ERWIN BEKIER
Operation „Wunderland"
DEUTSCHER MILITÄRVERLAG
Nach Tatsachen gestaltet
1.-60. Tausend Die Tatsachenr...
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ERWIN BEKIER
Operation „Wunderland"
DEUTSCHER MILITÄRVERLAG
Nach Tatsachen gestaltet
1.-60. Tausend Die Tatsachenreihe erscheint monatlich Deutscher Militärverlag • Berlin 1966 Lizenz-Nr. 5 Umschlag: Hans Rade, Wolfgang Ritter Lektor: Heinz Bartel Vorauskorrektor: Ilse Fähndrich Hersteller: Lydia Herkt Gesamtherstellung: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft, Dresden
Das Eismeer ist nicht das Schwarze Meer. Seine Ufer säumen keine Palmen, dort blühen keine Magnolien, Veilchen oder Rosen. An der viele tausend Kilometer langen Küste gibt es keine Badesaison. In den Sommermonaten steht die Sonne fast 24 Stunden am Himmel, ihre Strahlen vertreiben zusammen mit den ungeheuren Wassermassen der sibirischen Ströme das Küsteneis. Aber auch während des viele Wochen dauernden Polartages fällt es niemandem ein, den Robben ihre Kurorte an der Eismeerküste streitig zu machen. Pawel Wawilow, Heizer auf dem Eismeerfrachter „Sibirjakow", aus Archangelsk gebürtig, kannte Palmen, Magnolien, Veilchen, Rosen, südliche Sonne und lange Strande, an denen braungebrannte Menschen so dicht beieinanderlagen wie hier die Robben, nur aus Filmen, Journalen und aus den Erzählungen seines Kapitäns. Anatoli Katscharawa, Eismeerkapitän, war ein Grusinier. Gebürtig aus Suchumi, jener Stadt im sonnigen Adsharien am Ufer des Schwarzen Meeres, wo die Badesaison im April beginnt und im November endet und wo selbst in den Wintermonaten die Kurgäste bei Lufttemperaturen bis zu 16 Grad Wärme unter ewig grünen Bäumen spazieren und die Bauern im Januar die Apfelsinenernte einbringen.
Kapitän Anatoli Katscharawa 1942
Heißblütig in Bewegung, Gebärde und Sprache, fiel Katscharawa sofort unter den immer besonnenen, bedächtigen Eismeermatrosen auf, die in der Regel fast alle Nordländer waren. Und doch bestand zwischen dem Kapitän und der Mannschaft der „Sibirjakow" jenes Vertrauensverhältnis, das nie allein auf der Befehlsgewalt beruht, sondern in Augenblicken
äußerster Gefahr geboren wird, wenn Kaltblütigkeit und Geistesgegenwart, gepaart mit Wissen und schneller Entschlußkraft, die Reserven eines solchen, in diesen Momenten auf sich gestellten Kollektivs zu außergewöhnlichen Anstrengungen und Taten mobilisieren. Dergleichen Situationen hatte die Besatzung genügend erlebt. Es bedurfte nicht des Hinweises auf die siebenjährige Fahrenszeit ihres Kapitäns im Eismeer, daß jeder Matrose wußte: Die „Sibirjakow" befand sich in den richtigen Händen. So war es während der friedlichen Fahrten des Eismeerfrachters entlang des Nördlichen Seeweges zur Versorgung der vielen neuen Polarstationen und Siedlungen, und so war es noch mehr nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion gewesen, als das Schiff Truppen und Kriegsmaterial von Archangelsk nach dem von der deutschen Norwegenarmee bedrohten Murmansk transportierte.
Juras Feuertaufe „Der Tee, Kapitän!" Katscharawa wandte sich um, da sah er die Flugzeuge. Die drei Bomber schienen das Schiff auch erst in jenem Augenblick entdeckt zu haben, als sie aus der tiefhängenden Wolkendecke hervorstießen. Ohne die Formation zu ändern, flogen sie die „Sibirjakow" in Keilform an. Kapitän Katscharawa riß den Hebel des Maschinentelegrafen herum. Er sprang von „Volle Kraft voraus" auf „Stopp" und „Volle Kraft zurück". Jura, der Schiffsjunge, hörte zum erstenmal das Rauschen
von Fliegerbomben. Die Geschütze am Bug und Heck und die Fla-MGs kamen nicht dazu, mit ihrem Belfern dieses Geräusch zu übertönen. Katscharawa sah lediglich die Mündungsfeuer seiner leichten Flak. Selbst die Soldaten, die unmittelbar an den Waffen standen, vernahmen nur das Krachen und Bersten der Bomben. Die ersten Explosionen rissen das Eiswasser zweihundert Meter backbord vor dem Schiff auf, die nächste Bombenserie explodierte, so schien es wenigstens Jura, direkt unter dem Schiffskörper. Während ihn das Eiswasser überschüttete und die Splitter sich jaulend in Holz und Metall hineinbohrten, erhielt das Schiff einen furchtbaren Stoß. Wie von einem auftauchenden Riesenwal wurde die „Sibirjakow" gehoben und geschüttelt. Katscharawa sah, auf den Rücken geworfen, über sich die Schatten der dritten Bombenserie. Ihre Einschläge lagen so kurz hinter Steuerbord, daß einige der Soldaten, die schwankend wieder zu den Geschützen eilten, von neuem von dem Luftdruck und dem Wasserschwall zu Boden geworfen wurden. Erst jetzt hörte man das Geratter der beiden 45-mmGeschütze am Bug. Zwei der Flugzeuge verschwanden in den Wolken, das dritte konnte nicht folgen. Einen immer größer werdenden schwarzen Rauchschweif hinter sich lassend, gelang es ihm, sich mit aufheulenden Motoren gerade noch über Wasser zu halten. Doch der Pilot konnte es aus dem Bereich der Buggeschütze bringen, und als am Heck endlich wieder die beiden 76-mm-Geschütze zu schießen begannen,
erreichten auch die Detonationen ihrer Granaten nicht mehr das Bombenflugzeug. Katscharawa riß den Maschinentelegrafen wieder herum. Er wußte, es würde nicht bei diesem Angriff bleiben. Die „Sibirjakow" befand sich in der BarentsSee, kurz vor Murmansk, beladen mit Munition und Waffen. Die faschistischen Flieger würden jetzt andere Staffeln benachrichtigen. Es waren noch drei Stunden Fahrt bis zum Fjord. Diese Zeit genügte für die Bomber der Norwegenarmee auf den Einsatzflugplätzen bei Narvik. Sie würden aufsteigen und das Schiff noch vor der Einfahrt in den Fjord erreichen. „Der Tee, Kapitän!" Katscharawa sah den Schreck in den großen, grauen Augen des Schiffsjungen Jura Proschin. Weiß der Teufel, wie es ihm gelungen war, den halben Inhalt des Teeglases zu retten. „Geh! Lauf zum Koch! Laß dir ein Thermos mit Tee füllen und bring ihn den Heizern!" „Jawohl, Kapitän!" Im Maschinenraum Jura Proschin hörte nicht mehr, was der Kapitän durch das Sprachrohr dem Obermaschinisten Botschurka befahl. Katscharawa meinte es gut mit Proschin, der erst vor zwei Wochen in Archangelsk zum erstenmal Schiffsplanken betreten hatte. „Behaltet den Jungen unten, bis wir im Fjord sind." Botschurka kam zu keiner Antwort. Wieder sprang der Zeiger des Maschinentelegrafen hin und her. Das Schiff zitterte von den heftigen Steuerbewegungen, die
es nach rechts und wieder nach links rissen, wobei es einmal mit der vollen Kraft seiner Maschinen vorwärts lief, das andere Mal mit rückwärtsmahlenden Schiffsschrauben die Fahrt stoppte, um sofort wieder gleich einem wilden Pferd auszubrechen. Schon in den Jahren der friedlichen Seefahrt waren die Heizer die geachtetsten unter den Matrosen. Viel Muskel- und Willenskraft gehörte dazu, im Sturm eine Wache vor dem Kessel zu stehen. Doch der Heizer hat es gelernt, mit der schweren Schaufel auf dem schwankenden Boden schnell drei Schritte auf das glutspeiende Feuerloch vorzutänzeln, mit geschickter Bewegung seine Last in den roten Rachen zu werfen und wieder zurückzulaufen. In Kriegszeiten aber... Jura Proschin, als Lehrling dem Obermaschinisten zugeteilt, bei Gefechtsberührung als Melder dem Kapitän unterstellt, hätte tausendmal lieber auf der Brücke gestanden. Er mußte sich anstrengen, um durch den Lärm der Maschinen und durch das Tosen der Feuerschlünde vor seinen Augen die Abschüsse der Geschütze an Deck zu hören, die von einem neuen Bomberangriff kündeten. Die Heizer hatten keine Zeit für seinen Tee. Der Druck des Manometers fiel. Einer saß mit gesenktem Kopf und notdürftig verbundenen Armen in der äußersten Ecke. Jura begriff, daß das Bombardement vorhin auch diese Männer hier unten auf das Eisen geworfen hatte. Aus dem Bunker waren Kohlenstücke in den Raum geflogen, die beiden noch arbeitenden Heizer stießen sie mit den Füßen zur Seite, wenn sie mit den Schaufeln in den Händen hin und zurück liefen. Jura ließ seinen Thermophor stehen. Er ergriff die Kohlenstücke mit seinen Händen, die Heizer
Der Schiffsjunge Jura Proschin
rannten vorbei und nickten ihm schweißüberströmt aus schwarzem Gesicht mit blitzenden weißen Zähnen zu. Sie rissen Jura vor dem Feuerloch zurück, als er unter dem Dröhnen einer Bombenexplosion darauf zu und beinahe hineingestolpert wäre. Durch den Raum klang es, als schlage ein Riese aus der Meerestiefe mit
gewaltigen Fäusten gegen den Schiffsboden und die Bordwände. „Nimm eine Schaufel!" schrie der Heizer Pawel Wawilow. Mit Gesten zeigte er Jura, wie er ihnen helfen konnte. Auf niemanden sonst konnten sie hier rechnen. Bei Gefechtsalarm reichten die wachfreien Heizer und Maschinisten die Granaten aus dem Schiffsinnern zu den Soldaten an den Geschützen empor. „Die haben es fein!" schrie Wawilow, er nickte mit dem Kopf nach oben, während er Schaufel auf Schaufel die dicksten Kohleklumpen in den Feuerschlund warf. „Die können schießen, sie sehen den Feind, aber wir hier unten ..." Die Front Erst im Murmansker Hafen gab es für die Heizer eine kurze Ruhepause. Gierig saugten sie die frische Seeluft in ihre Lungen. „Wieviel Angriffe hattet ihr?" riefen die Hafenarbeiter den Matrosen zu. „Drei", rief einer von ihnen über die Schulter zurück. Er meinte damit aber nur die Bombenangriffe des letzten Tages. Die Matrosen hatten keine Zeit. Noch während die Munition und die Waffen ausgeladen wurden, brachten Sanitäter verwundete Soldaten an Bord. Die Laderäume verwandelten sich in Lazarette. Über Stadt und Hafen kreisten, wie immer, wenn die „Sibirjakow" in den Fjord eingelaufen war, die Bombenflugzeuge mit den schwarzen Kreuzen auf den
Tragflächen, umgeben von unzähligen weißen Wölkchen explodierender Flakgranaten. Weit darüber hatten sich Rata-Jäger in die Messerschmittflugzeuge verbissen. „Wie steht es an der Bahn, Brüder?" Es war immer dieselbe Frage, die Wawilow - wie auch alle anderen Matrosen - an die Verwundeten richtete, die einer Antwort fähig waren. Auf der Eisenbahnlinie, die Murmansk über viele tausend Kilometer mit dem Zentrum des Landes verband, wurde das Kriegsmaterial transportiert, das alliierte Geleitzüge über den Ozean gebracht hatten. „Sie können den Dampf unserer Lokomotiven riechen, aber sie haben noch keine Schwelle berührt." Katscharawa bekam vom Hafenkommandanten genauere Informationen: „Die Faschisten haben mit der bisher größten Konzentration ihrer Seestreitkräfte den alliierten Geleitzug ,P. Q. 17' gesprengt. Sie haben aus der Deckung der Norwegenfjords heraus mit dem Schlachtschiff ,Tirpitz' und den schweren Kreuzern ,Lützow', ,Admiral Scheer', ,Admiral Hipper', mit zwölf Zerstörern und allen im Nordmeer stationierten UBooten und Bomberverbänden angegriffen. Nach den schweren Luftangriffen haben die Engländer die Nahund Fernsicherung des Geleitzuges zurückgerufen. Die Handelsschiffe bekamen Befehl, sich zu zerstreuen. Wir rechnen mit wenigstens zwanzig versenkten Frachtern. Unsere Flieger haben Schiffe gemeldet, die von ihren Kapitänen einfach in die Felsen von FranzJosef-Land und Spitzbergen gesteuert wurden. Sicher hat man auch die .Sibirjakow' für ein Schiff dieses Geleitzuges gehalten."
„Aber wie konnten die Engländer die Handelsschiffe im Stich lassen?" Der Hafenkommandant wußte keine Antwort auf Katscharawas Frage. „Es ist ein schwerer Verlust für uns. Die Faschisten stoßen auf die Wolga und zum Kaukasus vor!" Der Hafenkommandant sprach rücksichtslos und offen von der bitteren, gefährlichen Frontlage. „Die Seewege durch die Ostsee und aus dem Schwarzen Meer heraus sind für uns gesperrt. Unsere Verbindung zur Außenwelt geht über Murmansk und Archangelsk. Wenn Sie auf dem Rückweg auf Schiffe des versprengten Geleitzuges treffen, geben Sie Kurzsignal. Sonst halten Sie sich an den Befehl der Funkstille." Der Kapitän geleitete den Hafenkommandanten vom Schiff. Trotz seiner Sorgen um die Rückfahrt angesichts des mit Verwundeten vollbeladenen Schiffes fiel Katscharawa das bunte Tuch auf, das der Schiffsjunge Proschin wie ein alter Heizer um den bloßen Hals trug. Auf dem Rückweg blieb er bei Wawilow stehen. „Was ist das?" Er schaute auf die Arme Proschins. „Laß dir im Lazarett sofort einen Verband anlegen!" Wawilow war aufgesprungen. Er stand in militärischer Haltung vor Katscharawa, aber seinen rechten Arm hatte er auf die Schulter Juras gelegt. „Ich habe selber...", sagte Jura, bevor Wawilow dem Kapitän etwas erklären konnte. „Du meldest dich wieder auf der Brücke!" Katscharawa drehte Wawilow den Rücken zu. Wawilow wollte seinem Kapitän nacheilen, doch dann drehte er sich zu Jura um. Der Heizer schnaufte erregt.
Wie konnte es ihm nur entgangen sein, daß sich der Junge bei der vielstündigen ungewohnten schweren Arbeit verletzt hatte ... „Warum hast du mir nichts gesagt?" Jura wies stumm auf die Verwundeten, die auf Tragbahren bereits an Deck Platz finden mußten. „Ich wollte gleich zur Ärztin, aber als ich die Soldaten sah ..." Ein legendäres Schiff Gewöhnlich dauert es einige Zeit, bis ein Neuling an Bord und schon gar ein Moses wie Jura die Scheu vor den alten Fahrensleuten verliert. Jura spürte schon auf der Rückfahrt in den Heimathafen nichts mehr von solchen Empfindungen. Auf Befehl des Kapitäns durfte er weiter das Heizerhalstuch tragen. Drei Tage half er während seiner „Leichtverwundetenzeit" den Ärzten und Sanitätern im Lazarett. „Jura, erzähl uns noch einmal die Geschichte von eurem Schiff." Nur zu gern kam Jura dieser Bitte der verwundeten Soldaten nach. Wie sollte er nicht? Kannte er doch alle Fahrten der „Sibirjakow" von seinem Lehrmeister, dem Obermaschinisten. Botschurka konnte sich rühmen, Dienstältester auf dem berühmten Eismeerfrachter zu sein. Er hatte sogar die Fahrt mitgemacht, die den Namen des Schiffes weltbekannt werden ließ. „Also, Jura, die schottischen Schiffbauer haben dieses Schiff schon neunzehnhundertacht erbaut?" „Ja, und die englischen Seeleute sind darauf nach Neufundland zur Waljagd gefahren. Neuhzehnhun-
dertvierzehn wurde es von Rußland erworben und zur Robbenjagd im Weifjen Meer verwandt, und neunzehnhundertzweiunddreißig hat es als erstes Handelsschiff den Weg entlang der sibirischen Küste zurückgelegt, ohne zu überwintern." Viele der Fragesteller erinnerten sich der Zeitungsberichte aus dieser Zeit, da sie so alt wie Jura oder sogar noch jünger gewesen waren.
Die „Sibirjakow"
„Immer wollte ich einmal dieses Schiff sehen, was hätte ich dafür gegeben, es betreten zu dürfen", sagte ein an den Füßen verwundeter Hauptmann. „Jetzt ist mein Wunsch in Erfüllung gegangen, aber nicht so, wie ich gedacht." Sein Bettnachbar vertrieb die trübe Stimmung des Hauptmanns. „Wie gut, daß unsere Regierung damals
den Befehl zur Erschließung des Nördlichen Seeweges gegeben hat. Wieviel war er im Frieden wert, und jetzt im Krieg erst! Die Faschisten haben gehofft, uns von der ganzen Welt abschneiden zu können; aber der Nördliche Seeweg ist die einzige Schiffahrtsstraße, wohin sie sich nicht getrauen." „Blaufuchs"-Jäger Der schwere Kreuzer „Admiral Scheer" lag im Schein der Mitternachtssonne im Skommfjord bei Narvik. Auf den Bergen schützten Flakbatterien das kostbare Schiff vor Luftangriffen. Der Fjord war durch Minensperren gesichert, und vor seiner Einfahrt kreuzten Torpedoboote. Kapitän zur See Meendsen-Bohlken studierte den Operationsplan „Wunderland". Die Faschisten liebten es, ihren verbrecherischen Plänen mystische oder historische Bezeichnungen zu geben. Der am 18. Dezember 1940 unterschriebene Plan „Barbarossa" zum Überfall auf die Sowjetunion, der zunächst auf die Eroberung der Gebiete bis zur Linie Astrachan am Kaspischen Meer und Archangelsk am Eismeer hinzielte, sah für den Norden die Operation „Blaufuchs" vor. Nach „Blaufuchs" sollte die deutsche Norwegenarmee, unterstützt von See- und Luftstreitkräften und Teilen der Finnischen Armee, die Halbinsel Kola mit dem Hafen Murmansk erobern und dann am Weifjen Meer entlang nach Archangelsk vorstoßen. Nach dem Mißlingen dieser Blitzkriegsschläge hatte die Seekriegsleitung sich einen großen Schlag gegen den wichtigsten Verbindungsweg ausgedacht, der der
Sowjetunion noch verblieben war. Der Deckname „Wunderland" für die dem Kapitän Meendsen-Bohlken befohlene Aktion bewies, wie sehr die vorgesetzten Dienststellen sich auf strategischem Neuland bewegten. Selbst aus der Lagebeurteilung war diese Unkenntnis herauszulesen:
Die Operation „Wunderland
„1. Die größte Schwierigkeit der Seekriegführung im Karischen Meer liegt auf dem Gebiet der Eisverhältnisse, da die Eisperioden der letzten zehn Jahre völlig unregelmäßig waren. 2. Der deutsche Beobachtungsdienst ist kaum in der Lage, den sowjetischen Eis- und Schiffahrtsmelde-
dienst auf dem Nordsibirischen Seeweg richtig zu deuten; es muß deshalb ein eigener deutscher Eis- und Wetterdienst aufgezogen werden unter Heranziehung von Fischdampfern (Schiff 13 und Schiff 24), die mit Kurzsignal Meldungen abgeben können. 3. Es ist zu berücksichtigen, daß das Operationsgebiet nicht viel breiter ist als die Ostsee, während es in der Längenausdehnung so groß ist, daß An- und Abmarsch je mehrere Tage in Anspruch nehmen. Unbemerktes Auslaufen und überraschendes Auftreten des Kreuzers bei zeitlich begrenztem Aufenthalt im Operationsgebiet sind wesentliche Voraussetzungen des Erfolgs. Feindeinwirkung im Operationsgebiet ist unwahrscheinlich, doch muß mit Verlegen des Rückweges gerechnet werden." Weit entfernt, im Heimathafen Kiel, saß der Admiral Carl, als „Admiral Nordmeer" Vater dieses Planes. Die operative Ausarbeitung hatte er Admiral Schmundt, verantwortlich für die Seekriegführung in den arktischen Gewässern, befohlen. Meendsen-Bohlken bekam zusätzlich die Aufzeichnungen des Kapitäns Paul Weber zu lesen. Schon im Jahre 1939 hatte Paul Weber in seinen öffentlich gedruckten Arbeiten auf die Möglichkeit einer Seekriegführung in den arktischen Gewässern hingewiesen. „Da sich die Schiffahrt hier auf kaum drei Monate zusammendrängt, ist eine sehr große Beute möglich." Soweit Weber. Die wichtigsten Hinweise gab der ehemalige deutsche Marineattache in Moskau, Kapitän von Baumbach. Admiral Schmundt war des Lobes voll über die vorausschauende Arbeit dieses Spions: „Er hat
dafür gesorgt, daß während des Nichtangriffspaktes unsere ,Bremen' im Hafen von Murmansk Zuflucht fand. Und unser Hilfskreuzer ,Komet' hat dank seiner Vermittlung im Jahre 1940 den Nördlichen Seeweg sogar mit Hilfe sowjetischer Eisbrecher durchfahren." Meendsen-Bohlken studierte aufmerksam alle diese Unterlagen, besonders den interessanten Bericht und die Auswertungen über die Fahrt des Hilfskreuzers „Komet". Der Kapitän der „Admiral Scheer" konnte 26 versenkte Handelsschiffe auf sein Konto buchen, aber was ihm hier geboten wurde, entsprach in der Möglichkeit, sich auszuzeichnen, durchaus dem damit verbundenen Risiko. Nie in der Geschichte der Seekriegführung hatte sich einem Kaperschiff eine derartige Beute geboten. Anfang August 1942 übermittelte der Stab des Admirals Carl aus Kiel eine Mitteilung der japanischen Admiralität: „Am 16. Juli haben 19 Handelsschiffe Kamtschatka erreicht. Am 26. Juli hat die Schiffskarawane den Hafen von Petropawlowsk verlassen. Am 1. August wurden die Schiffe bei der Durchfahrt der Bering-Straße gepeilt." Mitte August meldete die Luftaufklärung der Norwegenarmee die Ausfahrt einer großen Schiffskarawane aus dem Hafen von Archangelsk. Es war die Zeit der Hauptsaison auf dem Nördlichen Seeweg. Die schwierigste Stelle, die es auf dieser Strecke zu überwinden galt, war die für beide Schiffskarawanen etwa auf halbem Weg liegende Wilkizki-Straße. Auch in den günstigsten Schiffahrtsperioden sammelten sich hier die größten sowjetischen Eisbrecher, um den
Handelsschiffen den Weg durch Treib- und Packeisfelder in beiden Richtungen freizukämpfen. Mindestens drei Dutzend Handelsschiffe - dazu die größten Eisbrecher! Und es gab kein sowjetisches Kriegsschiff auf diesem Seeweg, das ein ernsthafter Gegner des schweren Kreuzers „Admiral Scheer" hätte sein können. Wichtig war nur eins: die Überraschung ! Bis in das Führerhauptquartier drang die Vorfreude auf diesen Vernichtungsschlag. Der Verlust der schweren Eisbrecher mußte den gesamten Nördlichen Seeweg lahmlegen. Hitler persönlich forderte diesen Angriff. Die Decknamen für die einzelnen Operationen dieser Piratenfahrt fielen entsprechend klangvoll aus: „Morgenröte" für den Einsatz nördlich der Insel Nowaja Semlja, „Rasputin" für die Operation westlich der Durchfahrt durch diese Doppelinsel, „Romanow" für jene nördlich der Insel Kolgujew, und so ging es weiter mit Operation „Peter und Paul", „Iwan und Rurik" und andere. Das Führerhauptquartier beorderte zur Sicherstellung des großen Schlages ein Dutzend U-Boote und eine Spezialeinheit der 5. Luftflotte nach dem Norden. Um das Unternehmen absolut geheimhalten zu können, wurden an Stelle der vorgeschlagenen Fischdampfer UBoote für den Eismeldedienst bestimmt. Sie sollten nördlich der Insel Nowaja Semlja bis zur Eisgrenze aufklären. Vier U-Boote bekamen den Standort zwischen der Bären-Insel und Nowaja Semlja zugewiesen, um den Panzerkreuzer gegen alliierte Kriegsschiffe aus dem Westen abzuschirmen. Den U-Booten U-601 und U-251 wurde die Aufklärung zur Wilkizki-Straße übertragen, andere U-Boote
bekamen den Auftrag, in Richtung Dikson zur Jenisseimündung und zur Insel Bely-Obmündung vorzustoßen. Auf die zuerst geplante Mitnahme von Zerstörern wurde verzichtet, weil dieser Schiffstyp den Treibeisverhältnissen nicht gewachsen war. Nach den Berechnungen der Seekriegsleitung mußte die größte Konzentration sowjetischer Handelsschiffe und Eisbrecher in dem Operationsgebiet frühestens am 25. August stattfinden. Am 16. August verließ die „Admiral Scheer", begleitet von vier Zerstörern, den Skommfjord. Am 17. August kehrten die Zerstörer südlich der Bären-Insel um, die „Admiral Scheer" marschierte allein weiter, in weitem Umkreis gesichert durch die vorausgesandten U-Boote. Am 18. August traf der schwere Kreuzer, der strikte Funkstille einhielt, um 23.40 Uhr nördlich der Insel Nowaja Semlja mit U-601 zusammen. Vom U-Boot wurde gemeldet, daß sich die Eisgrenze noch 80 Seemeilen nördlich der Insel befand. Die geplante größte Piratenfahrt der Seekriegsgeschichte lief gut an. „Admiral Scheer" konnte die Insel weit außerhalb des Beobachtungsfeldes sowjetischer Polarstationen umfahren. Im Wunderland Nachdem die „Admiral Scheer" die Nordspitze von Nowaja Semlja passiert hatte, traf sie in" Richtung Einsamkeit-Insel - Wilkizki-Straße auf Eisfelder. Langsam und vorsichtig arbeitete sich der Kreuzer wieder nach Osten vor. Meendsen-Bohlken ließ das
Bordflugzeug starten, um freies Wasser zu suchen. Nach der Auswertung der Luftaufklärung entschloß er sich, etwa 100 Seemeilen westlich der EinsamkeitInsel, zur Umkehr. Der Kreuzer lief zunächst in westlicher Richtung wieder aus dem Eisfeld heraus. Immer am Rand des Eises entlang versuchte Meendsen-Bohlken, in südlicher Richtung eine günstigere Einbruchsstelle zur Wilkizki-Straße zu finden. Am 20. August gegen 4 Uhr kam die Meldung: „U-251 in Sicht." Für den Fall, daß der Vorstoß aus nördlicher Richtung mißlang, war dieses Zusammentreffen mit U251 in der Westsibirischen See verabredet worden. Um 4.30 Uhr kam das U-Boot längsseits; beide Schiffe stoppten. Meendsen-Bohlken vernahm die erfreuliche Mitteilung: „In Richtung Küste wird das Eis immer lockerer. Ein weiter Streifen der See von der Küste bis zur Nordenskjöld-Passage ist gänzlich eisfrei." Drei Tage lang kreuzte die „Admiral Scheer" in langen Schleifen in der Westsibirischen See. „Diesterweg! Können Sie noch nichts melden?" Meendsen-Bohlken hatte die besten Leute des faschistischen Funkabhördienstes an Bord bekommen. Doch die Meldungen, die Diesterweg, der Leiter dieses Dienstes, vorlegte, gaben keinen Überblick über die sowjetischen Schiffsbewegungen. Endlich gelang es Diesterweg, den Funkspruch eines sowjetischen Leitschiffes abzuhören und zu entziffern. Dieser befahl den nachfolgenden Frachtern einen Kurs von 43 Grad und die Einhaltung einer Geschwindigkeit von 5 Knoten. „Nach Peilung nimmt diese sowjetische Schiffskarawane ihren Weg auf die Nordenskjöld-Passage."
Die „Admiral Scheer"
Das Arado-Bordflugzeug startete jeden Tag zweimal. Der Flugzeugbesatzung gelang es nicht, den sowjetischen Geleitzug zu entdecken. Auch die Meldungen über die von den Piloten beobachtete Eislage widersprachen sich. Die Zeit drängte. Der Beobachtungsdienst Diesterwegs konnte sowjetische Funkmeldungen auffangen, wobei die Rolle der Küstenstation Dikson als Leitstelle besonders auffiel. Gleichzeitig meldete „Admiral Nordmeer" Anzeichen, wonach ein Geleitzug von 4 Eisbrechern und 19 Schiffen aus dem Osten im Anmarsch auf die Wilkizki-Straße sei. Das „Wunderland" rechtfertigte den Namen, den es vom faschistischen Oberkommando bekommen hatte. Ganze Schiffskonvois steuerten in kaum einer Flugstunde Entfernung auf ein genau bekanntes Ziel zu
- die Wilkizki-Straße; aber Bodennebel, Schneeschauer und Treibeisfelder trieben ein zauberhaftes, beinahe gelenkt erscheinendes Spiel mit der Technik der riesigen grauen Kriegsmaschine, die bisher immer unfehlbar die Opfer aufzuspüren geholfen hatte. Am 23. August endlich gelang es der Luftaufklärung, die erwarteten Ergebnisse mitzubringen. Eine sowjetische Schiffskarawane von zehn Frachtern lag bereits an der Südseite der Wilkizki-Straße vor Anker! Anscheinend wartete sie bis zur Weiterfahrt auf Eisbrecher. „Kurs Wilkizki-Straße!" Wie ein Raubtier schlich der schwere Kreuzer „Admiral Scheer" zum Sammelpunkt der Schiffskarawanen. Ungesehen, ungehört, bereit und in der Lage, große Frachteransammlungen in einen riesigen Schiffsfriedhof zu verwandeln. Am 24. August befand sich der Kreuzer bereits südlich der Einsamkeit-Insel. Meendsen-Bohlken suchte hier einen Platz, von dem aus die Schiffe überraschend angefallen werden konnten. Die Vormittagsaufklärung durch das Flugzeug ergab wegen des Bodennebels keine Resultate. Am Nachmittag wurde der Kreuzer zuerst bei umspringendem Wind von Nebel überrascht, in der Nacht geriet das Schiff in Treibeis. MeendsenBohlken manövrierte verzweifelt; erst gegen Morgen gelang es ihm, den Kreuzer in losere Treibeisfelder zu bringen. „Admiral Nordmeer" erteilte Operationsfreiheit. Das Hauptquartier wußte von der großen Schiffsansammlung in der Wilkizki-Straße, es wußte eines seiner mächtigsten Kriegsschiffe in unmittelbarer Nähe
eines großen Teils der gesamten sowjetischen Handelsflotte. Eine jahrelange, sorgfältige Aufklärungs- und Spionagetätigkeit, eine unter Einsatz aller operativen und taktischen Mittel geplante Operation würde endlich das gewünschte Resultat bringen... Meendsen-Bohlken wollte in diesem letzten Augenblick nichts riskieren. Er wußte, in solchen Treibeisfeldern, wie er eines in der vorhergehenden Nacht überwunden hatte, waren die sowjetischen Eisbrecher dem schnellen Kreuzer überlegen. Jetzt war es wichtig, sich nicht zu verraten und die Schiffskarawanen in Reichweite der Geschütze zu stellen. Am Vormittag startete das Bordflugzeug noch einmal zur Eis- und Besteckkontrolle. Die Drift hatte den Kreuzer versetzt, und es lag kein sicheres astronomisches Besteck vor. Nach kurzer Zeit kehrte die Maschine wegen schlechter Sicht wieder zurück. Beim Wassern machte sie eine Bruchlandung. Zum ersten Mal ertönte in diesen nördlichen Gewässern Geschützfeuer. Das Flugzeug hatte nicht an Bord genommen werden können. Um die treibende Maschine nicht zum Verräter werden zu lassen, ließ Meendsen-Bohlken sie durch Flakfeuer versenken. Der Navigationsoffizier überprüfte das Besteck. Auf den Gefechtsstationen wurde in einer Alarmübung die furchtbare Kampfkraft des stählernen Riesen noch einmal kontrolliert. Wie auf einem Schießstand würde sich die Wucht dieser Kriegsmaschine auf die so gut wie wehrlose Beute entladen. Nebelschwaden umhüllten das Schiff, das sich von dem bleigrauen Wasser des Eismeeres kaum abhob. Ein Stahlkörper, grau und wuchtig, 185,5 Meter lang,
Wasserverdrängung 13 000 Tonnen, Überwasserpanzerung 76 bis 102 Millimeter, Unterwasserpanzerung 75 Millimeter. Bewaffnung: sechs 280-mm-Geschütze, acht 150-mm-Geschütze, sechs 105-mm-Flak, acht 37-mm-Flak, zehn 20-mm-Vierlingsflak, acht Torpedorohre je 533 mm. Reichweite der schweren Geschütze: über 40 km. Die Geschwindigkeit betrug 28,5 Knoten, Maschinenkraft 56 800 PS. Besatzung: 1150 Mann. Kurz vor Mittag besserte sich das Wetter. Als der Kreuzer aus einer Nebelbank heraustrat, gab Meendsen-Bohlken den Befehl: „Volle Kraft voraus!" Der Stahlkoloß erzitterte von der Kraft seiner Maschinen. In diesem Augenblick sichteten die Posten ein Handelsschiff! Meendsen-Bohlken hob das Fernglas. Es gab keinen Zweifel, auch von dem anderen Schiff mußte die „Admiral Scheer" entdeckt worden sein! Jetzt kam es auf jede Sekunde an. War dieses Schiff vom Konvoi zurückgeblieben, oder war es ein Einzelfahrer? Ganz gleich — der Kreuzer war entdeckt! Meendsen-Bohlken überlegte fieberhaft. Der Eismeerfrachter befand sich im Bereich der schweren Geschütze des Kreuzers. Sollte er das Feuer eröffnen lassen? Einen Funkspruch hatten die Russen schon abgesetzt, das hatte er nicht mehr verhindern können. Diesterweg stand erregt mit einem Blatt Papier vor Meendsen-Bohlken. Er stammelte den Text des aufgefangenen Funkspruchs: „,Sibirjakow' an Dikson Unbekanntes Kriegsschiff gesichtet Haltet Verbindung."
Meendsen-Bohlken genügte es. Er begriff seine Chance. Er griff zu einer uralten Kriegslist.
Im Hinterland „Kapitän, werden wir gar nicht mehr nach Murmansk fahren? Wozu brauchen wir dann die Geschütze?" Die Frage des Schiffsjungen Jura Proschin erschien dem Kapitän berechtigt. Katscharawa runzelte die Augenbrauen. Am 29. Juli hatte die „Sibirjakow" den Heimathafen Archangelsk verlassen. Dieses Mal nicht zur Frontfahrt. In einer zwanzigtägigen Reise hatten sie Polarstationen auf den Inseln in der Barents- und KaraSee mit dem Jahresproviant versorgt und mit den zur Überwinterung notwendigen Ausrüstungsgegenständen. Jetzt, am 18. August, steuerte er gemäß seinen Weisungen den Hafen Dikson an. Die Wachen an den Geschützen wurden abgelöst: Katscharawa sah, daß der Geschützführer Dunajew Leutnant Nikiforenko eine Meldung erstattete. Nikiforenko wandte sich der Kommandobrücke zu. Der Kapitän las die stumme Frage auch in den Augen des Leutnants. 32 Soldaten hatte man der 47köpfigen Besatzung des Eismeerfrachters zugeteilt, dazu vier kleine Geschütze und einige Fla-MGs. Vielleicht erflehte irgendwo an der großen Front ein Regimentskommandeur in schwierigem Rückzugsgefecht solch eine Verstärkung. Die neue Fracht, die das Schiff im Hafen von Dikson an Bord nahm, ließ die Gesichter der Soldaten düster werden: transportable Häuser, wie sie auf den
Polarstationen zusammengebaut werden, große Mengen Lebensmittel, wieder Ausrüstungsgegenstände und schließlich noch Kühe und Schlittenhunde. Auch dem Uneingeweihten war damit klar: Die Fahrt ging wieder in das Hinterland der Polarfront. Am 19. August verließen zehn Frachter unter Begleitung von zwei Eisbrechern den Hafen von Dikson. Der Geschützführer Dunajew winkte ärgerlich ab, als die Munitionsvorräte auf der „Sibirjakow" ergänzt wurden. „Wozu?" fragte er. „Sollen wir vielleicht dieser Karawane hinterherfahren und die Eisberge zerschießen?" An den Fronten stand es schlecht. Viel deutlicher, als es die spärlichen Nachrichten zuließen, sahen es die Besatzungsmitglieder der „Sibirjakow" an einer Maßnahme des Oberkommandos der sowjetischen Nordmeerflotte. Neben der „Sibirjakow" hatte der Eismeerfrachter „Deshnew" festgemacht. Man begann, auf dieses Schiff die erst vor einem Jahr in Dikson stationierte Küstenartillerie zu verladen. „So ist es richtig! Alles für die Front! Was sollen diese Geschütze hier im Hinterland!" rief ein junger Soldat auf der „Sibirjakow". Jeder verstand, daß er insgeheim damit auch die Geschütze auf der „Sibirjakow" und ihre Bedienung meinte. Der Eismeerfrachter lag kaum noch einen Daumen breit über der Wasserlinie, als am 24. August 1942 noch 23 Passagiere an Bord kamen: Funker, Geologen, Bauarbeiter, Ärzte - darunter fünf Frauen. Der kleine, 77 Meter lange Eismeerfrachter glich nun mit den 102 Menschen an Bord, den Kühen, Hunden und dem Ausrüstungsmaterial, das sogar an Deck gestapelt war,
einer modernen Arche Noah. „Wir fahren auch bald! Die letzten Geschütze sind morgen verladen, dann geht es an die Front", rief ein Matrose von der „Deshnew" herüber, als die „Sibirjakow" die Anker lichtete. Die Soldaten an den Geschützen der „Sibirjakow" senkten die Köpfe. Auf hoher See öffnete Katscharawa das Paket, das ihm im Arktischen Seestab in Dikson ausgehändigt worden war. So forderte es der Befehl. Im Paket lagen die Anweisungen für die Marschroute und für die Funkverbindung. Eine schwierige, verantwortungsvolle Aufgabe war der „Sibirjakow" gestellt: die Einrichtung von Funkstationen auf Plätzen, die vorher kaum ein Schiff erreicht hatte. Der Hydrologe Solotow strahlte, als Katscharawa ihm mitteilte, daß er die nördlichste Polarstation der Sowjetunion auf der Insel Sewernaja Semlja errichten sollte. „Wenn es uns nicht gelingt, bis zur Nordspitze der Insel vorzudringen, soll ich Sie auf der Wiese-Insel vor Franz-Josef-Land absetzen." Für den Funkverkehr lautete die Anweisung lakonisch: „In der Kara-See herrscht Funkstille. Die Funkstation der ,Sibirjakow' geht auf Empfang. Sendeerlaubnis nur für äußersten Notfall." Die Polarsonne zog Nebel vom eisfreien Wasser. Seine Schwaden verhüllten schon unweit der Küste die Hügel, zwischen denen die wichtige Polarstation Dikson lag. Katscharawa legte das Schiff auf den befohlenen Kurs. Er bat den Parteisekretär Sarajew auf die Brücke. „Wir müssen allen klarmachen, was für eine wichtige Aufgabe der ,Sibirjakow' zugedacht ist." Der Kapitän wies auf die Gestalten der wachhabenden Soldaten an
den Geschützen. „Uns ist eine der schwierigsten Fahrtrouten bestimmt worden, ohne Begleitung der Eisbrecher. Die neuen Funkstationen werden helfen, den Nachschubweg in den arktischen Gewässern noch besser zu sichern." Von Deck her ertönte fröhliches Lachen, erschallten helle Stimmen. Die Frauen tanzten. Die Soldaten bekamen fröhliche Gesichter, sie riefen ihnen Scherzworte zu, aus denen Hochachtung klang. Diese Frauen hatten sich freiwillig für viele Jahre auf die entlegensten Posten der menschlichen Zivilisation gemeldet. Katscharawa blickte auf die lange Rauchfahne, die das Schiff zurückließ und deren Wolken sich schwerfällig auflösten. Auf der Route, die die „Sibirjakow" jetzt befahren würde, war Katscharawa wenigstens eine Sorge los: Es gab keine feindlichen Kriegsschiffe und Flugzeuge, denen diese Rauchfahne verräterisches Signal war. Katscharawa verließ die Brücke. Keine Bombenexplosionen und kein Geschützfeuer würden ihn wecken. Die Front war weit über 1000 Kilometer entfernt. Am Vormittag des 25. August meldete sich Leutnant Nikiforenko auf der Brücke. „Erlauben Sie einen Probealarm und ein Gefechtsschießen?" „Wir nähern uns der Belucha-Inselgruppe", antwortete Katscharawa, „dort lösen sich gewöhnlich Eisberge. Warten Sie, bis sich Ihnen solch ein Ziel bietet." Seinem Stellvertreter befahl Katscharawa: „Lassen Sie für das ganze Schiff Gefechtsalarm geben, wenn die Soldaten ihre Übung machen. Wir müssen die Gelegenheit ausnutzen, bei der unsere Passagiere
beweisen können, wie sie sich in das Kollektiv fügen." Das Telefon klingelte, Katscharawa nahm den Hörer ab. Der Signalgast meldete sich: „Genösse Kapitän, ich sehe die Silhouette eines Schiffes. Anscheinend ein Kriegsschiff. Kurs sechzig."
Unter falscher Flagge Dreimal fragte der Signalgast das fremde Kriegsschiff an - es schwieg. Indessen schrillten durch alle Räume des Eismeerfrachters die Alarmglocken. Die Matrosen und Soldaten rannten auf ihre Posten. Sie zogen im Laufen die Wattejacken über, knüpften die Schwimmgürtel fest, zogen Handschuhe an und riefen einander zu: „Was ist los?" Solange sie nicht den grauen Schatten auf dem grauen Wasser sahen, glaubten alle an einen Probealarm. Warum gab das Kriegsschiff sich nicht zu erkennen? Ein Schiff der Alliierten? Es hätte längst seine Nationalität gemeldet. Also ein feindliches? Die Entfernung war noch zu groß, um auch im Fernglas zu erkennen, ob es die „Hipper", „Lützow" oder „Scheer" war. Katscharawa wußte, daß diese drei schweren deutschen Kriegsschiffe in Norwegen stationiert waren und bereits einige Vorstoße in die Barents-See unternommen hatten. Aber bis in die Kara-See? „Frag noch einmal nach Nationalität und Namen", rief Katscharawa zu dem Signalgast durch. Eine Minute später meldeten die Scheinwerfer des
unbekannten Kriegsschiffes seinen Namen: „Tuscaloosa". Der schwere amerikanische Kreuzer „Tuscaloosa" war tatsächlich vor einiger Zeit im Hafen von Archangelsk vor Anker gegangen. Aber was suchte er hier in der Westsibirischen See? Sicherlich hätte man Katscharawa schon in Dikson verständigt, wenn dieses Kriegsschiff hierher ausgelaufen wäre. Die „Sibirjakow" hielt mit höchster Geschwindigkeit auf die Belucha-Inseln zu. Doch das Kriegsschiff schnitt ihr den Weg ab, es war zu erkennen, daß es mindestens die vierfache Geschwindigkeit des Eismeerfrachters entwickelte. Wieder schrillte das Telefon. Der Signalgast meldete: „Das Kriegsschiff fragt durch Blinksignal an, ob wir Mitteilung über die Eisverhältnisse in der Wilkizki-Straße machen können." Jetzt war Katscharawa alles klar. Die „Sibirjakow" sollte dem faschistischen Kriegsschiff - nur um ein solches konnte es sich handeln - als Trojanisches Pferd dienen. Es ging nicht um die „Sibirjakow", sondern um eine größere Beute. Von seinem Verhalten hing das Schicksal aller Schiffe in der Wilkizki-Straße ab! Katscharawa legte den Kurs des Eismeerfrachters genau zwischen einen Eisberg und eine der Inseln. Durch das Sprachrohr befahl er dem Obermaschinisten Botschurka: „Hol aus den Maschinen 'raus, was 'rauszuholen ist!" Das Kriegsschiff ließ er unterdessen nicht aus den Augen. Er sah, wie sich drohend die langen Rohre der Geschütztürme hoben. Es drehte der „Sibirjakow" den Bug zu, sicher um ein Erkennen zu erschweren. Am Mast des Kriegsschiffes flatterte
tatsächlich die amerikanische Flagge; aber seine Geschützrohre waren auf die „Sibirjakow" gerichtet. Wieder gab es Blinkzeichen. Der Signalgast meldete: „Sie fragen an, wie der Eiszustand in der WilkizkiStraße ist, wieviel Schiffe dort liegen, sie fordern, daß wir sofort den Funkverkehr mit Dikson unterbrechen." Plötzlich hörte Katscharawa Oberleutnant Medwedew schreien: „Sie holen die amerikanische Flagge ein und hissen ihr Hakenkreuz!" Im selben Augenblick meldete der Signalgast: „Genösse Kapitän, das Kriegsschiff fordert, daß wir unsere Flagge streichen und uns ergeben!" Auf dem Kriegsschiff blitzte es auf. Bevor noch das Echo des Abschusses zu hören war, pfiff der Warnschuß über die „Sibirjakow" hinweg. „Banditen! Piraten!" schrie Jura Proschin. Er hörte, wie Katscharawa den Feuerbefehl gab. „Feuer!" wiederholte Leutnant Nikiforenko. Alle, die Ferngläser hatten, konnten die Einschläge beobachten. Sie lagen im Wasser, weit von dem feindlichen Schiff entfernt. Wawilow und die anderen Heizer schaufelten, wie es in ihrer Sprache hieß, bis zum siebenten Schweiß. Sie vernahmen wohl die Abschüsse ihrer kleinkalibrigen Artillerie, aber keine Bombenexplosion. Niemand hatte Zeit gefunden, ihnen von dem Auftauchen des Kriegsschiffes Nachricht zu geben.
Das letzte Gefecht Nach der Gefechtsinstruktion waren bei einem Angriff alle Frauen der Ärztin Walja als Sanitäterinnen
zugeteilt. Natürlich hatte niemand mit solch einem Ernstfall in diesen Gewässern gerechnet. Die junge Ärztin Walja gab, ohne ihre Angst verbergen zu können, mit zitternder Stimme Anweisungen: „Hierher die Binden. Reißt die Wattepäckchen auf, stellt das Jod auf den Tisch!" Dann schaute sie durchs Bullauge. „Sie werden doch nicht schießen?" Wie zur Antwort blitzte es auf dem grauen Schemen auf. Jetzt, wo es nicht mehr nötig war, sich zu tarnen, hatte der schwere Kreuzer dem Eismeerfrachter seine Breitseite zugedreht. Die Entfernung betrug etwa 12 Kilometer. Für die schweren Geschütze der „Admiral Scheer" war die „Sibirjakow" auf diese Entfernung bei der ruhigen See ein sicheres Ziel. Für die Geschütze des Frachters war die Entfernung immer noch zu weit. Ob es die Verwirrung der Geschützbedienungen auf dem Panzerkreuzer war, die gewohnt waren, daß die aufgebrachten Handelsschiffe nach dem ersten Warnschuß die Flagge strichen? Die erste Salve des Kreuzers lag zu hoch. Die sechs schweren Geschosse jedes von ihnen wog mit 303,9 Kilogramm mehr als ein Geschütz auf dem Frachter - rasierten die Antennen der „Sibirjakow" herunter. Der Parteisekretär Sarajew sah, wie der Funker Scharschawin ratlos die Kopfhörer abnahm. Er empfing Dikson nicht mehr, und auch Dikson würden die Signale der „Sibirjakow" nicht mehr erreichen. Katscharawa aber schrie seinem Melder, dem Schiffsjungen Jura, zu: „Lauf zum Funker, er soll durchgeben, daß das Kriegsschiff das Feuer eröffnet hat." Scharschawin beugte sich mit hoffnungsloser Miene
über sein Funkgerät. Er sah nicht, daß der Parteisekretär den Draht der Antenne ergriffen hatte. Sarajew hielt den Draht zwischen den Zähnen und kletterte so einen Schiffsmast hinauf. Ein schrecklicher Gedanke trieb Sarajew: Sie haben mit Absicht zuerst die Antennen herabgeschossen. Dikson wird nachfragen und keine genaue Warnung zur WilkizkiStraße durchgeben können. Ein heftiger Schlag erschütterte die „Sibirjakow". Sarajew hatte schon den Mast bis zur Hälfte erklettert, eine Rahe hielt seinen Fall auf. Er war wohl der einzige, der die furchtbare Zerstörung durch die zweite Salve des Kreuzers in vollem Umfange sehen konnte. Bretter, Fässer und Balken wirbelten bis zu ihm hoch. Eine der schweren Granaten war zwischen den Heckgeschützen eingeschlagen. Die Geschütze waren nicht mehr zu sehen, die Bedienungen über Bord geflogen oder irgendwo zwischen die Decklasten geschleudert worden. Zwischen den Trümmern und brennenden Ölfässern rannte der Schiffsjunge Jura Proschin vom Funkraum zurück zur Kommandobrücke. Überall an Deck schlugen Flammen hoch. Der Matrose auf der Kommandobrücke neben Katscharawa drehte vergeblich das Steuerruder. Die „Sibirjakow" drehte sich auf der Stelle. Jura Proschin rannte von der Kommandobrücke wieder zum Funkraum. Sarajew wollte weiterklettern, da sah er das erneute Aufblitzen auf dem Kreuzer. Mit ganzer Kraft klammerte er sich in das Gestänge. Er verspürte den zweiten Schlag, der das Schiff traf, mit körperlichem Schmerz. Dann, ehe ihn die Kräfte verließen, wickelte er das Antennenende um eine Rahe. Er merkte nicht,
als er wieder heruntergerutscht war, daß er weder Handschuhe an den Händen noch Haut an den Handflächen hatte. Sarajew rannte durch ein Inferno. Es war das ihm so vertraute Schiffsdeck. Nichts erinnerte mehr daran. Er lief, stolperte und fiel, sprang auf und rannte weiter, über rauchende Granathülsen, zerrissenes Holz, durch Öl- und Blutlachen bis zum Bug des Schiffes. Dort dröhnten noch die Abschüsse der Geschütze. Scharschawin empfing wieder Dikson: „Warum schweigt ihr? Ich höre Sie nicht!" Wie sollte Scharschawin antworten? Die „Sibirjakow" wurde nicht mehr gehört. Der Gewohnheit und dem Befehl gehorchend, gab Scharschawin den letzten Funkspruch durch, den ihm Jura gebracht hatte. In Dikson gab es keine Illusionen über das Schicksal der „Sibirjakow". In großen Buchstaben malte Scharschawin die Antwort auf. „Versuch, daß du damit zum Kapitän kommst!" Jura lief zur Kommandobrücke. Als das Schiff sich hilflos auf der Stelle zu drehen begann, rannte Botschurka in den Maschinenraum. Er hatte geholfen, die Munition zu den Heckgeschützen zu reichen. Jetzt brauchte man dort keine Granaten mehr. Die schrecklichen Explosionen der schweren Geschosse hatten die „Sibirjakow" bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Botschurka, dem das Schiff so vertraut war wie keinem anderen, fand den Weg in den Maschinenraum nicht! Schließlich zwängte er sich durch eine brennende Wand in den Raum, in dem das Vieh untergebracht war. Er kletterte über die Tierkadaver, in den Ohren das entsetzliche Gebrüll der verwundeten Kühe, mit den Füßen die sich wie
tollwütig gebärdenden Schlittenhunde abwehrend. In dem zerstörten Maschinenraum waren seine Kameraden! Es gelang ihm, das eiserne Schott aufzureißen - dichter, weißer, heißer Dampf schlug heraus. Botschurka fand ein Handlöschgerät. Er richtete es auf den eigenen Körper. Wie von Sinnen rüttelte er an den leblosen Gestalten, die er zwischen den Maschinentrümmern fand. Er rief sie mit Vornamen niemand antwortete. Wie ein Gespenst tauchte aus der Tiefe, aus dem Kesselraum, ein nackter Mensch auf. Der Heizer Matwejew trug auf den Schultern den Mechaniker Paromow. „Es hat ihn zu uns heruntergeschleudert", keuchte er. Zu zweit schafften sie es, Paromow auf Deck zu schleppen und eine Stelle zu finden, die noch nicht brannte. Matwejew drehte sich um, er schrie: „Wawilow ist noch unten!" Sie stürzten zurück, Wawilow zu retten, da brach der Boden unter ihren Füßen. Der Luftdruck einer im Schiffsinnern explodierenden Granate schleuderte die beiden Männer in den Lazarettraum. Sie erkannten es am Geruch der zerschlagenen Chloroform- und Jodflaschen. Wie durch einen roten Nebel sah Botschurka die weiße Gestalt der Ärztin Walja schwimmen. Sie kam auf ihn zu, und Botschurka hörte ihre Stimme, bevor sie zusammenbrach: „Alle sind tot." Wawilow kam im Kohlenbunker zu sich. Er öffnete die Augen und sah etwas Unwahrscheinliches: Die Sonne schien durch das aufgerissene Deck und den Maschinenraum bis zum Boden in die Heizanlage des Schiffes. Ihre Strahlen liefen feurig die Wände herunter, sie loderten. Erst als ihn solch ein Tropfen
traf, verstand Wawilow, daß brennendes Öl aus dem Maschinenraum in die Heizanlage herunterfloß. Wawilow stand auf, da schwankte der Boden, mit Gepolter donnerte die Last des Kohlenbunkers in den Raum, das Feuer erstickend. Wawilow richtete sich wieder auf. Er fand mit seinen Füßen besseren Halt auf der Schiffswand als auf dem Boden, der beinahe senkrecht vor ihm stand. Die „Sibirjakow" kenterte! Dann richtete sie sich wie ein Kämpfer, der seine letzte Kraft noch einmal sammelt, wieder auf. Der Kohlenberg, vermischt mit dem brennenden Öl, rutschte wieder zurück. Wawilow kam auf einem seltsamen Weg aus seinem beinahe schon sicheren Grab. Er fand eine Stelle in der aufgerissenen Bordwand, in die mit der Kenterbewegung des Schiffes ein Tau hereingeschlagen war. Es gelang ihm, sich an Deck zu ziehen. Nie hätte er so etwas für möglich gehalten: An Deck war es heißer als im Kesselraum. Wawilow rutschte auf Händen und Knien dorthin, woher er Stimmen hörte. Zwischen dem Funkraum und der Kommandobrücke erkannte er Jura Proschin. Jura lag zusammengekrümmt auf einem Taubündel. In den erkalteten Händen hielt er einen Zettel. Der Heizer entzifferte die großen Buchstaben darauf: „Die Heimat wird eure Heldentat nicht vergessen!" Der Funker Scharschawin hatte seinen Platz erst verlassen, als die Münder der noch Überlebenden der „Sibirjakow" den Befehl des Kapitäns Katscharawa weitergaben: „Alles in die Boote, zuerst die Frauen und Verwundeten!" Der schwere Kreuzer näherte sich in schneller Fahrt.
Unter den wenigen Besatzungsmitgliedern, die sich mittschiffs um Katscharawa versammelt hatten, war auch der Obermaschinist Botschurka. Die beiden Männer blickten einander an, sie verstanden sich ohne Worte und Befehl. Sie würden das Schiff nicht verlassen. Die Aufgabe des Obermaschinisten war es, die Flutventile zu öffnen, und der Kapitän... blieb auf dem Schiff. „Ich gehe, Kapitän .. ." Botschurka verabschiedete sich. Der linke Arm Katscharawas hing leblos herab, er war von einem Splitter getroffen. Mit dem rechten Arm kommandierte er das Fieren der zwei letzten nicht gänzlich zerschossenen Boote. Die schweren Geschütze des Kreuzers hatten ihr Feuer eingestellt. Nun, da die Artillerie der „Sibirjakow" vernichtet war, überschütteten die mittleren Geschütze des Kreuzers den Eismeerfrachter mit Schrapnellen. Die Kugeln trafen die Toten, Verwundeten und Lebenden an Deck, in den Booten und im Wasser. Das zweite Boot lag, von der Bordwand geschützt, noch unmittelbar bei der „Sibirjakow". Etwa 20 Leute hatten darin Platz gefunden. Katscharawa erteilte den drei Männern um ihn den Befehl, das Schiff zu verlassen da traf ihn ein Splitter in den Bauch. Er stöhnte auf, krümmte sich und fiel zu Boden. Der Funker Scharschawin ergriff den bewußtlosen Kapitän und ließ ihn zum Rettungsboot hinunter. Das Boot stieß ab. Seine Insassen hielten es in der Nähe der „Sibirjakow", in der Hoffnung, den Obermechaniker oder andere Überlebende noch aufnehmen zu können. Es war zu sehen, daß die Flutventile schon geöffnet worden waren.
Der Bug tauchte tief in das Wasser, das Heck zeigte die Schiffsschraube. - Für einen Augenblick glaubten die Leute im Boot noch zwei Gestalten zu sehen. Dann riß ein gewaltiger Strudel alle Decklasten und Trümmer, die auf dem Wasser herumschwammen, in die Tiefe. Die Überlebenden der Katastrophe hörten den Motor der Barkasse erst, als auf russisch die Aufforderung herüberschallte: „Ergebt euch, ihr seid gefangen!" Die Männer drehten die Köpfe, sie sahen die auf sie gerichteten Mündungen der Maschinengewehre und Maschinenpistolen. Sie sahen die Hakenkreuzflagge, und sie vernahmen das Surren einer Filmkamera. Sie senkten die Köpfe, nur der Heizer Matwejew sprang auf, ehe ihn jemand hindern konnte. „Ihr..." Das Geknatter einer Maschinenpistole übertönte, was er noch schrie. Matwejew schlug die Hände vor die Brust und fiel zu Füßen seiner Genossen. Die Soldaten des schweren Kreuzers sprangen in das Rettungsboot. Mit Kolbenschlägen trieben sie die Gefangenen zur Barkasse hinüber. Der Funker Scharschawin trug den Kapitän. Einige Besatzungsmitglieder sprangen ins Wasser. „Wir ergeben uns nicht!" Keinem gelang es, den Maschinengewehrgarben zu entkommen. Die Gefangenen wußten nicht, daß sich auf dem sinkenden Schiff noch ein halbes Dutzend ihrer Kameraden befanden. Es war den Männern nicht gelungen, das Deck zu erreichen, bevor alle Rettungsgeräte zu Wasser gelassen waren. Die Barkasse umfuhr im weiten Bogen die „Sibirjakow". Mit den drohenden Läufen der Maschinenpistolen hielten die Matrosen die Gefangenen am Boden. Am Heck des Schiffes, das sich
nun hoch aus dem Wasser hob, standen neben der flatternden, zerschossenen roten Fahne noch zwei Gestalten! „Wawilow!" Einer der Gefangenen schrie es, in der Hoffnung, wenigstens einer möge von dem heldenhaften Kampf der „Sibirjakow" und dem Schicksal der Überlebenden berichten. Der Sog des untergehenden Schiffes riß an der Barkasse. Mit der vollen Kraft ihrer aufheulenden Motoren jagte sie aus dem Strudel der emporschießenden Decklasten und Schiffstrümmer. Noch einmal hämmerten die Maschinengewehre. Die Deutschen wollten keine Zeugen ihres Überfalls zurücklassen. Die Flucht Meendsen-Bohlken erwartete ungeduldig die Rückkehr des noch in voller Fahrt ausgesetzten Kutters. Die Matrosen des Kreuzers standen an Deck und beobachteten den Untergang ihres Opfers, als Diesterweg dem Kommandanten eine vom Beobachtungsdienst aufgefangene sowjetische Meldung „An alle" vorlegte. „Allen Schiffsführern in der Kara-See zur Kenntnis. Im Bezirk des Belucha-Archipels hat sich ..." Der Kommandant hörte nicht mehr hin. Das Gefecht mit der „Sibirjakow" war der faschistischen Seekriegführung teuer zu stehen gekommen. Aus den Signalen der Karawanen in der Wilkizki-Straße war ersichtlich, daß die Eisbrecher ihnen schon den Weg in das für den Kreuzer unerreichbare Treibeis bahnten. „Dikson funkt!" - „Dikson weist an!"
Meendsen-Bohlken befahl: „Kurs zweihundertdreißig Grad - Ziel Dikson!" Jeder fünfte Mann aus der Besatzung des schweren Kreuzers wurde für die Landungstruppe bestimmt. Die „Admiral Scheer" war in der Lage, 230 Mann auszuschiffen, ohne daß dadurch die Gefechtsbereitschaft des Kriegsschiffes beeinträchtigt wurde. Der unerwartete Widerstand, den das kleine Handelsschiff geleistet hatte, war nicht ohne Wirkung auf die Matrosen der „Scheer" geblieben. Auch das Verhalten der Gefangenen, von denen keinerlei Aussagen erpreßt werden konnten, die für die Weiterführung der Operation benötigt wurden, spielte eine Rolle in den Gesprächen der Matrosen. „In Dikson will niemand von ihnen gewesen sein." „Sie haben ausgesagt, daß ihre Offiziere alle im Gefecht umgekommen sind." „Das ist ein schöner Strich durch die Rechnung des Alten: kein Funker, kein Kapitän, kein Steuermann, nur Köche, Heizer, Maschinisten und Deckpersonal." „Glaubst du es?" Der Angeredete zuckte die Schultern. „Jedenfalls glaubt es der Alte, oder er muß es glauben; sonst würden wir nicht hier sitzen und unsere Maschinengewehre putzen. Hol's der Teufel! Wenn wir bei der Landeaktion auf ebensolche Kerle treffen, werden wir es vielleicht sein, die diesmal im Eiswasser baden." Die Gruppen- und Zugführer beruhigten die für das Landeunternehmen vorgesehenen Matrosen. „Auf Dikson liegen höchstens sechzig Mann Grenzsoldaten. Bevor wir in die Boote gehen, hat jeder von denen
schon eine von unseren Granaten verschluckt." Meendsen-Bohlken war entschlossen, die wichtigste sowjetische Leitstelle auf dem Nördlichen Seeweg durch das Feuer der schweren Geschütze zu vernichten und die Station im Handstreich zu nehmen, um aus dem Beutematerial und den Gefangenenaussagen Unterlagen für künftige Operationen zu gewinnen. Die Garnison von Dikson war in der Tat nicht viel größer, als es den Matrosen auf dem Kreuzer mitgeteilt worden war. Aber Dikson war nicht mehr zu überraschen. Gleich nach dem letzten Funkspruch der „Sibirjakow" hatte Jeremejew, Kommandant der Station, einen Verteidigungsstab organisiert. Die Frauen und Kinder der Polarstation wurden mit Rentierschlitten in die Tundra evakuiert. Die Geschütze der Küstenartillerie wechselten von der „Deshnew" wieder in die Landstellung. Die „Deshnew" und das Handelsschiff „Revolutionär" konnten mit der gleichen Bewaffnung ausgerüstet werden wie die „Sibirjakow". Sie blieben kampfbereit im Hafen, alle anderen Handelsschiffe wurden stromaufwärts in Sicherheit gebracht. Auch die Mitarbeiter der Polarstation und des Seestabes bereiteten sich auf den Kampf vor, falls ein Landungskorps versuchen sollte, Dikson zu erobern. Neben den Verteidigungsvorbereitungen ging der gewöhnliche anstrengende Dienst weiter. Die Leitschiffe der Konvois meldeten ihre neuen Standorte. Alle Eismeerfrachter befanden sich hinter großen Eisbarrieren weit östlich der Wilkizki-Straße in der Laptew-See. Dikson warnte alle Schiffe in der BarentsSee vor dem möglichen Auftauchen des Gegners. Eine Stunde vor Mitternacht nahmen die Matrosen der
Landungstruppe auf der „Admiral Scheer" ihre Plätze an den Motorbarkassen ein. Sie erblickten die Küste genau um Mitternacht. Meendsen-Bohlken hatte mit Bedacht diese Stunde zum Zeitpunkt des Überfalls gewählt. Die kalten Strahlen der knapp über dem Horizont stehenden tiefroten Feuerkugel wurden immer wieder von Nebelschwaden verhüllt. Der Kreuzer suchte diese Schwaden. In ihrem Schutz schlich der graue Meeresräuber auf Dikson zu wie ein Wolf, der in eine Schafherde einbrechen will. Die Hände der Matrosen umklammerten den eisigen Stahl ihrer Waffen. Die Entfernungsmeßgeräte waren längst auf die Ziele eingerichtet, laufend wurden mit der Veränderung des Standorts Korrekturen vorgenommen. Langsam hoben sich die schweren Geschützrohre. Unter den Bedienungsmannschaften und den Matrosen der Sturmtrupps erstarb jedes Gespräch. Die Männer rissen die Münder auf in Erwartung des ersten schrecklichen Feuerschlages aus allen Rohren. Jetzt konnten auch die Gruppenführer des Landungskorps durch ihre Ferngläser die Umrisse der Gebäude und Lager, den Antennenwald der Funkstation und zwei von Nebelschwaden immer wieder verhüllte Handelsschiffe erkennen. Auf Dikson blieb alles ruhig. Meendsen-Bohlken zögerte, dann manövrierte er sein Schiff bis zur Aufjenreede. Jetzt betrug die Entfernung bis zu den Zielen nur noch 9 bis 10 Kilometer. Die langen Rohre der schweren Geschütze senkten sich wieder. Der Kommandant der „Admiral Scheer" starrte auf das völlig ungenügende Kartenmaterial, das ihm für den
geplanten Handstreich zur Verfügung stand: eine alte englische Seekarte im Maßstab 1:200000. Hier hatte die faschistische Spionage versagt. Es war verlockend, noch weiter vorzudringen, direkt in den Hafen hinein, und diese verschlafenen russischen Tölpel wie Bären in ihrer Winterhöhle zu überraschen. Jeder Kilometer, der der Landungstruppe erspart blieb, erhöhte die Chance, in den Besitz wichtigster Dokumente zu kommen. Auf dem Tisch Jeremejews klingelte das Telefon. Die Telefonistin meldete diesmal schon den Bericht von der Funkstation der Dikson unmittelbar vorgelagerten Insel: „Der Kreuzer hat die Außenreede erreicht, er will anscheinend in den Hafen eindringen." Jeremejew fühlte, wie sich sein Herz zusammenkrampfte. Die Kampfkraft Diksons an Artillerie betrug im Verhältnis zu der des Kreuzers kaum den zehnten Teil. Die Diksoner konnten einem Landungstrupp höchstens den fünften Teil der Feuerkraft entgegenstellen - vorausgesetzt, daß es bis dahin keine Verluste geben würde. Minejew, der Leiter des Seestabes, blickte auf die Karte. Er wandte sich Jeremejew zu. „Wenn sie von dieser Seite in den Hafen eindringen wollen, müssen sie das Schmiedekap umfahren. Dann werden sie uns hier — er wies auf die Karte - für einige Zeit ihre Breitseite zeigen." Durch Telefon und Funk gab Minejew Leutnant Kornjakow von der Küstenartillerie und den Kapitänen der beiden bewaffneten Handelsschiffe seinen Befehl durch: „Feuerbereitschaft auf Einfahrt Schmiedekap." Die 130-mm-Geschütze der Küstenbatterie schwenkten ihre Rohre. Auf der „Deshnew" befahl der Kapitän:
„Mit voller Kraft zum Schmiedekap!" Die „Revolutionär" folgte im Kielwasser. Aus dem Nebel tauchten die Umrisse eines großen Kriegsschiffes auf. Es manövrierte langsam und behutsam, bis es seine ganze Breitseite der Bucht zuwandte. Die erste Salve aller Geschütze des schweren Kreuzers zerriß die trügerische Ruhe. Die Geschosse heulten über die beiden Handelsschiffe hinweg. Nur für einen Augenblick wandten die sowjetischen Matrosen ihre Köpfe. Die Granaten der „Scheer" rissen die Kohlenbunker am Ufer, die Badeanstalt und das Wohnhaus der Grenzsoldaten auseinander. Balken, Bretter, Kohlen, Blechwände und Einrichtungsgegenstände wirbelten durch die Luft. „Feuer!" Auf der „Deshnew" spien die vier 75-mmGeschütze und die vier 45-mm-Geschütze ihre Granaten gegen den Panzerkreuzer. Auch auf der „Revolutionär" blitzten die Abschüsse. Gegen das Grollen der Abschußsalve der „Scheer", deren Zittern noch in der Luft lag, war es ein klägliches Gebell. Doch die Überraschung war vollkommen. Diesmal betrug die Entfernung zwischen den Schiffen knappe sechs Kilometer, und die Granaten der kleinen Geschütze erreichten ihr Ziel. Die Matrosen des Landungstrupps stürzten unter die schützenden Stahlwände ihres Schiffes. Die Bedienungsmannschaften an allen Geschützen erreichte der Befehl: „Feuer!" So war es! Zwei kleine Handelsschiffe griffen einen schweren Kreuzer an! Die großen Geschütztürme senkten sich auf den ungünstigen Schußwinkel, der
eigentlich der mittleren Artillerie vorbehalten war. Die Handelsschiffe wendeten der Breitseite des Kreuzers nur ihren Bug zu. Sie fuhren im Zickzack. Der erste Feuerschwall ihres mächtigen Gegners riß das Wasser um die Bordwände in gewaltigen Fontänen hoch. Jetzt blitzte es auf dem Land auf. „Eine unbekannte Batterie an der Küste hat das Feuer eröffnet", wurde Meendsen-Bohlken gemeldet. Der Kommandant der „Admiral Scheer" hatte in dieser Situation nur eine Sorge: Er durfte mit dem Kreuzer auf keinen Fall Grundberührung bekommen! Auf die englische Seekarte war kein Verlaß. Blitzartig stand ihm das Bild vor Augen, wie vor sechs Wochen ein Schlachtschiff und drei Zerstörer in norwegischen Fjorden auf unbekannte Felsen aufgefahren waren. Für wenigstens ein halbes Jahr Reparaturzeit mußten diese Schiffe in die Heimathäfen abgeschleppt werden. Das war an der norwegischen Küste geschehen, die sich in den Händen der Wehrmacht befand. Hier würde es kein Abschleppen geben. Die überraschende Gegenwehr lahmte die Entschlußkraft auf der „Scheer" vom Kommandanten bis zum Geschützführer. Die Artillerie verlegte nicht mehr einen Teil ihres Feuers wieder auf die Landziele, alle Geschütze blieben auf die Handelsschiffe gerichtet. Der Nebel, die schnell veränderlichen und im ungünstigen Schußwinkel liegenden Ziele beeinträchtigten die Wirkung der überlegenen Waffen des Kreuzers. „Sie werden uns rammen! Sie werden voller Sprengstoff sein!" Einer hatte es geschrien, viele dachten es. Was konnte dieser selbstmörderische Angriff sonst für einen Sinn haben? Die Matrosen des
Kreuzers warteten voller Erregung auf die Manöver, die ihr Kommandant befehlen würde. Niemand begriff, wie es möglich war, daß die Handelsschiffe immer noch feuerten und ihren Angriff fortsetzten. Aber die „Deshnew" und die „Revolutionär" erhielten Treffer. Doch die schweren 280-mm-Granaten, bestimmt. Panzerwände zu durchbrechen und in Felsboden einzudringen, durchschlugen die Bordwände wie gewaltige Infanteriekugeln. Sie explodierten erst nach dem Durchschlagen der Schiffswände auf der anderen Seite im Wasser. Trotzdem riß eine Granate auf der „Deshnew" von der sechsköpfigen Bugbedienung vier Matrosen und ein Geschütz ins Wasser. Das zweite Geschütz feuerte weiter. Erst als auf der „Revolutionär" Feuer ausbrach, drehte die „Deshnew" bei. Mit großen Vorräten an Rauchkörpern hüllte sie Hafen und Bucht in eine undurchdringliche Wand, die sich mit dem Morgennebel verband. Die „Admiral Scheer" zog sich zurück! Sie verlegte dabei ihr Feuer auf das Land, ohne jedoch die Ziele ausmachen zu können. Unvermutet stieß die „Deshnew" wieder aus der Rauchwand. Bevor die Geschütze der mittleren Artillerie des Kreuzers sie erfassen konnten, war das Handelsschiff wieder im Nebel verschwunden. Wie eine wütende Hornisse sich auf ein Pferd stürzt, so tauchte die „Deshnew" immer wieder feuernd auf. Sie zwang die Artillerieoffiziere auf der „Admiral Scheer", einen Teil der Kampfkraft in Bereitschaft gegen diese überraschenden Angriffe zu halten. Auf der zerfetzten „Deshnew" betrugen die Verluste sechs Tote und 23 Verwundete, als die „Scheer" hinter
dem Kap, nun schon außerhalb der Reichweite der gegnerischen Geschütze, ablief und in ungezieltem Beschüß die Polarstation mit ihrem Rachefeuer belegte. Die Batterie des Leutnants Kornjakow erwiderte das Feuer, solange es die Reichweite der Geschütze erlaubte. Der „Scheer" gelang es nicht, die Küstenartillerie ausfindig zu machen. Als trotz der beträchtlichen Entfernung zwei Granaten auf dem Bugdeck der „Scheer" explodierten, begann sich der Kreuzer einzunebeln. Im Schutz dieser Rauchwand flüchtete er. von der Diksonküste. Meendsen-Bohlken beherrschte nur ein Gedanke: Herauskommen aus diesem Wunderland! Die Mannschaft des Kreuzers teilte die Gefühle ihres Kommandanten. Auf Dikson schickte Jeremejew einen Melder zu den beiden jungen Wissenschaftlern Frolow und Somow. Sie waren beauftragt worden, mit einem Rentierschlitten alle wichtigen Papiere der Station zu evakuieren, falls die „Scheer" einen Landungstrupp aussetzen sollte. Jetzt erreichte sie der Befehl: „Zurückkommen !" Der letzte Mann Vom Bug der „Sibirjakow" kamen Wawilow fünf Gestalten entgegengekrochen. Verbrannte Lappen um die von Ruß, Pulverdampf und Rauch geschwärzten Körper, blutdurchtränkte Notverbände an Hals, Armen und Beinen. Die Geschütze waren zerstört, ringsum lagen tote Soldaten, dazwischen floß brennendes Öl und Benzin. Wawilow erstarrte, er wußte nicht, daß
sein eigenes Aussehen viel schrecklicher war als das der Menschen vor ihm. Schließlich erkannte er den Matrosen Borodin, die Soldaten Morosow und Bajewa, seinen Kollegen, den Heizer Safronow, und den Geschützführer Dunajew. Zu sechsen krochen sie zurück; im Mittelteil des Schiffes gab es eine Stelle, die noch nicht von Flammen ergriffen war. Wawilow kroch als letzter. Er sah den gefallenen Schiffsjungen, und mit steifen Fingern nahm er ihm das Tuch vom Hals. Plötzlich bäumte sich das Schiff auf. Der Bug versank im Wasser, Decklasten, Feuerströme, tote und lebende Menschen und Tiere flogen und rutschten an Wawilow vorüber. Mit aller Kraft klammerte er sich an die Leiter der Kommandobrücke. Den sechs Männern gelang es, Halt zu finden, sie richteten sich auf, und die noch immer platzenden Schrapnelle fanden leichter ihr Ziel. Der Matrose Borodin wurde tödlich getroffen, Dunajew griff mit der Linken schreiend an seinen zerfetzten rechten Arm. Die beiden Soldaten sprangen in das Eiswasser. Wawilow und Safronow schleppten den verwundeten Dunajew zum Heck. Sie legten ihn zu Füßen der von Splittern zerrissenen Fahne, sie selbst hielten sich an der Reling fest. Der Schiffskörper drehte sich ächzend auf die linke Seite, das Eiswasser überflutete das Deck. Die Heizer stießen Dunajew auf die Bordwand. Er rutschte ins Wasser, sie sprangen hinterher. Hoch über seinem Kopf sah Wawilow die Flagge. Sie flatterte und schwebte zu ihm herunter. Dann versank sie im Meer. Vor den Augen des Heizers tanzten rote Kreise. Der
Sog des untergegangenen Schiffes ließ ihn nicht los. Als sein Bewußtsein schon nichts mehr registrierte, stieß ihn der Druck des Wassers wieder nach oben. Wawilow öffnete die Augen. Er schluckte klare Meeresluft und eisiges Salzwasser. Balken, Bretter, Fässer, Kisten und anderes Schiffsgut prallten gegen seinen Körper, schwammen um ihn herum. Seine Hände griffen danach, sie verkrampften sich. Einige Dutzend Meter weiter schwammen noch einige Männer. Es gelang ihm nicht mehr, den Kopf zu drehen, als er den Motor der Barkasse hörte. Der Bug traf den Balken, an den sich Wawilow klammerte. Über seinem Kopf schlugen die Wellen zusammen, die Schiffsschraube dröhnte, und noch unter Wasser vernahm er deutlich das Maschinengewehrfeuer. Die Hakenkreuzflagge flatterte schon dem Kreuzer entgegen, als Wawilow wieder auftauchte. Einige Meter von ihm entfernt hielt sich nur noch Dunajew mit einer Hand an einer Bohle fest. Rings um den Geschützführer rötete sich das Wasser. „Halt dich!" schrie Wawilow. Die Finger Dunajews spreizten sich, seine Augen wurden groß, sein Mund öffnete sich, er wollte noch etwas rufen. Dann glitt die Hand hilflos über die Bohle. Einige hundert Meter weiter schwamm ein Boot. Wawilow gelang es, sich rittlings auf eine Bohle zu setzen. Mit einem Brett ruderte er auf das Boot zu. Wie lange? Er wußte es nicht. Sein Körper war bis zur Hüfte erstarrt, als er sich mit letzter Kraft in das Boot zog. Er fiel auf die Planken neben den toten Heizer Matwejew.
Ein Eismeer-Robinson Der Belucha-Archipel besteht aus fünf dicht beieinanderliegenden Inseln. Auf der westlichsten - 900 Meter lang, 600 Meter breit - ist eine Steinpyramide als Orientierungspunkt errichtet. Ein Stein bezeichnet die Lage der Insel: 76 Grad 05 nördlicher Breite und 91 Grad 25 östlicher Länge. Neben diesem Zeichen betrachtete am 26. August 1942 ein Mann seine Reichtümer. Ja, in seiner Lage erschienen ihm diese Dinge als wahre Schätze: ein Beil, ein Leinen sack, zwei warme Decken, Wattejacken und Hosen, Filzschuhe, warme Unterwäsche, Bettwäsche, Mützen, Handschuhe, ein Zinkkanister mit Streichhölzern, Schiffszwieback und Mehl. Er hatte sie zum Teil im Boot gefunden, teils als Strandgut an diesen sicheren Platz geschleppt. Nun sank er erschöpft daneben nieder. Etwas Warmes stieß an seinen Hals. Etwas Feuchtes fuhr zärtlich über sein Gesicht. Wawilow öffnete erschreckt und erfreut zugleich die Augen. Ein Gefährte? Ein Schlittenhund, die Augen von einer Explosion erblindet, war an Land geschwommen, sein Geruchssinn hatte ihn zu dem Menschen geführt. Das Winseln des Tieres und die Absonderungen aus den blinden Augen vermischten sich mit dem Schluchzen und den Tränen des Mannes. Wawilow war ein Nordländer. Er gab sich nicht lange dieser Stimmung hin. Ihn packte nicht die tödliche Verzweiflung, die unter diesen Umständen viele andere Menschen ergriffen hätte. Er hatte als Kind in den Sommerferien Schiffbrüchiger gespielt und mit seinen
Schulkameraden zum Entsetzen der Mutter tagelang an der Eismeerküste in einer aus Schwemmholz erbauten Hütte gelebt. Es war Ehrensache, sich nur von dem zu ernähren, was Angelhaken und Fallen lieferten. Im Winter hatten die Jungen Eskimo-Iglus gebaut und das Fleisch gefrorener Fische verzehrt. Alle diese Kenntnisse und die Erfahrungen seiner langen Fahrenszeit im Eismeer waren zusätzliche unsichtbare Reserven bei dem Geschick, das ihn getroffen hatte. Er bestattete zuerst den Heizer Matwejew, dann nahm er die Axt, mit der er, wie jeder Nordländer, umging wie ein. Zimmermann. Aus den angeschwemmten Brettern, Balken und Bohlen entstand bald eine solide Notunterkunft. War er der einzige Überlebende der „Sibirjakow"? Sein Herz krampfte sich bei diesem Gedanken zusammen. Die Sicht wurde ungewöhnlich klar, Wawilow konnte jede Felsspalte im Eis der anderen Inseln sehen nirgends ein Lebenszeichen. An der Steinpyramide hißte Wawilow ein buntes Hemd. Bald mußte er Bretter und Späne für ein anderes Notzeichen zusammentragen. Die Sonne versank zum erstenmal für kurze Zeit am Horizont, dann wurden die Nächte immer länger. Wawilow überschlug seinen Lebensmittelvorrat, er konnte damit bis Mitte Oktober reichen. Sicher hatte man ihn bis dahin längst gefunden. Wawilow wußte: Es war das eherne Gesetz der Arktis, so lange nach Verschollenen zu suchen, wie es noch eine Spur Hoffnung gab. So war es in Friedenszeiten, wo Expeditionen noch drei Jahre nach der Vermißtmeldung von Forschern und Seeleuten ausgeschickt wurden, so war es jetzt noch mehr
Pawel Wawilow zwanzig Jahre später
während des Krieges. Er erinnerte sich der Gespräche mit den amerikanischen Matrosen in Archangelsk, deren Kapitäne ihre Schiffe, überrascht durch die deutschen Zerstörer, auf die Felsen in Franz-Josef-Land gesetzt hatten. „Daß eure Flugzeuge und Schiffe uns da 'rausgeholt haben! Aber bei euch war das wohl immer so ..."
Dabei wußten die Amerikaner nur von den großen Rettungsaktionen der Vergangenheit: von der Fahrt des Eisbrechers „Krassin" zu den Überlebenden der italienischen Nobile-Expedition, von den Flügen zweisitziger Militärmaschinen weit über Sibirien zur Eisscholle, auf der die Besatzung der gesunkenen „Tscheljuskin" lebte, von der Drift der sowjetischen Polarstation bis zur Küste Grönlands. Aber Wawilow wußte außerdem von unzähligen Aktionen zur Rettung abgeschnittener Polarstationen, auf Eisschollen abgetriebener Fischer, im Eis zerdrückter Robbenfänger und einzelner im Schneesturm verirrter Jäger, bei denen oft Dutzende Flugzeuge und Schiffe beteiligt waren. Dennoch bereitete sich Wawilow auf eine Überwinterung vor, weil er Nordländer war und wußte, wie Schnee, Eispressungen, Nebel, Eisberge und Stürme solchen Rettungsaktionen hinderlich sein konnten. Jetzt kam dazu noch die Möglichkeit von Kampfhandlungen. Vielleicht war die Fahrt des schweren Kreuzers nur ein Aufklärungsvorstoß? ... Wawilow begann Fallen und Angelgerät herzustellen. Wenn sich das Eis zwischen den fünf Inseln geschlossen hatte, würde er ein genügend großes Jagdgebiet haben. Spuren gab es genug; jetzt allerdings hatten die Füchse noch keinen Hunger, er mußte einen Köder erbeuten. Wenn er nur eine Waffe hätte! Eine Waffe. Eines Tages, als Wawilow mit seinem blinden Begleiter zur Hütte zurückkehrte, gab der Hund einen knurrenden Laut von sich. Aus der Hütte flüchtete ein Eisbär. Er mied den Menschen und rannte zum Wasser, um zur nächsten Insel zu schwimmen.
Wawilows Lebensmittelvorräte waren auf ein Minimum zusammengeschrumpft. Der Eisbär hatte seine Schnauze in die Zinkkiste gezwängt und sie schließlich auf dem Boden herumgeschleudert, um des Inhalts teilhaftig zu werden. Wawilow setzte sich auf strengste Ration, und er teilte sie nach wie vor mit seinem vierbeinigen Gefährten. Die dünne Suppe und die wenigen Zwiebäcke ermöglichten es ihm, weiterzuleben. Der Hund ertrug dieses Fasten nicht, er war an andere Nahrung gewöhnt, er wurde zusehends schwächer. Zeitweilig vergaß Wawilow in der Sorge um seinen Gefährten die eigene schreckliche Lage. Er begann mit dem Fallenstellen, nicht nur für sich, sondern um auch dem Hund etwas Fleisch geben zu können. Die Fallen blieben leer. Auch der Eisbär, als witterte er, daß der Mensch auch für ihn Hinterhalte gebaut hatte, blieb der Insel fern. Trübe Gedanken, Hoffen, kalte Nächte, Hunger, Suche nach Strandgut, vergebliche Märsche entlang der Fallenlinie, immer längere Nächte, immer öfter Schnee. Der erste Sturm. Er riß das Boot ins Meer. Auf den Seiten eines meteorologischen Notizbuches führte Wawilow sein Tagebuch. „26. oder 27. August, Tagebuch. Wawilow, Pawel. Geboren 1909, Heizer auf der ,Sibirjakow'. Die ,Sibirjakow' ist im heldenhaften Kampf mit einem deutschen Panzerkreuzer gesunken. 3. September: Ich habe ein Flugzeug gesehen ... 7. September: Im Osten die Rauchwolke eines Dampfers gesichtet. . . 13. September: Wieder ein Flugzeug. Noch 220
Zwiebäcke ... 16. September: Ein Schiff ... 18. September: Ein Flugzeug ... 21. September: Im Westen ein Schiff ... 22. September: Ein Schiff vom Typ ,Sedow'. Von diesem Schiff aus hätte man mich eigentlich sehen müssen. Es fuhr weiter nach Westen. 23. September: Ein Flugzeug im Westen ... 24. September: Der Dampfer ,Sacco'. Er hat gestoppt. Er ist weitergefahren ..." Zum ersten Mal ergriff Wawilow die Verzweiflung. Mit bloßem Auge hatte er erkannt, daß dieses Schiff die „Sacco" war. Er hatte mit dem bunten Hemd Signal gegeben und Feuer entzündet. Der Schlittenhund kroch ermattet und winselnd um den Mann, der sich zu Boden geworfen hatte und mit rauher Stimme rief: „Genossen! Genossen! Seht ihr mich denn nicht?" Solange noch eine Hoffnung ist... Die besten Polarflieger suchten die vermeintliche Untergangsstelle der „Sibirjakow" ab. Der Funker hatte es nicht geschafft, die Position des Gefechts zu melden, oder Dikson hatte diesen Funkspruch nicht mehr empfangen können. Masuruk, der Leiter der Polarflieger, schickte Kaminski und Tscherewitschni nach Dikson. Es waren die Asse der Eismeerfliegerei. Jeremejew und Minajew wagten kaum noch, weitere Suchflüge zu befehlen. Gewiß - in Archangelsk und anderen Städten hofften Mütter, Frauen und Kinder. Aus dem Süden, aus Suchumi am Schwarzen Meer, kam ein Brief. Absender: Pawlowna Katscharawa.
Aber solche Briefe gab es in dieser Zeit Hunderttausende. Am Schwarzen Meer standen die Faschisten vor Tuapse und im Kaukasus am Kluchorie-Paß. Von beiden Seiten war Suchumi schon zu sehen. Im belagerten Leningrad verhungerten Tausende von Menschen. An der Wolga hatte der Gegner die Rotarmisten auf einen schmalen Uferstreifen zusammengedrängt. Jedes Flugzeug, jeder Liter Benzin wurde dringend benötigt. Am 26. September lief in Dikson der Dampfer „Sacco" ein. Er war von der Lenamündung nach Archangelsk unterwegs. Der Kapitän steuerte Dikson an, weil er den Befehl der absoluten Funkstille in diesem Gebiet einhalten wollte. „Wir haben auf der Belucha-Inselgruppe einen Menschen gesichtet. Wir haben kein Antwortsignal gegeben." Diese Maßnahme war verständlich. U-Boote hatten Polarstationen auf entlegenen Inseln überfallen. Die deutschen Landungstrupps hatten mit den kleinen, nur mit Handfeuerwaffen ausgerüsteten Besatzungen leichtes Spiel. Auch hatten die Faschisten schon versucht, mit der Fortführung des Funkverkehrs sowjetische und alliierte Handelsschiffe in eine Falle zu locken. In der Nähe der Belucha-Inseln war die „Sibirjakow" versenkt worden, davon waren inzwischen alle Kapitäne der sowjetischen Nordmeerflotte verständigt. Auf jeden Fall, ob auf der Belucha-Insel ein faschistischer Hinterhalt war oder sich dorthin Schiffbrüchige gerettet hatten: Dikson würde es feststellen und entsprechende Schritte einleiten. Am 27. September 1942 stürmte es. Die ersten An-
zeichen des Polarwinters. Der Flieger Kaminski flog mit einem Wasserflugzeug zu der Belucha-Inselgruppe. Ein Landflugzeug konnte auf der Insel nicht landen, doch der Seegang erlaubte auch Kaminski keine Landung. Der Flieger warf einen Pelzschlafsack und Verpflegung ab. Er flog zurück und meldete, was er mit roten Buchstaben geschrieben auf dem Schnee der Insel gelesen hatte: „Sibirjakow - rettet." Auf der Insel kniete ein Mann über seinem toten vierbeinigen Gefährten. Mit seinem Blut hatte er dem Flieger das rettende Zeichen gegeben. Ein Mann der „Sibirjakow"! Ein Überlebender! Er konnte berichten, was geschehen war. Er mußte vom Schicksal der übrigen Besatzung wissen. Der Sturm ließ nicht nach, ein Flugzeug konnte nicht landen. Am nächsten Tag wasserte Tscherewitschni geschickt auf einem langen Wellenberg. Der Mann von der Insel rannte ins Wasser. Es ging ihm bis zur Brust, ehe er die Schwimmer des Flugzeugs erreichte. Wawilow hatte in sein Tagebuch noch eine letzte Eintragung gemacht: „28. September: Ich bin gerettet."
Begegnung Dem Kapitän kam das Gesicht des Matrosen bekannt vor. Ihm fiel auf, daß der Maschinist um den Hals das Tuch eines Heizers trug. Das Tuch! Der Kapitän erinnerte sich. Wawilow! Katscharawa! Solche Begegnungen gab es nach dem Krieg viele. Die
beiden Männer erzählten einander ihr Schicksal. Katscharawa hatte mit seinen Leuten all die Entbehrungen, Leiden und Erniedrigungen einer faschistischen Gefangenschaft durchlitten. Sie waren von Norwegen nach Kiel und von dort von Gefangenenlager zu Gefangenenlager gewandert. Schließlich kamen sie in das berüchtigte Konzentrationslager Stutthof. Die ganze Zeit über hütete die Mannschaft das Geheimnis ihres Kapitäns, des Parteisekretärs und des Funkers. Sarajew blieb die Seele des kleinen Kollektivs. Im Jahre 1944 aber fand sich ein Verräter: Ein Matrose von einem anderen Schiff erkannte in Scharschawin den Funker. Er verriet ihn an die Gestapo. Scharschawin widerstand allen Foltern, er gab nichts preis, schließlich wurde er erschossen, zwei Monate vor dem Tag, an dem die restliche Mannschaft der „Sibirjakow" von sowjetischen Panzertruppen befreit wurde. Sie waren noch ein Dutzend. Die anderen waren an Entkräftung und durch Krankheiten gestorben. Sie fuhren zurück in die Heimat, sie begannen wieder zu arbeiten, still und selbstverständlich wie Millionen anderer ehemaliger Soldaten. Katscharawa wußte Wawilow von den Überlebenden zu berichten. Er selbst war Kapitän der „Lewanewski" und „Baikal" gewesen, dann kam der Grusinier auf den modernen Eismeerfrachter „Tbilissi". Sie waren verstreut, die letzten Dutzend Männer der „Sibirjakow", an der weiten Küste des Eismeeres. Die einen arbeiteten in Häfen oder auf Polarstationen, die anderen auf den Schiffen der Nördlichen Flotte. Nur der Parteisekretär Sarajew lebte im „Süden", als stellvertretender Direktor
des Kiemen Theaters in Leningrad. Im Jahre 1960 trafen sie zusammen - anläßlich einer Ordensverleihung für ihre Heldentat. Am Eismeer wachsen keine Palmen. Aber Millionen junger Menschen sind nach Sibirien und in den Hohen Norden gegangen. Sie haben diese Gebiete mit ihren unermeßlichen Bodenschätzen industriell erschlossen. Auf dem Nördlichen Seeweg fahren moderne DieselElektro-Schiffe, darunter im regelmäßigen Liniendienst Passagierschiffe. Der Atom-Eisbrecher „Lenin" ermöglichte es, die Zeit der Schiffahrt auf fünf Monate im Jahr zu verlängern. Der Bau zweier weiterer AtomEisbrecher ist beschlossen; in absehbarer Zeit wird dieser Seeweg ganzjährig befahrbar sein. Große Flußfahrgastschiffe, darunter viele von der MathiasThesen-Werft in der Deutschen Demokratischen Republik, fahren im Güter- und Passagierverkehr von den Städten an der Transsibirischen Eisenbahn bis zu den großen Häfen an der Eismeerküste. Am Nordpol landen viermotorige Flugzeuge bei den driftenden Polarstationen: kleine moderne Siedlungen inmitten der Arktis. Am Polarhimmel zeichnen sich die Kondensstreifen der Düsenjäger ab. Gewaltige AtomUnterseeboote legen Tausende Kilometer unter dem Eis zurück. Die Kriegsereignisse liegen in ferner Vergangenheit, aber die Lehren dieses Krieges sind nicht vergessen. Die Opfer waren zu groß. Die „Admiral Scheer" wurde 1945 in Kiel versenkt. Für einige Jahre verschwanden auch die Offiziere und Admirale der faschistischen Seekriegführung. Dann tauchten sie wieder auf: in den Spitzen der
bundesdeutschen Kriegsmarine und in den NATOSeekriegsstäben. Spielt das Wunderland in ihren Plänen wieder eine Rolle?