazit
Die Untersuchung der neuronalen Implementierung metakognitiver Prozesse und deren Störung bei schizophrenen Patienten hat sich in den letzten Jahren zu einem spannenden Forschungsgebiet entwickelt. Erste Befunde zur Lokalisation metakognitiver Prozesse deuten darauf hin, dass der frontale Cortex (anteriorer Gyrus cinguli, orbitofrontaler und dorsolateraler Cortex), aber auch der rechte Parietallappen eine wichtige Rolle beim metakognitiven Monitoring und bei der metakognitiven Kontrolle spielen und bei schizophrenen Patienten die entsprechenden neuronalen Systeme selektiv gestört sein können. Die Durchführung bildgebender Studien mit schizophrenen Patienten, bei denen die in der experimentellen Psychologie entwickelten metakognitiven Paradigmen zum Einsatz kommen, steht noch aus. Durch diese Studien wird die funktionelle Störung bei schizophrenen Patienten noch genauer charakterisiert werden können.
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380
30
Kapitel 30 · Metakognition – Bildgebung
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31
31 Intelligenz Andreas Wittorf und Stefan Klingberg
31.1
Das Konstrukt
31.1.1 31.1.2
Einleitung – 382 Intelligenztheorien und -tests – 382
31.2
Intelligenz und Schizophrenie
31.2.1 31.2.2 31.2.3
Historische Wurzeln – 384 Neuropsychologische Defizite als Kernsymptome der Schizophrenie Befunde zur Intelligenzforschung bei Schizophrenien – 385
Literatur
– 389
– 382
– 384 – 384
382
Kapitel 31 · Intelligenz
31.1
Das Konstrukt
31.1.1 Einleitung
31
Die intakte neuropsychologische Leistungsfähigkeit muss als notwendige Voraussetzung für die Informationsverarbeitung unseres Gehirns betrachtet werden. Die basalen neuropsychologischen Leistungen umfassen die Aufmerksamkeit, das Gedächtnis und die exekutiven Funktionen. Diese kognitiven »Werkzeuge« ermöglichen es uns, Informationen wahrzunehmen, zu verarbeiten und abzuspeichern. Die neuropsychologische Leistungsfähigkeit trägt nicht unerheblich zur Intelligenz bei. Nach der Definition von Wechsler (zitiert nach Matarazzo 1982) wird die Intelligenz als hypothetisches Konstrukt betrachtet, als die zusammengesetzte globale Fähigkeit des Individuums, zielgerichtet zu handeln, vernünftig zu denken und sich wirkungsvoll mit seiner Umwelt auseinanderzusetzen. In diesem Konstrukt sind also die kognitiven Funktionen Wahrnehmung, Gedächtnis und exekutive Funktionen enthalten. Die Intelligenz kann demnach zumindest zum Teil als eine Funktion der individuellen Ausprägungen bzw. Kombinationen dieser verschiedenen kognitiven Funktionen verstanden werden. Über diese kognitiven Werkzeuge hinaus umfasst das Konstrukt Intelligenz aber noch weitere Fähigkeiten und Begabungen. Hierzu gehören nach Wechsler etwa das intellektuelle Niveau eines Menschen, das neben dem allgemeinen Wissen auch durch die Aufgeschlossenheit einer Person gegenüber der Umwelt bestimmt wird, die Fähigkeit, aus Erfahrung zu lernen, in UrsacheWirkungs-Zusammenhängen zu denken, aber auch Sprachverständnis und sprachliches Ausdrucksvermögen. Amthauer (zitiert nach Hiltmann 1977) betrachtet die Intelligenz entsprechend als eine »Sonderstruktur im Gesamt der Persönlichkeitsstruktur«, als »strukturierte Ganzheit von seelisch-geistigen Fähigkeiten, die in Leistungen wirksam werden«. Es ist unmittelbar einsichtig, dass eine Intelligenzminderung die Fähigkeit eines Menschen beeinträchtigt, sein Leben zu meistern und Alltagsprobleme zu bewältigen. Die Ausprägung der Intelligenz wird als abhängig von sozialen, kulturellen und genetischen Faktoren diskutiert.
Kreativität: Eine Sonderform der Intelligenz Ein mit der Intelligenz verwandtes Konstrukt ist die Kreativität, die schöpferische Begabung eines Individuums. Drevdahl (1956) versteht unter Kreativität die Fähigkeit eines Menschen, Denkergebnisse beliebiger Art hervorzubringen, die im Wesentlichen neu sind und demjenigen, der sie hervorgebracht hat, vorher unbekannt waren. Kreativität kann künstlerische, literarische oder wissenschaftliche Formen annehmen. Entscheidend ist für ein kreatives Produkt aber nicht allein seine Neuigkeit, sondern der daraus resultierende Nutzen für eine Gesellschaft. Untersuchungen zum Zusammenhang von Kreativität und Intelligenz unterstellen ein Schwellenmodell, demzufolge eine hohe Intelligenz zwar nicht gleichbedeutend mit einer entsprechend hohen Kreati-
vität ist, hohe Kreativität dagegen aber eine hohe Intelligenz notwendigerweise voraussetzt. Das Konstrukt der Kreativität wird hier aufgegriffen, weil sich im Rahmen der Schizophrenieforschung auch hierzu Befunde finden. ! Die Intelligenz kann als ein Globalmaß der kognitiven Leistungsfähigkeit verstanden werden, das mehr ist als die Summe der basalen neuropsychologischen Funktionen. Die neuropsychologischen Grundfunktionen Aufmerksamkeit, Gedächtnis und exekutive Funktionen sind als Teilaspekte des Konstrukts Intelligenz zu verstehen.
31.1.2 Intelligenztheorien und -tests Wie in der Einleitung bereits deutlich wurde, gibt es für das Merkmal Intelligenz keine allgemein akzeptierte Definition und entsprechend keine allgemein akzeptierte Messmethode. Dementsprechend erfassen die verschiedenen Intelligenztests jeweils unterschiedliche Aspekte des Konstrukts. Schon Boring (1923) stellte Anfang des 20. Jahrhunderts ironisch fest, dass Intelligenz eben das sei, was der betreffende Test messe. Gemeinsames Merkmal aller Intelligenztests scheint aber ihre hohe Korrelation mit dem Schulerfolg zu sein. Dies liegt darin begründet, dass der Schulerfolg üblicherweise als zentrales Außenkriterium bei der Bestimmung der Validität herangezogen wurde.
Die Anfänge der Intelligenzmessung Binet u. Simon (1905) entwickelten den ersten Intelligenztest zur Erfassung der Schuleignung. Dieser Test war Ausgangspunkt für die später international gebräuchliche Testfamilie der BinetTests. Als Maß für die Intelligenz wurde das sog. Intelligenzalter (IA) definiert, das dem Lebensalter (LA) nicht im Einzelfall, wohl aber über alle Probanden hinweg entsprechen musste. Besonderer Nachteil dieses Intelligenzmaßes war der Umstand, dass eine bestimmte Differenz zwischen IA und LA auf verschiedenen Altersstufen etwas völlig anderes bedeutete: Ein Rückstand von zwei Jahren bezüglich des Intelligenzalters mochte bei einem 16jährigen noch unauffällig sein, bei einem 4jährigen hingegen deutete er auf einen hochgradigen »Schwachsinn« hin. Der eigentliche Intelligenzquotient (IQ) wurde erst 1911 von dem deutschen Psychologen Stern eingeführt (Stern 1911). Er schlug vor, das Intelligenz- zum Lebensalter durch einen Quotienten in Beziehung zu setzen (IA/LA × 100). Der Nachteil dieses ersten IQ war offensichtlich: Erreichte die Intelligenz ihren hypothetischen Kulminationspunkt im frühen Erwachsenenalter bei etwa 20 bis 25 Jahren, verringerte sich mit zunehmendem Lebensalter der IQ »automatisch« und rapide. Der Sternsche IQ war demnach nur bei Kindern und Jugendlichen sinnvoll anwendbar.
383 31.1 · Das Konstrukt
Die Intelligenzskalen von Wechsler Um diese verrechnungstechnischen Probleme zu vermeiden, verwendete Wechsler (1944) für seine Skalen zur Erfassung der Intelligenz bei Erwachsenen und Kindern sog. Abweichungsquotienten. Basis hierfür ist der empirische Befund, dass die Leistung einer jeden Altersgruppe um einen Durchschnittswert streut. Dieser Durchschnittswert wird im Sinne einer linearen Transformation jeweils gleichgesetzt mit 100. Um diesen Wert zu erreichen, muss ein Individuum die gleiche Leistung erbringen wie der Durchschnitt seiner Altersstufe. Die individuelle Leistung wird schließlich als Differenz zum Mittelwert ausgedrückt und auf die Altersstreuung relativiert. Es wird hier zwar immer noch von einem »Intelligenzquotienten« gesprochen, faktisch handelt es sich nun jedoch um einen Standardwert mit einem konventionsbedingten Mittelwert 100 und einer Standardabweichung 15. Die Wechslerschen Skalen zur Erfassung der Intelligenz wurden zum Ausgangspunkt einer ganzen Testfamilie, die auch im deutschen Sprachraum weite Verbreitung gefunden hat. Die aktuellste Revision liegt nun mit dem Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene (WIE; Wechsler 1998) vor. Hierbei handelt es sich um die deutsche Übersetzung und Adaptation der Wechsler Adult Intelligence Scale (WAIS-III). Der WIE beruft sich auf die Theorie des sog. g-Factor von Spearman (1904), die davon ausgeht, dass bei der Lösung einer Aufgabe immer ein globaler Intelligenzfaktor – der g-Faktor – und ein problemspezifischer Aufgabenfaktor beteiligt sind. Wechsler ging ferner davon aus, dass es sinnvoll sei, zwischen einer verbalen und einer handlungsbezogenen Intelligenz zu unterscheiden. Dementsprechend gliedert sich der WIE in 6 Verbaltests und 5 Handlungstests. Der WIE enthält außerdem drei völlig neue Skalen, die es in der Vorläuferversion, dem Hamburg-WechslerIntelligenztest für Erwachsene (HAWIE-R; Tewes 1994) noch nicht gab. Dies ermöglicht jetzt die zusätzliche Bestimmung von sog. Index-Werten für sprachliches Verständnis, Wahrnehmungsorganisation, Arbeitsgedächtnis und Arbeitsgeschwindigkeit. Die 7 Testbox stellt jeweils drei Aufgaben aus dem Handlungs- bzw. dem Verbalteil vor. Dabei wird deutlich, dass die einzelnen Unter-
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tests hinsichtlich ihrer Validität meist uneindeutig sind, d. h. in der Regel verschiedene kognitive Funktionen ansprechen.
Andere Theorien und Verfahren Die Primärfaktorentheorie Andere bekannte Intelligenztests wie etwa der Intelligenzstrukturtest (IST-70; Amthauer) oder das Leistungsprüfsystem (LPS; Horn) lehnen sich an die sog. Primärfaktorentheorie von Thurstone (1938) an. Aufgrund faktorenanalytischer Studien wurden sieben Primärfaktoren der Intelligenz identifiziert: Sprachverständnis, Wortflüssigkeit, Zahlenverständnis, räumliches Vorstellungsvermögen, Gedächtnis, Wahrnehmungsgeschwindigkeit und schlussfolgerndes Denken. Während der HAWIE-R/WIE v. a. in einem mittleren Intelligenzbereich gut diskriminiert, eignen sich Verfahren wie der IST-70 mit seiner höheren Aufgabenschwierigkeit auch zur Hochbegabungsdiagnostik. Hierarchische Intelligenzmodelle Zu den sog. hierarchischen Intelligenzmodellen gehört etwa das Gruppenfaktorenmodell von Vernon aus den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts (Vernon 1950). Hier wird von einer hierarchischen Ordnung der Intelligenzfaktoren ausgegangen. Auf der untersten Ebene sind die spezifischen, nur den betreffenden Untertest kennzeichnenden Faktoren lokalisiert. Darüber die sog. minor group factors und als Niveau von noch größerer Breite die major group factors. Hierzu gehören Faktoren wie das schlussfolgernde Denken oder räumlich-motorische Fertigkeiten. Diese Faktoren sind den Thurstoneschen Primärfaktoren sehr ähnlich. Die Ebene des höchsten Allgemeinfaktors stellt wiederum ein sog. g-Faktor dar. Abschließend soll noch auf die von Cattell (1963) eingeführte Unterscheidung zwischen flüssiger und kristallisierter Intelligenz eingegangen werden. Auch bei dieser Modellvorstellung zur Struktur der Intelligenz handelt es sich um ein hierarchisches Gruppenfaktormodell. Der g-Faktor, der für die grundlegende geistige Leistungsfähigkeit steht, organisiert wiederum zwei allgemeine Grundfaktoren der Intelligenz, nämlich die »general
Testbox: Exemplarische Untertests aus dem Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene (WIE) Zahlen-Symbol-Test: Vorgegebenen Ziffern sind unter Zeitdruck folge nachzusprechen. Erfasst das verbale Kurzzeit- und Arbeitsabstrakte Symbole zuzuordnen. Erfasst beiläufiges Lernen, Verarbeitungsgeschwindigkeit und Aufmerksamkeit. Mosaik-Test: Zweidimensionale Muster sind unter Zeitdruck mit Klötzchen nachzubauen. ErfasstWahrnehmungsorganisation und räumliche Abstraktion. Spricht exekutive Funktionen an. Bilderordnen: Bilderserien (»Comicstrips«) werden in falscher Reihenfolge vorgelegt und sind unter Zeitdruck logisch richtig umzuordnen. Erfasst Verständnis für komplexe Situationen. Spricht exekutive Funktionen an. Zahlennachsprechen: In der Länge ansteigende Serien von Ziffern sind zunächst vorwärts, dann in entgegengesetzter Reihen-
gedächtnis sowie Aufmerksamkeit. Gemeinsamkeitenfinden: Gemeinsamkeiten von Wortpaaren (z. B. Apfelsine und Banane) sind zu finden (z. B. Früchte). Erfasst verbale Abstraktion. Allgemeines Verständnis: Eine Serie von Fragen (z. B. »Warum muss man Steuern zahlen?«) ist zu beantworten bzw. Sprichwörter (z. B. »Stille Wasser sind tief«) sind zu erklären. Erfasst praktisches Urteilsvermögen, die Fähigkeit, aus Erfahrung zu lernen, sprachliches Verständnis und Ausdrucksvermögen sowie verbale Abstraktion.
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Kapitel 31 · Intelligenz
fluid ability« und die »general crystalized ability«. Unter der flüssigen allgemeinen Begabung versteht Catell eine aktive geistige Kapazität, die für alle Lösungsprobleme eingesetzt werden kann. Sie spiegelt die Fähigkeit wider, sich neuen Problemen oder Situationen anzupassen, ohne dass es hierzu in einem relevanten Ausmaß früherer Lernerfahrungen bedarf. Die kristallisierte allgemeine Begabung ist durch Bildungs- und Erziehungseinflüsse geprägt und hängt mit dem Lösen von Problemen im verbalen und numerischen Bereich zusammen. Dieser Faktor steht für die kognitiven Fertigkeiten, in denen sich die kumulierten Effekte vorangegangenen Lernens kristallisiert und verfestigt haben.
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Wortschatztests: Abschätzung der allgemeinen Intelligenz Zur Abschätzung des allgemeinen Intelligenzniveaus schizophrener Patienten werden häufig Wortschatztests, sog. Intelligenzspurentests, angewendet. Hierzu gehört der im deutschsprachigen Raum verbreitete Mehrfachwahl-Wortschatz-Test (MWT; Lehrl 1992). Dieser gilt als weitgehend störungsinsensitives Verfahren, das nur die »Spuren« einer geistigen Auseinandersetzung eines Menschen mit seiner Umwelt, die sich als Wissen »kristallisiert« haben, erfassen will. Die Anforderungen an die flüssige Intelligenz werden als minimal betrachtet. Beim MWT wird ein bekanntes Wort unter vier sinnlose Wörter gemischt (z. B. »Kirse – Sirke – Krise – Krospe – Serise«). Insgesamt 37 in der Schwierigkeit ansteigende Wortzeilen bilden den Gesamttest. Dass der MWT das allgemeine Intelligenzniveau tatsächlich erfasst, bestätigen die hohen Korrelationen von etwa .80 mit dem HAWIEGesamt-IQ. Solche Wortschatztests nehmen für sich in Anspruch, dass sie weitgehend unbeeinflusst von Krankheitsprozessen und Symptomen sind und daher die sog. prämorbide Intelligenz erfassen können.
Abschließende Bewertung Allein der Vergleich der hier beschriebenen Intelligenztheorien und -tests macht deutlich, wie heterogen das Konstrukt der Intelligenz ist. Wenn von der Intelligenz schizophrener Patienten die Rede ist, ist dies immer vor dem Hintergrund des jeweiligen Konstrukts bzw. des jeweiligen Messinstruments zu interpretieren. Die hier beschriebenen traditionellen Intelligenzskalen werden üblicherweise nur in Ausschnitten (z. B. Zahlen-SymbolTest und Zahlennachsprechen aus dem HAWIE-R bzw. die Wortflüssigkeit aus dem LPS) zur Messung der neuropsychologischen Defizite bei schizophrenen Patienten herangezogen. Dies liegt darin begründet, dass solche Skalen die bei schizophrenen Psychosen beeinträchtigten neuropsychologischen Bereiche (z. B. sekundäres verbales Gedächtnis oder Vigilanz) nicht ausreichend differenziert erfassen. Es kann aber sicherlich behauptet werden, dass alle Intelligenztests in einem gewissen Grad auch die neuropsychologischen Grundfunktionen ansprechen.
31.2
Intelligenz und Schizophrenie
31.2.1 Historische Wurzeln Ausgangs des 19. Jahrhunderts prägte der deutsche Psychiater Kraepelin den Terminus »dementia praecox«, um hiermit seine klinische Beobachtung eines Krankheitsverlaufes von vorherrschender produktiver Symptomatik über zunehmende intellektuelle Beeinträchtigungen hin zu einem demenziellen Zustand zu beschreiben (Kraepelin 1893). Der Zeitraum dieses Verfalls der Intelligenz war nach Kraepelin uneinheitlich, von sehr rasch bis hin zu einigen Jahren. Allerdings musste Kraepelin die Absolutheit seiner Sicht aufgrund eigener Daten später selbst relativieren: Er fand in einer Stichprobe von initial als »dementia praecox«diagnostizierten Patienten einen nicht unerheblichen Anteil an Individuen, die weitgehend remittierten, ohne einen residualen »Defektzustand« zu zeigen. In der Folge modifizierte der Schweizer Psychiater Bleuler Anfang des 20. Jahrhunderts das Kraepelinsche Krankheitskonzept: Bleuler zweifelte sowohl den durchgängig frühen Krankheitsbeginn als auch das unausweichliche Fortschreiten bis hin zur »Verblödung« an (Bleuler 1911). Vielmehr betrachtete er die Störung als eine Klasse von Krankheiten mit heterogenen Symptomdimensionen und vermutlich multiplen Ursachen. Die Rechtfertigung, diese heterogenen Störungsbilder unter der Kategorie »Schizophrenie« zu subsummieren, sah Bleuler in dem gemeinsamen Wesensgehalt dieser Störungen, den er in das Konzept der »zerrissenen Assoziationsfäden« fasste: Zielgerichtetes Denken und Kommunizieren sei nur bei Intaktheit dieser hypothetischen Strukturen möglich. In solchermaßen gestörten assoziativen Verbindungen sah Bleuler auch die Erklärung für die beobachteten Aufmerksamkeitsstörungen bei Schizophrenen. Die »Vergesslichkeit«, die Bleuler bei seinen schizophrenen Patienten darüber hinaus beschrieb, betrachtete er nicht als primäre Gedächtnisstörung, sondern als Konsequenz der »schizophrenen geistigen Abwesenheit«. 31.2.2 Neuropsychologische Defizite
als Kernsymptome der Schizophrenie Wie einleitend beschrieben, trägt die neuropsychologische Leistungsfähigkeit nicht unerheblich zur Intelligenz bei. Die meisten standardisierten Verfahren zur Intelligenzmessung beinhalten Untertests, die die basalen neuropsychologischen Funktionen explizit messen oder zumindest ansprechen. Eine Abhandlung über die Intelligenz bei Schizophrenien erfordert daher zunächst eine Betrachtung der neuropsychologischen Defizite schizophrener Patienten. Erst vor diesem Hintergrund lassen sich die Befunde zur Intelligenz sinnvoll interpretieren. In ihrer Übersichtsarbeit kommen Heinrichs u. Zakzanis (1998) zu dem Ergebnis, dass sich neuropsychologische Defizite vorwiegend in den Bereichen Aufmerksamkeit, Gedächtnis und
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exekutive Funktionen bemerkbar machen. Diese Defizite scheinen aber auch nicht bei allen schizophrenen Patienten in einem klinisch relevanten Maß ausgeprägt zu sein. In einer eigenen Stichprobe schizophrener Patienten erwiesen sich bereits in der beginnenden Stabilisierungsphase etwa 25% der Patienten als neuropsychologisch weitgehend unbeeinträchtigt (Klingberg et al. 2006). Die Untersuchung von Rund et al. (2006) spricht sogar von 38% neuropsychologisch unbeeinträchtigten schizophrenen Patienten. Aktuellere Übersichtsarbeiten (z. B. Rund 1998) kommen zu dem Schluss, dass die neuropsychologischen Defizite bei den betroffenen Patienten stabil, d. h. Ausdruck einer statischen Enzephalopathie sind. Dies bedeutet aber nicht, dass sich die häufig ausgeprägten neuropsychologischen Dysfunktionen der akuten Krankheitsphase unter günstigen Bedingungen (z. B. kontinuierliche Einnahme von Antipsychotika, weitgehende Remission der Symptomatik) nicht erholen könnten. Residuale neuropsychologische Defizite, insbesondere im Gedächtnisbereich, scheinen aber selbst bei günstigen Krankheitsverläufen zu überdauern (z. B. Wittorf et al. 2004). Die neuropsychologischen Defizite erweisen sich in verschiedenen Studien konsistent als unabhängig von der schizophrenen Psychopathologie, allenfalls die Negativsymptomatik kann quer- wie längsschnittlich einen niedrigen bis moderaten korrelativen Zusammenhang mit den neuropsychologischen Defiziten aufweisen (z. B. Klingberg et al. 2006; Wittorf et al. 2004). ! Die neuropsychologischen Defizite schizophrener Patienten sind ein überdauerndes Kernsymptom der Störung. Sie sind weitgehend unabhängig von der schizophrenen Psychopathologie und stellen damit eine eigene Symptomdimension dar.
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Defizite beim Arbeitsgedächtnis (»working memory«; Brand et al. 1996; Klingberg et al. 2006). In ihrer Übersichtsarbeit betrachten Brand et al. (1996) Gedächtnisdefizite als Kernsymptom kognitiver Veränderungen bei der Schizophrenie, betonen aber auch die große Varianz der Leistungen schizophrener Patienten bei Gedächtnisaufgaben.
Exekutive Funktionen Unter exekutiven Funktionen werden im weitesten Sinne diejenigen Prozesse verstanden, die vorhandene Informationen benutzen – im Gegensatz zu den fundamentalen Prozessen der Informationsaufnahme und -speicherung. Die exekutiven Funktionen umfassen Fähigkeiten wie abstraktes Denken, Konzeptbildung, Entscheidungsfindung und strategisches Handeln. Zusammenfassend werden diese höheren kognitiven Funktionen auch als Problemlösefähigkeit oder kognitive Flexibilität bezeichnet. Der Wisconsin Card Sorting Test (WCST; Heaton et al. 1993) ist eines der am häufigsten eingesetzten neuropsychologischen Instrumente, um die exekutiven Funktionen bei schizophrenen Patienten zu erfassen. Die mittlerweile schon als klassisch geltenden exekutiven Defizite (v. a. die Tendenz zu Perseverationen) schizophrener Patienten wurden in vielen Studien empirisch belegt (z. B. Saykin et al. 1994). Die klinische Erfahrung lehrt aber, dass nicht alle schizophrenen Patienten Minderleistungen der exekutiven Funktionen zeigen. Diese klinische Beobachtung wird u. a. in Studien von Saykin et al. (1991) und Klingberg et al. (2006) bestätigt. Solche Befunde sind insofern besonders interessant, als es gerade die exekutiven Fähigkeiten sind, die gut in das Konzept der flüssigen Intelligenz, d. h. der weitgehend bildungs- und wissensunabhängigen kognitiven Fähigkeiten, passen.
Aufmerksamkeit Im Bereich der Aufmerksamkeit finden sich Defizite bei verschiedenen Unterfunktionen; einen Überblick bietet Braff (1993). Daueraufmerksamkeit bzw. Vigilanz sind reduziert, die selektive Aufmerksamkeit ist gestört, die Aufmerksamkeitsbreite, das sog. scanning, ist verändert. Darüber hinaus ist die kognitive Verarbeitungs- und Reaktionsgeschwindigkeit reduziert.
Gedächtnis Beim Gedächtnis zeigt die Mehrheit schizophrener Patienten ausgeprägte Störungen in der Enkodierung und im Abruf von verbalem und nonverbalem Material. In jüngerer Zeit mehren sich allerdings die Hinweise, dass v. a. das sekundäre verbale Gedächtnis, d. h. die verbale Lern- und Behaltensleistung, bei Schizophrenen besonders beeinträchtigt ist (Sobizack et al. 1999; Klingberg et al. 2006). Solche Befunde ergeben sich sowohl bei ersterkrankten als auch bei chronisch Schizophrenen (Saykin et al. 1994). Während das sekundäre Gedächtnis bei Schizophrenien in der Literatur als durchgehend gemindert gilt, erweisen sich die Befunde zum Kurzzeitgedächtnis als uneinheitlich. Während die unmittelbare Behaltensleistung (»immediate memory«) weitgehend unbeeinträchtigt erscheint, finden sich regelmäßig
31.2.3 Befunde zur Intelligenzforschung
bei Schizophrenien Intelligenzminderung bei Schizophrenien – ein universelles Charakteristikum? Schon frühere Übersichtsarbeiten (Aylward et al. 1984) zeigten, dass schizophrene Patienten in vielen Untersuchungen mit standardisierten Intelligenztests eine niedrigere Leistung im Vergleich zu Kontrollprobanden aufweisen. Dabei scheinen die verbalen Intelligenzleistungen besser erhalten zu sein als die handlungsbezogenen Anteile. In der Allgemeinbevölkerung hingegen finden sich üblicherweise ein höherer verbaler als handlungsmäßiger IQ bei einer höheren Grundintelligenz und ein umgekehrtes Muster bei einer niedrigeren Grundintelligenz. Eine reduzierte Intelligenz fand sich auch bei High-risk-Kindern, d. h. genetisch prädisponierten Individuen weit vor Beginn der manifesten schizophrenen Erkrankung. Aber gerade solche vulnerablen, phänotypisch gesunden biologischen Angehörigen schizophrener Patienten weisen häufig ein qualitativ ähnliches, wenngleichmilderes, neuropsychologisches Defizitmuster als ihre erkrankten Familienmitglieder auf (Wittorf et al. 2004; Kremen et al. 1994).
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Kapitel 31 · Intelligenz
Aus solchen Befunden ergibt sich unmittelbar die Frage, wie stark Intelligenzmaße mit neuropsychologischen Maßen zusammenhängen. Der IQ, der ja ein globales Maß der kognitiven Leistungsfähigkeit darstellt, sollte mit den bei schizophrenen Patienten gestörten Teilfunktionen in einer gewissen Abhängigkeit stehen. Dieser Zusammenhang sollte umso ausgeprägter sein, je stärker das Intelligenzmaß auch neuropsychologische Grundfunktionen anspricht. Eine eigene Analyse (Wittorf u. Klingberg 2006) zu diesem postulierten Zusammenhang zeigte sowohl quer- wie längsschnittlich einen leichten bis moderaten Zusammenhang zwischen der allgemeinen Grundintelligenz – erfasst über einen Wortschatztest – und den Aufmerksamkeits- bzw. Gedächtnisfunktionen andererseits. Die 81 Patienten befanden sich zum Zeitpunkt der Untersuchung in der beginnenden Stabilisierungsphase der schizophrenen Erkrankung. Selbst Wortschatztests, die minimale Anforderungen an die neuropsychologischen Grundfunktionen stellen sollen, scheinen zu einem gewissen Umfang durch Aufmerksamkeits- und Gedächtnisdefizite konfundiert zu sein. Rund et al. (2006) fanden sogar noch höhere Korrelationen zwischen neuropsychologischen Defiziten und der Intelligenz (Kurzform des HAWIE-R). Diese Zusammenhänge überraschen freilich nicht, da Untertests dieser Kurzform (z. B. Zahlennachsprechen) explizit Arbeitsgedächtnis und Aufmerksamkeit messen, die auch durch die neuropsychologische Testbatterie erfasst werden. Unsere eigenen Befunde zeigen auch, dass nicht alle schizophrenen Patienten in ihrer allgemeinen Intelligenz (Wortschatztest) beeinträchtigt sind. Selbst in der beginnenden Stabilisierungsphase zeigten die Patienten im Mittel eine durchschnittliche allgemeine Intelligenz. Zu diesem Zeitpunkt wiesen die Patienten neuropsychologische Defizite im Bereich der Aufmerksamkeit bzw. des Gedächtnisses von durchschnittlich einer bzw. zweieinhalb Standardabweichungen unter Normniveau auf. Im Verlauf einer stabilen Remission erreichten unsere Patienten im Mittel sogar ein leicht überdurchschnittliches Intelligenzniveau. Ähnliche Befunde erbrachte die Studie von Kremen et al. (2001). Qualitativ vergleichbare neuropsychologische Defizitmuster resultierten konsistent bei verschiedenen Intelligenzniveaus. Auch schizophrene Patienten mit einem »normalen« IQ (Kurzform des HAWIE-R) zeigten sich neuropsychologisch substanziell beeinträchtigt. Diese Beeinträchtigungen waren aber deutlich milder ausgeprägt als bei den unterdurchschnittlich intelligenten Patienten. Aus solchen Befunden lässt sich wiederum die Erkenntnis ableiten, dass die neuropsychologischen Defizite ein Kernsymptom der Schizophrenie sind, eben weil sie nicht ausreichend durch die klinische Symptomatik oder das Intelligenzniveau erklärbar sind. Weitere Argumente, die gegen eine Intelligenzminderung als universelles Charakteristikum der Schizophrenie sprechen, stammen aus der Kreativitätsforschung. Wenn die Intelligenzminderung universell wäre und das einleitend dargestellte Schwellenmodell der Kreativität stimmt, dann dürfte es keine kreativen schizophrenen Menschen geben. Es existieren aber Be-
funde, die einen Zusammenhang zwischen Kreativität und Schizophrenie aufzeigen. ! Eine Intelligenzminderung ist kein universelles Charakteristikum schizophrener Erkrankungen. Die Leistungen schizophrener Patienten in Intelligenztests können aber vorübergehend oder überdauernd durch neuropsychologische Dysfunktionen gemindert sein. Dies liegt darin begründet, dass die sog. Intelligenztests auch immer neuropsychologische Grundfunktionen ansprechen.
Intelligenz – vermittelnder Faktor oder Anzeichen schizophrener Prädisposition? Inzwischen zeigen viele Befunde, dass eine reduzierte prämorbide Intelligenz (oder besser gesagt: eine reduzierte allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit) als Risikofaktor für die Entwicklung einer schizophrenen Störung zu betrachten ist (Zammit et al. 2004). Kinder, die später eine schizophrene Erkrankung entwickelt haben, waren im Durchschnitt weniger intelligent als nicht affizierte Kinder (Davidson et al. 1999). Diese beeinträchtigte intellektuelle Leistungsfähigkeit scheint von früher Kindheit an zu bestehen und nicht hinreichend durch familiäre oder Umgebungseinflüsse erklärbar zu sein (Aylward et al. 1984). Sie scheint auch nicht lediglich eine Konsequenz pathologischer Prozesse zu sein, die den Krankheitsbeginn begleiten. Andere Befunde bringen die Intelligenz in der Kindheit mit Variablen wie der Schwere der Erkrankung und der Chronizität in Zusammenhang. Wie schon Aylward et al. (1984) ausführten, kann eine Intelligenzminderung bei schizophrenen Patienten als ein vermittelnder Faktor oder als Anzeichen der schizophrenen Prädisposition interpretiert werden. Diese beiden konkurrierenden Hypothesen sollen im Folgenden etwas näher beleuchtet werden. Intelligenz als vermittelnder Faktor Dieser Erklärungsversuch geht davon aus, dass Menschen mit hoher Intelligenz besser mit Stressoren umgehen, die eine Schizophrenie auslösen können. Entsprechend haben diese Belastungen für Personen mit insgesamt besseren Verarbeitungs- und Reaktionsmechanismen weniger Bedeutung. In ihrer Intelligenz geminderte Personen hingegen reagieren bei gleichen Stressoren aufgrund ihrer reduzierten Anpassungsmöglichkeiten mit dem Ausbruch der Erkrankung. Schwer mit dieser Hypothese vereinbar ist der Befund, dass eine reduzierte kognitive Leistungsfähigkeit kein universelles Charakteristikum der Schizophrenie ist und immer wieder ein nicht unerheblicher Anteil von bis zu beinahe 40%durchschnittlich leistungsfähiger Patienten identifiziert werden konnte (z. B. Rund et al. 2006). Intelligenz als Anzeichen einer schizophrenen Prädisposition Diese Erklärungsalternative geht davon aus, dass die reduzierte kognitive Leistungsfähigkeit ein Indikator oder Marker der genetischen Vulnerabilität bzw. einer gestörten frühen Hirnent-
387 31.2 · Intelligenz und Schizophrenie
wicklung ist. Diese Hypothese der frühen Störung (Weinberger 1987) geht davon aus, dass prä- oder perinatal durch verschiedene Faktoren (z. B. genetisch bedingt, Virusinfektionen, Geburtskomplikationen) neuronale Veränderungen entstehen, die während der kindlichen Hirnreifung zunächst weitgehend »stumm« bleiben. Mit Beginn der späten Adoleszenz bzw. des frühen Erwachsenenalters, wenn verstärkt Gehirnfunktionen benötigt werden, um den wachsenden psychosozialen Anforderungen zu genügen, kann es auf der Basis solcher frühen Veränderungen zur Dekompensation und schließlich zum manifesten Erkrankungsbeginn kommen. Für diese Hypothese sprechen Be-
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funde aus der sog. Endophänotypenforschung. Ein Endophänotyp in der Definition von Gottesman (Gottesman u. Shields 1982) ist ein subklinischer Phänotyp, der mit der Erkrankung assoziiert ist und eine genetische Prädisposition für eine solche Erkrankung reflektiert. In Abgrenzung zum Begriff des Vulnerabilitätsindikators verweist der Begriff des Endophänotyps explizit auf eine genetische Basis solcher biologischer Marker. Es liegen Befunde vor, die auch bei phänotypisch gesunden biologischen Angehörigen schizophrener Patienten überdauernde kognitive Defizite nachweisen. Eine eigene Untersuchung hierzu ist in der 7 Studienbox dargestellt.
Studienbox: Sekundäres verbales Gedächtnis – ein potenzieller Endophänotyp der Schizophrenie (nach Wittorf et al. 2004) Ziel: Diese Studie hatte die Indentifikation neuropsychologischer Endophänotypen zum Ziel, die den Kriterien der Stabilität und Sensitivität entsprechen. Methodik: 26 nichtschizophrene, erstgradige Angehörige wurden zusammen mit ihren affizierten Familienmitgliedern (insgesamt 15 Simplexfamilien) bei Baseline und zum 1-Jahres-Follow-up (11 Familien) mit einer umfangreichen neuropsychologischenTestbatterie untersucht. Die Patienten befanden sich bei Baseline in der beginnenden Stabilisierungsphase, beim Follow-up in einem Zustand stabiler Remission. Zusätzlich wurden 21 nichtverwandte, demografisch balancierte, nicht-vulnerable Kontrollen einmalig getestet. Eine Faktorenanalyse der Testbatterie resultierte in 4 Faktoren: (1) Vigilanz, Aufmerksamkeit und Psychomotorik (TMT A/B, dsCPT, Zahlen-Symbol-Test), (2) sekundäres verbales Gedächtnis (AVLT), (3) Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis (Zahlennachsprechen) und (4) Abstraktion und Problemlösung (WCST). Ergebnisse: Bei Baseline ergab sich ein selektives Muster kognitiver Beeinträchtigungen in der Angehörigengruppe, das qualitativ ähnlich, jedoch weniger ausgeprägt ist als in der Patienten-
stichprobe. Die am stärksten ausgeprägten Defizite zeigten sowohl die Patienten als auch ihre Angehörigen im sekundären verbalen Gedächtnis. Die Dysfunktionen im sekundären verbalen Gedächtnis korrelierten in der Patientengruppe bei Baseline signifikant nur mit der Negativsymptomatik. Diese Defizite im sekundären verbalen Gedächtnis erwiesen sich als relativ unabhängig vom Alter bei Krankheitsbeginn, der Krankheitsdauer und der neuroleptischen Dosis. Längsschnittlich fluktuierten die Dysfunktionen im sekundären verbalen Gedächtnis bei den Patienten mit der Negativsymptomatik; sie persistierten bei stabiler Remission etwa eine Standardabweichung unter Normniveau. Auf demselben Niveau zeigten sich die Angehörigen im sekundären verbalen Gedächtnis überdauernd beeinträchtigt (. Abb. 31.1). Schlussfolgerung: Das sekundäre verbale Gedächtnis erfüllte die Kriterien der relativen Stabilität und Sensitivität in unser Stichprobe von Simplexfamilien. Damit qualifiziert sich das sekundäre verbale Gedächtnis als ein potenzieller »kognitiver« Endophänotyp der Schizophrenie, dies sogar bei Fällen, in denen eine geringere Genladung angenommen wurde.
. Abb. 31.1. Neuropsychologie – Baseline vs. 1-Jahres-Follow-up (Wittorf et al. 2004)
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Kapitel 31 · Intelligenz
Weitere Befunde stützen die Hypothese, dass die kognitiven Beeinträchtigungen bei phänotypisch gesunden Angehörigen schizophrener Patienten das Ausmaß ihrer genetischen Prädisposition (»genetic loading«) reflektieren. So haben etwa Faraone et al. (2000) nachgewiesen, dass nichtpsychotische Personen, die nur einen schizophrenen biologischen Angehörigen haben (Simplexfamilien) weniger stark kognitiv beeinträchtigt sind als Personen mit zwei schizophrenen Angehörigen (Multiplexfamilien). Allerdings muss auch angemerkt werden, dass die bei biologischen Angehörigen identifizierten kognitiven Störungen in der Regel kein klinisch bedeutsames Niveau erreichen und sich üblicherweise im Bereich von maximal einer Standardabweichung unter Normniveau bewegen.
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Integration der Hypothesen – das Diathese-StressBewältigungs-Modell (Liberman 1986) Zwei der Bestimmungsstücke dieses Modells sind bereits im Rahmen der eben dargestellten Hypothesen genannt worden: die genetische Prädisposition (Diathese) und die u. a. damit einhergehenden subklinischen kognitiven Auffälligkeiten (Endophänotypen) einerseits und die Belastungsfaktoren in der Umwelt (Stress) andererseits. Diese Hypothesen erklären aber noch nicht hinreichend, warum selbst genetisch signifikant belastete Personen (z. B. aus Multiplexfamilien) trotz erhöhter Anforderungsbedingungen (Stress) in bestimmten Lebensphasen nicht schizophren erkranken. Hier kommt die Stressbewältigung eines Menschen zum Tragen. Stressbewältigung vollzieht sich nun nicht ausschließlich über kognitive, intellektuelle oder neuropsychologische Funktionen, sondern auch über sozial-emotionale oder kreative Fähigkeiten und Kompetenzen. Insofern ist es erklärlich, dass selbst genetisch belastete und kognitiv eingeschränkte Personen, die über ausreichende nichtkognitive kompensatorische Bewältigungsstrategien verfügen, unter stressreichen Lebensbedingungen nicht schizophren dekompensieren.
Verlauf der Intelligenz bei schizophrenen Störungen Oben wurde bereits dargestellt, dass später an Schizophrenie erkrankte Menschen schon in der Kindheit und Jugend eine niedrigere allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit bzw. Intelligenz aufweisen können. Untersuchungen zum Verlauf der Intelligenz beziehen sich auf zwei Zeiträume: die Zeit vor dem Erkrankungsbeginn bzw. den Zeitpunkt der Ersterkrankung einerseits und die Zeit nach dem Erkrankungsbeginn andererseits. Befunde zu beiden Zeiträumen sollen im Folgenden dargestellt werden. Die Zeit bis zum Erkrankungsbeginn Viele Studien (u. a. Gold 1998; David 1998) an erwachsenen schizophrenen Patienten haben einen Abfall der allgemeinen kognitiven Leistungsfähigkeit während der Prodromalphase bzw. zum Beginn der manifesten schizophrenen Erkrankung im Vergleich zur prämorbiden Leistungsfähigkeit gefunden. Die begrenzte Datenlage lässt eine Verschlechterung im Rahmen des Erkran-
kungsbeginns um etwa eine halbe bis eine Standardabweichung als wahrscheinlich erscheinen. Die Befunde von Weickert et al. (2000) und Sheitman et al. (2000) unterstützen diese Einschätzung. Die Autoren kommen in ihren Analysen zu dem Schluss, dass die kognitiven Einbußen dem Verlust von etwa 10 IQ-Punkten entsprechen. Wie bereits dargestellt, sind Kinder, die später eine schizophrene Erkrankung entwickeln, im Mittel weniger intelligent als nichtaffizierte Kinder. Wenig ist bislang darüber bekannt, wie sich die intellektuelle Leistungsfähigkeit solcher prädisponierten Kinder bis zum manifesten Erkrankungsbeginn weiterentwickelt. Reichenberg et al. (2005) fanden hierzu unlängst Hinweise, dass die intellektuelle Leistungsfähigkeit auch schon von der Kindheit an, also viele Jahre vor Beginn der Prodromalphase, noch weiter nachlassen kann. Obwohl sich dieser intellektuelle Rückgang im Normbereich bewegte, scheint er ein besonderer Risikofaktor für die Entwicklung einer späteren Schizophrenie zu sein. Die Zeit nach dem Erkrankungsbeginn Aktuellere Übersichtsarbeiten (z. B. Rund 1998) kommen zu dem Schluss, dass die kognitiven Defizite der schizophrenen Patienten stabil, d. h. Ausdruck statischer morphologischer Veränderungen sind. Die von Kraepelin beschriebene progressive Verschlechterung der kognitiven Leistungsfähigkeit (»dementia praecox«) lässt sich zumindest seit der Einführung der Neuroleptika in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts empirisch kaum mehr nachweisen (Goldberg et al. 1993). Die wenigen empirischen Befunde, die eine kognitive Verschlechterung im Krankheitsverlauf zeigen, stammen überwiegend aus der präneuroleptischen Ära. Möglicherweise entfalten die Neuroleptika einen neuroprotektiven Effekt, der einem voranschreitenden kognitiven Verfall entgegenwirkt. Lediglich aus bildgebenden Studien resultieren z. T. Befunde progressiver neuroanatomischer Anomalien (DeLisi et al. 1995). Für die Entwicklung der kognitiven Leistungsfähigkeit können solche Befunde zweierlei bedeuten: Entweder gehen die beobachteten neuroanatomischen Veränderungen nicht mit kognitiven Verschlechterungen einher oder aber die kognitiven Einbußen sind so speziell oder geringfügig, dass sie mit den zur Verfügung stehenden Tests in den bislang untersuchten Zeiträumen nicht erfasst werden konnten. Die empirisch mittlerweile gut abgesicherten statischen morphologischen Veränderungen bedeuten aber nicht, dass sich die häufig ausgeprägten kognitiven Dysfunktionen der akuten Krankheitsphase unter günstigen Bedingungen (z. B. kontinuierliche Einnahme von Neuroleptika, weitgehende Remission der Symptomatik) nicht erholen könnten. So haben etwa Sweeney et al. (1991) statistisch und klinisch signifikante kognitive Erholungsprozesse nachweisen können. Schizophrene Patienten scheinen sich auch unabhängig von ihrer Krankheitsdauer im Anschluss an eine akute Krankheitsepisode von ihren neurokognitiven Defiziten erholen zu können. Sweeney et al. (1991) verglichen auch den Verlauf der kognitiven Leistungsfähigkeit bei ersterkrankten und mehrfach vorbehandelten Patienten: Beide
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Patientengruppen zeigten ähnlich ausgeprägte Erholungseffekte im Verlauf eines Jahres. Residuale kognitive Defizite im Bereich von durchschnittlich etwa einer Standardabweichung unter Normniveau scheinen aber selbst bei günstigen Krankheitsverläufen zu überdauern. Dass sich schizophren erkrankte Menschen im Mittel nicht mehr komplett kognitiv erholen, liegt vermutlich darin begründet, dass diese residualen kognitiven Beeinträchtigungen die zugrunde liegende genetische Vulnerabilität für schizophrene Erkrankungen reflektieren. In einer eigenen Untersuchung (7 Studienbox) konnten wir zeigen, dass die residualen kognitiven Defizite einer stabil remittierten Patientengruppe dem Ausmaß der Beeinträchtigungen ihrer phänotypisch gesunden, biologischen Angehörigen entsprachen.
Kreativität und Schizophrenie Zwischen Genie und Wahnsinn – der Mathematiker John Nash Der Amerikaner John Nash (geb. 1928), ein Wunderkind der Mathematik des 20. Jahrhunderts, revolutionierte mit seinen Spieltheorien die Welt. Seit seiner Dissertation 1949 gilt er als einer der kreativsten Mathematiker. Selbst renommierten Fachkollegen machte es beträchtliche Mühen zu verstehen, worin die Relevanz und die Eleganz der Lösungen lag, die Nash für Probleme vorschlug, die bis dahin als unlösbar galten. Mathematische Experten bezeichneten die Art und Weise, wie Nash zu seinen Schlüssen gelangte, als genial. Als genial werden solche Menschen bezeichnet, die zu den intellektuell, insbesondere schöpferisch, Höchstbegabten zählen. John Nash erkrankte im Alter von 30 Jahren an einer paranoiden Schizophrenie. Er war davon überzeugt, Außerirdische würden über die Zeitung mit ihm kommunizieren; sein privates Leben endete im Chaos. Drei Jahrzehnte lang war Nash schwer erkrankt und veröffentlichte praktisch nichts. Erst Ende der 80er Jahre besserte sich die Symptomatik, und er wandte sich wieder der Mathematik zu. Was diese Remission bewirkte, ist bis heute unklar geblieben. 1994 erhielt er im Alter von 66 Jahren den Nobelpreis. Nach dem Film »A Beautiful Mind« (2001), der von der dramatischen Biografie dieses Genies handelt, gilt Nash als einer der bekanntesten Mathematiker weltweit. Aus solchen oder ähnlichen Fallberichten darf allerdings nicht abgeleitet werden, dass alle Genies zur Psychose neigen, genauso wenig, dass Schizophrene unweigerlich genial sind. Zum Schluss dieses Kapitels sollen nun einige der empirischen Befunde zum Zusammenhang von Kreativität und Schizophrenie dargestellt werden. Empirische Befunde Viele Studien belegen inzwischen, dass die Schizophrenie mit einer beeinträchtigten körperlichen Gesundheit und einer drastisch reduzierten Fortpflanzungswahrscheinlichkeit assoziiert ist. Solche Befunde werfen natürlich, wie Nettle u. Clegg (2006) darstellen, ein evolutionäres Rätsel auf. Eigentlich wäre zu erwarten,
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dass eine solche eingeschränkte Fitness zum Verschwinden jener Erbanlagen führt, die Individuen für eine schizophrene Erkrankung prädisponieren. Die Tatsache, dass dies nicht geschehen ist, könnte darin begründet sein, dass es andere, nützliche Effekte solcher prädisponierenden Merkmale gibt. Schon Seneca sagte, es gebe kein Genie ohne eine Beimischung von Wahnsinn. Auch Platon vermutete, die Grundlage der Kreativität sei eine Art göttliche Verrücktheit. Neuere Untersuchungen scheinen den Philosophen der Antike Recht zu geben. Wie Folley u. Park (2005) ausführen, besteht inzwischen eine gute empirische Evididenz für eine positive Beziehung zwischen Kreativität und Schizotypie. Die Schizotypie zeichnet sich aus durch exzentrisches Verhalten und Anomalien in Denken und Stimmung, die schizophren anmuten, ohne dass je eindeutige schizophrene Symptome vorhanden gewesen sind. Es wird angenommen, dass die Schizotypie einen Teil des genetischen Spektrums der Schizophrenie reflektiert. Mehrere Studien fanden eine erhöhte Kreativität bei den Angehörigen schizophrener Patienten, nicht jedoch bei den erkrankten Personen selbst (Karlsson 1984). Solche Befunde legen die Vermutung nahe, dass die erhöhte Kreativität durch die manifeste Psychose maskiert wird, jedoch bei prädisponierten Personen in Erscheinung tritt. Folley u. Park (2005) konnten nachweisen, dass schizotype Persönlichkeiten eine höhere verbale Kreativität aufweisen im Vergleich zu schizophrenen Patienten und gesunden Kontrollen. Die beiden letzteren waren dabei bezüglich ihrer Kreativität vergleichbar. Erfasst wurde die Kreativität über eine Aufgabe zum divergenten Denken. Dabei wurden die Probanden aufgefordert, Verwendungsmöglichkeiten für reale konventionelle bzw. mehrdeutige Objekte zu generieren. Mittels Nahinfrarotspektroskopie konnten die Autoren zeigen, dass kreatives Denken v. a. mit dem präfrontalen Cortex assoziiert ist. Nettle u. Clegg (2006) vermuten, dass Kreativität zum Fortpflanzungerfolg beiträgt. Die menschliche Kreativität habe, ähnlich wie die schillernde Schleppe eines Pfaus, die Funktion, potenzielle Partner anzuziehen. Die Autoren prüften die Hypothese, dass ein erfolgreiches Engagement im künstlerisch-kreativen Bereich mit der Anzahl bzw. Qualität der Sexualpartner korreliert. Es gelang den Autoren in ihrer methodisch interessanten Studie erstmals nachzuweisen, dass bestimmte Komponenten der Schizotypie positiv mit dem Paarungserfolg korreliert sind und dieser Zusammenhang z. T. durch kreative Aktivität vermittelt wird. Möglicherweise ist es also die besondere Kreativität, die mit der Schizotypie (und damit auch der Schizophrenie) assoziiert ist, die die »schizophrenen« Erbanlagen erhält.
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31
Kapitel 31 · Intelligenz
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III
Symptome und ihre neuralen Korrelate 32
Halluzinationen – Psychologie
– 393
Daniela Hubl, Thomas Koenig, Werner Strik und Thomas Dierks
33
Halluzinationen – Bildgebung
– 412
Thomas Dierks und Daniela Hubl
34
Formale Denkstörungen – Psychologie
– 427
André Kirner, Nadja Zellagui und Tilo Kircher
35
Formale Denkstörungen – Bildgebung
– 443
Carin Klaerding und Tilo Kircher
36
Wahn – Psychologie
– 456
Steffen Moritz und Tania Lincoln
37
Wahn – Bildgebung – 468 Martin Voss, Peter Kalus, Astrid Knobel und Andreas Heinz
38
Ich-Störungen – Psychologie
– 484
Dirk Leube und Katharina Pauly
39
Ich-Störungen – Bildgebung
– 496
Dirk Leube und Katharina Pauly
40
Affektstörungen – Psychologie
– 506
Valentin Markov und Ute Habel
41
Affektstörungen – Bildgebung Irina Falkenberg und Frank Schneider
– 520
42
Negativsymptomatik – Psychologie
– 532
Stefan Lautenbacher
43
Negativsymptomatik – Bildgebung
– 539
Ralf Schlösser, Gerd Wagner und Heinrich Sauer
44
Katatonie – Psychologie
– 560
Georg Northoff
45
Katatonie – Bildgebung
– 567
Georg Northoff und Rabea Paus
32
32 Halluzinationen – Psychologie Daniela Hubl, Thomas Koenig, Werner Strik und Thomas Dierks
32.1
Einleitung
32.1.1 32.1.2 32.1.3 32.1.4 32.1.5
Halluzinationen bei Schizophrenie – 394 Epidemiologie der Halluzinationen – 394 Halluzinationen bei anderen psychiatrischen Erkrankungen – 395 Halluzinationen bei somatischen Erkrankungen – 395 Halluzinationen bei Gesunden und deren pathologische Bedeutung – 396
32.2
Kognitive Modelle zur Entstehung und Aufrechterhaltung von akustischen Halluzinationen – 396
32.2.1 32.2.2 32.2.3 32.2.4 32.2.5 32.2.6
Grundkonditionen und kognitive Basismechanismen der Halluzinationen – 398 Überschreiten der Wahrnehmungsschwelle durch intrinsische hypervalente kognitive Schemata – 399 Defizientes Selbstmonitoring innerer Sprache – 400 Ektope Erregungen durch gestörte Diskursplanung – 404 Halluzinationen bei tauben Schizophrenen – 404 Halluzinationen – vergessene Erinnerungen? – 405
32.3
Neurobiologisch-neuropsychiatrische Kombinationsmodelle – 406
32.3.1 32.3.2 32.3.3 32.3.4
Neuronale Erwartungshaltungen – 406 Neurobiologisch-kognitives Modell – 407 Neuropsychiatrisches 4-Komponenten-Modell – 408 Integration neurophsyiologischer Studien und neuropsychologischer Modellen – 409
32.4
Phasischer Charakter der Halluzinationen und Wechselwirkungen mit dem Affekt – 409
32.4.1 32.4.2
Phasischer Charakter – 409 Halluzinationen und Affekt – 409
32.5
Zusammenfassung Literatur
– 394
– 411
– 410
32
394
Kapitel 32 · Halluzinationen – Psychologie
32.1
Einleitung
Halluzinationen sind Sinneswahrnehmungen ohne auslösenden Reiz. Sie sind eines der Kernsymptome der Schizophrenie und haben meist eine hohe emotionale Bedeutung für den Betroffenen. Halluzinationen können bei verschiedenen Krankheiten und unter verschiedenen Umständen auftreten. In diesem Kapitel und im anschließenden 7 Kap. 33 werden besonders die akustischen Halluzinationen berücksichtigt, die im Rahmen schizophrener Erkrankungen auftreten. Die ersten kognitiven Modelle zur Entstehung von Halluzinationen stammen aus den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts und sind durch psychologische Experimente gestützt. Ab den 90er Jahren werden zudem zunehmend neurophysiologische Untersuchungen durchgeführt, die sich stark von diesen Hypothesen leiten lassen. Sie ermöglichen die Beschreibung neuroanatomischer und -physiologischer Korrelate, die wiederum für die Weiterentwicklung und Validierung theoretischer Modelle herangezogen werden können. In diesem Kapitel werden die neuropsychologischen Modelle zur Entstehung der Halluzinationen erläutert, auf die Ergebnisse der Bildgebungsstudien wird in 7 Kap. 33 detailliert eingegangen. Das grundlegende Prinzip der hier beschriebenen Untersuchungen und Modelle beruht darauf, schizophrene Patienten nach den vorhandenen Symptomen zu gruppieren. Dadurch wird es möglich, die neurobiologischen und kognitiven Grundlagen eines spezifischen Symptoms, in diesem Falle der Halluzinationen, besser begreifen und darüber hinaus einen Beitrag zu den allgemeinen Pathomechanismen der Schizophrenie leisten zu können. ! Definition »Halluzinationen« Halluzinationen sind Sinneswahrnehmungen ohne einen äußeren Reiz mit der subjektiven Qualität einer realen Wahrnehmung. Sie unterliegen nicht der willentlichen Kontrolle wie z. B. Imaginationen. Sie treten während des Tages auf und nicht im Schlaf; dadurch unterscheiden sie sich von Träumen (David 2004).
32.1.1 Halluzinationen bei Schizophrenie Bei der Schizophrenie handelt es sich um eine Störung mit verschiedenen ätiopathogenetischen Faktoren, die u. a. durch falsche Wahrnehmungen (Halluzinationen) und falsche Überzeugungen (Wahn) charakterisiert ist (Maher 1974). Die Diagnose der Erkrankung wird i. Allg. durch das Konstatieren dieser Symptome gestellt. Halluzinationen sind neben dem Wahn das Hauptmerkmal der häufigsten Schizophrenieform, der paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie. Aber auch bei anderen Formen der Schizophrenie können Halluzinationen erlebt werden. Meist werden akustische Halluzinationen als gesprochene Sprache wahrgenommen. Manchmal sind es einzelne Worte, die gehört werden, manchmal kurze Phrasen, aber auch ganze Sätze. Schneider (1959) hatte bereits die komplexen verbalen Halluzina-
tionen als ausreichendes diagnostisches Merkmal der Schizophrenie bezeichnet. Dazu zählte er das Hören der eigenen Gedanken, das Hören von Stimmen in Form von Rede und Gegenrede sowie von kommentierenden und imperativen Stimmen; diese Art der Halluzinationen bezeichnete er als Erstrangssymptome. Noch heute findet sich diese Beschreibung im ICD-10 als eines der Haupt-Diagnosekriterien der Schizophrenie. Neben den komplexen verbalen akustischen Halluzinationen treten bei der Schizophrenie auch einfache verbale und nichtsprachliche akustische Halluzinationen auf, sogenannte Akoasmen. Dabei handelt es sich z. B. um ein Klopfen, Pochen, Rasseln oder Poltern. Einfache verbale Halluzinationen und Akoasmen sind unspezifische Symptome, die von Schneider als Symptome 2. Ranges bezeichnet wurden und als solche auch gemäß ICD-10 nicht diagnostisch sind. Von jeher haben Halluzinationen die Menschheit fasziniert und nach ihrer Herkunft fragen und suchen lassen. In früheren Zeiten glaubte man eher an übernatürliche oder spirituelle Ursachen wie göttliche Eingebungen oder teuflische Besessenheit. Mit dem Aufkommen der Hirnforschung gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich dagegen die Erkenntnis immer mehr durch, dass psychiatrische Störungen Erkrankungen des Gehirns sein müssen und dass bei Halluzinationen typische funktionelle oder strukturelle Veränderungen des Gehirns beobachtet werden können. Halluzinationen werden ebenso wie Wahn, formale Denkstörungen wie Zerfahrenheit, und katatone Bewegungsstörungen als »positive Symptome« bezeichnet, die als zusätzliches Verhalten und Erleben auftreten. Im Gegensatz dazu stehen die Negativsymptome, die als Fehlen von normalem Verhalten und Erleben definiert sind. Halluzinationen sind rein subjektiv erlebte Symptome und können nicht direkt beobachtet werden. Der klinische Untersucher ist daher praktisch ausschließlich auf die Angaben des Patienten angewiesen, da die Zuverlässigkeit von indirekten Zeichen wie z. B. erhöhte Ablenkbarkeit als äußerst fraglich angesehen werden muss. Im Allgemeinen lassen sich die positiven Symptome der Schizophrenie gut durch Antipsychotika beeinflussen, die die dopaminerge Signalübertragung blockieren. Dies weist essenziell auf eine biologische Komponente bei der Entstehung von Halluzinationen hin. ! Komplexe verbale Halluzinationen sind ein Kernsymptom der Schizophrenie. Ihr Vorhandensein über einen Zeitraum von mehr als 4 Wochen ist für die Diagnose ausreichend.
32.1.2 Epidemiologie der Halluzinationen Akustische Halluzinationen treten bei ca. zwei Dritteln aller Schizophrenen mindestens einmal im Leben auf (Slade u. Bentall 1988). Sie sind sehr oft mit einem hohen subjektiven Leidensdruck verbunden und führen zu erheblichen Funktionseinschränkungen oder gar zu Kontrollverlust. Wenn die Halluzina-
395 32.1 · Einleitung
tionen beleidigenden Charakter haben, sind die Patienten besonders gequält; sie versuchen nicht selten, durch Suizid oder Suizidversuche den übermächtig gewordenen Stimmen Folge zu leisten. Seit den 50er Jahren können Psychosen durch die damals neuentdeckten Neuroleptika (heute häufig auch als Antipsychotika bezeichnet) behandelt werden. Bei Gabe von Antipsychotika reduzieren sich bei bis zu 75% der Patienten die Halluzinationen. Die Negativsymptome persistieren wesentlich häufiger. Auch wenn nur die komplexen verbalen Halluzinationen für die Schizophrenie charakteristisch sind, finden sich Trugwahrnehmungen häufig auch in den anderen sensorischen Modalitäten: visuell, olfaktorisch, gustatorisch, taktil und coenesthetisch. Allerdings finden sich die akustischen Halluzinationen bei weitem am häufigsten: Ca. 45% aller Halluzinationen sind akustisch, 20% sind Körperhalluzinationen; visuelle Halluzinationen werden in ca. 15%, Halluzinationen in den anderen Modalitäten in weniger als 5% beobachtet. Dabei scheint es eine Hierarchie zu geben; in der Schizophrenie treten die Halluzinationen der anderen Modalitäten fast immer zusätzlich zu akustischen auf und nur sehr selten alleine. Die Inhalte von Halluzinationen haben meist einen Bezug zur persönlichen Lebengeschichte und zum kulturellen Hintergrund des Patienten. Die Häufigkeit des Auftretens von Halluzinationen während eines Tages, im Verlauf der akuten Phase oder im Verlauf der gesamten Erkrankung ist individuell sehr unterschiedlich. Auch gibt es große Unterschiede in der subjektiven Lokalisation von akustischen Halluzinationen: Sie können als im Kopf generiert oder als von außen kommend, als fern oder nah wahrgenommen werden und in Lautstärke und Klarheit der gehörten Sprache variieren. Fast immer jedoch wissen die Patienten sehr gut, was zu ihnen gesagt wird; damit bekommen die Halluzinationen eine besondere subjektive Bedeutung. ! Akustische Halluzinationen sind die häufigste Form der Halluzinationen bei einer Schizophrenie.
32.1.3 Halluzinationen bei anderen psychiatrischen
Erkrankungen Neben der Schizophrenie treten Halluzinationen auch bei anderen psychiatrischen Erkrankungen auf. Unter bestimmten, in 7 Abschn. 32.1.5 näher beschriebenen psychischen Ausnahmezuständen kann es sogar sein, dass ansonsten gesunde Menschen vorübergehend Halluzinationen erleben. Auch bei den schizoaffektiven Erkrankungen werden Halluzinationen beobachtet, die denen der Schizophrenie phänomenologisch und wahrscheinlich auch pathophysiologisch sehr ähnlich sind. Es gibt schwerstausgeprägte Zustände der affektiven Erkrankungen wie die Manie mit psychotischen Symptomen oder wie die schwere psychotische Depression, bei denen zum vorherrschenden Affekt synthyme Halluzinationen auftreten. Daneben können bei der
32
Alkoholerkrankung und anderen Suchterkrankungen Halluzinationen vorkommen. Schließlich findet man Halluzinationen im psychopathologischen Befund bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung und bei posttraumatischen Belastungsstörungen. ! Halluzinationen können bei fast allen anderen psychiatrischen Erkrankungen auftreten, allerdings fehlt ihnen dann meist der typische Charakter der kommentierenden oder dialogisierenden Stimmen der schizophrenen Halluzinationen.
32.1.4 Halluzinationen bei somatischen
Erkrankungen Das Phänomen der Halluzinationen ist nicht auf den Bereich der psychiatrischen Erkrankungen begrenzt. Man beschreibt das Auftreten von Halluzinationen auch bei vielen somatischen Erkrankungen (Brasic 1998). Am häufigsten findet man Halluzinationen bei den neurologischen Erkrankungen, insbesondere Erkrankungen des zentralen Nervensystems (z. B. bei Tumoren, Epilepsien, Entzündungen oder vaskulären Hirnerkrankungen) und bei den degenerativen Gehirnerkrankungen wie z. B. der Alzheimerschen Demenz oder der Parkinsonerkrankung. Neben den eben genannten Erkrankungen, bei denen es sich um Schädigungen des zentralen Nervensystems handelt, können Sinnestäuschungen auch durch die generalisierte Wirkung bei Einnahme von Medikamenten (als Nebenwirkung oder bei Überdosierung) oder Rauschmitteln (die erwartete Wirkung der Rauschdrogen, Intoxikation oder Entzug von psychotropen Substanzen) beschrieben werden. Im Unterschied zu den schizophrenen Halluzinationen, die hauptsächlich akustischer Qualität sind, sind bei den organisch bedingten Halluzinationen visuelle Halluzinationen charakteristisch. Auch durch eine Einschränkung der sensorischen Fähigkeiten im Alter erhöht sich die Inzidenz von Halluzinationen: Einschränkungen der visuellen Fähigkeiten gehen oft mit dem Auftreten von visuellen Sinnestäuschungen einher (CharlesBonnet-Syndrom). Etwas weniger oft werden akustische Halluzinationen bei einer Minderung der Hörfähigkeit berichtet. Bei den aufgrund einer Verschlechterung des Hörens aufgetretenen Halluzinationen handelt es sich sehr häufig um musikalische Halluzinationen, d. h. das Hören von Liedern oder Melodien, die oft aus der eigenen Kindheit und Jugend bekannt sind. Die Beobachtung des Phänomens, dass es bei einer Hörminderung zum vermehrten Auftreten von Verfolgungsideen kommt, hatte bereits Kraepelin Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts beschrieben. Grundsätzlich ist die Empfänglichkeit für die Auftretenswahrscheinlichkeit von Halluzinationen und Wahn durch Reizdeprivation und somit Verminderung von Informationen erhöht. ! Halluzinationen treten auch auf bei neurologischen Erkrankungen des ZNS, insbesondere bei degenerativen Erkrankungen und Einschränkungen der Sinnesfunktionen.
396
Kapitel 32 · Halluzinationen – Psychologie
32.1.5 Halluzinationen bei Gesunden
und deren pathologische Bedeutung Halluzinationen in psychischen Ausnahmezuständen
32
Unter besonderen Umständen können auch Gesunde Halluzinationen – oder allgemeiner: außergewöhnliche Wahrnehmungen, die normalerweise nicht auftreten – erleben. Dies kann der imaginierte Spielkamerad von Kindern sein oder Wahrnehmungsstörungen nach dem Verlust des langjährigen Lebenspartners (in dem Sinne, dass dieser gesehen oder gehört wird, als ob er weiterleben würde). In lebensbedrohlichen Situationen, bei Schlafentzug, bei Reizdeprivation, im Zustand des extremen Hungers oder Durstes oder bei der Durchführung religiöser Rituale kann es bei Gesunden zum Auftreten von Halluzinationen kommen. Bei starker Müdigkeit oder im Halbschlaf können ebenfalls veränderte Wahrnehmungen auftreten (hypnagoge Halluzinationen). Allerdings weisen diese Wahrnehmungsstörungen in den allerseltensten Fällen die typischen Charakteristika auf, die den von Schneider beschriebenen Erstrangsymptomen bei schizophrenen Psychosen entsprechen (Brasic 1998). Ähnlich, wie eine alters- oder krankheitsbedingte Reduktion von äußeren Wahrnehmungen Halluzinationen auslösen kann, lassen sich bei Gesunden durch sensorische Reizdeprivation ebenfalls Halluzinationen provozieren. Werden Licht und Lautstärke, Bewegungsradius und Handlungen minimiert, so können auch bei Gesunden Halluzinationen quasi induziert werden. Es treten häufiger vivide, komplexe visuelle Halluzinationen auf; das Auftreten akustischer Halluzinationen ist weniger häufig beschrieben. Auch finden sich häufiger paranoide Ideen, wenn eine Person die jeweilige Landessprache nicht versteht und dadurch der Raum für die eigenen Assoziationen und Interpretationen vergrößert wird. Diese Umstände, die bei Gesunden zum Auftreten von Halluzinationen führen, scheinen ebenfalls die Auftretenswahrscheinlichkeit von Halluzinationen bei Schizophrenen zu beeinflussen. So finden sich bei den Patienten mit Schizophrenie in Zeiten z. B. hoher Stressbelastung oder sensorischer Deprivation häufiger Halluzinationen als in Zeiten ohne diese Einflussfaktoren (Bentall 1990). ! Psychische Ausnahmezustände wie Deprivation oder Stress können Halluzinationen auslösen.
Pathologische Bedeutung der Halluzinationen Wenn sich weder primäre organische Ursachen wie z. B. eine degenerative Hirnerkrankung, ein Hirntumor, eine Epilepsie oder Entzündung des Gehirns noch die Einnahme von psychotropen Substanzen nachweisen lassen, nimmt man i. Allg. an, dass Halluzinationen Zeichen einer psychiatrischen Erkrankung sind. Es gibt jedoch Studien, die zeigen, dass sowohl unter Kindern als auch unter Erwachsenen bis zu 25% der Normalbevölkerung das Phänomen des Stimmenhörens erleben (Slade u. Bentall 1988). In anderen Untersuchungen bejahten sogar bis zu 71% der be-
fragten Collegestudenten, zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Biografie das Phänomen erlebt zu haben (Beck u. Rector 2003). Aus solchen Beobachtungen formulieren manche Autoren die Hypothese, dass es sich bei Halluzinationen um ein Kontinuum zwischen Krankheit und Normalpsychologie handelt. Allerdings bestehen diese Halluzinationen meist daraus, dass die Menschen hören, wie ihr Name gerufen wird, oder aus einem ähnlich einfach strukturierten Phänomen. Diese Halluzinationen sind nicht so komplex, dass sie inhaltlich den Erstrangsymptomen entsprechen und auch nicht mit Stress und Angst einhergehen. Das Erleben von akustischen Halluzinationen nach dem Charakter von Erstrangsymptomen wird jedoch als pathologisch angesehen. ! Bis zu einem Viertel der Menschen hören mindestens einmal im Leben eine halluzinierte Stimme. Allerdings hören die meisten dieser Menschen das Rufen ihres Namens und erleben nicht die typischen Inhalte schizophrener Halluzinationen.
32.2
Kognitive Modelle zur Entstehung und Aufrechterhaltung von akustischen Halluzinationen
Dass psychotische Phänomene außerhalb der normalen Erfahrung liegen, hat bereits Jaspers (1922) als konstituierend für diese Phänomene benannt. Sie sind damit unmöglich zu verstehen und bedürfen einer Erklärung. Bei Depressionen oder Ängsten handelt es sich im Gegensatz zu den psychotischen Erfahrungen um das Erleben übersteigert ausgeprägter normaler Erfahrungen. Die Positivsymptome der Schizophrenie, Wahn und Halluzinationen, treten häufig zusammen auf und kommen wahrscheinlich durch ähnliche biologische und kognitive Grundmuster zustande. Beim Wahn wird die Realität falsch beurteilt, und es wird mit subjektiver Gewissheit an dieser Fehlbeurteilung festgehalten. Bei der Halluzination wird ein innerer Reiz, vielleicht ein aufkommender Gedanke oder eine Erinnerung, als von außen kommend erlebt. Diese falsche Wahrnehmung wird für real gehalten und mit unerschütterlicher Überzeugung verteidigt. Man kann annehmen, dass zur Entspannung der Diskrepanz, die eine an sich unerklärbare Wahrnehmung hervoruft, mittels kognitiver Prozesse eine Erklärung gesucht wird, die die innere Ordnung wieder herstellt. Dadurch wird die Angst, die aus der Unerklärbarkeit resultiert, reduziert. Eine Reduktion von Angst wirkt wiederum als Verstärkung und erhält den Wahn respektive die Überzeugung von der Echtheit der Halluzination aufrecht. So könnte man kurz zusammenfassen, wie vorgegebene und konditionierende biologische Prozesse sowie vermittelnde und erhaltende kognitive Mechanismen das Entstehen und Persistieren einer Halluzination erlauben und aufrechterhalten. Ein kognitives Modell zur Entstehung der Halluzinationen muss somit eine Erklärung für alle spezifischen Eigenheiten dieser Trugwahrnehmung beinhalten: Es handelt sich um die Wahrnehmung eines komplexen verbalen Reizes, die die Qualität
397 32.2 · Kognitive Modelle zur Entstehung und Aufrechterhaltung von akustischen Halluzinationen
einer echten Wahrnehmung hat. Es fehlt allerdings der äußere Reiz, der diese Wahrnehmung normalerweise hervorrufen würde. Diese Wahrnehmung unterliegt nicht der willentlichen Kontrolle und hat die Qualität, Nicht-Selbst zu sein. Das für die Beschreibung und eventuell sogar Erklärung der komplexen verbalen Halluzinationen notwendige Modell ist wesentlich mit dem System der Sprachwahrnehmung und -verarbeitung verbunden. Dies ist naheliegend, denn nur so kann man dem verbal-inhaltlichen Charakter der Halluzinationen gerecht werden. Denn eines der überdauerenden Merkmals der akustischen Halluzinationen liegt in ihrer Qualität, verbal und gut verständlich zu sein. Ferner muss die Qualität des Nicht-Selbst erklärt werden. So wie man die Halluzination in ihre verschiedenen, konstituierenden Komponenten aufteilen kann, muss man zu ihrer Erklärung die einzelnen Anteile biologischer und kognitiver Mechanismen erläutern und letzlich in einem stimmigen Modell wieder zusammenfügen.
32
Im Allgemeinen wird versucht, die Symptome der Schizophrenie als Resultat spezifischer Defekte, systematischer Fehler oder inadequater Präferenzen für bestimmte normalpsychologische Prozesse zu verstehen. Psychotische Symptome reflektieren, dass psychische Erkrankungen mit komplexen gedanklichen und psychologischen Vorgängen einhergehen. Dennoch ist es unbestritten, dass die Ursache der Störung biologisch bedingt ist. Mit anderen Worten: Das Auftreten von Halluzinationen setzt bestimmte neurobiologische Gegebenheiten voraus. Klare Evidenz für biologische Ursachen der Grunderkrankung hat man neben den bekannten hereditären Verteilungsmustern auch in der Wirksamkeit der Medikamente, die Einfluss nehmen auf die zerebralen Neurotransmittersysteme und gleichzeitig zu einer Reduktion der Krankheitszeichen führen. In diesem Kapitel werden verschiedene grundlegende neurokognitive Modelle akustischer Halluzinationen vorgestellt. Es wird das Modell des defizienten Selbstmonitorings der inneren
Exkurs Innere Sprache Die meisten Theorien, die das Phänomen der akustischen Halluzinationen erklären wollen, greifen auf den Begriff der »inneren Sprache« zurück. Da Halluzinationen einen verbalen und inhaltlich klar verständlichen Charakter haben, ist die Nähe zu Sprache, die normalerweise zum Zwecke der Kommunikation laut gesprochen wird, offensichtlich. Im Gegensatz dazu, dass die meisten Menschen eine recht gute Vorstellung davon haben, was innere Sprache so in etwa bedeutet, steht, dass bislang über die innere Sprache in der psychiatrischen Literatur wenig Konstituierendes oder Determinierendes publiziert wurde, obwohl immer wieder auf dieses Konstrukt zurückgegriffen wird. Wenn Gedanken verbalisiert und bewusst werden, entsteht innere Sprache. Wird diese innere Sprache zum Zwecke der Kommunikation laut artikuliert, kann man Gedanken durch das Sprechen anderen mitteilen. Es ist aber auch denkbar, dass mentale Inhalte zwar verbalisiert werden, aber noch nicht in das Bewusstsein übergetreten sind. Neben der tatsächlich artikulierten inneren Sprache bleibt damit ein Teil der schon verbalisierten Gedanken unbewusst und unausgesprochen, was man daher vielleicht besser als präverbales Denken bezeichnen könnte, denn Sprache selber gilt schon primär als bewusstseinsnah. Damit muss dieser Teil hinsichtlich Inhalt und Form auch nicht zwangsläufig den gängigen Regeln der gesprochenen Sprache entsprechen. Denken und Sprache sind eng miteinander verbunden, und Sprache kann als Ausdruck des Denkens verstanden werden. Zwischen der Sprache – gesprochener und innerer Sprache – und der Entwicklung der verbalen mentalen Konzepte besteht eine explizite und profunde Verbindung, ohne dass beide identisch sein müssen. So scheint es, dass sich die innere Sprache initial graduell über einen Internalisierungsprozess aus dem sozialen Kontext gesprochener Sprache heraus entwickelt, wodurch die dialogisierende Komponente der inneren Sprache zustande kommen könnte.
So können kleine Kinder nur laut denken, was diese Hypothese der Internalisierung gesprochener Sprache zur Bildung der inneren Sprache unterstützt. Mit anderen Worten würde das heißen, dass die äußere Form der gesprochenen Sprache die Möglichkeit ergibt, Gedanken zu verbalisieren, wobei der dialogisierende Aspekt aufgrund der sozialen Interaktionen ein wesentliches Merkmal wäre (Vygotskij 2002). Da innere Sprache eine enge Beziehung sowohl zur sprachlichen Vorstellung als auch zur artikulierten Sprache hat, wird sie mit einer auditiven sowie einer motorischen Komponente in Verbindung gebracht. Eine weitere offensichtliche und bestimmende Nähe der inneren Sprache besteht zum verbalen Gedächtnis. Hinweise auf eine motorische Komponente, welche mit der sprachlichen Vorstellung der inneren Sprache einhergeht, hat man aus den frühen Untersuchungen, in denen Subvokalisationen bei innerer Sprache nachgewiesen werden konnten. Vielleicht kann man sogar die Beobachtung, dass viele Menschen beim Laufen besser reden und denken können als in Ruhe, auf die Nähe zum motorischen System deuten. Subvokalisation bezeichnet dieVerwendung des motorischen Sprechapparates ohne echte Vokalisation. Dieser Nachweis ist jedoch nicht konklusiv untersucht worden und hat mehr einen Beobachtungscharakter. Auch bei Halluzinationen wurden Subvokalisationen nachgewiesen, sodass das Konzept einer Pathologie in der Genese innerer Sprache bei der Entstehung verbaler Halluzinationen aufgegriffen wurde. Obwohl für die Genese der Halluzinationen immer wieder die konstituierende Nähe zur inneren Sprache betont wird, muss man sich klar machen, dass wir recht wenig über die innere Sprache Gesunder und deren Regeln wissen. Noch weniger ist bekannt über die innere Sprache halluzinierender schizophrener Patienten.
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Kapitel 32 · Halluzinationen – Psychologie
Sprache von Frith (1992) beschrieben sowie die Theorie Hoffmans (1986), dass es durch ektope Erregungen in den Sprachregionen zu Halluzinationen kommt. Reflektiert werden diese Modelle durch eine aktuelle Arbeit über das Stimmenhören bei Tauben (Atkinson 2006), bei denen das Sprachsystem aufgrund der Dysfunktion des auditorischen Systems beeinflusst wird. Bentall (1990, 2006) hat die Grundkonditionen und einfache < kognitive Mechanismen beschrieben, die bei Kranken Halluzinationen begünstigen und evtuell sogar bei Gesunden Wahrnehmungsstörungen hervorrufen. Das wohl ausführlichste kognitive Modell über Halluzinationen stammt von Beck u. Rector (2003). Die Tatsache, dass Halluzinationen persönliche und biografische Bezüge des Betroffenen aufweisen, greift Waters (2006) im psychoanalytischen Modell der vergessenen Erinnerungen auf. ! Modelle zur Entstehung akustischer Halluzinationen müssen die beiden wesentlichen Eigenschaften der Halluzinationen berücksichtigen und erklären: ihren verbalen Charakter sowie die Qualität des Fremden und Unkontrollierbaren.
32.2.1 Grundkonditionen und kognitive Basis-
mechanismen der Halluzinationen Grundkonditionen, die das Auftreten von Halluzinationen begünstigen
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Halluzinationen sind komplexe Symptome, die durch das Zusammentreffen verschiedener neurokognitiver Mechanismen unter bestimmten Konditionen begünstigt auftreten. Basierend auf einer Vielzahl von psychologischen Einzelexperimenten diskrimiert Bentall (1990, 2006) Grundkonditionen, die das Auftreten von Halluzinationen begleiten und eventuell sogar erst auslösen: . Tab. 32.1. Faktoren, die das Auftreten von Halluzinationen beeinflussen. (Nach Bentall 1990) Psychologischer Stress
+ Stressbedingte Erregung
(Genetische) Prädisposition
+ Intellektuelle Defizite (Sprache) + Psychotizismus + Lokalisieren interner Quellen nach extern + Erhöhte Suggestibilität für auditorische Reize - Vermeiden unangenehmer Stimulation
Umgebungsfaktoren
+ Sensorische Deprivation + Akustisches Rauschen (z. B. Verkehrslärm) - Lesen, Schreiben, Hören
Kognitive Verstärkungsmechanismen
- Abnahme von unangenehmen Gefühlen (Angst)
+ vermehrtes Auftreten von Halluzinationen - geringeres Auftreten von Halluzinationen
Psychologischer Stress, (genetische) Prädisposition, Umgebungsfaktoren und kognitive Verstärkungsmechanismen begünstigen und verstärken bei schizophren Erkrankten die Wahrscheinlichkeit, das Symptom des Stimmenhörens zu entwickeln. Vermutlich können dieselben Faktoren bei extremer Ausprägung auch bei Gesunden zum Auftreten von Halluzinationen führen. In . Tab. 32.1 sind diese Mechanismen detaillierter beschrieben.
Kognitive Basismechanismen Bentall beschreibt neben umschriebenen kognitiven Mechanismen umfassende Einzeltheorien. Da Halluzinationen komplex sind, ist wahrscheinlich die Kombination dieser kognitiven Prinzipien für das Phänomen der Halluzination verantwortlich (. Tab. 32.2). Als wesentliche Einzelfaktoren beschreibt Bentall eine gestörte Realitätsdiskrimination sowie die Tendenz, interne Quellen nach außen zu lokalisieren. Diese Faktoren finden auch Berücksichtigung und Erweiterung in späteren kognitiven Modellen. Unter Realitätsdiskrimination wird die Fähigkeit verstanden, zwischen äußeren und inneren Ereignissen zu unterscheiden. Halluzinierende können zwischen Selbst und Fremd nur defizitär unterscheiden. Sie entscheiden schnell und sicher, selbst mit wenig Information, und machen zudem systematische Fehler, indem sie eine Quelle häufiger als Gesunde nach extern zu lokalisieren, selbst wenn ihr Ursprung im Selbst liegt. Diese Präferenz scheint nicht nur für Halluzinationen ursächlich zu sein, vielmehr ist sie wahrscheinlich auch ein wichtiger Faktor bei der Entstehung von Ich-Störungen (Gedankenübertragung, Gedankeneingabe) sowie bei dem Gefühl, von außen beeinflusst zu werden. Eine solche Präferenz könnte somit als eine gemeinsame neurobiologische und neurokognitive Basis von Halluzinationen und Ich-Störungen angenommen werden. Neben diesen Basismechanismen diskutiert Bentall, ob Halluzinationen durch konditioniertes Lernen aufrechterhalten werden könnten. Jedoch gibt es in der weiteren Literatur kaum Hinweise darauf, dass Konditionierungen einen wesentlichen Mechanismus . Tab. 32.2. Kognitive Theorien und Faktoren zum Auftreten von Halluzinationen. (Bentall 1990, 2006) Realitätsmonitoring
Probleme bei der Fähigkeit, zwischen Imagination und externer Realität zu unterscheiden
Lokalisation nach extern
Tendenz, Informations-Quellen nach extern zu lokalisieren
Lerntheorie
Klassische Konditionierung
Intrusionen
Vorbewusstes Material dringt ins Bewusstsein
Imaginationstheorien
Abnorm lebhafte mentale Imaginationen oder Imaginationsdefizit?
Subvokalisationstheorien
Stärkung der Verbindung innere Sprache – Halluzinationen
399 32.2 · Kognitive Modelle zur Entstehung und Aufrechterhaltung von akustischen Halluzinationen
bei Halluzinationen darstellen, sodass man heute das Lernen nicht als wesentlichen Mechanismus bei der Entstehung von Halluzinationen betrachtet. Dialogisierende und imperative Stimmen haben häufig einen sehr individuellen soziobiografischen Bezug. So werden die Stimmen Personen aus der eigenen Vergangenheit oder auch Gegenwart zugeschrieben. Dies gibt Anlass zur Annahme, dass es sich bei Halluzinationen zumindest zu einem bestimmen Anteil um vor- oder unbewusstes Material des Betroffenen handelt. Gestärkt wird ein solcher Theorieansatz dadurch, dass im Falle von fehlenden äußeren sensorischen Reizen, die i. Allg. hemmend gegenüber inneren Reizen wirken, die letzgenannten leichter ins Bewusstsein dringen. Im Falle der stimmenhörenden Patienten geht man davon aus, dass intrusive Gedanken aus dem Vor- oder Unbewusstsein durch dysfunktionale kognitive Kontrollstrategien unkontrolliert anfluten können und somit aufgrund ihrer Kontextlosigkeit einer fremden Ursprungsquelle zugeordnet und als unbeeinflussbar erlebt werden. Halluzinationen sind Wahrnehmungen ohne äußere Reize, die nicht der willentlichen Kontrolle unterliegen. Sie sind formal den Imaginationen sehr nah verwandt; Imaginationen sind auch sehr lebhafte Vorstellungen ohne äußere Reize, die allerdings der willentlichen Kontrolle unterliegen. Aufgrund dieser Verwandtschaft mit der Normalpsychologie wurde einerseits diskutiert, ob es sich nicht bei Halluzinationen um abnorm lebhafte mentale Vorstellungen handelt, die sich bei Schwierigkeiten, zwischen Imagination und externen Reizen zu unterscheiden, als Halluzinationen manifestieren. Andererseits wurde in diesem Zusammenhang auch formuliert, dass die besonders gering ausgeprägte Fähigkeit zum Imaginieren zu Halluzinationen führe und zwar in dem Moment, in dem eine etwas lebhaftere Imagination sich so sehr von der ansonsten vorhandenen Leere abzeichne, dass diese dann als Halluzination verkannt werde. Letztlich wurden diese gegensätzlichen Hypothesen und die Frage, ob das Kontinuum zwischen der Abwesenheit von Halluzinationen über die lebhafte Imagination hin zu den Halluzinationen existiert, bis heute nicht abschliessend geklärt. Es gibt jedoch Hinweise, dass bei Patienten mit akustischen Halluzinationen die akustischen Imaginationen lebhafter sind als die visuellen. Akustische Halluzinationen weisen aufgrund ihres verbalen Charakters Nähe zur inneren Sprache auf. Bei innerer Sprache konnten Subvokalisationen nachgewiesen werden, also eine Aktivität der Sprechmuskeln, ohne dass es zu einer Vokalisation kommt. Solche Subvokalisationen wurden sporadisch auch bei Halluzinationen gezeigt. Allerdings konnten bei Halluzinationen Subvokalisationen nicht konsequent nachgewiesen werden, sodass diese Hypothese letztlich noch offen bleibt. ! Variablen wie Stress, genetische Prädisposition, bestimmte Umgebungsbedingungen und kognitive Verarbeitungsmechanismen führen zum Auftreten von Halluzinationen und unterhalten sie.
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32.2.2 Überschreiten der Wahrnehmungsschwelle
durch intrinsische hypervalente kognitive Schemata Bereits in den ersten Arbeiten von Bentall (1990) und Frith et al. (2000) wurden gewisse systematische Präferenzen und Tendenzen kognitiver Mechanismen angesprochen, die das Auftreten von Halluzinationen mitbedingen müssen. In einer aktuelleren Arbeit über ein aus der klassisch kognitiv-verhaltenstherapeutischen Schule von Beck u. Rector (2003) stammendes Psychosemodell zur Entstehung von Halluzinationen werden diese kognitiven Verzerrungen ergänzend zusammengestellt und beschrieben: Die Ausbildung, Fixierung und Aufrechterhaltung von Halluzinationen kann durch kognitive Tendenzen erklärt werden, die biologisch wahrscheinlich auf gestörten frontotemporalen Verbindungen und einem Dopaminexzess basieren. Als auslösend für eine Halluzination wird eine intrinsische hypervalente Kognition gesehen, die aus sich heraus die Energie aufbringt, trotz eines nicht vorhandenen sensorischen Stimulus die Wahrnehmungsschwelle zu überschreiten. Diese hypervalenten kognitiven Schemata betreffen die Sichtweise des Individuums von sich selbst (nach innen gerichtet) und seiner Umwelt (nach außen gerichtet). Werden die Schemata aktiviert, lösen sie i. Allg. daraus ableitbare Kognitionen aus (Erinnerungen, Regeln, Erwartungen). Wenn diese Schemata hyperaktiv und unkontrolliert agieren, entstehen Kognitionen, die mehr mit dem Schema als mit dem realen Reiz übereinstimmen. Halluzinierende haben eine Prädisposition für auditorische Imaginationen und eine erhöhte Aufmerksamkeit für unklare auditive Reize. Imaginationen drängen sich diesen Menschen auf, und sie nehmen Information leichter als geformt wahr, z. B. eben im Sinne von Stimmen, selbst da, wo keine sind. Die Neigung steigt, etwas Nichtstimmliches als Stimme wahrzunehmen, und entsprechende auditive Erwartungen werden aktiviert. Wenn nun also durch andere Faktoren (z. B. Stress, Isolation oder Müdigkeit) die Wahrnehmungsschwelle für auditorische Reize herabgesetzt wird, wird als Folge die aus dem Selbst stammende hypervalente Kognition dem Außen zugeordnet und zu einer Halluzination umgeformt. Normalerweise ist der Weg der Wahrnehmung dergestalt, dass externe Stimuli in mentale Bilder umgewandelt werden. Bei den Halluzinationen werden umgekehrt intern generierte Phänomene als von außen kommend wahrgenommen, weil bestimmte Kognitionen so stark werden, dass sie die Wahrnehmungsschwelle überschreiten und dadurch wie echte, durch äußere Reize hervorgerufene Wahrnehmungen erlebt werden. An der Fixierung der Halluzinationen sind verschiedene Prozesse beteiligt: Bei Schizophrenen kommt es durch Enthemmungsprozesse zu einer unkontrollierten und unintendierten Intrusion von Material aus dem Langzeitgedächtnis ins Bewusstsein. Diese Impulse werden daher nicht als eigene Erinnerungen erkannt. Schizophrene Menschen haben die generelle Tendenz, wahrgenommene Reize zu externalisieren. Durch die Tendenz zur Externalisierung wird der Ursprung von Reizen eher in der
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Kapitel 32 · Halluzinationen – Psychologie
Außenwelt lokalisiert, als dass von einem internen Vorgehen ausgegangen würde. Durch diese systematische Präferenz externer Quellen gegenüber inneren Quellen wird die Überzeugung verstärkt, dass die gehörte Stimme – wie eben hergeleitet – einer äußeren Quelle entspringt. Diese Präferenz externer Quellen kann auch bei der Genese der Symptome Gedankeneingabe, Gedankenentzug und dem Gefühl des Gemachten angenommen werden. Die Aufrechterhaltung von Halluzinationen wird gefördert, wenn zur Einsparung von Ressourcen eine Realitätsüberprüfung vermieden wird. Jedes Ereignis kann im Prinzip mehr als eine einzige Interpretation zulassen. Erwartungshaltungen aber bestimmen klar die Wahl der Interpretation. Unter Stress wird bei jedermann die Sichtweise oft enger, und negative Interpretationen drängen sich, teils angsterfüllt, auf. Dies ist in der Psychose verstärkt der Fall; die Fähigkeit zu einem freien Realitätstesten nimmt hier ab. Zirkuläre Schlüsse durch das Heranziehen der Inhalte der gehörten Stimmen zur Bestätigung ihrer Richtigkeit sowie fixe Tendenzen im logischen Denken (Verhinderung von Fehlererkennung und -korrektur durch Nichtzulassen korrigierender Informationen oder Neubeurteilungen z. B. durch Erwägen alternativer Erklärungen) fixieren schließlich die Idee von der Halluzination. Durch die Interaktion mit den Stimmen, zu denen – oft personifiziert – häufig eine persönliche Beziehung aufgebaut wird, festigt sich der Glaube an die Stimmen. Quasi wahnhaft werden den Stimmen eine Herkunft, eine Person, Erfahrungen mit der Person, die hinter der Stimme steht, zugewiesen. Es kommt zu einer sekundären, wahnhaften Fixierung der ursprünglich nur überzogenen Sinnestäuschung. Durch lebhafte Interaktionen mit den Stimmen, z. B. durch die Ausübung bestimmter Handlungen zur Besänftigung der Stimmen oder Abwendung von Negativem durch die Stimmen, verstärkt sich die Überzeugung, dass all das einen realen Grund haben muss, und der Glaube an die Stimmen wird weiter aufrecht erhalten. . Tab. 32.3. Kognitives Modell zur Entstehung, Fixierung und Aufrechterhaltung von Halluzinationen. (Nach Beck u. Rector 2003) Entstehung von Halluzinationen
Hypervalente kognitive Schemata Prädisposition für auditorische Imaginationen Spezielle Prozesse der Wahrnehmung
Initiale Fixierungen
Enthemmung Tendenz zur Externalisierung Defizientes Realitätstesten Zirkuläre Schlüsse
Aufrechterhaltung der Halluzinationen
Konfirmierendes Verhalten Konzepte über die Stimmen Coping-Strategien und Sicherheitsverhalten
! Durch das Überschreiten der Wahrnehmungsschwelle stoßen hypervalente interne Kognitionen Erwartungsschemata an, die normalerweise durch externe Reize stimuliert werden. Systematische Präferenzen wie Externalisierung, fehlendes Korrekturverhalten und Interaktionen mit den Stimmen führen zur wahnhaften Fixierung der Sinnestäuschung.
32.2.3 Defizientes Selbstmonitoring
innerer Sprache Die grundlegendste Arbeit im Bereich der neurokognitiven Halluzinationsmodelle wurde von Frith (1992) in seinem Buch »The Cognitive Neuropsychology of Schizophrenia« veröffentlicht. Er stellt ein Modell vor, nach dem Halluzinationen aufgrund eines Defekts im Selbstmonitoring verkannte, selbst generierte innere Sprache sind. Bereits zu dieser Zeit diskutiert Frith, dass jeder Stimulus mehr als eine Interpreation zulässt. Welche Interpretation gewählt wird, liegt nicht nur an unserer Fähigkeit zu diskriminieren, sondern auch an unseren Vorlieben. Frith spricht von einer »Disorder of Bias«, also einer Störung der Neigungen (Tendenzen, systematischen Fehler, Präferenzen), die bei schizophrenen Patienten biologisch determiniert sind. Diese Präferenzen führen schließlich dazu, dass Symptome wie Halluzinationen oder Wahn entstehen und aufrechterhalten werden können.
Fehlinterpretation externer Stimuli Dem Modell der verkannten inneren Sprache gehen Überlegungen voraus, ob es sich bei Halluzinationen um eine Fehlinterpretation echter, äußerer Reize handelt oder ob sie aus internen Reizen hervorgehen. Der Gedanke an fehlinterpretierte Realreize kommt auf, wenn man an die sog. funktionellen Halluzinationen denkt, bei denen in Umgebungsgeräusche nicht vorhandene Inhalte »hineingehört« werden. So wird im Wasserrauschen Kinderweinen gehört, oder Motorengeräusche verwandeln sich in Männerstimmen. Dieses Symptom ist allerdings den Illusionen näher verwandt als den Halluzinationen. Ermöglicht werden solche Fehleinschätzungen, wenn neben einer fehlerhaften Reizdiskrimination die kognitive Präferenz vorhanden ist, ganz allgemein in verrauschte akustische Stimuli Inhalte hineinzuhören, z. B. menschliche Stimmen. So können schizophrene Patienten in einer verrauschten Umgebung zwei akustische Stimuli schlechter unterscheiden als Gesunde. Sie nehmen also häufiger falsche Zuordnungen vor. Die Genauigkeit solcher Zuordnungen lässt sich experimentell testen, indem man Versuchspersonen einerseits nur verrauschte Reize, anderererseits verrauschte Reize zeitgleich mit einem Wort darbietet. Die Versuchsperson muss jeweils signalisieren, ob ein Wort vorhanden war oder nicht. Halluzinierende hören häufiger Worte, auch wenn nur das Rauschen präsentiert wurde. Im Alltag bedeutet das, dass Schizophrenen in verrauschter Umgebung häufiger Fehler in der Zuordnung einer Reizquelle unterlaufen.
401 32.2 · Kognitive Modelle zur Entstehung und Aufrechterhaltung von akustischen Halluzinationen
Diese Gedanken aber erklären die Entstehung von Halluzinationen nicht allgemeingültig. Offensichtlich wird das u. a. an folgenden Fakten: Schizophrene können in Ruhe halluzinieren, und taube Menschen können ebenfalls akustische Halluzinationen wahrnehmen. Eine weitere Schwachstelle dieser Reizwahrnehmungsverkennungstheorien liegt darin, dass der Charakter des Nicht-Selbst, der essenzieller Bestandteil von Halluzinationen ist, nicht berücksichtigt wird.
Fehlinterpretation interner Stimuli Grundannahme dieses Halluzinationsmodells ist, dass ein innerer Reiz als von außen kommend verkannt wird. Als innerer Reiz wird die innere Sprache angenommen. Vereinfacht heißt das, dass der Patient zu sich selbst spricht, aber annimmt, ein anderer spräche zu ihm. Halluzinationen werden aufgrund ihres verbalen Charakters in das kortikale Funktionssystem für Sprache und Gedanken lokalisiert, die über die innere Sprache miteinander verbunden sind. Gestützt wird diese Verbindung durch die Gemeinsamkeit von innerer Sprache und Halluzinationen hinsichtlich des zeitweise beobachteten Auftretens von Subvokalisationen, die durch motorische Aktivitäten (Faust machen, Mund aufsperren, Brummen) gestoppt werden können. Bei Stimmenhören können solche Handlungen analog zum Sistieren der Stimmen führen.
Verlust des Selbstgefühls Neben ihrem verbalen Charakter liegt die zweite essenzielle Eigenschaft der Halluzinationen darin, als nicht zum eigenen
. Abb. 32.1. Darstellung des Prinzips der Selbstkontrolle durch einen schematischen Regelkreis im motorischen System: Bei der Planung eines Ziels, hier einer Bewegung, wird die Information darüber via Efferenzkopie vorhergesagt. Durch Übereinstimmung der tatsächlichen Handlung mit der Vorhersage entsteht das Gefühl der Identität mit sich selbst. Stimmen Ziel und Vorhersage nicht überein, tritt das Gefühl des Frem-
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Selbst gehörig oder fremd erlebt zu werden. Nach dem Modell von Frith et al. (2000) führt ein Defekt im Selbstmonitoring dazu, dass das Gefühl für die eigene Integrität und für die Urheberschaft eines selbstinitiierten Prozesses oder Gedankens verloren geht. Dies führt dazu, dass der Gedanke einer Beeinflussung von außen aufkommt. Dies ist auch der Fall beim Gefühl des Gemachten oder bei Ich-Störungen (Gedankenübertragung, Gedankeneingabe). Neben dem Begriff des Selbstmonitorings wird auch der Begriff der Re-Afferenz-Kopie verwendet. Ursprünglich beschrieben wurden die Prinzipien der Selbstkontrolle durch die Regelkreise im motorischen System (z. B. Kontrolle der Augenbewegung). Zur Erklärung psychopathologischer Symptome übertragen Frith et al. (2000) diese Regelkreise in die Psychiatrie. Insbesondere erklären sie damit die Entstehung des Gefühls des Gemachten anhand eines Beispiels aus dem motorischen System: Beim Gefühl des Gemachten, einem Symtom der Schizophrenie, bei dem der Patient den Eindruck hat, dass nicht er eine Bewegung macht, sondern dass diese Bewegung an ihm vorgenommen wird, liegt das primäre kognitive Defizit im Mangel am Bewusstsein, dass die durchgeführte motorische Aktion der eigenen Kontrolle unterliegt. Als ursächlich krankhaft verändert wird der Mechanismus angesehen, der eine Bewegung vorhersagt und dann als geplant erkennt (. Abb. 32.1). Es ist ein allgemeines Prinzip, dass wir die Konsequenzen unseres Handelns durch Vorhersagen und Eintreffen dieser Vorhersagen erkennen und dadurch dem Selbst zuschreiben. So wird durch die Vorhersage einer intendierten Bewegung ein Erwartungsbild geschaffen; bei Eintreffen der Bewegung und Übereinstimmung mit der Vor-
den, von außen Gemachten ein. Das ist ein allgemeines Prinzip; bei der Schizophrenie kommt es durch Fehler in der Erstellung der Efferenzkopien – mit anderen Worten durch ein Defizit im Selbstmonitoring – zum Gefühl, von außen beeinflusst zu werden, und damit zum Gefühl des Gemachten. (Frith et al. 2000)
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Kapitel 32 · Halluzinationen – Psychologie
Verkennung der inneren Sprache und akustische Halluzinationen
hersage entsteht ein Gefühl des Selbsterzeugten. Bei Nichteintreffen wird eine Korrekturbewegung durchgeführt. In diesem System wird einerseits die Bewegung selber vorher gesagt, andererseits eine Vorhersage über die kinaesthetische Empfindung gemacht. Kommt es nicht zu einer Übereinstimmung zwischen vorausgesagter und erlebter Empfindung, entsteht das Fremdheitsgefühl. Als biologische Ursache von Defekten im Selbstmonitoring wird eine Dysfunktion der langen, frontoparietotemporalen Bahnen angenommen. Normalerweise führt die frontal generierte Vorhersage zu einer Hemmung im parietalen Assoziationscortex. Eine frontoparietale Dyskonnektion bei der Schizophrenie verhindert dies, und es kommt stattdessen zu einer relativen parietalen Übererregung. Bei der Planung einer motorischen Handlung werden zuerst die aktuelle Position und Situation eingeschätzt. Ebenso muss das angestrebte Ziel repräsentiert werden. Aus dem aktuellen Stand und dem gewünschten Ziel wird eine inverse Lösung für die auszuführenden Bewegungen gesucht. Das Forward-Modell ermöglicht eine Repräsentation der vorhergesagten Position. Wenn die Bewegung erfolgreich durchgeführt wird, kommt es zu einem Übereinstimmen von Vorhersage und Wahrnehmung der Handlung, und ein schlüssiges Gefühl der Urheberschaft für die Handlung stellt sich ein. Beim Gefühl des Gemachten ist das ForwardModell defekt, es entsteht kein oder ein falsches Erwartungbild und somit keine Übereinstimmung. Das Gefühl der Selbsturheberschaft bleibt aus.
Durch Regelkreise wird gesteuert, dass Konsequenzen unseres Handelns vorhergesagt und bei Eintreffen der Vorhersage als zum Selbst gehörend erkannt werden. Das Grundprinzip besteht darin, dass die Vorhersage der sensorischen Konsequenz einer eigenen Handlung die eigentliche sensorische Wahrnehmung dieser eigenen Handlung hemmt. Im Normalfall bedingt das, dass z. B. Selbstberührungen stark abgeschwächt wahrgenommen werden oder dass laut gesprochene Sprache als selbstgeneriert erkannt wird, weil z. B. beim Sprechen gleichzeitig die Wahrnehmung der eigenen Sprache gedämpft wird. Dieses Prinzip ist für alle Modalitäten gültig. Bei der Schizophrenie ist dieser Mechanismus der Selbstabschwächung, was man durch ein fehlerhaftes Selbstmonitoring erklärt. Zur Erklärung der Halluzinationen werden diese Mechanismen in den Bereich der Gedanken und der inneren Sprache übertragen. Dies hat Frith (2005) bereits in seiner ersten Arbeit über die neurokognitiven Entstehungsmodelle festgestellt. Dieses Modell findet eine direkte Unterstützung durch die Beobachtung bei einer aphasischen Patientin mit Halluzinationen, bei der die Stimmen die gleichen Sprachstörungen aufwiesen wie sie (Hubl et al. 2007a). In einer neueren Arbeit (Seal et al. 2004) wird ausführlich erläutert, wie genau sich die Störungen im Selbstmonitoring im Sprachsystem zu verbalen Halluzinationen mit dem Gefühl des Fremden verdichten.
. Abb. 32.2. Übertragung des Forward-Modells der Motorik auf die Gedanken: Durch eine fehlerhafte oder gar fehlende Efferenzkopie des eigenen Gedankens kann der Abgleich der motorischen Komponente des verbalen Gedankens mit dessen sensorischer Komponente keine Übereinstimmung bringen. Durch Tendenzen, wie z.B. rasche Entscheidungen – sogar bei mangelnder Informationslage – zu treffen oder Unbekanntes nach außen zu attribuieren, wird den eigenen Gedanken ein
fremder Ursprung zugeschrieben (Seal et al. 2004). Dieses Modell erklärt v.a. die charakteristische Eigenschaft der Halluzinationen, dass die eigenen Gedanken als von außen kommen identifiziert werden. Aber möglicherweise wird auch deren akustische Komponente erklärt in dem Sinne, dass durch Fehlen der normalerweise auftretenden Dämpfung des auditorischen Kortex beim Denken überhaupt erst ein akustischer Eindruck entstehen kann
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403 32.2 · Kognitive Modelle zur Entstehung und Aufrechterhaltung von akustischen Halluzinationen
Wenn innere Sprache (mit ihrem verbalmotorischen und auditorischen Anteil) selbst produziert wird und durch den Fehler im Selbstmonitoring kein Vorhersagebild entsteht, kann kein Abgleich mit der produzierten Sprache oder dem selbst gedachten Gedanken erfolgen. In der Folge bleibt der Abschluss (der Handlung respektive hier des Gedankens) mit dem Gefühl des Selbstgemachten aus. Die Frage nach der Urheberschaft bleibt unbeantwortet. Da Schizophrene einerseits eine Tendenz zum Treffen rascher Entscheidungen auch bei mangelnder Informationslage haben und anderseits dazu neigen, Handlungen nach extern zu attribuieren, wird die Entscheidung für eine fremde Urheberschaft schnell und bevorzugt getroffen. Den eigenen Gedanken wird ein fremder Ursprung zugeschrieben (. Abb. 32.2). Eines der neuroanatomisch-physiologischen Korrelate der Halluzinationen ist die fehlende Dämpfung des sensorischen Zentrums für Hören und rezeptive Sprache. Bei Halluzinationen fehlt die Abschwächung im auditorischen Cortex und im Bereich des Temporallappens, und es kommt somit zu einer konsekutiven relativen oder gar absoluten Übererregung.
Gefühle des Fremden und Fehlen des Selbsturheberschaftsgefühls Eine kritische, aber plausible Ergänzung zu diesen Modellen liefern Jones u. Fernyhough (2006). Der Fehler im Selbstmonitoring wird als Basisdefekt für Halluzinationen und das Gefühl des Gemachten angenommen. Die Endstrecke des defizienten Systems besteht darin, dass aufgrund des fehlenden Erwartungsbilds der Abgleich mit der selbst produzierten inneren Sprache ausbleibt
. Abb. 32.3. Das Modell des fehlerhaften Selbstmonitorings greifen Jones u. Fernyhough (2006) auf und schlagen eine Ökonomisierung vor: Immer, wenn keine Übereinstimmung von Vorhersage und aktueller Er-
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und die Ambiguität entsteht, ob die erlebte Sprache wirklich selbst generiert ist oder nicht. Seal et al. (2004) plädieren dafür, dass diese Unentschiedenheit zwischen vorhergesagtem und tatsächlichem Status aufgrund der nun entstandenen Ambiguität durch einen aktiven Entscheidungsprozess zum Gefühl des Ungewollten führt. Top-down-Prozesse faszilitieren Präferenzen oder systematisch auftretende Tendenzen. Bei Schizophrenen ist bekannt, dass sie präferiert Quellen nach extern lokalisieren. Diese Tendenz unterstützt, dass der noch offene Entscheidungsprozess für eine externe im Gegensatz zur internen Quelle entschieden wird. Jones u. Fernyhough (2006) schlagen ein intuitives und einfaches Modell für die Attribution zur äußeren Quelle vor: Immer dann, wenn kein Abgleich zwischen Erwartungsbild und tatsächlicher Handlung oder Gedanken erfolgt, kommt es zum Gefühl des Fremden (. Abb. 32.3). Das Gefühl des Selbst braucht als Grundkondition eine Übereinstimmung von Vorhersage und aktuellem Zustand. Bei Wegfall der Übereinstimmung – z. B. durch Fehlen der Vorhersage – kommt es quasiautomatisch zum Gefühl des Fremden. Man benötigt somit keine vorbewussten Attributionen und Entscheidungsprozesse, die dann durch ihr Überwiegen zu einem Gefühl des Fremden führen. Diese Erklärung ist einfacher als das Konstrukt des Entscheidungsprozesses und wirkt dadurch plausibel. ! Durch ein Defizit im Selbstmonitoring wird bei Halluzinationen intern generierte Sprache als von außen kommend fehlinterpretiert.
fahrung getroffen werden kann, stellt sich das Gefühl des Fremden automatisch ein
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Kapitel 32 · Halluzinationen – Psychologie
32.2.4 Ektope Erregungen durch gestörte
Diskursplanung
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Alternativ zur Sichtweise, dass Halluzinationen durch Aberrationen im sensorischen System aufgrund eines defizienten Selbstmonitoring zustande kommen, formuliert Hoffman (1986) auf der psychologischen Ebene, dass Halluzinationen durch Fehler in der Diskursplanung von Sprache entstehen. Das abstrakte Planen intendierter kognitiver verbaler Prozesse (Diskurse) ist mit Zielen und Überzeugungen verbunden. Kommt es zu einer Störung in diesem Prozess, so stimmt die Kognition nicht mit den gleichzeitig wirksamen Zielen überein; daraus resultiert das Gefühl unintendierter Aktionen. Bei Störungen der Planung eines verbalen Diskurses kann eine unintendierte verbale Imagination, ein Wort oder eine Phrase, entstehen und ohne Korrekturmechanismus in das Sprachsystem eingespeist werden. Durch die Unplanmäßigkeit dieser Verbalisierung geht diese mit einem Fremdheitsgefühl einher. Hoffman erweitert in dieser Theorie den neurofunktionellen Raum, in dem Halluzinationen entstehen, und räumt die Möglichkeit ein, dass durch ektope Erregungen im gesamten Sprachsystem die genannten Diskursplanungsstörungen auftreten. Hoffman (1986) formuliert, dass spezifische Störungen in der Sprachwahrnehmung und im verbalen Arbeitsgedächtnis Halluzinationen bedingen und diese nicht durch allgemeine kognitive oder attentionale Defizite bedingt sind. Es wird angenommen, dass Sprachhalluzinationen primär und direkt aus den neuronalen Netzwerken entstehen, die bei Gesunden für das Prozessieren von Sprache verantwortlich sind. Nicht ein primärer Defekt der frontalen Sprachproduktion und dessen Monitoring führen zu den Halluzinationen, sondern quasi fokal auftretendene Irritationen – möglich im gesamten frontoparietotemporalen Sprachsystem. Das Sprachsystem dient als Arbeitsspeicher, in dem verbale Informationen aufbewahrt und prozessiert werden. Die Notwendigkeit dieses Systems beruht darauf, dass die laufend aufgrund von Verrauschungen und Verzerrungen akustischer Reize auftretenden akustischen Ambiguitäten geklärt werden müssen, damit das Richtige verstanden wird. Durch Lernprozesse und Erfahrungen entstandene syntaktische und semantische Erwartungen werden verwendet, um evtl. Lücken der Wahrnehmung zu füllen. Ektope Erregungen, verbunden mit Fehlern im verbalen Arbeitsspeicher, führen damit zum Auftreten von Halluzinationen. Basierend auf neuroanatomischen Kenntnissen und solchen von den Funktionen der kortikalen, frontotemporalen Verbindungen konstruierten Hoffman u. McGlashan (2001) computerbasierte Modelle neuronaler Sprachnetzwerke. Diese Modelle sollten helfen, die Richtigkeit ihrer Hypothesen zu belegen. Sie finden in ihren Computernetzwerken, die das bekannte Wissen über das Sprachsystem und allgemeinen neuronalen Mechanismen berücksichtigen, neben einer funktionellen Fragmentierung auch das Auftreten von eindringenden, spontanen Impulsen, v. a. bei uneindeutigen Signalen. Dies stützt die Hypothese der spon-
tanen ektopen Aktivierungen im Sprachsystem, die als Halluzinationen wahrgenommen werden. Ferner stützen Hoffman u. McGlashan (2001) die Theorie, dass die akustischen Halluzinationen durch ektope Aktivierungen u. a. im Wernicke-Areal und dem primären Hörcortex entstehen, mit eigenen Studien, bei denen einerseits das Sprachnetzwerk experimentell (mittels transkranieller Magnetstimulation) gestört wird, und andererseits bildgebende Verfahren angewandt werden. Da zwischen dem Auftreten von Halluzinationen und einer Inkohärenz der Sprache keine enge klinische Beziehung besteht, scheint das Modell – trotz der Nähe zu einer gestörten Sprache – nicht allgemein auf Störungen im Sprachsystem bei Schizophrenie anwendbar zu sein. ! Durch Fehler in der Diskursplanung durch neurophysiologisch ausgedrückt ektope Erregungen entstehen Sprachhalluzinationen primär und direkt aus den neuronalen Netzwerken, die bei Gesunden für das Prozessieren von Sprache verantwortlich sind. Da diese Verbalisierungen nicht intendiert sind, werden sie als fremd und ungewollt erlebt.
32.2.5 Halluzinationen bei tauben Schizophrenen Die Prävalenz der Schizophrenie ist bei Tauben in etwa so hoch wie bei Hörenden. In ca. 50% der Fälle berichten diese Patienten über das Hören von Stimmen, die denen von hörenden Schizophrenen ähnlich sind. Allerdings tendieren diese Patienten häufiger dazu, zusätzlich auch Halluzinationen in anderen Modalitäten zu haben. Bei hörenden Schizophrenen sind die Stimmen klar, verständlich, komplex und sicher sprachbezogen. Sie sind personifiziert, sodass Alter und Geschlecht angegeben werden können. Taube Schizophrene haben weniger stark ausgeprägte Vorstellungen von den akustischen Qualitäten der Stimmen, allerdings berichten sie lebhafter über somatische und visuelle Begleitwahrnehmungen. Eine wesentliche Gemeinsamkeit der Halluzinationen tauber und hörender Patienten besteht darin, dass in beiden Fällen die Halluzinationen einen Mitteilungscharakter sowie das Gefühl des Gehörten und des Fremden und Unkontrollierbaren haben. Das heißt, dass auch taube Menschen mit Schizophrenie, mithin Personen, die aufgrund ihrer Behinderung nie eine menschliche Stimme gehört haben, akustisch halluzinieren können (Atkinson 2006). Atkinson (2006) diskutiert v. a. den Aspekt, dass Halluzinationen durch einen Defekt im Monitoring innerer Sprache bedingt sind und durch Subvokalisationen – allgemeiner benannt durch die motorischen Komponeten der inneren Sprache und Pathologien in den sensorischen Feedback-Systemen – zustande kommen. Taube Menschen besitzen ein – möglicherweise von Hörenden unterschiedliches – aber an sich intaktes System für innere Sprache. Dafür gibt es Hinweise aus Untersuchungen tauber Sänger oder aus Studien über die Verarbeitung von Zeichensprache bei Tauben. Es wurde gezeigt, dass die gleichen Hirnstruk-
405 32.2 · Kognitive Modelle zur Entstehung und Aufrechterhaltung von akustischen Halluzinationen
turen verwendet werden wie bei Hörenden, wenn sie hören oder imaginieren. Bei Gesunden, die innere Sprache generieren, wurde für die innere Sprache neben der motorischen auch eine akustische und mnestische Komponente beschrieben. Diese Eigenschaften sollte innere Sprache auch bei Tauben haben, sodass man auch hier das Grundmodell des defekten Selbstmonitorings anwenden und in der Folge annehmen kann, dass die innere Sprache als fremd und von außen kommend missverstanden wird. Dies würde erklären, dass auch Taube, die noch nie oder nur sehr wenig gesprochene Sprache wahrgenommen haben, akustische Halluzinationen haben können. Da ja Taube sonst keinen Zugang zur Wahrnehmung von externer Sprache haben, bleibt nur die innere Sprache als Basis der akustischen Halluzinationen. Dies wird vice versa als Indiz für die Richtigkeit der Hypothese gewertet, dass auch bei Hörenden die innere Sprache die Grundlage der Sinnestäuschungen bildet. Differenzen im Wahrnehmungscharakter und der Qualität der Halluzinationen sind möglicherweise von den sensorischen Feedback-Schleifen abhängig, die bei den Tauben durch die fehlenden sensorischen Inputs und den unterschiedlichem Umgang mit Sprache anders ausgeprägt sind als bei Hörenden. Die auditorische Deprivation hat zudem einen signifikanten Einfluss auf die kommunizierte Sprache (z. B. die Zeichensprache), was ebenfalls zu qualitativen Unterschieden bei den Halluzinationen Tauber führen kann. Atkinson (2006) geht in dieser Arbeit nicht auf die Frage ein, aus welchen Gründen die Menschen, deren Stimmenhören er beschreibt, ertaubt sind. So wird diskutiert, dass echte Halluzinationen nur bei Menschen auftreten können, die irgendwann im Leben einmal in der Lage waren zu hören oder die noch ein Restgehör aufweisen. Schaut man sich die Ursachen von Taubheiten an, dann kommt es zumeist aufgrund einer Pathologie im peripheren Hörsystem zu einer Taubheit. Die sog. zentralen oder kortikalen Taubheiten sind selten. Dies kann infolge einer bilateralen, am häufigsten infarziösen Läsion beider temporaler Cortices oder einer anderen, noch zentraler gelegenen Läsion auftreten und geschieht sehr selten. Eine angeborene Agenesie beider Hörcortices ist unseres Wissens nach in der gängigen Literatur nicht beschrieben. Geht man davon aus, dass die primären kortikalen Hörgebiete bei Tauben in der Regel intakt angelegt sind und dass der primäre Hörcortex für die Perception von akustischen Halluzinationen essenziell oder gar konstituierend ist, dann kann man das Stimmenhören tauber Menschen auch im Sinne der Hypothese diskutieren (und diese stützen), dass zum Erleben von Halluzinationen eine primäre Pathologie des primären Hörcortexes notwendig ist. Dies steht in Einklang mit der Aussage, dass – auf psychologischer Ebene – bei angeborenen Tauben Halluzinationen klare akustische Qualitäten zugeordnet werden, auch wenn diese Menschen noch nie menschliche Sprache gehört haben. Gerade die akustische Qualität ist die wesentliche Komponente der Halluzinationen; sie wird im Gehirn durch eine Aktivierung des Hörcortex hervorgerufen. Auf neuroanatomisch-funktio-
32
neller Ebene wird diese Hypothese durch Befunde bestätigt, dass während Halluzinationen (allerdings bisher nur bei Hörenden nachgewiesen) der primäre Hörcortex aktiv ist. Hypothetisch müsste es sogar so sein, dass bei Menschen ohne intakten Hörcortex keine Halluzinationen auftreten. ! Auch taube Menschen können akustisch halluzinieren. Innere Sprache, die bei Tauben wie bei Hörenden Ausdruck der eigenen Gedanken sein kann, wird in ihrer Verkennung als fremd erlebt.
32.2.6 Halluzinationen –
vergessene Erinnerungen? Häufig werden die dialogisierenden oder imperativen Stimmen mit Personen aus der persönlichen Vergangenheit in Verbindung gebracht, was eine Nähe zu alten individuellen Gedächtnisinhalten nahelegt. Weniger brisant ist dies bei den kommentierenden Stimmen, bei denen der Inhalt durch die aktuelle Situation bestimmt wird, die somit einen konstituierenden Stellenwert erhält. Waters et al. (2006) greifen in ihrer aktuellen Arbeit psychoanalytische Ideen auf, die den Aspekt der soziobiografischen Komponente berücksichtigen. Halluzinationen werden als auditorische Repräsentationen ungewollt aufkommender und einschießender, vergessener Erinnerungen oder als kontextuell irrelevante Assoziationen interpretiert, die sich ungefragt und unkontrolliert einen Weg aus dem Unbewussten ins Bewusstsein bahnen. Voraussetzung hierfür ist, dass neben einer ungenügenden Hemmung nicht gewollter mentaler Gedächtnisprozesse (die als normal anzusehen ist) ein Defizit im kontextuellen Gedächtnis vorliegt. Das Fehlen einer willentlichen Hemmung führt zum Auftreten unintendierter und unkontrollierbarer mentaler Ereignisse. Ursprünglich sind diese zwar als Erinnerungen im Gedächtnis abgelegt worden. Da aber jeder Zusammenhang im Moment des Auftretens zu den ursprünglich eigenen Erlebnissen oder Erfahrungen fehlt, werden die einschießenden Gedanken nicht als eigene Erinnerungen erkannt. Das Element des Fremden, nicht zum Selbst Gehörenden kommt hinzu. Die aufkommenden Gedankenprozesse werden in der Folge als unfreiwillig und intrusiv erlebt. Auf der testpsychologischen Ebene zeigt sich, dass Patienten mit Stimmenhören Defizite im kontextuellen Erinnern und bei der Unterdrückung unintendierter Inhalte haben. In Waters Modell wird der Eigenschaft der Halluzinationen Rechnung getragen, dass Stimmenhörer oft Inhalte respektive die Zuschreibung der gehörten Inhalte zu Personen der eigenen Vergangenheit zuordnen. Tatsächlich zählt diese inhaltliche Grundfärbung zu jenen Fakten, die den Patienten am meisten beeinträchtigen. Sowohl die negativen Inhalte selber als auch deren Zuordnung zu oftmals geliebten Personen hat eine starke Auswirkung auf Denken und Fühlen. Der fehlende Kontext der Erinnerung erklärt
406
Kapitel 32 · Halluzinationen – Psychologie
die Qualität des Nicht-Selbst. Unberücksichtigt bleibt in diesem Modell hingegen die Eigenheit der Halluzinationen, wie ein realer akustischer Stimulus hörbar zu sein, also die akustische Qualität der Stimmen. ! Halluzinationen sind auditorische Repräsentationen ungewollt aufkommender intrusiver vergessener Erinnerungen, die sich ungefragt einen Weg aus dem Unbewussten ins Bewusstsein bahnen. Diese psychoanalytisch basierte Hypothese erklärt soziobiografische Kompenente der Sinnestäuschungen.
32.3
32
Neurobiologisch-neuropsychiatrische Kombinationsmodelle
Ergänzend zu den stark kognitiv-psychologisch fokussierenden Modellen werden in diesem Abschnitt Modelle vorgestellt, die explizit erweiternd neurobiologische Grundlagen mit einbeziehen unter Berücksichtigung neuronaler Basismodelle (Grossberg 2000; Behrendt 1998). Dies ist auch im Sinne einer Weiterentwicklung der Methoden zu sehen: Da in der letzten Dekade v. a. durch die Entwicklung der Computertechnologien zur Messung und Bearbeitung von biologischen Daten ein enormer Fortschritt erzielt werden konnte, wird die Zukunft der Modelle zur Erklärung von Halluzinationen, aber auch generell von psychischen Erkrankungen, in der Kombination von Erkenntnissen der Psychologie und neurobiologischen Daten struktureller und funktioneller Natur liegen. Ziel wird ein einheitliches, neuropsychiatrisches Modell der Erkrankung unter Berücksichtigung der Heredität und der psychologischen Bewertungsgrundlagen sein. Ergebnisse bildgebender und allgemein neurophysiologischer und -biologischer Studien ermöglichen es, den zuvor kognitiv beschreibenden Modellen neurostrukturelle und -funktionelle Korrelate zuzuordnen und dies auch in komplexeren Modellen zu berücksichtigen. Dabei wird klar werden, dass akustische Halluzinationen als ein komplexes Symptom zu sehen sind. Ihre Entstehung benötigt das Zusammentreffen verschiedener biologischer Defizite und kognitiver Muster, die in den entsprechenden Erklärungsmodellen berücksichtigt werden müssen. 32.3.1 Neuronale Erwartungshaltungen Lernen, Aufmerksamkeit und Motivation können die Entstehung von Halluzinationen fördern. Auf neuronaler Ebene heißt das, dass Lernerfahrungen und Erinnerungen in Prototypen abgespeichert werden, die durch übergeordnete, kategorisierende Prozesse »top-down« aktiviert werden (Grossberg 2000). Die Wirkung dieser Prototypen ist es, dass die Aufmerksamkeit auf eine Kombination von Merkmalen gerichtet wird und sie somit zu einer bewussten Wahrnehmungserfahrung führt. Dieses Modell, das stark auf neuronalen Netzwerkhypothesen basiert, basiert auf den alten Modellen der überlebhaften Imagination und den linguis-
tischen Erwartungen, die in der Folge zu einem Wahrnehmungserlebnis (sprich: zu einer Halluzination) führen können. Die Wahrnehmung ist wesentlich durch Top-down-modulierte Erwartungshaltungen beeinflusst; als Beispiel sei die Stimulusdetektion genannt. Wenn prototypische Top-down-Prozesse in einer Priming-Situation aktiv sind, dann modulieren und sensibilisieren sie die Zielzellen derart, dass diese effektiver auf die nun erwarteten externen Reize (»bottom-up«) reagieren. So genannte Priming-Experimente haben wiederholt gezeigt, dass erwartete Stimuli wesentlich schneller entdeckt werden als unerwartete. Erregende und hemmende Impulse, die über Feedback-Mechanismen gesteuert werden, modulieren die Top-down-Prozesse, wobei der Prototyp per se aktivierend, erregend ist. Willentliche phasische Signale beeinflussen die Balance zwischen Erregung und Hemmung und können dazu führen, dass ein bestimmter Prototyp, mit anderen Worten eine bestimmte Erinnerung oder Erwartung, favorisiert wird. Durch die willentliche Beeinflussbarkeit der »top-down« wirkenden Prototypen können interne Prozesse wie Imagination oder innere Sprache derart verarbeitet werden, dass sie als durch äußere Reize hervorgerufen wahrgenommen werden. Wenn diese willentlichen Signale sich quasi verselbstständigen und dadurch ihren phasischen Charakter verlieren und tonisch hyperaktiv werden – z. B. im Rahmen einer psychischen Erkrankung – dann können die Top-down-Erwartungen bewusste Erfahrungen und real anmutende Wahrnehmungen in der Abwesenheit von sensorischen Stimuli (Bottomup-Inputs) vortäuschen. Der Verlust des willentlich beeinflussbaren, phasischen Charakters der Top-down-Prozesse und der Verlust der damit verbundenen selbst generierten Aktivität können erklären, wie es zu den als unkontrollierbar und fremd erlebten Wahrnehmungen in der Psychose, namentlich zu Halluzinationen und Wahn, kommen kann (. Abb. 32.4). Prozesse der Rückkoppelung zwischen dem auditorischen Arbeitsgedächtnis und dem kortikalen Sprachnetz mit seinen Prototypen (mit den phonetisch wichtigen Einheiten, namentlich Worten und Silben) beeinflussen die auditorische Wahrnehmung und können durch ein Überwiegen der prototypischen Aktivität zu akustischen Halluzinationen führen. Im Falle der verbalen Sinnestäuschungen wird das gleiche System verwendet, das normalerweise für Hören oder Sprechen (auch in der inneren Sprache) aktiviert wird. Das folgende Beispiel soll dies verdeutlichen: Wird ein Teil eines Wortes durch Rauschen unterdrückt, dann wird die Vervollständigung automatisch durch den nachfolgenden Kontext bestimmt. Versteht man nur »...uch hat viele...«, so wird das «..uch« bei einem Satzende von »...uch hat viele Seiten...« zu einem »Buch« ergänzt, wohingegen ein Satzende von »...uch hat viele Farben...« eher das Wort »Tuch« abrufen würde. Geht man von diesen beeinflussenden Top-down-Prototypen aus, dann kann man auch nachvollziehen, dass unstrukturierte Reize wie weißes Rauschen das Auftreten von Halluzinationen wahrscheinlicher machen und dass umgekehrt das Hören von Musik oder Gesprächen Halluzinationen unterdrücken kann.
407 32.3 · Neurobiologisch-neuropsychiatrische Kombinationsmodelle
a
b
. Abb. 32.4. a Während der auditorischen Wahrnehmung aktivieren die eintreffenden sensorischen Reize (»bottom-up«) bereits im Speicher abgelegte Erinnerungsspuren. Diese ihrerseits aktivieren multiplizierend die zuvor gelernte Information, um anschließend auf die ursprünglichen Reize modulierend (»top-down«) einzuwirken. b Der Übereinstimmungsprozess bestätigt und verstärkt die Signaleingänge, die im Sinne der aktivierten prototypischen Erwartung ausgeprägt sind. Signaleingänge, die nicht dieser Erwartung entsprechen, werden unterdrückt. Die Höhe der Balken im linken Teil der Abbildung kodiert das Aktivierungsniveau der Zielzellen, das allein aufgrund des externen Stimulus erreicht wird. Im rechten Teil der Abbildung wird durch die Höhe der Balken das Aktivierungsniveau dieser Zellen nach Abgleich mit den Top-down-Einflüssen angezeigt
Durch überschwellige Signalverstärkung mittels Top-downProzessen bei fehlenden sensorischen Signalen kommt es zur Imagination oder Halluzination. Diese Prozesse sind willentlich phasisch beeinflussbar. Bei psychischen Erkrankungen kommt es zu einer tonischen Erhöhung, die nicht mehr dem Willen unterworfen ist. In seinem Prinzip der dominierenden Erwartunghaltungen formulierte Behrendt (1998), dass wir die Welt nicht so sehen, wie sie objektiv ist, sondern ein subjektives Bild der Welt wahrnehmen und diese Wahrnehmung unseren Erwartungen an die Umwelt angleichen. Tatsächlich sei die Wahrnehmung stärker durch die aktuellen Bedürfnisse als den sensorischen Stimulus selber bestimmt. Letztlich wird die Wahrnehmung stärker durch die bereits erlebten, gelernten und abgelegten Repräsenationen unserer Erinnerungen und Erfahrungen geprägt, die eine Art innerer Symbole repräsentieren, als durch die tatsächlichen objektiven Stimuli. Behrendt geht soweit zu postulieren, dass eine interne Stimulation der Sinnesorgane die Wahrnehmung einschränkt und lenkt. Die Erhöhung der Aufmerksamkeit, die Verminderung der sensorischen Stimulation und eine Verstärkung der kortikalen Assoziation (zwischen der Repräsenation der Erwartungen und gespeicherten und gelernten Erinnerungen, die einen Charakter innerer Symbole erhalten) modulieren diese Limitationen in der Wahrnehmung. Halluzinationen sind somit Wahrnehmungen, die losgelöst sind von einer sensorischen Stimulation. Sie resultieren aus einer Verstärkung der kortikalen Assoziationen zwischen den Erwartungen und den inneren Symbolen.
32
Beide neuronalen Netzwerktheorien postulieren, dass auf neuronaler Ebene bei der Wahrnehmung mentale Faktoren auf den Kontext und die Art der Wahrnehmung größeren Einfluss haben als die tatsächliche sensorische Information. Bei Halluzinationen ist die normalerweise vorhandene Balance zwischen den sensorischen Bottom-up- und den mentalen Top-down-Prozessen zugunsten der mentalen Top-down-Mechanismen verschoben. ! Neuronale Erwartungshaltung und Top-down-Prozesse bestimmen die Wahrnehmung stärker als sensorische Bottom-upReize. Durch den Verlust der phasischen Kontrolle über diese Prozesse kommt es zum Auftreten von Halluzinationen.
32.3.2 Neurobiologisch-kognitives Modell Die beiden Positivsymptome der Schizophrenie, Wahn und Halluzination, treten häufig zusammen auf. Bei den Halluzinationen sind die kognitiven Erklärungen der Sinnestäuschungen wahnhaft fixiert. Es liegt daher nahe, dass beide Phänomene auf ähnlichen biologischen Grundlagen und neuropsychologischen Mechanismen beruhen, wobei bei den Halluzinationen die sensorische Komponente hinzukommt. Dabei ist es interessant, die neurobiologisch determinierten Grundvoraussetzungen mit den aufrechterhaltenden kognitiven Prozessen in einem Modell zusammenzuführen. Wichtig ist in diesem Kontext, dass die systematisch zu beobachtenden Tendenzen der Schizophrenen in den gleichen Hirnsystemen und nach zwar abgewandelten, aber prinizipiell vergleichbaren Regeln ablaufen wie normale psychologische Prozesse. Daraus folgt, dass falsche Überzeugungen und Wahrnehmungen mit kognitiver Verhaltenstherapie beeinflussbar sein sollten, vorausgesetzt, dass die dysfunktional ablaufenden kognitiven Prozesse, die zur Entstehung und Stabilisierung der Positivsymptomatik führen, richtig identifiziert werden. Blackwood et al. (2001) fassen in ihrer Arbeit die kognitiven Theorien zur Entstehung der Positivsymptomatik, insbesondere des Verfolgungswahns, zusammen (Blackwood 2001). Als wesentlich werden die biologischen Grundlagen gesehen, die zu bestimmten systematischen Fehlern führen und die Basis von Wahngedanken oder Halluzinationen bilden. Die Fehlinterpretationen werden durch verschiedene kognitive Mechanismen aufrechterhalten – auf der Basis struktureller und funktioneller neuroanatomischer Gegebenheiten. Hauptmechanismen der Entstehung von Wahngedanken scheinen eine selektive Aufmerksamkeit schizophrener Patienten für bedrohliche Informationen (»attentional bias«) und das rasche und unkritische Attribuieren negativer Ereignisse (weg vom Selbst) in die Außenwelt (»attriutional bias«) zu sein. Schizophrene neigen dazu, selbst bei nur wenigen und ungenügenden Informationen rasche und definitive Entscheidungen zu treffen (»jumping to conclusions« – »reasoning bias«). Die Fähigkeit, eigene und fremde psychologische Zustände als Gedanken, Intentionen, Motivatio-
408
Kapitel 32 · Halluzinationen – Psychologie
nen in einem eigenen kognitiven System zu repräsentieren, wird als »Theorie des Geistes« (»Theory of Mind«) bezeichnet. Diese Fähigkeit ist bei schizophrenen Patienten defizitär. ! Basismechanismen der kognitiven Theorien sind durch neuroanatomische Konditionen festgelegt welche zu systematischen kognitiven Fehlern führen. Sie erklären die Enstehung von Wahn und Halluzination auf biologischer Grundlage.
32.3.3 Neuropsychiatrisches 4-Komponenten-
Modell
32
Das integrative Modell kognitiver und biologischer Grundlagen und Mechanismen von van der Gaag (2006) erläutert die Entstehung von Halluzinationen und Wahn in einem 4-Stufen-Modell. Das Modell wird explizit nicht als Modell der gesamten Störung »Schizophrenie« gesehen, sondern ausdrücklich auf Halluzinationen und Wahn bezogen, also nur auf Symptome, die sich verbal-kognitiv manifestieren. Das hierarchisch strukturierte Modell besteht aus vier Komponenten, die über eine biologisch bedingte aberrante Wahrnehmung (z. B. Alterationen auf Neurotransmitterebene) zu den im Folgenden genannten Mechanismen führen, die physiologisch zu erklären sind und psychologisch aufrechterhalten werden. Ergänzt wird dieses Modell durch die Erklärung der auf biologischer Basis beginnenden Remission, die durch kognitive Prozesse verstärkt und erhalten werden kann. Eventuell lassen sich aus einem besseren Verständnis der biologischen und psychologischen Mechanismen Konsequenzen im Sinne einer angepassten Kombination von pharmakologischen und kognitiv-verhaltenstherapeutischen Strategien ziehen. Biologisch konstituierende Voraussetzung ist der hyperdopaminerge Zustand im mesolimbischen und mesokortikalen System . Tab. 32.4. Neuropsychiatrisches 4-Komponenten-Modell der biologischen und psychologischen Prozesse (nach van der Gaag 2006) 1. Biologische Komponente
Aberrante, überlebhafte Wahrnehmung
2. Kognitive Komponente
Erklärung der psychisch abnormen Ereignisse
3. Vermittelnde Komponente
Beeinflussung des Entscheidungsprozesses
4. Psychologische Komponente
Festhalten an der Erklärung und Verhinderung einer Falsifizierung
Remission
Dämpfung des mesolimbischen/ mesokortikalen dopaminergen Überschusses Abnahme der überlebhaften Wahrnehmungen
(erste Komponte). Sie stärkt die Eindringlichkeit der Wahrnehmungen und überzeichnet sie. Der sensorische Einfluss (»bottomup«) stösst seinerseits weiter reichende Bewusstseinsprozesse an, die letztendlich zur psychotischen Erfahrung führen. Diese leiten über zum Prozess, dass der Halluzinierende versucht, das Geschehen zu verstehen (zweite Komponente). Diese Erklärungsprozesse werden durch Top-down-Mechanismen reguliert, die das normale Denken, Entscheiden und Überprüfen regulieren, sodass im Resultat eine quasilogische Erklärung der an sich übersteigerten und nicht logischen Wahrnehmungen erfolgt. Im dritten Schritt der (»vermittelnde Komponente«) werden die bereits bei anderen Autoren erwähnten verschiedenen kognitiven Tendenzen und systematischen Fehler zusammengestellt, die zu falschen Überzeugungen führen und diese später auch konsolidieren. Hierzu gehören die mangelnde Realitätsprüfung und das überstürzte Treffen von Entscheidungen, Defizite in der »Theorie des Geistes«, Defizite beim Erkennen von Ursprungsquellen, Intrusionen und Tendenzen in der selektiven Aufmerksamkeit. Eine Reduktion von Anspannung und Angst wird erzielt, wenn die Erklärung einer Situation innerhalb eines gewissen Rahmens schlüssig erfasst wird. Dies geschieht dadurch, dass eine logische Erklärung für eine an sich unmögliche Wahrnehmung gesucht wird. Es wird eine sekundäre Erklärung des primär Unmöglichen versucht. In der Phase der Konsolidierung der krankhaften falschen Überzeugungen (vierte Komponente) führen die eben genannten kognitiven Mechanismen dazu, dass über eine Reduktion der Kontakte mit der Außenwelt eine Falsifizierung verunmöglicht wird. Die Patienten erleben eine immer größere Sicherheit bezüglich der Stimmen und berichten immer seltener Außenstehenden von ihren Wahrnehmungen und Erfahrungen. Dadurch werden Korrekturerfahrungen vermieden. Manchmal entstehen Hilflosigkeit und Depression aufgrund der fatalen Inhalte der falschen Vorstellungen. Metakognitive Überzeugungen über die Gefahr und Unkontrollierbarkeit der eigenen Gedanken führen zu einem beharrlichen Warten darauf, die eigenen Gedanken wieder kontrollieren zu können. Die Remission der psychotischen Positivsymptomatik wird eingeleitet durch neurobiologische Prozesse auf Neurotransmitterebene, z. B. durch Drosselung des mesolimbischen und mesokortikalen Dopaminexzesses. Dieser Prozess kann durch die psychopharmakologische Blockade des Dopaminhaushalts mit Antipsychotika eingeleitet werden. Der biologische Beginn der Remission durch Wiederherstellung eines natürlichen Gleichgewichts der Neurotransmitter ist die Vorraussetzung für die kognitive Remission. Durch die Abschwächung der zuvor übersteigerten Wahrnehmung kann in der Folge auf psychologischer Ebene eine Neubewertung der psychotischen Erfahrung zugelassen werden. Ideal wäre, in der Folge durch die allgemeinen Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie die falschen Überzeugungen und Erklärungen der Sinnestäuschungen aufzuarbeiten und eventuell aufzulockern, neue Erfahrungen und Erklärungen zuzulassen und somit Halluzination und Wahn zu lindern.
409 32.4 · Phasischer Charakter der Halluzinationen und Wechselwirkungen mit dem Affekt
! Biologische Grundlagen und kognitive Prinzipien werden in eine hierarchische 4-Kompenenten-Ordnung gebracht, in deren Kontext sie Entstehung, Aufrechterhaltung und Remission der Halluzinationen erklären.
32.3.4 Integration neurophsyiologischer Studien
und neuropsychologischer Modellen Mit der Messung von Blutfluss, Metabolismus oder hirnelektrischer Aktitivät kann man direkt oder indirekt die Performanz von Gehirngebieten untersuchen, die eine bestimmte Funktion erfüllen. So können bekannte Hypothesen geprüft und neue generiert werden. Vereinfachend zusammengefasst haben die diese Studien, seien sie funktionelle Untersuchungen (PET, SPECT, fMRI, EEG, ERP) oder strukturelle Messungen (MRI), verbale Halluzinationen konsequent in den wichtigsten Sprachregionen lokalisiert und deutliche Hinweise auf eine dominant linksseitige Beteiligung nachgewiesen (Strik u. Dierks 2004). Beschrieben wurde eine Beteiligung sowohl der frontal gelegenen sprachassoziierten Gebiete, die für die motorische Komponente verantwortlich zeichnen, als auch der temporalen Gebiete der semantischen Sprachverarbeitung und der akustischen Wahrnehmung. Obwohl akustische, verbale Halluzinationen Wahrnehmungen ohne auditorischen Stimulus sind, wurde beschrieben, dass es – wie bei einer echten akustischen Stimulation – zu einer Aktivierung des primären Hörcortex kommt (Dierks et al. 1999). Dies scheint strukturell durch plastische Anpassungsvorgänge der neuronalen Konnektionen zwischen den frontalen und temporalen Sprachund Hörgebieten faszilitiert zu sein (Hubl et al. 2004). Die Aktivierung des primären Hörgebiets – nachgewiesen durch Wettstreitmechanismen zwischen externen akustischen Stimuli und den intern generierten Halluzinationen – könnte bei den Halluzinationen essenziell für das Erleben als von außen kommend sein. Auf einer psychologischen Ebene würde das bedeuten, dass die Aufmerksamkeit weg von äußeren hin zu inneren Reizen gelenkt wird (Hubl et al. 2007b). Die Aktivierung des primären Hörcortex repräsentiert ein physikalisches, akustisches Bild eines verbalen Gedankens sowie, essenziell damit verbunden, die Attribution, dass dieser Nicht-Selbst ist. Essenziell für die Komplexität der schizophrenen Halluzinationen, die einzigartig sind im Vergleich zu Halluzinationen bei andern Erkrankungen oder halluzinatorischen Phänomenen in der psychisch gesunden Bevölkerung, scheint die zusätzliche Beteiligung der subkortikalen und limbischen Regionen zu sein, die möglicherweise eine auslösende Funktion haben. ! Halluzinationen gehen einher mit einer pathologischen Aktivierung im linksseitigen Sprach- und Hörcortex, wobei die Aktivierung des primären Hörcortex die Qualität des Fremden bringt. Das Gefühl, dass der halluzinierte verbale Gedanke selbst generiert ist, geht verloren.
32.4
32
Phasischer Charakter der Halluzinationen und Wechselwirkungen mit dem Affekt
In den neuropsychiatrischen Modellen werden die neurobiologischen und neurokognitiven Zusammenhänge in der Genese der Halluzinationen hinsichtlich ihres verbalen Charakters und der Qualität des Nicht-Selbst beschrieben. Andere Eigenschaften der Halluzinationen, die sich aus Verlauf und Phänomenologie ergeben, bleiben offen. Diese sollen im Folgenden genannt werden, um ein Bewusstsein für die noch offenen Fragen zu wecken und um die Komplexität des mit so viel Leid, aber auch Faszination verbundenen Symptoms zu betonen (David 1999, 2004). 32.4.1 Phasischer Charakter Der phasische Charakter der Halluzinationen bedeutet einerseits, dass sie im Verlauf der Erkrankung bei den meisten Patienten zwar immer wieder aber nicht konstant nachweisbar sind. Zumeist treten sie in den akuten Exazerbationen der schizophrenen Grunderkrankung auf und blassen mit Abklingen der akuten Phase ab. Bei manchen Patienten allerdings sind sie auch in den Phasen zwischen den akuten Episoden vorhanden und sistieren selbst unter antipsychotischer Medikation nicht. Jedoch kann auch die Frequenz innerhalb eines Tages interindividuell stark variieren. So hören manche Patienten einmal am Tag die halluzinierten Stimmen, andere sind permanenten und kontinuierlichen Gesprächen ausgesetzt. 32.4.2 Halluzinationen und Affekt Zwischen Stimmenhören und Stimmung besteht eine Wechselwirkung. So hat die affektive Lage einen Einfluss auf das Hören von Stimmen. Wahrscheinlich ist davon auszugehen, dass der Affekt grundsätzlich unabhängig von den Halluzinationen durch die Grunderkrankung moduliert wird. So kann man auch vice versa annehmen, dass bei einer positiven Grundstimmung in den Phasen zwischen den akuten und oft leiderfüllten psychotischen Exazerbationen die Stimmen positiv sind aufgrund einer entspannten Grundstimmung und häufig als synthym und als nicht störend, fast als ich-synton erlebt werden. Fällt der Leidensdruck weg, berichten die Patienten nicht mehr spontan vom Stimmenhören, bestenfalls auf Nachfrage. Andersherum scheint auch das Stimmenhören einen Einfluss auf die Stimmung zu haben. Sind die Inhalte der gehörten Stimmen quälend und beschimpfend, befehlend und erniedrigend, so berichten die Patienten gequält davon. Im schlimmsten Fall kann sogar einer Aufforderung zum Suizid Folge geleistet werden, ohne dass dies dem eigentlichen Ansinnen des Patienten (z. B. aus einer verzweifelten Grundstimmung heraus) entspricht. Dass die Patienten derart gequält von ihren Stimmen erzählen,
410
Kapitel 32 · Halluzinationen – Psychologie
tritt spontan v. a. in den akuten Phasen der Erkrankung auf. In den Phasen der Remission hingegen wird seltener spontan von den Sinnestäuschungen berichtet, und der Inhalt wird oft als weniger unangenehm erlebt. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass i. Allg. der Versuch, bösartige oder schlechte Gedanken zu unterdrücken, häufig eine gegenteilige Wirkung hat: Die unerwünschten Gedanken werden dominanter, anstatt zu verschwinden. Dies könnte einen Hinweis darauf geben, warum gerade die schlechten Stimmen so resistent und renitent sind. Eine vielleicht fragwürdige, aber dennoch beobachtbare Eigenschaft des Menschen ist es zudem, zum Selbstschutz unangenehme und schlechte, böse Inhalte anderen zuzuschreiben und als fremd zu interpretieren. Dies liegt bei den negativen Inhalten näher als bei positiven Gedanken. Eine Parallele, die einen erklärenden Beitrag zum Gefühl des NichtSelbst bei den Halluzinationen klar aufweist. 32.5
32
Zusammenfassung
Akustische verbale Halluzinationen sind ein Kernsymptom der Schizophrenie. Ihr typisches Auftreten – in dialogisierender oder kommentierender Form – über einen Zeitraum von mehr als vier Wochen rechtfertigt die Diagnose. Neben dem verbalen Charakter haben Halluzinationen die Eigenschaft, dass der Halluzinierende das überzeugte Gefühl hat, die Stimmen kämen von außen und gehörten nicht zum Selbst. Neurokognitive Modelle zur Entstehung von Halluzinationen müssen daher im Wesentlichen diese beiden Qualitäten – die verbale und die des Nicht-Selbst – erklären. Halluzinationen treten typischerweise bei Schizophrenie auf, sie können aber auch bei anderen Krankheitsbildern beschrieben werden. Es scheint so zu sein, dass bestimmte Grundkonditionen wie z. B. Stress, eine genetische Prädisposition oder Umweltfaktoren wie Reizdeprivation einerseits und akustisches Rauschen andererseits das Auftreten von Halluzinationen bei schizophrenen Menschen verstärken oder sogar bei Gesunden hervorrufen können (Bentall 1990, 2006). Allerdings fehlt diesen dann der typische Charakter der schizophrenen Halluzinationen. Das populärste neurokognitive Modell zur Entstehung von Halluzinationen postuliert, dass Halluzinationen das Resultat selbst generierter innerer Sprache sind, die durch Fehler im Selbstmonitoring nicht als selbst generiert, sondern als von außen kommend wahrgenommen wird (Frith 1992; Frith et al. 2000). Die innere Sprache entsteht in der Kindheit aus der Verinnerlichung sozialer Interaktion und wird im Verlauf der Entwicklung zum Instrument verbalisierter eigener Gedanken. Sie wird bei Gesunden während des ganzen Tages selbstregulierend produziert und als zum Selbst gehörend erkannt. Um dies zu gewährleisten, wird die innere Sprache durch Feedback- und Feedforward-Mechanismen monitorisiert, ähnlich wie die Planung und Ausführung unserer motorischen Handlungen: Es werden Prädiktionen gemacht, die, wenn sie mit der erfolgreich aus-
geführten Handlung übereinstimmen, ein Gefühl des Selbstgenerierten hervorrufen (7 Kap. 38). Fehlt aufgrund des defekten Selbstmonitorings die Prädiktion, kann es nicht zu einer Übereinstimmung kommen; mit dem Ausbleiben des Gefühls der Selbsturheberschaft entsteht die Qualität des Fremden. Eine andere Hypothese gewichtet den Anteil des sprachrelatierten Netzwerkes stärker. Hoffman (1986) und Hoffman et al. (2001) beschreiben, dass durch ektope Erregungen, die im Prinzip in den verschiedensten Sprachregionen auftreten können, ungewollt Impulse in die Sprachverarbeitung eindringen, die zu Fehlern in der verbalen Diskursplanung führen. Diese werden schließlich als Halluzinationen wahrgenommen. Der funktionelle neuroanatomische Fokus wird vom frontalen motorischen Sprachgebiet und dem defizienten Selbstmonitoring weggenommen und in das Sprachnetzwerk gestellt. Zu den kognitiven Präferenzen, die das Entstehen von Halluzinationen begünstigen und deren Bleiben festigen, zählt die Tendenz, in verrauschten akustischen Reizen menschliche Stimmen zu hören, Informationsquellen nach außen zu lokalisieren – insbesondere bei negativen Inhalten – und trotz geringer Kriterien rasch Entscheidungen zu treffen, an denen beharrlich festgehalten wird. Fehlender Abgleich mit der Außenwelt verhindert zudem eine Falsifizierung falscher Überzeugungen, sodass eine Korrektur ausbleibt. Da, gleichgültig wie man es betrachtet, eine große Fülle von kognitiven Präferenzen notwendig ist, um das komplexe Symptom der Halluzinationen zu verstehen, wurde der Begriff der »Disorder of Bias« geprägt (Frith 1992; Frith et al. 2000; Beck u. Rector 2003). Ergänzend sollen Modelle aus den Grundlagen neuronaler Netzwerke Erwähnung finden, die auf der Basis kortikaler Netzwerktheorien die kognitiv beschriebenen Mechanismen biologisch untermauern. In Top-down-Prozessen und dem Postulat von Prototypen (Grossberg 2000) kann man eine biologische Erklärung der kognitiven Präferenzen und systematischen Fehler finden und eine pausible Erklärung psychologischer Erwartungshaltungen auf biologischer Basis beschreiben. Die aktuellen Bestrebungen zur Klärung der Genese von Halluzinationen im Besonderen, aber auch der Psychopathologie i. Allg. bestehen darin, dass die Resulate einer genauen (Verhaltens-)Beobachtung mit den Ergebnissen der neurobiologischen Forschung in gemeinsame, integrative Modelle gebracht werden müssen. Sowohl Blackwood et al. (2001) als auch van der Gaag (2006) stellen ihre kognitiven Modelle auf eine klar deklarierte biologische Basis. Dies ist wegweisend. Biochemische ebenso wie neuronale Top-down-Prozesse ermöglichen und festigen kognitive Präferenzen. Durch eine biologische Vulnerabilität treten Wahrnehmungsstörungen auf und werden in der Folge durch kognitive Mechanismen, die ihrerseits ein biologisches Korrelat (z. B. auf Transmitterebene) haben, verstärkt und aufrechterhalten. Allerdings sind diese Modelle bislang noch recht unspezifisch, und eine wirklich ursächlich klärende Verknüpfung der Daten aus Bildgebung und Neurotransmission unter Berücksichtigung der Verhaltensanalysen steht noch aus.
411 Literatur
Sicher ist jedoch im Bereich der Halluzinationen, dass ihre funktionelle und strukturelle Neuroanatomie in die zerebralen Netzwerke lokalisert, die auch beim Gesunden für das Verstehen und Produzieren von Sprache zuständig sind. Neuroanatomische und -funktionelle Alterationen bilden somit die Basis der neurokognitiven Mechanismen, die letztendlich zu Halluzinationen führen.
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33 Halluzinationen – Bildgebung Thomas Dierks und Daniela Hubl
33.1
Einführung
33.2
Strukturelle zerebrale Veränderungen im Zusammenhang mit Halluzinationen – 413
33.2.1 33.2.2
Einführung – 413 Studienübersicht – 414
33.3
Funktionelle zerebrale Veränderungen im Zusammenhang mit Halluzinationen – 416
33.3.1 33.3.2 33.3.3 33.3.4
Einführung – 416 Studienübersicht – 417 Funktionelle Bildgebung und Konnektivitätsuntersuchungen mittels elektromagnetischer Verfahren – 422 Störung der Entstehung von Halluzinationen mittels TMS – 423
33.4
Zusammenfassung und Ausblick – 424 Literatur
– 413
– 426
413 33.2 · Strukturelle zerebrale Veränderungen im Zusammenhang mit Halluzinationen
33.1
Einführung
Halluzinationen sind Wahrnehmungen ohne entsprechenden adäquaten Sinnesreiz von außen: Es wird etwas gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt, am oder im Körper verspürt, was objektiv – vom Beobachter aus beurteilt – nicht vorhanden ist. Obwohl das Phänomen, das wir als Halluzination bezeichnen, seit der Antike beschrieben worden ist, wurde es erstmals im frühen 19. Jahrhundert vom französischen Psychiater Esquirol, der die Erscheinungsformen aller Sinnesmodalitäten unter einer Bezeichnung zusammenfasste, als solches benannt. Das Auftreten von Halluzinationen wurde früher nicht immer als Krankheit empfunden, vielmehr wurde es auch als außerweltliche Nachricht gedeutet oder mit Besessenheit etc. in Zusammenhang gebracht. Erst später wurde die Halluzination als ein Symptom verschiedener neuropsychiatrischer Krankheiten oder Zustände gesehen. Sinneswahrnehmungen treten jedoch auch bei sonst gesunden Personen auf, wobei die Angaben bezüglich ihrer Prävalenz in der Normalbevölkerung beträchtlich variieren. In manchen Studien wurde angenommen, dass bei bis zu 70% der gesunden Bevölkerung mindestens einmal im Leben Stimmenhören auftritt. Dass die Übergänge zwischen den verschiedenen Deutungen der Halluzination fließend sind, spiegelt auch die Ansicht von Esquirol wider, der sagt, dass »Träume … aus dem selben Stoff wie Halluzinationen bestehen und daher ein Verbindungsglied zwischen der gesunden und der geisteskranken Person darstellen; das Träumen stellt die vorübergehende Psychopathologie der Normalperson dar«. Halluzinationen sind nicht durch eine uniforme Phänomenologie charakterisiert. Vielmehr sind Heterogenität und hohe Variabilität in der klinischen Präsentation typisch. Sie treten am häufigsten in der akustisch-verbalen Form auf, können aber ebenso als andere akustische Phänomene auftreten, z. B. als musikalische Halluzinationen. Sie können auch in jedem anderen Sinnesbereich auftreten wie z. B. als zönästhetische, taktile, visuelle, gustatorische oder olfaktorische Sinnestäuschungen. Meistens kommen sie bei bestimmten Krankheiten in einem der Sinnesbereiche gehäuft vor. Da Halluzinationen bei einer großen Anzahl unterschiedlicher neuropsychiatrischer Krankheiten auftreten, gestaltet sich die Suche nach einer gemeinsamen Ätiopathologie nicht einfach. Am häufigsten treten sie bei der Schizophrenie auf, man findet sie auch oft bei affektiven Krankheiten, Demenzen und neurologischen Syndromen wie z. B. Epilepsie, Durchblutungsstörungen und Migräne. Sie können aber auch durch Drogen, Arzneimittel, sensorische Deprivation oder Schlafmangel hervorgerufen werden. Selbst bei sonst völlig gesunden Menschen ohne andere neuropsychiatrische Erkrankungen treten sie, wie erwähnt, auf. Es stellt sich die Frage, ob jede Form der Halluzination jeweils durch einen anderen spezifischen Mechanismus zum Gefühl der Halluzination führt oder ob es bei den unterschiedlichen Krankheiten durch unterschiedliche Wege zu einer gemeinsamen Endstrecke mit dem Gefühl der Halluzination kommt.
33
! Halluzinationen sind Wahrnehmungen ohne entsprechenden adäquaten Sinnesreiz von außen. Sie können in allen Sinnesmodalitäten auftreten, jedoch am häufigsten treten akustische verbale Halluzinationen auf.
33.2
Strukturelle zerebrale Veränderungen im Zusammenhang mit Halluzinationen
33.2.1 Einführung Halluzinationen sind meist von dynamischer Natur. Häufig sind sie dadurch charakterisiert, dass sie nicht dauerhaft sind, sondern kommen und gehen. Aber obwohl sie somit einen temporären Charakter aufweisen, kommen sie bei einzelnen Personen immer wieder vor. Dadurch drängt sich die Frage auf, ob sie mit überdauernden strukturellen Veränderungen des Gehirns verbunden sind. Grundsätzlich können solche pathologischen Alterationen sowohl die graue Substanz des Gehirns und damit die Neuronen als auch die weiße Substanz, d. h. die Faserverbindungen zwischen verschiedenen Hirnregionen betreffen. Untersuchungen von Veränderungen der Hirnsubstanz, die z. B. in Zusammenhang mit Halluzinationen stehen, waren zunächst nur post-mortem möglich. Mit der Entwicklung der bildgebenden Verfahren – zunächst der strukturellen bildgebenden Verfahren – war es dann möglich, Veränderungen des Gehirngewebes in vivo festzustellen. Zunächst war dies nur begrenzt möglich, weil die räumliche Auflösung der ersten strukturellen Untersuchungsmethode in den 70er Jahren, der Computertomographie (CT), relativ schlecht war und nicht sicher zwischen grauer und weißer Substanz trennen konnte. Mit der Einführung der Magnetresonanztomographie (MRT) zu Beginn der 80er Jahre wurde es möglich, mit immer besserer Auflösung zwischen der grauen und weißen Substanz zu trennen. Allmählich wurde auch die tatsächliche Auflösung der MRT-Untersuchungen immer höher: Bei den ersten Untersuchungen lag sie im Bereich von 0,5 cm, zzt. sind Auflösungen bis unter 1,0 mm in klinischen Studien von morphologischen Veränderungen möglich. Auch wenn in den letzten Jahren einige Studien zu strukturellen Veränderungen bei Patienten mit Halluzinationen durchgeführt worden sind, ist die Anzahl der strukturellen Studien deutlich geringer als die Anzahl derjenigen Studien, die die funktionellen Veränderungen des Gehirns untersucht haben. Bei den strukturellen Studien versuchte man, strukturelle Merkmale der zerebralen Anatomie bei Patienten mit Halluzinationen im Vergleich zu Patienten, die nie Halluzinationen gezeigt haben, zu finden. Einige Studien berichten, dass bis zu 75% aller schizophrenen Patienten im Verlauf ihrer Krankheit Halluzinationen wahrnehmen; schwer zu identifizieren sind diejenigen Patienten, die tatsächlich nie Halluzinationen erfahren haben.
414
Kapitel 33 · Halluzinationen – Bildgebung
! Untersuchungen von strukturellen Veränderungen des Gehirns erlauben eine Aussage über überdauernde Merkmale, die zu der Neigung führen, Halluzinationen zu erleben. Funktionelle neuroanatomische Untersuchungen hingegen erlauben die Darstellung der direkten funktionellen Korrelate von Halluzinationen.
33.2.2 Studienübersicht
33
Die überwiegende Anzahl der Studien hat sich mit den morphologischen Veränderungen in Zusammenhang mit dem Auftreten von akustisch-verbalen Halluzinationen bei der Schizophrenie befasst. Der Grund dürfte darin liegen, dass dies die häufigste Form der Halluzination ist. Aus methodischer Sicht unterscheiden sich die Studien durch die angewandte Technik, mit der morphologische Veränderungen erfasst werden sollen. Mit zunehmender Entwicklung in der CT/MRT-Technologie hat sich die räumliche Auflösung immer weiter verbessert. Während die ersten Studien auf diesem Gebiet eine Differenzierung zwischen grauer und weißer Substanz nicht erlaubten, ist es jetzt möglich, anhand der erhobenen Daten gut zwischen grauer und weißer Substanz zu differenzieren und somit bei eventuellen Veränderungen Rückschlüsse auf den betroffenen Gewebetyp zu ziehen. In den frühen Studien wurde zunächst eine Analyse in einer »region of interest« (ROI) durchgeführt, eine Methode, die einen erheblichen Aufwand erfordert und somit viel Zeit in Anspruch nimmt. Durch neue Methodenentwicklungen wurde es möglich, weniger zeitaufwendige Methoden wie die voxelbasierte Morphometrie (VBM) einzusetzen. Diese Methoden sind jedoch, bezogen auf umschriebene zerebrale Strukturen, weniger genau als die manuelle ROI-Analyse; sie erlauben aber eine Ganzhirnanalyse. Beim Suchen nach den neurobiologischen Korrelaten von akustisch-verbalen Halluzinationen wurde frühzeitig über mögliche Störungen im Sprachsystem spekuliert. Hinweise hierzu ergaben sich aus der Tatsache, dass bei Läsionen in diesem System, z. B. durch Tumoren, Infarkte, Blutungen, Epilepsie sowie iatrogene Stimulation, neben Sprachstörungen auch das Phänomen der Halluzinationen auftrat. Bei der Untersuchung struktureller Veränderungen bei der Schizophrenie i. Allg. wurde häufig über einen verkleinerten linken Temporallappen berichtet. Diese Veränderung kann als relativ krankheitsspezifisch angesehen werden und zeigt keine Korrelation mit der antipsychotischen Behandlung.
Zerebrale Volumenveränderungen und Halluzinationen In einer der ersten Studien, die den Zusammenhang zwischen der Ausprägung der Volumenminderung des linken Temporallappens und der Ausprägung der Halluzinationen untersuchten, berichteten Barta et al. 1990 von einer negativen Korrelation: Je stärker ausgeprägt die Halluzinationen auftraten, desto kleiner war das Volumen des linken superioren temporalen Gyrus (STG).
Diese Korrelation betraf v. a. den vorderen und mittleren Anteil des STG, während dessen hinterer Teil eher mit der Ausprägung von Denkstörungen negativ korrelierte. Zudem wurde berichtet, dass – obwohl die Sylvische Fissur im Temorallappen zwischen Patienten mit und ohne Halluzinationen keinen Unterschied zeigte – eine Korrelation innerhalb der Gruppe von halluzinierenden Patienten zwischen der Ausprägung der Halluzination und der Länge der Fissur bestand. Je stärker ausgeprägt die Halluzinationen auftraten, desto länger war die Sylvische Fissur. Die gleiche Forschergruppe veröffentlichte kurz darauf eine VBMStudie, in der von einer verminderten grauen Substanz in den beiden medialen Temporallappen, die Insula, den oribitofrontalen Kortex und den anterioren Gyrus cinguli inbegriffen, bei halluzinierenden schizophrenen Patienten im Vergleich zu gesunden Kontrollen berichtet wurde. Beim Vergleich von halluzinierenden gegenüber nicht halluzinierenden schizophrenen Patienten wurden Veränderungen der linken Insula und der nahe angrenzenden Gebiete im Temporallappen festgestellt. Jedoch war bei dieser Untersuchung die Auflösung mit einer Schichtdicke von 3 mm relativ gering. In neueren Studien mit höherer Auflösung zeigte sich meist eine negative Korrelation zwischen dem Volumen des linken oberen und des mittleren Temporalgyrus einerseits und dem Ausmaß der Halluzinationen andererseits. Bei zunehmendem Ausmaß der Halluzinationen wurde das Volumen kleiner. In eine VBM-Studie wurde explizit von einem Zusammenhang zwischen vermindertem Volumen des Heschlschen Gyrus (primärer Hörkortex) und stärker ausgeprägten Halluzinationen berichtet (. Abb. 33.1). Aber auch der linke untere supramarginale Gyrus und der rechte mittlere und untere frontale Gyrus zeigten einen ähnlichen Befund (Gaser et al. 2004). Andererseits wurde auch von einem größeren Volumen der weißen Substanz im rechten Temporallappen und der grauen Substanz beider Temporallappen bei halluzinierenden im Vergleich zu nicht halluzinierenden schizophrenen Patienten berichtet (. Abb. 33.2; Shin et al. 2005). Zudem wurde von einem Zusammenhang zwischen dem Volumen des linken vorderen Hippocampus und der Intensität der Halluzinationen berichtet: Mit stärkerer Ausprägung der Halluzinationen und anderen positiven Symptomen war das Hippocampusvolumen vermindert. Die Autoren diskutierten ihre Ergebnisse im Zusammenhang mit einer gestörten Interaktion zwischen Hippocampus und dem oberen Temporalgyrus, da zwischen diesen beiden Strukturen direkte neuronale Verbindungen bestehen. Es wurde auch spekuliert, dass die interhemispärische Kommunikation eine Bedeutung in der Genese von Halluzinationen haben könnte; da diese Kommunikation über den Balken (Corpus Callosum) stattfindet, wurde diese Struktur bei halluzinierenden schizophrenen Patienten untersucht. In einer Studie konnten keine eindeutigen morphologischen Veränderungen des Balkens bei schizophrenen Patienten und auch kein Zusammenhang mit Halluzinationen festgestellt werden. Nur eine engere Korrelation zwischen Balkenvolumen und Gesamthirnvolumen (graue und weiße Substanz) konnte bei den halluzinierenden Patienten im
415 33.2 · Strukturelle zerebrale Veränderungen im Zusammenhang mit Halluzinationen
33
. Abb. 33.1. Zerebrale Gebiete (u. a. linker primärer Hörkortex), in denen die strukturelle Volumenminderung mit dem Ausmaß der Halluzinationen korrelierte. (Gaser et al. 2004; 7 Farbtafeln, S. 665)
bei den halluzinierenden AD-Patienten im Vergleich zu den nicht-halluzinierenden AD-Patienten festgestellt. Eine präzisere Zuordnung zu den genauen zerebralen Lokalisationen fehlt. ! Strukturelle Untersuchungen bei Patienten mit akustisch-verbalen Halluzinationen weisen auf volumetrische Veränderungen in sprachrelatierten Hirnregionen hin. Besonders häufig zeigt sich eine Volumenminderung des linken oberen Temporallappens.
Zerebrale Läsionen und Halluzinationen
. Abb. 33.2. Volumetrische Veränderungen (Analyse mittels VBM) bei schizophrenen Patienten mit und ohne Halluzinationen. (Shin et al. 2005)
Vergleich zu anderen Patientenpopulationen festgestellt werden. Von besonderem Interesse ist eine Studie, bei der der prädiktive Wert des Gehirnvolumens für die Prognose von schizophrenen Patienten im Bezug auf die Ausprägung der Halluzinationen untersucht wurde. Halluzinierende Patienten wurden nach 5 Jahren nochmals klinisch und mittels MRT untersucht, und die Autoren konnten zeigen, dass bei einem kleinen Volumen der grauen Substanz des linken und rechten Temporallappens bei der Erstuntersuchung eine größere Wahrscheinlichkeit bestand, dass die Patienten nach 5 Jahren noch an Halluzinationen litten. Dieser Zusammenhang galt nicht für die weiße Substanz in den gleichen Hirnregionen. Diese Studie ist somit eine der wenigen, die einen Zusammenhang zwischen einem hirnmorphologischen Parameter und der Prognose aufzeigen. Auch bei neurodegenerativen Erkrankungen treten nicht selten Halluzinationen auf. Jedoch haben wenige Studien den Zusammenhang zwischen Hirnmorphologie und Halluzinationen bei der Alzheimer-Demenz (AD) untersucht. In diesen wenigen Studien wurde ein kleineres Hirnvolumen (Ausmaß der Atrophie)
Neben den rein volumetrischen Strukturstudien, die auf eine Aussage zur Quantität des Gewebes – sei es graue oder weiße Substanz – beschränkt sind, bieten Läsionsstudien die Möglichkeit festzustellen, wie eine strukturelle Veränderung von zerebralen Strukturen mit funktionalen Aspekten in Zusammenhang steht. Studien, die den Zusammenhang zwischen strukturellen Läsionen und Halluzinationen untersuchen, können somit zur Aufklärung der neurobiologischen Ursachen von Halluzinationen beitragen. Bezüglich optischer Halluzinationen wurde von Läsionen im gesamten Bereich der visuellen Verarbeitung berichtet, beginnend mit der Retina, über die Hirnstamm-Bahnen bis hin zum okzipitalen Lobus (Braun et al. 2003). Eine andere Studie konnte zeigen, dass auch Läsionen, die den Temporal- und Parietallappen betrafen, zu optischen Halluzinationen führen konnten. Bei akustischen Halluzinationen, die im Zusammenhang mit Läsionen auftraten, befanden sich analog zum visuellen Bereich die Läsionen überwiegend in den akustischen Verarbeitungsbahnen. Bei somatischen Halluzinationen konnten ähnliche Ergebnisse berichtet werden; man fand, dass die mit ihnen korrelierenden Läsionen die somatosensorischen Projektionsbahnen betrafen (Braun et al. 2003). Dies führte zu der Annahme, dass es durch die Läsion zu einer Überkompensation mit pathologischer Aktivierung im von der Läsion betroffenen sensorischen System kommt. ! Läsionen in den sensorischen Verarbeitungsbahnen können zu Halluzinationen im betroffenen Sinnesbereich führen.
416
Kapitel 33 · Halluzinationen – Bildgebung
Verlauf der weißen Bahnen und Halluzinationen Die neuen bildgebenden Verfahren bieten seit kurzem die Möglichkeit, in vivo genauere strukturelle Analysen durchzuführen. Mit Hilfe der MRT-Diffusions-Tensor-Bildgebung (DTI) wurde es möglich, die Direktionalität der Faserbahnen im Gehirn und auch den Verlauf der Bahnen indirekt durch die gerichtete Wasserdiffusion zu erfassen. Bislang hat eine noch relativ kleine Anzahl von Studien diese Methode bei der Schizophrenie und eine noch begrenztere Anzahl Studien den Zusammenhang zwischen Halluzinationen und der Struktur der weißen Bahnen untersucht; aus der überwiegenden Zahl dieser Studien ergibt sich aber eindeutig eine verminderte Direktionalität bzw. Integrität der weißen Bahnen bei schizophrenen Patienten. Eine eigene Studie, die die weißen Bahnen bei halluzinierenden Patienten im Vergleich zu gesunden und nicht halluzinierenden schizophrenen Patienten untersucht hat, zeigte bei den halluzinierenden Patienten eine erhöhte Direktionalität des Fasciculus Arcuatus, einer Struktur, die die sprachrelatierten Gebiete der Frontal-, Parietal- und Temporallappen verbindet (. Abb. 33.3). Wir interpretieren die Ergebnisse in dem Sinne, dass eine dysfunktionale Verbindung zwischen den motorischen und sensorischen Spracharealen zu einer Störung des SelfMonitorings führt; dadurch kommt es zu einer verminderten Inhibition des akustischen Kortex, die in direktem Zusammenhang mit der Ätiologie von Halluzinationen stehen könnte (Hubl et al. 2004). ! Es gibt Hinweise, dass die Bahnen, die die sprachrelatierten Hirngebiete miteinander verbinden, bei Menschen mit akustischen Halluzinationen gestört sind.
33
. Abb. 33.3. Unterschiede der Direktionalität weißer Bahnen (MR-DTI) zwischen schizophrenen Patienten mit Halluzinationen und gesunden Kontrollpersonen für den lateralen (verbindet Sprachregionen miteinander) und medialen Arcuate fasciculus. Die Skala zeigt statistisches Signifikanzniveau; höhere Werte bei halluzinierenden Patienten (H) bzw. gesunden Kontrollen (C). (In Ahnlehnung an Hubl et al. 2004; 7 Farbtafeln, S. 665)
33.3
Funktionelle zerebrale Veränderungen im Zusammenhang mit Halluzinationen
33.3.1 Einführung Halluzinationen sind durch ihren dynamischen Verlauf charakterisiert. Die Vorhersage, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form sie auftreten, ist nicht immer möglich. Aus diesem Grund muss bei der Messung der Hirnaktivität im Zusammenhang mit diesem Phänomen eine hohe zeitliche Auflösung der gewählten Messtechnik gewährleistet sein. Die Methoden, die zur Verfügung stehen, um die Hirnaktivität zu erfassen, zeigen unterschiedliche Eigenschaften bezüglich ihrer zeitlichen Auflösung. Neben der zeitlichen ist jedoch auch die räumliche Auflösung von Bedeutung, da es von besonderem Interesse ist, möglichst genau zu erfassen, wo eventuelle Aktivitätsveränderungen im Zusammenhang mit Halluzinationen bestehen. Auch in diesem Bereich zeigen die verschiedenen benutzten Messverfahren unterschiedliche Charakteristika auf. Neben diesen beiden Hauptkriterien der Methoden, die bei der Erfassung der Neurophysiologie von Halluzinationen berücksichtigt werden müssen und sollten, sind methodische Eigenschaften wie die Wiederholbarkeit wichtig. Denn nicht bei jeder Messung treten Halluzinationen auf, und die Untersuchungszeiten an den meisten Großgeräten sind üblicherweise beschränkt. Aber auch Untersuchungsbedingungen (z. B. laute Geräusche und die beengende Untersuchungssituation bei der MRT) können die Möglichkeiten der Erfassung von Halluzinationen limitieren. Bei den ersten Untersuchungen von Halluzinationen mittels bildgebenden Verfahren stand die große Vielfalt an Technolo-
417 33.3 · Funktionelle zerebrale Veränderungen im Zusammenhang mit Halluzinationen
gien, die heute vorhanden ist, nicht zur Verfügung. Die zunächst eingesetzten Methoden waren in erster Linie durch ihre zeitliche Auflösung beschränkt. Die ersten Studien benutzten v. a. nuklearmedzinische Techniken wie die Single-Photon-Emissionscomputertomographie (SPECT) oder die Positronenemissionstomographie (PET). Dabei wurden vorwiegend Radioliganden mit einer relativ langen Halbwertszeit (z. B. Fluorodeoxyglukose) eingesetzt. Aufgrund der beschränkten zeitlichen Auflösung konnten diese Untersuchungen dem dynamischen Charakter der Halluzinationen nicht gerecht werden. Es handelte sich hier eher um die Erfassung von zwar funktionellen, aber dauerhaften Merkmalen der Hirnfunktion, die im Zusammenhang mit Halluzinationen stehen, und nicht von funktionellen Veränderungen, die direkt und unmittelbar mit dem Auftreten von Halluzinationen gekoppelt sind. Diese Studien werden als sog. funktionelle »Trait«-Studien bezeichnet. Bei diesen Studien wurde z. B. der Glukosestoffwechel bei halluzinierenden Patienten mittels PET erfasst, unabhängig ob diese zum Zeitpunkt der Messung tatsächlich halluzinierten oder nicht. Später wurden aufwendigere PET-Untersuchungen mit eher kurzlebigen Radioliganden (z. B. Sauerstoff), die eine höhere Zeitauflösung erlaubten, durchgeführt. Aber auch diese Methoden erreichten keine so hohe zeitliche Auflösung, dass die tatsächliche neuronale Aktivität im Zusammenhang mit dem Anund Abnehmen der Halluzinationen einigermaßen genau erfasst werden konnte. Bisher war die notwendige hohe Auflösung vorwiegend durch zwei Methoden erreicht worden: das seit langem verfügbare EEG und die erst seit wenigen Jahren zur Verfügung stehende funktionelle MRT (fMRT). Beim EEG wird eine extrem hohe zeitliche Auflösung erreicht, die mit Sicherheit der Dynamik der Halluzinationen gerecht wird. Angesichts der niedrigen räumlichen Auflösung wurde das EEG allerdings bei der Untersuchung neurobiologischer Ursachen von Halluzinationen nur beschränkt eingesetzt, obwohl es neben der hohen zeitlichen Auflösung auch die Vorteile der Nichtinvasivität, der beliebigen Wiederholbarkeit und einer hohen Patientenfreundlichkeit bietet. Die fMRT hat dank ihrer hohen räumlichen Auflösung, einer relativ hohen zeitlichen Auflösung und der Nichtinvasivität die Untersuchung neurobiologischer Mechanismen von komplexen neuropsychologischen Funktionen, aber auch von psychopathologischen Phänomenen wie Halluzinationen und Denkstörungen in den letzten Jahren revolutioniert. Erst durch diese Technologie wurde es möglich, das Phänomen der Halluzinationen unmittelbar im Moment seines Auftretens zu messen und somit die bei diesem Phänomen auftetende Hirnaktivität zu erfassen. Diese Studien werden als funktionelle »State«-Studien bezeichnet. Methoden wie PET, SPECT und fMRT lassen nur Aussagen darüber zu, welche Areale bei einer bestimmten Hirnfunktion beteiligt sind. Sie lassen keine Aussage darüber zu, wie diese Gebiete miteinander kommunizieren und so komplexe Hirnfunktionen ermöglichen. Das EEG allerdings eröffnet die Möglichkeit, die Kommunikation zwischen Hirnregionen darzustellen
33
und die Synchronizität in verschiedenen Netzwerken des Gehirns zu erfassen. Somit kann z. B. bei akustisch-verbalen Halluzinationen die Kommunikation zwischen sprachrelatierten Hirngebieten untersucht und eine Aussage darüber gemacht werden, wie diese Regionen bei Halluzinationen zusammenarbeiten: wie sie Regelkreise bilden und wie sie sich unterscheiden – z. B. im Vergleich zur Kommunikation bei »innerer Sprache«, die tatsächlich als selbstgeneriert empfunden wird. Eine weitere Methode, die einen Beitrag zum Verständnis neurobiologischer Ursachen von Halluzinationen leisten kann, ist die transkranielle Magnetstimulation (TMS). Mit dieser Methode können für den Zeitraum von Minuten bis Stunden temporäre Funktionsstörungen in umschriebenen zerebralen Gebieten hervorgerufen werden. Obwohl sie am häufigsten benutzt wurde, um die funktionelle Bedeutung von bestimmten Hirnregionen für gewisse neuropsychologische und -physiologische Funktionen zu bestimmen, wurde sie auch durch Stimulation in umschriebenen Hirnregionen zur Behandlung von Halluzinationen eingesetzt. So konnte durch die rasche Entwicklung im Bereich der funktionellen bildgebenden Verfahren in den letzten Jahren eine Reihe von spannenden Ergebnissen gewonnen werden, die neue und interessante Aspekte zu neurobiologischen Ursachen von Halluzinationen aufdeckten. ! Nuklearmedizinische Verfahren wie PET und SPECT erlauben in erster Linie, überdauernde Merkmale des Gehirnstoffwechsels zu erfassen, während Techniken wie fMRT und EEG die neuronalen Prozesse erfassen, die direkt mit der Entstehung der Halluzinationen in Verbindung stehen.
33.3.2 Studienübersicht Einige frühere Studien haben sich mit der Frage befasst, ob Personen mit Halluzinationen ein anderes Stoffwechselmuster haben als Personen ohne Halluzinationen (Gesunde bzw. Patienten). Die meisten dieser Studien haben sich mit Stoffwechselveränderungen im Zusammenhang mit akustisch-verbalen Halluzinationen bei der Schizophrenie beschäftigt. Dabei wurden Patienten mit Halluzinationen verglichen mit gesunden Personen oder auch mit Patienten ohne Halluzinationen, möglichst genau angeglichen für alle anderen klinischen und demographischen Variablen. Zudem wurden die Daten halluzinierender Patienten aus Perioden mit Halluzinationen verglichen mit Perioden derselben Patienten ohne Halluzinationen. Die früheren Studien basierten auf der Annahme, dass Halluzinationen durchgehend homogen während der gesamten Messung auftreten und das erfasste metabolische Muster einmalig und spezifisch mit diesen Halluzinationen verbunden ist. In Anbetracht der Tatsache, dass die meisten mentalen Phänomene – Halluzinationen eingeschlossen – sich fortdauernd und unvorhersagbar in Inhalt und Ausprägung verändern, entspricht diese Annahme wohl nicht den wahren
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Kapitel 33 · Halluzinationen – Bildgebung
Gegebenheiten. Somit können diese Studien darauf hinweisen, welches Stoffwechselmuster mit der Neigung zu Halluzinationen verbunden ist, nicht aber, welches Muster unmittelbar und spezifisch mit dem Auftreten von Halluzinationen korreliert. Die aktuelleren Studien versuchten zunehmend, das neuronale Aktivitätsmuster, das direkt mit dem Auftreten der Halluzinationen verbunden ist, einzufangen (»symptom catching«). Für dieses Ziel am geeignetsten erwies sich die Technik der fMRT. In solchen Studien signalisierte der Patient das Auftreten der Halluzinationen, und post hoc wurden innerhalb der gleichen Messung die Perioden mit Halluzinationen mit denjenigen ohne Halluzinationen verglichen. Die überwiegende Anzahl dieser Studien sind Kasuistiken oder basieren auf einer sehr begrenzten Anzahl von Patienten.
Funktionelle »Trait«-Studien zu Halluzinationen
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In einer der ersten SPECT-Studien über Halluzinationen, die einen kasuistischen Charakter aufwies, konnte eine erhöhte neuronale Aktivität in den linken superioren Temporallappen bei einem Alkoholiker mit akustischen Halluzinationen festgestellt werden. In einer weiteren Fallstudie über akustische Halluzinationen wurde von einer erhöhten neuronalen Aktivität in den Basalganglien und rechten Temporallappen berichtet, die sich mit Sistieren der Halluzinationen nach Behandlung wieder normalisierten. Ende der 80er Jahre führte eine Forschergruppe (Musalek et al. 1989) einige Studien mittels HMPAO-SPECT durch, in denen sie Patienten mit akustischen Halluzinationen mit gesunden Kontrollen, Patienten mit taktilen und musikalischen Halluzinationen sowie Personen mit Halluzinationen in Hypnose verglichen. Als gemeinsames Ergebnis ihrer Studien beschrieben sie eine erhöhte neuronale Aktivität in den Basalganglien und im Hippokampus sowie eine verminderte Aktivität in den lateralen Frontallappen beidseits und z. T. im Thalamus. Die untersuchten Gruppen waren jedoch nicht sehr gut angeglichen in Bezug auf demographische Variablen sowie die durchgeführte Therapie. Anfang der neunziger Jahre veröffentlichte eine andere Gruppe drei Studien, in denen bei akustisch halluzinierenden Patienten der Glukosemetabolismus mittels PET untersucht wurde (Cleghorn et al. 1992). In den ersten beiden Studien konnten keine Unterschiede zwischen schizophrenen Patienten mit und ohne akustische verbale Halluzinationen sowie Kontrollgruppen festgestellt werden. Einzig eine Korrelation zwischen der Aktivität im rechten homologen Broca-Areal und rechten superioren Gyrus im Temporallappen konnte bei den schizophrenen Patienten mit Halluzinationen beschrieben werden, die bei den Kontrollpersonen nicht vorhanden war. In der dritten Studie konnte ein verminderter Metabolismus in beiden posterioren superioren Gyri des Temporallappens, im rechten homologen Broca-Areal im Fontallappen und im rechten primären Hörkortex bei schizophrenen Patienten mit akustischen Halluzinationen im Vergleich zu einer schizophrenen Kontrollgruppe ohne Halluzinationen gezeigt werden. Das Ausmaß der Halluzinationen korrelierte mit
dem Glukosemetabolismus im vorderen Cingulum und Striatum. Diese Studie ist eine der wenigen, die eine verminderte neuronale Aktivität in akustischen Arealen bei akustischen Halluzinationen beschrieben hat. In einer der ersten Studien, die die neuronale Aktivität bei Patienten mit Halluzinationen mit dem Zustand nach Abklingen der Halluzinationen verglichen, konnte ein erhöhter Blutfluss im linken frontalen motorischen Sprachareal (Broca-Areal), im linken vorderen Cingulum und im linken Temporallappen während der Halluzinationen festgestellt werden (McGuire et al. 1993). Die Untersuchung wurde mittels HMPAO-SPECT durchgeführt, zwischen den beiden Messungen lagen jedoch z. T. mehrere Monate. Dabei haben sich nicht nur die Halluzinationen in ihrer Ausprägung verändert, sondern wahrscheinlich auch andere psychopathologische Merkmale sowie die medikamentöse Therapie. Obwohl diese Faktoren die Interpretation der Ergebnisse erschwerten, zeigte sich dennoch eine deutliche Korrelation zwischen akustisch-verbalen Halluzinationen und neuronaler Aktivität in sprachrelatierten Hirnregionen. Sehr ähnliche Resultate wurden etwa zu gleicher Zeit in einer IMP-SPECT-Studie bei schizophrenen Patienten während und nach Behandlung von akustisch-verbalen Halluzinationen berichtet: hier wurde während der Halluzinationen eine erhöhte neuronale Aktivität im linken superioren Temporalgyrus und vorderen Cingulum gefunden. ! Bei schizophrenen Patienten mit akustisch-verbalen Halluzinationen finden sich zustandsüberdauernde Stoffwechselveränderungen v. a. in den sprachrelatierten Gebieten – z. B. in der motorischen Broca-Sprachregion.
Funktionelle »State«- und »Symptom-Catching«Studien zu Halluzinationen Mittels 15H2O-PET wurde in einer der ersten Studien, die den dynamischen Verlauf von Halluzinationen zu erfassen suchten, ein direkter Zusammenhang zwischen neuronaler Aktivität und Halluzinationen erforscht. Der dazu benutzte Radioligand zeigte im Vergleich zu den bisherigen Studien eine relativ hohe zeitliche Auflösung (Silbersweig et al. 1995). Dabei berichteten die Patienten, zu welchen Zeitpunkten sie halluzinierten und wann sie nicht halluzinierten. In der Folge wurde der prozentuale Anteil der akustisch-verbalen Halluzinationen an der Messung mit der neuronalen Aktivität korreliert. Die Autoren berichteten über eine erhöhte neuronale Aktivität im Hippokampus, parahippokampalen Gyrus und bilateralen Thalamus, rechten ventralen Striatum und rechten anterioren Cingulum, die im Zusammenhang mit dem Auftreten von Halluzinationen stand. Ende der 90er Jahre veröffentlichten drei Gruppen etwa gleichzeitig Ergebnisse eines fMRT-Halluzinations-»Symptom Catching«-Protokolls, bei dem die Patienten während der fMRTMessung mit Hilfe eines Knopfdrucks die Perioden signalisierten, in denen sie akustische verbale Halluzinationen (zwei Studien) resp. visuelle Halluzinationen (eine Studie) erlebten. Die Hallu-
419 33.3 · Funktionelle zerebrale Veränderungen im Zusammenhang mit Halluzinationen
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. Abb. 33.4. Aktivierte Region (fMRT) bei einem schizophrenen Patienten während akustischer Halluzinationen (links: linke Heschl-Querwindung) und externer akustischer Stimulation (rechts; beidseitig HeschlQuerwindung). (In Anlehnung an Dierks et al. 1999; 7 Farbtafeln, S. 666)
. Abb. 33.5. Aktivierungsmuster (fMRT) bei 4 Patienten mit unterschiedlichen visuellen Halluzinationen. Rot ist die aktivierte Region, blau ist die anatomische Strukur Gyrus fusiforme. (ffytche et al. 1999; 7 Farbtafeln, S. 666)
zinationsperioden wurden dann mit den halluzinationsfreien Perioden verglichen. Diese Studien waren die ersten, in denen ein psychopathologisches Phänomen mittels bildgebendem Verfahren direkt sichtbar gemacht wurde. Alle Studien waren im Prinzip Kasuistiken: in der einen Studie wurde nur 1 Patient untersucht, in den anderen 3 (. Abb. 33.4; Dierks et al. 1999) bzw. 4 (. Abb. 33.5; ffytche et al. 1998) Patienten vorgestellt. Bei unserer eigenen Studie mit mehreren schizophrenen Patienten mit akustisch-verbalen Halluzinationen wurden neben Aktivierungen im oberen hinteren und mittleren Temporallappen, dem Hippocampus, der Amygdala und dem Broca-Areal bei
allen Patienten v. a. eine Aktivierung im primären auditorischen Kortex in der Heschl-Querwindung des oberen TemporallappenGyrus beobachtet. Wir interpretierten dieses Resultat als die maßgebliche Aktivierung, die die Externalisierung der sensorischen Wahrnehmung bedingt, die dann als Halluzination benannt wird. In einer der anderen Fallstudie zu schizophrenen Patienten mit akustischen Halluzinationen wurde von einer erhöhten Aktivierung in den linken und rechten oberen Temporallappen während der akustischen Halluzinationen berichtet. Weiterhin wurde von Aktivierungen im rechten mittleren und unteren
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Kapitel 33 · Halluzinationen – Bildgebung
Frontallappen-Gyrus, dem anterioren Cingulum und Cuneus referiert. Auch hier haben die Autoren den oberen Temporallappen als einen wichtigen Teil des Auslösemechanismus für Halluzinationen hervorgehoben, obwohl sie die in erster Linie rechtsseitige Aktivierung als Hinweis auf eine abnorme Lateralisierung bei der Schizophrenie gesehen und deren Bedeutung für die Entstehung von Halluzinationen betont haben. In der letzten Kasuistik aus dieser Zeit wurden visuelle Halluzinationen bei Patienten mit Charles-Bonnet-Syndrom untersucht. In dieser Studie wurden Aktivierungen im ventralen Okzipitallappen gefunden. Besonders interessant war der Befund, dass diejenigen Patienten, die während ihrer Halluzinationen Gesichter gesehen haben, eine Aktivierung im fusiformen Gyrus im ventralen Temporallappen zeigten, einem Areal, das für die Verarbeitung von Gesichtern verantwortlich ist (Fusiform Face Area, FFA). Spätere Studien erweiterten dieses Analyse-Modell in dem Sinne, dass die Patienten erst nach Aufzeichnung eines fMRTBildes gefragt wurden, ob sie während der Messung halluziniert hatten oder nicht, um auf diese Weise den Einfluss des Antwortprozesses und der kognitiven Beschäftigung des Patienten mit der Aufgabe, sich bei Halluzinationen zu melden, zu minimieren. Dieses Prozedere wurde mehrmals wiederholt, die Messungen mit Halluzinationen wurden mit denjenigen der halluzinationsfreien Aufzeichnungen verglichen (Shergill et al. 2000). In einer solchen Studie (auch eine Kasuistik) wurden die zerebralen Korrelate von akustischen und somatosensorischen Halluzinationen erhoben. Diese Studie bestätigte die früheren Ergebnisse insofern, als während der akustischen Halluzinationen eine erhöhte Aktivität im oberen und mittleren Temporalgyrus rechts (ohne Vorliegen von Angaben über die Händigkeit des Patienten) sowie im unteren Frontallappen, anterioren Cinguli und Hippokampus beobachtet werden konnte. Bei den somatosensorischen Halluzinationen war die neuronale Aktivität neben Gebieten wie dem Thalamus mit dem somatosensorischen Kortex und hinteren Parietalkortex assoziiert. In einer weiteren Kasuistik konnte mittels fMRT-Methodik während akustisch-verbaler Halluzinationen ebenfalls eine erhöhte Aktivität im primären Hörkortex festgestellt werden. Zusätzlich wurde durch eine externe akustische Stimulation die Reagibilität der kortikalen Hörgebiete untersucht. Es zeigte sich eine fehlende Aktivierung der linken und rechten oberen und mittleren temporalen Gyri beim halluzinierenden Patienten im Vergleich zur Kontrollperson (Bentaleb et al. 2002). Bei einem anderen Versuch, die neurobiologischen Hintergründe von Halluzinationen zu eruieren, wurden nicht die Verhaltensdaten als Ausgangspunkt für die Bestimmung von Perioden von Halluzinationen verwendet, sondern eine datengetriebene Analyse. Bei der sog. Independent Component Analysis (ICA) wurde versucht, Gebiete, die während akustisch-verbalen Halluzinationen eine fluktuierende Aktivität aufzeigten, untersucher- und vorannahmefrei zu finden. In einer derartigen Studie konnte eine starke Fluktuation der Hirnaktiviät im primären Hörkortex und den angrenzenden Gebieten festgestellt werden,
die ihrerseits auch z. T. mit den Verhaltensdaten der Patienten zum zeitlichen Auftreten der Halluzinationen korrelierte. Die Autoren deuten diese Daten im Sinne eines engen funktionellen Zusammenspiels der erwähnten Hirnareale während der akustischen Halluzinationen, die dann zum Empfinden von Halluzinationen führt. Ferner wurde versucht, mittels fMRT den zeitlichen Verlauf von akustischen Halluzinationen zu bestimmen. In einer Fallstudie wurde von einer erhöhten neuronalen Aktivität in den linken unteren Frontallappen und dem rechten mittleren Temporalgyrus kurz vor dem Signalisieren des Halluzinationsbeginns berichtet, während in den Temporallappen bilateral eine erhöhte Aktivität festgestellt wurde. In einer eigenen ereignisbezogenen fMRT-Studie fanden wir bei einem Patienten, der durch die Stimme seiner verstorbenen Pflegemutter in seinen Tätigkeiten extrem negativ kommentiert wurde, eine sequenzielle Aktivierung in der Reihenfolge Hippokampus (Gedächtnis), linker unterer Frontallappen (motorisches Sprachareal), Amygdala (Emotionen), linker oberer Temporalgyrus (primärer Hörkortex) sowie zum Schluss eine Aktivierung des somatosensorischen Kortex (motorische Signalisierung des Anfangs der Halluzination) (Hubl u. Dierks 2004). Somit entsprachen das Aktivierungsmuster und dessen zeitlicher Verlauf dem klinischen Verlauf und Krankheitsbild der Halluzinationen des Patienten. ! Untersuchungen, in denen die Halluzinationen im Moment ihres Auftretens untersucht werden (»symptom catching«), deuten darauf hin, dass jeweils die primären Sinnesareale eine neuronale Aktivierung aufzeigen, die für die physiologische Verarbeitung in der jeweiligen Modalität zuständig sind. So sind beispielsweise der primäre akustische Kortex bei akustischen Halluzinationen und der primäre visuelle Kortex bei visuellen Halluzinationen aktiviert.
Studien zur Interaktion zwischen Halluzinationen und externer sensorischer Stimulation Einige Studien haben versucht, die neurobiologischen Mechanismen von Halluzinationen durch die Untersuchung der Reaktion des Gehirns auf externe sensorische Reize während Halluzinationen besser zu verstehen. Von besonderem Interesse ist hier die Interaktion zwischen innerer Sprache (als selbstgenerierte Sprache dem Selbst zugehörig empfunden) und akustisch-verbalen Halluzinationen. In einer Studie, in der halluzinierende Patienten leise visuell präsentierte Wörter vorlesen mussten, konnte bei diesen im Vergleich zu Kontrollpersonen ohne Halluzinationen eine verminderte Aktivität im linken oberen Temporallappen, im lingualen Kortex bilateral und im rechten Nucleus Caudatus festgestellt werden. Die Autoren schließen aus ihren Untersuchungen, dass die verminderte Aktivität, die im Zusammenhang mit einer Störung des »Self-Monitoring« zu sehen ist, die Patienten zu Halluzinationen prädestiniert. Eine sehr ähnliche Studie einige Jahre später konnte im Prinzip diese Ergebnisse replizieren (Shergill et al. 2003). In einer Kasuistik und einer erweiterten fMRT-Studie
421 33.3 · Funktionelle zerebrale Veränderungen im Zusammenhang mit Halluzinationen
mit schizophrenen Patienten wurden einer Gruppe akustische Stimuli einerseits während der Halluzinationen und andererseits nach Sistieren der Halluzinationen nach Behandlung (etwa 80 Tage später) präsentiert. Sie zeigten eine verminderte Aktivität im oberen linken und mittleren rechten Temporallappen während akustischer Halluzinationen, was bei einem Probanden mit visuellen Halluzinationen nicht der Fall war. Die Autoren schlossen aus ihren Ergebnissen, dass es während der Halluzinationen im oberen Temporallappen zu einer Konkurrenz um die neuronalen Ressourcen kommt, die normalerweise zur Verarbeitung akustischer Reize zur Verfügung stehen, d. h. zwischen den externen Stimuli und den internen in Zusammenhang mit den Halluzinationen. Ein ähnliches Ergebnis wurde kürzlich in einer eigenen elektrophysiologischen Studie vorgestellt, in der das akustisch evozierte Potenzial N100, welches in den oberen Temporallappen in akustisch relatierten Arealen generiert wird, untersucht wurde. Hier ermittelten wir während Halluzinationen eine verminderte Amplitude der N100 vorzugsweise im linken primären akustischen Kortex und in angrenzenden Gebieten (Hubl et al. 2007b). In dieser Studie wurde jedoch im Vergleich zu den früheren innerhalb der gleichen Messung zwischen Perioden mit und ohne Halluzinationen differenziert. Auch hier lässt sich eine Konkurrenz zwischen externen und internen Stimuli erkennen; wir schließen daraus, dass es während akustisch-verbaler Halluzinationen zu einer abnormen Aktivierung im primären Hörkortex bzw. angrenzenden Gebieten kommt.
Weitere funktionelle Studien Andere Studien vermuten – im Gegensatz zum Zusammenhang zwischen neuronaler Aktivität in den temporalen sprachrelatierten Regionen und Halluzinationen – eher einen Zusammenhang mit neuronaler Aktivität im limbischen System als Enstehungsmechanismus für Halluzinationen. Gebiete, die in PET- und SPECT-Studien eine Korrelation zwischen Positivsymptomatik und neuronaler Aktivität aufgezeigt haben, waren der anteriore zinguläre Kortex sowie Gebiete im medialen Temporalkortex wie Hippokampus und Parahippokampus (Lahti et al. 2006). Auch thalamische Aktivität wurde im Zusammenhang mit Halluzinationen untersucht, wobei u. a. ein niedrigerer Glukosemetabolismus mit einer stärkeren Ausprägung von Halluzinationen und anderen Positivsymptomen assoziiert wurde. Eine weitere Theorie, die durch Studienergebnisse unterstützt wird, geht davon aus, dass eine abnormale Lateralisation der Gehirnaktivität nicht nur für die Schizophrenie verantwortlich ist, sondern auch für die Entstehung von akustischen Halluzinationen. Diese häufig als »Trait«-Studien durchgeführten Untersuchungen basieren in erster Linie auf Ergebnissen aus Studien, in denen Patienten Sprachaufgaben durchführen mussten, wobei die Aktivität in sprachrelatieren Gebieten im Frontal-, Parietalund Temporallappen bei schizophrenen Patienten und, besonders ausgeprägt, bei Patienten mit Halluzinationen eine abnorme Lateralität aufzeigten. Die üblicherweise vorhandene höhere Ak-
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tivität in linken gegenüber rechten Bereichen sprachrelatierter Regionen scheint bei Halluzinationen verloren zu gehen. Je stärker die Ausprägung der Halluzinationen ist, desto niedriger ist die neuronale Aktivität links und desto höher jene rechts (Sommer et al. 2001). Diese Verschiebung von Lateralitätsunterschieden bezieht sich sowohl auf motorische Sprachareale im Fontallappen wie auf sensorische im Temporal- und Parietallappen. Die meisten der Studien zur Neurobiologie von Halluzinationen wurden an schizophrenen Patienten mit akustisch-verbalen Halluzinationen durchgeführt. Wenige Studien beschäftigen sich mit Halluzinationen in anderen Sinnesmodalitäten und bei anderen neuropsychiatrischen Erkrankungen. Auch hier handelt es sich in der überwiegenden Zahl der Studien um Kasuistiken. In einer fMRI-Kasuistik von einer schizophrenen Patientin mit einem zoenaesthetischen Syndrom mit schnell fluktuierenden, schmerzhaften somatosensorischen Halluzinationen wurde eine erhöhte neuronale Aktivität in den gleichen zerebralen Arealen wie bei einer nicht schmerzhaften taktilen externen Stimulation beobachtet. Diese Areale waren prä- und postzentral sowie im Parietallappen lokalisiert und umfassten damit große Teile der primären somatosensorischen Gebiete. Bei der Untersuchung von visuellen Halluzinationen bei Parkinson-Patienten konnte ein erhöhter Glukosemetabolismus (PET-Studie) im Frontallappen mit Betonung des linken oberen Gyrus festgestellt werden. Bei chronischem Alkoholismus ist das Auftreten von schizophrenen Symptomen mit Halluzinationen eine seltene Komplikation. Einige PET- und SPECT-Studien zu diesem Thema deuten bei akustischen Halluzinationen auf eine erniedrigte frontale und thalamische neuronale Aktivität hin (Soyka et al. 2005). Aber es gibt auch zahlreiche nicht bildgebende Hinweise auf eine Störung innerhalb des akustischen Systems, die für eine Beteiligung dieses Systems an der Entstehung von akustischen Halluzinationen bei chronischem Alkoholismus sprechen. In dieser Gruppe von Patienten wurde auch eine eventuelle Störung des DopaminStoffwechels untersucht, es wurden jedoch keine übereinstimmenden Ergebnisse erzielt. Bei musikalischen Halluzinationen bei Patienten mit erworbener Taubheit konnte eine erhöhte Gehirndurchblutung in den hinteren Temporallappen, Basalganglien, dem Kleinhirn und unteren Frontallappen festgestellt werden, die mit zunehmender Intensität der musikalischen Halluzinationen deutlich zunahm. Dieses Netzwerk entspricht, dem Autor zufolge dem, was man bei der normalen Wahrnehmung und Vorstellung von Klängen findet. Es ist beschrieben worden, dass musikalische Halluzinationen auch mit Läsionen in der rechten Hemisphäre, vorzugweise im Temporallappen, verbunden sind.
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Kapitel 33 · Halluzinationen – Bildgebung
33.3.3 Funktionelle Bildgebung
und Konnektivitätsuntersuchungen mittels elektromagnetischer Verfahren Einführung Bildgebende Verfahren wie fMRT, PET und SPECT erlauben mit sehr hoher Genauigkeit Aussagen darüber, wo im Gehirn sich im Zusammenhang mit neurokognitiven Funktionen und psychopathologischen Phänomenen wie Halluzinationen neuronale Aktivität verändert. Dagegen bieten sie keine Informationen über die Reihenfolge, in der die neuronalen Populationen in den verschiedenen Regionen aktiviert werden und wie und wann sie miteinander in Verbindung treten. Die elektromagnetische Aktivität, die bei der Informationsübertragung zwischen Neuronen entsteht, lässt sich mittels EEG/EP und Magnetenzephalographie (MEG) messen. ! Elektrophysiologische Techniken (EEG, EP und MEG) erlauben zu untersuchen, wie Gehirngebiete z. B. während Halluzinationen miteinander kommunizieren.
Studienübersicht
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In einer EEG-Kasuistik wurde bei einem Patienten mit linksseitigen somatosensorischen Halluzinationen eine sehr hochamplitudige Gammabandaktivität über dem rechten primären und sekundären somatosensorischen Kortex abgeleitet. Die Autoren interpretierten ihre Ergebnisse in dem Sinn, dass die Gammaaktivität ein Anzeichen des Zusammenbindens durch synchrone und phasische Aktivierung räumlich getrennter, verschiedener Neuronenverbände ist, das zur Wahrnehmung von Halluzinationen führt. Bisher konnte dieser Befund von hochamplitudiger Gammaaktivität weder bei einem einzelnen noch in einer Gruppe von Patienten repliziert werden. In einer ähnlichen MEG-Kasuistik, jedoch bei einem schizophrenen Patienten mit akustischen Halluzinationen, konnte eine erhöhte magnetische Aktivität über dem linken oberen Temporalgyrus im Betafrequenzbereich bis 30 Hz festgestellt werden. Diese Betaaktivität konnte in einer gesunden Kontrollgruppe nicht beobachtet werden. In einer weiteren Kasuistik, in der bei einem Patienten mit akustischen Halluzinationen ein EEG statt MEG abgeleitet wurde, konnte über der gleichen Region (links temporal) eine erhöhte elektrische Aktivität im Thetaband beobachtet werden. Diese Diskrepanz im Frequenzbereich bei den zwei Studien wurde u. a. auf die unterschiedliche Komplexität der akustischen Halluzinationen zurückgeführt. In einer der wenigen Studien, die EEG-Parameter bei schizophrenen Patienten in einem Symptom-Catching-Design durchgeführt haben, wurde die Alphabandkohärenz zwischen sprachrelatierten Hirnregionen in der linken und rechten Hemisphäre jeweils für die Broca-Region im Frontallappen und die WernickeRegion im Temporallappen untersucht. Es konnten keine Unterschiede in der Alphabandkohärenz zwischen Broca- und Wernicke-Region innerhalb einer Hemisphäre gefunden werden.
Dagegen konnten Unterschiede in der Kohärenz zwischen den beiden Hemisphären, besonders für die beiden Wernicke-Regionen im Temporallappen, festgestellt werden. Die interhemisphärische Kohärenz nahm während Perioden, in denen die Patienten halluzinierten, im Vergleich zu den halluzinationsfreien Perioden signifikant zu. Die Autoren führen diese Ergebnisse darauf zurück, dass während der Halluzinationen eine erhöhte neuronale Aktivität in den beiden Temporallappen entsteht, was wiederum zu einer erhöhten interhemisphärischen Koppelung führt. Sie sind der Meinung, dass ihre Ergebnisse insgesamt für das Modell des »Central Auditory Processing Deficit« (CAPD) von Halluzinationen spricht. Einen anderen Weg, um den Entstehungsmechanismus von Halluzinationen aufzuklären, ist die Arbeitsgruppe von Ford gegangen (Ford et al. 2005). Sie sind – im Gegensatz zu den Symptom-Catching-Studien – von einem grundsätzlichen Defizit in einem psychophysiologischen Regelkreis ausgegangen, aufgrund dessen Halluzinationen auftreten. Es wurde die Hypothese untersucht, ob es Fehler beim Senden einer Handlungskopie (Efferenzkopie) von den motorischen frontalen Arealen zu den sensorischen temporalen Arealen gibt. Im Falle von innerer Sprache bedeutet das, dass normalerweise eine vom motorischen Areal ausgehende Efferenzkopie, die beim Produzieren von Sprache generiert wird, an modalitätsspezifische temporale Gehirnareale (bei Sprache: an die akustischen sensorischen Areale) gesendet wird, um sicher zwischen intern und extern generiertem Reizmaterial trennen zu können. Im visuellen und motorischen System ist dieser Mechanismus bereits bekannt. In dem Falle, dass diese Efferenzkopie nicht oder fehlerhaft an die entsprechende Region gesendet wird, könnten Halluzinationen entstehen. Dieses Prinzip wurde untersucht, indem evozierte Potenziale beim Sprechen von Wörtern bei gesunden Probanden und schizophrenen Patienten gemessen wurden. Dabei zeigte sich bei gesunden Kontrollen im Gegensatz zu schizophrenen Patienten eine verringerte Aktivität im Temporallappen (die akustische N100-Komponente betreffend), woraus sich Hinweise darauf ergeben, dass der Regelkreis mittels der Efferenzkopie während des Sprechens bei schizophrenen Patienten gestört ist. Die gleiche Forschergruppe untersuchte die Kohärenz zwischen Sprachgebieten bei gesunden Kontrollpersonen und schizophrenen Patienten beim Sprechen und Hören (der aufgenommenen eigenen Stimme) von einzelnen Wörtern. Dabei wurden die Wörter beim Sprechen und Hören zum Teil verzerrt, um die Interaktion zwischen den Sprachgebieten beim Versatz zwischen Efferenzkopie und Perzeption zu eruieren. Bei gesunden Personen nahm die Gammabandkohärenz mit zunehmender Verzerrung der Sprache beim Sprechen ab, ein Befund, der bei schizophrenen Patienten nicht vorlag. Bei reinem Zuhören nahm bei den gesunden Personen mit zunehmender Verzerrtheit die Kohärenz eher zu, was wiederum bei den schizophrenen Patienten nicht der Fall war. Um das eigene Sprachsystem darauf einzustellen, dass die gehörte Sprache selbstgenerierte, eigene Sprache ist, muss eine intakte Kommunikation zwischen den frontalen und temporalen Regionen vor-
423 33.3 · Funktionelle zerebrale Veränderungen im Zusammenhang mit Halluzinationen
handen sein. Die Autoren schließen, dass sich dies in einer hohen Kohärenz spiegelt, die bei den schizophrenen Patienten nicht nachweisbar ist und somit die Hypothese der gestörten frontotemporalen Interaktion stützt sowie eine Prädisposition für Halluzinationen schafft (Ford et al. 2005). Da in der Studie keine Korrelation zwischen dem Ausmaß der Halluzinationen und elektrophysiologischen Parametern und auch keine Unterschiede zwischen Patienten, die halluzinierten, und solchen, die keine Halluzinationen erfuhren, gefunden werden konnten, sind die Ergebnisse bezüglich der Bedeutung für die Entstehung von Halluzinationen nur bedingt interpretierbar. In einer eigenen EEG-Quellenstudie konnten wir bei schizophrenen Patienten, die halluzinierten, im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen bei innerer Sprache eine erhöhte Betaaktivität im linken oberen Temporallappen feststellen. Diese erhöhte Betaaktivität über den Temporallappen replizierte einen Befund, den wir Ende der 80er Jahre bei halluzinierenden schizophrenen Patienten beschrieben haben, damals jedoch nicht beim Sprechen, sondern im Spontan-EEG. Kürzlich wurde ein ähnliches Ergebnis aus einer Studie vorgestellt, in der die EEG-Aktivität von schizophrenen Patienten, die an chronisch therapierefraktären akustisch-verbalen Halluzinationen litten, und Patienten, die keine Halluzinationen aufzeigten, verglichen wurde. Auch in dieser Studie konnte eine erhöhte Betaaktivität bei den halluzinierenden Patienten festgestellt werden, jedoch war hier die erhöhte Betaaktivität in den linken medialen Frontallappen und den unteren Parietallappen lokalisiert. In der gleichen Studie wurde festgestellt, dass bei halluzinierenden Patienten die Betaaktivität und die Gammaaktivität miteinander korrelierten, was bei den nicht halluzinierenden Patienten nicht nachweisbar war. Die Autoren argumentieren, dass diese Korrelation bei den halluzinierenden Patienten auf der Tatsache beruht, dass das Gehirn so reagiert, als würde es durch externe akustische Reize stimuliert (was den Autoren zufolge normalerweise zu einer erhöhten Beta- und Gammaaktivität führt). In einer Studie, die eine Zunahme der lokalen Kohärenz bei Halluzinationen aufzeigte, wurden Patienten, die nach LSD-Konsum für längere Zeit visuelle Halluzinationen erlebten, untersucht. Das Resultat war eine Hypersynchronizität in vielen Frequenzbändern über den visuellen Arealen im Okzipitallappen. Erwähnenswert scheint der Befund zu sein, dass im Gegensatz zur Zunahme der lokalen Kohärenz die Kohärenz zwischen weiter voneinander entfernt lokalisierten Gebieten abnahm. Insgesamt sprechen diese Befunde für eine Störung der Kommunikation zwischen Regionen im visuellen Verarbeitungsnetzwerk. Es wurde beobachtet, dass bei Gestaltwahrnehmung schizophrene Patienten eine enge Phasenkopplung zur Reaktionszeit in einer niedrigeren Gammafrequenz als gesunde Personen aufzeigen (in denen eine Phasenkopplung bei einer höheren Frequenz besteht). Das Ausmaß dieser Kopplung korrelierte bei den Patienten mit der Intensität der visuellen Halluzinationen und anderen positiven Symptomen. Die Autoren betonen die Bedeutung der Gammafrequenz und deren Phasenkopplung für eine korrekte
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Perzeption der Umwelt. Bei einer Störung der Kopplung kann es zu Wahrnehmungsstörungen z. B. in Form von Halluzinationen kommen, die sich in Veränderungen im Gammaband und dessen Phasenkopplung mit der Reaktionszeit widerspiegeln. In einer Kasuistik vom Anfang der 90er Jahre bei zwei schizophrenen Patienten mit Halluzinationen wurde eine Verminderung der akustisch evozierten N100 beschrieben. Diese Resultate konnten wir kürzlich in einer eigenen Studie, in der schizophrene Patienten während der elektrophysiologischen Messung signalisierten, wann sie halluzinierten und wann nicht, bestätigen und erweitern. Die N100 wurde in der weiteren Analyse mittels Quellenlokalisation für Perioden mit und ohne Halluzinationen verglichen. Auch hier konnte eine niedrigere Amplitude der N100 während der Halluzinationen beschrieben werden, v. a. über den linken hinteren oberen Temporallappen (Hubl et al. 2007b). Dieser Befund deutet auf eine erhöhte neuronale Aktivität im primären und eventuell im sekundären Hörkortex während Halluzinationen hin. Die P300, ein kognitiv evoziertes Potenzial, ist i. Allg. bei Patienten mit einer Schizophrenie in seiner Amplitude vermindert. Besonders ausgeprägt ist dies v. a. links temporal bei Patienten, welche zu akustischen Halluzinationen neigen. Im Zusammenhang mit den elektrophysiologischen Daten ist interessant, dass durch eine elektrische Stimulation des linken oder rechten Temporallappens experimentell akustische Halluzinationen bei nicht psychotischen Personen ausgelöst werden können. Auch Epilepsiepatienten mit erhöhter zerebraler Erregungsbildung im Temporallappen berichten über akustische Halluzinationen (z. B. Hubl et al. 2007a). 33.3.4 Störung der Entstehung
von Halluzinationen mittels TMS Die transkranielle Magnetstimulation (TMS) erlaubt es, mittels eines sehr kurzen starken Magnetfeldes umschriebene, kortikal oberflächlich lokalisierte zerebrale Funktionen vorübergehend zu beeinflussen – in Abhängigkeit von den gewählten Stimulationsparametern entweder exzitatorisch oder inhibitorisch. Ende der 90er Jahre veröffentlichte die Gruppe um Hoffman als erste Daten, mit denen die Autoren zeigten, dass TMS das Ausmaß von akustischen Halluzinationen bei schizophrenen Patienten vermindern kann. Kürzlich hat dieselbe Gruppe eine relativ große Studie mit 50 schizophrenen Patienten mit therapierefraktären akustischen Halluzinationen vorgestellt: Etwa die Hälfte wurde mit TMS behandelt und die andere Hälfte mit Placebo. Die TMSStimulation erfolgte über dem linken Temporallappen/Übergang Parietallappen. In der TMS-Gruppe nahm die Häufigkeit der Halluzinationen signifikant ab, jedoch nicht in der Placebogruppe (Hoffman et al. 2005). Je geringer die Halluzinationsfrequenz der Patienten war, desto erfolgreicher war der therapeutische Effekt der TMS. Die Autoren sind der Meinung, dass ihre Daten für ein mechanistisches pathophysiologisches Modell von akustischen
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Kapitel 33 · Halluzinationen – Bildgebung
Halluzinationen spricht, bei denen es zu Störungen in den rezeptiven Arealen des akustischen Verarbeitungssystems links parietotemporal kommt. Zudem sind sie der Auffassung, dass diese Störungen mittels TMS vorübergehend aufgehoben werden können. Andere Gruppen, die den Effekt von TMS auf akustische Halluzinationen untersucht haben, kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Einige zeigen starke Effekte, andere weniger starke bzw. keine. Zum Beispiel hat eine Gruppe versucht, nach fMRT-Lokalisation der individuellen Sprachregionen in diesen Regionen mittels stereotaktisch geleiteter TMS das Ausmaß von Halluzinationen zu beeinflussen. Sie konnten keinen therapeutischen Effekt mittels TMS feststellen. Offenbar ist der TMS-Effekt abhängig von verschiedenen klinischen sowie technischen Parametern, z. B. von Stimulationsparametern und -lokalisation sowie von der Patientenpopulation und der Art der adjuvanten medikamentösen Therapie. ! Obwohl die Studienergebnisse nicht eindeutig sind, scheint die Anwendung von transkranieller Magnetstimulation (TMS) die Enstehung von Halluzinationen zu verhindern bzw. deren Ausprägung zu schwächen.
33.4
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Zusammenfassung und Ausblick
Solange es das Phänomen, das wir Halluzination nennen, gibt, wurde über dessen Ursachen spekuliert (Weiss u. Heckers 1999; Strik u. Dierks 2004, Kircher u. Thienel 2005). Der Grund liegt wohl darin, dass es sich hier um eines der interessantesten Phänomene nicht nur für die klinisch-neuropsychiatrische Forschung im Besonderen, sondern auch für die Neurowissenschaften im Allgemeinen sowie für Laien handelt. Immer beschäftigt die Frage, wie es dazu kommen kann, dass das Gehirn selbstgenerierte neuronale Aktivität als extern verursachte Wahrnehmungen interpretiert. Die bildgebenden Verfahren, die in den letzten Jahrzehnten entwickelt wurden, erlauben einen bis vor kurzem unvorstellbaren Einblick in die normale und pathologisch veränderte Struktur und Funktion des Gehirns. In der hier vorliegenden Übersicht über die Befunde, die im Zusammenhang mit Halluzinationen erhoben worden sind, sind die Studien berücksichtigt, die direkt und primär im Zusammenhang mit Halluzinationen stehen, und nicht diejenigen Studien, deren Fokus auf Veränderungen bei schizophrenen Patienten liegt, auch wenn Halluzinationen ein Hauptsymptom der Schizophrenie sind. Die ersten Studien, sowohl strukturelle als auch funktionelle, untersuchten – nicht zuletzt aufgrund der zur Verfügung stehenden Methodik – die dauerhaften Veränderungen, die bei Patienten mit der Neigung zu Halluzinationen auftraten (»Trait«). Die dynamischeren Methoden wie fMRT und EEG konnten einen direkten Zusammenhang zwischen Halluzinationen und dem untersuchten neurophysiologischen Parameter nachweisen
(»State«). Die Tatsache, dass es sehr schwierig ist, halluzinierende Patienten in einem Symptom-Catching-Design zu untersuchen, hat sich gerade in diesen Studien als limitierender Faktor erwiesen, denn die Patienten müssen fähig sein, Anfang und Ende ihrer Halluzinationen zu bemerken und zu signalisieren. Die zum Teil befremdend wirkenden Untersuchungskonditionen der modernen Messverfahren (sei das im MRT-Scanner oder unter der EEG-Haube) erschweren zudem die Messungen akut psychotischer Patienten, bei welchen ja die Halluzinationen am häufigsten auftreten. Unter anderem aus diesen Gründen sind die funktionellen Studien zu Halluzinationen, v. a. die mit SymptomCatching-Charakter, eher als Kasuistiken denn als groß angelegte Populationsstudien veröffentlicht worden. Obwohl Halluzinationen in jeder Sinnesmodalität und bei vielen neuropsychiatrischen Krankheiten auftreten, wurde die überwiegende Anzahl der Studien bei schizophrenen Patienten mit akustisch-verbalen Halluzinationen durchgeführt. Dies liegt in erster Linie daran, dass akustische verbale Halluzinationen einerseits die häufigste Form von Halluzinationen sind und dass diese andererseits am häufigsten bei schizophrenen Patienten auftreten. Somit liegt nur eine beschränkte Anzahl Publikationen zu Halluzinationen in anderen Sinnesmodalitäten und bei anderen Krankheitsentitäten vor. Aus diesem Grund können keine eindeutigen Schlussfolgerungen für diese Bereiche gezogen werden außer in dem Sinne, dass die Resultate bezüglich akustisch-verbalen Halluzinationen generalisiert und auf die anderen Bereiche ausgeweitet werden. Versucht man, die funktionellen und strukturellen Studien zu akustisch-verbalen Halluzinationen zusammenzufassen, zeigt sich, dass in die Generierung dieser Sinnestäuschungen viele Hirnregionen einbezogen sind. Bei der Analyse der Häufigkeit der betroffenen Regionen stellt man fest, dass einige Regionen besonders häufig betroffen sind. Dazu zählen die beiden Temporallappen mit leichter Betonung der linken Hemispäre (besonders für strukturelle Studien); insbesondere der obere Teil mit dem Gyrus temporalis superior und dem räumlich wie funktionell engstens verbundenen primären Hörkortex ist sehr häufig als beteiligt beschrieben worden. Weiterhin scheinen der linke untere Frontallappen (Broca-Sprachregion), der anteriore Gyrus cinguli, der Hippokampus und die Basalganglien an der Genese der Halluzinationen beteiligt zu sein, etwas weniger häufig auch Thalamus und Amygdala (. Abb. 33.6). Die strukturellen Untersuchungen der weißen Bahnen, aber v. a. die funktionellen Untersuchungen mittels elektrophysiologischer Methoden sprechen zudem für eine gestörte bzw. veränderte Kommunikation zwischen diesen Hirnregionen. Zur Entstehung der akustisch-verbalen Halluzinationen gibt es Theorien, die eher von einem mechanistischen Ansatz ausgehen und andere, die eher neurokognitiver Provenienz sind. Die bezüglich akustisch-verbaler Halluzinationen vorliegenden Daten sprechen eher für ein mechanistisches Modell, da die am häufigsten betroffenen Regionen in den physiologischen Regelkreisen des Sprechens und Hörens zu finden sind. Auch die weni-
425 33.4 · Zusammenfassung und Ausblick
33
. Abb. 33.6. Häufigkeit von a strukturellen und b funktionellen Veränderungen bei Patienten mit akustisch-verbalen Halluzinationen (7 Farbtafeln, S. 667)
a
b
gen Studien, die andere Sinnesmodalitäten und andere Krankheiten untersucht haben – Läsionsstudien eingeschlossen – sprechen insgesamt für dieses Modell, da es zu Regelstörungen innerhalb der physiologischen Netzwerke der betroffenen Sinnesmodalität (in welcher die Halluzinationen auftreten) kommt. Auch wenn die genaue Ätiopathogenese von Halluzinationen immer noch unbekannt ist, haben die bildgebenden Verfahren in den letzten Jahrzehnten immer mehr neue Erkenntnisse über die
neurobiologischen Hintergründe dieses faszinierenden Phänomens gebracht. Mit der Weiterentwicklung der bestehenden Methoden und Implementierung neuer Technologien wird unser Wissensstand auch in Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit zunehmen. Daneben können Studien mit höheren Patientenzahlen – auch im Zusammenhang mit therapeutischen Interventionen – und Langzeitstudien einen Beitrag leisten zur besseren Vorhersage und hoffentlich auch zur besseren Beeinflussbarkeit
426
Kapitel 33 · Halluzinationen – Bildgebung
des klinischen Verlaufs. Sie sind somit nicht nur für die ätiologische Klärung von Halluzinationen von Belang, sondern auch von klinischer Bedeutung für Diagnostik und Therapie dieses für den einzelnen Patienten zum Teil sehr belastenden Symptoms.
Literatur
33
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34
34 Formale Denkstörungen – Psychologie André Kirner, Nadja Zellagui und Tilo Kircher
34.1
Einleitung
– 428
34.2
Phänomenologie und Konzepte formaler Denkstörungen – 428
34.3
Parallelen zu neurologischen Syndromen – 431
34.4
Differenzialdiagnostische Spezifität von formalen Denkstörungen – 432
34.5
Ein kognitives Modell der Sprachproduktion
34.5.1 34.5.2 34.5.3 34.5.4
Lexikale Selektion – 433 Form Encoding – 434 Artikulation – 434 Selbstmonitoring und Fehlerkorrektur
34.6
Kognitionspsychologische und linguistische Befunde bei positiven formalen Denkstörungen – 434
34.6.1 34.6.2 34.6.3
Formale Denkstörungen als Dysfunktion des mentalen Lexikons Exekutivfunktionen – 438 Formale Denkstörungen und Theory of Mind – 440
34.7
Schlussfolgerungen und Zusammenfassung Literatur
– 441
– 432
– 434
– 441
– 436
428
Kapitel 34 · Formale Denkstörungen – Psychologie
34.1
Einleitung
Klinisch werden Störungen der Sprachproduktion und des Denkens als formale Denkstörungen (FDS) bezeichnet, im Gegensatz zu inhaltlichen Denkstörungen wie z. B. Wahn (7 Kap. 36) oder Zwangsgedanken. Dazu zählen die Geschwindigkeit der Gedankenproduktion, die Art und Weise der Gedankenverknüpfung und die Frage, in welchen Kontext sie gestellt werden. Ebenso beinhaltet der Begriff, mit welcher Auswahl von Begriffen und welcher Syntax die Gedanken formuliert, in Sprache umgesetzt und so mit der Außenwelt kommuniziert werden. Der ungestörte Ablauf dieser Vorgänge gewährleistet, dass die in Sprache umgesetzten Gedanken von anderen Menschen verstanden und nachvollzogen werden können. Störungen dieser komplexen Vorgänge werden als formale Denkstörungen bezeichnet. Da Denkvorgänge hauptsächlich über Sprache vermittelt werden, berührt die Begrifflichkeit die Frage nach dem Zusammenhang von Sprache und Denken, auf den hier nicht weiter eingegangen werden kann. Formale Denktsörungen gehören zu den Kardinalsymptomen der Schizophrenien. Sie treten als Störung auf der Ebene der Sprache auf, d. h. als ein Mangel von semantischen und pragmatischen Verbindungen und als fehlende Zielvorstellungen. Das Ausmaß, in dem die Informationsübermittlung bei sprachlichen Äußerungen beeinträchtigt ist, entscheidet über die Feststellung des psychopathologischen Symptoms einer formalen Denkstörung. Bevor wir uns den neuropsychologischen Korrelaten und Modellvorstellungen zur Entstehung von FDS zuwenden, möchten wir eine Zusammenfassung zu ihrer Phänomenologie geben. 34.2
34
Phänomenologie und Konzepte formaler Denkstörungen
Formale Denkstörungen treten in vielerlei Gestalt auf. Zum einen kann der Sprach- bzw. Gedankenfluss beschleunigt sein, es kann zu plötzlichen Themenwechseln kommen bis hin zur vollständigen Zerfahrenheit. Dabei werden oft einzelne Wörter in ungewöhnlicher Weise gebraucht, verändert oder sogar gänzlich neu erfunden. Zum anderen kann es jedoch auch zu einem Rückgang der Sprachproduktion und einer allgemeinen Sprachverarmung kommen. ! Spracharmut und inhaltsarme Sprache, denen mutmaßlich Gedanken- und Ideenarmut zugrunde liegen, wurden auch als »negative FDS« bezeichnet in Abgrenzung zu den »positiven FDS«, unter die Symptome wie Assoziationsauflockerung, Zerfahrenheit oder Neologismen und Paraphasien subsumiert wurden.
Assoziative Auflockerung und Entgleisung
Bis heute bedeutend sind die Beschreibungen des Phänomens der FDS von Bleuler (1983) und Kraepelin (1909–1915). Letzterer
prägte den Begriff des inkohärenten Denkens, bei dem ein Patient von einem Thema zum nächsten wechselt, wobei dieser Sprung für den Zuhörer kaum oder gar nicht nachvollziehbar ist. Als den maßgeblichen Vorgang bei der Entstehung formaler Denkstörungen betrachtete Kraepelin die »Entgleisung«. Er verstand darunter die Tendenz, dass sich der Fluss der Gedanken vom vorgegebenen Thema wegbewegt hin zu unklaren, nebulösen und irrelevanten Themen. Die Gedankensprünge bzw. -abweichungen sind für den Zuhörer teilweise nachvollziehbar und fußen auf der Basis von einzelnen Stichwörtern, die thematisch in neuen Zusammenhang gestellt werden, oder von klanglichen Assoziationen wie Reimen, die ein Erkrankter auf einzelne Wörter bildet. Zudem sah Kraepelin eine Störung des sprachlichen Ausdrucks. Er beschrieb eine gestörte Syntax, die vom telegrammartigen Sprachstil und ungewöhnlichen Phrasen bis hin zu einer Störung des grammatikalischen Ausdrucks reichte. Auch beschrieb er das Phänomen der Paraphasien und Neologismen. Bei Paraphasien kommt es zur Formung neuer Wörter aus einer ungewöhnlichen, nicht üblichen Zusammensetzung oder zur Verstümmelung existierender Wörter und Wortbestandteile oder dem Gebrauch unpassender, jedoch in Klang oder Bedeutung ähnlicher Wörter. Von Neologismen spricht man, wenn es zur Neuformung von gänzlich nicht existenten Wörtern kommt. Auch in diesem Phänomen sah Kraepelin eine Spielart der Entgleisung, nämlich der Entgleisung beim Vorgang der Wortfindung. Auch Bleuler, in dessen Ausführungen FDS als eines der Kardinalsymptome der Schizophrenie beschrieben werden, sah FDS wesentlich als eine »Lockerung der Assoziationen« sowie als einen Verlust der Zielsetzung der Gedanken. Demnach ist die Störung logisch zusammenhängender Denkprozesse dafür verantwortlich, dass indirekte Assoziationen und Klangassoziationen die Oberhand über die Ausrichtung des Gedankenganges gewinnen. Bleuler beschrieb sehr differenziert die einzelnen Symptome, die Begrifflichkeiten werden bis heute verwendet (z. B. Zerfahrenheit, Sperrung, Begriffsverschiebung). Inhaltsarme Sprache und negative formale Denkstörungen
Kraepelin hatte bereits das Phänomen der Sprachverarmung beschrieben als Symptom, bei dem Patienten nur knappe Äußerungen von sich geben, einsilbig wirken und oft lange Pausen im Gespräch beziehungsweise lange Latenzzeiten zwischen gestellten Fragen und den Antworten der Patienten auftreten. Als den schwersten Grad dieses Phänomens sah er den Mutismus, einen Zustand, bei dem von einem Patienten keine nennenswerten Sprachäußerungen mehr ausgehen. Ob ein Zusammenhang der verringerten Sprachproduktion und der Ideen- und Gedankenarmut bei den betroffenen Patienten besteht, ist unklar, klinische Evidenz spricht aber nicht in jedem Fall dafür. Hier zeigt sich also eine Dissoziation von Sprachausdruck und Denken. Auch wenn die Quantität der Sprachäußerungen bei vielen Patienten nicht beeinträchtigt ist, erscheint die Sprache für den Zuhörer als schwer verständlich, da sie im Bezug zur produzierten Sprachmenge nur wenig Information enthält. Diese Patienten brauchen dann relativ
429 34.2 · Phänomenologie und Konzepte formaler Denkstörungen
viele Wörter, um vergleichsweise wenige Inhalte auszudrücken. Dieses Symptom wurde als inhaltsarme Sprache bezeichnet. Begriffe wie vage, meandernde Sprache werden auch benutzt, v. a. wenn im Vordergrund steht, dass beim Sprechen ziellos von einem Punkt zum nächsten gewandert wird oder der Sprechende um ein Thema kreist, ohne dass ein Sinn nachvollziehbar wird. Idiosynkratischer Sprachgebrauch
Harrow u. Quinlan (1985) führten bei ihrem Versuch einer umfassenden Untersuchung und Beschreibung von FDS den Begriff der »bizarr idiosynkratischen Sprache« ein. Sie beschrieben damit die oft eigenartigen Perspektiven und die ungebräuchliche Verwendung von Begriffen durch die Patienten, die das Gesagte ungewöhnlich bis skurril erscheinen lassen. FDS sind demnach ein bizarrer und nicht den allgemeingültigen Gesetzen der Sprache unterworfener Sprachgebrauch. Harrow u. Quinlan (1985) etablierten eine »Skala für bizarr-idiosynkratisches Denken«. Dabei handelt es sich um eine Rating-Skala, bei der den Patienten einige logische Fragen gestellt wird und anhand der Antworten der Grad bizarr-idiosynkratischen Denkens (0–3) beurteilt wird. Die Skala umfasst Items bezüglich der linguistischen Form und Struktur der Antworten, deren Inhalt, Vermischungstendenzen (Tendenz, die Antwort mit Themenelementen zu durchmischen, die aus dem persönlichen vergangenen oder derzeitigen Erleben des Patienten stammen oder übermässig und inadäquat komplizierte und ausführliche Antworten auf die einfachen Fragen zu geben), dem Bezug der Antwort auf die Frage und schließlich dem Verhalten bei der Antwort. Linguistische Analyse formaler Denkstörungen
Aus linguistischer Perspektive lieferte Chaika (1974) mit ihren Beobachtungen, die sie aus der Analyse von Redetranskripten von Patienten bezog, einige interessante Rückschlüsse. Aus linguistischer Sicht geben die Sprachäußerungen schizophrener Patienten keine Hinweise auf eine gestörte sprachliche Kompetenz an sich. Vielmehr gäben die auftretenden Muster an sprachlichen Eigentümlichkeiten Hinweise auf Störungen von Mechanismen, die der Sprachproduktion vorgeschaltetet sind. Formale Denkstörungen bei verschiedenen Subtypen der Schizophrenie
Schon Kraepelin hatte aufgrund der breit gefächerten und heterogenen Symptomatik schizophrener Psychosen versucht, verschiedene Subtypen zu beschreiben. Später gelang es mittels Faktorenanalysen, verschiedene Symptomcluster zu differenzieren. Drei solche Symptomcluster konnten dabei voneinander abgegrenzt werden (Liddle 1987): a) das Syndrom der veränderten Wahrnehmung mit vorherrschend wahnhaften Symptomen und Halluzinationen b) das Syndrom der psychomotorischen Verarmung; hier stehen Symptome wie Sprachverarmung, abnorme Spontanbewegungen, starre, ausdruckslose Mimik und mangelnder affektiver Rapport im Vordergrund,
34
c) das desorganisierte Syndrom mit inadäquatem Affekt, inhaltsarmer Sprache, Entgleisungen, Ablenkbarkeit und einer gesteigerten Sprachproduktion (Sprachdruck) Formale Denkstörungen, besonders positive FDS, scheinen beim sog. desorganisierten Syndrom zu dominieren. Negative FDS kommen demnach eher beim Syndrom der psychomotorischen Verarmung vor. Formale Denkstörungen im AMDP-System
Das Klassifikationssystem der Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie (AMDP) ist eine Zusammenstellung der wesentlichen, bei der Erstellung eines psychopathologischen Befundes im klinischen Alltag gebräuchlichen Symptome und deren genaue Definition. In . Tab. 34.1 finden sich einige Beispiele für Items aus dem Bereich der FDS. Standardisierte Messung von formalen Denkstörungen
Aus dem dargestellten Querschnitt durch einige Konzepte und Beschreibungen von FDS war bislang noch keine einheitliche Terminologie und Klassifikation erfolgt. Gegen Ende der 70er Jahre begann man, zunächst in den USA, im Zusammenhang mit der Etablierung des DSM-III, die Psychopathologie zunehmend zu quantifizieren. Waren bei den bisherigen Konzepten von Einzelphänomenen stets auch Überlegungen bezüglich der Mechanismen ihrer Genese in die Symptombeschreibungen eingeflossen, so bemühte man sich nun, sich auf die syndromale Beschreibung zu beschränken und auf zugrunde liegende theoretische Konstrukte zu verzichten. Seinen Niederschlag fand dies in der von Andreasen. (1979) publizierten Skala für Denk- und Sprachstörungen (»Abnormalities of Thought, Language and Communication«, TLC), die bis heute akkurateste und umfassendste Skala für Störungen des formalen Gedankenganges. Die Phänomene der FDS lassen sich im TLC in verschiedene Einzelkategorien unterteilen: 4 Störungen der Wortmorphologie: Hier werden Abweichungen auf Wortebene beschrieben, z. B. Veränderungen, bei denen fehlerhafte Worte gebildet werden, indem Silben oder der Klang nicht richtig benutzt werden (Paraphasien), völlige Wortneubildungen (Neologismen) oder der unübliche, eigentümliche Gebrauch von Wörtern (Wortannäherungen) 4 Störungen auf Syntax-Ebene: Wenn z. B. der logische Zusammenhang zwischen Worten und Sätzen verloren geht, im Extremfall scheinbar zufällig durcheinandergewürfelte Sätze oder Gedankenbruchstücke aneinandergereiht werden, sprechen wir von inkohärntem Denken bzw. Zerfahrenheit 4 Störungen auf textdiskursiver Ebene: Bei diesen Phänomenen kommt es zum Abgleiten der Ideen des Sprechers zu solchen, die nur noch eine vage oder sogar keinerlei Bezie-
430
Kapitel 34 · Formale Denkstörungen – Psychologie
. Tab. 34.1. Beispiele für FDS im AMDP-System
34
Item
Definition
Erläuterung und Beispiele
Gehemmt
Das Denken wird vom Patienten subjektiv als gebremst, verlangsamt oder blockiert (wie gegen einen inneren Widerstand) empfunden.
Der Patient kann die Hemmung des Denkablaufes nicht aufheben. Denkhemmung kann sich bis zu dem subjektiven Erleben ausweiten, überhaupt nicht mehr denken zu können.
Umständlich
Als umständlich bezeichnet man ein Denken, das, bezogen auf den Gesprächsinhalt, das Nebensächliche nicht vom Wesentlichen trennt. Der inhaltliche Zusammenhang bleibt dabei aber stets gewahrt.
Der Patient verliert sich in unwichtige Einzelheiten und bleibt an ihnen hängen, ohne vom Ziel gänzlich abzukommen. Durch diese Weitschweifigkeit wird der Gang der Exploration behindert. Umständlichkeit kann z. B. die Folge mangelnder Abstraktionsgabe sein; sie kann auch als Folge der Unfähigkeit auftreten, Nebensächliches wegzulassen, obwohl es intellektuell als solches erkannt wird.
Gedankendrängen
Der Patient fühlt sich dem Druck vieler verschiedener Einfälle oder Gedanken ausgeliefert.
Der Patient kann die Fülle der andrängenden, immer wieder neuen Einfälle oder Gedanken nicht ordnen oder beherrschen. Diese Gedanken können sinnvoll oder sinnlos sein, sich überstürzen oder wie automatisch ablaufen. Das Denken muss dabei nicht beschleunigt erscheinen.
Ideenflüchtig
Vermehrung von Einfällen, die aber nicht mehr von einer Zielvorstellung straff geführt werden. Das Ziel des Denkens kann aufgrund von Assoziationen ständig wechseln oder verloren gehen.
Der Ideenflüchtige gerät vom Hundertsten ins Tausendste, führt einen Gedanken oft nicht zu Ende, weil sein Denken ständig von dazwischen kommenden Einfällen abgelenkt wird. Die Ablenkung vom stringenten Gedanken kann auf äußeren Einflüssen (z. B. Geräuschen) oder auf gedanklichen Assoziationen bruhen. Das Denken des Ideenflüchtigen muss nicht beschleunigt sein.
Inkohärent/ zerfahren
Denken und Sprechen des Patienten verlieren für den Untersucher ihren verständlichen Zusammenhang. Im Extremfall sind sie bis in einzelne, scheinbar zufällig durcheinander gewürfelte Sätze, Satzgruppen oder Gedankenbruchstücke zerrissen.
»Ich bin jetzt im Hause ein Jahre lang links und rechts geimpft, und wer kein Menschenfresser ist, ist über 30 Jahre.« »Früher sind die Leute aus blauäugigen Menschen bestanden und wie die Hirne schaffen.« … Bei leichten Formen mit unlogischem Denken (Paralogik) kann der Satzbau noch intakt sein. Bei schwereren Formen ist er zerstört (Paragrammatismus) bis zu unverständlichem, sinnlosem Wort- und Silbengemisch (Sprachzerfall, Schizophasie).
Formale Denkstörungen im AMDP-System mit ihren Definitionen aus: AMDP 2007.
hung zum Vorausgehenden haben (Entgleisung). Es kann zu Schwierigkeiten kommen, Gedankengänge bis zu einem natürlichen Ziel zu verfolgen, es kommt zum ziellosen Wandern von einem Thema zum nächsten (Zielverlust) 4 Verlust kommunikativer Kompetenzen: Es kommt zu einer Verarmung der Sprachproduktion (Spracharmut) oder des Sprachinhaltes (inhaltsarme Sprache). Ein Patient macht den Eindruck, als ob er sich nicht adäquat auf eine bestimmte Gesprächssituation einstellen würde, er macht Fehler bei der Einschätzung der Intentionen eines Gesprächspartners (Störung der Pragmatik) Andreasen (1979a) wählte einen inklusiven Ansatz. Es sollten möglichst viele Begriffe, die in der psychiatrischen Praxis zur
Beschreibung von FDS dienten, benannt und mit klaren Definitionen versehen werden. Bemerkenswert ist dabei, dass die assoziative Lockerung nicht aufgenommen wurde, da dieser Begriff bereits einen zugrunde liegenden Entstehungsmechanismus beinhaltet. Stattdessen wurde der eher neutrale Begriff der »Entgleisung« (»derailment«) verwendet. Die Skala stellt ein umfangreiches Messinstrument für die Erfassung formaler Denkstörungen dar, die in unterschiedlicher Ausprägung bei einer Vielzahl psychiatrischer Erkrankungen wie Manien oder Depressionen auftreten können und sogar bei Gesunden (z. B. »Versprecher«, inhaltsarme Sprache und Weitschweifigkeit) zu beobachten sind. Verschiedene Items der TLC-Skala haben auch in die oft angewandten Messskalen zur Beurteilung von Positiv- (»Scale for
431 34.3 · Parallelen zu neurologischen Syndromen
the Assessment of Positive Symptoms«, SAPS) und Negativsymptomen (»Scale for the Assessment of Negative Symptoms«, SANS) Eingang gefunden. ! Eine möglichst wertneutrale, mit klaren Definitionen versehene, deskriptive Messskala für ein Symptom ist eine wichtige Voraussetzung für die neuropsychologische Forschung. Andreasens TLC-Skala wird weit verbreitet eingesetzt und hat zu einer wesentlich besseren Vergleichbarkeit verschiedener Studienpopulationen beigetragen. Sie bietet eine gute Grundlage bei der Untersuchung von Mechanismen und Entstehungsmodellen, die bei Patienten mit Schizophrenie zu den hier benannten Störungen des formalen Denkens und damit zu schwer nachvollziehbaren sprachlichen Äußerungen führen können.
Ein kritischer Einwand zur TLC-Skala bezieht sich auf die relative Insensitivität für lediglich subtile Störungen des formalen Denkens. Durch ein streng festgelegtes Procedere, bei dem die Äußerungen der untersuchten Personen aufgezeichnet und danach wörtlich transkribiert werden, gelang es Liddle et al. (2002), mit dem TLI (»Thought and Language Index«) ein für FDS sehr sensitives Ratingverfahren zu validieren. Die Untersuchungspersonen werden dabei aufgefordert, spontan Sprache zu produzieren. Als Stimulus werden z. B. 8 Rohrschachtafeln für je 1 min gezeigt. Die Transkripte werden dem Auswerter verblindet vorgelegt. Das Gesprochene wird auf 8 Kategorien von Sprachanomalien gescreent. Die gefundenen Auffälligkeiten werden nach einem vorgegebenen Schlüssel gemäß ihres Schweregrades und der Spezifität des jeweiligen Symptoms für Schizophrenie bewertet. Zwar beinhaltet der TLI im Vergleich zur TLC-Skala weniger Items, der Vorteil dieses Verfahrens liegt jedoch darin, dass es einerseits den untersuchten Individuen durch die Möglichkeit der freien Sprachproduktion Gelegenheit bietet, ihre FDS gut zu entfalten, dass es andererseits durch das streng festgelegte Auswertungsverfahren dennoch ein größtmögliches Maß an Objektivität und Reliabilität gibt. Auch noch bei gesunden Menschen auftretende gelegentliche Symptome vermag dieses Verfahren mit einer guten Reliabilität zu messen. Der Nachteil liegt natürlich in der relativ aufwendigen Durchführung, was die Anwendung im klinischen Alltag auserhalb spezieller wissenschaftlicher Fragestellungen einschränkt. 34.3
Parallelen zu neurologischen Syndromen
Immer wieder werden Symptome, die bei psychiatrischen Erkrankungen auftreten, auch bei Patienten mit organischen zerebralen Läsionen, z. B. nach ischämischen Insulten oder nach Unfällen mit entsprechenden Verletzungen beobachtet. So kommt es bei bestimmten Läsionsmustern zu Halluzinationen oder der Entwicklung eines Wahnes. Diese Beobachtungen führten bereits frühzeitig dazu, dass auch zwischen den FDS von Patienten mit Schizophrenie und einzelnen neurologischen Symp-
34
tomen Parallelen gezogen wurden. Was haben also FDS und neurologische Syndrome mit ähnlicher klinischer Ausprägung gemeinsam und wodurch unterscheiden sie sich bzw. lassen sie sich voneinander abgrenzen? FDS schizophrener Patienten wurden wiederholt verglichen mit unterschiedlichen Formen der Aphasie nach hirnorganischen Läsionen. Als Aphasie bezeichnet man eine Störung der rezeptiven oder expressiven Sprache mit Fehlern des Wort- und Satzbaus. Es besteht eine Dysfunktion des Ausdrucks in den Symbolen und der Grammatik der Sprache, und es kommt zu Störungen des visuellen und akustischen Sprachverständnisses. Aphasien treten in Form verschiedener Subtypen meist bei linkshemisphärischen Läsionen als Broca-, Wernicke- oder globale Aphasie auf. Von besonderem Interesse für die Untersuchung von Parallelen zu FDS bei Patienten mit Schizophrenie ist dabei die Wernicke-Aphasie. Das Syndrom der Wernicke- Aphasie wird bestimmt durch eine paraphasische, aber flüssige, teils auch überschießende Spontansprache. Es kommt zu semantischen Paraphasien bis hin zu Neologismen, Satzabbrüchen und Paragrammatismus. Die Sprache ist inhaltsarm. Auch das Sprachverständnis ist gestört, sodass die Kommunikation erheblich eingeschränkt ist. Studienbox Mit 14 schizophrenen Patienten und 13 aphasischen Patienten wurden Interviews geführt; die Texte wurden transkribiert. Ohne Informationen über Alter, Diagnose, neurologische oder psychiatrische Symptome und Behandlung wurden die Transkripte dann 2 Neurologen, 2 Psychiatern und einer Spezialistin für Sprachpathologie vorgelegt. Diese sollten die Transkripte den richtigen Diagnosen (Aphasie oder Schizophrenie) zuordnen. Keiner der Teilnehmer war in der Lage, alle Transkripte korrekt zuzuordnen. Die Neurologen teilten jeweils 18 von 27 der Transkripte richtig ein, die Psychiater 20 von 27 bzw. 22 von 27. Die Sprachpathologin erkannte immerhin 25 von 27 Transkripten richtig und schnitt somit am besten ab. Die Sprachauffälligkeiten wurden sodann verblindet klassifiziert, um Unterschiede zwischen aphasischen Sprachauffälligkeiten und Auffälligkeiten durch FDS systematisch zu differenzieren. 5 Kategorien konnten so als maßgeblich unterscheidende Faktoren ausgemacht werden. Wortannäherungen und eine spezielle, ungewöhnliche Wortwahl, Entgleisungen und Tangentialität wurden deutlich häufiger bei schizophrenen Patienten als bei Aphasikern gefunden. Außerdem benutzten deutlich mehr schizophrene Patienten komplexere Wörter (79%) als Aphasiker (8%). Letztere wiesen häufiger eine inhaltsarme Sprache, ein reduziertes Sprachverständnis und Wortfindungsstörungen auf. Die klarsten Unterscheidungsmerkmale zwischen den beiden Gruppen waren insbesondere Defizite in der Wortfindung und Benennung sowie im Sprachverständnis, die ausschließlich bei den Aphasie-Patienten auftraten (Faber et al. 1983).
432
Kapitel 34 · Formale Denkstörungen – Psychologie
Vergleichen wir die Wernicke-Aphasie mit den Symptomen formal denkgestörter Patienten mit Schizophrenie, so könnten wir versucht sein, FDS als »intermittierende funktionelle Aphasie« (Kircher et al. 2001b, 2003b) aufzufassen. Im Verlauf der bereits angesprochenen Diskussion um die »neurologische« Natur formaler Denkstörungen unternahmen Faber et al. (1983) eine Untersuchung, in der sie die beiden Störungsbilder direkt gegenüberstellten. Trotz der erheblichen Überschneidung der Sprachauffälligkeiten in den beiden Gruppen wurde deutlich, dass Patienten mit Schizophrenie und FDS keine Aphasie haben. Dies bestätigen auch weitere Studien, die sich mit dem Abschneiden formal denkgestörter schizophrener Patienten in Aphasie-Testbatterien beschäftigten. Benennungsstörungen, beispielsweise im Boston Naming Test, wiesen dabei keinen Bezug zu FDS, sondern allenfalls zu allgemeinen intellektuellen Defiziten auf (Shallice et al. 1991). ! Als wesentlicher Unterschied zwischen Patienten mit WernickeAphasie und FDS bei der Schizophrenie kristallisiert sich also das Fehlen von Benennungsstörungen im Zusammenhang mit FDS heraus.
Zwar schneiden Patienten mit Schizophrenie bei Aphasie-Testbatterien generell schlechter ab als gesunde Kontrollprobanden, dies ist jedoch eher Ausdruck einer allgemeinen kognitiven Leistungsschwäche in dieser Patientengruppe. Ein spezifischer Zusammenhang mit FDS konnte nicht nachgewiesen werden. Es stellt sich also weiterhin die Frage, welche Mechanismen der Sprachbildung bei formal denkgestörten Patienten mit Schizophrenie beeinträchtigt sind. Gibt es ein spezifisches neuropsychologisches Substrat? Und welche Faktoren spielen bei der Symptomentstehung eine Rolle? 34.4
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Differenzialdiagnostische Spezifität von formalen Denkstörungen
Formale Denkstörungen sind kein auf die Schizophrenie beschränktes Phänomen, sie treten vielmehr auch im Rahmen anderer psychiatrischer Erkrankungen auf. Das zeigten Lott et al. (2002) anhand der Untersuchung einer Stichprobe von 100 Patienten, die an Schizophrenie, bipolarer Störung und unipolarer Depression litten. Anhand transkribierter Sprache wurden linguistische Analysen von Sprachabnormitäten durchgeführt. Dabei zeigte sich eine breite Überlappung der linguistischen Variablen mit den einzelnen Diagnosen. Es konnten keine aussagefähigen Assoziationen zwischen einzelnen psychopathologischen Syndromen und sprachlichen Auffälligkeiten ermittelt werden. Dieser Befund widerspricht der von Bleuler formulierten Annahme, dass FDS als Kernsymptom der Schizophrenie auch eine Abgrenzung gegenüber den anderen »endogenen Psychosen«, also der bipolaren Störung und der unipolaren Depression zulassen. Gegenüber dieser Dichotomie aus affektiven Störungen und der Schizophrenie wird heute die Vorstellung
eines kontinuierlichen Erkrankungsspektrums diskutiert, im Rahmen dessen unterschiedliche Symptome im Vordergrund stehen können. Auch Hoffmann et al. (1986) hatten bereits bei einem Vergleich von Patienten mit Manie und Schizophrenie geäußert, dass FDS bei beiden Erkrankungen eine wichtige Rolle spielen. Dabei fanden sich Hinweise, dass die Patienten mit Schizophrenie häufig Defizite beim Aufbau strukturierter Sprache aufwiesen, wohingegen bei der Manie z. B. eher häufige Themenwechsel bei grundsätzlich strukturiertem Sprachgebrauch zu den FDS führten. Weitere Studien, die sich mit der Frage nach Unterscheidungsmerkmalen der FDS von Patienten mit Schizophrenie und affektiven Psychosen beschäftigten, bestätigten die weite Verbreitung von FDS über die verschiedenen diagnostischen Entitäten (Andreasen 1979b; Andreasen u. Grove 1986). Andererseits zeichneten sich manische Patienten durch häufiger auftretenden Sprachdruck (»pressure of speech«), Weitschweifigkeit (»circumstantiality«) und erhöhte Ablenkbarkeit (»distractable speech«) aus. Entgleisung (»derailment«), Ziellosigkeit (»loss of goal«) und Spracharmut (»poverty of content of speech«) traten hingegen gehäuft bei den Patienten mit Schizophrenie auf und zeigten eine stärkere Therapieresistenz (Andreasen u. Grove 1986). Ein Problem bei einer weiteren Ausdifferenzierung solcher Unterscheidungsmuster liegt eventuell in methodologischen Schwierigkeiten. Möglicherweise sind die bisher zur Verfügung stehenden Skalen zu grob. Insgesamt jedoch scheint es sich bei FDS um einen unabhängigen Symptomkomlex zu handeln, der im Rahmen verschiedenster psychiatrischer Erkrankungen in unterschiedlichen Ausprägungen auftritt und der als Störung eines funktionellen Systems und nicht als Symptom einer einzelnen Erkrankung aufzufassen ist. 34.5
Ein kognitives Modell der Sprachproduktion
Bevor kognitiv linguistische Erklärungsmodelle für positive FDS bei Patienten mit Schizophrenie diskutiert werden, soll ein kognitives Modell zur gesunden Sprachproduktion kurz beschrieben werden. Insgesamt gibt es deutlich weniger Befunde zur Sprachproduktion im Vergleich zum Sprachverständnis. Das Sprachmodell von Levelt et al. (1999) setzt verschiedene kognitive Module voraus, die bei der Produktion von einzelnen Wörtern zusammenwirken. Das Modell ist auf Wortproduktion beschränkt und klammert die Generierung von Phrasen oder Sätzen aus. Jedes Modul hat einen bestimmten Output, der dem nächsten Stadium wieder als Input dient. Eine Darstellung des Modells der Sprachproduktion nach Indefrey u. Levelt (2004) leistet . Abb. 34.1.
433 34.5 · Ein kognitives Modell der Sprachproduktion
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. Abb. 34.1. Abläufe bei der gesunden Wortproduktion (mod. nach Indefrey u. Levelt 2004, Übersetzung). Links finden sich experimentelle Aufgaben, die zur Initiierung der jeweiligen Vorgänge führen.
Rechts abgebildet sind Kernprozesse der Wortproduktion und ihre charakteristischen Outputs sowie die Feedback-Schleifen des Selbstmonitorings
34.5.1 Lexikale Selektion
wird eine mündliche Beschreibung einer Kuh präsentiert, aber das übergeordnete Konzept der Kuh ist hier das Wort Tier (Indefrey u. Levelt 2004). Abhängig von der Aufgabenstellung ist das passende Konzept also entweder Kuh oder Tier. Die Annahme, dass die Anforderungen sowohl in einer experimentellen als auch in einer natürlichen Situation die Wahl des Konzeptes beinflusst, nennt Levelt (2001) »perspective taking«. Der Output der konzeptuellen Vorbereitung ist letztlich ein lexikales Konzept, das passend zur Intention des Sprechers gewählt wurde.
Konzeptuelle Vorbereitung
Das erste Stadium der Sprachproduktion ist das der »konzeptuellen Vorbereitung«. Dabei muss ein lexikales Konzept aktiviert werden, das dem Ziel-Konzept entspricht (Indefrey et al. 2001). Die Aktivierung eines lexikalen Konzeptes umfasst die Entscheidung, sich zu äußern und ist die abstrakte Idee dessen, was man sagen möchte. Das Zielkonzept beinhaltet, was eine Person aussprechen will. Bei ›naming‹-Aufgaben wird Probanden zum Beispiel eine verbale Beschreibung einer Kuh gegeben. Die Probanden müssen dann das passende Konzept aktivieren, so daß sie »Kuh« antworten können. Bei anderen experimentellen ›naming‹-Aufgaben wie z.B. Kategorisationsaufgaben, muss der Proband ein übergeordnetes Konzept zu einem vorgegebenen Konzept nennen. Auch
Lemmaselektion
Das zweite Stadium beinhaltet die Selektion eines Lemmas. Hier breitet das aktivierte Konzept im mentalen Lexikon seine Aktivierung bis hin zum Lemma des Konzeptes aus. Ein Lemma repräsentiert alle syntaktischen Eigenschaften eines lexikalen Items wie z. B. das Geschlecht eines Wortes oder die Wortklasse (Nomen oder
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Kapitel 34 · Formale Denkstörungen – Psychologie
Adjektiv usw.), zu der das Wort gehört (Indefrey u. Levelt 2004). Das bedeutet also, dass in diesem Stadium die Syntax eines Wortes dem aktivierten Konzept hinzugefügt wird. Diese Information befindet sich im mentalen Lexikon. In diesem semantischen Netzwerk ist jedes Konzept mit einen bestimmten Lemma verbunden. Die Theorie der Sprachproduktion geht davon aus, dass wir ein mentales Lexikon haben, das wie ein Netzwerk funktioniert. 34.5.2 Form Encoding Wenn jedes aktivierte Konzept mit dem zugehörigen Lemma verbunden ist, beginnt die nächste Phase der Sprachproduktion, »form encoding« genannt. Sie umfasst die Stadien von der Suche nach dem phonologischen Code bis zur Artikulation.
34.5.3 Artikulation Aritkulation ist die Ausführung des phonetischen Plans. Das Resultat der Artikulation ist Sprache. Hiermit ist meist die laut ausgesprochene Sprache gemeint im Gegensatz zur verborgenen Sprache, bei der ein Wort nicht laut, sondern innerlich ausgesprochen wird. Der Sprachproduktionsprozess der laut ausgesprochenen und der innerlichen Sprache ist ähnlich. Bei der innerlichen Sprache sind die gleichen motorischen Areale aktiviert wie bei der Artikulation der laut ausgesprochenen Sprache; sie unterscheiden sich lediglich darin, dass bei der innerlichen Sprache der Artikulationsprozess und die motorische Ausführung nicht stattfinden (Schmitt et al. 2000). 34.5.4 Selbstmonitoring und Fehlerkorrektur
Suche nach dem morphophonologischen Code
Die Suche nach dem morphophonologischen Code findet im dritten Stadium statt. Während der morphologischen Kodierung werden alle Morpheme von einem Lemma oder mehreren Lemmata mit einem phonologischen Code verbunden. Ein Morphem setzt sich aus mehreren Phonemen zusammen und hat eine eigene Bedeutung (Fröhlich 1997). Ein Phonem ist die kleinste bedeutungsunterscheidende, aber nicht bedeutungstragende Einheit der Sprache (z. B. die Laute »b« oder »k«. Das Auffinden des morphophonologischen Codes resultiert in einem kompletten phonologischen Code für das Zielwort. Dieses und das nächste Stadium sind die ausschlaggebenden phonologischen Verarbeitungsstadien im Prozess der Sprachproduktion. Phonologische Codierung
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Im Stadium der phonologischen Codierung findet der Prozess der Silbenbildung (»syllabification«) statt, in dem die Lautform der geplanten Äußerung erschaffen wird (van Turennout et al. 1999). Die Silben eines Wortes sind nicht im mentalen Lexikon organisiert. Für jedes Wort müssen die einzelnen Silben schrittweise gesucht und miteinander verbunden werden (Levelt 2001). Bei der Silbenbildung muss der Kontext eines Wortes berücksichtigt werden. Dadurch wird die Silbenbildung von den syntaktischen und morphologischen Eigenschaften der geplanten Äußerung eingeschränkt. Das Endprodukt der Silbenbildung ist ein phonologisches Wort. Phonetische Kodierung
In diesem Stadium wird das phonologische Wort mit den dazugehörigen Artikulationssilben verbunden. Artikulationssilben sind die am meisten genutzten motorischen Muster, die während des Sprechvorgangs gebraucht werden. Levelt (2001) zufolge sind diese motorischen Muster im prämotorischen Kortex abgespeichert. Das Zusammenfügen der phonologischen Wortform mit der phonetischen Wortform wird als phonetische Kodierung bezeichnet. Mit Hilfe der phonetischen Kodierung kann der letzte Schritt der Sprachproduktion stattfinden, die Artikulation.
Auf der Ebene der Sprachproduktion wird das Gesprochene fortlaufend auf drei Ebenen überprüft (Levelt 1983). Erstens werden präverbale Konzepte (Ideen) auf ihren Zusammenhang und ihre Plausibilität getestet. Zweitens wird nach Anlage des motorischen »Kommandos« – aber noch vor der Lautgebung – das Sprechmuster auf Fehler in Satzkonstruktion, Wortwahl, Lautwahl usw. überprüft. Drittens wird das eben Gesagte nochmals überprüft (der Sprecher hört sich selbst beim Sprechen zu). Werden Fehler auf der zweiten oder dritten Ebene detektiert, bei denen der Sprecher davon ausgeht, dass sie Relevanz für das Verständnis des Zuhörers haben, macht er eine kurze Pause (bis zu mehreren Sekunden, eventuell mit Fülllauten wie »äh« oder »mmm« usw.), um anschließend eine Korrektur vorzunehmen (Clark u. Wasow 1998; Levelt 1983; Kircher et al. 2004). 34.6
Kognitionspsychologische und linguistische Befunde bei positiven formalen Denkstörungen
Die phänomenologische Beschreibung von Symptomen wie FDS muss konzeptuell streng von kognitiven oder neuronalen Modellen für ihre Entstehung getrennt werden; es liegen hier unterschiedliche Erklärungsebenen für Phänomene vor, die in einem korrelativen Zusammenhang stehen. Je nach wissenschaftlicher Ausrichtung der Untersucher wurden FDS mit sehr verschiedenen Methoden untersucht, basierend auf den zugrunde liegenden theoretischen Konzepten (linguistisch, kognitionspsychologisch, neuropsychologisch, phänomenologisch), wobei eine Integration der Befunde nicht einfach erscheint. Weiterhin kommt hinzu, dass Sprache die komplexeste kognitiv-motorische Leistung des Menschen ist, selbst die Produktion von Normalsprache ist zwar recht gut untersucht, aber die zugrunde liegenden Mechanismen sind nicht vollständig aufgeklärt.
435 34.6 · Kognitionspsychologische und linguistische Befunde bei positiven formalen Denkstörungen
Unspezifische kognitive Defizite schizophrener Patienten
Da Patienten mit Schizophrenie aufgrund allgemeiner Beeinträchtigungen der kognitiven Funktionen bei neuropsychologischen Tests durchschnittlich schlechter abschneiden als eine gesunde Vergleichpopulation, stellt sich bei der Suche nach neuropsychologischen Korrelaten Formaler Denkstörungen immer die Frage der Spezifität der Befunde. Die Abgrenzung spezifischer neuropsychologischer Phänomene gegen das Rauschen allgemeiner unspezifischer kognitiver Beeinträchtigungen der Patienten ist eine maßgebliche methodologische Herausforderung aller neuropsychologischen Studien, die sich mit FDS befassen. Ein sinnvolles Studiendesign bei dieser Fragestellung beinhaltet stets einen Vergleich zweier Patientengruppen (Patienten mit und ohne FDS), eine Korrellation der Ergebnisse mit der Ausprägung des Zielsymptoms sowie eine Einbeziehung des IQ als Covariable. Spezifische neuropsychologische Phänomene bei positiven FDS
Um spezifische Merkmale formalgedanklich gestörter Patienten ausfindig zu machen und eine Sprachstörung gegen unspezifische Faktoren, die im Rahmen der schizophrenen Psychose auftreten, abzugrenzen, untersuchten Oh et al. (2002) die Spontansprache von 6 Patienten mit und 7 Patienten ohne FDS. Die so produzierte Sprache wurde mit Hilfe von Testbatterien für Aphasie beurteilt, und die Resultate wurden mit den allgemeinen intellektuellen Beeinträchtigungen [NART(National Adult Reading Test)-IQ vs. WAIS (Wechsler Adult Intelligence Scale)-IQ] sowie dem Ausmaß formaler Denkstörungen korreliert. Wie in anderen zuvor durchgeführten Studien korrelierten schlechte Werte bei den Aphasietests mit den intellektuellen Defiziten, nicht aber mit den mittels TLC-Skala gemessenen FDS. Bei der genaueren Analyse fiel auf, dass die Sprache sowohl der Patienten mit als auch jener ohne FDS, hier allerdings unabhängig vom intellektuellen Niveau, Syntaxfehler aufwies. Generell kann gesagt werden, dass mit dem Grad an positiven FDS auch syntaktische Fehler auf Satzebene und eine vereinfachte Syntax auftreten (Kircher et al. 2005). Semantische Fehler traten ebenfalls unabhängig von intellektuellen Fähigkeiten auf und korrelierten mit dem Ausmaß an positiven FDS. ! Semantische Defizite bilden die entscheidende Komponente Formaler Denkstörungen.
Semantische Defizite
Unter Semantik verstehen wir die Lehre von Sinn und Bedeutung von Begriffen. Die semantischen Defizite bei schizophrenen Patienten mit FDS gelten als gut belegt. Ein Zusammenhang zwischen FDS und semantischen Dysfunktionen konnte v. a. in solchen Tests repliziert werden, für die höhergeordnetes Prozessieren assoziativer semantischer Informationen nötig ist (RodriguezFerrera et al. 2001; Barrera et al. 2005). Außerdem korrelierten Tests bezüglich des Zugangs zum mentalen Lexikon mit FDS (Stirling et al. 2006).
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Auch Goldberg et al. (1998) untersuchten, inwieweit semantische Defizite ein spezifisches Merkmal von FDS darstellen. Sie führten mit ihren Studienpatienten 2 Arten von Wortflüssigkeitstests (»verbal fluency tests«) durch: bei der phonologischen Wortflüssigkeit sollen so viele Wörter wie möglich innerhalb 1 min gebildet werden, die mit einem vorgegebenen Buchstaben beginnen. So wird der Zugriff auf phonologisch und orthographisch bestimmte lexikalische Informationen getestet. Um den Zugriff auf semantische und lexikalische Informationen zu ermitteln, werden Studienteilnehmer gebeten, möglichst viele Begriffe zu einer vorgegebenen Kategorie (z. B. Tiere oder Pflanzen) zu nennen. Die Differenz der erzielten Werte aus den semantischen und den phonologischen Tests soll ein spezifisches Maß für den Grad semantischer Defizite darstellen; das Resultat war eine deutliche Korrelation mit den gemessenen FDS. Auch Goldberg et al. (1998) schlossen daraus, dass Defizite beim semantischen Prozessieren einen erheblichen Anteil an der Genese von FDS haben. Weitere neuropsychologische Störungen als Grundlage für formale Denkstörungen
Neben diesen Dysfunktionen der semantischen Verarbeitung bildeten sich jedoch weitere Erklärungsmodelle für FDS heraus: Oh et al. (2002) berichten in der eben dargestellten Studie, dass die Patienten mit FDS in den von ihnen gebildeten Sätzen neben den semantischen Fehlern Schwierigkeiten zu haben scheinen, größere semantische Strukturen richtig zusammenzusetzen, besonders dann, wenn sie komplexe Zusammenhänge ausdrücken möchten. Die Sprache wirkt daher strukturlos; dabei erscheint das Erinnerungsvermögen an Details (verlangt wurden die Nacherzählung von Märchen und Bildbeschreibungen) jedoch intakt. Schließlich wurde beobachtet, dass Patienten mit FDS Schwierigkeiten haben, eigene von fremdinduzierten Handlungen zu unterscheiden (Knoblich et al. 2004). Offenbar liegt hier eine Störung des »Selbstmonitorings« vor, die es bei der Sprachproduktion erschweren könnte, eigene Fehler zu bemerken und zu korrigieren. ! Es kristallisieren sich also drei wesentliche Komponenten heraus, die an Sprachstörungen bei Patienten mit Schizophrenie beteiligt sind (Kircher 2003b): 1. eine Störung der Organisationsstruktur und Funktion des mentalen Lexikons bzw. des semantischen Gedächtnisses 2. die Fähigkeit zur Planung von Gedankensträngen/Makropropositionen (exekutive Funktionen) 3. die Fehlerüberprüfung und -korrektur (Selbstmonitoring) Als »modulierende Faktoren« können gelten: Theory of Mind, pragmatische Fähigkeiten, affektiver Status, Arbeitsgedächtnis.
Im Folgenden wollen wir uns mit den einzelnen Komponenten und ihrer möglichen Rolle bei der Entstehung formaler Denkstörungen beschäftigen.
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Kapitel 34 · Formale Denkstörungen – Psychologie
34.6.1 Formale Denkstörungen als Dysfunktion
des mentalen Lexikons Die Befunde über Beeinträchtigungen bei semantischen Tests im Zusammenhang mit FDS sprechen zwar einerseits deutlich für eine wichtige Rolle semantischer Dysfunktionen. Jedoch lassen sich aus diesen Ergebnissen keine Rückschlüsse darauf ziehen, auf welchem Wege diese Störungen zustande kommen (Kircher et al. 2001a, b, 2002). Durch weitere Experimente wurde klar, dass diese auf eine Störung des semantischen Systems und nicht etwa auf einen erschwerten Zugang zu semantischen Informationen zurückzuführen sind.
»Hund« in Verbindung stehen, wie z. B. »Fell« oder »Leine«. Die einzelnen Konzepte werden als »Knoten« (in unserem Beispiel »Hund«, »Fell«, »Leine« etc.) bezeichnet. Wird in diesem Netzwerk nun ein Begriff aktiviert, beispielsweise dadurch, dass man an ihn denkt, ihn hört oder ihn ausspricht, so breitet sich die Aktivierung auch in die benachbarten Knoten des Netzwerkes aus. Nahe stehende Begriffe, die mit dem primär aktivierten in Verbindung stehen, werden ebenfalls aktiviert. Dabei handelt es sich um einen automatisiert ablaufenden Prozess. Verzögert greifen Kontrollmechanismen ein, die lenkend auf die Aktivierungsausbreitung einwirken können und in Abhängigkeit von Aufmerksamkeit und strategischem Denken die Prozesse im semantischen Gedächtnis steuern.
Die Organisation des mentalen Lexikons
Sehen wir uns nun zunächst die Organisation des mentalen Lexikons und dessen Rolle bei FDS genauer an (Kircher et al. 2002; Kircher 2003b). Das mentale Lexikon ist Teil des semantischen Gedächtnisses. Darunter versteht man das hypothetische Konstrukt des gespeicherten Faktenwissens über die Welt. Es steht im Gegensatz zum sog. episodischen Gedächtnis, in dem persönliche, kontextgebundene Erinnerungen gespeichert sind. Im mentalen Lexikon sind die Bedeutungen von Begriffen (vereinfacht gesagt: Wörtern) gespeichert. Das Konstrukt des mentalen Lexikons nimmt an, dass dieses als Netzwerk organisiert ist und seine verschiedenen Inhalte untereinander auf der Basis von Assoziationen verknüpft sind. Zum Beispiel wäre das Wort »Hund« verknüpft mit Inhalten, die mit dem gedanklichen Konzept
Direktes semantisches Priming mit kurzen SOA
Unter der Hypothese, dass FDS bei Patienten mit Schizophrenie eine semantische Störung darstellen, wurden zahlreiche semantische Priming-Experimente durchgeführt. Es wurde davon ausgegangen, dass bei FDS die Aktivierungsausbreitung im semantischen Netzwerk auf einen Stimulus überschießend abläuft, dass es also zum sog. »Hyperpriming« kommt. Verschiedene Studien erbrachten allerdings unterschiedliche Ergebnisse in Abhängigkeit von der SOA, der Symptomatologie und der Beziehung von »prime«- und »target«-Wort. Einerseits schienen eine Reihe von Untersuchungen die Hypothese der überschießenden Aktivierungsausbreitung zu bestätigen. Bei Untersuchungen mit relativ kurzen SOA (200 bis 700 ms) fanden sich bei schizophrenen
Exkurs Semantisches Priming
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Wichtige Experimente bei der Erforschung von semantischen Störungen bei der Schizophrenie sind Studien zum semantischen Priming. Bei diesen Experimenten wird die Reaktionszeit gemessen, die benötigt wird, um ein Zielwort auszusprechen oder eine Buchstabenfolge als Wort zu erkennen. Sie nimmt ab, wenn ein semantisch verwandtes Wort zuvor präsentiert wurde (PrimingEffekt), und fällt länger aus, wenn das vorhergehende Wort in keinem Bezug zum Zielwort steht. Bei dem sog. »lexical decision task« (LDT) werden einem Probanden zwei Wörter nacheinander präsentiert. Nach dem Prime-Wort wird in einem definierten Zeitabstand (»stimulus onset asynchrony«, SOA) entweder ein nicht existierendes Phantasiewort, ein zum Prime-Wort in semantischer Beziehung stehendes Wort oder ein Wort ohne Bezug zum PrimeWort präsentiert. Die Reaktionsgeschwindigkeit, mit der ein Proband dieses zweite Wort als existierendes Wort erkennt, wird gemessen. Die Prozesse, die dabei ablaufen, sind einerseits die Aktivierungsausbreitung im semantischen Netzwerk und andererseits die Aktivierung modulierender Kontrollvorgänge. Zunächst wird das sich ungerichtet ausbreitende Aktivierungsfeld von bestimmten Erwartungen modifiziert und gelenkt. Es werden bestimmte Verknüpfungen verstärkt, andere gehemmt. Dies geschieht noch auf einer prälexikalen Ebene. Danach kommt es zum semantischen
Abgleichen, das einen postlexikalen Prozess darstellt: EinWort wird als solches erkannt. Die Nähe des präsentierten Zielwortes zum Priming-Wort kann hierbei offenbar genutzt werden, um die Reaktionszeit bis zur »Wort«/»kein Wort«-Entscheidung zu verkürzen. Eine weitere Möglichkeit stellt die »word pronounciation«-Aufgabe dar, bei der nach der Präsentation des Prime-Wortes ebenfalls ein relatiertes oder nicht relatiertes Wort präsentiert wird, das von der Testperson dann möglichst rasch vorgelesen werden muss. Da hierbei lediglich das Vorlesen des jeweiligen Wortes notwendig ist und keine »Wort«- oder »nicht-Wort«-Entscheidung getroffen werden muss, bietet dieses Verfahren die Möglichkeit, den Teil der kognitiven Kontrollmechanismen auszuschalten, bei dem der lexikalische Abgleich eines gelesenen Wortes stattfindet. Somit können die prälexikalen Mechanismen weitgehend selektiv untersucht werden. Mit Hilfe von semantischen Priming-Experimenten ist es möglich, die Organisationsstruktur des semantischen Gedächtnisses und seine Arbeitsweise zu untersuchen. Die SOA ist dabei eine Variable, deren Länge eingestellt werden kann, je nachdem, ob die automatisierten Aktivierungsprozesse (kurze SOA, ca. 200 ms) oder die kognitiven Kontrollmechanismen (längere SOA, ca. 800 ms) untersucht werden sollen, da letztere der Hypothese zufolge erst mit einer gewissen Latenz einsetzen.
437 34.6 · Kognitionspsychologische und linguistische Befunde bei positiven formalen Denkstörungen
Patienten mehrfach stärkere Priming-Effekte als bei gesunden Kontrollen (Weisbrod et al. 1998; Manschreck et al. 1988; Henik et al. 1995). Andererseits sprechen einige Studien auch gegen die Hypothese von der semantischen Störung und gehen von einer sich nicht von Gesunden unterscheidenden Aktivierungsausbreitung aus. Chapin et al. (1992), Blum u. Freides (1995) und Passerieux et al. (1995) verwendeten bei ihren Studien SOA zwischen 0 und 350 ms und fanden unter diesen Bedingungen keine Unterschiede im semantischen Priming bei schizophrenen Patienten sowohl mit als auch ohne FDS einerseits und gesunden Kontrollen andererseits. Eine Untersuchung von Barch et al. (1996) erbrachte ebenfalls keine Unterschiede zwischen der Patientenund der Kontrollgruppe bei einer SOA von 250 ms. Direktes semantisches Priming mit längeren SOA und die Rolle kognitiver Kontrollmechanismen
Uneinheitlich sind die Ergebnisse von Untersuchungen, die kognitive Kontrollmechanismen in den Vordergrund stellen. Auch hier wurde teils kein semantischer Priming-Effekt bei formal denkgestörten Patienten mit Schizophrenie im Vergleich mit gesunden Kontrollen und Patienten ohne FDS gefunden (Aloia et al. 1998). Andere Ergebnisse sprechen jedoch auch hier für einen stärkeren direkten Priming-Effekt bei schizophrenen Patienten als bei einer gesunden Kontrollgruppe (Spitzer et al. 1994). Erwähnenswert ist ein Ansatz von Henik et al. (1995), die bei ihren semantischen Priming-Studien Patienten- und Kontrollgruppe mit ablenkenden Stimuli konfrontierten. Auf diese Weise sollte die Bedeutung kognitiver Kontrollmechanismen, die der Hypothese nach in ihrer Kapazität limitiert sind, im Gegensatz zu den automatisiert ablaufenden Aktivierungsprozessen herauskristallisiert werden. Allerdings zeigte sich hier sowohl bei der längeren (1849 ms) als auch bei der kürzeren SOA (100 ms) reduziertes semantisches Priming bei der Patientengruppe, was wiederum die Frage aufwirft, ob nicht möglicherweise bereits die Prozesse der Aktivierungsausbreitung gewissen kapazitativen Limitationen unterworfen sind.
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teilnehmer hatte. Ein weiterer oft nur unzureichend berücksichtigter Aspekt ist die klinische Symptomatik der Patienten und deren ausreichende Differenzierung. Einige Studien unterteilten die Patientengruppen hinsichtlich der Ausprägung von FDS, andere nahmen keine derartige Unterteilung vor oder wählten andere klinische Subtypen als Differenzierungsmerkmal. Kaum Berücksichtigung fand bisher der Einfluss neuroleptischer Medikation auf das semantische Priming, wobei dieser möglicherweise einen das Priming verstärkenden Effekt hat (Condray et al. 2003). Schließlich unterschieden sich auch die statistischen Auswertungsmethoden. Manche Studien verglichen die absoluten Reaktionszeiten, andere wiederum deren prozentuale Veränderungen, womit dem allgemein bekannten Befund der generell verlangsamten Reaktionen schizophrener Patienten Rechnung getragen wird. Angesichts der Heterogenität der klinischen Bilder schizophrener Psychosen – sowohl intraindividuell nach der jeweiligen Erkrankungsphase, als auch interindividuell nach dem klinischen Subtyp – verwundert es letztlich kaum, dass auch die Studienergebnisse unterschiedlich ausfallen. Der Berücksichtigung methodologischer Feinheiten sollte jedenfalls bei zukünftigen Studiendesigns besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Indirektes semantisches Priming
Ein Hyperpriming für direkt relatierte Begriffe ist bei Patienten mit Schizophrenie und FDS offenbar nicht nachweisbar. Anders verhält es sich beim indirekten Priming. Darunter versteht man, dass das Prime-Wort und das Zielwort nicht direkt miteinander im Zusammenhang stehen, sondern erst über eine zwischengeschaltete Assoziation. Die Wörter »Stachel« und »Honig« stehen beispielsweise nicht in einem direkten Zusammenhang, jedoch können sie über die Wortfolge Stachel – Biene – Honig durchaus miteinander verknüpft werden. Im Sinne des Modells der Aktivierungsausbreitung bei semantischen Priming-Aufgaben muss hier ein Knotenpunkt im semantischen Netzwerk übersprungen werden, um einen Priming-Effekt zu erreichen. Wird also bei einer derartigen Aufgabe ein Priming-Effekt erzielt, so könnte daraus der Schluss gezogen werden, die Aktivierungsausbreitung laufe besonders schnell ab.
Methodologische Aspekte bei Priming-Studien
Angesichts dieser heterogenen Ergebnisse zum sematischen Priming erscheint es zunächst schwierig, einheitliche Schlussfolgerungen zu ziehen. Allerdings sollte dabei berücksichtigt werden, dass die einzelnen Studien aufgrund ihrer unterschiedlichen methodischen Ansätze keineswegs bedingungsfrei miteinander vergleichbar sind. Angefangen von den unterschiedlich gewählten SOA, die unterschiedliche Subprozesse in den Vordergrund rücken (Aktivierungsausbreitung, kognitive Kontrolle), über die Differenzierung nach »word pronounciation task« oder »lexical decision task«, bei denen postlexikalische Prozesse weniger oder mehr eingeschlossen werden. Unterschiedlich waren auch die jeweiligen Verhältnisse in der Anzahl von relatierten zu unrelatierten Begriffen bei den gewählten Wortpaaren, was wiederum möglicherweise Einfluss auf die Erwartungshaltung der Studien-
Indirektes semantisches Hyperpriming mit kurzen SOA bei positiven formalen Denkstörungen
Anhand von indirektem Priming konnten Manschrek et al. (1988) erstmals Hyperpriming bei Patienten mit Schizophrenie und FDS nachweisen. Die Ergebnisse von Manschrek et al. (1988) und Spitzer et al. (1993) konnten gut repliziert werden. Auch Moritz et al. (2003) fanden signifikante indirekte Priming-Effekte bei schizophrenen Patienten mit FDS, verglichen mit schizophrenen Patienten ohne FDS sowie gesunden Kontrollen. Einen anderen Ansatz, den lexikalischen Zugang zu untersuchen, verfolgten Titone u. Levy (2004). In ihrer Arbeit wurden Patienten und Kontrollprobanden mit vorgelesenen monosyllabischen Wörtern konfrontiert, die entweder eine hohe oder eine
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Kapitel 34 · Formale Denkstörungen – Psychologie
34.6.2 Exekutivfunktionen Spitzer et al. (1993) replizierten einen verstärkten indirekten Priming-Effekt bei einer Patientengruppe mit FDS im Gegensatz zu einer Vergleichsgruppe von nicht formal denkgestörten Patienten sowie einer gesunden Kontrollgruppe. Interessanterweise waren bei der Gruppe der formal denkgestörten Patienten indirekte Priming-Effekte besonders gut ausgeprägt. Spitzer et al. verwendeten bei ihrer Untersuchung SOA von 200 und 700 ms. Die Gruppe der formal denkgestörten Patienten zeigte unter beiden SOA signifikant verstärktes direktes semantisches Priming und signifikant verstärktes indirektes semantisches Priming bei der kürzeren SOA. Die Kontrollgruppe zeigte keinerlei indirekte semantische Priming-Effekte. Unter der Bedingung der längeren SOA war das indirekte Priming bei der Gruppe der formal denkgestörten Patienten nicht mehr signifikant verstärkt. Als die Reaktionszeiten nicht in Absolutwerten sondern in Prozenten relativ zueinander berechnet wurden, ergaben sich für die Gruppen keine signifikanten Unterschiede mehr beim direkten Priming, während die Ergebnisse bezüglich des indirekten Primings auf Signifikanzniveau verblieben. Diese und Manschreks Studie (Manschrek et al. 1988) stellen ein wichtiges Argument für die Hypothese einer beschleunigten, überschießenden Aktivierungsausbreitung im semantischen Netzwerk bei schizophrenen Patienten mit FDS dar.
Schon bei der Vorstellung der Phänomenologie wurde das Konzept erwähnt, wonach bei FDS auch Beeinträchtigungen der Handlungsplanung und des internen Fehlermonitorings eine Rolle spielen. Dies führt uns zu der Rolle der Exekutivfunktionen, deren Zusammenhang mit FDS häufig postuliert wurde (McGrath 1991). Kohärente Sprache erfordert die Linearisierung der Ideen, deren Gewichtung und Auswahl sowie die Unterdrückung von unwichtigem Material. Dies sind Vorgänge der Handlungsplanung und der Erstellung einer Kommunikationsstrategie. Schließlich muss eine stetige Selbstüberprüfung mit konsekutiver Korrektur eigener Fehler stattfinden, um sicherzustellen, dass ein Gesprächspartner den Ausführungen folgen kann. Mehrere Störungen aus dem Bereich exekutiver Funktionen könnten eine Reihe von Phänomenen der FDS erklären. So könnten beispielsweise Schwierigkeiten, einen Satz zu planen sowie diesen sprachlich umzusetzen, es einem formal denkgestörten Patienten unmöglich machen, sich auf ein Thema zu konzentrieren, und so zu wenig zielgerichtetem Sprechverhalten führen. Ferner könnten Beeinträchtigungen beim Monitoring der eigenen Sprachäußerungen dazu führen, dass irrelevante Inhalte nicht ausgeschlossen werden, was zu tangentialen Äußerungen und Entgleisungen führt. Das Konzept der Exekutivfunktionen
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niedrige lexikalische Dichte hatten. Mit hoher lexikalischer Dichte ist gemeint, dass ein Wort durch die Substitution, das Weglassen oder Hinzufügen eines einzigen Phonems, zu einem anderen existierenden Wort wird (z. B. Bein – Stein – Kein – Mein – Wein …). Die Studienteilnehmer mussten die gehörten Wörter wiederholen. Testvariable war die Anzahl der dabei unterlaufenden Fehler. Dabei traten keine Unterschiede zwischen der Patienten- und der Probandengruppe bei den Wörtern mit niedriger lexikalischer Dichte auf. Die Fehlerrate in den Patientensubgruppen mit akustischen Halluzinationen und mit FDS war aber bei den Wörtern mit hoher lexikalischer Dichte signifikant erhöht. Auch dieses Resultat kann als Hinweis auf eine gesteigerte Aktivierungsausbreitung im mentalen Lexikon interpretiert werden. ! Bei Patienten mit positiven FDS zeigte sich bei kurzer SOA (ca. 200 ms) und für indirekt relatierte »prime-target«-Assoziationen ein Hyperpriming. Hieraus ist auf eine ausgedehntere, automatisch ablaufende »spreading of activation« bei FDS zu schließen. Das heißt Beschleunigte automatische Aktivierungsprozesse im sematischen Netzwerk sind ein spezifisches Phänomen bei Patienten mit Schizophrenie und positiven FDS. Bei diesen Patienten liegt also eine gestörte Struktur des semantischen Netzwerkes an sich vor.
Dem Konzept der Exekutivfunktionen bzw. deren Störungen, der exekutiven Dysfunktionen, liegt das zunächst noch an ein neuroanatomisches Substrat geknüpfte Phänomen des »Frontalhirnsyndroms« zugrunde. Patienten mit Läsionen im frontalen Kortex weisen oft Symptome wie Apathie, gleichgültiges, uninteressiertes und unaufmerksames Verhalten, Verlust von Initiative sowie gesteigerte Impulsivität auf. Außerdem kommt es oft zum Wegfall differenzierter sozialer Verhaltensweisen. Insbesondere geht das Syndrom mit spezifischen kognitiven Störungen einher, die sich in einer Beeinträchtigung der Fähigkeiten zeigt, sich auf neue Situationen einzustellen, neu auftretende Probleme zu lösen, Entscheidungen zu treffen und komplexere Handlungen zu planen. Neuropsychologisch wird darin eine Störung im Bereich des übergeordneten Aufmerksamkeitssystems und inhibitorischer Mechanismen gesehen. Im Gegensatz zum Begriff des Frontalhirnsyndroms stellt der Begriff des dysexekutiven Syndroms nicht die Lokalisation in den Mittelpunkt, die als Ausgangspunkt für die Symptome gilt. Vielmehr betont der Begriff die Natur dieses Syndroms als spezifische Ausprägung einer kognitiven Störung, was der Anwendung des Konzeptes auf psychiatrische Erkrankungen wie die Schizophrenie entgegenkommt, deren Pathologien primär funktioneller Natur und nicht auf eine sichtbare Läsion bestimmter Hirnareale zurückzuführen sind. Eine klare Definition, welche kognitiven Störungen im Einzelnen zu den Exekutivfunktionen gehören, gibt es nicht. Dies sollte beim Vergleich von Studien beachtet werden, da oft verschiedene Autoren unterschiedlich weit gefasste Konzepte von Exekutiv-
439 34.6 · Kognitionspsychologische und linguistische Befunde bei positiven formalen Denkstörungen
funktionen verfolgen. Die exekutiven Kernfunktionen der Handlungsplanung und der Problemlösefähigkeit unter sich verändernden Rahmenbedingungen werden in neuropsychologischen Tests wie z. B. dem Trail-Making-Test oder dem WisconsinCard-Sorting-Test geprüft. Die Rolle exekutiver Dysfunktionen bei formalen Denkstörungen
Die Beobachtung, dass schizophrene Patienten mit FDS häufig unvermittelt ein Thema wechseln und nicht zusammenpassende Gesprächsinhalte vermengen, könnte auf Störungen der Exekutivfunktionen zurückgeführt werden, die zur Kontrolle und Lenkung des Verhaltens notwendig sind. Defizite bei der Fähigkeit, zu planen und Geplantes auszuführen, führen demnach bei komplexeren Sprachäußerungen dazu, dass das Gesprochene für einen Zuhörer schwer nachzuvollziehen ist (McGrath 1991). Wenn wir komplexere Zusammenhänge schildern wollen, müssen wir passende kommunikative Einzelelemente auswählen und sie dann in der richtigen, für den logisch nachvollziehbaren Gesprächsverlauf notwendigen Reihenfolge ordnen. Schließlich ist zusätzlich zu diesen strategischen Planungen unserer Sprachäußerungen ein andauerndes Selbstmonitoring zur Kontrolle dieser Äußerungen notwendig. Da eine Störung der Exekutivfunktionen und Störungen der Semantik zunächst als Erklärungsmodell für dasselbe psychopathologische Phänomen der FDS konkurrierten, versuchten einige Autoren, die Rolle dieser beiden Mechanismen gegeneinander abzugrenzen bzw. sie zu vergleichen. Barrera et al. (2005) stellten
Um eine Verfälschung der Testergebnisse durch unspezifische kognitiv-intellektuelle Einbußen zu minimieren, schlossen Barrera et al. (2005) ausschließlich solche Patienten mit Schizophrenie in ihre Studie ein, die als kognitiv weitgehend unbeeinträchtigt betrachtet werden konnten (WAIS IQ >85). 15 Patienten mit und 16 Patienten ohne FDS nahmen an der Untersuchung teil, ferner eine 17 Probanden zählende, nach Alter und IQ parallelisierte Kontrollgruppe mit Gesunden. Die Studienteilnehmer absolvierten eine Reihe neuropsychologischer Testbatterien, die Exekutivfunktionen und semantische Funktionen prüfen. Bezüglich der Exekutivfunktionen wurden Tests zu solchen Teilfunktionen ausgewählt, die gemäß der dysexekutiven Hypothese besonders beeinträchtigt sein müssten. Im Einzelnen wurden Tests durchgeführt, bei denen 4 die Suppression naheliegender Reaktionen verlangt wurde (»Hayling Sentence Completion-Test«) 4 kognitive Flexibilität und das Erkennen von Regeln geprüft wurde (»Brixton Test«) 4 die Fähigkeit zur Handlungsplanung und -Ausführung getestet wurde (»Modified Six Elements«-Test)
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die dysexekutive Hypothese in ihrer Studie direkt der dyssemantischen Hypothese gegenüber. Dabei konnten sie zwar semantische Defizite als spezifisches Merkmal von FDS nachweisen, deutlicher stellte sich hier aber der Zusammenhang zwischen FDS und Defiziten bei Exekutivfunktionen dar. Die Autoren favorisierten vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse Störungen aus dem Bereich der exekutiven Funktionen als maßgebliche neuropsychologische Grundlage von FDS. Ähnliche Ergebnisse erzielten Stirling et al. (2006), die ebenfalls eine Reihe von Testbatterien zu semantischen und exekutiven Funktionen an schizophrenen Patienten und gesunden Kontrollen prüften. Erhöhte Scores für FDS gingen wieder mit schlechterem Abschneiden bei Tests zu Exekutivfunktionen einher, jedoch konnten auch die semantischen Dysfunktionen repliziert werden. Im Rahmen eines Reviews zum Thema kognitiver Beeinträchtigungen bei FDS führten Kerns u. Berenbaum (2002) eine Metaanalyse durch, die Ergebnisse aus Studien zu den verschiedenen kognitiven Domänen zusammenfasste, die mit FDS in Verbindung gebracht wurden. Die Autoren folgerten, dass eine robuste Beziehung zwischen der Ausprägung der FDS und den Beeinträchtigungen im Bereich exekutiver Funktionen besteht. Besonders unter den Teilaspekten zu inhibitorischen Funktionen und kontextualem Gedächtnis schienen diese Zusammenhänge besonders stark ausgeprägt zu sein. Selbstmonitoring und interne Fehlerkorrektur
Die interne Fehlerkorrektur im Rahmen des Selbstmonitorings stellt einen weiteren wichtigen Aspekt dar. Wie in 7 Kap. 34.5.4
4 die Teilnehmer ihnen potenziell unbekannte Fakten abschätzen mussten (z. B. wie schnell können Rennpferde laufen?) (»Cognitive Estimates«-Test). Bei den die Semantik betreffenden Untersuchungen wurde eine Reihe von Tests gewählt, die den semantischen Zugang über verschiedene Modalitäten auf verschiedenen Ebenen vom einzelnen Wort bis hin zu höheren semantischen Funktionen prüfen (»Camel and Cactus Test«, »Graded Naming Test«, »British Picture Vocabulary Scale«). Außerdem wurde der »Verbal Fluency Test« sowie ein Test zum syntaktischen Verständnis (TROG) durchgeführt. Bei allen vier Testsbatterien, die Exekutivfunktionen betrafen, schnitten die Patienten mit FDS deutlich schlechter ab, sowohl schlechter als die Patientengruppe ohne FDS, als auch schlechter als die Kontrollgruppe. Nur bei einer der Semantiktestbatterien gab es signifikante Unterschiede: Bei der Testung assoziativer Verknüpfungen von Konzepten (»Camel and Cactus Test«) schnitten ebenfalls die formal denkgestörten Patienten schlechter ab. Allerdings wurden in dieser Studie keine Experimente mit indirektem automatischen Priming durchgeführt, die als einzige ein gestörtes semantisches System hätten nachweisen können.
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Kapitel 34 · Formale Denkstörungen – Psychologie
beschrieben, überprüfen sprechende Personen fortlaufend das Gesprochene, indem sie die eigene Sprache rezipieren und mit dem intendierten Inhalt abgleichen. Abweichungen diesbezüglich und eventuell auftretende Fehler können auf diese Weise nachträglich korrigiert werden (Levelt 1983). Wie gehen nun aber Patienten mit FDS mit den eigenen Fehlern um, und wie werden sie von diesen wahrgenommen? In einer Untersuchung von Leudar et al. (1994) generierten Patienten Sprache, indem sie einfache Handlungen des Untersuchers beschrieben (z. B. »Er legt das blaue Quadrat auf den roten Kreis«). Ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Arbeitsgedächtnisleistung und der Fehlerzahl wurde festgestellt. McGrath u. Allman (2000) konnten nachweisen, dass Patienten mit FDS zwar anscheinend ihre eigenen Fehler als solche wahrnehmen, sie aber nicht korrigieren. Zur Überprüfung des Selbstmonitorings wurde in weiteren Studien eine Aufgabe entwickelt, die von den Versuchsteilnehmern verlangte, Veränderungen zwischen eigenen Handlungen und ihren visuellen Konsequenzen zu erkennen (Knoblich u. Kircher 2004). Gesunde Versuchsteilnehmer wurden angewiesen, ohne direkte visuelle Kontrolle ihrer Hand Kreise auf ein elektronisches Zeichentablett zu zeichnen. Als Feedback wurde ihnen ein bewegter Punkt auf einem Computermonitor präsentiert, der dort keine Bewegungsspur hinterließ. Das Verhältnis zwischen Bewegung und Abbildung wurde dann so abgeändert, dass die Bewegung des Punktes beschleunigt wurde. Dies vergrößerte den Kreisradius, wenn der Proband wie zuvor weiter zeichnete. Falls er jedoch die von außen veranlasste Störung zu kompensieren versuchte, veränderte sich der auf dem Computerbildschirm abgebildete Kreisradius nicht. Die Versuchsteilnehmer waren instruiert, sofort den Stift anzuheben, wenn sie eine Veränderung im Abbild ihrer Bewegung wahrnahmen. In einer weiteren Versuchsreihe (Knoblich et al. 2004) wurden Patienten mit Schizophrenie untersucht. Patienten mit paranoid-halluzinatorischem oder desorganisiertem Syndrom im Vergleich zu Patienten ohne diese Symptome konnten signifikant schlechter vom Computer erzeugte Manipulationen der eigenen Bewegungen erkennen. Diese Befunde sprechen für die Vorstellung, dass FDS eng mit Störungen des Selbstmonitorings und einer ausbleibenden internen Fehlerkorrektur verknüpft sind. Das Zusammenspiel dyssemantischer und dysexekutiver Phänome und Selbstmonitoringdefizite ! Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass es sich bei FDS schizophrener Patienten um eine kombinierte Störung des semantischen Systems (dyssemantische Hypothese), der Handlungsplanung, inhibitorischer Mechanismen und des Selbstmonitorings (dysexekutive Hypothese) handelt. Weiterhin spielen »modulierende Variablen«, d. h. Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis, Affekt und pragmatische Fähigkeiten eine Rolle, liegen aber nicht ursächlich positiven FDS zugrunde (Kircher 2003a, b).
Letztlich mag es helfen, sich wieder zu vergegenwärtigen, dass i. Allg. eine Menge völlig unterschiedlicher Sprachauffälligkeiten
unter dem Begriff »formale Denkstörungen« subsumiert werden. Aus linguistischer Perspektive schlugen Covington et al. (2005) in einem Review eine weitere Differenzierung der Symptome vor: FDS im engeren Sinne als Unvermögen, eigene Sprachäußerungen stringent und planvoll auszuführen einerseits und »Schizophasie« als der Aphasie verwandte Symptome wie Klangassoziationen und Neologismen. Man könnte beispielsweise mutmaßen, dass bei dem oft beobachteten ungewöhnlichen Gebrauch einzelner Wörter hauptsächlich eine semantische Störung vorliegt. Vermengt ein Patient hingegen nicht zusammenpassende Inhalte, weicht er vom Thema ab und kann die Sprache nicht zielgerichtet steuern, dann dominieren möglicherweise Störungen der Exekutivfunktionen und der internen Fehlerkorrektur. Macht ein Patient für den Zuhörer nicht nachvollziehbare thematische Sprünge, so geht er vielleicht von falschen Annahmen bezüglich des Wissens und der Gedanken seines Gegenübers aus, die aufgrund beeinträchtigter Fähigkeiten zu »Theory of Mind« nicht realisiert werden. 34.6.3 Formale Denkstörungen und Theory of Mind Der Aspekt, dem an dieser Stelle Aufmerksamkeit geschenkt werden soll, ist der Zusammenhang formaler Denkstörungen mit einem Mangel kommunikativer Fähigkeiten. Damit sind Fähigkeiten gemeint, die Intentionen des Gegenübers abzuschätzen, die eigenen sprachlichen Äußerungen ihnen anzupassen und sich an allgemeine soziale Regeln bei der Kommunikation zu halten – ein Teilaspekt der Kommunikation, der traditionell unter den Begriff der Pragmatik fällt. Im Laufe der Evolution und mit dem Herausbilden der Sprache etablierte der Mensch ein immer komplexeres System sozialer Verhaltensweisen und Regeln. Eine essenzielle kognitive Funktion, um sich in diesem System zurechtzufinden, ist die Fähigkeit, das Verhalten der Mitmenschen zu interpretieren. Diese Fähigkeit wird allgemein als Theory of Mind (ToM) bezeichnet. Einen Zusammenhang zwischen gestörten Exekutivfunktionen, FDS und gestörten ToM-Fähigkeiten stellte zum Beispiel HardyBayle (1994) fest. Dieser Hypothese zufolge schneiden schizophrene Patienten mit FDS bei ToM-Aufgaben schlecht ab. Sprache ist nicht immer eindeutig. Der gleiche Satz kann, ausgesprochen in unterschiedlichen Kontexten, unterschiedliche Bedeutungen besitzen. Der einfache Satz »Mir ist kalt« kann beispielsweise als Feststellung der eigenen Empfindung (zu frieren), fungieren. In anderen Situationen kann damit aber auch eine Aufforderung (zum Besipiel ein Fenster zu schließen oder die Heizung anzuschalten) gemeint sein. Die richtige Interpretation dieses Satzes geht also weit über das bloße Verständis der Sprache hinaus und erfordert die richtige Deutung des Gesagten unter Zuhilfenahme von eigenen Mutmaßungen über das, was der Sprecher dieses Satzes meint. Eine pragmatische Interpretation von Sprache in Abhängigkeit vom Kontext ist also hier notwendig. Defizite in diesem Sinne konnten Bazin et al. (2000) an schi-
441 Literatur
zophrenen Patienten nachweisen. Schizophrene Patienten sollten hierbei mehrdeutige, irreführende Aussagen interpretieren, deren richtige Deutung sich erst erschloss, wenn die gegebenen Informationen über den Kontext berücksichtigt wurden. Vor allem Patienten mit Schizophrenie und FDS tendierten dazu, kontextuale Informationen bei ihren Deutungen der Aussagen nicht zu berücksichtigen. Fähigkeiten zum pragmatischen Sprachverständnis erforden also Fähigkeiten aus dem Bereich der ToM. In einem ausführlichen Review der Literatur zum Thema Schizophrenie und ToM kam Brüne (2005) u. a. zu dem Schluss, dass diese Defizite zur Entstehung von FDS beitragen können. Schizophrene Patienten mit FDS haben Schwierigkeiten abzuschätzen, wie viel und welche Information zur Kommunikation mit einem Gegenüber zur Verständigung notwendig ist. Die gefundenen Zusammenhänge zwischen Defiziten der ToM und FDS sind also u. a. auch als Ausdruck unterschiedlicher Grundannahmen bezüglich der Umwelt und des Gesprächskontextes zwischen einem Patienten mit FDS und seiner Außenwelt zu sehen. 34.7
Schlussfolgerungen und Zusammenfassung
Das komplexe Gesamtbild der neuropsychologischen und kognitionspsychologischen Befunde zum Syndrom der FDS bei Schizophrenie lässt kein simples Erklärungsmodell zu. Dies liegt hauptsächlich an den komplexen Prozessen, die an der Sprachproduktion Gesunder beteiligt sind und an der phänomenalen Vielgestaltigkeit positiver FDS. Jedoch kristallisieren sich einige Aspekte als für die Symptomgenese bedeutsam heraus. Wichtig sind semantische Funktionen auf der Ebene der Aktivierung von Wortassoziationsfeldern, die bei Patienten mit Schizophrenie und FDS gestört sind. Eine weitere Komponente sind Störungen der Exekutivfunktionen, was sich in einem Mangel der Fähigkeit äußert, eigene Äußerungen ausreichend zu planen und deren Stringenz zu kontrollieren. Gestörte Selbstmonitoringmechanismen verhindern die interne Fehlerkorrektur. Schließlich spielen als modulierende Faktoren u. a. beeinträchtigte Fähigkeiten beim pragmatischen Sprachgebrauch und falsche Grundannahmen bezüglich des situativen Kontextes und der Gedankenwelt von Kommunikationspartnern eine Rolle. Formale Denkstörungen müssen phänomenologisch in einzelne Symptome untergliedert werden (assoziative Auflockerung, Neologismen etc.), und es ist zu vermuten, dass je nach Symptomausprägung und Schweregrad der Schwerpunkt auf verschiedenen Aspekten der hier geschilderten Funktionsstörungen liegt. Für die weitere Erforschung neuropsychologischer Aspekte der FDS bei Patienten mit Schizophrenie ist also einerseits eine differenzierte Untersuchung einzelner Subsymptome dieses komplexen Phänomens sinnvoll, andererseits sollte man auch das Gesamtbild der Erkrankung bei der Untersuchung von Einzelsymptomen nie aus den Augen verlieren.
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Kapitel 34 · Formale Denkstörungen – Psychologie
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35
35 Formale Denkstörungen – Bildgebung Carin Klaerding und Tilo Kircher
35.1
Einleitung
35.2
Strukturelle Bildgebung und formale Denkstörungen – 444
35.2.1 35.2.2
Der obere Temporallappen – 444 Medialer temporaler Kortex und präfrontale Regionen – 445
35.3
Ruheblutflussmessungen und Desorganisationssyndrom
35.3.1 35.3.2
Der obere Temporallappen Frontaler Kortex – 445
35.4
Aktivierungsstudien – 446
35.4.1 35.4.2 35.4.3 35.4.4
Neuronale Korrelate positiver FDS während kontinuierlicher Spontansprache – 446 Temporale Lateralisationsstörungen bei positiven FDS – 447 Negative FDS – 448 Syntax und FDS – 448
35.5
Sprachverarbeitung und FDS – 448
35.5.1 35.5.2 35.5.3 35.5.4
Kontextverarbeitung – 448 Wortselektion/Arbeitsgedächtnis – 449 Primingstudien – 450 Wortflüssigkeit und Assoziation – 451
35.6
Integration: Dyskonnektivität – 452
35.6.1 35.6.2
Die »Dyskonnektivitätshypothese« der Schizophrenie Diffusionsgewichtete Bildgebung – 453
35.7
Zusammenfassung Literatur
– 444
– 454
– 445
– 454
– 452
– 445
444
Kapitel 35 · Formale Denkstörungen – Bildgebung
35.1
Einleitung
Eines der Kernsymptome der Schizophrenie sind formale Denkstörungen (FDS). Sie werden auf ein komplexes Defizit im Zusammenspiel verschiedener kognitiver Komponenten zurückgeführt (für eine ausführliche Beschreibung 7 Kap. 34). Auf neuronaler Ebene verschaffen bildgebende sowie elektrophysiologische Untersuchungen neue Einblicke in die Pathogenese psychotischer Symptome. Dabei ist es einerseits möglich, neuronale Korrelate vom Symptomcluster »formale Denkstörungen« (und einzelne Symptome) sowie Korrelate der neuropsychologisch-linguistischen Defizite, die mit FDS assoziiert sind, zu identifizieren. Dieses Kapitel liefert einen Überblick über bildgebende Untersuchungen, die versuchen, die Beeinträchtigungen von Patienten mit FDS auf der anatomischen, metabolischen und funktionellen Ebene abzubilden. Dabei lassen sich folgende Ergebnisse in der Literatur zusammenfassen: ! 1. Auf struktureller Ebene weisen Patienten mit FDS vorrangig Volumenminderungen in der grauen Substanz des linken superioren temporalen Gyrus (STG) bzw. eine verminderte Links-größer-rechts-Asymmetrie dieser Region auf. 2. Ausgeprägte positive FDS gehen mit einer kurzfristigen (im Sekundenbereich liegenden) Minderaktivierung des linken hinteren STG (Teil des Wernicke-Areals) einher. 3. Im Zusammenhang mit positiven FDS wurden lokale Dysfunktionen sowie Störungen in der Konnektivität ipsilateraler und interhemisphärischer Sprachregionen (STG, inferior frontaler Gyrus (IFG), anteriores Zingulum) gefunden.
35
Den Schwerpunkt dieses Kapitels bilden funktionelle Bildgebungsstudien (7 Kap. 35.4). Sie ergänzen die Befunde aus strukturellen Untersuchungen und geben Hinweise auf eine gestörte Konnektivität innerhalb des Sprachnetzwerkes. Die Schizophrenie i. Allg. sowie die Sprachstörungen bei Patienten mit FDS im Besonderen, lassen sich nicht auf Dysfunktionen einzelner, isolierter Hirnregionen zurückführen. Zwar kann einem bestimmten Hirnareal eine gewisse kognitive Funktion zugeschrieben werden (z. B. die Bewegung des rechten Zeigefingers im linken motorischen Kortex), dennoch lassen sich höhere kognitive Funktionen wie z. B. die Sprachproduktion nicht auf ein spezifisches Hirnareal reduzieren. Erst das Zusammenspiel verschiedener Komponenten im Sprachnetzwerk erlaubt eine fehlerfreie Wort- und Satzgeneration sowie ein erfolgreiches Verständnis und eine gelungene Interpretation des Sprachinhalts. In diesem Kapitel werden die bildgebenden Befunde zu FDS unter dem Gesichtspunkt lokaler pathologischer Veränderungen aber insbesondere hinsichtlich der »Dyskonnektivität« (7 Kap.35.6) aufbereitet.
35.2
Strukturelle Bildgebung und formale Denkstörungen
Mittels strukturell bildgebender Untersuchungen, vor allem der Magnetresonanz(MR)-Volumetrie, werden Volumenveränderungen im Zusammenhang mit FDS vorrangig im linken und rechten STG sowie Lateralisierungsanomalien des Planum temporale berichtet. 35.2.1 Der obere Temporallappen In einem umfassenden Übersichtsartikel, der sämtliche MRStrukturuntersuchungen im Zeitraum von 1988–2000 bei Patienten mit Schizophrenie zusammenfasst, konnten alle Studien, die den STG untersuchten, Volumenanomalien in dieser Region verzeichnen (Shenton et al. 2001). Eine besondere Rolle spielt dabei das Planum temporale (PT). Es ist im posterioren STG angesiedelt und die am stärksten ausgeprägte asymmetrische Region des Gehirns (links>rechts). Die linksseitige Lateralisierung wird dabei auf die Funktion dieser Region in der Sprachverarbeitung zurückgeführt. Die Konsequenzen einer Volumenveränderung im oberen Schläfenlappen spiegeln sich demnach auch in einer verminderten, aufgehobenen oder sogar vertauschten Asymmetrie des PT wider. Shenton et al. (1992) berichteten in ihrer MR-Strukturstudie erstmals über eine negative Korrelation zwischen dem Ausmaß an FDS und dem Volumen der grauen Substanz im linken STG. Der Schweregrad des desorganisierten Syndroms ging dabei mit einer Volumenreduktion von etwa 15% im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe einher. Dabei unterschieden sich die beiden Kollektive weder im Gesamtvolumen des Gehirns noch in einem anderen kortikalen Areal, dem superioren frontalen Gyrus, der als Kontrollregion diente. Die daraus resultierende Asymmetrie des STG (links
445 35.3 · Ruheblutflussmessungen und Desorganisationssyndrom
insbesondere des Planum temporale, und FDS. Dies ist einer der stabilsten Befunde in der Schizophrenieliteratur überhaupt. Wichtig bei der Beurteilung von Studien ist dabei (1) wie zuverlässig die Symptomatik erfasst wurde, (2) die Qualität und räumliche Auflösung der strukturellen Daten und (3) die Auswertemethode, die relativ fehlerbehaftet sein kann: Unklare makroskopische Grenzen führen einerseits zu detaillierten, andererseits zu subjektiven Erfassungen der PT-Grenzen, und automatisierte Verfahren (z. B. voxelbasierte Morphometrie) resultieren in z. T. groben und ungenauen Abschätzungen der Zielregion (Shapleske et al. 1999). 35.2.2 Medialer temporaler Kortex
und präfrontale Regionen Abgesehen von den morphologischen Abnormalitäten im lateralen Schläfenlappen, zeigen auch mediale temporale, amygdaläre (Rajarethinam et al. 2001) und präfrontale Strukturen Veränderungen in der grauen Substanz im Zusammenhang mit FDS. Negative Korrelationen wurden dabei im Hinblick auf den präfrontalen Kortex in Patienten mit FDS nachgewiesen (Vita et al. 1995). Allerdings zeigten sich keine quantitativen Unterschiede zwischen der gesamten Patientengruppe und den Kontrollprobanden. Wichtig ist also eine Differenzierung des Patientenkollektivs in seine Subtypen bzw. eine entsprechende Korrelationsanalyse mit dem Ausprägungsgrad an FDS. ! Das Volumen des linken STG ist invers zum Ausmaß an FDS korreliert. Dies ist einer der konsistentesten Befunde in der Schizophrenieliteratur überhaupt.
35.3
Ruheblutflussmessungen und Desorganisationssyndrom
Im Gegensatz zu den morphologischen Untersuchungen basieren die Ergebnisse aus den Ruhe-PET- und SPECT-Studien nicht auf strukturellen Auffälligkeiten des Gehirns, sondern auf Veränderungen des regionalen zerebralen Blutflusses, während der Patient im Tomographen liegt. Ein wesentliches Problem dieser Methode besteht darin, dass der »Ruhezustand« des Gehirns nicht eindeutig definiert werden kann, da der wache Mensch immer irgendetwas denkt, was natürlich je nach Inhalt mit Aktivität in verschiedenen Arealen vergesellschaftet ist. Dennoch haben ältere Studien diesen Ansatz genutzt, um Zusammenhänge zwischen Blutflussveränderungen bei Patienten und dem Syndrom FDS, das außerhalb des Tomographen klinisch beurteilt wird, herzustellen. Viele dieser Untersuchungen konnten eine Korrelation zwischen Abnormalitäten in linken temporalen Strukturen (STG) sowie präfrontalen Arealen (IFG, anteriores Zingulum) in der rechten Hemisphäre und FDS aufzeigen.
35
35.3.1 Der obere Temporallappen Relativ einheitliche Ergebnisse liefern Ruheblutflussstudien bei Patienten hinsichtlich des temporalen Kortex, die vorwiegend positive Korrelationen mit FDS aufweisen. Die Einteilung in Subsyndrome wird dabei in der Regel faktorenanalytisch bestimmt, wobei die Patientengruppen gemäß einer paranoid-halluzinatorischen, negativen und desorganisierten Symptomatik gruppiert werden. In Ruhe-PET-Studien mit chronischen, medizierten Schizophreniepatienten konnten die Arbeitsgruppen um Liddle und Friston eine zunehmende Aktivität im linken oberen Temporallappen nachweisen, je stärker die FDS ausgeprägt waren (Friston et al. 1992; Liddle et al. 1992). Im Gegensatz dazu zeigte eine nachfolgende PET-Untersuchung mit unmedizierten, hauptsächlich ersterkrankten Patienten negative Korrelationen zwischen FDS und parietotemporaler Aktivität (Kaplan et al. 1993). 35.3.2 Frontaler Kortex Ein ausgeprägter negativer Zusammenhang zwischen dem Ausmaß an FDS und regionaler Durchblutung konnte im rechten präfrontalen Kortex (BA 44/45/47) nachgewiesen werden. Weiterhin wurden positive Korrelationen in vorwiegend rechtshemisphärischen Arealen im anterioren Zingulum (BA 24/32) (Friston et al. 1992; Liddle et al. 1992) und im medialen präfrontalen Kortex (BA 9/10) (Liddle et al. 1992) berichtet. Allerdings ist hierbei zu beachten, dass die Daten nicht mit denen einer gesunden Kontrollgruppe verglichen wurden. Wie Schröder (1998) zu Recht kritisierte, konnte eine erhöhte zinguläre und mediale präfrontale Aktivität im Vergleich zu den anderen Patientengruppen (paranoid-halluzinatorisch, Negativsymptome) ebenso bedeuten, dass die beiden letztgenannten Subgruppen signifikante Aktivitätsreduktionen aufwiesen. Entsprechend dieser Überlegung konnte Schroder in einer PET-Studie nachweisen, dass Patienten mit FDS nicht signifikant von der Kontrollgruppe in zingulärer und medialer frontaler Aktivität abwichen (Schröder et al. 1996). Dagegen sprechen die Ergebnisse einer SPECT-Untersuchung, in der Patienten mit Schizophrenie im linken und rechten anterioren Zingulum Unterschiede in der Aktivität im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe aufwiesen, aber ebenso wie Liddle et al. (1992) eine positive Korrelation zum Ausmaß an FDS im rechten Zingulum berichteten (Ebmeier et al. 1993). ! In PET- und SPECT-Ruheblutflussmessungen wurden sowohl Über- als auch Unterfunktionen im Zusammenhang mit dem Desorganisationssyndrom im Sprachnetzwerk, v. a. im STG und im präfrontalen Kortex, verzeichnet. Insgesamt sind Ruheblutflussmessungen heterogen in ihren Ergebnissen. Dies liegt in erster Linie an der mangelnden Kontrolle über die jeweiligen Denkinhalte der Probanden während der Messungen. Dieses Problem wird durch Aktivierungsstudien umgangen.
446
Kapitel 35 · Formale Denkstörungen – Bildgebung
35.4
Aktivierungsstudien
Zur Abbildung der neuronalen Korrelate von FDS werden zwei methodische Ansätze unterschieden. Einerseits können die Korrelate von Symptomen direkt gemessen werden. Andererseits können kognitiv-psycholinguistische Tests, die mit FDS in Zusammenhang gebracht werden (z. B. semantisches Priming), an Gesunden und Patienten durchgeführt werden. Konsistent mit den Befunden aus den neurophysiologischen und metabolischen Untersuchungen kristallisiert sich auch in den bildgebenden Studien ein ausgeprägtes Defizit in bilateralen Arealen des frontotemporalen Sprachnetzwerkes (STG, IFG) bei Schizophreniepatienten mit FDS heraus. In diesem Abschnitt werden die neuronalen Korrelate positiver sowie negativer FDS während kontinuierlicher Sprachproduktion im MRT beschrieben. Im anschließenden Kapitel (7 Kap. 35.5) werden bildgebende Studien zitiert, die FDS mit bestimmten kognitiven Defiziten während der Kontextverarbeitung und der Wortselektion, im Arbeitsgedächtnis und im Kontext anderer kognitiv-verbaler Anforderungen in Zusammenhang bringen. 35.4.1 Neuronale Korrelate positiver FDS während
kontinuierlicher Spontansprache In einer fMRT-Studie von Kircher et al. (2002) wurden die neuronalen Korrelate positiver FDS »on-line« abgebildet. Dabei beschrieben Patienten mit ausgeprägten positiven FDS RorschachTintenflecke, während das BOLD-Signal mit fMRT aufgezeichnet wurde. Die Antworten der Patienten wurden über Tonaufnahmen
festgehalten, transkribiert und mittels des Thought Language and Communication Index ausgewertet. Der BOLD-Zeitverlauf wurde mit dem Ausmaß an positiven FDS (in 20 s-Blocks) korreliert. Es zeigte sich eine Minderaktivierung im linken posterioren STG im Zusammenhang mit dem »on-line«-Auftreten von ausgeprägten FDS (. Abb. 35.1). Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine frühere PET-Untersuchung von McGuire et al. (1998), in der Bilder aus dem Thematischen Apperzeptionstest verwendet wurden. Läsionsstudien mit Wernicke-Aphasikern haben gezeigt, dass Dysfunktionen in dieser Region mit semantischen Anomalien und Inkohärenz assoziiert werden, so wie sie in der Sprache von Wernicke-Patienten und vergleichsweise in der von Patienten mit FDS in Erscheinung treten. Die Äußerungen von Patienten mit FDS lassen sich demnach durch eine »funktionelle Läsion« im Bereich des oberen Schläfenlappens in Verbindung bringen. Abgesehen von Defiziten im temporalen Kortex sind auch andere Sprachareale bei Patienten mit FDS beeinträchtigt. Bilaterale Regionen, die an Prozessen der Wortselektion und Sprachproduktion beteiligt sind, waren durch eine verminderte Aktivität ausgezeichnet (McGuire et al. 1998). Diese umfassten den anterioren und posterioren zingulären Kortex (BA 24,31) sowie den inferioren frontalen Kortex beidseitig (BA 44/45/47) (Kircher et al. 2002; McGuire et al. 1998). Es können nun auch einzelne psychopathologische Phänomene während kontinuierlichen Sprechens herausgegriffen und mit der zerebralen Aktivierung korreliert werden. So wurde gezeigt, dass das Auftreten einzelner Neologismen (Wortneuschöpfungen) im Gegensatz zu Wörtern der deutschen Lexik mit einer Aktivierung des linken anterioren Zingulums einherging (Kircher 2003; . Abb. 35.2). Diese Region wird für Fehlerdetektions- und Monitoringfunktionen verantwortlich gemacht.
35
. Abb. 35.1. Schematische Darstellung der Signaländerungen während akustischer Halluzinationen und formaler Denkstörungen bei Patienten mit Schizophrenie. Blau: Verminderte Aktivierung während der »on-line«Produktion von ausgeprägten positiven formalen Denkstörungen.
Rot: Aktivierung während akustischer Halluzinationen (Stimmenhören verglichen mit Nichtstimmenhören). Das Wernicke-Sprachareal ist grün umrissen. (Aus: Kircher et al. 2004; 7 Farbtafeln, S. 668)
447 35.4 · Aktivierungsstudien
. Abb. 35.2. Zerebrale Aktivierungen, während 6 Patienten mit Schizophrenie und ausgeprägten FDS über Rorschach-Tintenkleckse sprechen. Korrelate der Artikulation von »eigenartigen Wörtern« sind in rot dargestellt (rechter medialer temporaler Gyrus und linkes anteriores Zingulum). Während flüssiger Sprache sind die in blau dargestellten Areale aktiviert (aus Kircher 2003). Die linke Seite auf der Abbildung entspricht der rechten Gehirnseite. z-Koordinaten sind unterhalb der Schnitte angegeben. (Talairach u. Tournoux 1988; 7 Farbtafeln, S. 668)
Diese wie auch Studien zu Halluzinationen (7 Kap. 32 u. 33) sind u. a. wichtig für die Konzeptualisierung des Verhältnisses von psychopathologischen Symptomen und Hirnfunktion, weil hier erstmals eine hypothesenkonforme Korrelation dieser beiden Beschreibungsebenen (Phänomenologie und regionale Hirnaktivität) erfolgte. 35.4.2 Temporale Lateralisationsstörungen
bei positiven FDS Bei Patienten mit FDS finden sich in Studien mit struktureller MR-Volumetrie Volumenminderungen der grauen Substanz im linken superioren temporalen Gyrus bzw. eine aufgehobene oder vertauschte Links-rechts-Lateralisierung des Volumens in dieser Region.
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In fMRT-Studien konnte eine vertauschte Lateralisierung des mentalen Lexikons als funktionelles Äquivalent der Veränderungen im STG bei Patienten mit FDS nachgewiesen werden (Kircher et al. 2002). In dieser Untersuchung wurde die Anzahl der gesprochenen Wörter pro Zeit mit der BOLD-Antwort korreliert. Es fand sich eine positive Korrelation für Gesunde im Wernicke-Areal, für Patienten dagegen im rechten lateralen Temporallappen. Der linke superiore Temporallappen ist nicht nur an Sprachüberwachungsprozessen beteiligt (s. Kircher et al. 2004; Kircher 2003), sondern ebenfalls an Leistungen, die mit Zugriffen auf das mentale Lexikon einhergehen (z. B. bei Benennaufgaben, semantischem Priming). Zudem zeigen Hemifelduntersuchungen, dass Wörter im linken mentalen Lexikon (d. h. Wörter, die im rechten visuellen Sehfeld gezeigt werden), über ein lokales, sehr fein definiertes semantisches Feld verfügen. Im Gegensatz dazu umfassen Wörter im rechten Homolog diffuse, eher weitschweifigere Assoziationsfelder. Sind demnach Patienten mit FDS zum spontanen Sprechen aufgefordert, scheinen diese eher auf das rechtsseitige Lexikon, entsprechend dem rechten STG, zurückzugreifen. Gesunde Probanden zeigen im Gegensatz dazu einen Zugriff auf das linke mentale Lexikon (Kircher et al. 2002). Das Auftreten von semantischen Paraphrasien und Inkohärenz lässt sich folglich durch eine inverse Lateralisierung erklären. In Übereinstimmung mit Lateralisationsanomalien in den oberen temporalen Spracharealen sind weitere Studien (Kircher et al. 2001a). Während Patienten mit FDS Sätze mit passenden Wörtern vervollständigen mussten, aktivierten sie den rechten unteren und mittleren temporalen Kortex, wohingegen gesunde Probanden und Patienten ohne FDS eine Aktivierung des linken Homologs aufwiesen. Läsions- und Hemifeld-Priming-Studien belegen eine Funktion des rechten Temporallappens in der Integration und Verwertung von Kontextinformationen sowie in der Verarbeitung von Sätzen, komplexen Metaphern und Geschichten. Die Autoren folgerten, dass sich Schwierigkeiten bei der Satzvervollständigungsaufgabe in Patienten mit FDS auf eine fehlende Aktivierung des rechten Temporallappens zurückführen ließen. Neben den Befunden zur inversen Lateralisierung finden sich Anzeichen für funktionelle und anatomische Defizite in den transkallosalen Faserbahnen bei Patienten mit Schizophrenie. Insbesondere zeigten strukturelle Untersuchungen des Corpus Callosums eine Reduktion in der Fläche und/oder des Durchmessers dieser Struktur im Vergleich zu gesunden Probanden. Die Befunde zu temporalen Lateralisierungsanomalien sind jedoch abhängig von der kognitiven Aufgabe, die untersucht wird. Während kontinuierlicher Sprachrezeption zeigten Patienten mit positiven FDS im Vergleich zu gesunden Kontrollen erhöhte Aktivierungen in bilateralen temporalen Spracharealen (Weinstein et al. 2006). Ferner korrelierte in dieser Studie das Ausmaß an FDS nicht wie erwartet mit einer sinkenden BOLDAntwort im linken STG, sondern mit einer erhöhten Aktivierung im hinteren superioren temporalen Sulcus und im angrenzenden mittleren temporalen Gyrus. Diese Befunde können anhand
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Kapitel 35 · Formale Denkstörungen – Bildgebung
eines Kompensationsmodells erklärt werden, wonach die Bearbeitung einfacher Aufgaben (z. B. zuhören) im Gegensatz zu anspruchsvolleren Aufgaben (z. B. Sätze formulieren) durch einen erhöhten Aufwand des Sprachverarbeitungsnetzwerkes aufgefangen werden kann (Weinstein et al. 2006). ! Die Sprache von Patienten mit positiven FDS wird auf eine temporäre, funktionelle Minderaktivierung im posterioren STG sowie auf Lateralisierungsanomalien in dieser Region zurückgeführt.
35.4.3 Negative FDS
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Negative FDS sind durch eine Verarmung der Sprache und der Denkinhalte gekennzeichnet. In der bislang einzigen fMRT-Studie zu negativen FDS, die die in 7 Kap. 35.4.1 beschriebene Methodik der spontanen Sprachproduktion verwandte und nur das Symptom »Spracharmut« untersuchte, wurden positive Korrelationen mit dem Ausmaß an negativen FDS im rechten unteren Parietallappen (BA 40), im mittleren frontalen Gyrus (BA 46), im Kuneus (BA 18) sowie im Präkuneus und im linken posterioren Zingulum (BA 31) genannt. Andererseits zeigte sich ein negativer Zusammenhang mit dem linken hippokampalen/fusiformen Gyrus (BA 35/36/37) (Kircher et al. 2003). Es fand sich also eine Mehraktivierung in Gedächtnisarealen, während Patienten wenig bzw. inhaltsarme Sprache produzierten. Eine gesteigerte Aktivität im rechten Frontal- und Parietallappen ist bei Prozessen des Wiedererkennens, des Erinnerns und des Generierens von bildhaften Assoziationen aus dem Langzeitgedächtnis beteiligt. Demnach wurden die Aktivierungen während der Bilderbeschreibung als ein Versuch des Patienten gedeutet, persönliche Erinnerungen oder Assoziationen aus dem Gedächtnis abzurufen. Dies spiegelte sich zudem insofern auf der Verhaltensebene wider, als die Patienten einerseits quantitativ weniger als Gesunde erzählten und andererseits über persönliche Erlebnisse/Erinnerungen während der Bilderbeschreibung sprachen (Kircher et al. 2003). Es konnte also gezeigt werden, dass ein temporäres Auftreten des psychopathologischen Symptoms »Spracharmut« nicht mit einer ausgedehnten zerebralen Minderaktivierung, insbesondere nicht des Frontallappens, einherging. Stattdessen schienen sich Patienten in einem introspektiven Zustand zu befinden, wobei sie autobiographisches Material abriefen und dieses mit den Bildern in Verbindung brachten. Der einfache Schluss vom Phänomen »Spracharmut« auf »Gedankenarmut« ist also nicht zulässig. Die funktionelle Bildgebung eröffnet so bisher ungeahnte Möglichkeiten für eine differenzierte Beurteilung und Klassifikation im Rahmen einer deskriptiven Psychopathologie. 35.4.4 Syntax und FDS Abgesehen von semantischen Inkohärenzen und Paraphrasien, zeichnet sich die Spontansprache von Patienten mit FDS durch
ein reduziertes Ausmaß an syntaktischer Komplexität aus, die sowohl auf behavioraler als auch auf neuronaler Ebene in Erscheinung tritt (Kircher et al. 2005). Die Komplexität der Äußerungen wurde in einer fMRT-Studie zur Syntaxproduktion mittels der Brief Syntactic Analysis bestimmt, wobei sich »komplexe« Sätze durch Verschachtelungen bzw. Nebensatzkonstruktionen auszeichneten. Während spontanen Sprechens äußerten die Patienten im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe weniger komplexe Sätze. Auf neuronaler Ebene zeigten Gesunde Korrelationen mit der Satzkomplexität in rechtsseitigen temporalen (BA 21) und parietalen Arealen (BA 40) sowie in einer linksseitigen frontalen Aktivierung (BA 10), die bei Patienten nicht auftraten. Die Autoren folgerten, dass die Hypoaktivierungen im Sprachnetzwerk der eingeschränkten Produktion an komplexen Sätzen zugrunde läge. 35.5
Sprachverarbeitung und FDS
Patienten mit FDS weisen nicht nur dysfunktionale neuronale Netzwerke bei der Sprachproduktion sondern auch Defizite auf verschiedenen Ebenen der Sprachperzeption und -verarbeitung auf, die im folgenden Abschnitt genauer dargestellt werden (siehe auch Kircher 2003). 35.5.1 Kontextverarbeitung Störungen in der Verwertung von Kontextinformationen in Situationen, Texten oder Sätzen sind ein bekanntes Phänomen bei Patienten mit Schizophrenie und werden klinisch als »Konkretismus« bezeichnet. Patienten verhaften dabei an der wörtlichen Bedeutung des Geschriebenen bzw. Gesagten und zeigen Schwächen in der Abstraktionsfähigkeit, z. B. bei der Interpretation des Sprichwortes »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm«. Es besteht dabei ein positiver Zusammenhang zwischen dem Grad an positiven FDS und Kontextverarbeitungsdefiziten. Als Ursache kommen sowohl gestörte Arbeitsgedächtnisleistungen und Wortselektionsprozesse als auch Defizite in der Verarbeitung von Syntax, Semantik (z. B. Metaphern, Sprichwörter) oder Pragmatik (z. B. Ironie) in Frage. Insbesondere elektrophysiologische Studien (EEG, EKP) weisen Dysfunktionen in der Wahrnehmung semantischer und syntaktischer Anomalien auf. Defizite im kontextuellen »Update« werden mit einer verminderten P300-Amplitude bei Patienten sowohl im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden als auch zu Patienten ohne FDS in Verbindung gesetzt. Vergleichbare Studien, die diese Komponente anhand eines auditorischen Oddball-Designs untersucht haben, konnten dabei negative Korrelationen zwischen dem Schweregrad der FDS und der P300-Amplitude verzeichnen (Kirihara et al. 2005). Die P300 wird außerdem mit Volumenreduktionen des STG, insbesondere in der linken Hemisphäre, assoziiert und spiegelt somit funktionelle Abnor-
449 35.5 · Sprachverarbeitung und FDS
malitäten wider, die auf strukturelle Veränderungen im oberen Schläfenlappen zurückgeführt werden können. Ebenso scheinen Patienten mit Schizophrenie weniger anfällig für semantische Inkohärenzen zu sein als gesunde Probanden. Die Ausprägung der N400, die als Indiz für den zur Integration eines Wortes in seinen vorangegangenen Kontext erforderlichen Aufwand gilt, ist in inkongruenten Sätzen bei Patienten teilweise gar nicht vorhanden oder abgeschwächt. Gleichermaßen wurden Reduktionen in der P600-Amplitude, die auf eine Dysfunktion in der Integration von syntaktischen und semantischen Informationen hindeutet, für Patienten mit Schizophrenie berichtet (Kuperberg et al. in press). Zudem scheinen Schizophreniepatienten bei der Verarbeitung von mehrdeutigen Wörtern (z. B. Homonymen) die dominante Wortbedeutung zu bevorzugen. Homonyme sind Wörter, die trotz identischer Schreib- und Sprechweise mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen haben, wobei eine der Bedeutungen in den meisten Fällen häufiger verwendet wird als die andere(n), z. B. das Homonym »Ball« als Spielzeug oder, alternativ, als Tanzveranstaltung. Die entsprechende Bedeutung ist allerdings abhängig von der Satzsemantik, sodass eine konsequente Präferenz einer Wortbedeutung nicht immer in eine semantische Kohärenz resultiert. Patienten mit Schizophrenie zeigen zudem Schwierigkeiten mit der Interpretation von kontextneutralen Sätzen, die die nichtdominante Bedeutung des Homographs adressieren, z. B. »Der Ball ist anstrengend« vs. »Der Ball ist rund« (Salisbury et al. 2000, 2002). Auf neuronaler Ebene zeichnete sich eine positive Korrelation zwischen der Ausprägung der N400Amplitude in Sätzen der untergeordneten Bedeutung und dem Ausmaß an FDS ab. Je stärker denkgestört die Patienten waren, desto größer schien der Aufwand zur Integration des letzten Wortes in den vorangegangenen Kontext zu sein (Salisbury et al. 2000). Als Ursache wird erneut eine beeinträchtigte Verwertung von Kontextinformationen vermutet, die sich z. B. auf eine fehlerhafte Wortselektion zurückführen lässt (7 Kap.35.5.2). In einer weiteren Studie zur Integration von Wörtern in ihren vorangegangenen Kontext untersuchten Kircher et al. (2001a) Patienten mit und ohne FDS sowie gesunde Kontrollen während einer Satzvervollständigungsaufgabe (»The dress was made of fine silk«). Relativ zur Kontrollgruppe zeichnete sich die Gruppe der formal denkgestörten Patienten durch eine Minderaktivierung des rechten STG aus, während sie die Sätze eigenständig vervollständigte. Aus Läsionsstudien ist bekannt, dass diese Hirnregion wesentliche Anteile an der Verwertung und Interpretation von Kontextinformationen besitzt, sodass auf neuronaler Ebene eine Schwäche in der Kontextverarbeitung auf eine Hypoaktivierung dieser Region zurückgeführt werden kann. Auf der Verhaltensebene setzten sich Patienten mit FDS durch eine erhöhte Anzahl an semantischen Fehlern von der Kontrollgruppe ab (Kircher et al. 2001). Weitere Studien zur Kontextverarbeitung bei Schizophreniepatienten beziehen sich auf das Verstehen von Metaphern und Sprichwörtern. Besondere Schwierigkeiten bei der Interpretation
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bildhafter Bedeutungen (eines Wortes oder einer Phrase), wie sie in Sprichwörtern und Metaphern auftauchen, werden in Patienten mit FDS vermutet (s. Konkretismus). In einer fMRT-Studie zur Metapherverarbeitung wurden Gesunde und Patienten untersucht, während sie Metaphern (»Der Wecker ist ein Folterknecht«) oder wörtliche Sätze (»Der Wecker ist ein Elektrogerät«) lasen. Es wurde eine negative Korrelation zwischen der Ausprägung des psychopathologischen Phänomens »Konkretismus«, gemessen mit der Positive and Negative Syndrome Scale (PANSS), und dem linken IFG (BA 44) gefunden (Kircher et al. 2007). Diese Region ist u. a. für die semantische Verarbeitung von Wörtern und Sätzen verantwortlich. Im Gruppenvergleich (Gesunde vs. Patienten mit Schizophrenie) stellte sich heraus, dass diese Region ausschließlich in der Patientengruppe aktiviert wurde. Im Gegensatz dazu zeigten die Kontrollprobanden eine gruppenspezifische Aktivierung im rechten mittleren/oberen Schläfenlappen (BA 39) sowie im Präkuneus (BA 7). Dysfunktionen in der Beteiligung des rechten Temporallappens wurden bereits in Satzvervollständigungsaufgaben sowie während kontinuierlicher Sprachproduktion beschrieben (Kircher et al. 2001a,b, 2002) und in Zusammenhang mit Problemen in der Integration von Diskurs-/Satzelementen gebracht. Bei Konkretismus werden dagegen Abnormalitäten im Frontallappen vermutet (Sponheim et al. 2003). 35.5.2 Wortselektion/Arbeitsgedächtnis Schwierigkeiten in der Wortselektion bei Patienten mit FDS können auf produktiver Ebene semantische Anomalien, Neologismen und Inkohärenz hervorrufen; sie führen auf rezeptiver Ebene zu einem Defizit in der Kontextverarbeitung. Dabei beeinflussen verschiedenste kognitive Komponenten diesen Prozess. In der gegenwärtigen Literatur finden sich dazu Studien, die eine verminderte Arbeitsgedächtnisleistung, ein hyperaktives semantisches Lexikon und/oder eine Inhibitionsschwäche bei der Wortwahl berichten. Sitnikova et al. (2002) folgerten aus den Ergebnissen ihrer EKP-Studie, dass Wortselektionsdefizite mit einer Hyperaktivität im semantischen Lexikon einhergingen. Sie präsentierten der Kontrollgruppe und Patienten mit FDS semantisch kongruente und inkongruente Sätze mit Homonymen. Während die Kontrollgruppe wie erwartet einen ausgeprägten N400-Effekt aufwies, verzeichnete die Patientengruppe keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Bedingungen in der N400-Amplitude. Die Autoren folgerten, dass die thematischen Assoziationen zwischen Homonym und Zielwort, die in der inkongruenten absichtlich stärker ausgeprägt waren als in der kongruenten Bedingung, die inhaltliche Anomalie übersteuerte. Die parallele Veröffentlichung einer anderen EKP-Arbeitsgruppe schlug das »activation-maintenance model« vor, um diesen Effekt zu erläutern (Salisbury et al. 2002). Das Modell basiert auf der Annahme, dass die Schizophrenie ursprünglich auf
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Kapitel 35 · Formale Denkstörungen – Bildgebung
eine präfrontale Dysfunktion und die damit verbundenen Arbeitsgedächtnisstörungen zurückzuführen sei. Verbale Informationen können nur für einen gewissen Zeitraum im aktuellen Arbeitsspeicher geführt werden, dessen Kapazität abhängig von der Symptomatologie und dem Krankheitsstadium ist. Zusätzlich beeinflusst das Ausmaß an Aktivierung eines Wortes die Verweildauer im Arbeitsgedächtnis. Folglich richtet sich eine erfolgreiche Kontextverarbeitung nach den Assoziationen, die beim Lesen bzw. Zuhören hervorgerufen werden. Die Probleme, die Patienten mit Schizophrenie, insbesondere aber Patienten mit FDS erfahren, können demnach mit abnormalen Assoziationsprozessen sowie mit einem fundamentalen Arbeitsspeicherdefizit in Verbindung gebracht werden. Patienten mit Hirnläsionen und Arbeitsgedächtnisstörungen weisen aber keine FDS auf, was gegen eine entscheidende Rolle des Arbeitsgedächtnisses für deren Genese spricht. Weiterhin finden sich semantische und Sprachverständnisdefizite in Gruppen von Patienten, die auf ihre Arbeitsgedächtnisfunktion überprüft werden. Insgesamt ist die Arbeitsgedächtnishypothese für FDS wenig überzeugend. Allenfalls kann diese Beeinträchtigung als modulierende Variable gelten (Kircher 2003). 35.5.3 Primingstudien Primingstudien gehören zu den klassischen Methoden, um Defizite im semantischen Netzwerk aufzudecken. Schizophreniebedingte Denk- und Sprachstörungen werden dabei auf eine Hyperaktivität im semantischen Speicher und/oder auf eine ab-
normale Organisation innerhalb dieses Lexikons zurückgeführt. Auf der Verhaltensebene werden dementsprechend erhöhte Primingeffekte erwartet, die mit Hyper- oder Hypoaktivitäten im semantischen Netzwerk einhergehen. In einem modifizierten Primingparadigma untersuchten Assaf und Kollegen Wortabrufprozesse aus dem semantischen Lexikon (Assaf et al. 2006). Dabei waren die gesunden Probanden und Patienten mit FDS aufgefordert zu entscheiden, ob eine gemeinsame Assoziation bei Wortpaaren hervorgerufen wurde oder nicht. Die Patienten zeichneten sich im Vergleich zur Kontrollgruppe durch ausgeprägte Hyperaktivierungen im gesamten linkslateralisierten frontotemporalen semantischen Netzwerk aus (IFG, anteriores Zingulum, inferiore und mediale temporale Gyri). Gleichzeitig korrelierte die Ausprägung der FDS mit vermehrter Aktivität im rostralen anterioren Zingulum. Assaf und Kollegen führten die Hyperaktivität auf eine stärkere Beanspruchung semantischer Areale zurück, während die Patienten nach potenziellen, gemeinsamen Assoziationen suchten. Auf Verhaltensebene wurden die Wortpaare ebenfalls häufiger von den Patienten als semantisch relatiert eingeschätzt als von der gesunden Kontrollgruppe (Assaf et al. 2006). Zusätzlich wiesen elektrophysiologische Untersuchungen zum Priming einen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der FDS und dem N400-Effekt nach (Kostova et al. 2005). Demnach unterschied sich die N400-Amplitude in der Patientengruppe nicht signifikant zwischen der relatierten und unrelatierten Bedingung. Der ausbleibende N400-Effekt wurde auf eine unangemessen hohe Amplitude für semantisch relatierte Wortpaare im Vergleich zur Kontrollgruppe zurückgeführt (Kostova et al. 2005).
Exkurs
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Semantisches Priming ist eine vielfach angewandte Methode, um Prozesse im semantischen Lexikon zu identifizieren. Als Grundlage für die Veranschaulichung des semantischen Primings dient das Modell von Collins u. Loftus (1975) zur Aktivierungsausbreitung im semantischen Lexikon (»spreading activation network«) (7 Kap. 34). Dieses Netzwerk verfügt über lexikalische Einträge (Worte bzw. deren Konzepte), die über semantische Assoziationen miteinander verknüpft sind. Stehen Konzepte in einem engen semantischen Zusammenhang (Honig–Biene), liegen diese näher beieinander als unrelatierte Konzepte (Honig–Ente). Beim Wortabruf wird das jeweilige Konzept im Lexikon aktiviert, und gleichzeitig breitet sich diese Aktivierung auf die umliegenden Konzepte aus (»spreading activation«). Ein beschleunigter Zugriff in der relatierten im Gegensatz zur unrelatierten Bedingung (Priming-Effekt) resultiert demnach in einer Präaktivierung des Zielwortes (»target«) im semantischen Lexikon, die durch den Abruf eines vorangegangen, assoziierten Konzeptes (»prime«) ausgelöst wird. Im Gegensatz zum direkten Priming wird beim indirekten Priming die semantische Beziehung erst über ein weiteres Wort, das nicht dargeboten wird, erschlossen (Löwe–(Tiger)–Streifen).
Insbesondere die Verhaltensstudien von Manschreck et al. (1988) und Spitzer et al. (1993) zeigten eine Hyperaktivität des semantischen Lexikons und hoben dessen Relevanz für das Auftreten positiver FDS hervor (7 Kap. 34). Demnach wiesen Patienten mit FDS im Vergleich zu einem Patientenkollektiv ohne FDS sowie einer Kontrollgruppe einen gesteigerten Primingeffekt im direkten Priming (Manschreck et al. 1988) sowie im indirekten Priming (Spitzer et al.. 1993) für kurze SOAs (»stimulus onset asynchrony«) auf. Eine ungewöhnlich schnelle und hohe Aktivierungsausbreitung ermöglicht dabei die beschleunigten Wortabrufprozesse in Patienten mit FDS gegenüber gesunden Kontrollen und Patienten ohne FDS. Patienten mit FDS zeigen über verschiedene Studien hinweg stabile Effekte in der indirekten, aber widersprüchliche Ergebnisse in der direkten Bedingung, die von reduzierten bis zu erhöhten Primingeffekten reichen. In einer bildgebenden Untersuchung zum semantischen Priming bei Patienten mit FDS fand sich ebenfalls eine positive Evidenz für die »Hyperaktivitätshypothese« (Kuperberg et al. 2007; 7 Box).
451 35.5 · Sprachverarbeitung und FDS
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Eine fMRT-Untersuchung zur »Hyperaktivitätshypothese« Eine fMRT-Primingstudie von Kuperberg et al. (2007) unterstützt die Hypothese, dass positive FDS mit abnormalen Aktivierungsmustern innerhalb des semantischen Lexikons einhergehen. Gesunden Kontrollprobanden sowie Patienten mit Schizophrenie wurden dabei Wortpaare gezeigt, wobei diese entscheiden sollten, ob es sich bei dem jeweils zweiten Wort um ein reales oder um ein erfundenes Wort handelte. Die Wörter waren dabei unrelatiert, indirekt oder direkt relatiert (7 Exkurs). Entsprechend der Annahme, dass positive FDS auf einer exzessiven Aktivierungsausbreitung basieren, zeigte sich erwartungsgemäß eine verstärkte hämodynamische Antwort in denjenigen Regionen, die während der Verarbeitung bei Gesunden eine reduzierte BOLD-Antwort verzeichneten. Diese umfassten den linken prä- und orbitofrontalen Kortex beim direkten und den rechten fusiformen und linken medialen temporalen Gyrus während des indirekten Primings. Ferner korrelierte der linke und rechte ventrale fusiforme Kortex positiv mit der Ausprägung der FDS. Vorangegangene bildgebende Untersuchungen zum Priming bei Gesunden deuteten im Gegensatz dazu auf eine verminderte Aktivität in inferioren präfrontalen und verschiedenen
! Die für die Patienten mit FDS charakteristischen, ungewöhnlichen Assoziationsfelder können primär auf eine exzessive Aktivierungsausbreitung im semantischen Lexikon zurückgeführt werden, das mit dem lateralen Temporallappen beidseits assoziiert wird.
35.5.4 Wortflüssigkeit und Assoziation Zahlreiche behaviorale und bildgebende Wortflüssigkeitsstudien untermauern die Annahme eines Defizits in der Organisation und/oder des Zugriffs auf Einträge im semantischen Lexikon bei Patienten mit Schizophrenie. In Reaktion auf einen Hinweisreiz (Buchstabe oder Oberbegriff) sollen dabei möglichst viele Wörter innerhalb eines gewissen Zeitlimits ausgesprochen werden, die mit einem bestimmten Buchstaben anfangen (lexikalische Wortfluenz) bzw. einer bestimmten Kategorie zugeordnet werden können (semantische Wortfluenz). Patienten mit Schizophrenie weisen insgesamt eine geringere Anzahl an produzierten Wörtern auf, was sich insbesondere in der semantischen Wortflüssigkeit bemerkbar macht. Dieses Defizit lässt sich allerdings nicht auf eine Rückbildung des semantischen Lexikons oder ein reduziertes Repertoire an lexikalischen Einträgen zurückführen: Unter uneingeschränkten zeitlichen Bedingungen sind die Patienten mit gesunden Kontrollen vergleichbar (Kuperberg u. Caplan 2003). Zudem scheinen die Leistungseinbußen nicht auf einer fundamentalen Störung des Wortabrufs zu basieren, denn die Patienten zeigen ein selektives Defizit in der semantischen Variante. Goldberg et al. (1998) wiesen sogar nach,
temporalen Regionen hin, die sich auf eine Erleichterung beim Wortabruf zurückführen ließ. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Zuordnung temporaler Regionen zu indirekten Priming-Effekten. Die Autoren verwiesen dabei auf die Rolle des temporalen Kortex als Korrelat des semantischen Lexikons. Eine vermehrte Aktivierungsausbreitung im Lexikon führt zu einem beschleunigten Zugriff auf Konzepte, die auf den ersten Blick unrelatiert erscheinen, aber durch ein weiteres Konzept miteinander verbunden sind. Dieser abnormale Prozess spiegelt sich in vermehrter temporaler Aktivität wider und tritt infolge eines indirekten Priming-Effekts auf der Verhaltensebene ausschließlich bei Patienten mit FDS auf. Der temporale Kortex, insbesondere der ventrale fusiforme Kortex, ist ebenfalls positiv mit der Stärke der positiven FDS korreliert. Je stärker die Patienten im formalen Denken gestört waren, desto öfter schienen sie eine Assoziation zwischen Wortpaaren zu finden, die nur peripher miteinander in Verbindung standen. Als mögliche Ursache für das Auftreten der Hyperaktivität im semantischen Netzwerk kommen dysfunktionale Inhibitionsmechanismen in Frage.
dass der Leistungsunterschied zwischen den beiden Wortfluenzaufgaben ein valider Prädiktor für FDS ist. Wird die Anzahl der Wörter, die im lexikalischen Test erreicht wird, von der im semantischen Test subtrahiert, lassen sich Patienten gemäß der Ausprägung dieses Wertes zuverlässig den Patientengruppen mit FDS bzw. ohne FDS zuordnen. Die mangelhafte Bearbeitung von Wortflüssigkeitsaufgaben zeichnet sich auch auf neuronaler Ebene ab. Häufig werden dazu Defizite in links- sowie rechtshemisphärischen Regionen im superioren und medialen Temporallappen sowie in präfrontalen Arealen (IFG, anteriores Zingulum) geschildert. Eine Dysfunktion in der intrahemisphärischen Kopplung zwischen den primären Spracharealen (linker STG, linker präfrontaler Kortex) wurde ebenfalls nachgewiesen. Bildgebende Studien mit gesunden Probanden zeigen dementsprechend ausgedehnte präfrontale Aktivierungen während der Wortflüssigkeitsaufgabe und, parallel dazu, keine oder eine geringere Beteiligung des STG im Vergleich zu einer Kontrollaufgabe (z. B. Wortwiederholung). Diese »Deaktivierung« im Temporallappen wird auf einen Inhibitionsprozess zurückgeführt, der durch frontale Areale initiiert wird. Insbesondere der inferiore frontale Kortex wird mit semantischen Abrufprozessen von Wörtern in Verbindung gesetzt sowie dessen Selektion aus einer Auswahl von Alternativen. Dahingegen wird der Temporallappen mit dem mentalen Lexikon in Zusammenhang gebracht, in dem die Wörter gespeichert werden und auf den frontal vermittelte Prozesse zugreifen können. Den Schwerpunkt der Befunde mit Schizophreniepatienten bildet somit der Nachweis fehlender Deaktivierung im temporalen Kortex, was auf eine abweichende
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Kapitel 35 · Formale Denkstörungen – Bildgebung
Konnektivität der Sprachareale bzw. ein Inhibitionsdefizit zurückgeführt werden kann. So untersuchten Frith et al. (1995) in einer PET-Studie 17 Patienten mit Schizophrenie (davon 5 mit FDS) während einer Wortflüssigkeitsaufgabe. Patienten aller Subtypen zeigten präfrontale Aktivierungen, die vergleichbar mit denen gesunder Kontrollprobanden waren (dorsolateraler präfrontaler Kortex, anteriores Zingulum). Allerdings wiesen sie keine Deaktivierung des linken STG relativ zur Kontrollgruppe auf. Die Autoren deuteten die Hyperaktivität im Korrelat des mentalen Wortspeichers als Konsequenz einer fehlenden Inhibierung, die vom frontalen Kortex ausgehen sollte. Aufgrund fehlender Hemmung/Selektion äußerte der Patient vermehrt ungewöhnliche Antworten im Vergleich zu den Antworten von Patienten anderer Subtypen sowie von gesunden Kontrollprobanden (Frith et al. 1995). Hinweise auf eine mangelhafte Vernetzung frontaler und temporaler Regionen wurden auch beim freien Assoziieren bei Patienten mit Schizophrenie vermutet. Arbeiten aus der eigenen Arbeitsgruppe zeigten, dass sich das Patientenkollektiv durch eine Minderaktivierung im linken posterioren Hippokampus (. Abb. 35.3) sowie durch eine erhöhte BOLD-Antwort im linken inferioren und mittleren frontalen Kortex auszeichnete. Der Hippokampus ist an assoziativen Lernprozessen und dem Abruf von assoziierten Informationen aus dem semantischen Gedächtnis beteiligt. Gestörte Assoziationsprozesse bei Patienten mit Schizophrenie, insbesondere bei denen mit FDS, könnten demnach auf Defizite im Hippokampus zurückgeführt werden, die mit einer Mehraktivierung im frontalen Kortex einhergehen. Außerdem wurde eine negative Korrelation zwischen der Aus-
prägung an FDS und Aktivität im rechten mittleren temporalen Gyrus (BA 21) berichtet. Eine Schwäche bei der Integration von Worten in ihren vorangegangenen Kontext (in diesem Fall ebenfalls nur ein Wort) wurde bereits in mehreren Studien nachgewiesen und mit der rechten Temporalwindung in Verbindung gebracht (7 Kap. 35.5.1). ! Bei Patienten mit Schizophrenie und FDS könnte eine Dysregulation im anterioren Zingulum vorliegen, die zu einer mangelhaften Konnektivität zwischen präfrontalen und superioren temporalen Arealen führt.
35.6
Integration: Dyskonnektivität
Die Pathophysiologie der Schizophrenie umfasst sowohl Funktionsstörungen einzelner Hirnareale (mit Schwerpunkten in frontalen und temporalen Regionen) als auch Defizite im Zusammenspiel dieser Areale. Dabei verweisen funktionelle Untersuchungen von Patienten mit FDS einerseits auf Lateralisierungsanomalien von Sprachfunktionen im STG (7 Kap. 35.4.2; . Abb. 35.4) und andererseits auf intrahemisphärische Integrationsdefizite zwischen dem präfrontalen Kortex und dem Wernicke-Areal (7 Kap. 35.5.4). Gestützt werden diese Befunde durch Strukturstudien, die sowohl Abnormalitäten im Corpus Callosum als auch einen inversen Lateralisierungsindex im PT und STG vorweisen können (7 Kap. 35.2). 35.6.1 Die »Dyskonnektivitätshypothese«
der Schizophrenie
35
. Abb. 35.3. Mehraktivierung des Hippokampus bei gesunden Kontrollprobanden im Vergleich zu Patienten mit Schizophrenie während spontanen Assoziierens (7 Farbtafeln, S. 668)
Erstmalig wurde die Pathophysiologie der Schizophrenie von Carl Wernicke (1906) in einen Zusammenhang von gestörten anatomischen und funktionellen Verbindungen zwischen Hirnstrukturen gebracht (Dyskonnektivitätshypothese). Im Rahmen der Schizophrenie sind insbesondere Verschaltungen zwischen den frontalen und temporalen Spracharealen von Bedeutung, die v. a. auf reziproken frontotemporalen Faserverbindungen (Fasciculus arcuatus, Fasciculus longitunalis superior, zinguläre Bündel) sowie den transkallosalen Faserbahnen beruhen. Ferner sind lange Assoziationsbahnen wie der Fasciculus unicatus und der Fasciculus occipitofrontalis superior von hoher Relevanz (7 Kap. 35.6.2) (. Tab. 35.1) Als Erklärung für eine dysfunktionale Integration werden genetisch bedingte oder intrauterin/perinatale Hirnentwicklungsstörungen postuliert (7 Kap. 5). Mikrostrukturelle Untersuchungen, die eine veränderte Schichtung der kortikalen Pyramidenzellen sowie eine Rarefizierung kortikaler Synapsen aufweisen, geben Anhaltspunkte für eine Störung in der Ausdifferenzierung intrakortikaler Vernetzungen. Untermauert wird diese Annahme durch arealspezifische Reduktionen in der Anzahl von myelinbildenden Gliazellen (Oligodendrozyten) beispielsweise im ante-
453 35.6 · Integration: Dyskonnektivität
. Abb. 35.4. Schematische Darstellung derjenigen Hirnareale, die im Zusammenhang mit Sprachfunktionen und formalen Denkstörungen berichtet werden (7 Kap. 35.5). Die Regionen umfassen insbesondere
35
das frontotemporale Sprachnetzwerk und das anteriore Zingulum (letzteres ist nicht abgebildet) (7 Farbtafeln, S. 669)
. Tab. 35.1. Bedeutende Faserverbindungen in der Schizophrenie Fasciculus arcuatus
Frontaler Kortex (u. a. Broca-Areal) mo posteriore temporale Areale (u. a. Wernicke-Areal)
Fasciculus longitudinalis sup.
Frontaler Kortex (u. a. Broca-Areal) mo occipitale Areale mo posteriore temporale Areale (u. a. Wernicke-Areal)
Fasciculus occipitofrontalis sup. und inf.
Frontaler Kortex o occipitotemporale Areale
Fasciculus uncinatus
Basolateraler frontaler Kortex mo anteriore temporale Areale (u. a. enthorinaler Kortex, Hippokampus, Amygdala)
Zinguläres Bündel
Zingulärer Kortex mo parietale, temporale, frontale Areale, Thalamus
o afferente Verbindungen, mo reziproke Verbindungen
rioren Zingulum (Stark et al. 2004) und im superioren frontalen Gyrus (BA 9) (Hof et al. 2003). Analog dazu werden Reduktionen in der weißen Substanz berichtet. 35.6.2 Diffusionsgewichtete Bildgebung Die Methode des »diffusion tensor imaging« (DTI) liefert wichtige Hinweise auf eine gestörte kortikokortikale wie auch limbisch-kortikale Dyskonnektivität auf anatomischer Ebene, die in ersten Untersuchungen mit psychopathologischen Symptomen und kognitiven Leistungen korreliert werden konnte. Allerdings liegen Studien zu FDS noch nicht vor.
Das Konzept der DTI fußt auf der Erhebung von MRT-basierten, quantitativen Karten mikroskopischer, natürlicher Bewegungen von Wassermolekülen, die im Hirngewebe als Teil des physikalischen Diffusionsprozesses stattfinden. Die Diffusion kann in einem Voxel durch einen Tensor beschrieben werden, der bildlich als ein Ellipsoid vorzustellen ist und somit Richtung und Stärke der Anisotropie beschreibt. In ersten Untersuchungen zur Schizophrenie werden verringerte Werte der fraktionierten Anisotropie (FA) berichtet, sowohl in Gesamthirnuntersuchungen als auch arealspezifisch im Frontallappen, Temporallappen und Corpus Callosum. Untersuchungen mittels «regions of interest«(ROI)-Auswertungen einzelner Faserbahnen liegen zum Zingulum, zum Fasciculus uncinatus,
454
Kapitel 35 · Formale Denkstörungen – Bildgebung
zum Fasciculus arcuatus und Hippokampus vor. Kombinierte Methoden, die sowohl Volumenänderungen als auch FA-Veränderungen zeigen, sind geeignet, Faserveränderungen in Relation zu Volumenänderungen zu untersuchen. Über einen Zusammenhang mit psychopathologischen Daten wird in einer Untersuchung von Wolkin et al. (2003) berichtet. Die reduzierte FA war negativ mit SANS-Ratings negativer Symptome korreliert. Weiterhin wiesen Patienten mit Halluzinationen im Vergleich zu einer Patientengruppe ohne Halluzinationen und einer gesunden Kontrollgruppe eine erhöhte Anisotropie im lateralen, temporoparietalen Anteil des Fasciculus arcuatus auf (Hubl et al. 2004). Dementsprechend lag nur in dieser Gruppe eine erhöhte Gerichtetheit der Faserverbindungen vor. In einer anderen Studie wurde gezeigt, dass die episodische Gedächtnisleistung von Patienten mit der FA im linken Fasciculus uncinatus und die Exekutivfunktionen mit denen des zingulären Bündels korrelierten (Nestor et al. 2004). 35.7
35
Zusammenfassung
Die Untersuchungen zu FDS vermitteln mittlerweile ein recht konsistentes Konzept zur Erklärung von Denk-/Sprachstörungen bei Patienten mit Schizophrenie. Dieses orientiert sich an einem funktionellen Integrationsdefizit bilateraler präfrontaler, anteriorer zingulärer und superiorer temporaler Strukturen im Sprachnetzwerk. Die kognitiven Prozesse, die durch diese neuronalen Netzwerke vermittelt werden, schließen praktisch alle Funktionen der Sprachproduktion und -perzeption ein. Primär werden Defizite im semantischen System sowie in Kontrollfunktionen (Exekutiv- und Selbstmonitoring-Prozesse) angenommen. Die funktionelle Dyskonnektivitätshypothese wird dabei einerseits durch Volumenminderungen in der grauen Substanz wie auch durch Alterationen in der weißen Substanz gestützt. Andererseits spiegelt sich die Integrationsstörung auf funktioneller Ebene in Form von Lateralisierungsanomalien und veränderten Aktivierungsmustern in sprachassoziierten Arealen wieder.
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36 Wahn – Psychologie Steffen Moritz und Tania Lincoln
36.1
Terminologisches
36.2
Probleme des Wahnbegriffs
36.3
Kognitionspsychologische Wahntheorien
36.3.1 36.3.2 36.3.3 36.3.4 36.3.5 36.3.6 36.3.7
Attributionsstil – 458 Selbstwert und Wahn – 459 Voreiliges Schlussfolgern – 460 Störungen der attentionalen Verarbeitung Need for closure – 463 Unkorrigierbarkeit – 463 Theory of Mind – 464
36.4
Kognitive Modelle und therapeutische Implikationen
36.5
Abschließende Bemerkungen Literatur
– 467
– 457 – 457
– 466
– 457
– 463
– 465
457 36.3 · Kognitionspsychologische Wahntheorien
36.1
Terminologisches
Der Begriff »Wahn« leitet sich aus verschiedenen indogermanischen und altdeutschen Wortstämmen ab, wobei »wan« (leer, Vermutung) im Sinne eines falschen Verdachts als wesentliche sprachliche Wurzel gilt. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist »Wahn« im Verb »wähnen« enthalten, was das Schöpfen eines Verdachtes bzw. eine vermeintliche Erkenntnis zum Ausdruck bringt. Nach heutigem Verständnis beinhaltet Wahn das rigide, unbeirrbare Festhalten an falschen Überzeugungen. Das Kriterium der Uneinfühlbarkeit, eine Forderung von Karl Jaspers (1973), wonach der primäre Wahn nicht auf biographische oder andere Ursachen reduzierbar ist, sondern quasi »aus heiterem Himmel« entsteht, ist in internationalen Definitionen des Wahns (DSM-IV, ICD-10) dagegen fallen gelassen worden. In Abgrenzung zu den formalen Denkstörungen (FDS), die durch einen Zerfall der Sprachprozesse gekennzeichnet sind, handelt es sich beim Wahn um eine inhaltliche Denkstörung bzw. ein verzerrtes Abbild der Realität. Im bizarren Wahn ist manchmal ein fließender Übergang beider Formen zu beobachten, wenn z. B. ein Patient mit dem Namen »Schuhmacher« behauptet, der Erfinder des Turnschuhs zu sein. 36.2
Probleme des Wahnbegriffs
Wenngleich international Einigkeit über die Definition des Wahns als fixierte, falsche Überzeugung besteht (»fixed false beliefs«), ist der Therapeut in der Einzelfallbeurteilung oft mit erheblichen diagnostischen Problemen konfrontiert, die Schwachstellen des Wahnbegriffes offenlegen. So besitzen manche Wahnideen einen rationalen Kristallisationskern und stellen eher verfestigte Akzentuierungen oder Übertreibungen und keinesfalls reine »Hirngespinste« dar (z. B. bei ehemaligen Opfern der Staatssicherheit, die sich auch nach dem Zusammenbruch der DDR bespitzelt fühlen). Schwierigkeiten bereitet daneben die Abgrenzung zu fixen Ideen oder fanatischen und bizarren Überzeugungen (z. B. bei Sekten oder Subkultur), die aufgrund der unüberschaubaren Pluralität insbesondere westlicher Gesellschaften auch dem erfahrenen Behandler unbekannt sein mögen. Unlängst ist darauf hingewiesen worden, dass ein verbreitetes »kulturelles Misstrauen« bei farbigen US-Amerikanern als paranoide Schizophrenie verkannt zu werden droht (Sen u. Chowdhury 2006). Oft steht der Psychologe oder Psychiater vor Problemen, wenn es darum geht, psychische Störungen bei Menschen mit Migrationshintergrund zweifelsfrei zu diagnostizieren, da sowohl Akzeptanz und Verbreitung, aber auch die Bedeutung (z. B. Ritual, Metapher) bestimmter psychosenaher Phänomene interkulturellen Unterschieden unterliegen (z. B. das Sehen von Geistern im arabischen Kulturkreis). Was als Wahn bezeichnet wird, unterliegt immer auch gesellschaftlichen Konventionen. Während sich in Nordeuropa ein eher allegorisches Verständnis
36
religiöser Ideen durchgesetzt hat, werden religiöse Schriften von einer Vielzahl der Glaubensangehörigen in anderen Staaten (z. B. den USA) fast wortwörtlich ausgelegt. Was uns hierzulande wie religiöse Verblendung oder gar Wahn anmutet, wäre in anderen Gesellschaften wiederum als Agnostik diskreditiert. Weitere Beispiele für inter- und transkulturelle differenzialdiagnostische Probleme finden sich bei Spitzer (1989). Vielfach ist der Psychologe/Psychiater gezwungen, sich bei nicht oder schwer falsifizierbaren Behauptungen (z. B. ein Heiliger zu sein oder vom CIA abgehört zu werden) mit einfachen Heuristiken oder dem Blick in die Krankheitsakte zu behelfen. Das Vorhandensein weiterer psychiatrischer Symptome sowie eine Inkongruenz zwischen Idee und Verhalten (z. B. die Behauptung, ein Heiliger zu sein, trotz Vorstrafen wegen diverser schwerer Delikte) können hier diagnostisch leitend sein, wenn sie auch nicht im strengen Sinne beweisend sind. In diesen Ausführungen deutet sich an, dass eine klare Unterscheidung zwischen wahnhaften und normalen Ideen nicht immer zu treffen ist. Obwohl Jaspers noch davon ausging, dass es einen eigenen Mechanismus für die Formierung und Fixierung von Wahn gibt, der sich vom Entstehungsmechanismus normaler oder überwertiger Ideen grundlegend unterscheidet, wird die kategoriale Sichtweise heute zunehmend in Frage gestellt. Eine quasidimensionale Sichtweise wird auch durch Untersuchungen in der Normalbevölkerung gestützt. Eine Reanalyse der Daten von 200 gesunden Probanden ergab, dass etwa ein Drittel der Probanden an Gedankenübertragung und Telepathie glaubte. Jede vierte Person berichtete über Erfahrungen mit dem Übersinnlichen (Moritz u. Andresen 2002; Lincoln 2007). In US-amerikanischen Untersuchungen ergeben sich für entsprechende Fragen meist deutlich höhere Prävalenzen. Hieraus sollte jedoch keinesfalls der voreilige Schluss gezogen werden, dass ein Großteil der Bevölkerung wahnkrank sei. Die Behandlungsbedürftigkeit einer Wahnidee setzt nach neuerem Verständnis mehr voraus als das Vorhandensein einer falschen Überzeugung. Relevante weitere Dimensionen sind die subjektive Beeinträchtigung, das Ausmaß und die Dauer der Beschäftigung mit der Idee sowie die Beeinträchtigung in Verhalten und sozialer Interaktion. 36.3
Kognitionspsychologische Wahntheorien
Eine psychologische, d. h. verständnisbasierte Beschäftigung mit Wahn und Schizophrenie hat zumindest in Deutschland erst in den letzten Jahren Einzug gehalten. Mindestens zwei spezifische Ursachen sind für diese verspätete Entwicklung – v. a. im Unterschied zu Großbritannien – anzuführen. Zum einen ist die Schizophrenie und damit auch viele ihrer Leitsymptome wie Wahn vom »Mainstream« der klassischen Psychoanalyse frühzeitig als untherapierbar aufgegeben worden. Dieses Vorurteil haftet der Schizophrenie im Allgemeinen und dem Wahn im Besonderen vielfach noch in weiten Teilen der Verhaltensthera-
458
36
Kapitel 36 · Wahn – Psychologie
pie an, die ihren Fokus bis vor wenigen Jahren klar auf affektive Erkrankungen und Angststörungen legte. Zum anderen trug der prägende Einfluss von Karl Jaspers, der die Uneinfühlbarkeit als Kernmerkmal des Wahns hervorhob (7 Abschn. 36.1), auf die deutsche Psychiatrie und Psychologie zur weiteren Verfestigung dieses Vorurteils bei. Die lange Zeit vorherrschenden neurokognitiven Theorien blieben oft eine dezidierte pathogenetische Beschreibung des Übergangs von Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen zu schizophrenen Symptomen schuldig. In Abkehr von dieser Theorietradition formierte sich, ausgehend von Großbritannien, in den letzten Jahren eine einflussreiche Forschungsrichtung, die konkrete und testbare Modelle der Wahnentstehung und -aufrechterhaltung entwickelt hat. Viele dieser Erkenntnisse sind bereits in kognitiv-behaviorale Therapien (Lincoln 2006) und metakognitive Trainingsprogramme eingeflossen (Moritz et al. 2007a), die sich als Komplement und nicht als Kontrapunkt einer neuroleptischen Behandlung verstehen. Die Notwendigkeit psychotherapeutischer Maßnahmen über Psychoedukation und »Neuroleptikalehre« hinaus ergibt sich u. a. aus der Tatsache, dass viele psychotische Symptome nicht oder nur gering auf neuroleptische Medikation ansprechen und selbst unter der neuen Generation atypischer Neuroleptika die Mehrzahl der Patienten ihre Medikation mittel- bis langfristig absetzt (Lieberman et al. 2005). Die Wirksamkeit kognitiv-verhaltenstherapeutischer Maßnahmen ist mittlerweile durch eine Reihe von Metaanalysen belegt (Zimmermann et al. 2005). Angesichts der historischen Grundkonflikte zwischen einer medizinisch-apsychologischen Grundhaltung und einer oft antipsychiatrisch gewandeten Verklärung des Wahns stehen diese neuen kognitionspsychologischen Ansätze in einem Spannungsfeld, dessen Extrempole von Japsers’ Postulat der Unverstehbarkeit einerseits und gleichmacherischen Annahmen andererseits gebildet werden. Wahn und Schizophrenie werden teilweise als Ausdruck geistiger Freiheit verherrlicht und die Normalität schizophrener Symptome wird überbetont. Gegen letztere Sichtweise spricht, dass das schizophrene Kernsyndrom stabil bei nur etwa 1% der Bevölkerung vorkommt und somit im Unterschied zur Depression nicht von einer hohen Prävalenz die Rede sein kann. Andererseits weisen seriöse Studien nach, dass einzelne schizophrene Kernsymptome kontinuierlich in der Bevölkerung vorkommen. Nach einer neueren Literaturübersicht (Freeman et al. 2006) weisen 1–3% der Bevölkerung einen behandlungsbedürftigen Wahn auf, während einzelne Wahnideen bei ca. 10–15% vorkommen. Wenngleich auch schon zur vorletzten Jahrhundertwende psychologische Wahntheorien aufkamen, z. B. Adlers Theorie des Minderwertigkeitskomplexes (Adler 1914/1929), die unter Bentall und Kindermann eine Renaissance erfahren haben, und auch Freud sich um ein Verständnis des Wahns bemühte, ist erst seit Anfang der 90er Jahre von einem echten Forschungstrend zu sprechen. In den folgenden Abschnitten werden die wichtigsten kognitiven Wahntheorien dargestellt.
36.3.1 Attributionsstil Bentall und Kinderman postulierten Anfang der 90er Jahre, dass sich Wahn aus einer übersteigerten Selbstdienlichkeitstendenz (»self-serving bias«) herleite, die dem vorbewussten Ziel diene, ein vermindertes Selbstbewusstsein zu steigern. Selbstdienlichkeit bezeichnet die (allzu) menschliche Tendenz, sich Erfolg selbst zuzuschreiben, während Misserfolg externalisiert wird, was der Volksmund in vielen Sprichwörtern mahnend aufgegriffen hat (»Eigenlob stinkt«, »Der schlechte Schwimmer klagt die Badehose an«). In der Theorie von Bentall und Kinderman wird bei Wahn jedoch keine bloße Übersteigerung der Selbstdienlichkeitstendenz angenommen. Neuere Ausarbeitungen gehen vielmehr von einer qualitativen Abweichung des Attributionsstils aus: Wahnkranke wälzen die Schuld für Misserfolg nicht ungerichtet ab, sondern stempeln v. a. andere Personen als Sündenböcke ab, während gesunde Menschen eher besondere Umstände oder Zufall als Ursachen für Misserfolg anführen (z. B. der Tennisspieler, der nach einem verschlagenen Ball entgeistert seinen Schläger anschaut, den Rahmen auf Bruch prüft oder einen neuen Ball aus der Tasche zieht). Klinisch ist diese Annahme durchaus plausibel und zur Erklärung geeignet, weshalb z. B. ein Patient für seinen Rückfall allein seine Ärzte verantwortlich macht, Probleme beim Denken Störoperationen des BND zuschreibt. Wie aus diesen Beispielen bereits hervorgeht, erfolgen Schuldzuweisungen häufig gegen (zwielichtige) Organisationen statt konkrete Einzelpersonen. Die Verschiebung der paranoiden Angst vom Subjekt auf das Kollektiv ist ein psychiatriehistorischer Trend, der darin begründet sein könnte, dass die beobachteten Beeinträchtigungen (z. B. Gedankenabsaugen) selbst in der Alogie des Wahns kaum einer Einzelperson zugeschrieben werden können. Eine Darstellung verschiedener Attributionsstile erfolgt in . Abb. 36.1. Bentalls Wahntheorie wurde zunächst mit dem »Attributional Styles Questionnaire« (ASQ) beforscht. Gegenwärtige Forschungsstudien zum Wahn verwenden v. a. den »Internal, Perso-
. Abb. 36.1. Attributionsstil als Funktion von Ursache (Andere/Umstände vs. Selbst) und Anlass (positiv, negativ)
459 36.3 · Kognitionspsychologische Wahntheorien
nal and Situational Attributions Questionnaire« (IPSAQ), der im Unterschied zum ASQ eine Differenzierung von Ursachenquellen in »ich«, »andere« und »Umstände« vornimmt, jedoch keine Abstufungen oder kausalen Mischungen erlaubt. Im IPSAQ soll der Proband zunächst narrativ Ursachen für jeweils 16 positive und negative Kurzszenarien angeben (z. B. »Ein Freund/eine Freundin hält Sie für unehrlich«). In einer zweiten Beurteilung soll er bestimmen, ob diese Ursache hauptsächlich der eigenen Person (z. B. »war schlecht vorbereitet«), anderen (z. B. »Prüfer mochte mich nicht«) oder Umständen zuzuschreiben ist (z. B. »konnte mich kaum vorbereiten wegen Baulärms im Haus«). Nach einer Reihe interner Replikationen (z. B. Kinderman u. Bentall 1997) zeichnet sich mittlerweile empirisch eine Pattsituation ab. Neuere Studien konnten die Kernannahme entweder nicht oder nur marginal bestätigen oder ziehen zumindest die Hypothese der monokausalen Selbstzuschreibung von Erfolg in Zweifel (Garety u. Freeman 1999). In einer Untersuchung von McKay et al. (2005) sowie unserer Arbeitsgruppe (Moritz et al. 2007b) fanden sich Hinweise für ein Ohnmachtsempfinden bei gegenwärtig wahnhaften Patienten, das sich sowohl auf negative als auch auf positive Ereignisse erstreckte. Patienten mit akuten Wahnideen sahen sich allgemein seltener verantwortlich für das Zustandekommen sie betreffender Ereignisse, was bei vielen Symptomkonstellationen intuitiv schlüssig ist (v. a. bei Ich-Störungen wie dem Gefühl des Gemachten). So rühmen wahnhafte Patienten bei kreativen Einfällen nicht unbedingt ihre Begabung. Oft werden diese geistigen Produkte einer höheren Macht zugeschrieben (Eingebung). Ein in unserem Hause behandelter Patient schrieb eigene Ad-hoc-Rapmelodien dem Musiker Dr. Dre zu, der ihm diese als eine Art Hörprobe eingäbe. Bezüglich des kausalen Richtungszusammenhangs zwischen Attribution und Wahn behaupten Bentall und Kinderman, dass eine Veränderung des Attributionsstils Wahn begünstigt und nicht umgekehrt. Wahn sei lediglich die Manifestation eines übergreifenden (d. h. zunächst krankheitsunspezifischen) Bewertungsstils. Jedoch lässt sich für bestimmte Items des IPSAQ ein umgekehrter Zusammenhang nicht ausschließen. So sind etliche Items des IPSAQ wahnnah bzw. wahnfähig. Eine externalpersonale Attribution bei Items wie »Ein Freund sagt, dass er Sie nicht respektiert« oder »Jemand tuschelt hinter Ihrem Rücken« könnte durch den Wahn selbst hervorgerufen sein. Auf das nach Bentall et al. (2001) zugrunde liegende psychologische Motiv für den Selbstdienlichkeitsbias, ein mangelndes implizites Selbstbewusstsein, wird in 7 Abschn. 36.3.2 eingegangen. 36.3.2 Selbstwert und Wahn Menschen mit Schizophrenie oder Psychose werden in der Bevölkerung oft entweder als gefährlich gebrandmarkt oder als Tagträumer und empfindsame Künstlerseelen verklärt, die die Gesellschaft nicht duldet und mithilfe von Medikamenten der Norm unterwirft. Genährt werden solche populistischen Vorstellungen
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durch vermeintliche Zusammenhänge zwischen Genie und Wahnsinn, welcher mit Schizophrenie, Wahn und Psychose oft undifferenziert gleichgesetzt wird. Obschon ein Zusammenhang zwischen kreativer Begabung und bestimmten psychischen Problemen belegt ist (v. a. Zyklothymie, Substanzmittelabusus), beendet der Ausbruch einer Schizophrenie oft eine echte künstlerische Begabung, statt sie zu beflügeln. Wenn auch der subjektive Leidensdruck bei den meisten Wahnideen unverkennbar ist und manchmal sogar im Selbstmord endet, wohnt vielen Verfolgungsideen dennoch ein gewisses Moment der Selbsterhöhung inne. Der Verfolgungswahn bereitet oft eine Art Nervenkitzel, und die Bedeutsamkeit des Patienten wird teilweise ins Groteske übersteigert (Garety 1992). Zudem tritt der Patient oft gegen mächtige Feinde an (Al Quaida, CIA etc.), was sein Prestige weiter erhöht (»viel Feind, viel Ehr’«). Erstmals ist von Alfred Adler (1914/1929) die These formuliert worden, dass Psychose den Versuch darstellt, der Wirklichkeit zu entfliehen, zumindest aber die Schuld für Misserfolg bei anderen zu suchen, um einer fundamentalen Kränkung zu entgehen: »Als eine der Voraussetzungen dieser Haltung [Paranoia] lässt sich eine tiefe, unabänderlich empfundene Unzufriedenheit mit den Errungenschaften im Leben erschließen, die den Patienten dazu drängt, für seinen Misserfolg vor sich und anderen die Deckung zu gewinnen, um nicht im Ehrgeiz und im Selbstbewusstsein verwundet zu werden...So wird zur Schuld des anderen gemacht, was den Patienten von seinen überspannten Plänen nicht gelang.« (S. 274f ).
Mit Hilfe verschiedener experimenteller Paradigmen versuchten Bentall und Kinderman zu demonstrieren, dass das implizite Selbstwertgefühl bei Wahn gering, das explizite Selbstwertgefühl dagegen normal oder sogar leicht erhöht sei. Wahn wird als Schutzmechanismus gegen ein niedriges Selbstwertgefühl betrachtet. Der implizite Selbstwert wurde u. a. mit selbstrelevanten Stroop-Aufgaben (Kinderman 1994) geprüft (die Druckfarbe von selbstwertrelevanten Wörter muss benannt werden, wobei selbstbeschreibende Wörter Aufmerksamkeit binden und auf diese Weise zu einer erhöhten Antwortlatenz auf den Zielreiz führen). Weiterhin sind Patienten gebeten worden, ihr Selbstbild mit ihrem Fremdbild (d. h. der Meinung, die ihre Umwelt von ihnen hat) in einer Art doppelter Spiegelung zu kontrastieren. Das Ausmaß der Diskrepanz zwischen Selbstbild und Fremdbild diente dabei als Index des impliziten Selbstwertes. Insgesamt sind die Befunde zum impliziten Selbstwert als widersprüchlich zu bezeichnen. Die Gründe sind v. a. in der schwierigen methodischen Erfassbarkeit des impliziten Selbstwertes zu suchen (Garety u. Freeman 1999). Demgegenüber finden sich in Instrumenten zur Erfassung des expliziten Selbstwertes (u. a. die Rosenbergskala) teilweise normale Werte bei paranoiden Menschen. Dies wird als Beleg dafür angeführt, dass Wahnpatienten in der Tat ein gering ausgeprägtes implizites (wahres) Selbstbewusstsein zu haben
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Kapitel 36 · Wahn – Psychologie
scheinen. Dagegen sprechen jedoch die hohe Komorbidität von Depression und Wahn sowie Befunde (Freeman et al. 1998), nach denen Wahn bei ca. drei Vierteln aller Patienten mit einem niedrigen (expliziten) Selbstwert einhergeht. In einer neueren Studie wurde dieses Paradoxon näher beleuchtet (Moritz et al. 2006a). Unter Verwendung des »Implicit Association Test« (IAT), einem Untersuchungsverfahren der Sozialpsychologie zur Messung impliziter/wahrer Einstellungen, zeigte sich im Einklang mit Bentall u. Kinderman ein niedriges implizites Selbstwertgefühl bei wahnhaften Patienten. Das implizite Selbstbewusstsein wird im IAT über die Reaktionszeiten auf Kombinationen von ichhaltigen Informationen (Alter, Sternzeichen etc.) mit negativen (z. B. doof, hässlich) und positiven Attributen (intelligent, schön) gemessen. Im Falle eines geringen Selbstwertgefühls wird auf eine Kombination einer Selbstbeschreibung mit einem negativen Attribut beschleunigt reagiert. Verschiedene methodische Maßnahmen schließen eine bewusste Manipulation der Ergebnisse weitestgehend aus. Im Einklang mit der Studie von Freeman et al. (1998) zeigten akut paranoide Patienten ein signifikant niedrigeres explizites Selbstwertgefühl als gesunde Probanden, das sich im Vergleich zu remittierten (ehemals wahnhaften) schizophrenen Patienten jedoch als signifikant erhöht herausstellte. Da sich die beiden Subgruppen klinisch und soziodemographisch ansonsten nicht unterschieden, scheinen Wahnideen somit der kurzfristigen Selbstwertsteigerung dienlich zu sein. Eine möglicherweise vorbestehende, tief verwurzelte Selbstwertproblematik (gemessen mit dem IAT) wird jedoch zum einen nicht voll kompensiert und ist zum anderen erkauft über eine häufig prolongierte Depression nach Rückgang der Symptomatik (z. B. Scham über peinliches Verhalten während der Psychose, soziale Ächtung durch das Umfeld). Selbstverständlich verbietet es sich, diese empirisch noch nicht voll gesicherten gruppenstatistischen Erkenntnisse auf den Einzelfall zu projizieren. Obwohl das Element der Selbsterhöhung in vielen Krankheitsgeschichten offenkundig ist und Patienten manchmal aktiv berichten, dass während der Psychose »endlich mal was los war«, gibt es bestimmte Wahnideen (»bad-me«Überzeugungen), die an depressive Überzeugungen erinnern und nur schwerlich mit Selbsterhöhung in Verbindung gebracht werden können (z. B. Ängste, für frühere kleine Sünden bestraft zu werden). Die Frage, ob geringem Selbstwert eine Rolle bei der Psychoseentstehung zukommt, ist nicht nur von theoretischer sondern auch von therapeutischer Relevanz, da Methoden der kognitiven Umstrukturierung, die der Depressionsbehandlung entlehnt sind, in der verhaltenstherapeutischen Schizophreniebehandlung einen Schwerpunkt bilden. 36.3.3 Voreiliges Schlussfolgern Dass Dysfunktionen des abstrakt-logischen Denkens an der Wahnentstehung beteiligt sind (z. B. die Annahme, das Konzent-
rationsvermögen sei durch einen galaktischen Staubsauger gestört, der das Denken von Zeit zu Zeit leert), ist angesichts der oft weit hergeholten Erklärungen für alltägliche Phänomene naheliegend. Es ist daher geradezu verwunderlich, mit welcher Vehemenz einige Forscher eine mögliche Kausalbeziehung zwischen Wahn und logisch-abstrakten Dysfunktionen bestreiten. Wahnphänomene sind v. a. in der Anschauung Mahers (2006) als normalpsychologische Copingstrategien für abnorme Sinneseindrücke betrachtet worden. Nach Maher (2006) kommt dem wahnhaften Überbau kein Krankheitswert zu. Es handele sich vielmehr um ein reines Epiphänomen. Seiner Auffassung nach würden auch gesunde Menschen mit leibnahen Halluzinationen außerhalb des üblicherweise Erfahrbaren wahnhafte Überzeugungen entwickeln, die über weitere psychologische Motive aufrechterhalten werden (z. B. aus verletztem Stolz nicht zugeben, dass der eingeschlagene Lebensweg ein Irrtum war). Diese Anschauung hat breiten Widerhall in anderen theoretischen Annahmen gefunden, und in der Tat erscheinen viele Wahnideen als Erklärungsversuche von Halluzinationen. Im Einklang hiermit folgt eine Remission wahnhafter Überzeugungen oft verzögert auf die Abnahme von Halluzinationen; den wahnhaften Überzeugungen wird quasi die Grundlage entzogen. Andererseits kommt es auch im Rahmen von neurologischen Störungen jenseits des normalen Erfahrungsspektrums, z. B. bei Aphasie, Neglekt oder Apraxie nach Schlaganfall, selten zu dauerhaften psychotischen Verkennungen (sog. Durchgangssyndrom). Weiterhin ist bei vielen Wahnvorstellungen eine Störung der Sinneswahrnehmung nicht nachweisbar. Vielfach liegt eine irreale metakognitive Fügung des konsensuell Erfahrbaren vor, ohne dass die Sinne irgendetwas »hinzudichten« (z. B. bei Beziehungsideen). Wie bereits dargestellt, beziehen sich wahnhafte Deutungen oft auf alltägliche Fehlleistungen oder Leistungseinbußen. Hier erscheint es fraglich, ob die Interpretation eines Gedankens als von der CIA eingepflanzt naheliegender ist als die Annahme, dass man vielleicht eine Erinnerung an einen gerade gesehenen Science-Fiction-Film weitergesponnen hat oder an einer psychischen Störung leidet. Ferner wird von einigen Forschern in Zweifel gezogen, ob die nach diesem Modell primär vorliegenden Sinnestäuschungen wirklich direkte sensorische Phänomene sind, die auch einen gesunden Menschen beunruhigen würden. Es bedarf der weiteren Prüfung, ob es sich nicht vielmehr um Gedanken handelt, die aufgrund ihrer besonderen Intensität, Hartnäckigkeit, Ungewolltheit und ihres Widerspruchs zum sonstigen Fühlen den Charakter des Fremden tragen. Halluzinationen läge nach diesem Verständnis keine Irritation des sensorischen Systems zugrunde, sondern sie stellten eine Fehlzuschreibung ungewöhnlicher Gedanken dar. Eine systematische Untersuchung von Aberrationen des logisch-abstrakten Denkens für das Verständnis der Wahnpathogenese setzte wiederum erst Ende der 80er Jahre ein. Erstmals äußerten Hemsley und Garety in Huq et al. (1988) die Vermutung, dass Wahn auf voreiligem Schlussfolgern beruhe, was mit dem sog. Kugeltest auch empirisch untermauert werden konnte.
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die Behälter zumeist deutlich (viele Probanden geben an, dass die Wahrscheinlichkeit für Behälter A nach einer grünen Kugel lediglich 50% betrage), so dass eine Entscheidung nach nur einer Kugel in der Tat als unvorsichtig zu bezeichnen ist. Hastige Entscheidungen kommen auch bei gesunden Menschen vor – oft infolge von Zeitdruck, geringer persönlicher Relevanz der Entscheidungskonsequenzen und der Anwendung erfahrungsgeleiteter Heuristiken. Experten sind von vorschnellen Entscheidungen ebenfalls nicht frei, wenn z. B. der erfahrene Oberarzt der Meinung ist, eine Schizophrenie anhand der Gesichtszüge eines Patienten erkennen zu können, oder die Krankenschwester behauptet, eine neue Patientin hätte eine Borderlinestörung, da sie das Team spalte. Exkurs . Abb. 36.2. Variante des Kugel-Paradigma mit Fischen nach Woodward und Moritz. Nach jedem Fisch (Originalparadigma: Kugel) soll der Proband/die Probandin angeben, ob er/sie sich schon für einen der beiden möglichen Teiche entschieden hat (Originalversion: Gläser). Etwa 40–70% schizophrener Patienten entscheiden sich unabhängig vom Wahnstatus bereits nach einer Kugel/einem Fisch, während gesunde und psychiatrische Probanden zumeist mehrere Züge abwarten
Dieser Test erfreut sich seither großer Beliebtheit. In . Abb. 36.2 ist ein typischer Versuchsaufbau dargestellt. Im Kugelparadigma werden dem Probanden zwei Behälter mit bunten Kugeln in inversen Verhältnissen gezeigt (z. B. 85% zu 15% rote Kugeln in Behälter A und umgekehrt in Behälter B), die nachfolgend dem Blick der Versuchsperson entzogen werden. Je nach Versuchsanordnung zieht entweder ein Versuchsleiter oder der Computer Kugeln aus einem der Behälter und fordert den Probanden nach jedem Zug auf mitzuteilen, ob die dargebotene Information ausreicht, um zu entscheiden, aus welchem der beiden Behälter die Kugeln stammen, oder ob weitere Kugeln für eine sichere Festlegung benötigt werden. Tatsächlich handelt es sich immer um eine vordefinierte Sequenz von Kugeln, die meist einen Behälter klar favorisiert. Etwa 40–70% der schizophrenen Patienten treffen bereits nach einer gezogenen Kugel eine Entscheidung, während gesunde und psychiatrische Kontrollen meist mehrere Züge für ihre Entscheidung abwarten (Dudley u. Over 2003). In Studien, die konkreteres oder emotional bedeutsameres Material einsetzten, sind die Effekte in der Tendenz sogar etwas deutlicher. Obwohl von Kritikern wie Maher (2006) eingewendet wurde, dass schizophrene Patienten sich rationaler verhielten als gesunde Probanden (bei z. B. zwei grünen Kugeln schnellt die Wahrscheinlichkeit für Behälter A von 85% auf 97% – eine Entscheidung nach 1–2 Kugeln wäre somit statistisch vernünftig), ist ein pathologisch voreiliger Schlussfolgerungsstil, ein »jumping to conclusions bias«, auch in anderen Versuchsanordnungen erfolgreich nachgewiesen, die diese Interpretationsschwäche nicht besitzen (Bell et al. 2006). Außerdem unterschätzen sowohl gesunde als auch schizophrene Probanden die tatsächlichen Wahrscheinlichkeiten für
In einer Studie der Maastrichter Arbeitsgruppe um Jim van Os (Van Dael et al. 2005) wurde untersucht, ob die Neigung zum voreiligen Schlussfolgern (»jumping to conclusions« JTC) einen Vulnerabilitätsfaktor darstellt und ob sich der theoretisch zu vermutetende spezifische Zusammenhang mit Wahn auch empirisch erhärten lässt. Zur Klärung dieser Fragestellung wurden 40 Patienten mit Schizophrenie oder schizoaffektiver Störung, 40 nicht-psychotische Verwandte ersten Grades, 41 Probanden mit überdurchschnittlichen, jedoch noch subklinisch ausgeprägten psychosenahen Erlebnissen (schizotypischenSymptomen) sowie 53 Probanden mit durchschnittlichen Psychosewerten untersucht. Vermutet wurde, dass mit absteigender Vulnerabilität bzw. Symptomlast ein verringerter »jumping to conclusions«-Bias gezeigt wird. Die in diesem Abschnitt dargestellte Kugelaufgabe kam in der Untersuchung zur Anwendung. Hypothesenkonform wurde ein linearer Trend zum voreiligen Schlussfolgern und zur Psychoseneigung gefunden (OR=1,59, 95% CI: 1,13–2,24). Die Patientengruppe zeigte ein signifikant stärkeres voreiliges Schlussfolgern als die Kontrollgruppe (OR=3,77, 95% CI: 1,28– 11,07). Ein linearer Zusammenhang ergab sich zudem zwischen hastiger Antworttendenz und dem Ausmaß von Wahnvorstellungen (OR=2,59, 95% CI: 1,18–5,69). Diese Befunde sind ein deutlicher Beleg für die Hypothese, dass voreiliges Schlussfolgern mit einer erhöhten eigenschaftsartigenVulnerabilität für die schizophrene Psychose assoziiert ist (»trait«) und bei wahnhafter Symptomatik (»state«) eine zusätzliche Verstärkung erfährt.
Im Unterschied zu Schizophreniepatienten ist dem Entscheidungsverhalten von gesunden Probanden gemein, dass hastige Entschlüsse zumeist subjektiv unwichtigen Entscheidungen vorbehalten sind oder besonders valide Kriterien zu Rate gezogen werden. Demgegenüber lassen sich Patienten oft von Marginalien leiten. Zum Beispiel glaubte ein in unserem Hause behandelter Patient, der zukünftige deutsche Kaiser zu sein, weil er in einem Überraschungsei einen König mit Krone vorgefunden
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Kapitel 36 · Wahn – Psychologie
hatte. Die Tatsache, dass die Krone mit einer Schraube angebracht war, festigte den personellen Bezug, da er »selbst eine Schraube locker« habe. In einer neueren Studie unserer Arbeitsgruppe wurde sowohl die Tendenz schizophrener Patienten zu hastigen als auch wenig nachvollziehbaren Entscheidungen mit einer liberalen Akzeptanzschwelle in Verbindung gebracht (Moritz et al. 2006b). Wir präsentierten gesunden und schizophrenen Probanden Fragen im Stile der Quizsendung »Wer wird Millionär?« und baten um eine Einschätzung der Wahrscheinlichkeit von jeweils vier Antwortalternativen. Sofern sich ein Proband mit der Antwort sicher war, konnte er eine Entscheidung fällen (optional). Dieses Vorgehen erlaubte uns, die Schwelle zu bestimmen, deren Überschreitung eine Entscheidung subjektiv rechtfertigt. Im Mittel verhielten sich gesunde Probanden intuitiv gemäß dem statistischen Signifikanzkriterium (also 95% Urteilssicherheit für die Annahme einer Hypothese): Bei durchschnittlich 93% wurde eine Entscheidung getroffen. Bei schizophrenen Probanden war diese Schwelle dagegen signifikant niedriger (die untere Wahrscheinlichkeitsschwelle betrug 54% vs. 70%). Im Einklang mit Studien zum Kugeltest unterschieden sich die Probandengruppen nicht in der Wahrscheinlichkeitsbeurteilung per se. Schizophrene Patienten verhielten sich somit, salopp formuliert, wie schlechte Wissenschafter, die eine Wahrscheinlichkeit von z. B. 90% statt der üblichen 95% als beweisend für eine Hypothese erachten. Im Unterschied zur konventionellen Variante des Kugeltests ging eine voreilige Entscheidung nicht mit einer Verkürzung der Bearbeitungsdauer einher. Das Ergebnismuster kann somit nicht auf mangelnde Motivation zurückgeführt werden. Nach unserer Theorie ist das Kerndefizit bei Wahn nicht darin zu sehen, dass sich der Betroffene bei Vorliegen weniger Informationen gleich auf die erstbeste Interpretation versteift. Vielmehr werden initial mehr und v. a. auch absurde Interpretationen für die Realitätsbeurteilung zugelassen. Wären Wahnideen das Produkt hastiger Festlegungen, so würden sich die meisten Wahnideen in der Tat plötzlich entwickeln und geradezu über Nacht entstehen. Sorgfältige longitudinale Studien an Hunderten von Personen haben demgegenüber zeigen können, dass entsprechende Ideen oft über einen längeren Zeitraum »gären«. Während diese Ideen im Frühstadium wenig spektakulär sind (z. B. »Meine Gedanken sind verworren«) und einsetzende Zuschreibungen noch korrigierbar sind (sog. »als ob«-Erklärungen, z. B. »Mein Denken kommt mir so vor, als würde mir was eingepflanzt, was ich gar nicht denken möchte«), kommt es erst im Laufe der Zeit zur charakteristischen Perpetuierung der falschen Ursachenzuschreibung. Für eine liberale Akzeptanzschwelle sprechen zudem die Ergebnisse aus weiteren Studien unter Verwendung des Kugeltests: Patienten mit Wahnerleben sind im Gegensatz zu Gesunden eher bereit, ihre gewonnene Überzeugung bei neuer, widersprechender Information aufzugeben (Überkorrektur; Garety u. Freeman 1999). Die Annahme einer liberalen Akzeptanzschwelle impliziert, dass absurde Interpretationen, die gesunde Probanden schnell
aufgrund von Logik und »gesundem Menschenverstand« verwerfen würden, vom Patienten als Möglichkeiten weiter im Auge behalten werden. Aufgrund zufälliger Begebenheiten kann es dann zu einer spontanen Aufwertung dieser Interpretation kommen, insbesondere dann, wenn die Wahrheit schwer nachweisbar ist bzw. falsche Erklärungen kaum falsifizierbar sind. So kann das Knacken in der Telefonleitung auch bei Gesunden zur flüchtigen Vorstellung Anlass geben, die Leitung würde angezapft. Dieser Gedanke wird von gesunden Menschen jedoch schnell beiseitegeschoben werden, u. a. weil er neue, nicht beantwortbare Fragen aufwirft (z. B. »Wieso sollte jemand ein Interesse daran haben?«; »Führt das Abhören des Telefons heutzutage überhaupt noch zu Geräuschen?« etc.). Da schizophrene Patienten absurde Erklärungen aufgrund einer erniedrigten Akzeptanzschwelle weiter in Betracht ziehen, kann es bei assoziationsträchtigen Ideen schnell zur weiteren Einnistung kommen (z. B. bei Ertönen einer Polizeisirene in der Ferne). Dies kann über ein situationskongruentes Grundgefühl begünstigt werden (Angst, Depression), das die Aufmerksamkeit auch danach auf bedrohungsrelevante Reize lenkt (sog. Bestätigungstendenz). Im Einklang mit der Annahme eines liberalen Akzeptanzkriteriums haben wir in einer weiteren Studie festgestellt, dass eine Erhöhung der Ambiguität die Tendenz zum voreiligen Schlussfolgern bei Schizophrenie aufhob (Moritz et al. 2007c): Sind Patienten mit Schizophrenie mit 4 statt wie üblich 2 Behältern im Kugeltest konfrontiert, nivellieren sich Unterschiede bezüglich des Entscheidungsverhaltens. In einer anderen Untersuchung hielten Patienten Interpretationen von Bildern des Thematischen Apperzeptionstests (TAT) noch für denkbar, die gesunde Probanden als absurd verwarfen (Moritz u. Woodward 2004). Interessanterweise war diese Tendenz v. a. bei Patienten mit geringer Neuroleptikadosierung feststellbar, was bedeuten könnte, dass Neuroleptika die Filterfunktionen stärken. Eine Tendenz zur Favorisierung einzelner Interpretationen war zudem stärker bei den gesunden als den schizophrenen Probanden ausgeprägt. Auf die Auswirkungen liberaler Akzeptanz auf Gedächtnis- und v. a. Metagedächtnisprozesse sowie deren Behandlung wird in 7 Kap. 29 näher eingegangen. Als Risikofaktor für den Übergang harmloser »Basisstörungen« zu Wahnideen ist die soziale Isolation vieler Patienten zu werten, da ein äußeres Korrektiv hierdurch fehlt und die Verselbstständigung paranoider Ideen erleichtert wird. Die mangelnde soziale Einbindung hat verschiedene Ursachen. Während einige – v. a. negativ-symptomatische – Patienten angeben, keinen Wunsch nach sozialen Kontakten zu hegen (primärer sozialer Rückzug), leiden viele Patienten unter sozialer Ausgrenzung durch die Gesellschaft sowie ihr direktes Umfeld. Mit zunehmendem Wahn tritt oft ein aktiver sozialer Rückzug hinzu, der auf einem starken Misstrauen gegenüber der Umwelt fußt.
463 36.3 · Kognitionspsychologische Wahntheorien
36.3.4 Störungen der attentionalen Verarbeitung Wie Öhmann oder auch LeDoux zeigten, verarbeiten wir Reize in unserer Umgebung nicht gleichberechtigt. Bestimmte Merkmale, v. a. solche, die zu unserer derzeitigen Stimmung passen oder angstbesetzt sind, treten besonders hervor. Aussagen von Zeugen eines Banküberfalls sind oft wenig detailliert, da die Aufmerksamkeit fast gänzlich auf die Waffe des Räubers gerichtet war. Evolutionär bedeutsame Reize, z. B. der Anblick einer Schlange, scheinen das Stadium der bewussten Verarbeitung sogar überspringen zu können und stechen förmlich ins Auge. Bei Menschen mit Angststörungen und Depressionen liegt nachweislich eine akzentuierte Wahrnehmung störungsrelevanter Reize vor, wobei noch nicht abschließend geklärt ist, ob entsprechende Stimuli eine erleichterte Zugänglichkeit aufweisen (verringerte Wahrnehmungsschwelle), sich Menschen schwerer von diesen Reizen lösen können oder diese sogar aktiv vermeiden (wie dies z. B. bei Spinnenphobikern zumindest unter Laborbedingungen beobachtet wird; im realen Feld verfolgt der Patient dagegen oft genauestens, was die Spinne als nächstes »plant«). Angefangen mit Bentall u. Kaney (1989) haben sich klinische Psychologen verstärkt Gedanken darüber gemacht, ob paranoide Patienten einen Verarbeitungsvorteil für wahnrelevante Information besitzen, der in Kombination mit voreiligem Schlussfolgern einen Wahn anfachen oder aufrechterhalten könnte. Bisherige Studien in diesem Bereich haben zumeist Versuchsanordnungen benutzt, wie sie auch in der Angst- und Depressionsforschung gebräuchlich sind: z. B. den emotionalen StroopTest (7 Abschn. 36.3.2) mit wahnrelevantem Material oder die Messung von Augenfolgebewegungen bei Präsentation von neutralem und angstbesetztem Material. Merkmal einer attentionalen Verzerrung für wahnrelevantes Material wäre im Stroop-Test eine verzögerte Benennleistung der Wortfarbe für Reize wie »CIA«, weil das für die Bearbeitung irrelevante Wort die Aufmerksamkeit entweder unmittelbar auf sich zieht, nicht loslässt oder Rumination (Grübeln) einleitet. Dies ist in der Tat berichtet worden (Bentall u. Kaney 1989), bedarf jedoch noch der Replikation. Studien zu Augenfolgebewegungen ergeben noch kein abschließendes Bild. Green u. Phillips (2004) interpretieren die bisherige Befundlage im Sinne einer erleichterten Zugänglichkeit für wahn-relevantes Material, worauf zeitlich versetzt eine Vermeidungsreaktion folgt. In einer auf dem »Inhibition of Return«-Paradigma beruhenden Versuchsanordnung, die eine Dissoziation von Prozessen der automatischen Wahrnehmungsschwelle und kontrollierter Reizloslösung erlaubt (Moritz u. Laudan 2007), zeigten schizophrene Patienten unabhängig vom psychopathologischen Status eine deutliche Beschleunigung der Reaktionszeiten nach Präsentation wahnrelevanten Materials, wodurch es zu einer verbesserten Verarbeitung späterer Reize kommt. Dies könnte die bevorzugte Verarbeitung wahnrelevanter Kognitionen begünstigen. Aufgrund der Vielzahl möglicher Wahnthemen erscheint es unbedingt notwendig, eine individuelle Einschätzung eines jeden Stimulus bezüglich Valenz und Erregung vornehmen zu lassen.
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Anderenfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass bestimmte wahnrelevante Reize allein aufgrund höherer Vertrautheit bevorzugt verarbeitet werden. Außerdem könnten ursprünglich als neutral definierte Reize im Einzelfall eine andere Bedeutung tragen (z. B. könnte das Foto eines elektrischen Geräts bei einem Patienten Ängste auslösen, der permanent Stromstöße zu spüren vermeint). Zukünftige Studien an High-risk-Populationen erscheinen notwendig, um zu klären, ob etwaige Aufmerksamkeitsverzerrungen für wahnrelevantes Material disponierend für Wahn sind oder eine Folge des Krankheitsgeschehens darstellen. In edukativen Programmen werden Patienten auf diese mögliche Anomalie der Informationsverarbeitung bereits aufmerksam gemacht (Landa et al. 2006). 36.3.5 Need for closure Alternativ zur liberalen Akzeptanzhypothese ist Ambiguitätsintoleranz als Entstehungsmechanismus für voreiliges Schlussfolgern vermutet worden (Colbert u. Peters 2002). Hierbei wird ein Bestreben bei Wahnpatienten angenommen, undurchsichtige oder widersprüchliche Situationen mit Sinn zu versehen, da eine fortwährende Ungewissheit nicht ausgehalten werden kann. Typische Items der »Need for Closure (NFC)«-Skala sind »Ich mag keine unklaren Situationen« oder »Ich würde lieber schlechte Neuigkeiten erfahren, als im Zustand der Unsicherheit zu verweilen«. Angesichts des Bedrohungscharakters der meisten paranoiden Ideen kann NFC als Variante des Zweckpessimismus angesehen werden. Zu dieser Vorstellung passt, dass viele Patienten den Durchbruch einer Wahnidee oft mit Erleichterung erleben, da sie nun zu wissen glauben, wer der Feind ist und wie man sich auf ihn einstellen kann. Verfolgung durch Geheimorganisationen als Leitmotiv vieler Wahnideen ist hierdurch erklärbar. Diese verfügen angeblich über das nötige Quantum an Macht, Geld und Skrupellosigkeit sowie v. a. über sagenumwobene Mittel (neueste Technologie), um die erlebten Veränderungen herbeizuführen. Daneben erscheinen gerade die Undurchsichtigkeit und das Agieren im Verborgenen als wesentliche konstituierende Merkmale dafür, was Geheimdienste oder -bünde als Universalerklärung für psychosetypische Beeinträchtigungen besonders geeignet macht. Ungeachtet der Augenscheinplausibilität des Zusammenhangs von »need for closure« und voreiligem Schlussfolgern bietet die Literatur bisher ein recht inkonsistentes Bild (Freeman et al. 2006). Ferner ist eine Variante von »need for closure« auch bei Zwangspatienten beschrieben worden (»intolerance for uncertainty«); sie stellt somit aller Voraussicht nach kein Spezifikum der Schizophrenie dar. 36.3.6 Unkorrigierbarkeit Das zweite Wahnkriterium stellt nach Jaspers die Unkorrigierbarkeit dar. Dies bezeichnet die beharrliche Weigerung, Argu-
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Kapitel 36 · Wahn – Psychologie
mente anzuerkennen, die der eigenen Ansicht entgegenstehen. Typischerweise werden Gegenbeweise entweder in das Wahnsystem ad hoc einbezogen (Behandler: »Wenn der Geheimdienst Sie töten will, wieso hat er das nicht längst gemacht und schlitzt nur ihre Fahrradreifen auf?« – Patient: »Die haben zu viel Angst, einen Märtyrer zu schaffen.«) oder aber geleugnet. Zum Teil werden Kritiker sogar in die Front der Feinde eingereiht. Im klinischen Alltag führt dies gelegentlich zu einer Überbetulichkeit im Umgang mit Patienten. Der feste Glaube des Patienten wird weder erschüttert noch bestärkt. Es gibt jedoch gute Erfahrungen damit, wenn eine stabile Therapeut-Patient-Beziehung vorliegt und eine gewisse Distanz des Patienten zu seinen Ideen eingetreten ist, das Für und Wider der Überzeugungen mit dem Patienten zu thematisieren (Lincoln 2006). Entgegen der eigenen Selbstwahrnehmung (7 Kap. 29) neigen Patienten auch in neutralen, wahn-irrelevanten Situationen dazu, an frühzeitig favorisierten Meinungen festzuhalten und diese gegen Widerspruch zu verteidigen (Moritz u. Woodward 2006; Woodward et al. 2006). Wir fanden, dass Patienten über drei sukzessiv dargebotene Bilder, die auch Gesunde initial zu falschen Antworten verführten, trotz zunehmender Gegenbeweise an falschen Alternativen festhielten und so »auf dem Holzweg« blieben. Ein typisches Item ist in . Abb. 36.3 dargestellt: In einem verbalen Paradigma wurden nacheinander 3 Sätze dargeboten (1. Satz: »Heike ist sehr dünn«), welche wiederum falsche Fährten legten (Köderalternativen: »Heike ist ein Model«, »Heike ist essgestört«). Durch weitere Informationen büßten die Köderalternativen an Plausibilität ein (2. Satz: »Heike hat ein schweres Leben«; 3 Satz: »Heike hat nicht einmal ein Zuhause«). Gesunde Probanden schwenkten bei Hinweisen, die mit den zunächst plausiblen Hypothesen unvereinbar waren, frühzeitig um (richtige Lösung: Heike ist obdachlos), während schizophrene Patienten eine signifikant geringere Korrektur der falschen Alternativen vornahmen. Wie in den vorigen Abschnitten deutlich wurde, unterliegt der überzeugte Glaube an eine Wahnidee zum einen deutlichen Schwankungen, und zum anderen zeigten Personen mit Wahn-
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. Abb. 36.3. In der Versuchsanordnung werden Probanden die Bilder 3, 2 und 1 nacheinander präsentiert (d. h. in zeitlich umgekehrter Reihenfolge). Nach jedem neuen Bild soll jeweils die Plausibilität von 4 Interpretationen eingeschätzt werden. Während von den meisten Probanden im vorliegenden Beispiel zunächst die Interpretationen 1 und 2 favorisiert werden, revidieren gesunde Probanden nach Präsentation von Bild 2 signifikant stärker als schizophrene Patienten ihr Urteil in Richtung der richtigen Lösung (Interpretation 3)
überzeugungen in bestimmten Versuchsanordnungen (7 Abschn. 36.3.3) sogar eine Neigung zur Überkorrektur ihres Urteils. Folglich besteht zusätzlicher Forschungsbedarf, um die Moderatoren und Auslösebedingungen rigiden Entscheidens bei Schizophrenie zu charakterisieren. Unkorrigierbarkeit bei Wahn ist nicht als Spielart einer normalen Starrköpfigkeit zu betrachten, obwohl sie auf einem Kontinuum beschreibbar ist. Schließlich kommt es aber zu einem Umschlag des Quantitativen in das qualitativ Neue. Auch Wissenschaftlern haftet eine gewisse Unbelehrbarkeit an, und neue Erkenntnisse werden oft vehement bekämpft, bis sich die neue Strömung durchsetzt und selbst zur Hegemonialmeinung wird. Der evolutionäre Sinn gesunder Beharrlichkeit ist darin zu sehen, überformte Schemata erst aufzugeben, wenn diese systematisch zur Passung an die Realität versagen. Studien der kognitiven Psychologie zeigten, dass Rigidität gesunder Menschen durch starke Gegeninformation zunehmend geschwächt werden kann, während der schizophrene Patient an seiner Sichtweise »auf Biegen und Brechen« festhält, wobei noch einmal darauf hinzuweisen ist, dass die Überzeugung, mit der ein Patient an seine Ideen glaubt, Schwankungen unterworfen ist. Ob es sich bei diesem Phänomen um eine basale Störung handelt oder um eine Manifestation tiefer liegender psychischer Motive (Angst, wieder ins Chaos zu versinken; Scham bei Eingeständnis, dass man falsch gelegen hat etc.) oder um tiefere kognitive Mechanismen (z. B. liberale Akzeptanz), bedarf noch der weiteren Klärung (Maher 2006). Ebenfalls unbeantwortet ist die Frage, ob dieser Mechanismus wahnspezifisch ist oder es sich um eine eigenschaftsartige Disposition handelt. 36.3.7 Theory of Mind »Theory of Mind« (ToM) beinhaltet die Fähigkeit, sich in andere Menschen einzufühlen. Unterschieden wird häufig zwischen ToM erster Ordnung, bei der sich der Proband in eine handelnde
465 36.4 · Kognitive Modelle und therapeutische Implikationen
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. Abb. 36.4. Aufgabe einer »Theory of Mind« 2. Ordnung (aus dem Metakognitiven Trainingsprogramm für schizophrene Patienten, MKT). Mehrere Erklärungsmöglichkeiten kommen in Frage, was viele Patienten mit einem übermäßigen Wunsch nach sinnhafter Geschlossenheit (»need for closure«) als unbefriedigend erleben. So könnte der Mann in der Bildergeschichte nicht bemerkt haben, dass die Frau an der Informa-
tion telefoniert, und ihre Äußerung daher fälschlicherweise auf sich beziehen. Hierfür spricht, dass der Mann die Frau direkt anspricht und zunächst nicht versucht, sich Gehör zu verschaffen. In diesem Fall wäre er sicherlich aufgebracht. Der Mann könnte jedoch auch denken, dass die Frau an der Information besser ihrer Arbeit nachkäme, statt (privat) zu telefonieren
Person hineinversetzen soll, z. B. bei den Bildergeschichten von Brüne (2005), und ToM zweiter Ordnung, bei der ermittelt werden soll, was ein Protagonist der Geschichte über den anderen denkt. Beurteilungsfehler kommen bei ToM zweiter Ordnung v. a. dadurch zustande, dass die Versuchsperson nicht in der Lage ist, zwischen dem eigenen Informationsstand als allwissender Betrachter und dem Wissen zu unterscheiden, das den Protagonisten selbst zur Verfügung steht bzw. dem Wissensstand einer jüngeren Person oder eines Menschen aus einem anderen Kulturkreis. Ein Beispiel für eine Theory-of-Mind-Aufgabe zweiter Ordnung ist in . Abb. 36.4 dargestellt. Eine Darstellung aktueller Konzepte und Befunde findet sich in 7 Kap. 27.
36.4
Kognitive Modelle und therapeutische Implikationen
Basierend auf den dargestellten Einzeltheorien (7 Kap. 36.3) sind komplexe kognitive Erklärungsmodelle für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Wahn entwickelt worden (z. B. Bentall et al. 2001). Diesen Modellen ist die Annahme gemein, dass unter Belastung auftretende Schwierigkeiten bei der Reizverarbeitung zu anomalen Erfahrungen führen, für die eine Erklärung gesucht wird. Bei der Auswahl der Erklärung begünstigten eine Neigung zu voreiligem Schlussfolgern, negative Selbstkonzepte und ein external-personifizierender Attributionsstil sowie Schwierig-
466
Kapitel 36 · Wahn – Psychologie
keiten, sich in den mentalen Zustand anderer Personen hineinzuversetzen, die Entstehung einer wahnhaften Interpretation. Für die Aufrechterhaltung wird neben den bereits erwähnten kognitiven Stilen auch eine selektive Informationsaufnahme (»confirmation bias«) sowie soziale Isolation und damit die Vermeidung/ Verhinderung korrigierender Erfahrungen verantwortlich gemacht. Obwohl diese Modelle zum Teil auf noch nicht hinreichend bestätigten Befunden beruhen und das postulierte Zusammenspiel zwischen den kognitiven Korrelaten bisher wenig untersucht wurde, bilden sie einen hilfreichen Ausgangspunkt für die Generierung neuer Hypothesen. Sie spielen zudem in der Ableitung des Rationals für kognitiv-behaviorale Interventionen zur Veränderung von Wahn eine wichtige Rolle, indem sie dem Patienten eine plausible und nachvollziehbare psychologische Erklärung für seine bisher wahnhaft verarbeiteten Erfahrungen bieten. Diese alternative Erklärung wird während der Therapie getestet. Dies geschieht unter anderem, indem die den Wahn stützenden Anhaltspunkte mit Hilfe des Therapeuten behutsam auf ihre Richtigkeit hin geprüft werden, wobei kognitive Verzerrungen und dysfunktionale Selbstkonzepte korrigiert werden. Eine solche Vorgehensweise hat sich als wirksam in der Reduktion wahnhafter Überzeugungen erwiesen (eine detaillierte Darstellung der Vorgehensweise und ein Überblick über Wirksamkeitsnachweise finden sich bei Lincoln 2006). Ein alternativer Ansatz besteht darin, statt bei den individuellen wahnhaften Überzeugungen direkt bei der Veränderung kognitiver Verarbeitungsstile anzusetzen. In dem in 7 Kap. 29 besprochenen metakognitiven Training (Moritz et al. 2005) wird ein solches Vorgehen gewählt. Neben Trainingseinheiten, die alle oben besprochenen kognitiven Verzerrungen und Denkstile zum Inhalt haben, erhalten die Patienten Kärtchen mit sokratischen Fragen, die die Stichhaltigkeit ihrer Annahmen überprüfen sollen: 1. Was sind die Beweise? 2. Gibt es andere Sichtweisen? 3. Selbst wenn ich recht habe – reagiere ich eventuell über?
36
Ein Training, das von den individuellen Themen der jeweiligen Patienten losgelöst ist, bietet den Vorteil, dass es weniger Widerstand bei den Betroffenen hervorruft und über die Änderung der »Infrastruktur« des Wahns einen Generalisierungseffekt verspricht. Schließlich eröffnet die direkte Aufklärung über am Wahn beteiligte Denkverzerrungen bei den Patienten und seinen nächsten Angehörigen eine mögliche Hilfe zur Selbsthilfe. Ähnlich der Psychoedukation, bei der Patienten angeleitet werden, Frühwarnsymptome für einen Rückfall zu erkennen (z. B. Prodromalsymptome wie Schlafstörungen oder sensorische Irritationen), sollten Betroffene verstärkt auf ihre kognitiven Verzerrungen sowie über deren Bedeutung für die Psychoseentstehung hingewiesen werden (Landa et al. 2006; Lincoln 2006). Da einem Wahn oft ein wochenlanger schleichender Prozess vorausgeht und erst im Akutstadium alle Facetten des anfangs besprochenen Vollbildes auftreten, besteht Hoffnung, dass der Patient selbst oder mit Hilfe seiner Thera-
peuten und Angehörigen solche Entwicklungen rechtzeitig erkennt und sich darauf einstellt oder gar in Behandlung begibt. Stressmanagement, eine Veränderung der sozialen Situation, erhöhte psychotherapeutische Anstrengungen und/oder die Erhöhung der neuroleptischen Dosierung können Maßnahmen sein. Diese psychotherapeutischen Maßnahmen bestreiten keinesfalls die genetische Disposition der Schizophrenie sowie eine Störung bestimmter Transmittersysteme. Analog zum Krankheitsverständnis bei anderen Störungsbildern, z. B. der Depression, könnte eine psychotherapeutische Beeinflussung der Symptome auch deren biologische Korrelate (dauerhaft) günstig verändern und nicht allein andersherum. 36.5
Abschließende Bemerkungen
Viele Fragen zum Wahn sind derzeit ungelöst. Zukünftige Forschung wird sich u. a. stärker darum zu kümmern haben, welche Auslösefaktoren dafür verantwortlich sind, dass bestimmte kognitive Dispositionen in Wahn münden. Andererseits bedarf es der Identifikation protektiver Faktoren, die dafür sorgen, dass eine vorhandene besondere Vulnerabilität keinen Wahn nach sich zieht oder im Stadium der schizotypischen Persönlichkeitsstörung bzw. schizotypen Störung Halt macht. Ferner ist noch unklar, ob es sich bei den aufgeführten Denkstilen um unabhängige Mechanismen handelt, die eine nur zufällige pathogenetische Endstrecke besitzen, oder ob sie sich vielmehr gegenseitig bedingen, wie dies von Bentall in Randall et al. (2003) z. B. für den Attributionsstil und die »Theory of Mind« angenommen wurde. Darüber hinaus könnte die kognitive Forschung davon profitieren, wenn die Gabe von Neuroleptika nicht mehr als Störvariable herausgerechnet, sondern stärker unmittelbar in die Forschung einbezogen würde. Am Wahngeschehen direkt beteiligte Mechanismen sollten durch die Gabe oder Dosiserhöhung von Neuroleptika beeinflusst werden. In diesem Zusammenhang ist außerdem zu bemängeln, dass die hier vorgestellten kognitiven Befunde und Modelle weitestgehend unverbunden neben biologischen Erklärungsmodellen stehen. Künftig diese Verbindung herzustellen, ist eine zentrale Herausforderung. Schritte in diese Richtung finden sich z. B. bei Kapur (2003). Zum weiteren Erkenntnisfortschritt dürfte zudem beitragen, besser definierte Patientenkollektive zu untersuchen. Es ist noch unklar, welche Denkverzerrungen mit welchen Symptomen zusammenhängen oder ob relevante Unterschiede zwischen Patienten mit einer Erstmanifestation vs. chronifiziertem Verlauf bestehen. Homogene Patientengruppen würden zudem die Entwicklung gezielter Interventionsstrategien ermöglichen, da ein Patient mit Größenwahn wahrscheinlich andere Denkverzerrungen aufweist als jemand mit paranoider Beziehungssetzung. Schließlich begrüßen wir die begonnene Revision des Wahnbegriffs, der die Mehrdimensionalität des Wahns, einschließlich des mit Wahn verbundenen Leidensdruckes, und die Fluktuation einzelner Aspekte mehr als bisher berücksichtigt.
467 Literatur
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36
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37 Wahn – Bildgebung Martin Voss, Peter Kalus, Astrid Knobel und Andreas Heinz
37.1
Anatomische und bildgebend-korrelative Studien – 469
37.2
Neurobiologische Erklärungsmodelle: Störung der dopaminergen und glutamatergen Transmission in anatomischen und bildgebenden Studien – 471
37.2.1 37.2.2
Dopamin als Neuromodulator – 471 Dopamin-Glutamat-Interaktionen – 474
37.3
Bildgebende Untersuchungen neuropsychologischer Erklärungsmodelle – 476
37.3.1 37.3.2 37.3.3
Wahnstimmung und Wahnwahrnehmungen – 476 Kognitive Bias – 476 Verfolgungs- und Beeinflussungswahn als »Theory of Mind«-Störung
37.4
Zusammenfassung Literatur
– 481
– 481
– 479
469 37.1 · Anatomische und bildgebend-korrelative Studien
Der Wahn ist unter den Symptomen der Schizophrenie eines der prominentesten und faszinierendsten Phänomene. Seit Beginn der Erforschung psychischer Erkrankungen haben Wissenschaftler versucht, Theorien zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Wahnsymptomen aufzustellen. Die phänomenologische Charakterisierung der Psychopathologie und Befunde aus Verhaltensstudien wurden seit der Entstehung der sog. »Dopamin-Hypothese« der Schizophrenie zunehmend durch tierexperimentelle und pharmakologische Untersuchungen zu den neurobiologischen Grundlagen des Wahns ergänzt. In den beiden letzten Jahrzehnten gelang es, mit Hilfe bildgebender Verfahren auch die neuralen Korrelate einzelner Wahnsymptome ansatzweise zu identifizieren. Im Folgenden sollen die wesentlichen Konzepte und Theorien mit Bezug auf die bisher vorliegenden Befunde zur Bildgebung bei Wahnsymptomen vorgestellt werden. 37.1
Anatomische und bildgebendkorrelative Studien
Eine Möglichkeit, relevante Hirnareale zu identifizieren, denen eine Rolle bei der Manifestation der Wahnsymptomatik zukommt, stellen volumetrische Studien dar, bei denen Volumina des gesamten Gehirns oder einzelner spezifischer Hirnregionen (»Regions of Interest«, ROI) bei Patienten mit Schizophrenie und Wahnsymptomen im Vergleich zu gesunden Kontrollen bestimmt werden. Bei sorgfältiger Auswahl der jeweiligen Gruppen bezüglich der Ausprägung einzelner Krankheitssymptome können korrelative Zusammenhänge zwischen neuronaler Struktur und Psychopathologie hergestellt werden. Zahlreiche In-vivoMRI-Studien zeigten Volumendefizite im (prä-)frontalen, parietalen und temporalen Kortex bei Patienten mit Schizophrenie (. Tab. 37.1; Übersicht bei Shenton et al. 2001). Die wenigsten dieser Studien differenzieren dabei zwischen Patienten mit und ohne Wahnsymptomatik; meist beziehen sich Korrelationen zwischen Volumenveränderungen und psychopathologischen Befunden auf das gesamte Cluster der Positivsymptome, also auch auf Halluzinationen und Ich-Störungen. Szeszko et al. (1999) zeigten, dass das Verhältnis von rechtem orbitofrontalen Kortex zu rechtem anterioren zingulären und superiorem frontalen Gyrus signifikant positiv mit der Wahnsymptomatik männlicher schizophrener Patienten korrelierte. Dieser Befund konnte teilweise in einer kürzlich erschienenen weiteren Studie bestätigt werden: Laut Nestor et al. (2007) korrelierte das Volumen des superioren temporalen Gyrus negativ mit der Schwere der Positivsymptomatik und dem Ausmaß der Störung der Exekutivfunktionen. Gur et al. (1998) hingegen fanden eine Assoziation zwischen Volumenzunahme des Thalamus und Putamens und der Schwere positiver Symptome bei einer Gruppe unmedizierter Patienten mit Schizophrenie. Kwon et al. (1999) zeigten, dass Volumenreduktionen des linken Planum temporale bei männlichen Probanden mit Schizophrenie mit Misstrauen und Verfolgungswahnsymptomen assoziiert waren. Es ist bekannt, dass Regionen
37
des Assoziationskortex erst im frühen Erwachsenenalter vollständig ausgereift und dementsprechend anfällig für Störungen der Neurogenese sind (Ross u. Pearlson 1996), wie sie von der entwicklungsbiologischen Hypothese der Entstehung schizophrener Psychosen (Weinberger 1987; Murray u. Lewis 1987) postuliert werden. In ersten bildgebenden Studien mit Positronenemissionstomographie (PET) und Singlephotonenemissionscomputertomographie (SPECT) wurden Korrelationen zwischen regionalem zerebralen Blutfluss (»Regional Cerebral Blood Flow«, rCBF) und Auftreten von Wahn untersucht (. Tab. 37.1). Hierbei handelte es sich zunächst um Untersuchungen »in Ruhe«, d. h. dass die Funktion der jeweiligen Kortexareale im Zusammenhang mit kognitiven Aufgaben zunächst unberücksichtigt blieb. Passend zu den oben genannten anatomischen Studien korrelierte in einer frühen PET-Studie die Schwere der Wahnsymptomatik (gemessen an der »reality distortion«-Dimension des DSM) positiv mit dem zerebralen Blutfluss im linken parahippokampalen Gyrus (Area BA 27/30), im linken superioren temporalen Kortex (Area BA 22) und im linken Striatum (Liddle et al. 1992). Kaplan et al. (1993) kamen zu ähnlichen Ergebnissen: Sie fanden in einer PET-Studie eine positive Korrelation zwischen lokalem Glukosemetabolismus und Wahnsymptomatik im linken temporalen, inferior-parietalen und okzipitotemporalem Kortex, während im rechten posterior-frontalen und anteriorparietalen Kortex der Glukosemetabolismus negativ mit der Wahnsymptomatik korrelierte. Kohno et al. (2006) zeigten in einer SPECT-Untersuchung, dass das Maß an »Misstrauen« (ermittelt anhand des »Suspiciousness-Score« aus der »Brief Psychiatric Rating Scale«, BPRS) positiv mit dem regionalen Blutfluss im Bereich des linken inferioren temporalen Gyrus korrelierte. In einer weiteren SPECT-Studie fand sich bei einer Gruppe von Patienten mit religiösem Wahn eine Assoziation der Schwere der Wahnsymptomatik mit einer erhöhten Aufnahme des radioaktiven Tracers im linken Temporalkortex bei gleichzeitig verminderter Aufnahme im linken Okzipitalkortex (Puri et al. 2001). Sabri et al. (1997) beobachteten bei einer Gruppe unmedizierter schizophrener Patienten eine negative Korrelation der Ausprägung des Wahns, des Misstrauens und der Halluzinationen mit dem Blutfluss im Zingulum, dem linken Thalamus sowie dem linken Frontal- und Parietallappen. Die genannten Studien zeigen übereinstimmend Hinweise auf eine Beteiligung des temporolimbischen Kortex bei der Entstehung von Wahnsymptomen, während die Befunde bezüglich der Richtung der Blutflussänderung und der Beteiligung anderer Kortexareale (wie dem präfrontalen und parietalen Kortex) oder subkortikaler Areale teils widersprüchlich sind. In den folgenden Kapiteln sollen nun einzelne spezifische Aspekte der Wahngenese vorgestellt werden, wodurch die Bedeutung der in den oben genannten Studien identifizierten Hirnregionen für das Vorhandensein von Wahnsymptomen deutlicher wird.
470
Kapitel 37 · Wahn – Bildgebung
. Tab. 37.1. Anatomische und bildgebend-korrelative Studien zu Wahn (Auswahl). Ergebnisse sind auf Befunde bezüglich Wahnsymptomatik fokussiert Autor/Jahr
Modalität
Untersuchtes Phänomen/Symptomatik
Probanden
Ergebnis bzgl. Wahnsymptomatik
Interpretation/ Schlussfolgerung
Nestor et al. (2007) Schizophr Res 2007 Jan 15 (Epub ahead of print)
RBM
Korrelation zwischen Morphologie und Positiv- oder Negativsymptomatik/ Neuropsychologie
22 SZ (alle M, mediziert)
4 Volumenreduktion im STG: assoziiert mit Positivsymptomatik und Störungen von Exekutivfunktionen 4 Volumenreduktion im linken FG: assoziiert mit Negativsymptomatik und Störungen des Gesichtergedächtnisses
Ausprägung verschiedener Symptome/Störungen bei schizophrenen Patienten sind mit unterschiedlichen morphologischen Veränderungen assoziiert.
Gur et al. (1998) Am J Psychiatry 155: 1711–1717
RBM
Morphometrie subkortikaler Stukturen in Assoziation mit Symptomatik und Neuroleptikaexposition
96 SZ (50 M), 21 davon neuroleptikanaiv und 128 CON (60 M)
Höhere Volumina des Putamens und des Thalamus bei neuroleptikanaiven SZ mit Ausprägung der Positivsymptomatik korreliert
Strukturelle Veränderungen In subkortikalen Arealen assoziiert mit Ausprägung von Positivsymptomatik.
Szesko et al. (1999) Psychiatry Res 90: 1–15
RBM
Morphometrie versch. Subregionen des frontalen Kortex bei SZ
19 SZ (10 M) mit Erstmanifestation, 26 CON (16 M)
Ratio der Volumina des rechten orbitofrontalen Kortex gegenüber dem anterioren Zingulum/superior-frontalen Gyrus korrelierte signifikant mit Ausprägung von Wahnsymptomatik bei männlichen Patienten
Störung der reziproken Verbindungen zwischen »archikortikalen« und »paleokortikalen« frontalen Arealen spielt eine Rolle bei der Ausprägung der Wahnsymptomatik bei männlichen Patienten.
Suzuki et al. (2005) Psychol Med 35: 549–560
RBM
Morphologische Korrelate schneiderscher Erstrangssymptome
22 SZ (9 M; mediziert), 44 CON (18 M)
SZ: pVolumen des zingulären Kortex und der Amygdala; Symptomausprägung korreliert invers mit Volumen des rechten posterioren zingulären Cortex und des linken anterioren Gyrus parahippocampalis
Erstrangssymptome, assoziiert mit morphologischen Alterationen in limbischparalimbischen Regionen, die mit dem Selbstmonitoring und der Speicherung und Reaktivierung von Informationen befasst sind.
Liddle et al. (1992) Br J Psychiatry 160: 179–186
PET
Korrelation zwischen rCBF in Ruhe und Ausprägung verschiedener Symptomcluster bei SZ
30 SZ (25 M), mediziert
Positive Korrelation zwischen Wahnsymptomatik und rCBF im linken parahippokampalen Gyrus, linken superioren temporalen Kortex und linken Striatum
Verschiedene Perfusionsmuster bei unterschiedlichen Symptomclustern stützen die Theorie, dass Funktionsstörungen voneinander abgrenzbarer neuronaler Netzwerke zur Ausprägung der Symptome führen.
Kaplan et al. (1993) Schizophr Res 11: 47–54
PET
Korrelation zwischen relativer Rate des Glucosemetabolismus (rCMRglu) in Ruhe und Ausprägung verschiedener Symptomcluster bei SZ
20 SZ (17 M), mediziert
Positive Korrelation zwischen Wahnsymptomatik und rCMRglu im linken inferiorparietalen, okzipitotemporalen und temporalen Kortex sowie negative Korrelation mit rCMRglu im rechten posteriorfrontalen und anterior-parietalen Kortex
Bestätigt im Wesentlichen die Befunde von Liddle et al. 1992.
37
471 37.2 · Neurobiologische Erklärungsmodelle: Störung der dopaminergen und glutamatergen Transmission
37
. Tab. 37.1 (Fortsetzung) Autor/Jahr
Modalität
Untersuchtes Phänomen/Symptomatik
Probanden
Ergebnis bzgl. Wahnsymptomatik
Interpretation/ Schlussfolgerung
Sabri et al. (1997) Lancet 349: 1735–1739
SPECT
Korrelation zwischen rCBF in Ruhe und Ausprägung von Positivund Negativsymptomatik bei SZ
24 SZ (16 M), unmediziert; 20 CON (8 M)
Negative Korrelation zwischen Ausprägung von Wahn, Misstrauen, und Halluzinationen mit rCBF in Zingulum, linkem Thalamus sowie Frontal- und Parietallappen
Hinweis für eine differenzielle Assoziation abgrenzbarer neuronaler Netzwerke mit unterschiedlichen Symptomkomplexen.
Kohno et al. (2006) Psychiatry Res 147(2–3): 163–171
SPECT
Korrelation zwischen rCBF in Ruhe und Ausprägung klinischer Symptomatik bei SZ
29 SZ (12 M), mediziert
Positive Korrelation zwischen dem Maß an »Misstrauen« und rCBF im linken inferioren temporalen Gyrus
Quantitative Untersuchung der Ausprägung von Aspekten des Verfolgungswahns durch Messung zerebraler Perfusion.
Puri et al. (2001) Int J Psychophysiol 40(2): 143–148
SPECT
Korrelation zwischen rCBF in Ruhe und Ausprägung religiösen Wahns bei SZ
1 SZ – Patient (M) mit religiösem Wahn, unmediziert
Erhöhte Tracer-Aufnahme im frontalen und linken temporalen Kortex sowie verminderte Aufnahme im linken okzipitalen Kortex bei Untersuchung im akuten Stadium im Vergleich zu Untersuchung in Remission
Neurale Korrelate für religiösen Wahn.
CON: gesunde Kontrollpersonen; FG: Fusiformer Gyrus; PET: Positronenemissionstomographie; PFC: präfrontaler Kortex; RBM: »Region of Interest«-basierte Morphometrie; SPECT: Singlephotonenemissionscomputertomographie; STG: superiorer temporaler Gyrus; SZ: Schizophrenie; VBM: voxelbasierte Morphometrie
37.2
Neurobiologische Erklärungsmodelle: Störung der dopaminergen und glutamatergen Transmission in anatomischen und bildgebenden Studien
Grundlage der folgenden Überlegungen ist das empirisch plausible, wenn auch noch nicht hinreichend gesicherte Modell einer entwicklungsgeschichtlich frühen Störung im Bereich der neuronalen Organisation des temporolimbischen Systems, die sekundär zu Störungen der Kontrolle des frontalen Kortex über die subkortikale Dopaminfreisetzung beitragen kann. Dieses Modell, ursprünglich von Weinberger (1987) und Murray u. Lewis (1987) konzipiert, wurde im Tierversuch im Hinblick auf die grundsätzliche Plausibilität der entwicklungsbiologischen Annahmen untersucht (Heinz u. Weinberger 2000) und durch eine Vielzahl von histopathologischen Befunden unterstützt, auch wenn die neuropathologischen Befunde im Detail häufig voneinander abweichen (Kalus et al. 1999; Harrison 1999). Im Wesentlichen weisen die Studien darauf hin, dass unterschiedliche Noxen bei der neuronalen Entwicklung im zweiten Schwangerschaftstrimenon zu Migrationsstörungen im temporolimbischen Bereich des Fetus führen könnten. Diese führen dann als gemeinsame Konsequenz zu einer temporolimbisch-präfrontalen Fehlvernetzung, die im Rahmen von weiteren Entwicklungsschritten nach der Pubertät (Heinz u. Weinberger 2000) eine Fehlfunktion
des präfrontalen Kortex und eine stressbedingte Enthemmung der subkortikalen Dopaminfreisetzung zur Folge haben. Für letztere findet sich in bildgebenden Studien, insbesondere mit PET, mittlerweile eine Vielzahl von Hinweisen (Abi-Dargham et al. 2000; Grunder et al. 2003). 37.2.1 Dopamin als Neuromodulator Eine wesentliche Funktion von Dopamin im ZNS ist es, die Bedeutung (»Salience«) von Umweltreizen und neuralen Korrelaten von Erinnerungen oder Emotionen zu modulieren. Hierbei sollen relevante und neue Reize von unwichtigen unterschieden werden, um zielgerichtetes Handeln zu ermöglichen. Ein wesentlicher (und vorwiegend dopaminerg vermittelter) Mechanismus ist die Kodierung des sog. Prädiktionsfehlers (»prediction error«). Der Prädiktionsfehler beschreibt das Maß an Abweichung zwischen der (zeitlich) erwarteten und der tatsächlich eingetroffenen Konsequenz einer Handlung. Entsprechend traditionsreichen Modellen des formalen Lernens (Dickinson 2001) steuert der Prädiktionsfehler adaptives Verhalten, indem die Aufmerksamkeit auf verhaltensrelevante Reize gelenkt und kausale Attributionen zwischen Reiz und Ereignissen in der Umwelt hergestellt werden. Eine Störung dieses Systems kann dazu führen, dass überraschendes »Nicht-Übereinstimmen« signalisiert wird, neue
472
Kapitel 37 · Wahn – Bildgebung
Exkurs Frühe Störung des temporolimbischen Systems Weinberger (1987) und Murray u. Lewis (1987) postulierten, dass schizophrene Psychosen durch eine entwicklungsgeschichtlich frühe (intrauterine) Störung der neuronalen Organisation des temporolimbischen Kortex und seiner Vernetzung mit dem präfrontalen Kortex entstehen können. Eine Störung der kortikalen Erregung und Hemmung durch Unterfunktion des exzitatorischen Neurotransmitters Glutamat kann laut Carlsson et al. (1999) zu sekundären Störungen der dopaminergen Neurotransmission im Striatum führen. Tatsächlich zeigte sich im Tiermodell, dass unter Stressbedingungen (präfrontale monoaminerge Stimulation) und unter gleichzeitiger antiglutamaterger Ketaminnarkose eine phasische Erhöhung der striären Dopaminfreisetzung auftritt, die sich aber nur bei Primaten mit einer entwicklungsgeschichtlich frühen
temporolimbischen Läsion findet, nicht jedoch bei gesunden Tieren oder bei Tieren mit einer gleichartigen Läsion im Erwachsenenalter (Heinz u. Weinberger 2000). Auch beim Menschen konnte nach Ketamingabe eine phasische Enthemmung der striären Dopaminfreisetzung beobachtet werden, deren Ausmaß der erhöhten Dopaminfreisetzung bei unmedizierten, akut schizophrenen Patienten entsprach (Kegeles et al. 2000). Diese Befunde sprechen dafür, dass eine temporolimbisch-präfrontale Dysfunktion dann zu einer phasisch erhöhten subkortikalen Dopaminfreisetzung führen kann, wenn erstens die kortikale Dysfunktion entwicklungsgeschichtlich früh erworben wurde und zweitens akute Stressfaktoren oder eine antiglutamaterge Medikation die präfrontale Funktion weiter beeinträchtigen.
. Abb. 37.1. Die neurobiologische Entwicklungshypothese der schizophrenen Psychosen: Die intrauterine Fehlvernetzung des temporolimbischen und präfrontalen Kortex führt zur postpubertären Enthemmung der striären Dopaminfreisetzung z. B. bei Stressexposition
37
Assoziationen gebildet und (verhaltens)irrelevante Reize fälschlich als bedeutsam hervorgehoben werden. Alle bekannten Drogen mit Abhängigkeitspotenzial aktivieren die phasische Dopaminfreisetzung und führen so dazu, dass die drogenassoziierte Belohnung und insbesondere die konditionierten Umweltreize, die diese Belohnung ankündigen, als besonders relevant wahrgenommen werden. Diesem Mechanismus wird eine wichtige Rolle bei der Entstehung abhängigen Verhaltens zugeschrieben, da diese so kodierten Reize Aufmerksamkeit auf sich ziehen und Drogensuchverhalten auslösen können (Heinz 2002a). Allerdings stellt sich die Frage, warum schizophrene Patienten mit Enthemmung der phasischen Dopaminfreisetzung bestimmte Umweltreize als »mit geheimnisvoller Bedeutung« aufgeladen wahrnehmen, während eine Bedeutungshervorhebung von Umweltreizen z. B. bei Suchtkranken den Charakter des Geheimnisvollen komplett entbehrt und drogenassoziierte Umweltreize »simples« Drogenverlangen oder Drogensuchverhalten auslösen. Eine mög-
liche Erklärung hierfür wäre, dass die drogenassoziierten, konditionierten Umweltreize das Eintreffen einer Belohnung vorhersagen, die mit bekannten motorischen Handlungen erreicht werden kann (eben dem Drogensuchverhalten). Bereits bekannte und in ihrem Kontext handlungsanleitende Umweltreize werden also bei abhängig Kranken lediglich in ihrer Bedeutung hervorgehoben: Es fällt den Suchtkranken schwer, die Aufmerksamkeit von diesen Reizen abzulenken und z. B. bei Konfrontation mit Alkoholbildern in der Werbung kein Alkoholverlangen zu entwickeln. Das Besondere der phasischen Erhöhung der Dopaminfreisetzung in der akuten Psychose könnte es demgegenüber sein, dass diese mehr oder weniger chaotisch Umweltreize hervorhebt, für die keine kontextuell gesicherte Handlungsanleitung besteht. Die Reaktionskette Stimulus – Reaktion – Konsequenz (S–R–C) wäre also nicht etabliert, und die betroffene Person ist lediglich damit konfrontiert, dass sich ihr der Eindruck aufdrängt, ein Umweltreiz habe eine wichtige, aber noch unerkannte Bedeutung.
473 37.2 · Neurobiologische Erklärungsmodelle: Störung der dopaminergen und glutamatergen Transmission
37
Box 1 Gezeigt werden die Entladungsraten dopaminerger Neurone. Diese zeigen bei überraschendem Eintreffen einer Belohnung (z. B. Bananenkügelchen bei Affen: unkonditionierter Stimulus=UCS) eine phasische Zunahme der Entladungsraten (Schultz et al. 1997). Wenn das Individuum jedoch gelernt hat, dass ein konditionierter Stimulus (CS) das Eintreffen der Belohnung zeitlich zuverlässig vorhersagt, entladen die dopaminergen Neurone phasisch nach Präsentation des belohnungsanzeigenden Stimulus (CS), nicht aber beim Eintreffen der Belohung. Dieses Verhalten kann als neuronale Antwort auf einen Prädiktionsfehler (»prediction error«, PE) mathematisch beschrieben werden: PE=»bedeutungsvoller Umweltreiz eingetroffen« minus »bedeu-
tungsvoller Umweltreiz erwartet«. Die überraschende Belohung (UCS) oder das überraschende Auftreten eines belohungsanzeigenden Umweltreizes (CS) lösen also eine phasische dopaminerge Entladung aus, während die durch den konditionierten Stimulus angekündigte Belohung (»bedeutungsvoller Umweltreiz eingetroffen«=»bedeutungsvoller Umweltreiz erwartet«) dies nicht tut (Schultz et al. 1997). Eine stressabhängig oder chaotisch überaktivierte phasische Dopaminfreisetzung könnte also bei schizophrenen Patienten dazu führen, dass zeitlich zufällig koinzidente, an sich irrelevante Umweltreize als bedeutsam erlebt werden und so zur Wahnstimmung beitragen (Heinz 2002a; Kapur 2003).
. Abb. 37.2. Prädiktionsfehler und phasische Dopaminfreisetzung
Es ist daher plausibel zu hypostasieren, dass eine solche chaotische Dopaminfreisetzung bei schizophrenen Patienten eben nicht gezielt einzelne belohnungsanzeigende Reize hervorhebt, sondern eine Vielzahl von bisher neutralen Umweltreizen mit überwertiger Bedeutung versehen kann. Passend hierzu existiert eine Reihe von Befunden, die die Ausbildung von Wahnsymptomen als Folge eines Fehlers bei der Generierung und
Verarbeitung des sog. Prädiktionsfehlers erklären. Die unkoordinierte Dopaminfreisetzung (v. a. in mesolimbischen Arealen) könnte bei schizophrenen Patienten zu einem abnormalen Filtern (»gating«) externer und interner Reize führen, sodass diese eine übermäßig große Bedeutung erlangen oder einen unverhältnismäßig hohen Anreiz zu (Fehl-)Handlungen bieten (»incentive salience attribution«; Heinz 2002a; Kapur 2003). Wenn der pha-
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Kapitel 37 · Wahn – Bildgebung
sische Dopaminausststoß überraschend eintreffende Umweltreize begleitet, die eine Belohnung registrieren oder als konditionierte Stimuli zeitlich überraschend eine solche Belohnung vorhersagen (Schultz et al. 1997), könnte sich als psychopathologisches Korrelat dieser Situation die sog. Wahnstimmung ergeben (7 Abschn. 37.3). Passend zu dieser Hypothese fanden Abi-Dargham et al. (2000), dass die erhöhte Dopaminfreisetzung bei akuten Psychosen mit der Produktivsymptomatik korrelierte, auch wenn eine spezielle Korrelation mit der Wahnstimmung in dieser Studie nicht nachgewiesen wurde. Auch die präsynaptische Synthesekapazität für Dopamin ist bei unmedizierten schizophrenen Patienten erhöht (Grunder et al. 2003). Ein Korrelat dieser »chaotischen« Dopaminfreisetzung im mesolimbischen System konnte in neueren fMRI-Studien gefunden werden: Juckel et al. (2006) zeigten bei einer Gruppe von unmedizierten schizophrenen Patienten eine signifikante Abnahme der Aktivierung im ventralen Striatum während der Präsentation eines belohnungsanzeigenden Reizes im Kontrast zu einem neutralen Reiz (. Abb. 37.3). Der Befund korrelierte mit der Stärke der Negativsymptomatik und trendweise mit der Ausprägung der Positivsymptomatik. Eine Erklärung, warum die Aktivierung im Bereich des ventralen Striatums im Zusammenhang mit belohnungsanzeigenden Reizen trotz des Dopaminüberschusses im mesolimbischen System vermindert ist, lässt sich in einer Studie von Knutson et al. (2004) finden: Die Autoren konnten zeigen, dass eine Erhöhung des striatalen Dopaminausstoßes durch Gabe von Amphetamin zu einer Abnahme belohnungsassoziierter ventraler Aktivierung führte. Sie hypostasierten, dass eine basal erhöhte Dopaminfreisetzung im Striatum dazu führt, dass die Kodierung einzelner belohnungsassozierter Signale (vermittelt durch einen kurzen, zeitlich genau kodierten phasischen Dopaminausstoß) in diesem erhöhten dopaminergen »Grundrauschen« untergeht. Dementsprechend fand sich nach Amphetamingabe bei Kontrastierung der Aktivität während belohnungsanzeigender versus neutraler Stimuli eine deutlich herabgesetzte Aktivierung im Bereich des ventralen Striatums. Ein direkter Beweis für diesen Zusammenhang steht allerdings noch aus; ein vielversprechender Ansatz ist die Kombination von fMRI mit anderen bildgebenden Verfahren (z. B. PET), mit denen nach Siessmeier et al. (2006) eine Darstellung prä- und postsynaptischer Aktivität des dopaminergen Systems möglich ist. 37.2.2 Dopamin-Glutamat-Interaktionen Die mit der Entdeckung des antipsychotischen Effektes einer Blockade von Dopaminrezeptoren entwickelte »Dopaminhypothese« der Schizophrenien (Carlsson 1988) wurde wenige Jahre später durch die »Glutamathypothese« der Schizophrenien ergänzt. Wesentliche Grundlage dieses Ansatzes ist die Beobachtung, dass einerseits glutamatantagonistisch wirkende Substanzen (z. B. NMDA-Rezeptor-Antagonisten) psychoseähnliche
Zustände auslösen können, während andererseits glutamaterge Substanzen antipsychotisch wirksam sind (Javitt u. Zukin. 1991). Glutamat- und Dopaminhypothese der Schizophrenie sind keinesfalls konträre Theorien, sondern lassen sich zu einer Gesamthypothese zusammenfassen (Carlsson et al. 1999). Ein entscheidender Zusammenhang zwischen glutamaterg und dopaminerg vermittelter Neurotransmission besteht beispielsweise darin, dass die in 7 Kap. 36 beschriebene Kodierung des sogenannten Prädiktionsfehlers in ventrostriatalen Arealen direkten Einfluss auf die glutamaterg vermittelte Aktivierung in präfrontalen Arealen nimmt (Lavin et al. 2005). Auch konnte gezeigt werden, dass die Gabe von NMDA-Rezeptor-Antagonisten in niedriger Dosierung zu einer Erhöhung des Dopaminausstoßes im Striatum führt (Heinz u. Weinberger 2000). In einer aktuellen fMRI-Studie nutzten Corlett et al. (2006) die psychotropen Effekte von Ketamin, um die Entstehung der Wahnsymptomatik bei gesunden Probanden zu untersuchen. Ausgehend von dem oben beschriebenen Ansatz, der die Entstehung von Wahn im Sinne einer Störung der Kodierung des Prädiktionsfehlers erklärt, wurde ein Paradigma entwickelt, in dem die Probanden kausale Zusammenhänge zwischen verschiedenen visuellen Stimuli lernen und so Voraussagen über das Eintreten bestimmter Ereignisse machen sollten (in diesem Fall das Auftreten oder Ausbleiben einer »allergischen Reaktion« nach dem Verzehr verschiedener Speisen). Die Autoren fanden auch in dieser Studie Hinweise darauf, dass die Entstehung wahnhafter Überzeugungen mit einer Störung der Kodierung des »Prädiktionsfehlers« verbunden ist. Während nach Placebogabe die funktionelle Aktivierung einer Region im rechten lateralen präfrontalen Kortex eng mit dem Auftreten eines Prädiktionsfehlers verbunden war, fand sich nach Gabe von Ketamin eine deutliche Veränderung dieser Aktivität. Schon nach Gabe einer niedrigen (noch nicht psychotogen wirksamen) Dosis von Ketamin war diese Aktivierung bei fehlerhaft prädiziertem Ausgang abgeschwächt, während sie bei eigentlich vorhersagbarem Ausgang verstärkt auftrat. Bei Gabe von höheren (psychotogen wirksamen) Dosen waren die ketamininduzierten Wahrnehmungsstörungen und Wahnsymptome bei jenen Probanden besonders ausgeprägt, bei denen die Korrelation zwischen der funktionellen Aktivierung im präfrontalen Kortex und dem Auftreten eines Prädiktionsfehlers besonders deutlich war. Die Befunde passen zu der Hypothese, dass die Entstehung wahnhafter Überzeugungen durch Wahrnehmungsstörungen bewirkt wird, die mit einer fehlerhaften Attribuierung von Bedeutung (»Salience«) gekennzeichnet sind und zur Folge haben, dass wichtige, verhaltensrelevante Reize nicht adäquat verarbeitet werden, während unwichtigen, bekannten oder vorhersagbaren Reizen eine unverhältnismäßig hohe Bedeutung zugeschrieben wird.
475 37.2 · Neurobiologische Erklärungsmodelle: Störung der dopaminergen und glutamatergen Transmission
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Box 2 Knutson et al. (2001) entwickelten ein Untersuchungsdesign (linke Bildhälfte oben), das das in Box 1 beschriebene Paradigma von Schultz et al. (1997) für kernspintomographische Untersuchungen am Menschen adaptiert. Dabei lernten die Versuchspersonen außerhalb des Scanners, dass bestimmte abstrakte Symbole (»Cues«, z. B. ein Kreis mit drei Querstrichen wie in der Abbildung) die Möglichkeit anzeigt, nach einer kurzen Wartephase (»Delay«) bei Präsentation des Zielreizes (»Target«) durch schnellen Knopfdruck Geld zu gewinnen (in diesem Beispiel +3 Euro). Der Cue wird also zum konditionierten Stimulus, dessen zeitlich überraschendes Auftreten im Sinne eines Prädiktionsfehlers eine kurze phasische Dopaminfreisetzung auslösen müsste (siehe linke Bildhälfte unten). Tatsächlich zeigten gesunde Kontrollpersonen nach Präsentation des gewinnanzeigenden Reizes (»Cue«) einen kurzen Anstieg des Blutflusses und damit der neuronalen Aktivierung im ventralen Striatum (rechte Bildhälfte oben), wäh-
rend dies bei unmedizierten schizophrenen Patienten nicht der Fall war (rechte Bildhälfte unten). Je stärker die durch den Prädiktionsfehler ausgelöste neuronale Aktivierung abgeschwächt war, desto mehr litten die akut psychotischen Patienten unter Negativund Positivsymptomatik (Juckel et al. 2006). Wahrscheinlich geht das den Prädiktionsfehler begleitende dopaminerge Signal im erhöhten dopaminergen Rauschen (die erhöhte phasische Dopaminfreisetzung wird durch die roten Pfeile in der linken unteren Bildhälfte symbolisiert) unter, wie dies nach akuter Amphetamingabe auch bei Gesunden der Fall war (Knutson et al. 2004). Corlett et al. (2006) konnten zudem zeigen, dass die durch einen vergleichbaren Prädiktionsfehler ausgelöste neuronale Aktivierung im präfrontalen Kortex das Ausmaß der Wahnsymptome und Wahrnehmungsstörungen vorhersagt, die durch Gabe des antiglutamaterg und indirekt dopaminerg (7 Box 1) wirkenden Ketamins ausgelöst werden.
. Abb. 37.3. Störung der neuronalen Enkodierung des Prädiktionsfehlers im ventralen Striatum schizophrener Patienten (7 Farbtafeln, S. 669)
476
Kapitel 37 · Wahn – Bildgebung
37.3
Bildgebende Untersuchungen neuropsychologischer Erklärungsmodelle
37.3.1 Wahnstimmung und Wahnwahrnehmungen
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Wahnsymptomatik beginnt häufig damit, dass es den Kranken »unheimlich« ist und alles eine »neue Bedeutung« hat (Jaspers 1946). In diesem Zustand, der als Wahnstimmung bezeichnet wird, hat die betreffende Person das Gefühl, dass die Welt von Zeichen und Hinweisen überschwemmt wird, und fühlt sich aufgefordert, zu diesen wichtigen Signalen Stellung zu beziehen. Auch wenn die Wahnstimmung – anders als von Conrad (1992) postuliert – sicher nicht bei jeder Wahnentwicklung das primäre Stadium darstellt, ist sie häufig ein entscheidender Schritt in der Entstehung wahnhafter Symptomatik. Als ein weiterer Schritt der Wahngenese gilt die sogenannte Wahnarbeit, d. h. die rationale und pseudorationale Durchdringung der unverständlichen Umweltreize durch systematische Erklärungsversuche (z. B. im Hinblick auf ein Verfolgungsgeschehen). Hier werden kognitive Mechanismen zur Erklärung des abnormen Bedeutungserlebens bemüht, die sich auch bei mehr oder weniger guten Wissenschaftlern finden, so z. B. als Posthoc-Konstruktion von Erklärungen, mit denen eine empirische Widerlegung eines Therapiegebäudes wegerklärt wird (siehe auch Kuhn 2003; Heinz 2002b). Diese Sichtweise wird unterstützt durch Befunde, die zeigen, dass schizophrene Patienten bei der Bearbeitung von Syllogismen im Durchschnitt nicht mehr Fehler machen als Gesunde (Chapman u. Chapman 1973). Einschränkend muss hierzu allerdings gesagt werden, dass solche sprachlichen Tests sich als schlechter Indikator kognitiver Leistung herausgestellt haben (Gilhooly 1983). Besteht bereits ein Wahnsystem, so können auch solche Umweltreize, die für Außenstehende als neutral erscheinen, mit einer fixierten wahnhaften Bedeutung aufgeladen sein. Dies ist bei der Wahnwahrnehmung der Fall, bei der einer von allen Beobachtern konstatierten Tatsache (wie z. B. dem Parken eines gelben Autos am Straßenrand) vom Patienten mit Verfolgungswahn die abnorme Bedeutung zugeschrieben wird, dass hier für ihn »unmittelbar evident« die Verfolgung durch die CIA deutlich wird (siehe z. B. Schneider 1942). In diesem Kontext wäre es interessant zu untersuchen, inwiefern die primäre visuelle Wahrnehmung bei Patienten mit Wahnwahrnehmungen zu einer erhöhten Aktivierung assoziativer semantischer Netzwerke im frontalen und temporalen Kortex führt, die die kontextuell unterschiedliche Zuordnung der visuellen Stimuli reflektiert. Entsprechende Studien wurden aber bisher noch nicht durchgeführt. Interessanterweise zeigte eine Studie von Ragland et al. (2006) eine erhöhte Aktivierung temporolimbischer Areale bei Konfrontation mit eigentlich gut bekannten Stimuli bei schizophrenen Patienten. Diese Aktivierung war allerdings sowohl mit Positiv- als auch mit Negativsymptomatik, nicht jedoch speziell mit Wahnwahrnehmungen assoziiert. Bei den genannten Beispielen handelt es sich ausdrücklich um »wirkliche Wahrnehmungen«, denen »ohne Anlass eine ab-
norme Bedeutung, fast immer in der Richtung der Eigenbeziehung beigelegt wird« (Schneider 1942). Es ist aber durchaus möglich, dass Störungen der Wahrnehmung im Sinne von Basisstörungen (Gross u. Huber 1972) eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Wahnsymptomen spielen. Zumindest korrelierten in der bereits zitierten Studie von Corlett et al. (2006) Wahrnehmungsveränderungen mit der Schwere der Wahnsymptome. Dieser Erklärungsansatz kann jedoch schon deshalb nicht als allgemeines Erklärungsmodell dienen, weil Hinweise existieren, dass Wahn auch ohne das Vorhandensein abnormer Wahrnehmung entstehen kann und das Vorhandensein von abnormer Wahrnehmung nicht zwangsläufig zur Ausbildung eines Wahns führen muss (Bell 2006). 37.3.2 Kognitive Bias Ein für die Wahnforschung wichtiges Experimentierfeld ist die Untersuchung kognitiver Prozesse, die bei Entscheidungsfindungen und logischem Schlussfolgern bedeutsam sind. Insbesondere in Situationen, in denen die Evidenz, auf deren Grundlage Entscheidungen getroffen oder Schlussfolgerungen gezogen werden, durch ein größeres Maß an Unsicherheit gekennzeichnet ist, sind stabile Prozesse der »Gewichtung« einzelner Informationen notwendig. Wenn ich beispielsweise das feindselige Verhalten eines Passagiers in meinem Zugabteil einschätzen will, so kann ich verschiedene Informationen nutzen, um eine Entscheidung darüber zu treffen, ob die Feindseligkeit gegen meine Person gerichtet ist und ich ggf. entsprechende Konsequenzen ziehen sollte (z. B. ein anderes Zugabteil aufzusuchen). Die Informationsquellen, die ich zur Entscheidung benutze, setzen sich dabei aus aktuellen Beobachtungen (Mimik und Gestik des Passagiers, Verhalten der anderen Personen im Abteil usw.), meinen eigenen Emotionen (Fühle ich mich angegriffen? Habe ich Angst?) sowie aus meinen früheren Erfahrungen mit ähnlichen Situationen (andere Gründe für sein feindseliges Verhalten: vorausgegangene Frustration, »schlechte Laune« etc.) zusammen und müssen entsprechend integriert werden. Als Folge dieses Integrationsprozesses muss dann – trotz der vorhandenen Unsicherheit – eine verhaltensrelevante Entscheidung getroffen werden. Es wurde seit langem vermutet, dass Störungen der kognitiven Prozesse, die bei einer solchen Entscheidungsfindung relevant sind, wesentlich zur Entstehung und Aufrechterhaltung wahnhafter Überzeugungen beitragen könnten. Ein Patient mit Wahnsymptomatik hätte im oben genannten Beispiel möglicherweise viel eher als ein gesunder Mensch das Gefühl, die Feindseligkeit des Passagiers im Zug habe einen direkten Bezug zu ihm selbst oder stünde im Zusammenhang mit einer größer angelegten »Verschwörung« oder Ähnlichem, und würde dementsprechend die Situation falsch beurteilen. Jaspers (1946) wies allerdings darauf hin, dass »Fehlschlüsse und logische Schnitzer« die Wahnsymptomatik nicht erklären könnten, da Wahnideen
477 37.3 · Bildgebende Untersuchungen neuropsychologischer Erklärungsmodelle
auch bei »überlegener Intelligenz« vorkommen könnten. Demgegenüber hat eine große Anzahl von Studien kognitive Verfälschungen (»Bias«) als Bestandteil der Genese von Wahn postuliert und experimentell untersucht (7 Kap. 36). Viele der Befunde lassen sich gut mit der im vorigen Kapitel beschriebenen dopaminergen Übererregung des mesolimbischen Systems vereinbaren. Einige wenige dieser Untersuchungen dienten auch als Grundlage von Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren, in denen die neuralen Korrelate solcher kognitiver Verfälschungen untersucht wurden.
Bias in der Urteilsbildung Zahlreiche Studien zeigen, dass Patienten mit Wahn vorschnelle Schlussfolgerungen bei der Evaluation unbekannter Stimuli vollziehen. Diese als »jumping-to-conclusions«-Bias (JTC) bezeichnete Störung der Urteilsbildung zeigt sich z. B. darin, dass wahnhafte Patienten bei Beurteilung unbekannter Sachverhalte Hypothesen auf der Grundlage von signifikant weniger Informationen bilden als gesunde Kontrollpersonen und dabei wesentlich mehr von der eigenen Erklärung überzeugt sind (Bentall et al. 2001). Ein klassisches Paradigma ist hierbei der sog. Kugeltest, bei dem Probanden zwei Gefäße gezeigt bekommen, in denen sich Kugeln mit zwei verschiedenen Farben befinden (7 Kap. 36, . Abb. 36.2). Die Anteile der jeweiligen Farben sind dabei unterschiedlich: In einem Gefäß sind z. B. grüne und rote Kugeln im Verhältnis 85:15 und im anderen Gefäß rote und grüne Kugeln im Verhältnis 85:15 vorhanden. Die Gefäße sind dann für die Probanden nicht mehr sichtbar, und es werden nacheinander Kugeln aus einem der beiden Gefäße gezogen. Der Proband soll nach jedem Durchgang auf der Grundlage selbst angestellter statistischer Schätzungen entscheiden, aus welchem der Gefäße die Kugeln stammen. Patienten mit Wahnsymptomatik legten sich nach signifikant weniger Durchgängen auf eines der beiden Gefäße fest und waren von der Richtigkeit ihrer Annahme weitaus stärker überzeugt als gesunde Kontrollpersonen (Dudley et al. 1997). Experimente dieser Art wurden wiederholt durchgeführt, wobei allerdings z. T. widersprüchliche Ergebnisse auftraten. Die Mehrzahl der Befunde weist jedoch darauf hin, dass der JTC-Bias nicht immer an das Vorhandensein von Wahn geknüpft ist und eher eine »State-« als eine »Trait«-Variable der Schizophrenie darstellt. Bislang wurde das Phänomen des vorschnellen Schlussfolgerns noch nicht direkt bei Patientenpopulationen in Studien mit bildgebenden Verfahren untersucht. Jedoch zeigte sich bei gesunden Probanden eine Aktivität im Zerebellum sowie dem prämotorischen, parietalen und medial-okzipitalen Kortex, wenn die Probanden eine der dem o. g. »Kugeltest« sehr ähnliche Aufgabe bearbeiteten (Blackwood et al. 2004a). Eine Untersuchung eines ähnlichen Paradigmas bei einer Gruppe wahnhafter Patienten wäre eine interessante Fragestellung für zukünftige Studien. Da Definitionen von Wahn, die sich auf die prinzipielle »Unmöglichkeit« des wahnhaft Geglaubten beziehen, dann nicht zutreffen, wenn die Patienten durchaus plausible Verfolgungsmög-
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lichkeiten schildern, wurde alternativ als Wahnkriterium die Unmöglichkeit des »Zufalls« postuliert und z. B. von Volz (1990) anhand der Wahnentwicklung Nietzsches exemplifiziert. Um auf das Beispiel der Wahnwahrnehmung eines feindseligen Verhaltens eines Passagiers im Zugabteil zurückzukommen, wäre der Patient also partout nicht davon zu überzeugen, dass der Passagier möglicherweise aus anderen Gründen als den gewähnten nicht besonders freundlich ist. Die »Unmöglichkeit des Zufalls« ist allerdings ein empirisch ebenso plausibles wie philosophisch kompliziertes Kriterium, da wir natürlich nicht allen Deterministen wahnhafte Störungen unterstellen wollen. Allerdings ist es bildgebend möglich, neurale Korrelate beim subjektiven Erleben von determinierten bzw. zufälligen Ereignissen abzubilden (Yamaguchi et al. 2004).
Aufmerksamkeits- und Attributions-Bias Patienten mit Wahnsymptomatik, insbesondere solche mit Verfolgungswahn, zeigen einen deutlichen Aufmerksamkeits-Bias zu Gunsten potenziell bedrohlicher Stimuli (Blackwood et al. 2001). Dies wird z. B. bei der Verwendung eines modifizierten StroopTests deutlich, bei dem emotional besetzte Wörter verwendet wurden. Patienten mit Wahnsymptomatik hatten hier einen starken Aufmerksamkeits-Bias für bedrohliche Begriffe (Bentall u. Kaney 1989). Auch wurde gezeigt, dass Patienten mit Wahn bevorzugt bedrohliche Erlebnisse aus dem Gedächtnis abrufen (Kaney et al. 1992) oder bei der Sichtung von unbekanntem Bildmaterial v. a. bedrohliche Elemente in Abbildungen identifizieren (Phillips et al. 2000). Zusammen mit dem oben genannten Bias in der Urteilsbildung könnte das dazu führen, dass Patienten mit Wahnsymptomatik im Vergleich zu gesunden Kontrollen oder Patienten ohne Wahn potenziell als bedrohlich erscheinende visuelle Stimuli nicht genau weiter untersuchen, wenn einmal eine vermeintliche Bedrohung ausgemacht wurde (Phillips et al. 2000). Als Attributions-Bias wird in der Literatur die Tendenz bezeichnet, kausale Zusammenhänge zum Vorteil der eigenen Person herzustellen. Gesunde Menschen berichten kausale Zusammenhänge zwischen Sachverhalten in Form von Sätzen, die Verknüpfungen wie »weil« oder »deshalb« enthalten. Solche Sätze treten schätzungsweise jeweils nach ein paar hundert Wörtern auf (Zullow 1988). Dabei neigen auch gesunde Menschen typischerweise dazu, sich positive Ereignisse selbst zuzuschreiben (Selbstaufwertung) und die Verantwortung für negative Ereignisse bei Anderen oder der Umwelt zu suchen (Selbstschutz). Eine Reihe von neuropsychologischen Studien deutet darauf hin, dass Patienten mit Wahnsymptomatik diesen Attributions-Bias deutlich verstärkt aufweisen (Übersicht bei Garety u. Freeman 1999). In einer ersten fMRI-Studie zu solchen Aufmerksamkeitsund Attributionsverfälschungen sollten gesunde Probanden während der Darbietung verschiedener neutraler vs. bedrohlicher Stimuli (Sätze wie »Er schläft«, »Er isst« vs. »Er ist ein Rassist«, »Er ist ein Lügner« etc.) entscheiden, ob ein Selbstbezug vorliegt (Blackwood et al. 2000). Immer wenn bezüglich eines Stimulus (unabhängig ob bedrohlich oder neutral) ein Selbstbezug her-
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Kapitel 37 · Wahn – Bildgebung
gestellt wurde, zeigte sich eine erhöhte Aktivierung im linken inferior-frontalen Gyrus, im rechten Nucleus caudatus und im rechten Zingulum (Haupteffekt des Faktors »Selbst«). Die erhöhte Aktivität im linken inferior-frontalen Gyrus war dabei nur vorhanden, wenn die Aufmerksamkeit auf bedrohliche Stimuli gerichtet war (Interaktionseffekt selbst – fremd vs. bedrohlich – neutral). In einem weiteren Experiment wurden verschiedene Sätze, die positive oder negative Ereignisse beschrieben, präsentiert (»Ein Nachbar hat dich auf einen Drink eingeladen« vs. »Ein Freund denkt, dass man dir nicht trauen kann«). Die Probanden sollten jeweils entscheiden, ob die Ursache bei ihnen selbst lag oder ob das Ereignis eine externe Ursache hatte. Wurde von den Probanden hinsichtlich des präsentierten Stimulusmaterials ein Selbstbezug hergestellt, so ging dies mit einer Aktivierung des linken präzentralen Gyrus (BA 6) und des mittleren temporalen Gyrus (BA 39) einher (Haupteffekt des Faktors »Selbstbezug«). Attributionen im Sinne eines Selbstschutzes oder einer Selbstaufwertung (externe Gründe für negative Ereignisse und interne Gründe für positive Ereignisse) führten zu erhöhter Aktivierung im linken superior-temporalen Gyrus (BA 38), während Attribuierungen in die gegensätzliche Richtung zu erhöhter Aktivierung des linken präzentralen Gyrus führte. In einer Folgestudie (Blackwood et al. 2003) wurden die letztgenannten Attributionsstile mit einem ähnlichen Paradigma weiter untersucht. Hier zeigten sich ähnliche Ergebnisse, aber auch weitere Befunde: Selbstattribuierung per se war mit Aktivierung des linken lateralen Zerebellums sowie der beiden dorsalen prämotorischen Cortices verbunden, während externe Attribuierung per se zur Aktivierung des linken superior-temporalen Sulcus führte. Attributionen im Sinne eines Selbstschutzes oder einer Selbstaufwertung führten zur Aktivierung beider Nuclei caudati, während die gegensätzliche Attribuierung mit einer Aktivierung des linken lateralen orbitofrontalen Kortex, des rechten Gyrus angularis sowie des rechten mittleren temporalen Gyrus assoziiert war. Patienten mit Verfolgungswahn zeigten in einer weiteren Studie in einigen der zuvor identifizierten Hirnareale veränderte Aktivierungsmuster während der Bearbeitung einer ähnlichen Aufgabe (Blackwood et al. 2004b). Probanden und Patienten mit akuter Wahnsymptomatik sollten während der Betrachtung neutraler vs. bedrohlicher Stimuli (Sätze wie in den o. g. Studien) entscheiden, ob ein Selbstbezug vorliegt. Die bei gesunden Probanden während dieser Entscheidung gefundene Aktivierung des rostralen ventralen Zingulum (Haupteffekt »Selbst«) war bei Patienten mit Wahnsymptomen deutlich vermindert, während sich bei den Patienten im Vergleich zu gesunden Probanden eine Erhöhung der Aktivierung im posterioren Zingulum zeigte. Wurde ein Selbstbezug für bedrohliche (jedoch nicht für neutrale) Ereignisse hergestellt, so zeigte sich bei gesunden Probanden eine erhöhte Aktivierung im linken parazingulären Kortex, die bei den Patienten oder im Gruppenvergleich nicht auftrat. Die Ergebnisse wurden von den Autoren im Zusammenhang mit einer möglichen Rolle des Zingulums für die Aufrechterhaltung des »Selbstgefühls« diskutiert. Eine ständige »Grundaktivität« im
Zingulum scheint nämlich, wie am Ende dieses Kapitels ausführlicher dargestellt, zur Repräsentation des aktuellen »Selbstgefühls« beizutragen (Raichle et al. 2001; Northoff u. Bermpohl 2004), sodass eine (abnorm) erhöhte Aktivität im posterioren Zingulum schizophrener Patienten gut mit Störungen dieses Erlebens in Einklang gebracht werden kann. Weitere Hinweise darauf, dass Wahnsymptome teilweise durch fehlerhaftes Attribuieren potenziell bedrohlicher Stimuli entstehen könnten, zeigt eine aktuelle Studie von Williams et al. (2004), in der je einer Gruppe von Patienten mit und ohne Wahnsymptome sowie eine Gruppe gesunder Probanden untersucht wurde. Es zeigte sich, dass eine funktionelle Diskonnektion einzelner subkortikaler und zentraler Hirnareale bei schizophrenen Patienten mit Wahnsymptomatik dazu führt, dass angstauslösende Stimuli anders verarbeitet werden als dies bei gesunden Kontrollpersonen oder Patienten ohne Wahnsymptome der Fall ist. Als Stimulusmaterial dienten Bilder von Gesichtern mit angstvollem oder neutralem Gesichtsausdruck. Während die Probanden die Stimuli betrachteten, wurde mit Hilfe von Hautwiderstandsmessungen das Ausmaß der durch die Betrachtung der Bilder ausgelösten Erregung (»arousal«) quantifiziert. War beim Betrachten der Stimuli das Ausmaß dieser Erregung groß, so kam es zu einer Aktivierung der Amygdala und des medialen präfrontalen Kortex, während sich bei der Betrachtung neutraler Stimuli eine Aktivierung des Hippokampus und des lateralen präfrontalen Kortex zeigte. Die Aktivierung der Amygdala war weiterhin assoziiert mit Antworten im anatomisch eng verbundenen zentralen Höhlengrau, was wahrscheinlich die Folge direkter Projektionen aus autonomen Zentren des Hirnstammes ist. Patienten mit Wahnsymptomatik zeigten im Vergleich zu Gesunden wie auch im Vergleich zu nicht wahnhaften Patienten eine übermäßige »Stressreaktion« (gemessen am Hautwiderstand) beim Betrachten der Gesichter. Interessanterweise ging dies mit einer verminderten funktionellen Aktivierung in der Amygdala, dem zentralen Höhlengrau und dem dorsomedialen präfrontalen Kortex einher, wobei der Unterschied des Aktivierungsmusters im Vergleich zu den Patienten ohne Wahnsymptome v. a. die verminderte Aktivierung der Amygdala betraf. Bei den Patienten ohne Wahnsymptome fand sich weiterhin im Vergleich zu Gesunden eine Verringerung der funktionellen Aktivierung im Hippokampus und im Zerebellum bei der Verarbeitung bedrohlicher Stimuli, während beide Patientengruppen ein verändertes Antwortmuster im superior-temporalen Gyrus bei Präsentation neutraler Gesichter zeigten. Diese Konstellation zeigt, dass sich neurale Korrelate der Wahnsymptomatik durchaus von Befunden bei schizophrenen Patienten ohne Wahnsymptomatik abgrenzen lassen: Während veränderte Aktivierungsmuster im superior-temporalen Gyrus mit einer generellen Störung der Verarbeitung emotionaler Reize im Rahmen der Grunderkrankung zu erklären sind (z. B. Phan et al. 2002), weisen die sonstigen Veränderungen der Aktivierungsmuster auf eine Dysregulation zwischen Amygdala und autonomem System speziell bei Vorhandensein von Wahnsymptomen hin. Eine bei
479 37.3 · Bildgebende Untersuchungen neuropsychologischer Erklärungsmodelle
schizophrenen Patienten zu beobachtende Verminderung der Aktivität im präfrontalen Kortex könnte weiterhin dazu führen, dass die normalerweise von diesem Areal ausgeübte Regulation des Zusammenspiels von Amygdala und Hirnstamm gestört ist und zu abnormer Verstärkung von Angstreaktionen führt (Heinz et al. 2005). Dies könnte wiederum im Sinne eines circulus vitiosus zu einem intern herbeigeführten Zustand von ständiger Hypervigilanz und Fehlattribution sowie schließlich zur Entstehung von (Verfolgungs-)Wahn führen (Phillips et al. 2000). Die Befunde wurden in einer neuen Studie bei schizophrenen Patienten im Zusammenhang mit gestörter Konnektivität des medialen präfrontalen und des visuellen Kortex, der Amygdala und autonomen Zentren im Hirnstamm bei der Verarbeitung von angstauslösenden Stimuli weiter untersucht, wenngleich hier kein direkter Bezug zur Entstehung von Wahnsymptomen hergestellt wurde (Das et al. 2007). Ein interessanter Nebenaspekt der beschriebenen Aufmerksamkeits-Bias insbesondere für Gesichtsausdrücke zeigte sich in zwei Studien, in denen schizophrene Patienten besser als gesunde Probanden darin waren, gespielte emotionale Reaktionen von Schauspielern (z. B. Schmerz auf einen vermeintlichen Elektroschock) als »unecht« zu entlarven. Dieser Hinweis auf eine erhöhte Sensibilität gegenüber unehrlichem oder hinterlistigem Verhalten wurde als weiterer Faktor bei der Wahnentstehung im Sinne eines Aufmerksamkeits-Bias zugunsten bedrohlicher Stimuli verstanden (Davis u. Gibson 2000). Der Befund könnte jedoch auch im Rahmen einer Störung von »Theory of Mind«Fähigkeiten bei wahnhaften Patienten im Sinne einer »Übermentalisierung« interpretiert werden, wie in 7 Abschn. 37.3.3 genauer ausgeführt wird.
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37.3.3 Verfolgungs- und Beeinflussungswahn
als »Theory of Mind«-Störung Phänomenologisch interessant ist, dass sich die Themen der Wahnbildung häufig nicht auf neutrale und mechanistische Umweltereignisse beziehen, sondern in der Regel auf handelnde Personen, die im Sinne der Verfolgung oder besonderer Beziehungen zum Wahnkranken vermeintlich aktiv werden. Dazu passend zeigen schizophrene Patienten Störungen bei der Attribution von Intentionen gegenüber anderen Personen im Sinne der »Theory of Mind« (ToM), die u. a. mit Alterationen im präfrontalen und parietalen Kortex assoziiert sind (. Tab. 37.2). Störungen der ToM-Funktionen könnten somit einen Ausgangspunkt für die Entwicklung von Verfolgungs- und Beeinflussungswahn darstellen (Brüne 2005). Frith (2004) diskutiert jedoch auch, dass sich bei schizophrenen Patienten – anders als bei Patienten mit Asperger-Syndrom (das sich bereits in der Kindheit entwickelt) – die Störung der ToM-Funktion erst im Laufe des Erwachsenenalters entwickelt und die Patienten somit zunächst eine intakte ToM-Fähigkeit besitzen. Später zeigen Patienten mit Wahnsymptomen dann auch nicht eine fehlende ToM-Fähigkeit, sondern sie machen falsche und teilweise abwegige Annahmen über die Intentionen und Gedanken anderer. Entsprechend ist bislang nicht sicher geklärt, ob die bei Patienten mit Wahnsymptomen beobachteten Störungen der ToM-Fähigkeit eher auf einer Verringerung der Introspektionsfähigkeit oder einer Hypermentalisierung bezüglich der möglichen Intentionen Anderer beruhen. Für Letzteres spricht die Tatsache, dass Patienten mit Wahnsymptomen beim Betrachten animierter geometrischer Figuren deut-
. Tab. 37.2. Bildgebungsstudien zu Theory of Mind-Störungen Autor/Jahr
Modalität
Untersuchtes Phänomen/ Symptomatik
Paradigma
Probanden
Ergebnis
Interpretation/ Schlussfolgerung
Russell et al. (2000) Am J Psychiatry 157: 2040–2042
fMRI
»Theory of Mind«-Störung
»Eyes-Task« nach Baron-Cohen (Zuordnung eines von 2 mentalen Zuständen zu einem fotografierten Augenpaar)
5 SZ (5 M; mediziert), 7 CON (7 M)
SZ: pAktivierung im linken Gyrus frontalis inferior
Erster Hinweis auf Hypofrontalität im Zusammenhang mit sozio-emotionaler Neurokognition
Brunet et al. (2003) Neuropsychologia 41: 1574-1582
PET
»Theory of Mind«-Störung
Bildergeschichten ergänzen (Attribution von Intentionen, physikalische Kausalität)
7 SZ (alle M, mediziert), 8 CON (alle M)
SZ: prCBF im rechten PFC
Hinweis auf Hypofrontalität bei Attribution von Intentionen
Marjoram et al. (2006) Neuroimage 31: 1850–1858
fMRI
»Theory of Mind«-Störung
Präsentation von Bilderwitzen mit und ohne ToM
Je 12 High-riskVerwandte mit (5 M) und ohne (8 M) Positivsymptome, 13 CON (8 M)
Stärkere PFC-Aktivierung (v. a. BA 6,8,9) bei High-risk-Verwandten ohne Positivsymptome vs. mit Positivsymptomen
Erster Hinweis auf eine ToM-Störung bei High-risk-Verwandten mit State- und TraitEffekten
480
37
Kapitel 37 · Wahn – Bildgebung
lich schneller und häufiger eine intentionale »menschliche« Handlung erkannten (Blakemore et al. 2003). Ob bei der Störung der ToM-Funktion eine Veränderung der Selbstrepräsentation vorliegt, die dazu führt, dass auch die Intentionen anderer nicht sicher erfasst werden können, ist noch nicht gezeigt worden. Franck et al. (2002) konnten allerdings in einer Stichprobe von 87 unmedizierten schizophrenen Patienten zeigen, dass die Ausprägung schneiderscher Erstrangssymptome mit einer verstärkten Aktivierung des rechten Parietalkortex während Phasen entspannter Ruhe (»Random Episodic Silent Thought«; REST) korreliert; sie wiesen auf die pathophysiologische Bedeutung dieser Region für die bei Schizophrenen gestörte Körper- und Raumrepräsentation hin (Vogeley u. Fink 2003). Somit scheint hier ein Bezug zur Wahnsymptomatik plausibel, aber noch nicht sicher nachgewiesen. Als wesentliche zerebrale Repräsentation der ToM-Funktionen wurde übereinstimmend v. a. der mediale Präfrontalkortex (insbesondere BA 8 und 9) identifiziert (Übersicht bei Gallagher u. Frith 2003). In einer PET-Studie mit visueller Präsentation von Comicstrips lösten Bildergeschichten, bei denen den handelnden Figuren Intentionen attribuiert werden mussten, bei gesunden Probanden Aktivierungen im Bereich des rechten medialen (BA 9) und inferioren (BA 47) Präfrontalkortex, im anterioren zingulären Kortex (BA 38), in mehreren temporalen Regionen und im linken Kleinhirn aus (Brunet et al. 2000). Bei einem sprachbasierten ToM-Paradigma, bei dem die Probanden eine eigene »Geschichte« über den mentalen Zustand einer virtuellen weinenden Person, die sie zufällig auf einer Parkbank trafen, erfinden mussten, zeigten sich demgegenüber Steigerungen des regionalen zerebralen Blutflusses (rCBF) vorwiegend im linkshemisphärischen medialen und superioren frontalen Kortex, Zingulum und Temporalpol sowie in der kontralateralen Kleinhirnhemisphäre (Calarge et al. 2003). Gallagher u. Frith (2003) wiesen zudem auf die besondere Bedeutung des bei ihrem Paradigma (Proband spielt eine Computerversion des Kinderspiels »Stein, Papier, Schere« gegen einen »echten« Gegner vs. gegen einen Zufallsgenerator) aktivierten parazingulären Kortex (BA32) hin, der als zytoarchitektonische Besonderheit »Spindelzellen«, einen phylogenetisch sehr spät auftretenden Projektionsneuronentyp, aufweist, der außer beim Menschen nur bei wenigen Primaten zu finden ist. Die Attribution von Intentionen an eine andere Person könnte also eine besondere Fähigkeit höherer Primaten sein, die an die Entwicklung dieser Hirnregion gebunden ist. Die erste PET-Studie zu ToM-Störungen bei schizophrenen Patienten (. Tab. 37.2) verwendete die »Eye-Task« nach BaronCohen, bei der nach visueller Präsentation von photographierten Augenpaaren aus zwei Adjektiven (z. B. »beunruhigt« oder »wütend«) das den Augenausdruck richtig beschreibende Wort ausgewählt werden muss (Russell et al. 2000; . Tab. 37.2). Im Unterschied zu Kontrollen zeigten Schizophrene während dieser Aufgabe eine Minderaktivierung im linken mittleren und inferioren Frontalkortex (BA 6, 44 und 45). Dieser Befund war der
erste Nachweis einer Hypofrontalität bei schizophrenen Patienten während der Prozessierung einer die soziale Kognition testenden Aufgabe und ähnelt stark den bei Autisten gefundenen Aktivierungsstörungen. Brunet et al. (2003) konnten mit ihrem Bildergeschichten-Paradigma bei Schizophrenen im Vergleich zu Kontrollen während der Attribuierung von Intentionen an handelnde Comicfiguren eine verminderte PET-Aktivierung im Bereich des rechten präfrontalen Kortex nachweisen, während beide Gruppen bei der Kontrollaufgabe (einfache Wahrnehmung der menschlichen Figuren) gleichartige Aktivierungen beider Okzipitotemporalregionen und im Bereich des hinteren Sulcus temporalis superior aufwiesen (. Tab. 37.2). Eine erste fMRI-Untersuchung von Hochrisiko(HR)-Angehörigen schizophrener Patienten mit visueller Präsentation zweier Sets von Bilderwitzen, für deren Verständnis ToM-Fähigkeiten erforderlich bzw. nicht erforderlich waren, ergab bei HR-Angehörigen ohne Positivsymptomatik eine signifikant erhöhte Aktivierung der präfrontalen Regionen BA 6, 8 und 9 (Marjoram et al. 2006, . Tab. 37.2). Die Autoren interpretierten diesen Befund als eine offenbar suffiziente kompensatorische Überaktivierung der für ToM-Fähigkeiten wichtigen Regionen bei HR-Probanden ohne Positivsymptomatik, da das nach der Untersuchung getestete inhaltliche Verständnis der Witze sich zwischen den Gruppen nicht unterschied. Inwieweit ToM-Störungen eine spezifische Pathologie im Rahmen schizophrener Störungen darstellen oder lediglich als eine Teilstörung im Rahmen komplexer Alterationen der sozialen Kognition anzusehen sind, ist noch weitgehend unklar. Im Sinne einer die Befunde bei Autismus und Schizophrenie vereinenden übergeordneten Hypothese zur sozialen Kognition stellten Frith u. Frith (1999) ToM in einen funktionellen Kontext mit Modellen zum »Internal Monitoring« und der Wahrnehmung der Bewegung von biologischen Objekten und ordneten diese Hirnleistungen dem »Dorsal Stream«-System mit den Eckpfeilern medialer Präfrontalkortex, anteriores Zingulum und Sulcus temporalis superior zu, wohingegen sie die Funktionen des »Ventral Stream«-Systems (Orbitofrontalkortex, Amygdala und anatomisch benachbarte Regionen) im Bereich der emotionalen Attribution und Gesichtererkennung ansiedelten (Frith u. Frith 1999; Brüne 2005). Wenn eine Vielzahl von Wahnkranken den Bezug zu einer Gruppe oder einer Einzelperson konstruiert, die angeblich die Zeichen der Umwelt virtuos manipuliert, stellt sich die Frage, ob hier eine anthropologisch stabile Konstellation vorliegt, die evolutionär entstanden und erklärbar ist. Von Vertretern tiefenpsychologischer Wahntheorien wurde schon lange eine Regression als pathogenetisches Prinzip schizophrener Erkrankungen postuliert, bei der frühkindliche oder sogar stammesgeschichtlich alte Erlebensweisen durch Abbau höherer Hirnzentren oder komplexerer rationaler Verarbeitungsmechanismen freigesetzt werden (Heinz 2002b). Diese Theorien sind allerdings intern sowie untereinander oft sehr widersprüchlich und weisen zudem den Konstruktionsfehler auf, dass die stammesgeschichtliche Re-
481 Literatur
gression nicht an empirischen Daten aus der Vorgeschichte, sondern an den zeitgleich unterworfenen Kolonialvölkern exemplifiziert wurde, was mehr Licht auf die Vorurteilsstruktur der jeweiligen Zeit als auf die tatsächlichen Befunde wirft (Heinz 2002b). Allerdings wäre es interessant zu prüfen, inwieweit schizophrene Patienten tatsächlich beim Zusammenbruch ihrer bisherigen Welterklärungsmodelle auf ein individualgeschichtlich frühes Interpretationsschema zurückgreifen, nämlich auf die Erfahrung bei der Entstehung eines »Weltbildes« in der Säuglingsund Kleinkindzeit, in der ja tatsächlich die überwiegende Zahl der Umweltreize wichtige Botschaften der unmittelbaren Bezugspersonen enthielt. Es wäre also interessant, die Hirnregionen zu untersuchen, die beim Säugling und Kleinkind bei entsprechenden Lernvorgängen aktiv sind, um sie mit Aktivierungsmustern schizophrener Patienten zu vergleichen. Auch hier liegen entsprechende Studien noch nicht vor. Vielversprechend erscheinen die Untersuchungen zur Fehlattribution eigener bzw. fremder Körperteile, die darauf hinweisen, dass lokale Störungen in topographisch definierbaren zerebralen Funktionssystemen wie dem rechten parietalen Kortex und dem Zerebellum die Grundlage für komplexe Wahnphänomene wie Fremdbeeinflussungswahn darstellen können (Spence et al. 1997; Blakemore et al. 2001). Der rechte parietale Kortex trägt bei Gesunden auch zur Verortung des eigenen Körpers bzw. der Selbstwahrnehmung im Raum bei (Übersicht bei Vogeley u. Fink 2003). Diese Selbstwahrnehmung bedarf offenbar bei Gesunden neben der Funktionsfähigkeit des parietalen Kortex auch der intakten Funktion der sog. kortikalen Mittelstrukturen (medialer Präfrontalkortex, anteriorer und posteriorer zingulärer Kortex), die auch in Ruhe aktiviert sind und so möglicherweise das Selbstgefühl aufrechterhalten (»default state of the brain«: Raichle et al. 2001; Northoff u. Bermpohl 2004). Es ist derzeit ungeklärt, ob unterschiedliche Selbstkonstrukte in verschiedenen Kulturen, die mehr oder weniger Bedeutung auf den eigenen Körper legen, auch mit neuronal differenten Aktivierungsmustern verbunden sind. Da der in der angelsächsischen Literatur gebrauchte Begriff »Fremdbeinflussungs- oder Passivitätswahn« in der deutschen Psychopathologie unter »Ich-Störungen« subsumiert wird, findet sich eine ausführliche Darstellung der Thematik im Bezug auf bildgebende Verfahren in 7 Kap. 39. 37.4
Zusammenfassung
Der Überblick über Wahnsymptome und bildgebende Studien zeigt, dass einerseits bildgebende Verfahren durchaus in der Lage sind, neurale Korrelate bestimmter Wahnphänomene zu erfassen, andererseits aber noch sehr viel Untersuchungsbedarf besteht. Während verschiedene anatomische und einfach-korrelative Studien wesentliche an der Wahnentstehung und -aufrechterhaltung beteiligte Hirnareale identifizieren können, versuchen andere Studien, die anatomischen Substrate verschiedener neu-
37
ropsychologischer und neurobiologischer Modelle des Wahns darzustellen. Ausgehend vom derzeit plausibelsten Modell der Pathogenese der Schizophrenie, nach dem eine entwicklungsgeschichtlich frühe Störung im Bereich der neuronalen Organisation des temporolimbischen Systems zu Störungen der subkortikalen Dopaminfreisetzung beiträgt, können die neuralen Korrelate der daraus resultierenden Veränderungen kognitiver Prozesse teilweise mit bildgebenden Verfahren dargestellt werden. Wahrnehmungsstörungen und Wahnsymptome waren mit einer fehlerhaften Kodierung des sog. »Prädiktionsfehlers« im ventralen Striatum und dem präfrontalen Kortex assoziiert. Als Substrat der in zahlreichen Untersuchungen festgestellten kognitiven Verfälschungen schizophrener Patienten beim Urteilen, Attribuieren und Ausrichten der Aufmerksamkeit fanden sich veränderte Antwortmuster in den für die jeweilige Aufgabe relevanten Hirnarealen und eine gestörte Konnektivität der Regionen. Schließlich scheinen Untersuchungen, die eine Störung der Fähigkeit zur Introspektion bezüglich der Intentionen anderer Menschen (ToM) als möglichen Faktor der Entstehung von Wahnsymptomen nahelegen, vielversprechende – wenngleich bislang noch nicht vollständig kohärente – Ergebnisse zu liefern.
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Kapitel 37 · Wahn – Bildgebung
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38 Ich-Störungen – Psychologie Dirk Leube und Katharina Pauly 38.1
Symptome der Ich-Störung – 485
38.2
Erfassen von Ich-Störungen – 486
38.3
Beispiel für die experimentalpsychologische Untersuchung von Ich-Störungen – 489
38.4
Modelle der Ich-Störungen
38.4.1 38.4.2
Reafferenz und Vorwärtsmodelle – 489 Spiegelneurone und Imitation – 492
38.5
Zusammenhang von Phänomenologie und Neurobiologie der Ich-Störung – 494
38.6
Zusammenfassung Literatur
– 495
– 495
– 489
485 38.1 · Symptome der Ich-Störung
»Sie denken etwas und fühlen doch, es hat ein anderer den Gedanken gemacht und ihnen bloß auf irgendeine Weise eingezwungen. Der Gedanke tritt unmittelbar mit dem Bewußtsein auf, daß er durch eine fremde Macht hervorgerufen ist« (Jaspers, 1913).
38.1
Symptome der Ich-Störung
Wenn bei Schizophrenie zunächst der Gedanke an eine schwere Störung des innersten Wesens eines Menschen auftritt, beruht dies oft mehr auf dem Gesamteindruck in der klinischen Untersuchung als auf einem einzelnen spezifischen Symptom der Erkrankung. Viele Wahnphänomene kommen auch im Rahmen anderer Erkrankungen vor (so z. B. ein Schuld- oder Verarmungswahn im Rahmen einer schweren Depression) und ermöglichen teilweise noch eine gewisse, wenn auch eingeschränkte, Einfühlung aus einer normalpsychologischen Perspektive. Hiervon heben sich jedoch die Ich-Störungen ab. Gekennzeichnet ist die Ich-Störung zum einen durch ein Gefühl von Fremdbeeinflussung, zum anderen durch sich aufweichende Grenzen zwischen Ich und Umwelt mit dem Erleben, dass die eigenen Gedanken manipuliert werden.
Symptome der Ich-Störung: 4 4 4 4
Gedankenentzug Gedankeneingebung Gedankenausbreitung/Gedankenlautwerden Fremdbeeinflussungserleben (Gefühl des »Gemachten«)
Diese Gruppe von Symptomen entzieht sich dem einfachen Verständnis und wurde schon früh als besonders charakteristisch für die Erkrankung der Schizophrenie angesehen. Schneider (1959) gab ihnen in seiner wegweisenden »Klinischen Psychopathologie« als Symptome ersten Ranges einen besonderen diagnostischen Wert (neben den Wahnwahrnehmungen und einigen speziellen Sinnestäuschungen wie dialogisierenden Stimmen). Dass sich die Diagnose einer Schizophrenie natürlich nicht auf das Abhaken dieser Symptome auf einer Checkliste beschränken kann, versteht sich von selbst. Trotzdem bilden diese Symptome einen für die Schizophrenie typischen psychopathologischen Komplex. Schneider selbst charakterisiert dies unter dem gemeinsamen Nenner der erhöhten Durchlässigkeit der »Ich-Umwelt-Schranke« und eines »Konturverlustes des Ich« (Klinische Psychopathologie, 5. Aufl, 1959, S. 130). Obwohl Ich-Störungen einen hohen diagnostischen Wert im Sinne einer Spezifität für die Schizophrenie besitzen, bleibt ihre Erörterung als Symptom der Erkrankung auf einer rein beschreibenden Ebene unbefriedigend. Gerade die zentrale Rolle der Symptomatik in der Schizophrenie macht eine genauere psychologische und neurobiologische Untersuchung dieser Symptom-
38
gruppe zwingend. Wir werden in diesem Kapitel nach einer kurzen definitorischen und phänomenologischen Betrachtung versuchen, Ansätze zur Erhebung von Symptomen der Ich-Störung und zur Erforschung der funktionellen Zusammenhänge auf empirischer Ebene zu beschreiben. Abschließend stellen wir Modelle der Ich-Störung vor und fragen nach der Bedeutung von Ich-Störungen und ihrer Beschreibung im Kontext der Naturwissenschaften und der neueren Philosophie des Geistes. Auf die einzelnen Befunde hinsichtlich der neuralen Korrelate wird im aktuellen Kapitel nur exemplarisch, im anschließenden Kapitel zur Bildgebung bei Ich-Störungen (7 Kap. 39) ausführlich eingegangen. Beim Gedankenausbreiten denkt der Patient, dass sich seine Gedanken ausdehnen, sodass auch Andere wissen, was er gerade denkt: »Die Leute merken, was ich denke. Alle wissen, was in meinem Kopf vorgeht«. Ähnlich kann auch die Überzeugung bestehen, dass das Denken ungewollt von anderen Menschen laut gehört werden kann (Gedankenlautwerden): »Ich stand an der Bushaltestelle und wartete. Plötzlich bemerkte ich, dass die Leute um mich herum mich alle anschauten. Da war ich mir nicht mehr sicher, ob ich das nur leise gedacht hatte oder ob meine Gedanken auch von den anderen gehört werden konnten«. Bei der Gedankeneingebung hat der Patient den Eindruck, dass ihm fremde Gedanken von einer äußeren Kraft oder Macht eingegeben werden. Das Gedachte gehört eigentlich gar nicht ihm selbst, es wird vielmehr von einem Anderen erzeugt. Im Gegensatz zu den Stimmen, wie sie bei akustischen Halluzinationen paranoider Schizophreniepatienten auftreten können (7 Kap. 32) und Handlungen kommentieren, sich unterhalten oder möglicherweise Befehle geben, sind es bei der Gedankeneingebung keine fremden Stimmen, die der Patient hört, sondern es sind die eigenen Gedanken, die fremd wirken. Ein Beispiel für die Gedankeneingebung wäre das folgende: »Ich träume das tagsüber oft. Nein, »Traum« ist das falsche Wort. Es sind Gedanken, die ich plötzlich habe, die aber gar nicht meine eigenen sind. Es sind fremde Gedanken, die mir irgendwie eingegeben werden«. Solch ein Erlebnis kann auch darüber hinaus wahnhaft verarbeitet werden: »Meine Ex-Frau und ihre Wahrsagerin hypnotisieren mir Gedanken in den Kopf, die gar nicht meine sind«. Unter Gedankenentzug versteht man das Gefühl, dass eigene Gedanken von einer fremden Macht oder Kraft entzogen werden. Auch hierfür benötigt der schizophrene Patient mit Ich-Störung nicht unbedingt eine Erklärung. Ein typisches Beispiel wäre jedoch: »Ich nehme mal an, dass das die Aliens sind. Ich habe Ihnen ja von diesem UFO erzählt, dass ich gesehen habe. Ich gehe davon aus, dass mir die Aliens heimlich einen Sender ins Gehirn implantiert haben. Der saugt mir die Gedanken aus dem Kopf«. Fremdbeeinflussungserleben zeigt sich in dem Empfinden, dass Handlungen und Gefühle von außen, z. B. von einer fremden Macht, gesteuert werden. Gleich einer Marionette führt der Patient Aktionen aus, die er scheinbar nicht selbst initiiert hat. Neben leiblicher Beeinflussung kann auch das Fühlen, Streben und Wollen einer solchen Kontrolle oder dem Gefühl des Ge-
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Kapitel 38 · Ich-Störungen – Psychologie
machten unterliegen: »Ich habe es dann gemacht, aber eigentlich nicht, weil ich es wollte. Ich bin von jemandem gesteuert worden. Der hat dafür gesorgt, dass ich das tue« oder: »Nicht ich schreie, der da schreit, ist ein Anderer. Die Strahlung geht direkt auf meine Sprechmuskeln«. Häufig treten mehrere Symptome der Ich-Störung gleichzeitig auf. So können eigene Gedanken entzogen und gleichzeitig fremde eingegeben werden, oder der schizophrene Patient hat das Gefühl, dass die fremde Macht erst seine Gedanken liest, um dann seine geplanten Aktivitäten zu unterbinden und Handlungen von außen zu steuern. 38.2
Erfassen von Ich-Störungen
Für den deutschen Sprachraum wurden die Ich-Störungen im Handbuch der AMDP (Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie) operationalisiert. Hier wurde nicht nur eine definitorische Beschreibung gegeben, sondern es wurden auch standardisierte Fragen für die Erhebung sowie Kriterien für das Vorliegen der Symptome erarbeitet (7 Testbox 1). Das AMDP-Manual geht dabei auch auf die Symptome der Derealisation und Depersonalisation ein. Dabei handelt es sich um das Gefühl, dass die Situation, in der sich der Patient befindet, plötzlich in gewisser Weise unwirklich oder unvertraut ist bzw. das Gefühl, dass die eigene Person fremd ist. Diese Entfremdungserlebnisse haben jedoch nicht das Gefühl des Gemachten und gehören damit im engeren Sinne nicht zu den Ich-Störungen
Testbox 1: Beispielfragen zur Ich-Störung, Derealisation und Depersonalisation aus dem halbstrukturierten Interview anhand des AMDP-Systems von Fähndrich & Stieglitz (1998) Gedankenausbreitung: Meinen Sie, Andere kennen Ihre
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Gedanken, können wissen, was sie gerade denken? Gedankenentzug: Haben Sie den Eindruck, Andere können Ihre Gedanken wegnehmen? Gedankeneingebung: Haben Sie manchmal das Gefühl, dass Sie Gedanken denken, die gar nicht von Ihnen stammen, die man Ihnen gemacht hat? Haben Sie das Gefühl, Ihre Gedanken werden von Anderen beeinflusst oder gelenkt? Fremdbeeinflussungserlebnisse: Manche Menschen haben gelegentlich das Gefühl, hypnotisiert zu werden, gleichsam ferngesteuert zu sein. Kennen Sie ein solches Gefühl, beeinflusst zu werden, auch? Haben Sie sonst irgendwie das Gefühl, von Anderen gesteuert oder beeinflusst zu werden? Derealisation: Kommt Ihnen die vertraute Umgebung in letzter Zeit irgendwie verändert oder fremd vor? Depersonalisation: Spüren sie ihren Körper so wie üblich? Haben Sie sich überhaupt verändert, sind sie heute eine andere Person als früher?
des Formenkreises der Schizophrenien. In milder Form können sie auch beim Gesunden auftreten, so v. a. unter starker Müdigkeit oder im Alkoholrausch. Sie spielen in der Diagnostik der Schizotypie eine gewisse Rolle und können auch in Anfangsstadien (sog. Prodromi) von Psychosen auftreten. Neben der Depersonalisation und Derealisation beschreibt das AMDP-Manual folgende weitere Symptome: 1. Gedankenausbreitung, 2. Gedankenentzug, 3. Gedankeneingebung, 4. andere Fremdbeeinflussungserlebnisse. Insbesondere für Studien eignet sich zur Erhebung von Symptomen der Ich-Störung auch gut die Skala zur Abbildung Positiver Symptome (SAPS, »Standard Assessment of Positive Symptoms«; Andreasen 1984), da sie eine bessere internationale Zugänglichkeit besitzt. Allerdings fehlt in der SAPS ein eigener Subscore für Ich-Störungen, sodass dieser für weitere Analysen vom Untersuchenden aus den entsprechenden Items selbst zusammengestellt werden muss (7 Testbox 2). Dies entspricht der im angelsächsischen Sprachraum verbreiteten Ansicht, die IchStörungen seien zu den Wahnphänomenen (»delusions«) zu zählen. Am ehesten finden sich die Ich-Störungen wieder in den englischen Symptombezeichnungen »passivity symptoms«, »delusion of influence« oder »delusions of control«. Dies wird aber nicht der besonderen Charakteristik dieser Störungen im Vergleich zu anderen Wahnbildungen und auch nicht ihrer Bedeutung für das Krankheitsbild der Schizophrenie gerecht. Die SAPS-Fragen beziehen sich dabei jeweils auf die letzte Woche, wobei bei einer Bejahung durch den Patienten nach der Häufigkeit des Auftretens gefragt wird. Ich-Störungen können nicht isoliert betrachtet werden, sondern müssen auf der Grundlage eines veränderten Erlebens des Patienten verstanden werden. Um diese veränderte Erlebnisweise
Testbox 2: Beispielfragen aus der SAPS-Skala (nach Andreasen 1984) zur Erfassung der Ich-Störung (Items 15–19) »Kontrollwahn«/Fremdbeeinflussungserleben: Hatten Sie in der letzten Woche das Gefühl, von einer fremden Kraft von außen gesteuert zu werden? Gedankenlesen: Hatten Sie in der letzten Woche das Gefühl, dass Menschen Ihre Gedanken lesen können? Gedankenausbreitung: Haben Sie in der letzten Woche Ihre eigenen Gedanken laut werden hören, als wären sie Stimmen außerhalb Ihres Kopfes? Hatten Sie das Gefühl, dass sich Ihre Gedanken ausbreiten, sodass andere Menschen sie hören konnten? Gedankeneingebung: Hatten Sie in der letzten Woche das Gefühl, dass Ihnen Gedanken von einer fremden Kraft eingegeben wurden? Gedankenentzug: Hatten Sie in der letzten Woche das Gefühl, dass Ihnen Ihre Gedanken von einer fremden Macht entzogen wurden?
487 38.2 · Erfassen von Ich-Störungen
besser zu konzeptualisieren, ist es notwendig, sich auf eine Ebene des Verständnisses jenseits der reinen definitorischen Eingrenzung der Symptome zu begeben. Wir werden im Folgenden auf einige dieser Ansätze eingehen. Scharfetter (2002) definiert in seiner »Allgemeinen Psychopathologie« 5 basale Dimensionen des Ich-Bewusstseins. Es handelt sich dabei um die Ich-Vitalität, das Gefühl der eigenen Lebendigkeit, die Ich-Aktivität, die Wahrnehmung, dass wir es selbst sind, die handeln, und dies eigenbestimmt tun, die Ich-Konsistenz, wenn wir uns in unserem Selbstsein als Einheit erfahren, die gerade auch dann erhalten bleibt, wenn uns etwa einander widersprechende Motivationen beherrschen, die Ich-Demarkation, die den »Grenzverkehr« zwischen uns und unserer Umwelt regelt, d. h. einen Kompromiss zwischen Selbstabschottung und Überflutung durch Äußeres herstellt, und die Ich-Identität im Sinne eines über die Zeit konstanten Wissens um eigene Merkmale, seien sie physiognomisch oder biographisch.
Die fünf basalen Dimensionen des Ich-Bewusstseins nach Scharfetter (2002) 4 4 4 4 4
Ich-Vitalität Ich-Aktivität Ich-Konsistenz Ich-Demarkation Ich-Identität
Diese einzelnen Basisdimensionen des Ich-Erlebens können bei Auftreten einer Schizophrenie gestört sein. Scharfetter führt folgende Beispiele an: Ein Patient im katatonen Stupor gibt als Störung eine veränderte Ich-Vitalität an, »Es [sei], wie wenn das Leben draußen wäre, vertrocknet … [er habe] Angst, dass sich die Seele, das Leben aus [ihm] entfernen würde«. Aus diesem Erleben kann ein Untergangswahn oder auch Vernichtungswahn auf der kognitiven Ebene folgen. Eine Störung der Ich-Aktivität äußert sich in Fremdbeeinflussungserleben, so gibt z. B. ein Patient, der wie ein gequältes Tier brüllt, an: »Nicht ich schreie, die Einwirkung geht auf meinen Stimmnerv, dann brüllt es aus mir«. Patienten mit Störung der Ich-Konsistenz fühlen sich von divergierenden Mächten auseinandergezogen und spüren diese Qual der Spaltung manchmal auch leiblich: »Rechts bin ich ein Mann, links bin ich eine Frau. Rechts bin ich mein Vater, manchmal meine Mutter«. Eine Störung der Ich-Demarkation führt dazu, dass nur noch schwer zwischen Ich und Nicht-Ich unterschieden werden kann. »Ich muss die Augen schließen, weil ich sonst nicht weiß, was außen und was innen ist, und es ist ein großes Durcheinander in mir«. Manchmal kommt es in der Folge zu einer Abkapselung von der mit anderen geteilten Realität und zur Isolation in einer autistischen Eigenwelt. Auf der anderen Seite ist der Patient
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schutzlos Einflüssen von außen preisgegeben, was ähnlich wie bei der Störung der Ich-Aktivität zu einem Fremdbeeinflussungserleben führen kann. Eine Störung der Ich-Identität kann dazu führen, dass der Kranke nicht mehr weiß, wer er ist, und an die Stelle der verloren gegangenen Identität kann der Versuch treten, diese durch eine neue zu ersetzen, z. B. durch eine Rollen- oder Bedeutungserhöhung: »So muss ich auch extravagant sein, dass ich mich selber als eigener erlebe. Daher kann ich nicht tun wie andere gewöhnliche Menschen, daher kann ich nicht die Symbole aufgeben, die ich mir ausgedacht habe«. Noch eine Stufe tiefer setzen Konzepte an, die die Entstehung der ausgeformten psychotischen Symptome als sekundäre Entwicklung aus einer Reihe sich teilweise schon im Vorfeld der eigentlichen Störung manifestierender abnormer Erlebnisweisen sehen. Huber (1966) hat mit seinem Konzept der Basissymptome einen Rahmen für solche Untersuchungen geschaffen, der auch für das Verständnis der Ich-Störungen fruchtbar gemacht werden kann. Basisstörungen sind subjektive Erlebnisse, die Episoden mit floriden psychotischen Symptomen vorangehen (oder ihnen folgen). Es sind u. a. Denkstörungen wie die Störung der Symbolerfassung und Wahrnehmungsveränderungen des Patienten im sensorischen Bereich (z. B. Makropsien oder Metamorphopsien). Diese sind für den schizophrenen Patienten zunächst unverständlich, werden aber als real wahrgenommen. In diesem Spannungsfeld entwickeln sich wahnhafte Erklärungsversuche. Im Falle von Ich-Störungen könnte das bedeuten, dass zunächst subtile Wahrnehmungsveränderungen auf der Ebene der Wahrnehmung eigener Handlungen oder der Wahrnehmung der Körpregrenzen zu einer nicht zu überwindenden inneren Spannung führen, die in wahnhaften Überzeugungen der Fremdbeeinflussung, wie sie oben beschrieben wurden, ihren Audruck findet. Um solche Änderungen von Erlebnisweisen besser untersuchen zu können, gibt es neben der von Gross et al. (1987) entwickelten BSABS ein semistrukturiertes Interview von Parnas et al. (2005), das Ich-Störungen untersucht, wie sie v. a. im Rahmen von Spektrumsstörungen des schizophrenen Formenkreises auftreten. Das Ziel dieser »Examination of Anomalous Self-Experience« (EASE) ist eine qualitative Beschreibung jener klinischen Symptome, die eine geänderte Perspektive der ersten Person (»Ich«) gemeinsam haben, das heißt eine Störung in der Art und Weise, wie man ein Subjekt ist und damit das Zentrum seiner eigenen Handlungen, Gedanken und Wahrnehmungen. Sie fokussiert sich also auf die Störungen des Selbst. Nicht selten geben Patienten in solchen klinischen Interviews zum ersten Mal Symptome an, da sie ansonsten die Reaktion ihrer Umwelt fürchten oder diesbezüglich bereits schlechte Erfahrungen gemacht haben. Neben Auffälligkeiten in Kognition und Bewusstsein (Domäne 1) werden mit der EASE das Selbsterleben (Domäne 2), Köpererfahrungen (Domäne 3), Grenzen des Subjekts zur Welt (Domäne 4) und die Erfahrung der Existenz im Ganzen (Domäne 5) erfasst. Das Selbsterleben beispielsweise beinhaltet ein
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Kapitel 38 · Ich-Störungen – Psychologie
Exkurs Bonn Scale for the Assessment of Basic Symptoms (BSABS) Auf der Basis umfangreicher Untersuchungen des Verlaufs schizophrener Psychosen beschrieb Huber (1966) milde, oft nur von den Patienten selbst wahrgenommene Symptome, die auch im Vorfeld psychotischer Störungen während der sog. Prodromalphase auftreten. In der Bonner Skala zur Abklärung von Basis-
sysmptomen (BSABS; . Tab. 38.1) wurden operationale Kriterien zur Erfassung dieser Symptome aufgestellt. Die 10 nachfolgenden prodromalen Symptome aus der BSABS konnten in einer von Klosterkötter et al. (2001) durchgeführten Studie den Ausbruch einer Schizophrenie gut vorhersagen.
. Tab. 38.1. Basissymptome als Prädiktoren einer schizophrenen Erkrankung
38
Prodromalsymptom
Sensitivität
Spezifität
Falsch positive Vorhersagen
Falsch negative Vorhersagen
Gedankeninterferenz
0,42
0,91
4,4%
28,8%
Zwangsähnliches Perseverieren bestimmter Gedanken
0,32
0,88
6,3%
33,8%
Gedankendrängen, -jagen
0,38
0,96
1,9%
30,6%
Blockierung des jeweiligen Gedankenganges
0,34
0,86
6,9%
32,5%
Störung der rezeptiven Sprache
0,39
0,91
4,4%
30,0%
Störung der Diskrimination von Vorstellungen und Wahrnehmungen bzw. Phantasien und Erinnerungen
0,27
0,95
2,5%
36,3%
Eigenbeziehungstendenz, Subjekt-Zentrismus
0,39
0,89
5,6%
30,0%
Derealisation
0,28
0,90
5,0%
35,6%
Optische Wahrnehmungsveränderungen
0,46
0,85
7,5%
26,9%
Akustische Wahrnehmungsveränderungen
0,29
0,89
5,6%
35,0%
automatisches, unreflektiertes Sicheinfügen in die Welt. Dies wird mit dem der phänomenologischen Terminologie entlehnten Begriff der Präsenz beschrieben, der die gemeinsame Struktur beschreibt, die aus Subjekt und Objekt gebildet wird. Hierzu gehört auch das unmittelbare Gefühl, dass die Erlebnisse meine eigenen sind (Meinigkeit). Eine Störung einer der beiden Komponenten, der Meinigkeit des Erlebten oder des Eingebettetseins in die Umwelt, beeinflusst dabei unvermeidlich auch die andere. Hieraus kann eine Störung des »Basis-Selbst« (Item 2.1 der EASE) entstehen: Die Person empfindet einen Mangel eines inneren Kerns bzw. einer Identität. Sie hat das Gefühl, nicht existent oder völlig anders als die Umwelt zu sein. Die verringerte Meinigkeit kann sich auch in einer Störung der Erste-Person-Perspektive (Item 2.2) ausdrücken. Eigene Gedanken, Gefühle und Handlungen erscheinen als unpersönlich, anonym, mechanisch ausgeführt. Aus dem Verlust des selbstverständlichen Umgangs mit der Welt ergibt sich oftmals ein Zustand der Hyperreflexivität (Item 2.6). Damit ist die Tendenz gemeint, sich selbst, Teile von sich selbst oder Ausschnitte der Umwelt zum Objekt intensiver gedanklicher Reflexion zu machen. Die Reflexion über eigene Gedan-
ken, Gefühle und Verhaltensweisen geht mit einer zunehmenden Unfähigkeit einher, sich spontan und frei heraus zu verhalten. Interaktionen mit der Umwelt werden seltener. Dies sind nur einige Beispiele für Items aus der EASE. Einige weitere finden sich in 7 Box 3. Obwohl die zum Teil in der Terminologie phänomenologischer Analysen gehaltene Beschreibung diese Skala etwas schwer verständlich macht, ist ihr Vorteil, dass sie aus der praktischen klinischen Tätigkeit heraus entwickelt wurde. Sie kann Grundlage einer besseren Konzeptualisierung und operationalisierten Erfassung von Ich-Störungen sein. Skalen wie die BSABS oder die EASE haben ihren besonderen Wert v. a. in der Erfassung von Störungen des Selbsterlebens in der Frühphase der Erkrankung, wenn das Auftreten entsprechender Störungen diagnostisch wegweisend sein kann. Darüber hinaus bietet es sich an, diese Untersuchungsinstrumente in neuropsychologischen und bildgebenden Untersuchungen einzusetzten, die sich mit Ich-Störungen beschäftigen, um die neuralen Korrelate dieser psychopathologischen Symptome einzugrenzen.
489 38.4 · Modelle der Ich-Störungen
38.3 Box 3: Beispiele für Selbststörungen aus der Examination of Anomalous Self-Experience (EASE) 1.2 Gedankenenteignung: Den Gedanken ist die Meinhaftigkeit genommen. Sie fühlen sich anonym und fremdartig an, obwohl der Patient keine Zweifel hat, dass sie von ihm stammen.
1.15 Unterbrochene Aufmerksamkeit für eigene Handlungen: Die kurze Zeitspanne, in der eine Handlung ausgeführt wurde, kann nicht erinnert werden.
1.16 Unstimmigkeit zwischen der intendierten und der ausgeführten Ausdruckshandlung: Sprache, Verhalten und Gesten stimmen in der Eigenwahrnehmung nicht mit den zugrunde liegenden Gefühlen und Emotionen überein. 2.3 Depersonalisation und Selbstentfremdung: Entfremdung von einem Selbst, von den eigenen mentalen Zuständen, Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen. 2.7 Ich-Spaltung: Der Patient erlebt sein Ich, Selbst oder seine Person nicht als ein Ganzes, sondern als gespalten oder anderweitig aufgegliedert, desintegriert in halbautonome Teile. 3.2 Spiegelphänomene: Der Patient schaut ungewöhnlich oft und intensiv in den Spiegel, oder aber er vermeidet sein Spiegelbild. Er nimmt entweder Veränderungen in seinem Gesicht wahr oder fahndet nach solchen Veränderungen. 3.9 Mimetische Erfahrungen: Es besteht eine Resonanz zwischen eigenen Bewegungen und den Bewegungen Anderer. Es werden Pseudobewegungen von Objekten und Personen wahrgenommen, vor allem wenn sich der Patient selbst bewegt. 4.1 Verwechslung mit einem Anderen: Der Patient nimmt seinen Gesprächspartner und sich selbst als vermischt in dem Sinne wahr, dass er das Gefühl dafür verliert, welche Gefühle oder Gedanken jeweils von wem generiert werden. 4.4 Beeinflussungsstimmung: Ein diffuses Gefühl, der Welt in einer passiven Weise ausgeliefert zu sein. Das Gefühl, ein autonomes Subjekt zu sein, ist vermindert. Es bestehen keine konkreten Erlebnisse oder Wahnbildungen über äussere Einflüsse. 4.5 Transitive Phänomene: Gefühl der unvollständigen Abgrenzung des eigenen Körpers auch gegenüber unbelebten Objekten. Das Gefühl, zu offen oder transparent zu sein. 5.1 Selbstreferenz: Das Gefühl des Patienten einer unmittelbaren Verbindung zwischen ihm selbst und äußeren Ereignissen oder anderen Menschen.
38
Beispiel für die experimentalpsychologische Untersuchung von Ich-Störungen
Bleibt die phänomenologische Betrachtung von Ich-Störungen zum Teil auch durch methodische Erwägungen getrieben, an der beobachtbaren Oberfläche der Erscheinungen versuchen experimentalpsychologische Untersuchungen, dahinter liegende psychologische und letztendlich auch neuronale Mechanismen aufzuklären. Im Falle der Ich-Störungen konnte mit experimentalpsychologischen Methoden gezeigt werden, dass tatsächlich sehr subtile Veränderungen in der Wahrnehmung, z. B. der Wahrnehmung der visuellen Konsequenzen eigener Bewegungen und Handlungen, mit der psychopathologischen Symptomatik korrelieren. Solche Befunde werden auch unter dem Begriff »Self-monitoringDefizite« zusammengefasst. Patienten mit Schizophrenie haben ein eingeschränktes Vermögen, eine kleine von außen experimentell eingeführte Unstimmigkeit zwischen ihrer eigenen Handlung und deren wahrgenommenen Konsequenzen zu detektieren (Frith u. Done 1989). Für dieses Defizit konnte auch ein Zusammenhang mit Fremdbeeinflussungserleben gezeigt werden. Ausführlich wird ein solches Experiment in 7 Box 4 beschrieben. 38.4
Modelle der Ich-Störungen
Zur Beschreibung der neuronalen Repräsentation und der Steuerung eigener Handlungen wurden Modellvorstellungen entwickelt, von denen die internen Modelle zur Erklärung der Ich-Störungen die größte Bedeutung haben. Interne Modelle sind ein Ansatz, um motorische Kontrollfunktionen zu beschreiben. Damit ist ein neuronales Element gemeint, das Sensorik oder Motorik mittels festgelegter Regeln verknüpft. Sensorik, die Wahrnehmung von Reizen, und die motorische Ausführung von Handlungen werden also nicht getrennt betrachtet, sondern zusammengefasst als Sensomotorik beschrieben. 38.4.1 Reafferenz und Vorwärtsmodelle ! Forward models (Vorwärtsmodelle) des Gehirns können auf der Basis eines Abgleichs mit efferenten (absteigenden) motorischen Kommandos (mittels Efferenzkopie) die zu erwartenden sensorischen Konsequenzen der Bewegung berechnen, d. h. sie machen eine Voraussage darüber, wie schnell die Bewegung sein und welchen Weg sie beschreiben wird. Inverse Modelle hingegen berechnen die notwendigen muskulären Kräfte, um einen motorischen Plan umzusetzen. Für den Fall, dass ein inverses Modell ungenau ist, kann das Vorwärtsmodell (die vorausberechnete Sensorik) in Verbindung mit der tatsächlich erfahrenen Sensorik ein Fehlersignal generieren, um eine Korrektur einzuleiten.
490
Kapitel 38 · Ich-Störungen – Psychologie
Box 4: Beispiel für die experimentelle Untersuchung des Self-monitoring Eine Ich-Erfahrung ist die Wahrnehmung der eigenen Person als handelndes Subjekt, das Gefühl, der Urheber seiner eigenen Handlungen zu sein. Um diese Fähigkeit zu überprüfen, wurde eine Aufgabe entwickelt, die von den Versuchsteilnehmern verlangte, Veränderungen zwischen eigenen Handlungen und ihren visuellen Konsequenzen zu erkennen (Knoblich u. Kircher 2004). Gesunde Versuchsteilnehmer wurden angewiesen, ohne direkte visuelle Kontrolle ihrer Hand Kreise auf ein elektronisches Zeichentablett zu zeichnen. Als Feedback wurde ihnen ein bewegter Punkt auf einem Computermonitor präsentiert, der dort keine Bewegungsspur hinterließ. Zuerst wurden in jedem Durchgang drei Kreise gezeichnet, die durch die Abbildung auf dem Bildschirm 1:1 wiedergegeben wurden (. Abb. 38.1a). Während des Zeichnens des vierten Kreises wurde das Verhältnis zwischen Bewegung und Abbildung so abgeändert, dass die Bewegung des Punktes beschleunigt wurde (. Abb. 38.1b). Dies vergrößerte den Kreisradius, wenn der Proband wie zuvor weiter zeichnete. Falls er jedoch die von außen eingeführte Störung zu kompensieren versuchte, veränderte sich der auf dem Computerbildschirm abgebildete Kreisradius nicht. . Abb. 38.1. Versuchsaufbau eines visuellen Self-monitoring-Experiments. (Mod. nach Knoblich et al. 2004; 7 Farbtafeln, S. 670)
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Die Instruktion für die Versuchsteilnehmer war es, sofort den Stift anzuheben, wenn sie eine Veränderung ihrer abgebildeten Bewegung wahrnahmen. Wenn sie keine Veränderung bemerkten, sollten sie bis zum Ende des Durchgangs weiterzeichnen. Das Ergebnis des Versuchs zeigte, dass die Teilnehmer häufig Veränderungen des Mapping korrigierten, ohne diese bewusst wahrzunehmen. In diesem Fall wurde also eine Handlung ausgeführt (die Korrektur), ohne dass sich das Gefühl einstellte, dies bewusst getan zu haben. In einer weiteren Versuchsreihe (Knoblich et al. 2004) wurden Patienten mit Schizophrenie untersucht. Patienten mit paranoidhalluzinatorischem oder desorganisiertem Syndrom im Vergleich zu Patienten ohne diese Symptome konnten signifikant schlechter vom Computer erzeugte Manipulationen der eigenen Bewegungen erkennen. Dieses Ergebnis stellt einen wichtigen Befund dar für die Bedeutung einer gestörten Selbst-Fremd-Repräsentation, wobei die genannten Prozesse nicht bei allen Schizophreniepatienten beeinträchtigt zu sein scheinen, sondern nur unter bestimmten Symptomkomplexen auftreten.
491 38.4 · Modelle der Ich-Störungen
Für die Unterscheidung zwischen den Folgen eigener Handlungen und den Folgen der Handlungen Anderer liegt im Gehirn ein Kontrollmechanismus vor, der zwischen selbst initiierten und anderen Bewegungen in der Umwelt differenziert. Dieser Mechanismus wurde schon 1950 durch von Holst und Mittelstaedt als »Reafferenzprinzip« bezeichnet (von Holst u. Mittelstaedt 1950). Es wird angenommen, dass eine Kopie jedes motorischen Befehls den sensorischen Arealen des Gehirns als sog. »Efferenzkopie« zur Verfügung gestellt wird. Diese Efferenzkopie wird anschließend mit den Informationen über die sensorischen Konsequenzen der Handlungen, der Reafferenz, verglichen. Dieser Abgleich erlaubt es, eigene Bewegungen aus der Repräsentation der Umwelt »herauszurechnen«. Das bedeutet, dass die visuelle Wahrnehmung der Umgebung entsprechend den eigenen Bewegungen korrigiert wird. Stimmt die Efferenzkopie nicht mit den ausgeführten Aktionen überein, kann man von äußeren Einflussfaktoren ausgehen. Wenn mir meine Augen und mein Gleichgewichtssinn z. B. die Information vermitteln, dass ich mich von der Stelle bewegt habe, ohne dass ich meine Muskeln willentlich bewegt habe, bin ich vielleicht geschubst worden. Prinzipiell wurde dieser Mechanismus bereits im 19. Jahrhundert durch von Helmholtz als Ergebnis seiner sinnesphysiologischen Untersuchungen postuliert. Er wurde beim Menschen in einer Reihe von Experimenten untersucht. Zum Beispiel wurde erforscht, warum man sich nicht selbst kitzeln kann (Blakemore et al. 1998). Es wird angenommen, dass beim Selbstkitzeln ein solcher Reafferenz-Mechanismus dafür sorgt, dass die taktilen Folgen der eigenen Bewegung aus der Wahrnehmung eliminiert werden. Die entsprechenden sensiblen Hirnareale müssen also gehemmt werden. Blakemore et al. (2000) untersuchten die Unterscheidungsfähigkeit zwischen selbst und extern produzierten taktilen Stimuli bei Patienten mit Schizophrenie, bipolaren Störungen oder Depression und Gesunden. Mit einer geschickten experimentellen Anordnung wurde die Handinnenfläche der Probanden entweder durch den Versuchsleiter oder aber den Teilnehmer selbst stimuliert. Gesunde Probanden und psychiatrische Patienten ohne Passivitätserleben oder auditorische Halluzinationen erlebten selbst produzierte Stimuli als weniger intensiv, weniger kribbelig und weniger angenehm als identische, extern produzierte taktile Stimuli. Dies war nicht der Fall für Patienten mit Fremdbeeinflussungserleben. Für die Wahrnehmung eigener Handbewegungen konnte gezeigt werden, dass dieses Prinzip auch für das visuelle System gilt. Bewegungssensitive Hirnregionen sind dann stärker aktiv, wenn das visuelle Feedback der eigenen Handbewegung nicht mit der realen Bewegung synchron einhergeht bzw. ihr gegenüber zeitlich verzögert ist (Leube et al. 2003). Das heißt, die Bewegungsareale werden durch die eigene Bewegung in ihrer Aktivierung abgeschwächt (attenuiert) – genauso wie die sensiblen Regionen, wenn man sich selbst kitzelt. Die Tatsache, dass in Lebewesen, die sich aktiv in ihrer Umwelt bewegen, ein Kontrollmechanismus vorliegen muss, der zwi-
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schen selbst initiierter, eigener Bewegung und äußeren Ereignissen wie der Bewegung anderer Lebewesen oder zufälligen Geschehnissen in der Umwelt unterscheidet, wurde schon in der Antike, z. B. von Ptolemaeus, und in der Neuzeit von Descartes diskutiert. Ausgangspunkt hierfür ist v. a. das Phänomen einer unbewegten Umwelt trotz eigener Bewegung im Raum. Bewege ich mein Auge, bewegt sich das Bild der gesehenen Welt auf der Netzhaut. Trotzdem wird die Umwelt als konstant und unbewegt wahrgenommen. Schließe ich dagegen ein Auge und drücke mit dem Finger auf den Augapfel des anderen (offenen) Auges, bemerke ich, wie sich die Umwelt auf der Netzhaut bewegt, als unmittelbares Bewegungserleben. Im ersteren Fall, der physiologischen Bewegung des Auges durch die Augenmuskulatur, ist diese Bewegung also durch einen Mechanismus kompensiert worden, sodass kein Bewegungseindruck entstand. Dies ist der Mechanismus, der von Mittelstaedt und von Holst als »Reafferenzprinzip« bezeichnet wurde (von Holst u. Mittelstaedt 1950). Es wird also angenommen, dass eine Kopie des motorischen Befehls an die Augenmuskulatur dem visuellen System des Gehirns als »Efferenzkopie« zur Verfügung gestellt wird und auf diese Weise die eigene Bewegung aus der Repräsentation der Umwelt herausgerechnet werden kann. Efferenzkopiemechanismen wurden gattungsübergreifend auch bei anderen Lebewesen – wie Fischen und Insekten – nachgewiesen; sie sind bei diesen auch auf einer neuronalen Ebene gut beschrieben (Kircher u. Leube 2005). Es fällt nicht schwer sich vorzustellen, dass bei einer Störung dieses Mechanismus eigene Bewegungen ohne eine Korrektur anhand des Efferenzkopiemechanismus als fremd und von außen kommend erlebt werden können. Eine Reihe von experimentalpsychologischen Untersuchungen konnte zeigen, dass dieser Pathomechanismus bei der Entstehung von Positivsymptomen und Ich-Störungen bei schizophrenen Patienten die zentrale Rolle spielen könnte (7 Kap. 39). In Versuchen, bei denen das visuelle Feedback eigener Handbewegungen über ein Monitorsystem systematisch verändert wurde, zeigten schizophrene Patienten, insbesondere solche mit Ich-Störungen, eine verminderte Fähigkeit, die im Versuch künstlich erzeugten Diskrepanzen zwischen eigener Bewegung und visuellem Feedback zu detektieren (Franck et al. 2001). Dies ist ein Hinweis darauf, dass die interne Repräsentation bzw. das interne Modell der Bewegung bei Patienten mit Schizophrenie möglicherweise fehlerhaft ist, sodass der »Mismatch« zwischen Bewegung und visueller Rückmeldung nicht genauso gut wie bei gesunden Probanden wahrgenommen werden kann. Es gibt eine Methode, um diesen vermuteten Fehler in der Bildung des internen Modells auch wirklich quantitativ zu messen. Wie bereits oben erwähnt, sorgt der Efferenzkopiemechanismus dafür, dass die Bewegung der Umwelt auf der Netzhaut, die durch Augenbewegungen verursacht wird, nicht zu einem wirklichen Bewegungseindruck führt, sondern herausgerechnet wird. Dies kann in einem psychophysischen Experiment genutzt werden, indem bei einer kontrolliert durchgeführten Augenbewe-
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Kapitel 38 · Ich-Störungen – Psychologie
Box 5: Visuelles psychophysisches Experiment zur quantitativen Untersuchung des Reafferenzprinzipes bei schizophrenen Patienten Ein neuronaler Mechanismus, dessen gestörte Funktion Ich-Störungen erklären könnte, ist der Efferenzkopiemechanismus oder das Reafferenzprinzip. Eine elegante Methode, diesen Mechanismus in einem Experiment zu untersuchen und zu messen, wurde von Lindner et al. (2005) genutzt, um seine abweichende Funktion bei schizophrenen Patienten nachzuweisen. Hierfür wurde in einem psychophysischen Experiment bestimmt, wie gut die scheinbare Bewegung eines strukturierten Hintergrunds kompensiert werden kann, während man einem bewegten Objekt mit den Augen folgt (. Abb. 38.2a). Da der dargebotene strukturierte Hintergrund während der Augenbewegung einen Weg auf der Retina zurücklegt, könnte der Eindruck einer Bewegung entstehen. Dass dies nicht der Fall ist und der Hintergrund als unbewegt wahrgenommen wird, führt man auf eine Efferenzkopie zurück, die parallel zum motorischen Befehl zur Augenmuskulatur gebildet wird und die in sensorischen Regionen die scheinbare Bewegung des Hintergrunds korrigiert. Durch das Bewegen des strukturierten Hintergrundes mit variierenden Geschwindigkeiten während horizontaler Augenfolgebewegungen und die Abfrage des subjektiven Bewegungseindrucks des Hintergrunds auf die Versuchsteilnehmer (. Abb. 38.2b) kann bestimmt werden, wieviel Hintergrundbewegung notwendig ist, um ihn feststehend erscheinen zu lassen (also zu jeweils 50% die Antworten »links« und »rechts« zu erzielen). Je größer die Abweichung dieses Wertes von 0° pro s (unbewegter Hintergrund), desto unpräziser ist die Kompensation der selbstinduzierten Hintergrundbildbewegung. Die Fähigkeit, auf diese Weise die Konsequenzen der eigenen Handlungen (in diesem Fall der Augenbewegungen) vorherzusagen, ist bei schizophrenen Patienten beeinträchtigt. Der Betrag der fehlerhaft wahrgenommenen Hintergrundbewegung korreliert mit der Stärke der psychopathologisch fest-
38
gung der strukturierte Hintergrund eines beobachteten Objekts mit unterschiedlicher relativer Geschwindigkeit in Bezug zur Augenbewegung bewegt wird (7 Box 5). Ermittelt man nun den sujektiven Bewegungseindruck des Probanden, kann man die Kompensation der eigenen Augenbewegung quantitativ benennen. Es zeigt sich, dass schizophrene Patienten mit Ich-Störungen diese Kompensation nur zu einem geringeren Anteil erfolgreich vollziehen können, was auch mit der Stärke der Symptomatik korreliert (Lindner et al. 2005). Der Efferenzkopiemechanismus zeigt sich somit als wirkungsvolle Theoriebildung für eine ganze Reihe beobachteter Phänomene (. Abb. 38.3). Dass es sich dabei aber nicht um den einzigen modellbiologischen Ansatz zum Verständnis der Ich-Pathologie schizophrener Patienten handelt, möchten wir im Folgenden kurz darstellen.
. Abb. 38.2. Selbstinduzierte sensorische Information wird in der Wahrnehmung gelöscht (Reprinted from Lindner et al. 2005, with permission from Elsevier). (7 Farbtafeln, S. 670)
a
b
gestellten Ich-Störungen (Lindner et al. 2005). Selbstverursachte Bewegung wird also bei Patienten mit starken Ich-Störungen anscheinend nicht als solche erkannt und aus der Wahrnehmung eliminiert, sondern nach außen attribuiert. Die Ich-Grenzen verlieren damit ihre Klarheit.
38.4.2 Spiegelneurone und Imitation Imitation ist eine Fähigkeit, die angeboren ist. Dies weiß man aus entwicklungspsychologischen Untersuchungen, die Imitationsverhalten schon bei Neugeborenen nachweisen konnten. Auch Imitation lässt sich gut im Konzept der Sensomotorik beschreiben. Wahrgenommene Handlung (die imitiert wird) und ausgeführte Handlung werden gemeinsam repräsentiert und können daher auch einfach ineinander umgewandelt werden. Anders als beim Efferenzkopiemechanismus, bei dem aus einem motorischen Kommando Vorhersagen über Wahrnehmungsereignisse abgeleitet werden, wird bei der Imitation eine Wahrnehmung in motorische Handlung übersetzt. Ein neuronaler Mechanismus, der die neuronale Grundlage imitativen Verhaltens darstellt, ist jener der Spiegelneurone
493 38.4 · Modelle der Ich-Störungen
38
. Abb. 38.3. Um ein gewisses Ziel zu verfolgen, wird durch das motorische System ein Befehl gegeben und dabei auch eine Efferenzkopie erstellt. Dank der Efferenzkopie wird über die Bildung eines Vorwärtsmodells eine Vorhersage der sensorischen Konsequenzen des motorischen Befehls erstellt. Diese erwarteten Handlungsergebnisse werden mit den tatsächlich entstandenen (der Reafferenz aus den sensorischen Arealen) abgeglichen. Diskrepanzen können vom Gesunden u. a. dazu
genutzt werden, eine Handlung als selbst- oder fremdproduziert zu klassifizieren. Bei Ich-Störungen könnte es zu einer fehlerhaften Vorhersage der eigenen Handlungen kommen. Dies resultiert in einer erhöhten sensorischen Diskrepanz. Die selbsterzeugten Bewegungen werden als extern produziert wahrgenommen (Reprinted from Blakemore et al. 2003, with permission from Elsevier)
(7 Kap. 39.2.3). Spiegelneurone sind dann aktiv, wenn die Handlung eines Anderen beobachtet wird, aber auch, wenn diese Handlung selbst ausgeführt wird. Sie spielen eine wichtige Rolle in der sozialen Interaktion und beim Verständnis der Handlungen Anderer. Ein Verständnis dieser fremden Handlungen wird sozusagen im Rahmen einer inneren Simulation als Eigenerfahrung – ohne den Umweg über eine analysierende und interpretierende kognitive Verarbeitung – ermöglicht. Durch die gemeinsame Repräsentation eigener und fremder Handlungen (und sehr wahrscheinlich auch von Gedanken und Gefühlen) auf der Ebene der Spiegelneurone können fremde Handlungen somit tatsächlich etwas vom Charakter eigener Handlungen erlangen. Spiegelneurone beschreiben also am besten das, was man als durchlässige Ich-Grenze bezeichnet. Im Normalfall ist dies durchaus erwünscht, im Fall einer Erkrankung jedoch möglicherweise an der Entstehung von Ich-Störungen beteiligt. Vorstellbar wäre, dass eine Hyperaktivierung des Spiegelneuronensystems für von außen kommende Reize über die Erregung eigener motorischer Areale zu dem Gefühl führen könnte, eigene Gedanken oder Handlungen würden von außen eingegeben. Hinweise auf das Vorliegen einer Störung der Spiegelneurone bei Schizophrenie ergeben sich zunächst aus einigen Symptomen der Katatonie.
Hierbei können Phänomene wie Echolalie und Echopraxie auftreten, also das Nachahmen von Sprache und Handlung des Gegenübers. Auch die oben als Items der EASE-Skala besprochenen mimetischen Erfahrungen und die Verwechslung mit einem Anderen sowie die von Scharfetter (2002) beschriebene Störung der Ich-Demarkation lassen sich gut im Rahmen des »mirror neuron«-Konzepts verstehen. Es gibt ebenso experimentelle Befunde, die eine solche mögliche Hyperaktivierung nahelegen. Botvinick u. Cohen (1998) führten eine Reihe von Experimenten durch, bei denen Versuchsteilnehmer Manipulationen an einer Gummihand tatsächlich mit eigenen Wahrnehmungen in Zusammenhang brachten, obwohl diese Gummihand zwar perspektivisch richtig (die eigene Hand war verdeckt), jedoch getrennt vom eigenen Körper vor ihnen lag. Im Unterschied zu gesunden Kontrollprobanden ist diese Illusion bei schizophrenen Patienten deutlich leichter auslösbar. Die Patienten empfinden einen durch einen Pinsel auf der Gummihand verursachten sensorischen Reiz wesentlich intensiver und berichten zusätzlich, dass die Gummihand ihrer eigenen realen Hand hinsichtlich Form, Hautfarbe oder anderen Merkmalen ähnele (Peled et al. 2003).
494
Kapitel 38 · Ich-Störungen – Psychologie
38.5
Zusammenhang von Phänomenologie und Neurobiologie der Ich-Störung
Der phänomenologische Zugang zu den Ich-Störungen versucht das Erleben der Patienten mehr verstehend zu beschreiben; bei der eher experimentellen Vorgehensweise der Neurobiologie dagegen werden Modelle entwickelt, die die Störung aus einer gestörten Funktion heraus beschreiben. Wie verbinden sich aber diese beiden Ansätze? Ein grundsätzliches Modell, wie Ich-Störungen bei schizophrenen Patienten entstehen könnten, ist folgendes: Der Ausfall oder die gestörte Funktion von Mechanismen, die eine Person zum Autor ihrer eigenen Handlungen machen, z. B. Efferenzkopiemechanismen oder »mirror neurons«, ist die Grundlage der Störung und wird von den Patienten als Realitätsveränderung auf einer bewussten Ebene in ihre eigene Erfahrung aufgenommen, indem die Quelle des Erlebten fehlerhaft – nämlich nach außen – attribuiert wird. Auf dieser Grundlage entwickeln sich wahnhafte Vorstellungsbilder, die diese neue »Realistätserfahrung« für den Erkrankten scheinbar erklären und eine gewisse Entlastung der durch das fremde Erleben hervorgerufenen ängstlichen Anspannung erzeugen (7 Box 6). Phänomenologie und naturwissenschaftliche Betrachtungsweise widersprechen sich zwar auf einer philosophischen Ebene
in ihren Grundannhmen (Primat des Phänomens vs. Primat der Funktion), eröffnen jedoch in einer pragmatischen Herangehensweise an das Problem der Ich-Störungen jeweils interessante Ansätze. Die oft detaillierten Beschreibungen der Ich-Störungen im Rahmen phänomenologischer Studien können zumindest in Ansätzen auch operationalisiert werden (so z. B. in der EASE, 7 Abschn. 38.2) und damit der naturwissenschaftlichen experimentellen Untersuchung dienlich sein. Das aus den Naturwissenschaften übernommene Modell, das Ich und seine Störungen auf einer funktionellen Ebene zu erklären, löst auch in der philosophischen Theoriebildung zunehmend subjektzentrierte Ansätze wie das Cartesianische Modell ab, das mit seinem »Cogito ergo sum« das Ich zur höchsten Instanz und unhintergehbar macht, und drängt letztlich auch die phänomenologischen Ansätze zurück. Neuere philosophische Theorien wie das Selbstmodellkonzept von Metzinger (1993) gehen davon aus, dass es ein solches unhintergehbares Ich gar nicht gibt. Das Gefühl, ein Ich zu sein, setzt sich vielmehr aus Erfahrungen der Art zusammen, dass Gedanken oder Körperteile zu einem selbst gehören (Meinigkeit) oder dass man sich über einen längeren Zeitraum (meist das ganze Leben lang) als ein und dieselbe Person begreift (Selbstheit) oder dass die Welt von einem Mittelpunkt auswahrgenommen
Box 6: Modell für die Entstehung der Ich-Störung Spiegelneurone verarbeiten eigene und fremde Handlungen in ein und demselben neuronalen Netzwerk. Zusammen mit den Efferenzkopiemechanismen bildet sich eine Repräsentation von Handlungen als Eigen- oder Fremdrepräsentation. Dies erzeugt ein basales Gefühl der Autorenschaft von Handlungen und macht ein Selbstmonitoring möglich. Auf dieser Ebene entsteht möglicherweise auch ein diffuses Fremdbeeinflussungs. Abb. 38.4. Modell für die Entstehung der Ich-Störung
38
erleben als Kern der weiteren Ich-Störungssymptomatik. Über diese Zustände können wiederum Metarepräsentationen gebildet werden, die auch als »introspektives Bewusstsein« (Kircher u. Leube 2003, 2005) bezeichnet werden können. So löst sich die durch das Erlebte erzeugte Dissonanz in ausgeformten IchStörungen wie Gedankenausbreitung oder Gedankenentzug auf (. Abb. 38.4).
495 Literatur
wird, der ich selbst bin (Perspektivität). Aus den neuronalen Repräsentationen dieser Elemente setzt sich ein Selbstgefühl zusammen, das Metzinger Selbstmodell nennt. Das Gefühl, ein Ich zu sein, entsteht danach nur, weil dieser neuronale Vorgang der Repräsentation für uns selbst nicht sichtbar oder wahrnehmbar wird, in den Worten der Theorie »transparent« ist.
Die Komponenten des Selbstmodells von Metzinger (1993) 4 Meinigkeit 4 Selbstheit 4 Perspektivität
Andere Theorien, die das Ich ebenfalls als Konstrukt betrachten, weisen der Erzeugung dieses Ichs in der Form einer Erzählung der eigenen Geschichte eine besondere Rolle zu. Hierbei handelt es sich gleichsam um einen inneren Monolog, den das Individuum mit sich selbst führt. Diese Metaerzählung definiert im Rahmen dieser Theorie letztlich, was das Ich ist. Es umfasst nicht nur vergangenes Erlebtes, sondern auch daraus abgeleitete Projektionen in die Zukunft. Diese Idee wurde auch von Dennett (1987) aufgegriffen und für neurokognitive Ansätze fruchtbar gemacht. Er spricht vom Selbst als einem »center of narrative gravity«. Das heisst, dass das Selbst durch eine solche Einbettung in Geschichten entsteht und keine Substanz oder kein Substrat hat, sondern lediglich das abstrakte Zentrum all dieser Geschichten ist. 38.6
Zusammenfassung
Ich-Störungen, die im Rahmen von schizophrenen Psychosen als Einzelsymptome auftreten, lassen sich zum einen im Rahmen einer phänomenologischen Untersuchung vor dem gesamten Feld eines gestörten Ich-Erlebens detailliert beschreiben, zum anderen auf eine Störung basaler psychologischer und neurobiologischer Mechanismen der Selbstrepräsentation zurückführen. Für letztere konnten bei schizophrenen Patienten empirische Hinweise auf eine gestörte Funktion gefunden werden. Diese stärker naturwissenschaftlich geprägte Perspektive auf das Ich schlägt sich auch in einer Neubewertung im Rahmen philosophischer Theoriebildung nieder. Wie diese Störungen der IchFunktion sich auf einer neuronalen Ebene mit bildgebenden Verfahren fassen lassen, ist Inhalt des nächsten Kapitels.
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39 Ich-Störungen – Bildgebung Dirk Leube und Katharina Pauly
39.1
Ich-Erleben, Sensomotorik und das menschliche Gehirn
39.2
Die zerebrale Lokalisation der Ich-Störung – 498
39.2.1 39.2.2 39.2.3
Feedforward-Mechanismen und Bewegungskontrolle – 498 Intention, kognitive Kontrolle und Zielrepräsentation – 500 Spiegelneurone, Imitation und Vorstellung von Handlungen und die Unterscheidung von eigenen und fremden Handlungen
39.3
Störungen des Ich-Erlebens im Rahmen neurologischer Syndrome – 504
39.4
Zusammenfassung Literatur
– 505
– 504
– 497
– 502
497 39.1 · Ich-Erleben, Sensomotorik und das menschliche Gehirn
Im vorhergehenden Kapitel wurden die Ich-Störungen als Symptome einer schizophrenen Störung näher beschrieben und Möglichkeiten für ihre Untersuchung und Erfassung besprochen. Die experimentalpsychologische Erforschung von Ich-Störungen ist dabei eng verbunden mit den neurobiologischen Erklärungsansätzen des Reafferenzprinzips und der Vorwärtsmodelle (»forward models«). Die Möglichkeit, einen Zusammenhang zwischen der Phänomenologie der Ich-Störungen und ihrer Neurobiologie grundsätzlich herzustellen, wurde bereits aufgezeigt. An der neuronalen Realisierung von Ich-Bewusstsein und seinen Funktionsstörungen sind dabei spezifische, näher eingrenzbare neuronale Substrate beteiligt. Diese können mit funktionell bildgebenden Verfahren bei Gesunden und schizophrenen Patienten beschrieben werden. Hierbei kommen besonders das sensomotorische System, allem voran der Parietalkortex und das Kleinhirn als neurales Korrelat der Feedforward-Mechanismen in den Blick. Der Frontalkortex hingegen scheint an der Ausbildung und Aufrechterhaltung intentionaler Zustände essenziell beteiligt zu sein und damit ebenfalls zum Selbsterleben eigener Handlungen beizutragen. Das Spiegelneuronensystem wiederum ist eng mit der Sensomotorik verknüpft, bietet jedoch eine neue Perspektive auf die Genese der Ich-Störungen. Das Kapitel schließt mit einem kurzen Seitenblick auf ein den Ich-Störungen verwandtes neurologisches Syndrom, das »alien hand«-Syndrom. 39.1
39
Letzterer wiederum ist nicht nur mit dem posterioren Parietalkortex verschaltet, sondern unter anderem auch mit primären und sekundären Arealen des motorischen Kortex sowie mit dem frontalen Augenfeld (. Abb. 39.3), das Augenbewegungen kontrollieren kann. Zu Motorik und Schizophrenie finden sich nähere Ausführungen auch in 7 Kap. 17 und 7 Kap. 18. Es besteht somit ein enges Zusammenspiel von sensorischen und motorischen Netzwerken. Informationen über die Handlungsplanung und Ausführung in motorischen Arealen können mit sensorischen Informationen über die Auswirkungen dieser Handlungen in der Außenwelt gemeinsam analysiert und für die weitere Planung nutzbar gemacht werden. Dieser Zusammenhang wurde in Theorien über die Efferenzkopie und die Bildung interner Modelle, die z. T. bereits im vorigen Kapitel angesprochen wurden, weiter verfeinert. Zu jedem motorischen Befehl wird entsprechend dieser Theorie eine Efferenzkopie erstellt. Das bedeutet, dass die Informationsmenge,
Ich-Erleben, Sensomotorik und das menschliche Gehirn
Eigene Handlungen nehmen im Rahmen der allgemeinen Wahrnehmungsleistung des Organismus eine Sonderstellung ein. Dies liegt an der engen Verknüpfung von Sensorik und Motorik für diese Gruppe von Ereignissen. Jede Wahrnehmung einer eigenen Handlung ist gekoppelt an afferente sensorische (z. B. visuelle, auditorische) und sensible (z. B. propriozeptive) Empfindungen, die z. T. aus der Umwelt, z. T. auch aus dem eigenen Körper stammen (so über den Gleichgewichtssinn oder die Muskelspindeln). Einige Theorien über die Entstehung des Ichs gehen sogar davon aus, dass dieser permanente Zustrom von afferenter Information die eigentliche Hintergrunderfahrung darstellt, die unser Ich-Erleben konstituiert. Wir werden im Folgenden sehen, dass dies nur einen Teil der Problematik erfasst. Die Kopplung von Sensorik und Motorik ermöglicht eine hohe motorische Feinabstimmung und Kontrolle der Effektivität ausgeführter Bewegungen sowie das Anpassen der Handlung an äußere Gegebenheiten. Hierfür werden Informationen über die Lage und Struktur der Objekte in der Welt sowie in Relation dazu die Stellung und Dynamik der eigenen Körperglieder benötigt. Der Parietalkortex (. Abb. 39.1) spielt bei der Integration der genannten Information eine entscheidende Rolle und ist eng mit den sekundären motorischen Arealen des Frontallappens und dem dorsolateralen präfrontalen Kortex (. Abb. 39.3) verknüpft.
. Abb. 39.1. Das somatosensorische System (Grefkes u. Fink 2006). Das somatosensorische System mit seinen 3 funktionellen Regionen, dem unimodalen (»primären«) somatosensorischen Kortex (SI) des Gyrus postzentralis, der Informationen über die Position der Körperteile und ihre Bewegungen vermittelt, dem sekundär-somatosensorischen Kortex (SII) und den (v. a. rostralen) posterior-parietalen Rindenfeldern (PPC) des Lobus parietalis superior (SPL) und inferior (IPL). In Letzterem werden somatosensorische Stimuli auf höchster Stufe verarbeitet und mit Informationen aus anderen sensorischen Systemen (visuell, akustisch, vestibulär) vereinigt. Daher wird die Region auch als polymodaler Assoziationskortex bezeichnet. Durch die zahlreichen Verbindungen des posterioren Parietalkortex mit dem präfrontalen Kortex ist er stark aufmerksamkeitsabhängig. Dementsprechend wird die Aktivität im posterioren Parietalkortex aufrechterhalten, solange die Intention zu einer Bewegung besteht und ihr Ablauf geplant wird. Das sensorische System ist deutlich hierarchisch strukturiert. Der Informationsaustausch zwischen den einzelnen Ebenen verläuft dennoch parallel in beide Richtungen. Dies ermöglicht die Kontrolle und Überwachung der ausführenden Hirnregionen. (7 Farbtafeln, S. 670)
498
Kapitel 39 · Ich-Störungen – Bildgebung
die über eigene Handlungen zur Verfügung steht, sozusagen »verdoppelt« wird. Neben den sensorischen Konsequenzen der eigenen Handlung, d. h. deren direkter Wahrnehmung, steht eine innere Simulation zur Verfügung, welche diese Wahrnehmungen bereits vorausberechnen kann, bevor die Handlung vollständig ausgeführt ist. Der Abgleich lässt Aussagen über die Autorenschaft von Handlungen zu. Stimmt die Efferenzkopie nicht mit den wahrgenommenen Konsequenzen überein, kann man von äußeren Einflussfaktoren ausgehen. Umgekehrt können eigene Bewegungen herausgerechnet werden. Bewegen wir beispielsweise unsere Augen, haben wir trotz der Bewegung des Bildes unserer Umwelt auf der Netzhaut nicht das Gefühl, dass sich der Raum, in dem wir uns aufhalten, bewegt. Damit kann das Individuum zwischen selbstgenerierten und fremderzeugten Ereignissen unterscheiden (7 Kap. 38). Wir werden im Folgenden eine Reihe von neurobiologischen Studien vorstellen, die zum einen darauf hindeuten, dass dieses Modell beim Menschen gültig ist, zum anderen auf eine Störung dieser Mechanismen bei an Schizophrenie erkrankten Menschen. 39.2
Die zerebrale Lokalisation der Ich-Störung
Bildgebende Studien, die die neuralen Korrelate von Ich-Störungen beschreiben, gehen von dem im vorigen Kapitel geschilderten naturalistischen Ansatz aus. Hierbei wird unterstellt, dass an der Entstehung des Ich-Bewusstseins oder Ich-Gefühls bestimmte neurobiologische Prozesse beteiligt sind, die gleichsam Subkomponenten dieser Bewusstseinsleistung bilden. Ein Vorteil dieser Herangehensweise ist, dass diese Teilprozesse in Experimenten einer empirischen Überprüfung zugänglich gemacht und empirische Ergebnisse aus anderen Bereichen der Schizophrenieforschung in diese Konzepte integriert werden können. Wir werden im Folgenden einige Teilleistungen beschreiben, die mit Ich-Störungen in Zusammenhang gebracht wurden, und auf die mit ihnen verknüpften neuralen Korrelate näher eingehen. Dies sind zum einen interne Modelle und die Bewegungskontrolle, zum anderen die miteinander verknüpften Prozesse der Intentionsbildung, kognitiven Kontrolle und Zielrepräsentation. 39.2.1 Feedforward-Mechanismen
und Bewegungskontrolle
39
Erste Hinweise darauf, dass schizophrene Patienten Schwierigkeiten in der Bewegungskontrolle, v. a. unter Bedingungen fehlender visueller Kontrolle haben, kamen von einfachen psychophysischen Experimenten, in denen gezeigt wurde, dass subtile Veränderungen des visuellen Feedbacks, also kleine Fehler, die zwischen der ausgeführten Handlung und ihren visuellen Konsequenzen auftraten, von schizophrenen Patienten schlechter bemerkt werden. Zur Erklärung dieser Befunde wurde die Hypo-
these aufgestellt, dass ein Defizit in Feedforward-Mechanismen (7 Kap. 38) dafür ursächlich sein könnte (Feinberg u. Guazzelli 1999; Frith 1992). Solche Feedforward-Mechanismen dienen der Kontrolle der Motorik, da kleine Abweichungen zwischen der Vorhersage der sensorischen Konsequenzen einer Handlung und der tatsächlichen Wahrnehmung auf die Korrekturbedürftigkeit des motorischen Befehls hinweisen. Zum anderen wird dieser Mechanismus in der Natur auch dazu genutzt, eigene Handlungen von denen anderer Lebewesen oder sonstiger äußerer Einflüsse zu unterscheiden. Dies wurde für verschiedene Spezies nachgewiesen. Das geht so weit, dass eigene Bewegungen oder Handlungen von der Sensorik gar nicht mehr wahrgenommen werden, sondern durch Hemmung der entsprechenden sensorischen Areale attenuiert (abgeschwächt) werden. Dies wurde auch für den Menschen in bildgebenden Studien dargestellt. So z. B. anhand der Tatsache, dass man sich nicht selber kitzeln kann (Blakemore et al. 1998). Baut man zwischen der eigenen Handlung (hier dem Kitzeln) und ihrer Ausführung eine zeitliche Latenz ein (dies wird mit einer besonderen Apparatur bewerkstelligt), so kann man tatsächlich die Kitzeligkeit, also die sensible Empfindung erhöhen, indem man die Zeitverzögerung erhöht. Ist der zeitliche Abstand nur sehr kurz oder gleich Null, werden die sensiblen rezeptiven Felder über den Feedforward-Mechanismus hingegen gehemmt. Gleiches gilt für die Wahrnehmung eigener Bewegungen. Auch hier lässt sich eine Hemmung bewegungssensitiver Areale nachweisen, wenn die Bewegung via visuelles Feedback ohne Zeitverzögerung dargeboten wird. Bei eingebauter Zeitverzögerung über ein Videosystem kommt es zur zunehmenden Aktivierung dieser Areale. Das inihibitorische Signal wird dabei möglicherweise in den Basalganglien generiert (Leube et al. 2003a). Dafür, dass Forward-Modelle bzw. Störungen in diesen Mechanismen mit Symptomen der Schizophrenie, allen voran mit Ich-Störungen, zusammenhängen könnten, sprechen zahlreiche empirische Befunde. So kann davon aussgegangen werden, dass bei Patienten mit Passivitätserleben die Attenuation, d. h. die verminderte Wahrnehmung der eigenen Handlung, die auf dem Efferenzkopiemechanismus basiert, gestört ist. Das heißt, die eigene Handlung gewinnt den Charakter einer extern generierten. Eine Darstellung des diesen Phänomenen zugrunde liegenden Vorwärtsmodells (»forward model«) findet sich in 7 Kap. 38. Dies gilt nicht nur für die Wahrnehmung sensibler Reize, sondern auch für die Wahrnehmung eigener Bewegungen. Daprati et al. (1997) zeigten, dass Patienten mit Ich-Störungen die Bewegungen der eigenen Hand leichter mit den Handbewegungen einer anderen Person verwechseln als gesunde Kontrollen, wenn die Handbewegungen über einen Videomonitor dargeboten werden und die Hände nur anhand von Bewegungsparametern, nicht aber anhand äußerer Merkmale identifizierbar sind. Schizophrene Patienten detektieren einen Unterschied zwischen der eigenen Bewegung und den visuell wahrgenommenen Konsequenzen schlechter. Franck et al. (2001) konnten dies auch quantitativ belegen: Wird das visuelle Feedback einer eigenen
499 39.2 · Die zerebrale Lokalisation der Ich-Störung
Bewegung mit Hilfe von Computertechnik räumlich oder zeitlich verändert, zeigt sich, dass schizophrene Patienten diesen Unterschied erst ab einer Winkelabweichung von 30° bzw. einer zeitlichen Verzögerung von 300 ms bemerken. Bei Gesunden ist dies bereits bei einer Winkelabweichung von 15° bzw. einer zeitlichen Verzögerung von 150 ms der Fall. Eine mögliche Erklärung dieser Resultate ist, dass die schizophrenen Patienten lediglich das propriozeptive Feedback als Grundlage ihrer Entscheidung zur Verfügung haben, während die gesunden Versuchsteilnehmer die Vorhersage der sensorischen Konsequenzen ihrer Bewegungen durch den funktionierenden Efferenzkopiemechanismus mit dem sensorischen Feedback abgleichen können und so ein viel feineres Instrument zur Verfügung haben. Die Fähigkeit zur Vorhersage sensorischer Information, die durch den Efferenzkopiemechanismus ermöglicht wird, zeigt sich bei Gesunden in einer Verminderung der Aktivität in den entsprechenden sensorischen Arealen, die in bildgebenden Studien nachgewiesen werden konnte (Blakemore et al. 1998; Leube et al. 2003a). Fragt man nun, welche neuronalen Strukturen mit diesen Abnormalitäten bei schizophrenen Patienten in Verbindung stehen, gibt es deutliche Hinweise darauf, dass der Parietalkortex hierbei die entscheidende Rolle spielt. Das im letzten Kapitel ausfühlich beschriebene Psychophysikexperiment von Lindner et al. (2005), das deutliche Anhaltspunkte dafür fand, dass bei schizophrenen Patienten mit Ich-Störungen die Kompensation für die selbstverursachte retinale Bildverschiebung schlechter ist als bei Gesunden, kann mit den Ergebnissen einer Läsionsstudie in Zusammenhang gebracht werden, die eine mögliche Beteiligung des Parietallappens an diesem Defizit zeigte (Haarmeier et al. 1997). Die Beteiligung des Parietalkortex an der Verarbeitung der Wahrnehmung eigener Handlungen und damit auch an der Entstehung von Fremdbeeinflussungserleben konnte auch durch die vorrübergehende Inaktivierung entsprechender Hirnregionen mit Hilfe repetitiver transkranieller Magnetstimulation (rTMS) demonstriert werden (MacDonald u. Paus 2003). Es wurde gezeigt, dass der posteriore Parietallappen bei der Integration propriozeptiver, visueller und motorischer Informationen eine wichtige Rolle spielt. Probanden bewegten mit einem Cyber-Handschuh eine virtuelle Hand auf einem Computerbildschirm, wobei verschiedene zeitliche Verzögerungen zwischen Bewegung und visuellem Feedback eingebaut wurden. Diese Verzögerung sollte von den Probanden eingeschätzt werden. Nach Verringerung der Erregbarkeit des posterioren superioren Parietallappens durch rTMS war die Beurteilung solcher Verzögerungen bei aktiven – nicht aber bei passiv herbeigeführten – Bewegungen beeinträchtigt. Der superiore posteriore Parietallappen ist folglich an der Evaluation der zeitlichen Kongruenz zwischen der Handlung und der Wahrnehmung ihrer visuellen Konsequenzen maßgeblich beteiligt. Eine Funktion, die dem Efferenzkopiemechanismus zugeschrieben wird und zum Gefühl des Fremdgesteuertseins bei Ich-Störungen beitragen könnte, wie in den Verhaltensstudien von Daprati et al. (1997) nachgewiesen werden konnte.
39
Eine Beteiligung des Parietalkortex lässt sich aber auch direkt mit bildgebenden Methoden bei schizophrenen Patienten nachweisen. In einer PET-Studie von Spence et al. (1997) war die Aufgabe, im Scanner zeitlich durch ein Signal vorgegebene, in der Ausführung jedoch freie Joystickbewegungen zu tätigen. Untersucht wurden dabei neben schizophrenen Probanden mit Passivitätserleben, d. h. Ich-Störung, auch wahnhafte schizophrene Patienten, die allerdings kein Gefühl von Fremdkontrolle erlebten, sowie eine gesunde Kontrollgruppe. Verglichen mit Gesunden oder Patienten ohne Passivitätserleben zeigten Patienten mit Ich-Störung bei dieser Aufgabe eine Hyperaktivierung des inferioren parietalen Kortex (als Teil des heteromodalen Assoziationskortex, . Abb. 39.1) sowie des zingulären Kortex. Diese Überaktivierung nahm mit Rückgang der Ich-Störungssymptomatik im Laufe der Behandlung der Patienten ab. Spence und seine Kollegen werteten diese Areale als plausibles anatomisches Substrat für Fehlattributionen selbstgenerierter Vorgänge im Rahmen eines Fremdbeeinflussungserlebens. Farrer et al. (2003) modifizierten das Experiment von Franck et al. (2001). Bewegungen einer virtuellen Hand auf einem Bildschirm entsprachen dabei entweder den eigenen oder wichen in einem bestimmten Winkel (25° oder 50°) davon ab. Manche der virtuellen Bewegungen konnten vom Probanden gar nicht kontrolliert werden, da die dargestellte Hand die des Versuchsleiters war, die eine völlig fremde Bewegung ausführte. Die zugehörige neuronale Aktivierung wurde mit via PET gemessen. Das Ergebnis ist eine zunehmende Aktivierung im inferioren Parietallappen (hauptsächlich im Gyrus angularis und dem Gyrus supramarginalis, v. a. rechtsseitig) mit steigender Diskordanz zwischen ausgeführter und gesehener Bewegung bei den gesunden Probanden. Das bedeutet also eine verstärkte Aktivierung parietaler Areale, die mit der scheinbaren Abnahme der Kontrolle der Probanden über die virtuelle Handbewegung einhergeht (. Abb. 39.2). Schizophrene Probanden zeigten in diesem Experiment eine anormale Modulation des rechten Gyrus angularis. Es ergab sich keinerlei Kovarianz zwischen dem Ausmaß an erlebter Bewegungskontrolle und dem regionalen zerebralen Blutfluss in irgendeiner Hirnregion. Jedoch korrelierte die Aktivierung des rechten inferioren Parietallappens mit einem Score aus mehreren Items für positive Symptome der Schizophrenie, der v. a. Symptome aus dem Bereich der Ich-Störungen umfasst. Die Patienten zeigten darüber hinaus im Vergleich zu den Kontrollen bereits bei der Konkordanzkondition (Abweichung 0°) eine signifikante Aktivitätserhöhung im rechten Parietalkortex. Das für eine externe Attribution typische Aktivierungsmuster liegt bei schizophrenen Patienten also auch in der Kongruenzbedingung vor, sodass die Eigenattribution möglicherweise durch dieses Signal gestört ist und ein Fremdbeeinflussungserleben entsteht. Dies deutet auf eine gestörte Funktion des Forward-Mechanismus mit der Konsequenz hin, dass der Vergleich zwischen eigener Handlung und visuellem Feedback nur unzureichend durchgeführt werden kann.
500
Kapitel 39 · Ich-Störungen – Bildgebung
handelte. Die bei den beiden Konditionen beobachteten zerebralen Aktivierungen unterschieden sich nur im Bereich des Operculum parietale und des Kleinhirns. In Übereinstimmung mit den zuvor genannten Befunden zeigt sich bei den unter Suggestion durchgeführten Bewegungen, mithin bei denjenigen mit Fremdbeeinflussungserleben, eine stärkere und ausgedehntere rCBF-Steigerung.
Kleinhirn und Selbst
. Abb. 39.2. Hirnareale mit steigendem zerebralen Blutfluss bei steigender Diskordanz zwischen ausgeführter und visuell wahrgenommener Bewegung bei Gesunden (Reprinted from Farrer et al. 2003, with permission from Elsevier) (7 Farbtafeln, S. 671)
39
Auch schon im Ruhezustand zeigen sich Hinweise auf die Beteiligung des Parietalkortex an der Entstehung von Ich-Störungen. Bei einer Ruhe-PET-Messung (Franck et al. 2002) wurde der regionale Blutfluss bestimmt, ohne dass eine spezifische Aufgabe gelöst werden musste. Vielmehr wurden die Probanden aufgefordert, entspannt und mit geschlossenen Augen im PET-Scanner zu liegen. In einer Stichprobe von 87 unmedizierten schizophrenen Patienten konnte gezeigt werden, dass die Ausprägung schneiderscher Erstrangssymptome (die mit den hier besprochenen Ich-Störungen zwar nicht identisch, jedoch stark überlappend sind; 7 Kap. 38) mit einer verstärkten Aktivierung des rechten Parietalkortex korreliert. Die Beteiligung parietaler und eng benachbarter Hirnareale an der Entstehung von Passivitätserleben wurde zudem auch bei Gesunden nachgewiesen. Motorisches Fremdbeeinflussungserleben ist somit auch durch Hypnose künstlich herbeigeführbar. Dabei können hypnotisierte Probanden eine von ihnen selbst ausgeführte und bestimmte Bewegung, etwa ein Anheben des Armes, unter der Bedingung der Suggestion als fremd generiert erleben. Blakemore et al. (2003) untersuchten in einem PET-Experiment gut suggestible gesunde Probanden unter Hypnose mit zwei Konditionen: Bei der »Aktivbedingung« führten die Probanden eine bewusst selbstgenerierte repetitive Auf- und Abwärtsbewegung ihres Armes durch. Bei der »Passivbedingung« hingegen wurde ihnen suggeriert, dieselbe Bewegung werde durch den bei beiden Konditionen an ihrem Arm befestigten Flaschenzug verursacht, was jedoch nicht der Fall war, sodass es sich bei den unter dieser Bedingung durchgeführten Bewegungen um tatsächlich selbstgenerierte, jedoch fremdattribuierte motorische Aktionen
Teile des motorischen Feedforward-Modells scheinen auch im Kleinhirn repräsentiert zu sein. So konnten Blakemore et al. (1998, 2001) zeigen, dass die Modulation sensorischer Areale bei taktiler Stimulation unter verschiedenen Bedingungen (selbst vs. fremd bzw. bei zeitlich verzögerter Wiedergabe der Bewegung) direkt mit einer Veränderung der Aktivität im rechten lateralen zerebellären Kortex einhergeht. Für die zeitliche Verzögerung des Feedbacks in der visuellen Modalität (Wahrnehmung eigener Bewegung) konnte gezeigt werden, dass das Kleinhirn an der Entscheidung über Selbst- oder Fremdattribution der Bewegung beteiligt ist – v. a. wenn durch die Versuchsbedingungen eine erhöhte Anforderung an die Diskriminationsleistung gestellt wird (Leube et al. 2003a). Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass das Cerebellum möglicherweise in seiner wichtigen Funktion bei der neuronalen Repräsentation zeitlicher Informationen (Timing, Rhythmus) in das Vorwärtsmodell integriert ist. Dass diese Befunde auch für die Entstehung von Ich-Störungen bedeutsam sein könnten, zeigen Kleinhirnaktivierungen in den bereits oben erwähnten Studien zum Fremdbeeinflussungserleben bei schizophrenen Patienten (Spence et al. 1997) und experimentell erzeugten motorischen Fremdbeeinflussungserleben unter Hypnose (Blakemore et al. 2003). Passivitätserleben geht hierbei mit einer erhöhten Aktivierung im Cerebellum einher
39.2.2 Intention, kognitive Kontrolle
und Zielrepräsentation Haben wir ein Ziel, formen wir Intentionen, um externe und interne Hindernisse zu überwinden, die der Erreichung dieses Ziels im Wege stehen können. Der präfrontale Kortex, der eine entscheidende Rolle bei zahlreichen höheren kognitiven Funktionen spielt, ist zentral für die Auswahl oder den Wechsel von motivationalen Zielen und die entsprechende Planung zum Erreichen dieser Verhaltensziele – insbesondere wenn sie mit Belohnungen verbunden sind. Vor allem auch die motorische Vorbereitung von Handlungen bis hin zur Zielerfüllung ist mit der Aktivität präfrontaler Neurone verbunden. Im Alltag wirken unaufhörlich zahlreiche konkurrierende Stimuli auf uns ein und erfordern eine Entscheidung zwischen konträren Handlungsmöglichkeiten oder Gedanken. Einer Ak-
501 39.2 · Die zerebrale Lokalisation der Ich-Störung
tion oder einem Gedanken muss jedoch nicht unbedingt das Gefühl eines bewussten Handlungswillens vorausgehen, damit sie als selbstinitiiert erkannt würde. Wir betrachten unsere Handlungen auch dann als die eigenen und gewollt, wenn wir zuvor kein Gefühl von Handlungsdrang empfunden haben. Es ist vielmehr das Empfinden, dass die Handlungen oder Gedanken ins Gesamtbild passen, dass sie insgesamt im Einklang mit der Verfolgung der eigener Ziele stehen, was sie uns vertraut erscheinen lässt. Der präfrontale Kortex übt in diesem Zusammenhang eine inhibitorische Kontrolle aus, indem er inadäquate Reaktionen, die nicht mit diesen Zielen im Einklang stehen, unterdrückt. Gleichzeitig müssen jedoch die Zielrepräsentationen und entsprechende Handlungsschemata aktiv gehalten werden. Das Erreichen eines geplanten Ziels löst ein Gefühl von »Selbstgemachtheit« aus. Eine Dysfunktion in präfrontalen Hirnarealen könnte also zum einen zu einer Auslösung von Handlungen (oder Gedanken) führen, die nicht im Rahmen der vom Individuum angestrebten Zielzustände stehen und somit als fremd oder passiv erlebt wahrgenommen werden (. Abb. 39.4). Zum anderen könnte es auch durch eine Veränderung dieser Zielrepräsentationen selbst dazu kommen, dass sich Handlungen nicht mehr in einem solchen Zielzustand auflösen, sondern vom
39
Individuum als ohne Bezug – gleichsam als »erratisch« – und damit auch fremd wahrgenommen werden. Dies führt auf Seiten des Betroffenen zu einem Erklärungsbedarf, der von Patienten mit Schizophrenie z. B. durch die Annahme einer äußeren beeinflussenden Macht gedeckt wird. Bildgebende Studien, die solche intentionalen Handlungen bei gesunden Probanden untersuchten, konnten die Rolle des frontalen Kortex v. a. bei der Detektion von Übereinstimmungsfehlern zwischen Handlungsintention und wahrgenommenem visuellen Feedback bestätigen (Fink et al. 1999; Leube et al. 2003b). Hinweise auf eine strukturelle und funktionelle Veränderung präfrontaler Areale bei schizophrenen Patienten kommen aus zahlreichen Studien, die sich v. a. mit Exekutivfunktionen beschäftigen (7 Kap. 24). Die Hypothese, dass frontale Defizite mit der Ich-Störungs-Symptomatik in Zusammenhang stehen, verbindet sich auch gut mit der Dopaminhypothese der Schizophrenie. Die motivationale Kontrolle, die über präfrontale Hirnareale ausgeübt wird, ist zu einem Teil von dopaminergem Input aus dem ventralen tegmentalen Areal des Hirnstamms (VTA) abhängig. Die dopaminergen Neurone in diesem Hirnbereich projizieren zum Nucleus accumbens und zum präfrontalen Kortex. Es wird angenommen, dass eine Dysregulation dieser dopaminergen Achse einen wesentlichen Beitrag zur schizophrenen Positivsympto-
Exkurs Der dorsolaterale präfrontale und der sekundäre motorische Kortex (. Abb. 39.3) Der präfrontale Kortex spielt eine entscheidende Rolle bei der Auswahl von motivationalen Zielen und deren Erreichen. Er ist ebenso zentral für zahlreiche höhere Aufmerksamkeitsprozesse und Aufgaben der Exekutive. So hat sich der dorsolaterale präfrontale Kortex (rot) als entscheidend für die vorübergehende mentale Repräsentationen von Objekten oder akustischen Signalen sowie deren geistige Manipulation gezeigt, wie sie im Rahmen von figuralen und verbalen Arbeitsgedächtnisaufgaben gefordert werden
. Abb. 39.3. Der menschliche präfrontale Kortex (7 Farbtafeln, S. 671)
(7 Kap. 23 und 24). Zum anderen birgt der dorsolaterale präfrontale Kortex die Steuerzentrale des Gehirns. Je routinierter eine Aufgabe, desto weniger Handlungskontrolle oder »central monitoring« ist notwendig. Die höchste zentrale Kontrollinstanz kommt v. a. bei komplexen (oder ungeübten) Aktionen zum Einsatz. Sie setzt sich zusammen aus dem dorsolateralen präfrontalen und dem posterioren parietalen Kortex (. Abb. 39.1). Im posterioren Parietalkortex befindet sich auch die Repräsentation des umgebenden Raumes, die für die verschiedensten motorischen Handlungen essenziell wichtig ist; so kann z. B. die Stellung der Gliedmaßen in Relation zu einem Zielobjekt gesetzt werden. Durch die Verbindungen des präfrontalen Kortex zum sensorischen Assoziationskortex wird die Wahrnehmung oder Vorstellung relevanter Stimuli erleichtert. Umgekehrt erhält der dorsound ventrolaterale präfrontale Kortex Afferenzen der sensorischen Assoziationsareale, wenn wichtige Stimuli in der Umgebung zu Tage treten. Er trägt so zu der Entscheidung bei, welche Ereignisse bewusst wahrzunehmen sind und was die nachfolgenden Antwortalternativen sind. Diese präfrontal gesteuerte Auswahl von Handlungen ist das Ergebnis eines Wettstreits unterschiedlicher kompetitiver Antworttendenzen. Das plötzliche Wiederauftreten von Schlüsselreizen, die im Rahmen früherer Erfahrungen mit Belohnung verbunden waren, aktiviert dopaminerge Neurone im Mittelhirn (Mesencephalon), die zum präfrontalen Kortex und Ncl. Accumbens projizieren. Letzterer spielt eine entscheidende Rolle für das motivationale Arousal.
502
Kapitel 39 · Ich-Störungen – Bildgebung
. Abb. 39.4. Modell der Ich-Störung modifiziert nach Behrendt (2004). Wird Aufmerksamkeit auf ein Objekt oder Ereignis gelenkt, führt dies zu motivationalen Intentionen. Ein (dopaminerges) Netzwerk aus Basalganglien, Thalamus und (v. a. präfrontalem) Kortex sorgt dafür, dass nur solche Antworttendenzen zur Ausführung kommen, die mit dem motivationalen Status übereinstimmen. Eine Aktion wird initiiert, wenn die Summe exzitatorischer und inhibitorischer Kräfte stärker ist als bei allen alternativen Handlungsentwürfen. Wenn die Schwelle für die Auswahl der Handlungen herabgesenkt ist und diese somit vom eigenen Antrieb und von eigenen Zielen losgelöst sind, könnte dies Fremdbeeinflus-
sungs- und Passivitätserleben, wie es bei den Ich-Störungen der Schizophrenie auftreten kann, erklären. Die mangelnde präfrontale Hemmung automatisch auftretender konkurrierender Antworttendenzen führt zur Produktion störender und unangemessener Antwortdispositionen, die nicht mit dem motivationalen Zustand auf höherer Ebene in Einklang gebracht werden können. Dies kann ein Gefühl von »gemachten Handlungen« oder »gemachten Gedanken« hervorrufen. Verantwortlich für diese gesenkte Schwelle für Reaktionstendenzen könnte die pathologische Aktivierung thalamokortikaler Netzwerke sein. (With permission from Elsevier)
matik (7 Kap. 32–37) beiträgt. Empirisch wird dies v. a. durch die Wirksamkeit antidopaminerger Neuroleptika, aber auch durch zahlreiche neurophysiologische Befunde unterstützt.
anderer Personen erzeugt eine Resonanz in den motorischen Zentren des Betrachters. Aber auch in einer Reihe von Experimenten zur Imitation und Vorstellung von Handlungen und Bewegungen wurde deutlich, dass die Repräsentationen eigener und fremder Handlungen stark überlappen und dass die gemeinsamen Aktivierungen bei Betrachtung und Ausführung einer Handlung auch beim Imitieren eine wichtige Rolle spielen. Funktionell bildgebende Studien konnten dies bekräftigen (Decety et al. 2002). So wurde gezeigt, dass Imitation gegenüber Kontrollbedingungen zu einer stärkeren Aktivierung des inferioren Parietallappens führte. Diese gemeinsamen Repräsentationen eigener und fremder Handlungen in einem gemeinsamen neuronalen Repräsentationsraum führen zwar dazu, dass die Handlungen Anderer besser verstanden werden können und bilden womöglich einen Grundpfeiler der sozialen Kognition; auf der anderen Seite sind in einer
39.2.3 Spiegelneurone, Imitation und Vorstellung
von Handlungen und die Unterscheidung von eigenen und fremden Handlungen
39
Eine Ursache für die Komplexität der Unterscheidung von fremden und eigenen Handlungen bei Menschen könnte darin liegen, dass die Repräsentationen eigener und fremder Handlungen im Kortex dicht beieinander liegen und teilweise sogar überlappen. Auf einem neuronalen Niveau wurde eine solche Überlappung bei den »mirror neurons« gefunden, die schon in 7 Kap. 38 angesprochen wurden (. Abb. 39.5). Das Betrachten von Handlungen
503 39.2 · Die zerebrale Lokalisation der Ich-Störung
. Abb. 39.5. Spiegelneuronensystem beim Menschen (nach Buccino et al. 2001). Gehirnaktivierung bei der Beobachtung von Mund(rot), Hand- (grün) und Fußbewegungen (blau). Es zeigt sich eine Somatotopie des Spiegelneuronensystems mit prämotorischen Aktivierungen bei Bewegungen ohne Objekt (a) und prämotorischen und parietalen Aktivierungen bei Bewegungen mit Objekt (b) (7 Farbtafeln, S. 671)
39
a
b
solchen gemeinsamen Repräsentation, die man als »common coding« bezeichnen kann, auch immer Fehlattributionen möglich. Es muss also Kontrollmechanismen geben, die die Frage »Wer handelt?« sicher beantwortbar machen. Eine Möglichkeit, wie ein solcher Kontrollmechanismus implementiert sein könnte, ist der erwähnte Efferenzkopiemechanismus. Versagt jedoch die Zuordnung der Autorenschaft zu einer Handlung, so ist aufgrund der gemeinsamen Repräsentation eine Verwechslung oder zumindest eine Unsicherheit über die Urheberschaft
der Handlung wahrscheinlich. Ob das Spiegelneuronensystem als mögliches neuronales Substrat dieser gemeinsamen Repräsentation (»common coding«) bei schizophrenen Patienten Auffälligkeiten aufweist, kann im Moment aufgrund empirischer Daten noch nicht beurteilt werden. Jedoch liegen erste Hinweise diesbezüglich für autistische Störungen vor. Hier zeigten sich bei einer Imitationsaufgabe Veränderungen der Aktivierung im Parietalkortex, die mit fMRT gemessen werden konnten (Dapretto et al. 2006).
Exkurs Die Gültigkeit aktueller Modelle der Fremdkontrolle für das Gefühl der Gedankenbeeinflussung Eine Frage, die sich im Zusammenhang mit der Erklärung von IchStörungen auf dem Boden von Mechanismen zur Handlungskontrolle (Efferenzkopie, »common coding«) zwangsläufig stellt, betrifft die Gültigkeit dieser Theorien über den Bereich des körperlichen Beeinflussungserlebens hinaus auf Phänomene wie Gedankeneingebung oder Gedankenausbreitung. Man kann Gedanken und Gefühle als von körperlichen Bewegungen und Handlungen, die in einem physikalischen Raum stattfinden, völlig unabhängig begreifen. Dies entspricht der traditionellen cartesianischen Sichtweise eines Dualismus zwischen res cogitans und res extensa. In der Konsequenz dieser Sichtweise haben sich Modelle kognitiver Vorgänge entwickelt, die auf der Computermetapher
basierten, was eine vom Gehirn unabhängige Realisierbarkeit kognitiver Prozesse suggeriert. Eine Gegenbewegung hierzu hat sich in der letzten Zeit unter dem Stichwort »embodiment« gebildet. Diese alternative Sichtweise geht davon aus, dass Sprache und Denken untrennbar mit körperlicher Aktivität und Handlung verbunden sind. Sprache und Denken werden zu einem Spezialfall körperlichen Handelns auf einer neuronalen Ebene: der Sensomotorik. Damit stünde für all diese Vorgänge eine gemeinsame Beschreibungsebene zur Verfügung. Eine prinzipielle Notwendigkeit, Fremdbeeinflussungserleben bei Handlungen und bei Gedanken unterschiedlich zu erklären, bestünde damit nicht.
39
504
Kapitel 39 · Ich-Störungen – Bildgebung
39.3
Störungen des Ich-Erlebens im Rahmen neurologischer Syndrome
Die Schizophrenie hat aus einer neuropsychologischen Perspektive für die Erforschung der bei ihr auftretenden Symptome entscheidende Nachteile: Sie ist zum einen eine in ihrer Symptomatik sehr heterogene Erkrankung, zum anderen fehlt ein klares anatomisches Korrelat der hoch komplexen Störung. In der Beschreibung der Psychopathologie kann immer nur eine Gewichtung der einzelnen Symptome erreicht werden. Reine Typen, z. B. mit isoliertem Gedankenlautwerden, kommen nur äußerst selten vor. Oft wechselt auch die Symptomatik im Verlauf der Erkrankung mit den Jahren. Anders als in der klassischen neuropsychologischen Forschung fehlt auch eine Läsion, die sich mit dem Symptom verbindet. Auffälligkeiten bei schizophrenen Patienten ergeben sich oft erst durch eine statistische Auswertung auf Gruppenebene. Der einzelne Fall ist in den meisten untersuchten neuroatomischen und -funktionellen Parametern von dem eines einzelnen Gesunden nicht zu unterscheiden. Symptome, die sich zwar grundsätzlich in ihrer Phänomenologie von den Ich-Störungen bei schizophrenen Patienten unterscheiden, jedoch auch einige interessante Gemeinsamkeiten hinsichtlich eines Fremdheitserlebens teilen, können bei neurologischen Patienten auftreten, so z. B. nach einem Schlaganfall. Der Vorteil bei der Untersuchung dieser Störungsbilder ist, dass der Symptomatik ein Läsionsort zugewiesen werden kann, der z. B. im neuroradiologischen Bild oder histologischen Befund darstellbar ist. Eine Störung, die eine interessante Form von Passivitätserleben zeigt und mit solchen Hirnläsionen gemeinsam auftritt, ist das Alien-Hand-Syndrom (AHS). Patienten mit Alien-HandSyndrom besitzen eine Hand, die sich von ihrem bewussten Willen unabhängig bewegt. Die obere Extremität scheint ihren eigenen Willen zu entwickeln oder fremdgelenkt zu sein, auch wenn sie noch als dem eigenen Körper zugehörig erlebt wird. Alien-Hand-Bewegungen scheinen dabei meist zweckgebunden zu sein oder sie interferieren mit der anderen (gesunden) Hand. So wird beispielsweise berichtet, dass ein Bleistift genommen und damit etwas auf ein Blatt Papier gekritzelt wird; dabei gibt der Patient an, diese Handlung nicht selbst gewollt zu haben und berichtet von einem Entfremdungserleben während der Ausführung. Das Problem besteht also darin, dass automatisch ausgelöste, möglicherweise durch Trigger aus der Umwelt angeregte Handlungen nicht inhibiert werden. Die für solche Kontrolle des Verhaltens zuständige Hirnregion, der präfrontale Kortex, ist bei einem Teil der Patienten tatsächlich (kontralateral und meist auf der dominanten Seite) geschädigt (Scepkowski u. Cronin-Golomb 2003). Wie bereits oben beschrieben, könnte das Fremdbeeinflussungserleben dadurch entstehen, dass die Handlung nicht in die durch das Hirnareal vorgegebene Zielrepräsentation der Handlung, die motivationale Kontrolle durch den präfrontalen Kortex, passt und so als extern, d. h. als von außen kommend, attribuiert wird. Interessanterweise gibt es auch Alien-Hand-
Phänomene nach Schädigung des Parietalkortex, die in ihrer Phänomenologie jedoch von den Patienten anders beschrieben werden als diejenigen nach Schädigung des Frontalhirns (Gondim et al. 2005). Bei den parietalen Läsionen handelt es sich dabei eher um Levitationsphänomene, also um ein Fremdbeeinflussungserleben, das nicht den Charakter von ganzen Handlungssequenzen hat, sondern nur Bewegungen umfasst, die ohne eine spezifische Absicht, manchmal auf einen sensiblen Stimulus hin, stattfinden. Diese unterschiedlichen Erlebnisweisen der Fremdbeeinflussung passen gut zu den jeweils geschädigten Hirnregionen und den von ihnen repräsentierten Systemen. Der Frontalkortex repräsentiert Intentionalität von Handlungen und über die Repräsentation von Zielvorgaben so etwas wie »Willen«. Entsprechend werden Handlungen, die aufgrund von Fehlverarbeitungen in diesem System entstehen, als unwillkürlich wahrgenommen. Der Parietallappen setzt auf einer niedrigeren Ebene der Handlungsrepräsentation an, indem – entsprechend den oben beschriebenen Feedforward-Mechanismen – die tatsächlichen sensorischen Konsequenzen der eigenen Handlungen mit den aus den Motorprogrammen berechneten Voraussagen verglichen werden. Im Falle einer Unstimmigkeit wird ein externer, von außen kommender Einfluss auf die Handlung angenommen. Entsprechend fällt hier ein Fremdbeeinflussungserleben während eher zufälligen und nicht auf ein bestimmtes Objekt bezogenen (intentionalen) Bewegungen auf. 39.4
Zusammenfassung
Auf der Ebene neuronaler Systeme, die mit funktioneller Bildgebung untersucht werden können, ergeben sich zwei Hauptansatzpunkte zur Erklärung der Ich-Störungen. Der eine geht von einer fehlerhaften Repräsentation eigener Handlungen im Parietalkortex aus, der andere davon, dass Ich-Störungen durch eine fehlerhafte Repräsentation eigener Ziele und Handlungsoptionen im frontalen Kortex hervorgerufen werden. Besonders für die erste Sichtweise ergeben sich zahlreiche Anknüpfungspunkte zu aktuellen Konzeptbildungen wie den Efferenzkopiemodellen. Eigene und fremde Handlungen werden durch überlappende neuronale Strukturen repräsentiert, wie die jüngsten Erkenntnisse zu den »mirror neurons« eindrucksvoll belegen. Dieser neuronale Mechanismus bildet wahrscheinlich die Basis für Imitation und Simulation von Handlungen und Intentionen Anderer. Damit kommt auch das »mirror neuron«-System als eine mögliche Quelle der Verwechslung der Autorenschaft von Handlungen und Gedanken in Frage. Möglicherweise sind also mehrere Verarbeitungsebenen an der Entstehung von Ich-Störungen beteiligt. Es können Störungen in den neuronalen Strukturen sein, die unmittelbar selbst Signale generieren, die Informationen für eine Selbst- oder Fremdzuschreibung enthalten – wie z. B. der Efferenzkopiemechanismus. Auf der neuroanatomischen Ebene wird der Befund einer frontalen und parietalen Beteiligung am Fremdbeeinflussungser-
505 Literatur
leben neben vielen bildgebenden Untersuchungen in der Patientengruppe auch durch Läsionsstudien, v. a. zum Alien-HandPhänomen, bekräftigt.
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40 Affektstörungen – Psychologie Valentin Markov und Ute Habel
40.1
Einleitung
– 507
40.1.1 40.1.2
Affekt und Emotion – 507 Rolle und Funktion der Emotionen
40.2
Emotionstheorien
40.2.1 40.2.2 40.2.3
Emotionstheorien nach James-Lange und Cannon-Bard Kognitive Emotionstheorien – 508 Evolutionsbiologische Theorieansätze – 508
40.3
Affektive Beeinträchtigungen bei der Schizophrenie – 509
– 507
– 507
40.4
Emotionsinduktion
40.4.1 40.4.2 40.4.3 40.4.4
Emotionsinduktion und emotionales Erleben Emotionale Ausdrucksfähigkeit – 513 Emotionale Diskrimination – 513 Emotionales Gedächtnis – 515
40.5
Empathie
40.6
Spezifische Therapiemöglichkeiten affektiver Beeinträchtigungen – 517
40.7
Zusammenfassung Literatur
– 510 – 510
– 516
– 518
– 518
– 508
507 40.2 · Emotionstheorien
40.1
Einleitung
Die Bedeutung, die Gefühlen in unserem täglichen Leben und Handeln zukommt, wird besonders eminent, wenn pathologische Prozesse ihren normalen Ausdruck und ihre Funktionsweise verändern oder beeinträchtigen. Gefühlen haftet gemeinhin etwas Unerklärliches, Unbewusstes und Unkontrollierbares an. Diese oft als irrational bezeichneten Prozesse laufen in tiefer liegenden, unserem Bewusstsein schwer zugänglichen Hirnstrukturen ab und scheinen das menschliche Bestreben, Kontrolle über sich, sein Handeln und seine Umwelt auszuüben, außer Kraft setzen zu können. Der enorme Einfluss von Emotionen auf nahezu alle interessierenden psychologischen Variablen (wie Gedächtnis, Verhalten, Lernen, Wahrnehmung etc.) mag die Faszination erklären, mit der Philosophen, Mediziner und Psychologen sich der Untersuchung von Emotionen widmen. Obwohl es sich noch in den 80er-Jahren bei der Emotionsforschung um ein eher vernachlässigtes Gebiet innerhalb der Psychologie handelte, die stark kognitions- und motivationstheoretisch orientiert war, konnte in den letzten Jahren ein rapider Zuwachs an wissenschaftlichen Publikationen in diesem Bereich registriert werden. Dieses Kapitel ist als Beitrag zur weiter wachsenden Emotionsforschung im Bereich der klinischen Psychologie zu verstehen. 40.1.1 Affekt und Emotion Nach der gegenwärtigen Auffassung ist Affekt ein Sammelbegriff für Phänomene, die mit einem veränderten subjektiven Befinden einhergehen. Diese Bezeichnung steht für ein persönliches subjektives Erleben, das sowohl durch innere (z. B. Körperempfindungen) als auch äußere Reize (z. B. Sinnesempfindungen) und/ oder kognitive Prozesse entsteht. Während bei Trieben und Gefühlen der kognitive Aspekt durchaus fehlen kann, beinhalten Affekte immer irgendeine Art von Verständnis und sind meist mit einem Werturteil wie »richtig« oder »falsch«, »angemessen« bzw. »unangemessen« verbunden. In der heutigen Forschung werden die verschiedenen Ausdrücke Affekt, Emotion, Gefühl und Stimmung zum Teil synonym verwendet, zum Teil voneinander abgegrenzt. Differenzieren sollte man einmal zwischen den Emotionen und den Stimmungen, wobei man unter Letzteren länger währende Reaktionstendenzen versteht, die das Auftreten einer bestimmten Emotion begünstigen können. Emotionen sind spezifischer und bewusster, es sind eher kurzzeitige heftige emotionale Reaktionen. Die Unterscheidung zwischen »mood« und »affect« im DSM IV (»Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders«) erfolgt auf der Grundlage der zeitlichen Dimension: 4 Affekte sind kurz dauernde vorübergehende Änderungen in der emotionalen Befindlichkeit; 4 Stimmungen länger währende, anhaltende, emotional gefärbte Zustände;
40
4 Emotion umschreibt hier den subjektiven Anteil des objektivierbaren Affektes, womit das emotionale Erleben vom emotionalen Ausdruck zu differenzieren ist. Der Begriff der Emotion wird in der Forschung oft äquivalent für Affekt verwendet, weil den beiden Konstrukten die gleichen psychophysiologischen Prozesse (mentale Bewertung eines Objekts oder einer Situation, subjektives Gefühlserleben, physiologische Veränderungen, Veränderung der Verhaltensbereitschaft, etc.) zugrunde liegen. Aus diesem und den oben erwähnten Gründen wird in diesem Kapitel die Emotion dem Affekt gleichgesetzt. 40.1.2 Rolle und Funktion der Emotionen Viele Aspekte der Emotion deuten auf ihre bedeutsame Rolle im subjektiven Erleben eines Individuums hin. Eine Emotion geht in der Regel mit bewertenden Gedanken, der Wahrnehmung körperlicher Veränderungen, dem Erleben eines benennbaren Gefühls und dem Auftreten von spezifischen Verhaltensweisen einher. Aufgrund dieser Funktionen sind Emotionen zugleich ein wichtiger Bestandteil der zwischenmenschlichen Kommunikation. Ihre starke Wirkung auf die Verhaltensbereitschaft eines Individuums spielt aus evolutionärer, biologischer und sozialer Sicht eine wichtige Rolle für die Existenz und Weiterentwicklung der menschlichen Gattung. Aus den oben aufgezählten Aspekten wird ersichtlich, dass eine Störung der Emotionsfunktionen eine Beeinträchtigung des sozialen und individuellen Lebens des Betroffenen nach sich zieht, was bei den meisten psychischen Störungen der Fall ist. 40.2
Emotionstheorien
Wenn es um die Entstehung von Emotionen geht, besteht unter den Vertretern der unterschiedlichen theoretischen Richtungen keine Einigkeit. Dabei ist ein Problem vieler theoretischer Ansätze die einseitige Beachtung eines Teilbereiches von Emotionen. Die Vertreter neurophysiologischer Ansätze fokussieren ihre Aufmerksamkeit auf die Lokalisation eines anatomischen Substrats von Emotionen und heben die Bedeutung der an emotionalen Prozessen beteiligten Hirnstrukturen hervor. Sie machen jedoch keine Aussagen darüber, welche bestimmende Rolle kognitiven Bewertungen und peripher-physiologischer Aktivierung zukommt und welche Beachtung kortikale Prozesse und autonome Reaktionen demnach verdienen. Wie aus der Betrachtung unterschiedlicher theoretischer Konzeptionen deutlich wird, führen divergierende Meinungen jedoch zu unterschiedlichen Wertungen dieser Komponenten.
508
Kapitel 40 · Affektive Störungen – Psychologie
40.2.1 Emotionstheorien nach James-Lange
und Cannon-Bard Bekannt ist die kontrovers diskutierte James-Lange-Theorie (Lange u. James 1922) oder Sensorische-Feedback-Hypothese, die in der Rückmeldung der peripheren Erregungskomponente an den Kortex die Grundlage einer Emotionsbildung sieht. Nicht die Kognitionen, sondern die Wahrnehmung autonomer Veränderungen bestimmt, ob eine Emotion resultiert. Die frühe Auffassung von James sah sowohl die Rückmeldung körperlicher Reaktionen als auch die peripher-physiologischer Reaktionen als bestimmend an. Tomkins (1982) spezifizierte die Theorie von James später dahingehend, dass vor allem das »Facial-Feedback« (in seinen frühen Thesen spielten die Gesichtsmuskeln dabei die größte Rolle, eine Annahme, die er später zugunsten des sensiblen Rezeptorenfeldes der Haut revidierte) ausschlaggebend für unser emotionales Erleben ist, da seiner Meinung nach das Gesicht der sensitivste Teil des Körpers ist. Einer der Kritiker von James und Lange, Cannon (1939), begründete dann die gegenteilige Auffassung, nach der Emotionen auch ohne periphere Erregung und deren Rückmeldung entstehen können. Allein durch Reizung ausgelöste Hypothalamusaktivierung bewirkt gleichzeitig sowohl die subjektive Emotionserfahrung als auch die Erregung über auf- und absteigende Bahnen. 40.2.2 Kognitive Emotionstheorien
40
Für die Vertreter kognitiver Theorien wird die zunächst physiologisch unspezifische Erregung nicht durch den Rückmeldungsprozess per se zur emotionalen Erfahrung, sondern erst durch den kortikalen Vorgang einer kognitiven Bewertung. Kognitionen sind also die Bedingungen für Emotionen. Anhand verfügbarer Informationen wird die autonome Veränderung bezüglich ihrer Ursachen interpretiert, woraus entsprechende emotionale Reaktionen resultieren. Ohne diese Bewertung handelt es sich weiterhin um unspezifische Erregung. Gleiches gilt für den Umkehrschluss, denn auch Kognitionen bleiben ohne ein gleichzeitig erhöhtes Erregungsniveau emotionslos (Zwei-FaktorenTheorie; Schachter 1975). Seit Ende des 19. Jahrhunderts konnte nachgewiesen werden, dass emotionales Erleben ohne kortikale Beteiligung möglich ist. Dessen ungeachtet führte dies zu keiner Einigung bezüglich der Frage, ob sich Emotionen kognitionsunabhängig entwickeln oder diesen nachgeordnet auftreten. Zajonc (1980) nimmt für Kognition und Affekt sogar getrennte Verarbeitungssysteme an. Er lehnt die Annahme einer langen Kette kognitiver Verarbeitungsschritte ab, an deren Ende schließlich der emotionale Zustand entsteht. Dieser stellt sich seiner Meinung nach viel schneller und oft bereits vor unserem bewussten Wissen um die Ursachen ein (»Primat des Affektes«). Auch aus evolutionärer und phylogenetischer Perspektive ist es unwahrscheinlich, dass ein Gefühl der kognitiven Verarbeitung nachgeordnet ist. Damit würde einer
Emotion kein Überlebenswert mehr zukommen, denn schnelle Reaktionen auf angeborene Reizcharakteristika können überlebensnotwendig sein. Zajonc fasst den Begriff der Kognition eng – ebenso wie Izard (1993), der erst dann von Kognition spricht, wenn sich aufgrund von Lernen und Erfahrung ein Gedächtnis herausgebildet hat. Affektive Bewertung und die einer Emotion vorgelagerten Informationsverarbeitungsprozesse gehören für Zajonc und Izard nicht zur Kognition. Die Auseinandersetzung um das »Primat der Kognition« bei der Emotionsentstehung zwischen den Vertretern der beiden theoretischen Positionen wird durch eine breitere Begriffsdefinition der kognitiven Theoretiker verursacht (Lazarus 1993). Innerhalb der kognitiven Theorien stellt jede einer Emotion vorausgehende Bewertung einen kognitiven Prozess dar, nicht erst Prozesse höherer Ordnung gelten hier als Kognition. Bereits einfache, auch unbewusste Beurteilungsvorgänge sind kognitiv. Die vergeblichen Versuche, eine allgemein akzeptierte Reihenfolge der Ereignisse Reiz, Körperreaktionen oder periphere Erregung, Interpretation und Emotion zu erstellen, könnten dadurch abgeschlossen werden, dass man die Prozesse als parallel ablaufend und in ständiger Interaktion befindlich betrachtet. Im Wechsel und je nach Situation regt einer die übrigen an. So sieht man heute die Rückmeldung der peripheren Erregung nicht mehr als notwendige und hinreichende Bedingung für die Emotionsentstehung an. Sie leistet dennoch einen wichtigen Beitrag für ein vollständiges Emotionserleben. Daneben ist man sich aber auch der Bedeutung von Emotionen für kognitive Prozesse bewusst geworden (Izard 1993). 40.2.3 Evolutionsbiologische Theorieansätze Evolutionsbiologische Theorieansätze (Ekman u. Friesen 1971; Izard 1993) sehen Emotionen als eigenständige fundamentale Bestandteile menschlichen Verhaltens, fundamental im Sinne von angeboren und mit eigenständigen neuronalen Strukturen ausgestattet. Sie nehmen genetisch verankerte Emotionsnetzwerke an, die durch verschiedenartige Reize angeregt werden und Emotionen ohne jegliche kognitive Beteiligung generieren. Es wird dabei nicht abgestritten, dass durch Lernen und Entwicklung Kognitionen die Rolle von Emotionsauslösern erwerben können. Izard (1993) nennt 4 verschiedene Prozesse, die bei der Emotionsentstehung wirksam werden können, nämlich neuronale (nichtkognitive), sensomotorische, motivationale und kognitive. Diese 4 Mechanismen bilden getrennte, aber stark interagierende Systeme. Dabei demonstriert er an Beispielen, wie jedes dieser Systeme auch allein Emotionen hervorrufen kann, und zieht dies als Beleg für die untergeordnete Bedeutung kognitiver Prozesse in diesem Zusammenhang heran (Izard 1993). Für evolutionsbiologisch orientierte Theoretiker gehören Emotionen mit positiver (z. B. Freude) und negativer (z. B. Trauer) Valenz zu den primären oder Basisemotionen. Es wird behauptet, dass sie genetisch determiniert sind und auf angeborenen neurophysiolo-
509 40.3 · Affektive Beeinträchtigungen bei der Schizophrenie
gischen Prozessen beruhen. Als Kriterium für primäre Emotionen nennen Fox u. Davidson (1984) deren Auftreten innerhalb des ersten Lebensjahres. Andere betonen hier besonders die angeborenen, für jede dieser diskreten Emotionen spezifischen Ausdruckskomponenten (Izard 1993), die kulturell übergreifend sowie bei Blind- und Neugeborenen zu finden sind, was ihr genetisches Fundament unterstreicht. Uneinigkeit herrscht über ihre Anzahl und darüber, welche Emotionen darunter zu subsumieren sind. Nach Tomkins (1982) existieren 9 Basisemotionen. Mit positiver Valenz sind dies Interesse, Überraschung, Freude, mit negativer Kummer/Schmerz, Angst, Verachtung, Scham, Ekel und Ärger/Wut. Izard (1993) beschreibt unter den 10 fundamentalen Emotionen Interesse, Freude, Überraschung, Qual, Ärger, Ekel, Verachtung, Scham, Schuld und Furcht. In Plutchiks psychoevolutionärer Theorie (Plutchik 1980) werden die 4 bipolaren Emotionsdimensionen Freude und Trauer, Akzeptanz und Ekel, Angst und Ärger sowie Überraschung und Antizipation einander gegenübergestellt. Häufig genannt werden die 6 universell auffindbaren und anhand diskreter Ausdrucksmuster differenzierbaren »grundlegenden« Emotionen Freude, Trauer, Überraschung, Ärger, Ekel und Angst (Ekman u. Friesen 1971). Das Forschungsinteresse hinsichtlich der Basisemotionen gilt hauptsächlich der Untersuchung des emotionalen Ausdrucks. Ein Beispiel für den Nachweis primärer Emotionen ist das bereits innerhalb der ersten drei Lebensmonate auftretende »soziale Lächeln« von Säuglingen beim Anblick eines menschlichen Gesichtes. Daran lassen sich die biologischen und sozialen Funktionen (z. B. Hinwendung, Bindung der Eltern an das Kind und dadurch Gewährleistung seiner Versorgung; (Plutchik 1980) und die Rolle, die diese Emotionen im Verlauf der Evolution spielten (Überlebenssicherung), ablesen (Izard 1993). 40.3
Affektive Beeinträchtigungen bei der Schizophrenie
Kraepelin (1913) beschrieb die für die Dementia praecox charakteristische Gemütsabstumpfung, entstanden aufgrund der verloren gegangenen kognitiven Komponenten des emotionalen Geschehens, sowie den inadäquaten Affekt, bedingt durch die fehlende Einheit von Emotion, Kognition und Willen. Bei Letzterem, auch Parathymie genannten Symptom, steht die Affektäußerung im Widerspruch zu der Situation, in der sie gezeigt wird. Kennzeichnend für das affektive Zustandsbild Schizophrener sind ferner gehobene, an manische Zustände erinnernde Stimmungen bis hin zu einer enthemmt läppischen (hebephrenen) oder reizbaren Haltung. Demgegenüber stehen häufig auftretende depressive Stimmungseinbrüche, besonders nach akuten Phasen (postremissives Erschöpfungssyndrom) und Angstzustände, die ihren Ursprung im veränderten Erleben von Ich und Umwelt der Patienten haben. Auffällig ist auch die Labilität im Affekterleben, die schnelle Stimmungswechsel bedingt.
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Dabei haftet der Emotionalität schizophrener Patienten eine gewisse Unnatürlichkeit und Künstlichkeit an, die ein verstehendes Miterleben verhindert. Auch die Fähigkeit der Patienten selbst zu empathischem Mitgefühl ist beeinträchtigt und erschwert dadurch zusätzlich soziale Interaktionssituationen.
Neurobiologisches Modell affektiver Beeinträchtigungen bei der Schizophrenie Mit zunehmender Popularität der funktionell bildgebenden Verfahren im Bereich der Psychologie und Psychiatrie wurde auch das lange vernachlässigte Gebiet der Emotionsforschung neu entdeckt. Die an emotionalen Prozessen beteiligten Hirnareale konnten so bezüglich ihrer Funktionalität zunehmend besser charakterisiert werden. Inzwischen sind eine Reihe von Untersuchungen zum emotionalen Erleben durchgeführt worden und zeigen ein breit gespanntes Netzwerk kortikaler und subkortikaler Korrelate auf. Im Mittelpunkt dieses Netzwerkes und häufig auch im Zentrum der Aufmerksamkeit steht der Mandelkern, die Amygdala, eine Struktur, der im Kontext emotionaler und kognitiver Verarbeitung eine herausragende Rolle zukommt. Zum einen ist es die Platzierung inmitten aller am Gefühlsleben beteiligten Hirnareale, zum anderen eine vielfache Vernetzung mit eben jenen, die diese anatomische Struktur als integrative Schaltstelle erscheinen lassen. Ihre Funktion bildet die Grundlage einer emotionalen Reaktion infolge einer Valenzbestimmung der Reizsituation. Diese Valenzzuschreibung ist wiederum Ausgangspunkt für eine differenzierte emotionale Reaktion. Phillips (2003) schlägt ein Modell der affektiven Störung der Schizophrenie vor, indem er 2 abhängige neuronale Funktionssysteme bei der Verarbeitung emotioneller Reize postuliert: 4 Das ventrale System beinhaltet den ventrolateralen Präfrontalkortex, den orbitofrontalen Kortex, den ventralen anterioren Gyrus cinguli, den Thalamus, die Inselregion, die Amygdala, das ventrale Striatum und die Hirnstammkerne. Die Strukturen spielen eine Rolle bei der Identifizierung der emotionalen Bedeutung des Stimulus und der Produktion eines Affektzustands. 4 Das dorsale System umfasst den dorsolateralen und dorsomedialen Präfrontalkortex, den dorsalen anterioren Gyrus cinguli und den Hippocampus. Dieses System ist bei der selektiven Aufmerksamkeit, der Planung und Regulation des Affektzustands involviert. Beide Systeme beeinflussen sich gegenseitig und stehen in dauerhafter Interaktion. Strukturelle und funktionelle Störungen im ventralen System können zur verzerrten Wahrnehmung eines emotionalen Stimulus, zur nicht ausreichenden Bewertung des Affektzustands und -verhaltens und zur unangemessenen Handlung aufgrund falscher Interpretation von nichteindeutigen und irrelevanten emotionalen Stimuli führen. Störungen im dorsalen System können diese gestörten Prozesse begünstigen, insbesondere wenn Beeinträchtigungen bei der Verarbeitung des Kontexts, des Sinns und
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Kapitel 40 · Affektive Störungen – Psychologie
. Abb. 40.1. Zwei neuronale Systeme emotionaler Verarbeitungsprozesse. Ein ventrales System (dunkel markierte Felder) ist für die Identifizierung der emotionalen Bedeutung des Stimulus und die Produktion des Affektzustands zuständig. Ein dorsales System (hellgrau markierte Felder) ist für die selektive Aufmerksamkeit, Planung und Regulation des Affektzustands verantwortlich. Beide Systeme stehen in dauerhafter Wechselwirkung (Pfeile auf der linken Seite der Graphik).
Strukturelle und funktionelle Störungen im ventralen und/oder dorsalen System können zur verzerrten Wahrnehmung eines emotionalen Stimulus, zur nicht ausreichenden Bewertung des Affektzustands und des Affektverhaltens und zur unangemessenen Handlung aufgrund falscher Interpretation von nichteindeutigen und unwichtigen emotionalen Reizen führen (Pfeile auf der rechten Seite der Graphik). DLPFC dorsolateraler Präfrontalkortex; DMPFC dorsomedialer Präfrontalkortex; AGC anteriorer Gyrus cinguli; VLPFC ventrolateraler Präfrontalkortex. (Reprinted from Phillips et al. 2003, with permission from Elsevier)
der Regulation des Affektzustands vorhanden sind. Diese gestörten Prozesse sind mit den spezifischen affektiven Störungen der Schizophrenie – emotionale Verflachung, Anhedonie und Verfolgungswahn – assoziiert. Eine graphische Darstellung der beiden Systeme ist in . Abb. 40.1 dargestellt.
sprochen unterschiedliche Methoden zur Emotionsinduktion bei Gesunden vorgestellt. Nur selten wurden entsprechende Untersuchungen von Patienten mit psychischen Störungen durchgeführt. 40.4.1 Emotionsinduktion und emotionales
Erleben 40.4
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Emotionsinduktion
Emotionen bieten im experimentellen Kontext nur schwer objektivierbare Untersuchungsbedingungen. Die experimentelle Untersuchung emotionalen Verhaltens und Erlebens hat sich daher bislang hauptsächlich auf Prozesse des emotionalen Gedächtnisses, des emotionalen Erlebens und der emotionalen Ausdrucks- und Diskriminationsfähigkeit konzentriert, Funktionen, die im Wesentlichen auch Gegenstand des vorliegenden Kapitels sind. Eine mögliche Untersuchungsmethode für die Untersuchung des Emotionserlebens in der Emotionsforschung ist das Erzeugen eines spezifischen Emotionszustands durch bewusste oder unbewusste Manipulation. Es wurden in der Literatur zahlreiche, z. T. ausge-
Bei der experimentellen Untersuchung emotionalen Erlebens werden den Probanden meist explizit oder implizit emotionale Stimuli präsentiert und anschließend der emotionale Zustand mittels standardisierter Selbstbeurteilungsskalen erfasst. Bei den Erhebungen im Alltag werden die Probanden aufgefordert, emotionale Erlebnisse in ihrem Leben zu bewerten und darüber zu berichten. Hier gibt es 2 Methoden: 1. Es werden alle emotionalen Erlebnisse während einer bestimmten Zeit erhoben (»daily-life emotion-studies«) und 2. sie werden nach Momenten (»event-sampling-studies«) gefragt, in denen sie die stärksten Emotionen (z. B. wenn die Probanden am glücklichsten, am traurigsten etc. waren) erlebten.
511 40.4 · Emotionsinduktion
Die erste Variante ermöglicht die Erhebung von schwachen bis mittelgradigen Emotionen. Die zweite macht es möglich, starke Emotionen zu erfassen, wodurch sich die beiden Methoden gegenseitig ergänzen können.
Daily-Life-Emotion-Studien Bei diesen Studien wurden schizophrene Patienten z. B. mit einer Armbanduhr ausgestattet, die ein externes Signal erhält und einen Ton von sich gibt, der den Patienten anzeigte, dass sie nun einen Fragebogen zu emotionalen Erlebnissen und täglichen Aktivitäten ausfüllen sollten. Einige Studien zeigten, dass schizophrene Patienten mehr Furcht und weniger Freude und Interesse als gesunde Vergleichsprobanden erlebten. Andere Untersuchungen berichteten von mehr Einsamkeit und Angst der Patienten, fanden aber keinen Unterschied bezüglich positiver Emotionen. Auch eine erhöhte Reaktivität unter Stress wurde beobachtet. In einer Studie von Horan et al. (2005) wurden 78 Schizophrene innerhalb eines Jahres mit der gleichen Methode untersucht. Es wurde festgestellt, dass die Patienten weniger positive und negative Erlebnisse hatten als Gesunde. Es fand sich jedoch kein Unterschied im Stresserleben zwischen den beiden Gruppen (sowohl positiver als auch negativer Stress). Es scheint so zu sein, dass Schizophrene durch eine stärkere Intensität der negativen und eine schwächere Intensität der positiven Affekte gekennzeichnet sind. Dabei kommt der Reaktion auf Stress im täglichen Leben der Patienten vermutlich eine wichtige Rolle als Moderatorvariable zu.
Event-Sampling-Studien Im Rahmen dieser Untersuchungen werden die Probanden aufgefordert, sich an autobiographisch relevante Erlebnisse einer bestimmten emotionalen Qualität zu erinnern. Nach einer Entspannungs- bzw. Ruhephase folgt eine möglichst anschaulich und ausführlich vom Probanden zu gestaltende Imagination eines spezifischen und persönlich bedeutsamen Ereignisses. Als Determinanten können dabei die Anschaulichkeit und Detailliertheit sowie die Kontrollierbarkeit des Ereignisses (selbst- vs. fremdbestimmt) gelten. Negative Ereignisschilderungen bei solchen autobiographischen Erinnerungen werden eher extern attribuiert. In einer unpublizierten Studie von Trémeau (Überblick bei Trémeau 2006, S.63) wurden Schizophrene und Gesunde aufgefordert, über ihre emotionalen Erlebnisse der Vergangenheit zu berichten. Die Aussagen wurden auditiv aufgenommen und durch naive »Rater« ausgewertet. Die Diskrepanz zwischen dem emotionalen Erleben bei der Erzählung von persönlichen Ereignissen und der späteren Auswertung der »Rater« wurde als Maß für die Genauigkeit der erlebten Emotionen genommen. Diese Diskrepanz war bei Schizophrenen größer als bei Gesunden. Es zeigte sich wiederum kein Unterschied bezüglich der Art des Affekts.
Emotionsinduktion Visuelles Material entsprechenden Inhalts zur Emotionsinduktion kann sehr vielfältig sein: statisch oder dynamisch, gestellt
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oder natürlich, schwarz-weiß oder farbig, real oder skizziert, menschlich oder himerisch, usw. Die meisten Studien nutzten die emotionalen Gesichtsausdrücke von Ekman u. Friesen (1971). Andere standardisierte Tests (Kerr u. Neale 1993) wurden auch verwendet sowie der »Facial-Emotion-Identification-Test«, FEIT und der »Facial-Emotion-Discrimination-Test«, FEDT, um emotionale Diskriminationsfähigkeit zu untersuchen. Das »International-Affective-Picture-System«, IAPS von Lang et al. (1988), welches farbige Abbildungen aus den verschiedensten Lebensbereichen enthält, scheint am besten für die Induktion von Stimmungen evaluiert zu sein; jedes Dia ist von einer Vielzahl von Personen aus unterschiedlichen Kulturkreisen auf den Dimensionen Valenz (positiv, negativ), Erregung (hoch, niedrig) und Dominanz (stark positiv korreliert mit Valenz) eingeschätzt worden. Dennoch ist das Material sehr unterschiedlich und daher oft schwer vergleichbar, es bleibt unklar, welche emotionalen und kognitiven Prozesse mit welchen Moderatorvariablen hier interagieren. Ein anderes standardisiertes Testmaterial zur Emotionsinduktion ist das »Facial-Emotions-for-Brain Activation-Set«, FEBA (Gur et al. 2002). Das Stimulusmaterial enthält Gesichtsaufnahmen von durch professionelle Schauspieler unterschiedlicher Kulturkreise (Afroamerikaner, Asiaten, Kaukasier, Spanier) simulierten bzw. nacherlebten Emotionen. Die emotionalen Gesichtsausdrücke umfassen 5 Basisemotionen in Anlehnung an die Bilder von Ekman u. Friesen (1971) und zwar Freude, Trauer, Ärger, Ekel und Angst. Als Kontrollbedingung werden neutrale Gesichtsausdrücke verwendet. Dieses Testverfahren wird häufig auch ohne explizite Instruktion präsentiert mit der Annahme, dass auch durch die alleinige Vorgabe emotionalen Materials Änderungen im Emotionszustand resultieren.
Emotionsinduktion bei schizophrenen Patienten Die oben beschriebene Methode der Stimmungsinduktion wurde bei 40 schizophrenen Patienten angewendet (Schneider et al. 1995). Trotz der künstlichen experimentellen Situation war bei den Patienten ein signifikanter Stimmungsinduktionseffekt vorhanden. Der Grad der Reagibilität auf die traurige und freudige Stimmungsinduktion korrelierte dabei signifikant mit der Ausprägung der Positivsymptomatik (SAPS). Genauer, je ausgeprägter der Wert in Subskala »Halluzinationen« der SAPS war, desto mehr sprachen die Patienten auf die Emotionsinduktion an. In einer weiteren Studie wurde die kulturübergreifende Anwendbarkeit des genannten Paradigmas bei schizophrenen Patienten untersucht (Habel et al. 2000). Leistungsvergleiche bei Aufgaben zur Stimmungsinduktion bei 40 amerikanischen, 24 deutschen und 29 indischen schizophrenen Patienten wie auch jeweils ebenso vielen gesunden Kontrollprobanden zeigten ähnliche Ergebnisse in den verschiedenen Kulturen. Die Stimmungsinduktionseffekte waren bei Patienten schwächer: Patienten empfanden mehr negativen Affekt während der Freudebedingung als Gesunde. Dieses Ergebnis spricht dafür, dass emotionale Beeinträchtigungen schizophrener Patienten kulturübergreifend ähn-
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Kapitel 40 · Affektive Störungen – Psychologie
Es wurde ein standardisiertes Verfahren zur Emotionsinduktion entwickelt (Schneider et al. 1994), dessen Anwendung bei gesunden Probanden und Patienten mit psychischen Störungen (Schneider et al. 1994, 1995; Habel et al. 2000, 2006) validiert wurde. Die Freude- und Trauerinduktion beruhen auf der Vorgabe von je 40 Dias männlicher und weiblicher Gesichtsausdrücke von entsprechender emotionaler Qualität (freudig bzw. traurig). Es handelt sich um Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Schauspielern verschiedener Altersgruppen. Die Instruktion lautet, mithilfe der Gesichter alles zu versuchen, um sich möglichst traurig/freudig zu fühlen. Zusätzlich wird zwischen beiden Stimmungsinduktionsbedingungen eine nichtemotionale Aufgabe durchgeführt, die dasselbe Stimulusmaterial allerdings mit einer kognitiven Instruktion verwendet (Geschlechterdiskrimination). Sie dient als Vergleichsmaßstab für beide emotionale Aufgaben. Als abhängige Variable wird die vom Probanden selbst eingeschätzte Emotionalität anhand zweier standardisierter »Ratingskalen« verwendet, PANAS (»Positive and Negative Affect Schedule«; Watson et al. 1988) und ESR (»Emotional Self Rating«; Schneider et al. 1994). Beide Skalen werden dem Probanden nach jeder Versuchsbedingung (Freude, Kognition, Trauer) mit der Instruk-
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lich sind, was in Übereinstimmung mit der Annahme steht, dass es sich bei diesen Defiziten um grundlegende basale pathophysiologische Mechanismen im Sinne von sog. Traitmerkmalen handelt. Andererseits wiesen Unterschiede innerhalb der Patientengruppen und auch innerhalb der Kontrollpersonen auf den Einfluss kultureller und damit Umweltfaktoren hin. Indische Patienten zeichneten sich durch geringeren positiven Affekt während der Stimmungsinduktion aus, was durch eine bei indischen Patienten vorhandene Sensitivität gegenüber negativen Emotionen begründet sein kann (Habel et al. 2000). Die gleiche Methode wurde in einer weiteren Studie bei jugendlichen Patienten mit Schizophrenie mit dem Ziel eingesetzt, Beeinträchtigungen bereits zu einem frühen Krankheitszeitpunkt nachzuweisen (Habel et al. 2006). Dies sollte Aufklärung darüber bringen, ob es sich bei den berichteten emotionalen Defiziten eher um Folgen des Krankheitsprozesses handelt oder um für die Schizophrenie pathologisch bedeutsame Merkmale, die bereits zu diesem frühen Krankheitszeitpunkt nachweisbar sind. An der Untersuchung nahmen 20 Kinder und Jugendliche mit der Diagnose einer Schizophrenie oder einer anderen psychotischen Störung im Alter von 11–20 Jahren sowie ebenso viele parallelisierte gesunde Kontrollprobanden teil. Die Patienten wiesen mehr negativen Affekt bei der Emotionsinduktion unabhängig von der Emotionsbedingung auf. Dies bestätigte die vorher genannten Ergebnisse bei erwachsenen Patienten, die beim kulturübergreifenden Vergleich zutage traten. Besonders deutsche erwachsene Patienten, die die größte kulturelle Ähnlichkeit zu der Gruppe jugendlicher Patienten aufwiesen, zeigten ebenfalls mehr negativen Affekt, und
tion vorgelegt, die während der unmittelbar vorangegangenen Aufgabe empfundenen Gefühle zu beschreiben. Diese Methode zur Stimmungsinduktion wurde in einer Untersuchung von Weiss et al. (1999) im Verhaltensbereich bei gesunden Probanden validiert. Hierzu wurden 24 gesunde Probanden mit dem beschriebenen Paradigma untersucht, wobei die Gesichtsausdrücke der Probanden auf Video aufgezeichnet wurden. Anschließend erfolgte eine globale Mimikanalyse durch naive »Rater« im Sinne einer Konstruktvalidierung. Zunächst war eine erfolgreiche Stimmungsinduktion der Probanden anhand ihrer »Ratings« festzustellen. Anhand der Beurteilungen der unabhängigen »Rater« ließ sich die Wirksamkeit der verwendeten Emotionsinduktionsmethode zusätzlich bestätigen. Die Beurteiler konnten der Mimik der Probanden den emotionalen Zustand ablesen, in dem diese sich während der Induktion befanden. Er entsprach dem mit der jeweiligen Aufgabenstellung angestrebten Gefühlszustand. Es ergab sich auch eine hohe Übereinstimmung von r=0,94 zwischen Selbst- und Fremdbeurteilung, d. h. die Probanden drückten den emotionalen Zustand, den sie bei sich wahrnahmen auch expressiv aus.
dies unabhängig von der Emotionsbedingung. Diese Ergebnisse geben einen Hinweis darauf, dass emotionale Dysfunktionen bereits zu einem sehr frühen Krankheitszeitpunkt nachweisbar sind und damit auf Traitmerkmale verweisen. Zudem verweisen sie auf eine besondere Bedeutung negativer Affekte im schizophrenen Emotionserleben. Übergreifend zeigt auch eine Metaanalyse von Trémeau (2006) bei den eingeschlossenen Studien zur Emotionsinduktion ein ähnliches Erleben positiver angenehmer Emotion und ein vergleichbares oder höheres Ausmaß von negativem Affekt bei schizophren Erkrankten im Vergleich zu Gesunden.
Emotionsinduktion und elektrodermale Aktivität Die elektrodermale Aktivität (EDA) ist die häufigste Methode zur Untersuchung der peripher-physiologischen Korrelate von Emotionen. Die EDA wird vom autonomen Nervensystem (ANS) gesteuert und korreliert hoch mit emotionaler Aktivierung; sie ist sehr sensitiv bezüglich unterschiedlicher Reizintensitäten. Verglichen mit Gesunden zeigten Schizophrene höhere EDA sowohl bei positiver als auch bei negativer Stimmungsinduktion. Das Gleiche galt aber auch bei der Darbietung neutraler Reize, womit eine generell erhöhte Responsivität des ANS nahe gelegt wird. Vermutlich spielt die Medikation der Patienten hier eine Rolle. Acetylcholin, Norepinephrin und Dopamin sind Neurotransmitter, die auf das ANS einwirken und damit einen starken Einfluss auf die EDA ausüben können. Nur in einem Fall von 12 Studien fand sich im Rahmen der Metaanalyse von Trémeau (2006) eine erhöhte EDA bei unmedizierten Patienten während positiver und negativer Stimmungsinduktion.
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40.4.2 Emotionale Ausdrucksfähigkeit Affektive Störungen bei der Schizophrenie drücken sich auch in Beeinträchtigungen der emotionalen Ausdrucksfähigkeit aus. Dabei sind Störungen auf 2 Ebenen festzustellen: in der verbalen und der mimischen Ausdrucksfähigkeit.
Verbale emotionale Ausdrucksfähigkeit Bei der Untersuchung von emotionaler verbaler Ausdrucksfähigkeit sind 2 Themen von Interesse: 1. Gibt es einen Unterschied zwischen Schizophrenen und Gesunden, während sie über ihre eigenen Emotionszustände sprechen und 2. welche Konzepte und Worte benutzen sie bei ihrem Umgang mit externen Emotionen? Schizophrene weisen ein identisches Verständnis von emotionalen Worten auf und verfügen über die gleichen semantischen Emotionsstrukturen wie Gesunde. Das semantische Wissen über Emotionen scheint daher vergleichbar zu sein. Jedoch unterscheiden sich die Patienten hinsichtlich der Beschreibung von Emotionszuständen dahingehend, dass sie weniger Wörter benutzen als Gesunde (Trémeau et al. 2006).
Mimische Ausdrucksfähigkeit Das Gesicht ist der ausdrucksfähigste und spezifischste Teil des menschlichen Körpers. Die Mimik schizophrener Patienten ist auffällig verändert und mimische Reaktionen treten in einem geringeren Umfang auf. Von Heimann u. Spoerri (1957) wurde dies als »mimische Desintegration« bezeichnet, da sich das mimische Ausdrucksmuster bei den Patienten keiner bekannten produktiven Ausdrucksgestaltung zuordnen lässt und im Beobachter den »Eindruck des Nichtzusammengehörenden und Ungestalten« auslöst. In der Metaanalyse von Trémeau (2006) fand sich bei 13 der 20 untersuchten Studien eine geringere Ausdrucksfähigkeit sowohl medizierter wie auch unmedizierter Patienten bei allen Emotionen und auch über die Zeit hinweg, wiederum ein Hinweis auf ein relativ stabiles Traitmerkmal. Eine stärkere Ausdrucksfähigkeit der Patienten wurde seltener berichtet (3 Studien) ebenso wie keine Unterschiede (4 Studien). Diese unterschiedlichen Ergebnisse sind sicher teilweise auf die sehr unterschiedliche Methodik zur Mimikerfassung wie auch die Heterogenität der Stichproben und weitere inhaltliche wie auch methodische Einflussfaktoren zurückzuführen. Computergestützte Mimikanalysen und EMG werden benutzt, um psychophysiologische Emotionskorrelate der emotionalen Ausdrucksfähigkeit zu untersuchen. Man unterscheidet dabei 1. deutlich sichtbare und 2. undeutlich eher verdeckte Reaktionen des Gesichts. Verdeckte Veränderungen sollen mit rudimentären emotionalen Reaktionen einhergehen, während sehr starke Affekte deutliche emotionale Gesichtsausdrücke hervorrufen. Zwei Gesichtsmuskel stehen dabei meistens im Vordergrund des Interesses: 1. der M. zygomaticus major, der die Mund-
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winkel bewegt und 2. der M. corrugator supercilii, der die Augenbrauen zusammenzieht. Bei Schizophrenen wurde eine geringere Aktivität des M. zygomaticus major während positiver Emotionsinduktion beobachtet. Dieser Befund unterstützt die Annahme, dass Schizophrene seltener lachen als Gesunde. Bei negativer Emotionsinduktion findet sich eher eine gesteigerte Aktivität des M. corrugator supercilii im Vergleich zu Gesunden (Trémeau 2006). 40.4.3 Emotionale Diskrimination
Emotionale Diskrimination bei Gesichtern Bei der emotionalen Erkennungs- oder Diskriminationsfähigkeit handelt es sich um die am besten untersuchte emotionale Funktion besonders im Hinblick auf Defizite schizophren Erkrankter. Dabei werden die Probanden meistens aufgefordert, visuell präsentierte emotionale Gesichtsausdrücke zu erkennen, zu klassifizieren oder zu entscheiden, ob zwei Ausdrücke unterschiedliche oder gleiche Emotionen darstellen. Die meisten Studien berichten von Defiziten bei Schizophrenen bei der Wiedererkennung und Diskrimination emotionaler Gesichtsausdrücke im Vergleich zu Gesunden, wobei es sich hierbei um ein recht stabiles Traitcharakteristikum handelt, bei dem auch Medikationseinflüsse zu vernachlässigen sind. Eine weiterhin kontrovers geführte Diskussion in diesem Zusammenhang betrifft die Frage, ob diese Beeinträchtigungen in der emotionalen Erkennungsfähigkeit eine Folge der kognitiven Defizite der Patienten sind oder ob es sich um genuine emotionale Störungen handelt (Schneider et al. 2006; Überblick bei Trémeau 2006). Angesichts der Bedeutung der Fähigkeit zur Emotionserkennung in sozialen Interaktionen ist zu bedenken, welche schwerwiegenden Konsequenzen solche Störungen für die soziale Kommunikation im Alltag der Patienten haben können. Entsprechend wurde ein enger Zusammenhang mit der verminderten sozialen Funktionsfähigkeit schizophren Kranker festgestellt (Kee et al. 2003). Neuere Befunde legen auch die Differenzierung von Subgruppen bzw. die Betrachtung homogenerer Stichproben nahe (Kucharska-Pietura et al. 2005). Patienten mit chronischer Schizophrenie diskriminierten schlechter als Schizophrene in der ersten Phase der Erkrankung. Dies spricht für eine progressive Beeinträchtigung mit dem größten Ausmaß in der späten Erkrankungsphase. Auch hier waren die Beeinträchtigungen bei der nichtemotionalen Diskriminationsfähigkeit geringer und unterstützen damit die These, dass emotionale Beeinträchtigungen eine spezifische Störung darstellen. Andererseits weisen die Ergebnisse aber auch darauf hin, dass diese Auffälligkeiten bereits zu einem frühen Krankheitszeitpunkt nachweisbar sind. Die Annahme, dass es sich bei den berichteten emotionalen Defiziten um sog. Traitmerkmale der schizophrenen Erkrankung handelt, wird durch weitere ähnliche Befunde gestützt, in denen sich die Beeinträchtigungen trotz neuroleptischer Behandlung im Längsschnitt als relativ stabil reproduzierbar er-
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Kapitel 40 · Affektive Störungen – Psychologie
In einer Studie von Schneider et al. (2006) wurde die Fähigkeit zur emotionalen Diskrimination bei schizophrenen Patienten im Vergleich zu Gesunden untersucht. Als Stimulusmaterial wurden Gesichter aus dem »Facial-Emotions-for-Brain-Activation-Test« (Gur et al. 2002) mit den Emotionen Freude, Trauer, Ekel und Ärger und neutralen Ausdrücken präsentiert. Mit 2 nichtemotionalen Kontrollaufgaben wurden zudem kognitive Prozesse erfasst. Bei der Altersdiskriminationsaufgabe wurde dasselbe Stimulusmaterial verwendet und nur die Instruktion variiert (älter oder junger als 30 Jahre), beim emotionalen Gedächtnis wurde das Gesichtergedächtnis überprüft (wiedererkennen der Identität des vorher emotional präsentierten Gesichtes als neutraler Ausdruck).
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wiesen (Kohler et al. 2003). Des Weiteren waren sie auch bereits in Prodromalstadien vor der Erstmanifestation der Erkrankung und bei Familienangehörigen schizophren Erkrankter (Kee et al. 2004) nachweisbar. Auch Sachs et al. (2004) fanden negative Zusammenhänge zwischen der Emotionserkennung und dem Erkrankungsgrad. Die Fähigkeit, Freude zu erkennen war an ein geringes Ausmaß affektiver Symptome gekoppelt. Trauer wurde dagegen umso schlechter erkannt je stärker bei Patienten das Symptom der Alogie vorhanden war. Häufig wurde besonders die Negativsymptomatik mit emotionalen Defiziten assoziiert. Gur et al. (2006) verglichen 63 schizophrene Patienten mit Affektverflachung mit 99 Patienten ohne Affektverflachung bezüglich der Emotionsdiskriminationsfähigkeit. Die Patienten mussten traurige von freudigen Gesichtern unterscheiden und deren emotionale Intensität einstufen. In beiden Bereichen zeigten Patienten mit emotionaler Verflachung stärkere Beeinträchtigungen im Vergleich zu den Patienten ohne Affektverflachung, während kognitive Fähigkeiten vergleichbar waren. Allerdings haben andere Autoren auch besonders ausgeprägte Defizite bei Patienten mit paranoider und desorganisierter Symptomatik festgestellt (Weniger et al. 2004), was deutlich macht, dass auch die Positivsymptomatik mit emotionalen Prozessen interferieren kann. Stabilisierte Patienten wiesen demgegenüber in dieser Untersuchung schwache bis keine Beeinträchtigungen auf. Interessanterweise waren Gewalttaten in der Vorgeschichte an eine bessere emotionale Erkennensleistung, aber eine schlechtere Fähigkeit zur Differenzierung der emotionalen Intensität gekoppelt (Silver et al. 2005). Dies könnte möglicherweise zur Generierung von Konflikten beitragen und eine mangelnde Erkennung von Konfliktlösungsreizen nach sich ziehen, was wiederum zur Eskalation der Konfliktsituation bei potenziell gewalttätigen Schizophrenen führen könnte. Demnach muss bei der Beurteilung der Beeinträchtigungen der emotionalen Erkennungsfähigkeit die Pathologie berücksichtigt werden. Jedoch gibt es auch eine Reihe von Studien, die keine Korrelation zu psychopathologischen Symptomen finden (Überblick bei Trémeau 2006).
Schizophrene Patienten zeigten über alle Emotionen hinweg eine schlechtere Erkennensleistung. Allerdings war es weniger die Sensitivität, eine spezifische Zielemotion zu erkennen, die beeinträchtigt war, sondern die Spezifität, d. h. die Fähigkeit zu erkennen, dass es sich nicht um die Zielemotion bei einem spezifischen Gesichtsausdruck handelte. Bemerkenswert war auch, dass die Patienten bei den nichtemotionalen Aufgaben weniger beeinträchtigt waren, obwohl diese schwieriger waren. Diese Befunde unterstützen damit die Hypothese, dass diese emotionalen Beeinträchtigungen keine reine Folge kognitiver Defizite sein können.
Inzwischen werden weitere wesentliche Einflussparameter auf die Emotionserkennung bei Schizophrenen berücksichtigt, die für die Interpretation der Befunde von Bedeutung sind. Sander et al. (2005) haben die Relevanz des sozialen Kontexts bei der Emotionserkennung analysiert. Sie variierten den sozialen Hintergrund der präsentierten emotionalen Bilder aus dem IAPS. Stimuli, in denen eine zwischenmenschliche Situation (z. B. Hochzeit oder Beerdigung) dargestellt war, wurden mit solchen Bildern verglichen, auf denen keine Menschen vorkamen (z. B. Landschaften). Schizophrene Patienten diskriminierten negative emotionale Bilder mit sozialem Kontext schlechter als negative emotionale Bilder ohne sozialen Kontext. Die positiven emotionalen Bilder ohne sozialen Kontext wiederum wurden schlechter als die positiven emotionalen Bilder mit sozialem Kontext diskriminiert. Dies belegt zum einen die Bedeutung des sozialen Hintergrunds wie auch die der unterschiedlichen Valenz einer Emotion sowie möglicher Interaktionen bei den emotionalen Verarbeitungsprozessen.
Emotionale Diskrimination und Geschlechtsunterschiede Männer weisen ein höheres Erkrankungsrisiko, eine frühere Manifestation, insgesamt schwächere Therapieeffekte, einen schwereren Verlauf und einen schlechteren Outcome der Erkrankung im Vergleich zu Frauen auf. Obwohl diese Unterschiede nicht vollständig geklärt sind, gibt es Hinweise, dass Östrogen eine protektive Funktion besitzt. Wenn die Befunde hier auch divergieren, so wird angenommen, dass Frauen allgemein emotionale Gesichter besser und differenzierter erkennen als Männer, insbesondere negative Emotionsausdrücke, sowie Ekel, Angst und Trauer. Es wird ferner postuliert, dass dieser Unterschied auch im Fall der Schizophrenie erhalten bleibt. Der bei einer Stichprobe überwiegend paranoider Patienten nachweisbare Geschlechtsunterschied fand sich in der Tat in Form einer früheren Erkennung und stärkeren Sensitivität der Frauen bezüglich der emotionalen Gesichtsausdrücke (Scholten et al. 2005). In einer Untersuchung von 56 chronischen Patienten (Weiss et al. 2007) schätzten männliche Schizophrene neutrale Gesichtsausdrücke
515 40.4 · Emotionsinduktion
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öfter als ärgerlich ein, während weibliche Patientinnen neutrale Gesichter als traurig einstuften. Generell wurden die weiblichen Gesichtsausdrücke unabhängig von der Emotion besser erkannt. Der ängstliche emotionale Gesichtsausdruck wurde gleichgeschlechtlich besser erfasst, d.h. Männer nehmen Angst besser bei männlichen, Frauen bei weiblichen Gesichtern wahr. Ärger wurde dagegen beim jeweils anderen Geschlecht besser erkannt. Die Autoren vermuten hier einen geschlechtsspezifischen krankheitsbedingten Wahrnehmungsfehler, nämlich die Attribution einer fälschlich feindlichen Emotion bei männlichen Schizophrenen und eine fälschlich depressive Attribuierung der weiblichen Patientinnen.
retikern handelt es sich dabei um überlebenswichtige Vorgänge, die das Weiterbestehen der menschlichen Gattung und des Individuums selbst sichern. Andere Theoretiker implizieren auch das Belohnungssystem als wichtigen Faktor im Zusammenspiel der positiven emotionalen Gedächtnisprozesse. Angst und Furcht dagegen sind mit negativen emotionalen Gedächtnisprozessen verbunden. Sie sind oft durch Stress induziert und können zu den affektiven Störungen bei Schizophrenie beitragen. Schizophrene Patienten weisen deutliche Beeinträchtigungen des episodischen und autobiographischen emotionalen Gedächtnisses auf. Studien zum emotionalen Gedächtnis bei schizophrenen Patienten sind jedoch selten.
Erkennungsbeeinträchtigungen in der Prosodie
Verbales emotionales Gedächtnis
Bezüglich der emotionalen Diskrimination akustischer Emotionsausdrücke (Prosodie) sind einige Emotionen sehr oft untersucht worden (z. B. Ärger, Überraschung und Trauer), andere dagegen kaum (z. B. Ekel und Freude). Die bedeutsamen Parameter sind hier Tonlage, Intensität und Häufigkeit. Bei der Untersuchung werden die Patienten meist aufgefordert, sich vorgelesene emotionale Sätze von gestellten und erlebten Emotionen anzuhören und ihr Urteil über die drei Parameter abzugeben. Schizophrene Patienten wiesen bei allen drei akustischen Parametern Beeinträchtigungen auf (Trémeau 2006). Chronische Patienten scheinen stärker von diesen Defiziten betroffen zu sein, als diejenigen in der Anfangsphase (Kucharska-Pietura et al. 2005). Die Qualität der Emotion spielt bei dieser Beeinträchtigung ebenfalls eine bedeutsame Rolle. Negative Emotionen wurden schlechter erkannt als positive. Weiterhin bestand oft eine signifikante Korrelation zwischen der Erkennung visueller und auditiver Emotionen (Kucharska-Pietura et al. 2005). Die Korrelation bei chronischen Patienten ist dabei stärker als bei Schizophrenen in der Anfangsphase der Erkrankung. Es scheint, als ob das Emotionserkennungsdefizit als multimodale Störung aufgefasst werden kann. Patienten mit halluzinatorischer Schizophrenie zeigten die stärksten Defizite bei der Erkennung und im Umgang mit auditiven emotionalen Hinweisreizen (Shea et al. 2007). Patienten ohne Halluzinationen unterschieden sich dagegen weniger von Gesunden. Denkbar wäre, dass Defizite bei der Erkennung sprachlicher emotionaler Hinweisreize zur falschen Zuschreibung von emotionalen Zuständen führen, wie es z. B. bei auditiven Halluzinationen der Fall ist.
In einer Studie von Danion et al. (2003) wurde das emotionale Gedächtnis schizophrener Patienten mit der »Remember/Know«Abfrage untersucht. Dabei wurde das Konzept der bewussten Erinnerung (»conscious recollection«) an autobiographische Ereignisse verwendet. Darunter wird das persönliche Wiedererleben von Einzelheiten eines echten gespeicherten Lebensereignisses verstanden. In der Regel ist dieses Wiedererleben stark von emotionalen Reaktionen während des autobiographischen Ereignisses beeinflusst. Wenn keine echten autobiographischen Erinnerungen vorliegen und der Proband versucht, bewusst kognitive Strategien zur Erinnerung anzuwenden, werden die erinnerten Stimuli als »Remember« bezeichnet. Beruht die Wiederekennung nur auf einem Gefühl der Familiarität, d. h. ohne »conscious recollection«, so wird der Stimulus als »Know« klassifiziert. Bei der Untersuchung sollten sich die Probanden positive, negative und neutrale Wörter merken und später aus ebenso vielen neuen Distraktorwörtern wieder erkennen und jeweils ein »Remember«-vs.-»Know«-Urteil abgeben. Wenn die Probanden beim Erinnern eines Worts bewusst über Einzelheiten beim Prozess des Speicherns berichten konnten, wählten sie »Remember«. Wenn den Probanden das Wort nur bekannt vorkam, ohne dass sie Erinnerungsdetails berichten konnten, wählten sie »Know«. Schizophrene Patienten wählten seltener »Remember«- aber mehr »Know«-Antworten als gesunde Kontrollprobanden. In beiden Gruppen war ein signifikanter Effekt des Worttyps vorhanden: Es wurden am meisten »Remember«-Urteile bei positiven, gefolgt von negativen und neutralen Wörtern abgegeben. Ferner gab es eine signifikante Interaktion zwischen Worttyp und Gruppe: während Gesunde das gleiche Muster sowohl für »Remember«- als auch für »Know«-Urteile aufwiesen, zeigten Schizophrene keinen Unterschied zwischen Worttyp und der Häufigkeit bei »Know«-Urteilen. Demnach scheint die Emotion die Enkodierung und das Behalten des Materials hier weniger zu beeinflussen, als dies bei Gesunden der Fall ist. Die Patienten bewerteten die emotionale Valenz dabei ähnlich wie Gesunde. Unter der »Remember«-Bedingung konnten Schizophrene und Gesunde sich besser bewusst an die emotionalen Wörter im Vergleich zu den neutralen Wörtern erinnern. Die Häufigkeit der bewussten Erinnerung war jedoch bei den
40.4.4 Emotionales Gedächtnis Die Auswahl und das Behalten von Umweltinformationen werden durch Emotionen stark beeinflusst. Emotionsgefärbte Reize beanspruchen stärkere Aufmerksamkeitsprozesse und erleichtern dadurch das Speichern dieser meist persönlich bedeutsamen Informationen. Unklar ist, welche Rolle dabei die Art, die Intensität und die Valenz der Emotionen spielt. Laut Evolutionstheo-
516
Kapitel 40 · Affektive Störungen – Psychologie
Schizophrenen reduziert, was für eine Beeinträchtigung dieser Prozesse spricht. Interessant war, dass sowohl von Schizophrenen als auch von Gesunden die positiven, gefolgt von den negativen und schließlich den neutralen Wörtern, am besten erinnert wurden. Dieses gleiche Erinnerungsmuster bei beiden Gruppen veranlasst zu der Annahme, dass der Einfluss der Emotion auf die bewusste Erinnerung auch bei Schizophrenen, trotz nachweisbarer Beeinträchtigung, nicht ganz verloren geht. Diese Tatsache kann zur Entwicklung von passenden Therapieformen zur Verbesserung der Gedächtnisleistung bei den Patienten beitragen.
Visuelles emotionales Gedächtnis Bei der Erinnerung emotionaler Bildinhalte konnten Schizophrene signifikant weniger Einzelheiten pro erinnertem Bild wiedergeben (Neumann et al. 2007). Ferner wurde eine niedrigere Spezifität des emotionalen autobiographischen Gedächtnisses festgestellt, in Übereinstimmung mit aktuellen Befunden zur Emotionserkennung (Schneider et al. 2006). Weiterhin erinnerten sich Patienten an mehr positive als negative Bilder und konnten besser positive als negative autobiographische Ereignisse abrufen. Im Gegensatz dazu zeigten Gesunde das gegenteilige Muster: Sie erinnerten sich an mehr negative als positive Bilder und konnten besser negative als positive autobiographische Ereignisse abrufen. Interessanterweise scheinen positiv emotionale Reize im Bereich der Gedächtnisleistung eine größere Relevanz zu besitzen als negative, während beim emotionalen Erleben der Patienten negative Emotionen eine hervorstechende Rolle spielen. Demnach scheint die Valenz in Abhängigkeit vom emotionalen Prozess einen wesentlichen Beitrag und Einfluss zu besitzen. 40.5
40
Empathie
Soziales Verhalten setzt ein Verständnis für die Gefühle, das Verhalten und die Intentionen anderer voraus. Ebenso hängt der Erfolg einer sozialen Interaktion von der Fähigkeit ab, kognitive und emotionale Prozesse bei anderen zu erkennen. Störungen in diesem Verständnis sind typischerweise mit schizophrenen Erkrankungen assoziiert, die auch mit sozialer Isolation einhergehen. Die früheren Untersuchungen zur Fähigkeit schizophrener Patienten, sich selbst und/oder anderen Bewusstseinszustände mit bestimmten Annahmen und Absichten zuzuschreiben (»Theory of Mind«, ToM) bezogen sich auf eine rein kognitive Fähigkeit. Die emotionale Komponente, die in dem Begriff Empathie enthalten ist, wurde erst in den letzten Jahren stärker beachtet. Allgemein lässt sich Empathie definieren als: 1. Affektive Reaktion, die meist beinhaltet, dass der emotionale Zustandes des Anderen geteilt wird, und als 2. kognitive Fähigkeit, die Perspektive eines Anderen einzunehmen (ToM), wobei aber zwischen Selbst und Anderen unterschieden wird.
Langdon et al. führten eine Reihe von Studien zur Untersuchung der Empathie bei schizophrenen Patienten durch (Langdon et al. 2006). Schizophrene Patienten zeigten sich bei ToM- wie auch Empathieaufgaben erwartungsgemäß beeinträchtigt. Die Autoren nehmen an, dass der Grund für schlechtere Leistungen bei ToM-Aufgaben in der Schwierigkeit liege, die Erste-Person-Perspektive einer fremden Person zu simulieren. Damit stellten sie die traditionelle Sichtweise der ToM in Frage, nach der das Erkennen und Interpretieren der Gedanken einer fremden Person allein von der Perspektive einer dritten Person vorgenommen wird, wobei eine Theorie über die Theorie der anderen Person gebildet wird. Das Simulieren eines fremden Zustands wurde von den Autoren mit der empathischen Fähigkeit gleichgesetzt. Bei der Empathieaufgabe mussten die Patienten bei Cartoon-Geschichten aus vielen möglichen Kombinationen die passende emotionale Konstellation herausfinden und der sozialen Situation zuordnen. Die Fähigkeit zur emotionalen Identifikation wurde demnach durch die richtige Zuordnung einer Emotion zu jedem emotionalen Gesichtsausdruck ohne den Interaktionshintergrund geprüft, wobei lediglich 4 Grundemotionen verwendet wurden, nämlich Freude, Trauer, Schreck und Ärger. Die ToM-Aufgaben beinhalteten 4 Komponenten: 1. falsche Überzeugungen, 2. soziale Konstellationen, 3. physikalische Zusammenhänge und 4. Unterdrückung inadäquater Reaktionen. Sie wurden auch in Form von Cartoon-Geschichten untersucht, wobei die Patienten die Abbildungskarten in eine logische Ablaufsreihenfolge bringen sollten. Die Ergebnisse der ToM-Aufgaben brachten signifikante Unterschiede zwischen Patienten und Gesunden nur bei den falschen Überzeugungen zu Tage. Bei den restlichen 3 Komponenten ergaben sich keine Gruppenunterschiede. Signifikante Unterschiede traten bei der emotionalen Attribution sowohl bei der Positionierung als auch bei der Zuordnung der richtigen Emotionen zu den interagierenden Cartoon-Figuren auf. Die Autoren gelangten zu der Schlussfolgerung, dass die Ursache für die Defizite bei der Erkennung und Interpretation von mentalen Zuständen anderer Personen in der Unfähigkeit schizophren Kranker liegt, sich in die emotionale Lage der fremden Person hineinzuversetzen. Sie postulieren daher Beeinträchtigungen bei der Simulation der Theorie einer fremden Person, d. h. Beeinträchtigungen bei der Ersten-Person-Perspektive. Damit erweitern sie die traditionelle Sichtweise der ToM, die von der Beeinträchtigung der Dritten-Person-Perspektive ausgeht. Die Fähigkeit zu empathischem Verhalten kann eine Schlüsselrolle bei der Erklärung der affektiven Störungen im Rahmen der Schizophrenie spielen. Die Erforschung dieser Prozesse kann die Entwicklung neuer spezifischer Therapieformen begünstigen und den Patienten helfen, besser mit ihrer Umwelt zu kommunizieren.
517 40.6 · Spezifische Therapiemöglichkeiten affektiver Beeinträchtigungen
40.6
Spezifische Therapiemöglichkeiten affektiver Beeinträchtigungen
Wie bereits erwähnt, besteht Uneinigkeit über die Ursache affektiver Störungen bei der Schizophrenie und die Frage, ob emotionale oder generelle kognitive wahrnehmungsbezogene Beeinträchtigungen zu den berichteten emotionalen Schwierigkeiten führen. Daher bleibt unklar, ob eine Verbesserung sozialer Fertigkeiten allein durch die Verstärkung der grundlegenden neurokognitiven Funktionen möglich ist (Wölwer et al. 2005). Wünschenswert sind daher spezifischer auf affektive Beeinträchtigungen fokussierte Interventionsformen, die jedoch bislang sehr selten sind. Es ist gut bekannt, dass kognitive Dysfunktionen in enger Beziehung zu geringen sozialen Fertigkeiten stehen und dass neurokognitive Rehabilitationsstrategien den sozialen Umgang verbessern. Die meisten bekannten medikamentösen und neuropsychologischen Behandlungsstrategien bei der Schizophrenie haben den gewünschten stabilen Effekt im Bereich der Verbesserung der emotionalen Erkennungsfähigkeit nicht leisten können. Obwohl die Verabreichung neuerer atypischer Neuroleptika geringe Verbesserungen der Genauigkeit der Wahrnehmung emotionaler Gesichtsausdrücke zeigte, blieb die Entwicklung spezieller Trainigskonzepte zur Erkennung von Emotionen ein erklärtes Ziel der Forschung in diesem Bereich. Penn u. Combs (2000) zeigten zum ersten Mal die Möglichkeit zu einer Modifizierung der emotionalen Erkennensleistung mit verhaltenstherapeutischen Methoden. Es wurden 3 Interventionsmethoden angewandt: 1. korrigierendes Feedback bei der Erkennung emotionaler Gesichtsausdrücke, 2. Verstärkung der gewünschten Richtung mit finanziellen Verstärkern und 3. die Kombination beider Methoden. Obwohl alle drei einen unmittelbaren Effekt hatten, blieb nach einer Woche der positive Effekt nur bei der finanziellen Verstärkung erhalten. Da das Training hier jedoch in allen drei Bedingungen identisch war, bleibt es fraglich, ob die Effekte allein durch das Trainingsmaterial zu erklären sind.
Trainingskonzept zur emotionalen Wiedererkennung Ein Konzept zur Verbesserung der Erkennung von emotionalen Gesichtsausdrücken (»Training of Affect Recognition«, TAR) wurde in der Düsseldorfer Arbeitsgruppe von Wölwer et al. entwickelt (Frommann et al. 2003) und mit gebräuchlichen kognitiven Therapiestrategien (»Cognitive Remediation Training«, CRT) verglichen (Wölwer et al. 2005). Das kognitive Training beinhaltete das Erarbeiten von Fertigkeiten zu allgemeinen kognitiven Prozessen, wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis und exekutive Funktionen. Nach 6 Wochen zeigten die Patienten, die das TAR als Treatmentprogramm erhalten hatten bessere Leistungen bei der Wiedererkennung von emotionalen Gesichtsausdrücken als diejenigen, bei denen das CRT durchgeführt wurde.
40
In dieser Studie (Wölwer et al. 2005) wurde ein Prä-Post-Design verwendet um die Effektivität des Trainings zur Verbesserung der Erkennung von emotionalen Gesichtsausdrücken zu testen. 77 Patienten wurden auf 3 Gruppen verteilt. Die erste Gruppe erhielt das TAR, die zweite das CRT und die dritte eine gewöhnliche Behandlung (»treatment as usual«, TAU). Die Leistung in der emotionalen Trainingsgruppe wurde vor und 6 Wochen nach Intervention mittels eines Tests zur Emotionserkennung (»Pictures of Facial Affect«, PFA mit 24 Aufnahmen der 6 Basisemotionen) untersucht. Diese Gesichtsaufnahmen waren nicht Teil des Übungsmaterials im TAR. Als Kontrollbedingung wurden neutrale Gesichter aus dem »Benton-Face-Recognition-Test« verwendet. Die aktiven Trainingsprogramme (TAR und CRT) bestanden aus 12 Sitzungen mit jeweils 45 Minuten pro Sitzung mit einer Häufigkeit von 2-mal pro Woche. Das TAR-Programm beinhaltete 3 Blöcke mit jeweils 4 Sitzungen. Im ersten Block lernten die Patienten allmählich die charakteristischen Merkmale der 6 Grundemotionen zu identifizieren und voneinander zu unterscheiden. Als Techniken wurden Verbalisierung und Selbstinstruktion bei der Analyse der emotionalen Gesichtsausdrücke eingesetzt. Im zweiten Block ging es um die Integration der erlernten Sequenzen aus dem ersten Block in einen holistischen Vorgang. Hierbei sollte eine schnelle spontane Entscheidung über einen emotionalen Gesichtsausdruck mit schwacher Intensität ohne Verbalisierung getroffen werden. Im dritten Block wurden die Patienten trainiert, mehrdeutige emotionale Gesichtsausdrücke zu erkennen und sie in einen sozialen, behavioralen und situationellen Kontext zu integrieren. Das CRT trainierte allgemein Aspekte kognitiver Fähigkeiten (Aufmerksamkeit, Gedächtnis und exekutive Funktionen). Es wurden keine Strategien zur Verbesserung der sozialen Kognition und der Erkennung emotionaler Gesichtsausdrücke verwendet. Die CRT-Aufgaben wurden am PC mit dem »Cogpack-Professional-Programm« durchgeführt. Zusätzlich wurden auch Aufgaben ohne PC mithilfe von Verbalisierungs- und Selbstinstruktionstechniken bearbeitet. Das TAU-Programm beinhaltete alle gut bekannten üblichen psychiatrischen Behandlungen, wie Medikation oder übliche Psychotherapien ohne spezifisches kognitives Training. Die Ergebnisse des PFA-Tests nach 6 Wochen ergaben deutlich signifikante Verbesserungen der Emotionserkennensleistung in der Patientengruppe, die das TAR-Trainingsprogramm abgeschlossen hatte. Eine geringe Verbesserung war auch in der zweiten Gruppe, die CRT erhalten hat, zu beobachten. Keine Veränderung wurde in der dritten TAU-Gruppe festgestellt (Wölwer et al. 2005).
Das Trainingskonzept zur Verbesserung der Erkennung von emotionalen Gesichtsausdrücken TAR erwies sich als erfolgreiches Konzept zur Steigerung sozial-kognitiver Fähigkeiten und Fertigkeiten bei schizophrenen Patienten. Angesichts dieser
518
Kapitel 40 · Affektive Störungen – Psychologie
Ergebnisse ist zu hoffen, das dieses Verfahren und weitere Entwicklungen in diesem Bereich die sozialen Fähigkeiten und Fertigkeiten schizophrener Patienten im Umgang mit den anderen Menschen im täglichen Leben deutlich verbessern und damit die Lebensqualität wie auch das Funktionsniveau der Patienten deutlich anheben können. 40.7
40
Zusammenfassung
Schizophrene Patienten weisen eine Vielzahl von Beeinträchtigungen bei verschiedenen emotionalen Aufgabenstellungen auf, darunter bei der emotionalen Erkennungsfähigkeit, der Ausdrucksfähigkeit, der Gedächtnisleistung, der Empathiefähigkeit und beim Erleben. Diese Defizite können überwiegend als charakteristische und zeitlich stabile Merkmale der Erkrankung gesehen werden. Bislang ist es umstritten, welche Mechanismen dieser Störung der Schizophrenie zugrunde liegen und ob sie als Folge oder Teil der allgemeinen kognitiven Beeinträchtigungen zu sehen sind oder eine genuine spezifische emotionale Störung darstellen. Als neurobiologisches Substrat der affektiven Beeinträchtigungen bei der Schizophrenie kann ein komplexes miteinander interagierendes zerebrales Netzwerk angenommen werden, in dessen Zentrum die Amygdala liegt. Strukturelle und funktionale Abnormalitäten in diesem Netzwerk kortikaler und subkortikaler Korrelate können zur verzerrten Wahrnehmung eines emotionalen Stimulus, zur nicht ausreichenden Bewertung des Affektzustands und -verhaltens und zur unangemessenen Handlung aufgrund falscher Interpretation von nichteindeutigen und irrelevanten emotionalen Stimuli führen. Die bisherigen Ergebnisse verdeutlichen, dass emotionale Störungen nicht ausschließlich als Folge kognitiver Defizite aufgefasst werden können, sondern eine gewisse Eigenständigkeit aufweisen. Eine Reihe von Einflussfaktoren und Moderatorvariablen müssen jedoch bei der Interpretation der Befunde beachtet werden, darunter die Qualität der Emotion, die Aufgabenstellung, Psychopathologie, Medikation, Stichprobenselektion u. a. Die umfassende Störung emotionalen Verhaltens und Erlebens bedingt jedoch maßgeblich die gestörte soziale Kommunikation und Interaktion der Patienten, die wiederum sowohl zur sozialen Isolation als auch zur Reduktion der Arbeitsfähigkeit, des Funktionsniveaus und des Wohlbefindens der Patienten beiträgt. Daher besteht die Notwendigkeit, Therapieformen zu entwickeln, die spezifisch auf eine Verbesserung der emotionalen Fähigkeiten und Fertigkeiten schizophrener Patienten ausgerichtet sind. Die ersten Modelle in diesem Bereich zur Verbesserung der Emotionserkennungsfähigkeit sind erfolgreich und viel versprechend. Sie regen zu Weiterentwicklungen und weiterer Forschungsarbeit an. Obwohl das Interesse für affektive Störungen bei der Schizophrenie in den letzten Jahren stark gestiegen ist, bedarf es weiterer Studien, um die grundliegenden Mechanismen besser charakterisieren und erklären zu können. Die Aufklärung und Behand-
lung emotionaler Defizite spielt eine relevante Rolle bei der Verbesserung der Lebensqualität schizophrener Patienten.
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41 Affektstörungen – Bildgebung Irina Falkenberg und Frank Schneider
41.1
Einleitung
41.2
Funktionelle Bildgebung von emotionalem Erleben und Verhalten – Befunde bei Gesunden – 522
41.2.1 41.2.2 41.2.3 41.2.4
Emotionales Erleben – zugrunde liegende Netzwerke Emotionale Diskriminationsfähigkeit – 522 Emotionales Gedächtnis – 523 Olfaktorik und Affektivität – 524
41.3
Funktionelle Bildgebung des emotionalen Erlebens und Verhaltens schizophrener Patienten – 525
41.3.1
Neuronale Korrelate von Affektstörungen bei Schizophreniepatienten – Ergebnisse struktureller und funktioneller Untersuchungen – 525 Funktionelle Bildgebung des emotionalen Erlebens schizophrener Patienten – 526 Emotionale Diskriminationsfähigkeit – 527 Emotionales Gedächtnis – 527 Olfaktorik und Affektivität bei Schizophreniepatienten – 528 Der Einfluss genetischer Faktoren auf die Emotionsverarbeitung bei schizophrenen Patienten – 529
41.3.2 41.3.3 41.3.4 41.3.5 41.3.6
41.4
– 521
Zusammenfassung und Ausblick – 530 Literatur
– 530
– 522
521 41.1 · Einleitung
41.1
Einleitung
Neben den Störungen der Kognition und der Wahrnehmung sind es insbesondere die Störungen der Affektivität, die das Krankheitsbild der Schizophrenie kennzeichnen. Emotionales Erleben und Verhalten stellen zentrale Elemente der zwischenmenschlichen Kommunikation dar, weswegen sich diese Störungen bei Patienten mit schizophrener Erkrankung auch besonders in der sozialen Interaktion auswirken. Diese Affektstörungen, die bei den Patienten auftreten können, sind vielfältig und reichen von uncharakteristischen Veränderungen wie Euphorie, Deprimiertheit oder dysphorer Gereiztheit bis hin zu charakteristischen Veränderungen wie Parathymie und verflacht erscheinendem Affekt. Neben diesen äußerlich erkennbaren Auffälligkeiten sind auch Veränderungen im subjektiven emotionalen Erleben schizophrener Patienten gegenüber Gesunden beschrieben worden. Hierbei scheinen vor allem eine in der Selbstbeurteilung verminderte Ansprechbarkeit auf positive emotionale Stimuli und ein verstärktes Ansprechen auf negative Stimuli eine Rolle zu spielen. Außerdem kommt der von den Patienten häufig beklagten Anhedonie, d. h. ein Verlust der Fähigkeit, Freude zu empfinden, eine besondere Bedeutung zu. Im Zusammenhang mit der verstärkten Empfänglichkeit für negative emotionale Reize ist besonders die erhöhte Sensibilität für das Gefühl der Angst bedeutsam, die bis zum Auftreten einer Komorbidität von Schizophrenie mit Angst- bzw. Panikstörungen führen kann, und diese Empfänglichkeit steht im engen Zusammenhang mit weiteren wichtigen psychopathologischen Merkmalen, wie z. B. dem paranoiden Erleben. In den bisher vorliegenden empirischen Untersuchungen zum emotionalen Erleben und Verhalten schizophrener Patienten wurde vor allem auf die Wahrnehmung und Verarbeitung emotional expressiver Mimik fokussiert. Hierbei lagen die Schwerpunkte u. a. auf der Unterscheidung zwischen den Merkmalen der Wahrnehmung unwillkürlicher und willkürlicher Mimik, den Besonderheiten bei der Emotionsdiskrimination und auch das eigene mimische Ausdrucksverhalten der Patienten wurde berücksichtigt. Auffälligkeiten in der Mimik schizophrener Patienten wurden bereits von Kraepelin (1883) und Bleuler (1911) beschrieben. Kraepelin nahm an, dass bei den Patienten eine aufgehobene Integration von Verstandes-, Gemüts- und Willensleistungen sich in auffälligem mimischem Verhalten manifestiere. Bleuler sah in »widerstrebenden Vorstellungen und Emotionen« die Ursache der Paramimie. Die erste empirische Analyse der mimischen Auffälligkeiten stammt von Heimann u. Spoerri (1957), die den Begriff der »mimischen Desintegration« prägten. Hierunter verstanden sie spezielle mimische Ausdrucksmuster bei den Patienten, die sich offensichtlich keiner bekannten produktiven Ausdrucksgestaltung zuordnen lassen, und im Beobachter den »Eindruck des Nichtzusammengehörenden und Ungestalten« auslösen. In weiterführenden Arbeiten zu diesem Thema konnten dann detailliertere Beschreibungen des Phänomens erreicht wer-
41
den. Schneider et al. (1990) konnten z. B. in einer Analyse der sichtbaren Mimik mithilfe eines computergestützten Verfahrens bei schizophrenen und depressiven Patienten eine verminderte mimische Ausgestaltung während der sozialen Interaktion in der oberen Gesichtshälfte nachweisen, die als eine mögliche Ursache für das desintegrierte Erscheinungsbild der Mimik schizophrener Patienten angesehen werden kann. Das Defizit beim Erkennen von Emotionen scheint dabei vom Krankheitsstadium abzuhängen, z. B. zeigten akut erkrankte Patienten größere Schwierigkeiten beim Erkennen von Emotionen in Gesichter, während Patienten in einem remittierten Krankheitsstadium weniger Defizite aufwiesen. In longitudinalen Untersuchungen fanden sich dagegen eher Hinweise darauf, dass die Defizite in der Emotionserkennung sich nach Remission nur teilweise zurückbilden (Wölwer et al. 1996) und somit ein verlaufsstabiles Merkmal darstellen. Darüber hinaus scheinen bei den unterschiedlichen diagnostischen Untergruppen auch verschiedenartige Defizite aufzutreten. Insgesamt existieren hierüber nur wenige Untersuchungen, es gibt aber Hinweise darauf, dass Patienten mit einer nichtparanoiden Form der Schizophrenie gegenüber Patienten mit paranoider Schizophrenie, d. h. solchen, die wahnhafte Symptome aufweisen, stärker ausgeprägte Defizite im Erkennen von Emotionen aus dem Gesichtsausdruck haben. Dagegen scheint das Vorhandensein von Negativsymptomen wie Anhedonie oder Affektverflachung keinen Einfluss auf die Fähigkeit zur Emotionsdiskrimination zu haben. Auch die Art der Medikation beeinflusst diese Fähigkeit nicht (Wölwer et al. 1996). Neben dem generellen Defizit der Emotionserkennung aus Gesichtern bei schizophrenen Patienten gibt es auch Abstufungen bezogen auf die Art der dargestellten Emotion. Vielfach konnte gezeigt werden, dass die Patienten besondere Schwierigkeiten haben, negative Emotionen, verglichen mit positiven Emotionen, korrekt zu erkennen. Dies trifft wiederum besonders auf Patienten mit nichparanoider Form der Schizophrenie zu. Innerhalb der Gruppe negativer Emotionen scheinen vor allem die Emotionen Angst und Ärger eine besondere Bedeutung für die Patienten zu haben. Vor allem gilt dies für Patienten mit einer paranoiden Symptomatik, sodass diese Emotionen von ihnen teilweise auch besser erkannt wurden als andere negative Emotionsausdrücke (z. B. besseres Erkennen von Ärger; Edwards et al. 2002). Am ehesten lässt sich diese besondere Aufmerksamkeit für solche emotionalen Reize wohl durch die oftmals bedrohlichen und angsteinflößenden Inhalte der paranoiden Gedanken erklären. Nach wie vor herrscht Uneinigkeit, ob es sich bei den genannten Auffälligkeiten um eine spezifische Störung der Emotionserkennung oder um generelle Störungen der Kognition oder der Wahrnehmung handelt. Auch ist unklar, ob die Patienten lediglich Schwierigkeiten haben, Emotionen in Gesichtern korrekt zu erkennen, oder ob es sich um eine allgemeine Beeinträchtigung der Gesichterverarbeitung handelt, und welche Rolle auch hierbei kognitive Beeinträchtigungen spielen. Es ist aber z. B. bekannt, dass die Patienten spezifische Einschränkungen der Blick-
522
41
Kapitel 41 · Affektstörungen – Bildgebung
bewegungen in Form eines verminderten Bewegungsumfangs und einer geringeren Anzahl an Bewegungen bei relevanten Gesichtsmerkmalen zeigen (Loughland et al. 2002), die zu den Defiziten in der Verarbeitung beitragen könnten. Mithilfe bildgebender Verfahren ist es möglich, die neurobiologischen Substrate, die den vielfältigen Defiziten im Zusammenhang mit Emotionswahrnehmung und -verarbeitung zugrunde liegen, zu identifizieren und zu den charakteristischen affektiven Symptomen der Erkrankten in Beziehung zu setzen. Diese Verfahren stellen wichtige Instrumente zur Annäherung an die nach wie vor kaum bekannten Grundlagen der nachweisbaren Auffälligkeiten dar. 41.2
Funktionelle Bildgebung von emotionalem Erleben und Verhalten – Befunde bei Gesunden
Zum besseren Verständnis der Besonderheiten in der Emotionswahrnehmung und -verarbeitung schizophrener Patienten ist es zunächst wichtig, diese Funktionen und vor allem ihre neuronalen Korrelate bei Gesunden zu betrachten. Bei den bisher mit bildgebenden Verfahren untersuchten Prozessen handelt es sich vor allem um emotionales Erleben, emotionale Diskriminationsfähigkeit und emotionales Gedächtnis. 41.2.1 Emotionales Erleben – zugrunde liegende
Netzwerke In der Regel wird emotionales Erleben mithilfe von Stimmungsinduktionsmethoden untersucht. Dabei stehen mehrere Verfahren zur Verfügung, z. B. die Erinnerung an biographische Ereignisse oder das Hineinversetzen in einen bestimmten emotionalen Zustand mithilfe von emotionalem Material wie Filmen, Musik oder Texten und einer zusätzlichen Instruktion. Für Bildgebungsuntersuchungen wurde eine standardisierte Induktionsmethode von Schneider et al. (1994) vorgestellt, bei der der Betrachter mithilfe von Fotographien freudiger und trauriger Gesichter sich selbst in die dargestellte Stimmung versetzen soll. Durch diese standardisierte Methode kann dem Problem der Aktivierungsunterschiede, die sich aus verschiedenen Induktionsmethoden ergeben, besser begegnet werden. Bei der Anwendung dieser Methode in einer Untersuchung mit funktioneller Bildgebung von Habel et al. (2005b) zeigte sich, dass sehr komplexe Netzwerke am Erleben von Freude und Trauer beteiligt sind. Bei beiden Bedingungen waren im Vergleich zur kognitiven Kontrollaufgabe dorsolateral präfrontale, orbitofrontale anterior cinguläre, und temporale Kortexareale beteiligt, außerdem der Precuneus, die Amygdala, der Hippocampus und der Gyrus parahippocampalis. Daneben fanden sich innerhalb dieses Netzwerkes auch valenzspezifisch beteiligte Areale. Bei der Trauer handelte es sich dabei um die Bereiche des anterioren
Cingulums, des ventrolateralen präfrontalen und temporalen Kortex, bei Freude fand sich Aktivierung im dorsolateralen präfrontalen Bereich, im inferior temporalen Kortex, im dorsalen posterioren cingulären Kortex und im Zerebellum. Auch Phan et al. (2002) fanden anhand einer Metaanalyse von 55 PET- und fMRT-Untersuchungen Hinweise für spezifische Korrelate einzelner Emotionen. Für Trauer konnte ein entsprechendes Korrelat im subgenualen anterioren cingulären Kortex identifiziert werden, für Freude in den Basalganglien und für Furcht fand sich spezifische Aktivität in der Amygdala. Offenbar liegt also dem emotionalen Erleben ein mehreren Valenzen gemeinsames Netzwerk zugrunde, innerhalb dessen spezifische zerebrale Komponenten charakteristisch für einzelne Emotionen sind. Möglicherweise sind diese Komponenten für den spezifischen Charakter der jeweiligen Emotion verantwortlich. Eine Übersicht über die Hirnregionen, die bei den Emotionen Freude, Trauer, Ekel, Angst und Ärger aktiviert werden, zeigt . Abb. 41.1. Insgesamt ist die Amygdala diejenige Struktur, die in fast allen vorliegenden Untersuchungen zum emotionalen Erleben, vor allem beim Erleben einer traurigen Stimmung, übereinstimmend Aktivierung aufwies. Dabei lässt sich in der Regel eine direkte Korrelation zwischen der Ausprägung der Amygdalaaktivierung und der subjektiv empfundenen Trauer feststellen. Allerdings beeinflusst die Wahl der Stimmungsinduktionsmethode die festgestellten Aktivitätsmuster, z. B. lässt sich Amygdalaaktivität bei einer Stimmungsinduktion durch Filme auslösen, während bei einer Stimmungsinduktion durch eigene Erinnerungen eine solche Aktivierung unterbleibt. Letztere bewirkt dagegen aufgrund der enthaltenen kognitiven Komponente eine Beteiligung des anterioren cingulären Kortex und präfrontaler Areale. 41.2.2 Emotionale Diskriminationsfähigkeit Emotionsdiskrimination beinhaltet das Erkennen von Emotionen in Gesichtern, wobei zwischen expliziter und impliziter Verarbeitungsweise unterschieden wird. Die explizite Verarbeitung wird z. B. durch das Benennen von dargestellten Emotionen untersucht, bei der impliziten Verarbeitung wird die Aufmerksamkeit der Probanden von den emotionalen Inhalten der Gesichter auf andere Merkmale, wie z. B. Alter oder Geschlecht abgelenkt. Diese beiden unterschiedlichen Verarbeitungsweisen haben auch entsprechend spezifische neuronale Korrelate. So bewirkt die explizite Verarbeitung eine stärkere Beteiligung der Temporalregion, während die implizite Verarbeitung eher zu einer Amygdalabeteiligung führt. Diese Muster werden jedoch zusätzlich noch durch die dargestellte Emotion und die Art des Stimulus (z. B. Gesichter vs. Darstellungen positiver oder negativer Situationen; Keightley et al. 2003) beeinflusst. Sogar innerhalb eines Verarbeitungsmodus können unterschiedliche Aufgabenstellungen zu unterschiedlichen Aktivitätsmustern führen. Bei Hariri et al. (2002) ergab die Verwendung eines Tests zur visuellen Zuordnung und zur verbalen Benennung ärgerlicher und ängstlicher
523 41.2 · Funktionelle Bildgebung von emotionalem Erleben und Verhalten – Befunde bei Gesunden
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. Abb. 41.1. Aktivierungsmuster in Abhängigkeit von der jeweiligen Emotion (Reprinted from Phan et al. 2002, with permission from Elsevier). (7 Farbtafeln, S. 672)
Gesichtsausdrücke nur bei der Zuordnungsaufgabe eine Amygdalaaktivität, während das Benennen zu einer Abnahme der Aktivität an derselben Stelle führte. Auch das reine Betrachten emotional expressiver Gesichter gegenüber den genannten Aufgaben der expliziten oder impliziten Diskrimination beansprucht ein anderes Netzwerk, wobei auch hier wiederum die Art der dargestellten Emotion die Aktivierungsmuster beeinflusst. So ist bekannt, dass freudige, nicht aber traurige Gesichtsausdrücke, den linken anterioren cingulären Kortex, den posterioren cingulären Kortex bilateral, den medialen frontalen Kortex und den rechten supramarginalen Gyrus aktivieren (Philips et al. 1998). Traurige Gesichtsausdrücke dagegen aktivieren die Amygdala (Blair et al. 1999), angeekelte Gesichter die Inselregion und das Putamen (Anderson et al. 2003a) und ärgerliche Gesichtsausdrücke haben Aktivierung in cingulären und medial temporalen Arealen zur Folge (Sprengelmeyer et al. 1998). Jedoch sind diese Aktivierungsmuster nicht immer als spezifisch anzusehen, die Amygdala ist, wie verschiedentlich gezeigt wurde, z. B. auch bei der Wahrnehmung furchtsamer und angeekelter Gesichtsausdrücke involviert (Anderson et al. 2003a). Insgesamt handelt es sich bei der Emotionsdiskrimination also um eine ausgesprochen komplex repräsentierte Fähigkeit. Unbestritten ist jedoch die zentrale Bedeutsamkeit der Amygdala für die damit verbundenen Prozesse. Durch ihre anatomische Lage in direkter Nachbarschaft zu anderen wichtigen emotionsverarbeitenden Strukturen und ihre enge Vernetzung mit diesen integriert sie
emotionale und kognitive Prozesse. Darüber hinaus erfüllt sie selbst bedeutsame Funktionen innerhalb der Emotionsverarbeitung, beispielsweise durch ihre Beteiligung an der Gesichtserkennung oder ihre Bewertungsfunktion. In der Erfüllung dieser Aufgaben moduliert wird sie durch den Grad der Aufmerksamkeit, Geschlechtsunterschiede und die Art der Reizdarbietung. ! Die Amygdala spielt durch ihre Bewertungsfunktion, eine zentrale Rolle bei der Emotionsverarbeitung. Vor allem die Wahrnehmung von Angst, Ärger, Trauer und Ekel bewirkt eine Aktivierung der Amygdala.
41.2.3 Emotionales Gedächtnis Emotionen beeinflussen Lernvorgänge, indem sie unterschiedliche Arten der Informationsverarbeitung auslösen, die Auswahl von Informationen aus einem Sinnzusammenhang bestimmen und auch selbst als eine Informationsquelle dienen. So kann z. B. das Auftreten negativer Emotionen wie Furcht eine drohende Gefahr signalisieren. Aus Untersuchungen mit funktioneller Bildgebung ist bekannt, dass die emotionalen Einflüsse auf Gedächtnisprozesse in einem Zusammenwirken subkortikal-limbischer und kortikaler Regionen begründet sind. Ein Netzwerk bestehend aus Teilen der Amygdala, des präfrontalen Kortex, des anterioren cingulären Kortex und des anterioren Temporalkortex
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Kapitel 41 · Affektstörungen – Bildgebung
steuert dabei die Extraktion emotional und sozial relevanter Informationen aus Gesichtern, das Erleben von Emotionen und emotionales Verhalten. Insgesamt bewirkt eine emotionale Färbung von Informationen eine Verbesserung des Erlernens und des Behaltens. Jedoch ist nicht bekannt, ob dabei die Art der Emotion oder ihre Intensität unabhängig von ihrer Valenz für diesen Effekt verantwortlich sind. Die meisten Autoren gehen allerdings davon aus, und es konnte mehrfach anhand von Text- und visuellem Material demonstriert werden, dass die Gedächtnisleistung überwiegend von der Intensität der mit dem Informationserwerb verbundenen Emotion abhängt. In den vorliegenden funktionell-bildgebenden Studien zur Hirnaktivität während der Enkodierung von Gedächtnisinhalten oder während der Wiedergabe erlernter Informationen zeigte sich wiederum die herausragende Bedeutung der Amygdala für solche Vorgänge. Sowohl für die Enkodierung als auch für den Abruf emotionalen Materials konnte eine Amygdalabeteiligung nachgewiesen werden, während neutrales Material keine solche Beteiligung hervorruft. Insbesondere negatives emotionales Material führt bei der Enkodierung zu einer Verstärkung der Prozesse, die der Bewertung und Informationsverarbeitung zugrunde liegen, indem die Amygdalareaktion eine Modulation anderer Informationsverarbeitungsprozesse bewirkt. Dies gilt z. B. für die Modulation der frühen Verarbeitung visueller Informationen, wie durch Korrelationen zwischen amygdaloider und okzipitaler Aktivität gezeigt werden konnte (Tabert et al. 2001). Die Gedächtnisleistung im Zusammenhang mit positiv emotionalem Material wird dagegen eher durch die Aktivität des anterioren parahippocampalen Gyrus und extrastriataler Regionen vorher. Abb. 41.2a–c. Funktionell interessierende Regionen definiert anhand ihrer Korrelation mit den subjektiven Einschätzungen von Intensität, Angenehmheit oder Unangenehmheit. Die Ordinate zeigt das fMRT-Signal, die Abszisse entweder die Intensitäts- oder Valenzratings. a Region in der rechten Hemisphäre, die von der dorsalen Amygdala in den piriformen Kortex übergeht korrelierte mit der Intensitätseinschätzung, nicht mit der Valenz. b Eine bilaterale Aktivierung im Subcallosum, die in den posteromedialen orbitofrontalen Kortex hineinreicht korrelierte mit der Einschätzung der Angenehmheit, nicht der Intensität. c Links anterior laterale und rechts anterior mediale orbitofrontale Aktivität korrelierte mit der Unangenehmheit, nicht der Intensität (Reprinted by permission from Macmillan Publishers Ltd: Anderson et al. 2003b, copyright 2003). (7 Farbtafeln, S. 672)
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gesagt. Auch der Hippocampus wird bei Enkodierungsprozessen in seiner Aktivität durch die Amygdalaaktivität moduliert, wenn die interessierenden Stimuli einen emotionalen Gehalt haben. Die subjektive Intensität der erlebten Emotion beeinflusst dabei die Behaltensleistungen, was wiederum die Bedeutung der durch eine Emotion hervorgerufenen Erregung für Gedächtnisprozesse unterstreicht. Die Aktivität der Amygdala bei diesen Prozessen wird ihrerseits durch Faktoren wie Aufmerksamkeitsleistung oder auch das Geschlecht moduliert. Dies wird vor allem durch die unterschiedliche Lateralisierung der Amygdalaaktivität bei Männern und Frauen deutlich. Bei Männern korreliert eine bessere Gedächtnisleistung für emotionale Inhalte mit einer stärkeren rechtsseitigen Aktivität der Amygdala, bei Frauen bewirkt linksseitige Aktivität eine verbesserte Behaltensleistung (Cahill et al. 2004). 41.2.4 Olfaktorik und Affektivität Der Geruchssinn dient der Analyse der Atemluft und somit der Informationsbeschaffung über die Qualität von Nahrung, dem Erkennen anderer Personen und der Vermeidung von Gefahren. Somit ist er wesentlich für das Überleben des Individuums. Zwischen Geruchs- und Emotionsempfinden besteht eine enge Verbindung, die u. a. auch in der eng benachbarten anatomischen Lage von olfaktorischem und limbischem System begründet ist. Die neuronalen Korrelate der Verarbeitung olfaktorischer Reize sind inzwischen gut bekannt, und durch ihre große Bedeutung für emotionale Prozesse sowie ihre gute Anwendbarkeit in bildgebenden Untersuchungen, sind sie sehr gut geeignet, um die
525 41.3 · Funktionelle Bildgebung des emotionalen Erlebens und Verhaltens schizophrener Patienten
zerebrale Organisation von emotionaler Verarbeitung zu untersuchen. Es ist z. B. möglich, Valenz und Intensität affektiver Reaktionen mithilfe olfaktorischer Reize zu differenzieren. Bei Anderson et al. (2003b) zeigte sich in einer ereigniskorrelierten fMRT-Untersuchung, die einen positiven und einen negativen Geruch in hoher und geringer Konzentration als Stimuli einsetzte, dass die Amygdalaaktivität durch Intensitätsinformationen, nicht jedoch durch die Valenz des Geruchs, moduliert wurde (. Abb. 41.2). Stärkere Geruchsintensitäten führen dabei zu stärkerer Amygdalaaktivierung. Die positive bzw. negative Valenz der Gerüche sprach dagegen unterschiedliche Areale innerhalb des orbitofrontalen Kortex an (rechts-medial bzw. links-lateral). Damit wurde erneut die Bedeutung des orbitofrontalen Kortex für die Bestimmung der affektiven Valenz emotionaler Reize bestätigt. Der Zusammenhang zwischen olfaktorischen, kognitiven und emotionalen Vorgängen ist mithilfe klassischer Konditionierungsparameter untersucht worden. In einer Untersuchung von Gottfried et al. (2002) wurden z. B. 3 Geruchsstimuli unterschiedlicher Valenz mit neutralen Gesichtern gepaart und in einer ereigniskorrelierten MRT-Messung die Reaktion auf den konditionierten Reiz untersucht. Die sensorische olfaktorische Verarbeitung stellte sich dabei in valenzunabhängigen Aktivitätszunahmen im primären olfaktorischen Kortex und der Amygdala dar. Zusätzlich fanden sich auch hier Valenzeffekte im orbitofrontalen Kortex (links lateral bei aversiven, rechts medial bei angenehmen Gerüchen). Bei der Analyse der Lerneffekte zeigten sich erneut differenzielle Effekte appetitiven und aversiven Lernens in medialen bzw. lateralen Anteilen des orbitofrontalen Kortex. Zusätzlich ergab sich aber bei der aversiven Assoziationsbildung auch eine Beteiligung des primären olfaktorischen Kortex,wodurch erkennbar wurde, dass seine Bedeutung über die reine olfaktorische Informationsverarbeitung hinausgeht. 41.3
Funktionelle Bildgebung des emotionalen Erlebens und Verhaltens schizophrener Patienten
41.3.1 Neuronale Korrelate von Affektstörungen
bei Schizophreniepatienten – Ergebnisse struktureller und funktioneller Untersuchungen Von allen psychopathologischen Veränderungen, die bei Schizophreniepatienten erkennbar sind, werden diejenigen, die die Affektivität der Patienten betreffen, zusammen mit einigen weiteren, unter dem Begriff der Negativsymptomatik zusammengefasst. Hierzu zählen z. B. der verflachte Affekt, die Anhedonie und die Apathie. Insgesamt weisen Negativsymptome starke Ähnlichkeiten zu Symptomen auf, die auch bei Schädigungen des Frontalhirnbereichs auftreten und Frontalhirnfunktionen wie Aufmerk-
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samkeit, Arbeitsgedächtnis, Augenbewegungen und Urteils- und Einsichtsfähigkeit sind auch bei schizophrenen Patienten gestört. Aus diesem Grund wird bereits seit längerem angenommen, dass strukturelle und funktionelle Auffälligkeiten einzelner Regionen des Frontallappens auch bei der Schizophrenie wesentlich zur Symptombildung beitragen. Entsprechend fanden sich in strukturell und funktionell bildgebenden Untersuchungen auch Veränderungen im Bereich des Frontallappens. So konnten z. B. verminderte Frontalhirnvolumina bei Schizophreniepatienten im Vergleich zu Gesunden nachgewiesen werden. Darüber hinaus existieren Untersuchungen, die bei der Bestimmung der Frontalhirnvolumina zwischen den Volumina der weißen und grauen Substanz differenzierten und dabei zeigen konnten, dass bei den Patienten ein deutlich reduziertes Volumen der weißen Substanz erkennbar ist, während das Volumen der grauen Substanz bei Patienten und Kontrollen sich nicht unterscheidet (Wible et al. 2001). Dabei ist die Ausprägung der Negativsymptomatik umso stärker, je geringer das Volumen der weißen Substanz ist. Für Positivsymptome ließ sich bislang kein solcher Zusammenhang mit dem Volumen der weißen Substanz feststellen. Mögliche Ursachen für dieses verminderte Volumen der weißen Substanz sind z. B. ein Zelluntergang im Frontallappen oder in Regionen, die in den Frontallappen projizieren wie die Amygdala, der Hippocampus, der entorhinale Kortex der Gyrus parahippocampalis oder der Gyrus temporalis superior. Von diesen Regionen weiß man, dass sie bei der Schizophrenie Auffälligkeiten aufweisen, welche z. B. auch mit dem Auftreten formaler Denkstörungen korrelieren. Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen einigen ausgestanzten Negativsymptomen wie Apathie und dem Frontalhirnvolumen liegen ebenfalls vor und bestätigen den Einfluss des verminderten Frontalhirnvolumens auch auf solche einzelnen Symptome (Roth et al. 2004). Im Zusammenhang mit Anhedonie und anderen vor allem affektiven Negativsymptomen wird vermutet, dass eine Dysfunktion dopaminerger Neurone im ventralen Striatum einschließlich Nucleus accumbens, also wichtigen Strukturen des Belohnungssystems, ursächlich sein könnten, die wiederum durch eine primäre Störung der Projektionen zwischen präfrontalen und temporolimbischen Arealen hervorgerufen sein könnte. In Untersuchungen mit Diffusions-Tensor-Bildgebung (DTI) ließen sich daneben auch die Anomalien der weißen Substanz, die im Zusammenhang mit Negativsymptomen nachweisbar waren, für ihre Mikrostruktur bestätigen (Wolkin et al. 2003). Auch in anderen Gehirnarealen, die bei Gesunden an emotionalen und kognitiven Prozessen beteiligt sind, weisen schizophrene Patienten sowohl strukturelle als auch funktionelle Auffälligkeiten auf. Aus strukturellen magnetresonanz-tomographischen (MR-) Untersuchungen weiß man von Volumenminderungen im Bereich der Amygdala, des Hippocampus, der Insula und des anterioren cingulären Kortex. Außerdem existieren Berichte über Volumenminderungen im Bereich des orbitofrontalen Kortex als einer weiteren wichtigen Struktur des emotionsverarbeitenden Systems, diese sind jedoch insgesamt eher uneinheitlich. Im Fol-
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Kapitel 41 · Affektstörungen – Bildgebung
genden soll nun auf die funktionellen Veränderungen, die bei den Patienten während der Emotionswahrnehmung und -verarbeitung auftreten, eingegangen werden. ! Veränderungen wie die Volumenreduktion der weißen Substanz im Bereich des Frontallappens schizophrener Patienten gehen mit der charakteristischen Negativsymptomatik einher.
41.3.2 Funktionelle Bildgebung des emotionalen
Erlebens schizophrener Patienten Um die vielfältigen Störungen in der Emotionsverarbeitung schizophrener Patienten besser zu verstehen, ist es vor allem wichtig, die neuronalen Korrelate des bei den Patienten veränderten subjektiven Erlebens zu identifizieren. Hierbei stellt speziell die von den Patienten berichtete Anhedonie ein wichtiges Symptom dar und sollte besondere Beachtung erfahren. Trotz der großen klinischen Relevanz dieser Symptome, vor allem durch den damit verbundenen subjektiven Leidensdruck und den erheblichen Einfluss auf das soziale Funktionsniveau der Patienten, existieren bislang nur vergleichsweise wenige Untersuchungen mit funktioneller Bildgebung, die zum Ziel hatten, die entsprechenden neuronalen Korrelate abzubilden. In einer Untersuchung von Schneider et al. (1998) wurden schizophrene Patienten während einer standardisierten Emotionsinduktion (Freude und Trauer) untersucht und mit gesunden Kontrollpatienten verglichen. Wie in vorangegangenen Untersuchungen (Schneider et al. 1997) fanden die Autoren bei den gesunden Probanden eine Aktivitätszu-
a
nahme in der Amygdala bei erfolgreicher Induktion von Trauer (. Abb. 41.3). Bei den Patienten fehlte eine solche Aktivierung jedoch, obwohl diesen subjektiv die Emotionsinduktion ebenso gut gelang, wie den Kontrollpersonen. Es scheint also hier ein Funktionsdefizit vorzuliegen, welches die strukturellen Befunde ergänzt, und möglicherweise eine Abschwächung im affektiven Erleben mit sich bringt. Auf die besondere Relevanz von Funktionsstörungen der Amygdala für das emotionale Erleben weisen auch die oftmals bedrohlichen und beängstigenden Wahninhalte der Patienten hin und darüber hinaus die Rolle, die die Amygdala bei der Verarbeitung von Reizen, die auf mögliche Gefahren hindeuten, z. B. beim Erkennen eines ängstlichen Gesichtsausdruckes, spielt. Auch die Berichte über bei den Patienten vermindert ausfallende Verhaltensmodifikation nach erfolgter Konditionierung mit aversiven Reizen, ein Vorgang, bei dem die Amygdala ebenfalls eine wesentliche Rolle spielt, lässt Störungen in diesem Bereich vermuten. Darüber hinaus ist die Amygdala entscheidend an der Verarbeitung und Bedeutungszuweisung sowohl einzelner als auch komplexer emotionaler Stimuli, der Verarbeitung sozial relevanter Reize und an der Fähigkeit anderen Personen emotionale Zustände zuzuschreiben beteiligt. Auch auf diesen Gebieten, weisen Schizophreniepatienten sehr häufig Schwierigkeiten auf. Möglicherweise ist hierbei genau diese Bedeutungszuweisungsfunktion beeinträchtigt, sodass in emotionalen Situationen eine entsprechende Assoziationsbildung unterbleibt und dies dann in der charakteristischen affektiven Verflachung mündet. In einer PET-Untersuchung zum emotionalen Erleben bei Schizophreniepatienten von Crespo-Facorro et al. (2001) wur-
b
. Abb. 41.3a,b. a Signalverlauf in der Amygdala während einer traurigen Stimmungsinduktion bei 26 gesunden Probanden (schwarze Kurve) im Vergleich zur Stimmungsfunktion (schwarze Linie, zeigt die Phasen der Baseline (BL)und der Aktivierung, d. h. Stimmungsinduktion an, gemäß dem Paradigma). b Korrelation der Signalintensität (Ordinate) mit dem
subjektiven Stimmungsinduktionseffekt (PANAS), errechnet aus der Differenz von eingeschätztem positivem und negativem Affekt bei den gleichen Probanden. Mit zunehmendem negativem Affekt (d. h. kleinerer Differenz) ist mehr Amygdalaaktivität verbunden (Habel et al. 2005a)
527 41.3 · Funktionelle Bildgebung des emotionalen Erlebens und Verhaltens schizophrener Patienten
den mithilfe angenehmer und unangenehmer olfaktorischer Stimuli entsprechende Empfindungen bei den Patienten und bei Kontrollpersonen ausgelöst. Hier zeigte sich in der Selbstbeurteilung des Empfindens unangenehmer Gerüche bei den Patienten ein vergleichbares Bild wie bei den gesunden Probanden. Die angenehmen Gerüche wurden jedoch von den Patienten weniger angenehm empfunden. Anhand der Aktivierungsmuster war erkennbar, dass die Patienten bei der Wahrnehmung unangenehmer Gerüche nicht wie die Gesunden limbische und paralimbische Regionen aktivierten, sondern stattdessen – wohl kompensatorisch – kortikale Areale einsetzten, was sich möglicherweise dann in Symptomen wie Anhedonie oder verflacht erscheinendem Affekt niederschlägt. 41.3.3 Emotionale Diskriminationsfähigkeit In einer fMRT-Untersuchung von Phillips et al. (1999), die bedrohliche und nicht bedrohliche Gesichtsausdrücke als Stimulusmaterial verwandte, ließen schizophrene Patienten neben einer insgesamt verminderten Diskriminationsleistung eine allgemein reduzierte Hirnaktivierung beim Betrachten dieser Gesichtsausdrücke erkennen. Außerdem zeigten hierbei die gesunden Kontrollpersonen bei der Wahrnehmung ängstlicher Gesichter eine Aktivierung von Amygdala und Hippocampus, während eine solche Aktivierung bei den schizophrenen Patienten ausblieb. Gur et al. (2002) untersuchten schizophrene Patienten und gesunde Probanden im fMRT im Hinblick auf ihre Leistungen bei der Diskrimination von Alter (über 30 oder unter 30 Jahre) und emotionaler Valenz (positiv oder negativ) aus Gesichtsausdrücken. Die beiden Gruppen erzielten dabei vergleichbare Leistung in den Diskriminationsaufgaben, allerdings zeigte auch hier die Patientengruppe bei der Emotions- gegenüber der Altersdiskrimination eine verminderte Aktivierung im Bereich von Amygdala und Hippocampus. Gleichzeitig war bei den Patienten verglichen mit den Gesunden eine stärkere Beteiligung des präfrontalen Kortex festzustellen, die möglicherweise wiederum als Kompensationsmechanismus dienen und damit erklären könnte, weswegen die Patienten bei der Ausführung der Aufgabe nicht beeinträchtigt waren. Entsprechende Hypoaktivität im Bereich der Amygdala bei schizophrenen Patienten während der Diskrimination freudiger und trauriger Gesichter, bei allerdings gleichzeitig verminderter Erkennensleistung, fanden auch Habel et al. (2005b; . Abb. 41.4). In einer Untersuchung von Williams et al. (2004) konnte mithilfe von fMRT und gleichzeitiger Messung des Hautwiderstandes eine Dysregulation von peripheren autonomen Reaktionen und zentraler Regulation bei paranoiden im Vergleich zu nichtparanoiden Patienten und zu gesunden Kontrollen nachgewiesen werden. Diese Patienten zeigten dabei als Reaktion auf bedrohungsassoziierte Reize zwar eine exzessive autonome Erregung, dabei aber, im Gegensatz zu den Gesunden, keine entsprechende Zunahme der Aktivität im medialen präfrontalen Kortex und der Amygdala.
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Zugleich existieren aber auch Befunde mit stärkerer Amygdalaaktivität bei der Beurteilung der emotionalen Intensität eines Gesichtsausdrucks, wobei dies auch auf Unterschiede in der Methodik, z. B. eine andere Aufgabenstellung oder Datenanalyse, zurückzuführen sein könnte. Die Ergebnisse verschiedener PET-Studien als einer weiteren Abbildungsmethode hirnfunktioneller Prozesse bestätigen dagegen die auch mithilfe der fMRT nachgewiesenen Aktivitätsminderungen in der Amygdala während Emotionsdiskriminationsaufgaben. Zusätzlich konnten dabei durch die PET auch noch abweichende Aktivitätsmuster in weiteren Regionen wie dem Thalamus und dem Zerebellum detektieren. Insgesamt sind also die Auffälligkeiten, die schizophrene Patienten bei der Verarbeitung emotionaler Stimuli und insbesondere bei der Verarbeitung emotionaler Gesichtsausdrücke zeigen, auf sehr komplexe Störungen in den verarbeitenden zentralen Strukturen zurückzuführen. Veränderungen in der Amygdalaaktivierung scheinen dabei eine zentrale Rolle zu spielen, beachtet werden muss allerdings, dass wichtige Verbindungen zwischen Amygdala und anderen Regionen wie dem präfrontalen Kortex oder dem anterioren Cingulum bestehen und deswegen erst mithilfe weiterer Untersuchungen der zugrunde liegenden Interaktionen ein vollständigeres Bild der Störungen entstehen kann. 41.3.4 Emotionales Gedächtnis Die neuronalen Korrelate des emotionalen Gedächtnisses bei Schizophreniepatienten sind, im Gegensatz zu den zahlreichen existierenden Befunden bei Gesunden, insgesamt noch recht wenig untersucht. In einer Untersuchung von Schneider et al. (2006) wurde beschrieben, dass emotionale Reize auch bei den Patienten kognitive Prozesse beeinflussen, allerdings in anderer Weise als bei Gesunden. Mithilfe unangenehmer olfaktorischer Stimuli wurde hier zunächst eine Stimmungsinduktion bei Gesunden und Schizophreniepatienten durchgeführt und anschließend ihre Auswirkung auf die Leistung in einer Arbeitsgedächtnisaufgabe (0-back und 2-back Continuous-Performance-Test) untersucht. Zwar fand sich hier bei der Patientengruppe eine Tendenz zur insgesamt reduzierten Leistung unter negativer Stimmungsinduktion, allerdings verlängerte sich die Reaktionszeit und verminderte sich die Anzahl korrekter Antworten in der Aufgabe zum Arbeitsgedächtnis nur bei den Gesunden signifikant. Dagegen nahm bei den Patienten die Anzahl falscher Reaktionen zu. Diese Abweichung steht am ehesten im Zusammenhang mit der bei den Patienten veränderten Verarbeitung olfaktorischer Reize, auf die später noch näher eingegangen werden soll. Exner et al. (2004) untersuchten das assoziative Wiedererkennen von emotional expressiven und neutralen Gesichtern bei Schizophreniepatienten und Gesunden im akuten Krankheitsstadium und als Follwow-up nach 3 Monaten. Sie fanden eine bei den Patienten verminderte Fähigkeit, die dargestellten Ge-
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Kapitel 41 · Affektstörungen – Bildgebung
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a
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. Abb. 41.4a,b. a Aufgabenstellung einer Emotionsdiskriminationsaufgabe und Verhaltensleistungen für alle 4 untersuchten Basisemotionen bei Schizophreniepatienten und Gesunden. Die Patienten zeigen bei allen Emotionen signifikant verminderte Erkennensleistungen. b Hypo-
aktivität im Bereich der Amygala, des orbitofrontalen und temporalen Kortex bei 16 Patienten im Vergleich zu 16 Gesunden bei den Emotionen Freude und Trauer (Habel et al. 2005a). (7 Farbtafeln, S. 673)
sichter wiederzuerkennen, die sich im Verlauf nur für das Erkennen der Identität, nicht aber der dargestellten Emotion verbesserte. Das beim ersten Untersuchungszeitpunkt mithilfe struktureller MRT bestimmte Amygdalavolumen korrelierte dabei bei Patienten und Kontrollen mit dem emotionalen Lernen, wobei Versuchspersonen mit größerem Amygdalavolumen die emotionalen Stimuli besser wiedererkannten. Es wurde daraus gefolgert, dass die Patienten unabhängig vom Erkrankungsstadium Schwierigkeiten bei der Assoziationsbildung haben, wenn emotionales Material beteiligt ist und dies sich am ehesten auf das bei den Patienten verminderte Amygdalavolumen zurückführen lässt.
bar, mit Negativsymptomatik assoziiert und werden nicht durch die Medikamenteneinnahme oder dem unter den Patienten sehr verbreiteten Cannabis- oder Nikotinkonsum beeinflusst. Stattdessen konnte mithilfe volumetrischer MRT-Untersuchungen gezeigt werden, dass bei den Patienten Volumenminderungen in einigen Hirnregionen bestehen, die zum olfaktorischen System gehören. Konkret handelt es sich dabei um den Bulbus olfactorius, den piriformen Kortex und den entorhinalen Kortex. Letzterer verfügt über Verbindungen zum Hippocampus und beide Regionen erhalten direkten Input vom Bulbus olfactorius, projizieren in die Amygdala und bilden somit die neuroanatomische Basis für die Verbindung zwischen Olfaktorik und emotionalen und Gedächtnisprozessen, die ja bekanntermaßen beide bei Schizophreniepatienten gestört sind. Dabei besteht außerdem ein Zusammenhang zwischen der Fähigkeit der Patienten, verschiedene Intensitäten eines Geruchsreizes zu unterscheiden und dem verminderten Volumen des piriformen Kortex, während ihre Fähigkeit, Gerüche zu identifizieren, nicht durch das Volumen des piriformen Kortex beeinflusst wird. Dieser Zusammenhang ist spezifisch für die Geruchsintensitätserkennung und
41.3.5 Olfaktorik und Affektivität
bei Schizophreniepatienten Auch in ihrer Fähigkeit Gerüche zu erkennen und zu unterscheiden, sind Schizophreniepatienten eingeschränkt. Diese Einschränkungen sind bereits in frühen Krankheitsstadien nachweis-
529 41.4 · Zusammenfassung und Ausblick
nicht durch generelle Hirnvolumenminderungen oder ein generelles kognitives Defizit zu erklären. Für nicht erkrankte Blutsverwandte schizophrener Patienten konnten ebenfalls Veränderungen in olfaktorischen Parametern nachgewiesen werden. In einer Untersuchung von Ugur et al. (2005) konnte auch der Nachweis erbracht werden, dass nicht erkrankte monozygote Zwillingsgeschwister schizophrener Patienten, verglichen mit gesunden Kontrollzwillingspaaren, eine ebenso verminderte Riechschärfe aufwiesen wie ihre erkrankten Geschwister. Bei der Diskrimination verschiedener Gerüche und der Geruchsidentifikation erzielten die nichterkrankten Zwillingsgeschwister dagegen ähnliche Leistungen wie die Kontrollzwillingspaare. Die Autoren folgern daraus, dass die verminderte Riechschärfe sich zumindest teilweise auf genetische Faktoren zurückführen lässt, während die Geruchsidentifikation und -diskrimination eher durch nichtgenetische Faktoren erklärbar ist und Dysfunktionen im olfaktorischen System eine genetische Disposition für die Schizophrenie anzeigen können. Dies wird auch durch die Ergebnisse der Untersuchung von Brewer et al. (2003) weiter untermauert. Hier wurden Personen anhand bestimmter State- und Trait-Risikofaktoren als psychosegefährdet identifiziert und ihre Fähigkeit zur Geruchsidentifikation wurde untersucht. Insgesamt hatte die gesamte Risikogruppe, verglichen mit einer Gruppe Gesunder, eine verminderte Fähigkeit zur Geruchsidentifikation, die bei denjenigen Personen, die später eine schizophrene Störung entwickelten, besonders deutlich ausgeprägt war. Dagegen fanden sich solche Einschränkungen nicht bei denjenigen Risikoprobanden, die keine Schizophrenie, sondern eine andere psychotische Störung entwickelten. Die Autoren nehmen an, dass dies darauf zurückzuführen sei, dass bei den Schizophreniepatienten gegenüber den anderen eine Entwicklungsstörung des Frontalhirns besteht, die auch die neurophysiologischen Vorgänge innerhalb des olfaktorischen Systems beeinflusst. Der Zusammenhang zwischen Anhedonie als einem wichtigen Negativsymptom der Schizophrenie und olfaktorischer Wahrnehmung ist in der bereits erwähnten PET-Studie von Crespo-Facorro et al. (2001) beschrieben worden. Im Rahmen einer Emotionsinduktion durch olfaktorische Stimuli war die Fähigkeit der Patienten, angenehme Gerüche auch als angenehm zu empfinden, vermindert, während ihre Fähigkeit, unangenehme Gerüche zu empfinden, nicht vermindert war, sondern umso ausgeprägter, je deutlicher ihre psychotische Symptomatik war. Interessanterweise zeigte die hirnfunktionelle Untersuchung, dass die normale Empfindensleistung der Patienten bei den negativen Gerüchen nicht wie bei Gesunden mit einer Aktivierung limbischer und paralimbischer Strukturen einherging, sondern offenbar durch eine kompensatorische Aktivierung frontaler kortikaler Areale bewirkt wurde. Für die angenehmen Gerüche zeigte sich, wie auch schon in einigen Voruntersuchungen, dass die Patienten in der Lage waren, korrekte Intensitätseinschätzungen abzugeben, während sie die emotionale Valenz der Gerüche anders bewerteten als die Gesunden. Die Autoren sehen hierin eine Parallele zur bei den Patienten häufigen Anhedonie und ver-
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muten die Ursache wiederum in einer Dysfunktion präfrontaler Bereiche. Diese scheinen bei den Patienten nicht wie bei Gesunden zum Erkennen angenehmer Stimuli eingesetzt zu werden, sondern stattdessen kompensatorisch das Erkennen von evolutionsgeschichtlich und für das Überleben des Individuums bedeutsameren negativen Gerüchen zu vermitteln, während die eigentlich dafür vorgesehenen limbischen und paralimbischen Bereiche dies nicht zu leisten vermögen. Zweifellos ist dabei auch eine Überkompensation im Sinne einer negativen Bedeutungszuschreibung zu an sich neutralen Stimuli möglich, die in paranoidem Denken münden könnte. 41.3.6 Der Einfluss genetischer Faktoren
auf die Emotionsverarbeitung bei schizophrenen Patienten Neben den bereits erwähnten Auffälligkeiten in der olfaktorischen Verarbeitung bei Geschwistern schizophrener Patienten lassen sich auch andere, für die Schizophrenie typische affektive Beeinträchtigungen, wenn auch in abgeschwächter Form, bei Verwandten ersten Grades nachweisen. Bei diesen bestehen z. B. eine hohe Prävalenz schizotypischer Persönlichkeitszüge, außerdem Negativsymptome wie inadäquater Affekt oder soziale Angst. In einer Untersuchung von Habel et al. (2004) konnte während einer standardisierten Emotionsinduktion an 13 schizophrenen Patienten und ihren Brüdern, welche keine schizophrenen oder schizotypen Symptome aufwiesen, gezeigt werden, dass bei den Patienten und ihren Brüdern die Amygdalaaktivität bei der Induktion von Trauer gegenüber derjenigen einer gesunden Kontrollgruppe signifikant vermindert war (. Abb. 41.5). Es fehlte ebenso die bei Gesunden nachweisbare Korrelation zwischen subjektivem Trauererleben und Amygdalaaktivität bei den Patienten und ihren Angehörigen, während sich die Gruppen nicht in ihren Fähigkeiten, sich in die gewünschten Stimmungen hineinzuversetzen, unterschieden. Diese Ergebnisse sprechen für eine genetische Modulation zerebraler Dysfunktionen bei schizophrenen Patienten und bestätigen auf funktioneller Ebene die aus strukturellen Untersuchungen bekannten Auffälligkeiten dieser Region. Da bei den Patienten außerdem Auffälligkeiten in orbitofrontalen und temporalen Arealen sowie im Bereich des Praecuneus und des posterioren cingulären Kortex zu verzeichnen waren, die bei ihren Brüdern nicht auftraten, ist zu vermuten, dass letzteren durch die funktionelle Intaktheit dieser Regionen eine weitgehende Kompensation der Amygdaladysfunktion möglich ist, was möglicherweise die symptombezogenen Unterschiede zwischen Patienten und Angehörigen erklärt. 41.4
Zusammenfassung und Ausblick
Schizophrene Patienten leiden an einer Reihe von Störungen der Affektivität, die sie in ihrem Erleben und Verhalten stark beein-
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Kapitel 41 · Affektstörungen – Bildgebung
. Abb. 41.5. Amygdalahypoaktivität schizophrener Patienten und ihrer nichtaffizierten Brüder beim Erleben von Trauer. Diese Defizite spiegeln den Einfluss genetischer Faktoren auf das Aktivierungsmuster wider (Habel et al. 2004, Copyright 2004 American Psychiatric Association) (7 Farbtafeln, S. 673)
flussen und zugleich einen wesentlicher Bestandteil von Negativund Residualsymptomatik darstellen. Durch die funktionelle Bildgebung ist es im Ansatz gelungen, die neuronalen Netzwerke, die emotionalen Prozessen zugrunde liegen, besser zu verstehen und die darin bestehenden Funktionsstörungen der Patienten näher zu charakterisieren. Dennoch bleiben weiter viele offene Fragen bestehen. Die vorliegenden Erkenntnisse stützen sich im Wesentlichen auf Befunde, die aus Untersuchungen mit fMRT oder PET hervorgegangen sind. Andere Bildgebungsverfahren wie Magnetoencephalographie oder Nahinfrarotspektroskopie sind im Zusammenhang mit Emotionsverarbeitung bei Schizophreniepatienten bislang kaum oder gar nicht eingesetzt worden, könnten aber zum einem bessern Verständnis der Defizite beitragen, indem z. B. weitere Informationen über die Dynamik der Aktivierungsprozesse gewonnen werden könnten. Auch ist bislang nicht bekannt, inwieweit der Erkrankungsverlauf einen Einfluss auf die neuronalen Korrelate der Affektstörungen hat und ob sich hieraus eventuell auch diagnostische Möglichkeiten ergeben, z. B. in Form von Früherkennungsmaßnahmen. Darüber hinaus stellt sich auch die Frage, inwieweit therapeutische Maßnahmen im Bezug auf eine Verbesserung des emotionalen Funktionsniveaus der Patienten sich in einer eventuell veränderten Hirnfunktion niederschlagen, obwohl bekannt ist, dass die genannten Defizite, trotz der enthaltenen genetischen Komponente, durchaus einem gezielten Training zugänglich sind (Wölwer et al. 2005) und sich nach einem solchen Training verbesserte Emotionsdiskriminationsleistungen nachweisen lassen. Als Fazit ist zu vermerken, dass anhand der gewonnenen Erkenntnissen deutlich wurde, dass es sich bei den Schwierigkeiten, die schizophrene Patienten in emotionalen Situationen haben, um emotionsspezifische Defizite handelt und weniger um sekundäre Effekte gestörter kognitiver Fähigkeiten. Dementsprechend ergibt sich hieraus die Notwendigkeit, diese Emotionsspezifität in weiteren Untersuchungen und bei der Etablierung neuer
diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen angemessen zu berücksichtigen.
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42 Negativsymptomatik – Psychologie Stefan Lautenbacher
42.1
Fallgeschichte – 533
42.2
Einleitung
42.3
Positive und negative Symptome der Schizophrenie
42.4
Zusammenhang zwischen negativen Symptomen und neuropsychologischen Dysfunktionen – 534
42.5
Hirnstrukturelle Veränderungen bei Negativsymptomatik
42.6
Prognose des Krankheitsverlaufs durch neuropsychologische Dysfunktionen und Negativsymptomatik – 535
42.7
Neuropsychologie der schizophrenen Depression – 536
42.8
Zusammenfassung Literatur
– 533
– 537
– 537
– 533
– 535
533 42.3 · Positive und negative Symptome der Schizophrenie
42.1
Fallgeschichte
Herr K., damals Student der Betriebswissenschaft, erlebte mit 23 Jahren die erste Manifestation einer schizophrenen Psychose. Im Vordergrund standen eine deutliche Wahnstimmung sowie akustische und haptisch-taktile Halluzinationen. Herr K. wurde in eine psychiatrische Klinik aufgenommen und mit einem Atypika erfolgreich behandelt. Zuerst konnte Herr K. sein Studium erfolgreich fortführen, sodass er eigenverantwortlich die neuroleptische Therapie beendete. Vor dem Examen während der Prüfungsvorbereitung kam es zu einer zweiten psychotischen Episode mit ähnlicher Symptomatik und zu einer erneuten Einweisung in eine psychiatrische Klinik. Die Wiederansetzung des gleichen Atypikas führte zu einer partiellen Remission, wobei Wahn und Halluzination völlig verschwanden, die kognitive Leistungsfähigkeit sich jedoch nur eingeschränkt verbesserte. Mit größter Mühe konnte er sein Studium beenden, aber über Jahre keine Stellung finden. Zur mangelnden psychischen Belastbarkeit gesellte sich bald eine zunehmende Antriebsarmut. Herr K. zog sich allmählich von allen Freunden und seiner Familie zurück. Nach einer erneuten kurzen Exazerbation der psychotischen Symptomatik lebt Herr K., mittlerweile 33 Jahre alt, in einer betreuten Wohngruppe. 42.2
Einleitung
So oder so ähnlich lesen sich Fallberichte von Patienten mit chronischer Schizophrenie, wobei sich das Erscheinungsbild langsam, aber doch offenkundig von der psychotischen Form der Schizophrenie mit Wahn und Halluzination in einen Defizitzustand verändert, in dem viele der psychischen Funktionen mehr und mehr beeinträchtigt sind. Die Experten würden sagen, die Positivsymptomatik wandelt sich in eine Negativsymptomatik. Was ist mit diesen Begriffen gemeint und in welcher Beziehung stehen sie zur kognitiven Leistungsfähigkeit? Hierüber will das vorliegende Kapitel informieren, wobei der thematische Schwerpunkt auf der Neuropsychologie der Negativsymptomatik liegt. Zusätzlich wird dargestellt, inwieweit hirnstrukturelle Veränderungen für die Negativsymptomatik verantwortlich sind und wie Behandlungs- bzw. Krankheitsverlauf von Negativsymptomatik und neuropsychologischen Dysfunktionen determiniert werden. Abschließend wird diskutiert, ob die schizophrene Depression von der Negativsymptomatik abzugrenzen ist und eine zusätzliche Belastung der kognitiven Leistungsfähigkeit darstellt. 42.3
Positive und negative Symptome der Schizophrenie
Unter positiven Symptomen bzw. Positivsymptomatik versteht man krankheitswertige Erscheinungen, die durch die Schizophrenie »produziert« werden und unter normalen Umständen
42
nicht auftreten. Hierzu zählen etwa Wahn, Halluzinationen und Störungen des Ich-Erlebens. Als negative Symptome bzw. Negativsymptomatik gelten Verhaltens- und Erlebensphänomene, die auf beeinträchtigte, reduzierte oder defizitäre psychische Funktionen zurückzuführen sind. Hieraus leitet sich auch die Bezeichnung »Minussymptomatik« ab. Besonders bekannt sind Abschwächungen der Denkfähigkeit, der Affektivität, des Willens und der Kommunikationsfähigkeit. Die amerikanische Psychiaterin Nancy C. Andreasen (1982) hat hierfür die Eselbrücke der 6 »As« eingeführt (s. folgende Übersicht).
Die 6 »As« nach C. Andreasen (1982) 4 4 4 4 4 4
Alogie Anhedonie Affektverflachung Apathie Asozialität Aufmerksamkeitsstörungen
Eine Unterteilung von psychischen Störungen in Syndromanteile mit positiven und solche mit negativen Symptomen wird schon seit den Frühzeiten der modernen Psychiatrie, größtenteils natürlich unter anderen Begrifflichkeiten, diskutiert. Nancy C. Andreasen (1982) hat zu ihrer operationalen Definition bei der Schizophrenie beigetragen, wobei sie neben positiven und negativen Subtypen noch eine gemischte Form postulierte. Der britische Psychiater Tim Crow (1980) schlug gar eine Unterteilung in eine »positive« und eine »negative Schizophrenie« vor. Letztere Unterscheidung konnte sich aber nicht durchsetzen, weil offenkundig bei ein und demselben Patienten häufig Episoden mit überwiegend positiver und negativer Symptomatik abwechseln. Unklar blieb auch, ob die Negativsymptome wirklich primäre Folgen der Pathophysiologie der Schizophrenie oder sekundäre Folgen der Erkrankung und deren Therapie sind. Die negativen Symptome sind nicht spezifisch für die Schizophrenie und daher diagnostisch nur von eingeschränktem Wert, was die Diagnosestellung bei überwiegender Negativsymptomatik erschwert. Ähnliche Krankheitsbilder treten auch bei schizoaffektiven Erkrankungen, Angst- und Zwangserkrankungen sowie Depression auf. Negative Symptome persistieren bei Schizophrenen meist länger als positive und sind therapieresistenter. Auch bei völligem Abklingen der positiven Symptome sind negative Symptome häufig nicht vollständig remittiert. Sie treten jedoch nicht nur post-, sondern auch prä- und akutpsychotisch auf. Eine reliable Erfassung erlauben vor allem die 4 »Positive and Negative Syndrome Scale« (PANSS, Kay et al. 1987), die 4 »Scale for the Assessment of Negative Symptoms« (SANS, Andreasen 1983), zusammen mit der 4 »Scale for the Assessment of Positive Symptoms« (SAPS, Andreasen 1984)
534
42
Kapitel 42 · Negativsymptomatik – Psychologie
Es ist mittlerweile anerkannt, dass die negativen Symptome für die langfristige Prognose des beruflichen und sozialen Leistungsniveaus und für die Lebensqualität der Patienten außerhalb der akuten Psychose wesentliche Einflussfaktoren sind. Negative Symptome sind sowohl mit einem schlechten sozialen Funktionsniveau als auch mit kognitiven Störungen assoziiert. Frühzeitig auftretende negative Symptome scheinen einen schlechten Krankheits- und Behandlungsverlauf vorherzusagen. Des Weiteren wurden hirnstrukturelle Auffälligkeiten gehäuft bei Patienten mit Minussymptomatik beobachtet. Im Folgenden wird auf diese Zusammenhänge im Detail eingegangen. 42.4
Zusammenhang zwischen negativen Symptomen und neuropsychologischen Dysfunktionen
Da theoretisch schon seit längerem davon ausgegangen wird, dass die negativen Symptome direkterer Ausdruck der kognitiven Basisstörung der Schizophrenie sind als die positiven, waren erste Befunde einer besonderen Häufung von neuropsychologischen Auffälligkeiten bei schizophrenen Patienten mit Minussymptomatik keine Überraschung (Möller 2000). Mittlerweile ist die Idee weit verbreitet, dass die positiven Symptome der Schizophrenie keine nennenswerten Beziehungen zu den neuropsychologischen Auffälligkeiten zeigen, während für die negativen Symptome immer wieder Korrelationen mittlerer Stärke erwähnt werden. Anlass zu dieser Sicht gaben schon einige Untersuchungen aus den 90er-Jahren. So untersuchten z. B. Hawkins et al. (1997) 46 schizophrene Patienten mittels einer umfangreichen neuropsychologischen Testbatterie. Während die neuropsychologischen Auffälligkeiten der Patienten ohne Negativsymptomatik zwischen 0,5–1,5 Standardabweichungen unter den Mittelwerten der gesunden Kontrollpersonen lagen, lagen die Werte der Patienten mit Negativsymptomatik im Bereich von 1,0–3,0 Standardabweichungen darunter. Voruganti et al. (1997) untersuchten 52 schizophrene Patienten mit der PANSS und einer neuropsychologischen Testbatterie. Die Stärke der Negativsymptomatik korrelierte signifikant mit den Ergebnissen im Wisconsin-CardSorting-Test (WCST), der Aufmerksamkeitsspanne (»Span of Apprehension«) und der Rückwärtsmaskierung. Die Positivsymptomatik zeigte keine regelhaften Beziehungen zur Neuropsychologie. Nieuwenstein et al. (2001) konnten diese Perspektive mit einer Metaanalyse weiter stützen. Die Parameter des WCST und des Continuous-Performance-Testes (CPT) korrelierten signifikant mit der Negativsymptomatik, nicht aber mit der Positivsymptomatik. Bei solchen Befunden muss jedoch immer berücksichtigt werden, dass das Ausmaß der beobachteten Zusammenhänge zwischen Psychopathologie und Neuropsychologie in der Regel nicht groß ist. So fanden Bozikas et al. (2004) bei 58 schizophrenen Patienten zwar mehr signifikante Korrelationen zwischen Negativsymptomatik und 24 Parametern einer umfang-
reichen neuropsychologischen Testbatterie als in Relation zur Positivsymptomatik. Die Häufigkeitsunterschiede lagen jedoch nur zwischen 25% (negativ) und 8% (positiv). Zudem muss berücksichtigt werden, dass auch für die positiven Symptome der Schizophrenie immer wieder Zusammenhänge mit neuropsychologischen Parametern berichtet werden. Johnson-Selfridge u. Zalewski (2001) errechneten signifikante Korrelationen zwischen den Effektgrößen für den Unterschied zwischen schizophrenen Patienten und gesunden Kontrollpersonen in Tests für exekutive Funktionen (WCST, Halstead-Category-Test, verbale und Designflüssigkeit, Trail-Making-Test (Part B) und Stroop-Test) einerseits und den Skalen für positive (SAPS) und negative Symptome (SANS) andererseits. Die Zusammenhänge zur SAPS und SANS waren von sehr ähnlicher Größenordnung, sodass sich in dieser Metaanalyse keine differenzielle Assoziation zwischen Negativsymptomatik und Neuropsychologie abbildete. Interessanterweise zeigt sich in dieser Metaanalyse auch, dass es keinen Zusammenhang zwischen ganz globalen Maßen psychischer Belastung durch psychiatrische Erkrankungen (»Brief Psychiatric Rating Scale«) und den kognitiven Leistungseinbußen bei schizophrenen Patienten gab. Auch die Hypothese, dass die positiven Symptome nicht bedeutungslos für das neuropsychologische Leistungsniveau sind, sondern differenziell andere Defizite anzeigen als negative Symptome, hat schon Tradition. Berman et al. (1997) fanden bei Patienten mit Negativsymptomatik relativ mehr Probleme in den Exekutivfunktionen (WCST, Trail-Making-Test, Wortflüssigkeit), bei Patienten mit Positivsymptomatik relativ mehr Aufmerksamkeitsstörungen; die Autoren interpretierten dies dahingehend, dass speziell die Negativsymptomatik mit Einschränkung »frontaler« Leistungen assoziiert ist. Eine in diesem Zusammenhang sehr interessante Unterteilung wurde von Carpenter et al. (1988) mit den Konzepten der primären und sekundären negativen Symptomatik eingeführt. Die primäre Negativsymptomatik wird als direkte Folge der schizophrenen Pathophysiologie gesehen, während die sekundäre Negativsymptomatik Konsequenz dysfunktionaler Bewältigungsbemühungen, Medikamentennebenwirkungen, Folge sozialer Deprivation bzw. Symptom affektiver Störungen sei. Tatsächlich ist diese Unterscheidung theoretisch zwar sehr einleuchtend, diagnostisch jedoch schwierig zu realisieren, wobei das wichtigste Entscheidungskriterium die Stabilität der Symptome zu sein scheint. Brazo et al. (2005) fanden, dass die neuropsychologischen Auffälligkeiten bei Patienten mit primären negativen Symptomen noch ausgeprägter waren als bei den Patienten mit sekundärer Negativsymptomatik. Diese Unterschiede fanden sich vor allem in den Exekutivfunktionen, nämlich im Kategorienfinden (»Modified-Card-Sorting-Test«) und in der verbalen Flüssigkeit, nicht jedoch im Stroop-Test. Schon Penades et al. (2001) beobachteten bei Patienten mit Minussymptomatik zwei Subgruppen: Diejenigen mit neuropsychologische Auffälligkeiten hatten eine schlechte Prognose, eine Tendenz zur Chronifizierung und eine mangelhafte psychosoziale Kompetenz. Solche Befunde lassen darauf schließen,
535 42.6 · Prognose des Krankheitsverlaufs durch neuropsychologische Dysfunktionen und Negativsymptomatik
dass die Patienten mit Negativsymptomatik nochmals eine heterogene Gruppe darstellen und kognitive Störungen eine wesentliche Moderatorvariable für den klinischen Outcome sind. Da man insgesamt nach Sichtung der wichtigsten Studien von einer gesicherten mittelgradigen, wenn auch psychopathologisch nicht spezifischen Assoziation zwischen Negativsymptomatik und neuropsychologischen Defiziten ausgehen darf, deren genaue Stärke von vielen moderierenden Faktoren (Schwere und Art der Psychopathologie, verwendete psychopathometrische und neuropsychologische Messinstrumente, statistische Power etc.) abhängt, drängt sich die Frage nach dem gemeinsamen Schicksal im Behandlungs- bzw. Krankheitsverlauf auf. Verschwinden die kognitiven Defizite bei Besserung der Negativsymptomatik und umgekehrt? Diese Frage könnte eine Studie von Hughes et al. (2003) beantworten. 62 Patienten mit Schizophrenie oder schizoaffektiver Störung wurden 2-mal im Abstand von 6 Monaten mit der PANSS und einer neuropsychologischen Testbatterie (Aufmerksamkeit, verbales und non-verbales Gedächtnis, psychomotorische Geschwindigkeit, Exekutivfunktionen) untersucht. Die Stärke der Negativsymptomatik war zum ersten Zeitpunkt mit Schwächen im IQ, in der Wortflüssigkeit und in Gedächtnisparametern signifikant korreliert. Signifikante Symptomverbesserungen über den Zeitraum von einem halben Jahr waren jedoch in keinem der kognitiven Maße mit Leistungszugewinnen verbunden. Nur die motorische Geschwindigkeit war mit der Veränderung der Psychopathologie korreliert. Nun handelte es sich bei den Patienten um bereits chronifizierte Schizophrene, sodass diese Befunde nicht beliebig generalisierbar sind. Trotzdem und aufgrund ganz ähnlicher neuer Befunde von Bell u. Mishara (2006) für weniger chronifizierte Patienten wird wieder die alte Weisheit deutlich, dass Korrelationen im Querschnitt nicht notwendigerweise Korrelationen im Längsschnitt bedeuten. Das bedeutet auch, dass eine erfolgreiche Behandlung der Negativsymptomatik nicht notwendigerweise die kognitive Leistungsfähigkeit verbessert und umgekehrt.
Patienten mit langjähriger Negativsymptomatik tatsächlich Minderungen der grauen Substanz im linken superioren Temporallappen, Inselkortex, linken medialen Temporallappen inklusive Hippocampuskomplex, anterioren Cingulum sowie im medialen Frontallappen. Insgesamt beliefen sich die Volumenminderungen immerhin auf 14%. Zusätzlich beobachteten sie Defizite in der weißen Substanz im linken Temporal- und Frontallappen. Schädigungen der weißen Substanz wurden auch schon von anderen beobachtet. So fanden Sanfilipo et al. (2000) eine Reduktion der weißen Substanz speziell bei Patienten mit Negativsymptomatik, die ihr größtes Ausmaß mit 15% im orbitofrontalen Kortex aufwies. Wible et al. (2001) berichten ebenfalls speziell bei ausgeprägter Negativsymptomatik über Strukturschäden in der weißen Substanz, besonders in der rechten Hemisphäre. Korrelationen zwischen Negativsymptomatik und Volumenminderungen in der grauen Substanz des Frontallappens gehören jedoch wohl zu den konsistentesten Befunden. Baare et al. (1999) fanden solche Zusammenhänge für den orbitofrontalen Kortex und Roth et al. (2004) bilateral für den gesamten Frontalkortex, um nur einige wenige Beispiele zu geben. Andere Autoren wie Turetsky et al. (1995) favorisierten hingegen Volumenminderungen im Temporallappen als charakteristisch für Patienten mit Minussymptomatik gegenüber von Veränderungen im Frontallappen. Interessant sind Untersuchungen von Tandon et al. (2000), wonach die hirnstrukturellen Veränderungen nur bei langanhaltenden Negativsymptomen auftreten, nicht aber bei phasischen. Insgesamt sind Korrelationen zwischen Negativsymptomatik und Hirnstrukturschäden zwar nicht von der Hand zu weisen; sie sind aber nicht ausgeprägt, krankheitsspezifisch und zuverlässig genug, an spezifischen zerebralen Orten zu finden, um die klassische neuropsychologische Perspektive, die von einer Läsion auf die Funktionseinbuße schließen möchte, zu rechtfertigen. So muss die Ätiologie der neuropsychologischen Defizite in Zukunft wohl eher mittels funktioneller Modelle der Negativsymptomatik beforscht werden. 42.6
42.5
Hirnstrukturelle Veränderungen bei Negativsymptomatik
Unter einer klassischen neuropsychologischen Perspektive auf die Negativsymptomatik der Schizophrenie stellt sich schnell die Frage nach nachweisbaren zerebralen Strukturschäden. Die Vermutung ist nicht neu, hirnstrukturelle Veränderungen bei schizophrenen Patienten, speziell bei solchen mit Negativsymptomatik, anzunehmen. Auf diesen Veränderungen würden dann die irreversiblen kognitiven Defizite der Patienten basieren (Crow 1980). Teilbestätigung fanden solche Annahmen vor der Ära der Magnetresonanztomographie (MRT) durch Befunde über erweiterte Ventrikelsysteme bei Patienten mit negativen Symptomen (Höse 2000). Differenziertere Einsichten erlaubte dann die moderne Bildgebung. So fanden Sigmundsson et al. (2001) bei schizophrenen
42
Prognose des Krankheitsverlaufs durch neuropsychologische Dysfunktionen und Negativsymptomatik
Welche Relevanz haben nun die Ergebnisse zu den neuropsychologischen Dysfunktionen und zur Negativsymptomatik für die später erreichbare Alltagskompetenz, Lebensqualität und Rehabilitationsfähigkeit der schizophrenen Patienten? Diese Zielgrößen werden von manchen Autoren unter dem Begriff des funktionellen Outcomes subsumiert. Green (1996) hatte in einem umfassenden Review vergleichend die Bedeutung von kognitiven Dysfunktionen und von negativen Symptomen für den funktionellen Outcome im Verlauf schizophrener Erkrankungen untersucht. Der konsistenteste Befund war für das verbale Gedächtnis zu erheben, das mit allen Outcomedomänen positiv assoziiert war. Die Daueraufmerksam
536
42
Kapitel 42 · Negativsymptomatik – Psychologie
keit/Vigilanz stand mit der Kompetenz zum sozialen Problemlösen und der Lernfähigkeit für soziale Fertigkeiten in Beziehung. Der WCST erlaubte nur, das soziale und berufliche Funktionsniveau vorherzusagen. Die durchaus guten Eigenschaften der kognitiven Variablen als Prädiktoren wurden durch die Psychopathologie nicht erreicht. Während die positiven Symptome der Psychose keinen Outcomebereich prognostizieren ließen, waren die negativen Symptome zumindest prädiktiv für das soziale Problemlösen. Green et al. (2000) bestätigten in einem Update ihrer Übersichtsarbeit mit einer Vielzahl von neuen methodischen Zugängen ihre ersten Ergebnisse, nämlich dass sich der funktionelle Outcome von schizophrenen Patienten durch die kognitiven Funktionen des Kurzzeitgedächtnisses, der verbalen Langzeitgedächtnisses, der Daueraufmerksamkeit/Vigilanz und der exekutiven Funktionen mit mittleren bis großen Effektstärken vorhersagen lässt. Immerhin lagen die Anteile an auf dieser Weise erklärter Varianz zwischen 20% und 60%. Ganz ihre früheren Übersichtsarbeiten bestätigend fand die Arbeitsgruppe um Michael F. Green und Keith H. Nuechterlein auch bei Personen mit sehr hohem Psychoserisiko (»ultra-high-risk for psychosis«) eine sehr gute Vorhersagekraft kognitiver Variablen für das spätere Funktionsniveau (Niendam et al. 2006). Schlechte Lern- und Gedächtnisleistungen waren signifikant mit schlechtem sozialem Outcome assoziiert. Das verbale Gedächtnis war in dieser Funktion den negativen Symptomen überlegen. Nimmt man zu diesen Resultaten noch die Ergebnisse aus Studien von Velligan et al. (1997) und Harvey et al. (1998) hinzu, scheint die Outcomeprognose allein mit kognitiven Größen am besten zu gelingen und für die Berücksichtigung der Psychopathologie, insbesondere der Negativsymptomatik, spräche wenig. Eine so einfache Schlussfolgerung erlaubt die gegenwärtige Datenlage aber doch nicht. In einer vergleichenden Querschnittsuntersuchung an 113 Patienten versuchten Villalta-Gil et al. (2006) die Möglichkeiten, funktionelle Einschränkungen durch Psychopathologie oder neuropsychologische Beeinträchtigungen vorherzusagen, zu testen. Alle untersuchten Funktionsbereiche (»Disability Assessment Scale«, DAS) waren unter statistischer Berücksichtigung alternativer Erklärungen am besten durch die Negativsymptomatik zu erklären. Die einzige Ausnahme war das berufliche Funktionsniveau. Aufmerksamkeitsleistungen erklärten das familiäre Funktionsniveau am besten. In dieser Studie waren folglich negative Symptome die stärkste Varianzquelle funktioneller Beeinträchtigungen, die jedoch in deutlichem Zusammenhang mit neuropsychologischen Defiziten standen. Noch eine bessere Rolle als erfolgreiche Prädiktoren spielte die Psychopathologie in einer Studie von Ertuqrul u. Uruq (2002). Alle PANSS-Skalen korrelierten bei 66 schizophrenen Patienten signifikant mit dem Funktionsniveau der Patienten (World Health Organization Disability Assement Schedule 2), dies galt hingegen nicht für die durchgeführten Tests zur Aufmerksamkeit, zum visuellen Gedächtnis und zu den Exekutivfunktionen. Ein sehr gute Studie, um diese Widersprüche bezüglich des prädiktiven Werts von neuropsychologischen Leistungen und
Negativsymptomatik für den funktionellen Outcome zu klären, führten Milev et al. (2005) durch. Sie erhoben die Prädiktoren bei Patienten mit einer ersten schizophrenen Episode und bestimmten den Outcome in einem Längsschnittdesign nach 7 Jahren. Sowohl neuropsychologische Parameter (verbales Gedächtnis, Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit und Aufmerksamkeit) als auch die Stärke der Negativsymptomatik standen mit dem funktionellen Outcome in Beziehung. Das globale psychosoziale Funktionsniveau ließ sich sowohl von der Negativsymptomatik als auch von der Aufmerksamkeit vorhersagen. Das Verbalgedächtnis war geeignet, Defizite im Freizeitverhalten vorherzusagen. Beziehungsprobleme ließen sich durch Negativsymptome und Störungen des Gedächtnisses, die Arbeitsleistung durch Negativsymptome und Störungen der Aufmerksamkeit prognostizieren. Die Autoren kamen anlässlich solcher Ergebnisse zu dem Schluss, dass die erklärende Kraft von neuropsychologischen Parametern und Negativsymptomatik stark überlappend ist. Daher macht es wenig Sinn, die beiden Variablengruppen gegeneinander auszuspielen; sie sind auch zumeist so stark miteinander korreliert, dass sie bei der Prädiktion keine strikt unabhängigen Erklärungsbeiträge liefern. Stattdessen scheinen mit neuropsychologischen Dysfunktionen und Minussymptomatik gut messbare und interaktiv wirkende Prädiktoren vorhanden zu sein, die das postpsychotisch erreichbare Funktionsniveau und daher auch die Lebensqualität für Patienten und Therapeuten vorhersehbarer und damit kontrollierbarer machen. 42.7
Neuropsychologie der schizophrenen Depression
Die Depression ist im Rahmen der Schizophrenie eine häufige weitere Komplikation (Tollefson et al. 1998), worunter ca. 50% der schizophrenen Patienten leiden. Die Abgrenzung der schizophrenen Depression von der Negativsymptomatik ist nicht immer leicht, weil die Depression zu den Erkrankungen gehört, die auch durch eine ausgeprägte Negativsymptomatik charakterisiert sind. Bei vergleichender Psychopathometrie zeigt sich jedoch meist, dass trainierte und erfahrene Beobachter durchaus in der Lage sind, die beiden psychopathologischen Konstrukte voneinander zu trennen. Die Depression ist für sich bereits mit neuropsychologischen Auffälligkeiten verbunden und sollte daher das kognitive Leitungsniveau schizophrener Patienten weiter schmälern. Klingberg et al. (2006) fanden hingegen keinen nennenswerten Zusammenhang der Depressionswerte von 151 schizophrenen Patienten und ihrer neuropsychologischen Leistungsfähigkeit. Die Depressionsskala war aber aus der »Positive and Negative Syndrome Scale« (PANSS) extrahiert und kein spezialisiertes Messinstrument. Ähnlich verfuhren Bozikas et al. (2004) und erzielten ein vergleichbares Ergebnis. Bei Benutzung spezieller Depressionsskalen stellte sich die Situation etwas anders, aber auch nicht unbedingt einfacher dar.
537 Literatur
Kohler et al. (1998) unterteilten eine Gruppe schizophrener Patienten in solche mit hohen und niedrigen Werten auf der Hamilton-Depressions-Skala (HAMD) und erfassten bei diesen 8 neuropsychologische Funktionsbereiche. Die Patienten waren insgesamt in allen Bereichen im Vergleich zu gesunden Personen beeinträchtigt. Die Patienten mit unterschiedlichen Depressionsniveaus unterschieden sich nur bezüglich der Dimension Daueraufmerksamkeit/Vigilanz, wobei die depressiven Patienten in diesem Bereich deutlich schlechter waren. In einer Reihe von Untersuchungen befassten sich Brébion et al. (1997, 2000, 2001) unter anderem mit dem Zusammenhang von Depression und Gedächtnisstörung bei Schizophrenie. Sie fanden, dass Gedächtnisleistungen, die auf einer tiefen Enkodierung beruhten, bei schizophrenen Patienten beim zusätzlichen Vorliegen einer Depression weiter verschlechtert waren. Dieser Zusammenhang galt nicht für Gedächtnisleistungen, für die eine oberflächliche Enkodierung ausreichend war. Auch aus der eigenen Arbeitsgruppe lassen sich Daten berichten, die eher für einen deutlichen Einfluss der schizophrenen Depression auf die kognitive Leistungsfähigkeit sprechen (Möser et al. 2006). Die Güte der Testleistungen beim Aufmerksamkeitswechsel, bei der Vigilanz und dem Verbalgedächtnis ließen sich mit multiplen Korrelationen um r=0,5 durch die mehrdimensional erfasste Depressivität von schizophrenen Patienten vorhersagen. Es darf nicht verschwiegen werden, dass diesen sehr positiven Befunden zur Rolle der schizophrenen Depression in der Ätiologie neuropsychologischer Defizite andere gegenüber stehen, die die wissenschaftliche Euphorie doch sehr dämpfen. So testeten Lucas et al. (2004) ersterkrankte schizophrene Patienten in mehreren neuropsychologischen Domänen. Die selbst- und fremdbeurteilte Depressivität der Patienten korrelierte nicht mit einem der vielen neuropsychologischen Parameter signifikant. Ganz ähnliches berichteten Gladsjo et al. (2004) nach Untersuchung von Patienten mit Schizophrenie und anderen psychotischen Erkrankungen mithilfe einer neuropsychologischen Testbatterie. Die Schwere der Depression war mit keinem der Testparameter nennenswert assoziiert. Diese changierenden Befunde lassen sich vermutlich durch viele moderierende Effekte erklären, wozu das Gesamt der Psychopathologie und speziell die Schwere der Depression sowie die Sensitivität der neuropsychologischen Testparameter gehören. Zudem scheinen sich die Teile der Psychopathologie, die mit kognitiven Leistungseinbußen verbunden sind, je nach Messinstrument und Beurteiler unterschiedlich abzubilden. Dies könnte erklären, dass manchmal die Minussymptomatik, manchmal die Depression und manchmal andere psychopathologische, konzeptuell teilüberlappende Phänomene wie die Apathie oder die Desorganisiertheit sich als besterklärende Variable in den Vordergrund schieben.
42.8
42
Zusammenfassung
Die Schizophrenie ist eine heterogene psychische Störung, die sehr komplex ist und sich nicht für einfache Antworten eignet. Die folgende Aussage ist daher mit Vorsicht zu betrachten: Patienten mit negativer Symptomatik weisen häufiger Hirnstrukturstörungen (mit frontaler Akzentuierung) und neuropsychologische Leistungsdefizite auf. Die Einschränkungen zu zweiter Aussage ergeben sich durch die Vielzahl sonst noch wirksamer Moderatorvariablen. Vermutlich nähern sich die psychopathometrischen Parameter der Negativsymptomatik und die neuropsychologischen Leistungsparameter von zwei Seiten der kognitiven Basisstörung der Schizophrenie an, wobei Kognition hier als Konstrukt zu sehen ist, das in enger Wechselwirkung zu motivationalen und emotionalen Faktoren steht. Diese konzeptuelle Nähe zum schizophrenen Kernproblem erlauben der Neuropsychologie und der Psychopathometrie der Negativsymtomatik vermutlich, als Prädiktoren für den funktionellen Outcome von schizophrenen Patienten eine herausragende Rolle zu spielen. Die schizophrene Depression ist ein der Negativsymptomatik ähnliches, aber nicht identisches nosologisches Konzept, das sich psychopathometrisch abgrenzen lässt und eine zusätzliche neuropsychologische Belastung für schizophrene Patienten darstellen kann.
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538
42
Kapitel 42 · Negativsymptomatik – Psychologie
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43
43 Negativsymptomatik – Bildgebung Ralf Schlösser, Gerd Wagner und Heinrich Sauer
43.1
Einleitung
– 540
43.2
Hirnstrukturelle Befunde
43.2.1 43.2.2
Magnetresonanztomographie (MRT) – 540 »Diffusion tensor imaging« (DTI) – 545
– 540
43.3
Funktionelle Bildgebung
43.3.1 43.3.2 43.3.3
Untersuchungen von Blutfluss und Metabolismus in Ruhe – 547 Aktivierungsstudien – 548 Spezifische Tracerstudien – 550
43.4
Therapieverlaufsuntersuchungen
43.5
Magnetresonanzspektroskopie – 553
43.5.1 43.5.2
1H-Spektroskopie – 553 31P-Spektroskopie – 554
43.6
Zusammenschau Literatur
– 555
– 554
– 547
– 552
43
540
Kapitel 43 · Negativsymptomatik – Bildgebung
43.1
Einleitung
Das Klassifikationsschema der Schizophrenien nach Positiv- und Negativsymptomatik (Andreasen 1987) hat sich sowohl im wissenschaftlichen als auch im klinischen Kontext weitestgehend durchgesetzt. Hierbei ist Negativsymptomatik zumeist charakterisiert durch Affektverflachung, Antriebsminderung, Anhedonie, sozialen Rückzug und Gedankenverarmung. Aufgrund der hohen Bedeutung für langfristige Rehabilitation und Wiedereingliederung stellt die Aufklärung der neurobiologischen Grundlagen von Negativsymptomatik eine große Herausforderung dar. Obwohl das Konzept einer Unterteilung in Positiv- und Negativsymptomatik bereits längere Zeit existiert, sind die zugrunde liegenden neurobiologischen Prozesse für diese klinischen Subsyndrome bislang nur wenig bekannt. Wenngleich seit längerer Zeit durch in vivo Untersuchungsverfahren Hinweise für neurobiologische Grundlagen von Basissymptomen und chronifizierten Verlaufsformen der Schizophrenie vorlagen (Huber et al. 1975), so haben doch erst die modernen bildgebenden Verfahren seit dem Beginn der 1980er-Jahre die aktuellen Forschungsrichtungen entscheidend bestimmt. Crow (1981) hat die Hypothese aufgestellt, dass eine Störung der dopaminergen Transmission für Positiv- und eine zelluläre Schädigung für Negativsymptomatik verantwortlich sind. Dieses Modell wurde durch die klinische Beobachtung eines guten Ansprechens von Positivsymptomen auf antipsychotische Behandlung motiviert. Das Modell von Andreasen (Andreasen 1982; Andreasen u. Olson 1982) zielte in eine vergleichbare Richtung. Nach dieser Auffassung entsprechen Positivsymptome einer Enthemmung durch Wegfall höherer kortikaler inhibitorischer Funktionen, während Negativsymptomatik eine zerebrale Atrophie reflektiert. Negativsymptome können primäre Merkmale der Schizophrenie sein oder aber auch sekundär zu einer Depression oder pharmakologischen Therapie auftreten. Bei ca. 15% der Patienten mit Schizophrenie stellen diese Negativsymptome primäre und dauerhafte Merkmale der Erkrankung dar (Carpenter et al. 1988). Von Carpenter et al. wurde postuliert, dass Patienten mit einem primären Defizitsyndrom mehr frontal-kortikale Veränderungen als der Rest der Patienten des Schizophreniespektrums aufweisen, aber dass alle Patienten mit einer Schizophrenie medial-temporal Temporallappenveränderungen zeigen. Ausgehend von diesen initialen Hypothesen und Modellen wurde eine Vielzahl von in vivo Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren durchgeführt. Diese Techniken ermöglichen die Erfassung struktureller, funktioneller und metabolischer Veränderungen im Zusammenhang mit Negativsymptomatik. Die folgende Darstellung wird einen Überblick über die vorhandene Literatur und Datenlage sowie den Versuch einer konzeptuellen Integration unternehmen. Die Präsentation intendiert keine chronologische Entwicklung der mittlerweile über eine weit mehr als 20-jährige Historie zurückblickenden Forschung mit modernen bildgebenden Verfahren, sondern folgt einer Aufgliederung nach
Methoden, hirnregionalen Befunden und funktionellen Systemen. Auf eine eingehende Erörterung der angewendeten Technologien wurde verzichtet. Es wird auf weiterführende Literatur sowie auf die entsprechenden Stellen in dieser Monographie verwiesen. 43.2
Hirnstrukturelle Befunde
43.2.1 Magnetresonanztomographie (MRT)
Globalmaße Bereits die ersten Konzepte zur Negativsymptomatik gingen von einer organisch fassbaren Veränderung bei schizophrenen Patienten aus. So wurde eine Assoziation der Ventrikelerweiterung mit einem chronifizierten Krankheitsverlauf beschrieben (Huber et al. 1975). Erste Studien mit CT und später MRT bestätigten die Annahme einer Volumenminderung bei schizophrenen Patienten und konnten die Bedeutung struktureller Veränderungen weiter untermauern. Schädelgröße und Gesamthirngröße (Andreasen et al. 1986) korrelierten negativ, Ventrikelgröße (Andreasen et al. 1990; Flaum et al. 1995) sowie der Anteil von Liquor relativ zur kranialen Größe (Mozley et al. 1994) korrelierten positiv mit der Negativsymptomatik. Neuere Analysen profitierten von einer zunehmenden Verbesserung der Segmentierungsalgorithmen und gestatteten eine differenzierte Analyse von grauer und weißer Substanz und Liquor. Sigmundsson et al. (2001) untersuchten 27 Patienten, die die Kriterien für eine Schizophrenie mit überdauernden Negativsymptomen erfüllten. Die Autoren fanden bei dieser Gruppe von schizophrenen Patienten unter Verwendung voxelbasierter Morphometrie eine signifikante Verminderung der grauen Substanz in verschiedenen Lokalisationen (. Abb. 43.1). Die Regionen umfassten den linken superioren temporalen Gyrus und die Insula, den linken medialen Temporallappen mit dem parahippocampalen Gyrus und Hippocampus sowie den anterioren cingulären Kortex (ACC) und den medialen frontalen Gyrus (MFG). Das Volumen dieser Regionen war in der Summe bei den Patienten 14% niedriger als bei den gesunden Kontrollprobanden. Zusätzlich fanden sich Defizite der weißen Substanz im linken Temporallappen, die sich bis in den linken Frontallappen hin erstreckten. Diese Daten stehen in Übereinstimmung mit Modellen der Schizophrenie als eine Störung multipler Hirnregionen und der sich verbindenden axonalen Fasern.
Amygdala-Hippocampus-Komplex Betrachtet man nun die Literatur zu den hirnregionalen Befunden im Detail, so findet sich die dichteste Datenlage zum temporalen Kortex und insbesondere zum Amygdala-Hippocampus-Komplex. Eine negative Beziehung zwischen hippocampalen Volumina und Negativsymptomatik wurde in einer Reihe von Studien beschrieben. (Anderson et al. 2002; Matsumoto et al. 2001; Rajarethinam et al. 2001; Szendi et al. 2006; Turetsky et al. 1995). Turetsky et al. (1995) untersuchten den Zusammenhang zwischen struktu-
541 43.2 · Hirnstrukturelle Befunde
43
. Abb. 43.1. Sigmundsson et al. (2001) untersuchten 27 Probanden und 27 Patienten, die die Kriterien für eine Schizophrenie mit überdauerndem Negativsyndrom erfüllten. Strukturelle voxel-basierte Auswertung ergab eine Volumenreduktion der grauen Substanz bei Patienten v. a. im linken Temporallappen, in der Insula, im Gyrus parahippocam-
palis und im Hippocampus sowie im medialen Frontallappen. Areale mit Volumenreduktion (gelb) und Volumenzunahme (violett) bei Patienten. Aus Sigmundsson et al. (2001) mit freundlicher Genehmigung des American Journal of Psychiatry, (Copyright 2001), American Psychiatric Association. (7 Farbtafeln, S. 674)
rellen Veränderungen und klinischen Symptomen bei 71 schizophrenen Patienten und berichteten, dass eine Reduktion des linkstemporalen parenchymalen Volumens und eine Zunahme der Ventrikelvolumen-Asymmetrie mit der Schwere der Negativsymptomatik korrelierte. In einer Studie von Rajarethinam et al. (2001) fand sich kein signifikanter Unterschied hinsichtlich des Volumens der Amygdala und des Hippocampus zwischen den gesunden Kontrollen und schizophrenen Patienten. Der linke Amygdala-Hippocampus-Komplex war jedoch negativ korreliert mit Denkstörungen
und Negativsymptomen. Anderson et al. (2002) stellten in einer Gruppe von Patienten mit ausgeprägter Negativsymptomatik eine Reduktion der grauen Substanz in den bilateral superior temporalen Gyri und im anterioren Amygdala-HippocampusKomplex fest. Im Gegensatz dazu stellten Szendi et al. (2006) einen signifikanten positiven Zusammenhang zwischen dem Negativsymptom-Score der PANSS (»Positive and Negative Syndrome Scale«) und Hippocampusvolumen sowie zwischen der Subskala »Affektive Verflachung« der SANS (»Scale for the Assessment of Nega-
542
43
Kapitel 43 · Negativsymptomatik – Bildgebung
tive Symptoms«) und dem rechten Hippocampusvolumen fest. Zusätzlich ergab sich eine signifikant negative Korrelation zwischen der SANS Subskala Anhedonie und dem Gyrus rectus. Allerdings fanden sich in dieser Studie keine Unterschiede zwischen schizophrenen Patienten und Kontrollen in den absoluten bzw. relativen Volumina des Gyrus rectus, ACC, orbitofrontalen Kortex (OFC), MFG, 3. Ventrikels, Cavum septum pellucidi, Hippocampus und supratentorialen Liquors. In der Zusammenschau deuten die volumetrischen Studien auf eine negative Korrelation zwischen dem hippocampalen Volumen und negativen Symptomen hin. Die Daten unterstützen die Rolle des Hippocampus bei der Pathophysiologie der Schizophrenie und stützen zugleich die Vorstellung einer Verbindung zwischen einzelnen Substrukturen des Gehirns und spezifischen Symptomen der Erkrankung. Die Datenlage bezüglich des Amygdala-Hippocampus-Komplexes ist allerdings nicht vollständig eindeutig, da auch bereits Negativbefunde bezüglich der Korrelation dieser Substrukturen mit Negativsymptomatik berichtet wurden (Bogerts et al. 1993). In einer weiteren neueren Studie mit 25 neuroleptika-naiven Patienten mit einer Erstmanifestation der Schizophrenie ergab sich eine signifikante positive Korrelation von Volumen im posterioren Bereich des superioren Gyrus temporalis rechts und Negativsymptomatik (Kim et al. 2003), vergleichbar zu den Befunden von Szendi et al. (2006), der ebenfalls eine positive Korrelation gefunden hat. Auch Gur et al. (2000b) konnten in ihrer Arbeit mit 100 schizophrenen Patienten, in der die Volumina temporaler Subregionen zwischen Gesunden und Patienten mit Schizophrenie verglichen wurden, keinen Zusammenhang zwischen Negativsymptomatik und den Volumenminderungen in temporalen bzw. temporolimbischen Bereichen zeigen.
Frontallappens (. Abb. 43.2). Die ebenfalls in der Gruppe der schizophrenen Patienten beobachteten bilateralen temporalen Volumenminderungen waren hingegen nicht spezifisch für die Gruppe mit deutlicher Apathie. Über signifikante Volumenminderungen bei Patienten mit überdauernden Negativsymptomen bezüglich der weißen Substanz im linken Temporallappen in der Ausdehnung in den linken Frontallappen berichteten auch Sigmundsson et al. (2001). Defizite in der grauen Substanz fanden sich bei Patienten mit überdauernden Negativsymptomen im linken superioren und medialen Temporallappen, in der Insula und im ACC (. Abb. 43.1). Eine Reduktion der grauen Substanz im orbitofrontalen Kortex bei Frauen war assoziiert mit einem schlechteren prämorbiden Funktionsniveau und stärkerer Negativsymptomatik (Gur et al. 2000a). Signifikante cinguläre Volumenminderungen der grauen Substanz bei Patienten mit prominenten Negativsymptomen wurden von Sigmundsson et al. (2001) berichtet. Im Kontrast hierzu wurde in einer neueren Studie jedoch eine Assoziation des cingulären Volumens mit positiven, aber nicht mit negativen Symptomen beschrieben (Choi et al. 2005).
Präfrontaler Kortex
Subkortikale Strukturen
Neben dem temporalen Kortex standen auch präfrontale Strukturen im Zentrum der Untersuchung zu den strukturellen Korrelaten von Negativsymptomatik. In einer Studie von Williamson et al. (1991) war bei Patienten mit stark ausgeprägter Negativsymptomatik das Verhältnis von linksseitig frontalem Volumen zu linksseitig temporalem Volumen im Vergleich zu Patienten mit gering ausgeprägter Negativsymptomatik signifikant erhöht. Buchanan et al. (1993) berichteten über kleinere präfrontale Volumina bei Nichtdefizit-Schizophrenie vs. gesunden Kontrollen und vs. Patienten mit Defizit-Schizophrenie. Es fand sich hingegen kein signifikanter Unterschied im präfrontalen Kortex (PFC)-Volumen zwischen Patienten mit Defizit-Schizophrenie und Gesunden. Das Syndrom der psychomotorischen Verarmung zeigte sich in einer Gruppe von 12 schizophrenen Patienten mit dem Volumen der ventromedialen frontalen grauen Substanz korreliert (Chua et al. 1997). Ein korrelativer Zusammenhang zwischen der Verminderung der orbitofrontalen grauen Substanz und stärkeren Negativsymptomen wurde zudem berichtet (Baare et al. 1999). In einer Untersuchung von Roth et al. (2004) zeigten nur Patienten mit hohen Apathie-Scores eine Volumenreduktion des
Auch subkortikale Strukturen wiesen in Bezug zur Negativsymptomatik Volumenänderungen bei schizophrenen Patienten auf. Eine negative Korrelation zwischen Thalamusvolumen und Negativsymptomen zeigte sich bei ersterkrankten behandelten schizophrenen Patienten, jedoch nicht bei chronisch Erkrankten (Preuss et al. 2005). Patienten mit fehlender Adhaesio interthalamica waren durch stärker ausgeprägte Negativsymptomatik gekennzeichnet (Meisenzahl et al. 2000; Meisenzahl et al. 2002). Allerdings wurde in diesen Arbeiten kein signifikanter Gruppenunterschied bezüglich des Vorhandenseins der Adheasio interthalamica zwischen Patienten und Kontrollen beschrieben. Es fand sich jedoch in einer anderen Studie bei unbehandelten schizophrenen Patienten keine Korrelation von Negativsymptomatik und Volumenänderungen in den subkortikalen Strukturen der Basalganglien und des Thalamus (Gur et al. 1998). Keine Korrelationen zwischen den reduzierten thalamischen Volumina und Symptom-Scores fanden ebenfalls Ettinger et al. (2001) bei 38 ersterkrankten Schizophrenen. Neben dem Thalamus sind auch striatale Regionen in einer Beziehung zur Negativsymptomatik beschrieben worden. Patienten mit betonter Negativsymp-
Kortikale Komplexität und Faltung Neben den volumetrischen Analysen bieten auch detailliertere Auswertungen kortikaler Komplexität und Faltung einen neuen methodischen Zugang. Sallet et al. (2003) haben eine signifikant reduzierte bilaterale kortikale Faltung bei schizophrenen Patienten festgestellt. Diese Verminderungen der kortikalen Faltung waren am deutlichsten ausgeprägt bei den Patienten mit desorganisiertem Subtypus und zeigten eine negative Korrelation mit Negativsymptomatik und eine positive Korrelation mit Positivsymptomatik.
543 43.2 · Hirnstrukturelle Befunde
43
. Abb. 43.2. Adjustierte rechte und linke Frontallappenvolumina der schizophrenen Patienten mit einem hohen Apathie-Wert der SANS-Skala von ≥2 (grün), mit einem niedrigen Apathie-Wert (Werte 0 oder 1; blau) und der gesunden Probanden (rot). Patienten mit einem hohen Apathie-
Wert zeigten eine bilaterale Reduktion des Frontallappenvolumens im Vergleich mit gesunden Probanden. Aus Roth et al. (2004) mit freundlicher Genehmigung des American Journal of Psychiatry, (Copyright 2004), American Psychiatric Association. (7 Farbtafeln, S. 675)
tomatik zeigten eine bilaterale Reduktion in der Größe des Kopfes des Nucleus caudatus (Young et al. 1991). Eine positive Korrelation zwischen Negativsymptomatik und der Ruheaktivität im Globus pallidum externum wurde in der PET-Studie beschrieben (Galeno et al. 2004). Mittelhirnstrukturen waren nicht mit Negativsymptomatik korreliert (Nopoulos et al. 2001). Auch zerebelläre Volumenabnahmen wurden in Relation zur Negativsymptomatik beobachtet (Wassink et al. 1999). Die erheblich inkonsistenten Befunde in kortikalen, subkortikalen und zerebellären Regionen sind als Hinweis zu werten, dass die Pathophysiologie der Negativsymptomatik in Beziehung zu einer gestörten Integrität von weit reichenden und komplexen kortikal-subkortikal-zerebellären Regelsystemen steht. Die strukturellen Befunde zur Negativsymptomatik sind kongruent zu klinischen Bildern, die bei definierter Schädigung dieser Relaisstationen entstehen. In vorhergehenden Studien (Cummings 1993) konnte gezeigt werden, dass eine Störung des cingulostriatalen Regelkreises ein Verhaltenssyndrom hervorruft, das durch Apathie, Antriebsminderung und Perseveration gekennzeichnet ist. Auffällig ist, dass ein Großteil der angeführten Studien einen Zusammenhang zwischen Negativsymptomatik und verringerter grauer Substanz in dem beschriebenen kortikal-subkortikal-zerebellären
Netzwerk berichtet. Es könnte davon ausgegangen werden, dass die mit der charakteristischen Negativsymptomatik assoziierten physiologischen Prozesse (z. B. Hyperkortisolismus als Korrelat der Anhedonie) ähnlich wie bei der depressiven Erkrankung eine primär zellschädigende Wirkung haben und zudem plastische Prozesse wie z. B. Neuroneogenese möglicherweise inhibieren.
Weiße Substanz Neben der Untersuchung grauer Substanz, die im Wesentlichen die neuronalen Somata beinhaltet, richtete sich die Aufmerksamkeit zudem auf die weiße Substanz. Diese enthält vorwiegend myelinisierte Bahnsysteme, die die strukturelle Interaktion der Nervenzellen sicherstellen. Eine negative Korrelation von schizophrener Negativsymptomatik mit der Größe des Corpus callosum wurde durch verschiedene Studien bestätigt (Tibbo et al. 1998; Woodruff et al. 1997). Sanfilipo et al. (2000) untersuchten eine Gruppe von 53 schizophrenen Patienten und 29 gesunden Kontrollen. Während sich keine globalen Unterschiede hinsichtlich der weißen Substanz zwischen den schizophrenen Patienten und gesunden Kontrollen ergaben, war die präfrontale weiße Substanz innerhalb der schizophrenen Patientengruppe umgekehrt proportional zur Negativsymptomatik ausgeprägt. Eine
544
43
Kapitel 43 · Negativsymptomatik – Bildgebung
Dichotomisierung der schizophrenen Gruppe nach der Ausprägung der Negativsymptomatik (cut-off-Wert SANS ≥16) erbrachte für die Gruppe der schizophrenen Patienten mit hoher Negativsymptomatik eine signifikante Reduktion der weißen Substanz im präfrontalen Kortex, insbesondere im orbitofrontalen Bereich sowohl im Vergleich mit den Kontrollprobanden als auch der anderen schizophrenen Patientengruppe. Diese Befunde waren am ausgeprägtesten im orbitofrontalen Kortex. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Abnahmen der präfrontalen weißen Substanz spezifisch mit der Ausbildung von schizophrenen Negativsymptomen assoziiert sein könnten.
Vergleichbare Zusammenhänge nach der Dichotomisierung hinsichtlich der SANS-Scores ergaben für sich für die weiße Substanz bilateral im präfrontalen Kortex in einer Studie von Wible et al. (2001). Es ergaben sich in dieser Studie zwar keine Gruppendifferenzen zwischen der schizophrenen Gruppe und der Gruppe der Gesunden für die graue Substanz, aber für die weiße Substanz im rechten PFC. Sigmundsson et al. (2001) berichteten über Volumendefizite der weißen Substanz im Temporal- und linken Frontallappen bei Patientin mit stabiler, überdauernder Negativsymptomatik (. Abb. 43.3). Mit »Inversion Recovery«-MRT konnte eine Korrelation zwischen weißer Sub-
. Abb. 43.3. In der Studie von Sigmundsson et al. (2001) ergab die strukturelle voxel-basierte Auswertung der weißen Substanz eine Volumenreduktion (gelb) bei Patienten mit überdauernder Negativsymptomatik im Fasciculus uncinatus und Fasciculus longitudinalis superior bzw.
inferior, sowie im vorderen Schenkel der Capsula interna und im Corpus callosum. Aus Sigmundsson et al. (2001) mit freundlicher Genehmigung des American Journal of Psychiatry, (Copyright 2001); American Psychiatric Association. (7 Farbtafeln, S. 676)
545 43.2 · Hirnstrukturelle Befunde
stanz im Bereich des Cingulums und in der rechten Capsula interna nachgewiesen werden (Paillere-Martinot et al. 2001). Insbesondere die progressive Volumenabnahme der weißen Substanz (gemessen über 3 Jahre) im Frontallappen scheint in besonderer Beziehung zur Negativsymptomatik zu stehen (Ho et al. 2003). Mit »Magnetization Transfer Imaging« (MTI) wurde die Integrität der weißen Substanz in einer Gruppe von 25 Patienten mit Schizophrenie untersucht (Foong et al. 2001). Aufgrund höherer Relaxationszeiten erlaubt die Methode der MTI die Visualisierung makromolekularer Strukturen mit einer deutlich höheren Auflösung als konventionelle MRT-Methoden. Hierbei stellt die »Magnetization Transfer Ratio« (MTR) ein quantitatives Maß für die strukturelle Integrität der weißen Substanz dar. Die Autoren fanden eine positive Korrelation zwischen MTR-Reduktion im parietooccipitalen Kortex sowie Genu des Corpus Callosum und Ausprägungsgrad der Negativsymptomatik (Foong et al. 2001). Normabweichungen des Septum pellucidums bei schizophrenen Patienten standen nicht in Beziehung zu Positiv- oder Negativsymptomen (Mathew et al. 1985). In der Zusammenschau imponiert ein gemeinsames Muster von Volumendefiziten der weißen Substanz insbesondere im temporalen und frontalen Kortex. Daneben sind aber auch subkortikale und zerebelläre Areale betroffen. Erwähnenswert sind außerdem angesichts der klaren Ergebnisse in Einzelstudien die immerhin präsentierten Negativresultate in Studien, die z. T. auf einer beträchtlichen Samplegröße basierten. Hierbei handelt es sich z. T. um Studien, bei denen zwar volumetrische Unterschiede zwischen Patienten und Kontrollen konstatiert wurden, sich aber korrelative Zusammenhänge zur Negativsymptomatik nicht herstellen ließen. In einer großen Studie mit 91 Patienten (davon 32 Ersterkrankte) konnten keine Korrelationen hirnstruktureller Veränderungen mit Negativsymptomen aufgezeigt werden (Cowell et al. 1996). Es gab eine geschlechtsspezifische Assoziation zwischen Volumenminderung im Frontallappen und DesorganisationsScore bzw. Misstrauens-Feindseligkeits-Score, aber keine Zusammenhänge mit Negativsymptomen. Obwohl in einer Studie von Gur et al. (1999) in einer Gesamtgruppe von 130 untersuchten Patienten (davon 51 Neuroleptikanaiv) eine signifikante globale Volumenreduktion der gesamten grauen Substanz gefunden wurde, lagen jedoch keine signifikanten Korrelationen mit Positiv- oder Negativsymptomatik vor (Gur et al. 1999). In ähnlicher Richtung fanden Fannon et al. (2000) bei 37 ersterkrankten schizophrenen Patienten (davon 13 Medikamenten-naiv) signifikante Defizite der kortikalen und temporalen grauen Substanz. Eine Beziehung zu Positiv- oder Negativsymptomatik ließ sich bei diesen veränderten Hirnvolumina jedoch ebenfalls nicht nachweisen. Hervorzuheben sind andere Studien, in denen keine Gruppenunterschiede hinsichtlich struktureller Merkmale aufgezeigt werden konnten, jedoch innerhalb der schizophrenen Patienten eine Korrelation mit Negativsymptomatik erkennbar war. Diese übereinstimmenden Tendenzen könnten auf eine erhebliche subsyndromale Variabilität innerhalb der Patientengruppe hinweisen. Allerdings unter-
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streichen diese Unterschiede zwischen kategorialen und korrelativen Analysen die Notwendigkeit einer grundsätzlich methodenkritischen Grundhaltung. Ein wichtiger Aspekt betrifft sowohl die strukturellen als auch die funktionellen Untersuchungen. Es wird erkennbar, dass offenbar nur wenige Studien a priori auf eine Unterscheidung der Effekte von Positiv- und Negativsymptomatik hin angelegt waren. Die Vielzahl an korrelativen Befunden, die sich oftmals erst bei systematischer Durchsicht der Arbeiten als Nebenbefund offenbaren, in Verbindung mit oftmals relativ kleinen diesen Ergebnissen zugrunde liegenden Samples sind auffällig. Zudem ist die Korrektur für Mehrfachvergleiche nicht prüfbar, angesichts der parallel durchgeführten Korrelationen erscheint diese aber unumgänglich.
Zusammenfassung Eine signifikante Verminderung der grauen Substanz konnte in verschiedenen Lokalisationen in Verbindung zur Negativsymptomatik gefunden werden. Die Regionen umfassten vorwiegend links lateralisierte Areale des superioren und medialen temporalen Gyrus, des Hippocampus und der Insula sowie das ACC und den medialen frontalen Gyrus. Insbesondere deuten die volumetrischen Studien auf eine negative Korrelation zwischen dem hippocampalen Volumen und negativen Symptomen hin. Die Datenlage ist jedoch nicht eindeutig, v. a. da wenige Studien explizit den Zusammenhang zwischen der Symptomatik und Volumenveränderung untersucht haben. Auch Parameter kortikaler Komplexität und Faltung scheinen reziprok zur Stärke der Negativsymptomatik ausgeprägt.
43.2.2 »Diffusion tensor imaging« (DTI) Aufgrund der volumetrischen Analysen unter Berücksichtigung der segmentierten weißen Substanz haben sich bereits erste Ergebnisse zu einer Beteiligung der weißen Substanz ergeben. Mithilfe des »Diffusion Tensor Imaging« (DTI) ist nun die Darstellung der langen Faserbahnen in vivo möglich. Auf eine ausführliche methodische Einführung sei an dieser Stelle verzichtet. Die Gerichtetheit der Diffusion wird durch verschiedene Indizes beschrieben, die sich in der Aussagekraft unterscheiden können. Zu den am häufigsten berichteten Indizes gehören die FA (fraktionale Anisotropie) und der ADC (»apparent diffusion coefficient«). Der ADC-Wert kann als Globalparameter für die Größenordnung, der FA-Wert als Maß für die Ungerichtetheit der Diffusivität und damit als Parameter für die Faserintegrität betrachtet werden. Wolkin et al. (2003) untersuchten die FA der weißen Substanz im präfrontalen Kortex bei 10 schizophrenen Patienten mittels DTI. In dieser Studie wurde jedoch keine Kontrollgruppe unter-
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Kapitel 43 · Negativsymptomatik – Bildgebung
sucht. Als wesentliches Ergebnis fand sich eine signifikante negative Korrelation zwischen der fraktionalen Anisotropie im inferioren frontalen Kortex und dem SANS-Gesamtscore der Negativsymptome bzw. den SANS-Subskalen »Anhedonie« und »Affektverflachung«. Diese Daten legen eine gestörte Integrität der weißen Substanz im inferioren frontalen Kortex in Verbindung zum Schweregrad der Negativsymptomatik bei schizophrenen Patienten nahe. Foong et al. (2000) untersuchten 20 chronische schizophrene Patienten und 25 gesunde Kontrollen. FA-Werte bzw. die mittlere Diffusivität im Splenium des Corpus callosum waren bei den schizophrenen Patienten signifikant vermindert bzw. erhöht. Die Autoren fanden hingegen keine Korrelation mit der vorhandenen Negativsymptomatik in der Patientengruppe, Medikation sowie Positivsymptomatik. Minami et al. (2003) fanden ebenfalls keine Korrelation der FA-Werte mit den Ratingscores auf der »Positive and Negative Syndrome Scale« bei 12 schizophrenen Patienten (Kay et al. 1987). Shin et al. (2006) haben in einer Studie bei 19 schizophrenen Patienten und 21 gesunden Kontrollen ADC-Werte bestimmt und mittels voxel-basierter Morphometrie statistisch verglichen. Die Ergebnisse zeigten einen erhöhten ADC-Wert in bilateralen fron. Abb. 43.4. Mithilfe des »Diffusion Tensor Imaging« zeigten Shin et al. (2006) erhöhte ADC-Werte in frontotemporalen Arealen bei 19 schizophrenen Patienten im Vergleich zu 21 gesunden Kontrollen. In einer dieser Regionen in der rechten Insula ergab sich eine signifikante positive Korrelation mit dem Negativsyndrom der PANSS-Skala (r=0,74; p<0,0001). Aus Shin et al. (2006) mit freundlicher Genehmigung von Neuroimage, (Copyright 2006). Mit freundlicher Genehmigung von Elsevier. (7 Farbtafeln, S. 677)
totemporalen Regionen bei den schizophrenen Patienten im Vergleich zu den Kontrollen. Zusätzlich zeigten sich die ADC-Werte in einem Areal der rechten Inselregion mit dem Negativsyndrom gemäß PANSS-Skala korreliert (. Abb. 43.4). Diese Ergebnisse erhöhter Wasserdiffusivität in frontotemporalen Regionen schizophrener Patienten und die Korrelation zwischen Negativsymptomen und ADC-Werten in der rechten Inselregion weisen darauf hin, dass geschädigte Hirnregelkreise in diesen Regionen zur Pathophysiologie der Schizophrenie beitragen könnten. Die Arbeit von Shin et al. (2006) erscheint auch deshalb interessant, da hier versucht wurde, aus der gewichteten Darstellung von Eigenwerten des Diffusionstensors spezifische Aussagen zur Neurochemie und Signaltransmission abzuleiten. So wurde diskutiert, dass mittels des ADC-Werts spezifische Informationen über extrasynaptische Neurotransmission (Huisman et al. 2004; Taylor et al. 2004) gewonnen werden. Der ADC-Wert spiegelt den Grad der Brownschen Molekularbewegung innerhalb des Gewebes wider und ist ein Parameter für das extrazelluläre Volumen oder den Grad der vorhandenen Diffusionsbarrieren für Neurotransmitter aufgrund der Existenz perisynaptischer glialer Prozesse und/oder perineuraler Membranen.
547 43.3 · Funktionelle Bildgebung
Die von den Autoren dem ADC-Wert zugeschriebenen spezifischen Aussagen erscheinen allerdings bemerkenswert, da in diesem Skalarenparameter auch wie bei anderen Parametern (z. B. fraktionale Anisotropie FA-Werte) eine gewichtete in Beziehungssetzung der Eigenwerte des Diffusionstensors vorgenommen wird. Diese Spezifität der Befunde für extrazelluläre Neurotransmitterprozesse wird allerdings auch von den Autoren selbst kritisch diskutiert und findet auch aufgrund der möglichen Partialvolumeneffekte eine weitere Limitation. Die von den Autoren zusätzlich abgeleiteten spezifischen Aussagen zu NMDA-Rezeptorsystemen erscheinen als sehr weit reichende Schlussfolgerungen aus einem reinen Diffusionsmaß. Für diese spezifischen Neurorezeptorveränderungen eignen sich gegenwärtig eher emissionstomographische Verfahren, die weiter unten diskutiert werden sollen. Angesichts der geringen Anzahl vorliegender Studien mit DTI, in denen auch explizit der Fragestellung einer Korrelation mit Negativsymptomatik nachgegangen wurde, sind die Aussagemöglichkeiten noch begrenzt. Eine eindeutige und klare Beziehung zwischen der mit DTI gemessenen Integrität der weißen Substanz und der Negativsymptomatik imponiert jedoch aus den vorliegenden Studien nicht. Lediglich zwei der oben dargestellten Untersuchungen weisen auf diesbezügliche Zusammenhänge hin. Davon wurde in einer dieser Studien keine Kontrollgruppe eingeschlossen (Wolkin et al. 2003), in der anderen war die Korrelation nur in einem von mehreren untersuchten Arealen mit ADC-Werten nachzuweisen. Unklar bleibt hier, warum die Autoren nicht auch zu Vergleichbarkeitszwecken die FA-Werte aus den Eigenwerten des Diffusionstensors berechnet und berichtet haben, zumal sich diese Parameter nur durch wenige arithmetische Operationen unterscheiden.
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aktivität oder Zurückgezogenheit. Nachfolgende frühe Studien vernachlässigten dann häufig eine klare Charakterisierung der untersuchten Patienten hinsichtlich der Positiv- und Negativsymptomatik. Die Studien zum Ruhemetabolismus und Blutfluss deuten auf eine vorrangige Involvierung des frontalen und temporalen Kortex bei Negativsymptomatik hin. Als Studien im Ruhezustand werden hier auch diejenigen Untersuchungen betrachtet, die eine kognitive Aufgabe während der »Scans« lediglich zur Normierung verwendeten und nicht zur gezielten kognitiven Stimulation. Günther et al. (1991) fanden bei Patienten mit Negativsymptomatik verminderte Reagibilität des regionalen zerebralen Blutflusses durch ein motorisches Aktivierungsparadigma in einer 133 Xenon-SPECT-Untersuchung. Andreasen et al. (1992) untersuchten Neuroleptika-naive und nichtnaive unbehandelte Patienten mit 133Xenon-SPECT und dem »Tower of London task«. Aktivierungen in einem frontoparietalen System einschließlich von Teilen des Cingulums, die bei gesunden Kontrollen unter dieser Aufgabenstellung zu verzeichnen waren, fanden sich bei den Patienten nicht. Nur bei den Patienten mit hohen Negativscores waren zudem Hypoaktivierungen zu erkennen. Die Befunde bei neuroleptika-naiven Patienten sprechen gegen die Annahme, dass Defizite der kognitiven Hirnaktivierung nur im Rahmen sekundärer Negativsymptomatik auftreten. Faktorenanalytisch konnte konsistent gezeigt werden, dass die Symptome der Schizophrenie mindestens 3 unabhängigen Faktoren zuzuordnen sind: 4 einem negativen Faktor mit Verarmung von Sprache, Affekt und Bewegung, 4 einem Realitätsverzerrungsfaktor, der Wahn und Halluzinationen umfasst, sowie 4 einem desorganisierten Faktor mit Denkstörungen und unangemessenem Affekt (Liddle et al. 1989).
Zusammenfassung Bislang liegen nur wenige DTI-Studien vor, die explizit einen Bezug zur Negativsymptomatik hergestellt haben. Daher sind die Aussagemöglichkeiten dieser viel versprechenden Methodik in dieser Hinsicht leider noch begrenzt. Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der mit DTI gemessenen Integrität der weißen Substanz und der Negativsymptomatik geht aus den bislang vorliegenden Daten noch nicht hervor.
43.3
Funktionelle Bildgebung
43.3.1 Untersuchungen von Blutfluss
und Metabolismus in Ruhe Erste Hinweise auf mögliche Veränderungen metabolischer Parameter bei schizophrenen Patienten mit Negativsymptomatik fanden sich bereits in der einflussreichen Studie von Ingvar u. Franzen (1974). Sie beschrieben eine »Hypofrontalität« in einer Gruppe von schizophrenen Patienten mit ausgeprägter Hypo-
Liddle (1992) gelang es, innerhalb dieses 3-Faktor-Modells Faktorladungen auf dem Faktor psychomotorische Verarmung in Bezug zum Blutfluss im linken dorsolateralen präfrontalen Kortex (DLPFC) und linken superioren parietalen Assoziationskortex in Beziehung zu setzen sowie zu einem erhöhten Blutfluss im Nucleus caudatus. Diese Resultate konnten später auch bei unbehandelten Patienten teilweise repliziert werden. Die Ergebnisse wurden im Kern durch eine Reihe von Studien in der Folge bestätigt (Ebmeier et al. 1993; Kaplan et al. 1993; Kawasaki et al. 1996; Min et al. 1999; Schroder et al. 1995; Siegel et al. 1993; Tamminga et al. 1992). Die Mehrzahl der Studien bei Patienten mit Negativsymptomatik berichtete einen Hypometabolismus im frontalen Kortex während des Ruhezustandes (Erkwoh et al. 1999; Kaplan et al. 1993; Liddle 1992; Sabri et al. 1997; Volkow et al. 1987; Wiesel et al. 1987; Wolkin et al. 1992; Yuasa et al. 1995). Einen präfrontalen Hypometabolisms im Fluordeoxyglukose (FDG)-PET in Beziehung zur Negativsymptomatik berichteten auch Schröder et al. (1996; 1995), bezüglich der temporalen Aufnahme des Radiotracers fand sich hingegen eine Zunahme (Schröder et al. 1996). Gur et al. (1995) berichteten über keine
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Kapitel 43 · Negativsymptomatik – Bildgebung
Unterschiede im Metabolismus des Temporallappens zwischen Defizit- und Nichtdefizit-Patienten. Die Autoren fanden einen vermehrten Metabolismus im linken Temporallappen bei Patienten mit Defizitsymptomatik und auch bei denjenigen mit Wahn und Halluzinationen. Tamminga et al. (1992) berichteten einen thalamischen, frontalen und parietalen Hypometabolismus nur bei Patienten mit Defizitsyndrom und einen hippocampalen Hypometabolismus bei Patienten mit Defizitsyndrom und mit Nichtdefizitsyndrom. Einige Studien zeigten auch eine reduzierte Rekrutierung des inferioren parietalen Kortex bei Defizit- verglichen mit schizophrenen Nichtdefizit-Patienten im Ruhezustand (Tamminga et al. 1992) sowie eine inverse Korrelation zwischen Defizitsymptomatik und regionalem zerebralen Blutfluss (rCBF) in frontalen sowie parietalen Arealen (Lahti et al. 2006). Zudem fand sich ein Hypometabolismus v. a. frontal bei Patienten mit Negativsymptomatik während der Ausübung von spezifischen neuropsychologischen Tasks (Heckers et al. 1999; Lahti et al. 2001). Hazlet et al. (2004) fanden eine Assoziation zwischen negativen Symptomen und Glucosemetabolismus im mediodorsalen Nucleus des Thalamus. In Zusammenschau mit den strukturellen Daten deutet sich hier an, dass die präfrontalen Veränderungen konsistenter mit Negativsymptomatik in Zusammenhang gebracht wurden, wohingegen die temporalen Veränderungen größtenteils unabhängig von der Positiv-Negativ-Dichotomie bei schizophrenen Patienten zu beobachten waren. Zum Teil wurden auch hier in Studien mit relativ großen Stichproben Negativergebnisse beschrieben, denen zumindest Beachtung geschenkt werden sollte. Siegel et al. (1993) fanden keine signifikante Korrelation des Glukosemetablismsus im 18F-FDG-PET in einem großen Sample von 70 unbehandelten schizophrenen Patienten. Unterschiede in den bildgebenden Methodiken erschweren einen direkten Vergleich zwischen den verschiedenen Studien. Die vorrangige Beteiligung des medialen Temporallappens sowohl bei der Defizit- als auch bei der Nichtdefizit-Schizophrenie und die Abnahme von Thalamusaktivierung vorrangig bei Patienten mit Negativsymptomen sind jedoch als ein konsistenter Befund zu betrachten. Zudem fällt auf, dass fast alle Studien einen verringerten Metabolismus in frontalen Arealen bei Patienten mit Negativsymptomatik feststellen konnten. Folglich scheint eine reduzierte psychomotorische Aktivität mit einer reduzierten zerebralen Aktivität im Ruhezustand assoziiert zu sein, so dass die aufgeführten Studien in der Zusammenschau ein ressourcentheoretisch sinnvolles Bild ergeben.
Zusammenfassung Hinsichtlich der Untersuchungen zum Ruhemetabolismus wird erkennbar, dass die präfrontalen Veränderungen konsistenter mit Negativsymptomatik in Zusammenhang gebracht wurden, wohingegen die temporalen Veränderungen größtenteils unabhängig von der Positiv-Negativ-Dichotomie bei 6
schizophrenen Patienten zu beobachten waren. Ein konsistenter Befund scheint die vorrangige Beteiligung des medialen Temporallappens sowohl bei der Defizit- als auch bei der Nichtdefizit-Schizophrenie und die Abnahme von Thalamusaktivierung vorrangig bei Patienten mit Negativsymptomen zu sein. Nahezu alle Studien stellten einen verringerten Metabolismus in frontalen Arealen bei Patienten mit Negativsymptomatik fest.
43.3.2 Aktivierungsstudien Neben den Untersuchungen im Ruhezustand wurden auch gezielt Aktivierungsparadigmen mit funktionellen bildgebenden Verfahren zur Untersuchung der neurobiologischen Substrate von Negativsymptomatik eingesetzt. In erster Linie handelt es sich dabei um kognitive Aktivierungsparadigmen für Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Exekutivfunktionen. Negativsymptome und kognitive Defizite bei der Schizophrenie teilen gemeinsame Merkmale und sind hinsichtlich ihres Schweregrades wechselseitig korreliert (McGrath et al. 2001). Sie beeinträchtigen beide den langfristigen Verlauf der Erkrankung (Tamminga et al. 1998). Es stellt sich die Frage der Ursachen dieser Beziehung: Stellen diese Symptome das gleiche evtl. durch einen gemeinsamen Faktor verursachte Krankheitsmerkmal dar oder wird diese Beziehung durch einen weiteren Faktor bestimmt? Es konnte in neuropsychologischen Studien (Carter et al. 1996; Pantelis et al. 2001) gezeigt werden, dass Arbeitsgedächtnisdefizite in Beziehung zum Auftreten von Negativsymptomen stehen. Somit ist davon auszugehen, dass die vorhandene Defizitsymptomatik vergleichbare pathophysiologische Ursachen aufweist, wie auch die zu einem großen Teil durch intakte präfrontale Funktionen getragenen Leistungen des Arbeitsgedächtnisses. Es wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass die berichteten Defizite hinsichtlich Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Exekutivfunktionen eine große Bedeutung für den zukünftigen klinischen Verlauf der Schizophrenie haben, möglicherweise eine größere Bedeutung als positive und negative Symptomatik selbst. Die Beziehung zwischen kognitiven Defiziten und anderen Symptomen der Schizophrenie, insbesondere der Negativsymptomatik, ist noch nicht vollständig geklärt. Bezüglich der negativen Symptome existiert starke Korrelation mit Beeinträchtigungen in unterschiedlichen kognitiven Domänen (Bilder et al. 2000; Sanfilipo et al. 2002). In einer Longitudinalsstudie bei ersterkrankten schizophrenen Patienten korrelierte die Verbesserung der kognitiven Performanz jedoch mit Verbesserung der Positiv- aber nicht der Negativsymptomatik (Hoff et al. 1999). Nach neuerer Auffassung werden Negativsymptomatik und kognitive Defizite als separierbare Domänen der Erkrankung betrachtet, und es erweist sich daher als sinnvoll, auch die Therapieverfahren für Negativsymptomatik und kog-
549 43.3 · Funktionelle Bildgebung
nitive Defizite unabhängig voneinander zu entwickeln (Harvey et al. 2006). Aufgrund der phänomenologischen Nähe von kognitiven Defiziten und Negativsymptomen sowie der möglichen vergleichbaren Pathogenese dieser schizophrenen Symptome konzentrierten sich funktionell bildgebende Studien insbesondere auf die Erfassung kognitiver Hirnaktivierung. In mehreren Studien konnte eine verminderte Rekrutierung des präfrontalen Kortex bei Patienten mit Negativsymptomatik gezeigt werden (Andreasen et al. 1992; Potkin et al. 2002; Schröder et al. 1996; Schröder et al. 1995). Jedoch konnten Erkwoh et al. (1997) mit im 99mTc-HMPAO-SPECT bei 24 unbehandelten schizophrenen Patienten keine Beziehung zwischen Hypofrontalität und Negativsymptomatik herstellen. Heckers et al. (1999) untersuchten den rCBF unter Verwendung von 15O-H2O-PET unter 3 verschiedenen Gedächtnisaufgaben bei 8 schizophrenen Patienten mit und 8 Patienten ohne Defizitsyndrom sowie 8 Kontrollprobanden. Unter allen Gedächtnisbedingungen zeigte sich die frontale kortikale Aktivität höher bei den Patienten ohne Defizitsyndrom als bei den Patienten mit Defizitsyndrom. Während des Versuches, nur eingeschränkt enkodierte Worte abzurufen, rekrutierten die Patienten ohne Defizitsyndrom den linken frontalen Kortex in einem signifikant höheren Maße als die Patienten mit Defizitsyndrom. Im Gegensatz zu diesen Befunden bezüglich des frontalen Kortex unterschieden sich die beiden Subtypen der Schizophrenie nicht in der Aktivität oder in der Rekrutierung des Hippocampus während des Gedächtnisabrufs. Diese Ergebnisse deuten auf eine spezifische pathogenetische Rolle des PFC bei der primären Negativsymptomatik hin. In gleicher Richtung wiesen Patienten mit Defizitsyndrom im Vergleich zu gesunden Probanden einen verminderten rCBF im 99mTc-HMPAO-SPECT in frontalen Regionen bilateral sowie in rechts parietalen und superior temporalen Arealen auf. Defizit- im Vergleich zu Nichtdefizit-Patienten zeigten einen signifikant verminderten rCBF im rechten superioren und inferioren Frontalkortex (Gonul et al. 2003). Nichtdefizit-Patienten und Kontrollen unterschieden sich nicht hinsichtlich des rCBF. Diese Ergebnisse bestätigen die hypofrontalen Perfusionsmuster bei primärer Negativsymptomatik. Der mit SPECT gemessene rCBF während der Ausführung des Wisconsin-Card-Sorting-Tests war bei Patienten mit Negativsymptomatik (Liu et al. 2002) im linken PFC signifikant vermindert. Menon et al. (2001) beschrieben mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT), dass Negativsymptome und Denkstörungen negativ mit der Aktivierung während eines auditorischen Arbeitsgedächtnistasks (»2-back Pradigma«) im frontalen Operculum und rechten DLPFC korrelierten. Ashton et al. (2000) berichteten in einer SPECT-Studie bei 39 Medikamenten-naiven schizophrenen Patienten über eine verminderte Perfusion im Bereich des ACC während einer Wortflüssigkeitsaufgabe. Die PANSS-Negativscores korrelierten negativ mit dem regionalen zerebralen Blutfluss im Gyrus cinguli. Einige Studien zeigten auch eine reduzierte Rekrutierung des parietalen Kortex während der Ausübung von spezifischen neuropsycho-
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logischen Tasks (Heckers et al. 1999; Lahti et al. 2001; Lahti et al. 2006). Lathi et al. (2006) konnten in einer Studie bei unbehandelten schizophrenen Patienten zeigen, dass die Negativsymptomatik mit frontalem und parietalem Blutfluss korrelierte, jedoch nicht mit dem ACC und dem hippocampalen rCBF, wie dies für die Positivsymptomatik in dieser Studie der Fall war. Diese Ergebnisse unterstreichen, dass sich die funktionelle Neuroanatomie von Negativsymptomen und positiver Symptomatik unterscheidet. Es offenbart sich teilweise aber eine Heterogenität der Befundlage. So konnten auch Perlstein et al. (2001) Aktivierungsdefizite im dorsolateralen präfrontalen Kortex bei der n-backAufgabe zu Desorganisiertheitssymptomen, jedoch nicht zu Negativsymptomen, in Beziehung setzen. Eine Reihe von Studien konnte eine signifikante Korrelation der Aktivität im temporalen Kortex mit negativer Symptomatik demonstrieren (Ebmeier et al. 1993; Kawasaki et al. 1996; Min et al. 1999). Das Fehlen der normalen temporalen Asymmetrie war zudem verbunden mit stärkerer Negativsymptomatik (Bilder et al. 1994). Auch die fehlende fMRT-Aktivierung des ventralen Striatums während belohnungsabhängiger Aufgabenstellungen war charakteristisch für Patienten mit Negativsymptomatik (Juckel et al. 2006). Einseitig ausgerichtete Muster von Hypo- oder Hyperaktivierung besitzen zwar den Vorteil der konzeptionellen Einfachheit, teilweise konnte aber ein Aktivierungsmuster beschrieben werden, das das parallele Auftreten sowohl funktioneller Defizite als auch kompensatorischer Überaktivierungen offenbarte. Artiges et al. (2000) untersuchten 14 schizophrene Patienten mit Negativsymptomatik und 14 gesunde Kontrollen mit 15O-H2O-PET unter Verwendung eines verbalen Wortflüssigkeitsparadigmas. Es fanden sich Lateralisierungseffekte bei den Patienten mit niedrigeren Aktivierungen in den links frontalen Regionen und stärkeren Aktivierungen in den rechts inferior frontalen Arealen während des »Wortproduktions-Tasks«. Die Autoren schließen, dass die Aktivierungen bei den Patienten in den sprachrelevanten Arealen der linken Hemisphäre abgeschwächt waren und die rCBF-Veränderungen in der rechten Hemisphäre ein kompensatorisches funktionelles Muster reflektierten. Die veränderte Lateralisierung korrelierte negativ mit der Performanz im Wortflüssigkeitstest. Honey et al. (2003) berichteten mit der fMRT, dass ein positives Subsyndrom der Schizophrenie mit einer reduzierten frontotemporalen Response unter Arbeitsgedächtnisaufgaben einhergeht, während hingegen Negativsymptome mit einer erhöhten Response im medialen und lateralen prämotorischen Kortex assoziiert waren. Aufgrund des letztgenannten Befundes finden sich weitere Hinweise, dass eine kompensatorische Hyperaktivierung bei Patienten mit Negativsymptomatik zu beobachten sein kann. Die Ergebnisse fügen sich in das Modell einer kortikalen Ineffizienz (Manoach 2003) ein. Hier wird von einem umgekehrt u-förmigen Zusammenhang zwischen BOLD-Hirnaktivierung und Leistungsanforderung in »Arbeitsgedächtnis-Tasks« ausgegangen. Während die Patienten unter geringerer Leistungsanforderung zunächst noch kompensatorische Hyperaktivierungen im
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Kapitel 43 · Negativsymptomatik – Bildgebung
Vergleich zu gesunden Probanden aufweisen können, kehrt sich dieser Verlauf ab einem bestimmten Anforderungsniveau wieder um, und die Aktivierungen fallen unter das Aktivierungsniveau von gesunden Kontrollen ab. Es steht zu erwarten, dass auch bezüglich der Negativsymptomatik eine komplexe Interaktion von Leistungsanforderung und assoziierten BOLD-Signalen besteht. Daher wäre auch für zukünftige fMRT-Untersuchungen zu fordern, dass entweder parametrisch variierte Anforderungsniveaus in den neuropsychologischen Aufgabenstellungen oder aber präzise definierte kognitive Subfunktionen abgegrenzt werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Diskussion heterogener Aktivierungsdaten ist die sich aus den vorliegenden Studien zum Arbeitsgedächtnis abzeichnende Beobachtung, dass ein weit verzweigtes Regelsystem kortikaler und subkortikaler Regionen einschließlich des Zerebellums als das funktionelle Substrat dieser Leistungen zu betrachten ist. Wie in einer umfangreichen Metaanalyse (Glahn et al. 2005) gezeigt werden konnte, liegt in den vorliegenden Studien das Bild eines komplexen Musters von Hyper- und Hypoaktivierung vor, so dass die Autoren auf die Notwendigkeit hinweisen, dass funktionelle Aussagen zu den biologischen Ursachen der Schizophrenie nur unter Berücksichtigung des gesamten beteiligten neuronalen Netzwerkes getätigt werden können. Für die Untersuchung dieser Zusammenhänge liegen derzeit bereits Methodiken vor (Schlösser et al. 2003), die auch zur gezielten Charakterisierung von Patienten mit Negativsymptomatik bislang noch nicht eingesetzt wurden. In vivo funktionelle Bildgebungsstudien haben insbesondere den frontalen Kortex als das Substrat höherer kognitiver Prozesse wie Arbeitsgedächtnis, episodisches Gedächtnis, semantische Informationsverarbeitung und Aufmerksamkeit benannt. Auch der inferiore parietale Kortex wird durch Aufgabenstellungen, die erhöhte Anforderungen an räumliche Aufmerksamkeit und Informationsverarbeitung stellen, aktiviert. Es ist bezeichnend, dass Patienten mit Defizitsymptomen auch eine schlechtere Performanz bei diesen kognitiven Aufgabenstellungen als NichtdefizitPatienten zeigen (Buchanan et al. 1993). Die vorliegenden Befunde zu kognitiven Hirnaktivierungen bei Patienten mit vorrangiger Negativsymptomatik unterstreichen noch einmal nachdrücklich die Notwendigkeit einer sorgfältigen psychopathologischen Charakterisierung von Patientensamples in bildgebenden Untersuchungen. Angesichts der in den Studien nach wie vor relativ kleinen Samplegrößen sollte das Ausmaß an Variabilität, das sich allein auf eine psychopathologische Heterogenität zurückführen ließe, durch klare Einschlusskriterien bezüglich der entsprechenden »Negativ- und Positivsymptom-Rating-Scores« minimiert werden. Negative Symptommerkmale, wie z. B. sprachliche Verarmung, können auch bei anderen diagnostischen Entitäten, wie z. B. der Major Depression, beobachtet werden. Da auch für Patienten mit klinischer Depression bereits metabolische Hypoaktivierungen des frontalen Kortex berichtet wurden, liegt der Gedanke nahe, dass es sich hierbei um diagnoseübergreifende syndromale Merkmale handelt, die ein
vergleichbares neurobiologisches Substrat aufweisen (Günther et al. 1986; Klemm et al. 1996; Medved et al. 2001). Die Befunde scheinen nicht nur von der Präsenz-/Nichtpräsenz definierter psychopathologischer Symptome, sondern auch vom Akutheitsgrad bzw. Grad der Remission abzuhängen (Erkwoh et al. 1999).
Zusammenfassung Daten aus funktionellen Aktivierungsstudien legen auch beim aktivierten Gehirn einen Zusammenhang mit dem Vorhandensein bzw. Ausmaß von Negativsymptomen bei schizophrenen Patienten nahe. In mehreren Studien konnte eine verminderte Rekrutierung des präfrontalen Kortex bei Patienten mit Negativsymptomatik gezeigt werden. Teilweise ist jedoch auch von einer kompensatorischen Hyperaktivierung, insbesondere im präfrontalen Kortex bei Patienten mit Negativsymptomatik auszugehen. Die vorliegenden Befunde zu kognitiven Hirnaktivierungen bei Patienten mit vorrangiger Negativsymptomatik unterstreichen die Notwendigkeit einer sorgfältigen psychopathologischen Charakterisierung von Patientensamples in bildgebenden Untersuchungen.
43.3.3 Spezifische Tracerstudien Es konnte in klinischen Studien allerdings belegt werden, dass moderne Antipsychotika nicht nur auf Positiv- sondern auch auf Negativsymptomatik eine therapeutische Wirksamkeit zeigen. Daher kann eine alleinige Modellvorstellung neuronaler Zellschädigung und Volumenatrophie die Dichotomie in Positiv- und Negativsymptomatik nicht vollständig erklären. Bereits frühzeitig wurde eine spezifische Störung der dopaminergen Neurotransmission als Grundlage für Negativsymptomatik hypostasiert (Alpert u. Friedhoff 1980; Crow 1981; MacKay 1980). Die Verfügbarkeit von In-vivo-Imaging-Verfahren ermöglichte die Untersuchung dieser Befunde und Modelle in vivo. Mit emissionstomographischen Verfahren stehen Radiotracer für prä-, intra- und postsynaptische Prozesse zur Verfügung. Dopaminerge Aktivität moduliert eine Reihe frontaler exekutiver kognitiver Prozesse wie Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeit und höhere exekutive Kontrollprozesse. Darüber hinaus scheinen auch Veränderungen des Dopamins in fronto-striato-thalamokortikalen Regelkreisen zu den kognitiven Beeinträchtigungen bei schizophrenen Patienten beizutragen. Es wurden, insbesondere dopaminerge Defizite im Rahmen der D1-rezeptorvermittelten dopaminergen Transmission in mesolimbischen Projektionsbahnen diskutiert (Abi-Dargham u. Moore 2003; Cropley et al. 2006). Okubo et al. (1997) berichteten unter Verwendung des D1-Rezeptorliganden 11C-SCH 23390 eine Verminderung der Dopamin D1-, nicht jedoch der D2-Rezeptordichte im präfrontalen Kortex bei schizophrenen Patienten. Diese Reduktion stand in
551 43.3 · Funktionelle Bildgebung
Beziehung zur Schwere der bestehenden Negativsymptomatik und stützt die Annahme einer hypodopaminergen Neurotransmission als Grundlage von Negativsymptomatik. Karlsson et al. (2002) fanden hingegen eine positive Korrelation zwischen den Scores auf der Negativratingskala und der Rezeptordichte Bmax für den PET-Radiotracer 11C-SCH 23390 im rechten frontalen Kortex. Gruppenunterschiede im PFC konnten jedoch nicht festgestellt werden. Die Unterschiede zwischen den Studien wurden von einigen Autoren auf die höhere räumliche Auflösung und das bessere Signal-Rausch-Verhältnis der PETKamera in der neueren Studie zurückgeführt (Abi-Dargham u. Moore 2003). Abi-Dargham et al. (2002) haben mittels 11C-NNC, einem Radiotracer mit hoher spezifischer Bindung, die D1-Rezeptorbindung im DLPFC in Relation zur Arbeitsgedächtnisleistung untersucht. Das 11C-NNC-Bindungspotenzial war bei schizophrenen Patienten erhöht und mit einer schlechten Arbeitsgedächtnisleistung korreliert. Die Ergebnisse werden mit einer »Up-Regulation« der D1-Rezeptoren als Folge chronischen Dopaminmangels interpretiert. Auch hier können Unterschiede in den Patientenpopulationen und der konkreten Methodik die Unterschiede möglicherweise erklären. Die kontrastierenden Daten aus den Studien zur Negativsymptomatik sowie einer phänomenologisch eng verwandten kognitiven Domäne zeigen aber auch, dass eine einfache lineare und mechanistische Interpretation von Befunden zur Rezeptordichte sehr rasch an ihrer Grenzen stößt. Die Assoziation zwischen Negativsymptomatik und kognitiven Defiziten könnte vordergründig den Eindruck entstehen lassen, dass die Untersuchung von Negativsymptomatik keinen zusätzlichen Informationsgewinn gegenüber dem alleinigen Studium kognitiver Funktionen darstellt. Die psychopathologische Charakterisierung der Negativsymptomatik geht jedoch über die isolierte Beschreibung kognitiver Beeinträchtigungen hinaus und charakterisiert einen klinisch abgrenzbaren Subtypus. Die PETStudien zur D1-Rezeptorbesetzung, bei denen sich für Negativsymptomatik und kognitive Performanz z. T. abweichende Zusammenhänge ergaben, weisen auch auf potenzielle neurobiologische Unterschiede hin. Ähnlich heterogen gestalten sich auch die Befunde zum D2-Rezeptor. In einer hochselektiven Gruppe von Patienten mit Negativsymptomatik konnte mit 76Br-Bromolisurid-PET eine negative Korrelation der striatalen D2-Rezeptordichte und der Symptome »Affektverflachung« sowie »Alogie« festgestellt werden. Allerdings bestanden in dieser Studie keine Gruppenunterschiede zwischen Patienten und Kontrollen (Martinot et al. 1994). Signifikante negative Korrelationen mit der Negativsymptomatik fanden sich auch in einer SPECT-Untersuchung für extrastriatale D2-Rezeptoren im temporalen Kortex (Tuppurainen et al. 2003) sowie für den Dopamin-Transporter im Striatum (Laruelle et al. 2000; Yoder et al. 2004). Hingegen fand sich zur D2-Rezeptordichte im Cingulum keine Korrelation mit der Negativsymptomatik (Suhara et al. 2002). Laruelle et al. (2000) untersuchten den striatalen Dopamintransporter (DAT) sowie den Serotonintransporter (SERT) im Hirnstamm in ihrer Dichte bei schizophrenen Patienten mittels
43
123-I-Beta-CIT. Es konnten keine Unterschiede zwischen Patienten und Kontrollen bezüglich der Aufnahmeratio V3 von BetaCIT im Striatum gefunden werden. Es zeigte sich jedoch ein Trend einer Korrelation von niedriger striataler Beta-CIT-Bindung und der Schwere von Negativsymptomen. Die Studie deutet darauf hin, dass die Schizophrenie nicht mit einer generellen Veränderung des Dopamintransporters im Striatum oder des Serotonintransporters im Hirnstamm verbunden ist. Bei einigen Patienten allerdings könnte ein relatives Defizit des Dopamintransporters, nicht jedoch des Serotonintransporters, eine Rolle bei der Pathophysiologie von Negativsymptomen spielen. Ausgehend von initialen Hypothesen verminderter serotonerger Neurotransmission bei der Negativsymptomatik (Levine u. Meltzer 1984) erfolgte eine intensive Untersuchung mit bildgebenden Verfahren. Yasuno et al. (2004) zeigten mit PET eine signifikante negative Korrelation zwischen der Bindung des 5-HT1A-Rezeptorliganden 11C-WAY-100635 in der Amygdala und der Negativsymptomatik bei schizophrenen Patienten. Diesem Befund steht allerdings eine Reihe anderer Studien entgegen, die diesen Bezug zwischen Negativsymptomen und Veränderungen im serotonergen System nicht bestätigen konnten (Frankle et al. 2005; Laruelle et al. 2000; Verhoeff et al. 2000). 123 I-Iomazenil ist ein SPECT-Radiotracer für den GABA/ Benzodiazepinrezeptorkomplex. Die Negativsymptomatik zeigte sich in einer Studie invers korreliert mit der Rezeptorbindung im medialen frontalen Kortex (Busatto et al. 1997), was als Hinweis für eine Beteiligung auch des GABAergen Systems an der Negativsymptomatik gewertet werden kann. Die kontrollierte Gabe von niedrigdosiertem Ketamin, einem NMDA-Antagonisten, kann bei gesunden Probanden zu einem Bild führen, das positiven, negativen und auch kognitiven Symptomen der Schizophrenie sehr ähnelt (Krystal et al. 1994). Es liegt nahe, eine Substanz wie Ketamin zur experimentellen Induktion von psychoseähnlichen Zuständen einzusetzen, um hier im Experiment die nachfolgenden hirnfunktionellen Prozesse zu analysieren. Es fanden sich Hinweise für einen erhöhten kortikalen Metabolismus nach Gabe von Ketamin (Vollenweider et al. 1997). Allerdings kann Ketamin schizophrene Symptomatik nur unvollständig nachbilden (Pomarol-Clotet et al. 2006), so dass hier keine ideale Modellsubstanz vorliegt. Eine weitere Modellsubstanzgruppe zur Induktion psychotischer Symptomatik stellen Amphetamine dar. Schizophrene Patienten weisen unter Gabe des Dopaminrevisors Methamphetamin eine verstärkte Freisetzung von Dopamin in IBZM-SPECTUntersuchungen auf (Laruelle et al. 1996). Die Amphetamin-induzierte Phase der Dopaminfreisetzung war mit den Ratingscores im Hinblick auf Positiv-, nicht aber Negativsymptomatik korreliert, so dass ein direkter Bezug der dopaminergen Response zur Negativsymptomatik hier noch nicht möglich war.
552
Kapitel 43 · Negativsymptomatik – Bildgebung
Zusammenfassung
43
In der Zusammenschau weisen die Studien zum Dopaminrezeptorsystem, hier insbesondere die D1- und D2-Dopaminrezeptor-Besetzungsstudien, sowie die Ergebnisse zum Dopamintransporter darauf hin, dass schizophrene Negativsymptomatik eher über D1-Rezeptoren vermittelt sein könnte. Die in vivo emissionstomographischen Daten hierzu sind jedoch noch zu eingeschränkt, um das sich eher aus dem tierexperimentellen Bereich in dieser Richtung bestätigende Bild letztlich auch im Humanexperiment korroborieren zu können. Auch die Ergebnisse aus pharmakologisch induzierten Modellpsychosen, wie etwa der induzierten Positiv- und Negativsymptomatik nach niedrig dosierter Ketamingabe, erzeugen ein klinisch zu heterogenes Bild, um hier einen eindeutigen Bezug eines spezifischen Neurotransmittersystems zu Negativsymptomatik herstellen zu können.
43.4
Therapieverlaufsuntersuchungen
Entsprechend der besonderen klinischen Bedeutung von Negativsymptomatik fokussierten sich eine Reihe von Studien auf die Untersuchung von strukturellen und funktionellen Parametern im Therapieverlauf. Die gewonnenen Informationen aus subchronischen pharmakologischen Behandlungsschemata lieferten indirekte Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen spezifischen Neurotransmittersystemen und Negativsymptomatik. Darüber hinaus eröffnet sich insbesondere mit kognitiven Hirnaktivierungsstudien die Perspektive eines therapeutischen Monitorings sowie die Identifikation möglicher Prädiktoren für ein späteres Ansprechen auf eine Therapie. Die zerebrale Response auf eine subchronische Therapie mit Haloperidol war bei Patienten mit vor Therapiebeginn bestehender Negativsymptomatik signifikant vermindert (Wolkin et al. 1996). Vaiva et al. (2002) untersuchten den Effekt einer niedrig dosierten Therapie mit Amisulprid (100 mg/Tag), einem atypischen Antipsychotikum aus der Klasse der substituierten Benzamide mit einer hohen Affinität für D2- und D3-dopaminerge Rezeptoren, über 4 Wochen Therapiezeitraum bei Patienten mit Defizitsyndrom mit 99mTc-HMPAO-SPECT. Es konnten signifikante Veränderungen des Blutflusses vor und nach Behandlung festgestellt werden. Diese waren besonders stark in frontalen Arealen und in einem dorsolateral frontalen Bezirk ausgeprägt. Nach der Behandlung zeigte sich eine signifikante Verbesserung kognitiver Funktionen, die jedoch zu keinen spezifischen regionalen Veränderungen der Perfusion in Beziehung gesetzt werden konnte. Schließlich konnte auch eine Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Negativsymptomatik einen höheren Anteil klinischer Verbesserung bei Patienten mit sekundärem Defizit zeigen. Die psychometrischen und zerebralen Perfusionsveränderungen jedoch unterschieden sich nicht zwischen diesen Gruppen.
Eine Verbesserung der Negativsymptomatik nach 17–24 wöchiger Therapie mit Olanzapin stand in Beziehung zu erhöhtem Glukosemetabolismus im 18F-FDG-PET im DLPFC. Gleichzeitig zeigten die Responder erhöhte Baseline-Aktivierung in den Temporalpolen beidseits (Molina et al. 2005a). Bilaterale präfrontale metabolische Hypoaktivierung im 99mTc-HMPAO-SPECT, die bei Beginn einer Behandlung mit Clozapin vorlag, verbesserte sich im Verlauf einer mehrjährigen Therapie bei Clozapin-Respondern (Chen et al. 2000). In einer anderen Studie berichteten die Autoren, dass die Abnahme der Negativsymptomatik unter einer 6-monatigen Clozapin-Therapie nach Umstellung von Haloperidol mit einer Zunahme des 18F-FDG-uptake in den Basalganglien korrelierte (Molina et al. 2005b). Patienten mit Affektverflachung gegenüber Patienten ohne Affektverflachung zeigten bei der Prozessierung von emotionalem Stimulusmaterial spezifische Aktivierungsunterschiede im linken Gyrus lingualis (Fahim et al. 2005b). Verbesserung von Affektverflachung in der PANSS-Scala unter Quetiapin-Therapie ging in der linken Amygdala und rechten medialen PFC mit einem Rückgang beeinträchtigter Hirnaktivierung bei Therapierespondern in einer fMRT-Studie unter Verwendung von emotionalem Stimulusmaterial einher (Fahim et al. 2005a). Affektive Verflachung, Antriebslosigkeit und psychomotorische Verlangsamung waren in der Gruppe der 8 antipsychotisch medizierten Patienten (7 Patienten mit Risperdal und 1 Patient mit Haldol) stärker ausgeprägt als in der Gruppe der 8 unmedizierten schizophrenen Patienten. Diese Symptome korrelierten zudem negativ mit der striatalen D2/D3-Rezeptorverfügbarkeit im IBZM-SPECT (Heinz et al. 1998). Gründer et al. (2003) haben mittels 18F-DOPA-PET die relative Aktivität der Dopa-Decarboxylase bei schizophrenen Patienten zunächst im unbehandelten Zustand und ein zweites Mal nach 5-wöchiger Therapie mit Haloperidol untersucht. Es fand sich in dieser Studie unter anderem eine Korrelation zwischen der Abnahme der K(D)(3)-Parameter im zerebralen Kortex und Thalamus mit der Verbesserung der Negativsymptomatik. Die subchronische Behandlung mit Haloperidol verminderte offensichtlich die Aktivität der Dopa-Decarboxylase im Gehirn schizophrener Patienten. Nach diesen Befunden geht auch die Wirksamkeit in Bezug auf Negativsymptomatik mit einer Abnahme der Dopaminsynthese als Folge eines Depolarationsblocks präsynaptischer Dopaminneurone einher. Unter der Gabe von D-Cycloserin, einem Glutamat-Agonisten, kam es zu einer Zunahme der Aktivierung im Temporallappen während einer Wortfindungsaufgabe, die mit dem Ausmaß der Reduktion vorbestehender Negativsymptomatik korrelierte (Yurgelun-Todd et al. 2005). Somit fanden sich hier indirekte Hinweise auf eine Beteiligung des glutamatergen Systems bei der Pathogenese der Negativsymptomatik. In einer weiteren Studie fanden sich außerdem keine volumetrischen Prädiktoren für die Response von Negativsymptomen auf eine Olanzapin-Therapie (Molina et al. 2004). Scheepers et al. (2001) berichteten nach 52-wöchiger Clozapin-Therapie eine Abnahme des Volumens des linken Nucleus caudatus nur bei
553 43.5 · Magnetresonanzspektroskopie
Therapie-Respondern. Das Ausmaß dieser Volumenreduktion korrelierte nur mit der allgemeinen Psychopathologie und der Positiv-, jedoch nicht der Negativsymptomatik. Der positive therapeutische Einfluss auf negative Symptome der Schizophrenie wird vorrangig über die Wirkung der Antipsychotika im serotonergen und dopaminergen System erklärt. So konnte gezeigt werden, dass atypische Antipsychotika, deren klinische Wirksamkeit im Bereich sekundärer wie auch zum Teil primärer Negativsymptomatik in klinischen Studien belegt wurde, eine zum Teil hohe Besetzung nicht nur im Dopaminrezeptorsystem sondern auch im Serotoninrezeptorsystem aufweisen. Nähere Angaben über diese Wirkmechanismen sind 7 Kap. 48 zu entnehmen. Die Schlussfolgerung, dass aufgrund des therapeutischen Ansprechens nicht nur dopaminerge sondern auch serotonerge Mechanismen bei der Negativsymptomatik eine Rolle spielen, ist jedoch nur eingeschränkt möglich. Es ist nicht eindeutig zu identifizieren, ob es sich dabei um direkte Effekte der Pharmaka über diese Neurorezeptorsysteme handelt oder indirekt vermittelte Effekte.
Zusammenfassung Pharmakologische Interventionsstudien deuten auf einen Zusammenhang zwischen Veränderungen in spezifischen Neurotransmittersystemen und Negativsymptomatik hin. Darüber hinaus eröffnet sich insbesondere mit kognitiven Hirnaktivierungsstudien die Perspektive eines therapeutischen Monitorings sowie die Identifikation möglicher Prädiktoren für ein späteres Ansprechen auf eine Therapie.
43
in Form eines breiteren Spektrums auf. Die Qualität der Auflösung der verschiedenen Frequenzen wird durch die Größenordnung des angelegten magnetischen Feldes beeinflusst. Im Allgemeinen ist ein sehr homogenes Feld mit einer Stärke von wenigstens 1,5 T notwendig, um eine angemessene Auftrennung der im Frequenzspektrum enthaltenen Moleküle zu erreichen. Höhere Feldstärken führen zu einer deutlichen Verbesserung des Signal-Rausch-Abstandes. Zur regionalen Lokalisation des MRSSignals stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung. Das »spectroscopic imaging« (MRSI) folgt vergleichbaren Prinzipien wie die MRT und gestattet eine räumliche Zuordnung der spektroskopischen Daten. Die häufigsten Anwendungen der MRS in der psychiatrischen Forschung bestehen in der 1H- und der 31P-Spektroskopie. Das chemische Spektrum der 1H-Spektroskopie schließt Konzentrationsgipfel von N-Azetylaspartat (NAA), Kreatinin (Cr), Phosphokreatinin (PCr), Cholin (Cho), myo-Inositol (mIns), Glutamin, Glutamat, Aspartat, Gammaaminobuttersäure (GABA) und Laktat ein. NAA wird als Marker neuronaler Integrität betrachtet. Veränderungen Cholin-enthaltender Komponenten werden als Hinweis auf eine gestörte intrazelluläre Signaltransduktion und alterierte Phospholipidsynthese gewertet. Die 31P-Spektroskopie ermöglicht die Messung von zerebralen Membranphospholipiden und energiereichen Phosphaten in vivo. Das Phosphorspektrum umfasst die Konzentrationsgipfel von Adenosintriphosphat (ATP, β-ATP und α-ATP), Phosphokreatinin (PCr), Phosphodiestern (PDE), Phosphomonoestern (PME) und von anorganischem Phosphat (P ). Die Peaks von PME und PDE werden als i Indikatoren für die Membransynthese betrachtet, und die Abnahme der PME/PDE-Ratio wird als Ausdruck für eine verminderte Rate der Phospholipidsynthese gewertet.
Befunde 43.5
Magnetresonanzspektroskopie
43.5.1 1H-Spektroskopie Spezifische metabolische Veränderungen im Zusammenhang mit dem Auftreten von Negativsymptomatik können mit der Magnetresonanzspektroskopie (MRS) genauer untersucht werden. Neben der Erfassung von Membranbestandteilen und Substraten des Energiestoffwechsels kann auch die Bestimmung von Gewebskonzentrationen pharmakologischer Substanzen für pharmakokinetische Untersuchungen vorgenommen werden. Die technische Grundlage der MRS entspricht in weiten Teilen der MRT. Während der Relaxation senden die Atomkerne ein Signal mit ihrer spezifischen Resonanzfrequenz aus, das zur Bildung eines MRT-Signals führt. Diese Resonanzfrequenz wird von geringfügigen, durch die jeweilige Molekularstruktur bedingten Variationen des magnetischen Feldes beeinflusst. Man spricht hier auch von »chemical shift«. Während MRT und fMRT keinen spezifischen Nutzen aus dieser zusätzlichen Frequenzinformation ziehen, löst die MRS die verschiedenen Resonanzfrequenzen
Sigmundsson et al. (2003) untersuchten die Konzentration von N-Acetyl-Aspartat (NAA) als neuronale Marker zur Erfassung der Integrität des DLPFC bei schizophrenen Patienten mit persistierenden Negativsymptomen. Es fand sich eine signifikante negative Korrelation zwischen dem Schweregrad der Symptome und der NAA-Konzentration bei schizophrenen Patienten. Diese Beziehung war jedoch nach Angabe der Autoren deutlicher in Bezug auf Positivsymptome und allgemeiner PsychopathologieScores als bezüglich der Negativsymptome. Die Assoziation zwischen niedrigerem NAA und der Schwere klinischer Symptome war in der Studie von Sigmundsson (2003) nur schwierig zu interpretieren, da sich keine Gruppenunterschiede in der mittleren NAA-Konzentration zwischen den beiden Gruppen ergaben. Die beobachtete Reduktion des NAA könnte ein Hinweis für eine reduzierte Anzahl von Neuronen (oder Zellmasse) darstellen. Auch bei anderen Erkrankungen, wie Alzheimer-Erkrankung oder Huntington-Chorea, geht ein Abfall mit NAA parallel zu einem Neuronenverlust einher. Das Fehlen signifikanter NAA-Konzentrationsdifferenzen zwischen Gesunden und Patienten spricht aber gegen das Vorhandensein
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43
Kapitel 43 · Negativsymptomatik – Bildgebung
von deutlichen neuropathologischen Auffälligkeiten im DLPFC schizophrener Patienten mit vorrangiger Negativsymptomatik. Die Assoziation zwischen niedrigeren NAA-Werten und Schweregrad der klinischen Symptome könnte auch darauf zurückgeführt werden, dass eine Variable mit ähnlichem Mittelwert und vergleichbarer Varianz in beiden Gruppen unterschiedlich mit einer anderen Variablen in beiden Gruppen korreliert. Glutamatkonzentrationen nahmen signifikant bei den Patienten zu, die unter Therapie mit Olanzapin eine klinische Verbesserung der Negativsymptomatik aufwiesen, im Vergleich zu Patienten, die entweder keine Veränderung oder sogar eine Verschlechterung hinsichtlich der Negativsymptomatik aufwiesen (Goff et al. 2002). In einer weiteren Studie zeigte sich eine positive Korrelation zwischen den kombinierten Peaks für GABA, Glutamin und Glutamat im Temporallappen und Negativsymptomatik bei unbehandelten schizophrenen Patienten (Szulc et al. 2005). Reduzierte NAA-Konzentrationen im frontalen Kortex schizophrener Patienten waren signifikant positiv mit Negativsymptomatik und schlechterer Performanz im WCST korreliert (Tanaka et al. 2006). 43.5.2
31
P-Spektroskopie
Mittels 31P-MRS konnte eine Verminderung des Phospholipidmetabolismus in frontalen Regionen, insbesondere eine Verringerung der Phosphomonoester (PME) in Beziehung zur Negativsymptomatik gefunden werden (Shioiri et al. 1994; Shioiri et al. 1997). Ebenso fand sich der Phosphocreatinin-Peak mit den Werten auf der SANS hoch korreliert (Kato et al. 1995). Callicott et al. (2000) berichteten über eine inverse Korrelation zwischen der präfrontalen NAA/Kreatin-Ratio und der Schwere von Negativsymptomen bei schizophrenen Patienten. Gamma-ATP bei Neuroleptika-naiven schizophrenen Patienten korrelierte positiv mit Negativsymptomatik und neuropsychologischer Beeinträchtigung als weiterer Hinweis auf eine Störung des Phospholipidmetabolismus bei der Schizophrenie (Yacubian et al. 2002). Allerdings gab es nur hinsichtlich der Phosphodiester (PDE) einen signifikanten Unterschied zwischen neuroleptika-naiven schizophrenen Patienten und Gesunden bzw. früher antipsychotisch behandelten Patienten. Allerdings sind auch entsprechende Negativbefunde publiziert, die diese Zusammmenhänge mit der Negativsymptomatik nicht zeigen konnten (Stanley et al. 1995). Keine Beziehung zwischen den Ratios von NAA/Cho, NAA/Cr oder Cho/Cr und der klinischen Symptomatologie gemessen mit SAPS und SANS fanden auch Fukuzako et al. (1995).
Zusammenfassung Mittels 1H-MRS konnten Hinweise für einen Zusammenhang zwischen der Konzentration des Markers neuronaler Integritat NAA und Negativsymptomatik gefunden werden. Auch Parameter des glutamatergen Systems waren mit Negativsymptomatik invers korreliert. Mittels 31P-MRS konnte zudem eine Verminderung des Phospholipidmetabolismus in frontalen Regionen, insbesondere eine Verringerung der Phosphomonoester (PME) in Beziehung zur Negativsymptomatik gestellt werden. Den angeführten Befunden zu metabolischen Veränderungen bei Patienten mit Negativsymtpomatik stehen aber auch eine Reihe von Negativbefunden gegenüber, so dass auf diesem Feld noch intensiver Forschungsbedarf besteht.
43.6
Zusammenschau
Die Forschung der letzten drei Dekaden blickt auf eine Fülle von Einzelstudien zur Erforschung der strukturellen und funktionellen Grundlagen von Negativsymptomatik zurück. Bei vordergründiger Betrachtung können diese Studien durchaus ein zusammenhängendes Bild von regionalen Auffälligkeiten ergeben, das in vorgeschlagenen Modellen einer speziellen Pathophysiologie zugeordnet wurde. Präfrontale und temporale strukturelle Defizite sowie Veränderungen von Blutfluss und Glukosestoffwechsel (FDG, SPECT) stehen in Verbindung zu gestörter neuronaler Integrität (DTI, 1H-MRS) und verändertem Energiestoffwechsel in diesen Regionen. Die neuronale Aktivierung und Effizienz, insbesondere unter kognitiver Belastung ist bei Patienten mit Negativsymptomatik verändert (PET, fMRI). Eine das D1-Dopaminrezeptorsystem betreffende hypodopaminerge Stoffwechsellage wurde als ein spezifischer Neurotransmitterbefund vorgestellt. Aktuelle Modelle gehen von einer Koexistenz eines subkortikalen dopaminergen Exzesses und eines präfrontalen dopaminergen Defizits aus (Abi-Dargham 2004). Diese Veränderungen treten nach dieser Vorstellung z. T. sekundär zu präfrontalen strukturellen Läsionen sowie vermindertem glutamatergen Output des präfrontalen Kortex auf (Abi-Dargham 2004). Die hirnmorphologischen Invivo-Imaging-Befunde, die sich auch mit Post-mortem-Studien decken, wurden verschiedentlich in Beziehung zu einer entwicklungsbedingten Störung der Hirnreifung gestellt (Crow 1995). Angesichts der erheblichen Variabilität und z. T. auch klaren Widersprüchlichkeit der dargestellten Befunde können derartige komplexe Modelle durch die In-vivo-Daten nur eingeschränkt und mit großer Vorsicht entwickelt werden. Methodisch ist anzumerken, dass nur wenige Studien explizit vom Design darauf angelegt waren, gezielt die neurobiologischen Korrelate der Negativsymptomatik zu erfassen. Es entsteht bei vielen Studien der Eindruck, dass sich zwar keine hypostasierten
555 Literatur
Gruppenunterschiede in den untersuchten Parametern eingestellt haben, dann aber die nach hochexplorativer korrelativer Analyse beobachteten Zusammenhänge in den Ergebnisteilen beschrieben wurden. Ob hier immer eine adäquate Korrektur für Mehrfachvergleiche durchgeführt wurde und ob die vorhandene Varianz innerhalb der Gruppen Korrelationen überhaupt sinnvoll erscheinen ließ, ist dabei nicht immer überprüfbar. Abhilfe könnte hier allenfalls eine dezidierte Metaanalyse erbringen. Die in der Regel sehr kleinen Samples mit Stichproben deutlich unter 20 lassen aber den Sinn eines derartigen Unterfangens zweifelhaft erscheinen. So bleiben die großen Studien mit deutlich über 40 oder 50 eingeschlossenen Probanden. Es sind aber z. T. diese Untersuchungen, die sowohl bezüglich struktureller (Cowell et al. 1996; Gur et al. 1999; Gur et al. 2000b), funktioneller oder metabolischer Zusammenhänge (Siegel et al. 1993) über Negativergebnisse in Bezug auf Negativsymptomatik berichtet haben. Hilfreich wäre hier, Mindeststandards für korrelative Analysen auf der Seite der Fachzeitschriften zu fordern. Hierzu gehört außer einer ausreichenden n-Zahl die präzise Angabe von Einzelkorrelationen und statistischen Korrekturen für Mehrfachvergleiche. Multicenterstudien könnten eine andere, wahrscheinlich noch zu wenig beachtete Lösung darstellen. Scannervariabilitäten sind ein möglicherweise zu vernachlässigendes Problem (Stocker et al. 2005). An dieser Stelle sind bereits im Studiendesign deutliche Verbesserungen möglich. Als ein zusätzlicher konfundierender Faktor ist der Status der Vormedikation in den vorliegenden Untersuchungen zu betrachten. Zerebrale Blutflussveränderungen in Relation zu einer antipsychotischen Medikation wurden nachgewiesen (Lahti et al. 2001; Lahti et al. 2006). Daher erscheint eine Berücksichtigung des jeweiligen medikamentösen Behandlungsstatus unumgänglich. Die dargestellten Daten unterstreichen die Notwendigkeit, Subsyndrome als konfundierende Faktoren zu erfassen und zu kontrollieren. Darüber hinaus könnte der Verzicht einer Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Negativsymptomatik (Carpenter et al. 1988) eine weitere Quelle von Variabilität darstellen. Die dargestellten Studien umfassen im Wesentlichen durch korrelative oder durch kategoriale Analysen herausgearbeitete Zusammenhänge zwischen Negativsymptomatik und Befunden der Bildgebung. Es handelt sich dabei um reine Assoziationsmaße, die keine kausalen Schlüsse zulassen. Zur besseren Abgrenzung kausaler Effekte könnten Verlaufsuntersuchungen, die gezielt eine mögliche Progression der strukturellen und funktionellen Veränderungen in Bezug zur bestehenden Negativsymptomatik erfassen, hilfreich sein. So könnte etwa die Frage geklärt werden, ob die Dauer der unbehandelten Psychose einen Einfluss auf das Ausmaß späterer Negativsymptomatik und der damit einhergehenden hirnmorphologischen und -funktionellen Befunde hat. Ähnliche Studien sind für kognitive Defizite bereits durchgeführt worden, haben aber z. T. keine Effekte gefunden (Hoff et al. 2000). Des Weiteren kann die Integration der konvergierenden Befunde aus den verschiedenen Imaging-Modalitäten nur durch zunehmende multimodale Auswertungen verbessert werden.
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Nur wenige Studien haben dies in Bezug auf Negativsymptomatik bislang gezielt umgesetzt. Die Untersuchung hirnmorphologischer und hirnfunktioneller Prozesse bei Patienten mit Negativsymptomatik kann zu einer direkten Aufklärung des neurobiologischen Substrates, dieses sowohl therapeutisch als auch rehabilitativ eine oftmals große Herausforderung darstellenden Subtypus, beitragen.
Literatur Abi-Dargham A, Mawlawi O, Lombardo I et al. (2002) Prefrontal dopamine D1 receptors and working memory in schizophrenia. J Neurosci 22: 3708–3719 Abi-Dargham A, Moore H (2003) Prefrontal DA transmission at D1 receptors and the pathology of schizophrenia. Neuroscientist 9: 404–416 Abi-Dargham A (2004) Do we still believe in the dopamine hypothesis? New data bring new evidence. Int J Neuropsychopharmacol 7 Suppl 1: 1–5 Alpert M, Friedhoff AJ (1980) An un-dopamine hypothesis of schizophrenia. Schizophr Bull 6: 387–389 Anderson JE, Wible CG, McCarley RW et al. (2002) An MRI study of temporal lobe abnormalities and negative symptoms in chronic schizophrenia. Schizophr Res 58: 123–134 Andreasen NC (1982) Negative symptoms in schizophrenia. Arch Gen Psychiatry 39: 784–788 Andreasen NC (1987) The diagnosis of schizophrenia. Schizophr Bull 13: 9–22 Andreasen NC, Olson SA (1982) Negative and positive schizophrenia: Definition and validation. Arch Gen Psychiatry 39 789–794 Andreasen N, Nasrallah HA, Dunn V et al. (1986) Structural abnormalities in the frontal system in schizophrenia. A magnetic resonance imaging study. Arch Gen Psychiatry 43: 136–144 Andreasen NC, Ehrhardt JC, Swayze VW et al. (1990) Magnetic resonance imaging of the brain in schizophrenia. The pathophysiologic significance of structural abnormalities. Arch Gen Psychiatry 47: 35– 44 Andreasen NC, Rezai K, Alliger R et al. (1992) Hypofrontality in neurolepticnaive patients and in patients with chronic schizophrenia. Assessment with xenon 133 single-photon emission computed tomography and the Tower of London. Arch Gen Psychiatry 49: 943–958 Artiges E, Martinot JL, Verdys M et al. (2000) Altered hemispheric functional dominance during word generation in negative schizophrenia. Schizophr Bull 26: 709–721 Ashton L, Barnes A, Livingston M, Wyper D (2000) Cingulate abnormalities associated with PANSS negative scores in first episode schizophrenia. Behav Neurol 12: 93–101 Baare WF, Hulshoff Pol HE, Hijman R et al. (1999) Volumetric analysis of frontal lobe regions in schizophrenia: relation to cognitive function and symptomatology. Biol Psychiatry 45: 1597–1605 Bilder RM, Wu H, Bogerts B et al. (1994) Absence of regional hemispheric volume asymmetries in first-episode schizophrenia. Am J Psychiatry 151: 1437–1447 Bilder RM, Goldman RS, Robinson D et al. (2000) Neuropsychology of firstepisode schizophrenia: initial characterization and clinical correlates. Am J Psychiatry 157: 549–559
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Kapitel 43 · Negativsymptomatik – Bildgebung
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44 Katatonie – Psychologie Georg Northoff
44.1
Symptome der Katatonie
44.1.1 44.1.2 44.1.3
Motorische Symptome – 561 Behaviorale Symptome – 561 Affektive Symptome – 562
44.2
Subjektives Erleben der Katatonie – 563
44.2.1 44.2.2 44.2.3
Motorische Symptome – 563 Subjektives Erleben der motorischen Symptome – 563 Subjektives Erleben der affektiven Symptome – 564
44.3
Neuropsychologische Befunde bei der Katatonie – 564
44.3.1 44.3.2
Visuelle räumliche Fähigkeiten – 564 Emotional-basierte Entscheidungsfähigkeit – 564
44.4
Pathopsychologische Hypothesen der Symptome der Katatonie – 565
44.4.1 44.4.2 44.4.3
Pathopsychologie der motorischen Symptome – 565 Pathopsychologie der behavioralen Symptome – 565 Pathopsychologie der affektiven Symptome – 566
44.5
Zusammenschau der dargestellten Befunde Literatur
– 566
– 561
– 566
561 44.1 · Symptome der Katatonie
Das Konzept der Katatonie wurde erstmals von Kahlbaum im Jahre 1874 einführt. Er hat einen Symptomkomplex beschrieben, der u. a. motorische, behaviorale und affektive Symptome enthielt (Kahlbaum 1874). Kahlbaum hob vor allem die starke affektive Komponente der Katatonie hervor und brachte sie in einen Zusammenhang mit affektiven Erkrankungen. Obwohl danach der Zusammenhang mit affektiven Erkrankungen vor allem im angloamerikanischen Raum hervorgehoben wurde, wurde im kontinental-europäischen Raum die Katatonie später auf motorische Symptome reduziert und fast ausschließlich mit der Schizophrenie assoziiert – Kraepelin und Bleuler waren hier die wesentlichen Wegbereiter dieser Unterordnung der Katatonie unter die Schizophrenie. Frühere neuropathologische Untersuchungen, u. a. von Kleist (1943), stärkten diese Tendenz, indem sie die Katatonie vor allem mit Veränderungen in den Basalganglien und somit in den motorischen Zentren des Gehirns in einem Zusammenhang gebracht haben. Gegenwärtig wird die Katatonie als ein Syndrom aufgefasst und somit als eine »gemeinsame funktionelle Endstrecke« in die sowohl verschiedene psychiatrische Erkrankungen, wie z. B. Schizophrenie und affektive Störungen als auch organische Erkrankungen, so z. B. Encephalitiden, einmünden können. Weiterhin kann die Katatonie als psychomotorisches Syndrom mit einer komplexen Symptomatik charakterisiert werden, die motorische, affektive und die behaviorale Veränderungen einschließt. Im Folgenden sollen in einem ersten Schritt die verschiedenen Symptome der Katatonie thematisiert und beschrieben werden. In einem zweiten Schritt sollen Untersuchungen zum phänomenalen Erleben und neuropsychologische Befunde geschildert werden. Abschließend sollen in einem dritten Schritt neuropsychologische Modelle der verschiedenen Symptome diskutiert werden. 44.1
Symptome der Katatonie
44.1.1 Motorische Symptome Das auffälligste motorische Symptom der Katatonie ist das Haltungsverharren, bei dem Patienten spezifisch und unkomfortabel ihre Arme oder Beine häufig in bizarren Positionen entgegen der Schwerkraft halten. Dieses ist von einer kompletten Bewegungslosigkeit, die für Stunden, Tage oder Wochen (und früheren Zeiten sogar für mehrere Jahre) anhalten kann, begleitet. Wenn die Position aktiv und intern von dem Patienten selber eingenommen wird, kann man von einem Haltungsverharren sprechen. Wenn die Position der Glieder passiv und extern durch den Untersucher induziert wurde, kann man von einer Katalepsie sprechen. Es muss betont werden, dass Haltungsverharren sich nicht nur auf Arme und Beine beschränken kann, sondern auch auf den Kopf – das sog. psychische Kopfkissen – und die Augen (Starren) beziehen kann. Typische Beispiele des Haltungsverharrens sind z. B. ein Patient, der jeden Morgen bei seiner Rasur in einer entsprechenden
44
Haltung verharrte, die sowohl seine Hand als auch den gehobenen Armen betraf und er für Stunden in dieser Position verblieb, bis seine Frau ihn schließlich fand und wieder »depositionierte«. Ein anderes Beispiel ist eine Frau, die jeden Morgen beim Öffnen ihres Schrankes in der entsprechenden Position mit dem gehobenen Arm für Stunden verharrte bis schließlich eine Freundin am Nachmittag desselben Tages bei ihr klingelte. Beide Patienten wurden schließlich in die Klinik aufgenommen, wo es neben dem aktiven Haltungsverharren auch möglich war, ihre Glieder passiv in bizarre und unkomfortable Stellungen zu »positionieren«, ohne dass die Patienten Widerstand diesbezüglich zeigten. Differenzialdiagnostisch muss aufgrund der Akinesie immer auch an ein Parkinsonsyndrom gedacht werden. Im Unterschied zu den katatonen Patienten zeigen die Parkinsonpatienten allerdings weder ein Haltungsverharren noch eine Katalepsie. Weiterhin geht die Akinesie bei der Parkinsonerkrankung meist mit einem Rigor, dem typischen Zahnradphänomen, einher. Dieses ist bei katatonen Patienten nicht der Fall. Sie zeigen weder den für die Parkinsonerkrankung typischen zahnradartigen muskulären Hypotonus, sondern, wenn überhaupt, eher eine sog. weiche Form der Rigidität, die auch »Flexibilitas cerea« genannt wird (Northoff et al. 1997). Es soll weiterhin betont werden, dass das Verhaltungsverharren bei den katatonen Patienten sogar mit einem muskulären Hypotonus einhergehen kann, d. h. Haltungsverharren und muskulärer Hypertonus scheinen, anders als bei der Parkinsonerkrankung, bei der Katatonie voneinander entkoppelt zu sein. Neben den hypokinetischen Symptomen zeigen katatone Patienten auch hyperkinetische Phänomene. Im Rahmen der hyperkinetischen Phase können Stereotypien auftreten, wo die Patienten die gleiche Bewegung entweder aktiv oder passiv immer wiederholen können. Weiterhin können auch Dyskinesien und Ticks auftreten, die unabhängig von der Medikation sind. Hyperkinetische Phänomene können intermittierend oder fluktuierend auftreten oder es kann eine hypokinetische Phase mit vollständiger Akinesie und starkem Verhaltensverharren nach einer erfolgreichen Therapie von einer hyperkinetischen Phase gefolgt sein. 44.1.2 Behaviorale Symptome Neben den motorischen Symptomen kann die Katatonie auch durch extreme behaviorale Anomalien charakterisiert werden. Hervorstechendes Symptom ist hier der Mutismus, bei dem die Patienten nicht sprechen und völlig stumm sind. Daneben zeigen sie häufig auch einen Stupor, der neben dem völligen Schweigen auch durch keinerlei Reaktion in Hinsicht auf die Umwelt und entsprechende Stimuli charakterisiert werden kann. Häufig wird das klassisch katatone Bild durch Akinese, Haltungsverharren, Mutismus und Stupor beschrieben. Es sollte aber berücksichtigt werden, dass die Katatonie nicht nur hypokinetische Symptome sowie Mutismus und Stupor aufweisen kann, sondern auch extreme hyperkinetische und überschüssige behaviorale Phäno-
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Kapitel 44 · Katatonie – Psychologie
mene zeigen kann. Typisch sind hier die sog. Befehlsautomatie, hier führen die Patienten alle Befehle, auch die sinnlosesten, vorbehaltlos aus. So prüfte z. B. Kraeplin die Befehlsautomatie dadurch, dass die Patienten gefragt wurden, ob sie sich mit einer Nadel in die eigene Zunge stechen würden. Die katatonen Patienten können allerdings auch das Gegenteil der Befehlsautomatie zeigen, nämlich einen sog. Negativismus. Beim Negativismus führen sie genau das Gegenteil aus, von dem was ihnen gesagt wurde. Dieses kann z. B. dadurch geprüft werden, dass den Patienten ein Glas Wasser gereicht wird und ihnen gesagt wird, dass sie es bitte austrinken sollen. Die Patienten mit Negativismus machen dann genau das Gegenteil und schütten das Glas Wasser aus. Es kann dann die Gegenprobe unternommen werden, indem man dem Patienten sagt, dass sie das Glas Wasser ausschütten sollen; sie trinken es dann. Neben der Befehlsautomatie und dem Negativismus zeigen die Patienten häufig auch eine Echolalie bzw. eine Echopraxie. Hier wiederholen die Patienten Sätze (Echolalie) oder komplette Handlungen (Echopraxie), die ihnen von anderen Personen vorgeführt werden. Die Patienten wiederholen diese Sätze bzw. Handlungen dann in unendlicher Anzahl und können kaum gestoppt werden. Die katatonen Patienten können auch ein anderes bizarres Symptom, das Mitmachen und Mitgehen zeigen. Hier folgen die Patienten anderen Personen, machen genau dieselben Handlungen und gehen und folgen ihnen überall hin. So folgten mir z. B. zwei katatone Patienten durch die ganze Klinik hindurch und begleitenden mich den ganzen Tag. Differenzialdiagnostisch müssen bei diesen behavioralen Anomalien auch organische Hirnläsionen, insbesondere Schädigungen des Frontalhirns, berücksichtigt werden. Viele Patienten mit hirnorganischen Schädigungen, so z. B. mit frontotemporaler Demenz, können einzelne dieser Symptome, wie z. B. die Echolalie oder Echoparxie, zeigen. Auch hier gilt, wie bei den motorischen Symptomen, dass es kein spezifisches Merkmal gibt, welches die Katatonie als solche definieren kann. Die Diagnose der Katatonie kann somit nicht durch ein einzelnes singuläres Symptom gestellt werden, sondern durch eine Konstellation von verschiedenen Symptomen. 44.1.3 Affektive Symptome Affektive Symptome bei der Katatonie wurden initial vor allem von Karlbaum stark betont. Kraeplin und Bleuler reduzierten die Katatonie mehr oder weniger auf ihre motorische Komponente indem sie die Katatonie als einen motorischen Subtyp der Schizophrenie ansahen. Gegenläufige Tendenzen sowohl im europäischen als auch insbesondere angloamerikanischen Raum, die die affektive Komponente der Katatonie betonten, blieben vor allem im kontinental-europäischen Raum weitgehend unberücksichtigt. Die katatonen Patienten zeigen häufig extremste und unkontrollierbare Ängste oder abnorme Euphorie und Glücksgefühle. Damit einhergehend kann ein katatones Syndrom sowohl
in der akuten Manie als auch im akut depressiven Zustand eintreten. Daneben können die katatonen Patienten auch ein abnormes Grimassieren und inadäquate emotionale Reaktionen zeigen. So können sie auch zwanghafte Emotionen sowie unwillkürliche und unkontrollierbare übertriebene emotionale Reaktionen zeigen. Häufig zeigen die Patienten auch eine extreme emotionale Labilität mit stark wechselnden und fluktuierenden emotionalen Reaktionen. Es kann auch eine Parathymie beobachtet werden, eine inadäquate emotionale Reaktionen in Hinsicht auf den entsprechenden situativen Kontext. Hyperkinetische Zustände können auch mit extremen Aggressionen und sog. Bewegungsstürmen einhergehen; hierbei reagieren die Patienten völlig unkontrolliert und aggressiv. Typisch ist auch bei katatonen Patienten eine affektive Latenz, die Patienten zeigen hier extrem verspätete emotionale Reaktionen. So kann z. B. eine emotionale Reaktion auf ein trauriges Erlebnis 1–2 min später oder sogar noch nach längerer Verweildauer, auftreten – es liegt hier also somit eine extreme affektive Latenz vor. Die affektive Ambivalenz ist ebenfalls typisch, die Patienten zeigen simultane gegensätzliche Emotionen und sind nicht in der Lage sich emotional zu entscheiden. Häufig kann das katatone Syndrom auch mit einem flachen Affekt einhergehen, wo die Patienten eine verminderte oder wenn überhaupt nur eine passive, aber keine aktive emotionale Reaktivität zeigen. Differenzialdiagnostisch muss bei diesen Symptomen natürlich immer auch an eine affektive Störung, eine Depression oder eine Manie, gedacht werden. So können katatone Syndrome sowohl bei akuten manischen Störungen als auch in der akuten Depression auftreten, sie scheinen dann den Extremzustand der jeweiligen affektiven Störung darzustellen. Wie bereits oben betont, kann die Katatonie nicht durch ein singuläres bzw. spezifisches Symptom diagnostiziert werden. Die Diagnose der Katatonie kann nur aufgrund einer Symptomkonstellation gestellt werden. Dabei sollte eine Kombination von motorischen, behavioralen und affektiven Symptomen, mit mindestens einem Symptom aus jeder Symptomgruppe vorliegen. Die Katatonie kann somit als ein psychomotorisches Syndrom angesehen werden, die durch eine spezifische Kombination von motorischen, affektiven und behavioralen Veränderungen gekennzeichnet ist. Darüber hinaus sollten auch vegetative Veränderungen beachtet werden. Die katatonen Patienten können Fieber entwickeln, schwitzen und andere vegetative Auffälligkeiten wie extreme Herzfrequenzen, Atemfrequenzen etc. Ein solcher Zustand wird als febrile Katatonie bezeichnet. Auch heute können solche febrilen Katatonien noch auftreten und letal sein; dies ist allerdings glücklicherweise eher selten der Fall. Weiterhin sollten Neuroleptika-induzierte Bewegungsstörungen differenzialdiagnostisch mit einbezogen werden. Ähnlich wie die Katatonie können diese zur Akinese führen, die allerdings im Unterschied zur Katatonie häufig mit einem zahnradartigen Rigor verbunden ist. Weiterhin sind die Neuroleptika-induzierten Bewegungsstörungen nicht von den o. g. behavioralen und affektiven Veränderungen begleitet, wie sie typisch für das katatone Syndrom sind.
563 44.2 · Subjektives Erleben der Katatonie
44.2
Subjektives Erleben der Katatonie
44.2.1 Motorische Symptome In einer Untersuchung zur Fähigkeit der internen und externen Initiation (s. unten Beispiel »Ballexperimente«) zeigten die katatonen Patienten deutliche Defizite in der internen Initiation von Bewegungen. Im Unterschied dazu sind die Patienten sehr wohl in der Lage, extern induzierte Bewegungen zu vollführen. Dies bedeutet, dass die Fähigkeit zur Ausführung von Bewegungsmustern noch erhalten ist, die Initiation bzw. Planung derselbigen scheint allerdings gestört zu sein. Ähnlich wie Patienten mit einer Parkinsonerkrankung, benötigen die katatonen Patienten einen externen Stimulus um bestimmte Bewegungen ausführen zu können. Auffällig war weiterhin, dass die Patienten nach Ausführung der entsprechenden Bewegung in dieser Stellung letztendlich verharrten. Dies scheint darauf hinzuweisen, dass die katatonen Patienten offenbar unfähig sind, ihre Bewegung entsprechend zu beendigen bzw. zu terminieren. Diese scheinbare Unfähigkeit der Termination von Bewegungen scheint dann zudem oben beschriebenen Haltungsverharren zu führen. Während die katatonen Patienten sich in Hinsicht auf das Defizit der internen Initiationen offenbar nicht von Parkinsonpatienten und Neuroleptika-induzierten Bewegungsstörungen unterscheiden, scheint das Defizit in der Termination von Bewegung spezifisch für das katatone Syndrom zu sein. 44.2.2 Subjektives Erleben der motorischen
Symptome Im Unterschied zu Parkinsonpatienten scheinen katatone Patienten ihre abnormen Bewegungen bzw. das Haltungsverharren als solches nicht bewusst zu realisieren. Die meisten Patienten
44
(Northoff et al. 1998) sagten, dass ihre »Bewegungen während der akuten Erkrankung völlig normal waren«. Selbst wenn Patienten in der Lage waren zu sprechen während sie Haltungsverharren zeigten, behaupteten sie immer noch, dass ihre Bewegungen komplett normal waren. Interessanterweise berichtete auch keiner der Patienten über Schmerz oder Müdigkeit während des Haltungsverharrens, bei dem die Glieder entgegen der Schwerkraft gehalten werden. Selbst wenn die Patienten für Stunden oder Tage oder Wochen in der gleichen Haltung verharrten, berichteten sie hinterher über keinerlei Müdigkeit oder Schmerzen. Alle katatonen Patienten berichteten über keinerlei Veränderungen in der Wahrnehmung ihrer Bewegungen. Selbst wenn die Patienten für mehrere Tage im Bett lagen und ihren Kopf aufrecht hielten über dem Kopfkissen – dem sog. psychischen Kopfkissen – zeigten sie keinerlei Anzeichen von Müdigkeit, Schmerzen oder »Sensation of Effort«. Wenn man diese Patienten nach der Position ihres Kopfes fragte, sagten sie, »mein Kopf war in einer komplett normalen Position, ich war nicht müde.« Korrespondierend dazu konnte keiner der katatonen Patienten sagen, in welcher Position er seine Glieder während der akut katatonen Phase gehalten hat. Im Unterschied dazu konnten sich die Patienten noch an viele Details der Aufnahme erinnern, sodass hier offenbar kein Gedächtnisdefizit vorliegt. Weiterhin waren sich die katatonen Patienten in keinster Lage über die Konsequenzen ihrer Bewegungen bewusst. So hatte z. B. der Patient mit dem Haltungsverharren während des Rasierens das Gefühl, dass er sich ohne Zeitverzögerung rasiert hat und er keinerlei Verzögerung bzw. Verspätung erlebte. Neben der Nichtwahrnehmung bzw. dem Unbewusstsein der eigenen Bewegungsveränderung scheint somit hier auch ein verändertes zeitliches Erleben in Hinsicht auf die eigenen Handlungen vorzuliegen.
Ballexperimente mit 32 akut-akinetischen katatonen Patienten: Defizite in der internen Initiation und der Generierung von Bewegung. (Zit. nach Northoff et al. 1995) In dieser Untersuchung wurden Ballexperimente mit 32 akinetisch-katatonen Patienten durchgeführt, um spezifische funktionelle Defizite im motorischen System zu erfassen. Standardisierte Ballexperimente (Werfen, Fangen, Stoppen, Schießen) wurden mit 32 akut katatonen Patienten (23 ohne Neuroleptika bei Aufnahme) durchgeführt. Die Katatonie wurde nach standardisierten Skalen diagnostiziert, es lagen jeweils mindestens ein motorisches, ein affektives und ein behaviorales Symptom vor. Obwohl die Patienten eine Akinese und fast alle ein Haltungsverharren zeigten, waren fast alle Patienten sehr wohl in der Lage, die externen-induzierten Aufgaben (Fangen, Stoppen) durchzuführen. Im Unterschied dazu, waren sie nicht in der Lage, die internen-induzierten Aufgaben (Werfen, Schießen) durchzuführen.
Es zeigte sich weiterhin, dass die Patienten bei der Beendigung der Bewegung, sowohl der internen als auch der externen induzierten Bewegung erhebliche Defizite zeigten. Fast alle Patienten verharrten bei den einmal induzierten Bewegungen in der letzten Position der Bewegung und kehrten nicht zum »normalen Zustand« zurück. So zeigten viele Patienten z. B. ein Verharren des Beines nach erfolgreichem Schießen des Balles bzw. Stoppen des Balles. Die Patienten zeigten keinerlei Müdigkeit, Schmerzen oder Anstrengung dabei und berichteten dies auch nicht. Zusammengefasst zeigen die Befunde ein Defizit in der internen Initiation und der Termination von Bewegungen. Damit unterscheiden sie sich von Parkinson-Patienten, die zwar ein Defizit in der internen Initiation nicht aber in der Termination von Bewegungen zeigen.
564
Kapitel 44 · Katatonie – Psychologie
44.2.3 Subjektives Erleben der affektiven
Symptome
44
Im Unterschied zu den motorischen Symptomen berichteten die meisten Patienten über starke, intensive, unkontrollierbare und überfordernde Emotionen. So berichtete z. B. der oben zitierte Patient mit dem Haltungsverharren während des Rasierens: »Ich konnte meine Emotionen nicht mehr kontrollieren, sie überfluteten mich und ich hatte das Gefühl, dass ich nur noch und ausschließlich Angst war.« Dabei muss allerdings hervorgehoben werden, dass die Katatonie nicht nur in einem Zusammenhang mit Ängsten auftreten kann, sondern auch mit extremem Glücksgefühl. So berichtete z. B. eine Patientin, die jedes Mal kataton wurde, wenn sie sich verliebt hatte: »Ich war so glücklich, wenn ich wieder verliebt war, dieses Gefühl hat mich völlig überfordert und überflutet, sodass ich es nicht mehr kontrollieren konnte.« 44.3
Neuropsychologische Befunde bei der Katatonie
44.3.1 Visuelle räumliche Fähigkeiten Die visuell-räumlichen Fähigkeiten sind möglicherweise von zentralem Interesse für die Termination von Bewegungen. Bei einer Bewegung befindet sich das entsprechende Glied in einer bestimmten räumlichen Position und um eine Bewegung zu beendigen, muss diese räumliche Position verlassen werden und zur ursprünglichen räumlichen Position zurückgekehrt werden. Es gibt Hinweise darauf, dass der rechte posteriore parietale Kortex möglicherweise mit der räumlichen Positionierung von Bewegungen im Raum zusammenhängt. Patienten mit einem »Neglect«, die die Position ihrer rechten Körperhälfte im Raume vernachlässigen, zeigen häufig eine rechts posterioparietale kortikale Läsion. Daher haben wir (Northoff et al. 1999) postakute katatone Patienten mit einem räumlichen Test, dem Visuell-Objekt-Raum-undPerzeptionstest (VOSP), untersucht. Der Test zielt speziell auf die räumlich-visuellen Fähigkeiten in Zusammenhang mit der rechts parietalen kortikalen Funktion. Katatone Patienten zeigten eine signifikante niedrigere Leistung im VOSP, wenn sie im Vergleich zu 9 katatonen psychiatrischen Kontrollpatienten und gesunden Kontrollprobanden getestet wurden. Interessanterweise zeigten sich keine Unterschiede zwischen katatonen und non-katatonen Patienten in anderen visuell-räumlichen Tests, die nicht speziell auf die rechts parietale kortikale Dysfunktion zielten. Weiterhin zeigten sich bei den katatonen Patienten auch keine spezifischen Defizite in der Aufmerksamkeit, den exekutiven Funktionen und der allgemeinen Intelligenz. Die katatonen Patienten zeigten hochsignifikante Korrelationen zwischen dem Defizit in den visuell-räumlichen Fähigkeiten, mit dem VOSP gemessen, und Aufmerksamkeitsfähigkeiten, wie sie mit dem D2-Test gemessen wurden. Interessanterweise korrelierten auch die motorischen Symptome der Katatonie mit dem
visuell-räumlichen Defizit und der Aufmerksamkeitsdysfunktion. Diese Befunde weisen darauf hin, dass die motorischen Symptome, die scheinbare Unfähigkeit zur Termination der Bewegung, mit einer räumlich-visuellen Dysfunktion und der entsprechenden Aufmerksamkeit zusammenhängen. 44.3.2 Emotional-basierte Entscheidungsfähigkeit Katatone Patienten zeigen sowohl motorische als auch behaviorale Anomalien, die, wie das subjektive Erleben gezeigt hat, offenbar in einem engen Zusammenhang mit dem emotionalen Erleben stehen. Möglicherweise ist daher bei den katatonen Patienten die emotional-basierte Entscheidungsfähigkeit, wodurch motorische und behaviorale Handlungen initiiert werden, gestört. Dieses wurde in einer Untersuchung bei katatonen Patienten mit dem »Iowa-Gambling-Task« (IGT) getestet. Der IGT besteht in einer Selektion von Hoch- oder Risikokarten in vier verschiedenen Blocks. Bei Hochrisikokarten kann der Proband sehr viel gewinnen, allerdings auch sehr viel verlieren. Im Unterschied dazu besteht bei den Niedrigrisikokarten ein sehr viel geringeres Risiko viel zu verlieren, aber auch ein niedrigerer Gewinn. Im Verlaufe der Aufgabe, die über vier Blöcke durchgeführt werden soll, erweist es sich von Vorteil, niedrigere Risikokarten zu wählen, da sie einen höheren Gewinn, Längsschnittgewinn bzw. Nettogewinn, versprechen als Hochrisikokarten. Nach Damasio ist diese Lern- und Entscheidungsfähigkeit emotional basiert und nicht mit einer rein kognitiven bzw. rationalen Wahl gleich zu setzen. Gesunde Probanden zeigen am Anfang eine starke Selektion von Hochrisikokarten und im Verlauf und am Ende des Testes einen höheren Anteil von Niedrigrisikokarten im Vergleich zu Hochrisikokarten. Dies bedeutet, dass sie gelernt haben, dass die Niedrigrisikokarten einen höheren Nettogewinn versprechen als Hochrisikokarten. Interessanterweise zeigten non-katatone schizophrene Patienten ein ähnliches Muster wie die gesunden Probanden, d. h. Hochrisikokarten am Anfang und Niedrigrisikokarten am Ende, welches darauf hinweist, dass sie ihre emotionalbasierte Lern- und Entscheidungsfähigkeit weitgehend erhalten ist. Im Unterschied dazu zeigten die katatonen Patienten nicht das typische Verteilungsmuster von Hoch- und Niedrigrisikokarten. Anders als gesunde und schizophrene Probanden wählten sie auch am Ende Hochrisikokarten und waren somit nicht in der Lage, eine emotional-basierte Lern- bzw. Entscheidungsfähigkeit zu zeigen. Im Unterschied dazu unterschieden sich die katatonen Patienten nicht in exekutiven Funktionen, dem Wisconsin-CardSorting-Test; beide Gruppen zeigten signifikant stärkere Defizite als Gesunde, unterschieden sich allerdings nicht voneinander. Zusammengefasst deuten diese Befunde darauf hin, dass bei den katatonen Patienten ein spezifisches Defizit in der emotionalbasierten Lern- bzw. Entscheidungsfähigkeit vorliegt, welches nicht auf exekutive Dysfunktionen zurückzuführen ist.
565 44.4 · Pathopsychologische Hypothesen der Symptome der Katatonie
44.4
Pathopsychologische Hypothesen der Symptome der Katatonie
44.4.1 Pathopsychologie der motorischen
Symptome Die Befunde weisen darauf hin, dass die katatonen Patienten unter einem spezifischen Defizit der Termination von Bewegungen leiden. Die Termination von Bewegungen erfordert ein »OnlineMonitoring« der räumlichen Position der Bewegung. Die Befunde sprechen dafür, dass ein solches »Online-Monitoring« der räumlichen Position der Bewegung verändert ist und dass dieses Defizit möglicherweise mit einer Dysfunktion im rechten posterioparietalen Kortex zusammenhängt. Das »Online-Monitoring« der räumlichen Bewegung muss die Lokalisation und Direktion der räumlichen Position der Bewegung und Glieder in Relation zum intrapersonalen Raum des eigenen Körpers registrieren. Es ist somit eine gewisse räumliche Aufmerksamkeit notwendig, die einen »Shift« von extrapersonalem sensorischen Raum zu dem personalen und bzw. körperlichen Raum erlaubt. Nur wenn eine solche Verschiebung der Aufmerksamkeit zwischen intra- und extrapersonalen Raum möglich ist, kann die jeweilige Position von Bewegungen registriert und bewusst wahrgenommen werden. Wenn aber eine solches »internes räumliches Monitoring« ausfällt bzw. defizitär ist, kann die räumliche Position der entsprechenden Bewegungen nicht wahrgenommen werden, nicht registriert werden und dementsprechend dann auch nicht bewusst erlebt werden. Genau diese scheint möglicherweise der Fall bei der Katatonie zu sein und dem Erleben der Patienten von »komplett normalen Bewegungen« auch sogar im akuten Zustand des Haltungsverharrens zu entsprechen. Es muss allerdings auch darauf hingewiesen werden, dass sich katatone Patienten, bei denen eine rechts parietale Dysfunktion vermutet wird, von Patienten mit Neglect, bei denen eine rechts parietale Läsion vorliegt, in folgender Hinsicht klinischsymptomatisch unterscheiden: 1. Patienten mit Neglect zeigen kein Haltungsverharren; 2. Patienten mit Neglect verneinen die Existenz von Körpergliedern bzw. der rechten Hälfte ihres Körpers komplett und vernachlässigen diese Teile vollständig, sodass sie mit ihnen auch gegen externe räumliche Gegenstände stoßen; dieses ist bei katatonen Patienten nicht der Fall. 3. Patienten mit Neglect zeigen Aufmerksamkeitsdefizite, die in dieser Form bei katatonen Patienten nicht beobachtet wurden. 4. Patienten mit Neglect zeigen häufig sensorische Defizite, die bei katatonen Patienten nicht vorkommen. 5. Patienten mit Neglect zeigen ein eindeutiges rechts-links Muster in Bezug auf ihre Symptome, welches in dieser Form bei katatonen Patienten nicht beobachtet wird. 6. Patienten mit Neglect zeigen Defizite in peri- und extrapersonalen Raum, wie sie bei katatonen Patienten nicht beobachtet werden.
44
44.4.2 Pathopsychologie der behavioralen
Symptome Komplexe Verhaltensweise erfordern ein »Online-Monitoring« bzw. ein »internes Monitoring« der entsprechenden Bewegung. Dieses scheint bei katatonen Patienten gestört zu sein, da sie offenbar nicht in der Lage sind entweder komplexe Verhaltensmuster selber zu initiieren oder sie bestimmte Verhaltensweisen nicht mehr unterdrücken, regulieren und steuern können. Die katatonen Patienten sind sich allerdings weder der motorischen noch der behavioralen Anomalien bewusst, d. h. sie sind offenbar nicht in der Lage, diese entsprechend wahrzunehmen, online zu registrieren und sie dann bewusst als solche zu erleben. Die bewusste Wahrnehmung von Bewegungen steht in einem Zusammenhang mit dem »internen Monitoring« und der Generierung von »internen Modellen« der entsprechenden Bewegung. Nach Frith und Wolpert können verschiedene interne Modelle von Bewegungen unterschieden werden. Der motorische Apparat wird kausal repräsentiert als ein »Forward Dynamic Model« wohingegen das Modell des Verhaltens und der Umwelt als ein »Forward output Model« registriert wird. Es kann weiterhin ein »inverses Modell« unterschieden werden, bei dem der kausale Fluss des motorischen Systems invertiert wird zur Repräsentation der kausalen Ereignisse, die den entsprechenden motorischen Zustand hervorgerufen haben. Im Rahmen eines solchen Modells kann zwischen dem vorhergesagten und dem aktuellen Zustand unterschieden werden, beide werden miteinander verglichen und aus dem Vergleich beider resultiert dann das »Online-Monitoring« und die Registrierung der räumlichen Position der Bewegungen. Dieser Vergleich zwischen aktuellem und vorhergesagtem bzw. prädiziertem Zustand und die daraus resultierende Abschätzung der räumlichen Position scheint bei der Katatonie gestört zu sein und letztendlich zu dem Defizit in der Termination der Bewegung zu führen. Hieraus resultiert wiederum offenbar das Haltungsverharren als das bizarrste Symptom der Katatonie. Weiterhin scheinen die behavioralen Symptome wie die Befehlsautomatie, der Negativismus, die Perseveration, die Echolalie/-praxie und das Mitgehen/Mitmachen vor allem durch eine Unfähigkeit der Unterdrückung von Verhalten bedingt zu sein. Inhibitorische Kontrolle von Verhaltensweisen und Bewegungsimpulsen scheint bei der Katatonie gestört zu sein. Aufgrund der Unfähigkeit eine inhibitorische Kontrolle auszuüben, sind die Patienten nicht in der Lage einmal begonnene Verhaltensweisen zu unterdrücken bzw. sie zu modulieren und in andere Bewegungs- und Verhaltensweisen zu überführen. Statt eines Wechsels der Handlung kommen dann hyperkinetische und behaviorale Symptome wie Stereotypien, Echolalie/-praxie, Perseveration etc. zustande. Die Patienten sind dann nicht mehr in der Lage, ihre eigenen Verhaltensweisen zu kontrollieren und sie ihren inneren Wünschen entsprechend zu gestalten. Sie werden dann vollständig abhängig von externen Stimulationen, auf die sie dann in entsprechender Form repetitiv reagieren.
566
Kapitel 44 · Katatonie – Psychologie
44.4.3 Pathopsychologie der affektiven Symptome
44
Die Katatonie kann durch extremste Emotionen charakterisiert werden, wodurch die Patienten offenbar nicht mehr in der Lage sind, ihre Emotionen entsprechend zu unterdrücken und kognitiv zu kontrollieren. Die Patienten können nicht mehr mittels bewusst und wahr werdenden Emotionen die Intensität derselbigen modulieren und reduzieren; d. h. sie sind nicht mehr in der Lage, eine entsprechende Top-Down-Modulation durchzuführen. Stattdessen werden die Patienten von ihren eigenen Emotionen überflutet, die sie extrem intensiv erleben, und dann entsprechend unfähig sind diese zu kontrollieren bzw. kognitiv zu steuern. Exkurs Psychomotorische Genese der Katatonie Die Katatonie wurde ursprünglich von Kalbaum als ein psychomotorisches Syndrom beschrieben, welches nachfolgend von Kraeplin und Bleuler auf eine motorische Genese reduziert wurde. In Anbetracht der vorliegenden neuropsychologischen Befunde kann jedoch das ursprüngliche Psychomotorische Konzept von Kalbaum gestützt werden. Bei den katatonen Patienten scheinen primär Dysregulationen in der kognitiven Kontrolle von Emotionen vorzuliegen. Diese emotionalen Defizite scheinen frühzeitig vorzuliegen und schon vor der akuten Erkrankung gegeben zu sein. Die motorischen Symptome sind dann offenbar Ausdruck des Versuchs des Umgangs mit diesen affektiven Veränderungen und den entsprechenden Erlebnisformen. Die Katatonie kann somit in einem ganz konkreten Sinne als psychomotorisches Syndrom betrachtet werden.
44.5
Zusammenschau der dargestellten Befunde
Die Katatonie ist ein komplexes Krankheitsbild, welches als ein psychomotorisches Syndrom angesehen werden muss, das sowohl bei affektiven und schizophrenen Psychosen als auch bei organischen Erkrankungen auftreten kann. Es handelt sich bei der Katatonie um eine komplexe Kombination von motorischen behavioralen und affektiven Symptomen. Die motorischen Symp-
tome, wie z. B. das Haltungsverharren, stehen möglicherweise in einem Zusammenhang mit einem Defizit der Termination von Bewegungen. Die behavioralen Symptome lassen sich möglicherweise auf eine motorische Anosognosie der räumlichen Position der Bewegungen zurückführen, wobei hier möglicherweise auch ein Defizit in der Hemmung und kognitiven Kontrolle von einmal initiierten Bewegungen und Handlungen eine Rolle spielt. Die affektiven Auffälligkeiten stehen möglicherweise in einem Zusammenhang mit Defiziten im emotional-basierten Entscheidungsverhalten und der kognitiven Kontrolle von Emotionen. Obwohl die gegenwärtige Literatur an die ursprünglich von Kahlbaum beschriebene Komplexität der Symptomatik wieder anknüpft, sind jedoch bisher nur vereinzelte systematische empirische Studien zur Neuro- und Pathopsychologie der verschiedenen katatonen Symptome verfügbar. Eine detaillierte und ausführliche Untersuchung der Neuropsychologie bei der Katatonie erscheint jedoch notwendig, um entsprechende Hypothesen für die zukünftige Untersuchung der neurobiologischen Mechanismen bei der Katatonie zu entwickeln.
Literatur Kahlbaum K (1874) Die Katatonie oder das Spannungsirrese. In: Eine Form Psychischer Krankheit. Hirschwald, Berlin Kleist K (1943) Die Katatonie (German) Nervenarzt 16: 1–10 Northoff G, Wenke J, Demisch L et al. (1995) Catatonia: short-term response to lorazepam and dopaminergic metabolism. Psychopharmacology 122: 182–186 Northoff G, Wenke J, Krill W et al. (1995) Ball experiments in 32 acute akinetic catatonic patients: deficits of internal initiation and generation of movements. Mov Disord 10(5): 589–595 Northoff G, Demisch L, Wenke J et al. (1996) Plasma homovanillic acid concentration in catatonia. Biol Psychiatry 39: 436–443 Northoff G, Eckert J, Fritze J (1997) Glutamatergic dysfunction in catatonia? Successful treatment of three acute akinetic catatonic patients with the NMDA-antagonist amantadine. J Neurol Neurosurg Psychiatry 62: 404–406 Northoff G, Krill W, Eckert J et al. (1998) Subjective experience of akinesia in catatonia and Parkinson`s disease. Cognit Neuropsychiatry 3(3): 161–178 Northoff G, Braus DF, Russ M et al. (1999) Reduced activition and altered laterality in neuroleptic-naive cataatonic patients during a motor task in functional MRI. Psychol Med 29: 997–1002
45
45 Katatonie – Bildgebung Georg Northoff und Rabea Paus
45.1
Strukturelle Befunde der Katatonie
45.1.1
Computertomographie (CT) – 568
– 568
45.2
Funktionale Befunde der Katatonie
45.2.1 45.2.2
Magnetresonanztomographie (MRT) – 568 rCBF und SPECT – 569
– 568
45.3
Elektrophysiologische Befunde der Katatonie
45.3.1
MRCP (»Movement-related cortical potentials«) – 570
45.4
Pathophysiologische Hypothesen aufgrund der Befunde durch Bildgebung bei Katatonie – 570
45.4.1 45.4.2 45.4.3
Pathophysiologie der motorischen Symptome – 570 Pathophysiologie der affektiven Symptome – 571 Pathophysiologie der behavioralen Symptome – 572
45.5
Zusammenschau der dargestellten Befunde Literatur
– 573
– 570
– 572
568
Kapitel 45 · Katatonie – Bildgebung
Die Katatonie mit ihrem facettenreichen Symptombild fasziniert Wissenschaftler schon seit Kahlbaums Erstbeschreibung am Ende des 19. Jahrhunderts. Am Anfang des 20. Jahrhunderts reduzierten Kraeplin und Bleuler die komplexe katatone Symptomatik auf die motorischen Symptome. Daran anknüpfend stellten frühe neuropathologische Untersuchungen, u. a. von Kleist, subkortikale Veränderungen vor allem in den Basalganglien in den Vordergrund. Durch die neueren bildgebenden Verfahren rücken vor allem kortikale Regionen in den Blickpunkt.
45
45.1
Strukturelle Befunde der Katatonie
45.1.1 Computertomographie (CT) Die strukturelle Bildgebung bisheriger Studien kommt zu teilweise recht widersprüchlichen Ergebnissen. Es gibt eine Studie, die mithilfe der Computertomographie 37 Patienten mit katatoner Schizophrenie sowie vergleichend Patienten mit hebephrener oder paranoider Schizophrenie untersuchte. Dabei zeigten die katatonen Patienten eine diffuse kortikale Vergrößerung, insbesondere parietal und präfrontal betont, gegenüber der Vergleichsgruppe. Bei allen drei Gruppen wurden Veränderungen des temporalen Kortex beobachtet. Des Weiteren zeigte sich eine signifikante Korrelation zwischen Veränderungen links frontotemporaler Regionen und der Dauer der Erkrankung. Andere Autoren wiederum beobachteten eine zerebelläre Atrophie (Wilcox 1991), die jedoch weder systematisch noch quantitativ weiter untersucht worden ist. 45.2
Funktionale Befunde der Katatonie
45.2.1 Magnetresonanztomographie (MRT) Die funktionellen MRT-Studien zur Untersuchung der Veränderungen bei Katatonie sind leider meist nur einzelne Fallbeschreibungen. So wurden z. B. 2 katatone Patienten mit schizophrener Psychose mit einem Paradigma untersucht, das primär den motorischen Kortex aktivieren sollte (aufeinander folgende Fingeroppositionen zunächst mit der rechten, dann mit der linken Hand). Dabei ergab sich ein inverses Muster der Lateralisierung. Die Patienten zeigten eine verminderte Aktivität des jeweils kontralateralen motorischen Kortex, wo normalerweise die kontralaterale Seite eine 4 bis 5-mal höhere Aktivität als die ipsilaterale Seite zeigt (Northoff et al. 1999b). Dennoch sollte berücksichtigt werden, dass diese Befunde von nur 2 Patienten stammen. Aufgrund subjektiver Erfahrungen weiß man, dass bei Katatonen intensive Interaktionen zwischen motorischer und emotionaler Aktivität bestehen. Daher wurde ein fMRT- und MEG-Paradigma entwickelt, das sowohl affektive als auch motorische Stimuli enthielt. Damit wurden jeweils 10 katatone und nichtkatatone Patienten mit affektiver und schizophrener Psychose sowie ge-
sunde Kontrollen untersucht. Dabei zeigten die katatonen Patienten während negativer emotionaler Stimulation eine Deaktivierung im medial-orbitofrontalen- und eine Aktivierung im lateral-orbitofrontalen Kortex. Dieses Muster zeigte sich bei den gesunden Kontrollen in genau umgekehrter Weise. Des Weiteren war eine Verschiebung der Hauptaktivierungen zum anterioren Cingulum und medial-präfrontalen Kortex zu beobachten. Da insbesondere der medial-orbitofrontal Kortex reziprok mit der Amygdala verbunden ist, scheint er besonders an negativ-emotionalen Prozessierung beteiligt zu sein; weiter wurden abnorme orbitofrontale-prämotorische/motorische Verbindungen beobachtet (Northoff et al. 2004). Die affektiven und behavioralen Katatonie-Symptome korrelierten signifikant mit reduzierter medial orbitofrontaler Aktivität, während die motorischen Symptome mit den prämotorischen und motorischen kortikalen Aktivitäten korrelierten. Ein wesentliches Problem katatoner Patienten sind posturale Störungen – die Unfähigkeit, Bewegungen zu terminieren. Dies ist wahrscheinlich mit einer Veränderung des »Online-Monitorings« von Bewegungen verbunden. Der Begriff »Online-Monitoring« bezeichnet in diesem Zusammenhang die ständige Kontrolle einzelner Komponenten der Bewegung, wie z. B. der Rückmeldung über die Anordnung der einzelnen Körperteile im Raum. Ausgehend von dieser Hypothese wurde für die fMRT eine Working-Memory-Aufgabe entwickelt und an jeweils 6 katatonen und nichtkatatonen Patienten mit affektiver und schizophrener Psychose sowie gesunden Kontrollprobanden untersucht. Dabei zeigten die Patienten signifikante Aktivitätsverringerungen des rechten lateralen orbitofrontalen und ventrolateralen präfrontalen Kortex (VLPFC). Im Gegensatz zur verringerten orbitofrontalen Aktivität zeigte der rechte dorsolateralen präfrontale Kortex (DLPFC) einen Anstieg der Aktivität. Die behavioralen Symptome korrelierten signifikant mit der Aktivität des rechten lateralen orbitofrontalen Kortex, während die motorischen Symptome eine signifikante Beziehung zum rechten DLPFC aufwiesen.
Bei Katatonie scheint der parietale Kortex, besonders rechts, möglicherweise eine wesentliche Rolle zu spielen; zusätzlich sind Veränderungen des orbitofrontalen Kortex zu verzeichnen. Ebenso legen die Resultate der Bildgebung nahe, dass das neuronale Netzwerk zwischen dem orbitofrontalen, prämotorischen Kortex und dem posterior parietalen Kortex der rechten Hemisphäre bei Katatonie Veränderungen aufweist. Doch diese Hypothesen erscheinen noch spekulativ, da sie sich nur auf einzelne Befunde stützen und noch nicht hinreichend während einer akuten katatonen Phase untersucht worden sind.
569 45.2 · Funktionale Befunde der Katatonie
45
Orbitofrontale kortikale Dysfunktion bei akinetischer Katatonie: Eine fMRT-Studie während negativer Stimulation (Aus Northoff et al. 2004; eigene Übersetzung des Autors). Bei der Katatonie liegt ein abnormes emotional-motorisches Processing vor, welches durch ein Netzwerk im präfrontalen Kortex vermittelt wird. Daher wurde mittels fMRT die Aktivität des präfrontalen Kortex und dessen Konnektivitätsmuster bei jeweils 10 Katatoniepatienten in der postakuten Phase und nichtkatatonen psychiatrischen Patienten (gematched nach Alter, Geschlecht, Diagnose und Medikation) sowie gesunden Kontrollprobanden untersucht. Die emotionale Stimulation erfolgte mit positiven und negativen Bilder aus dem IAPS (»International Affektive Picture System«). Dabei zeigten sich Aktivitäten in verschiedenen Regionen des frontalen Kortex. Durch Strukturgleichungsmodelle wurden die funktionellen Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Regionen im präfrontalen Kortex untersucht. Dabei zeigten die katatonen Patienten bei Stimulation mit positiven und nega-
45.2.2 rCBF und SPECT Die Untersuchung des zerebralen Blutflusses (rCBF) katatonschizophrener Patienten zeigte: 4 Eine rechts-links Asymmetrie der Basalgangliendurchblutung mit einer Hyperperfusion der linken Seite bei einem Patienten (Luchins et al. 1989). 4 Bei zwei Patienten eine Hypoperfusion der links mediotemporal gelegenen Strukturen. 4 Bei einem Patienten eine Veränderung der Perfusion rechts parietal und kaudal (Liddle 1993). 4 Bei 6 Patienten einen Perfusionsabfall im rechten parietalen Kortex (Satoh et al. 1993). Darüber hinaus untersuchte eine SPECT-Studie systematisch den rCBF bei jeweils 10 postakuten katatonen und nichtkatatonen Patienten mit affektiver und schizophrener Psychose sowie einer Exkurs Therapeutische Intervention bei Katatonie 60–80% der akut katatonen Patienten sprachen innerhalb der ersten 5–10 min oder zumindest innerhalb von 24 h auf den GABAA-Rezeptoragonisten Lorazepam, ein Wirkstoff, der der Substanzklasse der Benzodiazepine zuzuordnen ist, an (Bush et al. 1996; Northoff et al. 1995; Rosebush et al. 1990). Während sich insbesondere bei chronisch katatonen Patienten keine Wirksamkeit von Lorazepam zeigte, konnte bei diesen Patienten teilweise mit einer Wirkungsverzögerung von 2–4 Tagen nach Gabe des NMDA-Agonisten Amantadin eine sukzessive therapeutische Besserung beobachtet werden (Northoff et al. 1997). Auch die EKT zeigte besonders bei chronischer Katatonie wirksame Erfolge.
tiven Bildern, im Vergleich zu den psychiatrischen und gesunden Kontrollen, Veränderungen des Aktivitätsmusters im orbitofrontalen Kortex (OFC) und der funktionellen Verbindung zum prämotorischen Kortex. Die behavioralen und affektiven Symptome korrelierten signifikant mit der Aktivität des OFC, während die katatonen motorischen Symptome eher mit der Aktivität des medialen präfrontalen Kortex assoziiert waren. Daraus wurde geschlossen, dass eine emotional-motorische Dysfunktion des orbitofrontalen Kortex mit seinen Verbindungen zum prämotorischen Kortex eine wesentliche Rolle bei der Katatonie spielt. Da die Patienten im postakuten Stadium gemessen wurden, sind die Veränderungen des OFC als ein »Trait-Marker« zu interpretieren, der vielleicht sogar prädisponierend für die Entstehung der Katatonie bei schizophrenen oder affektiven Psychosen ist.
gesunden Vergleichsgruppe. Dabei ergaben sich folgende Ergebnisse – die katatonen Patienten zeigten einen Perfusionsanstieg im rechten posterior-parietalen und rechten inferior-lateralen präfrontalen Kortex im Vergleich zu den psychiatrischen und gesunden Kontrollen. Zudem korrelierte der Perfusionsanstieg des rechten parietalen Kortex signifikant mit den motorischen und affektiven Symptomen sowie mit den räumlich-visuellen Fähigkeiten und den Aufmerksamkeitsfähigkeiten in neuropsychologischen Untersuchungen (Northoff et al. 2000). Zur genaueren Untersuchung der GABAA-Rezeptoren bei katatonen Patienten, insbesondere unter Berücksichtigung der Wirksamkeit des GABAA-Rezeptoragonisten Lorazepam, wurde eine SPECT-Untersuchung mit jeweils 10 katatonen und nichtkatatonen Patienten mit affektiver oder schizophrener Psychose und 20 gesunden Kontrollen durchgeführt (Northoff et al. 1999a). Dazu untersuchte man das Bindungsverhalten von Iomazenil, einem Liganden, der an die Benzodiazepin-Untereinheit des GABAA-Rezeptors bindet, ohne dort Veränderungen der Rezeptoraktivität hervorzurufen, und daher nicht nur die Anzahl, sondern auch die Funktion der GABAA-Rezeptoren widerspiegelt. Dabei zeigten die Katatoniepatienten signifikant niedrigere GABAA-Rezeptorbindungen und veränderte rechts-links Beziehungen im linken sensomotorischen Kortex verglichen mit den beiden anderen Gruppen. Ebenfalls signifikant niedrigere Bindungen zeigten sie im Bereich des rechten lateralen orbitofrontalen und rechten posterioren parietalen Kortex signifikant korrelierend mit motorischen und affektiven, aber nicht behavioralen katatonen Symptomen.
570
Kapitel 45 · Katatonie – Bildgebung
Exkurs Biochemische Grundlagen der Katatonie
45
Dopamin ist möglicherweise von primärer Relevanz in der Pathogenese der Katatonie. Bereits frühe Studien zeigten einen vermehrten Gehalt dopaminerger und nor-/adrenerger Metaboliten (Homovanillinsäure und Vanillinsäure) im Urin von Patienten mit akuter Katatonie. Neuere Untersuchungen des Homovanillinsäuregehaltes im Plasma von 32 akut katatonen Patienten zeigten einen deutlichen Anstieg, insbesondere bei solchen Patienten, die auf die Gabe von Lorazepam reagierten (Northoff et al.1995, 1996). Diese Daten deuten eine gewisse Hyperaktivität des dopaminergen Systems bei Katatonie an. Demgegenüber widersprüchlich erscheinen die Beobachtungen der Induktion katatoner Symptome durch neuroleptische Medikation, die den dopaminergen Metabolismus antagonisierend unterdrückt. Daher müssen mögliche dopaminerge Ursachen der Katatonie differenziert betrachtet werden. GABAA (Gammaaminobuttersäure A) und seine Rezeptoren sind insbesondere durch die Wirksamkeit des GABAA-Rezeptor-
45.3
Elektrophysiologische Befunde der Katatonie
agonist Lorazepam (s. oben) bei Katatonie möglicherweise von wesentlicher Bedeutung. Glutamat oder das glutamaterge Systems, besonders die NMDA-Rezeptoren (N-Methyl-D-Aspartat) scheinen ebenfalls eine Rolle bei Katatonie einzunehmen. So zeigten einige Patienten, die nicht auf Lorazepam angesprochen haben, erfolgreiche Resultate bei der Gabe des NMDA-Agonisten Amantadin (s. oben). Da weder die NMDA-Rezeptoren, noch Interaktionen mit GABAA-Rezeptoren im Zusammenhang mit Katatonie hinreichend erforscht worden sind, bleiben auch die Vermutungen bezüglich der pathogenetischen Relevanz beider Transmittersysteme noch spekulativ. Das serotonerge System scheint unter Berücksichtigung, dass eine gewisse Unausgeglichenheit bei Katatonie bezüglich einer Hinaufregulation von 5-HT1A-Rezeptoren und einer Hinunterregulation der 5-HT2A-Rezeptoren zu beobachten ist, ebenfalls bei Katatonie eine Rolle zu spielen. Doch auch hier ist die Studienlage noch unsicher.
zögerung der späten Bereitschaftspotenziale an der frontoparietalen Elektrode.
45.3.1 MRCP (»Movement-related cortical
potentials«) Die Generierung willkürlicher Bewegungen setzt die Planung, Initiation, Exekution und letztendlich auch die Termination des Bewegungsablaufes voraus. Insbesondere unter Berücksichtigung dieser Grundlagen erscheint eine nähere Untersuchung der bewegungsabhängigen kortikalen Potenziale gerade bei katatonen Patienten interessant, da diese doch in der akuten Phase erhebliche Defizite in diesem Bereich zu haben scheinen. Dazu wurden in einer Studie jeweils 10 postakute katatone und nichtkatatone Patienten mit affektiver oder schizophrener Psychose und 20 gesunde Kontrollprobanden während FingerTappings vergleichend untersucht (Northoff 2002). Hierbei zeigten sich für die Versuchsgruppen gemeinsam keine signifikanten Unterschiede der Amplitude der frühen Bereitschaftspotenziale, die die Planung und Initiation von Bewegungen im DLPFC (dorsolateralen präfrontalen Kortex) und der SMA (supplementär-motorische Area) widerspiegeln. Bei den späten Bereitschaftsund Bewegungspotenzialen, die besonders die Exekution von Bewegungen in der posterioren SMA und dem motorischen Kortex widerspiegeln, zeigten die katatonen Patienten im Gegensatz zu den Vergleichsgruppen jedoch eine signifikante Latenzverzögerung und Amplitudenveränderung an der zentralen Elektrode. Diese Latenzverzögerung korrelierte signifikant mit den motorischen Symptomen und der Bewegungsdauer. Zusätzlich führte Lorazepam bei den katatonen Patienten im Vergleich zu den anderen Kontrollgruppen zu einer signifikant noch stärkeren Ver-
45.4
Pathophysiologische Hypothesen aufgrund der Befunde durch Bildgebung bei Katatonie
45.4.1 Pathophysiologie der motorischen
Symptome Die motorischen Hauptsymptome der Katatonie, die Akinese und das Haltungsverharren, hängen möglicherweise mit einem Defizit in der Termination von Bewegungen zusammen. Dies zeigte sich auch klinisch bei dem recht einfachen Ballversuch, bei dem akut katatone Patienten einen Ball fangen, werfen, stoppen und wegschießen – die Patienten sind gut in der Lage Bewegungen zu initiieren, aber nicht wieder angemessen zu terminieren. Sie verharren folglich in der begonnen Bewegung. Möglicherweise spielt eine Dysfunktion des rechten parietalen Kortex eine zentrale Rolle in der Unfähigkeit der Termination von Bewegungen. Befunde aus Bildgebung und auch Neuropsychologie lassen auch auf eine Beziehung zwischen dem Anstieg des rCBF im rechten posterior-parietalen Kortex und Defiziten in visuell-konstruktiven Funktionen schließen. Es liegt möglicherweise ein Defizit im Monitoring der räumlichen Position vor; so kann kein katatoner Patient einschätzen, wo sich sein Arm z. B. im Raum befindet bzw. befand, es bleibt eine sog. posturale Anosognosie. Zusammenfassend sind Veränderungen des rechten posterior-parietalen Kortex – verbunden mit der Registrierung und dem »Online-Monitoring« der räumlichen Position der Bewe-
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571 45.4 · Pathophysiologische Hypothesen aufgrund der Befunde durch Bildgebung bei Katatonie
45
Katatone Patienten zeigen auch starke affektive Veränderungen. Im Stupor empfinden diese Patienten sehr starke, intensive und kaum kontrollierbare Ängste und Antriebsstörungen, die konsekutiv zu Bewegungsunfähigkeit führen (Northoff et al. 1998). Möglicherweise spielt hier das bereits oben beschriebene abnorme Aktivitäts-/Deaktivitätsmuster im medial-orbitofrontalen Kortex (OFC) und lateral-orbitofrontalen/präfrontalen Kortex eine zentrale Rolle. Die veränderte Aktivität im OFC als Zeichen
der affektiven Störungen bei Katatonie ist wahrscheinlich Ausdruck der Unfähigkeit das Ausmaß negativer emotionaler Erlebnisse zu kontrollieren. Zusätzlich fanden sich bei katatonen Patienten Veränderungen der funktionellen Verbindung zwischen dem medial-orbitofrontalen und prämotorischen/motorischen Kortex als möglicher Ursprung der motorischen Symptome der Katatonie. Diese Hypothese korrespondiert gut mit der frühen Charakterisierung der Katatonie durch Homburger (Northoff 2002), der diese als eine psychomotorische Erkrankung beschrieb. Die Aktivitäts-/Deaktivitätsmuster in den lateral- und medialorbitofrontalen Kortizes scheinen während emotionaler Stimuli durch GABAerge Transmission moduliert zu werden. Die Gabe von Lorazepam an gesunden Kontrollprobanden führte zu einer Umkehrung der Aktivitäts-/Deaktivitätsmuster in exakt der gleichen Weise wie sie bei den Katatonen zu beobachten waren, ohne Einnahme von Lorazepam. Die Veränderungen der Aktivitäts-/Deaktivitätsmuster im medial- und lateral-orbitofrontalen Kortex sind daher vermutlich mit einer Dysfunktion des
. Abb. 45.1. Pathophysiologisches kortikokortikales Interaktionsmodell als Ausdruck «horizontaler Modulafion« bei Katatonie. Abbildung zeigt das kortikokortikale Netzwerk, das hypothetisch den katatonen Symptomen zugrunde liegt. Eine Dysfunktion des GABAergen Gleichgewichtes zwischen medialem und lateralem orbitofrontalem Kortex (OFC) führt möglicherweise zu Veränderungen des medialen präfrontalen
Kortex (PFC)-Pfades als potenzielle Begleiterscheinung der emotionalen und motorischen Symptome und zu Veränderungen des Netzwerkes zwischen lateralem OFC, dorsolateralem Kortex und posterior-parietalem Kortex als Ausdruck der behavioralen Symptome. Daraus resultiert die Annahme, dass die Veränderungen der kortikokortikalen Interaktion als Form einer «horizontalen Modulation« zu sehen sind. X = Störung
gung und der Termination – und die GABAerge Transmission von zentraler Bedeutung bezüglich der Pathophysiologie der motorischen Symptome der Katatonie. Unklar bleibt noch, ob die Basalganglien, wie in den initialen, frühen neuropathologischen Studien vermutet, an der Pathophysiologie der Erkrankung beteiligt sind, da eine adäquate Visualisierung dieser mittels bildgebender Verfahren sich eher schwierig gestaltet. 45.4.2 Pathophysiologie der affektiven Symptome
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572
45
Kapitel 45 · Katatonie – Bildgebung
GABAergen Systems verbunden. Diese Vermutung steht in Einklang mit den Befunden der SPECT, die eine Reduktion der Iomazenil-Bindung und somit eine verminderte Zahl und Aktivität im rechten inferioren präfrontalen Kortex messen konnten. Vermutlich führt die verminderte Inhibition (reduzierte GABAerge Transmission) zu der Unfähigkeit des orbitofrontalen Kortex seine »Gate-Funktion« zu den weiter geschalteten präfrontalen und frontalen Arealen auszuüben, so dass es zu Dysregulationen des ganzen Komplexes kommt. Leider bleiben solche Vermutungen noch spekulativ, da es noch keinen direkten Beweis für derartige bilaterale Abhängigkeiten gibt. Zusammenfassend liegen bei der Katatonie Veränderungen im neuronalen Netzwerk zwischen medial-orbitofrontalem und prämotorischem/motorischem Kortex vor, in Folge dessen vermutlich emotionale Funktionen in abnorme Bewegungen transformiert werden. Von ebenfalls zentraler Bedeutung ist die Verbindung der Amygdala mit dem medial-orbitofrontalen Kortex während negativ-emotionaler Prozessierung. . Abb. 45.1 zeigt Veränderungen des Aktivitätsmusters im medialen und lateralen OFC, verbunden mit einer vermutlichen Dysfunktion des GABAergen-Systems, führen wohl zu einer Fehlregulationen im frontalen und präfrontalen Arealen.
hat, besonders zum Nucleus caudatus, nimmt man an, dass Veränderungen des orbitofrontalen Kortex zu einer nachfolgenden Modulation der Funktion der Basalganglien führt. Diese direkte orbitofrontale Caudatus-Beziehung führt vermutlich zu den abnorm generierten Bewegungen im Zusammenhang der behavioralen Veränderungen. Auch diese Annahme bleibt noch zu prüfen. Zusammenfassend kann man sagen, dass die behavioralen Veränderungen der Katatonie vermutlich durch Defizite der Verhaltenskontrolle, die durch eine reduzierte Kapazität des »OnlineMonitorings« gekennzeichnet sind, verursacht werden. Diese Defizite resultieren aus der veränderten und reduzierten Aktivität im lateral-orbitofrontalen und prämotorischen Kortex. Da der lateralorbitofrontale Kortex reziprok mit dem posterior-parietalen Kortex verbunden ist, vermutet man eine dysfunktionale rechts hemisphärische Verbindung zwischen beiden Regionen, die für die Defizite im »Online Monitoring« der räumlichen Positionseinschätzung von Bewegungen verantwortlich sind. Des Weiteren wird die dysfunktionale lateral-orbitofrontal-posterior-parietale Verbindung durch Interaktionen der GABAergen und glutamatergen Transmission moduliert. Die folgende Übersicht gibt noch einmal eine kurze Zusammenfassung der pathophysiologischen Grundlagen. 45.5
45.4.3 Pathophysiologie der behavioralen
Zusammenschau der dargestellten Befunde
Symptome Neben den motorischen Symptomen zeigen katatone Patienten oft recht bizarre Veränderungen im Verhalten. In erster Linie sind dies repetitive Phänomene wie Echolalie, Stereotypien und Perseverationen. Solche Phänomene machen eine Unfähigkeit der katatonen Patienten zur Verhaltenskontrolle deutlich. Wir hypothetisieren, dass die abnorme Verhaltenskontrolle in einem Zusammenhang mit Defiziten im Arbeitsgedächtnis steht, bzw. mit dem Aspekt des »Online-Monitoring«. Aufgrund der Unfähigkeit aktuelle Bewegungen zu monitoren, geht das eigentliche Ziel derselben, die »goal-orientation« verloren, wodurch es dann zu einer Wiederholung der immer gleichen Bewegungen kommt. Gestützt durch die fMRT-Studien, in denen ein signifikanter Aktivitätsabfall im vorwiegend rechten lateral-orbitofrontalen und prämotorischen Kortex, der signifikant mit den Verhaltenssymptomen korrelierte, beobachtet wurde, wird eine Dysfunktion des lateral-orbitofrontalen Kortex als Grundlage der Defizite im »Online-Monitoring« und letztendlich der Verhaltensänderungen dieser Patienten diskutiert. Studien mit Patienten, die Läsionen in diesem Kortexbereich aufwiesen, zeigten ebenfalls repetitive Phänomene, ähnlich wie sie bei Patienten mit Katatonie beobachtet worden sind. Der lateral-orbitofrontale Kortex ist reziprok über lange Assoziationsfasern mit dem posterior-parietalen Kortex verbunden. Wir spekulieren, dass diese Beziehung möglicherweise für die Defizite der räumlichen Positionsregistrierung bei der Termination von Bewegungen verantwortlich ist (s. oben). Seit man weiß, dass der orbitofrontale Kortex direkte Verbindungen zu den Basalganglien
Pathophysiologische Befunde der Katatonie Neuropathologie 4 Nucleus caudatus 4 Nucleus accumbens 4 Pallidum 4 Substantia nigra - pars compacta 4 Thalamus Biochemie 4 Dopamin 4 GABA 4 Glutamat 4 Serotonin Elektrophysiologische Verfahren 4 Latenzverzögerung und Amplitudenveränderungen bei späten Bereitschafts- und Bewegungspotenzialen in der posterioren SMA und im motorischen Kortex Strukturelle und funktionale Bildgebung 4 Rechter präfrontaler Kortex 4 Rechter orbitofrontaler Kortex 4 Rechter parietaler Kortex GABA Gammaaminobuttersäure; EEG Elektroencephalographie.
573 Literatur
Gegenwärtig wird die Katatonie als ein psychomotorisches Syndrom gesehen, bestehend aus einer Kombination motorischer, affektiver und behavioraler Symptome. Insbesondere durch die rapide Weiterentwicklung moderner bildgebender Verfahren können Untersuchungen der neuronalen Netzwerke, die potenziell dem Symptomkomplex Katatonie unterliegen, durchgeführt werden. Die bisher vorliegenden Ergebnisse lassen vermuten, dass funktionelle Veränderungen der Netzwerke zwischen rechtem medialen/lateralen OFC und dem rechten posterior-parietalen Kortex vorliegen. Dies ist wohl auch der Grund der engen Beziehung zwischen emotionalen und motorischen Symptomen. Dieses rechtshemisphärisch gelegene Netzwerk zwischen medialen/lateralen OFC und posterior-parietalen Kortex wird höchstwahrscheinlich durch Interaktionen der GABAergen und glutamatergen Transmission moduliert. Folglich sollten die pathophysiologischen Untersuchungen der Katatonie wieder dort ansetzen, wo auch Kahlbaums initiale Beschreibung 1874 ansetzte, nämlich bei der Katatonie als psychomotorische Erkrankung.
Literatur Bush G, Fink M, Petrides G et al. (1996) Catatonia rating scale and standardized examination. Acta Psychiatr Scand 93:129–143 Kahlbaum K (1874) Die Katatonie oder das Spannungsirrese. In: Eine Form Psychischer Krankheit. Hirschwald, Berlin Liddle PF 1993 Volition and schizophrenia. In: David A, Cutting J, (eds) The Neuropsychology of Schizophrenia. Erlbaum, Hillsdale NY, pp 39–49 Luchins D, Metz R, Marks R et al. (1989) Basal ganglia regional metabolism asymmetry during a catatonic episode. Biol Psychiatry 28: 177 Northoff G, Wenke J, Demisch L et al. (1995) Catatonia: short-term response to lorazepam and dopaminergic metabolism. Psychopharmacology 122: 182–186
45
Northoff G, Demisch L, Wenke J et al. (1996) Plasma homovanillic acid concentration in catatonia. Biol Psychiatry 39: 436–443 Northoff G, Eckert J, Fritze J (1997) Glutamatergic dysfunction in catatonia? Successful treatment of three acute akinetic catatonic patients with the NMDA-antagonist amantadine. J Neurol Neurosurg Psychiatry 62: 404–406 Northoff G, Krill W, Eckert J et al. (1998) Subjective experience of akinesia in catatonia and Parkinson`s disease. Cognitive Neuropsychiatry 3(3): 161–178 Northoff G, Steinke R, Czervenka C et al. (1999a) Decreased density of GABA-A receptors in left sensomotor cortex in akinetic catatonia: investigation of in vivo benzodiazepine receptor binding. J Neurol Neurosurg Psychiatry 67: 445–451 Northoff G, Waters H, Bogerts B (1999b) Cortical sulcal entlargement in catatonic schizophrenia: a planimetric CT study. Psychiatr Res; 91: 45–54 Northoff G, Steinke R, Nagel D et al. (2000) Right lower prefronto-parietal cortical dysfunction in akinetic catatonia: a combined study of neuropsychology and regional cerebral blood flow. Psychol Med 30(3): 583–596 Northoff G (2002) What catatonia can tell us about »top-down modulation«: a neuropsychiatric hypothesis. Behav Brain Sci 25(5): 555–577; discussion 578–604; Review Northoff G, Kotter R, Baumgart F et al. (2004) Orbitofrontal cortical dysfunction in akinetic catatonia: a functional magnetic resonance imaging study during negative emotional stimulation. Schizophr Bull 30(2): 405–427 Rosebush P, Furlong B, Mazurek M. (1990) Catatonic syndrome in a general psychiatric inpatient population: frequency, clinical presentation and response to lorazepam. J Clin Psychiatry 51 :357–362 Satoh K, Suzuki T, Narita M et al. (1993) Regional cerebral blood flow in catatonic Schizophrenia. Psychiatr Res 50: 203–216 Wilcox JA (1991) Cerebellar atrophy and catatonie Biol. Psychiatry 9: 733– 734
IV
Therapie 46
Kognitive Verhaltenstherapie bei schizophrenen Störungen – Einfluss auf Symptome und Kognition – 577 Stefan Klingberg, Andreas Wittorf und Gerhard Buchkremer
47
Kognitives Training bei Schizophrenie – 589 Stefan Bender und Alexandra Dittmann-Balcar
48
Pharmakotherapie kognitiver Störungen – 599 Gerhard Gründer
49
Kognition und Rehabilitation – 613 Ulrich Müller und Thomas Becker
46
46 Kognitive Verhaltenstherapie bei schizophrenen Störungen – Einfluss auf Symptome und Kognition Stefan Klingberg, Andreas Wittorf und Gerhard Buchkremer
46.1
Einleitung
46.2
Ansätze kognitiver Verhaltenstherapie – 578
46.2.1
Überblick über kognitiv verhaltenstherapeutische Ansätze in der Behandlung schizophrener Störungen – 578 Kognitive Verhaltenstherapie zur Behandlung von psychotischen Symptomen – 579
46.2.2
– 578
46.3
Wirkprinzipien kognitiver Verhaltenstherapie bei psychotischen Symptomen – 580
46.3.1 46.3.2 46.3.3 46.3.4 46.3.5 46.3.6
Beziehungsgestaltung – 580 Individuelles Vorgehen/Fallkonzeption – 581 Bearbeitung der den Wahn aufrechterhaltenden Faktoren – 581 Bearbeitung wahnrelevanter kognitiver Prozesse – 581 Wirkprinzipien der Bearbeitung von Halluzinationen – 584 Berücksichtigung der neuropsychologischen Funktionsfähigkeit als potenziell limitierenden Faktor – 584
46.4
Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie in Bezug auf die Reduktion psychotischer Symptome – 585
46.4.1 46.4.2
Metaanalysen – 585 Behandlungsleitlinien
46.5
Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie in Bezug auf die Veränderung von kognitiven Prozessen – 587
46.5.1
Wirksamkeit für klassisch neuropsychologische Merkmale/ kognitive Defizite – 587 Wirksamkeit in Bezug auf kognitive Verzerrungen – 587
46.5.2
Literatur
– 587
– 586
46
578
Kapitel 46 · Kognitive Verhaltenstherapie bei schizophrenen Störungen – Einfluss auf Symptome und Kognition
46.1
Einleitung
Kognitive Verhaltenstherapie (KVT; oder »Cognitive Behavioural Therapy«, CBT) zur Reduktion der psychotischen Symptomatik wird heute von vielen international publizierten Leitlinien zur Anwendung in der regulären Versorgung empfohlen. Damit wird anerkannt, was in einer Reihe von Wirksamkeitsstudien zur KVT erarbeitet wurde. Dies ist von besonderer Bedeutung, da die Versorgungspraxis immer noch durch eine generell skeptische Haltung gegenüber psychotherapeutischen Interventionen geprägt ist. Diese skeptische Haltung ist vor dem Hintergrund einer biologischen Grundorientierung der Forschung zu psychotischen Störungen, der häufig allein auf die pharmakologische Dimension reduzierten Behandlungsplanung sowie der Enttäuschung über die ausbleibenden Wirksamkeitsnachweise tiefenpsychologisch orientierter Therapieansätze verständlich. Die vielen neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Interventionen eröffnen jedoch neue Perspektiven für die Behandlung dieser schweren psychischen Störung, die in diesem Kapitel vorgestellt werden sollen. 46.2
Ansätze kognitiver Verhaltenstherapie
46.2.1 Überblick über kognitiv verhaltens-
therapeutische Ansätze in der Behandlung schizophrener Störungen Unter dem Sammelbegriff »kognitive Verhaltenstherapie« wird heute eine Vielzahl von Interventionsansätzen subsumiert (Klingberg et al. 2006a). Dadurch ist eine einheitliche Definition dieser Behandlung erschwert. Die folgenden Interventionsansätze haben inhaltliche Anknüpfungspunkte zur kognitiven Verhaltenstherapie oder verstehen sich als eine störungsspezifische Umsetzung der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Leitgedanken. ! Kognitive Verhaltenstherapie ist heute ein Oberbegriff für verschiedene Interventionsstrategien.
Psychoedukation In vielen störungsspezifischen kognitiv-verhaltenstherapeutischen Interventionsansätzen steht Psychoedukation am Beginn der Therapie. Aufgrund der erheblichen Informationsdefizite in der Allgemeinbevölkerung ist dies gerade auch in Bezug auf psychotische Störungen ein wesentlicher Aspekt. Psychoedukative Interventionen zielen auf die Bearbeitung des Krankheitskonzepts der Patienten durch Informationsvermittlung, Austausch in der Patientengruppe und Diskussion mit den Behandelnden. Der zeitliche Umfang variiert zwischen einem Minimum von 4 Gruppensitzungen bis etwa 8 Sitzungen. Dementsprechend sind auch die Inhalte nicht einheitlich, insbesondere in Bezug auf die Differenziertheit mit der auf Belastungs- und Frühsymptombewältigung sowie auf die Belange der Angehörigen eingegangen werden kann.
Frühsymptommanagement Frühsymptome werden dem Vulnerabilitätsstressmodell der Schizophrenie entsprechend verstanden als Folge erhöhter Belastung bei vulnerablen Individuen. Das Interventionsprinzip besteht aus zwei zentralen Schritten: der Identifikation von Frühsymptomen sowie der entlastenden Reaktion auf das Auftreten der Frühsymptome. Die konkrete Ausgestaltung dieses Interventionsprinzip ist sehr heterogen und reicht vom Vorlegen einer Frühsymptomliste bis hin zu mehrmonatigen komplexen Interventionsprogrammen. Diese umfassen eine ausführliche Anamnese der Frühsymptome und ihrer zeitlichen Staffelung, die Erarbeitung von Reaktionsmöglichkeiten inklusive der Einbeziehung der Angehörigen, der Bearbeitung kognitiver Prozesse wie Katastrophisierung bei auftretenden Frühsymptomen bis hin zu organisatorischen Regelungen zur möglichst frühzeitigen Verfügbarkeit von Hilfsangeboten in der behandelnden Einrichtung.
Belastungsmanagement Der Umgang mit Belastung ist im Rahmen des Vulnerabilitätsstressmodells von zentraler Bedeutung für die Ausformung des Krankheitsverlaufs. Dabei ist davon auszugehen, dass Patienten mit psychotischen Erkrankungen besondere Schwierigkeiten dabei haben, Belastungen in ihrer gegenwärtigen Lebenssituation zu benennen und daher oft erst zu spät reagieren. Daher geht es um die Identifikation von Belastungsfaktoren, um die Erarbeitung von Entlastungsstrategien sowie um die Erarbeitung von Strategien zur Steigerung der Belastbarkeit. Das zentrale Ziel dieses Interventionsprinzips ist die Rückfallverhütung.
Psychoedukative Familienbetreuung Im Zusammenhang mit der Untersuchung der Bedeutung der emotionalen Familienatmosphäre wurden Familieninterventionen entwickelt. Es hatte sich gezeigt, dass in Familien, deren Interaktion durch ein hohes Maß an Kritik am Patienten und Überengagement gekennzeichnet sind, die Rückfallrate signifikant erhöht ist. In diesem Fall wäre die Familieninteraktion als Belastungsfaktor zu verstehen und das Ziel der Intervention dementsprechend, zu einer Entspannung der Familienatmosphäre beizutragen. Hierfür sind eine Reihe verschiedener Ansätze erarbeitet worden. Der bekannteste Ansatz ist die psychoedukative Familienbetreuung, die sich an den Patienten und seine Familie richtet. Hier wird in einem gestuften Programm eine ausreichende Information der Familienmitglieder über Erkrankung und Behandlung sichergestellt, die individuelle Vorgeschichte besprochen sowie Strategien günstiger familiärer Kommunikation und Problemlösung erarbeitet; Ausgangspunkt ist hierbei die individuelle familiäre Situation.
Training sozialer Fertigkeiten Eine Reihe an Befunden zeigen, dass die sozialen Kompetenzen schizophrener Patienten reduziert sind. Ihre berufliche Integra-
579 46.2 · Ansätze kognitiver Verhaltenstherapie
tion ist oft gefährdet, selbstständige Wohnformen stellen eine Herausforderung dar und die sozialen Netzwerke sind kleiner als bei unbeeinträchtigten Personen. Daher liegt es nahe, mit den Mitteln des sozialen Kompetenztrainings das soziale Funktionsniveau der Patienten zu verbessern. Hierfür wurden störungsspezifische Programme entwickelt. Im angloamerikanischen Sprachraum wird ein vergleichsweise enger Begriff von kognitiver Verhaltenstherapie (»Cognitive Behavioural Therapy«, CBT) verwendet. Hier ist oft ausschließlich eine Intervention zur Behandlung psychotischer Symptome gemeint, auf die im Folgenden fokussiert wird. ! Der Gesamtbehandlungsplan für Patienten mit schizophrenen Störungen sollte folgende Aspekte beinhalten: Psychoedukation, Frühsymptom- und Belastungsmanagement, Einbeziehung der Angehörigen sowie Training der für den Alltag erforderlichen sozialen und kognitive Fähigkeiten.
46.2.2 Kognitive Verhaltenstherapie zur
Behandlung von psychotischen Symptomen In den letzten 20 Jahren sind – vor allem in Großbritannien – Strategien zur Behandlung von Positivsymptomen der Schizophrenie entwickelt und erfolgreich überprüft worden, die die ursprüngliche Skepsis gegenüber der psychotherapeutischen Behandlung psychotischer Symptome in Frage stellen (z. B. das Behandlungsmanual von Fowler et al. 1995). Lange Zeit wurde befürchtet, dass die Beschäftigung mit dem Wahninhalt die Symptomatik sogar verfestigen könnte. Nicht zuletzt auch deshalb standen die Bemühungen um Rezidivprophylaxe im Vordergrund. Die allgemeinen Prinzipien kognitiver Verhaltenstherapie werden auf die Behandlung von psychotischen Symptomen angewandt. Die Patienten werden als aktive, selbstverantwortliche Individuen angesehen. Während der gesamten Dauer der Therapie sind die Patienten aufgefordert, sich aktiv einzubringen und Verantwortung für Entscheidungen zu übernehmen. Der Therapieprozess baut auf Zusammenarbeit und gemeinsame Entscheidungen auf. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die Art dieser Intervention gegeben.
Definition Angesichts der beachtlichen Heterogenität der Ansätze ist eine nähere Definition einer Therapie als »kognitiv-behavioral« erschwert. Im Cochrane-Review von Jones et al. (2004) finden sich folgende Kriterien für kognitive Verhaltenstherapie (sinngemäße Übertragung ins Deutsche von den Verfassern): 1. Die Intervention regt den Patienten an, Zusammenhänge zwischen Denken, Fühlen und Handeln in Bezug auf das Zielsymptom zu entdecken. 2. Die Intervention zielt auf die Korrektur von Fehlwahrnehmungen, irrationalen Überzeugungen und kognitiven Verzerrungen in Bezug auf das Zielsymptom.
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3. Die Intervention beinhaltet, dass der Patient eigene Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen in Bezug auf das Zielsymptom beobachtet und protokolliert. 4. Die Intervention fördert den Patienten bei der Suche nach alternativen Wegen der Bewältigung der Zielsymptome.
Intervention bei Wahn Die Therapie wird vor dem Hintergrund eines kognitiven Modells psychotischer Symptome (s. unten) als »kognitiv« bezeichnet. Im Rahmen eines solchen »kognitiven« Modells wird postuliert, dass positive Symptome als Ergebnis dysfunktionaler Wahrnehmung und kognitiver Verarbeitung sozialer Situationen resultieren. Kognitive Therapie bedeutet dementsprechend, diese Verarbeitungsprozesse zu modifizieren. Bei den Patienten soll die Bereitschaft gefördert werden, ihre (wahnhaften) Annahmen an Erfahrungen zu überprüfen. Dafür wird auf die Grundprinzipien der kognitiven Psychotherapie nach Beck zurückgegriffen. Wahn wird als dimensionales Konstrukt verstanden. Das bedeutet, dass wahnhaftes Denken nur quantitativ, nicht als qualitativ vom »gesunden« Denken unterscheidbar ist. Der gemeinsamen Suche nach der verfügbaren Evidenz für die Richtigkeit der wahnhaften Überzeugungen kommt in der Therapie zentrale Bedeutung zu. Dafür wird der Patient angeleitet, Beobachtungen, Schlussfolgerungen und Gefühle sorgfältig zu unterscheiden. Wahnhafte Überzeugungen werden auch unter funktionalen Aspekten, z. B. als Vermeidungsverhalten zur Reduktion von Angst oder Depressivität, analysiert. Strategien zur Unterstützung der Distanzierung von Gedanken sind in der kognitiven Verhaltenstherapie verbreitet und werden hier in modifizierter Form eingesetzt. Es geht dabei im Kern um die Suche nach alternativen Erklärungshypothesen, z. B. mithilfe von »Sokratischem Dialog« oder Rollenwechsel. Rationale Alternativen sollen mithilfe von Realitätsprüfung, z. B. im Rahmen der Hausaufgaben, getestet werden. Aufgrund dieses realitätsprüfenden Therapieinhalts, der in verändertem Verhalten resultieren soll, wird die Therapie auch als behavioral bezeichnet.
Intervention bei Halluzinationen In Bezug auf Halluzinationen wird unter der Bezeichnung »coping strategy enhancement« (Tarrier et al. 1993) vorgeschlagen, die Bewältigungsstrategien, die die Patienten ohnehin anwenden, systematisch darauf hin zu überprüfen, wie erfolgreich sie sind und ob Verfeinerungen oder Ergänzungen möglich sind. Darüber hinaus geht es um die Identifikation von auslösenden Faktoren, da auch Halluzinationen teilweise als belastungsabhängig beschrieben werden. Nicht zuletzt geht es um die wahnhafte Verarbeitung von halluzinatorischem Erleben. Hier ist das Ziel, dass Patienten erkennen können, dass Halluzinationen Produkte des eigenen Gehirns sind.
Behandlungsphasen der Therapie Die wesentlichen Behandlungsphasen können in Anlehnung an allgemeine Prinzipien für die Durchführung kognitiver Verhaltenstherapie (Kanfer et al. 1996) konzeptualisiert werden:
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Kapitel 46 · Kognitive Verhaltenstherapie bei schizophrenen Störungen – Einfluss auf Symptome und Kognition
4 Beziehungsaufnahme und Motivationsförderung, 4 Anamnese und Diagnostik, 4 Erarbeitung eines gemeinsamen Verständnisses der Symptomatik, 4 Fallkonzeption und Therapieplanung, 4 Behandlung zentraler Symptome, 4 Intervention bezüglich dysfunktionaler Grundannahmen, 4 Verbesserung der sozialen Funktionsfähigkeit.
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Hierbei ist zu beachten, dass diese Phasen nicht als strenge Sequenz von Schritten anzusehen sind, sondern eher als Kreislaufprozesse zu gestalten sind. So sind z. B. Beziehungsaufnahme und Beziehungsgestaltung immer dann von Bedeutung, wenn die therapeutische Arbeit ins Stocken gerät. Motivationsförderung sollte zu Beginn eines jeden neuen Therapieschritts stehen.
Ziele der Behandlung Vor diesem Hintergrund sind sinnvolle Ziele der KVT zur Reduktion persistierender psychotischer Symptome: 4 vollständige, realitätsgerechte Wahrnehmung sozialer Situationen, 4 angemessene kognitive Verarbeitung von Situationen ohne kognitive Fehler, 4 Modifikation dysfunktionaler Grundannahmen zur eigenen Person, 4 Bewältigung von Alltagsanforderungen trotz persistierender Symptome. Es könnten hier nun noch eine Reihe weiterer Behandlungsziele formuliert werden wie z. B. emotionale Entlastung. Darauf wurde jedoch verzichtet, da dies allgemeine Therapieziele sind, die über die spezifischen Ziele, wie sie durch die hier zu beschreibenden Strategien angestrebt werden, hinausgehen. 46.3
Wirkprinzipien kognitiver Verhaltenstherapie bei psychotischen Symptomen
46.3.1 Beziehungsgestaltung Die weiter unten näher beschriebenen kognitiv-verhaltenstherapeutischen Techniken sind im Kontext der therapeutischen Beziehung zu schwer psychisch beeinträchtigten Menschen zu sehen. Die therapeutische Technik kann nicht von der Beziehung losgelöst verstanden werden, sondern muss in den Zusammenhang einer therapeutischen Interaktion gestellt werden, um hilfreich sein zu können. Daher stellen alle Autoren von Behandlungsmanualen Überlegungen zu dieser Frage an (z. B. Kingdon u. Turkington 1994). Kognitive Techniken zur Realitätsprüfung haben einen stark konfrontativen Aspekt. Grundhaltungen und basale Überzeugungen des Patienten sollen hier in Frage gestellt werden. Dies ist ein bewusster und anstrengender Prozess, verbunden mit Be-
lastungen, die auf sich zu nehmen auch viele nichtpsychotische Patienten mit anderen Störungen nicht bereit sind. Angesichts dessen ist hier von vornherein zu erwarten, dass hohe Anforderungen an die Beziehungsgestaltung gestellt sind. Folgende Prinzipien werden hier als zentral angesehen: ! Kognitive Techniken sollen die Bereitschaft fördern, eigene Einstellungen und Grundhaltungen zu überprüfen, sowie gegenteilige Erfahrungen zuzulassen und zu integrieren. Eine entspannte Gesprächsatmosphäre in der Therapiesitzung und ein hohes Maß an Vertrauen zum Therapeuten sind wichtige Voraussetzungen dafür.
Gerät der Patient in Anspannungszustände, so ist eine Fortsetzung der therapeutischen Strategie in der jeweiligen Situation zumeist nicht sinnvoll. Statt dessen sollten Aspekte von Smalltalk, wie z. B. das Gespräch über aktuelle Sportereignisse, Wetter, Ausflüge/Urlaub etc., gezielt eingesetzt werden, um die Voraussetzungen für konstruktive Arbeit an kognitiven Inhalten wieder zu ermöglichen. Auch der Einsatz von Humor soll vor allem zur Auflockerung der Gesprächsatmosphäre beitragen, wobei hier darauf zu achten ist, dass der Patient sich jederzeit ernst genommen fühlt. Das Verständnis des Wahns vor dem Hintergrund eines kognitiven Modells verleitet gelegentlich zu dem Missverständnis, emotionale Prozesse seien hier weniger von Bedeutung. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass positive Symptome häufig mit intensiven Gefühlen einhergehen. Insbesondere Angst als emotionale Reaktion auf Bedrohung sowie Depressivität als Folge von wahrgenommener Hilflosigkeit in einer bedrohlichen Situation sind häufige Gefühle von Betroffenen. Vor diesem Hintergrund ist Empathie des Therapeuten ein wesentlicher Wirkfaktor, insbesondere für die Etablierung der therapeutischen Beziehung. Der Therapeut soll vom Patienten als Person erlebt werden können, die zentrale Gefühle wahrnimmt, respektiert und bei der Gestaltung der Behandlung berücksichtigt. Angesichts der häufig abwegig erscheinenden Gedanken des Patienten geht der Blick auf seine Gefühle häufig verloren. Es kann hier eine große Erleichterung sein, dass negative Gefühle hier offen ansprechbar sind. Die Würdigung der schwierigen Lage, in der Patienten sich selbst wahrnehmen, ist von ähnlich großer Bedeutung. Erst wenn der Patient den Therapeuten als jemanden erlebt, der Verständnis für die Nöte hat und zeigt – auch wenn diese ausschließlich im Rahmen des Wahns entstehen und nicht »objektiv« vorliegen – wird er anfangen, Vertrauen zu fassen. Dieses Vertrauen kann auch durch eine begrenzte Selbstöffnung des Therapeuten gefördert werden. Es ist im Kontext der hier beschriebenen Therapiekonzeption hilfreich und angemessen, dass der Therapeut über einzelne Vorlieben, Hobbies oder Sichtweisen spricht und sich als Person begrenzt transparent zeigt. So kann der Entstehung von Misstrauen oder gar manifestem Wahn in Bezug auf den Therapeuten vorgebeugt werden. Mithilfe dieser Voraussetzungen in der Therapeut-PatientBeziehung soll das Interesse des Patienten an der Realitätsprü-
581 46.3 · Wirkprinzipien kognitiver Verhaltenstherapie bei psychotischen Symptomen
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fung gefördert werden. Gerade weil der Therapeut als vertrauenswürdiger, empathischer Gesprächspartner erlebt werden kann, weil der Therapeut Respekt vor der Autonomie und Selbstverantwortung des Patienten aufbringt, kann der Patient Infragestellungen seiner Sichtweise der Realität besser akzeptieren. 46.3.2 Individuelles Vorgehen/Fallkonzeption Angesichts der großen Heterogenität positiver Symptome und der Krankheitsverläufe ist eine individuelle Fallkonzeption und Therapieplanung erforderlich. Patient und Therapeut nehmen sich gemeinsam Zeit, um eine angemessene Problemformulierung und entsprechende Therapieziele zu finden, denen beide uneingeschränkt zustimmen können. Ohne einen gemeinsamen Ansatzpunkt gefunden zu haben, ist ein erfolgreiches Vorgehen nicht denkbar. Im Fall fehlender Einsicht in den wahnhaften Charakter der Symptome ist dies eine Herausforderung für die Gestaltung der Therapie. Ein Patient kommt dann ja nicht, um seinen Wahn behandeln zu lassen, sondern z. B. weil er durch die ständige Überwachung belastet ist und deshalb seiner Arbeit nicht mehr nachgehen kann. Um ein gemeinsames Verständnis für die Probleme des Patienten zu erarbeiten, werden relevante Hintergrundbedingungen, belastende Aspekte der Lebenssituation, förderliche Bedingungen und Stärken des Patienten in behutsamer Weise erfragt. Bezüglich des aktuellen Anliegens sollten die Wahrnehmung des Patienten, seine vorherrschenden Gedanken, Gefühle, sein Verhalten sowie die resultierenden Verhaltensweisen erfasst werden. 46.3.3 Bearbeitung der den Wahn
aufrechterhaltenden Faktoren Die Analyse der Aufrechterhaltung der Symptomatik spielt bei der Therapie nahezu aller Störungen eine zentrale Rolle für die Suche nach Ansatzpunkten der Therapie. Die Faktoren der Entstehung und Verursachung der Erkrankung müssen ja nicht identisch sein mit den Faktoren, die ein Abklingen der Symptomatik verhindern. In Anlehnung an Freeman et al. (2002) ist auch bei der Therapie psychotischer Störungen ein psychologischer Prozess der Aufrechterhaltung zu beachten (. Abb. 46.1). Eine bereits ausgeformte Überzeugung, bedroht oder verfolgt zu werden, hat demnach emotionale Konsequenzen insbesondere hinsichtlich Angst und Depressivität. Aufgrund von Angst kommt es zur Vermeidung der angstauslösenden Situationen. Die damit verbundene Angstreduktion ist als negative Verstärkung zu verstehen und trägt zur Aufrechterhaltung bei. Das Vermeidungsverhalten verhindert jedoch die Erfahrung, dass ein gefürchtetes negatives Erlebnis möglicherweise nicht eintritt. Depressivität und damit verbundene Gedanken von Hilflosigkeit und Ausweglosigkeit reduzieren die Wahrscheinlichkeit aktiven Verhaltens und damit ebenfalls die Informationsbasis für die Überprüfung
. Abb. 46.1. Aufrechterhaltung von Verfolgungsideen. (Mod. nach Freeman et al. 2002)
der Annahme von Bedrohung und Verfolgung. Die verbleibenden Erfahrungen können zudem im Sinne der unten beschriebenen kognitiven Verzerrungen ebenfalls in Richtung der Befürchtung uminterpretiert werden. Auf diese Weise wird das Überzeugungssystem stabilisiert und vor Infragestellung abgeschirmt. Die therapeutische Konsequenz ist, dass die genannten emotionalen Prozesse am Beginn der Behandlung sorgfältig zu analysieren sind und dass Gefühle von Angst und Depressivität in besonderer Weise Beachtung verdienen. Die Therapie muss dazu beitragen, die Bereitschaft für das Eingehen von Risiken zu erhöhen. Sie muss den Patienten ermutigen, Schritte zur Ausweitung seiner Handlungsspielräume zu unternehmen. Angesichts der Überzeugung der Patienten, realen Gefahren ausgesetzt zu sein, ist dies eine große therapeutische Herausforderung. 46.3.4 Bearbeitung wahnrelevanter kognitiver
Prozesse Im Rahmen der Verhaltensanalyse bzw. Fallkonzeption werden die kognitiven Prozesse detailliert betrachtet, die in gegebenen Situationen die Handlungsweise eines Individuums beeinflussen. Hier werden kognitive Prozesse der Situationswahrnehmung, der Interpretation und kognitiven Verarbeitung der Beobachtungen, der Handlungsvorbereitung unterschieden. Zudem werden kognitive Schemata als grundlegende Strukturen der Informationsverarbeitung berücksichtigt. Zu verschiedenen dieser kognitiven Prozesse liegen auch in Bezug auf psychotische Störungen relevante Erkenntnisse oder zumindest Hypothesen vor.
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Kapitel 46 · Kognitive Verhaltenstherapie bei schizophrenen Störungen – Einfluss auf Symptome und Kognition
46 . Abb. 46.2. Kognitives Modell des Verfolgungswahns und kognitive Verhaltenstherapie. (Mod. nach Blackwood et al. 2001)
Ein einfaches, diese Prozesse integrierendes, heuristisches Modell haben Blackwood et al. (2001) vorgelegt. Dieses Modell ist in . Abb. 46.2 um therapeutische Gesichtpunkte ergänzt. Hier wird postuliert, dass Verfolgungswahn vor dem Hintergrund verzerrter Wahrnehmung und verzerrten schlussfolgernden Denkens entsteht. Auf die einzelnen hier genannten Faktoren wird im weiteren Verlauf dieses Abschnitts eingegangen. Wesentlich ist, dass diese Faktoren Ansatzpunkte kognitiv-psychotherapeutischer Intervention darstellen. Allerdings ist dieses Modell als heuristisch zu charakterisieren, d. h. es ist ein die verschiedenen Hypothesen integrierendes Modell und soll vor allem weitere Forschung anstoßen, ohne damit den Anspruch zu verbinden, eine abschließende Erklärung psychotischer Erlebnisweisen anbieten zu können. Ein wesentlich differenzierteres kognitives Modell der Entstehung des Wahns legten Garety et al. (2001) vor. Hier wird postuliert, dass Patienten Defizite darin haben, bei der 4 Wahrnehmung von Situationen auf frühere Erfahrungen zurückzugreifen, dass das 4 Selbstmonitoring von Intentionen und Handlungen möglicherweise gestört ist, das 4 Fehler des schlussfolgernden Denkens häufig anzutreffen sind und dass auch bei dieser Störung eine 4 geringe Selbstwertschätzung und Schemata von Insuffizienz eine große Rolle spielen. Die Befunde zu den einzelnen postulierten kognitiven Verzerrungen sind heterogen. Darüber dürfen diese Modell nicht hinwegtäuschen. So ist z. B. bekannt, dass der sog. Self-serving-Bias nicht bei allen psychotischen Patienten auftritt.
Reduktion selektiver Wahrnehmung Es wird postuliert, dass Patienten mit Verfolgungswahn eine Tendenz haben, ausschließlich die bedrohlichen Aspekte von Situationen zu fokussieren (Kinderman et al. 2003). Damit ist einerseits eine Störung des Wahrnehmungsprozesses beschrieben. Andererseits impliziert diese Annahme, dass übergeordnete kognitive Strukturen diese Selektion bewirken. Die therapeutischen Mittel zur Behandlung dieser Wahrnehmungsverzerrung lassen sich zusammenfassend wie folgt beschreiben: a) Exploration: Detaillierte Exploration der betreffenden Situationen mit dem Ziel der Vervollständigung der kognitiven Repräsentation der Situation. So ist z. B. eine Überwachungskamera weniger bedrohlich, wenn vergegenwärtigt wird, dass sie in einer Bank aufgestellt ist und dem Ziel der Identifikation von Bankräubern dient. b) Beobachtungsaufgaben: Die Exploration der Situationen führt oft zur Feststellung von Informationsdefiziten. Diese sollten Gegenstand von Beobachtungsaufgaben und Protokollierung für einen ausreichend langen Zeitraum sein. Die Beobachtungsaufgabe soll die Wahrnehmung des Patienten lenken. c) Explizite Besprechung des Wahrnehmungs-Bias: Nach mehreren Beobachtungsaufgaben sollte ausreichendes Material für die Erkennung eines Wahrnehmungsmusters, also z. B. der selektiven Wahrnehmung von Bedrohung, vorliegen. Ist dies der Fall, sollte dies zum Thema des Gesprächs werden.
Reduktion willkürlicher Schlussfolgerungen Die Tendenz von Patienten mit psychotischen Störungen zu willkürlichen Schlussfolgerungen wurde mithilfe von verschiedenen experimentellen Untersuchungen belegt (Garety et al. 2005).
583 46.3 · Wirkprinzipien kognitiver Verhaltenstherapie bei psychotischen Symptomen
Das entscheidende Wirkprinzip zur Reduktion dieses Bias ist, beim Patienten die Bereitschaft zu fördern, eigene Überzeugungen in Frage zu stellen und eine zunehmende Offenheit gegenüber Erfahrungen zu gewinnen. Es wäre in keiner Weise zielführend, den Patienten einfach nur mit einer angemessenen Schlussfolgerung zu konfrontieren. Es ist das Wesen der Störung, dass dies vom Patienten nicht akzeptiert werden kann. Die Bereitschaft zur Überprüfung von Überzeugungen soll in folgender Weise gefördert werden: 4 Information über den »Jumping-to-conclusions-Bias« anhand von Alltagsbeispielen als »normale«, aber nicht hilfreiche Art der Informationsverarbeitung. 4 Treffen einer therapeutischen Vereinbarung darüber, dass gemeinsam nach alternativen Erklärungen gesucht werden soll. 4 Häufige Anregung zur Suche nach alternativen Erklärungen (»Ich habe mich aber gerade gefragt, ob es noch weitere Erklärungen für xy geben könnte«.) 4 Perspektivenwechsel: »Wenn Ihnen ein Freund eine solche Geschichte erzählen würde, was hätten Sie dann dabei gedacht?«. 4 Abstrakte Generierung alternativer Sichtweisen und ihrer Erklärung: Welche Ideen hätten Sie, wie das Verhalten von X noch zu erklären wäre?«.
Reduktion von Externalisierungen Als Externalisierung wird ein Muster der Ursachenattribution beschrieben, bei dem die Gründe für eigene Misserfolge außerhalb der eigenen Person (d. h. als external) gesucht werden (Janssen et al. 2006). In weiterer Präzisierung der Hypothese wird davon ausgegangen, dass insbesondere andere Personen, d. h. also nicht die Umstände und nicht der Zufall für die eigenen Misserfolge verantwortlich sind. (Personalisierung; Beispiel: Kollege X ist schuld daran, dass mich mein Chef immer kritisiert. Der hat es auf mich abgesehen.) Es ist davon auszugehen, dass diese externale und personale Ursachenattribution auf der Basis spezifischer kognitiver Schemata entsteht. In der Literatur wird u. a. diskutiert, dass dieser kognitive Fehler selbstwertprotektive Funktionen haben könnte. Dadurch, dass anderen Personen Verantwortung zugeschrieben wird, kann das eigene Selbstbild positiv bleiben. Eine konsequente therapeutische Bearbeitung dieser selbstwertprotektiven Funktion von Externalisierungen würde voraussetzen, zunächst ein zunehmend positives Selbstbild des Patienten aufzubauen. Interventionsstrategien, die auf diese Ebene abzielen werden unten im 7 Abschn. »dysfunktionale Grundannahmen« angesprochen. Auf der Ebene der situativen kognitiven Verarbeitung, d. h. in Bezug auf den hier anzutreffenden kognitiven Fehler, ist dieser Bias eine Form der voreiligen Schlussfolgerung. Die oben zur Intervention bei willkürlichen Schlussfolgerungen beschriebenen Prinzipien gelten demnach auch hier. So könnte dem Patienten vorgeschlagen werden, systematisch die denkbaren Ursachenattributionen durchzugehen und die jeweiligen Gründe für oder gegen die entsprechende Attribution zu protokollieren.
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So würden mögliche Erklärungen auf den Dimensionen intern/extern, stabil/variabel, personal/situativ gesucht, notiert, besprochen und zunächst hinsichtlich ihrer Wahrscheinlichkeit bewertet. Mithilfe von gezielten Hausaufgaben würde versucht, die Wahrscheinlichkeit der jeweiligen Erklärung besser abschätzen zu können. Im erwünschten Fall würde der Patient weitere, nicht unwahrscheinliche Erklärungen finden und in seine Überlegungen mit einbeziehen.
Förderung des Verständnisses sozialer Situationen Als Theory-of-Mind-Defizit ist die mangelnde Fähigkeit von Personen beschrieben, die Intentionen anderer Personen korrekt einzuordnen, soziale Situationen aus der Perspektive der 2. oder 3. Person anzuschauen (Brüne 2005). Ein solches Defizit könnte dazu führen, dass soziale Situationen nicht korrekt eingeschätzt werden und dadurch Raum für die wahnhaft verzerrte Beurteilung sozialer Situation entsteht. Entsprechend soll der Patient bei der Besprechung sozialer Situationen regelmäßig gebeten werden, mögliche Intentionen anderer Personen zu bedenken und zu benennen. Dies wird dann im therapeutischen Gespräch expliziert und elaboriert.
Realitätstestende Hausaufgaben Realitätstestende Hausaufgaben haben das Ziel, Informationen für die Überprüfung von Annahmen bereitzustellen. Für die kompetente Anleitung des Patienten zur Durchführung solcher Hausaufgaben durch den Therapeuten sind eine sorgfältige Planung sowie eine plausible Verankerung im aktuellen Therapiegespräch erforderlich. Aus dem Therapiegespräch entwickelt sich in der Regel die Idee für die Hausaufgabe, die dann in den nachfolgend beschriebenen Abschnitten präzise zu beschreiben ist. a) Präzise Festlegung der Zielkognition; (z. B.: »Meine Kollegen wollen mir schaden. Sie flüstern hinter meinem Rücken«). b) Erarbeitung möglicher Alternativen. Es sollte im Vorfeld der Aufgabe bedacht werden, welche alternativen Erklärungsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden können; (z. B.: Diejenigen, die flüstern, könnten Freunde sein. Sie sprechen möglicherweise über irgendetwas anderes, persönliches). c) Generierung von überprüfbaren Hypothesen und Beobachtungskriterien; (z. B.: Wenn vor allem Kollegen miteinander flüstern, die ohnehin befreundet sind, ist zu vermuten, dass es hierbei um andere Themen geht. Wenn die Kollegen, die mir sympathischer sind, nicht flüstern, spräche dies gegen eine systematische Benachteiligung meiner Person). d) Realitätstestende Aufgabe. Die Aufgabe ist präzise festzulegen. Was soll gemacht oder beobachtet werden? Wie lange soll dies geschehen? e) Nachbesprechung mit Erarbeitung der Schlussfolgerung. In der Nachbesprechung ist zentral, auf die Ergebnisse der Vorbereitungsphase zurückzukommen. Im Beispiel könnte sich ergeben, dass nur zwei Kollegen, die befreundet sind, miteinander geflüstert haben. Der Therapeut bittet den Patienten nun, seine
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Kapitel 46 · Kognitive Verhaltenstherapie bei schizophrenen Störungen – Einfluss auf Symptome und Kognition
während der Vorbereitung genannte Schlussfolgerung zu rekapitulieren und im Lichte der Beobachtung neu zu bewerten. An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass es nicht Aufgabe des Therapeuten ist, selbst die Bewertungen vorzunehmen und die richtigen Interpretationen zu identifizieren. Die realitätstestenden Hausaufgaben haben vielmehr das Ziel, die Flexibilität und Offenheit gegenüber Erfahrungen zu fördern und Material zu liefern für Gespräche über die verschiedenen Möglichkeiten, Beobachtungen und Erfahrungen zu interpretieren.
Dysfunktionale Grundannahme/kognitive Schemata
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Es wird postuliert, dass Wahn auf dem Boden dysfunktionaler Grundannahmen zur eigenen Person und zur Umwelt entsteht. Fowler et al. (1995) nennen in Anlehnung an das Konzept der Schematherapie nach Young (1999) 5 typische dysfunktionale Grundannahmen, die sie bei schizophrenen Patienten immer wieder beobachtet haben: 1. die eigene Person ist außerordentlich gefährdet, Schaden oder Verletzung zu erleiden; 2. die eigene Person ist hochgradig anfällig, die Selbstkontrolle zu verlieren; 3. die eigene Person ist vom Schicksal dazu verurteilt, sozial isoliert zu sein; 4. mit der eigenen Person stimmt etwas ganz grundsätzlich nicht; 5. es gelten unerbittliche Standards zur Bewertung von Leistungen. Eine wesentliche Schwierigkeit in der Bearbeitung dysfunktionaler Grundannahmen bei schizophrenen Patienten ist, dass diese wesentlich schwieriger der Bewusstheit der Patienten zugänglich sind, als dies, z. B. bei depressiven Patienten, der Fall ist. Gleichwohl ist das Prinzip der Bearbeitung identifizierter dysfunktionaler Grundannahmen der kognitiven Therapie anderer Störungen ähnlich. 46.3.5 Wirkprinzipien der Bearbeitung
von Halluzinationen In der Literatur werden im Wesentlichen 4 Wirkprinzipien für die Bearbeitung von Halluzinationen beschrieben (Kingdon u. Turkington 1994). 1. Es wird postuliert, dass halluzinatorisches Erleben von Patienten belastungsabhängig ist. Dementsprechend geht es in der Behandlung zunächst um die Identifikation auslösender Bedingungen. Sofern sich solche belastenden Auslösefaktoren identifizieren lassen, zielt die Therapie auf die Reduktion der Belastung ab. Hierzu werden Protokollierungsaufgaben sowie Hausaufgaben zur Belastungsreduktion eingesetzt. 2. Das zweite Behandlungsprinzip richtet sich auf die wahnhafte Verarbeitung der Halluzinationen. Halluzinationen werden von Patienten oft als von fremden Mächten oder Ver-
folgern gemacht erlebt. Die Belastung resultiert dann mehr aus der Überzeugung, hier einen Beleg für die Verfolgung zu haben, als aus dem akustischen Erlebnis selbst. Eine solche wahnhafte Verarbeitung der Halluzination wird mit den Mitteln der Bearbeitung des Wahns durchgeführt. 3. Da Halluzinationen oft über lange Zeiträume bestehen, haben die meisten Patienten schon verschiedene Verhaltensweisen der Bewältigung ausprobiert. Dieses Bewältigungsverhalten soll systematisch gefördert werden. Dazu können die von anderen Patienten als erfolgreich beschriebenen Ablenkungsstrategien systematisch auf ihre Wirkung getestet werden. Diese systematische Suche nach hilfreichen Distraktionsstrategien ist das dritte Wirkprinzip. 4. Hier geht es um das Ziel, die soziale Funktionsfähigkeit der Patienten zu fördern. Häufig gelingt es nicht, eine vollständige Reduktion des halluzinatorischen Erlebens zu erreichen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Intervention dann sinnlos ist. Vielmehr geht es dann um das Ausloten von Möglichkeiten, die Alltagsanforderungen dennoch zu meistern. Die Frage wäre dann z. B.: Wie kann es gelingen, den Haushalt ordentlich zu führen, obwohl eine Stimme sagt, man solle sich doch lieber in das Bett zurückziehen? 46.3.6 Berücksichtigung der neuropsychologischen
Funktionsfähigkeit als potenziell limitierenden Faktor Bei jeder psychotherapeutischen Intervention ist darauf zu achten, dass die kognitiven Kapazitäten des Patienten nicht überfordert werden. Die Literatur zu neuropsychologischen Defiziten im Rahmen schizophrener Störungen weist eindeutig darauf hin, dass neuropsychologische Funktionen aus den Bereichen der Aufmerksamkeit, des sekundären verbalen Gedächtnisses sowie der sog. Exekutivfunktionen gestört sein können (Heinrichs u. Zakzanis 1998). Diesbezüglich wäre eine relevante Frage, ob Patienten, die eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit aufweisen, weniger von kognitiv-verhaltenstherapeutischen Interventionen profitieren oder ob dies nicht der Fall ist. Leider gibt es zu diesem Aspekt noch keine ausreichenden Studien. Weiterhin ist für die Gestaltung der Therapie von Bedeutung, den Verlauf kognitiver Defizite besser zu verstehen. Ausgehend vom Konzept einer statischen Encephalopathie (Rund 1998) wäre zu erwarten, dass sich nur wenige Änderungen im Krankheitsverlauf ergeben. Klingberg et al. (2007), s. Box konnten jedoch in Übereinstimmung mit anderen Autoren zeigen, dass nach einer akuten Phase in einem Zeitraum von etwa 6–9 Monaten mit erheblichen Verbesserungen der Leistungsfähigkeit gerechnet werden kann. Die wesentliche Konsequenz dieses Forschungsstandes für die Therapie ist, auf potenzielle Überforderungen zu achten und falls erforderlich das Tempo bzw. den Komplexitätsgrad des Vor-
585 46.4 · Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie in Bezug auf die Reduktion psychotischer Symptome
gehens an die kognitiven Kapazitäten anzupassen. Darüber hinaus ist zu vergegenwärtigen, dass die Stabilisierung einen mehrmonatigen Zeitraum erfordert. Mit der symptomatischen Stabilisierung geht dann in vielen Fällen auch eine Verbesserung der kognitiven Leistungen einher.
Die Studie von Klingberg et al. (2007) untersucht den längsschnittlichen Verlauf neuropsychologischer Beeinträchtigungen schizophrener Patienten während der Stabilisierungsphase. Die kognitiven Leistungen von 151 Patienten wurden initial sowie zum 9- und 15-Monats-Follow-up mit einer umfangreichen Testbatterie untersucht. Zudem wurde die kognitive Leistung von 40 gematchten Kontrollprobanden ebenfalls mit Testwiederholung zum Follow-up-Zeitpunkt erfasst, um Wiederholungseffekte kontrollieren zu können. Die Leistungen in den Bereichen Gedächtnis, Aufmerksamkeit und der globale Leistungsindex verbesserten sich von der initialen zur Follow-up-Untersuchung. Die Leistungen im Bereich der Abstraktion waren stabil auf relativ gutem Niveau. Der globale Leistungsindex lag auch zum 9-MonatsFollow-up eine Standardabweichung unterhalb des Durchschnitts der Kontrollgruppe. Im Zeitraum von 9–15 Monaten waren die Verbesserungen der kognitiven Leistungen weniger stark ausgeprägt. Die Daten sprechen dafür, dass die kognitive Leistungsfähigkeit aus einer begrenzten überdauernden Komponente sowie einer phasenabhängigen Komponente zusammengesetzt ist. Möglicherweise kommt zu einer begrenzten anhaltenden Leistungsminderung eine stärkere phasenabhängige Leistungsminderung hinzu. Im Zusammenhang der symptomatischen Stabilisierung kommt es auch zu einer deutlichen Verbesserung der Leistungsfähigkeit. ! Kognitive Verhaltenstherapie zielt darauf, auf der Basis einer von den Patienten als vertrauenswürdig und unterstützend erlebten Beziehung die kognitive Verarbeitung von sozialen Situationen dahingehend zu modifizieren, dass Schlussfolgerungen überprüft und Wege besserer sozialer Funktionsfähigkeit gefunden werden können.
46.4
Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie in Bezug auf die Reduktion psychotischer Symptome
46.4.1 Metaanalysen Zur Frage der Wirksamkeit kognitiver Therapie bei therapieresistenten Positivsyndromen liegt eine stetig wachsende Zahl von Studien vor, die ganz überwiegend in Großbritannien durchge-
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führt wurden. Die Cochraneanalyse über kognitive Therapie bei Positivsymptomen (Jones et al. 2004) wies vor allem auf die Evidenz zur Reduktion der Rückfallrate und die Therapieeffekte bei der generellen Reduktion der Symptomatik hin und betonte, dass dringend weitere Studien zu dieser Interventionsstrategie erforderlich sind. Darüber hinaus wurde angemerkt, dass die Therapeuten so hochspezialisiert und trainiert sein müssen, dass ein deutliches Implementierungsproblem absehbar ist. Die Metaanalyse von Pilling et al. (2002b) kommt zum gleichen Schluss. Eine Übersicht über Effektstärken der verschiedenen Studienintervention zeigt eine große Variabilität. Die Effektstärken liegen zwischen 0,2 und 1,2; Kuipers et al. (2006) geben eine Gesamteffektstärke von ES=0,37 für persistierende Symptomatik an. Diese ist als moderat zu bezeichnen und weist einerseits auf die Schwere der hier behandelten Symptomatik hin, andererseits auch darauf, dass hier relevante Effekte erzielt werden können. Für das Therapieziel der Symptomreduktion referieren Jones et al. (2004, Übertragung ins Deutsche von den Autoren) im Abstract des Cochrane reviews: ,,Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) war hilfreich in Bezug auf die Psychopathologie über mittlere Zeiträume (zwei randomisierte klinische Studien: n=123; risk ratio für das Kriterium »keine Verbesserung«: 0,7; Konfidenzintervall: 0,6–0,9; »number needed to treat« (NNT) 4 mit Konfidenzintervall 3–9). Nach einem Jahr war jedoch kein Unterschied mehr zu verzeichnen (drei randomisierte klinische Studien: n=211; risk ratio: 0,95; Konfidenzintervall: 0,6–1,5). Pilling et al. (2002b) fassen zusammen, dass KVT zu höheren Raten relevanter Symptomverbesserungen führte. Dabei verweisen beide Metaanalysen darauf, dass hier weitere Forschung dringend notwendig ist. Die Symptomverbesserungen, die hier berichtet werden, sind angesichts der Schwere der Erkrankung und der psychosozialen Folgen persistierender Positivsymptomatik von großer Bedeutung. Angesichts der Skepsis gegenüber psychotherapeutischer Behandlung von psychotischen Störungen ist die Feststellung wesentlich, dass hier nicht nur die Folgen der Erkrankung gemildert oder die Rückfallverhütung verbessert wurde, sondern dass der Kern der Erkrankung, die Symptomatik, adressiert wurde und reduziert werden konnte. ! Kognitive Verhaltenstherapie hat sich in Metaanalysen als wirksam zur Besserung der psychopathologischen Symptomatik im Allgemeinen erwiesen. Der Nachweis der spezifischen Wirksamkeit für die Positivsymptomatik ist noch nicht abschließend erbracht.
Bei kritischer Betrachtung des Standes der Forschung ist jedoch auch zu konstatieren, dass es noch nicht in ausreichender Weise gelungen ist, die Spezifität der Therapieeffekte aufzuzeigen. Oben wurde das Therapierationale vorgestellt. Demnach wird postuliert, dass KVT durch die Beeinflussung der kognitiven Verarbeitung sozialer Situationen wirksam ist. Die Wahrnehmung und das schlussfolgernde Denken werden in den Mittelpunkt der Therapie gerückt. Mithilfe größerer Realitätsorientierung sollen die Patienten unterstützt werden, kognitive
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Kapitel 46 · Kognitive Verhaltenstherapie bei schizophrenen Störungen – Einfluss auf Symptome und Kognition
Verzerrungen abzulegen. Wenn jedoch supportive Therapie zu ähnlichen Therapieeffekten führt, steht das postulierte Wirkprinzip der KVT in Frage. In der supportiven Therapie werden diese kognitiven Prozesse ja nicht in besonderer Weise bearbei-
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tet. Wenn gleichwohl ein ähnlicher Therapieeffekt erreicht wird, kann dies nicht an den als spezifisch postulierten Therapieprinzipien liegen. Gerade in dieser Hinsicht ist weitere Forschung dringend erforderlich.
Die Studie von Sensky et al. (2000) wurde mit hohem methodologischen Anspruch durchgeführt um die positiven Ergebnisse früher Studien zur kognitiven Verhaltenstherapie zur Reduktion psychotischer Symptome zu bestätigen. Diese randomisierte klinische Studie verglich eine manualisierte kognitive Verhaltenstherapie mit einer als »befriending« bezeichneten Kontrollgruppe, die die unspezifischen Wirkfaktoren kontrollieren sollte. Die Therapie wurde von 2 erfahrenen Krankenpflegern durchgeführt, die regelmäßig supervidiert wurden. Die klinische Untersuchung der Patienten erfolgte vor Therapiebeginn, nach Therapieende sowie zum 9-Monats-Follow-up. Beide Studienbedingungen wurden zusätzlich zur Routinebehandlung durchgeführt. Die Therapie wurde audioaufgezeichnet, zufällig ausgewählte Sitzungen wurden hinsichtlich der Therapiequalität beurteilt. Die Auswertung des Hauptzielkriteriums folgte dem »Intention-to-treat«-Prinzip.
Es wurden 90 Patienten eingeschlossen, die im Mittel 19 Therapiesitzungen in 9 Monaten erhielten. Die Therapiedauer war zwischen den Gruppen nicht signifikant unterschiedlich. In beiden Studienbedingungen kam es zu einer signifikanten Reduktion der Positiv- und Negativsymptomatik sowie der Depressivität. Zum Zeitpunkt des 9-Monats-Follow-up hielt die Verbesserung der Patienten, die kognitive Verhaltenstherapie erhielten, an. Die Patienten der »Befriending«-Gruppe zeigten keine weiteren Verbesserungen. Die Medikation klärte diese Unterschiede nicht auf. Diese Ergebnisse sprechen für die Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie sowohl für Positiv- als auch für Negativsymptomatik bei Patienten, die nicht ausreichend auf die antipsychotische Medikation ansprachen.
Die Studie von Tarrier et al. (2004) untersucht die Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie in der Akut- und Stabilisierungsphase der 1. oder 2. Episode. In einem früheren Paper wurde berichtet, dass kognitive Verhaltenstherapie zu einer beschleunigten Remission der Symptomatik führte. Hier wird nun die Hypothese überprüft, dass KVT, die zusätzlich zur Standardbehandlung durchgeführt wird, zu einem besseren Krankheitsverlauf während der Follow-up-Phase führt. In dieser multizentrischen Studie wurden 2 Kontrollgruppen gewählt: Eine Gruppe erhielt eine supportive Therapie, die andere ausschließlich die Routinebehandlung. Auf diese Weise wurden sowohl die spezifischen als auch die unspezifischen Wirkfaktoren kontrolliert. Die Follow-up-Zeit betrug 18 Monate. Die primären
Zielkriterien waren die allgemeine Symptomatik, positive Symptome sowie die Zeit bis zum Rückfall und zur Rehospitalisierung. Kognitive Verhaltenstherapie und supportive Therapie waren der Standardbehandlung bezüglich der Symptommaße zum 18-Monatsverlauf signifikant überlegen. Hinsichtlich der Rehospitalisierung waren keine Unterschiede festzustellen. KVT und supportive Therapie unterschieden sich nicht signifikant. Die Therapieeffekte waren zwischen den Studienzentren signifikant verschieden. Die Medikamentendosis und die Medikamentencompliance erklärten die Ergebnisse nicht. Die Studie zeigt, dass psychologische Behandlung den Langzeitverlauf verbessert. Spezifische Effekte von KVT waren hier jedoch nicht zu finden.
46.4.2 Behandlungsleitlinien Die referierten Reviews sind die wesentliche Grundlage für die vorliegenden evidenzbasierten Behandlungsleitlinien. Nur als Auswahl sollen hier Empfehlungen der amerikanischen und englischen Leitlinien genannt werden. Die Behandlungsleitlinie der amerikanischen psychiatrischen Fachgesellschaft gibt folgende Empfehlungen (American Psychiatric Association 2004, Übertragung ins Deutsche von den Autoren; römische Ziffern bzw. Buchstaben in Klammern geben Evidenzgrade an): 4 Für die meisten Personen mit Schizophrenie in der stabilen Phase werden psychosoziale Interventionen als ein nützlicher,
zusätzlich zur medikamentösen Behandlung eingesetzter Therapiebaustein empfohlen und können die Behandlungsergebnisse verbessern (I). 4 Verschiedene psychosoziale Behandlungsansätze haben sich während der stabilen Phase als effektiv erwiesen. Sie beinhalten Familienintervention (I), unterstützte Beschäftigung (I), aufsuchende Behandlung in der Gemeinde (I), Fertigkeitstraining (II) und kognitiv-behavioral orientierte Psychotherapie (II). Hier wird die stabile Phase als geeigneter Zeitpunkt der Intervention betont und weitere sozialpsychiatrische Interventionen einbezogen.
587 Literatur
Das britische ,,National Institute of Clinical Excellence« (2002) empfiehlt: 4 KVT sollte Patienten mit Schizophrenie angeboten werden, die unter persistierenden psychotischen Symptomen leiden (A). 4 Familieninterventionen sollten den Familien von Personen mit Schizophrenie angeboten werden, die vor kurzem einen Rückfall erlitten haben oder die als rückfallgefährdet eingeschätzt werden (A). Entsprechend der Metaanalyse von Pilling et al. (2002a) wird hingegen der Ergebnisstand zum Training sozialer Fertigkeiten und zur kognitiven Remediation kritisch beurteilt und diese Interventionen nicht empfohlen. Die S3-Behandlungsleitlinie »Schizophrenie« der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (2006) beinhaltet u. a. die folgenden Empfehlungen mit dem Empfehlungsgrad A: 4 KVT in der präpsychotischen Prodromalphase bei Personen mit hohem Übergangsrisiko in eine Schizophrenie. 4 KVT bei medikamentös behandlungsresistenter Schizophrenie, insbesondere bei persistierenden psychotischen Symptomen. 4 KVT zur weiteren Reduktion des Rückfallrisikos zusätzlich zu einer adäquaten medikamentösen Therapie. 4 Familienbetreuung zur Senkung des Rückfallrisikos. Es gibt eine Reihe weiterer Leitlinien, so z. B. von der kanadischen, schottischen, australisch-neuseeländischen Fachgesellschaft. Trotz Unterschieden im Detail sind die Empfehlungen jedoch ähnlich. ! In Behandlungsleitlinien wird die Anwendung von kognitiver Verhaltenstherapie in der Routineversorgung empfohlen
46
Residuale neuropsychologische Defizite, insbesondere im Gedächtnisbereich, scheinen aber selbst bei günstigen Krankheitsverläufen zu überdauern (Klingberg et al. 2007). Es gibt bislang keine Belege, dass kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen einen direkten günstigen Einfluss auf die neuropsychologischen Defizite haben. Vielmehr ist anzunehmen, dass eine solche Intervention, wenn sie denn zu einer klinischen Stabilisierung beiträgt, indirekt auch eine Verbesserung der neuropsychologischen Leistungsfähigkeit begünstigen kann. Für eine solche Annahme sprechen verschiedene Studien (Klingberg et al. 2006b), in welchen sich die neuropsychologischen Defizite konsistent als relativ unabhängig von der schizophrenen Psychopathologie, insbesondere der Positivsymtpomatik, erwiesen haben. 46.5.2 Wirksamkeit in Bezug auf kognitive
Verzerrungen Bis heute gibt es keine Untersuchungen, ob spezifische kognitivverhaltenstherapeutische Interventionen bei persistierender Positivsymptomatik, wenn sie denn tatsächlich wirksam sind, die kognitiven Biases (selektive Wahrnehmung, willkürliche Schlüsse, Externalisierungen) und das Theory-of-Mind-Defizit in Richtung »Normalität« verändern können (Blackwood et al. 2001). Unter der Annahme, dass diese kognitiven Biases zumindest teilweise aufrechterhaltend auf eine Wahnsymptomatik wirken, erscheint die Annahme aber plausibel, dass solche Interventionen einen direkten Einfluss auf die kognitiven Biases und damit die wahnhafte Symptomatik haben könnten. Zur Überprüfung dieser Annahme sind longitudinale randomisierte und kontrollierte Studien notwendig, die z. Z. aber noch nicht vorliegen.
Literatur 46.5
Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie in Bezug auf die Veränderung von kognitiven Prozessen
46.5.1 Wirksamkeit für klassisch neuropsycho-
logische Merkmale/kognitive Defizite In ihrer Übersichtsarbeit kommen Heinrichs u. Zakzanis (1998) zu dem Ergebnis, dass sich neuropsychologische Defizite vorwiegend in den Bereichen Aufmerksamkeit, Gedächtnis und exekutive Funktionen bemerkbar machen. Übersichtsarbeiten (z. B. Rund 1998) kommen zu dem Schluss, dass die neuropsychologischen Defizite bei den betroffenen Patienten stabil, d. h. Ausdruck einer statischen Encephalopathie sind. Dies bedeutet aber nicht, dass sich die häufig ausgeprägten neuropsychologischen Dysfunktionen der akuten Krankheitsphase unter günstigen Bedingungen (z. B. kontinuierliche Einnahme von Antipsychotika, weitgehende Remission der Symptomatik) nicht erholen könnten.
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588
46
Kapitel 46 · Kognitive Verhaltenstherapie bei schizophrenen Störungen – Einfluss auf Symptome und Kognition
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47
47 Kognitives Training bei Schizophrenie Stefan Bender und Alexandra Dittmann-Balcar
47.1
Veränderbarkeit kognitiver Defizite – 590
47.2
Kognitive Trainingsprogramme – 591
47.3
Kognitives Training in der Bewertung durch Patienten – 593
47.4
Wirksamkeit und Generalisierung
47.5
Offene Fragen
47.6
Zukunft
– 597
Literatur
– 598
– 597
– 594
590
47
Kapitel 47 · Kognitives Training bei Schizophrenie
Obwohl kognitive Defizite bei Patienten mit Schizophrenie schon lange beschrieben worden sind, wurden sie erst in letzter Zeit besonderer Fokus der therapeutischen Bemühungen. Eine Therapie kognitiver Dysfunktionen wird in aktuellen Behandlungskonzepten über drei Wege versucht: Pharmakotherapie (7 Kap. 48), kognitiv-behaviorale Therapie und kognitives Training. Anders als kognitiv-behaviorale Therapien wie etwa das integrierte psychologische Therapieprogramm (IPT; Roder et al. 2002), die zusätzlich zum Training primärer und komplexer kognitiver Fähigkeiten gleichzeitig auf eine Verbesserung sozialer und verbaler Fertigkeiten abgestimmt sind (7 Kap. 46), sollen mit dem kognitiven Training einzelne oder mehrere kognitive Funktionen spezifisch, unmittelbar und ausschließlich trainiert werden. Die Begriffe »kognitives Training«, »kognitive Rehabilitation« oder »kognitive Remediation« werden hierbei in der Literatur synonym gebraucht, in einigen Veröffentlichungen werden auch kognitiv-behaviorale Therapieprogramme unter diesen Begriffen mit eingeordnet. Zur besseren Unterscheidung verschiedener Interventionsstrategien wäre eine klare Differenzierung sicherlich wünschenswert. Im Folgenden soll durchgängig der Begriff »kognitives Training« verwendet werden: ! Kognitives Training dient der spezifischen und unmittelbaren Verbesserung oder Wiederherstellung kognitiver Funktionen wie z. B. Aufmerksamkeit, Gedächtnis oder Exekutivfunktion. Es bildet eine Schnittstelle der Disziplinen klinische Neuropsychologie, Rehabilitation und Verhaltenspsychologie und wird in der Behandlung von hirnverletzten Patienten schon lange eingesetzt.
Beim Einsatz eines kognitiven Trainings kann zwischen einem unmittelbaren und einem mittelbaren Therapieziel unterschieden werden: Unmittelbar geht es um die Verbesserung der Kognition und damit langfristig um den »Erkrankungsoutcome«, haben in den letzten Jahren doch zahlreiche Untersuchungen kognitive Störungen als wichtigsten Verlaufsparameter einer Schizophrenie beschrieben. Mittelbar geht es aber auch darum, durch eine Verbesserung der Kognition einem Patienten überhaupt erst zu ermöglichen, von anderen Therapieformen – die gewisse kognitive Fertigkeiten erfordern (z. B. Psychotherapie, Psychoedukation etc.) – ausreichend zu profitieren. Insofern kann kognitives Training im Rahmen eines modernen integrativen Behandlungsprogramms auch als eine Art »Basistherapie« verstanden werden. Die Techniken des kognitiven Trainings variieren sehr stark zwischen den verschiedenen Trainingsprogrammen. Dennoch können 3 basale Prinzipien unterschieden werden: 1. Generelle Stimulation 2. Substitution/Transfer 3. Verhaltensmodifikation Generelle Stimulation. Hierbei wird vom Patienten die repetitive Übung immer derselben Aufgabe gefordert, um somit ein bestehendes Defizit auszugleichen (Automatisierung). Zum Teil wird hier mit bekannten neuropsychologischen Testverfahren,
wie z. B dem Continuous-Performance-Test oder dem Wisconsin-Card-Sorting-Test, gearbeitet, die auch schon verwendet wurden, um das Defizit zu identifizieren. Somit kann eine Verbesserung der Leistung sehr gut nachvollzogen werden. Substitution/Transfer. Anders als ein auf Automatisierung kognitiver Teilfunktionen ausgerichtetes therapeutisches Vorgehen wird bei diesem Ansatz versucht, mittels eines strategieorientierten Vorgehens alternative Wege zur Zielerreichung aufzuzeigen. Dabei wird angestrebt, ein intaktes Hirnareal dazu zu nutzen, die Funktionen einer geschädigten Region zu übernehmen. Dies geschieht üblicherweise mittels eines individualisierten Strategietrainings (»strategy training/coaching«), bei dem mit dem Patienten im Rahmen des kognitiven Trainings an sein individuelles Störungsmuster angepasste Strategien zur Aufgabenbewältigung eingeübt werden. Verhaltensmodifikation. Allgemeine Lernprinzipien wie Verstär-
kung, »Shaping« und Modellierung werden eingesetzt, um die Leistung zu verbessern. Hierbei wird vor allem auch die Motivation des Patienten gestärkt, eine möglichst gute Leistung zu erbringen. 47.1
Veränderbarkeit kognitiver Defizite
Um die Zielsymptomatik für ein kognitives Training sinnvoll eingrenzen zu können, sind Kenntnisse über Dauerhaftigkeit und Stabilität kognitiver Defizite bei Menschen mit schizophrenen Psychosen notwenig. Einige neuropsychologische Defizite bestehen schon vor dem eigentlichen Ausbruch einer Schizophrenie, also dem Auftreten klinischer Symptome. Im Verlauf der Erkrankung bleibt die kognitive Funktion relativ stabil, generell stimmt das kognitive Profil (»Qualität« des Störungsmusters) von ersterkrankten Patienten mit dem von chronisch erkrankten Patienten überein, wobei das Ausmaß der Defizite (»Quantität« des Störungsmusters) bei chronischem Verlauf möglicherweise zunimmt (Bilder et al. 2000). In Kohortenstudien zeigen sich bei Kindern, die später an Schizophrenie erkranken, schon im Alter von 4 und 7 Jahren schlechtere Leistungen bei verbalen und nonverbalen neuropsychologischen Tests, im Alter von 7 Jahren auch ein geringerer IQ als bei gesunden Kontrollpersonen oder Kindern, die später eine affektive Erkrankung entwickeln (Cannon et al. 1999; Cannon et al. 2000). Etwa zum Zeitpunkt des ersten Auftretens klinischer Symptome verschlechtern sich die kognitiven Funktionen generell signifikant (Bilder et al. 2000). Einige Teilbereiche kognitiver Funktionen scheinen sich in den ersten Monaten nach dem ersten akuten Schub einer Schizophrenie wieder zu verbessern, gehen aber nicht mehr ganz auf den Ausgangswert vor dem ersten Schub zurück (Hoff et al. 1992). Einige kognitive Funktionen zeigen jedoch auch im Verlauf der Erkrankung Fluktuationen, vor allem in der Relation zu akuten psychotischen Episoden
591 47.2 · Kognitive Trainingsprogramme
(Rund 1998). Nuechterlein et al. (1994) schlagen hinsichtlich des Verlaufsaspektes eine Einteilung in 3 Klassen vor: 1. Stabile Vulnerabilitätsindikatoren 2. Mediierende Vulnerabilitätsindikatoren 3. Episodenindikatoren
47
von Patient zu Patient sehr stark. Daraus ergibt sich, dass einem kognitiven Training möglichst eine neuropsychologische Diagnostik vorangehen sollte, um zunächst überhaupt durch ein Training beeinflussbare Störungen zu identifizieren und ggf. dann eine auf das individuelle Störungsprofil des einzelnen Patienten ausgerichtete spezifische Therapie zu planen.
Stabile Vulnerabilitätsindikatoren. Dies sind solche kognitiven
Defizite, die nicht nur bei Patienten mit Schizophrenie, sondern auch bei Angehörigen ersten Grades oder Patienten mit einer schizoiden Persönlichkeitsstörung auftreten (»Spektrumstörungen«). So zeigen sich bei diesen Gruppen z. B. Defizite im Continuous-Performance-Test zur Messung der Daueraufmerksamkeit (Egan et al. 2000), in sprachlichen Fähigkeiten (Wortbedeutung, Wortassoziation und Wortflüssigkeit), im visuellen und im verbalen Langzeitgedächtnis sowie beim »backward masking« als Maß der präattentiven Informationsverarbeitung (Rund 1998). Mediierende Vulnerabilitätsindikatoren. Hiermit werden Defizite bezeichnet, die zwar einerseits wie die stabilen Vulnerabilitätsfaktoren auch bei Personen mit einem genetischen Risiko für Schizophrenie vorhanden sind, andererseits aber auch mit manifesten klinischen Symptomen korrelieren und sich kurz vor oder während einer psychotischen Episode verschlechtern. Hierzu zählen z. B. Arbeitsgedächtnis (Nuechterlein u. Green 1991), Exekutivfunktion und selektive Aufmerksamkeit (Rund 1998). Episodenindikatoren. Dies sind kognitive Funktionen, die nicht generell bei Schizophrenie betroffen sind, jedoch direkt vor oder während einer akuten psychotischen Episode Defizite aufweisen. Hierzu gehören »Latent Inhibition« und »Conditioned Blocking«, wobei es hinsichtlich der Abhängigkeit des Blockingeffekts vom akuten Krankheitszustand der Patienten unterschiedliche Befunde gibt (Bender et al. 2001; Wykes u. Reeder 2005). Vor allem die veränderlichen kognitiven Defizite (. Tab. 47.1), hier insbesondere die mediierenden Vulnerabilitätsindikatoren, sind als Ziele für kognitives Training vorgeschlagen worden. Allerdings wird die Suche nach einem geeigneten Trainingsprogramm erschwert durch die Tatsache, dass besonders in den Bereichen der präattentionalen Verarbeitung, des expliziten Arbeits- und Langzeitgedächtnisses, der Exekutivfunktion, der Aufmerksamkeit und der sozialen Kognition kein durchgängiges Muster kognitiver Störungen bei Patienten mit Schizophrenie zu finden ist. Vielmehr variieren Ausmaß und Profil der Störungen
47.2
Kognitive Trainingsprogramme
In der alltäglichen Behandlung von Patienten mit Schizophrenie werden Bausteine kognitiven Trainings zum Teil relativ unsystematisch eingesetzt. Ergotherapeutische Maßnahmen, RealitätsOrientierungs-Trainings, Belastungserprobungen und viele andere Therapieformen beinhalten jeweils Aspekte, die unsystematisch und zum Teil ohne spezifische Erwartung eines Nutzens für den konkreten Patienten kognitive Aspekte fördern sollen. Demgegenüber stehen strukturierte Trainingsprogramme, die gezielt spezifische neuropsychologische Funktionen verbessern sollen. Im Training kognitiver Defizite bei Patienten mit Schizophrenie werden unterschiedliche Programme eingesetzt, die teilweise eigens für diese spezielle Patientengruppe konzipiert wurden, zum Teil aber auch aus der neurologischen kognitiven Rehabilitation übernommen wurden. In beiden Gruppen von Programmen existieren sowohl »Papier-und-Bleistift-Versionen« als auch computergestütze Verfahren. Erstere finden immer in Interaktion mit einem Therapeuten statt, der zwar verschiedene Medien nutzen kann, aber in dessen persönlicher Verantwortung Anleitung, Überwachung des Trainingsfortschritts und Rückmeldung liegen (aktive therapeutische Rolle). Bei letzteren hat der Therapeut eine unterstützende Funktion. Er gibt lediglich Unterweisungen und Hilfestellungen in der Nutzung des Computers, ansonsten findet die Interaktion allein mit dem PC statt (passive therapeutische Rolle). Die Konzipierung eines auf Patienten mit Schizophrenie ausgerichteten Trainings beruht generell auf dem bekannten Muster kognitiver Defizite bei dieser Erkrankung. Dennoch ist durch die großen Unterschiede in den kognitiven Dysfunktionen der einzelnen Patienten ein standardisierter Ablauf des Trainings nur bedingt sinnvoll. Vielmehr sollten Trainingsprogramme individualisiert und adaptiv genug sein, um ausgehend vom individuellen Störungsprofil gezielt zu fördern. Diese Forderung wird von modernen kognitiven Trainings in sehr unterschiedlicher Weise erfüllt.
. Tab. 47.1. Stabilität kognitiver Defizite Stabile Vulnerabilitätsindikatoren
Mediierende Vulnerabilitätsindikatoren
Episodenindikatoren
Frühe visuelle Informationsverarbeitung
Arbeitsgedächtnis
Latent Inhibition
Langzeitgedächtnis
Exekutivfunktion
(Conditioned Blocking)
Daueraufmerksamkeit
Selektive Aufmerksamkeit
592
Kapitel 47 · Kognitives Training bei Schizophrenie
Exemplarisch sollen im Folgenden zwei spezifisch für Patienten mit Schizophrenie entwickelte Trainingsprogramme vorgestellt werden, die Papier-und-Bleistift-Version »Cognitive Remediation Therapy« (CRT, Wykes u. Reeder 2005) sowie das computergestützte Trainingsprogramm »Cogpack« (Marker 1999). Beide Programme unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich der verwendeten Medien, sondern vor allem auch hinsichtlich ihrer direkten Umsetzbarkeit im Alltag sowie ihrer theoretischen Grundlagen. Des Weiteren sollen zwei unspezifische kognitive Trainingsprogramme vorgestellt werden, die der neurologischen Rehabilitation entstammen und im deutschsprachigen Raum auch bei Patienten mit Schizophrenie eingesetzt werden: »RehaCom” (Hasomed GmbH 2006) als computergestütztes Verfahren sowie das »Kognitive Training nach Stengel« als nicht computergestütztes Verfahren (Stengel u. Ladner-Merz 2006).
47
»Cognitive Remediation Therapy« Die »Cognitive Remediation Therapy« (CRT, Wykes u. Reeder 2005) ist ein individualisiertes Trainingsprogramm, welches neben einem detaillierten Assessment der individuellen Stärken und Schwächen eines Patienten vor allem auf eine motivierende, multimodale Lernumgebung setzt, in der fehlerfreies Lernen möglich wird. Das Konzept geht von der Überlegung aus, dass es sinnvoller ist, »Metakognition« zum Aufbau alternativer Strategien zur Problemlösung zu trainieren als defizitäre Lösungsstrategien zu verbessern. CRT ist detailliert neuropsychologisch belegt hinsichtlich der Wichtigkeit und Sinnhaftigkeit der einzelnen Trainingsbereiche. Der Einsatz von computergestützten einzelnen Trainingsmodulen wird generell als sinnvoll angesehen, jedoch auf Grund der fehlenden Individualität nur begrenzt genutzt. Sowohl die Tests, die für das Assessment genutzt werden, als auch die Trainingsaufgaben für die Zielfunktionen werden im CRT offen gelassen. Vielmehr bedienen sich die Autoren hier zum Teil Trainingsmodulen anderer Autoren wie etwa des »Revised Cognitive Remediation Therapy Manual« (Delahunty et al. 2002).
Die Ausführlichkeit und Individualität des CRT zeigt sich schon im Assessmentbogen. Erhoben werden sollen die folgenden Bereiche (. Tab. 47.2): Wie sich anhand dieser Liste zeigt, ist die Durchführung des CRT fast ausschließlich entsprechend weitergebildeten Neuropsychologen und Psychiatern vorbehalten. Ein Gruppensetting verbietet sich durch die hohe Individualität des erhobenen Profils von Stärken und Schwächen des einzelnen Patienten.
Cogpack Cogpack (Marker 1999) wurde als deutschsprachiges Computerprogramm speziell für den Einsatz bei an Schizophrenie erkrankten Patienten entwickelt. Inzwischen ist es in einer Vielzahl weiterer Sprachen erhältlich. Cogpack enthält Aufgaben zum Training verschiedener kognitiver Bereiche. Aus den zahlreichen Aufgaben, die die Software enthält, wurden 70 Einzelaufgaben identifiziert, die besonders gut zum Training kognitiver Dysfunktionen bei Schizophrenie geeignet sind. Aus diesen wurde die so genannte »Olbrich-Serie« mit einem standardisierten, trotzdem aber begrenzt individualisierten Trainingsplan zusammengestellt (Bender et al. 2003). Hierzu wurde eine Trainingsform mit sowohl vertikaler als auch horizontaler Steigerung der Anforderungen entwickelt, d. h. ein Anstieg des Schwierigkeitsgrades sowohl über verschiedene Schwierigkeitsstufen als auch innerhalb der Serien und Aufgaben einer Stufe. Die Aufgaben wurden so zusammengestellt, dass 3 in der Schwierigkeit ansteigende Stufen entstanden, die jeweils 6 Serien mit 4–6 Übungen enthalten. Pro Trainingseinheit werden dabei Aufgaben aus den Funktionsbereichen: 4 Reaktion, 4 Konzentration, 4 Verarbeitung komplexen Materials, 4 Strategiebildung, 4 Gedächtnisaufgaben, 4 Rechnen und Logik
. Tab. 47.2. Bereiche des Assessmentbogens Kognitive Verarbeitung
Funktioneller Outcome
Transfer
Kognitiver Stil
Sensorisches Gedächtnis
Symptome (positiv, negativ, Desorganisation, affektiv)
Metakognition
Kognitive und Lernstile
Arbeitsgedächtnis
Soziale Kompetenz
Selbstwert
Verhaltensmanifestationen von Symptomen
Episodischer Speicher
Aktivitäten des täglichen Lebens
Selbstwirksamkeit
Verhaltensmanifestationen kognitiver Defizite
Langzeitgedächtnis
Selbstwert
Depressive Symptome
Typischer Copingstil
Zentrale Exekutive
Krankheitseinsicht
Angstsymptome
Typische kognitive und Verhaltensstile
Prämorbider IQ
Engagement
Aktueller IQ
Therapeutische Beziehung Unterstützung
593 47.3 · Kognitives Training in der Bewertung durch Patienten
in steigender Schwierigkeit dargeboten, wobei in jeder Trainingseinheit nur 2 dieser Funktionsbereiche trainiert werden. Nach der Beendigung einer Schwierigkeitsstufe wird diese zunächst wiederholt, bevor die nächst schwerere Stufe vorgegeben wird. Der adaptive Trainingsverlauf verlangt bei der ersten Bearbeitung einer Aufgabe das Erreichen eines Deckeneffekts; wird dieser erreicht, so wird diese spezielle Aufgabe nicht mehr angeboten und gilt als erfüllt. Liegt der erreichte Wert eines Trainierenden unterhalb des Deckeneffekts, so wird die Aufgabe ein zweites und auch ein drittes Mal im Trainingsverlauf gestellt. Hierbei soll der Patient sein bisheriges Ergebnis um 10% verbessern. Sobald ein Deckeneffekt oder ein Trainingsziel erreicht wird, scheidet die Aufgabe aus dem Trainingspensum aus und wird durch die nächstfolgende Aufgabe ersetzt. Wird die Aufgabe auch nach der dritten Bearbeitung nicht mit dem erwarteten Trainingsziel gelöst, so wird sie trotzdem nicht mehr angeboten, um Frustration und Langeweile zu vermeiden (. Abb. 47.1). Das computergestützte Training mit Cogpack kann im Gruppensetting angeboten werden, wobei eine maximale Teilnehmerzahl von 6–7 Patienten empfohlen wird. Durchgeführt werden kann das Training von praktisch jeder in die Behandlung von an Schizophrenie erkrankten Patienten involvierten Berufsgruppe. In vielen deutschen Kliniken wird Cogpack nicht von Ärzten oder Psychologen, sondern von Ergotherapeuten oder auch Krankenschwestern und -pflegern durchgeführt.
RehaCom RehaCom (Hasomed GmbH 2006) ist in Deutschland das am weitesten verbreitete computergestützte Trainingsprogramm in der neurologischen Rehabilitation. In 20 adaptiven Trainingsverfahren werden die folgenden Bereiche trainiert: 4 Aufmerksamkeit und Konzentration 4 Gedächtnis 4 Reaktionsvermögen 4 Logisches Denken/Handlungsplanung 4 Räumliches Vorstellungsvermögen
. Abb. 47.1. Individualisierter Cogpack-Trainingsablauf nach Olbrich; PR Prozentrang. (Aus Bender et al. 2003)
47
4 Visuelle Störungen 4 Visumotorische Störungen Anders als bei Cogpack wird bei RehaCom für Patienten mit einer bestimmten Störung nicht ein festgelegtes Trainingsprogramm vorgegeben, vielmehr wird von Seiten der Therapeuten individuell auf die Stärken und Schwächen einzelner Personen eingegangen. Pfleger (1996) verglich 7 Patienten mit Schizophrenie, die ein 4 bis 7-wöchiges Training mit RehaCom (Aufmerksamkeit und Konzentration, topologisches Gedächtnis) absolvierten, mit 7 Kontrollpatienten, die den normalen Stationsalltag durchliefen. Es zeigten sich in der Experimentalgruppe signifikante Verbesserungen hinsichtlich aller Variablen; ein Generalisierungseffekt des Trainings konnte jedoch nicht festgestellt werden.
Kognitives Training nach Stengel Die Ärztin, Psychologin und Soziologin Franziska Stengel entwickelte in den 70er-Jahren eine Methode für das Gedächtnistraining älterer Menschen. Als ganzheitliche Methode sollten möglichst alle Sinne angesprochen werden, sodass neben zahlreichen Büchern auch Sets mit akustischen, taktilen oder olfaktorischen Aufgaben eingesetzt werden. In den 90er-Jahren wurde das Trainingsprogramm erweitert, sodass die überarbeitete Version für Menschen aller Altersstufen geeignet ist (Stengel u. Ladner-Merz 2006). Trainer für die Therapie nach Stengel sollen speziell geschult sein (»Fachtherapeut für kognitives Training«), um adaptiv auf den einzelnen Patienten eingehen zu können. Das Training kann sowohl im Einzel- wie auch im Gruppensetting durchgeführt werden. Obwohl das Verfahren auch in der Therapie von Patienten mit Schizophrenie verwendet wird, sind entsprechende Erfahrungen nach unserem Kenntnisstand noch nicht publiziert. 47.3
Kognitives Training in der Bewertung durch Patienten
Über das Profil und das Ausmaß der kognitiven Störungen hinaus haben noch weitere Faktoren Einfluss auf die kognitive Leistung. Neben der medikamentösen Behandlung (7 Kap. 48) und der Ausprägung von affektiven und Negativsymptomen spielt vor allem die Motivation des Patienten eine wichtige Rolle. Für Patienten sinnentleert erscheinende Trainings oder Therapien wirken hier als »Motivationsbremsen«. Die kognitiven Defizite, die die Patienten oft als »Konzentrationsstörungen« oder »Gedächtnisschwierigkeiten« bezeichnen, bieten einen guten Ansatzpunkt für ein Training, da sie – anders als etwa Aspekte der Positivsymptomatik – von den Patienten selbst als im Alltag störend empfunden werden. Bender et al. (2004) untersuchten in einer multizentrischen Studie das subjektive Erleben eines computergestützten kognitiven Trainings mit dem Programm Cogpack (7 Abschn. 47.2). In einer prä/post-Untersuchung, die als semistrukturiertes Interview durchgeführt wurde, wurden neben den Erwartungen an das Training und deren Erfüllung auch das subjektive Wohlbefin-
594
Kapitel 47 · Kognitives Training bei Schizophrenie
den der Patienten vor und nach dem Training sowie ihre Computerangst erfasst. Die Erwartungen, die die Patienten als freie Antwort geben konnten, gliederten sich in 3 Teile: 1. Als primäre Effekte des kognitiven Trainings erhofften sich die Patienten eine Steigerung der Konzentrationsfähigkeit, der Gedächtnisleistung und der Reaktionsgeschwindigkeit. Des Weiteren war ihnen eine Überprüfung/Objektivierung der eigenen Leistung wichtig. 2. Sekundäre Effekte im Sinne eines Übertrags in das Alltagsleben wurden von den Patienten als Übung im Umgang mit Computern, Training der eigenen Belastbarkeit und Ausdauer sowie Übung für Beruf, Ausbildung, Schule angegeben. 3. Als sekundäre Effekte auf affektiver Ebene erhofften sich die Patienten Spaß am Training, eine abwechslungsreiche Beschäftigung im Stationsalltag sowie den Aufbau von Selbstvertrauen.
47
Die subjektiv erlebte Erfüllung der Erwartungen war in der untersuchten Patientengruppe gut bis sehr gut (. Abb. 47.2). Es erlebten 89,1% der Patienten eine subjektive Verbesserung, wobei die erlebte Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit, der Gedächtnisleistung, des logischen Denkens und der Reaktionsschnelligkeit im Vordergrund standen. Die Computerangst der Patienten – erfasst mit einer deutschen Version der »Computer Anxiety Rating Scale« (CARS, Heinssen et al. 1987) – nahm im Verlauf der Therapie signifikant ab und war auch zu Beginn des Trainings nicht höher als in der Allgemeinbevölkerung. Das subjektive Wohlbefinden, gemessen
. Tab. 47.3. »Computer Anxiety Rating Scale« und Skala zur Erfassung des subjektiven Wohlbefindens unter neuroleptischer Behandlung zu Beginn und nach Abschluss des computergestützten kognitiven Trainings. (Aus Bender et al. 2004) Beginn des Trainings
Abschluss des Trainings
ANOVA
CARS
30,41 (SD 7,86)
27,55 (SD 8,39)
p<0,004
SWN-Gesamtwert
71,20 (SD 16,88)
74,69 (SD 14,36)
p<0,05
SWN-Subskala »Selbstkontrolle«
14,95 (SD 3,48)
15,42 (SD 2,82)
n.s.
SWN-Subskala »physisches Wohlbefinden«
14,16 (SD 4,23)
15,16 (SD 3,31)
p<0,05
SWN-Subskala »mentale Funktion«
12,80 (SD 4,24)
13,89 (SD 3,89)
p<0,02
SWN-Subskala »emotionale Regulation«
15,44 (SD 4,01)
15,83 (SD 3,78)
n.s.
SWN-Subskala »soziale Integration«
13,86 (SD 4,14)
14,39 (SD 3,70)
n.s.
CARS »Computer Anxiety Rating Scale«; SWN Skala zur Erfassung des subjektiven Wohlbefindens unter neuroleptischer Behandlung.
mit der Skala zur Erfassung des subjektiven Wohlbefindens unter neuroleptischer Behandlung (Subjective Well-Being under Neuroleptic Treatment, SWN; Naber et al. 2001), nahm signifikant zu, wobei sich die deutlichste Verbesserung für die Subskala »mentale Funktion« fand (. Tab. 47.3). Der subjektiv erlebte Spaß am computergestützten Training zeigte sich auch in den freien Kommentaren der Patienten zum Abschluss des Trainings. Offenbar wird der Computer als »neutraler«, »berechenbarer« Interaktionspartner erlebt; er kann nicht emotional reagieren und den Patienten damit eventuell überfordern und gibt direkt positive Rückmeldungen, die auch den kleinsten Therapiefortschritt unmittelbar erlebbar machen. Patienten leisten beim kognitiven Training aktiv »Therapiearbeit« bei ihrer Gesundung und haben die Möglichkeit, selbst »Hand anlegen« zu können an ein als besonders störend und belastend erlebtes Krankheitssymptom (Patient als sein »eigener Be-handler«). 47.4
. Abb. 47.2. Subjektiv erlebte Erfüllung der Erwartungen an das Cogpack-Training. 1 überhaupt nicht erfüllt; 5 vollständig erfüllt. (Aus Bender et al. 2004)
Wirksamkeit und Generalisierung
Klinische Erfahrungen zahlreicher Anwender kognitiver Trainingsverfahren (z. B. Cogpack) ebenso wie einige Untersuchungen belegen, dass im Verlauf eines kognitiven Trainings eine Verbesserung der Trainingsleistung erreicht werden kann. So haben
595 47.4 · Wirksamkeit und Generalisierung
. Abb. 47.3. Cogpack-Trainingsleistung (»Olbrich-Serie«) von 80 Patienten mit Schizophrenie nach neurologischen Funktionsbereichen. (Aus Bender et al. 2003)
z. B. Bender et al. (2003) die Trainingsdaten von 80 Patienten analysiert, die in einem Cogpack-Training die komplette »Olbrich-Serie« (s. oben) durchgeführt hatten. Dafür wurden sämtliche 70 Aufgaben auf Grundlage der vorrangig benötigten neuropsychologischen Funktion den folgenden 5 Bereichen zugeordnet: Aufmerksamkeit (n=16), Gedächtnis (n=18), Exekutivfunktion (n=14), Visuomotorik (n=11) und Rechnen (n=11). In der Auswertung wurden die eingangs erreichten Deckeneffekte und die im Trainingsverlauf mit dem vorgegebenen Verbesserungskriterium bearbeiteten Aufgaben erfasst. Zu Beginn des Trainings zeigten sich die größten Defizite in den Bereichen Gedächtnis und Visuomotorik. Im Trainingsverlauf kam es in allen 5 Funktionsbereichen zu einer deutlichen Leistungssteigerung. Zum Trainingsende verblieben die deutlichsten Schwierigkeiten in den gedächtnisassoziierten Aufgaben (. Abb. 47.3). Die erfolgreiche Durchführung eines kognitiven Trainings kann aber nicht allein an der subjektiven Einschätzung der Patienten oder an einer nachgewiesenen Verbesserung der Leistung in den trainingsinternen Aufgaben gemessen werden. Hauptsächliches Wirksamkeitskriterium ist der Transfer einer Steigerung der kognitiven Fähigkeiten. Hier kann zwischen dem Transfer erster und zweiter Ordnung unterschieden werden. Transfer erster Ordnung (Trainierbarkeit)
Die meisten Untersuchungen zur Wirksamkeit kognitiver Trainings untersuchen den Transfer erster Ordnung. Dabei werden eine oder mehrere kognitive Funktionen mit Standardtests vor und nach dem Training erhoben. Eine Verbesserung der Testergebnisse wird als Trainingserfolg bezeichnet, vor allem, wenn sich in einer Kontrollgruppe ohne Training die entsprechenden Testergebnisse nicht oder nur in einem geringeren Maß verbessern. Einige Untersuchungen fügen noch einen Follow-up-Messzeitpunkt mehrere Monate nach dem Training hinzu, um Langzeiteffekte demonstrieren zu können.
47
Vauth et al. (2000) stellen in ihrer Übersichtsarbeit dar, dass die bisherigen Studien zu teilweise inkonsistenten Ergebnissen kommen. So zeigen sich z. B. im Bereich der selektiven Aufmerksamkeit positive Trainigseffekte mit dem Span-of-ApprehensionTest, nicht jedoch mit dem Continuous-Performance-Test. Im Bereich der Daueraufmerksamkeit konnte eine Verbesserung beobachtet werden, ebenso im Bereich der Gedächtnisleistung, wenn Trainingsmethoden verwendet wurden, die durch gezielten Strategieeinsatz die Verarbeitungstiefe förderten. Im Vergleich dazu konnten Trainingsverfahren, die eine eher oberflächliche Verarbeitung durch bloße Wiederholung einsetzten, keine Verbesserung erzielen. Die Trainierbarkeit exekutiver Funktionen (Konzeptbildung und Flexibilität) konnte ebenfalls belegt werden, ebenso die Verbesserung des Arbeitsgedächtnisses. Auffällig ist hierbei, dass vor allem ein gezieltes Strategietraining zur Leistungssteigerung führt. Dies entspricht der Strategie von Substitution und Transfer und scheint sich beim Training von an Schizophrenie erkrankten Patienten deutlich besser zu bewähren als die generelle (sich wiederholende) Stimulation. So konnten z. B. Benedict et al. (1994) bei einem Aufmerksamkeitstraining mit dem Continuous-Performance-Test und einer Wortliste keine Verbesserung der Aufmerksamkeitsfunktion erreichen. Auch die zunächst hoffnungsvoll anmutenden Ergebnisse im Bereich der Exekutivfunktion mittels einer generellen Stimulation mit dem Wisconsin-Card-Sorting-Test werden relativiert durch fehlende Generalisierungstendenzen vom Trainingsprogramm zu anderen Tests (Bellack et al. 1996). Twamley et al. (2003) geben eine Übersicht über 17 – sehr unterschiedliche, teils mit methodischen Mängeln behaftete – bis zum Jahr 2001 publizierte randomisierte kontrollierte Studien zum kognitiven Training bei Patienten mit Schizophrenie, wobei sie zwischen computergestützten und nicht computergestützen Verfahren sowie zwischen Verfahren mit und ohne Strategietraining unterscheiden. Sie kommen zu der Schlussfolgerung, dass alle Arten von Verfahren einen positiven Effekt sowohl auf die kognitive Leistungsfähigkeit als auch auf andere Krankheitssymptome haben können. Ebenso wie Substitution und Transfer zeigen sich auch die Strategien der Verhaltensmodifikation der generellen Stimulation überlegen. So fanden etwa Kern et al. (1995), die beim Aufmerksamkeitstraining mit dem Span-of-Apprehension-Test die Standardinstruktion, eine pekuniäre Verstärkung und eine Mischform aus beidem verglichen, den größten therapeutischen Effekt in der Gruppe Instruktion und Verstärkung. Hinsichtlich eines möglichen Langzeiteffekts verglichen z. B. Wykes et al. (2003) den Einfluss von kognitivem Training vs. intensiver Ergotherapie auf kognitive Flexibilität (Anzahl der Kategorien im Wisconsin-Card-Sorting-Test), Gedächtnis (WAIS-RDigit-Span-Test) und Planungsfähigkeit (mittlere Anzahl von Zügen im Tower-of-London-Test). Direkt nach Beendigung der Therapie zeigte sich eine signifikante Verbesserung in der Gruppe der Patienten mit kognitivem Training im Vergleich zur Kontrollgruppe. Zum Zeitpunkt der Follow-up-Untersuchung 6 Mo-
596
47
Kapitel 47 · Kognitives Training bei Schizophrenie
Vauth et al. (2001) untersuchten die Verbesserung von Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit, Lernzuwachs und Exekutivfunktion durch ein 8-wöchiges kognitives Strategietraining im Rahmen einer ambulanten beruflichen Rehabilitation (ca. 20 Stunden Arbeitstraining pro Woche) im Vergleich zur herkömmlichen Arbeitstherapie. Methode: 59 Patienten mit Schizophrenie wurden – stratifiziert nach konventionellen vs. atypischen Neuroleptika – randomisiert dem kognitiven Strategietraining oder der Arbeitstherapie zugewiesen. Das computergestützte Training bestand aus angeleiteten Sitzungen mit Cogpack. Es wurde nicht frei am Computer geübt, vielmehr wurden durch Psychoedukation und Coaching gezielt eine Erkennung der individuellen Defizite und eine Optimierung der Selbsthilfestrategien gefördert. Ergebnisse: Während in der Kontrollgruppe die Leistungen vor und nach dem Arbeitstherapieprogramm gleich blieben, verbesserte sich die Gruppe mit dem kognitiven Strategietraining signifikant in den Bereichen Aufmerksamkeit (Aufmerksamkeits-Belastungs-Test, d2), Merkfähigkeit und Lernzuwachs (Rey-Auditory-Verbal-Learning-Test, RAVLT) sowie Exekutivfunktion (Trailmaking-Test, TMT). Darüber hinaus verbesserte sich die Psychopathologie in dieser Gruppe signifikant (PANSS: Globalskala und Positivsymptomskala). Die Effektstärken für Exekutivfunktion und Psychopathologie lagen im mittleren Bereich, für Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit und Lernfähigkeit waren sie sogar hoch. Die Studie ist vor allem wegen der Stratifizierung nach konventionellen vs. atypischen Neuroleptika sehr aussagekräftig. Denn während die Einnahme konventioneller Neuroleptika teilweise eine Verschlechterung kognitiver Leistungen verursacht, wird unter der Gabe atypischer Neuroleptika über eine Verbesserung kognitiver Funktionen berichtet (7 Kap. 48). Besonders interessant ist der Nachweis einer Verbesserung der Lernfähigkeit als möglicher Beitrag zur Ausweitung des »Rehabilitationspotenzials« von an Schizophrenie erkrankten Patienten (7 Kap. 49).
nate nach Beendigung des Trainings war die Verbesserung der Gedächtnisleistung immer noch signifikant, in den Bereichen kognitive Flexibilität und Planungsfähigkeit jedoch nur noch als Trend erkennbar. Transfer zweiter Ordnung (Übertrag auf den Alltag)
Der Transfer zweiter Ordnung, die Frage nach dem Übertrag verbesserter kognitiver Funktion auf das Alltagsleben, ist bisher deutlich weniger untersucht worden. Die Kontrollierbarkeit der entsprechenden Variablen ist ungleich schwieriger, »Outcomevariablen« wie etwa das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses sind von einer Vielzahl weiterer Faktoren abhängig. Wykes et al. (2003) fanden auch 6 Monate nach Beendigung des Trainings
Bell et al. (2003) untersuchten die Verbesserung der Arbeitsgedächtnisleistung durch kognitives Training + Arbeitstherapie im Vergleich zu Arbeitstherapie allein. Hierbei wurde zu Beginn des 6-monatigen Trainigsprogramms zwischen leicht und schwer kognitiv beeinträchtigten Patienten unterschieden. Methode: 102 Patienten mit Schizophrenie bzw. schizoaffektiver Störung wurden nach Schweregrad der Beeinträchtigung stratifiziert randomisiert den 4 Gruppen zugeteilt. Das kognitive Training bestand aus gezielter Rückmeldung der eigenen kognitiven Leistungen in der Arbeitstherapie, kognitivem Training (teilweise computergestützt) mit Coaching sowie Psychoedukation. Die Arbeitsgedächtnisleistung wurde durch den Digit-Span-Test (Digits-Backwards-Subtest) zu Beginn des Trainings, nach dem 6-monatigen Training sowie im Follow-up nach weiteren 6 Monaten getestet. Ergebnisse: Die Patienten mit kognitivem Training + Arbeitstherapie verbesserten sich unabhängig vom Schweregrad der kognitiven Beeinträchtigung signifikant mehr als die Kontrollgruppe. Dieser Effekt war auch im Follow-up stabil. Trotz einiger Einschränkungen hinsichtlich der Zusammensetzung der einzelnen Gruppen (keine Stratifizierung hinsichtlich Medikamenten, Vorauswahl motivierter Patienten) ist die Studie wegen zweier Aspekte besonders interessant: 1) wegen der Einteilung in leicht und schwer kognitiv beeinträchtigte Probanden und 2) wegen einer Follow-upUntersuchung nach einem halben Jahr. Patienten mit schweren kognitiven Beeinträchtigungen werden im Alltag häufig als eher »ungeeignete Kandidaten« für kognitive Trainingsprogramme angesehen, da bisher davon ausgegangen wurde, sie könnten nicht davon profitieren. Hier konnte dagegen ein positiver Trainingseffekt auch bei Patienten mit ausgeprägten kognitiven Störungen nachgewiesen werden. Auch zeigte sich beim Follow-up nach 12 Monaten – besonders bei den Patienten mit schwerer kognitiver Beeinträchtigung – eine Nachhaltigkeit der Trainingseffekte.
höhere Werte für Selbstbewusstsein in der Gruppe mit kognitivem Training im Vergleich zu der mit intensiver Ergotherapie. Des Weiteren zeigte sich eine signifikant höhere soziale Funktion sowie eine erhöhte Frequenz in der Nutzung von Betreuungsangeboten. Insgesamt gibt es nach Vauth et al. (2000) eine Reihe von empirischen Belegen dafür, dass kognitive Defizite in Zusammenhang mit verschiedenen Maßen beruflicher und sozialer Funktion stehen. So finden sich replizierbare Zusammenhänge von exekutiver Funktion und verbalem Langzeitgedächtnis mit beruflicher und sozialer Rollenfunktionsfähigkeit. Soziale Kompetenz war mit verbalem Langzeitgedächtnis, Daueraufmerksamkeit und Negativsymptomatik assoziiert. Die kognitive Funktionsfähigkeit scheint demnach einen größeren Einfluss auf
597 47.6 · Zukunft
soziale und berufliche Kompetenzen zu haben als die psychopathologische Symptomatik. 47.5
Offene Fragen
Vorliegende Arbeiten über die Trainierbarkeit kognitiver Funktionen, gängig eingesetzter Therapieprogramme und Studien zu Wirksamkeit und Transfer zeigen deutlich, dass im Vergleich zur Therapie der schizophrenen Positiv- und Negativsymptomatik der Erfolg eines Trainings kognitiver Defizite noch deutlich weniger empirisch belegt ist. Die begriffliche Abgrenzung zu ähnlichen Therapieformen wie etwa der kognitiv-behavioralen Therapie wird zwar angestrebt, ist aber noch nicht tatsächlich vollzogen. So ist die anfangs genannte Definition als Übergang zu verstehen, der einerseits die Trennung von anderen Therapieverfahren verdeutlichen soll, andererseits inhaltlich jedoch bisher nur vorsichtig und ansatzweise gefüllt ist. Die Definition sollte, vor allem hinsichtlich der belegten Überlegenheit des Trainings mit Transferstrategien zu dem mit repetitiven Strategien, in Zukunft sinnvoll ergänzt und verändert werden. Dies erscheint jedoch nur dann sinnvoll und möglich, wenn die folgenden Fragen beantwortet werden können: Welche Kriterien für Wirksamkeit sollten sinnvoller Weise angewendet werden?
Transfer erster Ordnung ist eine relativ einfach zu handhabende Größe. Veränderungen direkt zum Ende des Trainings können ohne große Schwierigkeiten mit den Werten zu Beginn des Trainings verglichen werden, vor allem, wenn eine Kontrollgruppe existiert, die hinsichtlich weiterer bedeutsamer Faktoren wie etwa der medikamentösen Therapie angepasst wurde. Aussagen hinsichtlich eines Folgetermins sind zwar im Sinne einer größeren Variabilität mediierender Faktoren schwerer zu treffen, dies erscheint jedoch durch eine ausreichend große Stichprobe möglich. Transfer zweiter Ordnung wird hingegen von einer Vielzahl weiterer Faktoren beeinflusst. Der berufliche Erfolg eines Patienten nach einem kognitiven Training, seine Fähigkeit zu bedeutungsvollen sozialen Kontakten, die Erledigung von Alltagsaufgaben usw. sind Faktoren, die schon innerhalb der Normalpopulation zum Teil ohne Zutun der Person stark variieren. Den beruflichen Erfolg einer Person allein einem kognitiven Training zuzuschreiben, erscheint hier vermessen. Hier sollten überprüfbare Kriterien entwickelt werden, deren direkter Zusammenhang zum kognitiven Training jedoch zunächst empirisch nachgewiesen werden müsste. Wie individuell kann/soll ein Training sein?
Der Idealfall eines kognitiven Trainings wäre sicherlich ein ganz auf das Individuum abgestimmtes Therapieprogramm, welches seine Stärken und Schwächen vollständig berücksichtigt. Dieses Training würde von speziell geschultem Fachpersonal durchge-
47
führt, das fundiertes theoretisches und praktisches Wissen hinsichtlich Neuropsychologie, spezifischer kognitiver Defizite bei Schizophrenie sowie des Einsatzes unterschiedlicher Medien und Didaktik hätte. Im Rahmen von Kosten-Nutzen-Überlegungen erscheint diese Forderung jedoch überzogen bzw. zumindest nach heutigen Maßstäben und Personalschlüsseln nicht leistbar. Die Alternative wäre ein Gruppentraining, welches auch von angelerntem Personal durchgeführt werden kann. Solch ein Training würde konsequenterweise einen Großteil der individuellen Abstimmung auf die Probleme des einzelnen Patienten vermissen lassen. Dies birgt die Gefahr von Ineffizienz, aber auch von Frustration der Patienten, die ggf. unter- oder überfordert werden. Jedes eingesetzte Programm muss sich daher einer Überprüfung stellen, inwieweit ausreichende Individualität in Relation zu Kosten und Nutzen steht. Hier fehlen durch den Mangel an Wirksamkeitsnachweisen vor allem auch zum Transfer zweiter Ordnung noch Argumente, um von den Kostenträgern die Finanzierung eines spezifischen kognitiven Trainings bei Schizophrenieerkrankten einfordern zu können. 47.6
Zukunft
Die mögliche Zukunft des kognitiven Trainings bei Patienten mit Schizophrenie liegt in dem oben beschriebenen Spannungsfeld. Einerseits sollte jedes Training praktikabel (möglichst einfach durchführbar) und finanzierbar sein, andererseits ist aber auch eine größtmögliche Individualität und Adaptationsfähigkeit auf den Einzelnen zu fordern. Vor dem Hintergrund, dass die kognitive Kompetenz den Verlauf schizophrener Psychosen offenbar wesentlich beeinflusst, sollte ein kognitives Training möglichst frühzeitig im Krankheitsprozess (Ersterkrankung) erfolgen und Bestandteil eines modernen integrativen Behandlungsprogramms sein. Es liegt auf der Hand, dass es sinnvoll ist, ein solches Training längerfristig durchzuführen, ggf. mit »Auffrischungssitzungen«, wenn auch entsprechende Langzeitstudien noch ausstehen. Während bisherige kognitive Trainingsprogramme vorwiegend in einem stationären Setting entwickelt und erprobt wurden und bisher auch überwiegend nur im Rahmen einer stationären Behandlung angeboten werden, ist das kognitive Training der Zukunft eine Domäne der ambulanten Behandlung. Sinnvoll ist eine dem Training vorangehende neuropsychologische Diagnostik, aus der ein individuelles Störungsprofil und daraus ein individuelles Trainingsprogramm abgeleitet werden können. Hier bieten computergestützte Verfahren sicherlich erhebliche Vorteile, könnte doch eine solche Diagnostik in das Programm integriert und nach einem vorgegebenen Algorithmus direkt in einen individuellen Therapieplan umgesetzt werden. Von Vorteil wären dann auch neuropsychologische Kontrolluntersuchungen, um den Behandlungserfolg zu dokumentieren und ggf. den Therapieplan anzupassen. Allerdings ist bei der Weiterentwicklung von Trainingsprogrammen der deutliche Hin-
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Kapitel 47 · Kognitives Training bei Schizophrenie
weis auf einen Vorteil der Strategie von Substitution und Transfer gegenüber der generellen Stimulation zu berücksichtigen, sodass computergestützte Verfahren zum umschriebenen Training einzelner kognitiver Funktionen nur einen Teil eines komplexen Trainingsprogramms darstellen sollten. Für die weitere Evaluationsforschung empfehlen Twamley et al. (2003) angemessene Stichprobengrößen, repräsentativere Stichproben (z. B. Alter, Geschlecht), differenziertere Kontrollgruppen, Stratifizierung nach Art der antipsychotischen Medikation, Standardisierung der untersuchten Trainingsverfahren, Erfassung nicht nur kognitiver Parameter, sondern auch der psychiatrischen Symptomatik und der Alltagsfunktionen, statistische Korrektur für multiples Testen, Subgruppenanalysen sowie ein theoriegeleitetes Vorgehen. Darüber hinaus sollte neben der Durchführung von Langzeitstudien, die die Wirksamkeit eines längerfristigen Trainings ebenso wie den Langzeiteffekt der Therapie erfassen, besonderer Wert auf eine Untersuchung des Transfers zweiter Ordnung gelegt werden, da solche Studien noch nahezu vollständig fehlen.
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48
48 Pharmakotherapie kognitiver Störungen Gerhard Gründer
48.1
Konzepte und Methoden
– 600
48.2
Neurobiologie kognitiver Störungen bei Schizophrenien – 601
48.2.1 48.2.2 48.2.3 48.2.4 48.2.5
Dopaminerge Systeme – 601 Serotonerge Systeme – 601 Glutamaterge Systeme – 602 Cholinerge Systeme – 603 GABAerge Systeme – 603
48.3
Negative Wirkungen von Pharmaka auf kognitive Funktionen – 603
48.4
Pharmakotherapie
48.4.1 48.4.2
Antipsychotika – 604 Nichtantipsychotisch wirksame Pharmaka – 607
48.5
Aktuelle Entwicklungsstrategien – 609
48.5.1 48.5.2 48.5.3 48.5.4
Dopaminerge Strategien – 609 Serotonerge Strategien – 609 Glutamaterge Strategien – 610 Cholinerge Strategien – 610
48.6
Ausblick
– 610
Literatur
– 610
– 604
48
600
Kapitel 48 · Pharmakotherapie kognitiver Störungen
48.1
Konzepte und Methoden
Das Ausmaß kognitiver Störungen gilt heute als die wesentlichste Determinante der sozialen und beruflichen Leistungsfähigkeit von Patienten mit schizophrenen Störungen. Sie bestimmen ihre langfristige Prognose. Während zu Beginn der Neuroleptika-Ära in den 50er-Jahren die vollständige Suppression von Positivsymptomen das erste und meist einzige Behandlungsziel darstellte, wird daher der Pharmakotherapie kognitiver Störungen heute ganz besondere Bedeutung beigemessen. Da die soziale und berufliche Leistungseinschränkung bzw. Behinderung die höchsten indirekten Kosten schizophrener Störungen verursacht, würde eine signifikante Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit der betroffenen Patienten zu einer erheblichen Verminderung der mit diesen Erkrankungen verbundenen Kosten und des Grades ihrer Beeinträchtigung bzw. Behinderung führen. Der (medikamentösen) Verbesserung von kognitiven Störungen bei schizophrenen und anderen psychischen Störungen kommt daher besondere gesellschaftliche Bedeutung zu. Die Entwicklung von Substanzen, die die kognitiven Störungen bei Schizophrenien (und anderen psychischen Störungen) vermindern bzw. im Idealfall vollständig beheben, stellt daher einen sehr wesentlichen Schwerpunkt der Anstrengungen der pharmazeutischen Industrie dar. Dabei fordert die amerikanische Arzneimittelzulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) für den Wirksamkeitsnachweis eines Pharmakons dieser Art, dass es nicht nur bestimmte Aspekte kognitiver Funktionen signifikant beeinflusst, sondern dass es den erkrankten Patienten die bessere Erfüllung der sozialen und beruflichen Anforderungen ermöglicht. Bisher gibt es jedoch keine einzige Substanz, die mit dem spezifischen Ziel der Verbesserung der kognitiven Defizite im Rahmen schizophrener Störungen die Marktreife erlangt hätte. Wegen dieses Mangels haben die amerikanischen nationalen Gesundheitsinstitute (National Institutes of Health, NIH) das MATRICS (Measurement and Treatment Research to Improve Cognition in Schizophrenia) -Programm aufgelegt. Es dient einerseits der Identifizierung von in kognitive Prozesse zentral involvierten molekularen Strukturen und andererseits – gemeinsam mit der Industrie – der Entwicklung von Substanzen, die in die hier identifizierten molekularen Prozesse eingreifen. Dies soll im Rahmen von miteinander vernetzten Forschungszentren geschehen, die sich im NIMH-TURNS (Treatment Units for Research on Neurocognition and Schizophrenia) -Projekt organisiert haben. Die erste Arbeitsgruppe der am MATRICS-Projekt beteiligten Wissenschaftler beschäftigte sich im Wesentlichen mit den beiden Fragen der Identifizierung von kognitiven Zielprozessen und der Auswahl geeigneter Messinstrumente, um diese Zielprozesse valide abzubilden. Die zweite Arbeitsgruppe hatte zur Aufgabe, neuropsychopharmakologische Therapiestrategien zu entwickeln und viel versprechende Pharmaka zu identifizieren, die in einem dritten Arbeitsschritt im Rahmen multizentrischer Studien zu prüfen sind. Zu den aussichtsreichsten Zielmolekülen
. Abb. 48.1. Übersicht über die wesentlichsten vermuteten Ursachen und Konsequenzen gestörter dopaminerger Signaltransduktion im dorsolateralen präfrontalen Kortex bei schizophrenen Störungen. Eine Minderfunktion von NMDA-Rezeptoren, die exzitatorischen Input zu präfrontalen Pyramidenzellen vermitteln, führt zu verminderter Aktivität von kortikalen exzitatorischen Projektionen zu mesenzephalen dopaminergen Neuronen. Dies wiederum hat einerseits eine verminderte Aktivität dieser dopaminergen Neurone, die zum dorsolateralen präfrontalen Kortex projizieren, zur Folge, andererseits wird die Aktivität von Neuronen, die zum Striatum projizieren, gesteigert. Reduzierte Dopaminkonzentrationen im präfrontalen Kortex führen zu einer kompensatorischen, aber funktionell insuffizienten Heraufregulation von D1-Rezeptoren. Die Verminderung der NMDA- wie auch der D1-vermittelten Transmission reduziert die Aktivität von Chandelier-Neuronen, was zu einer Abnahme der aktivitätsabhängigen Expression von GAD1-mRNA, die für GAD67 kodiert, führt. Eine Reduktion von GAD67 führt zu verminderter GABA-Freisetzung, was wiederum einerseits eine Herunterregulation von GAT1 in Chandelier-Neuronen, andererseits eine Heraufregulation von postsynaptischen α2-GABAA-Rezeptoren auf den initialen Segmenten der Axone von Pyramidenzellen zur Folge hat. (Mod. nach Lewis u. Gonzalez-Burgos 2006)
601 48.2 · Neurobiologie kognitiver Störungen
zählen der D1-Dopaminrezeptor im präfrontalen Kortex, Serotoninrezeptoren im präfrontalen und anterioren zingulären Kortex, die exzitatorische glutamaterge Synapse, der nikotinische Acetylcholinrezeptor im Hippocampus, der muskarinische Acetylcholinrezeptor sowie GABAerge Systeme. Die Rolle dieser molekularen Strukturen im Rahmen kognitiver Prozesse bei Patienten mit schizophrenen Störungen soll im nächsten Abschnitt näher erläutert werden (. Abb. 48.1). 48.2
Neurobiologie kognitiver Störungen bei Schizophrenien
48.2.1 Dopaminerge Systeme Die dopaminerge Neurotransmission spielt nicht nur eine zentrale Rolle für motorische und limbische Funktionen, sondern auch für die Regulation von Aufmerksamkeit und exekutiven kognitiven Funktionen (Übersicht in Nieoullon 2002). Tierexperimentelle Studien, in deren Rahmen Läsionen in dopaminergen Systemen gesetzt werden, führen zu kognitiven Defiziten, insbesondere wenn mesokortikolimbische Projektionen betroffen sind (Iversen 1977). Durch derartige Läsionen werden auch Aufmerksamkeitsfunktionen beeinträchtigt, was eine zentrale Bedeutung dieser dopaminergen Projektionen für die Regulation der Aufmerksamkeit nahe legt. Funktionsstörungen mesokortikolimbischer dopaminerger Projektionen liegen bei so heterogenen Erkrankungen wie Schizophrenien, Morbus Parkinson und ADHD vor. Dabei wird vermutet, dass bei diesen Erkrankungen nicht einfach eine Verminderung der dopaminergen Neurotransmission besteht, sondern komplexe Störungen der Verbindungen zwischen ventraler Mittelhirnhaube, anterioren Basalganglien und präfrontalem Kortex. Eine Normalisierung der dopaminergen Neurotransmission durch pharmakologische Intervention hat hier nicht nur Implikationen für die Therapie kognitiver und Aufmerksamkeitsfunktionen im Rahmen dieser Störungen, sondern auch im Rahmen von normalen Alterungsprozessen. Gegenwärtige Konzeptionen zur Neurochemie schizophrener Störungen gehen davon aus, dass ein wesentlicher Anteil ihrer Phänomenologie (d. h. insbesondere Negativsymptome und kognitive Störungen) auf eine Verminderung der dopaminergen Neurotransmission in mesokortikalen dopaminergen Projektionen zurückzuführen ist und dass der hypostasierte Exzess der dopaminergen Neurotransmission in mesolimbischen Projektionen lediglich als Folge dieses basaleren Prozesses zu betrachten ist (Weinberger 1987). Mithilfe der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) konnte der Zusammenhang zwischen den für schizophrene Störungen typischen kognitiven Störungen und der gestörten Regulation der dopaminergen Neurotransmission in subkortikalen Kernen erhellt werden. So weisen diejenigen Patienten mit einer schizophrenen Störungen die höchste striatale Dopaminsynthesekapazität auf, die die schlechteste Arbeitsgedächtnis-Leistung erbringen (Meyer-Lindenberg et al. 2002). Auch die
48
Arbeiten von Abi-Dargham et al. (2002) legen einen direkten Zusammenhang zwischen kognitiven Störungen und einer verminderten dopaminergen Neurotransmission in mesokortikalen Projektionen nahe. So ist bei Patienten mit einer schizophrenen Störung, nicht jedoch bei gesunden Probanden, die Arbeitsgedächtnis-Leistung negativ mit der D1-Rezeptorverfügbarkeit im dorsolateralen präfrontalen Kortex korreliert (Abi-Dargham et al. 2002). Die Heraufregulation von D1-Rezeptoren wird hier als kompensatorischer, bei Schizophrenien aber insuffizienter Mechanismus für eine verminderte mesokortikale dopaminerge Neurotransmission betrachtet. D1-artige Dopaminrezeptoren spielen wahrscheinlich eine bedeutendere Rolle für kognitive Funktionen als D2-artige Rezeptoren, die sich im Kortex nur in sehr niedriger Dichte finden. D1-artige Dopaminrezeptoren sind in relativ hoher Dichte auf den Pyramidenzellen und GABAergen Interneuronen des präfrontalen Kortex lokalisiert. Gerade die Pyramidenzellen verfügen über wichtige afferente und efferente Verbindungen in andere Hirnregionen und stellen damit bedeutsame Funktionseinheiten des präfrontalen Kortex dar. Auch tierexperimentelle Daten legen nahe, dass die Funktion des Arbeitsgedächtnisses durch D1-artige Dopaminrezeptoren moduliert wird. Die Stimulation von präfrontal-kortikalen D1-Rezeptoren durch D1-Agonisten verbessert die Arbeitsgedächtnisleistung, Antagonisten aber führen zu einer Verschlechterung (Goldman-Rakic et al. 2004). D1-Agonisten führen am Tier auch zu einer Verbesserung von altersassoziierten Störungen des Arbeitsgedächtnisses. In Ermangelung selektiver D1-Agonisten, die im Humanexperiment gegeben werden können, fehlen Studien am Menschen bisher. Der nichtselektive D1/ D2-Agonist Pergolid, nicht aber der D2-selektive Agonist Bromocriptin, führen jedoch auch beim Menschen zu einer Verbesserung der Arbeitsgedächtnisleistung (Müller et al. 1998). 48.2.2 Serotonerge Systeme Eine Rolle für kognitive Funktionen wird 3 der etwa 15 verschiedenen Serotoninrezeptorsubtypen zugeschrieben: 5-HT1A, 5-HT2A und 5-HT6. Das schließt nicht aus, dass auch andere Subtypen eine Rolle spielen, jedoch fokussiert die Forschung gegenwärtig auf die genannten 3 Rezeptortypen (Übersicht in Meltzer et al. 2003). Die Zellkörper der serotonergen Neurone sind in den Raphekernen des Hirnstamms lokalisiert. Von hier projizieren sie in die Basalganglien, in das limbische System und in weite Teile des Kortex. Der 5-HT1A-Rezeptor findet sich als Autorezeptor in den Raphekernen, darüber hinaus in hoher Dichte im Hippocampus und im zingulären Kortex. Insbesondere die hohe Dichte im Hippocampus hat zu Spekulationen Anlass gegeben, dass der Rezeptor in die Funktion des deklarativen Gedächtnisses involviert sein könnte. Die Stimulation von 5-HT1A-Rezeptoren führt zu einer Hemmung hippocampaler Pyramidenzellen. Der Nettoeffekt, den ein 5-HT1A-Agonist bei systemischer Gabe hervorruft, ist dennoch schwer zu prädizieren, da die Stimulation des Auto-
602
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Kapitel 48 · Pharmakotherapie kognitiver Störungen
rezeptors die Aktivität der Neurone der Raphe herunterreguliert. So entfalten im Tierversuch sowohl (partielle) 5-HT1A-Agonisten als auch Antagonisten prokognitive Effekte. Die Vermittlung dieser Wirkungen erfolgt jedoch wahrscheinlich in unterschiedlichen neuronalen Lokalisationen. Die glutamatergen Pyramidenzellen des Hippocampus exprimieren auch 5-HT2A-Rezeptoren. Da diese jedoch exzitatorisch wirken, vermitteln sie funktionell entgegengesetzte Effekte wie 5-HT1A-Rezeptoren. Exzitatorische 5-HT2A-Rezeptoren finden sich auch auf den Pyramidenzellen im Kortex. Diese ebenfalls glutamatergen Neurone projizieren auf monoaminerge Neurone im Mittelhirn zurück, deren Aktivität sie regulieren. Die positiven Wirkungen der kombinierten D2-/ 5-HT2A-Antipsychotika werden vor allem auf eine Dopaminfreisetzung im präfrontalen Kortex zurückgeführt (Meltzer et al. 2003). Im Tierversuch verbessern 5-HT2A-Antagonisten kognitive Funktionen, während Agonisten an diesem Rezeptor negative Auswirkungen auf kognitive Leistungen haben. Eine interessante neue Zielstruktur für die Beeinflussung kognitiver Funktionen stellt der 5-HT6-Rezeptor dar (Roth et al. 2004). Er findet sich in hoher Dichte im olfaktorischen und im Neokortex sowie im Hippocampus und Teilen des Striatums. Sowohl Clozapin als auch Olanzapin sind inverse Agonisten am 5-HT6-Rezeptor. Die Interaktion mit diesem Rezeptor soll zu einer Acetylcholin-Freisetzung führen, worauf wiederum prokognitive Effekte dieser Substanzen zurückgeführt werden. 48.2.3 Glutamaterge Systeme Die glutamaterge Neurotransmission spielt eine zentrale Rolle für das Phänomen der Langzeitpotenzierung (LTP; »long-term potentiation«), einem Modell für Lernen und Gedächtnis. Konkret wird darunter die langandauernde Verstärkung der synaptischen Übertragung in Neuronenverbänden verstanden. Ihr kommt besondere Bedeutung für plastische Vorgänge im ZNS zu. Die LTP kann durch glutamaterge Einflüsse moduliert werden. Die molekulare Komplexität der glutamatergen Neurotransmission offeriert die Möglichkeit, an zahlreichen Stellen pharmakologisch in das System einzugreifen. Unterschieden werden ionotrope und metabotrope Rezeptoren. Zu den ersteren zählen α-Amino-3hydroxy-5-methyl-4-isoxazol-propionsäure-(AMPA)-Rezeptoren, N-Methyl-D-Aspartat-(NMDA)-Rezeptoren sowie Kainatrezeptoren. Benannt sind die verschiedenen ionotropen Rezeptoren nach den unterschiedlichen Bindungspräferenzen der Glutamatagonisten AMPA, NMDA und Kainat. Die metabotropen Rezeptoren (mGluR) sind G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, die aufgrund ihrer pharmakologischen Eigenschaften weiter in 3 Gruppen unterteilt werden (I–III). Sie interagieren mit den ionotropen Glutamatrezeptoren, indem sie deren Erregbarkeit modulieren. Besondere Relevanz bekommt die glutamaterge Neurotransmission als Target der pharmakologischen Modulation kognitiver Funktionen vor allem dadurch, dass in einer verminderten
glutamatergen Übertragung ein zentraler Pathomechanismus in der komplexen Genese schizophrener Störungen gesehen wird (Goff u. Coyle 2001). Durch die Gabe des NMDA-Antagonisten Phencyclidin lassen sich nicht nur Positivsymptome, sondern auch Negativsymptome und kognitive Störungen provozieren. Daher gilt das Phencyclidin-Modell gegenwärtig als das beste pharmakologische Modell für schizophrene Störungen. Auch andere NMDA-Rezeptorantagonisten wie Ketamin oder MK-801 können beim Menschen psychotische Zustandsbilder auslösen. Zudem wurde die »Glutamathypothese schizophrener Störungen« in den letzten Jahren ganz wesentlich durch molekulargenetische Befunde gestützt. Mehrere der inzwischen identifizierten Suszeptibilitätsgene für Schizophrenien kodieren für Gene, die die Funktion oder Integrität glutamaterger (oder GABAerger) Synapsen betreffen. Gegenwärtig evaluierte pharmakologische Therapieansätze haben zum Ziel, die Effizienz der glutamatergen Neurotransmission zu verbessern. Die direkte Stimulation von AMPA-Rezeptoren durch die Gruppe der sog. Ampakine stellt einen hoffnungsvollen Ansatz zur Verbesserung kognitiver Leistungen bei einer Reihe von neuropsychiatrischen Erkrankungen dar, der sich in der Frühphase der klinischen Evaluation befindet. Im Tierversuch rufen Antagonisten an ionotropen Glutamatrezeptoren kognitive Störungen hervor. Allerdings birgt die zu starke Stimulation der glutamatergen Transmission die Gefahr, exzitotoxische Wirkungen zu induzieren. Daher basiert ein bereits klinisch gut evaluierter Therapieansatz darauf, positive NMDARezeptormodulatoren zu verabreichen. Für die effiziente Öffnung des an den NMDA-Rezeptor gekoppelten Kationenkanals sind 3 gleichzeitig eintretende Ereignisse notwendig, weshalb der NMDA-Rezeptor auch als Koinzidenzdetektor betrachtet wird: neben der Depolarisation und der Bindung von Glutamat an der Glutamat-Bindungsstelle ist dies zusätzlich die Bindung des Kotransmitters Glycin an der Glycinbindungsstelle. Agonisten an der Glycinbindungsstelle sind nicht nur Glycin, sondern auch D-Serin und D-Cycloserin. Alle 3 Substanzen sind bereits in klinischen Studien an Patienten mit schizophrenen Störungen getestet worden (7 Abschn. »Dopaminerge Pharmaka«). Da Glycin im Wesentlichen über einen in der Plasmamembran von Gliazellen befindlichen Transporter (GlyT1) inaktiviert wird, liegt es nahe, durch Blockade des Transporters die synaptischen GlycinKonzentrationen zu erhöhen. Die natürlich vorkommende Substanz N-Methyl-Glycin (Sarcosin) wurde bereits klinisch geprüft, mehrere synthetische Substanzen sind in der präklinischen und klinischen Entwicklung. Unter den metabotropen Glutamatrezeptoren haben in der pharmakologischen Forschung gegenwärtig Liganden für Rezeptoren der Gruppe I (mGluR5) und der Gruppe II (mGluR2/3) besondere Bedeutung. Auch hier befinden sich die ersten Substanzen in der klinischen Prüfung.
603 48.3 · Negative Wirkungen von Pharmaka auf kognitive Funktionen
48.2.4 Cholinerge Systeme Umfangreiche präklinische und klinische Daten legen die Bedeutung der cholinergen Neurotransmission für kognitive Leistungen nahe. Bei der Vermittlung dieser Funktionen scheinen sowohl nikotinische als auch muskarinische Acetylcholinrezeptoren eine Rolle zu spielen. Nikotinische Acetylcholinrezeptoren. Diese finden sich in höchs-
ten Konzentrationen im Hippocampus. Sie sind als ionotrope Rezeptoren an einen Ionenkanal gekoppelt. Nikotinische Acetylcholinrezeptoren haben eine pentamere Struktur. In Neuronen werden 12 verschiedene Untereinheiten (D2 bis D10 und E2 bis E4) gefunden, 5 weitere auch im Muskel. Die am weitesten verbreiteten Rezeptoren sind die Rezeptoren D4/E2, ein Rezeptor mit hoher Affinität für Nikotin, und D7, mit niedriger Affinität für den endogenen Liganden. Die besondere Bedeutung nikotinischer Acetylcholinrezeptoren für schizophrene Störung ergibt sich bereits aus der Beobachtung, dass die Prävalenz von Nikotinabhängigkeit bei Patienten mit Schizophrenien außerordentlich hoch ist. Patienten mit schizophrenen Störungen weisen ein Defizit im auditorischen sensorischen »Gating« auf, einer Funktion, die durch nikotinische Acetylcholinrezeptoren moduliert wird. Rauchen führt bei Patienten, nicht aber bei Gesunden, zu einer vorübergehenden Normalisierung dieses Defizits (Adler et al. 1993). Post mortem wurden Veränderungen der Dichte sowohl von D4/E2 als auch von D7-Rezeptoren gefunden. Die pathophysiologische Bedeutung dieser Befunde ist jedoch unklar. Die einmalige Applikation von Nikotin führt bei Patienten mit Schizophrenien zu einer vorübergehenden Verbesserung verschiedener Aspekte kognitiver Störungen (deklaratives und Arbeitsgedächtnis). Diese Wirkungen sind jedoch nicht anhaltend, da sich sehr rasch eine Tachyphylaxie entwickelt. Die Behandlung kognitiver Störungen mit Nikotin ist daher nicht aussichtsreich. Von der Behandlung mit partiellen Nikotinrezeptoragonisten verspricht man sich jedoch günstige Wirkungen ohne die Entwicklung einer Tachyphylaxie. Muskarinische Acetylcholinrezeptoren. Sie sind, anders als ihre nikotinischen Pendants, metabotrope, an G-Proteine gekoppelte Rezeptoren. Es sind 5 verschiedene Subtypen, M1 bis M5, bekannt. Sie finden sich in hoher Dichte in den kortikalen und subkortikalen Projektionsgebieten des Nucleus basalis Meynert. Im Tierversuch führt die Läsion dieser Bahn zu ausgeprägten kognitiven Störungen. Diese lassen sich im Humanexperiment auch durch die Gabe von muskarinischen Acetylcholinrezeptor-Antagonisten wie Scopolamin hervorrufen. Eine SPECT-Studie zeigte eine sehr ausgeprägte Reduktion der Verfügbarkeit muskarinischen Acetylcholinrezeptoren bei Patienten mit schizophrener Störung (Raedler et al. 2003). Dieses Ergebnis bestätigte post mortem erhobene Befunde. Therapiestrategien, die auf eine Modulation der muskarinischen cholinergen Neurotransmission basieren, umfassen die Gabe von Acetylcholinesterasehemmern,
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muskarinischen Rezeptoragonisten sowie allosterischen Modulatoren. 48.2.5 GABAerge Systeme Die Bedeutung der GABAergen Neurotransmission für kognitive Störungen ist bisher nicht gut verstanden. GABAerge Substanzen wie Benzodiazepine haben in den meisten Studien keinen Einfluss auf psychotische Symptome. Die reduzierte Expression des GABA-synthetisierenden Enzyms Glutamatdecarboxylase 67 im Kortex von Patienten mit schizophrenen Störungen ist jedoch gut belegt. Dabei scheinen nicht alle Interneurone betroffen zu sein. Der Defekt ist offenbar auf die Parvalbumin-positiven Neurone des präfrontalen Kortex beschränkt (Hashimoto et al. 2003). Dieser Befund legt nahe, dass die GABAerge Neurotransmission durchaus eine kritische Rolle für an den präfrontalen Kortex gebundene kognitive Prozesse spielt. Am Tier reduziert die Verminderung der kortikalen Inhibition durch direkte Applikation von GABA-Antagonisten in den präfrontalen Kortex die Arbeitsgedächtnisleistung. Die Dichte der Benzodiazepinrezeptoruntereinheit α2 auf den Pyramidenzellen des präfrontalen Kortex findet sich post mortem bei Patienten mit Schizophrenien deutlich erhöht. Aus diesen Beobachtungen wurde der Vorschlag abgeleitet, durch Gabe von α2-selektiven Benzodiazepinen kognitive Störungen positiv beeinflussen zu können. Studien am Menschen mit derartigen Substanzen stehen jedoch gegenwärtig noch aus. 48.3
Negative Wirkungen von Pharmaka auf kognitive Funktionen
Die medikamentöse Behandlung von Patienten mit schizophrenen Störungen legt zwangsläufig die Frage nahe, ob eine solche ggf. auch negative Wirkungen auf kognitive Defizite hat. Bei den Mechanismen, die dabei eine Rolle spielen, ist primär an die antidopaminergen und die anticholinergen Wirkungen der Antipsychotika zu denken. Die Wirkungen durch dopaminantagonistische Pharmaka werden im 7 Abschn. »Dopaminerge Pharmaka« besprochen. Zusätzlich können Anticholinergika, die zur Behandlung extrapyramidalmotorischer Nebenwirkungen der Antipsychotika gegeben werden (z. B. Biperiden), potenziell negative Effekte auf kognitive Leistungen haben. Die Verhältnisse werden dadurch verkompliziert, dass dopaminerge und cholinerge Systeme komplex miteinander interagieren. Das von Tandon u. Greden (1989) vor nahezu 20 Jahren vorgeschlagene Modell einer dopaminerg/cholinergen Dysbalance bei schizophrenen Störungen ist ein Erklärungsmodell, das die Heterogenität der klinischen Phänomenologie und zahlreiche biologische Befunde in einen Zusammenhang zu stellen versucht. Danach hat eine cholinerge Überaktivität eine prominente Rolle bei der Entstehung von Negativsymptomen, während eine verminderte cholinerge Aktivität für Positivsymptome mitverant-
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Kapitel 48 · Pharmakotherapie kognitiver Störungen
wortlich ist. Eine solche dopaminerg/cholinerge Dysbalance würde eine bedeutsame Analogie zu den Verhältnissen beim Morbus Parkinson darstellen, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen (Janowsky et al. 1973). Für das Modell sprechen klinische Beobachtungen, dass Anticholinergika bei nichtantipsychotisch behandelten Patienten zu einer »Aktivierung« oder Exazerbation von Positivsymptomen führen können bzw. die antipsychotische Effektivität von Antipsychotika vermindern können (Singh et al. 1987). Andererseits können sie Negativsymptome verbessern, weshalb sie auch von einigen Patienten als Stimulanzien missbraucht werden. Direkte und indirekte Acetylcholinrezeptoragonisten wie Physostigmin können zu einer Verbesserung von Positivsymptomen führen (Rosenthal u. Bigelow 1973). Auch zahlreiche polysomnographische und neuroendokrinologische Studien legen eine zentrale cholinerge Überaktivität bei nichtmedizierten Patienten mit schizophrenen Störungen nahe (Zarcone et al. 1987). Die in zahlreichen Hirnregionen erheblich verminderte Verfügbarkeit von muskarinischen Acetylcholinrezeptoren bei schizophrenen Störungen könnte als kompensatorischer Mechanismus auf eine cholinerge Überstimulation verstanden werden (Raedler et al. 2003). Viele der heute in der Behandlung schizophrener Störungen eingesetzten Pharmaka sind Antagonisten an muskarinischen Acetylcholinrezeptoren, darunter auch einige der modernen »second generation antipsychotics« (SGA). Allerdings wird die Rolle, die diese spezifischen pharmakologischen Wirkungen für die Therapie schizophrener Störungen spielen, erst in Ansätzen verstanden (Green et al. 2000). Wenn bei schizophrenen Störungen – zumindest solchen mit einer prominenten Negativsymptomatik – eine cholinerge Überstimulation vorläge, sollten Anticholinergika keine ausgeprägten defizitären Folgen haben. Mehrere Studien zu den Wirkungen von Anticholinergika bei Patienten mit schizophrenen Störungen fanden allerdings isolierte Beeinträchtigungen des deklarativen Gedächtnisses (z. B. Tracy et al. 2001). Allerdings fanden sich keine Unterschiede zwischen Clozapin und Risperidon hinsichtlich der kognitiven Leistung, obwohl Clozapin, anders als Risperidon, ausgeprägte anticholinerge Eigenschaften hat (Tracy et al. 1998). Clozapin mag jedoch einen Sonderfall darstellen, weil Desmethylclozapin, der Hauptmetabolit des Clozapin, agonistische Eigenschaften an M1-Rezeptoren entfaltet (7 Abschn. 48.5.4). In einer neueren Studie fanden sich bei 106 Patienten mit schizophrener Störung Zusammenhänge zwischen dem pharmakologischen »anticholinergen Load« und Beeinträchtigungen von komplexen Aufmerksamkeitsleistungen und deklarativem Gedächtnis (Minzenberg et al. 2004). Die Autoren schlussfolgern, dass alleine die Verabreichung einer klinischen Dosis eines Anticholinergikums zu einer signifikanten Reduktion der neuropsychologischen Leistung führe, und dass die kognitiven Störungen, die bei Patienten mit Schizophrenien beobachtet würden, zu einem wahrscheinlich nicht unerheblichen Anteil medikamentös bedingt seien. Werden Affinitäten zu muskarinischen Acetycholinrezeptoren, pharmakokinetische Daten und klinische Dosierungen in einem Index
für »anticholinerge Aktivität« zusammengefasst, so weisen Clozapin und Olanzapin, weniger auch Quetiapin, klinisch relevante anticholinerge Eigenschaften auf, während Aripiprazol, Risperidon und Ziprasidon in dieser Hinsicht unproblematisch sind (Chew et al. 2006). Mögliche prokognitive Eigenschaften dieser Substanzen, die im nächsten Abschnitt besprochen werden, verlieren dadurch möglicherweise ihre Relevanz. Nicht zu vergessen sind an dieser Stelle auch die zahlreichen älteren trizyklischen Substanzen, die teilweise erhebliche anticholinerge Wirkungen aufweisen. Sie sind zwar kaum noch Gegenstand wissenschaftlicher Studien, werden aber klinisch noch in großem Umfang eingesetzt. 48.4
Pharmakotherapie
In diesem Abschnitt sollen nur Pharmaka besprochen werden, die für den klinischen Einsatz (z. B. im Rahmen von Heilversuchen) bereits verfügbar sind und die hinsichtlich ihrer Wirksamkeit gegen kognitive Störungen geprüft wurden. Für alle hier diskutierten Substanzen, außer jenen in 7 Abschn. 48.4.1, fehlt jedoch die Zulassung für die Anwendung bei Schizophrenien. Ihre Anwendung kann daher immer nur »off-label« erfolgen. Neue experimentelle Ansätze, für die nicht nur die Zulassung fehlt, sondern auch die klinische Verfügbarkeit für die Evaluation am Menschen, werden in 7 Abschn. 48.5 vorgestellt. . Tab. 48.1 fasst die wesentlichen molekularen Zielstrukturen und einige der wesentlichen daran orientierten pharmakologischen Therapiestrategien zusammen. 48.4.1 Antipsychotika Da der Behandlung mit Antipsychotika die wichtigste Rolle bei der Pharmakotherapie schizophrener Störungen zukommt, ist die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang Substanzen dieser Gruppe kognitive Störungen beeinflussen, von zentraler Bedeutung. Vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen gesundheitsökonomischen Diskussion wurde darüber hinaus in den letzten Jahren sehr kontrovers die Frage diskutiert, ob Antipsychotika der zweiten Generation (»second generation antipsychotics«, SGA) kognitive Defizite bei schizophrenen Störungen günstiger beeinflussen als die Gruppe der klassischen Antipsychotika. Um sich dieser Frage zu nähern, sind zunächst einige theoretische Überlegungen notwendig. Betrachtet man die vorliegende Literatur zunächst unkritisch, so belegen zahlreiche Studien nicht nur, dass SGA überhaupt positive Wirkungen auf kognitive Defizite bei schizophrenen Störungen haben, sondern dass sie auch günstiger wirken als klassische Antipsychotika (Übersicht in Harvey u. Keefe 2001). Für alle verfügbaren SGA existieren derartige Studien. So verglichen Bilder et al. (2002) in einer doppelblinden Studie über 14 Wochen die kognitiven Effekte von Haloperidol mit jenen von Clozapin,
605 48.4 · Pharmakotherapie
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. Tab. 48.1. Überblick über die wichtigsten Transmittersysteme, die nach heutigem Kenntnisstand für die Pathogenese kognitiver Störungen bei Schizophrenien eine Rolle spielen, und die wichtigsten pharmakologischen Interventionsstrategien Transmittersystem
Molekulare Zielstruktur
Verfügbare Pharmaka
Wirksamkeit bei Schizophrenien
Dopamin
D1-Rezeptor
Dihydrexidin (D1-Agonist)
Nicht ausreichend evaluiert
D2-Rezeptor
Antipsychotika
Geringe bis mäßige Wirkungen
Catechol-O-Methyltransferase
Tolcapone
Positive Wirkungen bei Gesunden, bei Patienten nicht evaluiert
Noradrenalin-Transporter
Atomoxetin (und andere NAT-Inhibitoren)
Bisher nicht evaluiert
5-HT1A-Rezeptor
Buspiron, Tandospiron (partielle Agonisten)
Positive Wirkungen von Tandospiron bei Kombination mit klassischen AP, Buspiron nicht wirksam in Kombination mit SGA
5-HT2A-Rezeptor
M100907, ACP 103
Bisher nicht evaluiert
Glycin-Bindungsstelle (NMDA)
Glycin, D-Serin (Agonisten), D-Cycloserin (partieller Agonist)
Wirksamkeit relativ gut belegt, unwirksam in Kombination mit Clozapin
Glycin-Transporter
Sarcosin (Transporter-Inhibitor)
Wirksamkeit in einer placebokontrollierten Studie belegt, unwirksam in Kombination mit Clozapin
NMDA/AMPA-Rezeptoren
CX-516 und andere Ampakine (Agonisten am AMPA-Rezeptor)
Nicht ausreichend evaluiert
Metabotrope Glutamatrezeptoren
Verschiedene mGlu2/3- und mGlu5Rezeptoragonisten, z.B. LY404039 (mGlu2/3-Agonist)
Bisher nicht evaluiert
Acetylcholinesterase
Donepezil, Rivastigmin, Galantamin (ACh-Esteraseinhibitoren)
Donepezil, Rivastigmin nicht wirksam, Galantamin nicht ausreichend evaluiert
Muskarinische ACh-Rezeptoren
Xanomelin (M1/M4-Agonist) und andere Agonisten; Desmethylclozapin
Xanomelin bei Alzheimer-Demenz wirksam, bei Schizophrenien nicht evaluiert
Nikotinische ACh-Rezeptoren
DMXB-A (α7- partieller Agonist)
Erste positive Daten, aber nicht ausreichend evaluiert
α2-GABA-Rezeptoren
Hypothetischer Therapieansatz
Nicht evaluiert
Serotonin
Glutamat
Acetylcholin
GABA
Olanzapin und Risperidon. Sie fanden eine signifikante Überlegenheit von Olanzapin und Risperidon über Haloperidol. Die 3 SGA unterschieden sich nicht signifikant voneinander. Wenn man eine Verbesserung der globalen kognitiven Leistung von mindestens einer halben Standardabweichung gegenüber der Ausgangsuntersuchung als Maß für eine »klinisch signifikante Verbesserung« zugrunde legte, so wurde diese von nahezu 80% der mit Risperidon behandelten Patienten erreicht, aber nur von etwa 20% der Patienten, die Haloperidol erhielten (Clozapin ca. 35%, Olanzapin ca. 60%). Jedoch ist zu beachten, dass die angestrebte Haloperidol-Zieldosis 20 mg betrug (Olanzapin 20 mg, Risperidon 8 mg, Clozapin 500 mg). Zudem erhielten alle Patienten, die mit Haloperidol behandelt wurden, zusätzlich prophylak-
tisch das Anticholinergikum Benztropin. Zahlreiche der publizierten Vergleichsstudien kranken daran, dass die Dosierung der klassischen Vergleichssubstanz (meist Haloperidol) unverhältnismäßig hoch gewählt wurde. Damit sind zwangsläufig eine höhere Inzidenz von EPS, stärkere motorische Einschränkungen sowie die häufigere Einnahme von Anticholinergika verbunden. Dosierungen von 20 mg Haloperidol täglich werden heute nicht mehr als z. B. 20 mg Olanzapin äquivalent betrachtet. Die mit so hohen Dosierungen verbundenen motorischen Einschränkungen führen zu Verminderungen der Leistung vor allem bei solchen Tests, die eine gewisse Geschwindigkeit erfordern. Alleine die Reduktion hoher Antipsychotika-Dosierungen führt bereits zu Verbesserungen der kognitiven Leistung (Kawai et al. 2006). Hinzu tritt die
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Kapitel 48 · Pharmakotherapie kognitiver Störungen
Exkurs
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Nach der ursprünglichen Konzeption von »Neuroleptikum« war die »neuroleptische Potenz« einer Substanz eng korreliert mit der Ausprägung der darunter zu beobachtenden extrapyramidalmotorischen Effekte (Haase 1961). Mit der Entwicklung von Clozapin wurde das Konzept jedoch zweifelhaft. Stille u. Hippius (1971) konnten aufgrund pharmakologischer und klinischer Daten zeigen, dass diese Substanz dem ursprünglichen Konzept nicht folgte. Clozapin induzierte im Tierversuch keine Katalepsie, eine Eigenschaft, die von Paul Janssen als »atypisch« bezeichnet wurde. Sehr viel später, mit der Studie von Kane et al. (1988), die zur Zulassung von Clozapin in den USA 1990 führte, wurde Clozapin zum Prototypen einer neuen Klasse von »atypischen« Antipsychotika. Inzwischen war auch durch präklinische und tierexperimentelle Studien belegt worden, dass die Verhaltens- und motorischen Effekte von Antipsychotika in unterschiedlichen Hirnarealen vermittelt werden, was endgültig zur Aufgabe der Konzeption führte, dass antipsychotische Eigenschaften zwingend extrapyramidalmotorische Wirkungen zur Folge haben müssten. Mit der Etablierung von Clozapin als erstem Vertreter einer neuen Klasse von neuen, sich hinsichtlich der motorischen Wirkungen »atypisch« verhaltender Antipsychotika begann die Suche nach ähnlichen Substanzen, die nicht das Risiko der Agranulozytose bargen. Daraus wurde eine Vielzahl von Pharmaka entwickelt, die dem Prototypen Clozapin entweder strukturchemisch (z. B. Olanzapin, Quetiapin, Zotepin) oder hinsichtlich seines Rezeptorbindungsprofils nachempfunden waren (z. B. Risperidon, Ziprasidon). Gleichzeitig mit dieser Entwicklung hat der Begriff des »atypischen« Antipsychotikums eine erhebliche Erweiterung und Aufweichung erfahren. Dazu führten wiederum klinische Beobach-
mögliche zusätzliche Beeinträchtigung durch die anticholinerge Medikation. Ältere Patienten, bei denen die cholinerge Neurotransmission per se schon reduziert ist, sind besonders vulnerabel gegenüber deren weiterer Reduktion. Bemerkenswerterweise fanden Green et al. (2002) in einer Studie über 2 Jahre, in der sie Risperidon mit Haloperidol in einer Dosierung von maximal 6 mg verglichen, keinen Unterschied zwischen beiden Substanzen hinsichtlich ihrer Wirkungen auf kognitive Leistungen. Beide Substanzen führten zu leichten Verbesserungen im langfristigen Verlauf. Während die Autoren daraus den Schluss zogen, dass sowohl klassische Antipsychotika als auch SGA zu leichten Verbesserungen der kognitiven Leistung führen, schlugen Carpenter u. Gold (2002) eine andere Erklärung für dieses Ergebnis vor: keine der beiden Substanzgruppen habe prokognitive Eigenschaften. Die kleinen Effekte, die in klinischen Studien beobachtet würden, seien auf Verbesserungen der Psychopathologie und Übungseffekte zurückzuführen. Hohe Dosen der klassischen Antipsychotika hätten negative Wirkungen auf die kognitive Leistung, die bei niedrigen Dosierungen nicht beobachtet werden könnten.
tungen bei mit Clozapin behandelten Patienten. Spätestens mit der Studie von Kane et al. (1988) wurde deutlich, dass Clozapin nicht nur praktisch keine extrapyramidal-motorische Störungen (EPS) hervorruft, sondern auch eine Reihe von weiteren klinischen Charakteristika aufweist, die die Substanz von den bis dahin verfügbaren, »klassischen« Antipsychotika abhebt. Dazu gehören u. a. die günstige Wirkung auf Negativsymptome und kognitive Störungen. Damit basiert das Konzept des »atypischen« Antipsychotikums auf der Vorstellung, dass ein definiertes Wirkprinzip (»Atypie«) einer Summe von klinischen Wirkkomponenten (z. B. Wirkung gegen Positiv- und Negativsymptome, kognitive Störungen, Fehlen von EPS etc.) zugrunde liegt. Diese Entwicklung hatte die intensive Suche nach der pharmakologischen Basis von »Atypie« zur Folge. Das Konzept fasst jedoch klinische Charakteristika zusammen, die nach dem heutigen Kenntnisstand keine gemeinsame pharmakologische Grundlage haben. Clozapin repräsentiert eine Substanz mit einer derart komplexen Pharmakologie, dass es wahrscheinlich jeweils ganz unterschiedliche Aspekte sind, die für jeweils andere klinische Charakteristika verantwortlich sind. Andererseits ist die Neurobiologie schizophrener Störungen so komplex, dass die Basis von Symptomclustern in verschiedenartigen molekularen Dysfunktionen zu suchen sein wird, die wiederum durch unterschiedliche Pharmaka angesprochen werden müssen. Mit diesen Einsichten hat der Begriff des »atypischen« Antipsychotikums ebenso seinen Sinn verloren wie die Suche nach dem Beleg für die Überlegenheit dieser Substanzen als homogene Klasse über die Gruppe der klassischen Antipsychotika hinsichtlich ihrer Wirkungen auf kognitive Störungen.
Die CATIE-Studie (»Clinical Antipsychotic Trials of Intervention Effectiveness«) lieferte weitere interessante Aufschlüsse über die differenzielle Wirksamkeit von Antipsychotika hinsichtlich kognitiver Störungen (Keefe et al. 2007a). Die Phase I der Studie verglich in einem doppelblinden, randomisierten Design über 18 Monate das klassische Antipsychotikum Perphenazin mit den SGAs Olanzapin, Quetiapin und Risperidon (und später Ziprasidon). Die Effekte aller untersuchten Substanzen gegen kognitive Defizite waren relativ gering, und nach 18 Monaten zeigte sich Perphenazin in dieser Hinsicht Olanzapin und Risperidon sogar signifikant überlegen. Unterschiede zwischen den verschiedenen geprüften SGA fanden sich nicht. Allerdings erreichten nur noch etwa 300 der ursprünglich fast 1500 in die Studie eingeschlossenen Patienten überhaupt diesen Untersuchungszeitpunkt (Keefe et al. 2007a). Die Frage, ob sich die verschiedenen SGA unterscheiden, wurde im Rahmen verschiedener Studien adressiert (z. B. Bilder et al. 2002). In einer aktuellen Vergleichsstudie über 52 Wochen an 400 Patienten waren die Effektstärken klein, signifikante Unterschiede zwischen den 3 geprüften Substanzen Olanzapin, Quetiapin und Risperidon
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fanden sich nicht (Keefe et al. 2007b). Dabei liegen die meisten Studien zu diesen 3 Substanzen vor. Bemerkenswerterweise sind die für Clozapin behaupteten prokognitiven Effekte relativ schlecht belegt. Nur wenige Studien versuchten, diese Frage in einem doppelblinden Design zu klären. Die einzelnen vorliegenden Studien sind klein und haben methodische Mängel (z. B. Dosis der Vergleichssubstanz, Gabe von Anticholinergika; Potkin et al. 2001). In der Studie von Bilder et al. (2002) wies demgegenüber Clozapin gegenüber Haloperidol nur Vorteile hinsichtlich der motorischen Leistung auf. In einer Metaanalyse war Clozapin hinsichtlich prokognitiver Wirkungen Olanzapin und Risperidon sogar unterlegen (Thornton et al. 2006). Es fehlen umfangreiche Studien zu Aripiprazol und Ziprasidon. Insbesondere zu Aripiprazol existieren bisher keinerlei publizierte Daten aus doppelblinden Studien.
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et al. 2007). Probanden mit dem val/val-Genotyp profitieren von der Substanz, während sich Probanden mit dem met/met-Genotyp verschlechtern. Bei Letzteren führt die Erhöhung der synaptischen Dopaminkonzentration vermutlich zu einer dopaminergen Überstimulation, die dann wiederum negative Effekte auf die kognitive Leistung hat. Der selektive Noradrenalinrückaufnahmehemmer Atomoxetin ist bisher lediglich für die Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung zugelassen. Da es im präfrontalen Kortex keinen Dopamintransporter gibt, wird Dopamin dort über den Noradrenalintransporter in das präsynaptische Neuron zurück transportiert. Daher sollte Atomoxetin die synaptische Dopaminkonzentration im präfrontalen Kortex erhöhen. Publizierte Daten zur Wirksamkeit bei kognitiven Störungen im Rahmen von Schizophrenien liegen jedoch bisher nicht vor.
Serotonerge Pharmaka 48.4.2 Nichtantipsychotisch wirksame Pharmaka Gerade bei der Behandlung kognitiver Störungen im Rahmen schizophrener Störungen sind neben Antipsychotika zahlreiche andere Therapiestrategien untersucht worden. Dabei waren diese Therapieversuche nicht immer im Sinne der in Abschnitt 2 erörterten Neurobiologie kognitiver Störungen rational begründet. Vielmehr führten die Beobachtungen von Substanzwirkungen am Tier oder Menschen umgekehrt oftmals zu neuen Hypothesen hinsichtlich der Genese kognitiver Störungen. Zu den relativ gut untersuchten pharmakologischen Behandlungsstrategien am Menschen zählen vor allem die Verabreichung von glutamatergen oder cholinergen Substanzen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die meisten der bisher durchgeführten Untersuchungen nicht spezifisch die Evaluation der Wirksamkeit gegen kognitive Störungen zum Ziel hatten, sondern bei oft therapieresisten Patienten mit persistierender Positiv- und/oder Negativsymptomatik durchgeführt wurden. Erst die Studien im Rahmen der amerikanischen MATRICS-Initiative werden diese Situation verbessern und zu einer systematischen Evaluation von Pharmakoneffekten auf kognitive Prozesse bei Patienten mit schizophrenen Störungen führen.
Dopaminerge Pharmaka Zwei medikamentöse Behandlungsstrategien, die noch nicht substanziell bei Schizophrenien evaluiert wurden, die aber prinzipiell klinisch verfügbar wären, haben die Erhöhung synaptischer Dopaminkonzentrationen im präfrontalen Kortex zu Ziel. Tolcapon ist ein Inhibitor der Catechol-O-Methyl-Transferase (COMT). Da das Enzym im präfrontalen Kortex Dopamin metabolisiert, führt seine Hemmung zu einer Steigerung synaptischer Dopaminkonzentrationen. Tolcapon ist zur Behandlung von Patienten mit Morbus Parkinson zugelassen. Publizierte Daten aus Studien an Patienten mit schizophrenen Störungen liegen noch nicht vor. Bei Gesunden erhöht die Substanz aber, in Abhängigkeit vom COMT-Genotyp, die kognitive Leistung (Apud
Basierend auf Beobachtungen, dass der partielle 5-HT1A-Agonist Tandospiron in Kombination mit klassischen Antipsychotika kognitive Leistungen bei Patienten mit Schizophrenien verbessert (7 Abschn. 48.5.2), wurde auch der partielle 5-HT1A-Agonist Buspiron in dieser Indikation geprüft (Sumiyoshi et al. 2007). 73 Patienten, die stabil auf eine SGA eingestellt waren, erhielten placebokontrolliert 30 mg Buspiron. Der Vorteil von Buspiron gegenüber Placebo beschränkte sich auf einen einzelnen Test. Buspiron mag seine positiven Wirkungen nur in Kombination mit Antipsychotika entfalten, die selbst keine agonistischen Wirkungen am 5-HT1A-Rezeptor entfalten (z. B. Aripiprazol oder Ziprasidon).
Glutamaterge Pharmaka In mehreren placebokontrollierten Studien konnte gezeigt werden, dass Agonisten an der Glycin-Bindungsstelle des NMDARezeptors wie Glycin, D-Serin oder D-Cycloserin moderate Wirksamkeit vor allem gegen Negativsymptome haben. In den Studien, in denen auch affektive und kognitive Symptome erhoben wurden, erstreckte sich die Wirksamkeit meist, aber nicht immer, auch auf diese Domänen. Die erste kleine (n=14) doppelblinde, placebokontrollierte Studie zur Wirksamkeit von Glycin wurde bereits 1994 publiziert (Javitt et al. 1994). In dieser Studie war Glycin als »Add-onTherapie« zu einer stabilen antipsychotischen Therapie Placebo hinsichtlich der Beeinflussung von Negativsymptomen signifikant überlegen. Mehrere kleinere Studien bestätigten später den Befund. Glycin führt nach einer Therapiedauer von meist 4–6 Wochen zu einer Reduktion des »PANSS-Negativ-Scores« zwischen 20 und 30%. Studien, die auf kognitive Defizite fokussieren, fehlen. Die ausgeprägteste Verbesserung von Negativsymptomen findet sich bei den Patienten, die vor Behandlungsbeginn die niedrigsten Glycin-Plasmakonzentrationen aufweisen. Bemerkenswerterweise ist Glycin bei Patienten, die Clozapin erhalten, nicht nur unwirksam, sondern reduziert offenbar sogar dessen antipsychotische Wirkung (Potkin et al. 1999). Der Nachteil der Therapie mit Glycin ist zudem, dass sehr hohe Dosie-
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Kapitel 48 · Pharmakotherapie kognitiver Störungen
rungen (bis 30 g) gegeben werden müssen, was den praktischen Gebrauch erheblich einschränkt. Ähnliche Ergebnisse wie mit Glycin wurden mit D-Serin und D-Cycloserin erhoben. Dabei wirkte in einzelnen – allerdings kleinen – Studien D-Serin sogar günstig auf Positivsymptome (Tsai et al. 1998). In einer Studie an insgesamt 47 Patienten reduzierte D-Cycloserin in einer Dosierung von 50 mg täglich Negativsymptome (gemessen mit der »Scale for the Assessment of Negative Symptoms«, SANS) um 23%, Placebo hingegen nur um 7% (Goff et al. 1999a). Kognitive Defizite wurden jedoch nicht differenziell beeinflusst. In einer Studie mit höheren Dosen D-Cycloserin (100 mg täglich) hatte die Substanz nicht nur keinen Einfluss auf Negativsymptome, sie führte sogar zu einer Zunahme von Positivsymptomen (van Berckel et al. 1999). Die Autoren führten dies auf eine Verdrängung des endogenen Liganden Glycin durch diese hohen Dosen D-Cycloserin zurück, wodurch letztlich möglicherweise die glutamaterge Neurotransmission reduziert wurde. D-Cycloserin hat wahrscheinlich partialagonistische Eigenschaften an der Glycinbindundungsstelle, womit die dosisabhängigen Wirkungen erklärt werden könnten. Eine geringere intrinsische Aktivität von D-Cycloserin an der Glycinbindundungsstelle könnte auch erklären, warum die Substanz (in einer Dosierung von 50 mg täglich), anders als Glycin, in Kombination mit Clozapin Positivsymptome zwar nicht verstärkt, aber Negativsymptome verschlechtert (Goff et al. 1999b). D-Serin hat in Kombination mit Clozapin weder positive noch negative Effekte (Tsai et al. 1999). Insgesamt 17 Patienten nahmen sowohl an Therapiestudien zur Prüfung der Wirksamkeit von Glycin als auch der von D-Cycloserin teil (Hereseco-Levy u. Javitt 2004). Dieser indirekte Vergleich legt den Schluss nahe, dass Glycin besser wirksam ist als D-Cycloserin. Insgesamt erscheint die Wirksamkeit von positiven Modulatoren an der Glycinbindungsstelle des NMDA-Rezeptors hinsichtlich der günstigen Beeinflussung von Negativsymptomen relativ gut belegt. Die Wirksamkeit gegen kognitive Störungen wurde in den wenigsten Studien explizit geprüft. Sie erscheint aber deutlich geringer ausgeprägt (z. B. Goff et al. 1999a). Viel versprechender erscheinen in dieser Hinsicht die Studien mit Inhibitoren des Glycintransporters 1 (GlyT1). Kürzlich konnte in einer doppelblinden, placebokontrollierten Studie an 65 Patienten gezeigt werden, dass der GlyT1-Inhibitor Sarcosin nicht nur Placebo, sondern auch D-Serin hinsichtlich verschiedener psychopathologischer Dimensionen überlegen ist (Lane et al. 2005). Alle Patienten waren stabil auf Risperidon eingestellt. Sarcosin wirkte besser als Placebo und D-Serin hinsichtlich depressiver, kognitiver und Negativsymptome. Hingegen war D-Serin in dieser Studie der Behandlung mit Placebo nicht signifikant überlegen. Andererseits war Sarcosin in dieser Studie auch bei akut Erkrankten wirksam, während die Wirksamkeit der Glycin-Agonisten bisher nur bei chronisch-stabilen Patienten gezeigt werden konnte. Bemerkenswerterweise war in einer zweiten, kleineren Studie (n=20), in der Sarcosin in Kombination mit
Clozapin gegeben wurde, die Kombination einer Monotherapie mit Clozapin nicht überlegen (Lane et al. 2006). Besonders interessant ist, dass sich die Effekte glutamaterger Substanzen nicht zeigen lassen, wenn diese zusammen mit Clozapin gegeben werden; wirksam sind sie nur in Kombination mit einem klassischen Antipsychotikum oder einem SGA. Dies gilt sowohl für die Gruppe der Glycinagonisten wie auch für den GlyT1-Inhibitor Sarcosin. Dies deutet darauf hin, dass Clozapin seine besonderen klinischen Wirkungen möglicherweise über einen glutamatergen Mechanismus entfaltet. Eine weitere positive Modulation wäre dann wirkungslos. Ein partieller Agonist an der Glycinbindungsstelle des NMDA-Rezeptors wie D-Cycloserin kann die positiven Wirkungen, die Clozapin hier offenbar entfaltet, sogar reduzieren.
Cholinerge Pharmaka Ausgehend von der Hypothese, dass – ähnlich wie bei der Demenz vom Alzheimer-Typ – auch bei schizophrenen Störungen eine Stimulation von (nikotinischen und muskarinischen) Acetylcholinrezeptoren zu einer Milderung kognitiver Störungen auch bei diesen Erkrankungen führen müsste, sind in den letzten Jahren alle Acetylcholinesteraseinhibitoren in dieser Indikation geprüft worden. Allerdings sind die bisher vorliegenden Studien weder hinsichtlich der Gruppengrößen noch hinsichtlich der Beobachtungszeiträume mit den Untersuchungen, die mit dieser Substanzgruppe bei der Therapie demenzieller Syndrome vorliegen, zu vergleichen. Alle Studien wurden bei fortbestehender antipsychotischer Medikation durchgeführt. Positive Fallberichte und -serien, nach denen der Cholinesteraseinhibitor Donepezil kognitive Störungen bei Patienten mit Schizophrenien bessere, ließen sich in kontrollierten Studien nicht bestätigen. Keine einzige der meist über 12 Wochen an allerdings kleinen Patientenkollektiven durchgeführten doppelblinden, placebokontrollierten Studien konnte einen relevanten Effekt von Donepezil auf kognitive Störungen dokumentieren. Dieser Befund wurde zuletzt in einer großen placebokontrollierten Studie an 250 Patienten über 12 Wochen bestätigt (Keefe et al. 2007c). Die Patienten erhielten Donepezil oder Placebo zusätzlich zu einem SGA. In beiden Gruppen kam es zu einer leichten bis mäßigen Besserung der kognitiven Funktion. Eine Überlegenheit von Donepezil gegenüber Placebo konnte nicht nachgewiesen werden. Tendenziell wiesen die mit Placebo behandelten Patienten am Ende des Beobachtungszeitraumes sogar eine etwas höhere Testleistung auf. Bemerkenswert in dieser Studie war das Ausmaß des Übungs-/Placeboeffektes. Wenngleich die Datenbasis für Rivastigmin deutlich schmaler ist, scheint auch diese Substanz bei schizophrenen Störungen unwirksam zu sein. In der einzigen doppelblinden, placebokontrollierten Studie über 24 Wochen konnte eine positive Wirkung von Rivastigmin auf kognitive Störungen bei Patienten mit einer schizophrenen Störung nicht nachgewiesen werden (Sharma et al. 2006). Allerdings beendeten nur 21 Patienten die Studie, sodass auch ihre Aussagekraft eingeschränkt ist. Während eine kleine doppelblinde, pla-
609 48.5 · Aktuelle Entwicklungsstrategien
cebokontrollierte Studie an 16 Patienten eine günstige Wirkung von Galantamin auf Gedächtnis und Aufmerksamkeit nahe legte, konnte in einer neueren Studie an 24 Patienten kein positiver Effekt des Acetylcholinesteraseinhibitors gefunden werden. Allerdings bestand in der letztgenannten Studie die antipsychotische Therapie in einem klassischen Antipsychotikum, während in der erstgenannten, positiven Studie alle Patienten mit Risperidon behandelt wurden (Lee et al. 2007). Tierexperimentelle Daten legen nahe, dass Galantamin und Risperidon kognitive Prozesse möglicherweise synergistisch beeinflussen. Die fehlenden Wirkungen von Acetylcholinesteraseinhibitoren auf kognitive Störungen bei Schizophrenien wurden zum Teil damit zu erklären versucht, dass die meisten der untersuchten Patienten Raucher waren. Bei diesen geht man davon aus, dass nikotinische Acetylcholinrezeptoren desensitisiert sind. Eine Erhöhung des Angebotes an synaptischem Acetylcholin durch Hemmung der Acetylcholinesterase ist hier möglicherweise nicht hilfreich. Galantamin unterscheidet sich von den beiden anderen in Deutschland verfügbaren Acetylcholinesteraseinhibitoren dadurch, dass die Substanz neben der Enzymhemmung zusätzlich eine agonistische Modulation nikotinischer Acetylcholinrezeptoren entfaltet. Dies könnte ihre positiven Wirkungen zumindest in Kombination mit Risperidon erklären. Allerdings ist die Datenlage auch für diese Substanz viel zu schmal und inkonsistent, um ihren breiten klinischen Einsatz bei Patienten mit schizophrenen Störungen zu rechtfertigen. Kontrollierte Untersuchungen an großen Patientenkollektiven unter sorgfältiger Kontrolle der antipsychotischen Basismedikation und des Raucherstatus sind notwendig, um die Bedeutung von Acetylcholinesteraseinhibitoren zur Behandlung kognitiver Störungen bei schizophrenen Störungen abschätzen zu können.
Substanzen mit anderen Wirkmechanismen In einer deutschen Multizenterstudie wurde bei 39 stabilen Patienten mit einer schizophrenen Störung in einem doppelblinden, randomisierten Design die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Erythropoietin (EPO) geprüft (Ehrenreich et al. 2007). Peripher verabreichtes EPO penetriert in das Gehirn und wird dort angereichert. Mit dieser Studie, in der die Patienten zusätzlich zu ihrer fortlaufenden antipsychotischen Medikation über 12 Wochen wöchentliche Kurzinfusionen von EPO erhielten, sollte die Hypothese überprüft werden, dass die Substanz bei Patienten mit Schizophrenien neuroprotektive bzw. sogar neurotrophe Eigenschaften entfaltet. Sowohl Placebo als auch EPO führten zu einer Verbesserung der kognitiven Leistung, die mit EPO allerdings signifikant ausgeprägter war. Die Psychopathologie wurde ebenso wenig beeinflusst wie das soziale Funktionsniveau. In einer randomisierten, placebokontrollierten Studie an immerhin 67 Patienten war der Hemmer der Monoaminoxydase (MAO) vom Typ B, Selegilin, Placebo hinsichtlich der Beeinflussung einer Negativsymptomatik signifikant überlegen (Bodkin et al. 2005). In diese Studie wurden lediglich ambulante Patienten ohne prominente Positivsymptome, allerdings mit mäßig starken
48
bis ausgeprägten Negativsymptomen eingeschlossen. Wirkungen auf kognitive Leistungen wurden in dieser Studie nicht untersucht. 48.5
Aktuelle Entwicklungsstrategien
Für nahezu jeden neurobiologischen Mechanismus, der potenziell für kognitive Prozesse bedeutsam ist, existieren heute experimentelle Pharmaka, mit denen sog. Proof-of-Concept-Studien durchgeführt werden können. Auch im Rahmen der MATRICS/ TURNS-Initiativen sind zahlreiche Zielmoleküle identifiziert worden, die sehr aussichtsreiche Kandidaten für die pharmakologische Beeinflussung kognitiver Funktionen darstellen. Einige der aussichtsreichsten Entwicklungswege sollen hier dargestellt werden. 48.5.1 Dopaminerge Strategien Vom theoretischen Standpunkt stellen D1-Rezeptoragonisten eine der wichtigsten Entwicklungsstrategien für die pharmakologische Beeinflussung kognitiver Störungen dar. Da D1-Rezeptoren auch in hoher Dichte im peripheren Gefäßsystem lokalisiert sind, bergen sie potenziell das Risiko der ausgeprägten Blutdrucksenkung. Der momentan am weitesten entwickelte selektive D1-Rezeptoragonsist ist Dihydrexidin (DAR-0100). Die Substanz, die schon seit den 80er-Jahren bekannt ist, wird auch für die Anwendung bei Morbus Parkinson entwickelt. Im Tierversuch führt Dihydrexidin auch zu einer Freisetzung von Acetylcholin. Sie ist allerdings bisher nicht in oraler Form verfügbar. In den ersten Humanexperimenten an 20 Patienten mit einer schizophrenen Störung wurde die Substanz in einer Einzeldosis subkutan appliziert (George et al. 2007). Bei 5 der Patienten trat Übelkeit auf. Positive Wirkungen auf die Psychopathologie oder auf kognitive Leistungen wurden nicht beobachtet. Wegen der relativ schlechten Verträglichkeit, vor allem aber wegen der ungünstigen Pharmakokinetik, ist es relativ unwahrscheinlich, dass Dihydrexidin bis zur Marktreife entwickelt wird. Allerdings sind verschiedene andere selektive D1-Rezeptoragonisten in der präklinischen Entwicklung. 48.5.2 Serotonerge Strategien Der partielle 5-HT1A-Agonist Tandospiron verbesserte in einer placebokontrollierten Studie über 6 Wochen an 26 stabil auf ein klassisches Antipsychotikum eingestellten Patienten exekutive Funktionen und das verbale Gedächtnis (Sumiyoshi et al. 2001). Allerdings mag das positive Ergebnis dadurch beeinflusst sein, dass Tandospiron nicht mit SGAs kombiniert wurde. Für Buspiron in Kombination mit SGA konnte eine Wirksamkeit nicht überzeugend belegt werden (7 Abschn. »Serotonerge Pharmaka«; Sumiyoshi et al. 2007).
610
Kapitel 48 · Pharmakotherapie kognitiver Störungen
Verschiedene 5-HT2A-Rezeptorantagonisten weisen im Tierversuch Eigenschaften auf, die auf potenziell prokognitive Eigenschaften hinweisen. Dazu zählen M100907 und ACP-103. Die Entwicklung von M100907 in der Schizophrenie-Indikation wurde allerdings eingestellt, weil die antipsychotische Wirksamkeit der Substanz in einem doppelblinden Vergleich der Referenzsubstanz Haloperidol unterlegen war. ACP-103 befindet sich derzeit in der klinischen Prüfung. 48.5.3 Glutamaterge Strategien
48
Unter den Therapiestrategien, die auf eine positive Modulation der glutamatergen Neurotransmission abzielten, hat man besondere Hoffnungen in die Wirksamkeit der Ampakine gesetzt. Die erste Substanz dieser Gruppe, CX516, wurde kürzlich in einer doppelblinden, placebokontrollierten Studie an 105 Patienten mit einer schizophrenen Störung geprüft (Goff et al. 2007). Die Patienten erhielten entweder CX516 oder Placebo zusätzlich zu ihrer antipsychotischen Medikation mit Clozapin, Olanzapin oder Risperidon. Trotz positiver Befunde bei gesunden Probanden war die Substanz bei Patienten mit Schizophrenien Placebo nicht überlegen. Auch wurden keine Wirksamkeitsunterschiede zwischen Patienten, die mit Clozapin behandelt wurden, und jenen, die eine der beiden anderen Substanzen erhielten, gefunden. Der »PANSS-Gesamtscore« besserte sich sogar in der Placebogruppe signifikant mehr als in der Verumgruppe. Es bleibt abzuwarten, ob das Ergebnis dieser Studie auch auf andere Ampakine übertragen werden kann. 48.5.4 Cholinerge Strategien Eine der interessantesten Entwicklungen im Bereich der Modulation der cholinergen Neurotransmission ist die Positionierung von Desmethylclozapin, dem Hauptmetaboliten des Clozapin, als eigenständigem Pharmakon. Desmethylclozapin ist momentan in der klinischen Prüfung als Antipsychotikum. Desmethylclozapin entfaltet am muskarinischen Acetylcholinreptor vom Typ M1 eine agonistische Wirkung. Über diese Wirkung der Substanz wird eine kortikale Dopamin- und Acetylcholinfreisetzung vermittelt, womit man die positiven Wirkungen von Clozapin auf kognitive Störungen erklären könnte (Li et al. 2005). Daneben ist Desmethylclozapin auch ein partieller Agonist an D2- und D3-Dopaminrezeptoren. Gegenwärtig ist unklar, ob sich alle klinischen Eigenschaften der Muttersubstanz durch den partiellen D2/D3Agonismus und den M1-Agonismus des Metaboliten erklären lassen. Clozapin ist in einigen Modellen, jedoch nicht in allen, auch ein partieller Agonist am M4-Rezeptor. In Tiermodellen haben auch M4-Agonisten antipsychotische Eigenschaften. Der M1/M4-Rezeptoragonist Xanomelin wurde zunächst als Antidementivum bei Patienten mit Demenz vom Alzheimer-Typ geprüft. In einer großen placebokontrollierten Studie an 343 Patienten mit
einer Alzheimer-Demenz war die Substanz nicht nur hinsichtlich ihrer prokognitiven Effekte Placebo überlegen; sie entfaltete auch antipsychotische Wirkungen (Bodick et al. 1997). Wegen der häufigen gastrointestinalen Nebenwirkungen (Übelkeit und Erbrechen) wurde die Substanz jedoch in dieser Indikation nicht fortentwickelt. Publizierte Daten zur Anwendung der Substanz bei Schizophrenien liegen nicht vor. Inzwischen liegt auch die erste kleine Studie an Patienten mit Schizophrenien zur Evaluation eines partiellen Agonisten am nikotinischen α7-Rezeptor, DMXB-A, vor (Olincy et al. 2006). Eingeschlossen wurden 12 Patienten in einem randomisierten, doppelblinden Crossover-Design, verabreicht wurden zwei verschiedene Dosierungen der Substanz oder Placebo. Insbesondere die niedrigere der beiden Dosierungen von DMXB-A verbesserte die neuropsychologische Leistung signifikant besser als Placebo. Die Verbesserung war mit einer Verbesserung des auditiven sensorischen »Gatings« assoziiert. Allerdings musste die Studie bei einem Patienten wegen einer Leukopenie abgebrochen werden. 48.6
Ausblick
Bis vor wenigen Jahren war der Anspruch an die antipsychotische Pharmakotherapie, mit einer Substanz alle Aspekte der heterogenen Psychopathologie schizophrener Störungen zu behandeln. Die Suche nach dem idealen »atypischen« Antipsychotikum, das nicht nur gegen Positivsymptome wirksam ist, sondern auch Negativsymptome und kognitive Störungen effektiv reduziert und dabei keine EPS induziert, muss als gescheitert betrachtet werden. Heute ist klar, dass eine effektive Pharmakotherapie kognitiver Störungen nur durch die Modulation von gestörten neurochemischen Prozessen möglich ist, die die Basis von kognitiven Leistungen bilden. Das Verständnis für diese Prozesse hat sich in den letzten Jahren mit der Entwicklung von selektiven Pharmaka erheblich erweitert. Mit der Evaluation dieser innovativen Substanzen werden sich künftig unser Verständnis von der Neurochemie kognitiver Prozesse und die Möglichkeiten ihrer pharmakologischen Beeinflussung wechselseitig fortentwickeln.
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Kapitel 48 · Pharmakotherapie kognitiver Störungen
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49
49 Kognition und Rehabilitation Ulrich Müller und Thomas Becker
49.1
Rehabilitation der Schizophrenie in Deutschland – 614
49.2
Fragestellungen
49.3
Kognitionen ≠ (Neuro)Kognition – 614
49.4
Kognition und psychosoziales Funktionsniveau – 615
49.5
Neuropsychologie der Adhärenz (engl. adherence) – 617
49.6
Substanzmissbrauch und Kognition – 617
49.7
Affektive Störungen und Apathie – 618
49.8
Schizophrenie im Alter – 618
49.9
Langzeitmedikation und Neurokognition – 618
49.10
Pharmakotherapie kognitiver Defizite – 619
49.11
Neuropsychologische Rehabilitation – 620
49.12
Ausblick und Fazit für die Praxis Literatur
– 622
– 614
– 621
49
614
Kapitel 49 · Kognition und Rehabilitation
49.1
Rehabilitation der Schizophrenie in Deutschland
Die Schizophrenie ist eine Erkrankung des jungen Erwachsenalters mit relativ ungünstiger Prognose und erheblichen Anforderungen an psychiatrische Versorgungssysteme. Mehr als 60% der betroffenen Patienten benötigen für den Rest ihres Lebens psychiatrische Behandlung und psychosoziale Hilfsangebote. Die psychiatrische Rehabilitation von Menschen mit chronisch-schizophrenen Störungen ist im deutschsprachigen Raum bislang nicht einheitlich organisiert und es gibt relativ wenig Forschung in diesem Bereich (Voges u. Becker 2004). Die Implementierung einer evidenzbasierten und kosteneffizienten Versorgung sollte nach den Empfehlungen der Behandlungsleitlinie Schizophrenie der DGPPN sowie internationaler Schizophrenieleitlinien erfolgen (Gaebel et al. 2006). Es ist damit zu rechnen, dass nach dem Vorbild englischsprachiger Länder auch in Deutschland mehr Frühinterventionszentren, effektive integrierte Versorgungsketten und bessere Rehabilitationsangebote entstehen werden. Die Behandlung von Patienten in der postakuten Stabilisierungsphase und Remissionsphase hat ein möglichst hohes psychosoziales Funktionsniveau zum Ziel. Dieses Kapitel untersucht die Rolle neurokognitiver Defizite bei der Rehabilitation von Patienten mit Schizophrenie und bewegt sich damit im konzeptuell schwierigen Grenzgebiet von kognitiver Neuropsychiatrie und Sozialpsychiatrie (Becker u. Müller 1998). 49.2
Fragestellungen
Es gibt relativ wenig empirische Untersuchungen und Publikationen, die sich explizit mit Kognition und Rehabilitation der Schizophrenie beschäftigen (Spaulding et al. 1999; Wexler u. Bell 2005). Ausgehend von einer Literaturrecherche in PubMed und aktuellen Büchern zur psychiatrischen Rehabilitation (Rössler u. Lauber 2004; Frieboes et al. 2005) sowie klinischen Erfahrungen der Autoren bei der Versorgung von Patienten mit chronisch-schizophrenen Erkrankungen wurden folgende Fragestellungen untersucht: 4 Sind bestimmte kognitive Defizite ein Prädiktor für das Ergebnis rehabilitativer Interventionen? 4 Vergessen Patienten mit Gedächtnisstörungen und exekutiven Defiziten häufiger die Medikamenteneinnahme? 4 Sind kognitive Defizite im Langzeitverlauf der Schizophrenie problematischer bei komorbider Depression, Apathie und Substanzmissbrauch? 4 Welche Auswirkungen hat die oft komplexe Medikation auf die Rehabilitation der Schizophrenie? 4 Können kognitive Defizite durch erfolgreiche medizinische, psychosoziale und berufliche Rehabilitation verbessert werden? 4 Gibt es besondere Anforderungen an die Rehabilitation von älteren Menschen mit Schizophrenie und kognitiven Defiziten?
In Abgrenzung zu den anderen Therapiekapiteln dieses Buches werden hier vor allem neuropsychologisch relevante Aspekte des Langzeitverlaufs der Schizophrenie sowie die Auswirkung (neuro)kognitiver Defizite und Interventionen auf das psychosoziale Funktionsniveau und die berufliche Reintegration der betroffenen Patienten untersucht. Aus Platzgründen werden vorwiegend Übersichtsarbeiten und aktuelle Originalarbeiten zitiert. 49.3
Kognitionen ≠ (Neuro)Kognition
Bevor der Zusammenhang von Kognition und Rehabilitation bei Schizophrenie dargestellt werden kann, ist eine Begriffsklärung erforderlich. ! Es gilt zu beachten, dass in Psychotherapie und Neuropsychologie unterschiedliche Konzepte von Kognition, kognitiven Prozessen und kognitiven Defiziten verwendet werden.
Die kognitive Verhaltenstherapie ist ein psychotherapeutisches Verfahren, das seit den 50er-Jahren aus der Verhaltenstherapie und der kognitiven Therapie entwickelt wurde. Im Mittelpunkt der kognitiven Therapieverfahren stehen Kognitionen im Sinne von Gedanken und Überzeugungen. Schwerpunkte der Therapie sind die Bewusstmachung von Kognitionen, die Überprüfung von Kognitionen und Schlussfolgerungen auf ihre Angemessenheit, die Korrektur von irrationalen Einstellungen sowie der Transfer der korrigierten Einstellungen ins konkrete Verhalten. In der kognitiven Verhaltenstherapie der Schizophrenie geht es unter anderem darum, Inhalte und Entstehungskontext von Wahnvorstellungen und auditorischen Halluzinationen zu verstehen, um so das dysfunktionale Verhalten zu beeinflussen (Vauth 2007). In der Neuropsychologie und kognitiven Neurowissenschaft wird der Begriff Kognition als Oberbegriff verwendet, der kognitive Prozesse (oder Domänen) wie Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Exekutivfunktionen zusammenfasst. Die Rehabilitation kognitiver Defizite zielt auf die systematische Förderung kognitiver Prozesse durch wiederholtes Training und Aufbau von Strategien zur Kompensation neuropsychologischer Defizite. Zur Unterscheidung von dem psychotherapeutischen Kognitionsbegriff wird im neuropsychologischem Kontext öfter der Begriff Neurokognition verwendet (Green 1997; Lautenbacher u. Gauggel 2004). Natürlich gibt es neben der Betonung eher inhaltlicher oder formaler Aspekte auch einen Überlappungsbereich verhaltenstherapeutischer und neuropsychologischer Kognitionskonzepte, insbesondere bei Modellen, die Emotionen als einen Spezialfall der kognitiven Informationsverarbeitung verstehen, und wenn von sozialer Kognition oder Metakognition die Rede ist. Die Begriffsunschärfe kann im klinischen Alltag zu Irritationen führen, wenn (Neuro-)Kognition und Kognitionen von Therapeuten, Patienten oder Angehörigen konfundiert werden.
615 49.4 · Kognition und psychosoziales Funktionsniveau
49.4
Kognition und psychosoziales Funktionsniveau
Neurokognitive Defizite gelten neben Positiv- und Negativsymptomen als Kernsymptome der Schizophrenie und finden sich bei den meisten Patienten mit chronischer Schizophrenie. Vermutlich haben kognitive Defizite sogar größere Auswirkung auf den sozialen Verlauf der Schizophrenie als Positiv- und Negativsymptome (Green 1997). Einzelne Arbeiten differenzieren diesen Zusammenhang weiter und konnten nachweisen, dass Störungen des verbalen Gedächtnisses das selbständige Wohnen sowie exekutive Funktionsdefizite die Arbeitsfähigkeit und Aktivitäten des alltäglichen Lebens beeinträchtigen (Velligan et al. 2000). Beruflich und sozial wieder eingegliederte (»full recovery«) Patienten unterscheiden sich bezüglich kognitiver Funktionen in der Regel nicht von gesunden Kontrollen. Der Zusammenhang von kognitiven Defiziten und psychosozialem Funktionsniveau ist inzwischen gut etabliert und hat in den USA zu der breit angelegten MATRICS-Initiative geführt, die eine standardisierte Erfassung kognitiver Defizite und die Evaluation therapeutischer Interventionen zum Ziel hat (»Measurement and Treatment Research to Improve Cognition in Schizophrenia«, MATRICS; www.matrics.ucla.edu; Buchanan et al. 2005). Auch bei präpsychotischen Patienten mit hohem Psychoserisiko haben kognitive Defizite eine erhebliche funktionelle Relevanz. Der Zusammenhang zwischen therapeutischen Interventionen, Schizophreniesymptomen und psychosozialen Funktionen ist komplex (. Abb. 49.1), insbesondere wenn einzelne kognitive Defizite und deren Relevanz für die Rehabilitation betrachtet werden (. Tab. 49.1). Es gibt jedoch eine Reihe von Limitationen dieses Forschungsansatzes (Penadés et al. 2003): . Abb. 49.1. Neurokognition, soziale Kognition und Negativsymptome bei Schizophrenie
49
a) Der Anteil der durch kognitive Defizite erklärten Varianz des sozialen Funktionsniveaus liegt bei 10–50%, je nachdem, ob einzelne oder zusammengefasste kognitive Defizite analysiert werden. Ein erheblicher Anteil bleibt bei Verwendung herkömmlicher neuropsychologischer Tests unerklärt. b) Korrelative Zusammenhänge lassen kausale Mechanismen der Beeinflussung sozialer durch kognitive Funktionen im Unklaren, so lange diese nicht hypothesengeleitet überprüft werden. c) Der Transfer trainierter Fähigkeiten zwischen kognitiven Domänen und von Kognition zur Handlung bleibt unklar. d) Es gibt eine Subgruppe von Schizophreniepatienten mit hohem intellektuellem Ausgangsniveau und relativ geringen Defiziten in herkömmlichen neuropsychologischen Tests. Psychosoziale Funktionsdefizite dieser Patienten müssen durch Faktoren erklärt werden, die mit diesen Tests nicht erfasst werden. Neuere Studien versuchen, elementare von komplexen kognitiven Funktionen oder spezielle von allgemeinen kognitiven Defiziten zu unterscheiden, um den Zusammenhang mit psychosozialen Funktionen besser zu erfassen. Mithilfe von »structural equation modeling« (SEM)-Analysen umfangreicher Datensätze wurde ein dreifaktorielles Modell etabliert, das Störungen der »sozialen Kognition« als neues Kernsymptom einführt und einen stärkeren Zusammenhang zwischen neurokognitiven Defiziten und sozialer Kognition als zwischen Negativsymptomen und sozialer Kognition beschreibt (Sergi et al. 2006). Zur Erklärung von Störungen komplexer sozialer Funktionen sind Modelle erforderlich, die zusätzlich soziale Wahrnehmungs- und Entscheidungsprozesse sowie metakognitive Fähigkeiten wie »Theory of Mind« (ToM) berücksichtigen.
616
Kapitel 49 · Kognition und Rehabilitation
. Tab. 49.1. Defizite kognitiver Teilfunktionen und Relevanz für Rehabilitation
49
(Teil)Funktion
Testverfahren (Auswahl)
Relevanz für Rehabilitation
Visuelle Reaktionszeit(en)
SRT/CRT
Größerer Zeitbedarf für viele Aufgaben
Aufmerksamkeit
CPT, Trailmaking A
Konzentrationsstörungen und leichte Ablenkbarkeit
Arbeitsgedächtnis
n-back, digit spans
Defizite bei komplexen Aufgaben, Desorganisation im Alltag
Verbales Gedächtnis
CVLT, RBMT, WMS-R
Vergesslichkeit im Alltag
Prospektives Gedächtnis
RBMT, MIST
Probleme mit regelmäßiger Medikamenteneinnahme und Terminen
Exekutive Kontrollprozesse
WCST, trailmaking B, Wortflüssigkeit
Überforderung bei mehr als einer Aufgabe
Inhibition
Stroop, Directed Forgetting
Unterbrechung dysfunktionalen Verhaltens
Problemlösen
WCST
Überforderung Situationen mit neuen Anforderungen und sozialem Problemlösen
Theory of Mind
ToM-Bildgeschichten
Konfusion eigener und fremder Gedanken
Emotionswahrnehmung
Emotionaler Gesichtsausdruck
Schwierigkeiten bei sozialen Interaktionen, Auswirkungen auf Berufstätigkeit und selbständiges Wohnen
CPT Continous-Performance-Test; CVLT California-Verbal-Learning-Test; MIST Memory-for-Intentions-Screening-Test; RBMT Rivermead-BehaviouralMemory-Test; SRT/CRT Single/Choice Reaction Time; ToM Theory of Mind; WCST Wisconsin-Card-Sorting-Test; WMS-R Wechsler-Memory-Test (revised).
In hoch entwickelten Ländern erhalten viele Menschen mit chronischer Schizophrenie eine Berufsunfähigkeitsrente oder andere finanzielle Zuwendungen. Dennoch ist die Wiedereingliederung in den freien Arbeitsmarkt oder die Vermittlung eines geschützten Arbeitsplatzes ein zentrales Anliegen der Rehabilitation. Kognitive Defizite beeinträchtigen die Fähigkeit, einer geregelten beruflichen Tätigkeit nachzugehen, ähnlich stark wie Positiv- und Negativsymptome. Patienten mit Schizophrenie haben Schwierigkeiten sich in neue Aufgaben und Tätigkeiten einzuarbeiten, sie vergessen Instruktionen und Termine, werden wegen mangelnder Körperpflege oder unangemessener Verhaltensweisen zusätzlich stigmatisiert und haben Schwierigkeiten mit den sozialen Anforderungen der Arbeit. Eine umfangreiche neuropsychologische Diagnostik, die neben den Hauptdomänen auch prozedurale und prospektive Gedächtnisfunktionen testet, sollte während therapeutischer Arbeitsversuche und vor der beruflichen Wiedereingliederung durchgeführt werden. Soziale und kommunikative Fähigkeiten beeinflussen die berufliche Rehabilitation unabhängig von kognitiven Defiziten und sollten mit entsprechenden »Fremdratings« erfasst werden (Lautenbacher u. Gauggel 2004; Wexler u. Bell 2005). Kognitive Defizite erschweren rehabilitative Bemühungen aller Art auch in den Bereichen Freizeit und Hobbies, soziales Netzwerk, selbständiges Wohnen und Lebensqualität. Es gibt bislang keine überzeugenden Daten zum Einfluss unterschiedlicher Versorgungsmodelle auf kognitive Funktionen. Der internationale Trend geht aber klar zur gemeindenahen Rehabilitation von Patienten mit chronischer Schizophrenie. Wohnortferne Rehabi-
litationskliniken und psychiatrische Großkrankenhäuser werden wahrscheinlich eine geringere Rolle spielen. In Rehabilitationseinrichtungen können durch spezialisierte Teams, spezifische Intensivprogramme mit kognitivem Training, Psychoedukation, beruflichem Training und psychiatrischer Expertise angeboten werden. Die Kosten der Schizophreniebehandlung variieren mit den Versorgungsstrukturen, die von Land zu Land unterschiedlich sind. Auch im Vergleich verschiedener Versorgungssysteme stellen die Kosten für stationäre Behandlung und betreutes Wohnen den größten Anteil dar (Becker u. Kilian 2006). Der Zusammenhang zwischen kognitiven Defiziten und Behandlungskosten wurde bislang nur in wenigen Studien untersucht (Patel et al. 2006).
Neurokognition und Versorgungskosten Eine Studie aus London fand trotz einer relativ großen Stichprobe keinen klaren Zusammenhang zwischen Defiziten in kognitiven Domänen und den Gesamtkosten. Allerdings betonen die Autoren, dass ihr Studiendesign es nicht ermöglichte zu untersuchen, ob einzelne Teilkosten oder Kostenkomponenten durch bestimmte kognitive Defizite beeinflusst wurden (Patel et al. 2006).
617 49.6 · Substanzmissbrauch und Kognition
49.5
Neuropsychologie der Adhärenz (engl. adherence)
In allen Phasen der Schizophreniebehandlung sind Antipsychotika mit dopaminantagonistischem Wirkungsmechanismus die Basistherapie der Wahl. Zahlreiche gut kontrollierte Studien konnten zeigen, dass Antipsychotika die Remission von Akutsymptomen beschleunigen, Rückfallraten zuverlässig reduzieren und den Langzeitverlauf günstig beeinflussen. Je früher die Behandlung beginnt, desto besser ist das Ergebnis (Gaebel et al. 2006). Ein Hauptproblem bei der Langzeittherapie mit antipsychotischen Medikamenten ist jedoch die unzuverlässige und unregelmäßige Einnahme der Medikamente. Der Begriff »Compliance« wurde wegen negativer und paternalistischer Konnotationen inzwischen durch die Begriffe »Adherence to Treatment« oder »Concordance« abgelöst (Müller 2005). Die Adhärenz wird durch zahlreiche Faktoren positiv oder negativ beeinflusst (. Abb. 49.2). Der beste Prädiktor für schlechte oder partielle Adhärenz sind Adhärenzprobleme in der Vorgeschichte. Bis zu 80% aller Schizophreniepatienten vergessen oder verweigern empfohlene Therapiemaßnahmen (Non-Adhärenz oder partielle Adhärenz). Nur medizinische Empfehlungen zur Gewichtsreduktion und Zahnpflege werden, auch bei Nichtpatienten, ähnlich unzuverlässig eingehalten. Unzuverlässige Medikamenteneinnahme hat häufigere stationäre Aufenthalte und damit erhöhte Behandlungskosten zur Folge. In den letzten Jahren sind erste Studien zur Neuropsychologie der Adhärenz bei Schizophrenie erschienen. Die negative Einstellung zu antipsychotischer Medikation war mit Defiziten von Arbeitsgedächtnis, verbalem Gedächtnis und exekutiven Funktionen assoziiert (Kim et al. 2006). Schwierigkeiten bei der Konzeptualisierung und Gedächtnisprobleme korrelieren mit der regelmäßigen Medikamenteneinnahme. Eine positive Einstellung zur antipsychotischen Medikation hat jedoch nicht unbedingt eine bessere Adhärenz zur Folge. Bei Schizophreniepatienten wurden auch Störungen prospektiver Gedächtnisfunktionen nachgewie. Abb. 49.2. Multifaktorielle Beeinflussung der Adhärenz bei Schizophrenie
49
sen. Solche Probleme bei der Fähigkeit, Handlungsabsichten zu erinnern, wurden jedoch bislang nicht in Zusammenhang mit »Adherence-Ratings« untersucht. Der Zusammenhang zwischen Adhärenz und Lebensqualität ist unklar, vermutlich wegen häufiger unerwünschter Wirkungen von Antipsychotika (Puschner et al. 2006). Es gibt verschiedene Strategien, die Adhärenz von Patienten mit Schizophrenie zu verbessern: a) Verhaltenstraining (»Behavioural Tailoring«) b) Aufklärung über Wirkungen und Nebenwirkungen c) Vereinfachung der Dosierung d) Motivationsgespräche (»Motivational Interviewing«) Die Güte der therapeutischen Beziehung (»therapeutic alliance«) ist ein wichtiger Einflussfaktor. Die Verbesserung der Adhärenz durch psychoedukative Maßnahmen ist im psychiatrischen Versorgungsalltag jedoch schwierig. Eine aktuelle europäische Interventionsstudie fand keinen signifikanten Effekt eines Adhärenztrainings im Vergleich mit einer unspezifischen »Health education«-Gruppentherapie (Puschner et al. 2006). 49.6
Substanzmissbrauch und Kognition
Komorbider Substanzmissbrauch und Substanzabhängigkeit sind eines der schwierigsten Behandlungs- und Versorgungsprobleme bei der Schizophrenie. Die Wechselwirkungen von neurokognitiven Funktionen und sedierenden, stimulierenden oder halluzinogenen Substanzen sind vielfältig. Der Konsum von Cannabis erhöht das Psychoserisiko bei Menschen mit anderen Risikofaktoren und kompliziert häufig den längerfristigen Verlauf. Chronische Alkoholabhängigkeit kann zur Alkoholpsychose und Alkoholdemenz führen (Gouzoulis-Mayfrank 2005). Menschen mit Schizophrenie rauchen häufiger als die Durchschnittsbevölkerung und sind nur schwer zu entwöhnen. Die kurzfristige nikotinerge Stimulation kognitiver Defizite spielt in diesem Zu-
618
Kapitel 49 · Kognition und Rehabilitation
sammenhang eine wichtige Rolle. Rauchen reduziert die Plasmaspiegel von Clozapin (und anderen Medikamenten) erheblich, was bei der Dosierung berücksichtigt werden muss. Auch Koffein wird von Schizophreniepatienten häufig zur Selbstmedikation kognitiver Defizite in erheblichen Tagesdosen konsumiert. Regelmäßiger Konsum koffeinhaltige Getränke mit hohem Zuckeranteil (z. B. Cola) erhöht zusätzlich das Risiko von Adipositas und metabolischem Syndrom, einer ohnehin gefürchteten Nebenwirkung von Antipsychotika wie Clozapin und Olanzapin. Bei Patienten mit schizophrener Ersterkrankung fanden sich mehr Positivsymptome bei leichtem bis mäßigem Substanzmissbrauch, aber keine kognitiven Unterschiede im Vergleich zu Patienten ohne Substanzmissbrauch. Hilfsbedarfadaptierte Rehabilitationsprogramme für Patienten mit der Doppeldiagnose Schizophrenie und Sucht sind ein Desiderat der klinischen Forschung und Praxis.
Betreutes Wohnen und Neurokognition
49
Ein Studie aus Boston, USA, zeigte eine Besserung des verbalen Gedächtnisses und von Testleistungen im ContinuousPerformance-Test (CPT) nach Interventionen zur Beendigung von Obdachlosigkeit. Im Wisconsin-Card-Sorting-Test (WCST) fanden sich differenzielle Effekte: Die Vermittlung eines Zimmers in einem betreuten Wohnheim verbesserte kognitive Funktionen, wohingegen der Einzug in eine eigene Wohnung zu einer Zunahme von Perseverationen im WCST führte. Kognitive Verbesserung und differenzielle WCST-Effekte fanden sich nur bei Patienten ohne Substanzmissbrauch. Der Einfluss der Wohnform auf kognitive Leistungen wird durch unterschiedliche soziale Anforderungen und Trainingseffekte erklärt (Caplan et al. 2006).
49.7
Affektive Störungen und Apathie
Ein wichtiger und bislang nicht ausreichend verstandener Grund für den Substanzgebrauch und Substanzmissbrauch von Schizophreniepatienten sind komorbide affektive Störungen wie Depression, Angst und Anhedonie. Der Suchtmittelmissbrauch von Schizophreniepatienten wird nicht nur durch Abhängigkeit, Depravation im Alltag und Substanzkonsum im sozialen »Setting« unterhalten. Vielmehr zeigt der Substanzkonsum Muster erlernter Verhaltensweisen im Sinne von »Mood Management«. Kaffee, Nikotin, Kokain, Psychostimulanzien und Anticholinergika werden von vielen Patienten zur raschen, aber oft nicht lange anhaltenden Stimmungsaufhellung konsumiert. Neurobiologisch ist dabei die direkte oder indirekte dopaminerge Stimulation des ventralen Striatum von Bedeutung. Auch Anhedonie, Apathie und Störungen im sexuellen Bereicht können durch Störungen des dopaminergen Belohnungssystems erklärt werden. Motivationale Defizite sind ein wichtiges Zielsymptom psycho-
therapeutischer (kognitiv-verhaltenstherapeutischer) und neuropsychologischer (neurokognitiver) Interventionen (Wykes u. Reeder 2005). Alkohol, Cannabis und Benzodiazepine werden von Patienten zur Sedierung bei Unruhe, Angst und Schlafstörungen, oft auch zur Antagonisierung der kognitiv stimulierenden Effekte anderer Substanzen konsumiert. Hoffnungslosigkeit und Substanzmissbrauch sowie ein höheres kognitives Leistungsniveau und gute Krankheitseinsicht sind Risikofaktoren für Suizidalität; Menschen mit Schizophrenie denken eher an Selbstmord, wenn sie eine komorbide Substanzabhängigkeit haben und dazu in der Lage sind, das Ausmaß ihrer psychischen Erkrankung zu realisieren. 49.8
Schizophrenie im Alter
Patienten mit Schizophrenie haben im Allgemeinen eine reduzierte Lebenserwartung. Dies liegt zum einen an der im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhten Suizidrate und zum anderen an der erheblichen somatischen Komorbidität. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass eine verbesserte Versorgung schizophren erkrankter Menschen zu einer Zunahme älterer Menschen mit chronischer Schizophrenie führen wird. Die Therapie von älteren Menschen mit Schizophrenie kann bislang kaum evidenzbasiert erfolgen, da bislang nur sehr wenige kontrollierte Studien bei älteren Patienten (>65 Jahre) durchgeführt wurden (Harvey 2001). Auch, und gerade im Alter, sind komorbide Suchtprobleme wie Alkoholabhängigkeit besonders problematisch hinsichtlich kognitiver Defizite. Die Schizophrenie wird heute als Entwicklungsstörung des Gehirns (»neurodevelopmental disorder«) verstanden. Eine langfristige Pilotstudie fand keinen Hinweis auf eine Zunahme kognitiver Defizite über einen Zeitraum von 10 Jahren (Kurtz et al. 2005). Es gibt im höheren Lebensalter jedoch die Komorbidität von Schizophrenie und Demenz mit kognitivem Abbau und neuropathologischen Veränderungen wie bei Alzheimer- oder Parkinson-Krankheit (Harvey 2001). Eine entsprechende diagnostische Abklärung sollte bei Langzeitpatienten nicht übersehen werden. 49.9
Langzeitmedikation und Neurokognition
Kernaufgaben der medizinischen Rehabilitation sind die Heilung, Besserung und Verhütung der Verschlimmerung von Krankheiten durch ärztliche Behandlung und Aktivierung der Betroffenen und ihrer Ressourcen (Voges u. Becker 2004). In den Empfehlungen zur ambulanten Rehabilitation bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) wird die Verordnung von Medikamenten (inklusive Aufklärung der Rehabilitanden über Wirkungen und Nebenwirkungen), insbesondere die Verantwor-
619 49.10 · Pharmakotherapie kognitiver Defizite
tung für die Psychopharmakotherapie, als eine spezifische Aufgabe ärztlicher Mitarbeiter in der Rehabilitation genannt. Die Schizophrenie im engeren Sinn ist für die Mehrzahl der betroffenen Patienten eine wiederkehrende oder lebenslange Erkrankung. Während ältere Behandlungskonzepte vor allem die Besserung von Halluzinationen, Wahnsymptomen, Denkstörungen, akuten Affektstörungen, Aggressivität und anderen Symptomen der Akutphase zum Ziel hatten, geht es bei der modernen medikamentösen Langzeitbehandlung der Schizophrenie darum, neben Positivsymptomen auch subakute und persistierende negative, affektive und kognitive Symptome der Erkrankung zu behandeln (Kasper 2006). Auch in der psychiatrischen Therapieforschung zeichnet sich eine Trendwende ab: In älteren Therapiestudien wurde oft nur die Veränderung psychopathologischer Parameter während eines relativ kurzen Zeitraums (4–8 Wochen) beobachtet. Moderne Therapiestudien in der Psychiatrie sind oft so konzipiert, dass die differenzielle Wirksamkeit unterschiedlicher Therapieformen und deren Auswirkungen auf die psychosoziale Funktionsfähigkeit über einen längeren Zeitraum (ein Jahr und länger) und in naturalistischen »Versorgungssettings« untersucht werden. Obwohl die neueren Antipsychotika ein insgesamt günstigeres Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil bezüglich kognitiver Defizite und Negativsymptome haben, sind diese Ergebnisse inkonsistent und in kontrollierten Studien finden sich oft nur geringfügig bessere Effektstärken. Die meisten Studien in der Akutphase und mehrere Metaanalysen beschreiben eine Verbesserung kognitiver Defizite im Verlauf der ersten Wochen, die deutlicher ist nach atypischen Medikamenten als nach konventionellen Antipsychotika. Allerdings gibt es bei älteren Studien das Problem, dass die verordneten Tagesdosen oft über 10 mg Haloperidol oder entsprechenden Äquivalenzdosen lagen und damit über der heute empfohlenen Dosierung (Gaebel et al. 2006; Kasper 2006). Negative kognitive Effekte von Antipsychotika können auch durch die symptomatische Therapie motorischer Nebenwirkungen mit Anticholinergika und durch Antagonisierung des dopaminergen Belohnungssytems erklärt werden. Bei der Dosisreduktion oder beim Umstellen auf atypische Medikamente sollte das schrittweise Absetzen von Anticholinergika nicht vergessen werden – auch wenn viele Patienten nicht auf die euphorisierende (indirekt dopaminagonistische) Wirkung dieser Substanzen verzichten wollen. Die Entwicklung besser verträglicher Antipsychotika ist wichtig, um die Verträglichkeit der Medikamente und die Zufriedenheit von Patienten und Angehörigen zu verbessern. Für die neueren Antipsychotika konnte bislang keine bessere Adhärenz nachgewiesen werden. Das Spektrum unerwünschter Wirkungen hat sich mit den neueren Substanzen verschoben von motorischen hin zu metabolischen Nebenwirkungen. Depotantipsychotika haben den Vorteil einer guten Kontrolle der Adhärenz. Beim Versäumen von Arztterminen können Teammitglieder den Patient kontaktieren oder aufsuchen und Medikamente verabreichen. Trotz der Verfügbarkeit einer Depotform von Risperidon
49
haben Depotpräparate jedoch kein hohes Ansehen bei verschreibenden Psychiatern, die offenbar die zuverlässige Medikamenteneinnahme ihrer Patienten überschätzen (Heres et al. 2006). Zwei große, aus öffentlichen Mitteln finanzierte Therapiestudien mit versorgungsnahem Design, CATIE (»Clinical Antipsychotic Trials of intervention Effectiveness«) und CUtLASS (»Cost Utility of the Latest Antipsychotic Drugs in Schizophrenia«), konnten bei schwer zu behandelnden Schizophreniepatienten keine klaren Wirkungsvorteile der atypischen Antipsychotika im Vergleich zu konventionellen Substanzen wie Perphenazin oder Sulpirid zeigen (Lieberman 2006). 49.10
Pharmakotherapie kognitiver Defizite
Die US-amerikanische MATRICS-Initiative hat die Entwicklung, klinische Prüfung und Zulassung von Substanzen zur Verbesserung kognitiver Funktionen (»cognitive enhancement«) zum Ziel. Erste kontrollierte Studien wurden begonnen, welche die Empfehlungen der MATRICS-Experten bezüglich Studiendesign und der neuropsychologischen Testbatterie umsetzen (Buchanan et al. 2005). ! Vermutlich wird es aber auch in Zukunft keine »magic bullets« geben, die sowohl Positivsymptome als auch kognitive Defizite und Negativsymptome verbessern. Die Alternative dazu ist die Komedikation (»add-on medication«) mit Substanzen zur kognitiven Leistungsverbesserung.
Es gibt bislang keine medikamentösen Therapiestudien, die den Transfer von kognitiven Leistungsverbesserungen in den psychosozialen Alltag nachweisen, lediglich positive Fallberichte und kontrollierte Pilotstudien mit einmaliger oder kurzfristiger Gabe von nichtamphetaminergen Psychostimulanzien wie Modafinil, Noradrenalinwiederaufnahmehemmern wie Reboxetin und Dopaminagonisten wie Pergolid (Müller 2005; Apud u. Weinberger 2006). Der Stellenwert von Cholinesterase (ChE)-Hemmern in der Behandlung kognitiver Defizite bei Schizophrenie ist unklar. Eine aktuelle Übersicht der Studien mit Donepezil, Rivastigmin und Galantamin fand eine Reihe positiver Fallberichte, jedoch weitgehend negative Ergebnisse der besser kontrollierten Studien (Ferreri et al. 2006). Positive Effekte wurden vor allem bei gleichzeitiger Verabreichung anticholinerger Substanzen (Chlorpromazin, Clozapin, Biperiden, Trihexyphenidyl oder trizyklische Antidepressiva) beobachtet. ChE-Hemmer werden möglicherweise eine Nischenindikation zur Komedikation bei Clozapin finden. Bei starkem Nikotinkonsum mit Desensibilisierung der Nikotinrezeptoren besitzt Galantamin das günstigere pharmakologische Wirkprinzip. Eine aktuelle placebokontrollierte und randomisierte 3-Monatsstudie konnte eine Verbesserung kognitiver Funktionen durch gentechnisch hergestelltes humanes Erythropoetin zeigen. Solche auch im Sportdoping verwendeten Ansätze zur kognitiven Leistungsverbesserung müssen noch auf Aspekte der Behandlungs-
620
49
Kapitel 49 · Kognition und Rehabilitation
sicherheit hin überprüft werden. Bei neurotransmitterspezifischen Therapien erlangen genetische Marker zunehmende Bedeutung. So wird z. B. die Zahl der Perseverationsfehler im WCST von einem Polymorphismus des Catechyl-O-Methyltranferase (COMT)-Gens beeinflusst; dieser Zusammenhang ist bei Patienten mit Schizophrenie jedoch nicht klar, da die meisten Patienten mit Dopaminantagonisten behandelt werden (Apud u. Weinberger 2006; Barnett et al. 2007). Depressivität und Negativsymptome sind weitere wichtige Zielsymptome medikamentöser Interventionen, die für das kognitive und psychosoziale Funktionsniveau der Patienten von erheblicher Bedeutung sind. Die Komedikation mit Antidepressiva hat sich im klinischen Alltag längst durchgesetzt und wird zunehmend durch kontrollierte Studien abgesichert. Aktivierende Antidepressiva wie Reboxetin, Venlafaxin, oder Sertralin sind bezüglich kognitiver Defizite günstiger als sedierende oder anticholinerge Substanzen. Die Behandlung von Negativsymptomen durch Antipsychotika, die neben dopaminantagonistischen auch (dosisabhängige) dopaminagonistische Wirkungen haben, ist ein theoretisch interessanter und praktisch relevanter Ansatz. Die besten Daten gibt es bislang zu Amisulprid und Aripiprazol (Kasper 2006), allerdings fehlt auch hier der Nachweis einer Verbesserung des Rehabilitationsergebnisses. 49.11
Neuropsychologische Rehabilitation
Green u. Nuechterlein (1999) fragten erstmals, ob die Schizophrenie als eine neurokognitive Erkrankung behandelt werden solle. In dieser programmatischen Arbeit formulierten sie die sog. Delta-Frage, bei der es darum geht, ob Verbesserungen kognitiver Funktionen durch medikamentöse oder andere Interventionen
. Abb. 49.3. Modell zur Evaluierung kognitiv stimulierender Interventionen. (Nach Bellack et al. 2007)
bzw. im Spontanverlauf auch zu einer Verbesserung des psychosozialen Funktionsniveaus führen (. Abb. 49.3 und Tab. 49.2). Die DGPPN-Leitlinie empfiehlt zur Vorbereitung einer Rehabilitation neuropsychologische Therapien wie die kognitive Rehabilitation mit dem Schwerpunkt der Wiederherstellung, Verbesserung oder Kompensation von Aufmerksamkeits-, Wahrnehmungs- und Gedächtnisleistungen (Gaebel et al. 2006). In der Rehabilitation spielen das Training von Kompensationsstrategien, die Einübung relevanter Wahrnehmungs- und Verhaltenskompetenzen in sozialen Situationen und die Beratung von Betroffenen und Angehörigen eine besondere Rolle. Als kognitive Rehabilitation sollten therapeutische Programme bezeichnet werden, die der Verbesserung spezifischer kognitiver Funktionen dienen, indem sie systematisch sinnvolle kognitive Wahrnehmungs-, Verarbeitungs- und Umsetzungsprozesse durch wiederholtes Training und Aufbau von Strategien zur Kompensation neuropsychologischer Defizite fördern (Wykes u. Reeder 2005).
. Tab. 49.2. Interventionen mit neurokognitivem Training bei Schizophrenie Intervention
Literatur (Auswahl)
Relevanz für Rehabilitation
Cognitive Remediation
Wykes u. Reeder 2005 Penadés et al. 2006 Reeder et al. 2006
Besserung von basalen kognitiven Defizite, Negativsymptomen und Selbstwertgefühl
Computer-assisted Cognitive Remediation
Kurtz et al. 2007
Allgemeine kognitive Stimulierung und Computerkompetenz
(Brief ) Emotion-Training
Silver et al. 2005
Verbesserung sozialer Kompetenzen
Integrierte psychosoziale Therapie (IPT)
Penadés et al. 2003, Roder et al. 2006
Wirksamkeit in unterschiedlichen »Versorgungssettings« nachgewiesen
(Neuro)cognitive Enhancement
Wexler u. Bell 2005
Nachgewiesene Verbesserung der Arbeitsfähigkeit
Social Cognition Enhancement Training
Choi u. Kwon 2006
Verbesserung des psychosozialen Funktionsniveaus
Theory of Mind Rehabilitation
Kayser et al. 2006
Fokussierung auf soziale Kognitionen und metakognitive Prozesse
Thinking Skills for Work
McGurk et al. 2005
Training arbeitsrelevanter kognitiver Fähigkeiten
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621 49.12 · Ausblick und Fazit für die Praxis
Kompensatorische Strategien sind dabei vermutlich effektiver als der Versuch der Wiederherstellung (»remediation«) beeinträchtigter kognitiver Funktionen (Velligan et al. 2000). Eine Cochrane-Metaanalyse von 2000 fand keine klare Evidenz für oder gegen die Wirksamkeit von neurokognitivem Training (Hayes u. McGrath 2000). Auch die Autoren der DGPPNLeitlinie kommen zu dem Schluss, dass trotz deutlicher Hinweise auf eine Wirksamkeit der kognitiven Rehabilitation zur Verbesserung kognitiver Störungen aufgrund vorläufiger wissenschaftlicher Evidenz zur Generalisierbarkeit der erreichten Ergebnisse Therapien mit neuropsychologischem Training derzeit noch nicht für die breite klinische Praxis empfohlen werden können (Gaebel et al. 2006). Für Trainingprogramme, die vorwiegend eine Verbesserung von Aufmerksamkeitsdefiziten anstreben, ist die Datenlage eindeutig negativ. Deutlich positiver ist die Schlussfolgerung einer Metaanalyse der Wirksamkeit der integrativen psychosozialen Therapie (IPT), einer strukturierten und manualisierten Gruppenpsychotherapie, die neurokognitive Interventionen sowie das Training sozialer Kognitionen und Fertigkeiten kombiniert. Die Autoren betonen insbesondere auch die Umsetzbarkeit außerhalb akademischer »Settings« (Roder et al. 2006). Das Erkennen des emotionalen Ausdrucks von Gesichtern kann trainiert werden, der Transfer in Alltagsituation wurde jedoch noch nicht gezeigt. Auch kommunikative Fähigkeiten können verbessert werden durch ein Training von »Theory-ofMind (ToM)«-Funktionen, also der Fähigkeit, mentale Zustände anderer Personen zu erkennen. In einer aktuellen Studie wurde der Effekt von 40 Sitzungen »Cognitive Remedation Therapy« (CRT) auf soziale Funktionsparameter untersucht. Bei der Baseline-Untersuchung fand sich ein Zusammenhang von sozialem Funktionsniveau und kognitiven Defiziten (Arbeitsgedächtnis, motorischer Inhibition, verbalem und visuell-räumlichen Langzeitgedächtnis). Es gab jedoch keine Unterschiede zwischen der CRT- und einer Kontrollintervention (Reeder et al. 2006). In einer spanischen Untersuchung fand sich eine allgemeine Verbesserung kognitiver Defizite, insbesondere verbaler und nonverbaler Gedächtnis- sowie exekutiver Funktionen nach CRT. In der mit CBT behandelten Vergleichsgruppe fanden sich die erwartete Besserung von Angst und Depressivität, aber nur minimale kognitive Effekte. Patienten der CRT-Gruppe zeigten eine Besserung des sozialen Funktionsniveaus, die auch nach 6 Monaten noch anhielt (Penadés et al. 2003). Gerade im deutschsprachigen Raum gibt es erhebliche Hemmnisse bei der Implementierung psychologischer Interventionsprogramme. Diese Verfahren wurden mit wenigen Ausnahmen im angloamerikanischen Bereich entwickelt, evaluiert und angewendet. Der Änderungspessimismus deutscher Durchschnittspsychiater ist meist durch den Eindruck extremer Hilfsbedürftigkeit und niedrigen psychosozialen Funktionsniveaus in der akuten Erkrankungsphase geprägt. Auch zunehmende Sparzwänge dürften die Übernahme neuropsychologischer und kognitiv-verhaltenstherapeutischer Behandlungsansätze in der Rou-
49
tineversorgung von Patienten mit Schizophrenie erschweren (Vauth et al. 2007).
Kognitives Training und Arbeitsfähigkeit Zwei richtungweisende Studien haben den Einfluss von neuropsychologischen und/oder verhaltenstherapeutischen Interventionen auf Arbeitsfähigkeit untersucht. In einer am Klinikum Karlsbad-Langensteinbach durchgeführten Interventionsstudie wurden 138 relativ junge (29±7 Jahre) Schizophreniepatienten einer Rehabilitationsstation randomisiert drei Behandlungsarmen zugeteilt: a) nur berufliche Rehabilitation, b) berufliche Rehabilitation in Kombination mit neurokognitivem Training (»computer-assisted cognitive strategy training«, CAST) oder c) berufliche Rehabilitation in Kombination mit kognitiver Verhaltenstherapie (»training of self-management skills for negative symptoms«, TSSN). Die CAST-Gruppe hatte nach einem Jahr signifikant bessere kognitive Leistungen (Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis, aber nicht Planung) und eine höhere Quote erfolgreicher Jobvermittlungen. Das TSSN hatte keine signifikante Verbesserung von Negativsymptomen zur Folge (Vauth et al. 2005). In einer ähnlichen Studie wurden 44 Patienten an zwei gemeindepsychiatrischen Zentren in Brooklyn, New York, einem Programm sog. unterstützter Beschäftigung (»supported empolyment«, SE) mit oder ohne zusätzlichem kognitiven Training (KT) zugeteilt. Nach einem Jahr hatten deutlich mehr Patienten der SE+KT-Gruppe einen Job (70 vs. 5%), außerdem arbeiteten diese Patienten mehr Stunden pro Woche und hatten ein höheres Einkommen (McGurk et al. 2005).
49.12
Ausblick und Fazit für die Praxis
Neurokognitive Defizite sind ein wichtiger Prädiktor des psychosozialen Funktionsniveaus von Menschen mit schizophrenen Erkrankungen. Der Erfolg von psychoedukativen Maßnahmen und Rehabilitationsprogrammen wird von verbalen Gedächtnisdefiziten, exekutiven Funktionsstörungen und Aufmerksamkeitsdefiziten entscheidend beeinflusst. Erste Fallstudien haben die Effekte von kognitivem Training auf hirnregionale Aktivierungsmuster mithilfe bildgebender Verfahren wie fMRT untersucht (Wexler u. Bell 2005). Es ist vorstellbar, dass in Zukunft auch andere Interventionen zur Verbesserung des psychosozialen Funktionsniveaus mithilfe von Neuroimaging-Korrelaten besser charakterisiert und individuell verabreicht werden können (Becker u. Müller 1998). Ausgehend von den exemplarischen Studien zur Effektivitätssteigerung von sog. unterstützter Beschäftigung (»supported
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Kapitel 49 · Kognition und Rehabilitation
employment«) durch neurokognitives Training (McGurk et al. 2005; Vauth et al. 2005) sollten Studien zur Auswirkung von psychologischen und pharmakologischen Interventionen auf Adhärenz und soziale Kernkompetenzen wie Körperhygiene, Erledigung finanzieller und behördlicher Angelegenheiten sowie selbständiges Wohnen durchgeführt werden. ! Kognitive Defizite können durch kognitives Training, psychosoziale Interventionen und kognitiv-aktivierende Pharmakotherapie im Sinne von Restitution oder Kompensation verbessert werden. Der Transfer solcher Verbesserungen in den Alltag ist das Ziel solcher rehabilitativer Interventionen und wird in Zukunft eine wichtigere Rolle spielen. Wirkungsmechanismen, differenzielle Interaktionen und Dosis-Wirkungs-Zusammenhänge müssen besser verstanden werden.
Literatur
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V
Anhang Hirnatlas
– 626
Katrin Amunts, Karl Zilles
Farbtafeln
– 649
Sachverzeichnis
– 678
626
Anhang
Hirnatlas* Katrin Amunts, Karl Zilles
. Abb. 1–9. In-vivo-Magnetresonanztomographie (MRT) eines menschlichen Gehirns. Frontale Schnittserie. Es handelt sich hierbei um das sogenannte individuelle, T1-gewichtete Referenzgehirn des Montrealer Neurologischen Instituts (Evans et al. [1993] IEEE-NSS-MI Symposium, 1813–1817; Collins et al. [1994] J Comput Assist Tomogr 18:192–205; Holmes et al. [1998] J Comp Assist Tomogr 22:324–333; http://www.bic.mni.mcgill.ca/), das häufig in bildgebenden Untersuchungen als Referenzgehirn verwendet wird (»MNI-Referenzraum«). Der Datensatz wurde in sagittaler Richtung aufgenommen und ist das Ergebnis der Mittelung aus 27 einzelnen Datensätzen. Anschließend wurde der Datensatz entlang der Ebene, die durch die Commissura anterior (CA) und Commissura posterior (CP) definiert ist, ausgerichtet. Im Unterschied zum MNI-Referenzraum (wie es z. B. in SPM verwendet wird) ist bei diesem anatomischen Referenzgehirn der Nullpunkt (0,0,0) durch das obere, vordere Ende der CA im Interhemisphärenspalt definiert. Negative x-Koordinaten entsprechen der linken, positive x-Koordinaten der rechten Hemisphäre; negative y-Koordinaten sind kaudal, positive y-Koordinaten rostral der CA gelegen, negative z-Koordinaten sind ventral, positive dorsal der CA-CP-Ebene gelegen (anatomischer Referenzraum). Zur Übersicht und zum Vergleich mit dem Schnitt sind die Sulci markiert. Die Graphik erklärt die im korrespondierenden MR-Bild dargestellten Strukturen. . Abb. 10–13. In-vivo-MR-Schnittserie eines menschlichen Gehirns. Horizontale Schnittserie. Zur Übersicht und zum Vergleich mit dem Schnitt sind die Sulci in der Oberflächenrekonstruktion des Gehirns markiert. Die Graphik erklärt die im korrespondierenden MR-Bild dargestellten Strukturen. . Abb. 14–17. In-vivo-MR-Schnittserie eines menschlichen Gehirns. Sagittale Schnittserie. Zur Übersicht und zum Vergleich mit dem Schnitt sind die Sulci in der Oberflächenrekonstruktion des Gehirns markiert. Die Graphik erklärt die im korrespondierenden MR-Bild dargestellten Strukturen. . Abb. 18a–e. Oberflächenrekonstruktion des in den Schnittserien dargestellten MR-Datensatzes in den Ansichten von (a) dorsal, (b) rechts lateral, (c) links lateral, (d) rostral und von (e) basal. Individuelles, T1-gewichtetes Referenzgehirn des Montrealer Neurologischen Instituts (»MNI-Referenzgehirn«). Im Gegensatz zu vielen Atlasabbildungen ist diese Oberflächenrekonstruktion keine schematisierte Darstellung. Es handelt sich hierbei um einen individuellen Datensatz eines In-vivo-Gehirns, das jedoch kein besonders typisches oder »repräsentatives« Gehirn ist. Beachte die Unterschiede im Sulcusmuster zwischen der linken und der rechten Hemisphäre.
* Aus Schneider F, Fink GR (Hrsg) Funktionelle MRT in Psychiatrie und Neurologie. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio. (Mit freundlicher Genehmigung der Autoren)
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. Abb. 12.2a–d. PET-Aktivierungen bei Kontrast-REM minus SWS (Braun et al. 1997). a Pons; b Basalganglien, kaudaler Teil des orbitalen Kortex, basales Vorderhirn, anteriorer Teil der Insula, fusiformer-infero-
a
b
temporaler Kortex. c Thalamus, anteriorer cingulärer Kortex, parahippocampaler Kortex, auditorischer Assoziationskortex. d medialer Teil des Präfrontalkortex
c
. Abb. 12.3a–d. PET-Aktivierungen bei Kontrast Wach minus REM (Braun et al. 1997). a Cerebellum, b orbitaler Kortex, c dorsolateraler Prä-
a
b
c
. Abb. 12.4a–d. PET-Aktivierungen bei Kontrast SWS minus Wach (Braun et al. 1997). a Pons, Cerebellum; b Basalganglien, basales Vorderhirn, anteriorer Teil der Insula, orbitaler Kortex; c Thalamus, anteriorer
d frontalkortex (DLPFC), d dorsolateraler Präfrontalkortex (DLPFC), inferiorer Teil des Parietalkortex
d
cingulärer Kortex, dorsolateraler Präfrontalkortex (DLPFC); d anteriorer cingulärer Kortex, dorsolateraler Präfrontalkortex (DLPFC), inferiorer Teil des Parietalkortex
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Farbtafeln
. Abb. 14.1. Schema der aufsteigenden auditorischen Pfade von der Cochlea bis zum primären auditorischen Kortex. Die Überlagerung auf einem Profilschnitt durch einen MR-Datensatz gibt einen Eindruck der anatomischen Verhältnisse. Im auditorischen System beginnt die bilaterale Verarbeitung sehr früh. Die Kerngruppen im Hirnstamm und Thalamus tragen zu Verarbeitungsschritten bei, in denen räumliche, spektrale und dynamische Muster extrahiert werden. Vom Thalamus existieren direkte Bahnen zum primären und auch zum sekundären auditorischen Kortex. Der primäre auditorische Kortex liegt vorwiegend auf der heschlschen Querwindung. Sekundäre und Assoziationskortizes sind um diesen herum organisiert. (Mathiak, Universität Tübingen, 2004)
. Abb. 14.2. Geschwinds (1965) Adaptation des Lichtheim-WernickeModells schlägt getrennte auditorische, visuelle und motorische Pfade für die Sprachverarbeitung vor. Zusätzlich wird der supramarginale Gyrus (Sm. g.) als verantwortlich für Lexikonzugriff und Benennen gesehen. Der auditorische Kortex (A. c.) und Wernicke-Areal (W) führen die Klangund Phonemanalyse durch. Letztere Struktur ist über den Fasciculus arcuatus (Arc. f.) mit dem Broca-Areal (B) verbunden, das artikulatorische Handlung plant, die über den Motor-Kortex (M1) in ein motorisches Programm übersetzt werden. Der primäre visuelle Kortex (V1) und der Gyrus angularis (Ang. g.) bilden die sensorische Achse beim Lesen. (Mathiak, Universität Tübingen, 2004)
651 Farbtafeln
. Abb. 14.3. McCarley et al. (2002) fanden eine Korrelation zwischen der P300-Amplitude und einem anatomischen Volumenmaß im linken Temporallappen. Ersterkrankte zeigten eine umso kleinere P300-Amplitude, desto kleiner der linke hintere Gyrus superior temporalis gemessen wurde. Diese Korrelation fand sich vorwiegend in links- und schwächer in rechtstemporalen Elektroden. Für dasselbe Volumenmaß in der rechten Hemisphäre waren die Korrelationen deutlich geringer, aber ähnlich verteilt. (McCarley et al. 2002, Copyright 2002 American Medical Association)
. Abb. 14.4. Schema zur vergleichbaren Aufnahme von MEG- und 7 fMRI-Signal zur Messung der Mismatch-Antworten. Den häufigen Scannergeräuschen werden seltene (20%) abweichende Schaltungen eingefügt, die entweder kürzer oder leiser sind. Die MEG-Mismatch kann direkt nach dem Stimulus gemessen werden; sie wird als Differenz zwischen häufigen und seltenen Antworten ermittelt. Im fMRI tritt die Antwort verzögert auf. Deswegen können auch die Bilder während der »falschen« Gradientenschaltung verworfen werden. Die häufigen Klänge bilden dabei die »Baseline«. (Kircher et al. 2004)
652
Farbtafeln
. Abb. 14.5. Das hämodynamische Pendant der Mismatch-Negativität findet sich als Aktivierung der auditorischen Kortizes. Im Mapping wurde nur bei der Lautstärkeänderung eine signifikante Differenz bei den Pa-
tienten gefunden. Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass bereits die auditorische Verarbeitung gestört ist. (Kircher et al. 2004)
653 Farbtafeln
. Abb. 16.4. Nachweis des frontoparietalen Netzwerks zur Daueraufmerksamkeit (aus Lewin et al. 1996)
. Abb. 16.3. Darstellung der Aktivierungen innerhalb der drei Aufmerksamkeitsnetzwerke bei Gesunden (Reprinted from Fan et al. 2005, with permission from Elsevier)
. Abb. 16.5. Der Stroop-Test (Stroop 1935) und seine verschiedenen Bedingungen
654
Farbtafeln
. Abb. 16.9. Gemittelte ereigniskorrelierte Potenziale von Schizophreniepatienten, biologischen Verwandten ersten Grades von Schizophreniepatienten und gesunden Kontrollprobanden für Target-Trials während des CPT »degraded stimulus«. Gelbe Linien = Schizophreniepatienten,
blaue Linien = Verwandte ersten Grades, grüne Linien = gesunde Kontrollprobanden (Reprinted from Spanheim et al. 2006, with permission from Elsevier)
655 Farbtafeln
. Abb. 16.10. Signifikante Abnahme der grauen Substanz bei Schizophreniepatienten (Reprinted from Salgado-Pineda et al. 2003, with permission from Elsevier)
. Abb. 18.3a,b. Segmentierung des Zerebellums. Auf sagittalen Schichten wird das Zerebellum fortlaufend in seine fünf Untereinheiten segmentiert (a), anhand derer dann eine dreidimensionale Rekonstruktion möglich ist (b)
a
b
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. Abb. 18.4a,b. Voxelbasierte Morphometrie: Darstellung der Hirnregionen, in denen die Dichte der grauen Substanz korreliert ist. Überlagerung der Ergebnisse auf eine entfaltete Standardhirnoberfläche (a); bzw. auf ein T1-gewichtetes Standardhirn (b) (height threshold p<0,001, unkorrigiert; extented threshold = 200 voxels)
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a
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. Abb. 18.7a–c. »Ökonomisierung« der Hirnaktivierung unter Training mit Veränderungen der zerebralen Aktivierung (Blood Oxygen Level Dependent/BOLD) in der funktionellen Magnet-Resonanz-Tomographie (a) vor sowie (b) nach 2 bzw. (c) 4 Wochen Training unter Bearbeitung einer »n-back« bei 9 gesunden Probanden (p<0,001, uncorrected; k=10).
c
Unter Training erhöhte sich zunächst bei verbesserter Testleistung die Aktivität der beteiligten frontoparietalen Areale, die sich dann mit Konsolidierung der Leistungssteigerung bei der dritten Untersuchung wieder in Richtung des Ausgangsniveaus reduzierte (nach Hempel et al. 2004)
657 Farbtafeln
. Abb. 19.2a–e. Gebräuchliche Testbeispiele zum verbalen und räumlichen Arbeitsgedächtnis. a Aufgabe vom »Sternberg-Typ« (Sternberg 1966): Initiale AG-Auslastung (»load«) von drei Buchstaben im Stimulusset (z. B. 2000 ms), gefolgt von der Aufrechterhaltung des Materials während eines Delayintervalls variabler Länge (z. B. 6000 ms) mit anschließender Wiedergabe in der »probe«-Phase bei Präsentation des Zielreizes (z. B. 2000 ms). Die AG-load kann von 1 bis zu 9 Buchstaben (oder andere Stimuli) parametrisiert werden. Die aufgrund der variablen Anzahl sensorisch unterschiedliche Präsentation in der Stimulusphase ist eine mögliche konfundierende Variable bei der Auswertung ereigniskorrelierter fMRT-Designs (siehe hierzu auch 7 Kap. 20) aufgrund des Auftretens enkodierungsassoziierter Aktivität. Das Experimentaldesign erlaubt ausschließlich die Untersuchung von »maintenance«-Funktionen. Experimentelle Varianten beinhalten z. B. die Einführung einer parametrisierten Manipulationskomponente (b) oder die Verwendung »artikulatorischer Suppression« (Gruber et al. 2005, 2006), siehe hierzu auch 7 Kap. 20). b Modifizierter »Sternberg«-Test mit parametrisierter Manipulationskomponente (Wolf et al. 2006b; Wolf u. Walter 2005): In der Stimulusperiode (2000 ms) erscheinen stets drei graue Großbuchstaben, von denen anschließend einer, zwei oder alle durch ein kurzes Aufleuchten hervorgehoben wurden. Der Proband soll sich nun ausschließlich von den hervorgehobenen Buchstaben den jeweils nächsten Buchstaben im Alphabet merken (parametrisierte Manipulationskomponente). Der mentale Zugriff und die Umordnung im Alphabet während des Delays (6000 ms) ist ein gradueller Prozess – die Anforderung steigt analog zum »klassischen« Sternberg-Test mit der AG-Auslastung, d. h. mit der Anzahl der erscheinenden Buchstaben, die mit steigendem »load« eine intensivere verbale Prozessierung verlangt. In der Wiedergabeperiode wird ein kleiner Buchstabe präsentiert, und der Proband muss entscheiden, ob dieser Buchstabe zu den zuvor gemerkten gehörte oder nicht. Die Kon-
trollbedingung besteht aus einer rein motorischen Anforderung bei annähernd gleichbleibenden Stimulusbedingungen. Dabei werden in der Stimulusperiode stets drei große »X« präsentiert; in der Wiedergabephase soll anschließend ein kleines »x« per Tastendruck stereotyp bestätigt werden. Im dargestellten Beispiel sollte der Buchstabe »t« in der Wiedergabephase als richtiger Folgebuchstabe von »S« identifiziert werden. c »Reordering«-Test (modifiziert nach D’Esposito et al. 2000): Initiale AGAuslastung von 4 Buchstaben im Stimulusset, alphabetisches Umsortieren (Manipulation) des Materials während eines Delayintervalls variabler Länge und Wiedergabe in der »probe«-Phase gemäß der Position des Zielbuchstaben in der alphabetischen Reihenfolge. In diesem Beispiel steht nach alphabetischem Umsortieren der Buchstaben der Buchstabe »h« an zweiter Stelle. d Räumlicher »delayed-response«-Test nach Goldman-Rakic (Goldman-Rakic 1994): In der Stimulusperiode wird in einer von acht möglichen Positionen ein Zielreiz für 500 ms präsentiert, dessen räumliche Lage über einen kurzen Delayzeitraum (z. B. 3000–6000 ms) aktiv aufrechterhalten werden muss. In der Wiedergabephase erfolgte im Originalexperiment eine Augenbewegung des Versuchstieres zur zuvor gezeigten Zielposition. Andere experimentelle Varianten erfordern eine motorische Antwort, etwa per Tastendruck, wenn der in der Wiedergabeperiode gezeigte Stimulus mit der zuvor gemerkten Position übereinstimmt. e »N-back«-Test (experimentelles Rationale u. a. bei Cohen et al. 1997; Walter et al. 2003): In der »0-back«-Bedingung wird immer dann eine Antwort verlangt (Reaktion per Tastendruck), wenn ein bestimmter Zielreiz präsentiert wird. In der »1-back«-Bedingung ist immer dann eine Antwort erforderlich, wenn der gezeigte Buchstabe mit dem zuvor präsentierten Buchstaben übereinstimmt, in der »2-back«-Bedingung ist immer dann eine Antwort erforderlich, wenn der präsentierte Buchstabe mit dem vorletzten identisch ist; die jeweils korrekte Antwort ist in der Abbildung rot markiert
658
Farbtafeln
. Abb. 20.1a–c. Funktionelle Neuroanatomie spezifischer Subkomponenten des menschlichen Arbeitsgedächtnisses (Haltefunktionen für verschiedene Informationsdomänen) (Gruber u. von Cramon 2003). a, b Duale Architektur des verbalen (sprachlichen) Arbeitsgedächtnisses (Gruber 2001; Gruber u. von Cramon 2003). a Neuronale Implementierung des artikulatorischen Rehearsal-Mechanismus in einem hauptsächlich linkshemisphärischen Netzwerk sprachassoziierter Gehirnareale (Broca-Areal, linker Gyrus praecentralis, linker intraparietaler Cortex, prae-SMA und rechtes Cerebellum). b Neuronale Implementierung des komplementären nicht-artikulatorischen Mechanismus zum Aufrechterhalten phonologischer Information in einem bilateralen Netzwerk anterior-präfrontaler und inferior-parietaler Gehirnareale. c Neuronale Implementierung des Mechanismus zum Aufrechterhalten visuell-räumlicher Information in einem bilateralen Netzwerk posterior-präfrontaler (frontale Augenfelder) und intraparietaler Cortices
. Abb. 20.2. Evolutionsgeschichtlich orientiertes funktionell-neuroanatomisches Modell des menschlichen Arbeitsgedächtnisses (Gruber u. Goschke 2004; Gruber et al. 2005). Dargestellt sind neuronale Systeme, die dem visuell-räumlichen und dem nicht-artikulatorischen phonologischen Arbeitsgedächtnis sowohl beim Menschen als auch bei nicht-
menschlichen Primaten dienen (linker Teil der Abbildung), sowie das artikulatorische Rehearsal-System, das nach Rekodierung der sensorischen Information in den sprachlichen Code als leistungsstärkerer und prädominierender Arbeitsgedächtnismechanismus offenbar nur Menschen zur Verfügung steht (rechter Teil der Abbildung)
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. Abb. 20.3. Hypothetisches Modell zum Zusammenhang zwischen kognitiver Leistungsfähigkeit im Verhältnis zu aktuellen Anforderungen und der fMRT-Signalphysiologie in aufgabenrelevanten neurofunktionellen Systemen. In vereinfachter schematischer Form ist der komplexe wechselseitige Zusammenhang zwischen (1) dem Grad der Leistungsanforderung von kognitiven Aufgaben an neurofunktionelle Systeme, die beispielsweise dem Arbeitsgedächtnis zugrunde liegen (x-Achse), (2) deren funktionellen (bei der Schizophrenie pathologisch verminderten) Kapazitätsgrenzen (Farbkodierung) und (3) den hieraus vermutlich resultierenden, auf den ersten Blick widersprüchlichen Aktivierungsunterschieden zwischen schizophrenen Patienten und gesunden Kontrollen in fMRT-Studien (aufgetragen an der y-Achse) dargestellt
. Abb. 20.4a, b. Der Zusammenhang zwischen Störungen neuronaler Netzwerkfunktionen (a Neuronale Korrelate von bei schizophrenen Patienten gestörten Arbeitsgedächtnisprozessen) und gestörter zerebraler Konnektivität (b Darstellung neuronaler Faserbündel mittels Diffusionstensor-Bildgebung) ist Gegenstand aktueller Forschung zur Neurobiologie der Schizophrenie (Gruber u. Falkai 2003)
a
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. Abb. 22.1. Darstellung der wesentlichsten Unterschiede der neuronalen Korrelate von Gedächtnisformation und Gedächtnisabruf aus der Metaanalyse von Achim u. Lepage (2005). Die Aktivierungen sind dargestellt auf einem standardisierten dreidimensionalen Gehirn sowie auf ausgewählten koronaren Schichten. Auf der linken Seite der Abbildung sind die Aktivierungen während der Gedächtniseinspeicherung dargestellt, wäh-
rend rechts die Aktivierungen während des Gedächtnisabrufes gezeigt werden. Im oberen Teil der Abbildung sieht man Areale, die bei gesunden Kontrollpersonen stärker aktiviert waren als bei schizophrenen Patienten, während im unteren Teil der Abbildung jeweils Areale gezeigt werden, die bei den Patienten mehr Aktivierung zeigen als bei den gesunden Kontrollpersonen. (Adaptiert aus Achim u. Lepage 2005)
661 Farbtafeln
. Abb. 23.3. Stroop-Effekt. Von links nach rechts: Farbwörter, inkongruente Farben von Farbwörtern, Farben und kongruente Farben von Farbwörtern.
. Abb. 22.2. Modellhafte Darstellung der an der Einspeicherung ins deklarative Gedächtnis beteiligten Areale und ihrer Interaktion. Das Modell beinhaltet eine serielle Verarbeitung innerhalb des MTL (weiße Pfeile), sowie eine parallele, bidirektionale Interaktion zwischen präfrontalen und medio-temporalen Regionen (schwarze Pfeile). Die Aktivierung des parahippokampalen Kortex (türkis), des rhinalen Kortex (lila), des Hippokampus (rosa) sowie des inferioren präfrontalen Kortex korreliert mit der erfolgreichen Einspeicherung ins Gedächtnis. Die Aktivität in medialen frontalen Arealen (blau) und in der Amygdala (orange) ist beispielsweise bei emotionalen Gedächtnisinhalten an der Einspeicherung ins Gedächtnis beteiligt [adaptiert aus Fernandez u. Tendolkar (2001)]
a . Abb. 24.1a, b. Hypoaktivierung während Bearbeitung einer Go-NoGo-Aufgabe bei Patienten mit Schizophrenie (SZ) im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden (NC) a im dorsalen anterioren Cingulum und b im linken Gyrus frontalis medialis. (Reprinted from Arce et al. 2006, with permission from Elsevier)
b
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. Abb. 24.3. Exemplarische ToL-Sequenz. Jede Sequenz bestand aus Zugproblemen unterschiedlichen Schweregrades (1-, 3- und 5-Zug-Probleme). Während der Präsentationsphase (30 s) sollten die Probanden die minimale Anzahl an Zügen zur Lösung des jeweiligen Problems finden und diese anschließend verbal angeben. (Reprinted from Schall et al. 2003, with permission from Elsevier)
. Abb. 24.4. a Vergleich der grauen Substanz zwischen Patienten und 7 Kontrollen. Positive Werte indizieren erhöhte, negative Werte verminderte graue Substanz bei den Patienten. b Schwierigkeitsgradabhängige BOLD-Antwort in beiden Gruppen, mit positiver BOLD-Antwort in präfrontalen und negativer Antwort in temporalen Arealen. c Korrelation der funktionellen Aktivierung mit der kortikalen Dicke. Zusammenhang zwischen reduzierter BOLD-Antwort und kortikaler Dicke links-präfrontal, rechts-orbitofrontal, rechts superior-temporal und bilateral-parietal über die Gruppen hinweg. (Reprinted from Rasser et al. 2005, with permission from Elsevier)
a
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c
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. Abb. 26.1. Sprachrelevante Hirnregionen in der linken und rechten Hemisphäre
. Abb. 26.2. Areale, die nach Ngan et al. (2003) bei der Verarbeitung von sprachlichen gegenüber nichtsprachlichen Stimuli bei Schizophreniepatienten stärker aktiviert sind als bei Gesunden (grün=linke temporoparietale Übergangsregion; blau=linker medialer Frontalkortex; gelb=rechter STG/MTG)
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a . Abb. 26.4a,b. Semantische versus nichtsemantische Enkodierung (nach Kubicki et al. 2003). a Regionen, die bei Gesunden stärker aktiviert . Abb. 26.5. Hirnaktivierungen einer gesunden Kontrollgruppe sowie schizophrener Patienten mit und ohne FDS bei einer Satzvervollständigungsaufgabe: Markierte Voxel zeigen Regionen, die sowohl beim Vervollständigen stärker aktiviert sind als beim Vorlesen (vgl. Text) und die auch zwischen den jeweiligen Versuchsgruppen signifikant variieren (nach Kircher et al. 2001): a FDS-Patienten (rot) vs. Schizophreniepatienten ohne FDS (grün); b FDS-Patienten (rot) vs. Kontrollprobanden (blau); c Schizophreniepatienten ohne FDS (grün) vs. Kontrollprobanden (blau)
. Abb. 26.6. Aktivierungen bei der Verarbeitung von Metaphern im Kontrast zu wortwörtlichen Sätzen nach Kircher et al. (2007): Bei Gesunden und Patienten finden sich Signaländerungen im linken inferioren frontalen Gyrus, allerdings in verschiedenen Regionen (links: Gesunde; rechts: Patienten mit Schizophrenie)
b waren als bei Schizophreniepatienten. b Regionen, die bei Schizophreniepatienten stärker aktiviert waren als bei Gesunden
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. Abb. 33.1. Zerebrale Gebiete (u. a. linker primärer Hörkortex), in denen die strukturelle Volumenminderung mit dem Ausmaß der Halluzinationen korrelierte (Gaser et al. 2004)
. Abb. 33.3. Unterschiede der Direktionalität weißer Bahnen (MR-DTI) zwischen schizophrenen Patienten mit Halluzinationen und gesunden Kontrollpersonen für den lateralen (verbindet Sprachregionen miteinander) und medialen Arcuate fasciculus. Die Skala zeigt statistisches Signifikanzniveau; höhere Werte bei halluzinierenden Patienten (H) bzw. gesunden Kontrollen (C). (In Ahnlehnung an Hubl et al. 2004)
666
Farbtafeln
. Abb. 33.4. Aktivierte Region (fMRT) bei einem schizophrenen Patienten während akustischer Halluzinationen (links: linke Heschl-Querwindung) und externer akustischer Stimulation (rechts; beidseitig HeschlQuerwindung). (In Anlehnung an Dierks et al. 1999)
. Abb. 33.5. Aktivierungsmuster (fMRT) bei 4 Patienten mit unterschiedlichen visuellen Halluzinationen. Rot ist die aktivierte Region, blau ist die anatomische Strukur Gyrus fusiforme. (ffytche et al. 1999)
667 Farbtafeln
. Abb. 33.6. Häufigkeit von a strukturellen und b funktionellen Veränderungen bei Patienten mit akustisch-verbalen Halluzinationen
a
b
668
Farbtafeln
. Abb. 35.1. Schematische Darstellung der Signaländerungen während akustischer Halluzinationen und formaler Denkstörungen bei Patienten mit Schizophrenie. Blau: Verminderte Aktivierung während der »on-line«Produktion von ausgeprägten positiven formalen Denkstörungen.
Rot: Aktivierung während akustischer Halluzinationen (Stimmenhören verglichen mit Nichtstimmenhören). Das Wernicke-Sprachareal ist grün umrissen. (Aus: Kircher et al. 2004)
. Abb. 35.3. Mehraktivierung des Hippokampus bei gesunden Kontrollprobanden im Vergleich zu Patienten mit Schizophrenie während spontanen Assoziierens
. Abb. 35.2. Zerebrale Aktivierungen, während 6 Patienten mit Schizophrenie und ausgeprägten FDS über Rorschach-Tintenkleckse sprechen. Korrelate der Artikulation von »eigenartigen Wörtern« sind in rot dargestellt (rechter medialer temporaler Gyrus und linkes anteriores Zingulum).
Während flüssiger Sprache sind die in blau dargestellten Areale aktiviert (aus Kircher 2003). Die linke Seite auf der Abbildung entspricht der rechten Gehirnseite. z-Koordinaten sind unterhalb der Schnitte angegeben. (Talairach u. Tournoux 1988)
669 Farbtafeln
. Abb. 35.4. Schematische Darstellung derjenigen Hirnareale, die im Zusammenhang mit Sprachfunktionen und formalen Denkstörungen berichtet werden (7 Kap. 35.5). Die Regionen umfassen insbesondere
das frontotemporale Sprachnetzwerk und das anteriore Zingulum (letzteres ist nicht abgebildet)
. Abb. 37.3. Störung der neuronalen Enkodierung des Prädiktionsfehlers im ventralen Striatum schizophrener Patienten
670
Farbtafeln
a
b
. Abb. 38.1. Versuchsaufbau eines visuellen Self-monitoring-Experiments. (Mod. nach Knoblich et al. 2004)
. Abb. 38.2. Selbstinduzierte sensorische Information wird in der Wahrnehmung gelöscht (Reprinted from Lindner et al. 2005, with permission from Elsevier)
9 . Abb. 39.1. Das somatosensorische System (Grefkes u. Fink 2006). Das somatosensorische System mit seinen 3 funktionellen Regionen, dem unimodalen (»primären«) somatosensorischen Kortex (SI) des Gyrus postzentralis, der Informationen über die Position der Körperteile und ihre Bewegungen vermittelt, dem sekundär-somatosensorischen Kortex (SII) und den (v. a. rostralen) posterior-parietalen Rindenfeldern (PPC) des Lobus parietalis superior (SPL) und inferior (IPL). In Letzterem werden somatosensorische Stimuli auf höchster Stufe verarbeitet und mit Informationen aus anderen sensorischen Systemen (visuell, akustisch, vestibulär) vereinigt. Daher wird die Region auch als polymodaler Assoziationskortex bezeichnet. Durch die zahlreichen Verbindungen des posterioren Parietalkortex mit dem präfrontalen Kortex ist er stark aufmerksamkeitsabhängig. Dementsprechend wird die Aktivität im posterioren Parietalkortex aufrechterhalten, solange die Intention zu einer Bewegung besteht und ihr Ablauf geplant wird. Das sensorische System ist deutlich hierarchisch strukturiert. Der Informationsaustausch zwischen den einzelnen Ebenen verläuft dennoch parallel in beide Richtungen. Dies ermöglicht die Kontrolle und Überwachung der ausführenden Hirnregionen
671 Farbtafeln
. Abb. 39.2. Hirnareale mit steigendem zerebralen Blutfluss bei steigender Diskordanz zwischen ausgeführter und visuell wahrgenommener Bewegung bei Gesunden (Reprinted from Farrer et al. 2003, with permission from Elsevier)
. Abb. 39.5. Spiegelneuronensystem beim Menschen (nach Buccino et al. 2001). Gehirnaktivierung bei der Beobachtung von Mund(rot), Hand- (grün) und Fußbewegungen (blau). Es zeigt sich eine Somatotopie des Spiegelneuronensystems mit prämotorischen Aktivierungen bei Bewegungen ohne Objekt (a) und prämotorischen und parietalen Aktivierungen bei Bewegungen mit Objekt (b)
a
b
. Abb. 39.3. Der menschliche präfrontale Kortex
672
Farbtafeln
. Abb. 41.1. Aktivierungsmuster in Abhängigkeit von der jeweiligen Emotion (Reprinted from Phan et al. 2002, with permission from Elsevier)
. Abb. 41.2a–c. Funktionell interessierende Regionen definiert anhand ihrer Korrelation mit den subjektiven Einschätzungen von Intensität, Angenehmheit oder Unangenehmheit. Die Ordinate zeigt das fMRT-Signal, die Abszisse entweder die Intensitäts- oder Valenzratings. a Region in der rechten Hemisphäre, die von der dorsalen Amygdala in den piriformen Kortex übergeht korrelierte mit der Intensitätseinschätzung, nicht mit der Valenz. b Eine bilaterale Aktivierung im Subcallosum, die in den posteromedialen orbitofrontalen Kortex hineinreicht korrelierte mit der Einschätzung der Angenehmheit, nicht der Intensität. c Links anterior laterale und rechts anterior mediale orbitofrontale Aktivität korrelierte mit der Unangenehmheit, nicht der Intensität (Reprinted by permission from Macmillan Publishers Ltd: Anderson et al. 2003b, copyright 2003)
a
b
c
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a
. Abb. 41.4a,b. a Aufgabenstellung einer Emotionsdiskriminationsaufgabe und Verhaltensleistungen für alle 4 untersuchten Basisemotionen bei Schizophreniepatienten und Gesunden. Die Patienten zeigen bei allen Emotionen signifikant verminderte Erkennensleistungen. b Hypo-
. Abb. 41.5. Amygdalahypoaktivität schizophrener Patienten und ihrer nichtaffizierten Brüder beim Erleben von Trauer. Diese Defizite spiegeln den Einfluss genetischer Faktoren auf das Aktivierungsmuster wider (Habel et al. 2004, Copyright 2004 American Psychiatric Association)
b
aktivität im Bereich der Amygala, des orbitofrontalen und temporalen Kortex bei 16 Patienten im Vergleich zu 16 Gesunden bei den Emotionen Freude und Trauer (Habel et al. 2005a)
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Farbtafeln
. Abb. 43.1. Sigmundsson et al. (2001) untersuchten 27 Probanden und 27 Patienten, die die Kriterien für eine Schizophrenie mit überdauerndem Negativsyndrom erfüllten. Strukturelle voxel-basierte Auswertung ergab eine Volumenreduktion der grauen Substanz bei Patienten v. a. im linken Temporallappen, in der Insula, im Gyrus parahippocam-
palis und im Hippocampus sowie im medialen Frontallappen. Areale mit Volumenreduktion (gelb) und Volumenzunahme (violett) bei Patienten. Aus Sigmundsson et al. (2001) mit freundlicher Genehmigung des American Journal of Psychiatry, (Copyright 2001), American Psychiatric Association
675 Farbtafeln
. Abb. 43.2. Adjustierte rechte und linke Frontallappenvolumina der schizophrenen Patienten mit einem hohen Apathie-Wert der SANS-Skala von ≥2 (grün), mit einem niedrigen Apathie-Wert (Werte 0 oder 1; blau) und der gesunden Probanden (rot). Patienten mit einem hohen Apathie-
Wert zeigten eine bilaterale Reduktion des Frontallappenvolumens im Vergleich mit gesunden Probanden. Aus Roth et al. (2004) mit freundlicher Genehmigung des American Journal of Psychiatry, (Copyright 2004), American Psychiatric Association
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Farbtafeln
. Abb. 43.3. In der Studie von Sigmundsson et al. (2001) ergab die strukturelle voxel-basierte Auswertung der weißen Substanz eine Volumenreduktion (gelb) bei Patienten mit überdauernder Negativsymptomatik im Fasciculus uncinatus und Fasciculus longitudinalis superior bzw.
inferior, sowie im vorderen Schenkel der Capsula interna und im Corpus callosum. Aus Sigmundsson et al. (2001) mit freundlicher Genehmigung des American Journal of Psychiatry, (Copyright 2001); American Psychiatric Association
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. Abb. 43.4. Mithilfe des »Diffusion Tensor Imaging« zeigten Shin et al. (2006) erhöhte ADC-Werte in frontotemporalen Arealen bei 19 schizophrenen Patienten im Vergleich zu 21 gesunden Kontrollen. In einer dieser Regionen in der rechten Insula ergab sich eine signifikante positive Korrelation mit dem Negativsyndrom der PANSS-Skala (r=0,74; p<0,0001). Aus Shin et al. (2006) mit freundlicher Genehmigung von Neuroimage, (Copyright 2006). Mit freundlicher Genehmigung von Elsevier
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Sachverzeichnis
Sachverzeichnis A Acetylcholin 605 Adhärenz 617 Affekt 409, 507 Affektivität 524, 528 Alertness 169, 174 Alien-Hand-Syndrom 504 Amphetamine 87, 92 Amygdala 522, 523 Amygdala-Hippocampus-Komplex 540 Angehörige 46, 189, 220 Anosognosie 368 Antipsychotika 149, 151, 298, 329, 604 Antizipation 304 Aphasie 431 Arbeitsgedächtnis 232, 243, 257, 287, 290, 308, 309, 321, 404, 450 Artikulation 434 Assoziation 450, 451 Assoziationsstudie 51 Attributions-Bias 477 Aufmerksamkeit 146, 167, 181, 354, 382, 385 – selektive 170 Aufmerksamkeits-Bias 477 Autobiographie 448
B backward masking 152 Basissymptome 62 Befund, psychopathologischer 37 Belastungsmanagement 578 Bewegungskontrolle 498 Bewusstsein 97 Bindung 125 Blutfluss, zerebraler 569 BOLD-Effekt 26, 27 Broca-Areal 156, 243
C Cannabis 87 cognitive remediation therapy 592 COMT 54, 298
D Defizite, subjektive kognitive 368 Degeneration 40 Degenerationslehre 5 Denkstörungen, formale 161, 317, 327, 336, 341, 344, 352–354, 428 Depersonalisation 486 Derealisation 486 diffusion tensor imaging (DTI) 545 Dimethyltryptamin 87 DISC1 55 Diskursplanung 404 Dissoziation, doppelte 246 Dopamin 471, 570, 605 Dualismus 98 Dysbindin 55 Dysfunktion, okulomotorische 202 Dyskonnektivität 452 Dyskonnektivitätshypothese 161
E Ebene, perzeptuelle 322 echo planar imaging (EPI) 24 Efferenzkopie 401 Einheitspsychose 5 Emotion 507 Emotionsinduktion 510 Emotionstheorien 507 Empathie 348, 516 Endophänotyp 46, 47, 119, 387 Erleben, emotionales 522 Exekutive, zentrale 233, 236, 308 Exekutivfunktion 243, 278, 304, 353, 438
F Familiarität 280 Familienangehörige 149, 385 Familienbetreuung, psychoedukative 578 FDS 336, 341, 344, 352, 353 Fehlerkorrektur 434, 439 Felder, auditorisch evozierte (AEF) 159 Filtermechanismus 147 Flexibilität 354 – kognitive 310 Frühsymptommanagement 578 Funktionen, exekutive 262, 286, 382, 385
G GABA 336, 570, 605 Gating, sensorisches 147 Geburtskomplikationen 283 Gedächtnis 271, 323, 337, 354, 382, 385, 448 – verbales 387 Gedächtnissysteme 254 Gene 123 Genetik 38, 297, 344, 386 Genom 51 Gen-Umwelt-Interaktionen 39 Geschlecht 299, 343 g-Factor 383 Glutamat 474, 570, 605 Go-NoGo-Aufgabe 289, 305, 309 good clinical practice 37 Grammatik 321 Grundannahme, dysfunktionale 584 Gyrus temporalis superior 148, 424 Gyrus – heschlscher 157 – superiorer temporaler (STG) 414, 444, 469
H Halluzination 162, 344, 394, 413 Halluzinogene 83 Handlungsplanung 354
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Hemmung, latente 172, 176 Hermeneutik 108 High-Risk-Kinder 385 High-Risk-Studie 60 Hippocampus 148, 275, 280, 282, 452 Hirnentwicklung 40 Hochrisikogruppe 137, 190 Hochrisikopopulationen 60 Homograph 325, 341 Hören 394 Hörkortex, primärer 424 Humor 326 Hyperaktivierung 247 Hyperpriming 336 Hypoaktivierung 247 Hypofrontalität 248
I Ich-Identität 288 Ich-Störung 351, 360, 398, 485, 498 Informationen, kontextuelle 280 Informationsverarbeitung 15 inhibition of return (IOR) 172, 176 Inhibition 304, 305 Intelligenz 353, 354, 382 Intelligenzquotient (IQ) 299, 382 Introspektion 13, 448 Ironie 326, 353
J Jumping-to-conclusions-Bias 477
K Katatonie 561, 568 Kernsymptome 384 Ketamin 83, 86, 89 Kleinhirn 288 Kognition 13 – soziale 348, 358 Kognitionen 13 Kompetenz, soziale 355 Konditionierung 271 Konkordanzraten 45 Konkretismus 317, 448
Konnektivität 282 Kontext 321, 339, 448, 449 Kontextinformationen 447 Kontextverarbeitung 450 Kontrolle 304 – exekutive 338 – metakognitive 377 Kopplungsstudie 51 Kortex – auditorischer 148, 156 – präfrontaler 277, 279, 280, 288, 500 Kreativität 382
L Langzeitgedächtnis 254, 260, 618 Lateralisierung 447 – motorische 209 Lexikon 337 – mentales 319, 320, 436, 447, 451 – semantisches 339, 449, 451 LSD 83, 86, 91
M Magnetresonanzspektroskopie 553 Magnetresonanztomographie 20, 540 Makroproposition 323, 339 MATRICS-Projekt 600 McGurk-Effekt 336 Medikation, neuroleptische 217, 329 – extrapyramidale Nebenwirkungen 217 mentalising 348 Meskalin 83, 86 Metagedächtnis 261, 281, 371 Metakognition 309, 348, 368, 376 Metapher 326, 342, 353, 447, 449 Metarepräsentation 350 Mismatch-Negativität (MMN) 90, 147, 151, 157–159, 323, 335 Modell – generelles lineares 30 – kognitives 13 Modularität 123 Monismus 99 Monitoring 304, 309 Monitoring-Prozess 286 Morphologie 39, 319 Motographie 195
A–P
Motometrie 195 Motoskopie 195
N N100 150, 323 N400 157, 336, 339–341, 449 N-back-Aufgaben 290 negative priming 173, 177 Negativsymptomatik 352, 533, 535, 540 Neologismus 446 Netzwerk – konnektionistisches 16 – semantisches 319, 336 Neuregulin 55 Neuregulin-1-Gen 38 Neurokognition 614 Neuroneogenese 40 Neuropsychologie, kognitive 17 NMDA 336 NMDA-Rezeptor 86, 41, 474 Notizblock, visuell räumlicher 287 novelty detection 276
O Olfaktorik 524, 528
P P300 90, 158, 340, 448 P50 147, 149, 323 P600 339 Passivitätssymptome 353, 354 PCP 83 Phänomenologie 106 Phonetik 319 Planum temporale (PT) 156, 157, 334, 445 Planung 312 Pneuenzephalographie 218 Polymorphismus 51 Positivsymptomatik 533 Potenziale – akustisch evozierte (AEP) 146 – ereigniskorrelierte (EKP) 146, 337 – frühe evozierte 322 – visuell evozierte (VEP) 153
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Sachverzeichnis
Prädisposition, genetische 328 Präfrontalkortex 304 Pragmatik 319, 324, 342, 448 Priming 271, 323 – semantisches 320, 436, 450 Problemlösen 304 Prodromalpatienten 344 Prodromalphase 62, 295, 328, 388 Prodromalstadium 333 Proposition 321 Prosodie 318, 343 Psilocybin 83, 87 Psychoedukation 578 Psychose, zykloide 149 Psychosemodelle 83, 85
Q Quelle, innere 400
R Reafferenz 489 Reafferenzprinzip 491 Rehabilitation, neuropsychologische 620 REM-Schlaf 133 Resonanz 20 Risiko, genetisches 76 Risikofaktor 386 Risikogene 38 Risikoprobanden 76, 328
S Sätze 318, 321, 394 Schema 287, 399 – kognitives 584 Schizotypie 354 Schlaf 133 Schleife, phonologische 232, 287 Selbst 112, 397 Selbstmonitoring 400, 401, 403, 434, 439 Selbstwert 459 Selektion 146 Self-Monitoring 310, 416, 420 semantic coding 341 semantic priming 336
Semantik 319, 338, 353, 435, 448 Serotonin 605 set shifting 294, 310 Silben 318 Simon-Aufgabe 305 Skizzenblock, visuell-räumlicher 233 soft signs 199, 201 – neurologische 217 source memory 279 source monitoring 281 Spiegelneurone 492, 502 Spin 20 Sprache 161, 244, 333, 394, 397 Sprachproduktion 317, 428 Sprachverarbeitung 317, 333 Sprachverstehen 317 Sprachwahrnehmung 404 Sprichwort 353, 448, 449 Startlereflex 90 State 66 STG (7 Gyrus, superiorer temporaler) 161 Stimmen 395 Stimulation, generelle 590 Störungsbewusstsein 377 Stroop-Test 289, 305 Subjektivitätserleben 111 Substitution 590 Subtraktionsmethode 29 Subtyp 38 Supervisory-Attentional-System 286 Suszeptibilitätsartefakte 22 Symptome 297 – extrapyramidalmotorische 198 – motorische 563 – positive und negative 533 Syndrom, velokardiofaziales 53 Syntax 319, 324, 339, 353, 434, 435, 448 System – cholinerges 603 – dopaminerges 41, 601 – GABAerges 41, 603 – glutamaterges 602 – semantisches 329 – serotonerges 570, 601 – somatosensorisches 497 – visuelles 152
T task switching 308 Techniken, kognitive 580
Temporalkortex, medialer 279 Temporallappen 156 – medialer 275 Testverfahren 59 Theory of Mind 326, 348, 361, 440, 464, 479, 516, 583 Therapie – neuroleptische 223 – neuropsychologische 268 top-down 406 Tower of London-Aufgabe 312 Tower-Tests 291 Tracerstudien 550 Trail-Making-Test 292 Training 226 – kognitives 590 – sozialer Fähigkeiten 578 Trainingseffekte 227 Trainingsprogramm, kognitives 591 Trait 66, 354 Transfer 590 – erster Ordnung 595 – zweiter Ordnung 596
U Überwachung, metakognitive (Monitoring) 376 Umwelt 123 Umweltfaktor 39, 119
V Verarbeitung, lexikalische 320 verbal fluency tests 435 Verhaltensmodifikation 590 Verhaltenstherapie, kognitive 578, 579, 614 Verlauf 38, 344, 388 Versorgungskosten 616 Verwandte (7 Familienangehörige) 190, 217, 307, 328, 354 Vigilanz 170, 174 Vulnerabilitäts-Stress-Modell 45
681 Sachverzeichnis
W Wahn 352, 369, 407, 457, 469 Wahntheorien 457 Wechsler-Intelligenztest 383 Wernicke-Aphasie 431, 446 Wernicke-Areal 156, 447 Willensfreiheit 102 Wisconsin-Card-Sorting-Test (WCST) 293, 310, 369
Worte 318, 394 Wortflüssigkeit 290, 310, 451 Wortflüssigkeitsaufgabe 308
Z Zielrepräsentation 500 Zwischenspeicher, episodischer 287
P–Z