Parker foppt den Dinosaurier Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges »Ich hasse Unpü...
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Parker foppt den Dinosaurier Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges »Ich hasse Unpünktlichkeit«, sagte Lady Agatha Simpson. »Und ich frage mich bereits, ob ich ärgerlich werden soll.« »Vielleicht können Mylady diesen Zeitpunkt noch ein wenig hinausschieben«, schlug Josuah Parker in seiner gemessenen, überaus höflichen Art vor. »Wie lange läßt dieser Dr. Mason mich jetzt schon warten, Mr. Parker?« verlangte die alte Dame zu wissen. »Seit exakt anderthalb Minuten und zehn Sekunden, Mylady«, gab der Butler präzise zurück. Er hatte seine alte Sprungdeckeluhr befragt und ließ sie wieder in seiner Westentasche verschwinden. »Ich werde ihm noch knapp eine Minute geben, Mr. Parker.« Ihre Stimme grollte. Die majestätisch aussehende Dame, füllig wie die Walküre einer älteren WagnerInszenierung, marschierte ungeduldig vor dem riesigen Dinosaurier auf und ab. Sie war eine überaus bemerkenswerte Erscheinung. Lady Agatha hatte seit ihrem sechzigsten Geburtstag beschlossen, die Lebensjahre nicht mehr zu zählen. Wie alt sie wirklich war, sah man ihr allerdings schlecht an. Sie besaß, rein äußerlich, die Vitalität eines modernen Kampfpanzers. Sie trug selbstverständlich wieder mal eines ihrer viel zu weiten Tweed-Kostüme. Auf ihrem Kopf befand sich eine
Hutschöpfung, die eine skurrile Kreuzung aus einem alten Südwester und einem Napfkuchen darstellte. Am linken Handgelenk pendelte ein perlenbestickter Pompadour, wie ihn die Damen um die Jahrhundertwende trugen. Josuah Parker hingegen war der Butler in Reinkultur, wie man ihn nur noch in Kostümfilmen zu sehen bekommt. Er trug einen schwarzen Zweireiher, einen Eckkragen mit schwarzem Binder und eine schwarze Melone. Über dem angewinkelten linken Unterarm hing ein altväterlich gebundener Regenschirm. Sein Gesicht war im Gegensatz zu Lady Simpsons lebhaftem Mienenspiel ausdruckslos wie das eines ausgekochten Pokerspielers. Josuah Parker war ein Mensch, dem Leidenschaften fremd zu sein schienen. »Wieviel Zeit hat dieser Dr. Mason noch?« erkundigte die ältere Dame sich. »Scheußlich, diese Umgebung hier, finden Sie nicht auch?« »Meiner bescheidenen Schätzung nach dürfte Dr. Mason noch etwa dreißig Sekunden haben, Mylady«, erwiderte Josuah Parker. Im übrigen teilte er nicht die Meinung seiner Herrin, was die augenblickliche Umgebung anbetraf. Im Gegenteil, er fand sie recht anregend. Sie befanden sich an diesem Nachmittag in einer der großen Hallen des
Museums für Vorgeschichte und waren umgeben von Sauriern aller Art, die ungemein wirkungsvoll nachgestaltet worden waren. Die Präparatoren hatten wahre Wunderwerke geschaffen und die vorsintflutlichen Reptilien meisterhaft rekonstruiert. Da gab es einen Brontosaurus, genannt »Donnerechse«. Dieses an sich recht hübsche Tier war gut und gern zwanzig Meter lang und besaß den mächtigen Leib eines kleineren Luftschiffes. Der lange, schlangenartige Hals endete in einem ungewöhnlich kleinen Kopf. Laut Erklärungstafel mußte dieser Pflanzenfresser etwas vor hundertzwanzig Millionen Jahre gelebt haben. Da waren der Stegosaurus vertreten, der Triceratops mit dem gewaltigen Nackenschild, Styracosaurus mit seinem strahlenartigen Panzerkragen und schließlich auch, als Krönung dieser Versammlung, der schreckliche Tyrannosaurus rex, ein Fleischfresser von fünfzehn Metern Länge. Diese Vertreter einer längst vergangenen Zeit standen nicht etwa inmitten kahler Wände, nein, sie schienen sich in jener Landschaft zu befinden, in der sie mal gelebt hatten. Da gab es einen kleinen Sumpf, der in eine Lagune überging, da waren seltsame Pflanzen, Kleingetier und im Hintergrund ein riesiger See, aus dem ein Vulkankegel sich emporgehoben hatte. Perspektivisch war das alles sehr raffiniert angelegt worden. Atmosphärisch übrigens auch, wie Josuah Parker empfand. In dieser Sonderhalle herrschten wahrhaft tropische Temperaturen, eine
feuchtschwüle Hitze, die nach Moder, Sumpf, Verwesung und Fäulnis roch. Wer sich die Ausstellung ansah, wurde zurückversetzt in die Kreidezeit, des Jura und des Trias. »Was soll denn das?« empörte Lady Simpson sich, als plötzlich ein donnerartiges Grollen zu hören war, ein Schlagen und Fauchen, das in wütendes Kreischen überging. »Eine Tonbanduntermalung, Mylady«, erwiderte Josuah Parker. »Die Aussteller scheinen offenbar großen Wert auf Realistik zu legen.« »Und ich lege keinen Wert mehr auf diesen Dr. Mason«, gab Lady Agatha gereizt zurück. »Wir gehen, Mr. Parker!« »Wie Mylady wünschen.« Parker warf noch einen letzten, interessierten Blick auf die Kreidezeit und . .. hüstelte dann andeutungsweise. Bei seiner sonst geübten Zurückhaltung war das ein sicheres Zeichen dafür, daß ihn irgend etwas beeindruckt hatte. »Worauf warten Sie noch?« raunzte die ältere Dame. Sie wollte möglichst schnell an die frische Luft. »Dr. Mason«, erwiderte Parker und deutete mit der Schirmspitze diskret auf den Tyrannosaurus rex, der auf seinen mächtigen Hinterbeinen stand und schätzungsweise acht Meter hoch war. »Dr. Mason?« Lady Simpson wandte sich um und musterte dann die Riesenechse. Anschließend schluckte sie und bekam eine spitze Nase. Im geöffneten Rachen dieser fleischfressenden Echse hing leblos ein menschlicher Körper, der von den schrecklichen Zähnen gehalten wurde. Und dieser menschliche Körper war mit Sicherheit echt und nicht nachgebildet worden!
* »Ich war nicht zufällig in der Gegend, Mylady, und ich komme auch nicht zufällig vorbei«, sagte ChiefSuperintendent McWarden, ein untersetzter, rundlicher, aber energisch wirkender Mann von etwa fünfzig Jahren. Dieser Mann, der an eine stets leicht gereizte Bulldogge erinnerte, war der Leiter eines Sonderdezernats im Yard und unterstand direkt dem Innenministerium. »Haben wir noch etwas Tee für Mr. McWarden?« fragte Lady Simpson überaus freundlich und wandte sich an ihren Butler. »Ich werde mir gestatten, ihn sofort zu servieren«, erwiderte Josuah Parker. »Möchten Sie vielleicht einen Sherry?« fragte die ältere Dame weiter und brachte McWarden damit restlos aus der Fassung. Normalerweise war sie aggressiv, wenn McWarden auftauchte, und sie ließ es ihn stets fühlen. Freiwillig bot sie eigentlich kaum Sherry oder Tee an. McWarden plumpste also erst mal unaufgefordert in einen der tiefen und bequemen Sessel und schaute Lady Agatha dann mißtrauisch an. Soviel Freundlichkeit konnte nur bedeuten, daß man ihn hereinlegen wollte, wie schon so oft in der Vergangenheit. »Sie hatten einen schönen Tag, McWarden?« fragte Agatha Simpson weiter. »Ich komme wegen des Falles im Museum für Vorgeschichte«, antwortete McWarden und nickte knapp, als Butler Parker die Getränke servierte. »Und im Zusammenhang
mit dem Mord an Dr. Mason habe ich einige Fragen zu stellen.« »Wie sich das trifft, McWarden, ich ebenfalls.« Die Lady beugte sich vor. »Sagen Sie mir, wie zum Teufel, dieser arme Bursche in das Maul dieser Echse geraten ist?« »Sagen Sie mir, weshalb Sie im Museum waren, Mylady. Sie wollten sich dort mit Dr. Mason treffen, nicht wahr?« »Wollten wir, Mr. Parker?« Lady Agatha schien sich nicht mehr erinnern zu können. Sie sah Parker fragend an. »Mylady wollten«, antwortete der Butler. »Dr. Mason hatte meine bescheidene Wenigkeit angerufen und um ein Stelldichein im Museum gebeten. Daraufhin' fuhren Mylady hin, um sich im Museum ein wenig umzusehen. Die neue Form der Gestaltung und Präsentation wurden allgemein gerühmt, wie den Zeitungen zu entnehmen ist.« »Dr. Mason wollte sich also mit Ihnen treffen. Nur so?« »Er deutete diskret an, er habe meiner bescheidenen Wenigkeit Dinge von höchster Wichtigkeit anzuvertrauen.« »Und Sie stellten dazu keine weiteren Fragen Mr. Parker? Das nehme ich Ihnen nicht ab!« »Dies, Sir, bedaure ich außerordentlich«, entgegnete Josuah Parker. »Der besagte Anruf belief sich auf höchstens vierzig bis fünfzig Sekunden.« »Und Sie gehen einfach los, wenn man Sie so anruft?« McWarden kostete von dem vorzüglichen Cherry. »Nicht in allen Fällen, Sir.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an.
»Im Fall des Dr. Mason hingegen hatte ich keine Bedenken.« »Sie kannten Dr. Mason also?« McWarden musterte den Butler mit grimmigen Blicken. »Nicht persönlich, Sir, aber sein Ruf als Computerspezialist ist meiner bescheidenen Person selbstverständlich bekannt gewesen. Dr. Mason galt, wenn ich so sagen darf, als einer der Väter einer geplanten nationalen Datenbank.« . »Mich interessiert eine ganz andere Frage«, schaltete Lady Simpson sich ungeduldig ein. »Wollen Sie mir nicht endlich sagen, McWarden, wie dieser arme Teufel in das. Maul der Echse gekommen ist? Er wird ja nicht gerade freiwillig in das Gebiß gestiegen sein, oder?« »Wir fanden in der benachbarten Halle, die noch ausgebaut und umgestaltet wird, eine Arbeitsbühne«, antwortete McWarden widerwillig. »Auf der Blutspuren zu entdecken waren, Sir?« fragte Josuah Parker. »Nein, keine Blutspuren«, räumte der Chief-Superintendent ein. »Und wie war das mit dem Echsenmaul, McWarden? Gab es dort wenigstens Blutspuren?« »Nur bedeutungslose, Mylady. Meiner Ansicht nach ist Dr. Mason nicht im Museum umgebracht worden.« »Die Echse ist schließlich ausgestopft und nur eine Nachbildung«, warf Lady Simpson ein. »Warum hat der Mörder sich wohl diese Mühe gemacht, Dr. Mason in das Gebiß zu schieben? « »Ich stehe vor einem Rätsel, Mylady«, räumte McWarden ein.
»Wie immer«, schnappte die ältere Dame sofort zu. »Und dieses Rätsel soll ich jetzt also lösen, nicht wahr?« »Eine gewisse Mitarbeit im Rahmen des Erlaubten würde ich tatsächlich begrüßen«, gestand McWarden leicht verschämt. Dann sah er wieder den Butler an. »Noch mal zurück zu Dr. Mason, Mr. Parker: Er hat also keine Andeutung gemacht, worüber er mit Ihnen reden wollte?« »Ich muß meinem tiefen Bedauern erneut Ausdruck verleihen, Sir.« »Hoffentlich glaubt das auch der Mörder«, sagte McWarden. »Falls nicht, könnten auch Sie eines Tages im Maul einer Riesenechse landen. Denken Sie daran!« »Ich möchte mir erlauben, mich für diese Warnung zu bedanken, Sir. Aus Gründen meiner privaten Sicherheit werde ich das den Zeitungsreportern gegenüber noch mal ausdrücklich betonen.« »Zeitungsreporter?« Der ChiefSuperintendant schnaufte unwillig. »Sie haben sich bereits angesagt«, schaltete die Lady sich ein. »Diese Zeitungsleute möchten natürlich von mir wissen, was sich im Museum zugetragen hat.« »Ja, woher wissen denn die . .. ?« McWarden sprach seinen Satz nicht voll aus. Ihm war bereits klargeworden, daß Agatha Simpson sich mit diversen Redaktionen in Verbindung gesetzt haben mußte. »Mylady gibt in einer Stunde eine Pressekonferenz«, erklärte Josuah Parker. »Auch das noch!« McWarden stand auf und vergaß, den Sherry auszutrinken. »Mit anderen Worten, dieser Fall wird an die große Glocke gehängt?«
»Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, informiert zu werden. Wir leben in einem freien Land, lieber McWarden.« »Ich kann mir nicht helfen, Mylady, ich habe das sichere Gefühl, daß Sie mehr wissen, als sie mir gegenüber zugeben. « »Ihr Mißtrauen ist ja schon fast pathologisch«, erwiderte Lady Simpson kopfschüttelnd. »Habe ich Ihnen je etwas verschwiegen oder Sie in Ihrer Arbeit behindert, McWarden?« »Eigentlich immer«, lautete die bissige Antwort. »Aber ich warne Sie, Mylady! Sie haben nicht gesehen, wie Dr. Mason zugerichtet worden ist. Hier haben Sie es mit einem ungewöhnlich brutalen Mörder zu tun.« »Womit sich die bescheidene Frage erhebt, Sir, wie Dr. Mason umgebracht wurde«, erkundigte Butler Parker sich in seiner höflichen Art. »Nun ja, warum sollen Sie es nicht wissen?« McWarden ging auf die Tür des Salons zu. »Nach Ansicht unserer Polizeiärzte ist Dr. Mason tatsächlich von dem schrecklichen Gebiß eines Tyrannosaurus rex zermalmt worden!« * Kathy Porter wußte seit einiger Zeit, daß sie verfolgt wurde. Sie saß in ihrem kleinen MiniCooper und hatte Lady Simpsons Stadthaus in Shepherd's Market vor knapp zwanzig Minuten verlassen. Butler Parker hatte sie um diese kleine Ausfahrt gebeten. Es kam ihm auf ein Experiment an. Er wollte
herausfinden, ob man sich bereits für Lady Agatha und ihn interessierte. Kathy Porter, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, schlank, etwa über mittelgroß, kastanienrotes Haar, glich einem scheuen Reh. Sie war die Sekretärin und Gesellschafterin der Agatha Simpson und Parkers Meisterschülerin. Sie konnte sich in Bruchteilen von Sekunden in eine wilde Pantherkatze verwandeln und war beschlagen in allen Künsten fernöstlicher Selbstverteidigung. Darüber hinaus hatte Parker sie zu einer Meisterin der Maske ausgebildet. Mit nur wenigen Hilfsmitteln verstand sie es, sich äußerlich in eine völlig andere Person zu verwandeln. Im Rückspiegel ihres Mini-Cooper sah sie die Yamaha, auf der zwei in Leder gekleidete Personen saßen, die Jet-Sturzhelme mit dunklen Sonnenvisieren trugen. Das Motorrad folgte ihr hartnäckig, sorgte aber stets für den richtigen Abstand. Die beiden Fahrer wollten auf keinen Fall vorzeitig entdeckt werden. Kathy Porter hatte den Stadtteil May-fair verlassen und fuhr in Richtung Soho. Dort, wo sie sich recht gut auskannte, wollte sie aussteigen und die beiden Motorradfahrer provozieren. In der Nähe der Regent Street ließ sie ihren Wagen auf einem Parkplatz stehen und täuschte ihren beiden Verfolgern einige Aktivitäten vor. Sie kaufte in einem Spezialitätengeschäft verschiedene Teesorten, schaute sich in einer Buchhandlung um und betrat dann in einer kleinen Seitenstraße eine Boutique. Die beiden in Leder gekleideten Motorradfahrer hatten ihre Yamaha zu-
rückgelassen und waren ihr zu Fuß gefolgt. Nun witterten sie eine Möglichkeit, Kontakt mit ihrem Opfer aufzunehmen. Die Boutique war leicht zu sperren. Ein Blick durch das kleine Schaufenster zeigte ihnen, daß ihr Opfer allein im Geschäft war und sich gerade mit der Verkäuferin unterhielt. Die beiden Frauen verschwanden hinter einem Vorhang im Hintergrund. Die beiden Fahrer nickten sich zu, betraten die Boutique und riegelten hinter sich ab. Sie wollten zur Sache kommen, traten zum Vorhang und schoben ihn vorsichtig zur Seite. Ihr Opfer war offensichtlich ahnungslos. Es hatte sich gerade den leichten Pulli abgestreift und .. . blieb dann wie erstarrt stehen. Im Spiegel der kleinen Umkleidekabine hatte sie die beiden Männer gesehen. »Was soll das?« fragte Kathy Porter gespielt empört. Sie griff nach dem dünnen Vorhang der Umkleidekabine und wollte ihn zuziehen. »Nicht so hastig, Süße«, sagte der kleinere der beiden Männer und lächelte. Sein Lächeln war hintergründig. Er stellte den Jet-Helm auf den Hocker und drängte Kathy Porter zurück. »Wo ist die andere Frau?« fragte der zweite Motorradfahrer. Er hatte ein gedunsenes Gesicht und kalte Augen. »Drüben, im Lager«, antwortete Kathy. »Was ... Was wollen Sie eigentlich? Sie sehen doch, daß ich mich ...« »Sehen wir immer gern«, sagte der erste Mann. »Kleiner, privater Striptease«, fügte der zweite hinzu. »Mach' weiter, Schwester!«
»Ich denke nicht daran.« Ängstlich klang die Stimme des scheuen Rehs. »Mach' schon«, befahl der erste Mann und . .. hatte plötzlich ein Messer in der Hand. »Wenn Sie Geld brauchen... ?« Kathy Porter deutete auf ihre kleine Handtasche. Panik zeichnete ihre Augen. »Los, mach' schon weiter«, drängte der kleinere der beiden Männer und schob das Messer vor. »Wir brauchen kein Geld, wir brauchen was fürs Herz.« »Ich würd's an deiner Stelle tun«, sagte der zweite Mann, der dann auf seinen Begleiter deutete. »Er hat's mit dem Messer, Süße. Tu's möglichst schnell!« Während er noch redete, schob er sich aus der Umkleidekabine. Er war mißtrauisch und vorsichtig und wollte sich nach der Verkäuferin umsehen. Kathy Porter seufzte ergeben auf und hantierte am Verschluß ihrer Jeans herum. Sie schien sich in ihr Schicksal ergeben zu haben. * Eine regierende Herrscherin schien Hof zu halten. Lady Agatha Simpson saß in einem Sessel und musterte die geladenen Reporter, die recht zwanglos Platz genommen hatten. Butler Parker hatte bisher zehn Männer hereingeführt, die sich in der großen Wohnhalle des altehrwürdigen Hauses neugierig umgeschaut hatten. Dieses alte Fachwerkhaus stand auf den Gewölben einer ehemaligen Abtei und barg viele Geheimnisse. Es barg vor allen Dingen, Lady Agatha
Simpson, die mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert war. Darüber hinaus wußten die Reporter selbstverständlich vom Steckenpferd der Lady Agatha, die sich in ihrer reichlich bemessenen Freizeit als Amateurdetektivin betätigte. In der Vergangenheit war es ihr schon oft gelungen, hoffnungslose Fälle doch noch zu lösen. Daß ein gewisser Josuah Parker dabei die eigentliche Arbeit erledigte, erwähnte Lady Simpson stets nur andeutungsweise, wogegen Parker aber überhaupt nichts einzuwenden hatte. Wer er wirklich war und was er leistete, das wußten nur einige Beamte des Yard, der diversen Geheimdienste und eben die Gauner, Gangster und Ganoven! Lady Agatha hielt also Hof. Sie berichtete in spannenden Worten und Sätzen von ihrer Entdeckung im Museum für Vorgeschichte und bewies dabei ihr Geschick als dramatische Erzählerin. Sie verstand es ausgezeichnet, die allgemeine Spannung anzuheizen und die Journalisten in Stimmung zu bringen. Sie machten sich Notizen und achteten kaum darauf, als die Türklingel sich erneut meldete. Josuah Parker, der an der Tür des Salons stand, schritt gemessen in die große Wohnhalle und benutzte diesmal das kleine Sichtfenster links neben der Tür, um sich den verspäteten Besucher anzusehen. Dieser Reporter mochte etwa dreißig Jahre alt sein. Er schien sich die Reporter in amerikanischen Filmen genau angesehen zu haben und tat alles, um ihnen in Aussehen und Gehabe nachzueifern. Parker öffnete
die Tür und deutete eine knappe Verbeugung an. »American News Agency«, stellte der amerikanische Reporter sich lässig vor. »Hat's schon angefangen?« »Vor gut zwanzig Minuten, Sir.« Parker deutete in die Wohnhalle. »Wenn ich mir erlauben darf, vorauszugehen Sir?« Er durfte und er ging. Doch plötzlich blieb er stehen und prallte mit dem Reporter zusammen. Der Butler wandte sich um und entschuldigte sich gemessen für seine Ungeschicklichkeit. »Macht nichts«, sagte der Reporter. »Wo findet die Pressekonferenz denn nun statt?« «Ihre Krawatte Sir«, rügte Parker. »Mylady legt allergrößten Wert auf ein tadelloses Erscheinungsbild.« Während Parker das sagte, rückte er dem dankbaren Mann die Krawatte zurecht und führte ihn dann weiter. Die Schußwaffe, die der Mann in der Schulterhafter hatte, befand sich bereits in Parkers Besitz, doch das hatte der Besucher überhaupt nicht bemerkt. Josuah Parkers Fingerfertigkeit hätte die eines professionellen Taschendiebes weit in den Schatten gestellt. »Hier, bitte, Sir!« Parker drückte den Mann in einen Sessel, der ein wenig abseits stand, der aber einen guten Blick auf alles gestattete. Parker erschien schon wieder neben dem Journalisten und servierte ihm auf einem kleinen Silbertablett einen Longdrink. »Möge es Ihnen bekommen, Sir«, murmelte er leise, um die Ausführungen seiner Herrin nicht zu stören. Sie war gerade dabei, die Riesenechse samt gefülltem Maul zu schildern.
Es herrschte atemlose Stille. Nach einer kleinen geschickten Kunstpause berichtete die ältere Dame dann von ihrer einmaligen Geistesgegenwart, die sich darin zeigte, daß sie ihren Butler sofort veranlaßte, die Polizei zu verständigen. Parker stand hinter dem Sessel, in dem der amerikanische Reporter saß. Der hatte selbstverständlich einige herzhafte Schlucke aus dem Glas getrunken und wischte sich plötzlich mit einer recht fahrigen Geste über die inzwischen schweißnaß gewordene Stirn. Dann erhob er sich, ohne daß die übrigen Anwesenden sich um ihn kümmerten. Der Reporter griff nach seiner Schulterhafter und ... machte einen recht irritierten Eindruck, als er seine Schußwaffe vermißte. »Möchten Sie wieder Platz nehmen, Sir?« fragte Josuah Parker leise und höflich. Er tippte mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand ganz leicht nur auf die linke Schulter des Mannes, der daraufhin in den Sessel zurücksackte wie ein Sack Mehl. Josuah Parker fand, daß dieser Mann nicht die nötige Haltung und Berufsauffassung bewies. Er entfernte ihn also, was sich als sehr leicht herausstellte. Der Sessel stand auf Rollen und ließ sich wie ein Teewagen bewegen. Butler Parker rollte den Superreporter aus dem Salon, durch die Wohndiele und dann in den kleinen Verbindungskorridor, der zur Küche führte. Der Reporter, der inzwischen fest eingeschlafen war, zeigte längst keine Reaktion mehr. *
Kathy Porter hatte den Verschluß ihrer hautengen Jenas geöffnet und bebte vor Angst. Der in Leder gekleidete Schläger, der die Messerspitze nach wie vor auf sie richtete, grinste zufrieden. Die Dinge entwickelten sich genau nach seiner Vorstellung. Zu dem Auftrag, den er hier zu erfüllen hatte, kam noch etwas Privates hinzu. Das scheue Reh da in den Jeans gefiel ihm außerordentlich gut. Sekunden später dachte er anders darüber... Aus der gebückten Haltung heraus schlug Kathy Porters Arm wie ein Degen vor und nach oben. Ihre Handkante traf genau den Punkt des Mannes. Der gurgelte ein wenig, verdrehte die Augen und verlor jedes Interesse an seiner Umwelt. Mit Bewegungen, die an die Windungen eines Korkenziehers erinnerten, ging er zu Boden. Dann streckte er sich auf dem Boden aus und pflegte der Ruhe. Kathy Porter wechselte die Position. Sie mußte sich beeilen, denn sie hörte bereits die Schritte des zweiten Mannes, der zurückkehrte. Er würde mit Sicherheit einige neugierige Fragen stellen wollen, die mit der Verkäuferin oder Inhaberin der Boutique zusammenhingen.. Kathy Porter entwickelte Kraft und Phantasie. Sie legte sich dicht neben den Schläger und schob ihn ein wenig über sich. Es hatte gerade gereicht, denn der leichte Vorhang wurde bereits zur Seite geschoben. »Was, verdammt noch mal...« Der zweite Schläger blieb jäh stehen und grinste dann anzüglich. Was sich seinen Blicken bot, war recht
eindeutig. Er vergaß für einen Moment gewisse Fragen, die er tatsächlich hatte stellen wollen, doch damit war sein Schicksal bereits besiegelt. Kathy Porter sprang auf, starrte den Mann aus schreckgeweiteten Augen an und war nur noch total verängstigtes Reh. Der zweite Mann sah nur sie und kümmerte sich nicht weiter um seinen Partner am Boden, was vielleicht richtiger gewesen wäre. »Hab' dich nich' so«, sagte der zweite Mann. Kathy Porter schluchzte auf und deutete nach unten. Der zweite Mann schaute selbstverständlich auf seinen Partner hinunter und bekam überhaupt nicht mit, daß Kathy Porter noch mal kurz und hart zuschlug. Der Schläger, gurgelte ebenfalls und fiel über seinen Partner. Er wollte noch mal aufstehen, schaffte tatsachlich zwei bis drei Zentimeter, rutschte dann wieder in sich zusammen und blieb nun auch regungslos liegen. Kathy Porter barg erst mal die Schußwaffen der beiden Schläger. Sie führten flache, kleine Automatiks mit sich, vom Kaliber her schon ein Zeichen dafür, daß sie gut schießen konnten. Sie brauchten keine großen Kaliber und hielten es mehr mit der Genauigkeit. Schnüre waren in der Boutique ausreichend vorhanden. Kathy Porter bediente sich dabei einiger Spezialknoten, die sie von Parker gelernt hatte. Aus eigener Kraft würden die beiden Schläger es nie schaffen, sich zu befreien.
Sie hatte diese Arbeit gerade beendet, als die Türglocke sich meldete. Ein Teenager betrat die Boutique und verzog keine Miene, als sie Kathys Aufzug bemerkte. »Ich habe gerade geschlossen«, sagte Kathy freundlich. »Wenn Sie vielleicht später noch mal kommen könnten?« Der Teenager kicherte und sah zur Umkleidekabine hinüber. Unter dem leicht verschobenen Vorhang waren die Unterschenkel eines der beiden Schläger zu sehen. »Laß dir Zeit, Freundin«, sagte der Teenager, der wohl längst keiner mehr war. Dann kicherte das etwa siebzehnjährige Mädchen und war so diskret, die Boutique augenblicklich wieder zu verlassen. Kathy schloß hinter ihr ab und konnte jetzt sicher sein, nicht noch einmal gestört zu werden. Sie ging nach hinten in den kleinen Lagerraum und blieb vor der Tür zur Toilette stehen. Sie klopfte leise an. »Ich bin's«, rief sie dann. »Sie können 'rauskommen, meine Brüder sind weg.« Die Tür wurde entriegelt, die Inhaberin der Boutique kam zum Vorschein. »Sie haben aber rabiate Brüder«, sagte sie. »Der eine hätte hier fast die Tür aufgestemmt, aber ich habe mich nicht gerührt, genauso, wie Sie's mir gesagt haben.« »Dort drüben steht ein großer Weidenkorb mit Deckel«, antwortete Kathy, ohne auf diese Bemerkung einzugehen. »Könnte ich mir den ausleihen?« »Diesen großen Korb?« Die Verkäuferin staunte. »Er muß ja auch eine Menge fassen«, gab Kathy Porter lächelnd
zurück. »Ich werde Sie selbstverständlich entschädigen. Sie werden bestimmt auf Ihre Kosten kommen.« »Ich weiß nicht recht, irgendwas stimmt hier doch nicht«, meinte die Verkäuferin nun und wurde immer mißtrauischer. »Sind das wirklich Ihre Brüder gewesen?« »Nein!« Kathy Porter schüttelte den Kopf. »Es sind Schläger, und sie hätten die ganze Boutique demoliert. Darf ich mal anrufen?« »Wer sind Sie eigentlich?« »Ich heiße Kathy Porter und bin die Sekretärin der Lady Simpson.« »Jetzt glaube ich langsam überhaupt nichts mehr.« Die Verkäuferin hatte sich die Sache überlegt und ergriff die Flucht. Sie rannte zurück in den Waschraum und riegelte hinter sich ab. Kathy lächelte, ging ans Telefon und rief im Stadthaus der Lady Simpson an. Es meldete sich Josuah Parker. »Ich hätte hier zwei verschnürte Schläger, Mr. Parker«, meldete Kathy »Sind Sie an ihnen interessiert?« »Ein erfreuliches Angebot«, erwiderte der Butler, ohne überrascht zu sein, wie deutlich zu hören war. »Befinden Sie sich in Eile, Miß Porter?« »Ich kann durchaus warten, Mr. Parker. Ich befinde mich in einer Boutique in Soho.« Sie fügte noch die genaue Anschrift hinzu. »Erwarten Sie mich in spätestens einer halben Stunde«, lautete Parkers Antwort. »Bedarf es möglicherweise eines kleinen Lieferwagens?« »Doch, der würde gerade passen, Mr. Parker. Wie ist die
Pressekonferenz verlaufen? Ist sie schon beendet?« »Sie war ein voller Erfolg, Miß Porter, doch darüber bei Gelegenheit mehr.« Kathy Porter legte auf, kleidete sich wieder vollständig an und ging dann hinüber zur Umkleidekabine. Die beiden Männer waren inzwischen wieder zu sich gekommen und hatten sich auf dem Rücken gewälzt. Sie sahen Kathy Porter giftig an. »Ersparen Sie sich jede Schimpferei«, schlug Kathy Porter ihnen vor. »In einer halben Stunde wird es Ihnen wesentlich bessergehen, aber ich kann mich natürlich auch täuschen.« * Agatha Simpson nahm ihr Dinner ein. Sie hielt nach wie vor auf strengste Diät und saß vor einem runden Mahagonitisch im kleinen Eßraum neben der Küche. Butler Parker hatte ihr nur einige gegrillte Würstchen serviert, dazu gerösteten Speck, gesalzene Landbutter, etwas Roastbeef und einige Scheiben Landbrot. »Glauben Sie nicht auch, daß ich übertreibe?« erkundigte sie sich bei ihrem Butler, der den Tee eingoß. »Wie darf ich Myladys Frage verstehen?« reagierte der Butler vorsichtshalber mit einer Gegenfrage. »Na, sehen Sie doch!« Sie deutete auf die Köstlichkeiten vor sich. »Ich möchte mir gestatten, Mylady beizupflichten«, erwiderte Parker, der sich nicht festlegen wollte.
»Ich verhungere ja fast«, präzisierte die ältere Dame. »Etwas Rührei und Schinken könnte nicht schaden.« »Ich werde mir erlauben, die Diät sofort zu vervollständigen«, gab Josuah Parker zurück, ohne eine Miene zu verziehen. »Inzwischen könnten Sie den Fernseher einschalten«, sagte die Sechzigerin. »Vielleicht ist das Programm sehenswert. « »Mylady denken an das hauseigene Programm?« Parker schob das Fernsehgerät, das auf einem fahrbaren Tisch stand, so zurecht, daß Mylady ohne Schwierigkeiten vom Tisch aus sehen konnte. »Selbstverständlich nur unser Programm«, lautete die Antwort der alten Dame. Parker schaltete das Gerät ein und wartete, bis das Bild erschien. Es zeigte einen fensterlosen, etwa sechs Quadratmeter großen Raum, dessen Wände aus Beton bestanden und leicht getönt waren. Die Tür links am Bildrand machte einen soliden Eindruck und bestand offensichtlich aus Stahl. In diesem Raum befanden sich der amerikanische Reporter und die beiden Schläger. Sie saßen sich gegenüber und musterten sich schweigend und abschätzend. Sie waren ungefesselt und konnten sich ungehindert bewegen. Agatha Simpson ließ sich von Parker ein zweites gegrilltes Würstchen vorlegen und verfolgte dann die hausinterne Übertragung, die übrigens auf einem Videorekorder mitgeschnitten wurde.
» . . . auch 'reingelegt worden«, fragte der angebliche 'Reporter' gerade. »Wo sind wir hier eigentlich?« wollte der erste Schläger wissen. »Keine Ahnung.« Der 'Reporter' zuckte die Achseln. »Bei den Bullen sind wir auf jeden Fall nicht, das steht mal fest.« »Wer bist du, Kumpel?« fragte der zweite Schläger. »Du glaubst doch nicht, daß ich quatschen werde, oder?« Der 'Reporter' grinste und winkte ab. »Wir sind ganz schön aufs Kreuz gelegt worden«, ärgerte sich der zweite Schläger. »Wenn ich die Kleine noch mal erwische, is' sie reif.« »Ihr seid von 'ner Frau hochgenommen worden?« Der 'Reporter' lachte verächtlich auf. »Gibt's denn so was auch?« »Die würde dich auch austricksen«, meinte der erste Schläger und massierte seinen Hals. »Mich? Niemals!« Der 'Reporter' gab sich überlegen. »Dann bist du wohl freiwillig hier, wie?« Der zweite Schläger massierte sich den schmerzenden Nacken. »Ich ... Ich hab' eben Pech gehabt«, räumte der 'Reporter' ein. »Aber dafür revanchier' ich mich noch.« »Wann holen die uns hier eigentlich 'raus?« Der erste Schläger erhob sich und klopfte die Tür ab. Er wandte sich zu den beiden anderen Männern um und schüttelte den Kopf. »Dicht wie 'ne Tresortür.« »Hab' ich gleich gemerkt«, sagte der 'Reporter'. »Ihr seid also hinter 'ner Frau hergewesen?« »Neugierig, wie?« Der zweite Schläger grinste.
»Sitzen wir nich' in einem Boot?« fragte der 'Reporter'. »Ich sage gleich, daß ich nicht' nur hinter 'ner Frau her war. Auf meiner Liste stand auch noch'n Butler.« »Ach nee.« Der erste Schläger lächelte neutral. »Parker und diese verrückte, Lady?« »Halt das Maul, er könnte 'n Spitzel sein«, warnte der zweite Schläger. »Selbst wenn!« Der erste Schläger winkte ab, um sich dann wieder an den 'Reporter' zu wenden. »Und hinter wem bist du her?« »Diese verrückte Lady steht auf meiner Liste, Und ihr Butler.« Der 'Reporter' nickte nachdrücklich. »Mensch, sind wir etwa von einem Verein?« »Er is'n Spitzel«, sagte der zweite Schläger. »Das spür' ich doch auf der Zunge.« »Finde ich auch«, erklärte der erste Schläger und sprang auf. »Ich glaub', wir unterhalten uns mal etwas, wie?« Sie gingen auf den 'Reporter' zu, der sehr geschmeidig hochwischte und sich mit dem Rücken in eine Ecke schob. »Das Rührei, Mylady«, meldete Josuah Parker in diesem Moment und betrat den kleinen Eßraum. »Werden vier Scheiben Schinken ausreichen?« »Lenken Sie mich nicht ab, Mr. Parker«, erwiderte Lady Simpson streng. »Hier auf dem Bildschirm wird es endlich spannend.« »Man trägt sich wahrscheinlich mit der Absicht, sich gegenseitig körperlich zu messen«, sagte Parker, ohne einen Blick auf den Bildschirm zu werfen. »Dies, Mylady, stand zu erwarten.« »Diese beiden Subjekte, die Kathy lästig wurden, halten den angeblichen
Reporter für einen Spitzel. Sehr hübsch, ja, sehr gut.« Agatha Simpson vergaß ihre Diät und konzentrierte sich auf das Geschehen. Die beiden Schläger schlugen auf den 'Reporter' ein, der ihnen jedoch nichts schuldig blieb und sich als ausgezeichneter Faustkämpfer erwies, wenngleich er zwischendurch auch recht unfair seine Beine und Füße als Waffen benutzte, was den beiden Schlägern nicht sonderlich bekam. »Wollen Sie nicht zusehen?« fragte die Detektivin ihren Butler. »Der Ausgang dieser Unterhaltung dürfte klar sein, Mylady«, antwortete der Butler in seiner gemessenen Art. »Der angebliche Reporter wird sich mit Sicherheit durchsetzen.« »Wie kommen Sie denn darauf?« Lady Agatha sah Butler Parker überrascht an. »Er ist das, was ich einen Vollprofi nennen würde, Mylady. Die beiden jungen Männer aus dem Weidenkorb hingegen wollen sich erst noch ihre Unterweltsporen verdienen, wenn ich es mal so ausdrücken darf. Wahrscheinlich wissen sie noch nicht, daß sie keine Chance haben.« »Doch, jetzt wissen sie es.« Agatha Simpson nickte bestätigend. »Sehr wenig, was sie da gezeigt haben. Ich hatte mehr erwartet.« »Das Rührei«, erinnerte der Butler mit unbewegter Miene. »Richtig.« Sie widmete sich wieder ihrer Diät. »Schalten Sie auf das Normalprogramm um, Mr. Parker. Vielleicht gibt es auf irgendeinem Kanal einen spannenden Krimi...« *
»Wer ist dieser angebliche Reporter?« fragte Kathy Porter. Sie trank eine Tasse Tee, die Josuah Parker ihr serviert hatte. Lady Agatha Simpson hatte sich nach dem Dinner zurückgezogen und hielt sich in ihrem Studio im Obergeschoß des Hauses auf. Sie wollte, wie sie gesagt hatte, an ihrem einmaligen Kriminalroman arbeiten, der zu einem Weltbestseller werden sollte. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, eine gewisse Agatha Christie weit in den Schatten zu stellen. Butler Parker hatte dieses Studio eingerichtet. Es enthielt alles an technischen Möglichkeiten, um diesen Roman zu Papier bringen zu können. Da gab es eine elektrische Schreibmaschine, diverse Diktiergeräte, eine Handbibliothek der Kriminalwissenschaften und eine Unzahl wertvoller Nachschlagewerke. Mylady brauchte also nur noch zu schreiben, doch sie rang seit Monaten mit dem Thema. Sie hatte bisher noch keine einzige Zeile zu Papier gebracht und wartete noch immer auf die Eingebung. Dazu legte sie sich in einen mehr als bequemen Sessel und schloß die Augen. Sie schlief natürlich nicht, wie man hätte vermuten können, sondern meditierte, wie sie es nannte. Dazu schienen auch stets die mehr oder weniger starken Schnarchtöne zu gehören, die man durch die Tür des Studios hören konnte. »Er dürfte auf keinen Fall zu jenen beiden Männer gehören, Miß Porter, die Sie überfallen wollten. Möchten Sie sich die Bandaufzeichnung ansehen?«
Sie wollte. Parker schaltete den Videorecorder und das dazugehörige Fernsehgerät ein. Während Kathy Porter an dem vorzüglichen Tee nippte, sah sie sich den Dreikampf unten im 'Gästezimmer' des Hauses an. Die drei Männer waren in voller Aktion und droschen hart aufeinander ein. »Beachten Sie bitte die Technik des angeblichen Reporters«, warf der Butler ein. »Er ist den beiden jungen Männer weit überlegen.« Parker übertrieb wirklich nicht. Der angebliche Reporter kämpfte mit allen erlaubten und unerlaubten Tricks. Zudem schlug er wesentlich härter als seine beiden jungen Gegner. Er brauchte nur wenige Minuten, bis sie japsend und stöhnend auf dem Betonboden saßen. »Sie gehören eindeutig nicht einer gemeinsamen Organisation an«, faßte der Butler zusammen. »Ihnen dürfte nicht entgangen sein, Miß Porter, daß man sich hier keinen Schaukampf lieferte. Aber sehen und hören Sie weiter. Gleich werden einige entscheidende Hinweise fallen.« Parker kannte die Recorderaufzeichnung und wußte, wovon er sprach. Der angebliche Reporter stand vor den beiden hockenden Schlägern und richtete einige Fragen an sie. Er wollte wissen, in wessen Auftrag sie arbeiteten und wie dieser Auftrag gelautet hatte. Die Antworten kamen wie aus der Pistole geschossen. Die beiden jungen Schläger, inzwischen ein wenig verschüchtert, standen dem 'Reporter' fast freudig Rede und Antwort. Sie erklärten wechselseitig, ihr Arbeitgeber sei ein gewisse Ray Bliss, der in der Nähe der West India Docks ein Geschäft für Seemannsbedarf betreibe.
Sie erklärten weiter, sie hätten nur die Aufgabe gehabt, diese Sekretärin der verrückten Lady zu ihm zu bringen. Mehr wußten sie tatsächlich nicht zu sagen, wie auch der angebliche Reporter schnell herausfand. Er begnügte sich mit dieser Auskunft und verzichtete darauf, weitere Fragen zu stellen. »Kennen Sie einen Ray Bliss, Mr. Parker?« erkundigte sich Kathy Porter, als der Butler das Gerät ausschaltete. »Bisher hatte ich mit diesem Herrn noch nie zu tun«, gab der Butler zurück. »Dies wird sich selbstverständlich sehr schnell ändern.« »Warum wollte man mich kidnappen, Mr. Parker?« »Mr. Bliss wird da mit einigen Auskünften dienen«, wußte Josuah Parker. »Ich möchte unterstellen, daß er seinerseits in einem bestimmten Auftrag gehandelt hat.« »Glauben Sie, daß meine geplante Entführung mit dem Mord an Mr. Mason zu tun haben könnte?« »Ausschließen möchte ich dies vorerst nicht, Miß Porter. Die Dinge werden aber wohl erst ab morgen in einen Zustand geraten, den man als kritisch bezeichnen sollte. Die Zeitungen werden über Myladys Pressekonferenz berichten.« »Und der oder die Mörder müssen dann annehmen, daß Mr. Mason bereits vor seiner Ermordung Mylady einige wichtige Dinge anvertraut hat, nicht wahr?« »Dies haben Mylady besonders herausgestellt«, antwortete Josuah Parker. »Mylady bieten sich leider wieder mal als der sprichwörtliche Köder an. Es wäre sinnlos und vertane Zeit
gewesen, Mylady diese Finte ausreden zu wollen.« »Wem sagen Sie das, Mr. Parker!« Kathy lächelte. Sie kannte die stete Kampfbereitschaft der älteren. Dame, die unter allen Umständen schnurstracks auf ihre Ziele zumarschierte. »Mich beschäftigt dieser angebliche Reporter«, redete Parker weiter. »Was plante er, als er Myladys Pressekonferenz aufsuchte? Wollte er Mylady und meine bescheidene Wenigkeit kaltblütig erschießen?« »Während der Pressekonferenz, Mr. Parker?« »Die mit Sicherheit entstehende und allgemeine Verwirrung hätten es ihm leicht ermöglicht, das sprichwörtliche Weite zu suchen, Miß Porter. Nach Lage der bisher bekannten Dinge war Mr. Mason wohl in der Lage, äußerst wichtige Dinge weiterzugeben. Und sie müssen meiner bescheidenen Ansicht nach mit seinem Beruf zu tun haben.« »Datenerfassung per Computer, Mr. Parker?« »Sie sagen es, Miß Porter.« Parker nickte andeutungsweise. »Diesem Themenkomplex wird man sich noch ausgiebig widmen müssen.« * Das altehrwürdige Fachwerkhaus der Lady Simpson in Shepherd's Market nahm die Basis eines kleinen Uförmigen Platzes ein, der inmitten der Millionenstadt London eine Oase der Ruhe und des Friedens darstellte. Links und rechts von diesem Haus, das die ganze Breite der Basis einnahm, standen weitere Häuser, die stilmäßig aufeinander abgestimmt
waren. Sie schienen bewohnt zu sein, waren es jedoch nicht. Sie alle waren Bestandteil von Myladys Haus und untereinander durch raffiniert angelegte Verbindungsgänge verbunden. Während der Abende und nachtsüber schaltete eine geschickt installierte und programmierte Elektronik Lichter an und wieder aus. Sie täuschten Leben in diesen Häusern vor und schufen den Eindruck, daß in diesen Häusern Mieter wohnten. Parker hatte sich das alles einfallen lassen. Dank der immensen Geldmittel, über die Lady Simpson verfügte, hatte er nicht zu sparen brauchen. Aus einem dieser Häuser vorn an der Durchgangsstraße traten etwa gegen 22.00 Uhr zwei Personen ins Freie. Es handelte sich um ein älteres Ehepaar, das auf einen betagten Wagen zuschritt und sich sehr umständlich fahrbereit machte. Es dauerte eine Weile, bis dieser betagte Wagen sich endlich in Bewegung setzte. Vor dem Einbiegen in die Durchgangsstraße hielt der Wagen betont vorsichtig an. Das Licht einer Straßenlaterne ließ die Insassen deutlich erkennen. Der ältere Herr trug einen Schnurrbart, hatte grauweißes Haar und hielt mit seinen Zähnen eine Pfeife fest. Die Dame neben ihm trug eine Brille, ordnete gerade einen exaltiert aussehenden Hut auf ihrem weißen Haar und naschte Konfekt aus einer Schachtel. »Darf ich Sie auf die Gestalt dort drüben jenseits des Parkzauns aufmerksam machen?« fragte Josuah Parker, der Maske gemacht hatte. »Er raucht eine Zigarette«, bestätigte
Kathy Porter neben ihm. Auch sie hatte ihr Aussehen verändert. »Es wäre leicht, Mr. Parker, diesen Mann einzufangen.« »Gewiß und in der Tat«, antwortete der Butler. »Ich möchte allerdings annehmen, daß dies nichts Verwertbares einbringen dürfte. Auch dieser Mann würde nichts sagen, wie der angebliche Reporter.« »Ob er später versuchen wird, in Myladys Haus einzudringen?« »Hoffentlich nimmt er davon Abstand«, antwortete Parker. »Er könnte sonst in Myladys Hände fallen.« Parker setzte den alten Wagen wieder in Bewegung, fädelte sich in den Verkehr ein und fuhr in Richtung City. Er wollte Ray Bliss einen Besuch abstatten und ihm einige Fragen stellen. Mylady war im Haus zurückgeblieben, was eigentlich mehr als ungewöhnlich war. Butler Parker hatte jedoch angedeutet, daß mit einem Einbruch zu rechnen sei, und die ältere Dame gebeten, sich etwaiger Eindringlinge anzunehmen. Diese Aussicht hatte Mylady schließlich dazu gebracht, auf diesen nächtlichen Ausflug zu verzichten. »Werden wir verfolgt, Mr. Parker?« erkundigte Kathy Porter sich nach einer Weile. »Natürlich nicht«, gab er zurück. »Man interessiert sich für Mylady, für Sie, Miß Porter und schließlich für meine bescheidene Wenigkeit. Ein älteres Ehepaar ist für die Gangster völlig uninteressant.« * Lady Agatha hatte sich in die Bibliothek des Hauses zurückgezogen und
nahm gerade einen Kreislaufbeschleuniger zu sich. Es handelte sich dabei um alten, französischen Kognak, den sie genießerisch schluckweise trank. Wie Parker es ahnte, wartete sie ungeduldig auf einen massierten Einbruchsversuch. Sie hatte große Lust, sich ein wenig körperlich zu betätigen. Ihrer Ansicht nach ließen die Dinge sich etwas schleppend an. So verstand sie einfach nicht, warum ihr Butler diesen angeblichen Reporter noch nicht vernommen hatte. Parker schien diesen Mann einfach vergessen zu haben. Er befand sich übrigens noch immer zusammen mit den beiden jungen Schlägern in einem der Gästezimmer' tief unten im Haus. Was die drei Männer sich inzwischen sagten, wurde von einem Tonbandgerät sorgfältig aufgezeichnet. Es sollte zu einem späteren Zeitpunkt ausgewertet werden. Das Telefon läutete. Lady Agatha hob den Hörer ab und meldete sich. »Hier ist die American News Agency«, meldete sich eine Frauenstimme. »Ich spreche mit Lady Simpson?« »Immer noch«, sagte sie grollend. »Wir vermissen unseren Mr. Catson«, sagte die Frauenstimme. »Darf ich fragen, ob er Ihre Pressekonferenz besucht hat, Mylady?« »Möglich, aber ich weiß es nicht genau. Ich habe mir all diese Namen nicht gemerkt.« »Mylady, ich weiß, daß ich fast schon unverschämt bin«, schickte die Frauenstimme höflich voraus, »aber könnten Sie nicht Ihren Butler fragen?
Unser Mr. Catson wird doch bestimmt seine Visitenkarte abgegeben haben.« »Ich werde ihn morgen fragen«, gab die Lady zurück. »Ich habe ihn bereits zu Bett geschickt. Sie wissen vielleicht nicht, über wieviel Rechte heutzutage das Personal verfügt. Scheußlich!« »Wir machen uns gewisse Sorgen, Mylady. Mr. Catson gilt als äußerst prompter und zuverlässiger Journalist.« »Wahrscheinlich trinkt er heimlich und sitzt in irgendeinem Nachtclub.« Agatha Simpson genoß das Gespräch. »Sicher nicht, Mylady«, kam prompt die Antwort. »Unter welcher Nummer kann ich Ihr Büro erreichen?« fragte Lady Agatha. »Ich werde sehen, ob mein Butler noch auf den Beinen ist. Ich werde dann zurückrufen.« »Bitte, Mylady, machen Sie sich keine Mühe! Wenn Sie einverstanden sind, werde ich in zehn Minuten noch mal anläuten, ja?« »Ist mir auch lieber«, erklärte die Detektivin. »Telefonieren ist nicht gerade billig, man muß sparen, wo man nur kann. Bis gleich!« Sie legte auf, nahm noch einen Schuß vom Kreislaufbeschleuniger und holte sich das Telefonbuch. Sie suchte nach der Nummer der American News Agency, wählte sie dann und wartete auf die bereits bekannte Frauenstimme. Das heißt, sie rechnete nicht damit, sie zu hören. Ihr war längst klar, daß dieser Anruf nur fingiert gewesen war. »American News Agency«, meldete sich die bereits bekannte Frauenstimme zu Myladys grenzenloser Überraschung. Lady Agatha legte auf und war ein wenig irritiert. Doch, sie hatte
die Frauenstimme genau wiedererkannt, ein Irrtum war da ausgeschlossen. Sollten Gangster das Nachrichtenbüro überfallen und besetzt haben? War das der Teil des Planes, diesen Profigangster zur Pressekonferenz schicken zu können? Oder war dieser Journalist Catson vielleicht während seiner Fahrt nach Shepherd’s Market überfallen und ausgeschaltet worden? Lady Agathas Neugier war geweckt worden. Sie fragte sich, warum sie hier untätig im Haus herumsaß und auf etwaige Einbrecher wartete, die ja doch keine Chance hatten, sich heimlich ins Haus zu stehlen. Warum warten, wenn man auch aktiv werden konnte? Einen Augenblick lang spielte sie mit dem Gedanken, ChiefSuperintendent McWarden anzurufen und ihn auf das Nachrichtenbüro zu hetzen. Aber würde McWarden nicht wieder alles verderben? Ihrer Ansicht nach arbeitete er stets nach einem gewissen Schema, ihm fehlte es einfach an Phantasie. Lady Agatha faßte einen einsamen Entschluß. Sie selbst wollte sich die Insassen dieses Nachrichtenbüros mal aus der Nähe ansehen. Die ältere Dame hinterließ auf einem Kassettenrecorder eine kurze Nachricht für ihren Butler und rüstete sich zum Streit. Diese Nacht versprach noch recht anregend zu werden! * Das Geschäft für Seemannsbedarf aller Art lag in einer engen Straße in der Nähe eines der Piers. Man befand
sich fast an der Themse. Es roch nach Brackwasser, Schlick und Moder. Im Geschäftslokal brannte noch Licht, was nicht weiter verwunderlich war. Hier in der Hafengegend mußte man sich nach der Ankunft und Abfahrt der Schiffe richten. Die Seeleute kamen, wie es die Zeit ihnen gerade erlaubte. Aus dem alten Wagen, der ein wenig hinter dem Eingang hielt, stieg das Ehepaar. Butler Parker informierte sich mit schnellem Blick. Lungerten in der Nähe verdächtige Gestalten herum? Hatte Ray Bliss, der Auftraggeber der beiden Schläger, Wachen ausgestellt? »Dort im Hausflur, Mr. Parker«, sagte die Frau. Auch Kathy Porter hatte Ausschau gehalten und dabei eine Gestalt jenseits der Straße ausgemacht. »Und dort in der Toreinfahrt«, fügte Josuah Parker hinzu. Dann redete er betont laut weiter. »Komm, meine Liebe, hier sollten wir zurechtkommen.« Er bot seiner älteren Begleiterin höflich den Arm. Sie gingen zum Eingang des Ladenlokals, ein Bild der Eintracht und der gegenseitigen Zuneigung. Ray Bliss handelte tatsächlich mit Seemannsbedarf. Die Regale in seinem unübersichtlichen Laden waren vollgestopft und verloren sich in der dämmerigen Tiefe des Raumes. Ein regulär aussehender Seemann hatte gerade eingekauft und gezahlt. Er schulterte einen Seesack und marschierte nach draußen. Ray Bliss - er konnte es nur sein kam um die lange Ladentheke herum und musterte das ältere Ehepaar. Bliss war ein Mann von etwa fünfzig Jahren, fast klein, dafür aber sehr rundlich. Er
hatte schnelle und abschätzende Augen. Sie schauten nun etwas überrascht und verwundert auf das ältere Ehepaar. Kundschaft dieser Art verkehrte offensichtlich nicht bei ihm. »Was kann ich für Sie tun?« fragte Bliss. »Es geht um unseren Enkel«, erwiderte der ältere Herr und strich mit dem Zeigefinger über seinen Schnurrbart. »Fährt zur See, verstehen Sie? Alte Familientradition, nicht wahr, äh!?« »Aha.« Bliss nickte lächelnd und sah durchaus vertrauenerweckend aus in diesem Moment. »Grundausstattung, nicht wahr?« »Richtig, Seesack, Arbeitskleidung, Ölzeug, Unterwäsche und so weiter. Na, Sie wissen schon.« »Können Sie alles bei mir haben. Aber warum haben Sie den Jungen nicht mitgebracht? Man könnte die Sachen besser anpassen, Sir.« »Strickmütze und Handschuhe«, fügte die ältere, besorgte Dame hinzu. »Wie groß ist Ihr Enkel denn?« Bliss schöpfte keinen Verdacht. Die Masken von Butler Parker und Kathy Porter waren perfekt, ebenso auch die Gesten und Bewegungen. »Wie groß ist er?« Der ältere Herr zeigte verschiedene Größen mit der flachen Hand in die Luft, während die Dame entzückte kleine Schreie ausstieß und durch das Ladenlokal trippelte. Kathy Porter wollte feststellen, was sich im Hintergrund befand. Sie entdeckte auch prompt eine Tür, die sie im Vorbeitrippeln schloß. Dann kam sie wieder nach vorn.
»Wie wäre es, äh, wenn Sie sich unseren Enkel mal ansehen?« fragte der ältere Herr jetzt. »Wie war das?« Ray Bliss glaubte sich verhört zu haben. »Eigentlich handelt es sich um zwei junge Männer, die gar keine Enkel sind«, redete der ältere Herr. »Eigentlich sind es zwei junge Schläger, die diese Dame dort um jeden Preis in Ihrem Auftrag entführen sollten.« Ray Bliss war mit Sicherheit ein ausgekochter Ganove, doch jetzt hakte es bei ihm erst mal aus. Natürlich, er wußte von zwei jungen Schlägern, doch er hatte sie keineswegs auf diese ältere Frau angesetzt. War da was schief gelaufen? Hatten die beiden Trottel sich in der Person geirrt und geredet? »Ich ... Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagte er und schob sich vorsichtig zur Ecke der Ladentheke zurück. »Sind Sie sicher, daß Sie mich meinen?« »Aber natürlich, Mr. Bliss«, schaltete Kathy Porte sich ein. »Die beiden jungen Männer fuhren auf einer Yamaha. Und sie wurden sehr zudringlich.« »Meine Begleiterin mußte sich energisch zur Wehr setzen«, erklärte Josuah Parker. »Ihre beiden jungen Männer ist das nicht sonderlich gut bekommen.« »Zu wem sollten sie mich eigentlich bringen?« fragte Kathy Porter. »Zu Ihnen doch auf keinen Fall, Mr. Bliss, nicht wahr?« Parkers rechte Hand legte sich um einen Fischkescher, der wie ein grob geknüpftes Schmetterlingsnetz aussah. Ray Bliss hatte keine Lust, diese Fragen zu beantworten. Er stand bereits
hinter der Verkaufstheke und riß jetzt blitzschnell die Schublade auf, die sich in Griffnähe befand. Parker hingegen setzte seinen Kescher ein und schlug das kleine Fangnetz über den Kopf von Ray Bliss, der mit dieser Überraschung nicht gerechnet hatte. Parker zog den Kescher scharf zu, wodurch der Kopf von Bliss samt Hals und Oberkörper über die Verkaufstheke gezogen wurde. Der Mann war nicht mehr in der Lage, in die Schublade zu greifen. Er blockierte sie mit seinem eigenen Körper. »Man sollte sich nicht unnötig echauffieren«, schlug Butler Parker in seiner gemessenen Art vor. »Für wen engagierten Sie die beiden Frischlinge, um es mal in der Sprache des Waidmanns auszudrücken.« »Ich ... Ich habe nicht... Ich weiß nicht. ..« Der Seemannsausstatter schwitzte vor Aufregung. »Sie wissen mit Sicherheit, Mr. Bliss«, gab Parker zurück. »Ich werde Ihnen einen Vorschlag machen: Miß Porter und meine bescheidene Wenigkeit sind in einer recht guten Maske zu Ihnen gekommen und werden auch in dieser Maske wieder gehen, falls Sie sich kooperationsbereit zeigen. Ist dies jedoch nicht der Fall, werden Miß Porter und meine Wenigkeit uns demaskieren und Ihre Wachen draußen hellsichtig werden lassen. Wie wollen sie ihrem Auftraggeber gegenüber dann noch beweisen, daß Sie geschwiegen haben? Ich würde sagen, es wird Ihnen nicht gelingen, der Rest von Mißtrauen wird bleiben. Was sich daraus für Ihre mehr oder weniger werte Person ergibt, sollten Sie selbst beurteilen.«
Ray Bliss brauchte natürlich einige Zeit, bis er endlich begriffen hatte. Parker hatte sich nicht gerade umständlich, aber doch immerhin ein wenig zu gewählt ausgedrückt. Als Bliss nun verstanden hatte, nickte er, worauf Josuah Parker den Zug des Keschers ein wenig minderte. »Okay, einverstanden«, sagte Bliss jetzt mit belegter Stimme. »Ihr habt mich im Sack.« »Im Kescher«, korrigierte Butler Parker. »Den Namen, wenn ich also bitten darf!« »Und Sie werden mich nich' verpfeifen?« »Mein Wort darauf, Mr. Bliss.« »Benny Turpins, Mr. Parker.« Bliss sprach unwillkürlich leise. Schon allein die Nennung dieses Namens flößte ihm tiefen Respekt ein. »Das ist in der Tat recht interessant«, fand Josuah Parker. »Hoffentlich haben Sie sich diesen Namen nicht gerade ad hoc einfallen lassen, wie man so zu sagen pflegt.« »Wie war das? Ad hoc?» «Schon gut, schon gut, Mr. Bliss! Sollten Sie gelogen haben, werde ich Mr. Turpins selbstverständlich sagen müssen, wer ihn da belasten wollte. Und dies würden Sie nur dann überstehen, wenn Sie umgehend nach, sagen wir, Australien auswanderten. Ob diese Entfernung dennoch ausreichen würde, ist dann noch eine andere Frage.« »Benny Turpins«, flüsterte Ray Bliss. »Er hat schon ein paarmal anrufen lassen und gefragt, was los ist.« »Packen Sie uns etwas Hübsches ein, Mr. Bliss«, sagte Parker und lockerte den Kescher noch mehr. »Wenn Miß
Porter und meine bescheidene Wenigkeit Ihr Herrenausstattungsgeschäft verlassen, müssen die Späher auf der Straße schließlich den Eindruck gewinnen, daß hier regulär eingekauft wurde.« * Agatha Simpson saß am Steuer ihres Wagens, ließ den Motor freudig aufrauschen und wartete darauf, daß das Tor sich automatisch hob. Die Garage befand sich auf der linken Hausseite und sah völlig regulär aus. Sie enthielt selbstverständlich ebenfalls einige Geheimnisse, für deren Einbau der Butler gesorgt hatte. Nun aber verließ die ältere Dame völlig regulär die Garage und steuerte ihren massiven Land-Rover zur Durchgangsstraße. Obwohl dieser Wagentyp durchaus geländegängig und robust war, sah er recht mitgenommen und zerbeult aus. Das hing mit dem etwas eigenwilligen Fahrstil der Lady zusammen, die sich gern durch den Verkehr zu boxen pflegte. Aus diesem Grund hatte Butler Parker auch dafür gesorgt, daß die Stoßstangen zusätzlich noch verstärkt worden waren. Was die Festigkeit anbelangte, so glich der Land-Rover jetzt einem improvisierten Panzerwagen. Sie fädelte sich auf ihre Art in den Verkehr auf der Durchgangsstraße ein. Lady Simpson hupte nachdrücklich und gab dann Vollgas. Der LandRover. schoß in die Verkehrsschlange und teilte sie in Sekundenschnelle. Man hörte das verzweifelte Quietschen von Bremsen, wütendes Hupen, doch das alles störte die
Fahrerin nicht. Sie war der festen Meinung, daß man auf eine ältere Dame Rücksicht zu nehmen habe. Weit bis zum Büro der American News Agency hatte sie es nicht. Laut Telefonbuch befand dieses Büro sich im nahen Stadtteil Belgravia, und zwar in der Nähe des Belgrave Square. Nach einigem Suchen, ein Verkehrschaos auslösend, fand sie die Halkin Street und hielt vor einem großen, grauen Backsteingebäude, in dem Anwaltsfirmen und Büros angesehener Handelshäuser untergebracht waren. Die ältere Dame stieg aus und betrachtete die Schilder am Eingang. Sie fand das Messingschild der American News Agency, die in der dritten Etage residierte. Sie marschierte energisch auf den Lift zu und betrat das kleine Quadrat, das der Aufnahme bis zu sechs Personen diente. Als sie auf den Bedienungsknopf drücken wollte, standen plötzlich, förmlich wie aus dem Boden gewachsen, zwei Männer vor ihr, die unbedingt noch mitfahren wollten. Sie waren etwa dreißig Jahre alt, gut gekleidet und hielten Revolver in ihren Händen. »Wir dürfen doch noch mit, wie?« fragte der erste Mann. »Wir passen etwas auf Sie auf«, fügte der zweite Mann hinzu. Sie schoben sich in den Lift und schlössen die Tür. Sekunden später setzte der Aufzug sich in Bewegung und glitt nach oben in die dritte Etage. Die Tür öffnete sich. Agatha Simpson verließ den Lift und kümmerte sich nicht weiter um die beiden Mitfahrer. Sie lagen in enger Umschlingung auf dem Boden des Lifts und waren ohne
Waffen. Sie rührten sich nicht weiter, was eindeutig mit ihrer Bewußtlosigkeit zu tun hatte, in der sie sich befanden. Der Pompadour an Myladys Handgelenk pendelte noch leicht, ein sicheres Zeichen dafür, daß sie den darin befindlichen 'Glücksbringer' eingesetzt hatte. Dabei handelte es sich um ein echtes Pferdehufeisen, das nur oberflächlich mit dünnem Schaumstoff umwickelt war, um ernsthafte Verletzungen zu vermeiden. Die Detektivin ließ die beiden Schußwaffen in der Innentasche ihrer Kostümjacke verschwinden und ging dann energisch auf die Büroräume der Presseagentur zu. Sie befand sich wieder mal in ausgezeichneter Stimmung. Der kleine Zwischenfall im Lift hatte ihren Kreislauf in Schwung gebracht. Sie freute sich auf weitere Gespräche. Sie drückte die Haupttür der Agentur auf und sah sich einigen Männern gegenüber, die vor Schreibtischen saßen und eindeutig arbeiteten. Mylady ließ sich jedoch nicht täuschen. Interessiert sah sie einem der Männer entgegen, der aufstand und schnell auf sie zukam. »Ja, bitte?« fragte er nicht gerade höflich. »Wissen Sie, was das ist?« Sie hob den perlenbestickten Pompadour an. »Ein . . . Ein ... Na, wie heißen diese Dinger denn noch?« Der Mann lächelte. »Ich werde Ihnen zeigen, was man damit alles machen kann«, antwortete die ältere Dame kriegerisch. »Und danach unterhalten wir uns dann über ein Subjekt namens Catson!«
* Butler Parker hatte die Tonbandbotschaft seiner Herrin gerade in Gegenwart von Kathy Porter abgespielt und schaltete nun das Gerät ab. »Großer Gott«, murmelte Kathy Porter. »Sie ist zur American News Agency gefahren.« Parker enthielt sich jeden Kommentars. Sein Gesicht zeigte keine Regung, obwohl er sich lebhaft vorstellen konnte, was in den Räumen dort passiert war oder noch vorging. Er brauchte im aufgeschlagenen Telefonbuch, das Mylady zurückgelassen hatte, nicht umständlich nach der Nummer zu suchen. Er wählte sofort und bemühte sich um innere Entspannung. »Nichts«, sagte er, nachdem er immer wieder hatte durchläuten lassen. »Was hat das zu bedeuten, Mr. Parker?« fragte Kathy Porter gespannt. Sie war sehr unruhig, denn sie kannte das Temperament der Lady Agatha nur zu gut. Bevor Josuah Parker sich mit ihrer Frage befassen konnte, läutete es an der Haustür. Butler Parker schritt gemessen, als sei überhaupt nichts geschehen, in die Wohnhalle und öffnete die Glastür zum Vorflur. Er brauchte die Kontrollanlage gar nicht erst einzuschalten. Man hörte bereits deutlich, daß Agatha Simpson Einlaß begehrte. Ihre Stimme klang wie Donnergrollen. »Wie lange, zum Teufel, muß ich eigentlich warten?« fragte die ältere Dame, als Parker die Tür geöffnet hatte. »Ich erlaube mir, einen guten Abend zu wünschen, Mylady«, erwiderte Josuah Parker. Er hatte mit schnellem Blick gesehen, daß Myladys
Hutschöpfung ein wenig schief saß. Auch das an sich robuste TweedKostüm zeigte Spuren eines erbitterten Kampfes. Es war an den Schultern und Revers eingerissen. Lady Simpson war nicht allein. Hinter ihr stand Chief-Superintendent McWarden, und die beiden Streifenwagen vor dem Haus wiesen darauf hin, daß die Polizei einen mittleren Einsatz geführt haben mußte. »Mylady hatten Unannehmlichkeiten?« fragte Parker in seiner höflichen Art. »Warum fragen Sie das nicht mich?« warf der Chief-Superintendent gereizt ein. »Betrachten Sie hiermit diese Frage als gestellt, Sir«, schlug Josuah Parker vor. »Ich muß mich etwas richten«, sagte die Sechzigerin. Sie hatte Kathy Porter erspäht und winkte sie zu sich heran. »Kommen Sie, Kindchen, helfen Sie mir beim Umkleiden! Es ist nicht zu glauben, wie man mit einer alten, gebrechlichen Frau umgeht, es ist einfach nicht zu glauben! Ich denke, ich werde mich beim Premierminister beschweren.« Sie warf McWarden noch einen vernichtenden Blick zu und rauschte dann zusammen mit Kathy Porter über die Treppe ins Obergeschoß des Hauses. »Sie wird mich eines Tages noch umbringen«, seufzte McWarden erleichtert auf, als sie nicht mehr zu sehen war. »Bedürfen Sie möglicherweise einer kleinen Erfrischung, Sir?« erkundigte Parker sich. »Ich brauche einen doppelten Whisky, Mr. Parker, noch besser, einen dreifachen.«
»Ihr Wunsch ist mir selbstverständlich Befehl, Sir.« Parker ging zu dem Tisch hinüber, auf dem Flaschen und Gläser standen. Als er mit dem Drink zu McWarden zurückkam, wischte der sich den Schweiß von der Stirn. Seine Hand zitterte, als er das Glas entgegennahm. »Wissen Sie, was passiert ist?« fragte er dann. Er nahm einen intensiven Schluck. »Es muß sich um etwas Bemerkenswertes gehandelt haben, Sir.« »Lady Simpson hat die Agentur eines amerikanischen Nachrichtenbüros vollständig zertrümmert.« »Darf ich hoffen, Sir, daß es sich um eine Übertreibung handelt?« »Sie hat sechs ausgewachsene Reporter zusammengedroschen. Drei davon müssen ärztlich versorgt werden.« »Sie erschrecken meine bescheidene Wenigkeit, Sir.« Parkers Gesicht blieb unbewegt. »Sie hat sie für Gangster gehalten. Mehr brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen. Und dabei handelte es sich um reguläre Journalisten! Sie hatten natürlich keine Chance.« »Mylady muß demnach sehr erregt gewesen sein, Sir.« »Sie wütete wie ein Taifun, Mr. Parker. Und jetzt kommt das Groteske an dieser ganzen Geschichte: zwei wirkliche Gangster, von denen sie im Lift überfallen wurde, diese beiden Gangster hat sie laufen lassen ... Hätte ich genug Haare, ich würde sie mir raufen.« »Mylady wird den materiellen und seelischen Schaden selbstverständlich ersetzen, Sir.«
»Mylady wird mir sagen«, schickte McWarden in Parkers Tonart und Redeweise voraus, »woher sie weiß, daß Mr. Catson von der American News Agency verschwunden ist? Er wurde hierher zur Pressekonferenz geschickt und hat sich bisher nicht mehr gemeldet. Wieso hielt sie die Redakteure für Gangster? Das muß doch einen Grund gehabt haben. Nein, nein, Mr. Parker, kommen Sie mir jetzt nur nicht mit faulen Ausreden! Diesmal greife ich hart durch! Ich will wissen, was hier im Haus gespielt wird! Ich lasse mich nicht länger an der Nase herumführen!« * »Ist er endlich weg?« fragte Agatha Simpson eine halbe Stunde später. »Gütiger Himmel, ist dieser Mann aufdringlich.« »Der Chief-Superintendent verlangt bis morgen zehn Uhr eine Erklärung, Mylady, die sich auf den verschwundenen Mr. Catson bezieht.« »Gut, dann sorgen Sie dafür, Mr. Parker, daß Sie bis dahin den richtigen Mr. Catson finden.« Mehr hatte die ältere Dame zu diesem Problem nicht zu sagen. Mit Kleinigkeiten dieser und ähnlicher Art gab sie sich grundsätzlich nicht ab. »Darf ich mir erlauben, Mylady, gewisse Bedenken zu äußern? Die Zeit dürfte äußerst knapp sein, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Sie haben doch dieses Subjekt im Keller, das sich als Catson ausgegeben hat«, antwortete die Detektivin. »Also wird dieser Lümmel wissen, wo der richtige Mr. Catson ist. Ich könnte
mich allerdings mal näher mit ihm unterhalten, oder?« »Mylady sollten vielleicht ein wenig der Ruhe pflegen«, schlug Josuah Parker vor. »Die vergangenen Stunden könnten möglicherweise etwas anstrengend gewesen sein?« »Papperlapapp, Mr. Parker! Sie haben mir gutgetan, ich habe mich endlich mal wider richtig ausarbeiten können. Aber gut, ich will Ihnen nicht ins Handwerk pfuschen. Sie finden mich in meinem Studio. Ich werde noch an meinem Roman arbeiten.« Wie die ältere Dame sich die Arbeit vorstellte, war an ihrer Kleidung zu sehen. Sie trug bereits über einem wallenden Nachthemd ein noch üppiger wallendes Kleid. Sie sah darin aus wie eine Herzogin auf dem Weg zum Empfang bei der Königin. Sie nickte Parker gnädig zu und rauschte dann wieder nach oben. Parker wartete, bis die Hauherrin in ihren Räumen verschwunden war. Er schaltete das Licht im Erdgeschoß aus und begab sich in den Keller des Hauses, der bereits schon zu Zeiten der alten Abtei angelegt worden war. Selbst ausgekochte Spezialisten der Polizei hätten niemals den Geheimzugang zu weiteren Räumen gefunden, die sich unterhalb dieser Gewölbe befanden. Butler Parker hatte diese Räumlichkeiten vor Jahren anlegen lassen. Die Bauarbeiter wohnten längst wieder auf Sizilien und hatten selbst jetzt nur die Vorstellung, die verrückte Lady habe sich einen atomsicheren Bunker anlegen lassen. Vor dem 'Gästezimmer', in dem die drei Männer untergebracht waren, blieb Parker vor der Art Panzertür stehen und sperrte sie geräuschlos auf.
Ein feines, saugendes Geräusch war zu vernehmen, als er die Tür vorsichtig aufzog. Es erfolgte genau das, womit er fest gerechnet hatte. Die drei Männer waren natürlich aufmerksam geworden und witterten eine Möglichkeit, endlich freizukommen. Sie schienen einen Anlauf genommen zu haben und warfen sich jetzt gemeinsam und gleichzeitig gegen die Tür. Sie hegten die Hoffnung, sie samt dem Beschließer weit aufstoßen zu können. Was natürlich nicht klappte! Parker blieb völlig gelassen vor der spaltbreit geöffneten Tür stehen und dachte nicht im Traum daran, sich seinerseits gegen die Tür zu stemmen. Oberhalb des Türrahmens ragte eine Stahlklaue aus dem Beton hervor, die die Tür festhielt. Sie erbebte noch nicht mal, als die drei Männer sich gegen sie warfen. Aber Sekunden danach war ein allgemeines Stöhnen und Ächzen zu vernehmen. Die drei Männer schienen sich diverse Körperteile geprellt zu haben. »Zuerst Mr. Catson«, sagte Parker durch den Türspalt. »Wir wollen uns doch wie zivilisierte Menschen benehmen, wenn ich vorschlagen darf.« Er veränderte die Sperre über der Tür und zog die Tür nun soweit auf, daß sich gerade noch ein schlanker Mensch durch den Spalt hindurchzwängen konnte. Es war Mr. Catson, oder besser gesagt, jener Mann, der sich als der verschwundene Journalist ausgegeben hatte. Er mühte sich ab, aus dem 'Gästezimmer' zu kommen. Als er es geschafft hatte, drückte Parker auf
einen Schaltknopf, der an der Wand angebracht war. Die schwere Panzertür schloß sich leise und nachdrücklich. Der Gangster, der sich als Catson ausgegeben hatte, sah den Butler abschätzend an. »An Ihrer Stelle würde ich es nicht versuchen«, meinte Josuah Parker, der die bösen Gedanken des Mannes erraten zu haben schien. »Selbstverständlich bin ich bewaffnet, wie Sie sich wohl vorstellen können. Ich möchte Sie hinüber in ein anderes Zimmer bitten.« »Was ... Was haben Sie mit mir vor?« fragte der Gangster, um es dann doch zu probieren. Er sprang auf den Butler zu und wollte ihm die Faust in die Magenpartie jagen. Ja, es gelang ihm sogar. Die Faust des trainierten Gangsters traf genau ihr Ziel und ... verformte sich dann leicht. Gleichzeitig stöhnte der falsche Mr. Catson auf. Er stierte auf seine Faust, deren Finger er nicht öffnen konnte. Er hatte noch jetzt das Gefühl, gegen eine Betonwand geschlagen zu haben. »Eine Stahlblechplatte unter meiner Weste«, erläuterte der Butler. »Wollen Sie sich bitte daran erinnern, daß ich Sie warnte. Kommen Sie, man sollte sich die Hand näher ansehen!« Der falsche Mr. Catson ging in gebückter Haltung voraus und hatte jede Lust an weiteren Überraschungen verloren. Er betrat einen mittelgroßen Raum, der komfortabler eingerichtet war als der, den er eben erst verlassen hatte. Hier gab es eine schmale Liege, zwei kleine Sessel, einen Tisch. Hinter einem halb zurückgezogenen Vorhang war ein kleiner Waschraum samt Toilette zu sehen.
»Meine Hand . . . !« stöhnte der Gangster und ließ sich in einen Sessel fallen. »Schweifen wir nicht unnötig vom Thema ab«, schlug Parker vor. »Ich muß mir ein paar Knöchel gebrochen haben«, keuchte der Gangster. »Dieser Frage wird man sich später widmen. Jetzt möchte ich erst erfahren, wo der richtige Mr. Catson sich befindet? Er wird selbstverständlicherweise vermißt. Ich hoffe, Sie können mit einer zufriedenstellenden Antwort dienen.« »Zur Hölle mit Ihnen!« Der Mann kümmerte sich ausschließlich um seine Hand, die noch immer zur Faust geballt war und sich nicht öffnen ließ. »Wie Sie meinen.« Parker ging zur Tür und hielt jetzt ausgerechnet jene Waffe in der Hand, die er dem falschen Mr. Catson abgenommen hatte. »Ich werde mir erlauben, im Lauf der nächsten Stunden noch mal vorbeizuschauen. « »Meine . . . Meine Hand«, stöhnte der falsche Catson. »Wo könnte man Mr. Catson finden?« fragte Josuah Parker höflich und gemessen. »Sobald er sich in Freiheit befindet, werden Fachärzte sich um ihre Fingerknöchel kümmern.« »Nee, lieber krepier' ich hier«, sagte der falsche Catson. »Ich bin doch nicht lebensmüde. Die bringen mich doch glatt um, wenn ich auch nur ein einziges Wort sage!« * Chief-Superintendent McWarden saß neben Butler Parker, der sein
hochbeiniges Monstrum durch die nächtliche Stadt steuerte. Die Straßenlage dieses ehemaligen Londoner Taxis war schon mehr als beachtlich, von den Pferdestärken unter der eckigen Motorhaube mal ganz zu schweigen. Er hatte den Chief-Superintendenten vor dem Yard abgeholt und ihm gerade gesagt, wo man den verschwundenen Journalisten Catson unter Umständen finden könnte. »Woher wissen Sie das auf einmal?« erkundigte McWarden sich gereizt. »Vor anderthalb Stunden wußten Sie doch noch von nichts.« »Gewisse Ereignisse überschlugen sich«, antwortete Josuah Parker und nahm eine Kurve auf zwei Reifen seines Wagens. McWarden klammerte sich fest und hatte plötzlich ein trockenes Gefühl im Mund. Ihm war so, als führe Parker ein wenig zu schnell. »Was für Ereignisse, Mr. Parker?« McWarden entspannte sich leicht, da das hochbeinige Monstrum wieder auf seinen vier Rädern stand, jetzt aber wie eine Rakete beschleunigte. Man befand sich auf einer nördlichen Ausfallstraße, die um diese Zeit so gut wie unbefahren war. »Ein Mr. Catson, angeblich Redakteur der 'American News Agency', bat um ein Interview und stellte einige wichtige Informationen in Aussicht, die sich auf den Mord an Dr. Mason beziehen.« »Und Sie wollen gleich bemerkt haben, daß es der falsche Catson war?« McWarden war und blieb mißtrauisch. »Man konnte es Instinkt nennen, Sir. Meine bescheidene Wenigkeit verspürte plötzlich einen inneren Alarm.«
»Wann kam dieser Catson - und wo ist er?« »Er ist im Moment Gast des Hauses der Lady Simpson, Sir.« Auf den Zeitpunkt des Besuches ging Parker nicht näher ein. Er schien diesen Teil der Frage überhört zu haben. »Im Verlauf einer behutsamen Unterhaltung, wie ich es nennen möchte, bequemte sich der falsche Mr. Catson, Angaben über den augenblicklichen Aufenthaltsort des richtigen Mr. Catson zu machen.« »An dieser Geschichte stimmt doch vorn und hinten nichts, Mr. Parker.« »Ich möchte unterstellen und hoffen, Sir, daß der falsche Mr. Catson die Wahrheit sagte.« »Äh, müssen Sie so rasen?« McWarden bekam es mittlerweile mit der Angst zu tun. Er hatte das Gefühl, sich in einem Tourensportwagen der Sonderklasse zu befinden. Butler Parker, der stocksteif am Steuer saß, als habe er einen Ladestock verschluckt, nahm die teilweise kritischen Kurven mit voller Geschwindigkeit. Das hochbeinige Monstrum schien entfesselt zu sein. »Vielleicht, Sir, kommt es auf jede Sekunde an«, gab Josuah Parker höflich zurück. »Zudem ist das Ziel der kleinen Ausfahrt gleich erreicht. Man hat nur noch etwa zwei bis drei Kilometer auf einer kleineren Landstraße zu nehmen.« »Und wo, sagten Sie, soll Catson festgehalten werden?« »In der Nähe von Edgeware, Sir. Würden Sie sich jetzt ein wenig festhalten?« Parker bog ohne jede Vorwarnung von der breiten Ausfallstraße ab und fuhr in eine recht enge Landstraße, die sich in vielen Kurven durch's Gelände
schlängelte. McWarden schloß schon nach wenigen Sekunden die Augen, er fühlte sich auf einer überdimensional großen Achterbahn. Sein Magen revoltierte, sein Gleichgewichtsgefühl geriet völlig in Unordnung. Nach weiteren Sekunden kam er sich wie ein Kunstflieger vor, der ein ausgefallenes Programm absolvierte. Sein Magen protestierte noch nachdrücklicher. Er stöhnte und ächzte, doch Parker schien das nicht zu hören. Er war ganz in seinem Element und verlangte seinem Wagen alles ab. Seiner Ansicht nach ging es tatsächlich um wertvolle Sekunden. »Den Rest der Strecke, Sir, sollte man vielleicht besser zu Fuß zurücklegen«, schlug Parker vor. McWarden begriff erst jetzt, daß der Wagen stand. Der ChiefSuperintendent öffnete versuchsweise die Augen. »Mir ist schlecht«, sagte er dann leise. »Die Federung des Wagens ist möglicherweise ein wenig zu weich ausgelegt«, gab Parker zurück. »Darf ich mir gestatten, Sir, Ihnen eine kleine Erfrischung anzubieten?« »Kleine Erfrischung? Ich brauche eine große!« McWarden taumelte aus dem hochbeinigen Wagen und suchte nach seinem verlorengegangenen Gleichgewicht. Er fand es erst halbwegs wieder, als er einen Schluck Whisky zu sich genommen hatte. Parker servierte ihn selbstverständlich stilgerecht in einem entsprechenden Glas. In seinem Wagen befand sich im hinteren Teil natürlich auch eine kleine, gut sortierte Bar.
»Ich ... Ich sollte Sie anzeigen, Mr. Parker«, meinte McWarden. »Ihr Fahrstil ist schon kriminell.« »Darf ich daran erinnern, Sir, daß es um ein Menschenleben geht?« »Wo befindet sich dieses Menschenleben?« McWarden schaute sich nach allen Seiten um. Er nahm nur Nebelschwaden wahr, Hecken, hohe Sträucher und die bizarren Zweige alter Weidenbäume. »Jenseits der Brücke dort, Sir, befinden sich Haus und Grundstück eines gewissen Lesley Ballard. Wenn Sie gestatten, werde ich vorausgehen.« McWarden hatte nichts dagegen, er hatte ohnehin jede Orientierung verloren. Josuah Parker schien hier jeden Stein zu kennen. McWarden bewunderte insgeheim den Butler, der radarähnliche Augen zu haben schien. »Das Haus, Sir.« Parker blieb stehen und deutete auf die Umrisse eines langgestreckten Gebäudes, das man schon als einen Landsitz bezeichnen konnte. Mehr bekam Chief-Superintendent dann aber nicht mehr zu sehen. Er hörte zwar hinter sich noch ein schwaches, knirschendes Geräusch, spürte einen schmerzhaften Schlag auf seinem Hinterkopf und verlor das Bewußtsein. * »Zum Teufel, was haben Sie mir da eingebrockt?« fragte McWarden und sah Butler Parker gereizt an. Der Chief-Superintendent saß auf hartem Beton und war an Händen und Füßen gefesselt. »Ich bin zutiefst beschämt, Sir, wie ich versichern möchte«, erklärte der
Butler. Auch er saß auf dem bewußten Betonboden und war ebenfalls an Händen und Füßen gefesselt. Die schwarze Melone saß ein wenig kokett schief auf seinem Kopf. Neben ihm lag der altväterlich gebundenen Regenschirm am Boden. »Wir sind doch direkt in eine Falle getappt«, meinte McWarden wütend. »Haben Sie nicht damit gerechnet?« »Prinzipiell durchaus, Sir«, gestand Josuah Parker in seiner gemessenen Art. »Sie schnappte jedoch wesentlich früher zu, als ich vermutete.« »Und jetzt?« McWarden hatte scheußliche Kopfschmerzen. »Man wird sich ein wenig in Geduld fassen müssen, Sir.« »Haben Sie wenigstens hinterlassen, wohin wir gefahren sind?« »Diese Frage muß ich zu meinem tiefsten Bedauern verneinen, Sir. Ich wollte vermeiden, daß Mylady sich möglicherweise genötigt fühlte, hierher zu folgen.« »Das hat man davon, wenn man sich mit Laien abgibt«, erregte McWarden sich. »Ich hätte es besser wissen müssen.« »Vollkommen richtig«, sagte in diesem Augenblick eine weiche, sympathische Stimme. McWarden nahm vorsichtig den Kopf herum und sah in der geöffneten Tür einen mittelgroßen, schlanken Mann, der etwa vierzig Jahre alt war. Er trug eine randlose Brille, die er abnahm. »Ich bin Chief-Superintendent McWarden«, erregte sich der Yard-Beamte sofort. »Ich verlange, daß ich augenblicklich losgebunden werde.« »Alles zu seiner Zeit, Mr. McWarden«, sagte der Vierzigjährige freundlich. »Ob Sie wirklich Yard-
Beamter sind, weiß ich nicht. Papiere habe ich nämlich nicht gefunden. Sie können also viel behaupten.« »Selbstverständlich habe ich meinen Dienstausweis bei mir.« »Ich konnte keinen finden, Mr. McWarden.« »Was Sie hier praktizieren ist Freiheitsberaubung!« McWarden ärgerte sich maßlos, während Josuah Parker völlig ruhig und gelassen blieb. »Sie haben unerlaubterweise ein fremdes Grundstück betreten. In meinen Augen sind Sie ein Einbrecher.« »Was soll dieser Unsinn? Was haben Sie mit uns vor?« »Ich weiß noch nicht, ob sie tödlich verunglücken werden«, erwiderte der Vierzigjährige mit großer Selbstverständlichkeit. Dann wandte er sich an Josuah Parker. »Ich würde gern erfahren, wer Ihnen diese Adresse hier genannt hat?« »Darf ich vorausschicken, es mit Mr. Lesley Ballard zu tun zu haben?« »Richtig, Mr. Parker. Und jetzt beantworten Sie meine Frage, ja?« »Mr. Ben Kane war so freundlich, mir Ihren Namen und Ihre Adresse zu nennen.« »Er hat Ihnen meinen Namen genannt?« Der Vierzigjährige sah den Butler ehrlich überrascht an. »Dann ... Dann müssen Sie ihm ja ganz schön zugesetzt haben! Er hat Ihnen meinen Namen genannt!?« Er faßte es nicht. »Ich möchte mir erlauben zu betonen, daß auf Mr. Kane kein physischer Druck ausgeübt wurde«, antwortete Josuah Parker in seiner gemessenen Art. »Ich darf Ihnen versichern, daß mir solch ein Vorgehen völlig fremd ist.«
»Wie konnten Sie ihn außer Gefecht setzen?« Lesley Ballard, falls er es tatsächlich war, lächelte schon wieder und hatte sich unter Kontrolle. »Er übertrieb, was sein Auftreten als amerikanischer Reporter anbelangte. Er imitierte die Imitation aus einem einschlägigen amerikanischen Film und erregte so meine bescheidene Aufmerksamkeit. « »Und wo ist er jetzt?« »In fachärztlicher Behandlung, Mr. Ballard. Mr. Kane verletzte sich seine rechte Hand, als er den Versuch machte, meine Wenigkeit mittels eines Magenhakens zu Boden zu strecken.« »Und wer ist dieser Facharzt?« »Er ist Polizeiarzt des Yard«, warf Chief-Superintendent McWarden gereizt ein. »Und dieser falsche Reporter kann sich auf einiges gefaßt machen, wenn Sie uns nicht freilassen.« »In diesem Zusammenhang möchte ich höflicherweise auf den wirklichen Mr. Catson zu sprechen kommen«, schlug Butler Parker vor. »Darf man davon ausgehen, daß er noch lebt?« »Aber selbstverständlich lebt er noch«, versicherte der Vierzigjährige und lachte amüsiert. »Möchten Sie sich davon überzeugen?« »Es könnte nicht schaden, Mr. Ballard«, gab Parker zurück. »Catson ist eben von einer Reise in die Zeit zurückgekommen«, redete der Vierzigjährige weiter. »Ob es ihm gefallen hat, kann ich natürlich nicht sagen. Es hängt davon ab, wohin ihn die Zeitmaschine gebracht hat. Warten Sie, ich werde ihn holen lassen.« *
»Was soll dieser Humbug?« fragte der Chief-Superintendent, als der angebliche Lesley Ballard gegangen war. »Zeitmaschine? Was ist das?« »Der Traum zumindest aller Science-fiction-Autoren, Sir«, antwortete der Butler. »Einen Roman gleichen Namens schrieb ein gewisser H.G.Wells, wenn ich daran erinnern darf.« »Ich lese keine Zukunftsromane, Mr.-Parker. Die Realität ist für mich aufregend genug.« »In dem gerade erwähnten Roman, Sir, ist eine Zeitmaschine in der Lage, Personen in die Vergangenheit zu transportieren, wenn ich es auf diese einfache Art und Weise ausdrücken darf.« »Ich verstehe kein Wort, Mr. Parker.« McWarden schüttelte abwehrend den Kopf. »Der Zeitreisende sucht sich eine ihm genehme Vergangenheit und läßt sich durch die inzwischen mehrfach erwähnte Zeitmaschine dorthin befördern.« »Was diese Autoren sich so alles ausdenken!« Der ChiefSuperintendent schüttelte noch mal den Kopf. »Reisen in die Vergangenheit! Gab's das nicht mal im Fernsehen?« »Gewiß, Sir, dieses Thema wird immer wieder erneut aufgegriffen und abgehandelt. Es ist ja auch in der Tat eine äußerst reizvolle Vorstellung, zum Beispiel das alte Rom zu besuchen oder Hannibal während der Überquerung der Alpen zu begleiten. Die Möglichkeiten sind schier unbegrenzt.« »Und dieser Ballard will den richtigen Catson mit einer Zeitmaschine
durch die Weltgeschichte geschickt haben?« »Eine in der Tat kühne Behauptung, Sir. Ich erlaubte mir bereits zu sagen, daß die Zeitmaschine bisher nur eine Fiktion war. Meiner bescheidenen Ansicht nach kann sie unmöglich konstruiert worden sein.« Während Josuah Parker mit dem Chief-Superintendent plauderte, versuchte er selbstverständlich, die hinderlichen Fesseln zu lösen. Er hatte allerdings schnell herausgefunden, daß die Gangster sich große Mühe gegeben hatten. Leicht waren die Stricke nicht zu lösen, Parker brauchte dazu doch eine gewisse Zeit. Inzwischen waren Schritte zu hören. Zuerst erschien wieder Lesley Ballard, oder der Mann, der sich für ihn ausgab. Er betrat den kleinen Raum und baute sich seitlich neben der Tür auf. Jetzt kamen zwei recht große und stämmige Männer, die in jedem Kriminalfilm durchaus als Gangster auftreten konnten. Sie hatten die bekannt groben Gesichter, die kalten Augen und auch die Lässigkeit von Profis, die ihr Handwerk verstehen. Zwischen sich trugen sie fast einen durchschnittlich aussehenden Mann von cirka dreißig Jahren, der einen leicht zerknitterten Eindruck machte. Seine Augen waren weit geöffnet, dennoch schien er nicht zu bemerken, was um ihn herum vor sich ging. »Der richtige Mr. Catson«, stellte Lesley Ballard vor und nickte seinen beiden Mitarbeitern zu. Sie ließen den Dreißigjährigen einfach los und dann roh zu Boden fallen. »Es ist Catson«, meinte Ballard freundlich. »Wenn er wieder zu sich gekommen ist, wird er Ihnen sagen,
welche Zeit er besucht hat. Wie ich die Dinge sehe, müssen seine Abenteuer aufregend gewesen sein.« Ballard wandte sich um und verließ den Raum, gefolgt von den beiden anderen Gangstern. Bevor die Tür geschlossen wurde, drehte Ballard sich noch mal zu Parker und McWarden um. »Ich weiß, daß Sie mir nicht glauben, was die Zeitmaschine betrifft, aber das macht nichts. Nach Ihrer Reise werden Sie nicht mehr zweifeln.« »Sie tragen sich mit der Absicht, Mr, McWarden und meine bescheidene Wenigkeit mittels der Zeitmaschine in die Vergangenheit zu befördern?« erkundigte sich der Butler höflich. »Ich muß Sie doch überzeugen«, erwiderte Ballard. »Ist schon bekannt, wohin die Reise gehen wird?« »Darüber denke ich später nach, Mr. Parker. Aber Sie werden voll auf Ihre Kosten kommen.«' »Noch eine Frage, bevor Sie gehen, Mr. Ballard.« »Fragen Sie nur, Mr. Parker!« Ballard lächelte freundlich. Er war ein Mann, dem man ohne weiteres einen Gebrauchtwagen abgekauft hätte, so sympathisch war er. »Ließen Sie auch Dr. Mason mit der Zeitmaschine reisen?« Lesley Ballard lächelte plötzlich nicht mehr. Sein Gesicht wurde zur Maske. »Richtig«, sagte er dann mit harter Stimme. »Und er landete ja in der falschen Zeit, wie Sie wissen. Da hat Catson dort mehr Glück gehabt.« *
»Wiederholen Sie, Kindchen!!« Lady Agatha war von Kathy Simpson geweckt worden. Sie stand am Fußende des Bettes und machte einen besorgten Eindruck. »Mitarbeiter des Yard haben angerufen, Mylady«, berichtete Kathy Porter, die einen Morgenmantel trug. »Mr. McWarden und Mr. Parker werden seit gut anderthalb Stunden vermißt.« »Sie sind ohne mich weggefahren!?« Lady Agatha richtete sich steil in ihrem mächtigen Bett auf und runzelte die Stirn. »Mr. Parker hat nur eine kleine Nachricht hinterlassen, Mylady. Das Ziel der Fahrt wird darin nicht angegeben.« »Und weiß auch der Yard nichts?« »Nichts, Mylady, leider.« »Das ist doch wieder mal typisch für den Yard«, entrüstete sich Agatha Simpson noch intensiver. »Seit anderthalb Stunden also unterwegs? Wieviel Uhr ist es jetzt?« »Es geht auf drei Uhr zu, Mylady.« »Ich werde mich sofort um Mr. Parker kümmern.« Sie stand erstaunlich leicht auf. »Haben Sie eine ungefähre Ahnung, wohin Mr. Parker gefahren sein könnte?« »Vielleicht zu einem gewissen Benny Turpins, Mylady. Er ist der Hintermann der beiden jungen Männer, die sich im Gästezimmer befinden. Mr. Parker erfuhr diesen Namen von einem Ray Bliss, der bei den West India Docks ein Geschäft für Seemannsbedarf betreibt.« »Und wer ist nun dieser Benny Turpins, Kindchen? Belasten Sie mich nicht mit unnötigen Kleinigkeiten!«
»Er gilt als sehr gefährlich, Mylady. Mr. Turpins ist der Chef einer Gangsterorganisation.« »Wo finde ich dieses Subjekt?« Agatha Simpson stieg bereits in ihr Tweed-Kostüm. »Mylady, sollte man nicht doch besser den Yard einschalten?« »Schnickschnack, Kindchen! Das machen mir diese Herren nicht gut genug. Also, wo finde ich diesen Turpins?« »Sein Privathaus liegt in Wimbledon, Mylady, aber es ist bestimmt sehr scharf bewacht.« »Sie kennen die genaue Adresse?« Die Detektivin war bereits vollständig angekleidet und griff nach ihrem Pompadour. »Dazu müßte ich erst in Mr. Parkers Handkartei nachsehen, Mylady.« »Dann beeilen Sie sich, Kindchen.« Lady Simpson setzte ihren verwegenen Hut auf. »Und noch etwas, bringen Sie aus seinem Labor ein paar hübsche Überraschungen mit. Man kann nie wissen!« Kathy Porter hatte ihre Bedenken hinsichtlich dieses Benny Turpins bereits über Bord geworfen. Es ging um Butler Parker, den sie sehr verehrte. Sie war bereit, für ihn durchs Feuer zu gehen. Vielleicht waren die Überlegungen Myladys ganz richtig: Ein Polizeiaufgebot konnte nichts ausrichten. Die Beamten hatte ja noch nicht mal die Möglichkeit, das Grundstück dieses Gangsters zu betreten. Und um diese Zeit war es so gut wie ausgeschlossen, einen richterlichen Untersuchungsbefehl zu bekommen. Aber auch zu jeder anderen Zeit hätte jeder Richter sich eingehend nach Beweisen erkundigt,
ob Butler Parker und Mr. McWarden tatsächlich mit Sicherheit sich im Haus der Gangsterchefs befanden. Kathy war bereits im Souterrain des altehrwürdigen Hauses und betrat Parkers Privatwohnung. Er hatte sich mit Stil und Geschmack eingerichtet. Und hier befand sich auch sein Labor, eine Art Werkstatt, in der der Butler seine kleinen Überraschungen erfand und anschließend auch mit Akribie zusammenbaute. Kathy Porter öffnete die Handkartei. Sie brauchte nur wenige Sekunden, bis sie Turpins Namen entdeckt hatte. Ein Butler Parker hielt auf Ordnung. Sie prägte sich die genau Adresse ein und kümmerte sich dann um die Ausrüstung für den frühen Ausflug. Sie öffnete die Türen einiger Einbauschränke und sah sich einer Unmenge von kleinen und größeren Schubladen gegenüber, die alle genau beschriftet waren. Kathy Porter brauchte sich also nur zu bedienen. Und sie tat es mit Bedacht und Phantasie. »Das hat ja eine Ewigkeit gedauert, Kindchen«, raunzte die ältere Dame, als Kathy Porter in der Wohnhalle erschien. »Haben Sie alles?« »Nur noch eine Nachricht für Mr. Parker, Mylady, falls er inzwischen zurückkehren sollte.« »Gut, aber beeilen Sie sich! Ich glaube übrigens nicht, daß er kommen wird. Er sitzt natürlich wieder mal in der Klemme. Großer Gott, was wäre dieser Mann ohne mich!« * »Sind Sie Catson?« fragte Chief-Superintendent McWarden und beugte sich zu dem dreißigjährigen Mann hin-
über, der Worte und Satzfetzen murmelte, die leider nicht zu verstehen waren. Er schaute McWarden an, reagierte jedoch immer noch nicht. Butler Parker, nach wie vor mit den Fesseln beschäftigt, schaltete sich ein. »Ein Telex für Catson!« rief er laut in den Raum. »New York wartet auf die Story!« Erstaunlicherweise wirkten diese wenigen Worte aus der Fachsprache eines Journalisten. Der Mann richtete sich auf und nickte langsam. »Diktieren Sie«, redete Josuah Parker weiter, eindringlich und laut. »Wir müssen die Geschichte haben!« »Zeitmaschine«, murmelte der Mann, der offenbar doch wohl Catson war.. »Sie ... Sie haben die Zeitmaschine ... Ein Wunder... Die Zeit gehört ihnen ... Eine technische Sensation ...« »In welcher Zeit waren Sie, Catson?« fragte Parker mit bewußt scharfer Stimme weiter. »Erinnern Sie sich, wir brauchen die Story!« »Steinzeit oder so .. .'Saurier ... Fliegende Echsen ... Und dann ein paar Menschen .. . Sie hetzten mich durch das Labyrinth ... Waren wie Tiere...« Catson rutschte in sich zusammen und schüttelte sich. Parker beugte sich, so gut er konnte, über Catson und schaute in dessen Augen, die weit geöffnet waren. Ihm entging nicht, wie klein und punktförmig die Pupillen waren. Und er nahm einen seltsam strengen Geruch wahr, der der Kleidung dieses Mannes entströmte. Irgendwann hatte er diesen Geruch schon mal wahrgenommen, doch im Moment konnte er sich nicht erinnern, wann und wo das gewesen war.
»Vorsicht... Der Dinosaurus ... Vorsicht doch!« Catson bäumte sich auf, streckte abwehrend die Arme aus und brüllte dann plötzlich auf wie in panischer Angst. »Wie sind Sie entkommen, Catson?« fragte Parker weiter. Er bedauerte es ungemein, diesen Mann nicht mit der gewohnten Höflichkeit anreden zu können. »Die Feuerkugel... Und dann diese Frau ... Sie zerrt mich in das Ei... Nein, in diese kleine Höhle... Und draußen der Saurier... Er scharrt die Steine weg ... Er langt in die Höhle... !« Catson schrie auf, wimmerte und zog dann die Beine hoch. Er legte seine Arme darum und machte sich bewußt klein. Dann weinte er leise. »Man sollte Mr. Catson nicht länger quälen«, schlug Josuah Parker vor. »Was ... Was halten Sie von dieser ganzen Geschichte?« fragte der ChiefSuperintendent. Er war sichtlich betroffen. »Dieser Mann steht unter einem schweren Schock, Sir«, gab der Butler zurück. »Glauben Sie diese Geschichte mit der Zeitmaschine, mit den Echsen und Sauriern?« »Nur bedingt, Sir, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Damit kann ich nichts anfangen, Mr. Parker.« McWarden war irritiert. »War Catson nun in der Steinzeit oder nicht?« »In seiner Vorstellung schon, Sir.« »Der Mann ist also hypnotisiert worden oder so, wie?« »Das wäre durchaus eine Möglichkeit, Sir. Mit Ihrer Erlaubnis würde ich allerdings mehr an gewisse Psycho-
pharmaka denken, die man Mr. Catson verabreicht hat.« »Dann hat er sich also alles nur eingebildet?« Mc Wardens Irritation legte sich ein wenig. »Dem möchte ich widersprechen, Sir, mit Verlaub! Nach der Einnahme solcher Pharmaka decken sich Schein und Sein, wenn ich es so umschreiben darf.« »Schon begriffen, Parker. Dann können wir uns ja auf einiges gefaßt machen. Dieser Ballard wird uns mit Sicherheit in seiner Zeitmaschine herumreisen lassen.« »Dies steht zu befürchten, Sir.« »Er will uns also in den Wahnsinn treiben, nicht wahr?« »Und dann zwischen den Zähnen eines Tyrannosaurus rex enden lassen, Sir«, vermutete Josuah Parker. »Sie denken an Dr. Mason?« McWarden schluckte. Diese Vorstellung paßte ihm ganz und gar nicht. Butler Parker hatte plötzlich wieder diesen seltsamen Geruch in der Nase, als er an die Szene im Museum für Vorgeschichte dachte. Jetzt wußte er es wieder. Dieser Geruch deckte sich mit dem, den die Kleidung des Reporters Catson ausströmte. Catson weinte übrigens nicht mehr. Er hockte still in der Ecke des kleinen Raumes und stierte aus weit geöffneten Augen ins Leere. »Was haben Sie, Mr. Parker?« fragte McWarden. Dem ChiefSuperintendent war der nachdenkliche Ausdruck in Parkers Gesicht nicht entgangen. Dieser Ausdruck hatte seinen ganz konkreten Grund. Butler
Parker hatte sich noch mal an den strengen Geruch erinnert. Er fügte seiner Erinnerung ein weiteres Detail hinzu. Hatte nicht auch der falsche Catson diesen seltsamen Geruch verbreitet? Daraus war doch nur zu folgern, daß die beiden Catsons und Dr. Mason mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sich in einem ganz bestimmten Raum befunden haben mußten, aus dem sie diesen Geruch mit hinausgenommen hatten. »Man scheint uns zu holen«, sagte McWarden und preßte die Lippen aufeinander. Er deutete mit dem Kopf in Richtung Tür, die sich jetzt öffnete. Lesley Ballard erschien, begleitet von seinen beiden Muskelprotzen. Er lächelte freundlich und wandte sich an McWarden. »Wie wäre es denn mit einer Reise in die Vergangenheit?« fragte er ihn dann. »Die Zeitmaschine wartet.« »Darf ich Ihnen einen Vorschlag unterbreiten, der aus reiner Neugier geboren ist?« schaltete sich der Butler hastig ein. »Um was geht es denn, Parker?« »Würden Sie freundlicherweise meiner bescheidenen Person den Vortritt lassen?« fragte Parker. »Mr. McWarden könnte ja seine Reise zu einem späteren Zeitpunkt antreten.« »Ist das nun Edelmut oder ein Trick?« Lesley Ballard lächelte neutral. »Die erdgeschichtliche Vergangenheit erregte schon immer mein Interesse«, gab der Butler zurück. »Sie kommen auch noch dran, Parker«, meinte Lesley Ballard. »Nur nicht ungeduldig werden. Ich finde, Sie sollten aber doch erst mal sehen,
wie Ihr Begleiter zurückkehrt und was er Ihnen dann so zu erzählen hat. Das erhöht die Spannung.« »Mit anderen Worten, Sie möchten meine Wenigkeit auf die Folter spannen, nicht wahr?« »Richtig, Parker, Sie haben's genau erfaßt!« Ballard nickte den beiden Muskelprotzen zu, die zu McWarden hinübergingen und ihn ziemlich roh vom Betonboden hochzogen. »Wollen Sie ihm nicht eine gute Zeitreise wünschen?« Ballard sah den Butler ironisch an. »Glückliche Heimkehr«, sagte Parker zu McWarden, der verständlicherweise einen recht unglücklichen Eindruck erweckte. Er schien sich aus der angekündigten Reise überhaupt nichts zu machen. * »Halten Sie sich jetzt gut fest, Kindchen«, mahnte die ältere Dame. Sie saß am Steuer ihres Land-Rover, der sich dem Grundstück Turpins genähert hatte. Die Fahrt hinaus nach Wimbledon war ein Alptraum für Kathy Porter gewesen. Agatha Simpson hatte es eilig gehabt. Entsprechend forsch war daher auch die Fahrt ausgefallen. Warum sie sich festhalten sollte, wußte Kathy Porter zuerst nicht so recht, doch dann begriff sie. Lady Simpson hatte keineswegs die Absicht, gesittet und höflich vor der Einfahrt zum Grundstück zu parken. Dieses Grundstück war von einem hohen Zaun aus Maschendraht umgeben, der aus Gründen der Optik mit Sträuchern und Büschen recht geschickt getarnt war. Das Tor bestand
aus soliden Bohlen und paßte sich ebenfalls der ein wenig ländlichen Umgebung an. Und genau auf dieses Tor hielt die Detektivin zu. Sie verließ sich fest auf die verstärkten Stoßstangen und die kinetische Energie, die sie noch zusätzlich steigerte. Lady Agatha gab Vollgas und raste auf das solide Tor zu. Einen Bruch der Windschutzscheibe brauchte sie nicht zu befürchten. Sie bestand aus Panzerglas, wie selbstverständlich auch die Seitenscheiben. Parker hatte sich auch mit Myladys Land-Rover befaßt und ihn ein wenig modifiziert. Das Tor wurde innerhalb von Sekundenbruchteilen riesengroß. Kathy Porter stemmte sich mit den Beinen gegen die Bodenwanne und hielt dann unwillkürlich die Luft an. Der schwere Land-Rover bohrte sich wie eine Panzergranate in das solide Tor und sprengte es. Balken- und Bohlenteile spritzten auseinander. Der Wagen erlitt nur einen relativ schwachen Stoß, sprang über einige Trümmer, die auf der Zufahrt lagen, und jagte weiter in Richtung Haus. Kathy Porter hatte inzwischen wieder die Augen geöffnet. Die Lady saß freudig erregt am Steuer und barst förmlich vor Energie. Links und rechts vom Zufahrtsweg sprangen einige total verwirrte Gestalten zur Seite, und das Landhaus des Gangsterchefs Turpins näherte sich geschwind dem Kühler des Land-Rover. Im ersten Moment hatte Kathy Porter durchaus den Eindruck, daß Lady Agatha die feste Absicht hatte, die Mauer des Erdgeschosses zu durchbrechen. Der älteren Dame war so etwas durch-
aus zuzutrauen. Wenn es um ihren Butler ging, war sie zu vielem bereit. Doch die ältere Dame steuerte ein völlig anderes Ziel an. Links vom Haus gab es eine Art Wintergarten, der eigentlich nur aus Scheiben bestand, die dann aber plötzlich nicht mehr existierten. Der Land-Rover war problemlos eingedrungen und hielt neben einer Zierpalme. »Kommen Sie, Kindchen«, sagte Kathys Gesellschafterin und stieg aus. »Ich wette, die Tür dort ist nicht verschlossen!« Lady Simpson hätte diese Wette gewonnen, wenn Kathy Porter sich darauf eingelassen hätte. Die ältere Dame marschierte energisch ins Haus und fand mit sicherem Instinkt die Wohnhalle. Unterwegs hatte sie von einem Tisch einen schweren Aschenbecher mitgenommen. Dieser nützliche Gegenstand landete genau auf der Nasenwurzel eines noch jungen Mannes, der die Treppe heruntergerannt kam und dabei offensichtlich eine Schußwaffe ziehen wollte. Nach einem Salto vorwärts landete dieser junge Mann vor Kathy Porters Füßen, schnaufte ein wenig und streckte sich dann aus. Myladys Sekretärin suchte nach einer Schulterhalfter, fand sie und nahm die Pistole an sich. Dann mußte sie sich aber auch schon beeilen, um nicht den Anschluß zu verlieren. Lady Simpson marschierte bereits über die Treppe nach oben. Auf der Galerie erschien ein zweiter Mann. Er machte einen leicht verschlafenen Eindruck, hatte jedoch eine
kurzläufige Maschinenpistole in den Händen. Nachdem Myladys Pompadour auf der Nase des Mannes gelandet war, lag die häßliche Waffe auf dem Boden. Im Vorbeigehen nahm Kathy Porter auch dieses Mordinstrument in die Hand und lief hinter ihrer Chefin her, die einfach nicht zu bremsen war. Aus einer Tür schob sich der Kopf eines weiteren Mannes, der wohl noch gar nicht mitbekommen hatte, was eigentlich los war. Lady Simpson bedachte diesen neugierigen Mann mit einer gewaltigen Ohrfeige. Daraufhin schloß sich die Tür, und Kathy Porter hörte einen dumpfen Fall. Der Neugierige war eindeutig zu Boden gegangen. »Was, zum Henker, ist denn hier los?« folgte dann eine wütende Stimme. Am Ende der Galerie erschien in einer Tür ein mittelgroßer kompakter Mann, der etwa fünfundfünfzig Jahre alt war. Er setzte sich gerade eine Brille auf. »Sie sind Turpins, nicht wahr?« herrschte die ältere Dame ihn an. »Wer... Wie ... Ja!« Der Mann fuhr sich nervös über seine ausgeprägte Glatze. »Sie brauchen jetzt etwas Frühsport«, sagte Agatha Simpson und stieß ihren Zeigefinger in die Magengegend des Gangsterchefs, der einen albern geblümten Schlafanzug trug. »Hoffentlich sind Sie in Form!« * Er war es nicht! Nach zwei Ohrfeigen, die Lady Simpson ihm verabreicht hatte, saß Benny Turpins, der gefürchtete
Gangsterchef, benommen im Sessel und starrte die ältere Dame entgeistert an. »Sie können froh sein, es mit einer gut erzogenen Dame zu tun zu haben«, sagte sie. »Aber das kann sich schnell ändern, Sie Lümmel!« »Wer. . . Wer sind Sie?« »Das ist Lady Simpson«, schaltete Kathy Porter ein. Sie hielt die Maschinenpistole in Händen und sicherte die Tür. »Sagen Sie Ihren Leuten, daß sie besser nicht versuchen, den Raum zu stürmen!« »Nun rufen Sie schon an, Sie Weichling!« Die Detektivin zeigte auf das Telefon. »So .. . Sofort, Mylady!« Benny Turpins warf sich förmlich auf das Gerät und hob den Hörer ab. Es' dauerte nur wenige Augenblicke, bis die Hausverbindung zustande kam. »Kein Angriff, keine Dummheiten«, hechelte Turpins in die Sprechmuschel. »Und lassen Sie Mr. Parker und Mr. McWarden heraufbringen«, raunzte die ältere Dame den Gangsterchef an. »Wen soll ich 'raufbringen lassen?« Benny Turpins schüttelte verständnislos den Kopf, doch das hätte er wohl besser nicht getan. Agatha Simpson griff nach einem Kopfkissen, das in ihren Händen zu einer harten Schlagwaffe wurde. Sie drosch es Turpins um die Ohren, bis die Federn flogen. »Auf... Aufhören«, keuchte der gefürchtete Mann erschöpft und kroch über den Teppich, um sich hinter einem Sessel vorerst in Sicherheit zu bringen. »Sie haben Ray Bliss beauftragt, mich zu entführen«, schaltete Kathy
Porter sich ein, damit Turpins gewisse Zusammenhänge wieder erkannte und verstand. »Mit mir sollten Lady Simpson und Butler Parker wahrscheinlich in eine Falle gelockt oder erpreßt werden.« »Warum? Ich warte auf eine Antwort!« Agatha Simpson war dem Gangsterchef auf den Fersen geblieben. »Ich habe... Wer dachte denn schon ... Nur eine kleine Sache am Rande .. . Nein, nicht!« Die Lady spielte mit Leidenschaft Golf und schoß den Sportbogen. Ihre Arme und Hände waren also gut durchtrainiert. Das war Turpins nun überhaupt nicht. Er hatte ja seine 'Hände' in der Gestalt von zweibeinigen Kreaturen,, die die Arbeit für ihn erledigten. Nein, Benny Turpins war sportlich überhaupt nicht geschult. Entsprechend gering war daher auch sein Stehvermögen. Nach zwei weiteren Ohrfeigen gab er jeden Widerstand auf. »Genug, genug«, keuchte er. Er hatte den Eindruck', sich eine mittelschwere Gehirnerschütterung zugezogen zu haben. »Gut, ich gebe zu, daß ich Bliss auf Miß Porter angesetzt habe. Aber es wäre ihr nichts geschehen, wirklich nicht!« »Sie wollten mich und Mr. Parker in ihre Gewalt bringen, stimmt das?« Agatha Simpson rieb sich die Hände. Sie warteten nur darauf, erneut eingesetzt zu werden. »Doch, das stimmt ebenfalls, aber... Aber nicht für mich, Mylady! Ehrlich, nicht für mich!« »Erzählen Sie das Ihrer Großmutter, falls Sie eine haben, Sie Lümmel!«
»Hätte ich sonst den Auftrag an Bliss weitergegeben«, fragte Turpins hastig. »Für mich war das nur eine kleine Sache am Rand, sonst hätte ich doch meine eigenen Leute losgeschickt.« »Das klingt fast logisch.« Mylady nickte beifällig. »Für wen haben Sie diesen Bagatellauftrag also übernommen? « »Das weiß ich nicht, Mylady«, gab der Gangsterchef hastig zurück. »Um solche Kleinigkeiten kümmere ich mich doch nicht.« , »Wie erhielten Sie den Auftrag?« wollte Kathy Porter wissen. »Über ... Über Kontaktleute in einem meiner Clubs«, gab Benny Turpins eiligst zurück. »Bis jetzt hab' ich noch nicht mal gewußt, warum Sie entführt werden sollten, Miß Porter.« »Sie sind ein unverschämter Lügner«, urteilte die ältere Dame und lächelte den Gangsterchef etwas zu freundlich an. »Natürlich haben Sie oder einer Ihrer Leute sich erkundigt, wer Miß Porter ist und wo Sie wohnt. Daraus haben Sie dann Ihre Schlüsse gezogen. Sie wollen doch nicht etwa abstreiten, mich zu kennen? Mich, Lady Simpson!?« Nach zwei weiteren Ohrfeigen kugelte sich Benny Turpins etwas zu geschickt auf eine Kommode zu. Sie schien etwas zu enthalten, wofür er sich im Moment brennend interessierte. Er blieb dicht vor der untersten Lade liegen und wartete auf seine Chance. * Butler Parker hatte es geschafft.
Er streifte sich die Fesseln von den Handgelenken und sorgte erst mal dafür, daß das kleine scharfe Sägemesser wieder im Absatz seines Unken Schuhs verschwand. Unter dem soliden Absatzeisen, mit dem der Schuh beschlagen war, befand sich dieses herausklappbare Gerät, das ihm in der Vergangenheit schon oft wertvolle Dienste geleistet hatte. Die Fesseln an den Fußgelenken stellten jetzt keine Schwierigkeit mehr dar. Es dauerte nur einige Augenblicke, bis der Butler sich endlich frei bewegen konnte. Er hatte leider keine Zeit, sich näher mit Catson zu befassen, der allerdings auch nicht reagierte,, sondern nach wie vor ins Leere stierte und hin und wieder einige Worte murmelte, die nicht zu identifizieren waren. Parker ging es darum, den Chief-Superintendent vor der Reise mit der Zeitmaschine zu bewahren. Er sorgte sich um McWarden und fürchtete, ohnehin zu spät zu kommen. Er mußte jetzt so schnell wie möglich aus diesem Raum hinaus. Man hatte Parker zwar gefesselt und wahrscheinlich auch nach Waffen durchsucht, aber man hatte sich überhaupt nicht für die Kugelschreiber interessiert, die sich in den vielen kleinen Taschen seiner Weste befanden. Ja, man hatte ihm sogar noch Melone und Regenschirm belassen. Für den Butler war das ein Hinweis darauf, daß man ihn nicht kannte, daß seine Gegner wahrscheinlich nicht aus London stammten. Einen dieser Kugelschreiber nahm Parker in die Hand, verdrehte die bei-
den Hälften gegeneinander und preßte dann die Spitze dieses angeblichen Kugelschreibers in das Schlüsselloch. Er konnte sicher sein, daß nun auf der anderen Türseite ein brandiger Geruch quoll, vermischt mit passendem Rauch. Er hatte sich für diesen kleinen Trick entschieden, um die Neugier etwaiger Wachen draußen vor der Tür zu erregen. Erfolgte keine Reaktion, dann war damit zu rechnen, daß die Tür nicht zusätzlich noch bewacht wurde. Dann konnte er sich immer noch eines anderen Kugelschreibers bedienen. Nun, dazu kam es erst gar nicht. Es gab Wachen vor der Tür, die umgehend reagierten. Parker setzte sich wieder zurück auf den Boden und legte die gelösten Stricke über seine Füße. Beim vorsichtigen öffnen der Tür mußte der erste Blick stimmen. Im Schloß bewegte sich ein Schlüssel, ein Riegel wurde zurückgezogen ... Parker hielt seinen UniversalRegenschirm so, daß die Spitze von seinen Schuhen gestützt wurde. Diese Spitze zeigte auf den Türspalt, der jetzt zu sehen war. Die Wachen öffneten nur sehr vorsichtig. Doch nicht vorsichtig genug. Parker drückte auf einen am Schirmstock versteckt angebrachten Knopf. Die Wirkung war frappierend. Ein bunt gefiederter Pfeil jagte durch den hohlen Schirmstock, der als eine Art Blasrohr diente. Die Spitze dieses stricknadellangen Pfeils bohrte sich mit Vehemenz in den Handrücken des Mannes, der im Türspalt zu sehen war. Butler Parker verzichtete diesmal auf alle vornehme Zurückhaltung. Er
war blitzschnell auf den Beinen und nutzte die totale Verwirrung der beiden Türwachen. Es waren tatsächlich zwei Gangster, die Lesley Ballard dort postiert hatte. Sie beschäftigten sich mit diesem unheimlich aussehenden Blasrohrpfeil, der eigentlich in die Geographie der Amazonas-Dschungel gehörte. Sie hatten keine Zeit mehr, diesen kleinen Pfeil gedanklich zu verarbeiten. Butler Parkers Regenschirm fuhr durch den Türspalt, mit dem bleigefütterten Bambusgriff voran. Damit klopfte der Butler die beiden Männer ab, mit anderen Worten, er schickte sie fast gleichzeitig zu Boden. Josuah Parker wußte, wie dieser Bambusgriff wirkte. Den beiden Männern war jetzt ein Tiefschlaf für gut und gern zwanzig Minuten sicher. Er zog sie in den Raum, entwaffnete sie und schloß dann die Tür. Dann machte er sich auf den Weg, die Reise des Chief-Superintendenten in die Vergangenheit noch rechtzeitig zu stoppen. * Benny Turpins war in seinem bisherigen Leben als Chef einer mächtigen Gangsterorganisation noch nie derart schnöde behandelt worden. Leibwächter hatten ihn geschützt und sich für ihn in die Bresche geschlagen. Nun aber mußte er sich von dieser verrückten Lady herumstoßen lassen. Er kam sich vor wie ein geprügelter Hund. Und dieser Hund wollte nach Myladys Hand schnappen, im übertragenen Sinn natürlich. Turpins wußte, daß
sich in der untersten Schublade ein Revolver befand. Genau den wollte er an sich bringen, um die vermeintlich Verrückte zu durchlöchern. Er schielte zu Lady Simpson hinüber, die sich gerade einige Federn des Kopfkissens vom Tweed-Kostüm entfernte. Turpins riß die Schublade auf und griff nach der Waffe. Es blieb jedoch beim Versuch. Die resolute Dame hatte aufgepaßt und ihn nicht aus den Augen gelassen. Obwohl sie einige Meter von Benny Turpins entfernt war, hatte der Gangsterchef das Gefühl, von einem auskeilenden Pferd getroffen zu werden. Auf seiner gierig ausgestreckten Hand landete Myladys perlenbestickter Pompadour. Der darin befindliche 'Glücksbringer' klatschte gegen das Gelenk der Hand und stoppte die Aktion. Turpins heulte auf und rutschte dann vor der Lade zusammen. »Ich habe große Lust, etwas ärgerlich zu werden«, sagte Lady Agatha und marschierte auf den Gangsterchef zu. »Ja, was haben wir denn da in der Schublade? Wollten Sie etwa auf eine wehrlose Frau schießen?« »Nein, nein«, keuchte Turpins. Er sah zu, wie seine Gegnerin den Revolver an sich nahm und ihn in der Tasche ihres Kostüms verschwinden ließ. Dann zuckte er zusammen, als die Maschinenpistole ballerte. Er dachte im ersten Moment, man schieße auf ihn. Er drückte sich flach auf den Teppich und wartete auf wilden Schmerz in seinem Körper. »Was ist los, Kindchen?« fragte Lady Simpson und wandte sich halb zu Kathy Porter um.
»Man wollte die Tür vorsichtig aufdrücken«, gab die junge Dame fast gleichmütig zurück. »Warum haben Sie denn nicht aufs Türblatt geschossen?« mokierte Lady Agatha sich. Sie hatte die Einschüsse oben im Türblatt ausgemacht, wo sie ihrer Ansicht nach nicht hingehörten. »Es handelte sich nur um ein paar Warnschüsse, Mylady«, meinte Kathy Porter und lächelte. Sie wußte selbstverständlich genau, daß Lady Agatha keineswegs so blutrünstig war, wie sie sich gern zeigte. »So zimperlich wie Sie werde ich aber bestimmt nicht sein.« Sie hantierte mit dem Revolver und sorgte dafür, daß die Mündung der Waffe stets auf Turpins gerichtet blieb, der von Sekunde zu Sekunde nervöser und ängstlicher wurde. »Sie wurden also neugierig, als Sie herausbekamen, wer da gekidnappt werden sollte«, sagte die ältere Dame und widmete sich wieder ihrem Verhör. »Es ging um mich und vielleicht auch um Mr. Parker. Was unternahmen Sie daraufhin?« »Ich ... Ich ... Könnten Sie den Revolver nicht etwas zur Seite nehmen?« »Was taten Sie daraufhin? Ist das hier die Sicherung?« Die Detektivin deutete auf einen kleinen Hebel. »Vorsicht, Sie haben entsichert«, stöhnte Turpins und wurde kreidebleich. »Sie ließen also den Auftraggeber überwachen, nicht wahr?« Lady Simpson spielte weiter mit der gefährlichen Waffe. »Gut, ich gebe es ja zu, Mylady, aber tun Sie doch endlich das verdammte Ding weg!«
»Und wohin führte diese Spur?« Die Sechzigjährige visierte mit dem Revolver probeweise in Richtung Turpins, was recht verspielt aussah. Turpins hingegen fand das überhaupt nicht. Er blinzelte inzwischen, da ihm der Angstschweiß über die nassen Augenbrauen bereits in die Augen lief. »My .. .My ... Mylady, bitte, das Ding geht los!« Turpins stotterte und wand sich wie ein Wurm auf dem Teppich. »Welches Ding? Ach, Sie meinen den Revolver? Lächerlich! Ich kenn' mich doch in Waffen aus!« Turpins brüllte entsetzt auf, als sich ein Schuß löste. Das Geschoß pfiff dicht an ihm vorbei und landete in der Kommode, worauf dann einige Holzsplitter durch die Luft wirbelten. »Hoppla«, sagte die Lady und schien verdutzt zu sein. »Was war denn das?« »Mylady, Sie werden mich umbringen«, beschwor Turpins sie. »Aber dann nur rein zufällig«, schränkte die ältere Dame sofort ein. »Reden Sie gefälligst weiter und lassen Sie sich nicht immer ablenken!« Kathy Porter richtete den Lauf der Maschinenpistole wieder auf die Tür und feuerte einen zweiten Feuerstoß ab, diesmal an das obere Fünftel des Türblattes. »Tiefer, Kindchen, viel tiefer«, rief Agatha Simpson munter. »Langsam begreifen Sie es!« »Der Mann aus dem Club wollte meine Leute abhängen«, sagte Turpins hastig. »Aber er schaffte es nicht. Er verschwand in einem Haus in Bayswater, das ein gewisser Lesley Ballard gemietet hat.« »Und wer ist dieser Ballard?«
»Ein Amerikaner, Mylady, mehr weiß ich nicht, ich schwöre es!« »Auf Ihre Meineide gebe ich nichts, Sie Lümmel! Wer ist dieser Lesley Ballard?« »Ein... Ein Kollege aus den Staaten.« »Also ein Gangster!« Lady Simpson nickte wohlgefällig. »Und worauf hat dieses Subjekt sich spezialisiert?« »Er macht so in Wirtschaftssachen, Mylady.« Turpins zuckte die Achseln. »Genau weiß ich es nicht, mir fehlen noch die Berichte aus den Staaten.« »Und auf welche Art und Weise kommen Sie an Ihr schmutziges Geld?« »Mylady, bei mir hat alles seine Ord ... Äh, also gut, ich habe ein paar Nachtclubs, wo gespielt werden kann.« »Weiter, weiter«, drängte die ältere Dame. »Das reicht mir noch nicht. Sie müssen schon etwas deutlicher werden. Ich bin nur eine hilflose Frau, die sich in diesen Dingen nicht auskennt.« Da war wieder dieser schreckliche Revolverlauf! Benny Turpins war mit den Nerven am Ende. Er hatte sich nicht mehr unter Kontrolle. Er zitterte am ganzen Leib. »Ich verleihe Geld«, gestand Benny Turpins. »Ich meine, an Spieler, wenn sie knapp bei Kasse sind.« »Wahrscheinlich gegen Wucherzinsen, nicht wahr?« Die Detektivin sah ihn grimmig an. »Und anschließend treiben Sie diese armen Teufel immer tiefer in Ihre Abhängigkeit, nicht wahr?« »Die Banken machen's doch auch so, Mylady«, stöhnte der Gangsterchef verzweifelt. »Papperlapapp«, unterbrach sie ihn, »die Banken verzichten aber auf
Schläger, um ihre Schulden einzutreiben. Und sie verschulden ihre Kunden nicht durch Glücksspiel.« »Die genaue Adresse dieses Ballard, Mylady«, warf Kathy ein, die die Tür weiterhin unter Kontrolle hielt. »Richtig, Kindchen. Nun, in meinem Alter wird man vergeßlich.« Sie brauchte Benny Turpins gar nicht erst zu fragen. Er beeilte sich, die Adresse des Lesley Ballard hastig zu nennen. »Das nenne ich Zusammenarbeit«, lobte die resolute Dame den Gangsterchef. »Kommen wir jetzt zu Mr. Parker und Mr. McWarden! Wo werden Sie festgehalten?« »Mylady, ich glaube, die Polizei trifft ein«, rief Kathy Porter dazwischen. »Schrecklich, diese Leute kommen immer dann, wenn man sie nicht braucht«, grollte Agatha Simpson. »Was machen wir jetzt, Kindchen?« »Man sollte hier warten, Mylady«, schlug Kathy Porter vor. Sie hatte nicht umsonst die beiden Feuerstöße abgegeben. Sie hatten nur dazu gedient, die Nachbarschaft zu alarmieren, die nun auch prompt die Polizei verständigt hatte. Das Eindringen in das Haus des Gangsterchefs hatte zwar überraschend gut geklappt, doch Kathy Porter bezweifelte es sehr, daß ein Hinauskommen ebenfalls so reibungslos vonstatten ging. Dies sollte ihrer Ansicht nach besser unter Polizeischutz geschehen. Sie war froh, als die Sirenen der Polizeifahrzeuge immer deutlicher zu vernehmen waren. Benny Turpins empfand wohl ähnlich. Er schluchzte erleichtert und vor Dankbarkeit auf.
* Chief-Superintendent McWarden saß fest angeschnallt auf einem Stuhl, der an dem eines Zahnarztes erinnerte. Über seinem Kopf befand sich eine Art Helm, in den eine Vielzahl von feinen und bunten Drähten endete. Über diesem Stuhl erhob sich so etwas wie eine Parabolantenne oder Radarschirm. Der sonst kahle Raum war erfüllt von seltsamen, akustischen Schwingungen. Irgendwo hinter einer Wand schien ein Generator zu laufen. »Haben Sie besondere Wünsche, Chief-Superintendent?« fragte Lesley Ballard und lächelte aufmunternd. »Welches Zeitalter möchten Sie besichtigen?« »Hören Sie auf mit diesem Unsinn«, gab McWarden wütend zurück. »Sie glauben doch nicht, daß ich diesen Unsinn für bare Münze nehme, wie?« »Sie unterschätzen meine Zeitmaschine«, gab Ballard zurück. »Aber ich werde Sie überzeugen. Wie wäre es mit Rom zu Neros Zeit? Ein immer wieder gern verlangtes Reiseziel? Oder soll es vielleicht das alte Griechenland sein? Atlantis oder die Zeit der Mayas?« »Halten Sie mich für einen Idioten?« McWarden hatte zwar ehrliche Angst, doch er zeigte sie nicht. »Wie wäre es mit der Steinzeit? Oder mit der Kreidezeit? Gefährlich, aber sehr interessant, McWarden! Sie würden eine Welt besichtigen, in der es noch keine Säugetiere gab, also auch keine Menschen.« »Wann waren Sie zum letzten Mal beim Psychiater?« fragte der Chief-Superintendent.«
»Sie halten mich für verrückt, nicht wahr?« Lesley Ballard lächelte maskenhaft. »Nee, ganz sicher nicht.« McWarden hätte gern den Kopf geschüttelt, doch das war ihm unmöglich. Sein Oberkörper und Kopf waren fest angebunden und eingeklemmt. »Ich halte Sie für einen ausgekochten Gangster.« »Ein Gangster, der mit einer Zeitmaschine arbeitet?« Ballard lächelte amüsiert. »Jeder Gangster hat eben seine spezielle Maschine.« Dem Chief-Superintendent kam es darauf an, nicht nur Zeit herauszuschinden, sondern auch Informationen zu erhalten. »Warum haben Sie Dr. Mason durch die Hölle gejagt, frage ich mich? Welches Interesse hatten Sie an diesem Computerfachmann? Was könnten Sie von ihm gewollt haben?« »Möchten Sie erleben, wie Troja zerstört wurde, Chief-Superintendent? Ich könnte Ihnen auch den Bau der Pyramiden vermitteln? Wollen Sie sich nicht endlich entscheiden?« »Zeigen Sie mir, wie Sie ins Zuchthaus kommen«, verlangte McWarden gereizt. »Oder schafft Ihre komische Zeitmaschine das etwa nicht?« Jetzt lächelte Lesley Ballard nicht mehr. Er ging auf einen Tisch zu, auf dem eine moderne Tondbandmaschine stand. Daneben, in einer Schale, befanden sich Wattetupfer und Spritzen. Ballard öffnete einen kleinen Metallkoffer, in dem Bandspulen zu sehen waren. Er nahm eine davon hervor, überlas die Beschriftung und nickte dann. Ballard wandte sich zu
McWarden um, der nur zu ihm hinüberschielen konnte. »Ich werde Sie in die Kreidezeit schicken«, sagte er. »Dr. Mason und auch dieser Catson waren sehr zufrieden mit dieser Zeitreise. Passen Sie aber auf, daß Sie in der Zeit nicht zurückbleiben und von einem Saurier gefressen werden!« Lesley Ballard legte die Tonbandspule auf, die nach dem Einschalten des Gerätes zischende Pfeiftöne produzierte. Dann griff Ballard nach der Spritze und näherte sich dem Chief-Superintendent. »Sie brauchen keine Angst zu haben«, versicherte der Gangster. »Nur ein kleiner Stich in die Vene. Man wird ihn später nicht sehen. Und schon kann die Reise losgehen. Noch mal, passen Sie auf, daß Sie nicht von einem Tyrannosaurus rex erwischt werden! Dr. Mason hatte ja dieses Pech ...« Er zeigte McWarden die Spritze und machte sich bereit, die Zeitmaschine in Bewegung zu setzen. Der Chief-Superintendent hatte die Augen geschlossen und sich wohl mit seinem Schicksal abgefunden. Er hatte schließlich keine Möglichkeit, dieser schrecklichen Tour zu entkommen. * »Darf ich fragen, Sir, ob Sie bereits wieder zurück sind, oder ob die Reise in die Vergangenheit noch gar nicht angetreten wurde?« Josuah Parker erschien vor McWarden, der zögernd die Augen öffnete und den Butler dann überrascht anschaute.
»Mann! Sie schickt der Himmel«, stöhnte der Chief-Superintendent dann auf. »Schnallen Sie mich möglichst schnell los! Ich bin vor Angst fast gestorben ...« »Einen verständliche Reaktion, Sir.« Parker machte sich daran, den ChiefInspektor loszuschnallen. »Und wo ist dieser Lesley Ballard?« fragte McWarden. »Hinter Ihnen, Sir, jedoch in liegender Haltung, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Sie sind im letzten Moment gekommen, Mr. Parker. Er wollte mir eine Spritze in die Vene jagen.« »Gewiß, Sir, ich hörte seine Ankündigung.« »Dafür haben Sie bei mir einiges gut, Mr. Parker.« McWarden, inzwischen frei, dehnte und reckte sich. Dann begab er sich hinüber zu Lesley Ballard, der hinter seiner sogenannten Zeitmaschine auf dem Boden lag. »Dieser Gangster kann sich auf einiges gefaßt machen«, meinte der ChiefSuperintendent grimmig. »Sonnenklar, wie seine Reisen in die Vergangenheit funktionieren, nicht wahr?« »Durch Spritzen, Sir.« Parker nickte. »Darf ich übrigens empfehlen, das zu suchen, was man gemeinhin das Weite nennt? Die allgemeine Lage ist noch keineswegs als geklärt zu betrachten.« »Wir nehmen Ballard selbstverständlich mit.« »Sollte man nicht vornehmlich an Mr. Catson denken, Sir?« »Wie wäre es, wenn wir beide mitnehmen würden?« »Das Haus ist ungewöhnlich gut abgeschirmt, Sir.«
»Ballard ist unsere Geisel. Die Gangster werden es kaum riskieren, auf ihn zu schießen.« »Falls man es mit dem wirklichen Mr. Ballard zu tun hat, Sir.«' Während sie sich unterhielten, ging Josuah Parker zur Tür hinüber, die nur angelehnt war. Er horchte in den Korridor hinaus. »Seine Überraschung, Sir, als man ihn mit Ballard anredete, schien meiner bescheidenen Wenigkeit ein wenig zu aufgesetzt.« »Sie glauben, dieser Kerl dort ist nur Handlanger?« »Möglicherweise, Sir. Aber man könnte natürlich die Probe aufs Exempel machen.« »Und ob wir das machen werden!« McWarden bückte sich und hatte kaum Mühe, sich den ohnmächtigen Mann auf die Schulter zu laden. Es zeigte sich, daß er erstaunlich stark war. Parker hingegen begnügte sich mit der Spritze und einigen kleinen Glasfläschchen, die auf dem Arbeitstisch standen. Außerdem steckte er die Tonbandspule ein, die er vom Gerät genommen hatte. »Ich werde mir erlauben, Mr. Catson zu holen, Sir. Würden Sie hier ein wenig warten? Und darf ich mir erlauben, Ihnen zwei Schußwaffen zu überreichen, die ich Gangstern abnehmen konnte?« McWarden steckte eine Waffe ein, die andere behielt er in der Hand. Josuah Parker ging eiliger als gewöhnlich zurück zu dem Raum, in dem er den richtigen Mr. Catson zurückgelassen hatte. Die beiden Gangster, die die Tür bewacht hatten, wurden gerade ein wenig unruhig. Es konnte nicht mehr lange
dauern, bis sie aus ihrem Intensivschlaf aufwachten. Butler Parker löste dieses kleine Problem auf elegante Weise. Er klopfte mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms noch mal auf die Köpfe der beiden Gangster, um sich dann des tatsächlichen Reporters anzunehmen. Er hatte überhaupt keine Schwierigkeiten mit Catson. Der Reporter der 'American News Agency' folgte ihm willig wie ein kleines Kind und stellte überhaupt keine Fragen. Parker hatte den Zwischenkorridor noch nicht ganz erreicht, als in schneller Folge Schüsse zu hören waren. Wenig später brauste der ChiefSuperintendent um die Biegung. Er war allein. »Schnell«, stieß McWarden hervor. »Die Gangster! Jetzt aber nichts wie weg!« »Sie haben Mr. Lesley Ballard verloren, Sir?« »Es hat ihn erwischt, Mr. Parker. Los, laufen Sie, die Gangster müssen gleich hier sein!« »Ihr Wunsch ist meiner bescheidenen Wenigkeit selbstverständlich Befehl«, antwortete Josuah Parker. »Erlauben Sie mir nur, noch einige Verzögerungen für die Verfolger vorzubereiten.« »Beeilung, Mr. Parker, Beeilung!« Der Butler ließ sich selbst jetzt nicht aus der Ruhe bringen, als bereits Schritte und Stimmen zu vernehmen waren. Er griff nach zwei Kugelschreibern und verdrehte die jeweiligen Hälften gegeneinander. Dann warf er die Schreiber in den dunklen Korridor.
Er wandte sich schnell ab und schützte seine Augen durch festes Zukneifen. Im Korridor war zwar nur je eine schwache Detonation zu hören, aber dafür war der Feuerschein mehr als grell. Der Geruch nach Brand und Rauch breitete sich blitzschnell aus. * »Ein hübsches Feuerchen«, meinte Chief-Superintendent und nickte anerkennend. »Wie haben Sie das gemacht, Mr. Parker?« »Dieses Feuer, Sir, geht auf keinen Fall auf das Konto meiner bescheidenen Person«, antwortete der Butler. »Es muß von den Gangster selbst gelegt worden sein.« »Haben Sie denn nicht... ?« McWarden verzichtete darauf, diesen Satz zu beenden. »Ich legte nur eine kleine Fallensperre, die innerhalb von ein bis zwei Minuten wieder erloschen wäre.« »Wo bleibt nur die Polizei!« McWarden sah grimmig auf seine Armbanduhr. »Ich habe schließlich schon vor acht Minuten Alarm gegeben.« »Die Feuerwehr ist in der Tat erheblich schneller, Sir.« Parker hatte das im Morgengrauen völlig richtig gesehen. Aus dem nahen Edgeware und aus Hendon näherten sich in schneller Fahrt einige Löschfahrzeuge, doch von der Polizei war immer noch nichts zu bemerken. McWarden ärgerte sich maßlos. »Endlich«, meinte er dann, als Parker mit seiner Schirmspitze auf zwei Streifenwagen deutete, die von der Hauptstraße abbogen und die
Löschfahrzeuge überholten. Sie hielten auf das brennende Landhaus zu, das im Licht der aufgehenden Sonne gut zu sehen war. Feuerzungen leckten bereits aus dem Dachstuhl, aus den Fenstern schlugen weitere Flammen. Über dem Haus stieg ein grauschwarzer Rauchpilz hoch, der sich von Minute zu Minute immer mehr einschwärzte. Der Chief-Superintendent hatte von einer nahen Tankstelle aus Alarm gegeben und war dann zu Parkers hochbeinigem Monstrum zurückgekehrt. Von der kleinen Anhöhe aus beobachtete er die einsetzenden Löscharbeiten. »Wurde der Mann, der sich als Ballard ausgab, getötet, Sir?« erkundigte der Butler sich. »Keine Ahnung, aber er wurde getroffen, das habe ich deutlich bemerkt.« »Möchten Sie näher an die Brandstelle heran, Sir?« »Wozu, Mr. Parker?« McWarden schüttelte den Kopf. »Was wir brauchen, haben wir.« Während er noch sprach, wandte er sich zu Catson um, der im Fond von Parkers Wagen saß und nach wie vor keine Reaktion zeigte. McWarden schüttelte sich unwillkürlich. Er dachte an das Schicksal, das ihm zugedacht worden war. »Noch mal, Mr. Parker, das werde ich Ihnen nicht vergessen«, sagte er dankbar. »Sie beschämen einen alten, müden und relativ verbrauchten Mann, Sir«, gab Parker in seiner bescheidenen Art zurück.
»Ob diesem armen Teufel je zu helfen sein wird?« fragte McWarden halblaut. »Wahrscheinlich nur durch eine Art Gegenschock, Sir, wie ich das als Laie sehe.« »Warum hat Ballard dieses Theater mit der Zeitmaschine aufgezogen?« McWarden hatte mehr zu sich selbst gesprochen. »Wo ist da der Effekt? Was wollte er damit erreichen?« »Nachhaltige Schocks, Sir«, erwiderte Josuah Parker. »Meiner bescheidenen Auffassung nach ist Mr. Catson nicht das einzige Opfer gewesen.« »Sie denken an Mr. Mason?« »In der Tat, Sir! Er dürfte die Reise mit der Zeitmaschine im Gegensatz zu Dr. Catson nicht überstanden haben und wurde dann auf eine ungewöhnlich nachdrückliche und untypische Art als Opfer präsentiert.« »Nachdrückliche Art? Nachdrücklich für wen?« »Nachdrücklich für jene, für die eine Reise mit der Zeitmaschine vorgesehen ist, Sir.« »Wie soll ich denn das verstehen, Mr. Parker?« Der ChiefSuperintendent hatte prompt wieder das Gefühl, daß Parker mehr wußte als er. »Wenn Sie gestatten, Sir, möchte ich über eine gewisse Theorie noch intensiver nachdenken«, gab der Butler zurück. »Sollte man Mr. Catson jetzt nicht zu einem Arzt bringen?« * »Es ist ein Skandal, wie man mich behandelt hat«, beschwerte Lady Simpson sich und musterte McWarden
mit eisigem Blick. »Warum bringt man Ihren Beamten nicht Benehmen bei?« Die kriegerische Dame und Kathy Porter waren seit einigen Minuten wieder im Stadthaus in Shepherd's Market. »Der Tee, Mylady«, meldete Josuah Parker von der Tür des Frühstückszimmers her. Er war untadelig wie immer gekleidet. Von seinem Abenteuer sah man ihm nichts an. »Man sperrt mich ein, mich, eine Lady Simpson!« Die Detektivin marschierte wütend vor dem Tisch hin und her. »Man hat mich behandelt wie eine Verbrecherin.« »Sie haben sich immerhin sehr nachdrücklich gegen eine vorläufige Festnahme gewehrt, Mylady«, sagte McWarden und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er dachte an seine Kollegen draußen in Wimbledon, die wohl einiges erlebt haben mußten. «Ich habe ganz höflich protestiert, McWarden«, widersprach die ältere Dame. »Und dann gingen zwei Polizeibeamte zu Boden«, warf McWarden ein. »Nur zwei?« Agatha Simpson schnaufte wütend. »Ich muß nicht in Form gewesen sein. Und wissen Sie, was das Tollste ist? Man hat diesen Benny Turpins völlig ungeschoren gelassen, Ja, er hat sogar Anzeige gegen mich erstattet. Anzeige gegen mich! Mr. Parker, ich muß etwas für meinen Kreislauf tun, bevor er endgültig zusammenbricht.« Parker schien das vorhergesehen zu haben. Er tauchte neben Lady Agatha
auf und servierte auf einem kleinen Silbertablett einen gut gefüllten Kognak-Schwenker. »Jetzt ist mir etwas wohler.« Sie hatte leergetrunken. »Aber wenn ich an diesen Gangster denke, dann gerate ich in Zorn.« »Wie mir berichtet wurde, Mylady, haben Sie sein Haus fast zusammengefahren«, sagte McWarden. »Weil die Bremsen versagten«, behauptete die ältere Dame großzügig. »Meine Anwälte werden das dem Gericht erklären, verlassen Sie sich darauf! Eine hilflose Frau und Sachbeschädigung, das paßt doch nicht zusammen. Aber lassen wir das. Ich wollte Ihnen ja nur zu Hilfe kommen, McWarden. Noch mal wird mir das nicht passieren.« »Mr. Parker und ich wurden in einem anderen Haus festgehalten, Mylady«, sagte der ChiefSuperintendent. »Das inzwischen bis auf die Grundmauern abgebrannt sein dürfte«, fügte Josuah Parker gemessen hinzu. »Es gelang jedoch, den richtigen Mr. Catson zu retten« »Catson? Catson? Wer ist denn das?« »Der Reporter der 'American News Agency', deren Einrichtung und Büros Sie zertrümmerten«, erinnerte McWarden genußvoll. »Aha, so ist das also! Während ich mich mit Gangstern herumschlage, amüsieren Sie sich!« Sie musterte McWarden empört und sah dann Parker vorwurfsvoll an. »Mr. McWarden und meine bescheidene Person machten die Bekanntschaft mit einem Herrn, der sich Lesley Ballard nannte.«
»Ballard?« Agatha Simpson wollte etwas sagen, schwieg dann aber. Sie nickte Parker nur gewährend zu. »Besagter Mr. Ballard, Mylady, benutzte eine Zeitmaschine, um seine Opfer in die Vergangenheit zu transportieren. « »Zeitmaschine?« Lady Simpson lachte verächtlich. »Himmel, was soll dieser Unsinn? So etwas gibt es doch überhaupt nicht.« »Mr. Ballard verfügte über eine besondere Konstruktion, Mylady. Es bestand Gefahr, daß Mr. McWarden ebenfalls in die Vergangenheit geschickt wurde.« »Was Sie natürlich verhindert haben, wie?« »Ich war so frei, Mylady.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Sie neigen zu vorschnellen Handlungen, Mr. Parker«, tadelte die ältere Dame vorwurfsvoll. »Der Tee«, meldete Parker erneut, während Chief-Superintendent McWarden unverblümt lächelte. »Endlich«, antwortete die Herrin des Hauses. »Und dazu das Frühstück, bitte! Diät, ich muß auf meine Gesundheit achten. Sie einzuladen, erübrigt sich wohl, McWarden, wie? Aus Diät machen Sie sich bestimmt nichts, oder?« »Aus Ihrer Diät schon, Mylady«, gab McWarden zurück. »Ich bedanke mich für die freundliche Einladung!« »Ich neige wohl zu unüberlegten Empfehlungen«, meinte Lady Agatha grollend, worauf McWarden erneut auflachte. Er amüsierte sich. *
Ralph Catson, wie sein vollständiger Name lautete, stand teilnahmslos vor dem Eingang zum Saal, in dem sich die Sauriernachbildungen befanden. Er wurde flankiert von einem Arzt und einem Psychiater, die ihn hierher gebracht hatten. Dieser Ausflug erfolgte auf eine Anregung des Butlers, der an Schocktherapie glaubte. Lady Simpson, Kathy Porter und Chief-Superintendent McWarden waren selbstverständlich auch gekommen. Butler Parker befand sich bereits im Saal der Dinosaurier und stellte dort eine Tonbandmaschine auf. Er brauchte sie, um die gerettete Spule aus dem Landhaus ablaufen zu lassen. Als er in der nur spaltweit geöffneten Tür erschien, nickte er den Anwesenden zu, um sie zum großen Teil dann plötzlich weit aufzustoßen. »Gütiger Himmel«, murmelte Lady Simpson und fuhr unwillkürlich zurück. Es waren nicht die Nachbildungen der Vorzeitechsen, die sie erschreckten, es waren die Geräusche, die durch den großen Saal donnerten. Catson zuckte ebenfalls zurück und wollte sich von den beiden Ärzten losreißen, schaffte es jedoch nicht. Zusätzlich mit McWardens Hilfe wurde der Reporter in den Saal geschoben. Die Urwelt schien zu toben, wenigstens akustisch. Das Grollen von Vulkanausbrüchen war zu hören, das schrille Schreien sterbender Tiere, wildes Gestampfe und Dröhnen, dann harte Schläge. Diese Kakophonie wurde ein wenig leiser, als Wind durch dichtes Laubwerk strich, aber die Ruhe hielt nicht lange vor. Der Wind steigerte sich zum Sturm, dann zum
Orkan. Äste brachen, Bäume stürzten zu Boden. Und dann wieder das Stampfen einer Herde vorweltlicher Saurier, die sich wohl auf der Flucht befanden, die harte Brandung eines Urmeeres, polternde Steine und Felsen, dann wieder unheimliche Tierschreie. Ralph Catson hatte sich von den beiden Begleitern gelöst und ging zögernd, schrittweise, mit angehobenem Kopf tiefer in den Saal. Er sah im Hintergrund die Urweltlandschaft, die an Realität nichts zu wünschen übrig ließ. Dann blieb er vor dem mächtigen Brontosaurus stehen und mußte sogar den Kopf in den Nacken legen, um den Kopf hoch oben auf dem schlangengleichen Hals überhaupt richtig sehen zu können. »Ob er sich erinnern wird?« flüsterte McWarden dem Butler zu. Bevor der Butler allerdings antworten konnte, stieß Ralph Catson einen wilden Angstschrei aus und wich zurück. Er hatte den Tyrannosaurus rex mit dem riesigen Maul entdeckt. Catson schrie. Man sah es ihm an, daß er weglaufen wollte, doch seine Beine schienen wie gelähmt zu sein. Das Tonband lieferte eine grausige Untermalung dieser Szene. Ein wildes, geiferndes Fauchen ertönte, dann ein Tapsen und Stampfen, das wieder in Fauchen überging. Catson wandte sich um, rannte zurück zum Eingang. Parker war auf der Hut gewesen, er ging ein wenig unhöflich mit dem Flüchtenden um und benutzte den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms, um den Reporter zu Fall zu bringen. Bevor
Catson sich wieder aufraffen konnte, hatte McWarden bereits das Tonbandgerät . ausgeschaltet. »Mr. Catson, Ihren Bericht, bitte!« sagte Parker zu dem Reporter. »Sie waren in der Kreidezeit. Wir brauchen Ihren Bericht für die Zentralredaktion!« Ralph Catson fuhr sich über die Stirn, faßte nach seinen Schläfen, stand dann langsam auf. Er schaute verwirrt um sich und schüttelte den Kopf, als wundere er sich über die Anwesenden. Dann blickte er hinüber zu den Urweltechsen. »Nachbildungen, Mr. Catson«, redete der Butler laut und deutlich weiter. »Geschickte Rekonstruktionen. Aber Sie wissen mehr. Sahen die Saurier tatsächlich so monströs aus?« »Sie ... Sie haben ja keine Ahnung.« Catson lächelte überlegen und faßte wieder nach seinen Schläfen. »Ich habe Kopfschmerzen, aber das macht nichts. Wo sind wir hier? Wer sind Sie?« »Denken Sie an seinen Kreislauf«, erinnerte die ältere Dame. Sie stand dicht hinter Parker, der sofort in die Innentasche seines Zweireihers griff und die bereits bekannte flache Taschenflasche hervorholte. Er schraubte den ovalen Verschluß ab und reichte Catson dann einen Kognak. Als der Reporter getrunken hatte, schüttelte er sich und reichte Parker den kleinen Becher zurück. »Noch einen«, meinte er dann mit normaler Stimme. »Verdammt, was war eigentlich los? Wer hat mich hierher gebracht? Was sind denn das für komische Monstren?«
»Später, Sir, später«, schlug Josuah Parker vor. »Sie erinnern sich Ihrer Fahrt mit der Zeitmaschine?« »Was soll der Unsinn?« Ralph Catson schüttelte den Kopf. »Ich sagte diesem Kerl doch gleich, daß ich an solch einen Zauber nicht glaube. Zeitmaschine? Wir drehen doch keinen Science-fiction-Film, oder?« »Ich kannte Dr. Mason«, berichtete Ralph Catson eine halbe Stunde später. »Ich besuchte eines Tages sein Büro und unterhielt mich mit ihm über die geplante Datenbank. Reine Routinesache. « »Wann war das, Sir, wenn ich fragen darf?« erkundigte sich Josuah Parker höflich. Agatha Simpson, Kathy Porter und Chief-Superintendent McWarden waren in das Stadthaus der Lady in Shepherd's Market zurückgekehrt. »Vor etwa zweieinhalb Wochen«, antwortete Ralph Catson. »Er ist ja der Vater dieses Projekts, wie er oft bezeichnet wird.« »Ein scheußliches Projekt«, entrüstete sich die ältere Dame. »Gütiger Himmel, man will jeden Menschen in einen Computer einfüttern, eine schreckliche Vorstellung.« »Mit allen persönlichen Daten, die man nur zusammentragen kann«, fügte McWarden hinzu. »Diesmal bin ich Ihrer Meinung, Mylady. Hoffentlich darf ich es sein?« »Ausnahmsweise, McWarden«, gestattete sie. »Aber bilden Sie sich darauf nur nichts ein!« »Dr. Mason redete ausführlich über den Datenschutz, für den er sich einsetzen wollte«, fuhr Ralph Catson fort. »An die gespeicherten Daten soll
kein Unbefugter herankommen. Wir hatten darüber eine ziemlich heftige Debatte.« »Sie bezweifeln wahrscheinlich die Effektivität solch eines Datenschutzes, nicht wahr?« warf Josuah Parker ein. »Worauf Sie sich verlassen können.« Ralph Catson nickte sehr nachdrücklich. »Sehen Sie, es wird immer einige Menschen geben, die die Chance kennen und daher auch die Daten anzapfen können. Solche Leute sind in meinen Augen erpreßbar.« »Sie sagen es, Sir.« Parker hatte nie daran gezweifelt. »Dr. Mason erzählte mir ausführlich über die Sicherungen, die da eingebaut werden sollten. Er glaubte fest an seine Methode. Bis er mich dann plötzlich anrief und unbedingt sprechen wollte.« »Wann rief er Sie an, Mr. Catson?« McWarden machte sich Notizen. »Vor drei Tagen, Sir. Er war ziemlich aufgeregt und meinte, er müsse mir wichtige Dinge zum Datenschutz mitteilen. Er sei da auf Dinge gestoßen, die ihn mißtrauisch gemacht hätten. Wir verabredeten also einen Termin, zu dem Dr. Mason jedoch nicht erschien.« »Machte er vielleicht irgendeine Andeutung, Sir?« wollte der Butler wissen. »Er deutete in etwa an, ich hätte mit meiner Meinung recht, daß gewisse eingeweihte Datenfachleute durchaus erpreßbar seien. Ja, und dann nannte er den Namen Lesley Ballard. Sie können sich vorstellen, wie mich das elektrisierte.« »Weil Sie mit diesem Namen etwas anfangen können, wie?« ChiefSuperintendent McWarden geriet in Eifer. Der Name Ballard sagte
natürlich auch ihm einiges. Inzwischen hatte er sich selbstverständlich informiert. »Den Namen Ballard kenne ich von den Staaten her«, redete Ralph Catson weiter. »Ein ganz raffinierter und ausgekochter Gangster, der sich auf Wirtschaftserpressung spezialisiert hat. Ich war überrascht, daß er hier in London sein sollte. Aber ich sagte ja schon, Dr. Mason erschien nicht. Und ein paar Stunden später wurde ich gekidnappt. Ganz einfach so. Als ich meine Wohnung am Morgen verließ, stand ich zwei Männern gegenüber, die mir ihre Revolver zeigten. Was sollte ich tun? Ich mußte mitgehen und wurde in ein Landhaus geschafft. Dann erschien dieser Bursche, der sich als Ballard ausgab, doch ich merkte sofort, daß er es nicht war. Ballard kenne ich von Fotos her. Nein, nein, Ballard ist das nicht gewesen, der da von einer Zeitmaschine redete.« »Sie sahen ihn auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht, Mr. Catson?« warf Josuah Parker ein. »Nein, nein, denn dieser Bursche setzte mich in diese angebliche Zeitmaschine und jagte mir eine Spritze in die Vene. Und dann begann dieser verdammte Horror-Trip.« »Fühlen Sie sich möglicherweise in der Lage, Sir, darüber zu sprechen?«. Butler Parker servierte Catson schnell einen Kreislaufbeschleuniger, den der Reporter gern annahm. »Jetzt kommt mir alles nur noch wie ein verrückter Traum vor«, meinte er und nickte nach einem Schluck. »Ich befand mich plötzlich irgendwo in der Kreidezeit, verstehen Sie? Unwirkliche Sumpflandschaften, Vulkane, Lagunen und Saurier, nichts
als Saurier. Und weit und breit war kein einziger Mensch zu sehen. Ich würde von diesen verdammten Echsen gejagt und stieß dann plötzlich auf ein paar Menschen, die noch halbe Tiere waren. Ich sagte ja schon, alles war wie ein wilder Traum, in dem die Bilder sich verschieben. Irgendeine Echse war hinter mir her und jagte mich zusammen mit einer Frau in eine enge, kleine Höhle. Das Biest aber kratzte mit seinen Krallen den Eingang frei und wollte uns fressen.« »Könnten Sie sich freundlicherweise an diese Echse erinnern, Sir?« bat der Butler. »War sie vielleicht identisch mit dem Tyrannosaurus rex im Museum für Vorgeschichte? « »Stimmt sogar haargenau, Mr. Parker.« Catson geriet ins Grübeln und fuhr zusammen, als Josuah Parker ihm einen zweiten Kognak anbot. »Noch eine Frage, Sir, Sie waren schon mal in jenem Museumssaal, den Sie eben gesehen haben?« »Ja und nein«, erwiderte Catson nachdenklich. »Die Landschaft stimmte, doch das würde ich sagen. Sie entspricht genau dem, was ich da gesehen habe. Auch diese vorgeschichtlichen Monster passen dazu, aber bewußt bin ich in diesem Museum nie gewesen.« »Aber Sie haben noch immer diesen penetranten Geruch in der Nase, wenn ich nicht sehr irre, nicht wahr?« »Woher wissen Sie das?« Ralph Catson nickte und schaute den Butler verblüfft an. »Wie würden Sie diesen Geruch beschreiben, Sir?« »Es muß so eine Art Desinfektionsmittel sein, glaube ich. Moment, warten Sie, da kommen noch ein paar
andere Bilder in mir hoch, die ich bisher total vergessen habe.« »Nehmen Sie noch einen Schluck, bester Mr. Catson«, warf die ältere Dame honigsüß ein. »Tun Sie sich keinen Zwang an, zumal Mr. McWarden ja ohnehin noch trinkt.« »Eigentlich komisch«, redete der Reporter weiter. »Zwischen diesen Echsen und Sauriern habe ich einen Fasan gesehen, ja, und dann noch einen Riesenhecht und, wenn ich mich nicht irre, auch eine Eule.« »Eine Zeitverschiebung?« tippte McWarden ratlos an. »Ich habe keine Ahnung, Sir«, antwortete Ralph Catson. »Ich bin ja heilfroh, daß die Erinnerung von Minute zu Minute immer mehr verblaßt. Und wenn ich erst mal drüben in den Staaten bin, dürfte alles vergessen sein.« »Sie wollen Urlaub in den Staaten machen, Sir?« erkundigte Parker sich. »Umgehend! Meine Dienststelle hat das bereits geregelt. Ich werde morgen schon fliegen.« »Darf ich mir gestatten, Sir, Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten?« fragte Josuah Parker. »Natürlich, Mr. Parker. Ich weiß doch, was ich Ihnen und dem Chief' Superintendent zu verdanken habe.« »Ich erlaube mir, mich bereits schon jetzt für Ihre Zusammenarbeit zu bedanken«, entgegnete der Butler. »Sie geschieht, wie ich versichern möchte, nur und ausschließlich im Interesse Ihrer Sicherheit. Ich könnte mir vorstellen, daß Sie an einem zweiten Flug in die Vorgeschichte der Erde nicht interessiert sind.« *
»Da kommt er«, sagte der Mann, der sich Parker und McWarden gegenüber als Lesley Ballard ausgegeben hatte. Er saß in einem geräumigen Ford und hielt sich recht steif. Diese Haltung hing eindeutig mit dem Verband zusammen, der um seine linke Schulter geschlungen war. Der falsche Ballard hatte sich während der Flucht seiner beiden Zeitreisenden eine Schußverletzung eingehandelt. Er war natürlich nicht allein in diesem Wagen. Er saß neben dem Beifahrer, der sich nun zu den beiden anderen Männern im Fond umdrehte und ihnen zunickte. Der falsche Lesley Ballard hatte den Reporter Ralph Catson ausgemacht, der gerade aus dem Gebäude trat, in dem die Räume der 'American News Agency' untergebracht waren. Die Gangster hatten diesen Reporter vorsichtig beschattet und ihn bereits seit dem Verlassen des Museums für Vorgeschichte unter Sichtkontrolle. Ein Überfall war bisher nicht möglich gewesen, denn Catson wurde von einem Aufgebot von Yardbeamten bewacht. Auch vor dem Haus der Lady Simpson war ein Überfall nicht möglich gewesen. Der falsche Ballard wußte inzwischen, wie gefährlich diese Frau und dieses Haus waren. Er hatte den Zeitpunkt des Kidnapping noch mal hinausgeschoben und den Reporter bis zu den Büros der Nachrichtenagentur verfolgt. Endlich war es soweit. Ralph Catson war allein. Er ging zu dem Parkplatz jenseits der Straße und hielt auf seinen Wagen zu. Der falsche Ballard bedauerte es, daß er sich mit seiner Auffassung nicht hatte durchset-
zen können. Er war dafür gewesen, Ralph Catson einfach niederzuschießen, so ganz nach der Methode, die er drüben in den Staaten praktiziert hatte. Man hatte das aber abgelehnt. Catson sollte vor seiner Ermordung noch ausführlich über das berichten, was er Lady Simpson, dem Butler und McWarden erzählt hatte. Man brauchte neue Informationen, um gewisse Dinge neu aufziehen zu können. Ralph Catson war ahnungslos. In leicht vorgebeugter Haltung, die so typisch für ihn war, hatte er inzwischen die Straße überquert und befand sich bereits auf dem Parkplatz. Der Ford mit den Gangstern löste sich vom Straßenrand und preschte dann in schneller Fahrt auf den kleinen Platz. Dann fielen die drei Gangster förmlich aus dem Wagen und kesselten Catson ein, der erst' jetzt aufmerksam wurde. Der falsche Ballard nickte zufrieden. Die Panne im Landhaus bei Edgeware war damit ausgebügelt. Er konnte seinem Boß wieder unter die Augen treten. Eine gewisse Zeit hatte der falsche Ballard nämlich durchaus gefürchtet, aus dem Verkehr gezogen zu werden, wie es in seinen Kreisen hieß. Fehler verzieh man in der Unterwelt so gut wie nie. Dann staunte der falsche Ballard allerdings und geriet Sekunden später in wilde Panik. Ralph Catson, der Reporter der Nachrichtenagentur, schien ein völlig anderer Mensch geworden zu sein. Die Reise in der Zeitmaschine mußte ihn verwandelt haben. Die drei Gangster, die ihn noch nicht mal aufgefordert hatten, mit ihnen zu kommen, wirbelten wie Gliederpuppen durch die Luft und
schienen dabei von Katapulten geschleudert zu werden. Ralph Catson benutzte ausschließlich seine Hände als Waffen, doch die waren schrecklich genug. Innerhalb weniger Sekunden besaßen die drei Gangster eine äußerst unbequeme Haltung. Der erste Gangster hatte es sich auf dem Dach einer Limousine bequem gemacht, der zweite rutschte gerade über die Windschutzscheibe eines kleinen Sportwagens, während der dritte sich noch in der Luft befand, dann aber wie ein Waschlappen den Wagenkühler zierte. Der falsche Lesley Ballard dachte nur an Flucht. Er rutschte mühsam auf den Fahrersitz, doch wegen der Schußverletzung erwies sich das als nicht sehr einfach. Zudem erhielt der falsche Ballard Besuch. »Wie klein ist doch die Welt«, zitierte Josuah Parker und schob sich gemessen in den Wagen. »Nein, nein, Sie sollten nicht nach der Waffe greifen, das könnte sich für Sie gesundheitsschädigend auswirken. Ich hoffe, Sie werden gegen eine gepflegte Unterhaltung nichts einzuwenden haben, oder?« * »Sie waren außerordentlich überzeugend, Miß Porter«, bedankte Josuah Parker sich bei der Sekretärin und Gesellschafterin der Lady Simpson. Sie trug noch die Kleidung und Maske des Ralph Catson. »Nur nicht gleich übertreiben«, mischte die ältere Dame sich sofort ein wenig gereizt ein. »Aber immerhin, Kindchen, nicht schlecht.«
»Vielen Dank, Mylady!« Kathy Porter lächelte. »Ich werde mich jetzt umziehen.« Der falsche Lesley Ballard und seine drei Begleiter fühlten sich überhaupt nicht wohl in ihrer Haut. Hinzu kam die Tatsache, daß sie ausgerechnet von einer jungen Frau außer Gefecht gesetzt worden waren. Das war nicht geeignet, ihr Selbstbewußtsein zu heben. Sie trugen Handschellen aus Parkers Privatbesitz und dachten an kommenden Ärger. Ihr Boß würde ihnen diese zweite Panne nie verzeihen. Sie kannten doch Lesley Ballard! Butler Parker hatte darauf verzichtet, die vier Männer in die Gewölbe des alt-ehrwürdigen Hauses zu schaffen. Das lohnte sich nicht. Er wollte die Gangster an den Chief-Superintendent weiterreichen. Vorher aber waren da noch einige Worte mit dem falschen Lesley Ballard zu wechseln. Ralph Catson betrat den kleinen Raum, der irgendwo hinter der Küche des Hauses lag. Er schaute sich den angeblichen Ballard an und schüttelte dann den Kopf. »Das ist nicht der richtige Lesley Ballard«, meinte Catson dann. »Nur eine entfernte Ähnlichkeit. Der richtige Ballard ist mindestens fünfzig Jahre alt.« »Dies aber ist jener Mann, der Sie per Zeitmaschine in die Vorzeit schickte?« fragte Josuah Parker und deutete auf den Vierzigjährigen, der längst nicht mehr freundlich lächelte oder Ironie an den Tag legte. »Das ist der Mann«, bestätigte Ralph Catson, der die ganze Zeit über sich im Haus der älteren Dame aufgehalten
hatte, wozu ihm Butler Parker aus Gründen der Sicherheit geraten hatte. »Und diese drei Männer, Mr. Catson?« »Waren zusammen mit ihm im Landhaus. Ich erkenne sie genau. Ein Irrtum ist ausgeschlossen.« »Ich möchte mich aufrichtig bedanken, Sir«, sagte Parker höflich, um sich dann an den falschen Ballard zu wenden. »Würden Sie mir freundlicherweise folgen? Ich habe ein paar private Worte mit Ihnen zu wechseln.« »Aus... Aus mir werden Sie kein Wort herausbekommen, Parker!« Trotz und Wut waren in der Stimme des Mannes. »Warten wir es ab!« Parker deutete auf die Tür, und der falsche Ballard erhob sich notgedrungen. »Was haben Sie vor?« erkundigte er sich, als Parker die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Ein kleines, gewiß harmloses Experiment«, antwortete Josuah Parker. »Vor dem Verlassen des Landhauses draußen in Edgeware nahm ich mir die Freiheit, einige kleine Glasfläschchen und eine Spritze mitzunehmen. Darf ich davon ausgehen, daß der Inhalt in Spritze und Fläschchen die eigentliche Zeitmaschine darstellt?« »Hören Sie, Mr. Parker ...« Der falsche Ballard schluckte. Er hatte natürlich sofort verstanden. »Ich bin das, was man gemeinhin ganz Ohr nennt.« »Ich bin dazu gezwungen worden, glauben Sie mir! Ballard hat mich dazu gebracht. Ich werde von ihm erpreßt. Normalerweise hätte ich so was nie getan.«
»Ihre Freude an dem Experiment war Ihnen aber deutlich anzusehen. Ich denke an die Szene mit dem ChiefSuperintendent, von meiner bescheidenen Person mal ganz zu schweigen.« »Das ... Das gehörte zu der Rolle, zu der Ballard mich gepreßt hat.« »Stellen wir es dahin. Wie heißen Sie tatsächlich? Ich kann davon ausgehen, daß Sie Arzt sind oder es waren?« »Arzt, stimmt.« Der falsche Ballard nickte. »Aber ich praktiziere nicht mehr.« »Man entzog Ihnen die Approbation?« »Weil ich angeblich von der Polizei . gesuchte Klienten behandelte«, umschrieb der falsche Ballard vornehm die Tatsache, daß er das war, was man einen Gangsterspezialisten nannte, der vor allen Dingen Schußwunden behandelte, ohne sie den Behörden zu melden. »Und Ihr Name?« »Gene Cordell, Mr. Parker. Hören Sie, sorgen Sie dafür, daß ich hier in England abgeurteilt werde, ja? Bitte, sonst bin ich geliefert. Ballards Einfluß reicht in jedes Zuchthaus drüben in den Staaten. Er wird mich umbringen lassen.« »Die Idee hinsichtlich einer Zeitmaschine stammt von Ihnen?« »Ich hatte sie mal aus Spaß vorgeschlagen, mehr war das nicht, aber Ballard griff diese Idee sofort auf und zwang mich, das auszuprobieren. Ich habe mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, das müssen Sie mir glauben.«
»Und wie kam Dr. Mason um? Haben Sie eine zu starke Dosis verwendet?« »Ballard hat ihm eine zweite Spritze gegeben, und daran ist Dr. Mason dann gestorben.« Gene Cordell, wie der falsche Ballard hieß, kämpfte um seinen Kopf, wie man deutlich hörte und sah. »Und wie schaffte man ihn in das Maul des Tyrannosaurus rex im Museum für Vorgeschichte?« »Das weiß ich nicht, Mr. Parker, mein Wort darauf. Dafür war ich nicht zuständig. Ich hatte es nur mit dieser Zeitmaschine zu tun. Ich bin doch kein Mörder.« »Sind Sie sicher, Mr. Cordell?« fragte Josuah Parker ernst. »Sie haben Ballards Opfer schwerste Psychopharmaka gespritzt, ohne Rücksicht darauf, wie die jeweiligen Menschen darauf reagieren würden. Im Fall des Dr. Mason wurde ein Mord daraus, im Fall des Mr. Catson konnte gerade noch eine schwere geistige Störung vermieden werden. Was wurde aus den übrigen Opfern?« »Die sind wieder in Ordnung, Mr. Parker.« Gene Cordell war in die Falle gegangen, aber er hatte es überhaupt nicht gemerkt. »Die erlitten nur einen kleinen Schock, sind jetzt aber wieder gesund.« »Und tun aus Angst vor einer zweiten Zeitreise alles, was Lesley Ballard von ihnen verlangt, nicht wahr? Wer sind diese bedauernswerten Opfer und wo finde ich sie?« »Ich kenne diese Leute nicht, Mr. Parker, darauf schwöre ich jeden Eid. Sie wurden nur im Landhaus abgeliefert, und ich hatte sie zu behandeln. Was Ballard aus ihnen
herauspressen wollte, kann ich nicht sagen. Sie müssen mir glauben.« »Bleibt noch die Adresse dieses Lesley Ballard, Mr. Cordell.« »Er wohnt in Bayswater in einem gemieteten Haus, aber ich denke, da ist er bereits nicht mehr. Er ist schlau und gerissen wie ein Fuchs. Er wird sich längst einen anderen Unterschlupf gesucht haben.« »Diesmal stimme ich Ihnen zu, Mr. Cordell.« Parker nickte. »Wie gut war die Zusammenarbeit zwischen Ballard und Benny Turpins?« »Auch davon weiß ich nichts, Mr. Parker. Wenn Sie mir doch nur glauben würden! Ich bin doch auch nur ein Opfer! Ich habe es gehaßt, diese armen Teufel mit der Zeitmaschine zu schocken. Ich habe mich geschämt und ...« »Sie sollten es damit genug sein lassen, Mr. Cordell«, unterbrach Butler Parker den Mann, der eindeutig schamlos log. »Ich möchte behaupten, daß Sie diese Zeitreisen außerordentlich genossen haben. Aber dazu sollen und werden die Richter Stellung nehmen. Hoffentlich haben Sie nicht mehr als zehn Opfer gehabt?« »Wieso zehn Opfer?« Cordell verstand nicht und bekam auch nicht mit, daß ihm erneut eine Falle gestellt wurde. »Nach englischem Recht tritt ab zehn Personen der Artikel sechzehn der Charta von achtzehnhundertelf in Kraft.« »Es ... Es waren insgesamt sieben Personen«, beeilte Cordell sich zu sagen. »Dr. Mason und Catson eingeschlossen. Ja, nur sieben Personen, das weiß ich genau!«
* »Im Moment befinden wir uns in einer Sackgasse«, bekannte der ChiefSuperintendent, der sich wieder mal in Lady Simpsons Haus eingefunden hatte. »Dort enden Ihre Ermittlungen doch immer«, stichelte Lady Agatha umgehend. »Ich bin nicht unzufrieden«, redete McWarden weiter. »Wir haben diesen Gene Cordell, der sich als Ballard ausgab, dann drei Gangster und schließlich den Burschen, der hier bei Ihnen als Catson auftrat.« »Ben Kane, Sir?« präzisierte der Butler. »Hat er sich inzwischen zu irgendwelchen Aussagen bequemt?« »Er sagt kein Wort.« McWarden schüttelte den Kopf. »Was können wir ihm schon nachweisen? Handfest im Sinn einer Beweisführung ist doch nur die Tatsache, daß er sich hier unter falschem Namen bei Lady Simpson eingeschlichen hat. Solange wir Ballard nicht haben, hat er nichts zu befürchten.« »Das bewußte Haus in Bayswater, das Ballard gemietet hatte, ist natürlich leer, oder?« erkundigte Lady Agatha sich grollend. »Wir konnten noch nicht mal verwertbare Fingerabdrücke finden«, antwortete der Chief-Superintendent. »Nach den bisherigen Niederlagen ist der erst mal weggetaucht.« »Könnte er die Insel inzwischen verlassen haben, Sir?« Kathy Porter stellte die Frage. »Könnte schon, Miß Porter, aber das glaube ich nicht. Er hat bisher zuviel in irgend etwas investiert, was mit
Sicherheit einen Riesengewinn verspricht. So etwas gibt ein Lesley Ballard nicht so leicht auf. Wie denken Sie darüber, Mr. Parker?« »Ich möchte mir die Freiheit nehmen, mich Ihrer Ansicht anzuschließen, Sir. Meiner bescheidenen Ansicht nach dürfte man nur über Mr. Benny Turpins an Mr. Ballard herankommen.« »Aha.« McWarden sah den Butler fragend an und wartete auf weitere Hinweise. »Mr. Turpins hingegen dürfte seinerseits davon ausgehen, daß Mylady dies vermuten«, redete Parker weiter und wandte sich an die ältere Dame, die er natürlich auf keinen Fall übergehen dürfte, wenn er sie nicht erzürnen wollte. »Mylady brachten Mr. Turpins ja dazu, sich entsprechend zu erklären.« »Und wie ich ihn dazu brachte.« Sie lachte nachträglich grimmig auf. »Guter Gott, ist dieser Lümmel ein Schwächling, wenn man ihm nur die richtigen Flötentöne bläst. Ich hätte einen Vorschlag, McWarden.« »Ich fürchte, ich muß dazu nein sagen«, antwortete der ChiefSuperintendent hastig. Er ahnte, wie dieser Vorschlag lauten könnte. »Ich würde nur zu gern noch mal zu diesem Turpins fahren«, meinte die Detektivin. »Ich bin sicher, er weiß sehr genau, wo Lesley Ballard sich augenblicklich versteckt hält.« »Möglicherweise rechnet er mit Myladys Besuch und hat bereits gewisse Vorkehrungen getroffen, ließ der Butler sich vernehmen. »Immer diese Rücksichtnahmen«, sagte Lady Agatha ärgerlich. »Wollen Sie alle auf ein Wunder warten?«
»Unsere Ermittlungen laufen auf Hochtouren, Mylady«, verteidigte McWarden sich. »Aber für uns gibt es nun mal Gesetze, an die wir uns halten müssen. Ach richtig, da wäre noch etwas. Wir beschäftigen uns ausgiebig mit den Leuten, die zusammen mit Dr. Mason an den Vorbereitungen zur nationalen Datenbank arbeiten.« »Wahrscheinlich derart behutsam, daß Sie Wochen brauchen werden, wie?« Agatha Simpson konnte es einfach nicht lassen, sie mußte McWarden wieder mal einen kleinen Stich versetzen. »Das möchte ich nicht sagen, Mylady. Vielleicht kann ich schon in sehr kurzer Zeit mit einer Überraschung aufwarten. Mehr darf ich dazu leider nicht sagen.« »Nachdem ich den Fall so gut wie gelöst habe, wollen sie den kleinen Rest erledigen, was? Das kennt man, McWarden. Mr. Parker, ich frage mich, warum Sie Mr. McWarden nicht per Zeitmaschine reisen ließen? Das war doch eine einmalige Chance, diesen Fall in aller Ruhe zu lösen!« * Es war schon ein recht seltsames Bild. Vor dem großen Haus des Gangsterchefs Benny Turpins stand ein hochbeiniger Wagen, der früher mal als Taxi gedient hatte. Der Kofferraum des Wagens war geöffnet. Butler Parker holte einen recht ordentlichen Campingtisch hervor und stellte ihn neben dem Heck seines hochbeinigen Monstrums auf. Er bemühte eine Wasserwaage und prüfte den richtigen Sitz der Platte. Anschlie-
ßend zog er einen solide aussehenden Faltstuhl aus dem Kofferraum und faltete ihn auseinander. Er öffnete die hintere Wagentür und geleitete seine Herrin ins Freie. Sie warf einen grimmigen Blick auf das Haus des Gangsterchefs und nahm dann in dem Faltstuhl Platz. Durch ihre Lorgnette beobachtete sie eingehend das Haus. Es machte vorerst noch einen unbewohnten und abweisenden Eindruck. Butler Parker war in seinem Fach einfach nicht zu übertreffen. Wie ein bühnenreifer Magier baute er eine Art Kochkonsole auf, entzündete einen Spirituskocher und brühte mit der Eleganz eines Haushofmeisters frischen Tee auf, den er Lady Agatha anschließend servierte. Es dauerte nicht lange, bis zwei Männer vorn am inzwischen neu eingebauten Tor des Grundstücks erschienen. Sie hatten Ferngläser und beobachteten nun ihrerseits Lady Simpson und Butler Parker. »Man wird langsam nervös«, stellte die Detektivin zufrieden fest. »Wie wird das erst werden, wenn Sie das Zelt aufbauen, Mr. Parker?« Platz dazu war ausreichend vorhanden. Parkers Wagen stand am Rand einer weiten Wiese, die der Öffentlichkeit als Spielplatz diente. Störende Häuser gab es auf dieser Seite der Straße nicht. Der Gangsterchef mußte sich mit diesen beiden seltsamen Campern abfinden, ob er es wollte oder nicht. Nun, zuerst erschien plötzlich ein Streifenwagen der Polizei. Ein uniformierter Beamter stieg aus und näherte sich ein wenig unsicher Agatha Simp-
son. Er grüßte höflich und machte die ältere Dame darauf aufmerksam, ein Bewohner der Straße habe sich beschwert und fühle sich in seiner Intimsphäre verletzt. »Ist es ein Mr. Benny Turpins gewesen?« erkundigte die ältere Dame sich. »Darüber darf ich keine Auskunft geben, Madam«, sagte der junge Beamte. »Sie reden mit Lady Agatha Simpson«, schaltete sich der Butler gemessen ein. »Und bevor Sie die Frage der Erlaubnis erörtern, ob hier das erlaubt ist, was man im Volksmund campen nennt, möchte ich Ihnen die erforderliche Erlaubnis zeigen.« Parker griff in die Innentasche seines schwarzen Zweireihers und präsentierte dem verdutzten Beamten ein Schreiben. Ein gewisser ChiefSuperintendent McWarden erteilte einer Lady Simpson und einem Butler Parker ausdrücklich die Erlaubnis, hier auf diesem Platz einen Campingtest durchzuführen. »Und hier ein Schreiben der Stadtverwaltung und des Pflegers der Königlichen Spielgründe«, fügte Parker hinzu. Er reichte dem jungen Mann zwei weitere Schreiben. »Wer also hat sich beschwert?« fragte die Detektivin. »Nun reden Sie schon, junger Mann, bevor ich ärgerlich werde! Sie werden nicken, wenn ich den richtigen Namen genannt habe, verstanden?« Der junge Beamte nahm Haltung an und salutierte. »Benny Turpins?« fragte die Lady, und ihr Gegenüber nickte gehorsam. »Sie werden noch Karriere machen«, versprach Agatha Simpson ihm. »Ich werde Ihre Mitarbeit bei Gelegenheit
lobend erwähnen. So, und jetzt möchte ich nicht weiter gestört werden!« Der Streifenwagen fuhr davon, und es dauerte nur noch weitere dreißig Minuten, bis sich auf dem Grundstück des Gangsterchefs erneut etwas tat. »Mr. Benny Turpins, Mylady«, vermeldete der Butler. »Er scheint aber schwache Nerven zu haben«, stellte die ältere Dame fest. Sie schaltete ihre eisigen Blicke ein und musterte den Gangsterchef, der sein Grundstück verließ, die Straße überquerte und direkt auf Mylady zukam. Natürlich kam er nicht allein. Er wurde begleitet von zwei Muskelmännern, die einen äußerst wachsamen Eindruck machten. »Ich ... Ich möchte mit ihnen reden«, sagte Turpins, als er die ältere Dame erreicht hatte. Er bebte vor Nervosität und Zorn. »Melden Sie sich bei Mr. Parker an und bitten Sie um eine Unterredung«, antwortete Lady Simpson und schaute durch ihn hindurch. Turpins bekam einen roten Kopf, räusperte sich und wollte aufbrausen, bezwang sich jedoch wieder. »Kann ich Lady Simpson mal sprechen?« fragte er dann den Butler. »Mylady, ein gewisser Mr. Turpins, wenn ich nicht irre, möchten Mylady sprechen.« »Was wollen Sie?« fragte sie und schien ihn erst jetzt zu sehen. »Sie... Sie wollen mich fertigmachen, wie?« fragte Turpins. »Dazu brauchte ich meinen Tee nicht gerade hier zu trinken«, antwortete die resolute Dame. »Sie sind schon fertig, wie Sie es
ausdrücken, aber Sie wissen es nur noch nicht.« »Von mir aus können Sie hier Tag und Nacht herumsitzen.« »Das habe ich auch vor, Sie Lümmel!« »Und wenn ich wegfahre?« Benny Turpins grinste. »Die Insel ist groß.« »Sie werden selbstverständlich diskret überwacht, Mr. Turpins«, schaltete der Butler sich höflich ein. »Mylady haben in dieser Hinsicht vorgesorgt.« »Wie soll ich das verstehen?« Turpins hüstelte. »Mylady haben ein kleines Heer von Privatdetektiven engagiert«, bluffte der Butler. »Mylady werden immer wieder Tee vor jenen Häusern trinken, die Sie beziehen werden.« »Und ... Und warum das alles?« Benny Turnpins' Stimme klang heiser. »Mylady möchten auf diese ein wenig unkonventionelle Art und Weise herausfinden, wo ein gewisser Mr. Lesley Ballard sich aufhält.« »Doch nicht bei mir!?« Turpins schüttelte den Kopf. »Das Gegenteil müßte erst noch bewiesen werden, Mr. Turpins.« »Was habe ich mit Ballard zu tun?« »Sie hatten und haben noch die Absicht, sich in seine Geschäfte einzuschalten, die Sie für gewinnträchtig halten. Ihre Leute werden Ihnen längst gemeldet haben, wohin Mr. Ballard von Bayswater aus übergesiedelt ist.« »Trinken Sie Tee, bis Sie platzen«, antwortete Benny Turpins. »War das gerade eine Beleidigung, Mr. Parker?« erkundigte sich die ältere Dame bei Parker. Der Pompadour an ihrem linken Handgelenk geriet in leichte Schwingungen, was Turpins
nicht gern sah. Er wich sicherheitshalber einen Schritt zurück. »Der Tatbestand einer Beleidigung ist vorerst noch nicht gegeben, Mylady«, erwiderte der Butler gemessen. »Ich möchte allerdings nicht verhehlen, daß Mr. Turpins sich dieser Grenze bereits bedenklich nähert.« Der Gangsterchef wandte sich auf dem Absatz um und marschierte über die Straße zurück auf sein Grundstück. »Und nun?« wollte die ältere Dame wissen, als Turpins in seinem Haus verschwunden war. »Wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf, Mylady, könnte man das Feld räumen.« »Jetzt schon?« Die Detektivin wunderte sich. »Ich glaube zu wissen, Mylady, wo Mr. Lesley Ballard sich aufhält«, antwortete Parker wie selbstverständlich. »Mr. Ballard scheint ihn erst vor kurzer Zeit besucht zu haben.« »Und woher wollen Sie das nun wieder wissen?« Lady Agatha war ehrlich verblüfft. »Meine Geruchsnerven lieferten mir gerade den entscheidenden Hinweis, Mylady«, behauptete der Butler wie selbstverständlich. * Während der Fahrt zurück in die City schlug das Telefon in Parkers hochbeinigem Monstrum an. Er hob ab und meldete sich. »Hier ist Kathy Porter«, hörte er die Stimme seiner Meisterschülerin, die im Stadthaus zurückgeblieben war. »Mr. McWarden hat gerade
angerufen, Mr. Parker. Er bittet Sie dringend, zu ihm zu kommen.« »Gibt es demnach neue Erkenntnisse, Miß Porter?« »Der Chief-Superintendent hat die fünf Computerfachleute gefunden, die alle eine Reise mit der Zeitmaschine hinter sich haben.« »Befindet Mr. McWarden sich in seinem Yard-Büro?« »In seiner Nebendienststelle, Mr. Parker. Soll ich ihm ausrichten, daß Sie kommen werden?« »Er kann fest mit Myladys Erscheinen rechnen«, antwortete der Butler und legte auf. Er informierte die ältere Dame im Fond des Wagens über die interne Sprechanlage. »Und was ist mit diesem Ballard?« fragte sie ungehalten. »Wird er mir nicht entwischen?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, gab der Butler zurück. »In seinem jetzigen Versteck fühlt er sich verständlicherweise vollkommen sicher.« »Nun gut, Mr. Parker!« Sie nickte zögernd. »Fahren wir also zu McWarden. Diese fünf Zeitreisenden interessieren mich doch etwas.« Wenn es darauf ankam, überließ sie stets ihrem Butler die Entscheidung. Sie hätte dies natürlich nie zugegeben, um nichts auf der Welt. In der eigentlichen City angekommen, steuerte Josuah Parker sein hochbeiniges Monstrum in die Tiefgarage eines völlig normal aussehenden Bürogebäudes. In einer Glasloge saß ein älterer Herr, der kaum reagierte, aber immerhin per Knopfdruck die Schranke öffnete. Parker stellte seinen Wagen in der Nähe eines Lifts ab und öffnete die
hintere Wagentür für Lady Simpson. Er geleitete sie höflich auf den Lift zu und drückte einen Knopf. Es dauerte einige Sekunden, bis sich die Tür öffnete. »Was für eine Spielerei«, räsonierte Parkers Herrin. »Das ist wieder mal typisch für McWarden, Verschleuderung von Steuergeldern. Man sollte das öffentlich anprangern oder vor dem Unterhaus zur Sprache bringen.« »Ich werde mir erlauben, Mylady bei Gelegenheit daran zu erinnern«, erwiderte Parker höflich. »Ich möchte mich allerdings erkühnen darauf zu verweisen, wie wichtig solch eine private Adresse sein kann.« Der Lift hielt inzwischen, und Parker öffnete die Tür. Er führte die Lady durch einen kurzen Korridor zu einer Art Stahltür, die sich knapp vor ihnen automatisch öffnete. Wenig später standen sie dem ChiefSuperintendent gegenüber. Er strahlte und genoß seinen Erfolg. »Ich habe die restlichen fünf Zeitreisenden«, sagte er. »Und jetzt ist auch klar, worum es diesem Lesley Ballard geht, Mylady.« »Wo sind diese Computerfachleute?« wollte die ältere Dame wissen. »Sie diktieren gerade ihre Protokolle«, erwiderte McWarden. »Wollen Sie nicht in mein Büro kommen?« McWardens Büro war spartanisch eingerichtet, und Lady Agatha ärgerte es, sich nicht mokieren zu können. Sie nahm grollend in einem einfachen Sessel Platz und nickte dem ChiefSuperintendent knapp zu.
»Worauf warten Sie noch?« fragte sie dann. »Ich denke, Sie haben mir etwas zu sagen.« * »Lesley Ballard ging es darum, besonders qualifizierte Computerfachleute in seine Abhängigkeit zu bringen«, berichtete der Chief-Superintendent. »Er ließ sie kidnappen und schickte sie mit dieser komischen Zeitmaschine auf einen Horror-Trip. Wie das geschah, wissen Sie ja bereits Mylady.« »Was sollten diese Leute für ihn tun?« fragte die ältere Dame. »Ihm entweder die Telefoncodes von Fall zu Fall mitteilen, oder ihm Datenbänder zuspielen.« »Telefoncodes? Was ist das?« Sie merkte, daß sie zugegeben hatte, etwas nicht zu wissen und korrigierte sich selbstverständlich. »Ich weiß natürlich Bescheid, aber ich möchte es von Ihnen hören.« »Große Industriefirmen und auch Behörden sind mit einem Zentralcomputer verbunden«, redete McWarden weiter. »Dort fragen sie Daten ab, die sie für ihre Arbeit brauchen. Damit diese angeschlossenen Teilnehmer aber nicht an Daten kommen, die für sie gesperrt sind, sind die entsprechenden Datenkomplexe nur über Geheimcodes abzufragen.« »Die nur Eingeweihten bekannt sind, ich weiß, McWarden.« Lady Agatha winkte lässig ab. »An diese Daten kommt man praktisch per Telefonleitung«, berichtete McWarden weiter. »Man wählt die Hauptnummer des zentralen Compu-
ters und dann zusätzlich eine Zahlenkombination. Erst dann erfolgt die Aus- und Rückgabe der angeforderten und freigegebenen Daten.« »Das sind doch alles alte Hüte«, mokierte sie sich erneut, obwohl Mylady gewisse Dinge bisher noch nicht gekannt hatte. »Ballard wollte sich also Zugang zu sämtlichen, nur erreichbaren Daten verschaffen, nicht wahr?« »So ist es, Mylady. Ein Mann von der verbrecherischen Intelligenz eines Ballard bekommt damit natürlich einen Generalschlüssel in die Hand, mit der er Vermögen freilegen kann.« »Interna aus Wirtschaft und Verwaltung.« Agatha Simpson hatte blitzschnell geschaltet. »Er kann manipulieren, erpressen und finanzielle Transaktionen vornehmen, zum Beispiel an der Börse.« »Völlig richtig, Mylady!« McWarden war doch ein wenig verdutzt. »Darf ich fragen, Sir, ob die genannten Zeitreisenden schon Datencodes geliefert haben?« schaltete der Butler sich ein. »Bisher nicht.« McWarden winkte ab. »Ballard bereitete sie nur vor, verstehen Sie? Er jagte sie quasi durch alle Höllen, um sie dann eines Tages ganz nach Belieben abfragen zu können. Ich zweifele nicht daran, daß einer der Leute sich nach seinem ersten Höllentrip auf einen zweiten eingelassen hätte. Die Angst vor einer zweiten Reise mit der Zeitmaschine hätte sie zu Ballards Mitarbeitern werden lassen.« »Besuchten sie alle die Kreidezeit, Sir?« fragte Parker weiter. »Das sagten sie übereinstimmend aus, Mr. Parker. Sie alle hatten es mit
Riesenechsen und Sauriern zu tun. Zu Catsons Bericht gibt es da kaum Unterschiede. Ach, was ich noch sagen wollte, unsere Gerichtschemiker haben diese Drogen untersucht, die man auch Catson verabreicht hatte. Es handelt sich um ein Psychopharmakon, das mit LSD nahe verwandt ist. Daher auch diese wirren und verrückten Träume.« »Die optisch und akustisch zusätzlich gelenkt wurden, Sir«, erinnerte Parker. »Mußten sämtliche Computerfachleute in die Zeitmaschine steigen, die Sie und meine Wenigkeit im Landhaus draußen bei Edgeware fanden?« »Das wissen sie nicht, Mr. Parker. Sie waren betäubt, als man sie verschleppte. Und sie kamen erst wieder zu sich in verschiedenen Parks der Stadt.« »Das spielt ja auch keine Rolle«, meinte die ältere Dame. »Ich will wissen, wo dieser Ballard ist. Darauf allein kommt es doch an, oder? Diesem Subjekt muß schleunigst das Handwerk gelegt werden.« »Nun, soweit sind wir leider noch nicht«, räumte der Chief-Superintendent ein. »Die Computerleute wissen es auf keinen Fall, was ich ihnen durchaus glaube. Hat Turpins draußen in Wimbledon nicht reagiert?« »Ungewollt, Sir«, antwortete der Butler. »Wie soll ich das verstehen, Mr. Parker? Er hat Ihnen einen Tip gegeben? Das wäre ja wunderbar. Wir alle stehen hier Gewehr bei Fuß, Sie brauchen mir nur zu sagen, wohin wir fahren müssen.« »Soweit sind auch wir leider noch nicht«, warf die ältere Dame hastig ein und sah ihren Butler warnend an.
»Es wird nicht einfach sein, Ballard aufzuspüren«, seufzte der ChiefSuperintendent auf. »Eigentlich ist der Fall ja bereits geklärt, aber eben nur eigentlich.« »Nicht verzagen, McWarden«, stichelte die Sechzigjährige und erhob sich. »Versuchen Sie nicht immer gleich nach den Sternen zu greifen, Sie werden sie doch nie erreichen.« * »Er läßt uns natürlich beschatten, Mr. Parker. Rechnen Sie damit!« Agatha Simpson saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und schaute sich immer wieder um, doch bisher hatte sie nichts erkennen können. Es war inzwischen Nachmittag geworden, und der Verkehr auf den Straßen war beängstigend dicht. »Mr. McWarden hat sogar drei Wagen eingesetzt, Mylady«, meldete Parker vom Steuer seines Fahrzeuges her. »Was Sie nicht sagen!« Die ältere Dame freute sich königlich. »Er traut mir also nicht.« »So könnte man es ausdrücken, Mylady.« Parker beobachtete weiter die drei verfolgenden Wagen, die sich gegenseitig immer wieder überholten, zurückfallen ließen und dann erneut überholten. Dem wachsamen und scharfen Auge des Butlers waren diese drei Wagen jedoch nicht entgangen. »Wann werden Sie diese aufdringlichen Beamten abhängen, Mr. Parker?« wollte die Lady schließlich wissen. Parker fuhr durch die City und schien kein bestimmtes Ziel anzusteuern.
»Ich erlaube mir gerade zu überlegen, Mylady, ob das ratsam ist«, antwortete Parker in seiner gemessenen Art und Weise. »Mr. Ballard ist mit Sicherheit nicht allein in seinem Versteck. Es könnte zu einem gefährlichen Kampf kommen.« »Wie schön, Mr. Parker, aber dabei würde die Polizei doch nur stören. Ich hoffe, Sie haben einige Überraschungen für diesen Gangster bei sich.« »Mylady dürfen versichert sein, daß eine Reihe von Eventualitäten einkalkuliert wurden«, versicherte Parker seiner Herrin. »Dennoch ist mit Überraschungen zu rechnen.« »Papperlapapp, Mr. Parker! Diese Zeitmaschinenbesitzer möchte ich allein sprechen. Dabei will ich ungestört sein.« »Wie Mylady befehlen.« Parker machte sich daran, die lästigen Verfolger abzuschütteln. Er wartete nur darauf, eine günstige Ampelphase zu finden. »Und wohin geht die Fahrt, Mr. Parker?« Lady Simpson lehnte sich zufrieden zurück. »In das Museum für Vorgeschichte, Mylady.« »Gütiger Himmel, Mr. Parker, schleppen Sie mich nur ja nicht zurück in dieses gräßliche Haus. Oder soll das heißen, daß Ballard sich dort versteckt hält?« »Dies, Mylady, möchte ich unterstellen.« Parker hatte eine günstige Ampelphase erwischt und ließ zwei der drei Polizeiwagen zurück. Es handelte sich selbstverständlich um Zivilfahrzeuge, deren Insassen ebenfalls Zivil trugen. »Und die Gründe für Ihre Vermutung, Mr. Parker?«
»Ein ganz bestimmter Geruch, Mylady den ich inzwischen identifizieren konnte.« »Das klingt ja immer unglaublicher.« Parker widmete sich einen Moment dem Verkehr und gab plötzlich Vollgas. Das hochbeinige Monstrum beschleunigte mit der Geschwindigkeit einer startenden Boden-Luft-Rakete und' wischte um einen Lastwagen herum. Dadurch blieb nun auch das dritte Polizeifahrzeug hoffnungslos zurück. Der Weg zum Museum für Vorgeschichte war frei! »Wenn Mylady gestatten, möchte ich der Reihe nach vorgehen«, redete Josuah Parker nun weiter. »Der Kleidung der Herren Dr. Mason, Ralph Catson und Ben Kane entströmte ein seltsamer, penetrant zu bezeichnender Geruch, wenn ich es so ausdrücken darf. Darf ich erinnern, Mylady, Mr. Kane gab sich als der Reporter Catson aus.« »Natürlich, glauben Sie etwa, ich sei. vergeßlich?« »Diesen erwähnten Geruch, Mylady, nahm ich auch bei den Herren Gene Cordell und ebenfalls bei Mr. Turpins wahr.« »Schon gut, schon gut, um welchen Geruch handelt es sich denn nun?« »Um den Geruch nach Formalin, Mylady, das von Präparatoren benutzt wird, die sich auf das Ausstopfen von Tieren spezialisiert haben. Bei dem erwähnten Formalin, Mylady, handelt es sich um eine Lösung aus Formaldehyd in Wasser. Formaldehyd, um völlig genau zu sein, ist ein Aldehyd der sogenannten Ameisensäure, die ...«
»Das reicht, Mr. Parker, das reicht!« Agatha Simpson hob abwehrend die Hände. »Es handelt sich also um eine Art Konservierungsmittel, nicht wahr?« »Das auch zur Desinfektion verwendet wird, Mylady. Diese Geruchskette nun, um es so zu umschreiben, läßt meine bescheidene Wenigkeit vermuten, daß sich sämtliche aufgezählten Personen in den Räumen eines Präparators aufgehalten haben müssen.« »Gut, das könnte sein«, räumte die Detektivin ein. »Mr. Catson, nun, Mylady, sprach von einem ausgestopften Hecht, einer Eule und einem Fasan, wenn ich daran erinnern darf.« »Stimmt, davon hat er gesprochen.« Die Lady beugte sich vor. Ihr Interesse war hellwach geworden. »Diese Beobachtung deutet daraufhin, daß Mr. Catson tatsächlich in den Räumen eines Tierpräparators gewesen ist. Seine Fahrt mit der sogenannten Zeitmaschine aber endete in der Kreidezeit, wie sie im Museum für Vorgeschichte zu sehen ist. Man brauchte den Mann also nur in diesen Saal zu schaffen, um ihm die Illusion dieser vorgeschichtlichen Epoche vorzugaukeln. Die Psychopharmaka gewannen dadurch nur noch an Wirkung.« »Und wieso ist nun Ballard bei diesem Präparator?« »Als er Mylady vor seinem Haus aufsuchte, roch er nach Formalin«, schlußfolgerte der Butler. »Seinem Anzug entströmte ein geradezu aufdringlicher Geruch. Er muß meiner bescheidenen Ansicht nach gerade von Mr. Ballard gekommen sein.«
»Eine kühne Schlußfolgerung, Mr. Parker.« Agatha Simpson nickte trotz ihrer Worte beifällig. »Wissen Sie, ich habe die ganze Zeit über diesen Geruch in der Nase gehabt, wenn ich mich recht erinnere. Ich hätte Sie ohnehin darauf aufmerksam gemacht.« * Sie benutzten den Hintereingang zum Museum, obwohl die Tür verschlossen war. Parker setzte jedoch seinen Spezialschlüssel ein und brachte das relativ einfache Schloß dazu, sich freudig zu öffnen. Er ging voraus, dicht gefolgt von Agatha Simpson, deren Pompadour bereits intensiv pendelte. Intensiv war auch der Geruch nach Formalin, wie die ältere Dame nun deutlich wahrnahm. Man brauchte diesem Geruch nur zu folgen, um den richtigen Weg zu gehen. Vor einer Tür, die sich am Ende eines schmalen Korridors befand, blieb Butler Parker stehen. Er hatte vor, ein wenig zu lauschen, doch Lady Simpson hinderte ihn daran. Die strengen Gerüche hatten ihre Nasenschleimhäute empfindlich gereizt. Sie nieste explosionsartig, und diese Explosion wurde vom Echo im hohen Gang noch zusätzlich verstärkt. Parker mußte reagieren. Er warf sich gegen die Tür, die leider unverschlossen war. Dadurch geriet er ein wenig aus dem Gleichgewicht und landete auf dem Boden, was ihm ungemein peinlich war. Er entging aber dem Feuerstoß aus einer Maschinenpistole.
Die Geschosse schlugen dicht hinter ihm in die Wand des Korridors und ließen den Verputz abspringen. Noch vom Boden aus griff der Butler nach seiner Kopfbedeckung und benutzte sie als Diskus. Die schwarze Melone sirrte, aus dem Handgelenk heraus geworfen, mit erstaunlich hoher Grundgeschwindigkeit durch die Luft und landete auf der Nasenwurzel des Schützen. Parker tat jedoch noch mehr. Er hatte die Spitze seines UniversalRegenschirms auf einen etwa fünfzigjährigen Mann gerichtet, der hinter einem Arbeitstisch stand und seinen Revolver auf Agatha Simpson richtete. Der buntgefiederte Pfeil jagte in den Unterarm dieses Mannes, der zwar dennoch schoß, aber nicht mehr traf. Dann stierte dieser Mann auf den Pfeil, ließ sich zurückfallen und schrie auf. »Dann schrie er schon nicht mehr... Der Pompadour der Lady hatte ihn inzwischen erreicht und setzte sich auf seine Nase. Das im Pompadour befindliche Hufeisen wirkte augenblicklich. Der Mann fiel rücklings zu Boden und rührte sich vorerst nicht mehr. Ein dritter Mann stürzte aus einem Nebenraum und hielt eine Maschinenpistole im Anschlag. Bevor er die Waffe auf Lady Simpson oder Parker richten konnte, verschoß der Butler eine Tonmurmel mit seiner Gabelschleuder. Sie landete genau auf der Stirn des Mannes, der daraufhin keine Kraft mehr fand, seinen Zeigefinger zu krümmen. Er schlug gegen die Tür und fiel zu Boden. »Nicht... Nicht schießen, bitte«, war dann eine klägliche Stimme zu hören. »Ich.. . Ich bin unschuldig, ich habe mit allem nichts zu tun.«
»Kommen Sie ins Zimmer«, sagte der Butler, der inzwischen wieder aufgestanden war. Er hielt die Gabelschleuder schußbereit in Händen und ließ sie erst dann sinken, als ein vierter Mann erschien. Er trug einen weißen Arbeitskittel und machte einen unschuldigen Eindruck. »Wer sind Sie?«, fragte Parker höflich. »Norman Peppers«, lautete die Antwort, »ich mußte gehorchen, sonst hätte man mich umgebracht.« »Sie sind der Präparator des Museums?« »Norman Peppers«, wiederholte der Mann und nickte. »Ich kann alles erklären.« * »Erklären Sie«, forderte ChiefSuperintendent McWarden ihn auf. Er war von Butler Parker per Telefon ins Museum gerufen worden und hatte die drei Gangster bereits abführen lassen. Der Fünfzigjährige hatte sich als Lesley Ballard entpuppt, wie Parker es gleich vermutet hatte. »Sie haben die Leiche absichtlich in das Maul des Tyrannosaurus rex geschoben«, sagte Peppers eifrig. »Sie benutzten dazu die Arbeitsbühne drüben.« »Und warum dieser Aufwand?« wollte McWarden wissen. »Um die Polizei zu täuschen«, erwiderte Präparator Peppers. »Und dann sollten dadurch noch andere Leute in Angst und Schrecken gejagt werden, aber um welche Leute es sich handelt, habe ich nicht herausgehört.«
»Sie sind also völlig unschuldig?« fragte Josuah Parker höflich. »Ich wurde zu allem gezwungen, man hätte mich sonst umgebracht.« »Und wer sorgte für die schrecklichen Bißwunden am Körper der Leiche, die man im Maul der Sauriers fand?« »Die mußte ich herrichten«, räumte der Präparator ein. »Was hätte ich machen sollen? Bitte, sagen Sie mir, was hätte ich machen sollen!?« »Schon gut, das werde ich alles klären«, schaltete McWarden sich ein und nickte einem seiner begleitenden Beamten zu. »Nehmen Sie ihn mit ins Büro! Peppers muß noch gründlich verhört werden.« »Und Turpins«, erinnerte die ältere Dame. »Meine Leute sind bereits auf dem Weg zu ihm«, sagte der ChiefSuperintendent. »Auch er wird uns einige Fragen beantworten müssen. Immerhin hat er für Ballard gearbeitet, wenn auch über diesen Ray Bliss von den West India Docks.« »Sollte er mit einer Geldstrafe davonkommen, werde ich mich mit ihm befassen«, meinte die Detektivin grimmig, um dann aber unvermittelt zu lächeln. »Nun, McWarden, jetzt erst ist dieser Fall mit der Zeitmaschine gelöst, oder? Das müssen Sie doch zugeben.« »Das Glück war eben auf Ihrer Seite, Mylady«, sagte McWarden. »Das Können, liebster McWarden«, flötete Agatha Simpson. »Falls Sie wieder mal in Schwierigkeiten stecken, dann wenden Sie sich an mich. Vielleicht erübrige ich dann etwas Zeit und helfe Ihnen wieder aus der Patsche.«
Sie wandte sich um und rauschte hoheitsvoll aus dem Raum. Parker lüftete in Richtung McWarden die schwarze Melone und folgte seiner Herrin, die sich im Gewirr der Korridore ein wenig verirrte und dann ausgerechnet im Saal der Riesenechsen landete. Sie blieb vor dem Tyrannosaurus rex stehen, der nach wie vor sein schreckliches Gebiß bleckte und einfach furchterregend aussah. »Eigentlich sehr harmlos«, sagte sie abfällig, um dann aber einen erschreckten Laut auszustoßen, der an ein Quietschen erinnerte. »Mylady?« Parker schob sich vor. »Eine ... Eine Maus«, keuchte sie und schlang den weiten Tweed-Rock eng um ihre stämmigen Beine. »Wo, wenn ich fragen darf?« Parker hatte bereits seine Gabelschleuder in den schwarz behandschuhten Händen und schaute sich suchend um. »Dort oben«, sagte die Detektivin und wich zurück. »So tun Sie doch endlich was!« Der kleine Nager war kaum zu erkennen. Er saß zwischen den mächtigen nadelspitzen Zähnen des Sauriers und äugte auf Lady Simpson herunter. Parker, ein wahrer Tierfreund, strammte die Gummistränge der Zwille nur leicht an und schickte dann eine Tonmurmel hinauf in das Gebiß der Riesenechse, ohne genau auf die kleine Maus zu zielen. Gewarnt allein durch die Bewegung, zog die Maus sich tiefer ins Gebiß zurück und war nicht mehr zu sehen. »Schrecklich«, keuchte die ältere Dame. »Mein Kreislauf, Mr. Parker!« »Möchten Mylady sich hier erfrischen?«
»Guter Gott, nein!« Sie strebte hastig dem Ausgang zu. »Hier ist man ja seines Lebens nicht mehr sicher ...« Sie erholte sich erst wieder, als sie in Parkers hochbeinigem Monstrum saß und zwei Kognaks zu sich genommen hatte. Nun lehnte sie sich entspannt zurück. »Eigentlich ein ganz harmloser Fall«, stellte sie fest. »Ich habe mich fast geniert, ihn für McWarden zu lösen.« »Da wäre noch ein Problem, Mylady«, sagte Parker. »Im Gästezimmer des Hauses befinden sich noch zwei junge Männer, die sich inzwischen langweilen werden. « »Zwei junge Männer?« Die Hausherrin schien sie total vergessen zu haben. »Es handelt sich um die Mitarbeiter des Mr. Bliss, die Miß Porter auf einer Yamaha verfolgten und kidnappen wollten.« »Senden Sie sie an McWarden, Mr. Parker! Mit meinen besten Empfehlungen! Die Art der Übersendung ist Ihre Sache, solche Kleinigkeiten interessieren mich nicht.« »Wie Mylady wünschen.« Parker deutete eine Verbeugung an. »Und dann sorgen Sie für einen neuen Fall, Mr. Parker«, bat die ältere Dame sich aus. »Ich komme sonst aus der Übung.« »Mylady können sich auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen«, lautete die Antwort des Butlers. »Haben Mylady besondere Wünsche?« »Ich liebe Überraschungen«, erklärte sie. »Und wenn dieser Flegel da vor uns nicht endlich Platz macht, dann rammen Sie ihn gefälligst. Ich habe meine Zeit nicht gestohlen.«
Butler Parkers Gesicht wurde für Sekunden vom Anflug eines Lächelns überzogen, doch dann war er wieder
der korrekte, unpersönlich wirkende Butler, den nichts erschüttern konnte. Er rammte den Wagen übrigens nicht!
ENDE scan: crazy2001 @ 10/2011 corrected:santos22
Günter Dönges schrieb wieder einen neuen
Nr. 185
Parker knackt die Terror-Festung Der Butler traute seinen Augen nicht, als zweibeinige Falken seinen Weg kreuzten und sofort ungewöhnlich aggressiv wurden. Sie setzten es sich in den Kopf, ihn von der Bildfläche verschwinden zu lassen, doch sie ahnten nicht, daß sie es mit einem mehr als ungewöhnlichen Mann zu tun hatten. Zusammen mit Lady Agatha Simpson suchten und fanden sie weitere Todesfalken und leider auch deren Opfer, die nicht so geschickt gewesen waren wie er. Parker entdeckte die Terror-Festung irgendwo in Schottlands Einöden und kam hinter das Geheimnis dieser seltsamen Mörderburg, die natürlich anschließend raffiniert geknackt werden konnte. Daß dieses skurrile Duo Parker/Lady Agatha dadurch irgendwo in der Welt einen neuen Krieg verhinderte, erfuhren sie erst viel später, als das mörderische Abenteuer längst überstanden war. In der Neuauflage erscheint ©Butler Parker Nr. 153
Zarter Speck in scharfer Falle ebenfalls von Günter Dönges.