Beihefte zum Göttinger Forum für Altertumswissenschaft Herausgegeben von Siegmar Döpp und Jan Radicke
Band 15
Jan-Wi...
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Beihefte zum Göttinger Forum für Altertumswissenschaft Herausgegeben von Siegmar Döpp und Jan Radicke
Band 15
Jan-Wilhelm Beck ))Octavia« Anonymi
Zeitnahe praetexta od er zeitlose tragoed ia? Mit einem Anhang zur Struktur des Dramas
Edition
CiJ
Ruprecht
Inh. Dr. Reinhilde Ruprecht e.K.
2. Auflage 2007 Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© Edition Ruprecht Inh. Dr. R. Ruprecht e.K. Postfach 1716, 37007 Göttingen
-
2007
www.edition-ruprecht.de
© Dührkohp &. Radicke Wissenschaftliche Publikationen Göttingen
-
2002
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Diese ist auch erforderlich bei einer Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke nach § 52a UrhG. Layout und Satz: Jan-Wilhelm Beck Druck: Digital Print Group, Erlangen ISBN: 978-3-B9744-233-7
I Oftmals mit wenig freundlichen Worten wegen mangelnder literarisch dramatischer Qualität geschmäht und als "Kuriosität" eher geduldet als wirklich geschätzt, I ist die im Corpus der Seneca-Tragödien bzw. nur in de ren A-Rezension überlieferte 'Octavia' ein Drama, mit dessen Beurteilung die zu oft voreingenommene, emotional beeinflusste Forschung bis heute groBe Probleme gehabt hat. Denn trotz aller Vorbehalte, eine römische tra goedia oder gar praetexta - und dann auch noch der einzige erhaltene Ver treter ihrer Gattung -, eine praetexta, in der der groBe Seneca selbst auftritt und immerhin einen ganzen Akt erhalten hat, muss verständlicherweise eine besondere Faszination auf den modemen Rezipienten ausüben, und dies erst recht, wenn Seneca vielleicht sogar der Verfasser des Stückes sein könnte, wie zumindest der eine Überlieferungszweig auch eindeutig vorzugeben scheint. Zu gerne würde man folglich Senecas eigene Hand erkennen - die Octa via als ein autobiographisches Zeugnis und eine Art Testament aus den er sten Monaten des Jahres
65 n. Chr. ("mostra [...] 'in azione"', vgl. z.B.
Giancotti mit Verweis auf die Taciteische Sterbeszene), sei es als Versuch zur späten Selbstrechtfertigung von Neros einstigem Lehrer und Berater ("as an apologia
[ ... ] for himself, and [... ] as an explanation to the later world",
"his political apology", "Seneca's defense", vgl. z.B. Pease, Marti, Whit man), gedacht eventuell erst für eine postume Edition und Aufführung ("entrusted [... ] to friends to be published after the death of Nero", vgl. z.B. Pease, Whitman ebenfalls mit Verweis auf Tacitus), sei es als ein für den Untergrund geschriebener Text im Rahmen der Pisonischen Verschwörung, der dem gemeinsamen Hass gegen den Kaiser in dramatischer Weise Aus druck verleiht und dessen geplanten, baldigen Tod in falscher Prophezeiung verspricht ("circulated among the conspirators and their friends", vgl. z.B. Marti mit Verweis auf deren literarische Ambitionen als geeigneter Kontext [Tragödien, Mimen, praetextae von Lucan, Thrasea Paetus, Piso]).2 Ein derI
Takacs (2001) S .395 "In der Geschichte der römischen Literatur hat - wenn auch nicht wegen ihres literarischen Wertes, sondern wegen ihrer Kuriosität - die Octavia einen be sonderen Platz". Für eine Zusammenstellung negativer Urteile siehe u. S .53f. 2 Gegen den seit Petrarca (1348) und Salutati (1371) immer stärker werdenden Zweifel sind für Seneca als Verfasser eingetreten z.B. Delrio (1576), Klotzsch (1804, 1829), von Ranke (1882), Tolkiehn (1907), Siegmund (1910/11), Flinck (1919), Pease (1920, 1924 [das Zitat S.394f.]), Carlsson (1926), Köhm (1927), Maas (1927), Mickwitz (1928), Bra-
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artiger, vielfach artikulierter Wunsch der Forschung nach Authentizität des anonymen Stückes ist nur zu gut verständlich und wahrlich weit interessan ter als bodenständige Untersuchungen zur Abteilung der Anapäste, Struktu rierung des Dramas oder dem prägenden Angstmotiv . Welche Kostbarkeit wäre schließlich gewonnen, wenn wirklich Seneca selbst als Verfasser zu erweisen wäre, wenn der von der Nachwelt als philosophische Größe ge schätzte Geist, einst graue Eminenz im Hintergrund und maßgeblich be stimmend für die Politik des imperium Romanum und dessen Blüte im sog. quinquennium Neronis in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre, wenn die ser Seneca uns nicht nur seine Schriften, sondern zugleich sein eigenes Bild im Drama hinterlassen hätte - in der Tat eine imago uitae suae als Ver mächtnis, wie von Tacitus bezeugt (ann.15, 62 quod unum iam et tamen pulcherrimum habeat
. ; vgl. auch Dio 62, 25, 2 zu den aus Furcht vor Nero
..
Freunden anvertrauten Schriften)! Oder wenn es schon nicht Seneca selbst gewesen sein kann, dann sollte es, ja muss es wenigstens ein glühender Bewunderer sein, ein enger, engster Freund, Schüler, Vertrauter aus seinem nächsten Umfeld, ein echter Zeit zeuge jedenfalls, so dass die 'Octavia' zwar nicht direkt autobiographischen Wert besäße, doch zumindest vergleichbare Bedeutung als authentisches Zeitdokument und früheste Quelle für Kaiser Nero und eine der interessan testen Phasen der römischen Geschichte.3
ginton (1933), Pantzerhielm Thomas (1945), Marti (1949, 1952 [die Zitate S.33, 428]), Giancolli (1954, 1983 [das Zitat S.227]), Seguardo e Campos (1972), Sluiter (1949), Rozelaar (1976), Whitman (1978 [das Zitat S.l2]), Simonetti Abbolito (1979), Barbera (2000), Gamba (2000). 3 So z.B. Trillitzsch (1971) S.43ff. "eine einmalige selbstbiographische Quelle [...], die als Bekenntnis- und Rechtfertigungsschrift [...] einzigartigen Wert besäße. [ ... ] doch jeden falls in zeitlicher und ideeller Nähe entstanden, wohl unmittelbar in den Jahren nach Sene cas bzw. Neros Tod im Kreis der Anhänger und verehrenden Nachahmer", Schubert (1998) S.254 "in jeder Hinsicht einzigartig [ ... ], entwickelt sie doch als einzige antike Dichtung überhaupt ein detailliertes Bild des historischen Nero", Wesolowska (1998) S.286 "It seems possible that subsequent generations knew very Iillie [...]. The earliest allempt of Iiterary presentation of Seneca".
'Octavia' Anonymi: Zeitnahe praetexta oder zeitlose tragoedia?
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11 Gegen alle noch so hartnäckigen Versuche mit gewiss gelungener Paral lelisierung - die 'Octavia' wie zuvor die teilweise ebenfalls dramatisch an gelegte 'Apocolocyntosis' als diptychon-artige Abrechnung mit Nero bzw. Claudius (Marti, Gamba) -, hat seriöse Forschung ersteren Wunsch nach Seneca als dem Autor längst und m.E. unwiderlegbar als unerfüllbares Wunschdenken moderner Gelehrtenphantasie erwiesen. Dass die 'Octavia' nicht von Seneca selbst stammt, wird folglich hier zusammen mit dem Tod Neros am
9.6.68 n. Chr. als terminus post für ihre Abfassung vorausgesetzt
und nicht erneut durch eine ausführliche Zusammenstellung der bekannten, überzeugenden Argumente nachgewiesen.4 Letzterer Wunsch dagegen, entscheidend auch für die Frage nach der In tention des Stückes, verlangt eingehendere Betrachtung, da sich die Inter preten diesen heute weitgehend erfüllt zu haben scheinen. Der Streit um die Datierung gilt den meisten mit ebenso verblüffender Sicherheit wie Einmü tigkeit als "mittlerweile zugunsten der frühen flavischen Zeit entschieden" .s Vorsichtige Äußerungen, wie sie angesichts der dürftigen Beweislage unbe dingt zu erwarten wären, sind demgegenüber viel zu selten zu hören und verhallen ohne rechte Beachtung.6 Mit großer Zuversicht wird stattdessen 4
Zu Recht verwiesen wird Ublicherweise auf das "kumulative Gewicht der Argumente" (Schmidt [1985] S.l423, zuvor Carbone [1977] S.49 "the existence of several such refe rences" mit der zuletzt ausführlichsten Diskussion; vgl. zudem Kragelund [1982] S.36 "arguments [...] overwhelming", Williarns [1994] S.l92 Anm.7 "The weight of scholarly opinion"): - die geteilte Überlieferung (die 'Octavia' fehlt im Etruscus), - sprachlich-stilistische und metrische Differenzen, - chronologische Probleme mit den Prophezeiungen Agrippinas und Poppaeas, die sich bei einer Abfassung auch unmittelbar vor Senecas Tod 65 n. Chr. ergeben wUrden (Anspielungen auf die Ermordung von Poppaea, Crispinus 65/66 n. Chr., die Partber Gesandtschaft mit dem Besuch des Tiridates 66 n. Chr., Nems Selbstmord 68 n. Chr. und vielleicht auch der anschließende BUrgerkrieg [V.982 ciuis gaudet Roma cruore], der Aufstand des Vindex [V.255 !orsitan uindex deus, 596 uindex manus]). - Senecas Auftritt in einem eigenen StUck als frUher ebenfalls Ubliches Gegenargument ist jedoch längst durch Verweis auf die praetexta des Balbus widerlegt; deren neue Zuweisung an den Schauspieler Herennius Gallus als Autor durch Kragelund (2002) S.29 bleibt reine Spekulation. S Schubert (1998) S.254f., doch selbst mit berechtigter Skepsis, siehe u. S.\3. 6 Helm (1934) S.323 ,,Die Frage [...] nach der Abfassungszeit [...] wird kaum zu einem alle Ubeneugenden Abschluß gelangen", Carbone (1977) S.66 "it is impossible to determine what lengtb of time elapsed between Nero's death and the writing of tbe drama. Reliable evidence is lacking, and attempts to bring down the terminus post have proved unconvin-
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immer wieder ein möglichst frühes Abfassungsdatum postuliert und z.T. be reits wie selbstverständlich als Ausgangspunkt für eigene Interpretation vor ausgesetzt, so wenn z.B. Sallmann in seiner Analyse der 'Octavia' als Ge schichtsdrama die Problematik diskutiert, einen historiographisch noch nicht ftxierten Stoff zu dramatisieren, wenn Wesolowska ein Bild des historischen Seneca zeichnet oder wenn Manuwald für ihre Untersuchung der Gattung in der engen Nähe von Abfassungszeit und dargestellter Zeit ein Verhältnis er kennt, "wie es in republikanischen Praetexten häufiger vorkommt" .1 Der Trend der Forschung geht dabei zur größtmöglichen Zeitnähe. War man nämlich früher mit eher allgemeineren Worten für eine flavische bzw. friihflavische Entstehungszeit unter Vespasian bald nach Neros Tod einge treten,8 sucht man neuerdings mit Barnes und Kragelund sogar direkt die kurze Phase des Überganges unter Galba mit den letzten Monaten des Jahres
68 bis zum Beginn 69 n. ehr. als präzises Datum zu bestimmen ("strong reasons", vgl. Kragelund).9 Wenn freilich Wiseman, eine wissenschaftlich cing", Manuwald (2001) S.337 "Noch immer ist keine c(}mmunis (}pini() erreicht, da keine objektiven, eindeutigen Tatsachen vorliegen", Harrison (2003) S.125 "In the end, the date and authorship of the Octavia can never be resolved, and perhaps are meant never to be". 7 Sallmann (1998) S.32f . ,,Die Schwierigkeit, ein geschichtliches Ereignis zu dramatisieren, das noch gar nicht in der Geschichtsschreibung verarbeitet war. [...] Die Schwierigkeit des geringen zeitlichen Abstandes vom Stofr" Wesolowska (1998) S.286ff. "An image of the Roman philosopher presented here, is very fresh, for it was created several years after Seneca's suicide. One may presume that the unknown author knew Seneca and Nero [.. .]. A representative play of the new epoch connected with the F1avian dynasty [. ..] more in teresting as a work of literature, and more valuable as an historical document", Manu wald (2001) S.262 "Der dramatisierte Abschnitt [ ...] ist [ . ..] die unmittelbare Zeitge schichte" . 8 Vgl. z.B. die Urteile von Keith (1991) S.76 "Conventionally dated soon after Nero's death", Manuwald (2001) S.262 "nach der heute weithin vertretenen Meinung [ ...]" mit einem LiteraturUberblick S.337 Anm.l67; vgl. im Einzelnen mit nachdrUcklicher Beto nung einer möglichst frilhen flavischen Entstehungszeit z.B. BUcheIer (1872), Ladek (1891), Chickering (1910), Lucas (1921), Baehrens (1923), Hemnann (1924), Enk (1926), Tomni (1934), Marchesi (1944), Bruder (1958), Mattingly (1959), Herington (1961), Runchina (1964), Trillitzsch (1971), Rawson (1975), Royo (1983), Griffin (1984), Tanner (1985), Zwierlein (1986), Petersmann (199\), Koster (1994), Holzrrall ner (1995), KiBI (1998), Liberman (1998), Sallmann (1998), Junge (1999), Mazzoli (2000), Stärk (2000), Seita (2001), Boyle (2003), Smith (2003). 9 Für ein Abfassungsdatum unter Galba vgl. Bames (1982), Kragelund (1982, 1988, 2000 [das Zitat S.502], 2002), Sullivan (1985), Habinek (2000), Wiseman (2001), F10wer (2002), Ballaira (2002). Die Argumentation von Bames, Kragelund bestätigt Tschiedel (1995) S.404 Anm.3 "mit beachtlichen Argumenten"; gegen ein derart frühes Datum je doch ausdrUcklich Poe (1989) S.439 Anm.24 "in the highest degree speculative", Junge (1999) S.l99 "läßt sich [ ...] nicht zwingend erweisen und liegt im Hinblick darauf, daß der Dichter sich an einigen Stellen offenbar auf eine schriftliche Quelle stUtzt, nicht ein-
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ausgewiesene Persönlichkeit, von einer Aufführung im Marcellus-Theater in Anwesenheit Galbas bei der Eröffnung der Plebejischen Spiele am
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n. ehr. spricht, so ist dies eine durch keinerlei Beleg gestützte Spekulation, die überdies mit erschreckendem Selbstbewusstsein vorgetragen und ernst haft nicht mehr zu diskutieren ist.tO Denn ist man ehrlich, bleibt es für die zumeist postulierte Frühdatierung, sei es unter Galba, sei es unter Vespa sian, bei einem zwar verständlichen, aber letztlich eben nach wie vor unbe wiesenen Wunsch heutiger Gelehrter, wie die Zusammenstellung der bislang vorgebrachten, zu selten aber auch wirklich insgesamt dokumentierten, durchdachten Argumente und Stimmen für den unbefangenen Interpreten ergeben muss - eine Ergänzung zu den jüngsten, mit gegensätzlichem Er gebnis urteilenden Beiträgen von Junge
(1999) und Ferri ( 2003):
Als Indizien fUr eine Entstehung 68/69 n. Chr. noch unter Galba gelten: Die auffällig betonte, geradezu ideologisch idealisierte Rolle des populu.< Romanu.< mit Entsprechungen zur popularen liberta .•-Propaganda Galbas, wie sie durch seine Münz prägungen bezeugt wird (populu.<, uictoria populi Romani, res publica, libertas): Kra gelund (1982) S.42ff. "The picture of the revolt against Nero [ ...] differs on the one hand so strongly from the politics and propaganda of Otho and Vitellius while on the other corresponding so closely to the propaganda of Galba and Vespasian [. ..] a strong case in favour of arguing that the play was written under the influence, and perhaps as part, of the propaganda [.. .] aspects of the play which would be highly unusual [.. .] but not, appa rently, in the short period after the fall of Nero: [.. .] Idealization of the Populu.• Romanus and the emphasis on Nero's hatred of it . The idealization of republican revolts and revo lutionaries. The millenial hopes for Rome's rebirth". Er muss ähnlich populare Motive wie fUr Galba auch fUr Vespasian mit Rückgriff auf dessen Propaganda und Parallelen selbst für Nerva einräumen ([1988] S.505), plädiert jedoch für den flilheren Ansatz we gen mijglicher Desillusionierung durch das Vierkaisetjahr und fehlende Anspielungen auf "avengers from East". Seine Argumentation wird bestätigt von Zwierlein (1986) S.445, Junge (1999) S.199.
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mal besonders nahe", skeptisch ebenfalls Seita (2001) S .18 Anm.64. FUr einen etwas er weiterten Zeitraum 68/69 bis höchstens 71 n. Chr . vgl. GalimbertilRamelli (2002) S.72 "molto probabi1mente fra il 68 e iI 69", Sordi (2002). FUr eine Datierung unter Otho vgl. Ciafli (1937), Cizek (1972), Hind (1972) mit der be rechtigten Ablehnung durch Kragelund (1988) S.504 Anm.51 "highly unlikely to be true", (2000) S .502 Anm.52 "a priori unlikely to be correct" wegen Othos wie Vitellius' Auf treten als Nachfolger Neros und z.B. die Restitution der Statuen Poppaeas. Für eine noch flilhere Arbeit am StUck vgl. Lounsbury (1986) S.515 Anm.42 "perhaps conceived and begun under Nero, it was likely completed and published under Vespasian". Wiseman (2001) S.10ff., 23 "If you disagree with my hypothesis [ ...], it won't be enough just to say 'it's only speculation'; it depends on evidence and argument, and to refute it other evidence or better arguments will be needed". Aber hat Wiseman selbst Gegenar gumente auch nur im Ansatz beachtet? Skeptisch bereits Wilson (2003) S.4ff. "Few would accept unreservedly [ ...]".
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Dagegen jedoch Schubert ( 1 998) S .289 Anm . 1 35 "interessant, läßt sich aber [ . . .] als op positionelles Aufgreifen der Ideologie Galbas gegen die FrUhdatierung verwenden" , Ferri (2003a) S .6ff. mit Verweis auf libertas-Propaganda auch bei Vespasian, Nerva, Trajan und auf die nur die Rettung von Octavia anstrebende Aktion des Volkes ohne echt rebel lische Motivation ("The praetexta is remarkably vague and non-committal [ . . .] . No traces of the so-called Senatorial opposition under Vespasian [ . . . ]") . Römische WUnsche nach der libertas populi sind in der Tat unter den Kaisern zeitlos und nicht notwendig Indiz für eine Datierung speziell 68/69 n. Chr. Wie sonst hälle der anonyme Verfasser einen Auf stand des Volkes inszenieren sollen? Die Anonymität und teilweise freundliche Zeichnung des popularen , von dementia be stimmten Präfekten als gezielte, indirekte Apologie für den unter Nero gefürchteten, aber noch nach diesem einflussreichen , von Galba protegierten Tigellinus , dessen Selbsbnord bald nach dem 1 5 . 1 .69 als terminus ante und "important, if indirect clue to the precise ti me of writing" in den letzten Monaten 68 n. Chr. gewertet wird: Bames ( 1 982) S .2 1 6f., Kragelund ( 1 988) S .50 1 , (2002) S . 1 0 1 Anm .23 8 . Vgl . auch S ullivan ( 1 985) S .72 "The author [ . . . ] is a cautious man . He deliberately obfuscates the identity [ . . . ] . The playwrigth [ . . .] was not yet prepared to put his money on the continuing success of Galba". Berechtigte Bedenken äußern Holztratlner ( 1 995) S . 1 07f. Anm .41 9, Junge ( 1 999) S .2 1 2 , ob das Publikum eine namenlose Figur, deren Charakterisierung nicht voll dem histori schen Tigellinus entspricht, mit diesem hälle identifizieren wollen und ob es "so kurz nach den Ereignissen eine derartige Apologie' hälle akzeptieren können" , Ferri (2003a) S .9 mit durch Tac .hist . l ,72 , Plut. Otho 2 , 1 gestUtzten Zweifeln am tatsächlichen Fortbeste hen von Macht und Einfluss des Tigellinus . Vgl . auch bereits Vater ( 1 853), Santoro ( 1 9 1 2/ 1 7) und z.B . VUrtheim ( 1 909) S .9f. "Credisne Romanos, [ . . . ], in scena tulisse tale monstrum eis to kalon depictum?" als genau umgekehrtes Argument fUr eine Spätdatie rung; siehe zudem u. S .29ff. •
Die zurückhaltend-positive Charakterisierung Poppaeas als Beleg für "pro-Galban propa ganda": Goldberg (2003) S . 2 1 Anm . 1 8 ; die positive Darstellung Messalinas: fUr Bames ( 1 982) S .2 1 6 nach 70 n. Chr. und dem Einsetzen echter geschichtlicher Aufarbeitung nicht mehr möglich . Dagegen bereits Schubert ( 1 998) S .289 Anm . 1 35 "durchaus nicht rein positiv" , Ferri (2003a) S .8 "the only sympathetic remarks [ . . . ] ullered by her daugh ter" mit korrekter Beachtung von V.260 nupta demen.r nupsit ince.rta face, 536 incesta genetrix als Beleg fUr eine durchaus kritische Tradition als Grundlage. Das durch politische Klugheit des Dramatikers bedingte Fehlen einer Anspielung auf Poppaeas ersten Ehemann V .73 1 , den Galba-Anhänger und immerhin späteren römischen Kurzkaiser Otho ("A poet writing after April 69 would surely not have ignored the dra matic possibilities [ . . .]"): Bames ( 1 982) S .2 1 6, Kragelund ( 1 982) S .6 1 , Sullivan ( 1 985) S .67f. Zu Recht betont wird dagegen mehrfach , dass solches - ohne jede Funktion für das StUck - ohnehin nicht zu erwarten ist, da Otho anders als Crispinus kein Opfer Neros war und mit den dramatischen Ereignissen keinerlei Verbindungen hat; vgl . Carbone ( 1 977) S .66f., Schmidt ( 1 985) S . 1 449 , Zwierlein ( 1 986) S .445 , Poe ( 1 989) S .439 Anm.24, Schubert ( 1 998) S .289 Anm . 1 35 , Junge ( 1 999) S . 1 80f. Ebenfalls dagegen Ferri (2oo3a) S .8f. , doch mit anderer Argumentation: die Heirat mit Otho als Neronische Fiktion gemäß S ueton , Plutarch gegen Tacitus und damit erst recht ohne Relevanz für das StUck. Das Fehlen einer Anspielung auf den BUrgerkrieg, flavischen Sieg und Propaganda etwa nach dem Muster SiI .3 ,5 7 1 ff. ("puzzling absence"): Kragelund ( 1 988) S .504 Anm .64, (2000) S .502 Anm .5 1 ; anders jedoch selbst Bames ( 1 982) S .2 1 7 mit Verweis auf V .982;
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fIIr Schubert ( 1 998) S .265 Anm .4 1 ist V .279 ein "leiser Hinweis" . Letzteres, d.h. ein po sitiver Ausblick auf eine glückliche flavische Gegenwart, ist wegen der düsteren Ge samtstimmung nicht zu erwarten und unabhängig von der Frage der Datierung fIIr eine Tragödie auch kaum nötig. Als Indizien filr eine Entstehung in den 70er Jahren unter Vespasian gelten: "Inhaltliche Kriterien" und "eigene Erinnerung" (Junge [ 1 999] S . 1 97 "aus eigener An schauung mit der Zeit vertraut [ . . . ], über die er schreibt"), "sonst nicht nachweisbare Ein zelheiten" (Manuwald [200 1 ] S .337; vgl . zuvor z .B. Ladek [ 1 905] , Enk [ 1 926] ) . Immer wieder hervorgehoben wird das genaue, auch beim Publikum vorausgesetzte Wissen des Dichters, das wie selbstverständlich zu spUren, nicht aber gekilnstelt und um mit Gelehr samkeit zu prunken, eingesetzt sei . So ist die 'Octavia' einzige Quelle fIIr folgende, sonst nicht belegte Details: - V . 1 70ff. Agrippinas Teilnahme an der Bestattung des Britannicus, - V . 1 96f. Actes monumenta mit der Formulierung quibus timorem testatur. Einem späteren Autor sei der Grund filr die Errichtung nicht mehr bekannt gewesen , denn es sei "unwahrscheinlich , daß überhaupt eine schriftliche historische Quelle [ ... ] über ei ne Begebenheit von so geringer Bedeutung berichtet" hätte, so Junge ( 1 999) S . 1 97 . Aber kann nicht der Verfasser das Denkmal aus eigener Autopsie kennen, kann er nicht Actes Angst aus dramatischen Gründen als Motiv selbst erfunden haben? Ferri (2003a) S . 1 4f. denkt an "a reference to written accounls weil known at the time" . - V .590ff. das Warten auf Poppaeas Schwangerschaft vor der Heirat, - V .609ff. die damnatio memoriae Agrippinas durch Zerstörung ihrer Standbilder, - V .729f. das indirekte Todesdatum von Poppaeas Sohn . Sutton [ 1 983] S .6 Anm .4 würdigt Detailkenntnisse bezüglich der Ermordung der beiden Juliae . Für Schubert ( 1 998) S .277 Anm .89 beruht die Schilderung der öffentlichen Zere monie bei Poppaeas Hochzeit V.698ff. "möglicherweise auf eigener Erfahrung des Au tors". Goldberg (2003) S .22f. spekuliert , ob Actes Weihung an Ceres mit Plänen der Pi sonischen Verschwörer zusammenhängt, an den ludi Ceriale.f anzugreifen . Verlangt wird , dass ein Dichter des 213 . Jahrhunderts V . 1 05ff. mit dem unklaren Bezug der famula (ActelPoppaea?) hätte deutlicher formulieren müssen , dass nur ein Augenzeu ge die Freiheit gehabt haben dürfte, "seine Quelle so völlig abzuwandeln" , so Junge ( 1 999) S . 1 9O . Kragelund ( 1 988) S .504 Anm .50 stört eine "bewildering tendency to defer the introduction of proper names" . Besonders beachtet wird daneben die korrekte Verwendung der Titulaturen: domus Au gusla statt im 2. Jahrhundert üblichem domus diuina, Claudius als diuus, Agrippina, nicht aber Octavia als Augusta, Nero als pater patriae; vgl . Nordmeyer ( 1 893) S .289ff. , Sutton ( 1 983) S .6 Anm .4, Zwierlein ( 1 986) S .445 f., Kragelund ( 1 988) S .504, Junge ( 1 999) S . 1 98f. Skeptisch dagegen Ferri (2003a) S .29f. "could be explained on a purely antiqua rian basis [ . . . ). Having access to well-informed sources [ . . . )" . Junge ( 1 999) S .237 verweist zusätzlich auf das Fehlen von Belegen für diuus pater und sieht einen Zusammenhang zur COnSIl<.Tation Vespasians unter Titus (ein Hinweis gegen die frühflavische Datierung oder eine eigenständige Bildung aus dem filr Claudius übli chen Attribut diuus?) . Der passende literarische Hintergrund mit den Dramen des Persius und Curiatius Mater nus als zeitlichem Rahmen, vgl . z.B . Ladek ( 1 89 1 ) S .94 "F1aviorum aetate fabulas prae textas confectas [ . . .] , id quod de posterioribus temporibus non constat" , Chickering ( 1 9 1 0) S .84 "The writing of Praetextae flourished in this epoch" , Herington ( 1 9 6 1 ) S .27f.
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Jan-Wilhelm Beck "a Silver Latin fashion for historical plays , which lasted not longer than a generation". Angesichts unseres dürftigen Überlieferungsbefundes ist auf solche Weise jedoch kein wirkliches Argumentieren möglich. Der passende zeitliche Hintergrund und die dafUr erschlossene Intention der ' Octavia' mit antineronischer Tendenz, ja unverhUlltem Hass auf den ehemaligen Kaiser (siehe u . Anm.44) , und damit korrespondierend einer Verteidigung Senecas in einer Periode der allgemeinen Aufarbeitung , Abrechnung und folglich auch Kritik gegen dessen Passivität (siehe u. Anm .32) bzw . andererseits in einer Zeit noch aktueller Bewunderung (siehe u . Anm . 1 7 , 2 9 ; vgl . z .B . Junge [ 1 999] S .273 "Entstehung [ ...] nicht allzu lange nach Sene cas Tod. [ . . .] ein so eifriger Nachahmer am ehesten in den ersten zwei bis drei Jahrzehn ten nach dessen Tod denkbar" , Kragelund [2000] S .502 "the philosopher' s fame was pro bably never so high as in the decades immediately after his death"). Besonders betont wird zudem die Treue des Verfassers zum julisch-e1audischen Haus (z.B . Chickering [ 1 9 10] S .83f. "The feeling of the times - pride in the conquest of Britain by Claudius , hatred of Nero [ . . . ]; regret at the complete destruction of the House of Claudius, and sympathy for [ ... ] Octavia; doubt and fear as to the future [ ... ] - all are the re", Griffin [ 1 984] S .260 Anm .2 "the sympathy for Claudius and his children [ . . . ] sympa thetic attitude to Messalina" , Kragelund [ 1 988] S .504 "sympathy for the tyrant's exiled opponents") und das damit korrespondierende Streben Vespasians nach dynastischer Kontinuität und so eigener Legitimität gegen die von Octavia ebenfalls beklagte Identität Neros als insitiuus. Doch wie entsprechende Annahmen zu einem geeigneten Kontext auch in spätflavischer Zeit zeigen (CUr Schubert [ 1 998] S .286ff., Fern [2oo3a] S . 1 6 ein denkbarer Hintergrund bis in die Zeit Domitians) , bleibt solches Spekulation und ist die Folge aus, kein BelegjUr eine bestimmte Datierung.
Gestützt auf derartige Indizien wird in der Sekundärliteratur als wichtig stes Argument für einen frühen Ansatz in ähnlicher Formulierung immer wieder die Notwendigkeit der Zeitnähe betont - der anonyme Autor als be stens informierter Zeitgenosse und unbedingter Zeitzeuge , der nur so eine dermaßen lebensnahe , von frischem, lebendigem Hass gegen Nero geprägte Darstellung habe geben können (recentibus odiis; so z.B. explizit Krage lund): Vgl . z.B . Ladek ( 1 89 1 ) S .47 "necessarium videtur [ ..] auctorem ipsum Neronis tempora vidisse" , Nordmeyer ( 1 893) S .3 1 2 "tantam scientiam aetatis Neroneae produnt , ut mihi quidem iam vixisse poeta sub Nerone videatur, vidisse eius scelera, arsisse odio tyranni", Chickering ( 1 9 1 0) S .84 "The vivid picturing [ . . . ] can hardly have been possible except for one who had his facts at first hand" , Walker ( 1 957) S . 1 65 "the text seems to assurne in reader or Iistener a fairly e10se knowledge of persons and events of that period [ ... ]. The incentive to write [ . . .] would certainly be strongest for a contemporary [ ... ] Seneca and the author [ . . .] the two writers Iived in the same mental c1imate and thought within the same boundaries" , Herington ( 1 96 1 ) S .29 "a near-contemporary witness [ . . .] nearer to the events he describes than any of the extant historians , and very Iikely Iived through them hirnself. [ . . . ] he does not write Iike a man disengaged from the events, or from the people" , Bames ( 1 982) S .2 1 6 "e1early familiar [ . . .] at first hand" , Holztrattner ( 1 995) S . 1 06 "daß der Autor in einem relativen Nahverhältnis zum Hof Neros und zu Seneca .
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stand, hat einiges fllr sich [...] persönliche Betroffenheit Uber das Geschehene. Ein Ansatz [ ...] nach Tacitus, im 2. Jahrhundert, ist sowohl von der Wahl des Themas als auch von der spUrbaren persiinlichen Betroffenheit des Autors her unwahrscheinlich", Junge (1999) S.l99 "persönliche Betroffenheit des Dichters, [...] sein Haß auf Nero noch sehr frisch [...]. Er scheint das Beschriebene als Zeitgenosse miterIebt zu haben und aus dem Fundus seiner Kenntnisse das Kolorit für seine Darstellung zu schöpfen", Kragelund (2000) S.502 "the drarna belongs to the group of texts written recentibu.r odiis, soon after Neros' fall, while hatred was fresh and people still eager to manifest their pietas towards the tyrant's victims", F10wer (2002) S.71 "on a stage in Rome in the last months of 68, evoked Nero's vivid stage presence [... ]. The ghost of Nero in the theater apparently needed to be put to rest, even as Nero had made the dead Poppaea appear on stage. Perhaps a mask that had originally been worn by Nero hirnself was used for this performance?", Goldberg (2003) S.20ff. "possibly an eyewitness, probably a contemporary, and certainly no less than a near contemporary saw the last years of the Julio-Claudian principate. [ ...] portrait of Nero [...] produced by someone very Iike a contemporary".
Angesichts derart zahlreich und sicher vorgetragener Überzeugung mag es schwer fallen , ein abweichendes eigenes Urteil zu vertreten. So fmdet sich Skepsis gegen den frühflavischen Ansatz unter Vespasian in der frühe ren Forschung lediglich vereinzelt, ist jedoch nach der lange missachteten Deutung von Helm unlängst durch Schubert und Ferri erneut mit einer auf die spätflavische Zeit, d .h . Domitian , weisenden Argumentation vertreten , auch wenn das Stück für Ersteren ebenfalls "die reiche Kenntnis des Augen zeugen verrät" .11 Als Indizien fUr eine späte Datierung in die 80er/90er Jahre n. Chr. werden diskutiert: Geschichtliche Verzerrungen, Anachronismen, WidersprUche, die von noch lebenden Zeitgenossen erkannt und abgelehnt worden wären: Vgl. vor allem Helm (1934) S.343ff. "was sich n. m. A. aus den Abweichungen von der historischen Wahrheit zweifellos er gibt, daß das StUck in geraumem Zeitabstand von den geschilderten Ereignissen selber gedichtet ist. [ ...] Die Octavia braucht nicht das Werk eines unmittelbaren Zeitgenossen gewesen zu sein; im Gegenteil, sie setzt einen bestimmten Zeitraum nach den zugrunde liegenden Ereignissen als verflossen voraus, welcher die Entwicklung der Legende über Vorgänge aus Neros Regierung zum Abschluß brachte und dem Dichter ermöglichte, von der Wahrheit abzuweichen." Dagegen z.B. Carbone (1977) S.66 "not cogent. [...] a work of art rather than a history text [... ] poetic truth rather than historical truth" mit Vergleich mit den 'Persern' des Aischylos, der ebenfalls innerhalb einer Dekade selbstbewusst ge nug war, historische Fakten nach Belieben zu ändern. Siehe hier.!u u. S.35 mit Anm.52. Die Wiederkehr bestimmter Motive: Etwa dass sich Agrippinas Bild von Nero als BUßer in der Unterwelt bei Statius und Martial wiederfinde, ist fUr Schubert (1998) S.275 "deut licher Hinweis auf das flavische Milieu unseres Dichters". Nordmeyer (1893) S.3IOf. 11
Nordmeyer (1893) S.310 "Caveamus [...], ne nimis longe eam ab anno 81 removeamus", Helm (1934) S.345 "erste Hälfte der neunziger Jahre", Pedroli (1954) 79-81 n. Chr., Schubert (1998 [das Zitat S.451]), Ferri (2003a), bestätigend angekündigt von Tarrant (2002) S.79 Anm.l67 "strong arguments".
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Jan-Wilhelm Beck verweist darauf, dass allein Juvenal, nicht aber Statius, Martial den Tod Octavias erwäh nen; von Hadrian an sei die Erinnerung an sie geschwunden. Die sprachliche, z.T. gedankliche Nähe zu Statius: Helm (1934) S.343ff. mit Verweis u.a. auf zunehmenden Gebrauch von attonitus, saeuus,jeru., auch bei Statius sowie unlängst wieder ausfUhrlich Ferri (2003a) S.l7ff. "echoes [ ...] concentrated in the ornamental and descriptive sections" (z.B. silv.l ,2,130ff., 262ff., 1.3,27f., 3,4,\3ff. als Inspiration f1lr V.20Hf., 693ff., 762ff.; für weitere Bezüge vgl. S.26 Anm.60). Statius als namhafter Dichter gilt ihm mit größerer Wahrscheinlichkeit als im umgekehrten Fall als Vorlage, dessen durch Mart.6,21 auf 89/90 n. Chr. datierbare, dem 'Octavia'-Dichter "possibly" noch vor einer Publikation in den 'Silvae' einzeln bekannt gewordene Hochzeitsschilde rung ergibt f1lr ihn sogar einen präzisen terminus post . Vgl. andererseits die Kommentare mit Verweis auf silv.5,I,154 zur Rechtfertigung von Birts Konjektur zu V.696 wie z.B. Whitman (1978) S.l08 "who seems to know the Octavia". Abgesehen davon, dass die seit langem diskutierten Bezüge zu vage, zu unbestimmt blei ben, um eine notwendige Abhängigkeit zu beweisen (vgl. z.B. skeptisch Junge [1999] S.281 Anm.904 mit Literatur), ist selbst im positiven Fall keine Entstehung in derselben spätflavischen Zeit erwiesen. Literarische Einflüsse sind noch lange nach dem Tod des Statius denkbar. Und sonstige einzelne Erwähnungen bei den wenigen uns noch erhalte nen Dichtem sind zu wenig aussagekräftig, um damit echte zeitliche Grenzen selzen zu können. Die Entwicklung von Neros "panegyrischem Bild" als "eindeutigstes Indiz für Spätdatie rung": Schuber! (1998) S.287ff. sieht Nero bei Autoren z. Zt. Vespasians, Plinius und F1avius Josephus, nur als historische Persönlichkeit behandelt, eine hiihere Stufe der Ver arbeitung aber erst seit Mamal und Juvenal (,,Nero [...] als Exempel und wesensmäßige Verkiirperung dieses Systems auf die BUhne zu bringen, scheint einen gedanklichen Ab stand von der konkreten Erfahrung des WUtens vorauszusetzen, der frühestens unter Ti tus, eher erst unter Domitian erreicht sein konnte"). Er verweist ferner auf den erst bei Statius, Mamal üblichen Vergleich Neros mit Juppiter, während in zeitgenössischer Pa negyrik bei Lucan, Calpumius Siculus Bezüge auf Apollo im Vordergrund standen (,,Das Publikum wird dies kaum anders als einen Fingen:eig darauf, den amtierenden dominus et deus in die fundamentale Kritik mit einzubeziehen, verstanden haben können"). Bereits selbst muss er allerdings einschränken, dass ein frilher Ansatz "grundsätzlich denkbar" bleibe - die Juppiter-Panegyrik als "geistige Abhängigkeit von augusteischen Vorbildern" ("dann wäre dem Dichter die prinzipatskritische Deutungsvariante wider Willen in den Text geraten"). Ein wirkliches Argument f1lr die eine oder andere Datierungsvariante ist folglich auch hieraus nicht zu gewinnen. Alle Arten von Gleichsetzung mit Gottheiten sind nicht mehr als Ausdruck üblicher Mythisierung und durch die jeweilige Funktion bzw. Gattung er klärbar: Vergleiche mit Apollo sind wegen des musischen Interesses von Nero und die entsprechende Prooemienpanegyrik bedingt (der Kaiser als Schutzgott und Muse); Neros Identifizierung mit Juppiter liegt wegen der Geschwisterehe für ein Drama über seine ehelichen Probleme nahe. Die Anlage des Stückes und die Verarbeitung historischer Fakten, d.h. die Abfolge der Ereignisse in genauer Übereinstimmung mit historiographischer Tradition, so die drama tisch nicht notwendige Einbeziehung der Ennordung von Plautus und Sulla ebenso wie Anspielungen auf den Kometen von 60 n. Chr., den Brand Roms und das Goldene Haus (,.replete with dramatically unnecessary facts") neben WidersprUchlichkeiten V.54ff., 107, 174 als Beleg fUr schriftliche Quellen ("method of a poet [ ...] overwhelmed by the bulk of information at his disposal [.. .] at times [ ..] at the expense of c1arity and internal consi.
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stency"; "lack of cohesion"); die Publikation der Geschichtswerke des Plinius, Cluvius Rufus, Fabius Rusticus als terminu., po.,t: Ferri (1998) S.342f. Anm.7, (2003a) S.9ff. "There is nothing in the play incontrovertibly suggesting that the author had witnessed the events hirnself. [...] consideration of the play's slructure strongly suggests that it was composed by someone who worked from wrilten sources. [.. ] In Octavia the tradition associated with Nero's atrocities has already taken its final form. [...] even a contempo rary witness would have found it difficult to write a historical play solely on the score of a personal mixture of rumours and vague recollections [...]. A certain lack of strict rele vance to the dramatic plot can be observed in the accumulation of details [ ...] the narrati ve rhythm of a sequence of 'chapters' in a book [...] can be recognized". Die alte Annahme von Helm (1934) S.326 ("Mir erscheint es vollkommen ausgeschlos sen, daß jemand auf diese Verknüpfung der Ereignisse kam [Plautus, Sulla], wenn ihm nicht eine literarische Quelle dies nahelegte"), von Ferri um weitere Belege erweitert, ist m.E. sehr naheliegend und scheint eine wertvolle Erklärung für gewisse Eigenheiten in der Kompositionsweise des Dramas zu bieten. Gegen Ferri ist jedoch nicht lediglich eine Vorlage kapitelweise nachgeschrieben. Plautus und Sulla erfahren zwar in der Tat keine weitere Berücksichtigung im Drama (S.l 3ff.), der Multermord an Agrippina ist ebenfalls ein nach historischer Vorlage gestaltetes Detail (S.l5), doch in beiden Fällen ist der ge zielte Einsatz, d.h. ihre Funktion fUr die negative Charakterisierung Neros übersehen. Vgl. im Übrigen auch schon Schmidt (1985) S.l439 zur evtl. durch eine entsprechende szenische Abfolge in einer historiographischen Vorlage bedingten Einbeziehung Senecas. .
Vgl. jedoch gegen die Annahme ausgearbeiteter Quellen Kragelund (1988) S.506f. mit Verweis auf eine üblicherweise hektische literarische Produktion in Zeiten des Umbruchs (z.B. die rasche Neuedition des Cremutius Cordus durch Marcia, erste Angriffe gegen Eprius Marcellus durch Helvidius Priscus schon unter Galba, die Rehabilitation des Paris durch Martial bald nach Nervas Regierungsantrilt): "rumours, ballads, libelli, abusive proc1amations, imperial edicts [...]. Much Iike the Senecan Apocolocynto.,is and the Tacitean Agricola the Octavia could weil be the representative of one of these periods in Roman literat ure when hatred and pietas were given free reign". Der passende zeitliche Hintergrund und die dafUr erschlossene Intention der 'Octavia' mit politisch-regimekritischen Tendenzen als latente Kritik an Domitian: Vgl. zuletzt vor al lem Schubert (1998), Ferri (2oo3a); siehe u. S.39f. Helm (1934) S.345f. verweist auf die in dieser Zeit "abschätzige Beurteilung Neros" und erklärt das Fehlen von Hinweisen auf dessen "künstlerisches Dilettantentum" mit Domitians eigenen poetischen Versuchen. Doch wie entsprechende Annahmen zu einem geeigneten Kontext auch in frUhflavischer Zeit zeigen, bleibt solches Spekulation und ist die Folge aus, kein Beleg für eine be stimmte Datierung.
Als zusätzliche Hilfe für eine zeitliche Abgrenzung zieht man gewöhn lich Tacitus und besser noch Quintilian heran und ist überzeugt, so die frü hen 90er Jahre mit der Publikation der ' Institutio oratoria ' als einen präzisen terminus ante gefunden zu haben: Wenn eine rhetorische Autorität wie Quint.inst.l0,I,125-\31 Senecas Art zu schreiben ablehnt, als vergangen ansieht (tum autem solus hic fere in manibus adolescentium fuit) und damit einen stilistischen Wandel fUr seine Zeit zumindest bezeugt, vielleicht sogar selbst einleitet, wie ihn spätere Zeugnisse ebenfalls erkennen lassen (Tac.ann.l3,3,I, Fronto p.l53, GeIl.l2,2), will man hier fast einstimmig einen notwendigen Beleg für eine
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zeitliche Obergrenze sehen: Vgl. z.B. Ladek (1891) S.75, Nordmeyer (1893) S.288f., Kragelund (1982) S.41, Sulton (1983) S.2; exemplarisch zitiert seien Chickering (1910) S.84 "Interest in Seneca and his school persisted only a few years after his death", He rington (1961) S.27ff. "the extreme limit at a generation after [...). By the nineties [...) the craze was over. [...] completely outdated [...] hardly [ ...] later than about AD. 90", Griffin (1984) S.lOO "A more compelling argument [...], for by the reign of Domitian [ . .]", Junge (1999) S.273f. "Wenngleich Seneca-Imitation grundsätzlich auch in nachfla vischer Zeit möglich ist, wäre bei einem nach Tacitus schreibenden Dichter nur schwerlich noch eine so völlige Aneignung des Stiles [ ..) anzunehmen, recht unwahrscheinlich ist diese schon bei einem Dichter, der nach dem Erscheinen von Quintilians Institutio ge schrieben hätte". Dazu siehe aber u. S.22. .
.
Die Beziehungen zwischen dem 'Octavia'-Dichter und den erhaltenen historischen Quel len, vor allem Tacitus ann.l4,59ff., aber auch Sueton und Cassius Dio, werden seit lan gem und mit gegensätzlichen Ergebnissen untersucht. Eine mögliche Abhängigkeit des Tacitus sehen z.B. Hemnann (1924), Enk (1926), Ciaffi (1937), Pedroli (1954), Whitman (1978), HolztraUner (1995), Schubert (1998) und mit wieder ausführlicherer Untersu chung Ferri (1998) S.343ff., der Octavias abschließende Verbannung aus Rom mit dem mitleidenden Chor als Vorbild für eine entsprechende Taciteische 'Chorszene' (die Ab filhrung der bereits in ihre Einsamkeit Verbannten vor Zuschauern sei ohne "historical plausibility") und melodramatische Elemente in der Taciteischen Charakterisierung Octa vias hervorhebt (angeregt angeblich durch V.23f., 102ff., 653ff.: "Tacitus decided to re write this scene with the eyes of a poet combining [...] with the rhetorical colors of the playwright"). Vgl. ferner jUngst Billot (2003) S.l4Of. mit allgemeiner Bestätigung Ferris, doch zugleich Annahme eines zwar engstens vertrauten, aber kreativeren, kritischen, un abhängigen Tacitus mit durch gesuchte Kontrastierung offenbartem, notwendigem "de tailed knowledge": "Tacitus responds [...). The overall impression is of a series of con trasts arranged too systematically to be accidental. Such a system is more consistent with a direct response [...] consistent counterinterpretation [...]. Tacitus' Annab 14 is, in part, a rewriting of the Octavia"; gegen Ferri ebenfalls die Unabhängigkeit von Tacitus beto nend Kragelund (2002) S.50 Anm.l32 "hardly needed the Octavia, or a common source, to hit upon such formulations". Die umgekehrte Abhängigkeit des Dramatikers zumindest von Tacitus, z.T. aber auch von Sueton und Cassius Dio behaupten dagegen z.B. Vater (1853), Braun (1863), Birt (1879), Cima (1904/06), VUrtheim (1909), Schmidt (1914), Santoro (1927), Rizza (1970), Billerbeck (1988), Castagna (2000); gegen eine Abhängigkeit von Tacitus aus ftthrlich z.B. Tornni (1934) S.66ff., Junge (1999) S.l83ff.; gegen Billerbecks sprachliche Argumentation Zwierlein (1992) S.505f., Junge (1999) S.26Off. sowie das allgemeine Urteil von Fern (1998) S.342 "no trace of Tacitus' powerful pen", (2003a) S.29 "conspi cuous absence of any recognizable inlluence" als gleichzeitiges Argument gegen eine späte Datierung. Schmidt (1985) S.1428 sieht "gewisse strukturelle Verwandtschaft" mit Sueton, lehnt zu Recht aber alte Argumentation (Fehlen des Ehebruchvorwurfs in der 'Octavia') mit dem Hinweis auf dramatisch stärkerer Gestaltung der dynastisch politischen Motivation für Nero bzw. Entlastung von Octavia ab. Spekulativ vermuten gemeinsame Quellen, Fabius Rusticus, Plinius und vor allem Cluvius Rufus: Nordmeyer (1893), Gercke (1896), Ussani (1905), Bassi (1915), Helm (1934), Junge (1999) mit Hinweis auf eigene Akzentuierungen des Dramatikers wegen seiner Zeitnähe und erneuter Diskussion lange bekannter Ähnlichkeiten/Abweichungen (z.B. V.lOOff., 31lff., 609ff., 658, 932ff.). Divergenzen werden in der Forschung z.T. auch mit der Benutzung unterschiedlicher Quellen oder dem Verweis auf die unterschiedliche Gattung erklärt.
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Die bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts lebhaft geführte, dann verständlicherweise erlahmte und in neuerer Zeit erst durch die Beiträge von Ferri und Billot wiederbelebte Diskussion hat zur Genüge gezeigt, dass die vermeintlichen Berührungen in jedem Fall zu dürftig sind, um mit Sicherheit eine bestimmte Form der Abhängigkeit erweisen zu kön nen. Interessant ist z.B., wie von Ferri erneut herangezogene Formulierungen längst schon zum Nachweis der gegenteiligen Beziehung ausgenutzt wurden, vgl. z.B. VUrtheim (1909) S.l2ff. Ferris Beobachtung, die mögliche anregende Wirkung des abschließenden Chores auf den Historiker, ist vor dem Hintergrund der von Ferri selbst bestätigten Vor liebe des Tacitus für derartige Szenerien ebenfalls leider noch kein notwendiger Beweis für eine direkte Abhängigkeit (S.354 Anm.22 mit Verweis auf hist.3,68, ann.3,\ ff. , 6,24, 16,29). Und eine Argumentation wie die von Billot, mangelnde Übereinstimmung zum Prinzip zu erheben und als bewusste Abkehr von einem Vorgänger zu deuten, führt letzt lich in die Beliebigkeit und ist ebenso unsinnig wie alte Stimmen, dass sich der Dramati ker bei Abhängigkeit von Tacitus die Gelegenheit zu einer Rede wie der der Octavia ann.l4,64 nicht hätte entgehen lassen (Ritter [1843] p.IX). So ist Gewissheit nicht zu erreichen, zumal mögliche weitere Vorbilder, gemeinsame wie unterschiedliche Quellen, verloren sind. Etwa die in der Forschung viel zitierte, bei Taci tus als Zitat Octavias gegebene und auch vom Dichter des Dramas verwendete ähnliche Formulierung iam uiduam ... et tantum sororem bzw. roror et coniunx mag als angeblich authentische letzte Worte berUhmt gewesen sein und aus einem zeitnäheren Historiker stammen. .
Der auf diese Weise gewonnene Zeitraum zwischen 68 n . ehr. und den 90er Jahren gilt inzwischen als gesichert, "a reasonable conclusion" . l 2 Ver suche einer noch späteren , z .T . spätantiken Datierung vom frühen 2 . bis zum 5. Jahrhundertl 3 sind selbst scheinbar längst Geschichte und haben nie wei tere Akzeptanz erlangen können . Trotz der wertvoUen Ergebnisse von Schmidt, der diese noch nicht konsequent genug für die Datierung ausge nutzt hat, sind sie der Wissenschaft heute kaum einmal einer ernsthaften Erwähnung mehr wert.
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Wilson (2003) S.4f. mit Aom.l l "A consensus view of the play [...] written within around 20 years of Nero's death [...] based on the period of time during which Seneca's literary influence and the public memory of Nero's principate were strang enough to make the play still relevant and comprehensible to an audience". Vgl. zuvor ähnlich z.B. Chickering (1910) S.83 "general consensus [ ...] sometime during the reign of the Flavian Emperors". Frühes 2. Jahrhundert: Schmidt (2000, 2001, nicht jedoch 1985); nach Tacitus, Sueton, Cassius Dio bzw. im 2.-4. Jahrhundert und später, z.T. mit der Aonahme eines möglichen Zusammenhanges mit der Entstehung der A-Rezension: z.B. in älterer Forschung Vater (1853), Peiper/Richter (1867/1902), Birt (1879), Cima (1904/06), Schmidt (1914), San tom (1927), in neuerer Zeit lediglich Billerbeck (1988), Castagna (2000); z.B. Rizza (1970) S.57 vermutet "una data di pocco posteriore al 121", Vürtheim (1909) einen Zeit genossen von Cassius Dio. Eindeutig zu spät dagegen datiert Braun (1863) um 1420 mit Seneca Camertinus, einem Humanisten in Ancona, als Autor.
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Doch tatsächlich wiegen sich die meisten Interpreten hier in trügerischer Sicherheit . Das "Problem der Datierung" , "the vexed questions of the dating and authorship" s ind nach wie vor "noch offen" , 1 4 und sollten gegen die in der Forschung vorherrschenden Argumentationsstrukturen nicht durch ver meintliche äußerliche Indizien oder bloße Wunschvorstellungen, sondern endlich ausgehend von den inhaltlichen Eigenheiten der ' Octavia' behandelt werden . Seit langem nämlich und mit vollem Recht wird beklagt, dass die unfruchtbare Diskussion um die Authentizität zu sehr von der echten Aus einandersetzung mit dem Inhalt und der eigentlichen Interpretation des Stückes abgelenkt hat.15
14 Schmidt ( 1 985) S . 1 45 2 , Keith ( 1 99 1 ) S .76 Anm . 1 1 .
15 Vgl . z .B . Herington ( 1 96 1 ) S . 1 8 , Söring ( 1 982) S . 1 46f. "daß die Beschäftigung [ . . ] end lich von der lange unlösbar scheinenden Hypothek entlastet wird , auf Schritt und Tritt In dizien fUr oder gegen die Autorschaft Senecas aufzusammeln. Der Weg zur Interpretation [ ... ] ist damit frei", Kragelund ( 1 982) S .7 "scholars [ . . .] apparently unanimous in the as sumption that the only aspect of the Octm>ia worthy of discussion was the question of its authenticity . The tendency to treat the play as an appendix to its lost titlepage has [ . . . ] kept the discussion on unproductive Iines" , Sulton ( 1 983) S .4 "SlUdies of this sort are interesting and usefu l , but are all by way of prolegomena" , Schubert ( 1 998) S .254 "Be trachtungsweisen, die richtig angewandt gewiß ihren Erkenntniswert besitzen, bergen die Gefahr in sich , die Eigengesetzlichkeit der Octavia als eines autonomen Kunstwerks [ ... ] aus dem Auge zu verlieren" . Zuversichtlich j Ungst Wilson (2003) S .3 "There is good reason to believe that the wheel of Iiterary fortunes is now rotating and that the Octavia is about to gain a far higher pro file among c1assicists and ancient historians" . .
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III
Konzentriert man sich also auf den Charakter des Dramas , ist die so häu fig beschworene innerlich-emotionale Nähe seines Verfassers zur behandel ten Zeit, sein frischer Hass und lebendiger Zugang , nicht nur in Zweifel zu ziehen . Solches ist vielmehr durch den genau gegensätzlichen Eindruck ei ner inneren Distanz der Darstellung und damit zugleich des anonymen Au tors zu widerlegen . So ist zunächst mit Nachdruck festzustellen , dass eine positive Zeich nung des claudischen Kaiserhauses einerseits , eine negative des tyranni schen Nero andererseits auf jeden Fall durch die Thematik selbst bedingt und auch nicht anders zu erwarten ist, gänzlich unabhängig von jeder Form der Datierung und damit auch eventuell gleichzeitigen Bestrebungen Vespa sians um eine dynastische Legitimierung seines Regimes . In einer der ver stoßenen, schließlich getöteten Octavia gewidmeten Tragödie muss sich die Sympathie des Publikums natürlich auf Octavia als Titelfigur konzentrieren . Und natürlich muss ihre Vorgeschichte , das Schicksal von Claudius , Britan nicus und selbst Messalina, dazu beitragen , Mitleid für Octavia und zugleich Abneigung gegen Nero und die Verbrechen seiner Mutter Agrippina zu er zeugen . Entsprechendes gilt für die Gestalt des Seneca, der als Gegenspieler und "Kontrastfigur" 1 6 ebenso natürlich positiv als Warner, Mahner darzu stellen war. Als bedeutende historische Persönlichkeit ist der für das Drama ansonsten völlig unbedeutende, aber allgemein bekannte Philosoph lediglich für eine typische Rolle in einer typischen dramatischen Funktion ausgenutzt, ohne dass allein mit seinem Auftritt und mit seiner Einbeziehung in das Stück als dessen Verfasser gleich ein Bewunderer, Freund und direkt Schü ler Senecas zu postulieren wäre . Eine solche , in der Forschung so gerne ver tretene Annahme 1 7 - die ' Octavia' als "Huldigung an Seneca" (Lerevre) und 16
So die treffende Bezeichnung von Schmidt ( 1 985) S . l 43 1 ff.
1 7 Vgl . z .B . Torrini ( 1 934) S .77 "costante ammirazione", Bardon ( 1 939) S .254 ..S�neque id�alis�", Herington ( 1 96 1 ) S .28 "someone who profoundly admires Seneca, and has soa ked hirnself in Seneca ' s thought and style" , Kragelund ( 1 988) S .504 ..admiration for Seneca" , Holztrattner ( 1 995) S.l 06 .. SchUler oder Epigone Senecas", Sullivan ( 1 985) S .73 ..devoted personally to Seneca", Schmidt (2000) Sp.l 097 ..das idealisierte Seneca Bild" , ManuwaId (200 1 ) S .338 "Verehrer Senecas" , GaIimbertilRamelli (200 1 ) S .75f. "claudiano, filosenatorio, filostoico e ammiratore di Seneca" , Seita (200 1 ) S .45 "figura molto idealizzata" . Vgl . besonders Lefevre ( 1 985) S . 1 26O .. das StUck könnte von einem Freund oder SchUler Senecas noch zu seinen Lebzeiten geschrieben und rezitiert worden sein - als Ausdruck
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sogar "eine Art Festschrift [ . . . ] vielleicht zu Senecas 65 . Geburtstag" (Stärk) - ist nichts als von eigener Begeisterung getragene Hypothese und genauso fragwürdig wie die von den Interpreten im Laufe der Zeit zusammengetra genen Verfasser-Namen , in ihrer Gesamtheit schon fast absurd wirkende Versuche, nahezu jeden Annaeus bzw . Dichter derselben Zeit oder nachfol gender Generationen als denkbaren Autor zu benennen :
M . Annaeus Mela: Lucilius Iunior: M. Annaeus Lucanus:
Salutati ( 1 37 1 ) Birt ( 1 923) Bardon ( 1 939)
M. Annaeus Cornutus: P. Pomponius Secundus: Curiatius Matemus:
Ciaffi ( 1 937) , Cizek ( 1 972) GalimbertilRamelli (200 1 ) , Sordi (2002) Ritter ( 1 843, 1 867) , Frank ( 1 937) , Mattingly ( 1 959) 18
Scaevus Memor: Annaeus Statius:
Scaliger ( 1 627) Delrio ( 1 593)
aus dem Kreis um Arruntius Stella: aus dem Kreis um Polla Argentaria: L . Annaeus/-ius F1orus:
Helm ( 1 934) Ferri (2003a) 19
Vossius ( 1 697)
der gemeinsamen Gesinnung und zugleich Huldigung . Ja, es ist nicht ausgeschlossen , daß es mehrere Freunde oder SchUler zugleich waren, die dem Meister mit Anklängen an sei ne Stücke eine Freude bereiten wollten . Jedenfalls ist es nur schwer vorstellbar, daß die ' Octavia' allzu weit von den Ereignissen , die sie darstellt, entstanden sein sollte: Sie wäre so nur ein leeres Rhetoren-Produkt. [ . . .] wird man sie bald nach [Neros Tod] datieren müssen , als die Erinnerung an Seneca noch lebendig war"; zitiert auch von Mazzoli (2000) S .204, enthusiastisch bestätigt von seinem SchUler Stärk (2000) S .2 2 1 ..die glän zende Vermutung" selbst in einer Festschrift. 18 Dies ist die beliebteste Annahme; man sieht die ' Octavia' direkt als dessen 'Nero' bzw . 'Domitius ' , die vielleicht gar den Tod des Dichters zur Folge gehabt hätte, sofern dieser mit dem von Domitian 91 n. Chr. hingerichteten Sophisten identisch ist (Dio 67 , 1 2 ,5 ) . Ausführliche Diskussion be i Cizek ( 1 972) S .36 1 ff., Frassinetti ( 1 973) S . 1 53ff., zweifelnd erwogen z.B . von Lounsbury ( 1 986) S .5 1 7 Anm .48 .. tempting", zurückhaltend Ferri (2003a) S .28 ..wishful thinking". 19 Ferri (2003a) S .26 ..Had the poet [ . . .] some personal attachment to that circle, where the survivors of the exterminated clan of the Annaei gathered? On first impression there could have been nothing further apart than the jejune Octavia, and Statius ' mannerist eloquence, yet the two poets seem to have come into contact. Perhaps the meeting ground was Polla's Iiterary salon . The author of Octavia may have been an old pupil of Seneca, a survivor left with Iittle to rejoice at by the advent of the F1avian dynasty , who had found a haven in the house of the last surviving grand ladies of that circle, and set about composing Octavia hoping to ingratiate himself with his protectress" - ein schönes Szenario ohne jeglichen Beleg! S .27 räumt er ein , dass persönliche Bekanntschaft mit Seneca nicht zwingend vorauszusetzen ist.
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Gelegentlich findet sich sogar direkt als Gegenargument gegen einen späten Ansatz , dass uns später keine geeigneten Namen mehr geläufig sind .20 Beharrl ich übersehen wird dabei von einem Großteil der Forschung jedoch , dass der Verfasser der ' Octavia' weit weniger eigenständig , schöpfe risch aufgetreten ist, als dies für die vermuteten Autoren , echte Dichter, an zunehmen und ftir die erhaltenen Texte eines Lucan oder Statius offensicht lich ist. Der Anonymus des Dramas ist ein fleißiger Literat, der seine Studi en , d .h . seine sprachliche Vertrautheit mit Senecas echten Tragödien und selbst mit dessen Prosaschriften, sogar im Ü bermaß zu erkennen gibt. Im mer wieder und mit vollem Recht betont wird schließlich in der Forschung, dass dieser Autor seinen Seneca, Poetisches wie Prosa, Tragödien ebenso wie Philosophisches, und hier neben ' De dementia' selbst ' De ira ' , ' De beneficiis' , ' De otio' oder die ' Epistulae ' , fast auswendig gekannt hat.2 1 Zu erweisen sind darüber hinaus deutliche Anklänge an griechische Tragödien wie die großen Stoffe der Elektra, Medea und Antigone und sogar die Gat tung der erotischen Elegie . Die ' Octavia' ist somit weniger schöpferisches Ergebnis eigenständiger dichterischer Schaffenskraft. Sie ist konstruiert, ein Produkt literarischen Fleißes und großer Belesenheit ihres Verfassers - ein deutlicher, ein entscheidender Unterschied zwischen einem echten Dichter und einem Literaten , der von der Adaption vorgegebener Vorlagen ausgeht und sich durch seine Arbeit folglich eher als interessierter Gelehrter, weni ger als originärer Dichter erweist. Und so ist die ' Octavia' in Wahrheit ge nau das , was die Forschung so gerne zurückweisen möchte , obwohl sie sie selbst durch ihre Untersuchungen mit übergroßer Deutlichkeit als ein sol ches erwiesen hat: Sie ist ein "Rhetoren-Produkt" ,22 dessen Entstehung zu jeder Zeit möglich ist. Die Erkenntnis und endlich auch wirkliche Beach tung dieses Charakters - gelehrte Kompilation statt lebendiger Eigenschöp fung - ist in sogar mehrfacher Hinsicht flir die Frage der Datierung bedeut sam .
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So z .B . Enk ( 1 926) S .4 1 5 ,,[ . . . ) frustra quaerimus poetam , qui tale Hs temporibus scribere potuerit" . Vgl . z.B . Herington ( 1 96 1 ) S .28 "must have known them almost by heart . [ . . .) anything that one indi vidual can take over from another, our author has taken over from Seneca" , Junge ( 1 999) S .273 "wie jemand, der die Werke Senecas nahezu auswendig kennt und sich dessen Stil fast völlig zu eigen gemacht hat" , Kragelund (2000) S .503 "c1early an admirer who had studied the works of his idol with utmost care. [ . . . ) Quoting extensively [ . . . )" . Zum Ausdruck vgl . Letevre, o. Anm . 1 7 .
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So ist das in der Forschung heute fast einstimmig für einen terminus ante herangezogene Zeugnis des Quintilian und die demnach auf wenige Gene rationen zeitlich beschränkte Bewunderung Senecas als sprachlich-stilisti sches Vorbild der Jugend für die zeitliche Einordnung der ' Octavia' ohne jeden Belang . Sorgfältig zu trennen sind hier vielmehr die beiden unter schiedlichen Bereiche publizistisch aktueller Rhetorik und literarischer Poe tik . Bei Quintilian geht es um lebendige Rezeption von Senecas Art zu re den und zu schreiben , um Seneca als Vorbild für den Prosastil eines be stimmten Zeitgeschmacks. Solches, lebende Rhetorik im alltäglichen , prak tischen Gebrauch, ist in der Tat an Zeitströmungen und eine bestimmte Mo de gebunden . Für literarisch-konstruierte Poesie und überhaupt Literatur im engeren Sinne gelten andere Gesetze . Die unechten Briefe Sallusts an Caesar sind nicht notwendig in einer Zeit des allgemeinen Archaisierens , sondern mit dem gezielten Wunsch zur Imitation eines als literarische Größe geschätzten Historikers entstanden . Dass ein Autor für eine Tragödie über die Zeit Senecas und mit diesem als dramatischer Gestalt Anleihen an des sen eigenem Werk macht, ist wiederum thematisch , eben durch Seneca als historisch-literarische Größe der dargestellten Zeit bedingt und nicht not wendig Reflex einer bestimmten Zeitströmung . Immerhin vereinzelt verwie sen wird auf den ' Medea' -Cento des Hosidius Geta (?) ,23 der ebenfalls noch ein Jahrhundert nach Quintilian Senecas literarische Einflüsse zeigt und für uns am Anfang einer neuen Epoche mit merkwürdig konstruierter, klassi schen Vorbildern in übertriebenem Ausmaß und nun für jeden einzelnen Ausdruck verpflichteter Dichtung steht . Qualitativ gesehen ist die ' Octavia' mit ihrer sprachlichen Seneca-Rezeption fast so etwas wie eine Vorstufe da zu und in ähnlichem literarischen Umfeld zu sehen - ein Produkt gelehrter Rezeption , keine lebendige Dichtung eines sich selbst und einem eigenen Stil verpflichteten Poeten . So ist sprachlich selbst eine spätantike Entste hung des Stückes weit nach der von Quintilian angeblich gesetzten Grenze möglich , zumal Seneca vom ausgehenden zweiten Jahrhundert an für christ liche Autoren von neuem , besonderem Interesse ist:24 z .B . für Tertullian ist 23
Zwierlein ( 1 983) S .50f., ( 1 986) S 339, Junge ( 1 999) S .274. .
24 Schon Ferri (2003a) S .26f. sucht wegen der von ihm angenommenen Nähe zu Statius den angeblichen terminu.� ante durch Quintilian ein wenig anzuheben: ..The Ca.�hion may not have changed uniCormly , or perhaps a core of Seneca' s admirers simply resisted till the end oC the first century. Seneca's farne may not have sufCered so greatly Crom the censu res oC Quintilian , and of even more fierce detractors, such as the archaizing writers of the following century. Moreover stylistic considerations need not have weighed much in this poet ' s choice of a model ." Vgl . auch Ballaira (2002) S .5 6 , der die 'Octavia' - trotz Be stätigung der FrIlhdatierung - am Anfang einer Idealisierung Senecas sieht, die bis zum
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Seneca fast ein Christ (De anima 20 ,1 Seneca saepe noster) , für Laktanz wä re er einer geworden , wenn ihm jemand den Weg dazu aufgezeigt hätte (div .inst .6,24,1 2ff. potuit esse uerus dei cu/tor, si quis illi monstrasset); von Hieronymus ist er sogar als Heide in seinen christlichen Katalog ' De uiris illustribus ' aufgenommen . Die Belesenheit des Verfassers mit seiner intimen Seneca-Kenntnis zeigt ferner seine Bereitschaft zur intensiven Vorbereitung und Einarbeitung in seinen Stoff. Dass sich ein solcher Autor um historische Einzelheiten und möglichst korrekte Wiedergabe der beschriebenen Verhältnisse bemüht hat, ist - zumal bei der Umsetzung eines nur punktuellen Ereignisses - selbstver ständlich . Der von der früh datierenden Forschung bewundernd als Beleg genannte Detailreichtum seines Dramas kann folglich ebenso gut entspre chender Lektüre entstammen und muss keineswegs auf Selbsterlebtes zu rückzuführen sein .25 Anders als im Falle der nachweisbar ausgebeuteten Schriften Senecas können lediglich wir die Benutzung weiterer historischer Quellen mangels textlicher Überlieferung nicht mehr eindeutig nachvollzie hen . Die Gedanken von Helm und Ferri machen jedoch in der Tat eine 'ka pitelweise' Auswertung historiographisch vorgefonnten Stoffes wahr scheinlich und sind im Gegensatz zu ablehnenden Urteilen anderer Inter preten argumentativ begründet. Wenn etwa Junge gegen die Möglichkeit einer Spätdatierung "außerordentlich gründliches Quellenstudium" ohne weitere Argumentation als "kaum wahrscheinlich" zurückweist,26 ist zu Be denken , dass dieselbe Interpretin solches für die Werke Senecas selbst er wiesen hat!
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Ende der Antike reicht und z.B . im angeblichen Briefwechsel mit Paulus noch im 4. Jahr hundert literarische Bestätigung gefunden hat . Vorsichtig z .B . auch Griffin ( 1 984) S . l OO "A date of composition elose to the events [ ) is suggested by the author's thorough knowledge of the historical circumstances. Yet it is hard for us, at this distance in time , to distinguish personal knowledge from mere eruditi on" . Fern (2oo3a) S .30 verweist auf Cassius Dio , der noch im 3. Jahrhundert Zugang zur Ilavischen Historiographie gehabt hat, und erkennt deren Benutzung durch den Autor der ' Octavia' korrekt als "not a conelusive argument on its own to date the play before Tacitus" . Junge ( 1 999) S . l 96f. [ ) mUßte man jedoch dem hypothetischen spätantiken Dramati ker ein außerordentlich gründliches Quellenstudium und eine darauf aufbauende kontami nierende Darstellungsweise zuschreiben; dies wäre selbst fUr einen Historiker [ ] kaum wahrscheinlich" . Der Dichter als Zeitzeuge ist fUr sie ,,zwangloser" - solches ist nicht mehr als ein subjektiver Eindruck und keine wissenschaftlich begründete Aussage; vgl . zuvor ähnlich ablehnend Ladek ( 1 905) S .679ff. ,,Allerdings könnte sich der Dichter dieses Wissen durch die LektUre [ ] aneignen [ ] ; aber gewisz wäre ein sehr eingehendes Stu dium nötig gewesen" , Chickering ( 1 9 \ 0) S .83 "It is of course possible [ ] but hardly probable" . 00 '
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Ergänzend zur berechtigten Annahme literarischer Vorlagen ist zudem das zu vermissen , was das Wichtigste ist: Gegen alle noch so überzeugten Urteile heutiger Leser fehlt die Lebendigkeit, die persönliche Betroffenheit des Augenzeugen . Echte Klagen etwa des Chores über Neros Entartung , echte Klagen mit den Namen seiner Opfer gibt es nicht . Stattdessen bewei sen die Chöre des Dramas allein ihr mythologisch-historisches Interesse und geben bis zum Ü berdruss Kataloge mit altbekannten Exempla aus dem My thos oder aus der römischen Geschichte (vgl . V .282ff. Juno , Lucretia, Ver ginia, Tullia, Agrippina; 762ff. Leda, Europa, Danae; 8 1 4ff. AchilI , Aga memnon, Priamus ; 8 82ff. Gracchen, Drusus ; 929ff. Julia , Livia, Julia, Mes salina , Agrippina. Vgl . auch V 2ooff. Juppiters Liebschaften) . Wie anders ist demgegenüber der ' Agricola' des Tacitus zu lesen , ein wirkliches Zeitdo kument nach einem Regimewechsel mit dem Ausdruck aufrichtiger Betrof fenheit des leidenden und nun erleichterten Verfassers (vgl . z .B . 2 ,3 ff. de dimus profecto grande patientiae documentum . . . nos quid in seruitute . . . pauci e t . . . non modo aliorum, sed etiam nostri superstites, 45 , l f. non uidit . . . obsessam curiam et clausum armis senatum . . . Carus Mettius . . . sententia Messalini . . . Massa Baebius . . . nostrae duxere Heluidium in carcerem ma nus, nos Maurici Rusticique uisus, nos innocenti sanguine Senecio perfudit . . . ) . Mit solcher Art Literatur, die wirklich durch die erlebte Zeit geprägt ist, wird in der Forschung jedoch kaum verglichen. Herangezogen nur als Beleg für die mögliche Schnelligkeit, ja sogar Hektik literarischer Produktion eben in Zeiten des Überganges ,21 wird für die ' Octavia' innere Anteilnahme ihres Verfassers lediglich postuliert und nicht erwiesen . Doch gerade für eine Ab rechnung recentibus odiis ist das Stück viel zu konstruiert und nicht nur sprachlich , sondern auch mit der Wahl der dramatischen Handlung insge samt zu sehr an literarischen, tragischen Vorbildern orientiert. Denn welche Möglichkeiten dramatischer Umsetzung hätten gerade Neros letzte Jahre mit der Pisonischen Verschwörung , dem Tod Senecas , Lucans und vieler, vieler anderer und dann auch Neros eigenem Sturz geboten ! Dargestellt ist demge genüber ein für einen seit 68 n. Chr. angeblich befreit aufatmenden Zeitzeu gen immerhin sechs Jahre zurückliegendes Ereignis 62 n. Chr., das viel leicht für den distanzierten , durch historische Analysen geschulten Betrach27
So Kragelund (2000) S .502 mit Verweis auf Tac.ann . 1 ,I ,2 und Texte wie z .B . Sen .Apo co\ . , die sofort nach einem Tyrannen tod 37, 54, 68, 96, 1 93 n. ehr. entstanden sind . Vg\ . andererseits das allgemeine Urteil von Fern (2003a) S .27f. "allusion to contemporary in dividuals and to specific events does not seem to feature prominently in the play" sowie speziell zu Octavia ( 1 998) S .343 Anm .7 "very much a paper heroine", (2003) S . 1 5 "lack of specilic interest in the paIlid protagonist" .
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ter - noch nicht einmal aber in der Gestaltung des Dramatikers selbst - als eine Art Wendepunkt erscheinen mag , während es für den leidenden Zeitge nossen nur einen geringen und thematisch primär auf das Kaiserhaus be schränkten Teil der Neronischen Schreckenszeit abdeckt.28 An die Stelle echter Betroffenheit, Abrechnung und Aufarbeitung von Selbsterlebtem ist somit ein an üblichen tragischen Stoffen orientiertes Frauendrama getreten , ein literarisch konstruiertes Produkt, das ohne echte , ohne eigene emotionale Beteiligung des Autors von innerer Distanz zu den geschilderten Ereignis sen und eben nicht von zeitnaher Lebendigkeit bestimmt ist:
1 . Senecas doppelte Präsenz im Drama, in eigener Person wie in der durch ihn geprägten sprachlichen Gestaltung , zeigt höchstens ein gewisses Maß an Verehrung .29 Der historische wie literarische Seneca ist jedoch ledig lich benutzt und keineswegs überhöht oder gar idealisiert als Audruck tiefer, emotionaler Verehrung , wie sie von einem echten Freund oder Schüler zu erwarten wäre . Der im zweiten Akt auf der Bühne präsente Philosoph ist kein lebendiger Seneca, in dessen Zeichnung ein selbster lebtes B ild seiner Persönlichkeit eingegangen wäre . Präsentiert wird dem Publikum ein aus wenigen markanten Gedanken seiner eigenen Schriften zusammengestückelter und damit rein literarisch belassener Seneca, der an Lebendigkeit sogar hinter der Darstellung eines Tacitus zurückbleiben muss . Zu bewundern ist stattdessen das Geschick des anonymen Verfas sers , die literarische Gestalt auf biographisch verwertbares Material hin ausgeschlachtet zu haben: Die korsische Verbannung der frühen ' Con28
Vgl . dagegen Schmidt ( 1 985) S . l 448 ,.Episode als Kristallisationspunkt der Verfallsten denzen der c1audisch-neronischen Epoche , [ ... ] moralischer Wendepunkt [ ... ]" , Kragelund ( 1 982) S .5 3 "the author did weil in choosing the events of 62 [ . . .]. That year was a tur ning point. [ .. ] in retrospect could present itself as the prelude to the great popular revolt against Nero. [ . ] author concentrated on crimes [ . . . ] against the people" . Wenn Letzte rer ausdrücklich auf den Tod des Burrus und den .recessus Senecas verweist - der gleich zeitige zweifache Verlust positiven Einflusses auf den Kaiser -, ist zu bedenken, dass bei des im Drama gerade keine Rolle spielt. Seneca wirkt gegen die reale Chronologie als Be rater aktiv wie vor seinem secessus (vgl . Tac.ann . l 4 ,52ff.) , der Prätorianerpräfekt hat keine eigene Identität erhalten (siehe auch u. unter 2 .); vom Mord an B urrus als weiteres Verbrechen Neros ist nirgends die Rede (vgl . ann . 1 4 ,5 1 ) . Vgl . z .B . Lelevre ( 1 985) S . 1 26 1 ,,Die Huldigung an Seneca bestand offenbar vor allem darin , daß man ihn [ . . .] selbst auftreten ließ in der Rolle des weisen Mahners, der Nero zu mäßigen versuchte. [ ... ] Dieser Leistung wurde damit ein Denkmal gesetzt", Junge ( 1 999) S . l 70 "Werk eines Bewunderers, vielleicht eines Schülers [ ... ] , der den Zeitgenossen und der Nachwelt demonstrieren wollte , wie der Philosoph trotz aller Bemühungen am grau samen Wesen Neros notwendig scheitern mußte" ; vgl . auch die Formulierungen o. Anm . 1 7 . .
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solatio ad Helviam' ist mit dem naturphilosophischen Interesse der 60er Jahre verbunden , wie es die 'Naturales quaestiones ' dokumentieren . Der weise Mahner benutzt seinem Zögling gegenüber die eigenen Maximen aus ' De clementia' . Doch dabei bleibt es denn auch . Die Seneca-Gestalt der ' Octavia' kann in keiner Weise über das aus der Literatur gewonnene Bild hinaus echtes , eigenes Leben gewinnen;30 sie kann vielmehr wegen ihrer literarischen Beschränkung schon fast wie eine Karikatur der histo rischen Persönlichkeit wirken , wenn sie sich mit einer Auftrittsfrage ein fuhrt (V .377ff. quid, impotens Fortuna, falLaci mihi/ blandita uultu . . . ) , wie sie ein Lucilius hätte stellen können, um brieflich auf den rechten Weg gebracht zu werden . Denn ernstlich verstanden hat der Autor den berühmten Philosophen und sein der Stoa verpflichtetes Anliegen nicht. Die Rezeption bleibt auf biographisch-reale Äußerlichkeiten und die blo ße Ü bertragung vorgefundener Gedanken reduziert. Der im Monolog über die Gegenwart klagende Seneca entspricht gerade nicht dem nach innerer Ruhe strebenden , sich gegen Schicksalsschläge im Voraus wappnenden, hart an sich arbeitenden Weisen . Der Seneca des Dramas zeigt sich als schwächliche Normalfigur, die wie jedermann die Vergangenheit in der Rückschau als Glück zu vermissen lernt und über die harten Zeiten der Gegenwart und die zur Katastrophe führende Zu kunft klagt. In geschickter Assoziierung sind hier zwar die Gedanken zur stoischen Ekpyrosis hingelenkt (V .39 1 ff.), doch den Großteil des Mono loges macht dann der ausführlich ausgemalte Mythos von der Abfolge der Weltzeitalter mit ihrer ständigen Verschlechterung aus (V .395 ut quondam . . . - 434) , eine seit Hesiod vielgebräuchliche Vorstellung, die kein spezifisch stoisches Gedankengut darstellt und demnach auch für die Selbstvorstellung Senecas alles andere als geeignet ist.3 1 So ist der 30 Vgl . auch Ferri (2003a) S .72 "Much as we Iike the fantasy of the ignotu.f as one of the
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last faithful disciples [ . . .], we are forced to wonder, why he made his Seneca so bookish", S .74 "The author [ . . . ] has no intention of making Seneca into a heroic figure". FUr Smith (2003) S .40 1 ist die inhaltliche Nähe zu Senecas Prosa ..intertextual referencing" und vom Publikum als solches zu empfinden; für ihn ein Argument für die Fti1hdatierung (.. [ . . .] would Iikely have been lost on an audience within half a generation of Seneca's death") . Vgl . immerhin Bruckner ( \ 976) S . l 5 fr. "Trotz aller Übereinstimmung mit dem persönli chen Erleben des geschichtlichen Seneca [ .. . ] gewisse..� Spannungsverhältnis [ ...] . Eine Fortunaklage widerspricht dem Bild des Weisen, [ . . . ] wie wir ihn aus Senecas Schriften kennen"; vgl . jetzt auch Goldberg (2003) S .3 5 Anm.42 mit Verweis auf epist.90,25 , nat . 1 , 1 7 ,sff. , Thyest.446ff. , Phaed .483ff. als Beleg für die beim echten Seneca nicht in der negativen Folge der Zeiten , sondern allein in der Hand des Menschen liegende Verant wortung für sittliche Entwicklung und Verfall ( .. [ . .] have more in common with themsel.
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Monolog zum großen Teil nur mit üblichen Topoi aufgefüllt, ohne dem historischen Seneca auch nur versuchsweise ein charakteristisches Denkmal zu setzen; von der Taciteischen imago uitae suae mit ihrer me ditata ratio aduersum imminentia (ann . 1 5 ,62) findet sich keine Spur. Auch im anschließenden Dialog mit Nero (V .440-592) ist innere Beteili gung des Verfassers , echtes Verständnis für Seneca und entsprechende Bewunderung zu vermissen . Denn eine Rehabilitation , Rechtfertigung für den historischen Prinzenerzieher und Ratgeber des Kaisers , wie die For schung so gerne behauptet,32 ist es höchstens insoweit, als Seneca über haupt auf Nero einzuwirken versucht . Es ist in Wahrheit jedoch eher ein Zeichen seiner Ohnmacht und Ungeschicklichkeit . Erst das unglücklich verlaufende Gespräch mit Seneca ist es nämlich, das Nero in einer Trotz reaktion zur endgültigen Festsetzung der Hochzeit mit Poppaea und da mit zum echten Vollzug der Trennung von seiner ersten Ehefrau veran lasst (V .592 quin destinamus proximum thalamis diem) , wie es später in der ' Octavia' in eindeutiger, scharfer Formulierung eigens noch einmal hervorgehoben ist . So ist V .695f. in den Worten von Poppaeas Amme culpa Senecae überliefert (quem tuus cepit decorl et culpa Senecae. tra didit uinctum tibi . . ), was mit einem harten Wort in gesucht prägnanter, paradoxer Formulierung das Ergebnis des zweiten Aktes treffend zu sammenfasst und kaum durch eine heutige Konjektur zur Rettung Sene cas zu ersetzen ist. Wie sollte schließlich die überlieferte Lesart - eine lectio difficilior auch ohne Alternative - in den Text geraten sein? Wieder ist hier vielmehr Wunschdenken der Forschung am Werk, die mit allen .
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ves than with the Oet. passage, which sounds more rhetorical than philosophic") . Vgl . ferner nat.3 ,30,8 mit einem positiven Ausblick. Es macht einen gewichtigen Unterschied, ob Seneca Topisches innerhalb eines Chorliedes verwendet oder ob ihm solches als Aus druck eigener VerLweiflung in den Mund gelegt wird . So z.B . Bruckner ( 1 976) S .8 "Der Verehrer Senecas hat seinen Meister und sein Vorbild [ . . . ] mit den positivsten Zügen gezeichnet. [ . . ] gleichsam zu rechtfertigen versucht", Ga IimbertiIRamelli (200 1 ) S .76 "riabititazione dello stoico Seneca", Kragelund (2002) S .8 Anm . t 2 "The dramatist's purpose is c1early apologetical", Fern (2003a) S .27ff. "The ' apologetic' undercurrent noticeable in the play suggests that the tragedy was composed as a response to posthumous criticisms [ . .] composed with the implicit aim of exculpa ting Seneca" , S .7 1 "a wholly idealized version of his Seneca. [ . . . ] apologetic, indeed, re visionistic"; fUr Trillitzsch ( 1 97 1 ) S .47f. entspricht die Darstellung "dem beinahe legendä ren Senecabild, da.� sich im Kreis seiner Freunde und Verehrer gebildet hatte. [ . .] ideali sierte Gestalt", fUr Junge ( 1 999) S .206 ist er ein "idealisierter Weiser, [ . . . ] ins Heroische gesteigert". Vgl . auch Poe ( 1 989) S .450ff. "the villain does not , as is usual in warning scenes , win over the warner [ . . . ]. The debate ends in a stalmate", Habinek (2000) S .296 "The play [ . . . ] seems not only to confirm, indeed promote Seneca's renown [ . . . ] depicts hirn as a political actor far more capable than the emperor himselr'. .
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Mitteln ihr eigenes Bild vom Drama als Zeitdokument und Ausdruck der Bewunderung Senecas bewahren Will .33 Tatsächlich aber zeigt der Dra matiker Seneca als lästigen Mahner, der es trotz der vielen mit Nero ge meinsam verbrachten Jahre nicht versteht, auf seinen Zögling einzuwir ken , der keinen Zugang zu ihm findet, dessen Reaktionen nicht vorausse hen kann und der ihm auch rhetorisch letztlich unterlegen ist. Auch wenn es nämlich Nero ist, der das Gespräch abrupt beendet und so die Argu mentation autoritär abbricht, ohne scheinbar argumentativ gesiegt zu ha ben , ist dennoch er es, der Seneca mehrfach in argumentative Not getrie ben hat. Seneca selbst hatte Augustus als Vorbild eingeführt (V .477ff. sie ille . . . ) - in mehr als ungeschickter Weise , wie sich sofort zeigen soll und Nero so die Möglichkeit zu einer gelungenen , wahren eigenen Darle gung gegeben (V .503ff. diuus Augustus, uirosl quot interemit nobiles . . . ) , auf die sein Lehrer nichts mehr z u erwidern hatte . Und zum Zeitpunkt des Gesprächsabbruches ist Seneca dabei, anfangs längst Gesagtes nur nochmals zu wiederholen (V .573-587) , lästig in der Tat und damit auch Anlass genug ftir Nero , mit der Auseinandersetzung aufzuhören (V .588ff. desiste tandem, iam grauis nimium mihi,l instare: lieeat faeere, quod Seneea improbat) . Alle Argumente Senecas hatte er mühelos und wir kungsvoll kontern können , vor allem den stoischen Ansatz gegen die Af fektbestimmtheit (V .557ff.) , dem er mit Amors Macht Epikureisches ent gegen zu setzen wusste (V .566ff.) . Auf dieses hatte Seneca nicht mehr mit eigenem, stoischem Gedankengut reagieren können und war zu all gemeinen Mahnungen und so der anfänglichen Form der Argumentation zurückgekehrt - eine peinliche Niederlage ftir den Stoiker, der m .E . sogar deutlich unterlegen ist . Erst die jüngste Forschung ist endlich bereit, von der Annahme einer un eingeschränkten Bewunderung des Verfassers für Seneca abzugehen und sieht ebenfalls zu Recht Ansatzpunkte für eine kritische oder zumindest distanziertere Sicht, ja spricht direkt von "failure" (William s , Harrison), 33 I n neuerer Zeit wird beVOrLugt Birts Konjektur culta .mncte gedruckt (Whitman [ 1 978] , Zwierlein [ 1 986] , Ferri [2003a]); keine Besprechung in Zwierleins kritischem Kommen tar, zu knapp Whitman (S . 1 08 "a reference to Seneca here is out of place") , ausführliche Diskussion bei Ferri mit fehlendem Verständnis für den zweiten Akt (S.324 ,,[ . .] very Iittle is made of it in the supposedly relevant episode [ . . .] how could 'Seneca' s fault' have 'conquered' Nero?"). Zur überlieferten Formulierung als Hindernis fIIr die Zuweisung an Seneca vgl . Frassinetti ( 1 973) S . 1 1 1 Off. mit Bezug auf Kurfess ( 1 927); vgl. zudem zum zweiten Akt mit dem Ublicherweise verklärten Seneca-Bild Bruder ( 1 958) S .57 "kein Zei chen , daß der Dichter auch nur eine Unzulänglichkeit , geschweige denn eine tragische Schuld bei Seneca in der Durchführung seiner Bemühungen offenbar machen wollte" . .
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"unflattering helplessness" (Goldberg) und fehlender Einsicht in politi sche Realität.34 Es bleibt allein bei einer fleißig-stilistischen Auswertung seines Oeuvres mit bewussten , vielleicht auch unbewussten direkten An klängen an seine Formulierungen . Doch darüber hinaus ist die ' Octavia' noch nicht einmal als echte Hommage an Seneca als Dramatiker zu be werten , da seine Tragödien mit ihrem normalen Fünf-Akt-Schema nicht das Vorbild für die Struktur des anonymen Stückes gewesen sind , das zudem auch anders , als es bei Seneca üblich ist , mit einem kurzen Chor lied schließt, so wie es im ebenfalls anonymen , späteren 'Hereules Oe taeus ' der Fall ist. Angesichts seiner tatsächlichen Darstellung im Drama ist folglich die Forderung einer möglichst frühen Entstehungszeit nicht nur nicht not wendig . Die Zeit der großen Bewunderung Senecas , wie sie für die For schung mit ihrem Bezug auf Quintilian bis in die 90er Jahre gegeben ist, wirkt im Gegenteil für die Datierung der ' Octavia' eher unwahrschein lich , da Seneca selbst keineswegs so gut wegkommt, wie es sich die In terpreten in der Regel wünschen. Hätte ein echter Schüler das Scheitern seines bewunderten Meisters wirklich in derart deutlicher Weise für die eigenen Zeitgenossen und auch für die Nachwelt festgehalten? 2 . Noch stärker ist die Distanz des Verfassers zur Figur des im Stück an onym belassenen Präfekten , dessen Identifizierung in der wissenschaftli chen Literatur seit langem umstritten ist . Von der realen Chronologie , von seiner authentischen Bedeutung her wäre die Person klar zu bestim men . Der Prätorianerpräfekt müsste der berüchtigte Ofonius Tigellinus sein , der Nero anders als sein Vorgänger B urrus nicht mäßigend gelenkt, 34 WiJliams ( 1 994) S . l 80 "the Stoic code o[ moral conduct as presented [ . . .] by the cha racter Seneca is a lofty ideal , which [ . . . ] Nero attacks with no lillle j ustification because o[ its [ailure to address the simple pragmatics o[ autocratic rule in the conspiratorial at mosphere o[ imperial Rome . [ ... ] his own character's [ailure within the play to bring Nero to Stoic reason [ . . . ] treated with critical detachment by an author who depicts not just Nero' s autocratic excesses , but also the weaknesses in Seneca' s own doctrine" , Schubert ( 1 998) S .272 mit Anm.74 "Seneca ist im Redeagon unterlegen. [ . . . ] Nero trieb nur sein (intellektuelles) Spiel mit ihm" , Harrison (2003) S . 1 1 6 "the result is that his arguments, and thus his philosophy and li[e, are shown as [ailing in their aims o[ civilizing Nero and making himsel[ content with his own lot" , Goldberg (2003) S . 1 4 , 23[f. "the striking ine[ [ectiveness o[ these sentiments in this contexl . [ . . . ] seems to understand neither the necessities nor the constraints o[ rule. [ . . . ] The philosopher [ . . . ] is largely the prisoner o[ his own rhetoric and oblivious to the realities that sUITound hirn . [ . . . ] When Nero re sponds [ . . . J , we almost want to cheer" . Vgl . zudem bereits Schmidt ( 1 985) S . 1 439 "vollzieht sich die Entmachtung [Senecas] vor den Augen des Publikums" .
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sondern in seine Grausamkeiten geradezu hineingetrieben hat. Ein sol cher Präfekt ist mit seiner raschen, widerspruchslosen Bereitschaft zum Vollzug der Tötung von Plautus und Sulla realitätsnah dargestellt (V .439 iussa haud morabor . . ) und mit rara pietas . . . fidesque nota scheinbar getreulich charakterisiert (V .844f.) . Doch sein anschließendes Eintreten für Octavia, sein Versuch auf den außer sich geratenen Kaiser Einfluss zu nehmen (V .862ff.) , passt nicht mehr zum B ild des historischen Tigel linus . So haben sich die Interpreten mit unterschiedlichen Hypothesen zu helfen gesucht und neben dem zumeist benannten Tigellinus35 auch den geschichtlich unbedeutenden , vielleicht sogar mit Zügen des Burrus aus gestatteten Faenius Rufus36 oder gar mehrere Präfekten , Tigellinus V . 437ff. und Faenius Rufus V .846ff., oder einen praefectus praetorio bzw . urbi , uigilum 3 7 hinter der dramatischen Figur vermutet. Gerade ihre An onymität, ihr Mangel an erkennbarer, eigenständiger, authentischer Pro filierung ist es jedoch, die die Intention des Autors zeigt.3 8 Leicht hätte er seinem Präfekten einen Namen geben, leicht hätte er einer der historisch belegten , nur zu gut bekannten Größen in seinem Stück ein positives oder negatives Denkmal setzen können, wenn es ihm um historische Wirklichkeit gegangen wäre - angesichts seines sonstigen großzügigen Umganges mit der Chronologie wäre selbst ein B urrus als tragische Ge stalt nicht ausgeschlossen (vgl . den Zeitpunkt von Senecas secessus und vom Brand Roms) . Doch auf reale Aktualität, auf Aufarbeitung einer .
35 Vgl. z.B. Ritter ( 1 843), VUrtheim ( 1 909) , Chickering ( 1 9 1 0) , Herzog-Hauser ( 1 934) ,
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Torrini ( 1 934) , Santoro ( 1 95 5 ) , Paratore ( 1 97 1 ) , Bames ( 1 982), Kragelund ( 1 982, 1 988) , Griffin ( 1 984) , S ullivan ( 1 985); Forschungsüberblicke geben Schmidt ( 1 985) S . 1 441 f., Manuwald (200 1 ) S.287 Anm.64, 67 . Vgl. z.B . F1inck ( 1 9 1 9) , Lucas ( 1 9 2 1 ) , Schmidt ( 1 937) , Marti ( 1 949) , Rizza ( 1 970) , Whitman ( 1 978), Liberman ( 1 998); fUr eine Mischung vgl. Ladek ( 1 909) , Enk ( 1 926). Vgl . den Plural praefecti V.782 und z.B . Herrmann ( 1 924) , Holztrattner ( 1 995 ) , Castag na (2000) ; für Letzteres vgl . TaUcs (200 1 ) S .396 mit Verweis auf den RE-Artikel ' Octavia'. Schmidt ( 1 985) S. 1 44 1 f. "Die einzigen individuellen Züge [ ... ] deuten zweifelsfrei auf Ofonius Tigellinus als Orientierungspunkt [ .. ] die typische Tragödienfigur des Mahners [ ... ] dem Hintergrund der historischen Handlung nur notdürftig angepaßt und die daraus resultierende Divergenz in Kauf genommen. Der Verzicht auf eine ausdrückliche Benen nung [ ..] deutet [.. .] an , daß bei dieser Figur fUr den Verfasser die traditionell-typischen Mischungselemente gegenüber den historischen weitaus überwiegen". Vgl. bereits Helm ( 1 934) S .330f. "Hätte der Dichter [Faenius Rufus] gemeint und Gewicht auf die histori sche Persönlichkeit gelegt, so hätte er gerade ihn mit Namen belegen müssen , um ihn vor Verwechslung [ . . . ] zu schützen. Aber er hat das nicht getan, weil der Präfekt fUr ihn keine Bedeutung hatte und nur zur Charakterisierung der Handlungsweise Neros als polarer Gegensatz poetisch nötig war, und weil er eben zeitlich von den Ereignissen so weit ent fernt war [. . . ]" . .
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traumatisch empfundenen Epoche kommt e s ihm eben nicht an . Der an onyme Autor opfert mit leichter Hand die historisch belegbare Identität des Präfekten , nur um einen geeigneten Kontrast zu Nero zu erhalten . Denn die in der heutigen Literatur natürlich treffend beschriebene Funk tion ist dieselbe wie die des Seneca, die typische Funktion des Mahners und Wamers , wie sie in einer Tragödie einem treuen Untergebenen , ei nem anonymen , stereotypen satelles nun einmal zukommt und wie sie ein Teil der Forschung etwa nach dem Vorbild von Senecas 'Thyest' V .204ff. auch zu Recht erkennt.39 Die Formulierung mit pietas fidesque ist somit auch ohne historisch-reale Bedeutung . Sie dient allein der Vor bereitung eines Kontrastverhaltens gegenüber Nero, das von einem der artigen satelles eigentlich nicht zu erwarten wäre , und damit der indi rekten Charakterisierung des Kaisers . Dessen Wüten gegen seine bisheri ge Gattin Octavia nimmt solche Ausmaße an , soll diese Art der Darstel lung suggerieren , dass selbst der so treue Präfekt Widerspruch zu erheben wagt . Während jedoch die in gleicher Funktion verwendete Gestalt Sene cas als historische Persönlichkeit für einen ausführlich ausgearbeiteten Akt ausgewertet ist, ist für die ebenfalls historische Persönlichkeit des Präfekten noch nicht einmal ein ansatzweises Bestreben zu erkennen , ei ne für das Publikum nachvollziehbare Identifizierung zu geben . Seine gänzlich blass belassene Gestalt - "a colourless figure"4O - interessiert den Verfasser offensichtlich nicht. Und so ist er keiner, der sechs Jahre lang unter Tigellinus gelebt, gelitten und gefürchtet hätte , keiner, der recenti bus odiis , mit frischem Hass, auf eine selbst erlebte Zeit schreibt, für die Tigellinus schließlich zu einem großen Teil die Verantwortung zu über nehmen hatte . Denn eine Anklage an die bitteren Verhältnisse einer eige nen jüngsten Vergangenheit und späte Genugtuung für die Opfer des Ti gellinus hat er mit seiner Darstellung nicht gegeben - in der Tat ein deut liches Zeichen für innere Distanz des Autors zu den Ereignissen ohne spürbares Bedürfnis zur Abrechnung , ohne emotionale B indung an die dargestellte Zeit und ohne eigenes Erleben von Tigellinus' Grausamkeit . Der Verfasser wirkt wie ein distanzierter Betrachter, der für ein Publikum
39 Vgl . z .B . Cima ( 1 904) , Helm ( 1 934) , Pedroli ( 1 954) , Bruckner ( 1 976) , Schmidt ( 1 985),
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Seguardo e Campos ( 1 972), Junge ( 1 999), Seita (200 1 ); Manuwald (200 1 ) S .287 "in Funktion , allerdings wohl nicht in seiner Person [ . . . ) historisch" . FUr Habinek (2000) S .297f. steht der anonyme Präfekt fUr "the principate ' s desperate dependence on the sup port of its troops" . Griflin ( 1 984) S . l OO .
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geschrieben hat, das nicht nur einige Jahre Abstand hat,4 1 das vielmehr über mehrere Generationen hinweg genauso distanziert ist wie der Dich ter und das mit Neros Präfekten aus eigener Anschauung keine histori sche Person mehr zu verbinden weiß . Gegen die Annahme einer apologetischen Tendenz für Tigellinus und ei ne Entstehung der ' Octavia' noch zu dessen Lebzeiten ("the solution [ ... ] is the only one [ . . . ] which fits the facts")42 ist m .B . dies die beste , die ein zig mögliche Erklärung für die Anonymität des Präfekten und zugleich ein weiteres echtes Indiz für eine späte Datierung des Dramas .
3 . Entsprechendes gilt für die zweite , scheinbar eigentliche Hauptfigur des Stückes , d .h . für die Zeichnung des römischen Kaisers . Vom anonymen Dichter auf die Bühne gebracht ist ein selbständig, entschlossen ent scheidender, hart, brutal , ja bruta1st durchgreifender, grausamer Nero und damit, wie die Forschung zu Recht immer wieder betont, der Prototyp ei nes saeuus tyrannus,43 der selbstverständlich Ablehnung beim Publikum hervorruft und auch vom Verfasser aus einer Haltung tiefster Ablehnung heraus entworfen ist. Ablehnung, persönlicher Hass und der daraus re sultierende Wunsch zur postumen Abrechnung, ebenfalls immer wieder als Motiv für die Abfassung benannt,44 entzünden sich jedoch nicht am historischen Nero , so wie ihn der Dichter und mit ihm das zeitgleiche Publikum bei einer frühen Datierung jahrelang zuvor erlebt und erlitten haben müssten. An die Stelle des schwachen , zögerlichen , fremdbe stimmten Nero ist ein zur rationalen Argumentation fähiger, überlegen auftretender Kaiser getreten , eine starke Persönlichkeit ohne persönliche 41 So im Ansatz richtig auch Junge ( 1 999) S .2 1 3 "wird es den Rezipienten um so leichter gefallen sein [ . . .] als gesichtslosen .ratelle.r zu akzeptieren, wenn zumindest einige Jahre nach dem Wirken der [ . . .] in Frage kommenden historischen Personen vergangen waren"; richtig ebenfalls Kragelund ( 1 988) S .498 , wenn es ihm unwahrscheinlich vorkommt, dass ein zeitgenössisches Publikum den anonym belassenen Präfekten als bloße "dramatic stock ligure" angesehen und nicht sofort mit der ihm bekannten historischen Persönlich keit identifiziert hätte. Doch mit ihrer FrUhdatierung auf 68 n. ehr. bzw . in die frühen 70er Jahre ziehen beide den falschen Schluss aus ihren Beobachtungen. 42 Kragelund (2002) S . l 0 1 Anm .238 . 43 Vgl . z.B . Schubert ( 1 998) S .261 "Feuerwerk pauschaler Anschuldigungen, das sich aus giebig des klassischen Tyrannentopos bedient" , Junge ( 1 999) S .203f. "Tyrann schlechthin [ . . . ] gleichsam als Krönung und Verkörperung des [ . . . ] .raeculum graue". Weitere Lite ratur zu dieser Topik bei Bruckner ( 1 976) S .40ff., Schmidt ( 1 985) S . l 436f., Manuwald (200 1 ) S .306 Anm . l 02 . 44 Vgl . z.B . Torrini ( 1 934) S .36ff., Kragelund ( 1 988) S .504 , (2000) S .502 mit weiterer Li teratur.
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Exzesse und all die Marotten und Eigenheiten , die dem realen Nero als Charakteristika zu Eigen waren . Der Dichter der ' Octavia' hat mit seiner Kaiserfigur wiederum also kein echtes Abbild der Wirklichkeit entwor fen ; es fehlen jegliche Hinweise auf Neros Vorliebe für Kunst und Dich tung , auf seine Auftritte als Schauspieler, Sänger, Wagenlenker und auf derart Exzentrisches. Es fehlt "individuelle Polemik" , wie die Forschung zwar immer wieder feststellt,45 doch mit Ausnahme von Schubert kaum weiter ausgewertet hat.46 Und während auf persönliche Details im Drama verzichtet ist, ist umgekehrt und ebenfalls unhistorisch Neros Verant wortlichkeit und dadurch seine persönliche Grausamkeit sogar noch ge steigert (die Ermordung von Plautus , Sulla, Octavia als eigenständiger Befehl des unwilligen, unbeherrschten und nicht von einem Tigellinus oder Poppaea aufgehetzten Kaisers).47 So gibt sich das Stück eher allgemein als Auseinandersetzung mit der Problematik des Gewaltherrschers , für den als Beispiel eine berüchtigte historische Persönlichkeit gewählt ist, die um des allgemein gültigen An spruchs der Aussage willen keine getreue Umsetzung erfahren hat. Es geht um den tyrannisch auftretenden Alleinherrscher an sich und damit verbunden um das Problem der dynastischen Herrschaft, wie sie am Mo dell des juli sch-claudischen Kaiserhauses vor Augen geführt wird :48 Der 45 So z .B . Schmidt ( 1 985) S . 1 435f. "überindividuell konzipierte Person" (das obige Zitat
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S . 1 437), Sallmann ( 1 998) S .42 "Nero ist so perfekt als der Tyrann par excellence typi siert, daß ihm ein Individualcharakter gar nicht bleibt" , Junge ( 1 999) S .203f. "nicht pri mär eine historische Figur". Schubert ( 1 998) S .452 ,,[ . . .] weist auf [ . . .] Abstand von den Ereignissen und die geistige Verankerung in einer anderen , der domitianischen Zeit" ; vgl . ferner Manuwald (200 1 ) S .307 Anm . 1 03 als Argument gegen Kragelunds Datierung unter Galba. Nicht überzeu gend Kragelund selbst (2002) S . 1 0 l f. "Others would blame Nero for being a charioteer [ . . .] . On these popular anlics the dramatist wisely says nothing. Instead, he gave Nero a new , and in the eye of the commoners , a far more damaging role, that of playing what his victorious opponents cIaimed to be his true selr' . Vgl . z.B . Schmidt ( 1 985) S . 1 435ff. "schärfere Konturierung des historischen Vorbildes in Richtung auf einen negativen Typus" . Vgl . Schmidt ( 1 985) S . 1 448 "der Umfang dieser ständigen Rückblicke geht über das [ . . . ] erforderliche Maß weit hinaus" und entsprechend die neue Analyse von Schubert ( 1 998), vor allem S .26O "Fall der Kaiserin und des claudischen Hauses [ . . . ] als Beispielgeschichte, als historische Konkretion des stets sich gleichen Schicksals" , S .283ff. "als Beispielge schichte zu verstehen: nicht nur den traurigen und empörenden Einzelfall [ . .] , sondern den Prototyp der Opfer, die das Prinzipat der Iulio-Claudier zu jeder Zeit forderte . Nir gend wird die exemplarische Ausrichtung des Stückes so deutlich [bezogen auf das letzte Chorlied, . . . ] . In jeder Generation [ . . .] Analyse des julisch-claudischen Prinzipats [ ... ] , die bitterer kaum ausfallen könnte. [ . . .] Als individuelle, persönlich gegen Nero gerichtete Abrechnung wird man die Octavia angesichts dieser eindeutig auf das Exemplarische ge.
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Tyrann , "ein nur an seinem Eigennutz orientierter Kaiser" ,49 der aus per sönlichen Motiven , zur Befriedigung eigener Lust, aber zugleich unter dem Zwang zu dynastischer Kontinuität - das eigene Überleben und die Sicherung seiner Herrschaft - im Privaten Entscheidungen treffen muss , die von seinem Volk nicht mitgetragen werden . Poppaeas Schwanger schaft ist Garantie für ein Fortbestehen des Kaiserhauses , die Hochzeit mit ihr ist zwangsläufiger Ersatz nach der kinderlosen Ehe mit Octavia, doch nicht im Sinne des römischen populus mit seiner Treue zur julisch claudischen Dynastie . Der Konflikt ist somit unabhängig von der Person des Kaisers vorgegeben , da dieser bis zu einem hohen Grad zu seinen Entscheidungen gezwungen ist und sich letztlich erst durch andere, aus gerechnet durch das Volk , zu seiner Grausamkeit zur Demonstration von Macht als Beweis seiner Autorität genötigt fühlen muss - ein notgedrun gen aus Angst um sich und seine Herrschaft reagierender, getriebener Kaiser, der sich jahrelang um seine erste Ehefrau bemüht hat, der seine Macht nicht nur genießt, der unter ihr zugleich auch leidet und dafür so gar bis zu einem gewissen Grad Verständnis , ja auch Mitgefühl verdie nen mag .so Als emotional geprägte Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit ist die ' Octavia' folglich wiederum nicht zu erweisen . Sie ist kein Abbild der Wirklichkeit, der durchstandenen Qualen; sie ist kein Mahnmal . Sie lässt richteten Tendenz mit Sicherheit nicht verstehen kiinnen . [ ... ] Nicht Emotion , sondern nachdenkliche Analyse ist das Ziel der Octavia . [ . . .] In Nero sol l , dies folgt aus der ex emplarischen St08richtung des Stücks , der typische Princeps gezeigt werden. [ . . ] er soll als abschreckendes Produkt der herrschenden Staats verfassung ihre systeminhärente Ent artung lebendig veranschaulichen. [ ... ] im Streben nach dem Allgemeingültigen [ ... ] Grund dafür zu sehen , daß der Dichter Nero [ . . . ] mit zahlreichen Zügen des topischen Ty rannenbildes ausgestattet hat . Doch nicht Tyrannis an sich soll dargestellt werden, son dern das julisch-c1audische Prinzipat in Nero als eine Variante [ . . ] " , S .256 "Rachegelüste des Dichters allein können die Abfassung nicht erklären" , S .450 "Dichter, den nicht per sönliche Rachegelüste, sondern distanzierte politische Analyse leiteten". Manuwald (200 1 ) S .306 . Vgl . hierL U vor allem den zweiten Akt und die Analyse von Schubert ( 1 998) S .269f. kein "blindwütig rasender Tyrann [ . . . ] . Nicht als selbstsicherer und von Grund auf böser, son dern getriebener und erst böse gewordener Herrscher", S .280 "das dramatische Aufbre chen von Neros wahrem Charakter [ . . .] wie die bislang mühsam gewahrte Haltung des zynischen , aber ' vernünftigen' Autokraten [ . . . ] unter dem Einfluß von ira und metus zer fällt, [ . ..] wie sein tyrannisches Wesen [ . . .] endgültig die Oberhand gewinnt"; vgl . ferner z .B . Schmidt ( 1 985) S . 1 435 "nicht die Vorstellung einer blindwütig um sich schlagenden Bestie, sondern eines bestimmten, rational kalkulierenden politischen Typus [ . . . ] Ziel [ . . . ] die Erhaltung der absoluten Macht" , Goldberg (2003) S .23 "not Iike the ranting tyrants [ . . .] . He is rational and calculating, an almost sympathetic holder of a tiger by the tail [ . . . ] . This Nero [ . . . ] is no monster". .
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im Gegenteil auch in Bezug auf Nero und damit ein weiteres Mal innere Distanz ihres Autors anstatt echtem Interesse an historischen Realitäten erkennen . Sie gibt sich als literarisch-tragische Umsetzung eines ge schichtlichen Ereignisses mittels historischer Personen und ausgewählter Einzelheiten , die als bloße Staffage für die exemplarisch dargebotene Ty rannentopik dienen und die der Dichter mit großer Freiheit nach Bedarf einsetzt . Zu beachten ist nämlich im Zusammenhang mit der Charakterisierung Neros ein weiteres wesentliches Detail, das in der Literatur für die Datie rung eher selten Berücksichtigung erfahrt und als Indiz auch längst ent kräftet zu sein scheint . Wenn die Forschung die nicht notwendige Einbe ziehung des großen Feuers von 64 n. Chr . ,5 1 ein eindeutiger Verstoß ge gen die reale Chronologie , heute mit dem Hinweis auf allzeit übliche und mögliche dichterische Freiheit rechtfertigt,5 2 hat sie natürlich gegen alte Argumentationen recht.53 Die Glaubwürdigkeit eines poetischen Textes ist allein durch solches nicht tangiert, zumal der Dichter auch ansonsten frei gestaltet (vgl . z .B . gegen Ende Octavias real unmöglicher B lick vom Palatin auf das Totenschiff) . Und sie hat ebenfalls recht , wenn sie einen Teil der Funktion des in der ' Octavia' anders als bei Tacitus , doch gemäß Sueton und Cassius Dio von Nero initiierten , bezeichnenderweise vom Besitz des Tigellinus ausgehenden Brandes54 mit dem Bestreben des Ver fassers erklärt, Nero durch Wahl der "belastenderen Variante" in einem noch schlechteren Licht erscheinen zu lassen und "die Rachsucht des Ty rannen hervorzuheben" .55 So gibt es in der ' Octavia' ein Volk , das sich 5 1 Vgl . so ausdrücklich Maas ( 1 973) S .605 ..obwohl nicht durch den Zusammenhang des StUckes gefordert" . 5 2 So z .B . Pantzerhielm Thomas ( 1 945) S .49 ..qui fabulam, sit etiam praetextam fabulam componit , tragoediae, non rerum gestarum scriptor est" , Walker ( 1 957) S . 1 64 ..ceases to have any relevance to the question of autorship when the rhetorical nature of the play is kept firmly in mind . Could a contemporary ignore the two years? [ ... ] a rhetorician cer tainly could" , Williams ( 1 994) S . 1 9 1 .. Although the play is based on historical events [ . . . ] the poet is no slave to historical constraint, but a free agent who interprets recent history according to his own creative demands". 53 Vgl . z.B . VUrtheim ( 1 909) S .7ff. ..Duo [ . . . ] facta satis longo intervallo dirempta neque ulla ratione inter se coniuncta [ . . . ]. Ecquis est, qui putet auctorem haec probabilia reddere potuisse legentibus vel spectantibus, qui ipsis Neronis facinoribus interfuissentr' 54 Tac.ann . 1 5 ,38ff.; Sueton Nero 38, Dio 62,1 6ff.; zur Funktion siehe auch u. S .6 1 . 55 Vgl . z.B . Bardon ( 1 939) S .2 5 3 , Schmidt ( 1 985) S . 1 437 mit obigem Zitat , Ferri ( 1 998) S .342 Anm .4 , Junge ( 1 999) S .204 , 263 mit obigem Zitat , GalimbertiIRamelli (200 1 ) S . 80; vgl . besonders ausführlich Kragelund ( 1 982) S .40ff. . .Although most o f the sources agree in charging Nero with starting the lire of Rome , this author stands alone in his 38-
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gegen seinen Kaiser auflehnt, vor allem aber, als Steigerung , einen Ty rannen, der in seinem Herrscherwahn sogar so weit geht, sein eigenes Volk vernichten zu wollen , da er es als unwürdig ftir seine Herrschaft empfindet .56 Doch zu bewerten ist nicht nur die zeitliche Aufeinanderfolge der Ereig nisse und deren Straffung . Für die Frage der Datierung zu berücksichti gen ist weit wesentlicher die Tatsache , dass Nero mit dem Brand als Strafandrohung nicht frei , nicht etwa aus einer bloßen Laune heraus han
(V .780ff. . . . furor populi . . ), auf saepire jlammis principis sedem parant, 822 ciuilis accen sas /aces, 85 1 f. petere quae jlammis meos/ ausa est penates) mit Feuer reagiert (V .820ff. 0 lenta nimium . . J et ira patiens post ne/as tantum mea/ . . . grauiora meruit impium plebis scelusJ . . . mox tecta flammis . . . , 855 debita poena) . Ungeachtet der damit dokumentierten Grausamkeit
delt , sondern dass er auf einen Aufstand
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Feuer (V .80 I
erhält der römische Kaiser so sogar eine ausdrückliche Rechtfertigung ftir sein Verhalten ,57 was neben der Chronologie ebenfalls nicht den histori schen Tatsachen entspricht. Im Streben nach Kumulation von Belegen für
sertion that the princep.r ' purpose was to hann the people. We see a Nero insane with fu ry and hatred, wishing to subdue the people with fire, famine and want so that they will never again be able to rebel against hirn. [ .. ] The emphasis on Nero ' s crimes against the people [ ... ] is striking" , (2002) S . 1 0 1 "a Nero who never, at heart, had been a tTUe po pularis. Uniquely in historical sources, the dramatist not only makes hirn responsible for the Fire of Rome, but makes hirn declare that this was his punishment for the ingratitude of the populus [ . . ]: Here, there is nothing about his frantic aUempts to a1leviate popular misery and visit the blame on Jewish or Christian scape-goates" . Ferri (2003a) S . 1 5 "the poet [ . . . ] is obviously trying to encompass [ . . ] all the salient crimes of Nero ' s rule. [ . .] collecting in his portrayal of Nero all that was best known and , as it were, typical [ . . . ] : Nero had t o b e recoxnizable a s the legendary emperor that everybody had read about" . Bei Carbone ( 1 977) S .66 Anm .63 ist der Brand Roms nur mehr in einem Anmerkungs verweis bei den "departures fTOm historical fact" präsent; ähnlich Rizza ( 1 970) S . 1 I f. , S uUon ( 1 983) S .44f. "compressions, suppressions, distortions [ . .] . H e also bent the truth regarding the great fire [ . . . ] by representing that event as Nero ' s revenge" . 56 Vgl . z .B . Söring ( 1 982) S . 1 87 "Neros hysterische Reaktion auf den Aufruhr des Volkes [ . . . ]. Es ist die verheerende , zur äußersten Negation fortschreitende Konsequenz des Al leinherrschers, zuletzt noch das Objekt seiner Herrschaft: die Beherrschten zu vernichten. Als Rechtfertigung dient dabei eine Argumentation, die die eigenen Laster den Widersa chern zum Vorwurf macht. Was Nero hier in grotesker Verzerrung als Kennzeichen sei nes Regiments hypokritisch flIr sich in Anspruch nimmt [ . . .] muß vor dem Hintergrund seiner Rachsucht als schmeichelnde Parodie erscheinen". 57 Vgl . auch Schmidt ( 1 985) S . 1 438 "die Souveränität des Herrschers durch einen bUrger kriegsähnlichen Aufruhr bedroht [ . . . ]. Der Konflikt entwickelt sich also zwangsläufig, und Aktion (Brandsti ftung) wie Reaktion (blutige Niederschlagung der Rebellion und Brand Roms als Strafandrohung) sind von einem der tragischen Handlung angemessenen, rele vanten Ausmaß" . .
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Brutalität hat der Verfasser des Dramas Nero - bewusst oder unbewusst zugleich eine Art der Entlastung für eine seiner größten geschichtlichen Untaten gegeben . Soll da die 'Octavia' ernstlich für ein Publikum ge schrieben sein , das unter dem verheerenden Feuer in Rom selbst hat lei den müssen? Ein Publikum , das Volk von Rom , das mit angesehen hat und immer noch mit ansehen muss - die Zerstörung eines Großteiles der eigenen Stadt , 10 von 1 4 Bezirken, als traumatisches und in seiner Wirkung keineswegs punktuell nur auf
64/65 n. Chr. beschränktes Ereignis , - das Goldene Haus Neros als Folge , das ganze Stadtteile vom Zugang zum Forum abgeschnitten und das römische Volk so dauerhaft geschä digt und belästigt hat , - die hektischen Bemühungen des anschließenden Regimes, wenigstens Neros B auwahn wieder aufzuheben (vgl . epigr.2 ,8 abstulerat miseris tecta superbus ager . . . ) und dem Volk sein eigenes Rom zurückzuge ben - reddita Roma sibi est, wie es dann ein Martial voll Freude loben kann (epigr.2 , l l ) . Im folgenden Jahrzehnt wurden aus Neros Privatbad bekanntlich die in rasanter Bauzeit umgestalteten Titus- Thermen; an der Stelle von Neros privatem Teich wurde das Kolosseum errichtet, um hier nur die markantesten Projekte anzuführen . Bei einer Entstehung des Dramas in frühflavischer Zeit wäre der Brand Roms mit seinen Konsequenzen für die B ürger der Stadt nach wie vor hochaktuell und durch die neuen Baumaßnahmen dem LeserlZuschauer tagtäglich vor Augen5 8 - einem Publikum, das der Version des Stückes zufolge selbst die Schuld an seinem eigenen Leid trägt. Denn der Nero der ' Octavia' ist kein von Wahnsinn beherrschter, nur an seinem persön lichen Luxus interessierter Kaiser , der die Stadt in seiner Willkür ange zündet hat. Der Nero der ' Octavia' hat dafür einen guten Grund ; er rea giert , und er muss reagieren , um das Volk zu zügeln , das ihm sein priva tes Gl ück nicht gönnte , das sich mit Zerstörung , ja sogar mit Brand ge gen ihn erhoben und damit auch am großen Feuer seinen Teil der Schuld zu übernehmen hat . Eine derart kausale Verknüpfung der in der Realität getrennten historischen Ereignisse vor und für Zeitzeugen zu dramatisie ren wäre m E . in einer Zeit lebendiger Erinnerung geschmacklos . Es ist 58 Vgl . Wiseman (200 1 ) S . 1 0 "Now , imagine yourselves in the theatre of Marce11us in No vember of the year AD 68. 1t' s only four years since the great lire, and a11 around you Rome is being rebuilt [ . . ]" . .
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vielmehr ein zusätzlicher deutlicher Beleg fIir innere Distanz des anony men Dichters wie des intendierten Publikums , die beide den Brand nur in der Rückschau als historisches Ereignis, nicht aber aus eigener leidvoller Erfahrung kennen , die die für die Tragödie verarbeitete Geschichte ohne eigene tiefere Geftihle , ohne selbsterfahrene Prägung emotionslos mit der vorgenommenen Verzerrung niederschreiben bzw . rezipieren konnten . Oder hätten ein Dichter ebenso wie dessen Publikum dem Verantwortli chen wirklich eine rational nachvollziehbare Erklärung, eine postume Rechtfertigung zubilligen wollen - der Brand als Reaktion und in der Tat nicht unverdiente Strafe - , wenn sie die in Wirklichkeit willkürlich vor genommene Vernichtung ihrer Hauptstadt durch einen verrückten Kaiser selbst miterlebt hätten?
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IV Es ist gew iss nicht möglich, auf sprachlichem Wege oder durch inhaltli che Vergleiche eine Spätdatierung nach Tacitus und die Abhängigkeit des Anonymus von diesem plausibel zu machen , wie die Forschung üblicher weise und mit vollem Recht betont .59 Doch damit ist nicht zugleich die Frühdatierung des Dramas als zwangsläufige Alternative erwiesen. Durch die zuvor vorgetragenen Beobachtungen zur mehrfach erkennbaren inneren Distanz des Verfassers , d .h . aus inhaltlich-ethischen Gründen , ist ein früher Ansatz m .E . sogar deutlich auszuschließen . Auszugehen ist vielmehr von einer späten Entstehung erst nach mehreren Generationen , etwa seit dem Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr . oder noch später, auf jeden Fall aber in einem größeren zeitlichen Abstand zu den Ereignissen , da nur so die festge stellte innere Distanz verständlich wird . Denn die in neuerer Zeit von einzelnen Interpreten vertretene Alternative , eine Datierung unter Domitian als in der Tat späterer Ansatz , ist nach wie vor durch längst bekannte Argumente z .B . mit Pedroli , Junge gegen Schu bert, Ferri mit allem Nachdruck abzulehnen und m .E . ebenfalls ausgeschlos sen . Der ' Agricola' des Tacitus mit seiner Klage über die vorausgegangenen
15 Jahre mit erzwungenem Schweigen , die ' V ita' Suetons mit ihrer Zeich nung des überempfindlichen , zu leicht beleidigten Kaisers belegen deut lichst die Problematik für die in dieser Zeit aktiven Literaten ; man denke z .B . an Herennius Senecio oder Arulenus Rusticus . Der Beginn der Taci teischen ' Historien ' und Juvenals satirischer Spott über Domitian als caluus Nero lassen noch heute erkennen , wie sehr sich den Zeitgenossen eine Par allelisierung der beiden Epochen bis 69/98 n . Chr. aufgedrängt hat - Anlass vielleicht für Domitian , die Darstellung Neros auf der Bühne zu verbieten
( . . . ut in se dicta interpretaretur, quae de simillimo dicerentur) , wie es durch Plinius überliefert ist . Zusätzlich zu berücksichtigen ist als echte indi viduelle Parallele , dass
83 n. Chr. auch Domitian seine Ehefrau verstoßen
hat . Dass ein Helvidius danach noch den Mythos von Paris und Oenone auf zuführen wagte , war dem Kaiser offenbar bereits zu viel persönliche An spielung und Grund für die Todesstrafe , die z .B . auch den angesehenen 59 Vgl . z.B . Junge ( 1 999) S .286 "Es gibt weder historische noch sprachliche Gründe für eine zeitliche Einordnung nach Tacitus. Vielmehr weist alles auf eine Entstehung [ . . . ] in der näheren Zeit nach Neros Tod , vermutlich in der Regierungszeit Vespasians". Vgl . aber jUngst immerhin auch Ferri (2003a) S .29 "No direct argument can be adduced against the possibility of the play being much later than the events it represents" .
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Mimen Paris traf. Nicht erst seit dem Schicksal stoischer Oppositioneller, seit der Vertreibung der Philosophen aus Rom , schon seit dem verhältnis mäßig frühen Zeitpunkt seiner Scheidung , ja überhaupt in einer Zeit , in der ein Domitian wie zuvor Nero zur Entartung neigte , wäre die Gefahr für den Verfasser ausgerechnet einer ' Octavia' mit der versuchten Darstellung sto isch geprägter Weltanschauung viel zu groß gewesen ,60 es sei denn man wollte , wie schon zu Lebzeiten von Seneca und Nero , ein weiteres Mal ei nen Charakter als politisch-aufrührerischer Untergrundtext für das vielleicht deswegen anonym umlaufende Stück postulieren. Doch die von Schubert als Ergebnis seiner überzeugenden Einzelcharakteristik unterstellte politische Intention des Dramas insgesamt als Kritik an flavischer Ideologie6 1 oder der von Ferri vorsichtig vermutete persönliche Angriff gegen Domitian und die schlechte Behandlung seiner Ehefrau62 ist nicht wirklich belegbar, nicht notwendig und so auch nicht überzeugend . Auch ist eine politische Deutung nicht an den letzten der flavischen Kaiser gebunden ; sogar bessere politische Bezüge sind auch noch später denkbar. Die S uche nach einem passenden zeitlichen Hintergrund für einen Text ist eine spannende Aufgabe und zumindest so lange zulässig , wie man sich des notwendig spekulativen Charakters aller auch noch so überzeugend wir kender Thesen bewusst bleibt. Im Falle der ' Octavia' kommt erschwerend hinzu , dass die Form des dramatischen Textes keine explizit programmati schen Aussagen etwa eines Prooemiums zulässt, so dass beides zugleich , Datierung wie Intention des Verfassers , vom heutigen Interpreten zu er schließen ist .63 Ein hochspekulativer Charakter ergibt sich jedoch nicht nur
60 Vgl . Pedroli ( 1 954) S . 3 3 , Junge ( 1 999) S .200 Anm .533 mit Verweis auf Sueton Dom . 1 0 ,4, Juv.4,3 8 , Plin .paneg .53 ,2ff.; gegen derartige Einwände genau umgekehrt jedoch Schubert ( 1 998) S .289 Anm . t 35 "Eben dies spricht m .E . fUr domitianische Datierung". 6 1 Schubert ( 1 998) S .287f. "späte Abfassung erst unter Domitian , die kritische Untertöne grundSätzlich wahrscheinlicher machen muß [ . . .] exemplarische Analyse [ . . .] auch das re gierende Haus der F1avier in die Prinzipatskritik einbezogen [ ... ] . Indem der Dichter [ . . .] zeigt , daß [ .. ] Neros Schicksal typisch fUr das eines julisch-claudischen Princeps ist, stellt er das simplifizierende Bild Neros in der flavischen Ideologie in Frage und kritisiert den Anschluß an die j ulisch-claudische Regierungsform des Prinzipats als Neuauflage einer im Kern neronischen Tyrannis" . 62 Fern (2003a) S .27 "one of the author's intentions may have been that of suggesting a parallel between the old and the new Nero" - eine Wiederaufnahme der alten Annahme von Ritter ( 1 843), Nordmeyer ( 1 893); dagegen betont z.B . schon Sutton ( 1 983) S .6 Anm .7 "lack of positive evidence". 63 Vgl . auch unlängst Goldberg (2003) S .30 "A play without an author, a clear occa.�ion , date, or audience, set in a genre oe problematic expectations and conventions presents a .
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für d i e von der communis opinio abweichenden , in eine spätere Zeit weisen den Überlegungen . Nicht zu vergessen ist, dass solches genauso für die Mehrheit der Forschung gilt, die sich mit ihren Ansätzen zur Frühdatierung ohne objektive Beweise zumeist auf ein von Ä ußerlichkeiten beeinflusstes , bloßes Wunschdenken stützt . Wenn z .B . zuletzt S mith mit Vespasians B au des Claudius-Tempels, mit seiner Restaurierung des Marcellus-Theaters ei nen fTÜhflavischen Kontext für die ' Octavia' entwirft und an die parallele Restaurierung des Pompeius-Theaters durch Claudius erinnert,64 ist zumin dest mit dem gleichen , nein sogar mit besserem Recht versuchsweise eine spätere Datierung zu postulieren , da diese wirklich von der Gestaltungswei se des Dramas selbst und von dessen zuvor erörterten Eigenheiten ausgeht . Und wenn sowohl die früh- wie auch spätflavische Zeit ausscheiden , ist zwangsläufig über das
1 . Jahrhundert hinauszugreifen und die ' Octavia' z .B .
im Zusammenhang mit dem dann verstärkt einsetzenden Interesse an der vorausgegangenen Prinzipatszeit zu sehen , wie sie im 2 . Jahrhundert n. Chr. bei Tacitus und Sueton vorliegt - und dies nicht nur in dem zu erwartenden zeitlichen Abstand , sondern zugleich unter dem mit Nerva und Traj an neu geschaffenen politischen System der Adoption des jeweils
optimus princeps .
So wäre die ' Octavia' gut als weiterer Beitrag geschichtlicher Aufarbeitung gerade in einer Zeit denkbar, in der die ' Annalen ' des Tacitus und S uetons B iographien enstehen . Als ein weiteres Zeugnis geschichtlicher Rückbesin nung über die Schrecken dynastischer Erbfolgesysteme wäre sie auch unter den Adoptivkaisern nicht weniger aktuell als unter einem Vespasian oder Domitian.65 Gegen den Großteil der Forschung nicht oft genug zu betonen ist schließlich , dass ihre Darstellung eben nicht von aktuellem , selbsterlebtem Hass gegen einen speziellen
princeps getragen wirkt. Es geht vielmehr am
Beispiel Neros prinzipiell um die Problematik dynastischer Monarchie , die sich auf einem Regime des Schreckens begründet . Zu wenig beachtet wird
hermeneutic chalJenge of major proportions", Smith (2003) S .391 Anm .2 "assumptions (and no more than a.� sumptions)" . 64 Smith (2003) S .426ff. "Vespasian might then model himself as the new Claudius [ . . l". 65 Offenbar erkennt alJein Runchina ( 1 977n8) S 79f. ebenfall s eine ideologisch-politische Nähe zwischen den unmittelbar postneronischen Jahren und der trajanischen Zeit . der Kaiser der von ihm flilh datierten praetexta als "antipodi di questo ideale" " die auch zur weiteren Verbreitung des Dramas hätte ruhren können; Plin.epist.5 ,5 i st ihm Beleg rur das damalige Interesse an der neronischen Zeit . Schubert ( 1 998) S .289 Anm . 1 35 sieht jedoch nur bis Oomitian "genUgend Aktualität" und lehnt eine Entstehung in der Zeit der Adop tivkaiser ausd1i1cklich ab , da dann "die Thematik dynastischer Degeneration obsolet war" . .
.
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in diesem Zusammenhang, wie sehr Neros Argumentation V .492ff. , seine kritische Sicht der mit B ürgerblut erzwungenen M ilitärmonarchie des Au gustu s , in Wahrheit zutrifft und ebenso auf andere , auf die Flavier, zu über tragen ist, auch wenn sie - ein Zeichen tragischer Ironie - aus dem Mund ei nes davon profitierenden Tyrannen stammt . Es versteht sich von selbst, dass hierin ein weiteres Gegenargument gegen eine Frühdatierung in die Zeit Vespasians besteht, da dieser nicht anders als Augustus seine neue Macht allein durch B ürgerkrieg und Militär gewonnen hatte und Kritik in Bezug auf beide , sowohl auf Nero wie auf Vespasian , nicht zum Postulat der an geblich befreiten Abrechnung mit einem endlich überwundenen Regime passt . Datiert man dagegen später, ist die ' Octavia' vielleicht in einer Zeit der Diskussion um Fortführung oder Autbebung bzw . Aufweichung des Ad optionsprinzips zu sehen und etwa beim Übergang von Traj an zu seinem Neffen Hadrian mit der Adoption immerhin eines Verwandten ein warnen des , mahnendes Gegenbeispiel , sofern wirklich eine aktuelle politische Ziel setzung mit dem Drama zu verbinden ist . Denkbar ist Ähnliches beim Über gang der Regierung von Marc Aurel auf Commodus und damit tatsächlich wieder von einem Vater auf einen Sohn mit absehbar negativen Konsequen zen , wie sie dann tatsächlich eingetreten sind . Denkbar ist die ' Octavia' ebenso in späterem Kontext, etwa beim Versuch anderer Kaiser, eigene Dy nastien zu etablieren - ein Dokument politischer Ohnmacht und gänzlicher Desillusionierung eines von der eigenen politischen Wirklichkeit des Prinzi pats zutiefst enttäuschten Literaten. Sein Stück zeigt als pessimi stisches Gesamtbild , wie selbst gut gemeinte Ansätze ins Negative führen , wie sich Angst und Hass , Fehler des Kaisers wie des Volkes gegenseitig aufschaukeln , ja, wie sich ein princeps und sein populus Romanus zwangsläufig zu Grunde richten müssen . Die vom auf ständischen Volk selbstverschuldete Katastrophe erinnert an die von Tacitus zu Beginn der 'Historien ' in der fiktiven Rede Galbas beklagte Unfahigkeit der Regierten, republikanische Freiheit ertragen zu können ( 1 ,1 6 si immen sum imperii corpus stare ac librari sine rectore posset . . . imperaturus es hominibus, qui nec totam seruitutem pali possunt nec totam libertatem - die Adoption loco libertatis als notwendiger Ersatz , aber nicht direkt die er sehnte Freiheit); sie weist in ihrer pessimistischen Aussage sogar noch einen Schritt weiter: Einen positiven Lichtblick gibt es in der ' Octavia' mit ihrem düsteren Ende nicht . Was zum Schluss bleibt, ist ein durch und durch nega tiver Ausblick - eine Stadt, ein Staat, der sich am eigenen Blut des BÜfger-
'Octavia' Anonymi: Zeitnahe praetexta oder zeitlose tragoedia?
krieges freuen wird (V .982
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ciuis gaudet Roma cruore).66 Vielleicht ist im
Zusammenhang mit der so dokumentierten Desillusionierung die merkwür dige Einstellung des Verfassers zu den Revolutionären der Republik zu ver stehen , mit der die Forschung bislang offenbar nichts anzufangen weiß .67 Während die zu popularen , aufrührerischen Volkstribunen C. und Tib . Gracchus und Livius Drusus in der Zeit der klassischen römischen Literatur traditionell negative Bewertung erfahren - noch bei Lucan sind sie zusam men mit einem Catilina in die Unterwelt verbannt (6,795f.) -, sind sie hier V .8 82ff., 8 87ff. in positiver Weise , ohne jede Spur von Kritik als Exempel verwendet ( . . . perdidit ingens quos plebis amorl nimiusque Jauor j genere illustres, pietate fidel lingua claros, pectore Jortesl legibus acres . . . ). Sol ches zeugt vom Bruch mit der gedanklichen Tradition einer vorausgegange nen Epoche und ist damit eventuell Beleg für eine andere , unklassisch-späte geistige Haltung des Anonymus mit seiner von Prinzipatsverdrossenheit ge prägten Verklärung früherer römischer Volksrevolutionäre .68 Dass rür die ' Octavia' nicht nur eine bestimmte zeitliche Phase , sondern die römische Prinzipatszeit überhaupt mit ihren vielen Herrschern einen ge eigneten Hintergrund bietet , ist im Übrigen Beweis für den zeitlos aktuellen Charakter des Dramas . Natürlich hat es eine politische Aussage und dem gemäß auch eine politische Intention , wie die jüngere Forschung , besonders
66
Zum negativen Ausgang siehe auch u. S .6 1 f. FUr Rizza ( 1 970) S .54ff. ist ,,La visione di Roma che cade" V.282ff., 429ff., 676ff. und die explizite Klage ubi Romani uis est po puli mit einer Entstehung noch im 1 . Jahrhundert unvereinbar. 67 Vgl . Nordmeyer ( 1 893) S . 3 1 4f. "Quo modo explicanda sit [ . . . ], nescio" , Kragelund ( 1 982) S .46ff. "highly unusual under normal circumstances [ ... ]. The enthusiasm for sub versives is singular [ . . . ]. I can think of only one period where reformist aims would be formulated within that particular republican conceptual fTamework: the short reign of Galba [ . . . ]", Manuwald (200 1 ) S .329f. ,,Eine so positive Darstellung [ . . .] scheint singulär zu sein"; sie wertet sie zusammen mit der pusitiven Zeichnung des Volkes als Beleg da für, dass der Verfasser "Beachtung und Vertretung der Interessen des Volks als gerecht fertigt ansieht" . Fern (2003a) S .384f. verweist erneut auf Sen .cons .Marc . 1 6,3f. fUr die gemeinsame Nennung und Cornelias Trauer als "the prime inspiration", doch wie bereits Nordmeyer richtig erkannte, kann der Dichter dort nur die Anregung fUr ihre Verwen dung, nicht aber auch für seine zu positive Charakteristik erhalten haben . Absurd und oh ne jeden Beleg Smith (2003) S .423 "perhaps in the tradition of republican fabulae prae textae [ . . . ] " . 68 Interessant ist die Beobachtung von Schubert ( 1 998) S.28 1 , dass der Brand Roms als unhistorische Strafe Neros "späten Widerhall" bei Aureli us Victor gefunden hat (5 , 1 3 ff. coniurauere plures ... ad liberandam rem publicam . quis proditi., caesisque immanior urbem incendio . .. tollere decreuerat) vielleicht ein Indiz fUr einen gemeinsamen spätantiken Kontext. -
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Schubert und Manuwald , mit verstärktem Interesse hervorheben.69 Fraglich jedoch ist, inwieweit es sich dabei um eine aktuell zeitgerichtete Aussageab sicht nach angeblich typischer Art einer
praetexta handelt70 und nicht eher
um eine allgemeine politische Erkenntnis im S inne einer zeitlos exemplari schen Gültigkeit der Darstellung , die ein später Literat seiner nach literari schen Vorbildern gestalteten Tragödie als eigenen Beitrag mitgegeben hat. Eine gezielt gegen Nero gerichtete persönliche Abrechnung , Tendenz schrift oder Satire ist sie auf jeden Fall nicht .7 1 Und auch sonst ist ihre poli tische Absicht m .E . nicht überzubetonen .7 2 Die Allgemeingültigkeit der po litischen Thematik und ihr exemplarischer Charakter, die am Beispiel des Nero dramatisierte Herrscherwillkür als abschreckendes Exempel für ju lisch-claudische und überhaupt generell Tyrannenwillkür, insofern gewiss eine politische Aussage ist es, die die ' Octavia' über eine begrenzte zeitge schichtliche Aktualität hinaus in eine überindividuelle literarische Sphäre 69 Schubert ( 1 998) S .286 Anm . 1 28 "grundsätzliche politische Beurteilung des j ulisch-c1au dischen Systems" gegen Schmidts apolitische Deutung ( 1 985) S . 1 45 1 , Manuwald (200 1 ) S .263f. "dem Autor liegt nicht nur an Octavias persönlichem Schicksal , sondern [ . . .] po litische Zielrichtung [ ... ], bei der Nero als schlechter Kaiser hingestellt werden soll", S .322 Anm . 1 40ff. "Wenn das StUck eine überLeitliche Bedeutung hat, besteht sie in der politischen Aussage . [ . . .] Kritik an den bestehenden Verhältnissen [ . . .] konstruktiv seine Vorstellungen für eine Alternative [ ... ]; verschiedene Ausprägungen monarchischer Herr schaft gegenübergestellt [ . . .] politischer Aspekt gegenüber dem privatem im Vordergrund", S .333 "der politische Aspekt dem privaten deutlich übergeordnet [ . . . ] sogar die Hauptpersonen nicht vollständig persönlich und indi viduell charakterisiert [ . .] , sondern nur die Punkte genannt, die fUr die politische Aussage wichtig sind . [ . . .] Poppaea und die Titelfigur [ . . . ] als selbständige Persönlichkeiten kaum eine Rolle [ . . . ] daß der Autor eine in das politische Leben wirkende Absicht verfolgt" . 70 So z.B . Sallmann ( 1 998) S .32 "wenn sehr bald nach den Ereignissen verfaßt [ ... ] politi sches Geschichtsdrama?"; für Bruckner ( 1 976) S . 1 33 ist die ' Octavia' "ein Stück Oppo sitionsliteratur" , für Sullivan ( 1 985) S .7 1 "a political document" . 7 1 So z.B . Bardon ( 1 939) S .253f. "une satire de N6ron . [ . . .] pamphlet. [ . . .] une piece politi que , dirig6e contre N6ron" , Marti ( 1 949) S .427f. "a versilied presentation of contempor ary events, dramatic in form onl y , but not in the treatment of characters or situations [ . . .] not a true tragedy" , ( 1 952) S .28f. "a kind of philosophical and political mime totally la cking in anything dramatic , [ . . . ] in fact a diatribe [ . . . ] deliberately composed not as a drama but as the imitation of drama [ . . . ] a new and not altogether successful type of pseudo-drama"; gegen solche Urteile jedoch bereits Herington ( 1 96 1 ) S .29 "It reads Iike an elegy", Poe ( 1 989) S .439 "conceived as something more than a personal attack on Nero [ . ..]" und vor allem Schmidt ( 1 985), Schubert ( 1 998) . 7 2 Vgl . auch unlängst Sallmann ( 1 998) S .44 "der Tragödienschreiber wollte aber gerade nicht Geschichte auf der Bühne nachstellen. [ . . . ] wollte [ . . . ] das Modell der unter den Zeitbedingungen schicksalshaft Leidenden und doch nicht moralisch zerbrechenden Frau demonstrieren . Ob er damit politische Ziele verfolgte , etwa die Rehabilitation des Ver bannungsopfers, sei dahingestellt; ich glaube es nicht. [ . . .] ethische Ziele , [ . . .] da.� neue Heldentum des Duldens und Verzichtens" . .
'Octavia' Anonymi: Zeitnahe praetexta oder zeitlose tragoedia?
und damit den Rang einer echten
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tragoedia erhebt73 - neben der von
Schmidt zu Recht herausgearbeiteten "Mythisierung der Geschichte"74 und der vom Dichter gewählten tragischen Gestaltung des Stoffe s . Denn vorgenommen ist eine Umsetzung in sogar doppelter Tragik . Tra gisch ist zum einen , dass alle die, die sich für die Verstoßene einsetzen , da durch nur das Gegenteil und die Beschleunigung der Katastrophe erreicht haben : Seneca provoziert den raschen Vollzug der Eheschließung und so die endgültige Scheidung; das Volk provoziert die eigene Bestrafung und die Verbannung mit dem Tod Octavias ,75 die ihrerseits durch ihre ablehnende Haltung in der eigenen Ehe Nero bereits selbst zur Abkehr provoziert hat . Tragisch ist zum anderen , dass Nero sich im Stück in e ine Position gedrängt sieht , in der er keine andere Wahl mehr hat , als weiterhin zu töten und sich als der Böse zu erweisen , als der er ohnehin berüchtigt ist. Tragisches hat die ' Octavia' demnach genug zu bieten . Doch reicht dies für ihre entsprechende literaturgeschichtLiche Einordnung?
73 Anders, mit m .E . falschem Urteil Manuwald (200 1 ) S.33 l ff. "Allgemein menschliche Pro bleme werden nicht thematisiert. Mit einer solchen Konzeption ist das Stück von der für Tragödien üblichen deutlich entfernt [ . . . ] eher als 'Praetexta' [ . . .] . Die Alternative [ . . .] rilmische historische 'Tragödie' liegt weniger nahe" . Vgl . daneben z .B . Poe ( 1 989) S .435 "not only a tragedy but a history play as weil" . 74 Schmidt ( 1 985) S . l 450 "Das Schicksal des römischen Kaiserhauses [ . . .] nicht anders als ein Mythos aus dem thebanischen oder mykenischen Herrscherhaus [ . . . ] Mythendrama, aber nicht in historischer Realität bereits wie Mythos vorliegende Geschichte ausgenutzt, sondern gezielt mythisiert" ; bestätigend erkennt ebenfalls Schubert ( 1 998) S .286, 45 1 die "offensichtliche Stilisierung des Dramas zur Familientragödie griechischen Zuschnitts" und die "latente Mythisierung von Neros Figur", einen "Hang zur Transzendierung und Mythisierung" als Einschränkung ihres historischen Wertes . 75 Zur Tragik vgl . vor allem die Arbeit von Bruder ( 1 95 8) S .73ff. "Die Tat des Populus [ . . .] und ihr Scheitern erweist sich unmittelbar als tragisch . [ . . .] der Chor [ . . . ] die am eindeu tigsten tragische Gestalt des Schauspieles" , S . l 25 "Die Tragik [ . . . ] liegt in dem Scheitern der Rettungsversuche"; vgl . ergänzend die von Schmidt ( 1 985) S . 1 430 betonte Grund stimmung "tragischer Vergeblichkeit" , bestätigt von Schubert ( 1 998) S .287 Anm . l 30 auch rur die Anlage aller Personen; vgl . daneben S .28 1 zur "besonderen Tragik und Bit terkeit der Szene [ ... ] das Volk hat Neros relative Milde tatsächlich nicht zu schätzen ge wußt" . Sallmann ( 1 998) S .42 "Tragischer Held ist wirklich Octavia [ . . .] trotz ihrer Passi vität . Sie ist HeIdin des bewußt und entschlossen praktizierten 'kosmischen' Leidens und Erleidens unter Wahrung der persönlichen Integrität" . Als spezielle Ausprägung von Tra gik erkennt TaUcs (200 1 ) S .40 1 'Octavia' als "Tragödie der Angst und der aktiven Pas sivität" .
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v Zusammen mit der Problematik von Datierung und Intention stellt sich folglich die Frage der literarischen Gattung -
tragoedia oder praetexta?
Wieder scheinen die Interpreten in zwei Lager gespalten . Während die eine Partei auf die Nähe zur griechischen Tragik und eine vom Autor sogar aus drücklich zu Beginn vorgenommene Parallelisierung mit dem tragischen Schicksal Elektras verweist, kann die andere Seite schon allein durch die Tatsache überzeugen , dass in der ' Octavia' ein historischer Stoff verarbeitet ist . Hatte die neuere Forschung zunächst die von Schmidts Beitrag zur "Poetisierung und Mythisierung" überzeugend gestützte Klassifizierung als
tragoedia bestätigt,76 ist das Problem der Gattungszugehörigkeit in jüngster Zeit erneut und in besonders gründlicher Ausführlichkeit mit gegenteiligem Ergebnis diskutiert worden . Für Manuwald ist die ' Octavia' trotz allem eine
praetexta , da die Protagonistin als lediglich tragisches Opfer selbst schuld los , tragisch unbeteiligt geblieben sei und somit das Drama nicht der aristo telischen Gattungsvorgabe entspreche .77 Und Kragelund sucht das späte Stück gar als "possible key to an entire genre" zu schätzenJ8 Eine Entscheidung ist hier leicht zu finden . Zum einen darf man gewiss nicht tragisch-dramatische Idealmaßstäbe an ein höchstens zweit ,- drittklas siges Stück anlegen . Die ' Octavia' ist und bleibt eine echte Tragödie nach
76 8chmidt ( 1 985) 8 . 1 422ff. mit vielfacher ausdrücklicher Zustimmung , vgl . die Zusammen stellung bei Manuwald (200 1 ) 8 .259 Anm .3; weitere ähnliche Aussagen bei Kragelund (2002) 8.6. Vgl . zudem z .B . Beare ( 1 964) 8 .236 "a purely Iiterary and artificial treatment of recent his tory on the lines of Greek tragedy" , Pociila ( 1 978) 8 . 1 08 "una fusi6n total entre el tipo romano de tragedia griega", 8ut!on ( 1 983) 8 .43f. "The only fabula praetexta that was a true tragedy" , Flower ( 1 995) 8 . 1 72 "a new type of purely literary praetexta, cJosely modelled on Greek tragedy", 8allmann ( 1 998) 8 .36ff. "es fallt auf, daß sich die Octavia formal engstens an die 'Crepidatae' 8enecas anschließt und nicht [ ... ] an die re publikanische 'Praetexta' . [ ... ] Der Autor wollte nicht Zeitgeschichte auf die Bühne steI len , sondern die Zeitgeschichte in eine Tragildie verwandeln", Ferri (2oo3a) 8 .2 "influ ence of Greek tragedy [ . . . ] very important [ . . .J , more significant than that of early Roman drama" . 77 Manuwald (200 1 ) 8 .334f. ,,[ . . . ] Der Autor arbeitet auch nicht einen Umschlag im Leben Octavias als solchen oder einen Umschlag von Hoffnung zu VerLweiflung heraus". 78 Kragelund (2002) 8 .5 "grows in importance as a [ . . . ]"; zitiert ebenfalls von Wilson (2003) 8 .4 Anm .8. Zur Vorsicht mahnen jedoch selbst Manuwald (200 1 ) 8 .276, 335f. ,,[ . . . ] er milglicht es allerdings nicht [ . . . ]" und zu Recht Ferri (2002) 8 .68 "Tbe cruciaJ questions are [ . . . ] whether the i!lnotus would have wanted to see his text in the tradition of the early dramatists more than in that of, say , 8eneca or the Greek tragedians" , (2oo3b) 8 . 1 1 1 "we must considerably limit his access to , or aquaintance witb , early tragedy".
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dem Vorbild der zahlreichen griechischen Frauendramen . Zum anderen darf man sich keinesfalls zum Postulat einer Gattungskontinuität über mehrere Jahrhunderte hinweg verleiten lassen . Statt vorgefasster Überzeugung mit erzwungener Zuweisung von Gattung wie Aussageabsicht - eine politisch aktuelle Zielsetzung der ' Octavia' mit lobender HeraussteIlung (Octavia, Seneca; Galba) oder herabsetzender Kritik (Nero , Domitian) gemäß einer üblicherweise politischen Ausrichtung der zugrunde liegenden literarischen Form
praetexta79 - sind die Gattungsgrenzen für beide Alternativen viel
weiter zu fassen und mit dem notwendigen Gespür für eine lebendige Ent wicklung von Literatur zu beurteilen . Denn natürlich ist die ' Octavia' zu
praetexta; sie gibt sich als eine praetexta die direkt zur tragoe dia geworden ist.
gleich eine
Will man im Bereich der nationaIrömischen Sonderform des Dramas klassifizieren , gilt es demnach den Befund zu beschreiben , nicht ihn nach den inzwischen üblich gewordenen Kriterien Republik/Prinzipat , Affirmati onIKritik in ein von heutiger Wissenschaft vorgegebenes , zeitlich bedingtes und so lediglich zweiteiliges Schema zu pressen .so S ucht man von der je weiligen Intention der Stücke auszugehen, ergeben sich mit zusätzlicher Dif ferenzierung tatsächlich mehrere Typen für die dramatisch anspruchsvollere Verwendung römisch-historischer Stoffe :
7 9 Vgl . z .B . Manuwald (200 1 ) S .338 . .die durch die Gattung Praetexta gegebene Möglich keit genutzt [ . . . ] die moralische Autorität der bekannten Persönlichkeit Seneca dramatisch vor Augen zu fUhren und mit deren Hil fe grundsätzliche politische Aussagen zu machen [ . . . ] Instrumentalisierung der integren Figur Senecas zum Ausdruck einer eigenen Vor stellung von einer wünschenswerten Alternative", Kragelund ( 1 982) S .52f. ausgehend ebenfalls von den frUhen praetextae "Is it too much to suggest that the Octavia was written to celebrate the victory of Galba, the champion and emperor of the people of Rome? [ . . . ] The Octavia is, in a sense , a damnatio memoriae" ; (2002) S .8 erkennt er als Element der Gattungskontinuität die Heroisierung Octavias , Senecas wie in republikani scher Zeit etwa bei der Selbstötung des Decius. SO Vgl . Schmidt ( 1 979) Sp.1 1 1 3 f . ..Mit Accius [ ... ] erreicht die Form Höhepunkt und Ende. [ . . . ] Die ' Octavia' ebenso wie die Stücke des Curiatius Maternus sind für ihn eine "selbständige Gruppe [ . . . ] Geschichte in kritischer Distanz , und zwar in Tragödien , so daß ihre Bezeichnung als p. kaum gerechtfenigt erscheint" (verschärft [200 1 ] Sp .259f.: .. [ ... ] ist nicht gerechtfenigt" , [2000] Sp . 1 097 . Es handelt sich jedenfalls nicht um eine Praetexta") . .
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1 . praetextlle mit amrmatlver ZlelsetzuDg a) (Früh-) Geschichtlich-Mythisches zum Ruhm der Vergangenheit: 'Romulus' bzw. 'Lupu..' (Naevius) 'Veji '
(7,
Naevius)
' S abinae ' (Ennius) 'Aeneadae' bzw. ' Decius' (Aceius)
deuotio in der Schlacht von Sentinum 295 v. Chr.
b) Zeitgeschichtliches zum Ruhm der Gegenwart: 'Clastidium' bzw. 'Mareellus' (Naevius) 'Ambracia' (Ennius)
Sieg über die keltischen lnsuhrer 222 v. Chr.
Eroberung durch M. Ful vius Nobilior 1 89 v . Chr. Sieg über Perseus bei Pydna 1 68 v. Chr.
'Paul us' (Pacuvius) '<Magna mater>' (Anonym us) 'De suo itinere' (Balbus)
Kullübertragung (Preis der Q . Claudia
7)
Reise ad L Lentulum sollicitandum 43 v. Chr.
c) Frühgeschichtliches in allegorischer Übertragung zum Ruhm der Gegenwart: 'Brulus' (Aceius)
indirekter Preis des D . Iunius Brulus Callaieus
'Brulus '
indirekter Preis eines Tyrannen.Mörders
(7,
Cusius)
(7)
' Aeneas' (Pomponius Secundus)
2. praetextlle
mit zeitkritIscher Zielsetz_g
a) Zeitgeschichtliches zur Kritik der Gegenwart: 'Domitiu..' (Curiatius Malemus) 'Nero' bz w . 'Vatini us'
(7,
Curiatius Matemus)
b) Geschichtliches in allegorischer Übertragung zur Kritik der Gegenwart: ' Cato'
3. praetextlle
(Curiatius Malern u..)
mit primär Uterarischer AosrichtDng
a) nach Art der griechischen tragoedia: 'Oelavia' (Anonymu..)
b) nach Art einer comoedia, doch in gehobenem Milieu
4. praetextae
mit antlqDarisch.a1t101oglscher, didaktischer Absicht
''
(Anonymus)
Im Falle des 'Brutus ' (Cassius), ' Decius' (Accius) und 'Aeneas ' (Pomponius) ist die Zuord nung unsicher. Den 'Brutus' will man - ohne zwingende Argumente - mit dem entsprechen den des Accius identifizieren (VerschreibungNerwechslung des Verfassernamens Cassii statt Accii bei Varro) . Dessen 'Decius' kann auch derselben Gruppe wie sein 'Brutus ' zugehören, doch ist ein entsprechender Bezug auf die Gegenwart des Verfassers nicht ebenso sicher nachweisbar. Für den 'Aeneas' ist aber mit einem allegorischen Preis des julisch-claudischen Kaiserhauses zu rechnen, da es nach Vergils 'Aeneis' kaum mehr möglich scheint, den römi schen Gründungsmythos ohne einen derartigen Bezug zur Gegenwart einzusetzen. Denkbar wäre freilich auch eine 'Dido' ·Tragödie nach Art neulateinischer Rezeption von Vergils viertem Buch und ähnlich fIlr Cassius eine 'Lucretia ' . Doch Titel wie 'Aeneas ' , ' Brutus' wei sen eher auf einen heroischen Hintergrund als auf eine Frauentragödie wie die ' Octavia' . Ebenfalls völlig unsicher ist der Inhalt der nur mit verstUmmeItern Titel bekannten praetexta des Persius ('Vescio' 1) . Deren in der Vita erwähnte Vernichtung mag auf ihren unvollkom menen Charakter als bloßes Jugendwerk zurUckzufUhren sein, lässt aber auch an eine Gefähr dung des Verfassers und seiner Familie denken, so dass das Stück zum zeitkritischen Typ gehören könnte.
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Die aufgelisteten Titel - eine betrüblich geringe Anzahl - berücksichtigen nach Möglichkeit alle uns irgend wie bekannten Stücke , können aber keines falls ein repräsentatives Bild von der antiken Verbreitung und tatsächlichen Typenvielfalt der Gattung
praetexta vermitteln . Unsere dürftigen Reste mit
ihren wenigen Fragmenten werden in heutiger Forschung oftmals zu absolut und als echte Grundlage für eine Gattungsgeschichte gesehen . Doch gut zu beachten ist demgegenüber , dass uns nur eine rein zufaIlige , überlieferungs bedingte Auswahl vorliegt. So wissen wir mangels antiker Informationen einfach zu wenig und haben in Wahrheit keine Ahnung vom Schicksal und der Entwicklung dieser besonderen römischen Textsorte zwischen den früh republikanischen Stücken und dem Zeugnis des Tacitus mit seinem dramati schen Datum in Vespasianischer Zeit. Wir wissen nicht , was uns alles zwi schen dem merkwürdigen autobiographischen Reisedrama des Balbus und den als offensives Mittel politischer Meinungsäußerung eingesetzten Stük ken des Curiatius Matemus verloren ist. Von Ersterem haben wir nur zufaI lig durch einen Brief des C. Asinius Pollio in Ciceros Corpus Kenntnis , von Letzteren ebenso zufällig durch den uns zum Glück erhaltenen , so wichtigen ' Dialogus ' des Tacitu s . Warum sollte es nicht auch weiterhin auf spezielle Anlässe bezogene
praetextae gegeben haben - geschichtliche Dramen zur
Feier von Ereignissen und zeitgenössischen Persönlichkeiten anlässlich ihrer Triumphe oder Begräbnisfeierlichkeiten, in den subliterarischen Bereich des historischen Augenblickspieles abgeglittene , einfachste und z .T . vielleicht auf das Private beschränkte Pseudodramen , die natürlich keinerlei literari sche Bedeutung und damit auch keinen literarischen Niederschlag bei ande ren Autoren , geschweige denn eine Chance für eine weitere eigene Tradie rung erfahren haben .8 1 So ist in der Tat für eine Entwicklung der Gattung nicht unbedingt die in der Forschung inzwischen übliche , strikte chronologische Trennung von re publikani scher Affirmation gegenüber kaiserzeitlicher Kritik anzunehmen ,82 wie uns dies das erhaltene Material mit seinen wenigen Titeln zu suggerie ren scheint. Dass erst mit dem Prinzipat der Wunsch zur Kritik an den nun mehr dominanten Einzelherrschem aufkommt , ist naheliegend , muss jedoch
8 1 Auch das StUck des Balbus wirkt nicht eigentlich publiziert , wenn Asinius Pollio eine Ab schrift eines Freundes anbietet (Cic.fam . l O ,32,5 praetextam, .,i uole.' legere, Gallum Cor nelium. .familiarem meum poscito). 82 Vgl . Manuwald (200 1 ) S .342ff. zum erkennbar "zeitbedingten Wandel" und der daraus resultierenden "inhaltlich anderen AuffUllung gleichbleibender Strukturen": Affirmation wird zur Kritik, statt außenpolitischer Leistung treten innenpolitische Ereignisse in den Vordergrund.
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nicht zwangsläufig auch bedeuten , dass die positiv-affmnative Variante der
praetexta gänzlich abgestorben ist. Zumindest der ' Aeneas ' des Pomponius Secundus lässt Stolz auf die eigene Frühgeschichte und damit Affirmation noch für die Zeit des Claudius erwarten . Zu beachten ist zude m , dass eine politische Zielrichtung der praetexta im Positiven wie im Negativen kein spezifisches Charakteristikum speziell ih rer Gattungsform darstellt. So ist zwischen
praetexta und tragoedia nicht praetextae
nach einer derartigen Intention zu differenzieren . Wie die ersten
dienten bekanntlich auch die ersten Tragödienaufführungen in Rom zum
prae texta findet sich die tragoedia in der Kaiserzeit als Träger versteckter Prin
Schmuck eigener Siege und entsprechender Festlichkeiten . Wie die
zipatskritik . Was mit dem Beispiel des Mamercus Scaurus als Opfer seines eigenen ' Atreus ' zu belegen ist , wird durch den Taciteischen Curiatius Ma ternus ausdrücklich bestätigt, wenn er seinen 'Cato ' und ' Thyest ' in ver
quod si qua omisit eato, sequenti recitatione Thyestes dicet) und damit unter schiedslos für seine politischen Absichten, sein offendere potentium animos ,
gleichbarer Funktion als Ergänzung füreinander benennt (diaI .3 ,3
einsetzt (vgl . dial .2f.) . Spätestens hier sind beide dramatischen Gattungen eng verwandt nebeneinander zum Verfolgen der gleichen Ziele verwendet (diaI .3 ,4 tragoediae istae; . . . . . . nostras quoque historias et Romana nomina Graeculorum fabulis adgregares) . Und so spricht umgekehrt auch nichts dagegen , die ' Octavia' als praetexta in enge , ja engste Verwandt schaft zur normalen , rein literarisch ausgerichteten tragoedia zu setzen, wie es sie mit Titeln wie ' Medea ' , ' Phaedra' , ' Niobe ' oder ' Herkules ' , ' Oedi pus ' , ' Theseus ' und 'Tereus ' zweifellos auch in der Kaiserzeit gegeben hat (neben Seneca vgl . z .B . Bassu s , Codru s , Paccius oder Faustus) . Denn um es noch einmal hervorzuheben , zu Grunde zu legen ist für die römische
praetexta die lebendige , ganz natürliche Entwicklung einer Gat
tung , die im Laufe der Jahrhunderte unterschiedlichste Varianten und damit insgesamt ein eher diffuses Spektrum ausgebildet hat . Deutlich zu spüren ist dies in den Zeugnissen spätantiker Fachgelehrter, die mit der eindeutigen Zuordnung der
praetexta z .T. erstaunliche Schwierigkeiten gehabt haben .
Denn während die Gegenüberstellung römischer und griechischer Dramatik
praetexta und togata klare Alternati tragoedia (crepidatalcothurnata) und comoedia (palliata) zu be
noch bei Horaz mit den Begriffen der ven zur
zeichnen scheinen , lassen Reste seiner spätantiken Kommentierung ebenso wie Ä ußerungen des Euanthius und Diomedes auf ein merkwürdiges , bereits auf Varro zurückgehendes Nebeneinander von
praetexta und komischen
'Octavia' Anonymi: Zeitnahe praetexta oder zeitlose tragoedia?
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Formen schließen .83 Dass e s sich hierbei u m Unverständnis früher oder später römischer Gelehrter handelt , ist dafür nicht notwendig d ie Erklä rung .84 Es mag sich genauso gut um ein Abbild des realen Befundes und so ein indirektes Zeugnis für einen weiteren, eben heiteren Typ handeln , wenn man alles Mögliche als
praetexta zu klassifizieren gewohnt war , eher komi
sche Stoffe , rein Deskriptives ebenso wie tragisch Anmutendes , vorausge setzt es handelte
sich um einen römisch-senatorischen bzw . national
gehobenen Inhalt . Denn bezeichnend ist, dass in der Gattungsdefinition des
praetexta als Bedingung allein die Festlegung auf einen (imperatorum nego tia . . . et publica et reges Romani uel duces, regum ueL magistratuum . . . ac ta) als Gegensatz zu Griechisch-Mythologischem (heroes) und sozial nied rig Stehendem (humiLes homines et priuatae domus) vorgegeben ist.85 Auch wenn dabei ausdrücklich mit der Tragödie verglichen ist (personarum dignitate et sublimitate tragoediis similes) , ist die Formulierung rein perso Diomedes ftir die
römischen Stoff in einem römisch-angesehenen Milieu
nenbezogen und trifft in der Tat nur das der Tragödie gemäße hohe Niveau der Akteure , nicht aber einen notwendig entsprechenden , im heutigen Sinne tragischen Inhalt - ein spätantikes Zeugnis zur Charakteri sierung einer Gat tung , das natürlich davon ausgeht und das abdecken muss , was diese in den Jahrhunderten zuvor alles hervorgebracht hat . Und so ist Spezifisches in spätantiken Gattungsdefinitionen für die
praetexta auch nicht vorgeschrie-
83 Hor. ars 285ff. nil intemptatum nostri liquere poetae! nec minimum meruere decus uesti gia Graeca! ausi de.rerere et celebrare domestica facta.! uel qui praetextas. uel qui docuere f(}gatas; Scho l . Pseudoacr. ad loc . praetextam quidam dicunt tragoediam. toga tam autem comoediam . alii autem dicunt praetextam et togatam comoedia.r eS.re sta taria. motoria. praetextata. tabernaria. togata. palliata; vgl . zudem die Aufzählung rö mischer multa fabularum genera seit der griechischen neuen Komödie bei Euanthius fab .4 . 1 togatas . . . . praetextatas a dignitate personarum tragicarum ex Latina hi.rtoria . Atellanas .... tabernarias .... mimos . den Versuch einer präzisen Bestimmung mit dem Vorwurf einer falschen Benennung bei Horaz (togatae stall korrekt tabernariae) durch Diom . l .489.1 4ff. initio togatae comoediae dicebantur ... quae togatae postea in prae textatas et tabernaria.r diuidebantur . ... togatarum fabularum species tot fere .runt quot et palliatarum. nam prima species est togatarum. quae praetextatae dicuntur ... Bequem zugänglich sind diese und die im Folgenden angeführten Zeugnisse jetzt bei Ma nuwald (200 1 ) . 84 Etwa Wiseman (2002) S .82ff. sieht den Fehler i n Varros übertriebenem Hang zur Klassi fizierung ( ..Wherever we look . the Varronian categories seem 10 dissolve. [ . .] are more of a hinderance Ihan a help"). 85 Diom . l .489.1 4ff. ... praetextatae dicuntur. in quibu.r imperatorum negotia agebantur et publica et reges Romani uel duces inducuntur. personarum dignitate et sublimitate tra goedii.r similes. praetextatae autem dicuntur. quia fere regum uel magistratuum qui praetexta utuntur in eius modi fabuli.r acta comprehenduntur; vgl . zudem Paulus ex Festo p .249.1 4f. praetextae appellantur. quae res ge.rtas Romanorum continent .rcriptae. •
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ben . Die durch Diomedes selbst, Donat und andere geläufige direkte Gegen überstellung , die praetexta als lateinisches Pendant zur griechischen tragoe dia ,86 besagt nur, dass die praetexta für das Römische den Anspruch geho bener dramatischer Dichtung erfüllt , nicht aber dass jede praetexta eine tra gische Tragödie sein müsste . Selbst die meisten republikanischen Stücke wären dann nicht mehr gattungskonform . Festzuhalten bleibt vielmehr , dass es nach antiker Tradition für das römisch-nationale Drama mit seinen Dar stellern in der purpurverbrämten Kleidung eines römischen Senators keine weitere, keine spezielle Festlegung auf eine bestimmte Art inhaltlicher Dar stellung mit positiv-vergnüglichem oder negativ-tragischem Ausgang oder mit lobender oder kritisierender Intention gegeben hat . Für die ' Octavia' bedeutet dies , dass sie mit ihrer literarischen Gestal
tragoedia zugleich sehr wohl auch eine echte praetexta sein kann . S ie erfüllt die Anforderungen der Gattungsdefinition etwa eines Diomedes und ist folglich legitim als praetexta zu bezeichnen , tung nach Art einer echten
auch wenn sie nicht explizit als solche überliefert ist. S ie ist jedoch auf kei nen Fall als typischer Vertreter fur die Gattung der praetexta insgesamt ein zuschätzen und diesbezüglich auch kaum weiter auszuwerten . Die ' Octavia' ist das einzige erhaltene Beispiel eines speziellen Typs ihrer Gattung . Sie ist
praetexta frei von den selbstauferlegten Zwängen heutiger tragoedia zu sehen , nicht aber als ein spätes Muster republikanischer praetextae. Und das ist keineswegs ein Verlust, im Gegenteil : Mit der Erkenntnis, die praetexta ' Octavia' gleichzeitig auch als tragoedia akzeptieren zu dürfen, kann sich somit selbst als
Interpreten für sich und im Kontext der griechischen
für die Frage der Gattungszuordnung wie überhaupt für die lateinische Lite raturgeschichte als
positiver Zugewinn ein viel reicheres dramatisches
Spektrum entfalten.
86 Diom . l ,482 ,27ff. apud Graec().r tragica c()mica .ratyrica mimica, apud R()man().r prae textata tabernaria Atellana planipe.r, Don .com .6,1 duae primae partes, trag()edia et c() m()edia. , .,i Latina argumentati() .rit, praetexta dicitur; ähnlich Ioannes Ly dos mag . l ,40.
Anhang: Anonymus 'Octaviae' : Ein erschöpfter Dichter?
Von den wenigen Interpreten abgesehen , die das Stück für eine echte Tragödie Senecas halten wollen - eine Position , die endlich überwunden sein sollte und heute zu Recht auch allgemeine Ablehnung erfährt -, hat die ' Octavia' in der Forschung üblicherweise eher negative Bewertung erfahren . Gerade der qualitative Vergleich mit den zweifelsfrei authentischen Stücken ist es schließlich , der eines der wesentlichen Argumente gegen den bereits
65 n. Chr. gestorbenen Seneca als Verfasser eines Dramas ausmacht , das in verhüllter, aber nichtsdestoweniger deutlicher Weise auf den erst 68 n. Chr. eingetretenen Tod Neros vorausweist . Immer wieder betont wird die "sprachliche wie metrische Armut" der ' Octavia' (lunge) , die einerseits mit überdeutlichen Anklängen
an
Senecas eigene Formulierungen , andererseits
ohne die zu erwartende metrische Variationsbreite mit einem Wechsel le diglich von iambischen Sprechversen und Anapästen für die heiden Chöre gestaltet ist .8 7 Doch herausgestellt wird nicht nur "the anemia of its style" . In der wissenschaftlichen Literatur ist zudem direkt von "bankruptcy of inven tion [ . . . ] a symptom of ineptitude" (Coffey) , "lack of dramatic excitement
[ . . . ] repetitious to the point of monotony" (Garson) und überhaupt "the play ' s weaknesses" (Goldberg) zu lesen; das Stück wird abwertend be schrieben als "a very undramatic piece of literature , [ . ] unusually plai n , at ..
times almost painfully bare" (Walker) und "simple little piece , pale and deli cate [ . . . ] bloodless" (Lucas) , "static , frigid , unexciting" (Sutton) .88 87 So zuletzt und besonders ausführlich Junge ( 1 999) S .221 -26O "reicht in seiner Sprach kunst bei weitem nicht an sein Vorbild heran [ . . .] geringere Beweglichkeit des Dichters im Ausdruck [ . . . ] Ausdrucksarmut [ . . . ] Einfallslosigkeit [ . . . ] manchmal erkennbare Mühe beim Bau der Verse [ . . . ] gewisse Eintllnigkeit [ . . . ] beschränkte Ausdrucksweise". Ähnlich zuvor z.B . Helm ( 1 934) S .301 ff. "Armseligkeit in der metrischen Gestaltung [ ... ] gewisse Armseligkeit des Stils, die Wiederkehr gleicher Gedanken und Ausdrücke", S .323 zum Mangel an "Ausdrucksbeweglichkeit [ . . . J , geistiger Regsamkeit [ . . .] eine sichtliche Armut in Gestaltung , Gedanken und Wortwahl". 88 Luca..� ( 1 92 1 ) S .9 1 ff., Coffey ( 1 957) S . l 80 , Walker ( 1 957) S . 1 63 , 1 7 1 , Garson ( 1 975) S .754, Sutton ( 1 983) S .2f., Goldberg (2003) S . 3 2 . Für E. Norden ist die ' Octavia' in sei ner bekannten Literaturgeschichte (LeipzigfBeriin 1 923) S .74 "trotz der ergrei fenden Wirkung einiger Szenen [ . . . ] dramatisch [ . . . ] nicht genügend". Vgl . daneben die einleiten den Forschungsüberblicke bei Poe ( 1 989) S .434f. "the product of an imitator of limited literary experience, if not limited creative ability" , Wilson (2003) S.5 "not entirely suc-
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Auch wenn negative Aussagen dieser Art von Vorurteilen gegen einen namenlosen und damit im Katalog der sonstigen Größen der erhaltenen la teinischen Literatur erkennbar unbedeutenden Autor mitgeprägt sein mögen, die eher abwertende Haltung der Sekundärliteratur gegenüber dem einzigen überlieferten römisch-historischen Drama ist nach eigener Lektüre gewiss nicht von der Hand zu weisen . Verwunderlich ist vielmehr, wenn neueste Forschung plötzlich dazu bereit wirkt, regelrechte Lobeshymnen auf die "künstlerische Meisterschaft" des anonymen Autors (Schubert) und sein singuläres Stück anzustimmen , das sogar Senecas Neid hätte erregen können ("emotionally even more convincing than much Senecan drama" [Ferri) , "in many ways the most interesting and most ' Sophoclean' of surviving dramas written in Latin" [Harri s on] , "den Autor zeichneten [ . . .] hohes psychologi sches Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit zu scharfer politischer Analy se aus" [Schubert])8 9 ; eine wiederum wohl äußerlich vorgeprägte Haltung , die dem Wunsch nach Aufwertung auch der eigenen Beschäftigung mit ei nem lediglich anonymen , vernachlässigten Stück entspringen mag . Doch selbst wenn weiterhin eher Zurückhaltung und vorsichtige Skepsis ange bracht ist, ist der anonyme Verfasser vielleicht tatsächlich in einem ent scheidenden Punkt gegen die Kritik moderner Interpreten und den Vorwurf dramatischer Unzulänglichkeit in Schutz zu nehmen: Die unbefriedigend wirkende Struktur, die unproportionierte Anlage seiner Dichtung muss kei neswegs Unvermögen , mangelnder Kraft, nachlassendem Interesse oder dichterischer Erschöpfung entspringen , wie es etwa Herington in seiner viel zitierten Studie unterstellt .90
cessfull dramatically", Smith (2003) S .392f. "un-dramatic, un-poetic, unsuccessful. [ . . .] doubly damned [ . . . ] a recitation drama and [ . .] a bad recitation drama" . Schuber! ( 1 998) S .289 , Fern (2003b) S .89; vgl . aber (2003a) S .26 "a rhetorically second rate and undistinguished poet" , Harrison (2003) S . l 1 2 ,,[ .] The deft sureness in mani pulating the sympathy of the audience, skill in the oral conveyance of drama, and an a1most undetectable calibration in the rise in tension would surely have excited the envy of Seneca hirnself, and the Iyrical passages surpass Seneca's own" mit Verweis u .a. auf Poe ( 1 989) . Korrekt Letzterer S .435 "The assumption of inferiority is unfor!unate because it has discouraged c10ser analysis" . Vgl . im übrigen schon Sullivan ( 1 985) S .60 "some not inconsiderable Iiterary merits; the play is carefully crafted with symmetrically balanced scenes , fast action and dialogue , dramatic irony [ . . . ]". Herington ( 1 96 1 ) S .20ff. "an author not much experienced in dramatic writing [ . . . ] as he proceeds [ .. ], rather losing his sense of direction . [ . . .] a supremely careful designer [ . .] a.� he proceeded he soon began to exhaust [ . . . ] impression of amateurishness and inexpe rience [ . . .] an inept phrase-maker" . .
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90
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Anonymus ' Octaviae ' : Ein erschöpfter Dichter?
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Dass es mit der Struktur der ' Octavia' ein echtes Problem gibt, ist der Forschung seit langem schmerzlich bewusst und wird auch durch die jüng ste Darstellung, den neuen Kommentar von Ferri , deutlich bestätigt . Ver suchsweise ist dort eine Einteilung in sogar sieben Akte gegeben ,9 1 die sich zu Recht - leider ohne präzise Dokumentation der Vorgänger - von den übli chen alten , unterschiedlichen Bemühungen absetzt, das Drama in das zu er wartende Fünf-Akt-Schema zu pressen .92 Wirklich befriedigen kann aber auch Ferris Strukturierung nicht, da die einzelnen Einheiten gegen Ende mit nur ca. 40 , 60 Versen einfach zu klein ausgefallen sind . So wird von anderen anstelle der üblichen Akte die dramatische Zeit von sogar drei Tagen V . l ff. , V .593ff. oder 646ff. , V .669ff. oder 69Off. als grundlegende Struktur und "basis of organization" (Carbone) herausgestellt, ein "internal time-scheme" (Sutton) , "telescoped" in eine fiktive, vereinfachte zeitliche Periode (Hering ton) .93 Immerhin besteht insoweit Einigkeit, dass eine Art sorgfältiger Kom position vorliegen muss , weil der Dichter sein Stück in wiederholter und deutlich erkennbarer Parallelisierung geplant hat (vgl . z .B . die fast gleichen Verszahlen zu Beginn für Octavia und ihre Amme , vgl . die Entsprechungen mit je einer Ammen-Szene , je einem Traum der beiden Ehefrauen , je einem Chor; vgl . zudem die ähnliche Funktion Senecas und des Präfekten als Neros mahnende Dialogpartner) .94
9 1 Ferri (2003a) S .66ff. V . 1 ff., 377ff., 593ff., 69Off. , 780ff., 820ff. , 877ff. mit dem Postulat
92
93
94
einer "act-dividing function" fUr alle Chorlieder auf leerer BUhne, unabhängig von ihrer Länge (Akt zwei , sechs ohne Schlusschor); vorsichtig jedoch S .294 "Act-division in !his play should probably not be pursued rigi dly" . Vgl . jUngst auch Wilson (2003) S . I I "per plexing structure, so unlike surviving examples of tragedy" . So zumeist V . Hf., 377ff. , 593ff. , 690ff., 820ff. (z.B . VUrtheim [ 1 909] , Herrmann [ 1 924] , Reinhold [ 1 959] , Rizza [ 1 970]) oder als Alternativen l ff., 377ff. , 690ff., 820ff., 899ff. (Thompson [ 1 92 1 ]) , l ff., 377ff., 690ff. , 780ff. , 820ff. (Giancotti [ 1 954] . Mette [ 1 964] , Ballaira [ 1 974]), Hf., 273ff. , 593ff., 69Off., 820ff. (Schmidt [ 1 985] , Sallmann [ 1 998]). Für Leo ( 1 908) S .9 3 , Pedroli ( 1 954) S .42 ist Agrippinas Auftritt "ein richtiger Zwischen akt , ein Intennezzo" nach dem Vorbild der Komödie. Zur Forschung vgl . Schmidt ( 1 985) S . 1 446, Manuwald (200 1 ) S .275 Anm .33f. Herington ( 1 9 6 1 ) S .2 1 , Carbone ( 1 977) S .57; von Sutton ( 1 983) S . 1 0f. herausgestellt eigens als Indiz gegen die Authentizität. Der Beginn des zweiten wie dritten Tages ist freilich umstritten (V.593 vor [z .B . Zwierlein] oder V.646 nach Agrippinas Monolog [z.B . Sutton , Sallmann]; V .690 nach dem Chorlied [z .B . Herington , Zwierlein, Sallmann , Junge; zweifelnd Ferri] oder schon V .669 en illuxit . . . mit dem Chor [z.B . S ulton , Geno va, Perez G6mez]) . Wie ältere Forschung nur zwei Tage sieht dagegen Smith (2003) S .403 ; für Wiseman (200 1 ) S .20 beginnt V.646 bereits der dritte Tag. Auch dies ist aber Anlass zur Kritik , vgl . Herington ( 1 96 1 ) S . 2 1 "pedimental structure [ . . .] far too symmetrically designed to be a good drama" ; vgl . ferner z .B . Lucas ( 1 92 1 ) S .92f. "the artificiality and the meticulous symmetry o f arrangement [ . . .] are astonishing
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Das offenkundige Problem mit dem insgesamt in der Tat unbefriedigen den Aufbau , der ebenso offenkundige Verstoß gegen das etwa von Horaz in seiner 'Ars poetica' vorgeschriebene95 und auch von Seneca selbst zumeist beachtete Schema mit jeweils fünf, von je einem eingeschobenen Chorlied abgeschlossenen Akten ist m .E. im Falle der ' Octavia' notwendig hinzu nehmen und kann durch keine noch so geschickte Zuordnung beseitigt wer den . Andererseits dürfte es wohl nicht wirklich ausreichen , mit dem sublite rarischen Mimus (Sutton) , der plautinischen Komödie (Schubert, Ferri) oder gar der klassisch-griechischen Tragödie (Ferri) mögliche , aber inzwischen ebenfalls zu viele , zu unterschiedliche Vorbilder zu benennen , wie es die neueste Forschung versucht - ein letztlich wiederum unbefriedigender Be fund .96 Zu fragen ist auf jeden Fall auch nach einer künstlerischen Absicht des Autors und damit nach einer echten inhaltlichen Erklärung für die von der Mitte des Schauspiels an merkwürdig wirkende Szenenfolge ,97 da diese vielleicht weitaus stärker mit dem Inhalt korrespondiert, als es den Interpre ten bislang aufgefallen zu sein scheint. Lässt man den Ablauf des Ganzen auf sich wirken, ist zunächst festzu halten , dass der Dichter zumindest bis zum Ende des zweiten Aktes weitge hend der üblichen Anlage einer antiken Tragödie folgt, so dass für den Zu schauer bzw . Leser zunächst auch ein in der üblichen , klassischen Weise
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97
[ ... ] a strangely complex structure" , Sulton ( 1 983) S . l 3ff., 41 "scheme of balanced sym metry [ . . . ] supported by a far-reaching network of repeated themes, images , and words", Goldberg (2003) S .2 I , 32 "almost mechanically symmetrical [ . . .] built up from a series of personal antipathies" . Strukturelle Zweiteilung I ff., 593ff. bzw. 646ff. wird betont von Galliena ( 1 929) S .305 "due grandi parti" , Smith (2003) S .403 "Octavia is dyadic. [ ... ] de signed to break into opposing pairs" . V . 1 89ff. neue minor neu sit quinto productior actul fabula . ./ actori.r panis chorus .. J . . . medios intercinat actus ... Sutton ( 1 983) S .2f. zu den "grave deficiencies" und dem Autor als "both an effective iro nist and a bold experimental ist [ ...] even if he was not a sufficiently good or experienced playwright to make a success of his innovations"; er erkennt mit Marti ( 1 949/52) Mimus ähnliche Vignetten (S.28ff. "the experiment is a fascinating one" . S .68 "may be seriously flawed , but [ . . . ] not quite without merits") , vorsichtig bestätigt von Fern (2003a) S .62 Anm . l 5 2 , 294 mit eigenem Hinweis S .6 l ff. auf Sophokles, Euripides, aber zugleich auch mögliche nachklassische Züge ("time lapses [ . . .] independent of choral interl udes") . Ge gen den Einfluss des Mimus jedoch Zwierlein ( 1 986) S .446 Anm . 1 33 "die Argumente [ . . .] dUrften kaum jemanden überzeugen" . Ladek ( 1 89 1 ) S . 5 1 "ex singulis scaenis [ ...] nullo artiore vinculo inter se conexis" , Schubert ( 1 998) S .256 Anm . I O "nicht in Akte, sondern in Szenen". Vgl . auch das allgemeine Urteil von Poe ( 1 989) S .435 über ein Fehlen von Erklärungen als Forschungsdefizit: "the differences between this and the genuine plays and the causes for those differences remain very vaguely defined" . .
Anonymus ' Octaviae ' : Ein erschöpfter Dichter?
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gestaltetes Drama zu erwarten ist. Gleich von Anfang an , im ersten Akt, ist Octavia selbst mit ihrer Klage über ihr Schicksal zu erleben, ein für sie be reits zur Gewohnheit gewordenes Ritual (V .6 repete assuetos iam tibi que stus) , zu dem die TitelheIdin auch nach den vergeblichen Beschwichti gungsversuchen durch ihre Amme am Ende wieder zurückkehrt (V .270 re nouare luctus . . . ). Die Ausgangssituation , die Lage innerhalb des julisch c1audischen Kaiserhauses ist soweit geklärt, doch für die Entwicklung der Handlung , Octavias historisch vorgegebene Verstoßung , hat sich ansonsten noch nichts ergeben . Es ist sogar Octavia, die mit Gewalt gegen ihren Nero droht, und bisher nicht ihr Ehemann , der Scheidung und Verbannung ein geleitet hat. Abgeschlossen wird der sehr lang ausgefallene Akt sodann durch ein Lied des Chores, der den Fortbestand der Ehe wünscht und seine Klage mit einer Reihe von Exempla, insbesondere mit der Darstellung von Agrippinas Schicksal unterstreicht . Überraschend ist dabei, dass der zu er wartende Handlungsimpuls , der die Tragödie auslöst , nicht innerhalb des ersten , rein statischen Aktes selbst gegeben ist, sondern zu Beginn des Chorliedes , so dass dieses trotz seiner üblichen Stellung als Ausklang des Aktes manchem Interpreten direkt wie ein Auftakt für den nächsten Akt gilt. Formal gesehen ist die Tragödie jedoch mit einem Akt und darauf folgen dem Chorlied der normalen Konvention gemäß begonnen , auch wenn Octa vias Klagen über ihr Leid mit 272 Versen zu lang und somit strukturell übertrieben wirken . Im zweiten Akt hat Seneca ebenso wie zuvor Octavia zunächst die Mög lichkeit zur Selbstvorstellung in einem Monolog erhalten , ehe er in einem sorgfältig komponierten Dialog auf Nero einzuwirken sucht . Wieder scheint sich das Gespräch im Kreis zu drehen , wenn Seneca am Ende auf seine erste Argumentation zurückgreift (V .440ffJ578ff.; vgl . auch die äußerlich ent sprechende Dialogführung mit Stichomythie/Antilabai , Langreden , Sticho mythie/Antilabai) . Wieder ist für den Fortgang der Handlung nichts gesche hen , wäre nicht Nero zur Beendigung der Szene durch das Gespräch mit dem lästigen Mahner zu einer Trotzreaktion getrieben . Wieder am Ende , nun noch direkt im zweiten Akt , ist mit dem letzten Vers als zweiter Hand lungsimpuls der nächste Tag für die Hochzeit mit Poppaea bestimmt (V .592 quin destinamus . . . ). Und wieder hätte sich der tragischen Konvention ge mäß ein Chorlied anzuschließen . Doch was folgt, muss den mit einem nor malen dramatischen Ablauf rechnenden Zuschauer überraschen : 98 An die 98 Treffend z .B . Sullivan ( 1 985) S .66 zu Agrippinas "sudden entry" als "veritable coup de theatre" . Zu einem weiteren, bewusst eingesetzten Überraschungsmoment, die früher als
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Stelle des Chores ist - nahezu in der Mitte des Stückes und damit zusätzlich hervorgehoben - ein Auftritt Agrippinas gesetzt, die bereits zuvor die zen trale Gestalt des ersten Chorliedes war und die trotz ihrer dort ausführlich geschilderten Ennordung nun selbst auf der Bühne erscheint. Als umbra aus der Unterwelt gekommen, tritt sie wie eine Rachefurie auf, zum zweiten Mal eine tristis Erinys als pronuba für die Hochzeit (V .23f. , 594f.), die als Strafe ihrem eigenen Sohn ein schlimmes Ende prophezeit. Anstatt eines zweiten Chorliedes jetzt Agrippina selbst auf die Bühne zu senden , ist ein strukturell genialer, die düstere Prophezeiung unterstreichender Einfall des Dichters , der genauso, wie Agrippina unversehens aus dem Tartarus hervorbricht (V .593 tellure rupta . . . ), die Konventionen eines nonnalen Dramas zu bre chen beginnt . Wieder sind , wie V .273ff. im ersten Chorlied , Agrippinas Worte Vorbereitung für die folgende Handlung, speziell für V .7 1 2ff. mit Poppaeas Traum . Wieder ist zugleich mit dem Abschluss des Aktes - nun in der Nacht vor der Hochzeit - ein jetzt sogar weit über das Stück hinauswei sender Impuls gegeben . Denn der von seiner eigenen Mutter dem Tod ge weihte Nero wird erst 68 n. Chr. sterben , sechs lange Jahre nach der Tren nung von Octavia 62 n. Chr . , dem dramatischen Datum des Stückes . Doch Agrippinas unerwartetes Erscheinen noch vor dem Vollzug der neuen Ehe schließung lässt an ihrem Rachewillen und der Strafe für den Muttennörder keinen Zweifel , ein Indiz dafür, dass die poetische Gerechtigkeit gewahrt sein wird , wie man immer wieder festgestellt hat . Und Agrippina hat es ei lig; mit V .6 1 8 tempus haud longum peto drängt sie auf Neros rasches Ende eine merkwürdige Forderung , die in der Forschung kaum Beachtung findet und höchstens den Fürsprechern für die Authentizität des Dramas einst dazu gedient hat , die Genauigkeit des uaticinium ex euentu zu entkräften oder die zeitlich nächstmögliche Entstehungszeit des Stückes in den ersten Monaten des Jahres 65 n . Chr. zu postulieren .99 Mit dem anschließenden Auftreten der Octavia scheint V .646 der ange kündigte zweite Tag der Handlung ( . . . urbis Jesto laetoque die) und mit ihm
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Mangel empfundene, aber offenbar keineswegs dem Unvermögen des Autors entsprin gende uneinheitliche Zeichnung der Charaktere mit ihrer unerwarteten Entwicklung, vgl . Schubert ( 1 998) S .257 . Vgl . etwa die Kommentare von Ballaira ( 1 974) S . l 1 5f. mit Hinweis auf die "apparente incongruenza", Whitman ( 1 978) S . I OO "a promise of relief from tyranny in the near futu re"; von Junge ( 1 999) S . l 74 gegen Sluiter, Maas , Giancotti als "rein subjektives Empfin den" abgelehnt. Die Kommentare von Barbera (2000) mit einem ForschungsUberblick, Ferri (2003a) mit lediglich zwei sprachlichen ParalJelen aus Vergil , Ovid lassen keine Problematisierung des Zeitfaktors mehr erkennen.
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ein weiterer Akt zu beginnen , der f1ir den unvoreingenommenen Betrachter ganz natürlich eben mit dem neuen Tag und somit leicht verschoben gegen die in der Forschung übliche Abteilung einsetzt. "l0 Wieder, wie zu Beginn des Stückes , ist Octavia mit ihren klagenden Anapästen zu erleben und schafft so einen erkennbar neuen und zugleich gewohnten, alten Auftakt (vgl . z .B . causa malorum V .650 wie V . l l ) }OI Nach nur ca. 45 Versen und allein einem Monolog nebst einem weiteren Chorlied ist jedoch der schein bare dritte Akt bereits beendet . Nicht nur der Akt als dramatische Einheit, auch der Tag selbst ist viel zu kurz, zumal es sich um den Tag der Hochzeit handelt, der Octavias Schicksal besiegelt. Aber viel erfährt das Publikum davon nicht. Es gibt an diesem Tag keine Schilderung der Feierlichkeiten , noch nicht einmal durch den Chor. Dass es hier dennoch zu einer großen szenischen Präsentation mit erneuten Auftritten Senecas und vieler anderer zeitgenössischer Persönlichkeiten gekommen sei , wie unlängst Wiseman vermutet, ist eine phantasievolle Spekulation und ohne jeglichen Anhalts punkt im überlieferten Text. l 02 1 00 Zugrunde gelegt wird von den heutigen Interpreten der Beginn des dritten Aktes bereits mit der Erscheinung Agrippinas ohne Rücksicht auf ihre strukturelle Zusatzfunktion als Ersatz für den fehlenden Chor - ein gewichtiger Unterschied gegenüber sonstigen Geister erscheinungen wie in Senecas 'Thyest ' , ' Agamemnon ' . So urteilt z .B . Zwierlein (1 986) S .446 Anm . l 33 zu schnell , zu sicher ,,Aber es ist evident [ ... ]"; siehe auch o. Anm.92f. Zur KUrze des Aktes und dem Fehlen eines vorausgehenden Chorliedes als Indiz der Un vollendung vgl . Flinck ( 1 9 1 9) S .9 1 ; weitere Literatur bei Schmidt ( 1 985) S . l 446f. Ferri (2003a) S .294 wertet V.593-689 als Folge von "narra tive prologue - monody of a di stressed heroine - choral song" und sucht so - in der Mitte des Dramas - einen besonders für Euripides typischen tragischen Anfang zu erkennen . Auch schon fUr Bruder ( 1 958) S .6 8 , Kragelund ( 1 982) S .30 ist Agrippinas Monolog wie ein "Prolog vor einer Tragödie Neros" bzw . zweiter Prolog. Eine derartige Beurteilung ist jedoch nur aus der Rückschau möglich . Der unwissende Betrachter wartet auf einen Aktschluss . Durch die Klage anapäste Octavias wird zunächst wieder die Titelfigur zum Mittelpunkt, so dass Agrippi nas Drohungen Reaktion auf Neros Verhalten zuvor und so in der Tat in Bezug auf die Dramenstruktur eher einen Abschluss des eingeschoben wirkenden Nero-Aktes darstellen . Vgl . auch Poe ( 1 989) S .453 mit Verweis auf Laios' Geist Oed .61 9ff. "her role is to con firm what this scene has suggested as a possibility: Nero' s coming doom . [ ... ] suggestion that the ghost-scene is a kind of second prologue is therefore an exaggeration . Agrippi na's soIiloquy represents the second stage of a movement already begun in the previous scene". 10 1 Vgl . auch Genova ( 1 988) S . 1 33f. zu V.646ff. als "un secondo prologo". 1 02 Wiseman (200 1 ) S . 1 9 "a sumptuous spectacle of arrogance and adulation, full of irony for us, the audience. We recognise the senators [ . . . ]. Seneca again, and Lucan and Thra sea and Petronius and Corbulo [ . . . ] Locusta [ . . . ] . And now the stage is full of dancers and musicians [ ...]" . Ausgehend vom Postulat einer "unexplained 24-hour gap" nach V .645 schließt er S . l 4 Anm . l 6 auf eine visuelle Darstellung der Hochzeit und überhaupt auf die Notwendigkeit einer Aufführung des Dramas.
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Wenn die Amme Poppaeas V .690 auftritt, ist das Geschehen bereits um einen Tag fortgeschritten . In einem notwendig neuen Akt ist der dritte und letzte der Handlungstage erreicht . Wenn hier nach kurzen Worten ihrer Amme und nur wenig Rückblick auf die vorher nicht beschriebene Hochzeit sogleich Poppaea aus ihrem Schlafgemach gestürzt kommt, verstört und keineswegs voll ehelicher Freude oder ihrer historisch belegten selbstbe wussten Art, unterstreicht auch dies die plötzliche Zunahme an Geschwin digkeit, die gar nicht recht zum Anfang der Tragödie mit den überlangen ersten beiden Akten passt . Die Drohung der Agrippina, zunächst noch all gemein und unbestimmt (V .630 iugulum hostibus . . . ) , wirkt hier konkreti siert und trifft präzise die Umstände von Neros Tod . In Poppaeas Bericht von ihrem Unheilstraum kann das Publikum den durch den Geist der Mutter aufgescheuchten Sohn erleben , wie er sich auf dem Wege in die Unterwelt selbst das Schwert in seine eigene Kehle stößt (V .732f. trepidus . . . ensem . . . iugulo condidit; vgl . Sueton Nero 49,3 trepidanter . . . ferrum iugulo adegit) . In der Forschung ist Letzteres zu Unrecht umstritten; 103 die Bezüge in dieser Szene werden für jeden eindeutig , wenn man die Ahnungen der Poppaea nicht für sich isoliert sieht, sondern im Zusammenhang mit der Erscheinung Agrippinas unmittelbar zuvor bewertet, was in der Sekundärliteratur viel zu selten geschieht.l04 So nämlich scheint ihr Geist bereits zu wirken . Nicht mehr Octavia, sondern Nero und sein baldiges Ende stehen jetzt im Vorder grund . l °5 Die klassischen Strukturen des Dramas lösen sich plötzlich in kur ze , zu kurze Einzelszenen auf, die schnellstens und mit erzählter hektischer 103 Vgl . zuletzt ausfiIhrIich Kragelund ( 1 982) S .9fr. sowie mit einem Überblick über die For schung Junge ( 1 999) S . l 76fr., Manuwald (200 1 ) S .282 Anm .5 1 . An Neros Selbstti\tung glauben seit Trevet die meisten wie z .B . Münscher ( 1 922) , Enk ( 1 926) , Helm ( 1 934) , Pe droli ( 1 954) , Axelson ( 1 956) , Bruckner ( 1 976) , Carbone ( 1 977), Zwierlein ( 1 980) , Sö ring ( 1 982) , Junge ( 1 999) , Fern (2003a); an die Ti\tung des Crispinus z .B . Riller ( 1 843), Nordmeyer ( 1 893) , F1inck ( 1 9 1 9) , Pease ( 1 920/24) , Lucas ( 1 9 2 1 ) , Bardon ( 1 939) , Gian colli ( 1 954) , Santoro ( 1 955), Rizza ( 1 970) , Kragelund ( 1 982), S ulli van ( 1 985); an die der Poppaea Pantzerhielm Thomas ( 1 945), Sluiter ( 1 949) und unlängst auch Manuwald (200 1 ) und Schubert ( 1 998), der ihre Katabasis leugnet. Mit bewusster Ambivalenz for muliert ist der Traumbericht z.B . fUr Maas ( 1 927) , Sluiter ( 1 949), Ballaira ( 1 974) , Whit man ( 1 978), Kragelund ( 1 982) . 1 04 Vgl . aber Bruckner ( 1 976) S .5 , Carbone ( 1 977) S .60fr. Weitere gewichtige Argumente fUr einen Selbstmord Neros sind sein Eindringen in die Unterwelt, in der sich Poppaea mit ihrem ersten Gallen Crispinus befindet (beides Opfer Neros, 65 und 66 n. Chr.) , und die euphemistische Deutung der Amme: Es wäre weder sinnvoll, wenn Nero den bereits toten Crispinus ein zweites Mal ersticht, noch wäre ein derartiger aggressiver Akt, der sich ge gen einen anderen richtet, als Symbol filr Frieden zu verstehen. Letzteres ist nur mllglich, wenn Nero sich selbst umbringt , d .h . sein Schwert bei sich birgt. 105 Vgl . auch Sullon ( 1 983) S .62 "the Octavia is really Nero' s play" .
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Aktion aufeinander folgen (V .725ff. subito patuit . . . properat petere . . . irru pit . . . , V .778 gressu ruit attonito . . . , V .78Off. . .. per ne/as ingens ruunt ) . 106 Und nicht nur damit scheint zeitliche Distanz zu schwinden . Denn mit V .8 3 1 ist im (über-) nächsten (1) Akt bereits von Roms gro ßem B rand die Rede (64 n . Chr . , mox tecta flammis . . .) , der vom Kaiser als Strafe für den Volksaufstand zu Gunsten der Octavia angekündigt wird - ein kühner Zeitsprung nun um gleich zwei Jahre .I 07 Was in der Forschung zu meist nur für die Charakterisierung Neros ausgewertet wird ,l os ist ein weite res deutliches Indiz für die zunehmende Geschwindigkeit der Darstellung . So scheint sich in der Tat das zu bestätigen , was Agrippina V .6 l 8 aus drücklich gefordert hatte: tempus haud longum peto - ein rasches Ende für Nero wirkt möglich , und dies noch innerhalb des Stücke s ! Die sich nach den historischen Quellen mit sogar zwei Verbannungen über eine längere Zeit hinziehende Octavia-Handlung ist schließlich nicht nur auf die drei Tage der Erzählung komprimiert. Selbst die Ereignisse der nachfolgenden Jahre sind auf das dramatische Datum der ' Octavia' bezogen und damit verdichtet. Die Anlage der Tragödie zeigt folglich von ihrer Mitte an , unmittelbar nach dem Auftritt der Agrippina, ein rasant gesteigertes Tempo , das ja vielleicht doch auf einen gerechten Ausgang mit dem möglichst nahen Tod des Tyrannen hoffen lässt, eben so, wie es Agrippina verlangt hatte: tempus haud longum peto . Doch trotz aller zeitlichen Verdichtung , es kommt, wie es dramatisch kommen muss: Die ' Octavia' bleibt letztlich im zeitlich-dramatischen Rah men und hat notgedrungen ein ernüchterndes Ende . Hilflos und voller Mit gefühl muss das Publikum in einem letzten Akt V .899ff. mitansehen , wie Octavia zur Ermordung auf die Insel Pandataria verschleppt wird . Dem Chor bleibt nichts als die Hoffnung , dass Neros verstoßene Gattin göttliche Ret tung erfahren möge , wie es in der griechischen Tragödie einst einer Iphige nie widerfuhr - ein frommer Wunsch , der das historische Geschehen am En• • •
106 Vgl .
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auch Bruder ( 1 958) S .62 "Dies kurzatmige Aufeinanderfolgen , der fast an die Tech nik des Filmes erinnernde rasche Wechsel der Szenen und der Personen erweckt den Ein druck , als ob die Ereignisse sich jetzt dem Ende zu drängten. Sicher mit Absicht, obwohl oder vielleicht gerade weil sich das ganze Geschehen in Wirklichkeit über eine wesentlich längere Zeit hin erstreckte [ . . . ] Charakter der Unruhe" . Vgl . Sallmann ( 1 998) S .44 "kühn ist die logische Brücke [ . .]". Siehe o. S .35f.; zur Funktion vgl . zudem den ergänzenden Gedanken von Williams ( 1 994) S . l 88f., 1 94 "Nero wields an incendiary weapon which views with Cupid' s own", "the fire as the dramatic realisation of Stoic catastrophe [ . . . ] the poet recasts history to meet the demands of his imagery" - Weltenbrand, Amors Liebesfackel und Neros Brandstiftung als zentraJe.� Motiv des Drama.� . .
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de in eine mythische Sphäre zu entrücken sucht, um mit dem letzten Vers mit aller Härte einen noch düstereren Schlussakzent zu setzen . Denn bei der Ermordung allein der Octavia und einem gattungsgemäßen mythischen Hof fen bleibt es nicht. Mit dem Hinweis auf Roms Freude am eigenen Bürger blut wird der Zuschauer brutal in die römische Realität zurückgeholt (V .982 ciuis gaudet Roma cruore) . Nero mordet und wird weiter morden , bis es nach ihm gar zu einem Bürgerkrieg kommt, eine Katastrophe , die das Schicksal der Octavia noch weit übertrifft. Von ausgleichender poetischer Gerechtigkeit ist am Ende des Dramas nichts mehr zu spüren . Nach Octavi as Ermordung 62 n. Chr. werden doch die historischen sechs Jahre bleiben . Und nicht einmal am Ende steht Positives; am Ende steht ein allgemeiner Bürgermord und so ein Ausdruck gänzlicher Desillusionierung , wenn nicht einmal mehr die Geister der Unterwelt in der Lage sind , dem selbstherrli chen Nero Einhalt zu gebieten . Der Geist der Agrippina , zusätzlich von sei nem eigenen Opfer, Claudius' Geist, getrieben (vgl . V .6 1 4ff. agitat, petit, instat, minatur, imputat, poscit . . ), ist schließlich selbst nicht ohne Schuld und hat nun als Erinye keinen Einfluss mehr. 1 09 Trotz ihres Wunsches - die als Reaktion auf Claudius ' Drängen gewählte Formulierung tempus haud longum peto entpuppt sich als Zeichen ihrer Ohnmacht und ist keineswegs ein Dichterfehler -, trotz aller Darstellungsversuche des dramatischen Dich ters bleibt bittere Realität mit weiteren langen Jahren Mord und sogar Bür gerkrieg statt einer Erlösung . Die erhoffte Gerechtigkeit gibt es in diesem Stück nicht. .
Vollzieht man die Anlage des Dramas in der beschriebenen Weise nach, muss hier nicht notwendig ein schließlich erschöpfter, unvermögender Dichter am Werk gewesen sein . Die ' Octavia' gibt sich als das Stück eines belesenen Autors , der mit Senecas echten Tragödien und den großen grie chischen Stoffen etwa von Elektra und Antigone bestens vertraut ist (vgl . V . l ff. , 899ff.) . Er kennt demnach dramatische Konventionen zur Genüge ; er 1 09 Vgl . Tschiedel ( 1 995) S .4 1 3 f. "Der Leser darf und soll sich zwar gewiß sein, daß der Untat die Strafe folgen wird; aber diese Strafe erscheint nicht als eine gerechte [ . . .] . Vielmehr ist es das Biise selbst, das sich im exzessiven Wüten gegen sich kehrt und seine eigene Vernichtung betreibt. [ . . . ] Es bleibt da.� bittere Empfinden der Ohnmacht [ . . .] Vermittlung einer von Skepsis und Pessimismu.� verdüsterten WeItsicht" . Von Octavia V.23 als tristis Erinys beschworen, selbst V.593ff. als solche aufgetreten , ist es nicht Agrippina, kein Totengeist und keine Erinye, die ungehemmt die Welt regiert, wie Octa via V.91 1 ff. explizit, doch eben falsch beklagt (nullum Pieta.r nune numen habet! nee sunt .ruperi:/ regnat mund() tristis Erinys) . Es ist Nero, und das ist viel schlimmer!
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muss auch um die übliche Aktstruktur wissen . Aber er ist bereit, sich für sein Drama ebenso darüber hinweg zu setzen wie über die ebenfalls der dramatischen Theorie nach übliche Einheit der Zeit. I 10 Er braucht einen viel zu langen statischen ersten Akt als Gegensatz zur Vorbereitung; er braucht mehrere Tage und vor allem den viel zu kurzen zweiten Tag bzw . dritten Akt als ein besonderes dichterisches Ausdrucksmittel für eine Zunahme an Geschwindigkeit. Er nutzt mit dem Brand Roms einen echten Anachronis mus , um für sein Stück eine Illusion der Zeitraffung zu schaffen , so als hätte Agrippinas Schatten wirklich Macht (V .6 1 8 tempus haud longum peto) , als könnte ein gerechtes Ende Hoffnung geben . Oder sollte sich der Anonymus doch nur müde geschrieben haben , ein folglich schlechter Dichter, der etwa mit der Wahl dreier Handlungstage gattungsbedingter Vorgabe folgt - ein angebliches Charakteristikum der rö mischen 'Praetexta' , wie es die Forschung neuerdings behauptet? I 11 Ich wä re sehr vorsichtig , allein aus einem einzigen und dazu späten Stück auf eine verlorene Gattung aus frührepublikanischer Zeit zurückzuschließen , von der bis auf wenige , kaum aussagekräftige Fragmente nichts mehr erhalten ist. Würden dieselben Interpreten wirklich das Drama unseres 20 . Jahrhunderts für eine Poetik des Schauspieles z .B . im 1 7 . Jahrhundert benutzen?
1 10 Für die Eigenständigkeit des III
' Octavia' -Dichters trotz aller Seneca-Imitation vgl . Uberdies das gegen die Praxis seines vermeintlichen römischen Vorbildes an den Schl uss gesetzte Chorlied; siehe auch o. S .29. Vgl . insbesondere den Beitrag von Kragelund (2002) sowie Fern (2003b) S .89 Anm .2, 1 07 mit ausdrUcklicher Bestätigung der seit Herington ( 1 96 1 ) S .25 postulierten Konti nuität hinsichtlich der Drei-Tages-Struktur. Siehe aber auch seine skeptischen Äußerun gen o. Anm .78 .
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