Parker zapft das »Großhirn« an Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
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Parker zapft das »Großhirn« an Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Sie bemühte sich, Selbstsicherheit vorzutäuschen. Die junge Frau, die etwa achtundzwanzig Jahre zählte, war mittelgroß, schlank und trug einen einfa chen Regenmantel, der ihre Figur verbarg. Sie hatte die kleine Halle des Hotels betreten und ging zum Portier, der hinter einem Stehpult stand und Papiere sortierte. Er schaute kurz hoch und schaltete sein berufsmäßiges Lächeln ein. »Mr. Litters erwartet mich«, sagte sie. »Mrs. Miller?« fragte der Portier höflich. Er hatte sich sein Urteil bereits gebildet. Seiner Schätzung nach hatte er es mit einer netten Hausfrau zu tun, die sich auf dem Parkett eines Hotels selbst dieser Größe nicht besonders wohl fühlte. »Wie bitte? Ach s o . . . Mrs. Miller.« Sie nickte und preßte ihre kleine Handtasche fest gegen ihre Brust. »Sie finden Mr. Litters im Obergeschoß, Madam«, erklärte der Portier, »es lohnt sich nicht, den Lift zu benutzen. - Es ist der kleine Sitzungssaal, Nummer sechs.« Sie nickte und eilte dann zur Treppe. Als sie hinauf stieg, schaute sie kurz zum Portier hinüber, doch der beschäftige sich bereits wieder mit seinen Papieren.
Er hatte es sich abgewöhnt, neugierig zu sein. Menschliches war ihm in sei nem Beruf nicht mehr fremd. Die junge Frau, die ein recht hüb sches Gesicht hatte, holte tief Luft und stieg weiter nach oben. Sie fuhr sich nervös durch das Haar und zupfte an ihrem Regenmantel. Von Stufe zu Stufe wurde sie langsamer. Die Tür zum kleinen Sitzungssaal war weit geöffnet. Es handelte sich um ein größeres Zimmer, das die Bezeichnung Saal eigentlich nicht verdiente. Links und rechts von den beiden schmalen, hohen Fenstern langweilten sich ver staubt aussehende Zimmerpalmen. Es gab einen langen Tisch, um den herum acht Polsterstühle standen, dann eine Sitzgruppe, die aus einem altertümli chen Sofa und zwei Sesseln bestand. Auf dem Boden lag ein durchgetretener Teppich. Mrs. Miller, wie sie sich genannt hat te, sah sich nervös-erwartungsvoll um, denn der Raum war leer. Sie ging zu rück auf den Korridor, dann wieder hin ein in den sogenannten Sitzungssaal und warf einen Blick auf ihre Armband uhr. Nun - sie war pünktlich und hatte sich nicht verspätet. Terry Litters, wie der Briefschreiber sich genannt hatte, erwartete sie um elf Uhr in diesem Ho tel der Mittelklasse im Stadtteil Bloomsbury. Die Frau fuhr zusammen, als sie hin ter sich ein Räuspern hörte. Judy Ten ders, wie sie tatsächlich hieß, drehte sich um und sah sich einem Mann ge genüber, der ihr sofort unsympathisch war. Er war etwa fünfzig, untersetzt und
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dicklich. »Mrs. Tenders, nicht wahr?« fragte er mit weicher Stimme. »Haben Sie mir geschrieben?« Sie deutete auf ihre Handtasche, in der sich wohl der angesprochene Brief befand. »Ich habe geschrieben und freue mich, daß Sie gekommen sind«, ant wortete er, »ich schlage vor, wir gehen für einen Moment in mein Zimmer.« »Ich möchte lieber hier sein«, gab sie zurück. Sie sagte es ohne jeden Nach druck. »Kommen Sie«, forderte er sie auf, »Sie wissen genau, daß Sie mitkommen werden, Mrs. Tenders.« Er kümmerte sich nicht weiter um sie, wandte sich ab und ging den Korri dor hinunter. Judy Tenders zögerte ei nen Moment, senkte dann fast ergeben den Kopf und folgte dem Mann, der sich seiner Macht völlig sicher war. Er wartete, bis sie sein Zimmer betre ten hatte. Sie roch sofort das aufdringli che, schwere und süßliche Parfüm, das förmlich in Wolken im Zimmer hing. Terry Litters deutete auf einen Sessel. »Zuerst mal den Brief, den ich Ihnen geschrieben habe«, meinte er und streckte seine Hand aus. Judy Tenders öffnete gehorsam die Handtasche und reichte ihm einen Umschlag. Der Mann vergewisserte sich, daß sich darin das Schreiben befand. Dann steckte er den Umschlag ein. »Was wollen Sie eigentlich von mir?« fragte Judy Tenders und zwang sich zur Ruhe. »Mit Geld kann ich kaum dienen. Wirklich nicht...« »Ich will kein Geld«, antwortete der
Mann, der sich Jerry Litters nannte, »nein, nein, da kann ich sie völlig beru higen, Mrs. Tenders.« »Was wollen Sie dann?« fragte sie. Ih re Stimme klang etwas heiser. »Möchten Sie etwas trinken?« fragte er. Es ging ihm eindeutig darum, sie erst mal im Ungewissen zu lassen. »Ich . . . ich habe nicht viel Zeit«, ent schuldigte sie sich, »bitte, sagen Sie mir endlich, was Sie wollen.« »Ziehen Sie sich aus«, lautete seine Antwort. Diese Aufforderung klang wie selbstverständlich. »Was soll ich tun?« Sie sah ihn aus großen Augen an. »Ziehen Sie sich aus«, wiederholte er noch mal, »nun machen Sie schon ...« Er kümmerte sich nicht weiter um sie, sondern langte nach einer moder nen japanischen Spiegelreflex-Kamera, die auf einem kleinen Sekretär lag. Er überprüfte das aufgesetzte Blitzlichtge rät und lächelte abwesend. Judy Tenders schüttelte den Kopf, wollte etwas sagen, vielleicht protestie ren und wußte gleichzeitig, daß sie die sem Befehl doch nachkommen würde.
»Als ehemalige Pfadfinderin bin ich verpflichtet, jeden Tag eine gute Tat zu begehen«, stellte Agatha Simpson fest. »Eine vorbildliche Grundeinstellung, Mylady, wenn ich so sagen darf«, ant wortete Butler Parker, der am Steuer seines hochbeinigen Monstrums saß, das er durch die Innenstadt lenkte. »Wir haben bereits Mittag, Mr. Par ker«, verkündete die ältere Dame mit ihrer dunklen, baßbaritonalen Stimme, »sorgen Sie dafür, daß ich meiner Ver pflichtung nachkommen kann.« »Mylady haben besondere Wün sche?« wollte Josuah Parker wissen. Er war etwas über mittelgroß, alterlos und fast schlank. Er trug über seinem schwarzen Zweireiher einen schwarzen,
altmodisch aussehenden Covercoat. Auf seinem Kopf saß eine Melone, ebenfalls in schwarzer Farbe. Er sah aus wie das Urbild eines englichen Butlers. »Halten Sie an, Mr. Parker!« Sie hatte eine junge Frau ausgemacht, die ein deutig von zwei Männern belästigt wur de. Lady Agatha witterte eine Möglich keit, sich als Pfadfinderin zu betätigen. Die beiden Männer redeten auf eine of fenbar leicht beschwipste Frau ein, die einen einfachen Regenmantel trug und abweisend den Kopf schüttelte. Dabei geriet sie etwas aus dem Gleichgewicht und lehnte sich gegen eine Hauswand. Parker kam dem Wunsch seiner Her rin umgehend nach. Bevor er den Fah rersitz verlassen konnte, hatte die ältere Dame das hochbeinige Gefährt bereits verlassen und beeilte sich, ihre Pflicht als Pfadfinderin zu tun. Sie war eine ungewöhnliche Erschei nung und hatte das sechzigste Lebens jahr längst überschritten, besaß aber noch die Dynamik einer leicht gereizten Löwin. Lady Agatha hielt sich mit Golf und Bogenschießen in Form und war darüber hinaus eine begeisterte Auto fahrerin, die die Verkehrsregeln aller dings großzügig auslegte. »Sie Lümmel«, herrschte sie die ver dutzten Männer an, »geben Sie die Frau sofort frei.« »Na, hören Sie mal...«, erwiderte ei ner der beiden, der seine Hand auf die Schulter der jungen Frau gelegt hatte, »sehen Sie denn nicht, was los ist?« »Und ob ich sehe.« Ihr Pompadour war bereits in leichte Pendelbewegun gen geraten und schnellte nun nach vorn. Der im perlenbestickten Hand beutel befindliche >Glücksbringer< klatschte vor die Brust des überrasch ten Mannes, der leichtsinnigerweise noch nicht einmal einen halben Schritt zurückgetreten war. Er verfärbte sich, schnappte nach Luft und suchte unwillkürlich nach dem unsichtbaren Pferd, das ihn mit 3
»Die Hilflosigkeit bleibt auch unter Sicherheit getreten hatte. Er ahnte nicht, wie nahe er der Teilwahrheit war. den neuen Voraussetzungen eine Tatsa Im Pompadour befand sich nämlich ein che, Mylady«, erklärte der Butler, »mei echtes Pferdehufeisen, das nur ober ner bescheidenen Auffassung nach ha flächlich in Schaumstoff gehüllt war. ben Mylady durchaus eine gute Tat im Der Mann landete an der Hauswand Sinn der Pfadfinder begangen.« und schwankte jetzt ebenfalls wie die »Eben.« Sie war mit dieser Deutung junge Frau, die diesen Eingriff gar nicht sofort einverstanden. »Wir werden das mitbekommen zu haben schien. hilflose Ding nach Hause bringen, Mr. »Sind Sie wahnsinnig?« erkundigte Parker, bevor es erneut belästigt wer sich der zweite Mann, der nicht weniger den kann.« korrekt gekleidet war wie der Keuchen Sie leistete kaum Widerstand. Josuah de, der mit Myladys sogenanntem Parker geleitete die junge Frau, die > Glücksbringer < Bekanntschaft ge wirklich sehr nach Alkohol roch, in den macht hatte. Fond des Wagens, schloß dann hinter »Sie sollten sich schämen«, herrschte seiner Herrin die Tür, setzte sich ans Agatha Simpson den Fragenden an und Steuer und fuhr los. trat ihn ziemlich ungeniert gegen das Die beiden Männer, die wohl nur hilf Schienbein. Der Getroffene jaulte und reich hatten sein wollen, sahen das al hüpfte auf einem Bein davon. Dadurch tertümlich-hochbeinige Gefährt, das entging er dem zurückschwingenden mal ein Londoner Taxi gewesen war, Pompadour, der gegen die Hauswand und drückten sich in einen Hausein knallte und ein Stück Putz abblättern gang. Sie fühlten sich verfolgt und woll ließ. ten von der Alten nicht noch mal ange »Armes Kind«, sagte die Lady, die sprochen werden. sich der hilflosen Frau widmete, »Sie stehen ab sofort unter meinem Schutz.« »Was ist denn?« fragte die junge Frau Liza Carpetti stand in der Küche ihrer mit schwerer Zunge. »Ja, was ist eigentlich?« Die passio Wohnung und rührte lustlos in einem nierte Detektivin wandte sich Josuah Suppentopf. Sie rauchte dazu eine Ziga Parker zu. »Reichen sie der Ärmsten ein rette und wußte bereits jetzt schon, daß Kreislaufbelebungsmittel, Mr. Parker.« sie kaum etwas essen würde. Ihr Mann »Darf man respektvoll darauf verwei kam erst am späten Nachmittag vom sen, Mylady, daß die junge Dame offen Dienst. Sie hatte das Fernsehgerät in sichtlich ihren Kreislauf nachhaltig ge dem kleinen Wohnraum eingeschaltet und sah immer wieder auf den Bild stärkt hat«, erwiderte Josuah Parker. »Tatsächlich. Sie riecht nach Alko schirm, wo in einer Show ein Spaßvogel ältere Witze an die Zuseher brachte. hol«, wunderte sich Agatha Simpson. »Nachdrücklich, Mylady«, steigerte Fast erfreut nahm sie das Läuten des Josuah Parker in seiner höflichen Art. Telefons zur Kenntnis und ging eilig in »Sollte ich den beiden Flegeln Un die enge Diele, wo der Wandapparat an recht getan haben?« Sie sah ihnen nach. gebracht war. Sie hob ab und meldete Sie hatten sich abgesetzt und legten es sich. darauf an, so schnell wie möglich einen »Mrs. Liza Carpetti?« fragte eine wei großen Abstand zwischen sich und die che, höfliche und dennoch unangeneh kriegerische Dame zu bringen. me Stimme. »Sie hätten mich Warnen müssen, Mr. »Genau die«, sagte die Frau. Parker«, fand Lady Simpson unwillig, »Sie sind allein, nicht wahr?« 4
»Was geht Sie das an?« erwiderte sie belustigt. Mochte die Stimme auch zu weich sein, Hauptsache, sie hatte etwas Abwechslung. »Sie sind oft allein, nicht wahr?« »Kommen Sie endlich zur Sache! Wer sind Sie eigentlich? »Ein Liebhaber schöner Frauen«, ant wortet die weiche Stimme, »ich würde Sie gerne aus nächster Nähe ansehen.« »Sind Sie verrückt!« Liza Carpetti spürte plötzlich eine Bedrohung. »Ich bin sicher, daß ich Sie bald se hen werde«, ging es weiter, »nackt, um genau zu sein.« »Idiot!« Liza Carpetti hängte auf und blieb nachdenklich stehen. Dann ging sie schnell hinüber in den Wohnraum, griff nach einer Flasche Süßwein, setzte sie kurzerhand an den Mund und trank. Die Frau zuckte zusammen, als das Telefon erneut läutete. Wie unter frem dem Zwang ging sie zurück in den en gen Korridor und hob ab. »Sie sollten nicht auflegen«, sagte die weiche Stimme, die etwas ärgerlich klang, »ich könnte Ihnen viele Unan nehmlichkeiten bereiten. Überlegen Sie doch mal.« »Wieso denn das?« fragte sie, obwohl sie begriffen hatte. »Ich könnte Ihrem Mann einen Tip geben.« »Wollen Sie mir Angst einjagen?« »Auf keinen Fall, Mrs. Carpetti.« Der Ärger war bereits wieder aus der Stim me verschwunden. »Ich erwarte Sie, sa gen wir, in einer halben Stunde, hier in Bloomsbury.« »Sie sind verrückt! Wie komme ich dazu, in ein Hotel zu gehen?« »Sie werden kommen, ich weiß es ganz genau . . . Es ist ja nicht weit.« Er nannte den Namen des Hotels und den Namen Terry Litters. »Ich erwarte Sie pünktlich.« »Ich werde nicht kommen!« »In einer halben Stunde Mrs. Carpet ti...« Auf der Gegenseite wurde aufge
legt, und Liza Carpetti brauchte einige Sekunden, bis auch sie auflegte. Dann ging sie zurück in den Wohnraum und trank erneut aus der Weinflasche. Sie wußte in etwa, wo dieses Hotel war. Den Weg konnte sie gut in einer halben Stunde schaffen. Liza Carpetti wohnte an der Grenze zwischen den beiden Stadtteilen Bloomsbury und Holborn. Sie trank noch mal und lief dann in die Küche. Die Suppe war angebrannt, doch das nahm Liza kaum zur Kennt nis. Sie schaltete die Heizplatte aus, schob den Topf zur Seite und öffnete die Schublade eines Unterschrankes, griff nach einem langen Fleischmesser und wog es nachdenklich in der Hand, warf es zurück in die Lade und griff erneut danach. Die Frau war nicht gewillt, sich unter Druck setzen zu lassen. Wenn sie nur einmal nachgab, war das nur der An fang eines langen Weges, den sie gehen mußte. Liza Carpetti trat zum Wand schrank im Korridor der kleinen Woh nung, warf sich den leichten Wollman tel über und holte dann das Messer aus der Küche.
»Nun reißen Sie sich mal zusammen, Kindchen«, grollte Lady Agatha, »die Sache ist überstanden. Sie befinden sich unter meinem Schutz.« »Darf man höflichst fragen, Madam, wo Sie zu wohnen belieben?« erkundig te sich Josuah Parker. Die Trennschei be zwischen Fond und Fahrerraum des Wagens war versenkt. »Mir ist schlecht«, sagte die junge Frau, die sich in ihre Ecke verkrochen hatte. »Haben Sie viel getrunken, Kind chen?« wollte Mylady wissen. »Whisky«, lautete die ziemlich unge naue Antwort, »und ich kann Whisky nicht vertragen.« 5
»Ich ebenfalls nicht«, vertraute Lady Agatha ihr an, »ich bin mehr für Ko gnak, Kindchen.« »Die Adresse, wenn ich bitten darf«, meldete sich der Butler zu Wort. »Lassen Sie mich irgendwo raus«, er widerte die junge Frau. »Aber auf keinen Fall, meine Liebe«, meinte die ältere Dame, »es ist meine Pflicht als ehemalige Pfadfinderin, Sie sicher nach Hause zu bringen. Sie ha ben ja eben erlebt, was so alles auf Lon dons Straßen passieren kann. Wie also heißen Sie, und wo kann ich Sie ab setzen?« »Bitte, Lady, lassen Sie mich raus«, sagte die junge Frau mühsam, »ich . . . ich muß mich gleich übergeben ...« »Warten Sie damit noch etwas«, emp fahl ihr Agatha Simpson umgehend, »Mr. Parker...» »Ich war so frei, diesen Hinweis be reits zu hören, Mylady«, erwiderte der Butler und stoppte den hochbeinigen Wagen, dem man rein äußerlich eine gewisse Altersschwäche ansah. Taxis dieser Art waren im Stadtbild von Lon don nur noch selten zu sehen. Alles an diesem Auto war hoch und eckig, der schwarze Lack allerdings glänzte wie frisch poliert. Dieser Wagen war Parkers Eigentum und wurde von Eingeweihten eine Trickkiste auf Rädern genannt. Unter der Haube arbeitete ein moderner Hochleistungsmotor, der durchaus in einen Rennwagen gepaßt hätte. Parker hatte zusätzlich dafür gesorgt, daß die Radaufhängung dem neuesten Stand der Technik entsprach. Darüber hinaus verfügte dieses >Monstrum auf Rädern< über eine Fülle von Einrichtungen, die dazu dienten, Gegner in Verwirrung zu bringen und restlos auszuschalten. Das Armaturenbrett war entsprechend übersät mit Schaltern, Knöpfen und Kipphebeln. Zusätzlich war Parker noch in der Lage, weitere Aggregate durch den Druck seiner Schuhspitzen 6
auszulösen. In diesem Fall bestand selbstver ständlich kein Grund, auch nur eine dieser technischen Finessen auszuspie len. Der Mitfahrerin war schlecht ge worden, und sie wollte für einen Mo ment den Wagen verlassen. Parker hat te durchaus nichts dagegen, zumal er an mögliche Reinigungsarbeiten dachte. Die junge Frau hatte die Tür aufge drückt und stieg aus. Sie eilte, immer noch ein wenig schwankend, Richtung Gitter eines Vorgartens und . . . lief dann plötzlich los, als würde sie von Furien gehetzt. »Sehen Sie das, was ich sehe, Mr. Par ker?« fragte Lady Agatha überrascht. »Die junge Dame scheint sich offen sichtlich entfernen zu wollen, Mylady«, antwortete der Butler. »Sie läuft mir davon, Mr. Parker! Tun Sie gefälligst etwas dagegen!« »Haben Mylady spezielle Vorstel lungen?« »Ich will sie nach Hause bringen . ..« »Könnte es nicht sein, daß die junge Dame allein sein möchte?« »So ein undankbares Geschöpf«, raunzte die Lady und sah schließlich, daß die junge Frau in einen Torweg flüchtete. »Mylady taten Myladys Pflicht«, stell te Josuah Parker klar. »Eine Trinkerin, Mr. Parker ...« »Dieser Eindruck drängt sich in der Tat auf.« »Nun, Hautpsache, ich habe sie vor zwei aufdringlichen Kerlen geschützt«, fand Agatha Simpson, während Parker die geöffnete Tür durch einen entspre chenden Knopfdruck pneumatisch schloß, »fahren Sie weiter, Mr. Parker.« »Da wäre noch die Handtasche der jungen Frau, Mylady.« »Regeln Sie das später, Mr. Parker«, meinte die Detektivin. »es fehlte noch, daß ich sie ihr nachtrage.« Josuah Parker ließ sein hochbeiniges Monstrum wieder anrollen und nahm
Richtung zum Hyde Park, genauer ge sagt, auf ein idyllisches Fleckchen Erde namens Shepherd's Market in der Nähe der Curzon Street. Dort befand sich das altehrwürdige Fachwerkhaus der Lady Simpson, das auf den noch älteren Ge wölben einer ehemaligen Abtei stand. Es handelte sich bei diesem großen Haus um die Stadtwohnung Agatha Simpsons. Die Lady verfügte dank ih rer Vermögensverhältnisse noch über andere Häuser und Landsitze. Als man dort angelangt war, nahm Josuah Parker die kleine Handtasche der jungen Frau an sich und ahnte nicht, daß er bereits in einen Kriminal fall verwickelt worden war . . .
Rose Patnick, fünfundzwanzig, zier lich, schlank und ein wenig keß ausse hend, hatte bis gegen Mittag durchge schlafen. Sie war am Vorabend mit ih rem Mann auf einer Party gewesen und erst gegen Morgen nach Hause gekom men. Als sie erwachte, brauchte sie eini ge Zeit, bis sie sich wieder an Einzelhei ten erinnern konnte. Sie hatte leichte Kopfschmerzen, stand langsam auf und ging erst mal ins Bad, um sich aus dem Medikamentenschrank eine Tablette zu holen. Vor dem großen Spiegel, der in der Innenseite der Bad-Tür angebracht war, betrachtete sie sich eingehend. Sie trug nur einen Slip und konnte ohne Schwierigkeiten diese Prüfung vorneh men. Sie fand, daß sie sehr gut aussah und nickte sich zufrieden zu. Dann lä chelte sie plötzlich versonnen und dachte an den Flirt, den sie während der Party geführt hatte. Okay, der Mann hatte zwar wirklich berauschend ausge sehen, aber er schien auch viel Geld zu haben. Hatte sie sich mit ihm verabre det? Sie wußte es nicht mehr so ganz genau. Als sie die Kopfschmerztablette ge
schluckt hatte, schlenderte sie in die Küche und verzog das Gesicht. Ihr Mann hatte die übliche Unordnung hin terlassen. Sie haßte Hausarbeit und är gerte sich wieder mal darüber, diesen Bert Patnick geheiratet zu haben. In ih ren Augen war Bert ein glatter Versa ger, doch das hatte sie leider zu spät erkannt. Sie war auf diesen gutausse henden Mann hereingefallen, wie sie in zwischen wußte. Beruflich hatte er überhaupt keinen Ehrgeiz. Es genügte ihm vollkommen, Fahrer für eine Brot fabrik zu sein. Und dabei hatte er ihr damals vorgeschwindelt, er sei der Ma nager der Einsatzplanung. Rose beschwindelte ihren Mann nun auch, unterhielt ein ausgedehntes Pri vatleben und war sich im klaren dar über, sich dann von ihm scheiden zu lassen, sobald sich für sie eine bessere Chance ergab. Sie ging zur Haustür, um die Zeitung und die Milchflasche zu ho len, entdeckte einen Brief im Kasten und wunderte sich. Post erhielten beide so gut wie nie. Sie öffnete den kleinen Kasten mit dem Glaseinsatz, drehte und wendete den Brief und dachte zuerst an eine Rekla mesendung. Es war mehr Langeweile, daß sie den Brief mit dem kleinen Fin ger aufschlitzte. Sie war überrascht, als sie ihren Namen in Schreibmaschinen schrift las. Ein paar Minuten später hielt sie den Brief in der herunterhängenden Hand und versuchte, Ordnung in ihre Gedan ken zu bringen. Sie ging in den kleinen Wohnraum, warf sich in einen Sessel und überlas den Brief noch mal. Mit größter Genauigkeit waren darin Uhrzeiten, Daten und Adressen ge nannt. Rose Patnick wußte sofort, was das bedeutete. Irgend jemand schien sie während der vergangenen Wochen ge nau überwacht zu haben. Sie sah sich die Unterschrift noch mal an und schüttelte den Kopf. Dort stand tatsächlich »Ihr Mr. Großhirn«. Sie las diese Unter 7
schrift halblaut und warf den Brief dann wütend zu Boden. Der Verfasser des Briefes drohte ihr, ihren Mann zu informieren. Er kündigte an, er würde sich bald wieder melden und ihr mitteilen, was er von ihr wün sche. Rose Patnick nahm den Brief wie der hoch und überlas ihn erneut. Falls ihr Mann hinter ihr Privatleben kam, hatte sie einiges zu erwarten, darüber war sie sich völlig im klaren. Bert war groß, stark und rasend eifersüchtig. Schon oft genug in der Vergangenheit hatte er ihr gedroht sie umzubringen, falls er sie bei einem Seitensprung er tappte. Sie nahm ihm das voll ab. Bert neigte ohnehin zum Jähzorn. Was mochte dieser >Mr. Großhirn< nur wollen, fragte sie sich. Natürlich konnte es sich nur um Geld handeln. Und plötzlich war Rose Patnick froh, daß sie über eine hübsche Summe ver fügte, von der ihr Mann keine Ahnung hatte. Doch dann dachte sie daran, wie sie sich sich dieses Geld verdient hatte . . . Nein, sie war nicht bereit, alles Er sparte so einfach wegzugeben. Zorn und Wut stiegen in ihr hoch. Sie über legte, wer sie während der vergangenen Wochen wohl beschattet hatte. Sie ging die Nachbarschaft durch und konzen trierte sich dann auf einen Mann, der ein paar Häuser weiter wohnte und ihr nachstellte. Sie hatte diesen Mann bis her immer abblitzen lassen, ihn jedoch auch immer wieder animiert und mit ihm kokettiert. War es dieser Mr. John Adamski? Natürlich, nur er konnte es sein! Für sie gab es plötzlich keinen Zweifel mehr: Adamski wollte ihr Dau menschrauben anlegen. Schon fühlte sich Rose Patnick wie der wohler. Diesen Adamski konnte sie doch jederzeit mit der linken Hand aus tricksen. Sie zog das Telefon heran und suchte seine Nummer im Register. Bert hatte diese Nummer aufgeschrieben, denn er war mit John Adamski bekannt 8
und fast befreundet. Die beiden Männer waren in einem Schachclub und sahen sich häufig. Rose Patnick wußte genau, unter wel chem Vorwand sie Adamski zu sich ins Haus holen konnte. Er würde keinen Moment zögern, ihr seihe Hilfe anzubie ten. Er wartete doch nur darauf . . .
»Ich bin empört und beleidigt«, groll te Agatha Simpson, als sie aus der Wohnhalle in den Salon zurückkehrte. Sie sah Kathy Porter und Mike Rander, die sie abwartend musterten. »Ich glaube, ich muß etwas für mei nen Kreislauf tun«, redete die ältere Da me weiter. »Sofort, Mylady.« Mike Rander ging zu einem halbrunden Wandtisch, auf dem Flaschen und Gläser standen. Er kannte das richtige Mittel und füllte ei nen Schwenker mit altem französi schem Kognak. Mike Rander, ein wenig an den Dar steller des James Bond erinnernd, hatte die Vermögensverwaltung der Haus herrin übernommen, nachdem er aus den Staaten zurück war. Damit wurde er wieder von Butler Parker >übernom men<, der ihm vor Jahren schon diente. Und Rander, der geschworen hatte, sich nie wieder als Amateur-Kriminalist zu betätigen, fand seitdem erneut kaum Zeit, die Anwaltspraxis auszubauen. Er hatte sich inzwischen damit abgefun den, zumal er Tag für Tag Kathy Porter um sich hatte, die er mehr als nur schätzte. Die Gesellschafterin und Sekretärin der Lady, zwischen fünfundzwanzig und dreißig Jahre alt, war eine bemer kenswerte Erscheinung. Kathy, groß, schlank und biegsam, erinnerte auf den ersten Blick an ein scheues schutzbe dürftiges Reh, wozu ihre mandelförmig geschnittenen Augen noch beitrugen. Man sah es ihr nicht an, daß sie sich
blitzschnell in eine Pantherkatze ver wandeln konnte. In so gut wie allen fernöstlichen Künsten der Selbstvertei digung war sie eine wahre Meisterin. Kathy Porter lächelte, als die ältere Dame ihren Kreislauf stabilisierte. Sie hatte einen herzhaften Schluck aus dem Kognakschwenker genommen und war nun wieder in der Lage, ihrer Empö rung Ausdruck, zu verleihen. »Eindeutiger hätte man keine Wün sche an mich richten können«, redete sie weiter, »ich glaube, ich bin schamrot geworden.« »Sie sind eben sehr sensibel, Myla dy«, behauptete der Anwalt und tausch te mit Kathy Porter einen schnellen Blick des geheimen Einverständnisses und der Ironie. »Nicht wahr?« Sie nickte zustim mend. »Was hat man denn von Ihnen ge wollt, Mylady?« erkundigte sich dann Kathy Porter. »Ich soll in ein Hotel kommen . . . Das muß man sich mal vorstellen! Und ich soll dort fotografiert werden ...« »Eine Porträtaufnahme, Mylady?« warf der Anwalt amüsiert ein. »Eine Aktaufnahme, mein Junge.« Die Sechzigerin schüttelte den Kopf. »Ich bin weiß Gott nicht prüde, Mike, aber das geht doch zu weit...« »Kennen Sie das Hotel, Mylady?« fragte Kathy Porter. »Hat der Anrufer seinen Namen genannt?« »Terry Litters nannte er sich«, berich tete Mylady weiter, »und das Hotel liegt in Bloomsbury. Den Namen habe ich mir aufgeschrieben. Dieser Flegel hatte übrigens eine unangenehme Stimme. Ich denke, ich werde ihn ohrfeigen.« »Wieso ruft er gerade Sie an, Myla dy? « Kathy Porters Gesicht hatte einen nachdenklichen Ausdruck angenom men. »Hat man Sie verwechselt? Oder wollte man sich einen ungebührlichen Scherz erlauben?« »Das, mein Kind, werde, ich in einer
halben Stunde genau wissen. Natürlich werde ich mir diesen Terry Litters anse hen. Wo ist Mr. Parker?« »Ich glaube, er bereitet einen Lunch vor, Mylady«, antwortete Mike Rander, »das heißt... Hallo, Parker, Sie werden hier gebraucht!« »Stets zu Diensten ...« Josuah Par ker hatte den Salon betreten und deute te eine knappe Verbeugung an. »Hören Sie, was mir passiert ist, Mr. Parker«, schickte die entrüstete Dame voraus, »man erdreistet sich, von mir Aktaufnahmen machen zu wollen.« »Ein Ansinnen, Mylady, das man als recht ungewöhnlich bezeichnen sollte«, lautete Parkers Antwort. Sein Gesicht blieb unbewegt. »Wir werden uns diesen Lüstling so fort ansehen, Mr. Parker«, redete sie weiter, »und dann werde ich dem Sub jekt Manieren beibringen.« »Darf ich mich erkühnen, Mylady, ei nen Gegenvorschlag zu unterbreiten?« fragte Josuah Parker. »Ich lasse mir die Fahrt nicht ausre den, Mr. Parker«, reagierte sie grollend, »Aktaufnahmen.. .« »Wäre es möglicherweise taktisch klüger, Miß Porter in dieses Hotel zu schicken?« fragte Parker, »ich möchte davon ausgehen, daß Mylady diesen Plan bereits hegten.« »Das ist richtig«, behauptete sie völlig ungeniert, obwohl sie daran natürlich noch nicht gedacht hatte, »Kathy, Sie werden diesen Terry Litters täuschen, bis ich erscheine. Und dann wird dieser Frechling sein blaues Wunder erleben! Worauf warten wir denn eigentlich noch? Ich muß mich einfach abreagie ren, sonst ersticke ich noch vor Empö rung ...«
»Sie bewerben sich auch, Madam?« fragte der Portier des Hotels, als Liza Carpetti vor der Anmeldung erschien 9
und sich nach Terry Litters erkundigte. die Wand, rutschte ab und glitt aus Li »Bewerben?« Sie wußte nicht, wie sie zas Hand. Es landete klirrend auf dem Boden. sich verhalten sollte.' »Kleine Bestie«, hörte sie noch, bevor »Kosmetikverkauf«, redete der Por tier ahnungslos weiter, »ich wünsche sie ohnmächtig wurde. Ein harter Ge genstand hatte ihren Hals getroffen und Ihnen viel Glück.« Er nannte der Frau die Zimmernum nahm ihr die Luft. Sie merkte schon mer und sah ihr nach, als sie die Treppe nicht mehr, wie sie zu Boden sank. Als hinaufging. Er räumte ihr gute Chancen sie wieder zu sich kam, hatte sie für eine Einstellung ein. Diese Frau Schmerzen in der Halsgegend und strahlte das gewisse Etwas aus. Der Schulterbeuge. Sie merkte, daß sie in Schwung ihrer Hüften allein versprach einem Sessel saß. Temperament. »Wer wollte sich denn da unglücklich Als sie außer Sicht war, vergewisserte machen?« fragte eine weiche, unange Liza Carpetti sich, daß das Messer griff nehme Stimme ironisch. bereit im fest sitzenden Gürtel ihres Ko »Was . . . Was ist passiert?« Die Frau stüms steckte. Sie war entschlossen, wollte aufstehen und weglaufen, doch Terry Litters niederzustechen. Sie woll ihre Beine waren wie gelähmt. te sich ihre Ehe nicht kaputtmachen »Nichts ist passiert, Mrs. Carpetti«, lassen. Okay, sie war nicht gerade be antwortete die Stimme, »ich war eben sonders glücklich verheiratet, aber sie zu vorsichtig. Ich kenne doch die Da hatte einen Mann, auf den sie sich im men, die mich besuchen.« merhin verlassen konnte. Dieses Gefühl Liza Carpetti versuchte herauszube der Sicherheit und einer gewissen Ge kommen, wo dieser Mann stand. Sie borgenheit wollte sie nicht aufgeben vermutete ihn hinter einem Fenstervor oder auch nur aufs Spiel setzen. Wenn hang, der hinunter zum Boden reichte Sie sich jetzt nicht zur Wehr setzte, wür und geschlossen war. de alles wieder von vorn beginnen, al »Was wollen Sie von mir? Warum las les, was sie inzwischen verdrängt hatte. sen Sie mich nicht in Ruhe?« fragte sie Sie hatte den Eingang zu dem kleinen mit heiserer Stimme. »Wollen Sie Verhandlungssaal erreicht und wurde Geld?« von Nervosität erfaßt. Sie wußte »Aber nein, Mrs. Carpetti«, antworte schließlich nicht, wer dieser Mann war, te die Stimme, »ich wollte nur ein paar der sich Terry Litters genannt hatte. hübsche Aufnahmen machen ...« »Wozu? Was haben Sie davon? Sie Der Raum war abgedunkelt. Liza Car petti blieb stehen und versuchte sich zu können doch überall Magazine mit orientieren. Sie spürte, daß dieser Nacktaufnahmen kaufen.« Mann, der sie angerufen hatte, im Zim »Sie haben eben keine Ahnung, Mrs. mer war, doch sie konnte ihn nicht Carpetti.« Die Stimme ging in ein leises sehen. Lachen über. »Sie können übrigens wieder gehen ...« »Hallo?« rief sie. »Kommen Sie, Mrs. Carpetti«, erwi »Sie lassen mich also in Ruhe?« derte eine Stimme dicht neben ihr. Die »Natürlich, ich habe ja bereits meine Frau war überrascht, fuhr zusammen Aufnahmen.« und griff sofort nach dem Messer. Auf Liza Carpetti fuhr zusammen, sah an der Treppe hatte sie sich bereits den sich hinunter und . . . begriff. Sie war leichten Mantel aufgeknöpft. Sie stach während ihrer Ohnmacht entkleidet ein wenig unbeholfen und ziellos, aber worden, sprang auf und wunderte sich sehr kräftig zu. Das Messer stieß gegen nicht, daß Nerven und Muskeln wieder 10
gehorchten. Sie wandte den Fenstern den Rücken zu und kleidete sich hastig an. Von ihrer Entschlossenheit war nichts mehr zu bemerken. Sie wußte, daß sie dieses Spiel verloren hatte. »Was wollen Sie mit diesen Aufnah men machen?« fragte sie dann später. Liza Carpetti war angezogen und blieb unentschlossen stehen. »Sie kommen in meine Sammlung«, lautete die Antwort, »da wäre noch et was, Mrs. Carpetti... Auf dem Tisch neben der Tür steht ein Glas. Das soll ten Sie leertrinken. Es wird Ihnen helfen.« »Ich . . . Ich brauche keine Hilfe«, ant wortete sie. »Ich will es aber - oder soll ich die Fotos verschicken?« Während diese Drohnung noch im Raum stand, wurde eine Bahn des Vorhangs zur Seite ge schoben. Ein greller Lichtstrahl fiel in den abgedunkelten Raum. Liza Carpetti entdeckte das Glas, das neben einer an gebrochenen, halbleeren Flasche Whis ky stand. »Trinken Sie, Mrs. Carpetti«, redete die Stimme des Unsichtbaren weiter, »Sie werden sich danach sehr wohl fühlen...« Liza war froh, den schalen Ge schmack hinunterspülen zu können. Sie griff nach dem halb gefüllten Glas, setzte es an die Lippen und trank es fast gierig leer. Dann schüttelte sie sich und merkte, daß sie nur normalen Whisky getrunken hatte. Sie hustete, Tränen traten in ihre Augen - sie hustete er neut. Sie warf sich den Mantel über die Schulter und verließ den Raum. Als Li za Carpetti auf der Treppe war, merkte sie, daß sie bereits leicht angetrunken war...
Kathy Porter hatte sich ein wenig ver ändert, was ihr Äußeres betraf. Sie trug lange Stoffhosen, einen Pulli und dar
über einen billigen, gesteppten Nylon mantel. Sie hatte ihr Make-up nachge zogen und sich trotz des bedeckten Himmels eine Sonnenbrille aufgesetzt. Kathy war einfach ihrem Gefühl ge folgt, denn sie wußte natürlich nicht, wie die Frau aussah, die dieser Mann namens Litters erwartete. Falls er sie von einem Hotelfenster aus beobachte te, durfte er nicht mißtrauisch werden. Aus diesem Grund hatte Kathy Porter sich auch mit einem regulären Taxi bis dicht vor den Hoteleingang bringen las sen. Sie zahlte noch im Wagen, schlüpf te nach draußen und ging eilig zur Ein gangstür. Daß sie nicht allein war, wußte sie natürlich. Lady Agatha und Mike Ran der saßen in Parkers hochbeinigem Monstrum, das der Butler durch einen Knopfdruck in ein reguläres Taxi ver wandelt hatte. Auf der Front des Wa gendaches war das versenkbare Taxi schild herausgeklappt worden. Das an gebliche Taxi stand am Eingang zu die ser Seitenstraße, um sofort eingreifen zu können. »Mr. Terry Litters«, sagte sie zu dem Portier, der sie interessiert musterte. »Ja, hatte ich mir schon fast gedacht«, meinte er lächelnd, »viel Glück, Miß.« »Viel Glück?« Kathy faßte scheinbar nervös nach ihrer Sonnenbrille. »Wegen der Bewerbung für die Kos metika«, redete der Portier weiter, »un ter uns, Miß, Sie sind bereits die vierte Bewerberin bis jetzt...« »Drücken Sie mir die Daumen«, meinte Kathy, »wie ist Mr. Litters?« »Ich hab' ihn nur flüchtig gesehen«, entschuldigte sich der Portier und zuckte die Achseln. Kathy hütete sich, weitere Fragen zu stellen. Sie ließ sich den Weg zu Litters erklären und stieg dann über die Treppe nach oben. Angst hatte sie nicht. Sie wußte sich zu wehren, falls man sie angreifen wür de. Und zudem waren ihre Freunde ja in der Nähe. Sie hatte den Korridor er 11
reicht und schritt suchend an den Zim mertüren entlang. Als sie die offene Tür zum kleinen Verhandlungssaal erreicht hatte, blieb sie kurz stehen. Im Raum war es dunkel. Wie sollte sie sich entscheiden? Es gab zwei Möglichkeiten, die sie mit Par ker, Lady Agatha und Mike Rander durchgesprochen hatte. Sie konnte wie ein Wirbelwind ins Zimmer jagen und den Anrufer angehen. Sie konnte aber auch weiterhin ihre Rolle spielen. In diesem Fall hatte sie die Möglichkeit, etwas über den Grund des Anrufs und des Ansinnens herausfinden. »Nun kommen Sie schon, Mrs. Simp son«, hörte sie eine weiche Stimme, »wir wollen doch keine Zeit verlieren.« Kathy betrat schnell den dunklen Raum und rechnete mit einem überra schenden Angriff. Sie war ganz auf Ab wehr und Verteidigung eingestellt. Sie verließ sich auf ihre blitzschnellen Re flexe. Doch es geschah nichts. »Ziehen Sie sich aus, Mrs. Simpson«, forderte die weiche und in ihren Ohren schleimig klingende Stimme sie auf. Sie werden sich schon zurechtfinden ...« »Was soll das alles?« fragte Kathy. Es gelang ihr vorzüglich, ihrer Stimme ei nen ängstlichen, fremden Unterton zu verleihen. »Nur eine kleine Marotte, Mrs. Simp son«, antwortete die Stimme, »Sie ha ben überhaupt nichts zu befürchten.« Kathy Porter hatte inzwischen her ausgefunden, wo der Mann stand. Er hatte sich hinter einem der zugezoge nen Vorhänge versteckt. Als eine Art Barriere oder Trennungslinie hatte der Mann, der sie fotografieren wollte, ein paar Stühle und Sessel zwischen sich und ihr aufgebaut. Kathy störte das überhaupt nicht. Solch ein Hindernis war mehr als leicht zu nehmen. Sie hatte sich entschlossen, jetzt diesen Mann zu attackieren und zu stellen. Noch täuschte sie ihn. Sie »hatte be 12
reits den hinderlichen Mantel ausgezo gen, wandte sich um und griff nach ih rem Pullover. Sie traf Anstalten, ihn über den Kopf zu ziehen. In diesem Augenblick zuckte ein Blitzlicht auf. Kathy, die prompt rea gierte und den Kopf herumnahm, die Augen schloß, wurde dennoch geblen det, ließ sich geistesgegenwärtig zu Bo den fallen und hörte dann ein häßliches >Plopp<, das ihr nur zu bekannt war. Man hatte auf sie geschossen . . .
Sie rollte sich auf dem Boden zur Sei te ab, hörte, wie das Geschoß in der Wand landete und befand sich dann auch schon im Schutz der quer im Raum aufgestellten Stühle und Sessel. Sie wartete auf den nächsten Schuß, der jedoch ausblieb. Dafür aber hörte sie das Klicken eines Türschnapp schlosses. Sie dachte erst an einen Bluff, der sie veranlassen sollte, aufzustehen und ei nen Vorhang zur Seite zu ziehen. Damit hätte sie dem Schützen natürlich ein ausgezeichnetes Ziel geboten. Kathy Porter blieb also liegen, wartete noch etwas, schlängelte sich dann weiter nach vorn, umkroch einen Sessel und hörte dann unten im Haus das dumpfe Zuschlagen einer anderen Tür. Da wußte sie Bescheid. Terry Litters, wie der Mann sich nannte, hatte die Flucht ergriffen und inzwischen wohl das Hotel verlassen. Kathy blieb auf dem Boden liegen, zerr te aber einen der Vorhänge zur Seite und orientierte sich blitzschnell. Sie sah im Hintergrund, halb verdeckt von ei nem Wandschirm, eine schmale, geöff nete Tapetentür. Sie stand auf und ärgerte sich. Trotz aller Wachsamkeit war es ihr nicht ge lungen, diesen Mann zu stellen. Er war sehr vorsichtig gewesen und hatte sich einen Raum gemietet, der einen perfek
ten Fluchtweg bot. Kathy griff nach ih Briefkasten gebracht. Das liegt jetzt rem Mantel und wollte das Zimmer ver aber schon Stunden zurück.« »Ist der Briefkasten inzwischen ge lassen. Sie stieß fast mit dem Portier leert worden?« zusammen, der sie erstaunt musterte. »Gegen Mittag.« Der Portier nickte. »Ist was nicht in Ordnung?« fragte er. »Ich bin von diesem Mr. Litters ange »Noch etwas, Miß: Die Telefongesprä fallen worden«, sagte sie, »er ist dort che hat er unten von der Telefonzelle aus geführt.« durch die Tapetentür geflüchtet.« »Kann man von dort aus Sie und den »Die ist doch verschlossen ...« Der Mann drehte sich zur Seite und staunte Vermittlungsschrank sehen?« plötzlich, daß die Tür geöffnet war. »Bestimmt, Miß. Warum fragen Sie?« »Weil er sicher sein wollte, daß er »Kennen Sie Litters?« fragte Kathy. »Den habe ich noch nie vorher gese nicht... zufällig abgehört werden konnte.« hen, Miß. Ist Ihnen was passiert?« »Nein, ich hatte Glück, obwohl er auf »Das hätte ich nie getan.« mich geschossen hat.« »Aber damit rechnete Litters wahr »Geschossen? Aber ich habe doch scheinlich.« Kathy winkte beschwichti überhaupt nichts gehört... Und was gend ab. »Das geht doch nicht gegen sollen die Stühle und Sessel dort im Sie. Sie sagten eben, ich sei die vierte Saal?« Frau, die ihn besucht hat?« »Ein Fluchthindernis.« Kathy lächel »Und es sollten noch mehr kommen«, te. »Als was hat Litters diesen Raum meinte der Portier und nickte, »hat er gemietet?« wenigstens gesagt.« »Als Bezirksmanager einer Kosmetik »Im Lauf des jetzigen Nachmittags?« firma«, antwortete der Portier bereitwil »Richtig, Miß. Er suchte doch Vertre lig, »er hat sich auch ein Zimmer reser terinnen für seine Firma.« vieren lassen. Gleich gegenüber.« »Was waren das für Frauen?« »Das möchte ich sehen.« »Sie sahen alle nicht schlecht aus . . . »Ich weiß nicht recht«, zögerte der Nein, das sahen sie nicht, wirklich. Portier, »ich kann Sie doch nicht so Aber alle hatten einen in der Krone. Äh, ohne weiteres ...« ich meine, alle waren etwas beschwipst, »Soll ich die Polizei rufen?« fragte als sie dann später gingen.« Kathy bestimmt. »Möchten Sie, daß Ihr »Wie lange dauerten die jeweiligen Hotel Schlagzeilen macht?« Besuche?« »Aber nein, nur das nicht... Der In »Zehn oder fünfzehn Minuten, viel haber wird mich glatt feuern. Also gut, leicht auch etwas länger.« Während der kommen Sie.« Mann noch redete, griff Kathy nach der Er holte einen Generalschlüssel und halbleeren Whiskyflasche und öffnete sperrte die Zimmertür auf. Kathy Por den Schraubverschluß. Sie roch am In ter sah mit einem Blick, daß für sie hier halt, konnte aber auf Anhieb nichts Ver nichts zu holen war. Terry Litters war dächtiges feststellen. ohne jedes Gepäck gekommen. Und »Gehen wir nach unten«, sagte sie, selbst im kleinen, angrenzenden Bade nahm die Flasche mit und hörte den raum war nichts zu finden. Portier, der ihr über die Treppe folgte. »Wann hat Litters die beiden Räume Als sie in der kleinen Halle waren, bat gemietet?« erkundigte sich Kathy. der Portier sie nochmal eindringlich, ja »Heute morgen. Dann hat er verschie nicht die Polizei einzuschalten. dene Telefongespräche geführt. Ja, und »Machen Sie sich nur keine Sorgen«, er hat ein paar Briefe da drüben zum beruhigte Kathy den Mann, öffnete die 13
Eingangstür und ging nach draußen. Dann winkte sie zur Straße hinunter und wartete auf das Erscheinen ihrer Freunde, und sie hörte bereits im vor hinein die grollenden Vorwürfe der äl teren Dame. »Wenn man nicht alles allein macht«, sagte sie dann auch prompt, aber er staunlich mäßig im Ton. »Es sollten immerhin Aktaufnahmen gemacht werden«, erinnerte Mike Ran der amüsiert, »hätten Sie sich zu einem Striptease hinreißen lassen, Mylady?« »Dazu wäre es gar nicht gekommen, mein Junge«, sagte die Sechzigerin und grollte bereits wieder, »ich hätte ihn mit meinem Pompadour außer Gefecht ge setzt . . . Jetzt ist dieses Subjekt natür lich gewarnt.« »Ist es erlaubt, Mylady, auf jene Da men zu verweisen, die Mr. Terry Litters noch zu empfangen und zu fotografie ren gedachte?« ließ sich Josuah Parker vernehmen. »Darauf wollte ich gerade zu spre chen kommen«, behauptete Agatha Simpson wie selbstverständlich, »diese Frauen werde ich in Empfang nehmen und ihnen einige Fragen stellen.« »Wäre das nicht besser eine Rolle für mich, Mylady?« meinte Anwalt Mike
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Rander. »Die Frauen rechnen ja immer hin damit, von einem Mann erwartet zu werden.« Sie wandte sich zu Parker um, der beschäftigt war. Er bohrte und schabte das Geschoß aus der Wand, um es als späteres Beweismittel sicherzustellen. Er benutzte dabei sein kleines Spezial besteck, das er stets mit sich führte. »Ich hatte eigentlich an Mr. Parker gedacht«, sagte Agatha Simpson, »aber ich möchte ihn nicht unnötig in Versu chung führen.« »Versuchung?« fragte Kathy Porter. »Es kommen immerhin Frauen, die sich recht schnell ausziehen, mein Kind«, entgegnete die ältere Dame, »ich möchte nicht, daß Mr. Parkers Grund sätze ins Wanken geraten.«
John Adamski war knapp sechzig. Wegen eines Berufsunfalls lebte er früh zeitig von einer kleinen Rente. Um sein Einkommen aufzubessern, erledigte er kleinere Reparaturen in der Nachbar schaft und wartete dazu noch einige Au tos. Er war für seine Neugier bekannt, die man aber in der Regel lächelnd tole rierte. Adamski war mittelgroß, füllig
und Frauen besonders zugetan. Als Junggeselle konnte er sich frei bewe gen, denn es gab keine Frau, die ihm auf die Finger gesehen hätte. Er hielt sich für charmant und unwiderstehlich, flir tete gern und fand immer wieder einsa me Herzen, die er durchaus gekonnt und auch liebevoll zu trösten verstand. John Adamski war mehr als über rascht, als Rose Patnick ihn anrief. Es war schließlich gerade diese in seinen Augen attraktive Frau, die bisher auf seine Schmeicheleien nicht eingegan gen war. Ja, sie hatte ihm immer deut lich gezeigt, wie wenig sie ihn schätzte. »Natürlich habe ich Zeit«, sagte er, »für Sie doch immer, Mrs. Patnick. Sie müßten es eigentlich wissen.« »Ich habe Ärger mit meinem Kühl schrank«, sagte sie, »das Schloß hakt, Mr. Adamski.« »Ich könnte sofort kommen.« »Das wäre sehr nett von Ihnen. Ich erwarte Sie.« Adamski legte auf und lächelte. Sollte die Festung endlich sturmreif gewor den sein? Sie hatte ihn noch nie angeru fen. Der Zeitpunkt war wirklich nicht schlecht gewählt, denn ihr Mann Bert kam erst gegen Abend wieder zurück nach Hause. Adamski wechselte erst mal in den Waschraum und prüfte sein Aussehen. Doch - er kam sich nicht flott und ansehnlich vor. Eine Stirnglat ze konnte aber unmöglich stören. So griff er nach einer Spraydose Deodo rant und sprühte sich ausgiebig ein. Im Flur vor der Garderobe entschied er sich, eine andere Hose anzuziehen, viel leicht auch ein frisches Hemd. Er erledigte alles innerhalb weniger Minuten und verließ dann sein schma les Reihenhaus. John Adamski zwang sich zur Gelassenheit, denn am liebsten wäre er gelaufen. Doch er wollte nicht auffallen. Er ging gespielt langsam die Straße hinunter, bis er das Haus der Patnicks erreicht hatte. Die Luft schien rein zu sein. Nach
einem schnellen Blick links und rechts ging er durch den winzigen Vorgarten dieses Reihenhauses. Als er klingeln wollte, wurde die Tür bereits von innen geöffnet. Er schlüpfte in den Korridor und strahlte Rose Patnick an. Sie hatte sich eindeutig auf diesen Be such eingerichtet, wie er sofort feststell te. Sie trug einen leichten Morgenman tel mit tiefem Ausschnitt. An den nack ten Füßen waren silberne Pantöffel chen. Sie hatte sich zudem parfümiert und das Haar hochgesteckt. Sie strahlte ihn an. »Wie schön, daß Sie Zeit für mich haben, Mr. Adamski«, sagte Rose, »ich wüßte nicht, wer mir sonst helfen könnte.« »Adamski heilt jeden Kummer«, scherzte er munter und anzüglich, wie er hoffte, »wo haben wir denn den Eis schrank?« »Wie wär's, vorher mit einer Erfri schung?« fragte sie. »Jederzeit, Mrs. Patnick.« Er ließ sich von ihr in den Wohnraum führen und nahm den angebotenen Platz in einem der schmalen Sessel an. Sie beugte sich zu einem Wandschrank nieder und sorgte dafür, daß er ihre nackten Beine sah. Als sie ihm dann einen Brandy ein goß, bekam er einen tiefen Einblick ins Dekolleté. »Ich glaube, es wird Zeit, daß man sich etwas näher kennenlernt, John.« »Oh, Rose«, reagierte er sofort und prostete ihr zu, »auf unsere Freund schaft, nicht wahr?« »Ich glaube, John, ich habe Sie bisher immer falsch eingeschätzt.« »Im Gegensatz zu mir, Rose. Ich habe gleich gesehen, daß Sie eine tempera mentvolle Frau sind.« Er nahm einen ausgiebigen Schluck. »Sie sind ja auch eine Art Großhirn«, tippte sie an. »Großhirn?« Er runzelte die Stirn und verstand nicht. »Ein Scherz«, meinte sie schnell, »ich 15
will damit sagen, daß Sie ein Mann mit Durchblick sind.« »Das will ich meinen, Rose.« »Sie beobachten mich schon seit eini ger Zeit, nicht wahr, John?« »Das kann ich nicht abstreiten, Rose. Eine Frau wie Sie übersieht man ein fach nicht.« »Ich wette, Sie wissen genau, was ich in den vergangenen Tagen und Wochen so alles getan habe.« »Sie sind eben eine hinreißende Frau, Rose.« Er hatte sein Glas abgestellt, stand auf und zog sie an sich. Er spürte einen leichten Widerstand, den er durchaus schätzte. Dann küßte er sie und ließ sich von ihr wegschieben. »Erst die Arbeit, dann das Vergnü gen«, sagte sie und deutete hinüber in die Küche. »Ich werde mich beeilen«, meinte er, »dann gehört der Nachmittag uns, nicht wahr?« »Vielleicht«, antwortete sie in einem Tonfall, der einer Bejahung glich. Sie ging voraus und zeigte ihm den Kühl schrank, dessen Tür nur angelehnt war. John Adamski bückte sich, um das Tür schloß zu inspizieren und sah nicht, wie Rose Patnick nach einer bereitgestell ten Milchflasche griff.
»Sieht nicht gerade rosig aus, Kathy«, meinte Anwalt Rander nach einer Stun de. Er hielt sich zusammen mit Myladys Gesellschafterin in dem kleinen Raum auf, in dem Terry Litters die Frauen empfangen hatte. »Ob er die anderen Frauen abbestellt hat, Mike?« fragte sie. »Das fürchte ich auch, Kathy. Wir sollten nicht noch länger hier herum sitzen. « »Wollen wir noch eine halbe Stunde zugeben, Mike?« Sie saß in einem Ses sel und blätterte im Telefonbuch, »übri gens, einen Terry Litters kann ich leider 16
nicht finden. Hier in London scheint er auf jeden Fall keinen Anschluß zu haben.« »Wahrscheinlich ist der Name fin giert, Kathy. Und wie sieht es mit Aga tha Simpson aus?« »Unheimlich, Mike, wie oft dieser Na me vertreten ist.« »Agatha Simpson?» vergewisserte sich Mike Rander. »Agatha, Angie, Angel undsoweiter, Mike . . . Es ist ganz klar, daß der Anru fer sich verwählt hat.« »Wie ist denn unsere Freundin ver merkt?« wollte Mike Rander wissen. Er stand an der Tür, die zum Gang und Treppenhaus führte. »Nur als Agatha Simpson, ohne jeden Titel«, antwortete Kathy Porter, »darauf hat die Lady besonders bestanden. Sie wollte möglichst unauffällig verzeich net sein.« »Schreiben Sie sich doch die Namen auf, die vor und hinter ihrer Telefon nummer stehen«, schlug Mike Rander vor, »eine von diesen Agatha Simpsons muß es ja dann wohl sein, die Litters anrufen wollte.« »Bin bereits dabei.« Sie lächelte. »Wieso glauben Sie, Mike, sind diese Frauen hierher ins Hotel gekommen und haben sich wohl fotografieren lassen?« »Vielleicht träumten sie von einer Karriere als Modell oder Schauspiele rin, Kathy. Solche Gauner gibt es doch immer wieder, die mit dieser alten Ma sche arbeiten und nach wie vor Erfolg haben.« »Ich bin gespannt, womit der Whisky präpariert worden ist, Mike.« »Wahrscheinlich war es irgendein Enthemmer, Kathy, um die Frauen in Stimmung zu bringen.« »An einen kleinen Gauner glaube ich nicht, Mike. Vergessen Sie nicht, daß er sofort geschossen hat, als er seinen Irr tum bemerkte.« »Er muß seine Opfer gekannt haben,
Kathy, stimmt.« Rander nickte und blickte wieder auf seine Armbanduhr. »Als er Sie blitzte, ging ihm im wahr sten Sinn des Wortes ein Licht auf.« »Und wie gesagt, er schoß rücksichts los, Mike, es war kein Warnschuß.« »Ich weiß, Kathy. Dieser Terry Litters ist gefährlich. Man muß ihm das Hand werk so schnell wie möglich legen.« »Rechnen Sie damit, daß es schnell klappen wird?« »Schwer zu sagen. Daß der Kerl raffi niert und mißtrauisch ist, merkt man schon allein daran, daß sich bisher kei ne Frau mehr gezeigt hat.« »Ich denke auch, daß er die übrigen Frauen gewarnt hat«, meinte Kathy Porter enttäuscht, »und morgen und übermorgen wird er in einem anderen Hotel weitermachen.« »Scheußliche Vorstellung, Kathy.« Rander verzog sein Gesicht, »hoffent lich finden wir bald die Agatha Simp son, die wirklich gemeint war.« »Das wird nicht so leicht sein, wie bei diesem einen Fall, als wir einen falsch adressierten Brief erhielten, Mike.« Die Gesellschafterin der Lady spielte auf ei nen gelösten Kriminalfall an. Ein Gang ster hatte einen Brief an eine jener Fir men gerichtet, die Mike Rander in My ladys Auftrag finanziell und juristisch betreute. Er hatte diesen Fehler schnell eingesehen und Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, ihn wieder auszubü geln. »Duplizität der Ereignisse, Kathy«, antwortete der Anwalt lächelnd, »wie sieht es mit den Telefonnummern aus? Haben Sie eine Agatha Simpson gefun den, deren Nummer der von Lady Simpson ähnelt?« »Ich habe mir alles aufgeschrieben, Mike, was richtig sein könnte«, gab Ka thy Porter zurück, »aber wie gesagt, die Auswahl ist leider recht groß, selbst wenn ich strengste Maßstäbe anlege.« Von der Treppe her war ein Räuspern zu hören. Wenig später erschien der
Portier und hielt einen Brief in der Hand. »Für Sie, Sir«, sagte er und reichte den Umschlag an Mike Rander weiter, »er ist eben unten am Empfang von ei nem Jungen abgegeben worden.« »Ohne Anschrift«, stellte der Anwalt fest, »wieso also für mich?« »Der Junge sagte, er sei für den Mann oben im Gesellschaftszimmer«, erwi derte der Portier, »und das sind Sie, oder?« Mike Rander öffnete den Umschlag und zog einen Zettel hervor, der offen sichtlich von einem Notizblock stamm te. Er hatte einige Mühe, die hastig hin gekritzelten Blockbuchstaben entzif fern zu können. »Der nächste Schuß trifft«, las er dann halblaut, damit nur Kathy Porter verstehen konnte. »Gibt es eine Unterschrift?« fragte Kathy gespannt. »Ja, die gibt's, Kathy. Unterschrieben ist mit >Mr. Computer
»Aber nein. Bestimmt nicht, Sir«, gab der Portier schnell und nachdrücklich zurück. Man hörte förmlich heraus, daß er log, »wir sind ein seriöses Haus . . . Nein, nein, mit der Polizei hatten wir noch nie zu tun, darum ja auch meine Sorge.« »Die Polizei wird aus dem Spiel blei ben«, meinte Kathy Porter, »da wäre noch eine Frage: Hat dieser Mr. Litters Ihnen eine Liste der Damen gegeben, die hier vorsprechen wollten?« »Aber nein, Miß«, erklärte der Portier, und Kathy Porter und Mike Rander hat ten erneut den Eindruck, daß der Mann sehr gezielt die Unwahrheit sagte.
John Adamski ahnte nicht, welches Glück er hatte. Als Rose Patnick ihm die Milchfla sche auf den Kopf schlagen wollte, schob er sich plötzlich ruckartig vor und brachte seinen Kopf aus der Schlagrichtung. Er hatte vor, sich den Schließmechanismus aus einem ande ren Blickwinkel anzusehen. Deshalb hatte er den Kopf ein Stück in den Kühlschrank geschoben. Er zuckte na türlich zusammen, als die Milchflasche am oberen Rahmen der Tür zerschellte. Die Splitter landeten in seinem Nacken, die Milch ergoß sich über seinen Rücken. Rose Patnick war entsetzt einen hal ben Schritt zurückgewichen und starrte John Adamski an, der sich aufrichtete und ein wenig verwirrt war. »O Gott«; stammelte Rose Patnick und wandte sich ab. Ihr wurde erst jetzt so richtig bewußt, was sie geplant hatte. »Aber das macht doch nichts, kleine Frau«, sagte Adamski und lächelte ein wenig gequält, »so etwas kann jedem passieren...« »Ich . . . Ich wollte . . . Ich habe ...« Rose Patnick wandte sich ab und rann te aus der Küche hinüber in den Wohn 18
raum. Sie warf sich auf die schmale Couch und weinte hemmungslos. Sie merkte nicht, daß John Adamski ihr gefolgt war und sie ratlos betrachtete. »Was ist den?« fragte er endlich und trat neben sie. Er legte seine Hand auf ihre nackte Schulter. Das Dekolleté hat te sich verschoben, »wer weint wegen einer zerbrochenen Milchflasche?« Sie antwortete nicht und schluchzte weiter. Adamski zündete sich eine Ziga rette an, goß einen Brandy ein und reichte ihr das Glas. Er richtete die Frau auf und wiederholte die Geste. Fast au tomatisch griff sie zu und leerte das Glas. »Wer weint über verschüttete Milch?« zitierte er ein engliches Sprichwort und lächetle sie an. »Noch einen Schluck?« »Gehen Sie, Adamski«, sagte Rose Patnick, »bitte, gehen Sie! Ich muß al lein sein.« John Adamski zögerte einen Moment und nickte dann. Er ging zur Tür, lä chelte und kam sich in diesem Augen blick sehr edel und hilfreich vor. »Wenn Sie Ärger haben, Rose«, sagte er, »wenn Sie mal Hilfe brauchen, dann rufen Sie mich, ja?« »Sie wollen mir helfen?« fragte sie fast empört. »Ich bin kein junger Mann mehr, Ro se, aber ich bin auch kein Feigling«, meinte er, »genieren Sie sich nicht, mich anzurufen.« Sie verstand die Welt nicht mehr. Ro se Patnick sah ihn entgeistert an und wollte antworten, doch es schnürte ihr die Kehle zu. Hatte Adamski nicht ver sucht, sie unter Druck zu setzen? War er nicht der Verfasser des Briefes, der mit > Großhirn < unterschrieben war? Wie konnte man derart heucheln? »Warum haben Sie diesen Brief ge schrieben?« fragte sie leise, »warum spionieren Sie mir nach, Mr. Adamski? Sagen Sie doch endlich, was Sie wollen! Haben Sie doch endlich den Mut, Farbe zu bekennen!"
»Ich habe Ihnen einen Brief geschrie ben?« John Adamski stutzte und schüt telte den Kopf. »Ich spioniere Ihnen nach? Wie kommen Sie denn darauf?« »Sie sind ein gemeiner Feigling! Und was ist das hier?« Rose Patnick griff unter ein Kissen und präsentierte auf gebracht den Brief, der die Lawine aus gelöst hatte. John Adamski nahm ihn an sich, las und zeigte sich überrascht. »Diesen Brief habe ich nicht geschrie ben«, sagte er dann mit Nachdruck, »so etwas habe ich nicht nötig.« »Er stammt wirklich nicht von Ih nen?« Sie wurde rot und riß ihm den Brief aus der Hand. »Das sieht nach einer handfesten Er pressung aus«, antwortete John Adam ski, »was könnte er Ihrem Mann sagen, Rose? Um Kleinigkeiten kann es sich nicht handeln. Was sollen die Daten und Adressen bedeuten?« Rose Patnick senkte den Kopf. »Ach so, jetzt verstehe ich.« John Adamski griff nach der Brandyflasche und goß sich einen Schluck ein. »Jetzt begreife ich erst...« »Es war ja wohl auch nicht schwer«, meinte sie und stand auf. »Okay, Sie haben mich in der Hand, John. Sie wis sen ja jetzt Bescheid. Sie haben ge wonnen.« »Einen Moment mal«, protestierte er, als sie den Morgenmantel öffnen wollte, »Sie sollten mich nicht beleidigen, Ro se. Ich würde nie eine Situation ausnut zen . . . Niemals! Aber ich denke, wir sollten uns zusammensetzen und ge meinsam darüber nachdenken, wer die sen Brief geschrieben haben könnte.« »Ich wollte Ihnen die Milchflasche auf den Kopf schlagen.« »Das ist mir inzwischen aufgegan gen.« Er lächelte flüchtig. »Da habe ich ja noch mal Glück gehabt. Also, wer könnte den Brief geschrieben haben, Rose?« »Ich weiß es nicht, John.« »Wir werden das herausbekommen,
Rose.« »Und dann?« »Und dann werde ich mir diesen Kerl kaufen. So ein Dreckskerl, so ein mieser Erpresser... Der kann sich auf einiges gefaßt machen!«
»Läuten Sie noch mal, Mr. Parker«, sagte Agatha Simpson, »man muß uns doch gehört haben.« Der Butler hatte seinen Zeigefinger bereits erneut auf den Klingelknopf ge legt und beließ ihn dort. Das Schrillen der Türklingel war mehr als deutlich zu vernehmen, doch im Haus rührte sich nichts. Nach dem Intermezzo im Hotel waren die Lady und ihr Butler weitergefahren, um die Handtasche abzuliefern, die die junge Frau im Wagen zurückgelassen hatte. In dieser Handtasche hatte Josu ah Parker Papiere gefunden, die auf die Besitzerin der Tasche schließen ließen. Diese Frau wohnte im östlichen Stadt teil von Holborn, man hatte also noch nicht mal einen größeren Umweg ma chen müssen. Josuah Parker nahm den Zeigefinger zurück und griff in die linke Mantelta sche seines schwarzen Covercoats. Sein Gefühl sagte ihm, daß in diesem Haus einiges nicht stimmte. Die junge Frau hatte sich fluchtartig abgesetzt und war doch sicher auf dem schnellsten Weg nach Hause gefahren. Ihr Zustand hatte es bestimmt nicht zugelassen, in der Stadt zu bleiben. Warum also öffnete sie nicht, obwohl man durch ein schmales Seitenfenster deutlich erkennen konn te, daß das Fernsehgerät eingeschaltet war. Der Ton allerdings war abgedreht worden. »Ich werde jederzeit beeiden, Mr. Par ker, daß die Tür nur angelehnt war«, ließ sich die Detektivin vernehmen, als sie das schwarze Lederetui sah, das Par ker aus der Manteltasche geholt hatte. 19
Es handelte sich dabei um das Spezial besteck des Butlers, das er sich nach seinen speziellen Vorstellungen kon struiert und auch angefertigt hatte. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis das Türschloß im übertragenen Sinn die Waffen streckte und sich aufsperrte. »Mrs. Tenders?« rief Parker mit höf lich-fester Stimme, »bitte, Sie sollten tunlichst nicht erschrecken. Die Tür war leichtsinnigerweise nur angelehnt.« »Lassen Sie mich mal.« Lady Agatha, die sich noch immer als hilfreiche Pfad finderin sah, drängte sich ungeniert an Parker vorbei und marschierte ener gisch in die Tiefe des kleinen Hauses. Sie warf einen Blick in das Zimmer, wo das Fernsehgerät stand, stutzte und . . . stürzte sich dann auf die junge Frau, die wie leblos auf einer Couch lag. Mylady war glücklich. Sie sah eine Möglichkeit, eine zweite gute Tat an diesem Tag zu begehen, riß den Oberkörper der jungen Frau hoch, betrachtete das wachsbleiche Gesicht und nickte zufrieden. »Ein Selbstmordversuch, Mr. Par ker«, stellte sie fest, »ich habe mich also nicht getäuscht.« »Wie es stets der Fall ist, Mylady«, erwiderte Josuah Parker, obwohl er sich gut daran erinnern konnte, daß sei ne Herrin diesen Umweg als reine Zeit verschwendung betrachtet hatte. Er trat näher und sah sich die Frau an. »Wie gut, daß ich in Erster Hilfe aus gebildet wurde«, meinte die ältere Da me, »ich brauche sehr viel Wasser, Mr. Parker.« »Darf man anregen und vorschlagen, Mylady, die junge Dame unter die Du sche zu stellen?« »Sie braucht eine Herzmassage, Mr. Parker. Ich werde das sofort erledigen. Sie sollten für einen Moment den Raum verlassen. « »Wie Mylady bereits feststellten, dürf te die junge Frau noch ein wenig mehr getrunken haben«, erwiderte Parker. 20
»Hatte ich das?« Sie nickte zögernd. »Natürlich, man sieht doch auf den er sten Blick, daß kein Selbstmordver such vorliegt. Schaffen wir sie ins Bad, falls es so etwas hier überhaupt gibt.« Die Skepsis war berechtigt, denn das Reihenhaus war alt, schmal und sah ab gewohnt aus. Es gab allerdings ein win ziges Badezimmer, in dem sogar eine Dusche war. Josuah Parker hielt den Kopf der jungen Frau unter die Brause und drehte das Wasser an. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die Begos sene nach Luft schnappte, sich wehrte und endlich die Augen aufschlug. »Eine Roßkur, wenn ich so sagen darf, die aber notwendig schien, Mrs. Tenders«, erklärte der Butler, »Mylady war der durchaus verständlichen An sicht, Sie könnten Tabletten oder Phar maka in anderer Form zu sich genom men haben.« »Wer... wer sind Sie?« fragte Judy Tenders mit müder Stimme und wollte wieder die Augen schließen. »Sehen Sie mich gefälligst an, wenn Sie mit mir sprechen«, forderte Agatha Simpson grollend, »ich werde Ihnen ei nen starken Kaffee kochen . . . Mr. Par ker, würden Sie das für mich erle digen?« »Handwarmes Wasser würde die Ma gentätigkeit vielleicht wirkungsvoller anregen, Mylady.« »Eben«, lautete ihre Antwort. »Genau das meine ich ...« Als Judy Tenders fast gezwungener maßen ein Glas lauwarmes Wasser hat te trinken müssen, wurde ihr schlecht. Sie stand plötzlich vom Stuhl auf, den die Detektivin ihr zugewiesen hatte, und rannte in das kleine Badezimmer. »Es geht eben doch nichts über die alten Pfadfindermittel, Mr. Parker«, sagte Lady Agatha zufrieden, »gleich wird sie sich wohler fühlen. Und dann möchte ich eine Erklärung dafür haben, warum sie aus dem Wagen geflüchtet ist.«
Im Wohnraum läutete das Telefon. Josuah Parker schritt gemessen dorthin und nahm den Hörer ab. »Judy Tenders?« fragte eine weiche, unangenehm klingende Stimme. Der Butler reicht den Hörer an Lady Agatha weiter, die selbstverständlich neugierig gefolgt war. »Judy Tenders?« fragte die weiche, unangenehme Stimme noch mal. Agatha Simpson wußte sofort, daß sie diese Stimme schon mal gehört hatte. »Ja?« fragte sie und bemühte sich gei stesgegenwärtig, den baritonalen Ton fall ihrer Stimme zu heben. Es wurde fast ein dunkler Mezzosopran daraus . . . »Ich brauche hundert Pfund«, sagte die Stimme, »sagen wir, bis Freitag, ja? Ich bin sicher, daß Sie das Geld schnell verdienen werden . . . Wann und wo Sie es abliefern können, werde ich Ihnen noch rechtzeitig mitteilen.« Es wurde sofort aufgelegt. Lady Aga tha wandte sich zu Josuah Parker um und nickte grimmig. »Darf man davon ausgehen, daß My lady eine wichtige Entdeckung ge macht haben?« erkundigte sich der Butler. »Davon können Sie ausgehen, Mr. Parker.« Sie strahlte unvermittelt, »Ich wußte doch gleich, daß diese Fahrt sich lohnen würde. Man muß eben den rich tigen Instinkt haben, Mr. Parker. Aber so etwas hat man - oder man hat es nicht!«
»Ich sah in einen Abgrund der menschlichen Seele«, verkündete Aga tha Simpson zwei Stunden später. Sie war mit dem Butler in das Haus in Shepherd's Market zurückgekehrt und saß zusammen mit Kathy Porter und Mike Rander am Tisch. Josuah Parker servierte das Abendessen, das auf die Diät seiner Herrin Zugeschnitten war. Sie hatte sich vor einigen Monaten fest
vorgenommen, etwas gegen ihre Fülle zu unternehmen. Während Lady Agatha von einem Ab grund der menschlichen Seele sprach, musterte sie mißtrauisch die Speisen. Parker, der ein vorzüglicher Koch war, reichte gegrilltes Lammfleisch, Kroket ten, grüne Bohnen und zusätzlich eine riesige Gemüseplatte. »Salat ist sehr gesund, mein Kind«, dozierte sie und schob die Platte ihrer Gesellschaftern zu, um dann auch Mike Rander aufmunternd zuzunicken. Dann plünderte sie ausgiebig die Braten platte. »Mr. Parker, erzählen Sie, was ich er lebt habe«, forderte sie Josuah Parker auf, »ich möchte mich jetzt nicht ablen ken lassen.« Kathy Porter und Mike Rander tauschten einen schnellen, amüsierten Blick und warteten, bis der Butler eine Platte mit Roastbeef abstellte. Agatha Simpson war irritiert, denn mit diesen Leckerbissen hatte sie nicht gerechnet. Sicherheitshalber reservierte sie sich einige Scheiben und tarnte sie mit grü nen Bohnen. »Proteine, Kinder«, sagte sie dazu, »man sollte stets gezielt essen.« Zur Unterstreichung ihres Ratschlags versorgte sie sich noch schnell mit kal tem Braten, den Parker zur Disposition stellte. Dann schaute sie ihren Butler erwartungsvoll an. »Wenn es erlaubt ist, werde ich mich relativ kurz fassen«, schickte Josuah Parker voraus, »Myladys Gespräche mit Mrs. Judy Tenders, die ungewöhnlich einfühlsam geführt wurden, wie ich be tonen möchte, ergaben folgenden Tat bestand: Mrs. Tenders gehört eindeutig zu jener Gruppe von jungen Frauen, die das bekannte Hotel besuchten, nach dem sie von dem unbekannten Mr. Ter ry Litters dazu aufgefordert wurden und keine Möglichkeit sahen, sich solch einem Ansinnen zu widersetzen.« »Ich habe fast alles verstanden«, warf 21
Mike Rander ein und amüsierte sich wieder mal über die Ausdrucksweise des Butlers. »Und um welche Damen handelt es sich?« erkundigte sich Kathy Porter. »Die erwähnten Damen, Miß Porter, waren alle mal Mitglieder eines soge nannten Callgirl-Rings. Im Falle Mrs. Judy Tenders' liegt das allerdings be reits ein knappes Jahr zurück. Inzwi schen verehelichte sich Mrs. Tenders und dürfte einen Lebenswandel führen, den man nach bürgerlichen Vorstellun gen als moralisch einwandfrei zu be zeichnen pflegt.« »Callgirls also ...« Rander nickte langsam. »Und jetzt sollten sie sich für Aktaufnahmen zur Verfügung stellen?« »Wahrscheinlich handelt es sich da bei um eine erste Vorstufe für weitere Verlangen und Erpressungen«, redete Josuah Parker weiter, »Mrs. Tenders er hielt einen Brief, der mit >Mr. Großhirn< unterschrieben war. Leider hat sie die sen Brief vernichtet.« »Sie ahnt, wer dieser >Mr. Großhirn< ist, Mr. Parker?« fragte Kathy Porter. »Dies ist leider nicht der Fall, Miß Porter«, entgegnete der Butler, »Myla dy konnten allerdings in Erfahrung bringen, wer den Callgirl-Ring seiner zeit leitete.« »Eine gewisse Mary Fonbrake, nicht wahr, Mr. Parker?« Agatha Simpson be schäftigte sich weiter mit den Proteinen in Form von Lammfleisch und Roast beef. »In der Tat, Mylady, der Name lautet Mary Fonbrake«, pflichtete Parker sei ner Herrin bei, »auch die gegenwärtige Adresse dieser ... Dame ist bekannt.« »Und Sie haben sie noch nicht be sucht?« wunderte sich Mike Rander. »Ich hätte ihr gern den Marsch gebla sen«, warf die ältere Dame ein, »aber sie ist leider verreist, wie ich erfuhr. Sie wird erst morgen zurückkommen.« »Dann sieht's ja gut aus«, fand Anwalt Rander, »diese Mary Fonbrake dürfte 22
uns sagen können, wer Terry Litters ist.« »Falls Mrs. Fonbrake noch unter den Lebenden weilt, Sir«, gab der Butler zu bedenken, »darf ich daran erinnern, daß der Besitzer der weichen, unangeneh men Stimme die Gepflogenheit hat, so fort zu schießen .. ?«
»Es ist mir eine Ehre, Mylady, Ihnen behilflich sein zu dürfen«, versicherte Horace Pickett und küßte der älteren Dame formvollendet die Hand. Als La dy Agatha diese Hand zurücknahm, vergewisserte sie sich mit schnellem Blick, ob die schmale Goldkette und der Ring noch vorhanden waren. Ihr war schließlich bekannt, daß Horace Pickett ein Meister seines Fachs war. Dieser >Eigentumsumverteiler<, wie er sich gern bezeichnete, war eine be merkenswerte Erscheinung. Pickett erinnerte an einen pensionierten Offizier der Army, seine Manieren waren unta delig. Er war etwas über mittelgroß, fast schlank und besaß einen gepflegten Schnurrbart. Er hatte den schnellen Blick der Lady Agatha natürlich be merkt und lächelte verzeihend. »Entschuldigen Sie, mein Lieber«, sagte Agatha Simpson schnell, »ich wollte Sie auf keinen Fall beleidigen.« »Sie gehören nicht zu meinen Klien ten, Mylady«, versicherte Horace Pik kett, der zum Tee oder Mokka - ganz nach Belieben - von Josuah Parker ins Haus gebeten worden war. Pickett fühl te sich dem Butler auf Lebenszeit ver pflichtet, da Parker ihm mal das Leben gerettet hatte. Darüber hinaus bewun derte Pickett die einmalige Fingerfer tigkeit des Butlers, die die seine völlig in den Schatten zu stellen vermochte. »Nehmen Sie Tee oder Mokka, Mr. Pickett?« erkundigte sich Josuah Par ker beim Gast des Hauses. »Ihr Mokka ist einmalig, Mr. Parker«,
erklärte Horace Pickett, »in Verbin den ist«, meinte der >Eigentumsneuver dung mit einem Kognak ist er sogar teiler<, »ich weiß nur, daß Mary Fonbra unübertrefflich.« ke den Ring nicht mehr leitet. Das ist »Eine sehr gute Idee, mein lieber Pik erwiesen. Ich nehme an, daß man ihr kett«, fand auch Lady Simpson und ein paar Knüppel zwischen die Beine nickte Parker zu, »und dann nehmen geworfen hat.« Sie gefälligst Platz, Mr. Parker.« »Sie gehen davon aus, Mr. Pickett, »Meine Stellung als Butler, Mylady, daß dieser Callgirl-Ring von einem grö ßeren Unternehmen geschluckt worden verbietet es mir...« »Ich bestehe darauf«, grollte sie, »und ist?« stärken auch Sie Ihren Kreislauf. Sie »Genau, Mr. Parker. Und ich weiß sind schließlich nicht mehr der auch, wer diesen Ring an sich gerissen Jüngste.« hat.« »Nach meinem bescheidenen Wis »Wie Mylady befehlen.« Parker reich te den Mokka, den Kognak und nahm sensstand, Mr. Pickett, denken Sie an dann auf der Kante eines Sessels Platz.. einen Gangster namens Benny Barn Er hielt sich derart steif, als habe er lett, nicht wahr?« einen Ladestock verschluckt. »Donnerwetter, den kennen Sie »Ich habe bereits meine Fühler ausge auch?« staunte der >Eigentumsvertei streckt«, berichtete Horace Pickett, der ler< und sah Parker überrascht an. von Josuah Parker telefonisch einge »Dann wissen Sie ja auch wohl, wie ge wiesen worden war, »Mary Fonbrake fährlich dieser Mann ist.« hat tatsächlich einen Callgirl-Ring ge »Sein Ruf kann in der Tat nicht als leitet. Sie entschuldigen, Mylady, daß gut bezeichnet werden«, fand Josuah ich diese Begriffe in Ihrer Gegenwart Parker und nickte andeutungsweise, verwende.« »aber Mr. Benny Barnlett dürfte auf kei »Papperlapapp, mein lieber Pickett«, nen Fall die erwähnten Damen zu sich gab sie lachend zurück, »ich weiß sogar, ins Hotel bestellt haben, um Aktaufnah men anzufertigen.« was Bordsteinschwalben sind.« »Ganz sicher nicht, Mr. Parker«, ant »Nach meinen Informationen waren die Mitglieder dieses Rings meist Ange wortete Horace Pickett, »solche miesen stellte oder Hausfrauen, die unregelmä Touren - entschuldigen Sie, Mylady! solche miesen Touren braucht der nicht ßig, ähem, arbeiteten ...« »Handelte es sich um einen exklusi zu reiten.« ven Ring, Mr. Pickett?« fragte Josuah »Es wäre von einigem Interesse zu Parker. erfahren, ob Mr. Barnlett das Personal Mary-Fonbrake-Unternehmens »Nein, nein, das nicht«, versicherte des Pickett, »er war mehr seriöse Mittella übernommen hat«, redete der Butler ge, verstehen Sie?« weiter, »darüber hinaus könnten Sie »Was verstehe ich darunter, mein Lie und Ihre Freunde liebenswürdigerwei se in Erfahrung zu bringen versuchen, ber?« wollte die ältere Dame wissen. »Nun ja, Mylady, die Damen . . . Also, welche Damen seinerzeit für Mrs. Mary die Frauen . . . Die also ... Sie also sind Fonbrake arbeiteten.« nette Hausfrauen, wenn ich's mal so »Das wird sich machen lassen«, ent ausdrücken kann. Sie ließen sich nur gegnete Pickett. von Männern einladen, die auch nicht »Ferner sollten Sie persönlich, Mr. gerade anspruchsvoll sind, verstehen Pickett, nach einer Dame namens Aga Sie?« tha Simpson suchen, die diesem Ring »Sicher ist nicht, ob er auf gelöst wor ebenfalls angehörte. Nähere Anweisun 23
gen dazu werden Sie noch erhalten. Darf es noch etwas Mokka sein?« »Aber ja, Mr. Parker«, freute sich Ho race Pickett, »und auch gegen einen Kognak wäre nichts einzuwenden.« »Das gilt selbstverständlich auch für mich, Mr. Parker«, schaltete sich Lady Simpson ein, »wenn ich nur daran den ke, daß eine Namensvetterin als Call girl arbeitete, brauche ich sogar einen doppelten Kognak.« »Das gilt auch für mich, Mylady«, fand Horace Pickett...
mer nicht geändert hatte. Der Gangster betrieb eine Bananenreiferei und einen Gemüsegroßhandel in der Nähe von Covent Garden. Es handelte sich kei neswegs um eine Scheinfirma, sondern um einen florierenden Betrieb, dessen Einkünfte ordnungsgemäß und gewis senhaft versteuert wurden. Für den Gangster Barnlett war das die bürgerli che Visitenkarte und zugleich auch eine Tarnkappe gegenüber den Behörden. Er verfügte somit über Einkünfte, die er belegen konnte. Das Geld jedoch, das seine Callgirls verdienten, erschien na türlich nie in den Büchern und über stieg beträchtlich den Umsatz seines Großhandels in Bananen und Gemüse. Mitternacht war vorüber. Nach einiger Zeit bog Josuah Parker Agatha Simpson befand sich im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum von einer Zufahrtstraße ab, durchfuhr und begutachtete das Leben und Trei einen weiten, hohen Torbogen, der groß ben auf den Straßen der eigentlichen genug war, um auch Lastwagen durch City. Trotz der bereits frühen Morgen zulassen, und hielt geraume Zeit später stunde waren die Hauptstraßen noch vor einem alten, vierstöckigen Back gut besucht. Als Parker den Stadtteil steinbau in einem Hinterhof. Soho durchquerte, registrierte die älte »Das sieht aber sehr still aus«, meinte re Dame sogar einen Verkehr wie am die ältere Dame enttäuscht. Abend. Einheimische und Touristen »Mr. Barnlett besitzt im vierten Stock drängten sich durch die schmalen Stra jenes Hauses ein großes Appartement, ßen und genossen das mehr als reich wie meiner Wenigkeit versichert wur haltige Angebot an Amüsement aller de«, antwortete der Butler, »die Anliefe Art. rung von Gemüse aller Art und auch von Lady Agatha ließ sich von ihrem But Bananen dürfte erst in etwa einer Stun ler zu Benny Barnlett chauffieren. Sie den beginnen. wollte dem Gangster, der für Callgirls »Diese Stunde wird mir völlig rei zuständig war, einen Besuch abstatten. chen, Mr. Parker«, gab sie unterneh Sie hatte darauf bestanden, obwohl sie mungslustig zurück, »ich hoffe, daß das von Mr. Horace Pickett noch mal ein Türschloß nicht abgesperrt ist.« dringlich vor diesem Mann gewarnt »Die Tür zum Treppenhaus, Mylady, worden war. Sie war eine Frau, die stets dürfte erfahrungsgemäß nur angelehnt direkt ihr Ziel ansteuerte und keine sein«, versicherte Josuah Parker im Umwege kannte. Es war vielleicht gera Vertauen auf sein kleines Spezialbe de ihre Direktheit und Ungeniertheit, steck, »aber man sollte davon ausgehen, die ihre Gegner immer wieder ver daß es im Erdgeschoß eine Art Wach blüffte. stube geben wird.« Josuah Parker wußte, wo man nach »Mit solch kleinen Widerwärtigkeiten menschlichem Ermessen den Gangster beschäftige ich mich nicht«, meinte sie Barnlett fand. Einige Anrufe vor Antritt abfällig, »erledigen Sie das in meinem dieser Ausfahrt hatten ihm gezeigt, daß Sinn, Mr. Parker.« Barnlett seine Gewohnheiten noch im »Wie Mylady wünschen.« Parker öff 24
nete die Fahrertür, lüftete höflich die schwarze Melone und schritt zu der glatten, schwarz gestrichenen Eisentür, die den Zutritt zum Treppenhaus ver sperrte. Er war davon ausgegangen, daß man seinen Privatwagen bereits beim Passieren des Torweges elektronisch zur Kenntnis genommen hatte. Gang ster vom Kaliber eines Benny Barnlett waren in der Regel recht vorsichtige Männer, die an ihrem Leben hingen. Parker hatte die Tür erreicht und machte die kleine viereckige Klappe aus, die man in Augenhöhe in sie einge schnitten hatte. Bevor sie geöffnet wur de, hatte er bereits einen kleinen Zer stäuber aus einer seiner Manteltaschen geholt. Er war kaum größer als jene Be hälter, die zur Aufnahme von Rachenund Nasensprays dienten. Parker klopfte mit dem bleigefütter ten Bambusgriff seines Universal-Re genschirms gegen die Türfüllung und läutete gleichzeitig. Er setzte darauf, daß man sein sogenanntes hochbeini ges Monstrum für ein reguläres Taxi hielt, zumal er das bewußte Hinweis schild ausgefahren hatte. Die Sichtklappe in der Tür öffnete sich, und das Gesicht eines Mannes war schwach zu erkennen. »Was wollen Sie?« fragte der Mann, der dann anschließend automatisch die Augen schloß und dafür den Mund öff nete. Er schnappte verzweifelt nach Luft und bekam nicht mit, daß Josuah Parker einen seiner gefürchteten Pa tent-Kugelschreiber durch die Sicht klappe in den Wachraum warf. Danach hielt der Butler es für ange bracht, sich ein wenig zu entfernen. Er wollte auf keinen Fall mit jenen Dämp fen in Kontakt kommen, die dem Kugel schreiber inzwischen nachhaltig entwi chen . . .
Benny Barnlett war etwa fünfzig, 25
groß und hager. Als Held eines Filmdrehbuchs wäre er sicher als ein dicker, schmatzender und unappetitlicher Gangster darge stellt worden, der sich von willigen Frauen bedienen ließ. Die Wirklichkeit sah anders aus. Barnlett saß zwar in einem recht luxuriös eingerichteten Wohnraum, aber er befand sich vor ei nem Arbeitstisch und arbeitete. Er war nicht allein. An einem Neben tisch saß ein junger, drahtiger Mann, der etwa achtundzwanzig oder dreißig Jahre zählte. Er trug Hose und Hemd und zusätzlich noch eine Schulterhalf ter, die mit einem kurzläufigen 38er ge spickt war. Der junge Mann blätterte in einem Sportmagazin. »Sobald die ersten Laster kommen, werden wir eine Runde drehen, Ste ven«, sagte Benny Barnlett und blickte kurz von den Papieren hoch, »ich möchte mir unsere Vertragshotels an sehen.« »Sie waren doch erst gestern dort, Mr. Barnlett«, sagte Steven Bowl, der Leib wächter des Gangsters. »Eben, Steve«, antwortete der Gang sterchef und lächelte flüchtig, »also wird man heute bestimmt nicht mit mir rechnen.« »Glauben Sie, daß man Sie reinlegen will?« »Damit rechne ich immer, Steven«, gab Barnlett zurück, »jeder möchte sei nen privaten Schnitt machen. Und wenn man nicht aufpaßt, ist das auch der Fall und ...« Benny Barnlett wurde leicht abge lenkt. Er hatte gerade das Gefühl ge habt, als sei die Tür zum Wohnraum aufgedrückt worden. Was natürlich nicht der Fall sein konnte. Keiner der Männer im Erdgeschoß hätte es gewagt, ohne Voranmeldung heraufzukommen. »Ist was, Chef?« fragte Steven. Es zeigte sich, wie ungemeim schnell Ste ven Bowl war. Er hielt bereits den 38er schußbereit in der rechten Hand und 26
sah ebenfalls zur Tür hinüber. »Ich . . . Ich glaube nicht, Steven. Se hen Sie aber nach!« Geschmeidig und schnell wechselte der Leibwächter zur Tür hinüber und öffnete sie. Da er es sich einfach nicht vorstellen konnte, daß ein Fremder hier oben erschien, war er unvorsichtig und leichtsinnig. Er schob seinen Oberkör per vor und . . . handelte sich einen har ten Schlag ein, der ihm die Schußwaffe aus der Hand riß. Der 38er landete auf dem Teppichboden, doch Steven Bowl zeigte trotz einiger Benommenheit Klasse. Er ließ sich nach vorn wegkippen, rollte sich ab und sah sich einem Mann gegenüber, der einen schwarzen Cover coat und eine Melone trug, die er höf lich lüftete. Als Steven Bowl diesen Mann angehen wollte, landete die Wöl bung der Kopfbedeckung auf seiner Stirn. Bowl glaubte, von einem Vorschlag hammer getroffen worden zu sein. Er schloß augenblicklich die Augen und fiel an die gegenüberliegende Korridor wand. Er konnte nicht wissen, daß die Wölbung der Melone mit Stahlblech ge füttert war. Bowl war bereits ohnmäch tig, bevor er sich vollends niedersetzte. »Sie sollten tunlichst jede Bewegung vermeiden, Mr. Barnlett, die Mylady möglicherweise falsch deuten könnte«, sagte Josuah Parker, der inzwischen den Raum betreten hatte und seine schwarze Melone erneut lüftete. Gleich zeitig richtete er die Spitze seines altvä terlich gebundenen Regenschirms auf den Gangsterchef, der aufgesprungen war und die Schublade aufzerren woll te, was allerdings nicht auf Anhieb klappte. »Wer . . . Wer sind Sie?« fragte Barn lett und zwang sich zur Ruhe. Dann hätte er sich am liebsten die Augen ge wischt und eingeredet, er träume - e ben diesen Mann, der eindeutig wie ein hochherrschaftlicher Butler aussah.
Doch das allein war es nicht, was ihn verwirrte. Neben diesem Butler er schien eine große, füllige Dame, die ein zu weites Tweed-Kostüm im ChanelLook trug. Auf dem Kopf der Frau, die geradezu majestätisch wirkte, saß ein skurril aussehender, total unmoderner Hut, der an einen Napfkuchen erinner te. Am linken Handgelenk der Erschei nung baumelte ein altertümlich ausse hender, perlenbestickter Pompadour. Benny Barnlett fiel es wie Schuppen von den Augen. Er hatte von dieser Frau bereits gehört, die meisten Ge schichten, die man sich von ihr erzählte, aber einfach nicht geglaubt und als Märchen abgetan. Diese Frau existierte also wirklich! »Lady Simpson oder so?« fragte Barnlett zögernd und vergaß die Schuß waffe in seiner Schreibtischlade. »Nur so, junger Mann«, erwiderte die Detektivin ärgerlich und marschierte auf Benny Barnlett zu, »ich habe mit Ihnen zu reden.« »Wie sind Sie . . . Wie sind Sie herein gekommen?« stotterte Barnlett. »Ersparen Sie sich solche dummen Fragen«, raunzte die Lady, »und wagen Sie es nicht, die Lade zu öffnen!« Genau dieser Hinweis erinnerte Barn lett daran, daß er noch durchaus mit einer Schußwaffe umgehen konnte. Er streckte den Arm aus und riß die Lade auf. Seine Finger langten nach der 7,65er, doch sie erreichten die Automa tik nicht. Dafür traf Myladys flache Hand die Wange des Gangsters. Er hatte umgehend den Vorzug, so etwas wie einen nächtlichen Sternen himmel zu sehen, obwohl er noch nicht mal zum Fenster hinaussah . . .
»Sie sollten sich in Grund und Boden schämen, eine hilflose Frau angreifen zu wollen«, sagte Agatha Simpson, »ich glaube, ich werde Ihnen noch eine zwei
te Ohrfeige verabreichen.« Benny Barnlett wollte antworten, doch er schaffte es nicht. Seine Backe war wie gelähmt, der Unterkiefer ließ sich nicht bewegen. Er starrte die ältere Dame an und winkte mit den Händen ab. »Nun gut, warten wir damit noch et was«, verkündete Lady Agatha groß mütig, »es kann ja auch sein, daß Sie mir ein paar Auskünfte geben werden.« Benny Barnlett nickte andeutungs weise. Langsam wich die Starre aus sei nem Gesicht. Er schaute zu, wie Josuah Parker die Schußwaffe aus der Lade holte und in einer seiner Taschen des schwarzen Covercoats verschwinden ließ. Dann wechselte der Butler hinüber zu einem Wandtisch und füllte ein Glas mit Whisky. Er reichte es dem Gang sterchef, der einige Mühe hatte, das Glas zu halten. Nachdem er sich er frischt hatte, ging ihm erst auf, was pas siert war. Er war hier oben in seiner einmalig gut gesicherten Wohnung ge radezu überfallen und überrumpelt worden, obwohl doch Spitzenkräfte sei ner Organisation ihn bewachten! Solch einen Besuch hatten noch nicht mal routinierte Konkurrenten geschafft. »Kommen wir endlich zur Sache«, raunzte Agatha Simpson, »Mr. Parker wird Ihnen einige Fragen stellen. Und ich werde Ihnen sagen, ob ich Ihnen die Antworten abnehme oder nicht.« »Es handelt sich nur um einige unwe sentliche Auskünfte«, schickte Josuah Parker voraus, »Ihnen dürfte das Unter nehmen einer gewissen Mary Fonbrake bekannt sein, nicht wahr?« »Ja oder nein?« wollte die Detektivin wissen. »Doch . .. Ja!« Benny Barnlett nickte hastig. »Nach Myladys Informationen haben Sie seinerzeit diesen Callgirl-Ring über nommen«, redete der Butler in seiner höflichen Art weiter, »über den mora lisch-ethischen Aspekt dieser Callgirl 27
Ringe soll an dieser Stelle nicht disku geöffnete Tür bemerkte. Der junge, drahtige Mann stand am Türrahmen tiert werden...« »Darüber werde i c h mich mal mit und machte sich bereit, Lady Simpson Ihnen unterhalten«, warf Lady Agatha als Geisel zu nehmen. Als Waffe hielt der Leibwächter einen kleinen zweiläu grimmig ein. »Haben Sie seinerzeit das gesamte, figen Derringer in der Hand. »Flossen hoch«, kommandierte Ste sagen wir, Verwaltungspersonal mit übernommen?« fragte Parker den ven Bowl, nachdem er tief Luft geholt Gangsterchef. hatte, »Flossen hoch, sonst niete ich »Nein, nein, ich habe mir nur die Li euch um!« sten der Damen geben lassen«, versi cherte Barnlett prompt, »es war kein großer Laden, verstehen Sie.« »Warum haben Sie diesen Ring über »Ein ganz munterer Betrieb«, stellte nommen?« wollte Agatha Simpson Mike Rander fest, »das Geschäft scheint wissen. zu florieren.« Er saß zusammen mit Kathy Porter in »Ich wollte den Markt bereinigen«, lautete die schlichte, treuherzige Ant einem Mini-Cooper, der ein Stück vor wort des Gangsters, »es gab da laufend dem Hoteleingang unauffällig am Stra ßenrand parkte. Mike und Kathy beob Ärger mit den Tarifen und so ...« »Sie haben Mrs. Mary Fonbrake aus achteten das Gebäude, in das dieser Terry Litters die ehemaligen Callgirls bezahlt?« »Aber natürlich, das war ein korrek bestellt hatte, um Aktaufnahmen von ihnen herzustellen. tes Geschäft.« Sie beobachteten nicht ohne Grund »Was geschah mit den Damen, die normalerweise auf Abruf bereitzuste dieses kleine Hotel der unteren Mittel klasse, das übrigens >Skydream< hieß. hen pflegen, Mr. Barnlett?« »Ich habe bisher fünf Paare gezählt, »Wer weiter mitmachen wollte, konn te das tun, aber die meisten Frauen sind die alle nicht länger als eine halbe Stun abgesprungen, beziehungsweise ...« Er de im Haus blieben«, meinte Kathy Por ter, »der Portier ist auf keinen Fall ein stockte und zeigte Nervosität. »Beziehungsweise?« fragte die Detek Unschuldsengel.« »Morgen werden wir mehr über die tivin mit einem Unterton, der Barnlett veranlaßte, seinen Kopf zurückzu ses Hotel wissen«, sagte Mike Rander, »Chief-Superintendent McWarden wird nehmen. »Nun ja, die meisten Frauen haben da wieder mal hilfreich einspringen wir sogar ausgeladen, um's mal so aus müssen.« zudrücken«, redete er dann hastig wei Um eine Verfolgung der Callgirls, die ter, »sie entsprachen nicht dem Stan mit ihren >Kunden< kamen und gingen, dard, Lady. Ich meine, sie waren nicht brauchten sich Mike Rander und Kathy mehr elegant und jung genug und wur Porter nicht zu kümmern. Einige Frau den nach Hause geschickt.« en von Horace Pickett hatten die Über »Diese Namensliste würde Mylady wachung in ihre bewährten Hände ge nommen. gern einsehen«, sagte Josuah Parker. »Die... Die ist nicht mehr vorhan »Ein neues Pärchen«, rief Kathy Por den«, behauptete Benny Barnlett umge ter, »wahrscheinlich war das >Sky hend und setzte seine Hoffnung auf Ste dream< schon zu Zeiten der Mary Fon ven Bowl, der inzwischen wieder zu brake ein beliebter Treffpunkt.« sich gekommen war, wie er durch die »Darauf möchte ich schwören, Ka 28
thy«, antwortete der Anwalt, »dieser Portier hatte ein verdammt schlechtes Gewissen, als wir ihm einige Fragen stellten. Und Ärger mit der Polizei hat er mit Sicherheit bereits hinter sich.« »Wer mag der Besitzer des Hotels sein?« »Werden wir ebenfalls von McWarden erfahren, Kathy. Wahrscheinlich ist das >Skydream< ein Vertragshotel von die sem Benny Barnlett, der den CallgirlRing von Mary Fonbrake übernommen hat.« Das Pärchen, das Kathy Porter beob achtet hatte, war inzwischen im Hotel verschwunden. Durch ein Fernglas konnte Mike Rander ohne Schwierig keiten beobachten, wie der Portier der jungen Frau ohne weiteres einen Zim merschlüssel überreichte. »Eindeutig eine Art Absteige«, mein te der Anwalt, »in spätestens einer hal ben Stunde wird das Liebespaar wieder auf der Bildfläche erscheinen.« »Warum zwingt dieser Terry Litters die Callgirls zu Aktaufnahmen?« Kathy Porter setzte sich noch beque mer zurecht. »Wenn er sie erpressen würde, könnte man wenigstens einen Sinn erkennen, aber so?« »Diese Erpressungen werden be stimmt noch kommen, Kathy. Hat er erst mal sie Aktaufnahmen, kann er den Frauen die Daumenschrauben anlegen. Ich gehe nämlich davon aus, daß diese Frauen inzwischen verheiratet sind oder es bereits waren, bevor sie dem Callgirl-Ring beitraten.« »Terry Litters muß also ein Insider sein, nicht wahr?« »Ganz klar, Kathy. Ich geh sogar noch einen Schritt weiter: Litters ge hörte entweder seinerzeit zum CallgirlRing der Fonbrake, oder aber er stammt aus dem Kreis um Benny Barnlett, der das jetzt zusätzlich noch kontrolliert.« »Und wenn wir es mit einem Ehe mann zu tun haben, der sich rächen will?«
»Sollte man selbstverständlich auch nicht ausschließen, Kathy. Aber wir brauchen jetzt erst mal Informationen. Ich möchte wissen, was unsere Lady inzwischen so treibt... Schade, daß wir nicht dabei sein können.« »Wir bekommen Besuch«, warf Kathy ein bei einem Blick in den Rückspiegel, »wahrscheinlich einer von Picketts Freunden.« Mike Rander wandte sich um und machte eine männliche Gestalt aus, die ungeniert und direkt den Mini-Cooper ansteuerte. Ja, diese Gestalt winkte jetzt sogar verstohlen und wollte so zu erkennen geben, daß man sich mit dem Zielobjekt >Skydream< befaßte. Der Mann schaute sich wiederholt um, ging schneller und erreichte schließlich den Wagen. Er klopfte ge gen die Scheibe, und Kathy Porter kur belte sie ein Stück abwärts. »Ich hab da ein Problem«, sagte der Mann, dessen Gesicht man erkennen konnte, »einer meiner Freunde hat Ärger.« »Was liegt denn an?« erkundigte sich Mike Rander vom Beifahrersitz her. »Das hier«, antwortete der Mann und richtete den Lauf einer schallgedämpf ten Waffe auf Kathy Porter und Mike Rander, »steigt aus, Schnüffler, bevor ich 'nen Krampf im Zeigefinger be komme!« »Überredet«, erwiderte Mike Rander, »ich glaube, daß Sie uns gründlich reingelegt haben, Mann...»
Steven Bowl, der Leibwächter des Gangsterchefs Benny Barnlett, wieder holte noch mal, es sei seine feste Ab sicht, Lady Simpson und Butler Parker >umzunieten<, falls man nicht augen blicklich die >Flossen< hochnahm, wie er es ausdrückte. Der kleine doppelläu fige Derringer in seiner Hand unter strich jetzt noch nachdrücklicher seine 29
Absicht. »Mylady und meine bescheidene We nigkeit haben Ton und Inhalt Ihrer Worte durchaus zur Kenntnis genom men und richtig verstanden«, schickte Josuah Parker in seiner höflichen Art voraus, »und Sie können versichert sein, daß dies keineswegs auf die leich te Schulter genommen wird, wenn gleich man gerade an dieser Stelle doch deutlich betonen sollte, daß Sie Rede wendungen ins Treffen führen, die eine der Situation angemessene Haltung und Würde keineswegs beinhalten.« »Was . . . Was hat er gesagt?« fragte Steven Bowl irritiert und warf seinem Chef einen scheuen Blick zu. »Wenn Sie erlauben, werde ich inter pretieren«, redete Josuah Parker ge messen weiter und hob dabei wie bei läufig die Spitze seines Universal-Re genschirms, »Mylady ist durchaus be reit, sich dieser neuen Situation anzu passen, falls man Wünsche in einer Form zum Ausdruck bringt, die der herrschenden Konvention entspre chen.« Steven Bowl runzelte die Stirn. Sein Chef Benny Barnlett grübelte ein we nig. Die beiden Gangster waren von Parkers Worten verwirrt worden. Sie fürchteten, wichtige Details überhört zu haben. Barnlett vergaß darüber, seine Schußwaffe in Position zu bringen. Er hatte sie inzwischen in seiner rechten Hand. Steven Bowl achtete leichtsin ngerweiße nicht weiter auf die Schirm spitze und verfolgte mit seinem Blick den rechten Zeigefinger des Butlers, der gegen die Zimmerdecke wies. »Was soll das?« fragte er mißtrau isch. »Aus Gründen der Fairneß sollte ich ihnen zeigen, was sich über Ihrem Kopf zusammenbraut«, antwortete Butler Parker und löste mit seinem linken Zei gefinger den Schuß aus. Angetrieben vom Gasdruck einer Kohlensäurepatrone, die sich oben im 30
Schirm befand, jagte ein stricknadellan ger, buntgefiederter Blasrohrpfeil durch den hohlen Schirmstock, verließ die kaum wahrnehmbare Mündung vorn an der Schirmzwinge und setzte sich umgehend im Oberarm des Leib wächters fest. Der zuckte zusammen, schoß seiner seits, verriß den Schuß aber und ließ das Geschoß in der Zimmerdecke ver schwinden. Dann warf Bowl seine Waf fe zu Boden und stierte aus förmlich hervorquellenden Augen auf den Blas rohrpfeil in seinem Oberarm. Gift...«, flüsterte er endlich. »Dies sollte man keineswegs aus schließen«, antwortete Josuah Parker und widmete sich für einen Moment seiner Herrin, die sich gerade auf ihre Art mit dem Gangsterchef Barnlett be faßte. Der wollte retten, was noch zu retten war, hatte seine Waffe hochge nommen und litt umgehend an einem leichten Unwohlsein. Lady Agatha hat te einen Aschenbecher benutzt, um Barnletts Brust einer kleinen Bela stungsprobe zu unterziehen. Der schwere Aschenbecher aus Preßglas tropfte gerade von Barnletts Brustbein und hinterließ bei dem Gangster ein Gefühl der Atemnot und Beklemmung. Bevor er sich davon erholte, machte die ältere Dame ihre Drohung wahr und verabreichte Barnlett eine weitere Ohr feige. Daraufhin nahm der Chef der Callgirlring-Unternehmen wieder in seinem Sessel Platz und gab sich aus giebig einer tiefen Resignation hin. »Ich . . . Ich sterbe«, ließ der Leib wächter sich vernehmen. »Mit letzter Sicherheit, wenn ich so sagen darf«, pflichtete Josuah Parker dem jungen Mann bei, »lassen Sie es mich folgendermaßen ausdrücken, wir alle werden geboren, um eines Tages zu sterben...« »Der Pfeil ist vergiftet?« fragte Ste ven Bowl heiser. »Verspüren, Sie möglicherweise be
relts die Vorboten einer gewissen Läh mung?« erkundigte sich Josuah Parker. »Ich . . . bin müde . . . !« »Sie sollten ein wenig ausruhen und sich von der Hast des rüden Alltags er holen«, empfahl Josuah Parker dem jungen Leibwächter und hatte keine Mühe, den buntgefiederten Pfeil wieder an sich zu bringen. Er zog ihn mit sanf tem Ruck aus dem Oberarm und ließ ihn in einem kleinen Köcher verschwin den, der auf der Innenseite des Univer sal-Regenschirms angebracht war. Steven Bowl kam dem Rat des But lers nach und nahm auf dem Fußboden Platz. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand, schloß die Augen und zeigte plötzlich das friedliche Aussehen eines satten Säuglings. Bowl rückte sich zurecht, streckte die Beine weit aus und war innerhalb weniger Augenblik ke eingeschlafen. "Der Pfeil, den Parker mit seinem Re genschirm verschossen hatte, war na türlich nicht vergiftet gewesen, aber doch immerhin chemisch präpariert worden. Die Pfeilspitze war mit einer Substanz bestrichen, die für schnelles Einschlafen und ausgiebige Entspan nung der Muskulatur sorgte. »Darf ich jetzt um die Liste jener Da men bitten, die Sie von Mrs. Mary Fon brake übernommen haben?« Parker hatte sich zu Benny Barnlett begeben. »Natürlich, natürlich«, beeilte sich Barnlett und schielte zu Lady Simpson hinüber, »und was kann ich sonst noch für Sie tun?« Er war völlig geschockt. Solch eine Behandlung war dem Gangsterchef noch nie widerfahren. Er stand auf und beeilte sich, Myladys Wünsche präzise zu erfüllen.
Der > Mann<, wie Mike Rander den Gangster aus dem Innern des Mini-Coo per angeredet hatte, war mißtrauisch
und sehr wachsam. Er trat sicherheits halber einen großen Schritt zurück, um auf Distanz zu bleiben. Er wartete, bis Kathy Porter und Mike Rander ausge stiegen waren, und deuteten dann mit dem Lauf seiner Waffe die Straße hin unter. Dort löste sich bereits ein parkender Wagen von der Bordsteinkante, schalte te die Scheinwerfer ein und kam lang sam näher. »Soll das eine Einladung zu einer Spazierfahrt werden?« erkundigte sich der Anwalt gelassen. Er zeigte das, was man typisch britisches Phlegma zu nen nen pflegt. »So ungefähr«, meinte der Gangster und lächelte dünn, »vielleicht wird's Ih nen sogar gefallen.« Der Wagen hielt. Der Gangster deute te auf die hintere Tür und machte dazu eine entsprechende Bewegung. Kathy Porter entdeckte ohne Schwierigkeiten einen zweiten Mann, der bereits im Fond saß und ebenfalls bewaffnet war. »Es gibt Zunder, wenn ihr Ärger macht«, sagte dieser Mann und richtete seine Waffe auf Mike Rander, der noch vor Kathy Porter stand. »Wir sind doch keine Selbstmörder«, antwortete der Anwalt und bückte sich, um einzusteigen. Im gleichen Moment warf sich Kathy Porter waagerecht in die Luft und riß ihr rechts Bein im Fal len und Herumdrehen hoch. Ihre Schuh spitze traf haargenau die Hand des Gangsters, der von dieser Aktion völlig überrascht wurde. Bevor er überhaupt begriff, was eigentlich passiert war, se gelte seine Waffe durch die Luft und klatschte gegen eine Hausfassade. Der Getroffene stöhnte und griff mit der ge sunden Hand nach den geprellten Fin gern. Kathy war bereits wieder auf den Bei nen. Sie hatte sich von einem scheuen Reh in eine wilde Pantherkatze verwan delt. Der Gangster reagierte kaum, als Kathy Porter mit einem Handkanten 31
schlag traf. Danach erst zeigte er Betrof fenheit. Er rutschte haltlos in sich zu sammen und blieb zu Füßen der jungen Dame liegen. Dem Gangster im Wageninnern war durch Mike Rander die Sicht verstellt worden. Er bekam nur mit, daß sich hinter dem Mann, der gerade gehorsam einsteigen wollte, etwas tat. Natürlich dachte er überhaupt nicht daran, sein Partner könnte überwältigt worden sein. »Nun machen Sie schon endlich«, bellte er, »worauf warten Sie eigentlich noch? Ihr Zug ist abgefahren.« »Pech«, meinte Rander und . . . riß die Bodenmatte hoch. Der Mann schoß, und dieser Schuß war so gut wie nicht zu hören, da ein Schalldämpfer verwen det wurde. Doch der Staub auf der Bo denmatte verbreitete sich auf seinem Gesicht und in den wachsam geöffne ten Augen. Bevor er einen zweiten Schuß blind lings abfeuern konnte, hatte Mike Ran der ihm bereits die Waffe aus der Hand geschlagen und plazierte seine Faust, die er zurückfahren ließ, unter dem Kinn des Mannes, der augenblicklich groggy war. Der Fahrer des Wagens ließ die Kupp lung kommen und fuhr an. Mike Ran der warf sich zurück und entwischte der zuschlagenden Tür. Nach wenigen Sekunden war der Wagen weit hinten auf der Straße verschwunden. »Ein hübscher Abend, Kathy, wie?« Rander ging zu ihr hinüber und rieb sich die Faust. »Was macht der Knabe?« »Hoffentlich habe ich nicht zu hart zugetreten, Mike«, erwiderte Kathy Porter. »Selbst wenn, das rüttelt sich alles wieder zurecht, Kathy. Man wollte uns immerhin entführen ...« Während Mike Rander sprach, kon trollierte er mit schnellen, prüfenden Blicken die Straße. Es konnte ja sein, daß weitere Gangster in der Nahe lauer 32
ten. Er konnte nichts Verdächtiges aus machen. »Nehmen wir ihn mit, Mike?« fragte Kathy und deutete auf den immer noch ohnmächtigen Mann. »Könnte nicht schaden, Kathy«, ant wortete der Anwalt, »man möchte ja schließlich wissen, wer uns die Bur schen auf den Hals gehetzt hat. Und wir sollten schleunigst verschwinden, be vor im Hotel Alarm geschlagen wird.« Es zeigte sich, wie stark und durch trainiert Mike Rander war. Es machte ihm keine Mühe, den Gangster vom Bo den hochzuziehen und zum Mini-Coo per zu tragen. Er legte den Mann auf die schmale Hinterbank und wartete, bis Kathy eingestiegen war. Dann nahm er auf dem Beifahrersitz Platz und sah sich die Waffe an, die Kathy Porter mit gebracht hatte. »Nettes Kaliber«, sagte er und wandte sich zu ihrem Fahrgast um, als die Da me am Steuer anfuhr. »Damit keine Mißvertändnisse aufkommen, Kathy, ich meine die Waffe ...«
»Der Tag hat gerade begonnen, mein lieber McWarden, aber Sie sehen bereits müde aus«, stichelte Lady Simpson, nachdem Josuah Parker den Chief-Su perintendent in den kleinen Salon des Hauses in Shepherd's Market geführt hatte. »Ich bin schon seit Stunden auf den Beinen«, entschuldigte sich Mc Warden. Der fünfundfünfzigjährige, untersetzte und rundliche Mann leitete eine Son derabteilung des Yard. Stets an eine leicht gereizte Bulldogge erinnernd, wozu seine leichten Basedowaugen noch beitrugen, war er den Bewohnern des Hauses sehr verbunden. McWarden profitierte davon, daß das >Quartett< auf recht unkonventionelle Art und Weise agierte, da ihn Vorschriften einengten. Auf der anderen Seite ärgerte er sich
immer wieder darüber, daß man ihm Informationen vorenthielt. Agatha Simpson liebte es über die Maßen, ihm fertig gelöste Fälle zu präsentieren. Es war für ihn dann stets bitter, ironische Bemerkungen der älteren Dame über sich ergehen lassen zu müssen, die sich mit den Arbeitsmethoden der Polizei befaßten. »Darf man sich erlauben, Sir, Ihnen eine Erfrischung anzubieten?« erkun digte sich Parker höflich. »Und ob«, meinte McWarden. »Gegen einen Whisky wäre nichts einzuwen den, denke ich.« »Sie sind im Dienst, mein Lieber«, erinnerte Lady Agatha. »Ich werde mich davon für eine halbe Stunde suspendieren, Mylady«, gab McWarden schlagfertig zurück, »im merhin bringe ich einige interessante Nachrichten, die ich dienstlich eigent lich nicht abliefern dürfte.« »Okay, ein Schlückchen wird Ihnen ja auch kaum schaden«, lenkte die Hausherrin ein, »falls Sie tatsächlich In formationen bringen.« »Ich denke schon«, meinte der ChiefSuperintendent lächelnd, »Sie investie ren den Whisky also nicht nutzlos.« »Halten Sie mich etwa für geizig?« schnappte die ältere Dame sofort zu. »Zuerst mal zu dieser Mary Fonbra ke«, erwiderte McWarden, ohne auf My ladys Frage einzugehen, »sie war bisher nicht aufzutreiben. Ich lasse ihre Woh nung diskret überwachen, aber wie ge sagt, sie ist wie vom Erdboden ver schwunden.« »Das sind doch alte Hüte, McWar den«, grollte Lady Agatha. »Sie hatte einen Callgirl-Ring aufge zogen, der, sagen wir mal so, unprofes sionell arbeitete, was die Damen be traf«, berichtete McWarden weiter, »sie betreute nur Amateurinnen, wenn Sie wissen, was ich meine.« »Ich bin schließlich kein Backfisch mehr«, stellte Agatha Simpson klar.
»Um was für Frauen handelte es?« »Hausfrauen, Sekretärinnen, grüne Witwen . . . Sie alle arbeiteten für die Fonbrake nur sporadisch und wahr scheinlich nach Lust und Laune, wenn gerade mal Geld nötig war. Natürlich waren es lauter hübsche Frauen, aber als aufregend würde ich sie nicht gera de bezeichnen.« »Eine Frage des Geschmacks, McWarden«, stichelte die Lady prompt. »Erfahrungsgemäß sind solche Call girls aber recht gefragt, eben weil sie nicht professionell ihre Dienste anbie ten«, redete McWarden ungerührt wei ter, »der Ring der Fonbrake ist dann vor vielen Wochen von Benny Barnletts Gang geschluckt worden.« »Die Hüte werden immer älter und staubiger«, bemerkte Lady Agatha spitz. »Barnlett ist ein Vollprofi«, meinte McWarden, der nun ärgerlich wurde, »ich warne davor, sich mit ihm anzu legen.« »Tatsächlich?« fragte Agatha Simp son scheinheilig. »Der Mann lebt in einer Art Festung«, zählte der Chief-Superintendent weiter auf, »ich möchte gleich sagen, daß wir vom Yard bisher keine Handhabe hat ten, um gegen ihn vorzugehen.« »Darf man höflichst fragen, mit wel cher Methode dieser Mr. Barnlett zu ar beiten pflegt?« schaltete sich Josuah Parker ein, bevor Agatha Simpson eine scharfzüngige Bemerkung machen konnte. »Barnlett, Mr. Parker?« fragte McWarden und nickte. »Nun, er hat hier in London und anderen Städten Ver tragshotels, wie ich sie mal nennen möchte. In diese Hotels schickt er die Callgirls und deren Kunden, seine Mit arbeiter fahren dann später die Hotels ab und kassieren. Kontrollen würden die Polizei nicht weiterbringen. Es ist schließlich nicht strafbar, wenn zwei er wachsene Menschen sich ein Doppel 33
zimmer mieten.« »Gehört das >Skydream< zum Kreis dieser Vertragshotels, Sir?« fragte Parker. »Eindeutig ...« McWarden nickte. »Gerade dieses Haus ist eine richtige Absteige.« »Der Portier ist behördlicherseits be reits aktenkundig geworden?« »Der Portier heißt Sidney Tolden und ist bereits mehrfach vorbestraft«, laute te Mc Wardens nächste Auskunft, »Er pressung, Körperverletzung und Dieb stahl.« »Und wem, wenn man weiter fragen darf, Sir, gehört dieses Hotel namens >Skydream« Benny Barnlett, Mr. Parker. Dieses Haus und noch viele andere gleicher Preisklasse. Für diese Hotelkette hat er selbstverständlich eine eigene Firma gegründet, in der sein Name nicht er scheint . . . Aber jetzt möchte ich end lich mal eine Frage stellen.« »Hoffentlich läßt sie sich beantwor ten, McWarden«, meinte Lady Agatha und warf Parker einen warnenden Blick zu, »ich stehe erst am Anfang mei ner Ermittlungen.« »Wozu all' diese Fragen, Mylady?« er kundigte sich der Chief-Superintendent. »Geht es um eine kriminelle Sache, von der ich noch nichts weiß? Falls ja, falls Sie Kenntnis von einem Verbrechen ha ben, so sind Sie verpflichtet...« » Schnickschnack, McWarden«, fiel die Detektivin ihm ins Wort, »es geht um eine Beleidigung.« »Beleidigung?« staunte McWarden. »Man hat mich zu Aktaufnahmen ein geladen, mein Lieber«, sagte Lady Aga tha gespielt empört, »wahrscheinlich wollte man mich für einen Callgirl-Ring engagieren.« »Das darf nicht wahr sein!« McWar den hatte Mühe, ein aufsteigendes La chen zu unterdrücken. »Da kann es sich doch um eine Verwechslung gehandelt haben. Oder um einen üblen Scherz.« 34
»Es sollte nicht verschwiegen wer den, Sir, daß in diesem Zusammenhang geschossen wurde«, warf Josuah Par ker ein. »Ach nee!« McWarden richtete sich steil in seinem Sessel auf. »Wann und wo ist das passiert? Wer hat ge schossen?« »Ein Mr. Großhirn, Sir, der sich auch Mr. Computer nennt!« entgegnete Josu ah Parker. »Das klingt doch nach einem Ver rückten, Mr. Parker«, fand Mc Warden und schüttelte den Kopf, »nein, diese beiden Bezeichnungen habe ich bisher noch nicht gehört. Eindeutig, hier scheint ein Geistesgestörter Amok zu laufen.«
»Der Erpresser kennt sie, meine Da men, also müssen Sie ihn ebenfalls ken nen«, sagte John Adamski. Es war frü her Nachmittag, und der Frührentner sah sich in der Runde seiner ausschließ lich weiblichen Gäste um. Erstaunli cherweise fühlte er sich nicht wie üb lich als >Hahn im Korb<, der sich eitel zur Schau stellte. Er machte einen sach lichen und konzentrierten Eindruck. In seinem Wohnraum des schmalen Reihenhauses, in dem er allein wohnte, hatten sich seine Nachbarin Rose Pat nick und noch einige andere Frauen eingefunden, die ehemals als Callgirls gearbeitet hatten. Rose Patnick hatte auf dringenden Wunsch hin Freundin nen angerufen, zu denen sie seit gerau mer Zeit keinen Kontakt mehr hatte. Im Wohnraum befanden sich Judy Tenders, Liza Carpetti, May Carving und June Elmers. Rose Patnick hatte in der kleinen Küche des Gastgebers Kaf fee gekocht, den sie gerade servierte. Sie fühlte das Mißtrauen ihrer ehemali gen Freundinnen, die am Telefon nur zögernd ihr Kommen zugesagt hatten. Erst deutliche Hinweise von Rose Pat
nick auf den unheimlichen >Mr. Groß hirn< oder >Mr. Computer< hatte die Frauen dazu gebracht, zu Adamski zu kommen. Sie alle aber standen unter Druck und hatten Angst. »Sie wissen, daß ich wirklich nur durch ein Mißverständnis eingeweiht wurde«, redete John Adamski weiter, »auf meine Verschwiegenheit können Sie sich fest verlassen.« »Glauben Sie wirklich, daß wir diesen >Mr. Großhirn< finden werden, Mr. Adamski?« fragte May Carving, eine zierliche Blondine, die etwa achtund zwanzig Jahre alt war. »So schwer stelle ich mir das gar nicht vor«, antwortete Adamski, »wie gesagt, Sie müssen diesen Mann ken nen, er hätte Sie sonst unmöglich zu sich ins Hotel bestellen können.« »Und wenn wir ihn finden?« fragte June Elmers. Sie war etwa dreißig und brünett. »Dann werden wir diesem >Mr. Com puter< das Handwerk legen, meine Da men«, redete Adamski weiter, »aber es kommt auf Sie allein an. Sie müssen sich anstrengen und genau überlegen, wer Sie da erpressen könnte.« »Hundert Pfund hat er bereits von mir verlangt«, warf Judy Tenders ein.« »Hundert auch von mir«, sagte May Carving. »Dann werde ich wohl auch hundert Pfund zahlen sollen«, meinte die brü nette June Elmers. »Ihre damalige, sagen wir mal Chefin, kommt als Erpresserin bestimmt nicht in Verdacht, oder?« fragte John Adamski. »Mary Fonbrake?« Liza Carpetti schüttelte den Kopf. »Die hat Geld ge nug bekommen, als Benny Barnlett den Ring übernahm.« »Bleiben wir bei Benny Barnlett«, schlug Adamski vor, »ich weiß inzwi schen, wo er wohnt. Mrs. Patnick hat mir das gesagt... Hat Mrs. Fonbrake einen Freund oder Vertrauten, der sich
jetzt plötzlich ein Zugeld verdienen möchte?« »Nein nein«, antwortete Rose Patnick auch für ihre Freundinnen, »sie lebte allein und führte den Ring auch ohne fremde Hilfe.« »Okay, meine Damen, Mrs. Fonbrake scheidet also vorerst aus. Wo pflegten Sie ihre Besucher zu empfangen?« »Wie meinen Sie das?« wolllte May Carving wissen. »Wo sind wir mit unseren Kunden ab gestiegen«, übersetzte June Elmers. »Mr. Adamski, Sie können sich ruhig deutlich ausdrücken. Sie brauchen kei ne Rücksicht zu nehmen ...« »Bevorzugten Sie ein bestimmtes Ho tel?« lautete Adamskis nächste Frage. »Sie denken an dieses >Skydream« May Carving winkte ab. »Dieses Hotel war's nicht allein.« »Wir mußten die Hotelzimmer wech seln«, fügte Liza Carpetti hinzu, »die Fonbrake wollte das so, damit wir nicht auffielen.« »Wer hätte die Liste der Frauen einse hen können, die für Mrs. Fonbrake ar beiteten?« erkundigte sich John Adamski. »Hatte sie Personal?« »Nichts«, entgegnete Rose Patnick, »sie arbeitete völlig allein.« »Könnte sie vielleicht versuchen, den Ring neu aufzubauen?« fragte May Car ving. »Ausgeschlossen«, wehrte Judy Ten ders sofort ab, »dazu brauchte sie doch keine Aktaufnahmen anfertigen zu lassen.« »Ich hab' ja nur gefragt«, verteidigte sich May Carving und schien ein wenig beleidigt zu sein. »Haben die Portiers der jeweiligen Hotels Sie im Lauf der Zeit gekannt?« stellte John Adamski die nächste Frage. »Ich denke schon«, erwiderte May Carving, die bereits wieder voll bei der Sache war, »oder seid ihr anderer Mei nung?« »Natürlich haben sie uns im Lauf der 35
Zeit kennengelernt«, sagte Liza Car seinen Leuten ...« petti. »Kann man sich wirklich auf ihn ver »Die waren und sind doch nicht lassen, Rose?« fragte Liza Carpetti zwei blind«, fügte June Elmers hinzu, »ich felnd. kann mir vorstellen, daß sie herausbe Bevor Rose Patnick antworten konn kommen haben, wer wir sind.« te, kam Adamski in den Wohnraum zu »Dann sollten wir jetzt erst mal eine rück. Er hielt ein Päckchen von der Liste der Hotels zusammenstellen, in Größe eines Schuhkartons in der linken denen Sie abgestie . . . Ich meine, wo Sie Hand und machte einen nachdenkli Ihre Besucher hingebracht haben«, chen Eindruck. schlug Adamski vor. »Damit könnten »Das hier lag vor der Tür«, meinte er wir eine erste Einkreisung vornehmen, und legte das Päckchen auf ein Side denke ich.« board. Dann wunderte er sich, wie »Und wenn dieser >Mr. Compute< ei schnell seine Gäste aufstanden und ner von Benny Barnletts Leuten ist?« fluchtartig den Wohnraum verließen. erkundigte sich May Carving und zog »Aber meine Damen«, rief er ihnen die Schultern fröstelnd zusammen. nach, »was ist denn? Bitte, bleiben Sie »Dann zahle ich lieber. Sie wissen wahr doch . . . Was ist denn?« scheinlich nicht, Mr. Adamski, wie's da zugeht.« »Hoffentlich werden wir nicht bereits von diesem >Großhirn< überwacht?« »Dort drüben wohnt sie, Mr. Parker«, fürchtete sich June Elmers, »ich hätte sagte Horace Pickett. »Meine Freunde erst gar nicht kommen sollen. Meine haben sie aufgespürt.« Gesundheit ist mir wichtiger als hun »Hat Mrs. Fonbrake sich unter ihrem dert Pfund.« offiziellen Namen eingemietet, Mr. Pik »Hundert Pfund sind erst der An kett?« erkundigte sich Josuah Parker. fang«, warnte Adamski, »mal gezahlt, Er musterte das Haus, das in Wimble immer gezahlt. Der Erpresser wird Sie don stand. Es war ein anderthalbstöcki ger Steinbau, der in einem leicht verwil nie wieder aus seinen Klauen lassen.« Er wollte noch etwas hinzufügen, derten Garten stand. Das Haus machte doch in diesem, Augenblick meldete einen ebenfalls etwas heruntergekom sich die Türglocke. June Elmers zuckte menen Eindruck. sofort zusammen und sah sich ängstlich »Unter ihrem eigenen Namen, Mr. um. May Carving schluckte nervös, Liza Parker«, bestätigte der >Eigentumsneu Carpetti warf Rose Patnick einen Blick verteiler<, »es war reiner Zufall, daß zu, der ihren erregten Zustand nicht man sie aufgespürt hat.« verbarg. »Von diesem sogenannten reinen Zu »Ich bin sofort wieder da«, entschul fall möchte ich gern ein wenig mehr erfahren, Mr. Pickett«, antwortete der digte sich Adamski und stand auf. »John, passen Sie auf«, rief Rose Pat Butler. Es war später Nachmittag ge nick ihm warnend nach, als er im worden. Josuah Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und schmalen Korrdor verschwand. »Er macht eigentlich einen guten Ein hatte das Taxischild ausgefahren. Seine druck«, fand May Carving. Sie sah Rose schwarze Melone war gegen eine Leder mütze ausgetauscht worden. Er legte Patnick an. »Gegen einen Barnlett hat er über keinen Wert darauf, daß man ihn identi haupt keine Chance«, fand June El fizierte. »Sie wissen doch von diesem Portier mers. »Gegen Barnlett oder einen von 36
aus dem >Skydream<, Mr. Parker, nicht wahr?« schickte Pickett voraus. »Ein gewisser Mr. Sidney Tolden, der über ein beachtliches Vorstrafenregi ster verfügt«, meinte Josuah Parker. »Meine Freunde haben ja auch das >Skydream< beobachtet«, berichtete Horace Pickett weiter, »also, dieser Por tier setzte sich plötzlich in seinen Wa gen und fuhr hierher.« »Demnach dürfte er gewisse Dinge nicht dem Telefon anvertraut haben«, sagte Parker. »Mrs. Fonbrake ist ein wandfrei erkannt worden?« »Ein Zweifel ist ausgeschlossen«, er klärte Pickett nachdrücklich. Er hatte sich mit Josuah Parker vor knapp fünf Minuten an einer unteren Straßenecke getroffen und machte einen zufriede nen Eindruck. War es ihm doch wieder mal gelungen, dem Butler einen Gefal len zu erweisen. »Und wo befindet sich der Portier zur Zeit?« »Der ist bereits wieder zurück in die Innenstadt, Mr. Parker, aber er wird be schattet.« »Die Arbeit Ihrer Freunde zeichnet sich durch Intensität aus, wenn ich so sagen darf«, stellte Josuah Parker fest. »Darüber vergessen sie sogar ihre Ar beit, Mr. Parker.« »Was gewissen Besitzern von Briefta schen und Geldbörsen recht angenehm sein dürfte«, entgegnete Josuah Parker. Der leise Anflug eines Lächelns glitt über sein sonst so ausdrucksloses und beherrschtes Gesicht. »Nun ja, man muß leben«, meinte Pickett, »werden Sie Mrs. Fonbrake jetzt besuchen?« »Wie lange hielt sich der Portier Sid ney Tolden dort auf, Mr. Pickett?« »Vielleicht rund fünf Minuten.« »Das ist allerdings mehr als kurz und gibt Anlaß zu einer gewissen Besorg nis«, sagte Parker und ließ sofort sein hochbeiniges Monstrum anrollen. »Sie glauben doch nicht etwa, der
Portier könnte .. ?« Horace Pickett be endete nicht seinen Satz, ließ ihn gleichsam in der Luft hängen. »Man wird gleich mehr sehen, Mr. Pickett.« Parker hielt vor dem Garten zaun, der das verwilderte Grundstück zur Straße abgrenzte, vertauschte die Lederkappe gegen seine normale Kopf bedeckung, legte sich den bleigefütter ten Bambusgriff seines Universal-Re genschirms über den angewinkelten Unterarm und schritt auf das Haus zu. Horace Pickett folgte. Die Haustür war für den Butler selbstverständlich kein Problem. Mit seinem kleinen Spezialbesteck sorgte er für einen reibungslosen Zutritt. Und Horace Pickett kam sich wieder mal wie ein Anfänger vor, was die Schnellig keit und Fingerfertigkeit des Butlers betraf. Unter Parkers schwarz behand schuhten Fingen sperrte sich das Tür schloß mehr als willig, ja geradezu freu dig auf. Parker stieß mit der Spitze sei nes Regenschirms die Tür auf und be trat dann vorsichtig die kleine Halle. »Mrs. Fonbracke?« rief er höflich und keineswegs laut. Er ging weiter und warf zuerst einen Blick in den Wohn raum, der rechts von der Halle lag. Eine Sekunde später nahm Parker seine schwarze Melone ab und deutete eine höflich knappe Verbeugung an. »Was ist, Mr. Parker?« flüsterte Hora ce Pickett, der hinter dem Butler stand. »Mrs. Fonbrake dürfte das gesegnet haben, Mr. Pickett, was man gemeinhin das Zeitliche zu nennen pflegt«, lautete die Antwort des Butlers, »ich fürchte zusätzlich, daß dieser Zustand durch Gewalteinwirkung erreicht wurde.«
Man suchte Verstecke, die Mary Fon brake vielleicht im Haus angelegt hatte. Parker hatte die ehemalige Chefin des Callgirl-Rings nur flüchtig untersucht. Sein erster Eindruck war bestätigt wor 37
den. Mary Fonbrake war erschossen worden. Zwei, Schüsse hatten ihre Herz gegend erreicht und den sofortigen Tod herbeigeführt. »Ich glaube, ich habe was entdeckt, Mr. Parker«, meldete Horace Pickett von der Tür her, »wenn Sie mal oben sehen wollen ...« »Der Tod der Verblichenen dürfte vor knapp einer Stunde eingetreten sein«, sagte Josuah Parker, »ich möchte aller dings vorausschicken, Mr. Pickett, daß meine bescheidene Wenigkeit nur über recht laienhafte medizinische Kenntnis se verfügt. »Wenn Sie sagen, daß Mrs. Fonbrake vor einer Stunde erschossen worden ist, werden die Mediziner kaum eine andere Zeit festsetzen«, meinte Horace Pickett. »Demnach kann sie also nicht von die sem Portier erschossen worden sein.« »Ein Schluß, der sich zwingend auf drängt, Mr. Pickett.« Parker folgte dem >Eigentumsverteiler< ins Obergeschoß. Das Schlafzimmer war eindeutig durch wühlt worden. Die Schranktüren waren weit geöffnet. Man hatte die Wäsche achtlos auf den Boden geworfen, die Matratzen herausgenommen und sogar zusätzlich noch aufgeschlitzt. Im Schlafzimmer gab es außerdem noch zwei Kommoden mit herausgezogenen, einfach umgestülpten Schubladen. »Schlechte Arbeit«, sagte Horace Pik kett verächtlich, »ich arbeite zwar nicht auf diesem Gebiet, aber man kennt sich schließlich aus.« »Hier dürfte man unter Zeitdruck ge arbeitet haben, Mr. Pickett.« »Gearbeitet, Mr. Parker?« Pickett schüttelte den Kopf. »Das hier ist bar barisch, wenn Sie mich fragen.« »Sie machten eine Entdeckung, wenn ich erinnern darf?« »Ja, Mr. Parker, wenn Sie mal ins Ba dezimmer gehen würden. Ich kann Ih nen da was zeigen.« Horace Pickett war in seinem Ele ment Er ging voraus, deutete auf die 38
Badewanne, die eingekachelt war, und dann zusätzlich auf einen viereckigen Metallrahmen, der mit vier Kacheln ge füllt war. Dieser Rahmen lag vor einer entsprechenden Öffnung, hinter der der Ablaßsiphon der Wanne zu erkennen war. »Das muß das Versteck gewesen sein«, sagte Pickett, »hinter dem Rah men hat Mary Fonbrake bestimmt et was verborgen gehalten.« »Eine Kassette möglicherweise.« Par ker bückte sich und warf einen Blick in die Öffnung. »Spuren im Staub«, sagte Pickett, »ich habe mir das bereits genau ange sehen. « »Ich zweifle keinen Augenblick an der Richtigkeit Ihrer Beobachtung, Mr. Pickett«, sagte Parker, »zumal man die se Rückenbürste dazu benutzt haben dürfte, nach weiteren Gegenständen unterhalb der Wanne zu suchen.« »Habe ich noch gar nicht gesehen«, staunte Horace Pickett, »hätte ich aber sehen müssen.« Butler Parker musterte die angespro chene Bürste, die einen langen Stiel be saß. Vorn an den Borsten waren kleine Kalk- und Mörtelreste zu sehen, die man beim Verkleiden der Wanne mit Kacheln einfach an Ort und Stelle be lassen hatte, da man sie ja ohnehin nicht mehr sehen konnte. »Das Versteck war nicht schlecht ge wählt«, meinte Pickett. »Falls man unter der Wanne tatsäch lich Gegenstände verwahrte«, schränk te Josuah Parker ein, »würden Sie, Mr. Pickett, solch ein Versteck wählen, um Wertvolles vor dem Zugriff unbefugter Hände zu bewahren?« »Doch, ich glaube schon ...« Pickett zog ein nachdenkliches Gesicht. »Man scheint nach Bargeld und Schmuck geforscht zu haben«, sagte Parker, »diese Suche allein deutet dar aufhin, daß man mit den Lebensge wohnheiten der Mrs. Fonbrake recht
»Genau den meine ich, Mr. Parker. vertraut war.« Meine Leute wollten ihn zu einem Ge »Sie denken an diesen Verrückten, der sich >Mr. Großhirn< oder >Mr. Com spräch im Yard einladen, doch der Mann ist wie vom Erdboden ver puter< nennt, nicht wahr?« »In der Tat«, antwortete Parker. »Die schwunden.« »Vielleicht hat Mr. Barnlett eine Er ser Mann verfügt, ich möchte es noch mal betonen, über intime Kenntnisse, holungsreise angetreten, Sir.« »Alles möglich, Mr. Parker. Sollten was die Verblichene betrifft.« »Lachen Sie mich nicht aus, Mr. Par Sie ihn sehen, dann sagen Sie ihm doch, ker«, bat Horace Pickett im vorhinein, daß ich ihn zu sprechen wünsche, ja?« »Stets zu Ihren Diensten, Sir«, erwi »aber haben Sie schon mal daran ge dacht, daß vielleicht eines der ehemali derte Parker und legte auf. Natürlich hatte er verstanden, natürlich wußte er, gen Callgirls hier mitmischt?« »Dies, Mr. Pickett, ist von meiner We wo Benny Barnlett sich zur Zeit auf nigkeit keineswegs in Zweifel gezogen hielt. Und er konnte davon ausgehen, geworden«, antwortete Josuah Parker, daß der Chief-Superintendent ahnte, »und in diesem Zusammenhang spielt wo der Gangsterchef augenblicklich es keine Rolle, ob ein Mann als >Mr. war, nämlich im Haus der Lady Großhirn< anrief oder nicht. So, und Simpson. jetzt sollte man vielleicht die Polizei »Ist Barnlett verschwunden?« fragte verständigen. Es gilt, einen Mord zu Pickett, der einiges mitbekommen melden.« hatte. »Sollen meine Freunde noch weiter »Keineswegs und mitnichten«, erwi am Ball bleiben, was die Callgirls an derte Parker, »nach Lage der Dinge geht, Mr. Parker?« fragte Pickett, als sie dürfte der erwähnte Mann im Zusam wieder in den Wohnraum hinabgingen. menhang mit dem > Großhirn < in gewis »Dies dürfte sich erübrigen, Mr. Pik se Schwierigkeiten geraten sein.« kett«, erwiderte der Butler, »vielen Als Parker und Pickett zur Haustür Dank übrigens für die Liste der bereits gingen, als der > Eigentumsverteiler< identifizierten Damen. Im Augenblick schwungvoll die Tür öffnen wollte, könnte nur noch der Portier Sidney Tol drückte Parker sie energisch mit der den Interesse erregen.« Schirmspitze wieder zurück ins Schloß. »Ist was, Mr. Parker?« fragte Pickett »Ein paar Berichte von meinen Freunden stehen noch aus.« und wich sofort einen halben Schritt »Sollten sie von Wichtigkeit sein, so zurück. wäre ich Ihnen verbunden, wenn Sie »Denken Sie an den Mörder der ver meine Wenigkeit informieren würden«, blichenen Mrs. Fonbrake«, antwortete antwortete der Butler, griff nach dem der Butler, »mit weiteren Schüssen ist Telefonhörer und wählte die Nummer, durchaus zu rechnen.« unter der Chief-Superintendent McWar den direkt zu erreichen war. McWarden meldete sich und nahm zur Kenntnis, was Parker ihm mitteilte. »Und?« fragte Mike Rander amüsiert, »Übrigens«, sagte er dann fast beiläu »wurde geschossen, Parker?« fig, »Sie wissen nicht zufällig, Mr. Par »Mr. Pickett und meine bescheidene ker, wo Benny Barnlett sich aufhält?« Wenigkeit benutzten einen Hinteraus »Sie sprechen von jenem Gangster, gang«, erwiderte Josuah Parker, »der Sir, der einen überregionalen Callgirl- Mörder, falls er in der Nähe war, kam zu keinem Schuß, zumal dann die Polizei Ring leitet?« meinte Parker höflich. 39
schnell am Tatort erschien.« »McWarden will dieses Subjekt Barn lett sprechen?« schaltete sich die ältere Dame ein, die aufmerksam zugehört hatte. Sie befand sich mit Parker, Mike Rander und Kathy Porter im Salon ih res Fachwerkhauses in Shepherd's Mar ket und belebte ihren Kreislauf. »Es dürfte sich um eine Routinebefra gung handeln, Mylady«, deutete der Butler diesen Wunsch des Yard-Beam ten. »Darf man bei dieser Gelegenheit sich nach dem Wohlbefinden Mr. Barn letts erkundigen?« »Sie können mich begleiten, Mr. Par ker und ihn selbst danach fragen.« Sie erhob sich und machte einen aufge kratzten Eindruck. »Inzwischen dürfte er im eigenen Saft geschmort haben.« »Und muß schleunigst wieder auf freien Fuß gesetzt werden, Mylady«, mahnte Anwalt Mike Rander, »wir hal ten ihn schließlich gegen seinen Willen hier fest. Das grenzt schon fast an Ent führung mit anschließender Geisel nahme.« »Unsinn, mein Junge«, widersprach die Detektivin, »er wird später bestäti gen, daß er nur mein Gast war.« »Nachdem Sie ihn eindringlich ver warnt haben, Mylady, nicht wahr? « Der junge Anwalt lächelte wissend. »Man muß solch einem Subjekt na türlich verschiedene Dinge klarma chen«, sagte sie und nickte Parker zu, »kommen Sie, Mr. Parker! Sie haben wieder mal Gelegenheit, etwas zu lernen...« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit erwartungsvoll.« »Verhörmethoden«, redete sie weiter, »auf diesem Gebiet haben Sie noch eine Menge nachzuholen.« Parker ging voraus, schaltete das Licht der Kellertreppe ein und geleitete seine Herrin nach unten. Man wechselte in den Weinkeller hinüber, in dem der Butler einen versteckt angebrachten Mechanismus betätigte. Daraufhin 40
schwang eines der soliden Weinregale zur Seite und gab den Zugang frei zu einem schmalen Korridor, auf den eini ge Türen mündeten. Josuah Parker hatte den sogenannten Gast des Hauses recht oberflächlich un tergebracht und darauf verzichtet, ihn in die uralten Gewölbe der ehemaligen Abtei zu schaffen. Dieser Keller hier be fand sich noch oberhalb der Anlagen und war leicht zu erreichen. Falls be sondere Gäste im Haus waren, konnte es allerdings durchaus vorkommen, daß sie sogar noch eine Etage tiefer un tergebracht wurden. Parker öffnete eine kleine Sichtklap pe in einer der Türen, und Lady Agatha warf einen Blick in das >Gästezimmer<, das übrigens wirklich geschmackvoll eingerichtet war. Wenn auch keine Fen ster vorhanden waren, so hatten die je weiligen Gäste doch durchaus den Ein druck, sich im Wohnraum eines Land hauses zu befinden, das in einer weiten schottischen Moorlandschaft stand. Hinter einer Glasscheibe an der Längs seite des Raumes war eine entsprechen de Foto-Tapete angebracht worden, die verschwenderisch beleuchtet wurde. Im Zimmer, zu dem es auch einen kleinen Waschraum gab, befanden sich eine breite Schlafcouch, Sessel, ein wohlgefüllter Kühlschrank und sogar ein Fernsehgerät. Benny Barnlett, der Chef des Call girl-Rings, lag auf der Couch und rauch te. Als er merkte, daß er beobachtet wurde, sprang er auf und drückte die Zigarette aus. »Darf man sich nach Ihrem werten Befinden erkundigen?« fragte Josuah Parker, nachdem er mit Lady Agatha den Raum betreten hatte. »Was ... Was wollen Sie?« antwortete der Gangsterchef und starrte die ältere Dame an. »Haben Sie sich überlegt, wer dieses Großhirn - oder wie immer dieser Lüm mel sich nennen mag - sein könnte?«
fragte sie grollend. »Natürlich, Mylady«, antwortete der Gangster eilfertig, »aber mir ist nichts eingefallen. Einer von meinem Ange stellten kann's nicht sein, dafür lege ich meine Hand ins Feuer . . . Das würden die nicht riskieren.« »Auf welche Art und Weise haben Sie seinerzeit Mrs. Mary Fonbrake abgefun den, um es mal so auszudrücken?« lau tete Parkers Frage. »Die hat einen ganz schönen Schnitt gemacht«, gab Benny Barnlett zurück. »Mylady würde mit Sicherheit die Nennung von Zahlen bevorzugen, Mr. Barnlett.« »Der hab' ich runde zwanzigtausend Pfund gezahlt«, kam die prompte Ant wort, »bar auf die Hand . . . Ich wollte keinen Ärger mit ihr haben.« »Seit wann besitzt Mrs. Fonbrake ein Haus in Wimbledon?« fragte der Butler weiter. »Das hatte sie schon, als sie noch ihre Mädchen losschickte«, antwortete der Gangsterchef, »ich möchte schwören, daß sie es durch 'ne Erpressung bekom men hat. Aber das wird Sie ja wohl kaum interessieren.« »Den Mitarbeiterinnen Mrs. Fonbra ke war dieses Haus bekannt, Mr. Barn lett?« »Ich denke schon«, erwiderte der Gangsterchef, »ich glaube, sie hat da manchmal ein paar Frauen zu sich ein geladen oder auch Partys veranstaltet. Sie wissen schon, Gruppensex und so...« »Mylady würde interessieren zu er fahren, ob und mit wem Mrs. Mary Fon brake liiert ist«, fragte Parker höflich weiter. »Die hat keinen Freund oder so«, gab Barnlett Auskunft, »die ist doch nur scharf auf Geld . . . Und das hat sie von mir bekommen.« »Damit müssen Sie sich leider schon von Myladys Gastfreundschaft tren nen«, sagte Josuah Parker.
»Wieso?« Lady Agatha machte einen verdutzten Eindruck. »Mylady deuteten, wenn ich dies recht verstanden habe, solch eine Tren nung an«, behauptete Parker. »Richtig«, räumte die Detektivin so fort ein, »natürlich ...« »Sie können gehen, Mr. Barnlett«, sagte Parker, »Mylady geht davon aus, daß Sie sich als Gast des Hauses be trachtet haben.« »Gast des Hauses? Na, hören Sie mal, Sie haben mich einfach mitgeschleppt und . . . Ach so, natürlich . . . Ich war Gast des Hauses.« »Sollten Sie die Unverschämtheit be sitzen und das Gegenteil behaupten, junger Mann, werde ich Sie noch mal besuchen«, raunzte die ältere Dame den Gangsterchef an. »Ich werd' mich hüten«, erwiderte Benny Barnlett umgehend, »ich war völlig freiwillig hier.« »Sie haben sich ja förmlich aufge drängt, ein paar Stunden hier verbrin gen zu können«, meinte Agatha Simpson. »Und sogar noch gebeten, Mylady«, fügte Barnlett hinzu, der die Ohrfeigen der energischen Dame fürchtete. Er machte einen weiten Bogen um sie, als er den Raum verließ. »Sehen Sie, Mr. Parker«, sagte Agatha Simpson, als sie mit dem Butler folgte, »so verkehrt man mit Gangstern. Und so führt man Verhöre ...« »Myladys subtile Art haben meine Wenigkeit zutiefst beeindruckt«, gab Parker zurück. Und in seinem Gesicht rührte sich wieder mal kein Muskel.
John Adamski hatte darauf verzich tet, Licht zu machen. Seitdem die Damen, die von seiner Nachbarin Rose Patnick eingeladen worden waren, sich hastig verabschie det hatten, wußte er erst, was Angst ist. 41
Sie hatten ihm klargemacht, was dieses Päckchen hätte enthalten können nämlich eine Zeitbombe. Ihm brach noch jetzt der Schweiß aus, wenn er daran dachte, wie sorglos er dieses Päckchen geöffnet hatte, nachdem die Frauen fluchtartig den Wohnraum verlasen hatten. Adamski hatte Brandy getrunken und spürte dennoch nach wie vor ein flaues Gefühl in der Magengegend. Er eilte immer wieder auf Zehenspit zen zu einem der beiden Wohnzimmer fenster und beobachtete die Straße. Dann stahl er sich wieder zurück und überlas den Zettel, der sich im Päck chen befunden hatte. Darauf richtete ihm ein gewisses > Großhirn< beste Grü ße aus. Und es wurde ihm weiter ange kündigt, ein >Mr. Computer< würde sich bald persönlich melden. Adamski hätte sein Haus am liebsten verlassen und wäre irgendwo in Lon don untergetaucht, doch er traute sich einfach nicht, das Reihenhaus zu verlas sen. Irgendwo draußen auf der Straße konnte bereits dieser unheimliche Mann auf ihn warten. Er hatte doch kei ne Ahnung, wie dieser Mann aussah. Die Frauen hatten ihm da keinen Tip geben können. Er kam sich inzwischen recht albern vor, den Helden spielen zu wollen. Soll ten die ehemaligen Callgirls doch zuse hen, wie sie aus ihren Schwierigkeiten herauskamen. Das betraf auch seine Nachbarin Rose Patnick, die ihn über haupt erst in diese Klemme gebracht hatte. Es war für ihn eine ausgemachte Sache, jeden Verkehr mit den Patnicks abzubrechen. Er hatte einfach keine Lust, sich von einem Mörder belauern zu lassen. Adamski zuckte zusammen, als er ein Pochen vernahm. War das bereits der >Mr. Computer<, der sich angekündigt hatte? Auf Zehen spitzen pirschte der Mann in den Korri dor. Das Pochen kam von derHintertür. 42
Er stahl sich ungemeim vorsichtig wei ter in die Küche und erkannte die Sil houette einer Gestalt vor der Glasfül lung der Hoftür. »John... John? Sind Sie zu Hause?« hörte er dann die Stimme von Bert Pat nick. »Machen Sie doch auf! Hallo, hö ren Sie mich?« »Einen Moment, Bert«, antwortete er mit belegter Stimme und hatte plötzlich so etwas wie eine rettende Eingebung. Wenn er seinen Nachbarn Bert Patnick einlud, dann hatte er doch immerhin etwas Schutz. Adamski lief deshalb zur Hoftür und sperrte auf. »Seit wann sperren Sie sich ein, John?« fragte Bert Patnick, ein großer, starker Mann von knapp dreißig Jah ren, der ein überraschend gut geschnit tenes Gesicht hatte. Den Augen sah man keineswegs den Jähzorn an, von dem Rose Patnick sprach. »Unsichere Zeiten, Bert«, beantwor tete Adamski die Frage seines Nach barn, »spielen wir eine Partie Schach?« »Gern, John, Rose ist heute unaus stehlich.« »Was hat sie denn?« fragte Adamski, obwohl er gut Bescheid wußte. »Kopfschmerzen, Migräne. Schlechte Laune, was weiß ich...« »Wie das bei Frauen eben so ist.« Adamski ging voraus in den Wohn raum, und erst jetzt wurde ihm klar, daß er Licht einschalten mußte. Er beeilte sich, erst mal die Schnapprollos herun terzulassen. »Was ist los mit Ihnen, John?« erkun digte sich Bert Patnick, »Sie machen 'nen verdammt nervösen Eindruck.« »Ich glaube, ich werde für ein paar Wochen zu einem Bekannten aufs Land fahren«, antwortete John Adamski. »Vielleicht ganz gut für Sie, John«, erwiderte Bert Patnick, »man lebt dort auf jeden Fall gesünder. Nein, nein, kein Schach heute . . . Ich wollte nur auf einen Sprung vorbeikommen. Im Fern sehen läuft ein Krimi. Den muß ich mir
unbedingt ansehen.« »Schade«, sagte Adamski, »Sie mei nen also auch, ich sollte ruhig mal für ein paar Wochen verreisen?« »Klar«, lautete die Antwort, »Land luft hält gesund . . . Sehen Sie sich den Krimi auch an? Da spielt sich ein Ama teur als Kriminalist auf und wird in die Pfanne gehauen.« »In... Interessant«, meinte John Adamski, der sich direkt angesprochen fühlte. »Wie im richtigen Leben«, redete Bert Patnick weiter, »also dann, John, noch 'nen netten Abend!« »Vielen Dank, Bert.« Er brachte sei nen Gast zur Haustür und blieb in Dek kung, als er seinen Nachbarn hinaus ließ. Als er die Tür geschlossen hatte, kam ihm ein verwegener Gedanke. Wieso diese Anspielungen? Wußte Bert Patnick etwa Bescheid, als was sei ne Frau früher mal gearbeitet hatte? War dieser flüchtige Besuch als Dro hung gedacht gewesen? War Bert Pat nick etwa dieser Erpresser, der sich >Mr. Großhirn < oder auch >Mr. Compu ter< nannte? Spielte Bert Patnick ein doppeltes Spiel? Adamski lief zur Hintertür und verge wisserte sich, daß er sie fest verschlos sen hatte. Er kontrollierte noch mal die Haustür und spürte plötzlich so etwas wie Trotz in sich aufsteigen. Bert Patnick war immer ein misera bler Schachspieler gewesen, der leicht auszurechnen war. Von solch einem Mann sollte er, John Adamski sich matt setzen lassen? Adamski setzte sich in einen Sessel, schob die Brandyfla sche von sich und überlegte, wie er Bert Patnick wieder mal zur Aufgabe zwin gen konnte.
»Was habe ich heute noch vor, Mr. Parker?« erkundigte sich Lady Agatha, nachdem, der Gangsterchef Benny
Barnlett das gastliche Haus der Dame verlassen hatte. »Mylady hegen spezielle Wünsche?« fragte der Butler. »Ich möchte gern dieses >Großhirn< fassen«, erklärte Agatha Simpson, »was halten Sie davon, wenn ich dieses Sub jekt provoziere?« »Mylady denken an eine Ausfahrt, um sich als eine Art Lockvogel anzubieten, wenn ich mir diesen Ausdruck respekt voll erlauben darf?« »Richtig, das war es, Mr. Parker«, meinte sie umgehend, »ich bin sicher, daß der Größenwahnsinnige sich an meine Fersen heften wird. Er weiß doch ganz genau, von wem allein ihm Gefahr droht!« »Dies dürfte in der Tat der Fall sein, Mylady«, pflichtete Josuah Parker sei ner Herrin bei, »darf ich mir jedoch in diesem Zusammenhang erlauben dar auf zu verweisen, daß Mylady in der kommenden Nacht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit ei ner Art Massenbesuch rechnen sollte?« »Daran dachte ich natürlich auch schon«, gab die Detektivin zurück, ob wohl sie keine Ahnung hatte, worauf Parker anspielte, »wer wird denn mei ner Meinung nach kommen? Ich weiß es natürlich, aber wissen auch Sie es?« »Mylady rechnen mit dem Gangster chef Barnlett, der sich für die erlittene Schmach sicher rächen wird.« »Richtig«, sagte sie erleichtert, da Parker ihr das Stichwort geliefert hatte. »Mylady hätten dann die Möglichkeit, Mr. Benny Barnlett der Polizei in die Hände zu spielen.« »Genau das ist meine Absicht«, sagte sie energisch, »solch ein Subjekt gehört einfach hinter Schloß und Riegel. Tref fen Sie alle Vorbereitungen in meinem Sinn, Mr. Parker.« »Mylady können sich auf meine be scheidene Wenigkeit fest verlassen«, antwortete der Butler, verließ den Sa lon Und machte die bekannte Runde 43
durch das Haus. Er überprüfte die elek tronischen Sicherheitsanlagen, die das Haus hermetisch gegen Eindringlinge abschirmten. Er überprüfte aber auch die recht raffinierten Zusatzeinrichtun gen, die es Gegnern schmackhaft ma chen sollten, auf ganz bestimmten We gen ins Haus einzudringen, um dann allerdings unerwartet in diversen Fallen zu landen. Mike Rander und Kathy Porter befan den sich ebenfalls im Haus. Sie werte ten die Listen aus, die der Gangsterchef Benny Barnlett der älteren Dame fast freudig ausgeliefert hatte. Auf diesen Listen waren sämtliche Namen jener Frauen verzeichnet, die als Callgirls ge arbeitet hatten oder es noch taten. Da bei handelte es sich nicht nur um jene Damen, die in Diensten der inzwischen ermordeten Mary Fonbrake gestanden hatten. »Es ist kaum zu fassen«, meinte An walt Rander, als Parker Erfrischungen in der Bibliothek servierte, »wir haben da Namen und Adressen gefunden, die schon fast sensationell sind.« »Sie spielen auf Frauen an, Sir, deren Männer hohe Ämter bekleiden?« erkun digte sich Parker, der die Liste natür lich längst kannte. »Da sind Rechtsanwälte vertreten, Börsenmakler, bekannte Kaufleute, Re gierungsangestellte und Ärzte . . . Diese Liste ist explosiver als Dynamit.« »Man sollte die Liste tunlichst ver nichten, Sir, sobald der Fall gelöst ist.« »Worauf Sie sich verlassen können, Parker. Weiß der Henker, warum die Frauen dieser Männer sich derart expo nieren! Sind sie vielleicht durch irgend welche Tricks gezwungen worden, als Callgirls zu arbeiten? Ich kann's mir ei gentlich kaum vorstellen.« »Der Hauptgrund dürfte in einer ge wissen Langeweile zu suchen sein, Sir«, deutete Parker die Neigung der ver zeichneten Frauen, »dies gilt selbstver ständlich auch für jene Frauen, deren 44
Männer in normalen Berufen arbeiten, wenn ich so sagen darf.« »Langeweile!« Mike Rander nickte langsam. »Doch, das liegt durchaus drin. Könnte ich mir vorstellen... Und wie kommen solche gelangweilten Frauen an einen Callgirl-Ring?« »Wie müßte ich es anstellen, Callgirl zu werden?« schaltete sich Kathy Por ter lächelnd ein. »Ich kann ja wohl kaum inserieren, oder?« »Auch dies wäre selbstverständlich durchaus möglich«, erklärte Butler Par ker, »Sie könnten sich als Hosteß anbie ten, Miß Porter. Mit einiger Sicherheit würde sich früher oder später ein Mit telsmann des Mr. Benny Barnlett bei Ihnen melden. Und Mr. Barnlett ist nicht der einzige Unternehmer dieser Art. Darüber hinaus sollte man auch eine gewisse Mundpropaganda nicht unterschätzen.« »Eine Freundin gibt der nächsten ei nen Tip, wie?« fragte Rander. »In der Tat, Sir! In allen Fällen aber muß natürlich eine entsprechend inne re Grundhaltung existent sein.« »Sehr schön umschrieben, Parker«, meinte der Anwalt, »fürchten diese Frauen nicht, daß man ihre Identität erkennt?« »Dies, Sir, dürfte in den Bereich einer gewissen Spannungshaltung fallen. Der Reiz des Verbotenen und die Angst vor einer Entdeckung schaffen wahrschein lich einen zusätzlichen Lustgewinn, wenn dieses Wort zu nennen erlaubt ist.« »Genehmigt«, meinte der Anwalt la konisch, »hoffentlich gibt es von diesen Listen keine Durchschläge.« »Damit ist immer und stets zu rech nen, Sir. Gangster wie Mr. Barnlett dürften immer mit einer späteren Er pressung liebäugeln. Wie der Fall des >Mr. Großhirn< ja eindeutig beweist.« »Womit wir wieder bei diesem Kna ben sind, der mit seinen Aktaufnahmen doch eindeutig Erpressungen vorberei
ten will«, antwortete Mike Randers und tippte auf die Listen, »falls alle Stricke reißen sollten, werden wir wohl alle Da men hier vernehmen müssen. Eine von ihnen muß schließlich einen brauchba ren Tip liefern können ...« »Wir denken da nur an die Frauen, die für Mary Fonbrake gearbeitet haben«, schaltete sich Kathy Porter ein, »denn die wurden ja bisher von diesem >Mr. Computer< zu Aktaufnahmen einge laden.« »Einige dieser Damen trafen sich am Nachmittag in der Wohnung eines ge wissen John Adamski«, erwähnte Jo suah Parker. »Mr. Picketts Freunde konnten es einwandfrei feststellen.« »Und wer ist dieser Adamski, Parker?« »Ein sogenannter Frührentner, Sir, der offenbar auf eigene Faust Erhebun gen anstellen möchte.« »Das kann aber mächtig ins Auge ge hen. Wie ist er denn an die Callgirls gekommen?« »Seine Nachbarin, eine gewisse Rose Patnick, scheint dieses Treffen arran giert zu haben, S i r . « »Dieser Portier scheint eine gewisse Schlüsselrolle zu spielen, oder?« »Davon sollte man ausgehen, Sir. Aus diesem Grund habe ich Mr. Horace Pik kett auch gebeten, den Portier beschat ten zu lassen. Ergebnisse liegen aller dings noch nicht vor.« Parker verbeugte sich, als ein feiner Summton zu hören war, der aus der großen Wohnhalle kam. Gemessen be gab er sich zum großen Wandschrank rechts vom verglasten Vorflur, öffnete ihn und überprüfte die Warnanzeiger. Der Summton hatte gemeldet, daß auf dem Platz vor dem altehrwürdigen Haus ein Wagen sich näherte . . .
»Sehen Sie sich alles genau an, Ste ven«, sagte Gangsterchef Barnlett zu
seinem Vertrauten und Leibwächter, »dieser uralte Schuppen da muß doch zu knacken sein.« »Bestimmt, Mr. Barnlett. Und wenn wir Dynamit nehmen müßten«, ver sprach Steven Bowl scheinbar gelassen. In Wirklichkeit gierte er förmlich da nach, es dieser Lady und ihrem Butler heimzuzahlen. Sie hatten ihn bis auf die Knochen blamiert und ausgeschaltet. Steven Bowl hatte die Ermordung die ser beiden Personen fest eingeplant. Er saß am Steuer eines unauffällig aussehenden Morris und umfuhr die ge pflegte Blumenanlage, die die Mitte des hufeisenförmig angelegten Platzes zier te. Das Fachwerkhaus der Lady Simp son begrenzte als Basis diesen Platz, links und rechts davon schlossen sich weitere, wesentlich kleinere Fachwerk häuser an. Sie alle machten einen bewohnten Eindruck, was allerdings täuschte. Die se benachbarten Häuser, die die Schen kel des U-förmigen Platzes bildeten, ge hörten ebenfalls der älteren Dame und bildeten nichts anderes als eine Fassa de, die natürlich recht belebt wirkte, selbst um diese Abendstunde. Hinter Fenstern brannte Licht und schienen Fernsehgeräte eingeschaltet zu sein. Alle Häuser waren unteinander ver bunden und konnten leicht begangen werden. Doch nur die Mitglieder des > Quartetts < wußten, wie man in die Häu ser gelangte. Selbst Chief-Superinten dent McWarden war nicht eingeweiht worden, obwohl er doch Intimfreund war. Steven Bowl und sein Chef Barnlett hatten keine Ahnung, daß sie von But ler Parker mittels versteckt installierter Fernsehkameras genau beobachtet wurden. Sie glaubten, daß außer Lady Simpson hier noch andere Menschen wohnten. Der Leibwächter des Gang sterchefs fuhr langsam an den Fach werkhäusern vorüber und hielt kurz vor dem Haus der Lady. 45
»Alles klar«, sagte er nach einem im Haus?« fragte Steven Bowl. schnellen Blick und fuhr weiter, »die »Doch, ich bin mir sicher«, antworte Tür ist solide. Gut, daß wir Plastik te Barnlett, »aber fragen Sie mich nicht, sprengstoff mitgebracht haben, Chef.« wer das ist, Steven.« »Und wie stellen Sie sich den Überfall »Hauptsache, keiner von unseren vor, Steven?« fragte Barnlett. Leuten«, gab Steven Bowl zurück, »ich »Wir jagen die Tür in die Luft, stür laß' Sie da drüben am Parkgitter raus, men ins Haus und räumen auf«, antwor ja?« tete Barnletts Leibwächter, »das ist 'ne »Ich werde ein paar Filme verknip Sache von ein paar Minuten, Chef, dann sen«, sagte Barnlett, »und dann will ich sind wir auch schon wieder draußen den Amateur sehen, der sich noch mal und rauschen ab.« mit mir anlegen möchte!« »Ich werde dort drüben an der Durch gangsstraße warten«, meinte Barnlett und nickte zum Zeichen seines Einver ständnisses, »sorgt nur dafür, daß eure Steven Bowl saß am Steuer des Wagen nicht lädiert werden.« Morris. Er fuhr wieder in das Karree hinein »Das geht klar, Chef. Und der Dach vorbau über der Tür kann meinetwegen und war kalt bis ans Herz. Neben und in die Luft fliegen. Er wird's wahr hinter ihm im Wagen befanden sich drei ausgesuchte Gangster, auf die er sich scheinlich auch.« »Sie denken hoffentlich daran, Ste fest verlassen konnte. Sie stammten aus ven, mit welchen Tricks gerade der But der >Wachstube<, die den Zugang zu Barnletts Wohnung bewacht hatten. ler arbeitet.« »Ab morgen kann er die in einem Auch diese Männer konnte es kaum er Sarg abziehen, Chef. Mit mir erlaubt warten, ihre Niederlage endlich wieder man sich nur einmal 'nen kleinen auszubügeln. Sie hatten sich von ihrem Chef Barnlett zuviel anhören müssen. Scherz.« »Sie sprechen mir aus der Seele, Ste Jetzt endlich konnten sie ihm beweisen, ven. Die Lady und die anderen sind wie gut sie waren. auch wirklich im Haus?« Steven Bowl brauchte keine Hinwei »Das ist sicher, Chef«, erwiderte Ste se mehr zu geben, seine Leute waren ven Bowl, »ich hab' den Bau genau von ihm genau instruiert worden. Die überwachen lassen. Bevor die Polizei beiden Männer im Fond des Morris wa aufkreuzt, sind wir längst wieder unter ren für die Sprengladung zuständig. Sie hatten die Blechkanister nur vor der wegs.« »Vergessen Sie die Brandkanister Tür abzustellen. Bowl selbst wollte eine nicht, Steven. Ich will, daß das Haus bis dritte Ladung in Höhe des Türschlosses anheften. Er konnte sich keine Tür vor auf die Grundmauern abbrennt.« »Die Zeitungen werden tagelang von stellen, die solch einer geballten La diesem Großbrand berichten, Chef«, dung widerstand. versprach der Leibwächter leise, aber »Raus!« kommandierte er, als sie das sehr bestimmt, »von mir aus kann's in Vordach erreicht hatten, das von zwei einer Viertelstunde losgehen.« Säulen getragen wurde. Er hatte den »Schade um den Kerl, der irgendwo Wagen angehalten, drückte die Tür auf da unten im Keller ist«, meinte Benny und lief unter das Vordach. Er hörte Barnlett, »aber er hat dann eben Pech hinter sich die beiden anderen Männer. Er wußte, daß der vierte Mann jetzt ans gehabt.« »War da tatsächlich noch ein . . . Gast Steuer rutschte, um den Morris dann 46
später zurück zur Durchgangsstraße zu bugsieren. Die drei Männer hatten mit ein paar Sätzen die völlig glatte, schwarze Tür erreicht und machten sich daran, ihre Gastgeschenke abzulegen oder anzu bringen. Steven Bowl hatte mit einer kleinen Schwierigkeit zu kämpfen, da er übersehen hatte, daß die Tür keinen Knauf besaß. Er löste das Problem mit einem Haken, den er ins Schlüsselloch schob, um daran dann seine Ladung zu befestigen. »Alles klar?« fragte er die beiden Be gleiter. »Bestens«, sagte einer von ihnen und wollte sich umdrehen, um zum Wagen zurückzulaufen. Er blieb in halber Drehstellung stehen und wollte etwas sagen, doch er konnte nicht. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Er besaß al lerdings die Geistesgegenwart, Steven Bowl herumzureißen. »Was ist denn das?« fragte Bowl. Die Frage wäre im Grunde überflüssig ge wesen, denn er sah schließlich genau, um was es sich handelte. Sie waren um geben von schweren Rollgittern, die sich lautlos aus dem Dachvorsprung ab gesenkt hatten. Bowl und seine beiden Begleiter saßen fest wie in einem klei nen Raubtierkäfig. »Ich will raus«, brüllte der dritte Mann und zerrte an dem Rollgitter. Es versperrte ihm den Durchgang zur Sei te hin. Es reichte von dem einen Säulen paar bis an die Hauswand. »Anheben«, kommandierte Steven Bowl, »los, macht schon!« Sie befaßten sich mit dem Hauptgit ter, das von Säulenpaar zu Säulenpaar reichte. Die drei Gangster mühten sich ab, doch das Rollgitter rührte sich nicht. Erst jetzt fand Bowl heraus, daß sie in Laufschienen waren, die man wirklich nur wegsprengen konnte. Aber daran war jetzt nicht mehr zu denken. Eine Zündung der Gastgeschenke war nicht möglich, wenn sie nicht selbst mit 47
in die Luft fliegen wollten. Der Fahrer des Morris hatte inzwi schen entdeckt, was passiert war. Er legte den ersten Gang ein und gab Voll gas. Dann jagte er los und nahm Kurs auf die nahe Durchgangsstraße. Er hör te nicht die Flüche der drei Festsit zenden. »Seien Sie relativ herzlich willkom men«, war in diesem Augenblick die beherrschte Stimme des Butlers zu ver nehmen, die aus einem unter dem Vor dach versteckt angebrachten Lautspre cher kam, »würden Sie sich freund licherweise noch ein wenig gedulden?« »Ich... Ich spreng' den ganzen La den hoch, wenn Sie uns nicht sofort rauslassen«, drohte Steven Bowl, der die höfliche Stimme leider nur zu gut kannte. »Dies, Mr. Bowl, steht Ihnen selbst verständlich frei«, erwiderte Parkers Stimme, »darf ich mir erlauben, Ihnen das zu wünschen, was man in Ihrem Jargon wohl eine fröhliche Himmel fahrt zu nennen pflegt?« »Hören Sie! Sie haben keine Chan c e . . . Wir sind nicht allein«, versuchte Steven Bowl zu bluffen. »Sie werden bald nicht mehr allein sein«, korrigierte Josuah Parker, »im Augenblick befaßt man sich mit Mr. Barnlett, wie ich tröstlich versichern darf.« »Dafür... Dafür werden Sie noch be zahlen ...« Bowls Stimme überschlug sich. »Ihre momentane Erregung ist durch aus verständlich«, gab die würdevolle Stimme des Butlers über den Lautspre cher zurück, »zur Erheiterung der Ge müter empfehle ich ein wenig Musik. Haben die Herren besondere Wünsche? Wenn ich mir einen Rat erlauben darf, solten Sie Ihre ein wenig strapazierten Nerven vielleicht mit schottischen Wei sen aus dem Hochland besänftigen.« Bevor Steven Bowl sich dazu äußern konnte, erklang sanfte, jedoch ein we 48
nig quäkende Dudelsackmusik aus dem Lautsprecher.
Chief-Superintendent McWarden lachte. Er stand vor dem >Käfig<, in den der Vorbau des Hauses sich verwandelt hat te, prüfte die starken Rollgitter und wandte sich zu Josuah Parker um, der in korrekter Kleidung neben ihm stand. »Seit wann haben Sie denn diese herrlichen Rollgitter?« fragte er. »Sie wurden bereits vor Jahren instal liert, Sir«, erwiderte der Butler, »meine bescheidene Wenigkeit hielt sie für recht nützlich und angebracht, falls man versuchen sollte, die Haustür zu sprengen.« »Woran denken Sie eigentlich nicht, Mr. Parker?« »Sie beschämen meine Wenigkeit, Sir.« »Wunderbar, diese Kerle bereits jetzt schon hinter Gittern zu sehen«, meinte der Chief-Superintendent und musterte die Gangster, die einen recht deprimier ten Eindruck machten. »Ich bin überfallen und hierher ge schleppt worden«, beschwerte sich Benny Barnlett. Er deutete auf die übri gen Männer. »Ich kenne diese Leute überhaupt nicht.« »Woher auch, Barnlett.« McWardens Laune steigerte sich. »Sie haben sie noch nie im Leben gesehen. Mit etwas Glück wird man Sie wahrscheinlich freisprechen, aber die anderen Herr schaften . . . Naja, zehn oder fünfzehn Jahre Zuchthaus sind ja auch nicht ge rade die Welt.« »Wenn Sie erlauben, bringe ich Sie zu Lady Simpson«, warf Josuah Parker ein und deutete auf sein hochbeiniges Mon strum, mit dem er vorgefahren war. Er hatte den schmalen Wirtschaftsweg hin ter dem Fachwerkhaus benutzt, um zur Vorderseite zu gelangen.
»Wie lange soll ich hier noch rumsit zen?« brüllte Benny Barnlett. »Nur ein paar Stunden, bis die Er mittlungen beendet sind«, antwortete McWarden durch das schwere Rollgit ter, »danach sind Sie wahrscheinlich schon wieder frei. Sie haben mit dem Sprengstoffanschlag ja nichts zu tun.« Als er in den Fond von Parkers hoch beinigem Monstrum stieg, unterhielten sich die Männer bereits mit Barnlett und machten ihm klar, daß man doch immerhin in einem Boot säße. Zur Un terstreichung dieser Feststellung beleg ten sie ihren Chef bereits mit einigen gut gezielten Fausthieben. Benny Barn lett setzte sich zur Wehr, hatte jedoch wenig Chancen, sich gegen seine Leute zu behaupten. Sie hatten jeden Respekt ihm gegenüber verloren und reagierten sich ab. Lady Agatha empfing die beiden Männer in der Wohnhalle des Hauses. Sie waren über den Wirtschaftsweg und gut gesichert durch die Garagen ins Haus gelangt. Die ältere Dame machte einen recht zufriedenen Eindruck. »Was wären Sie ohne mich, mein lie ber McWarden«, sagte sie süffisant, »wer liefert Ihnen schon eine ganze Gangsterbande samt Chef?« »Ich werde mich bei Gelegenheit re vanchieren, Mylady«, antwortete McWarden süßsauer. »Sie wissen aber hoffentlich, daß dieses >Großhirn< noch nicht erwischt worden ist.« »Das ist nur noch eine Frage von Stunden, McWarden, nicht wahr, Mr. Parker?« »So könnte man es in der Tat aus drücken, Mylady.« Parker deutete eine leichte Verbeugung an. »Sie haben eine heiße Spur gefun den?« schnappte der Chief-Superinten dent sofort zu. »Diese Frage kann wahrheitsgemäß verneint werden, Sir.« »Wir vom Yard sind auch nicht untä tig«, erinnerte McWarden.
»Haben Sie denn eine heiße Spur ge funden?« erkundigte sich Lady Agatha. »Auch nicht«, räumte McWarden ein, »die Arbeit wäre wesentlich leichter, wenn wir wüßten, wer für die ermorde te Fonbrake und für Barnlett als Callgirl gearbeitet hat. Ich bin sicher, wenig stens eine dieser Frauen könnte uns wichtige Hinweise auf diesen >Mr. Com puter< geben. Haben Sie übrigens schon mal darüber nachgedacht, warum der Mann sich so nennt?« »Ununterbrochen, nicht wahr, Mr. Parker?« Lady Agatha sah den Butler fragend an. »Ununterbrochen, Mylady«, bestätig te der Butler höflich. »Sie gehen davon aus, Sir, daß beide Bezeichnungen ei nen Hinweis auf den Beruf des Mannes geben?« »Davon bin ich sogar überzeugt«, ant wortete der Chief-Superintendent. Und Josuah Parker dachte plötzlich an sein Gespräch mit Kathy Porter und Mike Rander. Sie hatten von Frauen, also von Callgirls gesprochen, deren Männer in hohen Positionen tätig waren. Befand sich unter diesen Männern vielleicht ein Computerfachmann?
»Ich erlaube mir, das Frühstück zu bringen«, sagte Josuah Parker und setz te ein reichhaltig bestücktes Tablett auf den kleinen Tisch. »Darf man sich nach Ihrem werten Wohlbefinden erkun digen?« Der junge Mann, den Kathy Porter und Mike Rander vor dem Hotel >Sky dream< abgefangen hatten, nachdem sie von ihm mit einer Schußwaffe bedroht worden waren, machte einen verschlos senen Eindruck. Er lag auf einer Bett couch und schmollte. »Sie werden sich leider bald wieder als Gast verabschieden müssen«, redete Parker weiter. »Wird auch Zeit«, sagte der junge 49
Mann, der sich bisher geweigert hatte, den?« Der Mann konnte seine Neugier seinen Namen zu nennen. Er hatte sich nicht länger bezwingen. »Mr. Tolden ist durchaus in der Lage, darüber hinaus völlig ausgeschwiegen und Antworten auf gezielte Fragen Aussagen zu machen.« »Wenn schon, mich geht das alles nicht gegeben. »Durch die Festnahme Mr. Sidney nichts an. Ich bleib dabei, daß Sie mich Toldens ist eine gewisse Änderung der gekidnappt haben. Ich meine, diese Gesamtlage eingetreten«, redete Josuah Frau und dieser Mann... Ich war da Parker weiter und übersah, wie die Au völlig ahnungslos die Straße runterge gen des jungen Mannes sich für einen gangen und...« Moment weiteten. Parker schloß aus »Sie brauchen auf keinen Fall Erklä dieser Reaktion, daß er sich auf einem rungen abzugeben«, unterbrach der guten Weg befand. Butler ihn, »nach dem Frühstück wer »Mr. Sidney Tolden dürfte seinem Be den Sie sich wieder frei bewegen kön ruf als Hotelportier wohl vorerst kaum nen. Mylady ist der durchaus richtigen noch nachkommen können«, bluffte Ansicht, daß Sie Ihre Angelegenheiten der Butler weiter, »aus bisher noch un selbst regeln sollten.« erfindlichen Gründen wollte man ihn »Und was bekomme ich dafür, daß mittels einer Schußwaffe dazu bringen, man mich hier festgehalten hat?« Der diese Welt für immer zu verlassen.« junge Mnan wurde aggressiv, hütete »Man hat auf ihn geschossen?« Als er sich jedoch, den Butler anzugreifen. »Mylady wird Ihnen sicher eine Art die Frage stellte, merkte der Gast des Hauses, welchen Fehler er begangen Schmerzensgeld zahlen«, vermutete der Butler optimistisch, »und Sie sollten, hatte. Er senkte den Kopf. »Wahrscheinlich war es einer jener wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Männer, die Sie vor dem Hotel so be diese Stadt so schnell wie möglich ver lassen. Das sogenannte >Großhirn<, merkenswert im Stich ließen.« »Unsinn, ich kenne keine Männer, die auch >Mr. Computer< genannt, scheint Jagd auf Mitwisser zu veranstalten.« mich im Stich gelassen haben.« »Mr. Barnlett besteht fest darauf, Sie »Auf Ihre Bluffs falle ich doch nicht nicht zu kennen«, erklärte der Butler, rein!« Der junge Mann lachte. »daß es sich nicht um eine reine Schutz »Darf ich mir gestatten, Ihnen bereits behauptung handelt, geht aus der Tat jetzt ein langes und gesundes Leben zu sache hervor, daß Mr. Barnlett und sei wünschen?« ne umfangreiche Leibwache sich zur »Sie wollen mir Angst einjagen, nicht Zeit in Untersuchungshaft befinden. wahr? « Sie wurden verhaftet, als sie versuch »Aus meiner Wenigkeit spricht echte ten, die Tür dieses gastfreundlichen und tiefe Besorgnis«, entgegnete der Hauses aufzusprengen.« Butler. »Teilte ich Ihnen übrigens be »Ich kann mit diesen Namen nichts reits mit, daß Mrs. Mary Fonbrake er mordet wurde?« anfangen.« »Verständlich, zumal Sie kein Mit Der junge Mann, der sich gerade Kaf glied der Barnlett-Bande sind. Sie dürf fee eingießen wollte, sah ruckartig ten für einen anderen Auftraggeber ge hoch. Die Erwähnung dieses Namens arbeitet haben, der jetzt daran geht, Mit hatte den Panzer seiner bisherigen wisser nachhaltig zum Schweigen zu Selbstbeherrschung durchbrochen. bringen. Ich verweise auf Mr. Sidney »Ist das wirklich wahr?« fragte er. Tolden.« »Sie ging, wenn ich es so umschrei »Ist... Ist er schwer verletzt wor ben darf, bereits dem Portier Tolden 50
und nun auch Ihnen voraus.« »Moment mal, das ist doch wieder ein Bluff.« Der Mann rang um Fassung. »Wo wurde sie denn ermordet?« »In ihrem Haus in Wimbledon«, ant wortete der Butler gemessen, »darüber hinaus wurden ihre Wertsachen gestoh len, die sich in einem Versteck unter einer gekachelten Badewanne be fanden.« Parker brach sehr bewußt die weitere Unterhaltung ab. Er verbeugte sich an deutungsweise und verließ das > Gäste zimmer< im Keller des Hauses. Er wuß te, daß der junge Mann nun in der rich tigen Verfassung war, sich gewisse Ge danken zu machen.
»Taxi!« rief der junge Mann, der die Freiheit wiedererlangt hatte. Er war von Mike Rander schlicht und einfach vor die Tür gesetzt worden. Nach anfängli chem Zögern war der junge Mann aus dem >Gästezimmer< des Hauses hin über zur nahen Durchgangsstraße ge gangen und beobachtete aufmerksam die Straße. Er glich einem scheuen Wild, das genau weiß, daß es gejagt wird. Er hatte Glück, gerade hier in She pherd's Market ein Taxi zu finden. Dar um atmete er auch erleichtert auf, als der Fahrer, der beinahe vorbeigefahren wäre, dennoch hielt und ein Stück zu rücksetzte. »Bloomsbury«, sagte der junge Mann und warf bereits einen prüfenden Blick durch die hintere Scheibe. Er hielt Aus schau nach etwaigen Verfolgern und war beruhigt, weit und breit kein Auto zu sehen. Er zündete sich eine Zigarette an und achtete nicht weiter auf den Fahrer des Taxi. Dieser Fahrer trug einen Schnauz bart, eine altmodische Brille und eine abgeschabte Lederkappe, die ebenfalls schon ihre besten Jahre hinter sich hat
te. Der Fahrer kaute an einem Zigarren stummel und kümmerte sich nicht wei ter um seinen Fahrgast. Der junge Mann sah wiederholt durch die Rückscheibe des Wagens und nann te dann später eine genauere Adresse. Er wollte vor dem Hotel >Skydream< abgesetzt werden. »Machen wir alles«, knautschte der Taxifahrer lässig im Dialekt eines gebo renen Londoners, änderte die Fahrt richtung und setzte den jungen Mann dann vor dem Hotel ab. Er wechselte das Geld, verzichtete nicht auf eine bis sige Bemerkung, die sich auf das Feh len eines Trinkgeldes bezog und fuhr weiter. Der junge Mann passierte den Ein gang zum Hotel, ging ein Stück die Straße hinunter, kehrte um, ging noch mal am Eingang vorüber, wechselte er neut die Richtung und beeilte sich dann, in die kleine Hotelhalle zu kommen. Er ging zum Empfang hinüber, schlug mit der flachen Hand auf die Tischglocke und zündete sich nervös die nächste Zigarette an. Als auf das Glockenläuten keine Reaktion erfolgte, ging der junge Mann um den Tresen herum und schob die Tür zu einer Art Büro zur Seite. Der Raum war leer. Der junge Mann ging ein Stück weiter, drückte vorsichtig einen Vorhang zur Seite, hinter dem sich ein zweiter, größe rer Raum befand. Auch hier war nichts von dem Mann zu sehen, den er spre chen wollte. Dafür hörte er plötzlich von der Halle her schnelle Schritte, drehte sich um und hörte kurz darauf ein häßliches >Plopp<. Der junge Mann wußte dieses Ge räusch durchaus zu deuten. Er warf sich augenblicklich zu Boden und kroch dann eilig hinter einen Ses sel. Er machte sich so klein, wie er nur konnte und schwitzte Blut und Wasser. Er dachte natürlich an das, was ihm 51
dieser Butler mitgeteilt hatte. Demnach dem Namen Dany gemeldet hatte, an war bereits an Sidney Tolden ein Mord der Reihe. Sie hatte dem jungen Mann, der sich Mel nannte, allerlei zu sagen. verusch unternommen worden. Vorn in der Hotelhalle war das Klir Der junge Mann rauchte bereits die ren von Glas zu hören, dann wurde eine nächste Zigarette und hörte mit wach Tür heftig ins Schloß geworfen. Das sender Nervosität zu. hochtourige Aufheulen eines Automo »Dann war das alles nur Trick, Dany«, tors schloß diese Geräuschfolge ab. sagte er schließlich, »Sidney hat sich Der junge Mann stahl sich aus dem abgesetzt... Nein? Also gut, dann kom Raum, pirschte zum Tresen hinüber me ich. Aber versucht nicht, mich abzu und warf einen prüfenden Blick in die hängen, sonst reagier' ich sauer. Okay, kleine Halle. Dann nahm er sich ein bei dir also . . . Ich mach mich sofort auf Herz und lief durch die Halle nach drau die Socken.« ßen. Er mischte sich unter die Passan Er legte auf, drückte die Zigarette aus ten und beeilte sich, das Hotel zu und verließ das Apartment. Als er auf schnell wie möglich hinter sich zu las der Straße war, verzichtete er auf die sen. Er mußte sich immer wieder er Suche nach einem Taxi, ging zu Fuß mahnen, nicht einfach loszulaufen. weiter und brauchte erneut etwa zehn Doch er sah sich immer wieder um und Minuten, bis er sein Ziel erreicht hatte. suchte nach etwaigen Verfolgern. Er betrat ein Apartment-Hotel, fragte Nach zehn Minuten hatte er ein Back nach einem Dany Manners, benutzte steinhaus erreicht mit einer Vielzahl die Treppe und stand dann endlich vor kleiner Appartements, Der junge Mann der Tür, hinter der sein Freund wohnte. kannte sich hier aus, betrat die Halle Er klopfte an, hörte, wie der Schlüssel und verschwand im Lift. Er ließ sich in im Schloß umgedreht wurde, und trat die vierte Etage bringen. Auf dem Kor ein. ridor holte er einen Schlüsselbund her »Hallo«, sagte er zu seinem Freund vor, sperrte eine Apartmenttür auf und Dany, »was läuft eigentlich? Ich seh da schlug sie erleichtert hinter sich ins nicht mehr durch. Wo steckt eigentlich Schloß. Sidney?« Er ging in die winzig kleine Küche, »Der hat die Hosen gestrichen voll, öffnete den Kühlschrank und nahm ei Mel«, erwiderte Dany abfällig, »seitdem ne Dose Bier heraus. Er riß sie auf und die Fonbrake erschossen worden ist, trank aus der Dose. Dann griff er im will er nicht mehr mitmachen.« Wohnraum nach dem Telefon und »Ich steige auch aus«, erwiderte Mel wählte eine Nummer. und ließ sich in einen einfachen Sessel »Dany?« sagte er dann erleichtert, als fallen, »ich bin doch nicht lebens er auf der Gegenseite abgehoben wurde müde.« und sich die vertraute Stimme seines »Das würd ich mir an deiner Stelle Freundes meldete, »hier is Mel... Sag' noch mal gründlich überlegen. Mensch, mal, was ist eigentlich los? Wo ich ge schneller können wir doch gar nicht an steckt habe? Dieser verdammte Butler Geld kommen. Die Frauen zahlen doch, hat mich festgehalten und wollte mich was wir wollen. Die können doch gar ausquetschen wie 'ne Zitrone, aber ich nicht anders.« hab ihm was gehustet. Was ist mit Sid »Eben ist im >Skydream< auf mich ney? Warum ich frage? Er soll doch von geschossen worden. Mir reicht das!« diesem Großhirn angeschossen worden »Geschossen? Hast du den Kerl er sein, oder nicht?« kannt?« Jetzt war die Gegenseite, die sich mit »Keine Ahnung, wer das gewesen ist. 52
Das heißt, wahrscheinlich ist das dieses verrückte Großhirn gewesen, Nee, ich steig aus und denk an meine Gesund heit.« Mel war aufgestanden und begann mit einer unruhigen Wanderung durch den Wohnraum. Er blieb wie angewur zelt stehen, als sein Freund Dany ihn plötzlich anrief. »Was ist denn?« fragte Mel. »Da... An deinem Kragen... Da steckt was ...« »Was soll da stecken?« Mel nahm den Arm hoch und fingerte nach seinem Jackett. Dany war bereits bei ihm und pflückte äußerst vorsichtig eine flache Metallscheibe vom Stoff. Diese Metall scheibe wurde von einigen kleinen Wi derhaken festgehalten. »Was ist denn das?« fragte Mel und runzelte die Stirn. »Ein Minisender, du Trottel«, antwor te Dany und warf die Metallscheibe zu Boden. Dann zertrat er sie nachdrück lich mit dem Absatz und lief zum Fen ster hinüber. »Ein Minisender?« Mel, der junge Mann, der Gast des Hauses Simpson gewesen war, dachte sofort an einen ge wissen Butler Parker.
»Es liegt meiner Wenigkeit fern, stö ren zu wollen«, sagte eine Stimme von der Eingangstür her. Dany und Mel fuh ren herum und sahen sich dem Taxifah rer gegenüber, der den jungen Mann nach Bloomsbury gebracht hatte. Dany, der das nicht wußte, reagierte gereizt und ging mit schnellen Schritten auf den vermeintlichen Taxifahrer zu. »Wie kommen Sie hier rein?« fragte er wütend, »los, ziehen Sie Leine, Mann, bevor ich auf die Tube drücke.« »Das ist... Das ist der Butler«, rief Mel und witterte eine Chance, sich an ihm zu rächen. Er startete zur Tür und wollte sofort angreifen.
»Das soll der Butler sein?« fragte Da ny irritiert. »Der hat sich verkleidet«, meinte Mel und holte zu einem Faustschlag aus. »Los, worauf wartest du noch?« »Sie echauffieren sich unnötig«, erwi derte Josuah Parker und blockte den ihm zugedachten Fausthieb mit seiner Lederkappe ab. Als vorausschauender Mann hatte er sie mit einem Stück Ei senblech notdürftig ausgefüttert, doch der Effekt war dennoch erstaunlich. Die Faust landete auf dem blechverstärkten Leder und wurde nachhaltig geprellt. Mel brüllte auf und führte gleich darauf einen Tanz auf, der eine recht seltsame Mischung aus Indianer- und Ernte reigen darstellte. Dany erinnerte sich, daß er Waffenträ ger war. Er griff nach seinem Leibrie men und wollte die Pistole hervorzie hen, die er dort eingesteckt hatte. Par ker, an unnötigen Bewegungen keines wegs interessiert, hielt bereits eine Spraydose in der linken Hand und ne belte den Mann ein. Dany vergaß seine Schußwaffe, hu stete und wischte sich dann gründlich die bereits leicht tränenden Augen aus. Dadurch aber verstärkte er nur noch den Reiz in seinen Augen. Sie tränten stärker und überschütteten schließlich das Gesicht Danys mit einer wahren Wasserflut. »Entschuldigen Sie freundlich mein massives Vorgehen«, bat Josuah Parker und brachte sich aus dem Bereich des feinen Sprays, »normalerweise bevor zuge ich andere Methoden. Wenn Sie sich vielleicht setzen würden .. ? « Er dirigierte die beiden Männer in Sessel und versäumte es dabei nicht, sich in den Besitz der Schußwaffe zu bringen. Dann öffnete er eines der Fen ster und wartete, bis die Gangster sich erholt hatten. »Dank der funktechnischen Über mittlung konnte ich Zeuge Ihrer auf schlußreichen Unterhaltung werden«, 53
meinte er, als Dany und Mel wieder an sprechbar schienen, »ich schlage vor, zur Sache zu kommen. Vielleicht ergibt sich für Sie eine Möglichkeit, mit dem sprichwörtlich blauen Auge davonzu kommen.« »Sie . . . Sie haben mich reingelegt«, beschwerte sich Mel und rieb seine schmerzende Hand. Da er von dem Spe zialspray eine leichte Dosis abbekom men hatte, rollten Tränen über seine Wangen. »Sie werden mir dies hoffentlich nachsehen und verzeihen«, antwortete Josuah Parker, »es ist also erwiesen, daß Sie zu einem Kreis von Personen gehören, die unter der Leitung des Por tiers Sidney Tolden die Absicht hatten, ehmalige Callgirls zur Zahlung gewis ser Beiträge zu veranlassen?« »Wie war das?« fragte Dany und hü stelte. »Sie wollten zusammen mit Sidney Tolden ehemalige Callgirls erpressen oder sollte ich mich irren?« »Wir wollten, aber wir haben nicht«, erwiderte Mel. »Dies ist meiner Wenigkeit so gut wie bekannt«, schickte Josuah Parker vor aus, »der Urheber dieser Absicht ist wer?« »Sidney Tolden«, antwortete Dany, »als Portier im >Skydream< hat er da 'ne Menge mitbekommen und dann die ganze Sache ausgeheckt.« »Wo könnte man Mr. Sidney Tolden finden?« »Der hat sich abgesetzt, als er angeru fen wurde.« »Von wem, bitte, wurde er angerufen und zu solcher Eile getrieben?« »Von irgendeinem Großhirn oder so«, antwortete Dany, »vielleicht hab ich ihn auch nicht richtig verstanden. Auf je den Fall haute er sofort ab.«
»Umfassender konnten Geständnisse 54
gar nicht ausallen«, berichtete der Chief-Superintendent am Nachmittag, als er sich zu einem kurzen Besuch im Haus der Lady Simpson einfand. Er machte einen aufgekratzten Eindruck. »Kann man Einzelheiten erfahren?« wollte Mike Rander wissen, »schließ lich sollten Miß Porter und ich ja von diesen Kerlen entführt werden.« »Als Sie das >Skydream< beobachte ten - ich weiß.« McWarden nickte. »Auch das haben diese kleinkarierten Gangster zugegeben. Sie waren von dem Portier Sidney Tolden losge schickt worden. Er hatte Miß Porter und Sie vor dem Hotel entdeckt.« »Sind es wirklich kleinkarierte Gang ster?« fragte Kathy Porter, die sich ebenfalls in der großen Wohnhalle des Fachwerkhauses der Agatha Simpspn eingefunden hatte. »Doch, das muß man schon sagen«, erklärte der Chief-Superintendent und nickte, »Amateure, die sich allerdings mit Schußwaffen ausgerüstet hatten. Dafür wird man sie selbstverständlich zur Rechenschaft ziehen.« »Keine unwichtigen Einzelheiten, mein lieber Mc Warden«, verbat die älte re Dame sich grollend, »ich möchte mehr über diesen Portier erfahren. Hof fentlich haben Sie sich nichts vor schwindeln lassen.« »Sidney Tolden wußte natürlich, was sich im > Skydream < abspielte«, meinte McWarden, »er hielt still, solange die Fonbrake und dann später Barnlett die Callgirls ins Hotel schickten. Zu dieser Zeit hat er sich nicht getraut, tätig zu werden. Erst als dieses sogenannte Großhirn oder auch dieser Mr. Compu ter aktiv wurde, da kam er auf die Idee, sich da dranzuhängen.« »Woher kannte er die Adressen der jeweiligen Damen?« fragte Mike Rander. »Die hatte er sich im Lauf der Zeit auf eigene Faust verschafft«, erzählte der Chief-Superintendent weiter, »beson
ders schwer war's ja nicht, denn die Frauen erschienen mehr oder weniger regelmäßig im Hotel. Er kannte ihre Ge sichter, wußte, welchem Gewerbe sie nachgingen, und schickte seine jünge ren Freunde Mel, Dany und noch einen dritten Burschen hinter ihnen her. Er wartete, bis seine Stunde gekommen war.« »Die er jetzt hatte«, sagte Agatha Simpson, »ich wußte ja sofort, wer der Täter ist. War es nicht so, Mr. Parker?« »Myladys Vorausschau war wieder mal bestürzend«, bemerkte der Butler höflich, worauf Kathy Porter und Mike Rander schnell einen Blick des gehei men Einverständnisses tauschten und sich ein Lächeln verbissen. »Moment mal, Mylady«, sagte McWar den, »der Portier ist auf keinen Fall das gesuchte Großhirn ...« »Natürlich nicht«, sagte sie, aber My lady wirkte ein wenig irritiert. »Diesen Täter haben wir immer noch nicht. Der Portier Sidney Tolden und seine Freunde waren, sagen wir mal, Trittbrettfahrer, die nur mitmischen wollten. Sie kommen auch nicht für den Mord an Mary Fonbrake in Betracht, ebenfalls nicht die Barnlett-Gang.« »Wem sagen Sie das, McWarden?« raunzte die ältere Dame, »das ist doch sonnenklar. Das Großhirn läuft noch frei herum, aber nicht mehr lange - oder wie denken Sie darüber, Mr. Parker?« »Mylady werden in aller Kürze zu schlagen, wenn ich es so vulgär aus drücken darf«, entgegnete Josuah Parker. »Das will ich meinen«, redete die Hausherrin weiter. »Ich werde diesem Treiben jetzt ein Ende bereiten.« »War Mr. Sidney Tolden in der Lage, Sir, mehr oder weniger vage Hypothe sen zur Person des > Großhirn < aufzu stellen?« erkundigte sich Josuah Par ker bei dem hohen Yard-Beamten. »Danach habe ich diesen Burschen besonders gefragt«, meinte McWarden
grimmig, »aber er will keine Ahnung haben. Jetzt, in der Zelle, fühlt er sich vor dem Kerl sicher ...« »Der Name Terry Litters brachte Sie nicht weiter, Sir?« Parker hatte McWar den aus guten Gründen diesen Namen genannt. Damit hatte der Gesuchte sich im >Skydream< als Gast eingetragen. »Ein Mann dieses Namens ist bei uns nicht verzeichnet.« McWarden schüttel te den Kopf. »Und der Portier konnte den Mann nicht beschreiben, der die Frauen ins >Skydream< bestellte?« wunderte sich Kathy Porter. »Er soll untersetzt sein, etwas dick lich, Miß Porter. Ja, und Tolden sprach von sehr hellen Augen. Er will diesen Mann noch nie vorher in seinem Leben gesehen haben.« »Dafür werden Sie ihn bald sehen«, versprach die Detektivin dem Chief-Su perintendent. »Nach dem Dinner werde ich mich an die Arbeit machen. Mr. Par ker, bereiten Sie alles vor.« »Wie Mylady wünschen«, lautete Par kers unerschütterlich höfliche Antwort.
»Sie haben sich verletzt?« erkundigte sich Josuah Parker, nachdem der Früh rentner John Adamski ihn eingelassen hatte. »Sie meinen das blaue Auge?« fragte er etwas wehleidig. »Unter anderem, Mr. Adamski«, erwi derte Parker, »sie scheinen auch gewis se Schwierigkeiten mit ihrem linken Knie zu haben.« »Ich bin ausgerutcht«, schwindelte Adamski. »Und dabbei gegen einen gewissen Mr. Bert Patnick gefallen, wenn ich nicht sehr irre.« »Sie wissen Bescheid?« Adamski ließ sich vorsichtig in einem Sessel nieder. »Lady Simpson befindet sich noch im Haus des Ehepaars Patnick«, antworte 55
te der Butler, »es scheint dort zu gewis sen Auseinandersetzungen gekommen zu sein.« »Dieser Patnick hat ausgerechnet mich für das Großhirn gehalten«, mur melte Adamski und gab sich dann einen Ruck. »Sie sagten am Telefon, Sie könnten uns . . . mir helfen?« »Möglicherweise, Mr. Adamski. Sie luden zusammen mit Mrs. Rose Patnick einige Damen ein?« »Das sagte ich doch schon am Tele fon«, meinte der Frührentner, »ich woll te nur helfen. Und das ist jetzt der Dank dafür.« Adamski wies auf sein blaues Auge und auf eine kleine Schwellung am Kinn. »Mr. Patnick hielt Sie für den Erpres ser, nicht wahr?« »Und ich ihn.« Adamski nickte vor sichtig. »Wie geht es Rose . . . Ich meine, Mrs. Patnick?« »Das Ehepaar hat sich ausgespro chen«, entgegnete der Butler, »man will wohl auf eine Scheidung verzichten.« »Ihr Mann ist ein brutaler Kerl«, be klagte sich Adamski. »Sie hätte einen besseren Mann verdient.« »Er hat nichts vom früheren Leben seiner Frau Rose -gewußt oder gar ge ahnt?« »Keiner hier vom Viertel.« Adamski schüttelte den Kopf. »Aber ich wundere mich immer noch darüber, wie Sie mich und Mrs. Patnick überhaupt gefunden haben.« »Hilfsbereite Bekannte ermöglichten dieses Treffen«, meinte Parker, der Adamski natürlich nichts von den Freunden eines gewissen Horace Pik kett erzählte, »die übrigen Damen am Kaffeetisch waren . . . ?« »Judy Tenders, Liza Carpetti, May Carving und June Eimers. Ich habe mir die Namen genau eingeprägt.« »Dies stimmt mit meiner Namensliste überein«, erklärte Josuah Parker, »die se Damen werden wohl innerhalb der 56
nächsten halben Stunde noch mal hier her kommen.« »Ich will mit der Sache nichts mehr zu tun haben«, protestierte Adamski. »Woher kennen Sie den die Adressen, Mr. Parker?« »Ich sprach bereits von hilfsbereiten Bekannten«, antwortete der Butler höf lich, »darüber hinaus verfügt Mylady über eine Liste all jener Damen, die hin und wieder als Callgirl arbeiteten. Auf dieser Adresse sind zusätzlich noch die jeweiligen Anschriften und auch die Berufe der Ehemänner verzeichnet.« »Und warum lassen Sie ausgerechnet nur diese Frauen kommen, die schon mal hier gewesen sind?« fragte Adamski. »Sie müssen den Mann kennen, der sie unter den Namen Terry Litters zu sich ins Hotel bestellte«, erwiderte Jo suah Parker, »oder wenigstens eine von ihnen...«
Sie machten alle einen unsicheren und nervösen Eindruck. Die eingelade nen Frauen hatten sich eingefunden. Rose Patnick, die ebenso wie Adamski ein blaues Auge hatte, war ebenfalls eingetreten. Lady Agatha hob abrupt die Hand und räusperte sich grollend. »Sie werden sich jetzt gefälligst an diesen Litters erinnern, der sich >Mr. Großhirn< oder auch >Mr. Computer nennt«, schickte sie grimmig voraus, »reden Sie einer alten, erfahrenen Frau nicht ein, Sie hätten nicht eine ungefäh re Vorstellung, wer dieser Mann sein könnte...« »Wenn Sie erlauben, Mylady, werde ich für eine kleine Erfrischung Sorge tragen«, warf Josuah Parker ein, »darf es Kaffee oder Tee sein, meine Damen?« Man entschied sich für Tee, und Par ker verließ den Wohnraum. In der klei
nen Küche der 'Adamski-Wohnung be reitete er das Getränk vor und wandte sich höflich um, als eine der Frauen in der Küche erschien. Es handelte sich um May Carving. »Mir ist schlecht«, sagte sie, »hier soll Brandy sein.« »Einen Moment, Madam, ich werde mich sofort helfend einschalten«, ant wortete der Butler, »die benötigte Erfri schung dürfte sich im Kühlschrank be finden. « Er wandte ihr den Rücken zu und öffnete die Schranktür. Er konnte die Flasche nicht sofort finden und brauchte einige Zeit, bis er sich wieder aufrichte te. Er hielt die Flasche in der Hand und sorgte auch für ein kleines Wasserglas. »Sie werden sich gleich wohler füh len«, verpsrach er und reichte May Car ving das Glas, das fingerbreit gefüllt war. Sie setzte es an den Mund und trank. »Jetzt ist mir schon besser«, sagte sie, »warten Sie, ich werde den Tee brin gen . . . Nein, nein, das schaffe ich schon, ich lasse mich nicht gern von einem Mann bedienen.« »Sehr aufmerksam, Madam«, antwor tete Parker, der die Küche verließ und in den Wohnraum zurückkehrte. Myla dy verhörte gerade die Frauen und brachte sie mit ihren Fragen völlig durcheinander. »Der Tee«, meldete May Carving, die mit einem Tablett den Wohnraum be trat, »ich hab' auch gleich die Flasche Brandy mitgebracht.« »Ein Mann, der untersetzt und dick lich ist und wasserhelle Augen hat«, wiederholte Liza Carpetti gerade, »ir gendwie kommt die Beschreibung mir bekannt vor.« »Wer soll denn das sein?« fragte May Carving. »Dieser Dreckskerl, der uns nackt fo tografiert hat und nun erpressen will«, erklärte June Elmers. »Und der zusätzlich über eine Brutali
tat verfügt, die ihn dazu bringt, ohne weiteres zu schießen«, fügte Josuah Parker hinzu, während May Carving, die gefüllten Teetassen austeilte, »dar über hinaus dürfte er der Mörder der Ihnen allseits bekannten Mrs. Mary Fonbrake sein.« »Er mietete sich unter dem Namen Terry Litters ein Zimmer im >Sky dream<, meine Damen«, erinnerte Aga tha Simpson energisch, »nun strengen Sie endlich mal Ihre Köpfe an ...« »Sieht 'dein Mann nicht so aus?« frag te Judy Tenders plötzlich und sah May Carving an. »Unsinn«, erwiderte die Frau und deutete auf die gefüllten Teetassen, »trinken wir erst m a l . . . Wer möchte Brandy?« »Keiner der hier Anwesenden, Mrs. Carving«, sagte Josuah Parker höflich, »ich möchte dringend davon abraten, Tee oder Brandy zu sich zu nehmen. Es besteht der dringende Verdacht, daß beide normalerweise anregenden Ge tränke chemisch versetzt wurden.« May Carving wich zurück, griff blitz schnell in ihren Ausschnitt und hielt plötzlich eine kleine Pistole in der Hand. »Keine Panik«, sagte sie, »es ist nur ein Schlafmittel drin. Und jetzt trinkt jeder von euch die Tasse leer! Sonst schieße ich nämlich... Los, beeilt euch!« »Das ist doch die Höhe«, erregte sich die ältere Dame. »Soll das heißen, daß Sie und Ihr Mann gemeinsam .. ?« »Austrinken«, forderte May Carving, »ich mach' keinen Spaß, ich schieße gleich!« »Oder auch nicht«, fand Kathy Porter, die hinter May Carving erschien und ihr die Waffe aus der Hand schlug.
Josuah Parker befand sich in einem Hospital im Stadtteil Bloomsbury und 57
schritt zur Doppeltür eines Operations saals. Er hatte sich an der Anmeldung nach einem gewissen Derek Carving er kundigt und erfahren, daß dieser Mann sich noch tatsächlich im Haus aufhielt. Zu sprechen war der Ehemann von May Carvin allerdings im Augenblick nicht. Als Pfleger und Labordiener im Hospi tal beschäftigt, wartete er darauf, einen Patienten aus dem Operationssaal in sein Krankenzimmer zurückzubringen. Er hatte die Tür noch nicht ganz er reicht, als ein untersetzter Mann die Tür öffnete und herauskam. Er trug einen weißen Kittel und einen Mundschutz. »Mr. Carving?« erkundigte sich der Butler höflich. »Carving ist im Vorraum«, erwiderte der Mann, »die Geschichte da drin wird noch eine halbe Stunde dauern.« »Könnte man sich möglicherweise ei nen Moment mit Mr. Carving unterhal ten?« fragte Parker, »ich überbringe Nachrichten von seiner Frau.« »Von seiner Frau?« fragte der Mann mit einer durchaus männlichen und keineswegs weichen Stimme. »Ist ihr was passiert? Kommen Sie! Aber ver halten Sie sich ruhig ...« Parker folgte dem untersetzt-rundli chen Mann in den Vorraum, der mit weißen Kacheln ausgekleidet war. Hin ter einer Art Schleuse befand sich die Doppeltür, die in den eigentlichen Ope rationssaal führte. Es roch scharf nach Desinfektionsmitteln. »Er ist drüben in der Desinfektion«, meinte der Mann und deutete auf eine angelehnte Tür, »Moment...« Parker nickte, nahm seine schwarze Melone ab und näherte sich der Schleu se. Er sah die Köpfe des Ärzteteams, die weißen Kappen und den Mundschutz. Die Chirurgen standen unter einem Tiefstrahler, der grell-weißes Licht wie eine kleine Sonne verschwendete. Dann hörte Parker hinter sich ein Ge räusch und eine weiche, unangenehme Stimme begann. 58
»Nicht rühren«, sagte sie, »sonst schieße ich Sie nieder!« »Mr. Derek Carving?« fragte Josuah Parker. »Was ist mit meiner Frau?« »Sie wurde inzwischen als Ihre Mittä terin verhaftet und legte bereits ein Ge ständnis ab, Mr. Carving. Erlauben Sie, daß ich mich jetzt umwende?« »Bleiben Sie stehen, Parker! Sie ist also verhaftet worden ...« »Sie verriet sich durch ihren Eifer, den Tee zu präparieren«, redete Josuah Parker weiter, »darüber hinaus konnte sie auch Angaben über das Geld und den Schmuck machen, den Sie Mrs. Ma ry Fonbrake entwendeten.« »Das habe ich alles Ihnen zu verdan ken!« Die Stimme blieb weich und hör te sich unangenehm an. »Sie erlauben, daß ich widerspreche«, sagte Parker, »dies alles haben Sie sich und Ihrer Gier zu verdanken. Wann kam Ihnen der Gedanke, zusammen mit Ihrer Frau die ehemaligen Callgirls zu erpressen. Dies war ja wohl der Grund für die Aktaufnahmen, wie ich vermute.« »Als ich sie heiratete, wußte ich be reits, daß sie als Callgirl arbeitete«, ant wortete Derek Carving, »mir hat das nichts ausgemacht. Aber als ich hörte, was die Fonbrake und dieser Barnlett verdienten, da ist mir ein Licht aufge gangen. Ich arbeite hier doch weit unter meinem Wert. Ich bin für ganz andere Sachen geschaffen. Ich stecke die da drüben alle in den Sack.« »Sie nennen sich nicht ohne Grund >Mr. Großhirn< und Mr. Computer, wie ich mir denken kann ...« »Man muß sein Hirn nur richtig pro grammieren, Parker. Und ich hab's getan.« »Sie haben sich mit diesen Bezeich nungen verraten, Mr. Carving«, entgeg nete der Butler, der sich nicht rührte. »Verraten? Wieso?« »Die Bezeichnung Großhirn ließ mei
ne bescheidene Wenigkeit stutzen«, er widerte der Butler, »dieser Ausdruck ist ungewöhnlich und ließ darauf schlie ßen, daß der Besitzer des Namens mit der Medizin in intimem Kontakt steht. Beim Studium der Liste ehemaliger Callgirls stieß ich auf den Namen Derek Carving. Ihr Beruf wies und weist Sie als Pfleger und Labordiener aus. Sie dürfen meiner Wenigkeit durchaus glauben, daß sich in mir ein Verdacht regte, der jetzt seine Bestätigung gefun den hat.« »Mit dem Sie einen Dreck anfangen können, Parker.« Der Butler rührte sich nicht, als plötz lich ein Stoß in seinen Rücken erfolgte. Dann war ein feines Schrammen zu ver nehmen, und Parker wandte sich um. Mit der Spitze seines Regenschirms schlug er Derek Carving die automati sche Waffe aus der Hand. Es war eine MP! »Das nutzt Ihnen gar nichts«, sagte
Carving, der sich verdutzt die Hand rieb, den Butler dann aber aus seinen wasserhellen Augen tückisch und triumphierend ansah, »die Spritze in Ih rem Rücken sitzt. Und das Gift wird gleich wirken ...« »Die Spritze wird so wirkungslos sein wie Ihre Maschinenpistole«, antwortete der Butler, »stammt die übrigens aus der Kinderabteilung des Hospitals?« Er hatte natürlich sofort herausge hört, daß die Maschinenwaffe, die origi nalgetreu aussah, aus Plastik bestand. Es hatte kaum ein Geräusch gegeben, als sie auf dem gekachelten Boden ge landet war. »Und ob das Gift wirkt!« Derek Car vings Gesicht war zu einer Grimasse erstarrt. »Es greift höchstens ein schützendes Kupferblech an, das ich mir sicherheits halber umlegte«, gab Josuah Parker ge messen zurück, »wenn ich an ein Hospi tal denke, erliege ich der Zwangsvor
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Stellung, daß man meine Wenigkeit mit Spritzen traktieren möchte.« Derek Carving trat gegen einen weiß lackierten Rolltisch und wollte die Flucht ergreifen. Parker, der dem Tisch elegant ausgewichen war, blieb stehen. Er hielt es für unter seiner Würde, den Mörder zu verfolgen, zumal er natürlich gewisse Vorkehrungen für eine Flucht getroffen hatte. Derek Carving kam nicht sonderlich weit. Als er die Schwingtür erreicht hatte, die in den Gang führte, bewegte sie sich kraftvoll nach innen und legte sich auf das Gesicht des Mörders, der zurückge schleudert wurde und bereits ohnmäch tig war, bevor er auf dem Kachelboden landete. »Was wären Sie ohne mich, Mr. Par ker?« fragte Lady Simpson, die die Tür auf ihre Art bewegt hatte. »Mylady sehen meine Wenigkeit dankbar«, gab Parker zurück und lüfte te seine Melone, als er hinter der Detek tivin Kathy Porter und Mike Rander ausmachte. Dann bückte er sich und untersuchte Carving, dessen Nase blu tete. »Nasenbeinbruch und ein offensicht lich angebrochener Kiefer«, meldete
Parker, als er sich aufrichtete. Er deute te auf den eigentlichen Operationssaal. »Mr. Derek Carving könnte anschlie ßend sehr fachgerecht behandelt werden.« Er hörte hinter sich ein Seufzen, wandte sich wieder zu seiner Herrin um und nahm zur Kenntnis, daß sie in die Arme von Mike Rander sank. Sie mach te einen mitgenommenen Eindruck. Ihr Gesicht war kreidebleich geworden. »Mylady fühlen sich unwohl?« fragte Parker, »darf ich mir erlauben, ein Kreislaufbelebungsmittel zu reichen?« »Schnell«, flüsterte die ältere Dame und verdrehte die Augen, »ich kann kei ne Spritzen sehen. In Ihrem Rücken . . . die Spritze . . . Ich glaube, ich werde ohnmächtig.« »Vielleicht später, Mylady?« fragte Parker und hielt bereits die lederum hüllte Taschenflasche in Händen. Er schraubte den Verschluß ab und flößte seiner Herrin einen ordentlichen Schluck ein. »Schon besser«, murmelte sie, »mehr . . . Und, zum Teufel, ziehen Sie endlich die Spritze aus Ihrem Rücken! Sie haben es mit einer schwachen Frau zu tun ...«
ENDE
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