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PARKER macht das „Fallbeil“ stumpf Ein Roman von Günter Dönges Der Butler stand im Fahrstuhl, der ihn in die Tiefgarage des Warenhauses bringen sollte, und sah sich seinem Ebenbild gegenüber. Er hatte es, wie der kabinenbreite Spiegel ohne jede optische Verzerrung bewies, mit einem mittelgroßen Mann zu tun, dessen Gesicht glatt und beherrscht war. Sein Doppelgänger trug ebenfalls einen schwarzen Covercoat und eine schwarze Melone. Über dem angewinkelten Unterarm hing der offensichtlich schwere Bambusgriff eines enggerollten Regenschirmes. Parkers zweites Ich war eindeutig das Urbild eines englischen Butlers alter Schule. Gemessenheit, Würde und Autorität hätte man kaum besser präsentieren können. Josuah Parker, mit sich und seinem Ebenbild allein in der Fahrstuhlkabine, leistete sich den Luxus einer kurzfristigen Gefühlsregung und grüßte höflich. Dabei zeigte sein Pokergesicht für einen Augenblick sogar die Andeutung eines Lächelns. Wenig später verließ Parker den Fahrstuhl und schritt zielstrebig zu seinem Privatwagen, den er ganz in der Nähe hatte parken können. Dabei passierte er eine Stahltür, die überaus hastig aufgestoßen wurde. Ein Mann von etwa dreißig Jahren sprang ins Parkdeck und blieb heftig atmend vor dem Butler stehen. Die Hauptpersonen: Tony Halbert leitet 50.000 Pfund in falsche Hände. Joe Hazeltine arbeitet als Stellenvermittler für Kriminelle. Hank Willis verkauft spezielle Brathähnchen und Suppen. Dan Clappers fertigt Kautschuk-Masken für das Fernsehen. Glenn Forbiter sieht sich unter der Guillotine. Lady Agatha Simpson wirft mit Bratgut aller Art um sich. Butter Parker läßt das Fallbeil sausen…
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»Verdammt, warum so eilig?« keuchte der junge Mann. »Haben Sie mich nicht gesehen? Ich habe doch gewinkt.« »Könnte es sein, daß Sie einer Verwechslung unterliegen?« erkundigte sich der Butler in bekannter Höflichkeit. »Hier, nehmen Sie schon!« drängte der Dreißigjährige in einer Mischung aus Ungeduld und Angst. Während seiner Aufforderung hob er eine mittelgroße blaue Reisetasche aus Nylon an, die halb gefüllt sein mochte. Er wartete darauf, daß Parker diese Tasche in Empfang nahm. »Sie meinen tatsächlich meine bescheidene Wenigkeit?« vergewisserte sich der Butler. »Wer denn sonst?« lautete die hastige Antwort. »Nun nehmen Sie schon, ich will weg… Für mich ist die Sache damit erledigt.« »Eine Floskel, die nicht völlig unbekannt ist«, stellte Josuah Parker fest. »Wenn Sie denn darauf bestehen… Man kann Sie wo erreichen?« »Das weiß Ihr Boß, Mann«, hörte der Butler. Der Mann kann war sichtlich erleichtert als Parker die Tasche ergriff, nickte flüchtig und rannte auf seinen Tennisschuhen eiligst in die Garage. Josuah Parker, an ungewöhnliche Dinge gewöhnt, trug die Tasche erst mal ungeöffnet zu seinem Wagen, stellte sie dort ab und zog den Reißverschluß auf. Vom Gewicht her wußte er bereits, daß er es kaum mit einer Sprengladung zu tun hatte. Als er einen ersten Blick auf den Inhalt warf, wurde ihm klar, daß hier eine folgenschwere Verwechslung vorlag. Er blickte auf Banknotenbündel, die hohe Pfundbeträge ausmachten. Der Dreißigjährige, der wohl als Zwischenträger fungiert hatte, war einem Irrtum erlegen. Wann mochte ihm aufgehen, wie sehr er sich vertan hatte? Parker öffnete den Kofferraum seines hochbeinigen Monstrums, das früher mal als Taxi seine Dienste getan hatte. Der schwarzlackierte Wagen mit der typischen Silhouette war von seinem Besitzer auf den neuesten Stand der Technik gebracht worden und galt unter Eingeweihten als eine Art Trickkiste auf Rädern. Ein Motor, der in einen Rennwagen paßte, sorgte für atemberaubende Beschleunigung, falls Parker sie brauchte. Der Butler hatte den Kofferraum gerade geschlossen, als kurz nacheinander eine der drei Fahrstuhlkabinen zwei Personen entließ, die eindeutig nervös und hektisch schienen. Die beiden Männer, um die fünfundzwanzig Jahre alt, verständig3
ten sich durch knappe Zurufe, die der Butler jedoch nicht verstand. Die Hektischen trennten sich schließlich und liefen in die Tiefe des Parkdecks. Sie suchten offensichtlich nach einer ganz bestimmten Person und übersahen Parker, der hinter seinem hochbeinigen Gefährt in Deckung gegangen war. »Verdammt, wo ist dieser Idiot?« fragte einer der beiden Männer jetzt halblaut und gereizt. Er war zurückgekommen und wartete auf seinen Begleiter, der hinter einer Reihe geparkter Wagen lauerte. »Der hat sich abgesetzt und ist mit der Tasche getürmt«, lautete die Antwort. »Der müßte längst hier sein.« Parker hütete sich, in Erscheinung zu treten und eine Erklärung abzugeben, zumal die bewußte Stahltür zur Treppe sich erneut öffnete und ein Mahn erschien, der einen schwarzen Mantel und einen Bowler trug, sonst aber nur sehr oberflächlich an einen Butler erinnerte. * Der neu Hinzugekommene war sehr nervös und erkundigte sich bei den Fünfundzwanzigjährigen nach einem gewissen Halbert. »Der muß noch hier unten sein«, fügte der Mann im Schwarzmantel hinzu. »Wir sind doch verabredet, zum Henker!« »Moment mal, da fällt mir was ein«, sagte einer der beiden Fünfundzwanzigjährigen und machte einen elektrisierten Eindruck. »War da oben im Warenhaus nicht so was wie ‘n Butler?« »Selbst wenn? Und was willst du damit sagen?« fragte sein Partner. »Halbert hat dich verwechselt«, behauptete der Elektrisierte jetzt und deutete auf den Schwarzmanteligen. »Du siehst ja immerhin fast wie dieser Butlertyp aus, oder?« »Ich soll wie ein Butler aussehen?« Der Mann blickte an sich hinunter und machte dann ein skeptisches Gesicht. »Verdammt, dazu gehört aber ‘ne große Portion Dusseligkeit.« »Dieser Idiot hat die Tasche ‘nem falschen Mann in die Hand gedrückt«, taxierte der Wortführer. »Los, wir müssen den Typ finden, sonst gibt’s Ärger mit Hazeltine.« Jetzt schwärmten sogar drei Männer aus und riefen hin und wieder nach Halbert, vermieden aber jede unnötige Lautstärke. Par4
ker war längst klar, daß die drei Männer jedes Aufsehen vermeiden wollten. Die geplante Geldübergabe war sicher kaum legal vorbereitet worden. »Wir gehen rüber zur Ausfahrt«, sagte einer der Fünfundzwanzigjährigen zum Mantelträger, der in der Nähe der Stahltür geblieben war. »Kann ja sein, daß er sich da oben aufgebaut hat.« »Und ich werde wieder rauf ins Warenhaus gehen«, kam die Gegenantwort. »Falls Halbert noch mal aufkreuzt, muß er mich sehen.« Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die beiden Männer im Halbdunkeln des Parkdecks verschwunden waren. Der Butler hatte inzwischen längst seine Gabelschleuder hervorgeholt und sie mit einer hart gebrannten Ton-Erbse »geladen.« Diese Schleuder war eine Weiterentwicklung jener Y-förmigen Steinschleuder, wie sie von Jungen in aller Welt nach wie vor aus kleinen Astgabeln geschnitzt werden. Starke Gummistränge sorgten dafür, daß Parkers Spezialgeschosse über erstaunliche Distanzen gebracht wurden. Als Meister in der Handhabung dieser Schleuder vermied es der Butler stets, gesundheitliche Schäden zu verursachen. Ihm ging es ausschließlich darum, gewisse Personen für eine kurze Zeit auszuschalten. Der Mantelträger zuckte wie unter einem unsichtbaren Peitschenhieb zusammen, als er von der bewußten Ton-Erbse im Nacken erwischt wurde. Er verlor für einen Moment die Übersicht, gab sich einer kleinen Schwäche in den Knien hin und blickte Josuah Parker aus großen Augen an. »Darf man sich erlauben, Ihnen eine hilfreiche Hand anzubieten?« erkundigte sich Parker. Er hatte die Schleuder längst weggesteckt und reichte dem Mantelträger seine rechte, schwarzbehandschuhte Hand. Bevor der Mann reagieren konnte, hatte der Butler ihn bereits hochgezogen und führte dann den unsicher Gehenden hinüber zu seinem hochbeinigen Gefährt. »Sie werden sich gleich ausgesprochen wohl fühlen«, prophezeite Parker, als er den hinteren Wagenschlag öffnete, um den Mantelträger auf den Rücksitz zu drücken. Danach schloß er die Tür, setzte sich ans Steuer und verließ den Stellplatz. In langsamer Fahrt rollte er dem Ausgang zu und entdeckte bereits von weitem die beiden jungen Männer. Sie hatten sich links und rechts vom Schlagbaum aufgebaut und reagierten überhaupt nicht, als Parker die Kontrollmünze in den kleinen Schacht warf. 5
Der Schlagbaum hob sich, und der Butler zog höflich die schwarze Melone. Erst jetzt schien den beiden Wartenden ein Licht aufzugehen. Sie gingen aufeinander zu, wie Parker im Rückspiegel genau beobachten konnte, verständigten sich offensichtlich und liefen dann hinter dem hochbeinigen Gefährt her. Josuah Parker ließ seine »Trickkiste auf Rädern« absichtlich nur langsam weiterrollen. Er wollte, daß die Männer sich das Kennzeichen einprägten. Nach einigen Sekunden gab er allerdings Gas und ließ das ehemalige Taxi förmlich katapultieren. Wenig später bog er um eine Ecke und war außerhalb der Sichtweite der beiden jungen Männer. »Kann man inzwischen davon ausgehen, daß Sie sich bereits wesentlich besser fühlen?« fragte Parker über die im Wagen eingebaute Sprechanlage nach hinten in den Fond. »Sofort anhalten!« verlangte der Mantelträger und hob die rechte Hand. In ihr lag das Griffstück einer Faustfeuerwaffe. Es handelte sich um eine Automatic, deren Lauf auf Parkers Hinterkopf gerichtet war. »Halten Sie sofort an, sonst drücke ich ab!« * »Haben Sie mich nicht verstanden? Sofort anhalten, sonst drücke ich ab!« drohte der Mitfahrer erneut und wider Willen wütend. »Glauben Sie ja nicht, daß ich nur bluffe.« »Sie haben es, wie der Augenschein lehrt, mit einer Trennscheibe zwischen den Vorder- und Rücksitzen zu tun«, machte der Butler deutlich. Seine Stimme klang höflich und verzichtete auf jede Lautstärke. »Die Scheibe laß ich glatt platzen, Mann«, lautete die nächste Drohung. »Noch mal: Sofort anhalten!« »Sie haben es mit schußsicherem Panzerglas zu tun«, erläuterte der Butler, ohne den Kopf auch nur andeutungsweise herumzunehmen. »Es steht Ihnen selbstverständlich völlig frei, dies zu testen.« »Schußsicheres Panzerglas?« Der Mitfahrer ließ die Waffe sinken. »In der Tat«, antwortete der Butler. »Sie sollten darüber hinaus wissen, daß die hinteren Wagentüren zentral geschlossen wurden. Ein Aussteigen ist Ihnen somit unmöglich.« 6
»Sie bluffen doch nur!« Der Fremde wollte nun eine Gelegenheit nutzen, die sich ihm bot. Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum an einer Ampel anhalten müssen. Der Mitfahrer faßte umgehend an den Türgriff und drückte ihn energisch, doch die Tür rührte sich nicht, obwohl der Mann sich mit viel Körpergewicht dagegen warf. »Was zu beweisen war«, ließ der Butler sich vernehmen. »Sie sollten vielleicht doch noch die Trennscheibe prüfen.« »Wer, zum Henker, sind Sie eigentlich?« »Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor. »Meine bescheidene Wenigkeit hat die Ehre, Lady Simpson als Butler dienen zu dürfen.« »Sie… Sie sind doch niemals ein Butler«, erklärte der Mann im Fond des Wagens. »Sie sind ein ganz ausgebuffter Hund… Für wen arbeiten Sie – ehrlich?« »Auf keinen Fäll für einen gewissen Mister Hazeltine«, meinte Parker und benutzte jenen Namen, den er in der Tiefgarage gehört hatte. »Haben Sie die Tasche abgezweigt?« wollte der Mitfahrer wissen. Er ging auf den Namen Hazeltine nicht ein. »Sie wurde meiner Wenigkeit förmlich aufgedrängt«, lieferte der Butler die Erklärung. »Jetzt hören Sie mal ganz genau zu«, schickte der Mitfahrer voraus. »Noch haben Sie die Chance, mit heiler Haut aus dem Schlamassel rauszukommen. Sie geben mir die Tasche, lassen mich aussteigen und sind aus dem Schneider.« »Der Inhalt der Reisetasche muß einen beträchtlichen Wert darstellen«, erwiderte Parker. »Sie haben reingepeilt?« »Aus einer verständlichen Neugier«, gestand Parker. »Der Anblick der Banknotenbündel ist durchaus geeignet, moralische Grundsätze ins Wanken zu bringen.« »Sie wissen nicht, was ‘ne Hetzjagd ist, Mann«, unterstellte der unfreiwillige Mitfahrer. »Sie hätten kaum Zeit, den ganzen Zaster auszugeben.« »Wie, wenn man fragen darf, sollte man meine Wenigkeit aufspüren?« fragte der Butler. »Na ja, irgendwann werden Sie mich ja wohl mal rauslassen müssen«, meinte der Mitfahrer optimistisch. »Was wäre der Mensch ohne seine Illusionen und Hoffnungen«, 7
gab Josuah Parker zurück. »Was… was wollen Sie damit sagen?« Der Mann hüstelte ein wenig. »Ersparen Sie meiner Wenigkeit und sich die Antwort«, bat der Butler. »Sie könnten sonst womöglich die Nerven verlieren.« * »Ich hoffe doch sehr, daß er sie verlor, Mister Parker«, sagte Lady Agatha Simpson. Parker hielt sich zusammen mit ihr in der großen Wohnhalle ihres Hauses in Shepherd’s Market auf und servierte ihr den Fünfuhrtee und einiges Gebäck. Lady Agatha war eine imponierende Erscheinung und hatte das sechzigste Lebensjahr mit Sicherheit überschritten. Sie war groß, füllig und erinnerte, was ihre Silhouette betraf, an eine Walküre aus einer ganz bestimmten Wagner-Oper. Die ältere Dame, deren Stimme baritonal klang, war seit vielen Jahren Witwe, überaus vermögend und beschäftigte sich in ihrer reichlich bemessenen Freizeit mit der Aufklärung von Kriminalfällen. Sie hielt sich für eine einmalig begabte Detektivin und zeichnete sich in allen Lagen des Lebens durch ungenierte Direktheit aus. Vielleicht war es das, was selbst hartgesottene Gangster immer wieder verblüffte. Sie vermuteten offensichtlich hinter dieser Direktheit raffinierte Tricks. Der Butler hatte stets alle Hände voll zu tun, um Mylady vor Schaden zu bewahren. Er besorgte dies mit Höflichkeit und Diskretion. Da er in den Künsten der Selbstverteidigung ungemein beschlagen war, brachte er die Gegner immer wieder blitzschnell aus dem Konzept. Parker hatte seiner Herrin Berichte von dem Vorfall erstattet und zeigte ihr die gutgefüllte Reisetasche. Der Anblick der Banknotenbündel brachte Mylady ein wenig aus der Fassung. Obwohl wirklich reich, galt sie als eine sehr sparsame Frau, die jeden Penny mehrfach umdrehte, bevor sie zahlte. Spötter hielten Lady Agatha so geizig wie drei bis vier supertypische Schotten. »Ich werde das schmutzige Geld erst mal in Verwahrung nehmen und sicherstellen«, kündigte sie an. »Wahrscheinlich stammt es aus irgendeiner Erpressung oder einem Einbruch.« »Eine solche Möglichkeit ist in der Tat nicht unbedingt von der 8
Hand zu weisen«, antwortete der Butler. »Wie schön, daß man Sie verwechselt hat«, freute sich die ältere Dame. »Eine Verwechslung, Mylady, wie aus einem entsprechenden Drehbuch«, meinte Parker. »Darüber hinaus darf und sollte man daran erinnern, daß es bereits in der Vergangenheit zu solchen Irrtümern kam, was das Aussehen meiner bescheidenen Wenigkeit betrifft.« »Ich habe nichts dagegen, daß es so bleibt«, stellte Agatha Simpson fest. »Und wo steckt jetzt dieses Subjekt, daß Sie erschießen wollte?« »Man bot der Person ein befristetes Gastrecht an, Mylady«, lieferte Parker die Erklärung. »Sie hält sich zur Zeit in einem der speziellen Gastzimmer auf und wird noch einige Zeit benötigen, um aus der Benommenheit zu erwachen.« Parker spielte darauf an, daß er den Mitfahrer mit einer kleinen Dosis Lachgas schon im Wagen außer Gefecht gesetzt hatte. Der abgeschottete Fond des hochbeinigen Monstrums, wie sein Wagen spöttisch von Freund und Feind genannt wurde, ließ solch spezielle Behandlung widerspenstiger Mitfahrer durchaus zu. »Und ich weiß bereits, wer dieses Individuum ist, mit dem mein Gast gedroht hat?« Lady Agatha hatte längst das Angebot an Gebäck in Augenschein genommen und entschied sich zunächst für kleine Törtchen, die mit Stachelbeeren und Johannisbeeren belegt waren. Sahnehäubchen sorgten für einen hübschen farblichen Abschluß. »Mylady sprechen eindeutig von einem gewissen Mister Hazeltine«, entgegnete der Butler. »Mister Hazeltine betreibt im Stadtteil Shadwell eine private Stellenvermittlung.« »Er ist in der Szene bekannt, Mister Parker?« »Überaus, Mylady«, fuhr Parker fort. Er hatte längst seine Beziehungen spielen lassen. »Mister Hazeltine gilt in einschlägigen Kreisen als ein hartgesottener Geldeintreiber, dessen Boten sich durch Brutalität auszeichnen. Mister Hazeltine konnte es bisher vermeiden, von den zuständigen Behörden zur Rechenschaft gezogen zu werden.« »Das werde ich ändern, Mister Parker«, kündigte die Hausherrin energisch an. »Daran auch nur zweifeln zu wollen, Mylady, käme einem Sakrileg gleich«, behauptete der Butler. »Mylady haben die Absicht, 9
sich nach dem Träger der Geldtasche zu erkundigen?« »Selbstverständlich«, meinte Agatha Simpson und nickte nachdrücklich. »Ich wußte doch, daß es da noch eine weitere Person gibt, Mister Parker.« »Ein gewisser Mister Halbert steht zur Disposition, Mylady«, erläuterte der Butler. »So wenigstens wurde der Träger der Reisetasche gerufen. Seine Identität konnte bisher noch nicht ermittelt werden. Myladys momentaner Gast befindet sich zur Zeit im Tiefschlaf.« »Nun, Mister Parker, dann werde ich jetzt die Initiative ergreifen«, kündigte sie munter an. »Nach dem Tee werde ich diesen Stellenvermittler aufsuchen und ihm einige Fragen stellen.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker verbeugte sich knapp und nahm dabei einen hohen, das Trommelfell alarmierenden Piepton zur Kenntnis. Er wußte, daß zumindest ein Besucher an der Durchgangsstraße das Grundstück Myladys betreten hatte. Er ahnte, daß man Fragen nach dem Verbleib der Reisetasche stellen würde. * Der Mann vor der Tür des Hauses machte einen halbamtlichen Eindruck. Er mochte fünfundzwanzig sein, war mittelgroß, schlank und trug zu seinen ausgebeulten Jeanshosen eine ärmellose und fellgefütterte Lederweste. Auf ihr gab es einige knallbunte Aufkleber, die mit Werbeaufschriften versehen waren. Daraus ging hervor, daß man es mit einem Boten der »Expreß-Agentur« zu tun hatte. Der Bote hatte sein Motorrad vor dem überdachten Eingang abgestellt und nestelte an seiner Segeltuchtasche, um dann ein wenig umständlich einen offensichtlich gefütterten Brief hervorzuholen. Dies alles beobachtete Parker von der Wohnhalle aus und zwar auf dem Umweg über den Bildschirm eines Kontrollmonitors. Unter dem Spitzdach des vorgebauten Eingangs war eine Fernsehkamera unauffällig installiert. Sie registrierte jede Bewegung des Expreßboten, der wohl mit Sicherheit keiner war, wie Parker unterstellte. Dennoch begab sich der Butler vom Kamin der Wohnhalle hinüber zum verglasten Vorflur, öffnete die schwere 10
Haustür mit der Fernbedienung in seiner Hand und blickte den Boten, der vorsichtig eintrat, abwartend und höflich an. »Ich… ich hab’ da ‘nen Brief für Sie«, sagte der junge Mann und schaltete auf gespielte Eile um. »Sie müssen hier unterschreiben.« »Dieser Brief ist für wen?« wollte der Butler wissen. »Für einen Mister Josuah Parker«, verhieß die Antwort, die trotz der geschlossenen Glastür zum Vorflur sehr gut zu verstehen war. Es gab eine hervorragende Wechselsprechanlage. Der Butler nickte und provozierte den angeblichen Expreßboten, öffnete die schwere Glastür spaltbreit und regte den jungen Mann auf diese Weise an, tätig zu werden. Der Bote zog jetzt schnell eine schallgedämpfte Waffe in Form einer Automatic aus der Segeltuchtasche und richtete den Lauf auf den Butler, der seinerseits nicht weniger schnell die Tür wieder in den Glasrahmen zurückdrückte. Der junge Mann warf sich mit vollem Körpergewicht gegen die Glastür, die allerdings unerschütterlich blieb. Sie rührte sich um keinen Millimeter. »Aufmachen, sonst kracht’s!« Der Bote, der sich selbst als Krimineller entlarvt hatte, richtete den Lauf auf den Butler und fühlte sich durchaus als Herr der Situation. Er sah nur Glas vor sich und stellte sich überhaupt nicht vor, wie hindernd dieser Werkstoff sein konnte. »Es steht Ihnen selbstverständlich frei, einen Schuß zu lösen«, schickte Josuah Parker voraus. »Aber Sie sollten dann mit einem unberechenbaren Querschläger rechnen. Sie haben es mit schußsicherem Panzerglas zu tun.« Der Bote ließ sich auf keine Diskussion ein und wollte schleunigst verschwinden. Er wandte sich auf dem Absatz um und lief zurück zur eigentlichen Haustür, die sich allerdings zu seiner Überraschung inzwischen lautlos geschlossen hatte. »Lassen Sie mich raus«, forderte der Pseudo-Expreßbote wütend und laut. »Los, machen Sie schon.« Danach setzte er auf seinen durchtrainierten Körper und warf sich nach einem Anlauf gegen die innere Glastür. Man hörte das Stöhnen des jungen Sportlers, als er von der Tür förmlich zurückprellte und auf die Knie fiel. Anschließend massierte er sich vorsichtig und unter Stöhnen die gestauchte Schulter. »Schicken Sie dieses Individuum in den Kanalbrunnen«, ließ Lady 11
Agatha sich vernehmen. Sie hatte sich seitlich hinter ihrem Butler aufgebaut, hielt einen Unterteller samt Teetasse in der linken Hand und knabberte an einem Gebäckstück. »Mylady wünschen tatsächlich…?« Parker wandte sich halb zu seiner Herrin um. »Weg mit Schaden«, redete sie weiter und nahm einen Schluck aus der Tasse. »Mylady wissen, daß der Besucher dann mit größter Sicherheit unauffindbar bleiben wird«, warnte der Butler, während er die Fernbedienung in seiner linken Hand zeigte. »Natürlich weiß ich das«, erwiderte Lady Agatha. »Aber ich sollte schließlich ermordet werden, nicht wahr? Was das betrifft, Mister Parker, bin ich sehr nachtragend.« »Wie Mylady zu befehlen geruhen.« Parker drückte zwei Tasten gleichzeitig und hörte dann den geradezu entsetzten Aufschrei des Boten. * Hazeltine war etwa vierzig Jahre alt, groß, massig und hatte ein gerötetes Gesicht, in dem kleine, mißtrauische Augen nisteten. Er trug einen teuren, blauen Anzug, zeigte eine Rolex am Handgelenk und zusätzlich einige Kettchen und Ringe. Er blickte Lady Simpson konsterniert an. Sie hatte ihre beeindruckende Fülle gerade in das Privatbüro des Stellenvermittlers geschoben und sich vor dem Schreibtisch aufgebaut. Hazeltine fühlte sich eindeutig gestört. Er hatte ein tragbares Fernsehgerät eingeschaltet und schaute sich die Übertragung eines Fußballspiels an. »Verdammt, wie kommen Sie hier rein?« fuhr er Mylady an. »Ich hab’ zu tun, das sehen Sie doch. Scheren Sie sich raus, und melden Sie sich erst mal bei meinen Mitarbeitern an.« »Ihre beiden Mitarbeiter sind nicht ansprechbar, mein Bester«, antwortete Agatha Simpson. Sie hatte ihren kleinen, perlenbestickten Pompadour bereits in erste Schwingungen versetzt. In dem so harmlos aussehenden Handbeutel, der an langen Schnüren an ihrem linken Handgelenk hing, befand sich Myladys sogenannter Glücksbringer, nämlich ein veritables Hufeisen, das von einem Brauereipferd stammte. 12
»Nicht ansprechbar?« Joe Hazeltine, wie er mit vollem Namen hieß, blickte die ältere Dame irritiert an. »Was soll das heißen?« »Ich habe den beiden Lümmeln Manieren beigebracht«, führte Lady Agatha weiter aus. »Sie wurden ausgesprochen rüde.« »Sie haben den beiden Leuten Manieren beigebracht?« staunte Joe Hazeltine und schob sich mit seinem Sessel von der Tischkante weg. »Reden Sie doch keinen Unsinn.« »Wenn Sie erlauben, Mister Hazeltine, möchte meine Wenigkeit Myladys Worte bestätigen«, ließ Parker sich in diesem Moment von der Tür her vernehmen. »Die beiden Herren im Vorraum wurden mit einer sogenannten pädagogischen Spezialmaßnahme bedacht.« »Habt ihr noch alle Tassen im Schrank?« Hazeltine sprang hoch und kam drohend um den Tisch herum. Er hatte die Absicht, sich mit der älteren Dame anzulegen und hielt auf sie zu. Mylady ließ ihren Pompadour hochfliegen und danach einen Viertelkreis nach unten beschreiben. Der »Glücksbringer« landete auf dem rechten Schlüsselbein des Näherkommenden, der umgehend in den Knien einknickte und mit den Händen Bodenkontakt suchte. »Sie wollen sich an einer hilflosen Frau vergreifen, Sie Lümmel?« fuhr Lady Simpson ihn an. Ihre Stimme glich einem Donnergrollen. »Sind… sind Sie wahnsinnig?« stöhnte Hazeltine und drückte sich mühsam wieder hoch. Dann zog er sich in Richtung Schreibtisch zurück und wollte dort nach Parkers Einschätzung wohl nach einer Waffe suchen. Als Hazeltine seine linke, im Augenblick noch brauchbare Hand in eine Seitenlade führen wollte, legte Parker den Bambusgriff seines Schirmes auf die Schulter des Stellenvermittlers. Dieser Schirmgriff war mit Blei ausgegossen und sorgte für Wirkung. Hazeltine ging erneut in die Knie und beklagte anschließend erst mal sein Schicksal, um dann auf die diversen Mißverständnisse einzugehen, die er erkannt haben wollte. »Nun reißen Sie sich gefälligst zusammen, junger Mann«, herrschte Lady Simpson ihn umgehend an, »und stecken Sie nicht sofort auf. Ich gebe Ihnen eine weitere Chance, mich zu attackieren.« Hazeltine schluchzte und glich so gar nicht jenem Kriminellen, den man Butler Parker geschildert hatte. 13
* »Ich hab’ keine Ahnung, wer dieser Halbert ist«, behauptete Hazeltine, nachdem er sich ein wenig von seinem Schock erholt hatte. Er saß schlaff in seinem Schreibtischsessel und blickte hin und wieder auf seine Mitarbeiter, die Parker in das Privatbüro geholt hatte. Sie trugen Einwegfesseln aus Plastikstreifen an ihren Handgelenken und machten einen kleinlauten Eindruck. Sie hatten auf dem Teppichboden Platz genommen und wichen den Blicken ihres Arbeitgebers immer wieder aus. »Ihre Angestellten, die in einer Tiefgarage nach einer Reisetasche fahndeten, nannten wiederholt diesen Namen«, erinnerte Josuah Parker. »Meine Wenigkeit möchte Ihnen, Mister Hazeltine, dringend anraten, Ihr Gedächtnis zu aktivieren.« »Sonst werde ich nämlich gern ein wenig nachhelfen, junger Mann«, ließ Agatha Simpson sich freudig vernehmen. »Ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit Akupunktur.« »Mylady sucht nach Nervenkreuzungen, die, angeregt und richtig getroffen, die Wahrheitsliebe fördern sollen«, übersetzte der Butler. »Mylady war in jüngster Vergangenheit schon wiederholt erfolgreich.« »Nicht immer«, schränkte die ältere Dame selbstkritisch ein, »aber die Trefferquote wächst.« Bei dieser Feststellung zog die passionierte Detektivin eine der Hutnadeln aus dem phantasievollen Gebilde einer kreativen Putzmacherin und zeigte sie dem Kriminellen. Hazeltine schluckte unwillkürlich, als er den kleinen Bratspieß sah. Anders war diese Hutnadel kaum zu bezeichnen. Mylady prüfte die Spitze der Nadel überaus vorsichtig mit dem linken Mittelfinger und nickte zufrieden. »Wollen Sie damit etwa zustechen?« fragte Hazeltine aufgeregt. »Zustechen dürfte auf keinen Fall die richtige Bezeichnung für den geplanten Vorgang sein«, korrigierte der Butler. »Mylady dürfte, wie bereits gesagt, Nervenkreuzpunkte aktivieren und dabei natürlich ein wenig die Epidermis durchbrechen.« »Wollen Sie mich etwa abschlachten?« keuchte der Stellenvermittler. 14
»Nur die Wahrheit erforschen«, beruhigte Parker den Mann. »Was sagen Sie zum Beispiel zu dem Expreßboten, den Sie in Myladys Haus geschickt haben?« »Antworten Sie nur ja nicht, mein Bester«, bat Mylady umgehend. »Ich möchte vorher akupunktieren.« »Natürlich antworte ich«, gab Hazeltine hastig zurück. »Ich laß mich doch nicht durchlöchern! Dieser Mann ist von mir vermittelt worden, gebe ich ohne weiteres zu. Auch die anderen Typen, von denen Sie gesprochen haben.« »Sie beziehen sich jetzt eindeutig auf zwei etwa Fünfundzwanzigjährige, Mister Hazeltine«, fuhr Parker fort. »Darüber hinaus hatte man es noch mit einem Mantelträger zu tun, der übrigens auf Sie verwies.« »Das ist Manners, dieses Dreckstück«, regte sich Hazeltine auf. »Der also hat mir den ganzen Ärger eingebrockt, wie?« »Sie vermitteln auch ihn?« »Natürlich, wie alle anderen auch«, behauptete der Gangster. »Ich hab’ die ganze Crew zu Willis geschickt. Der hatte nämlich angerufen, weil er ein paar handfeste Leute brauchte. Um was es aber ging, weiß ich wirklich nicht. Um so was kann ich mich nicht kümmern.« »Mister Willis ist wer, Mister Hazeltine?« wollte der Butler wissen. »Könnten Sie sich freundlicherweise dazu ein wenig näher äußern?« »Hank Willis hat in Soho ‘ne Hähnchen-Braterei«, lautete die verblüffende Antwort. »Willis braucht immer wieder mal Leute, die für ihn ausfahren.« »Sie sprechen jetzt offensichtlich von Brathähnchen«, meinte der Butler. »Genau«, bestätigte der Kriminelle und nickte. »Willis hat einen tollen Laden und betreibt auch Filialen im Osten der Stadt.« »Mister Al Manners ist einer seiner bevorzugten Aushilfen?« »Ich weiß es nicht«, erfolgte die Antwort. »Ich habe ihn allerdings schon einige Male an Willis vermittelt, der scheint Manners zu mögen.« »Das geht mir alles viel zu schnell«, tadelte die ältere Dame und ließ ihre Stimme grollen. »Ich wollte immerhin ein Experiment machen, Mister Parker.« »Vielleicht kann Mister Hazeltine sich dazu durchringen, jetzt ein wenig zu lügen«, erwiderte Josuah Parker und wandte sich wieder 15
dem Stellenvermittler zu. »Man sollte doch noch mal auf Mister Halbert zurückkommen.« »Fragen Sie doch Willis oder Manners«, reagierte Hazeltine hastig. »Und wenn Sie mich abstechen, ich weiß wirklich nicht mehr.« »Mylady wünschen eine Probe auf das sprichwörtliche Exempel?« erkundigte sich der Butler. »Später, Mister Parker«, entgegnete die Detektivin. »Der Hinweis auf die Brathähnchen hat in mir einen Heißhunger ausgelöst. Ich werde mir diese Braterei sofort ansehen.« »Myladys Entschluß ist nur als ungemein glücklich zu bezeichnen«, lautete Parkers Antwort. »Aber vorher sollte man die drei Herren hier ein wenig nachdrücklicher daran hindern, sich zu rühren.« Josuah Parker griff in eine seiner vielen Westentaschen und holte einen kleinen Taschenzerstäuber hervor, der kaum größer war als die Hülse eines Lippenstifts. Der Butler sorgte dafür, daß die drei Männer mit einer kleinen Dosis seines speziellen Lachgases bedacht wurden. * »Das duftet ja umwerfend«, stellte Agatha Simpson nach einer halben Stunde fest. Sie hatte im Stadtteil Soho gerade Parkers hochbeiniges Gefährt verlassen und schnupperte. Nachdem sie Witterung aufgenommen hatte, setzte sie ihre majestätische Fülle in Bewegung und marschierte energisch auf ein Eckrestaurant zu, in dem die Hähnchen-Braterei untergebracht war. In einem der bis zum Boden reichenden Schaufenster rotierten sechs Reihen von Brathähnchen vor einer beheizten Reflektorwand. Durch das weit geöffnete Oberlicht des Schaufensters drangen die berauschenden Düfte nach außen auf die Straße. Durch ein zweites Schaufenster konnte man in das Innere des Restaurants blicken. Plastik war vorherrschend, Tische und Stühle festgeschraubt am Boden. Parker zählte rund zwei Dutzend Gäste, die sich an dem Geflügel gütlich taten. »Ich werde teilnehmen, Mister Parker«, kündigte die ältere Dame an. Sie stand vor den rotierenden Hähnchen und lächelte verson16
nen. »Nur eine Kleinigkeit.« »Mylady könnten nichts Fettfreieres und Gesünderes essen.« »Ich werde immer etwas für meine Gesundheit tun«, lobte sie sich im vorhinein. »Sie, Mister Parker, können ja inzwischen Kontakt mit dem Brater aufnehmen. Ich werde rechtzeitig zur Stelle sein.« »Myladys Wunsch wird meiner Wenigkeit Befehl sein«, gab der Butler zurück. Er war einen halben Schritt vorausgegangen und öffnete die Tür. Anschließend geleitete er Mylady in eine Nische in der Nähe der Salattheke. »Mister Willis erwartet meine bescheidene Wenigkeit«, sagte er wenig später zu einem breitschultrigen Mann, der offenbar ohne jede erkennbare Aufgabe auf einem Stuhl neben einer Tür saß. »Zu Mister Willis?« fragte der Breitschultrige und stand langsam auf. »Sie sind angemeldet?« »Wenn Sie sich freundlicherweise davon überzeugen wollen?« Parker öffnete die linke, schwarzbehandschuhte Hand und… bedachte den verdutzten Mann mit einer Dosis aus dem Sprühfläschchen. Diesmal benutzte er jedoch einen zweiten Zerstäuber, der ein Chloralhydrat enthielt. Es wirkte ungemein schnell. Der Mann schnappte nach Luft, wischte sich mit bereits fahriger Geste über das Gesicht, auf dem ein feuchter Film lag, verdrehte die Augen und wollte dennoch im letzten Moment die Waffe ziehen, doch dazu reichten seine Kräfte nicht mehr aus. Parker entwaffnete ihn sicherheitshalber, zupfte eine Automatic aus der Schulterhalfter und ließ sie in der rechten Tasche seines schwarzen Covercoats verschwinden. Dann öffnete er die bisher bewachte Tür und betrat einen schmalen Gang, auf den einige Türen mündeten. »Zu Mister Willis«, sagte er zu einem jungen Mann, der aus einer Tür kam und ihn überrascht anblickte. »Die Wache hat mich hereingeschickt, wie Sie unschwer bereits festgestellt haben dürften.« »Ja, dann…« Der Angestellte deutete auf eine Tür am Ende des Korridors. »Sie haben Glück, der Chef ist eben aufgekreuzt.« »Überaus verbindlichsten Dank.« Parker deutete eine Verbeugung an und schritt gemessen und würdevoll weiter. Dann trat er ein, ohne anzuklopfen. Der Hähnchenbrater war um die Vierzig, schlank, sportlich und 17
machte einen sympathischen Eindruck. Er stand vor einem Aktenbock und kramte in einem geöffneten Koffer. »Wer, zum Henker, sind denn Sie?« fragte der Mann in einer Art und Weise, die Parker bereits vermutet hatte. Der Brater war irritiert, er konnte sich das Auftauchen eines Besuchers ohne Anmeldung nicht erklären. »Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, erklärte der Butler. »Sie schickten einen Boten nach Shepherd’s Market. Er hatte die Aufgabe, eine bestimmte Nylonreisetasche abzuholen. Sie werden sich bestimmt erinnern.« »Parker…?« kam die zerdehnte Antwort. »Josuah Parker, Butler der Lady Simpson«, stellte er sich noch mal vor. »Sie ließen über das Kennzeichen meines Privatwagens ermitteln, wo meine Wenigkeit zu finden ist.« »Sie sind das also!« Hank Willis verzichtete auf alle Winkelzüge und deutete auf einen Sessel vor seinem Arbeitstisch. »Sie haben diese verdammte Tasche.« »Mit einem Inhalt, der als brisant zu bezeichnen sein dürfte«, meinte Parker. »Nach oberflächlicher Zählung hat man es mit etwa fünfzigtausend Pfund zu tun.« »Sie haben sehr genau gezählt, Parker.« Der Hähnchenbrater lächelte flüchtig. »Sie wollen mir das Geld zurückgeben? Selbstverständlich werd’ ich Ihnen so etwas wie einen Finderlohn zahlen. Einverstanden?« »Könnten Sie sich möglicherweise konkreter ausdrücken, was diesen Finderlohn betrifft?« »Sie bekommen, sagen wir, tausend Pfund«, schlug der Brater vor. »Ich denke, damit kommen Sie bestens zurecht. Danach werden Sie natürlich den ganzen dummen Zwischenfall in der Tiefgarage vergessen, klar?« »Man muß meine Wenigkeit in der Tiefgarage mit einer Art Doppelgänger verwechselt haben, Mister Willis.« »Sieht so aus, Mister Parker.« Willis lächelte erneut nur flüchtig. »Wie sind Sie eigentlich auf mich gekommen? Das würde mich nun doch interessieren.« »Mister Hazeltine war so entgegenkommend, Ihren Namen zu nennen«, erläuterte der Butler. »In diesem Zusammenhang wurde auch auf einen Mister Halbert verwiesen.« Parker bluffte. Er nannte den Namen jener Person, die ihm die Reisetasche fälschlicherweise in die Hand gedrückt hatte. Er war 18
gespannt, wie der Hähnchenbrater reagierte. »Vergessen Sie auch diesen Namen«, schlug Willis vor. »Oder sind Sie scharf darauf, unter das Fallbeil zu geraten?« »Fallbeil, Mister Willis?« Parker zeigte deutliches Interesse. »Oder so«, wich der Hähnchenbrater aus, »wie auch immer… Rücken Sie die Tasche raus und behalten Sie den Tausender für sich! Sie haben das Geld bei sich? Vielleicht in einem Wagen?« Er hatte längst auf eine verborgene Klingel gedrückt, wie Parker bemerkt hatte. Der Butler machte sich auf ein weiteres Intermezzo gefaßt. * »Vielleicht darf man anregen, meine bescheidene Wenigkeit zu begleiten«, schlug Josuah Parker vor. Er war aufgestanden und hatte sich seitlich hinter der Tür postiert. Parker hatte den Satz gerade beendet, als diese Tür ein wenig zu stürmisch und zu unüberlegt aufgestoßen wurde. Ein Mitarbeiter des Hähnchen-Braters stürmte herein und… fiel anschließend auf die Knie. Parker hatte mit dem bleigefüllten Bambusgriff seines UniversalRegenschirmes gezielt zugelangt. Der Betroffene kippte seitlich um, zog die Beine an den Körper und schloß die Augen. Anschließend aber mußte Parker sich mit dem Brater befassen, der seine Chance verständlicherweise nutzen wollte. Er suchte und fand auf dem Arbeitstisch einen Revolver und wollte auf den Butler anlegen. Doch er nahm davon Abstand, als Parkers schwarze Melone wie eine Frisbee-Seheibe auf ihn zusegelte und plötzlich auf seinem rechten Oberarm landete. Der stahlverstärkte Rand der Kopfbedeckung wirkte wie ein harter Handkantenschlag. Hank Willis stieß einen Schrei aus und ließ die Waffe fallen. Sein Arm war wie paralysiert. Die Hände waren nicht mehr in der Lage, nach der Waffe zu greifen. »Sie sollten meine Wenigkeit entschuldigen«, sagte der Butler, »aber aus verständlichen Gründen mußte Ihre Absicht durchkreuzt werden.« »Das zahle ich Ihnen noch heim, Parker«, drohte der Hähnchenbrater mit gepreßter Stimme. Er wich zurück, als Parker die schwarze Melone wieder an sich brachte. 19
»Drohungen dieser und ähnlicher Art sind meiner Person nur zu vertraut«, erklärte der Butler. »Aber man sollte nicht vom Thema abschweifen, Mister Willis. Sie erwähnten soeben ein Fallbeil. Könnten Sie sich dazu näher äußern? Handelt es sich um den sogenannten Spitz- oder Necknamen einer Person, die man zu fürchten hat?« »Wie kommen Sie auf Fallbeil? Davon habe ich nicht gesprochen.« »Ihr Respekt vor diesem Fallbeil muß erstaunlich groß sein, Mister Willis.« »Verdammt, ich habe den Namen nie erwähnt.« »Sie erlauben, daß meine Wenigkeit anders darüber denkt? Natürlich wird man das Fallbeil im Zusammenhang mit Ihrem Namen erwähnen, Mister Willis.« »Hören Sie, Parker, machen Sie keinen Unsinn!« Schweiß stand inzwischen auf seiner Stirn. »Warum wollen Sie mir Schwierigkeiten machen? Wollen Sie mich etwa umbringen?« »Sie können meiner Diskretion sicher sein, falls Sie sich näher zu diesem Fallbeil äußern«, schickte der Butler voraus. »Die Entscheidung liegt bei Ihnen.« »Okay, es gibt dieses Fallbeil«, gestand der Hähnchenbrater jetzt und senkte die Stimme. »Wer das ist, weiß kein Mensch in der Szene. Das Fallbeil zapft Gutbetuchte an und kassiert Bargeld.« »Freiwillig dürften die von Ihnen erwähnten Gutbetuchten sicher nicht zahlen«, vermutete Parker. »Auf welche Art und Weise hilft man denn der Zahlungsfreudigkeit nach?« »Mit dem Fallbeil«, entgegnete der Brater noch leiser. »Es gibt da Video-Kassetten mit Hinrichtungen, verstehen Sie? Die verschickt das Fallbeil, verstehen Sie?« »Details dazu wären ungemein hilfreich, Mister Willis.« »Auf den Videos sollen genau die Personen zu sehen sein, die das Fallbeil zur Kasse bittet. So richtig mit dem Gesicht und so. Ich selbst hab’ so ein Video noch nicht gesehen, aber man hat’s mir erzählt.« »Der Name dieses Informanten wäre von Interesse, Mister Willis.« »Ich glaube, das war Hazeltine«, schwärzte der Hähnchenbrater seinen kriminellen Kollegen umgehend an. »Ja, klar, der ist’s gewesen, jetzt weiß ich es wieder ganz genau.« »Wohin hätten Sie die mehrfach erwähnte Reisetasche geschafft, 20
falls es Ihnen gelungen wäre, sie wieder in Ihren Besitz zu bringen?« wollte der Butler weiter wissen. »Auf welche Weise hätten Sie das sogenannte Fallbeil, um bei diesem Namen zu bleiben, informiert, Mister Willis?« »Ich werde angerufen«, versicherte der Brater. »Aber wann, weiß ich nicht. Das ändert sich von Fall zu Fall.« »Mit diesem Hinweis lenken Sie freundlicherweise auf ein anderes Thema, Mister Willis«, fuhr der Butler fort. »Wie oft waren Sie bisher für dieses sogenannte Fallbeil tätig? Sie sollten sich aus Gründen der Selbsterhaltung nicht genieren, die Wahrheit zu sagen. Wie bereits gesagt, Sie können mit der Diskretion meiner Wenigkeit rechnen, falls Sie kooperationsbereit bleiben.« »Viermal«, erfolgte prompt die Antwort. »Und alles hat geklappt, bis Sie sich einschalteten. Diese saublöde Verwechslung hat alles kompliziert!« Josuah Parker hatte vor, darauf zu antworten, doch ansteigender Lärm im Hintergrund weckte in ihm den Verdacht, daß Lady Agatha möglicherweise ihr Hähnchen-Intermezzo beendet hatte. * Die ältere Dame beschäftigte sich sogar zusätzlich sehr intensiv mit Brathähnchen. Sie benutzte sie nämlich als Wurfgeschosse und zielte auf zwei junge Männer, die etwa fünfundzwanzig Jahre zählten. Parker identifizierte sie mit einem schnellen Blick. Es handelte sich um jene beiden Typen, die in der Tiefgarage nach der Nylontasche gesucht und dann ihn im hochbeinigen Wagen entdeckt hatten. Sie mußten Lady Agatha in irgendeiner Form gereizt haben, denn Mylady war in Form. Die beiden Kriminellen hatten hinter einigen umgestürzten Tischen Deckung bezogen und wichen den Hähnchen aus, die mit großer Geschwindigkeit durch das Restaurant segelten, ohne dabei ihre Flügel zu benutzen. Sie waren goldbraun gegrillt, heiß und entsprechend gefährlich. »Darf man Mylady Hilfe anbieten?« erkundigte sich der Butler. Er hatte festgestellt, daß seine Herrin Thermo-Handschuhe trug, die vom Grill stammten. Sie brauchte die aufgestaute Hitze des Bratgutes also nicht zu fürchten. 21
Parker suchte und fand ebenfalls solche Handschuhe und interessierte sich dann für einen großen Kochtopf aus Aluminium, in dem eine Hühnersuppe brodelte. Eine größere Portionskelle hing daneben an einem Haken der Kachelwand. Einer der beiden Kriminellen war gerade von einem Hähnchen erwischt worden und brüllte auf, als das Bratgut auf seiner Brust landete. Das heiße Fett drang sicher umgehend durch den Stoff und netzte die Haut des Mannes. Als er dennoch nach einer Schußwaffe langen wollte, die in seiner Schulterhalfter steckte, kam der Butler schleunigst zur Sache. Er tauchte die Kelle in die Hühnersuppe, schöpfte eine gehörige Portion mit Einlage hoch und… schleuderte die Delikatesse in Richtung seines Gegners. Die Suppe gab den Ausschlag. Sie hatte sich vor Erreichen des Ziels schon fächerartig ausgebreitet und trieb die beiden Fünfundzwanzigjährigen vollends aus der Deckung. Sie jaulten wie getretene Hunde, streiften mit den Handkanten die heiße Flüssigkeit von ihren Hemden und Jacken, tanzten ohne erkennbare Regeln herum und zeigten kein Interesse für die wirklich reichhaltige Suppeneinlage. »Aufhören…«, stöhnte einer der beiden, »keine Flattermänner mehr, aufhören!« »Wo findet man Mister Halbert?« fragte Parker und zeigte den beiden Entnervten einen weiteren Flugvogel. »Halbert ist in seinem Atelier, erfolgte prompt die Antwort.« »Das wo zu finden ist?« »In Bloomsbury«, wurde Parker weiter informiert. Er ließ sich noch eine Adresse nennen und legte erst dann das Brathähnchen aus der Hand. »Ich denke, ich werde mir eine kleine Kostprobe einpacken lassen, Mister Parker«, meinte Lady Simpson in ihrer praktischen Art. »Schließlich hatte ich vor, hier in aller Ruhe einen kleinen Snack zu mir zu nehmen.« »Mylady wurden gestört?« Parker ließ die beiden jungen Männer nicht aus den Augen. Sie schürten vorsichtig zur Verkaufstheke hinüber und wollten sich vermutlich in eine günstigere Position bringen. »Als man mir gerade ein Hähnchen servierte«, gab die ältere Dame Auskunft. »Ich hoffe doch sehr, daß es hier Warmhaltepackungen gibt.« 22
Sie ging hinüber zu dem Brater, der die rotierenden Hähnchen überwachte und deutete dann auf eine große Warmhalteschachtel. Was Mylady im einzelnen verlangte, vermochte Parker nicht mehr zu hören, denn er sah sich gezwungen, noch ein wenig zusätzliche Suppe anzubieten. Die beiden Kerle hatten nämlich deutlich ihre Absicht gezeigt, es noch mal mit dem Butler aufzunehmen. »Es ist noch weitere Suppe da für die Herren«, bot er nach der Dusche aus dem Kessel an. »Sie brauchen nur Ihre Wünsche zu äußern.« Doch die Männer verzichteten sehr rasch darauf. * »Darf man sich nach Ihrem werten Befinden erkundigen?« Josuah Parker hatte eines der Gästezimmer betreten, die sich in den labyrinthartigen Katakomben des altehrwürdigen Hauses der Lady Agatha befanden. Sie waren vom Souterrain aus zu erreichen, doch der Zugang zu ihnen war geschickt getarnt. In diesen recht komfortabel eingerichteten Gästezimmern brachte Josuah Parker immer wieder mal gewisse Personen unter, allerdings immer nur für kurze Zeit. Ärger hatte es deswegen noch nie gegeben, denn die Eingeladenen hatten sich später nie beschwert oder gar die Behörden bemüht. Der Mantelträger hatte seinen Sessel verlassen und kam langsam auf den Butler zu. Er schien noch leicht abwesend und lächelte versonnen. »Man überbringt mehr oder weniger herzliche Grüße von den Herren Hazeltine und Willis, Mister Manners«, sagte der Butler. »Von diesen Personen erfuhr meine Wenigkeit von der Existenz eines gewissen Fallbeils.« »Fallbeil…« wiederholte der Träger des langen, schwarzen Mantels und wurde für einen Moment ernst. Dann runzelte er die Stirn, konzentrierte sich und blickte den Butler konzentriert an. »Verdammt, wie bin ich hierher gekommen? Sie haben mich gekidnappt!« »Sie übertreiben geradezu dramatisch, Mister Manners«, wehrte Josuah Parker ab. »Das Sie sich ein wenig indisponiert fühlten, wurde Ihnen Gastrecht und damit Erholung angeboten.« 23
»Sie haben die Nylontasche?« »Mitsamt den Banknotenbündeln«, bestätigte der Butler. »Mister Halbert dürfte meine Wenigkeit mit Ihnen verwechselt haben. Demnach muß er Sie vorher noch nie gesehen haben.« »Sie glauben doch wohl nicht, daß ich singen werde, oder?« Er bemühte sich um Spott in der Stimme. »Eine Aussage Ihrerseits erübrigt sich völlig, Mister Manners«, gab der Butler zurück. »Die Herren Hazeltine und Willis konnten bereits mit gezielten Hinweisen dienen. Sie alle, damit sind auch Sie gemeint, Mister Manners, haben eindeutig für das sogenannte Fallbeil gearbeitet, dessen Umsätze recht beachtlich sein dürften.« »Ich sage kein Wort.« Er preßte sicherheitshalber die Lippen fest aufeinander. »Das erwähnte Fallbeil dürfte in vier zurückliegenden Fällen bereits abkassiert haben, Mister Manners.« »Sie haben ja überhaupt keine Ahnung«, spöttelte Manners, doch dann ging ihm auf, daß er bereits zuviel gesagt hatte. Er wich dem Blick des Butlers schleunigst aus und sah zu Boden. »Also eindeutig häufiger«, zog der Butler daraus den Schluß. »Und Sie, Mister Manners, könnten dabei eine entscheidende Rolle gespielt haben, was die Übergabe der Gelder betraf.« »Glauben Sie doch, was Sie wollen.« »Es kommt darauf an, was das sogenannte Fallbeil glaubt«, korrigierte der Butler. »Nach Lage der Dinge muß die geheimnisvolle Person annehmen, daß Sie ausgiebig geredet haben. Die Herren Hazeltine und Willis dürften ihm dies bereits mitgeteilt haben.« »Das… das ist doch überhaupt nicht wahr«, verwahrte sich Manners aufgebracht. »Sie wissen es, Mister Manners, und natürlich auch meine Wenigkeit«, räumte Parker in seiner höflichen Art ein, »aber das wird Sie auf keinen Fall vor dem gleichnamigen Beil schützen.« »Da mache ich mir keine Sorgen«, redete Manners sich wenig überzeugend ein. »Eine beruhigende Einschätzung, was Ihre Lage betrifft«, schloß der Butler die kurze Unterredung. »Sie können davon ausgehen, daß Sie noch am Abend wieder Herr Ihrer Bewegungsfreiheit sein werden.« »Sie wollen mich rauslassen?« »Selbstverständlich, Mister Manners, jedoch vorher wird man Ih24
nen noch einen Imbiß reichen, und zwar in Form eines Brathähnchens aus der Braterei des Mister Willis.« Josuah Parker deutete eine Verbeugung an und verließ das Gästezimmer. * Seine momentane Lage war nicht beneidenswert. Der angebliche Expreßbote befand sich nach wie vor im verglasten Vorflur, doch er hatte keinen sicheren Stand. Parker hatte per Fernbedienung die zweiteilige Falltür nach unten klappen lassen, doch sie daran gehindert, völlig abzukippen. Der Pseudo-Expreß-Mann hing also in einer Art überdimensional großem Trichter und stemmte sich mit Rücken und angewinkelten Beinen gegen ein Durchrutschen nach unten. Als er den Butler in der großen Wohnhalle ausmachte, rief er um Hilfe. »Darf man davon ausgehen, daß Sie darauf verzichten werden, auf meine Wenigkeit zu schießen?« erkundigte sich der Butler. »Machen Sie schon«, drängte der Hängende. »Ich halt’ das nicht mehr lange aus.« »Dies sollten Sie aber tun«, schlug der Butler vor. »Ein Durchfall hätte Konsequenzen für Sie, guter Mann.« »Holen Sie mich raus«, wiederholte der angebliche Expreßbote noch mal. »Ich sag’, was ich weiß.« »Sie sollten auf keinen Fall glauben, unter Druck gesetzt worden zu sein.« »Na… natürlich nicht«, erfolgte die leicht verzweifelte Antwort. »Schön, ich sag’ Ihnen schon jetzt, daß Eddy Lantriss mich geschickt hat.« »Und wie lautete Ihr spezieller Auftrag?« »Ich… ich sollte einen Butler und ‘ne Lady einschüchtern. Ehrlich!« »Ihr Name lautet wie, um auch dies noch zu klären?« »Pete Closter. Ich bin Annoncenwerber bei Eddy Lantriss.« »Meine Wenigkeit geht davon aus, daß Mister Lantriss ein entsprechendes Büro unterhält.« »Lantriss hat sein Geschäft in Southwark. Wollen Sie die genaue Adresse haben?« 25
»Sie könnte keineswegs schaden, Mister Closter«, antwortete der Butler. Er ließ sie sich geben und bestätigte anschließend seine Fernbedienung. Pete Closter, der dies neugierig beobachtet hatte, stieß einen gellenden Schrei aus, als die beiden Hälften der Falltür, die insgesamt den ganzen Boden des verglasten Vorflurs ausmachten, sich vollends öffneten. Er warf die Hände haltsuchend in die Luft und stürzte anschließend nach unten. Natürlich fiel der Mann keineswegs in einen unergründlichen und wasserführenden Brunnenschacht, sondern in eine Art tiefe Fallgrube, die allerdings mit Schaumstoff-Streifen ausgepolstert war. Der falsche Expreßbote landete weich, wurde hochgefedert, senkte sich wieder und brauchte einige Zeit, bis er relativ ruhig auf den Schnipseln lagerte. Parker konnte alles auf dem Umweg über eine Fernsehkamera beobachten, die in einer Ecke der Fallgrube installiert war. Er hatte auch die Möglichkeit, sich mit Pete Closter zu verständigen. Die Wechselsprechanlage funktionierte ausgezeichnet. »Sie werden verstehen, Mister Closter, daß man sich im Augenblick nicht weiter um Sie zu kümmern vermag«, schickte Parker in bekannter Höflichkeit voraus. »Es gilt, Ihren hoffentlich richtigen Angaben zu folgen.« »Eddy Lantriss wird alles abstreiten«, erwiderte der Mann auf den weichen Kunststoff-Schnipseln. »Der wird glatt behaupten, mich noch nie gesehen zu haben.« »Sie haben demnach einen Arbeitgeber, wie man ihn sich nicht gerade wünschen möchte«, bedauerte der Butler. »Ziehen Sie bereits daraus Konsequenzen. Welche Arbeiten mußten Sie bisher für ihn ausführen? Liefern Sie meiner bescheidenen Wenigkeit einen Beweis dafür, daß Sie die Wahrheit gesagt haben, Mister Closter.« »Ja, wie denn? Womit?« Er bewegte sich ruckartig und wurde vom nachgiebig-weichen Kunststoff schon wieder herumgewirbelt. Er ruderte mit Armen und Beinen durch die Gegend und brauchte einige Zeit, bis er das Gleichgewicht wieder gefunden hatte. »Überzeugen Sie meine Person davon, daß Sie nur schamlos ausgenutzt wurden, Mister Closter, dann dürfte Ihrem Weggehen nichts mehr im Weg stehen.« »Moment, jetzt hab’ ich’s!« Er hatte die Arme weit von sich ge26
streckt, um eine möglichst breite Auflage zu bekommen. »Lantriss arbeitet für einen Hazeltine, den Sie aber wohl kaum kennen. Na ja, Lantriss treibt für diesen Hazeltine Schulden ein. Den Menschen sollten Sie sich mal kaufen… Gegen den ist mein Boß ein kleines Licht.« Parker hütete sich, dem Mann in der Fallgrube zu erklären, daß Hazeltine für ihn kein Unbekannter war. * »Wenn es um ein Verbrechen geht, Mister Parker, nehme ich keine Rücksicht auf mich«, stellte die Detektivin fest. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums und machte einen dynamischen Eindruck. Sie hatte einen Imbiß zu sich genommen und freute sich wieder mal auf eine hübsche Abwechslung. Da zudem im Fernsehen nichts lief, suchte sie in der rauhen Wirklichkeit Entspannung. Wahrscheinlich war ihr auch diesmal wieder nicht bewußt, wie lebensgefährlich eine solche Entspannung verlaufen konnte. Parker hatte vor, dem Annoncenverlag Lantriss in Southwark einen Besuch abzustatten. Daß er unterwegs nicht unbeobachtet war, wußte er seit dem Verlassen des Grundstücks in Shepherd’s Market. Bereits bei der Rückkehr in Myladys Haus war ihm ein Honda aufgefallen, dessen Fahrer sich neben seinem parkenden Wagen aufgebaut hatte, um ausgerechnet hier eine Stadtkarte zu studieren. Derselbe kleine Honda war nun wieder unterwegs und machte alle Umwege mit, die Josuah Parker absichtlich nahm. Der Fahrer des japanischen Wagens schien aber ein Anfänger zu sein. Er vermied jede Möglichkeit, ungesehen zu bleiben. Deshalb nahm Parker an, daß er nur zur Ablenkung unterwegs war und die eigentlichen Verfolger per Funk über die Fahrstrecke informiert wurden. »Ich werde hoffentlich verfolgt, Mister Parker«, ließ Lady Agatha sich vernehmen. Parker, der die Standardfrage nur zu gut kannte, konnte bejahen. »Dann sorgen Sie dafür, daß ich dem Subjekt eine Lektion erteile«, verlangte sie. »Ich möchte später nicht gestört werden.« »Mylady können sich auf meine Wenigkeit wie stets verlassen«, gab der Butler zurück. »Man sollte allerdings solange warten, bis 27
geeignetes Gelände in Sicht ist.« »Die Einzelheiten überlasse ich selbstverständlich Ihnen, Mister Parker«, räumte die ältere Dame großzügig ein. »Aber ich werde selbstverständlich aufpassen, daß keine Fehler gemacht werden.« Parker deutete ein zustimmendes Nicken an und brauchte nicht lange zu warten, bis erste Schnarchtöne zu vernehmen waren. Seine Herrin paßte ab sofort sehr intensiv auf. Sie hatte sich in ihrer Wagenecke zurechtgekuschelt und gestattete Parker damit, sich in aller Gelassenheit mit dem bisherigen Geschehen zu befassen. Die Dinge waren im Grund mehr als einfach und überschaubar. Er, Josuah Parker, war dank seiner äußeren Butler-Erscheinung verwechselt worden und jetzt im Besitz einer Reisetasche mit fünfzigtausend Pfund. Sie stammten, davon war bereits sicher auszugehen, von einer Erpressung, die man mit einem Video-Film angeheizt hatte. Auf diesem Streifen sollten die erpreßten Personen vor ihrer Hinrichtung durch das Fallbeil einer Guillotine in die richtige Stimmung versetzt worden sein. Man hatte ihn, Parker, darauf verwiesen, daß die Erpreßten ihre eigenen Gesichter hätten erkennen können. Man konnte davon ausgehen, daß solch ein Schock die Zahlungswilligkeit erheblich angehoben hatte. Parker dachte an die Personen, die im Zusammenhang mit der Reisetasche bisher seinen Weg gekreuzt hatten. Da gab es Mr. Halbert, der ihm die bewußte Tasche förmlich aufgedrängt hatte. Er besaß im Stadtteil Bloomsbury ein Atelier, was immer man sich darunter vorstellen wollte. Es war selbstverständlich, diesen Mann möglichst bald zu kontaktieren. Die beiden Kriminellen Hazeltine und Willis, die offensichtlich Hand in Hand arbeiteten, waren sicher wohl nur Zuträger und Handlanger des gesuchten »Fallbeils.« Daß Lantriss für den Stellenvermittler Hazeltine Schulden eintrieb, paßte in das Gesamtbild. Auch Hank Willis schien sich dieses Helfershelfers zu bedienen. Mr. Willis schien allerdings so etwas wie eine zentrale Figur zu sein, was alle Handlanger betraf. Parker ging davon aus, daß man über Hank Willis sicher auch an das »Fallbeil« herankommen würde. Der Hähnchenbrater mit seinen Filialen in der Stadt schien über einen respektablen Einfluß zu verfügen. 28
Der Mantelträger Manners und der angebliche Expreßbote Closter waren dagegen nur Statisten, die man jedoch keineswegs unterschätzen durfte. Parker warf wieder mal einen Blick in den Rückspiegel seines hochbeinigen Monstrums. Der kleine Honda hatte sich noch näher an das ehemalige Taxi herangeschoben und wurde richtiggehend aufdringlich. Parker nahm sich vor, etwaigen Anfängen nachdrücklich zu wehren. Möglicherweise wollte der Honda-Fahrer einen Unfall provozieren und die Weiterfahrt aus naheliegenden Gründen blockieren. Waren er, Josuah Parker, und Lady Agatha erst mal aus dem hochbeinigen Gefährt, konnte man sie mit gezielten Schüssen aus dem Hinterhalt gefährden. Der Butler, der London wie seine Westentasche kannte, lotste seinen Verfolger auf einen kleinen Parkplatz, der zu einem Pub gehörte. Als die Stellfläche in Sicht kam, gab der Butler Gas und ließ sein Gefährt förmlich vorspringen. Mit einem gewaltigen Satz schoß das hochbeinige Monstrum in die enge Einfahrt des asphaltierten Platzes. Gleichzeitig betätigte der Butler einen der vielen Kipphebel auf dem Armaturenbrett und löste auf diese Weise einige Krähenfüße aus einem unter dem Wagen angebrachten Behälter. Diese kreuzweise übereinander verschweißten Stahlstifte purzelten auf den Asphalt und warteten begierig darauf, sich in Autoreifen zu bohren. Gleich, wie sie lagen, wenigstens ein Stift zeigte steil nach oben und war bereit, für Plattfüße zu sorgen. Parkers Rechnung ging selbstverständlich auf. Der kleine Honda huschte mit Tempo in die enge Einfahrt und stand wenig später auf zwei Stahlfelgen. Die Luft war schlagartig den Reifen entwichen. Der Honda schlingerte, wurde vom Fahrer wieder unter Kontrolle gebracht, touchierte den Kofferraum eines parkenden Ford und konnte dann endlich gestoppt werden. Parker, der neben seinem hochbeinigen Monstrum stand, wartete mit seiner Gabelschleuder darauf, daß der Mann nun ausstieg, um eine Ton-Erbse in Empfang zu nehmen. * 29
Der Annoncen-Verlag war im Erdgeschoß untergebracht und zeichnete sich eigentlich nur durch seine Unauffälligkeit aus. Nach einigem Suchen hatte Parker auf zwei Bürofenstern fast winzig kleine Firmenlogos ausgemacht. Hinter diesen beiden Fenstern brannte kein Licht. »Selbstverständlich erwartet man mich, Mister Parker«, erklärte die ältere Dame, die von ihrem Butler diskret geweckt worden war. »Man hat mir eine Falle gestellt.« »Eine Vermutung, die durchaus zutreffen könnte, Mylady«, pflichtete Parker ihr bei, »Mister Lantriss dürfte seinen Mitarbeiter Pete Closter längst vermissen und könnte den Honda-Fahrer vor Myladys Haus beordert haben.« »Was sonst, Mister Parker?« Die passionierte Detektivin lächelte wissend. »Aber ich werde den Spieß natürlich umdrehen.« »Davon erlaubt man sich auszugehen, Mylady.« »Die Details dazu überlasse ich Ihnen«, meinte sie großmütig. »Ich werde aber, falls nötig, Schützenhilfe geben. Melden Sie sich bitte rechtzeitig.« Parker, der ihr seine hilfreiche Hand gegeben hatte, als sie aus dem Wagen gestiegen war, lüftete die schwarze Melone und schritt dann zum Eingang des Annoncen-Verlages. Er hatte die Tür noch nicht ganz erreicht, als sie ruckartig geöffnet wurde. Ein Mann von etwa dreißig Jahren erschien im Lichtschein der Lampe über der Tür und wollte eine Waffe auf Mylady und Parker richten. Der Butler schien mit einem solchen Empfang gerechnet zu haben, denn sein eng gerollter Universal-Regenschirm war von ihm fast waagerecht angehoben worden. Aus der durchbohrten Zwinge des Schirmes schoß ein stricknadellanger Pfeil, dessen Schaftende mit kleinen Federn besetzt war, die den Flug stabilisierten. Der Pfeil, der aus dem Blasrohr eines Amazonas-Indianers zu stammen schien, überbrückte die kurze Entfernung mit großer Geschwindigkeit und bohrte sich dann in den rechten Oberarm des Türöffners, der – völlig verblüfft – zuerst zusammenzuckte, dann den Unterarm hochriß und anwinkelte, um mit angeekeltem Blick das seltsame Geschoß des Mannes zu betrachten. Parker nutzte die Verwirrung des Mannes, um ihm die Waffe aus der Hand zu schlagen. Dazu setzte er den bleigefüllten Bambusgriff seines Schirmes ein. 30
Der Mann ließ dies fast wie unbeteiligt mit sich geschehen, stierte aus weit geöffneten Augen auf den Pfeil im Oberarm und schluchzte trocken auf. »Ein Pfeil… ein Pfeil«, stellte er mit einer hohen Stimme fest, in der bereits Hysterie lag. »Ein Pfeil…« »Eine Feststellung, die man nur als überaus treffend bezeichnen kann«, antwortete der Butler und zog den Pfeil aus dem Oberarm. Er ließ ihn unterhalb des Griffs in einer speziellen Falte des Schirmes verschwinden. »Gift, ja…?« fragte der Mann und lachte hysterisch. »Schließen Sie einen solchen Stoff nicht unbedingt aus«, empfahl Josuah Parker. »Sie dürften es schon bald mit einer allergischen Reaktion zu tun bekommen.« Der Mann schüttelte sich leicht, überließ sich kurzfristig einem Zucken und scheuerte dann die Stelle, an der der Pfeil getroffen hatte. Er kratzte sich ausgiebig am Oberarm, behandelte dann das Schulterblatt dahinter und konzentrierte sich anschließend auf die Hüfte. Ohne jeden Übergang scheuerte er anschließend das rechte Schienbein und massierte hingebungsvoll die linke Gesäßhälfte. Es dauerte nur noch wenige Augenblicke, bis er seinen Rücken am Türpfosten scheuerte und vor Wonne die Augen schloß. Parker, der die Faustfeuerwaffe aufgehoben hatte, drückte den Türmann sanft zur Seite und geleitete Lady Simpson anschließend in die Räume des Annoncen-Verlags. »Alles gelaufen?« fragte eine leicht heisere Stimme aus einem Raum. Die Tür zu diesem Zimmer war halb geöffnet. »So könnte und sollte man sogar sagen«, beantwortete der Butler die Frage, die mit Sicherheit nicht an ihn gerichtet war. »Mister Eddy Lantriss, nicht wahr?« Parker drückte mit der Schirmspitze die Tür auf und sah sich einem Mann gegenüber, der urplötzlich von seinem Sessel hochsprang, während seine Mitspieler am Pokertisch sitzenblieben und große Augen machten. »Man erlaubt sich, einen wunderschönen Abend zu wünschen«, grüßte Josuah Parker und lüftete die schwarze Melone. »Lady Simpson wünscht im Zusammenhang mit einem sogenannten Fallbeil einige Hinweise zu bekommen.« Die beiden Pokerspieler reagierten unverzüglich. Sie sprangen hoch, warfen dabei ihre leichten Sessel um und 31
wollten sich mit den Handkanten an Parker versuchen. Sie übersahen aber Lady Simpson, die schräg hinter dem Butler auftauchte und ihren perlenbestickten Pompadour heftig schwang, wie es der Perpendikel einer Wanduhr tat. Parker reagierte in einer Mischung aus Gelassenheit und Stärke. Er hatte seinen Schirm waagerecht genommen und hielt ihn an beiden Enden mit den schwarz behandschuhten Händen. Und es zeigte sich, daß der alterslos wirkende Mann ein hervorragender Kendo-Fechter war. Er fing mit wirbelnden Schlägen die ihm zugedachten Fausthiebe ab, stieß zwischendurch immer wieder mit den freien Ende des Schirmes aktiv zu und brachte seine Angreifer auf diese Weise nicht nur aus dem Konzept, sondern trieb sie in eine Ecke des Büros und nagelte sie dort fest. Nach einem wahren Wirbel mit dem Schirm gingen beide Männer entnervt in die Knie und gaben auf. Sie rutschten übereinander, machten sich klein und baten um Gnade. Lady Agatha hatte sich inzwischen mit Eddy Lantriss auseinandergesetzt. Der Glücksbringer im Pompadour erwies sich wieder mal als geradezu niederschmetternd. Lantriss hockte neben seinem Sessel auf dem Boden und schützte seinen Kopf mit den hochgenommenen Händen. »Eine unerhörte Frechheit, eine hilflose Frau attackieren zu. wollen«, entrüstete sich die ältere Dame gekonnt. »Haben Sie denn überhaupt keine Manieren, junger Mann?« Die Detektivin ließ ihren Pompadour noch mal senkrecht hochsteigen und fetzte ihn dann auf einen kleinen Abstelltisch, auf dem Flaschen und Gläser standen. Das Hufeisen im Handbeutel ließ das Holz splittern und Flaschen und Gläser zentimeterhoch steigen. Eddy Lantriss stieß einen unterdrückten Schrei aus und teilte Lady Agatha dann noch mal mit, er hätte aufgesteckt. »Wie schade«, fand Agatha Simpson fast enttäuscht. »Ich hatte gerade vor, Ihnen ein paar Ohrfeigen zu verabreichen.« Josuah Parker nutzte die Verwirrung der Männer und opferte drei Wegwerffesseln. Diese Plastikstreifen, kaum anderthalb Zentimeter breit und fünfzig Zentimeter lang, wurden nach Art eines Kabelbinders verwendet. Aus eigener Kraft ließen die einfachen, aber raffinierten Verschlüsse sich nicht öffnen. Man brauchte schon einen Seitenschneider, um die glasfaserverstärkten Fesseln zu durchtrennen. 32
»Mylady ermittelt, wie Sie bereits wissen dürften, in Sachen >Fallbeil<«, schickte der Butler voraus, während er für seine Herrin einen kleinen Erfrischungsdrink mixte. Er hatte noch eine Brandyflasche, Fruchtsaft und Eis in der Hausbar gefunden. Sie nickte wohlwollend, als der Butler ihr diesen Kreislaufbeschleuniger reichte. Nach einem ersten ausgiebigen Schluck wandte sie sich an Lantriss. »Hoffentlich zieren Sie sich mit Ihren Antworten«, sagte sie. »Ich liebe den Widerstand meiner Gegner. Und ich breche ihn besonders gern.« »Mylady beabsichtigen, den dritten Grad anzuwenden?« entsetzte sich der Butler und rang dann sichtlich nach Fassung. »Warum denn nicht, Mister Parker?« wollte die ältere Dame wissen. »Darf man Mylady daran erinnern, daß es vor kurzer Zeit erst zu einem bedauerlichen Exitus kam?« »Dieser Mann muß ein schwaches Herz gehabt haben«, meinte Lady Agatha lässig. »Er hätte mir das vorher sagen können.« »Moment mal, Leute, wovon redet ihr eigentlich?« wollte der Annoncen-Verleger jetzt wissen. Lantriss war nervös geworden. »Mylady ermittelt, wie bereits gesagt, in Sachen eines gewissen >Fallbeils<«, erinnerte der Butler. »Es steht bereits schon jetzt außer Zweifel, daß Sie ein besonders bevorzugter Handlanger dieses >Fallbeils< sind.« »Aber überhaupt nicht«, wehrte Lantriss sich mit Nachdruck. »Ich hab’ da nur ein paar von meinen Leuten mit den Videos losgeschickt und später dann auch mal abkassiert, aber mehr war da nie drin.« »Was soll denn diese Geständnisfreudigkeit, junger Mann?« Lady Simpsons Stimme klang gereizt. »Wollen Sie mir jede Freude nehmen?« »Worauf Sie sich verlassen können«, erfolgte die Antwort. »Natürlich werde ich reden. Das >Fallbeil< kann mir gestohlen bleiben! Ich laß mir doch hier nicht den dritten Grad verpassen!« »Nun denn«, erwiderte der Butler. »Wenn Sie unbedingt darauf bestehen, wird man Ihre Aussage zur Kenntnis nehmen und überprüfen, ob Sie die Wahrheit gesagt haben.« »Falls nämlich nicht, junger Mann…?!« Lady Agatha verzichtete bewußt darauf, diesen Satz zu beenden.
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* Es war längst nach Mitternacht. Butler Parker befand sich im Studio seiner Herrin und inszenierte eine Vorführung. Er hatte sich von Eddy Lantriss drei Videos aushändigen lassen, die er auf den Weg bringen wollte. Sie stammten laut Lantriss vom gesuchten »Fallbeil.« Der AnnoncenVerleger hatte geschworen, nicht zu wissen, wer der Auftraggeber war. Lady Agatha trug einen Hausmantel, hatte es sich bequem gemacht und lag förmlich in einem Sessel, der über ein Fußteil verfügte. Parker hatte ihr einen mitternächtlichen Imbiß bereitet und reichte dazu einen leichten Rotwein. »Ob es richtig war, diesen Lümmel von einem Honda-Fahrer auszusetzen, Mister Parker, muß sich erst noch erweisen«, mokierte sie sich ein wenig. »Sie waren wieder mal sehr großzügig.« »Meine Wenigkeit erlaubte sich, an die Unkosten zu denken«, wandte der Butler ein. »Papperlapapp, Mister Parker.« Die ältere Dame absolvierte eine lässige Handbewegung. »Ich hätte diesem Gast jedenfalls eine Rechnung ausgestellt. Nun denn… Wen muß ich zur Zeit noch aushalten?« »Mylady haben es mit einem angeblichen Expreßboten und einem Mister Manners zu tun, der eine Reisetasche entgegennehmen sollte.« »Und wem rechne ich diese Subjekte zu, Mister Parker?« »Mister Manners sollte von Mister Hazeltine geschickt worden sein, Mylady. Mister Hazeltine war so entgegenkommend, diesen Namen zu nennen.« »Aha.« Sie nickte und nahm einen ordentlichen Schluck aus dem Glas. »Das dachte ich mir doch.« »Der Expreßbote, Mylady, ist Mister Lantriss zuzurechnen.« »Keine weiteren Details, Mister Parker«, sagte sie streng. »Sie neigen wieder mal dazu, sich in Einzelheiten zu verstricken. Wann werde ich endlich diese drei Videos sehen? Sie sollten zu wem gebracht werden?« »Die Namen und Adressen sind bekannt, Mylady«, versicherte der Butler ihr. Er betätigte die Fernbedienung und trat dann zur Seite. Nach wenigen Augenblicken waren bereits die ersten Bild34
Sequenzen zu sehen, die sich durch Primitivität, aber auch durch Eindeutigkeit auszeichneten. Vor einem weißen Hintergrund stand eine Guillotine, die ihre unheimlichen Schatten warf. Es gab eine kleine Treppe, die hinauf zur Richtstätte führte, und einen Weidenkorb, der offensichtlich zur Aufnahme des Kopfes diente. »Das sieht aus wie in einem schlechten Stummfilm, Mister Parker«, urteilte Agatha Simpson. »Dem ist in der Tat nichts hinzuzufügen, Mylady«, erwiderte der Butler. »Die eigentliche Bildaussage aber wird noch kommen. Meine bescheidene Wenigkeit war so frei, die bewußten drei Videos einer Vorprüfung zu unterziehen.« Auf dem Bildschirm erschien jetzt ein überaus muskulöser Mann, dessen nackter, bodygestylter Oberkörper eingeölt war, so sehr glänzte er. Er zerrte an einer Kette eine Person hinter sich her, die einen knöchellangen, weitfallenden und schwarzen Mantel trug. Die Gestalt wurde hinauf zur Guillotine gezogen und mußte sich dann auf ein Kippbrett legen. Mit wenigen Handgriffen brachte der Henker sein Opfer in die richtige Lage. In einer weiteren Einstellung war ein Gesicht zu sehen, das maskenhaft verzerrt aussah. Man hatte es mit einem Mann zu tun, der ausgeprägte Augenbrauen aufwies, eine auffallend kleine Nase und eine Narbe unter dem linken Backenknochen. Alles Weitere geschah sehr schnell. Der Henker wurde nun ebenfalls in Großaufnahme gezeigt. Er blickte auf das Opfer hinunter, betätigte dann einen Hebel und ließ das schräg geschnittene Fallball sausen. »Sehr dilettantisch«, meinte Lady Simpson. »Da habe ich schon bessere Streifen gesehen, Mister Parker. Hatte ich da nicht mal einen ähnlichen Fall?« »Mit Sicherheit, Mylady«, bestätigte der Butler. »Man könnte es durchaus mit einem Nachfolgetäter zu tun haben. Die kommentarlose Eindeutigkeit des Vorgangs aber sollte man nicht unterschätzen.« »Das Opfer trug doch eine Maske, nicht wahr?« »In der Tat, Mylady«, lautete Parkers Antwort. »Diese Maske aber dürfte die ein wenig karikierte Wirklichkeit jener Person darstellen, die vom gesuchten >Fallbeil< erpreßt werden soll.« »Und woher stammt die Maske, Mister Parker? Wie kann man so 35
etwas herstellen? Ich weiß es natürlich, aber es würde mich doch sehr interessieren, wie Sie dies erklären.« »Man dürfte nach den Vorlagen von Fotografien gearbeitet haben, Mylady«, meinte Parker, dessen Gesicht glatt und ausdruckslos blieb. »Danach könnte man einen Kunstkopf angefertigt und ihn dann mit einer Art Kautschukfolie überzogen haben.« »Sehr schön«, lobte die passionierte Detektivin verhalten. »Kenne ich noch eine weitere Möglichkeit?« »Das gesuchte >Fallbeil< könnte eine Standardmaske angefertigt und diese dann entsprechend dem Aussehen der Opfer bemalt haben.« »Wie auch immer, Mister Parker.« Sie winkte ab. »Ich kann die drei Personen aufsuchen?« »Mylady brauchen nur den Zeitpunkt zu bestimmen.« »Ich brauche mir die anderen Videos nicht auch noch anzusehen?« »Sie dürften keine weiteren Erkenntnisse bringen, Mylady, zumal der Fallbeil-Vorgang der gleiche ist. Nur die Gesichter wurden ausgetauscht.« »Ich werde mir morgen die drei Personen ansehen, Mister Parker«, kündigte sie an. »Und geweckt werden möchte ich nur, wenn man mich wirklich braucht.« »Man erlaubt sich, eine geruhsame Nacht zu wünschen, Mylady.« »Nun, gegen einen hübschen, kleinen Einbruchsversuch hätte ich nichts einzuwenden«, lautete ihre ehrlich gemeinte Antwort. * Der Butler befand sich in seinem Apartment im Souterrain des großen Fachwerkhauses. Hier unten gab es die große Wirtschaftsküche, die diversen Vorratsräume und auch den geheimen Zugang zum Labyrinth. Parker bewohnte ein großes Wohnzimmer, verfügte über einen Schlafraum und ein modern eingerichtetes Bad. Darüber hinaus konnte er von seinem Apartment aus sein privates Labor erreichen, wie seine bestens eingerichtete Werkstatt von Eingeweihten bezeichnet wurde. In diesem Labor ersann und entwickelte Parker seine vielen kleinen Überraschungen, mit denen er immer wieder verdutzte Geg36
ner erfreute. Die Fenster des Apartments und auch der Wirtschaftsküche führten auf einen breiten Lichthof, der gekachelt war. Eine breite Steintreppe am Ende dieses Lichthofes führte hinauf zum Wirtschaftsweg hinter dem Haus und zur übermannshohen Mauer aus Sandsteinquadern. Parker hatte die hausinterne Überwachungsanlage eingeschaltet und konnte sicher sein, daß unerwünschte Besucher garantiert gemeldet wurden. Er konnte sich gut vorstellen, daß man in dieser Nacht versuchen würde, ins Haus einzudringen. Zu sehr hatte man sich bereits mit dem sogenannten Fallbeil befaßt. Der noch unbekannte Gangster mußte inzwischen längst gemerkt haben, daß er eingekreist wurde. Parker reagierte gemessen und innerlich ein wenig amüsiert, als das Telefon läutete. Er ließ etwas Zeit, bis er endlich abhob und seinen Namen nannte. »Man darf sicher davon ausgehen, es mit einer Person zu tun zu haben, die sich hinter einem Decknamen verbirgt«, fügte er dann noch hinzu. »Sie haben meinen Anruf erwartet, Parker?« erfolgte die Antwort, die akustisch sehr undeutlich ausfiel. Das »Fallbeil«, um das es sich handelte, verstellte absichtlich seine Stimme. »Sie fordern wahrscheinlich die Rückgabe von fünfzigtausend Pfund«, meinte Parker. »Und dafür versprechen Sie, Mylady und meine Wenigkeit ungeschoren zu lassen.« »Sie treffen den Nagel auf den Kopf«, lautete die sehr undeutliche Antwort. »Kriminelle Ihrer Provenienz haben den gleichen Wortschatz und verblüffend übereinstimmende Vorstellungen.« »Ich gebe Ihnen Zeit bis zehn Uhr, Parker«, redete das »Fallbeil« weiter. »Wenn Sie bis dahin nicht reagiert haben, landen Sie und Ihre Lady auf der Guillotine. Das ist keine leere Drohung!« »Bisher konnten Sie solche Hinrichtungen doch wohl vermeiden, nicht wahr?« »Seien Sie sich da nicht so sicher, Parker. Sie wissen nicht, was sich bereits alles abgespielt hat. Und noch etwas: Meine Handlanger haben keinen blassen Schimmer, wer ich bin oder sein könnte. Ich habe mich abgesichert.« »Erhalten Sie sich tunlichst diesen Optimismus, zu dem jedoch kein Grund besteht. In der Szene wird früher oder später alles 37
bekannt.« »Bis dahin bin ich längst über alle Berge.« Auf der Gegenseite wurde akustisch verfälscht aufgelacht. »Was eindeutig beweist, daß Sie szenenfremd sind«, unterstellte Josuah Parker, »aber meine Wenigkeit will auf keinen Fall Ihre Selbsteinschätzung erschüttern.« »Mich, Parker, mich machen Sie nicht unsicher!« »Das dürften mit großem Nachdruck andere Personen besorgen«, bluffte Josuah Parker in seiner höflichen Art. »In der erwähnten Szene wird man zu streuen haben, daß Sie bereits ein kleines Vermögen gemacht haben, obwohl Sie nur ein Außenseiter sind.« Auf der Gegenseite wurde es still, doch Parker hörte ein schnelles Atmen. »Man wird versuchen, Ihnen die bisher gemachte Beute abzujagen«, prophezeite der Butler abschließend. »Vielleicht stehen die ersten Jäger bereits vor Ihrer Tür.« Auf der Gegenseite wurde rasch und kommentarlos aufgelegt. * »Ich hatte zufällig hier in der näheren Umgebung zu tun und wollte auf einen kurzen Sprung mal hereinschauen«, behauptete Chief-Superintendent McWarden und begrüßte Lady Simpson, die im kleinen Salon neben der Wohnhalle am Frühstückstisch saß. »Wären Sie doch ein wenig früher gekommen, mein Bester«, bedauerte die Hausherrin. »Mister Parker räumt gerade ab. Wie gern hätte ich Ihnen einen Kaffee angeboten.« »Von dem allerdings noch ausreichend da ist, Mylady«, ließ der Butler sich vernehmen. Er hatte den etwa fünfundfünfzigjährigen Yard-Beamten vor wenigen Minuten eingelassen. McWarden leitete ein Sonderdezernat, das sich mit dem organisierten Verbrechen befaßte. Der untersetzte, ein wenig bullig wirkende Mann mit den leichten Basedow-Augen konnte durchaus als der gute Freund des Hauses bezeichnet werden. Er schätzte Parkers Kenntnisse und holte sich immer wieder Rat bei ihm. Und mit Lady Agatha verband ihn ein permanenter, an sich harmloser Wortstreit. McWarden forderte die ältere Dame immer wieder heraus und spielte gern mit ihrer schottischen Sparsamkeit. 38
Mylady bedachte ihren Butler mit einem leicht gereizten Blick, als er McWarden Kaffee eingoß und erklärte, man könne selbstverständlich auch mit einem kleinen Frühstück dienen. »Wollen Sie denn noch mehr zunehmen, mein lieber McWarden?« sorgte Lady Simpson sich umgehend. »Denken Sie an Ihr Herz. Ich behaupte, daß Ihr Blutdruck schon jetzt zu hoch ist.« »Haben Sie vielleicht etwas von Hähnchen da?« McWarden hatte sich an Parker gewandt. »Selbstverständlich, Sir«, meinte der Butler. »Myladys Küche dürfte so gut wie jeden Wunsch erfüllen können.« »Brathähnchen«, präzisierte McWarden. »Ich wette, daß Sie die nicht haben.« »Wollen Sie mich etwa provozieren, McWarden?« blaffte Lady Agatha ihren Besucher an. »Warum reiten Sie so auf einem Brathähnchen herum?« »Genau genommen reite ich auf einem halben Dutzend Brathähnchen herum«, meinte der Chief-Superintendent. »Heute morgen während der allgemeinen Frühbesprechung der Abteilungsleiter hörte ich von einer Hähnchenbraterei, in der es so etwas wie eine kleine Schlacht gegeben hat.« »Sie werden sich sehr wahrscheinlich noch deutlicher ausdrücken, Sir«, vermutete Parker höflich. »Man berichtete mir von einer Dame, die mit Brathähnchen um sich geworfen haben soll«, zählte der hohe Yard-Beamte genußvoll auf und lächelte. »Und dann noch von einem Mann, der wie ein Butler ausgesehen hat.« »Und was, Sir, unterstellte man dieser Person?« wollte Parker wissen. »Er soll ausgiebig mit heißer Hühnerbrühe agiert haben.« »Man kommt aus dem Staunen eigentlich nicht heraus«, stellte Lady fest. »Wurden gezielt Anzeige erstattet?« »Überhaupt nicht«, berichtete McWarden weiter. »Die Hähnchenbrater wollen nicht wissen, wer den ganzen Wirbel verursacht hat. Sie stehen angeblich vor einem Rätsel.« »Wie kann man nur mit Brathähnchen um sich werfen«, wunderte sich die ältere Dame nachdrücklich. »Von Hühnerbrühe ganz zu schweigen.« »Ich habe keine Ahnung, will es allerdings auch gar nicht wissen«, machte McWarden deutlich. »Sie arbeiten an einem neuen Fall, Mylady?« 39
»Eine Frau meines Schlages kann nicht die Hände in den Schoß legen«, versicherte Lady Simpson ihrem Besucher. »Es gibt immer etwas zu tun. Arbeite ich an einem neuen Fall, Mister Parker?« »Vielleicht darf man mit einer Gegenfrage antworten, Sir«, schickte Josuah Parker voraus. »Ist der von Ihnen erwähnte Hähnchenbrater eine Person, die der Polizei bekannt ist und auf die man besonders achten sollte und sogar müßte?« »Der Mann heißt Hank Willis«, beantwortete der ChiefSuperintendent die Frage. »Er hat ein paar Filialen in der Stadt und mischt überall mit, wo es was zu verdienen gibt. Willis ist ein sehr gefährlicher Bursche, Mister Parker. Und er gilt als nachtragend. Eitel wie er ist, setzte er Himmel und Hölle in Bewegung, um sich für irgendeinen Reinfall zu rächen. Wir vom Yard sind schon lange hinter ihm her.« »Sind ihm besondere Spezialitäten zuzurechnen, Sir?« »Er hat Schläger, scheint auch in Schutzgeld zu machen und dealt höchstwahrscheinlich mit Drogen.« »Vielleicht noch eine weitere Frage, Sir«, bat der Butler. »Gibt es Personen innerhalb der Szene, die mit dem von Ihnen erwähnten Mister Willis besonders eng zusammenzuarbeiten pflegen?« »Na ja, da hätte ich Ihnen einen Hazeltine anzubieten«, erfolgte die neutral klingende Antwort. »Dieser Typ hat eine Stellenvermittlung und verkauft und vermietet ebenfalls Schläger. Hazeltine und Willis haben im Milieu klingende Namen und werden respektiert.« »Habe ich noch eine dritte Frage, Mister Parker?« erkundigte sich die ältere Dame. »Falls ja, dann sollten Sie sie stellen.« »Handelt es sich bei den beiden Personen um Großverdiener, Sir?« Parker hatte tatsächlich noch eine Frage. »Und würden die Herren Hazeltine und Willis für einen Dritten ohne weiteres arbeiten?« »Dann müßte dieser fragliche Dritte aber schon eine Menge zahlen«, meinte der hohe Yard-Beamte. »Für ein Butterbrot kann man weder Hazeltine noch Willis bekommen. Die verdienen selbst genug. Warum fragen Sie?« »Aus einer grundsätzlichen Neugier heraus, Sir«, meinte der Butler. »Vielleicht werden sich die Wege irgendwann mal kreuzen, und dann sollte man hinlänglich informiert sein.« »Ist damit zu rechnen, Mister Parker, daß die Wege sich in Kürze 40
kreuzen?« wollte McWarden wissen. »Man sollte dies, Sir, niemals völlig ausschließen.« »Sie werden mich rechtzeitig informieren?« »Aber natürlich, mein Lieber«, schaltete die ältere Dame sich sofort ein. »Ich weiß nur zu gut, daß Sie wieder mal einen spektakulären Erfolg brauchen. Ich werde ihn besorgen.« »Zu gütig«, gab der Yard-Beamte ironisch zurück und wandte sich an Parker. »Von dem Schinken würde ich gern noch mal nehmen.« »Dazu vielleicht auch noch etwas Rührei, Sir?« bot Parker an. Lady Simpson hüstelte umgehend und winkte ab. »Ein zu voller Magen am frühen Morgen, mein lieber McWarden, ist aller Laster Anfang«, warnte sie schleunigst. »Mir scheint, Sie sind ohnehin ein wenig kurzatmig.« »Das macht doch nichts, Mylady«, beruhigte der Yard-Beamte sie. »Wer könnte Ihrer Gastfreundschaft schon widerstehen?« Die Hausherrin litt prompt unter einem nun mittelschweren Hustenanfall. * Das Atelier des Tony Halbert entpuppte sich als eine kleine Wohnung unter dem Dach eines Mietshauses. Der Mann, der dem Butler die bewußte Reisetasche mit fünfzigtausend Pfund förmlich aufgedrängt hatte, blickte seine beiden Besucher vor der Tür völlig überrascht an. Dies bezog sich vor allen Dingen auf Parker, der höflich die schwarze Melone lüftete. »Bitten Sie mich endlich gefälligst herein und bieten Sie mir eine Erfrischung an«, blaffte Lady Agatha den Dreißigjährigen an. »Ich bin schließlich kein Teenager mehr.« »Entschuldigung«, gab Halbert zurück und stieß die Tür weit auf, »aber ich bin perplex… Ich hätte niemals gedacht, Sie wiederzusehen.« Er meinte Parker, bedachte ihn immer wieder mit abschätzenden Blicken und geleitete seine Besucher dann in einen erstaunlich großen Dachraum, der hinter der eigentlichen Wohnung lag und den man nach dem Passieren einer Falttür erreichte. »Sie gehen offensichtlich einem künstlerischen Beruf nach«, unterstellte Josuah Parker und deutete mit der Schirm spitze auf 41
eine Staffelei vor einem übergroßen Dachfenster. »Ich bin Grafiker«, lautete die Antwort. »Ich bin freier Mitarbeiter einiger Firmen und Verlage.« »Und in Ihrer Freizeit, Mister Halbert, sind Sie mit inhaltsschweren Reisetaschen unterwegs«, erinnerte Josuah Parker. »Mylady geht davon aus, daß Sie im besagten Fall als eine Art Bote oder Zwischenträger fungieren.« »Ich habe mich dazu überreden lassen«, erteilte Tony Halbert Auskunft, »eine reine Gefälligkeit.« »Die Sie welcher Person freundlicherweise erwiesen?« »Einem meiner Kunden.« Halbert gab sich verschlossen. Dann blickte er Lady Agatha an und wollte wissen, warum und wieso man zu ihm gekommen sei und mit wem er es zu tun habe. »Sie haben das Privileg, Lady Simpson bei ihren Ermittlungen gegen ein sogenanntes Fallbeil behilflich sein zu dürfen«, erklärte der Butler. »Sie sind… Privatdetektive?« Er lächelte unbewußt. »Mylady und meine Wenigkeit verfügen in der Tat über jene Lizenzen«, entgegnete der Butler. »Aber dieses Thema sollte man vielleicht vertiefen, Mister Halbert. Lady Simpson ist nämlich dabei, einen raffinierten Gangster das Handwerk zu legen.« »Wie sind Sie eigentlich an meinen Namen gekommen?« wollte Tony Halbert wissen. »Nach der ein wenig hektischen Überreichung der Reisetasche an meine Wenigkeit wurde Ihr Name mehrere Male laut genannt«, lieferte Josuah Parker die Erklärung. »Man schien Sie bereits genau zu kennen.« »Man hat meinen Namen genannt?« wunderte sich Tony Halbert. »In der Tiefgarage«, fügte Parker hinzu. »Zwei Kriminelle, die die Geldübergabe abschirmen sollten, vermißten Sie sehr.« »Ich habe mit der ganzen Sache nichts zu tun.« »Aber Sie werden hoffentlich nicht abstreiten wollen, daß Sie sehr genau wußten, daß es sich um eine illegale Transaktion handelte, Mister Halbert.« »Für wen haben Sie sich mit dieser Tasche abgeschleppt, junger Mann?« ließ Lady Agatha sich in diesem Augenblick sehr ungnädig vernehmen. »Kommen Sie endlich zur Sache! Ich habe meine Zeit nicht gestohlen. Ich will Namen hören!« »Mister Glenn Forbiter hat mich gebeten, die Tasche in die Tiefgarage zu bringen.« 42
»Und wer, bitte, ist Mister Forbiter?« setzte Parker sofort nach. »Forbiter hat in Wapping eine Druckerei«, verhieß die Antwort. »Ich arbeite hin und wieder für ihn.« »Er gab Ihnen genaue Direktiven mit auf den Weg, wie man wohl als sicher unterstellen kann und muß, Mister Halbert?« »Mister Forbiter hat mich in diese Tiefgarage geschickt und mir gesagt, ich solle die Reisetasche einem Mann geben, der einen schwarzen Mantel und einen Bowler trägt.« »Mylady unterstellt, daß Sie solche Aufträge schon verschiedentlich ausführen mußten, Mister Halbert.« »Weil die beiden Kriminellen, wie Sie sagen, meinen Namen gerufen haben?« »In der Tat, Mister Halbert«, bestätigte Parker. »Wie oft überbrachten Sie in der Vergangenheit schon ähnliche Reisetaschen?« »Ich hab’ das insgesamt schon dreimal gemacht«, räumte der Atelier-Besitzer und Grafiker ein. »Und ich habe keine Ahnung, warum ausgerechnet ich darum gebeten wurde.« »Es muß einen bestimmten Grund haben, junger Mann«, ließ Agatha Simpson sich vernehmen. »Die Namen und die Adressen der beiden anderen Erpresser sollten Sie unbedingt nennen, Mister Halbert«, schlug Butler Parker vor. »Daraus dürften sich bestimmte Schlüsse ziehen lassen.« »Was ich bereits getan habe, junger Mann«, grollte die ältere Dame. »Zudem vermisse ich noch immer das Anbieten einer kleinen Erfrischung. Ich hoffe sehr, daß Sie wissen, was man unter Gastfreundschaft versteht, oder?« Tony Halbert beeilte sich, Myladys Kreislauf zu verwöhnen und konnte mit einem Brandy aufwarten, den die resolute Dame immerhin für trinkbar erklärte. * Josuah blieb auf dem Treppenabsatz stehen und blickte in die Tiefe. Er sorgte dafür, daß man ihn von der Straße aus nicht entdecken konnte. »Was vermute ich, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha neugierig. »Man wartet unten auf der Straße auf mich? Man will mich attackieren?« »Dem möchte meine Wenigkeit nicht widersprechen«, gab der 43
Butler zurück. »Mylady werden inzwischen längst einen möglichen Profi ausgemacht haben.« »Selbstverständlich«, entgegnete die Detektivin. »Mir entgeht schließlich nichts. Sie sprechen von diesem dicklichen Subjekt neben der Laterne, das in einer Zeitung liest, nicht wahr? Auffälligerweise kann man sich nun wirklich nicht verhalten, Mister Parker.« »Mylady können sich darüber hinaus aber durchaus vorstellen, daß auch der kleinere Mann hinter dem parkenden Volkswagen ein Profi sein könnte.« »Vorstellen kann ich mir vieles, Mister Parker, aber dieser Bursche hinter dem Volkswagen ist selbstverständlich nicht mein Zielobjekt.« »Man könnte vielleicht die Probe aufs Exempel machen, Mylady.« »Und wie stelle ich mir das vor?« Sie hatte sich neben ihrem Butler aufgebaut und stand genau vor dem Fenster. Von der Straße aus war die ältere Dame nun ganz sicher zu sehen. »Mylady sind auf dem besten Weg, den Profi zu verunsichern«, schickte Josuah Parker voraus. »Wenn Mylady meine bescheidene Wenigkeit für einen Augenblick entschuldigen würden?« Er wartete die Erlaubnis nicht ab, setzte sich sofort in Bewegung und lief über die Treppe nach unten, bis er den nächsten Treppenabsatz erreicht hatte. Er vermutete, daß man Mylady weiterhin beobachten würde, schob das vorhandene Fenster nach oben und brauchte nur wenige Wimpernschläge, bis er die High-TechGabelschleuder schußbereit in Händen hielt. Parker konzentrierte sich kurz auf den Mann hinter dem Volkswagen und strammte die beiden Gummistränge. In der Zwille wartete eine hart gebrannte Ton-Erbse darauf, ihr Ziel zu erreichen. Der Mann hinter dem VW auf der gegenüberliegenden Straßenseite trug eine schwarze Lederhose, einen Sweater und eine ärmellose Lederweste. Er ging auf einen Motorroller zu, der knapp vor dem Wagen stand. Dabei knöpfte er die Lederweste auf. Parker vermutete, daß er später schnell an seine Schulterhalfter wollte. Die Ton-Erbse sirrte mit großer Geschwindigkeit vom Fenster aus nach unten, überquerte die Straße und landete seitlich am Hals des Lederträgers, der nach der Landung des eigenwilligen Geschosses wie unter einem Peitschenhieb zusammenzuckte. Er griff nach der Aufschlagstelle, schaffte es jedoch nicht mehr, fiel auf die Knie und blieb dann neben dem Motorroller liegen. 44
Der Vorgang war natürlich nicht unbemerkt geblieben. Passanten waren aufmerksam geworden, liefen zu dem Dahingesunkenen und bildeten rasch eine ansehnliche Menschentraube. Man diskutierte Formen der allgemeinen Wiederbelebung, unterhielt sich angeregt über die Ursache des Zusammenbruchs, zählte dazu passende Krankheitssymptome auf, rief nach dem Staat und zuständigen Behörden, wurde politisch und… entdeckte dann schließlich die Schulterhalfter und die dort steckende Automatic. In Anbetracht einer möglichen Gefährdung löste sich die Menschenansammlung sehr schnell auf. Man hatte plötzlich viel zu tun, mußte Termine wahrnehmen und war eindeutig froh, daß ein Butler sich um den Mann am Boden kümmerte, der gerade wieder langsam zu sich kam und leicht stöhnte. »Vielleicht eine kleine Aufmunterung«, schlug Parker in seiner bekannt höflichen Art vor und verabreichte dem Waffenträger eine Dosis Lachgas, die mit zusätzlichen Stoffen angereichert war. Der potentielle Schütze machte kurz die Augen auf, entdeckte Parker, wollte sich zusammenreißen und im Sinne seines Auftrags zur Sache kommen. Er griff ungemein langsam nach der Schulterhalfter, die von Parker allerdings längst geleert war, seufzte, lachte ein wenig albern und entspannte sich. Der Butler richtete sich auf, als er bereits in der Nähe die aufund abschwellenden Signale eines Polizei-Streifenwagens vernahm, ließ die Brieftasche des Mannes in einer seiner Manteltaschen verschwinden und ging zurück zu seinem hochbeinigen Monstrum, wo Lady Agatha auf ihn wartete. »Sie hätten sich auf die Person konzentrieren sollen, die ich im Visier hatte, Mister Parker«, mokierte sich die ältere Dame. »Genau das nämlich war der Profi.« »Mylady sind sich ihrer Sache sicher?« »Als ich ihn ohrfeigen wollte, ergriff dieses Subjekt die Flucht«, ereiferte sie sich. »Damit ist ein wichtiger Zeuge verlorengegangen, Mister Parker.« »Vielleicht könnte man es mit dem Umfeld jener Person ausgleichen, die gerade von der Polizei geborgen wird«, antwortete der Butler. »Man braucht nur hinüber nach Clerkenwell zu fahren, Mylady.« Die Detektivin hatte sich hoch aufgerichtet und beobachtete, wie zwei Streifenpolizisten sich mit dem kichernden Mann abmühten, der nicht in den Polizeiwagen einsteigen wollte. 45
»Wird man den Lümmel festhalten?« wollte Lady Simpson wissen. »Dafür dürfte jene Automatic sorgen, Mylady, die meine Wenigkeit in die dafür umgeschnallte Halfter zurückschob«, beruhigte der Butler die ältere Dame. »Die Londoner Polizei reagiert ausgesprochen allergisch gegenüber illegalem Waffenbesitz.« »Das hört sich ja alles recht gut an«, meinte sie. »Man wird deshalb sehen, was daraus wird. Ich habe jetzt was vor, Mister Parker? Ich darf mich nicht von Bagatellen ablenken lassen.« »Mylady werden sicher erst mal das Quartier jener Person aufsuchen, die gerade weggeschafft wird«, unterstellte der Butler. »Darüber hinaus wird man fragen müssen, warum der potentielle Schütze hier vor Mister Halberts Haus wartete. Er muß entsprechend informiert worden sein.« »Klären Sie das bitte, Mister Parker«, verlangte Lady Simpson. »Auf der Fahrt werde ich nachdenken und möchte nicht gestört werden.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker deutete eine Verbeugung an. Sein Gesicht blieb aber glatt und ausdruckslos wie stets. * Der Inhalt der sichergestellten Brieftasche lieferte einen eindeutigen Beweis. Danach wohnte der verhinderte Schütze, der jetzt in einem Streifenwagen der Polizei unterwegs war, im Stadtteil Soho. Weit bis zu Halberts Wohnung hatte er es wirklich nicht gehabt. Lady Agatha meditierte während der kurzen Fahrt ausgiebig und schreckte hoch, als Parker absichtlich scharf bremste. Sie hatte sich aber sofort wieder unter Kontrolle. »Endlich, Mister Parker«, monierte sie. »Die Fahrt hat ja fast eine Ewigkeit gedauert.« »Wegen der geradezu abstrusen Verkehrsverhältnisse, wie Mylady beobachten konnten«, antwortete der Butler. »Ich wäre vielleicht schneller vorangekommen«, behauptete sie. »Ihnen fehlt es im Straßenverkehr wie auch sonst an der letzten Entschlossenheit.« Parker verzichtete auf eine Antwort. Er kannte den entschlossenen Fahrstil seiner Herrin. Der Fahrer eines Panzers hätte kaum 46
raumgreifender agieren können. Lady Agatha pflegte souverän Regeln des Straßenverkehrs in ihrem sehr persönlichen Sinn auszulegen. Wo immer sie unterwegs war, ließ sie entnervte Autofahrer hinter sich und regte zu neuen Flüchen an. Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum vor einem Privatclub gestoppt, der um diese Zeit natürlich geschlossen war. Er stieg aus, inspizierte kurz das Schloß, das einen wirkungsvollen Eindruck machte und unterhielt sich anschließend mit den diversen Zuhaltungen. Dazu benutzte er als eine Art Dolmetscher sein kleines PatentBesteck, das an das eines Pfeifenrauchers erinnerte. Es gab das an einer zentralen Halterung kleine Haken, Sägeblättchen, Pfrieme und flache Metallzungen. Mit sicherer Hand setzte Parker diese Mini-Dietriche ein und brauchte nur wenige Augenblicke, bis das Schloß an der Eingangstür sich willig öffnete. Parker drückte die Tür auf, betrat einen kleinen Vorraum, in dem auch die Garderobe untergebracht war, und bat die ältere Dame herein. »Man wird den ursprünglichen Zustand selbstverständlich wiederherstellen«, versicherte er Lady Agatha. »Danach wird das Schloß kaum noch von Unberufenen zu öffnen sein.« »Ich weiß, ich weiß, Mister Parker«, gab die passionierte Detektivin zurück. »Im Grund haben Sie eine bereits geöffnete Tür nur aufgestoßen und werden sie anschließend wieder sichern.« »So sollte man es in der Tat ausdrücken, Mylady«, bedankte sich der Butler und… sah sich einem breitschultrigen Mann gegenüber, der einen Revolver in der rechten Hand hielt und den Lauf auf ihn richtete. »Man erlaubt sich, einen ungemein schönen Tag zu wünschen«, grüßte der Butler ganz ungezwungen. »Meine Wenigkeit würde nur zu gern die Kopfbedeckung anheben, doch dies könnte in Anbetracht der momentanen Umstände vielleicht zu einem bedauerlichen Mißverständnis führen.« »Obwohl so etwas überhaupt nicht zu verstehen wäre, junger Mann«, redete die ältere Dame sehr flüssig weiter und lächelte wohlwollend. »Sie machen schließlich einen fast intelligenten Eindruck.« »Worin man sich allerdings auch durchaus täuschen kann, um der Wahrheit die Ehre zu geben.« Parker übernahm die nächsten Sät47
ze. »Sind Sie sich der juristischen Tragweite dessen bewußt, falls Sie die Absicht haben, überzogen und übertrieben zu reagieren?« Der muskulöse Mann mit den groben Gesichtszügen und der ein wenig niedrigen Stirn zweifelte eindeutig an seinem Verstand. Er hatte den Stirnansatz gerunzelt und machte sich daran, das Gehörte zu sortieren und umzusetzen. Dies strengte ihn derart an, daß er dabei völlig übersah, wie Parker seinen eng gerollten Schirm fast wie beiläufig hob, um ihm sofort die Waffe aus der Hand zu schlagen. »Sie werden entschuldigen«, sagte Parker, »aber man soll stets den Anfängen wehren. Würden Sie uns jetzt umgehend zu Ihrem Arbeitgeber führen? Meine bescheidene Wenigkeit wird erwartet.« »Ach so«, gab der nun völlig Verwirrte wie erleichtert zurück. »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?« * Er hieß Jerry Catsly und starrte Lady Simpson und Butler Parker irritiert an. Man befand sich in einem Raum, der in einer Mischung aus Büro und Wohnzimmer eingerichtet war. Catsly war übrigens nicht allein. Anwesend war noch ein zweiter Mann, der sich sehr zurückhielt, aber vielleicht gerade deshalb von Parker unter Blickkontrolle gehalten wurde. »Man überbringt Grüße von einem Mann, der die Absicht hatte, von seiner Faustfeuerwaffe Gebrauch zu machen«, schickte der Butler voraus. »Er wurde von Ihnen vor ein Haus beordert, in dem ein gewisser Tony Halbert sein Grafik-Atelier hat.« »Was reden Sie denn da für ‘nen Blödsinn?« fuhr Jerry Catsly den Butler an. »Wer sind Sie überhaupt? Mann, ich habe große Lust, Sie durch den Wolf zu drehen.« Er war nicht gerade als unterentwickelt zu bezeichnen, hatte Muskeln und fühlte sich stark. Er hatte Lady Agatha abfällig gemustert und bedachte den Butler nun ebenfalls mit geringschätzigem Blick. »Lady Simpson, der Sie Fragen beantworten dürfen, ermittelt in Sachen Fallbeil, um bei diesem Necknamen zu bleiben«, beantwortete der Butler die Frage. »In diesem Zusammenhang setzten Sie einen Profi auf Mylady an, der die Aufgabe hatte, von seiner Schußwaffe Gebrauch zu machen.« 48
»Jetzt ist mir der Kragen geplatzt«, gab Catsly kühl zurück und schickte sich an, tätlich zu werden. Er hatte es auf den Butler abgesehen und wollte ihn mit einem sogenannten Heumacher von den Beinen bringen, Parker griff indes nach seiner schwarzen Melone, nahm sie vom Kopf und grüßte genau im richtigen Moment, als die Faust des Heumachers ihn erreichen sollte. Dabei sorgte der Butler dafür, daß die stahlverstärkte Wölbung seiner Kopfbedeckung ihrerseits eine gewisse Fahrt und damit Energie aufnahm, Catsly vergoß Tränen, als seine Faust Kontakt mit dem Bowler aufnahm. Seine Fingerknöchel waren nachhaltig gestaucht worden. Er blickte völlig perplex auf seine Faust, deren Finger sich im Moment nicht mehr strecken ließen, und behauptete dann mit fast weinerlicher Stimme, er hätte sich mindestens drei bis vier Finger gebrochen. »Sie übertreiben eindeutig, Mister«, erwiderte Parker. »Nach einschlägiger Erfahrung meiner bescheidenen Wenigkeit kann es sich höchstens um ein bis zwei Finger handeln.« »Jetzt platzt auch mir der Kragen«, sagte der Gast, der sich bisher abwartend verhielt. Während er noch redete, langte er nicht gerade langsam nach seiner Schulterhalfter. Parker wenigstens deutete den Bewegungsablauf auf diese Art und reagierte erneut. Die schwarze Melone, die eben noch wie eine wirkungsvolle Faust-Bremse fungiert hatte, verwandelte sich jetzt in eine fliegende Untertasse und landete mit dem stahlverstärkten Rand auf dem Oberarm des Ziehenden. Der Mann weinte natürlich ebenfalls. * »Ein hübsches Intermezzo, Mister Parker, das aber leider nichts gebracht hat«, räsonierte die ältere Dame. Sie saß wieder im Fond des hochbeinigen Monstrums und machte einen recht unzufriedenen Eindruck. »Ich bin noch nicht mal dazu gekommen, eine Ohrfeige an den Mann zu bringen.« »Mylady dürften aber sicher eine wichtige Aussage registriert haben«, entgegnete der Butler. »Selbstverständlich«, erklärte sie umgehend. »Wichtige Aussagen registriere ich immer. Was haben Sie zum Beispiel herausgehört? Jetzt bin ich doch sehr gespannt.« 49
»Mister Catsly sagte aus, das sogenannte Fallbeil habe ihn bereits am frühen Morgen, etwa um sieben Uhr, angerufen und um einen Beobachter gebeten, wie Mister Catsly es nannte. Natürlich meinte er einen erstklassigen Schützen, der Mylady an Leib und Seele schädigen sollte.« »Gut, sieben Uhr«, bestätigte die Detektivin verhalten. »Und was folgern Sie daraus? Ich, Mister Parker, habe selbstverständlich bereits Schlüsse gezogen.« »Davon geht meine bescheidene Wenigkeit aus«, sagte Parker in bewährter Höflichkeit. »Mylady schlußfolgerten, daß das ominöse Fallbeil bereits Stunden vor Myladys Erscheinen vor Mister Halbert zumindest ahnte, daß Mylady einen Besuch abstatten würden.« »Aha.« Sie nickte. »Und was sagt mir das, Mister Parker?« »Das sogenannte Fallbeil, Mylady, verzichtete darauf, Mister Halbert als Informanten auszuschalten, um es mal so auszudrücken. Zeit dazu wäre – mit Verlaub – in ausreichendem Maße gewesen.« »Aha.« Agatha Simpson lächelte wissend. »Das >Fallbeil< brauchte diesen Grafiker als Köder für mich, oder?« »So könnte man durchaus argumentieren«, entgegnete Parker. »Ein Mörder hätte sich in Mister Halberts Atelier eingenistet und gewartet, bis Mylady erschienen wäre.« »Ich weiß, worauf ich hinauswill, Mister Parker«, sagte die ältere Dame umgehend. »Dieser Catsby oder Cartsvill ist das >Fallbeil
»Ich weiß, ich weiß«, sagte sie gedehnt und ein wenig unwirsch. »Und ich habe dieses Geld erst mal sichergestellt. Sie brauchen das diesem Erpreßten ja nicht unbedingt heute schon zu sagen. Ich muß erst genau wissen, ob es sich um sauberes Geld handelt. Ich habe da schließlich eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und der Öffentlichkeit.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker war sich im klaren darüber, daß er Lady Simpson irgendwann mal an dieses Geld erinnern mußte. »Mir kommt da gerade ein Gedanke, Mister Parker«, redete die ältere Dame weiter. »Mylady haben eine Theorie entwickelt?« Der Butler kannte Ankündigungen dieser Art nur zu gut. »Mehr als eine Theorie, Mister Parker. Eigentlich handelt es sich bereits um letzte Gewißheit.« »Mylady haben meine Wenigkeit in den Zustand akuter Neugier versetzt. Darf man Einzelheiten erfahren?« »Dieser Erpreßte, gleich wie er heißt, könnte das gesuchte >Fallbeil< sein«, mutmaßte die ältere Dame. »Und aus Gründen der Tarnung tut er nur so, als wäre auch er erpreßt worden. Was halten Sie von meiner Anschuldigung?« »Man sollte und muß sie als verblüffend bezeichnen«, urteilte der Butler, ohne seine gewohnte Pokermiene zu verziehen. Glenn Forbiter machte einen nervösen Eindruck, als er Mylady und Butler Parker empfing. Er war der Inhaber einer recht ansehnlichen Druckerei, die sich auf die Bedürfnisse kleiner und großer Firmen eingestellt hatte und Geschäftsdrucke aller Art lieferte. Glenn Forbiter war um die Fünfzig, gerade noch als mittelgroß zu bezeichnen, hatte einen leichten Bauchansatz und ein rosiges Gesicht mit dunkelbraunen Augen. Er schien bereits zu wissen, mit wem er es zu tun hatte. »Mister Halbert dürfte Sie inzwischen benachrichtigt haben«, unterstellte Josuah Parker. »Sie erlauben, daß man mit der sprichwörtlichen Tür ins Haus fällt, Mister Forbiter.« »Er hat mich tatsächlich angerufen«, lautete die Antwort des Druckereibesitzers. Er hatte seine Besucher in seinem Büro untergebracht. Durch ein großes Fenster konnte man hinunter in den eigentlichen Betrieb blicken, der einen ordentlichen und ausgelasteten Eindruck machte. 51
»Lady Simpson ist dabei, das sogenannte Fallbeil, mit dem Sie ja zu tun haben, Mister Forbiter, ins Gefängnis zu bringen«, fuhr der Butler fort. »Mister Halbert teilte Ihnen ebenfalls mit, daß die fünfzigtausend Pfund nicht in die Hände des >Fallbeils< gelangten?« »Die müssen doch Sie haben«, gab Forbiter zurück. »Halbert sagte, er hätte die Tasche Ihnen überreicht. Irrtümlich…« »Hat das vielzitierte >Fallbeil< sich nach der fehlgeschlagenen Übergabe gemeldet, Mister Forbiter?« Parker ging auf die fünfzigtausend Pfund erst mal nicht ein. »Der Mann, der sich >Fallbeil< nennt, hat angerufen«, bestätigte Forbiter. »Gleich nach dieser verdammten Panne. Entschuldigen Sie, Lady, aber fünfzigtausend Pfund sind eine Menge Geld.« »Wem sagen Sie das, mein Bester«, seufzte Agatha Simpson gekonnt. »Ich bin eine Witwe, die mit jedem Penny rechnen muß. Im übrigen können Sie selbstverständlich fluchen.« »Werde ich mein Geld zurückbekommen?« wollte der Drucker wissen. »Alles zu seiner Zeit«, wehrte die Detektivin sofort ab. »Bleiben wir erst mal bei diesem Subjekt mit der Guillotine. Wie wurden Sie erpreßt?« »Ich erhielt von ‘nem Boten ein Video«, berichtete Forbiter. »Kurz danach rief mich dieses >Fallbeil< an und sagte, ich sollte mir den Streifen unbedingt sofort ansehen, es würde um meine Gesundheit gehen. Ich hab’ mir das Video also angesehen und mich unter dem Fallbeil gefunden. Sie können sich nicht vorstellen, wie geschockt ich war. Da sieht man sich selbst unter ‘ner Guillotine und später sogar seinen Kopf in ‘nem Korb. Mit ist schlecht geworden.« »Sie kamen nicht auf den Gedanken, sich an die zuständige Behörde zu wenden?« erkundigte sich der Butler. »Davor hatte mich das >Fallbeil< dringend gewarnt. Und danach hab’ ich mich gehütet, zur Polizei zu gehen. Noch mal… Da sieht man sich unter dem Fallbeil, verstehen Sie? Man sieht sich… Das muß man sich mal vorstellen… Man sieht sich unter diesem schrägen Stahl, und wenig später landet der eigene Kopf im Korb… Dieses Bild werde ich nicht mehr los!« »Sie scheinen sehr sensibel zu sein, junger Mann«, vermutete die ältere Dame. »Es ging doch schließlich nicht um Ihren eigenen Kopf, sondern nur um eine Maske.« 52
»Aber diese Genauigkeit, Mylady«, verteidigte sich der Drucker mit Vehemenz. »Wie das >Fallbeil< so was hinbekommt, weiß ich natürlich nicht, kann ich mir auch eigentlich nicht vorstellen.« »Sie beauftragten Mister Halbert von sich aus, die bewußte Reisetasche zu überbringen?« wollte der Butler wissen. »Nein, nein, so war das nicht«, bekam Parker zu hören. »Das >Fallbeil< hatte Halbert genannt. Und der kam kurz danach, nahm die Reisetasche und fuhr los. Wissen Sie, ich hatte gleich ein ungutes Gefühl… Warum durfte nicht ich selbst das Geld zur Tiefgarage bringen? Wann werden Sie es mir zurückgeben, Mylady? Fünfzigtausend Pfund sind ein Vermögen für mich.« »Alles zu seiner Zeit, mein Lieber«, tröstete sie ihn erneut. »Dieses Geld brauche ich, um das >Fallbeil< auf mich zu lenken, verstehen Sie? Natürlich nicht! Aber das macht nichts.« »Das mehrfach erwähnte >Fallbeil< rief Sie also nach der mißglückten Taschenübergabe an«, erinnerte Josuah Parker. »Wurden erneut fünfzigtausend Pfund reklamiert?« »Natürlich«, bestätigte der Drucker und holte tief Luft. »>Das Fallbeil< will morgen seine fünfzigtausend Pfund sehen. Soviel weiß ich bereits jetzt. Und darum brauche ich auch mein Geld, Mylady. Woher sollte ich sonst die Summe bekommen?« »Mister Halbert teilte Ihnen unter Nennung von Namen mit, wer die Tasche irrtümlich erhielt?« »Er nannte Myladys und Ihren Namen«, gestand der Drucker, »und er sagte, ich solle mich an Sie halten.« »Mylady würden Ihr Video gern sehen«, stellte der Butler nun fest. »Kein Problem«, meinte Forbiter. »Ich hab’s hier im Büro. Und hier habe ich auch ein Abspielgerät. Sie werden sich wundern, wie realistisch das alles ist.« Während er sprach, holte er aus der Schreibtischlade eine VideoKassette, legte sie in ein Abspielgerät und programmierte das Fernsehgerät mit der Fernbedienung. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die ersten Bilder zu sehen waren. Auch dieser Streifen zeichnete sich durch Einfachheit aus. Man sah wieder die Guillotine, die Stufen, die hinauf zum Fallbeil führten, den Weidenkorb und hier einen einfachen Holzkasten, der mit Sägemehl gefüllt war. Dann erschien der Henker, natürlich maskiert, der sein Opfer an einem Strick zur Richtstätte zerrte und auf das Kippbrett drückte. 53
Wenig später sauste das schräg geschnittene Fallbeil nach unten. Und in der nächsten Einstellung sah man dann Mister Forbiters Kopf im Weidenkorb. Die Ähnlichkeit war frappierend. Forbiter stöhnte und erklärte, ihm wäre wieder schlecht geworden. Parker schaltete das Gerät ab, und Lady Simpson erkundigte sich nach Brandy, um Forbiter und sich zu erfrischen. Die ältere Dame erklärte, sie wäre sehr beeindruckt und müßte ihren Kreislauf umgehend stärken. * »Diese Knautsch-Masken sind nicht schwer herzustellen«, erklärte Dan Clappers, ein fast mager zu nennender Mann, der dreißig Jahre alt sein mochte. Er trug einen schon abgenutzten, ehemals wohl weißen Kittel, hatte schütteres Haar und blickte durch eine Brille mit dicken Gläsern. Dan Clappers war ein freier Unternehmer, der allerdings fast ausschließlich für öffentlich-rechtliche und private Fernsehsender arbeitete. Sein Atelier im Stadtteil Bloomsbury war in den Räumen einer ehemaligen Schreinerei untergebracht. Noch einige angejahrte und verstaubte Maschinen waren zu sehen. Parker hatte sich von einem Redakteur die Adresse geben lassen, einem Mann, der ihm verpflichtet war und mit einer Spitzenkraft auf dem Gebiet der Maskenbildnerei aufwarten konnte. »Wie hübsch«, fand die ältere Dame inzwischen. Sie stand vor einem langen Arbeitstisch, auf dem Kunststoff-Köpfe mit den Masken prominenter Personen zu sehen waren. Es gab Politiker, Künstler, Wissenschaftler, Mitglieder der königlichen Familien des In- und Auslandes. Die Masken waren durchweg als leichte Karikaturen angelegt, übertrieben allerdings manchmal grotesk gewisse Merkmale im Aussehen der nachgebildeten Personen. »Sie sehen in meiner bescheidenen Wenigkeit einen völligen Laien, Mister Clappers«, schickte Parker voraus. »Könnten Sie möglicherweise mit einigen Details dienen?« »Nun, wir arbeiten nach Fotovorlagen«, setzte Clappers seinen Gästen auseinander. »Wir fertigen in Gips oder auch Kunststoff die bewußten Köpfe an und arbeiten besonders hervorstechende Merkmale heraus. Dann erhalten die Roh-Büsten ihren Feinschliff 54
und dienen als Formen für die eigentlichen Masken. Die bestehen aus einem besonderen Kunststoff auf Kautschukbasis, daher sind sie auch so weich, nachgiebig und noch mal zu verformen. Nach dem Abzug einer Maske wird sie bemalt und kann dann als Puppe gezeigt werden. Sie kennen doch diese Politiker-Parodien im Fernsehen, nicht wahr? Okay, die meisten Masken kommen hier aus meiner Werkstatt.« »Sie arbeiten natürlich auch für private Kunden, Mister Clappers?« »Nur hin und wieder, wenn die Zeit reicht.« »Um welche Kunden handelt es sich dann, Mister Clappers?« »Nun ja, das sind in der Regel Hersteller von Fun-Masken«, lautete die Antwort des Künstlers. »Nehmen wir mal einen international bekannten Politiker, der besonders häufig erwähnt wird und den man im Fernsehen zeigt, solche Masken werden in Scherzartikel-Geschäften angeboten und sind immer wieder ein Bombengeschäft.« »Mylady denkt da an sehr spezielle private Masken«, schränkte Josuah Parker ein. »Mylady meint Kunden, die Fotos vorlegen und dazu Masken wünschen. Möglicherweise wünschen solche Kunden noch nicht mal scherzhafte Verfremdungen, Mister Clappers.« »Ich könnte mich nicht erinnern, jemals solche Aufträge erhalten zu haben.« Clappers schüttelte den Kopf. »Sie haben Mitarbeiter, Mister Clappers?« Parker wechselte ein wenig das Thema. »Zwei Mitarbeiter«, lautete die Auskunft. »Mel Raptow und Ralph Wanders, sehr gute Leute.« »Die mit einiger Sicherheit keine privaten Aufträge ausführen, Mister Clappers?« tippte der Butler an. »Kann ich mir nicht vorstellen, nein, nein, so etwas kann man nicht in seiner Küche herstellen. Sie verstehen, was ich meine, nicht wahr?« »Überhaupt nicht, mein Bester«, ließ die ältere Dame sich vernehmen. »Setzen Sie mich bitte ins Bild.« »Sehen Sie sich hier um, Mylady«, schlug der Maskenbildner vor. »Es gibt viel Chemie, Brennöfen zum Aushärten, dann kleine Fräsen und Bohrer wie beim Zahnarzt… Nein, nein, Masken dieser Art kann man nicht mit Bordmitteln ausbilden, ist einfach nicht drin.« »Sie würden demnach für Ihre beiden Mitarbeiter Raptow und Wanders Ihre Hand in das sprichwörtliche Feuer legen?« 55
»Ich denke ja«, lautete die Antwort. »Und welche Privatperson würde sich schon eine eigene Maske anfertigen lassen? Das bringt doch nichts. Wo wäre da der Gag?« »Ein sogenanntes Fallbeil denkt da völlig anders, Mister Clappers«, machte Josuah Parker deutlich. »Fallbeil?« fragte der Maskenhersteller verdutzt. »Sprechen Sie von einem Konkurrenten?« »Von einem Gangster, Mister Clappers«, erläuterte der Butler. »Dieser Kriminelle hat sich den Namen Fallbeil zugelegt und arbeitet mit Masken jener Personen, die er erpreßt.« »Und wie geht das?« Clappers zeigte plötzlich Interesse. »Die Erpreßten werden bei ihrer eigenen Hinrichtung unter einem Fallbeil gezeigt.« »Ich… ich verstehe«, gab Clappers zurück. »Jetzt geht mir erst ein Licht auf, und ich verstehe den Sinn Ihrer Frage. Hören Sie, vor etwa anderthalb Monaten war ein Mann hier, der verschiedene Masken haben wollte.« »Er zeigte Ihnen in diesem Zusammenhang Fotografien diverser Personen, Mister Clappers?« »Genau«, bestätigte der Maskenbildner. »Er sprach von einem Gag für eine Betriebsfeier.« »Sie lehnten ab, Mister Clappers, wie anzunehmen ist.« »Schon aus Zeitgründen«, erklärte Clappers. »Ich sagte Ihnen ja schon, daß ich völlig ausgelastet bin. Film- und Fernsehen…« »Die Person ließ sicher eine Adresse und einen Namen zurück, Mister Clappers.« »Ich glaube schon.« Der Meister der Kautschuk-Masken runzelte die Stirn, dachte sichtlich angestrengt nach und griff dann nach einer angerosteten Konservendose, die auf einem Wandbord über einem Arbeitstisch stand. Er kramte in ihr, schob Bleistifte und Kugelschreiber zur Seite und fischte schließlich eine angeschmutzte, schmale Visitenkarte hervor. »Das ist der Mann«, sagte er dann mit letzter Gewißheit. »Martin Score«, las Parker. »Der Mann wohnt in Wapping. Fast schon überraschend, Mister Clappers, daß Sie diese Visitenkarte aufgehoben haben und nun zur Verfügung stellen können.« »Was hebt man nicht alles auf«, meinte der Maskenbildner und zuckte mit den Schultern. »Wenn man nicht aufpaßt, erstickt man noch daran.«
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* »Dieser Mann ist überaus verdächtig, Mister Parker«, stellte die ältere Dame eine Viertelstunde später fest. Sie saß wieder im Fond des hochbeinigen Wagens und machte einen animierten Eindruck. »Ich bin doch sehr gespannt, ob er von mir eine brauchbare Maske herstellen kann.« »Überaus entgegenkommend von Mister Clappers, Mylady diesen Gefallen erweisen zu wollen«, antwortete der Butler. »Er war sogar mit einem Vorzugspreis einverstanden.« »Ich hätte ihn noch weiter heruntergehandelt, Mister Parker«, tadelte sie. »Aber nein, Sie mußten sich zu schnell mit diesem Täter einigen.« »Ob Mister Clappers mit dem gesuchten Fallbeil identisch ist, wird sich erst noch herausstellen müssen«, erwiderte Parker. »Man sollte gewisse Vorbehalte haben und pflegen.« »Meine Intuition ist unschlagbar«, behauptete Lady Agatha. »Aber gut, ich werde mich noch ein wenig zurückhalten, Mister Parker, und Sie nicht beeinflussen.« »Mylady sind zu gütigst«, entgegnete der Butler. »Interessant ist allerdings die Tatsache, daß Mister Halbert mal für Mister Clappers arbeitete.« »Wer ist dieser Hallert?« Die passionierte Detektivin runzelte die Stirn. »Mister Tony Halbert«, korrigierte Josuah Parker leicht, »ist Grafiker, arbeitete für den Druckereibetreiber Forbiter und wurde laut Aussage vom sogenannten Fallbeil dazu auserkoren, die bewußte Reisetasche in die Tiefgarage zu bringen, wo sie schließlich in den Besitz meiner Wenigkeit gelangte.« »Das ist mir selbstverständlich alles bekannt, Mister Parker«, antwortete sie unwirsch. »Sie können davon ausgehen, daß mir keine noch so unwichtige Einzelheit entgeht. Und dieser Werauch-immer arbeitete also für den Maskenbildner? Sagte ich das nicht bereits?« »Mister Halbert entwarf für Mister Dan Clappers das Firmen-Logo und die Briefköpfe. Man sollte vielleicht zusätzlich darauf verweisen, daß die Herren Halbert und Clappers beide im Stadtteil Bloomsbury wohnen.« »Reiner Zufall, Mister Parker«, entschied die ältere Dame, »Sie 57
dürfen sich nicht an unwichtigen Einzelheiten festhalten, das verwirrt nur unnötig.« »Meine Wenigkeit wird sich bemühen, Fehler dieser Art in Zukunft zu vermeiden«, gab Parker höflich wie stets zurück. »Mylady sind übrigens jetzt auf dem Weg zu Mister Martin Score.« »Aha.« Sie räusperte sich explosionsartig. »Ich habe nichts dagegen, Mister Parker.« »Mr. Martin Score hinterließ seine Visitenkarte«, lieferte der Butler sicherheitshalber einen weiteren Hinweis. »Richtig.« Sie nickte und lächelte wissend. »Ich habe daraus bereits meine Schlüsse gezogen. Werde ich übrigens verfolgt?« »Nicht augenscheinlich, Mylady«, antwortete der Butler. »Der momentan herrschende Verkehr läßt eine genaue Feststellung nicht zu.« »Rechne ich mit einer Falle bei diesem…?« »… Mister Martin Score«, setzte der Butler den Satz fort. »Man sollte sie nicht unbedingt ausschließen, Mylady.« »Ich hoffe doch sehr, daß ich ein wenig abgelenkt werde«, seufzte die ältere Dame. »Dieses >Fallbeil< wird sich hoffentlich nicht zurückziehen und wegtauchen.« »Geschäfte dieser Art dürfte das >Fallbeil< sich kaum entgehen lassen«, erwiderte Parker. »Nach Lage der Dinge könnte dieser Kriminelle bereits eine halbe Million Pfund erpreßt haben. Solch ein Geschäft stellt man keineswegs freiwillig ein.« »Was ich mir auch ausgebeten haben möchte«, entgegnete die resolute Dame und lehnte sich zurück. »Ich werde jetzt ein wenig meditieren, Mister Parker. Wecken… äh… melden Sie sich, sobald ich das Ziel erreicht habe.« »Mylady können sich auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen«, gab der Butler zurück. Er blickte kurz in den Rückspiegel. Die ältere Dame hatte bereits die Augen geschlossen und dachte nach. Parker suchte im Verkehr hinter dem hochbeinigen Monstrum nach Fahrzeugen, die ihm verdächtig vorkamen, er konnte aber nichts ausmachen. Man befand sich in einem Strom von Lastwagen, Limousinen und Zweirädern. Die Fahrzeuge wechselten fast ununterbrochen ihre Position. Ein professioneller Verfolger hatte es leicht, ungesehen zu bleiben. Man mußte ihn schon auf ein Terrain locken, das eine Tarnung unmöglich machte. 58
Parker scherte also bei erstbester Möglichkeit aus dem Verkehrsstrom aus und fuhr in eine Seitenstraße. * Bereits fünf Minuten später entdeckte er einen Verfolger. Es handelte sich um zwei Personen, die auf einem geländegängigen Zweirad saßen und einen außerirdischen Eindruck machten, was sicher mit ihren Jet-Helmen und den fast schwarzen SonnenVisieren zusammenhing. Parker warf einen schnellen Blick auf seine Herrin. Sie meditierte nach wie vor und beschäftigte sich intensiv mit ihrem Fall. Parker verzichtete darauf, sie aus ihren Gedanken aufzuschrecken. Er konzentrierte sich wieder auf die beiden Verfolger, die einen recht professionellen Eindruck machten. Sie scheinen mit ihrer Maschine wie verschmolzen und legten sich synchron in die Kurven. Der Butler konnte sich recht gut vorstellen, was die Verfolger planten. Sobald man die geeignete Stelle erreichte, würden sie sicher aus allen vorhandenen Rohren schießen. Dem mußte man schon in Anbetracht des Wagenlacks zuvorkommen. Um Treffer brauchte der Butler sich nicht zu sorgen. Sein Wagen war nämlich absolut schußfest. Er bugsierte die beiden Zweirad-Freunde auf dem Umweg über einige immer noch recht gut befahrene Seitenstraßen schließlich in eine Hafen-Region, die sich für gewisse Auseinandersetzungen immer wieder freundlich anbot. Hier im Großbereich Wapping gab es noch Gegenden, die dringend auf ihre Sanierung warteten. Da waren halb abgewrackte Hafenspeicher, Hallen, Gewerbebetriebe, verlassene Ziegelbauten, in denen einst Büros untergebracht waren, Schuttberge und wilde Müllkippen. Da gab es Hafenbecken mit ölig schillerndem Wasser und schwarzem Brackwasser, halb abgesoffene Lastkähne und verrottete Boote aller Größen. Aber nicht weit davon hatte man dieses weitverzweigte Hafengebiet längst wieder aufgewertet. Hier hatten sich Betriebe aus der Londoner City neu angesiedelt und ausgebreitet. Hier waren Lagerschuppen in Büro- und Apartment-Häuser umgewandelt worden, gab es Hafenbecken, in denen Luxusyachten aller Kaliber 59
festgemacht waren. Parker entschied sich selbstverständlich für die Schattenseite von Wapping und bog in eine weitere Seitenstraße ein, die auf eine ehemalige Fabrik zulief. Die beiden Personen auf dem Zweirad gewannen den Eindruck, als wären sie gerade erst wahrgenommen worden und wollten deshalb umgehend zur Tat schreiten. Weit und breit gab es aber kein bewohnbares Haus. Um sie herum waren nur halb eingefallene Mauern und Zäune, eingestürzte Hallen und Ziegelhäuser. Parker gab Gas und sorgte dafür, daß unter dem Heck des hochbeinigen Monstrums eine deutlich blaue Ölfahne hervorkam. Sie täuschte eine Überanstrengung des Motors vor und regte die Verfolger an, schneller zu werden und den vor ihnen befindlichen Wagen als sichere Beute anzusehen. Sie reagierten entsprechend, wurden schneller und schlossen auf. Sie schienen vom Jagdfieber geradezu gepackt worden zu sein, pfiffen auf alle Vorsicht und kurvten um einige Schutthügel herum. Dabei, das war von Parker deutlich zu beobachten, packte der Mitfahrer eine kurzläufige Maschinenpistole aus seiner Lederweste und richtete sich darauf ein, die ersten Feuerstöße freizugeben. Genau in diesem Augenblick sorgte der Butler für ägyptische Finsternis. Er hatte einen der vielen Kipphebel auf dem Armaturenbrett betätigt und damit eine fettige Rußwolke freigesetzt. Sie schoß ebenfalls unter dem Wagenheck hervor und legte sich als schmieriger Film auf die Sonnen-Visiere der beiden Verfolger, die schlagartig nichts mehr sahen. Der Fahrer des Zweirads reagierte falsch, riß den Lenker herum und jagte das Gefährt auf einen mittelhohen Schuttberg. Dabei zeigte sich, wie geländegängig dieses Motorrad war. Es stieg ohne weiteres recht steil hinauf, kam dann allerdings aus dem Gleichgewicht, erhielt noch eine gehörige Portion Gas und katapultierte sich dann in den mittäglichen Himmel. Nach Erreichen der Gipfelhöhe senkte sich das Zweirad dann jäh ab und landete krachend auf einem wesentlich niedrigeren Schutthügel, wo es das Vorderrad verlor. Der Fahrer des Vehikels hatte inzwischen einen anderthalbfachen Salto absolviert und stieß dabei einen spitzen Schrei der Überraschung aus. Anschließend funktionierte er ungewollt seinen Rücken als Gleitfläche um, segelte über den rückwärtigen Teil des 60
Haupthügels nach unten und landete in einer Wasserlache. Die gülleähnliche Flüssigkeit schwappte über seinem Kopf zusammen, weichte den Mann gründlich ein und hinterließ eine stinkende Schlammschicht. Der Beifahrer hing wie ein nasser Lappen an einem Zaun. Einige morsche Bretter bildeten eine einsturzgefährdete Plattform, die von einem angefaulten Balken gehalten wurde. Dieses Gebilde schwankte und wippte. Und da die Entfernung von der Plattform bis hinunter in die übelriechende Brühe immerhin fast drei Meter betrug, wagte der Beifahrer es nicht, sich zu rühren. »Das war schon recht ansprechend, Mister Parker«, urteilte die ältere Dame, die von Parker inzwischen verständigt worden war. Sie stand neben dem hochbeinigen Monstrum und genoß die Situation. Die fettige Rußwolke hatte sich zwar noch nicht vollends gesenkt, aber man konnte Einzelheiten schon recht gut ausmachen. »Man darf Mylady Zufriedenheit unterstellen?« fragte der Butler. »Durchaus, durchaus, Mister Parker«, gab sie zurück. »Ich warte allerdings darauf, daß auch das zweite Subjekt in der Pfütze landet.« »Darauf wird man nicht mehr lange warten müssen, Mylady«, prophezeite der Butler. »Falls Mylady allerdings darauf bestehen, könnte man das Absteigen von der Plattform natürlich beschleunigen.« »Ich bitte darum, Mister Parker.« Sie nickte und lächelte boshaft. »Wer es wagt, Lady Simpson attackieren zu wollen, muß mit Folgen rechnen. Warten Sie, ich denke, ich selbst werde das übernehmen.« Die energische Dame bewegte ihre majestätische Fülle zu dem schräg aufragenden Balken und langte mit beiden Händen kräftig zu. Sie rüttelte, versetzte ihn ohne erkennbare Schwierigkeit in Schwingungen und erfreute sich an den Hilfeschreien des Plattform-Besetzers. Nach wenigen Augenblicken kapitulierte der Balken vor der Dynamik der älteren Dame, knickte ein und ließ die kleine Plattform seitlich wegkippen. Der Beifahrer warf haltsuchend beide Arme in die Luft, stieß einen nicht gerade salonfähigen Fluch aus und sauste nach unten. Im Bestreben, möglichst mit den Füßen aufzukommen, korrigierte 61
der Stürzende seine Haltung unnötigerweise, leitete damit ein unkontrolliertes Flugmanöver ein und… klatschte voll mit der linken Seite dicht neben seinem Partner in die Brühe. Sie spritzte hochauf und wirbelte erneut übelriechenden Schlamm auf. »Ein hübsches Intermezzo, Mister Parker«, urteilte Lady Agatha. »Muß ich wissen, wer die beiden Subjekte sind und wer sie auf mich angesetzt hat?« »Es könnte nicht unbedingt schaden, Mylady.« »Na schön, Mister Parker, erledigen Sie das bitte«, sagte sie deutlich. »Und sorgen Sie dafür, daß die beiden Lümmel noch mal gründlich durch die Pfütze robben. Sie wissen, ich bin nicht nachtragend, aber ich verzeihe auch niemals.« Josuah Parker lüftete nur andeutungsweise seine schwarze Melone. * »Ich glaube, ich werde Sie rauswerfen lassen«, sagte Martin Score und lächelte überheblich. »So was wie Sie ist mir noch nie über den Weg gelaufen.« Parker und Lady Simpson hatten den Besitzer der Visitenkarte in Wapping aufgesucht und standen einem großen, schweren Mann gegenüber, der einen glattpolierten Kahlkopf aufwies und kleine, schnelle, fast schwarze Augen hatte. Score residierte in einem Penthouse, das man auf dem Flachdach eines ehemaligen Lagerhauses errichtet hatte. Der Vierzigjährige war Inhaber einer Firma, die sich mit chemischer Reinigung aller Art beschäftigte. Er hatte in London eine bekannte Filial-Kette aufgezogen und zeigte sich in seinen vier Wänden als ein vulgärer und überheblicher Selbstdarsteller. Er war sich seines Geldes und der damit seiner Ansicht nach verbundenen Macht voll bewußt. Unterstützt wurde er dabei von einem Mann, der mit Sicherheit Catcher gewesen war. Dessen Körpermaße sprengten alle gängigen Konfektionsgrößen. Er trug zu einer weit geschnittenen Hose eine Art Russenkittel, hatte die sehr fleischigen Arme über der Brust gekreuzt und musterte Mylady und Parker in einer Mischung aus Mißtrauen und Neugier. »Sie haben es mit einer wehrlosen Frau zu tun, junger Mann«, 62
machte die ältere Dame dem Reiniger klar. »Sie werden sich später Vorwürfe machen, falls Sie Gewalt anwenden.« »Stopp, Brett«, sagte Martin Score zu seinem Leibwächter, der sich in Bewegung setzen wollte. »Du wartest, bis ich dir Bescheid sage, ist das klar?« »Is’ klar, Boß«, erfolgte die mehr als gehorsame Antwort. »Lady Simpson ermittelt in einem speziellen Kriminalfall«, wiederholte Parker noch mal. »Es geht um einen Gangster, der sich Fallbeil nennt und der offensichtlich mit speziell angefertigten Kunststoff- oder Kautschukmasken arbeitet.« »Und was habe ich damit zu tun, Leute?« Score lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Nach Myladys Informationen waren auch Sie an solchen Masken interessiert, Mister Score.« »Sie waren bei diesem…?« »Mister Dan Clappers«, präzisierte der Butler. »Sie hatten die Absicht, um dies noch mal zu betonen, diverse Fremdmasken aufgrund von Fotos herstellen zu lassen.« »Stimmt. Und was geht Sie das an?« Er lächelte ohne innere Beteiligung. »Sind Sie nun diese Guillotine oder nicht, junger Mann?« blaffte Lady Agatha den Schwergewichtigen in ihrer direkten Art an. »Würde ich das zugeben, wenn ich’s wäre, Lady?« kam die Gegenfrage. Er schnalzte mit Daumen und Mittelfinger in Richtung Leibwächter und nickte. »Jetzt kannst du sie raussetzen, Brett, aber sachte. Ich will keine Knochenbrüche haben, höchstens ein paar Quetschungen.« »Geht klar, Boß«, freute sich der Catcher bereits im voraus. »Ich pack’ die in den Fahrstuhl und schick’ sie nach unten.« Doch Parker wehrte den Anfängen. Er hatte keine Lust, sich mit dem Schwergewichtigen herumzuschlagen. Hier war der gezielte Angriff immer noch die beste Verteidigung. Bevor der Mann überhaupt seine Arme entkreuzte, stach der Butler bereits mit der Schirmspitze zu und sorgte für einen wilden Aufruhr der Nerven im Zentrum des Solarplexus. Der Vierschrötige blickte den Butler aus weit aufgerissenen Augen an wie ein verwundetes Tier und sackte dann nach vorn. Parker legte den schweren Bambusgriff erst mal ohne jede Hast über den angewinkelten linken Unterarm und kümmerte sich danach um den nach Luft schnappenden Catcher. Um ihm aus einer ge63
wissen Verkrampfung der Atemorgane herauszuhelfen, verabreichte Parker eine kleine Dosis Lachgas aus dem Zerstäuber, und es dauerte nicht lange, bis Brett kicherte und unablässig lachte. * Martin Score war irritiert. Er blickte auf seinen Leibwächter, dann auf den Butler und schließlich auf Lady Simpson, die ihren perlenbestickten Pompadour in bedenkliche Pendelbewegungen versetzt hatte. »Moment mal, hier stimmt doch was nicht«, sagte er schließlich und wollte sich allein vom Klang seiner Stimme her überlegen und amüsiert geben. »Ihr seid doch niemals Amateure. Ist das eure Spezialnummer? Okay, die ist Klasse, aber jetzt will ich wissen, was tatsächlich anliegt, denn ich…« Hier unterbrach er sich und wollte sich um den Inhalt einer Schreibtischlade kümmern, die er blitzschnell aufzog. Seine Hand schoß förmlich vor, die Finger spreizten sich. Nach Parkers Einschätzung wollten die fleischigen Finger nach einer Waffe greifen. Parker zog die Lade wieder zu und bediente sich dabei seines Schirmgriffs. Nach einem kurzen Anrucken wurde die Hand des Reinigers festgeklemmt. Score brüllte auf und langte nun mit der linken Hand zu, um die Lade doch noch aufzuziehen. Myladys Pompadour krachte dicht vor Scores Gesicht auf die Schreibtischplatte. Der Glücksbringer darin, nämlich das schwere Hufeisen, ließ die Platte fast splittern. Score fuhr zurück, starrte auf den zierlichen Handbeutel und zog dann vorsichtig beide Hände zurück. »Gut, ihr habt gewonnen«, sagte er mit belegter Stimme. »Wer hat euch geschickt? Was liegt an? Man kann über alles reden, aber ich muß wissen, wer ihr seid und für wen ihr arbeitet. Ihr seid ein tolles Paar. Diese Masche ist einmalig.« »Genug, junger Mann«, wehrte die ältere Dame fast verschämt ab. »Es ist zwar alles richtig, was Sie da sagen, aber man hört es eben doch zu häufig. Man langweilt sich mit der Zeit.« »Lady Simpson ermittelt privat gegen einen Gangster, der sich Fallbeil nennt«, setzte Parker dem Reiniger erneut auseinander. »Weder Mylady noch meine Wenigkeit stehen im Dienst irgendeiner anderen Person.« 64
»Ihr wollt wirklich Amateure sein?« »In der Tat, Mister Score. Sie hingegen sind offensichtlich Profi innerhalb der kriminellen Szene, sonst hätten Sie keinen Leibwächter und würden auch nicht wie selbstverständlich nach einer Automatic greifen wollen.« Während der Butler sprach, hatte er die bewußte Lade wie selbstverständlich aufgezogen und eine Pistole hervorgeholt. Leibwächter Brett saß derweil in einer Ecke und kicherte ein wenig albern. Er nahm an den Dingen, die geschahen, nicht mehr teil. »Natürlich sind Sie ein Krimineller, junger Mann«, stellte Agatha Simpson fest. »Das merkte ich bereits, als ich hier eintrat. Für so etwas habe ich einen Blick.« »Mir… mir kann keiner was anhängen«, verteidigte sich Score umgehend. »Und mit einem >Fallbeil< habe ich schon gar nichts zu tun. Ich hab’ noch nicht mal davon gehört.« »Sie kennen aber die Herren Hazeltine, Willis und Lantriss«, unterstellte der Butler aus dem Augenblick heraus. »Dies ist eine erwiesene Tatsache, Mister Score.« »Wie man sich eben so kennt«, räumte der Reiniger überraschenderweise sofort ein. »Aber geschäftlich habe ich mit denen nichts am Hut. Unsere Interessen sind gegensätzlicher Natur.« »Würden Sie entgegenkommenderweise Mylady mitteilen, auf welchen speziellen Gebieten Sie sich geschäftlich betätigen?« fragte der Butler. »Ich mache in Reinigung«, lautete die Antwort. »Ich habe mehr als ein Dutzend Filialen hier in London.« »Dies dürfte Ihre offizielle Beschäftigung sein, Mister Score«, schickte der Butler voraus. »Tatsächlich aber verdienen Sie Ihr eigentliches Geld womit?« »Etwa Drogen?« tippte Mylady sofort an. Ihre Stimme glich einem langsam ansteigenden Grollen. »Ich werde mich hüten«, meinte der Reiniger. »Okay, Sie werden’s ja doch herausfinden… Ich beschütze meine BranchenKollegen in der Stadt.« »Sie bieten speziellen Schutz gegen Gebühr, Mister Score?« »So in etwa«, bestätigte der chemische Reiniger. »Alles völlig legal, meine Kollegen haben mich gebeten, das für sie zu organisieren und zu übernehmen, alles ganz freiwillig. Ich würde doch nie was Ungesetzliches machen. Ich doch nicht!« »Das möchte ich Ihnen auch geraten haben, junger Mann«, blaff65
te Lady Simpson ihn an. »Gehen Sie aber davon aus, daß unsere Wege sich irgendwann mal kreuzen. Ich habe das Gefühl, daß ich mich mit Ihnen noch gründlich befassen muß.« »Aber vorher vielleicht noch mal zurück zu dem erwähnten >Fallbeil<, Mister Score«, regte Josuah Parker an. »Sie haben von diesem Täter also noch nie gehört? Aber Sie kennen die Herren Hazeltine, Willis und Lantriss?« »Vor allen Dingen Willis und Hazeltine«, präzisierte Score seine Aussage. »Man trifft sich in Clubs. Man sieht sich auf der Rennbahn. Beim Windhundrennen und so. Geschäftlichen Kontakt im eigentlichen Sinn haben wir aber noch nie gehabt.« »Die Herren Willis, Hazeltine und Lantriss sind in welchen Sparten tätig, Mister Score?« »Na ja, Geldverleih. Dann Inkasso und so.« »Inkasso, junger Mann?« Die Detektivin blickte ihn gereiztmißtrauisch an. »Schuldeneinzug, Mylady«, erklärte Score genauer. »Und Willis investiert dann noch in ganz bestimmte Sachen.« »Auch jetzt wäre eine hinreichende Erklärung angebracht, Mister Score.« »Willis finanziert Geschäfte aller Art«, gab der Reiniger zögernd Auskunft. »Ich will natürlich nichts gesagt haben.« »Sie wollten diverse Masken für welchen Zweck anfertigen lassen, Mister Score?« begehrte der Butler jetzt zu wissen. »Du lieber Himmel! Es ging um einen verrückten Gag… Wir hatten eine Betriebsfeier, und dafür wollte ich unsere Filialleiter gleich dutzendweise vorführen. Eben mit diesen Masken von ihnen. Das war der ganze Grund. Glauben Sie, ich hätte sonst meine Visitenkarte so einfach überreicht?« »Fehler, junger Mann, macht jeder«, erinnerte die ältere Dame. »Arroganz hat schon viele Lümmel stolpern lassen. Rechnen Sie damit, daß Sie mich bestimmt wiedersehen werden.« »Dem möchte meine bescheidene Wenigkeit sich unbedingt anschließen«, fügte Josuah Parker hinzu. * »Post für mich, Mister Parker?« fragte Lady Simpson erfreut. Sie deutete auf ein flaches Päckchen, das auf der Türschwelle ihres 66
Hauses lag. »Mylady können offensichtlich mit einer Video-Kassette rechnen«, prophezeite der Butler. »Aber vielleicht auch nur mit einer regulären Sprengladung.« »Na schön, stellen Sie das bitte fest, Mister Parker.« Sie hatte den Wagen verlassen und wartete, bis der Butler die Haustür geöffnet hatte. Dann überstieg sie das flache Päckchen und betrat nach dem Passieren des verglasten Vorflurs die große Wohnhalle. Parker hatte das Päckchen aufgehoben und wog es in der rechten, schwarz behandschuhten Hand. Dann schüttelte er vorsichtig den Inhalt durch, hörte ein Klappern und kam zu dem Schluß, daß eine gewisse Vorsicht wohl doch angebracht war. Das sogenannte Fallbeil wollte vielleicht schnell und endgültig seine Verfolger abschütteln. Parker erreichte die Wohnhalle, als das Telefon sich meldete. Er hob ab, nannte seinen Namen und hörte die verzerrte, aber ihm dennoch bekannte Stimme des »Fallbeils.« »Sie haben die Absicht, sich nach dem Verbleib des Päckchens zu erkundigen?« fragte Parker. »Ich habe Ihrer Lady und Ihnen ein Video zugeschickt«, erwiderte die verzerrte Stimme. »Wahrscheinlich wird man eine Szene zu sehen bekommen, die unter einem Fallbeil spielt«, meinte der Butler. »Erraten, Parker! Und Sie sollten eine Lehre daraus ziehen, würd’ ich mal sagen.« »Es handelt sich also um eine Drohung?« »Glauben Sie nur ja nicht, daß ich spiele«, warnte das »Fallbeil.« »Sie werden vielleicht zu spät merken, wie real so eine Guillotine sein kann.« »Sie fühlen sich inzwischen bedrängt?« fragte Parker. »Wie kommen Sie denn darauf?« »Sie unternehmen erhebliche Anstrengungen, Mylady und meine Wenigkeit aus dem Weg zu räumen.« »Bisher habe ich mit Ihnen nur gespielt, Parker, aber das ändert sich ab sofort.« »Und die Herren Willis, Hazeltine und Lantriss werden Ihnen dabei sicher behilflich sein.« »Gehen Sie mal davon aus, Parker. Und von anderen Leuten mal ganz zu schweigen.« »In diesem Zusammenhang sollte man wohl auf zwei Motorrad67
fahrer verweisen, die allerdings ein wenig aus dem Kurs kamen.« »Solche Nichtskönner gibt es dutzendweise in der Stadt, Parker. Für Geld kann man alles haben.« »Sie werden sehr schnell begreifen, wie falsch diese Lebenseinstellung ist«, entgegnete der Butler. »Sie können übrigens Myladys Gäste in Kürze wieder in Ihre Dienste nehmen. Man wird sie auf die Straße schicken.« »Sie sprechen von Manners, nicht wahr?« Nach dieser Frage erfolgte ein undeutliches Auflachen, das sicher spöttisch klingen sollte. »Mister Manners und ein völlig unbedeutender, angeblicher Expreßbote«, vervollständigte Parker den Hinweis. »Wie gesagt, Parker, ich bekomme an jeder Straßenecke Mitarbeiter, die bereit sind, scharf zu schießen«, drohte das »Fallbeil«. »Sie werden mir meine Tour nicht vermasseln.« »Sie ist es bereits, doch dies scheinen Sie noch nicht bemerkt zu haben«, erwiderte der Butler. »Man sollte das an sich völlig unergiebige Gespräch jetzt beenden. Es diente aus Ihrer Sicht sicher nur dazu, Ihre Ängste zu bewältigen.« Parker legte auf und ignorierte dann das wiederholte Läuten des Telefons. Er wußte, daß das »Fallbeil« bis aufs Blut gereizt war und weitere Drohungen ausstoßen wollte. Parker öffnete vorsichtig das Päckchen und verzichtete dabei, den regulären Verschluß auch nur anzurühren. Mit einem scharfen Taschenmesser schnitt er die obere Kante auf und vergewisserte sich, daß keine Sprengladung angebracht worden war. Dann hielt er die Video-Kassette in Händen. Sie machte einen völlig unverdächtigen Eindruck. * »Das bin ja ich, Mister Parker…?!« Agatha Simpson beugte sich weit vor, um sich auf dem Bildschirm des Fernsehers noch besser zu sehen. Die Ähnlichkeit war in der Tat erstaunlich. Auf den Stufen, die zur Richtstätte führten, befand sich die ältere Dame, deren Körperformen der Realität entsprachen. Und dann das Gesicht! Da war das fast weiße Haar, die hohe Stirn und die gut ausgebildete Nase, die einen feinen Haken bildete. Dann gab es die gro68
ßen, grauen Augen, den breiten Mund und diverse Falten am Kinn und am Hals. Man sah diesem Gesicht durchaus an, das es sein Alter hatte. Lady Agatha trug übrigens eine Art Tweed-Kostüm, wie sie es bevorzugte, und hatte am linken Handgelenk die Schnüre eines perlenbestickten Pompadours. Der bereits bekannte Henker mit dem nackten Oberkörper und der spitzen Kapuze zerrte Lady Simpson zur Guillotine hinüber und versetzte ihr hier einen derben Stoß, der sie auf das Kippbrett fallen ließ. »Das sollte dieser Lümmel mal bei mir versuchen«, meinte Agatha Simpson. »Ich glaube, er würde unter seinem eigenen Fallbeil enden.« Nach diesem kontrollierten Ausbruch aber wurde die ältere Dame dann doch ein wenig still, denn der Henker hatte sie bereits auf dem Kippbrett festgeschnallt und befaßte sich jetzt noch mal sicherheitshalber mit dem Weidenkorb, prüfte die Sägespäne, ging zurück zur Guillotine und ließ dann unvermittelt das schräg geschnittene Fallbeil nach unten sausen. Man hörte einen dumpfen Knall und sah dann in einer anderen Einstellung den Kopf der Lady Simpson, der im Korb gelandet war und der aus großen Augen den Betrachter der Szene anblickte. »Eine Unverschämtheit«, entrüstete sich die Detektivin nach einer Weile. Groll beherrschte ihre Stimme. »Geschmacklos!« »Sehr eindringlich, wenn diese Bemerkung erlaubt ist«, ließ Josuah Parker sich vernehmen. »Nur für harmlose Gemüter«, entschied Lady Agatha. »Aber jetzt ist das Maß endgültig voll, Mister Parker. Sorgen Sie bitte dafür, daß ich diesem Gangster möglichst bald das Handwerk lege.« »Meine bescheidene Wenigkeit wird sich darum bemühen«, versprach der Butler. »Wo mag die Guillotine nur stehen?« sinnierte die ältere Dame halblaut. »Darüber sollten Sie sich Gedanken machen, Mister Parker.« »Umgehend, Mylady«, lautete die Antwort des Butlers. »Es ist das Fallbeil selbst, das Nachdenken auslöst. Meine Wenigkeit denkt jetzt an den Bau der Guillotine. Solch ein Gerät dürfte keineswegs von einem Hobby-Werker zu konstruieren sein.« »Daran habe auch ich gerade gedacht«, behauptete die ältere Dame. 69
»Zudem muß der gesuchte Täter und Gangster über Mitspieler verfügen«, fuhr Parker fort. »Mylady denken jetzt automatisch an den Henker und auch an die jeweilige Person, die gehenkt wird.« »Richtig, Mister Parker«, bestätigte sie postwendend. »Man macht sich schließlich seine Gedanken. Da kommt mir übrigens gerade eine Idee.« »Dies, Mylady, war zu erwarten«, entgegnete der Butler höflich, ohne eine Miene zu verziehen. »Ich war doch eben erst bei diesem Reinigungslümmel«, sagte sie. »Haben Sie sich den Leibwächter angesehen?« »Ein ausgesprochenes Schwerstgewicht, Mylady.« »Eben«, fügte sie eifrig hinzu. »Er gleicht dem Henker aufs Haar, das heißt, Muskel für Muskel. Hoffentlich sind Sie meiner Meinung?« »Meine Wenigkeit wird sich entsprechend bemühen«, versprach der Butler. »Mylady haben aber klar erkannt, daß das >Fallbeil< ohne fremde Hilfe nicht in der Lage war und ist, solche Hinrichtungsszenen zu drehen.« »Was ich mir natürlich gleich dachte«, meinte sie und nickte nachdrücklich. »Dieser Täter wird für mich immer deutlicher, Mister Parker. Sie müssen ihn eigentlich nur noch finden.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an und verzichtete auf jeden Kommentar. * »Es war hoffentlich eine gute Idee, die beiden Lümmel aus dem Haus zu weisen, Mister Parker«, überlegte die ältere Dame und legte einen skeptischen Unterton in ihre Stimme. Sie saß wieder im Fond des hochbeinigen Monstrums und freute sich auf die nächsten Zwischenfälle. Nach einer kleinen Siesta um die Mittagszeit drängte es sie, endlich wieder tätig zu werden. Die Hausherrin bezog sich auf die beiden Pensionsgäste, auf den Mantelträger Manners und auf den angeblichen Expreßboten. Parker brauchte sie nicht mehr, denn sie waren nicht in der Lage, sich zum »Fallbeil« zu äußern. Er hatte sie aus ihrem Gästezimmer geholt, ihre Gesichter abgedeckt und dann vor dem Haus ausgesetzt. Ungewöhnlich schnell und natürlich unter Drohungen hatten sie sich dann zur Durch70
gangsstraße bemüht. »Mylady werden eindeutig Kosten einsparen«, versicherte der Butler ihr. »Ich werde das alles von den fünfzigtausend Pfund abziehen«, kündigte sie umgehend an. »Eine alleinstehende Frau in meiner Lage muß schließlich mit jedem Penny rechnen. Na schön, wohin fahre ich jetzt? Was steht auf meinem Programm, Mister Parker?« »Mylady wollen den beiden Angestellten des Maskenbildners einen Besuch abstatten. Sie haben von Mittag an bis morgen Urlaub, der von ihnen ganz spontan beantragt wurde, wie Mister Dan Clappers meiner Wenigkeit erklärte.« »Lappers?« gab sie gedehnt zurück. »Mister Clappers, den Mylady unschwer meinen, ist der bereits besuchte Maskenbildner, der Myladys Maske anfertigen will«, erinnerte der Butler. »Wer sonst, Mister Parker?« lautete ihre strenge Antwort. »Ich habe schließlich alle Details genau im Kopf. Wo finde ich die beiden Assistenten?« »Im nahen Westminster, Mylady«, gab Parker Auskunft. »Mister Raptow besitzt dort ein kleines Haus, wie zu erfahren war. Dort wohnt er zusammen mit seinem Freund Wanders.« »Wie auch immer.« Sie lehnte sich zurück. »Ist Ihnen etwas aufgefallen als ich die Video-Kassette fand, Mister Parker?« »Durchaus, Mylady. Das sogenannte Fallbeil muß Myladys Heimkehr aus nächster Nähe beobachtet haben.« »Und warum habe ich das Fallbeil nicht gesehen, Mister Parker?« »Die Tarnung des Gesuchten war sicher zu gut, Mylady.« »Eigentlich dürfte Ihnen so etwas nicht passieren«, monierte die ältere Dame. »Ich denke, in Zukunft werde ich mich selbst bemühen. Mir, das steht fest, wäre so etwas nicht passiert.« »Mit letzter Sicherheit nicht, Mylady.« »Werde ich verfolgt?« Sie wechselte das Thema in bewährter Weise. »Man müßte erst einige gezielte Umwege fahren, Mylady, um darauf seriös antworten zu können.« »Schütteln Sie die Verfolger ab«, verlangte sie. »Ich möchte bei diesen Maskenmännern nicht gestört werden. Diese Lümmel wissen, daß ich komme?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady.« »Vielleicht ist das ganz gut so.« Sie gähnte verhalten. »Denken 71
Sie aber jetzt erst mal an die Verfolger.« Sie schloß die Augen und leitete eine Meditation ein, wie erste Schnarchtöne schnell ankündigten. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sie eingeschlafen war. Parker nahm dies wie selbstverständlich zur Kenntnis und fuhr erst mal in den Nordwesten der Stadt. Er ging davon aus, daß das »Fallbeil« weitere Profis angeheuert hatte, um seine Ruhe zu bekommen. Der Kriminelle wußte schließlich längst, wie gefährlich Lady Simpson und Josuah Parker waren. Er hatte bisher schon einige bemerkenswerte Anstrengungen unternommen, um seine Verfolger abzuschütteln und sogar zu vernichten. Parker dachte über das nach, was er an Informationen bisher sammeln konnte. Die Verflechtungen der Herren Willis, Hazeltine und Lantriss untereinander redeten eine deutliche Sprache. In diesem Dunstkreis war das »Fallbeil« zu suchen. Dazu gehörte allerdings auch Jerry Catsly, der immerhin einen Schützen vor Tony Halberts Haus aufgebaut hatte. Catsly war sicher nur eine Randfigur, die man aber auf keinen Fall außer acht lassen durfte. Besonders interessant aber war und blieb der Träger der Reisetasche, nämlich Tony Halbert. Das »Fallbeil« hatte ihn laut Aussage Halberts und auch des erpreßten Druckers Forbiter dazu auserkoren, die Gelder zu überbringen. Halbert, ein Grafiker mit eigenem Atelier, hatte für Forbiter gearbeitet und schien darüber hinaus keineswegs unbekannt zu sein. Kannte er vielleicht doch das »Fallbeil«? Wußte er, wo die Guillotine stand? Parker bewegte sich in einem Außenbezirk der Stadt, doch der allgemein starke Verkehr ließ nicht zu, einen Verfolger auszumachen. So steuerte er einen Parkplatz an, fand eine entsprechende Parktasche und stellte darin seine sogenannte Trickkiste auf Rädern ab. Er bot sich als Zielobjekt an… * Ein kleiner, wendiger Vauxhall erschien nach etwa fünf Minuten auf dem Parkplatz. Parker konnte sich nicht erinnern, ihn während der Fahrt hierher gesehen zu haben, daß heißt, er hatte natürlich sehr viele Wagen dieses Typs wahrgenommen. Der Butler saß stocksteif am Steuer, als habe er einen Ladestock 72
verschluckt. Er hatte eine Straßenkarte ausgebreitet und schien sich orientieren zu wollen. Lady Agatha schlief nach wie vor und beschäftigte sich in ihrem Träumen mit dem anstehenden Fall. Der Vauxhall rollte langsam näher, passierte das hochbeinige Monstrum und bog in die nächste Gasse ein, durchfuhr sie, bog erneut ein und kam langsam wieder zurück, um dann jäh zu stoppen. Fahrer und Beifahrer fielen förmlich aus dem kleinen Wagen und liefen auf das ehemalige Taxi zu, streckten ihre Arme aus und wollten dann Fahrer- und Beifahrertür gleichzeitig aufreißen. Doch der Butler hatte bereits seine Vorkehrungen getroffen und sich auf einen Überraschungsangriff eingestellt. Die Türgriffe seiner »Trickkiste auf Rädern« standen unter Spannung. Aus gesundheitlichen Gründen war die Stromstärke allerdings sehr niedrig, aber reichte völlig aus, um die beiden Zugreifer zu Boden zu schicken. Unsichtbare Hände schienen sie zurückgerissen zu haben. Sie flogen förmlich zurück, überschlugen sich fast, rollten dann seitlich ab und blieben anschließend in grotesker Haltung auf dem Asphalt liegen. Der Stromstoß hatte ihre Muskeln reagieren lassen. Diese Muskeln hatten sich verspannt und behielten den Zustand bei. In einer Art Katalepsie lagen die Kerle links und rechts vom hochbeinigen Monstrum. Sie bekamen durchaus mit, daß Parker sie entwaffnete, doch sie waren nicht in der Lage, dagegen etwas zu unternehmen. Als sich dann die Verspannungen lösten, bemühte Parker zwei seiner Wegwerffesseln und band ihnen die Handgelenke zusammen. Die gefundenen Trommelrevolver hatte er längst in den Taschen seines Covercoats verschwinden lassen. »Die Herren sollten vielleicht einige Hinweise geben«, schickte Josuah Parker voraus. »Noch befindet meine Wenigkeit sich im Stadium der Notwehr. Mit einer überzogenen Reaktion meinerseits ist daher durchaus zu rechnen.« Er lüpfte einen Revolver so, daß er von den beiden VauxhallFahrern gesehen wurde. Als Profis verstanden sie sofort und meinten, man könne ja über alles reden. »Dem möchte meine bescheidene Wenigkeit nicht widersprechen«, erwiderte Josuah Parker. »Tun Sie sich also keinen Zwang 73
an. Fassen Sie es nicht als Drohung auf, aber meiden Sie jeden weiteren Kontakt mit den Türgriffen.« »Wie… wieso meiden?« fragte einer der beiden. »Nun, es ist denkbar, daß Sie nach einem Griff langen«, machte der Butler ihm klar, worauf der Mann verstand und langsam den Kopf schüttelte. »Alles klar«, fügte er dann noch hinzu, damit keine Mißverständnisse aufkommen konnten. »Uns hat so ein Typ eingekauft. Wir sollten Sie und ‘ne Frau im Wagen leicht behandeln.« »Eine präzise Angabe wäre Ihrer Gesundheit ungemein dienlich.« »Hospital«, lautete die lakonische Antwort. »Aber kein Mord, darauf leiste ich jeden Eid.« »Sie erwähnten einen Typ, wie Sie sich auszudrücken beliebten.« »Der Mann heißt Catsly«, informierte er. »Der übernimmt spezielle Aufträge, aber den werden Sie nicht kennen.« »Meine Wenigkeit möchte nicht widersprechen«, antwortete der Butler, der einen Mann namens Jerry Catsly als verhinderten Heumacher-Freund kennengelernt hatte. Catsly hatte immerhin einen Schützen vor Mr. Tony Halberts Haus postiert. »Die Herren werden wie honoriert?« wollte Josuah Parker wissen. »Jeder von uns fünfhundert Pfund.« »Mister Catsly wird jedem von Ihnen das Doppelte zahlen, falls Sie ihm klarmachen können, daß Sie sich hereingelegt fühlen.« »Wieso denn das?« staunte der zweite Vauxhall-Benutzer. »Mister Catsly hat bewußt verschwiegen, daß die Herren zwangsläufig in eine Falle laufen mußten. Dies sollten Sie sich nicht bieten lassen.« »Da is’ was dran«, meinte der erste Mann und nickte langsam. »Hören Sie, lassen Sie uns abbrausen? Ich glaube, wir haben noch ‘ne Menge zu tun.« »Die Herren sollten sich sogar sputen«, riet der Butler den beiden Schlägern. »Wie gesagt, man hat Sie absichtlich getäuscht.« »Da is’ was dran«, bekam Parker erneut zu hören. »Und wer seid Ihr? Seid ihr neu hier in London?« »Man schickte meine Begleiterin und mich hierher nach London, um Quartier für einen Mister Brown zu machen, der einen italienischen Namen trägt.« »Verstanden, verstanden«, murmelte einer der beiden Männer. »Mafia und so, oder?« »Wollen Sie unbedingt Selbstmord begehen, Mister?« erkundigte 74
sich der Butler. »Fahren Sie jetzt zu Ihrem Auftraggeber und machen Sie ihm Ihren Standpunkt klar.« »Mann, der kann sich auf was gefaßt machen«, schwor der Profi. »Den drehen wir durch die Mangel«, leistete der andere Mann eine Art Eid. »Wo, wenn man fragen darf, traf man sich?« stellte der Butler wirklich gekonnt wie beiläufig seine Frage. »In dem Pub«, erfolgte die Antwort. »Wir sind da Stammgäste und meistens zu erreichen.« »Mister Catsly ist Ihnen näher bekannt?« »Nee, das eigentlich nicht, aber wir wissen natürlich, daß er ganz schön im Geschäft ist und manchmal für Eddy Lantriss arbeitet.« »Die Namen Willis oder Hazeltine sagen Ihnen hingegen nichts?« »Na ja, die sind natürlich auch nicht gerade unbekannt«, räumte der zweite Profi ein. »Aber mit denen hatten wir noch nie zu tun. Wissen Sie, wir steigen ja gerade erst ein. Wir kommen aus Liverpool. Wenn Sie mal ‘n paar Spezialisten brauchen, machen wir sofort mit. Sie treffen uns im >Teelöffel< unten an der Themse.« »Man wird sich immer gern an Sie erinnern und bei Bedarf auf Sie zurückkommen«, versprach Parker, um die beiden Männer dann zu ihrem Wagen zurück zu schicken. Natürlich hatte er ihre Wegwerffesseln nicht aufgeschnitten. Er brauchte immerhin einen kleinen Vorsprung. * Das Haus war freundlich, schmal und lud zum Nähertreten ein. Es stand m einer Reihe fast gleich aussehender Bauten und befand sich im Stadtteil in guter Gesellschaft. Die beiden Assistenten des Maskenbildners Dan Clappers waren um die Dreißig, mittelgroß und schlank. Sie hatten sich im Souterrain des Hauses, dessen Tür und Fenster zu einem winzig kleinen Garten hinausführten, eine eigene Werkstatt eingerichtet und arbeiteten an Perücken. »Clappers hat nichts dagegen«, sagte Raptow, ein Brillenträger, der stets zu lächeln schien. »Wir bessern damit unser Gehalt auf.« »Wir arbeiten fürs Theater«, fügte Ralph Wanders hinzu. »Perücken sind eine sichere Einnahmequelle.« 75
»Die Herren fertigen auch Kautschuk-Masken?« erkundigte sich Parker. »Nicht hier, nur bei Clappers«, antwortete Mel Raptow. »Der verdient damit ein Vermögen.« »Sie haben noch nie daran gedacht, sich selbständig zu machen?« »Dazu gehört eine Menge Geld«, meinte Wanders, »und außerdem braucht man natürlich auch Verbindungen.« »Ihr Verhältnis zu Mister Clappers scheint recht harmonisch zu sein.« »Wir kommen miteinander aus«, bestätigte Raptow. »Aber er ist immerhin der Boß, da gibt es keine Zweifel.« »Sie wissen laut Mister Clappers, wo Mylady und meine Wenigkeit eine Guillotine finden können«, bluffte der Butler. »Eine Guillotine?« Raptow runzelte die Stirn. »Eine Bühnen-Guillotine«, präzisierte der Butler. »Ein Fallbeil, junger Mann«, half Lady Simpson aus, die mitgekommen war und bereits ungeduldig wurde. Sie stand neben einem kleinen Couchtisch, auf dem gebrauchtes Geschirr und Warmhalte-Packungen thronten. Die ältere Dame schnupperte angeregt. »Ach so, eine Bühnen-Guillotine«, erwiderte Raptow. »Wieso hat der Boß Sie zu uns geschickt? Er weiß doch besser Bescheid als wir.« »Dies sollten Sie vielleicht ein wenig ausführlicher erklären«, bat der Butler. »Drüben im Pimlico gibt’s ‘ne kleine Bühne, die aber schon seit Monaten geschlossen ist«, erläuterte jetzt Wanders. »Die hatten mit einer Produktion Pleite gemacht. Sechs Vorstellungen, dann war Sense. Und da steht so ein Ding. Wir haben damals mit Clappers die Masken entworfen.« »Das war eine politische Revue«, erinnerte sich nun auch Raptow und lächelte. »Wir haben Masken von bekannten Politikern gemacht. Eigentlich schade, daß das Stück nicht ankam.« »Mister Clappers kündigte Myladys Kommen an?« fragte der Butler weiter. »Ja, hat er gemacht«, erklärte Raptow, der jetzt Mylady kurz musterte und sich quasi entschuldigte. »Wir haben noch nicht abgeräumt«, sagte er. »Können wir Ihnen was anbieten, Mylady?« 76
»Es riecht verführerisch nach Brathähnchen«, sagte Agatha Simpson und krauste ihr Riechorgan. »Haben wir hier aus ‘ner Braterei«, erwiderte Raptow. »Wir hätten Fruchtsaft oder einen anständigen Brandy.« »Den Fruchtsaft werde ich sparen, junger Mann«, ließ Lady Simpson sich vernehmen. »Würden die Herren meiner Wenigkeit beipflichten und zugestehen, daß Sie keineswegs Brathähnchen zu sich nahmen, sondern türkisches Kebab?« Parker deutete mit der Schirmspitze auf die Warmhalte-Packungen, in denen tatsächlich Reste dieser Speise zu sehen waren. »Na, und…?« fragte Raptow ärgerlich zurück. »Sie müssen Besuch von einer Person gehabt haben, deren Kleidung mit dem Geruch von Brathähnchen förmlich durchsetzt ist«, stellte Josuah Parker fest. »Sollte ein Mitarbeiter des Mister Willis bei Ihnen gewesen sein? Könnte er vielleicht noch hier zu erreichen sein?« »Könnte er«, sagte eine Stimme, die dem Butler nicht unbekannt war. Hähnchenbrater Hank Willis hatte im Hintergrund der kleinen Werkstatt einen Vorhang zur Seite geschlagen und erschien auf der Bildfläche. Er hielt eine Automatic mit einem überlangen Schalldämpfer in der rechten Hand. Und er wirkte gar nicht mehr sympathisch. * »Sie erlauben, Mister Willis, daß meine Wenigkeit wirklich nicht sonderlich überrascht ist«, sagte Parker. »Das trifft auch auf mich zu«, ließ die ältere Dame umgehend vernehmen. »Ich wußte eigentlich von Beginn an, daß Sie die sogenannte Guillotine sind, junger Mann.« »Reden Sie doch keinen Unsinn, Lady«, brauste der ehemals sympathisch wirkende Hank Willis auf. »Einen Dreck haben Sie gewußt!« »Es war Ihre selbstverständliche Großzügigkeit, die einen ersten, dafür aber auch starken Verdacht aufkommen ließ«, sagte der Butler. »Sie erinnern sich, Mister Willis: Sie waren bereit, ohne weiteres tausend Pfund als sogenannten Finderlohn zu zahlen, als 77
man von der bewußten Reisetasche sprach. Ein untergeordneter Mitarbeiter des >Fallbeils< hätte sich eine solche Freiheit niemals herauszunehmen getraut.« »Das hat man nun von seiner Großzügigkeit«, spöttelte Willis, der auf Distanz blieb und einen sehr profihaften Eindruck machte. Parker war fest davon überzeugt, daß dieser Mann sofort und gnadenlos schießen würde, falls er es für notwendig hielt. Willis war alles zuzutrauen. »Zu dieser Großzügigkeit kam dann noch die Tatsache, daß ein Mann Ihres Zuschnitts niemals für einen anderen Unternehmer arbeiten würde«, zählte Parker einen weiteren Grund auf. »Dazu verdienen Sie selbst zuviel.« »Und dazu dürften Sie auch zu eitel sein.« »Sie sind ganz schön keß«, meinte Willis, dessen Mund schmal wurde. Seine Augen verengten sich. Er glich dem Schurken in einem entsprechenden Gangsterfilm. »Die Herren Hazeltine und Lantriss konnten nur Ihre Zuträger sein«, redete der Butler weiter, während Lady Simpson sich langsam auf einem Stuhl niederließ und hörbar schnaufte. Sie schien unter Kreislaufbeschwerden zu leiden. Willis schenkte ihr einen kurzen Blick, um sich dann aber wieder auf den Butler zu konzentrieren. »Ihr Taschenträger Halbert sorgte ungewollt für weitere Hinweise auf Sie«, sagte der Butler. »Als Grafiker kannte und kennt er alle Personen, mit denen Mylady sich beschäftigte. Er war den Personen also bekannt, denen er die Taschen übergeben mußte. Und diese Personen wiederum wurden immer wieder ausgewechselt, damit keine Rückschlüsse gezogen werden konnten. Darf man erfahren, Mister Willis, wie Sie auf den Gedanken kamen, als >Fallbeil< zu operieren?« »Das Bühnenstück, von dem eben gesprochen wurde«, sagte Willis. »Raptow und Wanders haben die verschiedenen Rollen übernommen.« »Henker und Opfer, Mister Willis, nicht wahr?« »Stimmt haargenau, Parker. Und ich habe die Videos gedreht.« »Mister Clappers hat nach wie vor keine Ahnung davon, welcher Nebenbeschäftigung seine beiden Mitarbeiter nachgehen?« »Richtig, Parker. Clappers ist ahnungslos. Und er soll es auch bleiben.« »Sie haben gewisse Pläne, was Mylady und meine Wenigkeit be78
trifft, Mister Willis?« »Also, das kann man nun wirklich sagen, Parker.« Das »Fallbeil« lachte ironisch. »Vielleicht sollten Sie noch abschließend wissen, Mister Willis, daß es Ihre beiden Maskenbildner Raptow und Wanders waren, die Verdacht aufkommen ließen. Das > Fallbeil < brauchte immerhin zwei Personen, die die bekannten Rollen in Ihren Videos übernehmen mußten.« »Das reicht jetzt, Parker«, sagte Willis, der Hähnchenbrater. »Ich denke, wir sollten uns die Guillotine mal aus der Nähe ansehen.« »Und dann, junger Mann?« wollte die ältere Dame wissen. »Drehen wir ein weiteres Video, aber ohne Masken«, lautete die Antwort des sogenannten Fallbeils. * Josuah Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums. Auf dem Beifahrersitz hatte Willis es sich bequem gemacht. Er drückte den Lauf seiner schallgedämpften Waffe gegen die linke Hüfte des Butlers und war bereit, umgehend zu schießen. So hatte er sich wenigstens vor wenigen Minuten ausgedrückt. Im geräumigen Fond des Wagens thronte Lady Simpson zwischen den beiden Maskenbildnern Raptow und Wanders. Sie machte einen überraschend friedlichen, ja, ergebenen Eindruck und schien allen Mut verloren zu haben. Die beiden Männer links und rechts von ihr waren gelöst. Sie konnten sich nicht vorstellen, daß die nicht mehr taufrische Dame Widerstand leisten würde. Willis redete und redete… Er schien unter innerem Druck zu stehen und setzte dem Butler auseinander, warum und wieso er über seinen Verdienst hinaus noch zusätzlich Geld erpreßte. Er sprach von der Ausweitung seiner Bratereien, von Spielschulden, von Konkurrenten und von Einfluß. Er bezeichnete sich als ein Super-As und wollte es der Welt noch zeigen. Seine Eitelkeit und seine Geldgier triumphierten. Er wies Parker den Weg zu dem kleinen Theater, in dem die PolitRevue gezeigt worden war. Und er wiederholte immer wieder, er würde sofort und gnadenlos schießen, falls man ihn reizte. 79
Parker verhielt sich kooperationsbereit, folgte den Anweisungen des Mannes und drückte schließlich mit der Spitze seines linken Schuhs auf eine kleine Erhebung unter der Fußmatte des Wagenbodens. Daraufhin zuckte Willis zusammen und stieß einen Fluch aus. »Was war denn das?« fragte er und liftete sein Gesäß ein wenig. »Wie meinen, Mister Willis?« Parker war die Höflichkeit in Person. »Da hat mich gerade was gestochen.« »Eine Schnake, möglicherweise, Sir?« »Quatsch! In den Hintern, Parker…« »Vielleicht eine Polsterfeder, Mister Willis. Wie zu sehen sein dürfte, ist der Wagen schon ein wenig betagt.« »Was, zum Teufel, war das?« Willis sog scharf die Luft ein und rutschte auf seinem Sitz unruhig hin und her. Er spürte einen aufsteigenden Juckreiz und scheuerte seinen Rücken bereits intensiv an der Sitzlehne. Parker hatte durch den bewußten Fußdruck eine Art Injektionsspritze freigesetzt, die ihren Inhalt in das Gesäß des Mannes befördert hatte. Wie gesagt, Eingeweihte sprachen nicht grundlos von einer Trickkiste auf Rädern, was dieses Gefährt betraf. »Das… das ist ja nicht zum Aushalten«, stöhnte Willis, der längst seine Waffe als Scheuerleiste benutzte. Mit dem überlangen Schalldämpfer kratzte er sich den Rücken und stieß dabei wollüstige Laute aus. »Wenn Sie gestatten, Mister Willis?« Parker nahm ihm wie selbstverständlich die Waffe ab und bedachte den Gangster dann mit einer Dosis Chloralhydrat, worauf das »Fallbeil« zu schnaufen begann, die Augen verdrehte und schließlich in sich zusammenrutschte. Die drei Personen im Fond des hochbeinigen Monstrums lächelten dazu versonnen. Parker hatte sie pauschal mit einer Portion Lachgas behandelt, um allen Eventualitäten vorzubeugen. Die beiden jungen Maskenbildner Raptow und Wanders hatten ihre Köpfe gegen Myladys Schultern gelegt und machten einen überaus friedlichen Eindruck. Lady Agatha lächelte versonnen und leckte sich hin und wieder die Lippen. Wahrscheinlich dachte sie an gebratene Hähnchen. Parker wollte dies auf keinen Fall ausschließen. Da er das kleine Theater kannte, zu dem man fuhr, brauchte er keine Hinweise von Willis. Nach etwa zwanzig Minuten hatte er 80
die schmale Sackgasse erreicht, in der der Bühneneingang lag. Parker stieg aus, schloß sein Gefährt ab und überredete das Schloß der Bühnentür dazu, sich möglichst freiwillig zu öffnen. Der Butler suchte und fand entsprechende Korridore, Treppen und Türen, überwand die kleinen Hindernisse und stand plötzlich auf einer Bühne. Durch die recht verschmutzten Fenster des Schnürbodens sah der Butler dann die bewußte Guillotine, die einen sehr intakten Eindruck machte. Er näherte sich ihr, betrachtete das schräg geschnittene Fallbeil hoch oben im schmalen Längsrahmen und betätigte den Auslöse-Hebel. Das Geräusch des niedersausenden Fallbeils war schrecklich. * »Die unwichtigen Details überlasse ich dem guten Mister McWarden, sonst bekommt er noch Komplexe«, meinte Agatha Simpson einige Zeit später. Sie lächelte mehr als sonst und stand noch unter dem Eindruck der Lachgas-Dusche. Daher stammte wohl auch ihre Friedfertigkeit. Parker hatte den Yard-Beamten alarmiert, ihn eingewiesen und ihm die Entgegennahme der diversen Geständnisse überlassen. »Mylady haben spezielle Wünsche?« erkundigte sich der Butler. Er saß am Steuer des hochbeinigen Monstrums und war auf dem Weg zurück in die City. »Ich fürchte, mein Blutzucker ist rapide gesunken«, beunruhigte sie sich. »Ich werde unbedingt eine Kleinigkeit zu mir nehmen müssen.« »Mylady haben in dieser Hinsicht bereits gewisse Vorstellungen?« »Brathähnchen«, sagte sie. »Ich habe den Geruch noch in der Nase.« »Man könnte die Braterei des Mister Willis in Soho aufsuchen«, schlug der Butler vor. »Eine sehr gute Idee, Mister Parker«, lobte sie spontan. »Und ich werde dort sagen, ich wäre von diesem >Fallbeil< eingeladen worden.« »Man wird Mylady aufs Wort glauben«, versicherte Parker ihr. »Und falls nicht, Mister Parker, werde ich sehr energisch«, sagte sie. »Können Sie nicht etwas schneller fahren?« 81
Parker konnte!
-ENDENächste Woche erscheint BUTLER PARKER Band 587 Manfred Wegener
PARKER legt die Fälscher aufs Kreuz Lady Agatha erwirbt eine sündhaft teure Violine. Ein dezenter Hinweis des Kunsthändlers bringt Mylady und Parker nach Schottland. Dort muß ein verarmter Adliger sich blutenden Herzens von etlichen Gemälden trennen. Da Lady Simpson eine Gelegenheit wittert, kauft sie fünf wertvolle alte Meister, um sie gewinnbringend abzusetzen. Leider sind es aber nur alte Schinken in neuem Öl, wie man im vornahmen Auktionshaus schnell erkennt, und auch die Violine ist das Holz nicht wert. Bei weiteren Recherchen stößt das skurrile Paar auf eine Fälscherbande, die alte Schlösser mietet und falsche Grafen auftreten läßt. Der angerichtete Schaden geht in die Millionen. Das Paar aus Shepherd’s Market soll prompt liquidiert werden, und Parker muß alle Register ziehen, um seine Herrin vor Schaden zu bewahren. Ein neuer BUTLER PARKER aus der Feder von Manfred Wegener! Gönnen Sie sich die Story!
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