Butler � Parker � Nr. 196 � 196
Günter Dönges �
PARKER � demaskiert die � ›Duplikate‹ � 2
»Sagen Sie mir, daß ich ...
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Butler � Parker � Nr. 196 � 196
Günter Dönges �
PARKER � demaskiert die � ›Duplikate‹ � 2
»Sagen Sie mir, daß ich träume, Mister Parker«, verlangte Lady Agatha und starrte auf die bizarren Felsen. Die Stimme der älteren Dame, stets ein wenig unwirsch klingend, war leise und nachdenklich geworden. »Haben Mylady einen bestimmten Grund, solch eine Bestätigung von meiner bescheidenen Person zu erhalten?« fragte Josuah Parker in seiner würdevollen Art. Er war gerade dabei, ihr und Anwalt Rander eine kleine Erfrischung zu servieren. »Ich träume«, wiederholte Lady Agatha. »Ich weiß genau, daß ich etwas sehe, was nicht sein kann.« »Wahrscheinlich eine Halluzination, Mylady«, meinte Mike Rander. Er saß auf einem Campinghocker und rauchte eine Zigarette. Nicht weit von ihnen rollte die Brandung des Mittelmeeres auf dem kleinen Sandstrand aus. Der Butler in seinem schwarzen Zweireiher kam inzwischen zu dem Schluß, daß seine Herrin wohl doch keiner Sinnestäuschung unterlag. Er gewahrte nämlich ein halbes Dutzend Froschmänner, die ihre Harpunen direkt auf Lady Simpson, Mike Rander und ihn richteten…
Die Hauptpersonen: Jerome Bliss bewohnt eine private Insel und scheint mehrfach vorhanden zu sein. Steve Morland kommandiert eine dubiose Inselwache. Barry Bandom will als Sekretär des Mr. Bliss überzeugen. John Harrods restauriert angeblich Möbel und findet eine Flaschenpost. Marty Keene privatisiert als ›Gangster in Pension‹ Kommissar Vernon verzweifelt an einer Lady Simpson. Lady Agatha Simpson setzt eine Polizeitruppe außer Gefecht. Butler Parker wehrt Unterwasser-Harpunen ab. Die Absicht dieser Froschmänner war unverkennbar. Innerhalb der nächsten Sekunden wollten sie die Auslöser drücken, doch Parker kam ihnen zuvor. Er lüftete höflich seine schwarze Melone und deutete eine Verbeu-
gung an. Ihm war klar, daß er ohnehin keine andere Chance hatte, den mit Sicherheit tödlichen Schüssen zuvorzukommen. Das Resultat war frappierend. Die Froschmänner drückten nicht ab. Sie blieben unbeweglich zwi3
schen den bizarren Felsformationen der Küstenpartie stehen und rätselten wahrscheinlich, was sie von diesem höflichen Gruß halten sollten. Und dann, wie durch Zauberei, waren die Taucher plötzlich verschwunden, als hätte sie es nie gegeben. »Eine ganz schön kitzelige Situation«, sagte Mike Rander und entspannte sich. »Ich habe also doch nur geträumt, Mister Parker, nicht wahr?« erkundigte sich Lady Agatha. »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, erwiderte Josuah Parker. »Die Taucher waren Realität.« »Und sind’s bestimmt noch«, pflichtete Mike Rander dem Butler bei. Er drückte sich hoch und ließ die Felsformation nicht aus den Augen. »Ich würde vorschlagen, Mylady, den Strand zu räumen.« »Etwas Champagner, Sir?« schlug Parker vor. Er schien diesen optischen Zwischenfall schon wieder vergessen zu haben und brachte das ovale Silbertablett gemessenen Schritts zum Campingtisch. Er wartete die Antwort des Anwalts nicht ab, sondern servierte Champagner. Genau in diesem Moment passierte es. Butler Parker sah ein schwarzes längliches Etwas von den Felsen zum Tisch schwirren. Es konnte sich mit Sicherheit nur um eine Unterwasserharpune handeln. Sie war
sehr schnell und gut gezielt. Parker verlor nicht die Nerven. Wie selbstverständlich streckte er seinen linken Arm aus. Mit dem Silbertablett in der Hand unterbrach er die Flugbahn der Harpune, die mit viel Wucht gegen das Tablett schrammte. Ein erstklassiger TennisSpieler hätte den geschnittenen Ball seines Gegners nicht besser parieren können. Die Harpune deformierte leicht das Tablett und taumelte dann zu Boden. »Das galt mir«, sagte Lady Simpson und erhob ihre majestätische Fülle. Sie schaute grimmig zu den bizarren Felsen hinüber. »Mister Parker, jagen Sie diese Strolche umgehend zum Teufel! Ich habe meinen Champagner verschüttet…« »Wie Mylady es wünschen.« Der Butler behielt das schwere Silbertablett in der Hand und schritt gemessen auf die Felsformation zu. Er hatte kaum zwei Meter hinter sich gebracht, als weitere Harpunen in der Luft erschienen. Sie alle hatten die eindeutige Tendenz, das Trio Lady Simpson, Mike Rander und Butler Parker aufzuspießen! * Mike Rander bewies seine Geschicklichkeit. Mit einer Schnelligkeit und Kraft, die man ihm auf keinen Fall zuge4
traut hätte, riß er den Campingtisch hoch und benutzte ihn als Schutzschild. Er fing blitzschnell die durch die Luft zischenden Harpunen auf und hinderte sie am Weiterflug. Mit welcher Wucht diese Preßluftgeschosse abgefeuert worden waren, merkte er an den jeweiligen Einschlägen. Jede Harpune war in der Lage, einen Menschen zu durchbohren. Mike Rander hatte sich vor der Lady aufgebaut und gab ihr volle Deckung. Die ältere Dame – um die sechzig, wie sie ihre Lebensjahre vage umschrieb – hatte durchaus mitbekommen, wie ernsthaft dieser Mordanschlag war. Sie preßte sich an den Anwalt und sagte kein Wort. Josuah Parker wehrte noch zwei Harpunen ab, dann aber hatte er bereits die Felsen erreicht. Er sorgte für Verwirrung. Es kam ihm zustatten, daß er selbst anläßlich eines kleinen Strandausflugs stets einige Abwehrwaffen mit sich führte. Butler Parker warf zwei Patentkugelschreiber zwischen die Felsen und brauchte nur Sekunden zu warten, bis der von See kommende Wind das weiß-gelbe Reizgas landeinwärts transportierte. Die Schwaden blieben in den Felsformationen hängen und lösten an einigen Stellen leichte bis mittelschwere Hustenanfälle aus. Parker begnügte sich keineswegs damit. Ihm ging es darum, einen
dieser Froschmänner einzufangen. Er wollte herausfinden, wer sie waren und aus welchen Gründen sie ihre Harpunen verschossen hatten. Er bestieg ungemein geschmeidig die Felsformation und hörte bald darauf das harte Aufklatschen von großen Gegenständen im Wasser. Die Froschmänner setzten sich also ab. Butler Parker pirschte sich an eine spitze Felsnase heran und warf einen Blick hinter sie. Er hatte sich nicht getäuscht. Drei der. Froschmänner tauchten nach ihren Sprüngen gerade wieder aus dem schäumenden Wasser. Zwei weitere Männer waren dabei, sich in die richtige Sprungposition zu bringen. Um ein Haar hätte der Butler einen fünften Froschmann übersehen. Er tauchte seitlich hinter einer abgeflachten Felskuppe auf, hatte sein Unterwassergewehr nachgeladen und richtete die Spitze seiner Harpune auf den Gegner. Josuah Parker reagierte automatisch. Er hielt noch das schwere Silbertablett in der linken Hand. Aus dem Handgelenk heraus schleuderte er es als Riesendiskus auf diesen Froschmann. Das Silbertablett lag gut in der Luft, rotierte ein wenig und landete mit der Längskante an der Stirn des heimtückischen Schützen. Der Froschmann stieß einen unterdrückten Schrei aus. Die Harpune 5
löste sich und jagte steil in die Luft. Der Schütze hingegen blieb platt und mit ausgestreckten Armen auf der Felskuppe liegen. Josuah Parker war mit dem Erfolg Bemühungen durchaus seiner zufrieden. Nach der Bergung dieses Mannes konnte man sich eingehend mit ihm über die Motive des Überfalls unterhalten. Ohne Grund konnte er nicht erfolgt sein, wenngleich Lady. Simpson, Rander und Parker wirklich nur als Kurzurlauber an die französische Mittelmeerküste gereist waren. Länger als drei oder vier Tage sollte dieser Abstecher nicht dauern, denn in London schien bereits ein neuer Kriminalfall zu warten. Josuah Parker warf einen Blick in die Runde. Die Froschmänner hatten sich wohl abgesetzt. Ob sie vom Wasser aus noch eine Chance erhielten, denn auf der flachen Kuppe liegenden Mitschwimmer zu erreichen? Parker beeilte sich, den Besinnungslosen in Deckung zu ziehen. Er bewegte den Froschmann gerade ruckartig zur Seite, als aus dem schäumenden Wasser zwischen den weit ins Wasser ragenden Felsen weitere Harpunen heranzischten! Sie richten aber kein Unheil mehr an. Josuah Parker hatte seinen Mann bereits in Sicherheit gebracht, zerrte ihm die Taucherbrille vom Gesicht und streifte die kapuzenartige Kopf-
bedeckung ab. Er schaute in das harte Gesicht eines Mannes, der seiner Schätzung nach dreißig Jahre zählen mochte. Während die Harpunen wirkungslos über die flache Felskuppe zischten, warf Parker einen prüfenden Blick auf den schmalen Sandstreifen. Lady Agatha saß bereits wieder auf einem Hocker und ließ sich von Mike Rander ein Glas Champagner reichen. Der Butler gestattete sich den Anflug eines andeutungsweise amüsierten Lächelns, Myladys eigenwilliger Hut, der eine pikante Mischung aus Südwester und Napfkuchen darstellte, saß schief auf dem Kopf seiner Herrin. Lady Agatha rückte ihn gerade wieder zurecht und reichte Rander erneut ihr Glas. Sie war dabei, ihren geschädigten Kreislauf zu regenerieren. Die Welt war für sie wieder in Ordnung. * Der Froschmann hingegen befand sich in einem seelischen Tief. Er war zu sich gekommen und hatte natürlich längst festgestellt, daß seine Hände gebunden waren. Er lehnte mit dem Rücken gegen eine Felswand und starrte Lady Simpson mürrisch an. Sie saß auf einem Hocker vor ihm und nickte zufrieden. »Natürlich war das alles nur ein harmloser Spaß«, sagte sie zu dem 6
Mann. »Sie hatten nie vor, mich umzubringen, nicht wahr?« Der Froschmann antwortete nicht. »Sie werden natürlich auch nie verraten, wer Sie geschickt hat«, redete die ältere Dame weiter. »Auch Ihre Freunde werden Sie nicht anschwärzen.« »Sie können mich mal…« Mehr sagte der Froschmann nicht und schmollte. »Zum Beispiel mit einer Harpune beschießen?« Agatha Simpson nickte und erhob sich. »Eine gute Idee! Wie du mir, so ich dir… Vielen Dank für den Tip. Mister Parker wird Sie sofort als Zielscheibe herrichten.« »Mylady riefen?« Parker tauchte neben seiner Herrin auf und sah sie fragend an. »Er hat mich zu einem kleinen Spiel eingeladen, Mister Parker. Er bietet sich als Zielscheibe an. Was halten Sie davon?« »Ein Vorschlag, Mylady, den ich als ausgesprochen kreativ bezeichnen möchte. Allerdings möchte ich in aller Höflichkeit darauf verweisen, daß Mylady keine sonderliche Übung besitzen, was den Umgang mit solch einer Harpune betrifft.« »Übung macht den Meister, Mister Parker«, gab sie gut gelaunt zurück. »Ich werde mich schon einschießen. Hauptsache, wir haben genügend Harpunen.« »Ich war so frei, sie einzusammeln. Mylady können ausgiebig diesem
neuen Sport frönen.« »Worauf warten wir eigentlich noch, Mister Parker? Richten Sie dieses Subjekt ein wenig her.« Während sie das sagte, hantierte sie bereits reichlich unfachmännisch mit dem Preßluftgewehr. Wie zufällig richtete sich die Spitze der aufgesetzten Harpune dabei immer wieder auf den Froschmann, der rasch ins Schwitzen geriet. Der Mann beugte sich zur Seite, um dem nadelspitzen Ding aus dem Weg zu gehen, doch immer wieder mußte er auf das scheußliche Geschoß blicken, das ihm magnetisch folgte. Josuah Parker ging auf den Froschmann zu, dessen Gesicht inzwischen schweißnaß geworden war. Er hatte den Gangster noch nicht ganz erreicht, als dicht neben Parker eine Harpune vorbeizischte und sich nur wenige Zentimeter von dem Froschmann entfernt tief in den Sand bohrte. Parker zuckte mit keiner Wimper. Im Gegensatz zu diesem schweißnassen Burschen wußte er, wie gut die resolute Dame mit Waffen aller Art umzugehen verstand. Sie war zum Beispiel eine vorzügliche Sportbogenschützin, die ihre Pfeile stets genau ins Ziel brachte. »Hoppla«, meinte Lady Agatha und tat überrascht, »das hätte aber schief gehen können.« »Mylady dürfen versichert sein, daß ich gleich aus der Schußlinie 7
gehen werde«, versicherte Parker und langte nach dem Froschmann, um ihn als Ziel umzufunktionieren. »Sind… Sie wahnsinnig? Die Alte bringt mich doch glatt um«, keuchte der vor Angst Zitternde und sperrte sich. »Sie sollten das Leben optimistischer und positiver sehen«, schlug Josuah Parker dem Mann vor. »Jede Harpune muß ja nicht gleich treffen…« »Das ist… Mord«, flüsterte der Froschmann mit eindeutig versagender Stimme. »Mylady sehen das erheblich anders.« Parker blieb gelassen und richtete den Mann auf, der sofort danach wieder zusammenrutschte, weil die Beine ihm den Dienst kündigten. »Von mir aus kann er auch sitzen bleiben«, rief Lady Agatha, die das Unterwassergewehr frisch geladen hatte. »Je kleiner das Ziel, desto größer die Herausforderung!« »Die… Die is’ doch wahnsinnig«, stöhnte der Froschmann. »Eine unbewiesene Behauptung, die dazu noch mehr als leichtfertig geäußert wird«, tadelte Josuah Parker. »Halten Sie sich für wahnsinnig, nur weil Sie auf Lady Simpson schossen?« »Wir sollten doch gar nicht treffen«, ereiferte sich der Mann, um dann aufzuschreien. Dicht neben ihm landete eine zweite Harpune im
Sand. Das Geschoß bohrte sich vor seiner linken Schwimmflosse ins Erdreich. »Sie sollten nur was, wenn ich höflichst fragen darf?« »Euch… verscheuchen«, gestand der Mann und rückte so zur Seite, daß er von Josuah Parker gedeckt wurde. »Ehrenwort, wir sollten euch nur ‘nen Schrecken einjagen, mehr nicht.« »Dies muß Gründe haben, würde ich sagen.« »Die kenn ich nicht. Ich gehör ja nur zur Inselwache.« »Wäre es Ihnen möglich, meiner bescheidenen Wenigkeit diese Insel zu beschreiben?« »Sie liegt dort hinter der Klippe.« »Und wer bewohnt dieses Eiland, um auch schon die nächste Frage zu stellen?« »Jerome Bliss. Irgendein verrückter Ami. Ehrenwort, ich hab den noch nie gesehen.« »Jerome Bliss!?« Parker zeigte die Andeutung einer Überraschung und trat einen halben Schritt zurück. »Seit wann existiert diese sogenannte Inselwache?« »Wir sind vor drei Monaten engagiert worden«, redete der Froschmann weiter und schielte vorsichtig an Parker vorbei zu Lady Simpson, die sich weiterhin mit Zielübungen befaßte. Auch jetzt richtete sich die Spitze der Harpune immer wieder auf den Inselwächter, der hastig 8
zurückfuhr. »Wie groß ist die Inselwache?« forschte der Butler weiter. »Ich bin sicher, daß Sie keinen Verrat begehen werden, wenn Sie mir auch dieses an sich unwichtige Detail noch nennen.« »Wir sind ein Dutzend Froschmänner«, kam prompt die Antwort. »Und wir haben noch nie auf Touristen geschossen.« »Sondern sie nur verscheucht, wie Sie es ausdrückten.« »Weil hier manchmal Fotografen auftauchen und Bilder schießen wollen.« »Es ist noch nie zu einer Anzeige empörter Badegäste gekommen?« »Ich glaube, so was regelt Steve Morland immer mit einem Scheck«, redete der Froschmann weiter. »Morland ist unser Inselboß.« »Der Sekretär des verwöhnten Jerome Bliss?« »Nein, nein, der Boß von uns Inselwächtern. Der Sekretär heißt Barry Bandom, aber den sehen wir auch nur ganz selten.« »Was wird mit Ihnen geschehen, wenn Lady Simpson Sie zur Insel zurückschwimmen läßt.« »Keine Ahnung!« Der Froschmann hob die Schultern. »Bisher is’ ja noch nie einer von uns erwischt worden.« Bevor der Froschmann antworten konnte, hörte der Butler einen Schuß, der schallgedämpft war…
* � Mike Rander erschien zwischen den bizarren Klippen. »Wir bekommen noch mal Besuch«, sagte er lässig. »Diesmal schießen die Herrschaften mit richtiger Munition.« »Darf man Einzelheiten erfahren, Sir?« erkundigte sich Butler Parker gemessen. Er blieb gelassen wie stets. »Vier Mann in einem Schlauchboot«, antwortete der Anwalt. »Sie haben sich als Sportfischer getarnt. Sie schießen übrigens nicht schlecht. Um ein Haar hätte es mich erwischt.« Während er sprach, klopfte er Steinsplitter von seinem Jackett. »Sie haben nicht zufällig was Brauchbares, um zurückzuschießen?« »Mit einer regulären Schußwaffe, Sir, vermag ich zu meinem tiefsten Bedauern nicht zu dienen«, antwortete Parker. »Könnte man möglicherweise das vorhandene Preßluftgewehr benutzen?« »Gute Idee, Parker.« Mike Rander zeigte ebenfalls weder Aufregung noch Hektik. Er schien sich mit dem Butler über die klimatischen Bedingungen auf der Insel zu unterhalten. Er war der ein wenig phlegmatisch wirkende Engländer, wie man ihn aus Büchern und Filmen kennt. Daß die Situation sich gefährlich zuspitzte, war ihm nicht anzumer9
ken. Der Froschmann erkannte seine Chance. Obwohl seine Hände gebunden waren, versuchte er zu den bizarren Felsen zu springen, die knapp hinter ihm waren. Er schaffte auch tatsächlich zwei bis zweieinhalb Meter, aber dann wurde sein Hinterkopf von einem perlenbestickten Pompadour getroffen, den Lady Agatha Simpson ihm nachgeworfen hatte. In diesem Handbeutel, wie ihn die vornehmen Damen der Jahrhundertwende trugen, befand sich Myladys »Glücksbringer«, ein echtes Pferdehufeisen, das nur oberflächlich mit dünnem Schaumstoff umwickelt war. Ein auskeilendes Pferd hätte keine bessere Wirkung erzielen können! Der Froschmann überschlug sich fast und blieb dann regungslos im Sand liegen. »Lümmel«, sagte Agatha Simpson mit grollender Stimme. »Das fehlte gerade noch, eine hilflose alte Frau anzugreifen.« »Sie gestatten?« Mike Rander stand neben Lady Agatha und bekam von ihr die Unterwasserharpune. Der Anwalt versorgte sich mit den Harpunen, die Parker vorher bereits gesammelt hatte. Dann nickte er dem Butler zu und verschwand wieder hinter den Felsformationen der Steilküste. »Verstehen Sie das alles?« Die
Detektivin hatte sich an den Butler gewandt. »Warum dieser Aufwand? Und wer ist dieser Bliss, oder wie er heißen mag?« »Ein sogenannter Tycoon, Mylady.« »Können Sie sich nicht deutlicher ausdrücken? Ich mag diese amerikanischen Slangausdrücke nicht.« »Ein Wirtschaftsgewaltiger, Mylady, der Imperien kontrolliert und dirigiert, der gleichzeitig aber auch jede Publicity scheut. Ich bin mir durchaus bewußt, daß diese Interpretation nur unvollkommen ist.« »Und dieser Tycoon wohnt dort drüben auf einer Insel?« »Dem scheint so zu sein, Mylady, wenn man die Aussage des Inselwächters im Sand nicht bezweifeln will.« »Diesem Flegel werde ich Manieren beibringen«, erklärte die ältere Dame grimmig. »Bereiten Sie einen Besuch bei diesem Bliss vor, Mister Parker!« »Sehr wohl, Mylady. Soll es sich um einen offiziellen oder inoffiziellen Besuch handeln?« »Was schlagen Sie vor, Mister Parker? Ich würde am liebsten ein paar Kilo Dynamit mitnehmen.« »Diesen durchaus nützlichen Stoff sollte man in der Tat nicht vergessen, Mylady. Darf ich mich jetzt empfehlen? Vielleicht erwartet Mister Rander meine bescheidene 10
Hilfe.« »Ich werde mich noch etwas mit diesem Lümmel dort im Sand befassen«, versprach Agatha Simpson und nickte Parker huldvoll zu. »Geben Sie es diesen angeblichen Sportanglern, Mister Parker! Sollten Sie aber in Bedrängnis geraten, dann rufen Sie mich! Dann werde ich mich nämlich einschalten und diesen Subjekten Manieren beibringen…« * Anwalt Mike Rander lag in taktisch günstiger Position und beobachtete das Schlauchboot, das nach einer passenden Landestelle suchte, was gar nicht so einfach war. Gab es am Nord-Strand der Insel weißen und flachen Sandstrand, so war die Südküste steil und unzugänglich, auch und gerade von See her. Es herrschte zwar keine donnernde Brandung, doch die Dünung brach sich schäumend an den Felsen und Klippen dieser Steilküste. Das Schlauchboot mit seinen vier Sportfischern wurde von einem starken Außenborder getrieben, dennoch scheiterte es immer wieder an einer schmalen Einfahrt, die erst eine halbwegs sichere Landung in einer kleinen Bucht ermöglichte. Mike Rander sah einen Moment zu Parker hinüber, der seinen Universal-Regenschirm mitgebracht hatte.
Dieser Schirm mit dem Bambusgriff, sehr altväterlich gebunden und aussehend, hatte es im wahrsten Sinn des Wortes in sich. Er ließ sich innerhalb weniger Sekunden in eine potente Waffe umfunktionieren. Durch den Schirmstock konnte der Butler, nur um ein Beispiel zu nennen, entweder bunt gefiederte Blasrohrpfeile oder kleine Schrotpatronen verschießen. Noch aber brauchte Parker nicht einzugreifen. Höflich, wie es seiner Art entsprach, überließ er dem Anwalt die Abwehr. Und Mike Rander konnte mit einem Preßluftunterwassergewehr gut umgehen. Während seiner Tätigkeit in den USA hatte er sich sportlich viel betätigt. Die Insassen des Schlauchbootes waren erneut auf den Anwalt, allerdings auch auf den Butler aufmerksam geworden. Zwei Sportfischer hatten ihre Angelruten mit kurzläufigen Schnellfeuergewehren vertauscht, deren Mündungen lange Schalldämpfer aufwiesen. Mit diesen Schußwaffen legten sie eine Art Sperrfeuer zwischen sich und die beiden Verteidiger. Immerhin wollten sie möglichst ungehindert und ohne Blessuren an Land kommen. Dank der Brandung lag das Feuer schlecht. Die Geschosse jaulten als Querschläger durch die bizarre Gegend, ohne Unheil anzurichten. 11
»Logisch dürfte dieses Gefecht nicht gerade sein«, sagte Mike Rander und öffnete sein Zigarettenetui. Josuah Parker reichte formvollendet Feuer für die Zigarette, um erst dann zustimmend zu nicken. »Diese Burschen müssen doch mit einer Anzeige rechnen, Parker.« »Durchaus, Sir, aber man wird sie nicht belangen können.« »Weshalb nicht, Parker?« »Man wird ihre Identität nicht feststellen können, Sir. Man wird sie für eine gewisse Zeit von der sprichwörtlichen Bildfläche verschwinden lassen.« »Glauben Sie wirklich, daß man uns umbringen will?« »Es hat erstaunlicherweise durchaus den Anschein, Sir. Darf ich noch etwas hinzufügen?« »Natürlich, Parker. Sie halten das da unten für einen Trick, nicht wahr?« »In der Tat, Sir! Eine zweite Gruppe, die sich Ihrem und meinem bescheidenen Blick entzieht, dürfte an anderer Stelle an Land gehen.« »Und was nun? Die Insel ist zwar nicht besonders groß, Parker, aber winzig ist sie gerade auch nicht.« »Man sollte, wenn ich es vorschlagen darf, eine andere Verteidigungsstellung beziehen.« »Und die wäre wo?« »Ich erlaube mir, die üppige Vegetation dieses Geländes zu empfehlen.«
»Nicht schlecht, Parker. Da dürften wir ‘ner kleinen Armee überlegen sein. Aber Moment noch, bevor wir uns zurückziehen, möchte ich mal das Preßluftgewehr ausprobieren.« Mike Rander visierte kurz nach unten und löste die Harpune. Sie jagte hinunter zum Wasser und… landete vorn im Bug des Schlauchbootes. Der Sportfischer am Außenborder riß das Steuer herum und gab Vollgas, um aufs Meer zu jagen. »Das ist genau die Atempause, die wir brauchen.« Mike Rander lächelte zufrieden. »Okay, setzen wir uns ab, Parker. Man soll sein Schicksal nicht unnötig versuchen.« Die beiden Männer traten den Rückzug an und brauchten nur wenige Minuten, bis sie den schmalen Sandstreifen zwischen den Felsen und Klippen erreicht hatten. »Mylady scheint einen kleinen Ausflug unternommen zu haben«, stellte der Anwalt fest, der die ältere Dame dort vermißte, wo sie eigentlich hätte sein müssen. »Darf ich höflichst widersprechen, Sir?« schickte der Butler in seiner gemessenen Art voraus und deutete auf unübersehbare Schleifspuren im feinen Sand. »Mylady dürfte nach Lage der Dinge inzwischen entführt worden sein.« * »Demnach sind wir jetzt an der
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Reihe, wie?« Rander schaute nach allen Seiten. »Sie haben recht behalten, Parker, das Schlauchboot hat uns ablenken sollen.« »Eine Aktion, der man taktisches Geschick nicht absprechen sollte.« »Ihre Ruhe möchte ich haben, Parker. Gleich sind wir dran. Irgendwo werden die Kerle ja noch herumlungern.« »Kaum, Sir, um es knapp und lakonisch zu sagen.« »Und warum nicht?« Mike Rander hielt das geladene Harpunengewehr schußbereit in Händen und schaute sich erneut um. »Dieser Froschmann ist natürlich auch verschwunden.« »Man dürfte Lady Simpson als Geisel genommen haben, Sir«, stellte der Butler ruhig fest. »Damit befinden Sie sich, Sir, in der Rolle einer Person, die nur noch reagieren darf. Von meiner bescheidenen Person mal ganz zu schweigen.« »Okay. Wir werden ab sofort nach der Pfeife dieser Froschmänner tanzen müssen. Wenn man nur wüßte, wer sie sind.« »Eben erwähnter Froschmann machte in dieser Richtung einige interessante Aussagen, Sir.« »Da liegt ein Wisch im Sand, Parker. Der scheint für uns bestimmt zu sein.« »Mit Sicherheit, Sir, ich war so frei, ihn bereits zu bemerken.« »Dann nichts wie hin, vielleicht erfahren wir Einzelheiten.« Mike
Rander wollte sich sofort in Bewegung setzen. Er machte sich Sorgen um Lady Simpson. »Darf ich anregen, Sir, diesen Zettel zu übersehen?« »Warum denn das, Parker? Vielleicht steht darauf, unter welchen Bedingungen wir die Lady auslösen können.« »Mit Sicherheit dürften solche Hinweise auf dem Zettel stehen, Sir. Jedoch, man könnte wertvolle Zeit gewinnen, wenn man den Zettel nicht zur Kenntnis nimmt und ihn quasi übersieht.« »Ganz schön schlitzohrig, Parker.« Mike Rander hatte verstanden und lächelte. »Hauen wir also ab, Parker. So ganz sicher fühle ich mich hier nicht.« »Darf ich das vorschlagen, Sir, was man eine übereilte Flucht nennen würde?« »Panik oder so, Parker?« »Sie dürfen versichert sein, Sir, daß ich mir ehrliche Mühe geben werde, eine gewisse Panik an den Nachmittag zu legen.« »Dann nichts wie los!« Rander schaute sich noch mal wie ein jetzt gehetztes Tier um und rannte davon. Er hielt auf den schmalen Pfad zu, der durch die Klippen zum Plateau hinaufführte. Der Butler bemühte sich, wie versprochen, um Panik. Er ging ein wenig schneller als üblich, deutete sogar so etwas wie einen verhalte13
nen Lauf an. Dennoch blieben seine Bewegungen würdevoll und gemessen, wenn man nur genauer hinsah. Parker war es so gut wie unmöglich, Hast an den Tag zu legen. Mike Rander hatte den Rand des Plateaus erreicht und sah auf das Mittelmeer. Als Parker neben ihm stand, deutete der Anwalt auf das Schlauchboot, das weit draußen im Meer trieb. »Sie haben sich abgesetzt«, sagte er. »Aber wo mag Lady Simpson nur sein?« »Darf ich mir erlauben, Sir, eine Befürchtung zu äußern?« »Sie… Sie glauben doch nicht, daß man sie umge…? Mensch, Parker, malen Sie nicht den Teufel an die Wand!« »Man dürfte Mylady in Richtung der Ile du Levant schaffen.« »Die ist von hier nicht einzusehen. Kommen Sie, vergewissern wir uns!« Nach knapp einer Viertelstunde sahen sie eine kleine Motoryacht, die zusätzlich noch ein Segel gesetzt hatte. Dieses kleine schneeweiße Fahrzeug hielt tatsächlich auf die dritte der drei Hauptinseln der Iles d’Hyeres zu. »Hoffentlich stimmt Ihre Vermutung, Parker«, seufzte Mike Rander. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir. Eine Lady Simpson ist zu wichtig, als daß man sie einfach umbringen würde.«
»Und woher weiß man, wer sie ist, Parker?« »Der erfolgte Überfall, Sir, dürfte ein Indiz hierfür sein.« »Man hat uns also nicht nur angegriffen, weil wir so eine Art Bannmeile verletzten?« »Die Massivität des Überfalls läßt darauf schließen, Sir, daß man Mylady und Sie, Sir, sehr wohl kannte.« »Sie nehmen sich bescheidenerweise wieder mal aus, wie?« Mike Rander lächelte. »Vielleicht dürfte auch meine Wenigkeit von einem gewissen Interesse sein, Sir.« Parker deutete eine zustimmende Verbeugung an. »Also schön, Parker. Dann haben wir es mit einem Gangsterboß zu tun, der glaubt, daß wir ihm Ärger bereiten wollen, wie?« Mike Rander wußte noch nichts von dem Teilgeständnis des Froschmannes, er hatte den Namen des Tycoon noch nie gehört. »Ein Gangsterboß, Sir.« Parker fragte eigentlich nicht, sondern wiederholte nur völlig neutral diesen Begriff. »Wenn Sie erlauben, möchte ich dem zustimmen Sir, selbst dann, wenn Sie erfahren, wem die kleine Insel östlich der Ile Port-Gros gehört.« * »Ich kenne nur den Namen, Mister
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Parker, sonst weiß ich gar nichts von diesem Mann«, sagte Kathy Porter. »Jerome Bliss muß ein ganz großes Tier sein, nicht wahr?« Die fünfundzwanzigjährige Kathy Porter, schlank, etwas über mittelgroß, hatte kastanienrotes Haar und ein pikant geschnittenes Gesicht. Sie erinnerte auf den ersten Blick ein wenig an ein scheues Reh und schien sich ihrer eindeutigen Reize überhaupt nicht bewußt zu sein. Allerdings konnte sie sich in Sekunden in eine Pantherkatze verwandeln und nachdrücklich zuschlagen. Die junge Dame war in allen einschlägigen fernöstlichen Kampfarten bestens bewandert und darüber hinaus Parkers Meisterschülerin, was das Anlegen von Masken betraf. Als Sekretärin und Gesellschafterin der Lady Simpson wurde Kathy von der älteren Dame wie eine leibliche Tochter behandelt. Sie war vor einer halben Stunde aus dem nahen Toulon gekommen, wo sie für Lady Agatha geschäftlich unterwegs war. Nun wußte sie inzwischen, was ihrer Chefin widerfahren war. Ihre Betroffenheit war nicht gespielt. »Jerome Bliss ist eine Art Howard Hughes«, antwortete Josuah Parker. »Er kontrolliert ein riesiges, weitverzweigtes Wirtschaftsimperium, Miß Porter. Dazu gehören Bankgruppen, Flugzeugfirmen, Werften und Ölfelder. Mister Bliss gilt als ungemein menschenscheu und wurde seit etwa
zehn Jahren nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen.« »Und er wohnt auf einer der Hyeres-Inseln?« staunte Kathy Porter. »Möglicherweise nur vorübergehend«, redete Parker gemessen weiter. »Mister Bliss ist dafür bekannt, daß er seine zahlreichen und oft geheimen Wohnsitze jäh ändert.« »Wie kann solch ein Mann ein Wirtschaftsimperium kontrollieren?« »Er hat seine Sekretäre, Vertrauten und Direktoren«, warf Mike Rander ein. »Das alles dürften Marionetten in seinen Händen sein. Wenn er hustet, haben sie gefälligst erkältet zu sein.« Mike Rander, Kathy Porter und Butler Parker befanden sich nicht im Hotel, in dem Lady Simpson Quartier bezogen hatte. Um auch telefonisch vorerst nicht erreicht werden zu können, hatten sie ein kleines Bistro in der Nähe des Hotels aufgesucht, Hyeres, dieser wohl älteste Kurort an der französischen Riviera, lag nicht direkt am Wasser, sondern klebte mit seinen Gassen und Häusern am Südhang eines Schiefermassivs, von wo aus man weit aufs Mittelmeer sehen konnte. Für diese Schönheiten hatten die drei Begleiter der Lady Simpson jetzt allerdings kein Auge. Es galt, den richtigen Weg zu finden, um Mylady wieder zu befreien. Daß man sie als Druckmittel und Geisel 15
benutzen würde, war ihnen klar. »Noch mal zurück zu Ihrer These, Parker«, schickte Mike Rander voraus. »Ihrer Ansicht nach ist es Bliss aufgestoßen, daß wir hier herumkrebsen. Habe ich das richtig verstanden?« »In der Tat, Sir!« »Demnach muß er doch Dreck am Stecken haben.« »Das meine ich allerdings auch«, pflichtete Kathy Porter dem Anwalt bei. »Nicht unbedingt Mister Jerome Bliss«, erwiderte Josuah Parker. »Man könnte auch durchaus davon ausgehen, daß er von den Methoden seiner Mitarbeiter kaum eine oder gar keine Ahnung hat.« »Dann muß man Bliss eben den Star stechen, Parker«, sagte Mike Rander aufgebracht. Er verlor ein wenig von seiner sonst gezeigten Lässigkeit. »Eine ältere Dame entführen! Das muß man sich mal vorstellen.« »Die Bewohner der kleinen Privatinsel haben tatsächlich keine Ahnung, Sir, worauf sie sich da eingelassen haben«, lautete Parkers trockene Antwort. »Ach so!« Nun lächelte Rander, dann auch Kathy Porter. Sie wußten ja nur zu gut, wie dynamisch Lady Agatha war. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die beim Anblick einer Maus oder gar einer Ratte in Schreikrämpfe verfielen. Den Schneid ließ
sie sich fast nie abkaufen, und selbst in Gefahrensituationen, die weit über das Normale hinausgingen, blieb sie aggressiv und zäh. In der Vergangenheit hatte das schon mancher Gangster am eigenen Leib erfahren. »Verzeihung, darf man stören?« fragte plötzlich ein älterer Herr, der einen grundsoliden, konservativen Eindruck machte. Er stand neben dem runden Tisch und reichte Mike Rander seine Visitenkarte. »Mein Name ist Harrods, Sir, Möbelrestaurator in London.« »Was kann ich für Sie tun, Mister Harrods?« fragte Rander, der natürlich sofort an einen Boten der Gangster dachte. Er tauschte mit Parker und Kathy einen schnellen Blick. »Ich hörte am Nebentisch, daß Sie Briten sind«, redete Harrods weiter. »Ihnen kann ich mich vielleicht anvertrauen und wohl auch um einen Rat bitten.« »Durchaus, Mister Harrods.« Mike Rander war aufgestanden. »Ich… habe eine Flaschenpost gefunden, Sir«, sagte der etwa fünfundfünfzigjährige Harrods. »Eine sehr merkwürdige Geschichte!« »Flaschenpost ist an den Meeresküsten gar nicht so selten, Mister Harrods.« »In der Sherryflasche fand ich diesen kleinen Zettel, mit dem ich nichts anfangen kann, Sir. Ich wollte zuerst zur Polizei gehen, aber dann 16
fürchtete ich mich lächerlich zu machen.« Mike Rander nahm den Zettel entgegen, der offensichtlich von einer einfachen Papierserviette stammte. Er warf einen kurzen Blick auf die Unterschrift, stutzte und reichte den Zettel dann an Josuah Parker weiter. »Unser Tycoon hat sich da gemeldet«, meinte Rander dazu. »Seltsamer Zufall, nicht wahr!?« * Lady Agatha war gereizter Stimmung. Sie ärgerte sich noch immer darüber, daß man sie so einfach und wirkungsvoll überfallen und entführt hatte. Von dem gefangenen Froschmann abgelenkt, hatten sich ein paar Männer an sie herangepirscht und mittels eines in Chloroform getränkten Lappens außer Gefecht gesetzt. Unter den Nachwirkungen des Chloroforms litt sie jetzt noch, als man die Tür zu ihrer winzig kleinen Kabine öffnete. Sie schloß für einen Moment die Augen, um sie dann vorsichtig an das grelle Sonnenlicht zu gewöhnen, das in die Kabine fiel. Sie sah vor sich zwei sportlich gekleidete, muskulöse Männer, die sich überlegen und ruppig zeigten. »Raus, Lady«, sagte der Untersetztere der beiden in breitem Südstaaten-amerikanisch. »Nun machen Sie
schon – oder sollen wir Ihnen Beine machen?« Zur Unterstreichung seiner Worte hielt er ihr die Klinge seines Messers entgegen. Er erwartete wohl, Mylady würde jetzt mit angstvoll geweiteten Augen darauf reagieren, doch genau das Gegenteil war der Fall. Der Mann jaulte auf, als Agatha Simpson ihm die Spitze ihres sportlichen Schuhs gegen das linke Schienbein setzte. »Wie benehmen Sie sich denn einer Dame gegenüber?« fragte die Sechzigjährige dann grollend und musterte bereits den zweiten Muskulösen, der sicherheitshalber einen Schritt zurückgewichen war. »Dafür werd ich dich…« Der Getretene massierte in gebückter Haltung sein schmerzendes Bein und sah dabei Lady Simpson giftig an. »Gar nichts werden Sie! Gehen Sie voraus und zeigen Sie mir den Weg!« »Schon gut«, vermittelte der zweite, Mann. »Alles in bester Ordnung, Lady. Sie sollen hoch an Deck kommen. Wir sind da.« »Wo sind wir!?« »Auf der Insel«, erwiderte der Mann. »Der ganze Irrtum wird sich gleich aufklären.« »Was ich mir auch ausgebeten haben möchte.« Man hatte ihr den perlenbestickten Pompadour erfreu17
licherweise nicht abgenommen und ahnte wohl nicht, daß sich darin ein Hufeisen befand. Agatha Simpson wartete, bis die Kabinentür freigegeben wurde und kletterte dann scheinbar steifbeinig und unbeholfen über einen steilen Niedergang an Deck der kleinen kombinierten Motor- und Segelyacht. Die Detektivin sah sich neugierig um und war enttäuscht. Von der Insel, die man erreicht haben wollte, war leider nicht viel zu sehen. Die kleine Yacht befand sich in einer Art Naturdock, das aus aufeinandergesetzten Natursteinen bestand. Eine Steintreppe führte nach oben und verschwand hinter überhängenden Sträuchern. »Wer wohnt hier?« raunzte sie den Muskulösen an, der sich betont höflich gab. »Sie werden den Besitzer gleich kennenlernen«, lautete die Antwort. »Würden Sie jetzt mal raufgehen, Lady? Sie werden da oben erwartet.« Agatha Simpson schätzte blitzschnell ihre Chancen ab. Außer den beiden Muskulösen befanden sich noch vier weitere Männer an Deck, die alle nicht gerade unterernährt oder unsportlich aussahen. Nein, sie machte sich nichts vor! Gegen solch eine Übermacht konnte sie sich auch mit ihrem Pompadour nicht durchsetzen…
Hinzu kam selbstverständlich die stets hellwache Neugier der älteren Dame. Sie wollte jetzt dem Besitzer dieser Insel unbedingt Auge in Auge gegenüberstehen. »Also gut«, entschied sie und musterte mißtrauisch die Treppe. »Hoffentlich schaffe ich dieses Hindernis, ich bin nicht gerade gut auf den Beinen.« Sie schaute zu den Sträuchern hinauf, hinter denen die Steintreppe verschwand. Dort waren jetzt zwei weitere Männer aufgetaucht. Auch sie sahen nicht aus wie Stubenhocker und hielten schußbereite Harpunengewehre in ihren Händen. Lady Agatha war froh, nichts unternommen zu haben. Sie hätte sicher den kürzeren gezogen, deshalb stieg sie von Bord der kleinen Yacht auf den schmalen Kai und machte sich daran, schnaufend die Steintreppe zu erklimmen. Es kam ihr darauf an, den Männern zu zeigen, wie schlecht ihre Kondition war. Sie brauchten noch nicht mal zu ahnen, daß in ihr die Dynamik einer Dampfwalze schlummerte. * »Ein Hilferuf, falls ich den Text richtig interpretiere«, sagte Josuah Parker, nachdem er den knappen Inhalt überlesen hatte. »Dieser Hilferuf ist in englischer Sprache abgefaßt und von einem gewissen Bliss unter18
schrieben.« Während Parker dies zusammenfaßte, reichte er den Zettel an Kathy Porter weiter. »Hilfe, sitze im Bunker«, las Myladys Sekretärin halblaut vor. »Totale Plastik oder Wahnsinn. Ile de…« »Der Name der Insel ist nicht ausgeschrieben«, warf Mike Rander ein, um sich dann an den interessiert zuhörenden Möbelrestaurator zu wenden. »Wo haben Sie die Flasche gefunden? Können Sie sich noch an den genauen Punkt und auch an die Zeit erinnern?« »Das war heute morgen, so gegen zehn Uhr«, erwiderte Harrods. »Ich war am Oststrand von Giens, unterhalb von Hyeres. Beinahe hätte ich die Sherryflasche übersehen. Sie lag zwischen angetriebenem Tang.« »Darf man fragen, wo die besagte Flasche sich befindet, Sir?« wollte Josuah Parker wissen. »Die habe ich ins Meer zurückgeworfen.« Harrods zuckte die Achseln. Er deutete auf den Zettel. »Ist das eine wichtige Nachricht? Oder nur ein Jux, den irgendwelche Burschen sich erlaubt haben?« »Schwer zu sagen, Sir.« Mike Rander lächelte neutral. »Mit solch einem makabren Spaß muß man natürlich immer rechnen.« »War die Flasche noch nicht von den Spuren des Meeres gezeichnet?« warf Josuah Parker ein.
»Von wem, bitte?« Harrods hatte nicht ganz verstanden. »Waren bereits Muscheln an ihr, Sir?« schaltete sich nun Kathy Porter ein. »War es eine moderne Flasche? Befand sich noch das Etikett auf ihr?« »Nein, nein, keine Muscheln, sie sah ziemlich neu aus, aber sie hatte kein Etikett mehr. Also, wenn Sie mich fragen, so kann sie erst seit kurzer Zeit im Wasser gewesen sein.« »Und woraus schließen Sie das, Mister Harrods?« fragte der Anwalt. »Der Korken, verstehen Sie, der Korken! Das Salzwasser hatte ihn noch nicht angefressen. Und versiegelt, mit Wachs oder so, war sie nicht.« »Ein wichtiger Hinweis, Sir«, bedankte sich Parker. »Und was soll ich jetzt tun?« wollte Harrods wissen. »Ist das eine Sache für die Polizei?« »Sind Sie damit einverstanden, daß wir das in die Hand nehmen?« erkundigte sich der Anwalt und reichte Harrods seine Visitenkarte. »Ich bin Anwalt und weiß, wie man mit Behörden umgeht.« »Aber bitte, Sir, für mich ist die Sache damit erledigt.« Harrods atmete sichtlich erleichtert auf. »Ich habe nämlich hier in der Gegend noch viel zu tun, müssen Sie wissen. Ich kaufe alte Möbel und muß noch einige Gutachten schreiben.« 19
»Wo könnte man Sie eventuell erreichen, falls eine Belohnung gezahlt werden sollte?« fragte Parker höflich. »Ich wohne hier in Hyeres«, antwortete der Restaurator, »im Val Rose, um genau zu sein. Gegen Abend werden Sie mich dort immer erreichen. Ich bleibe noch mindestens eine Woche.« »Dann wird man sich hin und wieder sehen«, sagte Rander und lächelte. »Sie wollen doch schließlich wissen, was aus dieser seltsamen Geschichte geworden ist, oder?« »Glauben Sie, daß es sich um ein Verbrechen handelt, Sir?« Harrods’ Stimme senkte sich unwillkürlich. »Kaum.« Mike Rander schüttelte den Kopf. »Ich denke da an einen Streich, den irgendwelche Bengels uns Erwachsenen gespielt haben.« »So wird es wohl sein.« Harrods nickte und verließ den Tisch. Er beglich am Tresen umständlich seine Rechnung und war bald darauf auf dem kleinen Platz verschwunden. »Was vermuten Sie, Parker?« Rander zündete sich eine Zigarette an. »Hat sich hier unser Tycoon Bliss gemeldet?« »Solch einen Verdacht sollte man immerhin nicht ausschließen«, gab der Butler gemessen zurück. »Ich erlaube mir bereits, über die Begriffe Plastik und Wahnsinn nachzudenken, doch ich muß offen gestehen, daß ich mir darauf im Augenblick
noch keinen Reim machen kann.« * »Steve Morland«, seilte der schlanke, kleine Mann sich vor. Er konnte fünfunddreißig sein und hatte unruhige Augen, die fast ständig in Bewegung waren. Dunkle, ein wenig fanatisch wirkende Augen. »Wer ich bin, dürften Sie ja inzwischen wissen«, grollte Agatha Simpson. »Und ich sage Ihnen gleich, daß ich mir solch eine Behandlung nicht bieten lasse. Sie werden Ärger bekommen.« Die energische Lady befand sich in einem nüchtern eingerichteten Büro, das in einem alten Gewölbe untergebracht war. Sie war mit Morland leider nicht allein. Hinter ihr standen die beiden Männer, die sie aus der Kabine geholt hatten. »Sie werden sich das gefallen lassen müssen, was ich Ihnen verordnen werde«, antwortete Morland und lächelte böse. »Und ich kann hier eine Menge verordnen, wetten?« »Sie haben mich entführen lassen und halten mich hier gegen meinen Willen fest.« »Die Strafe für Ihre Neugier, Lady Simpson.« »Wieso Neugier? Ich bin auf der Durchreise. Wollen Sie etwa behaupten, ich hätte Privatgelände betreten? Ich war an einem völlig 20
normalen Strand drüben auf der Ile Port-Gros.« »Wie wollen Sie das beweisen, Mylady? Sie waren hier auf der Ile des Grottes! Und diese Insel ist nun mal Privatbesitz.« »Papperlapapp! Sie haben mich heimtückisch entführen lassen. Ich möchte sofort den Besitzer dieser Insel sprechen.« »Das schaffen selbst Sie nicht, Lady Simpson, aber Sie können sich mit seinem Sekretär unterhalten.« »Wie heißt denn der Besitzer?« Die Detektivin tat so, als habe der Froschmann nichts gesagt. »Sie wissen es tatsächlich nicht?« Der schmale kleine Mann lächelte wissend und boshaft. »Woher sollte ich das wissen?« brauste die ältere Dame auf. »Sie sind doch nicht zufällig auf die Insel gekommen, Lady Simpson.« »Und was hätte ich hier verloren, junger Mann?« »Keine Ahnung, Mylady. Vielleicht wollten Sie sich mit Mister Bliss unterhalten.« »Wer ist denn das nun wieder?« tat Agatha Simpson erstaunt. »Schon gut, schon gut, Sie brauchen sich nicht anzustrengen, Sie brauchen sich auch nicht zu verstellen. Ich werde Mr. Bandom verständigen. Meine Arbeit ist getan. Ich habe Sie abgefangen, soll er entscheiden, was man mit Ihnen
anstellt.« Steve Morland griff nach dem Haustelefon und teilte Barry Bandom mit, er habe sein Verhör abgeschlossen. Dann stand er auf und ging zur Verbindungstür, die in einen Nebenraum führte. Er hatte sie gerade geöffnet, als ein streng wirkender, aber noch recht junger Mann auftauchte, der etwa dreißig Jahre zählte. Er trug einen korrekten, erstklassig geschnittenen Anzug und eine schwarze Hornbrille, die ihm ein professorales Aussehen verlieh. Er verbeugte sich bereits in der Tür vor Agatha Simpson. »Ich bringe gute Nachrichten«, sagte er, bevor die Lady reagieren konnte. »Mister Bliss wird Sie für ein paar Minuten empfangen, Mylady.« »Tatsächlich?« Der Boß der Inselwächter sah den Sekretär des Tycoon mehr als überrascht an. »Wie überaus gütig«, entrüstete Agatha Simpson sich. »Hoffentlich wird er sich auch bei mir entschuldigen.« »Mylady, diese Insel ist Privatbesitz«, erinnerte nun auch der Sekretär des geheimnisvollen Wirtschaftsgewaltigen. »Wenn Sie Unannehmlichkeiten gehabt haben sollten, so bedaure ich das zwar, letztlich aber haben Sie sich allen Ärger selbst zuzuschreiben.« Mylady war versucht, ihren perlenbestickten Pompadour samt dem »Glücksbringer« einzusetzen, doch 21
sie bezähmte die aufsteigende Lust. Immerhin sollte sie diesen geheimnisumwitterten Jerome Bliss kennenlernen. Das war mehr, als sie erwarten durfte. Auf der anderen Seite mußte sie natürlich auf der Hut sein. Vielleicht war das Angebot einer Unterhaltung mit Jerome Bliss nur eine Falle, um sie auf raffinierte Art und Weise aus dem Büro zu locken. Doch Lady Agatha sollte angenehm enttäuscht werden. Der Privatsekretär ging voraus, wandte sich hin und wieder höflich zu ihr um und führte sie über eine teppichbelegte Treppe in das Erdgeschoß des Hauses, in dessen Gewölben sie sich eben noch befunden hatte. »Das Haus ist geschickt in eine alte Abtei eingebaut worden«, erklärte Barry Bandom. »Mister Bliss legt größten Wert darauf, daß die natürliche Umgebung nicht zerstört wird, wie man das leider oft an der Küste findet.« »Scheint ja ein reizender Mensch zu sein, junger Mann.« Sarkasmus war in ihrer Stimme. »Warum versteckt er sich nur vor der Öffentlichkeit?« »Eine Marotte, Mylady. Mister Bliss möchte seine Geschäfte ungestört abwickeln.« »Sind Sie seine einzige Verbindung zur Außenwelt, junger Mann?« fragte sie streng weiter.
»Aber nein, Mylady.« Barry Bandom schüttelte den Kopf. »Mister Bliss hält monatlich eine Sitzung der Spitzenmanager ab.« »Hier auf der kleinen Insel? Faßt denn die alle Leute?« lag Spott in ihrer Stimme. »Diese Sitzungen finden an Orten statt, die kurz vor den jeweiligen Terminen erst genannt werden. Wegen der Reporter, Mylady, Sie verstehen?« »Alles sehr geheimnisvoll, das muß man schon sagen.« »Alles sehr verständlich, Mylady. So, wenn ich jetzt bitten darf. Sie sind ja bereits angemeldet.« Barry Bandom hatte im Erdgeschoß eine gepolsterte Tür erreicht und drückte in bestimmtem Rhythmus auf einen am Rahmen angebrachten Klingelknopf, um die schwere Tür dann aufzudrücken. Mylady war ehrlich neugierig und gespannt auf Jerome Bliss. Sie blickte zuerst in ein halbdunkles Zimmer, sah einen mächtigen Schreibtisch und hörte dann rechts hinter einem Bogen ein hartes Räuspern, das wie eine schwache Explosion klang. »Lady Simpson?« fragte eine heisere Stimme. »Jerome Bliss?« lautete die Gegenfrage. »Könnte man nicht mehr Licht haben?« »Meine Augen«, erwiderte Jerome Bliss und kam um den Torbogen 22
herum, der den saalartigen Raum in zwei Hälften teilte. Lady Agathas Augen hatten sich inzwischen an die Lichtverhältnisse gewöhnt. Neugierig betrachtete sie diesen Mann, über den, die Zeitungen in aller Welt seit vielen Jahren schrieben, ohne jedoch konkrete Angaben machen zu können. »Nehmen Sie einen Drink, Mylady?« erkundigte sich Bliss. Er war an die sechzig Jahre alt, groß, hager und hatte dünnes, weißes Haar. Er trug einen Morgenmantel. »Sie wissen, daß man mich gegen meinen Willen auf diese Insel gebracht hat?« fragte die Detektivin scharf. »Lassen wir das.« Jerome Bliss winkte gelangweilt ab. »Angestellte überziehen gern ihre Befugnisse. Regen wir uns nicht über Kleinigkeiten auf.« »Man hat mich mit Chloroform betäubt.« »Vergessen Sie es, Mylady. Morland werde ich bei Gelegenheit feuern. Der Mann übertreibt. Nehmen Sie einen Drink? Bandom, für mich ein Ginger-Ale. So, Mylady, und jetzt stellen Sie Ihre Fragen. Ohne Grund sind sie ja nicht hierher gekommen. Wollten Sie sich davon überzeugen, daß es mich noch gibt?«
mehr«, sagte Mike Rander und sah Agatha Simpson kopfschüttelnd an. »Er hat Sie empfangen und sich ausgiebig mit Ihnen unterhalten?« »Über eine Stunde, Mike.« »Und man hat Sie wieder zum Hotel zurückgebracht?« »Barry Bandom besorgte das. Er hatte alles vorbereitet. Mal abgesehen von dieser Entführung, für die er sich entschuldigte, bin ich erstklassig behandelt worden.« »Das ist ja fast eine Sensation, Mylady«, warf Kathy Porter ein. »Bliss hat seit Jahren keinen Menschen mehr empfangen. Mit der Außenwelt verkehrt er nur über seine Spitzenmanager und Anwälte. Manche glauben sogar, daß Bliss schon lange nicht mehr lebt.« »Auf mich machte er einen sehr munteren Eindruck, Kindchen. An Sie, Mister Parker, scheint das alles nicht heranzukommen, wie?« »Ich erlaube mir, mich einer gewissen und ausgeprägten Überraschung hinzugeben, Mylady.« »Wegen der Entführung, nicht wahr? Übereifrige Angestellte! Bliss ist mit einer Handbewegung darüber hinweggegangen, ich dann selbstverständlich auch. Dieser Bliss ist ein sehr gescheiter Bursche, offen gesagt.« »War es Mister Jerome Bliss, Mylady?« * »Was soll denn die Frage, Mister »Jetzt verstehe ich überhaupt nichts
Parker?« Lady Agatha sah den But23
ler fast empört an. »Trauen Sie mir keine Menschenkenntnis zu? Glauben Sie etwa, eine erfahrene Frau wie mich könnte man täuschen?« »Niemals, Mylady. Aber ich darf jetzt wohl auf eine gewisse Flaschenpost verweisen.« »Flaschenpost, Mister Parker?« Agatha Simpson war irritiert. »Die Geschichte ist schnell erzählt, Mylady«, schaltete sich Anwalt Rander ein. »Sie ist ziemlich abenteuerlich, das möchte ich gleich vorwegnehmen.« Er reichte ihr den Zettel, der aus einem Stück Papierserviette bestand und ließ der älteren Dame Zeit, den Text genau zu überlesen. Als dies geschehen war, schüttelte sie den Kopf und lehnte sich in ihren Sessel zurück. »Was soll das heißen: Plastik oder Wahnsinn? Was habe ich mir darunter vorzustellen, Mister Parker?« »Meine bescheidene Person befindet sich noch im Stadium des Nachdenkens«, antwortete der Butler. »Ich möchte allerdings darauf verweisen, daß man diesen Text nicht als einen dummen Scherz betrachten sollte.« »Natürlich ist das ein dummer Scherz, Mister Parker. Sie wittern einen Kriminalfall, wo keiner ist. Das ist doch typisch für Sie! Ich habe mit Bliss gesprochen…« »… den Mylady kennen?« fragte Parker überraschend knapp.
»Äh, natürlich nicht, das heißt, ich habe da einige Fotos von ihm gesehen. Bliss ist groß, hager, hat schütteres weißes Haar und räuspert sich in einer Art, als würde er Sprengkörper verschießen. Ja, und dann trinkt er Ginger Ale.« »Eine, wenn ich es sagen darf, perfekte Beschreibung des Mister Jerome Bliss«, entgegnete der Butler und verbeugte sich andeutungsweise zustimmend. »Er besitzt eine heisere Stimme, Mylady?« »Richtig, seine Stimme ist heiser, rauh wie ein Reibeisen.« »So wird Bliss in Magazinen und Zeitungen beschrieben«, warf Kathy Porter ein und nickte. »Soll ich ein paar Aufnahmen von Jerome Bliss besorgen, Mylady? Unsere Geschäftsfreunde in Toulon könnten das bestimmt arrangieren.« »Wozu denn dieser Umstand?« Agatha Simpson zeigte sich halsstarrig. »Ich weiß, daß ich mit Bliss gesprochen habe, ich bin doch kein kleines Schulmädchen, das man täuschen kann!« »Aber eine Dame, die man auf neutralem und der Öffentlichkeit zugänglichem Boden mittels einiger Unterwasserharpunen vom Leben zum Tod befördern wollte, Mylady«, erwiderte Josuah Parker höflich. »Verdammt, Parker, da wäre doch noch der Wisch, der am Sandstrand zurückblieb«, erinnerte der Anwalt plötzlich. 24
»Dieses Schreiben dürfte inzwischen nicht mehr existieren«, antwortete der Butler gemessen. »Eine Fahrt zur Insel Port-Gros erübrigt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit.« »Schnickschnack, meine Herren!« Agatha Simpson hatte sich in ihrer ganzen fülligen Majestät erhoben. »Ich habe mich mit einem gebildeten und höflichen Gentleman unterhalten, der eindeutig Jerome Bliss ist. Er hat mich übrigens gebeten, diesen Besuch und dieses Gespräch als vertraulich zu behandeln. Wir alle werden uns daran halten, nicht wahr?« Parker nickte zustimmend, wenngleich er fest entschlossen war, die Sache mit der Flaschenpost nicht auf sich beruhen zu lassen. * »Sieht tatsächlich so aus, als habe man die Lady einer kleinen Gehirnwäsche unterzogen«, sagte Anwalt Rander später im Hotel. Er befand sich im Zimmer des Butlers und schaute vom Balkon auf die Hügel und die darauf stehenden Villen der Costebelle, einem südlichen Stadtteil von Hyeres. »Auch meine bescheidene Wenigkeit gibt sich einem leichten Staunen hin«, räumte der Butler ein. »Mylady ist von einer geradezu bestürzenden Friedfertigkeit.« »Haben Sie schon mal daran
gedacht, daß man sie vielleicht mit Drogen behandelt hat, Parker?« Mike Rander hatte auf Wunsch des Butlers auf das distanzierende »Mister« verzichtet und war zu jener Anrede gekommen, die er vor seinem Aufenthalt in den USA verwendet hatte. Damit war ein vertrauter Zustand der gleichberechtigten Zusammenarbeit zwischen ihnen wiederhergestellt worden. Die zeitliche und räumliche Trennung der beiden Männer schien nie existiert zu haben. Es war für Josuah Parker selbstverständlich, nun auch wieder Mike Rander zu betreuen. Schwierig war das überhaupt nicht, dafür hatte eigentlich Lady Simpson Sorge getragen. Mike Rander wohnte und arbeitete in einem Haus, das nicht weit von dem entfernt war, in dem die ältere Dame in London lebte. Darüber hinaus hatte sie den Anwalt kurzerhand zu ihrem Vermögensverwalter ernannt. »Drogen oder nicht, das ist hier die Frage«, wiederholte der Anwalt noch mal. »Warum ich an Drogen denke? Wir kommen gerade aus Italien, wo wir eine Drogengeschichte geklärt haben, Parker.« »Wenn Sie gestatten, Sir, würde ich Drogen ausschließen«, antwortete der Butler. »Die Wirkung solcher Pharmaka, mögen sie auch noch so konzentriert oder langfristig sein, wird mit Sicherheit nachlassen.« 25
»Also, was vermuten Sie, Parker?« »Man dürfte Mylady mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt haben, Sir. Zudem geht eine gewisse Faszination von der Tatsache aus, daß Mylady den fast einmaligen Vorzug hatte, mit Mister Jerome Bliss sprechen zu dürfen.« »Man hat sie also nur erstklassig eingewickelt, wie?« »So könnte man es natürlich auch ausdrücken, Sir.« »Bleibt aber der eindeutige Mordversuch, Parker, bleibt die Entführung… Und hinzu kommt noch, die Tatsache, daß man es sehr wohl wußte, wen man da abschleppte.« »Ein regulärer Mister Bliss würde sich niemals um eine Lady Simpson kümmern, Sir.« »Angeblich waren seine Mitarbeiter zu übereifrig.« Rander lächelte ungläubig. »Woher, so sollte man sich dann fragen, kennen diese übereifrigen Mitarbeiter Lady Simpson?« Parker schüttelte andeutungsweise den Kopf. »Warum, so stellt sich bereits automatisch die nächste Frage, wollten diese angeblich so übereifrigen Mitarbeiter Mylady, Sie und meine bescheidene Wenigkeit umbringen?« »Nur ausgemachte Gangster können so reagieren, Parker.« »Dieser Aussage möchte ich mich vollinhaltlich anschließen, Sir.« »Die Frage lautet also: Ist Bliss von Gangstern umgeben, ohne es zu wis-
sen? Oder ist er selbst ein ausgemachter Gangster?« »Zwei ungemein wichtige Fragen, Sir.« »Die Ihnen aber noch nicht genügen, wie?« »Wenn es gestattet ist, Sir, möchte ich mir erlauben, eine Variante anzubieten.« »Und die hört sich wie an, Parker?« »Ist Mister Jerome Bliss, den Mylady sah und sprach, identisch mit dem echten Jerome Bliss? Ich darf in diesem Zusammenhang noch mal auf die zufällige Flaschenpost verweisen. Danach bittet ein Mister Bliss, der in einem Bunker zu sitzen vorgibt, um Hilfe und spricht von der Möglichkeit einer sogenannten totalen Plastik oder dem Wahnsinn.« »Zum Teufel, was stellt man sich unter einer totalen Plastik vor?« Rander drückte seine Zigarette aus. »Mit Bildhauerei hat das ja wohl kaum was zu tun, oder?« »Diesen Begriff, Sir, gibt es in der sogenannten Schönheitschirurgie«, schloß Josuah Parker. »Falls man von solch einer totalen Plastik ausgeht, eröffnen sich schreckliche und vielfache Assoziationen oder auch Vorstellungsverknüpfungen, um es ein wenig banaler auszudrücken.« »Okay, ich knüpfe mal drauflos, Parker.« Mike Rander lächelte amüsiert. Parker drückte sich wieder mal sehr barock aus. »Demnach sind wir 26
noch längst nicht aus dem Schneider, oder?« »Auf keinen Fall, Sir! Mit weiteren Aktivitäten übereifriger Angestellter ist meiner bescheidenen Ansicht nach fest zu rechnen.« * Josuah Parker rechnete am anderen Morgen fest mit einem Verkehrsunfall. Selbstverständlich waren die übereifrigen Angestellten des Jerome Bliss nicht während der Nacht erschienen und hatten reinen Tisch gemacht. Für so dumm und instinktlos hielt er die Gegner nicht. Nein, seiner Ansicht nach legten sie es darauf an, einen Unfall mit tödlichem Ausgang zu provozieren. Und die Gelegenheit dazu war mehr als günstig. Bevor Mylady die Mittelmeerküste in Richtung London wieder verlassen wollte, hatte sie Mike Rander, Kathy Porter und dem Butler einen kleinen Abstecher nach St. Tropez vorgeschlagen, das etwa fünfundsechzig Kilometer entfernt war. Parker war beauftragt worden, ein entsprechendes Fahrzeug zu mieten, was er inzwischen erledigt hatte. Vor dem Hotel wartete ein Citroen auf das Quartett. Eine sichtlich gutgelaunte Lady erschien nach einem frugalen Frühstück, wie sie es nannte, in der
Hotelhalle. Sie wurde hier bereits von Parker und Rander erwartet, die sich vom Chefportier über einige attraktive Landschaftspunkte hatten aufklären lassen. Es war vor allen Dingen Mike Rander gewesen, der seine Fragen laut und deutlich gestellt hatte. Die Hotelgäste, die bereits in der Lobby warteten, mußten seine Fragen auf jeden Fall gehört haben. Zu diesen Gästen zählte auch der Harrods, der Möbelrestaurator zögernd und ein wenig befangen auf das Quartett zukam. Butler Parker stellte ihn seiner Herrin vor und bezeichnete Harrods als den Finder der Flaschenpost. »Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen«, sagte Harrods, der unter den prüfenden Blicken der Lady förmlich zusammenknickte. »Aber haben Sie bereits etwas wegen dieses Zettels und der Hilferufe unternommen?« »Ich habe mich mit Mister Bliss unterhalten«, erwiderte die Detektivin, bevor Mike Rander Stellung nehmen konnte. Sie bemühte sich um freundliches Wohlwollen. »Diese Flaschenpost ist natürlich ein dummer Scherz, guter Mann. Wie war der Name noch.« »Harrods, Mylady, John Harrods.« »Ihre Aufmerksamkeit verdient immerhin Anerkennung«, redete Lady Agatha weiter. »Sobald Sie wieder in London sind, sollten Sie 27
sich bei meiner Sekretärin oder bei meinem Butler melden. Ich bin sicher, daß Sie in Zukunft einiges für mich tun können.« »Das wagte ich nicht zu hoffen, Mylady.« John Harrods strahlte beglückt. »Ich glaube, daß meine kleine Firma einen guten Ruf hat.« »Einen schönen Tag noch, Mister Harrods!« Agatha Simpson nickte hoheitsvoll und marschierte auf ihren stämmigen Beinen zum Ausgang. Sie wollte schließlich nach St. Tropez und keine Zeit mehr verlieren. Erstaunlicherweise hatte sie nichts dagegen, daß Parker das Steuer des Wagens übernahm. Sie wollte sich die Schönheiten entlang der Küstenstraße in aller Ruhe ansehen, zumal auch dieser Tag sich wieder von seiner besten Seite zeigte. Während Parker den Citroen zur Küstenstraße lenkte, schaute er wiederholt in den Rückspiegel und fahndete nach eventuellen Verfolgern. Obwohl er nichts Außergewöhnliches feststellen konnte, legte sich sein Mißtrauen nicht. Er war nach wie vor fest davon überzeugt, daß gewisse übereifrige Angestellte noch mal zuschlagen würden. Seine innere Alarmanlage hatte sich bereits gemeldet, wenn auch nicht sonderlich mahnend. Demnach war die Lage noch nicht besonders kritisch, doch das konnte sich innerhalb von Minuten entscheidend ändern.
Butler Parker war fest davon überzeugt, daß die übereifrigen Angestellten des Mister Jerome Bliss bereits damit beschäftigt waren, handfeste Mordpläne in die Wege zu leiten. Wenn es nämlich zutraf, was Parker vermutete, dann durfte jener Mister Bliss, mit dem Lady Simpson sich so, angeregt unterhalten hatte, keine Minute zögern und mußte so schnell wie möglich dafür sorgen, daß gewisse Dinge nicht an die Öffentlichkeit drangen. Parker trat plötzlich hart auf das Bremspedal und schalt sich einen Dummkopf, wenn auch nicht laut. »Was ist?« fragte Mike Rander. »Irgendwas nicht in Ordnung?« »Mister John Harrods, Sir«, gab Parker zurück. »Unverzeihlich, nicht an ihn gedacht zu haben. Ich muß gestehen, daß ich mich eines Versäumnisses schuldig gemacht habe.« »Nichts wie zurück.« Mike Rander hatte sofort verstanden. »Der Mann schwebt in Lebensgefahr!« * Es dauerte nur zehn Minuten, bis der Citroen wieder vor dem Hotel stand. Während der Rückfahrt hatte Agatha Simpson erstaunlicherweise kaum protestiert. Wenn Parker in solch einer Weise sich über ihre Wünsche und Absichten hinwegsetzte, mußte das Gründe haben. In 28
der Vergangenheit hatte sie dies oft erlebt. Ihr Gesicht zeigte jedoch einen leicht mißmutigen Ausdruck. Sie fühlte sich nicht eingeweiht und übergangen, mehr noch, ihr Plädoyer für Jerome Bliss schien bei Mike Rander und Butler Parker nicht gefruchtet zu haben. Parker verließ den Wagen, schritt durch die Hotelhalle und erkundigte sich bei dem Chefportier nach John Harrods. »Tut mir leid, der Herr wohnt nicht bei uns«, lautete die Antwort. »Können Sie sich an ihn erinnern? Er hatte den Vorzug, mit Lady Simpson einige Sätze wechseln zu dürfen. Ein etwa fünfundfünfzigjähriger, seriös aussehender Herr, der…« »Natürlich, jetzt erinnere ich mich.« Der Chefportier nickte. »Der Herr verließ die Halle zusammen mit zwei jüngeren Männern. Sie unterhielten sich sehr angeregt.« »Ich darf davon ausgehen, daß die drei Herren anschließend gemeinsam in einem Wagen davonfuhren?« »Das ist richtig«, bestätigte der Chefportier. »Wo finde ich das Hotel ›Val Rose‹?« Parker bekam den Weg dorthin beschrieben, ging zurück zum Citroen und setzte sich ans Steuer. Nun zeigte er, wie er zu fahren verstand, wenn es um Minuten und Sekunden ging. Hyere war eine
Kleinstadt mit engen Straßen und Gassen, die sorgfältiges und gekonntes Fahren verlangten. Butler Parker bewies beides: Er jagte den schweren Citroen in wilder Jagd durch die Straßen und Gassen. Lady Simpson auf dem Hintersitz war klein und ruhig geworden. Kathy Porter klammerte sich – so gut es ging – an die Rückenlehne des Vordersitzes, und Mike Rander stemmte sich mit beiden Beinen gegen das Bodenbrett. Er war froh und glücklich, sich angeschnallt zu haben. »Mister Harrods wurde von zwei jungen Männern zu einer Spazierfahrt abgeholt«, sagte Parker, der steif, als habe er einen Ladestock verschluckt, am Steuer saß. Er schien die Fliehkraft in den vielen Kurven überhaupt nicht zu spüren. »Möglicherweise ist man zur Zeit noch dabei, Mister Harrods Hotelzimmer zu räumen.« »Das ›Val Rose‹«, erwiderte Mike Rander mit gepreßter Stimme. »Haben Sie vor, mit dem Wagen gleich bis zum Eingang durchzufahren, Parker?« »Ich würde es gern tun, Sir.« Parker bremste stark und verschaffte Mike Rander so die Gelegenheit, den Wagen zu verlassen, was der Anwalt liebend gern tat. Auch Kathy Porter nutzte die Möglichkeit der Flucht ins Freie. Sie folgte dem Anwalt dicht auf dem Fuß. 29
»Wollen Sie mir nicht endlich erklären, was das alles soll, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson nun grollend. »Sie benehmen sich unmöglich.« »Ich bin leider gezwungen, die Fahrt fortzusetzen, Mylady«, antwortete der Butler und ließ den schweren Wagen panthergleich vorspringen. Er hielt auf einen Simca zu, der sich aus der Reihe der parkenden Wagen löste und losfahren wollte. Am Steuer des Simca saß ein junger, sportlich aussehender Mann, der es ungemein eilig hatte. Beim Ausscheren aus der Parkreihe rammte er recht ungeniert einen vor ihm stehenden Fiat und entfernte dessen linke Rücklichter, die klirrend auf der Straße landeten. Der Simca kam nicht weit. Wie ein schweres Geschoß landete der Citroen im Kofferraum des wesentlich kleineren und leichteren Wagens. Der Simca wurde halb um seine Längsachse gedreht und krachte gegen eine Mauer. Der Fahrer kam taumelnd aus dem Wagen und langte mit der typischen Geste nach der Schulterhalfter, die sich unter seinem sportlichen Jackett befand. Josuah Parker ging einfach davon aus, daß der Mann eine Schußwaffe trug. Der sportliche Fahrer hatte seine Benommenheit bereits abgeschüttelt und war schnell, doch eben nicht schnell genug. Er hatte es mit Butler
Parker zu tun. Die schwarze Melone des Butlers zischte wie ein Diskus durch die Luft. Der harte Rand, mit dünnem Stahlblech ausgefüttert, landete auf dem Oberarm des jungen Mannes und lähmte alle erforderlichen Muskeln, die das Ziehen der Waffe erst ermöglicht hätten. Von der Wucht des Aufschlags mitgerissen, fiel der Mann gegen die geöffnete Wagentür und rutschte an ihr zu Boden. Bevor er erneut Position beziehen konnte, war Josuah Parker bereits neben ihm. »Mister Bliss wird Ihr übereifriges Benehmen wohl kaum schätzen«, meinte der Butler dann und barg erst mal die Schußwaffe, die er tatsächlich in einer Schulterhalfter fand. »Ich darf Sie zu einem kleinen Spaziergang einladen, nicht wahr? Was halten Sie von dem hübsch angelegten Garten? Dort wird man mit Sicherheit unter sich sein.« * Das ›Val Rose‹ war ein kleines Hotel mit kaum zwanzig Zimmern. Mike Rander, der an der Rezeption John Harrods Zimmer erfragt hatte, eilte über die Treppe ins erste Obergeschoß, dicht gefolgt von Kathy Porter, die plötzlich gar nicht mehr so scheu zurückhaltend aussah wie üblich. Ihre Bewegungen waren geschmeidig und dynamisch gewor30
den. So pirschte sich eine Pantherkatze an ihr Opfer heran. Der Anwalt hatte die Zimmertür erreicht und legte sein Ohr gegen das Türblatt. Er zuckte die Achseln, als er sich zu Kathy umwandte. Er hatte im Zimmer nichts hören können. Es vermittelte den Eindruck, als sei Harrods von seinem Gegner bereits getötet worden. »Ich bringe die Wäsche, Sir«, rief Kathy Porter prompt mit verstellter Stimme und klopfte an. »Darf ich einen Moment stören, Sir?« Schritte waren hinter der Tür zu vernehmen, die sich wenig später spaltbreit öffnete. »Harrods?« Mike Rander sah das Gesicht des Möbelrestaurators, der nun die Tür weiter öffnete und seinerseits einen völlig verblüfften Eindruck machte. »Mister Rander, Sie!?« Der Restaurator trat zur Seite, damit Mike Rander und Kathy Porter das Zimmer betreten konnten. »Kommen Sie aus einem bestimmten Grund?« »Sind Sie allein?« Mike Rander sah sich in dem einfachen, hübsch eingerichteten Hotelzimmer prüfend um. »Schon, Mister Rander. Ist irgend etwas passiert?« Harrods machte einen völlig intakten Eindruck. »Sind Sie besucht worden, Harrods?« fragte der Anwalt mißtrauisch. »Besucht? Bitte, von wem?« »Von einem jungen und drahtigen
Burschen, der wahrscheinlich eine Schußwaffe trug.« Bevor Harrods antworten konnte, war aus dem Nebenzimmer ein unterdrücktes Stöhnen zu vernehmen. Kathy Porter sah Harrods einen Moment an, um dann zur Badezimmertür zu gehen. Harrods zuckte die Achseln, lächelte und nahm in einem der Sessel Platz. Kathy Porter hatte die Tür geöffnet und warf einen Blick in den Raum. Sie lächelte, als sie sich zu Mike Rander umdrehte. »Mister Harrods hat sein Problem bereits gelöst«, meinte sie dann und schloß die Tür wieder. »Notgedrungen«, erklärte der Möbelrestaurator. »Ich wurde hier überfallen. Das muß man sich mal vorstellen! Plötzlich stand ein wildfremder Mann in meinem Zimmer und bedrohte mich mit einer Waffe.« »Ging er nicht vielleicht zusammen mit Ihnen hinauf?« Mike Rander zündete sich eine Zigarette an. »Und sind Sie vielleicht gar kein Möbelrestaurator, Harrods?« »Der Gangster liegt in der Wanne«, warf Kathy Porter ein. »Es geht ihm reichlich schlecht. Er hat Sorgen mit seinen oberen Schneidezähnen.« »Er lief förmlich in meinen Spazierstock«, entschuldigte sich Harrods. »Also gut, er zwang mich, mit ihm in mein Zimmer zu gehen.« »Und warum zwang er sie?« 31
wollte der Anwalt wissen. Ihm war klar, daß Harrods es faustdick hinter den Ohren hatte. »Er war der Meinung, ich hätte mir irgendwelche Aufzeichnungen gemacht, die Jerome Bliss betreffen.« »Haben Sie, Harrods?« Rander lächelte ironisch. »Natürlich habe ich mir keine Aufzeichnungen gemacht«, lautete die prompte Antwort. »In meinem Job ist das nicht angebracht.« »Womit wir bei der Katze sind, die Sie jetzt endlich aus dem Sack lassen können, Harrods. Wer sind Sie tatsächlich?« »John Harrods«, stellte der Möbelrestaurator sich vor. »Ich bin Privatdetektiv im Nebenberuf.« »Und sind hinter Jerome Bliss her, wie?« »Wie Sie, Mister Rander, wie Lady Simpson und Miß Porter.« »Aber auf eigene Rechnung arbeiten Sie nicht?« »Nein, nein, die Spesen wären zu hoch.« Harrods schüttelte den Kopf. »Ich ermittle für eine amerikanische Nachrichtenagentur, der Name tut nichts zur Sache.« »Und hin und wieder finden Sie eine Flaschenpost, wie?« Kathy Porter hatte sich eingeschaltet und sah Harrods aufmerksam an. »Und falls Sie mal keine finden sollten, dann fertigen Sie sich halt eine an, ja?« »Erkannt und durchschaut.« Harrods schmunzelte. »Eine kleine
Kriegslist, verstehen Sie? Auf irgendeine Weise muß ja auch ein Einzelgänger wie ich Boden gutmachen. Ich nehme an, Mister Parker hat den zweiten Mann unten vor dem Hotel erwischt, wie?« »Bestimmt«, erwiderte Kathy Porter. »Womit die Beute dann ja geteilt sein dürfte, Mister Harrods!« * »Darf ich um Vergebung bitten, Mylady?« erkundigte sich Butler Parker nach seiner Rückkehr zur Unfallstelle. »Leider wurde ich aufgehalten.« »Sie hätten hier nur gestört«, erwiderte die resolute Dame wegwerfend und deutete auf einen Wagen der Polizei. »Ich habe diesen Leuten erst mal klargemacht, wie chaotisch die Verkehrsverhältnisse in diesem Land sind.« »Mylady konnten sich verständlich machen?« fragte der Butler. »Wenn es sein muß, spreche ich ein erstklassiges Französisch«, behauptete Parkers Herrin. »Aber diese drei Uniformierten dort müssen es wahrscheinlich erst noch lernen. Ihr Slang ist schrecklich.« Der Butler sah sich die beiden Wagen an. Die Blechschäden waren erfreulicherweise nicht so umfangreich, wie es zuerst den Anschein hatte. Als ein Abschleppwagen erschien, der wohl von der Ver32
kehrspolizei alarmiert worden war, ging der Butler zu den Beamten und Monteuren, um sich mit ihnen ins Benehmen zu setzen. Das, was Lady Agatha für Slang gehalten hatte, entpuppte sich bei dieser Gelegenheit als erstklassiges Französisch. »Ich möchte wissen, was Sie solange mit diesen Männern zu bereden hatten«, grollte Agatha Simpson, als Parker nach knapp fünf Minuten zurückkehrte. »Es ging um die Modalitäten der Schadensregelung, Mylady«, antwortete der Butler. »Man hat mich gebeten, innerhalb des nächsten Tages zum zuständigen Kommissariat zu kommen. Man wird dann ein ausführliches Protokoll aufnehmen, Mylady.« »Gut, regeln Sie das, Mister Parker, es gibt für mich wichtigere Dinge zu tun.« »Haben Mister Rander und Miß Porter sich bereits mit Mylady ins Benehmen gesetzt?« »Die müssen noch im Hotel sein, Mister Parker. Und wir werden jetzt ebenfalls zu diesem Harrods gehen. Dort muß sich ja inzwischen etwas getan haben, oder?« »Mit Sicherheit, Mylady.« »Und was ist mit dem Lümmel, den Sie hoffentlich ordentlich in die Zange genommen haben?« Sie deutete auf den Simca und meinte eindeutig dessen Fahrer, den Parker mit in den groß angelegten Garten
genommen hatte. »Besagter Fahrer stritt selbstverständlich jede Beziehung zu den Inselwächtern ab, Mylady«, antwortete der Butler, während er die ältere Dame zum Hotel »Val Rose« begleitete. »In Anbetracht der Kürze der Zeit ließ ein Verhör sich nicht fortsetzen.« »Und wo steckt dieses Subjekt jetzt, das auf mich schießen wollte?« »In einem Müllcontainer, Mylady, den ich als angemessen groß bezeichnen möchte.« »Und er kann nicht entwischen?« »Ein starker Holzpflock, der zu einem Rosenstrauch gehört, sichert den Schließmechanismus, Mylady.« »Das klingt ja recht passabel.« Sie nickte wohlwollend. »War der Müllcontainer wenigstens mit einigem Unrat gefüllt?« »Mit den fauligen Resten einiger oppulenter Mahlzeiten, Mylady. Es stank mit Verlaub gesagt, infernalisch.« »Das klingt aber sehr hübsch.« Sie nickte anerkennend. »So ähnlich sollte man diesen Jerome Bliss behandeln, finden Sie nicht auch?« »Mylady sind zu dem Schluß gekommen, daß Mister Bliss auf der Insel nicht der echte Jerome Bliss ist?« »Was für eine Frage!« Sie sah ihn grimmig an. »Glauben Sie wirklich, man hätte mich täuschen können? Ich habe doch gleich gesagt, daß da 33
einiges nicht stimmte.« »Sehr wohl, Mylady.« Parker verzichtete auf jeden Kommentar. »Dafür muß man eben ein Gespür haben«, redete die ältere Dame weiter. »Der Hilferuf in der Flaschenpost ist selbstverständlich echt. Und wir werden noch in der kommenden Nacht hinüber zur Insel fahren und uns dort umsehen. Treffen Sie alle erforderlichen Vorbereitungen, Mister Parker. Wir haben es mit hinterhältigen Gegnern zu tun.« Bevor Josuah Parker sich dazu äußern konnte, stoppte neben ihnen, von hinten kommend, ein kleiner Citroen-Kastenlieferwagen. Der Fahrer, ein junger Mann, mit offenem Gesicht und fröhlichen Augen, beugte sich durch das geöffnete Fenster nach draußen. »Zwei Nähmaschinen haben euch im Visier«, sagte er und lächelte. »Wetten, daß ihr keine Chance habt?« »Sie würden wahrscheinlich die Wette gewinnen«, erwiderte Parker lakonisch. »Nähmaschinen? Was soll das?« Agatha Simpson wurde unwirsch. »Maschinenpistolen, Mylady«, antwortete der Butler. »Man sollte in den Wagen steigen, wenn ich mir einen Rat erlauben darf. Die allgemeine Behandlung dürfte vorerst noch höflich sein.« *
»Sie haben also diese Flaschenpost geschrieben?« Mike Rander lachte leise. »Toller Einfall, ehrlich gesagt!« »Warum haben Sie sie Mister Rander zugespielt?« fragte Kathy Porter. »Naja, unbekannt sind Sie ja gerade nicht«, erwiderte John Harrods. »Sie wissen, in meiner Freizeit bin ich Privatdetektiv. Die Namen Lady Simpson, Butler Parker, Miß Porter und Mike Rander sind mir durchaus geläufig. Und als ich Sie ausgerechnet hier in Hyeres entdeckte, ging mir natürlich sofort ein Licht auf.« »Lassen Sie es auch über uns leuchten, Harrods«, bat Anwalt Rander. »Sie sind doch hinter diesem Jerome Bliss her, oder etwa nicht?« »Nun, indirekt«, räumte Rander vorsichtig ein. »Ich weiß nicht, für wen Sie arbeiten, Mister Rander, aber darauf kommt’s auch gar nicht an, finde ich. Hauptsache, wir haben ein gemeinsames Ziel.« »Und das heißt?« warf Kathy Porter ein. »Also, das ist ja vielleicht ‘ne Frage?« Harrods lächelte wissend. »Sie wollen wie ich rausfinden, was mit diesem Bliss los ist, oder? Ist das noch der wirkliche Bliss, oder handelt es sich bei dem Mann da drüben auf der Privatinsel um ein
Duplikat?« »Und was vermuten Sie?« wollte Anwalt Rander wissen. »Was Sie vermuten: Es ist nicht der echte Bliss! Sehr einfach, nicht wahr?« »Demnach glauben auch Sie, daß der echte Mister Bliss tot ist?« Kathy Porter wagte sich mit dieser Frage aus der bisher geübten Reserve. »Und ob ich das vermute!« Harrods nickte. »Und er ist nicht der einzige, der durch ein Duplikat ersetzt worden ist.« Mike Rander hätte Kathy Porter am liebsten verblüfft angesehen, doch er konnte sich diesen Wunsch gerade noch im letzten Moment verkneifen. Das, was dieser Privatdetektiv da angesprochen hatte, war im Grund ungeheuerlich. »Wir kennen diese Theorie«, behauptete Kathy Porter unverfroren und nickte überzeugend. »Wichtige Spitzenmanager oder Wirtschaftsbosse sind durch Duplikate ersetzt worden. Das meinen doch auch Sie, ja?« »Duplikate, Doubles oder von mir aus auch Doppelgänger.« Harrods ging ohne weiteres auf dieses Gespräch ein. »Wie man diese Doppelgänger nennt, ist ja unwichtig, Hauptsache, man kann beweisen, daß die Originale ersetzt worden sind.« »Dazu gehört nicht gerade wenig«, tippte nun Mike Rander an. »Der
Austausch eines Originals gegen ein Double kann nur von langer Hand geplant werden.« Er hätte beinahe noch mehr gesagt, wollte das Weitere aber Harrods überlassen. »Gesichtschirurgie, Gesichtsplastiken.« Harrods nickte. »Was ich da in meiner Flaschenpost geschrieben habe, entspricht den Tatsachen.« »Die Sie bisher jedoch nicht beweisen konnten.« »Einer allein gegen eine raffiniert und skrupellos arbeitende Gangsterorganisation!« Harrods holte tief Luft. »Jetzt sieht die Geschichte auch für mich natürlich anders aus. Sie und ich, wir arbeiten an einem Fall und könnten an einem Strang ziehen, finden Sie nicht auch?« »Das bietet sich an, Harrods, aber vorher sollte man darüber noch mit Mister Parker und Lady Simpson reden.« »Ja, wo bleiben sie eigentlich?« »Eine gute Frage!« Mike Rander schaute auf seine Armbanduhr. »Ich denke, wir sollten mal runter in die Hotelhalle oder auf die Straße gehen. Ich glaube, daß sich da inzwischen einiges getan hat.« * Der junge Mann mit dem offenen Gesicht und den fröhlichen Augen hatte keineswegs übertrieben. Die beiden Typen im Aufbau des
kleinen Lieferwagens hielten kurzläufige Maschinenpistolen in Händen. Die Läufe dieser Waffen waren selbstverständlich auf Lady Simpson und Butler Parker gerichtet. Die Träger der beiden Maschinenwaffen hatten übrigens keine offenen Gesichter und fröhliche Augen. »Darf man davon ausgehen, daß es sich um eine Entführung handelt?« erkundigte sich Butler Parker, während der Wagen durch die engen Gassen und scharfen Kurven schaukelte. »Jeder verliert mal die Geduld«, sagte einer der beiden Waffenträger. »Sie meinen sicher Mister Bandom, wenn ich nicht irre?« »So ungefähr«, lautete die sparsame Antwort. »Sie können von Glück sagen, daß Sie nicht nach St. Tropez gefahren sind«, meinte der zweite Waffenträger. »Wir wurden bereits erwartet, wie; ich annehmen möchte?« »Von ‘nem schweren Lastwagen. Darauf können Sie sich verlassen.« »Sie wollten mich umbringen?« entrüstete sich Lady Agatha grollend. »Wollen ist gut. Werden!« Der erste Waffenträger grinste. »Nee, altes Mädchen, keine falsche Bewegung, sonst sind Sie’n Sieb! Immer schön brav sitzen bleiben. Sie ahnen ja nicht, wie nervös unsere Zeigefinger sind.«
»Gibt es einen akuten Anlaß, Mylady und meine bescheidene Wenigkeit zu entführen?« fragte Parker höflich weiter. »Fragen Sie Bandom«, entgegnete der zweite Waffenträger mit einer Selbstverständlichkeit, die die Mordabsicht bestätigte. »Sie dürften in Ihrer Rechnung Mister Rander und Miß Porter übersehen haben.« Parker war an möglichst umfassender Information gelegen. »Sie fangen wir auch noch ein.« Der erste Waffenträger lächelte geringschätzig. »Kleinigkeit.« »Und Mister Harrods?« erkundigte sich der Butler weiter. »Wollen Sie auch diesen wirklich unschuldigen und reizenden Herrn auf die Insel schaffen? Der Mann hat mit allem doch gar nichts zu tun!« »Is’ nicht unser Bier«, warf der zweite Waffenträger ein. »Unser Boß weiß schon, was er macht.« »Ich werde mich bei Mister Bliss beschweren«, entrüstete sich Lady Simpson gespielt. Sie hatte begriffen, daß die beiden Gangster ausgesprochen redselig waren. »Er wird Sie zur Rechenschaft ziehen.« »Ausgerechnet Bliss!« Der angesprochene Waffenträger grinste. »Diese taube Nuß!« Der zweite Waffenträger grinste noch breiter. »Beschweren Sie sich ruhig, Lady! Sie werden Ihr blaues Wunder erleben.«
»Ist es gestattet, sich eine Zigarre anzuzünden?« Parker wechselte das Thema. »Darf er?« fragte der erste den zweiten Maschinenpistolenbesitzer. »Warum nicht?« Der angesprochene Gangster winkte lässig mit dem Lauf seiner Waffe. »Soll er doch noch ‘ne kleine Freude haben. Aber ganz langsame Bewegungen, klar? Nichts überhasten! Immer daran denken, wie schnell man zu ‘nem Sieb werden kann…« »Ich werde mein Zigarettenetui aus der Innentasche meines Jacketts holen, meine Herren«, kündigte der Butler gemessen an. »Es besteht absolut kein Anlaß zur Befürchtung.« Die Bewegungen des Butlers hätten nicht abgezirkelter sein können. Wie in Zeitlupe holte er sein schwarzes Klappetui hervor und ließ es behutsam aufspringen. Er entschied sich für ein schwarzes Torpedo, schnupperte mit Kennermiene daran und entnahm dem Etui eine kleine Spezialschere, mit der er das Mundstück der Zigarre zurechtschnitt. »Sie erlauben, daß ich mein Feuerzeug benutze?« Parker hielt sich an die Warnungen der beiden Waffenträger, die ihn nicht aus den Augen ließen. »Nun mach schon, Alter«, sagte der erste Gangster. »Meinen aufrichtigsten Dank!« Butler Parker fingerte nach seinem
sehr altertümlich aussehenden Feuerzeug, das sich in einer seiner vielen Westentaschen befand. Er zündete sich die Zigarre in einer Art und Weise an, als begehe er eine feierliche Handlung. Dann tat er den ersten Zug und lehnte sich ausgesprochen zufrieden und entspannt zurück. »Scheußliches Kraut«, mokierte sich die Detektivin und rümpfte die Nase. Sie sah Butler Parker strafend an und begann dann unvermittelt zu husten. Es war ein bemerkenswertes Husten, das wie das Röhren eines Hirsches klang. Die beiden Gangster ließen sich beeindrucken und ablenken. Sie schauten interessiert auf die ältere Dame, die nach Luft rang, sich an den ein wenig faltigen Hals faßte und gurgelte. Die Läufe der Maschinenpistolen waren nun weder auf Lady Simpson, noch auf den Butler gerichtet. Sie hatten sich deutlich sichtbar zu Boden gesenkt. In diesem entscheidenden Moment »zündete« der Butler seine SpezialZigarre, indem er mit seinen Zähnen fest auf das Mundstück biß! * Die Wirkung war hinreißend. Die kaum angezündete Zigarre barst vorn auseinander und versprühte nicht nur die Glut, sondern auch eine feine Flüssigkeit, wie sie 37
klarer aus der Spraydose eines Haarpflegemittels nicht hätte kommen können. Im Innern der Zigarre war durch Parkers Biß eine, winzig kleine Sprengkapsel in Aktion versetzt worden. Dieser Treibsatz hatte kraftvoll eine kleine Ampulle bersten lassen und dann deren Inhalt ausgestoßen. Die beiden Gangster wurden voll erwischt, da sie erfreulicherweise dicht nebeneinander saßen. Nacht umgab sie plötzlich. Die ausgetretene Flüssigkeit hatte sie automatisch ihre Augen schließen lassen. Nun, sie öffneten sie schon wieder, doch die Tränendrüsen arbeiteten bereits auf Hochtouren und gestatteten keinen klaren Blick mehr. Josuah Parker benutzte den Bambusgriff seines Universal-Regenschirms, um erst mal beide Maschinenpistolen an sich zu bringen. Lady Agatha hingegen setzte ihren Pompadour ein und legte den darin befindlichen »Glücksbringer« auf die Köpfe der beiden Gangster. Sie seufzten fast wohlig auf, um dann seitlich wegzurutschen. Dem Hufeisen im Pompadour konnte ihr Bewußtsein einfach nicht widerstehen. Die beiden jungen Gangster traten eine längere Schlafpause an. »Würden Sie freundlicherweise halten?« Parker drückte den Lauf einer Maschinenpistole in das Genick des Fahrers, der noch gar
nicht so recht mitbekommen hatte, was eigentlich hinter ihm passiert war. »Mylady wünschen sich ein wenig in der freien Luft zu ergehen.« »Sie mit Ihrer Höflichkeit!« Lady Agatha grollte. »Wenn dieser Lümmel nicht sofort hält, kann er was erleben.« »Mylady schlagen vor, dann abzudrücken?« »Natürlich, Mister Parker!« Agatha Simpsons Augen hatten sich gerötet. Die ersten Tränen waren zu erkennen. »Er soll sofort auf das Bremspedal treten.« »An Ihrer Stelle würde ich Myladys Wunsch sofort nachkommen.« Parker verstärkte den Druck der Mündung im Genick des Mannes, der endlich begriff, daß die Lage sich entscheidend geändert hatte. Er bremste den kleinen Citroen-Lieferwagen vorsichtig ab und blieb dann steif sitzen, als der Wagen stand. »Wohin sollten Sie uns bringen?« verlangte Parker zu wissen, während seine Herrin ein wenig hastig den Kastenaufbau verließ. Der feine Reiznebel im Wagen ließ ihre Augen noch intensiver tränen. »Zum… Zum Hafen, Sir«, antwortete der junge Mann. »Und wohin da, um genau zu sein?« »Zur Halbinsel Giens, Sir. Dort wartet ‘ne kleine Yacht.« »Mit einem gewissen Morland 38
oder Bandom an Bord, nicht wahr?« Parkers Augen zeigten verblüffenderweise kaum eine Reaktion auf die Reizdämpfe. »Mor… Morland, Sir«, stotterte der junge Mann, der nun von den Dämpfen erreicht wurde und leicht weinte. »Wer hat das Kommando auf der Insel?« Parker konnte sehr wohl knappe Fragen stellen, wenn es sein mußte. Und jetzt mußte es sein! Die ersten Tränen rannen auch ihm über die Wangen. »Bandom, Sir«, lautete prompt die Antwort. »Und seit wann sind Morland und Bandom auf der Insel?« »Seit anderthalb Monaten, Sir. Mehr weiß ich nicht.« »Wie oft sehen Sie Mister Bliss?« »Eigentlich nie, Sir, wirklich. Der lebt völlig zurückgezogen in seinem Haus.« »Reichen Sie mir jetzt vorsichtig Ihre Schußwaffe«, bat Josuah Parker und wischte sich verstohlen einige Tränen ab. Der junge Fahrer kam diesem Verlangen umgehend nach, und Parker kassierte Sekunden später einen kurzläufigen Achtunddreißiger, den er in einer Innentasche seines schwarzen Zweireihers verschwinden ließ. »Bleibt noch eine letzte Frage, junger Mann.« Parker überhörte das etwas gequälte Hüsteln des jungen Mannes, der voll unter den Reiz-
schwaden litt. »Wie oft kommt Mister Harrods zu Ihnen auf die Insel? Ich bitte um präzise Angaben.« »Nie gehört«, lautete die umgehende Antwort. »Wer soll das sein. »Sir?« »Schon gut«, sagte Parker. »Ich möchte mich mit einem sogenannten guten Rat verabschieden, der möglicherweise für Sie lebensverlängernd ist: Kehren Sie nicht auf die Insel zurück! Das gilt auch für Ihre beiden Freunde. Sobald Sie wieder Herr Ihrer Sinne sind, sollten Sie sich vielleicht mal das nahe Italien ansehen und die Herren Morland und Bandom vergessen.« Parker verließ den Kastenaufbau und begab sich zu Lady Simpson, die sich mit einem Spitzentaschentuch von der Größe einer kleinen Tischdecke ausgiebig die Tränen aus den Augenwinkeln tupfte. Parker lüftete seine schwarze Melone. »Darf ich anregen, Mylady, einen kleinen Spaziergang zu unternehmen?« erkundigte er sich dann in seiner höflichen Art. »Auf die drei jungen Männer kann man verzichten, zumal Mylady es ja strikt ablehnen, sich mit untergeordneten Gaunern abzugeben.« »Zum Teufel, Sie wollen schon wieder großzügig sein?« Sie hüstelte. »Die Dinge und der Citroen nehmen bereits ihren Lauf, Mylady.« Parker deutete auf den kleinen Lie39
ferwagen, der gerade anruckte, losrollte und anschließend mit leichten Schlangenlinien weiter die Straße hinunterfuhr. Was eine Polizeistreife, die hinter der nächsten Kurve stand, prompt veranlaßte, ihre beiden Motorräder zu starten und die Verfolgung aufzunehmen. * »Wie ich es natürlich gleich gewußt habe: Eine weltweite Verschwörung ist da angezettelt worden.« Lady Agatha sah sich kriegerisch in der Runde um und wartete auf Widerspruch. Weder Parker und Rander, noch Kathy Porter und John Harrods erkühnten sich, diese Behauptung auch nur andeutungsweise in Zweifel zu ziehen. Man hatte sich in der Hotelsuite der älteren Dame zu einer Art Kriegsrat zusammengesetzt, und der Möbelrestaurator und Privatdetektiv Harrods hatte vor Lady Simpson und Parker noch mal seine Theorie wiederholt. »Also schön, im Fall dieses Jerome Bliss kann der echte durchaus gegen einen falschen ausgetauscht worden sein.« Mike Rander blieb skeptisch. »Aber weltweit, Harrods?« »Weltweit«, sagte Harrods noch mal und zwar sehr nachdrücklich. »Ich weiß, worüber Sie stolpern: Sie
können es sich einfach nicht vorstellen, daß führende Wirtschaftskapitäne gegen Doppelgänger ausgetauscht werden.« »So viele Doubles gibt es doch gar nicht.« Der Anwalt nickte. »Gesichtsplastiken, Schönheitschirurgie, kosmetische Operationen«, zählte der Privatdetektiv und Möbelrestaurator auf und lächelte wissend. »Das Verfahren ist doch verdammt einfach, entschuldigen Sie, Mylady, daß ich…« »Verdammt einfach«, sagte Lady Agatha und nickte. »Reden Sie weiter, junger Mann!« »Ich nehme mir also vor, eine dieser Wirtschaftsgrößen auszutauschen«, redete Harrods ungeniert und dankbar weiter. »Ich sehe mich also erst mal nach einem Mann um, der in etwa dem Original entspricht. Dann mach…« »Größe, Statur, Grundausehen, Mike«, warf Lady Agatha erklärend ein. »Gütiger Himmel, wie einfach das ist! Jeder Mensch soll schließlich seinen Doppelgänger haben, sagt man doch…« »Sobald ich so ein Double gefunden habe, trimme ich es durch entsprechende Operationen auf das Original um.« Harrods war in seinem Element. »Nach gelungener Operation trimme ich das Duplikat auf Fachwissen, Gestik und Sprache. Anschließend entführe ich das Original und tausche es gegen den Dop40
pelgänger aus.« »Für mich ist das alles sonnenklar«, fand Lady Simpson. »Wer kennt diese Wirtschaftsgrößen schon, von ein paar Fotos mal abgesehen? Die Leute sind doch alle pressescheu. Es gibt nur Eingeweihte auf höchster Ebene, die vielleicht Verdacht schöpfen könnten.« »Und die setze ich ganz einfach unter Druck und zwinge sie, mein Spiel zu spielen«, fügte Harrods hinzu und nickte. »Es gibt da eine Menge feiner Mittel wie Angst, Erpressung oder Gehaltserhöhungen. In Wirklichkeit reicht die Skala natürlich noch wesentlich weiter.« »Sie denken an eine Reihe von höchsten Wirtschaftsbossen, die ausgetauscht wurden«, warf Kathy Porter in Richtung John Harrods ein. »Haben Sie daran gedacht, daß es nur ein paar von diesen Jerome Bliss-Typen gibt, Mister Harrods?« »Reichen die nicht bereits?« fragte Harrods zurück. »Darf ich mal kurz aufzählen, die ich meine?« »Wir bitten darum, Harrods«, sagte Mike Rander und lehnte sich zurück. »Zuerst mal dieser legendäre Jerome Bliss«, begann Harrods. »Dann denke ich an Lester Sturgeon von ITV, an Howard Sprinkle, der im Elektronikgeschäft ist, an Mike B. Bellingham, der in Rüstungsgeschäften macht, an Saddler, dessen Öltanker schon Geschichte gemacht haben
und an Paul Mantour hier in Frankreich, der ein Bankenimperium in der Schweiz gerade erst übernommen hat.« »Das reicht eigentlich«, fand Mike Rander. »Alle Leute, die ich gerade aufgezählt habe, sind fast scheue Einzelgänger ohne Familie. Und falls sie eine haben, so haben sie sich von ihr schon vor Jahren getrennt. Stellen Sie sich mal vor, diese Originale seien durch Doppelgänger ersetzt worden! Welche Milliardengeschäfte würden plötzlich von Gangstern kontrolliert. Was für ein Geld könnten diese Gangster an die Seite schaffen! Man darf gar nicht daran denken…« »Vielleicht äußern auch Sie sich mal, Mister Parker«, schlug die ältere Dame vor und sah den Butler grimmig an. »Hat es Ihnen etwa den Atem verschlagen?« »Erfreulicherweise kaum, Mylady«, antwortete Parker gemessen und höflich. »Die Hypothese Mister Harrods ist faszinierend zu nennen.« »Aber Sie halten sie für Humbug, wie?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady.« Parker verbeugte sich in Richtung Harrods. »Darf ich fragen Sir, ob Ihnen Mister Jerome Bliss nicht schon reichen sollte? Allein solch ein Coup wäre als eine Meisterleistung auf dem Gebiet des 41
Gangsterunwesens zu bezeichnen.« »Papperlapapp, Mister Parker, Sie sehen das wieder mal zu eng«, erwiderte die Detektivin. »Sie müssen lernen, in größeren Dimensionen zu denken. Natürlich haben wir es mit einer weltweiten Verschwörung des internationalen Gangstertums zu tun. Ich werde diesen Sumpf austrocknen! Und Ihnen, Mister Harrods, werde ich helfen, denn allein schaffen Sie das nie, das wissen Sie doch hoffentlich, oder?« »Ich stelle mich Ihnen zur Verfügung, Mylady«, erwiderte der Privatdetektiv und Möbelrestaurator. »Ich habe übrigens gleich gewußt, daß Sie nicht zufällig nach Hyeres gekommen sind. Darf ich fragen, was Ihren Verdacht erregt hat?« »Verdacht? Von welchem Verdacht reden Sie eigentlich, junger Mann?« Agatha Simpson hatte nicht sofort verstanden und war irritiert. »Verdacht gegen diesen Jerome Bliss, Mylady.« »Nun ja, mein Instinkt«, erwiderte sie nun wie selbstverständlich. »So etwas hat man – oder hat man nicht.« »Sie sind mit der Aufklärung dieses Rätsels nicht von offizieller Seite beauftragt worden? Ich denke an irgendeine Regierungsstelle. Es kann sich natürlich auch um einen internationalen Multikonzern handeln.« »Mylady wird grundsätzlich nicht
beauftragt«, schaltete Josuah Parker sich kühl und distanziert ein. »Mylady läßt sich auch nicht beauftragen, Mylady wählt jene Fälle, die ihr Interesse erregen. Andere Kriterien, Mister Harrods, sind grundsätzlich auszuschließen.« »Dann sind Sie an irgendwelchen Belohnungen oder Presserechten gar nicht interessiert?« Harrods strahlte. »Verzeihung, Sir«, erklärte Butler Parker nun sehr kühl. »Eine Lady Simpson würde Belohnungen, ganz gleich in welcher Höhe, grundsätzlich ablehnen.« »Tatsächlich?« fragte die ältere Dame verdutzt und sah ihren Butler überrascht an. »Dann wissen Sie mehr als ich!« * »So, Parker, die Lady ist beschäftigt«, meinte Anwalt Rander, »und Miß Porter sorgt dafür, daß sie nicht abgelenkt wird und sich in ihre Ermittlungen verbeißt.« »Darf ich mir erlauben, Sir, Ihnen meinen tiefen Respekt zu erweisen?« fragte Parker. »Tiefen Respekt?« »Mylady wollte eigentlich noch in der kommenden Nacht die Invasion der kleinen Privatinsel des Mister Bliss vornehmen.« »Davon habe ich ihr gründlich abgeraten.« Mike Rander lächelte. »Sie hat eingesehen, daß sie weltweit 42
tätig werden muß, bevor sie diese Verschwörung aufdecken kann.« »Sie glauben nicht unbedingt an die These Mister Harrods, Sir?« »Ich traue diesem Harrods nicht über den Weg, Parker.« Mike Rander ließ sich in einem Sessel von Parkers Hotelzimmer nieder. »Dieser Mann stellt über den Fall Bliss eine ziemlich wahnwitzige Theorie auf, finden Sie nicht auch?« »Sie klingt nach dem Drehbuch zu einem originellen Fernseh-Krimi«, erwiderte Parker höflich. »Darüber hinaus weiß man zuviel über Mister Harrods.« »Möbelrestaurator und Privatdetektiv. Ich weiß nicht, ich weiß nicht, Parken und ausgerechnet an solch einen Mann soll sich eine amerikanische Nachrichtenagentur gewandt haben? Kaum zu glauben, Parker! Solch eine Agentur würde doch nur mit Profis arbeiten.« »Ein Gedanke, den zu haben auch ich mir erlaubte, Sir.« »Wir sollten Erkundigungen über Harrods einziehen.« »Dies, Sir, habe ich bereits in die Wege geleitet. Ich war so frei, ChiefSuperintendent McWarden in London anzurufen.« »Eine verdammt gute Idee, Parker. Und wie hat er reagiert?« »Mister McWarden scheint überaus glücklich zu sein, Sir, daß Mylady hier an der französischen Mittelmeerküste einen Fall aufklären
möchte.« »Kann ich mir vorstellen.« Mike Rander schmunzelte. »Wann wird er zurückrufen, Parker?« »Ich rechne innerhalb der nächsten halben Stunde mit einer ausführlichen Antwort, Sir. Chief-Superintendent McWarden wollte alle Quellen anbohren, wie er sich auszudrücken beliebte.« »Ein ausgetauschter Bliss reicht dicke.« Rander lehnte sich zurück. »Aber noch mal zurück zu diesem Harrods: Ein verdammt raffinierter Bursche, wenn ich an die Flaschenpost denke! Damit wollte er erreichen, daß wir für ihn die Kastanien aus dem Fenster holen.« »Als Möbelrestaurator weiß Mister Harrods sich zudem gut seiner Haut zu wehren, Sir, wenn ich daran erinnern darf. Er schaltete einen durchtrainierten und wesentlich jüngeren Profigangster spielend leicht aus und legte ihn in einer Badewanne ab.« »Was ist aus diesem Burschen eigentlich geworden, Parker? Noch etwas: Sitzt der zweite Gauner immer noch im Müllcontainer?« »Ich darf mit den neuesten Erkenntnissen dienen, Sir. Der Gangster aus dem Müllcontainer und sein Partner aus der Badewanne befinden sich inzwischen in Polizeigewahrsam. Ich habe mir erlaubt, die zuständigen Behörden zu informieren, anonym, wie ich bekennen 43
muß.« »Wird man sie länger festhalten?« »Dies, Sir, ist als sicher zu unterstellen. Der Mann aus der Badewanne wurde vom Hotelpersonal überwältigt, als er in äußerst leichter Bekleidung versuchte, sich der Hausdame zu nähern. Er wird zur Zeit von der Polizei wie ein – ich bitte, diesen Ausdruck verzeihen zu wollen – Sittenstrolch behandelt.« »Okay, den sind wir erst mal los, Parker. Und der Bursche im Müllcontainer?« »Er wurde wegen eines ähnlichen Deliktes festgenommen, Sir. Man hält ihn für einen Trinker, der im Container die Reste aus diversen Wein- und Whiskyflaschen zu sich genommen hat. Im Container befand sich eine reiche Auswahl.« »Bleiben die Kerle aus dem Citroen-Lieferwagen, Parker.« »Sie wurden von der Verkehrspolizei verhaftet, wie man mir telefonisch versicherte, Sir. Als man dann die beiden Maschinenpistolen entdeckte, schaltete sich die Kripo ein. Auch diese Herren dürften Mister Morland und Mister Bandom für einige Zeit nicht mehr zur Verfügung stehen.« »McWarden!« sagte der Anwalt, als sich das Telefon meldete. »Jetzt bin ich aber gespannt, Parker.« Der Butler ging zum Telefon hinüber, hob ab und meldete sich. Dann sagte er betont laut und überdeut-
lich: »Sie können leider nicht erkennen, Mister Bliss, wie überrascht und geehrt ich mich fühle. Sind Sie sicher, nur mich sprechen zu wollen?« * »Das ist doch eine Falle für Anfänger«, entschied Mike Rander, als Butler Parker ihm den Inhalt des Telefongesprächs mitgeteilt hatte. »Bliss will sich mit Ihnen und mir unterhalten? An einem verschwiegenen, neutralen Ort?« »Das waren seine Worte, Sir«, antwortete Josuah Parker. »Er deutete ferner an, er könne sich des Gefühls nicht verwehren, von Gangstern umgeben zu sein.« »Und warum wendet er sich dann nicht an die Polizei?« Mike Rander verzog spöttisch sein Gesicht. »Nee, Parker, darauf lassen wir uns ja wohl nicht ein, wie?« »Mister Bliss verläßt gegen 22 Uhr seine Insel per Hubschrauber, um nach Nizza zu fliegen. Er sieht eine Möglichkeit, Sir, Sie und meine bescheidene Wenigkeit dort am Flugplatz zu sprechen, bevor er weiter nach Paris fliegt.« »Diese Möglichkeit hat er hier vor seiner Haustür, Parker.« »Mister Jerome Bliss befürchtete, bespitzelt zu werden, Sir, wie er es nannte.« »Parker, wollen Sie etwa in diese 44
Falle tappen?« fragte der Anwalt. »Ein Blick auf die vermutete Falle würde beweisen, Sir, daß Mister Bliss ein Doppelgänger ist, wie Mister Harrods es vermutete.« »Um 22 Uhr also. Und wie setzen wir uns von Lady Simpson ab?« »Eine passende Ausrede ließe sich finden, Sir.« »Also einverstanden, sehen wir uns diese Falle an, Parker. Wieviel Zeit haben wir noch?« »Gut vier Stunden, Sir.« »Dann lassen Sie sich mal was einfallen, um Lady Simpson abzulenken, Parker. Leicht wird das nicht sein.« Während der Anwalt noch redete, meldete sich erneut das Telefon. Josuah Parker hob den Hörer ab und nannte seinen Namen. Wenig später nickte er dem Anwalt zu, ein Zeichen dafür, daß London sich gemeldet hatte. »Danke der überaus freundlichen Nachfrage, Sir«, sagte Parker. »Ich werde nicht versäumen, die guten Wünsche weiterzuleiten. Konnten Sie, Sir, Details zur Person des John Harrods in Erfahrung bringen?« »Ein schräger Vogel, Mister Parker«, warnte der Chief-Superintendent rundheraus. »Doch der Reihe nach: Er hat eine Lizenz als Privatdetektiv und er betreibt auch ein kleines Geschäft als Möbelrestaurator, aber er tanzt darüber hinaus noch auf vielen anderen Hochzei-
ten.« »Ließe es sich ermöglichen, Sir, diese Hochzeiten ein wenig präziser zu nennen?« »Er hat ein paar Vorstrafen auf dem Buckel, Parker, diese Angaben haben Sie aber natürlich nicht von mir erhalten, damit das klar ist.« »Selbstverständlich, Sir, Sie können sich auf meine absolute Diskretion verlassen.« »John Harrods hat ein paar Strafen wegen Hausfriedensbruch verpaßt bekommen, Mister Parker, wegen Amtsanmaßung und Betrug. Er scheint sich auf diese sogenannte Prominenz eingeschossen zu haben. Er schießt sehr private Fotos auf sehr privaten Festivitäten, trägt Klatsch zusammen, besticht Personal und bastelt dann Intimserien für Zeitungen, Zeitschriften und Magazine.« »Ein unter Umständen recht einträgliches Geschäft, das automatisch zu kleinen und großen Erpressungsmanövern herausfordert.« »Richtig, Mister Parker. Ein nackter Busen kann sehr viel Geld einbringen, wenn man solch ein Foto eben nicht veröffentlicht. Ebenso ist es mit Intimgeschichten, die man zwar schreibt, dann aber den einschlägigen Agenturen eben nicht anbietet.« »Ich teilte Ihnen bereits mit, Sir, daß Mylady auf Mister Jerome Bliss aufmerksam geworden sind.« »Nun ja, dieser Tycoon ist immer45
hin eine sehr rätselhafte Person«, antwortete der Chief-Superintendent. »Man geht ja manchmal schon davon aus, daß er gar nicht mehr lebt, doch bisher konnte das nie bewiesen werden. Wissen Sie, daß Bliss erst vor zwei Monaten drüben in den Staaten eine handschriftliche Erklärung an ein Gericht geschickt hat? Darüber hinaus hat er auch ein paar Telefongespräche mit Freunden und Direktoren geführt. Ein Gericht hat entschieden, daß Bliss lebt und voll handlungsfähig ist. Man hält es für seine Privatsache, daß er so zurückgezogen wie ein Einsiedler lebt. Erinnern Sie sich an den Fall Hughes, der Mann hatte ja auch so seine Marotten.« »Würden Sie, Sir, Mister John Harrods für einen geschickten Mann halten, der im trüben fischt?« »Er ist geschickt, darauf können Sie sich verlassen. Ich frage mich, warum er sich an Lady Simpson herangemacht hat? Haben Sie schon mal daran gedacht, daß in Wirklichkeit sie das neue Opfer von ihm ist? Harrods ist trickreich, ich kann nur vor ihm warnen.« »Ich auch«, sagte Mike Rander wenig später, als Butler Parker Bericht erstattet hatte. »Denken Sie an die Sache mit der Flaschenpost! Sehr raffiniert eingefädelt davon ausgehen, Parker, daß er vielleicht von Bliss oder dessen Doppelgänger engagiert worden ist, um uns nach
allen Regeln reinzulegen!?«
der
Kunst
* »Sie sind wie große Jungen«, sagte Lady Simpson und lächelte auf eine fast mütterliche Art. »Haben Sie es mitbekommen, Kindchen? Sie wollen Material über die kleine Insel sammeln. Daß ich nicht lache! Sie wollen mich hintergehen, mich, Lady Simpson!« »Hintergehen, Mylady?« fragte Kathy Porter. »Sie möchten Ihnen nur eine Freude bereiten.« »Und mir die Lösung dieses Falls vor der Nase wegschnappen, Kathy.« Nun lächelte sie bereits grimmig. »Aber daraus wird natürlich nichts. Ich werde schneller sein.« »Schneller sein, Mylady?« Kathy Porter ahnte schreckliche Dinge, die da auf sie zukommen würden. »Ich werde die Insel stürmen«, entschied Agatha Simpson. »Und ich werde diesem falschen Bliss die Maske vom Gesicht reißen.« »Mylady, die Insel ist mit Sicherheit hermetisch abgesperrt.« »Hoffentlich, mein Kind, hoffentlich! Einfache Dinge interessieren mich nicht. Mieten Sie ein schnelles und starkes Boot, Kathy. Und packen Sie ein paar nette Kleinigkeiten ein, die man verwenden kann. Eine Frage: Können Sie Handgrana46
ten oder etwas Gleichwertiges besorgen?« »Kaum, Mylady.« »Nun, es wird auch so gehen, Kindchen. Und nun sollten Sie sich beeilen.« »Sollte man Mister Rander und Mister Parker keine Nachricht hinterlassen?« »Warum eigentlich, Kathy, wir werden sie ja ohnehin auf der Insel treffen.« Kathy Porter wußte um die Sinnlosigkeit, der älteren Dame dieses Unternehmen ausreden zu wollen. Sie konnte störrisch wie ein Maultier sein. Wenn sie sich mal etwas in den Kopf gesetzt hatte, führte sie es auch aus. Kathy Porter ging also hinüber in ihr Zimmer, das durch eine Verbindungstür mit der Suite der Lady verbunden war und traf in aller Hast einige Vorbereitungen. Als gelehrige Schülerin des Butlers wußte sie, worauf es bei solchen nächtlichen Unternehmungen ankam. Leider wußte sie nicht, was Mike Rander und Butler Parker wirklich planten. Wollten sie tatsächlich hinüber auf die Insel? Sie konnte sich kaum vorstellen, daß die beiden Männer solch ein Risiko eingingen. Die jüngste Vergangenheit hatte doch gezeigt, wie scharf die Insel bewacht wurde und wie bedenkenlos die Inselwächter vorgingen, Falls sie den wirklichen Jerome Bliss bewachten, dann unterschieden sie
und ihre Methoden sich in nichts von denen harter Gangster. Während Lady Agatha inzwischen ungeduldig in der Verbindungstür auftauchte, telefonierte Kathy Porter mit der Rezeption, ließ sich eine entsprechende Verbindung zu einem Bootsverleiher geben und verhandelte schließlich mit einem Eigner über dessen Motoryacht. Da Lady Simpson in solchen Situationen keine Kosten scheute, war das Anmieten einer kleinen Yacht problemlos. »Der Eigner erwartet uns in Tour Fondue, Mylady, auf der Halbinsel Giens.« Kathy Porter legte den Hörer auf. »Man sollte ihm allerdings wohl nicht sagen, welche Insel Sie besuchen möchten, Mylady.« »Auf keinen Fall, Kindchen. Mike und Butler Parker sollen sich ruhig ihre Köpfe zerbrechen, wohin wir verschwunden sind. Um so größer wird ihre Überraschung dann sein, wenn wir sie auf der Insel erwarten!« Als die beiden Damen vor dem Hotel standen und auf das bestellte Taxi warteten, wurden sie von einem gewissen John Harrods beobachtet, der laut Chief-Superintendent McWarden eine äußerst zwielichtige Person war… * »Mister Bliss erwartet Sie«, sagte
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Barry Bandom und verbeugte sich korrekt. Er war an den Tisch gekommen, an dem Mike Rander und Butler Parker Platz genommen hatten. Dieser Tisch stand im Restaurant des Flughafengebäudes von Nizza. Die Fahrt hierher war ohne jeden Zwischenfall verlaufen. Die Gangster um den richtigen oder falschen Jerome Bliss hatten sich nicht gerührt. Wahrscheinlich war ihnen die Küstenstraße doch zu belebt gewesen, um einen Überfall zu inszenieren. »Wo finden wir Mister Bliss?« fragte Mike Rander den Sekretär des geheimnisumwitterten Tycoon. »In seiner Privatmaschine?« Rander blieb gelassen und zeigte keine Eile. »Eine kleine Düsenmaschine«, meinte Bandom wie selbstverständlich. »Sie gehen kein Risiko ein, Sir, wenn Sie mitkommen. Diese Einladung gilt selbstverständlich auch für Mister Parker, wie ich ausdrücklich erklären soll.« »Was halten Sie von dieser Einladung, Parker?« fragte Mike Rander. »Sie dürfte dem Stil Mister Bliss’ entsprechen«, gab Parker zurück. Er erhob sich und griff nach Melone und Regenschirm. »Sie haben keine Waffen mit?« fragte Barry Bandom verblümt. »Mister Bliss ist in diesem Punkt sehr heikel.« »Hoffentlich übersehen Sie die
Maschinenpistole in meinem linken Hosenbein«, frotzelte der Anwalt. »Und wie sieht es bei Ihnen aus? Wer, außer Bliss, erwartet uns denn noch in seiner Privatmaschine?« »Nur die Jet-Besatzung, Sir«, erwiderte Bandom. »Sie können völlig unbesorgt sein: Man will Sie auf keinen Fall in eine Falle locken.« »Wie beruhigend, so was aus Ihrem Mund zu hören, Bandom.« Rander grinste wie ein Schuljunge. »Worauf warten wir noch? Zu ‘ner Unterhaltung über die Wetterverhältnisse wird Bliss uns ja wohl nicht eingeladen haben, wie?« Bandom versuchte, sich ein höfliches Lächeln abzuringen, doch er hatte einige Mühe damit. Er ging voraus und schien bereits alle Kontrollen entsprechend informiert zu haben. Die drei Männer konnten ohne Schwierigkeiten auf das eigentliche Flughafengelände und dann zum Abstellplatz für Zivilmaschinen gehen. Der Privatjet des Tycoon war beachtlich. Es handelte sich um eine zweistrahlige Maschine, deren Fenster geöffnet waren. Als Bandom und seine beiden Gäste im Lichtkreis einer Bogenlampe waren, öffnete sich die Klapptür des Jets. »Bliss«, sagte Mike Rander sofort. Er kannte natürlich die einschlägigen Bilder, die die Presse hin und wieder von diesem rätselhaften Mann veröffentlichte. Das dort 48
mußte Bliss sein. Er sah einen großen, schlanken Mann, der fast hager und wie ausgehungert wirkte. Das dünne Haar war weiß, und das momentane Husten wie eine kleine Explosion oder Fehlzündung eines Autos. »Vielen Dank, daß Sie gekommen sind«, begrüßte Bliss seine Gäste, die inzwischen die Tür erreicht hatten. Seine Stimme war heiser, wie es sich für Bliss gehörte. Von dieser Heiserkeit wurde ebenfalls geschrieben, wenn man über ihn berichtete. Bliss wandte sich um und verschwand im Innern des Jets. Bandom trat zur Seite und ließ Parker und Rander einsteigen. Der Butler nahm sofort seine schwarze Melone ab und schaute sich um. Der Raum, der für acht bis zehn Passagiere gedacht war, erinnerte an ein luxuriöses Büro. Dazu gab es eine Sitzgruppe für vier Personen. Diese bequemen und hochlehnigen Sessel waren mit Anschnallgurten versehen. »Für mich Ginger-Ale«, sagte Bliss zu seinem Sekretär und wandte sich dann an seine Gäste. »Und was trinken Sie?« »Scotch, ohne Eis und Wasser«, meinte Rander. »Ginger-Ale, wenn ich diesen Wunsch äußern darf«, sagte der Butler gemessen und musterte diskret das Gesicht des sagenumwobenen Wirtschaftsbosses. Spuren irgendei-
ner Gesichtsplastik konnte er nicht ausmachen. Dies wäre allerdings auch nicht leicht gewesen, denn das Gesicht war von tiefen Furchen und Falten durchzogen. Zudem wurde die Helligkeit in der Maschine bereits zurückgenommen, bis eine Art Dämmerlicht herrschte. Dennoch hatte Bliss sich bereits eine Sonnenbrille aufgesetzt. »Ich bin lichtempfindlich, entschuldigen Sie«, sagte er. »Kommen wir gleich zur Sache, ja? Ich habe schon am Telefon gesagt, daß ich mich bedroht fühle.« »Gilt dies auch für Mister Bandom, Sir, wenn man höflichst fragen darf?« warf Parker ein. »Auch für ihn. Ihm allein traue ich eigentlich noch.« Bliss warf einen kurzen, fast abschätzenden prüfenden Blick auf seinen Privatsekretär. »Wir glauben, daß wir von Gangstern umgeben sind. Ich möchte, daß Sie, meine Herren, die Lage bereinigen. Dafür werde ich ein Spitzenhonorar aussetzen.« »Darf man fragen, Sir, um welche korrekte Bedrohung es sich handelt?« Parker saß steif auf der Kante des bequemen Sessels. »Ich… fürchte, daß man mich eines Tages gegen einen Doppelgänger austauschen will«, lautete die knappe Antwort. *
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Nach drei Anläufen hatte Lady Simpson das Naturdock auf der Insel endlich erreicht und die kleine Yacht ziemlich lädiert, was sie allerdings kaum zur Kenntnis nahm. »Eine Landung wie aus dem Bilderbuch«, rief sie Kathy Porter ungeniert und lautstark zu, die vom am Bug der Yacht stand, wo sie sich krampfhaft festgeklammert hatte. »Das muß mir erst mal einer nachmachen, Kindchen.« Kathy Porter sprang auf den kleinen Kai und beeilte sich, die Yacht erst mal zu vertäuen, damit Lady Agatha keine weiteren Landungsexperimente mehr unternahm. Dann reichte sie der älteren Dame die Hand und zerrte sie zu sich herauf. »Komisch, Mylady«, sagte Kathy Porter und schaute sich mißtrauisch um. »Man müßte uns doch längst gehört haben.« »Das will ich nicht sagen, Kindchen.« Sie schüttelte den Kopf. »Vorsichtiger und unauffälliger hätte sich kein Dieb an die Insel heranpirschen können.« Kathy Porter verzichtete darauf, sich mit dieser Behauptung näher zu befassen. Allein Myladys Landungsversuche hätten Tote wecken können. Wollte man sie auf dem Weg zum Haus des Jerome Bliss attackieren? Kathy fühlte sich mehr als unbehaglich. »So, räuchern wir dieses Nest aus, Kindchen!« Lady Agatha setzte sich
energisch in Bewegung und bewegte ihre Fülle über die Steintreppe nach oben. Der perlenbestickte Pompadour mit dem »Glücksbringer« in Form eins Pferdehufeisens pendelte unternehmungslustig hinter ihr und wartete oben auf Angreifer. »Was soll denn das heißen?« grollte sie wenig später enttäuscht. »Wo stecken diese Lümmel, Kindchen?« »Sie haben sich vielleicht ins Haus zurückgezogen, Mylady.« »Dann wollen wir uns leise heranpirschen.« Sie knirschte mit ihren großen Schuhen ungeniert über den Kies, mit dem der Weg ausgelegt war, und wartete fast sehnsüchtig auf einen Angriff, doch es rührte sich nichts zwischen den Eichen und Fichten. Selbst das dichte Strauchwerk schien den Atem anzuhalten. Das Haus des Jerome Bliss stand auf den Resten einer alten Sarazenenfestung, die hier an der Küste mal ihre Schlupfwinkel angelegt hatten. Die noch stehenden Mauerreste waren geschickt in den neuen Teil des Hauses miteinbezogen worden. Der Architekt hatte es verstanden, eine neue Einheit zu schaffen. »Kein Licht! Was sagen Sie dazu, Kindchen?« Lady Agatha war stehengeblieben und ärgerte sich lautstark. »Vielleicht ist das Haus inzwischen geräumt worden, Mylady«, vermutete Kathy Porter. 50
»Werfen Sie einen Stein an ein Fenster, dann ist die Hölle los!« Das erhoffte Klirren blieb aus. Es gab nur einen dumpfen Knall, dann fiel der Stein zurück auf den Boden. »Panzerglas, Mylady«, stellte Kathy Porter fest. »Die Insel und das Haus scheinen tatsächlich leer zu sein.« »Das ist doch eine Unverschämtheit«, erregte sich Agatha Simpson prompt. »Sehen wir uns die Tür an, Kathy.« »Sie wird gesichert sein wie ein Tresor, Mylady.« »Schnickschnack, Kindchen! Jede Tür läßt sich öffnen.« Die Detektivin marschierte bereits weiter und erreichte nach Umrunden eines Rundturms den Haupteingang. Obwohl es dunkel war, ließen sich im Mondlicht Einzelheiten dieser Tür erkennen. Eine Art Fallgitter war heruntergelassen worden und sicherte die eigentliche, glatte Tür, die tatsächlich an die eines Banktresors erinnerte. »Eine Frechheit«, grollte die Lady. »Sie haben doch hoffentlich ein paar Stangen Dynamit mitgebracht, oder?« »Die waren nicht zu beschaffen«, antwortete Kathy Porter und unterdrückte ein aufsteigendes Glucksen nur mühsam. »Nun ja, dann wieder zurück«, entschied Agatha Simpson und schaute an den glatten Haus- und
Festungswänden hoch. »Ich hätte mich zu gern mal in diesem Gangsternest umgesehen.« Kathy Porter atmete erleichtert auf. Der nächtliche Alleingang war mehr als glimpflich abgegangen. Lady Agatha hatte erfreulicherweise keine Gegner gefunden. Nur zu gern schloß sie sich der älteren Dame an, die zurück zur Landungsstelle ging. Doch plötzlich blieb sie stehen und nahm lauschend den Kopf hoch. »Da war doch was, nicht wahr?« fragte sie dann relativ leise. »Ein Motorboot, Mylady«, bestätigte Kathy Porter. »Sie kommen zurück, Kindchen!« Tiefe Zufriedenheit beherrschte die Stimme der Sechzigjährigen. »Sie landen und haben keine Ahnung, daß wir bereits hier sind.« »Die Motoryacht, Mylady«, erinnerte Kathy Porter. »Wenn schon, Kathy, aber sie wissen nicht, wer sie benutzt hat. Wir werden uns hier in einen Hinterhalt legen – und sie dann überfallen…« »Mylady, diese Leute haben mit Sicherheit Schußwaffen, die sie bedenkenlos einsetzen werden.« »Wenn man sie läßt. Aber das werde ich nicht erlauben. Kommen Sie, dort drüben die Sträucher, besser kann ein Hinterhalt gar nicht sein!« Sie huschte mit der Geschmeidigkeit einer leicht gereizten Büffelkuh zu dem dichten Strauchwerk und 51
tastete nach dem »Glücksbringer« im Pompadour. Kathy Porter war notgedrungen gefolgt und befaßte sich prüfend mit einigen SpezialKugelschreibern, die sie dem Privatgepäck des Butlers leihweise entnommen hatte. Es dauerte nur wenige Minuten, bis ungeniert laute Schritte zu vernehmen waren. Im Mondlicht machte Kathy Porter sechs Männer aus, die hintereinander gingen und direkt das Haus des Jerome Bliss ansteuerten. Sie waren völlig ahnungslos und blieben es auch, bis Lady Agatha in Aktion trat! * Barry Bandom hatte Ginger-Ale für Bliss und Parker serviert, um dann auch Mike Rander mit einem Scotch zu versorgen. Er blieb diskret hinter dem Sessel stehen, in dem Bliss saß. »Ich wiederhole noch mal, meine Herren, ich befürchte, gegen einen Doppelgänger ausgetauscht zu werden«, sagte Bliss. »Aber genieren Sie sich nicht, trinken Sie doch!« »Woher stammt Ihr Verdacht, Sir?« fragte Mike Rander. Er hatte mit dieser Eröffnung nicht gerechnet. »Bandom, sagen Sie es!« Bliss wandte sich andeutungsweise zu seinem Sekretär um. »Einen Moment!« Parker hob
bedeutungsschwanger seine linke, schwarz behandschuhte Hand. »Da draußen hat sich etwas gerührt…« Wie auf ein geheimes Kommando hin wandten sich Rander, Bandom und Bliss zur Tür. Diese Ablenkung nutzte der Butler blitzschnell, um die beiden Gläser mit Ginger-Ale auszutauschen. Bandom ging vorsichtig zur Tür und warf einen Blick nach draußen. Dann drehte er sich zu Bliss um und schüttelte den Kopf. »Die Besatzung, Sir«, meldete er. »Alles in Ordnung.« »Dann also zurück zu meiner Frage und Ihrer Antwort, Bandom«, meinte der Anwalt. »Die Antwort ist sehr einfach«, entgegnete der Sekretär, »ich habe Mister Bliss in Hyeres gesehen, als er auf der Insel war. Ich denke, das war deutlich genug.« »In der Parapsychologie nennt, man so etwas Bilokation«, warf Josuah Parker ein. »Zwei identische Personen zu gleicher Zeit an zwei verschiedenen Orten.« »Genau das meine ich, Mister Parker«, redete Sekretär Bandom weiter. »Dieser Doppelgänger glich Mister Bliss aufs Haar.« »Und wo in Hyeres haben Sie ihn gesehen?« wollte Anwalt Rander wissen. »Auf dem Balkon einer Villa«, berichtete Bandom. »Zugegeben, ich habe ihn nur kurz gesehen, doch 52
von einer Täuschung oder Einbildung kann überhaupt keine Rede sein. Ich habe sofort Nachforschungen angestellt, wem diese Villa gehört, beziehungsweise, wer sie gemietet hat. Die Antwort war alarmierend.« »Alarmieren Sie auch uns«, schlug Rander ironisch vor. »Zum Wohl«, sagte Bliss dazwischen und hob sein Glas Ginger-Ale. Mike Rander und Butler Parker griffen ebenfalls nach ihren Gläsern und nahmen einen ansehnlichen Schluck. »Die Villa war oder ist an einen gewissen Marty Keene vermietet«, sagte Bandom, als die Gläser abgestellt wurden. »Ihnen brauche ich ja wohl nicht zu sagen, wer Marty Keene ist, nicht wahr?« »Mir schon«, gab Anwalt Rander zurück. »Muß man diesen Mann kennen?« »Marty Keene, Sir, ist ein Mann der Unterwelt«, erklärte Parker in seiner höflichen Art. »Er hat sich bereits vor vielen Jahren zur Ruhe gesetzt, wie es heißt und lebt hier an der Riviera. Polizeilich konnte man gegen Mister Marty Keene nie vorgehen, seine diversen Betriebsamkeiten konnten ihm nicht nachgewiesen werden.« »Wäre Ihr Austausch gegen einen Doppelgänger seine Schuhgröße?« fragte Mike Rander. »Mit Sicherheit, Sir«, bestätigte Josuah Parker, der den Anwalt
unauffällig, aber höchst aufmerksam beobachtete. Ihm entging nicht, daß Mike Rander nur mit Mühe einen Gähnkrampf unterdrückte und rote, müde Augen bekam. Parker entschloß sich, ebenfalls ein nicht vorhandenes Gähnen zu unterdrücken. Dann schaute er zu Bliss hinüber. Der Tycoon streckte seinen hageren Körper sehr entspannt und leger im Sessel aus. Auch er schien eine wohlige Müdigkeit in sich zu spüren. »Wer hat Ihre Inselwächter eigentlich engagiert«, fragte der Anwalt weiter und setzte sich aufrecht. Er riß sich eindeutig zusammen. »Sie sind mit Lady Simpson nicht gerade höflich umgesprungen.« »Steve Morland«, lautete Bandoms Antwort. »Ich möchte wetten, daß er im Auftrag dieses Keene gehandelt hat.« »Bliebe zu fragen, wer Steve Morland engagiert hat«, lautete die konsequente und nächste Frage des Anwalts. »Im Endeffekt bin ich es gewesen«, räumte Barry Bandom überraschenderweise ein. »Die Papiere dieses Morland sind erstklassig. Er hat für die CIA gearbeitet und beste Erfahrungen.« »CIA, Mister Bandom?« Mike Rander verzog spöttisch sein Gesicht. »Seit einiger Zeit keine sonderlich gute Adresse mehr, finden Sie nicht auch?« 53
»Ein Mann immerhin, der sich in allen Tricks der Geheimdienstarbeit auskennt«, verteidigte sich Bandom und sah Mike Rander an, der die Augen verdrehte und den Kopf dann seitlich auf die Schulter fallen ließ. Butler Parker hielt es für angebracht, diesem Beispiel zu folgen. Er machte das so ausgezeichnet, daß Bandom sofort eine andere Haltung und einen anderen Ton annahm. »Schluß der Vorstellung«, sagte er mit scharfer Stimme und meinte damit sicher Mister Jerome Bliss, hinter dem er stand. Der sagenumwobene Wirtschaftsboß konnte nicht antworten. Im Gegensatz zu Mike Rander und Butler Parker lag sein spitzes Kinn auf der Brust, seine Augen waren geschlossen. Bandom nahm sich nicht die Zeit, seinen Arbeitgeber zu kontrollieren. Er ging nach vorn in Richtung Cockpit, öffnete die Tür und orientierte mit einigen schnellen Sätzen die beiden Piloten, die wartend in ihren Sitzen saßen. Dann eilte er zurück, schloß die Tür und merkte erst jetzt, daß mit seinem Chef etwas nicht stimmte. Er ging zu Bliss, rüttelte ihn an der Schulter, stutzte verständlicherweise, schaute Rander und Parker an und war einen Moment ratlos. Er vermochte sich nicht zu erklären, wieso drei Männer schliefen, obwohl er doch nur zwei präparierte Gläser serviert hatte!
* � Der Jet hatte bereits von der Rollbahn abgehoben und befand sich im Steigflug. Barry Bandom bemühte sich indessen um Bliss und Parker, während er sich kaum um den Anwalt kümmerte. Bandom tätschelte die Wangen von Bliss und brüllte ihn inzwischen recht laut an. Doch der geheimnisumwitterte Wirtschaftsboß reagierte verständlicherweise nicht. Immerhin hatte er jenen Schlaftrunk genommen, der für den Butler gedacht war. Bandom baute sich nun vor dem Butler auf und wollte seine Taktik ändern, doch es blieb beim Ansatz. Als der Sekretär des Tycoon seine Schußwaffe ziehen wollte, von deren Existenz der Butler längst wußte, klopfte Josuah Parker mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms auf die Hand des Mannes und öffnete gleichzeitig die Augen. »Verzichten Sie möglichst auf unüberlegte Handlungen«, empfahl Josuah Parker dem Sekretär, der ihn in einer Mischung aus Wut und Ratlosigkeit anstarrte, um sich dabei die Hand zu reiben. »Ich war so frei, die beiden Gläser zu tauschen«, sagte der Butler, »aber darauf dürften Sie ja inzwischen selbst gekommen sein.« 54
»Wenn schon!« Bandom hatte sich wieder unter Kontrolle. »Sie sitzen nach wie vor in der Falle.« »Eine erstaunliche Sicht einer Lage, die sich grundlegend geändert haben dürfte.« »Wieso nicht, Mister Parker?« Barry Bandom versuchte es mit Überlegenheit und lächelte dünn. »Ob Sie nun betäubt sind wie Mister Rander oder nicht, was ändert das?« »Es ist Ihnen zum Beispiel nicht mehr möglich, frei über Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit verfügen zu können.« »Aber Sie können nicht aussteigen und verschwinden.« »Dies liegt auch keineswegs in meiner Absicht, Mister Bandom. Wir werden gemeinsam warten, bis Mister Bliss wieder zu sich gekommen ist. Wie lange wird das Ihrer Ansicht nach dauern?« »Eine halbe Stunde.« »Hat man es mit dem richtigen Mister Bliss zu tun?« »Natürlich nicht, und Sie wissen es.« »Ein erstaunlich gut gelungenes Duplikat, Mister Bandom. Darf man erfahren, wo der wirkliche Mister Bliss sich befindet?« »Keine Ahnung. Ob Sie es glauben oder nicht, ich weiß es einfach nicht.« Bandom hatte hinter dem festgeschraubten Arbeitstisch Platz genommen und seine Fassung endgültig zurückgewonnen. »Hören Sie,
Mister Parker, ich werde Ihnen einen Vorschlag machen. Hören Sie sehr genau zu!« »Sie wollen meiner bescheidenen Person ein attraktives Angebot machen, nicht wahr?« »Erraten, Mister Parker. Warum arbeiten Sie für diese Lady und für Mister Rander? Das große Geld können Sie als Butler nie machen. Das aber kann ich Ihnen bieten!« »Ohne mit Ihrem Boß zu sprechen, wie man das wohl in Ihrer Branche zu nennen pflegt?« »Steigen Sie bei uns ein, Mister Parker, wechseln Sie die Fronten! Das muß ja nicht offiziell geschehen, verstehen Sie? Wir würden Sie als eine Art V-Mann bezahlen.« »Würde Mister Keene solch eine zwischen Ihnen und mir getroffene Abmachung tolerieren?« »Mit Keene hat das doch überhaupt nichts zu tun, Mister Parker. Er arbeitet nicht für uns.« »Aber er wohnt in Hyeres, nicht wahr?« »Reiner Zufall, darum habe ich seinen Namen ja auch genannt.« »Und wer ist Ihr Arbeitgeber, Mister Bandom?« »Der Name wird Ihnen überhaupt nichts sagen.« »Sie sollten es auf einen Test ankommen lassen, Mister Bandom.« »Nee, lieber nicht, Mister Parker, ich verbrenne mir nicht den Mund! Sie werden diesen Namen schon 55
früh genug erfahren. Nun, wie stehen Sie zu meinem Angebot?« »Bevor ich antworte, möchte ich gern in Erfahrung bringen, was mit Mister Rander und mir geplant war?« »Können Sie sich das nicht vorstellen?« Bandom lächelte kühl. »Es gibt der Möglichkeiten viele, würde ich sagen.« »Wir fliegen nach Rom und werden Sie dort ganz offiziell aussteigen lassen. Man wird Sie dort abholen, Mister Parker, Sie und Mister Rander. Was dann aus Ihnen wird, ist Ihre Sache. Unser Alibi wird hieb- und stichfest, sein.« »Und Tage später wird man Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit entseelt irgendwo in Rom finden – oder sollte ich mich sehr irren?« »Sie irren überhaupt nicht, Mister Parker. Wer uns Schwierigkeiten macht, der lebt eben gefährlich und muß mit solchen Konsequenzen rechnen.« »Sie glauben, Mister Bandom, Ihren Plan noch immer durchführen zu können?« Parker redete nach wie vor mit einer Höflichkeit, die frappierend war. »Natürlich, Mister Parker. An unseren Plänen ändert sich überhaupt nichts. Vergessen Sie nicht, Sie sitzen in einem Jet, der jetzt wohl schon seine sechstausend Meter
Höhe erreicht haben dürfte!« Butler Parker hatte natürlich bemerkt, daß Barry Bandom sich per Knopfdruck mit dem Cockpit in Verbindung gesetzt hatte. Die Tür öffnete sich, und der Co-Pilot erschien in der großen Kabine. Er hielt – Parker hatte es gar nicht anders erwartet – eine Pistole in seiner Hand. »Bevor Sie das begehen, was man eine nicht mehr korrigierbare Entscheidung nennt, sollten Sie einen Blick in die Wölbung meiner Kopfbedeckung werfen«, sagte der Butler und drehte langsam seine schwarze Melone herum. Seine rechte Hand umspannte eine Handgranate, wie deutlich zu sehen war. Barry Bandom lehnte sich automatisch zurück, der Co-Pilot wurde verständlicherweise ein wenig unsicher. »Ich brauche wohl nicht besonders zu betonen, meine Herren, daß der Sicherungsstift bereits entfernt worden ist«, redete Parker in seiner ungemein höflichen Art weiter. »Falls ein Geschoß meine Wenigkeit treffen sollte, wird meine Hand sich öffnen und den Druckbügel freigeben. Die Folgen dürften mit Sicherheit katastrophal sein.« »Sie… Sie bluffen«, sagte Bandom. Seine Stimme war deutlich hörbar belegt. »Warum sollte ich?« Parker blieb 56
gelassen. »Gibt es für Mister Rander und meine Wenigkeit eine andere Alternative: Bevor man uns ermordet, wird man selbstverständlich bestrebt sein, seine Mörder mit in den Tod zu nehmen. Darf ich noch etwas hinzufügen? Selbst wenn es Ihnen gelingen sollte, die Handgranate zu finden, wenn sie aus meinen leblosen Fingern geglitten ist, dürften Sie kaum Zeit haben, sie zu entfernen. Die Laufzeit des Zünders ist extrem kurz. Würden Sie nun freundlicherweise Ihre Entscheidung treffen?« * Lady Agatha befand sich in bester Laune und Verfassung. Außerordentlich leichtfüßig und erstaunlich geräuschlos verließ sie die schützende Deckung und schaltete erst mal zwei der sechs Männer mit einem Streich aus. Und um was für einen Streich es sich handelte! Mit dem »Glücksbringer« im Pompadour wischte sie von links nach rechts und traf genau. Die beiden Gemaßregelten gingen klaglos zu Boden und nahmen das Gefühl mit in ihre Ohnmacht, sie seien von einem auskeilenden Pferd getroffen worden. Die restlichen vier Männer hatten diesen Doppelniederschlag natürlich mitbekommen und wandten sich
schnell um. Sie sahen eine beeindruckende Gestalt vor sich, die sie in der Dunkelheit unter den Bäumen nicht zu identifizieren vermochten. Zwei Männer stürzten sich auf die ältere Dame, die nun ein wenig in Bedrängnis geriet. Die beiden anderen horten hinter sich einen leisen Ruf und wirbelten herum. Sie bekamen es mit Kathy Porter zu tun. Lady Agatha wurde nur kurzfristig bedrängt, dann aber bereinigte sie die Lage auf ihre umwerfende Art und Weise. Ihre rechte Schuhspitze traf das Schienbein eines der beiden nächsten Angreifer. Der Mann heulte gequält auf und verlor prompt jede Lust, sich weiter mit seiner Gegnerin anzulegen. Er hüpfte auf dem noch intakten Bein herum, klagte lautstark und wurde von seinem Begleiter umgestoßen, der dem wirbelnden Pompadour durch einen Sprung zur Seite im letzten Augenblick entging. Der Mann hatte jedoch keine Zeit, sich seines Erfolges zu freuen, denn Lady Agatha setzte sofort nach und verabreichte dem völlig Verblüfften eine schallende Ohrfeige, die nicht von schlechten Eltern war. Der Mann sah bunte Sterne, taumelte und fiel mit dem Kopf gegen den perlenbestickten Pompadour, der gerade wieder zurückschwang. Agatha Simpson nickte zufrieden, als auch dieser Mann zu Boden ging. Kathy Porter brauchte die entliehe57
nen Kugelschreiber des Butlers nicht einzusetzen. In so gut wie allen Künsten der fernöstlichen Kampfsportarten ausgebildet, erledigte sie ihren Gegneranteil kurzerhand mit ein paar gezielten Handkantenschlägen. »Und jetzt die Schlüssel zum Haus«, verlangte Lady Simpson. Sie machte einen durchaus animierten und ausgeglichenen Eindruck. »Das sind keine Gangster«, flüsterte Kathy Porter ihrer Chefin zu. »Wieso nicht?« flüsterte die Detektivin. »Die hätten anders reagiert«, vermutete Kathy Porter. »Kommen Sie, schnell!« Agatha Simpson war nicht geneigt, ohne weiteres das Feld zu räumen. Sie wollte sich noch ein wenig ausarbeiten, und vor allen Dingen in Erfahrung bringen, mit wem sie es zu tun hatte. Kathy Porter aber ließ sich nicht darauf ein. Sie zerrte die Lady zurück ins Strauchwerk. »Polizei«, flüsterte sie. »Mylady, wir müssen weg, sonst wird man uns einsperren.« »Polizei, Kindchen?« »Bestimmt, Mylady«, versicherte Kathy Porter ihr. »Hier, der Beweis!« Kathy Porter drückte der älteren Dame ein aufklappbares Lederetui in die Hand. »Gut, also gehen wir!« Agatha Simpson verzichtete darauf, sich diesen Ausweis genauer anzusehen. Sie
folgte ihrer Gesellschafterin durch das Unterholz in Richtung Hafen. »Halt, Polizei! Stehenbleiben!« Eine wütende Stimme bellte durch die Dunkelheit. »Was sagt dieses Subjekt?« wollte Agatha Simpson wissen. »Man verlangt, daß wir stehenbleiben«, übersetzte Kathy Porter und zupfte und zerrte die ältere Dame weiter in Richtung Steintreppe. Nach wenigen Minuten war sie bereits erreicht. Kathy Porter sah etwa fünfzig Meter von der natürlichen Mole entfernt ein weißes Polizeiboot im Wasser treiben. Es machte kaum Fahrt und wiegte sich in der flachen Dünung. Lady Simpson und Kathy Porter stiegen die steile Steintreppe hinunter zur gemieteten Yacht. Kathy war ungemein erleichtert, als sie entdeckte, daß man die kleine Yacht nicht an die Kette gelegt hatte. Sie schob den Zündschlüssel ins Schloß und ließ den Motor anspringen. Im gleichen Moment flammte ein Scheinwerfer des Polizeibootes auf und richtete sein gleißend helles Licht auf die Yacht, die von Kathy schnell und geschickt ins freie Wasser manövriert wurde. Lady Simpson hatte übrigens Geistesgegenwart gezeigt. Beim Aufflammen des Scheinwerfers hatte sie sich sofort umgewendet und gesetzt, damit man sie nicht erkennen konnte. Kathy dagegen 58
brauchte diese Sorge nicht zu haben. So wie sie sahen Tausende junger Frauen aus. Eine spätere Identifikation war also so gut wie unmöglich. Sie gab Vollgas und preschte los. Das Polizeiboot nahm sofort die Verfolgung auf. Schon fielen die ersten Warnschüsse. Eine lautsprecherverstärkte Stimme forderte energisch, die Yacht sofort zu stoppen. »Was wollen diese aufdringlichen Leute?« fragte Lady Agatha grollend. Kathy Porter sagte es ihr. »Lächerlich«, fand die Detektivin. »Sie sollen gefälligst Englisch sprechen, wenn sie etwas von mir wollen. Fahren Sie weiter, Kindchen, und hängen Sie diese Möchtegerne ab! Noch beherrscht England die See!« * »Sie bluffen«, sagte Barry Bandom und starrte auf die Eierhandgranate in Parkers Hand. »Soll ich schießen?« fragte der CoPilot, doch er machte einen recht unsicheren und unentschlossenen Eindruck. »Es ist Ihre Entscheidung«, warf Josuah Parker höflich ein. »Sie kennen die Alternative, meine Herren! Darf ich noch etwas hinzufügen?« »Reden Sie, Parker«, sagte Barry Bandom nervös. »Die augenblicklich herrschende Situation läßt sich mit dem Begriff
des Patt bezeichnen«, schickte Parker voraus. »Was halten Sie von einem Rückflug nach Nizza? Dort könnte man sich relativ höflich trennen.« »Sie wissen zuviel, Parker!« Bandom knabberte an seiner Unterlippe. »Sie sprechen die Tatsache an, daß jener Mister Bliss dort im Sessel nicht der wirkliche Mister Jerome Bliss ist?« »Das ist es! Sie würden das sofort an die große Glocke hängen.« »Dann müssen Sie schießen lassen.« »Heller Wahnsinn, Bandom«, rief der Co-Pilot. »Keiner von uns wird eine Chance haben.« »Die haben wir auch dann nicht, wenn wir landen. Der Chef wird uns abservieren.« »Wartet er in Nizza auf die baldige Rückkehr des Jet?« erkundigte sich Parker. Er hob die Eierhandgranate ein wenig an und schwang den Arm gleichzeitig nach hinten. Wenn er den Sprengkörper fallen lassen würde, mußte er weit nach hinten in den Rumpf rollen, unerreichbar für die beiden Männer. »Ich werde nicht schießen«, sagte der Co-Pilot, »ich bin doch kein Selbstmörder. Aber ich werde Sie abknallen, Bandom, wenn Sie Ärger machen!« »Das wird kaum nötig sein«, versicherte Parker dem Co-Pilot. »Mister Bandom hat inzwischen ebenfalls 59
zur Vernunft und Logik zurückgefunden.« »Sie… Sie haben von vornherein mit ‘ner Falle gerechnet?« fragte Bandom. »Und diesen handlichen Sprengkörper in meiner Kopfbedeckung mitgenommen«, antwortete Butler Parker. »Ich möchte hoffen, daß Sie meiner bescheidenen Wenigkeit nicht allzu gram sind.« »Ich sage dem Piloten Bescheid.« Der Co-Pilot verschwand vorsichtig wieder im Cockpit. »Dort steht noch ein wenig GingerAle«, sagte Parker und deutete auf die beiden Gläser. »Wie wäre es, Mister Bandom, wenn Sie einen erfrischenden Schluck nehmen würden? Sie können den Inhalt zusammengießen. Ja, ich bestehe sogar darauf.« »Sie haben auch das mit dem Schlafmittel gewußt, wie?« Bandom starrte wie hypnotisiert auf die Eierhandgranate. »Es handelt sich um eine Art Eingebung, auch Intuition genannt«, antwortete Parker und nickte andeutungsweise. »Trinken Sie! Ich möchte Sie nicht noch mal mit meinem Schirm belästigen.« Barry Bandom war nicht erpicht darauf, den bleigefütterten Bambusgriff noch mal zu fühlen. Er stand auf, kam um den Arbeitstisch herum, goß den Inhalt zusammen und trank das Glas leer. Dann ließ er
sich im Schreibtischsessel nieder und atmete tief durch. »Sie… Sie werden die Polizei alarmieren?« fragte er dann. »Aber nein, Mister Bandom.« Parker schüttelte den Kopf. »Mylady würde mir solch eine Handlungsweise nie verzeihen.« »Der Chef… wird mich… umbringen«, sagte Bandom leise. »Er braucht Sie für den falschen Jerome Bliss«, widersprach Parker gelassen. »Wenn Sie plötzlich nicht mehr als sein Sekretär agieren, könnte die Öffentlichkeit Verdacht schöpfen. Übrigens, wo wird der wahre Mister Bliss eigentlich versteckt gehalten? Oder anders gefragt, lebt er überhaupt noch?« »Doch… er lebt«, sagte Bandom und gähnte. »Natürlich lebt er noch… Für die Unterschriften und Schriftproben… Der lebt… Und so schlecht… geht’s ihm gar nicht.« »Sie können sich gleich der Entspannung und Ruhe hingeben«, versicherte Parker dem Gangster. »Ist Mister Bliss der einzige Wirtschaftskapitän, der von Ihrer Organisation gegen einen Doppelgänger ausgetauscht wurde?« »Nein«, kam die ersterbende und kaum noch zu verstehende Antwort. »Wir… haben noch zwei… an der Leine!« *
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»Und wer sind diese beiden Leute?« fragte Lady Simpson. »Mister Bandom war leider nicht mehr in der Lage, die beiden Namen zu nennen, Mylady«, antwortete Josuah Parker. »Das schnell wirkende Schlafmittel im Getränk verhinderte dies.« »Warum haben Sie dieses Subjekt nicht mitgebracht?« wollte die ältere Dame wissen. »Die Umstände, Mylady, sprachen ein ernstes Wort dagegen«, entgegnete der Butler. »Verständlicherweise war meiner Wenigkeit daran gelegen, Mister Rander zurück nach Hyeres zu schaffen. Mehr war leider nicht zu erreichen, nachdem der Jet wieder in Nizza gelandet war.« »Schade, daß ich nicht dabei sein konnte.« Agatha Simpson seufzte in tragischer Erkenntnis. »Die Dinge wären dann bestimmt anders verlaufen, Mister Parker.« »Wenn Mylady erlauben, möchte ich Mylady voll und ganz beipflichten«, sagte Parker, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. »Darf ich zusätzlich noch darauf verweisen, daß es einige Schwierigkeiten bereitete, Mister Rander in ein Auto zu schaffen.« Lady Simpson, Kathy Porter und Butler Parker befanden sich in der Hotelsuite der Detektivin, während Mike Rander in seinem Zimmer zu Bett lag. Das Schlafmittel tat noch immer seine Wirkung.
Es war weit nach Mitternacht und ging langsam auf den Morgen zu. Lady Agatha machte einen aufgekratzten Eindruck. Sie dachte noch voller Freude an ihren nächtlichen Kampf und die anschließende Verfolgungsjagd. »Hatte der Pilot die Rückkehr des Jet gemeldet?« erkundigte sich Kathy Porter. »Nicht nur bei der Flugaufsicht«, bestätigte der Butler. »Nach der Landung sah ich mich gezwungen, Mister Jerome Bliss als eine Art Geisel und Rückversicherung zu betrachten. Mister Bandom trug ihn unter meiner Aufsicht zu einem bereitstehenden Wagen, den ich per Funk angefordert hatte.« »Wie leichtsinnig, Mister Parker, wie leichtsinnig!« Lady Simpson schüttelte verweisend den Kopf. »Wie leicht hätte dieser Wagen präpariert sein können.« »In der Tat, Mylady«, pflichtete Parker ihr bei, »aus diesem Grund benutzten Mister Rander und meine Wenigkeit dann auch den Wagen, mit dem einige sogenannte Angestellte des Mister Bliss auf dem Flugplatz erschienen waren. Den angebotenen Wagen verschmähte ich aus Gründen der Sicherheit.« »Nun ja.« Agatha Simpson räusperte sich. »Immerhin, Mister Parker, eine recht gute Reaktion!« »Ergebenen Dank, Mylady!« Parker deutete eine Verbeugung an. 61
»Der Co-Pilot war übrigens so hilfsbereit, Mister Rander zu diesem Wagen zu bringen. Die Rückfahrt nach Hyeres bot dann keine Schwierigkeiten mehr.« »Diesen Bliss hätte ich gern gehabt. Oder auch nur diesen Sekretär«, meinte Lady Agatha. »Zwei weitere Duplikate also! Und wir haben keine Ahnung, wo die armen Teufel versteckt gehalten werden, die man gegen diese Doppelgänger ausgetauscht hat. Ich hoffe, Mister Parker, Sie werden sich einiges einfallen lassen.« »Mylady dürfen versichert sein, daß man sich alle nur erdenkbare Mühe geben wird. Darf ich in diesem Zusammenhang noch mal auf die kleine Privatinsel verweisen?« »Die ist geräumt, Mister Parker. Ich habe mich mit eigenen Augen davon überzeugt. Und die Polizei dürfte es inzwischen auch wissen.« »Eine verblüffende und bewunderungswürdige Leistung, Mylady, das Polizeiboot abgeschüttelt zu haben.« »Ich wollte es ja rammen, aber Miß Porter hatte da gewisse Bedenken, Mister Parker.« »Erfreulicherweise… Ich meine, erfreulicherweise, daß die Schüsse der Polizei nicht trafen, Mylady.« »Weil ich die Yacht gesteuert habe, Mister Parker!« Sie strahlte. »Gut, Kathy hat da mit Ihren Kugelschreibern so eine Art Nebelwand gelegt,
aber das war nicht entscheidend.« »Natürlich nicht, Mylady.« Parker blieb vollkommen ernst. »Als das Polizeiboot dann auflief, war die Rückfahrt nur noch eine Kleinigkeit. Und wissen Sie, warum es auflief?« »Mylady lockte das Boot mit Sicherheit in eine Art Falle, wie ich vermuten darf.« »Sie dürfen, Mister Parker, Sie dürfen!« Die Sechzigjährige lächelte versonnen. »Wahrscheinlich hängt das Boot noch immer auf dieser Klippe, die ich natürlich sofort gesehen hatte.« »Mylady gehen stets nach ausgeklügelten Plänen vor«, behauptete der Butler und tauschte einen schnellen Blick mit Kathy Porter, die schmunzelte. Parker konnte sich leicht vorstellen, daß seine Herrin die angesprochene Klippe auf keinen Fall gesehen hatte. Das Glück hatte für sie wieder mal Überstunden gemacht, nur so konnte es gewesen sein. »Ich frage mich, wer mir die Polizei auf den Hals geschickt haben könnte?« Agatha Simpson sprach damit einen wichtigen, interessanten Punkt an. »Es bieten sich zwei Möglichkeiten an, Mylady.« »Nämlich, Mister Parker? Ich tippe darauf, daß die Gangster es gewesen sind.« »Oder vielleicht ein gewisser John 62
Harrods, Mylady.« »Genau das wollte ich gerade sagen«, erklärte Agatha Simpson. »Aber diesen angeblichen Möbelrestaurator und Privatdetektiv werde ich mir noch kaufen. Und das wird für ihn dann nicht sehr angenehm sein!« * Marty Keene war ein jovial aussehender Mann von fünfundfünfzig Jahren, der offensichtlich kühle Getränke und heißblütige junge Damen liebte. Der Mann, der von der Presse als »Gangster in Pension« bezeichnet wurde, saß im Garten einer bezaubernden Villa und ließ sich von zwei Gespielinnen verwöhnen. Marty Keene trug ein grellbuntes Hemd und bequeme Leinenhosen. Sein fleischiges, rundes Gesicht nahm den Ausdruck großen Erstaunens an, als Butler Parker und Mike Rander erschienen. Marty Keene richtete sich überraschend schnell auf und musterte die beiden Besucher. »Wie kommen denn Sie hierher?« fragte er scharf. Seine Stimme hatte etwas von einem Rasiermesser an sich. Sie paßte nicht zu seinem jovialen Aussehen. »Darf ich mir erlauben, Ihnen Mister Rander vorzustellen?« Josuah Parker lüftete seine schwarze Melone und übersah das amüsiert-
irritierte Lächeln der beiden Gespielinnen, das wohl seinem mehr als korrekten Anzug galt. »Rander? Rander!? Nie gehört. Ich wiederhole noch mal, wie…« »Mein bescheidener Name ist Parker, Josuah Parker«, stellte sich nun auch der Butler vor. »Verschwinden Sie! Das hier ist Privatbesitz.« Während Marty Keene das sagte, wandte er sich empört um. Er schien etwas zu suchen. »Ihre beiden Gärtner fühlen sich zur Zeit ein wenig unwohl«, erklärte Josuah Parker und hob andeutungsweise bedauernd die Schultern. »Ich habe mir erlaubt, sie in den kühlen Keller Ihres Hauses zu schaffen.« »Jeff und Ritchie?« »Das werden wohl ihre Namen sein.« Parker trat einen halben Schritt zurück und ließ Mike Rander den Vortritt. »Wir kommen in Sachen Jerome Bliss«, schickte der Anwalt voraus. »Wir sollten uns ein paar Minuten über diesen Mann unterhalten, Keene, finden Sie nicht auch?« Marty Keene, der Gangster mit dem jovialen Gesicht, schloß die Augen bis auf einen Spalt. Dann wandte er sich an seine beiden munteren Gespielinnen. »Verschwindet, Mädchen, seht euch das Fernsehprogramm an!« »Vielleicht könnten die Damen sich auch ein wenig um die Herren 63
Jeff und Ritchie kümmern«, warf Parker ein. »Kalte Umschläge dürften geeignet sein, Beulenbildung ein wenig einzudämmen.« Die beiden Girls hasteten davon und hinterließen eine Duftwolke Parfüm. »Zurück zu Bliss«, sagte Mike Rander und setzte sich. »Sie wissen natürlich, daß da etwas faul im Staate Dänemark ist, wie?« »Dänemark? Da habe ich noch nie gearbeitet«, meinte Keene. »Schon gut, schon gut.« Rander lächelte. »Die Namen Hamlet und Shakespeare sagen Ihnen natürlich auch nichts.« »Sind die neu im Geschäft? Noch nie von gehört.« »Bleiben wir bei Bliss, Keene.« Mike Rander ließ sich von Josuah Parker einen Drink reichen, den der Butler an der fahrbaren Hausbar gerade zubereitet hatte. »Was sagen Sie dazu, daß er gegen einen Doppelgänger ausgetauscht worden ist? Und nicht nur er, nein, auch zwei weitere Wirtschaftsbosse werden inzwischen schon gedoubelt. Daß Sie so etwas nicht stört, Keene, läßt mich an Ihnen zweifeln. Sie lassen sich solche fetten Geschäfte durch die Lappen gehen? Paßt so was zu Ihnen? Kribbelt es da nicht in Ihren Fingern?« »Wer… Wer sind Sie?« fragte Keene noch mal. Er hatte sich wieder zurückgelehnt und sah seine
Besucher abschätzend an. »Wer wir sind, Keene? Menschenfreunde, reine Menschenfreunde«, entgegnete der Anwalt ironisch. »Ob Sie’s glauben oder nicht, Keene, es gibt da Leute, die sind fest der Meinung, daß Sie diesen Austausch vorgenommen haben.« »Reden Sie weiter«, bat Keene vorsichtig. »Es gibt allerdings auch andere Zeitgenossen, Mister Keene, die die Ansicht vertreten, Sie würden sich nur allzugern in dieses Geschäft einschalten«, ließ sich der Butler vernehmen. Er sah ein wenig zur Seite und musterte die beiden Männer, die hinter einer Hollywood-Schaukel erschienen waren und schallgedämpfte Schußwaffen in Händen hielten. »Schafft sie ins Haus«, rief Keene diesen Männern zu. »Das Thema interessiert mich!« * »Ihre beiden Damen haben schnell geschaltet«, meinte Anwalt Rander und nickte Keene zu. »Für mich arbeiten nicht nur Jen und Ritchie«, antwortete Keene und lachte breit und siegessicher. »Los, stehen Sie auf! Die beiden Leute bluffen nicht.« »Wir ebenfalls nicht.« Mike Rander deutete auf den Butler, der inzwischen ebenfalls eine schallge64
dämpfte Schußwaffe in seiner Rechten hielt. Die Mündung war auf Keene gerichtet. »Mister Parker hat sich eine Waffe ausgeborgt. Ich nehme an, Sie werden das verstehen, Keene.« Der »Gangster in Pension« schielte auf die Mündung, die auf ihn gerichtet war. »Ich habe übrigens die andere Waffe«, fügte Rander hinzu. »Schicken Sie die beiden Leibwächter weg, Keene! Ihnen wird schon nichts passieren.« »Okay, okay«, sagte Keene und scheuchte seine beiden anderen Betreuer in Richtung Haus. »Für weh arbeiten Sie?« »Auf eigene Rechnung, Keene.« »Ist das nicht ‘ne Nummer zu groß?« Keene schüttelte fast vorwurfsvoll den Kopf. »Nicht für uns, Keene.« Mike Rander zündete sich eine Zigarette an. »Aber zu Ihnen, Keene: Sie spielen mit ‘ner Atombombe. Sie wissen das hoffentlich.« »Ich spiele mit gar nichts, Rander.« Keene hob abwehrend die Hände. »Ich habe mich aufs Altenteil gesetzt. Mich kann nichts mehr interessieren.« »Aber ein ausgetauschter Bliss, Keene!?« »Ich weiß von nichts. Und ich will auch von nichts wissen. Ich will nur noch meine Ruhe haben.« »Die Leute, die Bliss gegen ein
Double ausgetauscht haben, sehen das ganz anders. Die glauben, daß Sie ihre Finger im Spiel haben.« »Bin ich wahnsinnig?« Keene lachte gequält. »Ich werde doch nicht gegen Mario Ge… Äh, ich meine… Also… Wovon reden Sie eigentlich?« »Sie meinen Mario Genova, nicht wahr?« Rander schmunzelte. »Das ist eine Unterstellung. Ich habe diesen Namen nicht genannt. Und ich kenne diesen Namen überhaupt nicht.« »Ein Mann wie Sie würde sich nie verplappern«, stellte Mike Rander fest. »Spielen Sie uns nichts vor! Was Sie da eben abgezogen haben, war nichts anderes als eine bewußte Indiskretion, Keene. Und natürlich kennen Sie einen Mario Genova!« »Ein Mann, der an den Paten eines gleichnamigen Mafia-Films erinnert«, faßte der Butler trocken zusammen. »Er residiert in New York und könnte durchaus jener Drahtzieher sein, der den Austausch einiger Spitzenwirtschaftler durch Doppelgänger vornehmen ließ.« »Hören Sie mal, ich hab’s langsam satt, mich…« »Einen Moment noch, Keene«, warf Mike Rander ein und unterbrach lächelnd den »Gangster in Pension«. »Haben Sie sich nicht gewundert, daß er hier vor Hyeres sein Domizil aufgeschlagen hat?« »Ich weiß noch immer nicht, 65
wovon Sie eigentlich reden.« »Im Fall eines Falles wird die Polizei Ihnen diesen verrückten Coup anhängen«, warnte Mike Rander den jovial. aussehenden Gangster. »Entsprechende Beweise werden dann natürlich vorliegen. Mann, Sie befinden sich in höchster Lebensgefahr.« »Abgesehen von der Tatsache, daß Sie mit Sicherheit diesen Lebensstandard aufgeben müssen, den Sie zu schätzen scheinen«, fügte der Butler hinzu und deutete auf das Haus und den riesigen Garten. »Der Verdacht drängt sich auf, daß Sie möglicherweise den Einflüsterungen eines Mannes erlegen sind, der offensichtlich überzeugend zu argumentieren versteht.« »Wo… Worauf spielen Sie an?« platzte Keene heraus. »Sie werden auch ohne uns dahinterkommen«, meinte der Anwalt ironisch. »Mensch, Keene, so vorsichtig, wie Sie sein müßten, können Sie ja kaum noch sein!« »Sie erreichen Mister Rander jederzeit im Hotel«, schloß Butler Parker und nannte den Namen des Hauses. »Treffen Sie eine weise Entscheidung, Mister Keene, wenn ich mir diesen Rat zu geben erlauben darf!«
Parker und Rander ins Hotel zurückkehrten. »Wegen der Inselgeschichte?« erkundigte sich der Anwalt. »Von der Lady Simpson natürlich keine Ahnung hat«, gab Kathy Porter lachend zurück. »Erschrecken Sie nicht, wenn Sie sie sehen, Mike!« »Ich verstehe, sie ist wieder die hilflose und alte Frau, die sich kaum rühren kann, oder?« »Man möchte sie am liebsten sofort in ein Krankenhaus schaffen.« Kathy Porter nickte. »Noch etwas: Ich habe die großen Nachrichtenagenturen in Ihrem Namen angerufen. Mister Parkers Verdacht hat sich bestätigt. Keine dieser Institutionen hat Harrods beauftragt, eine Geschichte über Bliss zu schreiben.« »Mister Harrods wird sich eine neue Ausrede einfallen lassen«, prophezeite der Butler. »Konnten Sie ihn inzwischen erreichen, Miß Porter?« »Er hat seine Rechnung bezahlt und ist abgereist, Mister Parker.« »Ihm scheint der Boden zu heiß geworden zu sein«, vermutete Mike Rander. »Wahrscheinlich wartet er jetzt erst mal ab.« Während dieser knappen Unterhaltung waren sie zur Hotelsuite erfahren. Als Kathy Porter die Tür öffnet, blieb Mike Rander betroffen * stehen. Lady Agatha lag fast in einem tie»Mylady wird gerade von der Polizei verhört«, sagte Kathy Porter, als
fen Sessel und machte einen äußerst 66
hinfälligen Eindruck. Sie schien unendlich alt zu sein. Von ihrer Dynamik war nichts mehr zu erkennen. Sie atmete mühsam und forderte geradezu die Hilfe eines Arztes heraus. Ein kleiner drahtiger und schwarzhaariger Mann stand am Fenster und schaute auf die Eintretenden. »Kommissar Vernon«, stellte Kathy Porter den etwa vierzigjährigen Mann vor. »Gut, daß Sie kommen, Mister Rander«, sagte Lady Agatha mit schwacher Stimme. Sie redete den Anwalt absichtlich sehr förmlich an. »Ich brauche den Rat und Beistand eines Anwalts. Es ist… ungeheuerlich!« »Rander.« Der Anwalt ging auf den Kommissar zu. »Ich höre, daß Sie Mylady verhören?« »Nur eine Befragung«, widersprach Vernon, der sich offensichtlich nicht wohl in seiner Haut fühlte. »Um was geht es, Mylady?« Rander wurde förmlich. »Stellen Sie sich vor, Mister Rander, ich soll eine Armee von Kriminalbeamten niedergeschlagen haben«, antwortete die ältere Dame mit schwacher Stimme. »Dazu soll ich noch ein Boot der Polizei auf Grund gesetzt haben.« »Es war nicht die französische Mittelmeerflotte, Mylady, die Sie ausgeschaltet haben?« fragte Rander ironisch und wandte sich dem Kom-
missar zu. »Verraten Sie mir, Mister Vernon, wer Ihnen diesen Floh ins Ohr gesetzt hat, ja?« »Ich tue nur meine Pflicht, Sir«, lautete Vernons Antwort. »Fest steht, daß Lady Simpson gestern abend eine Yacht mietete und draußen auf See war.« »Habe ich das bestritten, junger Mann?« fragte die Detektivin sanft und rang nach Luft. »Natürlich war ich auf See. Die frische Nachtbrise bekommt meinem Organismus.« »Sie waren nicht auf dieser Insel, von der ich gesprochen habe?« »Welche Insel meinen Sie?« mischte sich der Anwalt ein. »Sie gehört einem gewissen Jerome Bliss«, antwortete der Kommissar. »Er besitzt dort ein Ferienhaus, das er hin und wieder bewohnt.« »Das von Ihren Leuten besonders bewacht wird, wie?« »Nicht besonders, Sir, aber im Rahmen unserer Inselkontrollen sehen wir uns dort von Zeit zu Zeit um.« »Wie gestern, Kommissar? Oder wurden Sie vielleicht alarmiert?« »Bei uns ging tatsächlich eine Meldung ein.« »Anonym, wie ich vermute, nicht wahr?« »Das ist richtig, Sir.« »Und daraufhin setzt man sofort eine kleine Armee ein?« Mike Rander lächelte ironisch. »Dieser Mister Bliss muß einen kurzen Draht 67
zu den Behörden haben, vermute ich. Wer ist dieser Bliss eigentlich?« »Hören Sie, die Fragen stelle ich!« Vernon warf sich in die Brust und blitzte den Anwalt aus seinen dunklen Augen an. »Einverstanden, sobald Sie meine Fragen beantwortet haben, Vernon.« »Ich werde mich an den Staatspräsidenten wenden«, warf Lady Agatha ein. »Erst vor einigen Wochen hat er mich noch ermuntert, ihn jederzeit anzurufen, falls ich Klagen habe.« »Wer ist dieser Bliss, und warum haben Sie sofort Beamte in Marsch gesetzt, seine Insel zu kontrollieren?« fragte der Anwalt noch mal. »Bliss ist ein Wirtschaftsmagnat, Sir«, erwiderte Vernon. »In seinem Haus befinden sich wertvolle Antiquitäten, um deren Sicherung er gebeten hat.« »Wie viele Männer schickten Sie los?« »Insgesamt acht Beamte, Sir«, lautete die leicht gequälte Antwort. »Und diese Armee ist von der Lady außer Gefecht gesetzt worden? Machen Sie sich nicht lächerlich! Gibt es Augenzeugen, die das gesehen haben?« »Nicht direkt, Sir«, entgegnete Vernon gereizt. »Aber Indizien sprechen dafür, daß…« »Sehen Sie sich Mylady an«, bat Mike Rander. »Trauen Sie Mylady
zu, acht Männer in Schwierigkeiten zu bringen? Wo haben Sie nur Ihre Augen, Mister Vernon? Lady Simpson tut keiner Fliege etwas zuleide.« Mike Rander hatte einige Mühe, bei dieser Behauptung ernst zu bleiben. Auch Josuah Parker hielt es für angebracht, sich ein wenig abzuwenden, als er diese kühne Meinung hörte. Er fürchtete um sein Mienenspiel. Kathy Porter preßte krampfhaft die Lippen zusammen und schaute zu Boden. »Eine weitere Frage«, schickte Mike Rander voraus. »Ist die Insel zur Zeit, bewohnt? Ich meine, ist dieser Mister Bliss in seinem Haus?« »Nein, nein, er ist abgereist«, antwortete Vernon. »Darum reagierten wir auch sofort, als der Anruf erfolgte.« »Mister Bliss muß erstaunlich gute Beziehungen zur Polizei besitzen«, spottete Mike Rander. »Aber diesen Punkt sollten wir wohl besser nicht weiter abhandeln, oder?« »Was… Was wollten Sie damit andeuten?« brauste Vernon auf. »Nichts«, gab Mike Rander zurück. »Bliss hat sich also abgemeldet. Wahn wird er zurückkehren, Kommissar?« »In einer Woche«, lautete die Antwort. Vernon schien froh darüber zu sein, daß das Thema gewechselt worden war. Er verbeugte sich in Richtung Mylady. »Entschuldigen Sie also die Störung, Mylady! Ich 68
weiß jetzt, daß Sie unmöglich auf der Insel gewesen sein können. Da muß Ihnen irgend jemand einen Streich gespielt haben.« »Wie schlecht ist doch diese Welt«, erklärte Lady Agatha mit müder Stimme. »Aber diese Insel, mein Bester, interessiert mich inzwischen. Sie ist in Privatbesitz?« »Privatbesitz«, wiederholte der Kommissar. »Und ich darf sie nicht mal kurzfristig aufsuchen?« »Nur, wenn Mister Bliss Ihnen das erlaubt, Mylady.« »Der erst in einer Woche zurückkehren wird?« »In einer Woche. Sollte er vorzeitig zurückkommen, würde er das anmelden.« »Tun Sie mir einen Gefallen«, bat die ältere Dame. »Informieren Sie mich, ja? Der Staatspräsident sollte wissen, welch tüchtige Beamte hier an der Küste ihren Dienst versehen.« »Ich… Ich werde Sie sofort verständigen, Mylady.« Vernon bekam einen roten Kopf vor Freude. »Ich werde Sie sofort anrufen, Sie können sich fest darauf verlassen.« * Mike Rander und Butler Parker befanden sich wieder auf dem Flugplatz von Nizza. Sie waren diesmal nicht allein. In ihrer Begleitung befanden sich Lady
Simpson, Kathy Porter und sehr viel Gepäck. Die Absicht des Quartetts war eindeutig: Man wollte die Mittelmeerküste in Richtung England verlassen. Josuah Parker hatte zu diesem Aufbruch geraten, um die Gangster um den falschen Jerome Bliss nachhaltig zu irritieren, aber auch zu beruhigen. Dieses probate Mittel einer scheinbaren Abreise hatte der Butler in der Vergangenheit schon häufig genutzt Gegner fühlten sich nach solch einer Abreise immer wieder beflügelt, neue Aktivitäten zu ergreifen. Sie fühlten sich nicht mehr beobachtet und gefährdet. »Beobachtet man uns endlich?« fragte Lady Agatha bei Parker an, der mit den Tickets vom Flugschalter zurückkehrte. »Mit letzter Sicherheit, Mylady«, lautete die Antwort des Butlers. »Es handelt sich um die Herren Jeff und Ritchie, die in Diensten eines gewissen Mister Marty Keene stehen.« »Dann sofort zurück zu diesem Subjekt«, verlangte die Detektivin kriegerisch. »Damit hat dieser sogenannte ›Gangster in Pension‹ seine Maske fallen lassen.« »Vielleicht nicht ganz und vollständig, Mylady«, antwortete der Butler gemessen und höflich. »Beweisen könnte man diesem Herrn noch gar nichts.« »Daran dachte ich natürlich auch gerade«, räumte sie ärgerlich ein. 69
»Es gibt noch zwei weitere Beobachter, Mylady.« Während Parker dies bekanntmachte, sah er Mike Rander und Kathy Porter ebenfalls an. »Möglicherweise stammen sie von der Insel, doch ich möchte betonen, daß es sich nur um eine Arbeitshypothese handelt.« »Zeigen Sie mir diese beiden Lümmel, Mister Parker!« Lady Agatha wollte sich unbedingt ein wenig ausarbeiten. »Vielleicht erkenne ich sie wieder.« »Sie stammen von der Insel, Mister Parker.« Kathy Porter hatte inzwischen ebenfalls die beiden jungen Männer erkannt. »Sie gehören zur Polizei, wenn ich mich nicht sehr irre.« »Zu diesem Kommissar Vernon, Kindchen?« wollte die ältere Dame wissen. »Vernon wird sich die Schweißperlen von der Stirn wischen, wenn wir endlich in der Luft sind«, warf Mike Rander ironisch ein. »Endlich kann er sich wieder dem Schutz der kleinen Privatinsel widmen.« »Ob man Vernon bestochen hat, Mike?« fragte Agatha Simpson. »Soweit würde ich nicht gehen, Mylady.« Der Anwalt schüttelte den Kopf. »Er glaubt ja schließlich, dem richtigen Bliss einen Gefallen zu tun.« »Sonst nichts mehr zu sehen, Mister Parker?« Lady Agatha ließ nicht locker und maß die Umstehenden in
der großen Abfertigungshalle mit mißtrauischen Blicken. »Zur Zeit nicht, Mylady.« Josuah Parker schwindelte ein wenig. Er war auf einen jungen Mann aufmerksam geworden, der die Lederkleidung eines professionellen Motorradfahrers trug. Dieser junge Mann interessierte sich überraschenderweise für eine Reklame, die für die französische Staatsbahn warb. Als echter Motorradfahrer hätte er solch ein Plakat wohl völlig übersehen, wenn er dafür nicht andere Gründe gehabt hätte. Der Butler entschuldigte sich bei seiner Herrin und schritt hinüber zu den Toiletten. Dort angekommen, klopfte er mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines UniversalRegenschirms gegen eine der Kabinen und nannte seinen Namen. »Da geschahen erstaunliche Dinge!« Die Tür zu diesem kleinen Kabinett öffnete sich, und Butler Parker zwängte sich in die Kabine, um die Tür sofort wieder hinter sich zu schließen. Es kam ihm zustatten, daß die Toilette bei seinem Eintritt leer gewesen war! * Der junge Motorradfahrer zündete sich eine Zigarette an und warf noch einen letzten Blick auf das Flugzeug, das vor wenigen Augenblicken 70
abgehoben hatte. Dann ging er zu einer der Fernsprechzellen, wählte eine Nummer und blieb in entspannter, lässiger Haltung stehen, bis auf der Gegenseite abgehoben wurde. Er übersah einen älteren Herrn, der vor der Zelle wartete und seine Brille putzte. Es mußte ein Deutscher sein, denn er trug eine entsprechende Zeitung unter dem Arm. Seinen kleinen, schwarzen Koffer hatte er wohl aus Gründen der Sicherheit und gegen Gepäckdiebe zwischen die gegrätschten Beinen genommen. »Sie sind gerade abgehauen«, sagte der junge Mann. »Klar, alle vier Typen. Die seid ihr los. Natürlich hab ich das genau gesehen, nein, nein, ein Irrtum ist ausgeschlossen. Was soll ich jetzt machen?« Er hörte einen Moment zu und nickte dann. »Okay«, sagte er dann und wieder in Französisch. »Ich fahr’ los. Ob die mich bemerkt haben? Wie denn!? Nee, macht euch mal keine Sorgen, sagt dem Chef, daß alles in Ordnung ist.« Er legte auf und verließ die Telefonzelle, auf die der deutsche Tourist sich sofort stürzte und den jungen Mann dabei anrempelte, da er über seinen Koffer gestolpert war. »Pardon«, sagte der Deutsche, der sich ehrlich mühte, diese Entschuldigung möglichst akzentfrei auszusprechen.
Der Akzent allerdings war unüberhörbar. »Schon gut, Alter«, meinte der junge Motorradfahrer. »Brich dir bloß keine Verzierung ab!« Der deutsche Tourist verbeugte sich übertrieben höflich, zerrte seinen braunen Koffer mit in die Zelle und… wählte genau die Nummer, die der junge Motorradfahrer gerade gedreht hatte. »Hotel Corniche«, meldete sich eine geschäftsmäßig kühle Stimme. »Wer, bitte?« fragte der Deutsche jetzt in einem Französisch ohne jeden Akzent. »Hotel Corniche, Cannes«, wurde ihm geantwortet. »Dann muß ich mich verwählt haben.« Der Deutsche, der auch ein erstklassiges Französisch zu sprechen verstand, öffnete mühsam die Tür der Telefonzelle, zerrte seinen braunen Koffer nach draußen und schleppte ihn dann zum Ausgang. Er war ein sparsamer Tourist, und er war begriffsstutzig. Als ein Gepäckträger seine Dienste anbot, schüttelte er energisch den Kopf. Erstaunlicherweise verstand er jetzt wieder kein Wort Französisch. Es war schon ein recht eigenartiger Tourist! * Die beiden Gauner Jeff und Ritchie
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hatten die große Halle inzwischen verlassen und in einem dunklen Citroen Platz genommen. Jeff übernahm das Steuer, Ritchie setzte sich neben Marty Keene auf den Rücksitz. »Ab ging die Post«, sagte Ritchie, während Jeff anfuhr. »Die sind inzwischen in der Luft. Schade, daß Sie uns nicht rangelassen haben, Chef.« »Das fehlte noch.« Keene schüttelte den Kopf. »Ihr müßtet doch eigentlich die Nase voll haben, Jungens.« »Pech kann ja jeder mal haben«, meinte Jeff und nahm kurz den Kopf herum. »Noch mal würde dieser Butler das nicht mit uns machen!« »Unterschätzt den Butler nicht«, warnte der »Gangster in Pension« und warf unwillkürlich einen prüfenden Blick durch das Rückfenster. »Ich habe inzwischen ein paar alte Freunde in London angerufen. Dieser Typ hat es faustdick hinter den Ohren.« »Amateur bleibt Amateur«, mokierte sich Ritchie. »Der ist kein Amateur, Jungens.« er klärte Marty Keene. »Würde er auf unserer Seite arbeiten, er wär einer von den ganz Großen.« »Kann man sich gar nicht vorstellen.« Jeff schüttelte den Kopf. »Das is’ ja sein Trick. Man kann’s sich nicht vorstellen.« Keene schaute sich wieder um. »Seid ihr sicher, daß
er mit in der Maschine ist?« »Ich habe ihn deutlich gesehen, als er einstieg«, beruhigte Ritchie seinen Boß. »Die Bahn für uns ist frei. Wir können weitermachen.« »Zurück nach Hyeres, Boß?« erkundigte sich Jeff. »Cannes«, entschied Keene und lächelte versonnen. »Wie hat Kommissar Vernon sich eigentlich verhalten?« »Der Bulle war sogar mitgekommen«, berichtete Ritchie. »Ich hab gesehen, daß er beim Zoll verschwunden ist. Seine beiden Kettenhunde waren draußen in der Halle.« »Ein sehr nützlicher Mann«, stellte der »Gangster in Pension« zufrieden fest. »Er ist nämlich ganz schön beschränkt und sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Das sind genau die Bullen, die ich so richtig gern habe.« Er wandte sich noch mal um und studierte den Verkehr hinter dem Citroen. Aber dieser Butler konnte ja wohl unmöglich in einem der vielen Wagen sitzen. Er befand sich inzwischen schon seit über zehn Minuten hoch in der Luft! * »Finden Sie nicht auch, Kindchen, daß Mister Parker sich herzlich wenig um meinen Gesundheitszustand kümmert?« fragte Agatha Simpson leicht gereizt. »Um diese 72
Zeit brauche ich unbedingt einen Kreislaufanreger. Er kann das doch nicht vergessen haben.« »Ich werde mich sofort darum kümmern, Mylady.« Kathy Porter erhob sich und ging zu Parker, der hinter ihnen Platz genommen hatte. Mike Rander, der auf der anderen Seite des Mittelganges saß, sah interessiert zum Fenster hinaus. Kathy Porter hatte den Butler erreicht, der intensiv in einer Zeitung las. »Mylady braucht eine kleine Stärkung«, sagte sie. »Hallo, Mister Parker, hören Sie mich?« Kathy Porter war nicht in der Lage, sofort zu antworten. Sie sah Parker vor sich, doch er war es nicht! Gewiß, die Ähnlichkeit war frappierend, aber Josuah Parker war dieser Mann nicht… »Ich soll Ihnen das hier übergeben«, sagte der Mann, der wie Parker gekleidet war und dessen Gesicht eine sehr große Ähnlichkeit mit dem des echten Butlers aufwies. Der falsche Mister Parker reichte Kathy Porter einen Brief und rückte ein wenig verlegen und nervös auf seinem Sitz herum. Mike Rander schaute inzwischen schon nicht mehr hinunter auf die Landschaft, die der Jet überflog. Er war aufgestanden und kam auf Kathy Porter zu. »Alles in Ordnung«, beruhigte er sie. »Bringen Sie’s Mylady möglichst
schonend bei! Und hier wäre das Kreislaufmittel…« Während er sprach, reichte er Kathy Porter eine Taschenflasche, in der sich bester Kognak befand. Kathy Porter starrte auf die flache Flasche, dann auf den Brief, den der falsche Butler ihr gegeben hatte und schließlich auf Mike Rander. »Ich verstehe überhaupt nichts«, sagte sie. »Parker ist in Nizza zurückgeblieben«, antwortete der Anwalt. »Er hat das mit mir abgesprochen.« »Bitte, Mike, kommen Sie mit zu Mylady, sie zerreißt mich sonst in der Luft.« »Sie schafft wahrscheinlich auch noch mich, Kathy.« Mike Rander lächelte und begleitete Kathy Porter zu Agatha Simpson, die sofort merkte, daß etwas nicht stimmte. »Sie sollten vorher Ihren Kreislauf stärken«, schlug Mike Rander vor. »Vielleicht nehmen Sie eine besonders starke Dosis, Mylady.« »Weil Parker nicht mit an Bord ist?« fragte sie wie selbstverständlich zurück. »Sie… Sie wissen!?« Mike Rander schluckte, Kathy Porter holte tief Luft. »Ich habe diesen Schwindel doch sofort durchschaut«, erwiderte die Detektivin. »Er läßt sich von einem Doppelgänger vertreten. Der Fall Bliss scheint Schule zu machen.« »Und… Und Sie haben nicht pro73
testiert, Mylady?« Kathy Porter konnte es nicht fassen. »Um die Beobachter der Gegenseite aufmerksam zu machen, Kindchen?« Lady Agatha sah ihre Sekretärin und Gesellschafterin verweisend an. »Natürlich werde ich mich später noch mit Mister Rander sehr privat und ausführlich unterhalten, aber jetzt geht es erst mal um den wirklichen Bliss, den man irgendwo gefangen hält, nicht wahr?« »Ich glaub’s einfach nicht«, sagte Mike Rander leise und schüttelte den Kopf. »Ich glaub’s nicht.« »Nehmen Sie einen Kreislaufbeschleuniger, mein Junge«, schlug Lady Agatha dem Anwalt vor. »Sie machen einen richtig schlappen Eindruck!« * Der deutsche Tourist hatte sich von einem Taxi nach Cannes bringen lassen. Er interessierte sich für das Hotel »Corniche«, mit dem der junge Motorradfahrer gesprochen hatte. Der deutsche Tourist mit den angeblich so mangelhaften französischen Sprachkenntnissen trug seinen Koffer zum Hotel und schaute sich die Fassade des Hauses an. Es war ein Gebäude der mittleren Kategorie und lag weit oberhalb der berühmten Croisette, jener Prachtstraße der Stadt, die gut und gern
ihre zweieinhalb Kilometer lang ist. Das Hotel stand in der Altstadt, in der Nähe des Pace de la Castre. Unauffälliger hätte solch ein Haus kaum sein können. Wenig später bedauerte der Portier an der Rezeption, dem Touristen kein Zimmer vermieten zu können. Das Haus, so lautete seine Auskunft, sei schon seit vielen Wochen total ausgebucht. Der deutsche Tourist trug seinen braunen Koffer wieder hinaus ins Freie und fand nicht weit vom Hotel entfernt ein Straßencafe, wo er erst mal eine kurze Rast einlegte. Von seinem Tisch aus konnte er den Eingang zum Hotel gut überblicken. Der deutsche Tourist war selbstverständlich Butler Parker. Der Rollentausch war in der Toilette des Flughafens von Nizza vorgenommen worden. Parker hatte sich der Dienste eines zur Zeit stellungslosen Schauspielers versichert, der auf dieses gut dotierte Angebot nur zu gern eingegangen war. Dieser Kleindarsteller, der nun im Jet saß, war von einer Künstleragentur in Toulon nach Hyeres geschickt worden. Hier hatte Josuah Parker den Mann eingeweiht und ihn mit seiner Butler-Maske vertraut gemacht. Ein versierter Maskenbildner hätte nicht besser arbeiten können. Parker, ein Meister der Verwandlungskunst, hatte mit nur wenigen Mitteln und einem Ersatz74
anzug diesen begabten Künstler in seinen Doppelgänger verwandelt und ihn rechtzeitig nach Nizza geschickt, wo der Rollentausch dann vorgenommen worden war. Josuah Parker, der sich einen Mokka bestellt hatte, fand schon nach einer Viertelstunde heraus, daß das Hotel so gut wie keine Besucher oder Gäste hatte. Das »Cornichee« machte einen fast geschlossenen Eindruck. Normalerweise hätten doch Gäste gehen und kommen müssen, doch dies war nicht der Fall. Und das mußte seine Gründe haben. Der junge Motorradfahrer hatte mit einem Chef gesprochen, der dort drüben im Hotel wohnen mußte. Um welchen Chef mochte es sich handeln? War er mit dem Privatsekretär des falschen Jerome Bliss identisch? Handelte es sich um Barry Bandom? Konnte es der Chef der Inselwächter sein, der angeblich Steve Morland hieß? Wohnte im Hotel »Corniche« vielleicht sogar der Chef der Organisation, die die Duplikate einiger Wirtschaftskapitäne herstellen ließ? Butler Parker war froh, allein agieren zu können. Lady Agatha hätte jetzt wohl doch erheblich gestört. Sie wäre ins Hotel gestürmt und hätte wahrscheinlich jedes Zimmer durchsucht. Daß damit aber nichts zu gewinnen war, lag auf der Hand. Josuah Parker, der gerade wieder
an seinem Mokka nippte, wurde als ein Citroen aufmerksam, erschien. Der große Wagen hielt einen Moment vor dem Hotel. Jetzt erkannte Butler Parker auf dem Rücksitz den »Gangster in Pension«, nämlich Marty Keene. Neben ihm saß der junge Ritchie, am Steuer der Mann, der mit Vornamen Jeff hieß. Der Wagen rollte wieder an, passierte das Straßencafe und verschwand in einer Seitenstraße. Parker kontrollierte mit seinen Augen die Fensterfront des Hotels. Die Fenster waren durchweg geschlossen, selbst die abkippbaren Sonnenjalousien waren heruntergelassen worden. Vor dem Eingang des Hotels erschien plötzlich ein Mann, der Parker nicht unbekannt war. Es handelte sich um den Sekretär des falschen Jerome Bliss, um Barry Bandom. Er zündete sich eine Zigarette an und ging langsam die Straße hinunter. Er schien auf etwas zu warten, denn er sah die Straße hoch und… winkte, als der große Citroen erneut auftauchte. Der Wagen hielt. Barry Bandom trat an ihn heran, beugte sich zum geöffneten Fenster und sprach kurz mit Marty Keene. Was die beiden sich zu sagen hatten, konnte Josuah Parker leider nicht verstehen, aber darauf kam es im Augenblick auch gar nicht an. Es 75
war interessant genug, daß es zwischen Barry Bandom und Marty Keene eine Verbindung gab. Die Unterhaltung war nur kurz. Bandom ging zurück zum Hoteleingang, während der Citroen wieder anrollte. Aus einer nahen Toreinfahrt erschien nun ein Motorradfahrer im Lederoverall. Es war der junge Mann, den Parker bereits in Nizza in der Telefonzelle beobachtet hatte. Dieser Motorradfahrer schien den Citroen zu verfolgen. Parker, der seinen Mokka bereits gezahlt hatte, nahm seinen braunen Koffer hoch und ging noch mal zum Hotel zurück. * »Verstehen Sie doch, ich kann wirklich nichts für Sie tun«, sagte der Portier ungeduldig. »Wir sind ausgebucht.« »Ich würde einen guten Preis zahlen«, antwortete Parker, der in die Rolle des deutschen Touristen zurückgeschlüpft war. Sein Französisch war miserabel. »Ich bedaure.« Der Portier zuckte die Achseln. »Wir arbeiten mit einer amerikanischen Touristenzentrale zusammen. Wir sind ausgebucht.« Der deutsche Tourist machte einen offenbar letzten Versuch, um doch noch an sein Zimmer zu kommen. Er holte ein Scheckbuch hervor und
zückte einen Kugelschreiber. Die Spitze dieses Kugelschreibers richtete sich dabei wie zufällig auf das Gesicht des Mannes. Genau das hatte seine Folgen! Nachdem der »Tourist« auf den Halteclip dieses Kugelschreibers gedrückt hatte, zuckte der Portier zusammen und starrte sein Gegenüber ratlos an. Dann schnappte er verzweifelt nach Luft, faßte nach seiner Kehle und ging hinter der Rezeption langsam zu Boden, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Parker wurde noch schneller als üblich. Er ging um die Rezeption herum und zog den Mann in das kleine Office neben der Briefablage. Dann schloß er vorsichtig die Tür und machte sich daran, in eine andere Maske zu schlüpfen. Er hatte den braunen Koffer schließlich nicht ohne Grund mitgenommen. »Hallo, Jules!?« Es war die Stimme von Barry Bandom, die ungeduldig nach dem Portier rief. »Sofort«, erwiderte der Portier und öffnete die Tür des Office. »Verdammt, Mann, Sie sollen den Eingang keinen Moment ohne Kontrolle lassen«, regte sich Bandom auf. Er bekam überhaupt nicht mit, daß der falsche Portier hinter dem Tresen der Rezeption stand. Parker hatte nur wenige Minuten gebraucht, um sich in eine andere Person zu verwandeln. 76
Auch sein Französisch war bemerkenswert. Er imitierte den Ton des Portiers mit Perfektion. »Besorgen Sie ein paar Drinks«, redete Barry Bandom inzwischen weiter. »Wir werden gleich Besuch bekommen, hier, in der Halle.« »Wird erledigt«, sagte der falsche Portier. »Ich bin noch mal kurz im Weinkeller«, redete Bandom weiter. »Morland und seine Leute schirmen die Halle ab, alles klar?« Der falsche Portier nickte nur, während Bandom sich abwandte und zu einer Tür im Hintergrund der Halle ging. Im gleichen Moment erschienen auf der Treppe neben dem Fahrstuhl Steve Morland und zwei Inselwächter. Sie warfen dem Portier nur einen flüchtigen Blick zu und nahmen dann in einigen Sesseln gleich neben dem Eingang Platz. Parker hatte auf den ersten Blick registriert, daß sie Schulterhalfter trugen, die sicher nicht leer waren. Die drei Männer zündeten sich Zigaretten an und beobachteten die Straße. Es waren übrigens die einzigen Gäste in der Halle dieses voll ausgebuchten Hotels… Der Butler besorgte die gewünschten Drinks. Im Office hatte er Flaschen und Gläser entdeckt. Als Portier brachte er diese Getränke zu den drei Männern in der Halle. Sie kümmerten sich überhaupt nicht um ihn, son-
dern interessierten sich nach wie vor nur für die Straße. Es wäre für sie besser gewesen, wenn sie sich um ihn gekümmert hätten! Zuerst war Steve Morland an der Reihe. Er rutschte ein wenig in sich zusammen, nachdem Josuah Parker ihm aus Zeitgründen die Breitseite einer Flasche gegen den Hinterkopf gedrückt hatte. Die beiden anderen Männer hatten nichts bemerkt, sie beobachteten weiterhin die Straße. Parker benutzte noch mal die Flasche, was ihm im Grund seines Wesens natürlich zuwider war. Er bevorzugte elegantere Methoden. Auch der zweite Mann sackte zusammen und beobachtete ab sofort nicht mehr die Straße. Der dritte Mann schien nun doch etwas gehört zu haben. Er wandte sich, wenn auch ohne Mißtrauen, um und… erhielt eine kleine Dosis Spray, die aus einer sogenannten Munddusche stammte. Daraufhin seufzte der dritte Mann wohlig auf, verdrehte die Augen und kümmerte sich nicht weiter um die Straße. Nachdem Josuah Parker Morland und den anderen Inselwächter ebenfalls noch »angesprayt« hatte, machte sich der Butler auf den Weg, Barry Bandom im Weinkeller aufzusuchen. * 77
»Und dort fanden Sie die Originale, Mister Parker?« erkundigte Lady Simpson sich angeregt. »Mister Bliss, sowie die Herren Lester Atkinson und Norman Chindler, Mylady«, erwiderte der Butler. Er hatte seine Herrin, Kathy Porter und Mike Rander am Flugplatz in Toulon abgeholt und geleitete sie zu einem wartenden Hubschrauber, der sie wieder nach Hyeres bringen sollte. Seit der Trennung waren etwa sechs Stunden verstrichen. Während einer Zwischenlandung der Maschine in Turin war Mylady mit ihren Begleitern sofort ausgestiegen und zurück nach Nizza geflogen. Eine Nachricht, die Parker nach Turin durchgegeben hatte, war der Grund für diesen baldigen Rückflug gewesen. »Wie geht es diesen Originalen?« erkundigte sich Mike Rander. Man hatte bereits im Hubschrauber Platz genommen, der jetzt abhob und seinen Flug aufnahm. »Die Ärzte haben keine Bedenken, Sir«, antwortete der Butler in seiner höflichen Art. »Mister Bliss, Atkinson und Chindler stehen zwar noch unter dem Einfluß sehr starker Psychopharmaka, die jedoch bald abgebaut sein dürften.« »Und wo wurden diese armen Teufel festgehalten, Mister Parker?« fragte die Detektivin.
»In einem Gewölbe des hoteleigenen Weinkellers«, berichtete der Butler weiter. »Die Duplikate der Herren Atkinson und Chindler befanden sich hingegen in komfortabel und klinisch hergerichteten Hotelzimmern. Sie trugen noch die Verbände, die man ihnen nach diversen Gesichtskorrekturen angelegt hatte. Diese beiden Duplikate sollten in etwa drei Wochen zum erstenmal versuchsweise der Öffentlichkeit gezeigt werden.« »Wer sind Atkinson und Chindler?« schaltete sich Kathy Porter ein. »Der Öffentlichkeit kaum bekannte Wirtschaftskapitäne, die hauptsächlich im Bank- und Ölgeschäft tätig sind«, antwortete der Butler. »Die Organisation, die Bandom vertrat, hätte auch mit diesen Duplikaten Millionengeschäfte tätigen können, Miß Porter.« »Und woher stammen die Duplikate?« wollte nun Agatha Simpson wissen. »Aus dem Umfeld der sogenannten Unterwelt«, antwortete der Butler gemessen. »Diese Duplikate wurden mit einer Mischung aus Drohung und Geld dazu gebracht, die Originale zu vertreten. Mister Bandom war so frei, dazu einige Anmerkungen zu machen: Man suchte sehr geduldig nach sogenannten Doppelgängern, die bereits in etwa den Originalen entsprachen. 78
Wurden sie gefunden, so fand dann die genaue Umwandlung statt.« »Während die eingelochten Originale nur ihre echten Unterschriften leisten durften.« Lady Simpson schüttelte den Kopf. »Grauenhaft! Stellen Sie sich vor, Mister Parker, man hätte auch vorgehabt, mich durch ein Duplikat zu ersetzen…« »Dies, Mylady, hätte sich niemals bewerkstelligen lassen«, gab Josuah Parker zurück. »Mylady stellen ein Unikat vor, wenn ich es mal so umschreiben darf, das niemals imitiert werden könnte.« »Hoffentlich war das als Kompliment gedacht«, erwiderte die ältere Dame und warf dem Butler einen mißtrauischen Blick zu. »Hatte Keene mit der ganzen Geschichte zu tun?« fragte Mike Rander schnell dazwischen. »Dies war nicht der Fall, Sir, er wollte sich jedoch einhängen, um es mal im Jargon der Unterwelt auszudrücken. Mister Keene war seinerseits von dem Möbelrestaurator und Privatdetektiv Harrods dazu animiert worden.« . »Und wo steckt Harrods jetzt?« Kathy Porter lächelte. »Hat er sich rechtzeitig abgesetzt?« »Er wurde in der Villa des Mister Keene von der Polizei entdeckt«, gab Parker weiter Auskunft. »Sein Zustand ist nicht besorgniserregend zu nennen, wenngleich er einige
Wochen lang noch das Krankenhaus hüten muß, Mister Keene und seine Leibwächter dürften ihn ein wenig zu intensiv befragt haben. Aus diesem Grund konnten auch Keene und seine Mitarbeiter festgenommen werden.« »Zum Teufel, wer steht nun hinter Bandom?« grollte die Detektivin. »Die ganze Geschichte mit den Duplikaten ist doch nicht auf seinem Mist gewachsen, Mister Parker!« »Mister Bandom verweigert jede Auskunft, Mylady.« Parker hob andeutungsweise bedauernd die Schultern. »Nach seiner Verhaftung durch die Polizei, die zu alarmieren ich mir erlaubte, deutete er allerdings an, daß Mylady in Zukunft noch einiges zu erwarten habe.« »Er hat gedroht?« Lady Agatha nickte erfreut. »In einer Art und Weise, Mylady, die man nur als sehr unfein bezeichnen kann«, redete Parker weiter. »Sinngemäß gab er zu verstehen, seine Auftraggeber würden das fahren, was man gemeinhin eine Retourkutsche zu nennen pflegt.« »Wie schön und aufregend.« Agatha Simpson strahlte. »Langeweile wird demnach auch in den kommenden Wochen nicht aufkommen, wie?« »Mit Sicherheit nicht, Mylady«, schloß Parker. »Man sollte sich darauf einrichten, daß Mylady sich weitere Feinde geschaffen hat, die nicht 79
ruhen werden, Myladys Leben in Gefahr zu bringen.« »Sagen Sie mir sofort, daß ich träume«, forderte Lady Agatha von Josuah Parker. Sie deutete mit dem rüschenverzierten Sonnenschirm auf die bizarren Felsen, die den schmalen Sandstreifen am Strand des Mittelmeeres einschlossen. »Mylady träumen keineswegs«, gab Parker zurück. »Die Absichten der Herren dürften eindeutig sein.« Eine Gruppe von Froschmännern war auf den wasserumspülten Felsen aufgetaucht. Die Harpunen ihrer Unterwassergewehre waren auf Lady Agatha und Mike Rander gerichtet, die auf Campinghockern an einem Campingtisch Platz genommen hatten. »Dann tun sie gefälligst etwas, Mister Parker«, verlangte Parkers Herrin. »Es wird sofort serviert.« Parker hielt ein Silbertablett in der Hand, auf dem eine Flasche Champagner, Gläser, aber auch Pistolen und Eierhandgranaten lagen. Dies hatten die Froschmänner natürlich auch bemerkt. Sie schossen ihre Harpunen ab, doch Mike Rander benutzte wieder mal den Campingtisch als Schild, der diese tückischen Geschosse auffing.
Lady Agatha hatte sich inzwischen bedient. Die erste Eierhandgranate aus ihrer Hand landete zwischen den bizarren Felsformationen und detonierte wenig später. Doch zu diesem Zeitpunkt waren die Froschmänner schon längst wieder im Wasser verschwunden. »Die erste Antwort«, stellte Mike Rander fest und betrachtete die Harpunen im Campingtisch. »Das läßt sich ja gut an«, meinte Lady Agatha zufrieden. »Ob diese Lümmel noch mal zurückkommen werden, Mister Parker?« »Meiner durchaus bescheidenen Ansicht nach kaum, Mylady«, sagte Josuah Parker steif und förmlich. »Myladys Gegner haben sich zwar in Erinnerung gebracht, doch sie werden nun bessere Möglichkeiten abwarten, um ihre Rechnung hinsichtlich der Duplikate zu repräsentieren.« »Dann sollten wir also nicht länger hier am Mittelmeer herumlungern?« »Einer Rückkehr nach London dürfte kaum etwas im Weg stehen, Mylady, zumal man dort schon warten wird«, prophezeite der Butler. »Das Verbrechen kennt keinen Urlaub, wenn ich es vielleicht mal so ausdrücken darf!«
ENDE �
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