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A. E. van Vogt
Planeten zu verkaufen
BASTEI LÜBBE
SCIENCEFICTION
BASTEI-LÜBBE-TASCH...
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A. E. van Vogt
Planeten zu verkaufen
BASTEI LÜBBE
SCIENCEFICTION
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH Science Fiction Action Band 21 178 © Copyright 1953 by A. E. van Vogt/Edna Mayne-Hull All rights reserved Deutsche Lizenzausgabe 1984 Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach Originaltitel: Planets for Sale Ins Deutsche übertragen von Barbara Heidkamp Titelillustration: D. B. Mattingly Umschlaggestaltung: Quadro-Grafik,Bensberg Druck und Verarbeitung: Elsnerdruck GmbH, Berlin Printed in Western Germany ISBN 3-404-21178-2 Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
1 Die vier Männer in dem wartenden Flugzeug beobachteten schweigend das Treiben um den Raumfrachter von der Erde. Die Ausschiffung war in vollem Gange. Mit Gepäck in den Händen drängten die Passagiere hinaus auf die Laderampen. Einer der Männer in der kleinen Maschine meinte verächtlich: »Diese Immigrantenfrachter erinnern mich jedes Mal an Sardinenbüchsen.« »Was meinst du, warum sie Frachter heißen«, erwiderte der große Mann. »Weil sie menschliche Fracht befördern.« »Sehen Sie mal, Mr. Delaney!« sagte ein dritter Mann aufgeregt. »Das Mädchen da. Wenn das kein Schuss ist.« Der große Mann schwieg. Seine eisgrauen Augen hatten sich verengt und ruhten auf dem Mädchen, das nicht weit von ihnen stehen geblieben war. Es hatte rotgoldenes Haar, ein schmales, aber entschlossenes Gesicht und einen festen, geschmeidigen Körper. Es hatte nur einen kleinen Koffer bei sich. »Es ist ganz ansehnlich«, gab er vorsichtig zu. Sein Blick folgte ihm, als es sich umdrehte und langsam auf den entfernten Ausgang zuging. Er nickte. »Es ist die Richtige. Sammelt sie auf und bringt sie in mein Apartment.« Er kletterte aus dem Flugzeug, sah ihm nach, wie es hinter dem Mädchen herglitt und stieg dann in einen Privatjet, der augenblicklich in den Himmel schoss.
Evana Travis folgte dem Fußgängerstreifen in Richtung Ausgang, ohne zu merken, dass sie verfolgt wurde. Ihr Körper zitterte von der aufregenden Landung, aber in Gedanken war sie noch bei der Reise, die nun zu Ende ging. Diese Gewaltigkeit hatte sie nicht erwartet, denn der Name 4
Ridge Stars klang irgendwie anheimelnd und behaglich. Das Bild, das sie von dem System hatte, war das einer eng zusammenhängenden Gruppe von Sonnen, die ihr blendendes Licht in den umliegenden Himmel ausstrahlten. Zahlen hatten ihr noch nie viel gesagt, und die Tatsache, dass sie in einer Welt aufgewachsen war, in der die Leute sagten: »Was sind denn schon tausend Lichtjahre!« - hatte den Weltraum in ihren Augen - wenn auch auf eine etwas andere Weise - so begrenzt wie die Erde werden lassen. Die Broschüren zu den Immigrationsanträgen waren nicht dazu geeignet, sie über die Realität aufzuklären. Der erste Schock hatte sie am zwölften Tag im Raum erwartet, als über den Lautsprecher verkündet wurde, dass das Ridge Stars System nun mit dem bloßen Auge zu erkennen sei. Es breitete sich in seinen ganzen zweihundert Lichtjahren quer über den Himmel aus und umfasste einhundertvierundneunzig Sonnen, von denen siebzig so groß oder größer als Sol waren - das erklärte jedenfalls der Sprecher. Evana sah nur winzige Lichtpunkte in einer Dunkelheit, die von dem Funkeln weiter entfernt gelegener Sterne schwach erhellt wurde. Es war ihr keine Zeit geblieben, sich das System länger anzusehen, denn der Sprecher war fortgefahren: »... in Kürze findet dann eine Abstimmung darüber statt, zu welchem Planeten welcher Sonne die Passagiere dieses Schiffes gebracht werden. Es entscheidet die Mehrheit, und alle müssen sich dieser Entscheidung fügen. Für den Augenblick verabschiede ich mich: Auf Wiedersehen.« Einen Moment lang hatte Evana wie erstarrt dagestanden, vor Überraschung und Entsetzen unfähig, sich zu rühren. Dann hatte sie sich einen Weg durch die überfüllten Korridore und Decks bis zur Kabine des Kapitäns gebahnt. Die Tür war noch nicht wieder hinter ihr zugeschlagen, als sie auch schon ihren Protest vorbrachte. »Was soll das Ganze?« wollte sie wissen. »Ich bin auf dem
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Weg zu meiner Schwester auf dem dritten Planeten der Doridora-Sonne. Für dieses Ziel habe ich meine Karte gekauft, und dorthin werde ich auch gehen, ganz gleich, wie die Abstimmung ausfallen wird.« Der junge Mann, der hinter dem großen Schreibtisch in einer Ecke des kleinen Raumes saß, sah sie gelassen an. »Sie sind wirklich naiv«, sagte er. Evana starrte ihn an. »Was meinen Sie damit?« Er grinste und musterte sie belustigt. Er hatte blaue Augen und ein raumgebräuntes Gesicht. Evana schätzte ihn auf ungefähr dreißig. »Sie befinden sich jetzt im Weltraum, meine Liebe, weit ab von den strengen Gesetzen der Erde«, gab er zurück. »Wo Sie jetzt hingehen, wird mit Atomtechnik ein von Unternehmen kontrolliertes Universum aufgebaut, werden jeden Tag Reichtümer gewonnen und verloren, sterben stündlich Menschen eines gewaltsamen Todes, und das Wort der großen Monopolisten ist das oberste Gesetz.« Er brach ab und betrachtete Evana zynisch. »Es ist ein Spiel, meine Schöne«, fuhr er fort. »Und Sie sind mit hineingeraten. Die ganzen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen auf der Erde in den letzten fünfzig Jahren dienten dem einen Zweck, eine Massenimmigration auf die neueren Planeten der Galaxie zu verhindern. Die Regierungen der Ridge Star Planeten und anderer Sternengruppen mussten sich etwas einfallen lassen, um Immigranten anzulocken. Dazu gehört unter anderem, dass der Reisepreis auf weniger als die Gesamtkosten reduziert wurde. Das erklärt, warum jede Ladung nur en masse abgesetzt werden kann. Zielort dieser Ladung zum Beispiel ist Delfi II.« »Aber es soll doch eine Abstimmung stattfinden, auf welchem Planeten wir landen«, wandte Evana ein. »Der Sprecher hat gesagt ...« Der junge Mann lachte. »Oh, ja, natürlich!« Der heitere Ausdruck verschwand aus seinem Gesicht. »Und es wird auch alles ganz offen und fair dabei zugehen - Bilder von jedem
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Planeten, einige Informationen, eine Vorabstimmung nach jeweils vier gezeigten Planeten -, die Vorzüge werden die Wahl entschieden. Aber Delfi II wird gewählt werden, weil nämlich Delfi II an der Reihe ist, und so zeigen wir diesen Planeten von seinen besten Seiten, während die Passagiere bei den anderen Planeten diesmal vor allem die negativen Seiten zu sehen bekommen. Einfach, oder?« Als Evana, wie betäubt vor Verwirrung, den Kopf schüttelte, fuhr er fort: »Delfi ist ein prächtiger Ort. Seine Hauptstadt, Suderea, hat vier Millionen Einwohner und neunzig Gebäude von mehr als hundert Stockwerken, die alle von Unternehmern gebaut worden sind - Männer, deren Namen gleichbedeutend mit Geld und Macht sind; und der bedeutendste unter ihnen ist ein junger Englischnorweger namens Artur Blord. Er ist eine lebende Legende. Sie werden seinen Namen in jeder Stadt und jedem Dorf hören. In weniger als zehn Jahren hat er ein riesiges Vermögen gemacht, indem er sogar die hohen Tiere selbst ausgetrickst hat. Sie beuten die Leute aus, er beutet sie aus. Und ...» »Aber Sie verstehen nicht«, unterbrach ihn Evana verzweifelt. »Meine Schwester erwartet mich doch.« Er antwortete mit einem Achselzucken. »Sehen Sie, Lady, die Ridge Star Regierungen haben einen Preis für die Erfindung eines Interstellarantriebs ausgesetzt, der keins der bereits bestehenden Erdpatente verletzt; aber solange dieser Preis nicht gewonnen ist, können Sie von Delfi II höchstens wegkommen, wenn Sie sich mit jemandem gutstellen, der privat ein Raumschiff besitzt. Es gibt nämlich einfach keine öffentlichen Transportmittel.« Er erhob sich. »Und jetzt werden Sie wohl oder übel in meiner Kabine bleiben müssen, bis die Abstimmung vorbei ist. Ich halte es immer so, dass ich Passagieren gegenüber, die Beschwerden haben, ganz offen bin, aber das beinhaltet dann gewisse Beschränkungen für sie. Keine Sorge! Ich habe keine
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persönlichen Absichten Ihnen gegenüber, auch wenn Sie sich mit Sicherheit nicht wehren würden, wenn es so wäre. Aber ein Mann wie ich, mit siebzehn Frauen auf ebenso vielen Planeten, achtunddreißig Kindern und einem weichen Herz kann es sich nicht leisten, sich mit noch mehr Frauen einzulassen.« Er ging hinaus. Hinter ihm schnappte die Tür ein. Und jetzt, sieben Tage später, befand sie sich hier auf dem unerwünschten Planeten Delfi II. Evana blieb unsicher vor dem großen Tor des Landungsfeldes stehen. Als sie dort stand und auf die Stadt unter ihr und die blaue See dahinter starrte, überkamen sie plötzlich Zweifel und Furcht bei dem Gedanken an ihre Lage Hinter ihr war ein Geräusch. Raue Hände legten sich auf ihren Mund und packten ihre Arme. Sie wurde vom Boden hochgehoben und durch eine Tür in ein flügelloses Flugzeug gezogen, das sich sofort in die Luft schraubte wie Rauch, der aus einem Schornstein aufsteigt. Evana wand und drehte sich und kämpfte gegen die Umklammerung der maskierten Männer, die sie festhielten. Aber sie waren groß und schwer, und schon gegen ihr Gewicht allein war sie machtlos. Sie fühlte einen Ruck, als das Flugzeug zur Landung aufsetzte. Die Männer nahmen sie wieder hoch und trugen sie rasch eine Treppe hinunter. Dann fand sie sich in einem Zimmer wieder und fiel auf eine Couch. Die Ruhelage tat ihr gut. Der Schmerz der Erschöpfung wich, und der salzige Geschmack in ihrem Mund verschwand langsam. Allmählich konnte sie auch ihre Umgebung wieder erkennen. Sie sah, dass sie sich in einem prachtvoll ausgestatteten Raum befand. Ein paar Schritte von ihr entfernt stand ein kräftig aussehender Mann. Er hatte eine Maske übers Gesicht gestreift und starrte sie an. »Aha«, sagte er, »so langsam werden Sie wieder munter, was? Fein.« Der Schrei blieb ihr in der Kehle stecken, als sie erkannte, was es für eine Maske war, die der Fremde trug. Da war genau die
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Ausbuchtung am Mund, die sie so oft im Kino gesehen hatte, die Ausbuchtung, die der Apparat war, der die Stimme des Trägers tarnte. Der Anblick eines solchen Gerätes machte die ganze Situation plötzlich unwirklich für Evana, und sie begann zu lachen, brach aber ab, als ihr bewusst wurde, wie hysterisch es klang. »Ich will wissen, was das alles bedeutet«, schluckte sie, als sie ihre Stimme wieder gefunden hatte. »Ich bin sicher, dass hier eine Verwechslung vorliegt.« Der große Mann kam jetzt auf sie zu. »Es ist keine Verwechslung«, entgegnete er kalt. »Ich habe sie mitgenommen, weil Sie gut aussehen und intelligent zu sein scheinen. Sie werden sich tausend Stellors verdienen, und Sie werden sie sich verdienen, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Und jetzt hören Sie auf, ein Gesicht wie eine erschrockene Närrin zu machen.« Evana versuchte, etwas zu sagen, doch es gelang ihr nicht. Sie brauchte einen langen Moment, um zu begreifen, warum. Erleichterung! Eine Erleichterung, die so gewaltig war, dass sie tief unten wie ein Bissen schmerzte, an dem man sich verschluckt hat. Was immer sie hier erwartete, es war jedenfalls nicht der Tod. »Was wissen Sie über die Ridge Stars?« fragte der große Mann. Sie starrte ihn ausdruckslos an. »Nichts.« »Gut.« Er stand über ihr, offensichtlich befriedigt. »Welchen Beruf hatten Sie auf der Erde?« wollte er dann wissen. »Ich war Technikerin für mechanische Aktenablagesysteme.« »Ach so!« In seiner Stimme schwang Enttäuschung mit. »Nun, es ist ja eigentlich unwichtig«, sagte er schließlich. »Die Agentur für Arbeitsvermittlung wird sich um Sie kümmern und im Verlauf einer Stunde eine passable Privatsekretärin aus Ihnen machen.« Seine Worte hatten keine wirkliche Bedeutung für Evana, die
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nicht richtig begriff, was hier mit ihr passierte. Der Mann suchte in seiner Tasche und zog eine kleine weiße Karte heraus. »Hier ist der Name Ihres Hotels. Sobald Sie registriert sind, gehen Sie zur Fair Play Arbeitsvermittlung; wo man sich Ihrer annehmen wird. Ich habe die Adresse auf die Rückseite der Karte geschrieben.« Evana nahm die Karte ausdruckslos und steckte sie ungelesen in ihre Handtasche. Mit großen Augen sah sie zu, wie der Mann ein kleines Päckchen in die Hand nahm, das zwischen den Flaschen auf dem Tisch gelegen hatte. »Stecken Sie das auch in Ihre Tasche«, forderte er sie auf, nachdem sie es mit zitternden Fingern entgegengenommen hatte. »In dem Päckchen werden Sie einen Zettel finden, auf dem alles erklärt ist, was Sie wissen müssen. Und denken Sie daran: Sie können sich dabei tausend Stellors verdienen, wenn alles nach Wunsch verläuft.« Es konnte nicht möglich sein. Es war unlogisch. Der Mann konnte nicht ein solcher Narr sein, sie jetzt einfach so aus seinem Apartment in das schützende Labyrinth einer großen Stadt gehen zu lassen und ihr blind zu vertrauen, dass sie das tun würde, was er von ihr wollte. »Noch zwei Dinge«, sagte er leise, »und dann können Sie gehen. Zuerst, haben Sie schon einmal etwas von dem Siebentagegift gehört?« Er beugte sich vor, während er sprach, und in seinem ganzen Verhalten lag eine Intensität, die sie mehr noch als seine Worte frösteln ließ. »Es ist das Gift«, schluckte sie, »das vom Blut lebt; und am siebten Tag erfährt es eine chemische Veränderung, die . . .« In diesem Augenblick sah sie die Spritze in seiner Hand und sprang mit einem schwachen Aufschrei hoch. »Haltet sie fest!« rief der Mann. Sie hatte die anderen Männer vergessen, die sie jetzt festhielten, während die Spritze in ihr linkes Bein oberhalb des Knies eindrang. Dann wurde die Nadel wieder herausgezogen, und die Männer ließen sie los. Halb fallend sank sie zu Boden
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und begann zu schluchzen. »Das Schönste an diesem Gift ist die Tatsache«, erklärte der Mann, »dass es in vielen tausend kleinen Variationen hergestellt werden kann, doch das Gegenmittel muss als Grundbestandteil eine Dosis des Originalgiftes haben, das sich, wie Sie wissen müssen, in meinem Besitz befindet. Jetzt werden Sie nicht gleich hysterisch.« Sein Ton wurde brutal. »Ich werde das Gegengift zusammenstellen und dafür sorgen, dass es hier bereitsteht, wenn Sie Ihre Aufgabe erfüllt haben.« »Aber ich habe doch keine Ahnung, wo >hier< ist!« rief Evana verzweifelt. »Angenommen, es stößt Ihnen etwas zu . . .« »Punkt zwei ist eine weitere Vorsichtsmaßnahme«, unterbrach sie ihr Peiniger barsch. »Es ist möglich, dass ein paar Tage vergehen, bevor Sie die Gelegenheit bekommen, Ihren Auftrag zu erledigen, und dass der Mann, dessen Sekretärin Sie werden sollen, Sie in der Zwischenzeit zu seiner Geliebten machen will. Sie werden verstehen, dass wir für diesen Fall prüde Skrupel Ihrerseits von vornherein ausschalten möchten, also - Haltet Sie fest!« Die zweite Nadel senkte sich schmerzhaft in ihren Arm oberhalb des Ellbogens. »Okay«, sagte der Mann über ihr, »nehmt sie mit und setzt sie in der Nähe des Hotels ab!« Als sich die Tür hinter Evana geschlossen hatte, nahm Delaney langsam seine Maske ab. Dann stand er einen Augenblick grübelnd da, eine schwere, dunkle Gestalt. Allmählich verzog sich sein massiges Gesicht zu einem grimmigen Lächeln. Dann griff er nach einem Eldofon und sagte: »Verbinden Sie mich mit dem Präsidenten der J. H. Gorder Atomic Power Company auf Fasser IV. Sagen Sie ihm, Delaney wolle ihn sprechen.« »Einen Augenblick, Sir«, antwortete die Telefonistin. Es verging eine Minute, dann klickte es, und eine sehr klare, kräftige Stimme meldete sich. »Gorder hier. Was gibt's, Delaney?«
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»Die ersten Schritte gegen Artur Blord sind jetzt eingeleitet«, erwiderte Delaney. »Sagen Sie den anderen, dass sie ab morgen früh in der Skalburg eintreffen können. Und benachrichtigen Sie den Skal, dass wir kommen. Auf Wiedersehen.«
2 Evana saß in ihrem Hotelzimmer und las den Brief, der in dem Päckchen gewesen war, das Delaney ihr gegeben hatte: Wenn Sie dies lesen, werden Sie das Päckchen geöffnet haben, das ich Ihnen gegeben habe und bemerkt haben, dass es folgende Dinge enthält: 1. ein mit Zigaretten gefülltes Zigarettenetui; 2. eine Kette mit einem uhrähnlichen Anhänger; 3. ein Päckchen mit weißen Pillen; 4. ein Kupfer-V und 5. eine Spritze. Die Zigaretten enthalten ein Betäubungsmittel. Wenn die Umstände es erlauben, das heißt, wenn Sie mit ihm allein sind und er nicht misstrauisch ist, werden Sie versuchen, ihm eine von ihnen anzubieten. Das Etui wirft jedes Mal zwei Zigaretten gleichzeitig aus; die äußere ist immer behandelt, die innere nicht. Die weißen Pillen bieten eine zweite Angriffsmöglichkeit. Sie enthalten ebenfalls ein Betäubungsmittel und können Flüssigkeiten wie Wasser, Kaffee oder Alkohol beigegeben werden. Außerdem lassen sie sich leicht zerbröckeln und können zum Beispiel über Sandwiches gestreut werden, wobei sie wie Salz aussehen. Der Anhänger ist ein Sender. Sobald Artur Blord, Ihr künftiger Arbeitgeber, das Bewusstsein verloren hat, lösen Sie die Schraube im Boden und drücken auf die kleine Erhöhung in der Mitte. Auf diese Weise werden meine Männer informiert, dass Sie den ersten Schritt zur Erledigung unseres gemeinsamen Vorhabens unternommen haben. Das Kupfer-V ist zur Ausschaltung des Alarmsystems 12
bestimmt, das Mr. Blord im obersten Stockwerk seines Hauptsitzes in der 686 Financial Avenue hat installieren lassen. Um dieses Gerät richtig anwenden zu können, müssen Sie über die Räumlichkeiten in Mr. Blords Penthaus im Bilde sein. Das Penthaus ist in vier Hauptsektionen unterteilt: Das Büro, zwei Apartments und ein Dachgarten. Das Büro besteht aus drei Räumen, einem Vorzimmer, dem Büro der Sekretärin und Mr. Blords Privatbüro. Von Mr. Blords Büro aus führt eine Tür in sein Achtzimmerapartment. Vom Büro der Sekretärin führt eine Tür in das zweite Apartment, eine kleine Vierzimmerwohnung. Hier werden Sie wohnen, und der intime Grund für eine solche Anordnung der Räumlichkeiten ist unschwer zu erraten. Die Anreize zu einer möglichst baldigen, erfolgreichen Erfüllung Ihrer Mission, für die wir gesorgt haben, werden jeden Widerwillen beseitigen, den Sie in dieser Hinsicht vielleicht empfinden werden. Der Gedanke an das Gift sollte Sie von unbesonnenen Aktionen abhalten. Beide Wohnungen haben Glastüren, die auf den Dachgarten hinausführen. Neben der Glastür von Mr. Blords Apartment werden Sie eine verzierte Metallapparatur mit einem Schlitz finden. Stecken Sie das Kupfer-V mit der Spitze zuerst in diesen Schlitz, bis die beiden durchsichtigen Enden des Vs aufleuchten. Jetzt drücken Sie wieder auf die Erhöhung Ihres Anhängers. Meine Männer werden dann innerhalb weniger Minuten eintreffen. Sie müssen sich ihnen anschließen, wenn Sie das Gegenmittel und Ihre Belohnung bekommen wollen. Danach werde ich Sie auf einen Ridge Star Ihrer Wahl, oder wohin auch immer Sie wollen, bringen lassen. Sie werden natürlich verstehen, dass Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit nicht auf Delfi II bleiben können. Objekt Nr. 5 in dem Päckchen, die Spritze, enthält Nonchalant. Eine Dosis dieses Mittels, das Sie sich morgens verabreichen sollten, stärkt Ihre Nerven und gibt Ihrem Gesicht Farbe, ganz gleich, wie groß Ihre innere Nervosität auch sein
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mag. Ich rate Ihnen, es jeden Morgen zu nehmen, bis Sie Ihre Aufgabe erfüllt haben. Wenn Sie diesen Brief gelesen haben, gehen Sie zur Fair Play Arbeitsvermittlung, deren Adresse auf der Karte steht, die ich Ihnen gegeben habe. Ich warne Sie dringendst davor, Zeit zu verschwenden. Morgen werden es nur noch sechs Tage sein, bis das Siebentage-Gift zu wirken beginnt. Evana faltete langsam den Brief zusammen und legte ihn in die Schublade des kleinen Tisches neben ihrem Stuhl. Einen Augenblick saß sie ganz still und konzentriert da, dann stand sie auf, nahm ihre Handtasche und die weiße Karte, die ihr der Mann gegeben hatte, und verließ das Zimmer. Als sie auf der Straße stand, sah sie keinen Häuserblock von ihr entfernt das weiße Neonschild: Fair Play Arbeitsvermittlung Noch immer wagte sie nicht, zu denken. Evana ging rasch den Gehweg entlang bis zu der großen Eingangstür mit den wuchtigen Goldbuchstaben und stieß sie ohne zu zögern auf. Sie fand sich in dem riesigen, mit Schreibtischen übersäten Büro der Arbeitsvermittlung wieder, und es dauerte nicht lange, bis sie damit beschäftigt war, ihren Bewerbungsbogen auszufüllen. Sie schlief schlecht in dieser ersten Nacht, und sie vergaß am nächsten Morgen nicht, sich eine Dosis Nonchalant in den Oberarm zu injizieren. Aber über allem, was sie tat und dachte, beherrschte ein einziger, schrecklicher Gedanke ihr Bewusstsein: Sie musste mit äußerster Zielstrebigkeit das tun, was der maskierte Mann von ihr verlangte. Es gab keine Alternative. Die morgendlichen Straßen waren überfüllt, lange, breite Ströme hastender Menschenmassen. Über ihr wimmelte es von unzähligen Gleitern. Nummer 686 Financial Avenue war ein Gebäude, das an eine glänzende Metallsäule erinnerte. Unten breitete es sich über neun Blocks im Quadrat aus, während es sich nach oben hin verjüngte. Große Straßen bahnten sich ihren Weg durch seine Basis, und Plansäulen liefen kreuz und quer
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durch die oberen Stockwerke. Ungefähr im vierzigsten Stock leuchtete ein Schild in der Sonne: Artur Blord Holding Co., Limited Flüchtig kam Evana der Gedanke, dass ein Mann, der Tausende von Angestellten hatte, die sich um eine so bedeutende Position rissen, sicher nicht ausgerechnet sie als Sekretärin aussuchen würde. Doch das Mädchen am Empfang hinter dem ersten Haupteingang sah nur neidisch auf ihre Karte von der Agentur und meinte dann: »Fahren Sie gleich in den hundertneunzigsten Stock hinauf. Ich werde Mr. Magrusson oben benachrichtigen.« Im hundertneunzigsten Stock wurde Evana von einem dicken Mann mittleren Alters vor dem Aufzug erwartet. »Ich bin Mr. Magrusson«, stellte er sich vor. »Der Generaldirektor der Artur Blord Holding Company.« Er musterte sie aus wässrigen Augen und lächelte. »Obwohl wir uns hinsichtlich der Auswahl einer Sekretärin, die Mr. Blords Vorstellungen entspricht, ganz auf die Fair Play Agentur verlassen, muss ich mich doch zweier Dinge vergewissern: Sie sind gestern mit dem Frachter von der Erde eingetroffen? Und das hier ist Ihre erste Beschäftigung auf einem Planeten, einschließlich Delfi, abgesehen von der Erde?« Es war also die Tatsache, dass sie von der Erde stammte, die ihr zu dieser überraschenden Bevorzugung verhalf. Evana holte tief Luft. »Ich schwöre!« antwortete sie. Magrusson nickte zufrieden. »Fein. Wir werden das natürlich genau nachprüfen. Aber jetzt werde ich Sie zuerst zum Penthaus hinaufbringen. Dort oben befinden sich Ihre Wohnung und auch die Büroräume. Mr. Blord wird in Kürze erwartet. In der Zwischenzeit können Sie sich ja mit den Räumlichkeiten Ihres neuen Wohn- und Arbeitsplatzes vertraut machen. Hier entlang.« Evana folgte ihm über den Korridor zu einem anderen Aufzug, der sie zum Penthaus hinaufbrachte. Sie kamen an einer Tür vorbei, auf der Privat stand; dann öffnete Magrusson eine zweite Tür. Er trat zurück, um sie eintreten zu lassen. »Von diesem
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Augenblick an unterliegt alles auf dieser Etage Ihrer Obhut und Verantwortung. Sie können sich alles ansehen, was Sie möchten, wenn es nicht verschlossen ist. Sollten Sie irgendwelche Informationen wünschen, dann rufen Sie mich an. Viel Glück, Miss Travis. Wir hoffen, dass Ihnen die Arbeit bei uns Spaß machen wird.« Er lächelte, nickte ihr zu und verschwand dann den Korridor hinunter. Auch als sie jetzt allein war, wurde Evana nicht ruhiger. Die bedrückenden Gedanken, die sie erfüllten, erlaubten weder eine Ablenkung noch die Erleichterung der Hoffnung. Jede normale Reaktion wurde von den drohenden Worten überschattet, die Magrusson gesagt hatte. »Mr. Blord wird in Kürze erwartet.« Die nervliche Belastung, die dieser Satz für sie bedeutete, ließ sich mit nichts vergleichen, was sie bisher mitgemacht hatte. Die Erforschung ihrer Umgebung bescherte ihr eine kurze Ablenkung, aber selbst dabei kompensierte ihr Wissen um die Anordnung der Räumlichkeiten den vollen Effekt. Die Beschreibung in dem Brief war nämlich ganz genau gewesen, und die Räume mit eigenen Augen zu sehen, vervollständigte lediglich die Details. Ihr Büro war ein großer Raum mit Büchern, einem Ablagesystem und einem Schreibtisch, der mit Automatikrekordern ausgestattet war. Entlang der Wände befanden sich verschiedene mechanische Apparaturen, auf die sie jedoch kaum einen Blick verschwendete. Das Privatbüro dahinter war eine größere Ausgabe des Büros der Sekretärin. Allerdings fehlte hier das Ablagesystem. Evana vermied es, das Achtzimmerapartment von Artur Blord zu betreten und blickte gerade lange genug hinein, um durch die Fenster des Wohnzimmer das grüne Laub des Dachgartens zu sehen. Eigentlich sollte sie sich vergewissern, dachte sie, dass es dort wirklich eine Energievorrichtung gab, über die sie das Alarmsystem ausschalten konnte, wie es in dem Brief gestanden hatte. Aber Mr. Blord wird in Kürze erwartet.
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Evana zog sich in das Büro der Sekretärin zurück. Langsam kehrte ihr Mut zurück, aber sie unternahm keinen neuen Versuch, die Räume zu erforschen. Statt dessen beschäftigte sie sich ausgiebig mit dem mechanischen Ablagesystem. Es lieferte nichts außer detaillierten Informationen über die geographische Beschaffenheit von Hunderten von Planeten. Stirnrunzelnd betrachtete sie die umfangreichen, detaillierten Informationen über Metalle, Wälder, Edelsteine, nützlichen Grund und Boden und die Werttaxierungen, die keine Beziehung zu den Geldtaxierungen zu haben schienen, die ebenfalls angegeben waren. Da gab es ein Chromvorkommen auf dem Planeten Tanchion IV, Wert Nr. 1: »einhundert Milliarden Stellors«; Wert Nr. 2: »eine ausgesprochene Schinderei. Soll es doch jemand anders machen.« Das Zweiwert-System erstreckte sich auf alle Bereiche. Für einen Wald auf Tragona VII lautete der erste Wert: »Alles wertvolle Hölzer; unschätzbar. Der zweite Wert lautete: »Dennis Kray Leiter. Tüchtig, brillanter Kopf. Im Auge behalten.« Schließlich wurde sie hungrig und sah zu ihrer Überraschung, dass es bereits zwei Uhr war. Im selben Augenblick wurde sie sich der Abneigung bewusst, das Apartment zu betreten - die Wohnung, die jetzt die ihre war. Evana fühlte aufsteigenden Ärger über sich selbst. Sie war einfach albern, denn in ihrer Situation konnte sie sich keine - wie hatte der Mann es noch gleich genannt? - prüde Skrupel erlauben. Das Wohnzimmer, das sie empfing, war ebenso wie das Schlafzimmer betont weiblich eingerichtet. Pastelltöne ergaben ein prächtiges und gleichzeitig weiches Bild. Überall stieß sie auf Nippsachen, Krimskrams und kleine Extras, die aus Warenhausabteilungen stammten, in denen man nie einen Mann finden würde. Die feminine Ausstrahlung der Wohnung würde eine ständige Erinnerung an ihre vorige Bewohnerin sein - die letzte Sekretärin, respektive Geliebte, die jetzt aus irgendeinem ihr unbekannten Grund ausrangiert worden war.
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Nachdem sie ihren Hunger gestillt hatte, saß Evana stirnrunzelnd in ihrem neuen Zuhause. Die Nippsachen würden auf jedenfalls aus dem Wohnzimmer verschwinden müssen, dachte sie kritisch. Ein Wohnzimmer sollte hübsch und gemütlich sein, nicht bis zum Rand mit Krimskrams voll gestopft. Die Weiblichkeit sollte sich nur im Schlafzimmer zeigen. Sie hatte schon immer davon geträumt, ein wirklich luxuriöses Himmelbett zu haben, und ... Entsetzt riss sie sich von solchen Überlegungen los. Das ist wirklich unglaublich, dachte sie. Wie kann ich überhaupt nur daran denken, das alles anzunehmen? Sie stand auf, und ihr Blick fiel auf eine Fotografie, die sie vorher nicht bemerkt hatte Sie stand auf dem Kaminsims, und Evana wusste augenblicklich, dass der Mann darauf Artur Blord sein musste. Das Bild zeigte die sensiblen Züge eines Mannes Anfang dreißig. Das Gesicht war schmal, mit einer aristokratischen Nase, einem energischen und entschlossenen Kinn und wohlgeformten Lippen. Seine Erscheinung beunruhigte sie. Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte; sie musste ihren Auftrag ausführen. Einen Augenblick fühlte sie sich schwindlig, als sie daran dachte. Sie sank auf sein Sofa und schlug die Hände vor das Gesicht. Als der Schwindelanfall vorüber war, betrachtete sie noch einmal das Foto, und ihre Gedanken wanderten zurück zu dem, was der Kapitän des Raumfrachters über die großen Finanz- und Industrieunternehmer in diesem Teil der Galaxie gesagt hatte. Seltsam, wenn man sich überlegte, dass er sogar Artur Blord als den größten unter ihnen bezeichnet hatte - wie hatte der Kommandant es noch gleich ausgedrückt? - die anderen beuteten die Leute aus, und Artur Blord beutete sie aus. Flüchtig fragte sie sich, in welcher Beziehung er die Männer ausgebeutet hatte, die sie jetzt offensichtlich als Werkzeug ihrer Rache benutzten. Oder vielleicht hatte man sie auch im Zuge eines Plans entführt, mit dem man eine derartige Situation von
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vornherein verhindern wollte. Als sie sich so das Bild von Artur Blord ansah, versuchte sie, es mit ihrer Erinnerung an die Männer zu vergleichen, die ihr das Siebentage-Gift injiziert hatten - die Männer, die im wahrsten Sinne des Wortes ihr Leben in den Händen hielten. Sie musste eingenickt sein, denn als sie plötzlich wieder erwachte, war es dunkel. Sie erlebte einen kurzen Moment der Panik, der aber wieder verging, als sie durch das riesige Fenster einen großen Mond hinter einer dunklen Wolke auftauchen sah. Sein Schein fiel durch das Fenster und tauchte den Raum in ein blasses Licht. Evana ging hinüber zum Fenster und sah zu ihm hinauf, eine leuchtende Kugel, die zehnmal so groß war wie der Erdenmond. Bei den Informationsgesprächen auf dem Raumfrachter, erinnerte sie sich, waren sie darüber aufgeklärt worden, dass es sich in Wirklichkeit nicht um einen Mond, sondern um einen toten Begleitplaneten von der Größe des Delfi II handelte. Dort hatte es einmal Leben gegeben, lange bevor der Mensch hierher gekommen war. Evanas Gedanken kehrten zu ihrer eigenen Situation zurück. Seltsam, wie ruckartig sie erwacht war. Als ob ... Ein summendes Geräusch ließ sie auffahren. Und dann stand sie stocksteif da, als eine kräftige, klare Männerstimme aus einem Wandlautsprecher ertönte: »Hier ist Artur Blord, Miss Travis. Würden Sie bitte sofort in mein Büro kommen.«
3 »Ich«, sagte Artur Blord eine Stunde später, »mag neue Städte und neue Planeten. Sie sind seelenlos. Sie haben keine Kultur, keine Institutionen mit Arterienverkalkung, und niemand schreit danach, dass dies und das verboten wird. Wenn ein Mensch einen Glauben hat - und wer hat das nicht? - dann soll er ihn nicht anderen aufzwingen. Einen Augenblick, da fällt mir etwas 19
ein! Nehmen Sie sich Ihren Rekorder! Das ist zu Ihrer privaten Information.« Evana griff nach dem Gerät. Seit einer Stunde kam sie sich vor wie das Zentrum eines Zyklons. Ein Dutzend Mal hatte sie schon fieberhaft ihren Rekorder betätigt, um das Diktat aufzunehmen, das er mit atemberaubendem Tempo sprach. Ihr neuer Arbeitgeber diktierte wie er redete, ganz offensichtlich ohne nachzudenken, oder, bemerkte sie in Gedanken, ohne Rücksicht auf Diskretion. Minutenlang hatte er ohne Pause über umfangreiche Projekte erzählt, mit denen er im Augenblick beschäftigt war, wobei er mit verblüffender Geschwindigkeit von einem Geschäft zum anderen übergewechselt war; und immer war die einzige Einschränkung: »Das ist zu Ihrer privaten Information!« »Es ist diesmal nur eine kleine Notiz«, sagte er jetzt. »Schreiben Sie den Namen unserer Gesellschaft immer in kleinen Buchstaben, nur das Wort >limited< setzen Sie in Großbuchstaben. Auf den Ridge Star Planeten hat es ein paar verdammt komische Gerichtsentscheidungen zu dieser limited Sache gegeben. Einmal zum Beispiel wurde entschieden, dass >limited< in kleinen Buchstaben das Wort unbedeutend erscheinen lässt, wenn es neben einem wirklich gewichtig klingenden Firmennamen steht. Wenn Sie es abkürzen, sind Sie so schnell aus dem Geschäft, dass Sie noch nicht einmal merken, was mit Ihrem Bankkonto passiert ist. Es gibt Leute, die werden Ihnen sagen, dass wir in einem Zeitalter der wissenschaftlichen Erkenntnisse leben, aber darin irren sie sich ...« Evana brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass er das Thema gewechselt hatte. Sie blinzelte und stellte sich dann wieder auf das Tempo ein, mit dem Blord weiterredete. »Sie irren sich, weil die bedeutenden Entwicklungen unserer Zeit nicht in den wissenschaftlichen Erkenntnissen liegen, sondern in der Anwendung der bereits entdeckten Erkenntnisse. Ich begegne immer wieder Leuten, die erstaunt darüber sind, dass
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ich keinen wissenschaftlichen Abschluss besitze, aber damit bin ich im Grunde ganz glücklich dran. Ich könnte Ihnen von höchstens einem halben Dutzend Atome ihre Elektronenkonfiguration oder von höchstens einem halben Dutzend chemischer Verbindungen ihre Zusammensetzung nennen. Aber ich weiß etwas, das viel besser ist, und das ist, was diese Dinge bewirken und in welcher Beziehung sie zum Menschen und dem Fortschritt der Menschheit stehen. Ich betrachte mich als eine Art Oberkoordinator.« Es war seine Prahlerei, die all ihren Befürchtungen ein Ende machte. Es bestand natürlich die Möglichkeit, dass er auf eine objektive Weise über sich selbst und seine Verdienste sprach, und es erschien sogar möglich, dass er trotz seiner Selbstgefälligkeit sehr nett sein würde, wenn sie ihn je näher kennen lernen sollte. Aber der Druck der Angst, der auf ihr lastete, ließ im Augenblick keinen Platz für Interesse an irgendeinem Mann. Sie hatte im Augenblick nur ein Ziel. Gleich würde sie ihre Zigaretten hervorziehen und - was sagte er da gerade? Zigaretten! Ob er ihr eine Zigarette anbieten könnte? Evana fühlte, wie sie kurz zusammenzuckte. »Danke, aber ich habe meine eigenen«, entgegnete sie dann. Auf Blords Schreibtisch schnellte die Nadel, die mit dem Stuhl verbunden war, auf dem das Mädchen saß, wie wild in die Höhe. Vergiftete Zigaretten, dachte er zynisch. Wenn man sich überlegte, dass er jetzt fast eine Stunde mit der Suche nach etwas entschieden Subtilerem zugebracht hatte. Von dem Augenblick an, als das Mädchen sein Büro betreten hatte, hatte er gewusst, dass irgend etwas nicht stimmte. AH die Tausende von Stunden, die er aufgewendet hatte, durch Übung aus sich den zu machen, der er heute war, konzentrierten sich in dem ersten Blick, mit dem er das Mädchen gemustert und der ihm gezeigt hatte, dass sie innerlich nervös war, ohne dass man es ihr äußerlich ansah. Das bedeutete eine Dosis Nonchalant zu hundert Stellors das Gramm. Verfügte ein Immigrant über die Art Zahlungsmittel?
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Normalerweise nicht. Und dann galt es nur noch herauszufinden, wer hinter ihr stand. Allerdings hatte sich die Nadel bisher bei keinem der Namen, die er erwähnt hatte, groß bewegt. Entweder sie kannte die Hintermänner nicht, oder die Zeit war reif für eine direktere Aktion. »Zigaretten von der Erde!« sagte er begeistert. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mir eine nehme? Manchmal sehne ich mich direkt nach einer.« Er ging um den Schreibtisch herum zu dem Mädchen. Sie drückte auf den Auswerfer, worauf zwei Zigaretten erschienen. Sie selbst nahm die innere, während sie ihm die andere hinhielt. Er nahm sie wortlos. Sie ließ sich von ihm Feuer geben, worauf er zu seinem Stuhl zurückging und seine eigene Zigarette achtlos zwischen den Fingern hielt, als hätte er sie völlig vergessen. Die Nadel schlug, wie er düster beobachtete, bis zum höchsten Wert aus. Schließlich lächelte er, steckte die Zigarette zwischen die Lippen, nahm das Feuerzeug und starrte einen Augenblick auf die Flamme - und dann betätigte er mit dem Fuß den Hebel, der die Energie in dem Stuhl aktivierte, auf dem das Mädchen saß. Sie sackte in sich zusammen wie ein Kind, das eingeschlafen war. »... hören Sie, Doc«, sagte er ein paar Minuten später in sein Eldofon, »ich weiß, dass es nach zwei ist, aber ich brauche Sie sofort hier oben. Ich habe hier ein Mädchen, das ich physisch und psychisch untersucht haben will - wenn nötig die volle hypnotische Behandlung. Ich will sie in einem so stimulierten Zustand, dass sie in der Lage ist, sich alle Bildaufzeichnungen der großen Unternehmer, mit denen ich im letzten Jahr etwas zu tun gehabt habe, anzusehen und sie zu identifizieren, auch wenn sie sie bisher nur mit Masken gesehen hat. Ich muss unbedingt herausfinden, wer es auf mich abgesehen hat.« Die Tests nahmen ungefähr eine Stunde in Anspruch, und als sie vorbei waren, hatte er die gewünschten Informationen. Doc
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Gregg verdunkelte die starken Lichter, die so lange den Körper des bewusstlosen Mädchens angestrahlt hatten. Und Blord, der schweigend und aufgewühlt auf sie hinunter starrte, dachte bei sich: »Die Männer, die so etwas mit einem unschuldigen jungen Mädchen machen, verdienen den schlimmsten aller Tode.« Schließlich stieß er ein freudloses Lächeln aus. »Es ist völlig sinnlos, wenn ich mich darüber aufrege«, sagte er dann laut. »Ich kenne keine Möglichkeit, wie man den Gebrauch von Sexdrogen und dem Siebentage-Gift stoppen könnte. Sie passen zu perfekt zu den Begierden der Menschen. Und wer kann schon in einem Universum mit einer Milliarde Planeten die geheimen Fabriken finden, in denen dieses verdammte Zeug hergestellt wird?« Der alte Mann sah ihn nachdenklich an. »Warum versuchen Sie es nicht einmal damit, einen Mann für diesen Posten auszusuchen?« meinte er dann. Blord schüttelte den Kopf. »Männer, die zu den Ridge Stars kommen, sind viel zu ehrgeizig, als dass sie gute Angestellte wären. Ich habe es zweimal versucht. Das eine Mal war es ein Mann namens Ganelson, der Informationen über meine Geschäfte an die Montanleute von Munar I verkaufte und damit genug Geld machte, um sich als Unternehmer auf einem der Gildal Planeten niederzulassen. Der andere wurde nicht fertig mit der Vorstellung von all dem Geld, das ich verdiente und versuchte, mich zu erschießen. Sie sehen«, fuhr er stirnrunzelnd fort, »Männer betrachten sich als meine Konkurrenten, was bei Frauen nicht der Fall ist. Ich habe es erlebt, dass Frauen böse auf mich waren, weil ich sie nicht heiraten wollte, aber nicht ein einziges Mal hat eine von ihnen versucht, mir irgend etwas anzutun. Es mag vielleicht eine etwas gefühllose Art und Weise sein, die Dinge zu betrachten, aber es ist nun einmal die Wahrheit.« Sein düsterer Blick wanderte über die reglose Gestalt Evanas. »Das ist das erste Mal, dass mir ein Mädchen mit einer
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kriminellen Absicht untergeschoben wird. Aber es beweist nur, dass meine Gewohnheit, nur Sekretärinnen einzustellen, die direkt von der Erde kommen, und zwar wegen ihres ausgeprägten Loyalitätsgefühls, bekannt geworden ist, und dass ich mich um die eigentlichen Drahtzieher hinter der Fair Play Agentur kümmern sollte.« Er brach ab und lächelte düster. »Also Delaney, Gorder, Dallans, Cansy, Neek und zweifellos der Rest der vierundneunzig Mitkonkurrenten um den Preis für den neuen Raumantrieb hinter dieser Sache. Ich habe gewusst, dass es ihnen einen ganz schönen Schock versetzen würde, als ich vor zwei Wochen in den Wettbewerb eingetreten bin. Da haben sie so viel Geld in die Forschungsarbeiten gesteckt, und dann mischt plötzlich jemand mit, der in dem Ruf steht, nie zu verlieren aber diesmal kann ich ehrlich von mir behaupten, dass ich ein reines Gewissen habe. Ich tue es ausschließlich zum Nutzen und zum Wohl der Ridge Stars.« Er lächelte schief. »Fast ausschließlich.« »Sagen Sie, wie gehen Sie jetzt eigentlich bei diesem Projekt vor?« wollte Doc Gregg wissen. »Ganz einfach nach meiner altbewährten Methode«, lachte Blord. »Ich habe auf den menschlichen Genius vertraut und beziehe mich auf die menschliche Natur. Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber meine Forschungslaboratorien haben erst vor ungefähr einem Monat mit der Arbeit an dem neuen Antrieb begonnen. Und trotzdem haben wir schon den Antrieb, der den Preis gewinnen wird.« Der alte Mann musterte Blord aus klugen grauen Augen. »Ich will nicht wissen, was Sie vorhaben, junger Mann, aber es sieht ganz so aus, als hätten sie da in ein Wespennest gestochen. Glauben Sie, dass sie dem Mädchen das Gegenmittel geben, auch wenn es ihr nicht gelingt, ihren Auftrag zu erledigen?« »Ich glaube, sie würden es ihr auch dann nicht geben, wenn es ihr gelingen würde«, erwiderte Blord knapp. Seine Miene verfinsterte sich. »Verdammt, ich kann doch nicht die Welt auf
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meinen Schultern tragen. Sie tut mir leid, aber meiner Meinung nach hat sie nur dann eine Chance, wenn sie mich wie geplant in die Hände bekommen. Das Schlimmste an der Sache ist, dass sie in der Skalburg auf Delfi I warten werden. Es ist der einzige Ort, an dem sich eine solche Gruppe treffen kann. Einander können sie nicht trauen, aber sie können alle dem Skal trauen, solange sie nur seinen Kodex nicht verletzen. Wenn ich schon sicher sein könnte, dass die Chancen auch nur eins zu fünf stehen, würde ich es vielleicht riskieren und Gast des Skal werden, aber nicht ...« Er brach ab. Seine Augen verengten sich, als ihm plötzlich ein Gedanke kam. Schließlich merkte er, dass der alte Doktor ihn grinsend beobachtete. »Was soll ich tun, mein Sohn?« fragte Doc Gregg leise »Alles wieder in den ursprünglichen Zustand bringen?« »Ja«, antwortete Blord langsam, »ja. Es ist meine verfluchte Vorliebe für das Spiel mit dem Feuer. Aber zunächst müssen wir ein paar Vorbereitungen treffen.« Evana spürte ein Gefühl der Schwäche, mehr nicht. Sie setzte sich auf; und noch immer saß Artur Blord vor ihr und zündete sich gerade seine Zigarette an. Fasziniert sah sie zu, wie er mit offensichtlichem Genuss tief inhalierte. Plötzlich trat ein überraschter Ausdruck in seine Augen, und Evana merkte, wie sich ihr Inneres zusammenzog. Halb rutschend fiel er zu Boden, auf dem er mit dem Gesicht nach oben liegen blieb. Das Deckenlicht fiel auf seine geschlossenen Augen. In diesem Zustand der Ruhe kamen ihr die edlen Züge seines Gesichts noch betonter vor. Alle seine negativeren Züge, die Redseligkeit, die grenzenlosen und beiläufigen Indiskretionen, die Prahlerei verblichen, verloren sich in jener physischen Entspannung. Er erinnerte sie an Adonis, der vom Mördereber niedergestreckt worden war, wie ein Mann, der schon tot war und der nur noch auf einen Sarg wartete, in dem er für alle Ewigkeit vom Leben ausgeschlossen
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sein würde. Es war seltsam, dachte Evana bebend, als sie auf ihn hinuntersah. Im Grunde hatte sie die ganze Zeit über schon gewusst, dass sie nicht fähig war, jemanden zu opfern, um sich selbst zu retten. Und es war seltsam, dass sie tief in ihrem Innern auch gewusst hatte, dass sie in diesem Augenblick mit der Realität konfrontiert werden würde. Wie betäubt sank sie in ihrem Stuhl zusammen und begrub ihr Gesicht in den Händen. Nach ein paar Minuten stand Artur Blord auf und sagte freundlich: »Danke, Miss Travis. Angesichts Ihres Verhaltens in einer kritischen Situation bin ich froh, dass ich mich entschlossen habe, Sie zu retten. Aber jetzt müssen Sie die Sache erst einmal durchstehen. Passen Sie auf ...« Er sprach noch immer, als sieben Minuten später der Alarmsummer ertönte. Zu dem Zeitpunkt, als Delaneys Männer das Zimmer betraten, befand er sich wieder in einem Zustand tiefer Trance. Drei von ihnen trugen Blord an Bord des Raumschiffes, das auf dem Dach des Hochhauses gelandet war. Evana folgte ihnen schweigend und nahm kaum den festen Griff wahr, mit dem der vierte Mann ihren Arm umklammert hielt. Blord, der auf einer schmalen Koje lag, fühlte die kurze Belastung, als das Schiff in Richtung Delfi I startete.
4 Die Burg des Skal stand auf einem Berggipfel des toten Mondes, der der Begleitplanet von Delfi II war. Sie war ein Überbleibsel einer vergessenen Zivilisation, und ihre vielen Türme ragten wie gigantische Schwerter hinauf in den Himmel. Kein Mensch war je in all ihre labyrinthischen Tiefen vorgedrungen, denn man betrat diesen uralten Ort nur mit Erlaubnis des einzig lebenden Zeugen seiner seit langem gestorbenen Erbauer: mit der Erlaubnis des Skal. 26
Und das ganz sicher nicht aus lauter Höflichkeit seitens der Menschen, dachte Blord grimmig. Schon mehrere Male hatten die Regierungen der Ridge Stars versucht, das Bauwerk zu zerstören und damit einer besonders abscheulichen Form des weißen Sklavenhandels ein Ende zu machen. Aber Atomenergie flutete von den fremdartigen Türmen wie Wasser, das sich über Stahl ergießt. Selbst Energiestöße von einer Milliarde Einheiten hatten den großen Toren nichts anhaben können. Regelmäßig verschwanden Patrouillenboote, die mit dem Auftrag unterwegs waren, Vergnügungssuchende am Betreten der Burg zu hindern. Nie wieder wurde etwas von ihnen gehört oder gesehen. Und vor langer Zeit hatte der Skal publik werden lassen, dass Männer, die es anders nicht wagen konnten, zusammenzukommen, gegen Bezahlung in der Burg einen sicheren Versammlungsort fanden. Das Schiff wurde langsamer. Blord straffte sich, als er irgendwo draußen vor ihnen ein metallenes Geräusch vernahm, ein dumpfes Dröhnen, das so abrupt endete wie es begonnen hatte. Das Schiff bewegte sich vorwärts und stoppte dann. Wieder hörte er das vibrierende, metallene Geräusch, diesmal hinter dem Schiff. Sie befanden sich im Innern der Burg, dachte Blord angespannt, und jetzt gab es kein Zurück mehr. Er lag da, die Augen noch immer dicht geschlossen, aber sein Körper bebte nun. Er musste nicht lange warten. Irgend etwas, ein fremdes, unzuträgliches Etwas berührte seinen Geist. Er hatte es erwartet. Die Geschichten, die er gehört hatte, hatten sogar genau beschrieben, wie es war, wenn der Skal Gedanken las, aber die Wirklichkeit war doch überwältigend. Blord bemühte sich, sein Entsetzen zu unterdrücken und ganz ruhig zu bleiben, als der Skal ein Bild auf seinen Geist zu projizieren begann, das Bild eines langen, schuppigen Reptilkörpers, der irgendwo in dunklen Tiefen kauerte und mit einer Belustigung in sein Hirn spähte, die man mit keiner menschlichen Regung vergleichen konnte. Der Skal vermittelte ihm ein Bild seiner eigenen Gestalt. Und das Bild blieb haften.
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Der Reptilgeist studierte ihn und schickte ihm schließlich einen schmeichelnden, stahlharten Gedanken: »Du verwirrst mich, Artur Blord, denn du bist nicht bewusstlos, wie du vorgibst. Und doch bist du zu meinem alten Wohnsitz gekommen, aus dem es für niemanden ein Entrinnen gibt, es sei denn, meine Kunden wollen es so. Ich werde deinen Plan in deinem Geist verfolgen, und ich werde ihn nicht verraten. Aber es darf keine Gewaltanwendung deinerseits vorkommen, weder aus dem Impuls der Todesangst des Augenblicks, noch aus fest verwurzeltem Willen heraus.« Blord bemühte sich um Konzentration und schickte einen Gedanken genau zu dem Bild des Reptils. »Ich bezahle dir das Doppelte, sogar das Dreifache der Summe, die sie dir geben.« Blord hatte den Eindruck, dass ein lautloses Lachen in seinen Geist drang; und schließlich erreichte ihn ein spöttischer Gedanke: »Willst du die Ehre meines Hauses antasten? Dann wisse, dass meine Loyalität und mein Schutz heute und immer denen gilt, die in meiner Burg gastieren. So lautet mein Kodex.« Wieder erreichte Blord das lautlose Lachen. »So soll es sein, und zwar für immer - oder jedenfalls solange, bis ich keinen Gefallen mehr an den Possen derer finde, die die Sicherheit suchen, die dieser Ort bietet.« »Dann scher dich doch zum Teufel, du verfluchtes Ding«, fauchte Blord in Gedanken. Fast hätte er es laut ausgesprochen. Doch schon zog sich der Geist, das Bild zurück, wobei er noch immer seinem unnatürlichen Gelächter freien Lauf ließ. Gleichzeitig - und das war auch der Grund, warum Blord den Satz nicht aussprach - zerrten ihn Hände aus der Koje. »Legt ihn auf das Gravitorband«, sagte eine Stimme. »Haltet die Travis an Bord fest. Der Boss wird sich später um sie kümmern.« Ein Zischen verriet das Öffnen von Luftschleusen, und dann setzte sich der Gravitor in Bewegung. Es war, als rollte man über
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einen spiegelglatten Boden. Der Lichtdruck auf Blords Lidern ließ merklich nach, und zum ersten Mal öffnete er sie sehr vorsichtig einen Spalt breit. Er befand sich in einem dämmrigen Tunnel und glitt schneller vorwärts, als er angenommen hatte. Der Tunnel schien keine Eigenbeleuchtung zu haben, sondern durch eine entferntere Lichtquelle erhellt zu werden, die von seinem Dach reflektiert wurde. Übergangslos wurde er breiter und öffnete sich in einen großen, runden Raum. Blord hatte den flüchtigen Eindruck von menschlichen Gestalten im Halbdunkel. Im nächsten Augenblick wurde der Gravitor langsamer. Als er dann zum Stillstand kam, vernahm Blord von irgendwo aus der Dunkelheit eine Männerstimme. »Ah, unser Gast ist eingetroffen. Weckt ihn auf!« Blord setzte sich auf. Er verspürte nicht die geringste Lust, sich ein Weckmittel injizieren zu lassen. Solche mit einem Narkotikum behandelten Zigaretten hatten gewöhnlich keine langdauernde Wirkung, also würde sein Erwachen kaum einen Verdacht erregen. Ein paar Zweifel konnten allerdings nie schaden. Er blickte um sich und sagte dann: »Guter Gott!« Er durfte seine Überraschung nicht übertreiben, dachte er, aber es war sicher nicht fehl am Platze, wenn er ganz offen ein gewisses Erstaunen zeigte. Er entdeckte eine Radiumlampe, die in der Mitte des Fußbodens lag oder aus ihm heraustrat und die jetzt unendlich langsam herumgedreht wurde. Ein geisterhaftes Leuchten ging von ihr aus, und in ihrem Schein waren die Umrisse von Männern erkennbar. Die Masken, die diese Männer trugen, verliehen dem Ganzen etwas Unwirkliches, ein Eindruck, der jedoch sofort wieder verschwand, als die Gestalt, die eben schon gesprochen hatte, jetzt fortfuhr. «Ich glaube nicht, dass wir uns mit langen Vorreden aufhalten müssen«, sagte der Mann. »Wir sind alle sehr beschäftigte Leute, und wir wissen alle, warum wir uns hier versammelt haben.« In seiner Stimme lag ein spöttischer Unterton, als er schloss: »Ich bin sicher, dass sogar
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Mr. Blord genau weiß, worum es geht.« Blord schüttelte den Kopf. »Woher denn, in Gottes Namen«, entgegnete er tonlos. Dann wurde seine Stimme energischer. »Aber ich glaube, ich habe ein Recht darauf ...« Der maskierte Mann unterbrach ihn kalt. »Ein Mann, der nur noch kurze Zeit zu leben hat, hat keine Rechte mehr. Sie haben sich die längste Zeit in die Angelegenheit anderer eingemischt, Mr. Blord. Wir haben Ihre superschlauen Tricks satt, und wir sind es leid, dass Sie die Profite ehrlicher Männer schmälern. Aber genug davon. Wie ich schon sagte, wir wissen alle, warum wir hier sind, aber lassen Sie mich für unseren Gast also noch einmal kurz rekapitulieren. Wie Ihnen allen bekannt ist, verkündeten unsere Regierungen einen offenen Wettkampf, als Interstellar, Tochtergesellschaft der Galactic Company, im Glauben, durch ihre Raumantriebspatente eine unanfechtbare Position zu haben, Schutzgebühren und unmögliche Vorauszahlungen zur Einrichtung eines organisierten Dienstes zum Personen- und Gütertransport verlangten. Sie hatten die Lokalrechte für einen Antrieb erworben, der dem Galaktikantrieb weit unterlegen war und Konkurrenten gebeten, ihre Forschungsteams damit zu beauftragen, diesen Antrieb zu verbessern. Man garantierte den Gesellschaften, die sie entwickelt hatten, alle Verbesserungen, und für den Fall einer Duplizität versprach man eine gerechte Anspruchsregelung.« »Entschuldigung«, unterbrach ihn Blord. »Aber hat irgend jemand einen Antrieb entwickelt, der auch nur ein Viertel so schnell ist wie der Galaktische? Wenn nicht, dann werden sich alle, die hier versammelt sind, selbst finanziell ruinieren.« »Was wollen Sie damit sagen?« fragte eine Stimme. »Es ist doch völlig egal, was er damit sagen will«, dröhnte der Mann, der stand. »Merkt ihr denn nicht, dass er uns nur gegeneinander aufbringen will?« »Ich will damit sagen«, fiel Blord rasch ein, »dass sich Besitz
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danach rentiert, wie schnell produzierte Güter auf den Markt gelangen. Der einzige Grund, warum ich in diesen Wettbewerb eingetreten bin, ist der, dass ich von lächerlich niedrigen Geschwindigkeiten gehört habe, die ...« »Halten Sie den Mund!« Blord zuckte die Achseln. Er hatte sein erstes Argument an den Mann gebracht. Es war ein Argument, das ihnen allen zweifellos schon einmal in den Sinn gekommen war, das aber einiger Belastung standhalten konnte. »Vor zwei Wochen«, fuhr der Sprecher fort, »trat mit einem großen Tusch und viel öffentlichem Tamtam Artur Blord in den Wettkampf ein. Was bis dahin ein ernstes und kostspieliges Unternehmen gewesen war, wurde plötzlich zum Zirkus.« Bitterkeit schwang in der Stimme des Mannes mit. »Und der phantastische Ruf dieses Mannes sorgte dafür, dass die vierundneunzig Gesellschaften, die Milliarden Stellors in die Forschungsarbeiten gesteckt hatten, augenblicklich zum Gespött der Leute und von der Presse bemitleidet wurden. Sie wurden zur Zielscheibe für Satiriker, Komiker und Komödianten. Und es besteht natürlich auch kein Zweifel daran, dass Blord wusste, was er seinem Ruf schuldig war. Er konnte sich keinen Fehlschlag leisten. Wir nahmen also an, dass er den Antrieb besaß, der den Preis gewinnen würde, und über den Skal ließ jemand eine erste Versammlung einberufen, auf der man sich auf einen Plan einigte, Mr. Blord hierher zu holen. Ich wurde durch das Los bestimmt, ihn durchzuführen. Unsere Absicht ist es, von Mr. Blord das Geheimnis seines Antriebs zu erfahren und ihn zu zwingen, uns alle Rechte an seinem Schiff abzutreten.« »Ist es möglich«, mischte sich Blord ein, »dass sich die großen Einzelunternehmer der Ridge Stars doch endlich einmal zur Kooperation entschlossen haben, auch wenn es nur um die Verteidigung der Beute geht? Aber ich muss Sie alle enttäuschen. Sie kommen leider zu spät.«
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»Was soll das heißen?« »Ich habe die Rechte bereits überschrieben und zwar an die Regierung von Delfi. Der Kontrakt tritt in Kraft für den Fall, dass ich bei der Endausscheidung nicht dabei bin, mit der Klausel, dass dann ein gemeinwirtschaftlicher Nutzungsbetrieb eingerichtet wird. Und was Ihre andere Absicht betrifft, mir das Geheimnis des Antriebs zu entlocken, so muss ich Sie leider ebenfalls enttäuschen. Zufällig habe ich mich heute morgen einer Gegenhypnose unterzogen, und wie es der Zufall will, genau in dieser Angelegenheit.« »Was?« Dem Ausruf folgte Totenstille, die sich in das Rascheln rastloser Körper wandelte. Schließlich sagte eine Stimme leise: »Wenigstens können wir ihn immer noch umbringen und dafür sorgen, dass er uns in Zukunft nicht mehr in unsere Geschäfte pfuscht.«
5 Blord stieg vorsichtig vom Gravitor herunter. Als seine Füße den harten Boden berührten, wurde ihm zum ersten Mal bewusst, dass er nicht der mutige Mann war, für den er sich immer gehalten hatte. Seine Knie waren wacklig, und er fühlte sich schwach und unsicher. Und als er jetzt sprach, hatte er Mühe, ein Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken. »Wie es aussieht, haben Sie mich in der Hand, meine Herrn«, sagte er. »Aber ich würde Ihnen empfehlen, es sich sehr gut zu überlegen, bevor Sie mich umbringen. Wenn ich in solche Fallen wie diese gerate, bin ich gewöhnlich zu einem Handel bereit.« »Der Hund fängt zu winseln an«, ertönte eine verächtliche Stimme aus der Dunkelheit. Blord zuckte die Achseln. Die Furcht in ihm war jetzt verschwunden. »Wenn ich recht verstehe«, erwiderte er gelassen, »lauten die beiden Hauptanklagepunkte gegen mich, 32
dass ich erstens Forschungsinvestitionen in Gefahr gebracht und Sie alle zweitens zum öffentlichen Gespött gemacht habe. Sollte die Investition eines jeden von Ihnen sichergestellt sein und ich letztendlich als der Dumme dastehen, so nehme ich an, dass Sie doch ...« »Ist das noch der große Artur Blord, der da spricht, oder ein jämmerlicher Waschlappen?« explodierte eine Stimme in der Dunkelheit. Blord hörte das Murmeln allgemeiner Entrüstung. Die Heftigkeit ihrer plötzlichen Verachtung ließ ihn gegen seinen Willen erröten. Er kannte den Kodex, der diese weit ausgedehnten Grenzen des Weltraums regierte, und er konnte sich lebhaft vorstellen, wie seine Worte später zu seiner eigenen Demütigung über die Medien ausgestrahlt werden würden. Der Gedanke daran verlieh seiner Stimme einen scharfen Unterton. »Hören Sie sich trotzdem meinen Vorschlag an«, entgegnete er knapp. »Es ist zu Ihrem eigenen Vorteil.« »Ja, warum nicht«, erklang eine ätzende Stimme. »Hören wir uns seinen Vorschlag an, nachdem der Schock jetzt vorbei ist.« Blord fühlte unbändigen Zorn auf diese Männer in sich aufsteigen, die gewissenlos unschuldige Frauen mit Sexdrogen gefügig machten und Siebentage-Gift, Mord und offenen Raub als Instrumente ihres Willens benutzten, und die sich dann so erregen konnten, wenn jemand physische Feigheit zeigte. Es kostete ihn Anstrengung, seinen Ärger zu unterdrücken. Der Kodex war da. Er existierte. Er hatte ihn eigentlich in einen Plan miteinbezogen, aber gerade die Heftigkeit ihrer Gefühle in diesem Punkt machte alles einfacher. »Mein Schiff«, begann er, »wird das Rennen machen. Es erreicht eine Geschwindigkeit von fast einundachtzig Prozent von der eines Galaktikschiffes. Wenn irgend jemand diese Geschwindigkeit übertreffen kann, dann soll er es sagen, und ich werde ohne ein weiteres Wort zur Schlachtbank gehen. Nun?« Er schwieg und fuhr dann spöttisch fort: »Ich bin bereit, Ihnen
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folgendes Angebot zur sofortigen schriftlichen Fixierung, Unterzeichnung und Siegelung zu machen: Es wird eine gemeinsame Aktiengesellschaft mit einer Aktienausgabe von zweihundert Stück gegründet, von denen ich fünfzig und dreiundneunzig der vierundneunzig Gesellschaften jeweils eine erhalten. Bedingung ist, dass sie ihre sämtlichen Patentrechte an die neue Firma abtreten. Die restlichen siebenundfünfzig Anteile erhält Seldon Delaney, der die Gesellschaft nach den Kallear-Satzungen leiten wird. Ich werde sofort nach der Unterzeichnung wieder auf freien Fuß gesetzt. Evana Travis bekommt das Gegenmittel und wird mir sofort anschließend unverletzt übergeben. Jeder kann soviel Spottpropaganda gegen mich betreiben wie er möchte. Das gesamte Abkommen wird nichtig, wenn ich zur Zeit des Wettbewerbs nicht mehr am Leben bin, und es wird nur dann wirksam, wenn mein Schiff tatsächlich den Preis gewinnt.« »Das wird Sie ruinieren, Blord«, rief ein Mann. »Selbst der unterste Pöbel wird Sie verachten, wenn wir erst der Öffentlichkeit mitgeteilt haben, wie sehr Sie sich gedemütigt haben.« Artur Blord zuckte die Achseln, sagte aber nichts. Er wartete nur lange genug, um sicher zu sein, dass der Vertrag tatsächlich aufgesetzt wurde; anschließend verließ er den Raum und spazierte durch schwach erhellte Tunnel. Nachdem er ein Stück gegangen war, fand er ein Standardeldofon, von dem aus er eines seiner Schiffe benachrichtigte, das ihn abholen sollte. Dann schlenderte er eine Weile durch die feuchten Gänge der Skalburg. Er befand sich zum ersten Mal in diesen uralten Gewölben und war entsprechend neugierig. Der Skal würde ihn schon daran hindern, in Teile des Innern vorzudringen, die nicht für seine Augen bestimmt waren.
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... höhlenähnliche Gänge, in denen Dämmerlicht herrschte, Räume, die offensichtlich speziell für den Menschen umgeändert worden waren, Schlafzimmer, Unterkünfte, ein Restaurant, Leute ... Er schüttelte den Kopf, sprach aber niemanden an. Ein paar Mal stieß er auf nackte Wände, die so aussahen, als seien sie erst vor kurzem errichtet worden. Inmitten all der dumpfen und dämmrigen Umgebung gab es keine Spur des Skal selbst. Schließlich kehrte Blord zum »Konferenzraum« zurück und setzte seine Unterschrift auf sämtliche Kopien, nachdem er jede kurz überflogen hatte. Drei Stunden später traf das Raumschiff ein, das ihn abholten sollte. Als er aus einem der düsteren Tunnel der Burg in das hell erleuchtete Innere der Maschine trat, spürte er wieder jene unangenehme Berührung in seinem Geist, die er als Gedanken des Skal identifizierte. »Gut gemacht, Artur Blord. Sie werden vor Wut heulen, wenn sie merken, dass letztendlich doch sie es sind, die zum Gespött werden. Deine Genialität hat meinen Nerven einen unerwarteten Kitzel verschafft. Um dir meine Dankbarkeit über einen solchen intellektuellen Leckerbissen zu beweisen, gewähre ich dir einen Gefallen, um den du mich bitten kannst, wann immer du willst. Viel Glück.« »Und wie siehst Ihr Plan jetzt aus?« fragte Evana verständnislos, als das Schiff durch den Raum schoss. »Sie haben gesagt, Sie hätten einen. Aber alles, was ich bis jetzt verstanden habe, ist, dass Sie Ihren guten Ruf und Ihr Ansehen verlieren werden, und dass Sie fünfundsiebzig Prozent Ihrer Rechte an dem Antrieb an die Konkurrenz weggegeben haben.« Sie sah wirklich verwirrt aus. Blord betrachtete sie nachdenklich, dann warf er den Kopf zurück und lachte »Vergessen Sie nicht, bis vor drei Wochen hatte ich noch nicht einmal einen Raumantrieb«, sagte er. »Und es geht mir in erster Linie darum, dass die Ridge Stars ein schnelles Transportsystem bekommen. Aber nachdem mir dann die Idee Bekommen war,
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fand ich die Vorstellung zu reizvoll, um sie nicht in die Tat umzusetzen.« »Und was war das für eine Idee?« erkundigte sich Evana hartnäckig. »Ganz einfach. Ich war überzeugt, dass nach dem Wettbewerb die besten Ideen aus den vorgestellten Raumantrieben zusammengefasst werden würden. Dem habe ich vorgegriffen, das ist alles. Es hat mich große Summen an Bestechungsgeldern gekostet, die Forschungsergebnisse aller beteiligten Firmen zu kaufen. Meine Techniker haben dann die besten Resultate kombiniert. Sehen Sie«, schloss er, »wenn sie merken, dass sie ihre eigenen Patentrechte abgetreten haben und dass sie im Grunde den Antrieb geliefert haben, wird ihnen das Lachen schon vergehen.« »Aber dieser schreckliche Mr. Delaney!« wandte Evana ein. »Warum haben Sie ausgerechnet ihn ...« Blord fiel ihr ins Wort. »Vergessen Sie nicht: Er hatte Sie, und er hatte das Gegenmittel zu dem Gift. Ich hatte keine andere Wahl. Und denken Sie nicht, dass er das nicht wusste. Ich musste ihm die Aufsicht über den neuen Interstellarantrieb überlassen, also musste er zwangsläufig zum Vorsitzenden der Gesellschaft ernannt werden, die ihn verwenden wird.« Es folgte ein langes Schweigen. »Und was passiert jetzt mit mir?« fragte Evana dann leise. Blord sah sie seltsam an; dann lächelte er. »Ich brauche wirklich eine Sekretärin. Glauben Sie, dass Ihnen der Job gefallen könnte?«
6 Es war ein ganz normaler Tag für die große Stadt Suderea, nicht zu warm, nicht zu kalt. Die Gebäude leuchteten im Sonnenlicht. Evana, die inzwischen seit sechs Monaten für Artur Blord arbeitete, schlenderte in ihrer Mittagspause über die Financial 36
Avenue, sah in jedes der spiegelnden Schaufenster und überließ sich ganz dem Gefühl der Erregung, das in der Luft lag. Menschen hasteten an ihr vorbei, als ob sie in irgendeinem erfreulichen Auftrag unterwegs wären. Das war das Wundervolle an den Planeten der Sterne, die die seltsame Deformation im Weltraum bildeten, die unter dem Namen Ridge Stars bekannt war. Sie infizierten die Menschen mit dem Bazillus des Eifers und der Erwartung. Dann erfüllten sie ihre größten Hoffnungen. So kam es Evana zumindest vor. Sie fühlte sich beschwingt und gelöst, als sie durch die gewaltigen Doppeltüren des Blord-Gebäudes trat. Die beiden Männer in ihren eleganten Uniformen, die für sie die Türen geöffnet hatten, grinsten ihr freundlich zu, was noch zu ihrem Wohlbehagen beitrug. Sie lächelte zurück, als sie raschen Schrittes auf die Aufzüge zuging. Als sie die Penthausetage erreichte, merkte sie, dass sie vor Erregung zitterte. Es war ein Gefühl, das sie in diesen vergangenen drei Wochen oft verspürt hatte - die Spannung, ob Artur Blord heute zurückkehren würde, vielleicht jetzt in diesem Augenblick bereits in seinem Büro war. Der Gedanke beschleunigte ihren Schritt, als sie den Korridor entlang eilte. Erwartungsvoll riss sie die Tür zu ihrem Apartment auf und sog prüfend die Luft ein. Doch sie konnte keine Spur jenes verräterischen Dufts der speziellen Zigarettenmarke wahrnehmen, der immer ein sicheres Zeichen für seine Anwesenheit war. Weniger ungestüm ging sie dann hinüber zu der Tür, die zu den Büroräumen führte. Auch hier war niemand. Sie wollte gerade in ihre Wohnung zurückkehren, als das Eldofon an der Wand über ihrem Schreibtisch laut läutete. Und diesmal wurde sie nicht enttäuscht. »Ich versuche schon eine ganze Weile, Sie zu erreichen«, meldete sich Artur Blord. »Ich habe heute in der Stadt etwas zu Mittag gegessen«,
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erklärte Evana. »Und einen kleinen Spaziergang gemacht.« »Einen Moment, Evana«, unterbrach Blord sie. »Da kommen gerade Alarmsignale herein. Ich rufe Sie nachher noch einmal an.« Er wartete, bis Evanas Gesicht von der Platte verschwunden war, dann wandte er sich dem Kontrollpult zu. Metall! flackerte es im automatischen Alarmsystem auf dem Kontrollpult des Raumschiffes auf. Metall! Metall! Artur Blord spähte stirnrunzelnd in die Sichtplatten, aber in der Richtung, in die die Anzeiger wiesen, war nichts außer Dunkelheit, Dunkelheit und ein schwaches Funkeln von Sternen. Ein flüchtiger Blick auf den Taxator zeigte ihm, dass er drei Lichtjahre von der Zand-Sonne und acht von dem Doppelstern Carox A und B entfernt war, der nächsten der Ridge Star Sonnen. Es konnte ein Eisenmeteorit sein, überlegte er. Allerdings war es höchst unwahrscheinlich, so weit hier draußen. Außerdem gehörten seine Schiffssysteme zu dem modernen Rejektortyp. Sie konnten jede einfach Struktur, wie zum Beispiel einen Meteoriten, untersuchen, sich auf seinen Kurs einstellen und mit Höchstgeschwindigkeit weiterfliegen, ohne Alarm zu geben. Ein Schiff also? Blord warf einen flüchtigen Blick auf den Energierekorder, aber das Instrument zeigte keine Funktion. Was immer da draußen sein mochte, erzeugte jedenfalls nicht genug Energie, um einen Radiator zu erwärmen, geschweige denn eine Spule in Betrieb zu setzen. Neugierig bist du überhaupt nicht, dachte er sarkastisch. Aber er wusste, dass es mehr war. Gerade diese Eigenschaft seines Charakters, die ihn auf alles und jedes neugierig machte, die Eigenschaft, die es ihm ermöglichte, seine ganze Aufmerksamkeit von einem wichtigen Geschäft abzuwenden und sich in etwas scheinbar völlig Unwichtiges und Belangloses zu vertiefen, brachte seine Mitarbeiter immer wieder zur Verzweiflung und versetzte seine Feinde in Erstaunen.
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Mit einer schnellen Handbewegung berührte er den Knopf, der seine Teleskopkameras mit den leuchtenden Anzeigern synchronisierte und drückte auf den Taster. Die gelben Sucher erschienen auf der Sichtplatte. Obwohl sie langsamer als das Licht waren, erreichten sie es fast augenblicklich. Die Bilder zeigten ein Raumschiff von rund einer Fünftelmeile Länge, das offensichtlich einem Kurs folgte, der annähernd parallel zu seinem eigenen lag, denn sonst wäre es bei der Geschwindigkeit, mit der er sich fortbewegte, nicht immer noch in Reichweite. Bei dem ständig ansteigenden Raumverkehr war so etwas durchaus möglich. Blord schaltete sein Eldofon ein. «Sichtruf!« rief er in die Sprechmuschel. »Sichtruf!« Aber er bekam keine Antwort von dem fremden Schiff. Ein Wrack, dachte er und überflog in Gedanken die Liste der Raumschiffunfälle, die seit seiner eigenen Ankunft vor fünfzehn Jahren in den Ridge Stars passiert waren. Es waren nicht viele, wenn man von denen in der Todeszone der Lorelei-Sonne absah, und alle diese Schiffe waren geborgen worden. Er konnte sich an keinen Fall erinnern, bei dem es irgendwelche Zweifel über die Ursache des Unglücks gegeben hätte. Und das Bild war immer das gleiche gewesen: alle Männer tot, alle Frauen verschwunden. Mit düsterer Miene nahm er Kurs auf das Schiff. Wie er erwartet hatte, standen die Schleusen offen; das Thermometer seines Raumanzugs zeigte eine Temperatur von vierzig Grad minus an, als er sich von seiner Einstiegsstelle aus den Korridor entlangbewegte, wobei er die Dunkelheit mit seinem Helmlicht durchschnitt. Circa zwei Stunden, überlegte er, würde es dauern, bis sich das Innere des Schliffes auf diese Temperatur abgekühlt hatte. Blord stieß auf den ersten Toten, ein gepflegt aussehender Mann, dessen linke Brusthälfte von einer Waffe zerstört worden war, die der Größe der Wunde nach ein halbmobiler Blaster gewesen sein musste. Er fand noch mehrere Tote, als er weiterhastete, alles Männer, die von der vernichtenden Energie,
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die sie getroffen hatte, zum Teil entsetzlich verstümmelt waren. Wilder Zorn stieg in ihm auf, der ihn, wie immer, nicht unvorsichtig, sondern ganz im Gegenteil noch wachsamer werden lief?; und diese Wachsamkeit war es, die ihm das Leben rettete. Er hatte eine fest geschlossene Tür geöffnet. Luft strömte ihm entgegen. Als er gerade in die vor ihm herrschende Dunkelheit spähte, sprang eine Bewegung in den Winkel seines linken Auges, eine Bewegung, in der so viel Gefahr lag, dass er sich augenblicklich zu Boden warf. Über ihn hinweg zischte der Strahl eines Handblasters durch die Luft. Im selben Augenblick war Blord auf den Füßen und umklammerte auch schon den Arm, der die Waffe hielt. Blitzschnell zog er den Angreifer so rückwärts über sein Knie, dass dieser sich nicht mehr wehren konnte. Als er auf seinen Feind hinuntersah, erkannte er, dass er eine Frau vor sich hatte. Ihr Gesicht war nass von Tränen des Entsetzens und von der Kälte schon blau angelaufen. Keuchend schnappte sie nach Luft. Sie erholte sich rasch in der Wärme von Blords Schiff. Die Angst, die ihre Züge beherrscht hatte und fester Bestandteil ihres Gesichtsausdrucks zu sein schien, blätterte ab wie eine Horrormaske, die man abnimmt. Darunter kamen ein ausdrucksvolles Gesicht und eine Persönlichkeit zum Vorschein, sie schien sich schnell von den schrecklichen Schlägen zu erholen, die sie hatte einstecken müssen. Mit leuchtende blauen Augen musterte die Frau ihre Umgebung. »Ist das hier eine private Raumyacht?« wollte sie wissen. Blord nickte. Aber er nahm den Blick nicht von ihr. Er war verwirrt. Bei dem Frachter hatte es sich um ein Raumschiff von der Erde gehandelt, das menschliche Fracht zu den Ridge Stars bringen sollte. Gewöhnlich waren die Mädchen und Frauen, die sich an Bord solcher Schiffe befanden, relativ naiv und ahnungslos - die großen Augen von Neugier erfüllt -, Produkte eines Planeten, auf dem man keine Verbrechen kannte. Diese
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Frau hier passte nicht ganz in dieses Bild. Sie hatte ein hübsches, fast mädchenhaftes Gesicht und sah noch sehr jung aus; aber nachdem er sie einen Augenblick betrachtet hatte, war Blord überzeugt, dass sie die Dreißig erreicht haben musste. Sie wurde es schnell leid, sich ihre Umgebung anzusehen. Die Erregung über ihre Rettung ließ nach, und in ihren Augen und ihrer Stimme lag Erschöpfung. »Ich heiße Ellen Reith. Sie wollen wahrscheinlich wissen, was passiert ist.« Blord schüttelte den Kopf. »Ich weiß, was passiert ist«, entgegnete er. »Wir werden uns später darüber unterhalten. Ich glaube, dass Sie zuerst einmal Ruhe brauchen.« »Sie wissen, was passiert ist!« Ihre blauen Augen wurden groß. »Dann wissen Sie auch, wer dafür verantwortlich ist und wohin die anderen Frauen gebracht worden sind.« Blord nickte. Ellen Reith starrte ihn an. »Wohin?« Blord seufzte. Er konnte sich sehr gut vorstellen, was sie empfinden würde, wenn sie erfuhr, welchem Schicksal sie entronnen war. Als er es ihr erzahlt hatte, lag sie ganz still da. Ihr Körper schien sich unter der Decke, die Blord über sie gebreitet hatte, verkrampft zu sein. »Sie meinen, es gibt wirklich Menschen, die so etwas tun«, flüsterte sie schließlich und fuhr mit der Hand durch die Luft, als wolle sie auf den verwüsteten Raumfrachter zeigen, »und alle männlichen Passagiere ermorden, nur um Frauen für die Skalburg zu bekommen? Warum unternimmt denn die Raumpatrouille nichts dagegen?« Ihre Stimme wurde erregter. »Sie haben doch sicher schon Meldung gemacht, was hier passiert ist, oder?« »Nun, nein«, erwiderte Blord langsam. »Eigentlich nicht. Noch nicht.« »Aber vielleicht sind noch andere Überlebende an Bord« wandte sie atemlos ein. »Und vielleicht kann man das Schiff mit den Frauen noch stoppen. Sie ...« Sie schien zu begreifen, dass ihre Worte ihn kaum berührten. Mit einem Ruck löste sie sich
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aus ihrer Hysterie und fragte scharf-»Warum unternehmen Sie nichts? Warum versuchen Sie nicht, andere an Bord zu retten?« »Schlafen Sie jetzt!« gab Blord zurück. Er stand auf und verließ den kleinen Raum, um sich zu seinem Kontrollpult zurückzubegeben. Er war überzeugt, dass es keine Überlebenden mehr auf dem Frachter gab, denn er hatte ihn äußerst gründlich untersucht. Dabei hatte er darauf geachtet, alles genau so zurückzulassen, wie er es vorgefunden hatte: die Positionen der Toten, die lang ausgestreckt auf dem Boden lagen, die weit geöffneten Luftschleusen. Zweifellos waren an dem Überfall auch Männer beteiligt gewesen, die als Passagiere von der Erde aus in dem Frachter mitgefahren waren und die dafür gesorgt hatten, dass der Angriff mit äußerster Präzision zu einem genau festgelegten Zeitpunkt von ihren Komplizen durchgeführt werden konnte. Diese Banden setzten sich aus dem Abschaum der Menschheit zusammen, die von der Burg des Skal, jenes sardonischen und uralten Tieres, aus ihr Unwesen trieben. Vor sechs Monaten hatte der Skal ihm einen Gefallen versprochen. Doch Blord wusste genau, dass das Tier nie einen Gefallen gewähren würde, der die Männer gefährdete, die sein Heim benutzten. Und diese Männer waren jetzt in Gefahr. Wegen der physischen Untersuchungen der Leute, die zu den Sternen emigrierten, konnten sie nur unmaskiert an Bord gewesen sein. Inzwischen hatten sie zweifellos herausgefunden, dass ihnen eine Frau entkommen war, eine Frau, die einige Mitglieder der Bande an Bord des Frachters gesehen haben musste. Diese Frau würde mit Sicherheit beseitigt werden, wenn er nicht jede nur denkbare Gegenmaßnahme traf. Er stellte seine Anrufe durch, aber es dauerte zwei Stunden, bis sein Eldofon leise zu brummen begann. Der erste Rückruf kam von seinem Direktor, Magrusson. Der dickt Mann sprach leise, als ob die Angelegenheit, um die e; ging, eine dämpfende Wirkung auf ihn hätte. »Das unsichtbare Schiff wird Sie in fünf Stunden treffen Der
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Pilot ist Nicer. Er wird den Austausch über de: Dschungelinsel von Carox All durchführen und dann hier hin zurückfliegen, um entsprechend behandelt zu werden so dass er glaubt, er sei es gewesen, der in Wirklichkeit mit Ihrem Schiff von Zand aus gestartet ist.« »Ich schätze, das ist das Beste, was wir tun können«, entgegnete Blord zweifelnd. »Ich weiß nur nicht, ob diese Behandlung auch einer Konfrontation mit dem Skal standhalten kann. Wenn ich von meiner eigenen Erfahrung mit ihm ausgehe, bin ich mir ziemlich sicher, dass er tiefer in einen Geist eindringen kann als wir es mit unseren Behandlungen können. Allerdings sollte man auch die Möglichkeit nicht außer acht lassen, dass er sich vielleicht überhaupt nicht in die Sache einmischt. Wahrscheinlich hält er sich im Hintergrund und verfolgte das Ganze nur als unbeteiligter Beobachter. Ich möchte aber keine unnötigen Risiken eingehen. Wenn Ihnen noch irgendwelche weiteren Vorsichtsmaßnahmen einfallen, dann lassen Sie mich es wissen.« Der zweite Rückruf kam ein paar Minuten später. Evanas Gesicht erschien auf der Platte. »Mr. Blord«, begann sie rasch, »ich habe mit dem Chef der Geheimpolizei der Patrouille gesprochen, wie Sie es mir aufgetragen haben. Natürlich habe ich ihm nicht verraten, warum ich die Informationen brauche. Ich habe ihm einfach erzählt, dass ich zufällig gerade etwas darüber gelesen hätte, und dass es mich interessiere. Er war sehr zugänglich.« »Gut gemacht!« Evana freute sich über das Lob und lächelte, wurde dann aber sofort wieder ernst. »Ich glaube kaum, dass Sie Glück haben werden, wenn Sie wirklich beabsichtigen, sich mit dem Skal anzulegen, es sei denn, Sie können ihn überreden, dass er sich Ihnen und Delfi II zu Gefallen selbst umbringt.« »Gar keine schlechte Idee«, Blord lachte leise. »Er schuldet mir ja noch einen Gefallen. Aber reden Sie weiter. Gibt es denn
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schlechte Nachrichten?« »Nur! Sie wollten doch Informationen über die verschiedenen Angriffe der Ridge Star-Regierungen auf die Skalburg. Ich bin also ins Laboratorium gegangen und habe Marian Clark danach gefragt. Sie konnte mir Details nennen; also passen Sie auf: Die Burg besteht aus einem Metall, das noch nicht einmal zu schmelzen beginnt, wenn man es mit Atomenergie angreift. Wie Sie wissen, hat es auf Delfi 1 noch andere Gebäude aus früheren Zeiten gegeben -Überreste einer lange ausgestorbenen SkalZivilisation Sie wurden alle ziemlich plötzlich zerstört, bald nachdem die ersten Menschen nach Delfi II kamen. Allerdings konnten vorher noch einige lose Stücke zu Studienzwecken zur Erde gebracht werden. Niemand weiß, um welches Metall es sich handelt. Es ist das alte Problem: Aushärtung von Legierungen unter Benutzung von Katalysatoren. Wenn Sie nicht das katalytische Agens sowie die äußeren Bedingungen, die Methode und die Härtungszeit kennen, dann können Sie das fertige Metall untersuchen, bis Ihnen der Kopf qualmt, ohne dass Sie sein Geheimnis herausfinden werden. Das Elektronenmuster des Metalls ist bekannt; Marian wird Ihnen die Formel schicken. Und das wäre zu diesem Punkt auch schon alles. Aber jetzt habe ich noch etwas ganz Besonderes für Sie, eine sehr vertrauliche Information: Bei den drei Angriffen gegen die Skalburg sind sechsundneunzig Polizeikriegsschiffe zerstört worden, eine Tatsache, die allerdings nie an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Sie wurden durch einen leuchtenden grünen Strahl zerstört, dessen Elektronenaufbau bis ins kleinste Detail mit dem des unbekannten Metalls übereinstimmt. Sehen Sie zu, was Sie damit anfangen können - sagt Marian. Und nun zum Schluss zu Ihrer Frage nach den anderen Verstecken der Männer, die die Skalburg benutzen: Es gibt so viele Sonnen, so viele unerforschte Planeten, dass die Suche nach eventuellen Verstecken völlig hoffnungslos erscheint. Aber
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es liegt auf der Hand, dass sie Nachschubbasen in großen Städten haben müssen. Im Augenblick stehen zwei unter Verdacht: die eine ist der Midnight Club in der Stadt Negor auf Fasser III; die andere ...« »Augenblick«, unterbrach Blord sie. »Ich lasse die Namen aufzeichnen.« Nachdem Evana sie durchgegeben hatte, fragte er in verändertem Ton: »Und wie geht es Ihnen, Evana?« Sie warf ihm ein strahlendes Lächeln zu. »Einfach glänzend, Mr. Blord. Aber ich wünschte, Sie wären nicht so oft fort. Mr. Magrusson hat ganze Stapel von Unterlagen für Sie hier liegen, die von Ihnen unterschrieben werden müssen.« Blord lachte. »Der arme Magrusson. Aber unter uns: Ich glaube, wenn er diese >Stapel von Unterlagen<, um die er sich Sorgen machen kann, nicht hätte, wäre er auch nicht zufrieden. Und Sie machen sich mal keine Sorgen um mich. Ich werde jetzt bald wieder da sein. Ich war eigentlich sogar auf dem Heimweg, als ich in diese Sache geraten bin. Passen Sie auf sich auf, Evana.« »Auf Wiedersehen, Mr. Blord«, sagte Evana. Dann wurde die Platte dunkel. Blord drehte sich um, hielt dann inne und sah nachdenklich auf Ellen Reith. Sie saß in einem Sessel ein paar Schritte von ihm entfernt, und es hatte den Anschein, dass sie sicher schon seit wenigstens einigen Minuten hier war. Der kurze Schlaf hatte ihr gut getan, und sie hatte offensichtlich Zeit gefunden, ihr dunkelbraunes Haar in Ordnung zu bringen Ihre Augen funkelten, als sie so dasaß, schlank und ruhig, und ihn mit einem leisen Lächeln auf ihrem feinen, aristokratischen Gesicht betrachtete. Dann trübte sich ihre Miene. »Ich habe alles gehört, abgesehen von einem Teil dessen, was der Mann gesagt hat. Jedenfalls genug, um zu wissen, dass ich in Gefahr bin. Stimmt das?« Sie machte nicht den Eindruck, als ob sie Angst hätte. Zwei
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Stunden vorher hatte Blord sie auf dreißig geschätzt. Jetzt ertappte er sich dabei, wie er sie bewundernd ansah. Er mochte reife Frauen, die unter Belastung wie achtzehn aussehen konnten. Und da er sowieso nicht die Absicht gehabt hatte, sie im Dunkeln zu lassen, erklärte er ihr kurz ihre Situation Nachdem er geendet hatte, schwieg sie einen langen Augenblick. »Wer ist sie?« fragte sie schließlich zusammenhanglos und deutete auf das Eldofon. Blord stand auf und blickte auf sie hinunter. Ein mokantes Lächeln spielte um seine Mundwinkel. »Betrachten Sie sie als jemand«, erwiderte er langsam, »deren Informationen Ihnen vielleicht das Leben retten, für den Fall, dass uns ein Weg einfällt, wie wir sie nutzen können.« Danach breitete sich ein langes Schweigen aus »Miss Reith«, begann Blord schließlich. Er zögerte -Miss< ist doch richtig, oder?» Eilen Reith nickte. »Reith ist mein Mädchenname. Ich habe schon eine Reihe anderer gehabt. Ich habe mit siebzehn zum ersten Mal geheiratet.« Sie starrte sekundenlang nachdenklich auf ihre Schuhspitzen und sah Blord dann offen an. »Ich habe mein bisheriges Leben völlig verpfuscht - so etwas passiert leicht, wenn man zuviel Geld und zuwenig Verantwortung hat, wissen Sie. Ich bin hierher gekommen, um noch einmal ganz von vorn anzufangen.« Sie lachte bitter. »Ich beabsichtige, einen Farmer zu heiraten, fünf Kinder zu haben und so zu tun, als hätte es nie eine Mrs. Gilmour-Morgan-Davis-Castlefield gegeben.« »Wirklich eine beeindruckende Liste von Namen«, entgegnete Blord. Sie zuckte die Achseln, sagte aber nichts. Und Blord begriff, dass die Beichte damit beendet war. Er betrachtete sie noch ein paar Sekunden lang und meinte dann aufmunternd: »In einigen Minuten werden wir das Schiff wechseln, und bis dahin müssen wir noch ein paar Vorbereitungen treffen. Am besten fangen wir gleich damit an.«
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7 Der Transfer auf das unsichtbare Schiff fand in der Luft über dem ruhelosen Ozean in der Nähe einer Insel statt. Der Pilot Nicer sah und ahnte auch nichts von der Anwesenheit einer Frau. In einem geräumigen Tarnanzug schlüpfte sie unsichtbar an Bord des größeren und luxuriöseren Schiffes, während Blord mit dem Piloten sprach. Dann folgte er der Frau an Bord, und Nicer stieg in die Yacht um. Rasch entfernten sich die beiden Schiffe dann von ihrem einsamen Treffpunkt und nahmen entgegengesetzten Kurs auf entfernte Sonnen. Nach einer Stunde war Ellen Reith noch immer nicht aus ihrem Quartier aufgetaucht, das sie mühelos allein gefunden hatte. Wahrscheinlich brauchte sie doch mehr Schlaf. Auch für ihn war es Zeit, sich etwas auszuruhen, dachte Blord. Er schaltete die Schiffsautomatik ein und schloss das Alarmsystem an seine Kabine an. Als er erfrischt wieder aufwachte, war das Schiff noch immer auf seinem Kurs - dem weit entfernten Ziel entgegen. Nach ausgiebigem Duschen zog er sich langsam an, während seine Gedanken um nichts Wichtigeres als das Essen kreisten, das er in der Kombüse finden würde. Die Tür zu Ellen Reiths Kabine blieb zu. Aber jemand war in der Küche gewesen und hatte vergessen, das Geschirr in die Beldex zu räumen. Blord musste lächeln, als ihm in den Sinn kam, dass sie vielleicht gar nicht wusste, wie man mit einer automatischen Geschirrspülmaschine umging. Welch ein Beweis für Zivilisation. Er aß nachdenklich und begab sich anschließend zum Bordtelegraphen, um nachzusehen, ob inzwischen Nachrichten eingetroffen waren. Es war nicht der Fall. Irgendwie enttäuscht beschäftigte er sich dann mit einem Berg von Papieren, die Magrusson für ihn in einen Aktenkoffer mit der Aufschrift 47
»Dringende Geschäfte« gestapelt hatte. Blord musste lächeln, als er auf die Dokumente sah. Magrusson sorgte dafür, dass überall im Gebiet der Ridge Stars Papiere, die unterschrieben werden mussten, strategisch verbreitet waren. Es gab spezielle Büros, in denen unter Funküberwachung ausschließlich Originalkopien getippt wurden. Sobald eine dieser Kopien unterschrieben worden war, wurden alle anderen vernichtet, ganz gleich, wo immer sie sich auch befanden. Die Entwicklung dieses Systems, das so ausgezeichnet zu seiner eigenen saloppen Art passte, erfüllte ihn immer wieder mit Bewunderung. Er setzte sich und konzentrierte sich auf die Arbeit. Zwischendurch bemerkte er, wie Ellen Reith aus ihrer Kabine kam, in die Kombüse ging und danach wortlos wieder in ihrem Quartier verschwand. Irgendwann wurde er müde und verstaute den immer noch umfangreichen Stapel der noch nicht unterschriebenen und ungelesenen Papiere in ihrem Koffer. Er aß etwas und überprüfte wieder den Telegraphen, der immer noch keine Nachricht für ihn bereit hielt. Mit einem breiten Gähnen kehrte er in seine Kabine zurück. Es dauerte nicht lange, bis er fest eingeschlafen war. Als er diesmal erwachte, fand er gleich drei Mitteilungen auf dem Telegraphen, die alle von Magrusson kamen Blord las sie in dem anregenden Bewusstsein, dass die Zeit der Untätigkeit jetzt bald vorbei war. Die erste Nachricht lautete: Ein schwerbewaffnetes Spezialschiff hat nach neunzehn Stunden das Wrack aufgesucht, wurde in ein Gefecht mit drei Polizeischiffen verwickelt, konnte aber schließlich entkommen. Die zweite Nachricht besagte: Die Polizei hat ein Bulletin zu dem überfallenen Frachter Crescent Moon herausgegeben, in dem sie bekannt gibt, dass an Bord des Schiffs neunhundertvierundsiebzig Leichen gefunden wurden, darunter die einer Frau, die als Mrs. Gilmour-MorganDavis-Castlefield, Erbin des milliardenschweren ReithVermögens, identifiziert werden konnte. Wie es weiter heißt,
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soll sich Letztgenannte während des Angriffs versteckt haben können, erfror aber dann, da sie offensichtlich nicht wusste, wie die Luftschleusen geschlossen wurden, die die Plünderer offen gelassen hatten. Die dritte Nachricht war nur ganz kurz: Bisher noch nichts. Es wollte keinen Sinn ergeben, bis er die Eingangszeiten überprüfte, die auf jeder Nachricht angegeben war. Blord musste grinsen. Die junge Dame mochte vielleicht nicht wissen, wie man mit einer automatischen Geschirrspülmaschine umging, aber mit Telegraphen kannte sie sich aus. Nur hätte sie darauf achten sollen, sie wieder in der richtigen zeitlichen Reihenfolge einzuordnen. Ein Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Hinter ihm sagte Ellen Reith: »Wer war nun die tote Frau?« Blord drehte sich um und musterte sie. Sie hatte ein einfaches dunkles Kleid aus dem Schrank gewählt, das einer von Magrussons teuren Couturiers nach Maßnahme über Eldofon angefertigt hatte. Gerade die Schlichtheit gab ihm seine besondere Note. Ellen Reiths Wangen waren durch geschickt aufgetragene Farbe leicht gerötet, ihre Lippen voll und rot. »Es war im Grunde ziemlich einfach«, erklärte Blord mit einem Achselzucken. »Es ist nicht das erste Mal, dass sich eine Situation ergibt, in der ich einen Toten brauche. Demzufolge wurden schon vor längerer Zeit gewissen Vorkehrungen getroffen. Es ging nur darum, unter den Zehntausend verfügbaren Körpern einen herauszusuchen, der ungefähr dem Ihren ähnelt. Make-up-Experten besorgten den Rest. Er wurde dann mit einem Schiff zur Crescent Moon gebracht, das unmöglich mit mir in Verbindung gebracht werden kann. Der Pilot kehrte danach zu seinem Ausgangspunkt zurück, informierte die Polizei, ohne natürlich seinen Namen zu nennen und ließ dann das ganze Geschehen aus seinem Gedächtnis eliminieren. Im Augenblick befindet er sich zu einem einjährigen Urlaub auf einem Schiff zur Erde. Er ...»
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Blord brach ab, weil ihn Ellen Reith mit einem seltsamen Ausdruck anstarrte. »Was ist?« wollte er wissen. »Was sind Sie nur für ein Mann?« sagte sie atemlos. »Sie haben an alles gedacht. Es ist wie ein Traum. Es ging alles so schnell, und doch haben Sie alles unwahrscheinlich geschickt und überlegt geplant und durchgeführt.« Sie schüttelte verwundert den Kopf und fügte dann ruhiger hinzu: »Ich bin jetzt in Sicherheit, ja?« »Nur, wenn der Skal nicht informiert worden ist. Aber«, fuhr er gelassen fort, »ich glaube, wir sind jetzt zum Angriff bereit.« »Angriff?« Er nickte. »Sie glauben doch nicht«, sagte er kalt, »ich ließe es zu, dass diese verdammte Bande weiter ungeschoren ihr Unwesen treiben kann?« Er runzelte die Stirn. »Was ich wirklich gegen den Skal brauche, ist eine meiner Institionen, aber bis dahin werde ich mich zunächst einmal um die Bande kümmern.« Er warf ihr einen prüfenden Blick zu. »Ich denke«, schloss er, »dass Sie den nötigen Mut besitzen. Also ...« Der Midnight Club lag auf dem Scheitel eines hohen Hügels, der sich über die ausgedehnte Stadt Negor auf Fasser III erhob Blord steuerte den Wagen an den Straßenrand und streckte die Hand aus. »Vor sechs Jahren habe ich hier auf diesem Hügel gestanden und über diese Ebene auf das dunkle, funkelnde Meer dort unten hinuntergesehen. Was ich sah, waren eine Handvoll provisorischer Unterkünfte, ein paar Raumschiffe, die Maschinen und Geräte brachten und die winzigen Gestalten von ein paar tausend Menschen, die wie kleine Ratten hin und her liefen.« Er lehnte sich zurück und lächelte Ellen Reith zu. ..Die Stadt ist nicht ganz so erbaut worden, wie ich es mir vorgestellt habe. Aber das ist meine eigene Schuld. Ich besitze eine etwas bedauerliche Charaktereigenschaft, die mich jedes Interesse an den Einzelheiten eines Prozesses verlieren lässt, sobald er erst einmal begonnen hat. Das Ergebnis ist dann, dass andere Männer
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mit anderen Träumen ihre eigenen Vorstellungen verwirklicht haben. Aber das ist das Wunderbare am Leben in den Ridge Stars. Millionen von Menschen, jeder mit seinen ganz persönlichen Ideen für die Zukunft, kommen hierher und zeichnen ihre eigenen Bilder auf die lebende Leinwand dieses Teils des Universums.« Ellen Reiths Augen leuchteten. »Und der Größte von ihnen allen ist Artur Blord.« Ihre Stimme war leise, aber voll, als sie weitersprach. »Ich bin jetzt seit drei Tagen mit Ihnen zusammen, und ich fange erst langsam an zu begreifen, wie ungeheuer das ist, was Sie machen.« Abrupt wechselte sie das Thema. »Diese Frau, die Ihnen die Informationen über die Angriffe auf den Skal durchgegeben hat - sie ist eine Ihrer Frauen, nicht war?« Blord sah sie an, gab aber keine Antwort. Sie schüttelte ungeduldig den Kopf. Ihre Augen schimmerten wie leuchtend blaue Seen in dem schwachen Licht des Armaturenbretts. »Sie können mich nicht täuschen. Und Sie haben noch viele Frauen da draußen, nicht wahr, Frauen, die lieber an einem ganz kleinen Teil Ihres Lebens teilhaben als sich mit der ungeteilten Aufmerksamkeit eines ganzen Dutzends geringerer Männer zufrieden zu geben?« »Warten Sie!« Sie fiel ihm ins Wort, als er den Mund öffnete, um etwas zu sagen. »Bestreiten Sie es nicht. Das müssen Sie nicht - nicht vor mir - weil es stimmt. Innerlich wissen Sie, dass diese Frauen das Richtige getan haben. Das Universum ist zu gewaltig und zu kompliziert für die Kinder kleiner Männer. Jede nachfolgende Generation muss geistig reger, beherzter und stärker sein. Und die Entwicklung muss immer schneller voranschreiten, je weiter sich die Menschheit über andere Galaxien ausbreitet. Das Leben hat keine Zeit für die alten Moralbegriffe. Und die Mütter der Rasse sind die ersten gewesen, die das erkannt haben. Sie kommen hier hinaus, naiv, ahnungslos, aber mutig. Und erkennen von einem Augenblick auf den anderen ihre Bestimmung.«
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Blord lachte leise. »Und all das von einer jungen Dame«, antwortete er verwundert, »die einen Farmer heiraten und zehn Kinder haben will.« Auch Ellen Reith begann zu lachen, aber in ihrem Ton schwang Verachtung mit. »Was für eine Närrin bin ich doch gewesen! Jahrelang war ich wie eine Motte. Ich habe mich an einem Feuer versengt, das ich nicht begriff, und jedes Mal, wenn ich mich verbrannte, wurde ich verwirrter. Ein Dutzend Mal habe ich mit dem Gedanken gespielt, mir das Leben zu nehmen, was nur beweist, wie gewaltig die Kräfte waren, die ich so wenig verstand.» Sie ergriff seinen Arm. »Sie müssen mich retten, Artur Blord«, fuhr sie fort. Ihre Stimme klang plötzlich gespannt. »Ich könnte es nicht ertragen, jetzt zu sterben. Es gibt noch soviel zu tun und soviel kennen zu lernen und zu erleben.« Artur Blord legte seine Finger auf ihre Lippen. »Vorsicht! Das ist die falsche Einstellung. Die Furcht vor dem Tod ist die gefährlichste aller Ängste hier draußen. Der Gedanke, jeden Augenblick sterben zu können, ist etwas, auf das man hier immer vorbereitet sein muss.« Er zog die Hand zurück und betrachtete Ellen kühl. »Sie haben sich bereiterklärt, mit mir zusammen den Midnight Club zu besuchen. Auch wenn wir maskiert sind, ist die Gefahr immer noch groß genug, dass sie eine enorme nervliche Belastung für jemanden bedeutet, der an eine solche Situation nicht gewöhnt ist. Wenn Sie mich also nicht überzeugen können dass Sie ...« Ihr Lachen, in dem Belustigung, Gelöstheit und leiser Spott mitschwang, ließ ihn verstummen. Schließlich meinte sie ernst: »Ich habe nicht an mich selbst gedacht. Das müssen Sie mir glauben. Es ist wichtig, dass ich lebe, weil wegen der Dinge, die ich tun muss. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber ...« Blord schüttelte den Kopf. »Solche Dinge kann man nicht in Worten ausdrücken«, sagte er sanft. »Sie haben mir verraten, was ich wissen wollte. Gehen wir. Und denken Sie daran: Ich heiße Chris Delton, und Sie sind Rita Kelly.«
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Geräuschlos glitt der lange Wagen vorwärts. Einen Augenblick später kam ein Clubangestellter aus der Eingangstür. Er stieg in den Wagen und fuhr ihn auf einem Parkplatz. Weder Blord noch Ellen Reith warfen einen Blick zurück. Eine nach der anderen öffneten sich die glänzenden Türen des Clubs vor ihnen und schlössen sich hinter ihnen wieder. In drei Minuten befanden sie sich tief im Innern der gewaltigen Ansammlung von Gebäuden, die den Midnight Club bildeten.
8 »Ich beginne zu staunen«, sagte Ellen Reith nach einer Stunde. Ich habe Spiele gespielt, von deren Existenz ich bisher noch gar nichts wusste, und ich habe achthunderttausend Stellors gewonnen. Es ist vielleicht albern, wenn ich aufgeregt bin, aber ich kann mich einfach nicht an die Vorstellung von so viel Freiheit gewöhnen.« Sie brach ab. »Ich komme mir vor wie ein Kind in einer ganz neuen Welt«, gestand sie, »und gleich werde ich aufwachen, und der Traum ist vorbei.« Blord lachte. »Die Erde versucht, ihre Bewohner an sich zu binden. Deshalb ist praktisch alles illegal. Es gibt keine einfachen Wege, zu Geld zu kommen. Alle werden zwar gut bezahlt, aber man sorgt dafür, dass die Leute das Geld auch wieder ausgeben, so dass es nur einem Bruchteil von ihnen gelingt, auszubrechen. »Glücksspiele sind nur dann verwerflich, wenn Verlieren Armut oder Hunger bedeuten würde. Aber das trifft in diesem Universum nicht zu, in dem die Löhne hoch und die Nahrungsmittel billig sind, und wo es so viele freie Stellen gibt, dass sich Arbeitgeber und die, die es werden wollen, förmlich um die Dienste der Neuankömmlinge reißen. Die menschliche Rasse hat immer schon ein gesundes emotionales Gespür dafür gehabt, was sie gerne tun möchte Zum ersten Mal in der Geschichte kann jeder, und nicht nur ein paar Privilegierte, 53
gleichzeitig die Lust zu bauen, etwas zu schaffen und Freude zu haben, erfahren.« »Dann befürworten Sie also diesen Club?« Blord sah sie überrascht an. »Natürlich. Vergessen Sie nicht, dass Sie die achthunderttausend genauso schnell wieder verlieren können, wie Sie sie gewonnen haben.« »Das meine ich nicht. Ich meine die Verbrecherbande, die hinter diesem Club steht.« Blord runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht die Aktionen von Kriminellen und den Wunsch eines Menschen nebeneinander stellen, nach getaner Arbeit sein Vergnügen dort zu suchen, wo er es möchte. Erstere werde ich erbarmungslos vernichten; was zweiteren betrifft, nun, wenn er sich amüsiert, warum nicht. Das ist meine Überzeugung.« Er brach ab, weil er bemerkte, dass Ellen Reith intensiv auf einen Punkt hinter ihm starrte. »Der Mann da!« flüsterte sie. »Der, der da gerade mit der Gruppe spricht. Er war mit an Bord.« »Sehen Sie auf Ihr Glas«, forderte Blord sie auf. »Ihr Blick verrät Sie sonst. Entspannen Sie sich!« Sie sah ihn an und brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Tut mir leid«, entschuldigte sich. »Aber meinen Sie nicht, es ist besser, wenn Sie ihn sich ansehen, damit Sie sein Gesicht nicht vergessen?« Blord schüttelte den Kopf und stieß innerlich einen Seufzer aus. Ellen Reith würde noch lernen müssen, ihm keine guten Ratschläge zu erteilen, was er tun sollte, wenn er es schon lange getan hatte. Er lächelte schief. Aber er schämte sich nicht für die Selbstgefälligkeit, die hinter diesem Gedanken steckte. Ellen Reith hätte sich daran erinnern müssen, dass sie sich freiwillig einer Hypnose unterzogen hatte. Sicher, er hatte ihr absichtlich die Kompositskizzen vorenthalten, die sie unter Hypnose aus den Gesichtern einer Reihe sorgfältig ausgesuchter Männer zusammengestellt hatte, Gesichter die auf der Basis ihrer
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geistigen Reaktion auf sie ausgewählt worden waren, jener instinktiven Feindseligkeit des tieferen Bewusstseins, das den Charakter eines Menschens nach einem einzigen Blick oder Wort erkannte. Aber er hatte ihr diese Skizzen mit einer ganz bestimmten Absicht vorenthalten. Eine von ihnen war die des Mannes gewesen, den sie gerade identifiziert hatte. Diesen Mann beobachtete Blord jetzt schon seit einer halben Stunde, ohne ihn ihr zu zeigen, weil er wollte, dass sie ihn von sich aus und völlig unbeeinflusst identifizierte. Er merkte, dass sie ihn genau musterte. »Ich habe etwas Falsches gesagt, nicht wahr«, sagte sie. »Ist es möglich, dass ich, ohne es zu wissen, mitten in eines Ihrer komplizierten Komplotts hineinmarschiert bin?« Blord grinste. »Es ist möglich«, gab er zu. »Und jetzt hören Sie zu, was Sie tun sollen.« Er erklärte ihr kurz seinen Plan. »Natürlich kommt das alles ziemlich unvorbereitet für Sie, und es könnte auch sehr gefährlich für Sie werden. Aber wenn dieser Mann geistig behandelt worden ist, müssen wir versuchen, seinem Gedächtnis wieder auf die Sprünge zu helfen und ihn aus der Reserve zu locken, solange er aus seinem geistigen Gleichgewicht gebracht ist.« Sie war blass, doch nach einem Moment brachte sie ein unsicheres Lächeln zustande. »Schon gut. Fangen Sie an. Sobald Sie bei ihm sind, nehme ich meine Maske ab.« Blord stand auf. »So ist's recht.« In ihr Lächeln mischte sich leiser Spott, als er sich gerade umdrehen wollte. »Wenn das der Weg ist, wie man in Ihren Harem aufgenommen werden kann, dann werde ich zusehen, dass ich den Test mit Auszeichnung bestehe.« »Reden Sie keinen Unsinn«, gab Blord grob zurück. Dann ging er davon. Aus den Augenwinkeln heraus nahm Blord wahr, wie ein Dutzend seiner Männer unbemerkt den Tisch einkreisten, an dem Ellen Reith zurückgeblieben war. Andere, einschließlich
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einiger seiner weiblichen Agenten, stellten sich zu kleineren Gruppen außerhalb des inneren Ringes zusammen und bildeten so einen zweiten, stärkeren Verteidigungsring um sie. Es war alles, was er dir sie tun konnte. Dann wandle er seine Aufmerksamkeit dem Mann zu, den sie identifiziert hatte. Er lehnte selbstsicher an der Kristallbar und unterhielt sich gerade angeregt mit fünf von Blords Agenten Als Blord neben ihn trat, zog ihn der Mann geschickt mit in dag Gespräch hinein. »Ich hatte diesen Herren hier gerade von meinem letzten Besuch in der Skalburg erzählt«, meinte er vertraulich. »Da oben haben sie jetzt wieder eine ganze Menge neuer Frauen. Zugegeben, es ist nicht gerade billig, aber Sie werden keinen einzigen Stellor bereuen.« Der Mann hatte den Satz kaum zu linde gesprochen, als Blord sich vor ihm aufbaute. »Schluss damit, Mann!« sagte er mit gedämpfter Stimme. »Sieh dir lieber die Frau an dem Tisch da drüben an. Der Boss will wissen, ob du sie kennst.« »Wieso?« entfuhr es dem Mann. «Sie gehören doch nicht zu ...« Er brach ab und drehte unwillkürlich den Kopf, um in die Richtung zu sehen, in die Blord gedeutet halte Alle Farbe wich aus seinem Gesicht. »Aber sie ist doch tot!« brachte er atemlos hervor. »Die Polizei hat gesagt ...» Wieder brach er ab, diesmal aber unfreiwillig. Blord hatte auf den Aktivator eines seltsamen Instrumentes gedrückt. Wenn es mit seinem Rekorder synchronisiert wurde, den Blords Assistent, der hinter dem Opfer Position bezogen hatte, bei sich trug, so schickte das Instrument Nervenenergie entlang einer Million von Nervenbahnen. Diese Energie löste die Gedanken, durchbrach Zonen des Widerstands und trieb mit ungeheurer Heftigkeit all das an die Oberfläche des Bewusstseins, was mit jenen Gedanken in Verbindung stand, welche den Geist des Opfers in dem Augenblick beschäftigten, in dem ihn der Energiestoß traf. Aufgrund der kumulativen Wirkung konnte man mit dem Hauptgeständnis jedoch erst rund zwei Stunden nach Aufnahme
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der Energiedosis rechnen. Danach ließ die Wirkung dann rasch nach. Obwohl diese Erfindung im Grunde harmlos war, besaß die Regierung das Produktionsmonopol, und ihre private Benutzung war bei schwerster Strafe verboten. Es war eine» der unzähligen, kostspieligen Geräte, die Blord in der Koordinatenabteilung, wie er sie in Ermangelung eines besseren Namens getauft hatte, zusammengetragen hatte. Er mochte zwar Millionen von Menschen geben, die wussten, wie eines oder ein paar der zig Tausend Geräte funktionierten, aber Blord war der festen Überzeugung, dass er, der im Grunde kaum mit den Konstruktionsdetails vertraut war, als einziger Mensch so viele Erfindungen zu einem Aktionsmuster koordiniert hatte, da», einem Geist allein entsprang. »Gehen wir hinaus in den Garten«, sagte er jetzt gelassen. »Dann können Sie mir dir Einzelheiten erzählen!« Ein Gehirn, das nur jedem Vorschlag, der ihm gemacht wurde, gehorchen konnte, war nicht in der Lage, sich dieser Aufforderung zu widersetzen. Blord musste allerdings den Mann am Ellbogen führen, damit er nicht wie ein Betrunkener hin und her torkelte. Sie traten auf die Terrasse hinaus und gingen auf das im Dunkel liegende Ende des Gartens zu, der sich vor ihnen ausbreitete. Hier wartete das erste der beiden unsichtbaren Schiffe, das sich in die Luft erhob, sobald Blord mit seinem Gefangenen an Bord war. Er vergewisserte sich nur noch, dass das zweite Schiff / Landung im Garten ansetzte, dann konzentrierte er seine ganze Aufmerksamkeit auf andere Dinge. Fünf Stunden später tauchte er mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht aus dem Laboratorium auf Delfi II auf. »Die führenden Köpfe«, sagte er zu Evana Travis, »treffen sich also alte zwei Monate im Midnight Club, und die nächste Zusammenkunft ist für heute in zwei Wochen geplant. Ah, übrigens, haben Sie sich um ein Quartier für Miss Reith für diese Nacht gekümmert. Apropos wo ist sie überhaupt?«
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»Sie ist bisher noch nicht gekommen.« Evana sah verwirrt aus. »Es ist wirklich seltsam. Sie hätte doch eigentlich schon vor ein paar Stunden hier eintreffen müssen.« »Wenn sie kommt«, begann Blord, »dann sagen Sie ihr...« Seine Stimme brach ab. Er hatte sich in den Sessel hinter seinem Schreibtisch setzen wollen, doch jetzt richtete er sich abrupt wieder auf. »Was?« rief er. An dem Eldofon auf seinem Schreibtisch leuchtete ein blaues Licht auf, das einen interstellaren Anruf ankündigte. »Gehen Sie dran«, murmelte er mit einer vagen Handbewegung. Dann ging er hinüber zum Fenster und flüsterte heiser: »Ich könnte mich ohrfeigen, dass ich mich mit dem Skal angelegt habe. Wenn ihr etwas zugestoßen ist ...« Er wurde von Evanas Worten abgelenkt und hörte mit einer Mischung aus Konzentration und Überraschung zu, was sie in das Eldofon sagte. Dann war er mit einigen raschen Schritten bei ihr und nahm ihr den Apparat aus der Hand. »Sie können mich nicht zum Narren halten«, fauchte er in die Muschel. »Der Skal beherrscht die menschliche Sprache nicht.« Aus dem Eldofon ertönte ein Lachen, das wie ein eisiger Hauch durch den Raum wehte. Es verklang, und statt dessen meldete sich eine mechanische Stimme: »Für Anrufe wie diesen, Artur Blord, benutze ich ein Hilfsmittel, mit dem sich Gedanken in Worte übertragen lassen. Ein ähnlicher Mechanismus wie der, der in deinem eigenen Kopf in Funktion ist. Hältst du es für unmöglich, dass ich in der Lage bin, die relativ einfachen physikalischen Energieprobleme zu lösen, die dabei auftreten?« Blord hielt nichts für unmöglich. Das Ganze war ihm völlig klar. Blieben nur noch die Fragen: Wie hatte der Skal es herausgefunden, und warum rief er jetzt an? »Komm zur Sache«, forderte er das Tier abrupt auf. Wieder erklang das eisige Lachen. »Ist es möglich, Artur Blord, dass meine große Achtung vor dir nicht auf Erwiderung
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stößt? Ich habe mit Bewunderung deine bemerkenswerten Bemühungen verfolgt, die Tatsache zu verschleiern, dass Ellen Reith noch am Leben ist. Ich kann offen und ehrlich sagen, dass ich selbst unter denselben Umständen es nicht hätte besser machen können.« »Hör zu!« begann Blord, aber die Stimme fuhr unbeirrt fort, ohne sich durch die Unterbrechung stören zu lassen. »Zuerst waren meine Nachforschungen nur routinemäßiger Natur. Ich war einfach daran interessiert, welche Schiffe und Piloten sich den offiziellen Angaben nach im Umkreis von mehreren Sternendistanzen um das Wrack aufgehalten hatten. Es interessierte mich, ob die Fingerabdrücke der Toten an Bord mit denen Ellen Reiths übereinstimmten. Natürlich nahmen solche Nachforschungen ein bisschen Zeit in Anspruch, aber es dauerte nicht lange bis ich das wusste, was ich wissen wollte. Genau wie du es wahrscheinlich an meiner Stelle getan hättest, wollte ich mich nicht mit dem äußeren Anschein zufrieden geben, und so hatte ich am Ende des dritten Sterntages ...« „Was hast du mit ihr und meinen Agenten gemacht?« unterbrach Blord ihn tonlos. »Was willst du?« Die Antwort war ein rauer Laut der Belustigung, der von der mechanischen Stimme abgelöst wurde. »Wie ungeduldig wir heute sind! Mein Sieg ist für mich von großer Wichtigkeit, wie du wissen musst. Ich befinde mich in der äußerst heiklen Lage, mein Ansehen bei einem ganz speziellen Typus der menschlichen Rasse behaupten zu müssen. Die Schurken, die mein Heim bewohnen, müssen überzeugt sein, dass ich sie einzeln und kollektiv unter allen Umständen beschützen kann. Es passte eigentlich gar nicht in meinen Plan, dass du einen von ihnen aus dem Midnight Club mitgenommen hast, und ich zerbreche mir noch immer den Kopf über die Art und Weise, wie du das fertig gebracht hast. Jedenfalls musst du diesen Mann sofort wieder freilassen.« »Und?«
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»Dafür werde ich Miss Reith und deine Agenten wieder auf freien Fuß setzen.« Blord wartete. Auch der Skal schwieg. Ein feiner Schweißfilm bildete sich auf Blords hagerem Gesicht. »Ist das alles?« fragte er schließlich. »Und wo ist der Haken?« »Es gibt keinen Haken.« »Du willst etwa fünfzig Männer und eine Frau samt einem Raumschiff gegen einen kleinen Ganoven austauschen?« fragte er mit unverhohlener Verwunderung. »Einer - oder eine Million. Wo es so viele von euch gibt, ist es schwer, der bloßen Anzahl einen Wert beizumessen.« Blords Hand fuhr über den Justierer der Eldoplatte, doch der Schirm blieb dunkel. Es wollte kein Bild erscheinen. Ihm fiel etwas ein, und er meinte: »Ich verstehe. Das ist der Gefallen, den du mir vor ein paar Monaten versprochen hast. Hab' ich recht?« »M-i-s-t-e-r Blord!« Es lag keine Verärgerung oder ein Vorwurf in der mechanischen Stimme, aber das lang gezogene Mister implizierte irgendwie eine gewisse Gefühlsregung. »Glaubst du im Ernst, Artur Blord, dass ich mich so weit erniedrigen würde, deine Freunde zu entfuhren und sie dann wieder freizulassen, um so auf billige Weise ein Versprechen zu erfüllen, das ich dir gegeben habe?« Der metallene Ton der Stimme schien noch intensiver zu werden. »Ich verlasse mich gänzlich auf deine unübertroffene Logik.« Für Blord war das Ganze so deutlich wie der Unterschied zwischen Tag und Nacht. Der Skal war eben so. Menschliche Maßstäbe ließen sich auf ihn einfach nicht anwenden. Eine fünfzig Fuß lange Echse, die Männer ermorden ließ und Frauen versklavte, war nicht krimineller als ein Mensch, der Echsen züchtete und tötete; nur dass vom menschlichen Standpunkt aus gesehen dieses Ding wie eine giftige Schlange ausgerottet werden musste. »Aber jetzt genug davon«, rasselte der Skal. »Du hast bis morgen Mittag Zeit, dich zu entscheiden. Auf Wiedersehen,
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mein bewundernswerter Freund. Heute Abend bist du nicht sehr klug gewesen, aber ich könnte mir vorstellen, dass die Lady etwas damit zu tun hat.« Der Skal lachte. Dann zeigte ein Klicken an, dass die Verbindung unterbrochen war.
9 Der Kriegsrat lief nicht gut. Blord saß in dem Sessel hinter seinem Schreibtisch und brütete vor sich hin. Der wohlbeleibte, dickgesichtige Mann, der auf Blords dringenden Aufruf hin gerade angekommen war, hatte sich in dem großen Lehnstuhl zu Blords Linken niedergelassen. Ein schlanker, aber kräftig und energisch aussehender junger Mann mit kalten grauen Augen, der sich eine Zigarette nach der anderen ansteckte, stand mit dem Rücken gegen einen Türpfosten gepresst, das Gesicht Blord zugewandt. Doc Gregg hockte auf dem Fenstersims. »Was meinte der Skal eigentlich, als er sagte, er verließe sich ganz auf Ihre Logik«. wollte Evana wissen, die zu Blords Rechten saß. Blord gab keine Antwort, und auch die anderen durchbrachen nicht die abrupte Stille, die auf ihre Worte eintrat. Er war keineswegs verärgert, dass sie eine Frage gestellt hatte, auf die es eine so offensichtliche Antwort gab. Tatsächlich war es vielleicht nach dem gestrigen Abend, an dem er seine geistige Unfruchtbarkeit offenbart hatte, während der Skal mit ihm gesprochen hatte, gar keine schlechte Idee, seine gesamte Auffassung von Dummheit zu korrigieren. Er lächelte freudlos und bemerkte dann erfreut, dass die vorwurfsvolle Reaktion auf ihre Frage sie offensichtlich nicht aus der Fassung bringen konnte. Es war, dachte er bei sich, ein weiterer Beweis für ihre erstaunliche Entwicklung. Schlank, elegant und selbstbeherrscht saß sie da und fuhr nach einem Augenblick gelassen fort: »Wenn der Skal so dumm war, fünfzig Leute gegen einen einzelnen auszutauschen, dann ist das seine Schwäche, nicht 61
unsere. Wir müssen uns in Zukunft nur ganz einfach vorsehen, dass wir seine Festungen nicht mehr betreten und fahren so fort, als sei diese ganze Sache nicht passiert. Immerhin agiert er nur über Männer, die Mr. Blord mit Sicherheit nicht das Wasser reichen können.« Blord schenkte ihr ein schwaches Lächeln. »Wir dürfen nicht vergessen, dass die Intelligenz, gegen die wir kämpfen, nicht menschlich ist. Offen gestanden kann ich mir nicht vorstellen, wie man den Skal überlisten könnte, der nichts glauben will, bis er seine eigene Art von Tensorlogik angewendet hat.« Er seufzte. »Es ist die alte Geschichte. Als ich hier zu den Ridge Stars hinaus kam, habe ich geschworen, dass ich nicht versuchen würde, ein Reformator zu werden. Jeden Tag werden eine Million schwerer Verbrechen in den Ridge Stars begangen. Wenn ein Einzelner etwas dagegen unternehmen will, ist es dasselbe, als wollte er versuchen, während eines Lebens ein Millionstel aller Sonnen in der Galaxie zu besuchen. Darüber hinaus wird Ihnen Magrusson erklären, dass ich mit jedem Tag, den ich mich nicht um meine Geschäfte kümmere, zehn Millionen Stellors oder noch mehr verliere. Und trotz all dieser Argumente«, schloss er in einem Anflug von Schwermut, »muss ich mich mit dem unbesiegbaren Skal anlegen.« Der dicke Mann nickte. »Jetzt reden Sie endlich einmal vernünftig, Artur. Sehen Sie, ich habe Ihnen eine ganze Schiffsladung wichtiger Papiere mitgebracht. Sie werden sicher einen Monat brauchen, sie zu lesen, ganz zu schweigen davon, sie zu genehmigen. Wie wär's also, wenn Sie die ganze Sache mit dem Skal vergessen und sich gleich an die Arbeit machen?« »Was meinen Sie, Cantlin?« entgegnete Blord. Der hagere, grauäugige Mann zuckte die Achseln. »Es war ein ganz schöner Schock für mich, als Sie mir sagten, vor welcher Aufgabe wir stehen.« Blord wandte sich an Ellen Reith, die bisher schweigend
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zugehört hatte. »Und Sie, Miss Reith?« Er sah, dass sie die Stirn runzelte. Sie hob den Kopf und musterte ihn mit einem verwirrten, abschätzenden Blick. »Mir geht es wie Miss Travis. Ich würde gern wissen, was der Skal meinte, als er von Ihrer Logik sprach.« »Er wollte mich damit warnen«, erklärte Blord mit einem Blick, der beide Frauen einschloss, »seine Männer in Ruhe zu lassen, bis ich ihn selbst vernichtet hätte. Mit anderen Worten, er hat mit direkt herausgefordert, und er ist davon überzeugt, dass ich diese Herausforderung nicht annehmen werde.« »Ach so!« sagte Evana mit großen Augen. »Natürlich«, fuhr sie dann fort, »darauf hätte ich von selbst kommen müssen. Aber was ist mit ...« Sie brach ab. »Mr. Blord«, erklärte Ellen Reith ernst, »ich sehe keinen Sinn darin, wenn Sie weitermachen. Wir haben es doch ganz offensichtlich mit einem - einem Etwas zu tun das unsere Aktionen als das Spiel von Kindern betrachtet.« »Wir sind Teil des Zoos«, erwiderte er mit düsterer Stimme, »mit dem er sich die Zeit vertreibt.« Er starrte nachdenklich auf den Boden. Dann schien er plötzlich zu einer Entscheidung gekommen zu sein, denn er hob abrupt den Kopf und sprang auf. »Cantlin!« Seine Aktivität kam so unerwartet, dass fast alle im Raum zusammenzuckten. Nur Cantlins Miene blieb unbewegt als er sich streckte. »Zahlen Sie allen Ihren Agenten einen Bonus von tausend Stellors und sich selbst fünfundzwanzigtausend aus. Sorgen Sie dafür, dass sie alle in der Stadt sind, für den Fall, dass wir uns verteidigen müssen. Und im übrigen vergessen Sie den Skal und seine ganze Bande.« »Verstanden, Mr. Blord! Bis dann.« Cantlin öffnete die Tür und schlenderte aus dem Raum. Nachdem er verschwunden war, nickte Blord Evana zu, die zurücknickte - zum Zeichen, dass sie verstanden hatte. Dann folgte sie Cantlin hinaus.
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Schweigen breitete sich in dem Büro aus. Schließlich ergriff Ellen Reith das Wort. »Deshalb also dieses ganze melodramatische Getue! Wann haben Sie herausgefunden, dass Cantlin Sie betrog?« »Was?« Magrusson schnappte nach Luft. »Was heißt das?« Blord verzog den Mund zu einem schwachen Lächeln. »Der alte Ärger mit ehrgeizigen jungen Männern, die sich als selbständige Unternehmer etablieren wollen. Nur er, Miss Reith, Miss Travis und ich wussten im voraus, dass wir dem Midnight Club einen Besuch abstatten wollten. Gestern wurde bei einer großen Bank eine Summe von zwanzig Millionen Stellors unter einem von Cantlins Pseudonymen eingezahlt, das mir, wie er glaubte, nicht bekannt war. Ich hoffe, wir haben ihn täuschen können. Der Skal hat sich nach Kräften bemüht, mich davon zu überzeugen, dass er allmächtig ist. Er profitiert nämlich von der abergläubischen Ehrfurcht, die wir Menschen vor ihm haben.« »Wollen Sie damit andeuten, dass Sie Ihre Pläne doch weiterverfolgen?« fragte Magrusson. Blord gab keine Antwort. Er nahm gerade den Hörer der Bürosprechanlage ab. Auf der Sichtplatte erschien Evanas Gesicht. »Marian sagt, dass sie alle Ihre Haupteldos und lokalen Telefone, die mit den Labors auf den genannten Planeten verbunden sind, überprüft hat, Mr. Blord. Wenn wirklich Sucher an ihnen angebracht worden waren, dann muss es mit einer Fertigkeit geschehen sein, die über Marians Möglichkeiten hinausgeht, wie sie sagt. Ich glaube aber, dass Sie jetzt sicher Ihre Geheimanrufe über den Äther schicken können.« »Danke, Evana. Und was ist mit dem Apartment?« »Es ist alles bereit, Mr. Blord. Nummer 72. Ist das in Ordnung?« »Ja, sicher«, antwortete Blord. »Ich glaube, Sie gehen jetzt besser auch langsam schlafen. Es ist schon ziemlich spät. Gute Nacht.« Er legte auf und erhob sich. »Ihr Apartment ist fertig, Miss Reith. Ich denke, Mr. Magrusson wird es Ihnen gerne
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zeigen.« »Apartment 72«, sagte er dann zu Magrusson gewandt. Morgen werden wir uns nach etwas Besserem umsehen, aber für eine Nacht wird es wohl gehen.« »Schlafen Sie gut«, verabschiedete er sich mit einem Lächeln von Ellen Reith. Der enttäuschte Ausdruck auf ihrem Gesicht verschwand schnell wieder. Als sie Magrusson hinausfolgte, drehte sie sich noch einmal kurz nach ihm um.
Eines Nachmittags, mehr als eine Woche später, öffnete sich die innere Tür zu Evanas Büro. Als sie den Kopf hob, ,ah sie zwei Männer aus Blords Büro auftauchen, die eine Kiste trugen. Aus dem Nebenraum drang lautes Lachen zu Ivana herein, ein Lachen, das so fröhlich und offen klang, dass auch sie unwillkürlich lächeln musste. Ihr Gesicht wurde wieder ernst, als die massige Gestalt von Magrusson und Türrahmen zum inneren Büro erschien. Seine Miene war düster. Er schloss die Tür und starrte das .Mädchen traurig an. Schließlich schüttelte er den Kopf und stöhnte. »Er ist verrückt! Wenn jeder das bekommen wurde, was er verdiente, dann würde er alles verlieren, was er besitzt. Haben Sie diese Kiste da gerade gesehen?« I r deutete vage in Richtung der Außentür, durch die die beiden Männer verschwunden waren. »Papiere zu Geschäften mit einem Wert von neunzig Millionen Stellors Und wissen Sie, was er in der letzten Woche damit gemacht hat?« Evana Travis blieb ruhig. Sie kannte die Antwort, und irgendwie spürte sie sogar Mitleid mit dem rundlichen Direktor. Magrusson begann wieder zu zittern, als ob der Gedanke an das, was jetzt kommen würde, ein ganzes Bündel neuer Nerven zum Vibrieren gebracht hätte. »Nichts! Das hat er gemacht. Und jetzt hat er mir einfach eine
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Vollmacht ausgestellt, in der er mich autorisiert, das Ganze routinemäßig zu erledigen, ohne auch nur einen einzigen Blick darauf zu werfen, wohlgemerkt. Er weiß überhaupt nicht, worum es geht und hat sich auch nicht ein einziges Blatt angesehen. Ich werde«, sagte Magrusson mit plötzlicher Entschlossenheit, »Selbstmord begehen, wenn das noch lange so weitergeht. Aber natürlich. Wie konnte ich das vergessen.« Er zog sich zurück und musterte sie vorwurfsvoll. »Sie halten ihm ja die Stange!« Evana erwiderte seinen Blick gelassen. »Das Problem bei Ihnen ist, dass Sie ein Genie nicht erkennen, wenn es vor Ihnen steht.« Ihre Stimme nahm einen ätzenden Unterton an. »Was sind denn schon ein paar Millionen Stellors? Er kann ja doch unmöglich all das Geld ausgeben, das er bisher gemacht hat.« Magrusson funkelte sie an. »Sie sind genau wie alle anderen Frauen hier. Der große Artur Blord kann einfach nie etwas falsch machen. Wenn ich an diese Physikerinnen in einem Dutzend Laboratorien auf ebenso vielen Planeten denke, die sich selbst und ihre Assistenten ständig antreiben - wissen Sie, dass die meisten von ihnen noch nicht einmal zum Schlafen nach Hause gehen — dann frage ich mich, wohin das Universum geraten ist.« Er hob den dicken Arm und deutete zitternd auf die Tür, durch die er gerade gekommen war. Seine Stimmte bebte. »Wissen Sie, was er da drinnen gerade macht? Er feuerte Kanonen ab! Hunderte von Kanonen! Er hat eine der Wände niedergerissen, das Modell eines Raumschiffs und der Skalburg gebaut und jetzt feuert er abwechselnd von einem auf das andere. Aber natürlich, das wissen Sie ja längst!« Er brach ab, als ob er wieder zu Atem kommen müsste und fuhr dann hastig fort: »Sie haben ihm bei diesem verrückten Plan, den Skal zu vernichten, unterstützt. Miss Travis« - seine Stimme wurde bittend - »wenn Sie Artur Blord schätzen, und wenn Sie irgendwie Einfluss auf ihn haben, dann versuchen, Sie, ihn umzustimmen. Der Skal hat schon einige sehr intelligente
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junge Männer getötet. Er kennt kein Erbarmen. Er weiß noch nicht einmal, was Mitleid heißt. Auf seine seltsame Art scheint er Vergnügen daran zu finden, Katz und Maus mit den Karrieren Einzelner zu spielen. Er hat einen unmenschlichen Spaß daran, seine Opfer an der Nase herumzuführen, bis er sie schließlich mit Schadenfreude in einen speziell vorbereiteten Abgrund stößt.« Die eindringlichen Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Evana fühlte, wie ihr unwillkürlich ein kalter Schauer über den Rücken lief. Sie sah, dass Magrusson ihre Reaktion bemerkt hatte. Er warf ihr einen flüchtigen, nachdenklichen Blick zu und fuhr dann in drängenderem Ton fort: »Ich gebe zu, dass Artur Blord ein Mann mit ungewöhnlichen Fähigkeiten ist. Und ich glaube, dass ein Mann wie er nur alle hundert Jahre einmal geboren wird. Aber was er jetzt vorhat, ist einfach verrückt. Gewöhnlich hat er in dieser Entwicklungsstufe eines Vorhabens schon lange einen festen Plan, etwas Konkretes. Er hat mir gerade eben selbst gesagt, dass er nicht versuchte, eine neue Waffe zu entwickeln. Und außerdem, es ist einfach lächerlich. Auch ein Artur Blord kann nicht einfach völlig neue Energiewaffen herbeizaubern, indem er eine Handvoll Verehrerinnen mit der Entwicklung beauftragt.« Wieder hielt Magrusson inne, um Atem zu holen. »Diesmal hat er sich überschätzt, und jetzt ist es Aufgabe seiner Freunde, ihn vor sich selbst zu retten. Auf Sie wird er hören. Meiner Meinung nach werden Sie seine erste Sekretärin sein, die länger bleibt. Aber Sie möchten doch sicher nicht die Sekretärin eines toten Mannes sein, oder?« »Nein«, erwiderte Evana liebenswürdig. Magrusson öffnete den Mund, um fortzufahren, aber dann musste ihm das schwache Lächeln auf ihrem Gesicht wohl gezeigt haben, dass ihr Nein keine Antwort speziell auf seine letzte Frage, sondern auf seine gesamte Bitte war Seine Miene verdüsterte sich. Er richtete sich schwerfällig auf und blitzte sie
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an. »Wissen Sie, was Sie sind? Sie sind genau wie alle anderen. Sie ...« Er wurde unterbrochen, denn in diesem Augenblick wurde die Tür von Blords Büro aufgestoßen, und Artur Blord kam hereingestürmt. »Sie haben es!« rief er. »Das Labor hat gerade angerufen. Sie haben die Methode, Evana.« Erst jetzt schien er Magrusson zu bemerken. »Sie sind noch immer hier?« brummte er. »Na, ist ja auch egal. Sie kommen mir sowieso gerade recht. Suchen Sie mir jemanden, den ich zum Skal schicken kann, einen Mann, der eine Botschaft überbringen soll.« »Eine Botschaft?« Magrussons Stimme klang unsicher. »Er soll dem Skal sagen, dass ich möchte, dass er ein Raumschiff zerstört, das heute in sechs Tagen, also nächsten Samstag, um 008 Sternstunden seine Burg anfliegt. Lassen Sie ihm ausrichten, dass dies der Gefallen ist, den er mir vor ein paar Monaten versprochen hat. Alles klar?« »Ja, aber ...« Evana fiel dem verwirrten Magrusson ins Wort. »Und wer wird in dem Schiff sein?« wollte sie hastig wissen. »Ich«, gab Blord ruhig zurück. »Der Skal wird mir einen Gefallen tun und sich selbst vernichten « Magrusson stöhnte auf und verließ den Raum, wobei er mit den Händen wild in der Luft gestikulierte und irgend etwas über Wahnsinn und Geisteskranke murmelte. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, wandte sich Blord mit ernster Miene zu Evana. »Es wird ganz bestimmt keine Vergnügungsfahrt werden. Ich halte es für besser, Ihnen einige Anweisungen für den Fall zu diktieren, dass mein Plan fehlschlägt.« Als ein paar Stunden später alles geregelt war, saßen sie da und sahen einander an. So ernst habe ich ihn noch nie erlebt, dachte Evana erschrocken. »Und was Sie betrifft, meine Liebe ...«, sagte Blord schließlich.
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»Ja?« »Ich werde entsprechende Anweisungen hinterlassen, dass Sie dann nach Doridora III zu Ihrer Schwester gebracht werden.« Evana sah ihn nicht an. »Danke«, sagte sie leise. Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Schließlich begann das Mädchen. »Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so reden würde, Mr. Blord, aber - Ellen Reith hat mich vor ein paar Tagen besucht.« Sie wurde rot. Als sie nicht fortfuhr, sah Blord sie an, sagte aber nichts. Endlich brachte sie mit mühsam beherrschter Stimme heraus: »Als ich vor Monaten zum ersten Mal herkam, hatte ich ziemliche Angst vor Ihnen. Mr. Delaney hatte mir gesagt, ich müsse darauf gefasst sein, dass Sie ...« Wieder brach sie ab. »Ich ... war damals zutiefst bestürzt«, fuhr sie verlegen fort. »Ich wollte nicht ... Aber jetzt ... Ist es nicht albern ...?« Wieder stockte sie, diesmal plötzlich verärgert. »Muss ich denn alles sagen?« Blord erhob sich aus seinem Sessel und sah mit einem sanften seltsamen Lächeln zu ihr herunter. »Ich möchte nicht, dass Sie irgend etwas tun, das sie später vielleicht bereuen, Evana.« Evana beugte sich vor und ergriff seine Hände. »Ich wundere mich über mich selbst«, sagte sie. »Aber die Ridge Stars lassen einen schneller reifen, als man sich vorstellen kann. Als ich mich neulich mit Ellen Reith unterhalten habe, wurde mir plötzlich bewusst, dass ich irgendwie darauf wartete, dass Sie mich heiraten. Und dann kam ich mir auf einmal albern vor, dass ein naives dummes Ding wie ich glaubte, einen so freien Mann wie Sie in einen Käfig sperren zu können.« Artur Blord lachte leise. »Als Delaney und seine Männer Sie damals ausgewählt haben, ist das gewiss nicht zufällig geschehen. Sie haben schon gewusst, warum sie ausgerechnet Sie wollten. Der Mann, der Sie einmal heiraten wird, wird ein sehr glücklicher Mann sein.« Sie seufzte. »Der Mann, der mich heiraten wird ...«, echote
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sie dann. »Ich darf wohl annehmen, dass das Ihre Antwort ist. Aber ich werde später noch einmal darauf zurückkommen, Mr. Artur Blord; also denken Sie nicht, dass das Thema damit beendet ist. Und machen Sie sich bitte keine Gedanken meinetwegen. Ich versuche, so zu werden, wie es der Ridge StarManier entspricht, und ich werde sehr böse, wenn Sie versuchen, mich daran zu hindern.« Blord hob sanft ihre Hand. »Gutes Mädchen!« sagte er weich.
10 Blord spürte, wie sich seine Nerven anspannten, als sein Schiff in die Umbra von Delfi I eintrat und sich der Skalburg näherte. Er war noch zu weit entfernt, als dass er die dunklen Konturen jenes seltsamen und uralten Gebäudes, der Skalburg, hätte ausmachen können. Aber es würde jetzt nicht mehr lange dauern. Die Uhr auf dem abgedunkelten Instrumentenpult zeigte sieben vor acht an; um Punkt acht, so hatte der Skal dem Boten versprochen, würde er Blords Bitte erfüllen. Ein Geräusch unmittelbar hinter ihm riss ihn aus seinen Gedanken. Blord zuckte zusammen und wirbelte herum. Einen Augenblick saß er reglos da. Dann sagte er ausdruckslos: »Sie Närrin! Was haben Sie vor? Sich umbringen lassen?« Das feine Rot auf Ellen Reiths Wangen wurde noch intensiver. Sie stand schweigend vor ihm und biss sich auf die Lippen. Ihre leuchtend blauen Augen waren halb geöffnet, der Blick leicht umwölkt. »Ich wollte eigentlich nicht aus dem Versteck herauskommen, bis - danach«, erwiderte sie dann. »Aber es liegt so ein seltsamer Druck auf den Geist in der Luft. Ich weiß, dass es nicht aus meinem Kopf kommt. Es ist mechanisch, wie Energiewellen, die die Wellenlänge meines Gehirns gefunden haben. Sie haben mir doch erzählt, dass der Skal Gedanken lesen 70
kann und ...« Blord fiel ihr ins Wort. - »Zurück!« befahl er scharf. »Verstecken Sie sich in dem gepanzerten Schott. Schnell! Ich fühle den Skal.« Sie setzte sich in einen der Sessel hinter ihm. Ellen Reith war sehr blass, aber sie schüttelte den Kopf. »Sie verstehen nicht«, gab sie ruhig zurück. »Ich bin an Bord gekommen, weil ich nicht weiß, was ich tun würde, wenn Sie getötet werden. Und jetzt kümmern Sie sich bitte nicht mehr um mich«, fügte sie hastig hinzu. Zu einer Antwort bleib ihm keine Zeit mehr. Genau im Schatten der dunklen Burg kam das Schiff zum Stillstand. Und etwas hastete nach seinem Geist. Etwas - das Bild eines langen Reptilkörpers - glitt in sein Gehirn. Diesmal war das Gefühl nicht unangenehm, vielleicht weil sich der Skal in einer höchst vergnügten Stimmung wirklicher Belustigung befand, die fast schon menschlich zu sein schien. Ausgelassenes Lachen erfüllte Blords Geist, ein Lachen, aus dem sich ein Gedanke formte: »So treffen wir uns also wieder, Artur Blord. Glaubst du wirklich, du könntest mich täuschen?« Wieder stieß der Skal ein lautloses und nicht unfreundliches Lachen aus, dem aber ein Gedanke folgte, der die Herausforderung seiner Anwesenheit annahm. »Für die Vermessenheit, die du gezeigt hast, Artur Blord, wirst du heute Abend sterben. Ich werde dafür Sorge tragen, dass der Gefallen, um den du gebeten hast, ganz genau nach deinem Wunsch erfüllt wird: Dein Schiff mitsamt seinem Inhalt wird um exakt 008 Sternstunden zerstört werden. Da nützen dir auch nicht die Polizeischiffe, die du mit dem voreiligen Versprechen, mein Heim zu zerstören, hast überreden können, dir zu folgen. Und jetzt habe bitte einen Augenblick Geduld, während ich versuche, in deinem Geist deinen Plan zu lesen.« Es war still in der Kabine, und Blord spürte, wie der Skal seine Gedanken abtastete. Schließlich lachte er leise »Du liest, wie ich
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hoffe, gerade meine Gedanken?« erkundigte er sich dann interessiert. »Erforschst du meinen Plan? Suchst nach Mitteln und Wegen, wie du ihm entgegenwirken kannst? Oder entdeckst du vielleicht gerade«, fuhr er mit einem Anflug von Sarkasmus fort, »dass du meine Gedanken nicht lesen kannst. Nur eine einfache kleine Erfindung«, erklärte er bescheiden, »die sich eine meiner ... eh ... Frauen - so würde es Miss Reith wohl ausdrücken - ausgedacht hat. Ein Gerät, das auf die Wellenlänge der Nervenenergie des Gehirns eingestellt ist und alle Gedanken außer den stärksten, die an der Oberfläche liegen, verwirrt. Es ist keine neue Erfindung, musst du wissen. Sie wurde schon vor ein paar tausend Jahren gemacht und geriet dann wieder in Vergessenheit. Wenn du je in meiner Koordinatenabteilung gewesen wärst, wüsstest du, dass sie alle möglichen ähnlich nutzlosen und vergessenen Dinge enthält, die sich für Artur Blord bei seinen Unternehmungen oft als äußerst hilfreich erweisen. Aber nun ist es Zeit zum Handeln. Wirklich ein Jammer, dass ich ein so altes Gebäude wie deine Burg zerstören muss. Und leider muss ich jetzt auch unser so interessantes Gespräch beenden. Heute Abend bist du nicht sehr klug gewesen, mein bewundernswerter Freund«, spottete er. »Ist es möglich, dass auch du langsam zu der Überzeugung kommst, dass Artur Blord nur einen offiziellen Zug macht, wenn er weiß, dass ihm der Sieg sicher ist?« Der Skal zeigte sich unbeeindruckt. Wieder spürte Blord die unnatürliche Belustigung seines Gegners, und eine Welle nackter Furcht überlief ihn. »Es gibt ein altes Sprichwort der Menschen«, lachte der Skal, »das heißt: Wenn du zweifelst, dann handle. Ich werde jetzt also ganz speziell für dich meine Waffen unverzüglich einsetzen, Waffen, die in der Vergangenheit Schiffe wie deines in einem Schlag zerstört haben. Du wirst doch sicher nicht von mir erwarten, zu glauben, dass es dir in vierzehn Tagen gelungen ist, ein Supermetall oder einen Superenergieblaster zu entdecken, mit dem du mich
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besiegen könntest. Auf Wiedersehen, mein junger Gegner.« Blord wandte seine Aufmerksamkeit dem komplizierten Instrumentenpult zu. Er richtete seine Geschütze genau auf die dunklen Silhouetten der unzähligen Türme vor ihm, die wie gewaltige Schwerter den schwarzen Himmel durchbohrten. Er war noch immer mit der Zieleinstellung beschäftigt, als von jeder Zinne des seltsamen Gebäudes einer längst vergessenen Rasse ungeheure grüne Blitze auf ihn zuschössen. Und vom Bug bis zum Heck erstrahlte sein Schiff in einem grellen Funkeln, wie ein Diamant, der plötzlich einem unerträglich hellen Licht ausgesetzt wird.
11 Myriaden von Lichtern funkelten über Negor, einer Perle einer Stadt an den Ufern eines rastlosen Ozeans. Und das strahlendste unter all diesen Lichtern war der Midnight Club mit seinen neunzig Eingängen am berühmten Blord Crescent Drive. Draußen war alles hell erleuchtet. In sämtlichen Spielsälen drängten sich Spieler, und in den Barräumen wimmelte es von gutgekleideten Männern und Frauen. Doch tief im Innern der massiven Gebäudeansammlung, die den Midnight Club bildete, hatten sich rund fünfzig maskierte Männer in einem großen, dämmrigen Raum versammelt und lauschten selbstgefällig einem aus ihren Reihen. »Wie Sie alle wissen«, sagte der Sprecher gerade, »ist dies der Abend, an dem der große Artur Blord unseren Gönner, den Skal, vernichten wollte.« Leises Lachen erfüllte den Raum. Der Mann winkte mit der Hand um Ruhe und fuhr dann fort: »In Anbetracht der Tatsache, dass eines unserer«, sein Ton wurde ironisch, »neueren Mitglieder den Skal vor sechs Tagen informiert hat, dass Blord höchstpersönlich an Bord des Schiffes sein würde, das der Skal auf dessen Wunsch hin zerstören sollte, und da es inzwischen 73
weit nach Mitternacht ist ...» Seine Stimme brach ab, und seine Augen hinter den Schlitzen der Maske wurden groß. Türen öffneten sich, und bewaffnete Männer strömten in den großen Raum. Gleichzeitig wurde es taghell, und eine Stimme, die so hart wie Stahl sagte: »Wer sich von der Stelle rührt, ist ein toter Mann! Durchsucht sie!« Die Überraschung war total. Die Maskierten verharrten regungslos in ihren Positionen. Fünf Minuten später zeugte ein Stapel Handwaffen von der Gründlichkeit der Eindringlinge. Einer von ihnen rief jetzt: »Okay, Boss.« Dann betrat Artur Blord den Raum, gefolgt von Ellen ReithUnd seltsam, für einen Augenblick stand sie, und nicht Blord, im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit. Sie trug eine prächtige Pelzjacke, die einen lebhaften Kontrast zu ihrem dunkelbraunen Haar bildete. Als ob sie sich ihrer Wirkung bewusst sei, trat sie ein paar Schritte vor und blieb dann mit einem kühlen, gelassenen Lächeln auf dem Gesicht stehen, während ihr Blick langsam über die maskierten Männer wanderte, die im Halbkreis vor ihr standen. Sie braucht solche Auftritte, dachte Blord, der sie beobachtet hatte, mit plötzlicher Belustigung. Sogar in dieser Situation genießt sie die Bewunderung, die man ihr zollt. Er schob den Gedanken beiseite. »Danke, Cantlin. Ich werde es kurz machen.« Seine Stimme nahm einen grimmigen Unterton an. »Meine Herren! Sie haben die Wahl zwischen Tod und Armut. Das sind die beiden einzigen Alternativen, die Ihnen bleiben. Ihr Geld oder Ihr Leben; und weil Sie es sind, werde ich diesmal meinem Prinzip, nur fünfundzwanzig Prozent der Gewinne zu nehmen, untreu werden. Diesmal will ich nicht mehr und nicht weniger als hundert Prozent. Oder sagen wir achtundneunzig, das reicht auch. Ich habe dabei ein ganz
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bestimmtes, sehr törichtes Mitglied Ihrer Versammlung im Sinn.« Sein Ton veränderte sich, wurde mokant. »Kommen Sie, meine Mörderfreunde; hier ist Ihre Chance, am Leben zu bleiben. Überschreiben Sie mir Ihre sämtlichen Gewinne, und ich werde Sie als Gegenleistungen der Fasser-Regierung übergeben, die Ihnen den Prozess machen wird. Sie können sich ja selbst die Aussichten auf eine Verurteilung bei einer Gerichtsverhandlung ausrechnen. Aber der Preis für dieses Privileg ist hoch, ihr Schurken: alles, was ihr besitzt Ich besitze ein entzückendes kleines Gerät, mit den, man Leuten die Wahrheit über solche Dinge wie geheime Bankkonten entlocken kann. Es gibt also kein Entkommen für euch.« »Das ist ungeheuerlich!« Es war der Mann, der in dem Augenblick gesprochen hatte, als Blords Männer in den Raum eingedrungen waren. Blord erschoss ihn ohne zu zögern. Ellen Reith schnappte nach Luft, aber Blord schenkte ihr keine Beachtung. »Los, los.« Seine Stimme war gnadenlos. »Versuchen Sie nicht, Zeit herauszuschinden. Ich habe keine Geduld mit solchen Mistkerlen, die die Skalburg mit entführten Frauen versorgt haben. Aha, wie ich es mir gedacht habe: Die kleine Lektion gerade hat also doch geholfen. Treten Sie in die Mitte vor, immer schön einer nach dem anderen. Zweifellos«, fuhr er in seinem ätzenden Ton fort, »können Sie mit der Zeit wieder zu Geld kommen, vorausgesetzt natürlich, es gelingt Ihnen, dem Arm des Gesetzes zu entkommen. - Nein, Dickerchen, du nicht. Für dich habe ich andere Pläne. Hier entlang, bitte.« Der Mann, auf den er gezeigt hatte, trat aus der Reihe. Seine Augen hinter den Schlitzen der Maske sahen glasig aus. Wortlos stand er neben Ellen Reith und blickte auf die Handschellen, die ihm zwei von Blords Agenten um die Handgelenke legten. Ellen Reith starrte ihn an, die Augen von einer plötzlichen Entdeckung geweitet. »Mr. Magrusson«, sagte sie atemlos.
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»Sie!« Der dicke Mann stöhnte, antwortete aber nicht. Gegen ihren Willen empfand sie Mitleid mit dem Mann »Was ist denn passiert?« wollte sie schließlich neugierig wissen. »Was haben Sie nur gemacht?« Magrusson zuckte die Achseln, und in seiner Stimme lag eine Spur von Bitterkeit, als er erwiderte: »Ich wollte natürlich mein eigener König sein. Also nahm ich mir einen Anteil an allen Transaktionen, um die sich Blord trotz meines Drängens nie gekümmert hatte. Ich machte eine ganze Geld; aber wie die meisten Männer, die mit einem ähnlichen Verlangen hier heraus kommen, erkannte ich, dass mehr als nur Geld dazu nötig ist, ein großer Unternehmer zu sein. Ich bin einfach nicht der richtige Mann dafür, das ist alles.« Ellen Reiths Neugier war noch nicht befriedigt. »Und wie sind Sie in diese Bande um den Skal geraten?« Langsam kehrte die Farbe in Magrussons Gesicht zurück, und seine Stimme klang fester. »Sie haben herausgefunden, was ich getan habe und mich dann erpresst.« Er brach ab. »Wissen Sie, was ich nicht verstehe? Was Cantlin hier macht. Ich weiß genau, dass er sich an den Skal verkauft hat.« Ellen Reith seufzte. Das war eine Sache, über die sie etwas wusste, weil sie selbst nämlich dabei als Liaison fungiert hatte. So hatte sie einen ziemlich genauen Einblick in die Art und Weise gewonnen, wie in den Ridge Stars Geschäfte abgewickelt wurden. »Artur hat Cantlin bestochen, wieder in seine Dienste zurückzukommen.« Das Ganze verblüffte sie immer noch, wenn sie daran dachte. Nie zuvor in ihrem relativ freien Leben hatte sie einem so offen geführten Gespräch beigewohnt. Cantlin hatte verlangt, dass das Bestechungsgeschäft sie einschloss, und sie hatten allein diesen Punkt über eine Stunde diskutiert. Magrussons Stimme unterbrach sie in ihren Gedanken. »Was ist mit dem Skal? Hat Blord ihn wirklich vernichtet?«
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Ellen nickte, und der überraschte Magrusson drängte sie zu einer näheren Erklärung. »Und wie?« »Das ist eine Frage«, erwiderte Ellen Reith, »die ich Ihnen nicht beantworten kann. Soweit ich sehen konnte, haben wir nicht einen einzigen Schuss abgefeuert, doch plötzlich begann die Burg, wie ein Kartenhaus in sich zusammenzufallen. Artur glaubt, dass es dem Skal gelingen wird, zu entkommen, aber wir wissen noch nichts Genaues, weil wir sofort hierher gekommen sind. Im Augenblick ist die Polizei in der Burg; sie haben bereits einen Teil der Waffen des Skal sicherstellen können. Die Burg ist auf den Fall zerstört, aber wie das vor sich gegangen ist, kann ich Ihnen nicht sagen.« Später, in sein Büro auf Delfi II zurückgekehrt, betrachtete Blord seine Gäste. Magrusson saß schweigend da, während sich der gutaussehende Cantlin betont unbekümmert und lässig gab. Blord war überzeugt, dass der junge Mann im Augenblick weniger besorgt um seine Zukunft als vielmehr um den Eindruck war, den er auf Ellen Reith machte. Blord drehte sich in seinem Sessel um und musterte die junge Frau. Sie blickte bewusst gleichgültig in den Raum, und nur ihre leicht geröteten Wangen deuteten darauf hin, dass sie sich der Bewunderung in Cantlins Augen sehr wohl bewusst war. Blord warf einen Blick auf Evana und grinste. In ihrem Lächeln, mit dem sie seinen Blick erwiderte, lag Verständnis und Zustimmung. »Ich glaube nicht, dass Sie den gleichen Fehler zweimal machen werden, Magrusson«, sagte er. »Sie sind zu alt, und Sie sind schon zu lange bei mir, um ein selbständiger Unternehmer zu werden, und das wissen Sie.« Er stand auf, ging zu seinem Direktor hinüber und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Kommen Sie, alter Freund, die Arbeit ruft! Sie haben doch sicher Papiere für mich, die unterschrieben werden müssen!« Der dicke Mann hob seine blauen Augen und sah Blord stirnrunzelnd an. »Verdammt, Artur«, antwortete er, »Sie
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schaffen es, dass ich mich schäme, und das beweist, dass ich wirklich nicht der richtige Unternehmertyp bin.« Er erhob sich schwerfällig und verließ den Raum. »Und was werden Sie mit Mr. Cantlin anfangen?« fragte Ellen Reith. Blord wandte sich um und bedachte den jungen Mann mit einem kühlen, abschätzenden Blick. »Ich habe da ein riesiges Projekt, das gerade auf einem neu entdeckten Planeten, Deg III, anläuft. Ich würde ihm einen Anteil von fünfundsiebzig Prozent anbieten, wenn er die Leistung für mich übernimmt. Ich brauche einen Mann, der handeln kann. Ich wusste, dass er sich für den Job eignet, als er letzte Nacht die Exekutionen ausgeführt hat. »Er hat was?« In Ellens Stimme schwang Entsetzen mit. Blick suchte Cantlins Gesicht und wanderte dann wieder zurück zu Blord. »Sie werden doch nicht im Ernst angenommen haben, dass wir diese Bande mit dem Leben davonkommen lassen würden«, entgegnete Blord düster. »Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass es keine richtigen Beweise gegen sie gab. Und um so mehr, als der Skat ungeschoren davonkommen konnte.« Ellen Reith schwieg. »Sie sind beide schreckliche Männer«, sagte sie schließlich langsam. »Wie schrecklich, das habe ich erst seit gestern richtig angefangen zu begreifen. Aber reden Sie weiter. Was ist mit der Burg passiert?« »Die Burg - ach ja. Die Burg.« Blord wandte sich an Evana. »Erzählen Sie ihnen, was mit der Burg passiert ist.« Evana hatte mit leuchtenden Augen zugehört. Jetzt brach sie in ein Lachen aus, das fast an das Kichern eines Mädchen erinnerte. »Spiegel«, erklärte sie. »Das ist alles. Nur Spiegel.« Blord stimmte in ihr Lachen ein, bevor er dann mit offensichtlichem Vergnügen über seinen eigenen Scharfsinn fortfuhr: »Meine wundervollen Physikerinnen haben nach einem alten Richtstrahlprinzip Energiespiegel für mich zusammengebaut. Ich habe Ihnen ja gesagt, dass der Skal eine
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Niederlage erleiden würde, wenn er mir den Gefallen tun würde, um den ich ihn gebeten hatte. Und genau so ist es dann ja auch gewesen. Die Spiegel auf dem Schiff konnten dem grünen Feuer nur ein paar Sekunden standhalten, nicht länger wie auch die Burgmauern oder die Kanonen hinter ihnen, als sie von der Reflektion des Feuerstrahl getroffen wurden ...« Das hohe Schrillen des Eldofons im Nebenraum, da einen Interstellaranruf signalisierte, unterbrach Blord in seinen Ausführungen. Das Geräusch verstummte, als er in den Sichtbereich kam und wurde von einem leuchtend blauen Lichtsignal abgelöst, das erlosch, als Blord den Hörer aufnahm. »Artur Blord!« meldete er sich. Bevor er noch etwas sagen konnte, ertönte ein leises, metallisches Lachen. »Du bist noch raffinierte, als ich gedacht habe«, lobte der Skal. »Ich möchte dir jedoch versichern, dass ich keinerlei Groll gegen dich hege. Wenn wir uns das nächste Mal begegnen, werde ich meine Aktionen den Erfordernissen des Augenblicks anpassen. Auf Wiedersehen, mein schlauer Fuchs, und viel Glück.« Als Blord den anderen in kurzen Worten mitgeteilt hatte, was der Skal gesagt hatte, meinte Evana langsam: «Glauben Sie, dass er Ihnen wirklich nichts übel nimmt?« Artur Blord lachte leise. »Das Wichtigste ist doch, dass die Skalburg ein für alle Male zerstört ist. Ich glaube, damit sollten wir die Angelegenheit vergessen.« Sein Ton wurde energisch. »Und was Sie betrifft, Cantlin: Ihre Anweisungen müssten in etwa zwei Stunden fertig sein. Setzen Sie sich dann bitte mit Mr. Magrusson in Verbindung. Er wird den üblichen Vertrag für Sie bereithalten und Ihnen die Details Ihrer zukünftigen Arbeit erklären. Ich würde vorschlagen, dass Sie in der Zwischenzeit«, er blickte mit gerunzelter Stirn auf Ellen Reith, »Miss Reith unser schönes Suderea zeigen ...« »Vielen Dank, Mr. Blord«, unterbrach ihn Ellen Reith. Sie
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erhob sich und hakte sich bei Cantlin unter. Der junge Mann warf Blord einen flüchtigen Blick zu und schüttelte dann lächelnd den Kopf. »Sie ist ein harter Verhandlungspartner«, sagte er auf der Türschwelle. Ellen Reith blieb noch einmal stehen und sah kurz zurück. »Auf Wiedersehen, Mr. Blord. Es war mir ein Vergnügen.« Einen Moment später schloss sich die Tür hinter ihnen.
12 Blord lehnte sich träge in einem Sessel auf dem Sonnendach des Penthauses zurück. Durch die Rauchringe, die langsam von seiner Zigarette aufstiegen, betrachtete er Evana mit bewunderndem Blick. Sie stand auf dem Sprungbrett und trug einen leuchtend grünen Badeanzug - eine schlanke, graziöse Gestalt. Über den Swimmingpool sah sie zu ihm hinüber und winkte. Dann fasste sie mit einer raschen, geübten Handbewegung ihr langes, rotgoldenes Haar zusammen und steckte es unter eine gelbe Bademütze. Sie winkte noch einmal zu ihm hinüber und verschwand dann mit einem kleinen Sprung im blaugrünen Wasser. In einer Gischt von Wassertropfen tauchte sie wieder auf, schwamm zur Treppe, kletterte aus dem Pool und kam dann auf ihn zu. »Ich glaube, wir machen uns jetzt besser auf. Ich werde an Bord gehen, und Sie können dann kommen, sobald Ihr Gast eintrifft.« Blord lächelte. »Ich hoffe, es ist alles klar?« Evana, die gerade dabei war, sich abzutrocknen, unterbrach einen Moment und begann, an ihren Fingern abzuzählen: »Sie setzen mich bei meiner Schwester auf Doridora III ab. Ich bleibe fünf Wochen dort. Dann holen Sie mich früh morgens, Doridora-Zeit wieder ab - wenn ich auch nicht weiß, warum es genau zu dieser Zeit sein muss.« 80
»Ein größeres Geschäft, meine Liebe«, erwiderte Blord verbindlich. »Bis dann.« Er erhob sich und wandte sich in Richtung Penthaus auf die Aufzüge zu.
»Spezialagent«, stand auf dem Abzeichen. Während ihn der Aufzug in rasender Fahrt aufwärts trug, betrachtete Nadlin es verstohlen und grinste dann erfreut. Das Leben meinte es gut mit ihm. Obwohl es jetzt erst drei Jahre her war, dass er die Erde verlassen hatte, bekleidete er doch schon eine wichtige und einflussreiche Position in der Ridge Star Patrouille. Er fühlte einen Anflug von Verachtung für alle geringeren Kreaturen des Universums. Sollten solche Männer wie dieser Artur Blord ruhig ihr Geld machen. Nicht für zehnmal so viel, wie Blord durch den Vertrag, den er ihm anbieten sollte, verdienen konnte, würde er seinen eigenen aufregenden Job eintauschen. Nadlin wurde von dem Gedanken abgelenkt, als er merkte, dass ihn der andere Fahrgast, ein junger Mann, amüsiert beobachtete. Das Bewusstsein, dass sein Blick auf das Abzeichen und seine geheime Freude von seinem Gegenüber bemerkt worden waren, trieb ihm das Blut ins Gesicht. Mit rotem Kopf wandte er sich ab und sah sich selbst in einem Spiegel, der in die Vertäfelung eingelassen war. Das Glas reflektierte das Bild eines jungen Mannes mit einem verlegenen Ausdruck. Nach einem Augenblick grinste Nadlin seinem Spiegelbild schief zu. »Geschieht dir recht, alter Esel«, dachte er. Er erwartete, dass der andere in einem tieferen Stockwerk aussteigen würde - es handelte sich um ein Gebäude mit zweihundert Etagen -, aber als sie schließlich mit einem Ruck zum Stillstand kamen, sagte sein junger Gegenüber mit
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angenehmer Stimme: »Dieser Lift fährt nur bis zum hundertneunzigsten Stock, Mr. Nadlin. Der Aufzug zum Penthaus ist um die Ecke.« Nadlin starrte ihn verwirrt an. »Sie kennen mich?« Der junge Mann streckte seine Hand aus. »Mein Name ist Blord. Ich war unten, als man mir sagte, dass Sie mich sprechen wollten; also habe ich mir gedacht, ich fahre mit Ihnen zusammen hinauf und sehe Sie mir dabei gleich einmal an.« Sein Lächeln war einnehmend, nicht aber für Nadlin Langsam ergriff er die ausgestreckte Hand und fühlte wie seine eigene kräftig geschüttelt und dann wieder losgelassen wurde. Er hatte das Gefühl, jetzt am liebsten in den Fußboden zu versinken, auch wenn das hundertneunzig Stockwerke abwärts und das in freiem Fall bedeutete. »Aber, sehen Sie«, brachte er endlich mühsam hervor, „Sie können doch nicht der Artur Blord sein. Er ist der größte Unternehmer in den Ridge Stars, aber Sie sind nicht älter als ich. Sie ...« Nadlin schluckte und brach ab. Er versuchte, seine Gedanken zu sammeln und meinte dann ruhig: »Es freut mich, Sie kennen zu lernen, Mr. Blord.« Mühsam brachte er ein Lächeln zustande. »Ich hoffe, Sie werden mein Erstaunen entschuldigen. Ich bin mit dem Auftrag hier ...« »Wir können uns auf dem Weg nach oben unterhalten«, fiel Blord ihm ins Wort. »Hier entlang, bitte.« Er selbst allerdings hörte nicht auf zu reden, sondern benutzte die Gelegenheit, die Unterhaltung an sich zu reißen. Nadlin entging nicht, mit welcher Gewandtheit das geschah. Als sie den zweiten Aufzug betraten, sagte Blord gerade wie beiläufig: »Als man mir mitteilte, dass Sie mich sprechen wollten, fiel mir ein, dass mir irgend jemand erzählt hat, die Patrouille glaube, in meiner Schuld zu stehen, weil ich ... eh ... nun, für meine Hilfe, den Skal vor einem Jahr aus den Ridge Stars zu vertreiben. Natürlich können Sie es sich nicht leisten, einzelnen
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verpflichtet zu sein. Und als mir dann obendrein auch noch einfiel, dass mir jemand erzählt hat, die Polizei plane einen Angriff auf die noch kaum erforschte Sternengruppe Eastern Ridge, die noch nicht unterworfen ist, und dass sie dazu tausend Raumantriebssysteme des Galaktiktyps für die Patrouillenschiffe brauche, die im Augenblick im Geheimen gebaut werden, habe ich eins und eins zusammengezählt. Hier entlang, Mr. Nadlin.« Nadlin hörte kaum Blords Aufforderung. Er merkte, dass der Aufzug jetzt stillstand und folgte dem jungen Mann mechanisch über den Flur zu einer glänzenden Tür. Sein ganzes Denken war auf Blords sachliche Darstellung konzentriert. Die rasche, angenehme Stimme zögerte keine Sekunde »... und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass die Polizei mir den Auftrag für die Antriebe geben wurde, um auf diese Weise ihre Schuld bei mir einzulösen. Natürlich ist es nicht gut möglich, die Polizei in einer Schuld stehen zu lassen ...« Er blieb im äußeren Büro stehen und nahm eine Karte vom Schreibtisch, auf die er einen flüchtigen Blick warf. Dann ging er durch eine zweite Tür in ein größeres Büro. Nadlin folgte ihm auf dem Fuß. Hinter ihm fiel die Tür mit einem Knall ins Schloss, und Nadlin war allein mit dem dynamischen jungen Mann. »... also nehme ich den Vertrag an«, schloss Blord. »Wie sieht das Zeitlimit aus, Nadlin?« »Sie müssen innerhalb von zwei Monaten liefern«, antwortete der Polizist langsam. »Sehen Sie ...« Plötzlich wurde ihm bewusst, was er gerade gesagt hatte. Völlig überrascht brach er ab. »Lieber Himmel! Woher wissen Sie das alles?« fragte er dann verblüfft. »Es ist doch geheim! Wenn gewisse Leute in den Oststernen von unseren Plänen erfahren würden, dann ...« Ein Summen vom Schreibtischeldofon ließ ihn verstummen. Als sich Blord der Sichtplatte zuwandte, zog Nadlin sich zurück. Er war erleichtert über die Unterbrechung, denn es gab ihm Zeit, seine Ruhe wieder zu finden. Auf der Eldofonplatte erschienen
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Kopf und Schultern eines dicken Mannes, und Nadlin hörte in einer Mischung aus Begeisterung und Konzentration zu, was er dem Unternehmer zu sagen hatte. »Artur, ich habe Edee Calder wegen dieser Sache mit den Raumantrieben erwischen können.« »Und?« wollte Blord wissen. »Sie will das Erz nicht verkaufen. Und wir sollen von Yelt II wegbleiben.« Nadlin konnte Blords Gesicht zwar nicht sehen aber er merkte, wie sich der Mann sichtbar versteifte. Seine Stimme veränderte sich und wurde hart. »Also wehrt sie sich immer noch gegen jeden Versuch, Yelts Entwicklung voranzutreiben. Sein Ton wurde kalt. »Wir nehmen die Herausforderung Wie Sie wissen, ist die Minenflotte mit zweitausend bewaffneten Männern schon unterwegs. Sie sollen landen. keine Provokationen, haben Sie mich verstanden? Sagen Sie den Männern, sie sollen auf jeden Fall hundert Meilen Abstand von Miss Calders Lake Nem Siedlung halten und versuchen, neunhunderttausend Tonnen Erz abzubauen. Ich werde ihr inzwischen einen Besuch abstatten, wie wir es ursprünglich geplant hatten. Das wäre fürs Erste alles, Magrusson.« »Eine Sekunde!« fiel der dicke Mann rasch ein. »Noch etwas zu Ihrer Information, Artur: Mit dieser Calder stimmt irgend etwas nicht. Ich habe noch nie jemanden in einer derart schlechten physischen Verfassung gesehen. Sie sieht aus wie eine lebende Leiche.« »Okay!« Blord nickte gleichgültig, um sich dann nach Nadlin umzudrehen. »Wenn wir nur zwei Monate haben, dann lassen Sie uns keine Zeit verlieren. Hier entlang.« Nadlin folgte ihm, während er versuchte, die Konsequenzen des Gesprächs, dessen Zeuge er soeben geworden war, zu begreifen. Offensichtlich arbeitete die Gesellschaft dieses Mannes vor ihm schon an der Sache. Eine Sache, die er bisher noch nicht einmal hatte unterbreiten können. Er riss verblüfft die
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Augen auf, als er sah, dass sie in einen Dachgarten hinausgetreten waren, wo ein Raumschiff auf sie wartete. Es war eine lange, schnittige Maschine vom Typ eines Polizeischiffes, die im Innern wie ein kleiner Luxuskreuzer ausgestattet war. »Ich werde Ihnen später Ihre Kabine zeigen«, sagte Blord. »Setzen Sie sich solange in einen der Sessel da. Wir starten sofort.« »Starten!« hätte Nadlin fast geechot, doch er konnte sich gerade noch rechtzeitig unterbrechen und ließ sich in einen der Antigravsessel fallen, auf die Blord gedeutete hatte. Er fühlte sich wie ein Atom, das sich in verzweifelter Angst, abgeschüttelt zu werden, hilflos an den Außenrand eines Tornados klammert. Der Eindruck der Leere verging rasch, und die ersten Effekte der Initialbeschleunigung des Raumschiffes ließen bald nach. Sein Kopf wurde wieder klarer, und er hatte Zeit, seine Umgebung zu mustern und seine Begleiter zu studieren. Artur Blord hatte ihm den Rücken zugewandt. Er saß in seinem Kontrollsessel, den Blick konzentriert auf das Instrumentenpult vor ihm gerichtet. Alle paar Sekunden nahm er an einer Reihe dunkler Richtungsanzeiger Korrektureinstellungen vor. Offensichtlich endlich zufrieden, stand er schließlich auf und kam von dem erhöhten Platz herunter, auf dem das Kontrollpult stand. Nadlin starrte ihn neugierig an. Er war sich bewusst, dass er den Mann jetzt zum ersten Mal richtig sah. Vorher war alles so verwirrend gewesen, und erst jetzt hatte er Zeit, sich ein Bild von dem anderen zu machen. Artur Blord hatte dunkles, gewelltes Haar und ein schmales, vornehmes Gesicht, dessen Sensibilität von dem energischen Mund und Kinn betont wurde. Die intelligenten dunklen Augen sahen Nadlin lächelnd an, als sich Blord in einen Sessel fallen ließ und ihm die Karte hinhielt, die er aus dem ersten Büro mitgenommen hatte. »Lesen Sie das«, forderte er ihn auf. »So werden Sie ein klareres Bild meines Plans bekommen. In der
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Zwischenzeit möchte ich mir Ihren Vertrag ansehen.« Nachdem Nadlin ihm die Papiere ausgehändigt und dafür die Karte bekommen hatte, vertiefte er sich in den Text. »Der Unternehmer auf diesem sehr dünn besiedelten Planeten«, las er, »ist E. D. (Edee) Calder. Meines Wissens nach ist sie der einzige weibliche Unternehmer. Sie hat ihre Position durch eine entschlossene politische Kontrolle des Planeten mit Hilfe ihres Geldes behauptet. Sie soll noch verhältnismäßig jung sein - ungefähr Mitte dreißig. Wert Nr. 1: Große Vorkommen der Erzsorte, aus der Kristallstahl für Raumantriebe erzeugt wird. Die Lager befinden sich überall in den Hügeln und Bergen um Lake Nem Wert Nr. 2: Abbau wäre interessant - und sei es nur wegen des weiblichen Unternehmers.«
13 Nadlin hielt den Blick verwirrt auf die Karte gesenkt. In den oberen Kreisen der Polizeitruppe Missbilligte man eine solche Amoralität, wie sie die Anspielung auf eine Frau hier andeutet, eine Einstellung, die in den drei Jahren strenger Disziplin und Moralität in der Patrouille auch Nadlins Charakter geprägt hatte. Sicher, sein Chef hatte ihm gesagt, dass er eine ganze Menge von Blord lernen konnte. Und wenn es stimmte, dass die Frau ein physisches Wrack war, dann war sie sicher nicht ... interessant ... aber ... Ein melodisches Geräusch vom Kontrollpunkt unterbrach seine Missbilligenden Überlegungen. Neugierig sah er zu, wie Blord die Stufen hinaufstieg und im Kontrollsessel Platz nahm. Mehrere Minuten lang sprach er schnell und mit leiser Stimme. Schließlich drehte er den Kopf und bedeutete Nadlin, zu ihm zu kommen. Der Polizist kam der Aufforderung hastig nach. »Mein Direktor, Mr. Magrusson«, begann der Unternehmer, 86
sobald Nadlin neben ihm stand, »hat uns im registrierten Kreis einen Kanal geöffnet. Wie Sie vermutlich wissen, sorgt dieses System für eine automatische Aufzeichnung von Verträgen, die unterzeichnet werden. Es ist absolut geheim, und nur im Falle einer Gerichtsverhandlung ist eine Einsicht möglich. Sie haben keine Einwände gegen die Unterzeichnung?« Nadlin griff nach einem Stift, den Blord ihm hinhielt. Sein Gegenüber hatte so bestimmt und überzeugend gesprochen, dass er fast blindlings unterschrieben hätte. Doch dann zog er die Hand zurück. Würde er je aufhören, sich in seinem Verhältnis zu diesem Mann wie ein Holzklotz zu benehmen, dachte er verärgert. »Nur noch ein oder zwei Fragen, Mr. Blord«, wandte er ein, bemüht, seine Stimme sicher und ruhig klingen zu lassen. »Ich habe davon gehört, dass die Polizei in Ihrer Schuld steht. Ich weiß zwar nicht genau, worum es dabei geht, aber diese Schuld besteht ja offensichtlich, und das macht die Situation etwas schwierig. Sollte es Ihnen zum Beispiel nicht möglich sein, die Ware in der vereinbarten Zeit zu liefern, ist es trotzdem höchst unwahrscheinlich, dass die Patrouille entsprechende Maßnahmen gegen Sie ergreift. Aber gleichzeitig würden dadurch unsere eigenen Plane ernsthaft gefährdet. Ich habe gehört«, fuhr er energischer und selbstbewusster fort, »dass die Ridge Star Zweigstelle der Gesellschaft für Interstellarantrieb die einzige Firma ist, die tausend GalaktiktypAntriebe kurzfristig herstellen kann. Ich hoffe, Sie sind sich darüber im klaren, dass es in diesem Kontrakt um den speziellen Galaktikantrieb der Regierung geht. Wir sind nicht an dem Antrieb interessiert, den die Ridge Star Gesellschaft, die nach dem interplanetaren Wettbewerb vor ungefähr einem Jahr gegründet wurde, produziert. Es gibt natürlich noch andere Firmen, die diese Galaktikantriebe herstellen, aber sie produzieren nur für den teuren Luxusmarkt, und ihre Kapazität ist entsprechend gering. Wir stellen uns nun vor, dass Sie mit Interstellar einen Vertrag
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als Sublieferant abschließen und sich den Gewinn teilen. Sollten Sie aber«, schloss er, »einen solchen Vertrag aus irgendeinem Grunde nicht abschließen können, dann sagen Sie es mir bitte, bevor wir den Kontrakt unterzeichnen.« Nadlin fühlte sich besser. Er hatte diesem eigenwilligen jungen Mann das Anliegen der Patrouille offen dargelegt, und wenn der registrierte Kreis oben offen gewesen war, dann waren seine Einwände nicht permanent und legal aufgezeichnet worden. Er sah, dass Artur Blord ihn lächelnd betrachtete. »Es gibt zwei Gründe, warum ich glaube, dass Interstellar einen Vertrag mit mir akzeptieren wird«, erklärte Blord »Zum einen ist Greg Mearsley, der Präsident von Interstellar, ein persönlicher Freund von mir, und zum zweiten bin ich etwas verärgert darüber, dass die Patrouillenführung glaubt, sie schulde mir etwas. Also werde ich Interstellar den vollen Einzelhandelspreis für die Antriebe und selbst auf jeden Gewinn verzichten »Warten Sie!« Blords Stimme klang schneidend. »Wie Sie wissen, ist Kristallerz für Antriebsstahl selten und schwer zu gewinnen. Es gibt Firmen, die es in kleinen Mengen verkaufen aber in der Praxis sieht es so aus, dass ein Unternehmen, das einen Raumantrieb herstellen will, sein eigenes Erz lokalisieren und abbauen muss. Alle größeren Unternehmer und alle größeren Fracht- und Personentransportfirmen haben eigene Minenbetriebe. Und hier werde ich meinen Gewinn machen. Meine Absicht ist in erster Linie der Patrouille zu helfen und dafür zu sorgen, dass sie ihre angebliche Schuld mir gegenüber einlösen kann.« Seine Aufmerksamkeit wurde vom Summen des Eldofons abgelenkt. Wieder erschien der dicke Mann, der sich lieh schwitzte. »Wichtig ...«, keuchte er. »Konnte Mearsley von Interstellar nicht ausfindig machen, Artur, aber ich habe Crofers, den Vizepräsidenten, auf dem Eldo. Er will mit Ihnen sprechen.« »Was?« Blords Ton war so scharf, dass Nadlin unwillkürlich
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näher herankam, um sicher zu sein, dass ihm nichts entging. »Ich halte den registrierten Kreis für Sie offen«, erklär der dicke Direktor. Sein Bild verschwand, und statt dessen erschienen Kopf und Schultern eines massigen und finsteren Mannes a der Eldoplatte. »Ah, Blord!« Der Tonfall seiner Stimme sagte mehr als genug. Zwischen sehen den beiden Männer bestand ganz offensichtlich ei tiefe gegenseitige Abneigung. »Wo ist Mearsley, Crofers?« wollte Blord knapp wissen. »Ach, Mearsley.« Crofers Stimme war samtweich muss hier irgendwo sein. Wenn Sie ihn ausfindig mach können, bitte.« »Ich werde ihn schon finden. Aber ich schätze. Sie werden meine Antriebe nicht für mich produzieren. Warum? Es ist illegal, wenn Sie sich weigern, wissen Sie das?« »Das Risiko gehe ich ein. Interstellar ist nicht verpflichtet, sich als Sublieferant zu verkaufen.« »Doch, das ist es, wenn der volle Einzelhandelspreis geboten wird«, blitzte Blord. Rechtlich gesehen können Sie sich nicht weigern.« Der andere zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, was Sie vorhaben. Aber Interstellar wird nicht daran beteiligt sein. Wenn wir einen Auftrag direkt vom Abnehmer bekommen, werden wir ihn natürlich erfüllen. Ich glaube, Sie beeilen sich besser und sagen ihnen Bescheid, dass Sie von dem Vertrag Abstand nehmen.« Er verzog vielsagend das Gesicht. »Ich habe gehört, man hat Ihnen eine Frist von zwei Monaten gegeben. Auf Wiedersehen.« Es klickte. »Okay, Magrusson«, meldete sich Blord. »Schalten Sie den Kreis ein.« Er wandte sich an Nadlin und hielt ihm den Stift hin. »Unterschreiben Sie bitte.« »A-aber ...«, stotterte Nadlin. Die dunklen Augen musterten ihn belustigt, und der Arm mit der Hand, die den Stift hielt, blieb unbeirrt ausgestreckt. Unsicher, verwirrt und in dem Bewusstsein, dass die
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Wirtschaftspolitik in den Ridge Stars zu hoch für ihn war, ergriff Nadlin den Stift und unterzeichnete, wobei er sich tief hinunterbeugte, um seine Zweifel zu verbergen. Sie waren seit drei Tagen unterwegs, als Nadlin beim Erwachen merkte, dass sie sich nicht mehr bewegten Er kam rechtzeitig aus seiner Kabine, um zu sehen, wie Blord eine Tasche zur Luftschleuse trug. Eine junge Frau von atemberaubender Schönheit folgte ihm. Sie verschwand in einem Rettungsboot. Blord kam sofort zurück, worauf sich die Luftschleusen leise wieder schlössen. Nach einem kurzen Moment setzte sich das Schiff in Bewegung. Blord wandte sich vom Kontrollpult ab. »Meine Sekretärin besuchte ihre Schwester auf Doridora III« erklärte er Nadlin erwiderte nichts, aber einen winzigen Augenblick lang taute sein Polizistenherz so weit auf, dass er sich eingestand, wie schön es wäre eines Tages eine Sekretärin zu haben, die so aussah.
In den sieben folgenden Tagen erfuhr Nadlin nichts Neues Er hatte erwartet, Artur Blord besser kennen zu lernen, doch schien fast so, als habe der Unternehmer ihn vergessen. Er verbrachte seine Zeit damit, entweder vor dem Eldofon zu sitzen und mit den Mitgliedern seiner weitgespannten Organisation zu sprechen oder große Stapel von Papieren zu unterschreiben. Wenn er wirklich schlief, so merkte Nadlin jedenfalls nichts davon. Blord ruhte sich zwar häufig zwanzig oder dreißig Minuten aus und schlief dann auch, aber nicht einmal in der ganzen Zeit, die sie auf dem Schiff verbrachten, sah Nadlin ihn wirklich für eine ganze Nacht zu Bett gehen. Als er den Mann mit seiner anscheinend unbegrenzten Arbeitsfähigkeit betrachtete, dachte Nadlin plötzlich überrascht: All die Geschichten, die er über die großen Leistungen dieses Mannes gehört hatte! Konnten sie denn doch stimmen? Die
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Vorstellung wirkte anregend auf ihn. Aber er wünschte, dass sich Blord nicht so schweigsam verhalten würde, was seine Suche nach Mearsley, dem Präsidenten der Interstellar, anbetraf. Unter den gegebenen Umständen konnte er nur annehmen, dass der Präsident der Interstellar immer noch als vermisst galt. Auch am achten Morgen musste Nadlin wieder daran denken, als aus der Dunkelheit plötzlich die blaue Sonne von Yelt auftauchte. Der leuchtende Feuerball wurde immer größer und immer heller und goß seine unglaubliche Energie durch die Länge und Breite seines aus vierundzwanzig Planeten bestehenden Systems. Die Sonne stand hoch über ihnen, als das Schiff, noch immer in vollem Bremsmanöver, in den dicken Nebel ein tauchte, der die obere Atmosphäre von Yelt VII bildete. Si< spürten das übliche Gefühl einer schrecklichen und über natürlichen Geschwindigkeit, als sie über einem Land unberührter Wälder und Berge auf einen waagerechte! Kurs gingen. Sie rasten über ein großes Tal dahin, in der ein Dutzend von Blords Schiffen standen, die Maschine und Geräte hergebracht hatten. Augenblicke später erschien am Horizont der Nemsee, und nach wenige Sekunden kamen sie auch schon über einer Siedlung zum Stillstand. Nadlin, der neben Blord stand, sah durch die Bode sichtplatte auf die Stadt Nem unter ihnen hinunter. Es gab offensichtlich fünf größere Gebäude, die alle etwas außerhalb der eigentlichen Stadt lagen. Eines von ihnen war ein großes weißes Herrenhaus, das am Ufer eines Sees stand. Die übrigen vier waren lang gestreckte, niedrige Bauten in viereckiger Form - typisch primitive Fabriken. »Es sieht nicht so aus, als ob sie bisher viele Immigranten hat herlocken können«, bemerkte Nadlin. Er sprang zurück, als plötzlich eine graue Feuerwolke aus dem Eingang eines der Gebäude fuhr. Unter seinen Füßen bebte der Boden. Nadlin lief zum nächsten Antigravsessel und schaffte es gerade noch, sich hineinzuwerfen, als das Schiff auch schon wie eine Rakete in die
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schützenden Nebel aufstieg, die ständig den siebten Planeten der heißen Yelt Sonne einhüllten. Der junge Polizist kehrte auf das Podest mit dem Kontrollpult zurück. »Mann! Der scheint es ernst zu sein.« Er wollte noch etwas hinzufügen, als ihm bewusst wurde, dass Blord ihn lächelnd ansah. Es war ein freundschaftliches Lächeln, aber es brachte Nadlin in die Wirklichkeit zurück. Das Gefühl der Erregung ebbte ab. Auf einmal war er sich nicht mehr so sicher, ob ihm der kurze Augenblick der Gefahr wirklich Spaß gemacht hatte. In eine gefährliche Situation zu geraten, mochte ja noch angehen, wenn man auf Patrouillendienst war, aber er war jetzt ein höherer Polizeibeamter mit einer Mission. Es wäre albern, wenn er bei einem dieser Kleinkriege zwischen Unternehmern ums Leben käme. Das Eldofon unterbrach unbarmherzig seine Überlegungen. Das Gesicht einer Frau erschien auf der Platte. Ihr Anblick ließ Nadlin zusammenzucken. Er wusste im selben Moment, dass es nur Edee Calder sein konnte. Kein anderes menschliches Gesicht hätte besser zu der Beschreibung passen können, die Magrusson am ersten Tag ihrer Reise von ihr gegeben hatte. Ihre dunklen Augen lagen tief in ihren Höhlen. Das verzerrte Gesicht war weiß wie Schnee und sah schrecklich aus. Der Mund war ein schmaler, farbloser Strich Und trotzdem sah sie seltsamerweise nicht alt aus Auch auf ihrer Stirn waren nur wenige Falten, und als sie jetzt zu sprechen begann, klang ihre Stimme wie die einer jungen Frau, wenn auch schwach und ein bisschen rau. Hier, dachte Nadlin, hatte er eine schöne Frau im letzten Stadium einer zehrenden, zum Tode führenden Krankheit vor sich. »Artur Blord, nehme ich an?« stellte sie kalt fest. »Exakt. Ich möchte Sie davon überzeugen, Madam, dass es unklug von Ihnen ist, wenn Sie ...« Sie fiel ihm ins Wort. »Ich habe beschlossen, Sie das Erz dort, wo Ihre Schiffe gelandet sind, abbauen zu lassen, vorausgesetzt ...«
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»Ach!« entgegnete Blord scharf. »Und warum dann das Feuer auf uns? Und warum haben Sie sich zuerst geweigert ...« »Vorausgesetzt«, fuhr die Stimme kraftlos, und doch irgendwie entschlossen fort, »dass sowohl Sie wie Ihre Männer mindestens hundert Meilen von meiner Siedlung wegbleiben, und vorausgesetzt, dass Sie mir einen halben Stellor pro Tonne Erz, das Sie abtransportieren, zahlen. Wird diese Vereinbarung in irgendeiner Beziehung gebrochen, steigen die Kosten auf einen Stellor pro Tonne. Ist das klar?« »Das«, entgegnete Blord erfreut, »nenne ich ein Angebot.« »Schön. Ich habe unser Gespräch aufzeichnen lassen. Ich werde Ihnen den Vertrag zuschicken, sobald er aufgesetzt ist, und dann können wir später auf dem registrierten Kreis unterschreiben. Das wäre alles.« Die Eldoplatte wurde dunkel. Die beiden Männer sahen einander an. Blord hatte sich während des ganzen Gesprächs kühl und gelassen gegeben, doch jetzt erkannte Nadlin, dass die äußere Ruhe nur gespielt gewesen war. Der Mann war völlig aus der Fassung geraten. »Haben Sie das gesehen?« stieß er erstickt hervor. »Ich frage mich nur, was sie versteckt«, fügte er stirnrunzelnd hinzu. Nadlin hörte den letzten Satz kaum. In blankem Entsetzen erwiderte er: »Sie sieht aus, als ob Blutegel - giftige Blutegel ihr Blut trinken.« »Blutegel!« echote Blord. Er klang zutiefst erschrocken, aber das Entsetzen, das er empfand, musste noch stärker sein als seine Stimme es ausdrücken konnte, denn er sprang abrupt auf, die Augen in angestrengtem Nachdenken weit geöffnet. Er schien sich nur mühsam wieder fangen zu können. Angespannt stand er da und murmelte: »Aber warum sollten sie ... was ... es könnte stimmen!« Er sah Nadlin aus vor Erregung fiebrigen Augen an. »Genau. Das ist es! Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen muss es einem oder mehreren dieser Dinger gelungen sein, zu entkommen.« Er brach
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ab, und sein Gesicht wurde eine Maske des Zorns. »Wir beide, Nadlin, werden heute Abend da runter gehen, und wenn diese Dinger wirklich da sein sollten, werden wir morgen zurückkehren und ihnen den Garaus machen. Das heißt«, er lächelte grimmig, »wenn sie uns mit ihren hypersensiblen Sinnen nicht zuerst erwischen.« Nadlin hatte den Eindruck, einer Sprache zuzuhören, die er nicht verstand. »Aber was wird aus dem Interstellarantrieb?« wollte er wissen. »Es wird mindestens einen Monat dauern, die Antriebe herzustellen. Und außerdem würde ich gern meinen Vorgesetzten persönlich Bericht erstatten.« Blord gab keine Antwort. Er runzelte die Stirn, drängte sich an Nadlin vorbei und verschwand in seiner Kabine. Hinter ihm fiel die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss. Später an jenem Tag sah Nadlin ihn vor dem Eldofon sitzen. Er redete schnell und hörte dann einer offensichtlich längeren Erklärung seines Gesprächspartners am anderen Ende zu. Während er ihn beobachtete, erlebte Nadlin wieder jenes Gefühl, das, wie es ihm vorkam, schnell alltäglich bei seinem Umgang mit Artur Blord geworden war jenes hilflose Bewusstsein, dass er den Boden unter den Füßen verloren hatte und sich immer tiefer in unbekannte Gewässer vorwärtsbewegte.
14 In der hereinbrechenden Abenddämmerung duckten sich Nadlin und Blord neben einem Weg. Eine sanfte Brise, erfüllt mit dem Geruch nach warmen Seewasser, strich über Nadlins Gesicht. Und mit jeder Minute, die verstrich, kam er sich immer mehr wie ein Narr vor. Er konnte es auch jetzt noch nicht so recht glauben, dass er hier auf der feuchten, sumpfigen Erde am Ufer eines Sees lag, in ein sinnloses Unternehmen verwickelt, obwohl er wusste, dass jede auf diese Weise verlorene Stunde das 94
Geschäft, für das er verantwortlich war, mehr und mehr gefährdete. Es wäre vielleicht anders gewesen, wenn Blord nicht so sparsam mit den Fakten gewesen wäre. Nadlin stieß einen lautlosen Seufzer aus und konzentrierte sich ganz auf seine Umgebung. Jetzt war er einmal hier, und was immer passieren mochte, würde ihn genauso angehen, als wenn er freiwillig mitgekommen wäre. In der Nähe konnte er die erste und größte der drei Fabriken ausmachen, die sie schon aus der Luft gesehen hatten. Es war ein schiefergraues Gebäude, das halb hinter Bäumen versteckt war. Aus seinem Innern erklang das Dröhnen und Brummen von Maschinen. Rechts von ihnen, weiter entfernt, erhob sich das beeindruckende Haus von Edee Calder, das im Halbdunkel des Abends weiß schimmerte. Ein flüchtiger Blick zur Seite zeigte Nadlin, dass sein Begleiter mit einem Fernglas die Veranda absuchte. Er musste gespürt haben, dass Nadlin ihn betrachtete, denn er drehte plötzlich den Kopf und sagte leise: »Das hier scheint der Weg zwischen dem Haus und der Gießerei zu sein. Ich schlage vor, wir warten hier. Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass Ihre >Blutegel< das ganze Gebiet unter Bewachung halten und bald hier aufkreuzen werden.« Diese Worte, eine weitere Anspielung auf etwas, das zu erklären sich Blord bisher noch nicht bemüht hatte, waren zuviel für Nadlin. Er unterbrach Blord mit einer kalten Wut, die ihn in einem Sprung über jene Hürde der Notwendigkeit brachte, zu diesem ungeheuer wichtigen und bedeutenden jungen Mann höflich zu sein. »Seit Tagen weichen Sie allen meinen Fragen aus«, fuhr er ihn an, »und haben mich höchstens dämlich angegrinst, wenn ich mich nicht damit abfinden wollte. Und jetzt haben Sie mich hier auf eine völlig verrückte Hetzjagd mit hinausgeschleppt. Ich bin gewarnt worden, dass Sie die Gewohnheit haben, plötzlich irgendwelchen Einfällen nachzugeben, aber als ich mich in diese Sache eingelassen habe, hätte ich es mir bestimmt nicht träumen
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lassen, hier in einem Graben neben einem Verrückten zu liegen, der von Blutegeln faselt und sich überhaupt nicht um die Verträge kümmert, die er unterzeichnet hat.« Ein belustigtes Lachen unterbrach seine Schimpftirade. Nadlin zitterte vor Wut und öffnete den Mund, um von neuem loszulegen, doch bevor er noch etwas sagen konnte, meinte Blord: »Auf diesen Ausbruch habe ich die ganze Zeit gewartet.« Nadlin schwieg. Der andere lachte wieder. »Wenn es etwas gibt, das ich nicht leiden kann, dann sind es Leute, die ihre guten Umfangsformen nicht vergessen können. Auf diese Art können Sie nicht mit Leuten reden. Sie werden einfach nicht reagieren und verschlossen bleiben. Jetzt hören Sie mir mal gut zu, Jimmy ... so heißen Sie doch, nicht .« Bevor Nadlin begriffen hatte, dass die Lektion vorbei war und bevor er sich entschließen konnte, wie er diese neue Entwicklung aufnehmen sollte, fuhr Blord schon fort »Ich habe Ihnen nichts gesagt, weil Sie ein Polizist sind Und wenn Sie die Wahrheit oder jedenfalls das, was ich vermute, wüssten, dann würden Sie als erstes, natürlich im übertragenen Sinn, auf Ihrer Trillerpfeife pfeifen und einen Haufen anderer Polizisten auf den Plan bringen. Offen gestanden«, schloss er kühl, »bin ich es nicht gewöhnt das Gesetz neben mir stöhnen und keuchen zu haben. Und ich denke nicht im Traum daran, euch noch tiefer in meine Schuld zu ziehen.« Er schwieg einen Augenblick und meinte dann langsam. „Haben Sie jemals von einer menschlichen Mutation namens Zilth gehört?« »Zilth?« echote Nadlin atemlos. »Genau. Das ist es.« Nadlin hörte kaum, was Blord sagte. Seine Gedanken wirbelten durcheinander, als er sich in Erinnerung rief, was er über diese eigenartigen menschlichen Wesen, die Zilths, wusste. Die Zilths waren die Nachkommen der ersten menschlichen
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Wesen, die zu einem der Ridge Stars gekommen waren. Ihr Schiff war auf einem Planeten der Zilth-Sonne verunglückt, und auf diese Weise waren sie von jeder Kommunikation mit der Außenwelt abgeschnitten worden. Fast zweihundert Jahre hatten sie in völliger Isolation gelebt. Und in dieser Zeit hatten sie sich verändert. Verändert unter dem Einfluss einer unvorstellbar bösartigen Krankheit. Neunzig Prozent der ursprünglichen Siedler waren als tollwütige Geisteskranke gestorben. Die Überlebenden und ihre Nachkommen erfuhren eine totale Veränderung des Stoffwechselsystems und des Gehirn. Im ganzen Universum der Menschen hatte man nie etwas Ähnliches erlebt und gesehen. Zu der Umwandlung gehörte eine enorme Beschleunigung der Reflexe, eine schnellere Reaktion der Muskeln und des Gehirns. Es war eine reine physische und psychische Mutation ersten Grades, die nur eine negative Seite hatte: Jeder Zilth blieb der Träger der Krankheit, die ihn zu dem gemacht hatte, was er war. Die Ärztekommission, die den Fall mit einer ganzen Batterie von Schlachtschiffen im Rücken untersucht hatte, hatte empfohlen, den gesamten Zilth-Planeten abzusperren, und das unter strengster polizeilicher Überwachung. Jeder Zilth, der außerhalb dieses Sperrgebietes angetroffen wurde, sollte ohne Vorwarnung erschossen werden, und innerhalb des Gebietes wollte man mit Hilfe einer wissenschaftliche berechneten Methode zur Geburtenkontrolle dafür sorgen, dass die Rasse durch immer weiter sinkende Geburtenzahlen letztendlich ausstarb. Es waren entsprechende Gesetze erlassen worden, und soweit Nadlin wusste war bisher noch keinem Zilth die Flucht gelungen. Aber wenn dies doch der Fall war, so warteten er und dieser verrückte Blord neben ihm etwa darauf, Kontakt mit ihnen zu bekommen? Er murmelte einen Protest, wurde aber augenblicklich unterbrochen. »Schschsch!« zischte Blord. »Da kommt jemand. Vergessen Sie nicht, dass die Sinne der Zilths fünf- bis zehnmal so schnell
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reagieren wie die normaler Menschen. Und da dies nur eine Voruntersuchung ist, habe ich keine der üblichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen.« Durch das hohe Gras, da sich in einer Brise sanft wiegte, konnte Nadlin zwei schemenhafte Gestalten ausmachen, die rasch näher kamen. Sie waren ungewöhnlich hochgewachsen und dünn. Fröstelnd musste er an die Bilder denken, die er von Zilths gesehen hatte: aufgeblähte Froschhälse, die unmittelbar unter dem Kinn begannen, vorstehende Augen, unnatürlich dünne und unnatürlich lange Körper. Ein Gedanke durchzuckte ihn: Sein Abzeichen! Wenn sie gefangen wurden und ... In diesem Augenblick beging er den entscheidenden Fehler, auf diesen plötzlichen Gedanken zu reagieren, seine Position zu verändern und seinen Arm zu bewegen, um das Abzeichen unter dem Mantelrevers hervorzuholen und es in der geschickt verborgenen Gesäßtasche seiner Hose zu verstecken ... In diesem Augenblick beging er den entscheidenden Fehler, auf diesen plötzlichen Gedanken zu reagieren, seine Position zu verändern und seinen Arm zu bewegen, um das Abzeichen unter dem Mantelrevers hervorzuholen und es in der geschickt verborgenen Gesäßtasche seiner Hose zu verstecken ...
15 Langsam wich die Dunkelheit, und Nadlin sah, dass er sich die Hände auf den Rücken gefesselt, auf einem Metallboden im Kontrollraum eines offenbar ausgeschlachteten Raumschiffes befand. Die Wände waren nacktes Metall und Nadlin konnte weder irgendwelche Geräte noch Apparaturen in seinem engen Sichtkreis entdecken. Aus den Augenwinkeln heraus nahm er plötzlich eine Bewegung wahr. Nadlin drehte sich herum und versteifte sich Ein paar Schritte von ihm entfernt lag Artur Blord und beobachtete ihn. Seine Beine waren mit glänzenden Drähten 98
zusammengebunden, und seine Hände waren seltsam verrenkt hinter dem Rücken verschränkt. »Sie sind jetzt weg«, sagte Blord, »aber wenn ich mich nicht irre, müssten sie jeden Moment zurückkommen.« Es war alles seine Schuld, dachte Nadlin verzweifelt. Er war es gewesen, der sich in ihrem Versteck am Weg bewegt hatte, obwohl Blord ihn vorher gewarnt hatte. Die beiden Zilths hatten sich sofort auf sie gestürzt, und das letzte, woran er sich erinnern konnte, war ein Schlag wie von einem Dampfhammer, der ihn außer Gefecht gesetzt hatte. Abrupt fiel ihm wieder ein, was ihn zu dieser Bewegung veranlasst hatte, die zu ihrer Entdeckung geführt hatte. Sein Abzeichen, jenes Emblem mit seinen speziellen Funktionen, war in Sicherheit. Er fühlte sich besser. Aber es war unsinnig, es jetzt zu benützen, um Blord und sich selbst zu befreien, wenn sie damit rechnen mussten, dass die Zilths genau in dem Augenblick, in dem sie aufstehen würden, wieder hereinkommen konnten. Doch hier untätig liegen zu bleiben und auf die Ankunft der Träger dieser grässlichen Krankheit zu warten ... Nadlin brach in Schweiß aus. Er begann, seine Hände nach unten in Richtung der geheimen Tasche zu bewegen, doch im selben Augenblick durchzuckte ein stechender Schmerz seine Handgelenke, der sich durch beide Arme fortsetzte und wie die Spitze eines Bohrers bis in die Schultern drang. Der Schmerz war so konzentriert wie die Flamme eines Blasters und zwang Nadlin, in der Bewegung innezuhalten. Er würde viel langsamer vorgehen müssen. Während er dalag und darauf wartete, dass der Schmerz nachließ, sagte er: »Was ich nicht verstehe, ist, wieso es keine Berichte darüber gibt, ob es Zilths gelungen ist, aus ihrem Planetensystem zu entkommen.« Blord lächelte düster. »Doch. Die gibt es. Ich habe es am Nachmittag des Tages, als sie uns geschnappt haben, überprüft. Demzufolge ist vor rund zwölf Jahren zwei Zilths, namens Wilf
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Peterson und Hidlo Creighton, Besatzungsmitgliedern eines der langsamen interplanetarischen Schiffe, die man den Zilths erlaubt hat, die Flucht gelungen. Sie funkten, dass sie auf einen Meteor geprallt seien und danach hörte man nichts mehr von ihnen. Aber ihr Schiff war nicht zerstört. Und es war mit einem provisorischen Interstellarantrieb ausgerüstet, wenn ich auch nicht weiß, wieso. Und jetzt ist es hier.« »Ach so!« erwiderte Nadlin. Er sah sich noch einmal um, und diesmal betrachtete er seine Umgebung mit neuen Augen. Plötzlich ließ sich die altmodische und längst überholte Einrichtung, die fehlenden Kontrollen und Systeme erklären. Er hatte in Lehrbüchern Abbildungen von solchen Schiffen gesehen. »Vermutlich haben sie ausgerechnet Yelt angesteuert, weil es praktisch die nächste Sonne zu Zilth ist. Der Flug mit ihrem provisorischen Antrieb muss neun Jahre gedauert | haben. Diese Zeit habe ich nach Übersetzungen von medizinischen Büchern, die ich meiner Schiffsbibliothek habe, berechnet. Danach ist der Zustand, in dem wir Edee Calder gesehen haben, das Stadium am Ende des dritten Jahres ...« Er brach ab, und seine Gesichtsmuskeln verzerrten sich. Schließlich meinte er seltsam ruhig: »Ich hatte sie fast vergessen. Ihre ganze Siedlung muss infiziert sein.« Blord schwieg, und Nadlin hatte Zeit, sich an den | Gedanken zu erinnern, der die ganze Zeit, seit er das | Bewusstsein wiedererlangt hatte, irgendwo in seinem Hinterkopf gesteckt hatte. »Warum haben sie uns am Leben gelassen?« fragte er unbehaglich. Blord lachte rau. »Sie haben einen Polizisten und den Besitzer einer Frachterflotte in die Hände bekommen, die sie durch Edee Calder mit aller Gewalt an der Landung hindern wollten. Würden Sie an ihrer Stelle nicht auch überlegen, wie wir ihnen irgendwie nützen können?« »Ich glaube, wir versuchen jetzt besser, hier
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herauszukommen«, entgegnete Nadlin. »Ich habe etwas bei mir, das ...« Er redete nicht weiter, denn Blord schüttelte traurig den Kopf. Nadlin verdrehte seine Handgelenke, wappnete sich gegen den Schmerz, der folgen würde und tastete dann nach der verborgenen Tasche. Sie war leer. Als er die Finger langsam wieder zurückzog, hörte er Blord sagen: »Sie haben uns ziemlich gründlich durchsucht.« Die Worte wurden vom metallischen Dröhnen einer entfernten Luftschleuse begleitet. Gleich darauf vernahmen sie gedämpfte Stimmen. Die Zilths waren zurückgekommen. Nadlin entspannte sich. Nach einer Minute waren die Stimmen nicht nur immer noch genauso weit entfernt, sondern klangen auch mehr und mehr undeutlich. Er warf einen Blick auf Blord und flüsterte: »Was machen sie?« Blord zuckte die Achseln und meinte dann, ohne auf Nadlins Frage einzugehen: »Hören Sie, Jimmy, Machen Sie sich nicht verrückt. Wir werden hier schon irgendwie wieder herauskommen. Ich habe großes Vertrauen in mein Glück und in gewisse Fähigkeiten, die ich besitze. Lassen Sie sich einfach von nichts, was ich tue, allzu sehr überraschen.« Nadlin unterdrückte den Impuls, seinen Begleiter darauf hinzuweisen, dass Glück gewöhnlich von einer komplizierten Kombination positiver Fähigkeiten und Anlagen abhängig war, von denen Voraussicht an erster Stelle stand. Er unterdrückte den Gedanken, weil er der unmittelbar Schuldige an ihrer Gefangennahme war, auch wenn er genau genommen nicht für ihre augenblickliche Lage verantwortlich war. »Darf ich - darf ich sie etwas fragen?« sagte er schließlich zögernd. »Schießen Sie los.« »Die erste Frage hört sich vielleicht ziemlich dumm an, aber hat man Mearsley schon gefunden?« Blord sah ihn an. »Bis zum Zeitpunkt unserer Gefangennahme noch nicht. Und es dürfte«, fügte er hinzu, »in Anbetracht unserer derzeitigen Situation auch wohl kaum wichtig sein.«
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Nadlin überhörte den letzten Satz. »Haben Sie eine Ahnung, wie lange wir schon hier sind?« »Siebzehn Tage.« »Was?« Die Antwort brachte Nadlin völlig aus dem inneren Gleichgewicht, so sehr er auch dagegen ankämpfte. Siebzehn Tage, dachte er in einem Anflug von Panik. Siebzehn Tage plus der elf, die sie für den Flug hierher benötigt hatten, das ließ ihm nur noch etwas über einen Monat, den Auftrag, den er von der Patrouille hatte, zu erfüllen. Und vier Wochen würden schon allein zur Produktion nötig sein, die aber erst anlaufen würde, wenn Blord den Kontrakt mit Interstellar unterzeichnet hatte. Mit einem lautlosen Seufzer zwang sich Nadlin, den Gedanken nicht weiter zu verfolgen. »Woher wissen Sie das?« fragte er resignierend. »Der Bursche, der mich angegriffen hat«, erklärte Blord, »konnte mir das Gewehr abnehmen, bevor ich auch nur einen einzigen Schuss abfeuern konnte, aber dann habe ich es ihm nicht so leicht gemacht. Als ihm allerdings sein Partner zu Hilfe kam und mir klar wurde, dass das Spiel aus war, habe ich auf meinen falschen Zahn gebissen, wodurch etwas von dem vielseitigen chemischen Präparat, mit dem er gefüllt ist, freigesetzt wurde. Es wirkt unter anderem auch gegen das Schlafmittel, das sie uns die ganze Zeit verabreicht haben. Als sie sahen, dass es bei mir keine Wirkung hat, weil ich jedes Mal, wenn ich es bekam, eine Dosis aus meinem Zahn genommen habe, haben sie es bei mir aufgegeben. Und seitdem habe ich hier gelegen und darauf gewartet, dass Sie wieder wach werden.« Ein Bild formte sich in Nadlins Kopf - ein Bild des Kampfes, der sich abgespielt haben musste, als er, Nadlin, sofort außer Gefecht gesetzt worden war, während Blord mit fast zilthähnlicher Wildheit reagiert hatte und um ein Haar davongekommen wäre. Es war nicht gerade ein befriedigendes Bild, und besonders die Rolle, die die Polizei dabei gespielt
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hatte, ließ sehr zu wünschen übrig. »Aber was ist mit Essen?« wollte er schließlich wissen. »Wir müssen doch in den siebzehn Tagen ...« »Sie sind intravenös ernährt worden«, fiel Blord ihm ins Wort. »Wahrscheinlich werden Sie merken, dass Sie ziemlich schwach sind, wenn Sie versuchen, aufzustehen. Sie ...« Er brach hastig ab. »Wenn Sie noch irgendwelche Fragen haben, dann stellen Sie sie jetzt. Bisher ist es jedes Mal, wenn sie kamen, so gewesen, dass sie zuerst Sachen an Bord gebracht haben, bevor sie hier hereinspaziert Nadlin schüttelte müde den Kopf. «Nein. Was mich vor allen interessierte, ist durch die Tatsache beantwortet worden, dass inzwischen schon siebzehn Tage vergangen sind. »Wissen sie« ,er zuckte die Achseln, »ich hatte gehofft, dass Sie Vielleicht schon irgendwelche Maßnahmen zu unserer Rettung unternommen hätten. Aber ich nehme an, dass Sie in diesem Falle nicht bis jetzt gewartet hätten.« Blord nickte zögernd. »Selbst wenn Macklin, mein Chefingenieur, eine Suche nach uns eingeleitet hätte, hätten sie ms unmöglich finden können, weil das Schiff hier unter einem Felsen auf der anderen Seite des Nem-Sees versteckt liegt. Also...« Er beendete den Satz nicht, und selbst wenn er es getan hatte, so hätte Nadlin ihm doch nicht mehr zugehört. Der Blick des Polizisten lag jetzt auf der offenen Tür, die in den angrenzenden Teil des Schiffes führte, von wo jetzt das Geräusch schlurfender Schritte zu vernehmen war.
16 Die Zilths kamen lächelnd herein. Und im vollen Schein der Deckenbeleuchtung sahen sie wesentlich menschenähnlicher aus, als er erwartet hatte. Das Lächeln ließ ihre froschähnlichen Hälse nicht mehr so deformiert erscheinen und schien Muskeln 103
in Bewegung zu setzen, die ihre Augen tiefer in die Höhlen zogen. Für einen kurzen Moment sahen sie fast menschlich und, mit Ausnahme eines etwas unansehnlichen Eindrucks, fast normal aus. Und dann verschwand das Lächeln. Es war, als hätten sie im Bruchteil einer Sekunde Teufelsmasken aufgesetzt - oder die Menschenmasken abgenommen. Nun glichen sie langen, wie aus einem bösen Alptraum entsprungene Wesen, als sie sich über Blord bückten, seine Fesseln überprüften und dann zu Nadlin herüberkamen. Der junge Mann zuckte zusammen, doch sie schienen es nicht zu bemerken. Und es passierte nichts, außer dass ein harter Finger sein Handgelenk berührte. Dann standen sie wieder in seinem Sichtkreis und redeten leise miteinander. Schließlich kam einer von ihnen zu den beiden Gefangenen zurück und begann, die Drähte um Blords Hand- und Fußgelenke zu lösen. »Steh auf!« befahl der Zilth knapp. Blord kam mühsam auf die Füße, fiel aber sofort wieder hin. Er blieb auf dem Boden liegen, das Gesicht vor Schmerzen verzogen. »Ich habe schon immer Probleme mit meinem Kreislauf gehabt«, meinte er dann lächelnd zu seinen Bewachern. »Und eure Drähte da sind nicht gerade dazu angetan, dem abzuhelfen.« Die Zilths standen gleichgültig vor ihnen, und Nadlin hatte Zeit, sie genauer zu betrachten. Er schätzte sie auf sicher zwei Meter. Nachdem Blord sich einige Augenblicke lang Arme und Beine massiert hatte, stand er langsam auf. »Okay«, begann er. »Und weiter?« Nach kurzem Schweigen entgegnete einer der beiden Zilths: »Bist du immer noch bereit, die Minenschiffe wegzuschicken?« Die Worte »immer noch« ließen Nadlin aufhorchen. Hatte Blord schon vorher mit diesen Dingern über diese Angelegenheit gesprochen? Misstrauisch wartete er, was kommen würde und hörte dann ungläubig, wie Blord fortfuhr: »Das habe ich doch gesagt, oder? Aber zuerst will ich, dass ihr
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euer Versprechen vor meinem Freund hier wiederholt.« Der Zilth betrachtete Nadlin ungeduldig, und seine Lippen verzogen sich zu einem hämischen Grinsen. »Dein Freund war klug genug, einzusehen, dass ihr euch in unserer Gewalt befindet und hat sich zur Zusammenarbeit bereit erklärt. Wir haben versprochen, euch beide freizulassen, sobald unsere Flucht von hier gelungen ist. Ich hoffe, dass du dich genauso vernünftig zeigst wie dein Freund.«' Blord musste den Ausdruck auf Nadlins Gesicht bemerkt haben, denn er sagte hart: »Seien Sie kein Dummkopf, Mann. Die Hauptsache ist, dass wir mit dem Leben davonkommen.« »Sie hirnverbrannter Idiot!« rief Nadlin. Seine Stimme versagte. Wie betäubt lag er auf dem Boden, und es dauerte einen Augenblick, bis er weitersprechen konnte. »Sie Irrer! Begreifen Sie denn nicht, dass sie uns umbringen, sobald wir getan haben, was sie von uns verlangen? Das ist doch wirklich nicht schwer zu sehen. Sie ...« Hilflos merkte er, dass er keinen Eindruck auf den anderen machte. Stumm lag er da, so wütend, dass die Umgebung um ihn verschwamm und sein Mund trocken wurde. Blord sah ihn seltsam an. »Warum sollten sie uns umbringen?« fragte er schließlich. »Sobald sie von hier gestartet sind, können sie in die Nacht hinaus verschwinden, die so weit ist, dass die Menschen mindestens dreihundert Jahre brauchen werden, um ihr eigenes kleines Staubkorn einer Galaxie gründlich zu erforschen, ganz zu schweigen von den anderen, die dahinter liegen. Und als Beweis dafür, dass ich tatsächlich von dem überzeugt bin, was ich gerade gesagt habe«, fügte er hinzu, »habe ich ihnen verraten, wo ich mein Raumschiff versteckt habe.« »Sie haben was?« Nadlin hatte fast den Eindruck, dass sein Leben eine Folge melodramatischer Ausrufe geworden war. Diesen schien Blord nicht gehört zu haben, denn er wandte sich jetzt an die Zilths.
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»Kümmert euch nicht um meinen Freund. Er ist gerade erst aufgewacht. Ich verspreche, dass ich ihn überreden werden, bis ihr das nächste Mal herkommt.« Der Zilth, der bisher geschwiegen hatte, erwiderte kalt: »Es gibt kein nächstes Mal. Wir brechen auf, sobald deine Minenschiffe verschwunden sind. Du wirst mit Wilf hier auf dem Schiff bleiben. Dein Freund wird mit mir an Bord deines früheren Schiffes kommen. Und sollten wir in Schwierigkeiten kommen, und dein Freund weigert sich, für mich vor die Eldoplatte zu treten, dann werde ich ihn eliminieren.« Nadlin sah, dass Blord zögerte. Er runzelte zweifelnd die Stirn, sagte dann aber drängend: »Ich bin sicher, dass mein Freund nicht so dumm ist. Er weiß so gut wie ich, dass es Foltermethoden gibt, die einen Menschen so weit bringen können, dass er alles tut. Warum sollte er also nicht im voraus einsehen, dass eine Weigerung sinnlos ist? Haben Sie gehört, Nadlin?« Nadlin kehrte ihm den Rücken zu. Er glaubte, noch nie in seinem Leben einen Mann so abgrundtief verachtet m haben. Das also war der berühmte Artur Blord, der Mann dessen Mut und Verwegenheit sprichwörtlich waren, der große Unternehmer, der immer klüger war als seine Feinde, das Finanz- und Wirtschaftsgenie, das seine Auf träge immer pünktlich erledigte Was für ein Witz! Was für eine ungeheure und haltlose Propaganda musste hinter diesem falschen Ruf liegen. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass Blord vor dem Eldofon stand Einer der Zilths warnte ihn gerade: »Wenn du versuchst, uns zu hintergehen, werden wir die Verbindung unterbrechen, bevor du das erste Wort noch ganz ausgesprochen hast.« »Keine Sorge«, winkle Blord ab. «Ich bin mir genau bewusst, wie schnell eure Reflexe sind.« Er schwieg, dann hörte Nadlin ihn sagen: »Oh, hallo, Macklin ... Ruhig Blut. Natürlich bin ich in Ordnung. Sie haben Mearsley gefunden? Tja, zu schade
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Bestellen Sie ihm von mir, er hätte Pech und könnte sich bei Crofers bedanken, dass dieser ihm den größten Auftrag vermasselt habe, den er dieses Jahr hätte bekommen können. Und jetzt passen Sie auf. Ich will, dass ihr hier aufhört und auf Carox A II weitermacht. Sie sind ja mit dem Projekt vertraut. Und beeilen Sie sich. Ich will, dass ihr Yelt in zwei Tagen verlassen habt. Bis dann.« Es klickte
Die Tür ging auf, und Nadlin sah von dem Bett auf an das er vor Stunden gefesselt worden war. .Ach du bist's« sagte er. Der Zilth war blass. »Ich habe ein Schiff in der Ferne ausgemacht. Ich nehme an, es ist mein Begleiter, aber du wirst ja verstehen, dass es dumm von mir wäre, selbst vor die Eldoplatte zu treten. Du wirst dich also entsprechend darauf vorbereiten, vor mir vor der Eldoplatte zu stehen « Nadlins Puls überschlug sind. »Ein Schiff«, wiederholte er. Seine Hoffnung verschwand, als er den Ausdruck auf dem Gesicht des Zilth sah. Angesichts der Drohung, die in dessen Blick lag, verengte er die Augen. »Ich werde gar nichts tun«, erklärte er knapp. »Ich würde lieber sterben, als auch nur einen einzigen Finger zu rühren, um einem Ding wie dir überleben zu helfen und diese Krankheit weiterzuverbreiten. Entsetzt es dich denn nicht, was du tust? Siehst du denn nicht, dass du die menschliche Rasse auslöschen kannst?« Er brach ab, als ihm bewusst wurde, mit welcher unnatürlichen und unmenschlichen Grausamkeit das Wesen ihn betrachtete. Schließlich streckte sich der Zilth und sagte mit seltsam sanfter Stimme: »Ich habe erwartet, dass ich deinem guten Willen etwas würde nachhelfen müssen, deshalb habe ich einige primitive Instrumente mitgebracht, die ich im Maschinenraum zusammengebastelt habe.« Der Zilth griff in eine Tasche und zog eine Daumenschraube hervor. Dann setzte er sich neben
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Nadlin aufs Bett. Er lächelte jetzt und sah damit wieder fast menschlich aus. »Aber natürlich sind wir Zilths«, fuhr er im selben sanften Ton fort, »es gewohnt, mit primitiven Werkzeugen umzugehen. Wir, die größte Rasse im Universum, die übermenschliche Mutation, der Mensch nach dem Menschen, der ...« Seine Stimme wurde fast schrill. Er musste bemerkt haben, dass seine Stimme plötzlich sehr emotionell geworden war, denn mit einem Schnalzen brach er ab und saß lächelnd neben Nadlin. »Du wirst mir meine Heftigkeit verzeihen«, sagte er sanft. »Aber unsere - Verärgerung - über die Pläne, die die Menschheit mit uns hat, ist sicher nicht ungerechtfertigt. Glücklicherweise ...« Das Lächeln verschwand, und die hervorstehenden Augen begannen zu glitzern. Nackte, alles verzehrende Wut stand jetzt in seinem Gesicht geschrieben. »Glücklicherweise werden wir eines Tages in der Lage sein, jede Beleidigung, alle abscheulichen Absichten und vor allem jene unerträgliche Anmaßung zu rächen, derzufolge eine höhere Rasse zugunsten einer niederen geopfert werden soll. Wir werden fortgehen in die große Dunkelheit, zu weit entfernten Planeten, wo uns niemand aufspüren wird, und dort werden wir uns vermehren. Und wir werden kommen. Ja, wir werden zurückkommen, um zu erobern und zu zerstören, um uns zu rächen, um zu herrschen, unser spezieller Tod die Schwachen ausgemerzt und die Starken zu neuen Zilths gemacht hat.« Er beendete seine Worte wieder mit einem Zungen. schnalzen. »Und nun gib mir deinen Daumen, mein Freund.« Er brach ab, wirbelte herum und griff nach seiner Waffe, alles in einer einzigen, synchronisierten Bewegung. Aus der Richtung der Tür blitzte ein Feuerstrahl auf. Artur Blord zog den Körper des toten Zilth von Nadlin herunter, wo das fremde Wesen zusammengesackt war und ließ ihn zu Boden gleiten. Dann hob er die Daumenschraube auf und untersuchte sie neugierig. »Ich bin froh«, stellte er fest, »dass er
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das hier in der Hand hatte. Es hat ihn am schnellsten Zug gehindert, den ich je gesehen habe.« Er warf sie auf einen Tisch und zog einen kleinen Gegenstand aus der Tasche. Es war sein eigenes Polizeiabzeichen, wie Nadlin sprachlos vor Überraschung erkannte. Als es mit seiner Lösungskraft die Drähte zertrennte, mit denen er gefesselt war, fand er endlich seine Stimme wieder. »Aber ...«, keuchte er stotternd, »aber ... aber ...«
17 »Etwas Besseres«, sagte der Chef der Patrouillenpolizei gerade, »als ein Abenteuer mit Artur Blord zu erleben, kann einem jungen Mann nicht passieren. Dieser Mann ist eine Erfahrung für sich.« Nadlin nickte düster. Obwohl er seinen Auftrag nicht hatte erfüllen können, kam er scheinbar besser davon als er erwartet hatte. Fünf Tage lang, seit er von Blords Schiff auf das Patrouillenschiff umgestiegen war, das spät am Sternentag ihrer Rettung Kontakt mit ihnen aufgenommen und ihn dann zum Patrouillenhauptquartier nach Marmora II gebracht hatte, war ihm vor dieser Situation angst und bange gewesen, in der er nun persönlichen Bericht erstatten musste. Aber bisher hatte er noch kaum ein Wort anbringen können. „Blord hat die fixe Idee, dass ihn die jungen Männer nicht ausstehen können«, lachte Nadlins Vorgesetzter. »Aber das ist natürlich alles Unsinn. Man kann einfach nur bewundern, wie er es angestellt hat, Carox A II zu erwähnen, als er mit seinem Chefingenieur, Macklin sprach, obwohl doch die Zilths direkt neben ihm standen.« Nadlin fuhr zusammen. Brennend heiß durchzuckte ihn plötzlich das Bewusstsein, dass er darauf eigentlich auch schon viel früher hätte kommen müssen. »Das ist der Planet, der mit Ausnahme einer winzigen Insel nur Ozean ist!« platzte er 109
unwillkürlich heraus. »Genau.« Der grauhaarige Offizier grinste. »Wer würde dahin schon Minenschiffe schicken. Es war ein altes Stichwort für Gefahr zwischen Blord und seinen leitenden Mitarbeitern, das ihm zwar aufgrund des überstürzten Abflugs der Zilths nicht so half, wie beabsichtigt, aber es zeugt doch von seinen unglaublichen Fähigkeiten und technischen Mitteln - genau wie seine Möglichkeiten, seine Privatyacht zurückzubekommen. Wirklich, ein koordinierender Mann!« »Wie viele Männer hatten schon wie er siebzehn Tage gewartet, obwohl er die Möglichkeit zur Flucht - nämlich Ihr Abzeichen - die ganze Zeit über zur Hand hatte, und dann auch noch das eigene Schiff ausgeliefert, damit die Zilths soviel Antriebssysteme wie möglich aus ihren Verstecken holten, mit denen sie die beiden Schiffe beluden - Verstecke übrigens, die wir wohl erst finden können, wenn der Planet dicht besiedelt ist. »Natürlich hatte er eine Sorge nicht, die weniger gut informierte Männer an seiner Stelle wahrscheinlich gehabt hätten: nämlich sich zu infizieren. Wie die meisten intelligenten Menschen wissen, wird die Krankheit erst nach sechs Monaten ansteckend, ganz gleich, wie eng der Kontakt mit dem Überträger ist.« Der Offizier sah Nadlin scharf an. »Aber das haben Sie ja sicher gewusst, oder?« Nadlin, der diese Tatsache erst vor fünf Tagen herausgefunden hatte, murmelte etwas Unverständliches. »Der Rest war dann relativ einfach, eine Sache der Logik«, fuhr der andere fort. »Zilths brauchen viel Schlaf, und sie sterben schnell, wenn sie überrascht werden. Als ich vor einer Stunde mit Mr. Blord zu Mittag gegessen habe ...« Nadlin setzte sich auf. »Blord ist hier?« »Ach, habe ich Ihnen das nicht gesagt? Er ist heute morgen mit zwei Frachtern hier eingetroffen.« Nadlin hörte nicht, was er weiter sagte. Das ist ja wohl der Gipfel der Frechheit, dachte er bei sich. Kommt hier eingezogen wie der strahlende Held und
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übersieht dabei ganz einfach, dass er seinen Vertrag nicht erfüllt hat. So erhielt man sich also seinen Ruf - wirklich eine Erfahrung! Langsam nahm Nadlin wieder auf, was sein Vorgesetzter sagte. »Wir werden natürlich nichts an die Öffentlichkeit geben, bis dieses teuflische Komplott völlig aufgedeckt ist. Man wird den Zilths in Zukunft auch interplanetarischen Verkehr anbieten und ihnen ihre primitiven Schiffe wegnehmen. Wenn man sich überlegt, dass zwei dieser Kreaturen tatsächlich die Herstellung von zwölfhundert Stellarantrieben in drei Jahren überwacht haben, genug, um der halben Zilthrasse zur Flucht zu verhelfen ...« »Zwölf-hundert - Antriebe!« echote Nadlin schwach. Er sah, dass sich sein Gegenüber zutiefst befriedigt die Hände rieb. »Eine erstaunliche Zahl, nicht wahr?« meinte er dann vergnügt. »Wir werden einen Monat früher als ursprünglich geplant ins Eastern Ridge vorstoßen können. Blord behält fünfundzwanzig Prozent der Gesamtsumme für sich, den Rest überlässt er Edee Calder. Die Ärzte haben sie und ihre Arbeiter noch rechtzeitig behandeln können, wenn es auch fünf Jahre dauern wird, bis sie völlig geheilt sein werden. »Das einzige Problem ist nur, dass die Patrouille jetzt so tief in Blords Schuld steht, dass sie es nie wieder gutmachen kann.« Er seufzte. »Also meine ich, dass wir es am besten erst gar nicht versuchen.«
18 Artur Blord wusste nicht genau, was er tun sollte; also schüttelte er den Becher, während ihn die beiden Frauen, die neben seinem Schreibtisch standen, nicht aus den Augen ließen. Die dunkelbraune Flüssigkeit in dem Glasgefäß schwappte wie Wasser hin und her, aber Wasser war auf keinen Fall so schwer. Er steckte den Finger hinein. Die Flüssigkeit war kühl. 111
Zimmertemperatur, schätzte er. Dann sah er auf. »Was kann man damit anfangen, Marian?« Er sah zu, wie die hübsche Physikerin eine Pipette aus ihrer Handtasche zog, sie mit der Flüssigkeit füllte und dann einen Tropfen auf einen metallenen Briefbeschwerer, der auf dem Schreibtisch stand, fallen ließ. Es zischte laut und gefährlich, und dann begann der Beschwerer, sich aufzulösen. Er wurde weich wie Gelee und zerlief dann zu einer Pfütze, die den halben Schreibtisch bedeckte. »Es wird in ungefähr einer Stunde wieder erstarren, ohne dass eine Spur des Lösungsmittels zurückbleibt«, erklärte die Frau. »Dieser Tropfen genügt, um etwa dreißig Kubikzentimeter eines beliebigen Metalls aufzulösen.« Blond runzelte nachdenklich die Stirn. »Das heißt, dass man mit ein paar Pfund Objekte von der Größe eines Schiffes auflösen kann.« »Zum Beispiel«, warf Evana triumphierend ein. »Wir haben uns gedacht, dass Ihnen der Nutzen schnell klar wird.« »Woher haben Sie es?« wollte Blord wissen. Diesmal antwortete die Physikerin. »Wir haben es bei einer Routinebestechung über einen unserer Kontaktleute in der wissenschaftlichen Abteilung der Erdregierung gekauft. Ich dachte, ich zeige es Ihnen am besten, damit Sie es ...« sie lächelte, »... koordinieren können.« Artur Blord starrte unglücklich auf die Flüssigkeit. »Die Wissenschaft eilt der Gesellschaft viel zu weit voraus«, erwiderte er, und seine Stimme klang unbehaglich. „Wie sieht es mit der Herstellung aus?« ihr Ton war nicht ermutigend. »Wir könnten es mit weniger als einer Milliarde Stellors machen«, erklärte sie, »was bedeutet, dass es jeder große Unternehmer in ungefähr einem Jahr in voller Produktion haben könnte.« Blord zuckte die Achseln. »Tja, ich nehme an, es hat nicht viel Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Hier ist es, und wir werden sehen, was wir damit anfangen werden.«
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»Nun, ich wünsche Ihnen viel Glück, sollten Sie zufällig einmal mit ihm zu tun haben«, sagte Marian, während sie ihre Sachen vom Schreibtisch nahm. Einen Augenblick später fiel die Tür leise hinter ihr ins Schloss.
Schon jahrelang, seit seine eigenen Pläne Gestalt angenommen hatten, hatte Professor Brian Emerson darauf gewartet, dass in einem der vielen Laboratorien, deren Leiter er war, eine herausragende Entdeckung gemacht würde; eine Entdeckung, die ihm, zusätzlich zu allen anderen, die er der wissenschaftlichen Abteilung der Erdregierung gestohlen hatte, einen besonderen Vorteil verschaffen würde, der, wie er glaubte, zur Verwirklichung seiner Absicht notwendig war. Es war das flüssige Metall R. Er schreckte nicht davor zurück, gewisse Dinge anzupacken, die erledigt werden mussten. Aufzeichnungen waren zu vernichten, und Männer mussten stumm gemacht werden, die von dem Metall wussten, das Versuchsraumschiff, die Creative Physics musste insgeheim fertig gemacht und seine eigenen Spuren verwischt werden. Und jetzt war er draußen im Raum mit Kurs auf die Ridge Stars. An Bord hatte er den gesamten Bestand des flüssigen Metalls R den es im ganzen Universum gab. Und von den siebzehn Männern, die er angesprochen hatte, weil er der Meinung gewesen war, dass sie mit ihm auf dieses Abenteuer gehen bürden, hatte nur einer umgebracht werden müssen, weil er sich geweigert hatte. „Unsere erste Aufgabe«, sagte er zu Hounsley, seinem ersten Assistenten, als sie noch fünf Tage von ihrem Ziel entfernt waren, »wird es sein, uns ein gewisses Betriebskapital zu verschaffen. Dazu werden wir uns des Schatzschiffes, der Tantalus, bemächtigen, die in etwa zwei Wochen zu ihrem monatlichen Flug zur Erde startet. Natürlich wird die Tantalus
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von Geleitschiffen eskortiert werden, aber wir werden unsichtbar ankommen und nur so viele Schüsse abgeben, wie Schiffe da sind. Es wird keine Überlebenden geben.« Es gab auch keine. Doch nach dem Überfall kam Hounsley unbehaglich zu Professor Emerson. »Sir«, begann er, »ich wusste nicht, dass Sie flüssiges R benutzen würden, um dieses Schiffe auszulöschen. Ich wusste noch nicht einmal, dass wir überhaupt welches an Bord hatten.« Professor Emerson hatte einen ausgeprägten Sinn für Ärger. »Und wo liegt das Problem?« fragte er scharf. »Wie Sie wissen, war ich einer der ersten, die von diesem flüssigen Metall erfahren haben.« »Ja, und?« »Ich habe eine Gallone an die wissenschaftliche Abteilung der Artur Blord Holdinggesellschaft verkauft.« Der Professor erwiderte nichts; nur sein massiges Gesicht mit der gewölbten Stirn, die nicht so recht dazu passen wollte, überzog sich mit einer feinen Röte. Seine blauen Augen schienen so hart wie Stahl zu werden. »Also Sie waren eine der undichten Stellen in der WAE.« Seine Stimme klang völlig ruhig und täuschte über seinen Zorn hinweg. »Es war natürlich nicht schwer für Sie, die entsprechenden Informationen zu bekommen.« Er hielt inne. »Sie haben es also an Artur Blord verkauft; an den großen Artur Blord. Der Mann, der nie verliert, der selbst die mächtigsten Unternehmer der Ridge Stars für seine eigenen Zwecke benutzt. Ich hatte immer schon die Absicht, ihn irgendwann einmal herauszufordern. Offensichtlich kommt dieser Augenblick früher, als ich es mir wünsche.« Er runzelte die Stirn. »Unser Problem ist«, fuhr er fort, »dass wir uns zunächst einmal in einem sicheren Versteck niederlassen müssen. Das ist das Wichtigste. Danach, wenn ich alles über die Ridge Star Psychologie weiß, haben wir immer noch Zeit, Blord entgegenzutreten. Die großen Unternehmer werden mit ihren Problemen selbst fertig. Sie bitten nicht die Polizei um Hilfe.«
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Der Gedanke ließ ihn vergnügter werden.
Evana legte den Zeitungsartikel auf Blords Schreibtisch. »Was steht drin?« fragte Blord, der gerade mit Dokumenten beschäftigt war, ohne aufzusehen. »Es geht um eine Gruppe von Wissenschaftlern, die getötet wurden, als das Raumschiff der wissenschaftlichen Abteilung der Erdregierung, die Creative Physics, neulich gestohlen wurde. Unter den vierundzwanzig Toten war auch Professor Hounsley.« »Hounsley?« echote Blord fragend. Evana nickte. »Marian hat mir gesagt, dass er derjenige ist, der uns das flüssige Metall verkauft hat, das sie Ihnen vor vier Wochen gezeigt hat.« Blord legte die Akte hin, die er gerade in der Hand hielt. »In welchem Zustand befand sich seine Leiche?« Seine Augen verengten sich leicht. »Hier steht - eh, sie war fast unkenntlich.« »Hmmm! Wer wurde sonst noch getötet?« »Wir haben nur zwei der Namen in den Akten«, antwortete Evana. »Ashleyton - er gilt als Instrumentenexperte, und der Leiter der wissenschaftlichen Abteilung ...« »Brian Emerson!« fiel Blord ihr überrascht ins Wort. Er schwieg. Emerson - der berühmteste Name in der Wissenschaft, der Mann, der die letzten zehn Jahre der leitende Professor der WAE gewesen war. Er erhob sich. »Ich finde, wir sollten uns um nähere Informationen zu dieser Sache bemühen - der genaue Zustand, in dem sich die Leichen befanden und so weiter. Und bis dahin lassen Sie uns annehmen, dass Emerson wie ich ihn kenne, noch lebt, und lassen Sie uns weiter annehmen, dass Hounsley ihm inzwischen gestanden hat, uns eine Probe des Metalls verkauft zu haben.« Er wanderte in seinem Büro auf und ab und lachte laut.
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»Emerson wird mich angreifen, sobald er sich in irgendeinem sicheren Versteck organisiert hat. Wir müssen das Versteck finden und den ersten Schlag anbringen.« Er ging hinüber zum Schreibtischeldofon. Als er nach dem Schalter griff, leuchtete ein Leuchtsignal auf, und das dicke Gesicht von Magrusson erschien auf der Sichtplatte. Der Direktor der Artur Blord Holdinggesellschaft, Limited, stöhnte: »Artur, Philips hat mal wieder zugeschlagen.« »Das interessiert mich im Augenblick nicht«, erwiderte Blord hastig. »Passen Sie auf. Schicken Sie Ihre Agenten los. Ich muss wissen, ob irgend etwas Ungewöhnliches in einem der bekannten Kriminellenverstecke in den Ridge Stars vorgeht.« Er erklärte kurz, was er von Evana erfahren hatte. Magrusson schien ihn nicht zu hören. »Es ist auf Zand III passiert«, fuhr er mit düsterer Miene fort. »Philips hat mit Morgan und Dand ein Geschäft abgeschlossen, das Sie zehn Millionen Stellors im nächsten Jahr kosten wird, wenn wir den Auftrag bestätigen.« Blord entspannte sich langsam. Auf seinem Gesicht lag ein schmerzlicher Ausdruck, als er antwortete: »Ich glaube, Sie bestätigen ihn besser. Aber versuchen Sie, zu retten, was noch zu retten ist. Und besorgen Sie mir diese Informationen. Ich brauche sie unbedingt.« Er schaltete das Eldofon aus und starrte seine Sekretärin düster an. »Philips?« fragte Evana. »Ist das der Mann, der ...« »Ja, das ist der Mann. Als ob ich nicht schon genug Ärger hätte. Offen gestanden weiß ich wirklich nicht, was ich mit ihm machen soll. Ich wage es nicht, eine allgemeine Warnung herauszugeben, weil ich damit andere dazu ermutigen könnte, sich ebenfalls für mich auszugeben. Und der lokale Polizeichef, ein alter Feind von mir, hat mir doch tatsächlich erklärt, dass er mich unter Anklage stellen wird, falls Philips irgend etwas zustoßen sollte. Aber selbst wenn ich die Polizei auf meiner Seite hätte, wäre es schwer, diesem Burschen etwas zu
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beweisen. Er hat es fertig gebracht, von einem Dutzend Anklagen wegen Raubmordes freigesprochen zu werden, seit er auf den Ridge Stars ist. Er versucht, mich um fünf Millionen jährlich zu erpressen.« »Wenn ich Sie wäre«, sagte Evana, »würde ich mich auf Emerson konzentrieren. Marian sagt, dass sie Angst hat. Diese Männer sind WISSENSCHAFTLER, in Großbuchstaben.« Sie zögerte. »Ich weiß, es ist Ketzerei, aber warum gehen Sie nicht zur Raumpatrouille?« Als sie den Ausdruck auf seinem Gesicht sah, schränkte sie hastig ein: »Okay, okay. Ich weiß, dass die Ridge Star Unternehmer mit ihren Problemen nicht zur Polizei laufen. Es tut mir leid, dass ich so etwas Vernünftiges erwähnt habe.« »Was die Vernunft anbelangt, da sind Sie diesmal im Unrecht«, wandte Blord tonlos ein. »Die gesamten Polizeikräfte sind mit Spionen durchsetzt.« »Aber in diesem Fall brauchen Sie Publicity«, gab Evana zu bedenken. »Sobald Sie die Existenz dieses flüssigen Metalls und Emersons Identität publik machen, hat er doch keinen Grund mehr, Ihnen etwas zu wollen « Blord lachte grimmig. »Und dann muss ich wahrscheinlich unter einen Lügendetektor, wo ich erklären soll, woher ich meine Probe des flüssigen Metalls habe. Falls Sie es noch nicht wissen. Bestechung ist selbst in den Ridge Stars eine strafbare Handlung. Nein, meine Liebe, wir haben gegenüber Emerson zwei Vorteile. Einmal sind wir die einzigen, die seine Identität kennen, und zum zweiten weiß er nicht mit Sicherheil, dass wir es wissen. Und wir dürfen keinen dieser Vorteil leichtfertig aufgeben.« »Also«, das Mädchen schüttelte den Kopf, »Marian sagt, sie tut, was sie kann, aber Sie sollten sich nicht allzu sehr auf Ihre eigenen Physiker verlassen, wenn sie gegen wissenschaftliche Genies wie Emerson, Ashleyton und Hounsley antreten müssen. Und was mich betrifft, so bin ich gar nicht glücklich über den
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Plan, den ich in Ihrem Kopf vermute.« Blord musterte sie ruhig. »Meine Liebe, es geht hier nicht darum, was ich will. Einen Vorteil kann ich nur gewinnen, wenn ich unverzüglich handele ...» Zwei Stunden später kam der Anruf von Magrusson. »Die Stadt Hid auf dem Höhlenplaneten?« wiederholte Blord. »Gute Arbeit ... Ich bleibe mit Ihnen in Verbindung .«
19 Ein Schatten verließ eine Höhle von Carnot. Er huschte über einen Schotterhaufen und kauerte sich dann hinter einen Felsen, von wo aus er auf die Höhlenstadt Hid hinunterblickte. Sie spannte sich über eine poröse Ebene aus, und ihre Türme ragten hoch unter die überhängende Felsendecker auf. In der massiven Decke waren strahlend helle Punkte, und ein wahres Feuer von Licht ergoss sich auf die darunter liegende Stadt. Der Schatten schimmerte, als er hinter dem Felsen hervorkam und in die strahlende Helligkeit trat. Schon nach wenigen Schritten löste er sich im künstlichen Licht der unterirdischen Stadt auf. Sobald er die Stadt selbst erreicht hatte, wurde der unsichtbare Mann langsamer. Er vermied die Schatten von Gebäuden und machte den Männer und Frauen Platz, die über die Gehsteige hasteten. Manchmal blieb er ein paar Minuten stehen, um einer Unterhaltung zuzuhören, und einmal stand er sogar eine halbe Stunde vor dem großen Hauptverwaltungsgebäude, über dem ein Raumschiff schwebte. Schließlich machte er sich auf den Weg zu einem großen, auffälligen Haus mit mehreren Eingängen. Auf einem leuchtenden Schild stand in farbigen Buchstaben: Chez Madame Spiele und Mädchen Der unsichtbare Mann glitt durch einen der Eingänge und gelangte durch einen überraschenderweise leeren Spielsalon in 118
einen hellen Korridor. Neben einer der Türen fand er in einer raffiniert angebrachten Vorrichtung einen Schlüssel. Die Tür öffnete sich in ein luxuriöses Apartment. Ohne Hast schlenderte er in eines der Schlafzimmer und zog den Tarnanzug aus. Er hatte sich gerade auf das Bett gelegt, als der Schlüssel wieder im Schloss der Eingangstür klickte. ».Ooooohh!« sagte eine Frauenstimme. Dann erklangen Schritte. Die Tür zum Schlafzimmer wurde geöffnet, und eine dralle, mütterlich aussehende Frau von fünfzig Jahren kam hereingestürmt. ..Artur«, sagte sie. »Artur, du! Oder besser -« und dabei lächelte sie liebevoll »- die Gesichtsmaskenausgabe von dir, die du mich sehen lässt.« »Ich freue mich, dass du dich freust, mich zu sehen, Kate«, antwortete Artur Blord. »Ach, Artur«, seufzte sie. »Freuen ist viel zu bescheiden ausgedrückt. Verbrechen zahlt sich nicht mehr aus, zumindest nicht in Hid. Vor einem Monat ist diese Stadt besetzt worden. Die neuen Männer haben die Sieben von Hid, einschließlich Boss Tanser, umgebracht und das Verwaltungsgebäude besetzt. Über unsere Waffen, die so konstruiert sind, dass sie einen Angriff der Raumpatrouille abwehren könnten, wenn diese herausfinden würden, dass es hier eine unterirdische Stadt gibt, haben sie bloß gelacht.« Wieder seufzte sie müde. »Ich möchte, dass du mich von hier wegbringst, Artur. Sie haben die Arbeitszeit auf zwölf Stunden täglich verlängert. In allen Fabriken wird in Schichten Tag und Nacht gearbeitet, und alle Männer, die sich hier versteckt hatten, sind jetzt dort, an Maschinen gekettet. Entweder sie arbeiten, oder... Und mein Geschäft kann ich vergessen.« Artur Blord runzelte die Stirn. »Was stellen sie denn her?« »Instrumente! Geräte!« »Welcher Art?« »Ich kenne nur die, die sie hier angebracht haben. Das muss man sich einmal vorstellen: Aus meinem eigenen Haus haben sie
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eine mechanische Zwangsjacke gemacht. Die Anlagen befinden sich in den Türen und Fenstern, und sie überprüfen mich und meine Kunden genau, wenn wir hereinkommen oder hinausgehen.« »Sie überprüfen euch?« fragte Blord scharf. »Ja, mit so einer Art Röntgenapparat. Sie vergleichen die Form meines und meines Inneren mit der, die in dem Gerät gespeichert ist. Damit sie auch wissen, dass ich ich bin. - Was ist los?« Blord war schon aufgesprungen und zerrte den Tarnanzug unter dem Bett hervor, wo er ihn verstaut hatte. Die Frau starrte ihn überrascht an. Plötzlich verzog sich ihr dickes, gemütliches Gesicht erschrocken. »Oh, Himmel!« murmelte sie. »Eines dieser Sehdinger muss dich ja auch registriert haben, als du hereingekommen bist.« Heftiges Klopfen an der Korridortür unterbrach sie. Blord zuckte die Achseln, schob den Tarnanzug unter das Bett zurück und ließ sich ein paar Minuten später widerstandslos Handschellen anlegen. Er wurde direkt zum Verwaltungsgebäude gebracht, wo man ihn zu einem Aufzug führte. Das Wichtigste war jetzt, dachte Blord angespannt, dass er seine wahre Identität hinter seiner Maske bewahren konnte und darüber hinaus nicht zu vergessen, dass sie unmöglich die Zeit haben konnten, jeden Einzelnen in einer Stadt mit einer halben Millionen Einwohner persönlich zu überprüfen. Glücklicherweise hatte er einige geistige Vorsichtsmaßnahmen getroffen, bevor er sein Schiff verlassen hatte. Der Aufzug hielt, und er wurde durch mit Teppich ausgelegte Korridore zu einer Tür dirigiert, auf der Stadtverwaltung stand. Er betrat ein riesiges Büro, in dem mehrere hundert Mädchen an verschiedenen Maschinen arbeiteten. Auf einer Seite standen lange Reihe von Kabinen. Eine junge Frau kam auf sie zu und bedeutete Blords Begleitung, ihn zu einer dieser Zellen zu
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führen, in der eine blonde, junge Frau hinter einem Schreibtisch saß. Dann verschwand die erste Frau wieder. »Habt ihr ihn durchsucht?« wollte die Blonde wissen. Blord wurde daraufhin schnell und trotzdem gründlich durchsucht. Man nahm ihm seine Schulterwaffe, seinen Ärmelblaster und die drei elektronisch behandelten Messer ab und entdeckte auch seine Brieftasche, das Extrageld in seinem Mantelsaum und die hohlen Sohlen und Absätze seiner Schuhe. Aber die Männer vergaßen, seine Zähne und die Mantelknöpfe zu untersuchen, und sie fanden auch nicht die verschiedenen transparenten Drogen, die unter seinen Finger- und Fußnägeln versteckt waren. Nach der Durchsuchung musste er gegenüber der Blonden Platz nehmen, und die Befragung begann. Sein Name? Er gab ihn mit Len Christopher an. Seine Beschäftigung? Keine! »Überhaupt keine?« fragte die Blonde misstrauisch. »Wissen Sie, ich bin mal hier und mal da«, erklärte Blord so offensichtlich ausweichend wie möglich. Dieb, notierte sie. Blord hielte es für an der Zeit zu einem Protest. »He, hören Sie«, begann er in bestem Unterweltton. »Was ist hier eigentlich Tos? Komm da nichts ahnend her, und was finde ich? Eine organisierte Stadt.« Das Mädchen lächelte düster. »Es hat ein paar Veränderungen gegeben, das stimmt. Auf welchem Weg sind Sie hergekommen?« »Das verrate ich nicht.« Blord schüttelte den Kopf. Aus den Augenwinkeln heraus sah er die Faust eines seiner Begleiter auf sich zufliegen und wich so vor dem Schlag zurück, dass er ihn nicht außer Gefecht setzte, sondern nur leicht betäubte. Aber er ließ sich zurückfallen, als ob er bewusstlos wäre und wartete, bis sie ihm Wasser ins Gesicht schütteten. Benommen schüttelte er den Kopf. »Wir haben es gern, wenn man unsere Fragen beantwortet«, stellte die Frau kühl fest.
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»Ein Freund von mir hat mich in einer der Höhlen ausgesetzt, die im Norden nach Hid hineinführen«, erklärte er mürrisch. »Ich hab' fast zwei Stunden gebraucht, bis ich endlich drin war.« In Wirklichkeit war er von Süden gekommen. Es sah ganz so aus, als ob er diesmal tatsächlich in Schwierigkeiten steckte. Wo bin ich da bloß hineingeraten, dachte er besorgt. »Stellt ihn vor die Karte«, befahl die junge Frau Es war eine gewöhnliche, dreidimensionale Karte der Höhlen; Blord kannte sie alle nur zu genau. Er hatte sich vor langer Zeit unter Hypnose sämtliche Ausgänge, die auf die öde Oberfläche des Planeten führten und die meisten Nebenhöhlen und toten Gänge eingeprägt. Blord betrachtete die Karte zögernd. Es war durchaus möglich, dass in einigen der Eingänge solche »Seh«geräte versteckt waren. Das machte es etwas schwieriger, zu lügen. »Sie sehen«, versuchte er, Zeit zu gewinnen, »irgendwie komisch aus, wenn man sie so sieht.« »Welche ist es?« wollte die Blonde ungerührt wissen. Blord entschied sich für die Wahrheit. Die Hauptsache war, dass man ihn nicht vor Emerson, Ashleyton oder die anderen brachte. Nichts war so gefährlich, als wenn er von solchen Männern überprüft wurde. Die Höhle, durch die er in die Stadt gekommen war, konnte noch nicht mit einer dieser »Seh«anlagen ausgerüstet sein, denn sonst wäre er nicht erst im Chez Madame festgenommen worden. Nachdem er auf die südliche Höhle gezeigt hatte, durch die er gekommen war, sagte die junge Frau: »Natürlich werden wir diese Angaben über den Lügendetektor überprüfen.« »Was glauben Sie denn, wofür ich die Wahrheit sage?« brummte Blord. »Ich weiß, wann ich in der Tinte sitze.« Er fühlte sich jetzt etwas erleichtert. Seine Vermutung, dass man Einzelfälle Untergebenen überließ, hatte sich als richtig herausgestellt. Und was Lügendetektoren betraf, so war er auf
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diese Möglichkeit vorbereitet. Er stand bis zum Scheitel unter mechanischer Hypnose. »Und wo haben Sie sich seit Ihrer Ankunft aufgehalten?« wollte die Blonde wissen. »Ich bin doch erst heute hier angekommen«, erklärte Blord. Im selben Augenblick erkannte er an dem Ausdruck auf ihrem Gesicht, dass er einen Fehler begangen hatte. »Heute?« wiederholte sie überrascht. »Das ist unmöglich. In den letzten acht Tagen ist niemand von draußen hereingekommen, ohne die Alarmanlagen auszulösen.« Sie drehte sich herum und wandte sich an die Männer. »Bringt diesen Burschen zum Chef der Verwaltung«, befahl sie. »Ich glaube, er lügt, aber wir haben die Anweisung, alle zweifelhaften Fälle von Nummer drei überprüfen zu lassen.« Fünf Minuten später stand Blord steif vor dem berühmten Professor Ashleyton. Bevor der Wissenschaftler noch Zeit hatte, etwas zu sagen, wurde die Tür geöffnet, und Brian Emerson trat ein. Blord war überzeugt, dass er nur zufällig gerade in diesem Augenblick hereingekommen war, und doch jagte ihm das Zusammentreffen mit diesem Mann eine Gänsehaut über den Rücken. In seiner ganzen Laufbahn hatte es das Glück selten so schlecht mit ihm gemeint wie jetzt. Emerson stellte sich hinter Ashleyton und warf einen Blick auf Blords »Len Christopher« Akte, die sich Ashleyton gerade durchlies. So hatte Blord Zeit, sich die beiden Wissenschaftler genauer anzusehen. Beide trugen Gesichtsmasken wie er selbst, aber er hatte die dreidimensionalen Filme von ihnen so lange studiert, bis er sie schon allein an der Art und Weise identifizieren konnte, wie sie dastanden oder wie sie saßen. Er erkannte Ashley an der für ihn typischen, leicht vorgebeugten Schulterhaltung und Emerson an seiner schweren Brust. Ashleyton war groß und hager, hatte knochige Finger und einen länglichen Schädel. Emerson war ebenfalls groß, aber von massiger Statur und mit einem viereckigen, schweren Kopf. Der
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Mann strahlte physische und nervliche Kraft aus. Während er die beiden Männer vor ihm betrachtete, durchlief Blord ein krankhaftes Gefühl der Erregung. Plötzlich kam ihm die ganze Situation irgendwie phantastisch vor. Es war eine Sache, in seinem Büro zu sitzen und anhand der dürftigen Angaben, die er gehabt hatte, den Aufenthaltsort dieser Männer hier in den Ridge Stars herauszufinden. Aber es war etwas völlig anderes, sie dann hier in der Umgebung von Hid zu sehen, Männer, die noch vor nicht allzu langer Zeit angesehene und verantwortungsbewusste Bürger gewesen waren - und die jetzt ihre selbstgewählten Rollen von Superpiraten spielten. Emerson lachte. Es war ein volles, zuversichtliches Lachen. »Es wäre interessant zu wissen, Christopher«, meinte er, »welcher der drei Möglichkeiten, die es gibt, um unbemerkt an unserem behelfsmäßigen Alarmsystem vor beizukommen, Sie sich bedient haben. War es ein Tarnanzug oder ...« Er brach ab. »Es ist ja im Grunde unwichtig- Wenn Sie wieder hierher zurückkommen, wird Jas System soweit perfektioniert sein, dass solche Fehler nicht mehr vorkommen.« Er zuckte die Achseln. »Wissen 5ie, dass Sie großes Glück haben! Normalerweise würden Sie jetzt schon an einer Maschine in einer der Fabriken in Hid arbeiten. Aber wir werden Sie statt dessen nach Dein' II schicken.« »He!« rief Blord. »Wozu das denn?« Er war ehrlich überrascht. Emerson hob die Schultern. »Die Raffinesse, mit der Sie sich in die Stadt geschlichen haben, beeindruckt mich, und in letzter Zeit hat mich wirklich nicht viel beeindruckt. Offen gestanden empfinde ich regelrecht Abscheu vor dem menschlichen Material, mit dem ich arbeiten muss. Aber nun - ich nehme doch an, Sie haben schon von Artur Blord gehört?« Blord wartete schweigend und überlegt, was jetzt kommen würde. Er gestand sich ein, dass ihn die Erwähnung seines eigenen Namens doch ein ganz klein wenig beunruhigte.
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»Eine unserer ersten Aktion wird sein, das Blord-Imperium zu übernehmen«, fuhr Emerson fort. »Sie wollen was?« fragte Blord. Er begann zu lachen, hatte sich aber schnell wieder in der Gewalt. »Hören Sie, Chef«, erwiderte er dann, »wer sich mit Artur Blord anlegt, der liegt so schnell im Dreck, dass er gar nicht mitkriegt, wer ihn reingestossen hat.« Emerson gab nicht sofort Antwort. Das Lächeln war aus seinem Gesicht gewichen, und in seinem Ausdruck lag eine Spur von Verachtung, als er jetzt mit flacher, ausdrucksloser Stimme sagte: »Artur Blord wird in zwei Wochen tot sein, weil er etwas über mich weiß oder jedenfalls sehr bald erfahren wird. Und zu meinem Plan gegen ihn gehört, seine gesamte Organisation zu übernehmen. Aber jetzt genug davon«, schloss er kurz. »Sie werden Ihre Instruktionen bei Ihrer Arbeit bekommen, Christopher. Und nun geben Sie mir die Spritze, Ashleyton.« Ein Blick auf die gelbliche Flüssigkeit in dem durchsichtigen Röhrchen der Spritze bestätigte Blords schlimmste Befürchtungen. Er war sich inzwischen sicher, dass Emersons Anwesenheit in Ashleytons Büro keineswegs zufällig war Die Blonde in der Stadtverwaltung musste Ashleyton informiert haben, dass sie ihm einen einfallsreichen Dieb schickte, und daraufhin hatte Ashleyton seinerseits Emerson Bescheid gegeben. So unauffällig wie möglich nahm Blord langsam seine linke Hand in Richtung Mund hoch. »Was wollen Sie mit mir machen, Chef?« fragte er nervös, um seine wahre Absicht zu verbergen. Wenn es ihm gelang, die Droge zu schlucken, die unter dem Nagel seines Mittelfingers seiner linken Hand verborgen war ... Emerson lachte wieder. »Das hier ist als das so genannte Siebentage-Gift bekannt. In der ursprünglichen Form, und das ist die einzige, die auf dem normalen Markt erhältlich ist, reagiert es chemisch mit dem Blut und führt nach sieben Tagen zum Tod. Aber wer mit der komplexen Proteinstruktur des Giftes
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genau vertraut ist, kann die Zeitspanne zwischen der Injektion und dem Tod in gewissem Maße variieren. Diese spezielle Mischung, die ich hier habe, führt zum Beispiel erst am dreißigsten Tag zum Tod. Es gibt nur zwei Gegenmittel. Das eine muss als Basis die Originalmischung des Giftes haben. Glücklicherweise kann es jederzeit bis unmittelbar vor dem Tod injiziert werden.« Emerson lächelte. »Da wir im Besitz dieser Mischung sind, werden Sie leicht einsehen, wie wichtig es für Sie ist, dass Sie unsere Anweisungen genauestens ausführen. Wenn Sie Ihr Leben retten wollen, müssen Sie hier nach Hid zurückkehren, wo Sie das Gegenmittel bekommen.« Er schwieg, und Blord hatte den Eindruck, dass ihn etwas im stillen amüsierte. »Das zweite Gegenmittel muss im voraus genommen werden«, fuhr er dann fort. »Kluge Leute tragen oft eine Dosis unter ihren Fingernägeln bei sich. Packt seinen Arm!« Der Professor lachte triumphierend. »Nein, nein, mein Freund. Solche Tricks funktionieren bei uns nicht. Rollt seinen Ärmel hoch!« Der Einstich der Nadel verursachte einen kurzen Schmerz in Blords Arm. »Das war's«, meinte Emerson. »Es kann losgehen.«
20 Nach einer Stunde war der Kriegsrat in Blords Büro immer noch keinen Schritt weiter. Blord studierte die Gesichter der übrigen Anwesenden: ein Mann und vier Frauen. Zum ersten Mal in seinem Leben sah er diese Leute, die für ihn arbeiteten, irgendwie mit anderen Augen. Er fühlte sich distanziert, fremd, von ihnen gelöst. Das Gift schien seine Umgebung zu verändern. Er betrachtete die Gesichter noch genauer, in dem neuen Bewusstsein der Tatsache, dass in seiner Organisation die Frauen zahlenmäßig überlegen waren. Seltsam, dass man Männern, die zu den Ridge Stars kamen, in einer 126
untergeordneten Position nie vorbehaltlos vertrauen konnte. »Ich bin sicher, dass Artur irgend etwas einfällt«, sagte Evana zuversichtlich. Blord brachte ein schiefes Lächeln zustande. »Nicht ein einziges Mal nach meiner Gefangennahme habe ich wirklich die Gelegenheit gehabt, etwas selbständig zu tun, und die Tatsache meiner Freilassung hat nichts mit meinen persönlichen Fähigkeiten zu tun. Eine Freilassung, die im übrigen nicht endgültig ist, wenn ich an das Gift denke. Ganz gleich, welchen Plan auch immer wir uns einfallen lassen, er muss meine Rückkehr nach Hid zu einem lebenden Emerson und Ashleyton einschließen, damit ich das Gegenmittel bekomme.« Schweigen breitete sich unter den Anwesenden aus. Die drei Wissenschaftlerinnen sahen einander an, und schließlich meinte Sarah Gray, eine Chemikerin, seufzend: »Ihre gegenwärtige Lage macht es natürlich nicht gerade einfach, einen vernünftigen Plan zu finden. Sie haben uns übrigens noch nicht gesagt«, fügte sie hinzu, »welche Anweisungen Emerson Ihnen gegeben hat. Vielleicht könnten wir ihnen eine Falle stellen.« Blord lächelte müde. Dieser Vorschlag war typisch für alles, was das Treffen bisher gebracht hatte: vage, einfaltslose, fast defätistische Ideen. »Das ist der Haken an der ganzen Sache, Sarah«, erklärte er. »Am 28. März, das ist heute in neun Tagen, um elf Uhr, soll ich meine Informationen über einen Einzelsender weitergeben, den sie mir mitgegeben haben. Wie sollten wir da eine Falle stellen?« »Und welche Informationen wollen sie?« Es war Marian Clark, die Leiterin seines wissenschaftlichen Stabes, die ihm damals das flüssige Metall gezeigt hatte. Ihr Ton war knapp und drängend. »Ich soll versuchen, etwas über die Schritte, die Artur Blord unternimmt, in Erfahrung zu bringen und die Informationen dann an Hounsley, ihren Kommunikationsmann, weitergeben.« Magrusson, außer Blord der einzige Mann im Raum, wischte
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sich den Schweiß von seinem schweren Gesicht. »Ich hoffe«, warf er ein, »dass sie nicht auf die Idee kommen, dieses Gebäude in die Luft zu jagen.« Blord lächelte seinem Direktor zu. Die düstere Stimmung des anderen ließ ihn plötzlich fröhlicher werden. »Machen Sie sich keine Sorgen um Ihre Haut, mein alter Freund. Emerson hat spektakuläre Pläne, und einer dieser Pläne geht dahin, meinen gesamten Besitz zu übernehmen. Er braucht Sie, damit Sie die Organisation weiter leiten.« »Aber ...«, erwiderte Magrusson verständnislos. »Fragen Sie mich nicht, wie er das anstellen will. Und das ist es gerade, was mich beunruhigt. Wenn er wirklich meinen Besitz übernehmen kann, dann ist das galaktische Rechtssystem wertlos. Nehmen wir einmal an, ich würde sterben. Natürlich ist jeder in diesem Raum«, fuhr er fort, »in meinem Testament bedacht. Und etwa hundert Familien, über die Ridge Stars verstreut, sowie noch einige andere, alles in allem rund tausend Leute.« Er lächelte. »Der Anteil, der jedem zufällt, ist keineswegs so bescheiden, wie es sich bei dieser enormen Zahl vielleicht anhört. Ich bin sicher, dass noch nicht einmal Magrusson eine genaue Vorstellung von der tatsächlichen Höhe meines Vermögens besitzt. Mir gehören ganze Städte. Auf einigen Planeten sogar jede Fabrik, jedes Kraftwerk und jede Mine Mein Testament ist auf dem Registrierten Kreis fixiert, der angeblich todsicher sein soll, so dass also jedes kleinere oder größere Geschäft, ob auf der Erde oder anderswo, von seiner Unverletzlichkeit abhängt.« Seine Miene verdüsterte sich. »Ich möchte annehmen, dass noch nicht einmal Ashleyton etwas an dem ändern kann, was bereits auf diesem Kreis festgehalten ist. Allerdings wäre es möglich, dass er etwas hinzufügen könnte.« »In letzter Zeit ist aber auch alles schief gelaufen«, stöhnte Magrusson leise. »Erst dieser Verbrecher Philips, dann ..." Blord unterbrach ihn. »Ich sehe, dass es wohl besser ist, wenn wir uns die Sache noch einmal durch den Kopf gehen lassen.«
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Die Versammlung löste sich schweigend auf. Drei Tage danach saß Blord im Hauptlabor seiner physikalischen Abteilung. »Wie wirkt dieses flüssige Metall eigentlich?« wollte er von Marian Clark wissen. »In flüssigem Metall«, erklärte die Physikerin, »ist die normale Kristallspannung durch Entfernung der Gravitons gelockert. Das Metall fließt in einem Molekularstrom, aber - und das ist es, was den Prozess so wichtig macht - es hungert förmlich nach Gravitons, die es aus der ihm nächsten Schicht aufnimmt. Dadurch löste es eine Kette verflüssigender Reaktionen aus. Allerdings wird ein Teil der Gravitons in Form von Gravitationsenergie ausgestrahlt - das ist dieses zischende Geräusch, das Sie gehört haben -, und deshalb dauert es ungefähr eine Stunde, bis ein verflüssigtes Stück Metall wieder seinen Festzustand angenommen hat.« Sie brach ab. »Haben Sie vielleicht irgendeine Idee, wie man das Metall verwenden könnte - gegen Emerson verwenden könnte?« fragte sie dann. Blord schüttelte den Kopf. »Mir fällt nichts, aber auch gar nichts ein«, gestand er. Zwei Tage später war Blord wieder in dem Labor, diesmal in Begleitung von Evana, auf deren Gesicht ein sorgenvoller Ausdruck lag. »Ich zerbreche mir schon die ganze Zeit den Kopf«, begann er. »Angenommen, Emerson käme in mein Büro in der Absicht, mich zu töten, und wenn er die Tür öffnet I wird er von jeder nur erdenkbaren Art von Waffenfeuer getroffen. Natürlich wird das nicht passieren, denn ich, kann es mir nicht leisten, dass er getötet wird, bis ich das Gegenmittel habe. Aber das weiß er nicht, und deshalb wird er annehmen, ich hätte ein Verteidigungssystem. Ist irgend etwas in der Wissenschaft bekannt, das ihm bei einer solchen Absicht helfen könnte?« Die Physikerin sah ihn ruhig an, »Bekannt nicht«, entgegnete sie schließlich. »Aber vor rund sieben Jahren ging auf der Erde
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das Gerücht um, dass ein WAE-Wissenschaftler eine Erfindung entwickelt hätte, die allen Strahlenwaffen entgegenwirkt. Es hieß, dass diese Erfindung den Energiefluss umkehrt, was unweigerlich eine Zerstörung der Waffe und damit des Schützen zur Folge hat. Wir haben alle unsere Spione in der WAE, einschließlich Hounsley, darauf angesetzt, aber sie wussten nur zu berichten, dass mehrere bedeutende Wissenschaftler plötzlich gestorben waren. Es blieb also lediglich das Gerücht.« Als sie ihre Ausführungen beendet hatte, meinte Blord. »Wissen Sie, mir ist jetzt klar, dass Sie im Grunde recht hatten. Ich bin das ganze Problem aus der falschen Perspektive angegangen. Erinnern Sie sich noch, dass Sie mir gesagt haben, ich solle mich nicht allzu sehr auf unsere Wissenschaft verlassen, wenn wir uns mit Emerson und Ashleyton anlegen wollten? Es stimmt. Zehn Jahre lang hat er die Erfindungen von mehr als neunzigtausend WAE-Wissenschaftlern gestohlen. Auf seinem eigenen Gebiet ist er unschlagbar.« »Meinen Sie damit. Sie haben eine Idee?« wollte Evana wissen, deren Miene sich plötzlich aufhellte. Blord schüttelte stirnrunzelnd den Kopf. »Ich muss mir das alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Mein Material sind Menschen und ihre Psychologie. Meine Methoden sind Tricks. Ich hätte eigentlich schon früher darauf kommen müssen. Es muss doch etwas geben ...« Am sechsten und siebten Tag war ihm immer noch nichts eingefallen. Am achten Tag saß Blord in seinem Büro. War es denn möglich, dass er diesmal wirklich geschlagen war, dachte er in einer Mischung aus Staunen und Erschrecken. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Magrusson und Evana hereinkamen. Das Gesicht des dicken Mannes war länger als gewöhnlich. „Ich habe eine ganze Wagenladung Arger für Sie«, begann er düster. »Wie hätten Sie's gern? Einzeln oder alles auf einem Haufen?«
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Blord musste lachen, als er Magrussons Ausdruck sah. Für seinen Direktor war das Leben so eine ernste Angelegenheit, dass es ihn all seine Energie kostete, nicht in einen Zustand permanenter Depression zu verfallen. »Sie sind mir vielleicht ein Spaßvogel«, schimpfte Magrusson. »Morgen sind wir womöglich alle schon tot, und Sie finden das auch noch lustig.« Blord hatte Mühe, wieder ernst zu werden. Entspannter, als er sich seit vielen Tagen gefühlt hatte, setzte er sich in seinem Sessel zurück. »Danke«, sagte er dann. »Das habe ich gebraucht. So, und jetzt laden Sie mal ab.« »Zuerst einmal haben wir wieder Ärger mit Philips«, begann Magrusson düster. »Seine neueste ...« Evana bemerkte den Ausdruck auf seinem Gesicht und warf hastig ein: »Er meint diesen Philips, der sich überall für Sie ausgibt.« Blord hörte kaum, was sie sagte. Ein Gefühl hastiger Erregung durchlief ihn. »Philips!« wiederholte er erfreut. »Natürlich. Er könnte die Antwort sein. Wie konnte ich nur vergessen, ihn mitspielen zu lassen, wo er doch immer unbedingt mitspielen will?« Er war aufgesprungen, und in seinen Augen stand das alte Funkeln. »Magrusson«, rief er, »holen Sie mir Philips her. Sagen Sie ihm, wir zahlen. Sagen Sie ihm - ach egal, was Sie ihm sagen. Hauptsache, Sie kriegen ihn her!« Der Direktor starrte ihn finster an. »Sie müssen verrückt sein. Haben Sie vergessen, dass Sie immer noch nach Hid zurück müssen? Und wie kommen Sie darauf, dass sich Emerson überhaupt die Mühe machen wird, Ihnen das Gegenmittel zu geben?« »Er wird es mir geben müssen«, antwortete Artur Blord grimmig, »um sein eigenes Leben zu retten.« »Ich finde, es hört sich ziemlich gefährlich an«, wandte Magrusson ein.
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„Natürlich ist es gefährlich«, gab Blord kurz zurück. »Es ist doch gerade die Gefahr, die das Leben interessant macht.« Er brach ab. »Was für ein Dummkopf ich doch gewesen bin! Die Psychologie dieser Sache ist von Anfang an sonnenklar gewesen: Hounsley - Philips!« »Die wirkliche Gefahr«, erwiderte Magrusson in plötzlicher Erkenntnis, »und das größte Problem bei Ihnen ist, dass Sie Männer wie diesen Emerson bewundern. Ich wette, Sie werden ihn leben lassen.« Blord hörte kaum hin. Er lachte rau. »Philips Rolle wird zwar ziemlich unerfreulich werden, aber er hat es ja nicht anders gewollt.«
Artur Blord war tot. Ein Unglücksfall. Er war bei der Explosion seines eigenen Elektronenblasters ums Leben gekommen. Nach Angaben der Polizei hatte er ihn offensichtlich aus einem belanglosen Grund aus der Halfter gezogen, und dabei war ein Kurzschluss eingetreten. Auf Delfi II verbreitete sich die Nachricht von seinem Tod sehr schnell. Eine Menschenmenge versammelte sich vor dem zweihundert Stockwerke hohen Blord-Gebäude und starrte neugierig hinauf zum Penthaus, wo sich der Unfall ereignet hatte. Die Nachricht eilte über Eldofon durch das ganze Ridge Star Gebiet bis zur Erde und zu den weiter entfernten Sternen, die dahinter lagen. Seine Bekanntheit war überraschend. Auf allen öffentlichen Eldofonplatten und in allen Zeitungen konnte man das Bild seiner Leiche sehen, die, fast entzweigerissen, am Fuß seines Schreibtisches in einer großen Blutlache lag. Es war kein gutes Bild, abgesehen von dem entsetzlichen Anblick. Es zeigte sein Gesicht zu deutlich. Auf seinen feinen Zügen lag ein hässlicher, ungewohnter Ausdruck, der durch die halb entblößten Zahne hervorgerufen wurde. Es schien ganz so, als habe im Augenblick des Todes ein unerfreulicher und bis
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dahin unbekannter Charakterzug des berühmten Unternehmers seinen seelenlosen Stempel auf dessen Gesicht gedrückt. Ein fremder, wölfischer Blord lag dort im Luxusbüro des Penthauses. Das Bild schockte Millionen seiner Bewunderer, und mehrere Zeitungen kommentierten in Leitartikeln diese Tatsache. Die meisten Zeitungen und Kommentatoren zeigten sich allerdings großzügig in ihrem Lob auf den großen Unternehmer. In allen Einzelheiten wurde von seinen phantastischen Gewinnen berichtet. Und die Zeitungen zitierten mit wirklichem Vergnügen die Feststellung seines Direktors Magrusson: »Ich wusste noch nicht einmal, dass er in seinem Büro war. Ich dachte, er hielt sich irgendwo am anderen Ende der Ridge Stars auf. Aber so war er. Er kam und verschwand wie ein Geist.« Und nach diesem Prinzip, so betonten, die Zeitungen, habe er sein seltsames, dramatisches Leben bis zum Augenblick gelebt.« Am fünften Tag verlegte sich das allgemeine Interesse auf einen neuen Aspekt des Falls: Das Blord-Vermögen! Die Zeitungen griffen in ihren Schätzungen recht hoch. Eine Billion war die kleinste abgedruckte Zahl; und als die Schätzungen immer höher wurden, begann man sich die Frage zu stellen: Wer sind die Erben? Am siebten Tag traf der Generaldirektor des Registrierten Kreises von Fasser IV auf Delfi II ein und gab eine vorsichtige Verlautbarung an die Öffentlichkeit, dass zwei Testamente existierten, von denen eins erst eine Woche vor Blords Tod gemacht worden sei und das das erste völlig widerrief. Das Testament war ganz legal, und in ihm hinterließ Blord sein gesamtes Vermögen einem gewissen Johann Smith, der im Blord-Hotel wohnte. Auf dieses Hotel stürzten sich nun scharenweise die Reporter. Sie bekamen ein Interview von einem Mann mit einer magnetischen Persönlichkeit, der eine auffällige physische Ähnlichkeit mit Professor Brian Emerson besaß, wenn auch
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seine Gesichtszüge anders waren. Diese Ähnlichkeit fiel allerdings niemandem auf. »Ich habe Artur Blord einmal das Leben gerettet«, erklärte dieser Mann den gespannten Presseleuten. »Ich überlasse die Angelegenheit meinen Anwälten und den Gerichten und werde zurückkommen, wenn der Fall rechtlich geklärt ist« Am folgenden Tag war er verschwunden.
21 Artur Blord wusste, dass es Wege gab, nach Hid hineinzukommen, die die Gruppe in der kurzen Zeit, die sie jetzt hier war, unmöglich entdeckt haben konnte. Diese Eingänge und Ausgänge gefährdeten keineswegs Hids Rolle als sicheres Versteck. Aber für gewisse Zwecke, wie zum Beispiel für vorsichtige Personen, die sich unbemerkt bewegen wollten, waren sie äußerst nützlich. Sie waren von dem ehemaligen Boss Tanser für den Notfall angelegt worden. Blords Koordinationsabteilung hatte einem von Tansers Helfershelfern eine große Summe für das Geheimnis gezahlt. Blord traf unsichtbar in der Stadt ein, hauptsächlich weil es gewisse Dinge gab, die er erledigen musste, unter anderem einen Mann zu töten. Er tat es kalt und gnadenlos. Dann hatte er alle Hast verloren und spazierte ruhig durch die Straßen eines veränderten Hid. Die Boulevards wimmelten von elegant gekleideten Männern und Frauen. In den Spielsalons drängten sich die Spieler, und wenn sich Türen öffneten, drang Lachen und das Klirren von Gläsern, das Geräusch sich drehender Räder und die Rufe des Croupiers hinaus auf die Straße. Hin und wieder konnte Blord einen flüchtigen Blick auf strahlendes Licht im Innern der Häuser werfen, und rings um ihn herum erstreckten sich verwirrende Reklameschilder, soweit das Auge reichte. Das war das alte Hid mit einem neuen Zug: das 134
Amüsierversteck für hunderttausend gesuchte Kriminelle, die darauf warteten, dass die Polizei sie vergaß. Die Unterhaltungen, denen Blord lauschte, verschafften ihm ein Bild von der augenblicklichen Situation. Die fieberhafte Arbeit in den Fabriken, zu denen man alle gezwungen hatte war vorbei. Als die verängstigten Ganoven entdeckt hatten, dass die ganze Arbeit einzig und allein dem Zweck gedient hatte, Hids Verteidigungsanlagen zu verstärken, waren sie so erleichtert gewesen, dass sich ihre Furcht in Bewunderung für die neuen Chefs der Stadt verwandelt hatte. Aus den Gesprächen auf den Boulevards entnahm Blord, dass Hid die zukünftige Ausgangsbasis für gigantische Operationen werden sollte. Es herrschte eine allgemeine Aufregung, die sich auf jeden Einzelnen übertrug. Es erklangen öfter Rufe, lauteres Lachen, und in den Spielsalons wurde besessener gespielt. Überall lag das Gefühl in der Luft, dass große Dinge in Sicht waren. Blord sah sich erneut in der Richtigkeit seines Plans bestätigt. Wenn er funktionierte, dann würden die Ridge Stars vor einer bisher noch nie dagewesenen Ära des Verbrechens gerettet werden. Schließlich kehrte er um - und betrat Hid ein paar Stunden später über einen der üblicheren Wege, den er einige Wochen zuvor benutzt hatte. Als er aus dem Tunnel auftauchte, traf ihn eine Kraft, die seine Arme an seinen Körper fesselte und ihn dann mit Höchstgeschwindigkeit entlang einer Gravitationslinie katapultierte. Nach ein paar Sekunden verlangsamte sich das Tempo, und er konnte sein Ziel erkennen: einen von mehreren Wagen, die auf einem Weg standen. Er fiel sanft hinein, worauf sich der Wagen, ohne einen sichtbaren Eingriff von Menschenhand, in Bewegung setzte und über ein ödes Feld in Richtung Stadt raste. Während der ganzen Fahrt waren seine Hände und Füße von einem Energiestrom gebunden. Unvermittelt tauchte das Fahrzeug in einen Tunnel ein, wo es in einem Stahlkäfig zum Stehen kam.
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Männer eilten herbei, lösten ihn aus seinen unsichtbaren Fesseln und brachten ihn in die Stadtverwaltung hinauf. Es waren diesmal ein anderes Mädchen und eine andere Zelle, aber Blord wartete nicht darauf, dass sie mit ihrer Befragung begann. »Sie können Nummer Eins ausrichten, dass Artur Blord ihn sprechen will.« Das Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten. Man erwartete ihn in einem großen Raum, ein Dutzend Männer, die in kleineren Gruppen zusammenstanden und sich leise unterhielten. Als er in Handschellen und umringt von vier Wächtern hereinkam, fuhren alle herum. Emerson kam mit gerunzelter Stirn heran und bedeutete Blords Begleitern sich zu entfernen. »Wenn Sie wirklich Blord sind-, sagte er langsam, dann, bewundere ich Ihre Nerven, nicht aber Ihre Intelligenz.« Blord lächelt. »Ich fürchte, Sie werden auch letztere bewundern müssen, Emerson, noch bevor ich fertig bin.« »Emerson!« rief Emerson aus. Unter den Anwesenden brach Unruhe aus. »Er kennt uns!» rief jemand. Schweigen breitete »ich im Raum aus. Die früheren WAEProfessoren, mit Ausnahme von Emerson, standen wie erstarrt da, die Stirn gerunzelt, und überlegten offensichtlich, ob auch ihre Identität aufgedeckt war. Nur Emerson schien durch die Enthüllung gestärkt. Er lächelte Dann begann er kehlig und amüsiert zu lachen. »Das ist wirklich gut«, meinte er. »Wir haben also Artur Blord vor ein paar Wochen in unserer Falle geschnappt und wussten es nicht.« Er wurde wieder ernst. »Sie Narr", fuhr er fort. »Sie hätten ohne das geringste Misstrauen unsererseits davonkommen können. Ich hatte wirklich die Absicht, Ihnen das Gegenmittel zu geben.« »Ich glaube Ihnen«, erwiderte Blord, »und das ist auch der Grund, warum ich Sie am Leben lassen werde.» Die Worte kühlten Emerson ab. Kr wich zurück und versteifte sich. »Ich weiß nicht, ob ich das noch lustig finden soll«, sagte
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er langsam. »Wer war dieser Mann in Ihrem Büro, der auf Ashleyton und mich schießen wollte, als wir hereinkamen, um Sie umzubringen?« »Stört es Sie, wenn ich mich setze?« fragte Blord und ging, ohne auf eine Antwort zu warten, zum nächsten Stuhl. Sobald er Platz genommen halte, hielt er seine gefesselten Hände hoch. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, diese Dinger hier abzunehmen? Sie sind wirklich überflüssig.« Niemand rührte sich. »Kommen Sie, kommen Sie«, sagte Blord scharf. »Ich bin von oben bis unten durchsucht worden. Ich habe mich umziehen müssen, man hat meine Finger- und Zehennägel überprüft und meinen falschen Zahn herausgenommen. Mein Sieg über Sie hat nicht« mit irgend etwas zu tun, das ich persönlich gegen Sie unternehmen kann. Ich darf doch soviel Intelligenz von Ihnen erwarten, dass Ihnen das klar ist.« Nach einem Augenblick rief Emerson die Wachen. „Nehmt ihm die Handschellen ab", befahl er. Nachdem die Wärter wieder verschwunden waren, sagte Emerson: -Fangen Sie an. Zuerst: Wer war dieser Mann in Ihrem Büro?" »Ein gewisser Philips«, erklärte Blord bereitwillig. »Er hat sich überall auf den Ridge Stars für mich ausgegeben, weil er mich erpressen wollte. Ich dachte, es könnte nicht schaden, ihn einmal am eigenen Leib erfahren zu lassen, dass es nicht immer ein Zuckerschlecken ist, Artur Blord zu sein. Und Sie haben ihm ja nicht mehr die Gelegenheit gegeben, zu reden- Seine Stimme wurde ganz ruhig. »Ich habe die Szene, wie er gestorben ist, in einem Film gesehen, der von dem ganzen Schauspiel aufgenommen wurde. Wirklich, sehr interessant.« Emerson war kalt, kalt und tödlich ruhig. »Es ist wirklich interessant«, stieß er hinter zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich nehme an, es ist Ihnen bewusst, dass Sie uns völlig ausgeliefert sind, und dass wir jede kleinste Information aus
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Ihrem Kopf holen werden. Vor allem werden wir in Erfahrung bringen, wer sonst noch wie viel weiß, welche Vorsichtsmaßnahmen Sie getroffen haben und andere Angaben, die damit zusammenhängen.« Blord schüttelte den Kopf. -Ich fürchte, so einfach ist das nicht. Sehen Sie, ich habe einen entscheidenden Vorteil Ihnen gegenüber: Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich weiß, das hört sich komisch an. Die Leute sind der Meinung, dass ich, weil mir ein Viertel der Ridge Stars gehöre - was übrigens eine Übertreibung ist - allen Grund hätte, am Leben zu hängen. Sie irren sich. Ich habe alles gehabt, was das Leben zu bieten hat. Für mich sind es jetzt nur noch Augenblicke wie dieser, die zählen, und selbst solche Momente verlieren langsam ihren Reiz für mich.« »Sie haben uns immer noch keinen konkreten Beweis gegeben«, entgegnete Emerson kühl. Blord ignorierte die Unterbrechung. Aber das Lächeln war aus seinem Gesicht gewichen. Er beugte sich an». spannt vor. »Das, was ich gerade gesagt habe, war nur eine Einleitung zu folgender Feststellung: Es ist einfach für einen Mann, der den Tod nicht fürchtet, und dem unbegrenzte Geldmittel zur Verfügung stehen, mit Bestechung, Korruption und der Furcht vor dem Tod bei anderen zu arbeiten. Ich denke da ganz besonders an einen Ihrer Kollegen, Professor Hounsley, der früher Bestechungsgelder von mir angenommen hat und der jetzt, wie Sie bitte zur Kenntnis nehmen wollen, nicht in diesem Raum anwesend ist. Und es ist auch zwecklos, zu versuchen, ihn dort, wo Sie ihn jetzt vermuten, anzurufen.« Es wäre schwer gewesen, überlegte, Blord, nachdem er das gesagt hatte, Hounsley überhaupt irgendwo in einem ansprechbaren Zustand anzutreffen. Tote Männer erschienen nicht auf Zusammenkünften. Danach erklärte er ihnen gelassen seine Bedingungen.
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Eine Woche später saß Blord wieder in seinem Büro auf Delfi II. Diesmal war die Atmosphäre anders; diesmal strahlten die vier anwesenden Frauen über das ganze Gesicht, und selbst Magrussons Miene war nicht ganz so düster wie sonst. »Es war im Grunde ganz einfach«, sagte Blord unbescheiden. »Ich musste realistisch sterben, wenn ich herausfinden wollte, ob Emerson tatsächlich um den Registrierten Kreis herumkommen konnte, der ja die Basis unseres Vertragsund Rechtssystems ist. Und wie sich herausstellte, konnte er nichts tun, außer ein geschickt gefälschtes Testament einzufügen.« Nach einer Pause fuhr er fort: »Während Ashleyton und Emerson in meinem Büro waren und Philips umbrachten, rief ich Hounsley über den Sender an, den Emerson mir gegeben hatte. Ich bot ihm hundert Millionen Stellors, wenn er mir die Geheimnisse an Bord des Forschungsschiffes Creative Physics zeigen würde. Solche Zahlen beeindrucken jeden, und es ist amüsant, ein derartiges Angebot zu machen, selbst wenn man nicht die Absicht hat, tatsächlich zu zahlen. Hounsley war zu Tode erschrocken, als er hörte, dass ich noch lebte, und ich wusste, dass ich ihn hatte, als Emerson unter dem Namen Johann Smith nach Delfi II kam, um Anspruch auf meinen Besitz zu erheben. Es lag auf der Hand, dass Hounsley ihm nichts von unserem Gespräch erzählt hatte. Vielleicht hatte er die Absicht, mich zu hintergehen. Ich weiß es nicht und werde es auch nie erfahren. Jedenfalls traf ich an dem Tag in Hid ein, an dem die Reihe an mir war, nach der Creative Physics zu sehen. Ich tötete ihn in dem Moment, als er mich an Bord ließ.« Blord brach ab und sah Magrusson fragend an. »Was ist denn?« »Wieso trug Hounsley denn nicht eine dieser Erfindungen bei sich, die alle Waffen in die entgegengesetzte Richtung explodieren lassen?« wollte der dicke Mann wissen.
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»Das hat er ja«, erwiderte Blord. »Aber ich habe ihn erwürgt, also brauchten mich seine mechanischen Verteidigungssysteme nicht zu kümmern. Physisch war er eine Null.« »Oh!« kommentierte Magrusson. »Sobald das Schiff in meiner Hand war«, erklärte Blord weiter, »ließ ich Marian und Sarah an Bord. Und dann musste ich Emerson nur noch wissen lassen, dass da irgendwo über ihm ein Schiff schwebte, das nur darauf wartete, die gesamte Stadt Hid dem Erdboden gleich zu machen. Ich habe ihnen das übliche erzählt, von wegen, dass ich keine Angst vor dem Tod hätte und so weiter. Sie wussten aber sehr genau, dass sie Angst hatten, also ...« Er lachte vergnügt. Evana schüttelte den Kopf. »Ich begreife nicht, warum Sie Emerson und die anderen am Leben gelassen haben«, sagte sie. Blord sah sie an. »Meine Liebe, ich töte wirklich niemanden, wenn es nicht unbedingt nötig ist. Ich konnte es natürlich nicht riskieren, Hounsley leben zu lassen, da Marian und Sarah ja eine Zeitlang allein auf dem Schiff bleiben sollten. Aber wenn ich anfangen würde, alle Leute in den Ridge Stars umzubringen, die es verdient hätten, dann müsste ich mir eine Kanone von der Größe des Erdmondes bauen und jeden Planeten der Ridge Stars in die Luft jagen Außerdem«, fuhr er fort, «dürfte der Professor jetzt, wo er seiner wichtigsten Geheimnisse beraubt ist, eine interessante Ergänzung zu meiner Akte über große Unternehmer in den Ridge Stars sein. »Natürlich leidet Emerson«, schloss er nachdenklich, »an Größenwahn, und deshalb wird er früher oder später wieder versuchen, mich zu erledigen. Und dann werde ich ihn vielleicht töten müssen. Aber da ich es mir nicht leisten kann, mich durch eine solche Überlegung verrückt machen zu lassen«, er lächelte, »werde ich die ganze Angelegenheil vorerst einfach vergessen.«
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22 Evana Travis hörte Artur Blord schweigend und nachdenklich zu. »Was mich stört«, sagte er gerade, »ist die Tatsache, dass eigentlich nichts mehr in den Ridge Stars passieren kann. Jeden Tag wickelt die Artur Blord Holdinggesellschaft Geschäfte im Wert von soundsoviel Millionen Stellors ab, aber es läuft jetzt praktisch alles von allein. Selbst die Gauner, die versuchen, uns zu betrügen, sind mehr als einfallslos.« »Es ist erst acht Monate her, dass Emerson dich fast umgebracht hätte«, entgegnete Evana ruhig. Blord fuhr fort, als ob er ihren Einwand nicht gehört hätte. »Nimm zum Beispiel den Corbett-Fall, mit dem Magrusson mir die letzten Tage ständig nachläuft. Die übliche Leier. Ein illoyaler männlicher Angestellter. Verantwortungsvolle Position als Einkäufer. Seit Jahren hat er Waren bei Firmen eingekauft, die ihm dafür eine Provision gezahlt haben. Mir wäre nicht im Traum eingefallen, ihn zu verklagen, wenn er nicht eine Unverzeihlichkeit begangen hätte: Er hat sich Schund andrehen lassen.« Er brach ab, um Atem zu holen. In diesem Moment begann das Eldofon auf seinem Schreibtisch zu summen, und das blaue Licht, das einen Interstellaranruf signalisierte, leuchtete auf. »Soweit ich es sehe«, sagte Blord, die Hand auf dem Eldofon, »habe ich alle Möglichkeiten, etwas Aufregendes in der Ridge Star Gruppe zu erleben, erschöpft.« Er nahm den Hörer auf. »Hier Artur Blord.« Auf der Eldoplatte erschien ein Ausschnitt aus tiefstem Weltraum. In der Ferne war ein Raumschiff zu erkennen, und an einer Seite leuchtete ein roter Lichtpunkt. Blord runzelte die Stirn. »Was zum ...«, begann er. Eine dringliche Stimme unterbrach ihn. »Mr. Blord, hier ist Captain Gray, von Ihrem Frachter Zand. Ich bin gerade von dem Schiff, das Sie da sehen, unter Beschuss genommen worden.« 141
»Feuern Sie zurück«, antwortete Blord entschlossen. »Und holen Sie den Körper da draußen an Bord. Es muss sich um einen Menschen handeln, wenn uns das Rot nicht täuscht.« »Das wollte ich nur wissen, Sir. Ich schätze, sie haben mich zuerst nicht gesehen. Sie haben den Körper abgeworfen, und dann habe ich den roten Punkt auf der Platte entdeckt.« Der Vorteil war auf Captain Grays Seite. Das andere Schiff hatte den Körper in voller Fahrt in den Raum katapultiert. Im letzten Augenblick musste die Besatzung dann das Schiff hinter ihnen bemerkt haben. Sie versuchten nun, umzudrehen, und starke Energieblitze schössen sowohl auf den treibenden roten Punkt, der ein Mensch war, wie auch auf die Zand zu. Die Situation war im Grunde unmöglich. Wenn sich zwei Schiffe gegenseitig mit Atomenergie beschossen, musste das Zusammentreffen rasch ein Ende finde - ein zweideutiges Ende. Die Zand hatte den menschlichen Körper jetzt fast erreicht und zog ihn auf Leitstrahlen in die Luftschleuse. Gleichzeitig gab das andere Schiff Fersengeld und ergriff mit Höchstgeschwindigkeit die Flucht. Es war als Objekt im Bruchteil von Sekunden außer Sicht, wenn auch sein gelber Schein noch mehrere Minuten auf der Eldoplatte zu erkennen war. »Gute Arbeit, Captain«, sagte Blord leise. »Sie bekommen eine Prämie für sich und Ihre Mannschaft. Sobald Sie nähere Einzelheiten wissen, geben Sie sie mir durch.« Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und seufzte. »Sieh dir das an«, sagte er zu Evana. »Soweit bin ich nun schon gesunken. Ich befasse mich mit irgendeinem unbedeutenden Mord. Was hat Lane Stetson, der Patrouillenchef von Marmora, noch neulich zu mir gesagt? Jeden Monat werden in den Ridge Stars neuntausend Morde begangen, von denen man weiß. Und dazu zählt normalerweise noch nicht einmal der Mordversuch, den wir gerade mit angesehen haben. Ein Mord im Raum läuft meistens einfach darauf hinaus, dass das Opfer als »vermisst« registriert wird und ...«
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Er wurde unterbrochen, als Captain Grays Gesicht jetzt zum ersten Mal auf der Sichtplatte erschien. Er war ein Mann mit groben Zügen und einem vom Schein vieler Sonnen dunkel gefärbten Teint. »Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht viel sagen kann«, berichtete er, »aber auf den ersten Blick können wir keine Anhaltspunkte zur Identität des Opfers erkennen. Er wurde auf jeden Fall erschossen, bevor man ihn in den Raum geworfen hat. Sie wollten wohl kein Risiko eingehen.« »Aha«, entgegnete Blord nur. Er sagte weiter nichts, aber es war offensichtlich, dass er in diesem Augenblick Interesse an dem Fall zu entwickeln begann. Rund neun Stunden später wechselte Blords Yacht auf die Geschwindigkeit der Zand, und schon wenige Minuten danach stiegen er und seine Experten an Bord des Frachters, um mit den Untersuchungen zu beginnen. Mit düsterem Blick starrte Blord auf den Toten. Ungefähr vierzig, schätzte er. Ein intelligentes Gesicht, sensibel, selbstsicher - das war wichtig. Noch nicht einmal die Gewissheit des Todes hatte das angeborene Selbstbewusstsein dieses Mannes erschüttern können. Die Identität eines solchen Menschen war unter den unzähligen Bedeutungslosen auf zweihundert Planeten immer irgendwie festzustellen. Irgendwo würde es eine Aufzeichnung seiner Persönlichkeit geben. Der Fotograf drängte sich vor, und Blord wich zurück, um ihm Platz zu machen. Er fand sich neben Captain Gray wieder, und irgendwie verspürte er den Drang, diesem seine Anwesenheit zu erklären. »Zwei Dinge haben mein Interesse an diesem Fall geweckt«, erklärte er. »Einmal, dass sie sich soviel Mühe gegeben haben, die Leiche zu vernichten, und zum zweiten, dass sie ihr Leben in einem mehrminütigen Gefecht riskiert haben, nur um Sie daran zu hindern, den Toten an Bord zu holen. Meine Schlussfolgerungen sind ganz einfach.« Er schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort: »Die Mörder sind üble und
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gerissene Schurken, die sich normalerweise damit begnügen würden, alle Identifizierungsmerkmale an ihren Opfern zu beseitigen. Die Tatsache, dass sie sich in diesem Fall nicht mit den üblichen Vorsichtsmaßnahmen zufrieden gegeben haben, deutet darauf hin, dass es sich um einen bedeutenden Mord handelt. Der erste Beweis für die Richtigkeit meiner Vermutungen wird sein, dass wir an dem Toten nichts finden werden, das uns helfen würde, ihn zu identifizieren.« Er gewann seine hypothetische Wette. Zwei Männer nahmen bei ihrer Suche nach Hinweisen auf die Identität des Opfers dessen Kleidung sprichwörtlich auseinander, doch schließlich gaben sie ihre Bemühungen auf. »Das Material ist herkömmliche Synthetikwolle«, sagte einer von ihnen. »Milliarden Fuß werden jährlich davon verkauft. Ohne das Etikett des Herstellers ist es praktisch unmöglich, hier eine Spur zu finden.« Er zuckte die Achseln, und er war nicht der einzige. Der Röntgenmann meinte in hilflosem Zorn: »Dieser Dummkopf war kerngesund. Er hat keinen einzigen plombierten Zahn. Ist noch nie operiert worden. Wenn die Leute doch einmal begreifen würden, dass die Patrouille über komplette Aufzeichnungen aller Operationen und Verletzungen verfügt, die jederzeit über automatisch-elektronischen Vergleich abrufbar sind?« Auch eine Überprüfung der Fingerabdrücke erbrachte nichts. Blord hatte den Captain schon vorher angewiesen, die Fingerabdrücke über Eldofoto an Evana weiterzugeben, die sie dann unter dem Vorwand, einen neuen Angestellten überprüfen zu wollen, über Bürokanäle weiterleitete Noch bevor er die Zand erreicht hatte, war vom Hauptquartier der Patrouille - mit dem Blord gute Kontakte pflegte - die Meldung gekommen: »Nicht registriert.« Jetzt trat Blord an den Toten heran und sah sich den zerstörten Kopf genau an. Der Energiestrahl war direkt vor dem rechten Ohr eingetreten, hatte sich durch das Gehirn gefressen und war an der linken Schläfe wieder herausgekommen. Der Tod musste
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sofort eingetreten sein, aber die Richtung der Wunde selbst war interessant. Zufrieden schloss Blord seine Untersuchung ab und bedeutete den Leuten, die Leiche zuzudecken. »Er ist also erschossen worden, bevor man ihn in den Raum katapultiert hat«, stellte er fest. »Aus einer Position seitlich hinter ihm. Derjenige, der ihn erschossen hat, konnte nicht sicher sein, dass die Verletzung tödlich war, denn der Schuss aus dem Energiegewehr muss dazu beigetragen haben, ihn in den Raum zu schleudern.« Er schwieg, und seine Miene verdüsterte sich. Aber er musste, zumindest für den Augenblick, der Tatsache ins Auge sehen, dass ihm nichts weiter übrig blieb, als zu hoffen, dass die Täter weitere Schritte unternehmen würden. Je mehr Zeit verstrich, und je undeutlicher die Erinnerungen wurden, desto größer würden die Zweifel des Mörders werden. »Wir müssen annehmen«, sagte Blord mit einem grimmigen Lächeln, »dass er versuchen wird, sich Gewissheit zu verschaffen. Wir alle wissen, dass jeder Mensch in dem Augenblick, in dem er schutzlos in den Raum geworfen würde, an inneren Blutungen sterben würde - weil es im Weltraum keinen Druck gibt. Aber vielleicht sind diese Leute nicht vorsichtig genug gewesen. Vielleicht haben sie vergessen, sich zu vergewissern, ob ihr Opfer nicht möglicherweise einen transparenten Notraumanzug auf der Haut trug. Unter normalen Umständen würde das keine große Rolle spielen. Aber da er so schnell eingeholt wurde, werden sie anfangen, sich zu fragen: »Lebt er noch? Oder ist er doch tot?« Nachdenklich fuhr er fort: »Und da sie sich zweifellos in Captain Grays Eldofongespräch mit mir eingeschaltet Haben, werden sie wissen, wo sie die entsprechenden Informationen bekommen.« Wieder brach er ab, aber diesmal schimmerte in seinen dunklen Augen ein erwartungsvoller Ausdruck. »Wir werden jemanden so zurecht machen, dass er dem Toten gleicht.« Seine Lippen wurden zu einem schmalen Strich. »Und
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ich weiß auch schon jemanden, der sich mit Freude freiwillig dafür zur Verfügung stellen wird. Einer meiner ehemaligen Einkäufer, ein gewisser Corbett.« Blord landete mit seiner Yacht auf dem Energiefeld auf der Spitze des zweihundert Stockwerke hohen Blord-Gebäudes. Dann sprang er hinunter in den Garten und ging in sein Penthausbüro. Als er hineinkam, war Evana gerade im Begriff, aus seinem Sessel hinter seinem Schreibtisch aufzustehen. Sie sah erschrocken aus, als sie ihn bemerkte, dann lächelte sie. »Ich habe einige Meldungen für dich«, erklärte sie strahlend und verschwand in ihrem Büro. Ein paar Minuten später kehrte sie zurück. Sie fragte sich nervös, ob er von ihr würde wissen wollen, was sie da an seinem Schreibtisch gesucht hatte, aber zu ihrer Erleichterung sah sie, dass er sich wortlos in die Papiere vertiefte, die sie ihm gebracht hatte. Noch immer bebend, ging sie in ihr eigenes Büro zurück und setzte sich. Langsam beruhigten sich ihre Nerven. Ich habe es geschafft, dachte sie stolz. Ich habe es geschafft, etwas herauszufinden, was selbst ihm nicht gelungen ist. Ich habe zumindest eine wichtige Tatsache im Zusammenhang mit dem Mord entdeckt. Es war ganz zufällig passiert. Sie war gerade durch Blords Büro gegangen, als ihr Blick auf die riesige, dreidimensionale Karte von den Ridge Stars gefallen war. Und dabei war ihr ganz plötzlich diese Idee gekommen. Einen Augenblick später schon hatte sie die Kartenlichter eingeschaltet und saß in Blords Sessel, wo das Kontrollsystem für die Karte angebracht war. Immer wieder veränderte sie die Perspektive. Die Karte ließ sich in ihrer Größe verändern, so dass der Betrachter den Eindruck bekam, als würde er sich in die Tiefe des Raumes zurückziehen, um somit die rund zweihundert Sterne aus jedem möglichen Blickwinkel zu sehen. Man konnte aber auch jede Sonne so nahe heranholen, dass sie das I gesamte Kartenfeld ausfüllte. Sie visierte verlängerte Zielpunkte in den
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verschiedenen Blickrichtungen an und notierte jedes Mal die Namen der Sterne, die auf dieser Linie lagen, in verschiedenen Spalten. Sie ging dabei strikt logisch vor. Captain Gray und das fremde Schiff waren in dieselbe Richtung geflogen, bevor er umgedreht hatte. Es lag auf der Hand, dass das geheimnisvolle Schiff irgendwohin wollte und von irgendwoher gekommen war, und eine dieser Richtungen würde ihnen vielleicht weiterhelfen können. Aus dem Chaos der möglichen Routen kristallisierten sich sehr schnell zwei Hauptkurse heraus. Da war einmal die Richtung, aus der das Schiff gekommen war. Die Sonnen auf dieser Linie waren Lanvery, Leprechaun, Lorelei ... Sie hielt inne. »Natürlich«, murmelte sie. »Lorelei. Das ist es. Lorelei «
23 Blord kam erst drei Tage später auf diese Idee. Nach Einbruch der Dunkelheit an jenem dritten Tag brachten seine Schutzagenten den verkleideten Corbett und einen zweiten Mann mit großen Zähnen herein, der seinen Namen mürrisch mit Slikes angab. Da man ihn auf frischer Tat ertappt hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als zu gestehen, dass er versucht hatte, Corbett umzubringen. Er schien der Meinung zu sein, dass man sich mit diesen Informationen zufrieden geben würde, aber da irrte er sich. Nach der Befragung nickte Blord seinem ehemaligen Einkäufer knapp zu. «In Ordnung, Corbett, Sie haben Ihren Teil erfüllt. Magrusson wird Ihnen die schriftliche Bestätigung aushändigen, dass die Gesellschaft Sie nicht verklagt, und dass sie ebenfalls davon absieht, das Geld von Ihnen zurückzufordem, das Sie als Bestechungsgeld während Ihrer Zeit als Einkäufer bei uns angenommen haben.« Blord brach ab und 147
musterte den anderen neugierig. »Sagen Sie, wie hoch ist der Profit eigentlich gewesen, den Sie bei der ganzen Sache gemacht haben?« »Neunzig Millionen Stellors«, erwiderte der hagere Corbett fröhlich und schlenderte aus dem Büro. Blord wandte sich an Slikes. »Es sieht so aus, als würde sich diesmal Verbrechen rundum auszahlen. Sie haben Glück, dass Sie geredet haben. Ich werde Sie mit tausend Stellors auf einen meiner Frachter zur Erde bringen lassen, und von mir aus können Sie dann von Bord gehen, wo Sie wollen, nachdem das Schiff die Ridge Star Gruppe verlassen hat.« Nachdem der Mörder aus dem Büro geführt worden war, ging Blord noch einmal in Ruhe die Informationen durch, die er aus dem Mann herausgeholt hatte. Es war nicht viel und doch in einer Hinsicht eine ganze Menge. Derjenige, der ihn angeheuert hatte, hatte es als Tatsache akzeptiert, dass ein Toter noch lebte. Er hatte Slikes auch den Namen seines Opfers gegeben. Aus dem riesigen Universum von Sternen mit seinen Milliarden von Bewohnern war ein Name aus dem Nichts aufgetaucht, und der Rest würde jetzt sicher nicht mehr schwer sein. Und es war tatsächlich nicht schwer. Wer war Professor Philip Amand King? Innerhalb von zwanzig Minuten hatte die Zentralbibliothek von Suderea die gewünschten Informationen mit einem unverkennbaren Foto und einer Lebensgeschichte, die den Professor als Experten für die Todeszone der Loreleisonne beschrieb. »Lorelei!« stieß Blord laut hervor, nachdem er die Verbindung unterbrochen hatte. »Natürlich, Lorelei.« Er rief Evana herein und erzählte ihr in kurzen Worten, was er herausgefunden hatte und was er wollte. Sie nickte ihm zu und verließ lächelnd das Büro. Nach einer Stunde kehrte sie mit den getippten Seiten zurück, die sie seit fast zweiundsiebzig Stunden bereitliegen hatte. Es waren drei einzelne Blätter. Auf dem ersten stand:
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Während der letzten zwei Jahre sind siebenunddreißig Frachter der Lorelei zum Opfer gefallen. In der ganzen Geschichte der Ridge Stars wurden einhundertzweiundneunzig Schiffe von dieser Sonne ins Verderben gelockt und es steht außer Frage, dass es bis vor fünf Jahren wirklich alles nur Unfälle waren. Nach Ansicht unserer Transportabteilung ist die Gesamtzahl der Unglücke in den letzten paar Jahren keineswegs so ungewöhnlich, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Nach der Einführung des in kommunalem Besitz befindlichen Raumantriebs vor einigen Jahren ist der Raumverkehr enorm angestiegen. Sämtliche Raumschiffreparaturdienste sind überlastet, und man schiebt die Ursache für die Unglücke den daraus resultierenden mangelhaften Leistungen zu. Auf dem zweiten stand: Von den siebenunddreißig Schiffen, die in letzter Zeit der Lorelei zum Opfer gefallen sind, wurden sechs von uns gewartet, siebzehn von Squire und Blakely, vier von der CorlissGesellschaft und jeweils zwei von den folgenden Firmen. Die Namensliste der Firmen war angehängt. Der Text auf der dritten und letzten Seite war kurz: Professor Philip King, der mit Nachforschungen auf diesem Gebiet beschäftigt war, gilt auf seinem Heimatplaneten Fasser IV seit einem Monat als vermisst. Es gibt keine Aufzeichnungen darüber, dass er oder sonst jemand anders eine Möglichkeit entdeckt hat, in die Todeszonen der Lorelei vorzudringen. Blord legte die Blätter zur Seite und sah zu dem Mädchen auf. »Ich vermute, Evana«, sagte er, »dass Professor King ein Lorelei-Zonenmeter erfunden und sich dann da2u hat verleiten lassen, es illegal zu benutzen. Und zwar, um damit Schiffe zu bergen, die der Lorelei schon zum Opfer gefallen sind. Es ist im Grunde ganz einfach. Das Gesetz gesteht den Bergern nur fünfzig Prozent zu. King und seine Gruppe bekämen aber hundert Prozent. Dann entdeckte King, dass die Gruppe immer neue Schiffe in die Todeszone lockte. Er weigerte sich, weiter
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mitzumachen und wurde prompt umgebracht, Seine Mörder glauben, dass er immer noch am Leben ist, aber wahrscheinlich nehmen sie an, dass er nicht gewagt hat, sie zu verraten, weil er sich selbst auch eines Verbrechens schuldig gemacht hat. Und jetzt möchte ich«, er stand auf, »dass du ein paar Nachforschungen über den Squire & Blakely Raumschiffservice und Reparaturdienst anstellst. Ich finde es ziemlich verdächtig, dass siebzehn der in der Todeszone der Lorelei verunglückten Schiffe zuletzt bei ihnen gewartet worden sind.« Es war mehr als verdächtig. Sie konnten Mechaniker in anderen Firmen bestochen haben, gelegentlich ein Schiff zu sabotieren, um damit ihre eigenen Aktivitäten zu decken, aber nur in ihren eigenen Betrieben hätte die schuldige Firma in der Lage sein können, Frachter mit wertvollen Ladungen auszusuchen. »Und überprüfe bitte auch die Ladungen der verunglückten Schiffe«, rief er Evana hinterher, die schon auf dem Weg in ihr eigenes Büro war. Er fühlte sich jetzt besser. Blord streckte die Hand aus und berührte die entsprechenden Schalter auf dem Eldofon, worauf fast augenblicklich das Gesicht von Magrusson auf der Platte erschien. Der Direktor runzelte die Stirn, als er ihm die Situation auseinandersetzte. »Hören Sie, Artur«, meinte Magrusson dann, »warum geben Sie die Sache nicht an die Raumpatrouille weiter?« Er musste den Ausdruck auf Blords Gesicht gesehen haben, denn er fügte hastig hinzu: »Jetzt springen Sie mir nicht gleich an den Hals. Ich weiß ja, dass Sie sich nicht gern von der Polizei in etwas hineinpfuschen lassen, das Sie einmal angefangen haben.« »Das ist nicht der Grund«, entgegnete Blord. Magrusson betrachtete ihn nachdenklich. »Ich verstehe. Beweise.« »Genau. Die Möglichkeit einer Verurteilung ist so gering, dass ich sie nicht in Betracht ziehen kann.« »Und was wollen Sie jetzt tun?« Blords Miene war düster. »Ganz gleich, wer hinter dieser
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Firma steckt, ich werde ihn ruinieren.« Ein besorgter Ausdruck trat auf Magrussons Gesicht. »Artur«, wandte er mit unsicherer Stimme ein, »soviel Verstand sollten Sie doch eigentlich haben, dass Sie nicht so etwas sagen. Man kann heutzutage keine Firma mehr durch irgendeinen Druck von außen ruinieren, weder durch finanziellen noch anders. Der Firmenkommissar könnte unser ganzes Unternehmen schließen lassen, wenn Sie es versuchen würden.« Er hatte etwas ganz anderes gemeint, und einen Moment lang war Blord verärgert, dass der andere ihn Missverstanden hatte. Aber die Verärgerung wich rasch vor dem düsteren Bild, das die Worte des erschrockenen Magrusson heraufbeschworen hatten. Er stellte sich vor, wie das Blordsche Wirtschaftsimperium, das sich auf einen Wert in Billionenhöhe belief, zwangsweise liquidiert wurde, und in seinem Magen bildete sich eine eisige Faust. »Mir wird schon etwas einfallen«, erwiderte er schließlich wütend. Schweigend saß er da, die Stirn runzelnd, bis ihm schließlich bewusst wurde, warum er Magrusson angerufen hatte. »Ich werde in wenigen Minuten zur Lorelei aufbrechen«, erklärte er, »und möchte Ihnen vorher einige Anweisungen geben.« Zwanzig Minuten später war er unterwegs. Am folgenden »Morgen« - nach Suderea-Zeit - rief Blord Evana an. Eine Stunde später war der Anruf noch immer auf dem Eldo. Er saß gerade beim Frühstück, als ihm bewusst wurde, dass sie sich schon längst hätte melden müssen. Er begab sich in den Kontrollraum und rief Magrusson über Eldofon an. Das Gesicht des Direktors erschien wenige Augenblicke später auf der Platte. »Miss Travis? - Einen Augenblick ...« Seine Züge verschwammen, als er sich an ein zweites Eldofon begab und wurden dann wieder deutlich. »Das Wachbüro des Hauses sagt, dass sie das Gebäude gestern kurz nach Ihnen verlassen hat und bisher noch nicht wieder zurückgekommen ist.« »Sie hat sich in den vergangenen Tagen ziemlich seltsam benommen«, sagte Blord langsam.
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Er wechselte das Thema. »Haben Sie schon die Informationen?« »Noch nicht. Aber es kann nicht mehr lange dauern.« »Okay.« Die Lorelei war eine große Sonne, aber mit dem bloßen Lage nicht ohne weiteres zu erkennen. Blord zog die Kappe vom Okular des Teleskops, nahm ein paar Korrekturen vor und blickte dann hinaus in die Dunkelheit. In der entfernten, gewaltigen Nacht sah er das blasse Leuchten einiger Sterne. Nach ein paar Minuten hatte er dann die Umrisse des berühmten dunklen Sterns entdeckt, nach dem er suchte. Sein hervorstechendstes Merkmal war die Tatsache, dass et zu sechzig Prozent aus Helium bestand. Helium war ein Edelgas, das vor langer Zeit von den Höllenfeuern, die um es herum gewütet hatten, langsam aktiviert worden war. Es war nicht aktiv genug, um ein explosives Eigenleben zu haben, aber es lebte. Es war eine Halbwertzeit von schrecklicher Instabilität. Wie ein riesiger Blutegel hatten die Heliummassen alle Leuchtenergien eines Himmelskörpers aufgesaugt, der vor unendlich langer Zeit einmal eine strahlende Sonne gewesen war. Und das war nicht genug gewesen. Durch die Gewaltigkeit des Raum-ZeitKontinuums und durch seine eigene Trägheit daran gehindert, sich anderen Sonnen zu nähern, trieb es mit einer solchen Gier nach Energie durch die ewige Nacht, dass sämtliche Energieformen eines jeden Schiffes, das in seine Nähe kam, radikal reduziert wurden. Blords Blick hinaus in die Dunkelheit war kürzer als beabsichtigt. Er fühlte einen harten Schlag, der sich durch seinen ganzen Körper fortsetzte, und dem eine unglaubliche Helligkeit folgte. In den Tiefen seines Schiffes bebten die massiven Atommotoren wie verrückt - und erstarben. Seine Umgebung verschwamm. Er hatte das Gefühl, wie ein Ballon aufzuschwellen, als jeder Muskel seines Körpers mit dem Gleichgewicht kämpfte. Die Alarmanlagen, dachte er. Die
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Lorelei-Alarmanlagen und Relais hatten versagt! Sein Schiff musste bei der letzten Wartung sabotiert worden sein. Und so war er, ohne es zu merken, in die Todeszonen der Lorelei, der Zerstörersonne, geflogen. Er brauchte eine Weile, das Ausmaß des Unglücks festzustellen. Die Yacht fiel fast direkt auf die Sonne zu. Ihre Geschwindigkeit hatte, wie sich Blord erinnerte, bei dreißigtausend Meilen pro Stunde gelegen, bevor er die Supergeschwindigkeits-Antigravitoren eingeschaltet hatte. Da diese schwereren Maschinen jetzt aufgefallen waren bewegte sich das Schiff inzwischen wohl wieder mit dreißigtausend Meilen pro Stunde vorwärts. Er hatte rund fünfzig Tonnen hochexplosiver Sprengstoffe an Bord Damit konnte er seine hunderttausend Tonnen Luxusyacht vielleicht - aber auch nur vielleicht - auf eine Umlaufbahn bringen, mehr nicht. Blord begann zu lachen, leise, humorlos. Er hatte sich oft gefragt, was er tun würde, wenn seine Stunde geschlagen hatte, und jetzt war sie da. Er war in das Bannfeld einer Sonne geraten, die die Elektronenstruktur aller Objekte in ihrer Nähe veränderte. Und die Maschinen, die von der komplizierten Wechselwirkung der Atome abhingen, waren sofort ausgefallen. Theoretisch musste man mittels einer neuen Formel, die die Strukturveränderung aufhob, die Maschinen wieder zum Laufen bringen können. Und eine solche Formel hatte Professor King wahrscheinlich entdeckt. Blords Miene wurde ernst, als er sich wieder daran erinnerte, warum er hier war. Er begann, an einem Rad zu drehen, das in ein größeres Rad eingriff, das wiederum in ein noch größeres fasste, bis sich unter dem Kontrollpodest ein Rad mit einem Durchmesser von zehn Fuß und einem Erdgewicht von fünfzehn Tonnen mit rund dreißig Umdrehungen pro Minute zu drehen begann. Im richtigen Augenblick schob Blord einen Hebel ein, der einen elektrischen Dynamo in Betrieb setzte. Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein Notkraftwerk.
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Elektrizität war eine zu grobe Energie, als dass die Loreleisonne sie wirklich hätte beeinträchtigen können. Die Vorrichtung war als Quelle für interstellare Antriebsenergie nutzlos, aber in schwerelosem Raum konnte sie Stunden laufen. Außerdem war sie, im Gegensatz zu den Notbatterien, mit denen seine Yacht ebenfalls ausgerüstet war, auch in der Lage, die Eldoenergien über Astralentfernungen zu übertragen. Das zeigte sich, als jetzt über dem Eldofon ein Licht aufflackerte und die Eldoplatte zu leuchten begann. Blord griff nach dem Gerät und stellte die Verbindung mit Suderea her. Nach einer halben Minute erschien Magrussons dickes Gesicht auf der Sichtplatte. »Hallo, Artur«, sagte er beiläufig. Die Ruhe des Mannes bestürzte Blord. Der Anblick seines Direktors, der ruhig und sicher in seinem weit entfernten Büro saß, ließ sich Blord deutlich seiner eigenen Nervosität und Angespanntheit bewusst werden. Er blieb einen Moment unbeweglich stehen und bemühte sich, sich zu entspannen. Schließlich brachte er ein Lächeln zustande, doch bevor er noch etwas sagen konnte, berichtete Magrusson: »Ich habe hier diese Informationen über Squire und Black, die Ihnen wichtig waren. Hier, ich halte Ihnen die Blätter hoch, und Sie lesen sie selbst. Das ist der schnellste Weg.« Es waren recht überraschende Neuigkeiten, die Blord erfuhr, als er den Text überflog. Andrew Squire und Walter Blakely gehörten beide zu den weniger sympathischen Individuen, die sich in den Ridge Stars niedergelassen hatten. Wie es hieß, waren sie früher die Hersteller der Sexdroge und des SiebentageGiftes. Beide Männer waren wegen Mordes vor Gericht gestellt, aber wegen Mangels an Beweisen dann wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Auf den entfernten Grenzsternen hatten sie eine besonders unerfreuliche Form des weißen Sklavenhandels praktiziert. Von anderen Abschnitten ihres Lebens gab es überhaupt keine Berichte. Aber die Jahre hatten sie offensichtlich bekehrt. Außerdem
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waren sie vorsichtig geworden. Vor fünf Jahren hatten sie mit der Herstellung legaler Produkte begonnen und waren dann in die Raumschiffreparaturbranche übergewechselt. Laut der Eintragung im interstellaren Gewerbeverzeichnis belief sich ihr Besitz an Barkapital und Festanlagen auf dreihundert Millionen Stellors. Blakes Hobby war mit »Frauen« angegeben. Squires Aktivitäten waren unter dem etwas allgemeineren Begriff »Besucht mit Vorliebe Nightclubs« zusammengefasst. »Wissen Sie, was komisch ist?« bemerkte Magrusson, als Blord von der letzten Seite aufblickte. »Unser lnformationszentrum hat mir gesagt, dass Miss Travis sämtliche Fakten auf diesen Seiten schon vor fast drei Tagen eingeholt hat Sie ist übrigens bisher immer noch nicht wieder aufgetaucht«, fügte er hinzu. Blord stöhnte. »Sie muss irgend etwas vorhaben, aber ich glaube, dass sie sich damit in ganz schöne Schwierigkeiten bringt. Schicken Sie Ihre Agenten los; sie sollen sie suchen. Die Sache ist viel zu gefährlich. »Wo sind die Schiffe?« fragte er hastig. »Sie werden in zwölf bis fünfzehn Stunden in der Nähe der Lorelei sein.« Er brach ab. »Wozu soll das eigentlich gut sein, Artur?« Blord hörte die Frage kaum. Er dachte über die Zeitspanne nach. In fünfzehn Stunden würde die Schlacht gewonnen oder verloren und er selbst vielleicht völlig verkohlt sein oder irgendwo im absoluten Null des Weltraums treiben. Seufzend fragte er schließlich: »Was ist mit dem Geld? Wieviel haben Sie in der kurzen Zeit auftreiben können?« »Commander Jasper hat fünfzig Millionen Stellors an Bord, und ...« Magrusson brach mit geweiteten Augen ab. »Jetzt begreife ich. Artur! Die Verbrecher, die hinter dieser Sache stecken, haben wahrscheinlich ein Bergungsschiff in der Nähe. Ein Teil der Schiffe, die in die Todeszone geraten, fallen direkt auf die Lorelei zu, also bleibt den Gangstern nicht viel Zeit. Es
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könnte natürlich sein, dass Ihre Entdeckung sie verscheucht hat, aber wenn sie wirklich so frech sind, wie es scheint, werden sie zur Stelle sein, und das Geld wird sie anlocken.« Bevor Blord antworten konnte, ging ein Ruck durch die Yacht, der ihn fast aus seinem Kontrollsessel geworfen hätte. Er hatte ein seltsames Gefühl in der Magengrube, als ihm bewusst wurde, was passiert war. Ein schweres Objekt war mit seiner Yacht zusammengestoßen. Das Piratenschiff war da.
24 Squire, von Squire und Blakely, war betrunken. Schwer lehnte er an der Bar, und in seinem Kopf kreiste nur noch ein einziger klarer Gedanke: Diese schlanke und nette junge Frau war offensichtlich an ihm interessiert. »Trinken wir doch noch etwas«, schlug Evana Travis vor. Der Mann starrte sie aus trüben Augen an. Er war ein kleiner, quadratisch gebauter Typ mit einem überraschend klar geschnittenen Gesicht. Seine Augen waren kaum merklich verengt. Betrunken, dachte er. Und das war sein Glück. Er nahm das Glas, das sie ihm hinhielt. »Danke. Äh, wovon sprachen wir doch noch gerade?« »Dass Ihnen mein Vorschlag gefällt. Und dass ich für Ihre Firma arbeiten kann.« »Richtig. Kommen Sie morgen vorbei. Zeigen Sie mir jetzt noch mal dieses Ding?« Evana zog das »Ding« aus ihrer Handtasche. Das Gerät war ein so genannter Gesundheitsgraph und hatte eine äußerst interessante Vorgeschichte. Allerdings hatte Evana nicht die Absicht, sie diesem betrunkenen Mann zu erzählen. Sie hatte es sich aus der Koordinationsabteilung der Blord Holdinggesellschaft besorgt, eine Tatsache, die der Koordinationsabteilung jedoch unbekannt war. 156
»Das hier ist ein anderes«, erklärte sie. »Ich habe zwei davon. Wie ich Ihnen schon sagte: Wenn es einmal benutzt worden ist, kann es zwölf Stunden nicht mehr gebraucht werden.« Squire nahm den Apparat und legte die Finger auf die Aktivatoren. Fasziniert starrte er auf die zwölf kleinen Tasten. »Das sieht so komisch aus«, brummte er mürrisch. »Was ist denn los damit? Es geht ja gar nicht richtig.« »Es ist nicht ganz in Ordnung, aber ich weiß genau, wie es repariert wird. Wenn ich nur Ihre Labors für ein paar Wochen benutzen könnte ...« Sie musste ein Lächeln unterdrücken, als sie den gierigen Blick in den Augen von Squire sah. Er leckte sich über die Lippen. »In unserem Labor«, sagte er. »Ja, ja, Sie müssen das Problem in unserer Firma lösen. Hier ...«, er schien plötzlich nüchtern zu werden, als er hastig in seine Tasche griff, »Mein meine Karte. Kommen Sie morgen vorbei.« »Darauf können Sie sich verlassen«, nickte Evana. »Mein Konto steht praktisch auf Null.« Am folgenden Morgen war sie immer noch überzeugt, dass ihr Plan funktionieren würde. Squire und Blakely hatten ihr ganzes Leben lang Geld mit der Dummheit anderer gemacht. Warum sollten sie nicht auch sie für so einen Dummkopf halten. Deshalb war sie auch keineswegs überrascht, als der Portier sie informierte, dass Andrew Squire sie persönlich in ihren neuen Arbeitsplatz einführen würde. Blakely war eine größere Ausgabe seines Partners, ein kräftig aussehender, zuvorkommender Mann. Er untersuchte den Gesundheitsgraphen mit grausamen Augen hinter halb geschlossenen Lidern. Nachdem er ihn selbst getestet hatte, meinte er zufrieden: »Genau. Ich hatte weder Vitamin C noch Bi in meinem Frühstück, und natürlich habe ich auch nicht den vollen Anteil der anderen in einer einzigen Mahlzeit zu mir genommen. He, he, was ist denn das?«
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Das Gerät begann, verrückt zu spielen, und Evana bemerkte, dass Blakely sie aus diesen seltsamen, ruhigen Augen fragend ansah. Es war klar, dass sie ihn nicht mit den paar Details über die Störung des Geräts abspeisen konnte, mit denen sich sein betrunkener Partner am Vorabend zufrieden gegeben hatte. Ohne zu zögern begann sie mit den Erklärungen, die sie vor Wochen bei einem Gespräch zwischen Blord und seinem Chefphysiker mitgehört hatte. Das Problem, das es zu lösen galt, hatte etwas mit der Nervenenergie des menschlichen Körpers zu tun. Diese Energie reagierte auf eine komplizierte Weise, wenn das System Vitamine, Mineralien und Kalorien aufnahm. Der Erfinder hatte richtig vorausgesetzt, dass die variierende Aufnahmemenge anhand des Normalbedarfs oder der Bedürfnisse eines speziell Einzelnen gemessen werden konnte. In letzterem Fall mussten die Indikatoren, die den erforderlichen Bedarf anzeigten, nach einer ärztlichen Untersuchung eingestellt werden. Das Gerät war, wie es ursprünglich konzipiert war, allerdings sehr schnell mit Energie gesättigt. Es reagierte nicht mehr auf die geringfügigen Abweichungen und wurde so für rund zwölf Stunden unbrauchbar. Das Problem lag in der Energiekontrolle, und dem Erfinder war es damals, vor hundert Jahren, nicht gelungen, es zu lösen. Die Koordinationsabteilung der Artur Blord Holdinggesellschaft hatte vor drei Wochen den Fehler in weniger als einer Stunde behoben, eine Tatsache, die Evana geflissentlich ausließ, als sie Blakely über die Geschichte des Apparates in Kenntnis setzte. Sie konnte sehen, wie sich seine Augen eine Spur weiteten, als ihm bewusst wurde, dass er zwar kein Patent auf die ursprüngliche Erfindung anmelden konnte, sehr wohl aber auf die verbesserte Version. «Es ist nicht schwierig«, versicherte das Mädchen wahrheitsgemäß. »Die Entdeckungen der letzten Jahre auf dem Gebiet der Energiekontrolle machen die Korrektur fast
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zu einem Kinderspiel.« Sie sah, dass Blakely angebissen hatte. »Bestellen Sie sich alles, was Sie brauchen«, bot er ihr großzügig an. »Ihr Vorschlag gefällt uns, und wir unterstützen gern Leute, die für uns arbeiten.« Evana wurde jetzt geschäftlich. »Ich brauche da einige Dinge«, begann sich sachkundig. »Wenn Sie mir ein bisschen freie Hand lassen würden, was die Beschaffung der Ausrüstung betrifft ...« Sie hielt ihnen ihre Liste entgegen, doch Blakely warf noch nicht einmal einen Blick darauf. »Mr. Squire«, wandte er sich an seinen Partner, »würden Sie eine Notiz an den Registrierten Kreis diktieren, in der Sie Leah Carroll ...« Er sah Evana an. »Habe ich den Namen richtig verstanden?« Evana nickte, und Blakely fuhr fort: »... in der Sie Leah Carroll bevollmächtigten, in unserem Namen Geräte und Ausrüstung zu bestellen?« Nachdem Squire und das Mädchen unterschrieben hatten, meinte Blakely zu Evana: »Ich hoffe, somit ist alles zu Ihrer Zufriedenheit geregelt! « Sie versuchten sie mit ihrer Großzügigkeit zu beeindrucken. »Ich kann Ihnen nicht genug danken«, entgegnen Evana mit dankbarer Stimme. Als sie das Büro verlassen hatte, sah Squire seinen Partner an. »Nettes Mädchen«, stellte er fest. »Vielleicht ein bisschen dumm, aber ...«Er zögerte. »Was machen wir mit ihr?« Blakely musterte ihn kalt. »Was machen wir gewöhnlich mit Leuten, die uns Ärger machen könnten, wenn wir sie am Leben lassen würden?« Er schwieg, und seine hellen Augen fixierten Squire. »Sobald sie dieses Gerät in Ordnung gebracht hat«, sagte er, »stirbt sie.«
25 Blord saß in seinem Kontrollsessel und erlebte einen jener seltenen Anfälle von Depression. Er konnte deutlich das 159
Dröhnen von Energiehämmern an einer der Luftschleusen ausmachen. Düster starrte er auf Magrussons Bild auf der Eldoplatte. Artur Blord, Top-Unternehmer im Ridge Star Gebiet, war tatsächlich einmal ganz auf sich allein gestellt, dachte er bitter. Es war das erste Mal, dass ihm bewusst wurde, wie sehr das, was er Großartiges geleistet hatte, von anderen Leuten und einer großen Menge von Geräten und Apparaten abhängig gewesen war. Der Anflug von Schwermut ging vorüber. »Schlafen Sie im Büro«, sagte er zu Magrusson. »Ich möchte Sie jederzeit, Tag und Nacht, erreichen können. Ich melde mich wieder. Bis dann.« Er unterbrach die Verbindung, bevor sein Direktor protestieren konnte. Dann griff er über sich und schaltete die einzelne Glühbirne aus. Einen Augenblick blieb er in der Dunkelheit sitzen, ein einsamer Mann. Schließlich nahm er sich eine Taschenlampe und eilte zum Notschrank. Dort zog er sich bis auf die Haut aus und legte einen dünnen, hautengen Raumanzug an, der durchsichtig war. Nur auf das Köpfte'1 verzichtete er. Dann schnallte er sich einen Gürtel mit Sauerstoffkapseln um die Hüfte und zog seine Sachen wieder an. Einen Augenblick später war er schon mit dem Riegel beschäftigt, der den Kontrollsessel aus seiner ursprünglichen Position herumschwingen ließ. Wo der Sessel gestanden hatte, befand sich jetzt ein kreisrundes Loch im Boden. Seine tunnelähnlichen Wände leuchteten im Schein der Taschenlampe. Blord ließ sich in die Öffnung hinunter und zog an einem Handgriff, der den Sessel in seine Ausgangsposition zurückbrachte, in der er mit einem kaum hörbaren Klick wieder einrastete. Geheime Gänge waren keineswegs etwas Phantastisches oder Ungewöhnliches. Ihre Einzigartigkeit bestand einzig und allein darin, dass sie den persönlichen Wünschen des Einzelnen entsprechend angelegt wurden. Abgesehen von der weit entfernten Erdfirma, die das Schiff gebaut hatte, war Blord der einzige, der wusste, dass der Gang existierte.
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Er hastete durch den schmalen Gang, bis er in einen kleinen Raum gelangte. Auf den ersten Blick schien er keinerlei Mobiliar zu enthalten, doch als Blord sich bückte und die Finger in eine Vertiefung legte, entfaltete sich aus dem Boden ein Sessel. Ein zweiter Ruck, und die Wand enthüllte einen Geräuschverstärker mit Kopfhörern. Blord schaltete den Strom ein, der von dem großen Schwungrad im Nebenraum produziert wurde und setzte die Kopfhörer auf. Das Hämmern wurde lauter in seinen Ohren, und jetzt hatte er auch seine erste wichtige Information. Die Fremden versuchten, durch Luftschleuse C-4 in das Schiff einzudringen. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis sie es geschafft hatten. Es dauerte noch etwa fünf Minuten, bis das Hämmern aufhörte. Dann erklang ein Zischen, dem das Klappern von Metallstiefeln folgte. Es verstummte, als die Eindringlinge den Gang, der die beiden Schiffe verband, luftdicht machten. Dann bellte eine Stimme: »Renson und Messner, ihr beide bewacht den Eingang; damit nicht womöglich jemand auf die Idee kommt, sich in unser Schiff zu schleichen. Pete!« »la. Captain Grierson?« »Wirf eine Energiebombe in diesen Teil des Korridors« Ein zischendes Jaulen erklang; dann herrschte einen Moment Stille, die von Griersons zufriedener Stimme durchbrochen wurde: »Das wird jeden außer Gefecht setzen, der vielleicht irgendwo dort im Hinterhalt auf uns wartet. Okay. Ich will, dass das Schiff in fünf Minute,, besetzt ist. Tötet alle Männer und bringt die Frauen in meine Kabine. Jede Gruppe schickt einen Mann hierher zurück, der mir Bericht erstattet. Los jetzt!« Es weckte eine Art Triumphgefühl in Blord, als er über die Verstärker den Gruppen folgte und ihre Flüche mithörte. »Keine Frauen! Hier ist überhaupt keiner.« »Vielleicht ist es ein altes Schiff, das wir die ganze Zeit übersehen haben«, meinte ein anderer. »Könnte sein«, erwiderte eine dritte Stimme. »Aber wo sind
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die Toten? Bisher waren immer Tote da.« Das lag auf der Hand, dachte Blord nicht zum ersten Mal. Er hatte sich schon oft überlegt, was wohl mit den Schiffen passierte, die in den Bannkreis dieses riesigen dunklen Sterns, der Lorelei, geraten waren. Ein Teil dieser Schiffe musste vor Hunderten von Jahren direkt in ihren Untergang geflogen und geradewegs in die Sonne gestürzt sein. Andere, die sich in einem Winkel genähert hatten, würden in Umlaufbahnen gedrängt worden sein, wo sie zu winzigen Planeten, Gräbern für Mannschaft und Passagiere wurden. Niemals in der langen Geschichte der Ridge Stars war ein Fall bekannt geworden, in dem es Überlebende eines Schiffes gegeben hätte, das der Lorelei zum Opfer gefallen war. Seine Gedanken wurden von dem Poltern eines wütenden Grierson unterbrochen. »Was! Keiner an Bord! Unsinn. Habt ihr herausgefunden, wem das Schiff gehört?« Blord vernahm das leise Rascheln von Papier, dann trat Stille ein. Offensichtlich übergab jemand dem Captain Blords Papiere. Die Stille dehnte sich aus. Es lag auf der Hand, dass jemand gerade einen Schock verarbeitete. Schließlich sagte der Captain: »Blord, he? Der große Artur Blord.« Die laute Stimme brach in Gelächter aus. »Da ist uns doch tatsächlich dieser Supermann, der Mann, der nie verliert, in die Falle gegangen.« Er fügte etwas hinzu, das Blord nicht verstand, aber die Antwort war unverkennbar. Unter den rund zwanzig Männern brach ein Sturm des Protestes aus. »Was meinen Sie, ihn lebend schnappen?« »Wir töten doch immer alle Männer, oder?« »Zum Teufel mit Gefangenen.« Ein scharfer Ruf von Grierson beendete den kleinen Aufstand. »Er ist der Kerl, der Professor King aufgelesen hat«, erklärte er. Ich muss für die Bosse herausfinden, was Blord über unser Geschäft hier weiß. Und jetzt an die Arbeit. Nehmt das Schiff auseinander. Los!«
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Blord wartete, bis man seine Yacht soweit demontiert hatte, dass es sich nur noch um Minuten handeln könne, bis man ihn entdeckte. Dann kletterte er hinaus in die Leere, dorthin, von wo aus Captain Grierson die mobilen Maschinen steuerte, die ein Schiff binnen zehn Stunden in Stücke gerissen hatte. Die Kapitänskabine des Frachters war ein Durcheinander an Stühlen, Tischen und Schränken. Eine Tür, die halb offen stand, führte in das angrenzende Schlafzimmer. In dem Augenblick, als er das Schiff betreten hatte, war sich Blord feiner Geräusche bewusst gewesen. Auch hier waren diese Geräusche zu hören, das Flüstern großer Maschinen in ihren theoretisch schalldichten Röhren; gedämpft zwar, aber sie waren unverkennbar da. In diesem Teil des Weltraumes war das unbestimmte Raunen eine Realität, die so erfreulich war wie das Leben selbst. Atommaschinen, die in der Todeszone von Lorelei arbeiteten. Blord setzte sich in den Sessel, auf den der Captain zeigte. Er verschwendete keine Zeit mit langen Vorreden. Er war mit der Absicht zu dem Zerstörerer-Stern gekommen, irgendwie an Bord des Bergungsschiffes, und zwar genau dieses Schiffes, zu gelangen und sich dann mit seiner altbewährten Überredungsmethode der Bestechung und Korruption die Information zu beschaffen, die er brauchte. Er wollte ganz genau wissen, ob Squire und Blakely tatsächlich hinter diesem Piratengeschäft steckten. Er wollte die Namen der anderen Bergungsschiffe, die Namen ihrer Kapitäne und, wenn möglich, eine Liste der Saboteur unter den Mechanikern. Außerdem hoffte er, einen Hinweis auf das Geheimnis der Motoren, die auch in der Loreleizone arbeiteten, zu bekommen. Grierson machte ihm keine Schwierigkeiten. Schweißtropfen standen auf seinem schweren Gesicht, nachdem Blord ihm allein die Summe von elf Millionen Stellors angeboten hatte. »Ich bin Ihr Mann«, sagte er heiser. »Ich weiß, dass dieses Loreleigeschäft kein Jahr mehr geht. Wenn Sie einen Vorschlag haben - aber Sie kennen ja diese Art von Tieren da hinten.« Er
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winkte mit dem Arm vage in die Richtung, in der die Mannschaftsquartiere lagen. »Zunächst einmal muss das Schiff aus der Loreleizone heraus«, erklärte Blord. Auch das erwies sich als nicht weiter schwierig. Und das Problem, wer es übernahm, mit der Mannschaft zu sprechen, wurde mit der gleichen Leichtigkeit gelöst. Der Captain sah sich mit elf Millionen Stellors in den Händen, einer Summe, die er mit seiner Piraterie im Loreleigebiet in seinem ganzen Leben nicht machen würde. Er unterbreitete den Männern Blords Angebot, jedem von ihnen hunderttausend Stellors auszahlen. Das Geld sollte im Weltraum unter Bedingungen übergeben werden, die jedem einzelnen völlige Sicherheit garantierten. Blord stand im Eingang und betrachtete die Szene fasziniert. Er hatte schon oft mit harten Männern zu tun gehabt, aber es waren Männer gewesen, die einer ehrlichen Arbeit nachgingen, und die Härte war einfach Teil ihres Charakters. Hier war das vorherrschende Element die Angst, und die Atmosphäre war mit latenter Gewalttätigkeit geladen. Seine Erklärungen schienen die Männer nicht zufrieden stellen zu können, aber der schwere Kommander wusste, wie er das, was er verkaufen wollte, an den Mann bringen musste. Immer wieder schilderte er den Männern Blords Ruf für Fairness. Einwände schrie er mit einer solchen Wildheit nieder, dass sich seine Leute für einen Moment unwillkürlich duckten. Zweimal warf er einen Stuhl nach Männern, die dazwischenriefen. Manchmal war der Tumult so groß' dass einzelne Stimmen nicht mehr herauszuhören waren. Aber wenn es dann wieder etwas ruhiger zuging, war es immer die des Captains, die alle anderen übertönte ... Keines seiner Argumente konnte überzeugen. Der Argwohn war zu groß. Das Angebot von großen Summen interessierte Männer nicht, die ihrer eigenen Urteilskraft, ob ein Vorschlag Fußangeln hatte oder nicht, misstrauten. Tod, das war etwas, was
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sie verstehen konnten. Tote Männer saßen nicht im Zeugenstand und identifizierten Piraten. Die Diskussion wurde beendet, als einer der Männer rief: »He, er stellte sich auf Blords Seite. Werfen wir sie beide in den Raum.« Grierson zögerte keine Sekunde. Er warf sich auf den Sprecher und schlug mit der Faust zu. Der Mann ging sofort zu Boden, worauf ihm der Captain einen Tritt ins Gesicht versetzt, der ihm den Schädel brach. Der Mann stöhnte noch einmal auf und war dann tot. Griersons Stimme klang in der Stille, die daraufhin eintrat, noch gewaltiger als sonst. »Schön, ihr Idioten. Das waren meine Argumente. Ich musste euch von dem Angebot erzählen, und ich werde euch genau eine Stunde geben, euch die Sache noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Ganz gleich, was ihr nach dieser Stunde beschlossen habt, es wird gemacht. Und wenn auch nur einer jetzt noch etwas dagegen sagt, schlage ich ihm das Gesicht ein. Und jetzt nehmt den Kadaver hier mit und verschwindet.« Fast unterwürfig gingen die Männer hinaus auf den Korridor. Es war nicht zu übersehen, dass Captain Grierson wusste, wie er mit seinen Männern umgehen musste. Der große Mann sank müde in einen Sessel. »Elf Millionen Stellors«, stöhnte er. »Diese Hohlköpfe « Er sah auf. »Sie wissen hoffentlich, dass ich jetzt nichts mehr für Sie tun kann.« »O doch«, wandte Blord ein. »Sie können noch etwas für mich tun, und ich verspreche Ihnen eine Million Stellor dafür, ganz gleich, ob ich am Leben bleibe oder nicht.« Er wartete gespannt und sah, wie ein Leuchten in Griersons helle Augen trat. »Und wie haben Sie sich das vorgestellt?« »Lassen Sie mich mit Magrusson über Eldo sprechen« drängte Blord. »Er weiß nicht, in welcher Lage ich mich befinde. Sie können ja zuhören und sich selbst ein Bild aus dem machen, was er sagt. Ich werde ihn anweisen, Ihnen den Betrag auszuzahlen, vorausgesetzt, Sie geben mir zuerst das, was ich haben möchte.«
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Es herrschte Stille. Der Kommander blickte stirnrunzelnd auf den Boden. »Woher wollen Sie wissen, dass ich es Ihnen nicht wieder wegnehme, sobald der Anruf vorbei ist?« fragte er schließlich. »Und die Million so kassiere.« »Weil«, erwiderte Blord, »ich Ihnen die anderen zehn Millionen dann gebe, wenn ich aus dieser Sache lebend herausgekommen bin.« Grierson schwieg. »Was wollen Sie?« erkundigte er sich dann. Blord sagte es ihm. Eine halbe Stunde später ging Blord entschlossen zu einer der Luftschleusen. Die äußere Tür war an den Kanten weiß gefroren. Die eisige Kälte ließ ihn in seinen dünnen Sachen frieren. Nervös sah er zu, wie sich die Luftschleuse öffnete. Es zischte, als Luft entwich. Blord zögerte nicht. Er verspürte nicht den Wunsch, erschossen zu werden, wie es Professor King passiert war. Bevor ihn die beiden Männer in Raumanzügen hinausschieben konnten, sprang er von selbst. Augenblicklich umgab ihn die endlose Nacht des Weltraums.
26 Evana Travis ging wie gewöhnlich zur Arbeit. Seit sechs Tagen war sie nun bei Squire und Blakely angestellt. Hier wäre ich also, dachte sie, die Sekretärin von Artur Blord, die soviel aus seinen Methoden gelernt hat, dass sie ein Problem lösen konnte, für das er selbst bisher noch keine Lösung gefunden hatte. Sie hatte Magrusson am Tag zuvor angerufen und erfahren, dass Blord immer noch irgendwo im Raum war. Das hatte dann den Ausschlag für ihren Entschluss gegeben. Dies musste ihr letzter Tag bei Squire und Blakely sein. An diesem Morgen würde sie ihre Arbeit gegen die beiden beenden und wieder im Blord-Gebäude sein, bevor Blord zurückkehrte. Sie lachte und fand, dass sie großartig war. Artur hat es einfach versäumt, überlegte sie, alle Möglichkeiten auszunutzen, die dieser 166
Schurke Corbett bot. Er hat ihn nur zu einem physischen Zweck benutzt, obwohl er in anderer Hinsicht viel wertvoller hätte sein können. Sie verbrachte den Morgen wie geplant und war gerade dabei, ihre Handtasche zu nehmen, um das Labor zu verlassen, als die Tür aufging und Andrew Squire in Begleitung von Walter Blakely hereinkam. Der Juniorpartner hatte wie üblich das Gesicht zu einem Lächeln verzogen. »Na, wie sieht's aus?« wollte er wissen. Es lag etwas in der Haltung der beiden, das Evana plötzlich nervös machte. Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Noch ein paar Tage«, erwiderte sie. »Mir sind schon einige Verbesserungen gelungen, die die Sättigungszeit verkürzen, aber es ist mir noch nicht perfekt genug.« »Lassen Sie mich doch mal eines dieser Dinger sehen«, forderte Blakely sie auf. Sie reichte es ihm. Er verstaute es in seiner Tasche und starrte sie unverwandt an. Squire, der ein paar Schritte weiter weg stand, zog plötzlich einen Blaster hervor und sah Blakely an, als wartete er auf weitere Anweisungen. Es lag auf der Hand, dass Blakely der Boss und Squire nur ein Handlanger war. Der große Mann war offensichtlich unbewaffnet. Er rauchte eine Zigarette und lehnte halb an einer der Metallbänke. Der Blick seiner schläfrigen Augen drückte Zufriedenheit mit sich und der Welt aus. Evana beobachtete sie gespannt und überlegte, ob sie herausgefunden hatten, was sie getan hatte. «Ich - ich glaube, ich verstehe nicht«, meinte sie zögernd. Es war Blakely, der antwortete. »Sie versteht nicht, Mr. Squire.« Seine Stimme triefte vor Sarkasmus. Squire drehte nicht den Kopf. Seine Augen waren auf Evana fixiert und schienen sie förmlich festnageln zu wollen. »Es ist im Grunde ganz einfach«, fuhr Blakely fort. „Wir sollen wegen Piraterie verhaftet werden. Es wird ein paar Jahre
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und eine ganze Menge Geld kosten, die Anklage anzufechten. Und deshalb wollen wir kein Risiko eingehen, dass der Gesundheitsgraph inzwischen in die Hände von jemand anderem fällt. Meiner Schätzung nach dürfte es eine Milliarde Stellors einbringen, wenn wir dieses Gerät da auf den Markt bringen.« Die Koordinationsabteilung der Artur Blord Holdinggesellschaft hatte seinen potentiellen Wert sogar noch höher geschätzt. Blakely spannte sich, plötzlich nervös. Ohne die Augen von ihr zu nehmen, sagte er scharf: »Also Squire - schieß!«
Blord machte einen Fehler. Als er sprang, drückte er sich mit einem Fuß von der Bodenkante der Luftschleuse ab. Die Kälte des Metalls durchdrang seinen Schuh und fraß sich in seine Fußsohle, direkt durch den unendlich dünnen, elastischen Raumanzug darunter. Auch als er hastig nach dem Kopfteil mit der Einfuhrröhre für die Sauerstoffkapseln griff und eine Kapsel aus dem Vorrat, den er in seinem Gürtel trug, hineinsteckte, fühlte er die Taubheit in seinem Fuß, die von jenem kurzen Kontakt mit dem Metall herrührte, das lange dem absoluten Null des Raumes ausgesetzt gewesen war. Sonst geschah nichts. Er spürte keinen Schmerz, und es gab nichts außer Dunkelheit und Warten. Die Kapsel mit komprimiertem Sauerstoff öffnete sich langsam. Blord atmete mühelos. Jede dieser Kapseln reichte für rund zwanzig Minuten. Die gefrorene Sohle seines Schuhs erwärmte sich langsam durch Induktion, und danach verspürte er eigentlich keine wirkliche Kälte mehr. Denn der Weltraum ist nicht tatsächlich kalt. Kälte ist Kontakt. Kälte ist Eis und Schnee und die Luft, mit der man in Berührung kommt. Nur solche Dinge können kalt sein und auf organische Körper übertragen. Aber der Raum zeichnet sich auch durch ein Fehlen von Wärme aus. In diesem völligen Vakuum verliert ein warmes
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Objekt durch Abstrahlung langsam die ihm eigene Wärme. Allerdings verlief dieser Prozess so schleppend, dass Blord erst nach drei Stunden bemerkte, dass ihm nicht mehr so warm war wie vorher. So konnte er vorerst nur erahnen, dass die Kälte kommen würde. Nach dreieinhalb Stunden brachte er die Energiedetektorkapsel, für die er -zusätzlich zu der Gelegenheit, sich das Kopfteil seines Spezialraumanzugs überzustreifen Grierson eine Million Stellors gegeben hatte, Ergebnisse. Ein halbes Dutzend Schiffe tauchten auf, und Blord wurde sicher an Bord des Flaggschiffes von Kommander Jasper geholt. Fast ein Monat war vergangen, als Magrusson in Blords Penthausbüro auf Delfi 11 gestürmt kam. »Artur«, begann er, »Hedgerow, der Firmenkommissar auf Fasser IV, hat sich gerade mit mir in Verbindung gesetzt. Er will Sie sprechen.« Als Blord ihn gelassen ansah, wurde der Direktor, dessen Gesicht vor Aufregung blass war, noch erregter. »Verstehen Sie nicht?« rief er. »Ich spreche von der Regierungsbehörde, die Ihren gesamten Besitz beschlagnahmen kann, wenn Squire und Blakely beweisen können, dass Sie sie ruiniert haben.« »Stellen Sie ihn durch«, erwiderte Blord unbewegt. Es war ein wohlgenährtes Gesicht, das da auf der Platte erschien, und die Stimme war ein weicher Bariton. Nachdem Blord ihr eine Minute lang zugehört hatte, warf er ein: »Das ist mir neu. Mir war bisher nicht bekannt, dass man Firmen heutzutage noch ruinieren kann. Ich dachte, sie würden vor jeder Art von Druck geschützt, sogar vor Wahnsinn. Wie konnte das denn passieren?« »Wie jede andere Firma«, erklärte der Kommissar, »haben auch Squire und Blakely Angestellte, die von ihnen bevollmächtigt sind, Maschinen und Geräte zu kaufen. Natürlich kommt dabei immer in gewissem Maße Korruption vor, aber ...» Blord musste an einen Mann namens Corbett denken und lächelte finster. »Glücklicherweise halten sich die Betrüge solcher Burschen immer in Grenzen«, entgegnete er.
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Das Lächeln des Kommissars war humorlos. »Squire und Blakely hatten dieses Glück nicht. Eine ihrer weibliche,, Angestellten bestellte über den Registrierten Kreis auf den Namen der beiden Geräte im Wert von hundert Millionen Stellors. Die Geräte sind veraltet und völlig wertlos. Und die Firma ist bankrott.« »Wenn es eine Firma war«, wandte Blord ein, »was soll ich dann damit zu tun haben?« »Mr. Blord«, lächelte der Kommissar schief, »Ihr letzter großer Erfolg hat überall enormes Aufsehen erregt. Was allerdings bei der ganzen Angelegenheit nicht so publik geworden ist, das ist die Tatsache, dass Grierson, der Kapitän des Bergungsschiffes, genau wie diese Leah Carroll, die Ankäuferin von Squire und Blakely, auf mysteriöse Weise verschwunden ist. Nun sind aber einige der Besatzungsmitglieder als Kronzeugen aufgetreten und haben Squire und Blakely angeklagt. Wenn sie ihr Vermögen nicht verloren hätten, dann hätte sich der Prozess Jahre hingezogen. Jetzt sitzen sie in der Todeszelle, und von dort haben sie nun den Firmenkommissar angerufen « Sein Lächeln verschwand. »Ich möchte Sie etwas fragen, Mr. Blord«, sagte er ernst. »Squire und Blakely behaupten, das Mädchen mit einer Pistole bedroht zu haben, und dann seien sie plötzlich aufgewacht und hätten feststellen müssen, dass sie achtzehn Stunden bewusstlos gewesen seien. Was mich interessieren würde, ist, wie sie das fertig gebracht haben könnte.« »Also da kann ich Ihnen helfen«, erwiderte Blord zuvorkommend. »Ich besitze eine ganze Reihe von Verteidigungsmethoden in Fällen unerwarteter Gefahr. Wenn ich an Stelle dieser Leah Carroll gewesen wäre, hätte ich ein Gas benützt, das unter großem Druck aus einem Knopf entweicht, wenn der Arm auf eine ganz bestimmte Weise, und zwar, als wolle man einen Schlag abwehren, hochgenommen wird. Die
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Wirkung des Gases tritt augenblicklich ein.« Hedgerows Lachen drückte echte Bewunderung aus. »Meine Gratulation zu eine der reifsten Leistungen, die ich je in meinem Leben gesehen habe, Blord. Wie Sie ja wissen, können verurteilte Kriminelle nicht die Anklagebehörde der Regierung für sich anrufen; also könnten wir Ihnen auch dann nichts anhaben, wenn wir Beweise hätten, dass diese Frau in Ihrem Auftrag gehandelt hat.« Der Kommissar nickte ihm mit einem Ausdruck des Respekts zu. Dann verschwand sein Gesicht, auf dem jetzt ein wissendes Lächeln lag, langsam von der Sichtplatte. Blord wandte sich vom Eldo ab und sah, dass sich hinter ihm Magrusson mit einem Taschentuch über das Gesicht wischte. »Angenommen, die beiden wären nicht zum Tode verurteilt worden«, murmelte er. Er schüttelte sich. »Artur«, stöhnte er dann, »Evana wird noch mein Tod. Wenn ihr noch mal so etwas einfallen sollte ...« Er brach ab und sah Blord finster an. »Ich kann aus Ihrem Gesicht lesen, dass Sie das, was sie getan hat, tatsächlich gut finden.« Blord lächelte. »Sie haben recht. Sie hat gezeigt, dass sie sich auch unter Ridge Stars Bedingungen durchsetzen kann. Es war interessant, zu beobachten, wie sie sich entwickelt hat; und sie ist eine Frau nach meinem Herzen, wenn sie das schaffen kann, was sie geschafft hat.« Er stand auf. »Ich glaube, ich werde jetzt zu ihr gehen und ihr das sagen.«
27 »Der Raum möge mich vor weiteren Verwandten wie ihm bewahren«, sagte Artur Blord. Er stand neben dem Bett und sah auf den bewusstlosen Körper eines ungefähr vierzigjährigen Mannes hinunter. Der Mann hatte blondes, bereits dünner werdendes Haar, und in seinem Gesicht 171
lag ein Ausdruck grausamer Gerissenheit, den selbst sein augenblicklicher Zustand nicht mildern konnte. Er hieß Fred Gantley und war Blords einziger noch lebender Verwandter. Schließlich wandte sich Blord vom Bett ab und dem Agenten zu, der Gantley in das das Suderean Hotel auf Delfi II gebracht hatte. »Wer war hinter ihm her, Lodge?« Lodge lächelte. »Wie es aussieht, so ziemlich jeder Unternehmer in den Ridge Stars.« Er begann sie aufzuzählen. Blord hörte nachdenklich zu. Die Tatsache, dass sein Cousin von der Erde zu den Ridge Stars gekommen war, bedeutete ihm, der den Mann noch nie gesehen hatte, herzlich wenig. Außerdem legt das, was er von Gantley gehört hatte, die Vermutung nahe, dass der andere versuchte, aus der Verwandtschaft mit Blord Kapital zu schlagen. Als Lodge mit der Liste der Namen fertig war, nickte Blord und meinte vorsichtig: »Ich nehme an, sie haben es einfach probieren wollen. Ich wüsste aber trotzdem gern, wie weit sie gegangen wären.« »Wollen Sie ihn hier im Hotel befragen?« wollte Lodge wissen. »Ja.« Blord machte sich nicht die Mühe, dem Agenten zu erklären, dass das Hotel ihm gehörte, und dass sein Wort Gesetz war. »Marian Clark und ihre Assistentinnen sind gerade im Nebenraum dabei, sein Gepäck zu untersuchen«, fügte er allerdings hinzu. »Sobald sie fertig sind, werden sie dem angeblichen Gehirn meines Cousins Bilder der jüngsten Ereignisse entnehmen.« Lodge lachte. »Das könnte wirklich sehenswert sein. Aber ich glaube, ich verzichte mit Vergnügen und lege mich lieber schlafen. Rufen Sie mich, wenn Sie mich brauchen, Chef.« Er verließ das Zimmer. Eine Stunde später stieß Blord einen leisen Pfiff aus.
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»Achtundzwanzig Leute!« stellte er fest. Er schüttelte verwundert den Kopf und zuckte dann die Achseln. »Und was hätten wir sonst noch?« Marian Clark war ruhig. »Er hat fünf Anzüge bekommen«, erklärte sie, »in die allesamt elektronische Systeme eingewebt waren. Insgesamt haben wir neun Abhörsysteme und drei Systeme zur Übertragung von Bildern von allen Personen, die sich in seiner Nähe aufhalten, entdeckt. Und jetzt«, fuhr sie rasch fort, »setzen Sie sich hin, und wir werden uns einen raschen Überblick über die Dinge verschaffen, an die er sich erinnert sowie über das, an das er sich nicht bewusst erinnert, wenn ihn nämlich andere unter ihrem Einfluss hatten.« Die Bilder, die auf dem Schirm erschienen, waren von unterschiedlicher Intensität und Bedeutung, aber selbst unwichtige Momente konnten Blords gespanntes Interesse nicht schmälern. Er hatte Erfolg in den Ridge Stars, weil er Gefahren vorausahnen konnte und weil er ein Gespür für unerwartete Entwicklungen hatte. Er hatte keine Ahnung, wonach er Ausschau hielt, und als es dann da war, merkte er es nicht sofort. Die Szene, die ihn wirklich interessierte, war schon einige Augenblick vorbei, als er sich dessen bewusst wurde. Er winkte Marian. »Diese kleinen Tiere vorhin - ich möchte sie mir noch mal ansehen.« Er sah mit wachsamen Augen auf die winzigen, gehörnten Tierchen, die jetzt wieder auf dem Schirm auftauchten. Dann saß er nachdenklich, aber immer noch aufmerksam da, während der Rest der Bilder vor ihm ablief. Als die Assistentinnen nachher ihre Ausrüstung einsammelten, bevor sie die Suite verließen, kam Marian zu Blord herüber. »Warum wollten Sie sich vorhin diese kleinen Tiere noch mal ansehen?« fragte sie. »Haben Sie so etwas schon mal gesehen?« wollte Blord wissen. Sie zuckte die Achseln. »Es gibt so viele verschiedene Arten von Tieren auf den bewohnten Planeten, da kann man unmöglich
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alle kennen. Haben Sie sie denn schon vorher einmal gesehen?« »Ich habe Zeichnungen von ihnen gesehen«, erwiderte Blord langsam, »und zwar an den Wänden von Gebäuden, die nicht mehr existieren.« Marian starrte ihn an, und ihre Augen weiteten sich. »Ja, richtig, ich auch«, stieß sie atemlos hervor. Ihre Augen leuchteten. »Aber ich dachte, der Skal hätte diesen Teil der Galaxie verlassen, nachdem Sie seine Burg zerstört hatten.« Blord und Marian Clark sahen einander nachdenklich an »Aber warum hat man Ihrem Cousin die Tiere gezeigt? «, überlegte Marian laut. »Ob das Ganze eine Falle ist? Und warum sollte der Skal das Risiko eingehen, sich solch? Tiere bringen zu lassen? Und woher kamen sie überhaupt? Und wozu braucht er sie?« Blord lachte. »Hören Sie auf, mich so mit Fragen zu bombardieren. Ich kann Ihnen doch keine Antwort geben, nicht auf eine einzige.« Er wurde ernst. Der Skal war eigentlich kein Thema, übet das man lachte. Dieses gnadenlose und gerissene Tier, das im Besitz von wissenschaftlichen Geheimnissen war, die keinem Menschen bekannt waren, hatte ganz offensichtlich der Zerstörung seiner Burg entkommen können, ohne dabei jemals selbst in Gefahr gewesen zu sein. Das war ein Aspekt, den Blord nie vergessen hatte. Blord riss sich von den Erinnerungen los. »Was wir bisher noch nicht herausgefunden haben«, sagte er langsam, »ist, was meinen Cousin dazu veranlasst hat, hier hinaus in die Ridge Stars zu kommen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass er hoffte, Geld von mir zu bekommen - nach all den Jahren ...« In der Ecke des Raumes meldete sich das Eldofon mit einem leisen Klingeln. Blord ging hinüber, und auf der Platte erschien ein dickes Gesicht. Es war Magrusson. Er sah blass und besorgt aus, und seine Stimme klang schrill. »Es ist ein Skandal, Artur es ist der reinste Straßenraub, das ist es. Es ...«
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Blord beugte sich über das Eldofon. »Nehmen Sie sich zusammen, Magrusson«, sagte er scharf, obwohl er an die dramatischen Auftritte seines Direktors gewöhnt war. Magrussons Erregung wuchs. »Aber sie verstehen nicht, Artur!« rief er. »Sie sind die legale Regierung der Ridge Stars, und sie können ...« Er brach ab und rang sichtlich um seine Fassung. Schließlich fuhr er äußerlich etwas ruhiger fort: »Sie reden besser persönlich mit dem Mann. Er kann es Ihnen besser erklären als ich.« Magrussons Bild wurde von einem jungen, arroganten Gesicht abgelöst. Die breiten Schultern, die auf der Eldoplatte noch zu sehen waren, waren in den blauen Stoff der Ridge Star Patrouille gehüllt. »Sie sind Artur Blord, von der ^ur Blord Holdinggesellschaft, Limited?« erkundigte er sich mit einer Stimme, die genauso arrogant war wie seine Miene. Blord studierte sein Gegenüber neugierig. Er kannte den Mann zwar nicht, aber ein derart steifes und feindseliges Verhalten bei einem Angehörigen der Patrouillenzentrale war recht ungewöhnlich. Der Chef der Patrouille, Lane Stetson, war bisher ein Freund von Blord gewesen. In dem Gesicht, das ihn jetzt von der Eldoplatte so unverschämt musterte, lag keine Spur von Freundlichkeit. »Ja, ich bin Artur Blord«, erklärte Blord schließlich höflich. »Ich bin beauftragt, Sie davon in Kenntnis zu setzen, dass ab dem heutigen Tage eine Steuer von fünfundzwanzig Prozent auf sämtliche interplanetarischen Transaktionen der Artur Blord Holdinggesellschaft, Limited, erhoben wird. Die Abgabe wird am Ersten eines jeden Monats fällig und muss an das Hauptquartier der Patrouille auf Marmora 11 geschickt werden. Sie werden noch formell benachrichtigt werden. Das wäre alles.« Blord blinzelte. »Einen Moment! Was ...« »Fünfundzwanzig Prozent, Artur«, stöhnte Magrusson. »Es ist unglaublich. Wir sind ruiniert!«
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»Magrusson!« zischte Blord scharf, worauf sich sein Direktor wieder zurückzog. »Das ist mir neu, junger Mann«, wandte er sich an den Patrouillenoffizier. »Ich muss Sie bitten, mir das doch etwas näher zu erklären. Die Patrouille ist nicht ermächtigt, Steuern zu erheben. Sie ist eine Organisation, deren Funktion sich strikt auf die Durchsetzung der Gesetze in den Ridge Stars beschränkt.« Der junge Offizier blieb kühl. »Wir haben eine entsprechende Vollmacht erhalten«, entgegnete er. »Grund für diese Abgabe ist die immer stärker zunehmende Piraterie in den Ridge Stars. Die Unternehmer, die direkt von unserem neuen, umfassenden Service profitieren, müssen die Kosten bezahlen - eine Steuer von fünfundzwanzig Prozent. Wer sich weigert, kann nicht mit dem Schutz der Patrouille rechnen.« Er zuckte die Achseln, und die Arroganz in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Wir erwarten also Ihre erste Zahlung am Ersten des Monats.« Es klickte hart, dann war sein Gesicht von der Platte verschwunden. Blord blieb einen Augenblick mit finsterer Miene sitzen, dann blickte er spöttisch auf den zitternden Magrusson. Schließlich wandte er sich um und sah lange und forschend auf den reglosen Körper von Fred Gantley. »Es scheint unmöglich, dass es da eine Verbindung geben sollte«, sagte er halb zu sich selbst, »aber ...« Er drehte sich wieder zu dem dicken Mann um, dessen Gesicht noch immer auf der Eldoplatte war. »Ich werde Lane Stetson, den Patrouillenchef anrufen und herausfinden, was hier gespielt wird, Magrusson. Ich habe keineswegs etwas dagegen, eine legale Steuer zu bezahlen, aber ich kenne die Probleme mit der Piraterie genauso gut wie sie, und die Situation rechtfertigt einfach nicht eine derart extreme Aktion. Der Raum ist so groß, dass die Piratenschiffe einfach irgendwo in der Dunkelheit verschwinden, und es gibt unzählige Versteckmöglichkeiten. Es gibt einen Punkt, an dem es sich nicht mehr lohnt, zusätzliche Mittel für die Polizei auszugeben. Sie hören mit, ja?«
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Magrussons Gesicht verschwand von der Platte. Blord drehte an den Armaturen des Eldos, worauf der Kopf eines uniformierten Telefonisten auf der Platte erschien. »Es tut mir leid«, antwortete der Mann, nachdem Blord nach dem Patrouillenchef gefragt hatte, »aber Mr. Lane Stetson ist nicht mehr bei der Patrouille; und der neue Chef, Jason Gregory, nimmt im Augenblick keine Auswärtsanrufe entgegen.« »Wo ist Stetson?« wollte Blord wissen. »Es tut mir leid« - die Stimme wurde förmlich -, »aber ich bin nicht befugt, weitere Informationen zu geben.« Das Gesicht des Mannes wurde verschwommen und verschwand dann. Statt dessen erschien Magrusson wieder auf der Platte. Blord runzelte die Stirn. »Da ist irgend etwas im Gange, Magrusson«, meinte er schließlich langsam. »Ich werde nach Marmora II fliegen und Ihnen dann - was ist los?" »Eh, Artur«, sagte Magrusson unglücklich, »ich hasse es, Sie ausgerechnet jetzt mit einer solchen Bagatelle zu belästigen, aber Sie werden für ein paar Wochen weg sein, und - was passiert in der Zwischenzeit mit dem Geist?« »Das fehlt mir jetzt gerade noch - ein Lagerhaus, in dem es spukt!« stöhnte Blord. »Sie werden sich selbst um diese Sache kümmern müssen, Magrusson«, fuhr er dann knapp fort. »Ich habe jetzt keine Zeit dafür.« Magrusson blieb hartnäckig. »Hören Sie, Artur, es kündigen so viele Leute, dass es - Sie haben mir doch versprochen, dass Sie sich persönlich der Angelegenheit annehmen wollten!« »Sagen Sie den Männern, sie sollten aufhören, sich wie kleine Kinder zu benehmen«, gab Blord ungeduldig zurück. Er schaltete das Gerät aus und wandte sich an Marian. »Kümmern Sie sich um ihn, Marian, ja?« Er deutete mit dem Kopf auf den bewusstlosen Gantley und verließ dann ohne ein weiteres Wort den Raum.
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28 Brian Emerson wandte sich von dem Eldoempfänger ab, der die letzte Stunde auf den Anzug eingestellt gewesen war, den Gantley trug. Er rieb sich zufrieden die Hände. »Eine saubere Leistung, Ashleyton«, stellte er fest. »Er läuft uns direkt in die Falle.« Er stand auf, ein großer, finster aussehender Mann von fünfundfünfzig Jahren. Das Lächeln auf seinem Gesicht unterstrich noch den Eindruck intellektueller und physischer Überlegenheit, den er ausstrahlte. »Sich mit einem Mann wie Artur Blord zu messen, Ashleyton, bietet mir die Art von geistigem Vergnügen, die das Leben lebenswert für mich macht. Und diesmal bin ich mir sicher, dass er uns nicht entkommen wird. Die Idee, seinen Cousin herzuholen, war ein Geniestreich.« »Ich bin ziemlich gespannt auf diese Koordinationsabteilung von ihm«, antwortete Ashleyton. Emerson nickte zufrieden. »Wir haben alle ein besonderes Interesse an Blord. Wir werden ihn auseinander nehmen und herausfinden, wie es in ihm aussieht.« Ashleyton runzelte die Stirn. »Ich möchte nur wissen was diese Sache mit dem Geist am Ende ihres Gesprächs bedeutet.« Emerson winkte ungeduldig ab. »Was kümmern uns die Neurosen von Lagerhausarbeitern?« Er grinste höhnisch, und in seiner Stimme schwang Triumph mit. »Das Beste an dem Ganzen ist, dass Blord nichts weiter als ein Randproblem ist, ein kleiner Leckerbissen, der mit hinuntergeschluckt wird in dem größten Einverleibungsprozess, den je ein menschlicher Geist erdacht hat. Ich würde nur zu gern sein Gesicht sehen, wenn er begreifen muss, dass ich die gesamte Regierung der Ridge Stars übernommen habe.« Es vergingen zwei Wochen und fünf Tage. Für Emerson im Patrouillenhauptquartier war es eine äußerst wichtige Zeit für seine Pläne gewesen. Stunde um Stunde, Tag wie Nacht, kamen verschlüsselte Botschaften herein, die 178
berichteten, wie ein Mann getötet, ein anderer ersetzt, ein dritter durch Einschüchterung zur Ergebenheit gebracht worden war. Seine Agenten waren dabei, sich auf über zweihundert Planeten durch Mord, Druck, Überzeugungskraft und Bestechung der Schlüsselpositionen der Ridge Star Regierung zu bemächtigen. Emerson selbst hielt sich mit Drogen wach. Und wenn er schlief, dann höchstens eine viertel oder halbe Stunde. Unter diesen Umständen begannen allerdings auch seine enormen Energien zu schwinden. Eines Morgens musste er an Blord denken, sah zur Datumsanzeige auf seinem Schreibtischchronometer und war erstaunt. Wütend läutete er nach Ashleyton. Während er auf seinen Mitarbeiter wartete, erhob er sich mühsam und ging zum Fenster, das aus transparentem Plexiglas bestand und fast fünfzehn Meter breit war. Der Blick, den man von hier hatte, faszinierte Emerson noch genauso wie zu Beginn, obwohl er jetzt schon seit mehr als einem Monat hier war. Der Planet Marmora II war ursprünglich von der Raumpatrouille der Erdregierung als idealer Platz für eine Raumpatrouillenbasis ausgewählt worden. Er lag so dicht bei seinem Mutterplaneten wie Merkur bei der Sonne. Er wandte 5iets dieselbe Seite der Sonne zu, und die Tagseite war eine verbrannte, heiße Hölle, während die Nachtseite eine eisige, gefrorene Wüste war, wo sich die Temperaturen um den absoluten Nullpunkt bewegten. Ohne Luft, die Oberfläche vernarbt von früheren Erdstößen, drehte er sich auf einer leicht schlenkernden Bahn um seine Sonne. Seine Umlaufbahn war nur leicht exzentrisch. Er brauchte achtundzwanzig Sternenstunden für eine Rotation um seine Sonne; und die geringfügige Variation seiner Bahn schaffte ein schmales Band abwechselnder Helligkeit und Dunkelheit, dort, wo der ewige, glühende Tag mit der eisigen, nie endenden Nacht zusammentraf. Vierzehn Stunden lang lag diese Zone in der alles verzehrenden Glut des Tages; dann senkte sich eisige Nacht über
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sie, wenn sich der Planet auf seiner Bahn wieder drehte. Und hier, in dieser alptraumhaften Imitation der milden Tagund Nachtperiode auf der Erde, lag das Hauptquartier der Ridge Star Raumpatrouille. Mit seinen Gebäuden, den Geschäften, den Landefeldern und den Wohnbezirken umfasste es ein Gebiet von vierhundert Quadratmeilen, das von einem Ende bis zum anderen von einer Reihe von Domen überdeckt war. Aus seinem hohen, zentral gelegenen Büro sah Emerson über die meilenweite, spiegelglatte Oberfläche aus transparentem Kunststoff - die Spitze des Doms. In einem luftlosen Gebiet waren Entfernungen schwer zu schätzen. Der schwarze Himmel mit seinen Sternen schien direkt hinter dem Fenster anzufangen. Die Berglandschaft, die unmittelbar hinter der riesigen Kuppel begann und die in Wirklichkeit viele Meilen entfernt war, hob sich so deutlich ab, dass er den Eindruck hatte, auch kleinste Objekte noch mit dem bloßen Auge erkennen zu können. Er stand immer noch vor dem Fenster, als Ashleyton hereinkam. Der Experte für Instrumente ging wortlos zu Emersons Schreibtisch hinüber, auf den er einige Blatter legte. Der große Mann verließ seinen Platz am Fenster, nahm sie auf und las die erste Seite mit drohend gerunzelter Stirn. Dann hieb er zornentbrannt mit der Faust auf die Schreibtischplatte. »Was ist los?« tobte er. »Blord hätte schon vor einer Woche hier sein sollen. Wo ist er? Was hat er vor? Was hat ihn misstrauisch gemacht?« Ashleyton zuckte die Achseln. Er war an die Wutausbrüche Emersons gewöhnt. »Vielleicht hat er es sich anders überlegt«, erwiderte er gelassen. »Immerhin hat er ja versucht, mit Stetson Kontakt aufzunehmen. Und da das dann nicht geklappt hat ...» Emersons Zorn verflog so rasch, wie er gekommen war. Seine Miene wurde nachdenklich. »Das würde ihn höchstens vorsichtiger machen«, überlegte er. »Wenn ich an seiner Stelle entdecken müsste, dass Stetson tödlich verunglückt ist, dann würde ich versuchen, herauszufinden, was passiert ist. Gibt es
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irgendwelche Berichte über größere Aktivitäten in der Blord Holdinggesellschaft?« Ashleyton deutete auf den schriftlichen Bericht in Emersons Hand. »Sie sind bisher ja noch nicht über die erste Seite hinausgekommen.« Emerson vertiefte sich wieder in die Seiten. Schließlich schüttelte er bewundernd den Kopf. »Ich muss zugeben, Ashleyton, Blord ist wirklich schnell. Während er im Raum unterwegs war, hat er gleichzeitig mit der Raumfahrergewerkschaft verhandelt, und für höhere Löhne haben sie sich bereiterklärt, seine Schiffe auch ohne den Schutz der Raumpatrouille zu fliegen. Er hat sich nicht ausdrücklich geweigert, die Steuer zu zahlen, sondern statt dessen eine einstweilige Verfügung erwirkt, solange er vor Gericht gegen die neue Steuer prozessiert. Außerdem hat seine Organisation mit einer riesigen politischen Kampagne begonnen, die Abgeordneten, die für die Steuer gestimmt haben, ihrer Posten zu entheben. Und das ist erst ein kleiner Teil seiner Aktivitäten. Bis jetzt hat er jedem unserer Schritte entgegengewirkt, ausgenommen einem einzigen. Und ich wäre nicht überrascht, wenn er irgendwo in seinem Hinterkopf auch mit dieser Möglichkeit rechnet. Das Erstaunliche an all dem ist die Tatsache, dass er das alles getan hat, ohne zu wissen, dass wir mit im Spiel sind. Ashleyton, wir müssen herausfinden, ob er hier ist und direkt vor unserer Nase gegen uns arbeitet.« j Er hatte sich hingesetzt, aber jetzt stand er wieder auf und ging rastlos zum Fenster hinüber. Mit einer knappen Handbewegung deutete er auf die öde, aber doch so groß-artige Szene, die sich dahinter bot. »Wie würden Sie es anstellen, wenn Sie ins Patrouillenhauptquartier vordringen wollten? Und was würden Sie tun, wenn Sie jemanden schnappen wollten, der sich verkleidet hier eingeschlichen hat?« : Sie erörterten das Problem ausgiebig, und schließlich meinte Emerson grimmig: »Er mag sich vielleicht ausreichend
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verkleiden können, um nicht erkannt zu werden, aber seine Größe und Statur kann er nicht verändern. Wir müssen ihn aufspüren. Sobald wir unsere Liste der Verdächtigen auf vier oder fünf eingegrenzt haben, bringen wir sie einer nach dem anderen um. Die anderen sollen Ihnen dabei helfen. Ich will, dass diese Sache vorrangig erledigt wird.« Er schwieg. Dann fuhr er ernst fort: »Artur Blord hat schon einmal unsere Pläne zunichte gemacht. Wir müssen dafür sorgen, dass es ihm nicht ein zweites Mal gelingt. Der sicherste Weg dahin ist, ihn umzubringen. Die zweite Möglichkeit ist die, seine Organisation so vollständig zu zerschlagen, dass er nur noch ein Nichts ohne finanzielle Mittel ist. »Und -«er lächelte grausam »- wir befinden uns in der glücklichen Lage, eine oder beide zu wählen.«
29 Während der nächsten Tage fiel Emerson Verschiedenes zum Thema Artur Blord ein, und jedes Mal unternahm er sofort entsprechende Schritte. Sein erster Plan beinhaltete folgendes; in einem Raumschiff abfliegen und wie irgendein Neuankömmling landen. Als er das erste Mal als Jason Gregory, der neue Patrouillenchef, zur Basis gekommen war, hatte er der Landung kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Jetzt dagegen achtete et auf jede Einzelheit. Er hatte den Kontrollraum von seiner Absicht in Kenntnis gesetzt. Als er sich der Basis näherte, gab er über Eldofon seine Identität durch, dann wartete er auf die Landeerlaubnis. Fast jede Minute starteten oder landete Schiffe, die durch eine Reihe von Luftschleusen im Kunststoffdom hinein- und herausflogen. Rings um sein Schiff herum war der Himmel mit anderen Schiffen gesprenkelt, die Fracht und Ausrüstung brachten und darauf warteten, landen zu dürfen. Ein glänzendes 182
Patrouillenschiff glitt von Zeit zu Zeit über die eine oder andere der drei Sondereinflugsrouten, und der gesamte Zwischenverkehr wurde schon bei der Landung ausklariert. Als eine halbe Stunde später das Eldofon summte und Emerson seine Landeerlaubnis bekam, war er bereit, seinen Plan zu testen Er steuerte sein Schiff in eine »tote« Einflugroute und stieg dann in ein Rettungsboot um, mit dem er in die Luftschleuse einflog, die man ihm zugewiesen hatte Nachdem er die Maschine auf einem Energiefeld abgesetzt hatte, verließ er sie und nahm einen Gleiter in die Patrouillenstadt. Niemand kümmerte sich um ihn. Niemand hielt ihn auf, weil er in einem Rettungsboot anstatt in seinem Schiff gelandet war. Und es macht ihn auch während der nächsten paar Tage niemand darauf aufmerksam, dass sein Rettungsboot seine Zeit überschritten hatte. Am Ende des Tests erkundigte sich Emerson, wie viele Energiefelder seit einer Woche oder länger in Benutzung waren. Die Antwort war von Bedeutung. Abgesehen von denen, die von der Patrouille selbst benutzt wurden, belief sich ihre Zahl auf 194. Es waren ausnahmslos große Schiffe; kleinere waren nicht darunter. Verblüfft erkundigte sich Emerson weiter, welche Vorkehrungen man getroffen habe, dass nicht Energiefelder der Patrouille illegal benutzt wurden. Man sagte ihm, dass es Fremden verboten sei, die Patrouillenenergiefelder zu benutzen. Der große Mann konnte sich nur mit Mühe beherrschen. »Es ist Ihnen also verboten«, sagte er zu dem Mann, der ihm die Informationen gegeben hatte. »Und was unternehmen Sie nun tatsächlich, um eine illegale Benutzung zu verhindern?« »Wir haben eine Liste«, erwiderte der Beamte auf der Eldoplatte unbewegt. »Wir überprüfen die Energiefelder regelmäßig.« »Wie regelmäßig?« fragte er scharf. »Es gibt keine festgesetzten Abstände. Wir überprüfen sie ganz willkürlich.« Zum ersten Mal schien sich der Mann
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Emersons Verärgerung bewusst zu sein. »Das letzte Mal war vor ungefähr einem Monat«, fügte er hastig hinzu. »Möchten Sie, dass wir eine neue Überprüfung vornehmen?« »Ja«, entgegnete Emerson leise und unterbrach die Verbindung. Man teilte ihm schließlich mit, dass man bei der Überprüfung ein unerlaubt abgesetztes Rettungsboot entdeckt hatte. Der Beamte gab sich überrascht. »Das ist das erste Mal, dass so etwas passiert ist«, erklärte er. »Und wer sagt Ihnen das?« sagte Emerson kalt. »Ich möchte, dass Sie sich etwas einfallen lassen, wie eine illegale Benutzung der Energiefelder in Zukunft verhindert werden kann«, fuhr er dann fort, ohne auf eine Antwort zu warten. Er brach ab. »Hatte das Rettungsboot irgendwelche Identifikationsmerkmale?« »Nein.« »Haben Sie seine Registrierung überprüft?« »Es wurde illegal hergestellt.« Emerson nickte zustimmend. Es existierten viele solcher Schiffe, und der Raum war zu groß, um die versteckten Fabriken aufzuspüren. Seine eigene Organisation hatte auch Schiffe jeder Größe und Form, einschließlich Duplikate von Patrouillenschiffen, gekauft. Obwohl es illegal war, gab es keinen Unternehmer in den Ridge Stars, der nicht hin und wieder ein nicht registriertes Schiff brauchte. Es war also keineswegs überraschend, dass sich auch Blord trotz der damit verbundenen Risiken solcher Schiffe bediente. Die Tatsache, dass man Blords Rettungsboot entdeckt hatte - und Emerson war sich sicher, dass es Blords Boot war - hob seine Stimmung. »Lassen Sie das Boot, wie es ist«, wies er den Beamten an. »Ich komme hinaus und sehe es mir selbst an. Das wäre alles.« Das Gesicht verschwand von der Eldoplatte. Emerson rechnete damit, bei seiner Besichtigung des Rettungsbootes keine aufklärenden Hinweise zu finden, und er sah sich nicht getäuscht. Bevor er das Boot jedoch wieder
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verließ, ließ er von einem Mechaniker seiner eigenen Organisation einen Regler einbauen, der die Energiezufuhr unterbrach, sobald sich die Maschine in einer Höhe von vierhundert Fuß befand. Ein Sturz aus dieser Höhe reichte, einen Menschen zu töten. Auf dem Weg zurück in sein Büro machte er nachdenklich einen Abstecher in die Halle für den Öffentlichen Transport, wo er sich bis ins kleinste Detail die Arbeitsweise der Organisation erklären ließ. Sein Informant war ein kurzer, stämmiger Mann mit buschigen Augenbrauen, der die Angewohnheit hatte, beim Sprechen die Achseln zu zucken. »Wir hatten im letzten Jahr 98000 Passagiere nach draußen«, gab er mit wichtiger Miene Auskunft. Er zuckte die Achseln. »Viele Leute wollen einfach nicht die hohe Miete für die Energiefelder bezahlen - und dann sind da natürlich auch noch die, die auf den Handelsschiffen herkommen.« »Wenn Sie Passagiere herunterholen oder zu ihren Schiffen hinaufbringen«, wollte Emerson wissen, »müssen Sie dann bestimmte Anweisungen beachten? Müssen Sie eine Meldung machen? Müssen sich die Einzelnen identifizieren.« Per andere zuckte die Achseln. »Unser System ist besser. per Name und das Gesicht jedes Passagiers werden zum Kontrollturm gefunkt, und wenn er auf der Liste steht, bekommen wir ein verschlüsseltes Signal, und in der Luftschleuse wartet dann ein Mitglied der Patrouille auf ihn.« Zurück in seinem Büro ließ Emerson Blord »auf die Liste setzen« und, als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme, eine Reihe von Ashleytons Strukturgeräten in jeden Eingang des Gebäudes für Öffentlichen Transport und in die verschiedenen Luftschleusen einbauen. Er wusste, dass auch andere Schutzsysteme installiert werden sollten, aber bisher war noch keine Zeit gewesen, die Überwachung so zu perfektionieren, wie Ashleyton und seine Leute es vorhatten. Als letzte Vorsichtsmaßnahme überprüfte er, wie Besucher
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registriert wurden, wenn sie in Hotels oder bei Patrouillenangestellten wohnten, oder wenn sie über Bodenluftschleusen den feindlichen Planeten selbst besuchten. Er war immer noch dabei, die Schlupflöcher zusammenzuziehen, die er fand, als Ashleyton hereinkam. »Ich brauche Hilfe«, verkündete er mit düsterem Gesicht. »Murrison und ich werden mit der Situation nicht fertig.« Emerson starrte ihn mit hochgezogenen Lippen an. Er hatte angenommen, dass die Situation unter Kontrolle war, und Ashleytons Worte beunruhigten ihn einen Augenblick. Doch er erholte sich rasch. Schließlich, überlegte er, wusste keiner der anderen, was er gemacht hatte. Um sich einen klaren Eindruck zu verschaffen, fragte er: »Murrison hat mit Ihnen gearbeitet?« Ashleyton nickte. »Die anderen waren beschäftigt. Aber Sie kennen ja Murrison - nie zu beschäftigt, um nicht noch Zeit für einen Mord zu finden.« Emerson lächelte grausam. Murrison war die größte lebende Autorität auf dem Gebiet Nuklearphysik, aber er hatte eine Reihe aufregender Hobbies, unter ihnen Mord in seinen subtilsten Formen. Murrison war es auch gewesen, der die generalisierte Struktur der Ridge Star Regierung derart vorbereitet hatte, dass Schlüsselleute ermordet oder anders aus dem Weg geräumt wurden. Wenn Murrison und Ashleyton zusammenarbeiten und trotzdem auf Schwierigkeiten gestoßen waren, dann war es an der Zeit, dass er, Emerson, sich der Sache persönlich annahm. »Was meinen Sie damit - Hilfe?« fragte er scharf. Ashleyton war konzentriert. »Wir haben die Zahl der Verdächtigen auf drei Männer eingegrenzt. Wenn Blord nicht einer von ihnen ist, dann befindet er sich nicht hier im Patrouillenhauptquartier.« »Das ist eine ziemlich gewagte Behauptung. Immerhin halten sich über 80.000 Menschen hier auf.«
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»Wir haben ganze Teams mit sämtlichen verfügbaren Messinstrumenten eingesetzt«, erwiderte der andere ernst, »und letzten Endes haben wir ja auch einen physischen Bericht von Blord zum letzten ...» Er brach taktvoll ab, da er nicht unnötig unangenehme Erinnerungen wachrufen wollte. »Weiter«, forderte ihn Emerson knapp auf. »Sie haben seine physischen Angaben. Haben Sie jeden Erwachsenen überprüft?« »Sogar die in Krankenhäusern.« »Und Sie sind auf drei gekommen?« wiederholte Emerson mit finsterer Miene. »Warum haben Sie sie nicht sofort getötet und abgewartet, was passiert?« »Moment, dazu komme ich noch.« Ashleyton fuhr sich mit den Fingern gedankenverloren durch das dünner werdende Haar. »Sie kennen ja Murrison. Er vertraut auf statistische Methoden.« Emerson wartete grimmig. Er kannte Murrison tatsächlich sehr gut. Der Physiker widmete sich seinem Hobby mit fast liebevoller Sorgfalt und Aufmerksamkeit. »Er dachte sich drei Möglichkeiten für einen Tod durch Unfall aus«, fuhr Ashleyton fort. »Bei jedem der drei Verdächtigen haben wir es mit einer anderen versucht. Als es nicht klappte, haben wir dann die Möglichkeiten vertauscht, bis schließlich alle drei bei jedem der drei Männer versucht worden waren.« Ashleyton schüttelte unsicher den Kopf. »Chef, Murrison schwört, die Chancen, dass alle drei Möglichkeiten versagen, stünden eine Million zu eins. Bisher haben wir noch keine offenen Schritte unternommen. Was schlagen Sie vor?« Emerson war schon vor einigen Sekunden zu einem Entschluss gekommen. »Lassen Sie sie herbringen. Ich werde höchstens drei Sekunden brauchen, um Blord zu identifizieren, ganz gleich, in welcher Verkleidung er steckt.« Sie kamen zusammen herein und schienen überrascht, dass der neue Patrouillenchef sie sehen wollte. Emerson gab jedem von ihnen gespannt die Hand und fragte sich, ob es nicht vielleicht
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einen feinen Unterschied in der Art gab, wie Blord seine Hand fassen würde. Wenn es einen gab, dann bemerkte er ihn zumindest nicht. Etwas verblüfft, aber immer noch voller Zuversicht, setzte er sich und sah auf Murrison, der mit den drei Männern hereingekommen war. Der Physiker war der jüngste der abtrünnigen Wissenschaftler, die ihm hinaus in den Raum gefolgt waren. Er war knapp über einsachtzig groß und von schlanker Statur. Im Augenblick sah er müde und erschöpft aus, was keineswegs verwunderlich war, denn er hatte, wie die anderen, Tag und Nacht gearbeitet. Seine Stimme klang heiser, als er jetzt zu reden begann. »Mr. Gregory ...« Er benutzte wie vereinbart Emersons Pseudonym, das ihm leicht über die Zunge zu gehen schien »ich glaube, Sie sollten diese Herren mir überlassen. Ich habe vor, sie mit auf eine kurze Erkundungsfahrt zu nehmen.« »Mr. Gregory«, mischte sich einer der Männer ein, »wir sind alle etwas verwirrt darüber, dass Sie uns haben herkommen lassen. Natürlich möchten wir dem neuen Patrouillenchef jeden Gefallen tun und ...« Emerson unterbrach ihn. »Geben Sie irgend jemandem dieser Herren den Vorzug?« wandte er sich an Murrison. Der Physiker schüttelte den Kopf. »Im Moment nicht.« »Ich verstehe«, gab Emerson zurück. »Es wird also notwendig sein, alle drei Herren mitzunehmen.« Murrison nickte wieder. »Vielleicht sehen wir klarer, sobald wir draußen im Raum sind. Unter diesen Umständen können wir dann ganz offen miteinander sein.« Einen Augenblick musste Emerson lächeln. Er konnte sich vorstellen, was Murrison unter dieser Offenheit verstand. Die Männer würden ausgezogen und ihre Verkleidungen durchsucht werden. Er wusste genau, wie gründlich das geschehen würde, und er konnte nur zustimmen, dass dies die beste
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Verfahrensweise war. Es war gefährlich,' jemanden innerhalb der Grenzen der Patrouillenstadt umzubringen. Die Anzahl der Todesfälle durch Unglücke, die sich in letzter Zeit ereignet hatten, rieten davon ab! Aber sobald die drei Männer erst in einem Schiff, das mit Mitgliedern seiner Organisation bemannt war, draußen im Raum waren, konnte man sie problemlos beseitigen. Fünf Tage später kam Ashleyton außer Atem hereingestürmt. »Wir haben eben Murrisons Leiche gefunden.« Emerson sah ihn verständnislos an, und es dauerte einen Augenblick, bevor er begriffen hatte, was dies bedeutete. »Sie meinen, der Mann, der diese drei Männer hergebracht und sie dann mit in den Raum genommen hat ... dieser Mann war Blord in der Verkleidung als Murrison ...« Er ließ sich in seinen Sessel zurückfallen und kämpfte mühsam um seine Selbstbeherrschung. »Also schön, Mr. Blord«, sagte er schließlich leise und halb zu sich selbst, »dann wollen wir doch mal sehen, was Sie gegen die Macht der Ridge Star Regierung ausrichten können.« Mit gerunzelter Stirn und einem grimmigen Ausdruck auf dem Gesicht beugte er sich vor und schaltete das Eldofon ein. Sobald er Verbindung hatte, begann er, Anweisungen zu geben.
3O Die Tatsache, dass er aus dem Hauptquartier der Patrouille hatte entkommen können, versetzte Artur Blord keineswegs in Hochstimmung. Dass es ihm erfolgreich gelungen war, sich in Murrison, einer von Emersons Anhängern, zu verkleiden, hielt er mehr oder weniger für selbstverständlich Als er in die Patrouillenstadt gekommen war, hatte er kurze Zeit lang den Vorteil gehabt, unerkannt herumgehen zu können. Und das hatte ihm das Leben gerettet. Es war eine große Überraschung gewesen, als er hatte entdecken müssen, dass 189
Emersons Bande die Organisation war, die die Patrouille übernommen hatte. Es war ihm sofort bewusst geworden, in welcher Gefahr er sich befand; also hatte er Murrison getötet, weil dieser kaltblütige Mann unter den Leuten, die den harten Kern der Bande bildeten, seiner Statur am nächsten kam. Und so war er dann entkommen. Allerdings hatte es ihn einen enormen Aufwand an Mühe und Vorsichtsmaßnahmen gekostet, und das alles nur, um fliehen zu können - eine Tatsache, die das Ausmaß von Emersons Erfolg unterstrich. Von diesem Augenblick an war Artur Blord ein Gebrandmarkter. Er konnte jederzeit getötet werden, und mit Hilfe der breiten Autorität der Patrouille konnte man es wie einen Unfall aussehen lassen, selbst wenn es vor Zeugen mitten auf der Straße passierte. Artur Blord besaß also nicht einmal mehr den Schutz, den ein normaler Bürger genoss. Das Schiff von Emerson hatte kaum die Luftschleuse des Patrouillenhauptquartiers passiert, als sich Blord auch schon zum nächsten Notausstieg begab. In seiner Verkleidung als Murrison, Kommandant des Schiffes, zog niemand seine Schritte in Frage. Es war fraglich, ob es überhaupt einem Mitglied der Besatzung auffiel, dass sich ein Rettungsboot selbständig machte. Nachdem Blord seine eigene Yacht auf ihrer Bahn hoch über dem Planeten erreicht hatte, nahm er Kurs auf die Delfi-Sonne. Dann schaltete er die Flugautomatik ein und legte sich schlafen. Als er wieder aufwachte, hatte er einen Plan. Es war unklug, zu versuchen, allein mit Emerson fertig zu werden. Zum ersten Mal brauchte er die Hilfe der anderen Ridge Star Unternehmer. Er begab sich zum Kontrollpult und ließ sich stirnrunzelnd die Schwierigkeiten durch den Kopf gehen, die dabei auf ihn zukommen würden. Die großen Unternehmer, die er kannte, waren nicht gerade für ihre große Bereitwilligkeit zur Kooperation bekannt. Selbst wenn es dabei um ihre eigenen
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Interessen ging, zogen sie es gewöhnlich vor, alleine zu arbeiten. Die Frage war: Wo war er im Raum? Mit wem konnte am ehesten reden? Als er in seinem Kontrollsessel saß, betrachtete Blord seine Instrumente. Die einhundertvierundneunzig Ridge Star Sonnen breiteten sich in einer ungleichmäßigen Linie über eine Entfernung von rund zweihundert Lichtjahren aus. Sie waren methodisch von Anfang bis Ende in der Reihenfolge an A bis Z benannt worden. Er stellte fest, dass er gerade die »I«-Sonnen, Izcudun Imogene und Idyllic passierte. Da er von Marmora gestartet und jetzt auf dem Kurs nach Delfi war, flog er also »die Linie hinauf«. Blord wusste, dass es um die »I«-Sonnen fünf bewohnbare Planeten gab. Sie befanden sich alle auf einem relativ primitiven Niveau, und die Unternehmer waren nach Ridge Star Maßstäben kaum von Bedeutung, obwohl zumindest einer von ihnen seinen Planeten kontrollierte. Die größte Stadt hatte eine Einwohnerzahl von knapp über einer Million und war hauptsächlich mit Blordschem Geld erbaut worden . eine Tatsachen, die allerdings den meisten Einwohnern unbekannt war. Blord behielt seinen Kurs bei. Er sah schon nach vorn und dachte an die Hargan Sonne - das große »H«, wie sie genannt wurde. Dort würde er Hargans Planeten und Hargans Stadt finden. Und wenn er seinen Flug unterbrach, würde er sich sehr schnell dem großen Geoffrey Hargan persönlich gegenüber finden. Der Gedanke an Hargan ließ Blord überlegen. Er wusste nicht, ob es klug war, aber wer war für seine Zwecke besser geeignet als dieser Mann? Wenn er Hargan von seinem Standpunkt überzeugen konnte, dann würden sich mehrere andere Unternehmer anschließen. Trotzdem näherte sich Blord der Hargan-Sonne
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unentschlossen. Als er auf Hargans Planeten zuglitt, ließ er sich noch einmal die Alternativen durch den Kopf gehen. Sollte er sich mit dem Mann über Eldofon unterhalten oder ein persönliches Gespräch riskieren? Er zögerte zunächst angesichts der potentiellen Gefahr, die die zweite Möglichkeit mit sich brachte, aber schließlich kam er zu der Überzeugung, dass eine persönliche Begegnung das Beste war. Mehr als einmal hatte er schon bemerkt, dass ein Gespräch per Eldo zwischen zwei Leuten, die beide in ihren eigenen Büros saßen, nicht die gleiche Wirkung wie ein persönliches Zusammentreffen hatte. Der große Hargan würde aufmerksam werden, wenn Artur Blord in seine Festung hinunterkam und sich offensichtlich freiwillig in die Hände eines Rivalen begab. Mit schmalen Lippen und gerunzelter Stirn entschloss sich Artur Blord, das Risiko einzugehen, wobei er zunächst entsprechende Schutzmaßnahmen treffen musste. Als die Schatten über dem Planeten länger wurden, warf Blord ein Rettungsboot ab und brachte es über Fernsteuerung auf einem seiner geheimen Besitze in der Nähe von Hargans Stadt herunter. Dann steuerte er seine Yacht auf eine Umlaufbahn um den Planeten, informierte Hargan über sein Kommen und landete in einem zweiten Rettungsboot. Er wurde sofort verhaftet, als er aus seinem Boot ausstieg, und direkt zum Hargan Gebäude gebracht, das im Zentrum der Stadt lag. Er fand sich unter Bewachung schließlich in einer großen, luxuriös eingerichteten Bibliothek wieder. Obwohl er noch nie zuvor in diesem Raum gewesen war, zweifelte er nicht daran, dass dies Hargans privates Arbeitszimmer war. Hinter ihm öffnete sich eine Tür, und Blord drehte sich um. Im Eingang stand ein großer, kräftiger Mann. Auf dem intelligenten Gesicht lag ein überheblicher Ausdruck. Er war etwas schwerer
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als Emerson; sein Kopf war massiger, und er wirkte eher dick, wogegen Emerson nur groß und stark ausgesehen hatte. Trotzdem war die physische Ähnlichkeit zwischen den beiden Männern bemerkenswert. Hargan ließ sich in einem Sessel an der Tür nieder. »Was für eine angenehme Überraschung, Artur«, meinte er herzlich. Blord hob seine gefesselten Hände hoch. »Jeff, Sie werden mir doch sicher die Handschellen abnehmen, nicht wahr?« Ironischerweise war es üblich, dass sich die Ridge Star Unternehmer mit dem Vornamen anredeten, so, als wären sie gute Freunde. Hargan runzelte die Stirn. »Tatsache ist, Artur, dag Sie ein gefährlicher Mann sind. Niemand weiß, wie Sie es machen, aber es gibt rätselhafte Berichte über Ihre Fähigkeiten. Und ich kann mir eigentlich nur vorstellen, dass Sie hergekommen sind, um mich zu ermorden. Also, was haben Sie auf dem Herzen?« Blord erklärte ihm rasch die Hintergründe der neuen Steuer. »Sie sehen also, mit wem wir es zu tun haben«, schloss er ruhig. »Eine Gruppe von Wissenschaftlern, die über mehr Know-how verfügen als die Erde und die Ridge Stars zusammen. Und unsere Polizeimacht haben sie bereits übernommen.« Nachdem Blord seinen Bericht beendet hatte, breitete sich Schweigen aus. Hargan schien verwirrt zu sein. Plötzlich fragte er scharf: »Verstehe ich es recht, dass Sie den Eindruck haben, Emerson habe etwas getan, das er nicht hätte tun dürfen?« Blord starrte ihn sprachlos an. »Es scheint mir, dass wir Verständnisprobleme haben«, erwiderte er. »Verstehe ich es recht, dass Emersons Machtergreifung Sie nicht stört?« Hargan zuckte die Achseln. »Ein neuer Unternehmer. Und er scheint mir recht ehrgeizig zu sein. Wenn er mir in die Quere kommt, werde ich ihn schon in seine Schranken verweisen.« Blord lehnte sich in seinem Sessel zurück. Der erste Schock war jetzt vorbei, aber er war immer noch überrascht. Er war
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schon öfter auf diese Einstellung gestoßen. Viele Ridge Stars Unternehmer waren so unmoralisch, dass man sie nur mit den größten Schwierigkeiten in ihren Grenzen halten konnte. Aber er hatte doch erwartet, dass Hargan in der Lage gewesen wäre, zwischen einem Unternehmer, der sich immerhin an gewisse Regeln hielt und einem Kriminellen, den so etwas nicht kümmerte, zu unterscheiden »Er steht Ihnen nicht nur schon in der Quere«, sagte Blord schließlich, »sondern er wird auch seine Geschäfte auf Ihre Kosten führen. Warten Sie nur, bis die Patrouille anfängt, fünfundzwanzig Prozent Steuern auf Ihre sämtlichen Transaktionen zu kassieren.« Hargan blieb unbeeindruckt. »Es überrascht mich. Sie so erregt zu sehen. Warum machen Sie es nicht wie ich? Immer ruhig Blut. Sicher, Sie haben eine Steuer durchgebracht. Aber sie muss ja schließlich von Leuten eingetrieben werden. Auf Hargans Planeten sind die Steuereintreiber meine Leute - oder sie werden es werden, wenn sie klug sind. »Sehen Sie Artur« - sein Ton wurde vertraulich, und er schien vergessen zu haben, dass ein halbes Dutzend Wachen um sie herum standen -, »Sie sind die Sache von Anfang an falsch angegangen. Sie sind nur ein Unternehmer. Sicher, Sie können Politiker bestechen. Sie können Gesetze in gewissem Maß beeinflussen. Aber auf Hargans Planet mache ich die Gesetze. Ich kontrolliere die Städte und die Polizei. Ich bin ein Unternehmer, sicher, und vielleicht bin ich nicht so bekannt wie Sie. Ihre Aktivitäten spielen sich in einem wesentlich weiteren Rahmen ab, und ich schätze, dass Sie zweimal, vielleicht sogar dreimal soviel besitzen wie ich. Aber hier auf Hargans Planet bin ich der Boss. Durch meinen politischen Einfluss habe ich die Kontrolle über mehr Geld, als Sie oder ich rechtmäßig besitzen. Die Mittel eines ganzen Planeten stehen zu meiner Verfügung.« Wieder zuckte er die Achseln. »Sie sehen also, Emerson
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interessiert mich nicht. Wenn es nötig ist, werde ich mich mit ihm irgendwie arrangieren. Natürlich kann die Patrouille eine gewisse Steuer von mir einziehen, wenn es ihnen gelingt, der Piraterie ein Ende zu setzen ...« »Sie verstehen einfach nicht, Jeff«, unterbrach ihn Blord. »Emerson ist der Chef der Piraten. Das versuche ich Ihnen schon die ganze Zeit klar zu machen.« Hargan blinzelte, und seine Augen leuchteten auf »Das ist ja ...« Er schüttelte erstaunt den Kopf und fuhr dann bewundernd fort: »Artur, der Mann ist ein Genie. Ich selbst hätte es nicht besser machen können.«
31 Blord fand, dass es an der Zeit war, Hargans Planet zu verlassen. Nur änderte dieser Entschluss vorerst nichts an seiner Situation. Er lehnte sich in seinen Sessel zurück, als sei er auf eine lange Diskussion vorbereitet, doch in Wirklichkeit suchte er in Gedanken schon nach einem Weg, wie er aus diesem Raum fliehen konnte. Ein beiläufiger Seitenblick zeigte ihm die sechs Wachen, die ihn nicht aus den Augen ließen. Die Art und Weise, wie sie sich postiert hatten, war an sich schon vielsagend. Zwei standen neben seinem Sessel und warteten wahrscheinlich darauf, sich bei der kleinsten Bewegung auf ihn zu stürzen. Dann stand jeweils ein Mann an den beiden Türen des Arbeitszimmers, und die zwei letzten - beide wahre Hünen hatten schützend neben Hargan Posten bezogen. »Mir scheint, Jeff«, begann Blord langsam, »dass Sie vergessen haben, wie vergänglich all das, was Sie und ich erreicht haben, ist, und wie vergänglich überhaupt das ganze Grenzerleben ist, das wir hier in den Ridge Stars führen. Wissen Sie noch, es war die bewusste Politik der Erde, dass das Motiv des Profits die Expansion der Menschheit in den Weltraum bestimmte. Zügelloser Industriekapitalismus hat sich in einem 195
schnell wachsenden Wirtschaftssystem sehr oft als nützlich erwiesen, aber hier in unserem Teil des Weltraums ist seine Zeit so gut wie vorbei.« Er brach ab, und als er den verwirrten Ausdruck auf Hargans Gesicht sah, fuhr er rasch fort: »Das eigentliche Ziel der Erlaubnis, die wir hatten, zu tun und lassen, was wir wollten, ist praktisch erfüllt. Die öffentliche Einstellung zum großen Unternehmer erfährt derzeit einen Wandel. Diese Männer hier ...« Er deutete mit seinen gefesselten Händen auf die Wachen, wobei er versuchte, das Handgelenk des Mannes zu treffen, der links von ihm stand. Es war eine geschickte, scheinbar ziellose und spontane Bewegung, die aber genau den gewünschten Effekt erreichte. Es gelang Blord, den Wächter mit einem seiner Ringe zu berühren, in dem sich eine Nadel befand, die gerade so lang war, dass sie durch die oberste Hautschicht drang. Sie war hohl und mit einer hypnotischen Droge gefüllt, die Blord dem Mann auf diese Weise injizierte. Das Mittel enthielt zusätzlich ein blitzschnell wirkendes Anästhetikum. Der Schmerz der Einstiches, der kaum stärker als ein leichter Kratzer war, verging, noch während die Nadel in die Haut eindrang. Wenn der Mann etwas gespürt hatte, so zeigte er es jedenfalls nicht, sondern blieb weiter wachsam stehen. »... Ihre Wachen hier sind nicht mehr Ihre Männer, wie sie es vielleicht vor zehn Jahren waren. Sie werden es nicht zugeben, aber sie haben inzwischen ihre stillen Vorbehalte bekommen.« Hargan schien sich wieder gefasst zu haben. »Wer nicht für mich arbeiten will, kann jederzeit kündigen«, sagte er gelassen, doch dann wurde er plötzlich ungeduldig. »Ich habe noch nie jemanden so pessimistisch reden hören, Artur. Und was mich am meisten daran überrascht, ist, es aus dem Munde eines Mannes zu hören, der doch den Ruf hat, unbesiegbar zu sein. Ist Ihnen denn nicht bewusst, dass das, was die Erde vor zweihundert Jahren geplant hat, heute
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bedeutungslos ist? Wir haben es heute mit anderen Menschen zu tun. Die Nachkommen der Planer sind ganz gewöhnliche Menschen, die genauso leicht wie die Leute, mit denen Sie und ich in all den Jahren zu tun hatten, gekauft und verkauft, bestochen und umerzogen werden können. Die Wahrheit sieht so aus, dass auf jeden Billionär auf der Erde Hunderte im Raum kommen, eine Tatsache, die sich die Leute in jener idealistischen Zeit nie hätten träumen lassen. Das Experiment ist außer Kontrolle geraten, und niemand kann es wieder in die Hand bekommen, am allerwenigsten die Erdregierung, die einem ehrgeizigen Mann so wenig zu bieten hat, dass ein Wissenschaftler wie Emerson hier heraus kommt und sich als Unternehmer niederlässt.« Blord hatte nicht zuhören wollen. Er versuchte, SH einen Weg zu überlegen, wie er sich am besten des hypnotisierten Wächters bedienen konnte. Wenn der Augenblick kam, musste er die Situation völlig unter Kontrolle haben damit jede Gewaltanwendung überflüssig wurde. Einen Moment lang ließ er sich jedoch ablenken. Denn Hargans Worte klangen wahr. Blord wurde sich der Realität hinter dem Bild bewusst, dass Hargan gezeichnet hatte, und er merkte, dass er sich das erste Mal in seinem Leben dazu hatte verleiten lassen, unrealistisch zu denken. Das große Experiment war wirklich außer Kontrolle geraten. All die Jahre hatte er tief in seinem Innern darauf vertraut, dass sich alles letztendlich doch noch zum Guten wenden würde. Auch als sich seine eigenen Geschäfte wie eine Krake über diesen Teil der Galaxie ausbreiteten, hatte er sich noch eine stabilere Gesellschaft vorgestellt. Mit einem Seufzer erkannte er jetzt, dass es nur eine Art vorsätzliche Selbsttäuschung gewesen war. Er hatte seine eigenen Handlungen in Krisensituationen nie davon beeinflussen lassen und es immer eher als eine geistige Kontrolle über die prahlerischen und tödlichen Ambitionen von Männern wie
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Hargan und weniger als eine konkrete Überwachung gesehen. Jetzt sah er plötzlich, dass es im Grunde überhaupt nichts bedeutete. Er war auf sich selbst angewiesen, erkannte er. Es gab keinen lieben Großvater, der über die Angelegenheiten der Menschheit wachte. Emerson konnte die Ridge Stars unter seine Kontrolle bekommen, mit allem, was dies im Sinne einer Katastrophe für die Zivilisation bedeutete - und für ihn selbst als Individuum. Blord begann, sich angesichts der Ungeheuerlichkeit dieser Tatsache zu versteifen. Einen winzigen Augenblick lang hatte er Angst gehabt. Er wusste, dass ihm der größte Kampf seines Lebens bevorstand, auch wenn es ihm gelang, Hargan zu entkommen. Und genau das war es, worum es ging. Es war der Kampf, der zählte, nicht das Ergebnis. In diesem Moment, und in jedem, der folgte, würde er Dinge tun und sagen, die in sich von Bedeutung waren. Auch die kleinste Aktion, die er unternahm, sogar jedes Wort würde die Situation, in der er sich gerade befand, zum Guten oder zum Schlechten wenden. Es war die Reise zum Zielpunkt, nicht die Ankunft selbst; nicht die Erfahrung als Ganzes, sondern der Augenblick - die Erregung einer durchdringenden Bemerkung, die unausweichliche Logik einer Handlung, die man genau zum richtigen Zeitpunkt unternahm: Das waren die Realitäten seines Lebens. Neben solchen Realitäten, neben einer solchen Fähigkeit, in einem Moment der Gefahr für jede Sekunde zu leben, verloren. Begriff wie Macht, Reichtum und Erfolg ihre Bedeutung. Daran glaubte er, und danach handelte er jetzt. »Wir verschwenden nur unsere Zeit, Jeff«, sagte er. »Wie Sie sehen, habe ich ein beträchtliches Risiko auf mich genommen, als ich herkam, um Sie persönlich zu überzeugen.« Er hielt seine Hände mit den Handschellen hoch. »Sie müssen doch inzwischen zu dem Schluss gekommen sein, dass ich Sie nicht ermorden will,
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sondern dass ich Ihre Hilfe brauche, und Sie - ob Sie es nun glauben oder nicht - brauchen meine. Was halten Sie davon, mir diese Dinger abzunehmen und mich zu meinem Rettungsboot gehen zu lassen?« Er wartete neugierig. Die einfachste Lösung für Hargan war, ihn gehen zu lassen. Der große Mann rückte nervös in seinem Sessel hin und her. »Sie machen es mir schwer, Artur«, erwiderte er langsam. »Vor Jahren, nach einer kleinen Operation Ihrerseits, die mich eine Milliarde Stellors kostete, habe ich von dem Augenblick geträumt, wenn Sie mit ...« Er schüttelte sich vornehm. »... diesen Dingern in einem meiner Büros sitzen würden ...« »Dieser Wunsch«, entgegnete Blord, »stammt gewiss aus den Kindertagen Ihrer Karriere, als Sie sich noch unsicher fühlten.« »Das ist es nicht«, antwortete Hargan unglücklich. »Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, dass Sie tatsächlich aufstehen und hier hinausspazieren. Alles in mir wehrt sich dagegen ...« Wieder beendete er den Satz nicht. Blord begriff, was sein Gegenüber meinte. Hargan halt einen seiner Feinde in seiner Gewalt, und er hasste den Gedanken, ihn wieder freizulassen. »Die Alternative ist Mord oder Gefängnis, Jeff«, sagte Blord geradeheraus. »Ich weiß, ich weiß.« Es klang bedauernd. »Trotzdem halte ich den Weg des Entgegenkommens immer noch für den besten«, fuhr Blord fort. »Ich habe die Absicht, gegen Emerson zu kämpfen. Und wenn ich siege, ist es auch Ihr Sieg.« »Trotzdem ist ein Sieg unter den Umständen, wie Sie sie mir angedeutet haben, meiner Ansicht nach problematisch. Ich wäre vielleicht besser beraten, wenn ich mich mit Emerson in Verbindung setzen und hören würde, wie er darüber denkt ...« Er brach ab, als wäre ihm plötzlich eine großartige Idee gekommen. »Eigentlich könnte es doch nicht schaden, oder was meinen
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Sie?« Er tat, als überlegte er. »Ich weiß jetzt genau, was passieren wird. Zuerst wird mir Emerson hundert Millionen Stellors für Sie anbieten. Dann versprechen Sie mir zweihundert Millionen, wenn ich Sie laufen lasse. Und schließlich bietet mir Emerson an, meine Steuer von fünfundzwanzig Prozent zu vergessen.« Er brach ab, und seine Augen war jetzt hart und leuchtend. »Was sagen Sie dazu, Artur?« Hargan hatte sich offensichtlich entschieden. Blord erkannte, dass er das Wortgefecht verloren hatte. Ohne zu zögern handelte er. Er drehte sich blitzschnell zu dem hypnotisierten Wächter um und deutete mit den Händen auf ihn. »He, du!« sagte er durchdringend. Er wartete nicht auf eine Antwort. »Zieh deine Waffe!« befahl er fest und überzeugend. »Geh zurück! Pass auf sie auf! Erschieße jeden, der Widerstand leistet!« Die Überraschung war komplett. Hargan fluchte leise, gab aber auf einen Wink von Blord hin den Befehl ihm die Handschellen abzunehmen. Er schien resigniert zu haben. »Ich weiß nicht, wie Sie das gemacht haben, Artur«, sagte er bewundernd, »aber es ist einfach unglaublich.« Blord verschwendete keine Zeit. Er entwaffnete die anderen Wachen und befahl dem hypnotisierten Mann, sie in Schach zu halten. Dann verließ er durch die Tür die Bibliothek, durch die Hargan hereingekommen war. Er fand sich in einem geräumigen Ankleidezimmer wieder. So schnell es ging, zog er sich bis auf einen dünnen und sehr leichten, durchsichtigen Schutzanzug von der Art aus, wie man ihn im Raum benutzte, um den Körper vor plötzlichen Temperaturschwankungen zu schützen. Ohne zu Zögern legte er auch ihn ab. Darunter kam der empfindlichste aller Stoffe, ein Tarnanzug, zum Vorschein.
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Rasch zog sich Blord die zusammengefaltete Schulterkappe mit der eingefassten Brille über den Kopf. Und dann, bevor er sie festzog, rief er durch die offene Tür: »Einer der Männer soll die Tür zum Korridor öffnen.« Niemand sah ihn. Nur als er durch die beiden Türen ging, war er jedes Mal für den Bruchteil einer Sekunde als schemenhafter Schatten sichtbar. Er hielt sich in der Mitte des Korridors. Vor dem Aufzug wartete er auf eine leere Kabine. Der Portier im Erdgeschoß musste überrascht gewesen sein, als der Aufzug herunterkam, die Tür aufging, aber niemand ausstieg. Er verließ seinen Platz, ging zum Lift hinüber und spähte hinein. Zu diesem Zeitpunkt glitt Blord schon an den Polizeibeamten vorbei, die den Haupteingang bewachten. Sobald er draußen war, machte er sich eilig auf den Weg zu dem Rettungsboot, das er hinter dem Stadtrand versteckt hatte. Doch das Bewusstsein, Hargan entkommen zu sein, konnte ihn nicht täuschen, als er in sein Raumschiff stieg. Er hatte einen neuen Fehlschlag hinnehmen müssen. Die Tatsache, dass Hargan sich geweigert hatte, ihn im Kampf gegen Emerson zu unterstützen, war eine schwere Niederlage. Natürlich gab es noch andere Unternehmer, und er würde sich so schnell wie möglich mit ihnen in Verbindung setzen, aber es waren mit Sicherheit viele unter ihnen, die so wie Hargan reagieren würden. Und diejenigen, die sich bereiterklärten, ihm zu helfen, würden unsicher werden, wenn sie herausfinden müssten, dass sie in der Minderheit waren. Es war sogar möglich, dass er den Kampf gegen Emerson alleine würde aufnehmen müssen. Wieder im Raum, rief er Magrusson zum ersten Mal seit seiner Abreise an. Der dicke Mann hörte mit blassem Gesicht zu, was Blord ihm zu berichten hatte. Er selbst hatte nichts mitzuteilen. Es erschien Blord am sinnvollsten, nach Delfi zurückzukehren, um erreichbar zu sein, falls sich etwas tat.
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»Halten Sie mich auf dem Laufenden«, verabschiedete er sich von Magrusson. Dann unterbrach er die Verbindung.
32 Er hatte sich gerade zurückgelehnt und überlegte seine nächsten Schritte, als sich das Eldo wieder meldete. Es war Magrusson, und seine Augen waren groß vor Erregung. »Die Raumpatrouille hat gerade eine öffentliche Verlautbarung zu Ihrer Person herausgegeben, Artur«, stieß er atemlos hervor. »Hören Sie zu ...« Sein Gesicht verschwand von der Platte, und nach einer kurzen Pause erklang eine Stimme: »Meine Damen und Herren, das Hauptquartier der Raumpatrouille lässt folgendes bekannt geben: >Die Ridge Star Regierung hat die Beschlagnahmung der Artur Blord Holdinggesellschaft am Mittag des heutigen Tages erklärt. Diese Maßnahme wird notwendig, da Blord sich willkürlich weigert, am Kampf der Patrouille gegen die Piraterie teilzunehmen, die inzwischen zu einer bedeutenden Gefahr für den gesamten Raumverkehr geworden ist. Das Leben von Tausenden von Menschen wird durch das autokratische Verhalten dieses einen Unternehmers gefährdet, und deshalb werden seine Geschäfte vorläufig im öffentlichen Interesse von der Patrouille geführt, bis die Raumwege wieder relativ sicher sind. Um zu garantieren, dass die Interessen des Besitzers gewahrt werden, bestimmt die Patrouille Blords einzig lebenden Verwandten, Frederick Gantley, zum Verwalter des Vermögens.<« Nachdem die Mitteilung beendet war, erschien Magrussons Gesicht wieder auf dem Eldoschirm. Blord sah einen Augenblick auf die blassen, dicken Wangen seines Direktors und meinte dann leise: »Also deshalb haben sie meinen Cousin hierher geholt.« 202
Magrusson schien ihn nicht zu hören. »Was sollen wir tun, Artur?« stöhnte er jammervoll. »Sie können uns ruinieren. Wir können verkauft werden, ohne auch nur ein einziges Wort dagegen sagen zu können. Das ganze Unternehmen kann veräußert werden, bevor jemand merkt, was los ist.« Die Möglichkeit hatte sich auch Blord schon überlegt. Als er ihre Bedeutung erkannte, wurde ihm zum ersten Mal das Ausmaß der Katastrophe richtig bewusst. Die wenigsten Leute wussten es, aber der Ruf des Artur Blord war teilweise eine Illusion. Er benutzte Einfluss und Geld mit Phantasie. Das war seine Stärke, und er hatte diese Tatsache auch nie vor sich selbst geleugnet. Mit den Tausenden von Menschen, die seinen Willen ausführten, mit Millionen, die er in jede gewünschte Richtung lenken konnte, konnte man Wunder vollbringen. Und er hatte sie vollbracht. Sicher, er war klug auch das stritt er nicht ab -, und er war in der Lage, viel Geld zu verdienen. Aber die Zeiten hatten sich geändert. Es gab mittlerweile dort zu viel fest verwurzeltes Vermögen, wo man früher einmal nur Wildnis und unbegrenzte Möglichkeiten gefunden hatte. Der magische Erfolg des Artur Blord würde wahrscheinlich nie wieder möglich sein. »Können wir Ihrem Cousin trauen, Artur?« wollte Magrusson gerade wissen. Blord kehrte in die Realität zurück. »Natürlich nicht«, antwortete er gereizt. »Fred ist ein Gimpel. Er muss aus dem Weg. Wo ist er überhaupt? Habt ihr ihn unter Kontrolle?« Magrusson stöhnte. »Wir halten ihn unter Beobachtung. Er lebt praktisch in Bars.« »Lassen Sie ihn entführen. Bringen Sie ihn irgendwohin und halten Sie ihn fest, bis ich landen und die Situation selbst in die Hand nehmen kann.« Scharfsinnig sah er, dass es in diesem frühen Stadium einige Verwirrung geben würde. Niemand, der - Emersons Leute - zum ersten Mal in eine so große und komplexe Organisation kam,
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konnte die Zehntausende von Transaktionen verfolgen, die in jedem Augenblick vollzogen wurden. Und genauso wenig konnte er einen genauen Überblick über das Barvermögen auf den rund hundert der von Blord kontrollierten Banken haben. Über Evana ließ er dann alle seine ehemaligen Sekretärinnen aus dem Ruhestand zurückrufen und gab ihnen genaue Anweisungen zu ganz bestimmten Schließfächern, die sie in seinem Namen öffnen durften. Dieser Schritt bereitete ihm ein besonderes Vergnügen. Es war viel über seine Großzügigkeit jungen Frauen gegenüber geredet worden, und man hatte ihn oft deswegen kritisiert. Doch Blord war immer überzeugt gewesen, dass sich die Investition lohnen und im Endeffekt ein geringer Preis für ihre Loyalität sein würde, wenn er einmal auf sie würde zurückgreifen müssen. Außerdem nahm sie die Tatsache, dass er ihnen eine Rente zahlte, aus der Klasse der Leute aus, die Arbeit brauchten. Nicht eine einzige von ihnen hatte sich in die Dienste eines anderen Unternehmers begeben, der ihre Kenntnisse über Blords Aktivitäten womöglich gegen ihn benutzt hatte. Einige hatten geheiratet, andere waren noch ledig, aber sie alle versprachen ihm ohne Ausnahme, seiner Bitte sofort nachzukommen. Genauso setzte sich Blord mit weit über hundert seiner engsten Vertrauten auf verschiedenen Planeten der Ridge Stars in Verbindung. Sie alle waren bevollmächtigt, Schecks auszustellen. Mit ihrer Hilfe hob er Bargeld und Sicherheiten von den Banken ab. Natürlich würde ein Teil des Geldes verloren sein. Es würde einige Leute geben - meistens Männer, wie die Erfahrung gezeigt hatte -, die die Gelegenheit benutzten, um von der Situation selbst zu profitieren. Blord schätzte, dass er von Glück sagen konnte, wenn ihm die Hälfte des abgehobenen Kapitals am Ende noch übrig blieb.
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Als er Suderea erreichte, hatte er über Eldo einen Blick auf das Originaldokument, das die Beschlagnahme bestätigte, werfen können. Er studierte den genauen Wortlaut des Abschnittes, in dem Fred Gantley zum Verwalter bestimmt wurde. Schließlich lächelte er grimmig. »Es wird nicht lange dauern, bis wir Gantley wieder freilassen können«, sagte er zu Magrusson. »Er darf nicht länger als ein paar Tage verschwunden sein. Emerson könnte ohne weiteres einen neuen Vermögensverwalter ernennen, wenn der alte nicht gefunden würde. Es würde kaum ein Richter zögern, eine entsprechende Änderung zu unterschreiben, wenn alles andere rechtlich gesehen in Ordnung wäre.« Nachdem er gelandet war, suchte Blord die lokale Zweigstelle des Registrierten Kreises auf. Das Beschlagnahmungsdokument lag bereits bei den Akten, wie er zu seiner Befriedigung feststellen konnte. Er hatte es natürlich nicht anders erwartet. Die Beschlagnahmung war erst dann legal, wenn das Dokument registriert war. Er begann, Geld auszugeben. Es war im Grunde nichts Neues, aber es war seit Jahren das erste Mal, dass er so direkt mit den einzelnen Beteiligten zu tun gehabt hatte. Er bestach nacheinander alle fünf Beamte des Registrierten Kreises. Das System selbst war unbeeinflussbar, da ein Gerichtsbeschluss nötig war, um etwas, das bereits registriert war, zu ändern oder rückgängig zu machen. Das Verfahren, mit dem es die Beglaubigung eines neuen Richters annahm, war eine Schutzmaßnahme gegen einen raschen Wechsel in der Regierung. Wenn jemand zum Richter benannt wurde, konnte er zunächst nur Beschlüsse zu kleineren Angelegenheiten erlassen. Über einen Zeitraum von fünf Jahren dehnten die Kreissysteme seine Autorität immer weiter aus. Diese Systeme waren Roboter modernsten Typs und über Eldofon an die übrigen Roboter auf anderen Planeten angeschlossen, so dass jeder über das Wissen der anderen verfugte.
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In dieses riesige System wurde auf Blords Betreiben interpretierende Erklärung eingegeben. Darin wurde hervorgehoben, dass die Ernennung, Fred Gantley's zum Verwalter der Blord Holdinggesellschaft, Limited, bedeutete dass alle Anweisungen in Bezug auf Besitzveräußerungen oder Geschäftstransaktionen, bei denen es um mehr als tausend Stellors ging, von ihm unterschrieben werden mussten, bevor sie rechtsgültig wurden. Weiterhin sollte Gantley, da er Probleme haben würde sich mit den Details eines Geschäfts vertraut zu machen! über das er nichts oder nur wenig wusste, niemand anderem das Recht einräumen dürfen, für ihn zu unterschreiben. Diese Einschränkung sollte auf Blords Wunsch zwei Monate wirksam bleiben. Das Robotgehirn nahm die Interpretation an, verkürzte allerdings das Zeitlimit auf drei Wochen. Es hatte - wie Blord schon öfter aufgefallen war, wenn er mit dem Registrierten Kreis zu tun gehabt hatte - die Neigung, die Kapazität eines menschlichen Gehirns zu unterschätzen. Immerhin blieben ihm drei Wochen. Er rief Magrusson an und wies ihn an, Fred Gantley sofort wieder auf freien Fuß zu setzen, damit sich dieser unverzüglich seinen neuen Pflichten widmen konnte. Er lächelte Magrusson aufmunternd zu. »Kopf hoch, alter Freund. Denken Sie nur an die Männer von Emerson, die mit Fred fertig werden müssen. Niemand kann voraussagen, was passiert, wenn er die Geschäftsführung übernimmt.« Magrusson wollte sich nicht beruhigen lassen. »Glauben Sie, dass sie sich lange mit ihm herumplagen werden?« fragte er düster. Blord wurde ernst und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, wir haben drei Wochen. In dieser Zeit müssen wir wie ein Luchs auf ihn aufpassen. Nach Ablauf dieser drei Wochen wird man ihm eine Vollmacht zur Unterschrift vorlegen, und dann ...« »Die Sintflut!« ergänzte Magrusson bedrückt.
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Blord zögerte. Zum ersten Mal musste er seinem Direktor recht geben. »Bis dahin müssen wir uns etwas einfallen lassen«, gab er widerwillig zu. »Ich verlasse mich dabei in erster Linie auf die Tatsache, dass wir es nur mit Handlangern zu tun haben. Sie haben schon Fehler gemacht.« »Angenommen, Emerson kommt her, um die Sache persönlich in die Hand zu nehmen?« »Damit würde unsere Aufgabe um so schwieriger.« »Haben Sie überhaupt keine Idee, Artur?« fragte Magrusson verzweifelt. Blord unterbrach die Verbindung. Er hatte nichts außer ein paar vagen Möglichkeiten, aber dafür war er um so entschlossener.
33 Als er den Glasdom, in dem sich der Registrierte Kreis befand, verlassen hatte, begab sich Blord auf Umwegen zu einem seiner geheimen Büros im Lagerhausdistrikt. Von hier aus rief er Evana über ein ungerichtetes Eldofon an. Sie antwortete nicht, aber ein Servomechanismus, der an ihrem Eldofon angebracht war, würde ihr seine Botschaft übermitteln. Sie kam eine Stunde später müde und aufgeregt an. Blord erfuhr von ihr, dass die Koordinationsabteilung, die Marian Clarkes Leitung unterstand, am Nachmittag übernommen werden sollte. »Sie hat noch nichts herausgefunden, Artur«, schloss sie erschöpft. »Es gibt keinen einzigen Hinweis auf den gegenwärtigen Aufenthaltsort des Skal. Und es gibt auch keine weiteren Spuren von diesen kleinen Tieren, die der Skal vermutlich als Futter benutzt. Was willst du eigentlich von ihm?« »Hilfe.« Ihr Gesicht wurde starr. »Sieht es so schlecht aus?« 207
»Es sieht so schlecht aus«, erklärte Blord, »dass ich, wenn es sein muss, nach Delfi I fliege und sehe, ob ich den Skal finden kann.« Auf dem Schreibtisch neben ihm leuchtete das blaue Licht eines Interstellaranrufes auf. Evana sah, wie Blord auf das Signal starrte. »Was ist los?« wollte sie wissen. »Niemand weiß, dass ich hier bin. Triff alle nötigen Sicherheilsmaßnahmen.« Er meinte damit: Mach einen Weg in den Irrgarten der Lagerhäuser frei. Sieh nach, auf welchen Kraftfelder Frachter liegen, und lass ein Schiff startklar machen. Lege Tarnanzüge bereit und informiere die Kampftruppe. Es kam Blord nicht in den Sinn, seine Anweisungen m Worte zu kleiden. Evana und er arbeiteten jetzt so lange zusammen, dass sie genau wusste, was zu tun war. Ohne eine Frage und ohne zu zögern eilte sie davon. Blord wartete ein paar Sekunden, bevor er den Stimmenempfänger aktivierte. Die Eldoplatte schaltete er nicht ein. »Ja?« meldete er sich mit verstellter Stimme. »Ah, Artur Blord!« Es war eine vertraute .Stimme Blord zuckte zusammen und drückte dann den Schalter, der die Platte aktivierte. Das Wesen, dessen Bild |et/t auf dem Eldoschirm erschien, kauerte offensichtlich in der Dunkelheit, denn seine lange, reptilähnliche Gestalt war nur zur Hälfte sichtbar. Aber es gab keine Zweifel daran, wen Blord vor sich hatte. »Es ist ein gemischtes Vergnügen, dich anzurufen«, erkörte der Skal. Blord entspannte sich. »Einer deiner alten Tricks, wie ich sehe«, entgegnete er. »Du versuchst mir wieder einmal weiszumachen, dass du jeden meiner Schritte kennst. Zugegeben, ich weiß nicht, wie du herausgefunden hast, wo ich bin, aber ...« Der Skal unterbrach ihn, und di Stimmbox, die seine
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Gedanken weiterleitete, brachte einen Tonfall zustande, der Bord frösteln ließ: »Ich muss dich warnen. Komm nicht nach Delfi I. Ich möchte nicht, dass bekannt wird, dass ich wieder in den Ridge Stars bin, und ich werde dir auch nicht gegen Emerson oder jemand anders helfen.« »Dieser Emerson ist von einem anderen Kaliber als alle, mit denen du bisher zu tun gehabt hast«, erwiderte Blord. »Mein Vorschlag ist ...« »Dein Vorschlag ist unannehmbar«, lautete die kalte Antwort. »Deine gegenwärtige Lage belustigt mich weder, noch interessiert sie mich.« »Skal«, warf Blord ein, »zwei Fragen. Erstens: War es ein Zufall, dass mein Cousin diese kleinen Tiere gesehen hat?« »Nein. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt einen Plan, den ich allerdings inzwischen wieder aufgegeben habe.« »Du wolltest meine Hilfe?« »Wie lautete deine zweite Frage?« fragte der Skal unbewegt. »Haben meine Schritte gegen Emerson irgendeine Aussicht auf Erfolg?« »Nein, es sei denn, dass etwas Unerwartetes eintritt. Was dir fehlt, ist einer deiner phantastischen Einfälle.« Ein Kichern ertönte aus dem Lautsprecher. »Ich schlage vor, du gehst in die Politik.« »Ich verstehe.« Blord brach ab. »Wenn du dich doch noch entschließen solltest, mir zu helfen, dann lass es mich wissen.« Es klickte, als das Bild des Reptils von der Platte verschwand. Evana kehrte zurück. Ihre Miene verdüsterte sich, als sie hörte, was vorgefallen war. »Warum hast du nicht versucht, mit ihm zu reden, Artur?« wandte sie schließlich ein. »Ihn zu überzeugen?« Blord schüttelte den Kopf und musste über ihre Heftigkeit lächeln. »Der Skal trifft seine Entscheidungen allein, Evana. Er besitzt bei weitem den schärfsten Verstand, dem ein Mensch je begegnet ist. Er handelt immer logisch, und das, glaube es mir, bedeutet Gründlichkeit auf einem Niveau, von dem wir nur
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träumen können. Ich versuche nicht, den Skal zu überreden, wenn er Desinteresse bekundet. Ich würde nur gern wissen, was er vorhat.« Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. »Es interessiert mich«, sagte er langsam, »warum er mich so konkret hat wissen lassen, dass er lebt und sich irgendwo hier in de Ridge Stars aufhält.« »Das wussten wir doch vorher schon.« »Aber nur durch eine glückliche Schlussfolgerung. Es war ein großer Sprung, von diesen kleinen Tieren auf die Anwesenheit des Skal zu schließen.« Er wurde nachdenklich. »Ich möchte annehmen«, meinte er schließlich, »dass er etwas vorhat, sich aber noch nicht ganz entschlossen hat. Seinem Verhalten nach zu schließen muss es sich um eine ziemlich große Sache handeln, sonst hätte er sich nicht so heftig geweigert, mir zu helfen.« Er brach ab. »Wir müssen herausfinden, Evana, woher er wusste, dass ich hier bin, obwohl ich erst vor gut einer Stunde eingetroffen bin und bis heute selbst nicht wusste, dass ich überhaupt herkommen würde. Und wir müssen feststellen, warum der Skal hier in der Gegend ist. Es scheint zwar absolut unwichtig, aber wir müssen uns an jeden Strohhalm klammern.« »Was soll ich tun?« Blord runzelte die Stirn. »Setze dich mit der Raumpatrouille in Verbindung ...« Weiter kam er nicht. »Die Raumpatrouille?« wiederholte sie heftig. »Aber das ist doch Emersons Organisation!« Blord schüttelte den Kopf. »Sie erfüllt zum Teil immer noch die gleichen Aufgaben wie früher, und die meisten Angehörigen der Patrouille sind ehrenwerte Männer. Wenn du dich über eine unserer Scheinfirmen mit ihnen in Verbindung setzt, werden Emersons hiesige Anhänger wahrscheinlich nichts davon erfahren.« Evana nickte. »Und was willst du wissen?«
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»Versuche, soviel an Informationen wie möglich über den Skal zu bekommen. Ganz gleich, wie du dabei vorgehst. Sag ihnen, du seiest eine Autorin, die an einem Artikel arbeitet. Deine Firma hätte die Absicht, ein mechanisches Skal-Spielzeug auf den Markt zu bringen. Von mir aus gib dich auch als ...« »Okay, Artur«, unterbrach sie ihn rasch. »Und was willst du tun?« Meiner Ansicht nach ist eines unserer Probleme, Emersons Männer zu identifizieren«, erklärte Blord nach kurzem Evana zuckte die Achseln. »Erkundige dich, wer der Leiter der hiesigen Patrouille ist, und du hast ihn.« Blord schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube, dass es so einfach ist. Sicher, Emerson musste der Chef der Patrouille werden, aber bei den anderen liegt der Fall nicht so klar. Bezirksleiter oder auch die Leiter von Unterabteilungen können monatelang ihr Unwesen treiben, ohne dafür irgend jemandem Rechenschaft ablegen zu müssen. Sie können Leute verhaften lassen, Verbrechen begehen und ihre Position als Tarnung für ihre von Emerson geleiteten Aktivitäten benutzen. Es wird nicht gerade leicht sein, Emersons hiesigen Vertreter zu entlarven, aber ich werde es versuchen.« »Du willst zur hiesigen Patrouille gehen?« »Ja.« »Vielleicht sollten wir zusammenarbeiten.« »Nein. Das wäre unklug.« Sie zögerte. Offensichtlich dachte sie über Blords Weigerung nach. »Ich schätze, du hast recht«, nickte sie dann. Sie presste die Lippen zusammen, und ihre Augen leuchteten. »Langsam, Artur«, sagte sie laut, »langsam bekomme ich den Eindruck, dass wir siegen werden.« Blord lächelte, sagte aber nichts. Was ihn anbetraf, so hatte er diesen Eindruck bisher noch nicht. Blord war in seiner gründlichen Art schon seit Jahren auf die Möglichkeit vorbereitet, dass er einmal verkleidet das
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Patrouillenhauptquartier auf Delfi besuchen würde. Dort arbeitete auch ein Mann, der in Größe und Statur Blord ähnelte. Er hatte einen Posten, der ihm den Zugang zu allen Abteilungen erlaubte. Tag für Tag ging dieser Mann im DelfiHauptquartier umher und entschied, welche Räume neu angestrichen werden sollten, wo eine zusätzliche Reinigung vorgenommen werden musste und besprach mit den Abteilungsleitern eventuelle Bauarbeiten. Es gab eine Reihe ähnlicher Posten in anderen Patrouillenquartieren, und es war kein Zufall, dass die meisten der Männer auf diesen Posten eine ähnliche Statur wie Blord besaßen. Es waren Angestellte Blords, keine Spione. Ihre einzige Aufgabe - die zudem von den meisten nie verlangt werden würde - bestand darin, Blord für kurze Zeit ihre Posten zu überlassen. Die Mehrheit dieser Männer hatte in einer Umfrage zu verstehen gegeben, dass sie glaubten eine Woche umhergehen zu können, ohne etwas zu tun und dass sich während dieser Zeit niemand darum kümmern würde, was sie taten. Eine Minderheit hatte erklärt dass sie maximal fünf Tage für sicher hielten. Und ein einziger halte den Zeitraum mit vier Tagen angegeben Blord veranschlagte drei für sich. Die Maske war perfekt. Selbst nach seinen eigenen, kritischen Maßstäben war es ohne eine ganz genaue Überprüfung unmöglich, ihn von dem Werkmeister zu unterscheiden. Die örtlichen Beschaffenheiten des Hauptquartiers waren ihm von einer Reihe früherer, ebenfalls illegaler Besuche her vertraut. Außerdem halte er sich eine Karte angesehen. Niemand kümmerte sich um ihn oder störte ihn. Kr operierte von einem kleinen Büro aus, in das niemand außer ihm selbst kam. Er sprach mit den Leuten über die Veränderungen, die vorgegangen waren, »seit der neue Patrouillenchef das Kommando auf Marmora II übernommen hatte«. Die meisten der Leute, mit denen er sich über die »Veränderungen« unterhielt, waren sich kaum bewusst, dass sich
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überhaupt etwas verändert hatte. Andere meinten: »Ach ja, der neue Chef unserer Abteilung«, oder,: »Na ja, von einer Veränderung kann man da nicht gerade sprechen. Meech ist von >Piraterie< zu >Schwerverbrechen> versetzt worden, das ist alles.« Er fand heraus, dass es eine Reihe von tödlichen Unfällen gegeben hatte. »Komisch, wie manche Dinge so plötzlich passieren«, sagten einige. Und als Blord versuchte, herauszufinden, wer die Toten ersetzt hatte, stieß er auf das gleiche Muster. In manchen Fällen waren altgediente Raumpatrouillenbeamte, deren Loyalität nicht in Frage gezogen werden konnte, befördert worden In anderen waren neue Männer gekommen. Und dann war eine totale Umbesetzung vorgenommen worden, bis, wie ein Beamter es ausdrückte, man kaum mehr wusste, woran man war. Irgendwo in dieser Zeit des Wechsels gingen die neuen Männer verloren. In einer so großen Organisation, in der der Einzelne höchstens einen kleinen Prozentsatz seiner Kollegen kannte, sagten die Untergebenen: »Der neue Chef unserer Abteilung - ich glaube, er kam aus der Mordabteilung.« Es war eine meisterhaft durchgeführte Infiltration. Und das Schreckliche daran war die Tatsache, dass es auf den Planeten von 190 Sonnen passierte. Überall musste man sich die Frage stellen: Wer waren nun Emersons Männer? Am Ende des dritten Tages musste Blord sich eingestehen: Was Emersons Männer im Patrouillenhauptquartier auf Delfi betraf, so war er immer noch keinen Schritt weiter. Und als kalter Realist schätzte er, dass eine Ermittlungsgruppe allein in einem Amt Monate brauchen würde, um die Mitglieder der Bande zu identifizieren. Sie hatten Zeit gehabt, ihre Spuren zu verwischen; eben das hatten sie getan. Zurück in Suderea musste Blord erfahren, dass Evana und Marian bei ihrer Suche nach dem Skal bisher erfolglos gewesen
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waren. »Alle waren sehr entgegenkommend«, berichtete Evana, »aber die Informationen haben uns nicht weiterbringen können. Was machen wir jetzt?« »Versuchen, uns zu behaupten«, erwiderte Blord. »Und das heißt für den Augenblick, dass wir ein Auge auf meinen Cousin halten.«
34 Brian Emerson betrat das Privatbüro von Artur Blord wenige Minuten nachdem es von Ashleyton durchsucht worden war. Er setzte sich in Blords Sessel und sagte halb bewundernd: »Dieser Mann ist ein Genie.« Keiner der fünf anderen Männer fragte, wen er meinte Nur Ashleyton brummte gereizt: »Sie mit Ihrem politischen Verstand hätten voraussehen müssen, dass er versuchen würde, die Benennung seines Cousins zu nullifizieren.« Duvant, ein dunkelhaariger, finster aussehender Mann fragte: »Apropos Gantley - wo steckt er überhaupt?« Emerson drückte wortlos auf einen Summer, worauf ein Patrouillenbeamter hereinkam, vor dem er Duvants Frage wiederholte. »Mr. Gantley«, antwortete er mit einer Spur von Sarkasmus, »ist ein äußerst angestrengter Mann, der nur in Bars Zerstreuung findet.« Nachdem der Beamte wieder gegangen war, meinte Emerson: »Eine kluge Wahl — dieser Gantley; und doch völlig wertlos für uns.« Er erhob sich abrupt. »Fahren wir hinunter in die berühmte Koordinationsabteilung.« In den Stunden, in denen Ashleyton und Duvant, der Biochemiker, die acht großen Räume der Koordinationsabteilung untersuchten, saß Emerson vor einem Fenster und starrte auf die Straße tief unter ihm. Ein Geräusch ließ ihn schließlich herumfahren. Es war Ashleyton. »Nun, was haben Sie gefunden?« wollte Emerson wissen. 214
Ashleytons Miene war düster. »Im Grunde nichts Wichtiges. Das übliche Zeug. Verhältnismäßig modern, aber eigentlich nicht das Neueste, was die moderne Entwicklung zu bieten hat.« »Vielleicht ist nicht alles hier. Sie werden doch Lagerräume für einen großen Teil Ihrer Ausrüstung benötigen.« »Es ist aber immerhin ein repräsentativer Querschnitt. Duvant stimmt mit mir überein, dass das, was wir gefunden haben statistisch wichtig sein müsste.« »Nicht jeder ist so ein Spezialist wie Sie, mein Freund«, erwiderte Emerson diplomatisch. Er schwieg, in Gedanken verloren. »Im Grunde habe ich es nicht anders erwartet. Unser Problem sind nicht neue Drogen, oder neue Erfindungen, oder die sinnvolle Kombination alter, die Blords Wissenschaftler vielleicht entwickelt haben. Unser Problem ist Blord selbst, und ...«, er lächelte grimmig, »wir haben ihn jetzt an dem Punkt, wo er nur noch unter einem ungeheuren Handikap arbeitet.« »Seine Position ist noch schlechter«, mischte sich Ashleyton ein. »Wir haben etwas gefunden ...« Emerson schien nicht zuzuhören. Er lehnte sich zurück und fuhr langsam fort, fast als würde er zu sich selbst sprechen: »Die hiesige Stelle der Raumpatrouille hat eine entsprechende Anordnung zur Beschlagnahmung der Blord Gesellschaft erlassen, und zwar auf meine Anweisung hin. Nur haben sie dabei unglücklicherweise eine Hintertür in Bezug auf Gantley offengelassen. Gantley allein ist unterschriftsberechtigt, und die ersten drei Wochen kann er dieses Recht nicht an uns abtreten.« Er zuckte die Achseln. »Schön. Also werden wir warten. Aber von diesem Augenblick an wird nichts gegen Blord mehr unternommen, zu dem ich nicht persönlich meine Zustimmung gegeben habe.« Er erhob sich träge. »Was hat Blord denn schon erreicht? Er hat für ein paar Wochen verhindern können, dass wir sein Unternehmen übernehmen. Mehr nicht. Trotzdem müssen wir unsere Anstrengungen verdoppeln, diesen Mann zu töten.« Er
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hatte jetzt die Tür erreicht. Emerson blieb noch einmal stehen und drehte sich um. »Meine weiteren Instruktionen lauten: Fangt an, den ganzen Planeten politisch und wirtschaftlich unter unsere Kontrolle zu bekommen. Operiert über Leute, die schon mit uns zusammen arbeiten und bringt alle Unternehmer und Politiker um, die sich nicht sofort zur Kooperation bereit erklären. Wie immer sollen diese Todesfälle getarnt werden, aber selbst wenn eine gerichtliche Untersuchung eingeleitet werden sollte, garantiere ich, dass es zu keiner Verhandlung kommt.« Er gestattete sich ein verzerrtes Lächeln. »Nun, Artur Blord steht ja in dem Ruf, sich aus scheinbar ausweglose Situationen in letzter Minute noch mit irgendeiner brillanten Idee retten zu können, wobei, wie es heißt, seinen Feinden kein anderer Weg als Aufgabe oder Flucht mehr bleibt Ich wurde wirklich zu gern die Idee sehen, mit der er gleichzeitig sich retten und uns auf mehr als zweihundert Planeten besiegen kann.« Er stand da, ein großer, kräftig gebauter Mann, in dessen Augen hartes, triumphierendes Leuchten trat. Ashleyton benutzte die Pause, um seinerseits etwas zu bemerken. »Ich sagte Ihnen vorhin, dass wir da etwas entdeckt hätten - hier, sehen Sie es sich doch selbst einmal an.« Emerson musterte ihn mit einem scharfen Blick und folgte dann der ausgestreckten Hand Ashleytons. Er fand sich einem Schirm gegenüber, und je länger er auf ihn starrte, desto größer wurde seine Erregung. Es war eine Eldoplatte, und während er noch auf das Gerät sah, erschien eine junge Frau im Blickfeld, der nach einem Augenblick ein Mann folgte - Artur Blord. Die beiden traten zu einer größeren Gruppe junger Frauen, die sich um einen untersetzten Mann versammelt hatten. Emerson erkannte in ihm Magrusson, den Direktor der Blord Unternehmens. Er warf einen Blick auf Ashleyton. »Wie soll ich das hier verstehen?« Der Instrumentenexperte zuckte die Achseln. »Da muss
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jemand nachlässig gewesen sein - das ist die einzig mögliche Erklärung. Als wir die Abteilung übernommen haben, müssen sie es so eilig gehabt haben, zu verschwinden, dass sie eine Reihe von Dingen einfach nicht mehr geschafft haben.« »Irgendeine Ahnung, wo sie sich aufhalten?« wollte Emerson wissen. »Nein. Aber das hier ist ja immerhin etwas.« Auf der Eldoplatte lösten sich Blord und Magrusson von den jungen Frauen und kamen langsam auf die Kamera zu. Emerson kümmerte sich nicht um die beiden Männer, sondern studierte die Frauen. Es waren insgesamt elf, und sie unterhielten sich so leise, dass er nicht verstehen konnte, was sie sagten. Ihre Stimmen bildeten ein Hintergrundgemurmel, das teilweise die Worte der beiden Männer erstickte. Emerson glaubte plötzlich zu wissen, wen er da vor sich hatte. »Ob das da Blords Harem aus verflossenen Sekretärinnen ist?« »Sie sind zu nett zueinander«, meinte Duval. Emerson musterte die Gruppe, und zum ersten Mal kamen ihm Zweifel an den Geschichten, die er über Blords romantische Taten gehört hatte. »Auch nur so ein Ridge Star Mythos«, sagte er schließlich. Er seufzte. »Ich werde aber auch ständig über das Leben ernüchtert.« Er widmete seine Aufmerksamkeit jetzt den beiden Männern. Magrusson und Blord unterhielten sich dicht vor der Kamera. Blord sagte leise etwas, worauf der dicke Mann heftig den Kopf schüttelte und laut erklärte: »Das ist wirklich lächerlich, Artur. Sie kämpfen da gegen eine Sache, die zu groß für Sie ist.« Einen Augenblick später war seine Stimme wieder zu hören: »Sie werden doch nicht im Ernst auf eine Lösung warten, Artur. Diesmal haben Sie keine Ihrer phantastischen Ideen, die Sie retten und Emerson zum Rückzug bewegen wird.« Und dann fuhr er ungeduldig fort: »Es ist nicht das erste Mal, dass ein Raubritter eine Regierung übernommen hat. Ich gebe
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Ihnen den guten Rat: Sagen Sie Emerson, dass Sie am Ende sind und bitten Sie ihn, dass er Ihnen als Gegenleistung dafür, dass Sie ab jetzt ein braver Junge sein werden, Ihr Eigentum zurückgibt.« Einen Moment später schien sich Blord über etwas zu amüsieren, denn er begann laut zu lachen. Es war ein ansteckendes, herzliches Lachen, das auch auf Emerson seine Wirkung nicht verfehlte. Als er merkte, dass er fast mitlächelte, riss er sich zusammen. Er war über sich selbst erstaunt. Als er wieder auf den Schirm blickte, schienen die jungen Frauen in der Ecke zu einem Entschluss gekommen zu sein Eine von ihnen kam herüber, und Blord brach das Gespräch mit Magrusson ab, um sich ihr zu widmen. Emerson schnitt eine Grimasse. »Seht euch nur diese Schönheit an. Geschmack hat der Mann, das muss man ihm lassen.« »Ich bin zur Sprecherin bestimmt worden«, sagte die junge Frau gerade. »Artur, wie viel brauchen Sie?« Blord lächelte. »Wie viel habt ihr denn?« Sie schüttelte den Kopf. »Wir haben Ihnen schon alles angeboten, aber da Sie es nicht nehmen wollen, haben wir einmal überschlagen. Wir können Ihnen fünf Millionen Stellors monatlich geben, ohne dass es uns irgendwie finanziell zu sehr belasten würde.« »Lächerlich!« Es war Magrusson, der finster zugehört hatte. Er trat jetzt vor. »Meine Damen, das ist wirklich sehr loyal von ihnen, und man kann Artur Blord nur dazu beglückwünschen, dass seine ehemaligen Sekretärinnen zu solchen Opfern bereit sind. Aber Tatsache ist doch, dass er diesem Treffen aus reiner Höflichkeit zugestimmt hat, weil er Ihre Gefühle nicht verletzen wollte Und jetzt möchte ich Ihnen einmal zeigen, wie die Realität aussieht.« Er schwieg und schien seine Gedanken zu ordnen »Sehen Sie«, begann er schließlich, »verglichen mit dem, was wir
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brauchen, sind fünf Millionen Stellors im Monat ein Tropfen auf den heißen Stein. Und außerdem ...«, er sah sie finster an »... lügen sie, meine Damen. Ihre Besitztümer werfen nicht soviel ab, dass sie eine so große Summe ohne weiteres entbehren könnten. Immerhin habe ich selbst sie alle finanziell beraten.« Er drehte sich herum und sah Blord grimmig an. »Korrigieren Sie mich, wenn ich etwas Falsches sage. Sie brauchen allein während der nächsten beiden Monate rund eine Milliarde Stellors monatlich für Ihre Unternehmungen, und das wird in den darauf folgenden Monaten noch mehr Ist das richtig Artur?« Blord zögerte; dann nickte er. »Solange wie wir uns nur einfach so phantasielos dahinschleppen, sind diese Zahlen ungefähr korrekt.« »Die Leute begreifen einfach nicht, wie viel es kostet, eine große Organisation in Gang zu halten«, fuhr Magrusson fort. »Wenn es nur die Lebenskosten wären - Kleidung, Unterkunft, Fahrtkosten - das wären höchstens ein paar lausend Stellors im Monat. Was teuer ist, das ist die Operation auf einer interstellaren Basis. Da ist die Ausrüstung, da sind die Leute, und was am schwersten ins Gewicht fällt, die Bestechungen. Jeder ist ehrgeizig. Jeder will eine Sonderprämie. Und wenn man wirklich dringend Hilfe von jemandem braucht, dann steigt die Summe in die Millionen.« Blord unterbrach ihn ruhig, aber entschlossen. »Das reicht, Magrusson.« Er drehte sich um und sah nachdenklich auf die jungen Frauen. »Was ist, wenn wir die fünf Millionen als eine Art Reserve nehmen, wenn alles andere schief lauft?« »Aber was wollen Sie denn anfangen?« fragte eine der Frauen. »Ich habe eine ganze Reihe von Firmen«, lautete die vorsichtige Antwort, »und es wird eine Zeit dauern, bis Emerson mich aufgespürt hat. Die Summe, die ich von den Bankabhebungen zurückerhalten habe, ist etwas höher, als ich erwartet habe. Das Gesamteinkommen ist zwar nicht groß, aber
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es wird mir erlauben, mehrere Raumschiffe zu unterhalten, die Löhne für einige Tausend Männer zu bezahlen, und es bleibt sogar noch etwas für eine überlegte Bestechung übrig.« »Kleinkram!« grollte Magrusson. Er brach ab. »Zum letzten Mal, Artur, seien Sie doch vernünftig. Nehmen Sie, was Sie haben, und verschwinden Sie irgendwohin. Sie sind noch jung.« »Ich brauche ein Hauptquartier, von dem aus ich operieren kann», sagte Blord, der den Einwand des Direktors ignorierte. »Irgendwelche Vorschläge?« »Es gibt keinen Ort, an dem du dich für längere Zeit verstecken kannst, Artur«, fiel Magrusson ein. »Du könntest genauso gut hier bleiben, wenn da nicht dieser Geist wäre ...« »Der Geist!« echote Blord. Er schien weitersprechen zu wollen, als ihm das Ungewöhnliche der Bemerkung richtig bewusst wurde. »Der Geist!« wiederholte er. Er ließ sich in einen Sessel sinken und sprach das Wort ein drittes Mal aus. »Der Geist! - Natürlich. Wie konnte ich das nur übersehen? Es passt alles. Was bin ich nur für ein Esel gewesen « Emerson war verwirrt. Er bemerkte, wie sich die Frauen sichtbar erregt ansahen. Nur Magrusson machte einen angewiderten Eindruck. »Meine Güte, Artur, wir haben jetzt wirklich keine Zeit für Späße.« »Der Geist!« sagte Blord. Er lachte plötzlich vergnügt, »Verstehen Sie denn nicht? Wir werden Emerson verfolgen und Poltergeist spielen. Wir werden ihn soweit bringen, dass er sich wünscht, er wäre nie geboren.« Zum ersten Mal schien ihm bewusst zu werden, dass es um ihn herum totenstill war und nur seine eigenen Worte den Raum erfüllten. Er musterte die Gruppe, und sein Blick wanderte von einem zum anderen. Magrusson hielt sich den Kopf. »Sie wollen doch nicht etwa behaupten, dass Sie die Antwort auf unser Problem mit Emerson gefunden haben, Artur? Das ist einfach lächerlich. Er kontrolliert
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die Raumpatrouille. In jedem wichtigen Regierungsamt und auf allen höheren Posten sitzen seine Leute. Und außerdem vergessen Sie nicht, Sie haben es mit Brian Emerson zu tun, dem größten Wissenschaftler unserer Zeit, und mit einem ganzen Gefolge anderer genialer Wissenschaftler, die ihm helfen. Und Sie haben noch nicht einmal Geld. Zum ersten Mal in Ihrem Leben als Geschäftsmann sind Sie arm. Ihr Agentensystem ist praktisch zusammengebrochen. Sie besitzen im Grunde nichts mehr. Und jetzt wollen Sie uns im Ernst erzählen, Sie hätten die Antwort auf Emersons Bedrohung gefunden?« Blord nickte heftig. »Ja, das habe ich.« Der dicke Mann schüttelte sich. »Artur, Sie sind übergeschnappt.« Er schien sich an etwas zu erinnern. »Der Geist! Sie wollen Poltergeist spielen. Und wie um alles in der Welt wollen Sie das anfangen? Sie besitzen noch nicht einmal den nötigen wissenschaftlichen Hintergrund, bei allem Respekt vor den hübschen Damen, die in Ihrer Koordinationsabteilung gearbeitet haben. Sie haben einfach nicht dieselbe Klasse wie Ashleyton und die übrigen. Mann, denken Sie doch nach! Da ist doch irgendwo eine Falle dabei. Sie rennen in Ihren Tod.« »Nein«, erwiderte Blord kalt, »nicht ich, sondern Emerson. Das heißt, wenn er nicht sehr schnell begreift, dass das Spiel aus ist.« Er brach ab. »Sie, Magrusson, bringen die Damen zu ihren Yachten, von wo aus sie den Planeten verlassen können.« Er wandte sich an die Frauen. »Geht nicht zurück nach Hause«, warnte er sie. »Versteckt euch. Emerson könnte sehr unangenehm in seinem Todeskampf werden.« »Und was werden Sie tun?« Es war Magrusson. »Oh!« Blord lächelte. »Ich werde mich einmal mit dem Geist unterhalten.« Er zögerte. »Holen Sie mich heute Abend ab - Sie wissen ja, wo.« Er ging zu einer Metalltür, die sich mit einem dumpfen Knall hinter ihm schloss. Magrusson verschwand in einem Nebenraum. Auch die Frauen verließen jetzt nacheinander den
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Raum, und innerhalb von Minuten zeigte der Schirm nur noch einen verlassenen Schauplatz. Emerson blickte finster auf die Eldoplatte. »Was halten Sie davon?« wollte er wissen. »Für mich war es das Albernste, was ich je erlebt habe«, antwortete ein Mann, der bisher noch nichts gesagt hatte. Emersons Miene wurde spöttisch. »Wenn ich mich nicht irre, dann haben wir gerade Artur Blord in einem seiner kreativen Momente erlebt - und ich muss gestehen, dass er höchst unsinnig aussah.« »Ich kann mich daran erinnern, dass schon einmal die Rede von einem Geist war«, mischte sich Ashleyton ein. Emerson nickte und runzelte die Stirn, aber auch ihm der Zusammenhang nicht mehr einfallen. »Gehen wir«, sagte er abrupt. »Blord muss verrückt sein. Bei ihm spukt es wirklich.«
35 Wütend warf Brian Emerson den Bericht auf seinen Schreibtisch im Patrouillenquartier auf Delfi II. »Schon wie" der ist uns ein Politiker entkommen!« Sein Gesicht verzerrte sich, als er um seine Beherrschung kämpfte. »Erzählen Sie mir genau, was Sie gefunden haben.« Ashleyton zuckte die Achseln. »Ich kann nur das wiederholen, was im Bericht steht.« Er zeigte auf die Akte. »Der Mann war nicht da, als wir eintrafen. Wir fanden Anzeichen, die auf eine überstürzte Abreise schließen ließen.« »Das ist jetzt sicher das zwölfte Mal in einer Woche.« In der Stimme des großen Mannes lag ein reklamierender Ausdruck. »Jemand muss sie warnen.« Als Ashleyton schwieg, schüttelte Emerson den Kopf. »Es ist unmöglich.« Er erhob sich. »Holen Sie mir die Liste der Männer, die beseitigt werden sollen.« »Was haben Sie vor?« 222
Das werde ich noch nicht einmal Ihnen verraten.« »Sie misstrauen mir?« Es war eher eine Feststellung als eine Frage. Der Blick in den kalten, harten Augen wurde etwas wärmer. »Seien Sie nicht albern. Sie, ich, Duvant und die anderen, wir stecken alle in dieser Sache. Ich werde Sie auch weiterhin als einen Freund ansehen - solange, bis Sie sich als das Gegenteil herausstellen.« »Danke«, sagte Ashleyton trocken. »Gut. Wir verstehen uns.« Emerson sprach jetzt rasch. »Mein Plan sieht wie folgt aus: Jemand warnt offensichtlich unsere Opfer. Es mag vielleicht etwas verfrüht erscheinen, diese Tatsache als gegeben anzunehmen, aber es spricht immerhin für sich, dass uns bisher schon ein Dutzend Leute entkommen sind. Ich möchte, dass Sie eine unserer Mannschaften für Sondereinsätze und eine Schiffsflotte als Eskorte organisieren. Und dann werden wir warten, bis wir der Luft sind, bevor wir unser nächstes Opfer aussuchen. « Auf dem Weg nach draußen blieb Ashleyton noch einmal der Tür stehen. »Sie würden sich besser etwas ausruhen Sie haben in letzter Zeit viel zu hart gearbeitet.« »Ja, die Belastung macht sich bemerkbar«, gab Emerson müde zu. Zwei Stunden später stieg er vorsichtig aus einem Patrouillenschiff, das in der Nähe des Haupteingangs des Wohngebäude eines großen Besitzes gelandet war. Trotz seiner Erschöpfung vergaß er nicht, wie üblich seine Umgebung genau in Augenschein zu nehmen. Und das rettete ihm das Leben. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie links von ihm ein Raumschiff aus dem Himmel auftauchte. Es flog mit Überschallgeschwindigkeit, denn er hörte nichts, bis es nach Westen abdrehte und am weiten Horizont verschwand. Plötzlich aber dröhnten seine Trommelfelle unter dem verspäteten Donner der Maschinen.
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Zu diesem Zeitpunkt hatte er aber schon Ashleyton zu sich in einen kleinen Graben hinuntergezogen - gerade noch rechtzeitig. Die Explosion der Bombe, die aus dem vorbeirasenden Schiff gefallen war, tötete alle anderen, die mit ihnen gelandet waren. Schwankend und vor Entsetzen benommen, kehrten die beiden Männer, Emerson voran, zum Patrouillenschiff zurück. Ashleyton war mit den Nerven völlig am Ende, und der große Mann musste ihm beim Einsteigen helfen. Als sie erst wieder in der Luft waren, erholten sich beide schnell wieder. Es war Ashleyton, der zuerst sprach. »Wir befänden uns also im Kriegszustand.« Emerson nickte mit widerwilligem Respekt. »Mit diesem Blord ist wirklich nicht gut Kirschen essen.« »Vielleicht«, überlegte Ashleyton, »sollten wir ihn in Ruhe lassen, bis wir uns fester etabliert haben.« Er brach ab. »Haben Sie eine Erklärung für das, was passiert ist?« Emerson zuckte die Achseln. »Es scheint doch auf der Hand zu liegen. Er verschafft sich Informationen über unsere Schritte und folgt uns überall hin. Von jetzt an werden wir diese Arbeit hier nicht mehr selbst tun, sondern andere damit beauftragen, sie für uns zu erledigen.« »Ich dachte, Sie hätten Ihre eigenen Gruppenführer dafür ausgesucht, um sicher zu gehen, dass auch alles genau nach Wunsch ausgeführt wird.« »Ich glaube, es war in diesem Stadium des Spiels eine falsche Überlegung.« »Und was werden Sie jetzt tun?« Emersons Miene war grimmig. »Die Männer, die wir ausgesucht haben, müssen beseitigt werden. Wir werden Sie mit Hilfe der Patrouille aufspüren und töten.« »Ich meine, was ist mit Ihnen selbst?« »Ich? Ich werde ins Bett gehen. Langsam merke ich, dass mir eine Mütze voll Schlaf sicher nicht schaden wird. Mein Gehirn muss völlig ausgebrannt sein, anders kann ich mir diese
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Niederlagen nicht erklären.« Ein aufdringliches Summen riss Brian Emerson aus einem ruhelosen Schlaf. Noch halb benommen streifte er sich seinen Morgenmantel über und verließ sein Schlafzimmer, das an sein Büro im Patrouillenzentrum grenzte. Dort wartete Ashleyton bereits auf ihn. Der Instrumentenexperte hielt eine Zeitung in der Hand und sah ihn erstaunt an. »Um diese Zeit noch im Bett?« fragte er. »Es ist doch schon fast Mittag.« Er schien einen Augenblick von dieser Tatsache abgelenkt. »Ich habe es Ihnen bisher verschwiegen, aber ich habe die letzte Zeit nicht besonders geschlafen«, antwortete der große Mann müde. »Ich habe ständig Alpträume, und letzte Nacht war es ganz besonders schlimm.« Ashleyton reichte ihm die Zeitung. »Wenn sie das hier gelesen haben, dann haben Sie wirklich Grund, Alpträume zu bekommen. Sehen Sie sich diese Überschrift an.« Emerson nahm die Zeitung. Über den oberen Teil der Seite liefen zwei breite Schlagzeilen in riesigen, schwarzen Druckbuchstaben: SCHLÜSSELFIGUREN EINER MÖRDERBANDE IN REGIERUNGSPOSITIONEN Darunter stand etwas kleiner, aber ebenfalls in Großbuchstaben: ARTUR BLORD BESCHULDIGT EMERSON DER VERSCHWÖRUNG Emerson sah auf. »Und warum die ganze Aufregung?«, wollte er wissen. »Wir haben doch mit einem solchen Angriff gerechnet und die ganze Zeit überlegt, gegen welche Zeitungen wir vorgehen müssen. Jetzt wissen wir es.« »Lesen Sie weiter!« erwiderte Ashleyton knapp. Stirnrunzelnd überflog Emerson den ersten Abschnitt, der begann: »Ist Ihr Vorgesetzter im Regierungsdienst vor kurzem
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ermordet worden? Vermissen Sie altvertrautete Gesichter? Und haben neue, boshafte ihren Platz eingenommen? Wenn Sie ein Beamter oder Regierungsangestellter irgendwo in den Ridge Stars sind, dann bittet Sie Artur Blord, sich diese Fragen zu stellen.« Emerson blickte mit einem schwachen Lächeln auf. »Es überrascht mich, Ashleyton, dass Sie sich von einem solchen Angriff, mit dem wir doch gerechnet haben, aus der Ruhe bringen lassen. Wir haben gewusst, dass Blord eine Reihe von Zeitungen gehört. Ich sage noch einmal: Jetzt wissen wir wenigstens, um welche wir uns kümmern müssen. In der Zwischenzeit werden wir von unseren Spitzeln in den Regierungen Verlautbarungen herausgeben lassen, in denen Blord lächerlich gemacht wird oder die Überraschung bekunden und die Frage stellen, ob Blord nicht möglicherweise geistig etwas verwirrt ist, wobei wir darauf hinweisen werden, dass die Beschlagnahmung seines Besitzes durchaus gerechtfertigt ist, auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht nicht so aussehen mag, weil nämlich hinter dieser Piratensache in Wirklichkeit niemand anders als Blord persönlich steckt. Zugegeben, es ist ein raffinierter Angriff«, fuhr er fort. »Aber was kann man von Blord anders erwarten?« Ashleyton war ungeduldig. »Tun Sie mir den Gefallen, Brian, und hören Sie auf, mich beruhigen zu wollen. Lesen Sie statt dessen lieber den Artikel zu Ende. Vielleicht fällt Ihnen dann etwas ein. Ich bin mit meiner Weisheit am Ende Mein Rat lautet: Sehen wir zu, dass wir von hier wes kommen, solange es noch geht « Emerson warf ihm einen erstaunten Blick zu und widmete seine Aufmerksamkeit dann wieder der Zeitung. Sein Ausdruck war noch immer verwirrt, als er auf die nächst» Seite umschlug. Plötzlich wurde er blass. Er warf die Zeitung hin und begann, auf und ab zu gehen. Schließlich blieb er stehen und rief: »»Woher hat er die Namen? Es ist einfach unmöglich.
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Niemand kennt die Namen aller Schlüsselpersonen unserer Organisation, und ich bin der einzige, der die Leute kennt die die Namen wissen. Es ist ein todsicheres System.« »Das haben Sie auch von Ihrem Plan behauptet, die lokalen politischen Führer und die widerspenstigen Unternehmer zu ermorden«, entgegnete Ashleyton kalt. Er brach ab. »Sie kennen alle wichtigen Namen. Die Regierungsführer, die übergelaufen sind. Unsere Agenten, die die Ermordeten ersetzt haben. Das darf es einfach nicht geben. Sie kennen die Anweisungen, die Blord gegeben hat?« Emerson nickte mechanisch. »Er fordert die Leute auf, den aufgeführten Männern den Gehorsam zu verweigern. Er drängt altgediente Patrouillenbeamte, Verhaftungen vorzunehmen. Wenn wir sofort handeln, könnten wir...» Ashleyton packte ihn am Arm. »Mann, Brian, hören Sie auf damit. Die Eldogramme strömen schon herein. Der Artikel ist in jeder größeren Stadt in den Ridge Stars veröffentlich worden. Unsere Männer stehen plötzlich allein gegen ihre ganzen Angestellten da. Sie haben Todesangst. Einige von ihnen haben schon die Flucht ergriffen. Sie hätten nicht im Traum daran gedacht, dass sie ihre Namen plötzlich hier in der Zeitung wieder finden.« Emerson stöhnte. »Unser Erfolg hing davon ab, dass wir uns heimlich in die Schlüsselpositionen einschlichen, mittels derer Millionen von Regierungsangestellten kontrolliert werden.« Ashleyton blieb nüchtern. »Was werden Sie tun - bleiben und kämpfen?« »Kämpfen? Sind Sie verrückt? Wie die Dinge stehen, können wir von Glück sagen, wenn wir mit heiler Haut davonkommen.« Er schüttelte grimmig den Kopf. »Ashleyton, wir werden die Ridge Stars verlassen müssen. »Ja das ist das Beste«, fuhr er düster fort. »Wir suchen uns ein anderes bewohntes Randgebiet aus und fangen dort noch einmal von vorn an.«
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Er runzelte die Stirn und presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Auf seinem Gesicht lag ein verwirrter Ausdruck. »Ich begreife es einfach nicht«, sagte er wehleidig. »Wie zum Teufel ist Blord nur an die Namen gekommen?«
36 Einige Tag später beantwortete Blord Magrusson die gleiche Frage. Evana, die die Wahrheit bereits kannte, weigerte sich, auch nur einen Schritt weiter als bis zum Büro des Lagerhauses zu gehen. »Ich bleibe hier«, sagte sie entschlossen. Blord ging voran in das labyrinthartige Lagerhaus. Es war ein weitläufiges, düsteres Gebäude, in dem sich Zugladungen von Gütern stapelten. In der Luft hing ein Geruch nach Holz, Feuchtigkeit - und noch etwas anderem - etwas, das Blord eine Gänsehaut verursachte, obwohl er wusste, was es war. Unvermittelt spürte er die Berührung eines kalten, aber nicht unfreundlichen Geistes. Er nahm etwas Dunkles und Unangenehmes war - und es war fast so, als ob es ihn berührte. Blord blieb abrupt stehen. In einem Gang zwischen zwei Reihen gestapelter Waren lag ein riesiges Tier mit einem Schuppenpanzer vor ihnen. Es hatte einen echsenähnlichen, aber irgendwie grazilen Kopf und in der Art und Weise, wie es sich benahm, lag eine gewisse Arroganz. Die grünen Augen strahlten eine überlegene Intelligenz aus. Blord wandte sich an Magrusson, und seiner Stimme war nicht anzumerken, welche unheimliche Wirkung das Tier auf ihn ausübte. »Als ich erkannte, dass es sich bei dem Geist um niemand anderen als um den Skal handelte, habe ich eine Reihe von Dingen zusammengeschüttet, und heraus kam die richtige Antwort.« 228
Magrussons Stimme bebte vor Angst. »Um Himmels Willen, Artur, machen wir, dass wir von hier wegkommen. Rufen Sie die Polizei! Holen Sie die Patrouille her!« Blord hatte sich langsam wieder gefasst. »Ich habe mir überlegt«, fuhr er fort, »dass mir der Skal mit seiner Fähigkeit, Gedanken zu lesen, sehr gut gegen Emerson konnte, indem er es ihm erstens unmöglich macht schlafen und zweitens die Namen seiner Männer in Erfahrung brachte. Dann galt es nur noch herauszufinden den Skal dazu gebracht hatte, mich von diesen kleine Tieren wissen zu lassen. Eine Zeitlang dachte er nämlich würde Hilfe brauchen. Und als er dann von sich aus über seine größten Schwierigkeiten hinwegkam«, fuhr Blord fort, »lehnte er es entsprechend seiner altbekannten Abneigung gegen Menschen ab, mir zu helfen, als ich ihn um seine Hilfe bat«. »Sie meinten auf dem Eldo?« »Ja.« »Moment. Sie haben doch selbst gesagt, dass es sich um einen interstellaren Anruf handelte.« »Das war nur eine einfache Vorsichtsmaßnahme« erklärte Blord. »Er schickte den Anruf von hier aus und ließ ihn dann über eines seiner auf Delfi I versteckten Eldofone zu mir zurückstrahlen.« Seine Stimme wurde grimmig, »Ich muss zugeben, dass ich mich immer noch über seine Weigerung damals ärgere. Weil seine eigene Rasse ausgestorben ist, hegt er eine tiefe Abneigung gegen alle Lebensformen, die mehr Glück gehabt haben, und es machte ihm Spaß, mitanzusehen, wie unsere Zivilisation in die Hände eines Emerson fiel.« »Aber er hat Ihnen doch letzten Endes geholfen«, stellte Magrusson fest. »Sie haben vermutlich ein Abkommen mit ihm getroffen.« »Ja, und Sie, mein Freund, werden es für mich exakt erfüllen.« »Ich?« Der dicke Mann klang beunruhigt. »Ich habe mich bereiterklärt, ihm mehr von diesen kleinen
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Tieren zu beschaffen, solange er gezwungen ist, hier zu bleiben. In solchen Phasen wie dieser, befindet sich sein Magen in einem sehr empfindlichen Zustand, und dann verträgt er nur diese spezielle Nahrung. Da seine eigene Organisation vor Jahren zerschlagen wurde, war es ihm nicht möglich, sich die Tiere nach Delfi I bringen zu lassen. Als letzten Ausweg riskierte er es, sie sich hier in meine Lagerhäuser liefern zu lassen, wo sie zum Weiterversand gelagert würden. Kein Wunder, dass Marian keine Spur von ihnen entdecken konnte. Sie haben die Lager nie verlassen.« Magrusson hatte sich wieder gefasst. »Kommen Sie zur Sache, Artur. Was soll ich also mit dieser - dieser Riesenechse anfangen ...« »Füttern Sie ihn, bis er über diese Periode der Hilflosigkeit hinweg ist. Und dann ...«, seine Stimme war eiskalt »... werden wir ihn aus diesem System bringen. Ich will, dass er auf einen xbeliebigen Planeten ein paar tausend Lichtjahre von hier gebracht wird. Natürlich muss er bewohnbar sein, aber es darf kein intelligentes Leben und keine Raumschiff auf ihm geben. Jemand muss damit anfangen, den Erdtraum für die Kolonien zu verwirklichen«, fuhr er entschlossen fort. »Und was die Ridge Stars betrifft, so werde ich dieser Jemand sein. Die Tage der großen Unternehmer wie Hargan sind gezählt.« »Sie reden dauernd von einer Periode der Hilflosigkeit, die der Skal durchmacht«, unterbrach ihn Magrusson ungeduldig. »Was ...« Er brach ab. Er hatte die ganze Zeit auf die schattenhafte Gestalt des Tieres gestarrt, und plötzlich begriff er. »Also ich das ist es also!« Blord nickte, während er in das Halbdunkel sah. Er war noch beeindruckter, als er vor sich selbst zugeben wollte. Was sich vor ihren Augen abspielte, war im Grunde ein ganz natürlicher Vorgang, aber die Gewaltigkeit des Körpers, der davon betroffen war, ließ ihn ungeheuerlich erscheinen. Selbst in der dämmrigen Umgebung des Lagerhauses war zu erkennen, dass große,
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ledrige Hautteile schlaff um den dicksten Abschnitt des langen Körpers hingen. Wie alle Reptilien häutete sich auch der Skal. Sie kehrten in das Lagerhausbüro zurück, wo sie Evana schlafend in einem Sessel fanden. Das rotgoldene Haar war etwas in Unordnung, und das Kinn war auf die Schulter gesunken. Blord betrachtete sie zärtlich. »Was halten Sie von der zukünftigen Mrs. Blord?« fragte er. Magrussons Augen wurden groß. »Heirat!« rief er. »Finden Sie nicht, dass Sie damit etwas aus Ihrer Rolle fallen?« »Ich habe eher das Gefühl, dass ich damit langsam zu meiner Rolle finde. Ein Mann, der vorhat, Gesetz, Ordnung und Achtbarkeit in eine ganze Kultur einzuführen, sollte sich selbst auch um eine gewisse Achtbarkeit bemühen. Eine Frau, eine Familie, ein Zuhause - die Frage ist nur, ob sie mich überhaupt heiraten will. Sie hat in den vergangenen Jahren eine beträchtliche Selbstständigkeit und Freiheit entwickelt. Vielleicht ist die Rolle der Ehefrau und Mutter nicht das, was sie will.« Die Gestalt im Sessel bewegte sich und setzte sich dann auf. »Ich habe den letzten Teil gehört«, sagte Evana. »Was glaubst du, worauf ich die ganzen Jahre hingearbeitet habe?« Sie sprang auf und ergriff Blords Hand. »Na komm schon«, forderte sie ihn auf. »Ich bin fünfundzwanzig, und wenn ich neun Kinder haben will, dann haben wir keine Zeit zu verlieren.« Blord lächelte sie an. »Wer hat etwas von neun Kindern gesagt?« »Wo wir aufhören, ist unwichtig«, erwiderte Evana. »Wichtig ist, wie schnell wir anfangen.« »Also dann ...«, Blord deutete auf das Eldofon, »... lassen wir uns jetzt mit dem Registrierten Kreis verbinden und unterzeichnen die Heiratspapiere.« »Jetzt?« fragte Evana verwirrt. Und plötzlich hatte sie Tränen
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in den Augen. »Jetzt«, wiederholte Artur Blord entschlossen. Und dann nahm er ihre Hand und führte sie zum Eldofon.
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