A. Berger · R. Hierner · (Hrsg.)
PLASTISCHE CHIRURGIE Band IV: Extremitäten
II
Inhaltsverzeichnis
PLASTISC...
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A. Berger · R. Hierner · (Hrsg.)
PLASTISCHE CHIRURGIE Band IV: Extremitäten
II
Inhaltsverzeichnis
PLASTISCHE CHIRURGIE Band I:
Grundlagen – Prinzipien – Techniken
Band II: Kopf und Hals Band III: Mamma – Stamm – Genitale Band IV: Extremitäten
Inhaltsverzeichnis
A. Berger · R. Hierner (Hrsg.)
PLASTISCHE CHIRURGIE Band IV
Extremitäten Mit 417 Abbildungen und 173 Tabellen
Unter Mitarbeit von R.G.H. Baumeister · O. Frerichs · Y. Gu D. von Heimburg · Sh. Hu · U.K. Kesselring L. Kleinschmidt · J. Liebau · H. Millesi · N. Pallua H. Piza-Katzer · W. Schneider · M. Steen M. Strassmair · K. Wilhelm · K. Wintsch
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III
IV
Inhaltsverzeichnis
univ.-prof. dr. med. Alfred Berger univ.-prof. dr. med. Robert Hierner
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN 978-3-540-00144-7 e-ISBN 978-3-540-68814-3 © 2009 Springer-Verlag Berlin Heidelberg
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für die Angaben über Dosierungsangaben und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Anweisungen müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Cover design: E. Kirchner, Heidelberg Illustrationen: R. Henkel, Heidelberg Satz + Reproduction: am-productions GmbH, Wiesloch Herstellung: le-tex publishing oHG, Leipzig Gedruckt auf säurefreiem Papier 987654321 springer.de
Geleitwort
Die Plastische Chirurgie hat in den letzten Jahren eine explosionsartige Entwicklung erfahren. Der Einzelne kann alle Facetten dieses so interessanten Faches nicht mehr überblicken. Trotzdem besteht der Wunsch, über die gesamte Plastische Chirurgie informiert zu werden und ein Nachschlagewerk zur Verfügung zu haben, um sich die notwendigen Informationen zu beschaffen.Aus diesem Grund haben Gesamtdarstellungen nach wie vor ihren Platz. Naturgemäß ist es eine schwere Aufgabe, ein solches Projekt zu einem guten Ende zu bringen.Es bedarf einer sorgfältigen Auswahl der Mitarbeiter, die in ihrem Teilgebiet kompetent sein müssen und auch die Bereitschaft zeigen, ihren Beitrag vollständig und zeitgerecht abzuliefern.Die Auswahl der Mitarbeiter und die Gliederung des Werkes sind Grundvoraussetzungen für das Gelingen. Wenn man sich die Liste der Mitarbeiter anschaut, muss man sagen, dass eine hervorragende Auswahl getroffen wurde und die Spitzen der deutschsprachigen Plastischen Chirurgie im Autorenverzeichnis vertreten sind.
Der Erfolg eines solchen Unternehmens steht und fällt aber mit dem Koordinator, der das ganze Gebiet überblicken muss,damit das ganze Werk wie aus einem Guss dasteht und der Leser fugenlos von einem Teilgebiet in das andere geführt wird. Alfred Berger weist zweifellos die Voraussetzungen dafür auf, ein solches Unternehmen zu planen und zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen. Ich bin überzeugt, dass er diese schwierige Aufgabe meistern wird und wünsche schon jetzt einen erfolgreichen Abschluss der Arbeiten, einen glückhaften Start und dem Werk einen würdigen Platz in der deutschsprachigen Fachliteratur. univ.-prof. dr. Hanno Millesi
Vorwort
Die Plastische Chirurgie umfasst neben der Prävention die Erkennung, Wiederherstellung und Verbesserung angeborener oder durch Krankheit, Degeneration, Tumor, Unfall oder Alter verursachter sichtbar gestörter Körperfunktionen und Körperformen bei beiden Geschlechtern in jedem Lebensalter durch operative und konservative Behandlungsmaßnahmen. Die Plastische Chirurgie ist daher ein Fach der Techniken, ein rein methodisch orientiertes Spezialgebiet. Sie ist ein interdisziplinäres Fach. Unzählige von Plastischen Chirurgen entwickelte Techniken finden sich in anderen Fächern wieder. Auch die Plastische Chirurgie lernte und lernt von den anderen Fächern und adaptiert für ihre Indikationen deren Techniken, wenn sie in das Konzept einer speziellen Behandlungsmethode aufgenommen werden sollen. Es ist daher notwendig, dass Plastische Chirurgen auch die Grundlagen und Behandlungstechniken vieler anderer Fächer kennen. In einem Fach der Techniken werden hohe Anforderungen an die behandelnden Ärzte bzgl. Durchführung und Ergebnissen gestellt. Die Plastische Chirurgie muss daher immer in Bewegung sein, die Techniken im eigenen Fach stets weiterentwickeln,jede neue Technik kritisch begutachten und bewerten.Hier sei z.B.an die Mikrochirurgie oder das Tissue Engineering gedacht sowie an die neuen Wege in der Wundbehandlung, besonders der Verbrennungskrankheit und der Erforschung der Missbildungen und deren Behandlung. Es ist ein großes Fach und kann heute von einem Einzelnen nicht mehr komplett beherrscht werden. Bildlich lässt sich der Inhalt der Plastischen Chirurgie wie ein Tempel darstellen (Abb.1).Die Säulen stehen auf dem festen Fundament der Basischirurgie. Die einzelnen Säulen stellen die rekonstruktive Chirurgie, die ästhetische Chirurgie, die Verbrennungstherapie und die Handchirurgie dar. Im Dach finden sich Mikrochirurgie, Tissue Engineering und Gentechnologie. Das vorliegende Werk in 4 Bänden soll dieser Entwicklung Rechnung tragen und der rasanten Entwicklung unseres Faches in den letzten 50 Jahren nachgehen. Die Mitwirkung der Autoren,die besondere Spezialisten in der Plastischen Chirurgie sind,ermöglicht es bewährte und neue Techniken und Ideen darzustellen als auch
Abb.1. Die Säulen der Plastischen Chirurgie
Zukunftswege aufzuzeigen, wohin dieses Fach gehen kann und gehen wird.Die richtige Methode für den einzelnen Fall zu finden,soll dieses Buch helfen.Es soll auch Anregungen geben, sich selbst weiterzuentwickeln. In diesem Werk sollen nicht nur Auszubildende, angehende Fachärzte,erfahrene Plastische Chirurgen, sondern darüber hinaus jeder chirurgisch Tätige eine gut durchführbare und moderne Methode finden. Die Unterteilung in 4 Bände: • Grundlagen – Prinzipien – Techniken • Kopf und Hals • Mamma – Stamm – Genitale • Extremitäten stellt die gesamte Plastische Chirurgie dar und soll dem Leser ermöglichen, für seine speziellen Fragen brauchbare Antworten zu finden. Hannover, im Sommer 2008 univ.-prof. dr. med. Alfred Berger Leuven, im Sommer 2008 univ.-prof. dr. med. Robert Hierner
Danksagung
Die Herausgeber danken allen, die sich um das Entstehen dieses Buches verdient gemacht haben. Den Autoren möchten wir für ihre ausgezeichneten Beiträge und die professionelle Zusammenarbeit danken. Ein herzliches Dankeschön geht an Frau Gabriele Schröder vom Springer-Verlag, die die Entstehung dieses Werkes aus der ehemaligen Kirschner’schen Operationslehre möglich gemacht hat. Ein entscheidendes Element des Buches sind die Zeichnungen, die von Herrn Reinhard Henkel angefertigt wurden. Er hat sich wieder einmal mit großem Einfühlungsvermögen in die komplexe Materie eingearbeitet und mit seiner besonderen Fähigkeit zur Konzentration auf das Wesentliche den Abbildungen ihren besonderen fachlichen und künstlerischen Ausdruck gegeben. Ein besonderer Dank geht auch an Frau Sigrid Berger für ihre unermüdliche und engagierte Arbeit beim Übersetzen und Kontrollieren der Textformate.
Ein besonderes Anliegen ist es, an dieser Stelle an die Autoren zu erinnern, die während des Buchprojektes von uns gegangen sind Professor Dr. J. Iannovich (7. Oktober 2003) und Professor Dr. U. Hinderer (1. Januar 2007). Ein herzliches Dankeschön möchten die Herausgeber auch Frau Himberger für die Organisation, dem CopyEditing und der Herstellung bei le-tex publishing services oHG sowie den übrigen Mitarbeitern des Springer-Verlags sagen. univ.-prof. dr. med. Alfred Berger univ.-prof. dr. med. Robert Hierner
Inhaltsverzeichnis
1
Angeborene Fehlbildungen der Hand . . . . . 1 M. Strassmair . K. Wilhelm . R. Hierner
1.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . . . 2 1.1.1.1 Klinische Embryologie. . . . . . . . . . 2 1.1.1.2 Funktionelle, ästhetische und soziale Bedeutung der Hand. . . . . . . . . . . 6 1.1.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.1.2.1 Multidisziplinäres Diagnostik und Behandlungsteam. . . . . . . . . 10 1.1.2.2 Standardisiertes Diagnostik und Dokumentationsschema „angeborene Handfehlbildungen“. . 10 1.1.3 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1.1.3.1 Gruppe I: Fehlende Ausbildung von Extremitätenteilen (Aplasie). . . 10 1.1.3.2 Gruppe II: Fehlende Differenzierung (Separation) von Extremitäten teilen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.1.3.3 Gruppe III: Duplikationen. . . . . . . . 14 1.1.3.4 Gruppe IV: Gigantismus. . . . . . . . . 16 1.1.3.5 Gruppe V: Minderwachstum (Hyopoplasie). . . . . . . . . . . . . . . 16 1.1.3.6 Gruppe VI: Schnürringsyndrome. . . 16 1.1.3.7 Gruppe VII: Generalisierte (muskulo-)skelettale Anomalien . . . 17 1.1.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.1.4.1 Zeitpunkt der Therapie. . . . . . . . . 19 1.1.4.2 Besonderheiten der Therapie von angeborenen Handfehlbildungen des Kleinkindes im Vergleich zu sekundären Defektzuständen des Erwachsenen. . . . . . . . . . . . . 19 1.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.2.1 Dekompression des Pollex flexus congenitus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.2.2 Syndaktylie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.2.2.1 Einfache partielle, monofokale, interdigitale Syndaktylie . . . . . . . . 23 1.2.2.2 Einfache komplette, monofokale, Interdigitalfaltensyndaktylie. . . . . . 24 1.2.2.3 Einfache komplette polyfokale interdigitale Syndaktylie . . . . . . . . 28
1.2.2.4 Komplexe Syndaktylie. . . . . . . . . . 28 1.2.2.5 Einfache inkomplette Syndaktylie der 1. Kommissur. . . . . . . . . . . . . 28 1.2.2.6 Polysyndaktylie . . . . . . . . . . . . . . 29 1.2.3 Polydaktylie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1.2.3.1 Vorgehen bei unterschiedlich großen Daumen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1.2.3.2 Vorgehen bei gleich großen Daumen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1.2.4 Klinodaktylie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1.2.4.1 Osteotomie. . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1.2.4.2 Resektion des Knochenkerns . . . . . 35 1.2.5 Komplette Zeigefingerpollizisation. . . . . . . 35 1.2.5.1 Hautschnitt. . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1.2.5.2 Entfernung des Daumenrestes und Auslösung des Zeigefingers . . . . . . 36 1.2.5.3 Transposition des Fingers an seinem neurovaskulären Stiel. . . . . . . . . . 36 1.2.5.4 Neuordnung des Skeletts. . . . . . . . 41 1.2.5.5 Muskuläre Stabilisierung . . . . . . . . 41 1.2.5.6 Postoperative Ruhigstellung und Nachbehandlung. . . . . . . . . . 42 1.2.6 Makrodaktylie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1.2.7 Schnürringsyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1.2.7.1 Einfache Schnürringe. . . . . . . . . . 45 1.2.7.2 Schnürringe mit distaler Beteiligung. . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1.2.7.3 Behandlung bei kongenitalen Amputationen. . . . . . . . . . . . . . . 47 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2
Rheumachirurgie an der Hand . . . . . . . . . 49 A. Berger
2.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . . 49 2.1.1.1 Makroskopische und mikroskopische Veränderungen bei rheumatischen Erkrankungen (am Beispiel der chronischen Polyarthritis). . . . . . . . . . . . . . . . 49
XII
Inhaltsverzeichnis
2.1.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2.1.2.1 Klinische Untersuchung. . . . . . . . . 53 2.1.2.2 Apparative Untersuchungen. . . . . . 56 2.1.2.3 Funktionelle Bewertung der Globalfunktion . . . . . . . . . . . . . . 58 2.1.3 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2.1.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2.1.4.1 Ziele der Therapie an der „rheumatischen Hand“ . . . . . . . . . 59 2.1.4.2 Anästhesie . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2.1.4.3 Therapeutische Möglichkeiten. . . . 60 2.1.4.4 Postoperative Immobilisation. . . . . 63 2.1.4.5 Postoperative Begleittherapie. . . . . 65 2.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.2.1 Synovialektomie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.2.1.1 Beugesehnen. . . . . . . . . . . . . . . 66 2.2.1.2 Strecksehnen . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.2.1.3 Handgelenk. . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.2.2 Bewegungserhaltende Eingriffe . . . . . . . . . 73 2.2.3 Komplette Arthrodese des Handgelenks. . . . 73 2.2.4 Grundgelenke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2.2.4.1 Gelenkersatz, Gelenkprothesen. . . . 77 2.2.5 Daumenfehlstellungen, 90-90-Fehlstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2.2.6 Langfingerfehlstellungen . . . . . . . . . . . . . 77 2.2.6.1 Knopflochdeformität. . . . . . . . . . 77 2.2.6.2 Schwanenhalsdeformität. . . . . . . . 81 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3
Dupuytren-Kontraktur . . . . . . . . . . . . . . 83 H. Millesi
3.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . . 84 3.1.1.1 Besondere Gestaltung der Haut. . . . 84 3.1.1.2 Besondere Gestaltung der Subkutis . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3.1.1.3 Palmarseite der Hand. . . . . . . . . . 84 3.1.1.4 Beobachtungen an Pavianen . . . . . 84 3.1.1.5 Plantarseite des Fußes. . . . . . . . . . 85 3.1.2 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3.1.2.1 Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3.1.2.2 Klassifizierung im Sinne der allgemeinen Pathologie . . . . . . 86 3.1.2.3 Pathologische Befunde und mögliche Deutungen. . . . . . . 88 3.1.2.4 Vorausgehende Veränderungen . . . 90 3.1.2.5 Mechanische Untersuchungen. . . . 90 3.1.2.6 Wie kommt es zur Kontraktur?. . . . . 92 3.1.2.7 Drei Phasen im Ablauf der Dupuytren-Kontraktur . . . . . . . 94 3.1.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3.1.3.1 Der Patient. . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3.1.3.2 Frühveränderungen . . . . . . . . . . . 97
3.1.3.3 Strangbildung. . . . . . . . . . . . . . . 97 3.1.3.4 Funktion der Hand . . . . . . . . . . . . 98 3.1.4 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.1.4.1 Konzept der ständigen Weiterentwicklung der einzelnen Bestandteile der Fasersysteme . . . . 99 3.1.4.2 Das Konzept der strukturellen Anpassung. . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3.1.5 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3.1.6 Komplikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 100 3.2.1 Erzielung eines Stillstands der Progression. 100 3.2.2 Besserung der Kontraktur ohne Unterbrechung der Kontrakturstränge . . . . 101 3.2.3 Besserung der Kontraktur durch Unterbrechung der Kontrakturstränge . . . . 101 3.2.3.1 Ruptur nach enzymatischer Behandlung. . . . . . . . . . . . . . . 101 3.2.3.2 Nadelfasziotomie. . . . . . . . . . . . 101 3.2.3.3 Geschlossene oder offene chirurgische Fasziotomie. . . . . . . 101 3.2.4 Entfernung des Kontrakturgewebes. . . . . . 101 3.2.4.1 Radical fasciectomy . . . . . . . . . . 101 3.2.4.2 Limited fasciectomy . . . . . . . . . . 105 3.2.5 Entfernung der Kontrakturstränge und gefährdeten Gewebes. . . . . . . . . . . . 105 3.2.5.1 Schnittführung bei der kompletten Fasziektomie. . . . . . . . . . . . . . . 106 3.2.5.2 Schnittführung bei der partiellen Fasziektomie. . . . . . . . . . . . . . . 106 3.2.6 Chirurgische Behandlung sekundärer Veränderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4
Infektionen der Hand . . . . . . . . . . . . . . 113 M. Steen
4.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 4.1.1.1 Aufbau der Haut der Hohlhand und der Fingerbeugeseite. . . . . . 4.1.1.2 Sehnenscheiden . . . . . . . . . . . . 4.1.1.3 Die Faszienräume. . . . . . . . . . . . 4.1.1.4 Die dorsalen Gelenkkapseln. . . . . 4.1.2 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.1 Begünstigende Faktoren. . . . . . . 4.1.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3.1 Weitere Diagnostik. . . . . . . . . . . 4.1.4 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5.1 Konservative Behandlung . . . . . . 4.1.5.2 Impfungen. . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5.3 Antibiotika . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5.4 Zeitfaktor und Revisionsausmaß. . 4.1.5.5 Tier- und Menschenbisse. . . . . . .
113 113 113 114 114 114 118 119 119 120 120 120 120 120 120 121 122
4.1.6 Komplikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4.1.6.1 Infektionen bei Durchblutungs minderung. . . . . . . . . . . . . . . . 123 4.1.6.2 Infektbedingte Amputationen. . . . 123 4.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 124 4.2.1 Schnittführungen und Ausmaß der Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4.2.1.1 Paronychie . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4.2.1.2 Abszesse in der Fingerbeere. . . . . 126 4.2.1.3 Sehnenscheiden . . . . . . . . . . . . 126 4.2.1.4 Thenar- und Hypothenarraum. . . . 127 4.2.1.5 Mittelhandraum. . . . . . . . . . . . . 128 4.2.1.6 Gelenke. . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4.2.1.7 Weichteilmantel. . . . . . . . . . . . . 131 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 5
Kompressionssyndrome peripherer Nerven. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 I. Kleinschmidt
5.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 5.1.2 Pathogenese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2.1 Histopathologische Veränderungen . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3.1 Klinische Untersuchung. . . . . . . . 5.1.3.2 Apparative Untersuchung. . . . . . 5.1.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Kompression des Plexus brachialis. . . . . . . 5.2.1.1 Thoracic-outlet-Syndrom. . . . . . . 5.2.1.2 Kostoklavikuläres Syndrom. . . . . . 5.2.1.3 Hyperabduktionssyndrom (Wright). . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Kompression des N. suprascapularis. . . . . . 5.2.3 Kompression des N. axillaris. . . . . . . . . . . 5.2.4 Kompression des N. radialis. . . . . . . . . . . 5.2.5 Kompression des N. medianus. . . . . . . . . 5.2.6 Kompression des N. ulnaris . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
133 133 135 137 138 138 140 144 144 144 146 148 148 149 150 152 157 167 173
Plexus brachialis. . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 A. Berger
6.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 6.1.1.1 Makroskopische Anatomie. . . . . . 6.1.1.2 Mikroskopische Anatomie. . . . . . 6.1.1.3 Funktion des Plexus brachialis und seiner Endäste. . . . . . . . . . . 6.1.2 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Prinzipien der Diagnostik. . . . . . . . . . . . .
176 176 176 179 181 181 181
Inhaltsverzeichnis
6.1.4 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 6.1.5 Prinzipien der Therapie. . . . . . . . . . . . . . 182 6.1.5.1 Das integrative Therapiekonzept nach Berger . . . . . . . . . . . . . . . 182 6.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 183 6.2.1 Posttraumatische Läsionen . . . . . . . . . . . 183 6.2.1.1 Epidemiologie. . . . . . . . . . . . . . 183 6.2.1.2 Pathogenese. . . . . . . . . . . . . . . 184 6.2.1.3 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . 184 6.2.1.4 Diagnostik und Dokumentation . . 186 6.2.1.5 Therapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Primäre nervale Rekonstruktion . . 198 Sekundäre Muskel-Sehnen Umsetzplastiken . . . . . . . . . . . . 206 Adjuvante Eingriffe. . . . . . . . . . . 224 Schmerztherapie . . . . . . . . . . . . 224 6.2.2 Radiogene Plexiti. . . . . . . . . . . . . . . . . 224s 6.2.2.1 Epidemiologie. . . . . . . . . . . . . . 224 6.2.2.2 Pathogenese. . . . . . . . . . . . . . . 224 6.2.2.3 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . 225 6.2.2.4 Diagnostik. . . . . . . . . . . . . . . . 225 6.2.2.5 Therapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Spontanverlauf. . . . . . . . . . . . . 227 Konservative Therapie. . . . . . . . . 227 Operative Therapie. . . . . . . . . . . 227 6.2.3 Kompressionssyndrome im Bereich des Plexus brachialis. . . . . . . . . . . . . . . . 230 6.2.4 Geburtstraumatische Läsionen. . . . . . . . . 230 6.2.4.1 Epidemiologie. . . . . . . . . . . . . . 230 6.2.4.2 Pathogenese. . . . . . . . . . . . . . . 230 6.2.4.3 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . 231 6.2.4.4 Diagnostik und Dokumentation . . 231 6.2.4.5 Therapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Primärtherapie (bis 6. Lebensmonat). . . . . . . . . . 236 Sekundärtherapie (>2. bis 3. Lebensjahr und später). . . . . . . . 239 Adjuvante Eingriffe. . . . . . . . . . . 241 6.2.4.6 Was kann erreicht werden? Spontanverlauf. . . . . . . . . . . . . 244 Konservative Therapie. . . . . . . . . 244 Operative Therapie. . . . . . . . . . . 245 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 7
Motorische Ersatzplastiken der Hand . . . . 249 K. Wintsch
7.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 7.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 250 7.1.1.1 Muskelkraft. . . . . . . . . . . . . . . . 250 7.1.1.2 Muskelamplitude. . . . . . . . . . . . 250 7.1.1.3 Verlaufsrichtung . . . . . . . . . . . . 250 7.1.1.4 Innervation (funktionelle Beziehung des Kraftspenders zum zu ersetzenden Muskel). . . . . . . . . . 250
XIII
XIV
Inhaltsverzeichnis
7.1.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.3 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.4.1 Indikationen. . . . . . . . . . . . . . . 7.1.4.2 Faktoren, die bei der Auswahl des Spendermuskels und der Transposition zu berücksichtigen sind. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.4.3 Prinzipien der Operationstechnik. . 7.1.4.4 Adjuvante operative Maßnahmen. 7.1.4.5 Prinzipien der postoperativen Nachbehandlung. . . . . . . . . . . . Immobilisation . . . . . . . . . . . . . Physiotherapie und Ergotherapie bei Sehnentransposition. . . . . . . 7.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Operationen bei Ausfällen der Opposition und Adduktion des Daumens. . . . . . . . . . 7.2.1.1 Opponensersatz mit Abductor digiti minimi. . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1.2 Opponensersatz mit Flexor digitorum-superficialis-IV-Sehne . . 7.2.1.3 Opponensersatz mit Palmaris longus-Sehne. . . . . . . . . . . . . . 7.2.1.4 Intermetakarpale Spanplastik. . . . 7.2.1.5 Adduktionsersatzplastik. . . . . . . 7.2.2 Lumbricalesersatzoperationen . . . . . . . . . 7.2.2.1 Extensor-carpi-radialis-longus Transfer zum Lumbricalesersatz (“Extensor-to-flexor-Manitailed Transfer” nach Brand) . . . . . . . . . 7.2.2.2 Palmaris-longus-Manitailed Transfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2.3 Flexor-digitorum-superficialis Manitailed-Transfer. . . . . . . . . . . 7.2.2.4 Kapsulodese der Grundgelenke nach Zancolli. . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Ersatzoperationen nach Radialisparese. . . . 7.2.3.1 Pronator-teres-Transfer zur Handgelenkstreckung. . . . . . . . . 7.2.3.2 Flexor-carpi-ulnaris-Transfer zur Fingerstreckung. . . . . . . . . . 7.2.3.3 Palmaris-longus-Transfer zur Daumenstreckung. . . . . . . . . 7.2.4 Ersatzoperationen nach Strecksehnen ruptur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.4.1 Extensor-index-proprius-Transfer zur Daumenstreckung (“Indicis-Transfer”) . . . . . . . . . . . 7.2.4.2 Seit-zu-Seit-Koppelung im Strecksehnenbereich . . . . . . . 7.2.4.3 Extensor-index-proprius- oder Extensor-digiti-minimi-Transfer im Strecksehnenbereich . . . . . . .
251 251 252 252
253 254 256 256 256 257 260 260 262 262 266 266 267 267
268 271 271 271 274 274 274 278 278 278 280 280
7.2.5 Wiederherstellung der Beugefunktion. . . . 7.2.5.1 Extensor-carpi-radialis-longus Transfer bei Ausfall der langen Beugesehnen. . . . . . . . . . . . . . 7.2.5.2 EDM- und EIP-Transfer für die Daumenbeugung. . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
282 283 283 286
Freie funktionelle Muskeltransplantation im Bereich der oberen Extremität. . . . . . . 289 R. Hierner . A. Berger
8.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 8.1.1.1 Anatomie des Muskels. . . . . . . . . 8.1.1.2 Physiologie des Muskels . . . . . . . 8.1.1.3 Biochemie des Muskels . . . . . . . . 8.1.1.4 Konzept der peripheren „neuro-senso-muskulären Funktionseinheit“. . . . . . . . . . . . 8.1.2 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.4 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.5 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.5.1 Indikationen. . . . . . . . . . . . . . . 8.1.5.2 Zeitpunkt der Wiederherstellung. . 8.1.5.3 Notwendige Voraussetzungen für die Wiederherstellung einer insuffizienten oder fehlenden Muskelfunktion . . . . . . . . . . . . . 8.1.5.4 Wichtige Schritte der Operations planung und -durchführung. . . . . 8.1.5.5 Postoperative Nachbehandlung . . 8.1.6 Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.7 Komplikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Freie funktionelle Muskeltransplantation zum Ersatz des M. deltoideus . . . . . . . . . . 8.2.1.1 Freier funktioneller Gracilistransfer. . . . . . . . . . . . . . 8.2.1.2 Freier funktioneller Latissimus-dorsi-Transfer . . . . . . . 8.2.2 Freie funktionelle Muskeltransplantation zur Wiederherstellung der Ellenbogen beugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2.1 Freier funktioneller Gracilistransfer. . . . . . . . . . . . . . 8.2.2.2 Freier funktioneller Latissimus-dorsi-Transfer . . . . . . . 8.2.3 Freie funktionelle Muskeltransplantation zur Wiederherstellung der Handgelenk und Fingerbeuger. . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3.1 Freier funktioneller Gracilistransfer. . . . . . . . . . . . . .
290 290 290 292 292 293 294 294 295 296 296 298
298 299 300 301 304 304 304 304 304 306 306 307 309 309
8.2.3.2 Freier funktioneller Latissimus dorsi-Transfer . . . . . . . . . . . . . . 8.2.4 Freie funktionelle Muskeltransplantation zur Wiederherstellung der Handgelenk und Fingerstrecker. . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.5 Freie funktionelle Muskeltransplantation zum Ersatz des M. opponens . . . . . . . . . . 8.2.6 Freie funktionelle Muskeltransplantation zur gleichzeitigen Wiederherstellung der Ellenbogenbeugung, Handgelenk und Fingerbeugung nach Berger. . . . . . . . 8.2.7 Kombinierte freie funktionelle Muskeltransplantation zur Rekonstruktion einer Basisfunktion bei kompletter Läsion des Plexus brachialis nach Doi . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
311 312 312
313
315 317
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität . . . . . . . . . . . . . . 319 R. Hierner . A. Berger . K. Wilhelm
9.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 9.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 320 9.1.1.1 Vaskularisation . . . . . . . . . . . . . 320 9.1.1.2 Hautlinien im Bereich der oberen Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . 320 9.1.1.3 „Rekonstruktive Einheiten“ im Bereich der oberen Extremität. . . . 320 9.1.1.4 Konzept der „Niederresistenzzonen“ im Bereich der oberen Extremität. . 323 9.1.2 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 9.1.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 9.1.4 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 9.1.5 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 9.1.5.1 Defektbedingte Faktoren. . . . . . . 327 9.1.5.2 Patientenbedingte Faktoren. . . . . 327 9.1.5.3 Therapiebedingte Faktoren . . . . . 327 Zeitpunkt von Defektverschluss bzw. Defektdeckung. . . . . . . . . . 327 Möglichkeiten der Defektdeckung. 330 Vorteil im Empfängergebiet vs. Spendergebietmorbidität . . . . . . 336 9.1.5.4 Postoperative Maßnahmen und Begleittherapie. . . . . . . . . . . . . 336 9.1.6 Komplikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 9.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 337 9.2.1 Haut- (Typ-A-) und Weichteil- (Typ-B-) Defekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 9.2.1.1 Schulter- und Oberarmbereich. . . 337 Kraniale und laterale Schulterregion. . . . . . . . . . . . . . 337 Axilla. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Oberarm . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
Inhaltsverzeichnis
9.2.1.2 Ellenbogen-, Unterarm und Handgelenkbereich. . . . . . . Ellenbogen und proximales Unterarmdrittel . . . . . . . . . . . . . Mittleres Unterarmdrittel. . . . . . . Distales Unterarmdrittel (inklusive Handgelenk). . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1.3 Polyregionale Defekte. . . . . . . . . Handbereich. . . . . . . . . . . . . . . Handrücken. . . . . . . . . . . . . . . Hohlhand. . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfingerfalten (Kommissuren) . . . . . . . . . . . . . Daumen. . . . . . . . . . . . . . . . . . Langfinger . . . . . . . . . . . . . . . . Polyregionale Defekte. . . . . . . . . 9.2.2 Kombinierter Weichteil-Knochen- (Typ-C-) Defekt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
XV
344 347 353 354 358 358 360 361 367 367 375 387 390 393
Amputationsverletzungen im Bereich der oberen Extremität . . . . . . . . . . . . . . 395 R. Hierner . A. Berger
10.1 Allgemeine. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 10.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 396 10.1.1.1 Konzept der „Funktionskette obere Extremität“. . . . . . . . . . . . . . . . 396 10.1.1.2 Bedeutung der einzelnen Handabschnitte für die Globalfunktion der Hand. . . . . . . . . . . . . . . . . 399 10.1.2 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 10.1.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 10.1.3.1 Begleitverletzungen. . . . . . . . . . 400 10.1.4 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 10.1.4.1 Amputationsverletzungen distal des Radiokarpalgelenks (Mikroamputationsverletzungen). 400 10.1.4.2 Amputationsverletzungen im Bereich der oberen Extremität bis proximal des Radiokarpal gelenks (Makroamputations verletzungen) . . . . . . . . . . . . . . 403 10.1.5 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 10.1.5.1 Präklinische und Erstversorgung . . 407 10.1.5.2 Indikationsstellung. . . . . . . . . . . 407 Mikroreplantation . . . . . . . . . . . 409 Makroreplantation . . . . . . . . . . . 412 10.1.5.3 Operative Schritte der Replantation. . . . . . . . . . . . . . . 416 Mikroreplantation . . . . . . . . . . . 416 Makroreplantation . . . . . . . . . . . 420
XVI
Inhaltsverzeichnis
10.1.5.4 Postoperative Nachbehandlung . . 427 Postoperative Überwachung . . . . 427 Postoperative Begleittherapie und Maßnahmen. . . . . . . . . . . . 428 10.1.5.5 Funktionsverbessernde Sekundäreingriffe. . . . . . . . . . . . 429 Mikroreplantationen. . . . . . . . . . 429 Makroreplantationen. . . . . . . . . 430 10.1.5.6 Replantation im Kindesalter . . . . . 430 10.1.6 Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 10.1.6.1 Mikroreplantationen. . . . . . . . . . 434 10.1.6.2 Makroreplantationen. . . . . . . . . 435 Primäre Stumpfversorgung mit frühzeitiger prothetischer Versorgung. . . . . . . . . . . . . . . . 437 10.1.7 Sozioökonomische Gesichtspunkte . . . . . . 444 10.1.7.1 Mikroreplantation . . . . . . . . . . . 444 10.1.7.2 Makroreplantation . . . . . . . . . . . 444 10.1.8 Komplikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 10.1.8.1 Mikroreplantation . . . . . . . . . . . 447 10.1.8.2 Makroreplantation. . . . . . . . . . . 447 10.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 448 10.2.1 Mikroreplantationen. . . . . . . . . . . . . . . . 448 10.2.1.1 Replantationen distal des Nagelwalls (distale Fingerreplanta tionen: Zone I). . . . . . . . . . . . . . 448 10.2.1.2 Replantationen distal des DIP-Gelenks (Zone II). . . . . . . . . . 451 10.2.1.3 Replantation distal des MP-Gelenks (Zone III). . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 10.2.1.4 Polydigitale Amputationsverletzung und heterotope Replantation . . . . 454 10.2.1.5 Skelettierungs- oder Degloving Amputationen. . . . . . . . . . . . . . 454 10.2.1.6 Mittelhandreplantationen (Zone IV) und Handwurzelreplantation (Zone V). . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 10.2.1.7 Replantation distal des Radiokarpal gelenks (Handreplantation: Zone VI). . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 10.2.1.8 Mehretagenamputations verletzung. . . . . . . . . . . . . . . . 465 10.2.1.9 Bilaterale Amputations verletzung. . . . . . . . . . . . . . . . 467 10.2.2 Makroreplantationen. . . . . . . . . . . . . . . 470 10.2.2.1 Replantation im distalen Unterarmbereich . . . . . . . . . . . . 470 10.2.2.2 Replantation im proximalen Unterarmbereich . . . . . . . . . . . . 470 10.2.2.3 Replantation im Ellenbogen bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 10.2.2.4 Replantation im Schulter und Oberarmbereich. . . . . . . . . 470 10.2.2.5 Mehretagenamputations verletzung. . . . . . . . . . . . . . . . 470
10.2.2.6 Bilaterale Amputations verletzung. . . . . . . . . . . . . . . . 473 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 11
Fremdhandtransplantation. . . . . . . . . . . 475 H. Piza-Katzer
11.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 11.1.1 Mythologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 11.1.2 Geschichte der Fremdhandtransplantation. 476 11.1.3 Gesetze zur Organentnahme. . . . . . . . . . 476 11.1.4 Ethische Aspekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 11.1.5 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 11.1.5.1 Auswahl des Empfängers. . . . . . . 478 11.1.5.2 Auswahl des Spenders. . . . . . . . . 478 11.1.6 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 11.1.6.1 Immunsuppressive Therapie. . . . . 478 11.1.6.2 Rehabilitation . . . . . . . . . . . . . . 480 11.1.7 Argumente für und gegen eine Handtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . 481 11.1.7.1 Argumente für eine Handtrans plantation. . . . . . . . . . . . . . . . 481 11.1.7.2 Argumente gegen eine Handtrans plantation. . . . . . . . . . . . . . . . 482 11.2 Spezielle Technik. . . . . . . . . . . . . . . . . 482 11.2.1 Technik der Transplantation. . . . . . . . . . . 482 11.3 Schlussfolgerung. . . . . . . . . . . . . . . . . 485 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 12
Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten – Zehentransfer. . . . . . . . 489 Y. Gu . Sh. Hu
12.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 12.1.1.1 Oberflächliche Venen. . . . . . . . . 12.1.1.2 Hautnerven . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.1.3 Sehnen und Muskeln am Fußrücken. . . . . . . . . . . . . . 12.1.1.4 A. dorsalis pedis, Begleitvenen und N. peronaeus. . . . . . . . . . . . 12.1.1.5 Die erste dorsale Metatarsalarterie . . . . . . . . . . . . 12.1.1.6 Zusätzliche Blutversorgung beim Transfer der zweiten Zehe. . . . . . 12.1.2 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.3 Prinzipien der Therapie. . . . . . . . . . . . . . 12.1.3.1 Anforderungen an die Rekon struktion eines Daumens oder Langfingers. . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.4 Indikationen und Kontraindikationen. . . . . 12.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.1 Präoperative Vorbereitungen . . . . . . . . . .
490 490 490 490 490 490 492 492 493 493 493 494 495 495
12.2.1.1 Operationsplanung . . . . . . . . . . 495 12.2.1.2 Kontrolle der Operationssaal temperatur. . . . . . . . . . . . . . . . 496 12.2.1.3 Harnableitung. . . . . . . . . . . . . . 497 12.2.2 Anästhesie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 12.2.3 Operation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 12.2.3.1 Operationsteams. . . . . . . . . . . . 497 12.2.3.2 Medikamente . . . . . . . . . . . . . . 497 12.2.3.3 Präparation der Empfängerseite . . 497 12.2.3.4 Präparation im Spendergebiet . . . 500 12.2.3.5 Transplantation der zweiten Zehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 12.2.3.6 Intraoperatives Management von Gefäßvariationen und Durchblutungs problemen. . . . . . . . . . . . . . . . 506 12.2.3.7 Postoperative Nachbehandlung . . 508 Allgemeine postoperative Nachbehandlung. . . . . . . . . . . . 508 Postoperative Komplikationen und deren Behandlung . . . . . . . . 509 12.2.3.8 Rehabilitation . . . . . . . . . . . . . . 510 12.2.4 Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 12.2.4.1 Postoperative Funktion . . . . . . . . 520 12.2.5 Regeln für den Eingriff . . . . . . . . . . . . . . 521 12.2.5.1 Regel Nr. 1. . . . . . . . . . . . . . . . 521 12.2.5.2 Regel Nr. 2 („add up“). . . . . . . . . 521 12.2.5.3 Regel Nr. 3 (Variation) . . . . . . . . . 521 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 13
Formkorrekturen der oberen Extremität . . 523 N. Pallua . D. von Heimburg
13.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 13.1.1.1 Veränderungen im Alter. . . . . . . 13.1.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.2.1 Standardisierte fotographische Dokumentation. . . . . . . . . . . . . 13.1.3 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.3.1 Klassifikation nach Guerrerosantos. . . . . . . . . . . . . 13.1.3.2 Klassifikation nach Teimourian und Malekzadeh . . . . . . . . . . . . 13.1.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.4.1 Operationen bei Gewebe überschuss. . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.4.2 Operationen bei Gewebe defekten . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.1 Operationen bei Gewebeüberschuss . . . . . 13.2.1.1 Liposuktion. . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.1.2 Dermolipektomie. . . . . . . . . . . . 13.2.2 Operationen bei Gewebedefekten. . . . . . . 13.2.2.1 Augmentation nach Glicenstein im Oberarmbereich . . . . . . . . . .
523 523 525 526 526 527 527 527 527 527 531 531 531 531 532 536 536
Inhaltsverzeichnis
XVII
13.2.2.2 Augmentation (Lipofilling) nach Coleman im Handbereich. . . 536 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 14
Lymphgefäßtransplantation an der 0beren Extremität. . . . . . . . . . . . . . . . . 539 R.G.H. Baumeister
14.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 14.1.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.3 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.3.1 Indikation. . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.3.2 Therapeutische Möglichkeiten. . . 14.1.3.3 Nachbehandlung. . . . . . . . . . . . 14.2 Spezielle Technik. . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.1 Transplantatentnahme . . . . . . . . . . . . . . 14.2.2 Transplantation zur Überbrückung der Axilla . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
539 539 539 540 540 540 540 541 541 541 543
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte im Ober- und Unterschenkelbereich. . . . . 545 W. Schneider . O. Frerichs
15.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 15.1.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.3 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.4.1 Differenzialtherapie. . . . . . . . . . Rekonstruktive Möglichkeiten im Oberschenkelbereich. . . . . . . Rekonstruktive Möglichkeiten im Knie und Unterschenkelbereich. . . 15.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.1 Hauttransplantation. . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.2 Expander. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.3 Gestielte Lappenplastiken . . . . . . . . . . . . 15.2.3.1 Verschiebe-/Schwenklappen plastiken . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.3.2 Gestielte (Insel-) Lappenplastiken. Tensor-fasciae-latae-Lappen. . . . . “Anterior lateral thigh (ALT) flap“ . . Grazilislappen. . . . . . . . . . . . . . Biceps-femoris-Lappen. . . . . . . . Medialer Gastrocnemiuslappen. . . Soleuslappen . . . . . . . . . . . . . . Distal gestielter Suralislappen. . . . 15.2.4 Freie mikrochirurgische Lappenplastiken . . 15.2.4.1 M. latissimus dorsi. . . . . . . . . . . 15.2.4.2 A.-radialis-Lappen . . . . . . . . . . . 15.2.4.3 Skapula- und Paraskapulalappen. .
545 545 549 549 554 555 555 557 563 563 564 565 565 565 565 566 566 566 567 568 568 568 568 568 571
XVIII
Inhaltsverzeichnis
15.2.4.4 Lateraler Oberarmlappen. . . . . . . 15.2.4.5 Grazilislappen . . . . . . . . . . . . . . 15.2.4.6 M.-rectus-abdominis-Lappen. . . . 15.2.4.7 Perforatorlappen . . . . . . . . . . . . 15.2.4.8 Fibula. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
571 571 571 573 573 574
Amputationsverletzungen im Bereich der unteren Extremität. . . . . . . . . . . . . . 575 A. Berger . R. Hierner
16.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 16.1.1.1 Konzept der «Funktionskette untere Extremität» . . . . . . . . . . . 16.1.2 Makroamputationsverletzungen. . . . . . . . 16.1.2.1 Ätiologie. . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1.3.1 Begleitverletzungen. . . . . . . . . . 16.1.4 Klassifikation der Makroamputationen. . . . 16.1.5 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1.5.1 Leitlinien für die präklinische und Erstversorgung. . . . . . . . . . 16.1.5.2 Indikationsstellung. . . . . . . . . . . Replantationsfähigkeit . . . . . . . . Replantationseignung. . . . . . . . . Replantationsrisiko. . . . . . . . . . . Replantationswürdigkeit . . . . . . . Replantationswilligkeit. . . . . . . . 16.1.5.3 Operative Schritte der Makroreplantation . . . . . . . . . . . Wundreinigung, Desinfektion und Débridement. . . . . . . . . . . Segmentale Resektion. . . . . . . . . Osteosynthetische Versorgung . . . Versorgung der Muskel- und Sehnenverletzungen. . . . . . . . . . Mikrochirurgische Versorgung . . . Postoperative Ruhigstellung. . . . . 16.1.5.4 Nachbehandlung. . . . . . . . . . . . Postoperative Überwachung . . . . Postoperative Begleittherapie und Maßnahmen. . . . . . . . . . . . 16.1.5.5 Sekundäreingriffe. . . . . . . . . . . . Sekundäre Extremitäten verlängerung . . . . . . . . . . . . . . Weitere Sekundäreingriffe. . . . . . Sekundäre oder späte Reamputation. . . . . . . . . . . . . . 16.1.6 Ergebnisse nach Makroreplantation. . . . . . 16.1.7 Sozioökonomische Gesichtspunkte . . . . . . 16.1.8 Unmittelbar nach der Replantation. . . . . . 16.1.8.1 Primäre Stumpfversorgung mit frühzeitiger prothetischer Versorgung. . . . . . . . . . . . . . . .
576 576 576 577 577 578 578 579 579 579 581 581 583 583 584 586 586 587 590 590 590 590 591 591 591 592 592 592 596 596 596 597 599 600
16.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 16.2.1 Replantation im Oberschenkelbereich. . . . 16.2.2 Replantation im Kniebereich . . . . . . . . . . 16.2.3 Replantation im proximalen und mittleren Unterschenkeldrittel. . . . . . . . . . . . . . . . 16.2.4 Replantation im distalen Unterschenkeldrittel. . . . . . . . . . . . . . . . 16.2.5 Bilaterale Amputation. . . . . . . . . . . . . . . 16.2.6 Makroreplantation im Kindesalter . . . . . . . 16.3 Mikroreplantation. . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.1 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.2.1 Begleitverletzungen. . . . . . . . . . 16.3.3 Klassifikation der Mikroreplantationen . . . . 16.3.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.4.1 Leitlinien der Mikroreplantation . . 16.3.5 Indikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.6 Operative Schritte der Mikroreplantation . . 16.3.6.1 Wundreinigung, Desinfektion und Débridement. . . . . . . . . . . 16.3.6.2 Osteosynthese. . . . . . . . . . . . . . 16.3.6.3 Versorgung der Muskel- und Sehnenverletzungen. . . . . . . . . . 16.3.6.4 Mikrochirurgische Versorgung . . . 16.3.6.5 Postoperative Ruhigstellung. . . . . 16.3.7 Nachbehandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.7.1 Postoperative Überwachung . . . . 16.3.7.2 Postoperative Begleittherapie. . . . 16.3.8 Sekundäreingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.9 Ergebnisse der Mikroreplantation. . . . . . . 16.3.10 Sozioökonomische Gesichtspunkte . . . . . . 16.3.11 Spezielle Techniken bei Mikroreplantationen. . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.11.1 Replantation im Sprunggelenk bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.11.2 Replantation im Mittelfuß bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.11.3 Replantation im Zehenbereich. . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
600 600 600 600 602 602 605 606 606 606 606 606 607 607 607 607 608 608 608 608 608 608 608 608 609 609 609 609 609 609 611 612
Defektdeckung im Fußbereich. . . . . . . . . 617 J. Liebau . A. Berger
17.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 17.1.1.1 Haut im Fußbereich . . . . . . . . . . 17.1.1.2 Funktionellen Einheiten und Untereinheiten im Fußbereich. . . . 17.1.1.3 Vaskularisation . . . . . . . . . . . . . 17.1.1.4 Innervation. . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.3 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.4.1 Therapiemöglichkeiten . . . . . . . . Fasziokutane Lappen oder Muskellappen . . . . . . . . . . . . . .
617 617 617 620 622 623 623 624 624 624 625
Sensible oder nichtsensible Lappen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.4.2 Differenzialtherapie. . . . . . . . . . Sprunggelenk . . . . . . . . . . . . . . Ferse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fußrücken . . . . . . . . . . . . . . . . Fußsohle. . . . . . . . . . . . . . . . . Komplexe Fußdefekte. . . . . . . . . 17.1.4.3 Postoperative Behandlung. . . . . . 17.1.4.4 Sekundäreingriffe. . . . . . . . . . . . 17.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.1 Hauttransplantation. . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.2 Gestielte Lappenplastiken . . . . . . . . . . . . 17.2.2.1 Verschiebe-/Schwenklappen plastiken . . . . . . . . . . . . . . . . . Rotationslappenplastiken an der Fußsohle. . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.2.2 Gestielte (Insel-) Lappenplastiken. A.-dorsalis-pedis-Insellappen. . . . A.-plantaris-medialis-Lappen („instep flap“) . . . . . . . . . . . . . . Lateraler Supramalleolarlappen. . . Lateraler Kalkaneuslappen. . . . . . Distal gestielter A.-suralis-Lappen. M.-extensor-digitorum-brevis Lappenplastik . . . . . . . . . . . . . . 17.2.3 Freie mikrochirurgische Lappenplastiken . . 17.2.4 Fernlappenplastiken. . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.4.1 „Cross-leg flap“. . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
625 625 625 625 625 627 628 629 630 631 631 631 631 631 632 634 634 635 636 638 638 638 643 644 644
Ästhetische Eingriffe an der unteren Extremität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645 U.K. Kesselring
18.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 18.1.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.1.3 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.1.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.1.4.1 Indikationen zur Dermolipektomie. . . . . . . . . . . . 18.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 18.2.1 Dermolipektomie. . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.2.2 Sonstige Eingriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
645 645 645 646 646 646 647 647 650 653
Inhaltsverzeichnis
19
XIX
Lymphgefäßtransplantation an der unteren Extremität. . . . . . . . . . . . . . . . 655 R.G.H. Baumeister
19.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 19.1.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1.3 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1.3.1 Indikation. . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1.3.2 Therapeutische Möglichkeiten. . . 19.1.3.3 Nachbehandlung. . . . . . . . . . . . 19.2 Spezielle Technik. . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2.1 Transplantatentnahme . . . . . . . . . . . . . . 19.2.2 Transplantation bei einseitigen Lymph ödemendes gesamten Beins. . . . . . . . . . . 19.2.3 Transplantation bei peripherer lokalisierter Lymphbahnunterbrechung. . . . . . . . . . . 19.2.4 Transplantation bei Penis und Skrotalödemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
655 655 655 656 656 656 656 656 656 656 658 659 659
Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661
Autorenverzeichnis
Baumeister, R.G.H., Prof. Dr. Plastische- Hand-, Mikrochirurgie Klinikum Großhadern der Ludwig-Maximilians-Universität München Marchioninistr. 15 81377 München Berger, A., Univ.-Prof. Dr. Emeritierter Direktor der Klinik für Plastische-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie Schwerverbranntenzentrum der Medizinischen Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Str. 1 30625 Hannover Frerichs, O., PD Dr. med. Plastischer Chirurg Klinik für Plastische, Wiederherstellungsund Ästhetische Chirurgie-Handchirurgie Städtisches Klinikum Mitte Teutoburger Straße 50 D-33604 Bielefeld Gu, Y., Univ.-Prof. Dr. Department of Hand Surgery Hua Shan Hospital Affiliated Hospital of Fu Dan University Red Cross Society of China 12 Wulumuqi Zhong road 200040 Shanghai VR China Heimburg, D. von, Prof. Dr. Praxisklinik Kaiserplatz Kaiserstr. 14 60311 Frankfurt Hierner, R., Prof. Dr. Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie Zentrum für Interdisziplinäre Rekonstruktive Chirurgie, Mikrochirurgie, Handchirurgie, Verbrennung Universitätsklinikum Gasthuisberg Katholische Universität Löwen Herestraat 49 3000 Leuven Belgien
Hu, Sh., Ass. Prof. Dr. Department of Hand Surgery Hua Shan Hospital Affiliated Hospital of Fu Dan University Red Cross Society of China 12 Wulumuqi Zhong road 200040 Shanghai VR China Kesselring, U.K., Prof. Dr. Centre de Chirurgie Plastique Lausanne 4 av. Marc Dufour 1007 Lausanne Schweiz Kleinschmidt, L., Dr. Gemeinschaftspraxis für Plastische Chirurgie Dr. Lutz Kleinschmidt und Dr. Mark Funke Parkklinik Schloss Bensberg Im Schlosspark 1 51429 Bergisch Gladbach/Bensberg Liebau, J., Prof. Dr. Kaiserswerther Diakonie Florence-Nightingale-Krankenhaus Kreuzbergstraße 79 40489 Düsseldorf Millesi, H., Univ.-Prof. Dr. Em. Leiter der Abteilung für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie der Universität Wien Ärztlicher Direktor der „Wiener Privatklinik“ Pelikangasse 9–15 1090 Wien Österreich Pallua, N., Univ.-Prof. Dr. Dr. med. Prof. h.c. (RC) Klinik für Plastische Chirurgie Hand- und Verbrennungschirurgie der Medizinischen Fakultät der Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen Pauwelsstr. 30 52057 Aachen
XXII
Autorenverzeichnis
Piza-Katzer, H., Univ.-Prof. Dr. Universitätsklinik für Plastische- und Wiederherstellungschirurgie und Ludwig-Boltzmann-Institut für Qualitätssicherung in der Plastischen- und Wiederherstellungschirurgie Medizinische Universität Innsbruck Anichstr. 35 6020 Innsbruck Österreich Schneider, W., Univ.-Prof. Dr. Klinik für Plastische-, Wiederherstellungsund Handchirurgie Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Leipziger Straße 44 39120 Magdeburg Steen, M., PD Dr. Direktor der Klinik für Plastische- und Handchirurgie Brandverletztenzentrum Berufsgenossenschaftliche Kliniken Bergmannstrost Merseburger Str. 165 06112 Halle (Saale)
Strassmair, M., Dr. Zentrum für Handchirurgie am Klinikum Starnberg, Akademisches Lehrkrankenhaus der Ludwig-Maximilians-Universität München Oßwaldstraße 1 82319 Starnberg Wilhelm, K., Prof. Dr. Emeritus Handchirurgie der Ludwig-Maximilians Universität München König-Heinrich-Strasse 11 81925 München Wintsch, K., Prof. Dr. Bahnhofstr. 88, 5000 Aarau Schweiz
M. Strassmair . K. Wilhelm . R. Hierner
Inhalt 1.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . . . 2 1.1.1.1 Klinische Embryologie. . . . . . . . . . 2 1.1.1.2 Funktionelle, ästhetische und soziale Bedeutung der Hand. . . . . . . . . . . 6 1.1.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.1.2.1 Multidisziplinäres Diagnostikund Behandlungsteam. . . . . . . . . 10 1.1.2.2 Standardisiertes Diagnostik und Dokumentationsschema „angeboreneHandfehlbildungen“ . . 10 1.1.3 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1.1.3.1 Gruppe I: Fehlende Ausbildung von Extremitätenteilen (Aplasie). . . 10 1.1.3.2 Gruppe II: Fehlende Differenzierung (Separation) von Extremitäten teilen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.1.3.3 Gruppe III: Duplikationen. . . . . . . . 14 1.1.3.4 Gruppe IV: Gigantismus. . . . . . . . . 16 1.1.3.5 Gruppe V: Minderwachstum (Hyopoplasie). . . . . . . . . . . . . . . 16 1.1.3.6 Gruppe VI: Schnürringsyndrome. . . 16 1.1.3.7 Gruppe VII: Generalisierte (muskulo-)skelettale Anomalien . . . 17 1.1.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.1.4.1 Zeitpunkt der Therapie. . . . . . . . . 19 1.1.4.2 Besonderheiten der Therapie von angeborenen Handfehlbildungen des Kleinkindes im Vergleich zu sekundären Defektzuständen des Erwachsenen. . . . . . . . . . . . . 19 1.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.2.1 Dekompression des Pollex flexus congenitus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.2.2 Syndaktylie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.2.2.1 Einfache partielle, monofokale, interdigitale Syndaktylie . . . . . . . . 23 1.2.2.2 Einfache komplette, monofokale, Interdigitalfaltensyndaktylie. . . . . . 24 1.2.2.3 Einfache komplette polyfokale interdigitale Syndaktylie . . . . . . . . 28
KAPITEL 1
Angeborene Fehlbildungen der Hand
1.2.2.4 Komplexe Syndaktylie. . . . . . . . . . 28 1.2.2.5 Einfache inkomplette Syndaktylie der 1. Kommissur. . . . . . . . . . . . . 28 1.2.2.6 Polysyndaktylie . . . . . . . . . . . . . . 29 1.2.3 Polydaktylie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1.2.3.1 Vorgehen bei unterschiedlich großen Daumen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1.2.3.2 Vorgehen bei gleich großen Daumen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1.2.4 Klinodaktylie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1.2.4.1 Osteotomie. . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1.2.4.2 Resektion des Knochenkerns . . . . . 35 1.2.5 Komplette Zeigefingerpollizisation. . . . . . . 35 1.2.5.1 Hautschnitt. . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1.2.5.2 Entfernung des Daumenrestes und Auslösung des Zeigefingers . . . . . . 36 1.2.5.3 Transposition des Fingers an seinem neurovaskulären Stiel. . . . . . . . . . 36 1.2.5.4 Neuordnung des Skeletts. . . . . . . . 41 1.2.5.5 Muskuläre Stabilisierung . . . . . . . . 41 1.2.5.6 Postoperative Ruhigstellung und Nachbehandlung. . . . . . . . . . 42 1.2.6 Makrodaktylie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1.2.7 Schnürringsyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1.2.7.1 Einfache Schnürringe. . . . . . . . . . 45 1.2.7.2 Schnürringe mit distaler Beteiligung. . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1.2.7.3 Behandlung bei kongenitalen Amputationen. . . . . . . . . . . . . . . 47 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
2
Angeborene Fehlbildungen der Hand
1.1 Allgemeines Eine angeborene Missbildung ist eine zum Zeitpunkt der Geburt vorhandene Anomalie. Entwicklungsstörungen können in der makroskopischen oder mikroskopischen Dimension, an der Oberfläche oder im Inneren des Körpers auftreten. Bei 2,7% der Neugeborenen werden Missbildungen beobachtet. Da im Laufe der Zeit auch noch bei der Geburt nicht offensichtliche Anomalien entdeckt werden, verdoppelt sich der Prozentsatz auf annähernd 6% bis zum Zeitpunkt des 1. Lebensjahres. Kongenitale Missbildungen an den Extremitäten treten in 2 von 1000 Fällen auf. Kongenitale Missbildungen können einzeln oder gehäuft auftreten und von mehr oder weniger großer klinischer Relevanz sein. Einzelne leichte Anomalien (z. B. Vierfingerfurche der Hand) sind bei etwa 14% der Neugeborenen zu finden. Diese Missbildungen haben keine funktionelle Bedeutung können jedoch auf weitere schwere Anomalien hinweisen. 90% der Neugeborenen mit mehreren leichten Missbildungen haben eine oder mehrere damit zusammenhängende schwere Anomalien. Von den Neugeborenen, die mit kongenitalen Missbildungen geboren werden, haben 0,7% schwere multiple Missbildungen. Schwere Missbildungen sind in der frühen Embryonalperiode häufiger (10–15%) als bei Neugeborenen zu finden. Die meist schweren Anomalien führen während der ersten 6–8 Wochen zu Spontanaborten.
1.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie Kongenitale Missbildungen können eine bekannte oder unbekannte Ursache haben. Die Ursache der meisten kongenitalen Missbildungen ist derzeit noch unbekannt. Bei den bekannten Ursachen unterscheidet man: 1. genetische Faktoren (numerische oder strukturelle Chromosomenanomalien, Genmutationen), 2. Umwelteinflüsse (Krankheiterreger, teratogene Substanzen) und 3. eine multifaktorielle Entstehung von Missbildungen. Ad 1. Annähernd 85% der Missbildungen mit bekannter Ursache sind genetisch bedingt. Prinzipiell lassen sich numerische und strukturelle Abberationen unterscheiden. Diese können Gonosome und/oder Heterosome betreffen. Chromosomenanomalien führen häufig zur Ausbildung eines charakteristischen Phänotyps. Genetische Faktoren wirken ätiologisch entweder auf biochemischem Weg oder durch Mechanismen auf der subzellulären oder geweblichen Ebene. Ad 2 Etwa 7% aller kongenitalen Missbildungen sind durch Umwelteinflüsse hervorgerufen. Die Organe sind
KAPITEL 1
während der Periode rascher Differenzierungsvorgänge (sensible oder kritische Entwicklungsperioden) sehr empfindlich gegenüber schädigenden Einflüssen. Da die biochemische Differenzierung der morphologischen vorausgeht, liegt die sensible Entwicklungsperiode häufig vor der eigentlichen, morphologisch erkennbaren Organdifferenzierung (vgl. Abb. 1.4). Während der ersten beiden Wochen nach der Befruchtung können Umweltfaktoren die Implantation der Blastozyste beeinflussen oder einen Abort herbeiführen. Es ist nicht bekannt, ob sie zu diesem Zeitpunkt auch Missbildungen verursachen. Am meisten gefährdet ist der Embryo in der organogenetischen Periode, insbesondere zwischen dem 15. und dem 60. Tag. Während dieser Zeit können teratogene Substanzen letal wirken, häufiger jedoch rufen sie schwere Missbildungen oder Funktionsstörungen hervor.
Physiologische Defekte, kleinere Strukturanomalien und funktionelle Veränderungen, insbesondere des zentralen Nervensystems (ZNS), entstehen im Allgemeinen durch exogene Einflüsse in der Fetalperiode. Jedes Organ hat eine so genannte „kritische oder sensible Periode“, in der seine Entwicklung gestört werden kann. Die kritische Entwicklungsperiode des Skelettsystems ist relativ lang. Sie zieht sich bis in die Adoleszenz und das frühe Erwachsenenalter hinein, d. h. bis zum Abschluss des allgemeinen Körperwachstums. Nach Patten u. Laurence (1985) gibt es 6 Mechanismen, die kongenitale Missbildungen verursachen können: a) zu langsames Wachstum, b) zu wenig Resorption, c) zu viel Resorption, d) Resorption an der falschen Stelle, e) normales Wachstum an atypischer Stelle und f) lokale Hyperplasien von einzelnen Geweben oder Strukturelementen. Ad 3 Meist treten Missbildungen jedoch familiär gehäuft auf, wie man es auch nach einer multifaktoriellen Analyse des Erbgangs erwarten würde, wobei eine Kombination von genetischen und Umweltfaktoren eine Rolle spielt.
1.1.1.1 Klinische Embryologie Gegen Ende der 4. Embryonalperiode treten an der ventrolateralen Körperwand knospenartige Ausstülpungen auf, die Anlagen der Extremitäten. Die Anlage der oberen Extremität wird am 26. oder 27. Tag sichtbar. Die intrauterine Entwicklung der oberen Extremität kann embryologisch in 5 Phasen eingeteilt werden:
KAPITEL 1
Angeborene Fehlbildungen der Hand
3
kranial dorsal proximal
ventral
distal kaudal
Knorpelblastem
2 Randleiste
ChE-Aktivität Ektoderm
1
Progressionszone
3
Muskelfaser
Knorpel
4 1 physiologische Nekrose 5 2
4 3
5 Abb. 1.1. Stadien der Entwicklung der oberen Extremitätenknospe. (Nach Drews)
4
Angeborene Fehlbildungen der Hand
KAPITEL 1 Abb. 1.2. Knochenkerne des Armskeletts und Zeitpunkt ihres Auftretens
Processus coracoideus Apophysis curvaturae, Apophysis corporis, 1. J. 15.–16. J. Apophysis apicis, 15.–16 J.
Clavicula
Corpus, 8. W
Extremitas sternalis, 18.–20. J.
Acromion, 15.–18. J. Os subcoracoideum, 10.–12. J. Facies articularis, 18. J. Caput humeri, 12.–15. M.
Scapula Corpus, 8. W
Tuberculum maius, 2.–3. J.
Margo vertebralis, 18.–19. J.
Tuberculum minus, 2.–3. J.
Angulus caudalis, 15.–18. J.
Corpus humeri, 7.–8. W
Epicondylus radialis, 8.–13. J. Capitulum humeri, 1. J.
Epicondylus ulnaris, 5. J. Trochlea, 12. J. Olecranon, 8.–12. J.
Capitulum radii, 5.–7. J. (Tuberositas radii, 10.–12. J.) Corpus ulnae, 7. W. Corpus radii, 7. W.
Capitulum ulnae, 5.–7. J. Epiphysis distalis radii, 8.–16 M. (Proc. styloideus, 10.–12. J.) Os scaphoideum, 44.–75. M. Os trapezium, 45.–90. M. Os trapezoideum, 45.–90. M. Basis ossi metacarpi pollicis, 17.–39. W. Os metacarpi pollicis, 9. W.
(Proc. styloideus, 7.–8. J.) Os lunatum, 25.–65. M. Os triquetrum, 5.–38. M. Os pisiforme, 8.–12. J. Os hamatum, 0.–7. M. Os capitatum, 1.–6. M. Os metacarpi pollicis, II–V, 9. W. Caput ossis metacarpi pollicis, II–V, 9. W. Epiphysis proximalis, 2.–3. J. Diaphysis phalangis proximalis, 9. W. Epiphysis proximalis, 2.–3. J. Diaphysis phalangis mediae, 11.–12. W. Epiphysis proximalis, 2.–3. J. Diaphysis phalangis distalis, 7.–8. W.
KAPITEL 1 Abb. 1.3. Wachstumsfugen des Arm skeletts und Zeitpunkt ihres Verschmeltzens
Angeborene Fehlbildungen der Hand
5
Proc. coracoideus, 18.–21. J. Acromion, 18.–19. J. Epiphysis sternalis, 21.–24. J.
Synostosis epiphysis primariae et apophysium tuberculorum, 5. J.
Os subcoracoideum, 18. J.
Margo vertebralis, 20.–21. J.
Synostosis epiphysis secundariae, 20.–25. J.
Cavits glenoidalis, 19. J.
Angulus caudalis, 20.–21. J.
Synostosis epiphysis secundariae, 14.–16. J. Synostosis epiphysis primariae et apophysium epicondylorum, 13.–16. J.
Epicondylus ulnaris, 14.–18. J.
Olecranon, 13.–17. J. Capitulum radii, 14.–18. J. Tuberositas radii, 14.–18. J. (Sonderfall)
Epiphysis distalis, 21.–25 J. Proc. styloideus, (Sonderfall)
Capitulum ulnae, 20.–24. J. Proc. styloideus (Sonderfall)
Os metacarpi pollicis, Epiphysis proximalis, 15. –20. J. Epiphysenfigen (Sonderfälle)
Epiphysis distalis metacarpi II–V, 15.–20. J
Epiphyses proximales phalangium I–V, 20.–24. J.
6
Angeborene Fehlbildungen der Hand
KAPITEL 1
Fetalperiode in Wochen
Embryonalperiode in Wochen 2
1
Periode der sich teilenden Zygote, Implantation und zweischichtige Keimscheibe
3
4
5
6
7
8
9
Geburtstermin 16
20–36
gibt die häufigsten Lokalisationen der Teratogenwirkungen an. ZNS Herz
Auge
Herz
Auge
Gaumen
Ohr
38
Gehirn
Ohr
Arm
Beine
Zähne
äußeres Genitale Zentralnervensystem Herz Arm Auge Beine Zähne Gaumen
gewöhnlich keine Anfälligkeit gegen Teratogene mehr Abort
äußeres Genitale Ohr schwere morphologische Anomalien
funktionelle Defekte und kleinere morphologische Anomalien
Abb. 1.4. Schematische Darstellung der kritischen Perioden in der menschlichen Entwicklung. (Mod. nach Moore)
Abbildung fehlt
1. Induktion der Knospe, 2. Festlegung der Achsen, 3. Progressionszone, 4. Differenzierung und 5. Abgrenzung der Fingerstrahlen (Abb. 1.1). Postpartal setzt sich die Reifung bzw. das Wachstum der verschiedenen Gewebe fort. Die zeitliche Reihenfolge des Auftretens von Knochenkernen (Abb. 1.2) und der Schluss der Epiphysenfugen (Abb. 1.3) im Bereich der oberen Extremität sind postpartal breit gestreut und lassen eine Bestimmung des Skelettalters zu. Die kritische Periode für die Entwicklung der oberen Extremität reicht vom 24. bis 42. Tag.
Daher müssen Teratogene, die die Extremitätenentwicklung beeinflussen, zu dieser Zeit in die Entwicklung eingegriffen haben (Abb. 1.4).
1.1.1.2 Funktionelle, ästhetische und soziale Bedeutung der Hand Bei jedem primären oder sekundären rekonstruktiven Eingriff an der Hand müssen stets sämtliche funktionellen, ästhetischen und sozialen Aspekte gemeinsam betrachtet werden. Nur so lässt sich ein für den betroffenen Patienten optimales Ergebnis erzielen.
Funktionelle Bedeutung der Hand Funktionell gesehen hat die Hand 2 Hauptaufgaben, und zwar ihre Nutzung als Werkzeug für unsere Auseinandersetzung mit der direkten Umwelt (z. B. Greifen usw.) sowie ihre Verwendung als Wahrnehmungsorgan für zu ertastende Informationen (taktile Gnosis). Mechanisches Werkzeug. Bei der Nutzung der Hand als mechanisches Werkzeug können in Anlehnung an Napier (1956) und Landsmeer (1962) 2 Formen unterschieden werden, nämlich „greifende Aktionen“ und „nichtgreifende Aktionen“.
KAPITEL 1
Zu den „nichtgreifenden“ Aktionen zählen beispielsweise das Schieben oder Heben von Gegenständen. “Greifende Aktionen“ können weiter unterteilt werden in elementare, transiente und Präzisionsgreifformen. Die einfachste Ausprägung der „elementaren Greifformen“ stellt der Hakengriff dar, der ggf. schon mit einem einzigen gebeugten Langfinger ausführbar ist (Abb. 1.5 a). Der Daumen ist für diese Funktion nicht notwendig. Da ein Greifpartner fehlt, können Gegenstände weder in der Hand gehalten noch bewegt werden. Der laterale Spitzgriff ist eine weitere elementare Greifform. Durch das Zusammenspiel von 2 Langfingern bzw. dem Daumen und einem Langfinger können im Unterschied zum Hakengriff Gegenstände in der Hand gehalten und sogar bewegt werden. Ist im Langfingerbereich nur eine Adduktion möglich, so spricht man vom so genannten Zigarettengriff (Abb. 1.5 b). Der Schlüsselgriff (Abb. 1.5 c) wiederum setzt die Fähigkeit zur Adduktion des Daumens an den Zeigefinger voraus. All diese elementaren Greifformen werden bei angeborenen Fehlbildungen der Hand, posttraumatischen Funktionseinschränkungen und Läsionen des Plexus brachialis vermehrt gesehen. Durch die Opposition des Daumens gegenüber der Hohlhand und/oder den Langfingern verbessert sich die Kraftentwicklung, außerdem kommt es zu einer deutlichen Erweiterung der Bewegungsmöglichkeiten. Die einfachste elementare Greifform mit Oppositionsbewegung des Daumens stellt der Grob- oder Kraftgriff dar, bei dem der zu fassende Gegenstand mit allen Fingern fest umschlossen und in die Hohlhand gepresst wird (Abb. 1.5 e). Neben der Oppositionsfähigkeit des Daumens ist für diese Greifform auch ein Mindestmaß an Sensibilität oder eine ständige visuelle Kontrolle notwendig. Durch die Vergrößerung der Bewegungsmöglichkeiten können für die taktile Gnosis speziell ausgebildete palmare Fingerkuppenanteile in eine optimierte Stellung zueinander gebracht werden. Dies ist Voraussetzung für die höheren Greifformen. Der Feingriff (sphärischer oder Zylindergriff; Abb. 1.5 f) stellt eine Übergangsform zwischen Groboder Kraftgriff und Präzisionsgreifformen dar. In Abhängigkeit von der Größe und Form des gefassten Gegenstandes bzw. der Größe und Lokalisation der Kontaktfläche im Handbereich zeigt der sphärische oder Zylindergriff entweder vornehmlich Merkmale des Großgriffes oder der Präzisionsgreifformen. Je kleiner das Objekt, desto weiter distal wird es sowohl mit dem Daumen als auch mit den Langfingern gefasst. Je weiter distal der Gegenstand gehalten wird und je mehr dazu die radialen Langfinger (Zeige- und Mittelfinger) benutzt werden, desto präziser lässt er sich manipulieren. Bei den Präzisionsgreifformen wird das Objekt mit nur sehr geringer Kraftanstrengung zwischen den Fingerkuppen gehalten. Hauptziel ist es dabei, den Gegen-
Angeborene Fehlbildungen der Hand
stand mit größtmöglicher Genauigkeit bewegen zu können. Je besser daher die Sensibilität im Fingerkuppenbereich ist, desto feiner und exakter können Bewegungen durchgeführt bzw. gesteuert werden. Unter den Präzisionsgreifformen können 2 Hauptarten unterschieden werden: • der palmare Spitzgriff (Abb. 1.5 d) und • der Fingerkuppenspitzgriff (Abb. 1.5 g). Beim palmaren Spitzgriff werden die distalen palmaren Pulpaanteile des Daumens den palmaren Pulpaanteilen des Zeigefingers (Zwei-Finger-Spitzgriff) und ggf. des Mittelfingers (Drei-Finger-Spitzgriff) gegenübergestellt. In der Seitenansicht bilden Daumen und Zeigefinger dabei eine Hufeisenform. Der palmare Spitzgriff ist der meist angewandte Feingriff der gesunden Hand.
Beim Fingerkuppenspitzgriff werden nach Beugung der Interphalangeal- (IP-)Gelenks des Daumens und der distalen Interphalangeal- (DIP-)Gelenke der Finger die Fingerkuppen einander gegenübergestellt. In der Seitenansicht bilden Daumen und Zeigefinger damit einen Kreis. Diese Greifform verbindet maximale Präzision mit geringster Bewegungsamplitude. Der Fingerkuppenspitzgriff wird z. B. zum Aufheben sehr feiner Objekte, wie einer Nadel, benutzt. Ist das Objekt sicher zwischen beiden Fingern gefasst, wird der Fingerkuppenspitzgriff zur weiteren Manipulation meist in den palmaren Spitzgriff übergeführt. Taktile Gnosis. Durch Betasten oder Begreifen von Gegenständen können wichtige nichtvisuelle Informationen über die Umwelt erfasst werden, was besonders bei blinden Menschen deutlich wird. Die ulnare Seite der Fingerkuppe von Zeige- und Mittelfinger und die radiale Seite des Ring- und Kleinfingers sind für die taktile Wahrnehmung von untergeordneter Bedeutung. Die jeweils kontralaterale Seite der Fingerkuppe wird dagegen wegen ihrer gnostischen Bedeutung als dominant bezeichnet. Die Sensibilität im Bereich der ulnaren Daumenkuppe und der radialen Zeigefingerkuppe ist für den Spitz- und Schlüsselgriff unerlässlich. Nach ihrer funktionellen Wertigkeit lassen sich die Fingerkuppenareale hierarchisch einteilen in: • • • • •
die ulnare Hemipulpa D I, die radiale Hemipulpa D II, die radiale Hemipulpa D III, die ulnare Hemipulpa D V und die radiale Hemipulpa D IV.
Qualität und Quantität dieser nichtvisuellen Informationen sind abhängig von der Möglichkeit der Aufnahme
7
8
Angeborene Fehlbildungen der Hand
KAPITEL 1
a
b
d
c
g
e
f Abb. 1.5 a–g. Greifformen der Hand. a Hakengriff. b Zigarettengriff. c Schlüsselgriff. d Palmarer Spitzgriff. e Grob- oder Kraftgriff. f Feingriff (sphärischer oder Zylindergriff ). g Fingerkuppen-Spitzgriff
KAPITEL 1
Angeborene Fehlbildungen der Hand
Hand fällt weniger auf, wenn die Proportionen der einzelnen Elemente übereinstimmen. Bei normalem Bewegungsmuster und Einsatz der Hand fällt auch der Verlust eines kompletten Strahls auf dem ersten Blick nicht auf, was Grundlage einer großzügigeren Indi kationsstellung zur plastischen Handverschmälerung ist. Ist die Handfunktion gestört, wird jede Veränderung in diesem Bereich wegen der unphysiologischen Be wegungsabläufe schon bei oberflächlicher Betrachtung auffällig. Sobald die Hand aber die Aufmerksamkeit auf sich zieht, wird im Rahmen genauerer Betrachtung eine Hypoplasie oder ein fehlender Fingerstrahl sofort bemerkt.
Soziale Bedeutung der Hand
Abb. 1.6. Dominante und nichtdominante Flächen der Daumen und Finger
von Informationen mit der Hand, insbesondere im Bereich der Fingerkuppen, ihrer Weiterleitung durch das periphere Nervensystem und ihrer Verarbeitung im ZNS (Abb. 1.6). Selbstverständlich sind darüber hinaus alle übrigen Anteile des sensomotorischen Systems in kleinerem und größerem Umfang mitbeteiligt. Umfang und Art der möglichen Bewegungen und Stellungen der Hand sind die maßgeblichen Vorbedingungen, um die für die taktile Gnosis speziell ausge bildeten palmaren Pulpaanteile in optimale Stellung zueinander bringen zu können, insbesondere als Vor aussetzung für die Präzisionsgreifformen. Ein nicht sensibler Handanteil kann nur unter visueller Kontrolle für elementare Greifformen eingesetzt werden. Im schlechtesten Fall wird er vom Betroffenen überhaupt nicht benutzt, was die Funktion des intakten Handanteils zusätzlich negativ beeinflusst.
Ästhetische Bedeutung der Hand Für ein harmonisches Erscheinungsbild der Hand stellen ihre Größe, die Proportionen der einzelnen Elemente zueinander und ein normales Bewegungsmuster die wichtigsten Merkmale dar. Eine insgesamt hypoplastische
In vielen Kulturen spiegelt die Hand die soziale Stellung wider. Besonders die Rückseite der Hand ist im Alltag ständig Blicken des Umfeldes ausgesetzt. In den meisten Kulturen werden Handrücken und die dorsale Seite der Finger als soziale Seite der Hand betrachtet. Neben dem Halsbereich bietet die Hand eine ausgezeichnete Ausstellungsfläche zur Demonstration von Wohlstand. Lange Fingernägel oder Bemalung haben zweifellos eine gewisse Signalwirkung. Ringe und Schmuck werden so getragen, dass die wertvollen Anteile auf der Rückseite der Hand zu liegen kommen. Neben dem Gesicht „verrät“ die Hand das Alter, eine Tatsache die bei der Verjüngungstherapie eine immer größere Rolle spielt. Die Hand kann aber auch für eine Kennzeichnung benutzt werden. So wurden und werden noch immer Menschen in arabischen und asiatischen Ländern durch Amputation von Fingern oder der ganzen Hand als Verbrecher „gebrandmarkt“. Schließlich spielt die Bewegung der Hand eine wichtige Rolle als eine über die Möglichkeiten der Sprache hinausgehende Ausdrucksform des Menschen. Obwohl verschiedene Individuen und Kulturen diese Art der Kommunikation unterschiedlich nutzen, gibt es typische Bewegungen, die in verschiedenen Kulturen die gleiche Bedeutung haben (z. B. gestreckter Zeigefinger, geballte Faust usw.). Die Erhaltung der Fähigkeit zu ungestörter nonverbaler Kommunikation sollte im Hinblick auf die Gesamtpersönlichkeit des betroffenen Patienten ein nicht zu unterschätzendes Kriterium bei der Auswahl bestimmter Verfahren sein.
1.1.2 Diagnostik Die angeborene Fehlbildung im Handbereich muss primär als ein Teil eines Syndroms bzw. einer Sequenz angesehen werden. Für Diagnostik und Therapie der angebo-
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10
Angeborene Fehlbildungen der Hand
renen Handfehlbildungen haben sich deshalb folgende Prinzipien bewährt: • eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit, • eine „gemeinsame Sprache“ und • die Anwendung eines so genannten „integrativen Therapiekonzepts“.
1.1.2.1 Multidisziplinäres Diagnostikund Behandlungsteam Mitglieder des Therapieteams sind neben dem Patienten und dessen Familie/Angehörige: Pflegepersonal, medizinisch-technisches Personal (Physiotherapie, Orthopädiemeister usw.) ärztliches Personal (Pädiater, Neurologe, Urologe, Handchirurg, Orthopäde, Neurochirurg) und die Sozialdienste sowie die Krankenkassen. Je besser die einzelnen Mitglieder des Therapieteams zusammenarbeiten, desto besser ist das Ergebnis.
1.1.2.2 Standardisiertes Diagnostikund Dokumentationsschema „angeborene Handfehlbildungen“ Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit der Mitglieder des Therapieteams benötigt man eine „gemeinsame Sprache“. Für die Diagnostik und Dokumentation verwenden wir deshalb ein „Standardisiertes Diagnostik- und Dokumentationsschema Angeborene Handfehlbildung“. Zur Diagnostik gehören: • Erhebung/Aktualisierung der Kenndaten, • pädiatrische Untersuchung (angeborene Handfehlbildung als Teil eines Syndroms), • genetische Beratung und • die handchirurgische Untersuchung als Teil der spezifischen Untersuchung einzelner Organsysteme. Ziel dieses Schemas ist, die Befunde, die für die Therapie wichtig sind, standardisiert zu erfassen und zu dokumentieren (Tabelle 1.1).
Tabelle 1.1. Standardisiertes Diagnostik- und Dokumenta tionsschema „angeborene Handfehlbildungen“ 1. Erhebung/Aktualisierung der Kenndaten 2. Pädiatrische Untersuchung (angeborene Hand fehlbildung als Teil eines Syndroms) 3. Genetische Beratung 4. Spezifische Untersuchung einzelner Organsysteme 5. Handchirurgische Untersuchung
KAPITEL 1
1.1.3 Klassifikation Eine einheitliche Klassifikation der kongenitalen Fehlbildungen der Hand existiert nicht. Die Variationsbreite der individuellen Veränderungen ist hier wohl zu hoch. Swanson et al. (1983) versuchten auf der Basis vergleichender Kollektive, kombiniert mit embryologischen Erkenntnissen, eine grobe Unterteilung zu entwickeln. Nach einigen Modifikationen wurde diese als offizielle Klassifikation von der „International Federation of Societies for Surgery of the Hand“ (IFSSH) übernommen (Tabelle 1.2). Die Basis dieser Einteilung ist das Zusammenfassen einzelner Kollektive unter dem Gesichtspunkt anatomisch erkennbarer Veränderungen. Die Dokumentation erfolgt nach folgendem Muster: I. Hauptkategorie, A. Subkategorie, 1. Höhe der Anomalie, a. Diagnose (Nomenklatur), (1) Subklassifikation. Obwohl große Anstrengungen zur Harmonisierung dieser Klassifikation unternommen werden, gibt es weitere angeborene Fehlbildungen, die nicht eindeutig zu einer Gruppe zugeordnet werden können.
1.1.3.1 Gruppe I: Fehlende Ausbildung von Extremitätenteilen (Aplasie) Bei dieser Gruppe können schematisch transversale und longitudinale Formen unterschieden werden (Abb. 1.7 a–d). Der transversale Stumpf repräsentiert den Abbruch der Anlage einer Extremität (Abb. 1.7 a). Bei dem Neugeborenen findet sich in der Regel ein wenig aufgetriebener und gut gepolsterter Stumpf. Bei den distal gelegenen Veränderungen sind rudimentäre Finger üblich. Moderate proximale Atrophien und Hypoplasien werden oftmals gesehen. Die proximalen Anteile sind bei fast physiologischem Aspekt im Gegensatz zu den Schnürringen nicht annähernd normal differenziert. Eine Hypoplasie der mehr proximal gelegenen Muskelgruppen ist typisch für eine transversale Aplasie und hilft bei der Differenzierung gegenüber den kongenitalen Schnürringen. Diese müssen stets als Differenzialdiagnose in Betracht gezogen werden. Nach Flatt (1994) repräsentieren die transversalen Fehlbildungen 7,1% aller berichteten Anlageanomalien. Alle Fehlbildungen die nicht zur Klasse der transversalen Fehlbildungen gezählt werden können, werden unter der Gruppe der longitudinalen Fehlbildungen zusammengefasst (Abb. 1.7 b–d). Defekte dieser Gruppe spiegeln Stö-
KAPITEL 1
Angeborene Fehlbildungen der Hand
Tabelle 1.2. Klassifikation der angeborenen Fehlbildungen im Bereich der oberen Extremität der „International Federation of Societies for Surgery of the Hand „(IFSSH) I. Fehlende Bildung von Teilen A Transversale Defekte 1. Amputationsdefekte: Arm, Unterarm, Handgelenk, Hand, Finger B Longitudinale Defekte 1. Komplett: proximal (Phokomelie), distal 2. Kombiniert: radialer Defekt (radiale Klumphand) 3. Kombiniert: zentraler Defekt (Spalthand) 4. Kombiniert: ulnarer Defekt (ulnare Klumphand) 5. Hypoplasie distal: Finger II. Fehlende Differenzierung von Teilen A Synostosen: Ellbogen, Unterarm, Karpus, Metakarpus, Phalangen B Luxation des Radiuskopfes C Synphalangie D Syndaktylie. häutige Komplexe; als Teil eines Syndrom E Kontraktur: 1. Weichteile: Arthrogryposis, Pterygium, schnellender Finger, fehlende Strecksehnen, Daumenhypoplasie, Kamptodaktylie, Windmühlenflügeldeformität 2. Knochen: Klinodaktylie, Kirner-Deformität, Deltaknochen III. Doppelbildungen A Daumenpolydaktylie (präaxial) B Dreigliedriger Daumen, Hyperphalangie C Polydaktylie der Finger: zentrale (Polysyndaktylie), ulnare Polydaktylie (postaxial) IV. Überentwicklung (Gigantismus) des ganzen oder von Teilen des Arms Makrodaktylie V. Unterentwicklung (Hypoplasie) VI. Schnürfurchenkomplex VII. Generalisierte Skelettdeformitäten Madelung-Deformität
rungen in der Separation des präaxialen Anteils (Radius) sowie des postaxialen Anteils (Ulna) der Extremität wider. Die longitudinalen Fehlbildungen betreffen den kompletten Unterarm (Phokomelie) oder lediglich Veränderungen des radialen, ulnaren oder zentralen Segments. Anteile die bei der Bezeichnung nicht benannt werden,
gelten als vollständig ausgebildet. Aufgrund der großen funktionellen Beeinträchtigung und der Bedeutung bei der radialen Klumphand, soll die Klassifikation der Daumenhypoplasie nach Blauth (Abb. 1.8) hier angeführt werden. Nach Flatt (1994) repräsentieren die longitudinalen Fehlbildungen 9,3% aller berichteten Anlageanomalien.
11
12
Angeborene Fehlbildungen der Hand
KAPITEL 1
a
b
d
c
Abb. 1.7 a–d. Schematische Darstellung der fehlenden Ausbildung von Extremitätenteilen (Aplasie). a Transversale Aplasie (Schema und Röntgenbild). b–d Longitudinale Aplasie. b Radiale longitudinale Aplasie (Schema und Röntgenbild einer radialen Klumphand). c Zentrale longitudinale Aplasie (Schema und Röntgenbild einer Spalthand). d Ulnare longitudinale Aplasie (Schema)
KAPITEL 1
geringe Hypoplasie intrinsische Thenarmuskulatur normal
Angeborene Fehlbildungen der Hand
Adduktionshaltung intrinsische Thenarmuskulatur atrophisch
deutliche Hypoplasie fehlende intrinsische Thenarmuskulatur
Verschmälerung Phalangen und Metakarpale I
ulnarer Seitenbandkomplex instabil
normaler STTKomplex
fehlendes Scaphoid
CMCInstabilität
normaler distaler Radius
Typ 1
deutliche Hypoplasie fehlende intrinsische Thenarmuskulatur
CMCInstabilität
Typ 2
fehlende radiale Karpalknochen
abnormer Verlauf der A. radialis
fehlender Proc. styloideus radii Typ 3B
Typ 3A
„Pouce flottant”, flottierender Daumen Daumenaplasie fehlende intrinsische Thenarmuskulatur fehlende Daumenknochen und extrinsische Muskulatur vollständig ausgebildetes fehlender Gefäß/NervenM. abductor bündel indicis in 50% fehlendes proximales Daumenskelett
variables Fehlen von Trapezium und Scaphoid
fehlender Proc. styloideus radii
variables Fehlen von Trapezium und Scaphoid fehlender Proc. styloideus radii
fehlender Proc. styloideus radii
Typ 4
Abb. 1.8. Klassifikation der Daumenhypoplasie. (Nach Blauth, mod. nach Manske)
Hypoplasie distaler Radius
Typ 5
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14
Angeborene Fehlbildungen der Hand
1.1.3.2 Gruppe II: Fehlende Differenzierung (Separation) von Extremitätenteilen Das Fehlen der Differenzierung von Teilen der Akren ist unter der Kategorie der Fehlbildungen, in der die basalen Untereinheiten entwickelt, jedoch letztendlich nicht komplett ausdifferenziert wurden, zusammengefasst (Abb. 1.9 a,b).
KAPITEL 1
sifizieren (Tabelle 1.3). Zusätzlich besteht die Möglichkeit einer Unterteilung nach Gewebssystemen. Hierbei gibt es: • • • •
knöcherne Veränderungen, Duplikationen der Haut und der Nägel, Verdoppelungen aller Gewebe sowie die Spiegelhand. Die Duplikation von Fingern und Daumen ist die häufigste kongenitale Anomalie der oberen Extremität.
1.1.3.3 Gruppe III: Duplikationen Die Duplikation von Extremitätenanteilen resultiert wie es scheint von einer teilweisen Trennung der ektodermalen Kappe in einem sehr frühen Entwicklungsstadium (Abb. 1.10 a,b). Es resultiert eine Absplitterung weg vom originalen Teil. Diese Defekte reichen von der Polydaktylie bis zur Verdoppelung und so genannten Spiegelhänden. Upton (1990) versuchte, diese Veränderung zu klas-
Bei amerikanischen Farbigen sowie Indianern beträgt die Inzidenz der Polydaktylie 1:300. In der kaukasischen Rasse findet sich eine Inzidenz von 1:3000. Die Erfassung der Absolutzahlen ist schwierig, da vor allem die Polydaktylien vom Typ I oftmals bereits in der Neonatalphase problemlos entfernt werden. Es wird angenommen, dass die Polydaktylie häufiger beim weiblichen Geschlecht auf-
Abb. 1.9 a,b. Fehlende Differenzierung (Separation) von Extremitätenteilen. a Proximale fehlende Differenzierung. b Distale fehlende Differenzierung/Syndaktylie (schematische Darstellung und Röntgenbild einer komplexen Syndaktylie D IV/V)
a
b
KAPITEL 1
Angeborene Fehlbildungen der Hand
Tabelle 1.3. Klassifikation der Veränderungen bei Duplika tion. (Nach Upton) 1. Komplette Extremität 2. Humerus 3. Radius 4. Ulna a. Spiegelhand b. Sonstige 5. Finger a. Polydaktylie I radial (präaxial 1. Reihe einschließlich triphalangealem Daumen) II zentral III ulnar (postaxial, 5. Reihe) IV Kombinationen 6. Epiphysial a. 1. Reihe b. 2. Reihe c. Sonstige Zusätzlich besteht die Möglichkeit einer Unterteilung nach Gewebssystemen. Hierbei gibt es knöcherne Veränderungen, Duplikationen der Haut und der Nägel, Verdoppelungen aller Gewebe sowie die Spiegelhand. a
tritt. Alle Anteile der Hand können betroffen sein. Der Daumen und der Kleinfinger sind am weitaus häufigsten doppelt angelegt. Bei Farbigen ist eine Doppelung des kleinen Fingers und bei Weißen eine Doppelung des Daumens häufiger. 40% der Patienten zeigen ein bilaterales Auftreten. Erste Beschreibungen der Polydaktylie stammen aus biblischen Texten, welche 3000 Jahre alt sind. Jährlich wird von durchschnittlich 9000–10.000 neuen Fällen weltweit berichtet. Die Variation der Ausprägungen ist enorm. Sie reicht von kleinen Protuberanzen im Bereich der Handkanten über so genannte Spiegelhände mit 7 oder 8 Fingern bis zu den raren Fällen von echten zusätzlichen Ausbildungen einer gesamten Hand. Die Polydaktylie kann isoliert oder im Rahmen eines Syndroms vorkommen.
! Es ist darauf zu achten, dass ein zusätzlicher Finger zum einen eine isolierte Abnormalität sein kann, zum anderen jedoch ein Symptom einer weitaus schwerwiegenderen Malformation. Aus diesem Grund müssen alle Kinder einer vollen klinischen Untersuchung zugeführt werden.
b Abb. 1.10 a,b. Duplikation von Extremitätenteilen. a Schematische Darstellung. b Klinischer Fall (Röntgenaufnahme): Duplikation der Grundglieder der Ringfinger beidseits
Bei Kindern mit multiplen Fehlbildungen, deren Ursache unklar ist, ist eine Polydaktylie üblicherweise ein Hinweis für einen genetischen Einfluss. Sie ist Teil einer großen
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KAPITEL 1
Anzahl von Syndromen, welche durch einzelne Gendefekte oder Chromosomenabnormalitäten hervorgerufen werden kann. Aus diesem Grund ist auch ein einzelner zusätzlicher Finger stets als Warnsymptom für weitere bisher noch unentdeckte Fehlbildungen zu sehen. Über 40 weitere Abnormalitäten wurden in Verbindung mit der Polydaktylie beschrieben. Die häufigste ist hierbei die Syndaktylie.
1.1.3.4 Gruppe IV: Gigantismus Eine gesamte Extremität kann von dem überschießenden Größenwachstum betroffen sein. In einigen Fällen kann diese durch eine vergrößerte Wachstumstendenz der knöchernen Anteile mit normalen Weichteilproportionen bedingt sein. Des Weiteren gibt es die Möglichkeit einer exzessiven Vergrößerung durch Hyperplasie von Fettgewebe, Lymphangiomen oder Hämangiomen. Beim Gigantismus der Finger ist dieser in der Regel in der Peripherie am stärksten ausgebildet. Es kann zu Deformitäten kommen, welche durch ein asymmetrisches Größenwachstum bedingt sind. Der Gigantismus kann die Arme, die Unterarme, die Hand sowie die Finger betreffen. Der digitale Gigantismus wird definiert durch eine kongenitale pathologische Vergrößerung von Weichteilstrukturen, assoziiert mit einer übergroßen Anlage der knöchernen Anteile. Zu dieser Definition kommen noch die auffälligen Veränderungen bei Hämangiomen, arteriovenösen Fisteln, der Lipomatose, der Fibromatose sowie anderer Knochenveränderungen hinzu (Abb. 1.11 a,b).
a
1.1.3.5 Gruppe V: Minderwachstum (Hyopoplasie) Hypoplasie beschreibt die fehlerhafte oder fehlende Entwicklung von Teilen einer Extremität. Grundsätzlich kann hier die Entwicklung wie auch die initiale Anlage betroffen sein. Als Hypoplasie werden hierbei alle zu klein angelegten Anteile des Skeletts sowie des Weichteilmantels beschrieben (Abb. 1.12 a,b). Minderanlagen der Finger treten oftmals zusammen mit weiteren Handdeformitäten auf. Hierbei sind die radiale Klumphand, die Syndaktylie und auch die Makrodaktylie zu nennen.
1.1.3.6 Gruppe VI: Schnürringsyndrome Unter der Bezeichnung Schnürringkomplex werden Fehlbildungen zusammengefasst, deren morphologische Veränderungen in Schnürfurchen und Schnürringen, polsterartigen dorsalen Weichteilverdickungen der Finger, Syndaktylien, meist in Form der Akrosyndaktylie, und
b Abb. 1.11 a,b. Gigantismus von Extremitätenteilen. a Schematische Darstellung. b Klinischer Fall (Röntgenaufnahme): Gigantismus am Mittelfinger ab dem PIP-Gelenk
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b
a Abb. 1.12 a,b. Hypoplasie von Extremitätenteilen. a Schematische Darstellung. b Klinischer Fall (Röntgenaufnahme): Brachymetakarpie vor und nach Kallusdistraktion
amputationsartigen Fingerdefekten bestehen (Abb. 1.13). Es ist bis heute noch nicht eindeutig geklärt, was hinter der Entstehung der Schnürringsyndrome steckt. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass es sich hierbei um die Folge amniotischer Schnürbänder handelt.
1.1.3.7 Gruppe VII: Generalisierte (muskulo-)skelettale Anomalien Hierbei handelt es sich um Defekte, welche sich gemeinsam mit einer generalisierten muskuloskelettalen Anomalie entwickelt haben. Dies beinhaltet zusätzlich chromosomale Abweichungen. Beispiele sind das ApertSyndrom, Achondroplasieformen, das Marfan-Syndrom u. Ä. (Abb. 1.14 a,b).
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a
Abb. 1.13. Schnürringsyndrom (schematische Darstellung)
b Abb. 1.14 a,b. Schematische Darstellung (muskulo-) skelettaler Anomalien
generalisierter
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1.1.4 Therapie Für die Therapie von angeborenen Handfehlbildungen verwenden wir ein so genanntes „integratives Therapiekonzept“, welches – abhängig von der vorliegenden Fehlbildung – neben der primären Korrektur, sekundäre Eingriffe und adjuvante Maßnahmen umfasst. Konservative und operative Therapiemaßnahmen ergänzen sich und sind keine konkurrierenden Verfahren. Die primäre Korrektur kann entweder konservativ (z. B. präoperative Schienenbehandlung bei radialer Klumphand) und/oder operativ (z. B. Anbringen eines Distraktionsfixateurs und sekundäre Radialisation bei radialer Klumphand) erfolgen. In Abhängigkeit von der vorliegenden angeborenen Fehlbildung und dem erzielten Ergebnis der Primärbehandlung können konservative und/ oder operative sekundäre Therapien notwendig und sinnvoll sein. Adjuvante Maßnahmen, wie Schienenbehandlungen, Physiotherapie oder Spieltherapie, sind integraler Bestandteil der Therapie und müssen individuell angepasst werden.
1.1.4.1 Zeitpunkt der Therapie Die konservative Therapie muss so früh wie möglich beginnen, um die Kompensationsmechanismen während des Wachstums optimal nutzen zu können. Über den Zeitpunkt der operativen Korrektur besteht in der Literatur keine einheitliche Meinung. Für eine frühzeitige Korrektur spricht die Vermeidung späterer habitueller Fehlhaltungen. In der klinischen Praxis hat es sich bewährt, dass der Hauptkorrektureingriff vor der Einschulung (6. Lebensjahr) durchgeführt wird.
Ein Kompromiss zwischen frühzeitiger Operation, geringem Narkoserisiko und geringem Operationsrisiko stellt das 1. Lebensjahr dar. Sind sekundäre Eingriffe notwendig, können diese noch vor Einschulung durchgeführt werden.
1.1.4.2 Besonderheiten der Therapie von angeborenen Handfehlbildungen des Kleinkindes im Vergleich zu sekundären Defektzuständen des Erwachsenen Bei der Behandlung von angeborenen Handfehlbildungen des (Klein-)Kindes bestehen deutliche Unterschiede im Vergleich zur Behandlung sekundärer Defektzustände des Erwachsenen:
Angeborene Fehlbildungen der Hand
1. Die Therapieentscheidung erfolgt bei Kindern durch Dritte, die Eltern oder Erziehungsberechtigten, und nicht wie beim Erwachsenen durch den Patienten selbst. Selbstvorwürfe („ich habe ein Kind mit einer Behinderung“), unrealistische Therapiehoffnungen oder Entscheidungsängste müssen bedacht werden und evtl. auch mit den Kollegen der Psychologie bzw. Psychiatrie besprochen werden. 2. Bei Kindern können konservative Eingriffe besser mit dem täglichen Leben vereinbart werden. Eine notwendige längere Schienenbehandlung interferiert noch nicht mit dem Berufsleben 3. Alle operativen Eingriffe erfolgen beim Kind in Allgemeinanästhesie. Prinzipiell besteht keine Altersbeschränkung für operative Eingriffe. In der Praxis hat sich die Operation nach 6–12 Monaten bewährt. 4. Ziel der Therapie ist eine möglichst optimale (Wieder-)Herstellung von Form und Funktion. Im Gegensatz zu sekundären Defektzuständen des Erwachsenen hat das Kind nie über eine spezifische Funktion verfügt, die nun plötzlich fehlt. Eine etwaige Funktion ist auch im Körperschema des Kindes noch nicht angelegt. Hier kann evtl. erst eine Therapie die Voraussetzung schaffen (z. B. Greifschema und Daumenrekonstruktion). 5. Bei den Eingriffen beim Kleinkind muss auch das Wachstum beachtet werden. Dies kann entweder zu einer Korrektur (z. B. Auswachsen von moderaten Skelettfehlstellungen) oder zu einer Aggravierung (z. B. Wachstumsbehinderung durch Narbenzug) führen. 6. Die postoperative Ruhigstellung erfolgt beim (Klein-) Kind nach dem „Alles-oder-nichts-Prinzip“. Zur Vermeidung von ungewünschten Bewegungen kann auch ein Oberarmgips notwendig sein. Sekundäre Gelenkeinsteifungen treten nur äußerst selten auf. 7. Die Physiotherapie hat bei der Behandlung von sekundären Defektzuständen des Erwachsenen eine entscheidende Bedeutung für das Gesamtergebnis. Bei Kindern kann eine effiziente Physiotherapie erst mit etwa 6 Jahren erfolgen. Davor muss im Rahmen einer Spieltherapie versucht werden, verschiedene Greifformen optimal zu erlernen. 8. Prothetischer Ersatz ist im Allgemeinen bei Kindern nicht notwendig. Das Kind wächst mit seiner angeborenen Fehlbildung auf und entwickelt oft erstaunliche Kompensationsmechanismen.
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1.2 Spezielle Techniken 1.2.1 Dekompression des Pollex flexus congenitus Sehnenscheidenstenosen entstehen im osteofibrösen Kanal des Daumens, vor allem im Bereich des Ringbandes A1 und sind auf ein Missverhältnis zwischen der Weite des osteofibrösen Kanals und dem Sehnendurchmesser zurückzuführen (Abb. 1.15 a). Aufgrund dieser anatomischen Störung kommt es zu einem Schnappphänomen („schnellender Daumen“) und schließlich zu einer fixierten Beuge- (oder Streck-) Fehlstellung im IPGelenkbereich (Abb. 1.15 b). Ein operatives Vorgehen ist erforderlich, wenn sich die Veränderungen nicht innerhalb von 6–12 Monaten spontan zurückgebildet haben.
! Bei einem späteren Eingreifen kann es zu fixierten Kontrakturen der Gelenke kommen.
Dies geschieht jedoch in der Regel nicht vor einem Alter von 4 Jahren. Sind diese Veränderungen eingetreten, so ziehen diese aufwändigere operative Maßnahmen nach sich. Das Ziel der Operation ist die Beseitigung der Blockade der normalen Fingerbeweglichkeit durch Durchtrennung des Ringbandes A1. Bis zu einem Alter von 3 Jahren wurde über keine anhaltenden Kontrakturen der Gelenke im Sinne einer sekundären Komplikation berichtet. Es besteht aus diesem Grund keine Eile zum operativen Vorgehen. Andererseits gibt es jedoch auch keine Gründe zum Zuwarten, da bei korrekter Indikationsstellung ein einfacher und mit wenig potenziellen Komplikationen behafteter Eingriff durchgeführt werden kann. Somit kann im Einzelfall problemlos auf den Reifezustand sowie den allgemeinen Gesundheitszustand des Kindes Rücksicht genommen werden. Die Operation wird in Allgemeinanästhesie sowie pneumatischer Blutleere durchgeführt. Es hat sich hierbei bewährt, am Ende des Eingriffs eine ausgiebige Lokalanästhesie anzuschließen. Diese erspart dem Kind Schmerzen beim Aufwachen aus der Vollnarkose. Etwas proximal der Beugefalte des Daumens, etwa auf Höhe der Daumenbasis, wird ein kurzer transversaler Schnitt durchgeführt (Abb. 1.15 c). Besonders vom radialen Ende der Schnittführung muss auf den hier oftmals direkt unter der Haut liegenden Digitalnerven geachtet werde. Dieser liegt in diesem Bereich sehr nahe zum Beugesehnenapparat. Sind die Digitalnerven identifiziert und gesichert, werden der Sehnenknoten sowie das Ringband dargestellt. Das Ringband wird mit dem Skalpell longitudinal komplett gespalten. Nun muss der Sehnenknoten über dem vollen passiven Bewegungsumfang des IP-Gelenks frei gleiten können. Der Knoten sollte weder entfernt noch reduziert werden. Einige Operateure bevorzugen
KAPITEL 1
zur Vermeidung einer erneuten Verwachsung die Exzision eines Teils des Ringbandes. Anschließend sollte der Sehnengleitkanal inspiziert werden, um das Vorhandensein einer zusätzlichen Beugesehne (FDS I/Flexor digitorum superficialis I) auszuschließen. Hierfür wird die Sehne des M. flexor pollicis mit einem stumpfen Instrument aus dem Beugesehnenkanal luxiert (Abb. 1.15 d). Nach Eröffnen der Blutsperre und subtiler Blutstillung erfolgt die Hautnaht, wenn möglich mit resorbierbarem Nahtmaterial. Es wird lediglich ein Polsterverband angelegt. Dieser soll jedoch sofort eine freie Beweglichkeit ermöglichen (Abb. 15.5 e). Komplikationen sind selten. Es finden sich jedoch inadäquate Spaltungen des Ringbandes, Verletzungen der Digitalnerven sowie der Digitalarterien, Verletzungen der Beugesehne und Infektionen.
1.2.2 Syndaktylie Als Syndaktylie bezeichnet man eine Verwachsung von 2 oder mehr benachbarten Fingern. Üblicherweise werden die Syndaktylien nach dem klinischen Aspekt unterteilt. Abhängig von der longitudinalen Ausdehnung unterscheidet man partielle oder inkomplette und komplette kutane Syndaktylien. Bei der partiellen oder inkompletten (kutanen) Syndaktylie reicht die Hautverwachsung höchstens bis zum proximalen Interphalangeal- (PIP-)Gelenk, bei der kompletten (kutanen) Syndaktylie sind zusätzlich Mittelphalanx und Endphalanx mitbetroffen. Abhängig vom Vorhandensein von knöchernen Verwachsungen werden weitere komplexe und komplizierte Syndaktylien unterschieden. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Anzahl der betroffenen Finger (Tabelle 1.4). Die einfache Trennung der Syndaktylie kann in einer Sitzung durchgeführt werden. Hierbei wird oftmals ein Hauttransplantat erforderlich. Als Alternative gibt es die Möglichkeit einer zweitzeitigen Operation unter Einsatz eines Weichteildistraktorkonzepts von Ilizarov. Die üblichen Prinzipien der Syndaktylietrennung sind: 1. Herstellung eines dorsalen oder palmaren Weichteillappens zur Konstruktion einer breiten Kommissur. 2. Zickzackförmige Schnittführung zur Vermeidung von Kontrakturen. 3. Naht der Spitzen der dreieckigen Lappen ohne Zug. Hierbei sollen Zirkulationsstörungen vermieden werden. 4. Zur weiteren Defektdeckung werden Vollhauttransplantate eingesetzt. 5. Jeweils Operationen nur an einer Seite eines Fingers zur gleichen Zeit. 6. Der Versuch einer Kreation normaler Nägel. 7. Korrigieren von skelettalen Deformitäten. 8. Eine gute postoperative Nachbehandlung mit pressierenden Verbänden ist ein essenzieller Bestandteil der Therapie.
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b
a Vinculum Tendo m. flexoris pollicis longus
A. digitalis palmaris propria N. digitalis palmaris proprius Ringband
d
e
c
Abb. 1.15 a–e. Dekompression des Pollex flexus congenitus beim Kleinkind. a Schematische Darstellung der anatomischen Verhältnisse (nach Pechlaner). b Präoperativ: fixierte Beugestellung im IP-Gelenk. c Hautschnitt. d Schematische Darstellung nach Spaltung des Ringbandes: Inspektion von FPL und Sehnenscheidenkanal (aberrante FDS-I-Sehne. e Postoperativ: „Finger-Kasperl-Theater“ zur Steigerung der spontanen Mobilität im Daumen-Finger-Bereich
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Tabelle 1.4. Klassifikation der Syndaktylie einfache Syndaktylie: keine knöcherne Vereinigung zwischen den betroffenen Fingern
A partielle Syndaktylie: Vereinigung bis in Höhe des PIP-Gelenks
B komplette Syndaktylie: Vereinigung über das PIP-Gelenk hinaus
C komplexe Syndaktylie: knöcherne Vereinigung zwischen den betroffenen Fingern
D komplizierte Syndaktylie: knöcherne Veränderungen mehr als nur eine Seit-zu Seit-Fusion Sonderformen: Polysyndaktylie: Akrosyndaktylie: Fusion zwischen mehr distal gelegenen Anteilen der Finger. Bisweilen kommt es zu einer Fensterung weiter proximal gelegen.
Generationen von Chirurgen haben eine Unzahl von Lappen zur Herstellung der Kommissur geschaffen. Heute sind die am meisten verbreiteten Techniken die Verwendung von interdigitalen dorsopalmaren Lappen oder die Verwendung eines großen dorsalen Lappens. Abgesehen von sehr kleinen inkompletten Syndaktylien besteht in der Regel ein Bedarf an Hauttransplantaten.
Aufgrund der geringeren Gefahr der sekundären Kontraktion werden bevorzugt Vollhauttransplantate gegenüber Spalthauttransplantaten verwendet. Als Hautspenderregionen kommen die Inguinalfalte, der palmare Unterarm, die Fossa acetabuli, der Oberarm sowie Teile des Unterschenkels in Betracht. Bei Patienten mit mehreren Syndaktylien und somit einem zu erwartenden höheren Hautbedarf haben sich die Hautentnahmen aus der Abdominalhaut bewährt. Bei einer zusätzlich bestehen-
den Polydaktylie kann die Haut des anstehenden Amputats mit verwendet werden. Theoretisch besteht die Möglichkeit der Gewinnung von distrahierter Haut zur Deckung etwaiger Defekte. Dies geschieht über die Implantation von Kirschner-Drähten in die Weichteile und anschließend einer kontinuierlichen Distraktion über ein Distraktionsgerät. Dieses Verfahren ist jedoch wegen des schlechten Patientenkomforts sowie der hohen Infektionsgefahr nicht sehr verbreitet. Kontraindikationen für die Trennung einer Syndaktylie sind beschrieben: Bei komplexen Syndaktylien, bei denen alle Anteile der Stabilitätsdefizite ausgebildet sind, kann durch eine Syndaktylietrennung kein funktionsfähiger Finger rekonstruiert werden. Gleiches gilt für deutlich hypoplastische Finger. Hierbei kommt die Kommissurtrennung z. T. erst nach Rekonstruktion der weitaus komplexeren Veränderungen des Halteapparates zum Einsatz. Des Weiteren verbietet sich die Syndaktylietrennung bei fehlender Anlage der Gefäß- und Nervenbündel.
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Der Zeitpunkt der Syndaktylietrennung hängt stark von der Ausprägung der Veränderung sowie der Anzahl der betroffenen Finger ab. Obwohl keine feststehenden Regeln existieren, haben sich trotzdem einige Grundsätze herausgebildet. Bei komplexen Vereinigungen verschiedener Finger mit unterschiedlichem Wachstumspotenzial sollte eine frühzeitige Trennung im Alter von 6–12 Monaten durchgeführt werden. Bei diesen jungen Kindern kommt ein zuverlässiges Überangebot an Haut an den Händen positiv zum Tragen. Die frühzeitige Syndaktylietrennung verhindert zusätzliche Schäden, welche durch ein Fehlwachstum von Knochen und Gelenken hervorgerufen werden.
Komplette Syndaktylien der wichtigen 1. und 4. Kommissur werden ebenfalls im Alter von 6–12 Monaten getrennt. Wenn möglich sollten bilaterale Veränderungen in einer Sitzung angegangen werden. Dieses Vorgehen ist bei Kindern bis zu einem Alter von 14 Monaten zu empfehlen. Da Kinder im 2. und 3. Lebensjahr deutlich aktiver sind, ist in diesem Alter von einem bilateralen Vorgehen abzusehen. Einfache Syndaktylien zwischen dem Mittel- und Ringfinger sowie partielle Syndaktylien zwischen den Langfingern können ohne Risiko auch später angegangen werden. Nachdem auch der psychosoziale Aspekt nicht vernachlässigt werden darf, sollten jedoch Syndaktylietrennungen bis zum Beginn des Kindergartens abgeschlossen sein. Das Erreichen der maximalen Funktion und eines guten kosmetischen Ergebnisses muss bis zum Beginn der Schule erreicht sein. Dieser wesentliche zeitliche Ablauf kann gestört werden durch assoziierte Anomalien, die Größe der Hand sowie medizinische Probleme höherer Priorität. Die operative Technik ist abhängig von der Art der Syndaktylie. Detaillierte Aufstellungen von Langzeitresultaten der Syndaktylietrennung sind selten. Alle Kombinationen von dorsalen und palmaren Lappen wurden als erfolgversprechend beschrieben. Durch die zickzackartige Schnittführung können bei 87% aller Fälle für die Deckung der lateralen Anteile des Fingers gute Ergebnisse erreicht werden. Ergebnisse der Vollhauttransplantate sind besser als die der Spalthauttransplantate. Komplikationen sind nach vorsichtig geplanter und korrekt durchgeführter Syndaktylietrennung selten. Treten jedoch Probleme auf, so können diese deutliche Auswirkungen auf die funktionellen Langzeitresultate haben. Die dramatische Frühkomplikation ist eine Gefäßkompression durch zu enge Verbände, zu große Spannung der Hautnähte oder eine Verletzung der Digitalnerven. Bevor im Operationssaal der Verband angelegt wird, muss die optimale Stellung der Kommissurlappen unter Überprüfung der Durchblutung festgestellt werden.
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5–6 Tage postoperativ kann es zu Infektionen sowie Hautmazerationen unter dem großen Verband kommen. Diese sind wegen der speziellen Art der Nachbehandlung oftmals schwierig zu erkennen. Temperaturerhöhung, Erythem, Schmerzen sowie eine Flüssigkeitsdurchtränkung der Verbände sind wichtige Warnzeichen. Die auffälligste Spätkomplikation jeder Trennung einer Interdigitalfalte sind die Narbenzüge. Durch sie kommt es zu einer distalen Migration der rekonstruierten Kommissur. Zu Kontrakturen kommt es sekundär nach einem Verlust eines Hauttransplantats oder eines Lappens. Sie kann jedoch auch einfach durch die Wachstumsdiskrepanz zwischen der Narbe und dem normalen Weichteilgewebe hervorgerufen werden. Hierbei verursacht der Verlust von Weichteilen oder Transplantaten auf 1 mm Länge beim Erwachsenen eine Distraktion von 1 cm. Einschnürende palmare Narbenzüge können durch den Einsatz von Zickzackinzisionen minimiert werden. Verschiedenste Arten von Schnittführungen wurden über die Jahrzehnte entwickelt, um das Problem der „Syndaktylierezidivs“ besser in den Griff zu bekommen. Die problematischte Region ist hierbei der palmare Winkel der Kommissur. Es lässt sich hierbei stets durch eine Überkorrektur der interdigitalen Spalte ein besseres Langzeitergebnis erreichen. Gelenke, die trotz einer initialen Stabilisierung bei der Sydaktylie sekundär instabil wurden, müssen zu einem späteren Zeitpunkt revidiert werden. Abhängig von der Art der Veränderungen sowie dem Alter des Patienten kommen Bandrekonstruktionen, Chondrodesen sowie Gelenkarthrodesen zum Einsatz. Ausgeprägte Gelenksteifigkeit kann eine Komplikation der Behandlung sein, ist jedoch viel häufiger die Folge der primären Anomalie. Ist die Steifheit eine Folge der Behandlung, so sind physiotherapeutische Übungsbehandlungen sowie die Arthrolysen als erfolgversprechend anzusehen. Handelt es sich um die Folge der vorbestehenden Anomalie, so ist im Verlauf der folgenden Jahre nicht von einer Besserung auszugehen.
1.2.2.1 Einfache partielle, monofokale, interdigitale Syndaktylie Üblicherweise ist distal ein ausreichender Hautmantel zur Deckung nach Syndaktylietrennung vorhanden. Proximal bestehen jedoch Defizite, welche vor allem durch die Bildung einer Kommissur zustande kommen. Bei den kurzen Formen genügt oftmals eine doppelte Z-Plastik oder eine Butterfly-Plastik nach Shaw (Abb. 1.16 a,b) Hierbei kann eine Interdigitalfalte mit minimaler Hauttransposition geschaffen werden. Diese Methoden zeigen gute Ergebnisse bei richtiger Indikationsstellung und benötigen oft keine zusätzlich freie Hauttransplantation. Im Zweifelsfall sollte die Indikation zur zusätzlichen Vollhauttransplantation großzügig gestellt werden.
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b
a Abb. 1.16 a,b. Korrektur einer einfachen partiellen kutanen Syndaktylie mithilfe einer Butterfly-Plastik nach Shaw. a Präoperativer Aspekt und Lappenplanung. b Postoperativer Aspekt
1.2.2.2 Einfache komplette, monofokale, Interdigitalfaltensyndaktylie Die operative Trennung der langen Formen bedient sich zickzackförmiger Schnitte sowie der Konstruktion eines Interdigitallappens. Bei den kompletten Syndaktylien erfolgt eine operative Trennung nach routinemäßig festgelegten Schritten. Diese sind: 1. Rekonstruktion der Kommissur, 2. laterale Hautdeckung, 3. Separation der Fingerspitze, 4. proximale Versorgung der Defekte, 5. Wundverschluss, ggf. mit Vollhauttransplantat, 6. differenzierte Verbands- und Nachbehandlungstherapie.
Rekonstruktion der Kommissur Dorsal und palmar wird die Linie der Interdigitalfalte markiert. Anschließend wird ein ausreichend großer, dorsal gestielter, rechteckiger Hautlappen festgelegt. Dieser Lappen soll seine Basis auf Höhe der Metakarpalia haben. Zum Vergleich können benachbarte Interdigitalfalten sowie ggf. die kontralaterale Hand herangezogen werden. Üblicherweise verläuft die Kommissur bei der Inklination von 40–45° und einer so genannten Uhrglaskonformation. Die Größe des dorsalen Lappens ist variabel, sollte jedoch proximal bis auf Höhe der Metakarpalköpfchen und distal bis fast zum PIP-Gelenk reichen. Um der Digitalfalte eine natürliche Konfiguration zu geben, muss die dorsale Inzision weiter nach proximal geführt werden als die palmare Inzision. Die palmare Ansatzzone des Lappens sollte etwas überkorrigiert sein (etwa 12 mm proximal der Kommissur der benachbarten Finger). Durch dieses Verfahren erreicht man eine ausreichend große Spalte.
Bei den meisten normalen Händen liegen die 2. und 3. Interdigitalfalte weiter distal als die anderen. Die 4. Interdigitalfalte liegt weiter proximal und die 1. liegt auf Höhe der mittleren Hohlhand. Bei zusätzlich kürzer angelegten Fingern kann man zur weiteren Proximalverlagerung der Kommissur optisch die Illusion einer normal proportionierten Hand erreichen. Die maximale proximale Ausdehnung hierfür ist die Höhe der Interkarpalköpfchen (Abb. 1.17 a–c). Wurde an derselben Hand bereits eine Syndaktylietrennung der benachbarten Finger durchgeführt oder handelt es sich um eine komplizierte oder komplexe Syndaktylie, variiert die Qualität der dorsalen Haut für die Konstruktion einer befriedigenden Kommissur stark. Unter diesen Umständen gilt jedoch das Prinzip, dass ein lokaler Lappen stets den Vorzug vor Hauttransplantationen bzw. distal gestielten Lappen zur Bildung einer Kommissur genießt. In diesen besonderen Fällen kann der Interdigitalraum auch durch einen palmaren Lappen geformt werden. Zur weiteren Option steht die Möglichkeit eines lateralen Lappens oder eines palmar und dorsal gestielten Doppellappens zur Verfügung.
Laterale Hautdeckung Palmarseitig und dorsalseitig werden über den vereinigten Fingern Zickzackschnitte über die ganze Länge gelegt. Hierbei sollen gleichschenkelige Dreiecke entstehen. Auf der dorsalen Seite reichen diese Inzisionen bis zum PIP-Gelenk. Hier beginnt dann der Lappen für die Interdigitalfalte. Die einzelnen Schnitte und damit die Seiten der Dreiecke sollten entsprechend lang ausgeführt werden, damit die Schnittkanten der palmaren Seite spannungsfrei bleiben. Abhängig von der Seite der Hautbrücke reichen die Schnitte mehr oder weniger streckseitig hinein. In Fällen einer kleinen Hautbrücke muss die Spitze des Dreiecks mindestens bis zur Mittellinie des Fingers
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reichen. Spitze gleichschenkelige Dreiecke haben den Vorzug vor abgerundeten Spitzen, welche oftmals Wachstumsprobleme verursachen können. Die Zickzackschnitte werden spiegelverkehrt an beiden Fingern angelegt. Zur präzisen Markierung können stille Narben durch die Hautbrücke zur Gegenseite hingestochen werden. Der Zickzackschnitt kann direkt an der palmaren transversalen Inzision starten, oder es kann noch eine etwa 1 cm lange gerade gezogene Inzision in der Mittellinie geführt werden (vgl. Abb. 1.17 a–c). Die Lappen werden gleichmäßig zwischen die beiden Finger gelegt. Ziel ist es, möglichst viel überständige Haut zur Deckung der Hautdefekte zu verwenden. Es ist bekannt, dass diese Haut während dem Wachstum weniger zu Narbenkontrakturen neigt. Techniken, welche die Ober-
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fläche eines Fingers komplett mit ortständiger Haut decken und den 2. Finger dann komplett mit einem Vollhauttransplantat versorgen, haben insgesamt schlechte Resultate erreicht
Trennung der Fingerspitze Zur Trennung knöcherner oder kartilaginärer Verbindungen unter dem gemeinsamen Nagel genügt üblicherweise ein Skalpell oder ein kleines Osteotom. Der entstehende Defekt des Paronychium wird mittels Vollhauttransplantat oder lokalem Lappen gedeckt. Oftmals ist es hierbei möglich, durch eine Ausdünnung der Fingerpulpa Material zur Rekonstruktion einer paronchyalen Falte zu gewinnen.
a, b
c C H
D C B
H
B
A F
E
G
D
G F E
A
d
e, f
Abb. 1.17 a–k. Trennung einer kompletten kutanen Syndaktylie mithilfe einer dorsalen kossisuralen Lappenplastik und Zick-zack-Inzision im distalen Bereich (Standardtherapie). a–c Präoperativer Aspekt und Planung der Hautinzision. a Ansicht von dorsal. b Ansicht von palmar. c wAnsicht von frontal. d Schematische Darstellung der Lappenverteilung – nach Öffnen der Verwachsung – auf die beiden Finger. e,f Intraoperativer Aspekt nach Trennung der Finger. e Ansicht von dorsal. f Ansicht von palmar.
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KAPITEL 1
g, h
i
j
k Abb. 1.17 a–k. Trennung einer kompletten kutanen Syndaktylie mithilfe einer dorsalen kommissuralen Lappeplastik und Zick-zack-Inzision im distalen Bereich (Standardtherapie). g,h Intraoperativer Aspekt nach Einnähung der Hautlappen. g Ansicht von palmar. h Ansicht von dorsal. i–k Postoperativ i Ansicht von dorsal. j Ansicht von palmar. k Funktion ein Jahr nach der Operation
Findet man einen vereinigten Fingernagel oder ein Nagelband, so ist es erforderlich, einen schmalen Streifen zwischen zu den neu zu kreierenden Nägeln zu exzidieren. Hierbei mussgleichzeitig sehr vorsichtig der betreffende Anteil der Nagelmatrix entfernt werden. Nach longitudinaler Exzision der Finger wird die Hautkante an den Nagel adaptiert. Dies bringt den Fingernagel in ein normales Wachstum und ermöglicht eine unabhängige Bewegung der distalen Phalanx (Abb. 1.17 d–k). Zur Rekonstruktion der lateralen Fingerkuppen nach Syndaktylietrennung hat Buck-Gramcko eine sehr elegante Methode beschrieben. Üblicherweise ist an der Fingerbeere ausreichend Haut vorhanden. Hiermit kann über dreieckige Hautlappen, welche die beiden verbundenen Fingerbeeren kreuzen, nach Trennung derselben eine Deckung der freiliegenden Knochen und eine adäquate Formation des Nagelwalls an einem Finger erreicht werden. Zur Hautinzision des 2. Fingers kommt ein Hautlappen auf Höhe der distalen Phalanx mit einem kleinem longitudinalen Element, welches den Nagelwall des 2. Fingers formiert und gleichzeitig den freiliegenden Knochen deckt (Abb. 1.18 a–c). Es können hierbei exzellente Ergebnisse erreicht werden.
Versorgung der proximalen Anteile Zunächst werden die neurovaskulären Strukturen identifiziert und die interdigitale Separation in der Mittellinie bis zu den PIP-Gelenken hin durchgeführt. Die faszienartigen Verbindungen zwischen den Cleland-Bändern der einzelnen Finger werden inzidiert. Sind diese verdickt und vergrößert, so können sie exzidiert werden. Es ist dabei wichtig, diese Weichteilverbindungen vor der Durchtrennung von den direkt darunter liegenden neurovaskulären Strukturen nach jeder Seite zu separieren. Anschließend wird der dorsale Lappen unter Schonung der großen dorsalen Venen bebildet. Nachdem die Digitalnerven identifiziert wurden, können diese bei einer distal liegenden Bifurkation axial auseinandergespreizt werden. Die Höhe der Bifurkation der Digitalarterien kann den limitierenden Faktor für die Tiefe der Kommissur darstellen. Bei einer weiter distal gelegenen Bifurkation muss bisweilen eine Digitalarterie geopfert werden. Es ist jedoch essenziell, für jeden Finger mindestens eine durchgängige Arterie zu erhalten.
KAPITEL 1
a
b
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c
Abb. 1.18 a–c. Schematische Darstellung der Rekonstruktion des lateralen Nagelwalls nach Syndaktylietrennung nach Buck-Gramcko. a Planung der Hautinzision. b Nach Lappen-
transposition: Ansicht von dorsal. c Nach Lappentransposition: Ansicht von palmar
Die Entscheidung, welcher Anteil des Gefäßes ligiert und somit geopfert werden muss, richtet sich nach dem Durchmesser und somit auch nach der Wichtigkeit des Gefäßes. Ein zusätzlicher Faktor ist die benachbarte Interdigitalfalte. Zeigt sich hier keine Syndaktylie bzw. lediglich eine inkomplette, nicht bis zum PIP-Gelenk reichende Sydaktylie, so zeigt die Erfahrung, dass eine Arterie problemlos geopfert werden kann. Liegt jedoch in der unmittelbaren Nachbarschaft eine zusätzliche Syndaktylie vor, so ist größere Vorsicht geboten. Eine Ligatur einer Digitalarterie muss ausdrücklich im Operations bericht dokumentiert werden. Nur so kann bei einer Zweitoperation bzw. der Trennung der benachbarten Syndaktylie die entsprechende 2. Digitalarterie geschont werden. Die Digitalnerven bereiten selten vergleichbare Probleme. Sollten diese eine weit distal liegende Bifurkation zeigen, so können die Nerven üblicherweise unter mikrochirurgischen Kautelen separiert werden. Sind der Digitalnerv und eine nicht zu opfernde Arterie ineinander verschlungen, so muss der Nerv durchtrennt, verlagert und anschließend mikrochirurgisch rekonstruiert werden. Das Lig. metacarpale transversum wird dargestellt und bei Bedarf inzidiert. Diese Maßnahmen zum Erreichen einer größeren Mobilität werden vor allem bei der hypoplastischen Hand oder dem Apert-Syndrom notwendig. Abnormale knöcherne Strukturen können in vereinzelten Fällen eine Korrektur erfordern.
Eine evtl. notwendige Osteotomie kann bei dem kartilaginösen Knochen des Kindes in der Regel mit einer Skalpellklinge durchgeführt werden. Bei älteren Kindern wird die Osteotomie mit der oszillierenden Säge vorgenommen. Sollte eine axiale Osteotomie erforderlich sein, so können hierdurch ein Achsenknick sowie eine Rotationsdeformität durch Reposition des distalen Segments erreicht werden. Die Osteosynthese erfolgt hierbei mittels Kirschner-Drähten, welche für etwa 4 Wochen belassen werden. Sollten durch die Fingertrennung an den Gelenken rekonstruktive Maßnahmen im Bereich der Kapseln erforderlich sein, so müssen diese Gelenke ebenfalls mit dünnen Kirschner-Drähten für etwa 2 Wochen transfixiert werden.
! Hierbei muss eine Verletzung der Wachstumsfugen sowie des Periostschlauches vermieden werden.
Wundverschluss Ein spannungsfreier Wundverschluss in allen Bereichen ist die essentzielle Voraussetzung für eine normale Wundheilung und somit für den Erfolg der gesamten Operation. Es sollte darauf geachtet werden, die Wundverschlüsse durch ortsständige Haut zu bewerkstelligen. Über den Phalangen können Hauttransplantate zum Einsatz kommen. Der dorsale Lappen wird in die Tiefe der Kommissur geschlagen und mit dem palmaren Lappen spannungsfrei vernäht. Hierbei werden schnell resorbierbare Fäden der Stärke 5/0 oder 6/0 verwendet. Anschließend werden die distalen seitlichen Lappen aneinander gebracht und die Haut verschlossen. Bisweilen kann eine Ausdünnung des subkutanen Fettgewebes einen zusätzlichen Längengewinn der Haut bringen. Nach Verschluss der ortsstän-
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28
Angeborene Fehlbildungen der Hand
digen Lappen sollte vor Anbringen der Hauttransplantate die Blutsperre eröffnet und eine subtile Blutstillung durchgeführt werden. Somit kann man ein Abheben der Transplantate aus ihrem Bett durch Hämatome vermeiden. Als Spenderstelle für die Vollhauttransplantate eignet sich z. B. die Inguinalregion in einem Bereich des späteren Haarwachstums. Die hier entstehenden Defekte werden primär mit schnell resorbierenden Fäden und Steri-Strips verschlossen.
Verbände und postoperative Nachbehandlung Alle Wundbezirke werden mit einer Fettgaze abgedeckt. In die neu geformte Kommissur wird ein elastischer Schaumstoffblock eingebracht. Nach Abpolsterung aller weiteren Interdigitalräume wird die Hand großzügig mit Polsterwatte sowie elastischen Binden verbunden. Zur Sicherung der Verbandes wird eine Oberarmgipslonguette angelegt. Gerade bei Kindern unter 2 Jahren muss eine derartige Ruhigstellung über den Ellenbogen gehen, da sonst eine Demontage durch den kleinen Patienten nicht sicher verhindert werden kann. Ein zuverlässiger Verband und eine sichere Immobilisation der operierten Hand ist gerade bei aktiven Kindern der wichtigste Faktor für das befriedigende Einwachsen der Hauttransplantate. Abhängig vom Ausmaß der Weichteil- und Knochenrekonstruktion wird die Schiene für 2–4 Wochen belassen. Bei all diesen Verbandstechniken sollten die Fingerspitzen stets zur Überprüfung der Durchblutung inspizierbar bleiben. Bei gutem Einheilen der Transplantate bzw. gutem Wundverschluss der einzelnen Lappen kann frühzeitig mit einer aktiven Bewegung der Finger begonnen werden. Kommt es im weiteren Verlauf zu Wundheilungsstörungen durch Lappennekrosen oder Absterben der Transplantate, so kann eine Revisionsoperation erforderlich werden. Es dürfen lediglich kleine Defekte toleriert werden. Um erneute Verwachsungen sowie störende Vernarbungen zu verhindern, ist in diesen Fällen großzügig die Indikation zur Revision und erneuten Vollhauttransplantation zu stellen.
1.2.2.3 Einfache komplette polyfokale interdigitale Syndaktylie In den Fällen, in denen sich die Syndaktylie über 3 Finger erstreckt, sollten primär die Finger mit unterschiedlicher Länge getrennt werden. Dies trifft z. B. für den Zeigefinger und Mittelfinger bzw. Ringfinger und Kleinfinger zu. Die Trennung der nächsten Syndaktylie kann dann 4–6 Monate später durchgeführt werden. Die Durchführung einer simultanen Trennung von 2 benachbarten Interdigitalräumen erfordert ausgesprochen große Erfahrung. Sie kann lediglich nach dem Ausschluss von vaskulären
KAPITEL 1
Anomalitäten, wie z. B. durch eine Angiographie, durchgeführt werden. Hierbei sind stets große Mengen von Vollhauttransplantaten erforderlich. Findet sich eine Syndaktylie aller 4 Langfinger, so werden in einem 1. Schritt der 2. und 3. sowie der 4. und 5. Finger getrennt. Die Verwachsung zwischen dem Mittelfinger und Ringfinger wird dann etwa 6 Monate später angegangen. Zeigen sich multiple Syndaktylien beider Hände, so sollten nach wohlüberlegter Planung bei jedem Eingriff mehrere Finger beider Hände angegangen werden. Ziel ist es hierbei, die Gesamtanzahl der Operationen zu reduzieren.
1.2.2.4 Komplexe Syndaktylie Die komplexen Syndaktylien zeichnen sich durch eine Fusion der Phalangen auf knöchernem sowie auch auf Weichteilniveau aus. Oftmals werden weitere kongenitale Anomalien gefunden.
Diese betreffen in der Regel weiter proximal gelegene Strukturen der oberen Extremitäten. In diesem Fall muss der Zeitpunkt der Syndaktylietrennung mit der operativen Behandlung weiterer Missbildungen koordiniert werden. Weit verbreitete assoziierte Defekte der oberen Extremität beinhalten: • • • •
neurovaskuläre Defizite, digitale Hypoplasien, Polydaktylien sowie muskuloskelettale Anomalien außerhalb der Fusionszone.
Diese assoziierten Veränderungen erschweren die Wiederherstellung der Handfunktion. In diesen Fällen ist es primär erforderlich, die anatomische Situation der knöchernen Strukturen herzustellen. Zu einem späteren Zeitpunkt werden dann Folgeoperationen, wie Sehnentransfers oder Syndaktylietrennungen, durchgeführt.
1.2.2.5 Einfache inkomplette Syndaktylie der 1. Kommissur Bei kleinen Defekten, welche üblicherweise bei der hypoplastischen Hand mit einem kleinen Daumen gefunden werden, kommen Variationen mehrerer Z-Plastiken zum Einsatz. Bei stärker ausgebildeten Verwachsungen können größere Lappenverschiebungen sowie Vollhauttransplantate erforderlich werden. In den ausgeprägtesten Fällen kann die Resektion des 2. Fingerstrahls erwogen werden.
KAPITEL 1
1.2.2.6 Polysyndaktylie Die Kombination einer Syndaktylie mit einer Polydaktylie zeigt sich meistens in Form der so genannten versteckten Polysyndaktylie des Mittelfingers oder Ringfingers. Meistens finden sich zusätzliche Knochen- sowie Gelenkdeformitäten. Diese beeinflussen die Prognose der operativen Korrektur deutlich negativ. Die Syndaktylie in Kombination mit allen weiteren präaxialen oder postaxialen Polydaktylien ist äußerst selten. Die Behandlung der versteckten Polysyndaktylie umfasst die Trennung der Syndaktylie in üblicher Weise. Nach Resektion der Knochenanteile des überzähligen Fingers steht oftmals mehr als genug Haut zur Deckung der entstandenen Defekte zur Verfügung.
1.2.3 Polydaktylie Die Duplikation von Extremitätenanteilen resultiert anscheinend aus einer teilweisen Trennung der ektodermalen Kappe in einem sehr frühen Entwicklungsstadium. Es resultiert eine Absplitterung weg vom originalen Teil. In Abhängigkeit von der Lokalisation der Verdoppelung spricht man von präaxialen (Daumen), zentralen (2. bis 4. Finger) und postaxialen (5. Finger) Duplikationen. Die Therapie der Polydaktylie erfolgt stets chirurgisch. Sie
Typ 1
Angeborene Fehlbildungen der Hand
richtet sich immer nach Art und Ausprägung der Veränderungen. Nach Temtamy u. McKusick (1978) können 3 Schweregrade unterschieden werden (Abb. 1.19). • Bei den Duplikationen Typ I ist nur ein geringer operativer Aufwand zu erwarten. Hier werden lediglich zusätzliche Fingerknospen oder Finger entfernt und mit einem primären Wundverschluss versorgt. • Bei Typ-II-Polydaktylien muss präoperativ eine exakte Trennung der abnormalen von den normalen Extremitätenanteilen erfolgen. Der weniger gut entwickelte Finger mit minderer Funktion muss so vorsichtig entfernt werden, dass eine Wiederherstellung des belassenen Fingers möglich ist. Die funktionellen Ansprüche diktieren herbei die Wiederherstellung der Länge, der Fingerkontur, der Gelenkstabilität sowie der Position und Tiefe der Interdigitalfalten. Hierbei müssen bisweilen Kollateralbänder rekonstruiert werden. Es ist auf die Unversehrtheit der intrinsischen Muskulatur, der Sehne, des Periosts und der Haut zu achten. Die Nagelmatrix mit dem Paronychium muss erhalten bleiben. Gerade bei komplexeren Fehlbildungen beinhaltet die Vorbereitung eine exakte Erfassung aller Strukturen des betroffenen zusätzlichen Fingers wie auch seiner Nachbarfinger. Es kann erforderlich sein, das Kind im Schlaf und beim Spielen zu beobachten, um eine volle Erhebung der funktionellen Möglich-
Typ 2
Abb. 1.19. Klassifikation der postaxialen Duplikation nach Temtamy u. McKusik
Typ 3
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30
Angeborene Fehlbildungen der Hand
keiten durchzuführen. Das Rekonstruktionsziel besteht in der Herstellung der longitudinalen Skelettachse, die zur Sicherung der Funktion zur Garantie eines ungehinderten Wachstums erforderlich ist. Hierzu kann es notwendig werden, funktionslose Finger oder Fingeranteile zu entfernen. Bevor Gewebeanteile entsorgt werden, muss man sich immer die Frage stellen, ob diese nicht für eine Funktionsverbesserung weniger betroffener Finger nach den „Gewebebankkonzept nach Chase“ eingesetzt werden können (z. B. „On-topPlastik“). • In der Gruppe III finden sich komplett ausgebildete zusätzliche Skelettanteile. Paradoxerweise ist hier die chirurgische Therapie weniger kompliziert. In der Regel kommen Amputationen ohne Strahlresektionen zum Einsatz. Finden sich 2 unterschiedlich gut ausgebildete Finger, so fällt die Wahl des zu amputierenden Handanteils nicht schwer. Sind beide Finger jedoch identisch ausgebildet, so muss präoperativ eine genaue Untersuchung und Beobachtung erfolgen. Nur so kann der funktionell überlegene Anteil identifiziert und damit geschont werden. Der Zeitpunkt der Operation hängt ebenfalls stark von der Komplexität der Veränderungen ab. Die meisten Veränderungen vom Typ I, egal ob präaxial oder postaxial, können korrigiert werden, sobald das Kind die notwendige Anästhesie toleriert. Eine Einschränkung entsteht lediglich durch assoziierte Malformationen. Im Gegensatz hierzu ist der richtige Zeitpunkt für die komplexe Rekonstruktion der Duplikationen vom Typ II schwieriger zu finden. Hier muss ein Kompromiss zwischen den technischen Möglichkeiten einerseits und der frühzeitigen Operation aus funktionellen Gründen andererseits gefunden werden. Es ist von äußerster klinischer Wichtigkeit, dass ein möglichst frühzeitiger Eingriff eine maximale Entwicklung der zerebrokortikalen Fähigkeiten für die Funktion des belassenen Handabschnitts ermöglicht.
Wird die Operation zu spät durchgeführt, können bereits funktionelle Fehlhaltungen oder Fehlfunktionen eintrainiert worden sein. Andererseits werden die Möglichkeiten der rekonstruktiven Chirurgie in der Frühphase durch anästhesiologische Risiken sowie technische Probleme bei zu kleinen anatomischen Strukturen eingeschränkt. Es muss zusätzlich ein Augenmerk auf die Schonung von Wachstumsfugen gelegt werden. Kommt es durch die Duplikation zu einer Störung normaler Gewebsverhältnisse bzw. einer Einengung des normalen Wachstums, so ist die Operation im 1. Lebensjahr angeraten. Durch die besonderen anatomischen Gegebenheiten des Daumens werden hier operative Maßnahmen zusätzlich erschwert. Es können fibröse Verbindungen zwischen
KAPITEL 1
2 Daumen bestehen. Die durch den N. ulnaris versorgte intrinsische Muskulatur des Daumens (Adductor pollicis und tiefer Kopf des Flexor pollicis brevis) setzen üblicherweise im ulnaren Bereich des Daumens an. Die über den N. medianus innervierte intrinsische Muskulatur des Daumens (Abductor pollicis, oberflächlicher Kopf des Flexor pollicis brevis sowie der M. opponens) setzen üblicherweise am radialen Teil des duplizierten Daumens an. Die extrinsischen Flexoren und Extensoren können ebenfalls doppelt angelegt sein und setzen dann exzentrisch an. Es finden sich oftmals gemeinsame Kollateralbänder der Gelenke. Zusätzlich kann sich eine komplette Verdoppelung der beiden Gefäß-Nerven-Bündel zeigen. Zu den Frühkomplikationen gehören Hautnekrosen als Folge von Gefäßverletzungen bzw. verloren gegangenen Hauttransplantaten. Bei den Spätkomplikationen werden vor allem eine eingeschränkte Gelenkbeweglichkeit sowie eine Achsenfehlstellung der IP-Gelenke als Folgen exzentrischen Sehnenzugs beschrieben.
1.2.3.1 Vorgehen bei unterschiedlich großen Daumen Die einfachste Form des Doppeldaumens stellt ein sehr klein ausgeprägter radialer Partner mit geringer Deformierung des ulnaren Partners dar. Der Eingriff wird in der Regel im 1. Lebensjahr durchgeführt. Hierbei erfolgt eine Entfernung der radialen Komponente mit ggf. einer Korrekturosteotomie des Metakarpalhalses. Zusätzlich kann eine Neuformung des Metakarpalköpfchens notwendig werden In diesem Bereich muss zusätzlich auf das Vorhandensein des radialen Kollateralbandes geachtet werden. Sollte dieses nicht angelegt sein, so muss hier eine Kollateralbandplastik angeschlossen werden. Auch die verbleibende Grundphalanx oder die lange Daumenstrecksehne wird letztendlich mit der Thenarmuskulatur transponiert. Bei stärkerer Deformierung sowie bei Kindern im Alter über ein Jahr kann ein abweichendes Vorgehen empfohlen werden. Nach Resektion der Kommissur, des Knochens sowie des Nagels wird der radiale Hautmantel des entfernten Partners zur Deckung des ulnaren Partners verwendet. Hierbei sind bessere ästhetische Ergebnisse als bei der einfachen Resektion des hypoplastischen Anteils zu erwarten (Abb. 1.20 a–d).
1.2.3.2 Vorgehen bei gleich großen Daumen Zeigen sich zwei gleichgroße und normal ausgebildete Daumen so stehen zwei unterschiedliche Verfahren zur Verfügung. Die technisch aufwändigere ist die Keilresektion. Hierbei besteht zusätzlich die Gefahr der Spaltnagelbildung. Dies würde das kosmetische Ergebnis deut-
KAPITEL 1
Angeborene Fehlbildungen der Hand
31
a
b
Abb. 1.20 a–d. Korrektur des Doppeldaumens Wassel V. a Schema. b Doppeldaumen beidseits mit unterschiedlich großen Partnern. c Doppeldaumen mit gleich großen Partnern (Niveau P2). d Doppeldaumen mit gleich großen Partnern (Niveau metakarpal)
c, d
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Angeborene Fehlbildungen der Hand
Typ A
KAPITEL 1
Typ B
a Abb. 1.21 a–d. Korrektur des Doppeldaumens Wassel III. a Schema der Operationsschritte.
Typ C
KAPITEL 1
Angeborene Fehlbildungen der Hand
b, c
33
d Abb. 1.21 a–d. Korrektur des Doppeldaumens Wassel III. b–d Klinischer Aspekt. b Präoperativ. c Intraoperativ. d Postoperativ
lich beeinträchtigen. Das einfachere und sicherere Verfahren stellt die Resektion des ulnaren Partners unter Filetierung eines radialen Hautlappens dar. Hier finden sich keine Nageldeformierungen, und somit ist ein besseres kosmetisches Ergebnis zu erwarten (Abb. 1.21 a–d).
1.2.4 Klinodaktylie Klinodaktylie beschreibt eine Fehlstellung eines oder mehrerer Finger in der Sagittalachse. Nach Cooney können die verschiedenen Arten der Klinodaktylie in einfache und komplizierte unterschieden werden. In der Gruppe der einfachen Änderungen findet man knöcherne Deformitäten mit keiner oder einer nur sehr wenig ausgeprägten Weichteilbeteiligung. Diese können nochmals in die Gruppe der unkomplizierten und der komplizierten Fälle unterteilt werden. Die unkomplizierten Fälle zeigen lediglich eine Achsendeviation von 15–45° in der radioulnaren Ebene. Die komplizierten Fälle zeigen eine Achsenabknickung von 45–60° und zusätzlich Rotationsfehlstellung. Die komplexe Klinodaktylie beinhaltet multiple Veränderungen verschiedener Gewebsgruppen und ist mit anderen Anomalien, wie der Syndaktylie, assoziiert. Die einfachen und komplizierten Fälle werden ebenfalls zwischen einem Grad der Deviation von 15–45° bzw. 45–60° unterschieden. Die hier auftretenden komplizierten Fälle sind üblicherweise mit Anomalien, wie Polydaktylie oder Gigantismus, vergesellschaftet. Die Behandlung wird durch die Art und Form der Deformität festgelegt. Einen zusätzlichen Einfluss haben weitere komplizierende Erkrankungen, wie die Polydaktylie, Syndaktylie sowie das Apert-Syndrom. Es gibt keinen Ansatz für eine konservative Therapie. Bei einer Schienenbehandlung ist nicht von einer ef fektiven Korrektur auszugehen. Die operative Behandlung hängt von dem Grad der Deformität sowie vom Alter des Patienten ab. Zu den operativen Optionen gehören:
• die verkürzende Korrekturosteotomie („closing wedge“), • die verlängernde Korrekturosteotomie mit Knochentransplantat („opening wedge“) sowie • die reverse Resektionsosteotomie. Zusätzlich besteht die Möglichkeit einer Resektion des Knochenkerns mit oder ohne Interposition eines Fettlappens. Bei Erwachsenen sowie bei besonders gelagerten schwierigen Fällen kommt vereinzelt eine Arthrodese zum Einsatz. Als ultimo ratio besteht bei maximal veränderten Fingern mit einer schwerwiegenden Behinderung der übrigen globalen Handfunktionen die Möglichkeit einer Amputation. Die Ziele der Operation sind die gerade Stellung der Finger durch Normalisierung der Form der Phalangen und gleichzeitig eine Zerstörung der abnormen Epiphysenanteile.
Nur in wenigen Fällen kann eine echte funktionelle Verbesserung erreicht werden. In der Regel handelt sich um kosmetische Eingriffe. Der beste Ansatz bei der Behandlung einer isolierten Deltaphalanx ohne assoziierte Abnormalitäten am Ring- und Mittelfinger ist das Zuwarten. Grund dafür ist, dass vor allem bei den zentralen Fingern selten eine drastische Deviation auftritt. Somit kann man beruhigt das normale Längenwachstum abwarten. Eine Indikation zur Operation stellt eine Deviation über 20° sowie jede Art der Rotationsfehlstellung dar. Bei Kindern ist eine transversale Resektion der abnormalen Epiphyse und eine Entfernung des Knochenkerns frühzeitig bei starken Deviationen möglich. Das langfristige Ergebnis ist jedoch nicht immer befriedigend. Derzeit stellt die Resektion der Epiphyse mit einer Interposition mittels Fettlappen die am meisten versprechende Technik dar. Das optimale Alter hierfür ist das 4. Lebensjahr. Bei älteren Kindern ist das Verfahren der Wahl die verlängernde Korrekturosteotomie. Es besteht jedoch stets die Gefahr, dass nach einem forcierten Wachstumsschub eine erneute Korrektur erforderlich wird. Bei Erwachsenen kann es notwenig sein, die Deltaphalanx mit
34
Angeborene Fehlbildungen der Hand
dem deformierten Gelenk zu fusionieren. Dies kommt vor allem beim triphalangealen Daumen zum Einsatz. Es können keine genauen Angaben über die Resultate gemacht werden, da die klinischen Ausgangssituationen stark variieren. Bei isolierten Veränderungen des Daumens und des 5. Fingers ist jedoch von guten funktionellen und kosmetischen Ergebnissen auszugehen. Zu den Frühkomplikationen gehören Hautnekrosen, Pseudarthrosen, Rotationsfehlstellungen sowie Sehnenverklebungen. Diese treten in der Regel im Bereich der Extensoren auf. Als Langzeitproblem ist vor allem bei der Operation von sehr jungen Kindern ein Zurückbleiben des Längenwachstums des betreffenden Fingers zu nennen. Ursache ist hierbei in der Regel eine Störung der Epiphyse durch die Osteotomie. Ein weiteres großes Problem nach aggressiver Verkürzungsosteotomie sowie Resektion einer Deltaphalanx ist die Möglichkeit einer Ausbildung einer Mallet-Deformität im Bereich des DIP-Gelenks. Ursache ist hierbei einer Verkürzung der Phalangen. Dieser kann nur mit einer Verkürzungsoperation des Strecksehnenapparates entgegengewirkt werden.
1.2.4.1 Osteotomie Obwohl es möglich ist, durch die Osteotomie die Achsenfehlstellung zu korrigieren, kommt es in bis zu 60% der Fälle zu einer Verletzung der Epiphyse. Das Resultat ist eine iatrogen verursachte Beeinträchtigung des Längenwachstums. Aus diesem Grund sollte eine Osteotomie, wenn sie nicht durch die Art der Deformierung zwingend erforderlich ist, erst bei älteren Kindern durchgeführt werden. Besteht jedoch eine Funktionseinschränkung, die zur Osteotomie zwingt, sollte diese geplant werden, sobald auf dem Röntgenbild die Form und das Ausmaß des Knochenkerns deutlich erkennbar sind. Die Hautinzision erfolgt von den distalen Anteilen der Grundphalanx über die gesamte Länge der Mittelphalanx bis über die Basis des Endglieds. Der Strecksehnenapparat muss derart mobilisiert werden, dass eine sichere Identifikation und Inspektion beider Grenzen des Knochens möglich sind. Jede Osteotomie beinhaltet 2 Stadien: • Primär müssen die Weichteilstrukturen identifiziert und gesichert werden. • Anschließend kann die Knochendurchtrennung selbst durchgeführt werden. Zeigen sich in der 1. Phase weichteilbedingte Ursachen für eine Deviation, so muss hier ein Release vorgeschaltet werden. Dieses umfasst die Lösung von Kontrakturen, die Inzision von Kollateralbändern, die Verlagerung von extrinsischen Sehnen sowie ggf. eine Hautverlängerung über Z-Plastiken. Eine wohldurchdachte Lage der
KAPITEL 1
Z-Plastiken ist üblicherweise ausreichend, um eine Hautdeckung zu erreichen. Lediglich im Bereich des M. abductor pollicis brevis kann bisweilen eine Voll hauttransplantation erforderlich sein. Findet sich distal ein exzentrischer Ansatz der Sehnen, so müssen sowohl die Beugesehnen als auch die Strecksehnen verlagert werden. Dies ist die Voraussetzung für eine Rebalancierung der dynamischen Kraftflüsse durch das Gelenk. Werden die Weichteilstrukturen nicht ausreichend mobilisiert bzw. rekonstruiert, so kann es zu einer Pseudokorrektur kommen. Dies bedeutet, dass es nach Entfernung des Kirschner-Drahtes zu einer erneuten Verformung kommt. Die proximal verlaufende transversale Epiphyse und die Insertionsstelle der zentralen Streckaponeurose müssen gesichert werden, bevor die Exzisionen des Knochenkerns durchgeführt werden. Nach einer Sicherung des Streckapparates kann die Osteotomie problemlos von dorsal her durchgeführt werden. Nach Flatt (1994) kommt der Methode der Knochendurchtrennung eine zentrale Rolle zu. Die Phalanx ist klein und schwierig zu fixieren.
! Die Osteotomie birgt die Gefahr einer Zerstörung der
terminalen Epiphyse mit anschließender Störung des Längenwachstums.
Werden zu grobe Instrumente verwendet, so kann die Breite des Sägeblatts bereits eine Verletzung der Epiphyse bzw. eine Verkürzung des Fingers zur Folge haben. Wir selbst bevorzugen aus diesem Grund gerade bei jungen Kindern die Durchtrennung des Knochens mit einem scharfen Skalpell. Der korrigierte Finger wird zusammen mit seinem Nachbarfinger auf einer Handgelenkschiene für 6 Wochen ruhiggestellt (Abb. 1.22).
Verkürzende Korrekturosteotomie Die übliche ulnare Deviation des 5. Fingers ist am besten auf diesem Weg zu behandeln. Hierbei erfolgt die Osteotomie im Bereich der Mittelphalanx. Sowohl die Hautinzision, die Schonung der Weichteile als auch die Osteotomie werden von dorsal her durchgeführt. Die Fehlstellung wird über die Entfernung eines ulnaren Knochenspans ausgeglichen (vgl. Abb. 1.22).
Verlängernde Korrekturosteotomie Sowohl Hautinzision, Schonung der Weichteile als auch die Osteotomie werden von dorsal durchgeführt. Finden sich neben der Deltaphalanx eine Polydaktylie, so eignet sich der hier gewonnene Knochen vorzüglich als Transplantat. Andernfalls werden als Spenderstellen der Radius oder der
KAPITEL 1
Angeborene Fehlbildungen der Hand
verkürzende Osteotomie
35
10 Jahre Fetttransplantat
verlängernde Osteotomie
Rotationsosteotomie Knochen -transplantat
Abb. 1.22. Chirurgische Therapiemöglichkeiten der Klinodactylie (mod. nach Dobyns)
vordere Beckenkamm empfohlen. Bei einer starken Achsenabweichung kann es neben einer Verlängerung des Knochens zusätzlich zu einer Durchtrennung der Kontinuität der abnormalen Epiphyse kommen (vgl. Abb. 1.22). Bei der reversen Rotationsosteotomie wird statt einem autologen Knochentransplantat ein Knochenteil aus der konkaven Seite des Knochenkerns entfernt und auf der gegenüberliegenden Seite eingesetzt. Diese Technik ist anspruchsvoll und erfordert einen geübten Operateur. Wegen der Durchtrennung der kompletten Kortikalis besteht eine größere Gefahr der iatrogenen Rotationsfehlbildung (vgl. Abb. 1.22).
1.2.4.2 Resektion des Knochenkerns Dieses Operationsverfahren kommt vor allem bei jungen Kindern zum Einsatz. Der Eingriff muss möglichst frühzeitig durchgeführt werden, um der Natur die Möglichkeit zur spontanen Korrektur der Deformierung im Zuge des weiteren Längenwachstums zu geben. Das optimale Operationsalter ist das 4. Lebensjahr. Die einfache Resek-
tion kann problemlos im Stadium des kartilaginären Knochens durchgeführt werden. Carstam u. Eiken (1970) beschreiben die Möglichkeit einer partiellen transversalen Lamellenresektion aus dem mittleren Anteil des Knochenkerns. Durch das weiter fortschreitende physiologische Wachstum kommt es zu einer Geradestellung der Fehlbildung. Sie berichten gute initiale Resultate, beklagt jedoch ein teilweise Zurückkehren der Deformität in stärkeren Wachstumsperioden. Hierbei können Folgeeingriffe erforderlich werden. Um eine erneute knöcherne Überbauung des getrennten Knochenkerns zu verhindert, füllte Vickers den entstandenen Defekt mit einem freien Fetttransplantat auf. Dieses wird vom medianen Vorderarm entnommen (vgl. Abb. 1.22).
1.2.5 Komplette Zeigefingerpollizisation Bei vollständigem Daumenverlust (meist angeborene Fehlbildung) fehlt die Basis des Mittelhandknochens und somit die Funktion des Karpometakarpal- (CMC-)I-Gelenks. Alle 3 Glieder des Daumens und die sie bewe-
36
Angeborene Fehlbildungen der Hand Tabelle 1.5. Operative Schritte der kompletten Zeigefingerpollizisation 1.
Hautschnitt
2.
Entfernung des Daumenrestes und Auslösung des Zeigefingers
3.
Transposition des Fingers an seinem neurovaskulären Stiel
4.
Neuordnung des Skeletts
5.
Muskuläre Stabilisierung
6.
Postoperative Ruhigstellung und Nachbehandlung
genden kleinen Muskeln müssen ersetzt werden. Bei den angeborenen Daumendefekten können proximal zusätzliche Veränderungen an Muskeln, Sehnen, Nerven und Knochen vorliegen, die das operative Vorgehen entscheidend beeinflussen können. Unabhängig von der Defekthöhe kann das operative Vorgehen in 4 Phasen eingeteilt werden (Tabelle 1.5).
1.2.5.1 Hautschnitt Für den Hautschnitt werden entweder die Schnittführung nach Blauth (1976; Abb. 1.23 a–d) oder die nach BuckGramcko (1998; Abb. 1.24 a–m) beschrieben. Bei der Technik nach Buck-Gramcko wird die Inzision in der Hohlhand radial des Os metacarpale II leicht Sförmig von der Mitte der Grundphalanx sowohl radial als auch ulnar nach proximal und auch dorsal bis etwa in Höhe der Basis des Os metacarpale II geführt. Die korrekte Schnittführung in der Hohlhand ist entscheidend für ein natürliches Aussehen des pollizisierten Fingers. Wird die Inzision zu weit nach ulnar geführt, bleibt nicht genügend Haut zur Konstruktion der 1. Kommissur, was unweigerlich eine Adduktionskontraktur des künftigen Daumens nach sich zieht. Auf der gesamten Länge der dorsalen Seite der Grundphalanx des Zeigefingers wird vom PIP- bis zum MPGelenk eine weitere Inzision angelegt. Die 3. Inzision wird rund um den Zeigefinger geführt, indem die dorsale Inzision schräg nach palmar auf beide Seiten des MPGelenks verlängert wird. Mit dieser Schnittführung lassen sich 3 große Hautlappen herstellen, nämlich auf der dorsalen Seite des Zeigefingers der dorsale Zeigefingerlappen und der Handrückenlappen (kommissuraler Lappen) und ein radiopalmarer Hautlappen, der einen proximalen Stiel besitzt. Beim späteren Hautverschluss wird der radiopalmare Hautlappen zwischen die beiden dorsalen Hautlappen geführt (vgl. Abb. 1.24 a–c).
KAPITEL 1
1.2.5.2 Entfernung des Daumenrestes und Auslösung des Zeigefingers Als nächstes erfolgt die Darstellung aller tieferen Strukturen. Am Gefäß-Nerven-Bündel II/III wird in mikrochirurgischer Technik in der Mittelhand der gemeinsame Nerv in seine Anteile für die radiale Mittelfinger- und die ulnare Zeigefingerseite aufgespalten, während die zur Radialseite III abgehende Arterie unterbunden werden muss. Jetzt erfolgt die Präparation der Muskeln im Zeigefinger- und Daumenbereich. Nach Darstellung der langen Strecksehnen im Zeigefinger- und Daumenbereich, werden die Zeigefingerstrecksehnen in Abhängigkeit von der Länge der Daumenstrecksehnen durchtrennt. Die Mm. interossei dorsalis und palmaris I werden abgelöst und so durchtrennt, dass ihre distalen Anteile zur späteren muskulären Stabilisierung erhalten bleiben, der proximale Muskelbauch aber wegfällt. Nach Beendigung der Präparation im Langfingerbereich werden die Thenarmuskeln dargestellt und markiert (vgl. Abb. 1.24 d). Der zu transponierende Finger verbleibt somit nur an den beiden palmaren Gefäß-Nerven-Bündeln, den beiden Beugesehnen und den dorsal erhaltenen Venen (und evtl. Nerven gestielt). Ein nervaler Anschluss der Nn. digitales proprii der Langfinger an die des Daumens im Sinne eines „débranchement-rébrachement“ zur Verbesserung des „Organgefühls“ ist nicht notwendig. Die Beugesehnenscheide sollte von der palmaren Platte abgelöst werden, sodass sie den neuen Daumen etwa in Höhe der neuen Grundphalanx erreicht.
1.2.5.3 Transposition des Fingers an seinem neurovaskulären Stiel Die Transposition des Langfingers muss unter gleichzeitiger Drehung um die Längsachse von etwa 90–100° vorgenommen werden. Je weniger der Daumen in seinem Sattelgelenk in Sinne der palmaren Abduktion und Opposition beweglich ist, desto mehr muss der transponierte Finger nach palmar abgewinkelt und im Sinne der Pronation gedreht werden. Der neue Daumen soll so lange sein, dass er bis in Höhe des PIP-Gelenks des nächsten Langfingers reicht. Die richtige Länge des künftigen Daumens wird durch Kürzung des Schaftes des Os metacarpale II erreicht. Das Ausmaß der Metakarpalkürzung hängt von der Länge der Phalangen ab. Wenn die Phalangen des transponierten Fingers eine normale Länge besitzen, kann das Os metacarpale II im CMC-II-Gelenk exartikuliert werden. Sorgfältig müssen dabei alle Periostanteile entfernt werden, um spätere Knochenbildungen und damit sekundäre Einsteifungen oder Einschränkungen des Bewegungsumfanges im künftigen CMC-I-Gelenk zu vermeiden (vgl. Abb. 1.24 f).
KAPITEL 1
2
Angeborene Fehlbildungen der Hand
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3 3 2
a
1
1
1
b
c
2 1
Abb. 1.23 a–d. Hautschnitt nach Blauth bei kompletter Zeigefingerpollizisation zur Korrektur eines hypoplastischen Daumens. Klinischer Aspekt. a,b Präoperativ. a Ansicht von dorsal. b Ansicht von palmar. c,d Postoperativ. c Ansicht von dorsal. d Ansicht von palmar
Sind die Phalangen des Zeigefingers kurz, so sollte die Basis des Os metacarpale II erhalten bleiben, um dem künftigen Daumen die richtige Länge zu verleihen (vgl. Abb. 1.24 f). Das Köpfchen des Os metacarpale II muss erhalten bleiben, um als Ersatz für das fehlende Trapezi-
d
um dienen zu können. Die Epiphysenfuge im Köpfchen des Os metacarpale II sollte zerstört werden, um ein späteres Längenwachstum zu verhindern. Dazu wird die Epiphysenfuge mit dem Skalpell aufgesucht und das Köpfchen in der knorpeligen Schicht vom Schaft gelöst.
38
Angeborene Fehlbildungen der Hand
KAPITEL 1
Abb. 1.24 a–m. Korrektur eines hypoplastischen Daumens mithilfe einer kompletten Zeigefingerpollizisation nach Buck-Gramcko. a Präoperativ. b,c Hautschnitt. b Ansicht von dorsal. c Ansicht von palmar. d Intraoperativ: Entfernung des Daumenrestes und Auslösung des Zeigefingers (nach Pechlaner).
b
a
M. interosseus palmaris
M. interosseus dorsalis II
Strecksehne mit Aponeurose M. interosseus dorsalis I
Reste der Daumenmuskulatur
c
d
KAPITEL 1
Angeborene Fehlbildungen der Hand
39
M. interosseus palmaris ulnarer Seitenzügel der Aponeurosis dorsalis
70–90°
Metakarpale II-Köpfchen
e
extraartikulierte Metakarpale II-Köpfchen
radialer Seitenzügel der Aponeurosis dorsalis
Tendo m.extensoris indicis Tendo m.extensoris digitorum
M. interosseus dorsalis I
Articulatio metacarpophalangealis Aponeurosis dorsalis
g 70–90°
f
Abb. 1.24 a–m. Korrektur eines hypoplastischen Daumens mithilfe einer kompletten Zeigefingerpollizisation nach Buck-Gramcko. e Bildung des neuen CMC-IGelenks bei normal langen Phalangen (aus Tsuge). f Bildung des neuen CMC-I-Gelenks bei kurzen Phalangen (aus Tsuge). g Muskuläre Stabilisierung vor Fixierung (nach Pechlaner)
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Angeborene Fehlbildungen der Hand
KAPITEL 1
M. interosseus palmaris
Tendo m.extensoris indicis
i
M. interosseus dorsalis
h
Tendo m.extensoris digitorum
Abb. 1.24 a–m. Korrektur eines hypoplastischen Daumens mithilfe einer kompletten Zeigefingerpollizisation nach Buck-Gramcko. h Muskuläre Stabilisierung nach Fixierung (nach Pechlaner). i,j Schema postoperativ. i Ansicht von dorsal. j Ansicht von palmar.
j
KAPITEL 1
Angeborene Fehlbildungen der Hand
k, l
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m Abb. 1.24 a–m. Korrektur eines hypoplastischen Daumens mithilfe einer kompletten Zeigefingerpollizisation nach Buck-
Gramcko. k–m Postoperativ. k Ansicht von dorsal. l Ansicht von palmar. m Ansicht 1. Kommissur
1.2.5.4 Neuordnung des Skeletts
1.2.5.5 Muskuläre Stabilisierung
Der nächste Schritt besteht in der Positionierung des Zeigefingers. Riordan (1983) betont vor allem die Bedeutung der Ausrichtung des Metakarpalköpfchens, welches unmittelbar distal bzw. palmar des Stumpfes des Os metacarpale II zu liegen kommt und das die Rolle des Trapeziums übernehmen soll. Dazu wird mit der Schere oder einem Perioststripper eine Tasche gebildet und dem Metakarpalköpfchen angepasst. Anschließend wird das MPGelenk des Zeigefingers – zur Vermeidung einer sekundären Hyperextensionsfehlstellung des neuen Daumens – in 70- bis 90°-Hyperextensionsstellung fixiert. Das Metakarpalköpfchen wird mit resorbierbarem Nahtmaterial an der Kapsel bzw. dem Periost fixiert. Alternativ kann ein Kirschner-Draht eingebracht werden. Eine Rotation von etwa 160° in der Längsachse ist dabei anzustreben. Diese Überkorrektur vermindert sich später durch den Zug von Muskelapparat und Hautgewebe auf etwa 120–140°. Zusätzlich ist eine Abduktion des Daumens von etwa 40° und eine Extension von 30° anzustreben. Bei einem Beugedefizit des Mittelfingers ist eine ausreichende Opposition zum neuen Daumen oft nicht von vornherein möglich. In diesen Fällen sollte dieser dennoch in eine deutlichere Oppositionsstellung gebracht werden, um wenigsten einen Spitzgriff mit dem Kleinfinger zu ermöglichen.
Am Ende der Operation muss der rekonstruierte Daumen an seinem Sehnenzügen wie ein Schiffsmast fixiert sein, er muss sich aber trotz gleichmäßiger Stabilisierung durch die Sehnenzüge frei in eine anatomisch günstige Neutralstellung einfinden können. Der von den anderen Fingerflexoren unabhängige M. flexor indicis bleibt intakt und passt sich innerhalb weniger Monate dem relativ verlängerten Sehnenzug durch Schrumpfung an. Der M. extensor indicis proprius muss dagegen intraoperativ ausreichend gekürzt werden, um MP- und IP-Gelenk des neuen Daumens gegen die Schwerkraft in volle Extension bringen zu können. Die Einzelsehne des M. extensor digitorum zum Zeigefinger wird von der Streckaponeurose getrennt und an die Basis des neuen Os metacarpale, der ehemaligen Grundphalanx des Zeigefingers, fixiert, um so die Funktion einer M.-abductor-pollicis-longus-Sehne zu übernehmen. Zwar ist die Spannung schwer einzustellen, sie sollte jedoch gerade so fest sein, dass der Daumen einer vorsichtigen passiven Adduktionsbewegung widersteht. Als nächstes werden die beiden intrinsischen Muskeln an den Metakarpalschaft fixiert. Die distale Sehne des M. interosseus dorsalis I sowie die des M. lumbricalis I (radialer Seitenzügel der Streckaponeurose) wird mit dem Muskelbauch des A. abductor pollicis brevis und M. opponens verbunden. Bei Insuffizienz des M. interosseus dorsalis I kann die oberflächliche Zeigefingerbeugesehne zur gleichzeitigen Opponensplastik verwendet werden. Der M. interosseus palmaris wird mit dem medialen Seitenzügel der Streckaponeurose verbunden und über-
42
Angeborene Fehlbildungen der Hand
KAPITEL 1
Tabelle 1.6. Muskuläre Stabilisierung bei komplettem Daumenverlust und Möglichkeiten der motorischen Ersatzoperationen der Zeigefingerpollizisation Funktion
Kompletter Daumenverlust
Mögliche Sehnentransfers
Flexion (FPL)
FDP II
FPL, FDS IV
Extension (EPL)
EIP
BR, ECRL, ECU, FDS IV
Abduktion (APL)
EDC II
BR, ERCL, ECU, FDS IV
Opposition (M. opponens, FPB)
M. interosseus dorsalis I
FDS II, FDS IV, ADM
Adduktion
M. interosseus palamaris I, EIP
FDS II
nimmt die Funktion des M. adductor pollicis. Die Spannung sollte so ausgewogen sein, dass der Daumen in einer neutralen Position gehalten werden kann. Zur Wiederherstellung der notwendigen Sehnenzüge können motorischer Ersatzoperationen notwendig werden. Oft ist auch eine zusätzliche Opponensplastik erforderlich. Für die Rekonstruktion der Extension wird die Sehne des EDC mit der Sehne des EPL koaptiert. Die Adduktionsfähigkeit wird durch Naht der Sehne des M. interosseus palmaris I in den M. adductor pollicis wieder hergestellt. Bei der Zeigefingertransposition kann zusätzlich der distale Sehnenstumpf des EIP zur Verbesserung der Adduktionsfähigkeit verwendet werden (vgl. Abb. 1.24 g,h, Tabelle 1.6). Nach Öffnen der Blutleere und Kontrolle der Durchblutung erfolgt eine subtile Blutstillung. Anschließend wird die Haut locker verschlossen, wobei bei der Zeigefingerpollizisation der vorher gehobene Hautlappen jetzt die neue Zwischenfingerfalte deckt und durch seine Begrenzung einen kontrakturvermeidenden Wundverlauf ergibt (vgl. Abb. 1.23 i–m).
1.2.5.6 Postoperative Ruhigstellung und Nachbehandlung Postoperativ ist eine Ruhigstellung für 3 Wochen durch eine Unterarmgipsschiene – oft zur besseren Fixierung eine Oberarmgipsschiene – mit Einschluss des neuen Daumens zum Schutz der Muskel- und Sehnennähte erforderlich. Ein eingebrachter Kirschner-Draht kann nach 4–6 Wochen entfernt werden. Danach wird mit aktiver krankengymnastischer Übungsbehandlung (Spieltherapie) begonnen.
1.2.6 Makrodaktylie Der digitale Gigantismus wird definiert durch eine kongenitale pathologische Vergrößerung von Weichteilstrukturen assoziiert mit einer übergroßen Anlage der knö-
chernen Anteile. Zu dieser Definition kommen noch die auffälligen Veränderungen bei Hämangiomen, arteriovenösen Fisteln, der Lipomatose, der Fibromatose sowie anderer Knochenveränderungen hinzu. Nach Upton (1990) können 4 klinische Formen des Gigantismus unterschieden werden. Gemeinsam haben alle diese Veränderungen ein überschießendes Größenwachstum von einem oder mehreren zellulären Typen, einschließlich des Skeletts. Es unterscheiden sich der klinische Eindruck, die Art der Entstehung sowie die Behandlung. Die beiden häufigeren Typen sind mit nervalen Veränderungen vergesellschaftet: • Typ-I-Gigantismus mit Lipofibromatose, • Typ-II-Gigantismus mit Neurofibromatose. • Die Gruppe III zeigt keine nervalen Vergrößerungen: Typ-III-Gigantismus mit digitaler Hyperostose. • Die 4. Gruppe beschreibt den Gigantismus mit Hemihypertrophie. Es sind keine befriedigenden konservativen Therapieansätze für die Makrodaktylie bekannt. Indikationen für einen operativen Eingriff sind die Vergrößerung selbst, Achsenabweichungen, das Karpaltunnelsyndrom sowie weitere Kausalgien. Die operative Behandlung ist ebenfalls problematisch, da es meist nicht gelingt, die Finger auf normale Proportionen zu verkleinern und die Progredienz der Erkrankung meist bei wachsenden Kindern zu erneuten Vergrößerungen und Deformation führt.
Zusätzlich zu den funktionellen Einschränkungen kann die psychologische Belastung für das Kind und die Familie immense Ausmaße annehmen. Es sind keine konservativen Möglichkeiten zur Hemmung von lokalem Wachstum bekannt. Bei den operativen Therapieansätzen stehen wiederholt ablative Eingriffe im Mittelpunkt. Oftmals werden pro Operation die verschiedensten reduzierenden Prozeduren zum Einsatz gebracht. Die Patienten müssen während ihrer Kindheit im Wachstum engmaschig kontrolliert werden. Es ist stets eine individuelle Anpassung der
KAPITEL 1
Therapie an die jeweilige Veränderung erforderlich. Hierbei müssen Überlegungen, wie das Alter des Patienten, die Anzahl der betroffenen Finger sowie die Wachstumstendenz beachtet werden. Postoperativ wird eine Ruhigstellung für 3 Wochen angestrebt. Werden KirschnerDrähte zum Einsatz gebracht, so werden diese nach spätestens 6 Wochen entfernt. Das Hauptziel der Operation ist eine Verkürzung der Fingerlänge sowie eine Verringerung des Umfangs. Hiermit kann Zirkulationsstörungen entgegengewirkt werden. Bei Kindern mit den milden Typen I und II der Hypertrophie von Fingern sollte eine Inhibition des Längenwachstums geplant werden. Hierbei ist es wichtig, mit der Therapie frühzeitig zu beginnen. Ziel ist es, einen in seinen Ausmaßen der Gegenseite entsprechenden Finger zu schaffen. Für vergrößerte Finger mit zunehmendem Wachstum ist gleichzeitig eine Weichteilreduktion erforderlich. Erwachsene stellen sich in der Regel wegen kosmetischer Deformationen sowie Bewegungsdefiziten vor. Zusätzlich kann hier oftmals die Anamnese eines Karpaltunnelsyndroms erhoben werden. Kinder geben in der Regel keine Parästhesien oder Hypästhesien an. Grundsätzlich sollte der umschriebene Riesenwuchs möglichst frühzeitig operativ angegangen werden, nicht zuletzt um funktionelle und sekundäre morphologische Fehlentwicklungen frühzeitig aufhalten zu können. Es kann jedoch kein absolutes Alter für die weichteilreduzierenden Eingriffe empfohlen werden. Der Zeitpunkt richtet sich stark nach dem Ausmaß der Deformität sowie der Erfahrung des Chirurgen. Als Regel kann gelten, dass die Operation durchgeführt werden sollte, wenn die Kinder ein Jahr oder älter sind. Grundsätzlich ist jedoch festzuhalten, dass die Operation bei stärkerer Ausprägung frühzeitiger und aggressiver durchgeführt werden sollte als bisher
Angeborene Fehlbildungen der Hand
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angenommen. Vorteile der frühzeitigen Operation sind die Möglichkeit der Unterbindung von exzessivem Größenwachstum, z. B. Epiphysenverschmelzung. Hierbei können schwerwiegende sekundäre Probleme vermieden werden. Verschiedene operative Techniken kommen bei der Behandlung der Makrodaktylie zum Einsatz: 1. Weichteilreduzierende Eingriffe: Reduktion der Weichteile durch Exzision des hypertrophischen Fettgewebes und partielle Resektion von Nervenanteilen. Zusätzlich Fingerkuppenplastik. 2. Skelettreduzierende Eingriffe: Frühzeitig Verhinderung des Längenwachstums durch Zerstörung der Epiphysenfugen. Zusätzlich longitudinale Verschmälerungsosteotomie, Keilosteotomie zur Achsenkorrektur gekrümmter Finger sowie Arthrodese und Resektionsarthroplastik. 3. Kombinierte weichteil- und skelettreduzierende Eingriffe: Fingerverkürzung, verkürzende Gelenkresektion mit Arthrodese, Rückversetzung des Fingernagels mit verkürzender Knochenresektion sowie Verkürzung und Verschmälerung der Phalangen durch multiple Osteotomien. 4. Gelenkeingriffe: Arthrolysen, Arthrodesen, Resektionsarthroplastiken sowie Implantate. 5. Amputationen. In milden Fällen kann der Finger durch Resektion der seitlichen Haut und des subkutanen Hautgewebes verschmälert und durch eine Fingerkuppenplastik verkürzt werden. In mäßig ausgeprägten Fällen wird zusätzlich eine Epiphysiodese zur Verhütung des weiteren Längenwachstums vorgenommen. Dies jedoch nicht vor einem Alter von 3 Jahren. Wenn Makrodaktylien bei älteren Kindern vorliegen, kann die Resektion von Fettgewebe, hypertrophierten Nerven und überschüssiger Haut er-
a
b
c
d
Abb. 1.25 a–d. Fingerverkürzung nach Tsuge. a Schnittführung, Ausmaß der Knochenresektion. b Verdickter Fingernerv.
c Resektion des Grundgelenks, Schnittführung zur Fingerverschmälerung. d Postoperatives Ergebnis
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Angeborene Fehlbildungen der Hand
gänzt werden durch die Resektion des Grundgelenks (Abb. 1.25 a–d). Bei grotesk vergrößerten Fingern erscheint die Fingerverkürzung als praktikabelste Behandlung. In sehr schweren Fällen und bei Befall eines einzigen Fingers kann – außer dem Daumen – die Amputation des Riesenfingers indiziert sein. Trotz aller operativen Bemühungen müssen sich der Operateur, die Eltern und auch das Kind der Tatsache bewusst sein, dass in keinem Fall ein normaler Finger rekonstruiert werden kann. Oftmals ist jedoch eine deutliche kosmetische und funktionelle Verbesserung nach mehreren operativen Eingriffen sowie einer langwierigen Nachbehandlung zu erzielen.
KAPITEL 1 Lymphödem
zirkulär
Weichteilfusion
partiell
1.2.7 Schnürringsyndrom Amniotische Schnürfurchen sind das Resultat von lokalen Nekrosen entlang der Extremität während der fetalen Entwicklungsphasen. Das Gebiet einer lokalen Nekrose, welche die oberflächlichen Weichteile betrifft, heilt als zirkuläre Narbe, welche ihren Ausdruck in einem derben Band findet. Feste einschnürende Ringe und anuläre Bänder können an allen Teilen der Extremitäten bei neugeborenen Kindern gefunden werden. Es können zusätzlich weitere Stellen des Körpers, wie der Hals und der Rücken, betroffen sein. Eine Übersicht über die Literatur der Schnürringsyndrome ist verwirrend. Grund dafür ist die Tatsache, dass Schnürringe oftmals zusammen mit der a Akrosyndaktylie oder dem kompletten Fehlen von Handanteilen auftreten. Es wäre unklug, eine derart veränderte Hand als Anteil eines Schnürringsyndroms zu sehen. Für die Diagnose amniotischer Schnürringe muss mindestens einer der folgenden 4 Punkte erfüllt sein (Abb. 1.26 a,b): 1. Einfacher Schnürring (üblicherweise transversal, jedoch auch querverlaufend um einen Finger oder eine Extremität), 2. Schnürring zusammen mit einer distal gelegenen Deformität mit oder ohne Lymphödem, 3. Schnürring zusammen mit Weichteilfusionen, wie Akrosyndaktylie oder gefensterter Syndaktylie, 4. kongenitale intrauterine Amputation. Üblicherweise ist das ödematöse Gewebe verhärtet, induriert und wächst proportional mit dem Rest des Körpers mit. Abgesehen von der vorliegenden Verkürzung können die Finger trotzdem oft brauchbar sein. Die Art der Behandlung hängt von der Schwere der Deformität, der Anzahl der funktionstüchtigen Finger sowie des Fehlens b oder Vorhandenseins des Daumens ab. Bei den wenig ausgeprägten, inkompletten amnio- Abb. 1.26 a,b. Klinische Kennzeichen des Schnürringsyntischen Ringen oder distalem Lymphödem ist eine opera- droms. a Schematische Darstellung. b Akrosyndaktylietyp tive Intervention üblicherweise nicht erforderlich. Die
KAPITEL 1
Veränderungen müssen jedoch engmaschig kontrolliert und von physiologischen Hautfurchen als Ausdruck des Babyspecks differenziert werden. Prinzipiell wird die Operation in Allgemeinanästhesie sowie pneumatischer Blutleere durchgeführt. Eine Antibiotikaprophylaxe perioperativ ist üblicherweise nicht erforderlich. Die Rekonstruktion kann bei einfachen, wenig tief ausgeprägten Furchen durch eine Exzision der Veränderungen erreicht werden. Tiefere Einschnürungen mit Lymphödem müssen durch Z-Plastiken aufgelöst werden. Finden sich intrauterine Amputationen von Fingern, so kann in 30% der Fälle durch einen Transfer der verbleibenden Fingerstümpfe eine Verbesserung der Handfunktion erreicht werden. In unkomplizierten Fällen wird die Korrektur im Alter von 1 1/2–2 Jahren durchgeführt. Ausnahmen von diesem Vorgehen bilden tiefe zirkuläre Schnürfurchen mit Ausbildung eines distalen Ödems sowie die Akrosyndaktylie. Bei schwerem distalen Lymphödem besteht eine Notfallsituation.
In diesen Fällen die Zirkulation sowie die neurologische Funktion bereits frühzeitig gestört. Es kommen differenzierte Untersuchungsverfahren, wie die vergleichende Temperaturmessung, der Addson-Test für die Sensibilität sowie die Beobachtung der spontanen Bewegungen zum Einsatz. Eine Zunahme des Lymphödems erfordert eine sofortige operative Intervention. Um eine Verformung der Finger bei einer Akrosyndaktylie mit dem Wachstum nicht zuzulassen, ist eine möglichst frühzeitige Operation, etwa im Alter von 6 Monaten angezeigt. Abhängig von der Schwere sowie vom Typ der Veränderung kommen verschiedene Operationstechniken zum Einsatz: • Ausgleich von Schnürfurchen und Ringen durch einzeitige multiple Z- oder W-Plastiken, • Resektion von Teilen der dorsalen Fettpolster, • Syndaktylietrennung, • Verlängerung von Finger- oder Mittelhandknochen durch Interposition oder Aufstockung von Knochenspänen, • Transposition von Fingerstümpfen auf neurovaskulärem Stiel, • freier mikrochirurgischer Zehentransfer, • Amputation funktionsloser oder ästhetisch störender kurzer Fingerstümpfe. Die Hauptprobleme derartiger Operationen sind Zirkulationsstörungen der Lappen bzw. der transferierten Segmente.
Angeborene Fehlbildungen der Hand
! Die Gefahr der Verletzung von Digitalnerven sowie Beuge- und Strecksehnen ist bei tiefen Schnürfurchen groß. Bei frühzeitigen aggressiven Korrekturosteotomien besteht ein erhöhtes Risiko zur Ausbildung von Pseudarthrosen.
Postoperativ wird eine locker fixierte Gipslonguette bis hin zum Oberarm angelegt. Es ist hierbei auf mögliche Einschnürungen durch die Bandagen zu achten. Die Fäden werden nach 10–14 Tagen entfernt. Bis dahin bleibt auch die Ruhigstellung erhalten. Nach Abschluss der Wundheilung ist eine freie Beweglichkeit der Hand zugelassen. Werden mehrstufige Operationen geplant, so sollte zwischen den einzelnen Eingriffen ein Abstand von 2–3 Monaten eingehalten werden.
1.2.7.1 Einfache Schnürringe Die einfachsten Schnürringe sind oftmals sehr flach, inkomplett und benötigen primär keine Behandlung. Spätere Eingriffe werden häufig mehr aus kosmetischen als aus funktionellen Gründen indiziert. Es ist zu beachten, dass nach Resorption der subkutanen Fettpolster bei Säuglingen die Einschnürungen oft weniger auffällig erscheinen. Bei derartigen Veränderungen erfolgt eine Exzision des betroffenen Bereichs sowie ein Hautverschluss über multiple Z-Plastiken. Hierbei können sekundäre Narbenkontrakturen verhindert werden (Abb. 1.27). Als Standardverfahren hat sich die einzeitige, umgreifende multiple Z-Plastik-Operation bei oberflächlichen Ringen als am effektivsten erwiesen. Bei tiefgreifenden Einschnürungen sollte zur Sicherung der Durchblutung ein zweizeitiges Vorgehen gewählt werden. Einige Grundprinzipien haben sich für das operative Vorgehen durchgesetzt (Abb. 1.28): • Die Schnürfurche muss in ihrer Tiefe komplett exzidiert werden. • Z-Plastiken werden von dorsolateral bis nach palmar hin durchgeführt. Der dorsale Anteil des Fingers wird über eine gerade Linie verschlossen. • Die subkutanen Fettpolster werden mobilisiert und unter den entstandenen Defekt verlagert. Bei Fingern ist es oftmals nicht notwendig, die palmare Sektion des Rings mit zu exzidieren. Hierbei findet sich oftmals lediglich ein unauffälliger Narbenzug. Liegt der Schnürring weiter proximal an der Extremität, so ist es sicherer, die komplette Zirkumferenz zu exzidieren und den Ring mittels Z-Plastiken aufzulösen. Auch hier gilt jedoch, dass beim Vorliegen von sehr tiefen Schnürfurchen und fragwürdiger distaler Zirkulation
45
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Angeborene Fehlbildungen der Hand
1 2
5
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KAPITEL 1
6
a
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4
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Abb. 1.27 a,b. Prinzip der Korrektur eines Schnürringes mithilfe von Z-Plastiken
maximal 2/3 des Rings in einer Sitzung exzidiert werden dürfen. Als Richtgröße für die Schenkel der Z-Plastiken wird 1/4 bis 1/3 des Durchmessers der Extremität auf Höhe der Schnürfurche angegeben.
! Liegen 2 Ringe eng nebeneinander, so verbietet sich wegen der Gefahr der Lappennekrosen der einzelnen Z-Plastiken ein einzeitiges Vorgehen.
Gelegentlich finden sich Schnürringe im weitesteten Bereich der Fingerspitze. Hierbei ist darauf zu achten, eine runde und taktile Fingerpulpa zu erhalten. Auch hier kommen Z-Plastiken zum Einsatz. Findet sich distal der Furche ein großes Lymphödem, so kann es hilfreich sein, dieses für 24 Stunden über einen Kompressionsverband zu verkleinern. Nach der Exzision sollte dann weiter ein Kompressionsverband angelegt bleiben.
1.2.7.2 Schnürringe mit distaler Beteiligung Die typischen distalen Veränderungen zeigen sich in Form eines mehr oder weniger ausgeprägten Lymphödems. In einzelnen Fällen kommt es zu einer progressiven Zirkulationsstörung mit weiter ansteigendem Lymphödem und zunehmender Zyanose. Hierbei handelt es sich um eine Notfallindikation, welche einer frühzeitigen operativen Behandlung bedarf. Die chirurgischen Prinzipien folgen der Behandlung der einfachen Schnürringe. Durch die Z-Plastiken und die Entfernung der Schnürfurchen kommt es zu einer Drainage des Lymphödems und somit zu einer Abnahme der Gewebsschwellung. Diesen Effekt erreicht man auch bereits bei einer Exzision der Hemizirkumferenz. Auch die Zyanose kann auf diesem Weg schnell und effektiv behandelt werden. Üblicherweise wird eine 2. Operation zur Komplettierung der Ringexzision nach 2–3 Monaten angeschlossen.
KAPITEL 1 Abb. 1.28. Grundprinzipien der operativen Korrektur von Schnürringen. (Mod. nach Upton)
Angeborene Fehlbildungen der Hand
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Exzision
Fettgewebe Gleitgewebe
Un Unterminierung
Strecksehne Periost Resektion des überzähligen Fettgewebes
Mobilisation des verbleibenden Fettgewebes
Z-Plastik postoperativer Zustand
1.2.7.3 Behandlung bei kongenitalen Amputationen Prinzipiell müssen Patienten mit teilweise erhaltener Handfunktion von denen mit komplettem Verlust der Handfunktion unterschieden werden. Letztere sind meist bedingt durch kongenitale Makroamputationen und
müssen in der Regel der prothetischen Versorgung zugeführt werden. Die Patienten mit teilweise erhaltener Handfunktion benötigen in etwa 70% der Fälle keine weiteren chirurgischen Eingriffe. Die verbleibenden 30% erreichen Verbesserungen durch Kommissurvertiefungen, lokale Transpositionen, freie Weichteiltransplantationen, Kallusdistraktionen oder Strangentfernungen.
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Angeborene Fehlbildungen der Hand
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A. Berger
KAPITEL 2
Rheumachirurgie an der Hand
Inhalt
2.1 Allgemeines
2.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . . 49 2.1.1.1 Makroskopische und mikroskopische Veränderungen bei rheumatischen Erkrankungen (am Beispiel der chronischen Polyarthritis). . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.1.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2.1.2.1 Klinische Untersuchung. . . . . . . . . 53 2.1.2.2 Apparative Untersuchungen. . . . . . 56 2.1.2.3 Funktionelle Bewertung der Globalfunktion . . . . . . . . . . . . . . 58 2.1.3 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2.1.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2.1.4.1 Ziele der Therapie an der „rheumatischen Hand“ . . . . . . . . . 59 2.1.4.2 Anästhesie . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2.1.4.3 Therapeutische Möglichkeiten. . . . 60 2.1.4.4 Postoperative Immobilisation. . . . . 63 2.1.4.5 Postoperative Begleittherapie. . . . . 65 2.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.2.1 Synovialektomie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.2.1.1 Beugesehnen. . . . . . . . . . . . . . . 66 2.2.1.2 Strecksehnen . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.2.1.3 Handgelenk. . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.2.2 Bewegungserhaltende Eingriffe . . . . . . . . . 73 2.2.3 Komplette Arthrodese des Handgelenks. . . . 73 2.2.4 Grundgelenke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2.2.4.1 Gelenkersatz, Gelenkprothesen. . . . 77 2.2.5 Daumenfehlstellungen, 90-90-Fehlstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2.2.6 Langfingerfehlstellungen . . . . . . . . . . . . . 77 2.2.6.1 Knopflochdeformität. . . . . . . . . . 77 2.2.6.2 Schwanenhalsdeformität. . . . . . . . 81 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
Die Behandlung der Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis ist und bleib eine Domäne internistischer Rheumatologen. Nur sie sind kompetent für Diagnostik, Differenzialdiagnose medikamentöse Therapie und die erforderlichen Korrekturen im Verlauf der Erkrankung. Die zweite Säule der Behandlung rheumatischer Patienten ist die intensive physikalische Therapie, ohne die kein Behandlungskonzept denkbar ist. Operative Maßnahmen kommen hinzu, können aber weder die medikamentöse Einstellung noch die physikalische Therapie ersetzen. Voraussetzung für das Gelingen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes aller Beteiligten ist eine gute Zusammenarbeit und Abstimmung, welche Maßnahmen vordringlich sind und wie diese gemeinsam umgesetzt werden können.
2.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie 2.1.1.1 Makroskopische und mikroskopische Veränderungen bei rheumatischen Erkrankungen (am Beispiel der chronischen Polyarthritis) Die chronische Polyarthritis ist eine systemische Erkrankung, die alle Gewebe des Körpers in verschiedenen Ausmaßen betrifft.
Durch die peridentinösen und intraartikulären Synovialitiden kommt es zu typischen Zerstörungen im Bereich der Sehnen und Gelenke (Abb. 2.1 a–h). Neben der Zerstörung des Gelenkknorpels kommt es durch den Gelenkerguss und die Proliferation der Synovia (Pannusbildung) zu einer Dehnung der Gelenkkapsel, der Verdrängung des Streckapparates und einer Verlagerung von Sehnen. Durch die Proliferation werden Knochen und Sehnen arrodiert sowie Nerven komprimiert. Reflektorisch kommt es schließlich zu Muskelatrophien, -spasmen und Störungen des Antagonistengleichgewichts.
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Rheumachirurgie an der Hand
Diese Vielzahl von Störungen im und am Fingergelenk sowie an seinen Motoren (Sehnen und Muskeln) bestimmt die Polymorphie und Schwere der Handdeformierungen. Durch die Abhängigkeit nachgeordneter Gelenke von den proximalen Gelenken kommt es an der so genannten rheumatischen Hand besonders oft zu Deformierungen wie: • ulnare Langfingerabweichung, • 90-90-Deformierung des Daumens und • Schwanenhalsdeformität und Knopflochdeformität im Langfingerbereich.
KAPITEL 2
Im Handgelenkbereich (Abb. 2.2) kommt es durch die chronische rheumatische Synovialitis zu einer Überdehnung und Lockerung der dorsalen radiokarpalen und palmaren ulnokarpalen Kapselbänder. Dadurch entsteht primär eine Supinationsdislokation. In der Folge verschiebt sich die Handwurzel durch Insuffizienz der radiokarpalen Bänder nach palmar (palmare Dislokation) und ulnar (ulnare Dislokation). Durch Überdehnung des dorsalen Kapsel-Band-Apparates am distalen Radioulnargelenk entsteht ferner eine palmare Dislokation der Sehne des M. extensor carpi ulnaris. Daraus resultiert eine relative Insuffizienz dieser Sehne, sodass die radialen Exten-
b
a
e
c
d Abb. 2.1. a–h a Chronische Polyarthritis. b Schematische Darstellung des Prozessablaufs am Gelenk ausgehend von der Synovialitis, tritt schubweise zellreiches Exsudat in den Gelenkraum (seröse und Fibrinexsudation). c Röntgenauf-
nahme. d Vordringen von faserreichem Gewebe (Pannus) in den Gelenkspalt und die knorpelnahen Knochenzonen, Kapselverdickung. e Röntgenaufnahme.
KAPITEL 2
f
g
Rheumachirurgie an der Hand
h
Abb. 2.1. a–h f Auflösungder Gelenkknorpel und Zerstörung der Knochenstruktur. g Röntgenaufnahme. h Das getroffene Gelenk versteift und ankylosiert
Abb. 2.3. 90°-90°-Deformität des Daumens: Insuffizienz streckseitig am Grundgelenk (Kapsel und Sehne des M. extensor pollicis brevis) und Subluxation der Sehne des M. extensor pollicis longus nach palmar
Abb. 2.2. Rheumatische Veränderungen im Handgelenkbereich
51
52
Rheumachirurgie an der Hand Dehnung der Extensorkappe intraartikuläre Synovitis
KAPITEL 2 Abb. 2.4. Pathophysiologie der Instabilität und Subluxation in den Grundgelenken: Ausgedehnte Synovialitis mit Schwellung intraartikulär und Überdehnung der Kapsel (1), Dehnung der Streckerhaube (2), Überdehnung der Seitenbänder (3), evtl. Kontraktur der intrinsichen Muskulatur (4)
Lockerung der Seitenbänder Kontraktur der intrinsischen Muskulatur
soren als einzige Handgelenkstrecker zur Verfügung stehen. Diese Veränderung führt im späteren Verlauf zu einer radialen Deviation der Handwurzel, was wiederum als Ursache für die ulnare Deviation der Langfinger gilt. Durch die Bandlockerung im Bereich des distalen Radioulnargelenks (DRUG) kommt es zusätzlich zu einer Dislokation des Ulnaköpfchens nach dorsal. Als weitere zusätzliche Veränderungen im Handwurzelbereich sind zu nennen: • skapholunäre Dissoziation (Schwäche der intrinsischen Bänder) und • eine dorsale Rotationsfehlstellung („dorsal intercalated segment instability“, DISI) des Lunatums (sekundäre karpale Instabilität durch Bandlaxizität und Höhenverlust des Karpus; vgl. Abb. 2.2). Im Daumenbereich (Abb. 2.3) entsteht nach primärer Überdehnung und Translokation der Extensor-pollicisbrevis-Insertion eine Beugefehlstellung im Grundgelenk. Durch den Zug der Thenarmuskeln, die sich wie die Seitenzügel am Mittelgelenk der Langfinger verhalten, im Interphalangeal- (IP-)Bereich zu einer Hyperextension. Im Bereich der Mittelgelenke der Langfinger bedingt die Synovialitis durch die Schwellung eine Überdehnung des Kapsel-Band-Apparates. Dadurch werden die Seitenbänder, die akzessorischen Seitenbänder, die Streckerhaube und der Intrinsic-Ansatz überdehnt und gelockert. Diese Lockerung führt zur Subluxation des Mittelzügels der Strecksehne im Bereich der Streckerhaube. Dadurch gleitet sie nach ulnar zwischen die Köpfchen der Mittelhandknochen und führt zur Ulnardeviation der Finger. Gleichzeitig treten Kontrakturen der intrinsichen Muskulatur auf mit der Tendenz, die Basis des Grundgliedes in eine Subluxation nach palmar zu ziehen. Es besteht da-
her verstärkt die Neigung der Finger zur Schwanenhalsdeformität (Abb. 2.4). An den Grundgelenken der Langfinger entsteht eine Fehlstellung mit Subluxation nach palmar, Beugekontraktur und Ulnardeviation (Abb. 2.5 a–d). Bei der so genannten Schwanenhalsdeformität kommt es bei der Überdehnung der palmaren Platte zu einer Überstreckung im Mittelgelenk des Langfingers und zu einer Beugekontraktur im Endgelenk (Abb. 2.6). Die Synovialitis der Mittelgelenke bedingt eine Überdehnung des Kapsel-Band-Apparates und eine Lockerung der Bänder zwischen dem Mittel- und den Seitenzügeln. Dadurch verlagert sich der Verlauf der Seitenzügel nach palmar bei der vorwiegend streckseitigen Kapselinsuffizienz. In der palmaren Position werden die Seitenzügel dann zu Beugern im Gegensatz zur Streckfunktion bei regelrechter Anatomie. Gleichzeitig führt die Kontraktur der kurzen Handmuskeln zu einer Überstreckung der Endgelenke.
2.1.2 Diagnostik Die vielfältigen Funktionen der Hand sind nur dadurch möglich, dass sie eine Vielzahl anatomischer Strukturen auf engem Raum vereint. Deshalb können auch kleine Störungen zu großen Funktionsausfällen führen.
Zur Erfassung von Störungen der Handfunktion hat sich ein standardisiertes diagnostisches Verfahren bewährt (Tabelle 2.1).
KAPITEL 2
Rheumachirurgie an der Hand
53
a
b Abb. 2.5 a–d. Mechanismus der Ulnardeviation der Langfinger in den Grundgelenken. a Durch Lockerung der Kapsel und der Seitenbänder sowie der Streckerhaube subluxieren oder luxieren die Mittelzügel der Strecksehnen nach ulnar zwischen die Mittelhandköpfchen und beteiligen sich so an dem Zug der Finger nach ulnar. b Zur Therapie wird die Streckerhaube durch Doppelung radialseitig nach Synovialektomie gerafft. Eventuell ist die zusätzliche Lockerung und Transposition der Sehnen der intrinsichen Muskulatur notwendig. c,d Klinischer Fall: 68-jährige Patientin
c, d
2.1.2.1 Klinische Untersuchung Wichtige Basisinformationen bei jeder Handuntersuchung sind die Fragen nach Händigkeit (rechts vs. links), Beruf (Handarbeiter vs. „Kopfarbeiter“), Nikotin, Diabetes, früheren Verletzungen, Medikamenten und zusätzlichen chronischen Erkrankungen (z. B. periphere arterielle Verschlusskrankheit).
Leitsymptome bei Beeinträchtigung der Handfunktion • Schmerzen (Ruhe vs. Belastung), die mit Hilfe einer Schmerzanalogskala (0: kein Schmerz, 10: stärkster Schmerz) angegeben werden • Bewegungseinschränkung • Kraftverlust • Gefühlsverlust.
Weitere Fragen bei Verdacht auf eine Erkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis betreffen die Familienanamnese, „schmerzende Gelenke“ (monoartikulärer vs. polyartikulärer Befall) sowie systemische Beeinträchtigungen (Raynaud-Symptomatik usw.).
54
Rheumachirurgie an der Hand
Abb. 2.6. Knopfloch- und Schwanenhalsdeformität. Durch unterschiedliche Vorgänge ergeben sich die Fehlformen: a die Knopflochdeformität ist bedingt durch die Überdehnung des KapselBand-Apparates, b die Insuffizienz des Mittelzügels und c Subluxation der Seitenzügel nach palmar. d Bei Insuffizienz der palmaren Platte und e zusätzlichem Zug der Intrinsic-Muskulatur ergibt sich f die Schwanenhalsdeformität mit Überstreckung im Mittel- und Beugung im Endgelenk
a
b
c
d
e
f
KAPITEL 2
KAPITEL 2
Rheumachirurgie an der Hand
Tabelle 2.1. Standardisierte Untersuchung der Hand bei chronischen Beschwerden Anamnese Allgemeinanamnese Händigkeit Beruf Nikotin Frühere Verletzungen/Erkrankungen/Operationen Chronische Erkrankungen Medikamente Anamnese bei rheumatischen Erkrankungen aktuelle Anamnese Schmerz Begleitumstände (Fieber, Krankheitsgefühl, Hautveränderungen, Erkältungs-, Durchfallerkrankungen, Tonsillitis, Urethritis, Rückenschmerzen, Gewichtsverlust, Depression) allgemeine Anamnese (frühere Erkrankungen, Stoffwechselerkrankungen, Infektionserkrankungen, Hypertonie, Neoplasien, Hauterkrankungen, Operationen, Unfälle, psychische Erkrankungen, Kuren) Familienanamnese (Stoffwechselerkrankungen, Infektionserkrankungen, Heredopathien – Knochen, Bindegewebe, Koagulopathien usw. –, rheumatische Erkrankungen, Hauterkrankungen usw.) Medikamentenanamnese (besonders Dauermedikationen wie Antihypertensiva, Antikoagulanzien, Antidiabetika, Antirheumatika, Analgetika, Antikonzeptiva) Soziale Anamnese (Art und Ausmaß der Behinderung, Arbeitsplatzsituation, familiäre Situation, berufliche Situation, finanzielle Situation) Klinische Untersuchungen Inspektion Perfusion Sensibilität Aktive- und passive Gelenkbeweglichkeit (ROM/“range of motion“) Kraft Spezielle manuelle Untersuchungstechniken Kontrakturdiagnostik Karpusdiagnostik Apparative Untersuchungen Bildgebende Verfahren Konventionelles Röngten Sonographie Konventionelle Tomographie Computertomographie/CT Arthro-CT Magnetresonanztomographie/MRT Arthro-MRT Arthrographie Szintigraphie Angiographie Neurophysiologische Untersuchungen Elektromyographie/EMG Nervenleitgeschwindigkeit/NLG F-Welle Labor Blutbild C-reaktives Protein/CRP Rheumafaktoren ASL-Titer Handarthroskopie
55
56
Rheumachirurgie an der Hand
Die klinische Untersuchung beginnt mit der Inspektion und Palpation, um den Zustand der erkrankten Hand und das Stadium der Erkrankung zu erfassen. Zur Prüfung der aktiven und passiven Beweglichkeit (ROM/“range of motion“) dienen Faustschluss und Fingerstreckung. Die exakte Messung erfolgt mit dem Goniometer, die Dokumentation nach der Neutral-0-Methode. Vor allem für Begutachtungen können zusätzliche Messungen (z. B. „Messblatt der oberen Extremität“ der Berufsgenossenschaften) notwendig werden. Eine einfache und zuverlässige Methode, die Beweglichkeit im Bereich des 1. Strahls zu messen, stellt der Kapandji-Index dar (Abb. 2.7). Die Untersuchung der Kraft erfolgt entweder orientierend mit überkreuzten Händen oder mit Hilfe von Dynamometern. Routinemäßig geprüft werden Grob- oder Kraftgriff und der Schlüsselgriff (Abb. 2.8). Für eine aussagekräftige Messung ist der Durchschnitt aus mindestens 3 Messungen zu bilden. In Abhängigkeit von den vorliegenden Beschwerden können spezielle manuelle Untersuchungen notwendig werden: Zur Diagnostik von Kontrakturen im Muskel und/oder Gelenkbereich hat sich z. B. der Bunnel-LittlerTest (Abb. 2.9 a–d) bewährt. Er gibt Auskunft darüber, ob die Fehlstellung nur durch die Subluxation der Seitenzügel im Mittelgelenk oder auch durch die Kontraktur der intrinsischen Muskulatur bedingt ist.
KAPITEL 2 Abb. 2.7. KapandjiIndex zur Messung der globalen Beweglichkeit im Bereich des Daumenstrahls
4
3
5 2
1 6 7 8
9 10
2.1.2.2 Apparative Untersuchungen Aufgrund von Anamnese und klinischer Untersuchung wird eine Diagnose gestellt, welche gezielt mit apparativen Untersuchungen untermauert werden kann.
Der Röntgenuntersuchung kommt eine zentrale Bedeutung zu. Man unterscheidet 2 Standardprojektionen: • Bei Fingerbeschwerden sollte der jeweilige Strahl in a.-p.- und seitlichem Strahlengang geröngt werden. • Bei polydigitalen und metakarpalen Beschwerden wird die Hand in 2 Ebenen (a.-p. und schräg) geröngt. • Zur Beurteilungen von Beschwerden im Handgelenkbereich ist eine Aufnahme im a.-p.- und seitlichen Strahlengang obligat. Weiterhin stehen die Computertomographie (CT) und die Magnetresonanztomographie (MRT) mit und ohne Kontrastmittel und die Dreiphasenszintigraphie zur Verfügung. Abgerundet wird die radiologische Diagnostik durch die Möglichkeit der dynamischen Untersuchung unter Durchleuchtung (vor allem bei Handgelenkinstabilitäten), der Arthrographie (konventionelle oder MRTArthrographie) sowie der Angiographie (als digitale Subtraktionsangiographie/DSA).
Abb. 2.8. Standardisierte Messung der Kraft mit Hilfe von Dynamometern [Messung der Grobgriffe mit Hilfe des JamarDynamometers; Messung der Schlüsselgriffkraft („pinchgrip“) mit Hilfe des Pinchmeters]
Mit nuklearmedizinischen Methoden gelingt es, Arthritiden und umschriebene oder diffuse Knochenaffektionen zu objektivieren. Dies ist besonders im Anfangsstadium rheumatischer Erkrankungen von Bedeutung, wenn der klinische Befund wechselnd oder uncharakteristisch ist und Röntgenuntersuchungen noch keine eindeutigen arthritischen Phänomen erkennen lassen. Bei Schädigungen im Bereich des peripheren Nervensystems können elektrophysiologische Untersuchungen (Elektromyographie/EMG, Messung der Nervenleitgeschwindigkeit/NLG, F-Welle u. a.) notwendig werden.
KAPITEL 2
a
Rheumachirurgie an der Hand Abb. 2.9 a–d. Bunnel-Littler-Test: Lässt sich bei gestrecktem Grundgelenk das Mittelgelenk passiv nicht beugen, so ist die intrinsische Muskulatur kontrakt. a Zur Prüfung des Tonus der Handbinnenmuskel. b Lässt sich das Gelenk nicht beugen sind die Handbinnenmuskel kontrakt, oder es liegt eine Gelenkkapselschrumpfung vor. c Fingergrundgelenk – leichte Beugestellung. Vollständige Beugung – Binnenmuskelkontrakt.
b
c
Bei vaskulären Beschwerden und unsicherem AllenTest empfiehlt sich eine weitere Gefäßdiagnostik. Die Erstellung des Gefäßstatus mit Hilfe der Farbdopplersonographie stellt die Mindestanforderung dar. Für spezielle Fragestellungen (vor allem Wandunregelmäßigkeiten) bleibt die DSA der derzeitige Standard. Laborchemische Untersuchungen können ebenfalls wertvolle Hinweise auf Ätiologie und Ausprägung der Funktionsstörung geben. Die Bestimmung der Rheuma-
faktoren gehört zum Routineprogramm bei Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis. Die Synoviaanalyse kann wichtige Hinweise auf die Ätiologie der Gelenkentzündung bringen (Tabelle 2.2). Mit Hilfe der Arthroskopie kann im Handbereich, neben der Komplettierung der Diagnostik (Beurteilung lokaler Gelenkaffektionen, Klärung der Genese und Ausdehnung) evtl. auch ein therapeutischer Effekt durch eine arthroskopische Synovialektomie erreicht werden.
57
58
Rheumachirurgie an der Hand
KAPITEL 2
Abb. 2.9 a–d. Bunnel-Littler-Test: Lässt sich bei gestrecktem Grundgelenk das Mittelgelenk passiv nicht beugen, so ist die intrinsische Muskulatur kontrakt. d Beugehemmung durch Kapselschrumpfung
d
Tabelle 2.2. Typische Synoviabefunde bei verschiedenen Erkrankungen Chronische Polyarthritis
Arthrose
Kristallsynovitis
Bakterielle Infektionen
Aussehen
Gelb, trüb
Hellgelb
Gelb-weißlich
Trüb, eitrig
Viskosität
↓↓
Normal
↓↓
↓
Leukozyten
5,0–30,0
0,2–2,0
5,0–15,0
20,0–80,0
Granulozyten
>60%
<30%
40–70%
>90%
Kristalle
–
–
+
–
Rheumafaktor
+
–
–
–
Komplement
↓↓
Normal
Normal
↓
Gesamteiweiß
↑↑
Normal
↑
↓↓
Enzyme
↑↑
Normal
↑↑
↑↑
Bakterien
–
–
–
+
2.1.2.3 Funktionelle Bewertung der Globalfunktion Das für den Patienten entscheidende Ergebnis ist die globale Gebrauchsfähigkeit der Hand. Trotz oft im Röntgenbild sichtbarer ausgedehnter Zerstörungen kann eine erstaunlich gute Handfunktion erhalten geblieben sein.
2.1.3 Klassifikation Für den Handgelenkbereich ist die Klassifikation nach Larsen et a. (1977; Tabelle 2.3) die am weitesten anerkannte. Zahlreiche Modifikationen und Erweiterungen (z. B. Alnot u. Fauroux 1992) wurden in der Literatur beschrieben. Für die Klassifikation der Fehlstellung im Daumenbereich hat sich die Einteilung nach Nalebuff (1969; Tabelle 2.4) bewährt. Auch für die Klassifikation der Schwanenhalsfehlstellung im Langfingerbereich gibt Nalebuff (1969) eine brauchbare Methode, die 4 Typen umfasst, an (Tabelle 2.5).
KAPITEL 2
Rheumachirurgie an der Hand
Tabelle 2.3. Klassifikation der rheumatischen Veränderungen im Handgelenksbereich. (Nach Larsen) Stadium 0
Noch normaler Gelenkaspekt
Stadium 1
Weichteilödem, periartikuläre Osteoporose, beginnende Verschmälerung des Gelenkspalts
Stadium 2
Fortschreitende Läsionen, marginale Knochenerosionen, geringe Verschmälerung des Gelenkspalts
Stadium 3
Begrenzte knöcherne Läsionen, Erosionen, zunehmende Verschmälerung des Gelenkspalts
Stadium 4
Erosionen, deutliche Verschmälerung des Gelenkspalts, Beginn der knöchernen Deformierungen
Stadium 5
Verlust der Gelenkflächen, ausgeprägte Gelenkdeformitäten, Gelenkluxation oder Ankylose
Tabelle 2.4. Klassifikation der rheumatischen Veränderungen im Daumenbereich. (Nach Nalebuff ) Typ 1
Knopflochfehlstellung, Extrinsic-minusFehlstellung in 3 Schweregraden
Typ 2
Typ 1+3
Typ 3
Schwanenhalsfehlstellung
Typ 4
Abduktionsfehlstellung im MP-Gelenkbereich
Typ 5
Hyperextension im MP-Gelenkbereich
Typ 6
Knöcherne Destruktion und instabiler Daumen
Tabelle 2.5. Klassifikation der Schwanenhalsfehlstellung im Langfingerbereich. (Nach Nalebuff ) Typ 1
Normale Flexion im PIP-Gelenk
Typ 2
Eingeschränkte Flexion im PIP-Gelenk in gewissen Gelenkstellungen
Typ 3
Eingeschränkte Flexion im PIP-Gelenk in allen Gelenkstellungen
Typ 4
Komplette Einsteifung mit Veränderungen der Gelenkfläche
Tabelle 2.6. Klassifikation der Knopflochdeformität im Langfingerbereich. (Nach Lluch) Stadium 1
Korrigierbare Fehlstellung
Stadium 2
Nichtkorrigierbare Fehlstellung
Stadium 3
Fehlstellung mit Gelenkzerstörung
Für die Klassifikation der Knopflochdeformität („boutonnière deformity“) wurden von Lluch (1996) 3 Stadien vorgeschlagen (Tabelle 2.6).
2.1.4 Therapie 2.1.4.1 Ziele der Therapie an der „rheumatischen Hand“ Die Ziele sind in Tabelle 2.7 zusammengefasst. Voraussetzung für das Gelingen eines diagnostischen und therapeutischen Gesamtkonzeptes ist eine gute Zusammenarbeit und Abstimmung aller an der Behandlung des Rheumakranken Beteiligten. Nur durch eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit kann ein optimales Therapieergebnis erreicht werden. Der stetige Informationsaustausch innerhalb des Teams ist wichtig (Abb. 2.10). Ein optimales Behandlungsergebnis kann nur dann ereicht werden, wenn alle Mitglieder des Therapieteams lückenlos zusammenarbeiten.
2.1.4.2 Anästhesie Ein Großteil der Operationen im Handbereich können in Leitungsanästhesie durchgeführt werden. Bei Eingriffen im Fingerbereich hat sich die Leitungsanästhesie in der Technik nach Oberst u. Iselin bewährt. Kontraindikationen bestehen bei entzündlichen Veränderungen im Bereich der Finger, auch wenn es sich um einen Prozess im Bereich des Fingerendgliedes handelt, und bei schweren Durchblutungsstörungen. Für Eingriffe im Hand- und Unterarmbereich ist der subaxilläre Leitungsblock des Plexus brachialis eine gute Methode. Dabei wird bei vollständiger Betäubung des Operationsgebietes die Druckmanschette am Oberarm für 2 Stunden gut toleriert. Die Allgemeinnarkose ist bei Kindern vorzuziehen, aber auch bei unruhigen, ängstlichen und wenig kooperativen Erwachsenen. Die Allgemeinnarkose soll außerdem bei Operationen an beiden Händen (seltene Ausnahme), bei Operationen mit zusätzlicher Gewebeentnahme (Haut-, Sehne-, Spongiosa- oder Muskelplastik) sowie bei längeren Operationen (>2 Stunden) und bei Operationen unter dem Operationsmikroskop eingesetzt werden.
59
60
Rheumachirurgie an der Hand Tabelle 2.7 Ziele der Therapie an der so genannten rheumatischen Hand •
Schmerzreduktion/Schmerzbeseitigung
•
Aufrechterhaltung/Wiederherstellung der freien aktiven und passiven Gelenkbeweglichkeit
•
Vermeidung bzw. Kontrolle von Ödemen und Schwellungszuständen im Handbereich
•
Primärheilung und funktionelle Behandlung zur Vermeidung von Gelenksteifen und Veröden von Gleitschichten
•
Vermeidung von Infektionen
KAPITEL 2
Operative Therapie Indikationen der operativen Therapie. Die Indikation zu einem operativen Vorgehen ergibt sich dann, wenn die konservativen Maßnahmen nach konsequenter und zeitlich ausreichender Anwendung nicht zum erwünschten Therapieerfolg führen konnten. Die Art des operativen Vorgehens richtet sich:
• nach dem Stadium der Erkrankung, • nach dem Befallsmuster der verschiedenen Gelenke und deren Zerstörung sowie • nach den biomechanischen und pathophysiologischen Besonderheiten der unterschiedlichen Lokalisationen. Ziele des operativen Vorgehens. Ziele des operativen Vorgehens sind abhängig vom Erkrankungsstadium. Im Frühstadium geht es darum, die Progredienz der Zerstörung zu verringern und Schmerzen zu lindern. Die Exsudate der peritendinösen und intraartikulären Synovialitis zerstören die anatomischen Strukturen und überdehnen den Kapsel-Band-Apparat (Abb. 2.11, Abb. 2.12 a,b, Tabelle 2.8).
Abb 2.10. Therapieteam bei Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis
Vor allem bei destruktiv verlaufenden Formen der chronischen Polyarthritis ist vor jeder Intubationsnarkose eine Röntgenuntersuchung der Halswirbelsäule in 2 Ebenen zur Diagnostik oder Beurteilung einer möglichen atlantookzipitalen Instabilität anzuraten (Gefahr der Markschädigung bei Hyperextension während des Intubationsvorgangs).
2.1.4.3 Therapeutische Möglichkeiten Konservative Therapie Die Behandlung der Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis ist und bleibt eine Domäne der internistischen Rheumatologen. Die zweite Säule der Behandlung rheumatischer Patienten ist die physikalische Therapie, ohne die kein Behandlungskonzept aufgestellt werden sollte. Operative Maßnahmen kommen hinzu, können aber weder die medikamentöse Einstellung noch die physikalische Therapie ersetzen.
Abb. 2.11. Frühstadium der Polyarthritis mit Schwellungen der Gelenke und der paratendinösen Gewebe, vor allem am Handgelenk streckseitig mit Einschnürungen durch das Retinaculum extensorum.
KAPITEL 2
a
Rheumachirurgie an der Hand
b
Abb. 2.12 a,b. a Knöcherne Destruktion. Sie beginnt gelenknah an den osteochondralen Übergängen und führt letztlich zur
b vollständigen Zerstörung der Gelenke mit resultierenden Fehlstellungen
Im fortgeschrittenen Stadium stehen Instabilitäten, Fehlstellungen und Deformierungen im Vordergrund. Hier soll stabilisiert, korrigiert und damit die Funktion verbessert werden. Daneben ist auch hier die Synovialektomie erforderlich. Im Spätstadium leiden die Patienten unter Funktionsverlusten durch Zerstörungen: Die Gelenke sind aufgebraucht und in fixierter Fehlstellung, Sehnen reißen spontan (Abb. 2.13 a,b). Die operative Therapie kann nur noch versuchen, zu retten, was noch zu retten ist, mit Sehnenersatz, Arthrodesen, Arthroplastiken und Gelenkersatz.
Vor jeder größeren Operation sollte keine Metrothrexat-Gabe erfolgen. Ob die Gabe von Kortikoiden reduziert werden soll, wird unterschiedlich beantwortet.
Grundlagen. Das präoperative Gespräch zwischen Operateur und Patient hat als Hauptziel, dem Patienten die notwendige Einsicht bezüglich seiner erkrankten Hand zu vermitteln. Dieses Gespräch soll grundsätzlich mindestens 24 Stunden vor dem Eingriff erfolgen und schriftlich dokumentiert werden.
Der Patient muss auch bei kleineren Eingriffen im Liegen behandelt werden. Die lokale Vorbereitung des Operationsgebietes entspricht dem üblichen Vorgehen der aspetischen Chirurgie. Die aseptischen handchirurgischen Eingriffe werden in Oberarmblutleere durchgeführt, da sie wesentlich zum Schutz der anatomischen Strukturen bei der Präparation beiträgt. Bei den Eingriffen distal der Grundphalanx kann eine Fingerblutleere angelegt werden. Die Lagerung der Hand erfolgt auf einem so genannten Handtisch. Bei Eingriffen auf der palmaren Handseite wird die Hand auf einer Bleihand oder Handplatte (Abb. 2.14 a,b) fixiert.
61
62
Rheumachirurgie an der Hand
KAPITEL 2
Tabelle 2.8. Ziele der operativen Rheumatherapie im Handbereich in Abhängigkeit vom Erkrankungsstadium. (Stadiumeinteilung der chronischen Polyarthritis nach Steinbrocker) Stadium
Befunde
Ziele
Operative Maßnahmen
Stadium I (geringe Gelenkschwellung)
Keine Behinderung bei den gewöhnlich anfallenden Arbeiten
Verminderung der Progredienz
(Frühsynovialektomie)
Allenfalls gelenknahe Entkalkung
Schmerzlinderung
Ausreichende Funktionsfähigkeit bei normalen Tätigkeiten, leichte Behinderung durch Bewegungseinschränkung eines oder mehrerer Gelenke
Verminderung der Progrendienz
Gelenknahe Entkalkung, beginnende Knorpel- und Knochendestruktion
Schmerzlinderung
Stadium III [Gelenkdeformierungen, Muskelatrophie, Tendinitiden, (Rheumaknoten)]
Eingeschränkte Funktionstüchtigkeit. Die Tätigkeiten im Beruf und bei der Selbstversorgung sind erheblich eingeschränkt
Korrektur von Instabilitäten, Fehlstellungen und Deformierungen
Synovialektomie
Stadium IV (ausgeprägte Gelenkdeformierungen, Gelenkinstabilitäten und Ankylosen)
Die Selbstversorgungsmöglichkeit des Patienten ist gering, er ist ständig auf fremde Hilfe angewiesen
Verbesserung bei Funktionsverlust
Rekonstruktive Eingriffe
Stadium II (konstante Synovitiden, keine Gelenkdeformierungen)
Knochendestruktion, Osteoporose, Subluxationen
Fortgeschrittene Gelenkzerstörungen und -deformierungen, Gelenkluxationen, -instabilitäten, Ankylose (bindegewebig und knöchern)
(Frühsynovialektomie)
Rekonstruktive Eingriffe
Palliative Eingriffe
a
b Abb. 2.13 a,b. a Fortgeschrittene Destruktion der Grundgelenke: Die Verlagerung der Strecksehnen im Bereich der Streckerhaube und die Subluxation der Gelenke nach palmar
führt zur ulnaren Deviation in den Grundgelenken und sekundär zu Schwanenhalsdeformierungen der Finger II bis IV und Beugekontraktur im Mittelgelenk V. b Röntgenbild
KAPITEL 2
Rheumachirurgie an der Hand
a
63
b Abb. 2.14 a,b. a Ausgeprägte Synovialitis im Bereich der Beugesehnenscheide bei primär chronischer Polyarthritis (Hand-
platte zur Fixierung der Hand bei Eingriffen auf der palmaren Handseite). b Präparat
Für den handchirurgischen Eingriff werden feine Instrumente benötigt, an die hohe Anforderungen bezüglich Qualität und funktionsgerechten Zustand gestellt werden müssen. Für zahlreiche Eingriffe ist zumindest eine Lupenbrille zu fordern. Planung. Zugänge am Handgelenk und an den Fingern sollen spätere Narbenkontrakturen vermeiden. Die arterielle und venöse Durchblutung darf nicht gestört werden. Das Operationstrauma muss so gering wir möglich bleiben (Abb. 2.15 a–d).
Vorschläge zur zeitlichen Planung • Die Versorgung des Handgelenks vor den Fingergelenken • Knopflochdeformitäten vor Korrekturen der Grundgelenke • Korrektur der Grundgelenke vor Sehnenrekonstruktionen und vor Arthrodesen der Mittelund Endgelenke • Versorgung der Langfinger vor dem Daumen
! Das Risiko einer postoperativen Wundheilungsstörung ist bei größeren Operationen bei chronischer Polyarthritis gegenüber anderen Eingriffen erhöht.
Die Narbenheilung ist bei Patienten mit chronischer Polyarthritis meist ausgezeichnet. Hypertrophe Narben oder gar Keloide sind eine Seltenheit. Sehnen- und Gelenkersatz oder Arthrodesen sind oft notwendig. Kontrakturen müssen gelöst werden. Sie entstehen durch narbige und fibrotische Umwandlung der Muskulatur mit der Tendenz zur Verkürzung. Die Fehlstellung der Gelenke wird dadurch fixiert. Zeitliche Planung: Meist sind verschiedene Lokalisationen gleichzeitig betroffen, aber nicht alle können gleichzeitig versorgt werden. Mannerfelt (1987) schlug daher vor: „start with the winner“. Fragen die sich hier ergeben sind: • Welche Beschwerden stehen für den Patienten im Vordergrund? • Welches Vorgehen verspricht die effektivste Erleichterung? • Welche operativen Maßnahmen belasten zum gegebenen Zeitpunkt am wenigsten?
Die große Adaptationsfähigkeit und Gewöhnung des Patienten sowie spontane Remissionen zwischen den Schüben im Verlauf der Erkrankung verleiten dazu, sich zu spät zum operativen Vorgehen zu entschließen. Der Patient fürchtet die Operation so, als solle ihm dadurch noch mehr Leid zugefügt werden. Er hofft, sie sei noch nicht oder überhaupt nicht nötig. Aber jede Verzögerung verhindert protektive Wirkungen. Die führt dazu, dass manche Chance einer Verbesserung der Situation durch rechtzeitiges Eingreifen verpasst wird.
2.1.4.4 Postoperative Immobilisation Eine postoperative Ruhigstellung ist mit Ausnahme einiger Operationen an Sehnen (sofortige aber kontrollierte Mobilisation) generell anzuraten. Folgende Grundsätze sind zu beachten: • Es ist auf eine Gelenkstellung zu achten, aus der heraus später eine normale Beweglichkeit möglich ist. Die Immobilisation erfolgt daher in Intrinsic-plusStellung (Abb. 2.16). Alle Schienen werden palmar an-
64
Rheumachirurgie an der Hand
a
c
KAPITEL 2
b
d
Abb. 2.15 a–d. a Zugänge zu den Beugesehnen an den Fingern, b in der Hohlhand und zum Karpaltunnel, c,d streckseitig zu den Gelenken, Strecksehnen und zum Handgelenk einschließlich Caput ulnae
KAPITEL 2 Abb. 2.16. Immobilisation der Hand auf einer palmaren Unterarmschiene mit Langfingereinschluss in Intrinsic-plusStellung (und fakultativ Daumeneinschluss in Retropulsionsstellung zur Vermeidung einer Kontraktur im Bereich der 1. Kommissur)
Rheumachirurgie an der Hand
65
70°–80°
30°–40°
•
• • •
gebracht. Dorsale Schienen sind (bis auf wenige Ausnahmen) abzuraten, da sie die gewünschte Intrinsic-plus-Stellung nicht halten können. Die regelmäßige Kontrolle der Schiene ist notwendig. Ausnahmsweise können andere Schienen notwendig werden: – palmare Handgelenk- und Fingerbeugung in der Kleinert-Schiene, – nichtkompressive Lagerung der Hand nach mikrovaskulären Eingriffen in einer mit Watte angewickelten palmaren und dorsalen Gipslonguette oder einem dicken Watteverband. Bei postoperativen Verbänden sollten elastische Verbandsmaterialien verwendet werden. Die nichtelastische Mullbinde ist zu vermeiden. Der korrekte Sitz, die Durchblutung der Finger sowie die Vermeidung von Ödemen sind bei einem ruhigstellenden Verband engmaschig zu kontrollieren. Schmerzen und Klagen des Patienten sind unbedingt zu beachten und der Verband sofort entsprechend zu korrigieren.
2.1.4. Postoperative Begleittherapie Postoperativ wird die operierte Hand auf einen Keilkissen „über Herzhöhe“ gelagert. Ausnahmen hiervon stellen mikrovaskuläre Operationen dar: Hier erfolgt die Lagerung „auf Herzhöhe“. Das Aufhängen der Hand an einem Ständer bringt keinen zusätzlichen Gewinn. Zur antiphlogistischen Therapie wird Kühlung verordnet (Ausnahme: mikrovaskuläre Eingriffe, hier ist Eis wegen der Gefahr des Vasospasmus kontraindiziert). Die Kryotherapie ist bei Verletzungen mit starker Ödembildung und Fibrinausschwitzung besonders zu empfehlen. Durch die Eisbehandlung ist auch die Schmerzschwelle herabgesetzt, sodass bessere physiotherapeutische Vor-
raussetzungen bestehen. Systemisch wirkende Antiphlogistika können unter Beachtung ihrer Nebenwirkungen (Cave: ulkogene Potenz) verordnet werden. Die normale Medikation kann postoperativ uneingeschränkt eingenommen werden. Eine systemische postoperative Analgesie aufgrund der früh einsetzenden Physiotherapie und der Vermeidung von Algodystrophien hat sich ebenfalls bewährt. Die Nachbehandlung ist bei der Therapie von rheumatischen Veränderungen im Handbereich wesentlich. Die Physiotherapie ist integraler Bestandteil der Therapie. Nur durch ausreichend oft und genügend lange und intensiv durchgeführte Physiotherapie kann ein optimales Ergebnis erzielt und auf lange Sicht gehalten werden.
Aktive und passive Bewegungsübungen unter krankengymnastischer Übungsanleitung stellen evtl. in Kombination mit verschiedenen Hilfsmitteln (Bewegungsschienen und/oder Lagerungsschienen) einen wichtigen Bestandteil der handchirurgischen Therapie dar. Weitere ergotherapeutische Maßnahmen (Versorgung mit Schienen, Hilfsmittel, Sensibilitätstraining) müssen bei Bedarf im Anschluss und sogar vermehrt als integraler Bestandteil der Therapie zusätzlich verordnet werden. Nach übungsstabilen Osteosynthesen werden bereits ab dem 1. postoperativen Tag die jeweils fixierenden Verbände entfernt und sämtliche Gelenke, sowohl einzeln als auch koordiniert, zusammen bewegt.
Die Patienten sollen lernen, diese Übungen auch zu Hause selbständig durchzuführen. Die Fortschritte, Ergebnisse und Behandlungen sollen lückenlos dokumentiert werden.
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2.2 Spezielle Techniken 2.2.1 Synovialektomie 2.2.1.1 Beugesehnen Auf der Beugeseite des Handgelenks sind besonders die Beugesehnen von den entzündlichen Reaktionen der Grundkrankheit betroffen und reagieren mit erheblichen Synovialitiden. Dies führt oft zu späten spontanen Rissen. In Zonen anatomischer Engen wie dem Karpaltunnel oder den Sehnenscheiden der Finger kommt es zu zusätzlichen Störungen. Im Karpaltunnel droht ein entzündlich bedingtes und sich evtl. dramatisch verschlechterndes Karpaltunnelsyndrom mit der Notwendigkeit der Nervendekompression, um eine irreversible Schädigung des N. medianus zu vermeiden (Abb. 2.17 a–c). Im Hohlhandbereich sollen die ersten Ringbänder der Langfinger (A1) bei der Synovialektomie gespalten werden. Im Fingerbereich bietet sich ein Z-förmiger Zugang an, um die Sehnen zu befreien und postoperativen Narbenkorrekturen vorzubeugen. Dabei ist aber die sichere Führung der Beugesehnen durch den Erhalt oder die Wiederherstellung der Ringbänder besonders wichtig. Nur das Ringband A1 kann ohne funktionelle Einbußen gespalten werden (Abb. 2.18 a,b).
2.2.1.2 Strecksehnen ! Bei unbeherrschter Synovialitis der Strecksehnen im
Bereich des Handrückens oder des Handgelenks drohen spontane Risse.
Diese können durch Einzug der Sehne des M. palmaris longus oder durch Faszienstreifen, z. B. aus der Fascia lata, ersetzt werden. Eventuell ist auch eine Verbindung benachbarter Sehnen bei isoliertem Riss einer einzelnen Sehne möglich (Abb. 2.19 a–e). Bei dem Riss der Sehne des M. extensor pollicis longus bietet sich der Ersatz durch die Umlagerung der Sehne des
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M. extensor indicis proprius an. Funktionell vorteilhaft ist hierbei der proximal ähnliche Verlauf und die synergistische Funktion beider Muskeln mit gemeinsamer Beugung und Streckung von Daumen und Zeigefinger. Die Sehne des M. extensor indicis proprius wird nach Pulvertaft in den Sehnenstumpf der Sehne des M. extensor pollicis longus eingezogen und vernäht (Abb. 2.20 a,b).
2.2.1.3 Handgelenk Zur Synovialektomie des Handgelenks bietet sich der Zugang über das 4. Strecksehnenfach an. Das Retinaculum extensorum wird im distalen Anteil gespalten, entweder ulnar oder zwischen dem 3. und 4. Streckerfach. Ist zunächst nur an eine Synovialektomie der Sehnen des 4. und 5. Faches gedacht, so kann dennoch eine teilweise oder vollständige Eröffnung des Handgelenks notwendig werden. Bei der möglichst vollständigen Entfernung der entzündeten Plica synovialis der Sehnen muss dringend deren stabiler Verlauf im betroffenen Fach erhalten bleiben oder wieder hergestellt werden (Abb. 2.21 a–g). Der Kapsel-Band-Apparat lässt sich zur ausgedehnten Synovialektomie der Handwurzel und des Handgelenks eröffnen (Abb. 2.22 a,b). Zum Verschluss kann ein Streifen des Retinaculum extensorum unter die Strecksehnen des 4. Faches verlagert und dort zur Stabilisierung vernäht werden. In besonderer Weise ist der ulnokarpale Komplex (triangulärer fibrokartilaginärer Komplex/TFCC) durch die rheumatische Erkrankung betroffen. Die Zerstörung betrifft nicht nur den Dreiecksknorpel, sondern auch das distale Radioulnargelenk und das 6. Strecksehnenfach. Bei weit fortgeschrittener Destruktion des Caput ulnae kann das Ellenköpfchen reseziert (Abb. 2.23 a–c) oder eine Operation nach Sauvé-Karpandji durchgeführt werden. Dabei wird nach metaphysärer Segmentresektion der Elle der Ellenkopf mit der ellenseitigen Speichengelenkfläche durch Osteosynthese stabilisiert.
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b
N. medianus M. flexor pollicis longus M. flexor carpi radialis
c
Abb. 2.17 a–c. Synovialektomie des Handgelenks palmarseitig nach Eröffnung des Retinaculum flexorum mit zusätzlicher Neurolyse des N. medianus bei reaktivem Karpaltunnelsyndrom. a Hautschnitt. b Das Retinaculum wird ulnarseitig gespalten, um eine Verletzung des R. palmaris des N. medianus zu verhindern. c Synovialektomie und Neurolyse
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a Abb. 2.18 a,b. Synovialektomie der Beugesehnen in der Hohlhand bis in den Finger reichend. a Z-förmige Zugänge sind in der Hohlhand möglich, verlängert bis in den Finger. b Das erste Ringband kann gespalten werden, ohne dass
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b Funktionsverluste drohen. Sonst muss sorgfältig auf den stabilisierenden Erhalt der übrigen Ringbänder oder ihre Rekonstruktion geachtet werden
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d
c
Abb. 2.19 a–e. a Versorgung spontan gerissener Strecksehnen mit einem Interponat aus der Sehne des M. palmaris longus, b aus Faszienstreifen. c Technik der Sehnennaht. d,e Synovialektomie und e Sehnenersatz ein Jahr postoperativ
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b
Abb. 2.20 a,b. Extensor-indicis-propius-Plastik. a Bei Ruptur der Sehne des Extensor pollicis longus wird die Sehne des M. extensor indicis proprius dargestellt, in Höhe der Streckerhaube durchtrennt, nach proximal bis zur Höhe des Retinaculum extensorum durchgezogen und nach Verlagerung in das 3. Strecksehnenfach (b) mit den Resten der Sehne des M. extensor pollicis longus nach Pulvertaft vernäht
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a, b
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c
d Abb. 2.21 a–g. Synovialektomie der Strecksehnen. a–c Frühe Synovektomie je nach Befallsmuster am 1. bis 6. Strecksehnenfach unter Erhalt des Retinaculums zur Prophylaxe
e spontaner Sehnenrupturen. d–g Am 4. Fach kann ein Teil des Retinaculum extensorum verwendet werden wie bei der Synovialektomie des Handgelenks
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g
Abb. 2.21 a–g. Synovialektomie der Strecksehnen. d–g Am 4. Fach kann ein Teil des Retinaculum extensorum verwendet werden wie bei der Synovialektomie des Handgelenks
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Abb. 2.22 a,b. Synovialektomie des Handgelenks und der Handwurzel. a Das Retinaculum extensorum wird eröffnet, ausgedehnte Synovialektomie der Sehnen und betroffenen Anteile der Handwurzel und des Handgelenks. b Verschluss
der Gelenke und des Retinaculum extensorum im proximalen Anteil über den Strecksehnen. Der distale Anteil kann unter die Sehnen verlagert und dort zur zusätzlichen Stabilisierung des Handgelenks vernäht werden
2.2.2 Bewegungserhaltende Eingriffe
2.2.3 Komplette Arthrodese des Handgelenks
Eine Restbeweglichkeit im Bereich des Handgelenks kann durch Arthroplastiken, Teilarthrodesen (vor allem radiolunäre Arthrodese) oder Gelenkersatz erhalten werden. Alle diese Eingriffe haben nur eine temporäre Wirkung. Die definitive Versorgung stellt derzeit immer noch die komplette Handgelenkarthrodese dar.
Bei weitestgehender Zerstörung des Handgelenks bieten sich als alternative Maßnahmen die Arthroplastik mit Weichteilinterpositionen, die Alloarthroplastik oder die teilweise oder vollständige Arthrodese an. Die Arthrodese gewährleistet die sicherste und schmerzfreie Stabilisierung des Handgelenks bei freier Rotation in dem Radioulnargelenken und freier Funktion der Finger, soweit die Gesamtsituation der Erkrankung dies zulässt.
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a
Abb. 2.23 a–c. Caput-ulnae-Syndrom. a Betroffen ist die Umgebung des Ellenkopfes mit Beteiligung des distalen Radioulnargelenks und des triangulären Komplexes. b Neben der ausgedehnten Synovialektomie kann bei entsprechender Zerstörung die Resektion des Ellenkopfes oder c eine Operation nach Sauvé-Kapandji erforderlich werden
b
c
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b
Abb. 2.24 a–c. Arthrodese des Handgelenks: Der Vorzug der stabilen Osteosynthese mit einer dynamischen Kompressionsplatte und evtl. autogener Spongiosa ist die Möglichkeit der Frühmobilisierung und der sichere knöcherne Durchbau. a,b Die DC-Platte wird am besten auf den 2. Strahl gelegt, die AO-Arthrodesenplatte kann auf den 3. Strahl gelegt werden. Eine Spongiosaplastik erübrigt sich, wenn zur Befreiung des distalen Radioulnargelenks der Ellenkopf mit reseziert wird. Das so gewonnene Knochenmaterial wird mit zur Arthrodese verwendet. c Eventuelle Handgelenksprothese – Umstieg auf Arthrodese möglich
c
Zur Stabilisierung des weitgehend débridierten Handgelenks und der Handwurzel kann eine schmale Platte oder die AO-Arthrodesenplatte verwendet werden. Diese sichern die Arthrodese mit evtl. notwendiger Spongiosaplastik zwischen dem Mittelhandknochen II (oder III; Abb. 2.24 a–c). Die Implantate werden frühestens (wenn überhaupt) nach sicherem knöchernen Durchbau nach etwa 2 Jahren entfernt.
2.2.4 Grundgelenke Aus der Summe der unterschiedlichen pathophysiologischen Veränderungen ergibt sich an den Grundgelenken der Langfinger eine vorwiegende Fehlstellung mit Subluxation nach palmar, Beugekontraktur und Ulnardeviation. Ziel der Therapie im frühen Stadium ist es, diesen pathophysiologischen Tendenzen entgegenzuwirken und sie zu korrigieren. Mit der Synovialektomie wird die Gefahr weiterer Zerstörung der anatomischen Strukturen
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a
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b
c
d Abb. 2.25 a–g. a Resektion der Grundgelenke der Langfinger mit Ersatz durch b Swanson-Spacer. Am Sattelgelenk wird in der Regel die Resektionsarthroplastik mit Aufhängung durch einen Sehnenstreifen durchgeführt. Bei sehr hinfälligen oder
sehr alten Patienten kann auch hier noch der früher übliche Spacer implantiert werden. Am Caput ulnae empfiehlt sich bei ausgedehnter Zerstörung die Resektion. c Präoperative Planung. d Intraoperativ
vermindert. Die Streckerhaube wird radialseitig so gerafft, dass die Sehne des Mittelzügels bei Beugung des Gelenks nicht mehr nach ulnar abweicht. Bei Kontrakturen der kurzen Handmuskeln werden die ulnaren Zügel ihrer
Sehnen gelöst, verlängert und zur Radialseite des Nachbarfingers transponiert. Damit vermindert sich die Tendenz zur Subluxation des Gelenks nach palmar und nach ulnar.
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der Grundgelenke der Langfinger scheidet wegen der großen biomechanischen Bedeutung dieser Gelenke aus. Sie würde zu schwerwiegenden funktionellen Beeinträchtigungen führen (Abb. 2.25 a–g). Ist das Sattelgelenk des 1. Strahls betroffen, so kann eine Resektionsarthroplastik zu einer sehr guten Funktion führen. Der früher übliche Ersatz des Os trapezium durch einen Spacer aus Silikon ist sicher nur noch unter den besonderen Bedingungen sehr alter Patienten ohne die Notwendigkeit belastungsfähiger Stabilität angezeigt, wenn das wesentliche Ziel der schnelle schmerzfreie Minimalgebrauch der Hand ist.
e
2.2.5 Daumenfehlstellungen, 90-90-Fehlstellung Die Fehlstellung des Daumens hat die Tendenz zur Beugung im Grund- und zur Streckung im Endgelenk. Das Endstadium ist die „90°-90°-Fehlstellung“ mit weitgehendem Verlust der speziellen Funktion des Daumens. Dies ergib sich aus der Insuffizienz der Kapseln und Bänder und der daraus resultierenden Verlagerung der Sehnen. Zur Therapie hat sich als sicherste Methode zur Stabilisierung und Schmerzbefreiung die Arthrodese des Grundgelenks nahezu in Streckstellung bewährt. In frühen Stadien der Fehlstellung lässt sich damit die Überstreckung des Endgelenks meist noch beherrschen. Die Operationen der Weichteile alleine reichen hier meist nicht mehr aus.
f
2.2.6 Langfingerfehlstellungen
g Abb. 2.25 a–g. e Postoperativ. f,g Ein Jahr postoperativ
Nach der Schädigung und bei Instabilität der komplizierten Biomechanik im Zusammenspiel der Grund-, Mittel- und Endgelenke der Langfinger und der sie bewegenden Sehnen kommt es zu 2 unterschiedlichen Fehlstellungen: Knopfloch- und Schwanenhalsdeformität (vgl. Abb. 2.6).
2.2.4.1 Gelenkersatz, Gelenkprothesen
2.2.6.1 Knopflochdeformität
Bei weitgehender Zerstörung der knöchernen Strukturen der Grundgelenke bietet sich der Gelenkersatz an. Die Diskussion über die optimale Methode ist nicht abgeschlossen. Nach wie vor werden die an anderen Gelenken lange verlassenen Silikonspacer mit Titanschalen (Grommets) verwendet. Ihr Nachteil ist der mögliche Verschleiß und eine sich evtl. entwickelnde Silikonsynovialitis. Zementierte Prothesen können dagegen ausbrechen oder sich lockern. Der Rückzug wird dann umso schwieriger, während die Reoperation mit Implantatwechsel bei den Swanson-Spacern immer möglich ist. Eine Arthrodese
Ziel der Behandlung der Knopflochdeformität ist die Wiederherstellung des Zusammenspiels von Mittel- und Seitenzügeln. Dazu gehört die Rückverlagerung der Seitenzügel in den Bereich dorsal des Drehpunkts und die Stabilisierung oder Raffung des Mittelzügels. Zur Therapie werden verschiedene Methoden angegeben. Das operative Vorgehen bei der Korrektur der Knopflochdeformität ist abhängig vom Ausprägungsgrad der Fehlstellung. Bei der Korrektur im frühen Stadium wird der überdehnte Mittelzügel proximal seines Ansatzes abgetrennt und nach proximal mobilisiert, wobei seine Verbin-
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KAPITEL 2 Abb. 2.26 a–c. Korrektur der Boutonnière-Fehlstellung im frühen Stadium durch Raffung des Mittelzügels und evtl. Dorsalisierung der Seitenzügel. a Physiologischer Zustand. b Pathologischer Zustand. c Operationsprinzip in der Ansicht von dorsal (Raffung des Mittelzügels und evtl. Dorsalisierung der Seitenzügel)
a
b
c
a
b
Abb. 2.27 a,b. Korrektur der Boutonnière-Fehlstellung im fortgeschrittenen Stadium durch Tenotomie der gemeinsamen Endsehne. a Präoperativer Zustand. b Postoperativer Zustand
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dungen mit dem Seitenzügel durchtrennt werden. Nach vollständiger Synovialektomie wird der Mittelzügel angespannt und in Streckstellung des proximalen Interphalangealgelenks im Bereich seiner ehemaligen Insertion vernäht. Die nach palmar dislozierten Seitenzügel werden durch Längsschnitte aus ihren palmaren Be festigungen gelöst, sodass sie wieder nach dorsal treten können, wo sie mit dem Mittelzügel mit nichtresobierbarem Nahtmaterial der Stärke 4/0 fixiert werden (Abb. 2.26 a–d).
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Bei fortgeschrittener Boutonnière-Fehlstellung ist eine Durchtrennung der gemeinsamen Endsehne unmittelbar distal der Vereinigung der beiden Seitenzügel indiziert. Lässt sich die Deformität nun noch nicht spannungsfrei aufheben, müssen die beiden Seitenzügel und die palmare Platte stumpf gelöst werden. Anschließend werden das proximale und distale Interphalangealglenk durch Kirschner-Drähte in korrigierter Stellung fixiert (Abb. 2.27 a,b).
Ulnardeviation der Strecksehne destruierende Synovialitis Kollateralband Seitenzügel Schwanenhalsdeformität
a
b
Abb. 2.28 a–f. Therapie der Schwanenhalsdeformität. a Schema der Schwanenhalsdeformität. b Hautschnitte. c klinischer Fall
c
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KAPITEL 2 Abb. 2.28 a–f. Therapie der Schwanenhalsdeformität. d Die Fixation eines oder beider Zügel der oberflächlichen Beugesehnen. e Stabilisierung nach Matev mit Raffung der Seitenzügel und Verlängerung des Mittelzügels. f Die alleinige kutane Raffung palmar am Mittelgelenk reicht nicht aus
d
e
f
KAPITEL 2
a
b
Abb. 2.29 a–e. Arthrodese im Langfingerbereich. a,b Resektion des Gelenks. c,d Fixation mit einem schräg verlaufenden Kirschner-Draht und einer Zerklage. e Klinischer Fall, Röntgenaufnahme
2.2.6.2 Schwanenhalsdeformität Während die Knopflochdeformität nur eine relativ geringe funktionelle Beeinträchtigung darstellt, bedeutet die Schwanenhalsdeformität vor allem im Stadium II und III eine erhebliche Beeinträchtigung der Gesamtfunktion der Hand. Die Greifformen sind bis zur Funktionslosigkeit eingeschränkt. Bei der Korrektur der Schwanenhalsdeformität ist die Verlängerung des Mittelzügels und evtl. eine Raffung der Seitenzügel angezeigt (Operation nach Matev; Abb. 2.28 a–e). Die alleinige Raffung des palmaren Hautanteils im Mittelgelenk ist nicht ausreichend. Die Tenode-
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c
d
e
se eines Zügels der oberflächlichen Beugesehne am Mittelgelenk mit vorübergehender Transfixation des Gelenks ist möglich, häufig sind die Ergebnisse aber enttäuschend. Reichen diese Maßnahmen aber nicht aus, eine hinreichende Funktion wiederherzustellen, so bietet sich als sinnvollstes Vorgehen die Arthrodese des Mittelgelenks in günstiger Stellung mit einem Beugungswinkel von etwa 35° an. Nach Resektion des Gelenks und Reposition erfolgt die Fixation mit einer Zuggurtung oder einer Kombination aus Drahtzerklage und Transfixation bis zum knöchernen Durchbau (Abb. 2.29 a–e).
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Danksagung Ein herzliches Dankeschön an Herrn Prof. Dr. Michael Wannske, der an der Vorbereitung für dieses Kapitel wesentlich beteiligt war.
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H. Millesi
Inhalt 3.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . . 84 3.1.1.1 Besondere Gestaltung der Haut. . . . 84 3.1.1.2 Besondere Gestaltung der Subkutis . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3.1.1.3 Palmarseite der Hand. . . . . . . . . . 84 3.1.1.4 Beobachtungen an Pavianen . . . . . 84 3.1.1.5 Plantarseite des Fußes. . . . . . . . . . 85 3.1.2 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3.1.2.1 Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3.1.2.2 Klassifizierung im Sinne der allgemeinen Pathologie . . . . . . 86 3.1.2.3 Pathologische Befunde und mögliche Deutungen. . . . . . . 88 3.1.2.4 Vorausgehende Veränderungen . . . 90 3.1.2.5 Mechanische Untersuchungen. . . . 90 3.1.2.6 Wie kommt es zur Kontraktur?. . . . . 92 3.1.2.7 Drei Phasen im Ablauf der Dupuytren-Kontraktur . . . . . . . 94 3.1.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3.1.3.1 Der Patient. . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3.1.3.2 Frühveränderungen . . . . . . . . . . . 97 3.1.3.3 Strangbildung. . . . . . . . . . . . . . . 97 3.1.3.4 Funktion der Hand . . . . . . . . . . . . 98 3.1.4 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.1.4.1 Konzept der ständigen Weiterentwicklung der einzelnen Bestandteile der Fasersysteme . . . . 99 3.1.4.2 Das Konzept der strukturellen Anpassung. . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3.1.5 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3.1.6 Komplikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
KAPITEL 3
Dupuytren-Kontraktur
3.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 100 3.2.1 Erzielung eines Stillstands der Progression. 100 3.2.2 Besserung der Kontraktur ohne Unterbrechung der Kontrakturstränge . . . . 101 3.2.3 Besserung der Kontraktur durch Unterbrechung der Kontrakturstränge . . . . 101 3.2.3.1 Ruptur nach enzymatischer Behandlung. . . . . . . . . . . . . . . 101 3.2.3.2 Nadelfasziotomie. . . . . . . . . . . . 101 3.2.3.3 Geschlossene oder offene chirurgische Fasziotomie . . . . . . . 101 3.2.4 Entfernung des Kontrakturgewebes. . . . . . 101 3.2.4.1 Radical fasciectomy . . . . . . . . . . 101 3.2.4.2 Limited fasciectomy . . . . . . . . . . 105 3.2.5 Entfernung der Kontrakturstränge und gefährdeten Gewebes. . . . . . . . . . . . 105 3.2.5.1 Schnittführung bei der kompletten Fasziektomie. . . . . . . . . . . . . . . 106 3.2.5.2 Schnittführung bei der partiellen Fasziektomie. . . . . . . . . . . . . . . 106 3.2.6 Chirurgische Behandlung sekundärer Veränderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
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Dupuytren-Kontraktur
3.1 Allgemeines Unter Dupuytren-Kontraktur (DK; Morbus Dupuytren, “Dupuytren’s disease”) versteht man eine Erkrankung der kollagenen Faserbündel des straffen Bindegewebssystems der Palmarseite der Hand. Es kommt zu einer Fibrose mit Knotenbildung und Umbauvorgängen, in deren Verlauf sich eine Verkürzung der Faserbündel mit einer Kontraktur der betroffenen Gelenke entwickelt. Es sind vorwiegend längsverlaufende, im Rahmen der normalen Handfunktion unter Zugbelastung stehende Faserbündel betroffen. Analoge Veränderungen treten auch – allerdings in etwas veränderter Form – an der Planta pedis auf.
3.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie Es gilt das Konzept des palmaren bzw. plantaren Bindegewebssystems.
3.1.1.1 Besondere Gestaltung der Haut Besondere Gestaltung der Haut der Palmarseite der Hand und der Plantarseite des Fußes (“glabrous skin”): • • • •
keine Haare, dicke Keratinschicht, zahlreiche Schweißdrüsen, zahlreiche Nervenendigungen.
Sinn des besonderen Aufbaus: Druckaufnahme beim Stehen und Gehen, Tasten und Greifen.
3.1.1.2 Besondere Gestaltung der Subkutis Allgemeine Gestaltung der Subkutis: Lockerer Bau einer subkutanen Fettschicht, die gegenüber der darunter gelegenen Faszienschicht durch eine Verschiebeschicht gut verschieblich ist. Besondere Gestaltung der Subkutis der Palmarseite der Hand und der Plantarseite des Fußes („glabrous skin“): Die Haut ist durch ein netzförmig gestaltetes, straffes System kollagenen Bindegewebes auf einer straffen Faszie fixiert, sodass kaum Möglichkeit einer Verschieblichkeit gegeben ist. In die Maschen des Netzes sind Fettläppchen eingelagert. Der Sinn dieses Systems liegt in der Druckaufnahme. Der Druck auf die Haut wird auf die Subkutis übertragen. Da Fettgewebe wie eine Flüssigkeit nicht komprimierbar ist, wird der Druck auf das die Fettläppchen umgebende Bindegewebe übertragen und somit
KAPITEL 3
von einer sehr großen Fläche aufgenommen. Dieses System wurde für das so genannte Fersenpolster im Detail beschrieben. Hier geht es um Druckaufnahme und Festigkeit im Sinne der Verhinderung einer seitlichen Verschiebung der Haut. In ähnlicher Weise funktioniert die Verankerung der Haut an den Palmarflächen der Phalangen der Finger bzw. der Plantarseiten der Zehen.
3.1.1.3 Palmarseite der Hand Im Gegensatz zur Ferse muss sich aber die Haut der Palmarseite der Beugung und Streckung anpassen können. Dies geschieht an den Fingern durch die Beugefalten über dem distalen Interphalangeal- (DIP-)Gelenk, dem proximalen Interphalangeal- (PIP-)Gelenk und die proximale Fingerbeugefalte in der Mitte der Palmarseite der Grundphalanx. Im Bereich der Beugefalten gibt es nur quer verlaufende kollagene Fasern in der Subkutis. Das dreidimensionale Fasersystem in der Subkutis der angrenzenden Phalangenflächen wird unterbrochen. Eine Übertragung einer Zugbelastung von einer Phalanx in Längsrichtung auf die benachbarte Phalanx ist ausgeschlossen. Die Haut der Palmarseite eines Fingers muss kürzer werden, um von der Streckstellung in die Beugestellung übergehen zu können. Dies geschieht durch Verschmälerung der Fingerbeugefalten in Längsrichtung bei gleichzeitiger Anspannung in querer Richtung. In weit größerem Ausmaß muss sich die Haut der Hohlhand an die Verkürzung anpassen können, die sich aus der Beugung der Metakarpophalangeal- (MP-)Gelenke ergibt. Ohne Verankerung auf der Unterlage würde sich die Haut nach palmar vorwölben. Ein Festhalten wäre unmöglich. Die Innervation der Fingerbeuger, der Interossei und der Lumbricales bewirkt eine Beugung der MP-Gelenke der Finger. Die Haut ist auf der Unterlage durch aufsteigende Fasern des Bindegewebssystems vor allem im Bereich der Beugefalten fixiert und wölbt sich nur dazwischen umschrieben vor. Der ganze Bindegewebskörper bewegt sich durch die simultane Innervation des M. palmaris longus nach proximal. Diese Funktion hat beim Menschen keine besondere Bedeutung mehr und tatsächlich bestehen keine Funktionsminderungen, wenn der M. palmaris longus fehlt. Bei der Affenhand kommt dieser Funktion aber eine sehr große Bedeutung zu.
3.1.1.4 Beobachtungen an Pavianen Der Autor hatte Gelegenheit, an 7 Pavianen die Anatomie und die Funktion der Hand zu studieren. Der Pavian benutzt die Hand im Wesentlichen, um stabartige Gegen-
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stände zu ergreifen bzw. um sich an solchen Gegenständen wie Stangen oder Ästen festzuhalten. Der Daumen ist eher hypoplastisch, besitzt aber alle Strukturen, die auch der menschliche Daumen aufweist, und wird zur Opposition eingesetzt. Charakteristisch ist die starke Ausbildung von 5 Fettpolstern, die aber auch an der menschlichen Hand erkennbar sind. Ein Polster befindet sich am Thenar und nimmt den Raum zwischen Thenarmuskeln und der eigentlichen Hohlhand ein. Er korrespondiert in etwa mit dem Versorgungsgebiet des R. palmaris n. mediani. Gegenüber am Hypothenar befindet sich ein Fettpolster zwischen der distalen Beugefalte und der queren Hypothenarfalte. Im Bereich des proximalen Hypothenars findet sich ein weiteres Fettpolster, proximal der queren Hypothenarfalte, das relativ weit auf den distalen Unterarm reicht und vom Pavian zum Auftreten benutzt wird. Distal der distalen Beugefalte finden sich 3 Fettpolster, die den Monticuli entsprechen, und zwar ein radialer entsprechend der Basis des Zeigefingers, ein mittlerer entsprechend der Basis des Mittelfinger und ein ulnarer entsprechend den Basen des 4. und 5. Fingers. Der zentrale Teil der Hohlhand wird von der Palmaraponeurose eingenommen. Sie besteht aus 2 Schichten. Die oberflächliche Schicht besteht aus kollagenen Faserbündeln, die aus der sehr stark entwickelten Palmarislongus-Sehne stammen, die 2. Schicht geht vom Retinaculum flexorum aus. Aufsteigende Faserbündel fixieren die Haut. Fortsätze hängen mit dem das Fettgewebe umgebenden straffen Bindegewebe zusammen und sind in der Lage, die Fettpolster in Richtung Hohlhandmitte und nach proximal zu ziehen. Dadurch bleibt die Haut der Hohlhandmitte während des Greifaktes trotz der durch die Fingerbeugung bedingten Verkürzung gespannt, und die Fettpolster schmiegen sich an den zu ergreifenden Gegenstand fest an. Der Greifakt zum Festhalten wird in zweifacher Form ausgeführt: Quergriff: Die zu fassende Stange wird von den 4 Fingern und den Fettpolstern an den Fingerbasen auf der einen Seite und vom Daumen und dem Thenarfettpolster auf der anderen Seite umfasst. Der Daumen befindet sich in Oppositionsstellung. Die Stange liegt dem fettfreien zentralen Teil der Hohlhand fest und unverschieblich an, solange sie von den Fingerspitzen dagegen gedrückt wird. Die Kontraktion des M. palmaris longus sorgt dafür, dass die Palmaraponeurose gespannt ist und die Fettpolster nicht ausweichen können. Längsgriff: Die zu fassende Stange liegt in Längsrichtung dem Mittelfinger mit seinem Monticulus, dem zentralen Teil der Hohlhand mit der Palmaraponeurose und dem Handgelenk an, während Daumen und Zeigefinger mit den entsprechenden Fettpolstern die Stange radial und Ring- und Kleinfinger mit den Fettpolstern der Ulnarseite die Stange ulnar umgreifen.
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Zweifellos hat die menschliche Hand andere Aufgaben und andere Greifformen entwickelt. Aber auch beim Menschen kontrahiert sich der M. palmaris longus simultan mit den Fingerbeugern und spannt die Palmaraponeurose. Das oben angeführte Beispiel soll zeigen, dass die Palmaraponeurose im anatomischen Sinne Teil eines Funktionskomplexes ist und dementsprechend nicht isoliert betrachtet werden kann. Beim Menschen spielt dieser Mechanismus keine Rolle, und man kann eine komplette Fasziektomie ohne Funktionseinbuße durchführen. Unter den vielen Patienten, bei denen eine komplette Fasziektomie vorgenommen worden war, hatte keiner einen echten Funktionsverlust. Nur Reckturner haben darüber geklagt, dass sie seit der Operation bei der Riesenwelle einen Lederfleck in der Hohlhand verwenden müssen, weil sich die Haut der Hohlhand offenbar doch nicht so gut an das Spiel zwischen festem und lockerem Griff, das bei der Riesenwelle notwendig ist, anpassen kann wie vor der Operation.
3.1.1.5 Plantarseite des Fußes Im Gegensatz zur Hand werden die Zehen im Metatarsophalangealgelenk nur geringfügig gebeugt. Anstelle der Monticuli ist die Plantarseite der Großzehen und der Zehenballen, die zusammen mit der Ferse und dem lateralen Rand der Fußsohle das Körpergewicht zu tragen haben, in Richtung Druckbelastung gebaut. Es gibt kaum eine Zugbelastung in Längsrichtung. Es besteht nur eine geringfügige Beweglichkeit im Bereich des Mittelfußes und daher auch nur eine geringe Zugbelastung durch Bewegungen im Sinne der Inversion und Eversion. Dafür hat die Plantaraponeurose die Funktion eines Energiespeichers übernommen. Sie verbindet das periphere Ende des Fersenbeins mit dem peripheren Ende des Mittelfußes und stellt gleichzeitig die Hypotenuse eines Dreieckes dar, das aus Fersenbein, Mittelfuß und Plantaraponeurose gebildet wird. Beim Auftreten vergrößert sich der Winkel zwischen Fersenbein und Mittelfuß, und die Plantaraponeurose wird gedehnt. Sie speichert dadurch Energie, die beim Abheben des Fußes frei wird und das Abheben erleichtert. Die Plantaraponeurose besteht daher aus einem Bindegewebe, das dehnbarer ist als das sonst für sehnenartiges Bindegewebe zutrifft. Man kann vermuten, dass dies auch für die Palmaraponeurose gilt, da auch sie beim Auftreten mit der Hand eine ähnliche energiespeichernde Funktion haben könnte. Da eine simultane Plantarbewegung der Zehen, des Mittelfußes und des Sprunggelenks nicht erfolgt, ist auch eine dosierte Spannung der Plantaraponeurose nicht notwendig. Daher besteht auch keine anatomische Verbindung zwischen Plantaraponeurose und M. plantaris longus.
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3.1.2 Ätiologie Die DK ist eine Erkrankung, die an der Körperoberfläche lokalisiert ist. Die Diagnose ist einfach. Die der Krankheit zugrunde liegenden Veränderungen sind der Beobachtung leicht zugänglich, sodass der Verlauf verfolgt werden kann. Viele Patienten werden operiert, sodass Operationspräparate anfallen, die nach allen Regeln der Kunst untersucht werden können. Trotzdem ist unser Verständnis der DK kaum über den Wissensstand des ausgehenden 19. Jahrhunderts hinausgelangt.
3.1.2.1 Theorien Die Frage, wo die Erkrankung zu lokalisieren ist, steht ganz am Anfang der Diskussion. Dupuytren (1831) vertrat die Ansicht, dass die Palmaraponeurose im engeren Sinne Sitz der Erkrankung sei, während Goyrand (1833) die Erkrankung in die Haut verlegte, eine Ansicht, die wieder von Hueston (1985 a) vertreten wurde. Das Konzept des palmaren Bindegewebekörpers macht diese Diskussion überflüssig, da aufsteigende Faserbündel in die Haut einstrahlen und nahe der Haut erkranken können, ohne dass die Palmaraponeurose im engeren Sinne involviert ist.
3.1.2.2 Klassifizierung im Sinne der allgemeinen Pathologie In welches Grundkapitel der Pathologie sollte die DK eingereiht werden?
Erbkrankheit Über 30% der Patienten, die wegen einer DK operiert werden, geben an, dass in ihrer Aszendenz zumindest eine DK-Erkrankung vorkommt. Wenn man bedenkt, dass viele Patienten nicht wissen, ob Großvater oder Großmutter an DK erkrankt waren, und die Möglichkeit besteht, dass die Großeltern oder Eltern nicht lange genug gelebt haben, um eine DK zu entwickeln, ergibt sich eindeutig ein starker hereditärer Faktor. Ling (1963) untersuchte die Familien von 50 Patienten mit DK. Nach Erhebung der Anamnese ergab sich in 16% ein familiäres Vorkommen. Dieser Prozentsatz stieg auf 68%, nachdem er die Angehörigen dieser Patienten persönlich untersucht hatte und auch die Fälle mit Vorkommen einer DK erfassen konnte, von denen die Patienten nicht wussten oder die selbst von ihrer Erkrankung nichts wussten. Nach der Meinung von Ling geht die Vererbung auf ein einzelnes, dominantes Gen zurück, die DK kann
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aber vom pathogenetischen Standpunkt nicht als Einheit betrachtet werden. Jentsch (1937) beschrieb das Vorkommen der DK bei einem eineiigen Zwillingspaar. Stackebrandt (1932) und Schröder (1934) glaubten an eine sporadische und an eine dominante Form der Vererbung. Mikkelsen (1990) untersuchte eine norwegische Stadt auf Vorkommen und Verteilung der DK. Das Ergebnis unterstützt die These der hereditären Komponente. Bei jüngeren Patienten tritt die hereditäre Komponente stärker in Erscheinung. Die Unterschiede in der Verteilung der DK auf die Weltbevölkerung lässt die Annahme einer rassischen Disposition zu. Am häufigsten kommt die DK in Nordund Mitteleuropa, seltener in Südeuropa vor. Häufiges Auftreten beobachtet man wieder in Australien und Nordamerika. Es bestand die Annahme, dass die Erkrankung auf die weiße Rasse (Kaukasier) beschränkt sei. Hueston (1990) hat sogar die Theorie entwickelt, dass die DK eine hereditäre Erkrankung der Kelten oder der Wikinger sei und von diesen über die ganze Welt verbreitet wurde. Bei ostasiatischen Völkern sollte die Erkrankung praktisch nicht vorkommen. Diese Theorie wurde dadurch erschüttert, dass Egawa et al. (1976) durch Untersuchungen in Altersheimen nachweisen konnten, dass die DK bei Japanern praktisch genau so häufig auftritt wie in Europa, allerdings in milderer Form, sodass sich nur wenige Patienten deswegen behandeln lassen.
Angeborene Fehlbildung Diese These wurde von Krogius (1921) vertreten, weil er Muskelfaserreste in der Palmaraponeurose nachweisen konnte und die Palmaraponeurose als Rest der oberflächlichen Beugemuskel ansah.
Hereditäre Störung des Kollagenstoffwechsels Diese Auffassung wird von Bailey vertreten (Bailey 1990).
Kreislaufstörung Comtet u. Bourne-Branchu (1986) halten Gefäßverschlüsse im Rahmen von Gefäßerkrankungen für die Ursache. Die fibrinolytische Aktivität ist im DK-Gewebe verringert (Kraft et al. 1973). Eine lokale Gewebehypoxie könnte die Zellproliferation ausgehend von perikappilären Satellitenzellen (Perizyten; Kischer u. Speer 1984)
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anregen und die Freisetzung von freien Radikalen verursachen. Man hat aber den Eindruck, dass diese Veränderungen eher sekundär auftreten und nicht als Ursache infrage kommen.
Irritation des N. ulnaris Die auffallende Häufung des Auftretens der DK am Ringund Kleinfinger führte zu der Überlegung, dass eine Irritation im Gebiet des N. ulnaris die Ursache für das Auftreten der DK sein könnte (Mumenthaler 1970). Tatsächlich wurden auch Ausfallerscheinungen im Versorgungsgebiet des N. ulnaris bei DK beschrieben(Cotta 1984; Salzberg u. Weinberg 1987). Auch der Autor hat EMG-Veränderungen bei beginnender DK in den Mm. interossei beobachtet, aber immer nur dann, wenn ein Kontrakturstrang zum Ring- und Kleinfinger Druck auf den R. profundus n. ulnaris ausübt. Mit zunehmender Fingerkontraktur und Abhebung des Kontrakturstrangs mildert sich der Druck, und es kommt zu keiner Progression.
Entzündung Meyerding et al. (1941) hielten die DK für eine Entzündung. Tatsächlich finden sich örtlich entzündliche Infiltrate, in der Regel aber nur dort, wo Fettgewebe resorbiert wird, sodass man diese Veränderungen eher als sekundär einstufen kann.
Spezifische Infektion Bemerkenswert ist, dass am Ende des 19. Jahrhunderts, als bakteriologische Forschung modern war, ein spezifischer Erreger der DK beschrieben und auch benannt wurde. In den 1950er Jahren, als Viruserkrankungen in den Vordergrund rückten, wurde ein Virus als Erreger gezüchtet und identifiziert.
Trauma Traumen wurden von Anfang an als nahe liegende Erklärung für das Auftreten der DK herangezogen, und zwar vor allem bei bestimmten Berufsgruppen, die einem solchen Trauma ausgesetzt sind, wie beispielsweise Arbeiter mit Presslufthämmern. Damit erhebt sich auch die Frage der Anerkennung als Berufserkrankung. Diese Frage wurde vor allem im Zusammenhang mit Brauereiarbeitern diskutiert. Es stellte sich aber letztlich heraus, dass behauptete Häufungen eher mit der Altersstruktur als mit der Arbeit in der Brauerei zusammenhängen.
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In den Statistiken findet sich auch kein Zusammenhang zwischen dem Auftreten der DK und der Berufsausübung. Es fällt allerdings auf, dass manche Patienten angeben, dass sie, bevor sie das Auftreten einer DK bemerkten, eine ungewohnte manuelle Arbeit zu verrichten hatten. Solche Angaben können allerdings nur mit Vorsicht ausgewertet werden, weil die Erkrankung am Anfang sehr langsam und schubweise fortschreitet und die meisten Patienten die Frühveränderungen schon lange haben, bevor sie sie bemerken. Skoog (1948) verfolgte die Theorie der traumatischen Genese weiter und führte den Begriff des Mikrotraumas als Ursache der DK ein. Man fragt sich allerdings, ob ein Mikrotrauma, wenn es sehr „mikro“ ist, nicht zu einer Belastung innerhalb des Normalen wird. Tatsächlich befällt die Erkrankung in erster Linie Faserbündel, die normalerweise einer Zugbelastung ausgesetzt sind. Flint (1990 a,b) und Flint u. McGrouther (1990) haben die Theorie der traumatischen Genese wieder aufgegriffen. „Microruptures and micro dehiscence“ im Zentrum von Faserbündeln bilden den Ursprung für die Erkrankung, wobei die Kompression durch intakt gebliebene Anteile der Peripherie des Faserbündels eine Rolle spielt. Auf die zentrale Ruptur in einen Faserbündel würde eine „selfperpetuating reparative reaction“ folgen. Die Autoren räumen allerdings ein, dass solchen „fascial ruptures“ Veränderungen im Sinne einer Fibrose bzw. einer Verminderung der Widerstandskraft des Kollagens gegen Zugbelastung vorausgehen. Dazu gehört auch ein Verlust des Fettgewebes (erhöhte Exposition gegen Druck) und ein Verlust der Gleitfähigkeit durch Adhäsionen. Die vom Autor beschriebenen Veränderungen der Faserbündel (Millesi 1965), die genau dieser Beschreibung entsprechen, werden allerdings in diesem Zusammenhang nicht erwähnt.
Tumor Im Vollbild der Zellproliferation ähnelt das histologische Bild der DK tatsächlich einem Sarkom. Daher wurde die DK als Tumor klassifiziert (Herzog 1951). Es wurden damals sogar Amputationen der Hand unter der Diagnose „Sarkom“ ausgeführt. Heute steht glücklicherweise die Frage „maligner Tumor“ nicht mehr zur Diskussion. Allan (1977) untersuchte 140 Fälle mit der Diagnose Fibromatose. Er unterschied die juvenile und die adulte Fibromatose. Die DK wurde zusammen mit den Desmoidtumoren in die adulte Gruppe eingereiht und als „non metastazising fibroblastic tumour“ klassifiziert. Auch für Enzinger u. Weiss (1983) ist die DK eine superfizielle Fibromatose. Azzarone et al. (1983) untersuchten die Wachstumscharakteristika von normalen Fibroblasten, Fibroblasten, die aus DK-Gewebe gezüchtet wurden und
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Fibrosarkomzellen. Fünf von 11 Charakteristika der DKZellen waren gleich wie die von Fibroblasten, während 6 von 11 eher im Sinne von Sarkomzellen verändert waren. So war bei diesen Zellen der Aktivator des Plasminogen – ein mitogenes Agens – deutlich höher als bei den normalen Fibroblasten – allerdings nicht so hoch wie bei den echten Tumorzellen. Dass Zellproliferation bei der DK eine große Rolle spielt und deswegen Wachstumsfaktoren erhöht sind, ist bekannt. Nach Meinung des Autors reicht dies aber nicht aus, um die Erkrankung als Tumor zu klassifizieren. DK als autoaggresive Erkrankung. Eigene Untersuchungen in den 1950er Jahren (Millesi 1959) führten zu der Schlussfolgerung, dass sich die Zellproliferation immer in verdickten, z. T. miteinander verschmolzenen Faserstrukturen entwickelt und die proliferierenden Fibroblasten das veränderte Kollagen dieser Strukturen auflösen. Die Fibroblasten agieren gewissermaßen als „Fibroklasten“. Sie sind gegen das eigene Kollagen sensibilisiert und greifen das eigene, veränderte Kollagen an. Nur in diesem Sinne wurden Begriffe wie Autoaggression bzw. Immunerkrankung verwendet. Tatsächlich konnte durch intrakutane Applikation eines Extraktes aus DK-Gewebe eine tuberkulinähnliche Reaktion ausgelöst werden. Damals wurde diese These verlacht, weil Kollagen als inert und nicht antigen gegolten hat. In der Zwischenzeit hat sich dies entscheidend verändert (Steffen u. Timpl 1963). Burch (1966) und Gay u. Gay (1972) haben Argumente für eine Autoimmunantwort veröffentlicht. Menzel et al. (1979) konnten Serumantikörper gegen Typ-III-Kollagen bei DK-Patienten nachweisen. Befunde, die von Pereira et al. (1986) bestätigt wurde. Gudmundsson et al. (1998) konnten zeigen, dass bei DKPatienten der Prozentsatz der DR-positiven T-Lymphozyten erhöht und der Gehalt an DR-positiven B-Zellen erniedrigt war.
Erkrankungen, die mit einer erhöhten Frequenz an DK-Erkrankungen einhergehen Folgende Erkrankungen gehen mit einer erhöhten Frequenz an DK einher: • • • • • • •
Diabetes mellitus, Leberzirrhose, Alkoholabusus, Nikotinabusus, Epilepsie, Aids, Gefäßerkrankungen.
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Reihenuntersuchungen an Patienten, die an diesen Erkrankungen leiden, weisen eine deutlich erhöhte Frequenz an Erkrankungen mit DK auf, sodass gewisse Zusammenhänge bzw. eine Prädisposition angenommen werden kann. Untersuchungen an Patienten, die wegen DK operiert wurden, zeigen allerdings keine Häufung dieser Erkrankungen, sodass ihr Vorhandensein nur ein Bruchteil aus einem Ursachenspektrum darstellt.
3.1.2.3 Pathologische Befunde und mögliche Deutungen Zellproliferation Kocher (1887) und alle nachfolgenden Autoren, die DKGewebe histologisch untersuchten, beschreiben eine Zellproliferation, die von perivaskulären Räumen ausgeht und aus Fibroblasten besteht. Diese Proliferationsherde breiten sich aus und fließen zusammen, sodass schließlich weite Areale nur mehr aus unreifen Fibroblasten bestehen und der Eindruck eines malignen Bindegewebstumors entstehen kann. Kischer u. Speer (1984) nehmen an, dass die Zellproliferation von perivaskulär gelegenen Satellitenzellen ausgehen, die Perizyten genannt werden. Nach Bartal et al. (1987) lassen sie sich mit monoklonalen Sarkomantikörpern darstellen. Bei Vorliegen einer Hypoxie können freie Sauerstoffradikale entstehen, die durch “scavenger” (Antioxidanzien, Vitamin A, C, E) neutralisiert werden. Wenn dies nicht erfolgt, kommt es zu einer anaeroben Glykolyse. Hypoxanthin und molekularer Sauerstoff werden frei, was wiederum zu einer Gefäßwandschädigung führt und die Proliferation anregt. Nach Murell et al. (1987 a,b) ist der Hypoxanthin-Gehalt im DK-Gewebe 6-mal so hoch wie normal. Verschiedene Wachstumsfaktoren sind positiv wie z. B. der bFGF (“basischer Fibroblasten-growth-factor”) oder der “Thrombozyten-growth-factor 2” (PDGF). ”Transforming-growth-factor” Beta 1 und 2 (TGF-β 1 und 2) häufen sich bei In-vitro-Versuchen in den Zellen an, und zwar der erste in Fibroblasten, Myofibroblasten und Endothelzellen, der zweite vorwiegend in Myofibroblasten (Badalamente et al. 1996). Es fehlt der Beweis, dass die Zunahme dieser Faktoren für die Dupuytren-Erkrankung ursächlich wirksam ist, oder ob sie nicht eher für einen Proliferationsprozess charakteristisch ist und daher auch bei anderen proliferativen Vorgängen wie bei Wundheilung und Narbenbildung insbesondere Keloidbildung vorkommt (Glimcher u. Peabody 1990). Die Zellproliferation nimmt einen charakteristischen Verlauf und führt zur Produktion kollagener Fasern.
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Faserproduktion Nachdem ein Höhepunkt überschritten wurde, beginnen die Zellen Kollagen zu produzieren, und zwar nicht nur Typ-I-Kollagen, sondern in vermehrtem Maße Typ-IIIKollagen (Bailey et al. 1977). Die Vermehrung des TypIII-Kollagen entspricht einer Vermehrung im Rahmen der Wundheilung oder bei Bildung einer hypertrophen Narbe (ebd.). Sie stellt also eher einen Ausdruck eines Umbauvorgangs (Flint 1998) dar und ist nicht pathognomonisch für eine DK, obwohl Bailey die These einer ererbten Störung des Kollagenstoffwechsels als Ursache für die DK aufstellt. Mit zunehmender Kollagenbildung nimmt die Zellzahl ab und die Zellkerne werden reifer. Schließlich überwiegt das Kollagen. Fibroblasten erzeugen auch Glykosaminoglykane, offenbar in veränderter Zusammensetzung, was wiederum das Sekretionsverhalten der Fibroblasten beeinflusst (Quaglino et al. 1997). Der Wachstumsfaktor TGF-β vermag sowohl Fibroblasten zu stimulieren als auch die Menge der stimulierten Grundsubstanz zu beeinflussen (Brenner u. Rayan 2003). Eine Überproduktion von TGF-β führt zu einer übermäßigen Anhäufung von narbenähnlichem Bindegewebe (Blobe et al. 2000).
Kontrakturstrang Die Endphase ist ein narbenähnlicher Strang, der aus im Lichtmikroskop schollig bzw. wirbelförmig angeordnetem Kollagen besteht und streckenweise zellfrei ist. In „low angle X ray diffraction studies“ (Brickley-Parsons et al. 1981) zeigte sich die longitudinale Orientierung des Kollagens stärker ausgeprägt als in der normalen Palmaraponeurose. Die wenigen Zellen sind in Form kleiner Herde verteilt. Die Zellkerne sind chromatinreich und entsprechen eher reifen Fibrozyten als Fibroblasten. Im Kontrakturstrang sind Glykosaminoglykane (GAG) deutlich erhöht, und zwar Dermatansulfat um das 2-Fache und Chondroitinsulfat um das 11-Fache (Flint et al. 1982). Flint konnte zeigen, dass in Sehnen, die normalerweise einer Zugbelastung ausgesetzt sind, der GAG-Gehalt nieder ist (0,2% des Trockengewichtes) und der Dermatansulfat-Gehalt dabei überwiegt (Parry et al. 1982). Wenn die Zugbelastung geringer ist und eine Kompression hinzukommt, nimmt der GAG-Gehalt zu und das Chondroitinsulfat steigt (Flint 1972; Reid u. Flint 1974). Auch in embryonalem Gewebe und im Rahmen der Wundheilung ist der Gehalt an Chondroitinsulfat erhöht.
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Flint et al. (1982), Gurr et al. (1984), Slack et al. (1982) sowie Delbrück u. Schroder (1983) haben sich intensiv mit den GAG im Zusammenhang mit der DK beschäftigt. Brenner u. Rayan (2003) beschreiben deutliche Unterschiede in der prozentualen Zusammensetzung von 7 Bestandteilen der GAG je nach der Lokalisation der Stränge an der Hand (proximal vs. distal – zentral vs. ulnar bzw. radial). Dies wird auf Reparationsprozesse innerhalb der extrazellulären Matrix zurückgeführt. Die einzelnen Bestandteile der GAG (Hyaluronsäure, Chondroitin, Chondroitin-4-Sulfat, Chondroitin-6-Sulfat, Dermatan, Dermatan-4-Sulfat und Dermatan-6-Sulfat) gelangen in verschiedener Konzentration ins Blut und können dort quantitativ bestimmt werden. Aus der quantitativen Zusammensetzung der GAGBestandteile im Serum kann man das Vorliegen einer DK im Stadium IV mit einer Treffsicherheit von 91,7% diagnostizieren.
Zusammenfassende Betrachtung Der Ablauf von Zellproliferation – Faserproduktion – Kontrakturstrang wird von allen Autoren akzeptiert. Es ergeben sich allerdings folgende Fragen: 1. Warum kommt es zur Zellproliferation? 2. Warum entwickelt sie sich gerade dort? Ad 1. Die Tumortheorie antwortet auf die Frage 1, dass für die Entstehung der Zellproliferation alle die Gründe infrage kommen, die für die Tumorentstehung verantwortlich gemacht werden. Fasst man die Zellproliferation nicht als den wirklichen Beginn der Erkrankung auf, sondern als Reaktion, muss eine lokale Ursache gefunden werden, die die Reaktion auslöst wie
• chronisch-repetitives Trauma, • Mikrotrauma mit Riss, wie dies Skoog (1948) behauptet hat, • „microrupture“ oder „microdehiscense“ nach Flint (1990 a,b) bzw. Flint u. McGrouther (1990) im Inneren von Faserbündeln, • vorausgehende Veränderungen de Morphologie und Mechanik, die dazu führen, dass die normale Zugbelastung Umbauvorgänge induziert (Millesi 1959, 1965). Ad 2. Die Tumortheorie kann von der rein zufälligen Lokalisation im Gesunden ausgehen. Eine gewisse Prädilektion könnte an Stellen angenommen werden, an denen eine höhere Zugbelastung vorherrscht.
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Die höchste Zugbelastung besteht allerdings in den Beugesehnen, und man muss sich fragen, warum die Beugesehnen nie von einem ähnlichen Tumor bzw. einer Fibromatose befallen werden. Folgt man der Tumortheorie mit der rein zufälligen Lokalisation, wäre eine prophylaktische Entfernung noch gesunder Anteile der Palmaraponeurose sinnlos. Mikrotraumen und Mikrorupturen werden sich logischerweise eher dort ereignen, wo eine höhere Zugbelastung vorliegt. Die Gefahr einer häufigen Wiederholung solcher Risse wäre nur dann gegeben, wenn vorangehende Veränderungen das Fasersystem geschwächt hätten. Tatsächlich konnte Flint, das vom Autor postulierte Vorliegen vorausgehender Veränderungen und damit seine Beobachtungen bestätigen. Eine prophylaktische Exzision gesunder Anteile wäre dann gerechtfertigt. Die Theorie der vorausgehenden Veränderungen beantwortet die Frage der Lokalisation so, dass die vorausgehenden Veränderungen die mechanischen Eigenschaften der Faserbündel so verändern, dass auch die normale Zugbelastung entsprechende Folgen hervorruft. Die Lokalisation erfolgt dort, wo die Zugbelastung stark ist. Umbauvorgänge setzen einen Circulus vitiosus in Gang, der schrittweise bisher nichtbefallene Teile des Bindegewebssystems erfasst. Eine prophylaktische Entfernung nicht betroffener Teile ist daher indiziert, sofern dies aus anatomischen Gründen leicht möglich ist.
3.1.2.4 Vorausgehende Veränderungen Es fiel auf, dass die Zellproliferation sich immer in Faserbündeln entwickelt, die nicht mehr „normal“ sind. Die einzelnen kollagenen Fasern innerhalb der Bündel sind verdickt (Faserverdickung). Die Verdickung benachbarter Fasern führt zur Druckatrophie des lockeren Bindegewebes zwischen den Fasern, sodass Fasern miteinander verschmelzen und größere Einheiten bilden (Faserverschmelzung). 150 Palmaraponeurosen an Leichen ohne klinisch fassbare DK wurden im Hinblick auf diese Frühveränderungen untersucht. Da die Patienten in einem relativ hohen Alter verstorben waren, konnte bei einem recht hohen Prozentsatz erwartet werden, Frühveränderungen anzutreffen und bei einigen Fällen eine bereits entwickelte DK zu finden. Die normalen kollagenen Faserbündel waren zart und zeigten in entspanntem Zustand eine deutliche Wellung.
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Diese Wellung lässt sich in Form einer scheinbaren Querstreifung sichtbar machen, wenn die Beleuchtung durch schräg einfallendes Licht erfolgt. Es werden dann die Wellenberge beleuchtet, und die Wellentäler bleiben im Schatten.
Nauck (1931) hat dieses Phänomen genau beschrieben: Der Verlust der Wellung war das erste Zeichen. Weiterhin konnten Faserverdickung und Faserverschmelzung sowie Strangbildung beobachtet werden. Die Verteilung entsprach der bei DK zu erwartenden Verteilung mit Schwerpunkt am Ring- und Kleinfinger. Nur bei wenigen Präparaten hatte sich bereits eine Zellproliferation innerhalb der verdickten Stränge entwickelt. Innerhalb dieser verdickten Faserbündel führt die Zellproliferation zu einem Abbau des Kollagens (s. oben) und zur Entwicklung von Kontraktursträngen, wie sie oben beschrieben wurden. Wie unterscheiden sich die verdickten Faserbündel von den Kontraktursträngen nach der Zellproliferation? Trotz Faserverdickung und Faserverschmelzung kann man bei den verdickten Faserbündeln immer noch die Grundstruktur erkennen mit der funktionellen Ausrichtung der Fasern. Peritendonales Gewebe ist zumindest z. T. noch zu erkennen, bzw. es befindet sich im Abbau. Die Zellen sind gleichmäßig verteilt. Man sieht in der Umgebung lockere Bindewebssepten in Kollagenisierung. Das lockere Bindegewebe um Fettläppchen ist kollagenisiert, die Fettläppchen sind z. T. atrophisch. Im Gegensatz dazu zeigt das Kollagen der Kontrakturstränge im Lichtmikroskop eine schollige, wirbelförmige Anordnung und lässt die ursprüngliche Anordnung in Faserbündel mit Zwischengewebe nicht mehr erkennen, obwohl in der Röntgendiffraktion die Fibrillen exakt in Richtung der Zugbelastung angeordnet sind (BrickleyParsons et al. 1981). Es gibt nur spärlich Zellen. Kleine Zellhaufen, bestehend aus wenigen Fibrozyten, wechseln mit weitgehend zellfreien Arealen ab. Weder verdickte Faserbündel noch Kontrakturstränge weisen elastische Fasern auf. Im Zwischengewebe findet man dagegen Haufen verdickter und verplumpter Segmente elastischer Fasern, die offenbar vom epi- und peritendonalen Gewebes stammen und nach dem Abbau liegen geblieben sind.
3.1.2.5 Mechanische Untersuchungen Untersucht wurden Sehnen und Palmaraponeurosen von Patienten ohne DK, ferner anscheinend normale Palmaraponeurosen, verdickte Faserbündel und Kontrakturstränge von Patienten mit DK. Es zeigte sich dass sowohl in Bezug auf Restdehnung, mechanische Erholung, Relaxation und Retardation signifikante Unterschiede zwischen Sehnen und Palmara-
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Abb. 3.1. Kraft-Dehnungs-Diagramm. Vertikal wird die Kraft, horizontal die Dehnung aufgetragen. Im ersten Abschnitt ist das zu untersuchende Gewebe in ungeordneten Zustand, sodass keine Zugbelastung gemessen werden kann. Ab ε=0 wird das Gewebe zuerst bei geringer Kraftaufwendung stark und dann nur bei zunehmend stärkerer Kraft immer weniger gedehnt. Bei unseren Versuchen haben wir die jeweils notwendige Kraft für eine Dehnung um 2,5, 5 und 10% gemessen. Geht man mit der Kraft zurück, erfolgt eine Entdehnung. Bei F=0 wird aber niemals ε=0 erreicht, sondern es verbleibt eine Residualdehnung als Ausdruck dessen, dass es sich nicht um ein ideal elastisches Material handelt, sondern eine visköse Komponente vorhanden ist
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Abb. 3.3. Messung der Residualdehnung verschiedener Gewebe auf 3 verschiedenen Dehnungsniveaus: 1: normale Palmaraponeurose von Patienten ohne DK; 2: normale Palmaraponeurose von Patienten mit DK (anscheinend normale Palmaraponeurose); 3: Stadium der Faserverdickung und Faserverschmelzung; 4: Kontrakturstrang mit Zellproliferation; 5: Kontrakturstrang ohne Zellproliferation (schwarz: nach Dehnung um 2,5%; weiß: nach Dehnung um 5%; grün: nach Dehnung um 10%). Man sieht, dass bei der Palmaraponeurose von Patienten ohne DK bei allen 3 Dehnungsniveaus nur eine minimale Residualdehnung verbleibt. Die anscheinend normale Palmaraponeurose von Patienten mit DK zeigt nach Dehnung um 10% einen deutlichen Anstieg der Residualdehnung. Es haben sich also bereits Veränderung etabliert, obwohl morphologisch kein pathologischer Befund erhoben werden kann. Im Stadium der Faserverdickung und Faserverschmelzung ist die Restdehnung bei allen 3 Dehnungsniveaus deutlich erhöht als Ausdruck einer Zunahme der viskösen Komponente. Bei den Kontraktursträngen ist die Residualdehnung stark erhöht.
Diese Eigenschaft des Gewebes, durch Dehnung Energie zu speichern und bei Entdehnung wieder abzugeben, scheint die Gemeinsamkeit der Gewebe zu sein, die im Sinne einer DK erkranken.
Abb. 3.2. Vergleich Sehnengewebe und Palmaraponeurose im Kraft-Dehnungs-Diagramm. Man sieht, dass die Kraft-Dehnungs-Kurve bei Sehnengewebe wesentlich steiler ansteigt als bei der Palmaraponeurose als Ausdruck davon, dass die Sehne zur optimalen Kraftübertragung gebaut ist, während die Palmaraponeurose eine höhere elastische Komponente aufweist
poneurose bestehen. Die Sehnen sind weniger elastisch und in Richtung Zugbelastung gebaut (Abb. 3.1, 3.2). Die Palmaraponeurose ist wesentlich dehnbarer.
Als Beispiel seien die Werte der Restdehnung angeführt (Abb. 3.3). Man kann daran ablesen, dass bereits bei der anscheinend normalen Palmaraponeurose eine signifikante Erhöhung gegenüber den Palmaraponeurosen von Patienten ohne DK vorliegt. Vor allem bei den Kontraktursträngen ist die Zeit der mechanischen Erholung um ein Vielfaches verlängert (26,5-mal). Wie kommen diese Veränderungen zustande? Man muss davon ausgehen, dass kein Gewebe optimale elastische Eigenschaften im physikalischen Sinne aufweist. Am ehesten werden solche Werte von Bindegewebsfasern erreicht, die eine optimale Zusammensetzung von kollagenen Fasern, elastischen Fasern und Grundsubstanz aufweisen. Dabei kommt auch dem Durchmesser der Fasern eine Bedeutung zu, um die so genannte Querkontraktion klein zu halten. Fallen die elastischen Fasern aus, entstehen genau die Veränderungen, die oben beschrieben wurden. Tatsächlich konnten wir durch Be-
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handlung von Gewebsproben mit Elastase diese Veränderungen erzeugen. Der Schlüssel scheint also im Ausfall der elastischen Fasern zu liegen. Das Fasersystem reagiert mit vermehrter Kollagenbildung, was zu einer Verdickung der Fasern mit erhöhter Querkontraktion führt. Die zunehmende Veränderung der mechanischen Eigenschaften breitet sich über das gesamte System aus und führt auch zur Kollagenisierung von lockeren Verzweigungen des Faserkontinuums, sodass irreguläre Kontrakturstränge entstehen. Wenn Faserverdickung und Faserverschmelzung eine gewisse Grenze überschritten haben, entsteht ein Milieu, das die perivaskuläre Zellproliferation auslöst. Dabei können alle bisher erwähnten Faktoren wie verändertes Kollagen, Sauerstoffradikale, TGF-β und wahrscheinlich noch weitere unbekannte Faktoren eine Rolle spielen (Glimcher u. Peabody 1990). Die Zellproliferation hat zum Ziel, das veränderte Kollagen zu beseitigen und eine Regeneration herbeizuführen. Viele dieser Veränderungen spielen auch bei der Wundheilung eine Rolle. Eine Regeneration kann aber nicht erreicht werden. Es kann weder eine Faserbündelstruktur aufgebaut werden, noch können neue elastische Fasern erzeugt werden. Was entsteht ist eine Narbe, und zwar eine hypertrophe Narbe, die weiter einer Zugbelastung ausgesetzt ist. Ein Schrumpfungsprozess wie bei einer Narbenkontraktur ist vorprogrammiert. Zu einer analogen Ansicht kommen auch Glimcher u. Peabody (1990). Darüber hinaus kann sich in einem bestehenden Kontrakturstrang ein neuer Herd mit Zellproliferation etablieren, womit der Prozess von Neuem beginnt und ein Circulus vitiosus entsteht.
3.1.2.6 Wie kommt es zur Kontraktur? Wie sich eine Muskelfaser durch die Interaktion von Aktin und Myosin aktiv verkürzen kann, ist bekannt. Die so genannte Wundkontraktion ist ein lebensrettendes Phänomen für viele Tiere, die sonst eine ausgedehnte Wunde am Rücken nicht überleben würden. Gabbiani et al. (1971, 1972) und Majno (1979) konnten im Granulationsgewebe solcher Wunden Fibroblasten nachweisen, die Aktin und Myosin enthalten und Charakteristika von glatten Muskelzellen aufweisen. Es konnte gezeigt werden, dass diese Zellen – die Myofibroblasten – tatsächlich für die Wundkontraktion verantwortlich sind, da die Exzision der Wundränder, die die meisten Myofibroblasten enthalten, zu einem Sistieren der Wundkontraktion führt. Inzwischen weiß man, dass Myofibroblasten, die offenbar eine besondere Erscheinungsform der Fibroblasten sind (Tomasek et al. 1986, 1987), ein Myosin enthalten, das nicht dem der glatten Muskelzellen entspricht. Die unmittelbare Umgebung der Zellen färbt sich nicht wie
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Laminin, wie dies für glatte Muskelzellen charakteristisch wäre, sondern wie Fibronektin, und zwar viel stärker als dies bei normalen Fibroblasten in der Palmaraponeurose der Fall ist. Sie kommen auch in Verbrennungsnarben vor, die stark zu Kontrakturen neigen und in Narben nach Erfrierungen, bei denen Kontrakturen nicht bekannt sind. Myofibroblasten sind in den Herden der Zellproliferation enthalten (Schürch et al. 1990), verschwinden allmählich und kommen in den Kontraktursträngen nicht mehr vor. Myofibroblasten könnten durch ihre Kontraktion die Kontraktur auf folgende Weise herbeiführen: Ein unbekannter Stimulus verursacht eine Interaktion zwischen dem intrazellulären Aktin und dem (nichtmuskulären) Myosin. Die dadurch erzeugte intrazelluläre Kraft wird durch die Zellmembran auf an der Oberfläche der Zelle befindliches Fibronektin übertragen. Dieses überträgt wiederum die Kraft über die Grundsubstanz und ihrer Verbindung zu den kollagenen Fibrillen, die dadurch gefaltet werden, was zu einer Verkürzung in longitudinaler Richtung führt. Allerdings wurden auch Zellproliferationen beobachtet, die keine Myofibroblasten enthalten (Gelberman et al. 1980). Trotz einer umfangreichen Literatur ist bislang kein überzeugender Beweis dafür präsentiert worden, dass die Kontraktur durch Kontraktion der Myofibroblasten herbeigeführt wird. Harris et al. (1981) konnten in Zellkulturen zeigen, dass Fibroblasten eine Verkürzung der Strukturen, über die sie sich bewegen, herbeiführen können – nicht durch Kontraktion, sondern durch Reibung tangential zur Oberfläche. Dieser Mechanismus wurde als Traktion der Kontraktion gegenübergestellt (Stopak u. Harris 1982). Nachdem eine Faltung der kollagenen Fasern nicht nachweisbar ist (s. unten), könnte ein verkürzender Effekt durch Zellen nur während der Phase der Resorption des alten Kollagens und vor der Synthese des neuen Kollagens entsprechend dem Schema von Brickley-Parsons et al. (1981) erfolgen. Untersuchungen zur Bedeutung von Kollagen im Zusammenhang mit der Kontraktur wurden von BrickleyParsons et al. (1981) durchgeführt. Es wurden 2 verschiedene Szenarien untersucht: 1. Die Verkürzung des Abstands zwischen Ursprung und Ansatz der Faserbündel bei gleich bleibender Länge der Faserbündel. Dann müsste es zu einer Faltung der Faserbündel kommen. Die Röntgendiffraktion zeigte keine solche Faltung. Im Gegenteil: Es konnte gezeigt werden, dass die longitudinale Orientierung des Kollagens im DK-Gewebe besser war als in der normalen Palmaraponeurose. 2. Die Verkürzung des Abstands zwischen Ursprung und Ansatz bei gleichzeitiger Verkürzung der Faserbündel.
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Diese Verkürzung könnte durch Denaturierung der Kollagenmakromoleküle erfolgen mit Verlust der Triple-Helixstruktur, was mit einer deutlichen Verkürzung einhergeht. Untersuchungen mit WeitwinkelRöntgendiffraktion ergaben keinen Anhaltspunkt für eine Denaturierung. Beide Mechanismen einer Kontraktur auf der Basis der Kollagenmakromoleküle können daher ausgeschlossen werden (Brickley-Parsons et al. 1981). Eine Verkürzung kann dadurch zustande kommen, dass altes Kollagen resorbiert wird, die Länge des resorbierten Segments sich verkürzt und neu synthetisiertes Kollagen den verkürzten Abstand ausfüllt. Dieser Prozess wiederholt sich an verschiedenen Stellen. Dies entspricht genau den oben geäußerten Vorstellungen. Brickley-Parsons et al. (ebd.) konnten auch zeigen, dass Hydroxyprolin und Hydroxylysin im DK-Gewebe erhöht sind, dass aber schon in der anscheinend normalen Palmaraponeurose eine signifikante Erhöhung besteht. Dasselbe gilt für reduzierbare «cross links». Es kann zusammengefasst werden, dass die Veränderungen, die im Kollagen auftreten (Erhöhung von Hydroxylysin, Auftreten von Hydroxylysinonorleukin als bedeutendes reduzierbares intermolekulares Cross link, Erhöhung des Gehalts an Typ-III-Kollagen) Charakteristika von neu synthetisiertem Kollagen sind, wie sie im Rahmen der Wundheilung und in embryonalem Gewebe auftreten (Bailey et al. 1975 a,b, 1977; Barnes et al. 1971, 1974; Bazin et al. 1980; Miller et al. 1967; Royce u. Barnes 1977; Strawich u. Glimcher 1983). In fortgeschrittenen Stadien der Wundheilung kehren diese Veränderungen zur Norm zurück. Es ist charakteristisch für die DK, dass diese Veränderungen über Jahre hinaus bestehen bleiben. Ein zweites Charakteristikum ist die Tatsache, dass diese Veränderungen auch in anscheinend normalem Gewebe auftreten.
Glimcher u. Peabody (1990; McFarlane 1990 b) gehen davon aus, dass normale Fibroblasten in anscheinend normalen Teilen der Palmaraponeurose dazu veranlasst werden, Kollagen zu produzieren, das den veränderten posttranslatorischen Modifikationen unterliegt (McFarlane 1990 b). Dies entspricht genau der vom Autor postulierten Theorie. Verkürzungen können sich aber auch ohne Vermittlung von Zellen innerhalb von Kontraktursträngen abspielen. Wenn ein Strang mit einer bestimmten Kraft gedehnt wird, erfolgt eine Verlängerung und gleichzeitig eine Verschmälerung entlang der ganzen Länge mit Maximum in der Mitte (Querkontraktion im physikalischen Sinne). Wird die Dehnung bei Erreichen einer bestimmten Länge
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gestoppt, nimmt die zur Aufrechterhaltung der Dehnung notwendige Kraft ab: mechanische Relaxation. Wird bei Erreichen einer bestimmten Dehnung die Kraft konstant gehalten, nimmt die Dehnung eine gewisse Zeit lang weiter zu: mechanische Retardation. Wird ein gedehnter Strang entlastet, verkürzt er sich wieder, aber nicht nur bis zur ursprünglichen Länge, sondern er wird etwas kürzer: inverse Retardation. Dies geschieht, weil sich die Verkürzung durch Querkontraktion ausgleicht und im Sinne der Retardation etwas über das Ziel hinausschießt, sodass der quere Durchmesser größer wird. Nach einer Oszillation um die Nulllinie werden wieder die Ausgangswerte erreicht. Was sich bei diesen Vorgängen tatsächlich abspielt, ist nicht genau bekannt. Es dürfte sich aber um eine Verschiebung der kollagenen Fibrillen in eine ideale Längsausrichtung innerhalb der Grundsubstanz handeln, die einen Reibungswiderstand gegen die Bewegungen leistet, weshalb diese Bewegung nicht sofort im Sinne einer instantanen Elastizität erfolgt, sondern verzögert (visköse Komponente). Ähnliche Veränderungen sind auch die Ursache dafür, dass nach einer Belastung und Entlastung eine zweite Belastung zu einer unterschiedlichen Kraft-Dehnungs-Kurve führt, ebenso eine dritte, vierte usw. Erst nach einer Ruhepause, wenn die Verschiebungen wieder rückgängig gemacht wurden, kann mit derselben Belastung wieder die ursprüngliche Kraft-Dehnungs-Kurve erreicht werden. Diese Ruhepause – die mechanische Erholung – beträgt bei Faserbündeln der normalen Palmaraponeurose bei einem Dehnungsniveau von 5% 10 min. Sie steigt bei der anscheinend normalen Palmaraponeurose von Patienten mit DK auf 13,3 min leicht an. Bei den verdickten Faserbündeln beträgt sie 43±15 min, bei Kontraktursträngen 175±42 min. Die längste beobachtete Erholungszeit betrug 6 Stunden. Das heißt, dieser Patient beginnt nach einer mehrstündigen Nachtruhe die neuerliche Belastung seiner Hand, bevor die Erholungszeit abgelaufen ist. Man könnte sich vorstellen, dass die Verkürzung durch inverse Retardation dadurch fixiert wird. Ähnliche Veränderungen spielen sich bei der Narbenkontraktur ab. Jedem Chirurgen ist bekannt, dass eine Längsinzision an der Palmarseite eines Fingers, die die Fingerbeugefalten senkrecht kreuzt, zu einer Narbenkontraktur führt, während eine bajonettförmige, quere oder Z-förmige Narbe zart verheilt. Der Finger ist so konstruiert, dass im Bereich von Haut und Subkutis eine Kraftübertragung z. B. von der Grund- auf die Mittelphalanx durch quere Strukturen verhindert wird. Wenn es zu einer Unterbrechung der queren Strukturen und zu einer direkten Kraftübertragung durch die Längsnarbe kommt, entwickelt sich die Kontraktur. In gleicher Weise unterliegen Stränge in Längsrichtung bei der DK einer ständig wiederholten Belastung in Längsrichtung und entwickeln eine Beugekontraktur.
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3.1.2.7 Drei Phasen im Ablauf der Dupuytren-Kontraktur Man kann offenbar 3 Phasen der Dupuytren-Erkrankung unterscheiden: • Die vorausgehenden Veränderungen der kollagenen Faserbündel bestehen in einer Abnahme der instantanen Elastizität und einer Zunahme der viskösen Eigenschaften. Grundlage für dieses Phänomen ist die Degeneration der elastischen Fasern. Hier dürfte auch die hereditäre Komponente wirksam sein, aber auch alle Faktoren, die die elastischen Eigenschaften reduzieren. Diese Veränderungen bedingen eine grundsätzliche Änderung des normalen Belastungsschemas und führen nicht nur zur Verdickung vorhandener kollagener Faserbündel, sondern auch zur Kollagenisierung von zarten Bindegewebssträngen. Dieses Konzept (Millesi 1997) wird zwar zögernd, aber zunehmend anerkannt (Brickley-Parsons et al. 1981; Flint 1990 a,b; Flint u. McGrouther 1990; Glimcher u. Peabody 1990). • Die reaktive Phase beginnt mit der Zellproliferation und stellt einen frustranen Regenerationsversuch dar, der zu einem Circulus vitiosus führt und dadurch perpetuiert wird. • Das Narbenstadium stellt offenbar ein Endstadium dar, in dem es wieder zu Proliferationsherden und zu einer Wiederholung des Vorgangs kommen kann. Diese Phasen laufen beim selben Patienten an verschiedenen Stellen nebeneinander ab. Es ist daher falsch, bei histologischen Untersuchungen von Dupuytren-Gewebe zu sprechen. Das „Dupuytren-Gewebe“ kann an derselben Hand an verschiedenen Stellen verschieden aussehen und verschiedenen Eigenschaften haben.
Ein klinischer Fall soll die Problematik verdeutlichen (Abb. 3.4 a–d): Bei einem 56-jährigen männlichen Patienten besteht seit 5 Jahren eine DK der linken Hand. Es liegt ein verdickter Strang entlang des Metakarpale 4 zur Mittelphalanx vor. Man sieht deutlich die Hauteinziehung knapp proximal der Beugefalte des PIP-Gelenks. MP- und PIP-Gelenk weisen eine Beugekontraktur auf. Ein weiterer Kontrakturstrang hat eine Hauteinziehung im Bereich der distalen Beugefalte in der Hohlhand verursacht, reicht aber darüber hinaus in den ulnaren Teil der Palmarseite der Grundphalanx des Kleinfingers bis zur Mittelphalanx. Auch hier entwickelt sich bereits eine Kontraktur des MP- und des PIP-Gelenks. Während die Haut über dem Zeigefinger normal erscheint, besteht an
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der Basis des Mittelfingers eine Verdickung und eine leichte Kontraktur im MP-Gelenk (vgl. Abb. 3.4 a). Nach Öffnung der Hohlhand durch eine Y-Inzision werden die Veränderungen der Palmaraponeurose deutlich sichtbar. Am 4. Fingerstrahl hat sich ein Kontrakturstrang entwickelt. Je ein Seitenstrang zieht zum Kleinund zum Mittelfinger. In der Mitte besteht ein Knoten. Ulnar sieht man dem Strang zum Kleinfinger. Die Hauteinziehung am Strang wurde umschnitten und am Strang belassen. Radial sieht man 4 verdickte Faserbündel, die in Richtung Mittelfinger und 3. Interdigitalfalte verlaufen. Peripher sind die 4 verdickten Faserbündel zu 2 Strängen verschmolzen. Weiter radial sieht man die normal aussehende Palmaraponeurose zum Zeigefinger ziehen (vgl. Abb. 3.4 b). Abbildung 3.4 c zeigt das Operationspräparat nach kompletter Fasziektomie. Man sieht unten den Kontrakturstrang zum Kleinfinger mit der Hauteinziehung. Ferner ist der Kontrakturstrang zum Ringfinger zu erkennen, der im Wesentlichen zur Haut über der proximalen Hälfte der Grundphalanx reicht und einen Ast zum Kleinfinger abgibt. Am Ringfinger im Bereich des PIP-Gelenks hat sich unabhängig davon Kontrakturgewebe entwickelt, welches den N. digitalis proprius 7 (durch ein „vessel loop“ angedeutet) einschließt. Kollagenisierte Faserbündel an der Fingerbasis sind im Begriff, die Verbindung zum Hauptstrang in der Hohlhand herzustellen, sodass sich ein einheitlicher Strang für den Ringfinger entwickeln wird. Ein Strang zweigt von hier entsprechend der Interdigitalfalte zum Kleinfinger ab. Die verdickten Faserbündel zum Mittelfinger bzw. der 3. Interdigitalfalte sind wegen der fehlenden Spannung nach der Exzision weniger gut erkennbar. Abbildung 3.4 d zeigt den Längsschnitt im Bereich der verschmolzenen Faserbündel zum Mittelfinger. Es zeigen sich verdickte kollagene Faserbündel ohne Zellproliferation. Peritendonales Gewebe ist z. T. erhalten; links quergetroffene, nichterkrankte kollagene Faserbündel. In diesem Fall liegen anscheinend normale Palmaraponeurose, verdickte und verschmelzende Faserbündel und Kontrakturstränge nebeneinander: 1. Anscheinend normale Palmaraponeurose entsprechend dem 2. Fingerstrahl mit einer Residualdehnung im Kraft-Dehnungs-Diagramm nach Dehnung um 10% bei etwa 4,5% gegenüber einem Normalwert von 0,5% und einer mechanischen Erholungszeit von 13,3 min gegenüber normal 10 min. Histologisch sind kollagene Fasern und elastische Fasern normal. 2. Verdickte Faserbündel mit Tendenz zur Verschmelzung entsprechend dem 3. Fingerstrahl. Die Restdehnung beträgt 4,5%. Die mechanische Erholungszeit 43±15 min. Histologisch bestehen die verdickten Fa-
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Abb. 3.4 a–d. 56-jähriger männlicher Patienten mit DK der linken Hand seit 5 Jahren eine DK (ausführlich s. Text). a Erscheinungsbild der Hand vor der Operation. b Öffnung der Hohlhand durch eine Y-Inzision. c Operationspräparat nach kompletter Fasziektomie. d Längsschnitt im Bereich der verschmolzenen Faserbündel zum Mittelfinger (Van-GiesonFärbung)
serbündel aus kollagenen Fasern und enthalten keine elastischen Fasern. Es bestehen keine Herde mit Zellproliferation (vgl. Abb. 3.4 d). 3. Kontrakturstränge am Ring- und Kleinfinger. Die Residualdehnung beträgt bei solchen Fällen 30%. Die mechanische Erholung dauert 175±42 min. Histologisch findet man hier Stellen mit verdickten und verschmolzenen Faserbündeln, Herde mit Zellproliferation und Kontrakturstränge mit Zellproliferation in Rückbildung bzw. Narbenstränge.
3.1.3 Diagnostik Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, dass die DK eine Systemerkrankung mit einer starken hereditären Komponente ist. Daraus ergibt sich die Frage, wodurch die Erkrankung ausgelöst wird und wodurch die Progredienz bestimmt wird. Bei Betrachtungen über die DK, besonders im Zusammenhang mit einer konservativen Behandlung, wird davon ausgegangen, dass die Erkrankung linear progredient
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Abb. 3.5. Progressionskurve bei Händen im Stadium 0. Bei Patienten mit einer DK einer Hand, die operiert wurde, bestand eine DK der kontralateralen Hand im Stadium 0. Es war also keine Therapie erforderlich. Im Zuge der regelmäßigen Nachuntersuchung der operierten Hand wurden auch Veränderungen an der kontralateralen Hand registriert. Nach einem Zeitraum von 3–5 Jahren zeigten nur 37% der Hände eine Progression
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sprechende Untersuchungen wurden vom Autor vor Jahren durchgeführt und publiziert. Abbildung 3.5 zeigt die Progressionskurve eines Kollektivs von Patienten, die an einer Hand wegen einer DK operiert worden waren. An der anderen Hand wiesen diese Patienten ebenfalls eine DK auf, allerdings ohne Kontraktur und daher ohne Operationsindikation. Diese Hände wurden über Jahre verfolgt und eine eventuelle Progression registriert. Dabei zeigte sich, dass innerhalb von 3 Jahren nur etwa 30% eine Progression zeigten, während bei 70% der Zustand unverändert blieb. Eine ähnliche Kurve zeigt Abb. 3.6: Hier wurden Patienten erfasst, die an einer Hand wegen einer DK operiert worden waren. An der anderen Hand bestanden zur Zeit der ersten Untersuchung noch keinerlei Anzeichen einer DK. Über Jahre wurden diese Patienten regelmäßig nachuntersucht und das Neuauftreten einer Erkrankung registriert. Ähnliche Progressionskurven wurden für die verschiedenen Stadien der DK ermittelt. Die Kurven werden mit dem Fortschreiten der Erkrankung steiler. Ohne Berücksichtigung des Krankheitsverlaufes bewegt sich jede Beurteilung eines Behandlungserfolges im luftleeren Raum.
3.1.3.1 Der Patient
Abb. 3.6. Prozentsatz der Neuerkrankungen. Bei 113 Patienten wurde an einer Hand eine Operation wegen einer DK ausgeführt. Die andere Hand war zur Zeit der ersten Untersuchung frei von einer DK. Im Zuge der regelmäßigen Nachuntersuchung der operierten Hand wurden Veränderungen an der kontralateralen Hand registriert. Der Prozentsatz einer Neuerkrankung betrug nach 5 Jahren 39% und nach 6–12 Jahren 49%. Bemerkenswert ist, dass bei 6 Händen Zeichen einer beginnenden DK registriert wurden, die bei späteren Untersuchungen nicht mehr nachweisbar war
fortschreitet und ein Stillstand der Progression bereits einen Behandlungserfolg darstellt. Aufklärung über diese Frage kann man nur durch langjährige Längsschnittuntersuchungen gewinnen. Ent-
Der durchschnittliche Patient ist ein Mann in den Fünfzigern, der wegen der oben genannten Beschwerden um Rat sucht. Das Verhältnis Männer zu Frauen beträgt bei operierten Patienten 5:1. Bei Studien an bestimmten Populationen, bei denen auch geringe, den Patienten nicht störende Manifestationen ausgewertet werden, ist das Verhältnis wesentlich niedriger. Die DK ist eine Erkrankung, die im Durchschnitt im 5. Lebensjahrzehnt beginnt und mit zunehmendem Alter häufiger wird. Reihenuntersuchungen haben gezeigt, dass im 7. Lebensjahrzehnt jeder vierte Mann Manifestationen einer DK aufweist, von denen allerdings nur ein Teil einen Arzt aufsucht. Wenn die Erkrankung bereits frühzeitig, z. B. im 2. oder 3. Lebensjahrzehnt auftritt, muss man mit einem progredienten Krankheitsverlauf rechnen. Ein Drittel der Patienten gibt an, dass der Vater oder die Mutter bzw. ein anderes Familienmitglied eine DK hatte. Wenn die Mutter eine DK hatte, muss ebenfalls mit einem ungünstigeren Verlauf gerechnet werden.
Beim Erheben der Anamnese sollte der Patient nach dem Vorliegen eines Diabetes mellitus, einer Lebererkrankung, einer rheumatischen Erkrankung bzw. ob ein Herzinfarkt überstanden wurde, befragt werden. Reihenuntersuchungen haben gezeigt, dass bei Patienten mit diesen Erkrankungen die Frequenz der DK erhöht sei. Die Auswertung eines operativen Krankengutes zeigt allerdings
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keine signifikante Häufung. Erhöhter Konsum von Alkohol könnte eine Rolle spielen. Dagegen ist es bisher nicht gelungen, akute oder chronische Traumen mit der Entstehung der DK in Zusammenhang zu bringen oder bestimmte Berufe als prädestiniert zu definieren. Bei der Untersuchung der kontralateralen Hand wird häufig festgestellt, dass auch diese Hand, allerdings in geringerem Ausmaß, betroffen ist. Verfolgt man Patienten über längere Zeit, kann beobachtet werden, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch die zweite Hand erkrankt. Häufig zeigen Patienten eine umschriebene Hyperplasie an den Streckseiten der PIP-Gelenke (Knöchelposter). Die Fußsohlen sind in 12% der Fälle betroffen, meist ohne Wissen des Patienten. In 1,5% der Fälle kann man auch das Vorliegen einer Induratio penis plastica diagnostizieren. Wenn die Erkrankung in jungen Jahren auftritt und ein Teil der beschriebenen Manifestationen außerhalb der Hohlhand vorliegen, muss man mit einer erhöhten Rezidivneigung und einer rascheren Progredienz rechnen (Diathese).
3.1.3.2 Frühveränderungen • Unangenehme Sensationen beim Fingerstrecken beidseits der distalen Beugefalte in der Hohlhand. • Auftreten von punktförmigen Hauteinziehungen beidseits der distalen Beugefalte, die bei Streckung der MP-Gelenke und forcierter Beugung der PIP-Gelenke verstärkt werden. • Diese Einziehungen bleiben ständig. • Erstes Zeichen eines Befalls von Fingern ist das Auftreten einer Hauteinziehung am proximalen Rand der Beugefalte des PIP-Gelenks. In dieser Phase treten keine knotenförmigen Verdickungen auf. Bevorzugter Befall: D 4.
3.1.3.3 Strangbildung • Entwicklung eines subkutan gelegenen verdickten Strangs mit zentraler Hauteinziehung an der Stelle, an der das verdickte Faserbündel in die Haut einstrahlt. • Zunehmende Verdickung und Knotenbildung. • Zwei verschiedene Formen: – Entwicklung in die Breite: Neben dem ersten Strang entlang des 4. Fingerstrahles entwickeln sich Stränge über dem Metakarpale 3 und 5. Durch Verkürzung entsteht eine Beugekontraktur der MP-Gelenke der betroffenen Finger. Es können sich zusätzlich Stränge an den Grund- und Mittelpha-
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langen bilden und auch eine Kontraktur des PIPGelenks verursachen. – Entwicklung in die Länge: Strangbildung über einem Fingerstrahl in der Hohlhand und an der Palmarseite der Grundphalanx desselben Fingers. Es entsteht eine Verbindung zwischen diesen Strängen, sodass schließlich ein durchgehender Strang entlang eines Fingerstrahls von der Hohlhand bis zur Beugesehnenscheide der Mittelphalanx resultiert, der bei Schrumpfung eine Kontraktur des MP-Gelenks und des PIP-Gelenks verursacht. Es kommt nie zur Beugekontraktur im DIP-Gelenk. Die Endverzweigung eines Strangs an der Palmarseite der Mittelphalanx kann auch doppelt angelegt sein und die Seitenflächen der Sehnenscheide und damit den Knochen erreichen. Sie kann aber auch Anschluss an die Streckaponeurose gewinnen (über das Landsmeer-Ligament) und dann eine Streckkontraktur des DIP-Gelenks verursachen. Von einem solchen Hauptstrang an einem Finger entwickeln sich Nebenstränge, die benachbarte Finger in die Kontraktur einbeziehen.
Sonderformen Seitenstrang am Finger. An der Seitenfläche der Finger, außerhalb des Nerven-Gefäß-Bündels entstehen manchmal Stränge, die primär nicht mit der Hohlhand zusammenhängen. Sie stehen aber mit dem Bindegewebe der Beugeseite des DIP-Gelenks in Verbindung und können eine Beugekontraktur des DIP-Gelenks verursachen. Selten kommen solche Seitenstränge isoliert vor und wurden für ein Neurom des N. digitalis proprius gehalten. Seitenstränge können auch Anschluss an das veränderte Bindegewebe der Schwimmhaut gewinnen. Oberflächliche quere Fasern. In der Subkutis der Interdigitalfalten und um die Monticuli finden sich oberflächliche Bindegewebefasern (Lig. natatorium), die netzartig angeordnet sind. Entsprechend der Zugbelastung beim Fingerspreizen überwiegt die quere Komponente. Ein Befall dieser Fasern stellt die Verbindung zwischen Kontraktursträngen in der Hohlhand und am Finger auf vielfältige Weise her. Zum Unterschied von diesen oberflächlichen Fasern ist das tiefe quere Fasersystem in der Hohlhand praktisch nie betroffen. Hypothenar. Im Fasersystem des Hypothenars können Stränge entstehen, die sich zur Ulnarseite des Kleinfingers ausbreiten, aber auch Anschluss an einen von der Hohlhand zum Kleinfinger ziehenden Strang gewinnen können. Eine Induration des subkutanen Bindegewebes kann man auch im Bereich des Ballens im proximalen Drittel des Hypothenars beobachten.
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Erste Interdigitalfalte. Hier kann man 2 parallel laufende Kontrakturstränge feststellen, die die 1. Interdigitalfalte verengen. Der mehr dorsal gelegene entspricht der Fortsetzung der oberflächlichen queren Fasern, der mehr palmar gelegene der Fortsetzung der tiefen queren Bindegewebsfasern. Daumen und Thenar. Am Daumen entsteht häufig ein Knoten im Bereich der Beugefalte des MP-Gelenks, der eine Kontraktur des MP-Gelenks verursacht. Selten entwickelt sich ein Kontrakturstrang in Richtung IP-Gelenk. Häufiger findet man dagegen einen Kontrakturstrang entlang des Thenargelenks schräg in die Hohlhand. Dieser Strang verursacht eine Oppositionskontraktur.
3.1.3.4 Funktion der Hand In der Frühphase ist die Funktionsstörung minimal. Sie besteht lediglich in einer Störung des festen Griffs durch die Verdickung. Die Patienten erklären diesen Befund durch „Schwielenbildung“ und beachten ihn nicht weiter. Selten entstehen Schmerzen beim Greifen, wenn ein Strang auf einen Nerv drückt. Die Patienten werden auf den Zustand erst aufmerksam, wenn der eine oder andere Finger nicht mehr ganz zu strecken geht. Eine echte Funktionsstörung ergibt sich erst, wenn eine deutliche Kontraktur besteht und die Hand nicht mehr voll geöffnet werden kann. Die Patienten haben dann Schwierigkeiten, wenn sie sich beim Ein- und Aussteigen an einem Haltegriff halten wollen. Das Anziehen von Handschuhen bereitet zunehmend Schwierigkeiten. Viel früher treten Probleme bei Patienten auf, die hohe Ansprüche an die Funktion der Hand stellen, z. B. bei Musikern, die keine Oktave mehr greifen können usw. Im öffentlichen Leben stört, dass beim Händedruck Schmerzen auftreten können und der Partner, der die Verhärtung in der Hohlhand tastet, eine Reaktion zeigt. Bei fortgeschrittener Kontraktur wird die Hand funktionslos, und es treten intertriginöse Hautreaktionen auf, weil die Haut der Palmarseite der Hand und der Interdigitalfalte nicht mehr gepflegt werden kann. Bei diesem Beschwerdebild entsteht der berechtigte Wunsch des Patienten nach Behandlung.
3.1.4 Klassifikation Betrachtet man die Anordnung der frühen Faserveränderungen und die der ersten Strangbildungen, sieht man, dass diese genau der Anordnung der präformierten Faserbündel entspricht. Dies gilt auch für die Entwicklung
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in die Breite und für den Befall der oberflächlichen queren Faserbündel. Auch die Seitenstränge an den Fingern, die die Kontraktur des Endgliedes bewirken können, entwickeln sich innerhalb eines am normalen Finger nachweisbaren Faserbündels (Millesi 1965; Thomine 1965). Dagegen gibt es kein sicheres anatomisches Pendant für die longitudinal auf dem Finger verlaufenden Stränge bei Entwicklung in Längsrichtung. Trotzdem hängen alle Teile des Bindegewebskörpers zusammen. Zu dieser Erkenntnis kommt man, wenn man bei der anatomischen Darstellung nicht wie allgemein üblich Haut und Subkutis abpräpariert, um unter Zerstörung anderer Faserbündel die Fasersysteme hervorzuheben, die man darstellen und benennen will, sondern die Haut als Vollhauttransplantat abpräpariert. Auf diese Weise entsteht eine Oberfläche, die aus Fettläppchen besteht, die wiederum in ein netzartig gestaltetes Fasersystem eingelagert sind. Die Maschen des Netzes setzen sich aus straffen und lockeren Bindegewebssepten zusammen, die sekundäre und tertiäre Verzweigungen von zur Haut aufsteigenden Faserbündeln darstellen. Werden die einzelnen Fettläppchen entfernt, erhält man ein klares Bild dieses dreidimensionalen Bindegewebskörpers zwischen Palmaraponeurose im engeren Sinne, der Thenarund Hypothenarfaszie, der Einhüllung der Interosseusund Lumbrikalissehnen sowie der Beugesehnenscheiden einerseits und der Haut andererseits. Das Grayson- und das Cleland-Ligament und das dazwischen liegende Nerven-Gefäß-Bündel stellen die Grenze zwischen Palmarund Dorsalseite des Fingers dar (Millesi 1965). Dieses Konzept des Bindegewebskörpers wird im angloamerikanischen Schrifttum als „palmar connective tissue continuum“ bezeichnet, so z. B. von McFarlane (1990 a,b). Innerhalb des Bindegewebskörpers kann man verschieden verlaufende Hauptfaserrichtungen unterscheiden, so z. B. vorwiegend quere Faseranordnung im Bereich der Schwimmbänder (oberflächliche quere Fasern). Man darf aber nicht vergessen, dass auch hier ein netzartiges Grundmuster vorliegt: Im Bereich der Beugefalten gibt es nur quere Fasern ohne eingelagertes Fettgewebe. Bei den Längsfasern im digitopalmaren Übergangsbereich werden 3 Schichten unterschieden (Holland u. McGrouther 1997; McGrouther 1999): • Eine oberflächliche Schicht von Faserbündeln, die in die Haut einstrahlen. Verlängerungen zur Palmarseite der Grundphalanx distal der proximalen Fingerbeugefalte wurden beschrieben von Wood Jones (1941) und Zancolli (1979), werden aber angezweifelt (McGrouther 1990). • Eine mittlere Schicht, die unterhalb der oberflächlichen queren Fasern und dem Nerven-Gefäß-Bündel zum Finger zieht (Gosset 1972) und von McFarlane (1990 a,b) als „spiral band of Gosset“ beschrieben
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wird, kann Anschluss an das Faserbündel an der Fingerseitenfläche gewinnen. • Die Faserbündel der dritten tiefsten Schicht entsprechen den „perforating fibres“ von Legueu u. Juvara (1982). Viele Autoren haben sich im Lauf der Jahrzehnte bemüht, durch metikulöse Dissektionen Faserbündel zu isolieren, die klinisch beobachteten Strängen der DK entsprechen. Die Faserbündel sind so zart und so vielfältig angeordnet, dass fast jede Struktur herauspräpariert werden kann.
3.1.4.1 Konzept der ständigen Weiter entwicklung der einzelnen Bestandteile der Fasersysteme Die Anordnung der Fasersysteme in der Hohlhand stimmen zwischen einzelnen Individuen nur in groben Zügen überein. Bei vollständiger Übereinstimmung müssten alle Menschen ein exakt übereinstimmendes Liniensystem in der Hohlhand aufweisen. Tatsächlich unterscheiden sich aber die Liniensysteme beträchtlich. Auf diesen Unterschieden baut die Kunst des Handlesens auf. Das aktuelle Liniensystems eines Individuums beruht auf einer Veranlagung und auf der persönlichen Art, in der es gelernt hat, die Hand zu gebrauchen. Diese These wird durch die Untersuchungen von Kalberg (1935) gestützt. Kalberg untersuchte die Palmaraponeurosen von Hunderten von Leichenhänden. Er konnte 7 verschiedene Typen in Bezug auf die makroskopische Anordnung der Faserbündel unterscheiden. Es fiel ihm auf, dass alle Hände von Neugeborenen ein Fasersystem zeigten, das seinem Typ II entsprach. Dies ist offensichtlich der ursprüngliche Typ, aus dem sich die anderen Typen durch individuelle Weiterentwicklung gebildet haben.
3.1.4.2 Das Konzept der strukturellen Anpassung Ein mikroskopisches Studium des dreidimensionalen Bindegewebskörpers der Palmarseite der Hand zeigt, dass die sehnenartig gebauten Hauptfaserbündel sekundäre und tertiäre Verzweigungen aufweisen, die netzartig angeordnet sind und zwischen denen die Fettläppchen eingelagert sind. Diese Verzweigungen bestehen aus lockerem Bindegewebe und elastischen Fasern und enthalten dort, wo keine Zugbelastung gegeben ist, keine kollagene Fasern. Dies ist aber kein endgültiger Zustand. Bei signifikanter Änderung der Spannungsverhältnisse kann ein Umbau stattfinden, indem bisher kollagenfreie Verzweigungen kollagenisiert werden und umgekehrt. Dies entspricht dem ständigen Umbau der Trabekel des spongiösen Knochens zur funktionellen Anpassung. Auf diese Weise können durch Kollagenisierung tertiärer
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Verbindungen durchlaufende kollagene Faserbündel entstehen und so die Verbindung zwischen dem Längsfasersystem der Hohlhand und dem Fasersystem der Grundphalanx durch das oberflächliche quere Fasersystem hindurch herstellen. Solche Umbauvorgänge wurden von Flint (1972) bei Palmaraponeurosen von Patienten verschiedener Altersstufen ohne DK beschrieben. Auch ein so genanntes Spiralband kann sich bilden, wenn Faserbündel der mittleren Schicht Anschluss an das seitliche Faserbündel gewinnen und im Erkrankungsfall durch Kollagenisierung normalerweise kaum sichtbarer Verbindungen zur Fingermitte mit einem zentralen Band in Verbindung treten. Da diese Faserbündel das NervenGefäß-Bündel von dorsal außen umgreifen, entstehen die verschiedensten Beziehungen zwischen Kontrakturstrang und Nerven-Gefäß-Bündel, die exakt präpariert werden müssen, um Nerv und Gefäße nicht zu verletzen. Auf ähnliche Weise entstehen durch Ausbreitung der Frühveränderungen proximal der Beugefalte des PIPGelenks Verbindungen zwischen den Fasersystemen der Grund- und der Mittelphalanx. Dadurch wird die funktionell wichtige Unterbrechung der Spannungsübertragung von der Grund- auf die Mittelphalanx aufgehoben und damit die Spannungsverteilung entscheidend verändert. Wenn man das straffe Bindegewebssystem der Palmarseite der Hand und der Plantarseite des Fußes als funktionelle Einheit betrachtet und akzeptiert, dass sich in diesem System ständig Anpassungsvorgänge abspielen, ergibt sich zwanglos: Die DK entwickelt sich innerhalb dieser Einheiten und betrifft die präformierten Strukturen. Die Zugbelastung bzw. eine Änderung der Zugbelastung steuert diese Vorgänge.
Dabei handelt es sich nicht um abnorme, sondern um Zugbelastungen innerhalb normaler Grenzen. Auch das Auftreten der Knöchelpolster passt in dieses Schema. Durch einfache Messung kann man sich leicht davon überzeugen, dass die Haut der Finger bei Beugung der Finger länger werden muss. Um dies zu ermöglichen, ohne die Haut im Phalangenbereich zu überdehnen, sind an den Dorsalseiten der IP-Gelenke Hautüberschüsse mit im Wesentlichen querer Faseranordnung eingebaut, die bei Beugung der Finger durch Auseinanderweichen der queren Strukturen einen ausreichenden Längengewinn ergeben, um die volle Beugung zu ergeben. Es handelt sich also auch hier um eine Veränderung präformierter Strukturen, die im Zusammenhang mit einer Zugbelastung steht. Das Hauptargument, das für diese Deutung spricht, ist die Tatsache, dass die Veränderung der DK immer innerhalb der genannten Systeme auftritt und niemals andere, ähnlich gebaute Strukturen betrifft wie beispielsweise die Beugesehnen, obwohl diese sich in unmittelbarer Nähe befinden und auch einer Zugbelastung ausgesetzt sind.
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3.1.5 Therapie Behandlungsziele • Stillstand der Progression • Verbesserung der Kontraktur ohne Unterbrechung von Kontraktursträngen • Verbesserung der Kontraktur mit Unterbrechung der Kontrakturstränge • Entfernung der Kontrakturstränge • Entfernung der Kontrakturstränge einschließlich des umgebenden normalen Gewebes, das aber im Sinne der Systemerkrankung die Potenz zur Erkrankung enthält
KAPITEL 3
durchblutet. Das ganze schlecht durchblutete Areal wird unterminiert und gehoben. Entsprechend der schlecht durchbluteten Stelle entsteht die Nekrose am proximalen Wundrand. Durch die Y-förmige Inzision wird das schlecht durchblutete Areal in 3 breitbasige, kurze Lappen geteilt, die wesentlich weniger durchblutungsgefährdet sind. Außerdem können die im Bereich der Monticuli zur Haut aufsteigenden Gefäße geschont werden. Es wurden unzählige Vorschläge zur Schnittführung gemacht, die alle einen Kompromiss zwischen ausreichender Freilegung, ausreichender Durchblutung und eventueller Distalverschiebung anstreben.
Gefäßverletzung
Die einzelnen Behandlungsverfahren sind unterschiedlich aufwändig, haben eine verschiedene Morbidität und Komplikationsrate aber auch eine verschieden große Aussicht auf Rezidivfreiheit. Der behandelnde Arzt muss daher mit seinem Patienten alle Vor- und Nachteile genau besprechen und die für jeden Einzelfall optimale Methode vorschlagen.
Die Durchtrennung und Ligatur einer Fingerarterie spielt keine Rolle, da die andere Arterie einen Kreislauf aufrecht erhält. Im Sinne der optimalen Durchblutung sollte jedoch die Verletzung einer Arterie vermieden werden. Probleme ergeben sich evtl. bei Rezidivoperationen, da man nicht sicher weiß, inwieweit die Gefäße bei der Erstoperation verletzt wurden. Man sollte sich durch eine Angiographie Klarheit verschaffen.
3.1.6 Komplikationen
Nervenverletzungen
Hämatom
Die Fingernerven sind unbedingt zu schonen. Je nach Befall der verschiedenen Segmente des Bindegewebssystems in unterschiedlicher Höhe ergibt sich oft eine irreguläre Beziehung zwischen Fingernerv und Kontrakturstrang, häufig im Sinne einer spiraligen Windung des Strangs um den Nerv. Jedem Operateur kann eine Verletzung eines Fingernerven passieren. Man sollte aber eine solcher Verletzung bemerken und den Nerv durch Nervennaht in seiner Kontinuität wiederherstellen. Sollte dennoch eine Nervenverletzung übersehen werden, muss man bei Auftreten von Neuromschmerzen in einer Sekundäroperation den Nerv versorgen, um der Entwicklung eines Schmerzsyndroms vorzubeugen.
Hämatome sollten bei entsprechender Freilegung und exakter Blutstillung unter Sicht weitgehend vermieden werden. Wenn dennoch ein Hämatom auftritt, muss es innerhalb von 24 Stunden operativ entleert werden, um weitere Folgen zu vermeiden. Um Hämatome sicher zu vermeiden, empfahl McCash (1964), die Hautwunden nicht zu schließen, sondern offen zu lassen („open palm technique“). Wenn es sich dabei um querovale Wunden handelt, heilen diese trotz Sekundärheilung problemlos mit einer zarten Narbe ohne Kontraktur. Es ist allerdings eine längere Nachbehandlung erforderlich.
Hautnekrose Das Problem der ausgedünnten Haut wurde bereits erwähnt. Wenn ein Hautlappen gehoben wird und die Blutzufuhr über den Lappenstiel nicht ausreicht oder sich eine venöse Stauung entwickelt, dann kommt es zu einer Hautnekrose. Eine solche Nekrose ist immer wieder zu beobachten, wenn die Hohlhand von einem queren Schnitt in der distalen Beugefalte freigelegt wurde. Die Haut der Hohlhand ist im Zentrum am schlechtesten
3.2 Spezielle Techniken 3.2.1 Erzielung eines Stillstands der Progression Die Empfehlung, Vitamin E zu verabreichen, hält sich seit Jahrzehnten als Behandlungsmaßnahme, ohne dass ein Beweis der Wirksamkeit erbracht wurde. Weiterhin wurde die Anwendung von Kortison, die Lokalbehandlung mit DMSO, Ultraschall und die Bestrahlung mit ionisierenden Strahlen empfohlen.
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Das Ziel dieser Behandlungsmethoden ist es, einen Stillstand der Progression zu erreichen. Da es aber keine linear progrediente Progession gibt, bleiben viele Fälle auch ohne Behandlung über Jahre unverändert. Ein Behandlungserfolg kann erst dann reklamiert werden, wenn in einem großen Krankengut die zu erwartende Progressionskurve eine signifikante Änderung erfährt.
3.2.2 Besserung der Kontraktur ohne Unterbrechung der Kontrakturstränge Besserungen wurden erzielt mit Lathyrogenen (Bray u. Galeazzi 1980), sowie Allopurinol (Murrell et al. 1987 b). Überzeugende Berichte über eine Milderung der Kontraktur durch konservative Behandlung liegen nicht vor. Übrigens wurden auch ohne Behandlung vorübergehende Besserungen beobachtet. Eine überraschende Behebung der Kontraktur eines Fingers kann durch kontinuierliche Traktion z. B. mit einem Fixateur externe erzielt werden, wie dies von Messina u. Messina (1991) gezeigt wurde. Nach Sistieren der Traktion stellt sich allerdings die Kontraktur rasch wieder ein. Der Wert dieser Behandlung liegt darin, dass man durch die vorübergehende Behebung der Kontraktur günstige Voraussetzungen für die operative Behandlung schaffen kann.
3.2.3 Besserung der Kontraktur durch Unterbrechung der Kontrakturstränge Naturgemäß funktionieren diese Methoden besser, wenn isolierte Kontrakturstränge ausgebildet sind, also besonders für das MP-Gelenk und weniger am Finger für das PIP-Gelenk.
3.2.3.1 Ruptur nach enzymatischer Behandlung Durch lokale Injektion von Enzymen kann das Kontrakturgewebe so vorbehandelt werden, dass eine Ruptur mit geringem Kraftaufwand möglich wird. Bassot (1965) hat Trypsin und Hyaluronidase injiziert. Auch der Autor hat zu dieser Zeit Fälle auf diese Weise behandelt. Es gelingt tatsächlich, die Kontraktur zu beheben. Es kam aber immer rasch zum Rezidiv. Badalamente u. Hurst (2000) konnten zeigen, dass Kollagenase die Zugfestigkeit des Kontrakturgewebes verringert. Aus dieser Erkenntnis wurde eine Methode entwickelt, die jetzt an mehreren Zentren kontrolliert angewendet wird. Langzeitergebnisse liegen aber noch nicht vor.
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3.2.3.2 Nadelfasziotomie Durch Manipulation mit einer Injektionsnadel kann ein Kontrakturstrang so geschwächt werden, dass er rupturiert werden kann. Die gilt natürlich vorwiegend für isolierte Kontrakturstränge in Höhe des MP-Gelenks. Man muss allerdings innerhalb von 2,5 Jahren mit einer Rezidivrate von 50% rechnen (Foucher et al. 1998).
3.2.3.3 Geschlossene oder offene chirurgische Fasziotomie Die Methoden wurden schon sehr früh zur Behandlung der DK angewendet. Man kann dadurch die Kontraktur für längere Zeit beheben. Es kommt meiner Erfahrung nach jedoch fast immer zum Rezidiv. Die rezidivfreie Zeit kann verlängert werden, wenn die Hautwunde nach einer offenen Fasziotomie nicht direkt genäht, sondern durch ein Vollhauttransplantat verschlossen wird.
3.2.4 Entfernung des Kontrakturgewebes Es handelt sich dabei um eine einfache lokale Exzision des Kontrakturstrangs. Teile des straffen Bindegewebskörpers bleiben in situ und können bei Fortschreiten der Erkrankung befallen werden und zu einem neuen Kontrakturstrang an der Operationsstelle (Rezidiv) oder zur Neuerkrankung benachbarten Gewebes führen (Ausbreitung). Im Bereich der Finger kann man mangels eines fassbaren anatomischen Substrates nur eine lokale Exzision ausführen, außer wenn man die Haut mit entfernt, sodass keine zur Haut führenden Bindegewebsfasern zurückbleiben. Die lokale Exzision ist naturgemäß mit einer hohen Rezidivrate verbunden. Es wurde daher zunehmend „radikal“ operiert (Abb. 3.7 a–l).
3.2.4.1 Radical fasciectomy Lange Zeit war die so genannte „radical fasciectomy“ nach McIndoe (1942) die Methode der Wahl, die von einem queren Hautschnitt in der distalen Beugefalte und zusätzlichen Z-Inzisionen an den Fingern ausgeführt wurde und die Tord Skoog (1948) propagierte. Die wahllose Anwendung dieser Methode hat zu zahlreichern Komplikationen geführt (Hämatome, Hautnekrosen, Sudeck-Dystrophie). Eine Nachuntersuchung derartig operierter Fälle in Australien hat eine Rezidivrate von 50% nach 11 Jahren ergeben.
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Abb. 3.7 i–l. Zugangswege in der Hohlhand. Verschiedene Inzisionen, die zur Darstellung der Palmaraponeurose bei DK empfohlen werden
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3.2.4.2 Limited fasciectomy Diese Erkenntnis hat Hueston (1961) veranlasst, zur lokalen Exzision zurückzukehren, der er den Namen „limited fascietomy“ gab, obwohl es sich nicht um eine Fasziektomie handelt. Nach 2 Jahren Nachuntersuchung konnte er weniger Rezidive feststellen als bei der ausgedehnter operierten Serie nach 11 Jahren. Er ging dabei von der Voraussetzung aus, dass die überwiegende Mehrzahl der Rezidive innerhalb von 2 Jahren auftritt. Die Limited fasciectomy wurde zur Methode der Wahl. Es wurde auch argumentiert, dass eine gewissermaßen prophylaktische Entfernung von nichterkranktem Gewebe dann keine Rolle spielt, wenn die als Beginn der Erkrankung angenommen zellreichen Knötchen ubiqitär auftreten. Die Rezidivrate hängt sehr wohl mit der Länge der Beobachtungszeit zusammen. Bei 6- bis 12-jähriger Beobachtungszeit haben wir Rezidivraten von >70% beobachtet.
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3.2.5 Entfernung der Kontrakturstränge und des gefährdeten Gewebes Wenn man von der Annahme ausgeht, dass die DK eine Systemerkrankung darstellt, könnte die Mitentfernung noch nicht erkrankten Gewebes des Bindegewebskörpers der Hohlhand den zu erwartenden Prozentsatz an Rezidiven und Ausbreitungen signifikant reduzieren. Diese Annahme stützt sich, abgesehen von theoretischen Erwägungen, auf die häufige Beobachtung, dass kurz nach Entfernung eines Kontrakturstrangs des bisher allein erkrankten Ringfingers sich die Erkrankung auf Mittel- und Kleinfinger ausbreitet, sodass eine neue große Operation notwendig wird. Der Patient stellt in diesem Fall mit Recht die Frage, warum man das Problem nicht gleich bei der ersten Operation gelöst habe. Tatsächlich kann durch die vollständige Entfernung der erweiterten Palmaraponeurose die Progressionsrate auf 40% gesenkt werden. Rezidive und Ausbreitungen beschränken sich in der Regel auf die Finger und lassen die Hohlhand frei. Nur selten ist die Progression so stark, dass eine neuerliche Operation notwendig wird. Die höhere Komplikationsrate einer erweiterten Operation, die immer wieder als Gegenargument ins Treffen geführt wird, lässt sich vermeiden, wenn man die komplette Fasziektomie nur bei Fällen mit mäßiger Kontraktur (<60°) durchführt und die Schnittführung so wählt, dass eine breite Freilegung und eine exakte Blutstillung möglich sind.
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c Abb. 3.8. a-c 62-jähriger Patient. FA negativ. DK beider Hände seit 3 Jahren. Befall der rechten Fußsohle. Linke Hand: keine Progression, keine Operationsindikation. Rechte Hand: in letzter Zeit Auftreten einer Kontraktur im PP-Gelenk des rechten Ringfingers. a Schema der Operation nach Millesi: komplette Fasziektomie von Y-förmigem Hautschnitt in der Hohlhand aus und zusätzliche Z-Inzision am Finger. b Operationspräparat nach kompletter Fasziektomie. c Operationssitus nach kompletter Fasziektomie
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3.2.5.1 Schnittführung bei der kompletten Fasziektomie Der Autor hat zu diesem Zweck die Y-förmige Schnittführung in der Hohlhand entwickelt (Mercedes-Stern), die auf die Blutversorgung der Haut der Hohlhand Rücksicht nimmt und es erlaubt, die im Bereich der Monticuli zur Haut aufsteigenden Gefäße zu schonen (Abb. 3.8 a). Kontrakturstränge an den Fingern werden von gesonderten Z-Inzisionen an den Palmarseiten der betroffen Finger entfernt. Tritt ein Hämatom auf, muss es sofort operativ entfernt werden. Die einzige wirkliche Komplikation ist eine SudeckDystrophie, die aber auch nach einer einfachen Fasziotomie auftreten kann.
Bei fortgeschrittenen Fällen (>60° Kontraktur des am schwersten betroffenen Fingers) ist die komplette Fasziektomie kontraindiziert (Abb. 3.8 a–c, 3.9 a–f).
3.2.5.2 Schnittführung bei der partiellen Fasziektomie Wenn eine komplette Fasziektomie kontrazindiziert ist, muss eine Längsinzision über dem am stärksten betroffenen Fingerstrahl vorgenommen werden und die Fasziektomie auf den Bereich dieses Fingers und der Nachbarfinger begrenzt bleiben (partielle Fasziektomie). Der Längsschnitt wird bei der partiellen Fasziektomie deswegen gewählt, weil die Fasziektomie der Übergangszone von der Hohlhand zum Finger erleichtert wird und durch multiple Z-Plastiken eine Verlängerung der geschrumpften Haut erzielt werden kann (vgl. Abb. 3.7 j–k).
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Wenn die Haut verdünnt ist und die Subkutis im Rahmen des Krankheitsprozesses verschwunden ist, wird die Haut reseziert und durch Vollhauttransplantate ersetzt. Der Längsschnitt ermöglicht es, im Bedarfsfall einen gestielten Lappen von der Fingerseitenfläche zur Palmarseite zu rotieren oder im Extremfall einen heterodigitalen Hautlappen zum Einsatz zu bringen. Auch bei der partiellen Fasziektomie beträgt in unserem Krankengut die Progressionsrate etwa 40% als Ausdruck des Fortschreitens der Systemerkrankung. Im Gegensatz zur kompletten Fasziektomie ist aber der Anteil der Rezidive etwas höher als die Ausbreitungen, und es ist in einem höheren Prozentsatz die Hohlhand betroffen. Zur lokalen Exzision („limited fasciectomy“) mit einer Progressionsrate von 70% besteht ein signifikanter Unterschied. Die Erkenntnis, dass die Ausdehnung der Operation einen entscheidenden Einfluss auf die Progressionsrate hat, führte auch bei Hueston (1985 a) zu einer Erweitung der Operation in Form der so genannten „dermofasciectomy“. Bei einer Dermatofasziektomie wird die Haut eines Segments ebenfalls über dem Kontrakturstrang mit entfernt und der Defekt durch ein Vollhauttransplantat gedeckt. Diese komplette Entfernung des Bindegewebskörpers führte zu einer drastischen Senkung der Progressionsrate in dem betroffenen Segment. Dies hängt weniger mit postulierten Anti-Rezidivwirkung freier Hauttransplantate, wie Hueston annahm, zusammen, sondern mit der besonders radikalen Entfernung des Bindegewebskörpers in diesem Segment und der dadurch bedingten vollständigen Unterbrechung jeglicher Spannungsübertragung.
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f Abb. 3.9 a–f. Der gleiche Fall wie in Abb. 3.8 b,c. a Komplikationsloser Verlauf, b Faustschluss nach einer Woche. c–f Postoperatives Ergebnis nach 3 Monaten
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3.2.6 Chirurgische Behandlung sekundärer Veränderungen Die Haut wird durch die DK nur indirekt involviert. An Stellen, an denen aufsteigende Faserbündel des straffen Bindegewebssystems in die Haut einstrahlen, entwickeln sich die typischen Einziehungen und lokale Verdickungen. Durch die Verdickung von Kontraktursträngen kommt es zu einer Atrophie des subkutanen Fettgewebes über dem Strang. Die Haut liegt dann direkt auf dem Strang und wird adhärent. Sie wird ausgedünnt. Solche Hautareale sind häufig nicht ausreichend durchblutet und werden am besten exzidiert und durch Hauttransplantate ersetzt. Durch längere Fixierung in Beugekontraktur schrumpft die Haut und kann sich der gestreckten Stellung des Fingers nach der Strangentfernung nicht mehr anpassen. Eine entsprechende Verlängerung kann durch mehrfache Z-Plastik oder durch Hauttransplantation erreicht werden. Auch Sehnenscheiden und Beugesehnen unterliegen einer sekundären Kontraktur allein durch die andauernde Beugestellung, ohne am Krankheitsprozess beteiligt zu sein. In solchen Fällen kann durch eine Spaltung des proximalen Anteils der Beugesehnenscheide eine Besserung erreicht werden. In fortgeschrittenen Fällen ist eine Z-Verlängerung der Beugesehnen denkbar. Die Verlängerung kann auch dadurch erzielt werden, dass der proximale Stumpf der durchtrennten Profundussehne unter entsprechender Verlängerung an den distalen Stumpf der durchtrennten Superfizialissehne genäht wird. Natürlich muss dann das DIP-Gelenk versteift werden. Wenn bereits eine arthrogene Kontraktur vorliegt, kann durch eine Kapsulotomie nach Curtis eine Besserung erreicht werden. Ist es bereits zu Zerstörungen der Gelenksknorpel gekommen und eine gute Beweglichkeit des Gelenks nicht mehr zu erwarten, bringt eine Resektionsarthrodese in Funktionsstellung ein befriedigendes Ergebnis. Wenn an der Palmarseite des PIP-Gelenks Gelenk und Sehnenscheide offen sind und die Sehnen freiliegen, ist eine verlässliche Hautdeckung besonders wichtig. Diese ist am besten durch einen heterodigitalen Hautlappen zu erreichen (Abb. 3.10 a–c).
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c Abb. 3.10 a–c. 42-jähriger Patient. FA: Mutter, Großvater, Tante. DK beider Hände, seit 11 Jahren linke und seit 10 Jahren rechte Hand. Jede Hand wurde bereits 3-mal operiert. Rezidiv mit Kontraktur des PIP-Gelenks am linken Kleinfinger: Amputation Oktober 2005. a Kontraktur des PIP-Gelenks am rechten Kleinfinger. Angiographie zeigt Verschluss der A. digitalis propria 10. Die A. digitalis propria 9 ist offen. b Öffnung der Hohlhand von einem halben Y-förmigen Hautschnitt aus mit Verlängerung auf den Kleinfinger. Partielle Fasziektomie. Mobilisierung des PIP-Gelenks 5. Eröffnung der kontrakten Sehnenscheide. Nach Streckung des Fingers ergibt sich ein großer Hautdefekt. Deckung durch einen heterodigitalen Hautlappen von der Streckseite des Ringfingers und zusätzlich durch ein freies Vollhauttransplantat. c Deckung der Entnahmestelle durch ein freies Vollhauttransplantat
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M. Steen
KAPITEL 4
Infektionen der Hand
Inhalt
4.1 Allgemeines
4.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 113 4.1.1.1 Aufbau der Haut der Hohlhand und der Fingerbeugeseite . . . . . . . . . . . . 113 4.1.1.2 Sehnenscheiden . . . . . . . . . . . . 114 4.1.1.3 Die Faszienräume. . . . . . . . . . . . 114 4.1.1.4 Die dorsalen Gelenkkapseln. . . . . 114 4.1.2 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.1.2.1 Begünstigende Faktoren. . . . . . . 119 4.1.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 4.1.3.1 Weitere Diagnostik. . . . . . . . . . . 120 4.1.4 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4.1.5 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4.1.5.1 Konservative Behandlung . . . . . . 120 4.1.5.2 Impfungen. . . . . . . . . . . . . . . . 120 4.1.5.3 Antibiotika . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4.1.5.4 Zeitfaktor und Revisionsausmaß. . 121 4.1.5.5 Tier- und Menschenbisse. . . . . . . 122 4.1.6 Komplikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4.1.6.1 Infektionen bei Durchblutungs minderung. . . . . . . . . . . . . . . . 123 4.1.6.2 Infektbedingte Amputationen. . . . 123 4.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 124 4.2.1 Schnittführungen und Ausmaß der Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4.2.1.1 Paronychie . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4.2.1.2 Abszesse in der Fingerbeere. . . . . 126 4.2.1.3 Sehnenscheiden . . . . . . . . . . . . 126 4.2.1.4 Thenar- und Hypothenarraum. . . . 127 4.2.1.5 Mittelhandraum. . . . . . . . . . . . . 128 4.2.1.6 Gelenke. . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4.2.1.7 Weichteilmantel. . . . . . . . . . . . . 131 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
Infektionen an der Hand können schwerwiegende funktionelle Einschränkungen hinterlassen. Sie unterliegen in ihrer Entstehung und Ausbreitung einer besonderen Dynamik, welche durch die spezielle Anatomie der Hand und die oft erhöhte Virulenz der Erreger bestimmt wird. Gerade an der Hand spielt die chirurgische Behandlung eine herausragende Rolle – der Einsatz von Antibiotika allein verhindert Infekte nicht. Die Kenntnis der besonderen Gegebenheiten an der Hand ermöglicht, Risiko und potenzielle Entwicklung einer Infektion besser abzuschätzen und eine frühzeitige und gezielte chirurgische Therapie einzuleiten. So können die Folgen unterschätzter Infektionen an der Hand besonders durch kleine Verletzungen gemindert werden.
4.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie 4.1.1.1 Aufbau der Haut der Hohlhand und der Fingerbeugeseite Von den Papillarkörpern der Haut ziehen kurze, feste Bindegewebssepten senkrecht in die Tiefe. Sie sind an den Fingern mit dem Periost und den Beugesehnenscheiden, in der Hohlhand mit der Palmaraponeurose verbunden. Sie bewirken eine Fixierung der Haut, welche sich bei tangentialer Belastung nicht verschiebt. Zwischen den Bindegewebszügen liegen Fettzellen in einer Art gekammerter Polster, welche die Druckaufnahme und -verteilung steuern. Diese vertikale Anordnung fester Leitstrukturen bewirkt eine Ausbreitung einer beginnenden Infektion in die Tiefe, bis mit dem Periost oder der Sehnenscheide eine längs verlaufende Struktur erreicht wird. Damit verlaufen diese Infektionen primär lokal ohne wesentliche seitliche Ausbreitung. Auch das entstehende Ödem dehnt sich primär in die Tiefe aus und wird auf der Dorsalseite des Fingers oder am Handrücken sichtbar. Die fehlende Ausdehnungsmöglichkeit auf der Palmarseite führt meist zu starken Schmerzen.
114
Infektionen der Hand
Schwielenabszess Palmaraponeurose
Kammern des Unterhautbindegewebes Sehnenscheide
tiefe Hohlhandphlegmone Handrückenödem
Abb. 4.1. Ausbreitungswege eines Schwielenabszesses in der Hohlhand
Die Dicke der Haut auf der Palmarseite verhindert bei punktförmigen Verletzungen eine Perforation eines beginnenden Abszesses nach außen. Dies wird durch eine dicke Hornschicht, welche unter längerer Belastung entsteht, noch verstärkt („Schwielenabszess“; Abb. 4.1). Furunkel entstehen durch das Fehlen von Haaren auf der Palmarseite nicht.
4.1.1.2 Sehnenscheiden Die Sehnenscheiden bilden lang gestreckte Bahnen, in denen sich Infektionen schnell ausbreiten können. Während die Beugesehnenscheiden der Finger 2–4 am Ringband A1 enden, reichen die Beugesehnenscheiden des Daumens und des Kleinfingers bis zum Handgelenk und kommunizieren über den Sehnenscheidensack im Bereich des Karpalkanals bei vielen Menschen miteinander. Ihr Befall führt deshalb zur so genannten „V-Phlegmone“. Der Befall einer Sehnenscheide kann in frühen Phasen der Infektion durch den lokalisierten Druckschmerz und sein Ende an den anatomischen Grenzen der Sehnenscheiden diagnostiziert werden. Der Einsatz einer Knopfsonde ist bei der Untersuchung zweckmäßig. Bei Fortschreiten der Infektion bricht diese dann in benachbarte Faszienräume durch Ausbreitung entlang der Sehne ein (Abb. 4.2 a–d). Die Strecksehnen haben nur im Bereich des Retinaculum extensorum am Handgelenk Sehnenscheiden, sodass die Ausbreitung von Infektionen auf der Streckseite entlang der Sehnen weniger fulminant verläuft (Abb. 4.3 a,b).
KAPITEL 4
4.1.1.3 Die Faszienräume Neben den Sehnenscheiden sind die Faszienräume der Hand und des Unterarms für die Ausbreitung von Infektionen wichtig (Abb. 4.4 a). Der Thenarraum schließt den Adductor pollicis ein und dehnt sich bis zum 3. Mittelhandknochen aus. Er ist bei Verletzungen der Faszie in der 1. Interdigitalfalte betroffen. Besonders bei unscheinbar erscheinenden Tierbissen und Stichverletzungen muss dieser Raum sorgfältig revidiert werden. Seine Infektion macht sich häufig neben Schmerzen und Funktionsstörung der Daumenbewegung zuerst durch ein dorsales Ödem bemerkbar (Abb. 4.4 b). Der Hypothenarraum wird äußerst selten betroffen. Sofern die Faszie penetriert ist, kommt es zu einer lokalen Abszessbildung mit starker Schmerzhaftigkeit. Der Mittelhandraum dehnt sich dorsal der Mm. lumbricales und der Beugesehnen in der Hohlhand aus. Er liegt in enger Nachbarschaft mit den proximalen Enden der Sehnenscheiden der Fingerbeuger 2–4 und mit dem palmaren Sehnenscheidensack am Handgelenk. Infektionen in diesem Raum entstehen durch direkte Stichverletzung, ansonsten meist durch fortschreitende Infektion der Beugesehnenscheiden. Wesentliches Symptom ist die schwer gestörte Handfunktion mit Schwerpunkt an den Fingern 3 und 4 und ein deutliches Handrückenödem. Der Parona-Raum (Spatium antebrachialis palmaris distalis) schließt sich am Unterarm an den palmaren Sehnenscheidensack des Handgelenks an. In ihm können sich fortschreitende Infekte der Beugesehnenscheiden fulminant im Unterarm ausbreiten.
4.1.1.4 Die dorsalen Gelenkkapseln Die Gelenkkapseln der Fingergelenke werden zu einem wesentlichen Anteil dorsal von der Streckaponeurose gebildet. Die Synovia bildet nur eine dünne zusätzliche Schicht. Verletzungen der Streckaponeurose über den Gelenken oder nahe daran sind deshalb häufig mit teilweise nur punktförmigen Eröffnungen des Gelenks verbunden. Dabei ist die Position zum Zeitpunkt der Verletzung zu beachten – z. B. Faustschlag mit geballter Faust und Zahnimpression über dem Grundgelenk. Bei gestreckter Hand liegt die Hautverletzung dann weiter proximal als die Streckaponeurosen- und Gelenkeröffnung und wird deshalb bei unzureichender chirurgischer Revision leicht übersehen (Abb. 4.5 a–d).
KAPITEL 4
Infektionen der Hand
Palmaraponeurose Sehnenscheide der Fingerbeuger M.flexor pollicis longus
a
tiefe Hohlhandphlegmone
Hohlhandphlegmone
c
b
d
Abb. 4.2 a–d. Eitrige Infektion der Beugesehnenscheide mit Durchbruch in die Mittelhand und Handrückenödem. a Schematische Darstellung im Querschnitt. b Schematische Darstellung in Aufsicht, c Klinischer Fall palmar. d Klinischer Fall dorsal
115
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Infektionen der Hand
KAPITEL 4
a Abb. 4.3 a–d. Ausbreitung von Entzündungen im Strecksehnenbereich. a Schematische Darstellung der Anatomie der Strecksehnen: Sehnenscheiden der Strecksehnen sind auf
den Bereich des Retinaculum extensorum begrenzt (aus Lanz u. Wachsmuth).
KAPITEL 4
b
Infektionen der Hand
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c
Abb. 4.3 a–d. Ausbreitung von Entzündungen im Strecksehnenbereich. b Bei Klinikaufnahme. c Nach Eröffnung der Haut. d Nach Débridement d Abb. 4.4 a,b. Klinische Bedeutung der Faszienräume der Hand. a Schematische Darstellung der Fazienräume der Hand. b Klinisches Bild eines Abszesses im Thenarraum nach Stichverletzung von beugeseitig mit Ausbildung eines dorsalen Ödems
a
b
118
Infektionen der Hand
KAPITEL 4
a
b
c
d Abb. 4.5 a–d. Klinische Bedeutung der dorsalen Gelenkkapseln. a Moment der Faustschlagverletzung: Durchtrennung von Haut, Strecksehne und Gelenkkapsel mit Gelenkeröff-
nung. b Befund bei der Untersuchung in Streckstellung (schematisch). c Bei Klinikaufnahme. d Nach Débridement
4.1.2 Ätiologie
eine besondere Rolle, weil sie einen hohen Kontaminationsgrad mit virulenten Erregern haben und durch die Reißzähne bei kleiner Hautwunde tiefe Verletzungen mit Durchdringung von Faszien setzen können. Auch finden sich durch die Abwehrbewegungen oft ausgedehnte subkutane Gewebszerreißungen. Stichverletzungen durch Nägel, Nadeln oder Holzsplitter bilden eine weitere ursächliche Gruppe. Auch an Injektionen ist zu denken. Dies kann z. B. im Rahmen von Drogenabhängigkeit erfolgen, aber auch ärztliche Behandlung mit Infiltrationen an Sehnenscheiden und in Gelenke kann zu Infektionen führen. Bei chronischen Infektionen muss u. a. auch an Tuberkulose oder HIV-Infektion gedacht werden. Abzugrenzen sind lokale Virusinfektionen durch Herpes simplex, welche keine operative Indikation darstellen, sondern virustatisch behandelt werden, und das Pyoder-
Schwere Verletzungen der Hand mit ausgedehnten Gewebezerreißungen sind auf den ersten Blick stark infektionsgefährdet. Sie werden jedoch meist in Zentren versorgt, welche das ausgedehnte Débridement, die primäre stabile Versorgung aller verletzten Strukturen und – soweit notwendig – die zügige Weichteildeckung mit Transplantaten und Lappenplastiken beherrschen. So ist bei diesen schweren Verletzungen unter adäquaten Versorgungsbedingungen nach unseren Erfahrungen keine hohe Infektionsrate zu beobachten. Als Ursache von Infektionen der Hand kommen in erster Linie kleine unversorgt gebliebene Verletzungen in Betracht. Aber auch unterschätzte und chirurgisch deshalb nicht ausreichend versorgte Wunden nehmen einen wesentlichen Platz ein. Dabei spielen Bissverletzungen
KAPITEL 4
ma gangraenosum, welches ebenfalls keine operative Indikation darstellt. Hier ist die Behandlung mit Immunsuppressiva, vorrangig heute mit Ciclosporin A indiziert. Hämatogene Infektionen, welche sich an der Hand manifestieren, sind selten, müssen dennoch bedacht werden.
4.1.2.1 Begünstigende Faktoren Bei Verletzungen von Angehörigen exponierter Berufsgruppen, z. B. zahnärztliches Personal, oder in Abdeckereien muss mit einer erhöhten Infektionsrate gerechnet werden. Akzidentelle Stichverletzungen mit unscheinbarer äußerer Wunde kommen aber auch in vielen anderen Berufsgruppen vor. Vorerkrankungen wie Diabetes mellitus, immunologische Defizite, Alkoholismus, Unter- und Fehlernährung führen durch verminderte Resistenz gegen die Erreger zu einer erhöhten Infektionsrate.
4.1.3 Diagnostik Symptomatik und klinische Untersuchung Die klinische Untersuchung muss die vorstehend geschilderten anatomischen Strukturen, welche bei der In-
Infektionen der Hand
119
fektausbreitung bestimmend sind, berücksichtigen. Neben Lage und Aussehen der Eintrittswunde spielen deshalb in erster Linie die potenziellen Ausbreitungswege eine Rolle. Jede Verletzung über oder nahe an den Fingergelenken muss den Verdacht auf eine erfolgte Gelenkeröffnung und ein drohendes bzw. eingetretenes Gelenkempyem nahe legen.
Schmerzhaftigkeit des Gelenks stützt die Diagnose. Es können jedoch auch klinisch sehr unauffällige Befunde mit einem Gelenkempyem verbunden sein. Radiologisch müssen in diesem Stadium noch keine sicheren Zeichen der Gelenkaffektion auffallen. Diese können oft erst nach 3–5 Wochen im Stadium der Gelenkzerstörung sichtbar werden (Abb. 4.6 a,b). Gestörte Bewegung, Spannungsschmerz und Druckschmerzhaftigkeit des Sehnenscheidensacks weisen auf Infekte des Beugesehnenscheidensacks („Beugesehnenpanaritium“) hin. Die Lage und Entstehung der Verletzung ergibt zusätzliche Verdachtsmomente. Häufig gelingt an den Fingern 2–4 in der Frühphase mit einer Knopfsonde der Nachweis von Druckschmerz bis zum Ringband A1, und proximal davon fehlt die Druckschmerzhaftigkeit.
Abb. 4.6 a,b. Chronischer Infekt des Mittelgelenks mit massiver Auftreibung des Fingers nach mehrwöchigem Verlauf. Radiologisch Zerstörung des Gelenks (a)
a
b
120
Infektionen der Hand
4.1.3.1 Weitere Diagnostik Eine Röntgenuntersuchung der Hand und ggf. gezielt des betroffenen Bereichs ist obligat. Neben der Suche nach Osteolysen, Fremdkörpern und ggf. gasbildenden Bakterien dient sie auch der Abgrenzung gegen vorbestehende Veränderungen. Zu beachten ist, dass Fremdkörper wie z. B. Holzsplitter in der Projektionsradiographie nicht immer sichtbar sind. Ein Wundabstrich und eine intraoperative Materialgewinnung zur bakteriologischen Untersuchung sollten immer durchgeführt werden. Orientierende Blutuntersuchungen (Blutbild, BSG) sollten für die Beurteilung des Infektionsverlaufs durch die Bestimmung des C-reaktiven-Proteins ergänzt werden. Eine Sonographie ist nicht belastend und kann die Abgrenzung von Abszedierungen mit Hilfe einer 7,5- oder 10-MHz-Sonde unterstützen. Ein negatives Ergebnis sollte bei klinischem Verdacht jedoch nicht von der operativen Revision abhalten. Bei chronischen Verläufen und unklaren Befunden mit Verdacht auf chronischen Infekt ist die Sonographie hilfreich, ebenso wie weitergehende Untersuchungen (z. B. Magnetresonanztomographie, Szintigraphie oder serologische Untersuchungen). Bei der akuten Infektion sind sie entbehrlich.
4.1.4 Klassifikation Infektionen können nach vielen Kriterien klassifiziert werden. Für den klinischen Gebrauch haben sich 1. Verlauf (akut, subakut, chronisch), 2. Ursache (Bakterien, Viren, Pilze, reaktiv, systemisch...) und 3. Lokalisation (Nagelorgan, Finger, Hohlhand, Hand rücken...) bewährt.
4.1.5 Therapie 4.1.5.1 Konservative Behandlung Eine konservative Behandlung von Infektionen an der Hand ist nur indiziert bei eindeutig nichtbakteriellen Infekten (z. B. Herpesinfektion), phlegmonöser subkutaner Entzündung an der Streckseite der Hand oder am Unterarm beuge- oder streckseitig ohne Abszedierung. Sie umfasst Ruhigstellung, Hochlagerung zur Ödemprophylaxe, antiseptische Umschläge, ggf. Antibiotikagabe oder antivirale Therapie und eine engmaschige klinische Kontrolle, um den Zeitpunkt einer doch noch notwendigen operativen Revision nicht zu verpassen.
KAPITEL 4
Bei Zweifeln sollte man sich immer zur operativen Revision entschließen, da Verzögerungen die Ausdehnung der Infektion fördern.
4.1.5.2 Impfungen Der Tetanusimpfschutz ist immer zu prüfen und ggf. zu impfen. Bei Tierbissen ist zu klären, ob das Tier bekannt ist und eine Impfung des Tieres erfolgt war. Andernfalls ist eine Tollwutimpfung einzuleiten.
4.1.5.3 Antibiotika Die Gabe von Antibiotika scheint auf den ersten Blick beim Infekt naheliegend. In den handchirurgischen Lehrbüchern und retrospektiven Aufarbeitungen empfehlen zahlreiche Autoren eine prophylaktische perioperative oder längerfristige Antibiotikagabe. Die wenigen prospektiv randomisierten Studien lassen dies kritischer sehen. Dire et al. (1992, 1994) fanden in einer prospektiv randomisierten Studie bei als „low risk“ eingestuften Hundebisswunden keinen Vorteil der Antibiotikatherapie. Eine Zusammenstellung von 8 randomisierten kontrollierten Studien fand ebenfalls keinen positiven Einfluss einer prophylaktischen Antibiotikagabe bei Bissen durch Hunde und Katzen. Dagegen wurde für Bisse durch Menschen und durch Bisse hervorgerufene Infektionen an der Hand ein leichter Vorteil durch Antibiotika gesehen. Eigene Erfahrungen bei 50 prospektiv untersuchten Handinfekten und infizierten Bissverletzungen mit und ohne Antibiotikagabe nach chirurgischer Versorgung zeigte, dass bei Auftreten einer erneuten Infektion chirurgische Versäumnisse des Operateurs die entscheidende Rolle spielen. Antibiotika halten den Reinfekt dann nicht auf. Die Ergebnisse sind durch Antibiose insgesamt nicht zu verbessern. Entgegen dem überwiegenden klinischen Verhalten ist nach wie vor nicht gesichert, ob nach adäquater chirurgischer Versorgung tiefer Infekte an der Hand die Gabe von Antibiotika zusätzlichen Nutzen bringt, wenn keine weiteren Risikofaktoren vorliegen. Die eigenen Erfahrungen mit subtilem Débridement sprechen dafür, dass Antibiotika in den meisten Fällen – immer eine entsprechende chirurgische Vorgehensweise vorausgesetzt – verzichtbar sind.
Begründet sind Antibiotika bei phlegmonösen Entzündungen, Lymphangitis, Erkrankungen mit reduzierter Infektabwehr oder immunsupprimierender Therapie. Wir legen deshalb Wert auf ein Débridement und einen primären, höchstens kurzzeitig über eine „Secondlook-Operation“ verzögerten Wundverschluss. Falls not-
KAPITEL 4
wendig, werden plastisch-chirurgische Verfahren zum Verschluss des Weichteilmantels eingesetzt. Antibiotika werden nur restriktiv nach o. g. Kriterien eingesetzt. Bei unzureichender Infektbeherrschung steht die operative Revision im Vordergrund. Das Einbringen lokaler Antibiotikaketten (Septopal o. Ä.) ist nach dem geschilderten ausgiebigen chirurgischen Débridement und suffizientem Weichteilverschluss (ggf. mit Lappenplastik) in Weichteilen nicht mehr erforderlich. Zweckmäßig ist es dagegen als Platzhalter bei Knochendefekten bis zur späteren definitiven Knochentransplantation oder Gelenkrekonstruktion. Die Instillation von Antibiotika (Gentamicin) in Sehnenscheidensäcke oder Gelenke findet klinische Anwendung. Aussagekräftige Studien dazu fehlen.
4.1.5.4 Zeitfaktor und Revisionsausmaß Infektbeherrschung an der Hand hat vorrangig zum Ziel, die Handfunktion zu erhalten bzw. so weit und so schnell wie möglich wieder herzustellen. Damit kommt dem Zeitfaktor eine große Bedeutung zu. Die primäre Entscheidung sollte deshalb nach sorgfältiger Untersuchung im Zweifel für die Revision gestellt werden. Es finden sich immer wieder intraoperativ Umstände, die mit einer Latenz zum Fortschreiten der Infektion geführt hätten: in der bildgebenden Diagnostik nicht sichtbare Fremdkörperreste, Fettgewebsnekrosen, Taschenbildungen und Perforationen der Muskelfaszien durch spitze Zähne, Nadeln, Nägel o. Ä.
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Die operative Revision muss umfassend sein und in einer Sitzung alles nekrotische Gewebe sowie beschädigtes Fettgewebe, am Infekt beteiligte Faszien und Septen entfernen. Die verbleibende Wunde muss am Ende der Revision makroskopisch sauber sein und die gesamte Ausdehnung des Infekts unter Berücksichtigung der anatomischen Besonderheiten für die Infektausbreitung an der Hand umfassen. Am Ende einer solchen operativen Revision kann die Wunde primär geschlossen werden. War die Revision erfolgreich, so kann kurzfristig mit Übungsbehandlungen begonnen werden und damit eine frühe Restitution der Funktion der Hand erreicht werden. Bestehen Unsicherheiten, so kann programmiert ein „second look“ durchgeführt werden. Kommt es zum Wiederaufflammen eines Infekts, so ist die umgehende Revision notwendig. Ziel aller dieser Maßnahmen ist eine schnelle Kontrolle über die Infektion und ein schneller Beginn der funktionellen Behandlung. Der häufigste Grund für unzureichendes Débridement – das Belassen beschädigten, teilweise nekrotischen oder infektiösen Gewebes – ist die Sorge, die Wunde nicht wieder verschließen zu können. Die Fähigkeit, ggf. auch einen Wundverschluss mit lokalen oder Fernlappenplastiken durchzuführen, ist deshalb in der Infektchirurgie der Hand eine unabdingbare Voraussetzung. Ausreichendes Débridement kann bei fortgeschrittenen Infekten auch die Opferung funktionell wichtiger Sehnen oder Skelettanteile bedeuten (Abb. 4.7 a,b). Hier müssen dann sekundäre Rekonstruktionen eingeplant
Abb. 4.7 a,b. Infektion der Hand und des Unterarms. a Unzureichend mit Laschendrainage versorgt. b Ausmaß des notwendigen Débridements nach längerem Verlauf
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werden. Nerven können nach Débridement des Hüllgewebes nahezu immer belassen werden. Venen sind bei Befall der Wand meist thrombosiert und sollten in diesem Fall weitstreckig im Gesunden reseziert werden. Arterien können nach Débridement des umgebenden Gewebes und der Adventitia meist ebenfalls belassen werden, wenn sie nicht thrombosiert sind. Bei Thrombose ist ggf. eine Gefäßrekonstruktion sofort oder bei einer Second-look-Operation angezeigt. Es ist unproblematisch, zwischen einer primären Revision und einer 1–2 Tage später geplanten zweiten Revision eine temporäre Abdeckung mit Hautersatzmaterialien vorzunehmen. Eine Austrocknung der Wundflächen muss auf jeden Fall verhindert werden. Danach aber muss ein Wundverschluss erfolgen, ggf. unter Einsatz plastischer Deckungsverfahren. Bei der Verfahrenswahl zum Wundverschluss sollte immer berücksichtigt werden, dass die Infektbeherrschung gute Durchblutung und das Vermeiden von Hohlräumen im Gewebe (welche sich sonst mit Hämatom und Serom füllen) voraussetzt. Auch sollte bei der Wahl der Weichteildeckung bedacht werden, dass ggf. spätere Operationen in dem betroffenen Bereich notwendig sind (z. B. Tenolysen). Hauttransplantate erschweren dies später beträchtlich, sodass auch dann die Wahl auf eine Lappenplastik fallen sollte, wenn sie noch nicht zwingend erforderlich scheint.
! Auf keinen Fall sollte an der Hand mit längerer Sekun-
därheilung und Bildung von Granulationsgewebe gearbeitet werden. Dies gilt auch für den Einsatz der Vakuumversiegelung an der Hand. Hier führt die Granulationsbildung zur vermehrten Bildung von Narbengewebe und damit zur Blockierung von Gleitschichten.
Auch ist meist eine längere Ruhigstellung bei Sekundärheilung die Folge. Im Ergebnis ist das funktionelle Resultat durchweg schlechter als bei aggressivem chirurgischen Vorgehen, ggf. plastischer Deckung mit Lappenplastiken und folgendem frühzeitigen Beginn der Übungsbehandlung.
4.1.5.5 Tier- und Menschenbisse Tier- und Menschenbisse führen zu Infektionen mit virulenten Erregern. Sie haben ein hohes Risiko der schnellen Ausbreitung einer Infektion, sodass bei ihrer Versorgung besondere Vorsichtsmaßnahmen sinnvoll sind. Auch wenn ein Teil der Bissverletzungen, vorrangig oberflächliche Risse und Kratzer, ohne weitere Maßnahmen abheilen kann, ist dies bei den Verletzungen primär nicht mit ausreichender Sicherheit festzulegen. Wir praktizieren und empfehlen deshalb nachfolgende Vorgehensweise:
KAPITEL 4
a) Der Verletzte kommt kurzzeitig nach dem Biss in Behandlung, und es sind noch keine Entzündungszeichen sichtbar. – Wenn es sich um Kratzer handelt, welche die Haut nicht perforieren, so wird das Wundgebiet gereinigt und mit einer lokal antiseptisch wirkenden Salbe (z. B. PVP-Jod) abgedeckt. Systemische Antibiotika sind nicht erforderlich, werden aber häufig gegeben. – Perforieren die Wunden die Haut, so revidieren wir diese chirurgisch in Blutsperre und adäquater Anästhesie. Der Bisskanal wird komplett exzidiert, eine Perforation durch Muskelfaszie, Sehnenscheiden oder in Gelenke gesucht bzw. ausgeschlossen und alles sichtbar beschädigte Gewebe, insbesondere das beschädigte Fettgewebe, entfernt. Vor der dazu notwendigen Schnitterweiterung nach handchirurgischen Prinzipien darf der Operateur nicht zurückschrecken. Die Wunde wird primär verschlossen und die Hand für 2–3 Tage ruhiggestellt. Treten keine Infektzeichen auf, so wird die Bewegung freigegeben. Andernfalls erfolgt erneute chirurgische Revision. Antibiotika verbessern nach der chirurgischen Intervention das Ergebnis nicht, ausgenommen bei resistenzgeschwächten Patienten (s. nachfolgenden Abschnitt), sodass wir darauf verzichten. b) Der Verletzte kommt verzögert mehr als 36 Stunden nach dem Biss in Behandlung, und es sind keine Entzündungszeichen sichtbar. – Liegt die Wunde in einer Region, welche die Mitverletzung von Gelenken oder Sehnenscheiden ausschließt, und ist die Wunde vom Aspekt her nicht chirurgisch interventionsbedürftig (d. h. keine zerfetzten Hautränder, kein Klaffen der Wunde usw.), so behandeln wir konservativ nach den oben beschriebenen Vorgehensweisen. Es erfolgt eine engmaschige Kontrolle des weiteren Heilungsverlaufs. Antibiotika sollten restriktiv eingesetzt werden, da sie eine chirurgisch anzugehende Entwicklung für eine Zeit maskieren können, ohne sie verhindern zu können. – In allen anderen Fällen sollte die Wunde chirurgisch revidiert und definitiv versorgt werden. Die in dieser Phase nötige Inzision und ein eventueller Gewebeverlust beim Débridement fällt um ein Mehrfaches geringer aus als ein Débridement, wenn es zum Ausbruch eines Infekts kommt. Gerade bei punktförmiger Perforation einer Gelenkkapsel durch den spitzen Zahn einer Katze beobachten wir immer wieder schleichend verlaufende Gelenkinfekte, welche erst nach 3–5 Wochen manifest werden, wenn die Gelenkzerstörung radiologisch sichtbar wird. Ein Beispiel für die Problematik einer „minimalen“ Katzenbissverletzung gibt Abb. 4.8 a–c.
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a-c Abb. 4.8 a–c. Bissverletzung am Mittelglied durch eine Katze. a Befund bei Klinikaufnahme. b Radiologischer Befund bei Klinikaufnahme: Die in der Vergrößerung sichtbare Impression eines kleinen Kortikalissegments durch die Zahnspitze wurde auf der Röntgenaufnahme der Hand in 2 Ebenen primär übersehen. c Klinische Infektion in der 4. Woche mit Osteolyse und Auffüllung mit Mini-PMMA-Kugeln nach Ausfräsen und Weichteildébridement mit anschließender Infektberuhigung
c) Der Verletzte kommt mit Infektionszeichen nach dem Biss in Behandlung. – Hier ist die Behandlung immer operativ, wobei das Ausmaß der Freilegung den anatomischen Gegebenheiten zu folgen hat. Auch potenzielle Ausbreitungswege sind soweit zu revidieren, dass eine sichere Aussage über ihr Nichtbefallensein erfolgen kann. Soweit nicht Kriterien für eine Antibiotikabehandlung aus allgemeinen Gründen gegeben sind (s. nachfolgenden Abschnitt), so ist nach einer solchen chirurgischen Revision eine Antibiotikabehandlung nicht erforderlich. Der Verletzte muss engmaschig nachkontrolliert werden. Kommt es zum Rezidivinfekt, so muss chirurgisch revidiert werden.
4.1.6 Komplikationen 4.1.6.1 Infektionen bei Durchblutungsminderung Veränderungen der Durchblutung können einen erheblichen Einfluss auf Ausbreitung und Beherrschung von Infekten haben. Die Minderung der Durchblutung der Hand insgesamt bei Gefäßerkrankungen und bei Anlage eines Dialyseshunts kann ein Ausmaß erreichen, dass In-
fekte nicht mehr saniert werden können. Bei Fortschreiten eines Infekts an der Hand kann es deshalb erforderlich werden, einen Dialyseshunt zu drosseln oder zu verlegen oder über eine gefäßchirurgische Intervention die Durchblutung der Extremität zu verbessern. Lassen sich diese Faktoren nicht mehr positiv beeinflussen, so ist für eine Infektsanierung die Amputation von Teilen der Hand manchmal nicht zu vermeiden. Diese Entscheidung sollte aber immer von einem Handchirurgen gefällt werden, der in Auswahl und Durchführung plastischer Defektdeckungen versiert ist und damit in der Lage ist, diese Möglichkeiten auszuschöpfen.
4.1.6.2 Infektbedingte Amputationen Amputationen von Fingern, Fingeranteilen oder größeren Abschnitten der oberen Extremität können bei schweren Infekten erforderlich werden. Infektionen wie Gasbrand oder nekrotisierende Fasziitis können wegen ihres foudroyanten Verlaufs eine Amputation bedingen. Auch nichtsanierbare Durchblutungsstörungen oder bei Behandlungsbeginn weit fortgeschrittene Infektionen können so ausgedehnte Gewebeverluste bewirken, dass eine funktionelle Erhaltung der Hand oder von Handanteilen nicht mehr möglich ist.
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Schließlich muss auch immer wieder abgewogen werden, ob der Kampf um einen einzelnen Langfinger bei auftretenden Komplikationen oder protrahiertem Verlauf Sinn macht gegenüber drohenden mittelbaren Funktionsstörungen der gesamten Hand. Wenn die Entscheidung zu einer Amputation fällt, so geschieht dies meist in einer fortgeschrittenen Infektsituation. Es ist dann neben den üblichen Techniken der Amputationen an der Hand auch an die Möglichkeit der Grenzflächenamputation ohne Nahtverschluss zu denken. Hierbei erfolgt durch die Kürzung von Knochen und Weichteilmantel in unterschiedlicher Höhe die Bedeckung ohne Nahtverschluss und damit minimalem Stress auf die Weichteile.
4.2 Spezielle Techniken 4.2.1 Schnittführungen und Ausmaß der Revision Die Schnittführungen sollten grundsätzlich den Standardvorgaben an der Hand folgen. So ist gewährleistet, dass bei ausgedehnteren Befunden eine angemessene Freilegung erfolgen kann. Auch bei eventuellen Revisionen und sekundären Eingriffen ist durch die Schnittführung dann keine zusätzliche Einschränkung gegeben.
KAPITEL 4
Bei der Freilegung von Infektherden an der Hand ist der potenziellen Ausdehnung entlang der Faszienräume und der Sehnen Rechnung zu tragen. Die Revision muss immer bis ins gesunde Gewebe geführt werden. Vom Infekt makroskopisch verändertes Fettgewebe sollte reseziert werden. Wenn dabei Hautpartien nicht mehr ausreichend durchblutet sind, so sind diese zu entfernen und eine plastische Defektdeckung einzuplanen (Abb. 4.9 a–c).
4.2.1.1 Paronychie Die akute Paronychie betrifft den Nagelwall und entsteht meist durch Verletzungen bei Handarbeit oder bei der Nagelpflege. Sie ist die häufigste Infektion an der Hand (Abb. 4.10 a–c). Im Anfangsstadium kann die Infektion noch durch Ruhigstellung, lokale Kühlung, Antiseptika und Antibiotikagabe zum Rückgang gebracht werden. Schreitet der Infekt fort, so ist die chirurgische Eröffnung notwendig. Wenn der Infekt auf eine Seite des Nagelwalls begrenzt ist und nicht auf das Nagelbett übergegriffen hat, so wird der Nagelwall in dem Nagelbett abgewandter Richtung inzidiert und der Herd ausgeräumt. Ist das Nagelbett mit beteiligt, so wird auf der betroffenen Seite ein Streifen des Nagels entfernt und der
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Abb. 4.9 a–c. Unzureichend versorgte Quetschverletzung der Hand. a Klinischer Aspekt bei Klinikaufnahme. b Röntgenbild mit multiplen Frakturen. c Klinisches Bild intraoperativ: Das fehlende Weichteildébridement ist gut sichtbar. Hier hätte ein weiteres Abwarten zur Infektion geführt
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Abb. 4.10 a–c. Therapie bei akuter Paronychie. a Klinischer Aspekt einer akuten Paronychie. b Vorgehen bei unilateraler Paronychie ohne Beteiligung des Nagelbetts: Keilexzision des Nagels (aus Kirschner). c Vorgehen bei bilateraler Paronychie mit Mitbeteiligung des Nagelbettes: Inzision→Exzision→Drainage
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Nagelwall angehoben, sodass damit der Herd entleert wird. Ist der Nagelwall ganz betroffen, so werden 2 Inzisionen nach proximal angelegt, der zentrale Anteil des Nagelwalls angehoben und ein querer Streifen aus dem Nagel von etwa 1/3 der Nagellänge entfernt. Ziel bei diesen Zugängen ist jeweils die Ausräumung des Infektionsherdes und des eingeschmolzenen Gewebes sowie ausreichende Drainage. In der Regel gelingt es mit diesen Zugängen, den Infekt mit Erhalt des Nagelwalls zur Abheilung zu bringen. Abzugrenzen von der operativ anzugehenden bakteriellen Infektion ist die Herpes-simplex-Infektion des Nagelwalls. Sie ist kenntlich an kleinen, meist schnell konfluierenden Bläschen und einer oft hämorrhagisch unterlaufenen Haut des Nagelwalls. Titerbestimmungen geben erst im Verlauf durch ihre Veränderung Hinweise, sodass die Diagnose klinisch gestellt wird. Die Behandlung ist konservativ. Die Veränderungen bilden sich innerhalb 3–4 Wochen zurück. Eine lokale Salbenbehandlung mit einem Virustatikum ist zweckmäßig, eine operative Eröffnung wäre fehlerhaft. Die chronische Paronychie ist schwieriger zur Ausheilung zu bringen. Aussichtsreich ist der Versuch, das chronisch entzündete Gewebe unter Erhalt des Randes des Nagelfalzes und der Nagelmatrix zu exzidieren. Diese von Keyser und Eaton angegebene Methode schafft einen halbmondförmigen Defekt knapp proximal des Nagelfalzes, welcher sich über Sekundärheilung langsam schließt und den Rand des Nagelfalzes nicht zerstört.
4.2.1.2 Abszesse in der Fingerbeere Abszesse in der Fingerbeere können konservativ nicht erfolgreich behandelt werden, da die Septenstruktur des subkutanen Gewebes den Infekt in die Tiefe leitet. Erst am Knochen und an den Sehnen kann dann wieder eine horizontale Ausbreitung erfolgen. Infekte der Fingerbeere müssen deshalb frühzeitig chirurgisch eröffnet werden, wobei die Septen ausreichend reseziert werden müssen und der Herd vollständig erreicht werden muss. Dabei ist auf gekammerte Infektherde zu achten. Je nach Lage des Infektionsherdes sind unterschiedliche Schnittführungen zweckmäßig. Bei lateraler Eintrittspforte hat sich eine Hockeyschläger-förmige Inzision unilateral bewährt, welche bis in die Tiefe der Fingerbeere mit Ausräumung von nekrotischem Gewebe fortgesetzt wird. Liegt der Infektherd zentral auf der Kuppe, so sollte die nekrotische Haut spindelförmig exzidiert und der Herd ausgeräumt werden. Über Sekundärheilung und Retraktion ist die verbleibende Narbe meist tolerabel, auch wenn sie manchmal empfindlich werden kann. Grundlegend für die adäquate Versorgung und Ausheilung ist die Entfernung des nekrotischen Ge-
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webes. Da jedes Zuwarten Gewebesubstanz kostet, ist eine frühzeitige chirurgische Intervention notwendig (Abb. 4.11 a–c). Nicht sinnvoll sind alleinige Inzisionen ohne Nekrosenausräumung. Besonders die Einlage oder das Durchziehen von Laschen ohne komplette Revision und Säuberung des Gewebes birgt ein hohes Risiko des Fortschreitens und der weiteren Verschleppung der Infektion und ist deshalb zu vermeiden.
4.2.1.3 Sehnenscheiden Eine Infektion im Sehnenscheidensack hat ebenfalls keine ernsthafte Chance, konservativ auszuheilen. Die chirurgische Revision ist obligat. Dabei muss die Eintrittsstelle lokalisiert und revidiert werden. Immer wieder finden sich trotz unauffälligem Röntgenbild (Holzreste sind nicht immer sichtbar) verbliebene Fremdkörper, die entfernt werden müssen. Entleert sich bei Eröffnung des Sehnenscheidensacks klare oder nur gering getrübte Flüssigkeit, so eröffnen wir den Sehnenscheidensack an seinen beiden Enden mit jeweils einer kurzen Inzision und spülen ihn mit Ringerlösung. Alternativ kann Lavasept verwendet werden, da es an den Sehnen keine Schäden zu verursachen scheint. Die Inzisionen werden dann primär verschlossen. Wir beginnen frühzeitig mit geführten Bewegungen. Bei erneutem Auftreten von Infektzeichen wird operativ revidiert, ansonsten nach 4–5 Tagen die Übungsbehandlung intensiviert. Es sind auch geschlossene wiederholte Spülungen über ein Drain möglich. Gutowski berichtet über positive Erfahrungen, allerdings im Vergleich zu offener Wundbehandlung und Spülung. Wir ziehen diesem Vorgehen die nachfolgend beschriebene Verfahrensweise vor: Schätzt der Operateur den Infekt für so weit fortgeschritten ein, dass er eine einmalige Spülung und Verschluss der Sehnenscheide für nicht mehr ausreichend hält, so legen wir den gesamten Bereich von einer Standardschnittführung (Bruner-Schnitt) aus frei und resezieren (der häufig verwendete Begriff „fenstern“ drückt das Ausmaß nicht vollständig aus) die gesamte Sehnenscheide unter Erhalt der Ringbänder A1 bis A4. Wieder ist es wesentlich, subkutane Infektherde komplett zu exzidieren und kein nekrotisches oder sichtbar verändertes Gewebe zurückzulassen. Auch dann kann die Wunde primär verschlossen werden. Es ist an der Hand unter funktionellen Aspekten nicht sinnvoll, eine offene Wundbehandlung durchzuführen.
Günstiger ist im Zweifelsfall nach dem Verschluss ein geplanter „second look“. Soweit überhaupt Drainagen oder
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Abb. 4.11 a,b. Therapie bei chroni scher Paronychie. a Klinischer Aspekt bei Klinikaufnahme einer chronischen Paronychie bei tiefer Nekrose der Fin gerbeere nach Quetschverletzung und inadäquater konservativer Behand lung. b Klinischer Aspekt intraoperativ: Nur durch ein adäquates Débridement mit vollständiger Ausräumung des ne krotischen Gewebes kann die Voraus setzung für eine Heilung geschaffen werden
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Laschen eingelegt werden, entfernen wir diese frühzeitig nach 12–24 Stunden. Das erneute Auftreten von Infektzeichen weist immer darauf hin, dass das intraoperative Débridement nicht ausreichend war und zwingt zur erneuten operativen Revision. Wir bewegen geführt aktiv schon in den ersten Tagen und intensivieren dann bei Abklingen des Ödems die Physiotherapie. Die Beherrschung des Infekts ist am Rückgang des Ödems und dem Auftreten der Hautfältelung kenntlich. Ränder von Rötungen werden auf der Haut markiert und können dann im Verlauf verfolgt werden.
4.2.1.4 Thenar- und Hypothenarraum Die Revision des Thenarraums muss bis an den 3. Mittelhandknochen als Ursprung des Caput transversum des M. adductor pollicis herangeführt werden. Das Unterlassen einer Revision in dieser Ausdehnung und das Belassen fibrinöser infizierter Beläge in der Tiefe der Loge sind die wesentlichen Ursachen für unzureichende Infektbeherrschung im Thenarraum. Der Zugang kann von
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streckseitig oder beugeseitig gewählt werden. Das dorsale Ödem (vgl. Abb. 4.4 a) darf aber nicht täuschen, wenn die Eintrittsöffnung palmar liegt. Infekte im Hypothenarraum sind äußerst selten. Die Infektausräumung erfolgt von einer Inzision über dem palmaren Rand des Hypothenars. Von dort wird die Loge nach ulnar hin eröffnet und alles nekrotische und durch die Infektion veränderte Gewebe ausgeräumt. Am Ende des Débridements muss vitale, sauber aussehende Muskulatur verbleiben. Die Inzision wird dann primär verschlossen. Eine Drainage des Thenar- und Hypothenarraums nach der operativen Versorgung für 24–48 Stunden ist zweckmäßig. Ein Ruhigstellung für 2–3 Tage ist ausreichend, dann kann bei klinischem Abklingen des Infekts mit Physiotherapie begonnen werden. Das Wiederauftreten von Infektzeichen sollte nicht mit Ruhigstellung und Antibiose allein therapiert werden, sondern operativ revidiert werden, da bei konservativer Behandlung funktionelle Störungen der Hand in weit größerem Umfang zu erwarten sind.
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4.2.1.5 Mittelhandraum Infektionen des Mittelhandraums entstehen durch lokale Stichverletzungen oder durch fortgeleitete Infektionen aus dem Bereich der Finger. Die Hohlhand zeigt eine leichte Schwellung und ist druckempfindlich, während die weitaus stärkere Schwellung auf dem Handrücken zu beobachten ist. Dies darf nicht fehlgedeutet werden und zu Inzisionen auf dem Handrücken führen (Abb. 4.12 a,b). Die Beweglichkeit der Finger 2–4 ist eingeschränkt. Der operative Zugang erfolgt aus der distalen Hohlhand zwischen dem 3. und 4. Strahl. Es muss aber immer wieder betont werden, dass es nicht im Sinne klassischer Abszesschirurgie um Eröffnung und Drainage, sondern um ein vollständiges Débridement mit Ausräumung allen nekrotischen und infektbedingt angegriffenen Gewebes geht. Deshalb ist ein Y- oder T-förmiger Schnitt in der Hohlhand der angemessene Zugang, welcher eine übersichtliche Darstellung ermöglicht und den Zugang in den gesamten Mittelhandraum freigibt.
4.2.1.6 Gelenke Bei Verdacht einer Beteiligung von Gelenken aufgrund von Schmerzhaftigkeit, Funktionsstörung oder Lage der Verletzung muss eine Revision erfolgen. Während das Handgelenk vorab zur Klärung punktiert werden kann, bringt die Punktion der Fingergelenke wegen der geringen aspirierbaren Flüssigkeitsmengen keine sichere Klärung. Es sollte dann die operative Revision erfolgen. Bevor eine Eröffnung der Gelenkkapsel vorgenommen wird, sollte ein Infekt des umliegenden Gewebes débridiert und die Wunde ausgiebig gespült sein. Entleert sich bei der Öffnung des Gelenks trübe Flüssigkeit, ohne dass schon weitergehende Veränderungen an Knorpel und Synovia sichtbar sind, so wird das Gelenk gespült, anschließend die Gelenkkapsel und die Wunde geschlossen. Eine temporäre Ruhigstellung zur Infektbeherrschung mit einer Schiene ist sinnvoll. Sobald die Infektion beherrscht erscheint, wird mit aktiven geführten Bewegungsübungen begonnen, um einer Einsteifung möglichst zu begegnen. Bei Eiterentleerung ist die Zerstörung des Gelenks oft schon fortgeschritten. Die Revision folgt in ihrer Ausdehnung dann dem Ausmaß der gefundenen Schäden. Solange der Knorpel nicht zerstört ist, hat eine funktionelle Erhaltung des Gelenks Aussichten auf Erfolg. Es sollten dann eine Synovektomie und Spülung erfolgen. Andernfalls ist eine Resektion notwendig. Wir deponieren in solchen Fällen bei kleinen Gelenken eine PMMA-Kugel als Platzhalter, bei größeren Gelenken füllen wir mit einer PMMA-Kette auf. Die ursprüngliche Länge sollte soweit wie möglich erhalten bleiben und die Vor-
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b Abb. 4.12 a,b. Chirurgische Behandlung der tiefen Hohlhandphlegmone. a Schnittführung: Es wird eine Y- oder T-förmige Hautinzision in der Hohlhand gewählt. b Residuen einer Fehleinschätzung des reaktiven Handrückenödems bei Infektion der Beugeseite: Die Hohlhand zeigt eine leichte Schwellung und ist druckempfindlich, während die weitaus stärkere Schwellung auf dem Handrücken zu beobachten ist. Dies darf nicht fehlgedeutet werden und zu Inzisionen auf dem Handrücken führen
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Abb. 4.13 a–h. Gelenkinfekt nach unzureichender operativer Versorgung einer SL-Band-Dissoziation. a Klinischer Befund bei Aufnahme: konservativ behandelter Infekt mit „minimaler Sekretion“. b Radiologischer Befund bei Aufnahme d.-p. und seitlich (rechts/links). c Intraoperativer Befund nach Eröffnung der Haut. d Intraoperativer Befund nach Gelenkeröffnung: Es zeigt sich ein ausgeprägter entzündlicher Befund mit Synovialitis und Knorpelschädigung.
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h Abb. 4.13 e–h. Gelenkinfekt nach unzureichender operativer Versorgung einer SL-Band-Dissoziation. e Intraoperativer Befund: Débridement einer ausgedehnten Infektion der Handwurzel, Resektion der Karpalknochen und Interposition einer PMMA-Kette. f Radiologischer Befund postoperativ im d.-p.-Strahlengang. g Stabilisierung mit Fixateur externe und Weichteilersatz mit gestieltem Radialislappen. h Ausheilung mit geringer schmerzfreier Restbeweglichkeit des Handgelenks und guter Fingerbeweglichkeit ohne Knochenersatz
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spannung der Sehnen nicht gemindert werden. In diesen Fällen hat sich die Ruhigstellung mit einem Fixateur bis zur Infektausheilung bewährt (Abb. 4.13 a–h). Nach Infektausheilung kommen dann weitere rekonstruktive Operationen zum Einsatz, wie z. B. Arthroplastiken, Arthrodesen oder auch alloplastischer Gelenkersatz.
4.2.1.7 Weichteilmantel Unterschätzt wird häufig die infektbedingte Schädigung des subkutanen Fetts und die sekundären Thrombosierungen kleiner Gefäße, welche zu Minderzirkulation und Nekrosen des darüber liegenden oder benachbarten Weichteilmantels führen. Dies kann wiederum zur Unterhaltung und Ausbreitung der Infektion führen. Bei der operativen Revision ist die Resektion des makroskopisch veränderten Fettgewebes erforderlich (vgl. Abb. 4.3 b,d). Ist dann die Haut nicht mehr ausreichend durchblutet oder entstehen Hohlräume im Gewebe beim Verschluss („Zeltdachphänomen“ der Haut über der Resektionshöhle), so ist eine plastische Deckung des entstehenden Defekts bzw. die plastische Auffüllung des Hohlraums mit vitalen Weichteilen erforderlich. Die Beherrschung von Infektionen an der Hand hängt ganz wesentlich von der Fähigkeit des Operateurs ab, nach dem Débridement auch die Weichteildeckung umzusetzen.
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131
L. Kleinschmidt
Inhalt 5.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 5.1.2 Pathogenese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2.1 Histopathologische Veränderungen . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3.1 Klinische Untersuchung. . . . . . . . 5.1.3.2 Apparative Untersuchung. . . . . . 5.1.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Kompression des Plexus brachialis. . . . . . . 5.2.1.1 Thoracic-outlet-Syndrom. . . . . . . 5.2.1.2 Kostoklavikuläres Syndrom. . . . . . 5.2.1.3 Hyperabduktionssyndrom (Wright). . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Kompression des N. suprascapularis. . . . . . 5.2.3 Kompression des N. axillaris. . . . . . . . . . . 5.2.4 Kompression des N. radialis. . . . . . . . . . . 5.2.5 Kompression des N. medianus. . . . . . . . . 5.2.6 Kompression des N. ulnaris . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
KAPITEL 5
Kompressionssyndrome peripherer Nerven
5.1 Allgemeines 133 133 135 137 138 138 140 144 144 144 146 148 148 149 150 152 157 167 173
5.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie Siehe auch: Band I, Kap. 12. Periphere Nerven bestehen aus einem oder mehreren Faszikeln und werden von einer Hülle, dem so genannten Epineurium umgeben. Das Epineurium ist ein lockeres Bindegewebe, welches durch quer- und längsorientierte Kollagenfasern verstärkt wird. Im Allgemeinen fungiert es als lockere Gleitschicht des Nervs und erlaubt hiermit die ungestörte Beweglichkeit insbesondere in Muskellogen oder Gelenknähe. Das Perineurium scheidet die einzelnen Nervenfaszikel ein. Es ist ein mehrschichtiges Gewebe, welches beidseitig von einer Basalmembran umgeben ist und im Inneren durch elastische Fasern und Kollagenfasern verstärkt wird. Durch diesen Aufbau charakterisiert sich das Perineurium als die eigentliche Nervenhülle. Die innerste bindegewebige Schicht im Inneren der Faszikel nennt man Endoneurium. Es ist jedoch anzumerken, dass sich die Bedeutung dieses Begriffs in der neueren Literatur inzwischen teilweise auf den so genannten Endoneuralraum ausgeweitet hat, bei dem neben den bindegewebigen Anteilen auch die Nervenfasern subsummiert werden (Abb. 5.1.) Die eigentliche Nervenfaser besteht aus dem Axon, einem bis zu 1 m langen Fortsatz einer Nervenzelle, deren Perikaryon z. B. im Rückenmark oder im Spinalganglion liegt, und einer dieses Axon umscheidenden Hülle. Bei marklosen Nervenfasern wird das Axon vom Zytoplasma der Hüllzellen, bei markhaltigen Nervenfasern von der Markscheide umgeben. Die Markscheide besteht aus Myelin, einem Lipoprotein, das von den Hüllzellen gebildet wird. Im Fall der peripheren Nerven sind es die Schwann-Zellen. In regelmäßigen Abständen (1–3 mm) wird die Markscheide durch tiefe Einschnürungen, die so genannten Ranvier-Knoten unterbrochen, wobei der Abschnitt zwischen 2 Knoten, das so genannte Internodium, der Ausdehnung einer Hüllzelle entspricht. Das Axon verläuft von seinem Perikaryon bis zu den Endorganen ohne Kontinuitätsunterbrechung und teilt sich meist erst im distalen Abschnitt in zahlreiche Kollateralen auf (Abb. 5.2).
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Kompressionssyndrome peripherer Nerven
Perineurium Endoneurium
Markfasern
KAPITEL 5 Markscheide
Kapillaren Epineurium
Achsenzylinder
Schwann-Zellzytoplasma Schwann-Zellkern
venöse Vasa nervorum arterielle Vasa nervorum Nervenfaszikel Neurilemma (durchgehende Basalmembran der Schwann-Zellen)
Kollagenfibrillen Ranvier-Knoten
Abb. 5.1. Schematische Darstellung eines peripheren Nerven in lichtmikroskopischer Vergrößerung. 1 Nervenfaszikel, 2 Epineurium, 3 arterielle Vasa nervorum, 4 venöse Vasa nervorum, 5 Perineurium, 6 Endoneurium, 7 Markfasern, 8 Kapillaren
Abb. 5.2. Schematische Struktur einer Markfaser. 1 Achsenzylinder, 2 Ranvier-Knoten, 3 Markscheide, 4 Schwann-Zell-Zytoplasma, 5 Schwann-Zell-Kern, 6 Neurilemma (durchgehende Basalmembran der Schwann-Zellen), 7 Kollagenfibrillen
Zwischen dem Umfang eines Axons, der Dicke der Markscheide, dem Abstand der Ranvier-Knoten und der Leitgeschwindigkeit eines Nervs bestehen gesetzmäßige Beziehungen: Je größer der Umfang eines Axons ist und umso dicker die ihn umgebende Markscheide, umso länger sind die Internodien. Je länger die Internodien sind, desto schneller ist die elektrische Leitgeschwindigkeit der Faser. Wenn z. B. bemarkte Nervenfasern noch wachsen, wie z. B. bei Extremitätennerven, so vergrößert sich auch die Länge der Internodien.
Insgesamt unterscheidet man markhaltige, markarme und marklose Nervenfasern, die auch als A-, B- und CFasern bezeichnet werden. Die markhaltigen A-Fasern haben einen Axondurchmesser von 3–20 µm und eine Leitgeschwindigkeit von bis zu 120 m/s. Die markarmen B-Fasern zeigen nur noch einen Durchmesser bis zu 3 µm und eine Leitgeschwindigkeit bis zu 15 m/s und am langsamsten verläuft die Erregung in den marklosen Fasern mit nur etwa 2 m/s.
KAPITEL 5
Kompressionssyndrome peripherer Nerven
kehren teilweise auf einer anderen Höhe wieder in ihren vormaligen Faszikel zurück oder bauen neue Fasergruppen auf, wobei der Sinn dieses ständigen Faserwechsels nicht immer zu erkennen ist. Der dauernde Wechsel des Faszikelmusters im Verlauf eines Nervs führt dazu, dass ein bestimmtes Querschnittsbild des Nervs sich höchstens über eine Strecke von 0,6–6 mm verfolgen lässt (Abb. 5.3). Diese innere Plexusbildung ist nicht seitenkongruent und auch nicht für den gleichen Nerv bei verschiedenen Individuen konstant. Eine sozusagen gesetzmäßige innere Topographie der Nervenstämme besteht daher nicht. Trotzdem können auf verschiedenen Höhen natürlich topographische Studien von Nerven durchgeführt werden, die jedoch nur anhaltsweise exakte Funktionszuordnungen ermöglichen. Erschwerend kommt hinzu, dass durch den plexusartigen Aufbau und damit dem gewundenen Verlauf der Nervenfaserbündel in den Nervenstämmen auf einem anderen Niveau ein Austausch von Faszikeln vorgetäuscht werden kann, ohne dass wirklich Abzweigungen stattgefunden haben. Der plexusartige Aufbau der Nerven hat wahrscheinlich vielmehr den Vorteil der besseren Kompensation der mechanischen Scherund Dehnungs- sowie Biege- und Kompressionskräfte.
5.1.2 Pathogenese
Abb. 5.3. Plexusartiger Nervenaufbau mit verändertem Faszikelmuster im Querschnittverlauf
Bei den marklosen Fasern erfolgt die Erregungsausbreitung kontinuierlich und dadurch deutlich langsamer als in den markhaltigen Nerven. Diese sind durch eine saltatorische, d. h. sprunghafte Erregungsleitung gekennzeichnet. Die morphologische Grundlage der saltatorischen Erregungsleitung ist der Wechsel von markhaltigen Internodien mit nackten Ranvier-Knoten. Der Strom springt hier intraaxonal von einem Knoten zum nächsten, wobei am Knoten durch Permeabilitätsänderung der Axonmembran jedesmal der Stromkreis geschlossen wird. Diese Fortleitung ist damit wesentlich schneller und verbraucht weniger Energie als die kontinuierliche Ausbreitung der Erregung. Nervenstämme zeigen einen kabelartigen Aufbau. Dieser ist charakterisiert durch plexusartige Verbindungen der einzelnen Nervenfaszikel. Hierdurch wird ermöglicht, dass einzelne Faserbündel ihre Position im Inneren des Nervenstamms ändern können, um trotz unterschiedlicher Herkunft ein gemeinsames Innervationsgebiet zu erreichen. Größere oder kleinere Fasergruppen wechseln von einem Faszikel in einen anderen hinüber,
Der Begriff Kompressionssyndrom erklärt sich selbst. Die Ursache der Nervenläsion besteht aus einer akuten oder chronischen Druckeinwirkung. Dauer und Höhe des Drucks bestimmen letztlich das Maß des Nervenschadens. Hierbei wird die Nervenfaser jedoch nicht nur unmittelbar über den mechanischen Druck, sondern auch mittelbar über die Durchblutungsstörung geschädigt. Der Anstieg des Außendrucks über den Venendruck führt zu einer venösen Stauung, die zunächst zu funktionellen und bei Persistenz später auch zu strukturellen Veränderungen an der Nervenfaser bis zur axonalen Degeneration führen kann (Abb. 5.4). Nerven mit großen Faszikeln und geringem Epineuralgewebe sind anfälliger gegen Druckschädigungen als Nerven mit vielen kleineren Faszikeln. Dies begründet sich in den fehlenden Ausweichmöglichkeiten. Mechanisch gut erklärbar ist auch die stärkere Gefährdung oberflächlich im Faszikel liegender Fasern gegenüber zentralen und die erhöhte Empfindlichkeit markhaltiger Fasern gegenüber marklosen (Abb. 5.5). Manche Nerven sind aus anatomischen Gründen für eine Druckschädigung prädisponiert – dies insbesondere bei der Passage anatomischer Stellen, die von rigiden Strukturen begrenzt werden. Die hier auf den jeweiligen Nerv ausgeübte Kompression entspricht mechanisch einer chronischen Druckläsion. In solchen Fällen spricht man von Engpasssyndromen (Abb. 5.6).
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Kompressionssyndrome peripherer Nerven
KAPITEL 5
Pext
Pven
Pcap
Processus supracondylaris
Pend
Part
Struther Ligament N. medianus
Abb. 5.4. Pathogenetisches Modell der Kompressionswirkung am peripheren Nerv nach Sunderland. Steigender Außendruck (Pext) über den Venendruck (Pven) führt zu einer venösen Stauung, die funktionelle und schließlich strukturelle Veränderungen im Bereich der Druckbelastung bis hin zur axonalen Degeneration zur Folge haben kann
Abb. 5.6. Kompression des N. medianus durch das Septum intermusculare mediale bei vorhandenem Processus supracondylaris. 1 Processus supracondylaris, 2 Struther-Ligament, 3 N. medianus
Abb. 5.5. Pathogenetisches Modell der Kompressionswirkung an peripheren Nerven unterschiedlicher Struktur. Bei Kompression wird in Nerven mit vielen dünnen Faszikeln und viel epineuralem Gewebe im Wesentlichen nur die Lage der Faszikel zueinander verändert. Bei Nerven mit wenig Epineuralgewebe und großen Faszikeln werden die Faszikel und die Gefäße deutlich komprimiert.
Weitere pathogenetische Faktoren sind ödematöse Auftreibungen der bindegewebigen Umgebungsstrukturen, ob hormonell, metabolisch oder traumatisch verursacht, die den anatomisch vorgegeben begrenzten Raum weiter einengen und damit den Nerv komprimieren. Ähnlich wirken raumgreifende Tumoren oder Einlagerungen pathologischer Substanzen wie Mukopolysaccharide oder Amyloid. Des Weiteren können Bewegungen eines benachbarten Gelenks oder von anderen Strukturen zu zusätzlichen mechanischen Alterationen führen. Makroskopisch ist der Nerv am Ort der Kompression verdünnt. Proximal und weniger deutlich auch distal besteht eine Schwellung, das so genannte Pseudoneurom, welche auf einer Stauung des axonalen Transports und einer entzündlichen Reaktion mit Steigerung der Gefäßpermeabilität und Ödem beruht (Abb. 5.7). In Studien zeigte sich, dass bei Patienten mit einem Karpaltunnelsyndrom der Gewebedruck innerhalb des Tunnels bereits in Neutralstellung des Gelenks erheblich
KAPITEL 5
Abb. 5.7. Prästenotisches Pseudoneurom N. radialis (angeschlungen)
erhöht ist, nämlich etwa auf 30 mmHg, verglichen mit 2,5 mmHg bei gesunden Kontrollpersonen. Bei Streckund Beugestellung des Handgelenks steigt der Druck dann auf etwa 100 mmHg an. Experimentelle Untersuchungen an Freiwilligen zeigten, dass die sensible wie auch die motorische Nervenleitung innerhalb etwa einer halben Stunde sistieren, wenn der Druck auf einen Wert von 45 mmHg unterhalb des arteriellen Mitteldrucks angehoben wurde. Bei diesem Druck kommt es zu einer Verlegung der intraneuralen Blutgefäße. Eine vermehrte Disposition gegenüber Druckschädigungen scheinen auch Diabeteskranke zu haben. Bei Diabetes mellitus wurde eine verstärkte Beeinträchtigung des axonalen Transports unter Druckbelastung festgestellt. Darüber hinaus ist bei Polyneuropathien der intraneurale Druck bereits im subklinischen Stadium generalisiert erhöht.
5.1.2.1 Histopathologische Veränderungen Gegenüber mechanischen Einwirkungen sind periphere Nerven erstaunlich widerstandsfähig. Dies liegt an dem mehrschichtigen Hüllgewebe, in welches die empfindlichen Nervenfasern eingebettet sind. Dennoch kann durch starke mechanische Kräfte die Widerstandsfähigkeit des Hüllgewebes überschritten werden, sodass es mit oder auch ohne Schaden am Hüllgewebe zur Schädigung der Nervenfasern kommt. Nervenstamm bzw. Nervenfasern können durch traumatische Einwirkungen unmittelbar oder mittelbar geschädigt werden, wobei je nach Art, Dauer und Energie der Einwirkung der Schaden variiert. Eine unmittelbare traumatische Läsion der Nervenfaser im Sinne einer akuten Kontinuitätsunterbrechung oder Neurotmesis ist die
Kompressionssyndrome peripherer Nerven
glatte Durchschneidung. Stumpfe Traumen führen zu einer eher mittelbaren traumatischen Läsion der Nervenfaser durch Störungen der Durchblutung oder Veränderungen der Schrankenfunktion (Blut-Nerven-Schranke, perineurale Diffusionsbarriere). Nervenfasern reagieren auf Schädigungen im Prinzip gesetzmäßig und einförmig. Bleibt bei der Schädigung die Kontinuität der Axone erhalten, beobachtet man einen segmentalen Markscheidenzerfall im Bereich der Läsion mit oder ohne sekundäre axonale Veränderungen (Neurapraxie). Dies tritt besonders bei leichteren stumpfen Traumen oder chronischen Kompressionssyndromen auf. Es kommt durch die Demyelinisierung zur Verzögerung der Leitungsgeschwindigkeit, gelegentlich, bei akuten Verletzungen, auch zum Leitungsblock. Proximal und insbesondere distal der Läsion zeigen sich aber morphologisch und elektrophysiologisch Normalbefunde. Diese Läsionen heilen unter Remyelinisierung ab, wobei die neu gebildeten Internodien kürzer und dünner myelinisiert sind als zuvor. Wiederholte geringgradige Schädigungen, wie sie für das chronische Kompressionssyndrom typisch sind, führen zu wiederholten De- bzw. Remyelinisierungen, welches sich histopathologisch in einem konzentrischen Aufbau von vermehrten SchwannZellen mit Verbreiterung des kollagenfaserreichen endoneuralen Interstitiums manifestiert. Hieraus resultiert eine der Zwiebelschale ähnliche Anordnung des Endoneuralraums. Bei erfolgter Axondurchtrennung (Axonotmesis) zeigt sich gesetzmäßig die anterograde, sekundäre oder Waller-Degeneration der Nervenfaser proximal und distal der Läsionsstelle. Distal zeigt sich hier nach 25–45 Stunden eine Auflösung der Axone am Läsionsort, die nach distal verläuft. Die Degenerationsgeschwindigkeit ist der Dicke und der Internodallänge der betroffenen Nervenfaser umgekehrt proportional (46–250 mm/Tag). Neben der anterograd verlaufenden Waller-Degeneration beginnt auch eine retrograd gerichtete, die jedoch nur wenige Segmente der Nervenfaser betrifft. Diese Läsionen heilen letztlich durch Axonsprossung aus dem proximalen Stumpf aus. Dabei ist entscheidend, dass die auswachsenden Axone den distalen Stumpf erreichen können. Beginnend wenige Tage nach der Verletzung, zeigt sich typischerweise eine Regenerationsgeschwindigkeit von etwa 1–2 mm/Tag. Nach der vollständigen Regeneration ist der Achsenzylinder jedoch nur von neu gebildeten dünnen Markscheiden umhüllt, deren Segmentlänge deutlich verkürzt ist. Bei Kompressionssyndromen tritt eine vollständige Nervendurchtrennung (Neurotmesis), die in der Regel beim Menschen keine Regeneration, sondern einen dauerhaften Funktionsverlust unter Narbenneurombildung zeigt, nicht auf (Tabelle 5.1.).
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Kompressionssyndrome peripherer Nerven
KAPITEL 5
Tabelle 5.1. Traumatische Nervenläsion Form der Schädigung der Nervenfaser
Folgen und Komplikation der Restitution
A. Veränderungen der Markscheide
Remyelinisation beginnt nach 3 Wochen
I. Paranodale Demyelinisation
Interkalierte Segemente
II. Segmentale Demyelinisation
a) Einfach („Neurapraxie“)
b) Rezidivierend
1. Verkürzung der Internodien nach Remyelinisation 2. Reduktion der Markscheidendicke 1. Zwiebelschalenformationen 2. „Hypertropie“ des Nervs 3. Sekundäre axonale Degeneration 4. Reaktive endoneurale Bindegewebsvermehrung
B. Axonale Veränderungen
I. Kompression
II. Unterbrechung nur der Axone („Axonotmesis“)
Distal: Atrophie Proximal: Auftreibung 1. Waller-Degeneration des distalen Nervenabschnittes mit Ausbildung Büngner-Bänder (proliferierte Schwann-Zellen) 2. Folgen bei verhinderter oder frustaner Regeneration: a) Retrograde Atrophie mit Synapsenverlust am Motoneuron
b) Retrograde Degenration (Neuronenverlust)
3. Folgen bei optimal ausgerichteter Regneration:
a) Regeneration etwa 1 mm pro Tag b) Überschussbildung von Axonen c) Verkürzung der neugebildeten Internodien d) Reduktion der Markscheidendicke
III. Unterbrechung der Kontinuität des gesamten Nervenquerschnittes („Neurotmesis“)
1. Regeneration ungeordnet mit Neurombildung und Minifaszikel 2. Aberrierende Regeneration 3. Fehlinnervation motorisch und sensorisch Kausalgien Phantomschmerzen und -empfindungen Mitbewegungen fehlinnervierter Muskeln
5.1.3 Diagnostik
5.1.3.1 Klinische Untersuchung
Bei allen Kompressionssyndromen muss daran gedacht werden, dass eine Kompression nicht nur an einer Stelle im Verlauf des peripheren Nervs auftreten kann. Bei dem so genannten „Double-crush-Syndrom“ können subklinische Kompressionen an mehreren Stellen des peripheren Nervs vorliegen und sich nur an einer Stelle klinisch manifestieren.
Bei der Untersuchung eines Patienten mit Verdacht auf eine Läsion peripherer Nervenabschnitte gilt es prinzipiell, objektivierbare Ausfälle innerhalb des motorischen und/oder sensiblen Innervationsbereiches des jeweiligen Nervs zu finden. Erst hierdurch sollte die Diagnose gestellt werden, auch wenn die anamnestischen Hinweise und die vorgetragenen Beschwerden des Patienten oft mehr als richtungsweisend erscheinen.
KAPITEL 5
Kompressionssyndrome peripherer Nerven
Objektivierbare Befunde sind z. B. motorische Paresen, evtl. schon mit Muskelatrophien, Reflexausfällen, Sensibilitätsstörungen oder Defekten der vegetativ gesteuerten Funktionen, wie Schweißabsonderung, Piloarrektion und Vasomotorik. Zur Unterscheidung zwischen einer Läsion eines peripheren Nervs und einer Wurzel ist neben der Analyse der motorischen Paresen insbesondere auf die Ausbreitung der sensiblen Ausfälle zu achten. Meist lässt sich hierdurch die Unterscheidung zwischen einer peripheren oder eben einer radikulären Innervation treffen.
Andere Ursachen von motorischen und/oder sensiblen Ausfällen, von zentralen über nukleäre Läsionen bis hin zu Läsionen am neuromuskulären Übergang (myasthenische Lähmungen) und Myopathien lassen sich ebenso wie Sehnenrupturen, Frakturen und Luxationen meist schon durch eine exakte klinische Untersuchung erkennen bzw. eingrenzen. Falls notwendig, können zusätzliche apparative Untersuchungen, wie z. B. die Elektromyographie oder auch eine Muskelbiopsie zur Diagnosefindung dienen. Die klinische Untersuchung beginnt mit der Inspek tion. Fehlstellungen und deutliche Muskelatrophien fallen sofort auf, diskrete Atrophien von Muskeln oder auch von Fingerkuppen zumindest bei vergleichender Betrachtung (Abb. 5.8). Gliedmaßenabschnitte mit höh ergradiger Nervenschädigung zeigen eine vergleichsweise trockene und glatte Haut durch die fehlende Schweißbefeuchtung. Palpatorisch kann man auch die Verlaufsstrecke des jeweiligen Nervs untersuchen, um Druckschmerzen, ein Hoffmann-Tinel-Zeichen oder auch, bei festem Druck, eine Sensation des Nervs auszulösen. Die Palpation kann aber auch, z. B. im Sulcus ulnaris, Information über Lage des Nervs geben. Zur Sensibilitätsprüfung sollte zunächst geprüft werden, ob ein Reiz überhaupt wahrgenommen wird im Sinne einer qualitativen Messung. Dies gilt für die Berührungs-, Temperatur- und Schmerzempfindung. Nun folgt die quantitative Untersuchung der Sensibilität. Die Prüfung der Innervationsdichte ist hier von überragender Bedeutung. Zu ihrer Prüfung, d. h. zur Messung des geringsten Abstands von 2 Punkten, die noch als getrennt vom Untersuchten unterschieden werden können, wurden viele Tests vorgeschlagen. Durchgesetzt haben sich hauptsächlich die Prüfung der statischen (Normwert Fingerkuppe 6 mm) und der dynamischen (Normwert Fingerkuppe 2 mm) 2-Punkte-Diskrimination (2-PD) mittels zurechtgebogener Büroklammer oder besser mittels einer vorgefertigten so genannten Diskriminatorscheibe bzw. dem 2-Punkte-Stern nach Greulich (vgl. Abb. 5.5). Zur noch genaueren Befundung von Nervenkompressionssyndromen wurde diese Untersuchungstechnik mit
Abb. 5.8. Atrophie des Daumenballens rechts bei posttraumatischem Karpaltunnelsyndrom
Abb. 5.9. Untersuchung der statischen Zweipunktediskrimination mit dem Zweipunktstern nach Greulich. Bei korrekt durchgeführter Handhabung ist der Auflagedruck immer gleich dem Eigengewicht des Instrumentes von 18 g
Abb. 5.10. Untersuchung mit dem „pressure specifying sensory device“ (PSSD) nach A.L. Dellon mit elektronischem Druckabnehmer zur Messung des Ein- und Zweipunkteauflagedrucks
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Kompressionssyndrome peripherer Nerven
dem „pressure specifying sensory device“ (PSSD) nach Dellon verfeinert. Hier wird zusätzlich zur Bestimmung der 2-PD mit einem Druck-Transducer der Anpressdruck, der zur Reizschwellenüberschreitung der MerkelTastscheiben und Meißner-Korpuskeln nötig ist, registriert (Abb. 5.9). Im Weiteren werden Sensibilitätsstörungen auch in Skalen quantifiziert. Seddon schlug eine Einteilung von S0 bis S4 vor, die sehr gebräuchlich ist (s. Übersicht). Sensibilitätsskala nach Seddon • S0: keine Sensibilität • S1: tiefe kutane Sensibilität (Schmerzempfindung) in der autonomen Zone • S2: eine gewisse oberflächliche kutane Schmerzempfindung und taktile Sensibilität in der autonomen Zone • S3: oberflächliche kutane Schmerzempfindung sowie Berührungsempfindung in der ganzen autonomen Zone, Verschwinden der beim Regenerationsvorgang vorher vorhandenen Überempfindlichkeit • S3+: wie S3, dazu auch eine gewisse 2-PD in der autonomen Zone • S4: normale Sensibilität.
Es ist klar, dass die Untersuchungen bezüglich der Sensibilität und die erhobenen Befunde nicht wirklich objektiv sind und eine gewisse Mitarbeit des Untersuchten erfordern (Abb. 5.10). Dies gilt auch für die Prüfung der Motorik. Hierzu wird die Funktion der jeweiligen Muskeln einzeln geprüft und z. B. nach der vom „British Medical Research Council“ empfohlenen Skala von M0 bis M5 quantifiziert (s. Übersicht). Muskelfunktionsskala nach dem „British Medical Research Council“ • M0: keine Muskelaktivität • M1: sichtbare Kontraktion ohne Bewegungs effekt • M2: Bewegung unter Ausschaltung der Schwerkraft des abhängigen Gliedabschnitts • M3: Bewegung gegen die Schwerkraft • M4: Bewegung gegen mäßigen Widerstand • M5: normale Kraft.
An die klinische Untersuchung, sollte sich, auch wenn meist schon eine Diagnose gestellt werden kann, im Allgemeinen die klinisch-elektrophysiologische Untersuchung anschließen. Diese dient der Objektivierung der gestellten Diagnose.
KAPITEL 5
Darüber hinaus können bei bekannter Lokalisation, aber unklarer Ursache, bildgebende Verfahren hilfreich sein. Neben konventionellen Röntgenaufnahmen, oder seltener einer Computertomographie (CT) zur Darstellung prädisponierender anatomischer Besonderheiten oder posttraumatischer Deformitäten, sind hier insbesondere die Sonographie und die Magnetresonanztomographie (MRT) zu nennen, die komprimierende Weichteilprozesse darzustellen helfen.
5.1.3.2 Apparative Untersuchung Die so genannte Elektrodiagnostik besteht im Wesentlichen aus der Elektromyographie und der Elektroneurographie. Sie dient u. a. • dem Nachweis peripher-neurogener Paresen, • der Differenzierung zwischen verschiedenen Läsionen bzw. Läsionsorten, • der Bestimmung des Funktionsausfallgrades und • dem Nachweis von Muskeldenervation bzw. -reinnervation. Bei der Elektromyographie werden Muskelpotenziale mit Elektroden abgeleitet. Die Zahl der motorischen Nervenfasern, die einen Muskel innervieren, ist immer kleiner als die Zahl seiner Muskelfasern. Daher wird durch Erregung einer Nervenfaser über deren Verzweigungen jeweils eine Gruppe von Muskelfasern gleichzeitig erregt. Man nennt die motorische Nervenfaser zusammen mit den von ihr innervierten Muskelfasern eine motorische Einheit. Die Erregungen der motorischen Einheit können im Elektromyogramm (EMG) registriert werden, und zwar entweder über Hautelektroden oder über Elektroden, die in den Muskel (extrazellulär) eingestochen werden (Abb. 5.11). Die Ableitung erfolgt einmal bei völliger Entspannung, zum anderen bei Willkürinnervation. Sowohl Spontanaktivitäten, die bei Ruhe nach Abklingen der Einstichaktivität in der Regel pathologisch sind, als auch das Aktivitätsmuster bei Willkürinnervation und ebenfalls der Aufbau des Einzelpotenzials lassen wesentliche diagnostische Rückschlüsse zu (Abb. 5.12 a–c). Der klinische Wert der Elektromyographie liegt in der Differenzierung und Quantifizierung von neurogenen und myogenen Paresen bzw. Muskelatrophien. Des Weiteren kann das EMG diagnostische Hilfen bei Myopathien und bei der Verlaufsbeobachtung von peripheren Nervenverletzungen geben.
Der Begriff klinische Elektroneurographie beschreibt die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) im peri-
KAPITEL 5
M. flexor pollicis brevis M. abductor pollicis brevis M. opponens pollicis
M. abductor digiti quinti
Abb. 5.11. EMG-Ableitung aus der Medianus-innervierten Daumenballenmuskulatur (M. abduktor pollicis brevis) bzw. der Ulnaris-innervierten Kleinfingerballenmuskulatur (M. abductor digiti minimi)
200 �V
a
200 �V
200 ms
b
Kompressionssyndrome peripherer Nerven
pheren Nerven (Abb. 5.13). Die NLG ist für verschiedene sensible und motorische Nerven, sogar für einzelne Nervenabschnitte des gleichen Nervs unterschiedlich, sodass eine Beurteilung der NLG immer nur mit Hilfe von Normalwerten möglich ist. Die Benutzung von Normwerttabellen setzt daher eine konsequente Vereinheitlichung der Untersuchungsbedingungen voraus. Hinzu kommt die große Empfindlichkeit der NLG gegenüber Temperaturunterschieden. Die Leitgeschwindigkeit nimmt nämlich pro Grad Temperaturabnahme um 1,2–2,4 m/s ab. Im Allgemeinen beträgt die motorische NLG an den großen Armnerven ungefähr 50–60 m/s (Tabelle 5.2), an den großen Beinnerven nur ungefähr 40–50 m/s. Das Messprinzip besteht darin, dass nach einem überschwelligen Reiz in Nervenfasern ein fortgeleitetes Aktionspotenzial ausgelöst wird. Dieses Potenzial wird vom Reizort aus nach beiden Seiten, d. h. einmal orthodrom, in Richtung der physiologischen Leitung des betreffenden Nervs, und entgegengesetzt (antidrom) weitergeleitet. Bei markhaltigen Nervenfasern erfolgt die Erregungsleitung wie oben erwähnt saltatorisch, bei marklosen Nervenfasern und unter bestimmten pathologischen Bedingungen kontinuierlich. Je dichter die Markscheidenumhüllung ist und je größer der Internodienabstand, desto schneller ist die NLG. Bei den üblichen Messungen der NLG bestimmt man die NLG der schnellsten Fasern des stimulierten Nerven. Nach der Leitung eines Aktionspotenzials ist die Nervenfaser für eine bestimmte Zeit unerregbar (absolute Refraktärzeit) oder schwerer erregbar (relative Refraktärzeit). Auch die Bestimmung der Refraktärperiode ist eine Methode der Elektroneurographie. Pathologische Veränderungen der Markscheiden verringern stets die NLG. Wenn gar die Markscheiden der am schnellsten leitenden Fasern betroffen sind, kann die NLG-Verzögerung extrem sein. Primär axonale Schädigungen dagegen haben oft keine oder nur eine geringe Änderung der NLG zur Folge. Es ist sogar möglich, dass sich z. B. bei nur einer erhal-
1000 �V
200 ms
200 ms
c
Abb. 5.12 a–c. Verschiedene Innervationsgrade in der EMG. a Einzeloszillationen. b Übergangskurve bei noch teilweise sichtbarer Grundlinie. c Volles Interferenzmuster mit Verschmelzung der Einzelpotenziale
141
142
Kompressionssyndrome peripherer Nerven
KAPITEL 5
tenen motorischen Faser bei einer fast kompletten Läsion eine normale NLG messen lässt. Dann ist jedoch die Amplitude des abgeleiteten Potenzials sehr niedrig. Bei der Messung der motorischen NLG wird ein Nerv an mehreren Stellen supramaximal stimuliert, und die motorische Antwort wird in einem distalen Muskel mit Oberflächenelektroden (selten mit Nadelelektroden) abgeleitet. Die Differenzen der Latenzzeiten vom Reiz bis zur muskulären Antwort (Aktionspotenzial) werden in Relation zur Entfernung der Reizstellen gesetzt. Hierbei kann der Zeitbedarf für die elektromechanische Koppelung außer Acht gelassen werden, da er in alle Reizbedingungen eingeht. In manchen Fällen kommt auch der distalen Latenz (dL) diagnostische Bedeutung zu. Auch hierfür gibt es Normalwerte. Form und Amplitude des Muskelantwortpotenzials werden ebenfalls beurteilt, da bei axonalen Läsionen wie oben erwähnt die maximalen Leitgeschwindigkeiten normal bleiben können. Selten wird die motorische NLG mittels der Latenzzeit der so genannten F-Welle bestimmt. Die F-Welle tritt als inkonstantes spätes Antwortpotenzial niedriger Amplitude bei der peripheren motorischen Elektroneurographie auf und ist Ausdruck der parallel auftretenden Impulsleitung zur Vorderhornzelle und zurück. Das verzögerte Auftreten der F-Welle bzw. ihr Verlust sprechen für einen proximalen Block in der Nervenleitung. Diese Methode eignet sich insbesondere zum Nachweis von proximalen Leitungsblockaden (Wurzeln oder Plexus), da diese der direkten Messung nur schwer zugänglich sind. Zur Messung der sensiblen NLG kann man weniger aufwändig die antidrome NLG und aufwändiger die orthodrome NLG messen. Bei der erstgenannten Methode wird die antidrome Erregungsausbreitung in sensiblen Nerven ausgenutzt. Man reizt einen gemischten Nerv unterhalb der motorischen Reizschwelle, jedoch oberhalb der Fühlschwelle, und leitet distal an Fingern oder Zehen mit Ringelektroden das sensible Potenzial ab. Wichtig ist die Kontrolle der motorischen Antwort, um eine eindeutige Trennung eines motorischen, noch nicht mechanisch wirksamen Potenzials von der sensiblen Antwort zu er-
Abb. 5.13. Motorische Neurographie des N. ulnaris
Tabelle 5.2. Normal- und Grenzwerte der motorischen und sensiblen NLG und Latenzwerte der großen Nerven der oberen Extremität. (Nach Stöhr 2002) Nerven
Motorisch
Sensibel
Latenz [ms]
NLG [m/s]
Amplitude [mV]
NLG [m/s]
Amplitude [μVolt]
normal
normal
normal
normal
normal
oberer Grenzwert
unterer Grenzwert
unterer Grenzwert
unterer Grenzwert
unterer Grenzwert
N. medianus
3,7
4,2
56,7
50
13,2
5
54,2
46,9
13,7
6,9
N. ulnaris
2,5
3,3
59,8
50,6
12,2
4
53,8
44,6
11
5,8
N. radialis
2
2,6
69,8
50
3,4
4
63,5
55,6
39,1
16
KAPITEL 5
Kompressionssyndrome peripherer Nerven
143
halten. Da keine elektromechanische Koppelung zwischengeschaltet ist, kann man aus einem Messwert und der Distanz bereits die distale sensible antidrome NLG berechnen. Die sensibel-antidrome Technik stellt eine gute Screening-Methode dar, die ohne großen Aufwand vorgenommen werden kann. Die Messung der sensiblen orthodromen NLG ist aufwändiger, führt jedoch zu Ergebnissen von besserer Aussagekraft.
Bei chronisch lokalisierten Druckparesen ist die Messung der NLG besonders aussagefähig bezüglich der Lokalisierung der Druckschädigung. Typisch beispielsweise für eine distale Schädigung (Karpaltunnelsyndrom oder distale Ulnariskompression) ist eine abnorm lange distale Latenzzeit und eine verzögerte sensible Leitungsgeschwindigkeit im distalen Segment. In schweren Fällen kann auch die motorische Leitungsgeschwindigkeit zwischen Ellenbogen und Handgelenk verzögert sein, normalerweise liegt sie aber im Normbereich. Beim Karpaltunnelsyndrom findet man in etwa 60% der Fälle verlängerte motorische distale Latenzen. Als besonders zuverlässig ist die Messung der orthodromen sensiblen Leitungsgeschwindigkeit im Bereich des Retinaculum flexorum (Lig. carpi transversum), wobei die Nervenaktionspotenziale distal und proximal des Retinaculums abgeleitet werden (Abb. 5.14). Die sensible Leitungsgeschwindigkeit und die sensiblen Nervenaktionspotenziale sind in etwa 85% der Fälle pathologisch (Abb. 5.15 a,b). Wenige Monate nach der operativen Dekompression des Nervs lässt sich meist eine Normalisierung der Befunde beobachten. Bei Ulnariskompression am Ellenbogen wird eine Verzögerung der motorischen und sensiblen Leitungsgeschwindigkeit im Bereich der Läsion beobachtet, manchmal ist aber auch zwischen Ellenbogen und
Abb. 5.14. Sensible Neurographie beim Karpaltunnelsyndrom mit selektiver Messung zwischen Handgelenk und Hohlhand zur Erhöhung der Sensitivität
Abb. 5.15 a,b. Sensible Neurographie mit selektiver Messung. a Normalbefund einer sensiblen Neurographie mit selektiver Messung. b Deutlich herabgesetzte sensible NLG zwischen Handgelenk und Zeigefinger (oben) bei normaler NLG zwischen Hohlhand und Zeigefinger (unten)
normal
CTS
stim
4
wrist
2.7 52 m/s
28 m/s
10 �V
5 �V 1.6
vola 1.6
a
0
50 m/s
53 m/s 2
4
6
ms
0
2
4
6
ms
b
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Handgelenk oder sogar zwischen Handgelenk und den kleinen Handmuskeln die Erregungsleitung verzögert. Mehrere Monate nach der operativen Vorverlagerung des N. ulnaris findet man zwar meist eine Besserung, aber keine Normalisierung der Leitungsgeschwindigkeiten und der sensiblen Nervenaktionspotenziale. Die elektroneurographischen Untersuchungen sind jedoch nicht bei allen chronischen Druckläsionen gleich zuverlässig. Zum Beispiel bei Kompression des N. interosseus anterior (Kiloh-Nevin-Syndrom) sind die Leitungsgeschwindigkeiten im betroffenen Segment häufig normal, während elektromyographisch Fibrillationspotenziale und ein gelichtetes Aktivitätsmuster in den entsprechenden Muskeln, insbesondere im M. pronator quadratus, gemessen werden. Dies gilt auch an der unteren Extremität, so sind z. B. beim Tarsaltunnelsyndrom die motorischen Latenzzeiten zu den kleinen Fußmuskeln meist normal, obwohl elektromyographisch Spontanaktivität abgeleitet werden kann. Der Schwerpunkt der Diagnostik liegt also in der Eingrenzung der Lokalisation der Kompression, des objektiven Ausmaßes der Nervenschädigung und der differenzialdiagnostischen Abgrenzung. Neben der genauen Anamneseerhebung und einer differenzierten körperlichen Untersuchung ist vor allem die elektrophysiologische Untersuchung Grundlage für die objektive Beurteilung von Ort, Ausmaß und Schweregrad der Schädigung. Wegweisend für die Therapie ist jedoch die ärztliche Gesamtwürdigung aller genannten Aspekte. Das kann dazu führen, dass trotz normaler elektrophysiologischer Untersuchungsergebnisse eine Dekompression indiziert ist. Postoperativ ist eine enge Führung der Patienten erforderlich, denn trotz vollständiger Dekompression kann die Verbesserung der Symptome und Beschwerden verzögert sein. Insbesondere sollte die Indikationsstellung zu einer Revision erst nach einer längeren postoperativen Phase mit begleitender elektrodiagnostischer Verlaufsbeobachtung erfolgen, wobei Erholungszeiten bis zu einem halben Jahr z. B. bei fortgeschrittenem, lange bestehendem Karpaltunnelsyndrom durchaus möglich sind. Eine raschere Intervention erfordern nur postoperative Verläufe, bei denen eine iatrogene Läsion vermutet wird, um die Möglichkeiten der Rekonstruktion auch zeitlich zu nutzen. Persistierende Schmerzen und Parästhesien sollten aber zu differenzialdiagnostischen Überlegungen führen, um insbesondere weiter proximal gelegene Nervenläsionen auszuschließen.
5.1.4 Therapie Siehe auch: Band I, Kap. 12. Die Therapie des Nervenkompressionssyndroms ist abhängig von Ursache, Dauer und Charakter der Sym-
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ptomatik (s. nachfolgende Übersicht). Prinzipiell stehen die konservative und operative Therapie zu Verfügung. Grundprinzip der konservativen Therapie ist die Ruhigstellung auf einer adäquaten Schiene – insbesondere nachts. Injektionstherapien, vor allem mit Kortison, müssen sehr differenziert und selektiv eingesetzt werden. Hauptziele der chirurgischen Therapie von Kompressionssyndromen 1. Beseitigung der externen Kompression 2. Wenn notwendig: Beseitigung der internen Kompression des peripheren Nervs durch mikrochirurgische Neurolyse und 3. Prävention von erneuten Beschwerden mit Hilfe von adjuvanten Eingriffen. Adjuvante Eingriffe nach Neurolyse sind Nerventransposition (z. B. Ventralverlagerung des N. ulnaris bei schwerer Kompression im Bereich des Sulcus des N. ulnaris) oder Deckung des Neurolysebereichs mit Hilfe von Lappenplastiken. Die intraoperative Applikation von Substanzen, die die postoperative Bindegewebsbildung hemmen sollen, ist beschrieben, hat sich in unseren Händen jedoch nicht bewährt. Die Ziele der adjuvanten Eingriffe können wie folgt angegeben werden: a) Reduktion der erneuten Bindegewebsbildung im Rahmen der Wundheilung auf ein Minimum b) Verbesserung der Durchblutung des umliegenden Gewebes im Bereich der Neurolyse c) Mechanische Abpolsterung im Bereich der Neurolyse zur Verringerung von Neurombeschwerden 4. Therapie der irreparablen Nervenschädigungen unter Anwendung des „integrativen Therapiekonzepts“
5.2 Spezielle Techniken 5.2.1 Kompression des Plexus brachialis Der Plexus brachialis wird üblicherweise von den Spinalnerven C5, C6, C7, C8 und Th1 gebildet. Falls ein Ast aus C4 in den Plexus übergeht, entspricht dies meist einer Kranialverschiebung des Plexus. Man spricht von einem präfixierten Typ. Umgekehrt kann Th2 den Plexus mit bilden. Bei Kaudalverschiebung des Plexus spricht man von einem postfixierten Typ. Die Spinalnerven entstehen aus dem Zusammenschluss der jeweiligen ventralen und dorsalen Wurzeln, wobei die ventrale Wurzel motorische Fasern und die dorsale Wurzel sensible Fasern sowie das
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Kompressionssyndrome peripherer Nerven
N. phrenicus
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Truncus sup., med., inf.
N. supraclavicularis Fasciculus lateralis Fasciculus posterior Fasciculus medialis
N. suprascapularis
N. axillaris N. thoracicus longus
N. musculocutaneus
N. circumflexus humeri N. musculocutaneus N. radialis
N. radialis N. subscapularis sup. N. thoracodorsalis N. subscapularis inf.
N. ulnaris N. medianus
N. cutaneus brachii N. cutaneus antebrachii N. ulnaris N. medianus Fasciculus lat., post., med.
Endäste
a
Truncus sup., med., inf.
Axilla
vordere Primäräste
1. Rippe
b
Abb. 5.16 a,b. Schematische Darstellung des Plexus brachialis. a Einteilung der proximalen halsnahen Plexusanteile. b Anatomische Beziehung des Plexus brachialis zum Skelett
entsprechende Spinalganglion beinhaltet. Durch das Foramen intervertebrale verlassen die Wurzeln bzw. der Spinalnerv den Wirbelkanal. Letztlich wird der Plexus brachialis erst durch die jeweiligen Rr. ventrales gebildet. Diese verbinden sich zuerst zu Primärsträngen oder Trunci. Der Truncus superior entsteht aus den Rr. ventrales der Spinalnerven C5 und C6. Der Truncus medius bildet sich nur aus C7, und die Rr. ventrales von C8 und Th1 vereinigen sich zu dem Truncus inferior. Die Trunci teilen sich in ventrale und dorsale Äste, die sich zu Sekundärsträngen oder Fasciculi umordnen. Diese liegen in charakteristischer Weise um die A. axillaris angeordnet. Aus allen 3 dorsalen Ästen der Primärstränge wird der Fasciculus posterior (C5 bis Th1) gebildet. Die ventralen Äste des Truncus superior und des Truncus medius bilden den Fasciculus lateralis (C5 bis C7) und der ventrale Ast des Truncus inferior den Fasciculus medialis (C8 bis Th1). Den Plexus brachialis teilt man topographisch in einen supraklavikulären und einen infraklavikulären Teil. Im Bereich des supraklavikulären Teils werden kurze Äste zu den Mm. scaleni (C5 bis C8) und zum M. longus colli (C5 bis C8) abgegeben. Durch den N. dorsalis scapulae werden M. levator scapulae und Mm. rhomboidei versorgt, durch der N. thoracicus longus (C5 bis C7) der
M. serratus anterior. Beide Nerven durchbohren im Verlauf den M. scalenus medius. Der N. suprascapularis zweigt sich als erster großer Ast aus dem Truncus superior ab und verläuft durch die Incisura scapulae zu den Mm. supra- bzw. infraspinatus. Infraklavikulär entspringen aus dem lateralen und medialen Faszikel die Nn. pectoralis (lateralis et medialis; C5 bis Th1) zur Innervation der Mm. pectoralis major et minor. Aus dem Fasciculus posterior zweigt infraklavikulär der N. subscapularis ab und versorgt den M. subscapularis, den M. teres major und mit seinem Endast, dem N. thoracodorsalis, den M. latissimus dorsi. Die Faszikel teilen sich im weiteren Verlauf in die langen Armnerven auf (Abb. 5.16 a). Im Einzelnen teilen sich • der Fasciculus lateralis in den N. musculocutaneus (C5 bis C7) und in die laterale Wurzel des N. medianus (C5 bis C7), • der Fasciculus medialis in den N. ulnaris (C8 bis Th1), in die mediale Wurzel des N. medianus (C8 bis Th1), in den N. cutaneus brachii medialis (C8 bis Th1) und in den N. cutaneus antebrachii medialis (C8 bis Th1) sowie • der Fasciculus posterior in den N. axillaris (C5 bis C6) und in den N. radialis (C5 bis Th1; Abb. 5.16 b).
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Im Verlauf des Plexus brachialis bis zu seiner Aufteilung in die langen Armnerven bestehen anatomische Engpässe, die unter Umständen zu einer mechanischen Beeinträchtigung des Plexus führen können. Der Plexus brachialis durchläuft z. B. die hintere Skalenuslücke, dorsal auf der A. subclavia reitend, zwischen M. scalenus anterior, M. scalenus medius und 1. Rippe. Eine weitere mögliche Engstelle ist der Raum zwischen 1. Rippe und Klavikula. M. scalenus medius
5.2.1.1 Thoracic-outlet-Syndrom Der Begriff „Thoracic-outlet-Syndrom“ (TOS) bezeichnet ein Kompressionssyndrom des Plexus brachialis im Bereich der oberen Thoraxapertur. Diese globale Bezeichnung, die genauer beschreibende Begriffe wie das z. B. Skalenussyndrom oder das Halsrippensyndrom mit einschließt, hat sich bewährt, da im Einzelfall häufig mehrere anatomische Strukturen zu einer Kompression beitragen und sich auch klinisch keine exakte Trennung der Unterformen treffen lässt. Die Klinik des TOS betrifft meist den Versorgungsbereich des Truncus inferior mit Schmerzen und Parästhesien sowie Sensibilitätsstörungen im Bereich des Unterarms und der Hand ulnarseitig. Darüber hinaus können dumpfe, diffuse Schmerzen der gesamten oberen Extremität auftreten, insbesondere bei mechanisch die obere Thoraxapertur provozierenden Tätigkeiten, wie Überkopfarbeit oder längeres Tragen von Lasten mit hängendem Arm. Lähmungen der Ulnaris-versorgten Muskulatur treten, wenn überhaupt, erst in Spätstadien auf. Bei 1–10% der Patienten kommt es durch eine begleitende Kompression der A. subclavia zu vaskulären Begleiterscheinungen wie z. B. lokalen Stenosierungen der A. subclavia, Thrombosierungen mit rezidivierenden Fingerembolien oder einseitigen Raynaud-Phänomenen (Abb. 5.17). Zur Diagnostik des TOS werden zahlreiche Provokationstests angegeben, z. B. das Adson-Manöver mit Verschwinden des Radialispulses bei Kopfdrehung zur betroffenen Seite und gleichzeitiger Anhebung des Kinns sowie tiefer Inspiration. Weitere Provokationen sind der Längszug des Arms nach kaudal oder die Elevation des Arms mit Retroversion in der Schulter. Bei all diesen Test werden mechanisch die anatomischen Engpässe im Schulterbereich, insbesondere der Raum zwischen 1. Rippe und Klavikula, zusätzlich eingeengt. Es zeigt sich jedoch, dass bei vielen Gesunden unter dieser Provokation ebenfalls der Radialispuls verschwindet und dass bei Patienten mit TOS diese Provokationstests auf der asymptomatischen Körperseite ebenfalls positiv sind. Insofern sind diese Teste bezüglich der diagnostischen Wertigkeit sehr zurückhaltend zu beurteilen. Dies gilt ebenfalls für in Provokationstests gefun-
M. scalenus anterior Plexus brachialis
A. subclavia mit Aneurysma
M. scalenus medius mit verbreitertem Ansatz auf der 1. Rippe V. subclavia
Abb. 5.17. Schemazeichnung einer eingeengten Skalenuslücke mit poststenotischem Aneurysma der A. subclavia
dene pathologische dopplersonographische oder angiographische Befunde. Klinisch letztlich am wichtigsten, jedoch in keiner Weise beweisend, sind die durch Längszug am Arm ausgelösten Schmerzen und Missempfindungen an der Ulnarseite von Hand und Unterarm. Die wichtigste radiologische Diagnostik ist das Standard-a.-p.-Röntgen der Halswirbelsäule sowie der Thoraxapertur zum Ausschluss von Halsrippen, atypischen HWK-Querfortsätzen oder anderen knöchernen Anomalien (Abb. 5.18). Die CT und insbesondere die MRT können darüber hinaus komprimierende (Weichteil-) Strukturen darstellen. Die klinische Elektrophysiologie kann für ein TOS nur hinweisend, jedoch nicht sicher beweisend sein. Das EMG kann pathologische Befunde in den vom Truncus inferior versorgten Muskeln aufdecken, und durch die Neurographie können isolierte N.-ulnaris-Läsionen und radikuläre Syndrome abgegrenzt werden. Eine sehr empfindliche Methode zum Nachweis einer Läsion im Truncus inferior ist darüber hinaus die Messung der somatosensibel evozierten Potenziale nach Ulnarisstimulation. Die Interpretation dieser Befunde sollte dem spezialisierten Neurologen vorbehalten bleiben.
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M. scalenus medius M. scalenus anterior Plexus brachialis Halsrippe fibröses Band
A. subclavia Halsrippe V. subclavia
Abb. 5.18. Halsrippensyndrom. Schnabelartiger Ausläufer des rechten Querfortsatzes von C7 und eine rudimentäre Rippe links
Abb. 5.19. Schemazeichnung einer durch eine Halsrippe von kaudal eingeengten Skalenuslücke
Zusammenfassend muss gesagt werden, dass es bislang noch keine hinreichend zuverlässige Methode gibt, um die Diagnose TOS zu sichern. Nur durch die mehrfache Zusammenschau der erhobenen Befunde der klinischen und der apparativen Untersuchungen im Verlauf kann eine hinreichend sichere Diagnose gestellt werden. Die häufigste Ursache einer Kompression des Plexus brachialis ist eine Halsrippe bzw. ein atypisch langer Querfortsatz des 7. Halswirbelkörpers mit zur 1 Rippe ziehender fibröser Struktur (Abb. 5.19). Darüber hinaus sind atypische fibromuskuläre Strukturen oder Muskelhypertrophien, insbesondere im Bereich der Skalenuslücke, und ein M. scalenus minimus typische Ursachen einer Kompression des Truncus inferior von kaudal. Die oben beschriebenen anatomischen Varianten bestehen bei etwa 0,5% der Bevölkerung meist ohne jegliche Beschwerden. Da die jährliche Häufigkeit des TOS geschätzt bei einem Krankheitsfall auf 1 Mio. Einwohner liegt, wird klar, dass die Feststellung einer Halsrippe allein nicht zur Sicherung eines Kompressionssyndroms des Plexus brachialis ausreichen kann. Die typische Klinik des TOS imitierend, sollten differenzialdiagnostisch ein Neurinom des Plexus oder auch in den Plexus infiltrierende Tumoren bzw. Metastasen erwogen werden. Weitere Differenzialdiagnosen sind eine aktinische Plexuspathie, eine distale Ulnarisläsion oder eine Zervikalwurzelläsion.
Zunächst sollte immer eine konservative Therapie über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden. Diese beinhaltet zunächst Vermeidungsstrategien der Bewegungen oder Tätigkeiten, die zur Beschwerdeprogredienz führen. Weiterhin sind krankengymnastische Übungen zur Haltungskorrektur und insbesondere zur Kräftigung der Schulter-Nacken-Muskulatur erforderlich. Medikamentöse Behandlungen mit Analgetika und Muskelrelaxanzien können zusätzlich verordnet werden. Insgesamt sollten alle konservativen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, bevor eine operative Therapie angedacht wird. Dies liegt u. a. daran, dass die anatomischen Atypien, so sie denn vorhanden sind, bereits seit frühester Jugend bestehen. Wahrscheinlich sank irgendwann durch eine relative Schwäche der Muskulatur der gesamte Schultergürtel nach kaudal und engte den Raum zwischen Klavikula und 1. Rippe unter Kompression des Plexus brachialis ein. Insofern ist eine ausgedehnte konservative Therapie gerechtfertigt. Bei der operativen Therapie hat sich die Darstellung des Plexus brachialis von supraklavikulär bewährt. Hierbei wird der Verlauf des Plexus von kranial nach kaudal präpariert und dabei eine mögliche Kompression – z. B. im Bereich der Skalenuslücke oder durch Faserzüge im Zusammenhang mit einer Halsrippe – aufgesucht und beseitigt. Routinemäßig sollte eine Skalenotomie durchgeführt werden. Meist lässt sich eine Entlastung des Truncus
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starker Kallusbildung geheilt ist. Dabei kommt es nur selten bereits Tage oder Wochen nach dem Trauma zu neurologischen Ausfallserscheinungen. Meist entwickelt sich ein chronisches Kompressionssyndrom Monate oder Jahre später infolge einer überschießenden Kallusbildung, eines sekundären Aneurysmas oder einer das neurovaskuläre Bündel konstringierenden Narbenbildung. Auch eine Hypertrophie des M. subclavius ist für ein kostoklavikuläres Syndrom als verursachend angesehen worden. Darüber hinaus ist pathogenetisch eine Kompression bei extrem hängenden Schultern, konstitutionell oder bei Lähmungen im Schultergürtelbereich und bei Thoraxdeformierungen im Sinne einer Skoliose o. Ä. möglich. Die Klinik ist dem TOS entsprechend meist auf den unteren Plexus brachialis beschränkt. Durch Kallus an der Klavikula können aber auch andere Anteile des Plexus geschädigt werden. Die Therapie ist bei der posttraumatischen Form mit Deformität oder Kallusbildung der Klavikula abhängig vom Befund eine operative von Kallusentfernung bis zur Resektion der 1. Rippe. Jedoch sollte auch hier zunächst eine konservative Therapie z. B. mit Vermeiden auslösender Haltungen bzw. Tätigkeiten und Schultergürtelgymnastik begonnen werden. Insgesamt ist aufgrund des definierten Kompressionsortes die postoperative Prognose gut und deutlich besser als beim TOS insgesamt. Abb. 5.20. Schemazeichnung einer kostoklavikulären Kompression des Plexus und der Subklaviagefäße
inferior erreichen, sodass auf die Resektion der 1. Rippe (Widerlager der Kompression) verzichtet werden kann. Beim echten kostoklavikulären Syndrom (s. unten) ist diese jedoch zu entfernen. Weitere operative Zugangsmöglichkeiten sind von transaxillär und von subskapulär. Insgesamt sind die Ergebnisse der operativen Behandlung des TOS nach der Literatur eher ernüchternd.
5.2.1.2 Kostoklavikuläres Syndrom Obwohl das kostoklavikuläre Syndrom unter dem Begriff des TOS subsumiert werden kann, sollte es aufgrund seiner Pathogenese gesondert gesehen werden. Bei diesem Syndrom handelt es sich immer um eine Kompression des Armplexus sowie der Axillargefäße zwischen Klavikula und 1. Rippe (Abb. 5.20). Eine eigentliche anatomische Enge besteht bei normalen anatomischen Verhältnissen nicht, jedoch kann es zu einer Verkleinerung des Raums kommen. Es handelt sich meist um eine posttraumatische Spätlähmung, ausgelöst durch eine Deformität der Klavikula, die z. B. nach Fraktur in schlechter Stellung oder mit
5.2.1.3 Hyperabduktionssyndrom (Wright) Ein seltenes Kompressionssyndrom im Schulterbereich stellt das Hyperabduktionssyndrom dar. Es handelt sich um eine Kompression des Plexus brachialis auf seinem Weg nach der kostoklavikulären Passage zur Axilla. Hier verläuft der Plexus zusammen mit der A. und V. subclavia unter dem M. pectoralis minor knapp vor dessen Ansatz am Processus coracoideus der Skapula. Bei Hyperabduktion des Arms kann er hier nicht ausweichen und wird am Muskelansatz bzw. Processus coracoideus, die dann als Hypomochlion wirken, komprimiert (Abb. 5.21). Die Klinik besteht aus Parästhesien, Einschlafen der Finger und passageren Durchblutungstörungen der Finger bei Hyperelevation oder Hyperabduktion des Arms, z. B. bei entsprechenden Haltungen im Schlaf oder bei entsprechender Haltung verschiedener Tätigkeiten. Diagnostisch kann man durch entsprechende Manöver, insbesondere auch aktiv durch den Patienten wegen der erforderlichen Muskelanspannung, versuchen, typische Symptome zu reproduzieren. Da dieses Syndrom jedoch nur ausnahmsweise eine über das Erarbeiten von Vermeidungsstrategien hinausgehende Therapie erfordert – nur schwerste Fälle müssen mittels einer Desinsertion des M. pectoralis minor therapiert werden – sollte die Diagnostik hauptsächlich den Ausschluss eines TOS zum Ziel haben.
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Kompressionssyndrome peripherer Nerven
M. scalenus medius M. scalenus anterior
Processus coracoideus
Plexus brachialis
1
2 3
A. subclavia V. subclavia
M. pectoralis minor
Abb. 5.22. Verlauf des N. suprascapularis
Abb. 5.21. Schemazeichnung einer subpektoralen Kompression des Plexus und der Subklaviagefäße. 1 Skalenuslücke, 2 kostoklavikuläre Passage, 3 Passage der Regio subpectoralis
5.2.2 Kompression des N. suprascapularis Der N. suprascapularis beinhaltet Fasern der Wurzeln C4 bis C6. Er kann jedoch auch direkt von C5 oder auch von C4 und C5 entspringen. Meist zweigt der Nerv als erster Ast vom Truncus superior nach lateral ab. Als Variation kann er aber auch von der vorderen oder hinteren Verzweigung des Truncus superior seinen Ursprung nehmen. Der Nerv durchquert das Trigonum omoclaviculare in lateraler Richtung, zieht zur Incisura scapulae, die er unter dem Lig. transversum scapulae superior und weiter distal unter dem Lig. transversum scapulae inferior durchläuft und gelangt dann auf der Dorsalseite der Skapula zunächst in die Fossa supra- und später in die Fossa infraspinata, wo er den M. supra- bzw. infraspinatus innerviert. Beide Muskeln sind Außenrotatoren, der M. supraspinatus zusätzlich Abduktor im Schultergelenk (Abb. 5.22). Als häufiges Symptom bei einer Kompression des N. suprascapularis wird ein dumpfer Schmerz dorsal im Schulterbereich angegeben. Zusätzlich besteht ein Druck-
schmerz direkt über der Incisura scapulae. Darüber hinaus besteht je nach Schädigungsgrad des N. suprascapularis eine Atrophie der Schulterblattmuskulatur. Der funktionelle Ausfall des M. supraspinatus zeigt sich in einer Abduktionsschwäche im Schultergelenk. Dies betrifft hauptsächlich die ersten 15° der Abduktion, sodass die Patienten als Ausgleich meistens durch eine Pendelbewegung den Arm in eine geringe Abduktion bringen, aus der dann der funktionierende M. deltoideus die weitere Abduktion vollführt. Eine gewisse Abduktionsschwäche bleibt allerdings auch im weiteren Bewegungsablauf insbesondere zwischen 70 und 120°. Der funktionelle Ausfall des M. infraspinatus manifestiert sich in einer erheblichen Außenrotationsschwäche der Schulter, die sich auch in Ruhe am proniert herabhängenden Arm zeigt. Diese Schwäche wird funktionell durch den M. deltoideus und den M. teres minor teilweise kompensiert. Insgesamt fällt auf, dass der Ausfall der Schulterblattmuskulatur funktionell sehr unterschiedlich verläuft und interindividuell unterschiedlich als behindernd empfunden wird (Abb. 5.23). In der klinischen Untersuchung prüft man die Funktion des M. supraspinatus. Hierbei soll der Patient den herabhängenden Arm langsam in einer kontinuierlichen Bewegung seitlich abduzieren. Die Funktion des M. infraspinatus wird dadurch getestet, dass der Patient den im Ellenbogen gebeugten Arm im Schultergelenk nach au-
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N. suprascapularis darstellt und der Nerv bis zur Incisura scapulae verfolgt. Der M. trapezius wird dabei von seinem Ansatz an der Klavikula, dem Akromion und der Spina scapulae abgelöst. Bei tatsächlichem Vorliegen eines Engpasssyndroms wird nun das Lig. transversum scapulae superius reseziert und die Incisura scapulae erweitert. Häufig ist der Nerv hier adhärent, sodass man weniger von einer Kompression als von einer Irritation durch die Bewegungen der Skapula ausgehen muss, bei denen der Nerv traktiert und geschert wird.
5.2.3 Kompression des N. axillaris
Abb. 5.23. Schmerzlokalisation bei Kompression des N. suprascapularis
ßen rotieren soll. Bei beiden Bewegungen kann man gut funktionierende Muskeln im Allgemeinen tasten. Als Test eines Incisura-scapulae-Syndroms kann folgende Provokation durchgeführt werden: Der Patient legt seine Hand der betroffenen Seite auf die kontralaterale Schulter. Den horizontal gehaltenen Ellenbogen des Patienten zieht der Untersucher nun ruckartig zur kontralateralen Seite und führt hierdurch dem N. suprascapularis einen mechanischen Traktionsreiz zu. Hierbei wird von den meisten Patienten mit Engpasssyndrom des N. suprascapularis ein Schmerzreiz angegeben. Durch die klinische Elektrophysiologie kann die Schädigung der Schulterblattmuskulatur im EMG verifiziert werden. Darüber hinaus können die Latenzen zu beiden Muskeln bei einer Reizung am Erb-Punkt abgeleitet werden. Ursächlich für ein Kompressionssyndrom kann eine innere Kompression z. B. durch ein Ganglion sein. Andererseits können chronische Reize bei mechanischer Beanspruchung der Extremität, z. B. durch sportliche Belastung wie Volleyball, Tennis, Kunstturnen usw., oder auch ein einmaliges Trauma ursächlich sein, wobei letztlich in der anatomischen Engstelle der Incisura scapulae eine Irritation des Nervs durch Traktion und Scherung erfolgt. Differenzialdiagnostisch sollte primär bei Funktionsausfällen der Schulterblattmuskulatur an Sehnenrupturen der Rotatorenmanschette gedacht werden. Eine konservative Therapie beim Kompressionssyndrom ist nur ausnahmsweise gerechtfertigt. Meist ist die operative Revision erforderlich. Die Freilegung des Nervs über einen sagittalen Hautschnitt erfolgt, indem man den Truncus superior aufsucht. Dann wird der Abgang des
Der N. axillaris beinhaltet Nervenfasern aus C5 und C6, die über den Truncus superior und seine dorsale Verzweigung den Fasciculus dorsalis erreichen. Der N. axillaris zweigt aus dem Fasciculus dorsalis in laterodorsaler Richtung ab. Dorsal des Nerven-Gefäß-Bündels liegend, zieht er zur lateralen Achsellücke (Hiatus quadrilateralis), die er zusammen mit der A. circumflexa posterior humeri durchtritt. Die laterale Achsellücke wird kranial vom M. subscapularis und vom M. teres minor, kaudal vom M. teres major und medial vom langen Kopf des M. triceps begrenzt. Die laterale Begrenzung bildet das Collum chirurgicum des Humerus. Um dieses verläuft der N. axillaris auf der Innenfläche des M. deltoideus. Außer zahlreichen sensiblen Rr. articulares zum Schultergelenk gibt der N. axillaris auch einen Muskelast zum M. teres minor und einen sensiblen Ast, den N. cutaneus brachii lateralis superior, ab. Letzterer versorgt die Haut über dem M. deltoideus und an der Radialseite des Oberarms. Die Endäste des N. axillaris versorgen motorisch den M. deltoideus. Dieser besteht aus 3 Teilen, deren Pars spinalis durch den R. posterior des N. axillaris und deren Pars acromialis und Pars clavicularis durch den R. anterior des N. axillaris erreicht wird (Abb. 5.24). Die klassische Läsion des N. axillaris zeigt sich schon inspektorisch. Die Schulterwölbung ist abgeschwächt, Akromion und Humeruskopf treten deutlich hervor. Die motorische Funktionsstörung bezieht sich fast ausschließlich auf den M. deltoideus und kaum auf den M. teres minor. Die verschiedenen Teile des M. deltoideus bewirken eine Hebung des Arms im Schultergelenk in verschiedene Achsen. Da jedoch die Funktionen nicht ausschließlich durch den M. deltoideus bewerkstelligt werden, kann eine isolierte Axillarisläsion funktionell wenig störend sein. Die Sensibilitätsstörung betrifft in etwa die Außenfläche der Schulterwölbung (Abb. 5.25). Zur einfachen klinischen Testung des M. deltoideus wird der Patient aufgefordert, den etwa 30° abduzierten Arm gegen Widerstand weiter zu abduzieren. Die Kontraktion eines funktionsfähigen Muskels kann einfach getastet werden. Im Falle einer Schädigung zeigt sich eine deutliche Schwäche für die Abduktion. Auch die Elevation nach vorne und nach hinten ist geschwächt.
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Kompressionssyndrome peripherer Nerven
Abb. 5.24. Verlauf des N. axillaris
Spatium quadrangulare mit N. axillaris und A. circumflexa humeri post
Rr. articulares
M. teres minor und Rr. musculares
M. deltoideus und Rr. musculares
N. cutaneus brachii lateralis superior
Autonomzone N. cutaneus brachii lateralis superior
N. radialis
M. triceps brachii Caput mediale M. teres major M. triceps brachii Caput longum
In der klinischen Elektrophysiologie wird meist ein EMG des M. deltoideus durchgeführt. Hier zeigen sich bei Läsion des N. axillaris typische neurogene Veränderungen. Darüber hinaus kann die Latenz zum M. deltoideus vom Erb-Punkt aus bestimmt werden. Die typische Ursache einer isolierten Läsion des N. axillaris ist eine traumatische, nämlich die Schultergelenkluxation mit einem Traktionsschaden aller Grade oder auch einer Ruptur des Nervs. Eine eigentliche Kompression des N. axillaris ist dagegen eine Seltenheit. Einzelne Fälle von Drucklähmungen durch Schlaf auf dem Bauch mit hochgerecktem Arm sind beschrieben worden. Weiterhin wurden Drucklähmungen durch anscheinend ungenügende Lagerung in Narkose sowie durch ungenügend gepolsterte Gipsbettlagerung berichtet. Ein eigentliches Engpasssyndrom des N. axillaris ist das so genannte Syndrom des Spatium- oder Hiatus quadrilateralis. Hierbei wird der N. axillaris in der lateralen Achsellücke komprimiert. Meist bei jungen Männern ohne erkennbares Trauma auftretend, ist das führende Symptom der dumpfe Schmerz ventral im Schulterbereich und zusätzlich diffuse Schmerzen und Parästhesien
Abb. 5.25. Atrophie des M. deltoideus rechts
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im gesamten Arm. Es lässt sich regelhaft ein Druckschmerz über der lateralen Achsellücke auslösen. Einengungen der Achsellücke z. B. durch Abduktion sowie Außenrotation in der Schulter verstärken diese Beschwerden. Auffällig ist, dass in der Regel keine typische Klinik der Axillarisläsion mit motorischen und sensiblen Ausfällen besteht. Zur Diagnostik wird hier eine Angiographie der A. circumflexa humeri posterior (Begleitgefäß des N. axillaris durch die laterale Achsellücke) bei abduziertem und außenrotiertem Arm durchgeführt. Differenzialdiagnostisch sollte bei Verdacht auf Axillarisläsion hauptsächlich an schmerzhafte Periarthropathien, arthrogene Muskelatrophien und an Rotatorenmanschettenrupturen gedacht werden. Bei den Druckläsionen des N. axillaris ist in der Regel eine konservative Therapie mit Physiotherapie angezeigt. Aufgrund der Schädigung im Sinne einer Neurapraxie ist bei Vermeidung des äußeren Drucks von einer Restitutio ad integrum auszugehen. Anders verhält es sich beim Syndrom des Spatium quadrilateralis. Hier sollte nach Diagnosesicherung zwar zunächst eine konservative Therapie mit Vermeiden auslösender Haltungen bzw. Tätigkeiten und Schultergürtelgymnastik versucht werden, eine operative Revision mit Durchtrennung der das Spatium einengenden fibrotischen Bänder ist jedoch häufig erforderlich. Diese operative Therapie führt überwiegend auch zu Beschwerdefreiheit.
5.2.4 Kompression des N. radialis Der N. radialis beinhaltet Nervenfasern aus den ventralen Ästen von C5 bis Th1. Die Fasern aus allen 3 Trunci ordnen sich in den jeweiligen dorsalen Anteilen und bilden so den Großteil des Fasciculus dorsalis. Dieser gibt den N. subscapularis ab, dessen Endast der N. thoracodorsalis ist. Nach Abgang des N. axillaris, der noch in der Axilla den Gefäß-Nerven-Strang verlässt, bildet der N. radialis gewissermaßen die Fortsetzung des Fasciculus dorsalis und begleitet die A. axillaris auf ihrer Dorsalfläche bis zum Oberarm. Zusammen mit der A. profunda brachii verlässt er den Gefäß-Nerven-Strang und läuft zwischen dem Caput longum und dem Caput mediale des M. triceps brachii auf die Dorsalseite des Oberarms. Im mittleren Drittel desselben liegt der N. radialis im so genannten Sulcus n. radialis direkt dem Periost des Humerus auf, von kranial-medial dorsalseitig nach kaudallateral verlaufend. Die Ursprungsflächen des Caput mediale und des Caput laterale des M. triceps brachii verlaufen direkt benachbart zum Sulcus, wobei deren Muskelbäuche die Ergänzung des Sulcus zu einem eigentlichen Kanal bilden. Hierin liegt der Nerv zusammen mit der A. profunda brachii. Noch vor Eintritt in den Sulcus zweigt der N. cutaneus brachii posterior aus dem N. radialis ab. Dieser versorgt sensibel die Dorsalseite des Oberarms. Weiter-
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hin gehen auch die motorischen Äste für den M. triceps brachii schon vor dem Sulcus ab, am proximalsten der für das Caput longum, dann der für das Caput laterale und schließlich der für das Caput mediale inklusive eines Astes für den M. anconaeus. Noch im Sulcus zweigt der N. cutaneus antebrachii posterior ab, der die streckseitige Haut des Unterarms sensibel versorgt. Am Übergang vom mittleren zum distalen Drittel des Oberarms durchbricht der N. radialis das Septum intermusculare laterale (Hiatus n. radialis). Nun an der Beugeseite zwischen lateralem Rand des M. brachialis und medialem Rand des M. brachioradialis verlaufend, gelangt er zusammen mit der A. collateralis radialis zur Ellenbeuge. Hier innerviert der N. radialis durch motorische Äste knapp oberhalb des Gelenkspalts den M. brachioradialis, die Mm. extensores carpi radialis longus et brevis sowie inkonstant auch die laterale Portion des M. brachialis. Etwa auf Höhe des Radiusköpfchens teilt sich der Nerv in den sensiblen R. superficialis und in den motorischen R. profundus. Der R. superficialis n. radialis, der zunächst oberflächlich zum M. supinator bleibt und entlang der Innenseite des M. brachioradialis distalwärts verläuft, tritt im distalen Drittel des Unterarms unter der Sehne des M. brachioradialis auf die Streckseite über und versorgt die Haut des Handrückens radialseitig sowie die Streckseite des Daumens, des Zeigefingergrundglieds und des Mittelfingergrundglieds radialseitig (Abb. 5.26). Der R. profundus n. radialis verläuft aus der Ellenbeuge wieder auf die Streckseite des Unterarms zurück. Hierbei zieht er spiralig um den proximalen Anteil des Radius, wobei er in den M. supinator eingebettet ist. Hierbei liegt er in einem muskulären Kanal, dessen Eingang und Ausgang sehnig umrandet ist. Der sehnig ausgebildete Rand der Eintrittslücke wird Frohse-Arkade genannt. Noch vor Eintritt in den M. supinator gibt der Nerv motorische Äste für denselben ab, nach Austritt werden weitere Äste für die Streckermuskulatur abgegeben. Im Einzelnen innerviert der N. radialis an dieser Stelle folgende Muskeln: M. extensor carpi ulnaris, M. extensor digitorum communis, M. extensor digiti minimi sowie tiefer gelegen M. extensor indicis, Mm. extensores pollicis longus et brevis und M. abductor pollicis longus. Der Endast ist der N. interosseus antebrachii posterior, der direkt auf der Membrana interossea bis zum Handgelenk verläuft und sensibel teilweise das Periost von Radius, Ulna und Carpus versorgt (Abb. 5.27). Die Klinik der Schädigung des N. radialis ist natürlich abhängig von der Höhe der Läsion. Grob unterscheidet man eine untere, mittlere und obere Radialislähmung: 1. Bei der unteren Radialislähmung kann der Daumen nicht in der Handebene abduziert und die Finger nicht im Grundgelenk gestreckt werden. Die Streckung in den Interphalangealgelenken II bis V ist ungestört, da sie eine Ulnarisfunktion darstellt. Es besteht keine
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Fallhand. Darüber hinaus bestehen keine Sensibilitätsstörungen. 2. Bei der mittleren Radialisparese treten zu den genannten Symptomen eine Fallhand mit Schwäche für die Dorsalflexion im Handgelenk und eine Lähmung des M. brachioradialis hinzu. Der Radiusperiostreflex (RPR) ist abgeschwächt oder erloschen, der Trizepssehnenreflex (TSR) ist erhalten. Eine wichtige Variante im mittleren distalen Bereich ist das Supinatorlogensyndrom durch Kompression des Nervs beim Durchtritt durch den M. supinator. Hier sind M. brachioradialis (mit RPR) und M. extensor carpi radialis intakt, die übrigen, distal gelegenen Radialis-innervierten Muskeln paretisch. Es besteht also keine Fallhand, und eine Sensibilitätsstörung fehlt. 3. Bei oberer Radialislähmung ist auch der M. triceps betroffen und der TSR abgeschwächt oder erloschen. Die lokalisatorische Bedeutung der sensiblen Störungen ist wegen der anatomischen Varianten gering. Bei der Fallhand (Abb. 5.28) ist die Kraftentfaltung des Faustschlusses herabgesetzt, weil die Beuger von Hand und Fingern durch den Ausfall der Strecker schon in der Ruhe verkürzt sind. Gleicht man die Fallhand passiv aus, zeigt sich, dass Medianus und Ulnaris intakt sind. Klinisch können auch isoliert Sensibilitätsstörungen dorsal über dem Spatium interosseum I auftreten, ohne motorische Ausfälle zu verursachen. Dies entspricht einer isolierten Läsion des R. superficialis n. radialis. Durch gezielte klinische Prüfung der Funktionen der einzelnen vom N. radialis innervierten Muskeln sollte es möglich sein, den Ort der Nervenläsion zu lokalisieren. Für den M. triceps wird dessen Streckfunktion auf den Ellenbogen überprüft. Der M. brachioradialis beugt den Ellenbogen, wobei seine maximale Beugefunktion entfaltet wird, wenn der Unterarm in Mittelstellung zwischen Pro- und Supination gehalten wird. Die Mm. extensores carpi radialis et ulnaris testet man, indem die Dorsalextension des Handgelenks bei gebeugten Fingern untersucht wird. Hierdurch werden die ebenfalls als Extensoren wirkenden langen Fingerstrecker ausgeschaltet. Die Mm. extensores carpi radialis longus et brevis sollten bei Verdacht auf ein Supinatorlogensyndrom auch getrennt vom M. extensor carpi ulnaris getestet werden. Der M. extensor digitorum communis und der M. extensor indicis strecken die Langfinger im Grundgelenk, der M. abductor pollicis longus den Daumen in der Handebene. Das Daumenendglied wird vom M. extensor pollicis longus, das Daumengrundglied vom M. extensor pollicis brevis gestreckt. Die klinische Sensibilitätsprüfung orientiert sich an den anatomischen Erörterungen (s. oben).
Abb. 5.26. Sensibilitätsareal des N. radialis, dunkel: autonome Zone
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Abb. 5.27. Überblick des Verlaufs und der motorischen Äste des N. radialis
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Abb. 5.28. Radialislähmung: Fallhand. PHW MH Hannover
Elektrophysiologische Untersuchungen mit motorischen und sensiblen NLG-Messungen über ver schiedene Abschnitte des Nervenverlaufs wie auch die Elektromyographie komplettieren die exakte klinische Untersuchung. Je nach Lokalisation der Nervenkompression bestehen unterschiedliche Ursachen für diese. Eine seltene, aber typische Druckläsion des N. radialis ist die so genannte Krückenlähmung. Hier wird auf den Nerv von außen im Verlauf durch die Axilla eine Kompression ausgeübt. Klinisch kann sich eine obere Radialisläsion zeigen mit Streckausfall des Ellenbogens, Flexionsschwäche des Ellenbogens, Fallhand und Sensibilitätsstörungen. Eine deutlich häufiger auftretende Druckläsion des N. radialis betrifft den Oberarmbereich laterodorsal. In der Regel tritt diese Läsion beim Erwachen aus dem Schlaf auf. Oft, aber nicht immer, lässt sich anamnestisch ein besonders tiefer Schlaf, z. B. nach Alkoholrausch und/ oder ein Aufliegen des Arms auf einer harten Kante eruieren. Aus diesen Gründen finden sich für die Lähmung einprägende Begriffe wie „saturday night palsy“ oder Parkbanklähmung. Natürlich kann eine solche Läsion auch bei falscher Armlagerung in Narkose auftreten. Klinisch besteht meist eine Flexionsschwäche des Ellenbogens, Fallhand und Sensibilitätsstörungen dorsal über der ersten Zwischenfingerfalte bei intaktem Trizeps. Weitere Läsionsorte des N. radialis im Oberarmbereich im Sinne eines Engpasssyndroms sind in seinem Verlauf unter dem Caput laterale m. tricipitis und dabei im Besonderen durch eine muskulotendinöse Arkade sowie nach Eintritt durch den Hiatus im Septum intermusculare brachii laterale an einer scharfrandigen Begrenzung eines hier möglichen kurzen osteofibrösen Kanals. Eine besondere Entität betrifft die Schädigung des R. profundus n. radialis bei seinem Durchtritt durch den M. supinator. Klinisch sind M. triceps, M. brachioradialis
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(mit RPR) und M. extensor carpi radialis intakt, die distal gelegenen vom N. radialis innervierten Muskeln (oft auch der M. supinator selbst) sind paretisch, und es besteht keine Sensibilitätsstörung. Ursächlich kann neben einer direkten oder indirekten Nervenverletzung eine Kompression durch Tumoren aller Art sein. Häufig wird der R. profundus n. radialis jedoch durch eine fibröse Verdickung an der proximalen Kante des M. supinator, die als Frohse-Arkade bezeichnet wird, komprimiert. Aber auch fibröse Stränge im proximalen Drittel des M. supinator und an der distalen Muskelkante können zum Engpasssyndrom führen. Insbesondere durch Überlastungen bei Umwendbewegungen des Unterarms kann die Bildung der fibrösen Verfestigung begünstigt werden (Abb. 5.29). Als Rarität ist eine Kompression des N. radialis durch plexusartige Erweiterung der A. collateralis radialis und der Verbindung zu den Aa. rekurrentes beschrieben worden. Der Endast des R. profundus n. radialis ist der N. interosseus posterior. Dieser kann Ausgangspunkt eines Schmerzsyndroms mit dumpfem Schmerz dorsal über dem Radiokarpalgelenk sein. Ursächlich kann eine Kompression sein, z. B. durch ein dorsal gelegenes Handgelenkganglion. Oft bleibt der Schmerz, wahrscheinlich durch Narbenbildung nach Ganglionresektion, weiter bestehen, verschwindet jedoch durch eine diagnostische Leitungsanästhesie und danach durch die Resektion des N. interosseus posterior distal. Ein weiteres Kompressionssyndrom des N. radialis betrifft den R. superficialis n. radialis. Dieses wird als Wartenberg-Syndrom bezeichnet. Durch die oberflächliche Lage des Nervs können hier auch äußere Einwirkungen, z. B. Armbänder, Irritationen bewirken (Fesselungslähmung). Die hauptsächliche Ursache für die Irritation des R. superficialis n. radialis an seinem Durchtritt durch die Fascia antebrachii liegt in der dynamischen Lageveränderung der Sehnen des M. brachioradialis und M. extensor carpi radialis longus, die in Supination beidseits am Nerv parallel vorbeiziehen, bei Pronation jedoch einen kreuzenden Verlauf nehmen und dadurch den Nervenast komprimieren. Dabei gleitet der R. superficialis axial durch die Austrittsstelle der Fascia antebrachii und kann hierdurch zusätzlich irritiert werden mit der Folge eines Ödems und einer Entzündungsreaktion. Differenzialdiagnostisch müssen bei Radialisparesen die verschiedensten Erkrankungen in Betracht gezogen werden. Zentralere Ursachen der Parese von zerebralen Prozessen über eine spinale Muskelatrophie zu einem Wurzelsyndrom C7 sind abzugrenzen. Häufiger ist aber an völlig unterschiedliche lokale Ursachen, wie eine beispielsweise eine Epicondylitis humeri lateralis, eine Strecksehnenruptur, eine ischämische Muskelnekrose wie bei der Volkmann-Kontraktur oder nur eine ausgeprägte Tendovaginitis stenosans der Beuger, zu denken, die eine Streckerläsion bewirken bzw. imitieren können. Beim Wartenberg-Syndrom muss differenzialdiagnos-
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Kompression durch ein Septum intermusculare laterale
Supinatorsyndrom
Wartenbergsyndrom
Abb. 5.29. Lokalisationen möglicher Kompressionssyndrome im Verlauf des N. radialis. A Kompression durch ein Septum intermusculare laterale, B Supinatorsyndrom (nur B), C Wartenberg-Syndrom
tisch an Symptomauslösung durch eine Tendovaginitis stenosans de Quervain gedacht werden. Die Therapie der äußeren Druckparese des N. radialis (Krückenlähmung Axilla, Parkbanklähmung Oberarm)
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ist zunächst immer konservativ. In den seltenen Fällen der Persistenz der Lähmung trotz Vermeidung des äußeren Drucks sollte (frühestens nach 3 Monaten) der Nerv exploriert und neurolysiert werden. Eine Nerventransplantation ist nur ausnahmsweise erforderlich, und in diesem Fall muss die Ätiologie der Radialisparese durch äußeren Druck kritisch hinterfragt werden. Die Therapie der Engpasssyndrome ist nach exakter Diagnosestellung meist operativ, wobei der Versuch einer konservativen Therapie mit Ruhigstellung auf einer Schiene und eine eventuelle antiphlogistische Begleitmedikation immer vorangestellt werden sollten. Operativ wird bei Läsion des N. radialis im Oberarmbereich im Sinne eines Engpasssyndroms über eine Längsinzision am Oberarm dorsal am Übergang vom mittleren zum distalen Drittel der N. radialis, nach Eröffnung der Faszie und Präparation zwischen den Muskel fasern in seinem Verlauf unter dem Caput laterale m. tricipitis revidiert. Im Besonderen wird auf eine muskulotendinöse Arkade sowie nach Eintritt des Nervs durch den Hiatus im Septum intermusculare brachii laterale auf eine scharfrandige Begrenzung eines hier möglichen kurzen osteofibrösen Kanals geachtet. Engstellen werden durch Resektion erweitert, eine einengende muskulotendinöse Arkade wird abgetragen. In Abhängigkeit von etwaigen Veränderungen am Nerv können weitere Maßnahmen wie eine Epineurotomie angeschlossen werden. Beim Supinatorsyndrom erfolgt die Darstellung des N. radialis am besten von einem mitt-seitlichen Hautschnitt. Hierbei wird proximal zwischen M. brachioradialis und M. extensor carpi radialis longus et brevis und distal zwischen M. extensor carpi radialis brevis und M. extensor digitorum der Nerv mit seinem Eingang bzw. Ausgang aus dem M. supinator revidiert. Sofern kein verdrängender Tumor o. Ä. vorliegt, wird in der Regel eine Kompression des Nervs durch sehnige Anteile des M. extensor carpi radialis brevis oder des M. supinator zu finden sein. Diese Einengungen werden beseitigt, insbesondere proximal sollte man die Frohse-Arkade und den oberflächlich proximalen Supinatoranteil durchtrennen. Falls erforderlich schließt sich eine Epineurotomie an. Auch beim Wartenberg-Syndrom ist ein konservativer Therapieversuch mit Ruhigstellung auf einer Schiene in Supination und Gabe von Antiphlogistika immer gerechtfertigt. Zur operativen Dekompression des R. superficialis n. radialis wird dieser an der Innenseite des M. brachioradialis dargestellt und insbesondere der Durchtritt durch die Fascia antebrachii revidiert. Einengungen werden beseitigt, sodass der R. superficialis völlig frei liegt (Abb. 5.30).
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Abb. 5.30. Wartenberg-Syndrom: Kompression des R. superficialis n. radialis beim Durchtritt durch die Fascia antebrachii. 1 M. brachioradialis, 2 R. superficialis n. radialis, 3 Durchtrittsstelle durch die Faszia antebrachii, 4 M. extensor carpi radialis longus
5.2.5 Kompression des N. medianus Der N. medianus beinhaltet Nervenfasern aus allen Wurzeln des Plexus brachialis (C5 bis Th1). Diese verlaufen sowohl im Truncus superior, im Truncus medius als auch im Truncus inferior und treten in die ventrale Verzweigung der Primärstränge ein. Danach erreichen sie den Fasciculus lateralis (C5 bis C7) und den Fasciculus medialis (C8 bis Th 1). Aus dem Fasciculus lateralis entsteht die laterale, aus dem Fasciculus medialis die mediale Wurzel oder Zinke der Medianusgabel. Diese und der sich aus ihr bildende N. medianus umfassen die A. axillaris ventral. Mit dieser gelangt der Nerv am Oberarm in den Sulcus bicipitalis medialis und überkreuzt im Verlauf zur Ellenbeuge die A. brachialis, sodass er im distalen Drittel des Oberarms dorsomedial zu ihr liegt. Dorsal liegt er dem vom Septum intermusculare brachii mediale entspringenden M. brachialis bzw. dem Septum selbst auf. Im Ellenbogenbereich verläuft der N. medianus unter die Aponeurosis m. bicipitis brachii (Lacertus fibrosus) und zieht medial der A. brachialis und der Sehne des M. biceps brachii. Im Bereich der Lacertus fibrosus zweigen sich motorische Äste des N. medianus zum M. pronator teres, M. flexor carpi radialis, M. palmaris longus sowie zum M. flexor digitorum superficialis ab. Beim Verlassen der Ellenbeuge zieht der Nerv zwischen den beiden Köpfen des M. pronator teres in die Tiefe. Hierbei zieht der Nerv unter die bogenförmige Ursprungssehne des M. flexor digitorum superficialis. Unter diesem verläuft der N. medianus in der Mittellinie des
Unterarms nach distal. Knapp unterhalb des M. pronator teres gibt der Hauptstamm den motorischen N. interosseus anterior ab, der auf der Membrana interossea verlaufend den M. flexor digitorum profundus II–III, den M. flexor pollicis longus und schließlich den M. pronator quadratus innerviert (der M. flexor digitorum profundus IV–V wird vom N. ulnaris versorgt). Feine Endäste ziehen direkt auf der Membrana interossea bis zum Handgelenk und versorgen sensibel teilweise das Periost von Radius, Ulna und Carpus. Der N. medianus liegt im mittleren Unterarmbereich zwischen dem M. flexor digitorum superficialis und dem M. flexor digitorum profundus, ulnar der Sehne des M. flexor carpi radialis. Weiter distal liegt er zwischen den Sehnen des M. flexor carpi radialis und des M. palmaris longus in einer tieferen Schicht. Zum Karpalkanal hin wird die Lage des N. medianus oberflächlicher, und der Nerv immer mehr abgeplattet. Etwa 5 cm proximal des Retinaculum flexorum gibt er den R. palmaris n. mediani ab. Dieser durchbohrt die Faszie, verläuft meist radial vom Hauptstamm und versorgt die Haut über dem Thenar sowie in der radialen Hälfte der Handfläche sensibel. Die Anatomie des R. palmaris ist aber nicht konstant, es sind viele Variationen bekannt. Der N. medianus verläuft nun durch den Karpalkanal. Dieser ist ein osteofibröser Kanal, welcher aus den Karpalknochen und dem Retinaculum flexorum (Lig. carpi transversum) gebildet wird. Dieses Retinaculum spannt sich zwischen den Tubercula ossis scaphoidei et ossis trapezii einerseits und dem Os pisiforme und dem Hamulus ossis hamati andererseits. Der Querschnitt und der
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Durchmesser des Kanals verändern sich im Verlauf, wobei die engste Stelle etwa 2–2,5 cm distal vom Eingang besteht. Hier bilden die Karpalknochen eine schmale und tiefe Rinne, und das Retinaculum flexorum ist hier ziemlich dick und derb. Der Karpalkanal enthält insgesamt 9 Sehnen mit deren Sehnenscheiden, nämlich die Sehnen des M. flexor pollicis longus und der oberflächlichen sowie der tiefen Fingerbeuger. Der dorsopalmar abgeplattete N. medianus liegt nahe der Sehne des M. flexor pollicis longus unter den Ursprüngen der oberflächlichen Thenarmuskeln. Die Lagebeziehung zu den Beugesehnen ändert sich im Verlauf des Karpaltunnels, immer aber bleibt der Nerv in Kontakt mit der unter ihm liegenden Sehne des M. flexor digitorum superficialis II. Unabhängig von pathologischen Verengungen des Karpaltunnels ändert sich sein Querschnitt je nach Handgelenkstellung. Bei der Palmarflexion beispielsweise verringert sich der Abstand zwischen dem proximalen Rand des Lig. carpi transversum und dem Radius. Hierdurch verkleinert sich der Querschnitt der Eingangsöffnung des Kanals. Gleichzeitig springt das distale Ende des Os lunatum etwas in die Lichtung vor. Hierdurch treten Drucksteigerungen im Karpalkanal auf, die im Inneren des Karpalkanals gemessen werden können. Bei Dorsalextension können Drucksteigerungen auf den dreifachen Wert gegenüber der Neutralstellung gemessen werden. Nach dem Verlassen des Karpalkanals teilt sich der N. medianus in der Hohlhand auf. Muskeläste zum Thenar gehen am Ausgang des Karpalkanals, manchmal das Lig. carpi transversum durchbohrend, nach radial ab und innervieren den M. abductor pollicis brevis, den M. opponens und den oberflächlichen Kopf des M. flexor pollicis brevis. Oft besteht eine Anastomose zwischen dem R. profundus n. ulnaris und Medianusästen im Thenarbereich, sodass nicht selten eine Doppelinnervation der Thenarmuskeln gefunden werden kann. Die Aufteilung des N. medianus erfolgt in die Nn. digitales palmares communes I–III. Motorische Äste der Nn. digitales palmares communes I und II versorgen die Mm. lumbricales I und II. Letztlich gibt es eine weitere Aufteilung in die Nn. digitales palmares proprii (N1 bis N7), welche Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger und den Ringfinger radialseitig auf der Beugeseite und am 2. bis 4. Finger auch streckseitig über dem Mittel- und Endgelenk sensibel versorgen (Abb. 5.31, 5.32). Gemäß der anatomischen Beschreibung wirkt sich eine Läsion des N. medianus nur auf die Motorik des Unterarms und der Hand sowie auf die Sensibilität der Hand aus.
Je nach Höhe der Läsion differenziert man 3 verschiedene Lähmungstypen:
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1. Bei Läsionen des Nervs im Karpaltunnel unter dem Lig. carpi transversum entsteht das Karpaltunnelsyndrom: die isolierte Abduktor-Opponens-Atrophie und -Parese (Abb. 5.33). Im Extremfall ist der Daumenballen atrophisch (Affenhand), seine Greiffunktion ist aufgehoben. 2. Eine Läsion oberhalb des Abgangs der Äste zu den langen Hand- und Fingerbeugern, d. h. am Oberarm oder Ellenbogen, führt zur kompletten Medianuslähmung. Zu den bereits beschriebenen Symptomen tritt eine Schwäche für die Pronation des Unterarms (M. pronator teres und M. pronator quadratus) und die Beugung des Handgelenks (M. flexor carpi radialis) hinzu. Der Versuch, das Handgelenk zu beugen, führt durch den intakten M. flexor carpi ulnaris (Innervation: N. ulnaris) zur Ulnarabduktion im Handgelenk. Beim Versuch, die Finger in den Mittel- und Endgelenken zu beugen, entsteht die so genannte Schwurhand. Nur die vom N. ulnaris motorisch innervierten Finger IV und V und in geringem Maße der Finger III können im Endgelenk gebeugt werden, Daumen und Zeigefinger bleiben gerade stehen. Bei oberer und mittlerer Medianuslähmung ist der Pronatorenreflex abgeschwächt oder erloschen. 3. Eine isolierte Läsion des N. interosseus anterior führt zu rein motorischen Störungen. Dieser innerviert den M. flexor digitorum profundus II–III, den M. flexor pollicis longus und den M. pronator quadratus. Daher kommt es zu einer Unfähigkeit, die Endgelenke des Daumens und des Zeige- sowie Mittelfingers zu beugen (Abb. 5.34). Sensibilitätsstörungen treten im Fall der isolierten Läsion des N. interosseus anterior nicht auf. Bei den vorher genannten Läsionen des N. medianus bestehen dagegen Sensibilitätsstörungen in der Hand. In den betroffenen Bereichen treten meist sehr unangenehme Parästhesien auf, bei älteren Lähmungen entwickeln sich trophische Störungen der Haut und der Nägel. Durch gezielte klinische Prüfung der Funktionen der einzelnen vom N. medianus innervierten Muskeln sollte es möglich sein, den Ort der Nervenläsion zu lokalisieren. Die eine Pronation bewirkenden Mm. pronator teres et pronator quadratus werden bei rechtwinklig gebeugten Ellenbogen geprüft, wobei der Unterarm in Mittelstellung zwischen Pro- und Supination gehalten wird. In dieser Ellenbogenbeugung kann der M. brachioradialis nicht pronieren und ist damit zur korrekten Prüfung ausgeschaltet. Den M. flexor carpi radialis testet man, indem der Patient das Radiokarpalgelenk gegen Widerstand beugt. Hierbei ist die Sehne des Muskels distal deutlich tastbar und häufig auch sichtbar.
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Abb. 5.31. Überblick zum Verlaufs und den motorischen Äste des N. medianus
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Abb. 5.32. Sensibilitätsareal des N. medianus
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Abb. 5.33. Atrophie Daumenballen rechts bei fortgeschrittenem Karpaltunnelsyndrom rechts
Abb. 5.34. N.-interosseus-posterior-Syndrom: Lähmung des M. flexor pollicis longus und des M. flexor digitorum profundus II (und III). Unfähigkeit, ein „O“ zu formen.
Abb. 5.35. „Flaschenzeichen“ bei Medianusläsion durch Schwäche des M. abductor pollicis brevis
Kompressionssyndrome peripherer Nerven
Der M. flexor digitorum superficialis beugt das Handgelenk und vor allem die Mittelgelenke der Langfinger. Zur Testung seiner Funktion werden in Neutralstellung des Handgelenks die Finger zum Ausschalten der Funktion des M. flexor digitorum profundus durch den Untersucher gestreckt gehalten und der Patient dann zum isolierten Beugen des Mittelgelenks eines einzeln freigegebenen Fingers aufgefordert. Der M. flexor digitorum profundus wird geprüft durch isoliertes Beugen der Endgelenke des Zeige- und Mittelfingers, der M. flexor pollicis durch isoliertes Beugen des Daumenendgelenks. Die Testung des M. abductor pollicis brevis erfolgt, indem der Patient seinen Daumen in der Handebene gegen Widerstand abspreizen soll. Ein weiterer Test ist das bei Lähmung ungenügende Abspreizen des Daumens beim Versuch, einen runden Gegenstand, z. B. eine Flasche, zu umgreifen. Hierbei liegt typischerweise auch die Hautfalte der 1. Kommissur nicht vollständig der Flasche an. Man spricht in diesem Fall von einem positiven Flaschenzeichen (Abb. 5.35). Die Funktion des M. opponens pollicis prüft man, indem der Patient seinen Daumen senkrecht zur Handebene abspreizen soll. Eine Schwäche zeigt sich auch dadurch, dass die Opposition des Daumens bis zur Berührung der Daumenkuppe und der Kleinfingerkuppe bei flach auf einer Unterlage anliegendem Handrücken erschwert ist. Besonders ist aber die pronatorische Kreiselung des Daumens ungenügend. In fortgeschrittenen Fällen imponiert die isolierte Atrophie des M. abductor pollicis brevis und M. opponens pollicis am Daumenballen als deutliche Vertiefung in der lateralen Thenarpartie. Hier ist es möglich, schon auf den ersten Blick die Diagnose einer Medianusläsion
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zu stellen. Differenzialdiagnostisch muss diese allerdings noch gegen eine radikuläre Läsion C7 bis C8 abgegrenzt werden. In seltenen Fällen kann die ganze Thenarmuskulatur vom N. ulnaris versorgt oder zu einem wesentlichen Teil mitversorgt werden. Dann verbleibt nach Läsionen im Medianusgebiet natürlich keine Thenaratrophie. Die klinische Sensibilitätsprüfung orientiert sich an den oben genannten anatomischen Erörterungen, wobei nochmals herausgestellt werden sollte, dass bei Läsionen im Karpalkanal in der Palma manus der größere Teil der Sensibilität noch erhalten bleibt, da der die distale Unterarmfaszie durchbohrende R. palmaris ja nicht durch den Karpalkanal hindurch verläuft. Insgesamt ist die Sensibilitätsstörung bei einer Medianusläsion so charakteristisch, dass sie oft ein wesentliches Element in der Diagnose darstellt. Elektrophysiologische Untersuchungen mit motorischen und sensiblen NLG-Messungen über verschiedene Abschnitte des Nervenverlaufs wie auch elektromyographische Untersuchungen komplettieren die exakte klinische Untersuchung. Natürlich sind auch radiologische Untersuchungen im Einzelfall sinnvoll, so z. B. eine Röntgenaufnahme des Handgelenks bei Verdacht auf ein posttraumatisches Karpaltunnelsyndrom. Sonographie, CT und MRT bleiben speziellen Fragestellungen, insbesondere präoperativ, vorbehalten und sind keine Routineverfahren. Wegen der herausragenden Wichtigkeit des Karpaltunnelsyndroms sollen die Klinik und Diagnostik desselben noch etwas ausführlicher beschrieben werden. Insgesamt sind Frauen, besonders in der 2. Lebenshälfte, viel häufiger betroffen als Männer. Die Krankheit beginnt typischerweise mit nächtlichen, schmerzhaften, oft brennenden Parästhesien an den radialen Fingern der Hand, häufig zunächst am Mittelfinger und dann erst an der Beugeseite aller Medianus-versorgten Finger und in den angrenzenden Hautarealen. Die Missempfindungen und Schmerzen können die ganze Hand ergreifen und bis über die Ellenbogengegend, nach proximal sogar bis zur Schulter ausstrahlen. Dies hängt teilweise damit zusammen, dass der N. medianus besonders reichlich vegetative Fasern enthält. Im weiteren Verlauf treten die sensiblen Reizsymptome auch am Tage auf. Es kommt zur Hypästhesien, welche die feinen Verrichtungen mit den radialen 3 Fingern beeinträchtigen. In fortgeschrittenen Fällen kommt schließlich noch eine Parese und Atrophie in den Mm. abductor pollicis brevis et opponens pollicis dazu. Sensibel findet man dann eine Dysästhesie, oft eine Hyperalgesie oder Hyperpathie an der Palmarseite der Hand mit Schwerpunkt im Medianusgebiet. Druck auf den Medianus an der Radialseite des palmaren Unterarms (Hoffmann-Tinel) oder Überstreckung bzw. starke Beugung im Handgelenk (Phalen-Test) lösen oft Missempfindungen in den radialen Fingern aus. Die Schweißsekreti-
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on (Ninhydrintest) ist im Medianusgebiet vermindert. In diesem Stadium ist die Diagnose leicht, jedoch geben die charakteristischen nächtlichen Parästhesien bereits im Anfangsstadium wichtige Anhaltspunkte. Die distale Latenz bei Prüfung der motorischen und in der Regel mehr noch der sensiblen Nervenleitung ist schon im Frühstadium stark verlangsamt. Bei der Messung wird der N. medianus proximal des Karpalkanals zunehmend stimuliert, bis am M. abductor pollicis brevis eine Muskelkontraktion ausgelöst wird. Latenzen über 4,5 ms motorisch und über 3,5 ms sensorisch gelten als pathologisch. Später findet man im EMG Denervierungszeichen. Die Messung der distalen motorischen Leitungsfähigkeit zur Bestimmung der NLG erfolgt durch Stimulation des N. medianus am Handgelenk und der Fossa antecubitalis und Bestimmung des Aktionspotenzials über dem M. abductor brevis. Die Werte sollen kleiner als 49–70 m/s sein. Die sensorische Leitungsgeschwindigkeit wird zwischen Handgelenk und Zeigefinger gemessen, wobei eine Geschwindigkeit unter 52–72 m/s als verzögert gilt. Für die Diagnose des Karpaltunnelsyndroms ist jedoch allein die Messung der antidromen sensiblen Leitgeschwindigkeit ausreichend.
Je nach Lokalisation der Nervenkompression bestehen unterschiedliche Ursachen für diese. Am Oberarm kann es zu einer Druckläsion des N. medianus kommen. Diese wird meist im Schlaf durch den Kopf des mitschlafenden Partners („paralysie des amants“) verursacht. Diese Drucklähmung ist deutlich seltener als die des N. radialis (Parkbanklähmung). Ein ähnlicher Pathomechanismus liegt auch der Medianusschädigung zugrunde, die durch eine Oberarmblutsperre intraoperativ verursacht wird. Diese Läsionen sind praktisch immer reversibel. Im distalen Bereich des Oberarms kann durch eine anatomische Variante, die bei etwa 1% aller Menschen vorliegt, eine Kompression des N. medianus erfolgen. Es handelt sich um den Processsus supracondylaris humeri an der Innenkante des Humerus, etwa 6 cm kranial des Ellenbogengelenks. Von diesem Processus supracondylaris humeri zieht ein fibröses Band zum Epicondylus medialis, welches als Struther-Ligament bezeichnet wird. Hierdurch bildet sich ein osteofibröser Kanal. In seltenen Fällen findet sich dieses Band sogar ohne einen knöchernen Processus. Der N. medianus läuft unter diesem Band hindurch und kann insbesondere nach Fraktur des Processus supracondylaris, aber auch ohne Trauma, hier komprimiert werden. Hinweise auf die Lokalisation der Kompression durch ein fibröses Band sind Druckdolenz mit Hoffmann-Tinel-Zeichen und Schmerzen bei Flexion im Ellenbogengelenk gegen Widerstand. Ein suprakondylärer Sporn kann durch Palpation oder röntgenologisch diagnostiziert werden.
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Im Unterarmbereich kann der N. medianus ebenfalls komprimiert werden. Hier kann z. B. eine verdickte Aponeurose des M. bicipitis brachii, der Lacertus fibrosus, eine Einengung des unterkreuzenden N. medianus bewirken. Diagnostisch hilfreich kann eine Schmerzverstärkung bei Beugung kubital gegen Widerstand sein. Häufiger ist eine Kompression durch eine Variation des ulnaren Kopfes des M. pronator teres, der in diesem Fall kürzer und bindegewebig stärker durchsetzt angelegt ist und oft eine enge fibröse Verbindung zum M. flexor digitorum superficialis eingeht. Seltener ist der M. pronator teres auch dreiköpfig angelegt. An der Stelle, an der N. medianus nun unter dem M. pronator teres hindurchtritt, kommt es insbesondere in Streckstellung und bei bestimmten Beschäftigungen zu einer chronischen mechanischen Reizung des N. medianus. Man bezeichnet dies als Pronatorteres-Syndrom. Klinisch charakteristisch sind Schmerzen und Krämpfe der palmaren Unterarmmuskeln, Parästhesien der radialen Finger sowie ein Druckschmerz über dem M. pronator teres. Ein Hoffmann-Tinel-Zeichen ist am Läsionsort positiv. Meist verstärkt eine Streckung im Ellenbogengelenk bei Pronation die Schmerzen. Auch eine Schwäche der Mm. flexor pollicis longus und abductor pollicis brevis kann vorhanden sein, und die Erregungsleitung im Medianusstamm am Unterarm ist verlangsamt. Im Bereich des Unterarms kann es in seltenen Fällen zu einer Läsion des rein motorischen N. interosseus anterior (Kiloh-Nevin-Syndrom) kommen. In den meisten Fällen posttraumatisch bedingt, wurden auch mehrfach Beispiele von Nervenkompression ohne Trauma durch fibröse Bänder beschrieben. Beim Unterkreuzen des M. flexor digitorum superficialis durch den N. interosseus findet sich nämlich häufig eine fibröse Durchsetzung zum Caput radiale, die wie die Kante einer Membran über den Nerv zieht. Ursache der Kompression können auch benachbarte Gefäße (z. B. A. interossea oder A. mediana) sein (Abb. 5.36). Das häufigste Nervenkompressionssyndrom überhaupt ist das Karpaltunnelsyndrom. Als Ursache ist ein Missverhältnis zwischen Inhalt und Volumen des Karpaltunnels zu sehen (Abb. 5.37). Prädisponierend ist eine konstitutionelle Enge dieses Kanals. Darüber hinaus sind Druckerhöhungen im Kanal auch abhängig von der Handstellung mit extremen Werten bei maximaler Flexion oder Extension. Ein Karpaltunnelsyndrom kann ohne weitere erkennbare Ursache bestehen, häufig lassen sich jedoch zusätzliche pathogenetische Faktoren erkennen. Typisch ist das posttraumatische Karpaltunnelsyndrom, z. B. nach distaler Radiusfraktur oder nach Handwurzelfraktur. Des Weiteren kann eine ausgeprägte Synovialitis der Beugesehnen, insbesondere auch rheumatischer Genese gefunden werden. Seltenere lokale Ursachen sind Ganglien, Gichttophi, Infektionen und Muskelanomalien. Systemische Ursachen können Stoffwechselstörungen wie Myelom, Amy-
Kompressionssyndrome peripherer Nerven
Kompression durch Struther-Ligament
Kompression durch die Aponeurosis m. bicipitis Pronatorsyndrom N. interosseus Syndrom
Karpaltunnelsyndrom
Abb. 5.36. Lokalisationen möglicher Kompressionssyndrome im Verlauf des N. medianus. A Kompression durch StrutherLigament, B Kompression durch die Aponeurosis m. bicipitis, C Pronatorsyndrom, D N.-interosseus-Syndrom, E Karpaltunnelsyndrom
loidose und Mukopolysaccharidose beim Kind sein. Endokrinopathisch können die Akromegalie und die Hypothyreose ein Karpaltunnelsyndrom verursachen. Als weitere häufige auslösende Ursache ist die Schwangerschaft insbesondere ab dem 2. Trimenon zu nennen. Zuletzt ist auch die Häufung des Karpaltunnelsyndroms am Shunt-Arm von Dialysepatienten aufzuführen. Die Ursache ist hier multifaktoriell, u. a. die Ischämie, die ur-
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Kompressionssyndrome peripherer Nerven Lig. carpi transversum Trokar N., A. ulnaris Beugesehnen
N. medianus
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R. superficialis palmaris A. radialis
ämische Polyneuropathie und die granulomatöse Tenosynovialitis. Eine vollständige Medianuslähmung kann kaum mit einer anderen Erkrankung verwechselt werden. Differenzialdiagnostisch sollten bei Teilsymptomen und insbesondere bei Verdacht auf ein Karpaltunnelsyndrom Wurzelläsionen, z. B. im Rahmen zervikaler Radikulopathien, bedacht werden. Eine weitere Differenzialdiagnose ist die Polymyalgia rheumatica. Die Therapie der äußeren Druckparese des N. medianus (Schlaflähmung Oberarm) ist zunächst immer konservativ. In den seltenen Fällen der Persistenz der Lähmung trotz Vermeidung des äußeren Drucks sollte (frühestens nach 3 Monaten) der Nerv exploriert und neurolysiert werden. Eine Nerventransplantation ist nur ausnahmsweise erforderlich, und in diesem Fall muss die Ätiologie der Medianusparese durch äußeren Druck kritisch hinterfragt werden. Die Therapie der Engpasssyndrome erfolgt nach exakter Diagnosestellung meist operativ, wobei ein Versuch der konservativen Therapie mit Ruhigstellung auf einer Schiene und evtl. einer antiphlogistischen Begleitmedikation immer vorangestellt werden sollte. Insbesondere beim Karpaltunnelsyndrom sollte zunächst immer ein Versuch mittels palmarer Schiene in Neutralstellung des Handgelenks unternommen werden, gerade wenn eine definierte außergewöhnliche Belastung, die z. B. eine Tenosynovialitis nach sich zog, akut zu typischen Beschwerden geführt hat oder auch bei zeitlich begrenzten Ursachen wie einer Schwangerschaft. ! Die immer wieder empfohlene Kortisoninjektion in den Karpalkanal lehnen wir ab, da es in seltenen Fällen zu massiven Hohlhandphlegmonen kommt, die zu erheblichen Funktionsstörungen der gesamten Hand führen können.
Abb. 5.37. Querschnitt in Höhe des Karpalkanals
Die operative Therapie der Kompression des N. medianus am Oberarm distal (Struther-Ligament) und beim Pronator-teres-Syndrom beginnt mit einem mitt-seitlichen Hautschnitt ulnarseitig, der je nach Erfordernis nach proximal oder distal erweitert werden kann – vor allem bei Verdacht auf Vorliegen eines osteofibrösen Kanals und eines suprakondylären Sporns. Dementsprechend wird zunächst über eine vom Epicondylus medialis nach distal radial konvexe Inzision die Haut über der Unterarmfaszie lappenartig nach ulnar abgehoben, unter Schonung der Hautnerven, und die Faszie eröffnet. Der M. pronator teres wird nach ulnar gehalten, wobei das Caput ulnare zur Darstellung kommt und durchtrennt werden kann. Eine mögliche Kompression des N. medianus unter dem Rand des M. flexor digitorum superficialis wird durch Einkerbung gelöst. Durch Schnitterweiterung nach proximal, medial des M. biceps brachii, lässt sich ein den N. medianus komprimierendes Struther-Ligament durchtrennen und ggf. auch ein suprakondylärer Sporn abtragen. Nach distal kann der N. interosseus anterior präpariert werden. Insbesondere beim Interosseus-anteriorSyndrom wird hierzu der M. pronator teres nach radial und der M. flexor carpi ulnaris nach ulnar gehalten. Radial des M. flexor digitorum superficialis kann der N. medianus mit dem in dieser Höhe abzweigenden N. interosseus anterior dargestellt werden (Abb. 5.38). Eine fibröse Durchsetzung im Verlauf des Caput radiale des M. flexor digitorum superficialis, unter das der N. interosseus anterior zieht, sollte längs eröffnet oder auch keilförmig ausgeschnitten werden. In manchen Fällen sollte man zusätzlich das Caput radiale des M. flexor digitorum superficiale vollständig durchtrennen. Die operative Therapie des Karpaltunnels hat in den letzten 15 Jahren erhebliche Veränderungen erfahren. Zum einen wurde neben der klassischen offenen Spaltung
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Kompressionssyndrome peripherer Nerven
A. brachialis
N. interosseus anterior
Tendo m. flexoris carpi radialis N. medianus M. flexor digitorum superficialis mit fibröser Durchsetzung zus. Markierung des Hauptstammes des N. medianus
A., N. ulnaris Tendo m. palmaris longi
Retinaculum flexorum
Abb. 5.39. Offene Spaltung des Karpaltunnels
Abb. 5.38. Interosseus-anterior-Syndrom links. 1 A. brachialis, 2 N. interosseus anterior, 3 M. flexor digitorum superficialis mit fibröser Durchsetzung, zusätzlich Markierung des Hauptstamms des N. medianus
die endoskopische Spaltung entwickelt, zum anderen sind bei beiden Verfahren die Schnittführungen Gegenstand vieler Diskussionen. In der offenen Technik hat sich mittlerweile die Verkürzung des Schnitts im Verlauf der Thenarfurche durchgesetzt. Hierbei wird eine etwa 2,5 cm lange Hautinzision angelegt, wobei darauf geachtet wird, dass nach proximal die distale Handgelenkbeugefalte nicht überschritten wird (Abb. 5.39). Hierdurch vermeidet man die bei einer Hautinzision im Bereich zwischen proximaler und distaler Handgelenkbeugefalte häufig zu beobachtende überschießende Narbenbildung
und insbesondere die Durchtrennung von Verbindungsästen des R. palmaris n. mediani zur Ulnarseite der Hohlhand, wodurch es immer wieder zur Entwicklung schmerzhafter Neurome kommt. Falls eine Exploration weiter proximal nötig ist, sollte eine quere Inzision in der proximalen Handgelenkbeugefalte angelegt werden. Wegen der Häufigkeit anatomischer Varianten muss beim Zugang zum Karpaltunnel vorsichtig präpariert werden. Es erfolgt die Durchtrennung des subkutanen Fettgewebes und der Palmaraponeurose. Nun wird das Retinaculum flexorum gespalten, wobei stets an Verlaufsvariationen insbesondere des R. thenaris gedacht werden muss. Nach Identifikation des N. medianus werden die Aufzweigung und der Abgang des Thenarastes aufgesucht. Es folgt die vollständige Durchtrennung des Retinaculum flexorum nach proximal, wobei wesentlich ist,
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Kompressionssyndrome peripherer Nerven
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Abb. 5.40. Agee-Technik der endoskopischen Karpaltunnelspaltung
dass wirklich alle Fasern proximal in die Durchtrennung einbezogen sind. Verbliebene Querstränge können durch gefühlvolles Vorschieben einer halbgeöffneten Schere ergänzend durchtrennt werden. Der Karpaltunnel sollte vollständig ausgetastet werden, auch um neben der Überprüfung auf suffiziente Spaltung raumfordernde Prozesse am Karpaltunnelboden auszuschließen. Der N. medianus ist immer genau zu untersuchen, um bei Einschnürungen ggf. eine längs verlaufende Epineurotomie, oder bei höhergradigen Veränderungen eine Epineurektomie durchführen zu können. Die Operation sollte in Lupenvergrößerung erfolgen, eine eventuelle Epineurotomie oder gar Epineurektomie immer mit dem Operationsmikroskop und Mikroinstrumentarium. Eine generelle Epineurotomie oder eine Präparation einzelner Faszikel sollte dagegen wegen der Gefahr der Vernarbung unterbleiben. Weiterhin erfolgt bei ausgedehnter Synovialitis, besonders bei bekannter oder verdächtiger rheumatologischer Genese, eine Tenosynovialektomie mit Einsendung zur histologischen Untersuchung. Die endoskopische Dekompression des Karpalkanals wurde Ende der 1980er Jahre entwickelt. Okutsu stellte 1989 eine Ein-Pforten-Methode vor. Hierbei wird mittels einer queren Inzision 3 cm proximal der distalen Handgelenkbeugefalte über einen Tubus das Retinaculum flexorum dargestellt und dieses dann unter direkter Sicht mit einem eingeführten Hakenmesser retrograd durchgetrennt.
Agee stellte 1992 bzw. 1994 eine Ein-Pforten-Technik vor, bei der über eine quere, 1,5 cm lange Inzision die Unterarmfaszie U-förmig eröffnet wird. Nach Darstellung des N. medianus und Aufweitung des Karpalkanals wird mit dem anschließend eingeführten Endoskop mit einem speziellen ausfahrbaren Messer der distale Rand des Retinaculum flexorum dargestellt und dieses beim Zurückziehen der Klinge unter Sicht gänzlich durchtrennt (Abb. 5.40). Chow präsentierte 1993 eine Zwei-Pforten-Methode, bei der über eine kurze Inzisionen proximal des Os pisiforme nach Aufdehnung ein Endoskop in den Karpalkanal bis zum distalen Rand des Retinaculum flexorum eingeführt wird. In der Hohlhand wird dann über eine zweite kurze Inzision das Retinaculum flexorum distal unter endoskopischer Sichtkontrolle durchtrennt. Nach Einführen des Endoskops von distal wird danach in umgekehrter Richtung von proximal der proximale Rest des Retinaculums durchtrennt. Es gibt verschiedenste Abwandlungen dieser Techniken, wobei sich bis heute keine endoskopische Technik endgültig durchgesetzt hat. Darüber hinaus wird auch die Wertigkeit der endoskopischen Spaltung des Karpaltunnels gegenüber der offenen Technik anhaltend und kontrovers diskutiert, wobei zur Zeit nicht abgesehen werden kann, ob eine Methode sich gegenüber den anderen durchsetzten wird. Wahrscheinlich wird es aber eher ein Nebeneinander der Methoden geben mit jeweils definierten Indikationen.
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5.2.6 Kompression des N. ulnaris Der N. ulnaris beinhaltet Nervenfasern aus den beiden unteren Wurzeln des Plexus brachialis (C8 und Th1) die den Truncus inferior bilden. Die Fasern gelangen über die ventrale Verzweigung des Primärstrangs in den Fasciculus medialis. Dieser gibt den N. cutaneus brachii medialis und den N. cutaneus antebrachii medialis ab. Nach Abgang der medialen Zinke bildet der N. ulnaris gewissermaßen die Fortsetzung des Fasciculus medialis und begleitet die A. axillaris im Bereich der Axilla auf ihrer zunächst dorsalen, dann weiter distal medialen Fläche bis zum Oberarm in den Sulcus bicipitalis medialis. Hier ordnet er sich wieder mehr dorsal an, sodass er in der Mitte des Oberarms durch das Septum intermusculare mediale auf die Streckseite übertritt. Der oberhalb der Nervendurchtrittstelle gelegene Teil des Septums wird Lig. brachiale internum genannt. Nun zieht der Nerv zwischen Septum und medialen Trizepskopf zum Ellenbogen. Hierbei liegt er relativ fixiert in einer Grube des medialen Trizepskopfes und wird von einer tiefen Faszie bedeckt. Faserzüge dieser Faszie kreuzen den N. ulnaris und bilden hierbei eine Arkade. Diese wird Struther-Arkade genannt. Am Ellenbogen verläuft der Nerv im Sulcus n. ulnaris, dorsal des Epicondylus medialis humeri und ulnar des Lig. collaterale ulnare. Dieser Sulcus n. ulnaris wird proximal durch die oberflächliche Oberarmfaszie bedeckt und distal durch den Arcus tendineus m. flexoris carpi ulnaris (zwischen dem Caput ulnare und dem Caput humerale des M. flexor carpi ulnaris) zu einem osteofibrösen Kanal geschlossen. Im weiteren Verlauf am Unterarm liegt der N. ulnaris radial und getrennt durch die tiefe Faszie unter dem M. flexor carpi ulnaris. Direkt unterhalb des Ellenbogengelenks gibt er Äste zum M. flexor carpi ulnaris und zum ulnaren Anteil des M. flexor digitorum profundus ab. Die A. ulnaris läuft ab dem Übergang vom proximalen zum mittleren Drittel des Unterarms von radial kommend gemeinsam mit dem N. ulnaris nach distal. Von der palmarradialen Seite des N. ulnaris zweigt ein Ast zur A. ulnaris, die er nach distal begleitet und mit Gefäßnerven versorgt. Proximal der Raszetta gibt dieser R. palmaris n. ulnaris mehrere zarte Äste zur Haut in variabler Richtung ab, wobei meist die ulnare Partie der palmaren Handgelenkfläche und der Hypothenar proximal versorgt werden. Gelegentlich können Hautäste aber auch fehlen. Am Unterarm kann eine Verbindung mit dem N. medianus bestehen (Martin-Gruber). Etwa ab Unterarmmitte zweigt der R. dorsalis aus dem N. ulnaris nach dorsal-ulnar ab. Dieser zieht unter der Sehne des M. flexor carpi ulnaris nach dorsal. Über dem Retinaculum extensorum beginnt seine Aufteilung in die Endäste, die Nn. digitales dorsales, für die sensible Versorgung der
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Haut der ulnaren Hälfte des Mittelfingers sowie des gesamten Ring- und Kleinfingers jeweils dorsal. Im Bereich des Handgelenks tritt der Hauptstamm des N. ulnaris, ulnar-dorsal der A. ulnaris gelegen, in die so genannte Guyon-Loge ein. Diese „Loge de Guyon“ wird ulnar vom Os pisiforme, radial vom Hamulus ossis hamati, dorsal vom Retinaculum flexorum und vom Lig. pisohamatum und palmar vom Lig. carpi palmare bzw. vom M. palmaris brevis begrenzt. Am Ausgang der Loge teilt sich der N. ulnaris in seine Endäste, den R. superficialis und den R. profundus. Der R. superficialis teilt sich nach Abgabe eines motorischen Astes zum M. palmares brevis in die Nn. digitales palmares communes IV und V, diese wiederum in die 3 Nn. digitales palmares proprii für die sensible Versorgung der Haut der ulnaren Hälfte des Ringfingers sowie des gesamten Kleinfingers jeweils palmar (Abb. 5.41). Der R. profundus n. ulnaris dringt durch den Ursprung des M. flexor digiti minimi brevis in den tiefen Raum der Hohlhand. Hier innerviert er den M. abductor digiti minimi, den M. flexor digiti minimi brevis, den M. opponens digiti minimi, die Mm. lumbricales III und IV, alle Mm. interossei (3 palmare und 4 dorsale) sowie den M. adductor pollicis und den tiefen Kopf des M. flexor pollicis brevis (Abb. 5.42). Gemäß der anatomischen Beschreibung wirkt sich eine Läsion des N. ulnaris nur auf die Motorik des Handgelenks und der Hand sowie auf die Sensibilität der Hand aus.
Je nach Höhe der Läsion differenziert man 2 verschiedene Lähmungstypen: 1. Bei der distalen Läsion können beide Endäste des N. ulnaris betroffen sein, wie typischerweise beim Loge-de-Guyon-Syndrom an der Handwurzel, oder auch einzeln nur der R. profundus oder der R. superficialis n. ulnaris weiter distal. Motorisch fällt bei der Läsion beider Endäste oder zumindest des motorischen Endastes eine Parese des Hypothenars sowie aller übrigen vom N. ulnaris versorgten kleinen Handmuskeln auf. Dies führt zu einer Krallenhand, da durch Ausfall der Mm. interossei die Langfinger in den Grundgelenken überstreckt, in den Mittel- und Endgelenken dagegen leicht gebeugt werden. Diese Krallenstellung zeigt sich an den radialen Langfingern weniger ausgeprägt, da die Medianus-innervierten Mm. lumbricales I und II entgegensteuern. Durch Ausfall der Mm. interossei und Überwiegen der Radialis-innervierten Fingerstrecker sind Ring- und Kleinfinger leicht abgespreizt und können nicht adduziert werden. Wegen der Lähmung des M. flexor pollicis brevis wird der Daumen im Grundgelenk überstreckt gehalten. Durch die Muskelparesen kommt es zu einer
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Kompressionssyndrome peripherer Nerven
Abb. 5.41. Sensibilitätsareal des N. ulnaris
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Abb. 5.42. Überblick zum Verlaufes und den motorischen Ästen des N. ulnaris
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Kompressionssyndrome peripherer Nerven
Abb. 5.43. Ulnarisparese mit Atrophie der Mm. interossea, des Daumenballens und des M. adductor pollicis
deutlich sichtbaren Atrophie insbesondere im 1. Spatium interosseum aber auch am Hypothenar (Abb. 5.43). Bei einer Läsion am proximalen bis mittleren Unterarm bestehen die gleichen motorischen Ausfälle, nur die Sensibilitätsstörungen betreffen außer der distalen Hohlhand ulnarseitig, der ulnaren Hälfte des Ringfingers sowie des gesamten Kleinfingers palmar zusätzlich noch das Ausbreitungsgebiet des R. palmaris n. ulnaris und des R. dorsalis n. ulnaris und damit die Hohlhand und den Handrücken jeweils ulnarseitig. 2. Bei einer Läsion am Oberarm bis zur Ellenbeuge bestehen neben den motorischen Ausfällen der distalen Läsion noch Lähmungen des M. flexor carpi ulnaris sowie der ulnaren Anteile des M. flexor digitorum profundus. Funktionell zeigt sich dabei nur eine diskrete Schwäche für die Handgelenkbeugung und für die Beugung der Endgelenke des Ring- und Kleinfingers. Die auftretenden Sensibilitätsstörungen entsprechen denen einer Läsion im Unterarmbereich. Durch gezielte klinische Prüfung der Funktionen der einzelnen vom N. ulnaris innervierten Muskeln sollte es möglich sein, den Ort der Nervenläsion zu lokalisieren.
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Bei der klinischen Untersuchung prüft man die Funktion des M. flexor carpi ulnaris dadurch, dass man den Patient das Handgelenk beugen lässt und dabei die sich normalerweise gut darstellende Sehne vor ihrem Ansatz am Os pisiforme tastet. Zur Prüfung des ulnaren Teils des M. flexor digitorum profundus lässt man bei gestreckter Grund- und Mittelphalanx die Endglieder von Klein- und Ringfinger beugen. Die Mm. interossei dorsales üben vor allem eine Spreizwirkung auf die Langfinger aus, deren Kraft im Seitenvergleich gut zu beurteilen ist. Hierbei ist zu bedenken, dass das Spreizen und das Zusammenklemmen der gestreckten Langfinger z. T. aber auch durch den Radialis-innervierten M. extensor digitorum communis bzw. den Medianus-innervierten M. flexor digitorum superficialis bewirkt wird. Zur Testung der Ulnarisfunktion allein können jedoch die Seitbewegungen am Mittelfinger überprüft werden, da hier diese langen Muskeln nicht als zusätzliche Ab- oder Adduktoren wirken. Die Mm. interossei beugen aber auch zusammen mit dem M. flexor digitorum superficialis die Langfinger im Grundgelenk. Ein Ausfall der Streckfunktion durch die Mm. interossei auf die Mittel- und Endgelenke, besonders des 4. und 5. Strahls, wo auch die Ulnaris-innervierten Mm. lumbricales ausfallen, zeigt sich in einer Schwäche der so genannten Nasenstüberbewegung. Der Ausfall des M. adductor pollicis äußert sich in einer schwachen Adduktion des Daumens an das Zeigefingergrundglied. Bei der Aufforderung, einen Gegenstand zwischen Daumen und Zeigefinger festzuklemmen, gelingt dies kraftvoll nur durch eine Beugung des Daumenendgelenks durch den Medianus-innervierten M. flexor pollicis longus. Diese Ausgleichsbewegung wird Froment-Zeichen genannt (Abb. 5.44). Die Sensibilitätsprüfung orientiert sich an den oben genannten anatomischen Erörterungen. Die klinische Untersuchung prüft hierbei insbesondere die Sensibilität im Versorgungsgebiet des R. dorsalis n. ulnaris, welches bezüglich der Lokalisation Ellenbogen oder Handgelenk das wichtigste klinische Unterscheidungsmerkmal ist. Elektrophysiologische Untersuchungen mit motorischen und sensiblen NLG-Messungen über verschiedene Abschnitte des Nervenverlaufs wie auch die Elektromyographie komplettieren die exakte klinische Untersuchung. Hierbei ist zu beachten, dass die Leitgeschwindigkeit im Ellenbogenbereich schon normalerweise geringgradig langsamer ist als angrenzend, daher sollten Verlangsamungen entsprechend zurückhaltend beurteilt werden. Je nach Lokalisation der Nervenkompression bestehen unterschiedliche Ursachen für diese: Am Oberarm kann es selten zu einer Druckläsion des N. ulnaris kommen. Dies kann z. B. im Rahmen einer Allgemeinnarkose oder als Schlaflähmung entstehen. Im
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Abb. 5.44. Positives Froment-Zeichen (Schwäche der Adduktion des Daumens an das Zeigefingergrundglied mit kompensatorischer Beugung des Daumens mit dem Medianus-innervierten M. flexor pollicis longus beim Halten eines flachen Gegenstands)
letzteren Fall wird die Kompression dadurch ausgelöst, dass der Arm über die Bettkante oder z. B. über die Lehne einer Parkbank hängt. Die Kompression kann durch den Kopf eines schlafenden Partners („paralysie des amants“) entstehen oder dadurch, dass der Arm im Schlaf in maximaler Beugestellung gehalten wird und auf einer harten Unterlage liegt. Oft besteht diese dann gleichzeitig mit einer Druckläsion des N. medianus. Diese Drucklähmung ist erheblich seltener als die des N. radialis (Parkbanklähmung) oder auch des N. medianus. Wesentlich häufiger besteht eine Ulnariskompression im Ellenbogenbereich. Das so genannte Sulcus-ulnarisSyndrom oder kubitale Ulnarisrinnensyndrom ist nämlich nach dem Karpaltunnelsyndrom das zweithäufigste Nervenkompressionssyndrom der oberen Extremitäten. Begünstigt werden Druckschädigungen im Ellenbogenbereich durch die intraneurale Topographie an dieser Stelle, mit Aufbau aus einem großen Faszikel und nur spärlichem epineuralen Bindegewebe (vgl. Abb. 5.13). Außerdem vermindert bei Beugung im Ellenbogengelenk sich das Lumen im Sulcus ulnaris auf nur etwa die Hälfte und führt hier bei Bewegung zu dauernder mechanischer Belastung des Nervs. Druckläsionen sind die häufigste Ursache noch vor direkten Traumen, primären Läsionen bei Frakturen des Condylus medialis o. Ä. oder operativen Läsionen im Zusammenhang mit der operativen Versorgung ellenbogengelenknaher Frakturen oder Luxationen. Der Nerv kann durch einen Weichteiltumor oder ein Gefäßaneurysma komprimiert werden. Des Weiteren kann eine Druckschädigung durch das Vorhandensein eines M. epitrochleoanconeus bzw. eines straffen Lig. epitrochleoanconeum vorliegen. Seltener besteht eine Kompression durch das Vorhandensein eines Processus supracondylaris bzw. eines Struther-Ligaments. Der N. ulnaris kann auch zwischen den Köpfen des M. flexor carpi ulnaris komprimiert werden. Eine mechanische Irritation des N. ulnaris tritt direkt z. B. durch Aufstützen des Ellenbogens auf eine harte Unterlage bei bestimmten Arbeiten oder auch indirekt durch andauernde Beanspruchung des Ellenbogens durch ge-
häufte Beuge- und Streckbewegungen auf. Dies tritt aber auch als Folge einer Knochen- oder Gelenkverletzung oder im Rahmen osteoarthrotischer Veränderungen auf. Weiter distal am Handgelenk stellt die so genannte „Loge de Guyon“ eine weitere Prädilektionsstelle für eine Kompression des N. ulnaris dar (Abb. 5.45). Die Druckläsion in diesem Bereich kann beispielsweise durch ein Ganglion, seltener auch durch eine Thrombose der A. ulnaris oder einen Weichteiltumor verursacht werden. Weitere Ursachen können eine chronische traumatische Einwirkung (Radfahrerlähmung), eine Tenosynovialitis, eine Osteoarthritis oder eine mechanische Irritation bei zurückliegender Knochen- oder Gelenkverletzung sein. Die Läsion ist häufig am Ausgang des Kanals gelegen. Beim so genannten Piso-Hamate-Hiatus-Syndrom wird der R. profundus n. ulnaris dort, wo er die Loge de Guyon verlässt und in die Tiefe der Hohlhand eindringt, isoliert komprimiert. Hierdurch entsteht eine distale rein motorische Läsion. Differenzialdiagnostisch müssen radikuläre Syndrome C8 und Th1 bzw. eine untere Plexusläsion bedacht werden. Darüber hinaus sollte an intramedulläre Prozesse, Tumoren und Syringomyelie gedacht werden, die auch zu Atrophien der kleinen Handmuskeln und Sensibilitätsstörungen führen können. Letztlich wichtiger ist jedoch die Differenzierung zwischen Sulcus-ulnaris-Syndrom und Loge-de-Guyon-Syndrom. Die Therapie der äußeren Druckparese des N. ulnaris (Schlaflähmung Oberarm) ist zunächst immer konservativ. In den seltenen Fällen der Persistenz der Lähmung trotz Vermeidung des äußeren Drucks sollte (frühestens nach 3 Monaten) der Nerv exploriert und neurolysiert werden. Die Therapie der Engpasssyndrome erfolgt nach exakter Diagnosestellung meist operativ, wobei ein Versuch der konservativen Therapie mit Ruhigstellung auf einer Schiene und evtl. einer antiphlogistischen Begleitmedikation immer vorangestellt werden sollte. Dies gilt insbesondere für das Sulcus-ulnaris-Syndrom, da hier durch die Unterlassung einer eindeutig pathogenen Tätigkeit die Beschwerden oft verschwinden.
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N. ulnaris
Kompression durch Struther-Arkade Sulcus N. ulnaris Syndrom
Loge de Guyon Syndrom
Faszie zwischen M. flexor carpi ulnaris u. M. flexor digitorum superficialis (zus Epicondylus mediale)
Abb. 5.45. Lokalisationen möglicher Kompressionssyndrome im Verlauf des N. ulnaris. A Kompression der StrutherArkade, B Sulcus-n.-ulnaris-Syndrom, C Loge-de-Guyon-Syndrom
Zur operativen Dekompression des N. ulnaris im Sulcus ulnaris erfolgt eine Hautinzision vom Oberarm proximal, knapp hinter dem Epicondylus medialis humeri dorsal leicht konvex verlaufend zum Unterarm. Eine Schnitterweiterung nach proximal oder distal ist entsprechend dem intraoperativen Befund hiermit möglich. Nach Präparation der Haut und des subkutanen Fettgewebes wird das Dach über dem Sulcus dargestellt und längs eröffnet (Abb. 5.46.). Der Nerv wird langstreckig revidiert und auch auf Einengungen proximal (z. B. Struther-Ligament oder Processus supracondylaris) und distal (z. B. Faszienkante des M. flexor carpi ulnaris) geachtet. Bedarfsweise werden diese Einengungen durchtrennt.
Abb. 5.46. Sulcus-ulnaris-Syndrom links. 1 N. ulnaris, 2 Faszie zwischen M. flexor carpi ulnaris und M. flexor digitorum superficialis (zusätzlich Epicondylus medialis)
Der N. ulnaris zeigt intraoperativ häufig eine deutlich sichtbare Einengung und eine prästenotische Auftreibung im Sulcus. In diesen Fällen sollte eine mikrochirurgische Epineurotomie durchgeführt werden. Zur Erhaltung der Durchblutung des N. ulnaris empfiehlt sich bei Vorverlagerung des Nervs diese gefäßgestielt, d. h. unter Schonung der begleitenden Gefäße mit Ausnahme des R. articularis, durchzuführen. Ob diese Verlagerung subkutan oder submuskulär erfolgen soll, wird kontrovers diskutiert. Nach unserem Ermessen reicht die Subkutanverlagerung völlig aus. Wichtig ist darauf zu achten, dass bei der Präparation Gefäße und Muskeläste geschont werden und dass der Nerv bei der Vorverlagerung auch proximal
KAPITEL 5
weit genug vorverlagert wird, um ein Reiten des Nervs auf dem Septum intermusculare brachii mediale zu vermeiden. Alternativ wird die Resektion des Septums empfohlen. Auch kaudal muss weit genug mobilisiert werden, um ein scharfes Abknicken des Nervs bei Ellenbogenbeugung zu vermeiden. Zur Dekompression des N. ulnaris im Handgelenkbereich empfiehlt sich eine mitt-seitliche Inzision am distalen Unterarm ulnarseitig, die sich über das Handgelenk an die Ulnarseite der Mittelhand fortsetzt. Eine Alternative stellt eine Inzision vom Hypothenar über das ulnare Handgelenk zum Unterarm dar, die in Höhe des Handgelenks gebrochen werden kann. Bei der Präparation von Haut und subkutanem Fettgewebe müssen Hautäste des R. palmaris geschont werden. Der N. ulnaris wird meist radial der Sehne des M. flexor carpi ulnaris zunächst proximal der Guyon-Loge präpariert. Diese wird dann eröffnet und der Nerv dargestellt. Falls der R. profundus nach distal dargestellt werden muss, empfiehlt sich seine Präparation über einen Y-förmigen Hautschnitt. In den Fällen, in denen ein Loge-de-Guyon-Syndrom neben einem Karpaltunnelsyndrom besteht, kann über den Hautschnitt für das Karpaltunnelsydnrom auch gleichzeitig die Guyon-Loge gespalten werden.
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A. Berger
Inhalt 6.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 6.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 176 6.1.1.1 Makroskopische Anatomie. . . . . . 176 6.1.1.2 Mikroskopische Anatomie. . . . . . 179 6.1.1.3 Funktion des Plexus brachialis und seiner Endäste. . . . . . . . . . . 181 6.1.2 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 6.1.3 Prinzipien der Diagnostik. . . . . . . . . . . . . 181 6.1.4 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 6.1.5 Prinzipien der Therapie. . . . . . . . . . . . . . 182 6.1.5.1 Das integrative Therapiekonzept nach Berger . . . . . . . . . . . . . . . 182 6.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 183 6.2.1 Posttraumatische Läsionen . . . . . . . . . . . 183 6.2.1.1 Epidemiologie. . . . . . . . . . . . . . 183 6.2.1.2 Pathogenese. . . . . . . . . . . . . . . 184 6.2.1.3 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . 184 6.2.1.4 Diagnostik und Dokumentation . . 186 6.2.1.5 Therapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Primäre nervale Rekonstruktion . . 198 Sekundäre Muskel-Sehnen Umsetzplastiken . . . . . . . . . . . . 206 Adjuvante Eingriffe. . . . . . . . . . . 224 Schmerztherapie . . . . . . . . . . . . 224 6.2.2 Radiogene Plexiti. . . . . . . . . . . . . . . . . 224s 6.2.2.1 Epidemiologie. . . . . . . . . . . . . . 224 6.2.2.2 Pathogenese. . . . . . . . . . . . . . . 224 6.2.2.3 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . 225 6.2.2.4 Diagnostik. . . . . . . . . . . . . . . . 225 6.2.2.5 Therapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Spontanverlauf. . . . . . . . . . . . . 227 Konservative Therapie. . . . . . . . . 227 Operative Therapie. . . . . . . . . . . 227 6.2.3 Kompressionssyndrome im Bereich des Plexus brachialis. . . . . . . . . . . . . . . . 230
KAPITEL 6
Plexus brachialis
6.2.4 Geburtstraumatische Läsionen. . . . . . . . . 6.2.4.1 Epidemiologie. . . . . . . . . . . . . . 6.2.4.2 Pathogenese. . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4.3 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4.4 Diagnostik und Dokumentation . . 6.2.4.5 Therapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . Primärtherapie (bis 6. Lebensmonat). . . . . . . . . . Sekundärtherapie (>2. bis 3. Lebensjahr und später). . . . . . . . Adjuvante Eingriffe. . . . . . . . . . . 6.2.4.6 Was kann erreicht werden? Spontanverlauf. . . . . . . . . . . . . Konservative Therapie. . . . . . . . . Operative Therapie. . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
230 230 230 231 231 231 236 239 241 244 244 245 245
176
Plexus brachialis
6.1 Allgemeines 6.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie 6.1.1.1 Makroskopische Anatomie Der Plexus brachialis wird von den Spinalnerven C5, C6, C7, C8 und Th1 gebildet (Abb. 6.1 a). Der Aufbau der Nervengeflechte kann unterschiedlich sein. Wenn Fasern von C4 den Plexus brachialis mitbilden, spricht man von einem präfixierten Typ. Wenn Fasern von Th2 zum Plexus brachialis führen, wird dies als postfixierter Typ bezeichnet.
Die Spinalnerven (Abb. 6.1 b) entstehen aus dem Zusammenschluss der ventralen und dorsalen Wurzeln. Die ventrale Wurzel beinhaltet motorische Fasern und die dorsale Wurzel sensible Fasern sowie das entsprechende Spinalganglion. Durch das Foramen intervertebrale verlassen die Wurzeln bzw. der Spinalnerv den Wirbelkanal. Nach Austritt der Spinalnerven aus den Foramina intervertebralia geben die ventralen Äste den R. muscularis zur autochtonen Halsmuskulatur und die Rr. communicantes albi (präganglionäre sympathische Fasern) zu den sympathischen Ganglien ab. Sie erhalten von diesen so genannten Rr. communicantes grisei (postganglionäre sympathische Fasern). C5 und C6 bekommen Fasern vom mittleren zervikalen Ganglion, C7, C8 und Th1 von zervikothorakalen Ganglien. Postganglionäre Fasern werden hauptsächlich über C7, C8 und Th1 dem Plexus brachialis zugeführt. Diese sympathischen Fasern sind für Vasokonstriktion und Schweißdrüsenstimulation verantwortlich. Von gewisser Bedeutung sind auch die zervikalen sympathischen Fasern von C8 and Th1, die den N. trigeminus zur Orbita begleiten, wo sie zu ziliaren Nerven werden. Diese Fasern versorgen den M. tarsalis superior (Müller-Muskel) und den M. dilatator pupillae. Läsionen im Bereich der Spinalnerven führen zu charakteristischen klinischen Symptomen.
Unterbrechungen im Bereich des R. communicans, z. B. durch Avulsion der C8- und Th1-Wurzeln führt zu den charakteristischen klinischen Befunden • der Ptosis (Ausfall des M. tarsalis superior), • des Enophthalmus (Vortäuschung durch Verengung der Lidspalte) und • der Miosis (Ausfall des M. dilatator pupillae), zusammen bekannt als Claude-Bernhard-HornerSyndrom (Abb. 6.2 a,b).
KAPITEL 6
Eine Läsion des R. muscularis führt zu einer Atrophie der autochtonen Halsmuskulatur. Dies kann als indirektes radiologisches (Computertomographie/CT oder Magnetresonanztomographie/MRT) Zeichen einer wurzelnahen Läsion diagnostisch genutzt werden (Abb. 6.3 a,b). Letztendlich wird der Plexus brachialis erst durch die jeweiligen Rr. ventralis gebildet. Diese verbinden sich zuerst zu Primärsträngen oder Trunci. Der Truncus superior entsteht aus den Rr. ventralis der Spinalnerven C5 und C6. Der Truncus medius bildet sich nur aus C7, und die Rr. ventralis von C8 und Th1 vereinigen sich zu dem Truncus inferior. Die Trunci teilen sich in ventrale und dorsale Äste, die sich zu Sekundärsträngen oder Fasciculi umordnen. Diese liegen in charakteristischer Weise um die A. axillaris angeordnet. Der Fasciculus posterior (C5 bis Th1) wird aus allen 3 dorsalen Ästen der Primärstränge gebildet. Die ventralen Äste des Truncus superior und des Truncus medius bilden den Fasciculus lateralis (C5 bis C7) und der ventrale Ast des Truncus inferior den Fasciculus medialis (C8 bis Th1). Topographisch teilt man den Plexus brachialis in einen supraklavikulären und einen infraklavikulären Teil. Im Bereich des supraklavikulären Teiles werden kurze Äste zu den Mm. scaleni (C5 bis C8) und zum M. longus colli (C5 bis C8) abgegeben. Durch den N. dorsalis scapulae werden der M. levator scapulae und die Mm. rhomboidei versorgt, durch den N. thoracicus longus (C5 bis C7) der M. serratus anterior. Beide Nerven durchbohren in ihrem Verlauf den M. scalenus medius. Der N. suprascapularis kommt als erster großer Ast aus dem Truncus superior und verläuft durch die Incisura scapulae zu den Mm. supra- et infraspinatus. Infraklavikulär entspringen aus dem lateralen und medialen Faszikel die Nn. pectorales (C5 bis Th1) und innervieren die Mm. pectoralis major et minor. Aus dem Fasciculus posterior zweigt infraklavikulär der N. subscapularis ab und versorgt den M. subscapularis. Die Mm. teres major et latissimus dorsi werden von dem N. thoracodorsalis innerviert. Die Faszikel teilen sich im weiteren Verlauf in die langen Armnerven. Der Fasciculus lateralis teilt sich in den N. musculocutaneus (C5 bis C7) und in die laterale Wurzel des N. medianus (C5 bis C7). Der Fasciculus medialis teilt sich in den N. ulnaris (C8 bis Th1), in die mediale Wurzel des N. medianus (C8 bis Th1), N. cutaneus brachii medialis (C8 bis Th1) und in N. cutaneus antebrachii medialis (C8 bis Th1). Der Fasciculus posterior geht in den N. axillaris (C5 bis C6) und in den N. radialis (C5 bis Th1) über.
KAPITEL 6
Plexus brachialis
177
Rr. musculares
C4
N.phrenicus
kurze dorsale Äste
IV
N. dorsalis scapulae N. suprascapularis V
kurze ventrale Äste N. subclavius Fasciculus infraclavicularis radialis Fasciculus infraclavicularis dorsalis
Nn. thoracici ventrales
VI
VII
Fasciculus infraclavicularis ulnaris I
C5 C6 Fasciculus supraclavicularis cranialis C7 Fasciculus supraclavicularis medius C8 Fasciculus supraclavicularis caudalis Th1
II
lange Stämme N. axillaris N. intercostalis I N. musculocutaneus N. medianus N. radialis N. cutaneus antebrachii ulnaris
N. intercostalis II
N. ulnaris N. cutaneus brachii ulnaris N. intercostobrachialis
N. thoracodorsalis N. subscapularis N. thoracicus longus
a
kurze dorsale Äste dorsale Wurzeln ventrale Wurzeln spinales Ganglion
posteriorer primärer Ast anteriorer primärer Ast
Ramus communicans griseus Ramus communicans albus
b
sympathisches Ganglion
Abb. 6.1. a,b. Makroskopische Anatomie des Plexus brachialis. a Normvariante. b Anatomie des N. spinalis und dessen klinische Bedeutung
178
Plexus brachialis
Ggl. ciliare
Hypothalamus
IV
KAPITEL 6 Auge
Schweißdrüsen
C3–Th2
Kopf
Ggl. stellatum Gefäße
I II
a
Hals Arm
III
Brust
Centrum ciliospinale
Abb.. 6.2. a,b. Claude-Bernard-Horner-Syndrom. a Schema. b Klinisches Bild
a
b
b
Abb.. 6.3. a,b. Atrophie der autochtonen Halsmuskultur bei wurzelnaher Schädigung. a Ausriss (präganglionär). b Abriss (postganglionär)
KAPITEL 6
periphere Nerven
Plexus brachialis
Sekundärstämme (Fasciculi) D=dorsal M=medial L=lateral
N. axillaris (C5/6)
N. suprascapularis (C4/5/6)
N. radialis (C5/6/7/8)
Verzweigungen V= vordere H=hintere
179
Primärstämme Zuzug von C4
N. dorsalis scapulae (C4/5)
C5
C6 N. thoracodorsalis (C6/7/8)
N. subscapularis sup. et inf. (C5/6/7/8)
C7
N. musculocutaneus (C5/6/7) C8
N. medianus (C6/7, Th1) N. ulnaris (C6/7/8, Th1) N. cut. antebrachii medialis (C8, Th1)
Th1
N. pectoralis N. pectoralis lat.(C5/6/7) med.(C8/Th1)
N. thoracicus longus (C5/6/7)
N. cut. brachii medialis (Th1/2)
Abb.. 6.4. Mikroskopische Anatomie (Faszikelverteilung) des Plexus brachialis
Tabelle 6.1. Durchschnittliche Anzahl der myelinisierten Fasern im Bereich des Plexus brachialis. (Mod. nach Bonnel) Plexus brachialis
118.047 (85.566–166.214)
C5
16.472
C6
27.421
C7
23.781
C8
30.626
T1
19.7747
Schultergürtelbereich
31.979
N. axillaris
6547
N. musculocutaneus
5023
N. radialis
15.964
N. medianus
15.915
N. ulnaris
14.161
N. phrenicus C4
C5 N. suprascapularis C6 N. axillaris N. axillaris
C7
N. radialis N. radialis N. musculocutaneus N. medianus N. ulnaris
C8
N. musculocutaneus N. medianus
N. medianus
N. ulnaris N. cut. brachii medialis
Th1
Th2
6.1.1.2 Mikroskopische Anatomie Die intraneurale Anordnung des Plexus brachialis wechselt in Intervallen, die kleiner als 1 cm sind, wodurch es im weiteren Verlauf schwierig ist, die aktuell bestehende intraneurale Faszikelanordnung zu bestimmen. Obwohl die Hauptfaszikel eine ungefähr konstante intraneurale
Abb. 6.5. Funktionelle Einteilung nach Alnot in eine anteriore (Flexoren-) und posteriore (Extensoren-) Aufzweigung (SS N. suprascapularis, R N. radialis, MC N. musculocutaneus, C N. ulnaris, M N. medianus, Ĉ N. axillaris)
180
Plexus brachialis
KAPITEL 6
Funktionen Schulteradduktion/-abduktion Schulteraußenrotation Schulterflexion/-extension Schulteradduktion/-abduktion Diaphragma Ellenbogenflexion Pronation, Supination radiale Beugung/-streckung Nerven
Wurzeln
C4
C5
N. phrenicus Diaphragma N. accessorius Trapezius Rhomboidei N. dors. scapulae N. thorac. longus N. subclavius Pars supraclavicularis
N. suprascapularis Ansa pectoralis Nn. pectoralis lat. et med. Nn. subscapulares
Fingerflexion Daumenflexion radiale intrinsische Funktion ulnare HG-Flexion
Thenarfunktion
C7
C8
Th1
C6
Serratus anterior Subclavius Supraspinatus Infraspinatus Pectoralis minor Pectoralis major (Pars claviculares) Pectoralis major (Pars sternales) Teres major Subscapularis
N. thoracodors. N. axillaris
Pronation Daumenopposition Ellenbogenstreckung radiale HG-Streckung
Latissimus dorsi Deltoideus Teres major Triceps brachii Brachioradialis Supinator Entensor carpi radialis longus et brevis
Fasciculus posterior N. radialis
Fasciculus lateralis
N. musculocutaneus
Entensor indicis Extensor digiti minimi Extensor carpi ulnaris Abductor pollicis longus Extensor carpi radialis longus Extensor carpi radialis brevis Coracobrachialis Biceps brachii Brachialis Pronator teres Palmaris longus Palmaris brevis Flexor digitorum superficialis
N. medianus
Flexor digitorum profundus Flexor pollicis longus Pronator quadratus Abductor pollicis brevis Opponens pollicis Flexor pollicis brevis Lumbricales II, III
Fasciculus medialis
Flexor carpi ulnaris Flexor digitorum profundus IV, V N. ulnaris
Adductor pollicis Flexor pollicis brevis Abductor digiti minimi Opponens digiti minimi Flexor pollicis brevis (Caput profundum) Interossei Lumbricales
Abb. 6.6. Kernsäulen auf Rückmarksebene und segmentale Versorgung der Muskulatur (Markierung der so genannten Kennmuskeln – Schliak)
KAPITEL 6
Position haben, wird es durch die zahlreichen Variationen des Plexus brachialis unmöglich gemacht, eine universelle topographische Karte aufzustellen. Einige Information über die intraneurale Topographie konnten durch mikroskopische Studien gewonnen werden (Abb. 6.4). Der menschliche Plexus brachialis enthält 100.000– 160.000 Nervenfasern (Tabelle 6.1). Die meisten Faszikel beinhalten motorische und sensible Fasern, nur wenige enthalten ausschließlich motorische oder sensible Nervenfasern. Die Nerven bestehen zu einem großen Teil aus Bindegewebe, dessen Dichte von proximal nach distal zunimmt. Dieses Bindegewebe dient primär dem mechanischen Schutz des Plexus.
6.1.1.3 Funktion des Plexus brachialis und seiner Endäste
Plexus brachialis
181
6.1.2 Ätiologie Erworbenen Läsionen des Plexus brachialis (Tabelle 6.2) können folgende Ursachen haben: • Entzündung, • akutes Trauma (posttraumatische Läsionen des Erwachsenen und von Kindern sowie geburtstraumatisch), • chronische Schädigungen durch Kompression (Thoracic-outlet-Syndrom), • Bestrahlung oder • Tumor (primär oder sekundär).
6.1.3 Prinzipien der Diagnostik
Die Bestimmung der segmentalen Zuordnung der peripheren Nerven und Muskeln hat sich für Anatomen und Kliniker als eine schwierige Aufgabe erwiesen. Eine Vielfalt an Aussagen über die segmentalen Ursprünge der Nerven und die Innervation der Muskeln ist das Ergebnis empirischer Methoden. Die Flexoren der oberen Extremität werden von den ventralen Ästen der Trunci, des Fasciculus lateralis, medialis und den peripheren Nerven, die aus ihnen hervorgehen, versorgt. Die Extensoren der oberen Extremität werden durch die dorsalen Anteile der Trunci, des Fasciculus posterior und der peripheren Nerven, die aus ihnen hervorgehen, innerviert (Abb. 6.5). Der Weg der Spinalnerven durch den Plexus brachialis ist durch die eng miteinander verflochtenen Nervenfasern nicht klar erkennbar. Da es fast unmöglich ist, den Verlauf eines einzelnen Nervens durch das Labyrinth des Plexus brachialis zu verfolgen, stammt die Kenntnis der segmentalen Zuordnung aus klinischer Beobachtung. Bei der Diagnose und Lokalisation einer Nervenläsion des Plexus brachialis müssen daher diese anatomischen Besonderheiten beachtet werden (vgl. Abb. 6.4, Abb. 6.6).
Für eine möglichst exakte Schadenserfassung dient uns ein standardisiertes diagnostisches Vorgehen. Zur Basisuntersuchung gehören Allgemeinanamnese, klinische und apparative Untersuchungen. Die apparative Diagnostik umfasst Röntgenaufnahmen, Elektromyographie (EMG), Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG), Myelographie, MRT und Arthro-CT. Foto- und Videoaufnahmen können zur Dokumentation des Behandlungserfolges sehr hilfreich sein und sollten deshalb ebenfalls angeordnet werden. Es ist zu empfehlen, dass alle Patienten bis zur Entscheidung für eine bestimmte Therapie (Zeitraum von 3–6 Monaten) monatlich vorgestellt werden. Nach Durchführung der operativen Revision oder der Entscheidung zu konservativen Maßnahmen sollte ein strenger Untersuchungsplan in Form von 3-monatlichen Kontrolluntersuchungen bis zur Entscheidung über eventuelle weitere funktionsverbessernde Operationen eingehalten werden. Nach Abschluss der Sekundärtherapie empfehlen wir eine jährliche Vorstellung.
Tabelle 6.2. Eigenes Patientengut der Klinik für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Schwerverbranntenzentrum der Medizinischen Hochschule und INI Hannover (1981–2006) Ätiololgie
Patientenzahl
(Frühzeitige) mikrochirurgische Exploration/Revision
Sekundäre Ersatzoperationen
Tertiäre Eingriffe
Posttraumatisch
1218
689
347
38
Geburtstraumatisch
420
212
184
11
Radiogen
56
22
9
0
Thoracic-outlet-Syndrom
24
11
4
1
Sonstiges
4
4
2
2
Insgesamt
1722
938
546
52
182
Plexus brachialis
6.1.4 Klassifikation (Siehe Abschn. 6.2.1.3)
6.1.5 Prinzipien der Therapie Für Diagnostik und Therapie von Läsionen im Bereich der Hirnnerven und der peripheren Nerven (Plexus brachialis und dessen terminale Endäste) verwenden wir ein so genanntes „integratives Therapiekonzept“, welches neben der unmittelbar nach der Verletzung einsetzenden krankengymnastischen Behandlung und eventuellen elektrotherapeutischen Behandlung den Erhalt der Endorgane, die Nervenrekonstruktion, wenn nötig, sekundäre Muskelersatzoperationen und (tertiäre) adjuvante Eingriffe umfasst. Die Therapiedauer beträgt unabhängig von der gewählten Primärtherapie (konservativ vs. operativ) etwa 3–5 Jahre. Während dieser Zeit ist eine physiotherapeutische Basistherapie – in unterschiedlicher Form und Intensität – fortzuführen. Unabdingbare Voraussetzungen für eine erfolgreiche primäre oder sekundäre Wiederherstellung der Funktion sind stabile knöcherne Verhältnisse, ein gut durchblutetes narbenfreies Transplantatlager und freie passive Gelenkbeweglichkeit.
Nur durch eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit kann ein optimales Therapieergebnis erreicht werden. Mitglieder des Therapieteams sind neben dem Chirurgen (Plastische Chirurgie, Neurochirurgie, Orthopädie), dem Neurologen und dem Neuro-Pathologen der Hausarzt („Drehscheibe“). Wichtig sind auch Physiotherapeuten (Krankengymnastik, Ergotherapie u. a.) und in besonderen Fällen die anästhesiologische Schmerzambulanz (bei Deafferenzierungsschmerzen oder Kausalgien) sowie Sozialdienste/Arbeitsamt/Berufsgenossenschaft (berufliche Rehabilitation bzw. Wiedereingliederung), Orthopädietechniker (Hülsen- und Schienenapparate), Psychotherapeuten und PatientenSelbsthilfegruppen. Der stetige Informationsaustausch innerhalb des Teams ist von Wichtigkeit. Ein optimales Behandlungsergebnis kann nur dann erreicht werden, wenn alle Mitglieder des Therapieteams lückenlos zusammenarbeiten. Besondere Bedeutung hat die prä- und postoperative Physiotherapie.
KAPITEL 6
6.1.5.1 Das integrative Therapiekonzept nach Berger Das integrative Therapiekonzept (Berger et al. 1991, Tabelle 6.3) beginnt nach der Nervenläsion mit Physiotherapie und eventueller Elektrotherapie unter Beachtung von ggf. bestehenden verletzungsbedingten zusätzlichen Läsionen. Endorgane (Muskel) und Gelenke sollten im guten Zustand erhalten werden. Der nervalen Rekonstruktion durch spontane Regeneration oder frühzeitige mikrochirurgische Rekonstruktion wird höchste Priorität gegeben. Bei Ausbleiben der Spontanregeneration oder inadäquater Spontanregeneration können durch Neurolyse, direkte spannungsfreie Naht (in seltenen Fällen) und Nerventransplantation in der Regel die besten funktionellen Ergebnisse erzielt werden. Die wiedergewonnenen motorischen Funktionen werden umso erfolgreicher eingesetzt, je besser die Sensibilität im Handbereich („taktile Gnosis“) erreicht werden kann.
Tabelle 6.3. Das „integrative Therapiekonzept“ bei Läsionen peripherer Nerven (Berger, Millesi) 1) Präoperative Physiotherapie (Erhalt der Muskelmaße) 2) Nervenrekonstruktion (0–6–12 Monate) Neurolyse direkte spannungsfreie Koaptation Nerventransplantation 3) Muskel-/Sehnentransposition (24–36 Monate) monopolar/bipolar monoartikulär/polyartikulär Freier funktioneller mikrochirurgischer Muskeltransfer einzeitig mehrzeitig 4) Adjuvante Eingriffe Schmerztherapie Botulinumtoxin Tenodese Kapsulodese Arthrodese orthetische Hilfsmittel (Schiene, Hülsenapparate) Notwendige Voraussetzungen stabile knöcherne Verhältnisse gutes Transplantatlager freie passive Gelenkbeweglichkeit (Physiotherapie)
KAPITEL 6
Plexus brachialis
Tabelle 6.4. Besonderheiten der Muskel-/Sehnenumsetzung bei Patienten mit Plexus-brachialis-Läsion 1. Nur Muskeln mit einer Kraftentwicklung >M3 sind für eine Transposition geeignet 2. Wegen einer beeinträchtigten Innervation können die umgesetzten Muskeln oft nur unergonomisch eingesetzt werden, was bei der Auswahl des Operationsverfahrens zu bedenken ist 3. Aufgrund der höheren Fibroserate, der geringeren Muskelmasse und der beeinträchtigten Innervation sind regenerierte Muskel weniger widerstandsfähig
Darüber hinaus nimmt auch die Anzahl der für sekundäre motorische Ersatzoperationen zur Verfügung stehenden Muskeln zu. Liegt zum Zeitpunkt der Nervenläsion kein Nervendefekt vor, sollte, vorausgesetzt der Allgemeinzustand des Patienten erlaubt es, wenn immer möglich, eine spannungsfreie primäre Nervennaht durchgeführt werden.
! Es ist auf eine anatomisch korrekte Koaptation der Nervenbahnen zu beachten, um eine Mischinnervation zu vermeiden.
In den anderen Fällen erfolgt die Versorgung der Nervenläsion sekundär nach 3 bis maximal 6 Monaten. Defekte werden meist durch autologe Nerventransplantate, in der Technik nach Millesi/Berger, überbrückt. Da die funktionellen Ergebnisse nach Nerventransplantation 6 Monate nach dem Unfall aufgrund einer Endorganschwäche in den reinnervierten Muskeln deutlich schlechter werden, muss die nervale Rekonstruktion Priorität gegenüber sekundären traumatologischen Eingriffen haben. Eine nervale Rekonstruktion mit dem Ziel der Verbesserung der Motorik sollte abhängig von der Entfernung zwischen dem Ort der Läsion und dem Muskel nicht später als 12, maximal 18 Monate (schulternahe Muskulatur) durchgeführt werden. Soll nur eine Verbesserung der (protektiven) Sensibilität erreicht werden, kann eine nervale Rekonstruktion auch noch nach 24–36 Monaten vorgenommen werden. Bei allen mikrochirurgischen Nervenkoaptationen ist eine postoperative Ruhigstellung für 10 Tage obligat. Sehnen- und/oder Gelenkeingriffe sollen nie gleichzeitig durchgeführt werden. Übungsstabilität im Bereich der Nervennaht besteht nach 3 Wochen. Durch einfache oder multiple Sehnenumsetzplastik(en) kann eine spezifische Bewegungsform wiederhergestellt oder verstärkt (augmentiert) werden. Sehnentranspositionen können monopolar, d. h. nur eine Insertion wird verändert, und bipolar, d. h. Ansatz und Insertion werden abgelöst und neu inseriert, durchgeführt werden. Sie können ein (monoartikulär) oder mehrere (polyartikulär) Gelenke bewegen. Sekundäre Ersatzoperationen werden im allgemeinen 1/1 2–3 Jahre nach
erfolgter Nervenrekonstruktion durchgeführt. In seltenen Fällen kann die Sehnentransposition auch gleichzeitig mit der Nervenrekonstruktion erfolgen. Zum Beispiel hat sich bei einer Läsion des N. radialis (Oberarmsegment) bei über 50 Jahre alten Patienten ein derartiges Vorgehen bewährt. Stehen bei ausreichender Innervation keine Muskel-Sehnen-Gruppen für die Transposition zur Verfügung (direkte Muskelschädigung, Muskeldegeneration bei Denervationszeit >2–3 Jahre) kann eine freie mikrovaskuläre funktionelle Muskeltransplantation durchgeführt werden. Fehlt eine ausreichende Innervation, kann mit Hilfe eines mehrzeitigen Vorgehens ein Nerventransplantat vorgelegt werden, um dann bei ausreichender Axonzahl im Bereich des distalen Transplantatstumpfes eine freie mikrovaskuläre Muskeltransplantation vorzunehmen (Tabelle 6.4). Die bisher genannten Rekonstruktionsverfahren können durch adjuvante Eingriffe zu jedem Zeitpunkt der Therapie oft funktionell deutlich verbessert werden. Neben der Möglichkeit der Tenodese und Kapsulodese sollte auch die Arthrodese in den Therapieplan einbezogen werden. Orthetische Hilfsmittel und Orthesen sowie myoelektrische Prothesen können die Funktion der gesamten Extremität verbessern. Zur Therapie von Kokontraktionen kann die intramuskuläre Injektion von Botulinumtoxin erfolgreich eingesetzt werden.
6.2 Spezielle Techniken 6.2.1 Posttraumatische Läsionen 6.2.1.1 Epidemiologie Pro Jahr ereignen sich in Deutschland etwa 1000–1500 posttraumatische Läsionen des Plexus brachialis. In den meisten Fällen handelt es sich um Motorradunfälle. Durch die Einführung der Helmtragepflicht konnte zwar ein deutlicher Rückgang der schweren Schädel-HirnTraumata mit tödlichem Ausgang erreicht werden, aber keine Verringerung des Anteils an schweren Läsionen des Plexus brachialis.
183
184
Plexus brachialis
KAPITEL 6 Abb. 6.7. Typischer Unfallmechanismus der posttraumatischen Läsion des Plexus brachialis durch Sturz vom Motorrad (88–92%)
6.2.1.2 Pathogenese Traumatische Verletzungen des Plexus brachialis sind durch Traktion, durch Kompression oder durch eine Kombination beider Verletzungsmechanismen verursacht (Abb. 6.7). Direkt Verletzungen, wie Stich- und Hiebverletzungen sind selten. So lang das knöcherne Skelett intakt ist, sind die Weichgewebe vor longitudinaler Traktion relativ gut geschützt. Bei einer Fraktur oder einer Subluxation der Schulter wird der Plexus brachialis einer longitudinalen Traktion ausgesetzt. Der schwächste Punkt im Verlauf des Plexus brachialis sind die Wurzeln. Dies bedeutet, dass eine nur longitudinal gerichtete Traktion zu einem Wurzelausriss führen kann. Der Wurzelausriss kann präganglionär erfolgen, wobei eine Wiederherstellung der Kontinuität nicht möglich ist. Bei infraganglionären Läsionen, also einem Abriss des Spinalnervens, entsteht ein Neurom, d. h. ein proximaler Stumpf ist vorhanden, an dem Transplantate angeschlossen werden können. Wenn der Arm in kaudale Richtung gezogen wird sind die oberen Wurzeln (C5, C6) der stärksten Traktion ausgesetzt. Bei Zug in lateraler Richtung wird die C7-Wurzel besonders belastet. Wenn der Arm, nach kranial gezogen wird, müssen die unteren Wurzeln (C8, Th1) dem Zug Widerstand leisten.
Zusätzlich kann der Plexus brachialis bei einem Trauma, das die Schulter in kraniokaudaler Richtung bewegt, zwischen Klavikula und 1. Rippe komprimiert werden. Auch bei einer Fraktur der Klavikula, des Processus coracoideus oder eines Processus transversus kann der Plexus bra-
chialis durch ein knöchernes Fragment komprimiert werden. Große Hämatome oder Ödeme verursachen oft eine Kompression des Plexus brachialis gefolgt von schwerer Fibrose. Eine Kombination aus Kompression und Traktion entsteht beispielsweise, wenn der Plexus brachialis zwischen Klavikula und 1. Rippe komprimiert und gleichzeitig der Kopf zur Gegenseite bewegt wird. Hierdurch werden die zentralen Anteile des Plexus brachialis elongiert. Um die lateralen Anteile des Plexus brachialis zu elongieren, kann umgekehrt nach Fixierung des Plexus zwischen Klavikula und 1. Rippe der Arm nach lateral gezogen werden.
6.2.1.3 Klassifikation Posttraumatische Plexusläsionen können klassifiziert werden nach der Lokalisation (unilateral/bilateral), Ausprägung (obere Armplexusläsion, erweiterte obere Armplexusläsion, annähernd komplette Lähmung, komplette Lähmung) und Schwere der Nervenschädigung (Nervenschädigung Grad I–V nach Sunderland, bzw: I–VI nach Dellon). Die Schwere der Nervenläsion kann erst aufgrund mehrmaliger klinischer (und elektrophysiologischer) Untersuchungen angegeben werden. Einen entscheidenden Einfluss auf die Prognose der Wiederherstellung haben zusätzliche Knochen- und/oder Weichteilschädigungen (offene Verletzung vs. geschlossene Verletzung) und Gefäßverletzungen. Unterschieden muss auch werden ob es sich um eine isolierte Schädigung des Plexus brachialis oder eine Schädigung im Rahmen einer Mehrfachverletzung (Polytrauma) handelt (Tabelle 6.5).
KAPITEL 6
Plexus brachialis
Tabelle 6.5. Eigene Klassifikation der posttraumtischen Läsionen des Plexus brachialis Lokalisation unilateral bilateral Ausdehnung der Schädigung (und fehlende Funktion) Obere Armplexuslähmung (C5/C6: Erb-Lähmung)
Schulterabduktion/Außenrotation Ellenbogenbeugung
Erweiterte obere Armplexuslähmung (C5/C6/C7)
+ Ellenbogenstreckung + Handgelenks- und Fingerstrecker
Annähernd komplette Lähmung (C5/C6/C7/C8)
+ Handgelenksbeugung + Fingerbeugung DI, DII
Komplette Lähmung (C5 bis Th1)
+ Fingerbeugung DIII bis V + Intrinsic-Funktion
Inkomplette Lähmung nach Regeneration (nichtklassifizierbare Mischformen) Schwere der Nervenschädigung Sunderland
Seddon
I
Neuropraxie
II III
Axonotmesis
IV V Ausmaß der Gesamtverletzung Monotrauma Polytrauma Mitbestehende Knochen-Weichteil-Schädigung mitbestehende Gefäßverletzung mitbestehende knöcherne Verletzung offene vs. geschlossene Verletzung
Neurotmesis
185
186
Plexus brachialis
6.2.1.4 Diagnostik und Dokumentation Für eine möglichst exakte Schadenserfassung dient uns ein standardisiertes diagnostisches Vorgehen (Tabelle 6.6). Wenn es bei einem Polytrauma auch zu einer Läsion des Plexus brachialis kommt, muss das oben genannte standardisierte diagnostische Vorgehen in das Diagnostik- und Therapieschema bei Polytrauma integriert werden. Das computergestütze Plexus-brachialis-Evaluationssystem (PES; Hierner et al. 2000) wird seit mehreren Jahren eingesetzt. Das PES wurde aufgrund eigener klinischer Erfahrungen und einer Durchsicht der Literatur erstellt. Einige der im PES aufgeführten Vorschläge zur Erhebung der Untersuchungsbefunde sind bereits in unterschiedlichen Kombinationen und Gewichtungen in klinischer Anwendung (Medical Research Council, Narakas, Seddon). Mit dem PES sollen diese Anwendungen als Kompendium zur Vereinheitlichung der Diagnostik und zur Optimierung des Behandlungsschemas bei posttraumatischen Plexus-brachialis-Läsionen vorgestellt werden (vgl. Tabelle 6.6). Bei der Erstuntersuchung einige Tage bis Wochen nach Trauma wird eine detaillierte Allgemeinanamnese erhoben. Zusätzlich erfolgt eine klinische Untersuchung, welche durch apparative Untersuchungen ergänzt wird. Die standardisierte klinische Untersuchung, die sich bis zum 6. (spätestens 9.) posttraumatischen Monat monatlich wiederholt, beinhaltet: • die subjektive Bewertung von Beschwerden (Schmerzskala 0–10), • Wetterfühligkeit und Kälteempfindlichkeit, • die Sensibilitätstestung im Unterarm- und im Handbereich (radial und ulnar), • die Untersuchung der aktiven und passiven Gelenkbeweglichkeit von Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenk sowie der Hand mit Hilfe der Neutral-Null-Methode und • die Beurteilung der Muskelkraft jedes einzelnen Muskels der oberen Extremität nach der Klassifikation des Medical Research Councils (MRC). Foto- und Videodokumentation sind sehr hilfreich und sollten ebenfalls zur Erstuntersuchung und danach vierteljährlich wiederholt werden. Ab dem 3. posttraumatischen Monat können fakultativ zur Unterstützung und Sicherung der Diagnose und der Einschätzung des Schädigungsausmaßes EMG/NLG, Myelographie/Myelo-CT und MRT vor evtl. geplanter Exploration des Plexus brachialis angefertigt werden.
KAPITEL 6
Zwischen dem 3. und 6. posttraumatischen Monat sollte die Entscheidung für oder gegen die frühzeitige mikrochirurgische Exploration des Plexus brachialis getroffen werden. Bei der operativen Revision des Plexus brachialis werden • direkte Nervenstimulation, • Gewebeentnahmen aus dem Bereich der proximalen Nervenstümpfe und • eine Fotodokumentation routinemäßig durchgeführt. Abhängig von den apparativen Möglichkeiten sollten neben den somatosensorisch evozierten Potenzialen (SEP) auch motorisch evozierte Potenziale (MEP) abgeleitet werden (Tabelle 6.7). Postoperative Befunde werden nach 6 Wochen, 6, 9, 12 Monaten und dann im halbjährlichen Abstand erhoben. Zusätzlich zu der oben beschriebenen klinischen Untersuchung erfolgt die Kontrolle der Wundheilung. Jährliche Foto- und fakultative Videodokumentationen sind wiederum hilfreich. Ab dem 24. postoperativen Monat können vor geplanten funktionsverbessernden sekundären Ersatzoperationen (Muskel-Sehnen-Transfer) Röntgenaufnahmen, EMG/NLG und evtl. eine ArthroCT-Untersuchung durchgeführt werden. Man achte auf Achsenfehlstellungen, knöcherne Defekte, Bruchheilungsstörungen, arthrotische Veränderungen und Gelenkfehlstellungen (Subluxationen, Luxationen). Vor geplantem Muskel-Sehnen-Transfer wird die Muskelkraft nach der Klassifikation des MRC beurteilt. Hat man sich aufgrund einer guten Spontanregeneration bis zum 6. posttraumatischen Monat zur konservativen Therapie der Läsion des Plexus brachialis entschieden, sollten bis zum 18. posttraumatischen Monat vierteljährlich, danach halbjährlich Kontrolluntersuchungen stattfinden. Diese beinhalten die klinische Untersuchung sowie eine Foto- und evtl. Videodokumentation (6-monatiger Abstand). Ab dem 24. posttraumatischen Monat können, falls funktionelle und/oder ästhetische Beeinträchtigungen aufgetreten sind, vor dem geplanten Muskel-Sehnen-Transfer Zusatzuntersuchungen wie EMG/NLG, Röntgen und Muskeltestung nach der MRCKlassifikation durchgeführt werden. Die Erhebung der Kenndaten beinhaltet neben den persönlichen Daten des Patienten, wie Name, Geburtsdatum, Adresse und Telefonnummer, auch die Erfassung von Anschriften und Telefonnummern des Therapieteams. Wegen der komplexen Therapie ist eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit anzustreben, um ein optimales Therapieergebnis für den Patienten zu erreichen.
KAPITEL 6
Plexus brachialis
Tabelle 6.6. Plexus Evaluations System (PES) A
Kenndatenerhebung
B
Allgemeinanamnese
C
Untersuchungsbefunde (Erstvorstellung)
D
Untersuchungsbefunde (3. posttraumatischer Monat)
E
Untersuchungsbefunde (6. posttraumatischer Monat)
F
Untersuchungsbefunde (9. posttraumatischer Monat) Prozedere?
Primäre Nervenrekonstruktion
Keine primäre Nervenrekonstruktion
G
intraoperative und histologische Befunde
H
postoperative Befunde (6. Woche)
I
postoperative Befunde (6. Monat)
I‘
Untersuchungsbefunde (12. postraumatischer Monat)
J
postoperative Befunde (9. Monat)
J‘
Untersuchungsbefunde (15. postraumatischer Monat)
K
postoperative Befunde (12. Monat)
K‘
Untersuchungsbefunde (18. postraumatischer Monat)
L
postoperative Befunde (18. Monat)
L‘
Untersuchungsbefunde (24. postraumatischer Monat)
M
postoperative Befunde (24. Monat)
M‘
Untersuchungsbefunde (30. postraumatischer Monat)
N
postoperative Befunde (30. Monat)
N‘
Untersuchungsbefunde (36. postraumatischer Monat)
O
postoperative Befunde (36. Monat)
O‘
Untersuchungsbefunde (42. postraumatischer Monat)
P
postoperative Befunde (42. Monat)
P‘
Untersuchungsbefunde (48. postraumatischer Monat)
Q
postoperative Befunde (48. Monat)
Q‘
Untersuchungsbefunde (54. postraumatischer Monat)
R
postoperative Befunde (54. Monat)
R‘
Untersuchungsbefunde (60. postraumatischer Monat)
S
postoperative Befunde (60. Monat)
S‘
Untersuchungsbefunde (66. postraumatischer Monat)
187
188
Plexus brachialis
KAPITEL 6
Tabelle 6.7. Untersuchungsplan („master sheat“) Zeitpunkt
C
D
E
F
Untersuchungsbefunde E 3 6 >6 (posttraumatische Denervierungszeit in Monaten) Untersuchung Anamnese Klinische Untersuchung Fotodokumentation Videodokumentation Röntgen EMG/NLG Myelographie/Myelo-CT MRT
* * * (*) *
Primäre Nervenrekonstruktion Primäre Nervenrekonstruktion Zeitpunkt G Intraoperative Befunde
Untersuchung Klinische Untersuchung Fotodokumentation Videodokumentation Röntgen EMG/NLG Exploration MEP SEP Histologie Muskel-Grading Keine primäre Nervenrekonstruktion Zeitpunkt
Untersuchung Klinische Untersuchung Fotodokumentation Videodokumentation Röntgen EMG/NLG Muskel-Grading
* * (*) * (#) (#) (#)
* * (*)
* * (*)
(#) (#) (#) (#) (#) (#) Prozedere? Keine primäre Nervenrekonstruktion
H I J K Postoperative befunde
L
M
N
O
P
Q
R
S
1,5. 6. 9. 12. (Monate postoperativ)
18.
24.
30.
36.
42.
48.
54.
60.
*
*
*
*
*
*
*
*
*
* (*) (+) (+)
(+) (+)
* (*) (+) (+)
(+) (+)
* (*) (+) (+)
(+) (+)
* (*) (+) (+)
(+)
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(+)
(+)
(+)
N
O
P
Q
R
S
36.
42.
48.
54.
60.
66.
* * (*) (+)
*
*
(+)
* * (*) (+)
*
(+)
* * (*) (+)
(+)
* * (*) (+)
(+) (+)
(+) (+)
(+) (+)
(+) (+)
(+) (+)
(+) (+)
(+) (+)
*
*
*
* * (*)
* * (*) *
I J K L M Untersuchungsbefunde 12. 15. 18. 24. 30. (Monate posttraumatisch) * * (*)
*
* * (*)
*
* obligat; (*) fakultativ; (#) fakultativ vor geplanter Exploration des Plexus brachialis; (+) fakultativ vor geplantem MuskelSehnen-Transfer.
KAPITEL 6
Anamnese Bei der Erstvorstellung des Patienten sollte eine detaillierte Anamnese erhoben werden. Von großer Bedeutung ist die Kenntnis der Zusatzverletzungen, da neben der posttraumatischen Läsion des Plexus brachialis andere Verletzungen, die das Krankheitsbild der Plexusläsion imitieren können, ausgeschlossen werden müssen. Dies können z. B. eine Tetraplegie, eine Pseudoparese bei Klavikulafraktur oder eine Parese des N. radialis sein. Nach weiteren Verletzungen im Be-
Plexus brachialis
189
reich der Halswirbelsäule (HWS), Klavikula, Rippen, Glenohumeralgelenk, Akromioklavikular- (AC-)Gelenk, Lunge, Weichteile und Unterschenkel sowie Frakturen im Oberarm-, Unterarm-, Handgelenk-, Metakarpal- und Fingerbereich muss systematisch gesucht werden. Wichtig ist es, auch Verletzungen von Arterien und Venen, Muskelschädigungen im Schulter- und Armbereich, Kompartimentspaltungen und die bisherige Nachbehandlung z. B. in Form von Krankengymnastik zu dokumentieren (Abb. 6.8 a–d).
a
c
b
Abb. 6.8 a–d. Zusatzverletzungen bei posttraumatischen Verletzungen des Plexus brachialis. a Patient nach Unfall an einem Transportband auf dem Bauernhof. Amputation, proximaler Oberarm, Plexusausriss, Impressionsfraktur okzipital. b Zustand nach Replantation und c sekundärer Nerventransplantation. d 4 Jahre postoperativ. e 6 Jahre postoperativ d (Mechanikerlehre)
190
Plexus brachialis
KAPITEL 6
Tabelle 6.8. Empfohlene Klinische Untersuchung 1. Subjektive Beschwerden
1. Sekundärverletzungen
2. Schmerzen
2. Aktive und passive Gelenkbeweglichkeit Schulter
3. Schmerztherapie
3. Aktive und passive Gelenkbeweglichkeit Ellenbogen
4. Wetterfühligkeit
4. Aktive und passive Gelenkbeweglichkeit Handgelenk
5. Kälteempfindlichkeit
5. Aktive Gelenkbeweglichkeit Hand
6. Physiotherapie
6. Passive Gelenkbeweglichkeit Hand
7. Funktionelle Elektrostimulation (FES)
7. Muskel-Grading nach dem Medical Research Council
8. Narben/Wundverhältnisse
8. HWS-Röntgen
9. Narbenkontrakturen
9. Schulter-Röntgen
10. Rekapillarisierungszeit
10. Thorax-Röntgen
11. Zyanose
11. Myelographie (Myelo-CT)
12. Puls der A. brachialis
12. MRT
13. Puls der A. radialis
13. Angiographie
14. Puls der A. ulnaris
14. Elektrophysiologie
15. Blutdruckdifferenz
15. Fotodokumentation
16. Sensibilitätstestung Unterarmbereich
16. Videodokumentation
17. Sensibilitätstestung Handbereich
Abb. 6.9. Numerische Kategorienskala zur Erfassung der Schmerzintensität
Klinische Untersuchung Bei der klinischen Untersuchung des Patienten, die sich aus den in Tabelle 6.8 aufgelisteten Punkten zusammensetzt, kann die kontralaterale gesunde Extremität bei Patienten mit einer unilateralen Plexusparese als Vergleichsmöglichkeit genutzt werden. Die Einteilung der Schmerzintensität erfolgt auf einer Skala von 0–10, wobei „0“ keine Schmerzen vorhanden und „10“ maximal vorstellbare Schmerzen anzeigt (Abb. 6.9). Diese Einstufung der Schmerzen erfolgt subjektiv durch den Patienten, abhängig von der persönlichen Schmerzempfindung, Vormedikationen u. a. Daher ist diese Angabe nur im Verlauf aussagekräftig. Das Auftreten der Schmerzen bei Ruhe, Belastung, Perkussion/Berührung oder Sonstigem sollte dokumentiert wer-
den sowie die Schmerztherapie durch Medikamente o. Ä. Auch nach einer vorhandenen Wetterfühligkeit und/oder Kälteempfindlichkeit sollte gefragt werden.
Physiotherapie und funktionelle Elektrostimulation Die Anzahl der durchgeführten physiotherapeutischen Behandlungen pro Woche – sowohl unter fachlicher Anwendung eines Physiotherapeuten als auch im häuslichen Bereich – sollten dokumentiert werden. Durch eine intensiv durchgeführte Physiotherapie können Komplikationen wie Kontrakturen vermieden werden. Ebenso sollte die Anwendung funktioneller Elektrostimulation in dokumentiert werden.
KAPITEL 6
Plexus brachialis
Sensibilitätstestung nach Medical Research Council S0
keinerlei Sensibilität
S1
tiefe kutane Sensibilität (Schmerzempfindung) in der autonomen Zone
S2
gewisse oberflächliche kutane Schmerzempfindung und taktile Sensibilität in der autonomen Zone
S3
oberflächliche kutane Schmerzempfindung sowie Berührungsempfindung in der ganzen autonomen Zone. Verschwinden der beim Regernerationsvorgang vorher vorhandenen Überempfindlichkeit
S4
normale Sensibilität
Abb. 6.10. Sensibilitätstestung nach dem „Medical Research Council“ (MRC)
Narben, Wundverhältnisse und Narbenkontrakturen Bei vorhandenen Narben sollte die Lokalisation dokumentiert und die Wundheilung kontrolliert werden. Mögliche Störungen der Wundheilung wie Narbenkontrakturen werden ebenfalls dokumentiert.
Rekapillarisierungszeit, Zyanose und Pulse, Aa. brachialis, radialis und ulnaris Mit einfachen klinischen Untersuchungen kann der Umfang der Blutversorgung des betroffenen Arms getestet werden. Im Nagelbettbereich können sowohl Quantität als auch Qualität der akralen Durchblutung durch die Rekapillarisierungszeit bestimmt werden. Der Untersucher drückt hierzu kurz auf das Nagelbett des Fingers des Patienten, um sofort nach dem Loslassen die Rekapillarisierung der Finger zu beurteilen. Das Ergebnis wird eingestuft in: • normal (<1 s), • verlängert (>1 und <3 s) und • pathologisch (>3 s). Aufgrund der Ergebnisse der Palpation der Pulse der Aa. brachialis, radialis und ulnaris können sich Hinweise auf stammnah gelegene Gefäßverengungen oder -verschlüsse ergeben.
Blutdruckdifferenz Eine Blutdruckdifferenz über 30 mmHg zwischen dem geschädigten Arm und dem gesunden Arm wird als pathologisch eingestuft.
Sensibilitätstestung Unterarm- und Handbereich Die Reaktion der Sensibilitätstestung wird beim Patienten durchgeführt radial und ulnar und eingeteilt in: • keine Schmerzreaktion, • vorhandene Schmerzreaktion (protektive Sensibilität), • vorhandene Reaktion auf Berührung und • der Testung mit der statischen 2-Punkte-Diskrimination, wobei der 2-Punkte-Abstand im Unterarmbereich unter 20 mm und im Handbereich unter 10 mm betragen sollte (Abb. 6.10).
Sekundärverletzungen Unter Sekundärverletzungen versteht man Läsionen (z. B. Verbrennungen, Schnittverletzungen) der betroffenen oberen Extremität, hervorgerufen durch die Funktionsbeeinträchtigung im Sinne von Sensibilitätsausfällen (keine protektive Sensibilität) oder Störungen der Motorik („ungeschickte Bewegungen“).
191
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Plexus brachialis
Aktive und passive Gelenkbeweglichkeit Schulter, Ellenbogen, Handgelenk und Hand Die international gebräuchliche Methode zur standardisierten Befunderhebung der Gelenkbeweglichkeit ist die „Neutral-0-Methode“. Dabei werden die Gelenkstellungen eines aufrecht stehenden Menschen mit herabhängenden Armen als 0-Grad-Ausgangsstellung definiert. Jede Bewegung aus dieser Stellung wird in Winkelgraden gemessen und dokumentiert. Bei der aktiven Gelenkbeweglichkeit wird der Bewegungsumfang gemessen, wie er durch eigentätige, vom Patienten durchgeführte Bewegungen möglich ist. Während bei der passiven Gelenkbeweglichkeit der Untersucher die Bewegungen durchführt. Die Bewegungsumfänge der passiven Beweglichkeit zeigen das maximal mögliche Bewegungsausmaß für die aktive Bewegung auf und geben wichtige Informationen über gelähmte Muskelgruppen und die Qualität der durchgeführten physiotherapeutischen Begleittherapie. Als Vergleichsgrößen dienen die Normwerte der gesunden kontralateralen Seite.
Muskel-Grading Die Muskelkraft jedes einzelnen Muskels der oberen Extremität wird untersucht und mit den Graden M0 bis M5 nach dem British Medical Research Council beurteilt und dokumentiert. Diese Beurteilung ist obligat vor einer geplanten Operation (Tabelle 6.9). Die Dokumentation der Muskelkraft kann nach dem Schema von Brunelli, Millesi oder Narakas erfolgen (Abb. 6.11).
Röntgen: Halswirbelsäule, Schulter und Thorax Bei der Erstuntersuchung dienen die Röntgenaufnahmen von HWS (a.-p., seitlich, rechte/linke Foramina), Schulter (a.-p., transaxillär) und Thorax (p.-a., maximale Inspiration/Exspiration) zur Erkennung von Zusatzverletzungen wie HWS-Frakturen, Glenohumeraldislokation, Humerusfraktur, Zwerchfellhochstand, Fraktur der 1. Rippe, Rippenserienfraktur, Medialstinalverbreiterung und Klavikulafraktur. Bei älteren posttraumatischen Plexus-brachialis-Läsionen dient die Röntgenuntersuchung zur Diagnostik von Skelettdeformierungen, Gelenksubluxationen und -luxationen vor geplanter sekundärer Ersatzoperation, die auch Ellenbogen, Unterarm und Handgelenk (jeweils a.-p. bzw. d.-p., seitlich) beinhalten sollte.
KAPITEL 6 Tabelle 6.9. Muskel-Grading nach dem Medical Research Council M0
Keine Muskelaktivität
M1
Sichtbare oder fühlbare Muskelkontraktion ohne Bewegungseffekt
M2
Bewegungsmöglichkeit unter Ausschaltung der Schwerkraft des abhängigen Gliedabschnittes
M3
Bewegungsmöglichkeit gegen die Schwerkraft
M4
Bewegungsmöglichkeit gegen mäßigen Widerstand
M5
normale Kraft
Myelographie/Myelo-CT und MRT Hiermit sollen vor allem Raumforderungen im SchulterHals-Bereich (Meningomyelozele), Verschiebungen und/ oder Formveränderungen des Myelons und Kontinuitätsunterbrechungen der hinteren sensiblen und der vorderen motorischen Nervenwurzel diagnostiziert werden (Abb. 6.12 a,b). Die modernen Techniken der Myelo-CT und MRT sind eine gute und verlässliche Hilfe für die Diagnostik im Wurzelbereich. Ausrisse und Abrisse können mit großer Sicherheit festgestellt werden.
Angiographie Indikationen zur Durchführung einer Angiographie (Arcus aortae bis Hand) sind pathologische Ergebnisse beim Testen der Rekapillarisierungszeit, vorhandene Zyanose sowie fehlende Pulse der Aa. brachialis, radialis oder ulnaris. Eine Angiographie ist obligat vor geplanten freien mikrovaskulären funktionellen Muskeltransplantationen.
Elektrophysiologie Die registrierten willkürlich aktivierbaren und spontanen elektrischen Muskelaktivitäten bei der elektrophysiologischen Untersuchung mittels EMG und die Messung der NLG geben Aufschluss über Lokalisation und Ausmaß einer Nervenschädigung. Vorhandene Regenerationsvorgänge können hiermit früher als mit der klinischen Untersuchung erkannt werden. Damit dienen die EMG und die NLG als zusätzliche Informationsquelle beim frühzeitigen Stellen der Operationsindikation. Die Kriterien bei der EMG sind normale oder gelichtete Willküraktivität und pathologische Muskelaktivität in Form von scharfen Wellen oder Fibrillationen. Die Beurteilung der NLG erfolgt anhand von Normalwerten der einzelnen Nerven.
KAPITEL 6
Plexus brachialis
Abb. 6.11. Dokumentationsschema. (Nach Brunelli et al., s. Literaturverzeichnis)
193
194
Plexus brachialis
KAPITEL 6
a
b Abb. 6.12 a,b. Radiologische Darstellung eines Patienten mit Wurzelausriss des unteren Plexus brachialis rechts. a Myelogramm. b MRT beim Erwachsenen
Bei der Messung der Nervenaktionspotenziale (NAP) werden die Nerven mittels Oberflächen- oder Nadelelektroden stimuliert und die Potenziale abgeleitet. Es werden die Amplitude, Anzahl der Komponenten, Dauer des NAP und die maximale NLG bestimmt. Elektrophysiologische Tests sind erst 2–3 Wochen nach der Verletzung des Plexus braxchialis aussagefähig.
Foto- und Videodokumentation Um eine aussagekräftige Foto- und Videodokumentation zu erstellen, müssen Aufnahmen die Schulter in aktiver Abduktion, Adduktion, Anteversion, Retroversion, Außenrotation und Innenrotation zeigen sowie das Ellenbogengelenk in aktiver Flexion, Extension, Pronation und Supination. Aufnahmen des Handgelenks und der Hand sollten die Funktionen der aktiven Handgelenksflexion und -extension sowie aktiven Faustschluss und Fingerstreckung zeigen (Tabelle 6.10).
Tabelle 6.10. Standardisierte Foto- und Videodokumentation Schulter
Ellenbogen
Handgelenk
Hand
Abduktion
Extension
Extension
Faustschluss
Adduktion
Flexion
Flexion
Fingerstreckung
Anteversion
Pronation
Retroversion
Supination
Außenrotation Innenrotation
KAPITEL 6
6.2.1.5 Therapie Die Therapieziele bei der primären und sekundären Behandlung von posttraumatischen Läsionen des Plexus brachialis sind die möglichst beste Wiederherstellung der verlorenen Funktion der oberen Extremität für den Gebrauch im täglichem Leben und Berufsleben. Wenn notwendig, soll eine suffiziente Schmerztherapie organisiert werden. Kontrakturen sollen vermieden werden, und eventuelle ästhetische Verbesserungen der verletzten Extremität sind in den Therapieplan einzuschließen (Tabelle 6.11). Die soziale und berufliche Wiedereingliederung soll so früh wie möglich und nicht erst nach Abschluss der Therapie erfolgen. Da die meisten Patienten mit ausgedehnten Plexusläsionen als „funktionell einhändig“ anzusehen sind, müssen Umschulungsmaßnahmen so früh wie möglich begonnen werden. Je ausgedehnter die posttraumatische Plexusläsion ist, desto wahrscheinlicher ist das Auftreten von Deafferenzierungsschmerzen.
Deafferenzierungsschmerzen können so ausgeprägt sein, dass der Patient trotz guter Funktionswiederkehr den be-
Plexus brachialis
troffenen Arm nicht einsetzt, d. h. „funktionell ausschaltet“. Eine Verminderung der Deafferenzierungsschmerzen kann erreicht werden durch. • eine frühzeitig einsetzende adäquate Schmerztherapie (Schmerzambulanz) im Sinne einer Prävention, • eine mikrochirurgische Revision des Plexus brachialis (etwa bei 50% der Patienten kommt es postoperativ zu einer deutlichen Schmerzreduktion) und • einen hohen Aktivitätsgrad des Patienten (Patient „vergisst“ seine Schmerzen). Die Festsetzung der Primärtherapie (konservativ vs. operativ) erfolgt aufgrund der Ergebnisse nach wiederholten klinischen und apparativen Untersuchungen. Aufgrund der Untersuchungsergebnisse können 3–6 Monate nach Trauma mit hoher Wahrscheinlichkeit die Patienten herausgefiltert werden, welche mit einer schwerwiegenden Defektheilung nach konservativer Therapie rechnen müssen. Das in Abb. 6.13 wiedergegebene differenzialtherapeutische Vorgehen hat sich in unseren Händen bewährt. Liegt eine offene Läsion des Plexus brachialis oder eine akute Ischämie der oberen Extremität durch eine zusätzliche Gefäßverletzung vor, erfolgt die chirurgische
Tabelle 6.11. Therapieziele bei posttraumatischer Läsion des Plexus brachialis Soziale Therapieziele Vermeidung von beruflichen und sozialem Abgleiten Adäquate Schmerztherapie Vermeidung bzw. Verringerung der Deafferenzierungsschmerzen Funktionelle Therapieziele Vermeidung von sekundären Kontrakturen Wiederherstellung der Funktion der oberen Extremität 1. Schulteradduktion (thorakohumerale Zange) 2. Ellenbogenbeugung 3. (protektive) Sensibilität im Handbereich 4. Schulterabduktion//flexion 5. Handgelenk- und Fingerbeugung 6. Handgelenk- und Fingerstreckung 7. Schulteraußenrotation 8. Ellenbogenstreckung 9. Daumenopposition 10. Pronation/Supination 11. intrinsische Langfingerfunktion Psychologische Therapieziele Hilfe bei einer prothetischer Versorgung
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KAPITEL 6
Abb. 6.13. Therapiealgorithmus für posttraumatische Läsionen des Plexus brachialis
KAPITEL 6
Exploration am Unfalltag. Die Gefäßläsion sowie die mitbestehenden Knochen-Weichteil-Schäden werden primär versorgt. Die Läsion des Plexus brachialis wird sorgfältig dokumentiert, ebenso die Lage von dehiszenten Plexusanteilen. Die definitive Versorgung findet meist früh sekundär innerhalb der nächsten 3–6 Monate statt. Eine primäre Versorgung der Plexusläsion am Unfalltag ist nur bei einer glatten Stich- oder Schnittverletzung angezeigt.
In den anderen Fällen ist sie aus mehreren Gründen nicht indiziert: Meist handelt es sich um polytraumatisierte Patienten, deren Allgemeinzustand keine längeren Operationen zulässt. Darüber hinaus kann das exakte Ausmaß der Nervenschädigung am Unfalltag nicht bestimmt werden, sodass die Gefahr einer inadäquaten Vorbereitung der Nervenstümpfe besteht. Bei geschlossenen Läsionen ohne akute Ischämie der oberen Extremität erfolgt die Erstuntersuchung einige Tage bis 3 Wochen nach dem Trauma. Das Ergebnis dieser Untersuchung ergibt noch keinen schlüssigen Hinweis auf die zu erwartende Prognose. Die nächste Untersuchung erfolgt 2–3 Monate nach dem Trauma. • Je früher die Schulterfunktion (M. deltoideus) und Ellenbogenbeugefunktion (Mm. biceps brachii, brachialis) zurückkehren, desto kompletter ist die Spontanregeneration zu erwarten. • Für Patienten, die keine Spontanregeneration zu diesem Zeitpunkt zeigen, muss ein operativer Eingriff geplant werden. Bei einer kompletten Läsion (C5 bis Th1) mit zusätzlichem Horner-Zeichen besteht eine sehr schlechte Prognose, und eine operative Revision sollte daher so früh wie möglich (meist kurz nach dem 3. posttraumatischen Monat) durchgeführt werden. Bei inkompletter Läsion besteht noch Aussicht auf eine ausreichende Spontanregeneration, daher ist eine weitere Beobachtung angezeigt. Die nächsten Untersuchungen erfolgen in monatlichem Abstand bis 6 Monate nach Trauma. • Der verletzte Patient kann eine gut progrediente Spontanregeneration zeigen. In diesen Fällen ist eine konservative Therapie indiziert. • Der Patient zeigt trotz Abwartens keine oder eine nur zu geringe oder stagnierende Spontanregeneration. In diesen Fällen ist eine operative Revision des Plexus brachialis umgehend durchzuführen.
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Patienten, bei denen noch eine ausreichende Spontanregeneration erwartet werden kann, werden wie die operierten Patienten bis zum Abschluss der Regeneration nach 2–3 Jahren in 3- bis 6-monatlichen Abständen untersucht. Zwei Patientengruppen können unterschieden werden: • Funktionsverbessernde sekundäre Eingriffe sind nicht notwendig oder erwünscht. Eine Sonderform der konservativen Therapie stellt die intramuskuläre Gabe von Botulinumtoxin dar. Mit Hilfe dieser Technik können Kokontraktionen bei Reinnervation vor allem im Bizeps-Trizeps-Bereich deutlich verringert werden. • Bei den meisten Patienten kann durch sekundäre Muskel-Sehnen-Umsetzungen und/oder adjuvante Eingriffe eine deutliche funktionelle und ästhetische Ergebnisverbesserung erreicht werden. Sekundäre Ersatzoperationen werden nach einer Regenerationszeit von 1 1/2–3 Jahren notwendig, wenn Bewegungsfunktionen nach Spontanregeneration oder operativer Therapie fehlen oder nur ungenügend vorhanden sind. Eine freie passive Gelenkbeweglichkeit stellt eine absolute Voraussetzung für die Durchführung solcher Operationen dar. Durch einfache oder multiple Sehnenumsetzplastik(en) kann eine spezifische Bewegungsform wiederhergestellt oder verstärkt (augmentiert) werden. Sehnentranspositionen können monopolar, d. h. entweder Ursprung oder Insertion wird verändert, oder bipolar, d. h. Ansatz und Ursprung werden beide abgelöst und neu inseriert, durchgeführt werden. Sie können ein (monoartikulär) oder mehrere (polyartikulär) Gelenke bewegen. Stehen bei ausreichender Innervation keine MuskelSehnen-Gruppen für die Transposition zur Verfügung (direkte Muskelschädigung, Muskeldegeneration bei Denervierungszeit >2–3 Jahre) kann eine freie mikrovaskuläre funktionelle Muskeltransplantation geplant werden (s. unten, Kap. 8). Fehlt eine ausreichende Innervation, kann mit Hilfe eines mehrzeitigen Vorgehens ein Nerventransplantat extraplexisch (N. accessorius, Nn. intercostales, kontralaterale Nn. pectorales laterales, partielle kontalaterale C7Wurzel) vorgelegt werden, um dann bei ausreichender Axonzahl im Bereich des distalen Transplantatstumpfes eine freie mikrovaskuläre Muskeltransplantation durchzuführen. Die bisher genannten Rekonstruktionsverfahren können durch adjuvante (oder tertiäre) Eingriffe, wie Tenodesen, Kapsulodesen, Arthrodesen, Orthesen und neuerdings auch myoelektrische Orthesen oft funktionell deutlich verbessert werden.
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KAPITEL 6
duziert auf einer Armschiene. Die gleichseitige Hälfte des Brustkorbes, die Axilla, die gesamte obere Extremität, Hals und Unterkieferrand inklusive der Ohrläppchen sowie beide unteren Extremitäten (für eventuelle Nerventransplantate) werden abgewaschen und abgedeckt (Abb. 6.14 a–e). Der Arm muss völlig frei gelagert sein, um die Wirkung der Nervenstimulation beobachten zu
Primäre nervale Rekonstruktion Chirurgische Exploration des Plexus brachialis. Der Patient liegt auf dem Rücken. Ein kleines Kissen unter dem ipsilateralen Schulterblatt erhöht die Schulter. Der Kopf wird zur Gegenseite gedreht, und der Arm liegt ab-
Abb. 6.14 a–f. Chirurgische Exploration des Plexus brachialis. a Lagerung des Patienten und Anzeichnen des Hautschnitts. b–e Mögliche Schnittführungen (nach Millesi) N. ulnaris
N. cutaneus antebrachii ulnaris A. brachialis
N. medianus
N. radialis
M. musculocutaneus
M. sternocleidomastoideus
a
b
c
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d
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e
M. pectoralis major
Truncus medius Truncus superior
N. pectoralis lateralis M. pectoralis minor A. subclavia Medianusgabel N. musculocutaneus Fasciculus dorsalis
M. omohyoideus
Clavicula M. subclavius
N. suprascapularis Fasciculus dorsalis Fasciculus lateralis
f Abb. 6.14 a–f. Chirurgische Exploration des Plexus brachialis. b–e Mögliche Schnittführungen (nach Millesi). f Zustand nach Beendigung der supra- und infraklavikulären Darstellung des Plexus brachialis
200
Plexus brachialis
können und um verschiedene Lagerungen intraoperativ zu ermöglichen. Wegen der erforderlichen Nervenstimulation sind bei der Narkoseführung auch keine Muskelrelaxanzien erlaubt. Abhängig vom Ausmaß der Schädigung und der gewählten Rekonstruktion ist eine supraklavikuläre Exploration alleine oder zusätzlich eine infraklavikuläre Präparation notwendig. Zur Darstellung des Plexus brachialis sind verschiedene Inzisionen angegeben (Millesi, Brunelli u. a.). Wir verwenden für den supraklavikulären Zugang zur Freilegung der Spinalwurzeln, der Primärstränge und der supraklavikulären Äste des Plexus brachialis die Inzision an der hinteren Grenze des M. sternocleidomastoideus, beginnend am Kieferwinkel bis zur Klavikula und von dort über der Klavikula horizontal nach lateral. Der Hautlappen wird gehoben und mit dem ebenfalls durchtrennten Platysma gemeinsam angeschlungen. ! Gefahr einer Lappennekrose.
Die Hautäste des Plexus cervicalis werden identifiziert und geschont, genau wie der N. accessorius, der im Wundbereich dorsal unter dem M. sternocleidomastoideus hervortritt. Die V. jugularis externa wird, falls möglich, geschont und nach medial beiseite gehalten. Die lateralen Fasern des M. sternocleidomastoideus werden an der Insertion an der Klavikula durchtrennt. Die V. jugularis interna ist immer zu schonen. Die Präparation führt weiter durch loses Bindegewebe in der Fossa sternoclavicularis. Hier wird der M. scalenus anterior dargestellt. Der M. omohyoideus wird entweder beiseite gehalten oder zwischen seinen Bäuchen durchtrennt und zur späteren Naht jeweils angeschlungen. Unter diesem Muskel überqueren zervikale und supraskapuläre Gefäße rechtwinklig den Plexus brachialis. Diese werden ligiert. Der N. phrenicus, welcher unter der prävertebralen Faszie auf dem M. scalenus anterior verläuft, wird dargestellt. Zur Identifikation kann die Elektrostimulation, die zur Kontraktion des ipsilateralen Zwerchfells führt, benutzt werden. Dem N. phrenicus folgt man nach zentral zur C4- und C5-Wurzel zwischen M. scalenus anterior und M. scalenus medius. Die Spitzen der Querfortsätze sollten getastet und die Foramina intervertebrale sowie die Spinalwurzeln identifiziert werden. Man folgt nun der C5-Wurzel nach distal, um den Truncus superior darzustellen. Der N. suprascapularis, der nach dorsal aus dem Truncus superior entspringt, wird angeschlungen. Die unteren Wurzeln verlaufen etwas horizontaler, d. h. in weniger schräger Richtung als die oberen Wurzeln. Die C7-Wurzel und den Truncus medialis findet man dorsal und kaudal der C5- und C6-Wurzeln zwischen dem M. scalenus anterior und dem M. scalenus medius. Die C8- und Th1-Wurzeln sind teilweise hinter dem dritten Abschnitt der A. subclavia verdeckt.
KAPITEL 6
Die Exploration des Truncus inferior wird erleichtert, wenn zunächst nach einem infraklavikulären Zugang der Truncus medialis identifiziert wurde und diesem dann nach kaudal gefolgt wird. Nahe der Th1-Wurzel müssen der Ductus thoracicus, das Ganglion stellatum, die A. vertebralis und die Pleura geschont werden. Die Präparation wird nach distal bis zur Aufzweigung der Trunci fortgeführt. Beim kombinierten supra- und infraklavikulären Zugang werden die Inzisionen für die supra- und infraklavikuläre Exploration durch einen Schnitt parallel zur Klavikula verbunden. Die Klavikula kann dann nach Anschlingen mit einer ausgezogenen Kompresse nach kranial oder nach kaudal gehalten werden zur Gewinnung einer jeweils besseren Übersicht. Hilfreich ist dabei auch ein Zug am Arm in Adduktion oder Abduktion. Eine Osteotomie der Klavikula sollte die Ausnahme in den Fällen bleiben, in denen die Verletzung auf Höhe der Aufteilung C8 und Th1 direkt retroklavikulär lokalisiert ist. Falls osteotomiert werden muss, sollte zuvor eine Kompressionsplatte angepasst und auf der Klavikula vorgebohrt werden. Die Osteosynthese wird dann schräg oder auch stufenartig angelegt. Auftretende Komplikationen sind Pseudarthrosen, Osteomyelitiden und Kallushypertrophien. Letztere können wiederum zur Kompression des Plexus brachialis führen. Der infraklavikuläre Zugang zum Plexus brachialis eignet sich zur Darstellung der Faszikel und deren Äste. Die Inzision folgt dem Sulcus deltoideopectoralis, beginnend proximal an der Klavikula bis zur vorderen Axillarfalte distal. Diese Inzision kann bedarfsweise leicht bogenförmig auf den Arm fortgeführt werden. Die V. cephalica wird aufgesucht und zurückgehalten oder ligiert. Eine limitierte Übersicht über den axillären Anteil des Plexus brachialis wird dadurch erreicht, dass man die Sehne des M. pectoralis darstellt und nach kaudal und medial hält. Um die Übersicht zu verbessern, kann man den oberen Teil der Sehne durchtrennen und angeschlingen. Auch die Ursprünge des M. pectoralis sowie des M. deltoideus können zur Verbesserung der Übersicht teilweise von der Klavikula abgetrennt werden. Es werden nun die Faszikel und deren weitere Äste identifiziert. Die Fascia clavicopectoralis wird inzidiert und gibt den Blick auf den Fasciculus lateralis oberhalb und lateral der A. axillaris frei. Der Fasciculus posterior befindet sich hinter und der Fasciculus medialis unterhalb und medial der A. axillaris. Die medialen und lateralen Nn. pectorales sollen geschont werden. Bei starker Vernarbung sollte die Exploration distal im Gesunden beginnen und zur Identifikation des lateralen Faszikels z. B. der N. medianus nach proximal verfolgt werden. Der N. musculocutaneus entspringt aus dem Fasciculus lateralis nach lateral und tritt in den M. coracobrachialis ein. Der mediale Anteil des N. medianus lässt sich nach proximal zum Fasciculus medialis verfolgen. Aus diesem
KAPITEL 6
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Abb. 6.15 a–e. Operationssitus. a Supraklavikulär. b Infraklavikulär. c Wurzelausriss. d,e Transplantate
wird nach Abgabe des N. cutaneus brachii medialis und des N. cutaneus antebrachii medialis sowie dieses Anteiles der N. ulnaris. Zunächst eher medial und tief hinter der A. axillaris verläuft der N. radialis. Dieser lässt sich nach proximal zum Fasciculus posterior mit seinem von ihm abgehenden N. axillaris verfolgen. Insgesamt muss in der axillären Region wegen der ausgeprägten Variationen sehr vorsichtig präpariert werden. Vor dem Wundverschluss sollten die durchtrennten Strukturen readaptiert werden (Abb. 6.14 f, Abb. 6.15 a–e). Intraoperative Diagnostik. Nach Beendigung der Darstellung des Plexus brachialis erfolgt die intraoperative Diagnostik. Erste Hinweise geben die klinische Inspektion und Palpation. Neben der direkten Nervenstimulation haben sich SEP, MEP und die NAP bewährt. Darüber hi-
e
naus können auch histologische Untersuchungen in Schnellschnitttechnik zur Beurteilung der Myelinisierung und zur Unterscheidung von motorischen und sensiblen Fasern (schnelle Acetylcholinesterase-Reaktion) durchgeführt werden. Am Ende der intraoperativen Diagnostik sollte der Operateur Folgendes wissen: 1. Welche Wurzeln sind ausgerissen und welche proximalen Stümpfe sind verfügbar im Falle der Abrissverletzung? 2. Besteht im Falle einer „lesio in continuitatem“ die realistische Chance auf spontane Regeneration oder ist trotzdem eine Resektion mit Wiederherstellung erforderlich?
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Grundlagen der nervalen Rekonstruktion durch intraund extraplexuelle Neurotisation. Als Nächstes muss die Entscheidung gefällt werden, welche proximalen Stümpfe mit welchen distalen koaptiert werden (intraplexuelle Neurotisation), und bei Ausrissverletzungen, welche distalen Stümpfe für eine Neurotisation durch welche Spendernerven im Rahmen einer extraplexuellen Neurotisation geeignet sind. Weiterhin muss der Chirurg entscheiden, wie viele Nerventransplantate gebraucht werden und welche Spenderstellen zur Verfügung stehen (Plastische Chirurgie, Bd. 1, Kap. 12). Als Grundsatz bei der Auswahl des Neurotisationsverfahrens gilt, dass eine Nervenwurzel von guter Qua- a lität besser ist als ein extraplexueller Neuronspender.
! Bei präganglionären Läsionen kann evtl. eine gute Wurzel am Querschnitt vorgetäuscht werden.
Es gilt zu beachten, dass bei Transplantation von einer Nervenwurzel aus manchmal lange Regenerationswege in Kauf genommen werden müssen (vor allem supraklavikulär nach infraklavikulär). Es kann häufig zu dem Problem kommen, dass nicht genug autologes Material für eine Nerventransplantation zur Verfügung steht. In diesen Fällen ist die Möglichkeit einer extraplexuellen Neurotisation mit Hilfe des N. accessorius, N. phrenicus, N. hypoglossus, der Nn. intercostales (Abb. 6.16 a,b), und der kontralateralen C7-Wurzel zu prüfen (Tabelle 6.12). Als intraplexuelle Neurotisation eignen sich als Spendernerven der motorische M. flexor carpi ulnaris aus dem N. ulnaris oder ein motirsicher Ast aus dem N. medianus sowie der Trizepsast des N. radialis und der Muskelast des M. brachialis. Vor allem bei ausgedehnteren Schädigungen wird heute immer eine Kombination aus intra- und extraplexueller Neurotisation unter Beachtung der Therapieziele gewählt. Rekonstruktionsplan bei komplettem Ausriss (C5 bis Th1). Die Standardrekonstruktion bei kompletter Aus- b rissverletzung ist in Tabelle 6.13 dargestellt. Neben den Abb. 6.16 a,b. Intercostalistransfer bei komplettem Ausriss schon vorher erwähnten extraplexuellen Neurotisations- von C5 bis Th1. a Operationssitus – Nerventransplantate von möglichkeiten sind vor allem der Intercostalistransfer den Nn. intercostales 2–6 zum N. musculocutaneus (moto(vgl. Abb. 6.16 a,b) und die Innervation über die kontra- rische Äste) und N. medianus (sensible Äste). b Postoperatives laterale C7-Wurzel (Abb. 6.17 a–e) weitere operative Op- Ergebnis 2 1/2 Jahre später tionen. Sie stehen zumindest für die Ellenbogenbeugung (wenn möglich auch -extension), bei eventueller partieller Handfunktion und begrenzter Sensibilität im Unterarmbereich zur Verfügung. Als zusätzliche Maßnahme, aber nur, wenn eine ausreichende Stabilisierung der Skapula möglich ist, kann im Glenohumeralbereich alternativ eine Arthrodese durchgeführt werden.
KAPITEL 6
Plexus brachialis
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Tabelle 6.12. Möglichkeiten der intra- und extraplexuellen Neurotization Nerv
Anzahl myelinisierter Axone
Spenderdefekt
Funktionelles Ergebnis
16.400
–-
+++
Intraplexuelle Neurotisation C5 C6
27.400
–-
+++
N. ulnaris (FCU-Ast)
1100
–
++
N. medianus (motorischer Ast)
18.000
–
++
M. brachialis (motorischer Ast)
1600
–
++
R. tricep. N. radialis
(19.000 N. r.)
Gering
++
Extraplexuelle Neurotisation Plexus cervicalis
500
N. levator scapulae
0
1/2 N. XI
1700
Gering
+
N. XII
5000
Sprachbeeinträchtigung
+ (Autonomisation)
N. phrenicus
2000
Vitalkapazität
+
Nn. intercostales
Je 500
Vitalkapazität
0 (Autonomisation)
Kontralateraler partieller C7
12.000
Parästhesie DI bis D III dorsal P3
++ (Autonomisation)
Tabelle 6.13. Therapieplan bei kompletter Läsion (Ausriss C5 bis Th1) des Plexus brachialis 1) Thorakohumerale Zange (Nn. pectorales) Th2 oder Th3 motiorische Äste des Plexus cervicalis 2) Ellenbogenbeugung (N. musculocutaneus) N. phrenicus Th3, Th4, Th5 (motorischer Anteil) (N. XII) 3) Schulterstabilisation Stabilisation des Schulterblattes (N. thoracicus longus) Th2 oder Th3 motorische Äste des Plexus cervicalis Stabilisation des Glenohumeralgelenks (N. suprascapularis) 1/2 N. XI (direkte Koaptation) sekundärer Transfer des kranialen Anteils des M. trapezius 4) Protektive Sensibilität im Handbereich (N. medianus) kontralateraler C7-Transfer (sekundär nach 2 Monaten) Th3, Th4, Th5, Th6, Th7, Th8 (sensible Äste) sensible Äste des Plexus cervicalis 5) Handgelenk- und Fingerbeugung (N. medianus) kontralateraler C7-Transfer (sekundär nach 2 Monaten) Th3, Th4, Th5, Th6, Th7, Th8 (motorische Äste)
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b
a
c
d
e Abb. 6.17 a–e. Kontralateraler partieller C7-Transfer zur Rekonstruktion der Basisfunktion der oberen Extremität (thorakohumerale Zange, Ellenbogenbeugung, protektive Sensibilität im Bereich der radialen Unterarm- und Handseite). a Intraoperativer Befund: Cross-over-Nerventransplantation (2-mal Nn. surales je 35 cm) von dem dorsalen Anteil
der kontralateralen C7-Wurzel auf den Fasciculus lateralis der geschädigten Seite. b Postoperativer klinischer Aspekt: Schulterabduktion (Z. n. Neurotisation 1/2 N. XI direkt auf N. suprascapularis). c Postoperativ Ellenbogenbeugung. d Postoperativ passive Handgelenk-/Fingerstreckung. e Postoperativ aktive Handgelenk-/Fingerbeugung
Rekonstruktionsplan bei Ausriss C6 bis Th1 und brauchbarer Wurzel C5. Abhängig von der Größe und der Qualität der Wurzel erfolgt eine intraplexuelle Neurotisation auf den N. musculocutaneus alleine oder auf den Fasciculus lateralis unter hauptsächlicher Abdeckung des N. musculocutaneous (Tabelle 6.14). Vor allem durch den sekundär (2 Monate nach primärer Exploration) durchgeführten kontralateralen C7-Transfer ist eine Verbesserung der Ergebnisse im Unterarm- und Handbereich zu erwarten (vgl. Abb. 6.17 a–e).
Rekonstruktionsplan bei Ausriss C7 bis Th1 und brauchbarer Wurzel C5/C6.< Im Gegensatz zu den Läsionen mit nur einer brauchbaren Wurzel kann durch die selektive Verwendung der Wurzel C5 für die Schulterfunktion und C6 für die Ellenbogenfunktion eine Regeneration von besserem Ausmaß und höherer Zuverlässigkeit im Schulter-Ellenbogenbeuge-Bereich erzielt werden (Tabelle 6.15). In einigen Fällen gelingt es auch, durch extraplexuelle Neurotisation des N. radialis die aktive Ellenbogenstreckung wiederherzustellen. Im Handbereich
KAPITEL 6
Plexus brachialis
Tabelle 6.14. Therapieplan bei Ausriss C6 bis Th1 und brauchbarer Wurzel C5 1) Thorakohumerale Zange (Nn. pectorales) anteriore Anteile der C5-Wurzel motorische Äste des Plexus cervicalis 2) Ellenbogenbeugung (N. musculocutaneus) C5 3) Schulterstabilisierung Stabilisierung der Skapula (N. thoracicus longus) Th2 oder Th3 motorische Äste des Plexus cervicalis Stabilisierung des Glenohumeralgelenks (N. suprascapularis) 1/2 N. XI sekundärer Transfer des kranialen Anteils des M. trapezius 4) Protektive Sensibilität im Handbereich (N. medianus) C5 (bei großer Wurzel) kontralteraler C7-Transfer (2 Monate nach Exploration) sensible Äste des Plexus cervicalis 5) Handgelenk- und Fingerbeugung (N. medianus) C5 (bei großer Wurzel) kontralateraler C7-Transfer (2 Monate nach Exploration)
Tabelle 6.15. Therapieplan bei Ausriss C7 bis Th1 und brauchbarer Wurzel C5/C6 1) Thorakohumerale Zange (Nn. pectorales) anteriore Anteile der C6-Wurzel motorische Äste des Plexus cervicalis 2) Ellenbogenbeugung (N. musculocutaneus) C6 3) Schulterstabilisierung Stabilisierung der Skapula (N. thoracicus longus) Th2 oder Th3 motorische Äste des Plexus cervicalis Stabilisierung des Glenohumeralgelenks (N. suprascapularis) 1/2 N. XI – N. suprascapularis C5 – N. axillaris sekundärer Transfer des kranialen Anteils des M. trapezius 4) Protektive Sensibilität im Handbereich (N. medianus) C6 kontralteraler C7-Transfer (2 Monate nach Exploration) sensible Äste des Plexus cervicalis 5) Handgelenk- und Fingerbeugung (N. medianus) C6 kontralateraler C7-Transfer (2 Monate nach Exploration)
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Tabelle 6.16. Rekonstruktionsplan bei Ausriss C5/C6 und brauchbarer Wurzeln C7 bis Th1 1) Thorakohumerale Zange (Nn. pectorales) innerviert durch N. pectoralis medialis 2) Ellenbogenbeugung (N. musculocutaneus) Oberlin-Transfer (motorischer Ast für FCU aus N. ulnaris) N. phrenicus 3) Schulterstabilisierung Stabilisierung der Skapula (N. thoracicus longus) meist noch Restfunktion erhalten) Stabilisierung des Glenohumeralgelenks (N. suprascapularis) 1/2 N. XI sekundärer Transfer des kranialen Anteils des M. trapezius 4) (Protektive) Sensibilität im Handbereich
Erhaltene Funktionen
5) Handgelenk- und Fingerbeugung 6) Handgelenk- und Fingerstreckung 7) Schulteraußenrotation 8) Ellenbogenstreckung 9) Daumenopposition 10) Pronation/Supination 11) Intrinsische Langfingerfunktion
ist maximal mit einer Grobgrifffunktion (Handgelenkund Fingerbeugung) zu rechnen. Die Ulnarisfunktion wird nicht wiederhergestellt, weshalb der N. ulnaris als (vaskulär gestieltes) Nerventransplantat entnommen werden kann. Rekonstruktionsplan bei Ausriss C5/C6 und erhaltener Funktion von C7 bis Th1. Bei der C5/C6-Läsion, der eigentlichen Erb-Lähmung, kommt es zu einem Ausfall der Schulter- und Ellenbogenbeugefunktion bei erhaltener Ellenbogenstreckung sowie Unterarm- und Handfunktion. Für die Wiederherstellung der aktiven Ellenbogenbeugung hat sich in den letzten Jahren die periphere intraplexuelle Neurotisation des motorischen Astes für den M. flexor carpi ulnaris aus dem N. ulnaris direkt auf den motorischen Ast des N. musculocutaneus nach Oberlin bewährt. Für die Wiederherstellung der Schulterfunktion steht nur der N. XI zur Verfügung. Die wichtige zusätzliche Funktion des N. axillaris kann nicht wiederher gestellt werden, weshalb zusätzliche sekundäre Muskel-Sehnen-Transpositionen (kranialer Anteil des M. trapezius, M. levator scapulae) durchgeführt werden können (Tabelle 6.16).
Sekundäre Muskel-Sehnen-Umsetzplastiken Um ein möglichst optimales Ergebnis erreichen zu können, müssen folgenden Punkte beachtet werden: 1. die notwendigen Voraussetzungen für eine Muskel-/ Sehnentransplantation, 2. die Besonderheiten der motorischen Ersatzoperationen bei Patienten mit Plexus-brachialis-Läsion, 3. die Berücksichtigung von patientenabhängigen Faktoren, 4. eine exakte Beschreibung der vorliegenden Schädigung des Plexus brachialis und/oder der ventralen Oberarmmuskulatur, 5. die richtige Wahl des Operationszeitpunktes, 6. die Kenntnis aller therapeutischen Möglichkeiten. Zum Zeitpunkt der Operation sollen folgende Voraussetzungen für sekundäre Ersatzoperationen erfüllt sein: 1. Die Weichteilverhältnisse sollen problemlos Muskelund Sehnenverlagerungen zulassen. Der Weichteilmantel muss vor oder gleichzeitig mit der Ersatzoperation wiederhergestellt werden (z. B. myokutaner M.-latissimus-dorsi-Transfer u. Ä.).
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207
b
M. flexor carpi ulnaris
transponierter M. latissimus dorsi
c
a
2. Die passive Gelenkbeweglichkeit muss frei sein, da Weichteilkontrakturen zu einem signifikanten Bewegungs- und Kraftverlust bis zum Fehlschlag des Muskeltransfers führen. 3. Die für den Transfer ausgewählten Muskeln sollten entweder eine ähnliche Funktion haben oder in der gleichen Bewegungsphase aktiviert werden können. 4. Der Muskel muss als Ganzes verpflanzt werden. Der gleiche Muskel soll nicht als Agonist und Antagonist eingesetzt werden.
Abb. 6.18 a–c. Beugung für 2 Gelenke mit einem Muskel. a Schema – „pully“. b Intraoperativ „pully“ des Flexor carpi ulnaris über M. latissimus dorsi. c 2 Jahre postoperativ
5. Neben einer ausreichenden Bewegungsamplitude muss auch eine ausreichende Kraft erreicht werden. Um einen unnötigen Kraftverlust zu vermeiden, sollte ein möglichst gerader Verlauf gewählt werden. Ist eine Richtungsänderung notwendig, müssen Umlenkvorrichtungen („pulley“) gebildet werden (Abb. 6.18 a–c). 6. Die richtige Spannung des Muskel-Sehnen-Transfers spielt eine entscheidende Rolle für dessen Funktion.
208
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7. Bei der Sehnenumlegung ist vor allem auf die Schonung des Paratendineums zu achten, um die Gleitfähigkeit zu erhalten. Verletzungen führen zu Adhäsionen mit Funktionseinschränkungen. 8. Der durch das Umsetzen des Spendermuskels zu erwartende Funktionsgewinn muss größer sein als der Funktionsverlust an der Entnahmestelle. Da bei den Patienten mit Plexus-brachialis-Läsion oft regenerierte Muskeln für eine motorische Ersatzoperation eingesetzt werden, sind zusätzliche Besonderheiten zu beachten. Besonderheiten bei der Verwendung regenerierter Muskeln 1. Nur Muskeln mit einer Kraftentwicklung >M3 sind für eine Transposition geeignet 2. Wegen einer beeinträchtigten Innervation können die umgesetzten Muskeln oft nur unergonomisch eingesetzt werden, was bei der Auswahl des Operationsverfahrens zu bedenken ist 3. Aufgrund der höheren Fibroserate, der geringeren Muskelmasse und der beeinträchtigten Innervation sind regenerierte Muskel weniger widerstandsfähig
Neben den defektbedingten Faktoren lassen sich auch patientenbedingte Faktoren benennen, welche die Auswahl des Verfahrens signifikant beeinflussen können. Zu den patientenbedingten Faktoren gehören Alter, Geschlecht, allgemeiner Gesundheitszustand, Beruf und Freizeitverhalten, Intelligenz, Wünsche des Patienten, Compliance, soziales Umfeld und Motivation. Ellenbogen. Die Ersatzoperation zur Verbesserung der Ellenbogenbeugung hat in unserem Therapiekonzept hohe Priorität. Die Wiederherstellung der Ellenbogenbeugefunktion bei ansonst kompletter Parese führt zu einer signifikanten Funktionsverbesserung der Extremität. Dadurch können bimanuelle Funktionen ausgeführt werden.
KAPITEL 6
In Abhängigkeit von der Bewegungsamplitude und der Kraft der erworbenen Ellenbogenbeugung können verschiedene Funktionsgrade unterschieden werden. Durch die Auflage der Hand auf einen Gegenstand wird im einfachsten Fall ein „Papierpressemechanismus“ möglich. Kann der Ellenbogen auf 90° gebeugt werden, ist eine so genannte „Tablettfunktion“ erreichbar. Mit einer Ellenbogenbeugung von mehr als 90° und einer Handgelenkund Fingerbeugung kann ein Grobgriff durchgeführt und Gegenstände zum Mund hin bewegt werden („Hakenfunktion“). Für ein gutes funktionelles Ergebnis muss mit dieser „Hakenfunktion“ ein Gewicht von mindestens 1 kg zum Mund gebracht werden können. Um mehr als nur eine „Tablettfunktion“ der rekonstruierten Extremität zu erreichen, sollte die aktive Handfunktion in der Reihenfolge Handgelenk- und Fingerbeugung, Handgelenk- und Fingerstreckung mit Individualisierung der Daumenfunktion verbessert werden. Schließlich können durch Verbesserung der Schulterbeweglichkeit (Abduktion/Adduktion, Extension/Flexion, Außenrotation/Innenrotation) die gewonnenen Bewegungen besser im Raum eingesetzt werden. Übermäßige Spannung während der Operation und ein zu schneller Belastungsaufbau nach Mobilisierung müssen vermieden werden. Postoperativ wird der Ellenbogen in einer Oberarmschiene (mit Handgelenk- und Fingereinschluss in Intrinsic-plus-Stellung) mit 100°-Beugung im Ellenbogengelenk für 6 Wochen immobilisiert. Nach 6 Wochen wird mit aktiven und passiven Übungen „aus der Schiene“ begonnen. Jede Woche wird die Schiene um 10° mehr in die Streckung gebracht. Am Ende von 3 Monaten sollte ein Reststreckdefizit von 30–40° nicht unterschritten werden. Die exakte präoperative Analyse des gesamten Bewegungsdefizits, insbesondere im Bereich der benachbarten Armabschnitte wie von Unterarm und Schulter, ist von zentraler Bedeutung. Tabelle 6.17 zeigt die unterschiedlichen klinischen Situationen bei der sekundären Wiederherstellung der Ellenbogenbeugefunktion. Bei partiellen Lähmungen gilt es, die vorhandene Funktion optimal zu verteilen. Die Bedeutung der Unterarmmuskeln, welche am distalen Humerus ihren Ursprung haben, für die Ellenbogenbeugung muss bedacht werden. In seltenen Fällen können diese Muskeln derart stark ausgeprägt sein, dass eine aktive Ellenbogenbeugung unter Ausschaltung (M2+) oder sogar gegen die Schwerkraft (M3) möglich ist.
Tabelle 6.17. Klassifikation der Lähmung im Ellenbogenbeugebereich bei Läsionen des Plexus brachialis •
Komplette Paralyse der gesammten Extremität
•
Partielle Paralyse nach Spontanregeneration oder operativer Revision mit fehlender Regeneration im Bereich der Ellenbogenbeugemuskulatur (Kraftgrad M0)
•
Partielle Paralyse nach Spontanregeneration oder operativer Revision mit ungenügender Regeneration im Bereich der Ellenbogenbeugemuskulatur (Kraftgrad M1 oder M2)
KAPITEL 6
Plexus brachialis
209
Tabelle 6.18. Möglichkeiten der sekundären Wiederherstellung der Ellenbogenbeugung Therapie
Innervation
ROM
Kraft
(Ex/Flex)
[kg]
Spenderdefekt
Polyartikuläre Wirkung Schulter
Unterarm
Intraplexuelle Nervenrekonstruktion
–
0/30/130°
6–16
–
+
+
Bipolarer Latissimus-dorsi-Transfer
C6 bis C8
0/0/115°
0,5–4
+
+
–
Pectoralis-major-Transfer
C5 bis Th1
0/20/150°
1–4,5
+
+
–
Pectoralis-minor-Transfer
C5 bis Th1
90°
–
–
–
–
Trizepstransfer
C7 bis Th1
–
1–2
+
–
–
Steindler-Transfer
C6 bis Th1
0/22/115°
0–2
–
–
+
Modifizierter Steindler-Transfer
C6 bis Th1
0/33/113°
3–4
–
–
+
Mehrzeitiger freier funktioneller Muskeltransfer (Schulter, Ellenbogen)
N. XI
0/20/100°
1–2,5
+
+
–
0/45/95°
0–0,7
+
–
+
Th3 bis Th5 N. phrenicus Kontralateraler C7
Mehrzeitiger polyartikulärer (Ellenbogen, Handgelenk, Hand) freier funktioneller Muskeltransfer
N. XI Th3 bis Th5 Kontralateraler C7
Bei partieller Paralyse nach Spontanregeneration oder operativer Revision mit ungenügender Regeneration im Bereich der Ellenbogenbeugemuskulatur (Kraftgrad M1 oder M2) können mit den verschiedenen Verfahren – im Sinne eines Augmentationstransfers – oft deutlich bessere Ergebnisse erzielt werden. Dies ist auf eine bessere sensomotorische Steuerung der Gelenkfunktion durch die regenerierte Ellenbogenbeugemuskulatur zurückzuführen. In Ausnahmefällen kann man auch Muskeln mit einem Kraftgrad >M2 transponieren. Oft können auf diese Weise befriedigende Ergebnisse, vor allem bei Kindern, erreicht werden. Für die sekundäre Wiederherstellung der Ellenbogenbeugung stehen mehrere Verfahren zur Verfügung (Tabelle 6.18). Die verschiedenen Verfahren unterscheiden sich hinsichtlich Innervation, Bewegungsamplitude, Kraftentwicklung, Spenderdefekt und Einfluss auf benachbarte Gelenke. Neben eventuellen bimanuellen Tätigkeiten kann in unterschiedlichem Maß mit den verschiedenen Verfahren eine Stabilisierung im Glenohumeralgelenk sowie die Supinationsfähigkeit im Unterarmbereich erreicht werden. Ersatzoperationen an Oberarm und Ellenbogen werden bei Patienten durchgeführt, wenn die operative Behandlung von Verletzungen des Plexus brachialis nach Ablauf von 2–3 Jahren keinen oder nur einen Teilerfolg (s. oben, Absch. 6.2.1.3) ergeben hat. Wenn bei vorlie-
genden Wurzelausrissen keine Neurotisationsoperationen (1/2 N. accessorius, Intercostalestransfer 3–6, kontralateraler C7-Transfer) durchgeführt werden können und/oder bei denen neben der Nervenschädigung auch direkte Muskelschädigungen im Oberarmbereich vorliegen, sind auch Ersatzoperationen indiziert. • Der M. latissimus dorsi wird durch den N. thoracodorsalis (C6 bis C8), einem Ast des Fasciculus posterior, versorgt. Er ist ein sehr kräftiger Muskel mit konstanten anatomischen Verhältnissen und einem ausreichend langen Gefäß-Nerven-Stiel. Durch den bipolar transponierten M. latissimus dorsi kann durchschnittlich eine Bewegungsamplitude von Extension/Flexion: 0–0–115° und eine Kraft von 0,5–4 kg erreicht werden. Trotz guter Perfusion der Hautinsel zeigte ein Muskel in unserer Serie (n=22) postoperativ einen signifikanten Kraftverlust. Die restlichen 21 Patienten erreichten eine durchschnittliche aktive Bewegungsamplitude von Extension/Flexion: 0–30–130° und konnten etwa 4 kg bei 90° gebeugten Ellenbogen halten (Abb. 6.19 a–f, vgl. Tabelle 6.18). Durch die Technik des bipolaren Transfers ist es möglich, neben der Ellenbogenbeugung auch eine Stabilisierung des Glenohumeralgelenks und eine gewisse Supinationsfähigkeit des Unterarms zu rekon struieren.
210
Plexus brachialis
KAPITEL 6
mitverlagerte Hautinsel
Processus coracoideus
Tendo m.bicipitis
a M. latissimus dorsi nach Transposition M. pectoralis major M. latissimus dorsi vor Transposition
b
c
d
Abb. 6.19 a–f. Rekonstruktion der fehlenden aktiven Ellenbogenbeugung mit Hilfe einer gestielten funktionellen myokutanen Latissimus-dorsi-Lappenplastik in der Technik nach Zancolli/Mitre, mod. nach Berger (bipolare Verlagerung). a Schematische Darstellung der Operation. b Oberarm nach Anzeichnung der Inzision. c Intraoperativ: Anzeichnung der Lappenplastik im Spenderbereich (Hautinsel wenn nötig). d Intraoperativ: Verlagerung des Ursprungs des M. latissimus dorsi in den Bereich des Lig. coracoacromiale (hierdurch hat der Transfer auch einen Einfluss auf die Schulterfunktion)
KAPITEL 6
e
f Abb. 6.19 a–f. Rekonstruktion der fehlenden aktiven Ellenbogenbeugung mit Hilfe einer gestielten funktionellen myokutanen Latissimus-dorsi-Lappenplastik in der Technik nach Zancolli/Mitre, mod. nach Berger (bipolare Verlagerung). e Ein Jahr postoperativ: Ellenbogenstreckung von lateral. f 2 Jahre postoperativ: Ellenbogenbeugung von frontal (Hautinsel evtl. wieder entfernt)
• Der M. pectoralis major wird durch die Ansa pectoralis (C5 bis Th1) innerviert, wobei der klavikuläre Anteil von Fasern des Fasciculus lateralis (C5/C6/C7) und der sternokostale Anteil von Fasern des Fasciculus medialis (C8/Th1) versorgt wird. Wegen der reichlichen Innervation ist dieser Muskel oft bei partiellen Läsionen einsetzbar. Die Transposition des M. pecto-
Plexus brachialis
ralis major ermöglicht eine kraftvolle Wiederherstellung der Ellenbogenbeugung. Die Präparation des Gefäß-Nerven-Stiels ist aufgrund der nicht ganz konstanten anatomischen Verhältnisse oft schwierig. Wegen der ästhetisch unschönen Narbe wird dieser Transfer bei Frauen selten eingesetzt. Da der M. pectoralis major für die thorakohumerale Zangenfunktion von Bedeutung ist, soll dieser Muskel nur benutzt werden, wenn entweder der M. latissimus dorsi oder der M. teres major eine aktive Oberarmadduktion ermöglichen. Patienten mit einem M.-pectoralis-majorTransfer erreichen eine durchschnittliche Bewegungsamplitude von Extension/Flexion: 0–20–150°, wobei 1–4,5 kg gehoben werden können (vgl. Tabelle 6.18). • Der M. pectoralis minor wird durch die Ansa pectoralis (C5 bis Th1) innerviert. Dieser Muskel ist auch bei partiellen Läsionen einsetzbar. Der M. pecoralis minor ist ein sehr schwacher kurzer Muskel, weshalb dieser Transfers entweder in Kombination mit einem Steindler-Transfer (Proximalisierung der Flexor-Pronator-Muskelmasse) oder als Augmentationstransfer bei noch bestehender Ellenbogenbeugekraft von M2 eingesetzt werden sollte. • Der M. triceps wird durch Äste des N. radialis (C7 bis Th1) versorgt. Da es sich um einen Antagonisten des Bizeps handelt, treten selten Schwierigkeiten bei der postoperativen Umlernphase auf. In der eigenen Serie (n=18) kam es nur bei einem Muskel zu einem Funktionsverlust. Die restlichen 17 Patienten erreichten durchschnittlich eine aktive Bewegungsamplitude von Extension/Flexion: 0–40–100° und konnten 2 kg bei 90° gebeugtem Ellenbogen halten (Abb. 6.20 a–e, vgl. Tabelle 6.18). Durch die Transposition verliert der Patient die Möglichkeit der aktiven Ellenbogenstreckung. Wenn eine Schulterabduktion/-flexion nicht über 90° möglich ist, ist dieser Spenderdefekt nicht gravierend. Für Patienten, die in der Ausführung ihres Berufes eine aktive Ellenbogenstreckung benötigen, oder auf den Gebrauch von Gehstöcken oder eines Rollstuhles angewiesen sind, ist diese Technik nicht indiziert. Da bei dieser Technik nur ein monopolarer Transfer durchgeführt wird, kann gleichzeitig keine Stabilisierung im Schultergelenk erzielt werden. Der M.-triceps-Transfer ist bei Kokontraktionen der Mm. biceps und triceps, die bei Spontanregeneration oder auch Nerventransplantation auftreten können, eine gute Methode, die Beugungsfähigkeit im Ellenbogengelenk herzustellen. • Die Flexor-/Pronatormuskeln des Unterarms werden durch den N. medianus (C6 bis Th1) innerviert. Die durchschnittliche aktive Beweglichkeit beträgt Extesion/Flexion: 0–22–115°, wobei bis 2 kg gehoben werden können. Bei unseren Patienten haben wir eine eigene Modifikation (Berger 1985) der Steindler-Operation angewandt. Durch eine vermehrte Proximali-
211
212
Plexus brachialis
KAPITEL 6 Abb. 6.20 a–e Transposition des M. triceps brachii zur Wiederherstellung der Ellenbogenbeugefunktion. a Präoperativer Befund. b Schema der Trizepstransposition. c Postoperatives Ergebnis: Heben eines 3 kg schweren Eimers
a
b
KAPITEL 6
Plexus brachialis
c, d
213
e Abb. 6.20 a–e Transposition des M. triceps brachii zur Wiederherstellung der Ellenbogenbeugefunktion. d Postoperatives Ergebnis (Flexion). e Postoperatives Ergebnis:
Spenderdefekt (fehlende aktive Ellenbogenextension bei Schulterabduktion/-flexion >90°)
sierung auf 8–10 cm des Ellenbogengelenkspaltes kann eine aktive Bewegungsamplitude von 0–32–113° mit einer durchschnittlichen Kraftentwicklung von 3,2 kg erreicht werden (Abb. 6.21 a–e). Wegen der Ausbildung einer Pronations-Flexions-Kontraktur im Handgelenk- und Fingerbereich bei fehlender aktiver Handgelenk- und Fingerstreckung sollte dieses Verfahren nur dann eingesetzt werden, wenn eine aktive Handgelenk- und Fingerstreckung möglich ist oder durch primären Transfer der Flexor-carpi-ulnarisSehne wiederhergestellt werden konnte.
gleichzeitigen Wiederherstellung der Ellenbogenbeugung und Handgelenk- sowie Fingerbeugung kann der Muskel bifunktional unter Schaffung eines „pulley“ transplantiert werden (Berger, Doi). Alternativ kann dabei die Ellenbogenbeugung und die aktive Handgelenk- und Fingerstreckung wiederhergestellt werden. Durch diese Technik ist in etwa 50% der Fälle mit einem funktionellen brauchbaren Ergebnis zu rechnen. In der eigenen Serie beträgt die durchschnittliche Bewegungsamplitude 0–45–95°, wobei maximal 0,7 kg gehoben werden können (Abb. 6.22 a–d).
Komplette Parese der gesamten Extremität. Bei einer kompletten Parese kann die Ellenbogenbeugung nur durch eine mehrzeitige mikrochirurgische Rekonstruktion wiedererlangt werden. In der ersten Operation werden Nerventransplantate vorgelegt. Als Axonspender dienen entweder extraplexuelle Quellen (N. accessorius, Intercostalistransfer), oder Teile (M.-pectoralis-majoroder M.-latissimus-dorsi-Anteil) der kontralateralen C7Wurzel. 12–18 Monate nach der ersten Operation erfolgt eine Biopsie des distalen Nerventransplantatendes zur Überprüfung der Qualität der Nervenregeneration. Neben der Qualität der Axone (motrorisch/sensibel: Acetylcholinesterase-Reaktion) wird die Qualität der Axone <6 <18 µm auf dem Nervenquerschnittspräparat bestimmt. Bei ausreichender Quantität und Qualität wird ein freier funktioneller Muskeltransfer durchgeführt. Als Spendermuskel stehen der M. latissimus dorsi, der M. rectus femoris und der M. gracilis zur Verfügung. Zur
Partielle Paralyse nach Spontanregeneration oder operativer Revision mit fehlender Regeneration im Bereich der Ellenbogenbeugemuskulatur (Kraftgrad M0). Bei partieller Paralyse nach Spontanregeneration oder operativer Revision mit fehlender Regeneration im Bereich der Ellenbogenbeugemuskulatur (Kraftgrad M0) ist eine „Balancierung“ der (wiedergewonnenen) Muskelfunktionen im Schulter- und Unterarmbereich zugunsten der Ellenbogenbeugung notwendig. Bei komplett fehlender Ellenbogenbeugung stellt der M.-latissimusdorsi-Transfer, wegen der guten Bewegungsamplitude, Kraftentwicklung, des geringen Spenderdefektes und der zusätzlichen Stabilisierung des Schultergelenks, die Therapie der Wahl dar. Beim Einsatz des M. latissimus dorsi muss aber immer überprüft werden, ob dieser Muskel nicht günstiger im Schulterbereich für weitere Sehnentransfers eingesetzt werden kann. Besteht auch der Wunsch und die Möglichkeit der Wiederherstellung ei-
214
Plexus brachialis
KAPITEL 6
a
b
N. medianus A. brachialis
Flexor/PronatorMuskelmasse
d
N. ulnaris
c e Abb. 6.21 a–e. Proximalisierung der Flexor-Pronator-Muskelmasse zur Wiederherstellung der Ellenbogenbeugefunktion bei guter Handgelenks und Fingerstreckfähigkeit. a Präoperativer Befund. b Intraoperativer Befund: Zustand nach Ventralverlagerung des N. ulnaris und Ablösung der Pronator-Flexor-Muskelmasse vom Epicondylus medialis mit
einem Knochenstück. c Schema des modifizierten SteindlerTransfers nach Berger. d Intraoperativer Befund: Zustand nach Fixierung der Pronator-Flexor-Muskelmasse an der anterolateralen Humerusfläche. e Postoperatives Ergebnis: Ellenbogenbeugung bei Handgelenk- und Fingerextension (zur Vermeidung des „Steindler-Effekts“)
KAPITEL 6
Plexus brachialis
215
M. flexor carpi ulnaris
a transponierter M. latissimus dorsi
b
c
d Abb. 6.22 a–d. Wiederherstellung der Ellenbogenbeugefunktion durch mikrochirurgische Rekonstruktion. a Präoperativer Befund. b Primäres Vorlegen eines Nerventransplan-
tats auf einen Intercostalistransfer. c Schema: Anordnung des freien funktionellen Muskeltransplantats. d Funktionelles Spätergebnis (Flexion)
216
Plexus brachialis
ner Außenrotation im Schulterbereich, ist zu prüfen, ob die Schulter über 90° abduziert werden kann. Ist dies möglich, kann der M. teres major oder der M. pectoralis minor als Therapie der 2. Wahl zu Rekonstruktion der Außenrotation im Schulterbereich genommen werden. Als Therapie der 2. Wahl sehen wir auch den Trizeps-aufBizeps-Transfer. Eine glenohumerale Subluxation kann mit diesem Verfahren nicht behandelt werden. Der nach Berger modifizierte Transfer der PronatorFlexor-Muskeln nach Steindler stellt eine gute Indikation bei Läsionen im Bereich von C5/C6 dar. Eine fehlende aktive Handgelenk- und Fingerstreckung bedeutet eine relative Kontraindikation. Durch primäre Verlagerung der Flexor-carpi-ulnaris-Sehne als Handgelenk- und Fingerstreckung kann die funktionsbeeinträchtigende Mitbeugung von Handgelenk und Finger deutlich verringert werden. Partielle Paralyse nach Spontanregeneration oder operativer Revision mit ungenügender Regeneration im Bereich der Ellenbogenbeugemuskulatur (Kraftgrad M1 oder M2). Bei partieller Paralyse nach Spontanregeneration oder operativer Revision mit ungenügender Regeneration im Bereich der Ellenbogenbeugemuskulatur (Kraftgrad M1 oder M2) können die oben genannten Verfahren im Sinne eines Augmentationstransfers eingesetzt werden. Bei bestehender aktiver Handgelenk- und Fingerstreckung sollte immer an die Möglichkeit der Proximalisierung der Flexor-Pronator-Muskeln gedacht werden. Zusätzlich kann auch ein M.-pectoralis-minor-Transfer zur Vergrößerung der Kraft durchgeführt werden. Kommt es nach Reinnervation zu einer Kokontraktion der Mm. triceps und biceps brachii, stellt der Trizeps-aufBizeps-Transfer eine mögliche operative Technik dar. Bei partieller Paralyse nach Spontanregeneration, operativer Revision mit Regeneration im Bereich der Ellenbogenbeugemuskulatur auf den Kraftgrad M3 oder bestehendem Steindler-Effekt richtet sich das weitere Vorgehen nach den Bedürfnissen des Patienten. Falls der Patient im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit und privat ohne das Heben größerer Lasten auskommt, ist die Operationsindikation zunächst fraglich. Hier muss mit dem Patienten genauestens erörtert werden, was durch einen zusätzlichen Kraftspender verbessert werden kann und inwieweit für den Alltag die Verbesserung für den Patienten wichtig ist. Schulter. Durch Verbesserung von Stabilität und Beweglichkeit im Schulterbereich kommt es zu einer deutlichen Steigerung der Gebrauchsfähigkeit der betroffenen Extremität. Hauptziele der Wiederherstellung der Funktion im Schulterbereich sind mit absteigender Priorität:
1. Stabilisierung des Glenohumeralgelenks („Sulcuszeichen“),
KAPITEL 6
Abb. 6.23. Aktive Schulteradduktion im Sinne einer „thorakohumeralen Zange“
2. Adduktion („thorakohumerale Zange“), 3. Abduktion, 4. Flexion, 5. Außenrotation. Selbst bei kompletter Läsion des Plexus brachialis sind oft der M. trapezius und die Schulterblattmuskeln (Mm. levator scapulae, rhomboideus major, rhomboideus minor) intakt. Der M. serratus anterior hat eine Schlüsselrolle bei der dynamischen Fixierung der Skapula an der Thoraxwand und sollte, wenn immer möglich, bei der primären Nervenrekonstruktion neurotisiert werden (z. B. extraplexuell T2 und/oder T3). Viele Patienten mit komplett paretischer Schulter klagen über Schmerzen im Bereich des Glenohumeralgelenks, die oft mit einer Subluxationsstellung des Humeruskopfes verbunden sind. Klinisch zeigt sich das so genannte „Sulcuszeichen“. Durch die suffiziente Muskelfunktion des langen Kopfes des M. biceps kann eine Subluxationsstellung bei etwa der Hälfte der Patienten aufgehoben werden. Für den Rest besteht die Möglichkeit des Trapeziustransfers oder einer Arthrodese im Schultergelenk. Letztere sollte nur dann durchgeführt werden, wenn eine Stabilisierung der Skapula an der Thoraxwand durch eine ausreichende Funktion des M. serratus anterior besteht. Anderenfalls würde statt der Abduktionsbewegung eine Scapula-alataFehlstellung mit inadäquater Funktion resultieren. Die Adduktion erfolgt passiv durch die Schwerkraft und aktiv durch die Wirkung des kurzen Kopfes des M. biceps auf das Schultergelenk (Abb. 6.23). Vor allem bei kleineren Patienten (Winkelverhältnisse) und kompletter Parese (leichte Extremität) kann durch den Transfer des kranialen Trapeziusanteils eine aktive Abduktion von durchschnittlich 40° erzielt werden. Durch Verlagerung der Insertionsstelle nach ventral kann zusätzlich eine Flexion von ebenfalls etwa 40° gewonnen werden (Abb. 6.24 a–e). Ob durch zusätzlichen
KAPITEL 6
Plexus brachialis
217
a
b
d
c Abb. 6.24 a–e. Sekundäre Wiederherstellung der aktiven Schulterabduktion durch Transposition des kranialen Anteils des M. trapezius nach Saha. a Klinischer Aspekt präoperativ. b Schema: Hautschnitt. c Schema: Verlagerung des kranialen Anteils des M. trapezius auf den proximalen Humerus. d intraoperativ nach Fixierung des Transfers. e Klinischer Aspekt 2 Jahre postoperativ: Abduktion
e
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Plexus brachialis
Transfer des M. levator scapulae zur Insertionsstelle des M. suprascapularis eine weitere Ergebnisverbesserung erreicht werden kann, wird unterschiedlich diskutiert. Durch die Verlagerung des M. latissimus dorsi kann eine aktive Außenrotation von etwa 30° erreicht werden. Vor allem bei einer Abduktionsfähigkeit von mehr als 90° kann diese durch die neue Zugrichtung des M. latissimus dorsi beeinträchtigt werden. Bei Patienten mit fehlender oder inadäquater M.-latissimus-dorsi-Funktion kann eine Bewegung mit Außenrotation bei intakten Mm. serratus anterior und rhomboidei durch eine glenohumerale Arthrodese imitiert werden. Die Außenrotation kann auch durch Verlagerung des Ansatzes des M. pectoralis major oder durch Transfer des M. pectoralis minor erreicht werden. Hand. Die funktionellen Ergebnisse der Wiederherstellungsoperationen der aktiven Handfunktionen beim Erwachsenen sind im Gegensatz zum Kleinkind bescheiden und stellen daher ein nachgeordnetes Therapieziel dar.
Die wichtigste aktive Funktion im Handbereich ist die Handgelenkstreckung, denn sie ermöglicht durch die aktive Handgelenkextension eine passive Beugung der Finger (Tenodeseeffekt). Bei gleichzeitig bestehender aktiver Fingerbeugung ergibt die aktive Handgelenkstreckung eine Positionierung der Hand zum Objekt und eine Stabilisation während des Greifaktes.
KAPITEL 6
Die zweitwichtigste Funktion im Handbereich ist die Fingerbeugung. Sie ist die einfachste Greifform – der Hakengriff. Als Nächstes sollte der Schlüsselgriff wiederhergestellt werden. Für das Umgreifen größerer Gegenstände ist eine aktive Finger- und Daumenstreckung notwendig. Die intrinsische Funktion von Daumen und Langfingern ist Voraussetzung für Präzisionsgreifformen sowie Kraft und Ausdauer bei der Handarbeit. Beim Erwachsenen mit ausgedehnter Schädigung im unteren Plexusbereich kann sie fast nie wiederhergestellt werden. Da die Fingerflexoren das Handgelenk mitbeugen, sollte eine Wiederherstellung der aktiven Handgelenkbeugung nur dann durchgeführt werden, wenn diese spezielle Bewegung für den Patienten von außerordentlich großer Bedeutung ist. Meist ist dies aus Mangel an verwendbaren Muskel-Sehnen-Einheiten nicht möglich (Tabelle 6.19). Die Beeinträchtigung der Handfunktion bei Schädigungen des Plexus brachialis ist abhängig von Lokalisation und Ausmaß der Primärschädigung, sowie der möglichen Regeneration nach konservativer oder operativer Therapie. Die Rekonstruktion der Handfunktion erfolgt im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplanes der gelähmten Extremität nach Wiederherstellung der thorakohumeralen Zangenfunktion, der Ellenbogenbeugung und der Schulterfunktion. Für die erfolgreiche Wiederherstellung oder Verbesserung der Handfunktion bei Patienten mit Läsionen des Plexus brachialis ist ebenfalls ein Gesamttherapiekonzept notwendig. Aufgrund der höheren Fibroserate, der geringeren Muskelmasse und der beeinträchtigten Innervation sind
Tabelle 6.19. Therapieziele der Wiederherstellung der Handfunktion bei Patienten mit Läsion des Plexus brachialis Funktion
Griff
0) Papierpresse – Hand
Passiver Hakengriff
passiv (keine ausreichende aktive Ellenbogenbeugung) aktiv (ausreichende aktive Ellenbogenbeugung) 1) Passive Fingerflexion Schutzsensibilität keine Schutzsensibilität 2) Aktive Fingerextension
Aktiver Hakengriff
3) Aktive Fingerflexion 4) Passive Daumenadduktion/-flexion
Schlüsselgriff
5) Aktive Fingerextension
Grobgriff
6) Aktive Daumenabduktion/-retropulsion
Transiente Greifformen
7) Aktive Daumenantepulsion
Präzisionsgreifformen
8) Intrinsische Fingerfunktion 9) Aktive Handgelenksflexion
KAPITEL 6
regenerierte Muskeln weniger widerstandsfähig. Übermäßige Spannung während der Operation und ein zu schneller Belastungsaufbau nach Mobilisierung müssen vermieden werden. Postoperativ erfolgt eine Ruhigstellung mit einer palmaren Unterarmschiene oder Oberarmschiene für 3–6 Wochen bei kontrollierter Physiotherapie zur Vermeidung von Gelenkeinsteifungen. Die exakte präoperative Analyse des gesamten Ausfalls ist von zentraler Bedeutung. Ersatzoperationen an der Hand sollen bei Patienten durchgeführt, die nach operativer Behandlung des Plexus brachialis nach 2–3 Jahren keinen oder nur einen Teilerfolg erzielen konnten, oder bei denen nach der Nervenrekonstruktion eine teilweise oder komplette Wiederherstellung der Handfunktion nicht möglich ist. Supraklavikuläre Läsionen. Partielle supraklavikuläre Läsionen von C5/C6 bei erhaltener Funktion von C7/C8/Th1. Bei reiner C5/C6Läsion ist die Handfunktion in der Regel klinisch unbeeinträchtigt. Nur bei genauer Untersuchung kann eine Schwächung der Handgelenkextension (Mm. extensor carpi radialis longus et brevis/ECRL et ECRB) bei etwa 20% der Patienten gefunden werden. Partielle supraklavikuläre Läsionen von C5/C6/C7 bei erhaltener Funktion von C8 bis Th1. Bei 70% der Patienten kommt zu dem klinischen Bild einer Fallhand, wie bei hoher Radialislähmung. Auf der palmaren Unterarmseite sind M. palmaris longus (PL) und M. flexor carpi ulnaris (FCU) meist erhalten, währen der M. flexor carpi radialis (FCR) oft teilweise oder vollständig gelähmt ist. Hieraus resultiert die Möglichkeit des Grob- und Schlüsselgriffs bei jedoch deutlich eingeschränkter Sensibilität im Medianusbereich. Für die Wiederherstellung der motorischen Funktionen durch eine Radialisersatzoperation haben sich die Techniken nach Merle D‘Aubigné u. Deburge 1967 (Abb. 6.25 a–e) bewährt. Im Gegensatz zur peripheren Radialisläsion müssen folgende Besonderheiten beachtet werden: Bei einer Schädigung der Wurzeln C5/C6/C7 besteht in 30% der Fälle noch Aktivität der Mm. extensor carpi radialis longus et brevis oder ein ECRB mit dem Kraftgrad M3+ (M5), weshalb bei diesen Patienten nur die Fingerstreckung und Daumenretropulsion fehlt. Bei ausreichender Bewegungsamplitude und Kraft ist eine sekundäre Wiederherstellung der Handgelenkextension nicht notwendig (Tabelle 6.20). Für die Reanimation der Handgelenkstreckung können 3 Muskeln ausgewählt werden:
• Mm. flexor digitorum superficialis (FDS) III/IV, • M. flexor carpi radialis (FCR) und • M. palmaris longus (PL).
Plexus brachialis
Durch die besseren Ergebnisse der Kraft und Ausdauer stellt die transmembranöse Verlagerung der Sehne des FDS III oder IV auf die Sehne des ECRB die Therapie der 1. Wahl dar. Der FCR ist wegen seiner Kraft die Therapie der 2. Wahl. Der PL ist oft subklinisch mitgeschädigt. Obwohl bei präoperativer klinischer Prüfung oft ein Kraftgrad M3 oder M4 besteht, kommt es häufig zu einer schnellen Ermüdung. Dabei, wird oft nur ein Tenodeseeffekt und keine adäquate aktive Bewegung erreicht. Für die Wiederherstellung der aktiven Fingerextension stellt die Sehne des FCU die Therapie der 1. Wahl dar. Als Therapie der 2. Wahl kann die Sehne des FDS III oder IV Verwendung finden. Wieder gilt es, den Spenderdefekt (Kraftverlust bei Fingerbeugung, vor allem beim Grobgriff) gegen den erwarteten Nutzen abzuwägen. Für die Extension bzw. Retropulsion im Daumenbereich stehen neben dem PL und dem FCU die Sehnen von FDS III oder IV zur Verfügung. Durch die Koppelung des M. extensor pollicis longus (EPL) mit dem FCU kommt es zwar zu einer Extension im Interphalangeal(IP-)Gelenk, jedoch auch zu einer gleichzeitigen Adduktionsbewegung des 1. Strahls. Durch Reanimation des APL (Abductor pollicis longus) entweder mit dem PL oder dem FDS III oder IV kann die Adduktionskomponente wirkungsvoll vermindert werden. Partielle supraklaviculäre Läsionen von C5/C6/C7 mit Kontusion von C8 bis Th1. In diesem Fall kommt es zusätzlich zu einer Schädigung von PT (Pronator teres), FDS III und IV, FCR und PL, weshalb nur noch der FCU zur Transposition zur Verfügung steht. Um eine störende Daumenadduktion bei Fingerstreckung zu vermeiden, führen wir eine Tenodese der APL-Sehne durch. In diesen Fällen wird oft auch die Indikation zur Handgelenkarthrodese diskutiert, um mehr Kraft für die aktive Fingerstreckung zu erzielen. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass der oft sehr nützliche Tenodeseeffekt zur Fingerstreckung durch die Arthrodese verloren geht (Tabelle 6.21). Partielle supraklavikuläre Läsionen von C8 bis Th1 + C7 bei erhaltener Funktion von C5 bis C6 + C7. Bei diesen Läsionen besteht eine normale Funktion im Bereich der Schulter und des Ellenbogens. Fingerstreckung sowie Handgelenk- und Fingerbeugung fehlen. Für eine Transposition stehen mit absteigender Sicherheit zur Verfügung: M. brachioradialis, ECRL und ECRB. Für die Reanimation der Langfingerbeugung hat sich die transmembranöse Verlagerung der Sehne des ECRL auf die Sehne des Flexor digitorum profundus (FDP) bewährt. Es ist aber wichtig, dass die aktive Handgelenksextension erhalten bleibt. Ist der ECRB nicht geschädigt, reicht seine Funktion alleine aus, eine brauchbare Handgelenkstreckung zur erhalten. Ist dieser Muskel jedoch auch geschädigt, ist die Transposition der ECRL-Sehne kontraindiziert. In diesen Fällen hat sich die Tenodese des
219
220
Plexus brachialis
KAPITEL 6
Abb. 6.25 a–e. Radialisersatzoperation nach Merle d‘Aubigné. a präoperativ mit erhaltener Handgelenkstreckung. b Schema: Hautinzisionen
a Mm abductor pollicis longus A. radialis
N. ulnaris
b
M. flexor carpi ulnaris
M. palmaris longus
KAPITEL 6
Plexus brachialis
221
d
M. flexor carpi ulnaris M. extensor pollicis longus
e
Mm. extensores digitorum communes 2, 3, 4, 5 M. pronator teres M. brachioradialis
c
M. extensor carpi radialis longus M. extensor carpi radialis lbrevis
Abb. 6.25 a–e. Radialisersatzoperation nach Merle d‘Aubigné. c Schema: Sehnentransposition und -fixierung. d postoperativ: Handgelenk- und Fingerextension. e postoperativ: kompletter Faustschluss
222
Plexus brachialis
KAPITEL 6
Tabelle 6.20. Therapieplan bei Läsion C5 bis C7 und intakter Wurzel C8 bis Th1 Handgelenkextension (ECRL, ECRB, ECU)
ECRB
–
70% FDS III/IV (PT)
Fingerextension (EDC, EIP, EDM)
EDC
–
Daumenretropulsion (EPL, APL, EPB)
EPL
–
FCU
APL
–
PL
30% ausreichende Funktion FCU FDS III, IV
FDS V
Tabelle 6.21. Therapieplan bei Läsion C5 bis C7 und beschädigter Wurzel C8 bis Th1 Handgelenkextension (ECRL, ECRB, ECU)
ECRB
Fingerextension (EDC, EIP, EDM)
EDC
Daumenretropulsion (EPL, APL, EPB)
EPL
–
FCU
–
FCU
(Tenodese, Arthrodese) FDS III, IV
FDP am Radius bewährt. Durch die aktive Handgelenkextension kommt es zu einer passiven Fingerbeugung. Wenn C7 nur partiell geschädigt ist, können evtl. auch der PT oder regenerierte FDS II oder III eingesetzt werden. Immer ist zu prüfen, ob durch einfache Seit-zu-SeitKoppelung der FDS II und III mit IV und V eine aktive Fingerbeugung erzielt werden kann. Zur Wiederherstellung der Daumenbeugung für eine primitive Greiffunktion bei komplettem Flexionsverlust im Handbereich hat sich der Transfer der Sehne des M. brachioradialis (BR) auf die Sehne des Flexor pollicis longus (FPL) in Kombination mit einer Arthrodese im Metaphalangeal-(MP-)IGelenk bewährt. Durch die Änderung der Zugrichtung der FPL-Sehne ergibt sich eine Oppositionsbewegung des Daumens gegen die Langfinger. Bei starker Regeneration der Extensoren im Handbereich kann eine Krallenhandfehlstellung entstehen. Dann wäre eine Korrektur im Sinne einer Intrinsic-Ersatzoperation notwendig. Durch die zusätzlich stark beeinträchtigte Sensibilität kann die Hand selbst bei guter Funktion des Transfers meist nur bei gleichzeitiger visueller Kontrolle eingesetzt werden (Tabelle 6.22). Komplette supraklavikuläre Läsionen. Die kompletten supraklavikulären Läsionen, die bei etwa 70–75% aller Patienten vorliegen, haben eine sehr schlechte Prognose für die Hand. Das wichtigste Therapieziel ist die Vermeidung von Fehlstellungen.
–
FDS V Tenodese
Selbst die komplett paralytische Hand dient als „autologe Prothese“ deren funktioneller Wert nicht unterschätzt werden darf.
Nur selten (0,2%) wünschen die Patienten eine Amputation. Bei allen Operationen an dystrophen paralytischen Unterarmen und Händen ist eine verzögerte Wundheilung zu erwarten. Das Ziel geplanter Eingriffe ist folgendes: die Korrektur von Fehlstellungen durch Positionierung von Daumen und Langfinger mit Hilfe von Tenodesen und Arthrodesen. Ein primitiven Grobgriff, als Maximalziel, kann nur mit einer freien funktionellen Muskeltransplantation, einem sehr aufwändigen Verfahren, erreicht werden (Tabelle 6.23). Bei ausreichender Perfusion der Extremität, guter Ellenbogenbeugung und protektiver Sensibilität im radialen Unterarm- und Handbereich kann man durch eine monofunktionale Transplantation eine Verbesserung der Handgelenk- und Fingerbeugung oder der Handgelenkstreckung mit tenodetisch bedingter Fingerbeugung erreichen. Bei ausreichender Reinnervation kann nach histologischer Kontrolle das freie funktionelle Muskeltransplantat an den regenerierten Nerven angeschlossen werden. Fehlt eine ausreichende Innervation, ist eine extraplexuelle Neurotisation notwendig. Diese kann einzeitig durch einen Intercostalistransfer oder mehrzeitig durch einen zusätzlichen ispsilateralen N.-XI- oder einen partiellen kontralateralen C7-Transfer erfolgen.
KAPITEL 6
Plexus brachialis
223
Tabelle 6.22. Therapieplan bei partieller supraklavikulärer Läsion von C8 bis Th1 + C7 bei erhaltener Funktion von C5 bis C6 + C7 Fingerflexion (FDP/FDS II–V)
FDP
–
ECRL Tenodese (ECRB insuffizient) (PT) (FDS II, III regeneriert)
Daumenopposition (FPL)
FPL
–
BR + MP-Arthrodese nach Dislokation
Fingerextension (EDC, EIP, EDM)
EDC
–
Keine Rekonstruktion möglich
Daumenretropulsion (EPL, APL, EPB)
EPL
–
Keine Rekonstruktion
APL
–
Keine Rekonstruktion (PL)
Tabelle 6.23. Therapieplan für komplette supraklavikuläre Läsion (C5 bis Th1) Handgelenk-/Fingerflexion (FDP/FDS II–V)
FDP
–
Statische Positionierung (freier funktioneller Muskeltransfer)
Daumenopposition (FPL)
FPL
–
Statische Positionierung (Tenodese, Arthrodese)
Hangelenkextension/Fingerflexion
EDC
–
Statische Positionierung (freier funktioneller Muskeltransfer)
Tabelle 6.24. Therapieplan bei retro- und/oder infraklavikulärer Läsion des Fasciculus posterior („hohe Radialisschädigung“) Handgelenkextension (ECRL, ECRB, ECU)
ECRB
–
PT
Fingerextension (EDC, EIP, EDM)
EDC
–
Daumenretropulsion (EPL, APL, EPB)
EPL
–
FCU
APL
–
PL
FDS III, IV FCU FDS III, IV
FDS V
Retro-/infraklavikuläre Läsionen. Diese Gruppe betrifft etwa 20–25% der Läsionen des Plexus brachialis. Bei dieser Lokalisation liegen höchst unterschiedliche nervale Schädigungsmuster vor. Häufig lassen sich auch zusätzliche knöcherne Läsionen und Gefäßschäden finden. Die zusätzlichen Läsionen wirken sich negativ auf die Prognose aus. Retro- und/oder infraklavikuläre Läsion des Fasciculus posterior. Die retroklavikulären Schädigungen betreffen in etwa 50% den posterioren Faszikel. Es besteht das Bild einer „hohen Radialisläsion“. Für die Therapie dieser Läsion haben sich die Standardtechniken wie z. B. die Technik nach Merle d‘Aubigné bewährt (Tabelle 6.24).
Retro- und/oder infraklavikuläre Läsion des Fasciculus lateralis. In etwa 30% der retro- und/oder infraklavikulären Läsionen liegt eine Schädigung des Fasciculus lateralis vor. Hier bestehen an der Hand nur geringe Ausfälle (laterale Medianusgabel). Retro- und/oder infraklavikuläre Läsion des Fasciculus medialis. Die isolierte Schädigung des Fasciculus medialis ist äußerst selten und zeigt das klinische Bild einer „hohen Ulnarisläsion“. Für die Reanimation der intrinsischen Daumenfunktion hat sich die Technik nach Mackin (Transfer des BR auf die dislozierte Sehne des FPL mit gleichzeitiger Arthrodese des MP-I-Gelenks) oder nach Camitz (PL auf Abductor pollicis brevis/APB) bewährt. Um eine aktive
224
Plexus brachialis
KAPITEL 6
Tabelle 6.25. Therapieplan bei retro- und/oder infraklavikulärer Läsion des Fasciculus medialis („hoher Ulnarisschaden“) Intrinsische Daumenfunktion Retropulsion
EPL
–
EIP
Antepulsion
FPL
–
BR + MP-Arthrodese nach Dislokation
APB
–
PL unter Retinaculum flexorum
Fingerflexion
FDP
–
Laterolaterale Koppelung (FDP/FDS II–V)
Intrinsische Fingerfunktionen
„Intrisics“
–
FDS II, III (Zancolli Lasso)
PL
ECRL (Palende) Anteriore Kapsuloraphie Tenodese (Frowler)
Fingerbeugung zu erreichen, sollte zuerst an eine Seit-zuSeit-Koaptation der FDP-Sehnen II bis V gedacht werden. Für den Ersatz des intrinsischen Muskels im Langfingerbereich hat sich vor allem die Lasso-Operation nach Zancolli (Zancolli II) bewährt. Alternativ dazu kann auch der ECRL – verlängert durch Sehnentransplantate – eingesetzt werden. Falls weder eine FDS-Sehne noch ein radialer Handgelenkstrecker zur Verfügung stehen, bleibt noch die Möglichkeit einer anterioren Kapsulorraphie der MP-Gelenke als statische Korrektur (Tabelle 6.25).
Adjuvante Eingriffe Die bisher genannten Rekonstruktionsverfahren können durch adjuvante (oder tertiäre) Eingriffe, wie Tenodesen, Kapsulodesen, Arthrodesen oder Orthesen oft funktionell deutlich verbessert werden.
Schmerztherapie Die gezielte Schmerztherapie wird heute immer noch unterschätzt. Die wiedergewonnenen Basisfunktionen können nur dann eingesetzt werden, wenn der Patient nicht durch starke Schmerzen beeinträchtigt wird. Mit Schmerzen bei Läsionen des Plexus brachialis ist umso mehr zu rechnen, je mehr Wurzeln geschädigt sind und vor allem, je mehr Ausrissverletzungen vorliegen.
Die Schmerztherapie muss frühzeitig und konsequent begonnen und durchgeführt werden. Neben Schmerzmedikamenten haben weitere Faktoren Einfluss auf das subjektive Schmerzempfinden. Der engagierte Patient, der sein Leben
„in die Hand nimmt“, kann die Schmerzen besser ertragen als der introvertierte, zurückgezogen lebende Patient.
6.2.2 Radiogene Plexitis Spätveränderungen nach Bestrahlungen im Bereich des Plexus brachialis werden als „radiogene Plexitis“ oder „postaktinische Neuropathie“ bezeichnet. Es finden sich subjektive Veränderungen wie Dysästhesie, Parästhesie, Schmerz und objektivierbare Veränderungen wie Sensibilitätsminderung bis -verlust, Muskelatrophie und Paresen bis zum vollständigen Funktionsverlust.
6.2.2.1 Epidemiologie Die häufigste Strahlenschädigung am peripheren Nervensystem ist die radiogene Plexitis. Hals- Schulter- und oberer Thoraxbereich sind am häufigsten betroffen. Der größte Teil der Geschädigten sind Frauen mit malignen Erkrankungen der Brust. Durch Optimierung der Operationsmethoden bei der Tumortherapie und bessere Wahl der Bestrahlungsfelder (Schonung der Axilla) sowie geringere Bestrahlungsdosen ist die Anzahl an neu auftretenden radiogenen Plexitiden deutlich verringert. In Abhängigkeit von der Höhe der Strahlendosis ist mit einer klinisch manifesten Strahlenschädigung des Plexus brachialis in 14–73% der Fälle (Literatur) zu rechnen.
6.2.2.2 Pathogenese Wenn Gewebe hochenergetischer Strahlung ausgesetzt ist, kommt es in Abhängigkeit von der Gesamtdosis und der Fraktionierung zu typischen frühen Gewebereakti-
KAPITEL 6
onen, wie akuter Strahlenschaden mit Gewebeveränderungen bis zum Gewebeuntergang, und Spätveränderungen, wie Gefäßveränderungen, Nervenläsionen, Hautveränderungen und Fibrose. Im Frühstadium finden sich morphologische Veränderungen der Axone und Markscheiden. Die daraus entstehenden Parästhesien sind meist rückbildungsfähig. In den Spätstadien entstehen im Plexus-brachialisBereich morphologische Veränderungen des paraplexulären (extrinsischen) und nervalen (intrinsischen) Gewebes mit funktionellen Ausfällen. Die zunehmende Fibrosierung im paraplexulären Gewebe bedingt eine äußere Kompression. Es kann auch zu einer direkten Kompression der Wurzeln und Nervenstränge außerhalb der anatomischen Engstellen kommen. Massive Sklerose führt auch zu einer Retraktion des Gefäß-Nerven-Bündels. Diese Verziehung zum knöchernen Thorax und der hinteren Axillawand führt zusätzlich zu einer weiteren Durchblutungsminderung.
6.2.2.3 Klassifikation Nach Schwere und Ausdehnung der morphologischen Veränderungen können nach Le-Quang 3 Stadien unterschieden werden (Tabelle 6.26).
Plexus brachialis
Basierend auf der klinischen Symptomatik können ebenfalls verschiedene Stadien eingeteilt werden. LeQuang unterscheidet 4 Stadien mit aufsteigender Beschwerdesymptomatik (Tabelle 6.27).
6.2.2.4 Diagnostik Bei Patienten mit Symptomen nach Bestrahlung im Bereich des Plexus brachialis sollen folgende Daten erhoben werden: 1. Basisdaten, 2. Ausschluss eines Tumorwachstums und 3. lokale Strahlenspätschäden (Tabelle 6.28). Art, Ausprägung (pTNM-Stadium), Dauer und bisherige Therapie der Tumorerkrankung müssen bekannt sein. Es müssen Art, Lokalisation, Dosis und Applikation der Bestrahlungstherapie erfasst werden. Zum Zeitpunkt der Untersuchung muss ein komplettes aktuelles Tumor-Staging vorliegen. Wichtigstes diagnostisches Ziel ist es, ein Tumorwachstum im Bereich des Plexus brachialis, ein Lokalrezidiv oder eine strahleninduzierte maligne Entartung mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen (vgl. Tabelle 6.28).
Tabelle 6.26. Einteilung der morphologischen Veränderung der der radiogenen Plexitis. (Nach Le-Quang) Stadium I
Keine klinisch sichtbaren Zeichen einer Neuritis, mäßige extrinsische Kompression monolokal (meist im Bereich des M. pectoralis)
Stadium II
Mäßige klinisch sichtbare Zeichen einer Neuritis, diffuse extrinsische Kompression oligolokal (Mm. scaleni. subclavius, pectorales major et minor, latissimus dorsi)
Stadium III
Massive klinisch sichtbare Zeichen einer Neuritis (Striktur), massive diffuse extrinsische Kompression gekoppelt mit Gefäßveränderungen (lympathisch, venös, selten arteriell)
Tabelle 6.27. Einteilung der klinischen Symptomatik der radiogenen Plexitis. (Nach Le-Quang) Stadium I
Sensible Ausfälle ohne Schmerzen (anfangs flüchtige Parästhesien im Fingerbereich)
Stadium II
Sensible und motorische Ausfälle ohne Schmerzen (sensible Ausfälle zeigen unterschiedliche Intensität – Parästhesie, Dysästhesie. Hypästhesie, Anästhesie – motorische Ausfälle zeigen sich initial als Ungeschicklichkeit im Handbereich)
Stadium III
Sensible Ausfälle mit Schmerzen (Schmerzen anfangs lokalisiert und passager, vor allem tagsüber, jedoch zunehmend stärker und länger)
Stadium IV
Sensible und motorische Ausfälle mit Schmerzen (sensible und motorische Ausfälle anfangs meist Medianus- und Ulnarisgebiet, später gesamte Extremität, Schmerzen werden permanent auch nachts verspürt und zunehmend intolerabel)
225
226
Plexus brachialis Tabelle 6.28. Diagnostisches Vorgehen „postaktinische Funktionsbeeinträchtigung“ im Bereich des Plexus brachialis 1. Erfassung von Basisdaten Art, Ausprägung (pTNM-Stadium), Dauer und bisherige Therapie der Tumorerkrankung (vor allem: Art, Lokalisation, Dosis, Applikation der Radiatio) 2. Ausschluss Tumorwachstum Komplettes aktuelles Tumor-Staging Allgemeinsymptomatik klinische Untersuchung Blutentnahme Sonographie Röntgen (Thorax p.-a./seitlich) CT-Thorax mit Kontrastmittel MRT-Thorax Dreiphasenszintigraphie 3. Erfassung der lokalen Strahlenspätschäden Klinische Untersuchungen Nichtnerval bedingte Symptome Hautveränderungen Lymphödem Beweglichkeit der ipsilateralen Extremität Nerval bedingte Symptome subjektive Beschwerden (vgl. Abb. 6.6) Sensibilitätstestung Thoracic-outlet-Syndrom Provokationstests Hoffmann-Tinel-Zeichen Schmerzprovokation durch Perkussion Ausschluss einer Rückenmarks schädigung Suche nach Claude-Berward-Horner Zeichen
KAPITEL 6
Strahlenschäden im Bestrahlungsfeld betreffen alle Gewebearten (vgl. Tabelle 6.28). Bei der klinischen Untersuchung müssen auch die nicht nerval bedingten Symptome der späten Strahlenschädigung erfasst werden. Besonders ist nach Hautveränderungen (Teleangiektasien, Hautatrophie, Narbenplatten, maligne Neoplasien) zu suchen. Bei mindestens 1/3 der Patienten liegt ein Lymphödem der oberen Extremität vor. In 1/9 der Fälle tritt das Lymphödem gleichzeitig mit den ersten neurologischen Symptomen auf. Zur Erfassung der nerval bedingten Symptome soll neben Art und Stärke der subjektiven Beschwerden eine profunde Untersuchung der Sensibilität durchgeführt werden. Der Provokationstest zur Erfassung eines Thoracic-outlet-Syndroms (Adson-Test, Hyperabduktionstest, Kostoklavikulartest) darf nicht vergessen werden. Lokalisation und Stärke eines Hoffmann-Tinel-Zeichens sowie eine mögliche Schmerzprovokation durch Palpation müssen vermerkt werden. Routinemäßig sollte eine Mitbeteiligung des Rückenmarks ausgeschlossen und nach einem Claude-Bernard-Horner-Zeichens gesucht werden. Um strahlenbedingte Knochenveränderungen zu erfassen, werden Röntgenaufnahmen der HWS, der Schulter, des Thorax und Mediastinalraums angeordnet. Stadium und Ausdehnung der Fibrosierung im ehemaligen Bestrahlungsgebiet können durch die im Rahmen des Tumor-Stagings durchgeführte CT des Thorax mit Kontrastmittel und/oder MRT sichtbar gemacht werden. Bei anhaltender Zyanose und Schwellung im Bereich der erkrankten Extremität kann eine Phlebographie zur Diagnostik einer venösen Abflussstörung indiziert sein. Elektrophysiologische Untersuchungen liefern ebenfalls wichtige Informationen. Im EMG zeigen sich Hinweise auf eine Denervierung und Fibrosierung der Muskeln. Eine Korrelation zwischen elektrophysiologischen Parametern und den Befunden der klinischen Untersuchung existiert nicht.
6.2.2.5 Therapie
Röntgenuntersuchung strahlenbedingte Knochenveränderungen strahlenbedingte Lungenuntersuchungen Elektrophysiologische Untersuchungen Myokymien CT-Thorax mit Kontratmittel/MRT strahlenbedingte Fibrosierung im Bestrahlungsfeld Phlebographie Lokalisation und Quantifizierung eines venösen Abstromhindernisses
Wahl des therapeutischen Vorgehens ist abhängig von: 1. Art und Stadium der Tumorerkrankung (pTNM) 2. Allgemeinzustand und Alters des Patienten 3. Ausmaß der Strahlenschäden im Bereich von Haut und Knochen 4. Dem klinischen Stadium der Plexitis 5. Den intraoperativ gefundenen morphologischen Veränderungen
KAPITEL 6
Spontanverlauf Beschwerden nach Radiatio treten meist verzögert auf. In etwa 2/3 der Patienten findet man durch die strahlungsbedingte Schädigung des Fasciculus medialis Symptome initial im Handbereich. Mit dem Auftreten erster sensibler Beschwerden ist durchschnittlich nach 3,2 Jahren zu rechnen. Motorische Ausfälle zeigen sich durchschnittlich nach 3,7 Jahren.
Schmerzzustände können zu jedem Zeitpunkt beginnen. Es ist mit Schmerzen bei 20–80% der Patienten (Literatur) zu rechnen ist. Nach Narakas et al. (1989) können Patienten, die Schmerzen angeben, in 3 Gruppen eingeteilt werden: • bei 1/3 der Patienten bestehen initial keine signifikanten Schmerzen, • bei einem weiteren Drittel bestehen von Anfang an signifikante Schmerzen, • beim letzten Drittel bestehen initial geringe Schmerzen, es kommt jedoch in einem Zeitraum von etwa 6 Monaten zu einer foudroyanten Zunahme und Ausbildung therapieresistenter Beschwerden. Zu Beginn der klinischen Manifestation treten die Beschwerden meist schubweise auf. Die „Krankheitsschübe“ dauern anfangs Tage bis Wochen und können von einer Beschwerdeabnahme oder sogar einem beschwerdefreien Intervall gefolgt sein. Bei längerem Andauern der Beschwerden können diese chronisch werden, und die beschwerdefreien Intervalle reduzieren sich.
Konservative Therapie Die konservative Therapie ist die Basis jeder Behandlung der postaktinischen Plexitis. Eine intensive krankengymnastische Übungsbehandlung zur Prophylaxe oder Therapie von Gelenksteifen im Bereich der erkrankten Extremität ist durchzuführen. Die Indikation zur Lymphdrainage soll großzügig gestellt werden. Bei zunehmenden Schmerzen sollte frühzeitig eine spezielle Schmerztherapie eingeleitet werden (Schmerzambulanz).
Operative Therapie Die operative Dekompression des Plexus brachialis oder seiner betroffenen Anteile hat 3 Ziele: 1. Beseitigung der externen Kompression, 2. Beseitigung der epineuralen Kompression,
Plexus brachialis
3. Ersatz des schlecht durchbluteten fibrösen paraplexulären Gewebes durch gut vaskularisiertes Gewebe (Abb. 6.26 a–d). Die Ergebnisse nach operativer Therapie der radiogenen Plexitis sind abhängig vom klinischen Stadium, den morphologischen Veränderungen und der Operationstechnik. Bei Patienten im klinischen Stadium I und II nach LeQuang (vgl. Tabelle 6.27) bzw. Stadium I nach Narakas wird nach operativer Freilegung des Plexus brachialis, externer Neurolyse/Epineurotomie oder mit gefäßgestielter/ freier Lappenplastik eine Befundverbesserung in 75% und eine Befundstabilisierung in 25% der Fälle erreicht. Das Risiko einer postoperativen Befundverschlechterung wird als gering angegeben. Nach operativer Plexusrevision kann bei Patienten im klinischen Stadium III nach LeQuang (etwa 30% des Patientengutes) in 6% der Fälle eine Verbesserung und in 88% eine Befundstabilisierung erzielt werden. Das Risiko einer iatrogen bedingten Verschlechterung der sensiblen und/oder motorischen Symptome beträgt 6%. Bei Patienten im klinischen Stadium IV nach Le-QuANG bzw. Stadium III nach Narakas (etwa 40% des Patientengutes) kann eine Befundstabilisierung in 68% erreicht werden. Bei 32% ist postoperativ mit einer Verschlechterung der sensiblen und motorischen Symptome zu rechnen. In Abhängigkeit von den intraoperativ gefundenen morphologischen Veränderungen zeigen Patienten im Stadium I nach Le-Quang in 60% eine Verbesserung und 40% eine Stabilisierung. Im Stadium II nach Le-Quang zeigen 12,5% eine Verbesserung, 81,3% eine Stabilisierung und 6,2% eine Verschlechterung. Durch Kombination der externen Neurolyse mit einer Omentumplastik (Cloudius) kann eine Schmerzlinderung in 83–90% erreicht werden. Eine Verbesserung oder Stabilisierung des sensiblen Ausfalls wird in 42–92% der Fälle angegeben. Mit einer Verschlechterung der sensiblen Ausfälle ist in 8–26% der Fälle zu rechnen. Bei 3–37% der Patienten trat unmittelbar postoperativ eine Verschlechterung der motorischen Symptome auf, wobei diese teilweise reversibel waren. Neben dem Risiko einer postoperativen Symptomverschlechterung besteht zusätzlich die Gefahr einer Gefäßläsion in 3–10% der Fälle, von Wundheilungsstörungen in etwa 10% und einem postoperativ auftretenden Lymphödem der erkrankten Extremität in 21% der Fälle. Bei dem Omentum-majus-Transfer bestehen zusätzlich alle Risiken einer Laparotomie. Todesfälle in 2%s sind beschrieben worden. Wird das Omentum gefäßgestielt verlagert, kann es zu einer Bauchdeckenschwäche sowie einer Hernie im Stielbereich und sehr selten auch zu einer Peritonitis kommen. Wegen der möglichen schwereren Komplikationen und der höheren späteren Fibroserate der Omentumpla-
227
228
Plexus brachialis
KAPITEL 6 Abb. 6.26 a–d. Mikrochirurgische Dekompression und gestielte thorakale Faszienlappenplastik bei foudroyantem Verlauf einer aktinischen Plexistis. a Klinischer Aspekt intraoperativ nach mikrochirurgischer Neurolyse. b Schema: thorakodorsale Faszienlappenplastik nach Wintsch/Berger. c Klinischer Aspekt intraoperativ nach Lappenhebung. d Klinischer Aspekt postoperativ
a
b
c
d
KAPITEL 6
Plexus brachialis
229
c a
d
Abb. 6.27 a–d. Deckung eines axillaren Defekts nach Resektion von aktinisch geschädigter Haut 15 Jahre nach Bestrahlung bei Mammakarzinom mit Hilfe eines myokutanen Latissimus-dorsi-Lappens. a Präoperativer Befund. b Intraoperativer Befund nach Resektion der aktinisch geschädigten Haut und externer mikrochirurgischer Neurolyse des Plexus brachialis. c Postoperativ Abduktion. d Postoperativ Adduktion
b
stik, sollten Muskellappen bevorzugt eingesetzt werden. Der Einfluss beider Techniken auf die Therapie eines Lymphödems der erkrankten Seite ist in etwa gleich. Bei der Wahl der Lappenplastik müssen auch die Strahlenschäden im Bereich von Haut und Knochen Beachtung finden. Es ist daher die Muskel- oder myokutane Lappenplastik heute die Methode der Wahl (Abb. 6.27 a–d).
Durch die operative Revision des strahlengeschädigten Plexus brachialis kann nur die äußere Kompression weitgehend und die interne, nervale Kompression teilweise entfernt werden. Eine Revaskularisierung des Plexus brachialis kann initial erreicht werden, ist aber wegen der unaufhaltsam weitergehenden, strahlenbedingten stenosierenden Angiopathie mit Obliteration der intranervalen Gefäße nicht von langer Dauer.
230
Plexus brachialis
6.2.3 Kompressionssyndrome im Bereich des Plexus brachialis (Siehe Kap. 5)
6.2.4 Geburtstraumatische Läsionen 6.2.4.1 Epidemiologie Eine geburtstraumatische Läsion des Plexus brachialis tritt in 0,5–3‰ der Geburten auf. „Risikofaktoren“ für eine geburtstraumatische Lähmung sind ein Geburtsgewicht des Kindes >4000 g (Cave: Diabetes mellitus der Mutter), anatomische Varianten im Bereich der Geburtswege der Frau, eine Steißlage (meist mit geringem Geburtsgewicht des Kindes) und eine Notfallsituation während der fortgeschrittenen Geburt mit Bedrohung für Kind und/oder Mutter.
KAPITEL 6
6.2.4.2 Pathogenese Lähmungen des Plexus brachialis können bei Spontangeburt, aber meist bei abnormer Kindslage und Variationen im Geburtskanal auftreten. Bei Zangenentbindungen kann es duch direkten Druck der Zangenblätter auf den Plexus zu einer Läsion kommen. Bei der Entwickelung des nachfolgenden Kopfes bei Steißlage mit dem Handgriff nach Veit-Smellie kann es durch Druck des 2. und 3. Fingers des Geburtshelfers auf den Plexus bzw. durch den so ausgeübten Zug zu schweren Lähmungen kommen. Experimentelle Untersuchungen an totgeborenen Kindern zeigten, dass der Zug am Kopf des Kindes bei festgehaltener Schulter zunächst zu einer Zerrung der Spinalnerven C5 und C6 (Erb-Lähmung) führt. Bei weiterhin anhaltendem Zug kann es dann zu einer Ruptur der gedehnten Nervenstränge kommen. Der Zug wirkt sich dann auch auf die C7-Wurzel aus. Die Faszikel werden in ihrer Kontinuität unterbrochen, das Epineurium
Tabelle 6.29. Klassifikation der geburtstraumtischen Läsionen des Plexus brachialis Lokalisation unilateral bilateral Ausdehnung der Schädigung (und Fehlende Funktion) Obere Armplexuslähmung (C5/C6: ERB-Lähmung)
Schulterabduktion/-außenrotation
Erweiterte obere Armplexuslähmung (C5/C6/C7)
+ Ellenbogenstreckung
Annähernd komplette Lähmung (C5/C6/C7/C8)
+ Handgelenkbeugung
Komplette Lähmung (C5 bis Th1)
+ Fingerbeugung D III–V
Ellenbogenbeugung + Handgelenk- und Fingerstrecker + Fingerbeugung D I, D II + Intrinsic-Funktion
Inkomplette Lähmung nach Regeneration (nichtklassifizierbare Mischformen) Schwere der Nervenschädigung Sunderland
Seddon
I
Neuropraxie
II III
Axonotmesis
IV V Mitbestehende Schädigung mitbestehende Phrenikusverletzung mitbestehende knöcherne Verletzung
Neurotmesis
KAPITEL 6
bleibt erhalten. Diese Veränderungen treten bei Zugkräften von 35–40 kg auf. Bei noch größeren Krafteinwirkungen kann es zu einer vollständigen Ruptur auch des Epineuriums kommen. C7 wird dann entweder aus dem Rückenmark ausgerissen oder infraganglionär am Ausgang des Foramen intervertebrale unterbrochen. Anschließend werden die beiden Wurzeln C8 und Th1 geschädigt. Es genügen 20–25 kg, um diese Wurzeln zu schädigen und sie aus dem Rückenmark zu reißen. Intraoperative Befunde haben allerdings gezeigt, dass sich die Ergebnisse nicht ganz mit den erwähnten, experimentellen Ergebnissen decken. Mehrfach wurde bei der operativen Exploration eine Ruptur des Primärstranges C5/C6 gefunden, die von einem Wurzelausriss C7 und einer Läsion bzw. einem Ausriss der Wurzel C8 bei nur gezerrtem Spinalnerv Th1 begleitet wurde. Kommt es zu einem Zug am elevierten Arm, wie bei der Steißlage, dann entsteht ein umgekehrter Mechanismus, und die unteren Wurzeln werden zuerst verletzt.
6.2.4.3 Klassifikation Geburtstraumatische Plexusläsionen werden klassifiziert nach der Lokalisation und dem Befall der Anteile des Plexus sowie der Schwere der Nervenschädigung. Die Schwere der Nervenschädigung kann nach Grad I bis V nach Sunderland (1991), bzw. I bis VI nach Dellon (1988) eingestuft werden. Dazu sind mehrmalige klinische und evtl. elektrophysiologische Untersuchungen notwendig (Tabelle 6.29). Nach neueren Erkenntnissen wird die Existenz der reinen unteren (C8, Th1) Plexuslähmung (Duchenne-Lähmungstyp) bezweifelt. Es handelt sich wahrscheinlich um den Residualzustand einer kompletten Läsion nach Regeneration der widerstandsfähigeren oberen Wurzeln.
6.2.4.4 Diagnostik und Dokumentation Für die Diagnostik- und Dokumentation der geburtstraumatischen Läsionen des Plexus brachialis verwenden wir das Baby-Plexus-Evaluations-System (Baby-PES). Wir empfehlen, alle Babys mit Verdacht auf eine Nervenschädigung einige Tage nach der Geburt und dann monatlich bis zum 6. Lebensmonat dem Spezialisten vorzustellen. Nach dem 6. Lebensmonat sollte man 3-monatliche Kontrolluntersuchungen durchführen und diese bis zur Entscheidung über evtl. funktionsverbessernde Operationen einhalten. Ab dem Eintritt ins Schulalter bis zum Abschluss des Längenwachstums genügen Vorstellungen im halbjährlichen Intervall. Die Untersuchung eines Kindes, insbesondere die eines Neugeborenen, ist zeitaufwändig und oft schwierig, erfordert große Erfahrung und Einfühlungsvermögen.
Plexus brachialis
Tabelle 6.30. Klinische Untersuchung 1.
Subjektive Bewertung der Bewegung durch die Eltern
2.
Subjektive Bewertung der Funktion durch die Eltern
3.
Rekapillarisierungszeit
4.
Muskeltestung Nach Dem „Hospital For Sick Children Grading System
5.
Passive Gelenkbeweglichkeit „Schulter“
6.
Passive Gelenkbeweglichkeit „Ellenbogen“
7.
Passive Gelenkbeweglichkeit „Handgelenk“
8.
Passive Gelenkbeweglichkeit „Hand“
9.
Funktionsanalyse „Schulter“ nach Gilbert
10.
Funktionsanalyse „Ellenbogen“ nach Gilbert
11.
Funktionsanalyse „Hand“ nach Raimondi
12.
Längenmessung „obere Extremität“
13.
Röntgen
14.
Fotodokumentation
15.
Sensibilitätsmessung
16.
Videodokumentation
17.
EMG/NLG
18.
Myelographie/Myelo-CT
19.
MRT
20.
Wundheilung nach erfolgter Operation
21.
Arthro-CT
22.
Muskelgrading nach dem „Medical Research Council“
Zur Basisuntersuchung gehören Allgemeinanamnese, klinische und apparative Untersuchungen (Tabelle 6.30 bis 6.35). Die apparative Diagnostik wird gezielt angeordnet und umfasst Röntgen, EMG/Messung der NLG, Myelographie (selten), MRT und Arthro-CT (Cave: Belastung durch Allgemeinnarkose!). Foto- und Videoaufnahmen können zur Dokumentation des Behandlungserfolges sehr hilfreich sein und sollten ebenfalls gemacht werden.
6.2.4.5 Therapie Ein so genanntes „integratives Therapiekonzept“, wie bei erwachsenen Plexuslähmungen, verwenden wir auch in der Therapie geburtstraumatischer Läsionen des Plexus brachialis. Die Therapiedauer beträgt unabhängig von der gewählten Primärtherapie (konservativ, operativ) etwa 5 Jahre und wenn notwendig länger. Während dieser Zeit ist die physiotherapeutische Basistherapie – in unterschiedlicher Form und Intensität – fortzuführen. Korrigierende Eingriffe können auch noch nach Abschluss des
231
232
Plexus brachialis
KAPITEL 6
Tabelle 6.31. Muskeltestu ng nach dem „Hospital for Sick Children Grading System“ Numerischer Punktzahl – Score 0 = Keine Kontraktion
0
1 = Kontraktion ohne Bewegungen
0,3
2 = Gelenkbewegung <1/2 Bewegungsamplitude
0,3
3 = Gelenkbeweglichkeit >1/2 Bewegungsamplitude
0,6
4 = Volle Bewegungsamplitude
0,6 Ellenbogenbeugung:
ohne
Ellenbogenstreckung:
Schwerkraft
Handgelenkstreckung:
mit
Fingerstreckung:
Daumenstreckung 5 = Gelenkbewegung <1/2 Bewegungsamplitude
/10
6 = Gelenkbeweglichkeit >1/2 Bewegungsamplitude 7 = Volle Bewegungsamplitude
Tabelle 6.32. Funktionsanalyse „Schulter“. (Nach Gilbert) Gradeinteilung
Schulterfunktion
0
Komplett paretische Schulter
I
Abduktion >45°, Flexion möglich, keine aktive Außenrotation
II
Abduktion <90°, keine aktive Außenrotation
III
Abduktion <90°, schwache Außenrotation
IV
Abduktion <120°, unvollständige Außenrotation
V
Abduktion >120°, aktive Außenrotation
Tabelle 6.33. Funktionsanalyse „Ellenbogen“. (Nach Gilbert) Flexion
Extension
Streckdefizit
1: keine oder nur geringe Muskelkontraktion
0: keine Extension
0: 0–30°
2: inkomplette Beugung
1: schwache Extension
–1: 30–50°
3: komplette Beugung
2: gute Extension
–2: >50°
Bewertung
4–5 Punkte:
gute Regeneration
2–3 Punkte:
Durchschnitt
0–1 Punkte:
schlechte Regeneration
KAPITEL 6
Plexus brachialis
Tabelle 6.34. Funktionsanalyse „Hand“. (Nach Raimondi) Gradeinteilung
Handfunktion
0
Komplette Lähmung oder nur geringe nutzlose Fingerbewegung, nutzlose Daumenfunktion, wenig oder keine Sensibilität
I
Eingeschränkte aktive Langfingerbeugung, keine aktive Handgelenk- und Fingerextension, Schlüsselgrifffunktion des Daumens
II
Aktive Handgelenkstreckung mit passiver Langfingerbeugung (Tenodeseeffekt), passive Schlüsselgrifffunktion des Daumens (Pronation)
III
Komplette Handgelenk- und Fingerbeugung, mobiler Daumen mit partieller Abduktion, Opposition, Intrinsic-Balance, keine aktive Supination
IV
Komplette Handgelenk- und Langfingerbeugung, aktive Handgelenkextension, fehlende oder schwache Langfingerstrecker, gute Daumenopposition mit mit aktiver intrinsischer Muskulatur (N. ulnaris), partielle Pronation und Supination
V
Hand IV mit aktiver Langfingerextension, fast komplette Pronation und Supination
Tabelle 6.35. Sensibilitätstestung nach Gilbert. (Mod. nach Berger et al.) S 0
Keine Reaktion auf Schmerzreiz
S 1
Reaktion auf Schmerzreize
S 2
Reaktion auf Berührung
S 3
Scheinbar normale Sensibilität
Wachstums notwendig werden. Die Therapieziele bei der primären und sekundären Behandlung von geburtstraumatischen Läsionen des Plexus brachialis sind in Tabelle 6.36 zusammengefasst. Wie mehrere klinische Studien und eigene Erfahrungen zeigen, kann durch die frühzeitige mikrochirurgische Rekonstruktion des Plexus brachialis zwischen dem 3. und 6. Lebensmonat eine deutliche Ergebnisverbesserung bei Kindern mit einer ausgedehnten Plexusschädigung erreicht werden.
Tabelle 6.36. Therapieziele bei geburtstraumatischer Läsion des Plexus brachialis Funktionelle Therapieziele Vermeidung eines Neglektes der betroffenen Hand Vermeidung von sekundären Kontrakturen Wiederherstellung der Funktion der oberen Extremität 1. (Protektive) Sensibilität im Handbereich 2. Handgelenk- und Fingerbeugung 3. Handgelenk- und Fingerstreckung 4. Daumenopposition 5. Schulteradduktion (thorakohumerale Zange) 6. Ellenbogenbeugung 7. Schulterabduktion/-flexion 8. Ellenbogenstreckung 9. Schulteraußenrotation 10. Pronation/Supination 11. intrinsische Langfingerfunktion Ästhetische Therapieziele Verminderung von Wachstumsstörungen
233
234
Plexus brachialis
Die diagnostische Schwierigkeit besteht darin, die Babys mit schwerer Plexusschädigung und schlechter Spontanregeneration zwischen dem 3. und 6. Lebensmonat herauszufiltern. Aufgrund eigener Erfahrungen und der Berichte aus der Literatur haben wir ein diagnostisches und therapeutisches Flussschema entwickelt, an welches folgende Anforderungen gestellt wurden: 1. möglichst hohe diagnostische Sicherheit, 2. breite Anwendbarkeit durch alle Mitglieder des Therapieteams und 3. Vergleichbarkeit mit bereits bestehenden Algorithmen. Der Entscheidung, ob die Primärtherapie konservativ oder operativ sein soll, wird dabei höchste Priorität gegeben. Die Festsetzung des therapeutischen Vorgehens erfolgt aufgrund wiederholter Untersuchungen. Neben der klinischen Untersuchung können auch apparative Untersuchungen (soweit im Baby- und Kleinkindesalter komplikationslos durchführbar) zur weiteren Befundklärung eingesetzt werden. Mit Hilfe von gut definierten Entscheidungskriterien zur Therapieauswahl während der ersten 1 1/2–6 Lebensmonate können mit hoher Wahrscheinlichkeit die Patienten herausgefiltert werden, welche mit einer schwerwiegenden Defektheilung nach konservativer Therapie rechnen müssen. Folgendes differenzialtherapeutisches Vorgehen hat sich in unseren Händen bewährt (Abb. 6.28). Die Erstuntersuchung erfolgt einige Tage nach der Geburt. Der Status dieser Untersuchung ergibt noch keinen schlüssigen Hinweise auf die zu erwartende Prognose. Die 2. Untersuchung erfolgt 4 Wochen (6. postpartale Woche) später. Die meisten Kinder zeigen zu diesem Zeitpunkt eine Spontanregeneration. Je früher die Schulter- (M. deltoideus) und Ellenbogenbeugefunktion (Mm. biceps brachii, brachialis) zurückkehren, desto kompletter ist die Spontanregeneration. Eine komplette Spontanregeneration ist dann wahrscheinlich, wenn M. deltoideus und M. biceps brachii nach 2 Monaten den Kraftgrad M1 (Kontraktion ohne Bewegung) erreicht haben.
Für Kinder, die keine Spontanregeneration zu diesem Zeitpunkt zeigen, bestehen folgende Möglichkeiten: Eine komplette Läsion (C5 bis Th1) mit zusätzlichem Horner-Zeichen hat eine sehr schlechte Prognose, und eine operative Revision sollte so früh wie möglich, z. B. nach der 3. Lebenswoche (Terzis et al. 1987) durchgeführt werden, um die Wachstumsbehinderung der Extremität, d. h. einen Längenverlust, möglichst gering zu halten. Meist wird jedoch der operative Eingriff erst nach dem 2. Lebensmonat vorgenommen. Fehlt eine Spontanregeneration im Schulter- und Ellenbogenbereich bei jedoch gut regenerierender Handge-
KAPITEL 6
lenk- und Fingerstreckung, besteht noch Aussicht auf eine ausreichende Spontanregeneration bei weiterer Beobachtung. Die 3. Untersuchung erfolgt im 3. Lebensmonat. Zwei Situationen können unterschieden werden: • Die Ellenbogenbeugung zeigt eine Funktion mit dem Kraftgrad M1 (Kontraktion ohne Bewegung). Findet sich eine Spontanregeneration im Bereich des M. deltoideus und des M. biceps brachii nach 3–3 1/2 Monaten, kann immer noch mit einer Spontanregeneration (Gruppe II) – wenn auch nicht mehr mit einer Restitutio ad integrum (Gruppe I) – gerechnet werden • Die Ellenbogenbeugung zeigt noch keine messbare Muskelaktion (M0). Nach Gilbert u. Tassin (1987) sollten alle Patienten mit einer fehlenden Bizepsfunktion (Kraftgrad M0) einer Operation zugeführt werden. Es sind jedoch einige Patienten beschrieben worden, die trotz fehlender Bizepsfunktion zum Dreimonatszeitpunkt im weiteren Verlauf eine gute Spontanregeneration gezeigt haben. Nach Michelow et al. (1994) besteht zum Dreimonatszeitpunkt eine Irrtumswahrscheinlichkeit von 12,8%, wenn man die Operationsindikation alleine von der Ellenbogenfunktion abhängig macht. Das bedeutet: Einer von 8 Patienten würde entweder eine operative Plexusrevision gehabt haben, ohne dass sie notwendig gewesen wäre, oder keiner operativen Plexusrevision zugeführt worden sein, obwohl diese notwendig gewesen wäre. Für reine obere Armplexusläsionen (C5/C6: Erb-Lähmung) ohne Mitbeteiligung der Handgelenk- und Fingerextensoren kann die Vorhersagewahrscheinlichkeit auf etwa 95% erhöht werden, wenn Kriterien beachtet werden, welche sich positiv oder negativ auf das zu erwartende funktionelle Ergebnis auswirken können (Tabelle 6.37). Bei ausgedehnteren Plexusläsionen (C5, C6, +) kann neben der Beachtung der positiven und negativen prognostischen Faktoren, durch Kombination mehrerer Parameter (Schulter, Ellenbogen, Handgelenk/Finger) die Irrtumswahrscheinlichkeit einer Funktionsprognose auf 5,2% verringert werden. Die verbleibenden Patienten, bei denen noch eine ausreichende Spontanregeneration erwartet werden kann, werden monatlich untersucht. Die Entscheidung zur operativen Therapie sollte spätestens nach dem 6. bis 9. Lebensmonat gefällt werden. Grundsätzlich gilt, dass je mehr Zeit vergeht, desto geringer werden die Unterschiede der Ergebnisse der konservativen und operativen Therapie. Nach Vollendung des 1. Lebensjahres erfolgt nur noch in Ausnahmefällen eine nervale operative Therapie. Wiederum können 2 Patientenkollektive unterschieden werden:
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Plexus brachialis
Abb. 6.28. Algorithmus zur Diagnostik und Therapie von Neugeborenen mit geburtstraumatischer Lähmung des Plexus brachialis
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Tabelle 6.37. Kriterien mit positivem und negativem Vorhersagewert auf das zu erwartende Ergebnis bei geburtstraumatischen Läsionen des Plexus brachialis Kriterien mit positivem Vorhersagewert Lähmung nach Schulterluxation Inkomplette Parese mit kontrahierenden Muskeln in jedem Wurzelsegment Früher Beginn der Reinnervation Fehlende oder nur gering ausgeprägte sensible Defekte Adäquate Progression des Hoffmann-Tinel-Zeichens Aussparung der Mm. rhomboidei, teres major, latissimus dorsi Fehlendes sensibles Aktionspotenzial Kriterien mit negativem Vorhersagewert Vorliegen von Begleitverletzungen als Ausdruck einer großen Energieapplikation zum Zeitpunkt des Traumas Mitbeteiligung des M. serratus anterior als Indikator einer formennahen Schädigung im Bereich von C5 bis C7 Horner-Syndrom als Ausdruck einer schweren Schädigung im Bereich der Wurzeln C8, Th1 Lähmung der skapulothorakalen Muskulatur und/oder N. phrenicus als Ausdruck einer Mitschädigung des Plexus cervicalis Spastik als Zeichen einer medullären Mitschädigung (Wurzelausrisse) Komplette Lähmung (C5 bis Th1) EMG: fehlende Reinnervation Myelographie/CT-Myelographie: extraforaminale Meningozele, indirekte medulläre Zeichen, fehlende Wurzeldarstellung
• Trotz spät einsetzender Spontanregeneration zeigt sich eine partielle Erholung ohne nennenswerte Beeinträchtigung (Gruppe II nach Gilbert). • Aufgrund einer stagnierenden oder völlig ausbleibenden Spontanregeneration muss mit einer Defektheilung mit nennenswerten Beeinträchtigung (Gruppe III) gerechnet werden. Durch die krankengymnastische Therapie – die von Geburt an durchgeführt werden soll – z. B. nach Vojta (1988) kann nicht nur ein therapeutischer, sondern auch ein diagnostischer Effekt erzielt werden. Eine fehlende Möglichkeit der Reflexbewegungen nach dem 3. bis 5. Monat spricht für eine ausgeprägte Schädigung im Bereich des Plexus brachialis, die einer operativen Therapie zugeführt werden sollte (Berger 1997). Falls die Bizepsfunktion spätestens nach 6 Monaten nicht eine komplette Bewegung gegen die Schwerkraft erreicht hat, sollte die operative Revision des Plexus brachialis durchgeführt werden, da dann die Ergebnisse der Spontanregeneration jenen nach Operation unterlegen sind. In Fällen mit guter Regeneration im Ellenbogenbereich, aber schlechter oder stagnierender Regeneration im Schulterbereich, kann nach 9 Monaten die Evaluation
mit Hilfe des „Active Movements Scores“ nach Michelow et al. (1994) weitere Informationen geben. Falls beim „Keks-Test“ die Ellenbogenbeugung einen Kraftgrad von weniger als die Hälfte der normalen Bewegungsamplitude gegen die Schwerkraft zeigt, sollte die mikrochirurgische Exploration des Plexus brachialis empfohlen werden.
Primärtherapie (bis 6. Lebensmonat) Besonderheiten der operativen Revision des Plexus brachialis im Säuglingsalter. Die operative Revision des Plexus brachialis beim Säugling unterscheidet sich von jener beim Erwachsenen: Aufgrund der guten Gewebeelastizität kann beim Säugling der supra- und retroklavikuläre Plexusanteil über eine strichförmige, entlang den Spannungslinien der Haut verlaufende Inzision, dargestellt werden (Abb. 6.29 a–f). Bei Verdacht auf zusätzliche infraklavikuläre Schädigung kann eine ebenfalls ästhetisch unauffällige Narbe im Verlauf des Sulcus deltopectoralis gelegt werden. Die ästhetisch auffällige Zickzackinzision für die Exploration posttraumatischer Plexusläsionen, wie beim Erwachsenen, ist nicht notwendig.
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Plexus brachialis
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a
b
c
d
e
f Abb. 6.29 a–f. Komplette geburtstraumatische Läsion (C5 bis C8) des Plexus brachialis. a Befund nach 3 Monaten (fehlende Schulterabduktion/-flexion, Ellenbogenbeugung und Handgelenk-/Fingerstreckung). b Operativer Zugang nach Berger. c Intraoperativer Situs. d Intraoperativer Situs nach Einbrin-
gung der Nerventransplantate. e Funktionelles Ergebnis 2 Jahre nach Operation: Schulterabduktion. f Funktionelles Ergebnis 2 Jahre nach Operation: Ellenbogenbeugung, Handgelenk- und Fingerstreckung
Wegen der Überbewertung noch vorhandener Bewegungen bei intraoperativer Nervenstimulation führt die mikrochirurgische Neurolyse oft zu enttäuschenden postoperativen Ergebnissen. Lässt sich bei direkter Reizung keine eindeutige Muskelkontraktion erreichen, sollte der geschädigte Plexusanteil reseziert und mit auto-
logen Nerventransplantaten (Plastische Chirurgie, Bd, I Kap. 12; vgl. Abb. 6.29 a–f) überbrückt werden, da deutlich bessere funktionelle Ergebnisse erreicht werden können. Wenn immer möglich, ist die anatomische Rekonstruktion im Plexusbereich anzustreben.
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Plexus brachialis
Als Nerventransplantate können Nn. surales, Nn. saphenus, beide Rr. superificiales N. radiales, sensible Äste im Halsbereich und evtl. ein vaskularisierter N. ulnaris Verwendung finden. Bei annähernd kompletter (C5 bis C8) oder kompletter Läsion (C5 bis Th1) hat beim Neugeborenen, im Gegensatz zum Erwachsenen, die Wiederherstellung der Handfunktion („taktile Gnosis“ und Greiffunktionen) die höchste Priorität. Je mehr Handfunktionen möglich sind, desto wahrscheinlicher wird das Kind die betroffene Extremität benützen und in sein Körperschema integrieren.
Ein „Ablehnen“ des Arms kann vermieden werden. Deshalb werden der N. medianus und der N. ulnaris bevorzugt von intraplexuellen Strukturen (proximalen Wurzelstümpfen) reneurotisiert. Die Schulterabduktion und -außenrotation erfolgt durch direkte extraplexuelle Neurotisation des N. suprascapularis mit dem absteigenden Anteil des N. XI. Die Ellenbogenbeugung wird durch extraplexuelle Neurotisation ausgehend von den Nn. intercostales III bis VI oder dem N. XII wiederhergestellt. Wegen der großen funktionellen Beeinträchtigung verwenden wir den N. phrenicus selten als Axonspender für extraplexuelle Neurotisationen. Die Rekonstruktion der Ellenbogenstreckung erfolgt durch Neurotisation des N. radialis. Postoperativ erfolgt eine Ruhigstellung mit einem Kopf-Rumpf-Gipsverband für 10 Tage. Eine funktionelle Elektrostimmulation (FES) ist bei Säuglingen nicht empfehlenswert. Rekonstruktion bei kompletter Ausrissverletzung. Die komplette Ausrissverletzung beim Kind stellt eine Seltenheit dar (1% in unserem Krankengut). Ist keine Wurzel für eine intraplexuelle Neurotisation vorhanden, muss eine extraplexuelle Neurotisation (vgl. Abb. 6.13) geplant werden. Hierbei stehen folgende Möglichkeiten zur Verfügung: kontralateraler partieller C7-Transfer, N. hypoglossus (XII), N. accessorius (XI), N. phrenicus und Nn. intercostales 3–5 (ICT 3–5). Der partielle kontralaterale C7-Transfer ist dann erschwert, wenn der N. ulnaris nicht als gestieltes vaskularisiertes Nerventransplantat eingesetzt werden kann. Die Reinnervation des N. musculocutaneus mit Hilfe des ipsilateralen N. hypoglossus (XII) stellt eine zuverlässige Methode dar. Eine intensive logopädische Begleittherapie sollte unbedingt angeordnet werden, um theoretisch mögliche Beeinträchtigungen der Sprachentwicklung zu vermeiden. Wegen der Beeinträchtigung der Atemfunktion, sollte der N. phrenicus bei Neugeborenen nur dann als Axonspender verwendet werden, wenn ein Restanteil in Kontinuität verbleiben kann. Da der N. phrenicus oft
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doppelt angelegt ist oder 2 Faszikel aufweist, kann ein Anteil ohne klinisch messbare Funktionseinbuße Verwendung finden. Wegen möglicher Wachstumsbeeinträchtigung der Brustwand sollte der Intercostalistransfer – besonders bei Mädchen – ebenfalls sehr zurückhaltend eingesetzt werden. Muss er durchgeführt werden, sollten maximal nur 3 Interkostalnerven gebraucht werden. Für die Standardrekonstruktion verwenden wir bei kompletter Ausrissverletzung einen partiellen kontralateralen C7-Transfer über den gestielten N. ulnaris oder beide Nn. surales als Transplantat zur Reinnervation des N. medianus. Für die Neurotisation des N. radialis erfolgt ein Intercostalistransfer. Für die Reinnervation des N. musculocutaneus verwenden wir den N. phrenicus, wenn eine Restfunktion erhalten bleiben kann. Als Therapie der 2. Wahl kann der N. XII eingesetzt werden. Für die Reanimation der Schulter wird die Hälfte des N. XI direkt auf den N. suprascapularis gebracht. Sind ausreichend große motorische Äste des Plexus cervicalis vorhanden, kann bei genügendem Nerventransplantationsmaterial zusätzlich der N. axillaris reinnerviert werden. Bei erfolgreicher Reinnervation des M. deltoideus ergibt sich eine deutlich bessere Schulterfunktion. Sekundäre Verbesserungen können 2–3 Jahre nach primärer Nervenrekonstruktion durch eine Trapeziustransfer erzielt werden (Tabelle 6.389). Rekonstruktion bei einer verfügbaren Wurzel. Für eine erfolgreiche Nerventransplantation müssen ausreichend autologe Nerventransplantate (Plastische Chirurgie, Bd. 1 Kap. 12) vorhanden sein. Da der N. ulnaris als Nerventransplantat in diesem Fall nicht zur Verfügung steht, liegt häufig ein Mangel an autologem Nerventransplantatmaterial vor. Neben den beiden Nn. surales können beide Nn. sapheni, und beide Rr. superficiales Nn. radiales entnommen werden. Ist nur eine Wurzel vorhanden, erfolgt die Neurotisation des Truncus inferior extraplexuell. Abhängig von Größe und Qualität der Wurzel wird der N. musculocutaneus auch von der vorhandenen Wurzel reinnerviert oder eine extraplexuelle Neurotisation durchgeführt. Die weitere nervale Rekonstruktion im Ellenbogen- und Schulterbereich entspricht der Vorgangsweise wie beim kompletten Wurzelausriss (Tabelle 6.39). Rekonstruktion bei 2 verfügbaren Wurzeln. Bei 2 verfügbaren Wurzeln erfolgt die Reinnervation des Truncus inferior und des Fasciculus lateralis jeweils mit einer Wurzel. Die weitere Vorgehensweise entspricht den zuvor genannten (Tabelle 6.40). Rekonstruktion bei 3 verfügbaren Wurzeln. Bei 3 verfügbaren Wurzeln werden Truncus inferior (Hand), Fasciculus lateralis (Schulter, Ellenbogen, Hand) und Truncus intermedius bzw. Fasciculus posterior reinnerviert. Die weitere Vorgehensweise entspricht der zuvor genannten (Tabelle 6.41).
KAPITEL 6
Plexus brachialis
Tabelle6.38. Therapieplan bei kompletter Ausrissverletzung Hand N. medianus
Kontralateraler partieller C7-Transfer
N. ulnaris
–-
N. radialis
Th3 bis Th5
–
Sekundäre Sehentransfers in Abhängigkeit von der nervalen Regeneration
Ellenbogen N. musculocutaneus
N. XII
N. radilais
Th3 bis Th5
Schulter N. suprascapularis
1/2 N. XI
N. axillaris
(motorische Äste Plexus cervicalis)
–
Sekundärer Trapeziustransfer
Tabelle 6.39. Therapieplan bei einer verfügbaren Wurzel Hand Truncus inferior (N. medianus, N. ulnaris)
Vorhandene Wurzel
N. radialis
Th3 bis Th5
–
Sekundäre Sehentransfers in Abhängigkeit von der nervalen Regeneration
Ellenbogen N. musculocutaneus
Vorhandene Wurzel (wenn ausreichend) N. XII
N. radialis
Th3 bis Th5
Schulter N. suprascapularis
1/2 N. XI
N. axillaris
(motorische Äste Plexus cervicalis)
–
Sekundärer Trapeziustransfer
Sekundärtherapie (>2. bis 3. Lebensjahr und später)
! Das Risiko einer iatrogen verursachten Dekompensa-
Sekundäre Ersatzoperationen können nach einer Regenerationszeit von 1–3 Jahren notwendig werden, wenn Bewegungsfunktionen nach Spontanregeneration oder operativer Therapie fehlen oder nur ungenügend vorhanden sind. Bei allen Sekundäreingriffen darf man einen noch vorhandenen Regenerationsprozess nicht übersehen. Eine Dekompensation der durch Wachstums- und Adaptationsvorgänge „kompensierten“ Fehlentwicklung der Extremität muss vermieden („nihil nocere“) werden.
Eine freie passive Gelenkbeweglichkeit stellt eine absolute Voraussetzung für die Durchführung dieser Operationen dar. Durch einfache oder mehrfache Sehnenumsetzplastiken kann eine spezifische Bewegungsform wiederhergestellt oder verstärkt werden. Die bisher genannten Rekonstruktionsverfahren können durch adjuvante Eingriffe oft funktionell deutlich verbessert werden.
tion ist umso größer, je länger die Funktionsbehinderung bei dem Kind bestanden hat.
239
240
Plexus brachialis
KAPITEL 6
Tabelle 6.40. Therapieplan bei 2 verfügbaren Wurzeln Hand Truncus inferior (N. medianus, N. ulnaris)
Vorhandene Wurzel
N. radialis
Th3 bis Th5
–
Sekundäre Sehentransfers in Abhängigkeit von der nervalen Regeneration
Ellenbogen Fasciculus lateralis (N. musculocutaneus, N. medianus)
Vorhandene Wurzel
N. radialis
Th3 bis Th5
Schulter N. suprascapularis
1/2 N. XI
N. axillaris
(motorische Äste Plexus cervicalis)
–
Sekundärer Trapeziustransfer
Tabelle 6.41. Therapieplan bei 3 verfügbaren Wurzeln Hand Truncus inferior (N. medianus, N. ulnaris)
Vorhandene Wurzel
Truncus intermedius (N. radialis)
Vorhandene Wurzel
–
Sekundäre Sehentransfers in Abhängigkeit von der nervalen Regeneration
Ellenbogen Fasciculus lateralis (N. musculocutaneus, N. medianus)
Vorhandene Wurzel
Truncus intermedius (N. radialis)
Vorhandene Wurzel
Schulter N. suprascapularis
1/2 N. XI
N. axillaris
(motorische Äste des Plexus cervicalis oder vorhandene Wurzel)
–
Sekundärer Trapeziustransfer
Hand. Im Gegensatz zum Erwachsenen stellt die motorische und sensible Reanimation der Hand beim Neugeborenen das wichtigste Therapieziel dar, denn nur wenn die Sensibilität der Hand der betroffenen Extremität wiederhergestellt wird, wird die Extremität kortikal angelegt und benutzt. Vordringlichstes Ziel muss es sein, eine Vernachlässigung der betroffenen Extremität durch den kindlichen Patienten zu vermeiden.
Motorische Ersatzoperationen sollten nicht vor dem 2. bis 3. Lebensjahr durchgeführt werden. Neben wahrscheinlichen kortikalen Prozessen bei sich noch entwickelnden Bewegungsmustern, ist auch die mangelnde Compliance bei der Nachbehandlung als Grund von schlechten funktionellen Ergebnissen zu nennen. Die Therapie der Pronations-Supinations-Fehlstellung stellt die letzte rekonstruktive Maßnahme im UnterarmHand-Bereich dar. Diese Fehlstellung ist bedingt durch eine Imbalance zwischen Supinatoren (M. biceps brachii) und Pronatoren (Pronator-Flexoren-Muskelmasse im Unterarmbereich). Es entsteht eine muskuläre Imbalan-
KAPITEL 6
ce, Kontraktur der Radioulnargelenke proximal und distal sowie der dazwischen liegenden Membrana interossea. Schließlich kommt es zu einer federnden Fixierung der Subluxations-Luxations-Fehlstellung des Radiusköpfchens mit dem Capitulum humeri. Die frühzeitige Regeneration des M. biceps brachii ist die beste Therapie zur Verringerung der muskulären Imbalance. Ist dies nicht möglich, sollte eine temporäre reversible Schwächung der Pronator-Flexoren-Muskelmasse im Unterarmbereich mit Hilfe von Botulinumtoxin Typ A durchgeführt werden. Für die bereits manifesten sekundären Veränderungen hat sich das therapeutische Vorgehen nach Millesi (1992) bewährt. Ellenbogen. Es können die Ersatzoperationen wie bei Erwachsenen angewendet werden, wobei aber auf die Besonderheiten des kindlichen Skeletts (Wachstum, Epiphyse) geachtet werden muss. Im Gegensatz zum Erwachsenen sollte aber der Trizpestransfer nur als Therapie der letzen Wahl eingesetzt werden. Da die Schulterbewegung meist eine Abduktion von 90° zulässt, kommt es bei fehlender aktiver Ellenbogenstreckung bei einer Abduktion bzw. Flexion im Schulterbereich zu einer unkontrollierten Ellenbogenbeugung mit der Gefahr der Verletzung im Gesichtsbereich. Durch die fehlende Streckwirkung des Trizeps kommt es durch das Überwiegen der Ellenbogenbeuger im Verlauf des Wachstums zu einer schließlich fixierten Luxationsstellung im Bereich des Ellenbogengelenks. Schulter. Die Außenrotationsbewegung im Schultergelenk ist das beste Maß für die Regeneration spontan oder nach operativer Therapie. Je früher und je besser die Regeneration im Bereich der Rotatorenmanschette und des M. deltoideus ist, umso geringer wird das Außenrotationsdefizit. Da im Gegensatz zum Erwachsenen Ausrissverletzungen im Bereich von C5 und C6 selten sind, ist oft eine Restfunktion des M. deltoidues vorhanden. Die Schulterfunktion beim Kind kehrt im Vergleich zum Erwachsenen besser zurück. Die Abduktion und die Außenrotation müssen jedoch oft durch sekundäre Muskel-Sehnen-Transpositionen wiederhergestellt oder augmentiert werden. Für die Abduktion hat sich die Transposition des kranialen Anteils des M. trapezius auf den Humeruskopf – unter Schonung der Epiphyse – bewährt. Für die Wiederherstellung der Außenrotation kommen mehrere Verfahren zum Einsatz. Da der M. subscapularis in den meisten Fällen seine Funktion behält, die Außenrotatoren jedoch meist komplett paretisch sind, kommt es durch das Ungleichgewicht der Kräfte zu einer Innenrotation im Schultergelenk. Durch die Verkürzung der Sehne des M. subscapularis, sekundäre Verkürzung der Gelenkkapsel im Schultergelenk, sekundäre knöcherne Veränderungen im Gelenk und periartikulären Bereich entsteht eine manifeste Innenrotationskontraktur. Um dies zu ver-
Plexus brachialis
meiden oder zumindest deutlich zeitlich zu verzögern, führen wir bei allen schwereren Läsionen (inadäquate Regeneration der Schulter zum Zeitpunkt 2. bis 3. Monat) eine Injektion von Botulinumtoxin Typ A durch. Liegt bereits eine Verkürzung der Subscapularissehnen vor (Abb. 6.30 a–e), ist der so genannte Subscapularis-Release indiziert. Durch stumpfes Ablösen des M. subscapularis, auch in endoskopischer Technik, von der Unterfläche der Skapula kann bei frühzeitiger Operation im 12. bis 18. Lebensmonat eine deutliche Verbesserung der passiven Außenrotation um 30–50° erreicht werden. Wenn die Operation nach dem 18. Lebensmonat durchgeführt wird, ist nur noch eine Verbesserung der Außenrotationsfähigkeit von durchschnittlich 20–30° zu erwarten. Dies ist bedingt durch die stärker ausgeprägte Kontraktur und die sekundären Veränderungen im Knochen-, Gelenk- und Weichteilbereich. Bei bereits vorliegender Kontraktur vor allem der anterioinferioren Kapselanteile kann eine Verbesserung der passiven Gelenkbeweglichkeit nur noch durch eine Kapsulotomie bzw. Kapselplastik erreicht werden. Um den gewonnenen passiven Gelenkbereich erhalten zu können, müssen ausreichend starke aktive Muskeln vorhanden sein. Oft reicht die Kraft der regenerierten Schulteraußendreher aus. Ist dies nicht der Fall, ist die Transposition des M. latissimus dorsi die Therapie der 1. Wahl. Die Transposition des tendinösen Ursprungs bedarf einer exakten Planung. Oft wird zwar die Außenrotation deutlich verbessert, es kommt jedoch auch zu einer Verringerung der Abduktionsfähigkeit, vor allem dann, wenn der neue Insertionspunkt unterhalb der Abduktions-AdduktionsAchse zu liegen kommt.
Adjuvante Eingriffe Wenn während des Wachstums Fehlstellungen eintreten, bzw. wenn nach weitgehender Skelettreife adjuvante Eingriffe notwendig werden, können Tenodesen, Kapsulodesen oder Arthrodesen indiziert sein. Bei einigen Patienten kann auch zu diesem Zeitpunkt noch eine ein- oder mehrzeitige freie mikrochirurgische funktionelle Muskeltransplantation durchgeführt werden. Wenn das Wachstum noch nicht abgeschlossenen ist, sollten Tenodesen nur sehr zurückhaltend eingesetzt werden. Mehrmalige Korrekturen bis zur völligen Skelettreife können notwendig werden. Kapsulodesen sollten mit Ausnahme an der Hand ebenfalls nur sehr restriktiv vor Eintritt in die Pubertät eingesetzt werden. Vor Abschluss des Skelettwachstums sind Arthrodesen eine absolute Seltenheit. Der Einsatz von orthetischen Hilfsmitteln und Hülsenapparaten zur Verbesserung der Funktionalität der gesamten Extremität ist abhängig von der Akzeptanz durch das Kind. Insgesamt ist jedoch mit einer sehr geringen Compliance, vor allem nach Schuleintritt, zu rechnen.
241
242
Plexus brachialis
KAPITEL 6
a
b
c
e
d Abb. 6.30 a–e. Verkürzung der Subscapularissehnen, Kontraktur der Außenrotation. a Klinisches Bild. b Intraoperativ:
Hautschnitt zum Subscapularis-Release. c Hautnaht nach Release. d,e Postoperatives Ergebnis nach 3 Monaten
Botulinumtoxin bei Kokontraktionen. Diese Behandlung soll in Zusammenarbeit mit Neurologen und eventueller EMG-Kontrolle durchgeführt werden. Wiederholte intramuskuläre Injektionen von Botulinumtoxin A bei muskulären Kokontraktionen führen zu einer anhaltenden Stärkung des Agonisten, der dadurch den weiterhin kokontrahierenden Antagonisten überwinden kann.
zierter Muskel) wird gelähmt und der Antagonist wird durch Anspannung gekräftigt. Ob jedoch eine gewisse Plastizität des kindlichen Gehirns allein oder durch eine Kombination von Reizen auf das periphere und/oder zentrale Nervensystem die Ursache der Wirkung des Botulinumtoxin A sein könnte, ist zur Zeit Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Indikationen stellen auch muskuläre Imbalancen und Kokontraktionen
Derzeit wird der Haupteffekt der Wirkung mechanistisch den Muskeln selbst zugeschrieben. Der Agonist (inji-
• im Oberarmbereich – Mm. bizeps, trizeps (Abb. 6.31 a–c),
KAPITEL 6
Plexus brachialis
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a
b
c Abb. 6.31 a–c. Therapie der Trizeps-Bizeps-Kokontraktion durch mehrmalige Injektion von Botolinumtoxin Typ A in den M. triceps. a Pathomechanismus der muskulären Kokontrakti-
onen (mod. nach Schliack). b,c Klinischer Aspekt nach Beendigung der Therapie: b Ellenbogenstreckung, c Ellenbogenbeugung
244
Plexus brachialis
• im Schulterbereich – Mm. teres major, deltoideus, subscapularis und • im Unterarmbereich – Pronations-Supinations-Kokontraktionen dar.
6.2.4.6 Was kann erreicht werden? Spontanverlauf Die weit verbreitete Lehrmeinung ist, dass die Therapie geburtstraumatischer Läsionen des Plexus brachialis konservativ durchgeführt werden soll. In der Literatur werden im Hinblick auf den Spontanverlauf nach geburtstraumatischer Läsion des Plexus brachialis 3 Patientengruppen unterschieden: 1. komplette Spontanheilung (35–81%), 2. partielle Spontanheilung ohne nennenswerte funktionelle und/oder ästhetische Beeinträchtigung (25–65%) und 3 Defektheilung mit gravierender funktioneller und ästhetischer Beeinträchtigung (4–43%; Tabelle 6.42).
KAPITEL 6
Konservative Therapie Das klinische Bild nach konservativer Therapie bei hochgradiger geburtstraumatischer Schädigung des Plexus brachialis kann wie folgt beschrieben werden (Abb. 6.32): Knochen und Weichteile wachsen langsamer als auf der gesunden Seite. Ein 6–8 Monate alter Säugling zeigt eine 10% kürzere obere Extremität. Zum Zeitpunkt der Pubertät beträgt der Längenunterschied etwa 6–7 cm, im Erwachsenenalter maximal eine Handlänge. Neben der primären Funktionsbeeinträchtigung durch die Muskelparese kommt es sekundär durch monatelang andauernde Lähmung zu Gelenkkontrakturen. Vor allem im Schulter- und Ellenbogenbereich sieht man oft hochgradige Veränderungen. Durch die Kontraktur der Gelenkkapsel kommt es im Schultergelenk zu einer frühen Mitbewegung der Skapula, was zu einer Umkehrung des skapulothorakalen Bewegungsrythmus führt und im Bereich des Ellenbogens die Streckung beeinträchtigt. Da sich nach einigen Jahren einige Fasern der Schultergürtelmuskulatur und besonders der Ellenbogenmuskulatur erholt haben, wird der verkürzte Arm leicht abduziert, mit leicht gebeugtem Ellenbogen (Ausfall oder Schwächung des Trizeps) und supiniertem Unterarm (Zug des M. biceps brachii), mit (passiv) gestrecktem Radiokarpalgelenk, aber leicht gebeugten Fingern gehalten (vgl. Abb. 6.32).
Tabelle 6.42. Ergebnisse nach geburtstraumatischer Plexusläsion bei konservativer Therapie Gruppe I: komplette Spontanheilung
Gruppe II: partielle Spontanheilung ohne nennenswerte funktionelle und/oder ästhetische Beeinträchtigung
Gruppe III: Defektheilung mit gravierender funktioneller und ästhetischer Beeinträchtigung
[n]
[n]
[%]
[n]
[%]
[n]
[%]
Bauer und Vojta
57
24
42
25
44
8
14
Gordon et al.
35
–
–
–
–
–
7
Greenwald et al.
38
–
–
–
–
–
4
Hentz
25
8
32
10
40
7
28
Jackson u. Hoffer
21
17
81
–
–
4
19
Lone
103
40
39
30
29
32
31
Michelow et al.
66
–
–
–
–
5
8
Rossi et al.
34
12
35
22
65
–
–
Tan
35
24
69
7
20
4
11
Tassin
44
14
32
11
25
19
43
Insgesamt
458
KAPITEL 6
Abb. 6.32. Spontanverlauf einer Defektheilung mit gravierender funktioneller und ästhetischer Beeinträchtigung (Gruppe-III-Ergebnis) nach geburtstraumatischer Plexusparese
Bei schweren Läsionen, besonders bei Wurzelausrissen, bleibt die Sensibilität monatelang und manchmal auch dauernd beeinträchtigt. Dies spielt sich in einem Alter ab, in welchem das zentrale Nervensystem seine Reife noch nicht erreicht hat und das Körperschema noch nicht endgültig festgelegt ist. Nach Spontanregeneration, unterstützt durch intensive konservative Therapie (Vojta u. a.), kann eine nützliche Erholung in 70% der Sensibilität und nur in 33% der Motorik erwartet werden.
Operative Therapie Auch nach operativer Revision des Plexus brachialis kommt es zu einem verminderten Extremitätenwachstum als Ausdruck der nervalen Schädigung. Je früher die operative Revision durchgeführt wird, desto geringer sind die Längendifferenzen. Durch die frühere und stärkere Reinnervation treten sekundäre Gelenkkontrakturen signifikant seltener auf. In Abhängigkeit von Ausmaß und Schwere der Schädigung können folgende Ergebnisse erwartet werden:
Plexus brachialis
Bei einer oberen Plexusläsion (C5/C6) kann nach frühzeitiger Plexusrevision alleine in 60–80% der Fälle eine gute (Grad III) bis normale (Grad V) Schulterfunktion erreicht werden. In 20–40% der Patienten kann durch zusätzliche sekundäre Ersatzoperationen ebenfalls eine signifikante Ergebnisverbesserung (Grad III und besser) erzielt werden. Die Wiederherstellung der Ellenbogenbeugefunktion gelingt in mindestens 90% der Fälle. Bei den erweiterten oberen Plexusläsionen (C5, C6, C7) wird in 70–90% eine befriedigende (Grad III), gute (Grad IV) oder normale (Grad V) Schulterfunktion durch die Plexusoperation erreicht. Ellenbogenbeugung und -streckung können meist wiedererlangt werden. Die aktive Handgelenk- und Fingerstreckung wird jedoch nur in 55–70% der Fälle erreicht. Bei den kompletten (C5 bis Th1) Plexusläsionen kann eine befriedigende (Grad III) bis normale (Grad V) Schulterfunktion in 53–85% der Fälle beobachtet werden. In der Regel kann eine Ellenbogenbeugung wiedererlangt werden. Die Wiederherstellung der Ellenbogenstreckung sowie der Handgelenk- und Fingerstreckung ist abhängig von der Anzahl der ausgerissenen Wurzeln. Die Handgelenk- und Fingerbeugung kann bei 33–75% der Fälle, die Funktion der intrinsischen Handmuskulatur in bis zu 50% durch alleinige frühzeitige Nervenchirurgie wiederhergestellt werden. Mit Hilfe von sekundären Sehnentransfers (z. B. Handgelenk- und Fingerstreckung) kann in den meisten Fällen noch eine deutliche Ergebnisverbesserung erzielt werden.
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K. Wintsch
Inhalt 7.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 7.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 250 7.1.1.1 Muskelkraft. . . . . . . . . . . . . . . . 250 7.1.1.2 Muskelamplitude. . . . . . . . . . . . 250 7.1.1.3 Verlaufsrichtung . . . . . . . . . . . . 250 7.1.1.4 Innervation (funktionelle Beziehung des Kraftspenders zum zu ersetzenden Muskel). . . . . . . . . . 250 7.1.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 7.1.3 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 7.1.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 7.1.4.1 Indikationen. . . . . . . . . . . . . . . 252 7.1.4.2 Faktoren, die bei der Auswahl des Spendermuskels und der Transposition zu berücksichtigen sind. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 7.1.4.3 Prinzipien der Operationstechnik. . 254 7.1.4.4 Adjuvante operative Maßnahmen. 256 7.1.4.5 Prinzipien der postoperativen Nachbehandlung. . . . . . . . . . . . 256 Immobilisation . . . . . . . . . . . . . 256 Physiotherapie und Ergotherapie bei Sehnentransposition. . . . . . . 257 7.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 260 7.2.1 Operationen bei Ausfällen der Opposition und Adduktion des Daumens. . . . . . . . . . 260 7.2.1.1 Opponensersatz mit Abductor digiti minimi. . . . . . . . . . . . . . . 262 7.2.1.2 Opponensersatz mit Flexor digitorum-superficialis-IV-Sehne . . 262 7.2.1.3 Opponensersatz mit Palmaris longus-Sehne. . . . . . . . . . . . . . 266 7.2.1.4 Intermetakarpale Spanplastik. . . . 266 7.2.1.5 Adduktionsersatzplastik. . . . . . . 267
KAPITEL 7
Motorische Ersatzplastiken der Hand
7.2.2 Lumbricalesersatzoperationen . . . . . . . . . 7.2.2.1 Extensor-carpi-radialis-longus Transfer zum Lumbricalesersatz (“Extensor-to-flexor-Manitailed Transfer” nach Brand) . . . . . . . . . 7.2.2.2 Palmaris-longus-Manitailed Transfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2.3 Flexor-digitorum-superficialis Manitailed-Transfer. . . . . . . . . . . 7.2.2.4 Kapsulodese der Grundgelenke nach Zancolli. . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Ersatzoperationen nach Radialisparese. . . . 7.2.3.1 Pronator-teres-Transfer zur Handgelenkstreckung. . . . . . . . . 7.2.3.2 Flexor-carpi-ulnaris-Transfer zur Fingerstreckung. . . . . . . . . . 7.2.3.3 Palmaris-longus-Transfer zur Daumenstreckung. . . . . . . . . 7.2.4 Ersatzoperationen nach Strecksehnen ruptur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.4.1 Extensor-index-proprius-Transfer zur Daumenstreckung (“Indicis-Transfer”) . . . . . . . . . . . 7.2.4.2 Seit-zu-Seit-Koppelung im Strecksehnenbereich . . . . . . . 7.2.4.3 Extensor-index-proprius- oder Extensor-digiti-minimi-Transfer im Strecksehnenbereich . . . . . . . 7.2.5 Wiederherstellung der Beugefunktion. . . . 7.2.5.1 Extensor-carpi-radialis-longus Transfer bei Ausfall der langen Beugesehnen. . . . . . . . . . . . . . 7.2.5.2 EDM- und EIP-Transfer für die Daumenbeugung. . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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268 271 271 271 274 274 274 278 278 278 280 280 282 283 283 286
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Motorische Ersatzplastiken der Hand
KAPITEL 7
7.1 Allgemeines
7.1.1.2 Muskelamplitude
Durch motorische Ersatzoperationen sollen Muskelfunktionen wieder hergestellt werden, die durch direkte Verletzungen von Muskeln, Nerven oder Krankheiten verloren gegangen sind. Mit Hilfe dieser Techniken können auch Funktionen von Muskeln, die durch Wiederherstellung der Nerven nur teilweise oder abgeschwächt wieder gekommen sind, ersetzt oder verstärkt werden. Diese Ersatzoperationen sind ein wesentlicher Bestandteil des integrativen Konzepts zur Rehabilitation nach peripheren (Plexus brachialis) und zentralen Nervenverletzungen.
Der Gleitweg der zu verlagernden Muskel-Sehnen-Einheit muss ausreichend für die gewünschte Bewegung sein. Die normale Amplitude eines Muskels ist die Distanz, die eine Sehne aus der Position bei passiv maximal gespanntem in die bei voll kontrahiertem Muskel zu gleiten vermag. Die erforderliche Amplitude an einem Gelenk ist dagegen der Gleitweg, den die Sehne während des vollen Bewegungsausmaßes des Gelenks zurücklegen muss. Die Muskelamplitude wird in der Funktion der Hand stark beeinflusst von:
7.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie 7.1.1.1 Muskelkraft Nach Brandt ist: • die Masse oder das Volumen der Muskelfaser proportional der Arbeitsleistung, • die mittlere Faserlänge proportional der Exkursion und • die physiologische Querschnittsfläche aller Fasern proportional der Spannung. Für die tabellarischen Übersichten werden folgende Begriffe benutzt: • „mean resting fiber length“, • “mass fraction” (prozentualer Anteil des Gewichts des Einzelmuskels am Gewicht sämtlicher Unterarm- und Handmuskeln) und • “tension fraction” (prozentualer Anteil des Eigenmuskels an der Summe der physiologischen Querschnittsflächen aller Unterarm- und Handmuskeln). Der physiologische Querschnitt errechnet sich durch Division des Muskelvolumens durch die mittlere Faserlänge. Werte für die einzelnen Muskeln lassen eine korrekte Beurteilung der Eignung im Hinblick auf eine Transposition zu. Wenn man diese Werte richtig anwendet, können Verlust und Gewinn durch die Muskelumlagerung ausreichend berechnet werden. Es muss dabei beachtet werden, dass derartige Werte nicht nur von Person zu Person wechseln, sondern auch an einem Menschen zu verschiedenen Zeiten (z. B. Zunahme bei sportlichem Training, Abnahme bei Krankheit, Alter).
• der Zahl der Gelenke, über die die Sehne hinweg zieht, und deren Position (eine Verstärkung der erforderlichen Amplitude kann auch erreicht werden durch Umwandlung eines monoartikulären in einen polyartikulären Muskel), • dem Abstand der Sehne von der Gelenkachse in den verschiedenen Positionen (durch Spaltung der umliegenden Faszien und Herauslösen des Muskels aus seiner bindegewebigen Umgebung kann die Exkursion vermehrt werden). Die Bewegungsamplitude sollte annähernd gleich sein wie die des zu ersetzenden Muskels. Eine zu kleine Amplitude bedeutet einen kleineren Bewegungsausschlag. Eine zu große Amplitude kann unter Umständen eine unerwünschte Überkorrektur bewirken. So kann es z. B. bei der Lumbricalis-Ersatzoperation zu Schwanenhalsdeformitäten kommen, wenn die Amplitude der transponierten Sehnen zu groß ist.
7.1.1.3 Verlaufsrichtung Zur Vermeidung eines Verlusts an Kraft und Amplitude ist ein möglichst geradliniger Verlauf des transponierten Muskels anzustreben. Jeder abgewinkelte Verlauf um ein Widerlager führt zur Beeinträchtigung der Gleitfähigkeit der umgelagerten Sehne. In einigen Fällen kann eine abgewinkelte Verlaufsrichtung nicht vermieden werden. Ein entsprechender Verlust ist deshalb einzukalkulieren. In anderen Fällen kann eine Abwinkelung durch ausreichende Mobilisierung (Ablösen von Ursprungsteilen des Muskels von Faszien oder Knochen) vermieden werden.
7.1.1.4 Innervation (funktionelle Beziehung des Kraftspenders zum zu ersetzenden Muskel) Ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl des adäquaten Spendermuskels ist die Frage nach Antagonismus und Synergismus der alten mit der neuen Funktion. Dabei
KAPITEL 7
muss zwischen anatomischem und funktionellem Synergismus unterschieden werden. Anatomisch gesehen sind alle Strecksehnen an der Hand unter sich Synergisten. Sie sind Antagonisten zu den Beugesehnen. Funktionell gesehen bezeichnet man Muskeln dann als Synergisten, wenn sie sich bei bestimmten wichtigen Bewegungsabläufen gleichzeitig kontrahieren. So betrachtet sind die Extensoren des Handgelenks Synergisten zu den langen Beugesehnen der Finger, indem sie sich beim Faustschluss zusammen mit den langen Fingerbeugern anspannen, um das Handgelenk in Dorsiflexion zu halten. In gleicher Weise sind die Handgelenkbeuger Synergisten zu den Fingerstreckern, indem sie sich anspannen, wenn die Finger gestreckt werden. Sie verhindern dabei, dass die Hand durch die Fingerstrecker in Dorsiflexion gezogen wird. Für die Sehnentransposition ist der funktionelle Synergismus ausschlaggebend bei der Wahl eines Spendermuskels. Im Gehirn ist der Funktionsablauf als Bewegung, und nicht als Aktion eines einzelnen Muskels verankert, sodass nach Transposition ein Muskel ohne größere Probleme an einer funktionell agonistischen (synergistischen) oder antagonistischen Bewegung teilnehmen kann. Je besser die Innervationsmuster des zu transponierenden Muskels mit dem zu ersetzenden hinsichtlich Amplitude, zeitlicher Rekrutierung und Dauer übereinstimmen, desto schneller wird der Muskel in die neue Bewegung integriert und desto besser ist der Wirkungsgrad des transponierten Muskels an seinem neuen Ansatz. Muss für einen ausgefallenen Muskel ein funktioneller Anatagonist als Kraftspender verwendet werden, so sind die Erfolgsaussichten schlechter, auch wenn es sich anatomisch um einen Synergisten handelt. Für den Erfolg kommt es in diesen Fällen neben der Mitarbeit des Patienten insbesondere auf eine spezielle Physiotherapie (z. B. präoperatives Training eines Muskels zur Transposition, postoperatives Biofeedback-Training mit Hilfe eines über Oberflächenelektroden abgeleiteten Elektromyogramm/EMG).
7.1.2 Diagnostik Die exakte präoperative Diagnostik und Planung sind Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie. Bei der Erstuntersuchung wird erst- und einmalig eine detaillierte Allgemeinanamnese erhoben. Neben der Händigkeit im Bereich der oberen Extremität, chronischen Erkrankungen (Diabestes mellitus u. a.) und Nikotinkonsum werden vor allem die beruflichen und individuellen Notwendigkeiten des Patienten eruiert. Die klinische Untersuchung beinhaltet die Beurteilung der notwendigen Voraussetzungen für die erfolgreiche Wiederherstellung einer inadäquaten oder feh-
Motorische Ersatzplastiken der Hand
lenden Muskelfunktion. Die standardisierte klinische Untersuchung umfasst: • die subjektive Bewertung von Beschwerden (Schmerzskala 0–10), Wetterfühligkeit und Kälteempfindlichkeit, • die Sensibilitätstestung im Unterarm- und im Handbereich (radial und ulnar), • die Untersuchung der aktiven und passiven Gelenkbeweglichkeit mit Hilfe der Neutral-Null-Methode und • die Beurteilung der Muskelkraft jedes einzelnen Muskels der oberen Extremität nach der Klassifikation des „Medical Research Council“ (MRC). Die Anwendung des Dokumentationsschemas nach Narakas (1989) hat sich bewährt. Die apparative Diagnostik umfasst in der Regel die konventionellen Röntgendiagnostik und die Elektroneurodiagnostik. Die Röntgenuntersuchung in 2 Ebenen mit Einbeziehung der angrenzenden Gelenke des betroffenen Abschnitts dokumentieren in Ergänzung zur klinischen Untersuchung den Zustand dieser Gelenke, insbesondere irreversible Gelenkschädigungen von physiotherapeutisch zugänglichen Versteifungen. Der klinische Befund der Muskelfunktionen kann elektroneurographisch, besonders durch differenzierte EMG-Untersuchungen, objektiviert werden. In manchen Fällen ist es damit möglich, Reinnervationsvorgänge festzustellen und die Entscheidung über ein chirurgisches oder zunächst konservatives Vorgehen zu treffen. Die neurophysiologischen Untersuchungen wie die Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit und vor allem die Elektromyographie haben einen hohen Stellenwert bei: • Sicherung der Einschätzung der Läsionshöhe, • Unterscheidung nervaler und muskulärer Schädigungen, • Einschätzung der Schwere der Nervenläsion, • Einschätzung der Nervenregeneration, • Ausschluss einer (zusätzlichen) zentralen Läsion.
Bei einer traumatischen Schädigung können weitere apparative Untersuchungen in Abhängigkeit von Ursache und Ausmaß der Schädigung notwendig werden (s. Band IV, Kap. 2).
7.1.3 Klassifikation Motorische Ersatzoperationen können klassifiziert werden nach Art der Verlagerung, Anzahl der überspannten Gelenke, im Hinblick auf den zeitlichen Einsatz und das Ausmaß der verbliebenen motorischen Funktion. Darüber hinaus sind noch einige Sonderfälle zu unterscheiden (Tabelle 7.1).
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Motorische Ersatzplastiken der Hand Tabelle 7.1. Klassifikation der motorischen Ersatzoperationen Art der Verlagerung monopolar bipolar Anzahl der überspannten Gelenke monoartikulär polyartikulär Zeitlicher Einsatz primär sekundär Grad des Funktionsausfalls partieller Ausfall (M 1–3) kompletter Ausfall (M 0) Sonderfälle primär zum Zeitpunkt der Nervenrekonstruktion bereits geplante Ersatzoperation ein- oder mehrzeitige freie funktionelle Muskeltransplantation
Nach der Art der Verlagerung unterscheidet man monopolar, d. h. nur eine Insertion wird verändert, und bipolar, d. h. Ansatz und Insertion werden abgelöst und neu inseriert. In Abhängigkeit davon, wie viele Gelenke überspannt werden, unterscheidet man in monoartikuläre und polyartikuläre motorische Ersatzoperationen. Mit Bezug auf den zeitlichen Einsatz spricht man von primären und sekundären Ersatzoperationen. Primäre Ersatzoperationen werden – in Unkenntnis der möglichen nervalen Rekonstruktionsmöglichkeiten – besonders bei hohen Nervenschädigungen empfohlen. Kommt es nach einer gleichzeitig vorgenommenen Nervenrekonstruktion zu einer ausreichenden motorischen Regeneration, können die transponierten Sehnen rückverlagert werden. Dieses Vorgehen kann indiziert sein bei verschiedenen Nerven mit bekannt eingeschränkter Regenerationsfähigkeit oder bei älteren Patienten mit ebenfalls verminderter Regenerationsfähigkeit. Es muss allerdings immer darauf geachtet werden, dass durch die nervale Regeneration eine Funktionsbeeinträchtigung bei gleichzeitig bestehender Ersatzoperation eintreten kann. Sekundäre Ersatzoperationen werden im Allgemeinen 2–3 Jahre nach erfolgter Nervenrekonstruktion durchgeführt. Im Hinblick auf das zu erzielende Ergebnis ist es wichtig, zu unterscheiden in Ersatzoperationen bei komplette fehlender Funktion und solche bei partiell fehlender Funktion. Bei partiell fehlender Funktion bestehen noch die normalen Reflex- und Regelkreise, weshalb bei adä-
KAPITEL 7
quater Auswahl des Sehnentransfers ein deutlich besseres Ergebnis bezüglich Funktionalität und Dauer der Rehabilitation erreicht wird als nach komplettem Funktionsausfall. Diese Unterscheidung ist vor allem bei Patienten mit stammnahen Läsionen (z. B. Plexus brachialis) bedeutend. Schließlich sind noch einige Sonderfälle zu unterscheiden: Zu den Sonderfällen zählt man die primär zum Zeitpunkt der Nervenrekonstruktion bereits geplante Ersatzoperation und die ein- oder mehrzeitige freie funktionelle Muskeltransplantation: Bei dem primär zum Zeitpunkt der Nervenrekonstruktion bereits geplanten Muskel-Sehnen-Transfer wird zum Zeitpunkt der Nervenwiederherstellung ein bestimmter Muskel reinnerviert, mit dem Ziel, nach adäquater Reinnervation durch sekundäre Transposition eine bestimmte Bewegung zu rekonstruieren oder augmentieren (z. B. M. latissims dorsi oder M. triceps zur geplanten sekundären Transposition nach Reinnervation zur Verbesserung der Außenrotation im Schulterbereich oder Ellenbogenbeugung). Stehen bei ausreichender Innervation keine Muskel-Sehnen-Gruppen für die Transposition zur Verfügung (direkte Muskelschädigung, Muskeldegeneration bei Denervationszeit >2–3 Jahre), kann eine freie mikrovaskuläre funktionelle Muskeltransplantation durchgeführt werden. Fehlt eine ausreichende Innervation, kann mit Hilfe eines mehrzeitigen Vorgehens ein Nerventransplantat vorgelegt werden, um dann bei ausreichender Axonzahl im Bereich des distalen Transplantatstumpfes eine freie mikrovaskuläre Muskeltransplantation durchzuführen.
7.1.4 Therapie 7.1.4.1 Indikationen Indikationen für Ersatzoperationen stellen die Wiederherstellung, die Verbesserung (Augmentation) und die Balancierung einer Funktion dar (Tabelle 7.2). Funktionsstörungen können bedingt sein durch; 1. irreparable Nervenschädigungen (Trauma, Poliomyelitis, Lepra), 2. inadäquat regenerierte Nervenschädigungen, 3. Muskelzerstörung („Endorganinsuffizienz“) direkt (Trauma) oder indirekt durch Gefäßschädigung (ischämische Kontraktur), 4. Sehnenverletzungen, 5. angeborene Fehlbildungen und 6. Fehlinnervationen nach nervaler Regeneration (muskuläre Ko-Kontraktionen).
KAPITEL 7 Tabelle 7.2. Indikationen für motorische Ersatzoperationen Wiederherstellung (Rekonstruktion) irreparable Nervenschädigungen (Trauma, Poliomyelitis, Lepra) komplette Muskelzerstörung („Endorganinsuffizienz“) direkt (Trauma) indirekt (Gefäßschädigung) Sehnenverletzungen Angeborene Fehlbildungen Aplasie Verbesserung (Augmentation) inadäquat regenerierte Nervenschädigung partielle Muskelschädigung direkt (Trauma) indirekt (Gefäßschädigung) Angeborene Fehlbildungen Hypoplasie Balancierung muskuläre Ko-Kontraktionen
7.1.4.2 Faktoren, die bei der Auswahl des Spendermuskels und der Transposition zu berücksichtigen sind Häufig bestehen für die Neuverteilung der funktionierenden Muskeln mehrere Möglichkeiten. Es empfiehlt sich deshalb, sich an bewährte Methoden zu halten und nur bei genügender Erfahrung in Ausnahmefällen eigene Lösungen zu suchen. Eine geschickt gewählte, technisch gut ausgeführte Neuverteilung (Balancierung) der funktionierenden Elemente ermöglicht im Zusammenhang mit einer konsequenten Physiotherapie und der natürlichen Anpassungsfähigkeit des Patienten in manchen Fällen eine fast vollständige Wiederherstellung der Funktion. In der Regel ist eine Funktionsverbesserung, nicht aber eine Restitutio ad integrum zu erwarten. Unter Berücksichtigung des einzelnen Falles muss entschieden werden, welche Ausfälle und Mängel in Kauf genommen werden sollen. Für das richtige Funktionieren eines Transfers spielen viele Faktoren eine Rolle (Tabelle 7.3). Die für den Transfer ausgewählten Muskeln sollten entweder eine ähnliche Funktion haben oder in der gleichen Bewegungsphase aktiviert werden. Der Muskel muss als Ganzes transponiert werden. Es ist nicht möglich, dass der gleiche Muskel als Agonist und Antagonist eingesetzt wird. Neben einer ausreichenden Bewegungsamplitude muss die sekundäre Ersatzoperation auch eine ausreichende Kraft (Muskelquerschnitt) wiederherstellen. Die Kraft des Spendermuskels im Verhältnis zum zu ersetzenden Muskel sollte gleich oder zumindest annähernd gleich sein. Bei eher lockeren, hypermobilen Ge-
Motorische Ersatzplastiken der Hand
Tabelle 7.3. Faktoren, welche bei einer motorischen Ersatzoperation berücksichtigt werden müssen 1.
Funktionelle Beziehung des Kraftspenders zum zu ersetzenden Muskel
2.
Verhältnis der Kraft des Spendermuskels zum gelähmten Muskel
3.
Bewegungsausschlag, vergleichend zwischen Kraftspender und ausgefallenem Muskel
4.
Lagebeziehung der beiden Muskeln zueinander
5.
Spenderdefekt im Verhältnis zum Benefit
6.
Funktion der Weichteile und Gelenke
7.
Folgen von Nebenverletzungen
8.
Atypische Innervation und Mischinnervation nach Reinnervation
9.
Falsch zusammengenähte Sehnen
10.
Einstellung des Patienten
11.
Motorische Lernfähigkeit des Patienten
12.
Sensibilität im Empfängergebiet
lenken wird lieber ein etwas schwächerer Kraftspender verwendet. Bestehen von Natur aus oder als Folge des Unfalls eher stabile, z. T. in der passiven Beweglichkeit eingeschränkte Gelenke, so wird eher ein kräftiger Spender gewählt. Da bei jeder Transposition Kraft verloren geht (Faustregel M –1), soll kein geschädigter oder reinnervierter Muskel verwendet werden. Der Muskel muss nach Transposition eine ausreichende Amplitude für die neue Bewegung aufweisen. Ist die Amplitude des Kraftspenders wesentlich kleiner als die des ausgefallenen Muskels, so wird im entsprechenden Gelenk ein verminderter Bewegungsausschlag zu erwarten sein. Es muss im einzelnen Fall beurteilt werden, ob dieser Ausschlag für die Funktion ausreicht oder nicht. Eine größere Amplitude des Kraftspenders kann bei hypermobilen Gelenken von Nachteil sein. Dieser Nachteil kann z. T. kompensiert werden, wenn der Kraftspender schwächer ist als der ausgefallene Muskel. Um einen unnötigen Kraftverlust zu vermeiden, sollte ein möglichst gerader Verlauf gewählt werden. Ist eine Richtungsänderung notwendig, müssen Umlenkvorrichtungen („pulley“) vorhanden sein. Es ist von Vorteil, wenn der Kraftspender nur wenig verlagert werden muss und wenn er bei der Verlagerung möglichst wenig mit dem Skelett oder mit starren Strukturen wie Septen oder Narben usw. in Kontakt kommt. Auch die Zugrichtung soll nach der Verlagerung möglichst gleich sein wie die des zu ersetzenden Muskels. Beim Ersatz kleiner Handmuskeln durch Muskeln vom Unterarm ist ferner wich-
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tig, dass der Kraftspender über ein zusätzliches Gelenk zieht. Je nach Stellung des Handgelenks wird die Wirkung des Kraftspenders verstärkt oder abgeschwächt. Der Patient kann damit auch durch entsprechende Bewegung des Handgelenks sowohl das Anspannen wie auch das Erschlaffen des Muskels verstärken. Der Spenderdefekt eines jeden Muskeltransfers muss beachtet werden. Der durch das Umsetzen des Spendermuskels zu erwartende Funktionsgewinn muss größer sein als der Funktionsverlust an der Entnahmestelle. Die Weichteilverhältnisse sollen ohne Probleme Muskel- und Sehnenverlagerungen zulassen, oder der Weichteilmantel muss vor oder gleichzeitig mit der Ersatzoperation wiederhergestellt werden können (z. B. myokutaner M.-latissimus-dorsi-Transfer). Bevor die Transposition durchgeführt wird, sollte die passive Beweglichkeit der beteiligten Gelenke so gut wie möglich durch Physiotherapie und, wo nötig, auch operativ gebessert werden. Bestehen noch Restbehinderungen, sollte ein starker Kraftspender gewählt werden. Die Gleitfähigkeit der Sehnen kann beeinträchtigt sein. Oft sind auch ein Teil der Sehnen nicht genäht oder gar reseziert worden. Sowohl bei der Wahl des Kraftspenders als auch bei der Beurteilung der Ausfälle ist bei bekannten Nervenverletzungen genau zu prüfen, welche Muskeln ausgefallen sind, um atypische Innervationen berücksichtigen zu können. Dies gilt besonders bei Medianus- und Ulnarisausfällen (Martin-Gruber-Anastomosen, Rich-CannieuAnastomosen) für die Thenarmuskulatur, die oberflächlichen und tiefen Fingerbeuger und den M. flexor carpi ulnaris. Je wichtiger eine ausgefallene Funktion für den Patienten ist, desto besser sind die Aussichten, dass die neue Funktion des transferierten Muskels vom Patienten gelernt wird. So wird z. B. die Daumenopposition nach Ersatzoperation im Allgemeinen besser gelernt als die Daumenadduktion. Aus diesen Gründen gilt bei weniger wichtigen Ausfällen noch mehr als sonst, dass ein funktioneller Synergist als Kraftspender gewählt werden soll. Neben den defektbedingten Faktoren lassen sich auch patientenbedingte Faktoren benennen, welche die Auswahl des Verfahrens signifikant beeinflussen können. Zu den patientenbedingten Faktoren gehören • • • • • • • • •
Alter, Geschlecht, allgemeiner Gesundheitszustand, Beruf und Freizeitverhalten, Intelligenz, Wünsche des Patienten, Compliance, soziales Umfeld und Motivation.
KAPITEL 7
Im ungünstigen Fall, bei dem man gezwungen ist, einen Antagonisten als Kraftspender zu wählen, muss eine genügende motorische Lernfähigkeit und eine positive Einstellung des Patienten vorausgesetzt werden können. Sensibilität im Empfängergebiet sollte vorhanden sein, ist aber keine zwingende Voraussetzung, wie die Ergebnisse mit Muskeltranspositionen bei Tetraplegikern und Patienten mit Lepra gezeigt haben. Bei traumatisch bedingten Schädigungen sollte aber jeder Versuch der Sensibilitätswiederherstellung unternommen werden, um auch ohne Augenkontrolle die Hand einsetzen zu können.
7.1.4.3 Prinzipien der Operationstechnik Eine korrekte Schnittführung dient nicht nur einem guten Zugang zu den Muskeln und Sehnen mit der Möglichkeit einer ausreichenden Mobilisierung, sondern auch der Vermeidung einer Behinderung des Gleitvermögens der transponierten Muskel-Sehnen-Einheit. Sehnennahtstellen sollten nicht direkt unterhalb der Hautnaht zu liegen kommen. Die bevorzugten Inzisionen verlaufen lappenbildend S- oder L-förmig; kurze quergerichtete Inzisionen sind günstig für das Aufsuchen, Mobilisieren und Verlagern der Muskeln bzw. Sehnen. Generell sollte die Haut so wenig wie möglich eröffnet werden. Zur Minimierung der durch das Operationstrauma bedingten Adhäsionen haben sich Tunnelierungsinstrumente sehr bewährt. Sie erlauben, Sehnen umzulagern ohne sie in größerem Umfang frei zu legen. Die am besten geeignete Schicht für den neuen Verlauf der Muskel-Sehnen-Einheit ist subkutan außerhalb der tiefen Faszie. Sie muss allerdings zur Darstellung und Mobilisierung des Kraftspenders sowie im Bereich der Vereinigungsstellen ausgedehnt gespalten bzw. reseziert werden.
! Bei der Sehnenumlegung ist vor allem auf die Scho-
nung des Paratendineums zu achten, um die Gleitfähigkeit zu erhalten. Verletzungen führen zu Adhäsionen mit Funktionseinschränkungen.
Der neue Ansatz der transponierten Muskel-Sehnen-Einheit erfolgt selten am Knochen durch Periostnaht, transossäre Naht (z. B. Mitek-Anker) oder transossäre Tunnelierung. Meist wird der Ansatz an den Sehnen des gelähmten und zu ersetzenden Muskels vorgenommen. Hier gibt es die beiden Möglichkeiten der End-zu-End- und End-zuSeit-Verbindung. Die letztgenannte Verbindung ist dann bevorzugt zu wählen, wenn die Transposition reversibel bleiben soll. In Fällen irreversibler Lähmungen ist die End-zu-End-Verbindung sicher die bessere Methode, da sie einen geradlinigen Verlauf ohne die sonst verbleibende Abwinklung erlaubt. Für die eigentliche Nahttechnik hat sich das Verfahren nach Pulvertaft (Abb. 7.1 a,b) bewährt.
KAPITEL 7
Motorische Ersatzplastiken der Hand Abb. 7.1 a,b. Technik der Sehnennaht. a End-zu-Seit nach Pulvertaft. b End-zuEnd nach Zechner
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Tabelle 7.4. Definition der Spannung bei motorischer Ersatzoperation Maximale Spannung:
Muskel ist bis zur Dehnungsgrenze gespannt
Neutrale Spannung:
Durch Zug an der Sehne wird diese zuerst gespannt; dann wird sie losgelassen und ohne Zug spannungsfrei verankert
3 mm positive Spannung:
Sehne wird 3 mm gegenüber der neutralen Spannung nach distal gezogen
Mittlere Spannung:
Spannung bei Halbierung der Dehnungsstrecke von neutraler bis maximaler Spannung
Für jeden Transfer ist eine optimale Spannungswahl entscheidend. Da die Spannung eines Muskels durch die Stellung der bewegten Gelenke beeinflusst wird, muss neben der gewünschten Spannung (Tabelle 7.4) auch angegeben werden, in welcher Stellung die Gelenke gehalten werden müssen. In der klinischen Praxis wird dabei so vorgegangen, dass die Finger bzw. die Hand in die zu ersetzende Position gebracht werden und dann unter der adäquaten Spannung des transponierten Muskels der Eingriff vorgenommen wird. Eine Kontrolle erfolgt durch passives Bewegen des proximalen Gelenks, wobei es durch den Tenodeseeffekt zu gegenläufigen Bewegungen in den distalen Gelenken kommen muss: Handgelenkbeugung muss zur Fingerstreckung, Handgelenkstreckung zur Fingerbeugung führen.
7.1.4.4 Adjuvante operative Maßnahmen Neben der Möglichkeit der Tenodese und Kapsulodese sollte auch die Arthrodese bedacht werden. Diese adjuvanten Eingriffe können entweder vor, gleichzeitig mit oder nach der motorischen Ersatzoperation durchgeführt werden. Mit einer Kapsulodese erfolgt eine Einschränkung der passiven Gelenkbeweglichkeit. Da es sich um einen Weichteileingriff handelt, ist dieser als weniger definitiv als eine Arthrodese anzusehen. Darüber hinaus verbleibt in dem belassenen Sektor die Beweglichkeit. Die Arthrodese verfolgt verschiedene Ziele. Einerseits wird dadurch ein Gelenk in einer funktionsgünstigen Stellung, welche durch die bestehenden Muskelausfälle nicht mehr gehalten werden kann, fixiert. Andererseits werden noch funktionierende, am behandelten Gelenk ansetzende Muskeln für andere Aufgaben frei. Diese stehen zur Sehnentransposition zur Verfügung. Durch die Arthrodese kann ein Tendoseseffekt verhindert oder verstärkt werden. Je nachdem, ob die benutzte Sehne bei einer Tenodese ein weiteres, aktiv bewegliches Gelenk überspannt oder nicht, unterscheidet man dynamische und statische Tenodesen. Die Tenodese über ein Gelenk blockiert
dieses in einer Richtung. Tenodesen über mehrere Gelenke koppeln die Bewegung dieser Gelenke in einer Weise, welche in Kombination mit noch funktionierenden Muskeln oder mit Sehnentranspositionen genutzt werden kann. Zur Verbesserung der Funktionalität der gesamten oberen Extremität können auch orthetische Hilfsmittel und Hülsenapparate eingesetzt werden. Zur Optimierung der Nervenregeneration und zur Therapie von Ko-Kontraktionen kann die intramuskuläre Injektion von Botulinumtoxin in den Antagonisten während der frühen Trainingsphase erfolgreich eingesetzt werden. Hierdurch kann die neue Bewegung ohne Beeinflussung durch den Antagonisten im Sinne eines „ modulierenden Zügel“ erlernt und verinnerlicht werden. Ist eine ausreichende Bewegungsamplitude und Kraft (peripherer Effekt des Botulinumtoxins auf den Bewegungsapparat) und Bewegungskontrolle (zentraler Effekt des Botulinumtoxins) erreicht, kann auch bei nachlassender Lähmung des Antagonisten die neue Bewegung erhalten und nun auch unter physiologischen Agonisten-Antagonisten-Bedingungen erlernt und durchgeführt werden (Effekt des Botulinumtoxins auf Rückenmarksebene und ZNS).
7.1.4.5 Prinzipien der postoperativen Nachbehandlung Immobilisation Bei normal innervierten Muskel-Sehnen-Einheiten erfolgt die postoperative Ruhigstellung mit einer Schiene in der die Sehnennähte entlastenden Position für 3–4 Wochen. Nach Abnahme der Gipsschiene wird für den Übergang von etwa 2 Wochen eine leichtere Schiene außerhalb der Übungen getragen, um eine plötzliche zu starke Dehnung des verlagerten Muskels zu vermeiden und die einzuübenden Bewegungen zu unterstützen. Bei motorischen Ersatzoperationen nach Läsionen des Plexus brachialis hat sich die „6+6-Regel“ bewährt. Einer Ruhigstellungsphase von 6 Wochen folgt eine Phase des progressiven Belastungsaufbaus von ebenfalls 6 Wochen.
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Physiotherapie und Ergotherapie bei Sehnentransposition Die Nachbehandlung nimmt eine Schlüsselrolle bei der Behandlung von motorischen Ersatzoperationen im Handbereich ein. Neben der Verfeinerung der Operationstechniken hat vor allem die Verbesserung der physiotherapeutischen Begleittherapie zu einer Verbesserung der funktionellen Ergebnisse, Verkürzung des Krankenstandes und deutlicher Kostensenkung geführt. Die Physiotherapie ist integraler Bestandteil der Therapie. Nur durch ausreichend oft und genügend lange und intensiv durchgeführte Physiotherapie kann ein optimales Ergebnis erzielt und auf lange Sicht gehalten werden. Eine Kürzung der Physiotherapie durch die Krankenkassen ist aus medizinischer Sicht nicht vertretbar.
Aktive und passive Bewegungsübungen unter krankengymnastischer Übungsanleitung stellen evtl. in Kombination mit verschiedenen Hilfsmitteln (Bewegungsschienen und/oder Lagerungsschienen) einen wichtigen Bestandteil der handchirurgischen Therapie dar. Weitere ergotherapeutische Maßnahmen (Versorgung mit Schienen, Hilfsmittel, Sensibilitätstraining) müssen bei Bedarf – trotz des Drucks durch die Krankenkassen – weiterhin und sogar vermehrt als integraler Bestandteil der Therapie zusätzlich verordnet werden. Die Physiotherapeuten müssen dazu genau über die durchgeführten Maßnahmen orientiert sein, wozu ihre Anwesenheit im Operationssaal wünschenswert ist. Die Physiotherapie kann präoperativ und/oder postoperativ eingesetzt werden: Die präoperative Physiotherapie hat zur Aufgabe, Versteifungen zu beheben, welche den geplanten Transfer behindern würden. In den Fällen, bei denen Schwierigkeiten beim Umlernen erwartet werden, können schon vorbereitende Übungen vor der Operation durchgeführt werden. Unter den üblichen zur Verfügung stehenden Techniken haben sich zur Überwindung von Beugekontrakturen an den Interphalangealgelenken der Langfinger progressiv streckende zylindrische Gipse bewährt. Kontrakturen an den Langfingern sind bei der paralytischen Krallenhand sehr häufig. Nach aktiven und passiven Bewegungsübungen mit dem Hauptaugenmerk auf eine verbesserte Extension wird der Finger so gestreckt wie möglich durch den zylindrischen Gips ruhiggestellt. Für jeden Finger wird dazu ein Gipsstreifen von 2 cm Breite und etwa 4 cm Länge benötigt. Täglich, oder sogar 2-mal täglich wird der Gips nach Einweichen in Wasser entfernt; es wird erneut besonders auf Streckung geübt und wieder ein zylindrischer Gips angelegt. Diese Methode ist auch noch in Fällen erfolgreich, bei denen elastische Streckschienen (Quengel) nicht zum Er-
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folg geführt haben. Intelligente Patienten können so weit angelernt werden, dass sie die Behandlung zu Hause, insbesondere auch über das Wochenende durchführen können. Es muss darauf geachtet werden, dass nicht durch Übereifer des Physiotherapeuten und/oder Patienten Druckstellen dorsal über dem Mittelgelenk auftreten. Die Hauptaufgabe bei der postoperativen Physiotherapie liegt neben ihren üblichen Aufgaben darin, den transferierten Muskel auf seine neue Funktion umzuschulen. In günstigen Fällen nach idealen, funktionell synergistischen Transfers kann dieses Umlernen problemlos sein und fast automatisch erfolgen. Vom Synergismus bis zum vollständigen funktionellen Antagonismus gibt es einen allmählichen Übergang. Die Schwierigkeiten umzulernen nehmen zu, je eindeutiger der Kraftspender Antagonist ist. Aus verschieden tierexperimentellen und klinischen Studien können folgende Schlüsse gezogen werden: Der Mensch ist in der Lage, den richtigen reflexartigen Gebrauch transponierter Muskeln auch in antagonistischer Funktion zu erlernen.
Dies gelingt aber nicht jedem ohne Weiteres. Welche Faktoren entscheiden über Erfolg oder Misserfolg? Einerseits besteht sicher eine individuell unterschiedliche Lernfähigkeit („kortikale Plastizität“). Es kann auch der Lernwille verschieden sein. Dies kann z. B. in Rentenfällen eine ungünstige Rolle spielen. Schließlich wirkt sich eine bestimmte Lerntechnik positiv aus. Durch besondere physiotherapeutische Nachbehandlung lässt sich das Verhältnis wesentlich zugunsten des Erfolgs verschieben. Um das Prinzip des Umlernens gut zu verstehen, muss man die Empfindungen eines Patienten nach einem Transfer analysieren (Abb. 7.2 a–d; Tabelle 7.6): Im dem Moment, in dem nach einem Sehnentransfer der Gips entfernt wird und der Patient die ersten Bewegungen durchführt, erlebt er eine Überraschung: Immer, wenn der transferierte Muskel betätigt wird, resultiert eine andere Bewegung als erwartet. Auf 2 Arten erlebt der Patient diese Tatsache: Er sieht, dass eine unerwartete Bewegung erfolgt. Mit verschiedenen Anteilen des propriozeptiven Sinnes fühlt er die unerwartete Bewegung; es werden andere Muskeln gedehnt, Gelenke in anderer Richtung bewegt als erwartet. Umgekehrt wird auch der transferierte Muskel jetzt in Bewegungsphasen gedehnt, wo dies früher nicht der Fall war. Es tritt also nicht nur ein unerwarteter Bewegungsablauf, sondern auch ein unerwarteter Gefühlsablauf ein. Da jeder automatisierte Bewegungsablauf durch den propriozeptiven Sinn gesteuert wird, ist gerade die Änderung des Ablaufs der Bewegungsempfindungen von entscheidender Bedeutung für das Umlernen. Das reflexartige Zusammenspiel zwischen Empfindung und Bewegung ist gestört, das alte Bewegungserlebnis ist nicht mehr möglich. Dieses gestörte Zusammenspiel weckt beim höher entwi-
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Abb. 7.2 a–d. Phasen des Umlernens nach motorischer Ersatzoperation. a Wenn nach dem Sehnentransfer die Hand aus der Schiene kommt, erlebt der Patient eine Überraschung: Wenn er die transferierte Sehne betätigt, entsteht eine andere Bewegung als erwartet. b Die normale Reaktion ist die, dass
er die neue Funktion durch Bewegungsexperimente studiert. c Im ungünstigen Fall gibt der Patient schließlich auf. d Es kann ihm aber auch gelingen, die Bewegung unter seine willkürliche Kontrolle zu bringen und nutzbringend zu verwenden
ckelten Tier und insbesondere beim Menschen den Drang, diese Störung wieder unter Kontrolle zu bringen. Es bewirkt ein spontanes Bedürfnis umzulernen. Aus den Versuchen von Blodgett ist ersichtlich, dass aus dieser Situation 3 Entwicklungen möglich sind:
1. Der Patient ist nicht fähig, den ursprünglichen Bewegungsrhythmus für den transferierten Muskel abzustellen. Die Kontraktionen erfolgen im alten Rhythmus.
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Tabelle 7.5. Phasen des Umlernens, ihre möglichen Störungen und therapeutische Ansätze nach motorischer Ersatzoperation Phasen des Umlernens
Therapeutische Beeinflussung
Überraschungserlebnis
Präoperative Physiotherapie
Studium der neuen Situation durch Bewegungsexperimente Gruppe 1: weitgehender Synergismus alter und neuer Funktion des transferierten Muskels. Dabei bleiben die Antagonisten vor und nach der Operation dieselben und ihre Entspannung geschieht automatisch zur richtigen Zeit Gruppe 2: Bei Verwendung eines Muskels für eine andersartige, nicht vollständig antagonistische Funktion, wenn alte und neue Bewegung gleichzeitig durchgeführt werden können Gruppe 3: Antagonistentransfers, bei dem alte und neue Bewegung nicht gleichzeitig durchgeführt werden können
Auswahl des operativen Verfahrens Physiotherapeutische Standardübungen Botulinumtoxin
Begreifen der gewünschten neuen Bewegung
Physiotherapeutische Standardübungen (Botolinum Toxin) Orthetische Hilfsmittel
Einüben der gewünschten neuen Bewegung bis zur Automation 1. Der Patient ist nicht fähig, den ursprünglichen Bewegungsrhythmus für den transferierten Muskel abzustellen. Die Kontraktionen erfolgen im alten Rhythmus 2. Der Patient kann zwar den alten Rhythmus abstellen, erlernt aber den neuen Rhythmus nicht. Der Muskel nimmt an der Bewegung nicht mehr teil 3. Die alte Funktion wird aufgegeben, um die gewünschte neue Funktion zu erlernen
Orthetische Hilfsmittel (Physiotherapuetische Standardübungen)
2. Der Patient kann zwar den alten Rhythmus abstellen, erlernt aber den neuen Rhythmus nicht. Der Muskel nimmt an der Bewegung nicht mehr teil. 3. Die alte Funktion wird aufgegeben, um die gewünschte neue Funktion zu erlernen. Die Physiotherapie soll diesen Prozess zum gewünschten Ziel führen. Sie tut dies mit gezielten Bewegungsexperimenten, den so genannten Standardübungen. Standardübungen sind ein integraler Bestandteil der Therapie.
Zu jedem Transfer kann eine solche Standardübung konzipiert werden. Diese Übung wird so durchgeführt, dass aus einer Ruhelage heraus der transferierte Muskel angespannt und gleichzeitig sein neuer Anatagonist entspannt wird. Der erste Teil, den transferierten Muskel anzuspannen, geschieht dadurch, dass die alten Bewegung dieses Muskels befohlen wird. Schon diese an sich einfache Aufgabe gelingt nicht ohne Weiteres. Die Überraschung, dass durch Betätigung dieses Muskels eine unerwartete Bewegung entsteht, bewirkt oft zuerst eine Hemmung dieser Bewegung; sowohl direkt wie indirekt durch Anspannen der neuen Antagonisten. Muskel zur Entspannung zu bringen, ist oft besonders schwierig. Für die Standardü-
bungen können die Transfers in 3 Gruppen eingeteilt werden (vgl. Tabelle 7.5). Für das Umlernen stellen nur Gruppe 2 und 3 Probleme dar. Bei Patienten der Gruppe 2 erreicht man das Anspannen des transferierten Muskels dadurch, dass die alte Bewegung des Muskels befohlen wird. Die Entspannung der neuen Antagonisten erzielt man in dieser Gruppe dadurch, dass gleichzeitig die neue Bewegung befohlen wird. Man kann sich die wichtige Tatsache zunutze machen, dass der Befehl zu einer Bewegung nicht nur Aktivität auf der einen Seite, sondern auch Entspannung auf der Gegenseite auslöst. Eine willkürliche Entspannung bestimmter Muskeln ist für den Patienten wesentlich schwieriger als die indirekte Entspannung im Zusammenhand mit einer befohlenen Kontraktion ihrer Antagonisten. Wurden für den Ausfall der kleinen Handmuskeln Kraftspender vom Unterarm eingesetzt, so kann durch entsprechende Bewegungen im Handgelenk ihre Wirkung verstärkt werden. Diese Möglichkeit sollte bei der Standardübung mitberücksichtigt werden, indem in der befohlenen Ruhelage die Handgelenkstellung so gewählt wird, dass eine zusätzliche Entspannung der transferierten Sehne erfolgt. Bei der nun befohlenen Bewegung wird zusätzlich auch die Handgelenkstellung befohlen, welche die Wirkung des Kraftspenders verstärkt. Die Transfers aus der Grup-
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pe 2 haben bei gut durchgeführter Physiotherapie eine große Erfolgsaussicht. Misserfolge sind selten und kommen nur bei besonders bewegungsunbegabten Patienten vor. Mit einer größeren Misserfolgsrate muss gerechnet werden, wenn die Umlernübungen nicht oder nicht fachgerecht durchgeführt werden. Für die Gruppe 3, dem eigentlichen Antagonistentransfer, muss die Physiotherapie des Umlernens besonders sorgfältig durchgeführt werden. Die Übungen müssen auch über eine genügend lange Zeit kontrolliert werden, um Rückfälle zu vermeiden. Bei einem Rückfall kann der Patient vom richtigen Gebrauch des Muskels zurückfallen, bei dem er den Muskel entweder ausschaltet oder sogar wieder im alten Bewegungsrhythmus betätigt. Auch bei dieser 3. Gruppe zeigt sich, dass die willkürliche Entspannung eines Antagonisten für den Patienten schwieriger ist als das willkürliche Anspannen des Muskels. Für diese Antagonistentransfers besonders schwierige Aufgabe empfiehlt sich das Vorgehen nach Lennox. Bereits vor der Operation sollte eine intensive Physiotherapie durchgeführt werden. Der Patient lernt dabei den zu transferierenden Muskel isoliert zu kontrahieren unter gleichzeitiger völliger Entspannung aller übrigen Muskeln. Erst wenn der Patient den zu transferierenden Muskel isoliert kontrahieren kann, ist er für einen Antagonistentransfer geeignet. Gerade für das Problem der inadäquaten Entspannung der Antagonisten stellt die adjuvante Botulinumtoxintherapie eine wichtige neue, minimal-invasive Therapieform dar.
Die Qualitätskontrolle des postoperativen Fortschritts und der Physiotherapie erfolgt durch regelmäßige Messungen sowohl vor als auch nach der Operation. Nur so ist eine Führung möglich. Die Messungen werden wöchentlich vorgenommen und am besten als Kurve gezeichnet. Gemessen werden nur die entscheidenden Bewegungsausschläge an den wichtigsten Gelenken. Neben der aktiven und passiven Gelenkbeweglichkeit werden auch assistierte aktive Ausschläge gemessen. Darunter versteht man die aktiven Ausschläge in einem Gelenk, welche zustande kommen, wenn vorgelagerte und von den selben Sehnen bewegte Gelenke durch den Untersucher in die Stellung gebracht werden, welche die größte Kraftentwicklung der entsprechenden Sehnen auf das zu untersuchende Gelenk ermöglicht. Diese Untersuchung hat oft eine besondere Aussagekraft. So kann man frühzeitig die Funktion einer tiefen Beugesehne nach abgeheilter Naht nachweisen, wenn das Grundgelenk gestreckt wird und der Patient zur aktiven Bewegung aufgefordert wird. Bei Binnenmuskelparesen an den Langfingern kann man das Funktionieren des Streckapparates für das Mittelgelenk nur prüfen, wenn man das überstreckte Grund-
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gelenk in normale Streckstellung oder gar in Beugestellung bringt und den Patienten auffordert die Langfinger zu strecken. Ist die assistierte Streckung des ansonsten passiv frei beweglichen Mittelgelenks dann nicht möglich, so ist dies ein Beweis für die Insuffizienz des Streckapparates in diesem Bereich.
7.2 Spezielle Techniken 7.2.1 Operationen bei Ausfällen der Opposition und Adduktion des Daumens Wird der Daumen von der Handebene in Opposition geschwenkt, so beschreibt das Metacarpale I im Sattelgelenk eine Kegelfläche, wobei die palmare Seite des Daumens immer gegen die Achse des Kegels blickt. Es kommt dabei zwangsläufig eine Rotation in der Fingerachse zustande, welche für jede Daumenstellung weitgehend fixiert ist. Der Daumen lässt sich gegenüber Mittelfinger, Ringfinger und Kleinfinger voll opponieren, während die Opposition gegenüber dem Zeigefinger etwa um 30° unvollständig ist. Die optimale Zugrichtung für die Opposition verläuft vom Daumengrundgelenk zum Os pisiforme. Die optimale Adduktion erhalten wir bei einer Zugrichtung vom Daumengrundgelenk zur Handflächenmitte. Die Opposition stellt für den Daumen eine wichtigere Funktion dar als die Adduktion. Aus diesem Grunde wird in der Regel die Opposition besser erlernt als die Adduktion, weil die Motivation zum Erlernen größer ist. Voraussetzung zur Operation ist, dass passiv mindestens eine Anteposition von 45° möglich ist. Gelingt es in der präoperativen Physiotherapie nicht, eine genügende Anteposition zu erzielen, dann muss diese operativ verbessert werden. In leichten Fällen kann dies gleichzeitig mit der Opponensersatzoperation erfolgen. Die transferierte Sehne sollte sowohl im Bereich der Grundphalanx wie auch im Bereich des Metacarpale wirksam werden (Abb. 7.3 a–e). Setzt der Zug nur am Metacarpale an, so kommt es besonders bei hypermobilen Gelenken im MP-Gelenk durch die Extensor-pollicis-longus-Sehne zu einer Ulnarduktion des Daumens. Wird die Sehne nur im Bereich der Grundphalanx befestigt, kommt es zu einer Radialabweichung des Daumens im MP-Gelenk. Diese anfänglich meist geringe Deviation kann sich mit der Zeit verstärken. Als Möglichkeiten des Opponensersatzes stehen bei reiner Medianusparese der Abductor digiti quinti und in den anderen Fällen eine Superficialissehne (meistens des Ringfingers) zur Verfügung. Auch die Palmaris-longusSehne, an der ein Aponeurosestreifen belassen wird, kommt infrage. Bei schweren Lähmungen, z. B. nach ischämischer Kontraktur, verwenden wir die intermetakarpale Verspanung, welche im Prinzip einer Arthrodese entspricht.
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d Abb. 7.3 a–e. Operationen bei Ausfällen der Opposition und Adduktion des Daumens. a Falsch: Erfolgt der Zug des Transfers nur am Metacarpale, so führt dies mit der Zeit zu einer Ulnarduktion des Daumens wie in b oder zu einer Z-Stellung
e wie in d. Umgekehrte Fehlstellungen erhalten wir, wenn der Transfer nur am Grundglied ansetzt. e Richtig: Die transferierte Sehne zieht sowohl am Grundglied wie am Metacarpale
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7.2.1.1 Opponensersatz mit Abductor digiti minimi Eine treppenförmige Inzision, welche ulnar palmar am Kleinfingergrundglied beginnt, radial am Hypothenar vorbeizieht und über dem Ansatz der Flexor-carpi-ulnaris-Sehne endet, gibt einen guten Zugang zum Hypothenar. Der Gefäß-Nerven-Stiel des Abductor digiti quinti tritt von radial an den proximalen Muskelteil heran. Der Muskel wird möglichst weit distal losgelöst, wobei die Einstrahlung in die Extensoraponeurose mit dem Muskel gehoben wird. Proximal haftet der Muskel einerseits am Os pisiforme, andererseits zieht ein Sehnenstreifen über dem Pisiforme nach proximal und strahlt in die Flexorcarpi-ulnaris-Sehne ein. Um etwas Länge zu gewinnen, empfiehlt es sich nach Absetzen des Muskels vom Pisiforme die Sehneneinstrahlung bis etwa 5 mm proximal des Pisiforme von der Flexor-carpi-ulnaris-Sehne abzuspalten. .Der Muskel haftet jetzt nur noch über diesen Sehnenstreifen an der Flexor-carpi-ulnaris-Sehne und am Gefäß-Nerven-Stiel (Abb. 7.4 a–d). Dieser Längengewinn ist wesentlich, wenn das distale Ende sowohl am Grundglied als auch an der Strecksehne über dem distalen Metacarpale verankern werden soll. Der Muskel, der nur noch an diesem proximalen Sehnenstiel und am Gefäß-Nerven-Bündel haftet, kann nun wie die Seite eines Buches zum Daumen hin geschwenkt werden. Das distale Ende muss noch längs gespalten werden. Ein Ende wird an der Einstrahlung des Abductor pollicis brevis und des Opponens pollicis befestigt, der zweite Zügel an der Einstrahlung des Extensor pollicis brevis oder an der Gelenkkapsel über dem Metacarpaleköpfchen. Der Daumen wird dabei gestreckt in Opposition gehalten. Die Ruhigstellung erfolgt für 3 Wochen mit dem Handgelenk in Streckstellung und dem Daumen in Opposition/Anteposition. Die Standardübung zum Umlernen besteht aus einer Ruhestellung, wobei die erschlaffte Hand mit dem Handrücken auf dem Tisch liegt, und einer aktiven Stellung, für welche gleichzeitig eine Kleinfingerabduktion und eine Opposition befohlen wird. In den ersten 2 Wochen wird zwischen den Übungen eine Schiene angelegt, welche den Daumen in Opposition hält.
7.2.1.2 Opponensersatz mit Flexor-digitorumsuperficialis-IV-Sehne Die Inzisionen erfolgen gemäß Abb. 7.3 a,b. Von der Inzision radial am Ringfingermittelgelenk wird der radiale Zügel der Superficialissehne aufgesucht und mit einer feinen Klemme gefasst. Sie wird möglichst weit distal durchtrennt. Durch Zug an diesem Sehnenzügel erscheint auch der ulnare Zügel im Gesichtsfeld. Auch dieser wird möglichst weit distal durchtrennt. Bei maximaler Flexion des
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Handgelenks und des MP-Gelenks und kräftigem Zug an den durchtrennten Sehnenenden erscheint die Profundussehne mit ihrer Durchtrittsstelle durch die Superficialissehne (Abb. 7.5 a–d). Die Superficialissehne wird bis zu dieser Durchtrittsstelle gespalten. Da die Superficialissehne zum Daumen hin die Richtung wechseln muss und dabei möglichst die optimale Zugrichtung vom Grundgelenk zum Pisiforme erzielt werden soll, wird ein Hypomochlion gebraucht, um welches die Sehne geführt werden kann. Die von Bunnell beschriebene Sehnenschlaufe, welche auf Höhe des Pisiforme mit der Hälfte der Flexor-carpiulnaris-Sehne konstruiert wird, führt hier regelmäßig zu starken Verwachsungen und ist schlecht geeignet. Am besten hat sich nach unserer Erfahrung die Fensterung des Retinaculum flexorum bewährt. Dabei gehen wir nach Spaltung der Palmaraponeurose ein auf das Retinaculum flexorum und durchtrennen die distale Hälfte durch einen vertikalen Schnitt. Am proximalen Ende des Schnittes wird ein Fenster von etwa 6–8 mm Durchmesser geschnitten. Anschließend wird die Superficialissehne durch Zug am freien Sehnenende identifiziert. Diese wird nun hier herausgeführt und begleitendes Gleitgewebe über dem Rand des Fensters gesteppt und mit feinen Nähten fixiert. Die Sehne wird bis zur kleinen Inzision in Thenarmitte tunnerliert. Werden die beiden freien Enden dieser Sehne kräftig auseinandergezogen, so lässt sich diese bis zur Austrittsstelle aus der Wunde weiter spalten. Ein Zügel wird nun knapp palmar der Gelenkachse des Grundgelenks auf der Radialseite des Daumens zur dorsalen Längsinzision über dem distalen Ende der Extensorsehne durchtunneliert. Das andere Ende wird subkutan mit dem Tunnelierungsinstrument zuerst zur Hilfsinzision dorsal über dem distalen Metacarpaleende und dann zur Inzision ulnar über dem Daumengrundgelenk geführt. Das Handgelenk wird jetzt in einer Beugung von 30° und der Daumen in Opposition gehalten. In dieser Stellung werden nun die beiden Zügel einerseits am distalen Ende der Extensorsehne des Daumens und andererseits am ulnaren Kollateralband des Grundgelenks unter neutraler Spannung befestigt. Neutrale Spannung erhalten wir dabei, indem wir zuerst durch Zug die Sehne anspannen und den Muskel etwas dehnen. Dann wird dem Muskel erlaubt, sich wieder zu kontrahieren, und die Sehne wird gerade ohne Zugspannung befestigt. Die Ruhigstellung erfolgt für 3 Wochen mit dem Handgelenk in Streckstellung und dem Daumen in Opposition und Anteposition. Nach Gipsabnahme setzt die Physiotherapie zum Umlernen ein. Bei der Standardübung lässt der Patient in der Ausgangsstellung die Hand mit der Handfläche nach unten hängen. Aus dieser Stellung heraus wird gleichzeitig die Beugung des Ringfingers, die Opposition des Daumens und die Dorsiflexion
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c Abb. 7.4 a–d. Opponensersatz mit Abductor digiti minimi
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c Abb. 7.5 a–d. Opponensersatz mit Flexor-digitalis-superficialis-IV-Sehne
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c Abb. 7.6 a–d. Opponensersatz mit Palmaris-longus-Sehne
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der Hand befohlen. Während der ersten 2 Wochen wird zwischen den Übungen der Daumen durch eine Abduktionsschiene in Opposition gehalten. Bei besonders narbigen Verhältnissen zwischen Hypothenar und Thenar oder bei knapper passiver Abduktionsfähigkeit des Daumens kann auch der direkte Weg ohne Hypomochlion gewählt werden.
7.2.1.3 Opponensersatz mit Palmaris-longusSehne Diese Operation kommt z. B. infrage, wenn bei einem fortgeschrittenen Karpaltunnelsyndrom zusammen mit der Spaltung des Retinaculum flexorum eine primäre Opponensersatzplastik wünschenswert erscheint. Dabei wird die Inzision zum Spalten des Retinaculum flexorum etwas nach distal verlängert. In der Fortsetzung des Palmaris longus wird ein Streifen von entsprechender Breite aus der Palmaraponeurose geschnitten. Das freie Ende wird ohne Hypomochlion direkt zum Daumen tunneliert, dort wird es auf eine Strecke von etwa 10 mm gespalten. Ein Ende wird an der Einstrahlung des Abductor pollicis brevis und das andere Ende an der Insertion der Extensor-pollicis-brevis-Sehne verankert. Dabei wird der Daumen in Opposition und das Handgelenk in 30° Flexion gehalten (Abb. 7.6 a–d).
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7.2.1.4 Intermetakarpale Spanplastik In schweren Fällen, bei denen nur wenige Muskeln zur Verfügung stehen, wie z. B. nach der Volkmann-Kontraktur, kann durch eine intermetakarpale Spanplastik eine stabile Opposition erzielt werden (Abb. 7.7 a,b). Dabei ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der Nachteil, dass der Daumen nicht mehr in die Handebene geschwenkt werden kann, evtl. für den betreffenden Patienten wesentliche Nachteile bringt. Bei der Volkmann-Kontraktur besteht in der Regel auch eine schwere Adduktionskontraktur. Zur Behebung empfiehlt sich ein dorsaler Lappen, dessen Spitze bis zum Zeigefingermittelgelenk und deren Basis vom Daumengrundgelenk zum Daumensattelgelenk reicht (Abb. 7.8 a–c). Erst nach Abheben des Lappens wird darunter die kontrakte Kommissur gespalten. Metacarpale I und II lassen sich so leicht darstellen. In Oppositionsstellung des Daumens werden nun einander zugewandte Kerben im Knochen so gelegt, dass hier ein Beckenkammspan eingeklemmt werden kann. Dieser kann mit Kirschner-Drähten oder einer Platte und Schrauben fixiert werden. Der beschriebene Lappen deckt die Kommissur. Der Entnahmedefekt wird mit dicker Spalthaut gedeckt.
Abb. 7.7 a,b. Intermetakarpale Spanplastik
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C B A B
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Abb. 7.8 a–c. Lappenplastik bei intermetakarpaler Spanplastik nach Wintsch. a Größe und Form des Lappens wird an der nicht kontrakten gleichseitigen Hand des Operationsassistenten geplant
7.2.1.5 Adduktionsersatzplastik Da die Adduktion weniger wichtig ist als die Opposition, ist die Motivation zum Umlernen nicht sehr ausgeprägt, sodass oft das in der Physiotherapie Erlernte wieder vergessen wird. Die Indikation muss deshalb zurückhaltend gestellt werden. Das Aufsuchen der Superficialissehne geschieht wie bei der Opponensersatzplastik mit dieser Sehne. Durch eine Längsinzision in der Palma wird die Sehne direkt distal des Retinaculum flexorum und ulnar der Palmaraponeurose hervorgezogen und subkutan zur kleinen Inzision in Thenarmitte geführt. Hier wird das Sehnenende längs gespalten, indem die freien Enden kräftig auseinandergezogen werden. Ein Ende wird, gleich wie bei der Opponensersatzplastik, knapp palmar der Gelenkachse des Daumengrundgelenks auf der Radialseite zur Längsinzision über dem distalen Ende der Extensorsehne am Endgelenk geführt. Das andere Ende wird ulnar direkt zum ulnaren Seitenband tunneliert. Das Handgelenk wird in Flexion von 30° gehalten, der Daumen in Op position. In dieser Stellung werden beide Zügel mit
neutraler Spannung einerseits an der Insertion der Strecksehne am Endgelenk und andererseits am ulnaren Seitenband am Daumengrundgelenk verankert (Abb. 7.9). Die Ruhigstellung im Gips erfolgt für 3 Wochen. In der anschließenden Physiotherapie wird von einer Ruhestellung ausgegangen, bei der die entspannte Hand mit der Handfläche nach unten hängt. Von hier aus wird die Daumenadduktion, die Beugung des Ringfingers und die Dorsiflexion des Handgelenks gleichzeitig befohlen.
7.2.2 Lumbricalesersatzoperationen Die Lumbricales ziehen palmar der Grundgelenkachse und dorsal der Mittelgelenkachse vorbei und integrieren sich hier in die Extensoraponeurose. Ihr Ausfall bewirkt die so genannte Krallenstellung der Finger, wobei bei der Streckung der Langfinger eine Überstreckung im MPGelenk und eine unvollständige Streckung im proximalen (PIP-) und distalen Interphlangeal- (DIP-)Gelenk resultiert. Beim Faustschluss krallen sich die Finger zuerst
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7.2.2.1 Extensor-carpi-radialis-longus-Transfer zum Lumbricalesersatz („Extensor-to-flexor-Many-tailed-Transfer“ nach Brand)
Abb. 7.9. Operation nach Thompson zur Adduktionsersatz operation
im End- und Mittelgelenk ein. Erst am Schluss wird das Grundgelenk flektiert. Das Resultat ist, dass die Finger sich vor einem zu ergreifenden Objekt einrollen, anstatt dieses zu umfassen. Zusammen mit den Interossei beteiligen sich die Lumbricales auch an Abduktion und Adduktion der Langfinger. Diese Funktion ist weniger wichtig und wird deshalb bei der Ersatzoperation nicht berücksichtigt. Möglichkeiten des Lumbricalesersatzes 1. Der Extensor-carpi-radialis-longus-Transfer mit Palmarverlagerung („extensor to flexor Manytailed“ von Brand) 2. Der Palmaris-Many-tailed 3. Der Superficialissehnentransfer 4. Die Kapsulodese der Grundgelenke nach Zancolli Die Many-tailed-Operationen haben den Nachteil, dass die Lumbricaleswirkung für alle 4 Finger gleichzeitig erfolgt, was sich aber beim einfachen Greifakt nicht nachteilig auswirkt.
Es ist eine anspruchsvolle Operation, bei der es wichtig ist, dass die Spannung der einzelnen Fingerzügel gut aufeinander abgestimmt ist. Für das Umlernen ist eine gute Physiotherapie notwendig. Zuerst werden die Inzisionen angelegt (Abb. 7.10 a,b). Von einer kleinen Inzision dorsal über dem Handgelenk wird die Extensor-carpi-radialis-longus-Sehne aufgesucht und durchtrennt. Handbreit proximal wird dieselbe Sehne von einem kleinen Hautschnitt aus aufgesucht und das freie Ende hier herausgezogen. Mit dem Tunnelierungsinstrument wird dieses Ende um den Radius herum zum palmaren Vorderarm geführt und hier ein Sehnentransplantat nach der Einscheidungsmethode von Brand (Abb. 7.10 c–g) angeschlossen. Als Transplantat wird die Palmaris-longus- oder die Plantaris-longus-Sehne verwendet. Fehlen diese, so wird ein Streifen der Fascia lata als Transplantat eingesetzt. Das freie Ende des Transplantats wird mit dem Tunnelierer in Volamitte durchgezogen und hier in 4 Streifen aufgespalten („four tailes“). Jeder dieser Streifen wird entlang dem Lumbricalis zu einem der Langfinger geführt, am Zeigefinger ulnar zu einer ulnar-dorsalen Längsinzision am Grundglied und an den Fingern III, IV und V radial zu radiodorsalen Inzisionen. Der korrekte Verlauf dieses Zügels ist wesentlich. Er muss palmar der Ligg. intermetacapalia verlaufen. Bei der Verankerung ist die Verwendung einer Lagerungsschiene von Vorteil, welche das Handgelenk in einer Flexion von 30° und die MP-Gelenke in einer Flexion von 60° hält. Fehlt eine solche Schiene, so kann auch ein rechtwinkliger Block (Büchse oder Schachtel) verwendet werden, welcher das Handgelenk in 90° Flexion und alle Fingergelenke in Streckung hält. Beim Verankern der Zügel wird mit der Nadel immer zuerst die Aponeurose gefasst und nach proximal straff gezogen. Durch Druck werden Mittel- und Endgelenk auf der Schiene vollständig gestreckt gehalten. Die Zügel werden an der Nadel vorbei immer zuerst maximal gespannt und dann bis zur gewünschten Spannung losgelassen. Bewährt hat sich, die Verankerung in folgender Reihenfolge durchzuführen: • am Zeigefinger halbe Spannung (siehe Allgemeines über Operationstechnik), • am Kleinfingerzügel 3 mm positive Spannung. Dies bedeutet, dass der Zügel aus neutraler Spannung nochmals um 3 mm nach distal gezogen wird, • an den übrigen Fingern erfolgt dann die Befestigung mit neutraler Spannung.
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Abb. 7.10 a–g. Extensor-carpi-radialis-longus-Transfer zum Lumbricalesersatz („Extensor-to-flexor-Manitailed-Transfer“ nach Brand)
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Abb. 7.10 e–g. Extensor-carpi-radialis-longus-Transfer zum Lumbricalesersatz („Extensor-to-flexor-Manitailed-Transfer“ nach Brand)
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Jeder Zügel wird mit 3 Einzelknopfnähten verankert. Nach erfolgter Verankerung wird die Hand von der Schiene genommen und das Resultat durch Bewegung des Handgelenks geprüft. Bei Dorsiflexion des Handgelenks sollte eine gleichmäßige balancierte mittlere Binnenmuskelstellung der Langfinger auftreten. Eine eventuelle Opponensersatzplastik kann gleichzeitig mit dieser Operation vorgenommen werden. Die Ruhigstellung in einer Gipsschiene erfolgt für 3 Wochen. Diese hält das Handgelenk in Streckstellung, die Langfingergrundgelenke in Flexion von 90°, die Mittel- und Endgelenke in Streckstellung. Das Umlernen in der Physiotherapie beginnt nach Gipsabnahme. In Ruhigstellung hängt die Hand mit der Handfläche nach unten. Aus dieser Stellung wird die Dorsiflexion der Hand und die Binnenmuskelstellung für die Langfinger befohlen. Zwischen den Übungen werden während 2–3 Wochen kurze Fingerschienen oder zylindrische Gipse angelegt, welche die Interphalangealgelenke der Langfinger in Streckstellung halten.
7.2.2.2 Palmaris-longus-Many-tailed-Transfer Auch hierbei handelt es sich um eine anspruchsvolle Operation. Das Umlernen ist leichter als beim Extensorcarpi-radialis-longus-Transfer. Voraussetzung ist das Vorhandensein eines kräftigen Palmaris longus. Zuerst werden die Inzisionen gelegt. Von einer kleinen Inzision über dem Handgelenk wird die Palmaris-longus-Sehne distal aufgesucht und durchtrennt. Drei Querfinger proximal wird dieselbe Sehne durch eine kleine Inzision aufgesucht und das freie Ende hier hervorgezogen. Der weitere Verlauf der Operation entspricht dem beim Extensor-carpi-radialis-longus-Transfer, indem hier ein Sehnentransplantat angeschlossen wird. Anschließend wird bis zur Volamitte tunneliert und von hier 4 Streifen zu den jeweiligen Langfingern gelegt. Auch die Spannungswahl ist gleich. Die Ruhigstellung im Gips erfolgt für 3 Wochen. In der postoperativen Physiotherapie besteht die Ruhigstellung aus der mit der Handfläche nach unten hängenden Hand. Aus dieser Stellung heraus werden die Dorsiflexion und die Binnenmuskelstellung befohlen. Da auch im Normalfall bei Einnahme der Binnenmuskelstellung in der Regel die Palmarissehne angespannt wird, handelt es sich hier um einen Synergistentransfer. Zwischen den Übungen werden die Finger durch kurze Schienen oder zylindrische Gipse im Mittel- und Endgelenk in Streckstellung gehalten (Abb. 7.11 a–c).
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7.2.2.3 Flexor-digitorum-superficialisMany-tailed-Transfer Für diesen Transfer besteht einerseits die Möglichkeit, aus einer Superficialissehne 4 Zügel zu machen oder aus 2 Sehnen 4 oder alle 4 Superficialissehnen einzusetzen. Im letzten Fall ist zwar die Funktion für jeden Finger individuell, dafür ist aber die Kraft und Amplitude für die Lumbricaleswirkung zu groß. Auch wenn nur eine Superficialissehne verwendet wird, ist zwar die Kraft angemessen, die Amplitude ist immer noch zu groß. Diese Operation wird deshalb in Fällen gewählt, bei denen die Krallenfingerstellung teilweise passiv fixiert und eine übermäßige Lumbricaleswirkung erwünscht ist. Das distale Ende der Superficialissehne IV wird am Ringfinger von einer ulnar-dorsalen Inzision aus aufgesucht, entsprechend der Opponensersatzplastik (s. dort) durchtrennt und bis zur Durchtrittsstelle der Profundussehne gespalten. Sie wird dann in einer Inzision in Volamitte herausgezogen. Das freie Ende wird in 4 Streifen aufgespalten und entsprechend der Many-tailed-Operation jeder Streifen zu einem der Langfinger tunneliert. Bei der Verankerung geht man ebenso vor wie bei der Manytailed-Operation. Bei der Ruhigstellung für 3 Wochen wird das Handgelenk in Funktionsstellung, die Grundgelenke in Flexion von 90° und die Interphalangealgelenke gestreckt gehalten. Ein Umlernen ist nicht erforderlich.
7.2.2.4 Kapsulodese der Grundgelenke nach Zancolli Der Vorteil dieser Methode liegt darin, dass ein Umlernen nicht erforderlich ist. Auf der anderen Seite sind besonders bei Kindern Rezidive häufig. Insbesondere bei reinen Ulnarisparesen, bei denen eine Krallenstellung meist nur an Ring- und Kleinfinger besteht, ziehen wir diese Methode vor. Durch eine quere Inzision im Bereich der distalen Hohlhandfalte werden die betroffenen Beugesehnenscheiden freigelegt. Von proximal nach distal wird das Ringband sowohl radial wie ulnar soweit durchtrennt, dass die Fibrocartilago des Grundgelenks dargestellt werden kann. Dieser Schritt bewirkt, dass die Beugesehne in diesem Bereich sich etwas von der Gelenkachse entfernt und bei gleicher Kraft ein größeres Drehmoment für das Grundgelenk entsteht. Auch dieses ist Teil der Korrektur. Jetzt wird mit einer Nadel die Höhe der Gelenkspalte bestimmt und eine quere Spindel von 4–7 mm aus der Fibrocartilago reseziert. Die Beugesehnen werden dabei zur Seite gehalten. Die Breite des resezierten Streifens wird so gewählt, dass nach Verschluss der Lücke ein leichter Streckausfall im Grundgelenk resultiert. Die Naht wird z. B. mit 5/0 Tycron vorgenommen.
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Abb. 7.11 a–c. Palmaris-longus-Manitailed-Transfer. a Hautschnitte, b Palmarissehne durch Transplantat verlängert, dessen Ende in die Vola tunneliert werden, c Aufspalten der Sehnenenden
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g Abb. 7.12 a–c. Kapsulodese der Grundgelenke nach Zancolli 1 mit rechteckiger Resektion und mit H-förmigem Hilfsschnitt. d–g Klinischer Fall 37-jähriger Patient – Dynamische
Korrektur nach Zancolli 2. Verankerung eines Motors (FDS) zwischen Ringband A1 und A2 schlingenförmig (Lasso)
Nach Beendigung der Operation wird eine dorsale Gipsschiene für 3 Wochen angelegt, die die Grundgelenke in einer Beugung von etwa 20–30° hält und bis zu
den PIP-Gelenken reicht. Die Schiene wird so angewickelt, dass die Finger für die Beugung frei sind. Ein Umlernen ist nicht erforderlich (Abb. 7.12 a–g).
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7.2.3 Ersatzoperationen nach Radialisparese Je nach Vollständigkeit der Parese können auch nur Teile der Operation durchgeführt werden. Dabei geht es insbesondere um eine Wiederherstellung der Dorsiflexion des Handgelenks, der Extension der Langfinger und des Daumens. Für die Streckung des Handgelenks wird am häufigsten der Pronator teres verwendet. Für die übrigen Funktionen stehen als funktionelle Synergisten die Handgelenkbeuger zur Verfügung, wozu auch die Palmarislongus-Sehne gehört. Mindestens einer dieser 3 Muskeln sollte in alter Funktion belassen werden. Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, ob die Flexor-carpi-radialis- oder die Flexor-carpi-ulnaris-Sehne zu bevorzugen ist. Die Operationstechnik ist leichter, wenn die Flexor-carpi-ulnaris-Sehne zur Anwendung kommt. Ist eine Palmaris-longus-Sehne vorhanden, so kann diese zusätzlich für die Daumenextension herangezogen werden.
7.2.3.1 Pronator-teres-Transfer zur Handgelenkstreckung Der Eingriff ist technisch relativ einfach und hat sich gut bewährt. Auch in Fällen, in denen der Patient nicht richtig umlernt, bringt diese Methode schon durch den gleichzeitigen Tenodeseeffekt einen Funktionsgewinn. Ist der Pronator teres ausgefallen, so ziehen wir eine Tenodese durch Verankerung der radialen Handgelenkstrecker am Radius einer Arthrodese des Handgelenks vor, weil hier eine restliche passive Dorsiflexion immer noch möglich ist. Dies ist dann von Vorteil, wenn man sich mit der Hand auf einer flachen Unterlage abstützen will. Durch Längsschnitt radiodorsal über den beiden Handgelenkstreckern, etwa am Übergang vom mittleren zum distalen Drittel, werden die beiden Sehnen aufgesucht. Durch Zug an der Sehne wird diese jeweils identifiziert. Die Sehnen werden nach ulnar beiseite geschoben. Darunter kommt die Einstrahlung der Pronator-teresSehne zum Vorschein. In der Fortsetzung dieser Sehne wird ein Perioststreifen mit abgelöst. Die beiden Handgelenkstrecker werden proximal gefasst und mit maximalem Zug nach proximal gespannt. Erst jetzt wird die Höhe bestimmt, in der wir die Pronator-teres-Sehne durch beide Sehnen durchflechten. Mit der spitzen Klinge wird in gewünschter Höhe und gewünschter Richtung jede der beiden Sehnen perforiert und die Pronator-teres-Sehne durchgezogen. Hier kann auch eine Sehnendurchflechtungszange verwendet werden. Die Verankerung erfolgt unter maximaler Spannung bei dorsiflektiertem Handgelenk. Wird die Hand jetzt losgelassen, so sollte sie vom
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Transfer in mittlerer bis deutlicher Dorsiflexion gehalten werden. Die Ruhigstellung wird für 3 Wochen eingehalten, mit dorsiflektiertem Handgelenk (Abb. 7.13 a–g). Bei der postoperativen Physiotherapie wird zum Umlernen eine Ruhestellung eingenommen, wobei die erschlaffte Hand mit dem Handrücken nach außen gehalten wird. Jetzt wird gleichzeitig eine kräftige Pronation und eine Dorsiflexion befohlen. Zwischen den Übungen wird eine Schiene angelegt, welche das Handgelenk in Dorsiflexion hält.
7.2.3.2 Flexor-carpi-ulnaris-Transfer zur Fingerstreckung Da funktionell gesehen ein Synergismus zwischen der Flexor-carpi-ulnaris-Sehne und den Fingerextensoren besteht, erübrigt sich ein eigentliches Umlernen. In der Regel erhält man ein Resultat, welches bei gestrecktem Handgelenk eine vollständige Fingerextension ermöglicht, während bei Dorsiflexion des Handgelenks die Fingerstreckung unvollständig ist. Von der kleinen Längsinzision am Handgelenk wird das distale Ende der Flexor-carpi-ulnaris-Sehne am Os pisiforme aufgesucht, mit einer Klemme gefasst und durchtrennt. Die Sehne wird von peritendinösen Verankerungen befreit und von einer kleinen Inzision handbreit proximal wieder aufgesucht und hier hervorgezogen. Da der Muskel weit nach distal reicht, empfiehlt es sich, distale Einstrahlungen des Muskels von der Sehne abzulösen, damit sich diese leichter tunnelieren lässt. Mit einem gebogenen Tunnelierer wird die Sehne subkutan um die Ulna herum in die dorsale winklige Inzision geführt. Beim Durchflechten des Sehnenendes durch die Fingerextensoren sowie durch die Extensor-pollicis-longus-Sehne werden diese zuerst proximal gefasst und kräftig angespannt. Die Durchführung beginnt ulnar proximal an der Kleinfingerstrecksehne und geht dann in diagonaler Richtung nach radial-distal durch die übrigen Sehnen. Die Extensor-pollicis-longus-Sehne wird in allen Fällen mit verankert. Wird für die Daumenextension zusätzlich noch die Palmarissehne verwendet, so wird diese an der Extensor-pollicis-brevis-Sehne verankert. Bei maximalem Zug der Flexor-carpi-ulnaris-Sehne nach distal und der Fingerextensoren nach proximal bei dorsiflektiertem Handgelenk und gestreckten Fingern wird die Verankerung der einzelnen Sehnen mit Einzelknopfnähten vorgenommen. Eine Gipsfixation wird für 3 Wochen angelegt. Eine besondere Physiotherapie zum Umlernen ist nicht erforderlich, weil es sich um einen Synergistentransfer handelt (Abb. 7.14 a–e).
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Abb. 7.13 a–g. Pronator teres-Transfer zur Handgelenkstreckung
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Abb. 7.14 a–i. a–e FCU-Transfer zur Fingerstreckung
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i Abb. 7.14 a–i. a–e FCU-Transfer zur Fingerstreckung, f–i Klinischer Fall 32-jähriger Patient, präoperativ, intraope-
rativ, postoperativ Flexor-carpi-ulnaris-Transfer zur Finger streckung
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Abb. 7.15 a–c. Palmaris longus-Transfer zur Daumenstreckung
7.2.3.3 Palmaris-longus-Transfer zur Daumenstreckung In Ergänzung zur Verankerung der langen Daumenstrecksehne an der Flexor-carpi-ulnaris-Sehne kann die Palmaris-longus-Sehne auf die Extensor-pollicis-brevis-Sehne transferiert werden. Die Operation setzt das Vorhandensein einer Palmaris-longus-Sehne voraus. Die Extensorpollicis-brevis-Sehne wird 3 Querfinger proximal des Handgelenks aufgesucht. Sie wird identifiziert durch Zug an dieser Sehne. Die Sehne wird durchtrennt. Von einer kleinen Inzision über dem Daumen-MP-Gelenk wird dieselbe Sehne aufgesucht und das freie distale Ende hier herausgezogen. Die Palmarissehne wird von einer kleinen Inzision am Handgelenk aufgesucht und durchtrennt. Handbreit proximal wird dieselbe Sehne aufgesucht und das freie Sehnenende hier herausgezogen. Auf direkter Linie zwischen den Inzisionen, aus denen die beiden Sehnenenden hervorragen, wird in der Mitte eine Inzision ge-
legt, die beiden Sehnenenden in diese Inzision tunneliert und mehrfach im Sinne einer Durchflechtungstechnik jeweils in die Gegensehne durchgezogen. Die Verankerung erfolgt unter Spannung mit mehreren Einzelknopfnähten. Auch nach diesem Eingriff wird für 3 Wochen ruhig gestellt, mit dem Daumen in Extension/Abduktion. Das Umlernen ist leicht, und eine besondere Physiotherapie ist nicht notwendig (Abb. 7.15 a–c).
7.2.4 Ersatzoperationen nach Strecksehnenruptur 7.2.4.1 Extensor-index-proprius-Transfer zur Daumenstreckung („Indicis-Transfer“) Da die Extensor-pollicis-longus-Sehne hart am Knochen verläuft, kommt es häufig nach Radiusfrakturen zu einer sekundären Durchscheuerung der langen Strecksehne
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c Abb. 7.16 a–e. Extensor-index-proprius-Transfer zur Daumenstreckung („Indicis-Transfer“)
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7.2.4.2 Seit-zu-Seit-Koppelung im Strecksehnenbereich Häufigste Ursache für Rupturen der Langfingerstrecksehnen ist die primär chronische Polyarthritis. Die Ruptur kann im Bereich des Handrückens oder im distalen Bereich des Vorderarms auftreten. Bei Ruptur einer einzelnen Sehne kommt der Transfer der Index-proprius-Sehne infrage. Als Variation dazu kann aber auch von einer intakten Sehne die Hälfte abgespalten und distal durchtrennt werden. Diese lässt sich dann in den distalen Stumpf der ruptierten Sehne einflechten. Bei all diesen Ersatzoperationen für Sehnenrupturen ist die postoperative Physiotherapie einfach, und ein eigentliches Umlernen ist nicht erforderlich (Abb. 7.17 a–e).
7.2.4.3 Extensor-index-propriusoder Extensor-digiti-minimi-Transfer im Strecksehnenbereich e Abb. 7.16 a–e. Extensor-index-proprius-Transfer zur Daumenstreckung („Indicis-Transfer“)
des Daumens. Die direkte Reparatur oder das Einsetzen eines Transplantats ist wenig erfolgversprechend. Die Tatsache, dass es sich bei der Index-proprius-Sehne um einen echten Synergisten zur Daumenstrecksehne handelt, erklärt die hohe Erfolgsaussicht und die große Beliebtheit dieser Operation. Die Extensor-index-proprius-Sehne, welche ulnar der Extensor-index-communis-Sehne liegt, wird von einer kleinen Inzision dorsal über dem Grundgelenk aufgesucht und keilförmig bis in die Aponeurose hinein durchtrennt. Die Sehne wird über dem Handgelenk durch eine kleine Inzision aufgesucht und durch Zug am freien Ende identifiziert. Das freie Ende wird in dieser Inzision hinausgezogen. Dieses Ende wird nun zu einer Längsinzision proximal des Daumengrundgelenks tunnelliert und in die Extensor-pollicis-longus-Sehne eingeflochten. Die Naht wird unter kräftiger Spannung bei dorsoflektiertem Handgelenk und extendiertem Daumen vorgenommen. Es schließt sich die Ruhigstellung für 3 Wochen an. Eine besondere Physiotherapie zum Umlernen ist nicht erforderlich (Abb. 7.16 a–e).
An beiden Fingern ist die Propriussehne ulnar der Communissehne gelegen. Beide Eingriffe sind einfach und können von 3 kleinen Hautschnitten aus durchgeführt werden. Gegenüber der Koppelung haben sie den Vorteil, dass eine individuelle Streckung des betroffenen Fingers möglich ist. In der Regel nehmen wir für die Ruptur der 4. Sehne die Propriussehne des Kleinfingers und für die 3. Sehne diejenige des Zeigefingers. Von einer Längsinzision über dem MP-Gelenk wird jenachdem am Kleinfinger oder am Zeigefinger die ulnar gelegene der beiden Sehnen distal durchtrennt. Durch Zug an der Sehne kann die Lage derselben im Bereich des Handgelenks genau bestimmt werden. Von einer kleinen Inzision in Hautspaltrichtung wird die Sehne aufgesucht und das freie Ende hervorgezogen. Mit dem Tunnelierer wird das Sehnenende zu einer Längsinzision über der ruptierten Sehne geführt. Sie wird distal der Rupturstelle in das distale Ende der Sehne mehrfach durchgeflochten und mit Einzelknopfnähten verankert. Dabei werden die Langfinger in Streckstellung gehalten und die Hand dorsiflektiert. Die Vereinigung der Sehnen wird unter mittlerer Spannung vorgenommen. Nach der ersten Naht wird die Spannung geprüft, indem die Finger losgelassen werden. Bei Bewegungen des Handgelenks muss der zur rupturierten Sehne gehörende Finger jetzt in ähnlicher Stellung wie die benachbarten Langfinger gehalten werden. Es erfolgt eine Ruhigstellung für 3 Wochen und anschließend eine konventionelle postoperative Physiotherapie (Abb. 7.18 a–c).
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Abb. 7.17 a–e. b Zeigt die gehaltene Stellung des Handgelenks und der Fingergrundgelenke während der Naht. c Seit- zu Seitkoppelung. d und e Transposition der Hälfte der intakten Nachbarsehe
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c Abb. 7.18 a–c. Extensor-index-proprius- oder Extensordigiti-minimi-Transfer im Strecksehnenbereich
7.2.5 Wiederherstellung der Beugefunktion Bei der Koppelung werden 2 benachbarte Sehnen so miteinander vereinigt, dass der Muskel der intakten Sehne beide Finger gleichmäßig streckt. Eine begrenzt unabhängige Extension ist dadurch noch möglich, dass ein Teil der Streckung ja über die Lumbricales erfolgt. Das lockere Bindegewebe, das distal der Vereinigungsstelle zwischen den beiden Sehnen liegt, kann die Verlagerung der Vereinigungsstelle nach distal und insbesondere auch den Faustschluss etwas behindern. Dies lässt sich dadurch vermindern, dass eine Koppelungsnaht bei Faustschluss der Langfinger durchgeführt wird. Gleichzeitig soll auch das Handgelenk flektiert werden, um die intakte Sehne
anzuspannen. Wird nun die rupturierte Sehne nach proximal gespannt und die Kontaktfläche mit der Motorsehne etwas aufgeraut, dann können die beiden Sehnen mit 3 U-Nähten aneinander genäht werden. Wird jetzt das Handgelenk bewegt, sollten alle Langfinger untereinander eine ähnliche Stellung aufweisen. Von einer intakten Sehne kann auch die Hälfte abgespalten und distal durchtrennt und diese dann in den distalen Stumpf der rupturierten Sehne eingeflochten werden. Dies erfolgt insbesondere dann, wenn mehr als eine Sehne rupturiert ist und gekoppelt werden soll. Auch hier wird bei der Befestigung die Hand in Fauststellung gehalten. Im Prinzip können, wenn nötig, alle Langfinger durch eine Strecksehne allein gestreckt werden.
KAPITEL 7
Nach einer Ruhigstellung von 3 Wochen mit dem Handgelenk in mittlerer Dorsiflexion und den Langfingern in unvollständiger Streckung ist zur Mobilisation eine konventionelle Physiotherapie ausreichend.
7.2.5.1 Extensor-carpi-radialis-longus-Transfer bei Ausfall der langen Beugesehnen An sich ist die Amplitude dieses Muskels für die Beugung der Langfinger ungenügend, durch Dorsiflexion des Handgelenks kann aber die Wirkung verstärkt werden. Da zwischen den langen Fingerbeugern und den Handgelenkstreckern funktionell ein Synergismus besteht, ist ein Umlernen nicht erforderlich. Von einer kleinen Inzision in Hautspaltrichtung wird das distale Ende der Extensor-carpi-radialis-longus-Sehne proximal der Basis des Metacarpale II aufgesucht. Durch Zug an dieser Stelle lässt sie sich von der hier kreuzenden Extensor-pollicis-longus-Sehne in der Wirkung unterscheiden. Sie wird mit der Klemme gefasst und distal durchtrennt. Handbreit proximal wird dieselbe Sehne aufgesucht und das freie Ende hier hervorgezogen. Mit dem gebogenen Tunnelierer (oder einer gebogenen Klemme) wird das freie Sehnenende um den Radius herum zur Inzision palmar durchgezogen. Die langen Beugesehnen werden proximal mit einer Klemme gefasst und angespannt. Von radial-proximal nach ulnar-distal wird die Extensor-carpi-radialis-longus-Sehne durch jede Sehne durchgezogen. Unter kräftigem Zug an den langen Beugesehnen nach proximal und der Extensor-carpi-radialis-Sehne nach distal wird nun jede Sehne von radial nach ulnar mit 2–3 Einzelknopfnähten verankert. Nach der Verankerung wird die Spannung durch das Bewegen des Handgelenks beprüft bewegen. Bei dorsiflektiertem Handgelenk sollten die Fingerkuppen 1–2 cm von der Handfläche entfernt sein. Die Ruhigstellung erfolgt in der Gipsschiene, wobei das Handgelenk in Streckstellung, die Grundgelenke in etwa 90° Flexion und die Interphalangealgelenke leicht flektiert gehalten werden. Wenn auch ein eigentliches Umlernen in der postoperativen Physiotherapie nicht notwendig ist, sollte beim Üben der unterstützende Effekt der Handgelenkdorsiflexion für die Langfingerbeugung erlernt werden. Dies bereitet in der Regel keine besonderen Schwierigkeiten. Die Langfingerbeugung wird deshalb immer zusammen mit einer Dorsiflexion im Handgelenk befohlen. Da meistens bei Ausfall der langen Beugesehnen auch die Lumbricales und Interossei gelähmt sind, besteht nach dieser Operation häufig eine Krallenstellung der Langfinger. Diese kann, wenn nötig, durch statische Ope-
Motorische Ersatzplastiken der Hand
rationen wie die Kapselstraffung nach Zancolli, behoben werden. Sind die Ausfälle der langen Beugesehnen Teil einer hohen Medianus- und Ulnarisparese, so wird man sich in vielen Fällen mit dieser Operation begnügen, da es illusorisch ist, eine gute Daumenfunktion durch weitere Transfers erzielen zu können. Infrage kommt am ehesten die Aktivierung der Daumenbeugesehne, weil damit – mit der Extensor-pollicis-longus-Sehne –, eine gewisse Adduktion mit einem Seitengriff möglich ist. Dazu ist am ehesten die Extensor-digiti-quinti-proprius-Sehne geeignet (Abb. 7.19 a–c).
7.2.5.2 Extensor-digiti-minimiund Extensor-index-proprius-Transfer für die Daumenbeugung Diese Operation wird zusammen mit der Ersatzoperation für die langen Beugesehnen durchgeführt. Von einer Inzision ulnar-dorsal des Kleinfingergrundgelenks aus wird die ulnar gelegene Extensor-digiti-quinti-proprius-Sehne aufgesucht und durchtrennt. Drei Querfinger proximal des Handgelenks wird dieselbe Sehne aufgesucht und hier hervorgezogen. Mit dem geraden Tunnelierer wird das freie Sehnenende in dieselbe gebogene Inzision geführt, welche zum Aufsuchen der langen Beugesehne distal am Vorderarm gelegt wurde. Die Daumenbeugesehne wird hier durch Zug an dieser Sehne aufgesucht und identifiziert. Sie wird proximal durchtrennt. Das freie Ende der Digiti-quinti-proprius-Sehne wird nun durch den distalen Strumpf der langen Daumenbeugesehne mehrfach durchflochten. In Flexion des Handgelenks um 30° und bei opponiertem gestrecktem Daumen wird neutrale Spannung gewählt. Die Wirkung wird durch Dorsiflexion des Handgelenks verstärkt. Die Ruhigstellung erfolgt mit dem Handgelenk in Streckstellung und dem opponierten, leicht gebeugten Daumen für 3 Wochen. Bei den Übungen zum Umlernen wird aus einer Ruhestellung der mit der Handfläche nach unten hängenden Hand die Beugung des Daumens, die Streckung des Kleinfingers und die Dorsiflexion des Handgelenks befohlen. Eine zur Ergänzung noch mögliche fixierte Opposition des Daumens durch intermetakarpale Verspannung bringt in vielen Fällen mehr Nachteile als Vorteile. Ein eigentlicher Spitzgriff wird damit kaum erreicht. Zum Ergreifen von Gegenständen kann der in Opposition fixierte Daumen eher im Wege als nützlich sein. Besonders störend ist auch, dass bei in Opposition fixiertem Daumen die Hand nicht mehr in die Hosentasche geführt werden kann (Abb. 7.20 a–f).
283
284
Motorische Ersatzplastiken der Hand
a
c
KAPITEL 7
b
Abb. 7.19 a–c. Extensor-carpi-radialis-longus-Transfer bei Ausfall der langen Beugesehnen
KAPITEL 7
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285
a
b
c Abb. 7.20 a–f. Extensor-digiti-minimi- und Extensor-indexproprius-Transfer für die Daumenbeugung
d
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Motorische Ersatzplastiken der Hand
KAPITEL 7
f
e Abb. 7.20 e–f. Extensor-digiti-minimi- und Extensor-index-proprius-Transfer für die Daumenbeugung
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287
R. Hierner . A. Berger
Inhalt 8.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 8.1.1.1 Anatomie des Muskels. . . . . . . . . 8.1.1.2 Physiologie des Muskels . . . . . . . 8.1.1.3 Biochemie des Muskels . . . . . . . . 8.1.1.4 Konzept der peripheren „neuro-senso-muskulären Funktionseinheit“. . . . . . . . . . . . 8.1.2 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.4 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.5 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.5.1 Indikationen. . . . . . . . . . . . . . . 8.1.5.2 Zeitpunkt der Wiederherstellung. . 8.1.5.3 Notwendige Voraussetzungen für die Wiederherstellung einer insuffizienten oder fehlenden Muskelfunktion . . . . . . . . . . . . . 8.1.5.4 Wichtige Schritte der Operations planung und -durchführung. . . . . 8.1.5.5 Postoperative Nachbehandlung . . 8.1.6 Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.7 Komplikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Freie funktionelle Muskeltransplantation zum Ersatz des M. deltoideus . . . . . . . . . . 8.2.1.1 Freier funktioneller Gracilistransfer. . . . . . . . . . . . . . 8.2.1.2 Freier funktioneller Latissimus-dorsi-Transfer . . . . . . . 8.2.2 Freie funktionelle Muskeltransplantation zur Wiederherstellung der Ellenbogen beugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2.1 Freier funktioneller Gracilistransfer. . . . . . . . . . . . . . 8.2.2.2 Freier funktioneller Latissimus-dorsi-Transfer . . . . . . .
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KAPITEL 8
Freie funktionelle Muskel transplantation im Bereich der oberen Extremität
8.2.3 Freie funktionelle Muskeltransplantation zur Wiederherstellung der Handgelenk und Fingerbeuger. . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3.1 Freier funktioneller Gracilistransfer. . . . . . . . . . . . . . 8.2.3.2 Freier funktioneller Latissimus dorsi-Transfer . . . . . . . . . . . . . . 8.2.4 Freie funktionelle Muskeltransplantation zur Wiederherstellung der Handgelenk und Fingerstrecker. . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.5 Freie funktionelle Muskeltransplantation zum Ersatz des M. opponens . . . . . . . . . . 8.2.6 Freie funktionelle Muskeltransplantation zur gleichzeitigen Wiederherstellung der Ellenbogenbeugung, Handgelenk und Fingerbeugung nach Berger. . . . . . . . 8.2.7 Kombinierte freie funktionelle Muskeltransplantation zur Rekonstruktion einer Basisfunktion bei kompletter Läsion des Plexus brachialis nach Doi . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
309 309 311 312 312
313
315 317
290
Freie funktionelle Muskeltransplantation
8.1 Allgemeines Unter dem Begriff “funktionelle Muskeltransplantation” versteht man die Verpflanzung eines Muskels zur Wiederherstellung einer fehlenden Bewegung im Sinne einer: • lokalen neurovaskulär gestielten Insellappen plastik (Muskeltransposition) oder • freien funktionellen Muskeltransplantation mit mikrochirurgischer Gefäßnaht und muskel naher Nervenkoaptation im Empfängergebiet.
In diesem Kapitel soll nur die freie funktionelle Muskeltransplantation mit mikrochirurgischer Gefäßnaht und muskelnaher Nervenkoaptation beschrieben werden.
8.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie 8.1.1.1 Anatomie des Muskels Hauptaufgabe der quergestreiften Skelettmuskulatur ist die Bewegung. Sie unterliegt der willkürlichen Steuerung und besteht aus länglichen, mehrkernigen Zellen, den Muskelfasern, die während der embryonalen Entwicklung durch in Längsrichtung erfolgende Verschmelzung
Abb. 8.1. Aufbau der quergestreiften Skelettmuskulatur
KAPITEL 8
embryonaler Zellen, der Myoblasten, zu Myotuben entstehen. Mit ihren Enden inserieren sie an Sehnen. Der Muskel als Ganzes wird von einer bindegewebigen Scheide, dem Epimysium, umgeben, das sich am Perimysium fortsetzt und den Muskel in eine Reihe von Faserbündel gliedert, wovon jedes mehrere Muskelfasern enthält. Innerhalb der Faserbündel werden die Muskelfasern durch das Endomysium voneinander getrennt. Jede Muskelfaser wird von einer dünnen Basallamina umgeben. Der kontraktile Apparat der Muskelfasern besteht aus Myofibrillen. Die Myofibrillen bestehen aus kontraktilen Proteinen (Aktin, Myosin), Regulationsproteinen (Troponin, Tropomyosin, Calponin, Caldesmon) und Stützproteinen (Tintinfilamente). Bei den Myofibrillen handelt es sich um längs angeordnete Bündeln dicker und dünner Filamente. Sie haben einen Durchmesser von etwa 1 µm und durchziehen die Muskelfaser in ihrer gesamten Länge. Die dünnen Filamente der Myofibrillen sind an einem Ende an einem rechtwinklig zu ihnen angeordneten, größtenteils aus Proteinen bestehenden Maschenwerk befestigt, das sich, von der Seite her betrachtet, als engmaschiges, dichtes Gitter darstellt. Unter dem Lichtmikroskop entspricht dieses Gitter im Längsschnitt dem Z-Streifen. Derartige Z-Streifen finden sich in regelmäßigen Abständen entlang der gesamten Länger der Myofibrillen. Die zwischen 2 benachbarten Z-Streifen liegende Zone einer Myofibrille wird als Sarkomer bezeichnet und gilt als kontraktile Einheit. Myofibrillen bestehen somit
KAPITEL 8
Freie funktionelle Muskeltransplantation
291
a
Spannung
b
Länge
c Abb. 8.2. Muskeldehnung und Kraftentwicklung
aus unzähligen, „in Serie“ geschalteten Sarkomeren. In der Mitte der Sarkomere liegen die dicken Filamente, die polarisierendes Licht stark brechen und daher auf Längsschnitten als doppelbrechende, also anisotripe A-Streifen erscheinen. Die dicken Filamente sind an ihrer Mittelzone etwas breiter. Diese breiteren Mittelzonen sind in be-
nachbarten dicken Filamenten parallel geschaltet und erscheinen elektronenmikroskopisch als M-Streifen. Da die Sarkomere länger sind als die dicken Filamente, enthalten sie an ihren beiden Enden nur dünne Filamente. Diese sind im polarisierenden Licht schwach brechend, sodass sich der zu beiden Seiten eines Z-Streifens liegen-
292
Freie funktionelle Muskeltransplantation
de Anteil der Sarkomere, in dem die dünnen Filamente nicht von dicken überlappt werden, als isotroper bzw. IStreifen darstellt. Im erschlafften Zustand sind die an benachbarten Z-Streifen befestigten dünnen Filamente eines Sarkomers zwar gegeneinander gerichtet, berühren sich jedoch nicht. Dadurch entsteht in der Mitte des Sarkomers, also dort, wo die dicken Filamente nicht von dünnen überlappt werden, die so genannte H-Zone bzw. Hensen-Scheibe (Abb. 8.1).
KAPITEL 8 Spannung
Im Hinblick auf eine erfolgreiche freie funktionelle Muskeltransplantation ist die Wiederherstellung der physiologischen Ruhespannung eines Muskels von größter Bedeutung. Ein transplantierter reinnervierter Muskel verfügt nicht mehr über sein eigenes Muskel-
kontraktile Kraft
a
I0=Ruhelänge
Länge
Spannung
totale Spannung
8.1.1.2 Physiologie des Muskels Muskelfasern entwickeln Kraft, indem sie sich verkürzen bzw. kontrahieren. Bei den mechanischen Eigenschaften des Muskels unterscheidet man aktive und passive Kräfte. Die aktive Kraft (Kontraktionskraft) eines Muskels wird durch die Anzahl der Myosinköpfe bestimmt, die am Aktinfilament angelagert und abgeknickt sind. Der Grundprozess der Kontraktion besteht aus einem Anlagern von Querbrücken zwischen Aktin- und Myosinfilamenten, einer darauf folgenden Konformationsänderung der Querbrücken, durch die die Aktinfilamente teleskopartig zwischen die Myosinfilamente hereingezogen werden, und im schließlichen Lösen dieser Querbrücken (Gleit-Filament-Theorie). Dieser Vorgang wiederholt sich zyklisch. Unter ATP-Verbrauch werden dadurch Verkürzungen bewirkt bzw. Kräfte entwickelt. Die Dehnung des Muskels verschiebt die Stellung der Myosinfilamente zueinander und ändert dadurch den Bereich der Aktin-Myosin-Überlappung. Dies beeinflusst die Kraftentwicklung (Abb. 8.2 a–c). Passive Kräfte und Elastizität werden teils durch die Stützproteine (Tintinfilamente), teils durch andere prallelastische Elemente wie bindegewebige Strukturen zwischen den Muskelfasern bestimmt. Die Beziehung zwischen Länge und passiver Kraft wird durch die Ruhe-Dehnungs-Kurve beschrieben (Abb. 8.3 a,b). Die Beziehung zwischen aktiver und passiver Kraft und Muskellänge kann in einem Arbeitsdiagramm des Muskels (nach Blix 1894) beschrieben werden (vgl. Abb. 8.3 a,b). Durch die vorgegebenen Ansatzpunkte der Muskulatur am Skelett wird eine bestimmte Ruhelänge (Sarkomerlänge 2,0–2,2 µm) erzwungen, die nur durch passive Muskeldehnung erreicht werden kann. Darüber hinaus wird die Skelettmuskellänge über Muskelspindeln (Abb. 8.4) reflektorisch nachreguliert, sodass der Arbeitsbereich hier nur über etwa 10% der In-situ-Länge passiv verändert werden kann.
passive Dehnung
totale Spannung
b
passive Dehnung kontraktile Kraft I0=Ruhelänge
Länge
Abb. 8.3 a,b. Länge-Spannungs-Diagramme (Blix-Kurven) zeigen die Relation zwischen der kontraktilen Kraft, dem Widerstand gegen passive Dehnung, der Gesamtspannung und der Länge einer Muskeleinheit vor und während der Kontraktion. a Muskeleinheit unter physiologischen Bedingungen. b Dieselbe Einheit nach ischämischer Schädigung >3 h (die Einheit ist verkürzt, reagiert rigide auf passive Dehnung und zeigt sich geschwächt)
spindelsystem mit der Möglichkeit der kontinuierlichen reflektorischen Nachregulation. Darüber hinaus führt eine länger andauernde Ischämie zu strukturellen Schädigungen der Myofibrille mit Zunahme der Fibrose (passive Kräfte) und Verlust an Funktionsproteinen (aktive Kräfte).
8.1.1.3 Biochemie des Muskels Im Hinblick auf den unterschiedlichen Energiestoffwechsels eines Muskels können verschiedene Muskelfasertypen unterschieden werden. Klassischerweise unterscheidet man weiße (Myoglobin-arme) und rote (Myoglobin-reiche) Muskulatur, wobei viele Mischformen existieren. Rote Muskeln sind langsam und enthalten hauptsächlich Typ-I-Fasern mit einer niedrigen Myosin-ATPase-Aktivität. Sie sind aus diesem Grund besonders für energiesparende unermüdliche Halteleistungen geeignet. Die schnellen weißen Muskeln, die die ballistischen Bewegungen unserer Gliedmaßen bewerkstelligen, bestehen hauptsächlich aus Typ-IIA- und TypIIB-Fasern, deren Myosin eine hohe ATPase-Aktivität aufweist. Da diese Fasern bei der Kontraktion sehr viel ATP spalten und damit viel Energie umsetzen, ermüden sie schneller als Typ-I-Fasern. In neuerer Zeit hat sich gezeigt, dass gewisse Fasern aufgrund ihrer mechanischen Eigenschaften zwischen den langsamen und den schnellen Fasern anzusiedeln sind. Sie sind zwar zu schnellen
KAPITEL 8
Freie funktionelle Muskeltransplantation
Tabelle 8.1. Einteilung der Skelettmuskelfasern Fasertyp
I
IIA
IIB
Farbe
Rot
Rosa
Weiß
Kontraktionsform
Langsame Zuckung
Schnelle Zuckung
Schnelle Zuckung
Ermüdbarkeit
Gering
Mittel
Rasch
Stoffwechsel
Oxidativ
Glykolytisch und oxidativ
Glykolytisch
Myosin-ATPase-Aktivität
Niedrig
Hoch
Hoch
Laktatdehydrogenase-Aktivität
Niedrig
Mittel oder hoch
Hoch
Abb. 8.4. „Neuro-senso-muskuläre Funktionseinheit“
ZNS
peripheres Nervensystem
Rückenmark peripherer Nerv
Haut
Muskel Rezeptoren
Zuckungen fähig, aber dennoch ermüdungsresistent und werden deshalb ermüdungsresistente intermediäre Fasern genannt (Tabelle 8.1). Muskeln können sich Belastungen durch entsprechende Verschiebungen in ihrem Stoffwechselverhalten anpassen. Dies kann bei erhaltener Innervation durch Training erreicht werden. Für die freie funktionelle Muskeltransplantation ist es von Bedeutung, dass die Wahl des Spendernervens Einfluss auf die Muskelfunktion hat, da der Spendernerv die Funktion des Muskeltransplantats bestimmt.
8.1.1.4 Konzept der peripheren „neuro-senso-muskulären Funktionseinheit“ Periphere Nerven und periphere Funktionsorgane (Muskeln, sensorische Endorgane) können als eine Funktionseinheit angesehen werden, da proximale (nervale) oder distale Veränderungen zu Beeinflussungen des vor- bzw. nachgeschalteten Segments führen (Abb. 8.4).
293
294
Freie funktionelle Muskeltransplantation
8.1.2 Ätiologie Eine ungenügende oder fehlende Muskelfunktion kann bedingt sein durch isolierte muskuläre Insuffizienz, isolierte nervale Insuffizienz, oder kombinierte neuromuskuläre Insuffizienz (Tabelle 8.2). Die isolierte muskuläre (myogene) Insuffizienz kann bedingt sein durch kongenitale Hypo- oder Aplasie des Muskels oder einen erworbenen Muskeldefekt (Trauma, Tumor). Die Schädigung eines peripheren Nervens (neurogene Insuffizienz) im Sinne einer Axonotmesis nach Seddon bzw. Grad-III- bis -IV-Läsion nach Sunderland und einer Neurotmesis bzw. Grad-V-Schädigung führen zu charakteristischen Veränderungen im „Effektororgan“ Muskel. Neben der klinisch sichtbaren Muskelatrophie kommt es zu einer Abnahme der Anzahl an motorischen Endplatten. Bei länger bestehender Denervierung zeigen sich irreversible Umbauvorgänge (z. B. Fibrose), welche eine Reinnervation nach mehr als 12–18 Monaten nicht mehr erfolgreich erscheinen lassen (Abb. 8.5). Nach Lokalisation der nervalen Schädigung unterscheidet man periphere Tabelle 8.2. Ätiologie der „inadäquaten Muskelfunktion“ 1. Isolierte muskuläre Insuffizienz kongenital erworben 2. Isolierte nervale Insuffizienz radukulär trunkulär 3. Kombinierte neuromuskuläre Insuffizienz
KAPITEL 8
Nervenläsionen (trunkuläre Läsion mit kompletter Muskelatrophie) und Nervenläsionen im Bereich des Plexus brachialis bzw. lumbosacralis (radikuläre Läsion mit partieller Muskelatrophie). Bei der kombinierten neuromuskulären Insuffizienz liegt neben einer peripheren Nervenläsion auch eine direkte oder indirekte Muskelschädigung vor. Als Hauptvertreter dieser Gruppe können Folgezustände nach Volkmann-Kontraktur (vgl. Abb. 8.6 a) oder Starkstromund Amputationsverletzungen genannt werden.
8.1.3 Diagnostik Die exakte präoperative Diagnostik und Planung ist eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie. Die verloren gegangenen Muskelfunktionen müssen in ihrem Ausmaß bestimmt, die Möglichkeiten der Muskelersatzoperationen im konkreten Fall geprüft werden. Sollten Restfunktionen festzustellen sein, so sind die Chancen einer Spontanbesserung zu diskutieren – z. B. ist eine gerade stattfindende Reinnervation der geschädigten Muskulatur durch mehrfache Elektromyogramm- (EMG-) Untersuchungen auszuschließen. Anamnestisch werden neben Händigkeit im Bereich der oberen Extremität, chronischen Erkrankungen (Diabetes mellitus u. a.) und Nikotinkonsum vor allem die beruflichen und individuellen Notwendigkeiten des Patienten eruiert. Die klinische Untersuchung verifiziert, ob die notwendigen Voraussetzungen für die erfolgreiche Wiederherstellung einer inadäquaten oder fehlenden Muskelfunktion erfüllt sind (vgl. Tabelle 8.6). Die apparative Diagnostik umfasst in der Regel die konventionelle Röntgendiagnostik und die Elektroneurodiagnostik. Die Röntgenuntersuchung in 2 Ebenen mit Abb. 8.5. Histologischer Aspekt eines reinnervierten quergestreiften Muskels
KAPITEL 8
Einbeziehung der angrenzenden Gelenke des betroffenen Abschnitts dokumentiert in Ergänzung zur klinischen Untersuchung den Zustand der Gelenke, insbesondere irreversible Gelenkschädigungen von physiotherapeutisch zugänglichen Versteifungen. Der klinische Befund der Muskelfunktionen kann elektroneurographisch, besonders durch differenzierte EMG-Untersuchungen, objektiviert werden. In manchen Fällen ist es damit möglich, Reinnervationsvorgänge festzustellen und die Entscheidung über ein chirurgisches oder zunächst konservatives Vorgehen zu treffen. Die Magnetresonanztomographie ist zur Bestimmung des Ausmaßes von Muskelschädigungen hilfreich. Angiogramme sind vor einem freien Muskeltransfer, bei pathologischen Befunden funktioneller Tests (Adson-Test, Dopplersonographie) oder bekannter Gefäßläsion erforderlich.
8.1.4 Klassifikation Mit Hinblick auf das operative Vorgehen und das zu erwartende funktionelle Ergebnis lassen sich die freien funktionellen Muskeltransplantate nach verschiedenen Gesichtspunkten einteilen (Tabelle 8.3): Bei der Bewertung der funktionellen Bedeutung der fehlenden Muskelfunktion ist es von großer Bedeutung, ob es sich um eine oder mehrere Muskelgruppen (z. B. Kompartmentsyndrom) oder die gesamte Extremität (komplette Läsion des Plexus brachialis) handelt.
Freie funktionelle Muskeltransplantation
Nach der Indikation für die freie funktionelle Muskeltransplantation unterscheidet man isolierte muskuläre (myogene) Insuffizienz, isolierte nervale (neurogene) Insuffizienz oder kombinierte neuromuskuläre Insuffizienz. Nach dem Ausmaß der verbleibenden Muskelkraft unterscheidet man • eine „Endorganinsuffizienz“, d. h. eine verbleibende Muskelfunktion zeigt nur einen Kraftgrad <M3 und • einen „Endorganausfall“, d. h. die Muskelfunktion fehlt komplett (M0). Bei noch bestehender Restfunktion im Sinne einer Endorganinsuffizienz kann mit Hilfe eines freien funktionellen Muskeltransfers (im Sinne eines Augmentationstransfers) ein deutlich besseres funktionelles Ergebnis erzielt werden als bei komplett fehlender Funktion. Dies ist möglicherweise auf eine bessere sensomotorische Steuerung der Gelenkfunktion durch die regenerierte autochtone Muskulatur zurückzuführen. Im Hinblick auf die Anzahl der überschrittenen Gelenke können • monoartikuläre (Transfer überschreitet nur ein Gelenk) oder • polyartikuläre (Transfer überschreitet mehrere Gelenke) Transplantate
Tabelle 8.3. Klassifikation der fehlenden Muskelfunktion Ausmaß der Muskelinsuffizienz: Ausfall einer Muskelgruppe (z. B. Ellenbogenbeuger, Finger-/Handgelenkbeuger, Finger-/Handgelenkstrecker) Ausfall der gesamten Extremität (z. B. Läsion des Plexus brachialis) Ätiologie: Isolierte muskuläre (myogene) Insuffizienz Isolierte nervale (neurogene) Insuffizienz Kombinierte neuromuskuläre Insuffizienz Nach Ausmaß der verbleibenden Muskelkraft: „Endorganinsuffizienz“, d. h. eine verbleibende Muskelfunktion zeigt nur einen Kraftgrad <M3 „Endorganausfall“, d. h. die Muskelfunktion fehlt komplett (M0) Anzahl der überschrittenen Gelenke: Monoartikulär (Transfer überschreitet nur ein Gelenk) Polyartikulär (Transfer überschreitet mehrere Gelenke) In Abhängigkeit vom Spendernerv und/oder der Gefäßsituation: Einzeitige freie funktionelle Muskeltransplantation Mehrzeitige freie funktionelle Muskeltransplantation
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Freie funktionelle Muskeltransplantation
unterschieden werden. Prinzipiell gilt: Je mehr Gelenke überschritten werden, umso kleiner ist die Wirkung des Transfers auf das individuelle Gelenk und umso größer die Abhängigkeit der Funktion eines Gelenks von der Gelenkstellung der vor- und nachgeschalteten Gelenke. In Abhängigkeit vom Spendernerv und/oder der Gefäßsituation kann eine einzeitige oder mehrzeitige freie funktionelle Muskeltransplantation unterschieden werden: Bei der einzeitigen freien funktionellen Muskeltransplantation liegen ein adäquater Spendernerv und eine für den mikrochirurgischen Anschluss adäquate Gefäßsituation vor. Bei dem mehrzeitigen Vorgehen müssen der freien Muskeltransplantation eine oder mehrere Operationen vorausgehen, um eine adäquate neurovaskuläre Ausgangssituation zu schaffen. Zur Verbesserung der Gefäßsituation kann ein V.-saphena-Interponat als zentrale arteriovenöse Fistel angelegt werden. Die freie funktionelle Muskeltransplantation sollte frühestens nach 3 Wochen erfolgen. Bei einem fehlenden Spendernerv bestehen mehrere Möglichkeiten. Ist der eigentliche Spendernerv vorhanden, der distale Nervenstumpf jedoch inadäquat (z. B. Kompartmentsyndrom), empfiehlt sich eine Präparation und Resektion des Spendernervens bis ins Gesunde. Zur Überbrückung eines Substanzdefektes kann evtl. ein Nerventransplantat (s. mehrzeitiges Vorgehen) erforderlich werden. Fehlt ein adäquater Spendernerv (z. B. bei kompletter Läsion des Plexus brachialis), besteht die Indikation zur extraanatomischen Neurotisation, d. h. zum Gebrauch von Spendernerven, die primär eine andere Funktion haben. Wenn immer möglich, sollte versucht werden, eine direkte Koaptation zu erzielen (einzeitiges Verfahren). Als Axonspender dienen N. XI im Schulterbereich, Nn. intercostales 3–6 im Oberarmbeuge- und -streckbereich, N. ulnaris im Oberarmbeuge- (OberlinTransfer) und Unterarmbereich. Bei Vorliegen eines Substanzdefektes wird ein mehrzeitiges Vorgehen erforderlich. Zur Verbesserung der nervalen Ausgangssituation werden in der 1. Operation Nerventransplantate vorgelegt. Als Axonspender dienen entweder extraplexuelle Quellen (N. accessorius, N. hypoglossus, Nn. intercostales) oder Teile (dorsaler Anteil mit Faszikeln für die Mm. pectorales und den M. latissimus dorsi) der kontralateralen C7-Wurzel. 12–18 Monate nach der 1. Operation erfolgt die Biopsie des distalen Nerventransplantatendes zur histologischen Überprüfung der Qualität der Nervenregeneration. Neben der Qualität der Axone (motorisch/sensibel: Acethylcholinesterase-Reaktion) wird die Quantität (Anzahl) der Axone (>6, <18 µm) auf dem Nervenquerschnittpräparat (Toluidinblau-Färbung) morphometrisch bestimmt. Bei ausreichender Quantität und Qualität kann ein freier funktioneller Muskeltransfer durchgeführt werden.
KAPITEL 8
8.1.5 Therapie Die erfolgreiche Wiederherstellung einer insuffizienten oder gar fehlenden Muskelfunktion erfordert ein Gesamtkonzept, welches folgende Punkte beinhaltet: 1. profunde anatomische und physiologische Grundlagenkenntnisse, 2. exakte Beschreibung der vorliegenden Schädigung („defektbedingte Faktoren“), 3. Kenntnis aller therapeutischen Möglichkeiten und deren optimalen zeitlichen Einsatz und 4. Kenntnis patientenbedingter Faktoren (s. Band I, Kap. 17). Ein optimales Behandlungsergebnis kann nur erreicht werden, wenn alle Mitglieder des Therapieteams (Operateur, Anästhesist/Schmerzambulanz, Pflegepersonal, Physiotherapeut, Hausarzt, Sozialdienst) lückenlos zusammenarbeiten.
8.1.5.1 Indikationen Der freie funktionelle Muskeltransfer ist indiziert in Fällen mit fehlender funktioneller Muskulatur in Sinne einer „Endorganinsuffizienz“, • bei denen keine Möglichkeit der Muskel-SehnenTransposition besteht, • der Spenderdefekt für die Muskel-Sehnen-Transposition zu groß ist (z. B. Pectoralis-major-Transfer bei einer jungen Frau) oder • das funktionell zu erwartende Ergebnis eine MuskelSehnen-Transposition unbefriedigend ist (z. B. Wiederherstellung der Ellenbogenbeugefunktion mit Hilfe eines Steindler-Transfers bei inadäquater Ellenbogenstreckung und/oder fehlender Handgelenk- und Fingerextension). Eine gute Möglichkeit, das funktionelle Ergebnis zu steigern, bietet sich bei allen Rekonstruktionsaufgaben, bei denen bei noch ausreichender motorischer Funktion die Rekonstruktion eines Weichteildefekts im Vordergrund steht und mit Hilfe einer myokutanen Lappenplastik durchgeführt wird. Durch Fixierung des transplantierten Muskels und nervale Koppelung kann durch die zusätzliche kontraktile Kapazität eine zusätzliche Verbesserung der motorischen Funktion erzielt werden (Abb. 8.6 a–f, Tabelle 8.4).
KAPITEL 8
Freie funktionelle Muskeltransplantation
297
Abb. 8.6 a–f. Deckung eines ausgedehnten palmaren Unterarmdefekts mit zusätzlichem Muskelverlust nach Replantation mit Hilfe einer funktionell angeschlossenen myokutanen Latissimus-dorsi-Lappenplastik (PHW, Medizinische Hochschule Hannover). a Klinischer Befund präoperativ. b Schematische Darstellung. c Klinischer Befund postoperativ. d Klinischer Befund ein Jahr postoperativ: Handgelenkextension. e Klinischer Befund ein Jahr postoperativ: Handgelenkflexion. f Klinischer Befund ein Jahr postoperativ: Faustschluss a
b
c
d
e
f
298
Freie funktionelle Muskeltransplantation Tabelle 8.4. Indikationen für die freie neurovaskuläre funk tionelle Muskeltransplantation 1. Muskelersatz („Endorganausfall“) Fehlende Möglichkeit der Muskel-SehnenTransposition Spenderdefekt für die Muskel-SehnenTransposition zu groß Funktionell zu erwartendes unbefriedigendes Ergebnis einer Muskel-Sehnen-Transposition (2. Muskelaugmentation)
8.1.5.2 Zeitpunkt der Wiederherstellung Bei isolierter muskulärer (myogener) Insuffizienz sollte eine Wiederherstellung der Muskelfunktion, unter Beachtung der notwendigen Voraussetzungen für sekundäre Ersatzoperationen (Tabelle 8.6) möglichst frühzeitig durchgeführt werden. Bei isolierter nervaler (neurogener) Insuffizienz werden Ersatzoperationen im Rahmen des so genannten „integrativen Therapiekonzepts“, bei Patienten durchgeführt, bei denen die operative Behandlung der peripheren Nervenläsion (nach Ablauf von 2–3 Jahren) keinen oder nur einen inadäquaten Teilerfolg ergeben hat.
KAPITEL 8
Bei kombinierten neuromuskulären Schädigungen sollten ebenfalls Regenerationsvorgänge abgewartet werden. Für die Therapie nach Kompartmentsyndrom hat sich das Vorgehen nach Büchler (2005) bewährt (Tabelle 8.5).
8.1.5.3 Notwendige Voraussetzungen für die Wiederherstellung einer insuffizienten oder fehlenden Muskelfunktion Zum Zeitpunkt der Operation müssen wichtige Voraussetzungen für sekundäre Ersatzoperationen erfüllt sein (Tabelle 8.6). Die passive Gelenkbeweglichkeit muss frei sein, da Weichteilkontrakturen zu einem signifikanten Bewegungs- und Kraftverlust bis zum Fehlschlag des Muskeltransfers führen können. Die Weichteilverhältnisse sollten ohne Probleme Muskel- und Sehnenverlagerungen zulassen, oder der Weichteilmantel muss vor oder gleichzeitig (z. B. myokutaner M.-latissimus-dorsi-Transfer) mit der Ersatzoperation wiederhergestellt werden. Für eine Muskeltransplantation sollte zumindest eine protektive Sensibilität in Teilen des bewegten Extremitätenabschnitts vorliegen.
Tabelle 8.5. Differenzialtherapie bei kombinierter myogener und neurogener Schädigung nach Kompartmentsyndrom. (Nach Büchler 2005) Muskelschädigung nach ischämischer Läsion des motorischen Nervs
Ischämischer Muskelschaden Grad I
Grad II
Grad III
Grad A und B
Erhaltene Muskeleinheit, falls verzichtbar idealer Spender für einen Sehnentransfer
Verkürzte Einheit bei M5 erfordert Verlängerung, ausreichender Spender für Sehnentransfer
Zerstörte verkürzte Einheit, Tenotomie erforderlich. Muss durch Sehnentransfer oder freien Muskellappen ersetzt werden, wenn essenziell für Handfunktion
Grad C
Einheit entsprechend M4, keine operative Behandlung erforderlich. Kein idealer Spender für einen Sehnentransfer
Verkürzte Einheit M4 mit erforderlicher Verlängerung. Fraglicher Spender zum Sehnentransfer
Grad D
Denervierte Einheit, kann bei ungestörter Handfunktion belassen werden, ist ansonsten durch Sehnentransfer oder freien Muskellappen zu ersetzen
Verkürzte Einheit M4 von <30%, Verlängerung erforderlich. Kann als Tenodese wirken. Muss durch Sehnentransfer oder freien Muskellappen ersetzt werden, wenn für die Handfunktion essenziell
KAPITEL 8 Tabelle 8.6. Notwendige Voraussetzungen für die Wiederherstellung einer insuffizienten oder fehlenden Muskelfunktion 1.
Freie passive Gelenkbeweglichkeit
2.
Ausreichende Weichteildeckung
3.
Vorhandensein zumindest protektiver Sensibilität in Teilen der bewegten Extremität
8.1.5.4 Wichtige Schritte der Operationsplanung und -durchführung Eine signifikante Verringerung der Operationsdauer kann erreicht werden, wenn 2 Operationsteams zur Verfügung stehen, um Empfänger- und Spendergebiet zu präparieren. Neben den allgemeinen notwendigen Voraussetzungen für die Wiederherstellung einer insuffizienten oder fehlenden Muskelfunktion (vgl. Tabelle 8.6) müssen zusätzliche Bedingungen erfüllt und operationstechnische Details beachtet werden (Tabelle 8.7). Eine freie funktionelle Muskeltransplantation kann nur dann erfolgreich sein, wenn adäquate neurovaskuläre Anschlussbedingungen im Empfängergebiet vorliegen. Der Erfolg der arteriellen und venösen Mikroanastomose entscheidet über das Überleben oder den Verlust, die Qualität der Nervenkoaptation über die Funktion. Die Koaptation des Nervens erfolgt in End-zu-End-Technik mit Einzelknopfnähten. Die in den letzten Jahren wieder publizierte End-zuSeit-Technik sollte nur in den Fällen eingesetzt werden, bei denen eine End-zu-End-Koaptation nicht möglich ist.
Freie funktionelle Muskeltransplantation
Soweit präoperativ eine Prüfung möglich ist, sollten die Verhältnisse an den Ansatzsehnen und am Ursprung geklärt werden. Darüber hinaus muss überlegt werden, wo die Verankerung am günstigsten erscheint, wie lang das Muskeltransplantat unbedingt sein sollte und in welcher topographischen Beziehung der Muskelhilus mit seinen Gefäßen und Nerven zu den Anschlussmöglichkeiten in der Empfängerregion steht. Die für eine freie funktionelle Muskeltransplantation geeigneten Muskeln müssen mehrere Kriterien erfüllen (Tabelle 8.8): • Der Muskel sollte einen konstanten, dominanten, möglichst langen Gefäß- und Nervenstiel besitzen. • Neben einer ausreichenden Bewegungsamplitude muss die sekundäre Ersatzoperation auch eine ausreichende Kraft (Muskelquerschnitt) wiederherstellen. • Der Muskel soll eine günstige Form und Beschaffenheit aufweisen. • Es sollte nur ein geringer funktioneller und/oder ästhetischer Spenderdefekt auftreten. • Leichte Zugängigkeit und Präparierbarkeit sollen gegeben sein. Für die obere Extremität haben sich der M. gracilis und der M. latissimus dorsi bewährt. Unabhängig von der Wahl des zu transplantierenden Muskels, müssen folgende Punkte bei der freien funktionellen Muskeltransplantation besonders beachtet werden: Da der Erfolg der Muskeltransplantation entscheidend vom Vorliegen eines motorischen Astes mit einer möglichst hohen Anzahl an dick bemarkten Axonen abhängt, sollte immer erst nach sicherer Darstellung des Nervenasts mit dem Heben des Muskeltransplantats begonnen werden. Der proximale Nervenast muss bis in gesun-
Tabelle 8.7. Wichtige Details der Operationsplanung und -durchführung 1. Möglichkeiten des adäquaten mikrochirurgischen Gefäß- und Nervenanschlusses 2. Kenntnis der anatomischen Verhältnisse im Empfängergebiet 3. Richtige Auswahl des Muskels Konstanter, möglichst langer Gefäß-Nerven-Stiel Ausreichende Bewegungsamplitude und Kraft Günstige Form und Beschaffenheit Geringer funktioneller und ästhetischer Spenderdefekt Leichte Zugänglichkeit und Präparierbarkeit 4. Beachtung operationstechnischer Besonderheiten der freien funktionellen Muskeltransplantation Adäquater Spendernerv Möglichst kurze (kalte) Muskelischämiedauer Transplantatnahe Nervenkoaptation, evtl. zusätzliche direkte neuromuskuläre Neurotisation
299
300
Freie funktionelle Muskeltransplantation
KAPITEL 8
Tabelle 8.8. Spendermuskeln für die freie funktionelle Muskeltransplantation im Bereich der oberen Extremität Muskel
Kraft
Bewegungsamplitude
Spenderdefekt
Indikation
M. pectoralis major
+++
10 cm
+++
Ellenbogenbeugung
M. pectoralis minor
+
+
+++
(Gesicht)
M. latissimus dorsi
+++
+++
++ (endoskopisch assistiert)
Finger Schulter Ellenbogenbeugung Finger-/Handgelenkbeugung (Gesicht) M. gracilis
++
12 cm
+ (endoskopisch assistiert)
(Gesicht) Finger-/Handgelenkbeugung Finger-/Handgelenkstreckung Ellenbogenbeugung (Kinder)
M. rectus femoris
++
+++
+++
Ellenbogenbeugung
M. serratus anterior
+
+
++
Thenar
M. extensor digitorum brevis
+
+
+
(Gesicht) Thenar
des Gewebe präpariert werden. Die Faszikelstruktur muss gut abgrenzbar sein, palpatorisch darf keine Verhärtung im Nervenverlauf vorliegen. Die Unterbrechung der Blutversorgung sollte so kurz wie möglich sein, um eine temporäre oder bleibende Funktionsminderung zu vermeiden. Die Muskeldurchblutung darf erst dann unterbrochen werden, wenn im Empfängergebiet die Gefäße für einen mikrovaskulären Anschluss vorbereitet sind. Nach Unterbrechung der Durchblutung sollte das Muskeltransplantat nach dem „Prinzip der trockenen Kühlung“ gekühlt werden, um den Zellmetabolismus zu senken. Als oberste Grenze für eine (klinisch) schadlose Unterbrechung der Blutzufuhr werden 3 Stunden kalte Anoxiedauer angegeben.
Das Einnähen des freien Muskeltransplantats beginnt mit der Kontrolle der adäquaten Lage des neurovaskulären Stiels zu den Empfängergefäßen bzw. -nerv. Danach erfolgt das Einnähen. Bei der Transplantation ist vor allem auf die Schonung des Paratendineums zu achten, um die Gleitfähigkeit zu erhalten. Verletzungen führen zu Adhäsionen mit Funktionseinschränkungen. Um einen unnötigen Kraftverlust zu vermeiden, sollte ein möglichst gerader Verlauf gewählt werden. Ist eine Richtungsänderung notwendig, müssen Umlenkvorrichtungen („pulley“) vorhanden sein. Die richtige Spannung des Muskel-SehnenTransfers spielt eine entscheidende Rolle für dessen Funk-
tion (s. Abschn. 8.1.1.2). Als einfacher technischer Behelf, die ursprüngliche Grundspannung des Muskels im Empfängergebiet wieder zu erreichen, ist das Anbringen eines gespannten Fadens an der Muskeloberfläche vor Durchtrennung von Ansatz und Ursprung des Muskels zu empfehlen. Nach Einbringen des Muskeltransplantats in die Empfängerregion wird der Muskel so lange gespannt, bis auch der Faden wieder gespannt ist. Schließlich kann der Faden wieder entfernt werden. Dabei ist wichtig zu berücksichtigen, dass die Stellung der Gelenke in Spenderund Empfängergebiet vergleichbar ist (Abb. 8.7 a–c). Durch eine muskelnahe Koaptation kann zudem die Reinnervationsdauer deutlich gesenkt werden (Abb. 8.8). Stehen nach der Nervenkoaptation noch zusätzliche Faszikel zur Reinnervation zur Verfügung, so können diese durch Implantation in den Muskel im Sinne einer direkten neuromuskulären Reinnervation im Bereich des motorischen Feldes des Muskels für ein noch günstigeres Ergebnis genutzt werden (Technik nach Freilinger u. Frey 1993).
8.1.5.5 Postoperative Nachbehandlung Die prä- und postoperative Physiotherapie hat für den Erfolg der freien funktionellen Muskeltransplantation eine zentrale Bedeutung und ist deshalb integraler Bestandteil der Therapie.
Postoperativ wird die Extremität auf einer Schiene ruhiggestellt. Diese Schiene muss bis zum Einsetzen der Mus-
KAPITEL 8
Freie funktionelle Muskeltransplantation
5cm
a
b Abb. 8.8. Prinzip der freien funktionellen Muskeltransplantation durch Mikrogefäßanastomosen und muskelnahe Nervenkoaptation. Durch direkte neuromuskläre Implantation zusätzlicher Nervenfaszikel kann nach Freilinger u. Frey (1993) das Ergebnis der Reinnervation weiter verbessert werden
c Abb. 8.7 a–c. Technik der Bestimmung der physiologischen Muskelspannung im Empfängergebiet. a Fixierung eines Fadens in fortlaufender Nahttechnik im Muskel mit einem Abstand zwischen 2 Einstichen etwa von 5 cm. b Entnahme des Muskels (durch die Entspannung kommt es auch zu einer Entspannung des Markierungsfadens). c Das freie funktionelle Muskeltransplantat wird im Empfängergebiet mit der Spannung eingenäht, bei der die Einstiche des Markierungsfadens wieder etwa 5 cm von einander entfernt sind
kelkontraktion zum Schutz vor Überdehnung getragen werden. Eine krankengymnastische Beübung sollte frühestens nach 10 Tagen (Cave: mikrovaskuläre Gefäßanastomosen und Nervenkoaptation) beginnen. Ziel ist die Erhaltung der passiven Gelenkbeweglichkeit sowie der Gleitspalten. Durch die frühzeitige passive Physiotherapie kann die Inzidenz der Sehnenverklebungen mit subsequenter Tendolyse deutlich vermindert werden. Nach Einsetzen der aktiven Muskelfunktion nach etwa 3–6 Monaten sollte die passive Übung in eine „geführte aktive Übung“ übergehen. Nach Einsetzen einer ausreichenden aktiven Bewegung, sollte das Augenmerk auf die Kräftigung der Bewegung sowie die Kontrolle der neuen Muskelfunktion gelegt werden. In diesem Stadium hat sich eine ergo-
therapeutische Zusatztherapie bewährt. Der Wert der funktionellen Elektrostimulation (FES) wird kontrovers diskutiert.
8.1.6 Ergebnisse Bei der Bewertung der Ergebnisse ist es wichtig, die Ausgangssituation vor der freien funktionellen Muskeltransplantation zu berücksichtigen. Die frühzeitige freie funktionelle Muskeltransplantation bei isolierter muskulärer (myogener) Insuffizienz zeigt im Allgemeinen die besten Resultate, da eine adäquate autochtone Gefäß-Nerven-Versorgung vorliegt und meist keine sekundären Veränderungen (Gelenksteife, Fibrose u. a.) bestehen. Die funktionellen Ergebnisse nach freier funktioneller Muskeltransplantation bei kompletter Läsion des Plexus brachialis (neurogene Insuffizienz) und Folgezustand nach Kompartmentsyndrom (gemischte neuromuskuläre Insuffizienz) zeigen eine große Streubreite. Zur Bewertung der Ergebnisse ist die Erfassung der Bewegungsamplitude, der Kraft (Klassifikation des „Medical Research Council“/MRC) und der Ausdauer sowie die Steuerbarkeit der zurück gewonnenen Bewegung wichtig. Für die Bewertung der Ellenbogenbeugung und der Handgelenk- und Fingerbeugung wird international oft die Klassifikation nach Doi (Tabelle 8.9) angewendet.
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302
Freie funktionelle Muskeltransplantation
KAPITEL 8
Tabelle 8.9. Klassifikation der Funktion nach FFMT zur Rekonstruktion der Ellenbogenbeugung und Handgelenk- und Fingerbeugung nach Medical Research Council und nach Doi Medical Research Council (MRC)
Doi
MO
Keine Muskelaktivität
Keine Muskelaktivität
M1
Sichtbare Kontraktion ohne Bewegungseffekt
Reinnervation im EMG, keine Gelenkbewegung
M2
Bewegung unter Ausschaltung der Schwerkraft des abhängigen Gliedabschnittes
Sichtbare Gelenkbewegung
MOTOR
- keine Ellenbogenbeugung gegen Schwerkraft (AROM <45°) - Fingerbeugung/-streckung: sichtbare Fingerbewegung bei fixiertem Handgelenk
M3
Bewegung gegen die Schwerkraft
Ausreichend Kraft für Bewegung gegen Schwerkraft - Ellenbogenbeugung: (AROM 4590°) - Fingerbeugung/-streckung: TAM >30° aus vollständiger Streckung oder Beugung
M4
Bewegung gegen mäßigen Widerstand
Muskel arbeitet gegen etwas Widerstand - Ellenbogenbeugung: AROM >90°; hebt 2 kg Gewicht <30-mal - Fingerbeugung/-streckung: TAM >60° aus vollständiger Streckung oder Beugung
M5
Normale Kraft
Muskel arbeitet gegen starken Widerstand - Ellenbogenbeugung: AROM >90°; hebt 2 kg Gewicht >30-mal - Fingerbeugung/-streckung: TAM >90° aus vollständiger Streckung oder Beugung, hebt 5 kg Gewicht mit einer Hand
SENSIBILITÄT S0
Keine Sensibilität
Keine Wiederkehr der Sensibilität in der autonomen Zone
S1
Tiefe kutane Sensibilität (Schmerzempfindung) in der autonomen Zone
Tiefensensibilität Schmerz
Gewisse oberflächliche kutane Schmerzempfindung und taktile Sensibilität in der autonomen Zone
Oberflächensensibilität: Schmerz und taktile Sensibilität in der autonomen Zone
S2
S2+
(Nr. 20: rot Semmes-Weinstein-Test)
Gewisse Wiederkehr der statischen 2 PD (<15 mm) (Nr. 10: gelb Semmes-Weinstein-Test)
S3
S3+ S4
Oberflächliche kutane Schmerzempfindung sowie Berührungsempfindung in der ganzen autonomen Zone, Verschwinden der beim Regenerationsvorgang vorher vorhandenen Überempfindlichkeit
Wiederkehr von Schmerz und Berührungssensibilität (>15 mm), Rückgang der Überempfindlichkeit
Wie S3, dazu auch eine gewisse 2PD in der autonomen Zone
Statische 2PD (7–15 mm)
Normale Sensibilität
Vollständige Wiederkehr der statischen 2PD (2–6 mm)
(Nr. 6: blau Semmes-Weinstein-Test) (Nr. 4: grün Semmes-Weinstein-Test)
AROM “active range of motion, TAM “total active motion”, 2PD 2-Punkte-Diskrimination.
KAPITEL 8
Freie funktionelle Muskeltransplantation
303
b
a
c d
e f
g
Abb. 8.9 a–g. Augmentation einer rudimentären Bewegung nach freiem funktionellem Gracilistransfer zur Wiederherstellung der aktiven Handgelenk- und Fingerbeugung bei einem Patienten mit posttraumatischer Läsion des Plexus brachialis mit Hilfe einer myoelektrischen Orthese (PHW, Medizinische Hochschule Hannover). a Röntgen präoperativ. b Röntgen intraoperativ. c Röntgen ein Jahr postoperativ: Faustschluss. d Röntgen ein Jahr postperativ: Fingerstreckung. e Röntgen der Orthese. f Funktionsbild mit Orthese: Fingerstreckung. g Funktionsbild mit Orthese: Faustschluss
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Freie funktionelle Muskeltransplantation
Für die Rekonstruktion der Funktion des M. deltoideus gibt es keine größere Serie in der Literatur. Interessanterweise können gelegentlich außergewöhnliche Ergebnisse für die Abduktions-Flexions-Bewegung erzielt werden, die nicht durch die intensive postoperative physiotherapeutische Begleittherapie erklärbar sind. Die funktionelle Wiederherstellung der Ellenbogenbeugefunktion (M4 und mehr) sollte bei isolierter myogener Insuffizienz bei allen Patienten möglich sein. Meist sind hier noch Rest-Beugefunktionen erhalten. Die Erfolgsrate der freien funktionellen Transplantation sollte >75% betragen. Eine Wiederherstellung der Ellenbogenbeugung nach kompletter Läsion des Plexus brachialis kann in 50–75% erwartet werden. Für die Wiederherstellung der Ellenbogenbeugung im Rahmen eines doppelten freien funktionellen Muskeltransfers nach Doi (1997) wird mit etwa 60% ein niedrigerer Wert angegeben. Eine funktionale Handgelenk- und Fingerbeugung kann nach freier funktioneller Muskeltransplantation bei Folgezustand nach Volkmann-Kontraktur in etwa 75% erzielt werden. Mit Hilfe einer doppelten freien funktionellen Muskeltransplantation kann bei kompletter Plexusläsion in weniger als 50% eine primitive Greiffunktion erzielt werden. Für die Rekonstruktion der Handgelenkund Fingerbeugung nach Nervenregeneration bestehen keine größeren Serien. Die eigene Erfahrung zeigt, dass eine primitive Greiffunktion evtl. erreicht werden kann. Sollte nach freier funktioneller Muskeltransplantation der Kraftgrad M3 nicht erreicht werden, ist es heute bereits möglich durch myoelektrische Orthesen die gewünschte Bewegung zu unterstützen. Die Muskelzuckung bzw. die rudimentäre Bewegung löst einen Impuls aus, wodurch die Orthese die gesamte Bewegungsamplitude nach dem „Alles-oder-nichts-Prinzip“ vervollständigt (Abb. 8.9 a–g).
8.1.7 Komplikationen Neben Blutung, Wundheilungsstörung und Infektion stellt der Gefäßverschluss die gravierendste Komplikation dar. Wenn eine Thrombose auftritt, ist es notwendig, den Patienten sofort in den Operationssaal zu bringen. Die Anastomosen müssen revidiert werden, um eine intakte Blutversorgung des Implantats innerhalb von 3 Stunden zu erreichen, damit keine schweren ischämischen Schäden am Muskel entstehen. Im Falle einer postoperativen Thrombose hat es sich gezeigt, dass die revidierten Transplantate in allen Serien die schlechtesten Ergebnisse erbracht haben. Deshalb befürworten einige Autoren die primäre Explantation und Durchführung einer neuen freien funktionellen Muskellappenplastik.
KAPITEL 8
8.2 Spezielle Techniken 8.2.1 Freie funktionelle Muskeltransplantation zum Ersatz des M. deltoideus Der Ersatz des M. deltoideus kann entweder mit einem M. gracilis (Ersatz des anterolateralen Anteils) oder mit einem M. latissimus dorsi (kompletter Ersatz) erfolgen.
8.2.1.1 Freier funktioneller Gracilistransfer Die Operation erfolgt in Rückenlage. Spender- und Empfängergebiet können gleichzeitig präpariert werden. Besteht kein zusätzlicher Hautdefekt, wird ein einfaches Muskeltransplantat gehoben. Im Empfängergebiet erfolgt die Präparation der Gefäße entweder im Bereich des Sulcus deltopectoralis (A./V. thoracoacromialis) oder im infraklavikulären Bereich. Für die Nervenkoaptation stehen entweder der distale Anteil des N. XI oder der N. phrenicus zur Verfügung. Wenn immer möglich, sollte eine primäre Nervenkoaptation angestrebt werden. Deshalb sollte bei der Präparation des M. gracilis sein Nerv möglichst weit nach proximal präpariert werden (Nervenlänge 10–14 cm). Nach Kontrolle der Stiellage erfolgt die Fixation des M. gracilis in seinem sehnigen Anteil mit kräftigen nichtresorbierbaren Nähten im Bereich des anterolateralen Deltoideusursprungs und des Periosts. Die distale Sehne des M. gracilis wird unter Beachtung der Ruhespannung auf oder knapp distal des Deltoideusansatzes am Humerus fixiert. Eine transossäre Verankerung der dünnen distalen Sehne hat sich bewährt. Nach Einlegen einer Redon-Drainage wird die Wunde schichtweise verschlossen. Postoperativ wird der Arm in 60° Abduktionsstellung und etwa 30° Flexion auf einer Thoraxabduktionsschiene für 6 Wochen gelagert. Anschließend kann mit passiver Physiotherapie begonnen werden. Mit Einsetzen der ersten Reinnervationszeichen nach 3–6 Monaten kann das Thoraxabduktionskissen sukzessive verkleinert werden, und es erfolgt eine aktiv unterstützende Physiotherapie, welche über einen Zeitraum von 12–18 Monaten fortgesetzt werden muss.
8.2.1.2 Freier funktioneller Latissimus-dorsi-Transfer Für diese Operation ist es notwendig, den gesamten Oberkörper und die beiden oberen Extremitäten zirkulär zu desinfizieren. Für die Anästhesie bedeutet dies, dass alle Zugänge im Bereich der unteren Extremität gelegt werden müssen. Die Desinfektion geschieht am besten beim sitzenden Patienten. Nach Unterlage von sterilen Tüchern
KAPITEL 8
Freie funktionelle Muskeltransplantation
a
c
b
d
e
Abb. 8.10 a–e. Freie funktionelle M.-latissimus-dorsiTransplantation zur Verbesserung der Abduktion im Schulterbereich bei Gewebedefekt und Verlust der Funktion des M. deltoideus (PHW, Medizinische Hochschule Hannover). a Röntgen präoperativ: Ansicht von dorsal. b Schematische Darstellung der Operation. c Röntgen intraoperativ nach Einnähen des Latissimus-dorsi-Muskels. d Röntgen ein Jahr postoperativ: Schulterabduktion/-flexion: Ansicht von dorsal. e Röntgen ein Jahr postoperativ: Schulterabduktion/-flexion: Ansicht von lateral
305
306
Freie funktionelle Muskeltransplantation
KAPITEL 8
wird der Patient für den ersten Teil der Operation in Seitlage gelagert. Im ersten Schritt wird ein myokutaner Latissimus-dorsi-Lappen von der nicht gelähmten Seite gehoben. Der Lappen bleibt im Spendergebiet gestielt, und der Hebedefekt wird nach Einlage von 2 Redon-Drainagen bis auf die Axilla geschlossen. Der Patient wird nun auf seinen Rücken zurückgedreht, beide Arme werden ausgelagert. Der M. deltoideus wird über eine bogenförmige Inzision von Spina scapulae bis Akromion dargestellt. Im Empfängergebiet erfolgt die Präparation der Gefäße entweder im Bereich des Sulcus deltopectoralis (A./V. thoracoacromialis) oder im infraklavikulären Bereich. Für die Nervenkoaptation stehen entweder der distale Anteil des N. XI oder der N. phrenicus zur Verfügung. Eine primäre Nervenkoaptation sollte angestrebt werden. Deshalb sollte bei der Präparation des M. latissimus dorsi sein Nerv möglichst weit nach proximal präpariert werden (Nervenlänge 10–14 cm). Nach Kontrolle der Stiellage erfolgt die Fixation des M. latissimus – um 180° gedreht – in seinem distalen Anteil mit kräftigen nichtresorbierbaren Nähten im Bereich des Deltoideusursprungs und des Periosts. Die proximale Sehne des M. latissimus dorsi wird unter Beachtung der Ruhespannung auf oder knapp distal des Deltoideusansatzes am Humerus fixiert. Hier haben sich 2 kräftige Mitek/R-Anker bewährt. Nach Einlegen einer Redon-Drainage wird die Wunde schichtweise verschlossen. Die postoperative Nachbehandlung entspricht jener nach freiem Gracilistransfer (Abb. 8.10 a–e).
8.2.2 Freie funktionelle Muskeltransplantation zur Wiederherstellung der Ellenbogenbeugung Für den Ersatz der Ellenbogenbeuger (M. biceps brachii et brachialis) sind neben dem M. gracilis der M. latissimus dorsi und der M. rectus femoris am häufigsten beschrieben. Wegen seiner fast identischen Form im Vergleich zum M. biceps (Caput longum) wird der M. gracilis vor allem bei Kindern als Therapie der 1. Wahl eingesetzt. Aufgrund des größeren Muskelquerschnitts und somit der größeren Muskelkraft bevorzugen einige Autoren den M. latissimus dorsi bei Erwachsenen.
8.2.2.1 Freier funktioneller Gracilistransfer Die Operation erfolgt in Rückenlage. Spender- und Empfängergebiet können gleichzeitig präpariert werden. Bei lang bestehender Muskelatrophie besteht meist ein (relativer) Hautdefekt, weshalb oft ein myokutaner Gracilislappen indiziert ist. Bei der Präparation des myokutanen Lappens ist darauf zu achten, dass die Hautinsel über den 2 proximalen Perforatoren gehoben wird, um postoperative Teilnekrosen zu vermeiden. Im Empfängergebiet er-
Abb. 8.11. Schematische Darstellung der freien funktionellen Transplantation einer myokutanen Gracilislappenplastik zur Wiederherstellung der Ellenbogenbeugung
folgt die Präparation der Gefäße entweder im Bereich des Sulcus deltopectoralis (A./V. thoracoacromialis) oder im infraklavikulären Bereich. Für die Nervenkoaptation stehen entweder der distale Anteil des N. XI, der N. phrenicus oder die Nn. intercostales 3–6 zur Verfügung. Es sollte eine primäre Nervenkoaptation angestrebt werden. Deshalb sollte bei der Präparation des M. gracilis sein Nerv möglichst weit nach proximal präpariert werden (Nervenlänge 10–14 cm). Nach Kontrolle der Stiellage erfolgt die Fixation des M. gracilis in seinem proximalen sehningen Anteil mit kräftigen nichtresorbierbaren Nähten am Processus coracoideus und der lateralen Klaviku-
KAPITEL 8
la. Die distale Sehne des M. gracilis wird unter Beachtung der Ruhespannung in Pulvertaft-Technik mit der distalen Bizepssehne verbunden (Abb. 8.11). Nach Einlegen einer Redon-Drainage wird die Wunde schichtweise verschlossen. Postoperativ wird der Arm in 90° Flexionsstellung im Ellenbogen für 6 Wochen gelagert. Anschließend kann mit passiver Physiotherapie begonnen werden. Mit Einsetzen der ersten Reinnervationszeichen nach 3–6 Monaten kann die Beugung im Ellenbogengelenk sukzessive verkleinert werden, und es erfolgt eine aktiv unterstützende Physiotherapie, welche über einen Zeitraum von 12–18 Monaten fortgesetzt werden muss.
8.2.2.2 Freier funktioneller Latissimus-dorsi-Transfer Für diese Operation ist es notwendig, den gesamten Oberkörper und die beiden oberen Extremitäten zirkulär zu desinfizieren. Für die Anästhesie bedeutet dies, dass alle Zugänge im Bereich der unteren Extremität gelegt werden müssen. Die Desinfektion geschieht am besten beim sitzenden Patienten. Nach Unterlage von sterilen Tüchern wird der Patient für den ersten Teil der Operation in Seitlage gelagert. Im ersten Schritt wird ein myokutaner Latissimus-dorsi-Lappen von der nicht gelähmten Seite in gehoben. Nach Markierung des Muskelvorderrandes, erfolgt die Anzeichnung der Hautinsel. Primär sollte immer eine Hautinsel mitgenommen werden, da durch die Muskelatrophie eine Schrumpfung der Haut auftritt und durch die Hautinsel ein zuverlässiges Lappen-Monitoring möglich ist. Oft kann die Hautinsel teilweise oder vollständig nach einem Jahr entfernt werden und durch die zusätzliche Spannung ein Kraftzuwachs erzielt werden. Nach Umschneiden der Hautinsel wird diese temporär mit Nähten an dem darunter liegenden Muskel fixiert, um ein Abscheren zu verhindern. Zur Kontrolle der Muskelspannung wird ein nichtresorbierbarer Faden auf den Muskel in fortlaufender überwendlicher Technik mit einem Stichabstand von 5 cm fixiert. Für eine bessere di-
Freie funktionelle Muskeltransplantation
stale Verankerung sollte distal die Fascia thoracolumbalis mitgehoben werden. Dorsal erfolgt die Abtrennung im sehnigen Bereich, um eine Blutungsneigung gering zu halten. Nach Präparation des Gefäß-Nerven-Stiels wird der Sehnenansatz im Humerusbereich dargestellt und mit einer Naht angeschlungen. Das Spendergebiet wird nach sorgfältiger Blutstillung und Einlage von 2 RedonDrainagen bis auf die Axilla verschlossen. Nach Umlagerung des Patienten auf den Rücken erfolgt nun die Präparation im Empfängergebiet mit Darstellung der A. und V. brachialis bzw. der distalen A. und V. axillaris und dem geeigneten Spendernerv. Für die Nervenkoaptation stehen entweder der distale Anteil des N. XI, der N. phrenicus oder die Nn. intercostales 3–6 zur Verfügung. Es wird eine primäre Nervenkoaptation angestrebt. Zusätzlich müssen der Processus coracoideus und die distale Bizepssehne präpariert und evtl. bereits mit nichtresorbierbaren Nähten angeschlungen werden. Nach Beendigung der Präparation im Empfängergebiet werden Sehnenansatz und Gefäß-Nerven-Stiel durchtrennt. Gleichzeitig mit dem Einnähen des Lappens im Empfängergebiet erfolgt der Verschluss der Axilla durch ein zweites Operationsteam. Nach Kontrolle der Stiellage erfolgt die Fixation des M. latissimus dorsi mit seinem proximalen sehnigen Anteil mit kräftigen nichtresorbierbaren Nähten am Processus coracoideus und der lateralen Klavikula. Die distale Sehne des M. latissimus dorsi wird unter Beachtung der Ruhespannung mit der distalen Bizepssehne verbunden. Meist ist der Muskel zu lang, und der distale Anteil mit der Fascia thoracolumbalis kann als Arcus fibrosus mit der Unterarmfaszie am medialen proximalen Unterarm zusätzlich vernäht werden. Der venöse und arterielle Anschluss erfolgt entweder End-zu-End mit einem Ast oder (bevorzugt) End-zuSeit an die V. bzw. A. brachialis bzw. V. bzw. A. axillaris. Die Nervenkoaptation erfolgt zum Schluss. Nach Einlage von 2 Drainagen unterhalb des Lappens erfolgt der Hautverschluss. Postoperativ wird eine dorsale Oberarmgipsschiene mit Handgelenkeinschluss und Schulterkappe (bipolare Verlagerung) angelegt (Abb. 8.12 a–f).
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KAPITEL 8
a
A., V. und N. thoracodorsalis
b
Abb. 8.12 a–f. Wiederherstellung der Ellenbogenbeugefunktion durch mehrzeitige mikrochirurgische Rekonstruktion mit Hilfe eines freien funktionellen myokutanen Latissimus-dorsi-Transplantats (PHW, Medizinische Hochschule Hannover). a Schema: Patientenlagerung zur Entnahme des myokutanen freien Latissimus-dorsi-Lappens. b Fixierung des nichtresorbierbaren Fadens zu Bestimmung der physiologischen Muskelspannung im Empfängergebiet. c Schematische Darstellung der Operation.
c
KAPITEL 8
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d, e
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f Abb. 8.12 d–f. Wiederherstellung der Ellenbogenbeugefunktion durch mehrzeitige mikrochirurgische Rekonstruktion mit Hilfe eines freien funktionellen myokutanen Latissimus-dorsiTransplantats (PHW, Medizinische Hochschule Hannover).
d Röntgen intraoperativ. e Röntgen ein Jahr postoperativ: Ellenbogenstreckung. f Röntgen ein Jahr postoperativ: Ellenbogenbeugung
8.2.3 Freie funktionelle Muskeltransplantation zur Wiederherstellung der Handgelenkund Fingerbeuger
Im Empfängergebiet erfolgt die Präparation der A. und V. brachialis sowie des Spendernervens. Im Falle eines Folgezustands nach Volkmann-Kontraktur sollte der motorische Ast des N. medianus bis in gesundes Gewebe freipräpariert werden. Im Falle einer Plexusläsion muss der distale Stumpf des vorgelegten Nerventransplantats dargestellt werden. Eine primäre Nervenkoaptation wird angestrebt. Die Koaptation sollte so nah wie möglich am Muskel erfolgen, um die Reinnervationsdauer zu verkürzen. Im Handgelenkbereich müssen die Beugesehen der Langfinger und des Daumens dargestellt werden. Die Sehne des M. flexor pollicis longus sollte aus seinem Verlauf im Thenarbereich luxiert und subkutan über der (atrophischen) Thenarmuskulatur verlaufen, um auch eine gewisse Oppositionsbewegung erzielen zu können. Die Sehnen der Langfinger sollten im distalen Unterarmbereich derart vereint werden, dass eine natürliche Fingerhaltung in Mittelstellung entsteht. Einige Autoren verwenden nur die tiefen Fingerbeuger, andere sowohl die tiefen als auch die oberflächlichen. Nach Beendigung der Präparation im Empfängergebiet werden Sehnenansatz und Gefäß-Nerven-Stiel der M.-gracilis-Lappenplastik durchtrennt. Gleichzeitig mit dem Einnähen des Lappens im Empfängergebiet erfolgt der Verschluss im Oberschenkelbereich durch ein zweites Operationsteam. Eine leicht kompressive Wickelung der operierten Extremität bis zum Oberschenkel für 7–10 Tage hat sich bewährt. Nach Kontrolle der Stiellage erfolgt die Fixation des M. gracilis mit seinem proximalen sehningen Anteil mit kräftigen nicht resorbierbaren Näh-
Der Ersatz der Handgelenk- und Fingerbeuger kann entweder mit einem M. gracilis (Therapie der 1. Wahl) oder mit einem M. latissimus dorsi (Therapie der 2. Wahl) erfolgen.
8.2.3.1 Freier funktioneller Gracilistransfer Die Operation erfolgt in Rückenlage. Spender- und Empfängergebiet können gleichzeitig präpariert werden. Im Unterarmbereich hat es sich bewährt, primär eine myokutane Gracilislappenplastik zu verwenden, da durch die Muskelatrophie eine Schrumpfung der Haut auftritt und durch die Hautinsel ein zuverlässiges Lappen-Monitoring möglich ist. Oft kann die Hautinsel teilweise oder vollständig nach einem Jahr entfernt werden und durch die zusätzliche Spannung ein Kraftzuwachs erzielt werden. Bei der Präparation des myokutanen Lappens ist darauf zu achten, dass die Hautinsel über den 2 proximalen Perforatoren gehoben wird, um postoperative Teilnekrosen zu vermeiden. Bevor der Muskel proximal und distal im sehnigen Anteil durchtrennt wird, ist ein Faden in Längsrichtung der Muskelfasern von einem Ende zum anderen zu fixieren. Auf diese Weise wird die Muskelgrundspannung festgehalten, die nach der Transplantation in sein neues Lager sorgfältig zu beachten ist.
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b
N. medianus M. brachioradialis N. interosseus anterior
c M. pronator teres FDS- und FDP-Sehnen
N. ulnaris FCU A. ulnaris
a
d e
f
Abb. 8.13 a–i. Freie funktionelle myokutane Gracilistransplantation zum Ersatz der Handgelenk- und Fingerbeugung nach geburtstraumatischer Plexusläsion (PHW, Medizinische Hochschule Hannover). a Röntgen präoperativ. b Schema: Anatomie und Lappenplanung. c Schematische Darstellung des intraoperativen ws nach Abschluss der Präparation.
d „Rerouting“ der FPL-Sehne zur Erzielung einer zusätzlichen Oppositionsbewegung bei Daumenflexion. e Schema: Lappeneinnähung distal: Langfinger und Daumen sollten, wenn immer möglich, unabhängig voneinander fixiert werden. f Schema: Ende der Lappeneinnähung mit Kontrolle der Muskelruhespannung mit Hilfe von Markierungsnähten.
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g, h
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i Abb. 8.13 g–i. Freie funktionelle myokutane Gracilistransplantation zum Ersatz der Handgelenk- und Fingerbeugung nach geburtstraumatischer Plexusläsion (PHW, Medizinische Hochschule Hannover) g Röntgen intraoperativ.
h Röntgen ein Jahr postoperativ nach Entfernung der Hautinsel: Fingerstreckung. i Röntgen ein Jahr postoperativ nach Entfernung der Hautinsel: Fingerbeugung
ten im Bereich des Septum intermusculare mediale am distalen Oberarm. Die distale Sehne des M. gracilis wird in 2 Anteile geteilt und unter Beachtung der Ruhespannung mit der Sehne des Flexor pollicis longus und dem Beugesehnenpaket der Langfingerbeuger in PulvertaftTechnik verbunden. Der venöse und arterielle Anschluss erfolgt entweder End-zu-End mit einem Ast oder (bevorzugt) End-zu-Seit an die V. bzw. A. brachialis. Die Nervenkoaptation erfolgt zum Schluss. Nach Einlegen einer Redon-Drainage wird die Wunde schichtweise verschlossen. Postoperativ erfolgt die Lagerung auf einer Oberarmschiene mit Hand in Intrinsicplus-Stellung und Ellenbogen in 90° Flexionsstellung für 6 Wochen. Anschließend kann mit passiver Physiotherapie begonnen werden. Mit Einsetzen der ersten Reinnervationszeichen nach 3–6 Monaten kann die Beugung im Ellenbogengelenk sukzessive verkleinert werden, und es erfolgt eine aktiv unterstützende Physiotherapie, welche über einen Zeitraum von 12–18 Monaten fortgesetzt werden muss (Abb. 8.13 a–i).
8.2.3.2 Freier funktioneller Latissimusdorsi-Transfer Vorbereitung des Patienten und Präparation des myokutanen Latissimus-dorsi-Lappens entsprechen dem unter Abschn. 8.2.2.2 genannten Vorgehen. Die Präparation des Empfängergebiets erfolgt analog dem Vorgehen bei Gracilistransplantation. Da der M. latissimus dorsi länger ist als der Unterarm, muss er entweder höher im Oberarmbereich fixiert oder in seinem distalen muskulären Bereich gekürzt werden. Für eine zuverlässige Blutstillung und eine bessere Fixierung der Beugesehnenstümpfe hat sich eine fortlaufende Steppnaht im Bereich des distalen Muskelrandes bewährt. Im Gegensatz zum M. gracillis müssen Daumen- und Langfingerbeuger gemeinsam eingenäht werden. Die distale Fixierung erfolgt – unter Beachtung der adäquaten Muskelgrundspannung – im Sinne eines Umwickelns der Beugesehnen und Durchsteppens mit (nichtresorbierbarem) Nahtmaterial. Der venöse und arterielle Anschluss erfolgt entweder End-zu-End mit einem Ast oder (bevorzugt) End-zu-Seit an die V. bzw. A. brachialis. Die Nervenkoaptation erfolgt zum Schluss. Nach Einlegen einer Redon-Drainage wird die Wunde schichtweise verschlossen. Im distalen Unterarmbereich kann eine zusätzliche Hauttransplantation notwendig werden. Um postoperative Verklebungen zu vermeiden, ist darauf zu achten, dass die distale Sehnenverankerung von der Hautinsel bedeckt ist und nicht unter dem Hauttransplantat liegt. Die postoperative Nachbehandlung entspricht jener nach M.-gracilis-Transplantation (Abb. 8.14 a,b).
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KAPITEL 8
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Abb. 8.14 a,b. Freie funktionelle myokutane Latissimus-dorsi-Transplantation zum Ersatz der Handgelenk- und Fingerbeugung nach posttraumatischer Läsion des Plexus brachialis (PHW, Medizinische Hochschule Hannover). a Schematische Darstellung der Operation. b Röntgen ein Jahr postoperativ
b
8.2.4 Freie funktionelle Muskeltransplantation zur Wiederherstellung der Handgelenkund Fingerstrecker Für die Wiederherstellung der aktiven Handgelenk- und Fingerstreckung haben sich ebenfalls der M. gracilis (1. Wahl) und M. latissimus dorsi (2. Wahl) bewährt. Das freie funktionelle Muskeltransplantat wird proximal im Bereich des Septum intermusculare laterale oder am Epicondylus lateralis befestigt. Distal erfolgt die Vereinigung der Endsehne mit den Sehnen des M. extensor digitorum communis und der Sehne des M. extensor digitorum longus. Durch funktionelle Teilung der Muskeltransplantate kann oft eine weitgehend unabhängige Funktion beider Sehnen erreicht werden. Postoperativ erfolgt die Ruhigstellung auf einer dorsalen Oberarmgipsschiene mit Fingereinschluss in Intrinsic-plus-Stellung.
8.2.5 Freie funktionelle Muskeltransplantation zum Ersatz des M. opponens Für die Wiederherstellung der aktiven Oppositionsfunktion bei fehlender Möglichkeit eines Sehnentransfers oder im Sinne eines Augmentationstransfers wurden der M. serratus anterior und der M. flexor hallucis brevis (FHB) beschrieben. Wegen des großen Spenderdefekts führen wir den FHB-Transfer nicht durch. Der M. seratur anterior eignet sich vor allem im Sinne eines Augmentationstransfers bei ausgedehnten Thenardefekten mit gewisser Restfunktion gut für die Defektdeckung. Durch die zusätzliche Nervenkoaptation kann auch eine gewisse aktive Beweglichkeit zusätzlich gewonnen werden. Vorbereitung des Patienten und Präparation des myokutanen Latissimus-dorsi-Lappens entsprechen dem unter Abschn. 8.2.2.2 genannten Vorgehen. Es wird nur ein
KAPITEL 8
Freie funktionelle Muskeltransplantation
Handbereich transferiert. Gleichzeitig mit dem Einnähen des Lappens im Empfängergebiet erfolgt der Verschluss der Axilla durch ein zweites Operationsteam. Der Muskellappen wird parallel zum Faserverlauf der Thenarmuskulatur in physiologischer Muskelspannung eingenäht. Die Anastomose der Lappenarterie erfolgt in Ent-zuSeit-Technik an die A. radialis oder A. ulnaris, die der Lappenvene(n) in End-zu-End-Technik an oberflächliche oder tiefe Venen im Unterarmbereich. Für die Nervenkoaptation stehen entweder der motorische Thenarast oder der Endast des N. interosseus anterior vor Eingang in den M. pronator quadratus zur Verfügung. Eine zusätzlich erforderliche Hauttransplantation (mitteldicke Spalthaut oder Vollhaut) kann entweder einzeitig während derselben Operation oder zweizeitig 3–5 Tage später erfolgen (Abb. 8.15). Postoperativ wird die Hand für 10–14 Tage auf einer Unterarmschiene mit etwa 30° Streckung im Handgelenkbereich ruhiggestellt. Die Kirschner-Drähte im bereich der 1. Kommissur werden nach 6 Wochen entfernt.
8.2.6 Freie funktionelle Muskeltransplantation zur gleichzeitigen Wiederherstellung der Ellenbogenbeugung, Handgelenkund Fingerbeugung nach Berger
Abb. 8.15. Freier funktioneller M.-serratur-anterior-Transfer zur Weichteildefektdeckung im Thenarbereich und gleichzeitigen Verbesserung der Oppositionsbewegung des Daumens (mod. nach Loda)
Teil des Latissimus dorsi mit Gefäßstiel verwendet, sodass ein schmaler dem Defekt entsprechender Muskellappen entsteht („Designer-Flap“). Zur Verminderung der Ischämiedauer verbleibt der Muskellappen an seinem neurovaskulären Stiel so lange in situ, bis das Empfängergebiet im Handbereich dargestellt ist. Zur Prävention einer Kontraktur der 1. Kommissur werden 2 Kirschner-Drähte zwischen Metacarpale I und II eingebracht. Nach vorsichtiger Ligatur und Sektion des Gefäß-Nerven-Stiels wird der Muskellappen in den
Bei kompletter Läsion des Plexus brachialis (C5 bis Th1) kann versucht werden, mit Hilfe eines einzigen Muskeltransplantats in Kombination mit einer gegenseitigen Tenodese eine gewisse Basisfunktion der Extremität wiederherzustellen. Die Wiederherstellung dieser Globalfunktion erfolgt unter Verwendung des M. latissimus dorsi. Die Vorbereitung des Patienten und die Präparation des myokutanen Latissimus-dorsi-Lappens entsprechen dem unter Abschn. 8.2.2.2 genannten Vorgehen. Zur Verminderung der Ischämiedauer verbleibt der Muskellappen an seinem neurovaskulären Stiel so lange in situ, bis das Empfängergebiet dargestellt ist. Nach Umlagerung des Patienten auf den Rücken erfolgt nun die Präparation im Empfängergebiet mit Darstellung der A. und V. brachialis bzw. der distalen A. und V. axillaris und dem geeigneten Spendernerv. Für die Nervenkoaptation stehen entweder der distale Anteil des N. XI, der N. phrenicus oder die Nn. intercostales 3–6 zur Verfügung. Wenn immer möglich, sollte eine primäre Nervenkoaptation angestrebt werden. Zusätzlich müssen der Processus coracoideus und die distale Bizepssehne präpariert und evtl. bereits mit nichtresorbierbaren Nähten angeschlungen werden. Die Vorbereitung im Unterarm- und Handbereich entspricht dem unter Abschn. 8.2.3.1 beschriebenen Vorgehen. Nach Beendigung der Präparation im Empfängergebiet werden Sehnenansatz und Gefäß-Nerven-Stiel
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b c
d Abb. 8.16 a–f. Schematische Darstellung der freien funktionellen M.-latissimus-dorsi-Transplantation zur Wiederherstellung der Ellenbogenbeugung, Handgelenk- und Fingerbeugung in Kombination mit einer streckseitigen Tenodese nach Berger (PHW, Medizinische Hochschule Hannover). a Schematische Darstellung der Operation. b Tenodese der Handgelenk- und Fingerstrecksehnen im distalen Unterarmbereich als zusätzlicher Eingriff für einen freien funktionellen Muskeltransfer zum Ersatz der Handgelenkstrecker und extrinsischen Fingerstrecker. c Röntgen intraoperativ: Einnähen der Lappenplastik distal. d Röntgen intraoperativ: Bildung einer Umlenkvorrichtung („pulley“) mit Hilfe des M. flexor carpi ulnaris. e Röntgen ein Jahr postoperativ: Ellenbogenbeugung
e
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f Abb. 8.16 a–f. Schematische Darstellung der freien funktionellen M.-latissimus-dorsi-Transplantation zur Wiederherstellung der Ellenbogenbeugung, Handgelenk- und Fingerbeugung in Kombination mit einer streckseitigen Tenodese nach Berger (PHW, Medizinische Hochschule Hannover). f Röntgen ein Jahr postoperativ: Handgelenk- und Fingerstreckung (Tenodeseeffekt nach Anspannung des freien Muskeltransplantats)
durchtrennt. Gleichzeitig mit dem Einnähen des Lappens im Empfängergebiet erfolgt der Verschluss der Axilla durch ein zweites Operationsteam. Nach Kontrolle der Stiellage erfolgt die Fixation des M. latissimus dorsi mit seinem proximalen sehningen Anteil mit kräftigen nichtresorbierbaren Nähten am Processus coracoideus oder Akromion und der lateralen Klavikula (geringe Ad- oder Abduktion). Zur Vermeidung eines Bogenschnurphänomens muss der Muskel im Bereich der Ellenbogenbeuge unterhalb einer Umlenkvorrichtung („pulley“) durchgezogen werden. Hierfür hat sich der M. flexor carpi ulnaris bewährt. Das Muskeltransplantat wird im mittleren Unterarmbereich unter Beachtung der Ruhespannung mit den Beugesehnen der Langfinger und des Daumens analog der unter Abschn. 8.2.3.2 beschriebenen Technik befestigt. Da nur auf einer Seite eine aktive Bewegung ausgeführt wird, muss die Öffnung der Finger und die Streckung des Handgelenks mit Hilfe eines Tenodeseeffekts erfolgen. Hierzu wird auf der Dorsalseite eine Tenodese
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der Handgelenk- und Fingerstrecker durchgeführt. Die Öffnung der Hand erfolgt durch Anspannen des Muskeltransplantats, die primitive Greiffunktion durch Relaxation. Der venöse und arterielle Anschluss erfolgt entweder End-zu-End mit einem Ast oder (bevorzugt) End-zu-Seit an die V. bzw. A. brachialis bzw. V. bzw. A. axillaris. Die Nervenkoaptation erfolgt zum Schluss. Für die Nervenkoaptation stehen entweder der distale Anteil des N. XI oder die Nn. intercostales 3–6 zur Verfügung. Nach Einlage von 2 Drainagen unterhalb des Lappens erfolgt der Hautschluss. Postoperativ wird eine dorsale Oberarmgipsschiene mit Handgelenk und Finger in Intrinsic-plus-Stellung, Ellenbogen in 90° Flexion und Schulterkappe (bipolare Verlagerung) für 6 Wochen angelegt. Anschließend kann mit passiver Physiotherapie begonnen werden. Mit Einsetzen der ersten Reinnervationszeichen nach 3–6 Monaten kann die Beugung im Ellenbogengelenk sukzessive verkleinert werden, und es erfolgt eine aktiv unterstützende Physiotherapie, welche über einen Zeitraum von 12–18 Monaten fortgesetzt werden muss (Abb. 8.16 a–g).
8.2.7 Kombinierte freie funktionelle Muskeltransplantation zur Rekonstruktion einer Basisfunktion bei kompletter Läsion des Plexus brachialis nach Doi Durch die sequenzielle freie funktionelle Muskeltransplantation ist es möglich, bei einem Teil der Patienten eine aktive Ellenbogenbeugung und primitive Greiffunktion zu erzielen. In der ersten Operation erfolgt ein freier funktioneller Gracilistransfer zur Wiederherstellung der aktiven Ellenbogenbeugung und gleichzeitig der Handgelenk- und/oder Fingerstreckung (Modifikation nach Bishop). Als Axonspender für die Nervenkoaptation stehen der N. XI, der N. phrenicus und die Nn. intercostales 3–6 zur Verfügung. In einer zweiten Operation nach 3–6 Monaten erfolgt eine weitere freie Gracilistransplantation zur Wiederherstellung der aktiven Handgelenk- und Fingerbeugung. Hierfür stehen als Axonspender die Nn. intercostales zur Verfügung (Abb. 8.17 a–c).
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Abb. 8.17 a–c. Schematische Darstellung der kombinierten freien funktionellen Muskeltransplantation zur Rekonstruktion einer Basisfunktion bei kompletter Läsion des Plexus brachialis nach Doi. a 1. Schritt: Wiederherstellung der aktiven Ellenbogenbeugung und Handgelenk- und Fingerstreckung. b 2. Schritt: Wiederherstellung der aktiven Handgelenk- und Fingerbeugung. c Möglichkeiten der Nervenkoaptation
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R. Hierner . A. Berger . K. Wilhelm
Inhalt 9.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 9.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 320 9.1.1.1 Vaskularisation . . . . . . . . . . . . . 320 9.1.1.2 Hautlinien im Bereich der oberen Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . 320 9.1.1.3 „Rekonstruktive Einheiten“ im Bereich der oberen Extremität. . . . 320 9.1.1.4 Konzept der „Niederresistenzzonen“ im Bereich der oberen Extremität. . 323 9.1.2 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 9.1.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 9.1.4 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 9.1.5 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 9.1.5.1 Defektbedingte Faktoren. . . . . . . 327 9.1.5.2 Patientenbedingte Faktoren. . . . . 327 9.1.5.3 Therapiebedingte Faktoren . . . . . 327 Zeitpunkt von Defektverschluss bzw. Defektdeckung. . . . . . . . . . 327 Möglichkeiten der Defektdeckung. 330 Vorteil im Empfängergebiet vs. Spendergebietmorbidität . . . . . . 336 9.1.5.4 Postoperative Maßnahmen und Begleittherapie. . . . . . . . . . . . . 336 9.1.6 Komplikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 9.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 337 9.2.1 Haut- (Typ-A-) und Weichteil- (Typ-B-) Defekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 9.2.1.1 Schulter- und Oberarmbereich. . . 337 Kraniale und laterale Schulterregion. . . . . . . . . . . . . . 337 Axilla. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Oberarm . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 9.2.1.2 Ellenbogen-, Unterarm und Handgelenkbereich. . . . . . . 344 Ellenbogen und proximales Unterarmdrittel . . . . . . . . . . . . . 347 Mittleres Unterarmdrittel. . . . . . . 353 Distales Unterarmdrittel (inklusive Handgelenk). . . . . . . . . . . . . . . 354
KAPITEL 9
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
9.2.1.3 Polyregionale Defekte. . . . . . . . . Handbereich. . . . . . . . . . . . . . . Handrücken. . . . . . . . . . . . . . . Hohlhand. . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfingerfalten (Kommissuren) . . . . . . . . . . . . . Daumen. . . . . . . . . . . . . . . . . . Langfinger . . . . . . . . . . . . . . . . Polyregionale Defekte. . . . . . . . . 9.2.2 Kombinierter Weichteil-Knochen- (Typ-C-) Defekt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
358 358 360 361 367 367 375 387 390 393
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
KAPITEL 9
Beanspruchung und Ästhetik, vor allem die Möglichkeiten der Defektdeckung (Abb. 9.3 a–d). Im Schulter- und proximalen Oberarmbereich unterscheidet man
9.1 Allgemeines 9.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie 9.1.1.1 Vaskularisation Die Kenntnis der regionenspezifischen Vaskularisation unter Normalbedingungen (Abb. 9.1 a–c, s. Plastische Chirurgie, Bd. 1, Kap. 17) und ihrer defektbedingten Beeinträchtigung beeinflusst die Auswahl des Therapieverfahrens entscheidend.
9.1.1.2 Hautlinien im Bereich der oberen Extremität Schnittführungen im Hautniveau bei elektiven Eingriffen sollten parallel zu den Langer- bzw. RSTL („resting tension lines“) erfolgen, da quer verlaufende Narben oft ästhetisch stören. Praktisch sollte man die Spannungslinien nur dort verlassen, wo erschwerte Übersicht einen anderen Hautschnitt vorschreibt oder die Lage der Narbe die spätere Funktion beeinträchtigen würde (Abb. 9.2 a–c).
• eine kraniale Schulterregion (Regio supraclavicularis), • eine laterale Schulterregion (Regio deltoidea, welche sich oberhalb des M. deltoideus auf den proximalen Oberarm erstreckt) und • eine kaudale Schulterregion (Regio axillaris). Am Oberarm unterscheidet man: • ventrale Oberarmregion und • dorsale Oberarmregion (Tabelle 9.1, vgl. Abb. 9.3 a–d). Im Hinblick auf die Therapie hat sich im Unterarmbereich – analog dem Unterschenkelbreich – eine Dritteleinteilung bewährt (Tabelle 9.1). Man unterscheidet: • ein proximales Unterarmdrittel, welches das Ellenbogengelenk und die Muskelbäuche der Unterarmmuskulatur beinhaltet, • ein mittleres Unterarmdrittel, welches den myotendinösen Übergang beinhaltet, und • ein distales Unterarmdrittel, wobei die Skelettelemente nur von Haut und Sehnen bedeckt sind
9.1.1.3 „Rekonstruktive Einheiten“ im Bereich der oberen Extremität
Im proximalen Unterarmdrittel werden nach Masquelet u.Gilbert (1995) 4 Untereinheiten unterschieden:
Im Hinblick auf die Defektrekonstruktion hat es sich auch im Extremitätenbereich bewährt, so genannte „rekonstruktive Einheiten“ oder „funktionelle Hauteinheiten“ zu unterscheiden. Diese Einheiten berücksichtigen neben lokalen Faktoren, wie Funktion, mechanische
• • • •
a
b
dorsale Ellenbogengelenkfläche (Olekranon), ventrale Ellenbogengelenkfläche (Fossa cubitalis), laterale Ellenbogengelenkfläche, mediale Ellenbogengelenkfläche (vgl. Tabelle 9.1, vgl. Abb. 9.3 a–d).
c
Abb. 9.1 a–c. Angiosome im Bereich der oberen Extremität nach Taylor. a Ventrale Ansicht, b laterale Ansicht, c dorsale Ansicht
KAPITEL 9
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
c
a
b
Im mittleren Unterarmdrittel unterscheidet man eine dorsale und eine palmare Untereinheit. Im distalen Unterarmbereich, welcher den Handgelenkbereich mit beinhaltet, werden eine dorsale, ulnare, palmare und radiale Subeinheit unterschieden. Im Handbereich können folgende „rekonstruktive Einheiten“ benannt werden: • • • • • •
Handrücken, Hohlhand, 1. Zwischenfingerfalte, 2. bis 4. Kommissur, Daumen und Langfinger.
Abb. 9.2 a–c. Spannungslinien der Haut im Bereich der oberen Extremität. a Palmare Ansicht, b dorsale Ansicht, c axilläre Ansicht
Für diese Einheiten können nach Tubiana (1986) weitere Subeinheiten beschrieben werden. Im Hinblick auf die regionenspezifischen Anforderungen an die Weichteildeckung und die lokalen therapeutischen Möglichkeiten spielt auch die Lokalisation des Defektes eine entscheidende Rolle. Die Haut an der palmaren Seite der Hand unterscheidet sich von jener der dorsalen Seite durch eine hohe mechanische Beanspruchungsfähigkeit und eine ausgezeichnete Sensibilität. Lappenplastiken für die Deckung auf der Palmarseite müssen ausreichend Fettgewebe besitzen, um einerseits ein Gleiten der Beugesehen zu ermöglichen und andererseits in den Greifarealen (Thenar – Hypothenar, Metakarpophalangeal- und Fingerbereich) genügend Abpolsterung zu bieten.
321
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
KAPITEL 9
kraniale Schulterregion
kraniale Schulterregion
Regio scapularis laterale Schulterregion Regio pectoralis
Dorsale Oberarmregion
Ventrale Oberarmregion Ventrale Fläche = fossa cubitalis
Proximales Unterarmdrittel
Mittleres Unterarmdrittel
Distales Unterarmdrittel
Dorsale Fläche
Mediale Fläche Laterale Fläche
Mediale Fläche
Axillarregion
Laterale Fläche
Ventrale Fläche
Dorsale Fläche
Mediale Fläche
Mediale Fläche Dorsale Fläche
Ventrale Fläche Laterale Fläche
Proximales Unterarmdrittel
Mittleres Unterarmdrittel
Distales Unterarmdrittel
Laterale Fläche
c Hohlhand
Daumen
Daumen
1. Kommissur
Handrücken
Hand
Hand 2. - 4. Kommissur Langfinger
a
b
kraniale Schulterregion (Regio supraclavicularis)
laterale Schulterregion (Regio deltoidea)
d
Abb. 9.3 a–d. „Rekonstruktive bzw. funktionelle Einheiten“ im Bereich der oberen Extremität. a Ventrale Ansicht, b dorsale Ansicht, c axilläre Ansicht, d laterale Ansicht (Regio deltoidea)
KAPITEL 9 Tabelle 9.1. Rekonstruktive bzw. funktionelle Einheiten im Bereich der oberen Extremität Schulterbereich 1) Kraniale Schulterregion (Regio supraclavicularis) 2) Laterale Schulterregion (Regio deltoidea) 3) Kaudale Schulterregion (Regio axillaris) Oberarmbereich 1) Ventrale Oberarmregion 2) Dorsale Oberarmregion Unterarmbereich 1) Proximales Unterarmdrittel (inklusive Ellenbogengelenk) Ventrale Ellenbogenregion (Regio cubitalis)
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
An den Fingerkuppen wiederum sollten möglich sensible Lappenplastiken eingesetzt werden, um deren Sinnesfunktion, das Tasten, aufrechtzuerhalten. Am Handrücken sind vor allem Zugspannungen vorhanden. Für eine normale Handfunktion (vollständigen Fingerbewegung und kraftvoller Faustschluss) ist ein relativer Hautüberschuss am Handrücken und im Bereich der Zwischenfingerfalten notwendig. Die Handrückenseite, die soziale Seite der Hand, ist viel mehr exponiert und verlangt daher eher eine ästhetische Deckung. Bezüglich der Lokalisation hat es sich bewährt, monoregionale und polyregionale Hautdefekte im Handbereich zu unterscheiden. Im Hinblick auf die regionenspezifischen Anforderungen an die Weichteildeckung und die lokalen therapeutischen Möglichkeiten spielt auch die Lokalisation des Defektes eine entscheidende Rolle.
Laterale Ellenbogenregion (Epicondylus lateralis) Mediale Ellenbogenregion (Epicondylus medialis) Dorsale Ellenbogenregion (Regio olecrani) 2) Mittleres Unterarmdrittel Palmare Subeinheit Dorsale Subeinheit 3) Distales Unterarmdrittel (inklusive Handgelenk) Palmare Subeinheit Laterale Subeinheit Mediale Subeinheit Dorsale Subeinheit Handbereich 1) Daumen 2) Langfinger
9.1.1.4 Konzept der „Niederresistenzzonen“ im Bereich der oberen Extremität Hinsichtlich der mechanischen Beanspruchung müssen so genannte „Niederresistenzzonen“ im Bereich der oberen Extremität besonders beachtet werden (Abb. 9.4 a,b). Als Niederresistenzzonen werden Regionen beschrieben, in denen der Knochen direkt unter der Haut liegt und nicht von Muskel „abgepolstert“ ist und die größeren mechanischen Belastungen ausgesetzt sind. Selbst bei „ersatzstarkem“ Lager in diesen Regionen sollte hier keine alleinige Spalthauttransplantation zur definitiven Defektdeckung durchgeführt werden. Wegen der geringen Widerstandsfähigkeit der alleinigen Spalthautdeckung und der hohen mechanischen Beanspruchung kommt es in vielen Fällen zur Ausbildung instabiler Narbenverhältnisse.
3) Zwischenfingerfalten 4) Hohlhand 5) Handrücken
9.1.2 Ätiologie Nach der Ätiologie unterscheiden wir akute und chronische Weichteildefekte: Akute Weichteilverletzungen sind zumeist Folge von Rasanztraumen (z. B. Motorradunfälle, Sturz aus großer Höhe), Décollement-Verletzungen, Verbrennungen und Schussverletzungen. Bezüglich der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten stellen die kombinierte Weichteil-Knochen-Schädigung und die Weichteilschädigung im Rahmen eines Polytraumas eine Sonderform dar. Die häufigste Ursache für chronische Weichteildefekte sind chronische Entzündungen (z. B. Osteomyelitiden), die meist als Spätkomplikationen auftreten, Strahlenschäden nach Radiatiotherapie, Endzustände nach postthrombotischem Syndrom, Narben nach multiplen Operationen sowie neurogene Erkrankungen.
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
KAPITEL 9 Spina scapulae Radix spinae
Clavicula Acromion Processus coracoideus Tuberculum maius
Extremitas acromialis claviculae Acromion Tuberculum maius
Tuberculum minus Caput humeri
Margo vertebralis Corpus humeri
Margo ulnaris
Margo ulnaris Margo radialis
Angulus caudalis
Corpus humeri
Margo radialis
Epikondylus radialis Capitulum radii
Epikondylus ulnaris
Epikondylus ulnaris Processus coronoideus
Epikondylus radialis Capitulum radii
Olecranon
Crista dorsalis ulnae Eminentia carpi radialis
Capitulum ulnae
Corpus radii, Margo radialis Processus styloideus radii Tuberositas ossis navicularis Tuberculum ossis trapezii Caput ossis metacarpi I Ossa sesamoidea
Corpus ulnae, Margo ulnaris Os pisiforme Eminentia carpi Hamulus ossis ulnaris hamati
Os metacarpi V
Caput ossis metacarpi V Basis Corpus Margo lateralis Caput
Phalanx proximalis Phalanx proximalis
Basis phalangis distalis
a
Processus styloideus ulnae Os capitatum, Facies dorsalis Os hamatum, Facies ulnaris
Cupula digiti
Phalanx media
Basis Corpus Caput Basis Corpus Caput
Corpus radii, Facies dorsalis Processus styloideus radii Os trapezium, Facies dorsalis
Basis Corpus Caput Phalanx distalis Daktylion
b
Abb. 9.4 a,b. Niederresistenzzonen im Bereich der oberen Extremität. a Ventrale Ansicht, b dorsale Ansicht
9.1.3 Diagnostik Bei der Untersuchung von Patienten mit Defektverletzungen im Bereich der oberen Extremität müssen 2 Situationen unterschieden werden: • die isolierte Defektverletzung und • die Defektverletzung im Rahmen eines Polytraumas.
Für eine möglichst exakte Schadenserfassung dient uns ein „standardisiertes diagnostisches Vorgehen“ (Tabelle 9.2). Im Rahmen eines Polytraumas muss dieses „standardisierte diagnostische Vorgehen“ in ein umfassendes Diagnostik- und Therapieschema bei Polytrauma integriert werden.
KAPITEL 9
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
Tabelle 9.2. Standardisiertes diagnostisches Vorgehen bei Defektverletzungen im Bereich der oberen Extremität Anamnese
Akute Verletzungen Chronische Beschwerden
Klinische Untersuchungen
Inspektion Palpation Perfusion Sensibilität Aktive und passive Gelenkbeweglichkeit Kraft Spezielle manuelle Untersuchungen, z. B. Karpusdiagnostik
Allgemeine apparative Untersuchungen
Röntgen
Spezielle apparative Untersuchungen
Radiologie konventionelle Tomographie CT Arthro-CT MRT Szintigraphie Sonographie Angiographie Neurologie Elektormyographie Nervenleitgeschwindigkeit F-Welle Labor Rheumafaktoren ASL-Titer Arthroskopie
9.1.4 Klassifikation Bei einer klinisch apparenten Weichteilinsuffizienz muss primär überprüft werden, ob eine Gewebedehiszenz (scheinbarer Gewebedefekt) aufgrund der elastischen Eigenschaften des Weichteilgewebes oder eines Gewebeödems (z. B. Kompartmentsyndrom) oder ein wirklicher Gewebeverlust (echter Gewebedefekt) vorliegt. Um das Ausmaß eines echten Gewebedefektes erfassen zu können, unterscheiden wir in: • Defekte die bis auf die Faszie reichen können (Typ ADefekt), • gemischte Haut-Muskel- und andere Weichteildefekte (Typ-B-Defekt) und • kombinierte Weichteil- und Knochendefekte (Typ-CDefekt).
Zur weiteren Klassifizierung der Typ-C-Defekte verwenden wir im Hinblick auf die Wahl der Therapieart (konservativ vs. operativ), die Verfahrenswahl der Osteosynthese (innere Fixierung – Nagel, Platte – vs. äußere Fixierung – Fixateur externe) und das zu erwartende Ergebnis die AO-Klassifikation. Bei den Weichteildefekten (Typ A und B) bestehen 2 Sonderformen: die Verbrennungsverletzungen und die chronischen Druckschädigungen. Für die Klassifikation der Verbrennungsverletzungen wird international die Unterscheidung in erst- bis drittgradige, manchmal auch erst- bis viertgradige Verbrennungen (s. Plastische Chirurgie, Bd. I, Kap. 19) angewendet.
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326
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
9.1.5 Therapie Hautdefekte, die nicht primär verschlossen werden können, isoliert oder in Kombination mit Knochen- und/ oder Sehnen- und/oder Nervendefekten, stellen wegen ihrer unterschiedlichen Ätiologie und Ausprägung ein komplexes diagnostisches und therapeutisches Problem dar. Von einer erfolgreichen Defektdeckung kann heute nur dann gesprochen werden, wenn neben dem primären Wundschluss gleichzeitig mehrere Kriterien erfüllt sind (Tabelle 9.3): Wundschluss bedeutet nur Defektverschluss, nicht Defektdeckung.
KAPITEL 9
Der Wundschluss sollte möglichst frühzeitig durchgeführt werden, um weiteren Gewebeschaden durch Austrocknen und/oder Superinfektion zu vermeiden. Defektdeckung bedeutet Wiederherstellung von Form und Funktion.
Sie sollte so gewählt sein, dass alle Kriterien der erfolgreichen Defektdeckung (vgl. Tabelle 9.3) erfüllt werden können. Um aus der Vielzahl der möglichen Therapieverfahren das für den Patienten optimale herauszufinden, bedarf es einer exakten Beschreibung des vorliegenden Defektes (defektbedingte Faktoren) und der Kenntnis patientenbedingter und therapiebedingter Kriterien (Tabelle 9.4).
Tabelle 9.3. Kriterien der erfolgreichen Defektdeckung Kriterium
Behandlungsziel
Qualität
1) Temporärer Wundschluss
Palliative Indikation Infektprophylaxe Flüssigkeitverlust ↓
Minimal Anforderungen
3) Dauerhafter Wundschluss
Kurative Indikation
Basisanforderungen
4) Funktionelle Wiederherstellung
Wiederherstellung der Funktion, frühe Mobilisation
Standardanforderungen
5) Akzeptables ästhetisches Ergebnis
Körperliche Integrität
6) Möglichst frühzeitige Belastbarkeit im Hinblick auf 5) eine möglichst kurze Immobilisation zur Vermeidung 5) eines Immobilisationsschadens
Soziale Reintegration
7) Möglichst geringe physische und 5) psychischeBelastung des Patienten
Lebensqualität
8) Möglichst geringe Kosten
Kosteneffektivität
2) Kompletter Wundschluss
Maximalanforderungen
Tabelle 9.4. Entscheidungskriterien für die Defektdeckung Defektbedingte Faktoren
Patientenbedingte Faktoren
Therapiebedingte Faktoren
Ätiologie
Akuter Gesundheitszustand
Rekonstruktionsziel
Lokalisation
Allgemeiner Gesundheitszustand (biologisches) Alter Geschlecht Beruf Intelligenz/Compliance sozialer Hintergrund subjektive Wünsche Sonstige
Timing
Typ Haut Weichteil Weichteil + Knochen Wundbeschaffenheit Sonstige
Rekonstruktionstechnik (primärer) Wundschluss (sekundäre) Wundheilung) Hauttransplantation lokale (gestielte) Lappen freie (mikrovaskuläre) Lappen Amputation Sequenz der Defektrekonstruktion Sonstige
KAPITEL 9
Die Möglichkeit der Versorgung von (Weichteil-)Defekten ist abhängig vom Gesamtzustand des Patienten.
Bei der Festsetzung des therapeutischen Vorgehens hat es sich bewährt, 3 Fragen systematisch zu beantworten: • Handelt es sich bei dem Defekt um ein Monotrauma oder einen Defekt im Rahmen eines Polytraumas? • Handelt es sich um einen „scheinbaren“ (Gewebeelastizität) oder „echten“ Gewebedefekt? • Besteht zusätzlich zum Weichteilschaden auch ein Knochendefekt?
9.1.5.1 Defektbedingte Faktoren Die Basis für eine erfolgreiche Therapie liegt in der exakten Beschreibung des vorliegenden Defektes hinsichtlich Ätiologie, Ausmaß (Größe, Tiefe und Qualität des Gewebes), Lokalisation (und die damit verbundenen funktionellen und ästhetische Ansprüche im Defektbereich), Vaskularisation, Innervation und Wundverhältnisse.
9.1.5.2 Patientenbedingte Faktoren Oberstes Ziel bei der Defektdeckung ist nicht der Defekt, sondern der Patient.
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
Zeitpunkt von Defektverschluss bzw. Defektdeckung Schematisch können 3 Zeitpunkte des Wundschlusses oder der Defektdeckung unterschieden werden (Tabelle 9.5). Akute Defektdeckung. Die akute Weichteildefektdeckung nach Polytrauma stellt eine Ausnahmeindikation dar. Im eigenen Patientengut erfolgte eine akute Lappenplastik („emergency flap“) in nur 6,3% der Fälle. Durch die sofortige Weichteildeckung wird ein weiterer Gewebeschaden durch Austrocknung und/oder Superinfektion vermieden. Darüber hinaus besteht keine zusätzliche Patientenbelastung durch mehrmaliges Operieren. Andererseits muss man sich immer vor Augen halten, dass am Unfalltag oder innerhalb der ersten 24 Stunden eine länger dauernde Operation aufgrund des Gesamtzustandes des Patienten nicht möglich oder ratsam ist. Darüber hinaus ist am Unfalltag der posttraumatisch sichtbare Gewebeschaden meist kleiner als der tatsächlich vorliegende – und nach Demarkation sichtbare – Gewebeschaden (Abb. 9.5). Die akute Defektdeckung mit Lappenplastiken am Unfalltag ist deshalb heute nur indiziert: • wenn Gefäße freiliegen, • bei glattrandigen Gewebedefekten mit freiliegenden Nerven, • bei eröffneten Gelenken und/oder deperiostierten Knochenstücken und • wenn mit Hilfe von intakten Anteilen die Deckung von nicht mehr zu rekonstruierenden Körperabschnitten möglich ist.
Bei der Festsetzung des Therapieverfahrens und der damit verbundenen Nachbehandlung sind eine Reihe patientenabhängiger Faktoren wie allgemeiner Gesundheitszustand, biologisches Alter, Geschlecht, Intelligenz, Akzeptanz, subjektive Wünsche sowie das soziale Umfeld zu bedenken. Bei unmotivierten Patienten mit geringer Compliance können aufwändige Verfahren mit anspruchvoller postoperativer Nachbehandlung (Hautexpander, Weichteildistraktion) trotz einwandfreier Indikation und Operationstechnik zu einem sehr unbefriedigenden Ergebnis führen.
Verzögert akute Defektdeckung („urgence différée“). Die verzögert akute Weichteildeckung oder „urgence différée“ nach Iselin 24–72 Stunden nach Trauma, manchmal auch bis zum 5. bis 7. postoperativen Tag (bei schlechtem Allgemeinzustand des Patienten), erscheint als das Vorgehen der Wahl. Bis zu 72 Stunden nach Trauma besteht keine signifikant erhöhte Infektionsgefahr bzw. das Risiko einer Ergebnisverschlechterung. Darüber hinaus kann der tatsächliche Gewebedefekt nach Demarkation zuverlässiger bestimmt werden.
9.1.5.3 Therapiebedingte Faktoren
Tabelle 9.5. Zeitpunkte der Defektdeckung
Unter der Bezeichnung therapiebedingter Faktoren werden eine Reihe von Überlegungen zusammengefasst, wie die unterschiedlichen Zeitpunkte der Defektdeckung, die verschiedenen Möglichkeiten der Hautdefektdeckung, die Abwägung zwischen Vorteil im Empfängergebiet und Spendergebiet, die Erfahrungen des Operateurs und die zur Verfügung stehenden instrumentellen Möglichkeiten.
•
Akute Weichteildeckung (<6–24 h)
•
Verzögert akute Weichteildeckung (<24–72 h) („urgence différée“)
•
Sekundäre Weichteildeckung (>3 Wochen)
•
Sonderform: Weichteildeckung im Rahmen eines Polytraumas
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
Klinisch apparenter Defekt direkt posttraumatisch Tatsächlicher Defekt nach Demarkation
KAPITEL 9
werden können. Vor allem mit Muskellappenplastiken kann die Durchblutung (Vaskularität) im Empfängergebiet verbessert werden. Durch den vermehrten Transport von sauerstoffreichem Blut und einer besseren körpereigenen Infektabwehr im Defektbereich wird aus einem ersatzunfähigen oder ersatzschwachen Lager ein ersatzstarkes. Dies ist vor allem im Hinblick auf weitere rekonstruktive Eingriffe am Knochen und an Sehnen und Nerven bedeutsam. Nach Tumorresektion mit temporärem Wundschluss erfolgt bei einigen Tumoren die definitive Defektdeckung erst nach Vorliegen des endgültigen histologischen Befundes. Zeitpunkt der Weichteildeckung bzw. -rekonstruktion beim Polytrauma. Für die Defektdeckung im Rahmen eines Polytraumas müssen zusätzliche Gesichtspunkte beachtet werden. Indikationen zu Frühoperationen innerhalb der ersten 6 Stunden („akute Versorgung“) sind:
• Frakturen mit begleitender Gefäßverletzung, • subtotale und totale Amputationsverletzungen (Hannover-Polytrauma-Score <3) sowie • zweit- bis drittgradige offene und geschlossene Frakturen (die „akute Versorgung“ bezieht sich auf die knöcherne Stabilisierung, die definitive Weichteildeckung erfolgt wie die übrigen Verletzungen in der Regel im Rahmen der funktionserhaltenden und -wiederherstellenden Spätoperationen innerhalb der beiden ersten Wochen). Abb. 9.5. Unterschied in der Ausdehnung des Weichteil schadens direkt posttraumatisch und nach Demarkation
Indikationen für dieses Vorgehen sind initiale unklare Ausdehnung der Weichteilschädigung und kontaminierte großflächige Wunden. Nach ausgedehntem Débridement erfolgt der primäre Wundschluss mit Hilfe einer temporären Deckung („vacuum-assisted closure“/VAC, künstliche Hautersatzstoffe oder dünne Spalthaut als „physiologischer Verband“). 24–72 Stunden später kann evtl. nach weiterem Débridement die definitive Defektdeckung erfolgen (Abb. 9.6 a–d). Sekundäre Defektdeckung. Die sekundäre oder späte Weichteildeckung wird bei der Infektsanierung, bei Weichteilsanierung zur Vorbereitung für weitere Operationen und teilweise in der Tumorchirurgie angewendet. Die definitive Weichteildeckung bei chronischen Infekten erfolgt erst nach erfolgreicher Therapie des Entzündungsherdes. Tierexperimentelle und klinische Studien konnten aber zeigen, dass durch Einbringen von gut vaskularisiertem Gewebe Infektzustände erfolgreich behandelt
Zeitpunkt der Versorgung einer mitbestehenden Knochen- und/oder Sehnen- und/oder Nervenverletzung. Wenn immer möglich sollten alle geschädigten Strukturen (Haut, Muskel, Sehnen, Nerven) einzeitig definitiv versorgt werden, wobei nach der Hautdeckung Muskel- und Sehnenverletzungen und schließlich Nervenverletzungen versorgt werden.
Bei komplexen Weichteildefekten ist oft ist eine einzeitige Wiederherstellung aller Weichteilstrukturen („Konzept der Einzeitigkeit“ oder „single stage reconstruction“) nicht möglich. Nach initialem Hautschluss erfolgt die mehrzeitige Rekonstruktion („Konzept der Mehrzeitigkeit“ oder „multiple stage reconstruction“) frühestens nach 6–12 Wochen. Vor allem im Extremitätenbereich ist auf eine möglichst freie passive (und aktive) Gelenkbeweglichkeit vor rekonstruktiven Eingriffen zu achten. Die Wiederherstellung bei Knochendefektzuständen kann entweder gleichzeitig mit der Weichteilsanierung und nach Weichteilsanierung erfolgen. Knochenverletzungen. Stabile knöcherne Verhältnisse sind unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
329
a
b
c
d Abb. 9.6 a–d. Akut verzögerte Deckung eines Typ-C-Defektes im distalen Unterarmbereich nach Verbrennung (PHW MH Hannover). a Klinischer Aspekt nach Kompartmentspaltung. b Klinischer Aspekt nach Erstoperation (temporäre Defekt-
deckung mit Epigard). c Klinischer Aspekt nach Débridement und definitiver Defektdeckung mit einem freien A.-radialisLappen von der Gegenseite nach 72 Stunden. d Klinischer Aspekt ein Jahr nach Trauma: Faustschluss
Weichteildeckung. Liegt eine Fraktur vor, muss sie stabilisiert werden, um die notwendige mechanische Stabilität zu erreichen und einen weiteren Weichteilschaden zu vermeiden. Die Methode der Frakturbehandlung wird dabei bestimmt durch Ausmaß, Lokalisation sowie die beabsichtigte Therapie des Weichteil- und Knochenschadens (Teamwork). Luxationen und stärkere Dislokationen sollten so schnell wie möglich (bereits am Unfallort) beseitigt werden und instabile Frakturen provisorisch geschient werden, um den Weichteilschaden und die eventuellen Durchblutungsstörungen zu begrenzen. Falls keine Frühoperationen erforderlich sind oder aktuell wegen des Allgemeinzustandes des Patienten nicht durchgeführt werden können, müssen alle konservativen Stabilisierungsmaßnahmen so durchgeführt werden, als handle es sich um die definitive Versorgung. Bei fehlender oder geringer Weichteilschädigung und einfachen Frakturformen ohne Kontinuitätsdefekt kann die definitive Versorgung am Unfalltag durchgeführt werden. Bei unklarer oder ausgedehnter Weichteilschädigung bei Frakturen und Kontinuitätsdefekten, hat sich ein abgestuftes Verfahren der Osteosynthese bewährt. Am Unfall-
tag wird die Knochenverletzung mit einem Fixateur externe gestellt. Dieses Verfahren erlaubt eine angemessene Stabilität des Knochens und einen guten Zugang für die Diagnostik und Therapie eines mit bestehenden Weichteilschadens. Zeitpunkt und Art der definitiven osteosynthetischen Versorgung sind hauptsächlich abhängig von: • dem Ausmaß der Weichteilschädigung nach Demarkation, • dem Ausmaß des Knochenschadens, • der Infektsituation, • der Defektlokalisation (Oberarm vs. Unterarm vs. Hand). Sehnenverletzungen. Bei einer mit bestehenden Sehnenverletzung sollte, wenn möglich, immer eine primäre Sehnennaht angestrebt werden. Liegt ein Substanzdefekt vor, muss kontrolliert werden, ob ein adäquates Sehnengleitlager besteht. Bei guter Hautdeckung kann eine primäre Sehnenrekonstruktion mit Sehnen- und/oder Faszientransplantaten durchgeführt werden. Liegt kein adäquates Sehnenlager vor, empfiehlt sich eine zweizeitige Sehnenrekonstruktion mit Einbringen eines Silikonstabes frühestens 3 Wochen nach Wundschluss.
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
Nervenverletzung. Liegt neben dem Hautdefekt auch eine Nervenverletzung vor, muss geprüft werden, ob ein Nervendefekt besteht. Nervenläsionen ohne Substanzdefekte sollten so früh wie möglich versorgt werden, da die frühe spannungsfreie Primärkoaptation die besten funktionellen Ergebnisse erbringt. Jede primäre Koaptation durch Naht muss innerhalb der ersten 3–6 postoperativen Monate engmaschig kontrolliert werden. Bleibt die Nervenregeneration aus oder stehen, ist spätestens 6 Monate nach primärer Versorgung eine Revision mit Resektion und Nerventransplantation notwendig.
Kann eine spannungsfreie Primärnaht nicht durchgeführt werden, ist eine Nerventransplantation erforderlich. Bei „ersatzstarkem“ Lager kann zum Zeitpunkt der Primärversorgung dann eine Nerventransplantation erfolgen, wenn gutes Transplantatmaterial z. B. aus Amputatteilen verwendet werden kann. In allen anderen Fällen erfolgt die früh-sekundäre Nerventransplantation nach erfolgter Hautsanierung 3–6 Monate nach Verletzung. Bei gleichzeitigem Nerven- und Sehnendefekt ist der Sehnenrekonstruktion der Vorrang zu geben. Sehnendefekte werden meist so früh wie möglich dynamisch nachbehandelt. Die Nervenrekonstruktion muss für 10 Tage immobilisiert werden. Die Nervendefektrekonstruktion erfolgt in diesen Fällen früh-sekundär.
Möglichkeiten der Defektdeckung Bei der Rekonstruktion von Verletzungen des Hautmantels müssen die temporäre Defektdeckung und der definitive Defektverschluss unterschieden werden. Für die Deckung eines scheinbaren oder echten Weichteildefektes stehen • die sekundäre Wundheilung, • der primäre oder sekundäre direkte Wundschluss, • die einfache Hauttransplantation (Spalthaut, Vollhaut, „mesh-graft“), • die Lokal- und Fernlappenplastiken, sowie in Extremfällen • die Amputation zur Verfügung (Tabelle 9.6). Sekundäre Wundheilung. Die (kontrollierte) sekundäre Wundheilung oder Spontanheilung ist das Ergebnis nicht zu trennender histomorphologischer, biochemischer und bakteriologischer Vorgänge, die zu einer Kontraktur der Wundränder und zu einer Epithelialisierung der Wundgranulation führen. Abhängig von der Defektgröße entsteht eine breitere Narbe oder eine Narbenplatte. Deshalb ist die sekundäre Wundheilung an der oberen Extremität nur als Therapie der letzen Wahl anzusehen. An mecha-
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nisch exponierten Stellen können hierdurch instabile Narben entstehen. Bei jahrzehntelangem Bestehen sind maligne Entartungen (vor allem spinozelluläres Karzinom) in 2–12% der Fälle beschrieben. Die (kontrollierte) sekundäre Wundheilung oder Spontanheilung sollte im Handbereich nur bei Fingerkuppendefekten ohne Knochenexposition (Zone I) und bei scheinbaren Hautdefekten parallel zu den Hohlhandfurchen („open-palm technique“ nach McCash) eingesetzt werden. Die sekundäre Wundheilung verlangt ein phasengerechtes aktives therapeutisches Handeln.
Eine Sonderform der lokalen unterstützenden konservativen Therapie stellt die Technik der Vakuumversiegelung („vacuum-assisted closure“/VAC) dar. Durch die Entwicklung leistungsfähiger und gut transportabler Pumpen hat diese Technik (Abb. 9.7 a–e) in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Aufgrund der Optimierung des Wundmilieus durch Wundsäuberung kommt es zu einer Beschleunigung der spontanen Regenerationsprozesse, was vor allem bei länger bestehenden und chronischen Wunden (z. B. Dekubitalulzera) zu einem signifikant schnelleren Wundschluss führt. Primärer oder sekundärer direkter Wundverschluss. Ein direkter Wundschluss kann entweder durch ein- oder mehrzeitige (serielle Wundverkleinerung) Wundrandmobilisierung oder einen kontinuierlichen Zug mit Hilfe einer so genannten dynamischen Naht erreicht werden. Beim direkten Wundschluss muss zur Vermeidung vaskulär bedingter Wundheilungsstörungen (Akutkomplikation) und zur Vermeidung einer breiten sichtbaren Narbe (Spätkomplikation) die Spannung im Narbenbereich akut und für mindestens 3 Monate postoperativ gering gehalten werden. Die „dynamische Hautnaht“ oder Hautdistraktionsverfahren stellen eine Sonderform des primären oder sekundär direkten Wundverschlusses dar. Hauttransplantation. Die Hauttransplantation muss als unterstützende Maßnahme der Epithelialisierung des Wundgrundes verstanden werden. Abhängig von der Transplantatdicke wird neben der Epithelschicht auch unterschiedlich viel Dermis verpflanzt, woraus sich die unterschiedlichen funktionellen (Belastbarkeit, Sensibilität) und ästhetischen Eigenschaften von Spalt- und Vollhauttransplantaten erklären. Generell gilt, je dicker das Hauttransplantat ist, desto schwieriger ist seine Neovaskularisation durch das Empfängerlager, desto größer ist seine mechanische Belastbarkeit, besser seine Sensibilität und geringer seine sekundäre Schrumpfungsneigung.
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
Tabelle 9.6. Möglichkeiten der Weichteildefektdeckung Sekundäre Wundheilung Spontan Unterstützt (Sonderform: „Vakuumversiegelung“) Primärer oder sekundärer direkter Wundschluss Einzeitig (Wundrandmobilisation) Mehrzeitig (serieller Wundschluss; Sonderform: „dynamische Hautnaht“) Hauttransplantation (Vollhaut, Spalthaut, Mesh-graft) Einfache (Sonderform: Auflegen von kultivierten Keratinozyten in Sheet-Form; allogener und heterologer Dermisersatz) Kombiniert nach lagerverbessernden konservativen und/oder operativen Maßnahmen Lappenplastiken (Haut, fasziokutan, Faszien, Muskel, Mehrkomponentenlappenplastik) Defektangrenzende lokale Lappenplastiken Translationslappenplastiken (Sonderform: Auftauschlappenplastik) Transpositionslappenplastik Rotationslappenplastik Dehnungslappenplastik (Sonderform: Hautexpansion, progressive Hautdistraktion) Nichtdefektangrenzende Lappenplastiken Nahlappenplastiken (gestielte Lappenplastiken aus der weiteren Umgebung) direkte Nahlappenplastiken Vaskularisation („random pattern“ vs. „axial pattern flaps“) Verlagerungstechnik (Transplantation vs. Crane-flap-Technik) Lappendicke (Hautlappen oder fasziokutane Lappen vs. Lambeau-greffe) Insellappenplastiken („axial pattern flaps“) Fernlappenplastiken Direkte temporär hautgestielte Fernlappenplastiken aus entfernten Körperregionen Vaskularisation („random pattern“ vs. „axial pattern flaps“) Lappendesign (ausgedehnte Lappen, Rundstiellappen, kombinierte Lappen) Verlagerungstechnik (Transplantation vs. Crane-flap-Technik) Lappendicke (Hautlappen oder fasziokutane Lappen vs. Lambeau-greffe) Freie mikrovaskuläre Lappenplastiken Traditionelle mikrochirurgische Lappenplastiken Venöse mikrochirurgische Lappenplastiken Präformierte mikrochirurgische Lappenplastiken „Lappenvorbereitung in situ“ („pretransfer delay or expansion“) „Lappenbildung in situ“ („pretransfer grafting“) „Implantation eines arteriovenösen Gefäßstiels“ („vascular induction of flaps“) Amputation (Sonderform: gestielte oder freie mikrovaskuläre Lappenplastiken aus Amputatteilen zur Stumpfverbesserung)
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Abb. 9.7 a–e. Deckung eines Hautdefektes nach Phlegmone bei Drogenabusus. a Klinischer Aspekt bei Aufnahme in die Klinik. b Klinischer Aspekt nach initialem Débridement. c Klinischer Aspekt nach Applikation der VAC-Einheit. d Klinischer Aspekt nach Wundkonditionierung mit VAC-Einheit. e Klinischer Aspekt nach Spalthauttransplantation
e
Bei noch wachsendem Handskelett sollten, wenn möglich, immer Vollhauttransplantate eingesetzt werden. Ebenso sind Vollhauttransplantate die Therapie der 1. Wahl bei palmaren Handdefekten. Spalthauttransplantate sind indiziert bei dorsalen Handdefekten und als Therapie der 2. Wahl im Palmarbereich (dicke Spalthaut > mitteldicke Spalthaut). Sonderformen der freien Hauttransplantation sind die „Mesh-graft-Transplantation“, das „composite graft“, die „Keratinozyten-sheat-Transplantation“ und die Transplantation von bioartifiziellen künstlichen Hautäquivalenten (s. auch Plastische Chirurgie, Bd. I, Kap. 7). Durch maschinelles Zuschneiden eines Spalthauttransplantats lässt sich dieses netzartig (Mesh-graft, 1:1,5
bis 1:6) aufdehnen. Mesh-graft-Transplantate sind indiziert, wenn viel Sekretfluss (geringe Restinfektion) zu erwarten ist oder zu wenig Haut zur Deckung zur Verfügung steht. Durch ihre gitterartige Struktur heilen Mesh-graftTransplantate schlechter an als die normalen Spalthauttransplantate in „Sheet-Form“. Funktionell gesehen sind sie auch weniger belastbar als die ungemeshten Spalthauttransplantate. Wegen des schlechten ästhetischen Ergebnisses sind Mesh-graftTransplantate an der Hand nur ausnahmsweise indiziert.
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d Abb. 9.8 a–d. Deckung des partiellen Epitheldefektes nach Öffnen einer Coccon-Handdeformität bei einer 15-jährigen Patientin mit dystrophischer Epidermolysis bullosa. a Präoperativer klinischer Befund. b Intraoperativer Befund nach
Öffnen der Coccon-Handdeformität. c Intraoperativer Befund nach Auflage von kultivierten Keratinozyten. d Klinischer Aspekt nach kompletter Epithelialisation
Ist nur eine Epithelialisierung das Therapieziel, können alternativ auch kultivierte Keratinozyten in „Sheat-Form“ aufgelegt werden (Abb. 9.8 a–d). Nur bei der Vollhauttransplantation erfolgt mit dem Epithelersatz auch ein Dermisersatz. Will man bei großflächigen tiefen Hautdefekten (z. B. drittgradige Verbrennung, posttraumatische Defekte) auch die fehlende Dermis ersetzen, müssen vor der Spalthauttransplantation (meist als Mesh-graft oder Gittertransplantate) entweder heterologe Leichenhaut oder künstliche Dermisersatzstoffe (z. B. Integra oder Alloderm) eingebracht werden (Abb. 9.9 a–f).
Zur Bewertung der Sicherheit der gewählten Lappenplastik wird eine sich auf die Vaskularisation beziehende Subklassifikation („random pattern“ vs. „axial pattern“) benutzt, wobei kein Unterschied hinsichtlich verschiedener Gewebearten (Hautlappen, fasziokutaner Lappen, Faszienlappen, Muskellappen, Mehrkomponentenlappen) besteht.
Nah- (Lokal-) und Fernlappenplastiken. Für den klinischen Gebrauch hat sich eine primäre Einteilung der Lappenplastiken in defektangrenzend und nichtdefektangrenzend bewährt.
Defektangrenzende Lappenplastiken. Defektangrenzende gestielte Lappenplastiken aus der unmittelbaren Umgebung behalten einen Teil ihrer Vaskularisation und Innervation über eine permanente Gewebebrücke, die als Stiel bezeichnet wird. Nach Art der Verlagerung werden unterschieden:
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f Abb. 9.9 a–f. Deckung eines Vollhautdefektes nach Verbrennung im Unterarmbereich bei einem 33-jährigen Patienten (Fundus PHW Hannover). a Lokaler Befund linker Unterarm. b Zustand nach Nekrektomie. c Zustand nach Aufbringen
von Integra als künstlichem Dermisersatz und sekundärer Spalthautdeckung („Mesh-graft-Technik“). d 5 Monate später. e,f Funktionsergebnis nach einem Jahr
• Translationslappenplastiken (Sonderform: Z-Plastik als Austauschplastik), • Transpositionslappenplastiken, • Rotationslappenplastiken und • Dehnungslappenplastiken.
Die Hautexpansion ist im Ober- und Unterarmbereich vor allem zur Therapie von flächigen Narben nach Verbrennung und Verbrühung indiziert. Es handelt sich immer um ein mehrzeitiges Verfahren mit mindestens 2 Operationen. Für eine möglichst komplikationsarme Hautexpansion muss eine ausreichende Patienten-Compliance und ärztliche Erfahrung mit Expandern vorliegen. Die Patienten sollten immer über einen Behandlungszeitraum von 6–12 Wochen (abhängig von der Größe des zu ersetzenden Areals) aufgeklärt werden (Abb. 9.10 a–e). Hautexpansion und die kontinuierliche Hautdistraktion werden nur ausnahmsweise eingesetzt. Die kontinuierliche Hautdistraktion kann bei der Vorbereitung für eine Trennung einer kompletten kutanen Syndaktylie im
Sonderformen der der defektangrenzenden Nahlappenplastiken sind die Hautexpansion und die kontinuierliche Hautdistraktion. Dem Vorteil der nur geringen Spen dermorbidität sowie einer möglichst ähnlichen Hautfarbe- und textur stehen eine lange Therapiedauer (mindestens 3 Monate) sowie ein erhöhtes Infektions- und Komplikationsrisiko im Extremitätenbereich (20–50%) gegenüber.
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Abb. 9.10 a–e. Entfernung eines Narbenareals im proximalen Unterarmbereich mit Hilfe eines Hautexpanders. a Klinischer Aspekt präoperativ. b Klinischer Aspekt intraoperativ mit Einbringung des Expanders. c Klinischer Aspekt intraoperativ nach Expanderentfernung. d Klinischer Aspekt intraoperativ nach Hautverschiebung und Defektdeckung. e Klinischer Aspekt ein Jahr postoperativ
Fingerbereich eingesetzt werden. Durch die Präexpansion der Haut ist der Hautschluss im Fingerbereich ohne Vollhauttransplantate möglich, im Kommissurenbereich werden nur noch kleine Transplantate benötigt. Nichtdefektangrenzende Lappenplastiken. Nichtdefektangrenzende gestielte Lappenplastiken aus der weiteren Umgebung haben keinen direkten Kontakt zum Defekt und werden entweder aus der gleichen (Nahlappenplastik) oder einer entfernten (Fernlappenplastik) Körperregion (Extremität, Kopf/Hals, Thorax, Rücken, Leiste) entnommen. Abhängig von der Gefäßersorgung unterscheidet man bei den Nahlappenplastiken die klassischen Nahlappenplastiken („random pattern flaps“) und die Insellappenplastiken („axial pattern flaps“).
e
Die direkten temporär hautgestielten Fernlappenplastiken sind wie die klassischen Nahlappenplastiken auf eine Neovaskularisierung und Neoinnervierung aus dem Empfängergebiet angewiesen. Sie können eingeteilt werden nach: • Vaskularisation („random pattern“ vs. „axial pattern flaps“), • Lappendesign (ausgedehnte Lappen, Rundstiellappen, kombinierte Lappen), • Verlagerungstechnik (Transplantation vs. „Crane-flapTechnik“ nach Millard) und • Lappendicke (Hautlappen oder fasziokutane Lappen vs. „Lambeau-greffe“ nach Colson).
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
Da die axial-gestielte Insellappenplastik ihre eigene Blutver- und -endsorgung mitbringt, ist sie nicht mehr auf eine Neovaskularisation aus dem Empfängerlager angewiesen. Ihre eigene Blutversorgung reicht sogar aus, um das Empfängerlager von sich aus zu vaskularisieren. Je nachdem, ob die Gefäßersorgung erhalten bleibt oder durchtrennt und im Empfängergebiet mikrochirurgisch reanastomosiert wird, spricht man von einer gestielten oder freien mikrochirurgischen Lappenplastik. Folgende Sonderformen der mikrochirurgischen Lappenplastiken können weiter unterschieden werden: Durch zusätzliche mikrochirurgische Nervenkoaptation kann Sensibilität im Lappenbereich wiederhergestellt werden. Die Qualität der Sensibilität ist neben allgemeinen Faktoren (biologisches Alter, Allgemeinzustand, chronische Erkrankungen usw.) und therapiebedingten Faktoren (Operationstechnik und Qualität der Nachbehandlung) vor allem vom Spendernerv (Art und Anzahl der Axone) abhängig. Wird nach freier mikrovaskulärer Muskeltransplantation der Muskelnerv an einen geeigneten Empfängernerv angeschlossen, kann eine Muskelkontraktion erreicht werden. Eine weitere Sonderform der mikrochirurgischen Lappenplastiken stellen die so genannten venösen Lappenplastiken dar. Durch einen oder mehrere vorbereitende Eingriffe können die so genannten präformierten Lappenplastiken entsprechend den regionalen Anforderungen geschaffen bzw. besser angepasst werden. Nach Khouri et al. (1992) unterscheidet man • die klassische Lappenvorbereitung in situ, • die Lappenbildung in situ („pretransfer grafting“) und • die Implantation eines Gefäßstieles in einen Gewebeblock („vascular induction of flaps“) mit dem Ziel, diesen sekundär an diesem Stiel vaskularisiert mikrochirurgisch zu transplantieren.
Vorteil im Empfängergebiet vs. Spendergebietmorbidität Neben dem angestrebten funktionellen und ästhetischen Ergebnis (Beachtung der funktionellen Hauteinheiten und des Spaltlinienverlaufs) im Empfängergebiet muss eine Beeinträchtigung im Spendergebiet (Spendergebietmorbidität) abgewogen werden. Kommen verschiedene Entnahmestellen infrage, wird man die optisch exponierten Bereiche vermeiden und im Allgemeinen bedeckte Körperareale bevorzugen. Die Auswahl der Lappenplastik unterliegt daher bei der Frau etwas anderen Kriterien als beim Mann. Auch vorbestehende Narben können die Auswahl der Lappenplastik entscheidend be-
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einflussen. Bei großflächigen Verbrennungsnarben müssen ggf., nur mit wenigen Ausnahmen (Gesicht, Hand, Fußsohle), bei Bedarf alle zugänglichen Entnahmestellen gewählt werden. Ebenso muss die Beweglichkeit aller Gelenke an einer verletzten Extremität berücksichtigt werden. Ein eingesteiftes Gelenk kann die Auswahl der Entnahmestelle einschränken oder sogar eine Kontraindikation für eine gestielte Fernlappenplastik (z. B. Leistenlappen, „Cross-arm-Lappenplastik“) darstellen.
9.1.5.4 Postoperative Maßnahmen und Begleittherapie Die Ruhigstellung muss auf angepassten Schienen erfolgen. Nur von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen stellt die Intrinsic-plus-Stellung im Handbereich das Vorgehen der Wahl dar. Schienen dürfen nicht drücken, da neben lokalen Druckschäden auch „systemische“ algodystrophische Reaktionen ausgelöst werden können. Bei Beschwerden muss die Schiene sofort korrigiert werden. Im Folgenden muss kontrolliert werden, ob die Beschwerden völlig verschwunden sind. Es gilt der Leitsatz: „Der Patient, der über seine Schiene klagt, hat immer Recht!“
Schlingen für die obere Extremität sind obsolet, da neben einer Schonhaltung mit Immobilisationsschaden oft auch eine Lymphstauung durch Einschnürung zu sehen ist. Wenn die obere Extremität ruhiggestellt werden muss, dann sollte dies in einem Dreiecktuch oder einem Gilchrist-Verband so kurz wie möglich erfolgen, um keinen zusätzlichen Immobilisationsschaden im Schulterbereich zu provozieren. Zu einer effektiven Ödemtherapie gehört neben der konsequenten Lagerung auch eine systemische Therapie mit nichtsteroidalen Antirheumatika. Bei Lappenplastiken sollte kein Eis zur Kühlung verwendet werden, da hierdurch die Mikrozirkulation signifikant verschlechtert wird. Wenn immer möglich, sollte die Hand nur so kurz wie möglich immobilisiert werden. Die Physiotherapie stellt einen integralen Bestandteil der Behandlung bei Defektrekonstruktionen dar. Nur durch eine rechzeitig einsetzende und konsequent durchgeführte physiotherapeutische Begleittherapie kann ein optimales Therapieergebnis erreicht werden.
Physiotherapeutische Maßnahmen gehören zum Gesamtbehandlungsplan. Die Physiotherapie ist sowohl in der Lage, antiphlogistisch und schmerzlindernd zu wirken, als auch unentbehrlich, wenn es darum geht, die funktionelle Leistungsfähigkeit des betroffenen Extremi-
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tätenabschnitts in Bewegung, Kraft, Ausdauer zu erhalten, zu verbessern oder wiederherzustellen. Um aus der Vielzahl der möglichen physiotherapeutischen Maßnahmen die für den Patienten geeignete herauszusuchen, bedarf es einer genauen Kenntnis des Schadensausmaßes und der durchgeführten Operation. Daher ist die kontinuierliche Kommunikation zwischen dem Operateur und dem Physiotherapeuten von großer Bedeutung. Zum besseren Verständnis wie auch zur objektiven Ergebnisauswertung hat sich eine einheitliche Befunddokumentation bewährt. Physiotherapeutische Maßnahmen können vorbereitend, präoperativ und/oder nachsorgend postoperativ eingesetzt werden. So sind freie passive Gelenkbeweglichkeit, ausreichende präoperative Muskelkraft und ausreichende Gleitkapazität der Sehnen absolute Voraussetzungen für jede Muskel-Sehnen-Transplantation. Postoperativ können durch den Einsatz begleitender Maßnahmen z. B. Schwellneigungen und Schmerz deutlich verringert werden, wodurch eine effiziente früh zeitige Beübung möglich wird, die wiederum einer Gelenkeinsteifung vorbeugt und zu einer deutlichen Verbesserung der Gelenkknorpelversorgung führt. Die physiotherapeutische Begleittherapie sollte spätestens am 8. bis 10. Tag beginnen und bis zum Erreichen der Endfunktion konsequent (d. h. mehrmals täglich) fortgesetzt werden.
9.1.6 Komplikationen Für die Bewertung der Komplikationen ist es wichtig, den Ausgangsbefund des Defektes als Bewertungsgrundlage mit einzubeziehen.
Zu den akuten Komplikationen zählt der partielle oder komplette Gewebeuntergang. Bei gestielten Lappenplastiken wird ein partieller oder kompletter Lappenverlust in 5–22% der Fälle angegeben. Bei freien Lappenplastiken ist mit einer Verlustrate von 2–7% zu rechnen. Von einer „inadäquaten Deckung“ spricht man dann, wenn eines oder mehrere Therapieziele der Defektdeckung nicht erreicht werden. Der häufigste Fehler besteht in der Unterschätzung des zu deckenden Defektes. Bei der Kalkulation der zu deckenden Oberfläche müssen die Lappendicke und eine mögliche konvexe Oberflächenkrümmung unbedingt berücksichtigt werden, da die Größe der zu entnehmenden Lappenplastik mit zunehmender Lappendicke und Oberflächenkrümmung überproportional ansteigt.
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
9.2 Spezielle Techniken 9.2.1 Haut- (Typ-A-) und Weichteil- (Typ-B-) Defekte 9.2.1.1 Schulter- und Oberarmbereich Kraniale und laterale Schulterregion Mittelgroße Defekte im Bereich der vorderen und seitlichen Schulterregion können mit einem proximal gestielten lateralen Oberarminsellappen gedeckt werden. Für Defekte im Bereich der posterioren Schulterregion hat sich der gestielte Skapula- bzw. Paraskapulalappen, um 90–180° gedreht, bewährt (Abb. 9.11 a–h). Für ausgedehnte Defekte in der lateralen Schulterregion stellt der gestielte Latissimus-dorsi-Lappen die Therapie der 1. Wahl dar (Abb. 9.12 a–g, Tabelle 9.7).
Axilla Die Axilla hat die Form einer Pyramide. Ihre Begrenzung erfolgt durch eine ventrale (M. pectoralis major) und eine dorsale (Mm. latissimus dorsi/teres major) sowie eine mediale (laterale Thoraxwand) und eine laterale (mediale Fläche des proximalen Oberarms) Fläche. Die Basis hat die Form einer Raute. Defekte im Bereich der Axilla sind meist bedingt durch Entzündungen (Hidradenitis suppurativa), Verbrennungen (postkombustale Kontrakturen), Operationen und Bestrahlung (chronischer Strahlenschaden). Spalthaut ist eher komplikationsanfällig. Kleine bis mittlere Defekte, die maximal die Ausdehnung der Axillabasis zeigen, können mit einem LimbergLappen gut versorgt werden. Die Lappenplanung bedarf bei der Frau einiger Vorsicht, um nicht die Symmetrie im Brustbereich zu beeinträchtigen (Abb. 9.13 a–d, vgl. Tabelle 9.7). Für die Deckung von Defekten, die über die Grenzen der Axilla hinausgehen, stehen mehrere Lappenplastiken zur Verfügung: Skapulalappen, Paraskapulalappen, posteriorer Oberarmlappen und gestielter Latissimus-dorsiLappen. Alle Lappen besitzen eine dünne, elastische Haut. Aufgrund des geringeren Spenderdefektes (horizontale Narbe kann unter dem Büstenhalter versteckt werden) stellt der Skapulalappen die Therapie der 1. Wahl dar (Abb. 9.14 a–e, vgl. Tabelle 9.7). Der posteriore Oberarmlappen sollte bei einer sehr dicken Subkutanschicht nicht eingesetzt werden. Wegen seines sichtbaren Spenderdefektes sollte der posteriore Oberarmlappen nur dann eingesetzt werden, wenn beide Lappen aus dem A.-circumflexa-scapulae-System nicht verwendet werden können.
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R. horizontalis A. circumflexa scapulae M. teres minor
d
M. triceps brachii, Caput longum
c
M. teres maior
R. descendens
Abb. 9.11 a–h. Deckung eines Gewebedefektes im Bereich der kranialen Schulterregion (Regio supraclavicularis) nach Resektion eines Dermatofibrosarcoma protuberans. a Klinischer Aspekt vor Tumorresektion. b Klinischer Aspekt nach Tumorresektion. c Lappenplanung. d Klinischer Aspekt am Ende der Operation
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Abb. 9.11 a–h. Deckung eines Gewebedefektes im Bereich der kranialen Schulterregion (Regio supraclavicularis) nach Resektion eines Dermatofibrosarcoma protuberans. e–g Klinischer Aspekt 6 Monate postoperativ: e Ansicht von ventral, f Ansicht von lateral, g Ansicht von dorsal. h Funktion 6 Monate postoperativ: Abduktion
e, f
g, h
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Abb. 9.12 a–g. Deckung eines Gewebedefektes im Bereich der Regio deltoidea mit Hilfe einer myokutanen gestielten TAP (thoracodorsal artery perforator) – Lappenplastik. a Klinischer Aspekt intraoperativ: Ansicht von ventrokranial. b Schema: Radius der gestielten (myokutanen) Latissimus-dorsi-Transposition: Ansicht von ventrolateral. c Schema: Radius der gestielten (myokutanen) Latissimus-dorsiTransposition: Ansicht von dorsolateral
a
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c
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d
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f
g Abb. 9.12 a–g. Deckung eines Gewebedefektes im Bereich der Regio deltoidea mit Hilfe einer thoracodorsal perforator Lappenplastik (TAP flap). d Intraoperativ nach Tunnelierung des Lappens nach ventral. e Intraoperativ nach Einnähen der
Lappenplastik. f 3 Monate postoperativ: Ansicht von anterolateral. g Funktion 6 Monate postoperativ: Abduktion im Seitenvergleich
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
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b
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d Abb. 9.13 a–d. Deckung eines auf die Axilla beschränkten Defektes nach Resektion der haartragenden Haut bei Akne inversa mit Hilfe eines Limberg-Lappens. a Klinischer Aspekt präoperativ und Lappenplanung. b Klinischer Aspekt intraoperativ nach Einnähung der Lappenplastik. c Klinischer
Aspekt 3 Monate postoperativ: Schulterabduktion, Ansicht von anterolateral. d Klinischer Aspekt 3 Monate postoperativ: Schulterabduktion im Seitenvergleich (die rechte Seite wurde 6 Monate zuvor in der gleichen Technik operiert)
Für Defekte, die mit den 3 zuvor genannten Lappenplastiken nicht mehr gedeckt werden können stellt die gestielte Latissimus-dorsi-Lappenplastik die letzte lokale Therapiemöglichkeit dar. Bei kleineren Defekten sollte der Latissimus-dorsi-Lappen (als „design flap“) nur zu-
rückhaltend eingesetzt werden, da es aufgrund seiner Dicke zu einer (temporären) Obliteration der Achselhöhle mit Bewegungsbeeinträchtigungen kommen kann (vgl. Tabelle 9.7).
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Abb. 9.14 a–e. Deckung eines kompletten Axilladefektes mit Hilfe eines gestielten Paraskapulalappens. a Klinischer Aspekt präoperativ. b Klinischer Aspekt intraoperativ nach Débridement. c Klinischer Aspekt intraoperativ nach Einnähung der Lappenplastik in den Axillabereich und Deckung des Restdefektes im Bereich der Oberarminnenseite mit Hilfe einer Spalthauttransplantation. d,e Klinischer Aspekt 6 Monate postoperativ: Abduktion im Seitenvergleich. d Ansicht von lateral, e Ansicht von frontal
e
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität Tabelle 9.7. Differenzialtherapie bei Defekten im Schulterund Oberarmbereich Kraniale Schulterregion (Regio supraclavicularis) Skapula-/Paraskapulalappen Latissimus-dorsi-Lappen Laterale Schulterregion Proximal gestielter lateraler Oberarmlappen (Facies anterior et lateralis) Skapula-/Paraskapulalappen (Facies posterior) Latissimus-dorsi-Lappen Axilla Kleine bis mittlere Defekte (auf die Axilla beschränkt) Limberg-Lappen posteriorer Oberarmlappen Über die Axilla hinausgehende Defekte Latissimus-dorsi-Lappen / TAP flap Skapula-/Paraskapulalappen Oberarm Kleine Defekte klassische lokale Lappenplastiken Mittlere Defekte lateraler Oberarmlappen posteriorer Oberarmlappen Große Defekte Paraskapulalappen Latissimus-dorsi-Lappen
Oberarm Kleine Defekte können meist mit lokaler fasziokutaner Lappenplastik (z. B. Limberg-Lappen) gedeckt werden. Für größere Defekte stehen der laterale Oberarmlappen, der posteriore Oberarmlappen und der mediale Oberarmlappen als Spendergebiete zur Verfügung. Wegen der großen Spendermorbidität sollten der laterale und posteriore Oberarmlappen bei jungen Patienten äußerst zurückhaltend eingesetzt werden. Die mediale und posteriore Oberarmlappenplastik stellt vor allem bei älteren Frauen eine gute Therapieoption dar, da für die Defektdeckung die gleichen Hautareale wie für eine Oberarmstraffung verwendet werden können und die Narben im Spendergebiet meist gut versteckt werden können. Für die Deckung großer Oberarmdefekte stellen die Lappen des A.-subscapularis-Systems die Therapie der
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1. Wahl dar. Für die Deckung kutaner Defekte ist die Paraskapulalappenplastik das Verfahren der Wahl. Ausgedehnte Defekte können nur mit dem Latissimus-dorsiLappen als Muskel- oder Myokutanlappen gedeckt werden. Mit der gestielten Latissimus-dorsi-Lappenplastik ist es auch möglich, die fehlende Funktion des M. triceps oder M. biceps im Sinne einer motorischen Ersatzoperation in gleicher Sitzung wie die Defektdeckung wiederherzustellen (Abb. 9.15 a–f).
9.2.1.2 Ellenbogen-, Unterarmund Handgelenkbereich Nur bei einem scheinbaren Gewebedefekt außerhalb der Niederresistenzzonen mit guten Wundbedingungen kann ein direkter Wundverschluss angestrebt werden. Ist eine primäre Versorgung durch Wundrandmobilisierung nicht ausreichend, kann die verbleibende Weichteilgewebeinsuffizienz entweder durch sekundäre Wundheilung, durch progressiven Zug mit Hilfe einer dynamischen Hautnaht oder einzeitig mit einem Hauttransplantat gedeckt werden. Die sekundäre Wundheilung sollte nur bei kleineren Dehizenzen eingesetzt werden, da ein langer Krankheitsstand mit Bewegungsbeeinträchtigungen entsteht. In jedem Fall wird mechanisch minderwertiges Narbengewebe mit Epithel bedeckt, weshalb eine potenziell instabile Narbe resultiert. Ob diese funktionelle oder ästhetische Konsequenzen nach sich zieht, ist hauptsächlich von der Defektlokalisation abhängig (proximales Unterarmdrittel vs. Ulnakante im distalen Unterarmdrittel). Zur Beschleunigung des Defektverschlusses kann eine Hauttransplantation oder eine dynamische Hautnaht eingesetzt werden. Bei beiden Verfahren entsteht ein breites Areal, welches sich von der Umgebung deutlich unterscheidet und oft eine sekundäre Narbenkorrektur nach sich zieht. Dem Vorteil des fehlenden Spenderdefektes für die Hautentnahme steht der Nachteil der längeren und manchmal schmerzhaften Primärtherapie bei der dynamischen Hautnaht gegenüber. Bei einem scheinbaren Gewebedefekt mit Exposition von Gefäßen, Nerven, Sehnen, deperiostiertem Knochen und/oder einem eröffneten Gelenk besteht die Indikation zum gestielten oder freien Gewebetransfer. Bei Vorliegen eines ersatzstarken Lagers außerhalb der Niederresistenzzonen kann eine Hauttransplantation zur Defektdeckung durchgeführt werden. Um nach Hauttransplantation das Risiko einer instabilen Narbe zu vermeiden, kann die Hauttransplantation mit dem Einbringen von Dermisäquivalenten (z. B. Integra oder Alloderm oder Lappenplastiken kombiniert werden. Bei ersatzstarkem Lager im Bereich von Niederresistenzzonen oder mit Höhlenbildung ist eine Muskel- oder (Unterhaut-) Fettlappenplastik notwendig.
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Abb. 9.15 a–k. Offene Ellenbogenfraktur GUSTILO IIIB bei einer 53 Jahre alten Patientin 14 Tage nach Autounfall. a bei Einlieferung; b Röntgen bei Einlieferung; c Schema der Transposition des Latissimus dorsi Lappens; d Schema der Transposition des Latissimus dorsi Lappens
d
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Abb. 9.15 a–k. Offene Ellenbogenfraktur GUSTILO IIIB bei einer 53 Jahre alten Patientin 14 Tage nach Autounfall. e intraoperatives Bild nach Hebung und Transposition des myokutanen neurovaskulär gestielten Latissimus dorsi Lappen; f intraoperativ am Ende der Operation; g Röntgen einer Ellenbogenprothese 1 Jahr nach Rekonstruktion; h Röntgen nach Implantation einer Ellenbogenprothese 1 Jahr nach Rekonstruktion; i Funktion 24 Monate nach Rekonstruktion (Flexion, lateral); j 24 Monate nach Rekonstruktion (Pronation); k 24 Monate nach Rekonstruktion (Supination)
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Bei einem ersatzschwachen oder ersatzunfähigen Lager ohne Exposition von Gefäßen, Nerven, denudierten Sehnen, deperiostiertem Knochen und/oder einem eröffneten Gelenk kann versucht werden, durch lokale konservative (10%iges NaCl, VAC-Einheit, Varidase u. a.) und/oder operative Therapie (Débridement) eine Lagerverbesserung zu erreichen. Kann ein ausreichend gutes Lager erzielt werden, verläuft die Therapie wie zuvor beschrieben. Die Hautdeckung kann dabei einzeitig (Débridement mit sofortiger Deckung) oder mehrzeitig (Débridement mit anschließender granulationsfördernder Therapie und sekundärer Deckung) durchgeführt werden. Können keine ausreichenden Wundverhältnisse erzielt werden, ist eine Lappendeckung notwendig. Der Vergleich von Ergebnis im Empfängergebiet und Aufwand im Spendergebiet (Spendermorbidität) sowie therapie- und patientenbezogene Faktoren entscheidet darüber, ob eine nichtdefektangrenzende Lappenplastik oder eine Fernlappenplastik (gestielt oder frei mikrovaskulär) durchgeführt werden soll. Bei geplanten Operationen, wie z. B. einer Sekundärkorrektur besonders nach Verbrennung, sollte immer an die Möglichkeit der Gewebeexpansion gedacht werden. Falls eine lokale Lappenplastik nicht möglich oder gewünscht ist, besteht die Indikation zur freien mikrovaskulären Lappenplastik (lateraler Oberarmlappen für kleine Defekte; A.-radialis-Lappen und A.-serratus-anterior-Lappen für mittelgroße Defekte; Latissimus-dorsiLappen für große Defekte). Die freie funktionelle Muskeltransplantation stellt eine Sonderform der freien mikrovaskulären Lappenplastiken dar. Im Falle einer Kontraindikation zur freien mikrovaskulären Lappenplastik können gestielte Fernlappenplastiken (Leistenlappen für kleine bis mittelgroße Defekte; Bauchhautlappen für große Defekte) eingesetzt werden.
Ellenbogen und proximales Unterarmdrittel Für die Defektdeckung im Ellenbogenbereich hat sich ein modifizierter Algorithmus nach Bishop (1994) bewährt. Dorsale Ellenbogenfläche (Regio olecrani). Gewebedefekte im Bereich des Olekranons sind meist bedingt durch chronische Druckgeschwüre oder instabile Narben. Vor allem bei chronischen Wunden müssen die Bursa synoviales (Schleimbeutel) komplett entfernt werden, da versprengtes Restgewebe oft die Ursache für eine nicht persistierende Sekretion darstellt (Abb. 9.16 b).
Um ein ausgezeichnetes funktionelles und ästhetisches Ergebnis erzielen zu können, ist es notwendig, die gesamte funktionelle Einheit zu ersetzen. Die Defektde-
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
ckung muss in kompletter Ellenbogenbeugung erfolgen. Der proximal gestielte A.-radialis-Lappen stellt die Therapie der 1. Wahl dar (Abb. 9.16 a–i). Als Therapie der 2. Wahl (dickere Lappenplastik, Spenderdefekt an der exponierten Streckseite, oft ungenügende Lappenbreite) kann der distal gestielte laterale Oberarmlappen eingebracht werden. Ventrale Ellenbogenfläche (Fossa cubitalis). Defekte im Bereich der Fossa cubitalis sind meist bedingt durch Narbenkontrakturen nach Verbrennungen, Gewebeverlust nach Paravasat oder nach Trauma. Kleine bis mittelgroße Defekte können mit Hilfe lokaler Lappen gedeckt werden. Bei einem Gewebeüberschuss im Bereich des medialen Oberarms – wie er vor allem beim älteren Patienten vorliegt – hat sich die A.recurrens-ulnaris-Lappenplastik sehr bewährt (Abb. 9.17 a–c). Wegen des größeren ästhetischen Spenderdefektes ist die A.-recurrens-radialis-Lappenplastik Therapie der 2. Wahl. Für tiefe schmale Defekte mit Exposition von Knochen und eröffnetem Gelenk hat sich der M.-brachioradialis-Lappen sehr bewährt. Der Rotationsbogen erlaubt eine Defektdeckung von der Lateralseite des Gelenks bis zum Olekranon. Wegen des großen Spenderdefektes sollte dieser Lappen nur bei reichlich laxer Haut mit einer kleinen Hautinsel (myokutane Variante) gehoben werden. Um eine Opferung der A. radialis zu vermeiden, sollte der Lappen an seinem proximalen Stiel gehoben und gedreht werden. Für große Defekte stellt der distal gestielte laterale Oberarminsellappen die Therapie der Wahl dar. Defekt, welche die Grenze der funktionellen vorderen Ellenbogeneinheit überschreiten, werden vorzugsweise mit einem proximal gestielten A.-radialis-Lappen gedeckt. Alternativ sind freie mikrochirurgische Lappenplastiken indiziert. Laterale Ellenbogenfläche. Im Bereich der radialen Ellenbogenfläche sind nur selten Lappenplastiken zur Defektdeckung notwendig, da die hier ansetzenden und entspringenden Muskeln eine ausreichende Abpolsterung bzw. ein ersatzstarkes Lager für eine Hauttransplantation (Vollhaut besser als Spalthaut) liefern. Kleine laterale Defekte können oft mit der A.-cubitalis-Lappenplastik (Abb. 9.18 a–h) ausreichend gedeckt werden. Für größere Defekte hat sich der laterale Oberarmlappen als Vorschub- oder Dehnungslappen oder Insellappen bewährt (s. Plastische Chirurgie, Bd. I, Kap. 5). Defekte, welche die Grenze der funktionellen lateralen Ellenbogeneinheit überschreiten, werden am besten mit dem proximal gestielten A.-radialis-Lappen gedeckt. Alternativ sind freie mikrochirurgische Lappenplastiken möglich.
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
B. subtendinea olecrani (Sonderfall) B. subcutanea epicondyli ulnaris (Sonderfall)
KAPITEL 9
B. subcutanea epicondyli radialis (Sonderfall) B. mi.anconaei (Sonderfall) B. mi.extensoris carpi radialis brevis (Sonderfall)
B. intratendinea olecrani (Sonderfall) B. subcutanea olecrani
b a
c
Abb. 9.16 a–i. Deckung eines posttraumatischen Defektes im Bereich des Olekranons mit Hilfe eines proximal gestielten A.-radialis-Lappens. a Klinischer Aspekt präoperativ. b Schema der Schleimbeutel im Ellenbogenbereich (Merke: Für eine komplikationsarme Heilung ist die komplette Entfernung der Bursa olecrani subcutanea erforderlich). c Klinischer Aspekt intraoperativ: Lappenplanung (Merke: Es muss ein ausreichend großer Lappen geplant werden, um die gesamte dorsale funktionelle Ellenbogeneinheit zu bedecken. Noch bestehende Haut im Empfängergebiet wird nicht entfernt, die Lappenplastik wird unter dieser Haut deepithelialisiert. d,e Klinischer Aspekt postoperativ: Eld lenbogenstreckung. d Detailansicht
KAPITEL 9
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
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f
e
g
h
Abb. 9.16 a–i. Deckung eines posttraumatischen Defektes im Bereich des Olekranons mit Hilfe eines proximal gestielten A.-radialis-Lappens. e Übersicht. f,g Klinischer Aspekt postoperativ: Ellenbogenbeugung. f Übersicht, g Detailansicht. h,i Klinischer Aspekt postoperativ, Spendergebiet. h Fingerstreckung, i Faustschluss
a
i
c
b
Abb. 9.17 a–c. Deckung eines chronischen Defektes nach Chemotherapie-Paravasat im Bereich der Fossa cubitalis mit Hilfe einer A.-recurrens-ulnaris-Lappenplastik. a Präoperativer Aspekt und Lappenplanung. b Schematische Darstellung der Blutversorgung über Äste der A. reccurens ulnaris. c Postoperatives Ergebnis (komplette Ellenbogenstreckung)
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
a
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b
c
d
e
f
h
g
Abb. 9.18 a–h. Deckung eines Defektes im Bereich des Epicondylus lateralis (laterale Ellenbogenregion) mit Hilfe einer A.-cubitalis-Perforator-Lappenplastik. a Klinischer Aspekt präoperativ. b Schema: Anatomie und Lappenplanung. c Klinischer Aspekt intraoperativ nach Lappenhebung. d Klinischer Aspekt intraoperativ nach Lappeneinnähung. e,f Klinischer Aspekt postoperativ. e Ellenbogenstreckung, f Ellenbogenbeugung. g,h Klinischer Aspekt postoperativ: Spendergebiet. g Fingerstreckung, h Faustschluss
KAPITEL 9
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
b
a
c
e
d
Abb. 9.19 a–i. Deckung eines ausgedehnten Knochen-Weichteil-Defektes nach Trauma mit Hilfe einer freien myokutanen Latissimus-dorsi-Lappenplastik. a Klinischer Aspekt präoperativ nach partiellem Verlust einer gestielten M.-latissimus-dorsi-Lappenplastik. b Klinischer Aspekt intraoperativ: Lappenplanung. c Klinischer Aspekt intraoperativ: mikrochirurgischer Anschluss. d Klinischer Aspekt intraoperativ nach allogener Knochentransplantation, Einbringen einer Ellenbogengelenkprothese und kompletter Lappeneinnähung. e,f Postoperatives f Röntgenbild. e a.-p., f lateral
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
KAPITEL 9
g
h
Abb. 9.19 a–i. Deckung eines ausgedehnten Knochen-Weichteil-Defektes nach Trauma mit Hilfe einer freien myokutanen Latissimus-dorsi-Lappenplastik. g,h Funktionelles Ergebnis ein Jahr postoperativ. g Ellenbogenstreckung, h Ellenbogenbeugung. i Ästhetisches Ergebnis ein Jahr postoperativ
i
Mediale Ellenbogenfläche. Es sollte nicht vergessen werden, dass in einigen Fällen die Resektion des Epicondylus medialis mit gefäßgestielter Ventralverlagerung des N. ulnaris ausreicht, um den Defekt zuverlässig verschließen zu können.
Vor allem bei querschnittsgelähmten Patienten besteht oft im Bereich des Epicondylus medialis ein Druckulkus. Bei gelähmten M. flexor carpi ulnaris kann dieser Muskel an seinem proximalen Gefäßstiel mobilisiert und für die Defektdeckung verwendet werden. Die Opferung eines noch innervierten Muskels ist als zu großer Spenderdefekt abzulehnen. Kleine Defekte im Bereich des Epicondylus medialis können oft mit dem A.-recurrens-ulnarisLappen ausreichend gedeckt werden. Größere Defekte werden wiederum mit dem proximal gestielten A.-radialis-Lappen versorgt. Alternativ sind freie mikrochirurgische Lappenplastiken indiziert.
Polyregionale Defekte. Freie mikrochirurgische Lappenplastiken sind nur selten notwendig und indiziert bei:
• fehlender Möglichkeit von lokalen Lappenplastiken, • sehr großen Defekten, • gleichzeitigem prothetischem Gelenkersatz mit oder ohne (allogener) Knochentransplantation, • Patienten, bei denen in der Folge mehrere Eingriffe noch nötig sind und eine lokale Lappenplastik nicht ausreichend ist. Hier hat sich die myokutane Latissimus-dorsi-Lappenplastik bewährt. Die Wahl zwischen gestielter oder frei mikrochirurgisch transplantierter Lappenplastik wird durch die Lokalisation des distalen Defektendpunktes entschieden. Defekte distal des Olekranons werden häufiger besser mit einer freien Lappenplastik gedeckt (Abb. 9.19 a–i).
KAPITEL 9
Mittleres Unterarmdrittel Das mittlere Unterarmdrittel ist der Bereich, in dem die meisten Unterarmmuskeln in ihre Sehnen übergehen (Muskel-Sehnen-Übergang). Durch die reichliche Muskulatur besteht oft ein ersatzstarkes Lager, und eine einfache Hauttransplantation ist oft möglich. Um eine instabile Narbensituation zu vermeiden, sollte im Bereich der Niederresistenzzonen der Ulna und des Radius eine zusätzliche „subkutane Abpolsterung“ durch Einbringen von Dermisäquivalenten (z. B. Integra, Alloderm) oder einer Lappenplastik (z. B. lokale Faszienlappenplastik) durchgeführt werden. Vor allem im mittleren Unterarmdrittel sollte bei geeignetem Patienten an die Möglichkeit der Gewebeexpansion gedacht werden. Kleine Defekte können mit klassischen lokalen Lappenplastiken gedeckt werden. Für Defekte <4–6 cm Breite stellt die A.-interossea-posterior-Lappenplastik eine gute Therapiemöglichkeit dar. Größere Defekte können nur mit der A.-radialis-Lappenplastik gedeckt werden. Hierbei ist immer an den Spenderdefekt nach Entnahme der A. radialis zu denken. Aufgrund der großen Spendergebietmorbidität verwenden wir die A.-ulnaris-Lappenplastik nicht. Alternativ sind freie mikrochirurgische Lappenplastiken indiziert. Bei Kontraindikationen zur freien mikrovaskulären Lappenplastik besteht als letzte Therapiemöglichkeit die gestielte Fernlappenplastik aus dem Abdomenbereich (Tabelle 9.8).
Distales Unterarmdrittel (inklusive Handgelenk) Aufgrund der funktionellen Bedeutung dieser Region ist eine adäquate Weichteildeckung an dieser Stelle besonders wichtig. Nach Masquelet u. Gilbert (1995) können 4 Regionen unterschieden werden: eine dorsale, palmare, laterale und mediale Handgelenkregion. Da die distale Unterarmregion zu den Niederresistenzzonen zählt, ist die einfache Hauttransplantation meist nur zur temporären Deckung oder als Therapie der letzten Wahl einzusetzen. Zur Deckung kleiner bis mittelgroßer Defekte können Rotationslappen aus dem Unterarmbereich verwendet werden. Neben der Limitierung der Lappengröße ist das schlechte ästhetische Ergebnis vor allem im dorsalen Unterarmbereich zu nennen. Für größere Defekte sind vor allem der A.-interossea-posterior-Lappen, der ulnodorsale Lappen und die A.-radialisLappenplastik indiziert (vgl. Tabelle 9.8). Dorsale Handgelenkregion. Ursachen für einen Gewebedefekt im Bereich der dorsalen Handgelenkregion sind Trauma, Defektzustände nach Kontrakturauflösung, postoperativer Gewebeuntergang nach ausgedehnten Synovialektomien und Defektzustände nach Paravasaten.
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
Tabelle 9.8. Differenzialtherapie im Bereich des mittleren und distalen Unterarmdrittels Mittleres Unterarmdrittel Kleine Defekte Gewebeexpansion klassische lokale Lappenplastiken A.-interossea-posterior-Lappenplastik Größere Defekte A.-radialis-Lappenplastik Freie mikrovaskuläre Lappenplastiken Fernlappenplastiken Distales Unterarmdrittel (inklusive Handgelenk) Dorsale Handgelenkregion Kleine bis mittelgroße (Breite <3 cm) Defekte ulnodorsale Lappenplastik nach Becker und Gilbert Größere Defekte A.-interossea-posterior-Lappenplastik distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik freie mikrovaskuläre Lappenplastiken Leistenlappen Palmare Handgelenkregion Kleine bis mittelgroße Defekte ulnodorsale Lappenplastik nach Becker und Gilbert M.-pronator-quadratus-Lappenplastik A.-interossea-posterior-Lappenplastik Große Defekte distal gestielte A.-radialis-Lappen plastik freie mikrovaskuläre Lappenplastiken Leistenlappen Mediale/laterale Handgelenkregion A.-interossea-posterior-Lappenplastik distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik freie mikrovaskuläre Lappenplastiken Leistenlappen Polyregionale Defekte Paraskalpula-/Skapulalappen Myokutaner (funktioneller) Latissimus-dorsi-Lappen Gestielte Fernlappenplastiken (Abdomen, Leiste)
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
KAPITEL 9
Os pisiforme R. carpalis dorsalis M. flexor carpi radialis
a
b
c
d
e
f Abb. 9.20 a–f. Ulnodorsale fasziokutane Lappenplastik nach Becker und Gilbert zur Deckung eines Defektes nach Infektion im dorsalen Handgelenkbereich (PHW MHHannover). a Klinischer Aspekt intraoperativ nach Débridement.
b Lappenplanung. c Klinischer Aspekt am Ende der Operation. d Klinischer Aspekt postoperativ: Spenderdefekt. e,f Funktion. e Fingerstreckung, f Faustschluss
Eine weitere wichtige Indikation stellt die Lagerverbesserung vor Strecksehnenrekonstruktion dar. Für kleine bis mittelgroße (Breite <3 cm) Defekte stellt die ulnodorsale Lappenplastik nach Becker u. Gilbert (1988) die Therapie der Wahl dar (Abb. 9.20 a–f). Größere Defekte werden bevorzugt mit der A.-interossea-posterior-Lappenplastik gedeckt. Bei Defekten im dorsalen Handgelenkbereich muss aber darauf geachtet
werden, dass der R. communicans der A. interossea posterior mit der A. interossea anterior erhalten ist. Deshalb ist präoperativ eine Doppleruntersuchung notwendig. Bei Kontraindikationen für den A.-interossea-posteriorLappen oder größeren Defekten ist die distal gestielte A.radialis-Lappenplastik (Abb. 9.21 a–e), der Leistenlappen oder ein freier mikrovaskulärer Lappen einzusetzen (vgl. Tabelle 9.8).
KAPITEL 9
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
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a
b
c
d
e
Abb. 9.21 a–e. Deckung eines dorsalen Unterarmdefektes im distalen Drittel nach Paravasat mit Hilfe einer proximal gestielten fasziokutanen A.-radialis-Lappenplastik (Fundus PHW Hannover). a Klinischer Aspekt präoperativ: Ansicht von ulnar. b Klinischer Aspekt präoperativ: Ansicht von dorsal. c–e Klinischer Aspekt postoperativ. c Ansicht von dorsoradial, d Ansicht von dorsoulnar, e Spenderdefekt
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
KAPITEL 9
Mm. lumbricales
M. pronator quadratus
a
b
c M. abductor pollicis brevis
Abb. 9.22 a–d. Möglichkeiten der Abpolsterung des N. medianus im palmaren Handgelenkbereich
KAPITEL 9
Faszienlappen
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
Palmare Handgelenkregion. Defekte im Bereich der palmaren Handgelenkregion sind meist bedingt durch die Auflösung von Kontrakturen und Trauma. Eine weitere immer häufigere Indikation besteht bei Rezidiven eines Karpaltunnelsyndroms, wenn gleichzeitig eine Deckung und eine gefäßversorgte Abpolsterung für den N. medianus nötig ist. Zur Abpolsterung und Revaskularisierung des N. medianus sind vor allem die ulnodorsale Lappenplastik nach Becker/Gilbert (Abb. 9.22 a–d) und die M.-pronatorquadratus-Lappenplastik geeignet. Für kleine bis mittelgroße Defekte stellt die A.-interossea-posterior-Lappenplastik die Therapie der 1. Wahl dar, da hierdurch keine Hauptgefäßachse geopfert werden muss (Abb. 9.23 a–f). Für größere Defekte ist wiederum die A.-radialis-Lappenplastik indiziert. Auch hier ist an die Spendergebietmorbidität durch Entnahme der A. radialis zu denken. Alternativ können der Leistenlappen oder freie mikrovaskuläre Lappenplastiken eingesetzt werden (vgl. Tabelle 9.8). Mediale und laterale Handgelenkregion. Defekte im Bereich der medialen und lateralen Handgelenkregion werden bevorzugt mit Hilfe der A.-interossea-posteriorLappenplastik gedeckt. Komplexe Verletzungen mit offenen Frakturen im Bereich des Handgelenks stellen eine Kontraindikation für diesen Lappen dar. Bei Läsion der A. ulnaris besteht eine Kontraindikation zu Verwendung eines distal gestielten A.-radialis-Lappens. In diesen Fällen ist eine freie mikrovaskuläre Lappenplastik oder eine Fernlappenplastik angezeigt (vgl. Tabelle 9.8).
d Abb. 9.22 a–d. Möglichkeiten der Abpolsterung des N. medianus im palmaren Handgelenkbereich
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
KAPITEL 9
a
b
c, d
e, f Abb. 9.23 a–f. Deckung eines mittelgroßen palmaren Handgelenkdefektes (nach Suizidversuch) nach Rekonstruktion aller palmaren Strukturen inklusive Aa. ulnaris et radialis. a Klinischer Aspekt präoperativ. b Klinischer Aspekt intraoperativ: Darstellung von Anatomie und Vaskularisation der Lappen-
plastik. c Klinischer Aspekt nach Einnähen der Lappenplastik. d–f Klinischer Aspekt 6 Monate postoperativ: ästhetisches Ergebnis. d Spenderdefekt, e Empfängergebiet, freie Streckung aller Finger, f Empfängergebiet, kompletter Faustschluss
9.2.1.3 Polyregionale Defekte
Wegen der großen Beeinträchtigung der Patienten durch Immobilisation und mehrfache Operationen und den sekundären Immobilisationsschaden im Bereich der gesamten oberen Extremität, sollten gestielte Fernlappenplastiken aus dem Leisten- und Bauchhautbereich nur als letzte Therapiemöglichkeit eingesetzt werden (Abb. 9.25 a–f).
Ausgedehnte Verletzungen können auch mehrere Regionen betreffen. Diese großen Defekte können meist nicht mehr mit lokalen Lappenplastiken gedeckt werden, da dieses selbst zu klein sind oder der resultierende Spenderdefekte zu einer zusätzlichen funktionellen und/oder ästhetischen Beeinträchtigung führen würde. Bei reinen fasziokutanen Defekten und fehlendem Knochendefekt haben sich die Skapula- oder Paraskapulalappenplastiken bewährt (Abb. 9.24 a–i). Bei Defekten, welche mit diesen Lappenplastiken nicht mehr gedeckt werden können (meist >9×20 cm), und bei zusätzlichem Knochendefekt stellt die (myokutane) Latissimus-dorsi-Lappenplastik immer noch die Therapie der Wahl dar. Zusätzlich zur reinen Defektdeckung kann durch mikrochirurgische Nervenkoaptation mit einem geeigneten Spendernerv im Sinne eines freien funktionellen Muskeltransfers auch Bewegung wiederhergestellt oder augmentiert werden.
Handbereich Da eine detaillierte Darstellung der Defekte im Handbereich und ihrer möglichen Therapien den Rahmen dieses Kapitels sprengen würde, werden nur die klinisch häufigsten Defektsituationen beschrieben. Für weitere Informationen wird auf die ausführliche Sekundärliteratur verwiesen.
KAPITEL 9
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
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e, f
g, h, i Abb. 9.24 a–i. Deckung eines fasziokutanen Defektes des gesamten dorsalen Unterarms nach Heißmangelverletzung. a Klinischer Aspekt präoperativ. b Klinischer Aspekt nach Débridement, ulnodorsaler Lappenplastik und initialer Deckung mit Integra. c Klinischer Aspekt 6 Monate postoperativ
mit posttraumatischer Tendodese aller Strecksehnen. d–i Klinischer Aspekt ein Jahr nach Deckung mit freier Paraskapulalappenplastik. d Empfängergebiet, e Spendergebiet, f Handgelenkbeugung, g Handgelenkstreckung, h Fingerstreckung, i Faustschluss
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
KAPITEL 9
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f Abb. 9.25 a–f. Deckung eines polyregionalen Unterarmdefektes mit Hilfe einer gestielten Bauchhautlappenplastik (PHW MHHannover). a Klinischer Aspekt präoperativ im Unterarmbereich. b Lappenplanung im Bauchbereich. c Lappenhebung und Deckung des Hebedefektes und des proximalen
Lappenanteils („Stiel- oder Scharnieranteil“) mit Spalthaut. d Klinischer Aspekt intraoperativ: Beginn der Lappeneinnähung. e Klinischer Aspekt postoperativ nach Lappeneinnähung und Immobilisation. f Klinischer Aspekt nach sekundärer Lappentrennung und -einnähung
Handrücken
kann mit Hilfe eines mitteldicken Spalthauttransplantats gedeckt werden, wenn das Peritendineum des Strecksehnenapparates intakt ist. Bei Zustand nach Sehnen-, Nerven- oder Gefäßrekonstruktion ist die freie Hauttransplantation als definitive Deckung ungenügend. Ausnahmsweise kann sie zur temporären Deckung der genannten Strukturen („physiologischer Verband“) bis zur definitiven Versorgung im Sinne der „urgence différée“ durchgeführt werden.
Aufgrund der großen Mobilität und der guten Vaskularisation der Haut im Handrückenbereich stellen die lokalen defektangrenzenden Lappenplastiken die Therapie der 1. Wahl bei kleineren Hautdefekten im Handrückenbereich dar. Ist eine lokale defektangrenzende Lappenplastik nicht ausreichend, sollte als nächstes die Möglichkeit einer freien Hauttransplantation überprüft werden. Ein Defekt
KAPITEL 9
Das Spalthauttransplantat muss am Handrücken bei geschlossener Faust eingenäht werden. Bei der freien Hauttransplantation am Handrücken ist darauf zu achten, dass die Haut beim Einnähen in Querrichtung weniger gespannt wird als in Längsrichtung. Bei intakten Interdigitalfalten ist die Nahtlinie entlang der Faltengrenzen zu legen. Sind die Kommissuren mitbetroffen, so empfiehlt sich ein spitz verschmälerndes Transplantat in der Falte. Erstreckt sich der Hautdefekt auch auf den Fingerrücken, treffen sich die Nahtlinien des die Dorsalfläche des Fingers sowie die Interdigitalfalte deckenden Transplantats in einem spitzen Winkel in der mediolateralen Linie des Fingers. Das Spalthauttransplantat wird mit einem eingeknüpften Verband fixiert. Postoperativ ist eine Ruhigstellung in Intrinsic-plusStellung der Langfinger und Oppositionsstellung des Daumens für 5–7 Tage durchzuführen. Durch krankengymnastische Übungsbehandlung und intensive Transplantatpflege (Fettsalbe, Fettemulsion, evtl. Kompressionshandschuhe) kann in den meisten Fällen ein sehr gutes ästhetisches Ergebnis erzielt werden. Durch Einsprossung von sensiblen Nervenendigungen aus dem Transplantatlager kommt es zu einer Resensibilisierung mit Ausbildung einer protektiven Sensibilität (Abb. 9.26 a–g). Lokale Lappenplastiken aus dem Handrückenbereich sind immer dann indiziert, wenn der Defekt mit den vorgenannten einfachen Techniken funktionell und ästhetisch nicht befriedigend gedeckt werden kann und distal gestielte Lappenplastiken aus dem Unterarmbereich eine Übertherapie darstellen würden. Ist eine Defektdeckung mit einer lokalen Lappenplastik aus dem Handrückenbereich nicht möglich, sollte als nächstes an die Möglichkeit der gestielten Lappenplastik aus dem Unterarmbereich gedacht werden. Mit Ausnahme des distal gestielten Radialislappens sind alle genannten Lappenplastiken bei zusätzlicher Schädigung im dorsalen distalen Unterarmdrittel kontraindiziert, da die Blutversorgung nicht sicher gewährleistet ist. Alle distal gestielten Lappenplastiken aus dem Unterarmbereich können als fasziokutane Lappen gehoben werden. Bei dicker subkutaner Schicht und zu Minimierung des Hebedefektes (vor allem Radialislappen) kann ein gestieltes Faszienlappentransplantat gehoben, die Haut im Spendergebiet primär verschlossen und das Transplantat im Empfängergebiet mit einem mitteldicken Spalthauttransplantat gedeckt werden. Dem Vorteil des geringeren Spenderdefektes steht der Nachteil einer möglichen zweiten Operation zur Nachdeckung bei unvollständigem Anwachsen der Spalthaut sowie das Risiko einer ungenügenden Weichteildeckung bei mehrzeitiger Sehnenrekonstruktion gegenüber (Abb. 9.27 a–g). Bei proximalen handgelenknahen Defekten sollte die dorsoulnare Lappenplastik nach Becker u. Gilbert (1988) bevorzugt eingesetzt werden. Bei Defekten, die sich vom
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
Handrücken bis zu den Metakarpophalangeal- (MCP-) Gelenken erstrecken, stellen der Interosseus-posteriorLappen und der Interosseus-anterior-Lappen aufgrund des geringeren Spenderdefektes verglichen mit dem distal gestielten Radialislappen die Therapie der 1. Wahl dar (Abb. 9.28 a–f). Bei einer Defektausdehnung von Handrücken bis zur dorsalen Fläche der Mittelphalanx (P2) stellt der distal gestielte Radialislappen die einzige lokale therapeutische Option dar. Sind lokale Lappenplastiken vom Unterarm nicht möglich, müssen freie mikrovaskuläre oder gestielte Fernlappenplastiken angewendet werden. Wegen der Notwendigkeit der frühzeitigen Mobilisierung, der leichteren Pflege und geringeren psychischen Beeinträchtigung des Patienten sind mikrovaskuläre Lappentransplantate der gestielten Fernlappenplastik vorzuziehen. Sind sowohl lokale als auch freie mikrovaskuläre Lappenplastiken nicht möglich, müssen gestielte Fernlappenplastiken eingesetzt werden. Als Spenderstellen stehen der kontralaterale Oberarm sowie die ipsilaterale Leistenregion und die Bauchhaut zur Verfügung (Tabelle 9.9).
Hohlhand Die Wahl des Verfahrens zur Defektdeckung ist abhängig von der Tiefe, Ausdehnung und Lokalisation des Defektes (Tabelle 9.10). Bei oberflächlichen Defekten mit ersatzstarkem Transplantatlager, d. h. mit gut vaskularisiertem Wundgrund (oberflächlicher Defekt ohne Exposition von Sehnen, Nerven, Gefäßen oder deperiostiertem Knochen), stellt das Vollhauttransplantat die Methode der 1. Wahl zur Deckung eines partiellen oder kompletten Hohlhanddefektes dar. Wegen der hohen mechanischen Beanspruchung der Haut in der Hohlhand, sind Spalthauttransplantate zur definitiven Deckung nicht geeignet. Sie können jedoch zur temporären Deckung von stark kontaminierten Wunden („physiologischer Verband“) oder Defekten nach Exstirpation eines malignen Tumors zur besseren Beurteilung eines Lokalrezidivs eingesetzt werden. Bei bestehendem Hautdefekt im Bereich der Hohlhand kommt es im Rahmen der sekundären Wund heilung zu einer ausgeprägten Narbenbildung mit Ausbildung von sekundären Beugekontrakturen im Langfinger- und Daumenbereich und dadurch deutlicher Einschränkung der Grobgrifffunktion. Die sekundäre Wundheilung sollte im Hohlhandbereich nur sehr zurückhaltend eingesetzt werden. Wenn überhaupt, müssen die Gewebedefekte – wie bei der McChash-Technik – senkrecht zur Bewegungs- bzw. Zugachse zu liegen kommen.
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
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Abb. 9.26 a–g. Vollhauttransplantation im Handrückenbereich (PHW MHHannover). a Klinischer Aspekt präoperativ. b Klinischer Aspekt nach Débridement. c Klinischer Aspekt des Exzitats. d,e Klinischer Aspekt postoperativ. d Ansicht von dorsal, e Ansicht von lateral. f,g Klinischer Aspekt ein Jahr nach Transplantation. f Fingerstreckung, g Faustschluss
KAPITEL 9
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f
g Abb. 9.27 a–g. Deckung eines Handrückendefektes nach ausgedehnter Synovialektomie mit Hilfe eines distal gestielten A.-radialis-Faszienlappens (PHW MHHannover). a Präoperativer Aspekt. b Intraoperativer Aspekt: Zustand nach Hebung eines A.-radialis-Faszienlappens. c Postoperativer Aspekt im Empfängergebiet nach Einnähen des Lap-
pens und Deckung mit Spalthaut. d Empfängergebiet ein Jahr postoperativ. e Spendergebiet ein Jahr postoperativ. d Empfängergebiet, e Spendergebiet. f,g Funktionsbild ein Jahr nach Defektdeckung. f,g Funktonsbild ein Jahr nach Defektdeckung. f Faustschluss, g Fingerstreckung
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
KAPITEL 9
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c
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f Abb. 9.28 a–f. Deckung eines posttraumatischen Handrückendefektes bei komplexer Knochen-Weichteil-Schädigung mit Hilfe eines A.-interossea-posterior-Lappens. a Klinischer
Aspekt präoperativ. b Röntgenbild präoperativ. c Klinischer Aspekt 6 Monate postoperativ. d–f Funktion ein Jahr postoperativ. d Handgelenkstreckung, e Faustschluss, f Fingerstreckung
Ist kein ausreichendes Transplantatlager vorhanden oder besteht ein tieferer Weichteildefekt, muss der Defekt mit lokalen Lappenplastiken oder Lappenplastiken aus angrenzenden oder entfernten Körperregionen gedeckt werden. Aufgrund seiner mechanischen und sensiblen Eigenschaften stellt die defektangrenzende Haut das beste Spendergebiet für Lappenplastiken zur Defektdeckung im Bereich der Hohlhand dar. Wegen der geringen Verschieblichkeit der Haut können an der Handinnenfläche von Erwachsenen jedoch nur Defekte mit einem Durchmesser bis etwa 1 cm mit lokalen defektangrenzenden Lappenplastiken ersetzt werden. Zudem schränkt die Regel der an der Handinnenfläche zulässigen Schnittführung die Möglichkeiten weiter ein. Bei strangförmigen Hautdefekten, wie sie vor allem bei der Dupuytren-Erkrankung vorkommen, stellen einfache, serielle und/oder multiple Z-Plastiken die Therapie der 1. Wahl dar, wobei folgende Grundsätze beachtet werden sollten:
• Die Schenkel der Z-Plastik, die die Hauptfalten der Handinnenfläche kreuzen, enden, genauso wie an den Fingern, bei der Falte. • Wegen der starken Spannung ist es nicht ratsam, eine ein Viertel der Handtellerbreite überschreitende Z-Plastik auszuführen. • Von der Handtellermitte in Richtung zu den Rändern ist die Ausführung der Z-Plastik immer leichter.
Neben den konventionellen Z-Plastiken erfüllen die Esser-Emmet-Lappen mit Subkutisstiel die speziellen Erfordernisse am besten. In der zentralen Region sind jedoch auch diese nicht anwendbar. Kleinere Defekte in der zentralen Region können durch konventionelle Transpositionslappen mit Verschluss der Spenderstelle mit Hilfe eines Vollhauttransplantats („Prinzip der Kombination von mehreren Techniken“) gedeckt werden.
KAPITEL 9 Tabelle 9.9. Differenzialtherapie bei Weichteildefekten im Handrückenbereich – Möglichkeiten der Hautdeckung im Bereich des Handrückens Lokale defektangrenzende Lappenplastiken
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
Tabelle 9.10. Differenzialtherapie bei Weichteildefekten im Hohlhandbereich – Möglichkeiten der Hautdeckung in der Hohlhand Oberflächliche Defekte
Runde zentrale Defekte
Vollhauttransplantat
Pick-Lappenplastik
(sekundäre Wundheilung)
Rautenförmige zentrale Defekte Limberg-Lappen Dufurmentel-Lappen Eliptoide zentrale Defekte Brücken- oder Visierlappen
Tiefe Defekte Defekte <1 cm Durchmesser lokale defektangrenzende Lappenplastiken → + einfache, serielle und/oder multiple Z-Plastiken → + Subkutis-gestielte VY-Lappenplastiken Defekte im palmaren Metakarpophalangealbereich
Randständige Defekte
laterodigitale Lappen
Transpositionslappen
proximal gefäßgestielter lateraler Digitallappen
Freie mitteldicke Spalthauttransplantation
distal gestielter Hypothenarlappen
Gefäßgestielte Lappenplastiken aus dem Handbereich
Fähnchenlappen
Kleine distale Defekte proximal gestielte Fingerlappen
proximal neurovaskulär gestielter dorsaler Digitallappen Partielle ulnare Defekte
distal gestielte Metakarpallappen
dorsaler ulnarer sensibler Transpositionslappen
perforans gestielte Metakarpallappen
(Cheiroplastik oder Fillet-Fingerlappen)
Kleine Defekte im Bereich des Handrückens bis metakarpophalangealer Bereich
Partielle zentrale Defekte
proximal gestielte Metakarpallappen,
M. flexor pollicis brevis + Vollhaut
Mittelgroße Defekte im Bereich des Handrückens bis metakarpophalangealer Bereich, bei komplexer Handverletzung
(Cheiroplastik oder Fillet-Fingerlappen)
Fillet-Fingerlappen (Cheiroplastik)
(Cheiroplastik oder Fillet-Fingerlappen)
Gefäßgestielte Lappenplastiken aus dem Unterarmbereich
M. abductor digiti minimi + Vollhaut
Partielle radiale Defekte sensibler Thenar-Daumen-Transpositionslappen Defekte von der distalen Handgelenkfurche bis zur proximalen Hohlhandfurche
Proximale handgelenknahe Defekte
distal gestielter Interosseus-posterior-Lappen
Becker-Lappen
distal gestielter Interosseus-anterior-Lappen
Handrücken bis metakarpophalangealer Bereich
Becker-Lappen
Interosseus-posterior-Lappen Interosseus-anterior-Lappen Handrücken bis dorsale Fläche der Grundphalanx (P1) distal gestielter Radialislappen Freie mikrovaskuläre Lappenplastiken
distal gestielter Radialislappen Fernlappenplastiken (frei mikrovaskulär, gestielt) Defekte von der distalen Handgelenkfurche bis zu den Interdigitalräumen distal gestielter Radialislappen distal gestielter Ulnarislappen freie mikrovaskuläre Lappenplastik
Skapula-/Paraskapulalappen
→ + Oberarmlappen
Radialislappen
→ + Radialislappen
Temporalis-Faszien-Lappen + Spalthaut
→ + Plantaris-medialis-Lappen
Dorsalis-pedis-Lappen Fasziotendinöser Lappen
→ + M.-serratus-anterior-Lappen + Vollhaut gestielte Fernlappenplastiken → + Leistenlappen („axial pattern flap“) → (evtl. „Crane-flap-Technik“) → + Bauchhautlappen („random pattern flap“)
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
KAPITEL 9
a
b
Abb. 9.29 a–g. Distal gestielter Radialislappen zur Deckung eines Defektes im Hohlhand-, Interdigital- und proximalen palmaren Daumenbereich nach Débridement bei fulminantem Infekt. a Klinischer Aspekt intraoperativ nach „second look“. b Klinischer Aspekt nach Débridement und temporärer Fixierung der 1. Kommissur mit Hilfe von 2 Kirschner-Drähten. c Klinischer Aspekt nach Einnähung der Lappenplastik und Deckung des Spenderdefektes mit Hilfe eines Vollhauttransplantats aus der Leiste, welches mit einem Überknüpfverband fixiert wird. d Klinischer Aspekt 6 Monate postoperativ. e Zur Verbesserung des funktionellen (Verminderung der Lappenschwellung) und ästhetischen (Narbenbildung) Ergebnisses wird als Teil der postoperativen Physiotherapie routinemäßig eine postoperative Narben- und Drucktherapie für 6 Monate durchgeführt. f,g Klinischer Aspekt 6 Monate postoperativ. f Fingerstreckung, g Faustschluss
c
d, e
f, g
Bei partiellen Hohlhanddefekten im Bereich distal der Racetta bis zur proximalen Hohlhandfurche sollten aufgrund des geringeren Spenderdefektes der Interosseusposterior-Lappen oder Interosseus-anterior-Lappen bevorzugt gegenüber dem distal gestielten Radialislappen eingesetzt werden. Sind lokale Lappenplastiken vom Unterarm nicht möglich, müssen freie mikrovaskuläre oder gestielte Fernlappenplastiken Anwendung finden (s. unten). Bei ausgedehnten Defekten im Bereich der Racetta bis zu den Interdigitalräumen I bis V stellt der distal gestielte
Radialislappen die einzige gute lokale Lappenplastik aus dem Hand- und Unterarmbereich dar (Abb. 9.29 a–g). Besteht eine Kontraindikation für den distal gestielten Radialislappen, sollte die Möglichkeit eines distal gestielten Ulnarislappens, als letzte lokale Therapiemöglichkeit vom Unterarm, geprüft werden. Ist auch diese nicht möglich, kann der Defekt nur noch mit freien mikrovaskulären oder gestielten Fernlappenplastiken gedeckt werden. Wegen der Notwendigkeit der frühzeitigen Mobilisierung, der leichteren Pflege und geringeren psychischen
KAPITEL 9
Beeinträchtigung des Patienten sind die mikrovaskulären Lappenplastiken den gestielten Fernlappenplastiken vorzuziehen. Im Gegensatz zur Haut der Palma manus zeigen alle vom Unterarm gestielten lokalen sowie freien mikrovaskulären und gestielten Fernlappenplastiken eine deutlich ausgeprägte Subkutanschicht ohne straffe Septierung. Dies führt bei der Belastung während des Grobgriffs zu einer ausgeprägten Hypermobilität des Hautmantels („Schwimmen des Lappens“ oder „Savonnage“). Vor allem bei Handarbeitern kann diese kutane Instabilität zu einer starken Beeinträchtigung führen. Durch eine sekundäre Lappenausdünnung, welche frühestens nach etwa 6 Monaten durchgeführt werden sollte, kann diese Beeinträchtigung vermindert werden.
Zwischenfingerfalten (Kommissuren) Im Bereich der Kommissuren können verschiedene Hautdefektsituationen unterschieden werden. Bei Verletzungen oder Vernarbungen der Zwischenfingerfalte ist zu prüfen, ob sich der Defekt nur auf den Faltenrand erstreckt und wie weit die palmaren und dorsalen Kommissurenplatten der Falte geschrumpft sind oder fehlen. Grundsätzlich unterscheidet man auf die Kommissur beschränkte Defekte und über die Kommissur hinausgehende Defekte (Tabelle 9.11). Bewegungseinschränkungen im Bereich der Zwischenfingerfalten können durch Störungen im Bereich der Haut, der palmaren und dorsalen Faszienzüge, intrinsischer und/oder extrinsischer Muskeln und Sehnen sowie Gelenke alleine oder in Kombination bedingt sein. Eine sukzessive Entlastung („release“) der genannten Strukturen (so genanntes „Crescendo der Kommissurolyse“) kann für die Wiederherstellung der Funktion notwendig werden (Abb. 9.30 a,b). Besteht nur eine lineare Narbe, stellen die einfache 2-Lappen-Z-Plastik und die 4-Lappen-Z-Plastik die Verfahren der Wahl dar (Abb. 9.31 a,b). Bei mehrdimensionalen Defekten im Bereich des distalen Kommissurrandes und der palmaren oder dorsalen Kommissurenplatte sollte primär an die Möglichkeit einer lokalen Lappenplastik aus der unmittelbaren Umgebung, evtl. kombiniert mit einer Hauttransplantation, gedacht werden. Für den Bereich der 1. Kommissur sind zahlreiche Verfahren beschrieben worden. In unseren Händen hat sich besonders die Tridentlappenplastik bewährt. Im Langfingerbereich sind ebenfalls zahlreiche Techniken beschrieben worden. Neben der Tridentlappenplastik nach Glicenstein u. Bonnefous (1975) bzw. Hiroshowitz et al. (1975; Abb. 9.32 a–i) hat sich vor allem die V-M-Lappenplastik bewährt. Zeigt sich nach der Auflösung der Kontraktur ein deutlicher Hautdefekt, so muss zunächst geprüft werden, ob dieser mit einem freien Hauttransplantat gedeckt werden kann. Dies ist der Fall, wenn keine wichtigen Struk-
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
turen wie Gefäße, Nerven, Sehnen oder Knochen exponiert sind. Ist eine Defektdeckung mit einem Vollhauttransplantat (geringere Schrumpfungstendenz) nicht möglich, sollte als nächstes an eine lokale Lappenplastik aus dem Hand- und Unterarmbereich und schließlich an eine Fernlappenplastik gedacht werden. Bei gleichzeitigen Defekten an beiden Kommissurplatten besteht das Bild einer kutanen Syndaktylie. Abhängig von der Ausprägung (partiell vs. komplett) kommen neben den zuvor genannten gestielte Lappenplastiken aus dem Unterarmbereich und die klassischen Techniken der Syndaktylieauflösung zum Einsatz (vgl. Tabelle 9.11). Bei den über die Kommissur hinausgehenden Defekten sollte primär geprüft werden, ob der Defekt mit einem Vollhauttransplantat gedeckt werden kann. Ist dies nicht der Fall, müssen gestielte Lappenplastiken aus dem Unterarmbereich, freie mikrovaskuläre Lappenplastiken und schließlich gestielte Fernlappenplastiken eingesetzt werden (vgl. Tabelle 9.11).
Daumen Bei der Deckung von Hautdefekten im Daumenbereich können nach Wilhelm und Mitarb. (1997) Endglieddefekte, Grundglieddefekte und kombinierte Grund- und Endglieddefekte, wobei in den jeweiligen Gruppen aufgrund der klinischen Praktikabilität noch weitere Unterteilungen gemacht werden. Im Rahmen dieses Kapitels werden nur die Endglieddefekte beschrieben. Endglieddefekte. Im Engliedbereich können nach Dautel (1992) 4 verschiedene Amputationshöhen im Endgliedbereich unterschieden werden (Abb. 9.33, vgl. Tabelle 9.12 bis 9.15). Für die exakte Beschreibung des Gewebedefektes sind darüber hinaus die Beschreibung der Sektionsverlaufes und der Zustand der umliegendes Gewebes notwendig.
• Zone 1 beschreibt die sehr distale Amputation. Es besteht keine Exposition der Endphalanx. • Die Amputationslinie der Zone 2 verläuft durch das Nagelbett. Es verbleibt jedoch eine ausreichende Nagellänge, um eine Krallennagelbildung zu vermeiden. Ab dieser Zone sind mikrochirurgische Rekonstruktionen möglich. • Die Amputationslinie für Zone 3 verläuft im Bereich der Nagelfalzlinie. Die verbleibende Nagelbettlänge reicht nicht aus, um ein korrektes Nagelwachstum zu ermöglichen und eine Krallenfehlstellung des Nagels zu verhindern. Falls ein rekonstruktiver Eingriff (Replantation, Zehentransfer) die Länge des Nagelbettes nicht wieder herstellen kann, muss die komplette Entfernung des Nagelbettes durchgeführt werden. Für eine mögliche Replantation stehen keine dorsalen Venen (meist aber eine palmare Vene) zur Verfügung.
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
KAPITEL 9
Tabelle 9.11. Klassifikation und Differenzialtherapie bei Hautdefekten im Bereich der 1. Kommissur und der Langfingerkommisuren Auf die Kommissur beschränkte Hautdefekte Linearer Narbenzug im Bereich des distalen Randes der 1 Kommissur 2-Lappen-Z-Plastik 4-Lappen-Z-Plastik Mehrdimensionale Defekte im Bereich des distalen Randes der 1. Kommissur und der palmaren oder distalen Kommissurenplatten Tridentlappenplastik freie Vollhauttransplantation A.-metacarpalis-dorsalis-I-Lappenplastik nach Hilgenfeld Rotationslappenplastik nach Riordan Defekte beider Platten der 1. Kommissur (Syndaktylie) Schmetterlingslappenplastik nach Shaw dorsopalmare Transpositionslappenplastik nach Flatt dorsale Lappenplastik nach Bauer, kombiniert mit freier Vollhauttransplantation distal gestielte A.-interossea-posterior-Lappenplastik nach Penteado bzw. Zancolli Über die Kommissur hinausgehende Defekte Mehrdimensionale Defekte des distalen Randes der 1 Kommissur und der palmaren Kommissurenplatte in Kombination mit ausgedehnten Hohlhand- und proximalen Grundglieddefekten des Daumens Vollhauttransplantation distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik nach Yang laterale Oberarmlappenplastik nach Song freie mikrovaskuläre A.-radialis-Lappenplastik nach Yang M.-serratus-anterior-Lappenplastik nach Takayanagi und Tsukie Leistenlappenplastik nach McGregor Bauchhautlappenplastik nach Zoltan Mehrdimensionale Defekte des distalen Randes der 1. Kommissur und der dorsalen Kommissurenplatte in Kombination mit ausgedehnten Handrücken- und proximalen Grundglieddefekten des Daumens Vollhauttransplantation distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik nach Yang laterale Oberarmlappenplastik nach Song freie mikrovaskuläre A.-radialis-Lappenplastik nach Yang A.-temporalis-Faszienlappenplastik nach Smith thorakodorsale Faszienlappenplastik nach Wintsch bzw. Helaly Cross-Arm-Lappenplastik nach McCash Leistenlappenplastik nach McGregor Bauchhautlappenplastik nach Zoltan
KAPITEL 9
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
Abb. 9.30 a,b. “Crescendo der Kommissurolyse”. a 1. Kommissur, b 2. bis 4. Kommissur
M. interosseus dors. 1
a A. radialis M. adductor pollicis (durchtrennt) ulnarer Daumennerv Lig. accessorium Interosseussehne
Dorsalaponeurose
Lig. collaterale
b A
B
C
D
palmare Platte M. lumbricalis
A
B
C
C A D
D
B
b
a Abb. 9.31 a,b. 2- bzw. 4-Lappen-Z-Plastik zur Auflösung einer Adduktionskontraktur im Bereich der 1. Kommissur. a Prä
C A D
B
operativer Zustand und Lappenplanung. b Postoperatives Ergebnis
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
KAPITEL 9
a
d
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f
g, h
i Abb. 9.32 a–i. Tridentlappenplastik nach Glicenstein bzw. Hiroshowitz zur Auflösung einer posttraumatischen Narbenkontraktur unter Beteiligung der dorsalen Kommissurenplatte im Bereich der 1. Kommissur. a–c Klinischer Aspekt präoperativ und Lappenplanung. a Ansicht von dorsal, b „Kommissuren-
blick“, Ansicht von palmar. d–f Klinischer Aspekt nach Lappeneinnähung. d Ansicht von dorsal, e „Kommissurenblick“, f Ansicht von palmar. g–i Klinischer Aspekt ein Jahr postoperativ. g Ansicht von dorsal, h „Kommissurenblick“, i Ansicht von palmar
KAPITEL 9 Abb. 9.33. Defekteinteilung im Endgliedbereich und Berechnung der resultierenden Defektgröße
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität Zone
4
3
2
1
scheinbare Defektlänge wirkliche Defektlänge
• Die Amputationslinie für Zone 4 verläuft nahe des IPGelenks. Für eine mögliche Replantation stehen dorsal Venen zur Verfügung (vgl. Abb. 9.33, s. Plastische Chirurgie, Bd. 1, Kap. 17, S. 309). Für die exakte Beschreibung des Gewebedefektes und der sich daraus ergebenden therapeutischen Konsequenzen sind entscheidend: • topographische Beschreibung des Defektes (Amputationshöhe, Verlauf der Schnittlinie – transversal oder schräg, palmar, dorsal, lateral oder zirkumferenziell – und Defektausdehnung), • regionale Faktoren (Begleitverletzungen am Daumen und an den anderen Langfingern, mono- oder multidigitale Mutilation, zusätzliche Nervenläsionen) und • allgemeine Faktoren (dominante Pulpa, betroffene Seite mit Hinblick auf die Händigkeit des Patienten, Alter, Geschlecht, Beruf, Freizeitverhalten, Alkoholund Nikotinkonsum, systemische chronische Erkrankungen). Zone-1-Endglieddefekte. Bei akuten Fingerkuppendefekten mit Haut- und Pulpaverlust, aber ohne Exposition der Enphalanx, soll bei intaktem Kuppenamputat eine Refixierung vorgenommen werden. Zwei verschiedene Techniken sind zu unterscheiden:
1. Nach Säuberung von Wundgrund (Transplantatlager) und Amputat wird das Amputat mit einigen Stichen locker refixiert („composite graft“). Eine stationäre Aufnahme hat sich bewährt. Neben einer Immobilisierung sind rheologische Maßnahmen indiziert. Vor allem bei Kindern kommt es in den meisten Fällen zu einer völligen Einheilung ohne späterem Sensibilitätsverlust. 2. Nach Säuberung des Wundgrundes (Transplantatlager) wird das Amputat entfettet und im Fingerkuppenbereich mit einem übergeknüpften Verband fixiert. Die übrige Nachbehandlung entspricht der eines Voll-
Tabelle 9.12. Wertigkeit der differenzialtherapeutischen Möglichkeiten bei Zone-1-Defekten 1. Primäre Refixierung des Kuppenamputats „Composite graft“ Entfettetes Vollhauttransplantat 2. Spontane oder sekundäre Heilung 3. Lokale Nahlappenplastiken Palmare VY-Dehnungslappenplastik nach Tranquilli-Lealy Laterale Dehnungslappenplastik nach Geissendorfer
hauttransplantats. Mit einer Einheilung in 40–70% ist zu rechnen. Meist bleibt jedoch ein geringes sensibles Defizit. Besteht keine Möglichkeit der Refixierung, sollte die spontane oder sekundäre Heilung wegen der guten funktionellen Ergebnisse und der geringen Komplikationsrate gewählt werden. Ist eine sekundäre Wundheilung nicht möglich, sollten lokale Nahlappenplastiken eingesetzt werden (Tabelle 9.12). Zone-2-Endglieddefekte. Fingerkuppendefekte mit Teilverlust der Endphalanx und freiliegendem Markraum erfordern praktisch immer ein chirurgisches Vorgehen. Bei Daumenkuppenamputationen mit Knochenverlust bzw. freiliegender Endphalanx ist das Modellieren und Abrunden des Knochenstumpfes zwar notwendig, für den Daumen bedeutet aber jeder Gewinn an Länge auch eine messbare Funktionsverbesserung. Da bei Zone-2-Defekten mehr als 1/3 des Nagelbettes erhalten bleibt, sollte der Nagel erhalten werden. Für das ästhetische Ergebnis und insbesondere auch für die Qua-
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
lität des Spitzgriffes ist ein physiologischer Fingernagel wichtig. Da der Fingernagel erst distal der Lunula fest mit dem Nagelbett verwachsen ist, muss zur Erhaltung des Nagels eine knöcherne Unterlage für das Nagelbett von 4–5 mm distal der Lunula erhalten werden. Besteht die Möglichkeit zur funktionell erfolgversprechenden Replantation (nervale Anschlussmöglichkeit), sollte diese primär bei Kindern, Frauen und bestimmten Berufsschichten (Musiker) erwogen werden. Meist bestehen vaskuläre Einschränkungen. Ein dorsaler venöser Abfluss fehlt. Kommt es zu einer ungestörten Einheilung, zeigen diese Transplantate die besten sensiblen Ergebnisse. Die lokalen homodigitalen Verschiebelappenplastiken stellen die häufigste Therapieform bei partiellen Fingerkuppendefekten dar, zumal sie eine ästhetisch befriedigende und funktionell belastbare Fingerkuppe mit annähernd normaler Sensibilität ermöglichen. Zur besseren didaktischen Darstellung hat sich das „Konzept der Lappenreihen“ bewährt. Unter einer Lappenreihe werden alle Lappenplastiken zusammengefasst, die vom selben Spendergebiet – palmare, dorsale oder laterale Fingerhaut – durch Ausweitung der Präparation („back-cut“, mikrochirurgische Präparation des Gefäß-Nerven-Bündels) gehoben werden können, um einen größeren Defekt zu decken.
Für palmare transversale oder nach dorsal geneigte kleine Defekte, stellt die palmare Dehnungslappenplastik nach Moberg (Abb. 9.34 a–c) das Verfahren der Wahl dar. Wenn der bilaterale, zur Lappenmobilisation durchgeführte Schnitt bis in die Thenarregion fortgesetzt wird, kann der Lappen über 20 mm nach distal gezogen werden (Abb. 9.34 d–f). Prinzipiell sollten große Lappen geschnitten werden, da sowohl ihre Durchblutung als auch ihre funktionellen Ergebnisse (Sensibilität) denen kleiner Lappenplastiken überlegen sind. Ein weiterer Vorteil des großen Lappendesigns besteht darin, dass bei Wundheilungsstörungen mehr Material zur Korrektur vorhanden ist.
Für kleinere schräge, vor allem auf der radialen Daumenseite liegende Kuppendefekte stellt der Lappen nach Hueston und dessen Varianten eine ideale Indikation dar. Die wichtigere ulnare Seite wird durch diesen Eingriff nicht tangiert, die Defektdeckung erfolgt durch Dehnung und Schwenkung der radialen Haut an ihrem Gefäß-NervenStiel. Der laterale homodigitale Insellappen nach Venkataswami u. Subramanian (1980) stellt die Therapie der Wahl bei lateral gelegenen einseitigen Pulpadefekten dar. Bei Kindern mit großen palmaren Ablederungen (denu-
KAPITEL 9
diertes Endglied) bietet dieser Lappen eine ausgezeichnete Möglichkeit, eine Fingerkuppe mit normaler Sensibilität zu rekonstruieren. Bestehen auch Kontraindikationen für die lokalen homodigitalen Verschiebelappenplastiken (Läsionen – vor allem Ausrisse – der Gefäß-Nerven-Bündel, Quetschungen und Kontamination mit hochinfektiösem Material – Menschen- oder Tierbiss) muss auf eine CrossFinger-Plastik zurückgegriffen werden. Am besten eignen sich Lappen von der Seite oder dem Rücken des Zeigefingers sowie des Mittelgliedes des Mittelfingers, je nach Lage des Weichteildefektes. Der Mittelfinger-Cross-Lappen gewährt eine günstige Stellung während der 2-wöchigen Immobilisation. Diese Lappen ergeben in der Regel eine gute strapazierbare Hautdeckung. Es fehlt ihnen jedoch eine nützliche Sensibilität, und es drohen zusätzliche Versteifungen, besonders im Spenderfinger bei Patienten über 40 Jahre. Eine Verbesserung des sensiblen Defizits kann durch die Verwendung eines Cross-Finger-Lappens mit eigenem dorsalen Digitalnerv und dessen mikrochirurgischen Anschluss im Empfängergebiet erreicht werden. Darüber hinaus erscheint die Wahrscheinlichkeit einer symptomatischen Neurombildung an der Verletzungsstelle ebenfalls geringer (Tabelle 9.13). Zone-3-Endglieddefekte. Da bei Zone-3-Defekten die Amputationslinie im Bereich der Nagelfalzlinie verläuft, reicht die verbleibende Nagelbettlänge nicht aus, um ein korrektes Nagelwachstum zu ermöglichen und eine Krallenfehlstellung des Nagels zu verhindern. Deshalb empfiehlt sich die primäre radikale Entfernung der Matrix. Ein zu kurzer Fingernagel wäre funktionell störend und ästhetisch wahrscheinlich auffallender als ein fingernagelfreier Amputationsstumpf. Der primäre Verzicht auf den Fingernagel ergibt einen größeren Spielraum zur Stumpfbildung und ermöglicht in der Regel den primär spannungsfreien Wundschluss. Im Gegensatz zu den Zone-2-Defekten gewinnt die Replantation immer mehr an Bedeutung. Ein dorsaler venöser Anschluss ist jetzt möglich. Ist eine Replantation nicht möglich, stellen die lokalen homodigitalen Verschiebeschwenklappen die Therapie der Wahl dar. Die kleinen homodigitalen Verschiebeschwenklappenplastiken werden in dem meisten Fällen von den palmaren Verschiebelappen verdrängt. Bestehen Kontraindikationen für lokale homodigitale Verschiebeschwenklappen, muss als Nächstes an den mikrochirurgischen Zehenhauttransfer gedacht werden. Bei Kindern kann alternativ bei ersatzstarkem Wundlager die Verpflanzung eines Vollhauttransplantats aus plantarer Zehenhaut erwogen werden. Das Transplantat kann (Berger u. Meissl 1975) auch mit dem versorgenden N. digitalis der Zehe gehoben und der Zehennerv an den proximalen Stumpf des Fingernervs mikrochirurgisch angeschlossen
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Abb. 9.34 a–f. Schematische Darstellung der „Lappenreihe der palmaren Dehnungslappenplastiken“ (Lappenplastik nach Moberg und VY-Modifikation nach Epping). a Präoperativer Zustand und Lappenplanung. b Zustand nach Hebung des Moberg-Lappens. c Postoperativer Zustand nach Lappen-
einnähung mit leichter Beugung des IP-Gelenks. d Präoperativer Zustand und Lappenhebung der VY-Variante. e Zustand nach Hebung der VY-Variante. f Postoperativer Zustand nach Lappeneinnähung der VY-Variante
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
KAPITEL 9
Tabelle 9.13. Wertigkeit der differenzialtherapeutischen Möglichkeiten bei Zone-2-Defekten 0. Replantation 1. Lokale homodigitale Verschiebeschwenkplastiken a) Palmare Defekte Verschiebestrecke <6–7 mm palmare VY-Lappenplastik nach Tranquilli-Lealy laterale Dehnungslappenplastik nach Geissendörfer bzw. Kutler Verschiebestrecke >6–7 mm palmarer Dehnungslappenplastik nach Moberg und Varianten b) Laterale Defekte klein, radialseitig palmare Translationslappenplastik nach Hueston groß laterale Dehnungslappenplastik anch Venkataswami u. Subramanian 2. Heterodigitale gestielte Flügellappen (Cross-Finger-Lappen)a a) P2 D III dorsal b) P1/P2 D II dorsal a
Eventuell mikrochirurgischer Nervenanschluss im Empfängergebiet.
werden. Unter dem Mikroskop lässt sich das subkutane Fettgewebe des Transplantats unter Schonung der Nervenaufzweigungen entfernen, sodass die Einheilung wie bei einem üblichen Vollhauttransplantat erfolgt. Bestehen Kontraindikationen für den mikrovaskulären Gewebetransfer, sollte auf neurovaskuläre Insellappen zurückgegriffen werden. Die Verlagerung eines Insellappens aus einem Teil des vom N. medianus sensibel versorgten Handabschnitts in einen anderen des selben Versorgungsgebietes ist einer Verpflanzung aus dem Ulnarisgebiet vorzuziehen. Da die Dichte der Endorgane im neurovaskulär gestielten Insellappen aus dem Medianusund Ulnarisgebiet der Empfängerstelle besseres Hautgefühl als die nervös gestielten Lappen aus dem Radialisgebiet vermitteln, sollten erstere Lappen primär eingesetzt werden. Durch die mikrochirurgische Nervennaht im Empfängergebiet kann die kortikale Integration des sensiblen Lappens verbessert werden. Bestehen auch Kontraindikationen für eine neurovaskuläre Inselplastik, muss wieder auf einen heterodigital gestielten Lappen (Cross-Finger), wenn möglich ebenfalls wieder mit zusätzlichem nervösen Anschluss im Empfängergebiet, zurückgegriffen werden (Tabelle 9.14). Zone-4-Endglieddefekte. Wenn immer möglich, ist eine Replantation der Daumenkuppe durchzuführen, da das funktionelle und vor allem ästhetische Ergebnis (Fin-
gernagelerhalt!) bessere Ergebnisse erbringt als alternative Techniken der Rekonstruktion, auch wenn eine gewisse Kürzung sowie ein Funktionsverlust im End- und Grundgelenk in Kauf genommen werden muss. Ist eine Replantation nicht möglich, muss wieder auf sekundäre Rekonstruktionstechniken zurückgegriffen werden. Da diese großen Defekte nur selten mit lokalen homodigitalen Verschiebeschwenklappen gedeckt werden können, stellt der mikrochirurgische Zehenhauttransfer bei Zone-4-Defekten wegen des zu erwartenden guten Sensibilitätsergebnisses die Therapie der 1. Wahl beim Erwachsenen dar. Bei Kindern kann wieder alternativ bei ersatzstarkem Wundlager die Verpflanzung eines Vollhauttransplantats aus plantarer Zehenhaut, wenn möglich mit zusätzlichem nervalen Anschluss, erwogen werden. Bestehen Kontraindikationen für den mikrovaskulären Gewebetransfer, sollte auf neurovaskuläre Insellappen zurückgegriffen werden (Abb. 9.35 a–f). Bestehen auch Kontraindikationen für eine neurovaskuläre Inselplastik, muss wieder auf einen heterodigital gestielten Lappen (Cross-Finger), wenn möglich ebenfalls mit zusätzlichem nervösen Anschluss im Empfängergebiet, zurückgegriffen werden. Bestehen auch Kontraindikationen für die heterodigital gestielte Flügellappenplastik, kann die Stumpfversorgung mit sparsamster Skelettkürzung notwendig werden.
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
Tabelle 9.14. Wertigkeit der differenzialtherapeutischen Möglichkeiten bei Zone-3-Defekten 0. Replantation 1. Freier neurovaskulärer Zehenhauttransfer mit mikrochirurgischem Anschluss alternativ beim Kind + ersatzstarkem Transplantatlager: Vollhauttransplantat aus plantarer Zehenhaut (evtl. mit mikrochirurgischem Nervenanschluss) 2. Lokale homodigitale Verschiebeschwenklappen a) Palmare Defekte palmare Dehnungslappenplastik nach Moberg und Varianten b) Laterale Defekte laterale Dehnungslappenplastik nach Venkataswami und Subramanian 3. Neurovaskulärer Insellappena a) Palmares Spendergebiet D III (N.-medianus-Gebiet) D IV (N.-ulnaris-Gebiet) b) Dorsales Spendergebiet (N.-radialis-Gebiet) dorsolateraler homodigitaler Lappen heterodigitale dorsale Lappen („kite flap“, A.-intermetacarpalia-I-Lappen) 4. Heterodigitale gestielte Flügellappen (Cross-Finger-Lappen)a a) P2 D III dorsal b) P1/P2 D II dorsal a
Eventuell mikrochirurgischer Nervenanschluss im Empfängergebiet.
Die Knochenkürzung mit dem alleinigen Ziel des Stumpfverschlusses ist am Daumen im Gegensatz zu den Langfingern kontraindiziert.
Sie ist ebenfalls kontraindiziert, wenn nach Kürzung keine adäquate Länge mehr für die Daumenopposition erhalten werden kann. Der Schlüsselgriff muss immer möglich sein. Eine Einschränkung dieses Dogmas besteht, wenn initial eine sekundäre Daumenverlängerung geplant wird. Neben einer guten Patienten-Compliance stellen gute Mobilität des 1. Strahles und fehlende STT-, CMC-I-, und MP-I-Arthrose Voraussetzungen für die Wahl dieses Verfahrens dar. Durch die Möglichkeit der sekundären Daumenverlängerung kann die initiale Skelettkürzung für eine optimale Stumpfdeckung und -sensibilität geringfügig großzügiger ausfallen. Dieses Verfahren ist vor allem bei Avulsionsamputationen mit Eröffnung des Interphalangeal- (IP-)Gelenks indiziert. Freie Transplantate (Spalt- oder Vollhaut) eignen sich nicht für die Deckung von Zone-4-Defekten. Sie sind mechanisch nicht stark beanspruchbar und besitzen kein oder nur wenig Gefühl. Ein dünnes Spalthauttransplantat kann aber zur vorübergehenden Deckung verwendet werden. Durch Schrumpfung des Transplantats wird der
Defekt verkleinert, sodass die endgültige Versorgung erleichtert wird (Tabelle 9.15).
Langfinger Bei der Deckung von Hautdefekten im Langfingerbereich können nach Wilhelm und Mitarb. (1997) Endglieddefekte, Mittelglieddefekte, Grundglieddefekte und kombinierte Grund-, Mittel- und Endglieddefekte unterschieden werden. Die genannten Gruppen können aufgrund der klinischen Notwendigkeit in weitere Untergruppen unterteilt werden. Im Rahmen dieses Kapitels sollen nur die Endglieddefekte beschrieben werden. Endglieddefekte. Anforderungen an die Hautdeckung im Bereich der Langfingerendglieder sind für den Pulpabereich wegen großer Beanspruchung und mechanischer Belastung hoch. Gute Sensibilität, Schmerzfreiheit und Erhaltung der Fingerlänge ist für die globale Handfunk tion wichtig. Im dorsalen Endphalanxbereich sollte aus funktionellen (Widerlager beim Tasten) und ästhetischen Gründen ein normales Nagelwachstum erhalten bleiben.
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a M. interosseus dorsalis I A. metacarpalis dorsalis I
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Abb. 9.35 a–f. Rekonstruktion eines kompletten Pulpadefektes im Daumenbereich mit Hilfe eines dorsalen DMCALappens nach Hilgenfeld. a klinischer Aspekt präoperativ. b Schema: Anatomie und Lappenplanung. c Klinischer Aspekt intraoperativ nach Lappenhebung. d Klinischer Aspekt intraoperativ nach Lappeneinnähung. e,f Klinischer Aspekt ein Jahr nach Operation. e Ansicht von dorsal, f Detail Daumenpulpa
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Tabelle 9.15. Wertigkeit der differenzialtherapeutischen Möglichkeiten bei Zone-4-Defekten 0. Replantation 1. freier neurovaskulärer Zehenhauttransfer mit mikrochirurgischem Anschluss alternativ beim Kind + ersatzstarkes Transplantatlager: Vollhauttransplantat aus plantarer Zehenhaut (evtl. mit mikrochirurgischem Nervenanschluss) 2. Neurovaskulärer Insellappena a) Palmares Spendergebiet D III (N.-medianus-Gebiet) D IV (N.-ulnaris-Gebiet) b) dorsales Spendergebiet (N.-radialis-Gebiet) dorsolateraler homodigitaler Lappen heterodigitale dorsale Lappen („kite flap“, A.-intermetacarpalia-I-Lappen) 3. Heterodigitale gestielte Flügellappen (Cross-Finger-Lappen)a a) P2 D III dorsal b) P1/P2 D II dorsal 4. Stumpfversorgungb (Oppositionsfähigkeit des Daumens sollte erhalten bleiben). a b
Eventuell mikrochirurgischer Nervenanschluss im Empfängergebiet. Eventuell als vorbereitende Maßnahme zur Daumenverlängerung.
Für die Festsetzung des differenzialtherapeutischen Vorgehens benötigt man eine exakte topographische Beschreibung des Defektes, Information über regionale Faktoren und Informationen über allgemeine Faktoren. Die exakte Defektbeschreibung bildet den Ausgangspunkt aller therapeutischen Überlegungen. Neben der Defekthöhe müssen die Defektneigung zur Fingerachse und der Zustand des Gewebes im angrenzenden Defektgebiet zusammen bewertet werden. Die Festsetzung der Defekthöhe ist wichtig zur Beantwortung der Fragen, ob Knochen exponiert ist und ob eine Schädigung des Nagel-Nagelbett-Komplexes vorliegt. Darüber hinaus gibt die Defekthöhe Hinweise auf Möglichkeit und Art einer eventuellen Replantation. Ausgehend von der Frontalebene (90° zur longitudinalen Fingerachse) unterscheidet man: 1. neben dem „Idealfall“ des transversalen geraden Defektverlaufs, 2. eine nach dorsal geneigte gerade Defektebene und 3. eine nach palmar geneigte gerade Defektebene. In allen 3 Untergruppen können abhängig vom Verlauf der Defektlinie in der Sagittalebene weiterhin symmetrisch verlaufende und asymmetrisch verlaufende Defekte unterschieden werden. Mit Ausnahme der reinen Fingerkuppendefekte (Zone 4) bestehen bei den Fingerkuppenverletzungen immer ein palmarer Defekt des Pulpa-Weichteil-Systems
und ein dorsaler Defekt im Bereich des Nagelkomplexes. Für die Festsetzung der benötigten Lappenlänge ist es von entscheidender Bedeutung, nicht die fehlende Endgliedlänge, sondern die Länge der fehlenden Haut entlang der palmaren Fläche zu messen. Durch die Krümmung im Kuppenbereich ist der wirkliche Hautdefekt bedeutend größer als meist angenommen. Der häufigste Fehler bei der Rekonstruktion von Kuppendefekten liegt in der fehlerhaften Einschätzung der Defektgröße und damit verbunden der Auswahl einer nicht geeigneten Lappenplastik. Die Qualität (Vaskularisation, Sensibilität) des Gewebes im defektangrenzenden Bereich, welche ebenfalls entscheidend für die Auswahl der lokalen Lappenplastiken ist, ist abhängig von der Ätiologie des Defektes (posttraumatisch, Infektion, Tumor, Verbrennung, Sonstiges). Bei den traumatisch bedingten Amputationsdefekten unterscheidet man in: • glatte, guillotineartige Amputationen, • Amputationen mit zusätzlicher geringer Quetschung, • Amputationen mit zusätzlicher ausgedehnter Quetschung und • Ausriss- oder Avulsionsverletzungen. Neben den defektspezifischen Kriterien ist es für die Planung der Therapie wichtig zu wissen, ob es sich um einen uni- oder multidigitalen Defekt handelt und ob die dominante oder nichtdominate Hand betroffen ist.
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
Schließlich müssen auch allgemeine Faktoren wie Begleitverletzungen anderer Körperregionen bei Trauma, allgemeiner Gesundheitszustand, Alter, Geschlecht, Beruf, Religion/Volkszugehörigkeit, Intelligenz (Nachbehandlung), Freizeitverhalten, Alkohol- und Nikotinkonsum und mögliche systemische chronische Erkrankungen mit bedacht werden. Zur Festsetzung der Defekthöhe von horizontalen, d. h. idealerweise 90° zur Fingerlängsachse verlaufenden Defekten im Bereich des Endgelenks sind mehrere Klassifikationen beschrieben worden. Für die Klassifikation der Defekthöhe wird der proximale Defektrand herangezogen.
Somit können nach palmar schräg verlaufende (Pulpadefekte) und nach dorsal schräg verlaufende (Nagel- und Nagelbettdefekte) ebenfalls ausreichend mit den oben genannten Klassifikationen beschrieben werden. Tabelle 9.16. Wertigkeit der differenzialtherapeutischen Möglichkeiten bei Zone-1-Endglieddefekten der Langfinger Composite graft Kontrollierte sekundäre Wundheilung Alle symmetrisch verlaufenden Endglieddefekte Palmare V-Y-Dehungs-Lappenplastik nach Tranquilli_Leali Alle asymmetrisch verlaufenden Endglieddefekte Laterale Dehungs-Lappenplastik nach Geissendörfer bzw. Kutler (Voll-)Hauttransplantation
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KAPITEL 9
Zone-1-Endglieddefekte. Zone 1 beschreibt die sehr distalen Defekte ohne Knochen- und Beugesehnenexposition und Schädigung von Nagelbett und Nagel (Tabelle 9.16). Aus praktisch-therapeutischer Sicht ist eine weitere Unterteilung abhängig vom Defektverlauf in der Transversal- und Sagittalebene innerhalb dieser Gruppe nicht notwendig. Therapieziel ist die Rekonstruktion einer funktionell und ästhetisch normalen Pulpa. Unabhängig vom Verlauf der Verletzungslinie sollte bei glatter Kuppenamputation mit Erhalt des Amputats vor allem bei jüngeren Patienten eine Replantation im Sinne eines „Composite-graft“ (Abb. 9.36 a,b) oder einer Refixierung des ausgedünnten Amputats (Abb. 9.37 a–e) angestrebt werden (80–85% Überlebensrate). Ist dies nicht möglich, stellt bei ausreichender Weichteildeckung des Knochen die kontrollierte sekundäre Wundheilung die Therapie der Wahl dar (besonders bei Kindern). Wird eine Defektdeckung notwendig, sollte der Kuppendefekt mit Hilfe einer lokalen Lappenplastik rekonstruiert werden. Die Auswahl des geeigneten Verfahrens erfolgt nach den gleichen Kriterien wie für die Zone-2-Endglieddefekte (Tabelle 9.17). Die Defektdeckung mit einem freien Hauttransplantat sollte nur in Ausnahmefällen durchgeführt werden. Wegen der Gefahr der Ausbildung einer instabilen Narbe und einer mangelhaften Resensibilisierung nach Spalthauttransplantation sollte, wenn überhaupt, ein Vollhauttransplantat eingesetzt werden. Zone-2-Endglieddefekte. Zone 2 beschreibt Endglieddefekte mit Verlust von etwa 1/3 der palmarseitigen Haut, Exposition von Knochen und Schädigung des Nagelkomplexes.
b Abb. 9.36 a,b. Refixierung ohne Ausdünnung („composite graft nach Douglas“). a Klinischer Aspekt präoperativ. b Klinischer Aspekt ein Jahr nach Refixierung: Ansicht von palmar
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Abb. 9.37 a–e. Refixierung des ausgedünnten Amputats im Sinne einer „autochtonen“ Vollhauttransplantation. a Präoperative Befund. b Technisches Vorgehen bei Entfettung und Ausdünnung eines Vollhauttransplantats. c Vorlegen von Fäden zur Anlage eines eingeknüpften Verbandes.d Gleich-
mäßige Kompression des Hauttransplantats mit Hilfe von Fettgaze, Kompressen und Schaumstoff (Zustand vor Verschnürung). e Gleichmäßige Kompression des Hauttransplantats mit Hilfe von Fettgaze, Kompressen und Schaumstoff (Zustand nach Verschnürung)
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
KAPITEL 9
Tabelle 9.17. Wertigkeit der differenzialtherapeutischen Möglichkeiten bei Zone-2-Endglieddefekten der Langfinger Bei allen Defekten Mikrochirurgische Rekonstruktion (orthotop, heterotop) Transversal verlaufende kombinierte palmare und dorsale Defekte → Verlust >50% Endphalanx und/oder Nagelkomplex Stumpfversorgung modifizierter Wrap-around-Transfer nach Morrison bzw. Steichen → Verlust <50% Endphalanx und/oder Nagelkomplex Palmare Defekte Symmetrisch, transversal verlaufende Endglieddefekte Partielle Defekte palmare VY-Dehnungs-Lappenplastik nach Tranquili-Lealy und Varianten Komplette Defekte palmare Dehnungslappenplastik nach Snow und Varianten palmare Translationslappenplastik nach Hueston Asymmetrische schräg verlaufende Endglieddefekte Partielle Defekte laterale Dehnungslappenplastik nach Geissendorfer bzw. Kutler und Varianten Komplette Defekte lateraler Dehnungslappen nach Venkataswami u. Subramanian und Varianten palmare Translationslappenplastik nach Hueston Dorsale Defekte Freie Spaltnagelbetttransplantation Nagelbetttranslationslappenplastik nach Shepard Freie mikrovaskuläre osteokutane Nageltransplantation nach Koshima Nach palmar schräg verlaufende Defekte (s. oben) Nach dorsal schräg verlaufende Defekte → Verlust von Endphalanx und palmarer Pulpahaut Stumpfversorgung → großenteils erhaltene Endphalanz und pahnare Pulpahaut Längenerhalt mit Nagelkomplexrekonstruktion Freie Spaltnagelbetttransplantation Nagelbetttranslationslappenplastik nach Shepard Freie mikrovaskuläre osteokutane Nageltransplantation nach Koshima Längenerhalt mit Nagelkomplexentfernung Mitteldicke Spalthauttransplantation Dorsale Translationslappenplastik nach Del Bene Homodigitale Insellappenplastik mit retrogradem Fluss nach Oberlin Desepidermalisierte dorsale Cross-Finger-Lappenplastik nach Pakim
KAPITEL 9
• Transversal verlaufende palmare und dorsale kombinierte Endglieddefekte. Bei transversal verlaufenden kombinierten palmaren und dorsalen Endglieddefekten der Zone 2 verläuft die proximale Grenze der Verletzungslinie auf der dorsalen Seite des Fingers distal der Lunula. Mehr als die Hälfte von Nagel und Nagelbett sind erhalten (vgl. Tabelle 9.17). Primäre Therapieziele sind die adäquate „Polsterung“ des verletzten Knochens mit sensiblem Weichgewebe und die ausreichende Rekonstruktion und Abstützung des Nagelbettes zur Prävention einer Krallennagelbildung sowie die Erhaltung der Fingerlänge. Bei glatter Amputation mit Erhalt des Amputats sollte vor allem bei jüngeren Patienten eine mikrochirurgische Rekonstruktion von Arterie und Nerven bedacht werden. Eine mikrochirurgische venöse Anastomose ist in diesem Bereich kaum möglich. Der venöse Abfluss erfolgt über den spongiösen Knochen. Da im Gegensatz zum Daumen die Länge der Langfinger nicht so einen großen Einfluss auf die globale Handfunktion hat, muss bei allen Defekten distal der Insertion der oberflächlichen Beugesehne immer die Stumpfversorgung als Therapiemöglichkeit neben der Rekonstruktion mit einer vaskularisierten Lappenplastik bedacht werden. Indikationen zur primären Stumpfversorgung bestehen bei Verlust von mehr als der Hälfte der knöcheren Endphalanx und/oder des Nagelkomplexes. In allen anderen Fällen kann wegen des ästhetischen Ergebnisses ein Rekonstruktionsversuch mit einer vaskularisierten Lappenplastik vorgenommen werden. Auswahlkriterien sind die Defektgeometrie sowie die benötigte Strecke der Lappentransposition. Darüber hinaus spielen vor allem der allgemeine Gesundheitszustand, Beruf, Freizeitverhalten und Wünsche des Patienten eine entscheidende Rolle für die Auswahl der individuell optimalen Lappenplastik. Bei symmetrischen, transversal verlaufenden Endglieddefekten der Zone 2 stellen die palmaren Dehnungslappen die Therapie der Wahl dar. Partielle Defekte (kleine transversale oder nach dorsal schräg verlaufende Defekte im Bereich der Zone 2) können mit einer palmaren VY-Dehnungsplastik nach Tranquilli-Leali (1935) funktionell und ästhetisch gut gedeckt werden (Abb. 9.38 a–c). Zur Verminderung der Spannung im Transplantatbereich kann der Lappen bei Bedarf in eine neurovaskulär gestielte Insellappenplastik umgewandelt werden. Bei kompletten Defekten und Wunsch nach maximaler Fingerlängenerhaltung, sollte primär an eine palmare Dehnungslappenplastik nach Snow (1967) gedacht werden, welche bei zusätzlichem Längenbedarf in eine bipedikuläre neurovaskuläre Insellappenplastik umgewandelt werden kann. Als Therapie
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
der 2. Wahl kann eine palmare Verschiebelappenplastik nach Hueston (1965) eingesetzt werden. Bei asymmetrischen, schräg verlaufenden Endglieddefekten der Zone 2 stellen die lateralen Dehnungslappenplastiken die Therapie der Wahl dar. Partielle Defekte (kleine transversale asymmetrische oder nach dorsal schräg verlaufende Defekte im Bereich der Zone 2) können mit einer lateralen Dehnungslappenplastik gedeckt werden. Bei kompletten Defekten sollte primär eine laterale Dehnungslappenplastik nach Venkataswami u. Suramanian (1980) geplant werden, die bei Bedarf in eine lateropalmare Insellappenplastik umgewandelt werden kann (Abb. 9.38 d–f). Als nächste Therapiemöglichkeit kann für die nichtdominante Pulpa des Mittel- und Ringfingers die palmare Verschiebelappenplastik nach Hueston (1965) eingesetzt werden. Hinsichtlich der Versorgung des dorsalen Defektes im Bereich des Nagelkomplexes gelten die gleichen Richtlinien wie bei der Versorgung der Endglieddefekte im Bereich der Zone 3. Bei Defekten über 50% des Nagelkomplexes erfolgt eine radikale Nagelbettentfernung im Rahmen der Stumpfbildung. Sekundär kann eine freie mikrovaskuläre osteokutane Nageltransplantation durchgeführt werden. Bei Nagelkomplexdefekten unter 50% besteht die Möglichkeit, einen in Form und Funktion adäquaten Nagelkomplex wiederherzustellen. Bei ausreichender palmarer Weichteil-Knochen-Situation sollte als erstes an die Möglichkeit einer freien Spaltnagelbetttransplantation gedacht werden. Ist diese nicht möglich, ist als Nächstes an die Möglichkeit einer Nagelbetttranslationslappenplastik zu denken. Ist auch diese nicht möglich, bleibt nur die freie mikrovaskuläre osteokutane Nageltransplantation. • Nach palmar schräg verlaufende Endglieddefekte. Die nach palmar schräg verlaufenden Endglieddefekte der Zone 2 werden nach den gleichen Leitlinien wie die transversal verlaufenden kombinierten palmaren und dorsalen Endglieddefekten dieser Gruppe versorgt (vgl. Tabelle 9.17). • Nach dorsal schräg verlaufende Endglieddefekte. Da in den meisten Fällen ein Verlust von über 50% des Nagelkomplexes besteht, stellt die Stumpfversorgung die Therapie der Wahl dar. In Ausnahmefällen kann bei sehr tangentialem Defektverlauf mit partiellem Verlust des dorsalen Nagelkomplexes, aber größtenteils Erhalt der Endphalanx und der palmaren Pulpaanteile, eine Längenerhaltung im Langfingerbereich durchgeführt werden. In Abhängigkeit von Defekttiefe und -ausmaß ist auch eine adäquate Rekonstruktion des Nagelkomplexes möglich. Bei oberflächlichen Defekten mit ersatzstarkem Lager und größtenteils erhaltener germinativer Matrix sollte primär an die Möglichkeit einer Spaltnagelbett-
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KAPITEL 9 Abb. 9.38 a–f. Schematische Darstellung der „Lappenreihe der palmaren Dehnungslappenplastiken“ (Lappenplastik nach Tranquilli-Leali und laterale VY-Modifikation nach Venkataswami und Suramanian). a Präoperativer Zustand und Lappenplanung. b Zustand nach Hebung des Moberg-Lappens. c Postoperativer Zustand nach Lappeneinnähung mit leichter Beugung des IP-Gelenks. d Präoperativer Zustand und Lappenhebung der VY-Variante. e Zustand nach Hebung der VY-Variante. f Postoperativer Zustand nach Lappeneinnähung der VY-Variante
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Tabelle 9.18. Wertigkeit der differenzialtherapeutischen Möglichkeiten bei Zone-3-Endglieddefekten der Langfinger Bei allen Defekten Mikrochirurgische Rekonstruktion (orthotop, heterotop) Transversal verlaufende kombinierte palmare und dorsale Defekte Stumpfversorgung unter Erhalt des DIP-Gelenks modifizierter Wrap-around-Transfer nach Morrison bzw. Steichen Nach palmar schräg verlaufende Defekte Zerstörte Endphalanx Stumpfversorgung modifizierter Wrap-around Transfer nach Morrison bzw. Steichen Erhaltene Endphalanx Palmare Defekte Symmetrisch, transversal verlaufende Endglieddefekte palmare Dehnungslappenplastik nach Snow und Varianten palmare Translationslappenplastik nach Hueston homodigitale Insellappenplastik mit retrogradem Fluss nach Oberlin Asymmetrische, schräg verlaufende Endglieddefekte lateraler Dehnungslappen nach Venkataswami und Subramanian und Varianten Fingerkuppenaustauschinsellappenplastik nach Foucher (dominante Fingerkuppenanteile) palmare Translationslappenplastik nach Hueston Dorsale Defekte Freie Spaltnagelbetttransplantation Nagelbetttranslationslappenplastik nach Shepard Freie mikrovaskuläre osteokutane Nageltransplantation nach Koshima Nach dorsal schräg verlaufende Defekte Stumpfversorgung freie mikrovaskuläre osteokutane Nageltransplantation nach Koshima modifizierter Wrap-around-Transfer nach Morrison bzw. Steichen
transplantation gedacht werden. Besteht kein ersatzstarkes Transplantatlager, sollte als Nächstes an die Nagelbettverschiebelappenplastik gedacht werden. Ist diese auch nicht möglich, kann eine adäquate Nagelkomplexrekonstruktion nur mit einer freien mikrovaskulären osteokutanen Nageltransplantation erreicht werden. Soll keine Rekonstruktion des Nagelkomplexes erfolgen, aber die Langfingerlänge erhalten bleiben, kann bei ersatzstarkem Lager eine mitteldicke Spalthauttransplantation nach radikaler Entfernung des verbliebenen Nagelbettrestes durchgeführt werden. Liegt kein ersatzstarkes Transplantatlager vor, stellt die dorsale Verschiebelappenplastik die Therapie der Wahl zur Defektdeckung dar. Als Therapie der 2. Wahl ist die homodigitale Insellappenplastik mit re-
trogradem Fluss oder die Bumerang-Lappenplastik zu empfehlen. Wegen der Notwendigkeit der Immobilisierung und der zusätzlichen Schädigung eines Nachbarfingers, sollte die dorsale Cross-Finger-Lappenplastik in ihrer desepidermialisierten Variante nur als Therapie der 3. Wahl eingesetzt werden. Zone-3-Endglieddefekte. Die Sektionslinie für Zone 3 verläuft derart, dass etwa 50% der gesamten Haut im Endphalanxbereich fehlen. Auf der Dorsalseite ist das Verlustausmaß des Nagelkomplexes abhängig vom Verlauf der Sektionslinie in der Transversalebene (Tabelle 9.18). Die Auswahl des therapeutischen Verfahrens richtet sich vor allem nach der Möglichkeit der Rekonstruktion eines adäquaten Nagelkomplexes. Ist dies nicht
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möglich, erfolgt die primäre Stumpfversorgung mit dem Ziel, einen adäquaten Amputationsstumpf zu schaffen. Kann ein adäquater Nagelkomplex rekonstruiert werden, ist das primäre Therapieziel die adäquate Polsterung des verletzten Knochens mit sensiblem Weichteilgewebe. • Transversal verlaufende kombinierte palmare und dorsale Defekte. Bei glatter Amputation mit transversalem Verlauf und Erhalt des Amputats kann in Ausnahmesituationen (Frauen, Kinder, Beruf, Wunsch usw.) an eine mikrochirurgische Rekonstruktion im Sinne einer Replantation gedacht werden. Für eine mögliche Replantation stehen keine dorsalen Venen, aber meist eine palmare Vene zur Verfügung. Ist eine Replantation nicht möglich, sollte eine Nachamputation mit Stumpfversorgung erfolgen. Bei transversal verlaufenden Endglieddefekten reicht die verbleibende Nagelbettlänge nicht aus, um ein korrektes Nagelwachstum zu ermöglichen und eine Krallennagelfehlstellung zu verhindern, weshalb die komplette Entfernung des Nagelbettes durchgeführt werden sollte.
Nur in Extremfällen ist eine sekundäre Wiederherstellung der Fingerlänge mit adäquatem Nagelkomplex möglich. Hierzu ist der „Wrap-around-Großzehentransfer“ die Methode der Wahl. • Nach palmar schräg verlaufende Defekte. Bei nach palmar schräg verlaufenden Pulpadefekten mit Erhalt von mehr als der Hälfte des Nagels ist das weitere Vorgehen abhängig vom Zustand des Knochens. Bei zerstörter Endphalanx fehlt die Abstützung für den Nagelkomplex, weshalb es in der Folge zu einer Krallennagelbildung kommt. Die Indikation zur Nachresektion und Stumpfbildung ist gegeben. Nur in Ausnahmefällen ist eine sekundäre Wiederherstellung der Fingerlänge mit adäquatem Nagelkomplex durch einen freien mikrovaskulären modifizierten Wraparound-Großzehentransfer indiziert. Bei erhaltener Endphalanx besteht eine ausreichende Abstützung für den Nagelbett-Nagel-Komplex, eine Pulparekonstruktion ist aus funktionellen und ästhetischen Gründen indiziert. Der Kuppendefekt wird mit lokaler homodigitaler Lappenplastiken gedeckt, wobei der Defektverlauf in der Frontalebene die Lappenwahl bestimmt. Bei symmetrischen, transversal verlaufenden Endglieddefekten der Zone 3 sollte primär eine palmare Dehnungslappenplastik geplant werden, welche bei zusätzlichem Längenbedarf in eine bipedikuläre neurovaskuläre Insellappenplastik umgewandelt werden kann. Als Therapie der 2. Wahl kann die palmare Ver-
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schiebelappenplastik nach Hueston (1965) eingesetzt werden. Bei asymmetrischen, schräg verlaufenden Endglieddefekten der Zone 3 sollte primär eine laterale Dehnungslappenplastik geplant werden, die bei Bedarf in eine lateropalmare Insellappenplastik umgewandelt werden kann. Alternativ kann für die nichtdominante Pulpa des Mittel- und Ringfingers die palmare Verschiebelappenplastik nach Hueston (1965) eingesetzt werden. Im Bereich der dominanten Pulpahälften am radialen Zeige-, Mittel- und Ringfinger sowie im ulnaren Kleinfingerbereich vor allem der dominanten Hand ist eine Fingerkuppenaustauschlappenplastik indiziert. • Nach dorsal schräg verlaufende Defekte. Vorausgesetzt, dass über 50% des Nagelkomplexes erhalten sind, ist das therapeutische Vorgehen bei der Versorgung von dorsalen Nagelkomplexdefekten der Zone 3 abhängig vom Zustand der knöchernen Endphalanx. Bei zerstörter Endphalanx fehlt die Abstützung für den Nagelkomplex, weshalb es in der Folge zu einer Krallennagelbildung kommt. Die Indikation zur primären Stumpfversorgung unter Erhalt des distalen Interphalangeal- (DIP-)Gelenks ist gegeben. Nur in Ausnahmefällen ist eine Wiederherstellung der Fingerlänge indiziert. Hierzu ist ein freier mikrovaskulärer modifizierter Wrap-around-Großzehentransfer möglich. Bei erhaltener Endphalanx besteht eine ausreichende Abstützung für den Nagelkomplex. Eine Nagelkomplexrekonstruktion ist aus funktionellen und ästhetischen Gründen indiziert. Bei ersatzstarkem Lager und erhaltener germinativer Matrix sollte primär an die Möglichkeit einer Spaltnagelbetttransplantation gedacht werden. Besteht kein ersatzstarkes Lager, sollte als Nächstes die Nagelbettverschiebelappenplastik in Erwägung gezogen werden. Ist auch diese nicht möglich, kann eine adäquate Nagelkomplexrekonstruktion nur mit einer freien mikrovaskulären osteokutanen Nageltransplantation erreicht werden. • Nach dorsal schräg verlaufende Defekte. Bei nach dorsal schräg verlaufenden Defekten der Zone 3 besteht keine Möglichkeit der Rekonstruktion eines adäquaten Nagelkomplexes. Darüber hinaus liegt auch ein Defekt der knöchernen Endphalanx vor. Die Stumpfversorgung mit Entfernung des restlichen Nagelkomplexes unter Erhalt des DIP-Gelenks stellt die Therapie der Wahl dar. Nur in Ausnahmefällen kann eine sekundäre Wiederherstellung der ursprünglichen Fingerlänge mit adäquatem Nagelkomplex mit Hilfe einer freien mikrovaskulären osteokutanen Nageltransplantation oder einem modifizierten Wrap-around-Großzehentransfer durchgeführt werden.
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
Tabelle 9.19. Wertigkeit der differenzialtherapeutischen Möglichkeiten bei Zone-4-Endglieddefekten der Langfinger Bei allen Defekten Mikrochirurgische Rekonstruktion (orthotop, heterotop) Transversal verlaufende kombinierte palmare und dorsale Defekte Stumpfversorgung unter Erhalt des DIP-Gelenks modifizierter Wrap-around-Transfer nach Morrison bzw. Steichen Nach palmar schräg verlaufende Defekte → <50% Nagelkomplex erhalten Stumpfversorgung → 50% Nagelkomplex erhalten Zerstörte Endphatanx Stumpfversorgung Verhaltene Endphalanx Palmare Defekte Symmetrisch, transversal verlaufende (komplette) Pulpadefekte freie mikrovaskuläre Pulpalappenplastik nach Buncke heterodigitale Insellappenplastik nach Littler sensible Cross-Finger-Lappenplastik nach Berger und Meissl homodigitale Insellappenplastik mit retrogradem Fluss nach Oberlin dorsale Cross-Finger-Lappenplastik nach Cronin Thenarlappenplastik nach Gatewood (Mittelfinger) Asymmetrische, schräg verlaufende Endglieddefekte Fingerkuppenaustauschinsellappenplastik nach Foucher (dominante Fingerkuppenanteile) lateropalmare Insellappenplastik nach Mouchet und Gilbert (dominante Pulpahälfte D II) dorsale Cross-Finger-Lappenplastik nach Cronin Dorsale Defekte Freie Spaltnagelbetttransplantation Nagelbetttranslationslappenplastik nach Shepard Freie mikrovaskuläre osteokutane Nageltransplantation nach Koshima Nach dorsal schräg verlaufende Defekte Stumpfversorgung modifizierter Wrap-around-Transfer nach Morrison bzw. Steichen
Zone-4-Endglieddefekte. Die Defektlinie für Zone 4 verläuft proximal der Lunula nahe des IP-Gelenks. Primäres Therapieziel ist die Schaffung einer schmerzfreien, sensiblen Fingerkuppe (Tabelle 9.19). Bei glatter Amputation mit transversalem Verlauf und Erhalt des Amputats kann in Ausnahmesituationen (Frauen, Kinder, Beruf, Wunsch usw.) bei geeigneten Patienten an eine mikrochirurgische Rekonstruktion gedacht werden. Für eine mögliche Replantation stehen dorsale Venen zur Verfügung. Ist eine orthotope Replan-
tation nicht möglich, sollte in der Akutsituation bei polydigitaler Schädigung an die Möglichkeit einer heterotopen Transplantation im Sinne des Gewebebankkonzeptes gedacht werden. Ist bei transversal verlaufenden kombinierten palmaren und dorsalen Defekten eine Replantation nicht möglich, sollte eine Nachamputation mit Stumpfversorgung erfolgen. Die radikale Entfernung der Nagelmatrixreste muss durchgeführt werden. Die mikrochirurgische Rekonstruktion der Endphalanx im Langfingerbereich stellt
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Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
eine extreme Ausnahmesituationen dar. Hierzu eignet sich vor allem der modifizierte Wrap-around-Großzehentransfer oder der partielle freie mikrochirurgische Transfer der 2. Zehe. Bei nach palmar schräg verlaufenden Defekten der Zone 4 ist das therapeutische Vorgehen abhängig vom Zustand des verbliebenen Nagelkomplexes und der knöchernen Endphalanx. Liegt weniger als die Hälfte des Nagelkomplexes vor, besteht die Indikation zur primären Stumpfbildung, wenn möglich unter Erhalt des DIP-Gelenks. Liegt mehr als die Hälfte des Nagelkomplexes vor, ist das weitere Vorgehen abhängig vom Zustand der knöchernen Endphalanx. Bei zerstörter Endphalanx fehlt die Abstützung für den Nagelkomplex, weshalb es in der Folge zu einer Krallennagelbildung kommt. Die Indikation zur Nachresektion und Stumpfbildung ist gegeben. Bei erhaltener Endphalanx besteht eine ausreichende Abstützung für den Nagelkomplex, eine Pulparekonstruktion ist aus funktionellen und ästhetischen Gründen indiziert. Der Kuppendefekt wird mit Hilfe einer vaskularisierten Lappenplastik gedeckt. Bei polydigitaler Schädigung sollte immer an die Möglichkeit der sofortigen Pulparekonstruktion mit einer neurovaskulär gestielten oder freien mikrovaskulären Cheiroplastik im Sinne einer heterotopen Transplantation gedacht werden, da die besten funktionellen und ästhetischen Ergebnisse erzielt werden können und kein zusätzlicher Spenderdefekt entsteht. Besteht diese Möglichkeit akut nicht, oder wird eine sekundäre Rekonstruktion durchgeführt, entscheiden der Defektverlauf in der Frontalebene, die Lokalisation (Zeige-, Mittel-, Ring- oder Kleinfinger), mitbestehende Läsionen an der gleichen Hand, allgemeiner Gesundheitszustand, funktionelle und ästhetische Anforderungen, Patientenwünsche und -motivation sowie die Möglichkeit der postoperativen Nachbehandlung über die Auswahl der Lappenplastik. Bei symmetrisch verlaufenden Pulpadefekten der Zone 4 oder kompletten Pulpadefekten im Langfingerbereich sollte vor allem bei jungen Patienten aus funktionellen und ästhetischen Gründen die Indikation zur freien mikrovaskulären Pulpalappenplastik gestellt werden. Ist diese nicht möglich oder indiziert, sollte für den Zeige- und Mittelfinger eine heterodigitale Insellappenplastik durchgeführt werden. Wegen der schwierigen zerebralen Reintegration ist dieses Verfahren bei älteren Patienten im Langfingerbereich relativ kontraindiziert. Es besteht allerdings die Möglichkeit, den autonomen Nerven der Insellappenplastik im Empfängergebiet an – falls vorhanden – den zugehörigen Nerven zu koaptieren. Dies ergibt gute Ergebnisse (Berger u. Meissl 1975). Als Therapie der 3. Wahl sollte eine sensible Cross-FingerLappenplastik bedacht werden (Abb. 9.39 a,b). Ist auch diese nicht möglich, kann als Nächstes die Möglichkeit
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b Abb. 9.39 a,b. Deckung eines palmaren Zone-4-Endglieddefektes mit Hilfe einer mikrochirurgisch resensibilisierten Cross-finger-Lappenplastik nach Berger und Meissl. a Präoperativer Zustand am Ringfinger, Lappenplanung und -hebung am Mittelfinger. b Einnähung des Lappens und mikrochirurgische Nervenkoaptation an der vom Spendergebiet abgewandten Seite
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einer homodigitalen Insellappenplastik mit retrogradem Fluss geprüft werden. Ihre neurovaskuläre Variante erscheint wegen des großen Spenderdefektes höchstens im Zeigefingerbereich gerechtfertigt. Ist auch dieses Verfahren nicht möglich, sollte schließlich eine dorsale CrossFinger-Lappenplastik erwogen werden. Für den Mittelfinger kann bei jungen Patienten auch eine Thenarlappenplastik eingesetzt werden. Bei asymmetrisch verlaufenden Pulpadefekten der Zone 4 oder Hemipulpadefekten hängt die Wahl des Rekonstruktionsverfahrens von der Defektlokalisation ab. Bei Hemipulpadefekten der so genannten dominanten Pulpahälften (radialer Zeige-, Mittel- und Ringfinger, ulnarer Kleinfinger) vor allem im Zeigefinger- und Kleinfingerbereich der dominanten Hand ist eine Fingerkuppenaustauschlappenplastik indiziert. Aufgrund des proximalen Gefäßverlaufs der radialen A. digitalis propria kann im radialen Zeigefingerbereich ein subtotaler Hemipulpadefekt mit Hilfe einer lateropalmaren Insellappendehnungsplastik durchgeführt werden. Hemipulpadefekte im Bereich der nichtdominanten Pulpahälften können entweder mit einem Vollhauttransplantat (fehlende Knochen- und Sehnenexposition) oder mit einer (sensiblen) Cross-Finger-Lappenplastik (Knochen- und Beugesehnenexposition) gedeckt werden. Die Versorgung des dorsalen Defektes bei nach palmar schräg verlaufenden Defekten der Zone 4 erfolgt nach den gleichen Richtlinien wie für die entsprechenden Defekte der Zone 3 (vgl. Tabelle 9.19). Bei nach dorsal schräg verlaufenden Defekten der Zone 4 besteht ein kompletter Verlust des Nagelkomplexes. Die Indikation zur primären Stumpfversorgung besteht. Kann der Ansatz der Strecksehne an der Endgliedbasis erhalten bleiben, sollte die Stumpfbildung unter Erhalt des DIP-Gelenks erfolgen, wenn die Weichteilsituation dies zulässt. Besteht ein Verlust des Strecksehnenansatzes, muss der Endgliedrest im DIPGelenk angesetzt werden. Nur in Ausnahmefällen ist eine mikrochirurgische Rekonstruktion des Langfingers indiziert (s. oben).
Polyregionale Defekte Als polydigitale Hautdefekte werden alle Hautdefekte definiert, welche mindestens 2 Langfinger betreffen.
Wegen seiner Ausnahmestellung müssen Hautdefekte im Daumenbereich immer getrennt nach den oben genannten Richtlinien therapiert werden. Polyregionale Hautdefekte im Langfingerbereich können eingeteilt werden in • einfache dorsale oder palmare polydigitale Hautdefekte (Tabelle 9.20),
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• kombinierte dorsale oder palmare Hand- und Fingerdefekte (Tabelle 9.21) und • komplexe dorsale und palmare Hand- und Fingerdefekte (Tabelle 9.22). Ein fast vollständiger oder kompletter Verlust der Haut im Handbereich ist meist verursacht durch Verbrennungen, Verbrühungen oder Avulsionsverletzungen. Skelettsystem und Sehnen sind oft erhalten. Die Möglichkeiten der Weichteildeckung sind stark limitiert, funktionelle und ästhetische Ergebnisse unbefriedigend. Da diese Handverletzungen aber immer noch mehr Funktion bieten als jede heute erhältliche Prothese, sollte in jedem Fall eine Rekonstruktion durchgeführt werden. Das rekonstruktive Vorgehen wird hauptsächlich bestimmt durch die Durchblutung im Fingerbereich. Liegt eine ausreichende Durchblutung der distalen Fingeranteile (Endphalanx, Sehnen) vor, kann eine möglichst einfache Form des Hautersatzes gewählt werden. Besteht ein intaktes Paratendineum, kann in der Akutsituation eine mitteldicke Spalthauttransplantation sowohl für die Dorsal- als auch die Palmarseite durchgeführt werden (Abb. 9.40 a–k). Liegt kein ausreichender Wundgrund vor, kann in der Akutsituation nach ausgeprägtem Débridement eine Muffplastik im Sinne eines physiologischen Verbandes durchgeführt werden. Nach 2–3 Wochen kann die Hand aus der Bauchtasche genommen und eine mitteldicke Spalthautdeckung durchgeführt werden. Mehrere Nachoperationen können bis zur kompletten Deckung notwendig sein. Weitere rekonstruktive Operationen können sekundär nach den Bedürfnissen des Patienten und exakter Planung zur Verbesserung im dorsalen und/oder palmaren Handbereich nach den vorher beschriebenen Prinzipien durchgeführt werden. Liegt keine ausreichende Durchblutung der distalen Fingeranteile (Endphalanx, Sehnen) vor, müssen diese mit Hilfe von Lappenplastiken neovaskularisiert oder im anderen Fall amputiert werden. Das Amputationsniveau richtet sich dabei nach der klinisch prüfbaren Durchblutung. Zur Erhaltung der Fingerlänge können mehrere Vorgehensweisen äquivalent eingesetzt werden. Daumen und Langfinger sollten immer getrennt gedeckt werden. Mehrere Korrekturoperationen zur Lappenausdünnung sind meist notwendig. Aufwand und Risiko für den Patienten müssen mit diesem genau besprochen werden und gegen das zu erwartende bescheidene funktionelle und ästhetische Ergebnis gesetzt werden. Bei kompletten Hautverlust im Handbereich kann dieser nicht mehr durch eine einzige freie mikrovaskuläre Mehrkomponentenlappenplastik aus dem A.-subscapularis-Gebiet gedeckt werden. Hand- und Fingerrücken können durch den Faszienlappenanteil, die Hohlhand durch den fasziokutanen Lappenanteil gedeckt werden. Die Deckung der palmaren Fingerdefekte kann nach den oben beschriebenen Richtlinien entweder durch
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KAPITEL 9
Tabelle 9.20. Differenzialtherapie bei einfachen dorsalen oder palmaren polydigitalen Hautdefekten •
Orthotope Replantation
•
Hheterotope Transplantation
•
(Gewebebankkonzept nach Chase)
•
Freie Hauttransplantation
•
Mitteldicke Spalthauttransplantation
•
Vollhauttransplantation
•
Multiple distal gestielte Aa.-metacarpales-dorsales-Lappenplastiken
•
Multiple Cross-Finger-Lappenplastiken
•
Distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik nach Yang (Faszien-Lappen-Plastik kombiniert mit mitteldicker Spalthauttransplantation)
•
A.-temporalis-Faszien-Lappen-Plastik nach Smith, kombiniert mit mitteldicker Spalthauttransplantation
•
Thorakodorsale Faszien-Lappen-Plastik nach Wintsch, kombiniert mit mitteldicker Spalthauttransplantation
•
Cross-Arm-Lappenplastik nach McCash, („Lambeau-greffe-Variante“ nach Colson und Janvier)
•
Leistenlappenplastik nach McGregor („Lambeau-greffe-Variante“ nach Colson und Janvier, „Crane-flap-Prinzip“ nach Millard)
•
Bauchhautlappenplastik nach Zoltan („Lambeau-greffe-Variante“ nach Colson und Janvier „Crane-flap-Prinzip“ nach Millard)
Tabelle 9.21. Differenzialtherapie bei kombinierten dorsalen oder palmaren Hand- und Fingerdefekten •
Freie Hauttransplantation mitteldicke Spalthauttransplantation Vollhauttransplantation
•
Distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik nach Yang (Faszienlappenplastik kombiniert mit mitteldicker Spalthauttransplantation)
•
A.-temporalis-Faszienlappenplastik nach Smith kombiniert mit mitteldicker Spalthauttransplantation
•
Thorakodorsale Faszienlappenplastik nach Wintsch kombiniert mit mitteldicker Spalthauttransplantation
•
Cross-Arm-Lappenplastik nach McCash („Lambeau-greffe-Variante“ nach Colson und Janvier)
•
Leistenlappenplastik nach McGregor („Lambeau-greffe-Variante“ nach Colson und Janvier, „Crane-flap-Prinzip nach Millard)
•
Bauchhautlappenplastik nach Zoltan („Lambeau-greffe-Variante“ nach Colson und Janvier ,“Crane-flap-Prinzip“ nach Millard)
Tabelle 9.22. Differenzialtherapie bei komplexen dorsalen und palmaren Hand- und Fingerdefekten •
Freie Hauttransplantation mitteldicke Spalthauttransplantation Vollhauttransplantation
•
Muffplastik nach Marino
•
Freie mikrovaskuläre Mehrkomponentenlappenplastik aus dem A.-subscapularis-Gebiet („mega flap“ nach Hadyn)
•
Bauchhautlappenplastik nach Zoltan
•
Paarige Bauchhautlappenplastik nach Miura
•
Kombinierte Lappenplastik aus dem lateralen Oberschenkel- und Leistenbereich
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f
Abb. 9.40 a–k. Deckung einer kompletten Degloving-Verletzung der Hand. a Klinischer Aspekt nach Aufnahme in die Klinik. b Débridement und temporäre Deckung mit Epigard. c,d Wundschluss durch Transplantation dicker Spalthaut (Merke: Die Spalthauttransplantate werden unter Beachtung der Grenzen der funktionellen Einheiten eingenäht). c Ansicht von palmar, d Ansicht von dorsal. e,f Klinischer Aspekt ein Jahr postoperativ nach primärer Spalthautdeckung. e Ansicht von palmar, f Ansicht von dorsal. g Planung einer modifizierten „Wrap-around-Lappenplastik“ aus dem Bereich der 1. Zehe als sensible Ersatzoperation im Daumenbereich
g
390
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
KAPITEL 9
h
i
j
k Abb. 9.40 a–k. Deckung einer kompletten Degloving-Verletzung der Hand. h Präoperative Testung der individuell besten Position mit Hilfe von „Fingerprothesen“. i Klinischer Aspekt nach Zehentransplantation. j,k Funktionelles Ergebnis ein
Jahr postoperativ. j „Zangenöffnung“, k „Zangenschluss“ (der Patient lehnt die ihm vorgeschlagene Vertiefung der 1. Kommissur durch Resektion des Metakarpale II ab)
eine zweite freie mikrovaskuläre Lappenplastik (keine sekundären Gelenkkontrakturen im Bereich der verletzten Extremität durch postoperative Immobilisation) oder eine direkte Fernlappenplastik vorgenommen werden. Alter nativ kann die Hand in der Akutsituation nach ausgeprägtem Débridement in einer Muffplastik im Bauchhautbereich gelagert werden. Soll die Hand mit einer Bauchhautlappenplastik gedeckt werden, kann nach etwa 14 Tagen mit der Lappenumschneidung begonnen werden. Nach mehreren lappenvorbereitenden Operationen kann ein „random pattern flap“ nach etwa 6 Wochen (Cave: Gelenkeinsteifung im Bereich aller Gelenke der betroffenen Extremität!) gehoben und der Handdefekt gedeckt werden. Der große Spenderdefekt im Bauchhautbereich muss mit einem Spalthauttransplantat gedeckt werden. Alternativ kann bereits in der Akutsituation die Hautdefektdeckung mit einem bilobären Bauchhautlappen oder einer kombinierten Lappenplastik aus dem lateralen Oberschenkel- (Langfinger) und Leistenbereich (Daumen) durchgeführt werden. Mit dem Lappentraining kann nach 10–14 Tagen begonnen, und eine Lap-
pendurchtrennung kann nach 3–4 Wochen durchgeführt werden. Durch keines der genannten Vorgehen kann die Sensibilität im Handbereich wiederhergestellt werden. Zur Verbesserung des ästhetischen Ergebnisses kann zumindest für soziale Anlässe eine ästhetische oder passive Handprothese rezeptiert werden.
9.2.2 Kombinierter Weichteil-Knochen(Typ-C-)Defekt Eine optimale Knochendefektdeckung kann nur dann erzielt werden, wenn sowohl Rekonstruktionszeitpunkt als auch Rekonstruktionsverfahren optimal sind. Es ist zwischen nichtvaskularisierten Knochentransplantaten bzw. gestielten (mit Sonderform Kalludistraktion) und freiem mikrovaskulärem Knochentransfer zu wählen. Die Rekonstruktion des Knochendefektes darf nie der Sanierung eines mit bestehenden Weichteildefektes vorausgehen (Abb. 9.41).
KAPITEL 9
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
Abb. 9.41. Differenzialtherapie bei kombinierten Weichteil-Knochen-Defekten im Unterarmbereich
Eine gleichzeitige Rekonstruktion von Weichteil- und Knochendefekt (Konzept der Einzeitigkeit, „single-stage reconstruction“) ist möglich, wenn ein ersatzstarkes Lager vorhanden ist, wenn also weder eine chronische Ostemyelitis noch eine ausgedehnte Weichteilschädigung vorliegt. Vor allem bei kleinen traumatisch bedingten Weichteildefekten mit partiellem oder segmentalem Knochendefekt, der größer als 4–6 cm ist, sollte man die Möglichkeit eines freien mikrovaskulären Knochentransfers vom vorderen Beckenkamm, von der Fibula, von der Skapula oder aus dem Ober- und Unterarmbereich bedenken. Bei unklarer oder ausgedehnter Weichteilschädigung im Zusammenhand mit Frakturen oder sonstigen Kontinuitätsunterbrechungen von Knochen sowie chronischen Infektzuständen hat sich ein abgestuftes Verfahren (Konzept der Mehrzeitigkeit, „multiple-stage reconstruction“) bewährt. Bei traumatisch bedingten Frakturen wird die Knochenverletzung noch am Unfalltag mit einem Fixateure externe stabilisiert. Art und Zeitpunkt der definitiven osteosynthetischen Versorgung hängen vom Ausmaß der Weichteilschädigung nach Abschluss der nach 4–14 Tagen zu erwartenden Demarkation, von der Infektsituation und von Art und Ausmaß des Knochenschadens ab. Durch Einbringen von gut vaskularisiertem Gewebe durch eine gestielte oder freie Lappenplastik wird ein ersatzunfähiges bzw. ersatzschwaches in ein ersatzstarkes Lager umge-
wandelt, wodurch sich eine Fraktur schneller konsolidiert und die Komplikationsrate herabgesetzt wird. Auch wird dadurch erst die Transplantation von nichtvaskularisierten Knochentransplantaten, meist in Form des kortikospongiösen Spans oder der Spongiosaplastik, möglich. Die Einheilungsergebnisse von vaskularisierten Knochentransplantaten liegen um 20–40% höher. Eine verbesserte Vaskularisation wirkt sich auch auf die Ergebnisse der Kallusdistraktion, einer Sonderform des vaskularisierten Knochentransfers, positiv aus, da der Konsolidierungsindex nach Segmenttransport deutlich verringert werden kann. Wichtig ist, die oben genannten Knochenrekonstruktionsverfahren nicht als konkurrierende, sondern sich ergänzende Techniken zu verstehen. Welches Verfahren herangezogen werden soll, ist abhängig • von der Ursache des Knochendefektes (Trauma/ Tumor/Osteomyelitis), • von der Defektgröße, • von der Defektlokalisation (metaphysär oder diaphysär) und • vom Defekttyp (partiell oder segmental). Darüber hinaus wird die Wahl des Verfahrens entscheidend von der Erfahrung des Operateurs und den bestehenden technischen und personellen Möglichkeiten beeinflusst.
391
392
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
KAPITEL 9
a
b
c
d
e
f Abb. 9.42 a–h. Rekonstruktion eines segmentalen Knochendefektes im Bereich des Radius mit Hilfe eines vaskularisierten Fibulatransplantats (PHW MH Hannover). a Klinischer Aspekt präoperativ. b Intraoperativer Zustand nach Einbringung der
Fibula. c Schema: freies mikrovaskuläres (osteomyokutanes) Fibulatransplantat. d Radiologischer Aspekt postoperativ. e–h Funktion 2 Jahre nach Transplantation. e Supination, f Pronation
KAPITEL 9
Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
fraktur fixiert werden. Im Unterarmbereich kann durch die Anwendung der „double-barrel-technique“ ein gleichzeitig bestehender Knochendefekt von Ulna und Radius mit nur einem Knochentransplantat zuverlässig rekonstruiert werden. Für metaphysäre Knochendefekte und Knochendefekte mit Gelenkbeteiligung <10 cm – vor allem, wenn eine Arthrodese geplant ist – hat sich das vaskularisierte Beckenkammtransplantat bewährt. Bei derartigen Knochendefekten >10 cm muss das vaskularisierte Fibulatransplantat verwendet werden, da aufgrund der Struktur des Beckenkamms eine ausreichend stabile Fixierung nicht mehr erreicht werden kann. Im Gegensatz zur unteren Extremität hat die Kallusdistraktion im Unterarmbereich bisher noch keine bedeutende Stellung, da eine erhöhte Bewegungseinschränkung im Vergleich zur vaskularisierten Knochentransplantation zu vermerken ist. Im Oberarmbereich ist ein Segmenttransport möglich, hier muss aber vor allem auf den N. radialis geachtet werden. Die Kallusdistraktion im Unterarmbereich ist bisher eine Ausnahmeindikation. Durch Brückenkallusbildung entlang der Membrana interossea kann es zu funktioneller Beeinträchtigung der Pronations-Supinations-Bewegung kommen.
g
h Abb. 9.42 a–h. Rekonstruktion eines segmentalen Knochendefektes im Bereich des Radius mit Hilfe eines vaskularisierten Fibulatransplantats. g Handgelenkextension, h Handgelenkbeugung
Knochendefekte, welche im Rahmen einer Osteomyelitis entstehen, zeigen meist eine schlechtere Durchblutung des umliegenden Gewebes als posttraumatische Knochendefekte. Deshalb ist es in diesen Fällen ratsam, die Indikation für einen vaskularisierten Knochentransfer auch bei Defekten <3 cm großzügig zu stellen. Für traumatisch bedingte Knochendefekte <3 cm stellt die Spongiosaplastik in Kombination mit einer adäquaten Osteosynthese die Therapie der Wahl dar und zeigt gleich gute Ergebnisse wie nach vaskularisierter Knochentransplantation. Für die Rekonstruktion von Knochendefekten >3 cm hat sich der vaskularisierte Knochentransfer in beiden Gruppen bewährt. Für diaphysäre Defekte stellt das vaskularisierte Fibulatransplantat die Therapie der 1. Wahl, dar, da die fehlende Knochenröhre durch eine Knochenröhre mit fast gleichem Durchmesser ersetzt werden kann. Darüber hinaus heilt das vaskularisierte Knochentransplantat wie eine Etagenfraktur ein. Mit Hilfe einer rigiden inneren Osteosynthese kann eine übungsstabile Situation erreicht werden (Abb. 9.42 a–h). Im Oberarmbereich kann bei diaphysären Defekten ein vaskularisiertes Fibulatransplantat wie eine Etagen-
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394
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R. Hierner . A. Berger
Inhalt 10.1 Allgemeine. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 10.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 396 10.1.1.1 Konzept der „Funktionskette obere Extremität“. . . . . . . . . . . . . . . . 396 10.1.1.2 Bedeutung der einzelnen Handabschnitte für die Globalfunktion der Hand. . . . . . . . . . . . . . . . . 399 10.1.2 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 10.1.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 10.1.3.1 Begleitverletzungen. . . . . . . . . . 400 10.1.4 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 10.1.4.1 Amputationsverletzungen distal des Radiokarpalgelenks (Mikroamputationsverletzungen). 400 10.1.4.2 Amputationsverletzungen im Bereich der oberen Extremität bis proximal des Radiokarpal gelenks (Makroamputations verletzungen) . . . . . . . . . . . . . . 403 10.1.5 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 10.1.5.1 Präklinische und Erstversorgung . . 407 10.1.5.2 Indikationsstellung. . . . . . . . . . . 407 Mikroreplantation . . . . . . . . . . . 409 Makroreplantation . . . . . . . . . . . 412 10.1.5.3 Operative Schritte der Replantation. . . . . . . . . . . . . . . 416 Mikroreplantation . . . . . . . . . . . 416 Makroreplantation . . . . . . . . . . . 420 10.1.5.4 Postoperative Nachbehandlung . . 427 Postoperative Überwachung . . . . 427 Postoperative Begleittherapie und Maßnahmen. . . . . . . . . . . . 428 10.1.5.5 Funktionsverbessernde Sekundäreingriffe. . . . . . . . . . . . 429 Mikroreplantationen. . . . . . . . . . 429 Makroreplantationen. . . . . . . . . 430 10.1.5.6 Replantation im Kindesalter . . . . . 430 10.1.6 Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 10.1.6.1 Mikroreplantationen. . . . . . . . . . 434 10.1.6.2 Makroreplantationen. . . . . . . . . 435 Primäre Stumpfversorgung mit frühzeitiger prothetischer Versorgung. . . . . . . . . . . . . . . . 437
KAPITEL 10
Amputationsverletzungen im Bereich der oberen Extremität
10.1.7 Sozioökonomische Gesichtspunkte . . . . . . 444 10.1.7.1 Mikroreplantation . . . . . . . . . . . 444 10.1.7.2 Makroreplantation . . . . . . . . . . . 444 10.1.8 Komplikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 10.1.8.1 Mikroreplantation . . . . . . . . . . . 447 10.1.8.2 Makroreplantation. . . . . . . . . . . 447 10.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 448 10.2.1 Mikroreplantationen. . . . . . . . . . . . . . . . 448 10.2.1.1 Replantationen distal des Nagelwalls (distale Fingerreplanta tionen: Zone I). . . . . . . . . . . . . . 448 10.2.1.2 Replantationen distal des DIP-Gelenks (Zone II). . . . . . . . . . 451 10.2.1.3 Replantation distal des MP-Gelenks (Zone III). . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 10.2.1.4 Polydigitale Amputationsverletzung und heterotope Replantation . . . . 454 10.2.1.5 Skelettierungs- oder Degloving Amputationen. . . . . . . . . . . . . . 454 10.2.1.6 Mittelhandreplantationen (Zone IV) und Handwurzelreplantation (Zone V). . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 10.2.1.7 Replantation distal des Radiokarpal gelenks (Handreplantation: Zone VI). . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 10.2.1.8 Mehretagenamputations verletzung. . . . . . . . . . . . . . . . 465 10.2.1.9 Bilaterale Amputations verletzung. . . . . . . . . . . . . . . . 467 10.2.2 Makroreplantationen. . . . . . . . . . . . . . . 470 10.2.2.1 Replantation im distalen Unterarmbereich . . . . . . . . . . . . 470 10.2.2.2 Replantation im proximalen Unterarmbereich . . . . . . . . . . . . 470 10.2.2.3 Replantation im Ellenbogen bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 10.2.2.4 Replantation im Schulter und Oberarmbereich. . . . . . . . . 470 10.2.2.5 Mehretagenamputations verletzung. . . . . . . . . . . . . . . . 470 10.2.2.6 Bilaterale Amputations verletzung. . . . . . . . . . . . . . . . 473 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473
396
Amputationsverletzungen
10.1 Allgemeines Alle Amputationsverletzungen im Bereich der oberen Extremität distal des Radiokarpalgelenks werden als Mikroamputationsverletzungen bezeichnet. Als Makroamputationen im Bereich der oberen Extremität bezeichnet man Amputationsverletzungen proximal des Radiokarpalgelenks.
10.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie 10.1.1.1 Konzept der “Funktionskette obere Extremität” Die obere Extremität kann als eine Funktionskette angesehen werden, deren Glieder jeweils einen spezifischen Beitrag für ihre Hauptfunktionen, die Erhaltung des Körpergleichgewicht, Stütz-, Halte- und Greiffunktion, nonverbale Kommunikation und taktile Gnosis, beisteuern. Allgemein nimmt die Gesamtfunktion von proximal nach distal zu (Tabelle 10.1). Ein Verlust der gesamten oberen Extremität proximal des Glenohumeralgelenks oder mit nur sehr kurzem Oberarmstumpf führt zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 80%. Die einfachste Greif- und Haltefunktion stellt die thorakohumerale Zange zwischen der lateralen Thoraxwand und der medialen Oberarmfläche dar. Die Zangenfunktion kann passiv oder aktiv sein. Bei der passiven Zangenfunktion erfolgt unter Ausnutzung der Schwerkraft die Öffnung durch ipsilaterale, der Zangenschluss durch kontralaterale Inklination. Für eine aktive Zangenöffnung ist eine freie Bewegung im skapulothorakalen Gleitspalt und eine Kontraktion der Mm. levator scapulae, rhomboidei, serratus anterior und trapezius (Pars cranialis) notwendig, um ein aktiv (Kontraktion der Mm. teres major et subscapularis) oder passiv (Kapsulodese, Arthrodese) stabilisiertes Glenohumeralgelenk zu bewegen. Die aktive Abduktion im Glenohumeralgelenk wird primär durch den M. suprascapularis ausgeführt. Für eine aktive Adduktion im Schulterbereich benötigt man den M. pectoralis major (Pars sternalis) und/oder den M. latissimus dorsi, wobei der lange Bizepskopf und der M. coracobrachialis als Hilfsmuskel fungieren. Die Amputation im Oberarm oder im Ellenbogengelenk führt zu einer MsE von 70%. Die isolierte Ellenbogenbeugung bei komplett gelähmter Unterarm- und Handmuskulatur führt zu einer signifikanten Funktionsverbesserung der gesamten Ex-
KAPITEL 10
tremität, da es dem Patienten möglich wird, bimanuelle Tätigkeiten auszuführen. Durch Ablegen der gelähmten Hand auf einen Gegenstand im Sinne eines Pressmechanismus kann ein Objekt fixiert werden. Ist eine aktive Ellenbogenbeugung auf 90° möglich, kann eine Tablettfunktion ausgeführt werden. Bei einer aktiven Ellenbogenflexion von mehr als 90° ist eine Hakenfunktion möglich. Eine aktive Ellenbogenstreckung führt zu einer signifikanten Verbesserung der Globalfunktion der Extremität, wenn eine aktive Schulterabduktion/-flexion von mehr als 90° möglich ist. Eine Amputation im Unterarmbereich mit einer Stumpflänge von bis zu 7 cm führt zu einer MdE von 60%. Bei einer Unterarmstumpflänge über 7 cm beträgt die MdE 50%. Bei der Nutzung der Hand als mechanisches Werkzeug können nichtgreifende Aktionen und greifende Aktionen unterschieden werden (Tabelle 10.2). Zu den nichtgreifenden Aktionen zählen beispielsweise das Schieben oder Heben von Gegenständen. Greifende Aktionen können unterteilt werden in elementare, transiente und Präzisionsgreifformen. Die einfachste Ausprägung der elementaren Greifformen stellt der Hackengriff dar, der schon mit einem einzigen gebeugten Langfinger ausführbar ist. Der Daumen ist für diese Funktion nicht notwendig. Da ein Greifpartner fehlt, können Gegenstände weder in der Hand gehalten noch bewegt werden. Obwohl Sensibilität für die Greiffunktion eine wesentliche Verbesserung darstellt, ist sie keine zwingende Voraussetzung dafür. Neben der Handgelenk- und Fingerbeugung ist für jede höhere Greifform die passive (Tenodese) oder aktive Handgelenk- und Fingeröffnung notwendig. Je besser die Oppositionsfähigkeit des Daumens, desto präzisere Greifformen können durchgeführt werden. Um schließlich die Funktion der taktilen Gnosis zu erfüllen, ist eine möglichst normale Sensibilität im palmaren Fingerbereich notwendig (vgl. Tabelle 10.1, 10.2). Eine Amputation der Hand führt zu einer MdE von 50%. Durch die erfolgreiche Replantation/Revaskularisation kommt es zu einer Verminderung der MdE, wobei auch bei einem optimalen Ergebnis aufgrund der Einschränkung der Präzisionsgreifformen und der Sensibilität eine Mindest-MdE von 30% bestehen bleibt. Der einseitig amputierte Patient ist in der Lage, etwa 90% aller Tätigkeiten des täglichen Lebens zu verrichten. Im Gegensatz dazu ist der bilateral extremitätenamputierte Patient völlig auf die Hilfe der Umwelt angewiesen.
KAPITEL 10
Amputationsverletzungen
397
Tabelle 10.1. Darstellung der möglichen Einzelfunktionen der oberen Extremität nach Amputation, Amputation und frühzeitiger prothetischer Versorgung und Replantation in Abhängigkeit von der Amputationshöhe Amputationshöhe
Wahrscheinliche Funktion
(Einzelversorgung MdE)
Stumpfversorgung
Prothetische Versorgung Passiv
Replantation
Aktiv
Schulter – Thorakohumerale Zange
–
–
–
+
– Abduktion/Adduktion
–
–
–
(+)
– Außenrotation/Innenrotation
–
–
–
(+)
– Ellenbogenbeugung
–
–
+
+
– Handgelenk-/Fingerbeugung
–
–
–
(+)
– Protektive Sensibilität in Teilen der Hand
–
–
–
(+)
– MdEa
80%
80%
80%
60%
– Ellenbogenbeugung (bimanuelle Handfunktionen)
–
–
+
+
– Pressfunktion
–
+
+
+
– Flexion = 90°, Tablettfunktion
–
+
+
+
– Flexion > 90°, Hackenfunktion
Oberarm/Ellenbogen
–+
+
+
+
– Handgelenk-/Fingerbeugung
–
–
(+)
(+)
– Protektive Sensibilität in Teilen der Hand
–
–
–
(+)
70%
70%
70%
60–70%
–
MdEa
„Funktionelle Schnittstelle“ Proximales und mittleres Unterarmdrittel – Handgelenk-/Fingerbeugung
–
–
–
(+)
– Hackengriff
–
–
(+)
+
– Schlüsselgriff
–
–
(+)
+
– Handgelenk-/Fingerstreckung
–
–
–
(+)
– Dynamische 2PD in Teilen der Hand – MdEa
–
–
–
+
60%
60%
60%
50–60%
– Aktive Daumenopposition (Präzisionsgreifformen)
–
–
–
(+)
– Grobgriff
–
–
(+)
(+)
– Sphärischer Griff
–
–
–
(+)
– Aktive Ulnaris-innervierte intrinsische Handmuskelfunktion
–
–
–
(+)
–
–
–
(+)
–
–
–
+
50%
50%
50%
30–50%
Distales Unterarmdrittel
– Spitzgriff
Dreifinger („chuck grip“) Zweifinger – Statische 2 PD in Teilen der Hand – MdEa aAbhängig
von der bestehenden Sensibilität
398
Tabelle 10.2. Grundmuster der Handfunktion und mögliche Beeinträchtigung durch Amputationsverletzungen Handaktion
In Greifform involvierte Finger I II III IV V
Mögliche Greifformen abhängig von Amputationszone Daumenbereich Langfingerbereich >PI >MP <MP Thenar >DIP >FDS
<MP IV
V
VIa
20
10
30–55
60
Handbereich
MdE (%) Amputation „Nichtgreifende“ Aktionen (Schieben oder Heben von Gegenständen ohne aktive Greifbewegung)
+
+
+
+
20
25
25
<10
<10
<10
10
10
10
15
<10
<10
<10
<10
20–40
40
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
„Greifende Aktionen“ Elementare Greifformen Reine Langfingerfunktion Hackengriff
–
(+)
(+)
(+)
(+)
+
+
+
+
+
+
(+)
–
–
–
–
(+)
(+)
(+)
(+)
+
+
+
+
+
+
+
–
–
–
–
–
+
(+)
–
–
+
+
–
–
–
–
Amputationsverletzungen
Erfolgreiche
Replantationb
Lateraler Spitzgriff Kombinierte Daumenund Langfingerfunktion Keine Daumenopposition Schlüsselgriff
+
+
–
Daumenopposition Grob- oder Kraftgriff
+
(+)
(+)
(+)
(+)
+
+
+
–
+
+
+
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Palmarer Spitzgriff
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Transiente Greifformen Feingriff Präzisionsgreifformen
a Kassifikation b Angaben
der Amputationshöhe nach dem Replantation Committee of the International Society for Reconstructive Microsurgery. aufgrund der klinischen Erfahrung bei Begutachtung von Replantationsverletzungen im Handbereich.
KAPITEL 10
Zigarettengriff
KAPITEL 10
Amputationsverletzungen
10.1.1.2 Bedeutung der einzelnen Handabschnitte für die Globalfunktion der Hand Die obere Extremität kann als Funktionskette gesehen werden, deren Glieder jeweils einen spezifischen Beitrag für ihre Hauptaufgaben, die Erhaltung des Körpergleichgewichtes, Stütz-, Halte- und Greiffunktion, nonverbale Kommunikation und taktile Gnosis, beisteuern. Bei der Nutzung der Hand als mechanisches Werkzeug können greifende Aktionen und nichtgreifende Aktionen unterschieden werden (vgl. Tabelle 10.2). Zu den nichtgreifenden Aktionen zählen beispielsweise das Schieben oder Heben von Gegenständen. Greifende Aktionen können weiter unterteilt werden in elementare, transiente und Präzisionsgreifformen. Die Bedeutung der einzelnen Finger für die Funktion der Hand als Ganzheit ist unterschiedlich einzustufen (Abb. 10.1). So ist am Daumen auch noch das distale Teilstück aus funktionellen Erwägungen heraus kostbar. Eine entscheidende Beeinträchtigung der Daumenfunktion und damit der globalen Handfunktion ergibt sich bei Amputationen proximal des Interphalangeal- (IP-)Gelenks. Die einzelnen Abschnitte der Langfinger, wie auch die Langfinger untereinander, haben in Bezug auf Amputationsverletzungen eine unterschiedliche Wertigkeit. Die Basen der Phalangen stellen als Gelenkkörper funktionell besonders wichtige Strukturen dar und sollten daher, wenn möglich, immer erhalten bleiben. Die Basen der Endphalangen sind zudem Ansatz für Sehnen und tragen den Nagelbett-Nagel-Komplex. An den Basen der Mittelphalangen setzen die Sehnen der oberflächlichen Beuger an. Im Hinblick auf die verbleibende Beugekraft sollte die Amputationslinie daher nicht proximal des Ansatzes des Flexor digitorum superficialis (FDS) zu liegen kommen. Bei Amputationen proximal der Mittelgelenke kann der verbleibende Stumpf nur noch von den Binnenmuskeln der Hand und der langen Strecksehnen bewegt und bis 45° einigermaßen kräftig gebeugt werden. Die Basen der Grundphalangen haben überdies wichtige Funktionen für den Erhalt der Kommissuren und verhindern damit Retraktion und Achsenabweichung der benachbarten Finger. Im Bereich des Metakarpus setzten wichtige Muskeln für die Handgelenkbewegung an. Bei der Resektion eines einzelnen Strahles sollte daher die Basis des Os metacarpale möglichst belassen werden. Die Situation an den Fingern selbst muss im Einzelnen bewertet werden. Liegt die Amputationshöhe am Zeigefinger proximal des Endgliedes, so übertragen die meisten Patienten den Spitz- und Schlüsselgriff und das Auflesen kleinerer Gegenstände auf die intakte Mittelfingerspitze. Um eine problemlose Deckung mit verfügbaren Weichteilen zu erreichen, kann deshalb der Knochen so weit wie nötig gekürzt werden. Der Mittelfinger ist bei ei-
störend wichtig vom Beruf abhängig
Abb. 10.1. Wertigkeit der einzelnen Abschnitte des Handskeletts bei Amputationen im Hinblick auf die “optimale Stumpfversorgung”
ner Amputationsverletzung distal des Ansatzes der Sehne des FDS nur mehr für den Grobgriff einsetzbar. Bei Amputationen proximal dieses Sehnenansatzes nimmt der übriggebliebene Stumpf jedoch nicht mehr an aktiven Beuge- und Streckbewegungen teil, sodass dessen Erhaltung mehr der Kosmetik als der Funktion dient. Ringund Kleinfinger werden in der Hauptsache für den Zangen- und Grobgriff benötigt, sodass ihre Länge möglichst erhalten bleiben sollte. Bei nicht handwerklichen tätigen Patienten, vor allem bei Frauen, kann aus ästhetischer Indikation primär oder sekundär eine radiale oder ulnare Handverschmälerung durchgeführt werden. Bei Amputationen der zentralen Strahlen, also von Mittel- und Ringfinger in Höhe der Grundgelenke, entstehen funktionelle Probleme, sodass kleinere Gegenstände von Patienten nicht mehr sicher erfasst werden und durch die entstehende Lücke zwischen beiden Fingern aus der Hand fallen können. Deshalb sollte in diesen Fällen primär oder sekundär eine Strahlresektion mit plastischer Handverschmälerung und Strahltransposition erwogen werden.
399
400
Amputationsverletzungen
Im Bereich der randständigen Strahlen (D II, D V) sollte bei Handarbeitern zur Erhaltung einer möglichst großen Kraftentwicklung der betroffenen Hand das Metakarpaleköpfchen belassen werden. Da die Haut der Palmarseite der Hand eine bessere Sensibilität und größere mechanische Beanspruchbarkeit aufweist, sollte immer versucht werden, einen palmaren Hautlappen zu bilden und diesen nach dorsal zu schlagen. Besteht die Aussicht, das funktionelle Ergebnis der Operation zu verbessern, ist es durchaus gerechtfertigt, den Knochen weiter nach proximal zu kürzen, als es der Höhe des unverletzten Weichteilgewebes entspricht.
KAPITEL 10 Tabelle 10.3. Diagnostisches Vorgehen bei subtotalen oder totalen Amputationsverletzungen Präoperativ (evtl. Bestandteil des Polytraumamanagements) Allgemeiner Gesundheitszustand (Kontraindikationen für Mikrochirurgie) Berufsanamnese Klinische Untersuchung Röntgen in 2 Ebenen Intraoperativ Vitalitätsbeurteilung
10.1.2 Ätiologie Mehr als 90% aller Amputationen im Bereich der oberen Extremität sind traumatisch bedingt (Arbeitsunfälle: 53%, Verkehrsunfälle: 18%, landwirtschaftliche Unfälle: 15%, Unfälle mit Kettensägen: 10%). Eine seltenere Ursache für eine geplante segmentale Resektion mit anschließender Replantation stellen Tumoren oder zirkuläre Verbrennungen dar. Amputationsverletzungen im Bereich der oberen Extremität zeigen einen Altersgipfel zwischen den 20. und 40. Lebensjahr. Mikroamputationsverletzungen im Bereich der oberen Extremität sind die häufigsten Amputationsverletzungen. Im Vergleich zu Mikroamputationen treten Makroamputationen an der oberen Extremität im Verhältnis von 1:14 auf. Makroamputationsverletzungen sind etwa 4-mal häufiger bei Männern als bei Frauen. Eine Seitenpräferenz besteht nicht. Bilaterale Makroamputationen kommen etwa in 10% der Fälle vor.
10.1.3 Diagnostik Bei der Untersuchung von Patienten mit Amputationsverletzungen im Handbereich müssen 2 Situationen unterschieden werden: • die isolierte Handverletzung, • die Handverletzung im Rahmen eines Polytraumas. Für eine möglichst exakte Schadenserfassung dient uns ein so genanntes „diagnostisches Vorgehen“ (Tabelle 10.3). Im Rahmen eines Polytraumas muss dieses diagnostische Vorgehen in ein umfassendes „Diagnostikund Therapieschema bei Polytrauma“ integriert werden. Der Patient mit einer Makroamputationsverletzung ist prinzipiell wie ein polytraumatisierter Patient zu behandeln. Die präklinische Versorgung, alle diagnostischen Maßnahmen und der Transport in den Operationssaal müssen so schnell wie möglich erfolgen, um die kalte Ischämiedauer des Amputats so gering wie möglich zu halten.
Postoperativ Klinische Untersuchung Röntgen in 2 Ebenen
10.1.3.1 Begleitverletzungen Mikroamputationsverletzungen im Bereich der oberen Extremität treten hauptsächlich isoliert auf. Im Rahmen eines Polytraumas muss in weniger als 5% der Fälle mit einer Mikroamputationsverletzung im Handbereich gerechnet werden. Makroamputationsverletzungen im Bereich der oberen Extremität treten in etwa 60% isoliert auf.
10.1.4 Klassifikation 10.1.4.1 Amputationsverletzungen distal des Radiokarpalgelenks (Mikroamputationsverletzungen) Mikroamputationsverletzungen im Handbereich werden klassifiziert nach Ausmaß, Höhe, Art und Anzahl der betroffenen Finger sowie der Ursache (Tabelle 10.4). Nach Ausmaß der Gewebeschädigung unterscheidet man: • totale oder komplette Amputationen, • subtotale Amputationen und • komplexe Knochen-Weichteil-Schädigungen. Die Rekonstruktion von totalen Amputationsverletzungen wird als Replantation bezeichnet. Unter einer subtotalen Amputation ist nach der Definition die Durchtrennung der wichtigsten anatomischen Strukturen, besonders der Hauptgefäßverbindungen, zu verstehen. Vom Weichteilmantel darf nicht mehr als maximal 25% der Zirkumferenz erhalten sein. Eine Durchblutung darf nicht mehr nachweisbar sein. Entscheidendes Kriterium ist, dass ohne Anastomosierung eine
KAPITEL 10
Amputationsverletzungen
Tabelle 10.4. Klassifikation der Amputationsverletzungen im Handbereich Verletzungsausmaß Totale Amputation Subtotale Amputation Typ I Knochen Typ II Strecksehne Typ III Beugesehne Typ IV Hauptnervenstamm Typ V Hautbrücke Komplexe Knochen-Weichteil-Schädigung Verletzungshöhe Zone I Zone II Zone III Zone IV Zone V Zone VI Verletzungslokalisation Monodigital Daumen Langfinger Polydigital Daumen und Langfinger Langfinger Verletzungsursache Glattrandige Schnittverletzung Amputationsverletzung mit lokalisierter Quetschung Amputationsverletzung mit diffuser Quetschung Mehretagenverletzung Ausrissverletzung, Skelettierungs- oder Degloving-Amputation. Typ I
Ringförmige Kompression und reine Hautverletzung
Typ II
Dorsale Gefäß- und Hautverletzung
Typ III
Palmare Gefäß- und Hautverletzung
Typ IV
Dorsale- und palmare Gefäß- und Hautverletzung
Typ V
Komplette Avulsion mit zusätzlicher Fraktur oder Disartikulation
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402
Amputationsverletzungen
Nekrose des distalen Abschnitts (Amputats) eintreten würde. In Abhängigkeit von den noch erhaltenen Strukturen unterscheidet man 5 Untergruppen. Bestehen noch Zeichen einer ausreichenden Restdurchblutung, so spricht man von einer (schweren) kombinierten Knochen-Weichteil-Verletzung. Kombinierte Knochen-Weichteil-Verletzungen können nach verschiedenen Klassifikationen eingeteilt werden. Die Therapie derartiger Verletzungen kann als Rekonstruktion bezeichnet werden. Werden bei der Rekonstruktion dieser Verletzungen auch Hauptgefäßverbindungen wiederhergestellt, spricht man von einer Revaskularisation (Abb. 10.2). Bezogen auf die Lokalisation der Amputationsverletzung im Handbereich können nach der Klassifikation des „Replantation Committee“ der „International Society for Reconstructive Microsurgery“ 6 verschiedene Niveaus unterschieden werden (Abb. 10.3). Abhängig von Art und Anzahl der betroffenen Finger unterscheidet man in monodigitale (nur ein Finger betroffen) und polydigitale (mehrere Finger betroffen) Amputationsverletzungen. Bei den polydigitalen Amputationsverletzungen unterscheidet man weiter in: • polydigitale Amputationsverletzungen ohne Daumenbeteiligung und • polydigitale Amputationsverletzungen mit Daumenbeteiligung. Für die Beschreibung des Amputationsmechanismus hat sich die Unterscheidung in folgende Kategorien bewährt: • • • • • •
glattrandige Schnittverletzung, Amputationsverletzung mit lokalisierter Quetschung, Amputationsverletzung mit diffuser Quetschung, Mehretagenverletzung, Ausrissverletzung und Skelettierungs- oder Degloving-Verletzung.
Die glattrandigen Schnittamputationen bieten den besten Ausgangsbefund für die Replantation. Die Traumatisierung des Gewebes ist gering, und es bedarf deshalb meist nur einer geringeren Wundausschneidung bzw. Kürzung der Gefäßstümpfe. Bei den Amputationsverletzungen mit lokalisierter Quetschung ist eine genaue Kontrolle der Gefäßstümpfe notwendig, um eine entsprechend weite Wundausschneidung bis in absolut gesundes Gewebe durchzuführen. Der großzügige Einsatz von Veneninterponaten verhindert dann eine zu starke Kürzung des Extremitätenanteils. Entsprechend dem Unfallmechanismus durch stumpfere Gegenstände kommt es hierbei häufiger nur zu subtotalen Abtrennungen. Die erhaltenen Strukturen sind aber meist so stark geschädigt, dass es oft sinnvoller erscheint, eine subtotale Abquetschung in eine totale,
KAPITEL 10
Abb. 10.2. Amputationsverletzungen und komplexe Knochen-Weichteil-Verletzungen (PHW MHHannover)
glatte Schnittamputation umzuwandeln und dann erst nach entsprechender Kürzung die Replantation auszuführen. Bei Amputationsverletzung mit diffuser Quetschung und bei Mehretagenverletzungen bedarf es einer noch genaueren Inspektion des Gewebes. Eine komplette Resektion aller geschädigten Strukturen ist wegen ihrer Ausdehnung meist nicht möglich. Entsprechend häufig sind die Komplikationen, wie Thrombosen durch Intimaschaden oder sekundäre Nekrosen durch später zugrunde gehendes Gewebe. Da der eigentliche Gewebeschaden primär nicht einfach beurteilbar ist, ist es schwer, das funktionelle Ergebnis vorauszusagen. Entsprechend problematisch ist bei solchen stark traumatisierten Amputationen die Indikationsfrage. Die Gruppe der Ausrissamputationen bietet die ungünstigsten Voraussetzungen für eine Replantation. Die Problematik liegt hier in der unterschiedlichen Abtrennungshöhe der verschiedenen Strukturen. Die Beugesehnen sind oft weit aus den Unterarmmuskeln herausgerissen, während die Strecksehnen oft auf Höhe der Knochenfraktur durchtrennt sind. Die Gefäß-NervenBündel werden bei diesen Verletzungen ungleichseitig weit herausgezogen, die Nerven häufig weiter proximal als die Gefäße. Die dorsalen Venen wiederum haben ihre Abtrennungslinie am Rand des Hautabrisses, der ganz unterschiedlich liegen kann. Am häufigsten ereignen sich Ausrissamputationen im Daumenbereich. Skelettierungs- oder Degloving-Verletzungen sind gekennzeichnet durch das Erhaltensein des Skelettsehnenapparates. Abgestreift wird der Weichteilmantel, meist
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Amputationsverletzungen
I II
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I II IV
III
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VI
Abb. 10.3. Klassifikation der Mikroreplantationen nach der Amputationshöhe
mit dem Endglied. Typische Unfallmechanismen sind Walzenverletzungen und Ringavulsionen. Aufgrund des Unfallmechanismus muss immer mit einer starken Traumatisierung des Amputats gerechnet werden. Für die Klassifikation der Degloving-Verletzungen im Fingerbereich sind mehrere Einteilungen beschrieben worden. Für den klinischen Alltag hat sich die Klassifikation nach Loda (1999) in unseren Händen bewährt.
10.1.4.2 Amputationsverletzungen im Bereich der oberen Extremität bis proximal des Radiokarpalgelenks (Makroamputationsverletzungen) Makroamputationsverletzungen im Bereich der oberen Extremität werden eingeteilt nach Ausmaß, Lokalisation und Ursache (Abb. 10.4, Tabelle 10.5). Nach Ausmaß der Gewebeschädigung unterscheidet man totale oder komplette Amputationen, subtotale Amputationen und komplexe Knochen-Weichteil-Schädigungen. Die Rekonstruktion von totalen Amputationsverletzungen wird als Replantation bezeichnet. Unter einer subtotalen Amputation ist nach der Definition die
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KAPITEL 10 Abb. 10.4. Klassifikation der Makroreplantationen nach der Amputationshöhe
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Durchtrennung der wichtigsten anatomischen Strukturen, besonders der Hauptgefäßverbindungen zu verstehen. Eine Durchblutung darf nicht mehr nachweisbar sein. Vom Weichteilmantel darf nicht mehr als maximal 1/4 der Zirkumferenz erhalten sein. Entscheidendes Kriterium ist, dass ohne Anastomosierung eine Nekrose des distalen Abschnittes (Amputat) eintreten würde. Im angloamerikanischen Sprachgebrauch werden diese Verletzungen als „incomplete severance“ bezeichnet. Bestehen noch Zeichen einer (ausreichenden) Restdurchblutung und wesentliche anatomische Verbindungen (>25% der Zirkumferenz), so spricht man von einer (schweren) kombinierten Knochen-Weichteil-Verletzung.
Kombinierte Knochen-Weichteil-Verletzungen können nach verschiedenen Klassifikationen (z. B. AO- Klassifikation) eingeteilt werden. Aufgrund der Schwierigkeit der Einschätzung der Restdurchblutung werden subtotale Amputationsverletzungen und komplexe KnochenWeichteil-Verletzungen im angloamerikanischen und französischen Sprachgebrauch unter den Begriffen „mangeled extremity“ bzw. „l‘urgence V.O.P.“ („vaissau-ospeau“) zusammengefasst. Werden bei der Rekonstruktion dieser Verletzungen auch Hauptgefäßverbindungen mit dem Ziel der Verbesserung der peripheren Extremitätenabschnitte wiederhergestellt, spricht man von einer Revaskularisation.
KAPITEL 10
Amputationsverletzungen
405
Tabelle 10.5. Klassifikation der Makroamputationen im Bereich der oberen Extremität Verbindung
Durchblutung
Therapie
Totale (komplette) Amputation
–
–
Replantation
Subtotale Amputation
<25% der Zirkumferenz
–
Replantation
>25% der Zirkumferenz
–
Revaskularisation
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Rekonstruktion
Verletzungsausmaß
Typ I: Knochen Typ II: Strecksehne Typ III: Beugesehne Typ IV: Hauptnervenstamm Typ V: Hautbrücke Komplexer Knochen-Weichteil-Schaden („mangeled extremity“, „urgence V.O.P“/“vaissaux-os-peau“) Lokalisation Schulter Oberarm Ellenbogengelenk Proximales und mittleres Unterarmdrittel Distales Unterarmdrittel einschließlich Radiokarpalgelenk Mischformen („Zweietagenverletzung“) Amputationsmechanismus Glattrandige Schnittverletzung Amputationsverletzung mit lokalisierter Quetschung Amputationsverletzung mit diffuser Quetschung Mehretagenverletzung Ausrissverletzung Skelettierungs- oder Degloving-Amputationen Sonstiges
Nach der Höhe der Läsion unterscheidet man Amputationsverletzungen im Bereich der Schulter, des Oberarms einschließlich des Ellenbogengelenks, des proximalen und mittleren Unterarmdrittels und des distalen Unterarmdrittels einschließlich des radiokarpalen Handgelenkanteils. Schließlich können noch Mischformen („Zweietagenverletzung“) unterschieden werden (vgl. Abb. 10.4). Für die Beschreibung des Amputationsmechanismus hat sich die Unterscheidung in 5 Kategorien bewährt (vgl. Tabelle 10.5). Für jede dieser Kategorien sind Besonderheiten beim chirurgischen Vorgehen zu beachten. Glattrandige Schnittverletzungen erlauben ein schnelles Auffinden und eine meist einfache Wiederherstellung der korrespondierenden Strukturen. Bei Amputationen mit
Quetschung ist ein ausgeprägtes Débridement mit zusätzlicher Knochenkürzung im Amputationsbereich notwendig. Darüber hinaus sollten routinemäßig alle Kompartimente gespalten werden. Avulsionsverletzungen benötigen oft lange Gefäß- und/oder Nerventransplantate. Die Zweietagenamputation ist sehr zeitaufwändig und operationstechnisch anspruchsvoll bei oft nicht vorhersehbaren Ergebnissen. Die subtotalen Amputationsverletzungen sowie den kombinierten Knochen-Weichteil-Schädigungen werden ebenfalls mit den genannten Kriterien beschrieben. Zusätzlich müssen jedoch noch Art und Zustand derjenigen Strukturen beschrieben werden, welche noch in Kontinuität sind.
406
Amputationsverletzungen
10.1.5 Therapie Für Diagnostik und Therapie von Amputationsverletzungen verwenden wir ein so genanntes „integratives Therapiekonzept“, welches neben der primär anzustrebenden kompletten Replantation, eine intensive physiotherapeutische Therapie und eventuelle Sekundäreingriffe umfasst (Tabelle 10.6). • Die Qualität der primären Replantation entscheidet über das funktionelle und ästhetische Ergebnis. Die Möglichkeit sekundärer Eingriffe entbindet nicht von der Notwendigkeit, bei der Primäroperation die bestmögliche Versorgung durchzuführen. • Die Nachbehandlung nimmt eine Schlüsselrolle bei der Behandlung des handverletzten Patienten ein. Die Physiotherapie ist integraler Bestandteil der Therapie. Nur durch ausreichend oft und genügend lange und intensiv durchgeführte Physiotherapie kann ein optimales Ergebnis erzielt und lange gehalten werden. • Das durch die Replantation erzielte Ergebnis lässt sich oftmals durch Sekundäreingriffe deutlich verbessern.
KAPITEL 10 Tabelle 10.6. „Integratives Therapiekonzept“ bei Makroreplantationen im Bereich der oberen Extremität Primärversorgung bei der Replantation 1) Wundreinigung, Desinfektion und Débridement 2) Osteosynthetische Versorgung 3) Versorgung der Beugesehnenverletzungen 4) Versorgung der Strecksehnenverletzungen 5) Mikrochirurgische Wiederherstellung der arteriellen Strombahn 6) Mikrochirurgische Wiederherstellung der Nervenkontinuität 7) Mikrochirurgische Wiederherstellung der venösen Strombahn 8) Wundschluss und postoperative Ruhigstellung Physiotherapie (ambulant und stationär) Krankengymnastik Ergotherapie Sekundäreingriffe Geplant sekundäre Nerventransplantation (3. bis 6. Monat) sekundäre Sehnenrekonstruktion Elektiv (abhängig vom Befund)
Unabdingbare Voraussetzungen für eine erfolgreiche primäre oder sekundäre Wiederherstellung der Funktion sind: • stabile knöcherne Verhältnisse, • ein „ersatzstarkes“ Transplantatlager und • freie passive Gelenkbeweglichkeit. Nur durch eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit kann ein optimales Therapieergebnis erreicht werden.
Revision bei Gefäßkomplikationen frühe Reamputation sekundäre rekonstruktive Eingriffe Weichteildeckung Knochenrekonstruktion Nervenrekonstruktion Muskel- und Sehnenrekonstruktion Sonstiges Palliative Eingriffe
Mitglieder des Therapieteams • Replanteur • Hausarzt („Drehscheibe“) • Physiotherapeut (Krankengymnastik, Ergotherapie...) • Notarzt (Bedeutung der adäquaten präklinischen Versorgung und des schnellen Transports) • Radiologe • Neurologe • Anästhesiologische Schmerzambulanz (bei Deafferenzierungsschmerzen oder Kausalgien)
Narbenkorrekturen Neuromverlagerungen Sonstiges Adjuvante Eingriffe Tenodese Kapsulodese Arthrodese ästhetische Prothetik Sonstiges
KAPITEL 10
Amputationsverletzungen
Tabelle 10.7. Replantationsteam
• Sozialdienste/Arbeitsamt/Berufsgenossenschaft (berufliche Rehabilitation bzw. Wiedereingliederung) • Orthopädietechniker (Hülsen- und Schienenapparate) • Psychotherapeuten
Der stetige Informationsaustausch innerhalb des Teams ist von außerordentlicher Wichtigkeit (Tabelle 10.7). Ein optimales Behandlungsergebnis kann nur dann ereicht werden, wenn alle Mitglieder des Therapieteams lückenlos zusammenarbeiten. Besonders muss auf die Bedeutung der prä- und postoperativen Physiotherapie muss hingewiesen werden.
10.1.5.1 Präklinische und Erstversorgung Die präklinische Erstversorgung beeinflusst die Voraussetzungen entscheidend. Immer gilt der Grundsatz „life for limb“. Nach Sicherung der Vitalfunktionen sollte das Amputat geborgen und nach dem „Prinzip der trockenen Kühlung“ (Abb. 10.5 a,b) adäquat gelagert werden. Zur Blutstillung im Bereich des Amputationsstumpfes genügt ein Druckverband.
! Die Anlage einer Oberarmblutsperre ist obsolet und gefährlich.
Sowohl am Amputatstumpf als auch am Amputat müssen alle Manipulationen wie Säuberung, Desinfektion oder Setzen von Klemmen vermieden werden, außer wenn ein Hauptgefäß lebensgefährlich blutet. Wenn aber das Setzen einer Klemme notwendig ist, dann soll es eine adäquate sein, die möglichst abtrennungsnah gesetzt werden soll. Patient und Amputat müssen so schnell wie möglich in eine entsprechend eingerichtete Klinik mit Replantationsdienst (fakultative Möglichkeit der Durchführung von Replantationen) oder in ein Replantationszentrum
(Möglichkeit der Durchführung von Replantationen 24/24 Stunden) gebracht werden (Tabelle 10.8). Wegen der Bedeutung einer möglichst kurzen Ischämiedauer für die Replantationswürdigkeit und das Replantationsrisiko ist bei Patienten mit einer Amputationsverletzung immer ein möglichst schneller Transport in ein Spezialzentrum zu fordern.
10.1.5.2 Indikationsstellung Von einer erfolgreichen Replantation/Revaskularisation kann heute nur dann gesprochen werden, wenn neben der Vitalität des Replantats gleichzeitig noch mehrere der folgenden Kriterien erfüllt sind: • geringes Replantationsrisiko, • gutes funktionelles Ergebnis (globale Extremitätenfunktion), • keine oder nur geringe Schmerzen im Replantationsbereich, • befriedigendes ästhetisches Ergebnis und • eine akzeptable Dauer der sozialen und beruflichen Wiedereingliederung. Um die genannten Therapieziele zu erreichen, hat es sich bewährt, ein standardisiertes Vorgehen, welches sich an möglichst objektiven Kriterien orientiert, zu benutzen (Abb. 10.6). Folgende Fragen sollen (nach Berger) systematisch evaluiert werden: 1. Besteht primär Replantationsfähigkeit? 2. Ist der Patient für eine Replantation geeignet? 3. Erlaubt das Replantationsrisiko (Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Mono-, Oligo- oder Multiorganversagen und Exitus nach Rekonstruktion) eine Replantation? 4. Besteht Replantationswürdigkeit von Amputatstumpf und Amputat? 5. Besteht Replantationswilligkeit? 6. Welches Operationskonzept empfiehlt sich für die Operation?
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408
Amputationsverletzungen
KAPITEL 10
a
b
Abb. 10.5 a,b. „Prinzip der trockenen Kühlung“ zur optimalen Versorgung von Amputationsverletzungen. a Replantatbeutel (Dr. Marx). b Amputat für den Transport
Tabelle 10.8. Replantationsdienste und -zentren im deutschen Sprachraum. Replantationsdienste und Zentren im deutschem Sprachraum sind wegen der Aktualität jederzeit über das Internet zu erfragen Abkürzung Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgie
DGPRÄC
Deutsche Gesellschaft für Handchirurgie
DGH,
Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Mikrochirurgie
DAM
Österreichische Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie
ÖGPÄRC
Österreichische Gesellschaft für Handchirurgie
ÖGH
Schweizer Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgie
SGPRÄC
Schweizerische Gesellschaft für Handchirurgie
SGH
KAPITEL 10 Abb. 10.6. Entscheidungsbaum „Amputationsverletzungen im Handbereich“ (Mikroamputationsverletzungen)
Amputationsverletzungen
1. Besteht Replantations- (Operationsfähigkeit) des Patienten? -Butdruck -Respiration -Ausscheidung ja 2. Besteht Replantationseignung des Patienten? - biologisches Alter -Allgemeinzustand -chronische Erkrankungen -Intelligenz ja 3. Erlaubt das Replantationsrisiko die Replantation? -Hannover Postrauma Score ja
409
nein
Stumpfversorgung
nein
Stumpfversorgung
nein Stumpfversorgung
4. Besteht Replantationswürdigkeit des Patienten? -Lokalisation (unilateral vs. bilateral) -Art und Anzahl der betroffenen Finger (monodigital vs. polydigital) -Alter (Kinder vs. Erwachsene) -Geschlecht (Frauen vs. Männer) -Beruf (Handarbeiter vs. Kopfarbeiter) ja 4a) Besteht Replantationswürdigkeit des Replantationsstumpfes? - Möglichkeit der Wiederherstellung der Sensibilität -Lokalisation und Ausmaß der amputation ja 4b) Besteht Replantationswürdigkeit des Replantats? -(kalte) Ischämiezeit<12h -Möglichkeit der Wiederherstellung der Sensibilität -Lokalisation und Ausmaß der Amputation ja
definitiv Stumpfversorgung nein nein temporär „Limb-Banking”
nein Stumpfversorgung
normotope Replantation heterotype Replantation (”Gewebebank-Konzept”) ja 5. Besteht Replantationswürdigkeit des Patienten? -subjektive Wünsche und Bedürfnisse ders Patienten ja
nein Stumpfversorgung
Replantation
Mikroreplantation Kriterien der Replantationsfähigkeit. Die Replantationsfähigkeit bewertet den Allgemeinzustand des Patienten zum Zeitpunkt der Primärdiagnostik im Schockraum und während der Replantation. Für die Bewertung der aktuellen Operationsfähigkeit sind die aktuellen Vitalparameter wie Blutdruck, Respiration und Ausscheidung ausschlaggebend.
Bei fehlender Operationsfähigkeit wird die Stumpfversorgung als Maßnahme der Blutstillung und damit zur chirurgischen Schocktherapie als einfachster und am wenigsten invasiver Eingriff durchgeführt. Zur Erhaltung möglichst vieler verschiedener Funktionen der Hand und unter Berücksichtigung ästhetischer und sozialer Aspekte müssen folgende Anforderungen an eine optimale Stumpfversorgung (vgl. Abb. 10.1, 10.7 a–c) gestellt werden:
410
Amputationsverletzungen
KAPITEL 10 Abb. 10.7 a–c. Stumpfversorgung im Fingerbereich. a Präoperativer Aspekt, b Débridement, c postoperativer Zustand
a
c
b
1. Erhaltung einer funktionellen Restlänge, 2. Funktionelle und gute Weichteildeckung, 3. Schmerzfreiheit bei guter Sensibilität.
• evtl, eingeschränkter Intelligenz (Patient soll in der Lage sein, die Nachbehandlung zu verstehen und aktiv mitzuarbeiten).
Neben der konventionellen Stumpfversorgung sollte bei der Primärversorgung an die Möglichkeit einer einzeitigen oder zweizeitigen Stumpfverbesserung mit Amputatteilen nach dem „Gewebebankkonzept“ gedacht werden. Können keine Amputatteile zur Stumpfverbesserung verwendet werden, kann der Amputationsstumpf auch sekundär durch gestielte oder freie mikrovaskuläre Gewebetransplantation oder mit Hilfe der progressiven Fingerstrahlverlängerung verbessert werden. Ist eine Replantation möglich, muss als nächstes die Replantationseignung überprüft werden.
Bei Mikroamputationen spielt das Alter nur im Hinblick auf das Replantationsrisiko eine Rolle. Bei fehlender Replantationseignung wird eine primäre optimale Stumpfversorgung durchgeführt. Bei bestehender Replantationseignung muss als Nächstes das Replantationsrisiko evaluiert werden.
Kriterien der Replantationseignung. Eigen- und (selten) Fremdanamnese sind wichtige Informationsquellen für die Festsetzung des therapeutischen Vorgehens. Für eine Replantation nicht geeignet sind Patienten
• mit systemischen chronischen Erkrankungen (schlecht eingestellter Diabetes mellitus, Tumoren im Endstadium), • allgemeinen Gesundheitsproblemen (Cave: Replantationsrisiko), • Gefäßerkrankungen (pAVK/periphere arterielle Verschlusskrankheit) und
Kriterien für die Abschätzung des Replantationsrisikos. Das Replantationsrisiko beschreibt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von systemischen Komplikatonen, wie Crush-Syndrome und das Ischämie- ReperfusionsSyndrom nach Replantation. Das zu erwartende Replantationsrisiko ist abhängig vom Ausmaß der Gesamtverletzung des Patienten (Monotrauma/Polytrauma) und der Gewebeschädigung im Amputationsbereich (primäre traumabedingte Gewebeschädigung, sekundäre kontaminationsbedingte Gewebeschädigung und tertiäre ischämiebedingte Gewebeschädigung). Schädigungen im distalen Extremitätenanteil (Finger bis distaler Unterarmbereich) führen in der Regel nicht zu systemischen Komplikationen.
KAPITEL 10
Amputationsverletzungen
Abb. 10.8. Indikationen zur Replantation an der oberen Extremität
Ein nicht zu rechtfertigendes Replantationsrisiko besteht bei einem polytraumatisierten Patienten mit einem Hannover-Polytrauma-Score (PTS) >2 (s. Plastische Chirurgie, Bd. I, Kap. 9). Besteht kein erhöhtes Replantationsrisiko, entscheidet die Replantationswürdigkeit von Amputat und Amputationsstumpf über das weitere Vorgehen. Kriterien für die Replantationswürdigkeit. Die Replantationswürdigkeit evaluiert den zu erwartenden funktionellen Nutzen der Replantation. Bei Amputationsverletzungen im Handbereich muss die Replantationswürdigkeit von Amputat und Amputationsstumpf eines jeden verletzten Fingers getrennt bewertet werden. Abhängig von Amputationshöhe, Art und Anzahl der betroffenen Finger, Alter und Geschlecht des Patienten können sich absolute und relative Indikationen zur Replantation ergeben (Abb. 10.8).
Aufgrund der großen funktionellen Bedeutung des Daumens, sollten alle Daumenamputationen primär für eine Replantation vorbereitet werden. Eine Indikation zur Replantation von einem einzelnen Langfinger besteht vor allem bei Frauen, Kindern sowie bei speziellen Berufen und Interessen (z. B. Musiker). Bei polydigitaler Amputationsverletzung sind so viele Finger wie möglich und sinnvoll zu replantieren. Wenn immer möglich, sollte die normotope Replantation durchgeführt werden. Ist diese nicht möglich, ist an eine heterotope Replantation zu denken. Bei bilateraler Amputationsverletzung sollte primär eine normotope Replantation angestrebt werden. Ist diese nicht möglich oder besteht keine Aussicht auf die Rekonstruktion einer funktionellen Hand, kann die Technik einer kontralateralen oder „Cross-over-Replantation“ geprüft werden. Lassen sowohl Amputat als auch Amputationsstumpf eine kontralaterale Replantation zu, sollte – nach eingehendem Gespräch mit dem Patienten – diese
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Amputationsverletzungen
KAPITEL 10
durchgeführt werden. Dadurch kann wenigstens eine „funktionelle Extremität“ rekonstruiert werden. Zu den relativen Indikationen zählen die Amputationen im Endgliedbereich, welche technisch sehr aufwändig sind und eine erhöhte Verlustrate (20–70%) zeigen. Bei erfolgreicher Replantation ergeben sie aber die besten funktionellen und ästhetischen Ergebnisse. Weitere relative Indikationen bei Amputationen im Handbereich sind Amputationen des Mittelfingers bei zerstörtem proximalen Interphalangeal- (PIP-)Gelenk. Bei Kindern sollte die Indikation zur Replantation weiter als beim Erwachsenen gestellt werden. Ein intensives Arzt-Patienten(Eltern-)Gespräch ist notwendig.
Bei Operationsfähigkeit des Patienten und passager fehlender Replantationswürdigkeit im Stumpfbereich (Stromverletzung, lokaler Infekt, Quetschverletzung) besteht die Möglichkeit zum primären Stumpfdébridement und zur heterotopen Revaskularisation. Nach Erreichen der Replantationsfähigkeit des Amputationsstumpfes kann in einer zweiten Operation die Transplantation des abgetrennten Anteils („limb banking“) oder noch brauchbarer Anteile („flap banking“) durchgeführt werden. Ist die Replantation mit geringem zusätzlichem Risiko für den Patienten möglich und funktionell indiziert, muss schließlich die Replantationswilligkeit des Patienten abgeklärt werden.
Amputat. Kriterien für die Replantationswürdigkeit eines Amputates sind:
Kriterien für die Replantationswilligkeit. Die Replantationswilligkeit legt die subjektiven Wünsche und Bedürfnisse des Patienten fest. Intakte körperliche Integrität, berufliche Notwendigkeiten, Freizeitbelange, soziale Hintergründe und die Möglichkeit der Rehabilitation und sozialen Reintegration bestimmen den Wunsch oder die Ablehnung einer Replantation.
• Ischämiezeit <12 Stunden, • Möglichkeit der Wiederherstellung der Sensibilität sowie • Lokalisation und Ausmaß der Amputation – Fehlen einer ausgedehnten Kontamination, – kein zusätzlicher ausgedehnter Gewebedefekt (Quetschverletzung, langstreckige Avulsionen, Hitze-, Druck- und Barotrauma) und – keine Mehretagenschädigung (relative Kontraindikation). Bei fehlender Replantationswürdigkeit des Amputats erfolgt die primäre Stumpfversorgung, wobei an die Möglichkeit der primären Stumpfverbesserung mit Amputatteilen – im Sinne des Gewebebankkonzeptes – gedacht werden sollte. Liegt eine Replantationswürdigkeit des Amputats vor, entscheidet der Zustand des Amputationsstumpfes über das weitere Vorgehen. Amputatstumpf. Kriterien für die Replantationswürdigkeit eines Amputatstumpfes sind:
• Möglichkeit der Wiederherstellung der Sensibilität und • Lokalisation und Ausmaß der Amputation – kein zusätzlicher ausgedehnter Gewebedefekt, – keine ausgedehnte Kontamination (relative Indikation) und – keine Mehretagenschädigung (relative Kontraindikation). Bei fehlender Replantationswürdigkeit des Amputatstumpfes muss überprüft werden, ob es sich hierbei um einen definitiven oder temporären Zustand handelt: Bei schlechtem Allgemeinzustand des Patienten und definitiv fehlender Replantationswürdigkeit des Amputationsstumpfes besteht die Indikation zur Stumpfversorgung (vgl. Abb. 10.7 a–c).
Makroreplantation Bei einer Makroreplantation im Bereich der oberen Extremität soll der Replanteur bereits bei Klinikaufnahme am Entscheidungsprozess teilnehmen.
Abb. 10.9 zeigt einen Entscheidungsbaum zum Vorgehen bei Makroamputationsverletzungen. Kriterien der Replantationsfähigkeit. Die Replantationsfähigkeit bewertet den Allgemeinzustand des Patienten zum Zeitpunkt der Primärdiagnostik und während der Operation. Objektive Parameter für die Bewertung der aktuellen Operationsfähigkeit sind u. a. Blutdruck, Respiration und Ausscheidung. Bei fehlender Operationsfähigkeit wird die Stumpfversorgung als Maßnahme zur Blutstillung und damit zur chirurgischen Schocktherapie als einfachster und am wenigsten invasiver Eingriff durchgeführt. Ziel ist die „optimale Stumpfversorgung“ (Abb. 10.10). Eine adäquate Knochenlänge und Weichteildeckung sowie eine gute Sensibilität sind Voraussetzungen für eine möglichst komplikationslose Prothesenversorgung. Neben der konventionellen Stumpfversorgung sollte bereits bei der Erstoperation an die Möglichkeit einer einzeitigen oder zweizeitigen („flap banking“) Stumpfverbesserung mit Amputatteilen gedacht werden. Können keine Amputatteile zur Stumpfverbesserung verwendet werden, kann der Amputationsstumpf auch sekundär durch freie (mikrovaskuläre) Transplantate oder mit Hilfe der progressiven Extremitäten- bzw. Stumpfverlängerung verbessert werden (vgl. Abb. 10.10). Bei Amputationen im distalen Unterarmbereich kann sekundär eine primäre Greiffunktion durch einen Zehentransfer wiederhergestellt werden.
KAPITEL 10
Amputationsverletzungen
Abb. 10.9. Entscheidungsbaum „Makroamputationsverletzungen an der oberen Extremität“
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Amputationsverletzungen
KAPITEL 10 Abb. 10.10. Möglichkeiten der einzeitigen und zweizeitigen Versorgung von traumatisch bedingten Amputationsstümpfen
inadäquater Amputationsstumpf sekundäre Operationen
sekundäre progressive Stumpfverlängerung
freie mikrovaskuläre Gewebetransplantation
von Amputat „Gewebe-Bank“
primäre einzeitige Transplantation
optimaler Stumpf
andere Spendergebiete
mehrzeitige Transplantation „Flap-Banking“
Länge Abpolsterung Sensibilität
Bei primär bestehender Operationsfähigkeit muss als nächstes die Replantationseignung überprüft werden. Kriterien der Replantationseignung. Eigen- oder Fremdanamnese sind wichtige Informationsquellen für die Festsetzung des therapeutischen Vorgehens. Für eine Replantation nicht geeignet sind Patienten mit systemischen chronischen Erkrankungen (schlecht eingestellter Diabetes mellitus, Tumoren usw.), allgemeinen Gesundheitsproblemen (Herzinsuffizienz, AVK u. a.) und stark eingeschränkter Intelligenz (Patient muss mental in der Lage sein, die langwierige Nachbehandlung zu verstehen und aktiv mitzuarbeiten).
Makroreplantationen im Schulter- und Oberarmbereich bei Patienten, die älter als 50 Jahre sind, sollten nur bei optimalen Voraussetzungen (biologisch jünger, keine Zusatzverletzungen, guter allgemeiner Gesundheitszustand, glattrandige Amputationsverletzungen, kalte Ischämiezeit <3 Stunden, intelligenter Patient) durchgeführt werden, da mit zunehmenden Alter das Replantationsrisiko steigt und die Wahrscheinlichkeit ein gutes funktionelles Ergebnis zu erzielen sinkt. Schlechtere funktionelle Ergebnisse sind zurückzuführen auf eine höhere Inzidenz von Gelenksteifen, Sehnenadhäsionen, eine schlechtere Nervenregeneration, eine geringere kortikale Plastizität und eine höhere Rate an starker Kälteintoleranz.
KAPITEL 10
Bei fehlender Rekonstruktionseignung wird die primäre „optimale Stumpfversorgung“ (vgl. Abb. 10.10) durchgeführt. Bei bestehender Rekonstruktionseignung muss als Nächstes das Replantationsrisiko evaluiert werden. Kriterien für die Abschätzung des Replantationsrisikos. Der Allgemeinzustand des Patienten muss nicht nur eine längere Operationsdauer tolerieren, sondern zusätzlich eine mögliche systemische Beeinflussung des Organismus postoperativ durch das Replantat. Ausgedehnte Knochen-Weichteil-Schädigungen führen neben lokalen auch zu systemischen Auswirkungen, welche man auch als „Traumakrankheit“ bezeichnen kann.
! Ein nicht zu rechtfertigendes Replantationsrisiko be-
steht bei einem monotraumatisierten Patienten bei einer warmen Ischämiezeit >6 Stunden, einer ausgedehnten Quetschverletzung ohne Möglichkeit der Verringerung der potenziell toxischen Muskelmasse durch „Elementarisation“ (s. unten) oder segmentaler Resektion, einer ausgedehnten stammnahen Quetsch- und Avulsionsverletzung und einer ausgedehnten Kontamination des Amputates.
Neben den genannten Kriterien schränkt beim polytraumatisierten Patienten der Schweregrad des Gesamtverletzungsbildes (Hannover Polytrauma Score/PTS >2) die Replantationsindikation weiter ein. Bei bestehender Operabilität und akzeptablem Replantationsrisiko entscheidet oft der intraoperative Verlauf über das Ausmaß und die Länge des rekonstruktiven Eingriffs. Der Zustand des Amputats sowie des Amputatstumpfes entscheidet über das weitere Vorgehen. Kriterien für die Replantationswürdigkeit. Die Rekonstruktionswürdigkeit evaluiert die Wahrscheinlichkeit der Rekonstruktion einer funktionellen Extremität. Es müssen dabei die Replantationswürdigkeit von Amputat und Amputatstumpf nacheinander bewertet werden. Amputat. Kriterien für die Replantationswürdigkeit des Amputates sind gegeben, wenn
• die warme Ischämiezeit nicht mehr als 4–6 Stunden beträgt, • keine diffuse Quetschverletzung oder kombinierte ausgedehnte Quetsch- und Avulsionsverletzung die Ursache ist, • keine ausgedehnte Kontamination (z. B. toxische Verunreinigung) oder zusätzliche Verbrennung bestehen.
Amputationsverletzungen
Zusätzlich sollte die Möglichkeit der primären oder sekundären Rekonstruktion zumindest der sensiblen Funktion des N. medianus bestehen. Bei fehlender Rekonstruktionswürdigkeit des Amputats ist das therapeutische Ziel die „optimale Stumpfversorgung“ (vgl. Abb. 10.10). Bei bestehender Replantationswürdigkeit des Amputats entscheidet nun der Zustand des Amputatstumpfes über das weitere Vorgehen. Amputationsstumpf. Unsere Kriterien für die Rekonstruktionswürdigkeit des Amputationsstumpfes sind:
• Amputationen distal des Glenohumeralgelenks, • keine diffuse Quetschverletzung oder kombinierte ausgedehnte Quetsch- und Avulsionsverletzung, • biologische Patientenalter. Bei ausgedehnter Kontamination (z. B. toxische Verunreinigung) muss überprüft werden, ob diese durch ein radikales Débridement beseitigt werden kann, ohne die Funktionalität der Extremität zu beeinträchtigen. Eine fehlende Replantationswürdigkeit kann definitiv oder temporär sein. Bei lebensbedrohlichem Allgemeinzustand des Patienten (fehlende Operationsfähigkeit, „life for limb“) und definitiv fehlender Replantationswürdigkeit des Amputatstumpfes besteht die Indikation zur definitiven Stumpfversorgung (Abb. 10.11). Bei Operationsfähigkeit des Patienten und temporär fehlender Replantationswürdigkeit (Kontamination, Stromverletzung, Verdacht auf multiplen Wurzelausrissschaden) besteht die Indikation zum primären Stumpfdébridement und zur heterotopen Revaskularisation. Ein Gefäßanschluss des Replantats kann in der Axilla, Bauchdecke, Leiste und am Unterarm in kurzer Zeit erfolgen. Nach Erreichen der Replantationsfähigkeit des Amputatstumpfes kann in einer zweiten Sitzung die normotope Replantation („limb banking“) oder Replantation noch brauchbarer Teile („flap banking“) durchgeführt werden (vgl. Abb. 10.11). Kriterien für die Replantationswilligkeit. Bei der Indikation zur Makrorevaskularisation/-replantation im Bereich der oberen Extremität sind die gleichen Kriterien wie bei der Mikroreplantation maßgebend. Bei fehlender Replantationswilligkeit wird die primäre Stumpfversorgung am Unfalltag durchgeführt. Primäre oder sekundäre stumpfverbessernde Maßnahmen können folgen (vgl. Abb. 10.10).
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Amputationsverletzungen
KAPITEL 10 Abb. 10.11. Möglichkeiten der primär heterotopen Revaskularisierung mit sekundärer Replantation („limb banking“)
Primäre heterotope P Revaskularisation R mit m sekundärer Cross over Replantation R
Zerstörtes Amputat „Limb-banking”” „Flap-banking” Erhaltenes Amputat „Tissue bank transfer”
Einzeitige Cross over Replantation
10.1.5.3 Operative Schritte der Replantation Mikroreplantation Grundsätzlich sollte im Handbereich immer eine komplette einzeitige Replantation durchgeführt werden, da sekundäre Eingriffe das Infektionsrisiko erhöhen und das funktionelle Ergebnis beeinträchtigen können. Eine zweizeitige Replantation im Handbereich sollte nur dann durchgeführt werden, wenn bei zunehmend instabilem Patient die Operation abgebrochen werden muss.
Die Basisreplantationssequenz umfasst: 1. Wundreinigung, Desinfektion und Débridement, 2. osteosynthetische Versorgung, 3. Versorgung der Strecksehnenverletzungen, 4. Versorgung der Beugesehnenverletzungen, 5. mikrochirurgische Wiederherstellung der arteriellen Strombahn,
6. mikrochirurgische Wiederherstellung der venösen Strombahn, 7. mikrochirurgische Wiederherstellung der Nervenkontinuität und 8. Wundschluss und postoperative Ruhigstellung. Abhängig von der Amputationshöhe (Zone I bis VI) ergeben sich operationstechnisch wichtige Besonderheiten. Wundreinigung, Desinfektion und Débridement. Vordringlichste Aufgabe der präoperativen Wundreinigung ist die Entfernung von Fremdkörpern. Bei der Desinfektion ist darauf zu achten, dass keine Flüssigkeit in die Gefäße gelangt, da dies zu Endothelschädigungen führen würde. Die Desinfektion muss mit farblosem Desinfektionsmittel erfolgen, um eine uneingeschränkte Beurteilung der Replantatperfusion zu ermöglichen.
KAPITEL 10
Die exakte Darstellung aller Strukturen, die später vereinigt werden, ist der Schlüssel für eine zügige und erfolgreiche Replantation. Nie sollte eine Replantation begonnen werden, bevor nicht alle Strukturen eindeutig identifiziert und markiert wurden. Die Darstellung der Strukturen erfolgt unter Lupenvergrößerung oder dem Operationsmikroskop. Die Präparation der Strukturen am Amputat kann bereits während der Narkosevorbereitung des Patienten beginnen. Vor allem bei Mehrfachamputationen kann somit Zeit eingespart werden.
Nach Markierung aller wichtigen Strukturen muss das Amputat wieder trocken gekühlt werden. Einzelfingerreplantationen können in Plexusanästhesie versorgt werden. Mehrfingerreplantationen und Replantationen in den Zonen IV bis VI sollten besser in Intubationsnarkose operiert werden. Die Einzelgabe eines Antibiotikums ist aufgrund der zu erwartenden langen Operationsdauer oder eventuellen Kontamination zu empfehlen, aber nicht obligat. Eine mehrtägige postoperative Antibiotikagabe ist die Ausnahme. Der Patient sollte auf einer Wärmematte gelagert werden (adäquate Körpertemperatur zur Gefäßspasmusprophylaxe). Routinemäßig sollte auch eine Bleimatte zum Schutz vor intraoperativer Röntgenstrahlung unterlegt werden. Bei Replantationen im Hohlhandbereich sollten routinemäßig ein Fuß und Unterschenkel steril abgedeckt werden, um, wenn notwendig, eine Venenentnahme durchführen zu können. Die Hand wird auf einem Handtisch ausgelagert.
Eine Oberarmmanschette sollte grundsätzlich angelegt werden. Ob die Darstellung der Strukturen, Osteosynthese und Versorgung der Sehnennähte in Blutsperre erfolgt, ist abhängig von der Technik des Replanteurs. Erst nach eindeutiger Markierung aller Strukturen erfolgt das Débridement, da sonst leicht wichtige Strukturen gekürzt werden können. Ein adäquates Débridement ist der Schlüssel für eine komplikationsarme, erfolgreiche Replantation. Kürzungen sollen nur der Weichteile wegen, aber nicht wegen der Gefäßanastomosen durchgeführt werden (Veneninterponate).
Erst intraoperativ ist es möglich, das wirkliche Ausmaß der Gewebeschädigung exakt zu bestimmen. Man muss sich immer vor Augen halten, dass der klinisch apparente Weichteil-Knochen-Schaden meist kleiner als die tatsächliche Schädigung ist. Makroskopisch geschädigtes
Amputationsverletzungen
Gewebe muss radikal entfernt werden. Durch eine Knochenkürzung werden gute Vorbedingungen für eine Ostesynthese geschaffen und spannungsfreie Gefäßnähte und Nervenkoaptationen ermöglicht. Sie sollte so sparsam wie möglich erfolgen. Gefäß- oder Nervendefekte allein sind kein Grund für ein weiteres Kürzen des Knochens, da sie durch Veneninterponate bzw. Nerventransplantate überbrückt werden können. Ein Débridement kann auch derart ausgiebig sein, dass eine funktionelle Replantation nicht mehr möglich ist. Hier ist intraoperativ die Indikation zur primären Stumpfversorgung zu stellen. In jedem Fall muss bei Einzelfingerreplantationen geprüft werden, ob Amputatteile für stumpfverbessernde Maßnahmen im Sinne des Gewebebankkonzeptes verwendet werden können. Bei Mehrfingeramputationen muss immer geprüft werden, ob das Replantat oder Teile davon für eine heterotope Rekonstruktion verwendet werden können. Osteosynthetische Versorgung. Anforderungen an die optimale Osteosynthese bei Replantation sind:
• schnelle und sichere Durchführbarkeit, • keine zusätzliche Gewebeschädigung durch Einbringen des Osteosynthesematerials, • Belastungsstabilität, • Freilassen der Nachbargelenke, • leichte Entfernbarkeit. Für die Osteosynthese im Handbereich, stehen heute eine Vielzahl von Verfahren zur Verfügung (Abb. 10.12). Der alleinige Gebrauch von Kirschner-Drähten ist nicht mehr „state of the art“. Versorgung der Beugesehnenverletzungen.> Mit Ausnahme der glattrandigen Schnittverletzung kann man, wenn notwendig, die oberflächlichen Beugesehnen bei ausgedehnten Verletzungen resezieren.
Die zu nähenden Sehnenenden werden vorgezogen und durch 2 Kanülen (Nr. 18), die durch die Sehnenenden gestochen werden, fixiert. Die modifizierte Kessler-Naht oder die Naht nach Tsuge haben sich bewährt. Als Nahtmaterial verwenden wir 3/0 bis 4/0 monofilen Kunststofffaden für die Kernnaht und 6/0 monofilen Kunststofffaden oder resorbierbaren Faden für die zirkuläre Naht. Versorgung der Strecksehnenverletzungen. Die Wiederherstellung des Strecksehnenapparates erfolgt mit 4/0 nichtresorbierbaren, monofilen Fäden – meist als UNähte.
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Amputationsverletzungen
KAPITEL 10
des Blutes den Erfolg der Anastomose. Bei Freigabe der Anastomose sollte der Blutdruck 110/70 mmHg nicht unterschreiten (Kommunikation mit der Anästhesie). Zur Verbesserung der rheologischen Eigenschaften des Blutes können Dextrane intravenös gegeben werden. Nach guter Durchgängigkeit (Patency-Test) der arteriellen Naht soll innerhalb von wenigen Augenblicken ein kräftiger venöser Reflux einsetzen. Bei Quetschamputationen und nach sehr langer Ischämiezeit kann die Blutung verzögert einsetzen. Durch Auflage von warmen Tüchern (nur bei positivem Patency-Test) kann die periphere Perfusion oft verbessert werden. Zur Optimierung der postoperativen Trophik (Perfusion bei Kälte, Nervenregeneration) sollten so viele Arterien wie möglich genäht werden.
Abb. 10.12. Möglichkeiten der Osteosynthese bei Replantationen im Handbereich
Mikrochirurgische Wiederherstellung der arteriellen Strombahn. Nur ein gut blutender Gefäßstumpf soll für eine Anastomose verwendet werden. Besonders wichtig ist die Kürzung der Gefäßenden so weit, bis unter mikroskopischer Vergrößerung keine Veränderungen der Intima mehr zu sehen sind. Spannungsfreiheit im Anastomosenbereich ist eine absolute Voraussetzung. Die Präparation der Gefäßstümpfe und Naht erfolgt nach mikrochirurgischen Prinzipien (s. Plastische Chirurgie, Bd. I, Kap. 11). Bei Gefäßdefekten ist die Indikation für ein Gefäßinterponat großzügig zu stellen. Hierbei können entweder eine intakte Arterie aus einem nicht mehr zu rekonstruierenden Amputatanteil oder ein invertiertes Veneninterponat vom Unterarm oder Fußrücken verwendet werden.
Wir verwenden 10/0 monofiles Nahtmaterial. Neben einer einwandfreien Nahttechnik beeinflussen der Blutdruck (Mitteldruck) des Patienten und die Koaguabilität
Mikrochirurgische Wiederherstellung der venösen Strombahn. Durch die vorausgegangene Arterienanastomose können nun leicht die Venen mit dem kräftigsten Reflux ausgesucht werden. Wegen der ungepolsterten Lage der dorsalen Venen muss die Anastomose absolut spannungsfrei erfolgen. Immer sollten 2–3 Venen genäht werden. Alle nicht angeschlossenen Venenstümpfe sollten unterbunden werden, um eine Nachblutung zu verhindern und den Druck in den wiederhergestellten Venen zu erhöhen (Prophylaxe gegen venöse Thrombose). Die Präparation der Gefäßstümpfe und Naht erfolgt nach mikrochirurgischen Prinzipien. Wir verwenden 10/0 monofiles Nahtmaterial. Bei Gefäßdefekten ist die Indikation für ein Veneninterponat vom Unterarm großzügig zu stellen. Besteht zusätzlich ein Hautdefekt, kann ein venöser Lappen mit venovenösem Blutstrom eingesetzt werden (Abb. 10.13 a–f). Können während der Replantation keine adäquaten Venen präpariert werden, hat es sich bewährt, einen „second-look“ nach 12 Stunden durchzuführen. Durch den erhöhten venösen Druck stellen sich die Venenstümpfe im Replantatbereich dar und können nun präpariert werden.
Auf den Blutverlust durch Spontanblutung ist unbedingt zu achten. Mikrochirurgische Wiederherstellung der Nervenkontinuität. Die Sensibilität hat für die Funktionalität der Replantats entscheidende Bedeutung. Nur makroskopisch intakte Nervenstümpfe dürfen koaptiert werden. Spannungsfreiheit im Koaptationsbereich ist eine absolute Voraussetzung. Die Präparation der Nervenstümpfe und Koaptation erfolgt nach mikrochirurgischen Prinzipien (s. Plastische Chirurgie, Bd. I Kap. 12). Wir verwenden 10/0 monofiles Nahtmaterial.
KAPITEL 10
Amputationsverletzungen
Abb. 10.13 a–f. Venöse Lappenplastik zur Wiederherstellung der venösen Gefäßbahn und gleichzeitiger Deckung eines Hautdefektes (PHW MHHannover). a Schema: Defekt der venösen Strombahn. b Klinischer Aspekt: Defekt der venösen Strombahn und dorsaler Hautdefekt im Grundgliedbereich (P1) und venöser Lappen von einem nicht mehr replantierbaren Finger nach dem Gewebebankkonzept. c Schema: Spendergebiete für venöse Lappenplastiken. d Klinischer Aspekt: Schema: venöse Lappenplastik mit venovenösem Blutstrom. e Klinischer Aspekt: postoperativ. f Klinischer Aspekt: 3 Monate nach Replantation
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Bei Nervendefektzuständen ist nur dann eine primäre Nerventransplantation indiziert, wenn unverletzte Nerventransplantate aus nicht mehr replantierbaren Anteilen zur Verfügung stehen. Ist dies nicht der Fall, erfolgt die Nerventransplantation frühsekundär nach 3–6 Monaten. Bei Nervendefekten <1,5 cm kann in der Akutsituation ein Veneninterponat oder ein Kollagenröhrchen („nerve tube principle“) versucht werden. Der Einsatz von Kunststoffröhrchen in der Akutsituation erscheint riskant. Wundschluss und postoperative Ruhigstellung. Der Hautschluss muss so locker wie möglich durchgeführt werden, um jeglichen Druck auf die Gefäßanastomosen zu vermeiden. Die Indikation zur Spalthautdeckung oder lokalen Lappenplastiken ist großzügig zu stellen. Am Ende der Operation sollte die verletzte Hand möglichst komplett von Blutkrusten gereinigt werden, um postoperativ die Gewebedurchblutung besser beurteilen zu können und die Infektionsgefahr (koaguliertes Blut als Nährbogen für Bakterien) zu verringern.
Postoperativ wird ein lockerer, saugfähiger Verband angelegt. Eine schützende Gipsschiene kann mit Watte angewickelt werden. Der replantierte Teil muss so weit frei bleiben, dass er jederzeit eine gute Kontrolle der Durchblutung anhand von Farbe, Temperatur und Rekapillarisierung zulässt. Die Extremität wird auf einem Kissen „auf Herzhöhe“ leicht erhöht gelagert (Abb. 10.14).
KAPITEL 10
Makroreplantation Subtotale und totale Makroamputationsverletzungen an der oberen Extremität stellen für den Betroffenen eine erhebliche funktionelle, ästhetische und psychische Beeinträchtigung dar. Therapeutische Optionen sind die Replantation/Revaskularisation und die primäre Amputation mit frühzeitiger prothetischer Versorgung. Um ein optimales Ergebnis für den Patienten zu erzielen, soll die Replantation von einem erfahrenen Replanteur durchgeführt werden, der bereits bei der Erstoperation alle möglichen operativen Schritte durchführt bzw. bereits zum Zeitpunkt der Erstoperation Sekundäreingriffe vorausplant. Die einfache Osteosynthese in Kombination mit der Revaskularisation, ohne weitere funktionelle Wiederherstellung (Nerven, Sehnen, primäre Sehnenverlagerungen, Hautlappenplastiken usw.) führt nur zu einer „warmen autologen Prothese“.
Wenn immer möglich, sollten zum Zeitpunkt der Erstoperation alle rekonstruktiven Eingriffe (einzeitige Replantation) durchgeführt werden, da sekundäre Eingriffe das Infektionsrisiko erhöhen und das funktionelle Ergebnis beeinträchtigen können. Bei eingeschränkter Operationsfähigkeit zum Zeitpunkt der Primärdiagnostik oder zunehmend instabilem Patienten während der Replantation kann eine zweizeitige normotope Replantation notwendig werden (Abb. 10.15). Bei der Primäroperation werden das Weichteil- und/oder Knochendébridement sowie die Osteosynthese auf das der Situation angepasste Maß beschränkt. Eine großzügige Knochenkürzung löst erste Probleme der Weichteildeckung und erleichtert die Gefäßanas tomosen. Funktionelle und kosmetische Rekonstruk tionen bleiben späteren Eingriffen überlassen, welche nun unter elektiven Bedingungen mit stabilem Kreislauf und intakter Blutgerinnung durchgeführt werden können. Operative Schritte der Primärversorgung sind: 1. Wundreinigung, Desinfektion und aggressives Debridement, 2. osteosynthetische Versorgung, 3. Versorgung von Muskel- und Sehnenverletzungen, 4. mikrochirurgische Versorgung und 5. Wundschluss und Prophylaxe von postoperativen Fehlstellungen (Tabelle 10.9).
Abb. 10.14. Immobilisation der Hand nach Replantation in einem so genannten „Replantationverband“
Wundreinigung, Desinfektion und Débridement. Der Patient sollte auf einer Wärmematte gelagert werden (adäquate Körpertemperatur zur Gefäßspasmusprophylaxe). Routinemäßig sollte auch eine Bleimatte zum Schutz vor intraoperativer Röntgenstrahlung unterlegt werden. Bei
KAPITEL 10 Abb. 10.15. Möglichkeiten der einzeitigen und zweizeitigen Replantation
Amputationsverletzungen
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zweizeitige Replantation- eingeschränkte Operabilität
Primär normotop
Primär heterotop (limb-banking) akut nicht replantationsfähiger Amputationsstumpf
Eingeschränkte Primäroperation – Überleben des Amputates
Heterotope Transplantation – Überleben des Amputats
Routine-Second-Look Operation – funktionelle und ästhetische Rekonstruktion
Normotope Replantation – funktionelle und ästhetische Rekonstruktion
allen Makroreplantationen sollte routinemäßig ein Bein steril abgedeckt werden, um eine mögliche Venenentnahme durchführen zu können. Der verletzte Arm wird auf einem Handtisch ausgelagert, bis über die Axilla gewaschen und steril abgedeckt. Alle Makroreplantationen werden in Intubationsnarkose durchgeführt. Die Gabe eines Antibiotikums intraoperativ ist aufgrund der oft hohen Verschmutzung zu empfehlen. Eine mehrtägige postoperative Antibiotikagabe ist ebenfalls zu empfehlen. Vordringlichste Aufgabe der präoperativen Wundreinigung ist die Entfernung von Fremdkörpern. Bei der Desinfektion ist darauf zu achten, dass keine Flüssigkeit in die Gefäße gelangt, da dies zu Endothelschädigungen führen würde. Die Desinfektion muss mit farblosem Desinfektionmittel erfolgen, um eine uneingeschränkte Beurteilung der Replantatperfusion zu ermöglichen.
Die exakte Darstellung aller Strukturen, die später vereinigt werden, ist der Schlüssel für eine zügige und erfolgreiche Replantation. Die Strukturen werden identifiziert und markiert. Die Darstellung der Strukturen erfolgt unter Lupenvergrößerung oder dem Operationsmikroskop. Bei subtotalen Amputationen mit nur noch erhaltener Hautbrücke (Subtyp V) wird diese durchtrennt, um einen gleichzeitigen Einsatz von 2 Operationsteams zu ermöglichen. Größere nichtverletzte Nerven und Gefäße (Subtyp IV) müssen in Kontinuität erhalten bleiben.
Eine sterile Oberarmmanschette sollte wenn möglich angelegt werden. Ob die Darstellung der Strukturen, Osteosynthese und Versorgung der Sehnennähte in Blutsperre erfolgt, hängt von der Amputationshöhe ab. Zur Verringerung des „declamping phenomenons“ kann der distale Extremitätenanteil mit Speziallösungen (z. B. wie bei Organtransplantationen) gespült werden.
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Amputationsverletzungen
KAPITEL 10
Tabelle 10.9. „Integratives Therapiekonzept“ bei Makroreplantationen im Bereich der oberen Extremität Primärversorgung bei der Replantation 1) Wundreinigung, Desinfektion 2) Präparation des Gefäß-Nerven-Bündels und Débridement 3) Osteosynthetische Versorgung 4) Mikrochirurgische Versorgung 5) Versorgung von Muskel- und Sehnenverletzungen 6) Wundschluss und postoperative Ruhigstellung Physiotherapie (ambulant und stationär) Krankengymnastik Ergotherapie Sekundäreingriffe Geplant 1. „Konzept der eingeschränkten Primärversorgung“ „second-look“ sonstige Eingriffe 2. „Konzept der heterotopern Revaskularisation mit sekundärer normotoper Replantation („limb banking“) sekundäre normotope Replantation sonstige Eingriffe Elektiv 1. Eingriffe bei Komplikationen 2. Eingriffe zur funktionellen und/oder ästhetischen Ergebnisverbesserung im Rahmen des so genannten „integrativen Therapiekonzeptes“
rekonstruktive Eingriffe
Weichteildeckung
Knochenrekonstruktion
Nervenrekonstruktion
Muskel- und Sehnenrekonstruktionen
palliative Eingriffe
adjuvante Eingriffe
3. sekundäre Reamputation
Wird keine Spülung durchgeführt, sollte das initial zurückfließende Blut verworfen werden (Cave: Blutverlust). Die Ischämiezeit kann durch Anlage eines temporären Shunts (Gore-tex) zwischen proximalem und distalem Extremitätenbereich wirkungsvoll verkürzt werden. Darüber hinaus können alle nichtdurchbluteten Gewebeanteile identifiziert und das Débridement optimiert werden. Auf einen möglichen größeren Blutverlust ist zu achten. Der temporäre Shunt hat sich vor allem bei Amputationsverletzungen mit diffuser Quetschung und Avulsionsamputationen bewährt (Abb. 10.16).
Bei einer totalen Amputationsverletzung müssen Débridement und Präparation des Amputats unverzüglich beginnen, um die Ischämiezeit möglichst kurz zu halten. Nach Markierung aller wichtigen Strukturen muss das Amputat wieder trocken gekühlt werden. Bei subtotalen Amputationsverletzungen soll der distale Extremitätenanteil bis zur Wiederherstellung der Gefäßanastomosen ebenfalls trocken gekühlt werden (Cave: Kälteschock!). Zur Prophylaxe eines Kompartmentsyndroms erfolgt die routinemäßige Spaltung aller Kompartimente.
KAPITEL 10
Amputationsverletzungen
Shunt
A. radialis
N. medianus
Abb. 10.16. Temporärer Shunt zur Verringerung der Ischämiezeit
Im Oberarmbereich genügt ein medialer Zugang zur Spaltung des ventralen und dorsalen Kompartiments. Im Ellenbogenbereich sollte darauf geachtet werden, dass der Lacerus fibrosus komplett durchtrennt wird. Im Unterarmbereich wird routinemäßig nur die Palmarseite entlastet. Hierdurch erfolgt in den meisten Fällen auch eine ausreichende Druckentlastung im Dorsalbereich. Nur ausnahmsweise ist es notwendig, auch zusätzlich dorsal zu inzidieren. Im Handbereich müssen neben dem Karpalkanal und der Guyon-Loge dorsal die intermetakarpalen Kompartimente (Prophylaxe der myogen bedingten Krallenhand) gespalten werden (Abb. 10.17 a–e). Ein adäquates Débridement ist der Schlüssel für eine komplikationsarme erfolgreiche Replantation/Revaskularisation. Erst intraoperativ ist es möglich, das wirkliche Ausmaß des Weichteilschadens vor allem der Muskeln, Sehnen und Nerven, genauer zu bestimmen. Man muss sich immer vor Augen halten, dass der klinisch apparente Weichteil- und Knochenschaden meist kleiner ist als die tatsächliche Schädigung. Makroskopisch geschädigtes Gewebe (Muskel, Knochen, Haut) muss radikal entfernt werden, da es funktionell minderwertig ist und den Patienten potenziell gefährdet. Ein notwendiges Débridement kann auch derart ausgiebig sein, dass eine funktionelle Extremität nicht mehr wiederhergestellt werden kann. Hier ist intraoperativ die Indikation zur Stumpfversorgung zu stellen. In jedem Fall soll geprüft werden ob Amputatteile für stumpfverbessernde Maßnahmen verwendet werden können (vgl. Abb. 10.10). Zur Verminderung der Reperfusionseffekte kann eine gezielte Reduktion der Muskelmasse durch Exzision funktionell weniger wichtiger Muskeln („Elementarisation“) durch geführt werden.
In der Reihenfolge der funktionellen Bedeutung für die obere Extremität werden hierbei, wenn nötig, entfernt: • • • • •
M. flexor carpi ulnaris, M. brachioradialis, M. flexor digitorum superficialis, M. extensor carpi radialis et extensor carpi ulnaris, M. extensor indicis proprius.
Im Gegensatz zu Haut, Muskel und Knochen erfolgt bei Nerven ein zurückhaltendes primäres Débridement. Bei einem kontusionierten Nerven, dessen Kontinuität erhalten ist, kann theoretisch eine Schädigung Grad I bis IV nach Sunderland vorliegen. Da die Möglichkeit einer spontanen Funktionswiederkehr besteht, sollte hier primär zurückhaltend verfahren werden. Manchmal hilft die direkte Nervenstimulierung (Cave: Muskelrelaxanzien), um dessen Funktionsfähigkeit zu belegen. Kriterien für die intraoperative Vitalitätsbeurteilung des Knochens sind: • Blutung aus exponierten Frakturenden, • Zustand des Periosts von Fraktursegmenten. Bei denudierten Segmenten kommt es zu einer posttraumatischen Fragmentnekrose, da weder die medulläre noch die muskuloperiostale Blutversorgung intakt ist. Aufgrund der klinischen Erfahrung hat es sich gezeigt, dass durch eine adäquate Knochenkürzung der postoperative Heilungsverlauf signifikant verkürzt und das funktionelle Ergebnis deutlich verbessert werden kann. Wenn möglich sollte an den Frakturstellen das Periost erhalten bleiben, um eine schnellere knöcherne Durchbauung und eine geringere Sehnenadhärenz zu erreichen.
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Amputationsverletzungen
V. comitans brachialis radialis A. brachialis N. medianus
KAPITEL 10
N. medianus A. brachialis M. biceps brachii
N. musculocutaneus M. coracobrachialis
M. brachialis
Hiatus basilicus et V. basilica
N. cutaneus antebrachii ulnaris Fascia brachii
N. ulnaris M. triceps brachii
N. radialis
N. cutaneus brachii ulnaris
a Lacertus fibrosus (durchgeschnitten)
M. biceps brachii N. radialis A. radialis M. brachioradialis
N. medianus
b
M. flexor carpi radialis
M. pronator teres
A. brachialis
Abb. 10.17 a–e. Routinemäßige Kompartmentspaltung bei Makroreplantationen im Bereich der oberen Extremität. a Kompartmentspaltung im Oberarmbereich. b Kompartmentspaltung im Ellenbogenbereich
KAPITEL 10
Amputationsverletzungen
Abb. 10.17 a–e. Routinemäßige Kompartmentspaltung bei Makroreplantationen im Bereich der oberen Extremität. c,d Kompartmentspaltung im palmaren Unterarmbereich. c Oberflächlich, d tief. e Kompartmentspaltung im Handbereich, palmar und dorsal c
d
e
Determinanten der Knochenkürzung sind das Ausmaß des zu erwartenden 1. Weichteilschadens, 2. Nervendefektes und 3. Knochendefektes. Hauptziele der primären Verkürzung bei der Replantation sind:
• eine möglichst vollständige Entfernung geschädigten Gewebes zur postoperativen Komplikationsprophylaxe und zur Erzielung besserer funktioneller Ergebnisse der primäre Wundschluss, • die optimal weichteilgedeckte Osteosynthese und • eine maximal wiederhergestellte Sensibilität im Handbereich.
425
426
Amputationsverletzungen
KAPITEL 10
Bei transartikulärem Amputationsverlauf mit gut erhaltenen Knorpelverhältnissen sollte die Gelenkrekonstruktion versucht werden, um zumindest eine Teilfunktion zu erhalten. Eine Knochenkürzung muss in diesen Fällen proximal oder distal des rekonstruierten Gelenks durchgeführt werden. Osteosynthetische Versorgung. Für eine rasche Mobilisierung oder zumindest einen möglichst frühen Beginn der passiven krankengymnastischen Übungsbehandlung, sollte die Osteosynthese zumindest übungsstabil sein. Bei blanden Wundverhältnissen nach primärer Extremitätenkürzung kann die Stabilisierung im Diaphysenbereich mit Hilfe einer Plattenosteosynthese erfolgen. Die zusätzliche Beeinträchtigung der Vaskularisation im Plattenbereich muss beachtet werden. Bei unsicheren Weichteilverhältnissen bleibt der Fixateur externe die Osteosynthesemethode der Wahl. Nach Verbesserung der Weichteilsituation sollte im Hinblick auf die Bedeutung der frühen Remobilisierung im Bereich der oberen Extremität sekundär auf eine stabilere Form der Osteosynthese umgestiegen werden.
a
b
Abb. 10.18 a,b. Spontane Fingerstellung bei adäquater Sehnenspannung. a Klinischer Aspekt bei Handgelenkflexion. b Klinischer Aspekt bei Handgelenkextension
Versorgung von Muskel- und Sehnenverletzungen. Vor allem im Oberarm- und Unterarmbereich sollte, wenn es die Ischämiezeit zulässt, die Versorgung der Muskel- und Sehnenverletzungen im Anschluss an die Osteosynthese durchgeführt werden, da bei optimaler Übersicht bessere funktionelle Ergebnisse erzielt werden können. Liegt die kalte Ischämiedauer >3 Stunden, muss jedoch zuerst die Gefäßstrombahn wiederhergestellt werden.
a
Korrespondierende oder funktionsähnliche Muskel- und Sehnenstümpfe müssen koaptiert werden. Um ein gutes Ergebnis zu erzielen, muss auf eine ausreichende Vorspannung dieser Strukturen geachtet werden. Im Handbereich ist dies erreicht, wenn die Finger in der typischen Ruheposition mit zunehmender Fingerbeugung nach ulnarseitig zu liegen kommen (Abb. 10.18 a,b). Operationstechnisch können 3 Methoden der MuskelSehnen-Naht unterschieden werden (Abb. 10.19 a–d). Muskelnähte sollten immer durch Muskelsepten gelegt werden, um die initiale mechanische Belastbarkeit zu erhöhen. Mikrochirurgische Versorgung. Die Sequenz der Rekonstruktion von arterieller und venöser Strombahn wird unterschiedlich angegeben (Nahtmaterial: 7/0 bis 9/0). Wird primär eine große Vene genäht, kann der Blutverlust nach Wiederherstellung der arteriellen Strombahn verringert werden – allerdings besteht die Gefahr der Einschwemmung von freien Radikalen in den systemischen Kreislauf.
b Abb. 10.19 a,b. Methoden der muskulotendinösen Rekonstruktion. a Tendotendinöse Naht. b Tendomuskuläre Naht
KAPITEL 10
Wird zuerst die arterielle Strombahn wiederhergestellt, kann der initiale venöse Rückstrom verworfen werden. Dieser Blutverlust muss bereits vor Eröffnung der Strombahn wirkungsvoll kompensiert werden. Bei Gefäßdefekten ist es ratsam, die Indikation für ein Veneninterponat großzügig zu stellen. Als Spenderegion der Wahl dient das kontralaterale Bein (V. saphena magna). Ein Veneninterponat kann von einem dritten Operationsteam gehoben werden. Neben der Kennzeichnung der Flussrichtung ist bei Veneninterponaten zu bedenken, dass durch den größeren Druck das Interponat sowohl an Durchmesser als auch an Länge (etwa 10%) zunimmt. Um ein „Kinking“ zu vermeiden, muss das Interponat auf der arteriellen Seite gering kürzer als der zu ersetzende Defekt sein. Für eine adäquate intraoperative Längenbestimmung hat es sich bewährt, zuerst die proximale Anastomose zu nähen, den Blutfluss bei angeklemmtem distalen Ende freizugeben und nach Dehnung des Interponats die adäquate Interponatlänge zu überprüfen.
Pro Arterie sollten mindestens 2 Venen genäht werden. Es ist wichtig, nicht nur die oberflächlichen Venen zu nähen, da bei fehlendem tiefem Abfluss eine zusätzliche Muskelnekrose entstehen kann. Möglichst viele Venen sollten anastomosiert werden, um das postoperative Ödem mit evtl. nachfolgender Fibrosierung zu minimieren. Wenn immer möglich sollte eine spannungsfreie Koaptation der großen Nervenstämme (Nahtmaterial: 10/0 oder 9/0) bei der Erstoperation erfolgen, wobei die intraneurale Topographie bedacht werden sollte. Bei Nervendefekten ist eine primäre Nerventransplantation nur dann indiziert, wenn einwandfreie Nerventransplantate von nicht mehr zu replantierenden Extremitätenanteilen gewonnen werden können. In allen anderen Fällen hat sich die früh sekundäre Nerventransplantation nach etwa 3–6 Monaten bewährt. Bei früh sekundärer Versorgung sollte an die Möglichkeit der histochemischen Unterscheidung von motorischen und sensiblen Nervenfasern (Acethylcholinesterase-Reaktion nach Gruber) gedacht werden. Obwohl theoretisch die Anastomosierung von Lymphgefäßen möglich ist, verlässt man sich im Zeitdruck der Erstoperation darauf, dass die spontane Lymphangiogenese einsetzt. Wundschluss und postoperative Ruhigstellung. Nach Einlage mehrerer „Easy-flow-Drainagen“ (ohne Sog!), sollte ein lockerer Wundschluss durchgeführt werden. Ein eventueller Hautdefekt kann in Abhängigkeit von seinem Wundbett primär mit Spalthaut oder temporär mit Hautersatzstoffen gedeckt werden. Bei ersatzschwachem oder ersatzunfähigem Wundgrund soll in einer Zweito-
Amputationsverletzungen
peration ein gestielter oder freier Gewebetransfer durchgeführt werden. Ein dicker lockerer Watteverband mit gekrüllten Kompressen sowie eine Oberarmgipsschiene beenden die Operation.
10.1.5.4 Postoperative Nachbehandlung Postoperative Überwachung Mikroamputationsverletzung. Eine postoperative Überwachung auf der Intensivstation ist aus chirurgischer Sicht meist nicht notwendig.
Die klinische Untersuchung sowie die Röntgenuntersuchung der rekonstruierten Hand in 2 Ebenen dienen zur routinemäßigen Ergebnisbeurteilung. Die Replantatdurchblutung wird klinisch engmaschig – alle 3 Stunden während der ersten 3 Tage – kontrolliert. Kriterien sind: • Farbe (rosig, blass, bläulich), • Temperatur (normal oder niedriger als der vergleichbare Finger der Gegenseite), • Turgor (gestaut, prall gefüllt, leer), • Kapillarfüllung bei Nagel- und Hautdruck (verstärkt, normal nicht mehr vorhanden). Zusätzlich kann ein apparatives Monitoring durchgeführt werden. In Abhängigkeit von Quick-Wert, PTT, AT-IIISpiegel und der Thrombozytenzahl können dem Patienten während der ersten 5 Tage 500 ml Rheomakrodex 40 i. v. verabreicht werden, und für 14–21 Tage empfiehlt es sich, Aspirin 500 zu geben. Manche Dienste geben auch Heparin in den ersten 3 Tagen zur Vollheparinisierung (Cave: Blutung!) und wieder andere verabreichen niedermolekulares Heparin. Die rekonstruierte Hand wird auf Körperniveau gelagert. Bei geringen venösen Stauungszeichen kann die Extremität leicht hoch gelagert werden. Bei zunehmender Zyanose muss die Indikation zur operativen Revision unverzüglich gestellt werden. Gefäßkomplikationen nach Replantation müssen sofort nach Diagnose therapiert werden. Mögliche Ursachen für einen Vasospasmus sind Hypotension, niedrige Raumtemperatur, mechanische Einwirkungen und Gefäßverletzungen. Die Therapie ist primär konservativ. Die Hauptursache für eine Thrombose ist ein verletzter Gefäßabschnitt im Anastomosenbereich oder eine postoperativ auftretende Infektion. Die Therapie ist chirurgisch. Das Gefäß wird präpariert und nach makroskopischen Verletzungszeichen untersucht. Zeigt das Gefäß keine makroskopisch sichtbaren Verletzungsmarken, wird die Anastomose untersucht und ggf. revidiert. Nach einer Thrombektomie benötigt man fast
427
428
Amputationsverletzungen
immer Veneninterponate, da die ehemalige Nahtstelle reseziert werden muss. Bestehen Prellmarken wird das Gefäß bis in das Gesunde reseziert und der Defekt mit einem Veneninterponat überbrückt. Bei infektbedingter Thrombose muss der Infekt saniert werden. Da eine Gefäßanastomose und/oder ein Veneninterponat im infizierten Gebiet höchst thrombosegefährdet sind, soll ein längeres Umgehungsinterponat eingebracht werden. Der Verbandswechsel wird täglich durch den Replanteur selbst oder einen mit der Replantation Erfahrenen durchgeführt. Durchblutetes Verbandsmaterial muss vorsichtig aufgeweicht werden, da es nach Austrocknung wie ein schnürender Panzer wirken kann. Makroamputationsverletzung. Wegen der systemischen Wirkung nach Revaskularisierung größerer Extremitätenabschnitte aufgrund eines Ischämie-Reperfusions-Syndroms sowie CrushSyndromen muss der Patient postoperativ intensivmedizinisch überwacht werden.
Die Amputatdurchblutung wird klinisch oder mit Hilfe eines Dopplergerätes engmaschig kontrolliert. Bei unklaren vaskulären Komplikationen kann eine postoperative digitale Subtraktionsangiographie (DSA) und/oder Phlebographie notwendig werden. Lungen- und Nierenfunktion müssen engmaschig überprüft werden. Die rekonstruierte Extremität sollte „auf Körperniveau“ gelagert sein. Bei geringen venösen Stauungszeichen kann die Extremität leicht hoch gelagert werden. Bei zunehmender Zyanose und Umfangszunahme muss die Indikation zur operativen Revision unverzüglich gestellt werden. Gefäßkomplikationen nach Replantation müssen sofort nach Diagnose therapiert werden. Mögliche Ursachen sind gleich wie bei der Mikroamputationsverletzung (s. oben). In seltenen Fällen kann es notwendig werden, einen Teil der Adventitia in der Nähe der Anastomose zu entfernen. Zwischen dem 4. und dem 7. postoperativen Tag zeigt es sich, ob der Organismus mit den toxischen Abbauprodukten fertig wird oder ob es zu einer schweren Allgemeinbeeinträchtigung kommt. Als empfindlichstes Organ reagiert zunächst die Niere, erst im weiteren Verlauf die übrigen Organsysteme. Besonderer Wert wird deshalb auf hohe Stundenurinmengen zur Ausschwemmung toxischer Myoglobinmetabloiten gelegt. Dabei betragen die Infusionsmengen etwa 4000–5000 ml/Tag. Bei dieser hohen Flüssigkeitszufuhr muss vor allem auf die Lungenfunktion geachtet werden. Ein therapeutisch nicht beherrschbares Nieren- oder Lungenversagen sowie ein beginnendes Zweiorganversagen stellen die Indikation zur frühen Reamputation (Tabelle 10.10) dar.
KAPITEL 10 Tabelle 10.10. Indikationen zur frühen Reamputation von Makroreplantaten an der oberen Extremität. (Nach Berger et al. 1980) Absolute Indikationen „No-reflow phenomen“ Zweiorganversagen Tiefe Infektion mit beginnender Sepsis Relative Indikationen Nierenversagen Lungenversagen (ARDS) Ppersistierende Crush-Syndrome (Hyperkaliämie. Methämoglobinämie, steigende CK) Gerinnungsprobleme (DIC)
Postoperative Begleittherapie und Maßnahmen Der Erfolg einer Replantation/Revaskularisation im Handbereich ist abhängig von: • einer technisch gut durchgeführten Primäroperation (evtl. gefolgt von funktionsverbessernden Sekundäreingriffen), • einer früh einsetzenden krankengymnastischen und ergotherapeutischen Begleittherapie sowie • einer frühzeitigen sozialen und beruflichen Wiedereingliederung. Nur durch eine intensive krankengymnastische und ergotherapeutische Begleittherapie kann das durch die Rekonstruktion geschaffene Potenzial optimal genutzt werden. Besonders wichtig sind Übungen auch für den kontralateralen Arm, damit die Patienten ihre Selbstständigkeit zurückgewinnen.
In Abhängigkeit von den Weichteilverhältnissen und der Stabilität der Osteosynthese sollen passive Bewegungsübungen im Operationsgebiet nach frühestens 10 Tagen (Nervennaht) beginnen. Zum Schutz der Sehnennähte und Osteosynthese sollen nur kleine Bewegungsamplituden ausgeführt werden. Nach der knöchernen Konsolidierung (4–6 Wochen) kann eine Physiotherapie ohne Einschränkung durchgeführt werden. Eine früh einsetzende und konsequent durchgeführte Schienenbehandlung hat das Ziel, sekundäre Kontrakturen zu vermeiden und die durch die Krankengymnastik gewonnenen Bewegungsräume zu bewahren.
KAPITEL 10
Da bei Handarbeitern der frühere Beruf nun in vielen Fällen nicht wieder aufgenommen werden kann, ist es wichtig, mit dem Patienten ausführlich die Lage zu besprechen und möglichst früh einem Antrag auf Umschulung einzureichen.
10.1.5.5 Funktionsverbessernde Sekundäreingriffe Unter „funktionsverbessernden Eingriffen“ versteht man alle operativen Eingriffe, die nach Replantation/Revaskularisation notwendig werden können, um eine Ergebnisverbesserung für den Patienten zu erreichen. Bereits zum Zeitpunkt der Primärversorgung festgelegte funktionsverbessernde Eingriffe werden notwendig, wenn man nach dem Konzept der zweizeitigen normotopen Replantation oder der geplant heterotopen Revaskularisation mit sekundärer normotoper Replantation („limb banking“) vorgeht. Im Gegensatz zur unteren Extremität ist ein Längenausgleich bei primär verkürzter Replantation nicht notwendig. Elektive funktionsverbessernde Operationen werden erst nach kompletter Wundheilung und einer längeren Erholungszeit für den Patienten durchgeführt. Eine exakte Diagnostik der Funktionen nach Replantation ist entscheidend für den therapeutischen Erfolg. Folgende Fragen müssen beantwortet werden: • Ist eine sekundäre rekonstruktive Operation möglich? • Ist eine sekundäre rekonstruktive Operation sinnvoll? Ein rekonstruktiver Eingriff nach Replantation ist nur sinnvoll, wenn er den Bedürfnissen des Patienten gerecht wird und eine ausreichende Compliance des Patienten für den vorgeschlagenen Eingriff und die oft lange Rehabilitation besteht.
Mikroreplantationen Abhängig von der Amputationshöhe und dem Amputationsmechanismus sind bei etwa 50% der Patienten 1–3 funktionsverbessernde Sekundäroperationen notwendig.
Sekundäreingriffe nach Replantation im Handbereich sind technisch oft schwierige Operationen, da sie meist in der Nähe der Gefäßanastomosen im Narbengebiet ausgeführt werden müssen. Wegen der Unübersichtlichkeit oder atypischen Gefäßverbindungen besteht hier immer die Möglichkeit der Gefäß- und/oder Nervenverletzung. Deshalb sollten alle Strukturen primär bei der Replantation rekonstruiert werden, um die Zahl der Sekundäreingriffe auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Wichtig ist die
Amputationsverletzungen
429
Tabelle 10.11. Art und Inzidenz der funktionsverbessernden Sekundäreingriffe Lokalisation
[%]
Sehnen
13–62
Knochen und Gelenke
6–50
Nerven
6–79
Haut
8–33
Kenntnis der genauen Lage der Gefäßanastomosen (Angiographie, Doppler). Es ist daher sinnvoll, dass solche Nachoperationen wenn möglich vom Replanteur oder einem geübten Mitglied des Replantationsteams durchgeführt werden.
Elektive funktionsverbessernde Eingriffe betreffen Sehnen, Knochen und Gelenke, Nerven und die Haut (vgl. Tabelle 10.6, Tabelle 10.11). Operationen an Sehnen stellen die häufigsten Eingriffe dar. Wegen der langen Ruhigstellung einzelner Gelenke durch die Osteosynthese und die Sehnennaht kommt es zu ausgedehnten Verwachsungen in Sehnennahtbereich, die durch Nachbehandlung in vielen Fällen nicht mehr gelöst werden können. Die operative Tendolyse in Kombination mit einer intensiven postoperativen Begleit therapie ist oft notwendig. Auf eine erhöhte Gefahr der sekundären Sehnenruptur ist zu achten. Durch Nahtdehiszenzen kann es vor allem im Beugesehnenbereich zu langen Defektstrecken kommen, die dann nur durch eine zweizeitige Beugesehnenrekonstruktion therapiert werden können. Besteht gleichzeitig ein Nervendefekt, sollte die Nerventransplantation mit der Implantation des Silikonstabes erfolgen. Postoperativ soll die Physiotherapie dann frühestens erst ab dem 5. postoperativen Tag beginnen. Wegen der möglichst frühzeitigen Mobilisierung zur Vermeidung von Sehnenadhäsionen und/oder Gelenksteifen kommt es manchmal zur Ausbildung von Pseudarthrosen. Auch hier sind sekundäre Eingriffe nicht vermeidbar, obwohl gelegentlich weiter ausgedehnte „Wackelbewegungen“ in solchen nicht durchbauten Bruchspalten funktionell günstig seien können. Dies gilt besonders, wenn die Nachbargelenke zerstört sind. Durch längere Ruhigstellung in Kombination mit dem Trauma können Gelenksteifen auftreten. Prinzipiell sollte versucht werden, diese durch Physiotherapie zu verbessern. Weichteilverbessernde Eingriffe können notwendig werden.
430
Amputationsverletzungen
KAPITEL 10
Makroreplantationen
10.1.5.6 Replantation im Kindesalter
Elektive funktionsverbessernde Eingriffe umfassen die Weichteildeckung, Knochenrekonstruktion, Nervenrekonstruktion und Muskel- und Sehnenrekonstruktion. Das differenzialtherapeutische Vorgehen entspricht jenem bei der Rekonstruktion von kombinierten KnochenWeichteil-Defekten im Bereich der oberen Extremität. Die häufigste Ursache für Sekundäroperationen, narbige Verwachsungen der Sehnen, können durch eine Tendolyse gelöst werden. Häufig liegt auch eine arthrogene Bewegungseinschränkung vor, sodass zusätzlich auch eine Arthrolyse oder Kapsulotomie notwendig ist. Eine bereits am ersten postoperativen Tag beginnende Übungsbehandlung ist wichtig für den Operationserfolg. Die Tenotomie kommt vorzugsweise bei extremen Kontrakturen der intrinsischen Handmuskulatur zur Anwendung. Tenodesen und Arthrodesen im Handgelenkbereicht können die Greiffunktion deutlich verbessern. Bei muskulärer Endorganinsuffizienz kann auch ein Sehnentransfer oder evtl. ein mikrovaskulärer Muskeltransfer notwendig werden. In Abhängigkeit von dem bestehenden Gewebeschaden können bereits bei der Primäroperation Muskel- und Sehnentransfers zur Verbesserung von Teilfunktionen (Latissimus-dorsi-Transfer bei Ellenbogenflexorenverlust; Operation nach MerleD‘Aubigné bei Radialisläsion usw.) geplant werden. Die Indikation für arthroplastischem Gelenkersatz im Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenkbereich nach Replantation wird selten gestellt. Narbige Verwachsungen und Minderdurchblutung erschweren oft die Situation und behindern meist ein gutes Spätergebnis.
Für Mikroreplantationen (Abb. 10.20 a–e) und Makroreplantationen (vgl. Abb. 10.21 a–f, Abb. 10.22 a–h) im Kindesalter gelten prinzipiell die gleichen Grundsätze wie bei den Erwachsenen. Folgende Unterschiede sind anzumerken: • Bei Kindern muss alles, was möglich ist, replantiert werden, um ihnen für ihre Zukunft die best möglichen Bedingungen für die Entwicklung ihrer Hände zu geben. Aufgrund der höheren Regenerationspotenz des Gewebes und möglicher Spontankorrekturen von Fehlstellungen während des Wachstums kann man die Indikation zusätzlich weiter stellen. • Die Replantation ist aufgrund der anatomischen Verhältnisse oft technisch schwierig. • Während der postoperativen Phase ist die Betreuung durch einen Elternteil (oder eine dem Kind vertraute Erziehungsperson) zu empfehlen. • Die postoperative Behandlung (z. B. Verbandswechsel) ist oft schwieriger. • Die Anheilungsrate bei Kindern ist schlechter (76%), aber trotzdem muss die Indikation zur Replantation immer wenn möglich gestellt werden. Mit einem normalen Skelettwachstum ist zu rechnen, wenn die Wachstumsfugen nicht beschädigt wurden.
KAPITEL 10
Amputationsverletzungen
431
a
b
c
d
e Abb. 10.20 a–e. Replantation einer Kleinfingeramputation im Bereich der Zone II bei einem 18 Monate alten Kind (PHW MHHannover). a Präoperativer klinischer Aspekt: Amputat (glatte Schnittamputation). b Postoperativer klinischer As-
pekt. c,d Klinischer Aspekt 3 Jahre nach Replantation. c Ansicht von palmar, d Ansicht von dorsal. e Röntgenbild 3 Jahre nach Replantation: normales Skelettwachstum im Bereich der Epiphysernfugen von Mittel- und Endphalanx D V
432
Amputationsverletzungen
KAPITEL 10
b
a
c
d, e
f Abb. 10.21 a–f. Thorakoskapuläre komplette Amputation bei einem 21-jährigen Patienten (1. Chir. Univ. Kl. Wien, Replantationsdienst, A. Berger, H. Piza). a Schema der Amputationshöhe. b Klinischer Aspekt präoperativ: Amputat. c Röntgenbild
prä- und postoperativ. d Klinischer Aspekt 2 Jahre nach Replantation. e,f Funktion 2 Jahre nach Replantation. e Aktive thorakohumerale Zangenfunktion (Schulteradduktion) in der Ansicht von dorsal. f Aktive Ellenbogenbeugung
KAPITEL 10
Amputationsverletzungen
433
b
a
d
c
f
e
Abb. 10.22 a–h. Totale Oberarmamputation und okzipitale Schädelimpressionsfraktur durch landwirtschaftliches Förderband bei einem 9-jährigen Jungen (1. Chir. Univ. Kl. Wien, Replantationsdienst, A. Berger, H. Piza). a Schema Amputationsniveau. b Präoperativ Amputationsstumpf. c Präoperativ Amputat, simultaner neurochirurgischer Eingriff und Replantation. d Postoperativer klinischer Befund. e,f Funktion 2 Jahre nach Replantation. e Ellenbogenbeugung, f Handgelenk- und Fingerbeugung
434
Amputationsverletzungen
KAPITEL 10 Abb. 10.22 a–h. Totale Oberarmamputation und okzipitale Schädelimpressionsfraktur durch landwirtschaftliches Förderband bei einem 9-jährigen Jungen (1. Chir. Univ. Kl. Wien, Replantationsdienst, A. Berger, H. Piza). g,h Funktion 8 Jahre nach Replantation: Grobgrifffunktion
g
h
10.1.6 Ergebnisse 10.1.6.1 Mikroreplantationen Zur Bewertung der Therapieergebnisse bei subtotalen und totalen Amputationsverletzungen im Handbereich dienen neben der Einheilungsrate nach Replantation/Revaskularisation das funktionelle Ergebnis klassifiziert nach Millesi (1985) oder Tamai (1982) und die subjektive Ergebnisbewertung durch den Patienten. Die Einheilungsrate nach Replantation ist abhängig vom Ausmaß der Amputation, der Amputationshöhe, dem Amputationsmechanismus und der Art und Dauer der Ischämiezeit. Die Gesamtüberlebensrate nach Replantationen im Handbereich beträgt • nach Einzelfingeramputation 81% (totale Amputation 58,3%, subtotale Amputation 83,9%, komplexer Knochen-Weichteil-Schaden 100%) und • nach Mehrfingeramputation 76%.
Abhängig vom Unfallmechanismus zeigen glattrandige Amputationsverletzungen die höchsten und Amputationen mit diffuser Quetschung sowie Avulsionsamputationen die niedrigsten Überlebensraten. Bewertet man das funktionelle Ergebnis nach dem Millesi-Score, ergeben sich für die Mehrfingerreplantation 3940 von 10.000 Punkten und für die Einzelfingerreplantation durchschnittlich 7642 (Daumenreplantation 8000, Langfinger 7030) von 10.000 Punkten. Bewertet man vergleichend die Handfunktion nach dem TamaiScore, unterschieden nach Einzelfinger- (EF-) oder Mehrfinger- (MF-)Replantationen, so sind folgende Ergebnisse zu erzielen: sehr gut EF 66%, MF 9,8%: gut EF 24%, MF 52,2%; befriedigend EF 10%, MF 24,6%; unzufrieden EF 0%, MF 13,1% (Tabelle 10.12). Bei der Bewertung der Ergebnisse fällt auf, dass die komplexen Knochen-Weichteil-Verletzungen oft schlechtere Ergebnisse zeigen als die totalen Amputationsverletzungen. Dies ist vor allem auf 2 Punkte zurückzuführen:
Tabelle 10.12. Funktionelle Ergebnisse nach komplexer Knochen-Weichteil-Verletzung und Amputationsverletzungen im Fingerbereich beim Erwachsenen Millesi-Score Einzelfinger Daumen
8000
Langfinger
7030
Mehrfinger
3940
Tamai Sehr gut
Gut
Befriedigend
Unzufrieden
66%
24%
10%
0%
9,8%
52,2%
24,6%
13,1%
KAPITEL 10
Amputationsverletzungen
Tabelle 10.13. Funktionelle Ergebnisse nach komplexer Knochen-Weichteil-Verletzung und Amputationsverletzungen im Fingerbereich bei Kindern Verletzungsausmaß
Millesi-Score (Durchschnitt)
Millesi-Score (Range)
Komplette Amputation
8836
8460–9216
Subtotale Amputation
7726
5490–9156
Komplexe Knochen-Weichteil-Verletzung
8663
6560–9920
Tabelle 10.14. Klassifikation der Globalfunktion der replantierten oberen Extremität. (Nach Chen) Grad
Arbeitsfähigkeit
I
Bisherige Arbeit
Gelenkbeweglichkeit
Sensibilität
Fast normale Gelenkbeweglichkeit
Fast normal
Fast normale greifende und nichtgreifende Aktionen II
Leichte Arbeit
>40° der normalen Gelenkbeweglichkeit
Fast normal
Leicht beeinträchtigte greifende und nichtgreifende Aktionen Funktionelle Extremität III
Nützlich im täglichen Leben
<40° der normalen Gelenkbeweglichkeit Stark beeinträchtigte greifende und nichtgreifende Aktionen
IV
–
Ausgeprägte Gelenkkontrakturen
Verringerung der Sensibilität im Handbereich, keine trophischen Ulzerationen und/oder Verletzungen Fehlende Sensibilität im Handbereich, trophische Ulzerationen und/oder Verletzungen
Nichtfunktionelle Extremität
• Bei totalen Amputationsverletzungen existieren klar definierte Indikationen, wann eine funktionell sinnvolle Replantation wahrscheinlich ist. • Trotz erhaltener Vaskularisation besteht oft bei komplexen Knochen-Weichteil-Schäden eine derart große Schädigung, dass nur ein eingeschränktes funktionelles Ergebnis erzielt werden kann. Replantationen im Kindesalter zeigen bessere funktionelle Ergebnisse als im Erwachsenenalter (Tabelle 10.13).
10.1.6.2 Makroreplantationen Zur Bewertung der Therapieergebnisse bei subtotaler und totaler Makroamputation an der oberen Extremität nach Replantation bzw. Revaskularisation dienen neben der Einheilungsrate auch die funktionellen Ergebnisse klassifiziert nach Chen u. Han (1987; Tabelle 10.14) und die subjektive Ergebnisbewertung durch den Patienten.
Die Gesamtüberlebensrate von Makroamputaten bei totaler Amputation wird mit 76–100% und bei subtotaler Amputation mit 89,7–100% angegeben. Abhängig von der Art der Amputationsverletzung beträgt die Überlebensrate • bei glattrandiger Schnittverletzung 81,9–94%, • bei lokalisierter Quetschverletzung 79,3–90,3%, • bei Amputationsverletzungen mit diffuser Quetschung 87%, • bei Ausrissverletzungen 68,0–70,2% und • bei Explosionsverletzungen 79,9%. Das funktionelle Ergebnis nach Replantation/Revaskularisation ist abhängig von therapiebedingten, patientenbedingten und defektbedingten Faktoren (Tabelle 10.15). Defektbedingte Faktoren sind hauptsächlich die Amputationshöhe, der Amputationsmechanismus und zu einem geringeren Teil das Amputationsausmaß (Tabelle 10.16).
435
Compliance
Defektbedingte Einflussgrößen
Amputationshöhe
Amputationsmechanismus
Amputationsausmaß
3
8
–
–
–
11
100
27,5%
Ipsen et al. (1990) (n=23)
Meyer (1985) (n=8)
Tamai (1982) (n=5)
Eigene Ergebnisse (n=25)
Insgesamt (n=158)
[%]
Funktionelle Extremität
27,5
3
–
–
–
3
0
–
–
–
–
–
–
0
45
5
–
–
–
4
1
27,5
3
–
–
–
1
2
32%
100
46
8
5
–
7
26
21
10
–
–
–
3
7
I
11
5
2
1
–
–
2
II
61
28
4
3
–
4
17
III
6
3
2
1
–
–
–
IV
38%
100
32
10
–
–
2
20
[n]
13
4
1
–
–
1
2
I
25
8
2
–
–
–
6
II
28
9
2
–
–
–
7
III
34
11
5
–
–
1
5
IV
80%
100
69
7
–
8
6
48
[n]
45
31
2
–
5
3
21
I
35
24
2
–
2
3
17
II
19
13
2
–
1
–
10
III
1
1
1
–
–
–
–
IV
Tabelle 10.15. Einflussgrößen auf das funktionelle Ergebnis nach Makroreplantation im Bereich der oberen Extremität
Chen et al. (1981) (n=97)
IV
[n]
III
Intelligenz
II
Amputationsverletzungen
I
Persönliche Motivation
[n]
Allgemeiner Gesundheitszustand
Distales Unterarmdrittel
(Biologisches) Alter
Unter-
Patientenbedingte Einflussgrößen
Proxiales/mittleres armdrittel
Erfahrung des Therapieteams
Oberarm
Präklinische Versorgung
Schulter
Therapiebedingte Einflussgrößen
Autor
Tabelle 10.16. Funktionelle Ergebnisse nach Makroreplantation in Abhängigkeit von der Amputationshöhe. (Klassifiziert nach Chen)
436 KAPITEL 10
KAPITEL 10
Patienten mit subtotaler und totaler Amputation im Schulterbereich sind funktionell vergleichbar mit Verletzten, die eine Läsion des Plexus brachialis erlitten haben. Zusätzlich zur nervalen Schädigung kommt bei den Amputierten auch noch eine Schädigung des muskulären Endorgans hinzu, was die Prognose der zu erzielenden Restfunktion zusätzlich deutlich verschlechtert. Realistische Therapieziele sind die Wiederherstellung einer aktiven thorakohumeralen Zangenfunktion (Abb. 10.21 a–f, vgl. Tabelle 10.1) sowie einer aktiven Ellenbogenbeugung. Erst die aktive Ellenbogenbeugung ermöglicht die bimanuelle Handfunktion und sollte deshalb primär oder mit Hilfe sekundärer Ersatzoperationen wiederhergestellt werden. Abhängig von der Verletzungsart kann bei den meisten Patienten mit der Ausbildung einer protektiven Sensibilität in Teilen der Hand gerechnet werden (vgl. Tabelle 10.1). Nach Angaben in der Literatur kann eine „funktionelle Extremität“ bei dieser Amputationslokalisation in bis zu 27,5% der Fälle erreicht werden (vgl. Tabelle 10.16). Im Gegensatz zum Erwachsenen können bei Kindern auch bei Quetschamputationen nützliche Ergebnisse erzielt werden, da oft eine deutlich bessere nervale Restfunktion resultiert. Mit einem normalen Wachstum kann gerechnet werden, wenn die Ischämiedauer nicht zu lang war und die Epiphysenfugen nicht zerstört sind (Abb. 10.22 a–h, vgl. Tabelle 10.1, 10.18). Eine aktive Ellenbogenbeugung mit protektiver Sensibilität in Teilen der Hand stellt ein realistisches Therapieziel dar (vgl. Tabelle 10.1). Eine aktive Handfunktion entsprechend oder besser als jene einer aktiven Prothese kann bei einigen Patienten erreicht werden, ist jedoch unsicher vorherzusagen. Nach Literaturangaben kann eine „funktionelle Extremität“ in bis zu 34% der Fälle rekonstruiert werden (vgl. Tabelle 10.16). Bei Kindern und jungen Erwachsenen kann ein funktionell nützliches Ergebnis erwartet werden (Abb. 10.23 a–k, vgl. Tabelle 10.1, 10.16). Im Ellenbogenbereich wird das funktionelle Ergebnis hauptsächlich bestimmt durch das Ausmaß der Gelenkbeteiligung, der Muskelschädigung und der Güte der Nervenrekonstruktion. Die Therapieziele für den Unterarm-Hand-Bereich entsprechen jenen bei Replantation im proximalen Unterarmdrittel (Abb. 10.24 a–l, vgl. Tabelle 10.1, 10.16). Für den proximalen Unterarmbereich hängt das funktionelle Ergebnis hauptsächlich vom Erhaltungszustand der Muskulatur (proximales Drittel) und der Güte der Nervenrekonstruktion (primäre Naht, Nerventransplantat) ab. Bei der Vielzahl der heute möglichen rekonstruktiven Maßnahmen (Sehnentransfer, mikrovaskuläre Muskelverpflanzung) ist die Replantation in diesem Bereich als gewinnbringend anzusehen. Realistische Therapieziele sind Handgelenk- und Fingerbeugung sowie protektive Sensibilität im Handbereich. Eine aktive
Amputationsverletzungen
Streckfunktion im Handgelenk- und Fingerbereich und eine statische Zweipunktdiskriminationsfähigkeit in Teilen der Hand können ebenfalls bei einigen Patienten erreicht werden (vgl. Tabelle 10.1). Eine „funktionelle Extremität“ kann laut vorliegender Literatur in etwa 41% wiederhergestellt werden (Abb. 10.25 a–o, vgl. Tabelle 10.1, 10.16). Therapieziele der Rekonstruktion im distalen Unterarm- und Handgelenkbereich sind aktive Beugung und Streckung im Handgelenk- und Fingerbereich, Wiederherstellung der Oppositionsfähigkeit des Daumens sowie statische Zweipunktediskriminationsfähigkeit zumindest in Teilen der Hand (vgl. Tabelle 10.1). Bei wiedererlangter Grobgrifffunktion der Hand ist mit einem Kraftverlust von 20–55% verglichen mit der nichtverletzten Gegenseite zu rechnen. Bei den meisten Patienten kommt es zu keiner Regeneration der intrinsischen Handmuskulatur, weshalb es zu Schwierigkeiten bei feinmechanischen Arbeiten kommen kann. Bei dieser Amputationshöhe erreichen etwa 20% der Patienten eine statische Zweipunktediskriminationsfähigkeit von weniger als 8 mm. Bei etwa der Hälfte der Patienten können nach Replantationen im Unterarmbereich gute funktionelle Ergebnisse mit Sensibilität im Medianus- und Ulnarisgebiet (statische Zweipunktediskrimination 8–12 mm) und befriedigender Bewegungsfunktion erzielt werden. Laut Literatur kann nach Rekonstruktion in diesem Bereich in bis zu 82% eine „funktionelle Extremität“ erwartet werden (vgl. Abb. 10.25 a–o, Tabelle 10.1, 10.16). Angaben über funktionelle Ergebnisse nach Mehretagenamputationen sind rar. Widersprüchliche Angaben liegen über den Einfluss des Amputationsausmaßes (inkomplett vs. komplett) vor. Die subjektive Ergebnisbewertung nach Replantation/Revaskularisation zeigt einen hohen Verbundenheitsgrad des Patienten mit seiner rekonstruierten Extremität. An der oberen Extremität ist im Gegensatz zur unteren die sekundäre Nachamputation die Ausnahme.
Primäre Stumpfversorgung mit frühzeitiger prothetischer Versorgung Prothesen an der oberen Extremität nach traumatischer Amputation werden von Erwachsenen in nur 20–50% der Fälle getragen.
Nach prothetischer Versorgung im Bereich der Schulter können bei den meisten Modellen nur 2 Funktionen nacheinander durchgeführt werden. Neue Modelle, wie z. B. von Bort (myoelektrisch) vorgestellt, haben wesentlich mehr Funktionen und lassen für die Zukunft hoffen, dass noch bessere Prothesen für den täglichen Gebrauch entwickelt werden.
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Abb. 10.23 a–k. Transartikuläre subtotale Amputation im Ellenbogenbereich bei einem 8-jährigen Jungen (PHW MHHannover). a Schema Amputationsniveau. b Klinischer Aspekt präoperativ. c Klinischer Aspekt postoperativ und nach sekundärer Defektdeckung mit Hilfe eines freien myokutanen Latissimus-dorsi-Lappens. d Röntgenologischer Aspekt postoperativ. e,f Funktion ein Jahr nach Replantation. e Ellenbogenstreckung, f Ellenbogenbeugung. g–k Funktion 6 Jahre nach Replantation
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Abb. 10.23 a–k. Transartikuläre subtotale Amputation im Ellenbogenbereich bei einem 8-jährigen Jungen (PHW MHHannover). g–k Funktion 6 Jahre nach Replantation. g Ellenbogenstreckung, h Ellenbogenbeugung, i Fingerstreckung (Zustand nach Umlagerung der FCU-Sehne als Radialisersatzoperation), j Faustschluss (Grobgriff ), k Opposition
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Abb. 10.24 a–l. Totale Amputation im proximalen Unterarmbereich bei einem 14-jährigen Jungen (PHW MHHannover). a Schema Amputationsniveau. b Präoperativer klinischer Aspekt: Amputat. c,d Postoperativer klinischer Befund. c Ansicht von palmar, d Ansicht von dorsal. e,f Postoperatives Röntgenbild. e D.-p.-Strahlengang, f postoperatives Röntgenbild: lateraler f Strahlengang
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l Abb. 10.24 a–l. Totale Amputation im proximalen Unterarmbereich bei einem 14-jährigen Jungen (PHW MHHannover). g Supination, h Pronation, i Handgelenkbeugung, j Handgelenkstreckung, k Fingerstreckung, l Faustschluss
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e Abb. 10.25 a–o. Subtotale Amputation im distalen Unterarmbereich bei einem 19-jährigen Patienten (PHW MHHannover). a Schema Amputationsniveau. b Klinischer Aspekt präoperativ. c Klinischer Aspekt intraoperativ. d Klinischer Aspekt postoperativ. e Röntgenbild postoperativ (d.-p.- und lateraler Strahlengang). f–o Funktion 2 Jahre nach Replantation. f Supination
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Abb. 10.25 a–o. Subtotale Amputation im distalen Unterarmbereich bei einem 19-jährigen Patienten (PHW MHHannover). g Pronation, h Handgelenkextension, i Handgelenkbeugung, j Fingerstreckung, k Faustschluss. l Daumenopposition, m Funktion der intrinsischen Muskulatur
m
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Amputationsverletzungen
KAPITEL 10
einander ausgeführt werden. Durch den Einsatz von myoelektrischen Prothesen können Beugung und Streckung sowohl im Handgelenk- als auch Fingerbereich ersetzt werden. Die prothetische Versorgung im distalen Unterarmbereich führt zu keiner signifikanten Funktionsverbesserung (vgl. Tabelle 10.1).
10.1.7 Sozioökonomische Gesichtspunkte Durch Veränderungen in der Gesundheitspolitik werden Aufwand und Nutzen der Replantationschirurgie im Vergleich zur einfachen Stumpfversorgung immer häufiger hinterfragt.
10.1.7.1 Mikroreplantation
n
o Abb. 10.25 a–o. Subtotale Amputation im distalen Unterarmbereich bei einem 19-jährigen Patienten (PHW MHHannover). n Zugübung, o Druckübung
Die prothetische Versorgung im Oberarmbereich führt meist zu keiner Funktionsverbesserung verglichen mit der Versorgung im Schulterbereich, jedoch ist eine bessere Prothesenfixierung möglich. Bei intakter Ellenbogenfunktion resultiert eine signifikante Funktionsverbesserung nach prothetischer Versorgung. Zumindest 2 Funktionen können unabhängig von-
Ein Vergleich von Replantation und Stumpfversorgung hinsichtlich der Kosten für die Erstversorgung, für Sekundäroperationen, Arbeitsunfähigkeit, beruflicher Wiedereingliederung, Minderung der Erwerbsfähigkeit, durchschnittliche Behandlungsdauer, durchschnittliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit, Operationsrisiko, Beeinträchtigung der Handfunktion, des ästhetischen Ergebnisse und der Integrität des Körperschemas zeigt Tabelle 10.17. Die Kosten wurden exemplarisch für einen 25-jährigen und einen 50-jährigen Handarbeiter mit einem Gehalt von 1250 Euro bzw. 1500 Euro errechnet. Aus rein finanzieller Betrachtungsweise ist eine Replantation bei einzelner Langfingeramputation für einen 50-jährigen Handarbeiter nicht gerechtfertigt. Bei einem 25-jährigen Handarbeiter kosten Replantation und primäre Stumpfversorgung in etwa gleich viel. Die Entscheidung für oder gegen eine Replantation muss aufgrund anderer Kriterien gefällt werden. Sowohl bei der einzelnen Daumenamputation als auch bei der Mehrfingeramputation mit Daumenbeteiligung ist eine Replantation aus rein finanzieller Betrachtungsweise für beide Kollektive rentabel. Der Vorteil der deutlich geringeren medizinischen Kosten bei der primären Stumpfversorgung geht durch die signifikant höheren Kosten aufgrund der erhöhten MdE im Vergleich zur Replantation auf längere Sicht verloren (Abb. 10.26).
10.1.7.2 Makroreplantation Das funktionelle Ergebnis nach aufwändiger und für den Patienten nicht risikofreien Replantation soll mindestens gleichwertig sein mit dem Resultat nach Stumpfversorgung und prothetischer Versorgung. Bei deutlich kürzerer Operationsdauer durch primäre Stumpfversorgung oder Nachamputation (etwa 1–2 Stunden) verglichen mit der
KAPITEL 10
Amputationsverletzungen
Tabelle 10.17. Vergleich der Vor- und Nachteile der Replantation und der primären Stumpfversorgung Kriterien
Replantation
Stumpfversorgung
Kosten der Erstversorgung
Hoch
Gering
Operationsdauer
2 Stunde/Finger
0–1 Stunde
Dauer des stationären Aufenthalts
10–14 Tage
0–1 Tag
Durchschnittliche Anzahl der Sekundäroperationen
1–3
0–1
Kosten für Arbeitsunfähigkeit
Hoch
Gering
Kosten für berufliche Wiedereingliederung
Hoch
Hoch
Kosten für MdE
Verringert
Hoch
Durchschnittliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit
9 Monate
1 Monat
Durchschnittliche Behandlungsdauer
12 Monate
1 Monat
Beeinträchtigung der Handfunktion
Verringert
Ja
Ästhetisches Ergebnis
Verbessert
Schlecht/nicht sichtbar
Integrität des Körperschemas
Ja
Nein
Abb. 10.26. Kostenentwicklung nach Replantation und primärer Stumpfversorgung im Handbereich
Tausend 600
500
400
300
200
100
0 25 25 LF-Replant 25 LF-Stumpf 50 LF-Replant 50 LF-Stumpf
50 25 D-Replant 25 D-Stumpf 50 D-Replant 50 D-Stumpf
Replantation/Revaskularisation (3–24 Stunden, Durchschnitt 9,5 Stunden; Ipsen und Mitarb. 1990; 3–15 Stunden, Durchschnitt 7,5 Stunden: eigene Serie) und deutlich geringerem Operationsrisiko kann der Patient nach einem relativ kurzen stationären Aufenthalt (etwa 20 vs. 42 Tage; eigene Serie) früh prothetisch versorgt werden.
66 Jahre 25 Mult-Replant 25 Mult-Stumpf 50 Mult-Replant 50 Mult-Stumpf
Die Vorteile der schnellen prothetischen Versorgung bestehen in der Frühmobilisation des Patienten mit den günstigen Auswirkungen auf den gesamten Organismus und der schnelleren Überwindung der unmittelbaren Operationsfolgen.
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Amputationsverletzungen
KAPITEL 10
Tabelle 10.18. Vergleich der Vor- und Nachteile der Replantation und der primären Stumpfversorgung mit früher prothetischer Versorgung Kriterium
Replantation/ Revaskularisation
Primäre Stumpfversorgung + frühzeitige prothetische Versorgung
Operationsdauer
9,5 Stunden
1–2 Stunden
Dauer des stationären Aufenthalts
51 Tage
21 Tage
Durchschnittliche Anzahl an Sekundäroperationen
2,8–5,6
0–1
Durchschnittliche Anzahl an ambulanten Wiedervorstellungen
13
4–7
Dauer der Arbeitunfähigkeit
11 Monate
4–6 Monate
Dauer der Physiotherapie
12 Monate
4–6 Monate
Medizinische Kosten
Hoch
Gering
Kosten für berufliche Wiedereingliederung
Hoch
Hoch
MdE
Reduziert
Hoch
Kosten für orthetische und/oder prothetische Hilfen
(Ja)
Hoch
Bei insgesamt geringerer Anzahl an notwendigen Sekundäreingriffen (Durchschnitt 4,8 Eingriffe, eigene Serie) besteht in dieser Patientengruppe eine geringere Morbidität und Mortalität. Aufgrund der Verkürzung der stationären Aufenthaltsdauer durch Sekundäreingriffe (Replantation/ Revaskularisation: 2–168 Tage, Durchschnitt 51 Tage; 28–56 Tage, Durchschnitt 42,3 Tage, eigene Serie), Reduktion der notwendigen ambulanten Kontrolluntersuchungen (Replantation/Revaskularisation: 0–46, Durchschnitt 13; 4–34, Durchschnitt 11,7, eigene Serie ) und Verringerung des Aufwandes an Begleittherapie (Replantation/Revaskularisation: 0–60 Monate, Durchschnitt 12 Monate) kommt es zu einer Kosteneinsparung für den stationären und ambulanten Krankenhausbereich (Cave: Verlust des Gesamtkörpergefühls). Darüber hinaus kann die soziale Wiedereingliederung früher beginnen. Die durchschnittliche Arbeitsunfähigkeitsdauer nach Amputation von 4–6 Monaten ist deutlich kürzer als jene nach Replantation mit durchschnittlich 11 Monaten (1–48 Monate; 4–72 Monate, Durchschnitt 14 Monate, eigene Serie; Tabelle 10.18). Die Aufzählung der Vorteile der prothetischen Versorgung lässt den Eindruck „problemloser Ersatzfunktionen“ unter Hochleistungsbedingungen entstehen. Sorgfältige Nachuntersuchungen zeigen jedoch ein anderes Bild: Zunächst kann bei der notfallmäßigen Stumpfversorgung nicht immer ein „optimaler Stumpf “ erreicht werden. Abhängig von der traumatischen Amputationshöhe und der Ausdehnung des Weichteil-Knochen-Schadens sind bei dieser Patientengruppe mehrheitlich Sekundäroperationen zur Stumpfverbesserung notwendig. Chronische Schmerzzustände nach Amputation treten darüber hinaus in 5–10% der Fälle auf. Kälteintoleranz, Hautirritationen sowie Ulzerationen, Schwellneigung, rezidivierende
Erysipele, Reduktion der Leistungsfähigkeit und verminderte Akzeptanz durch die Behinderung lassen die psychische und soziale Rehabilitationen des Patienten teils zum Problem werden. Ein Vergleich der möglichen motorischen Funktionen nach prothetischer Versorgung und Rekonstruktion zeigt, dass mit Ausnahme des Schulterniveaus eine durchschnittlich deutlich bessere motorische Funktion nach Replantation/Revaskularisation erwartet werden kann (vgl. Tabelle 10.1). Wegen der aufwändigen Steuerung der Einzelfunktionen bei Amputationen im Schulter- und Oberarmbereich tragen von diesen Patienten bis heute nur wenige ihre Prothese. Als weiterer Nachteil der Amputation ist die psychische Beeinträchtigung durch das „Fehlen eines Körperteiles“ und das „Tragen einer Prothese“ zu nennen. Dieses Argument ist interkulturell unterschiedlich stark zu bewerten. Der gravierendste Unterschied zwischen Prothese und rekonstruierter Extremität besteht in der Möglichkeit der partiellen Wiederherstellung der Sensibilität im Handbereich. Die, wenn auch deformierte, Extremität wird als „eigen erfühlt“ und subjektiv weniger störend als ein Amputationsstumpf oder eine Prothese empfunden. Durch eine erfolgreiche Replantation kommt es zu einer signifikanten Vermehrung der Einzelfunktionen für den Patienten in seinem täglichen Leben (vgl. Tabelle 10.1). Durch die erfolgreiche Replantation kommt es zu einer Verringerung der MdE und somit zu einer langfristigen Kosteneinsparung. Mit Ausnahme der Replantationen im distalen Unterarmbereich sind alle Patienten, die einen handwerklichen Beruf haben, als funktionell einhändig einzustufen.
KAPITEL 10
10.1.8 Komplikationen Eine inadäquate Patientenselektion, operative Primärversorgung und ungenügende postoperative Physiotherapie und Nachsorge sind die häufigsten Fehler bei Replantationen im Bereich der oberen Extremität. Durch ein standardisiertes Vorgehen bei der Patientenauswahl aufgrund möglichst objektiver Kriterien kann ein optimales Ergebnis erreicht werden. Die technisch einwandfrei durchgeführte Revaskularisation bzw. Replantation lohnt sich für den Patienten aus funktioneller (Reduktion der MdE) und ästhetischer Sicht. Durch den Einsatz von funktionsverbessernden Sekundäroperationen kann in vielen Fällen eine weitere Ergebnisverbesserung erreicht werden.
10.1.8.1 Mikroreplantation Ein Replantatverlust ist hauptsächlich zurückzuführen auf einen venösen oder arteriellen Gefäßverschluss. Ein „No-
Amputationsverletzungen
447
reflow-Phänomen“ wird meist bei Quetsch- und Ausriss-/ Degloving-Amputationen gesehen. Die Thromboserate ist signifikant erhöht bei Gefäßnähten unter Spannung. Die Indikation zum Veneninterponat ist großzügig zu stellen. Eine operative Revision ist in 10–15% der Fälle notwendig. Die Erfolgsrate der Revisionseingriffe ist abhängig vom Zeitpunkt der Intervention. Bei frühzeitiger (<6 Stunden) Revision kann sie mit 80% angegeben werden.
10.1.8.2 Makroreplantation Komplikationen nach Replantation können in lokale, das Replantat betreffende, und systemische Komplikationen eingeteilt werden (Tabelle 10.19). Zu den ersten zählt man: • den akut auftretenden (arteriellen und venösen) Gefäßverschluss, • die subakut auftretende lokale Infektion sowie • algodystrophische Syndrome als mögliche Spätkomplikation.
Tabelle 10.19. Möglichkeiten lokaler und systemischer Komplikationen nach Replantation im Bereich der oberen Extremität Lokal Amputationsrate
Systemisch 0,7–8%
Mortalität
0–11%
13–29%
1. Crush-Syndrome
–a
Akut 1. Gefäßkomplikationen Primäre (mechanische) Gefäßschädigung
Hyperkaliämie (Herzversagen)
Hyperkoaguablität (= Thrombose)
Myoglobinämie (Nierenversagen)
Sekundäre Gefäßschädigung
Fettembolie (Lungenversagen)
Radikalgeneration („no-flow phenomenon“)
2. Ischämie-Reperfusions-Syndrom (Radikalgeneration)
8,3%
Mono-, Oligo-, Multiorganversagen Subakut 2. Wundheilungsstörungen und lokale Infektionen
14–29%
Spätphase
3. Posttraumatische Fehlstellungen
5%
4. Reflex-Dystrophie-Syndrome
3–83%
5. Kälteintoleranz Leichte Form
50–100%
Starke Beeinträchtigung
8–12%
6. Schwellneigung
–a
7. Späte Reamputation
2,5–8%
a
Keine Angaben gefunden.
3. Sepsis
8,3%
448
Amputationsverletzungen
Die schwerwiegendste lokale Komplikation stellt der akute arteriovenöse Gefäßverschluss dar. Vaskuläre Komplikationen aufgrund technischer Fehler treten meist innerhalb der ersten 6 postoperativen Tage auf. Spätere „Gefäß“-Komplikationen sind verdächtig auf einen Infekt. Die vaskulär bedingte Verlustrate wird mit 5–29% angegeben. Die Häufigkeit von erfolgreich revidierten vaskulären Komplikationen liegt bei 6%. Die Rate von schwerwiegenden lokalen Infekten variiert zwischen 1,5–29%. Gründe für eine Reamputation zu einem späteren Zeitpunkt, meist nach Abschluss der Rehabilitationsphase, sind: • persistierende funktionelle Beeinträchtigung, • Verletzungen bei fehlender Sensibilität (z. B. Verbrennungen), • chronische Entzündungszustände (Osteitis: 4%) und • therapieresistente Schmerzen im Bereich des Replantats. In einem ausführlichen Gespräch mit dem Patienten müssen Vor- und Nachteile einer prothetischen Versorgung gegenüber dem gegenwärtigen Zustand evaluiert werden. Schmerzen im Bereich des Plexus brachialis können nur selten durch eine Amputation beseitigt werden. Zusätzlich können amputationsbedingte Phantomschmerzen auftreten. Die Rate der sekundären (späten) Reamputationen ist im Vergleich zur unteren Extremität niedrig und wird mit 0,7–8% angegeben. Bei etwa 12% aller Patienten ist mit einer Frakturheilungsstörung zu rechnen. Die Häufigkeit von posttraumatischen Fehlstellungen nach subtotaler und totaler Makroreplantation im Bereich der oberen Extremität beträgt etwa 5%. Posttraumatische radioulnare Synostosierung mit Limitierung von Pronation und Supination sind beschrieben. Mit dem Auftreten von Schmerzzuständen im Rahmen eines „pain-dysfunction syndrome“ als chronisch lokale Komplikationsmöglichkeit muss zwischen 3–83,3% (Literatur) der Fälle gerechnet werden. Postoperative Schwellungszustände des replantierten/ revaskularisierten Anteils sind bekannt. Je besser allerdings der venöse Abfluss rekonstruiert wird, desto seltener und weniger ausgeprägt tritt diese lokale Spätkomplikation auf. Eine Kälteintoleranz im rekonstruierten Extremitätenanteil wird in 50–100% der Patienten beschrieben. Kälte scheint bei Kindern nicht zu einer größeren Beeinträchtigung zu führen. Dysästhesien resultierten in 7–56%. Eine als stark eingestufte Kälteintoleranz mit gleichzeitigen Dysästhesien beklagen jedoch nur 8–12% der Patienten. Zu den akuten systemischen Komplikationen zählt man: • die Crush-Syndrome und • das Ischämie-Reperfusions-Syndrom,
KAPITEL 10
welche zu Mono-, Oligo- und Multiorganversagen führen können. Die Symptome sind umso deutlicher, je mehr Knochen- und vor allem Muskelgewebe geschädigt ist. Schädigungen im distalen Unterarmbereich führen deshalb seltener zu systemischen Komplikationen als weiter proximal gelegene. Das Risiko eines postoperativen Mono-, Oligo- oder Multiorganversagens (Nieren, Lunge) nach Replantation wird mit 8,3–60% angegeben. Hauptgrund für diese große Differenz dürften neben den unterschiedlich großen Patientenkollektiven vor allem Unterschiede in der Indikation zur Replantation sein. Realistisch ist es, das Risiko eines Multiorganversagens nach Großreplantation mit etwa 10–16% anzugeben. Die Letalität nach Makroreplantation an der oberen Extremität wird in neueren Untersuchungen mit 0–11% angegeben.
10.2 Spezielle Techniken 10.2.1 Mikroreplantationen Abhängig von der Amputationshöhe (Zone I bis VI) ergeben sich operationstechnisch wichtige Besonderheiten.
10.2.1.1 Replantationen distal des Nagelwalls (distale Fingerreplantationen: Zone I) Bei Replantationen der Zone I (Fingerspitze bis Nagelwurzel) können 3 Situationen unterschieden werden: Im Falle einer Fingerkuppenamputation der Zonen I und II erfolgt die Replantation im Sinne eines Composite graft ohne mikrochirurgische Wiederherstellung der arteriellen und/oder venösen Strombahn. Composite grafts mit Knochenanteil sind für eine Revaskularisierung zu groß und zeigen sehr geringe Anheilungsraten (als letzte Therapiemöglichkeit bei Kindern manchmal indiziert). Grundsätzlich können 2 Techniken unterschieden werden. Das Amputat wird ausgedünnt und im Sinne eines Vollhauttransplantats refixiert (Abb. 10.27 a,b, 10.28 a–e). Alternativ kann bei kleinen Amputaten mit glattem Schnittrand, vor allem bei Kindern, auf die Ausdünnung verzichtet werden. Das Amputat wird ohne Ausdünnung mit nur einigen Einzelknopfnähten möglichst anatomisch refixiert. Die Revaskularisation erfolgt durch Rekanalisierung des bestehenden Gefäßsystems durch das so genannte „arterial kissing“. Ruhigstellung und postoperative Nachsorge entsprechen jener der Replantation (stationärer Aufenthalt, rheologische Maßnahmen). Durch den Erhalt von ortsständigem Gewebe lassen sich mit dieser Technik, bei einer Erfolgsrate von 20–80% (in unserem Krankengut 88%), funktionell und ästhetisch bessere Ergebnisse erzielen als mit der zuvor genannten.
KAPITEL 10
Amputationsverletzungen
a
449
b Abb. 10.27 a,b. Schnittverletzung (1. Chir. Univ. Kl. Wien, Replantationsdienst 1974, A. Berger). a Klinischer Aspekt präoperativ. b Klinischer Aspekt 3 Jahre postoperativ
a
b
c
d
Abb. 10.28 a–e. Sägeschnittverletzung (1. Chir. Univ. Kl. Wien, Replantationsdienst 1978, A. Berger). a Klinischer Aspekt postoperativ. b Amputat. c Klinischer Aspekt 3 Monate postoperativ. d,e Klinischer Aspekt 29 Jahre postoperativ
e
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Amputationsverletzungen
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a
b
c
e
d
Abb. 10.29 a–e. Pulpareplantation nach kompletter Avulsionsamputation. a Klinischer Aspekt präoperativ. b Klinischer Aspekt nach Débridement. c Schema: palmare Vaskularisation im Endgliedbereich. d Klinischer Aspekt postoperativ. e Klinischer Aspekt ein Jahr nach Replantation
Kann in dem Amputat mikrochirurgisch eine Arterie dargestellt werden, sollte diese vor allem bei größeren Amputaten der Zone III und IV mikrochirurgisch angeschlossen werden. Die Wiederherstellung der nervalen Kontinuität ist nur ausnahmsweise möglich, da sich die Nerven bereits in ihre Endorgane aufzweigen. Da sich die dorsalen Venen erst proximal des Nagelbettes formieren, und wenn keine mediane palmare Vene vorhanden ist, ist eine Wiederherstellung der venösen Strombahn nicht
möglich. Zur Vermeidung einer venösen Kongestion können postoperativ Blutegel (Cave: Blutverlust) für 3–7 Tage angelegt werden (Abb. 10.29 a–e). Bei einer Endgliedamputation im eigentlichen Sinn (transversal verlaufende Amputationslinie) wird zur Stabilisierung der Endgliedfraktur oder zur temporären Arthrodese ein axialer Kirschner-Draht (1,0 mm) eingebracht. Eine Wiederherstellung der Sehnen ist nicht notwendig. Die Wiederherstellung der arteriellen Strombahn erfolgt
KAPITEL 10 Tabelle 10.20. Replantationssequenz bei Zone-I- (Endglied-) Replantationen 1.
Wundreinigung, Desinfektion und Débridement
2.
Osteosynthetische Versorgung
3.
Mikrochirurgische Wiederherstellung der arteriellen Strombahn
4.
Wundschluss und postoperative Ruhigstellung
Amputationsverletzungen
451
axial eingebrachten Kirschner-Drahtes mit einer Drahtzerklage hat sich bewährt. Die Rekonstruktion von Beugeund Strecksehne ist bei versteiftem Gelenk nicht notwendig. Arterien und Nerven sind ausreichend kaliberstark. Die Venen sind oft sehr kleinkalibrig und dünnwandig. Auf das Vorhandensein einer palmaren Vene sollte geachtet werden. Als Nahtmaterial wird 11/0 monofiler Kunstfaden verwendet (Abb. 10.30 a–i, Tabelle 10.21).
Postoperativer Venenersatz Blutegel
entweder im Bereich der Endäste der Aa. digitales proprii, des Arcus palmaris distalis oder dessen Endäste. Als Nahtmaterial wird 11/0 monofiler Kunstfaden verwendet. Die Wiederherstellung der venösen Strombahn erfolgt entweder durch mikrochirurgische Naht einer dorsalen oder palmaren (medianen) Vene (Tabelle 10.20).
10.2.1.2 Replantationen distal des DIP-Gelenks (Zone II) Bei Replantationen distal des Endgelenks und proximal des Nagelwalls (Zone II) sollte eine Arthrodese in optimaler Funktionsstellung durchgeführt werden, da selbst bei erhaltenen Gelenkflächen selten mit einer guten Bewegungsamplitude zu rechnen ist. Die Kombination eines
a
10.2.1.3 Replantation distal des MP-Gelenks (Zone III) Bei der Fingerreplantation im eigentlichen Sinne erfolgt die Osteosynthese in Abhängigkeit von dem Verlauf der Frakturlinie. Bei horizontalem Frakturlinienverlauf hat sich die Kombination aus Zerklage (0,6 mm) mit querem Kirschner-Draht (1,2 mm) bewährt. Als Methode der 2. Wahl wird die axiale Kirschner-Draht-Fixierung mit oder ohne zusätzliche Zerklage durchgeführt. Bei langem schrägem Frakturverlauf sind 2–3 Zugschrauben zu empfehlen. Alternativ können Kirschner-Drähte eingesetzt werden (vgl. Abb. 10.13 a–f). Die Rekonstruktion der Streck- und Beugesehne wird anschließend durchgeführt. Unter optimalen Sichtverhältnissen erfolgt dann die Wiederherstellung der nervalen Kontinuität, gefolgt von der Wiederherstellung der arteriellen und schließlich venösen Strombahn. Ein freier venöser Rückstrom wird besonders bei Fingerreplantationen durch eine Supinationsposition der Hand gewährleistet (Abb. 10.31 a–d, Tabelle 10.22).
b Abb. 10.30 a–i. Operatives Vorgehen bei der Versorgung von Replantationen der Zone II (D IV) und Zone III (D III; PHW MH-
Hannover). a Klinischer Aspekt präoperativ, dorsal. b Schema: Replantation im Bereich der Zone III bei Langfingern
452
Amputationsverletzungen
KAPITEL 10
c
d
g
e, f
h
i Abb. 10.30 a–i. Operatives Vorgehen bei der Versorgung von Replantationen der Zone II (D IV) und Zone III (D III; PHW MHHannover). c,d Klinischer Aspekt postoperativ. c Ansicht von dorsal, d Ansicht von palmar. e–i Klinischer Aspekt ein Jahr
nach Replantation. e Ansicht von dorsal, f Ansicht von palmar, g Funktionbild: Faustschluss, h Funktionsbild: Feingriff, i Nage lwachstum nach Replantation
KAPITEL 10 Tabelle 10.21. Replantationssequenz bei Zone-II-Replanta tionen
Amputationsverletzungen
Tabelle 10.22. Replantationssequenz bei Zone-III-Replantationen
1.
Wundreinigung, Desinfektion und Débridement
1.
Wundreinigung, Desinfektion und Débridement
2.
Endgliedarthrodese in Funktionsstellung
2.
Osteosynthetische Versorgung
3.
Mikrochirurgische Wiederherstellung der arteriellen Strombahn
3.
Versorgung der Strecksehnenverletzungen
4.
Versorgung der Beugesehnenverletzungen
5.
Mikrochirurgische Wiederherstellung der arteriellen Strombahn
6.
Mikrochirurgische Wiederherstellung der venösen Strombahn
7.
Mikrochirurgische Wiederherstellung der Nervenkontinuität
8.
Wundschluss und postoperative Ruhigstellung
4.
Mikrochirurgische Wiederherstellung der venösen Strombahn
5.
Mikrochirurgische Wiederherstellung der Nervenkontinuität
6.
Wundschluss und postoperative Ruhigstellung
453
b
a
c
d Abb. 10.31 a–d. Ausrissverletzung mittels Pferdeleine. Operatives Vorgehen bei der Versorgung von Replantationen der Zone III (1. Chir. Univ. Kl. Wien, Replantationsdienst 1976, A. Berger, H. Millesi). a Klinischer Aspekt präoperativ. b Schema:
Replantation im Bereich der Zone III beim Daumen mit Variante des langen venösen Gefäßinterponates. c Klinischer Aspekt postoperativ. d Klinischer Aspekt ein Jahr nach Replantation
454
Amputationsverletzungen
KAPITEL 10
b
a
c
d Abb. 10.32 a–d. Polydigitale Amputationsvereltzung DII bis IV ohne Beteiligung des Daumens (PHW MHHannover). a Klinischer Aspekt präoperativ. b–c Klinischer Aspekt eine
Jahr nach Replantation. b Ansicht von palmar, c Finger streckung, d Faustschluss
10.2.1.4 Polydigitale Amputationsverletzung und heterotope Replantation
Tabelle 10.23. Replantationssequenz bei polydigitaler Amputationsverletzung nach Wichtigkeit des Fingers für die globale Handfunktion
Grundsätzlich sollten bei einer polydigitalen Amputationsverletzung, wenn möglich, alle abgetrennten Finger wieder replantiert werden (Abb. 10.32 a–d). Können nicht alle amputierten Finger replantiert werden, besteht nach der Bedeutung des einzelnen Fingers für die globale Handfunktion die Tabelle 10.23 wiedergegebene Replantationssequenz. Um eine optimale Restfunktion zu erreichen, wird jeweils das beste zur Verfügung stehende Amputat verwendet, auch wenn dadurch eine heterotope Replantation notwendig wird (Abb. 10.33 a–f).
10.2.1.5 Skelettierungs- oder DeglovingAmputationen Die Schnitterweiterung in die Hohlhand erfolgt so weit, bis ein makroskopisch gesunder gut blutender Gefäßstumpf vorliegt.
1. Daumen
(Oppositionsfähigkeit)
2. Mittelfinger
(Spitzgriff )
3. Kleinfinger
(Feingriff )
4. Ringfinger
(Kraftgriff )
5. Zeigefinger
(Dreifingerspitzgriff )
Am Amputat wird über einen mediolateralen Zugang in Höhe des Endgelenks diejenige A. digitalis propria aufgesucht, welche am kürzesten ist. Das Endgelenk wird mittels eines Kirschner-Drahtes ruhig gestellt. Die Rekonstruktion von Streck- und Beugesehne ist, wenn möglich, der nächste Schritt. Der arterielle Anschluss erfolgt immer über ein langes invertiertes Veneninterponat vom Unterarm. Beachtet werden muss, dass durch den Ausriss der Arterien die Intima häufig über lange Strecken
KAPITEL 10
Amputationsverletzungen
455
Abb. 10.33 a–f. Heterotope Replantation D II auf D I nach polydigitaler Amputationsverletzung mit stark geschädigtem Daumenamputat (PHW MHHannover). a Klinischer Aspekt präoperativ: Amputationsstümpfe und Amputate. b Schema: heterotope Replantation des Zeigefingers auf die Daumenposition
a
b
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Amputationsverletzungen
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c
d
e
f Abb. 10.33 a–f. Heterotope Replantation D II auf D I nach polydigitaler Amputationsverletzung mit stark geschädigtem Daumenamputat (PHW MHHannover). c Radiologischer Aspekt postoperativ. d–f Klinischer Aspekt ein Jahr nach Replantation. d Fingerstreckung, e Faustschluss, f Feingrifffunktion
schlauchartig separiert und losgelöst ist. Dieser Gefäßabschnitt muss reseziert werden. Der distale Anschluss erfolgt an mikroskopisch unverletzt erscheinenden Gefäßen. Die Wiederherstellung der nervalen Kontinuität muss individuell erfolgen. Häufig sind Nerveninterponate erforderlich, welche frühsekundär eingebracht werden können. Gelegentlich ist nur noch ein proximaler Stumpf
vorhanden, welcher genutzt wird, um die funktionell wichtige Hemipulpa zu reinnervieren. Die dorsalen Venen haben ihre Abtrennungslinie meist am Rand des Hautabrisses. In einigen Fällen ist nach Débridement eine direkte Anastomosierung möglich. Bei zusätzlichem dorsalen Weichteildefekt kann eine venöse Lappenplastik mit venovenösem Blutfluss eingebracht werden (Abb. 10.34 a–h, Tabelle 10.24).
KAPITEL 10
Amputationsverletzungen
457
a b
c, d
e
f
g Abb. 10.34 a–h. Operatives Vorgehen bei der Versorgung von Skelettierungsamputationen (PHW MHHannover). a Klinischer Aspekt präoperativ. b Schema: Präparation des Replantates und Ersatz der gedehnten palmaren Arterie durch ein Veneninterponat. c Schema: Zustand nach Replantation,
Ansicht von palmar. d Schema: Zustand nach Replantation, Ansicht von dorsal. e Klinischer Aspekt postoperativ: Ansicht von palmar. f,g Klinischer Aspekt 2 Jahre nach Replantation. f Fingerstreckung, g Faustschluss
458
Amputationsverletzungen
KAPITEL 10
10.2.1.6 Mittelhandreplantationen (Zone IV) und Handwurzelreplantation (Zone V)
h Abb. 10.34 a–h. Operatives Vorgehen bei der Versorgung von Skelettierungsamputationen (PHW MHHannover). h Funktion 2 Jahre nach Replantation: Grob- oder Kraftgriff
Tabelle 10.24. Replantationssequenz bei Skelettierungs amputationen 1.
Wundreinigung, Desinfektion und Débridement
2.
Arthrodese
3.
Mikrochirurgische Wiederherstellung der arteriellen Strombahn (mit Veneninterponat)
4.
Mikrochirurgische Wiederherstellung der venösen Strombahn
5.
Mikrochirurgische Wiederherstellung der Nervenkontinuität (fakultativ)
6.
Wundschluss und postoperative Ruhigstellung
Bei Replantationen im Hohlhandbereich muss die meist zerstörte und nichtvaskularisierbare intrinsische Handmuskulatur reseziert werden. Der Karpaltunnel sollte routinemäßig gespalten werden. Wenn möglich, sollte eine plattenosteosynthetische Versorgung durchgeführt werden. Als Methode der 2. Wahl verwenden wir axial oder quer eingebrachte Kirschner-Drähte (Abb. 10.13 a–f). Nach Resektion, wenn notwendig, der oberflächlichen Beugesehnen werden die tiefen genäht. Bei den Zone-V-Replantationen [proximal des Hohlhandbogens und distal der Karpometakarpal- (CMC-) Gelenke] müssen die Handgelenkstrecker und -beuger reinseriert werden. Die Wiederherstellung der arteriellen Strombahn verlangt meist Veneninterponate. Zur Rekonstruktion des gesamten oberflächlichen Hohlhandbogens im Mittelhandbereich hat sich der oberflächliche Venenbogen am Fußrücken bewährt (Abb. 10.35 e). Die Nervendefekte werden frühsekundär versorgt. Zur Deckung von Hautdefekten können Hautersatzstoffe, Spalthauttransplantate oder Lappenplastiken eingesetzt werden. Bewährt haben sich: • venöse Lappenplastiken für kleine Defekte, • die A.-interossea-posterior-Lappenplastik für mittelgroße Defekte und • die Leistenlappenplastik und freie mikrovaskuläre Lappenplastiken für große Defekte. Lappenplastiken werden meist im Rahmen der „urgence différée“ innerhalb der ersten 24–72 Stunden durchgeführt (Abb. 10.35 a–p, Tabelle 10.25).
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Amputationsverletzungen
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b
a
d
c
Abb. 10.35 a–p. Operatives Vorgehen bei der Versorgung von Replantationen der Zone IV (PHW MHHannover). a Klinischer Aspekt präoperativ: Amputat. b Klinischer Aspekt intraoperativ: Zustand nach Präparation des Amputats und partielle Resektion der intrinsischen Muskulatur. c Radiologischer Aspekt: übungsstabile Plattenosteosynthese. d Klinischer Aspekt: intraoperativ
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Amputationsverletzungen
KAPITEL 10
e
f
g
Abb. 10.35 a–p. Operatives Vorgehen bei der Versorgung von Replantationen der Zone IV (PHW MHHannover). e–g Schema: Möglichkeiten der Wieder herstellung der arteriellen Strombahn. e Mobilisierung des Arcus palmaris, f kurzes Veneninterponat, g langes Veneninterponat aus dem Fußrückenbereich.
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h, i
j
k, l
m
n, o
p Abb. 10.35 a–p. Operatives Vorgehen bei der Versorgung von Replantationen der Zone IV (PHW MHHannover). kurzes Veneninterponat, h Klinischer Aspekt postoperativ. i,j Klinischer Aspekt: frühzeitige Bewegungsübung auf der Motorschiene. i
Fingerstreckung, j Fingerbeugung. k,l Ergotherapeutische Schienenversorgung. k Fingerbeugung, l Fingerstreckung. m–p Funktionsbild ein Jahr nach Replantation. m Fingerstreckung, n Faustschluss, o Kraft- oder Grobgriff, p 2-Finger-Spitzgriff (D II)
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Amputationsverletzungen
KAPITEL 10
Tabelle 10.25. Replantationssequenz bei Zone-IV-, -V- und -VI-Replantationen 1.
Wundreinigung, Desinfektion und Débridement
2.
Osteosynthetische Versorgung
3.
Versorgung der Strecksehnenverletzungen
4.
Versorgung der Beugesehnenverletzungen
5.
Mikrochirurgische Wiederherstellung der arteriellen Strombahn
6.
Mikrochirurgische Wiederherstellung der venösen Strombahn
7.
Mikrochirurgische Wiederherstellung der Nervenkontinuität
8.
Wundschluss und postoperative Ruhigstellung
10.2.1.7 Replantation distal des Radiokarpalgelenks (Handreplantation: Zone VI) Zur Darstellung aller Strukturen ist meist eine Schnitterweiterung auf den proximalen Unterarm notwendig. Im Handbereich müssen der Karpalkanal und die Kompartimente der Intermetakarpalräume eröffnet werden. Bei Amputationen distal des Radiokarpalgelenks und proximal der CMC-Gelenke sollte, wenn möglich, die Beweglichkeit im Handgelenkbereich erhalten bleiben. Durch die Resektion der ersten Karpalreihe bei unbeschädigten Knorpelverhältnissen an Radius und Ulna wird meist eine ausreichende Skelettkürzung erreicht. Ist dies nicht ausreichend, muss eine Handgelenkarthrodese unter wei-
terer Skelettkürzung durchgeführt werden. Wenn immer möglich sollte eine Plattenosteosynthese (AO-Handplatte) angestrebt werden. Alternativ können 2 gekreuzte Kirschner-Drähte (2,0 mm) eingebracht werden (Abb. 10.36 b). Nach Versorgung der Strecksehnen und evtl. dorsaler Venen sowie der oberflächlichen und tiefen Beugesehnen erfolgt die Wiederherstellung der arteriellen Strombahn durch Anastomosierung der Aa. radialis et ulnaris. Ist eine spannungsfreie Koaptation der Nn. medianus et ulnaris möglich, erfolgt die primäre Wiederherstellung unter Berücksichtigung der intranervalen Topographie. Bei Substanzdefekten erfolgt eine frühsekundäre Nerventransplantation nach dem 3. bis 6. Monat (Abb. 10.36 a–d, Tabelle 10.25).
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a
c
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b
Abb. 10.36 a–d. Operatives Vorgehen bei der Versorgung von Replantationen der Zone V (PHW MHHannover). a Klinischer Aspekt präoperativ: Amputat. b Postoperatives Röntgenbild: Resektion der proximalen Karpalreihe und Fixierung des Replantats mit Kirschner-Drähten. c,d Postoperativer Aspekt. c Ansicht von dorsal, d Ansicht d von palmar
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b
a
d
c
e, f
g Abb. 10.37 a–i. Mehretagenamputationsverletzung mit proximaler Amputation im Karpalbereich (Zone V) und distaler zusätzlicher Amputation im Metakarpale-I-Bereich (Zone V; PHW MHHannover). a Klinischer Aspekt präoperativ: Ansicht von palmar. b,c Klinischer Aspekt postoperativ. b Ansicht von
palmar, c Ansicht von dorsal. d,e Klinischer Aspekt ein Jahr nach Replantation. d Ansicht von dorsal, e Ansicht von palmar. f–i Funktion ein Jahr nach Replantation. f Handgelenkstreckung, g Handgelenkbeugung
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Abb. 10.37 a–i. Mehretagenamputationsverletzung mit proximaler Amputation im Karpalbereich (Zone V) und distaler zusätzlicher Amputation im Metakarpale-I-Bereich (Zone V; PHW MHHannover). h Fingerstreckung, i Fingerbeugung (Grobgriff )
h
10.2.1.8 Mehretagenamputationsverletzung Auch bei der Mehretagenamputationsverletzung, sollte wenn eine Replantation mit geringem Risiko möglich ist und vom Patienten gewünscht wird, eine Replantation durchgeführt werden. In der Literatur sind nur wenige Angaben über derartige Verletzungen zu finden. Jeder Funktionsgewinn durch Replantation eines funktionstüchtigen Handanteils ist für den Patienten ein deutlicher Gewinn, da zumindest eine Grobgreiffunktion wiedergewonnen werden kann und der Patient somit zumindest eine Hilfshand für höhere bimanuelle Tätigkeiten hat.
i
Operationstechnisch ist so vorzugehen, als ob es sich um 2 voneinander getrennte Replantationen handelt. Die operativen Schritte entsprechen den zuvor für die unterschiedlichen Amputationsniveaus beschriebenen. Zuerst wird der körpernahe Amputatteil replantiert. Bei guter Perfusion dieses Anteils erfolgt die Replantation des körperfernen Amputats. Es ist darauf zu achten, dass durch Manipulationen an dem zuvor replantierten proximalen Amputat die Durchblutung beeinträchtigt werden kann (Abb. 10.37 a–i).
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Amputationsverletzungen
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a
b
c
d
e
f
g
Abb. 10.38 a–j. Bilaterale Replantation nach bilateraler Handamputation (Zone VI; 1. Chir. Univ. Kl. Wien, Replantationsdienst 1976, A. Berger, H. Piza). a,b Klinischer Aspekt präoperativ. a Amputationsstumpf rechts, b Amputationsstumpf links. c Klinischer Aspekt intraoperativer: linkes Amputat nach Präparation aller Strukturen. d Röntgen postoperativ: Erhalt der proximalen Karpalreihe und Fixierung des Replantats mit 2 Kirschner-Drähten. e Klinischer Aspekt postoperativ: Verband und Lagerung. f,g Klinischer Aspekt 3 Monate nach Replantation (Führerschein erhalten).
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h
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i
Abb. 10.38 a–j. Bilaterale Replantation nach bilateraler Handamputation (Zone VI; 1. Chir. Univ. Kl. Wien, Replantationsdienst 1976, A. Berger, H. Piza). h–j Funktion 2 Jahre nach Replantation. h Feingrifffunktion (Schreiben). i bimanuelle Tätigkeit (Anzünden einer Zigarette), j Feingrifffunktion (Halten der Zigarette)
10.2.1.9 Bilaterale Amputationsverletzung Bei bilateraler Amputationsverletzung sollte primär eine normotope Replantation angestrebt werden (Abb. 10.38 a–j, vgl. Tabelle 10.25).
Ist eine bilaterale Replantation nicht möglich oder besteht keine Aussicht auf die Rekonstruktion einer funktionellen Hand, kann die Möglichkeit einer kontralateralen
j
oder „Cross-over-Replantation“ geprüft werden. Lassen sowohl Amputat als auch Amputationsstumpf eine kontralaterale Replantation zu, sollte unbedingt – nach eingehendem Gespräch mit dem Patienten – diese durchgeführt werden, da dadurch wenigsten eine „funktionelle Extremität“ rekonstruiert werden kann. Vom psychologischen Standpunkt aus erscheint es für den Patienten günstiger, wenigsten eine Extremität, wenn auch mit der falschen Hand zu erhalten (Abb. 10.39 a–n, vgl. Tabelle 10.25).
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b
c
a
d
f
e Abb. 10.39 a–n. Heterotope Cross-over-Replantation nach bilateraler Handamputation (PHW MHHannover). a Schema: Patientenlage bei Verletzung. b,c Klinischer Aspekt präoperativ. b Amputat rechts, c Amputat links. d,e Klinischer Aspekt
intraoperativ. d Für die Replantation vorbereitete unversehrte rechte Hand, e für die Replantation vorbereiteter linker Amputationsstumpf. f Schema: mikrochirurgische Gefäß- und Nervenanschlüsse
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g, h
i
j, k
l
m
n Abb. 10.39 a–n. Heterotope Cross-over-Replantation nach bilateraler Handamputation (PHW MHHannover). g,h Klinischer Aspekt postoperativ. g Ansicht von palmar, h Ansicht von dorsal. i Röntgen postoperativ. j–n Funktion ein Jahr nach
Replantation. j Fingerstreckung, k Faustschluss, l Grobgriff, m Feingriff, n Stumpfversorgung im Bereich des rechten Oberarms, Cross-over-Replantation im Bereich der linken Hand
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10.2.2 Makroreplantationen 10.2.2.1 Replantation im distalen Unterarmbereich Bei totalen und subtotalen Amputationsverletzungen im distalen Unterarm- und Handgelenkbereich führt eine Skelettkürzung von mehr als 4 cm zu einer signifikanten Imbalance zwischen Beuge- und Strecksehnen und damit zu einer erheblichen Beeinträchtigung der globalen Handfunktion. Bei Amputationen im Bereich des Radiokarpalgelenks bestehen 3 Möglichkeiten der Osteosynthese. Wenn immer möglich sollte das Gelenk erhalten bleiben. Bei Knorpelschädigung im Bereich der proximalen Karpalreihe mit erhaltenen Gelenkflächen im Radioulnarbereich empfiehlt sich die Resektion der proximalen Karpalreihe (vgl. Abb. 10.36 a–d). Sind beide Knorpelflächen zerstört, kann entweder eine Arthrodese oder eine Arthroplastik durchgeführt werden. Für die Plattenosteosynthese und mehr noch die Handgelenkprothesenimplantation müssen gute Weichteilverhältnisse bestehen. Für die Versorgung der Muskel- und Sehnenverletzungen bestehen die besten Voraussetzungen. Die Sehnen werden nach Anfrischung End-zu-End koaptiert.
10.2.2.2 Replantation im proximalen Unterarmbereich Im Unterarmbereich kommt es durch eine Kürzung von bis zu 5 cm zu keiner nennenswerten funktionellen Beeinträchtigung. Bei Unterarmamputationsverletzungen müssen Knochenlängenunterschiede zwischen Radius und Ulna vermieden werden, um eine Alteration im distalen Radioulnargelenk (DRUG) zu vermeiden. In jedem Fall empfiehl sich die Wiederherstellung der Membrana interossea. Im Diaphysenbereich sollte, wenn immer möglich, eine Plattenosteosynthese durchgeführt werden. Bei gelenknahen Frakturen können distale Fragmente mit Hilfe von Drahtzerklagen fixiert werden.
10.2.2.3 Replantation im Ellenbogenbereich Wenn immer möglich sollte die Gelenkfunktion wiederhergestellt werden. Besteht keine Möglichkeit der Gelenkrekonstruktion im Ellenbogenbereich, kann entweder eine (sekundäre) Arthroplastik oder eine Arthrodese durchgeführt werden. Bei der Arthrodese sind 2 Stellungen zu unterscheiden: Für den Gebrauch nah am Körper sollte der Ellenbogen in 90° Beugung und leichter Supination, für den körperfernen Gebrauch in 70–90°
Abb. 10.40. Arthrodese im Ellenbogenbereich nach transartikulärer Amputationsverletzung in 70°-Beugung und leichter Pronationsstellung (PHW MHHannover)
Beugung und leichter Pronation verblockt werden (Abb. 10.40). Bei guter Weichteildeckung sollte eine Plattenosteosynthese zur Arthrodese durchgeführt werden.
10.2.2.4 Replantation im Schulter- und Oberarmbereich Im Oberarmbereich kann eine Verkürzung von 9–15 cm ohne Funktionseinbuße durchgeführt werden. Das kosmetische Ergebnis muss mit einkalkuliert werden. Bei gelenknahen Oberarmamputationen müssen 2 Platten eingebracht werden, um eine ausreichende Stabilität zu erzielen. Alternativ können hier intramedulläre Implantate eingesetzt werden. Auf die Rekonstruktion der Ellenbogenbeuger ist unbedingt zu achten. Bei gleichzeitig bestehendem ventralem Haut-Muskel-Defekt kann eine gestielte funktionelle myokutane Latissimus-dorsi-Lappenplastik primär oder besser im Rahmen der „urgence différée“ 24–72 Stunden später durchgeführt werden. Für die funktionelle Wiederherstellung gelten die gleichen Therapieprinzipien und Therapiemöglichkeiten wie für Patienten mit einer kompletten Läsion des Plexus brachialis.
10.2.2.5 Mehretagenamputationsverletzung Auch bei der Mehretagenamputationsverletzung sollte eine Replantation, wenn sie mit geringem Risiko möglich ist und vom Patienten gewünscht wird, durchgeführt werden. In der Literatur sind nur wenige Angaben über derartige Verletzungen zu finden. Operationstechnisch ist so vorzugehen, als ob es sich um 2 voneinander getrennte Replantationen handelt. Die
KAPITEL 10
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a
b
c
d
e
f Abb. 10.41 a–l. Sekundäre Funktionsverbesserung der Handfunktion mit Hilfe eines freien funktionellen myokutanen Gracilistransfers zum palmaren Unterarm nach Mehretagenamputationsverletzung mit proximaler subtotaler Amputation im Oberarm und distaler zusätzlicher Amputation im mittleren Unterarmdrittelbereich bei einem 24-jährigen Handarbeiter (PHW MHHannover). a Röntgenbefund am
Unfalltag präoperativ (in 2 Ebenen). b Röntgenbefund am Unfalltag postoperativ (d.-p. und lateral). c Klinischer Aspekt ein Jahr nach Mehretagenreplantation (Oberarm und mittleres Unterarmdrittel). d,e Funktion ein Jahr nach Replantation. d Faustschluss, e Fingerstreckung. f DSA vor geplantem freien funktionellen Muskeltransfer
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h
j
i
k
l Abb. 10.41 a–l. Sekundäre Funktionsverbesserung der Handfunktion mit Hilfe eines freien funktionellen myokutanen Gracilistransfers zum palmaren Unterarm nach Mehretagenamputationsverletzung mit proximaler subtotaler Amputation im Oberarm und distaler zusätzlicher Amputation im mittleren Unterarmdrittelbereich bei einem 24-jährigen Handarbeiter (PHW MHHannover). g Klinischer Aspekt intraoperativ: Lappenplanung im Oberschenkelbereich. h Klinischer Aspekt
postoperativ. i Funktion ein Jahr nach freiem funktionellen Gracilistransfer und Resektion der Hautinsel des Gracilislappens: Ellenbogenbeugung. j,k Funktion 2 Jahre nach freiem funktionellen Gracilistransfer und Resektion der Hautinsel des Gracilislappens. j Ellenbogenstreckung und Fingerstreckung, k Faustschluss. l Klinischer Aspekt 2 Jahre nach freiem funktionellen Gracilistransfer und Resektion der Hautinsel des Gracilislappens
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operativen Schritte entsprechen den zuvor für die Mikroreplantation in unterschiedlichen Amputationsniveaus beschriebenen. Bei Makroamputationsverletzungen ist vor allem auf die Möglichkeiten der sekundären funktionsverbessernden Maßnahmen hinzuweisen (Abb. 10.41 a–l).
10.2.2.6 Bilaterale Amputationsverletzung Folgende Besonderheiten sind, bei der bilateralen Amputationsverletzung zu beachten: Wenn immer möglich sollte eine bilaterale normotope Replantation durchgeführt werden. Fehlt die Möglichkeit einer ipsilateralen normotopen Replantation, sollte an eine kontralaterale oder Cross-over-Replantation gedacht werden. Lassen sowohl Amputat als auch der Amputationsstumpf eine kontralaterale (Cross-over-) Replantation zu, sollte – wenn möglich nach eingehendem Gespräch mit dem Patienten – diese durchgeführt werden, da dadurch wenigsten eine „funktionelle Extremität“ rekonstruiert werden kann. Vom psychologischen Standpunkt aus erscheint es für den Patienten günstiger, wenigstens eine Extremität, wenn auch mit falscher Hand, zu erhalten.
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KAPITEL 11
Fremdhandtransplantation
Inhalt
11.1 Allgemeines
11.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 11.1.1 Mythologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 11.1.2 Geschichte der Fremdhandtransplantation. 476 11.1.3 Gesetze zur Organentnahme. . . . . . . . . . 476 11.1.4 Ethische Aspekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 11.1.5 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 11.1.5.1 Auswahl des Empfängers. . . . . . . 478 11.1.5.2 Auswahl des Spenders. . . . . . . . . 478 11.1.6 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 11.1.6.1 Immunsuppressive Therapie. . . . . 478 11.1.6.2 Rehabilitation . . . . . . . . . . . . . . 480 11.1.7 Argumente für und gegen eine Handtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . 481 11.1.7.1 Argumente für eine Handtrans plantation. . . . . . . . . . . . . . . . 481 11.1.7.2 Argumente gegen eine Handtrans plantation. . . . . . . . . . . . . . . . 482 11.2 Spezielle Technik. . . . . . . . . . . . . . . . . 482 11.2.1 Technik der Transplantation. . . . . . . . . . . 482 11.3 Schlussfolgerung. . . . . . . . . . . . . . . . . 485 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487
Das vorrangige Ziel ärztlicher Behandlung ist es, durch Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung der Gesundheit das maximale Wohlbefinden des Patienten zu gewährleisten. Die Medizin hat in den letzten Jahren gewaltige Fortschritte gemacht, sowohl bei der Entwicklung neuer Medikamente, als auch in der Medizintechnik, die einen enormen Impuls für die Chirurgie bewirkte. Ein Weg der modernen Medizin mit dem Ziel Patienten zu helfen, ist die Organtransplantation. In den letzten 50 Jahren war die allogene Organtransplantation (Transplantation zwischen genetisch nichtidenten – allogenen – Individuen der gleichen Spezies) für die Verlängerung von Leben vieler Patienten entscheidend. Die Transplantation von Niere, Leber, Pankreas, Herz, Lunge, Dünndarm bzw. von mehreren Organen gleichzeitig ist in vielen Kliniken zum Routineeingriff geworden und hat viele tausende Leben verlängert. Die Fremdhandtransplantation, die am Ende des letzten Jahrtausends Medizingeschichte geschrieben hat, ist die neueste in dieser Serie von Transplantationen. Wie immer in der Medizin, wenn ein Schritt vorwärts gemacht wird, ist dieser Gegenstand kritischer Betrachtung. Es wurden heftige, oft emotionale Diskussionen über die Sinnhaftigkeit, Notwendigkeit, die moralische Vertretbarkeit, damit verbundene Gefahren und Erfolgsaussichten geführt.
11.1.1 Mythologie Menschen waren schon immer von der Idee, Organe und Gewebe zu transplantieren, fasziniert. Aus verschiedenen Kulturkreisen gibt es Erzählungen über Transplantationen. Eine der ältesten dieser Geschichten stammt aus Indien. Gott Shiva setzte den Kopf eines Elefanten auf die Schultern von Ganesha (Xenotransplantation – Heterotransplantation, Transplantation zwischen Individuen verschiedener Spezies). Er hatte ihm in einem Wutausbruch den Kopf abgeschnitten. Heute wird Ganesha in allen Teilen Indiens angebetet.
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Eine Geschichte über eine Herztransplantation ist uns aus der chinesischen Mythologie des 3. Jahrhunderts n. Chr. überliefert. Die Geschichte der Zwillingsbrüder Cosmas und Damian aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. erzählt, dass Justinianus, der Diakon der Basilika von Rom mit unheilbaren Geschwüren am Bein, eine Kirche der beiden Heiligen aufsuchte und um Hilfe betete. Im Schlaf sieht er, wie die beiden heiligen Ärzte ihm das Bein amputieren und das kranke Bein durch ein gesundes ersetzen, welches von einem Mohren, der am selben Tag begraben wurde, stammte. Das kranke Bein erhielt der Mohr anstatt des eigenen ins Grab gelegt.
11.1.2 Geschichte der Fremdhandtransplantation Die Idee der Transplantation ist schon sehr alt. Es dauerte jedoch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, bis Organtransplantationen erstmals im Tierversuch durchgeführt wurden. Dazu war die Entwicklung der Gefäßnaht notwendig. Die Grundlagen dafür wurden um die Jahrhundertwende in den Laboratorien der Physiologie und experimentellen Chirurgie gelegt und sind untrennbar mit den Namen Höpfner 1903, Carrel u. Guthrie 1906 und Jeger 1912 verbunden. Carrel führte eine Reihe von Transplantationen wie Gefäße, Milz, Herz, Lunge, Niere, Ovar, Nebenniere, Schilddrüse, Darm, Gliedmaßen, Kopf und schließlich sogar eine Körperhälfte durch. 1964 wurde, von der Umwelt kaum registriert und erst in den letzten Jahren bekannt, in Ecuador eine Handtransplantation durchgeführt (Anonymus 1964). Die Hand musste 3 Wochen nach der Operation wegen einer Abstoßungsreaktion wieder abgenommen werden. In experimentellen Untersuchungen an Nagetieren, dem Schwein und am Menschenaffen wurden Kombinationstherapien von verschiedenen modernen immunsuppressiven Medikamenten entwickelt, die – systemisch oder arteriell und topisch angewendet – Abstoßungsreaktionen verhindern oder minimieren können. Bevor die erste Fremdhandtransplantation 1998 erfolgte, wurden Konferenzen zu diesem Thema in verschiedenen Ländern abgehalten. Im September 1991 wurde eine Konferenz über „Composite Tissue Allotransplantation“ (CTA) in Washington veranstaltet, mit dem Ziel, die Möglichkeiten einer klinischen Anwendung zu diskutieren und Strategien für eventuelle Gliedmaßentransplantationen zu entwickeln. Sechs Jahre später fand im November 1997 in Louisville, Kentucky, das erste Internationale Symposium über CTA statt, um die wissenschaftlichen, medizinischen und ethischen Voraussetzungen zur Handtransplantation am Menschen zu diskutieren.
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Die meisten Teilnehmer unterstützten die Idee der Handtransplantation. Im September 1998 wurde die erste Handtransplantation in Lyon durchgeführt. Im Januar 1999 die erste Handtransplantation in Louisville in Kentucky. Im März 1999 wurde eine „Konsensus-Konferenz“ in Modena (Italien) abgehalten. Im Juni 1999 organisierte H. Millesi in Wien ein Symposium, zu dem medizinische und juristische Experten eingeladen wurden. Stellungnahmen über die Indikation für solch einen Eingriff wurden nicht nur von der chirurgischer Seite, sondern auch von den medizinischen Fakultäten der 3 österreichischen Universitäten eingeholt. Der Standpunkt von Immunologen, die Frage der medizinischen Ethik und strafrechtliche Aspekte der Handtransplantation wurden diskutiert. Alternative Rekonstruktionsmethoden für Handamputierte wurden auch angeschnitten. Im Mai 2000 wurde das 2. Internationale Symposium über CTA in Louisville abgehalten, wobei die ersten Ergebnisse von Knochen-, Knorpel-, Nerven-, Larynx- und Handtransplantationen diskutiert wurden. Im September 1999 erhielten in Guangzhou (China) 2 Patienten je eine Hand transplantiert. Im Januar 2000 wurden in Lyon einem beidseitig amputierten Mann 2 Hände transplantiert. Im März desselben Jahres erfolgte die erste Doppelhandtransplantation in Innsbruck (Österreich). Seither folgten Transplantationen in Selayang (Malaysia), Monza (Italien), Louisville, in China und eine weitere Doppelhandtransplantation im März 2003 und 2006 in Innsbruck. Insgesamt dürften bis auf die erste in Lyon transplantierte Hand, welche 2000 wegen chronischer Abstoßung wieder abgenommen werden musste, derzeit weltweit etwa 20 Menschen mit einer oder 2 transplantierten Händen leben. Über die funktionellen Ergebnisse liegen kaum detaillierte Berichte vor.
11.1.3 Gesetze zur Organentnahme Die Gesetzgebung zur Entnahme und Verwendung von Organen ist in unterschiedlichen Ländern verschieden. Seit Juni 1982 ist in Österreich die Entnahme von Organen, Organteilen und Geweben zum Zweck der Transplantation gesetzlich geregelt. Die Entnahmevoraussetzungen regelt § 62a Bundes-Krankenanstaltengesetz (B-KAG). Danach ist es zulässig, „Verstorbenen einzelne Organe oder Organteile zu entnehmen, um durch deren Transplantation das Leben eines anderen Menschen zu retten oder dessen Gesundheit wiederherzustellen“. – Die Entnahme ist unzulässig, wenn den Ärzten eine Erklärung vorliegt, mit der der Verstorbene oder, vor dessen Tod, sein gesetzlicher Vertreter eine Organspende ausdrücklich abgelehnt hat. Die Entnahme darf ferner erst durchgeführt werden, wenn ein zur selbständigen Berufsausbildung berechtigter Arzt den eingetretenen Tod
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festgestellt hat. Dieser Arzt darf weder an der Entnahme noch sonst an der Transplantation beteiligt oder von ihr betroffen sein. Eine Organentnahme ist nach der in Österreich verwirklichten Widerspruchslösung dann zulässig, wenn dem Arzt unbekannt geblieben ist, dass der/die Verstorbene oder der gesetzliche Vertreter zu Lebzeiten widersprochen hat. Die Entnahme von Organen ist im Zweifel auch ohne ausdrückliche Willensäußerung des Verstorbenen oder dessen gesetzlichen Vertreters erlaubt, denn § 62a B-KAG beruht auf der Annahme der Zustimmung des Spenders, falls seine ausdrückliche Ablehnung in diesem Fall nicht vorliegt. Schweigen gilt demnach hier als Zustimmung zur Organtransplantation. Als weitere Voraussetzung der Organtransplantation gilt, dass diese nur erfolgen darf, um „das Leben eines anderen Menschen zu retten oder dessen Gesundheit wiederherzustellen“. Organentnahmen sind somit an eine therapeutische Zielsetzung und medizinische Indikation gebunden. Die Entnahme darf auch nicht zu einer die Pietät verletzenden Verunstaltung der Leiche führen. So wird im Falle von Handtransplantationen gefordert, dass nachdem die Hände amputiert wurden, der Leichnam mit Prothesen zu versorgen ist, um das äußere Erscheinungsbild wiederherzustellen. In Deutschland trat das Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz, TPG) am 1. Dezember 1997 in Kraft. Der Deutsche Bundestag hat sich für die so genannte erweiterte Zustimmungslösung entschieden. Die Kernthese lautet: Wer eine Erklärung zur Organspende abgibt, kann in eine Organentnahme nach § 3 einwilligen, ihr widersprechen oder die Entscheidung einer namentlich genannten Person seines Vertrauens übertragen. Nach geltendem Recht ist folglich eine Organentnahme bei toten Organspendern nur in 2 Fällen möglich: Entweder liegt eine Einwilligung des Organspenders vor oder es liegt keine Erklärung vor, sodass die Organentnahme mit Zustimmung anderer Personen, die den mutmaßlichen Willen des möglichen Spenders zu berücksichtigen haben, erfolgen kann. Bei gleicher Gesetzgebung in Deutschland und den Niederlanden sind die Organspenden in den Niederlanden zwischen 10 und 25% höher als in Deutschland. Beide Länder bleiben jedoch statistisch weit hinter jenen Staaten zurück, die sich für eine Widerspruchsregelung entschieden haben. So stieg die Zahl der Organspender in Spanien in den vergangenen 10 Jahren um 130%. Solche Daten sprechen eine eindeutige Sprache: Die Widerspruchsregelung kann den Organmangel zwar nicht grundsätzlich beseitigen, aber den Problemdruck fast halbieren.
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11.1.4 Ethische Aspekte Siehe auch Bd I, Kap. 2. Es genügt nicht, die menschliche Identität auf rein funktionelle und ästhetische Aspekte zu beschränken. Es erhebt sich die zentrale Frage, ob sich die Identität des Menschen nach einer Transplantation ändert. Diese Frage ist wichtig, weil der Patient vor allem bei sichtbaren transplantierten Körperteilen ständig an die „Fremdheit“ erinnert wird. Dies kann eine Störung der Identität hervorrufen. Es muss auch an den hohen Preis für die erhoffte Verbesserung gedacht werden. Letztendlich stellt sich die Frage, ob man jemandem etwas geben kann, was man anderen vorenthält? Die Gesundheitsökonomie wird es nicht immer ermöglichen können, dass jedem handamputierten Menschen die Hände ersetzt werden. Da im Gegensatz zu Organtransplantationen, welche lebensrettende chirurgische Eingriffe sind, die Handtransplantation nicht notwendig ist, um Leben zu erhalten, stellt sich folgende Frage: Kann man die Durchführung von lebensbedrohenden Eingriffen, die aufwändig und kostenintensiv sind, rechtfertigen? Diese Frage wird heute noch von Vielen negativ beantwortet. Einige sind der Meinung, dass angesichts des Zweifels an einem echten funktionellen Gewinn und eingedenk der potenziellen Gefahren für Gesundheit und Leben als Folge der lebenslangen Einnahme der Immunsuppressiva die Handtransplantation nicht vertretbar ist. Der Empfänger muss sehr strenge Auswahlkriterien erfüllen: Blinde, oder Patienten mit reduziertem Visus, beiderseitig Amputierte, oder Patienten, die wegen einer anderen Krankheit Immunsuppressiva einnehmen. Die Fortführung des Lebens allein ist aber nicht immer das zentrale Anliegen eines Patienten. Immer öfter treten Fragen nach der Lebensqualität in den Vordergrund. Der Verlust von Händen bedeutet einen derart gewaltigen Verlust von Lebensqualität, physisch wie psychisch, dass dieses Thema nicht ignoriert werden kann.
Wenn der Medizin all die Techniken und die Medikamente zur Verfügung stehen, um einen Handamputierten zu helfen, den Tastsinn und die Handmotorik sowie das „Bild“ eines „ganzen Wesens“ wiederherzustellen, dann erscheint es unverantwortlich, dem Patienten die Möglichkeit einer Handtransplantation nicht anzubieten.
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11.1.5 Diagnostik 11.1.5.1 Auswahl des Empfängers Voraussetzungen Der Empfänger soll sich in gutem Allgemeinzustand befinden, zwischen 18–50 Jahre alt sein und eine oder beide Hände amputiert haben. Ob ein bestimmtes Zeitintervall zwischen Amputation und Transplantation nicht überschritten werden soll, ist derzeit noch nicht zu beantworten. Auf die sich dabei ergebenden Fragen nach der Plastizität und Reorganisationsmöglichkeit der sensomotorischen Felder im Gehirn soll jedoch später noch eingegangen werden. Die Höhe der Amputation sollte nicht proximal des Ellenbogengelenks liegen. Distal des Handgelenks wurden bisher nur in China Daumentransplantationen durchgeführt. Die immunologische Voraussetzung für eine allogene Transplantation ist nur bei AB0-Kompatibilität und bei negativem „cross-match“ gegeben. Es soll außerdem kein Hinweis auf Hepatitis- oder HIV-Infektion bestehen, und der Patient negativ auf Zytomegalie- (CMV) und EpsteinBarr-Virus sein.
Aufklärung Der Kandidat für eine Handtransplantation ist sehr sorgfältig auszuwählen. Er muss über die Chancen und die potenziellen Risiken des Eingriffs aufgeklärt werden. Er sollte genauen psychologischen Tests unterzogen werden. Der Untersucher soll herausfinden, was der Verlust der Hände für den Patienten bedeutet und welche Erwartungen er mit der Operation und der nachfolgenden Therapie verknüpft. Im Gegensatz zu transplantierten inneren Organen sind die Hände immer sichtbar und erinnern den Patienten ständig daran, dass es „fremde“ Hände sind. Da die Hände eine wichtige Rolle im Körper- und Selbstbild spielen, kann das Bewusstsein, fremde Hände zu haben, eine massive Beeinflussung der Psyche darstellen. Handtransplantationen können auch wie alle anderen chirurgischen Eingriffe scheitern. Dies muss dem Patienten bewusst gemacht werden. Das Scheitern der Transplantation kann auf technische Komplikationen oder auf eine Abstoßung zurückzuführen sein. In beiden Fällen müssen die transplantierten Hände wieder amputiert werden. Dies bedeutet, dass der Patient wieder auf seine Handprothesen angewiesen ist. Der Patient muss auch verstehen und damit einverstanden sein, dass er nach einer allogenen Transplantation für den Rest seines Lebens abstoßungshemmende Medikamente einnehmen muss, von denen das weitere Schicksal seiner Hände abhängt. Er benötigt eine große Disziplin
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und die Fähigkeit und den Willen, mit seinem Ärzteteam und den Therapeuten eng zusammenzuarbeiten. Der potenzielle Empfänger soll verstehen, dass jede immunsuppressive Medikation unangenehme Nebenwirkungen haben kann (Durchfall, Haarausfall usw.). Durch die Immunsuppression kann er für eine Reihe von Krankheiten, wie Pneumonie, Arthritis usw., anfälliger werden. Die Nierenfunktion kann eingeschränkt werden und ein Diabetes mellitus entstehen. Vor allem steigt das Risiko zur Entwicklung verschiedener Krebserkrankungen (Plattenepithelkarzinome, Melanome usw.). Dies bedeutet aber eine mögliche Verkürzung seiner „normalen“ Lebensspanne. Der potenzielle Empfänger muss auch darüber aufgeklärt werden, dass er nicht unmittelbar nach der Operation die Sensibilität und Beweglichkeit seiner Hände wiedererlangen wird. Bis zur Funktionsrückkehr – diese kann niemals hundertprozentig wiedererlangt werden – dauert es Monate bis Jahre. Da erst seit 1998 Handtransplantationen durchgeführt werden, ist es noch nicht möglich, über die Abstoßung, die Überlebensrate der Transplantate oder die Lebensqualität der Patienten allgemeine Aussagen zu treffen.
11.1.5.2 Auswahl des Spenders • Gewebeverträglichkeit ohne spezifische Antikörper, Blutgruppenkompatibilität (cross-match-negativ). • Der Spender sollte im selben Krankenhaus wie Empfänger operiert werden (leichtere Organisation für synchrone Operation und vor allem Erreichung einer kurzen Anoxämiezeit der zu transplantierenden Extremität. Diese kritische Zeit wurde bei den ersten Handtransplantationen überschritten). • Der Spender soll tumor- und infektfrei sein. • Er sollte in etwa im gleichen Alter wie der Empfänger sein, geschlechtsident, ähnliche Statur und Hautfarbe aufweisen. Sein Knochenbau und seine Gelenke sollten sich nicht wesentlich von denen des Empfängers unterscheiden. Er darf kein Handtrauma in der Anamnese aufweisen. Präoperativ sollten Röntgenuntersuchungen der Hände sowie evtl. eine Angiographie durchgeführt werden. Außerdem wird in Österreich das Einverständnis zur Handentnahme des Hirntoten von der Familie eingeholt und nach Entnahme der Hände und Teile der Unterarme die Stümpfe mit Prothesen versorgt, um die Integrität des Verstorbenen wiederherzustellen.
11.1.6 Therapie 11.1.6.1 Immunsuppressive Therapie Das Hauptproblem bei der Organtransplantation ist die Gefahr einer Abstoßung durch Immunreaktionen des
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Empfängers auf die fremden Antigene des transplantierten Organs. Durch die Spenderantigene kommt es zur Histoinkompatibilität. Die wichtigsten Antigensysteme sind die Blutgruppenantigene des AB0-Systems und die HLA-Antigene. Die Immunantwort gegen Alloantigene ist in der Regel T-Lymphozyten-abhängig. Der Empfänger erkennt diese Antigene, und es kommt zur Zerstörung und Elimination des Spendergewebes. Dies kann nur durch den Einsatz von Immunsuppressiva verhindert werden. Bei der Handtransplantation wird ein aus verschiedenen Geweben, wie – Knochen, Haut, Muskeln, Nerven, Blutgefäßen, Sehnen, Fettgewebe und Haut – zusammengesetztes Organ übertragen. Jede dieser Gewebearten hat seine spezielle „Immunogenität“. Daher muss man, um eine Abstoßungsreaktion zu verhindern, mehrere verschieden wirkende immunsuppressive Medikamente systemisch geben. Zusätzlich kann eine Hautbehandlung mit einer immunsuppressiven Creme nötig sein. Unmittelbar nach der Transplantation besteht eine akute Abstoßungsgefahr. Diese kann für die Dauer von 6 Monaten bis zu einem Jahr mittels hochdosierter Immunsuppressiva effizient, erfolgreich und bei einem akzeptablen Maß an Toxizität behandelt werden. Bei einer vorsichtigen Modulation der Dosis der Medikamente für den einzelnen Patienten und dem Einsatz von Kombinationen von Medikamenten und durchgehender Patientenbeobachtung können lebensbedrohliche Situationen verhindert werden. Man unterscheidet eine immunsuppressive Induktionstherapie, eine Basis- oder Erhaltungstherapie und eine Rejektionstherapie. Unter Induktionstherapie versteht man die Inaktivierung des Immunsystems vor, während und in den ersten Tagen nach der Transplantation. In den meisten Transplantationszentren wird eine Induktionstherapie mit einem mono- oder polyklonalen T-Zell-Antikörper eingeleitet. Antilymphozytes Globulin (alg) und antithymozytes Globulin (atg) sind polyklonale Globulinpräparate, die durch Immunisierung von Pferden oder Kaninchen gegen menschliches Immunglobulin entstehen und Antikörper gegen menschliche Lymphozytenmembranstrukturen enthalten. Die Basistherapie stellt heute in der Regel eine 3fachKombinationstherapie dar. Es werden Medikamente gegeben, welche die Funktion der Lymphozyten verändern. • Tacrolimus (FK 506; tac) bindet intrazellulär an das so genannte FK-bindende Protein und blockiert auf diesem Wege die Phosphataseaktivität von Kalzineurin (Dosierung: initial 0,15–0,2 mg/kg KG/Tag, in der Folge Dosierungskontrolle nach Vollblutspiegel, initial bei 10–15 ng/ml, später bei 5–10 ng/ml). Als Neben-
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wirkungen können Neurotoxizität und Diabetes mellitus auftreten. Es gibt aber sehr interessante Berichte, wonach die Regeneration der wiederhergestellten peripheren Nerven positiv beeinflusst wird. • Mycophenolat Mofetil (MMF) ist ein Inhibitor der De-novo-Purinsynthese und wirkt dadurch proliferationshemmend auf die Lymphozyten (Dosierung: 1–2 g/Tag). An Nebenwirkungen sind zu nennen: Diarrhö, Erbrechen, Knochenmarksdepression. • Glukokortikosteroide (GC), blockieren die T-Zell-abhängige Immunität durch direkte Proliferationshemmung von T-Zellen (Dosierung: initial Bolusgaben bis 500 mg/Tag, mit rascher Reduktion innerhalb von 2–3 Wochen auf eine Erhaltungsdosis von 0,1–0,2 mg/kg KG/Tag). Man ist bemüht, die Steroide wegen ihrer Nebenwirkungen wie Diabetes, Magen-Darm-Ulzera, Osteoporose, aseptischen Knochennekrosen, Muskelatrophie, Psychosen, Hypertonie oder Katarakt früher oder später abzusetzen. Die Dosis der immunosuppressiven Medikamente kann nach einiger Zeit reduziert werden, weil der Empfänger eine gewisse Toleranz entwickelt. Vollständige Toleranz entwickelt sich jedoch normalerweise nicht. Abstoßungsreaktionen können in Form der akuten oder der chronischen Abstoßung erfolgen. (Die hyperakute Abstoßung aufgrund von präformierten Antikörpern aus dem AB0-System oder gegen HLA-Antigene kommen aufgrund der Cross-match-Untersuchungen heute kaum mehr vor). Akute Abstoßungsreaktionen treten sowohl in den ersten Tagen nach der Transplantation als auch in den folgenden Monaten auf. Es handelt sich dabei um eine sekundäre Immunantwort auf HLA-Antigene. Histologisch findet man bei der Biopsie ausgeprägte lymphozytäre Infiltrationen. Die chronische Abstoßung ist die wichtigste Ursache für den Transplantatverlust. Histologisch findet sich vor allem fibrosierende Veränderungen im Transplantat. Der Pathomechanismus der chronischen Abstoßung ist bis heute noch nicht vollständig geklärt. Neben immunologischen Veränderungen dürfte auch der primäre Ischämie-Reperfusions-Schaden eine Rolle spielen. Es gibt keine spezifische Therapie der chronischen Abstoßung. Es sollten alle möglichen Risikofaktoren ausgeschlossen werden, wobei vor allem eine kurze Ischämiezeit des Spenderorgans eine Rolle spielt. Eine Prophylaxe von Infektionen, vor allem CMV-Infektion, und eine kon sequente antihypertensive Therapie des Transplantatempfängers scheinen ebenfalls wichtig zu sein. Allgemeine Nebenwirkungen der Immunsuppression: Die langfristigen Nebenwirkungen stehen in direkter Verbindung zu Immundefekten, der Verringerung der Immunfunktionen durch die Medikamente, die zu infektiösen Komplikationen und einem vermehrten Auftreten
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von Malignomen führen. Diese Nebenwirkungen hängen von der Intensität und Dauer der Immunsuppression ab. Die Inzidenz von bakteriellen, viralen und Pilzinfektionen ist gleichermaßen erhöht. Das CMV ist der häufigste Infekterreger nach Organtransplantation und kann sich in einer interstitiellen Pneumonie, einer Hepatitis oder Enzephalitis manifestieren. Als spezifisches Therapeutikum steht Ganciclovir zur Verfügung. Weitere Virusinfektionen sind u. a. mit dem Epstein-Barr-Virus und mit dem Herpes-simplex-Virus möglich. Bakterielle Infektionen wie lokale Wundinfekte oder Harmwegsinfekte sind bei allen Transplantatempfängern im Vergleich zu Operationen ohne Immunsuppression erhöht. Opportunistische Infektionen treten häufig auf. Dazu gehören Infektionen mit Pneumocystis carinii, Candida albicans oder Aspergillus, die alle zu einer Pneumonie führen können. Das Ziel der Forschung ist die Entwicklung von Strategien, die zu einer Toleranz gegenüber dem transplantierten Organ führen, damit keine chronische Immunsuppression notwendig ist. Dauerhafte Toleranz des transplantierten Organs bedeutet, dass der Empfänger keine Reaktion auf die Antigene des Transplantats zeigt. Damit würde keine Notwendigkeit mehr bestehen, das gesamte Abwehrsystem des Empfängers zu unterdrücken.
11.1.6.2 Rehabilitation Rehabilitationsmaßnahmen nach der Transplantation spielen eine zentrale Rolle. Rehabilitationsprogramme für Patienten nach Handtransplantation wurden hauptsächlich entsprechend den Bedürfnissen von Patienten mit replantierten Händen entwickelt. Das Hauptziel all dieser Maßnahmen ist die Wiederherstellung einer alltagstauglichen Bewegung der Unterarm-, Handgelenk-, und Fingergelenke sowie die Wiedererlangung sensorischer Funktionen. Vor der Transplantation sollte eine genaue Dokumentation der noch vorhandenen Muskelfunktionen am Stumpfende erfolgen, wobei der Pro- und Supinationsfähigkeit große Bedeutung zukommt. Die Rehabilitation beginnt am Tag nach der Transplantation. Die Hand liegt in einer speziell angefertigten Schiene, wobei das Handgelenk ruhiggestellt ist. Anfangs bestehen die Übungen aus passivem Durchbewegen der Fingergelenke. Auch werden Übungen zur Verbesserung des unterschiedlichen Gleitens von Sehnen und Muskelgruppen durchgeführt. Nach Wundheilung und Entfernung der Nähte wird mit der elektrischen Muskelstimulation begonnen. Schließlich kommen weitere Übungen, die das Greifvermögen verbessern, dazu. Wiederholungen von Übungseinheiten erhöhen Ausdauer und Kraft. All dies hilft dem Patienten in den Tätigkeiten seines täg-
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lichen Lebens (adls). Es sollten Fortschritte im ROM (range of motion), der allgemeinen Kraft und Greiffunktionen erreicht werden. Mit Hilfe klinischer und elektromyographischer Tests kann die Wiederherstellung von Funktionen überprüft und kontrolliert werden. Neben den Bewegungsübungen und der Elektrotherapie müssen Maßnahmen zur sensorischen Reedukation begonnen werden. Der Patient sollte die nach Nervenregenartion entstandenen abnormalen sensorischen Reize interpretieren lernen. Die Muster von sensorischen Reizen, die vom peripheren Nervensystem an das Gehirn geschickt werden, sind vor und nach der Verletzung voneinander verschieden. Dies hängt mit einer reduzierten Anzahl von Axonen, Fehlleitung von Axonen und falscher Reinnervation von peripheren Rezeptoren durch regenerierende Axone zusammen. Deshalb ist das Profil von sensorischen Reizen nach der Verletzung und Nervenrekonstruktion, die an die somatosensorische Gehirnrinde geschickt werden, verändert und muss bewusst neu interpretiert werden. Der Patient muss lernen, das neue sensorische Profil mit dem, das er in seinem Gedächtnis gespeichert hat, überein zu stimmen. Sensorische Reedukation ist also ein Prozess, bei dem der Patient lernen soll, einem neuen sensorischen Reiz einen bekannten Namen zu geben. Spezifische sensorische Übungen müssen zum richtigen Zeitpunkt im Zuge des sensorischen Heilungsprozesses angewendet werden. Der Zeitplan der Übungen wird durch das Muster der sensorischen Heilung bestimmt. Dünne myelinisierte und unmyelinisierte Fasern regenerieren zuerst, sodass Schmerz- und Temperaturempfinden gleichzeitig wiederhergestellt werden. Dann erfolgt die Wiederherstellung von bewegender Berührungsempfindung (Vibrationsempfinden bei 30 cps) und letztlich konstanter Berührung (Vibrationsempfinden bei 256 cps). Die Aufmerksamkeit des Patienten muss auf das veränderte Profil sensorischer Impulse, das er durch seine transplantierten Hände erfährt, gerichtet werden. Die frühe Phase der Reedukation konzentriert sich darauf, dem Patienten zu helfen, zwischen Reizen der Bewegung und konstanten Berührung zu unterscheiden – eine Zwei-Punkte-Unterscheidung ist noch nicht vorhanden. Das Ziel ist also, Fehllokalisationen zu korrigieren. Das Ende der Frühphase der Heilung ist erreicht, wenn 256 cps-Vibrationsempfinden in den Fingern erreicht ist, d. h. dass Bewegung und konstante Berührung von den Fingerspitzen empfangen werden. Erst danach können Übungen zur Erlernung von statischer und beweglicher Zwei-Punkte-Unterscheidung begonnen werden. Auch Desensibilisierungsmethoden sind Teil des sensorischen Reedukationsprogramms. Das Auftreten von schmerzvollen Empfindungen bei Regeneration von Nerven in bisher gefühllosen Bereichen muss mit adäquaten Methoden behandelt werden. Es wird dafür eine Reihe von Reizen verwendet, um die Toleranz gegenüber Be-
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rührung zu erhöhen. Das Konzept der Desensibilisierung ist dasselbe wie bei der sensorischen Reedukation. Dem Patienten wird beigebracht, unangenehme Gefühle herauszufiltern, damit er sich auf die eigentliche Bedeutung des sensorischen Inputs konzentrieren kann. Ohne Zweifel ist das Rehabilitationsprogramm lang dauernd, anstrengend und intensiv. Sein Erfolg hängt von der vollständigen Akzeptanz und Kooperation des Patienten mit seinem Team ab. Verschiedene Programme, welche auf Erfahrungen mit Replantationen von amputierten Händen in verschiedenen medizinischen Zentren aufgebaut wurden, wurden bisher zur Rehabilitation herangezogen. Die Unterschiede in den Ergebnissen sind nicht leicht miteinander vergleichbar.
Theoretische Mechanismen der sensorischen Reedukation Die sensorische Reedukation erhöht weder die Anzahl der regenerierten Axone, noch leitet sie fehlgeleitete Axone um oder verbessert die Regeneration der Axone. Es ist daher anzunehmen, dass die sensorische Reedukation auf der Ebene des zentralen Nervensystems funktioniert. Damit die Reedukation funktionieren kann, muss es im Gehirn Plastizität geben. Dies bedeutet, dass das Gehirn die Fähigkeit hat, seine sensorischen Mechanismen zu reorganisieren, also kurzfristig dynamische Veränderungen durchzuführen und langfristig das Gehirn als Antwort auf eine Verletzung und Verlust von Teilen des Körpers reorganisieren kann. Ein Beweis für eine derartige Plastizität kann nach einer Amputation eines Fingers geliefert werden. Im Handbereich des sensorischen Kortex bewegt sich das Feld, das bisher von anderen Fingern belegt war in den Bereich des amputierten Fingers. Experimente mit Affen haben gezeigt, dass sich, wenn ein Tier daran gehindert wird, einige seiner Finger zu benützen, der sensorische Bereich im Gehirn, der von den benützen Fingern belegt ist, vergrößert und die unbenützten Finger ihren Bereich im sensorischen Kortex verlieren. Damit ist belegt, dass es zentrale Mechanismen zur sensorischen Reorganisation des Gehirns nach sensorischem Verlust gibt. Der zerebrale Kortex hat ein beeindruckendes Selbstorganisationsvermögen. Um das Ausmaß der kortikalen Plastizität zu bestimmen, stehen uns verschiedene Untersuchungsmethoden zur Verfügung: • das Elektroenzephalogramm (EEG) oder das Magnetenzephalogramm (MEG), • die Magnetresonanztomographie (MRT) und die funktionelle MRT. Mit Hilfe dieser Techniken ist es möglich, die Veränderungen in den somatosensorischen und den motorischen
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Bereichen der Hirnrinde zu messen, die nach Amputation von Extremitäten, nach Replantation oder Transplantation auftreten. Die Reorganisation des Gehirns, die nach einer peripheren Verletzung stattgefunden hat, ist nach der Transplantation reversibel. Transplantierte Hände werden durch den Bereich der Sensomotorik im Gehirn reorganisiert und aktiviert. Das deutet darauf hin, dass neue, periphere Inputs eine Remodellierung der kortikalen Gliedmaßenkarte und damit eine Umkehr der funktionalen Reorganisation, die durch die Amputation hervorgerufen wurde, erlauben.
Die Zeitabhängigkeit der Veränderungen der räumlichen Aktivierungsbahn zeigt, dass die kortikale Reorganisation in einer geordneten Form stattfindet. Somit folgt die kortikale Plastizität der normalen Repräsentation des Körpers, d. h. dem Plan, den der Körper vor der Amputation gehabt hat. Das Ziel dieser Untersuchungen ist nicht nur theoretisch, sondern hat eine große klinische Relevanz. Wenn wir verstehen können, welche und wie Veränderungen im Kortex stattfinden, und wenn wir auch deren Relevanz bestimmen können, dann besteht Hoffnung, dass neue Methoden der Rehabilitation von Patienten mit Nervenläsionen oder -amputationen entwickelt oder bestehende verbessert werden können.
11.1.7 Argumente für und gegen eine Handtransplantation
11.1.7.1 Argumente für eine Handtransplantation Die Befürworter der Transplantation machen geltend, dass die schwachen Resultate der Replantation viele verschiedene Ursachen haben. Erstens ist die Replantation eine Notfallmaßnahme und nicht eine im Vorhinein geplante Prozedur. Es gibt keine Möglichkeit, eine angemessene Behandlung der amputierten Hand, wie die Reduzierung der Ischämiezeit, die Kühlung oder Reperfusion mit den passenden Methoden, zu planen. Zusätzlich bestehen bei Fällen der Handreplantation ein akutes Trauma, oft Avulsion und Brüche. Das bedeutet, dass weitgehendes „Débridement“ vor der Replantation durchgeführt werden muss. Das Ausmaß der Verletzung beeinflusst das endgültige Ergebnis. All diese Faktoren müssen bedacht werden, wenn man die Resultate von Replantationen bewerten will. Im Gegensatz dazu ist die Transplantation ein gut vorbereitetes Verfahren, bei dem alle Faktoren, die zum Er-
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folg und Endergebnis beitragen, im Vorhinein geplant werden. Daher kann erwartet werden, dass die Resultate besser ausfallen als bei der Replantation. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass es mehrere Berichte von Tierstudien gibt, die gezeigt haben, dass CSA und Tacrolimus einen positiven Einfluss auf die Nervenregeneration haben. Wenn dies zutrifft, wäre es die Erklärung dafür, dass bei Transplantationspatienten eine bessere Nervenregeneration als bei Replantationspatienten beobachtet wurde, da nur die erstgenannte Gruppe Immunsuppressiva zur Verhinderung von Abstoßung erhält. Dies wäre bei Betrachtung der vielfältigen negativen, eine positive Nebenwirkung von immununterdrückenden Medikamenten. Es gibt einige Überlegungen, die bei einem Verlust der Hände bedacht werden müssen: Hände spielen eine gewichtige Rolle bei der Reifung des Egos und der geistigen Repräsentation des Selbstbildes im ganzen Leben. Wir benützen unsere Hände nicht nur um Dinge anzugreifen und zu halten, sondern auch, um zu gestikulieren und für die Körpersprache. Anders ausgedrückt: Wir verwenden unsere Hände als Kommunikationsmittel, und die Art wie wir unsere Hände in diesem Zusammenhang benützen, symbolisiert und reflektiert unseren Verstand und unsere Persönlichkeit. Aus diesem Grund sind die Hände mit unserer Identität verbunden. Die Hand ist ein wichtiges Sinnesorgan. Durch den Tastsinn sind wir in der Lage, mit der Außenwelt zu interagieren. Der Verlust von Gliedmaßen hat ein verringertes Selbstbewusstsein, ein gestörtes Körperbild und soziale Isolation zur Folge. Oftmals traten schwere Depressionen bei handamputierten Patienten auf. Die Bedeutung der Hände für das menschliche Leben sieht man auch an ihrer Entsprechung in weiten Teilen des somatosensorischen und motorischen Kortex des Gehirns.
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gantransplantation eine derartige Operation zur Lebensverlängerung nicht notwendig. Ein Amputierter kann mit gut angepassten myoelektrischen Prothesen viele Aktivitäten durchführen.
11.2 Spezielle Technik 11.2.1 Technik der Transplantation Die chirurgischen und mikrochirurgischen Techniken, die zur Anwendung kommen, sind im Wesentlichen dieselben wie bei einer Replantation von Händen und wurden in den meisten großen chirurgischen Zentren der Welt perfektioniert (Abb. 11.1, 11.2 a,b). Die makro- und mikrochirurgischen Techniken wurden in den 1970er Jahren entwickelt. Die Transplantation ist in gewissem Sinne einfacher, da sie elektiv durchgeführt und sorgfältig geplant werden kann (Abb. 11.3). Der Operationsbereich ist steril, und man kann durch Voruntersuchungen die Operation besser planen. Außerdem liegen an der zu transplantierenden Hand und dem Patienten selbst keine Begleitverletzungen vor. Warme und kalte Ischämiezeiten spielen eine entscheidende Rolle für die Funktion des Transplantats.
Vor Absetzen der Spenderextremität führten wir eine Auswaschung des Blutes durch Schwerkraftperfusion mit der University-of-Wisconsin-Lösung durch (Abb. 11.4). Klinische Strategien zur Vermeidung von Organschäden
11.1.7.2 Argumente gegen eine Handtransplantation Einer der Einwände, die gegen die Durchführung der Handtransplantation erhoben wurde, ist, dass es Zweifel gibt an der Möglichkeit einer ausreichenden Nervenregeneration. Diese Zweifel beruhen auf Ergebnissen, die nach Replantationen erzielt wurden. Nach der Replantation von amputierten Händen kann das Maß an wiederhergestellten Funktionen nur als weniger als mittelmäßig bezeichnet werden. Obwohl diese Ergebnisse in jedem Fall besser sind als diejenigen, die durch myoelektrische Prothesen erzielt werden konnten, stellt sich aufgrund der Risiken einer allogenen Gliedmaßentransplantation – im Gegensatz zur Replantation – die Frage, ob es sinnvoll und moralisch vertretbar ist, eine solche Operation durchzuführen. Die Handtransplantation zählt noch nicht zu den üblichen Heilverfahren. Immerhin ist im Gegensatz zur Or-
Abb. 11.1. 47-jähriger Mann, Zustand nach beidseitiger Handamputation durch Explosion einer Briefbombe mit myoelektrischen Prothesen
KAPITEL 11
Fremdhandtransplantation
483
a
Abb. 11.3. Intraoperatives Bild des rechten Unterarmstumpfes mit markierten Muskelstümpfen und dorsoproximal gestieltem Hautlappen
b Abb. 11.2 a,b. Röntgenbilder beider oberer Extremitäten
a
b Abb. 11.5 a,b. Beide Spenderhände mit liegender 7-LochPlatte
Abb. 11.4. Linke Spenderhand nach Entnahme und Perfusion mit University-Wisconsin-Lösung, Markierung aller präparierten Strukturen Abb. 11.6. Intraoperativer Zustand nach Fixation von Knochen, Muskeln und Sehnen sowie Wiederherstellung der Blutzirkulation und vor Wiederherstellung der Nervenneurome des N. medianus und N. ulnaris am oberen Bildrand sichtbar
484
Fremdhandtransplantation
vor der Entnahme beinhalten die Aufrechterhaltung des Kreislaufs und die ausreichende Versorgung mit Sauerstoff. Ischämische Schädigungen verursachen chronische Läsionen am Gefäß-Nerven-System und der Muskulatur. Um Probleme der Ischämie zu vermeiden, haben wir gefordert, dass die Explantation und Transplantation im selben Krankenhaus durchgeführt wird. Die Präparation des Amputationsstumpfes mit genauer Markierung der einzelnen Strukturen kann zeitgleich mit der Entnahme der Spenderhand, an der alle zur Anastomosierung notwendigen Strukturen präpariert und gekennzeichnet
KAPITEL 11
werden, erfolgen. Als erstes werden die Knochen stabilisiert (Abb. 11.5 a,b), die entsprechenden Muskeln vereinigt und die arterielle Strombahn so rasch wie möglich wiederhergestellt. Erst nachdem das erste venöse Blut aus der Strombahn geflossen ist, werden die Venen rekonstruiert. Bei anfänglicher Hyperämie und letztlich guter Durchblutung hat man dann genügend Zeit, um in Ruhe die erforderlichen Sehnenrekonstruktionen, die Nervenkoaptationen und schließlich eine exakte Hautadaptation durchzuführen (Abb. 11.6). Die Hand wird in einer Schiene hochgelagert.
a
c
b
Abb. 11.7 a–d. a,b Transplantierte Hände von palmar und dorsal, durch zick-zack-förmige Narbe Grenze zwischen Spenderhänden und Unterarmen kaum sichtbar. c,d 0-Position und Streckung im Handgelenk, 3 Jahre nach der Transplantation
d
KAPITEL 11
Fremdhandtransplantation
485
11.3 Schlussfolgerung Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Handtransplantation chirurgisch machbar ist (Abb. 11.7 a–d, 11.8 a,b) und dass die heute verfügbaren Immunsuppressiva nach
a
b Abb. 11.9 a,b. Streckung, Spreizung und Beugung der Finger, Zustand nach Transplantation im März 2000
a
b Abb. 11.8 a,b. Röntgenaufnahmen beider Unterarme, 3 Jahre nach der Transplantation
Handtransplantationen genauso wirksam wie nach Organtransplantationen sind. Gleichzeitig dürfen die Gefahren einer Immunsuppression nicht unterschätzt werden. Vorzüge und Risiken eines derartigen Eingriffs sind bei jedem Patienten gemeinsam im Team und mit dem Patienten abzuwägen. Dieser Punkt ist deshalb besonders zu betonen, da es seit der ersten Handtransplantation an unserer Klinik (Patienten die Hände, aber auch solche die 2 oder mehr Finger verloren haben) eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Forderungen nach einer Handtransplantation gegeben hat. Solche Ansuchen sind das Ergebnis der Unwissenheit über die Gefahren, die durch postoperative Medikation auftreten können. Die potenziellen Patienten müssen daher über die Gefahren der immunsuppressiven Medikation aufgeklärt werden, und die Medienberichte sollten nicht leichtsinnigerweise nur die Wunder der Chirurgie anpreisen, sondern auch ein ausreichendes Maß an Aufmerksamkeit auf die damit verbundenen Risiken lenken. Weiterhin ist zu hoffen, dass die zur Immunsuppression verwendeten Medikamente durch weitere Verbesserungen oder einen anderen therapeutischen Ansatz weniger Nebenwirkungen haben werden, die Forschung in
486
Fremdhandtransplantation
KAPITEL 11
Abb. 11.12. Normales Nagelwachstum und keinerlei Anzeichen für eine Infektion am Nagelwall
a
b Abb. 11.10 a,b. Adduktion des linken Daumens deutlich besser als rechts. Rechts mäßige Atrophie im ersten Interdigitalraum
Abb. 11.13. Feingriff und Feinarbeiten möglich
a a
b Abb. 11.11 a,b. a Spenderhand. b Fast identes Haarwachstum am Transplantat und der Unterarmhaut des Empfängers b Abb. 11.14 a,b. Patient kommt ohne Hilfsmittel im täglichen Leben 3 Jahre nach Transplantation – zurecht
KAPITEL 11
Richtung Toleranzerzeugung Fortschritte macht, sodass die immunsuppressive Therapie eines Tages überflüssig wird. Die Anstrengungen, die weltweit zur Verbesserung der derzeit erhältlichen myoelektrischen Prothesen unternommen werden, sind ebenfalls positiv zu beurteilen. Trotzdem wird eine menschliche Hand durch eine asensible Prothese niemals zu ersetzen sein (Abb. 11.9 a,b, 11.10 a,b, 11.11 a,b, 11.12, 11.13, 11.14 a,b).
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Y. Gu . Sh. Hu
Inhalt 12.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 12.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 490 12.1.1.1 Oberflächliche Venen. . . . . . . . . 490 12.1.1.2 Hautnerven . . . . . . . . . . . . . . . 490 12.1.1.3 Sehnen und Muskeln am Fußrücken. . . . . . . . . . . . . . 490 12.1.1.4 A. dorsalis pedis, Begleitvenen und N. peronaeus. . . . . . . . . . . . 490 12.1.1.5 Die erste dorsale Metatarsalarterie . . . . . . . . . . . . 492 12.1.1.6 Zusätzliche Blutversorgung beim Transfer der zweiten Zehe. . . . . . 492 12.1.2 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 12.1.3 Prinzipien der Therapie. . . . . . . . . . . . . . 493 12.1.3.1 Anforderungen an die Rekonstruktion eines Daumens oder Langfingers. . 493 12.1.4 Indikationen und Kontraindikationen. . . . . 494 12.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 495 12.2.1 Präoperative Vorbereitungen . . . . . . . . . . 495 12.2.1.1 Operationsplanung . . . . . . . . . . 495 12.2.1.2 Kontrolle der Operationssaal temperatur. . . . . . . . . . . . . . . . 496 12.2.1.3 Harnableitung. . . . . . . . . . . . . . 497 12.2.2 Anästhesie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 12.2.3 Operation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 12.2.3.1 Operationsteams. . . . . . . . . . . . 497 12.2.3.2 Medikamente . . . . . . . . . . . . . . 497 12.2.3.3 Präparation der Empfängerseite . . 497 12.2.3.4 Präparation im Spendergebiet . . . 500 12.2.3.5 Transplantation der zweiten Zehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 12.2.3.6 Intraoperatives Management von Gefäßvariationen und Durchblutungs problemen. . . . . . . . . . . . . . . . 506 12.2.3.7 Postoperative Nachbehandlung . . 508 Allgemeine postoperative Nachbehandlung. . . . . . . . . . . . 508 Postoperative Komplikationen und deren Behandlung . . . . . . . . 509 12.2.3.8 Rehabilitation . . . . . . . . . . . . . . 510
KAPITEL 12
Rekonstruktion von Daumenund Fingerdefekten – Zehentransfer
12.2.4 Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.4.1 Postoperative Funktion . . . . . . . . 12.2.5 Regeln für den Eingriff . . . . . . . . . . . . . . 12.2.5.1 Regel Nr. 1. . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.5.2 Regel Nr. 2 („add up“). . . . . . . . . 12.2.5.3 Regel Nr. 3 (Variation) . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
513 520 521 521 521 521 522
490
Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
KAPITEL 12
12.1 Allgemeines Mehr als 50% der Handfunktionen hängen vom Daumen ab. Ohne Daumen sind der Feingriff (“pinch”), der Grobgriff (“grip”) und die Greiffunktion der Hand wesentlich gestört. Auf ähnliche Weise behindert ein totaler oder teilweiser Verlust von Fingern die Handfunktion, auch wenn der Daumen intakt ist. Daher ist die Wiederherstellung des Daumens oder der Finger von großer Bedeutung. Theoretisch sollte jeder Defekt irgendeines Teiles der Finger rekonstruiert werden. Es gibt aber unter den vielen angewandte Verfahren nur wenige zufrieden stellende Methoden für die Wiederherstellung von Daumen und Fingern. Außerdem kann jeder Irrtum bei einer Wiederherstellungsmethode zu einem Fehler während der Operation führen. Nicht jeder Defekt eines Finger benötigt eine Rekonstruktion. Vor einem Eingriff müssen die Länge des betroffenen Fingers, der Zustand des Stumpfes, das Alter des Patienten, der Beruf und die aktuellen Wünsche des Patienten Beachtung finden.
I
II
III
A B A B
IV
12.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie 12.1.1.1 Oberflächliche Venen Die V. saphena magna liegt auf der tibialen Seite, und die V. saphena parva findet sich auf der fibularen Seite. Beide zusammen bilden den dorsalen Stiel des Venenbogens und drainieren die Zehen, die Haut am Fußrücken und teilweise den venösen Rückfluss der Fußsohle (Abb. 12.1).
12.1.1.2 Hautnerven Am Fußrücken finden sich folgende Nerven von medial nach lateral: • Der N. saphenus innerviert die Haut am medialen Aspekt des Fußrückens. • Der Hautast des N. peronaeus durchbricht die 1. Zwischenzehenfalte und innerviert die fibulare Seite der Großzehe und die tibiale Seite der 2. Zehe. • Der N. cutaneus dorsalis medialis und der N. cutaneus dorsalis centralis innervieren den mittleren Anteil des Fußrückens und den dorsalen Teil der 2. bis 5. Zehe. • Der N. cutaneus dorsalis lateralis ist die Fortsetzung des N. suralis und innerviert die Haut am lateralen Aspekt des Fußrückens.
I
II
A B
III
Abb. 12.1. Klassifikation von Daumen und Fingerdefekten
12.1.1.3 Sehnen und Muskeln am Fußrücken Die Sehnen bilden die oberflächliche Schicht. Von medial nach lateral finden sich: die Sehnen des M. anterior, des M. extensor hallucis longus, des M. extensor digitorum longus und des M. peronaeus tertius. Die tiefere Schicht wird gebildet von der Sehne des M. extensor hallucis brevis und des M. extensor digitorum brevis (Abb. 12.2).
12.1.1.4 A. dorsalis pedis, Begleitvenen und N. peronaeus Die A. dorsalis pedis, ihre Begleitvenen und der N. peronaeus verlaufen zwischen dem Retinaculum extensorum im Bereich des Mittelpunkts einer Linie vom medialen zum lateralen Knöchel. Im mittleren Bereich des Fußrückens liegen die Blutgefäße und der Nerv unter dem M. hallucis brevis. Die A. dorsalis pedis zweigt sich auf in die A. plantaris und erste A. metatarsea dorsalis in der Höhe der metatarsalen Basis. Proximal von diesen
KAPITEL 12
Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
Lig. transversum cruris
Lig. transversum cruris
N. fibularis superficialis
A. V. tibialis anterior Lig. cruciforme
M. tibialis anterior
N. fibularis profundus
M. tibialis anterior
Lig. cruciforme
V. saphena parva N. saphenus
N. cutaneus dorsi pedis fibularis
V. saphena magna
M. fibularis tertius
M. extensor hallucis longus
M. extensor digitorum longus
N. cutaneus dorsi pedis tibialis
N. cutaneus dorsi pedis medius
M. extensor hallucis brevis
M. extensor digitorum brevis Nn. digitales dorsales pedis
Arcus venosus dorsalis pedis
N. fibularis profundus et a. metatarsea dorsalis I
M. extensor digitorum longus
N. saphenus V. saphena magna
M. fibularis tertius
A. V. dorsalis pedis
N. cutaneus dorsi pedis fibularis
Verbindung des M. fibularis tertius zur Streckaponeurose digiti V
M. extensor hallucis longus
M. extensor hallucis brevis
M. extensor digitorum brevis A. V. metatarsea dorsalis
A. metatarsea dorsalis I N. fibularis profundus Aa. Nn. digitales dorsales
Abb. 12.2. Dorsum pedis. Oberflächliche Venen am Fuß rücken
Abb. 12.3. Dorsum pedis. Sehnen und Muskeln am Fuß rücken
2 Endästen gehen die A. tarsalis medialis und die A. tarsalis lateralis ab. In 23–51% entspringt die 2. A. metatarsea dorsalis von der A. dorsalis pedis 1–2 cm proximal der A. plantaris. Der äußere Durchmesser der A. dorsalis pedis reicht von 1–3,9 mm, also im Durchschnitt 2,5 mm. Bei einigen
Menschen fehlt die A. dorsalis pedis. Es gibt auch 2 Begleitvenen, die normalerweise bei der Dissektion ausgelassen und nur mitgenommen werden, wenn ein gestielter Lappen Verwendung findet.
491
492
Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
KAPITEL 12
12.1.1.5 Die erste dorsale Metatarsalarterie
– der superfiziale Typ: Die FDMA liegt oberflächlich am M. interosseus; 58 Fälle (18%), – der intramuskuläre Typ: Die FDMA verläuft innerhalb des M. interosseus; 172 Fälle (54%), – der inframuskuläre Typ: Die FDMA verläuft in den tieferen Schichten des M. interosseus; 74 Fälle (23%), – die FDMA fehlt: Dies wurde bei 16 Fällen gefunden (5%). Die Fehlerrate jedes Typs dieser Klassifikation findet sich in der Tabelle 12.1. 3. Das relative Kaliber der Äste der FDMA zur 2. Zehe, verglichen mit den Ästen, die zur Großzehe im Bereich der Zehenzwischenfalte ziehen: – der “Ramifying-Typ”: Der Durchmesser des Gefäß astes zur 2. Zehe entspricht dem Durchmesser des Astes zur Großzehe, – der “Main-trunk-Typ”: Der Durchmesser des Gefäßastes zur 2. Zehe ist größer als der Durchmesser des Astes zur Großzehe, – der “Fine-branch-Typ”: Der Durchmesser des Gefäßastes zur 2. Zehe ist kleiner als der Durchmesser des Astes zur Großzehe. Die Fehlerrate jedes Typs dieser Klassifikation findet sich in Tabelle 12.2.
Die erste A. metatarsea dorsalis mit ihren Begleitvenen und den tiefen Nn. peronaei zieht durch den 1. Metatarsalraum. Die Vene liegt am oberflächlichsten, der Nerv liegt dazwischen und die Arterie am tiefsten. Von der Arterie gehen feine Äste zu dem Metatarsophalangeal(MT-)Gelenk, zu den Mm. interossei und zur Haut. Die Arterie zweigt sich auf in 2 dorsale Zehenarterien im Bereich des Zehenzwischenraums und erreicht die fibulare Seite der Großzehe und die tibiale Seite der 2. Zehe. Der Endast zieht zur Fußsohle und anastomosiert mit der ersten gemeinsamen A. plantaris. Basierend auf die Erfahrung mit 400 Fällen eines Transfers der 2. Zehe und der Analyse der Komplikationen, verwenden wir eine dreistufige Klassifikation der 1. A. metatarsea dorsalis (“first dorsal metatarsal artery”, FDMA). 1. Der Durchmesser, festgestellt im mittleren Bereich der 1. A. metatarsea dorsalis: – großer Durchmesser (>1,5 mm): Wir fanden 50 Fälle dieses Typs (16%), darunter waren 2 Komplikationen, – mittlerer Durchmesser (1–1,5 mm): Hier fanden sich 193 Fälle (63%), darunter waren 6 Komplikationen, – schmaler Durchmesser (<1,0 mm): Hier fanden sich 61 Fälle (20%), darunter gab es 6 Komplikationen. 2. Das Verhältnis des Anfangsteiles der proximalen Hälfte der A. medialis dorsalis zum M. interosseus (Abb. 12.3):
12.1.1.6 Zusätzliche Blutversorgung beim Transfer der zweiten Zehe Normalerweise wird das Transplantat der 2. Zehe versorgt durch die A. dorsalis pedis – 1. A. metatarsea dor-
Tabelle 12.1. Verhältnis der vaskulären Typen der FDMA zur Fehlerrate Fälle
Fehler
Fehlerrate [%]
Superfizialer Typ
58
3
5,2
Intramuskulärer Typ
172
6
1,6
Inframuskulärer Typ
74
5
6,7
Tabelle 12.2. Relation der Gefäßtypen der FDMA zur Fehlerrate Fälle
Fehler
Fehlerrate [%]
Ramifying-Typ
266
7
3
Main-trunk-Typ
11
0
0
Fine-branch-Typ
27
7
26
KAPITEL 12
salis – A. digitalis. Dies ist das so genannte “first set blood supply system”. Wenn eine Variation der A. dorsalis pedis oder der 1. A. metatarsea dorsalis mit einem schmalen Durchmesser vorhanden ist oder ein so genannter “Finebranch-Typ” der FDMA vorliegt, dann wird die 2. A. metatarsalis dorsalis oder der nach plantar perforierende Ast mit der A. metatarsea plantaris communis als “second set blood supply” anastomosiert. So wird eine ausreichende Blutversorgung für die transplantierte Zehe und der Erfolg der Operation gesichert.
Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
superfizieller Typ
12.1.2 Klassifikation Die Klassifikation ist in der folgenden Übersicht wiedergegeben (Abb. 12.4): Traumatische Daumen oder Fingerdefekte • Zone I: Defekte der distalen Phalanx – IA: Defekte der Fingerkuppe und des Fingernagels – IB: Defekte der proximalen Hälfte der distalen Phalanx oder Gelenkbeteiligung • Zone II: Defekte im Bereich der Mittelphalanx der Langfinger oder der proximalen Phalanx des Daumens – IIA: Defekte der distalen Hälfte der Phalanx – IIB: Defekte der proximalen Hälfte der Phalanx oder Gelenkbeteiligung • Zone III: Defekte der proximalen Phalanx bei Langfingern oder Defekte im Metakarpalbereich am Daumen – IIIA: Defekte der distalen Hälfte – IIIB: Defekte der proximalen Hälfte oder Gelenkbeteiligung • Zone IV: Defekte im Metakarpalbereich der Langfinger
12.1.3 Prinzipien der Therapie • Ia: Wiederherstellung der Fingerkuppe und des Fingernagels, • Ib: Verlängerung des Stumpfes, partieller Zehentransfer, • IIa: “wrap around flap” [das Metakarpophalangeal(MP-)Gelenk des Fingers ist vorhanden], • IIb: Zehentransfer (das MP-Gelenk des Fingers ist nicht vorhanden), • IIIa: Zehentransfer mit dem MT-Gelenk (die Insertion der Thenarmuskeln ist intakt), • IIIb: Zehentransfer mit MT-Gelenk und metatarsal – Oppositionsplastik (die Thenarmuskeln fehlen).
intramuskulärer Typ
inframuskulärer Typ
Absent -Typ
Abb. 12.4. Typen der ersten dorsalen metatarsalen Arterie entsprechend ihrer Position
12.1.3.1 Anforderungen an die Rekonstruktion eines Daumens oder Langfingers Das Ziel der Rekonstruktion eines Daumens oder Langfingers ist prinzipiell die Wiederherstellung der Funktion der Hand.
Auch das ästhetische Ergebnis sollte beachtet werden, wenn es auch eine geringere Bedeutung hat als die Funktion. Die Anforderungen sind folgende: Ausreichende Länge: • Der Daumen muss 5–6 cm lang sein, also etwas kürzer als der normale Daumen. • Der Langfinger muss 7–8 cm lang sein, dies entspricht ungefähr die Länge der normalen Langfinger mit Zweifingerglieder.
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Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
Die Länge des wiederhergestellten Daumens oder Langfingers sollte entsprechend dem Zustand der verletzten Hand bestimmt werden. Im Fall des Defekts aller 5 Finger können die wiederhergestellten Finger kürzer sein, wenn sie in der Lage sind, sich zu berühren. Geeignete Position: Der Daumen sollte in Opposition zu den anderen Langfingern stehen. Das kann man bei einem einfachen Daumendefekt leicht erreichen. Bei einem komplexen Daumendefekt proximal der Zone III ist dies schwierig, da die Thenarmuskeln fehlen. In diesem Fall sollte der rekonstruierte Daumen fixiert werden, in Oppositionsstellung durch eine Fusion des Metakarpalgelenks oder Pseudogelenks, während das MP-Gelenk und das Interphalangeal- (IP-)Gelenk des Daumens in Extension stabilisiert werden. Die Stellung der rekonstruierten Langfinger sollte in guter Relation zu den intakten Fingern stehen und eine Opposition zum Daumen ermöglichen. Die ideale Position des MP-Gelenks und des IP-Gelenks beträgt 30°.
Adäquate Blutversorgung: Die Blutversorgung eines rekonstruierten Daumens oder Langfingers ist bei einem Zehentransfer oder „wrap around flap“ sehr gut. Lokale Lappentranspositionen oder gestielte Lappen sorgen auch für eine gute Blutversorgung des rekonstruierten Daumens. Die Blutversorgung eines rekonstruierten Daumens durch einen Hautschlauch ist schlecht. Es könnte in diesen Fällen zu Kälteintoleranzproblemen in kalten Gegenden kommen. Normale Sensibilität: Ein Finger ohne Sensibilität ist sehr verletzlich. Seine Funktion ist ebenfalls beeinträchtigt, insbesondere für den Fein- und Grobgriff, wenn die Fingerkuppe verwendet wird. Ohne Sensibilität können kräftige und koordinierte Bewegungen nicht erreicht werden. Unter den Rekonstruktionsmethoden ist bei der Fingertransposition die Erholung der Sensibilität am ehesten zu erreichen. Die Sensibilität nach Zehentransfer und „wrap around flap“ ist weniger gut und die eines Hautschlauches am schlechtesten. Kraftvolle Flexion-Extension: Eine kraftvolle Beugung und Streckung ist für Fingerbewegungen wichtig. Beim Daumen kann aber, auch wenn er keine Beugung/Streckung hat, eine gute Funktion erreicht werden, wenn er in Oppositionsstellung steht. Bei den Langfingern sind Beugung und Streckung von solch großer Bedeutung, dass ein Finger, der nicht gebeugt und nicht gestreckt werden kann, manches Mal schlechter ist als ein verlorener Finger.
Akzeptable Ästhetik: Oft gibt man der funktionellen Wiederherstellung bei Daumen- und Langfingerrekonstruktionen den Vorzug. Das ästhetische Aussehen sollte
KAPITEL 12
auch Beachtung finden. Wenn ein rekonstruierter Finger hässlich aussieht, wird der Patient ihn oft nicht benützen. Die Konsequenz ist daher ein Verlust der Funktion der Finger und der Hand. Wenn man sich bemüht, eine ästhetisch gute Rekonstruktion zu erlangen, so ist dies auch ein Schritt für eine gute Funktion des rekonstruierten Fingers. Der Gewinn muss den Verlust übersteigen: Eine 90%ige Erfolgsrate muss bei der Wiederherstellung erreicht werden, andernfalls würde die Operation dem Patienten keinen Nutzen bringen. Unabhängig davon, welche Methode gewählt wird: Der Arzt muss zwischen Gewinn und Verlust abwägen, um die Belastung für den Patienten möglichst gering zu halten.
12.1.4 Indikationen und Kontraindikationen Für Patienten, deren Allgemeinzustand und die lokale Situation (z. B. Haut und Gefäße) nicht ideal sind, sind weitere Überlegungen notwendig. Man sollte weder die Operation aufgeben, ohne Gewinn und Verlust abzuwägen, noch die Operation übereilt durchführen. Es liegt in der Verantwortung des Chirurgen, die am besten geeignete chirurgische Methode für den Patienten zu wählen und auf alle Probleme, die während der Operation auftreten können, vorbereitet zu sein. Die Transplantation der 2. Zehe ist zur Rekonstruktion des Daumens wie auch der Langfinger indiziert. Sie ist die Methode der Wahl, wenn bei kongenitalen Fehlbildungen eine frühzeitige Rekonstruktion des Daumens geplant ist. Beim Erwachsenen wird die 2. Zehe zur Daumenrekonstruktion bei Amputationen im distalen Drittel (distale Hälfte) des Metakarpale I benutzt. Bei Amputationen im proximalen Drittel (proximale Hälfte) des Metakarpale I ist sie das einzig verfügbare Transplantat. Die Transplantation der 2. Zehe kann außerdem bei partiellen Fingerverlusten, insbesondere wenn mehrere Finger betroffen sind, eingesetzt werden. Bei Patienten, die im Alltag auf den Einsatz von 5 Fingern angewiesen sind (z. B. Musiker) oder großen Wert auf die ästhetische Erscheinung ihrer Hand legen, bringt die partielle Transplantation der 2. Zehe eine funktionelle und ästhetische Verbesserung. Relative Kontraindikationen bestehen nur, wenn bei kongenitalen Fehlbildungen keine adäquaten proximalen Strukturen vorhanden sind. Wegen des großen funktionellen und ästhetischen Hebedefektes ist die Indikation zur Großzehentransplantation nach Cobett bzw. Buncke oder der „Trimmed-toeTransfer“ nach Wei heute mit äußerster Zurückhaltung zu stellen. Relative Kontraindikationen beruhen auf ästhetischen Gesichtspunkten in Bevölkerungsgruppen, die vornehmlich Sandalen tragen, sowie bei Frauen. Absolute Kontraindikationen bestehen bei Kindern, da im Transplantat nur eine Wachstumsfuge vorhanden ist.
KAPITEL 12
12.2 Spezielle Techniken 12.2.1 Präoperative Vorbereitungen 12.2.1.1 Operationsplanung In Abhängigkeit von der Defektgröße am Daumen oder Finger und den Hautverhältnissen im Bereich des Amputationsstumpfes wird ein individueller Therapieplan für den Patienten erstellt. a) Nach eingehender Prüfung der Operationsfähigkeit wird bestimmt, ob der Patient die lange mikrochirurgische Operation ohne größere Risiken tolerieren kann. Wenn dies nicht der Fall ist, sollte diese Operation nicht vorgenommen werden. b) Als nächstes wird der Spenderfuß ausgewählt und die Anzahl der Zehen, die transplantiert werden, festgelegt. Bei Verlust aller 4 Langfinger kann eine Zehe transplantiert werden, oder es können auch 2 Zehen in der gleichen Operation übertragen werden. Bei Verlust des Daumens und aller 4 Langfinger wird ein „wrap-around flap“ von der Großzehe für den Daumen und ein oder 2 Zehen für die Langfinger verwendet. c) Die Ebene, an der die Zehe abgesetzt wird, wird festgelegt. Im Falle einer einfachen Daumen- oder Fingeramputation wird sie im MT-Gelenk abgesetzt. Wenn ders Metakarpalknochen auch abgetrennt ist, wird das Os metatarsale abgesägt und zusammen mit der Zehe entnommen. Das Os metatarsale wird zur Rekonstruktion des Os metacarpale verwendet. d) Wenn das Os metatarsale für die Rekonstruktion des Os metacarpale verwendet wird und die Haut am Handrücken und der 1. Zwischenfingerfalte intakt und zart ist, sollte ein Dorsalis-pedis-Lappen gleichzeitig mit der Zehe gehoben werden. Wenn die Hautverhältnisse ungünstig sind, bewährt sich ein mehrzeitiges Verfahren mit einem Leistenlappen. Der Leistenlappen ist normalerweise 16–18 cm lang und 5–6 cm breit. Er wird vom Unterbauch von der gegenüber liegenden Seite der verletzten Hand entnommen. Im Fall eines palmaren Hautdefekts wird ein freier mikrovaskulärer Lappen gestielt am Hautast der A. ulnaris verwendet, um den Defekt zu decken. Der mikrovaskuläre Lappentransfer und der Zehentransfer können von einem geübten Mikrochirurgen in einer Operation durchgeführt werden. e) Wenn eine Langfingerrekonstruktion geplant ist, muss zuerst das Empfängergebiet festgelegt werden. Für die Rekonstruktion eines Langfingers wird der Zehentransfer normalerweise zur Mittelfingerposition durchgeführt, wenn 2 Finger wiederhergestellt werden sollen, so werden der Zeigefinger und der Mittelfinger rekonstruiert.
Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
f) Lokalisation und Methode der Osteosynthese sollten im Hinblick auf eine ausreichende Hautdeckung ebenfalls präoperativ festgelegt werden (Abb. 12.5). Dadurch können intraoperative Schwierigkeiten ebenso vermieden werden wie die Beeinträchtigung des postoperativen funktionellen Ergebnisses. g) Die Lokalisation der Anastomose und der Verlauf der Gefäße sollten festgelegt werden, um die Gefäße der Zehe in der richtigen Höhe abzusetzen, damit eine unbrauchbare Länge vermieden wird. Der Operateur muss in der Lage sein, auch ein anderes Gefäß zu verwenden, wenn das geplante Gefäß der Zehe eine Anomalie aufweist oder traumatisiert ist. h) Abhängig von dem Zustand der Sehnen und Nerven des Empfängergebietes wird die Länge der Sehnen und Nerven, die mit der Zehe entnommen werden sollen, bestimmt. Der Operateur muss in der Lage sein, durch zusätzliche Techniken fehlende Strukturen zu ersetzen. i) Für die Rekonstruktion des Daumens wird die 2. Zehe vom kontralateralen Fuß genommen, für die Rekonstruktion eines Langfingers die 2. Zehe vom ipsilateralen Fuß. Die Großzehe wird nur dann verwendet, wenn die 2. Zehe nicht geeignet oder zu schmal ist. j) Die Spenderzehe muss normal geformt sein und darf keine Infektion aufweisen. Wenn Fußpilz (Tinea pedis) vorhanden ist, muss dieser vor der Operation ausbehandelt werden. k) Die Qualität der Pulsation der A. dorsalis pedis und der A. metatarsea dorsalis I muss sorgfältig vor der Operation überprüft werden. Eine Angiographie ist aber nicht notwendig. Die Zehe kann nur dann für eine Transplantation verwendet werden, wenn die A. dorsalis pedis getastet werden kann. Die A. metatarsea dorsalis I ist oft sehr dünn und kann in ihrer Position variieren – von oberflächlich bis tief – und ist daher oft nicht tastbar. Wenn sie tastbar ist, liegt die Arterie oberflächlich, ist kaliberstark und in gutem Zustand. Hier hat sich die nichtinvasive Untersuchung mit der Dopplersonographie bewährt. l) Folgende Befunde stellen eine Kontraindikation für die Auswahl eines Fußes als Spendergebiet für eine freie Zehentransplantation dar: – Zustand nach schwerer Verletzung oder nach Erkrankungen, wie z. B. Gefäßerkrankungen, sowie Narben im Verlauf der Gefäße. – Zustand nach mehrfacher Punktion oder länger liegendem arteriellen Zugang im Bereich der A. dorsalis pedis. Das Gefäß ist oft thrombosiert. Wenn diese Gefäße benützt werden, entsteht leicht eine postoperative Thrombose. Die Resektion dieses Segments der dorsalen Gefäße und die Wiederherstellung mit einem Gefäßtransplantat oder der Gebrauch der plantaren Gefäße sind alternative Methoden.
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Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
KAPITEL 12
Rest der proximalen Phalanx (Daumen/Finger) Metacarpus
proximale Phalanx (Zehe)
Metacarpus
Abb. 12.5. Fixation der transferierten Zehe auf den Stumpf der Hand. 1 Proximale Phalanx (Zehe), 2 Rest der proximalen Phalanx (Daumen/ Finger), 3 Metacarpus, 4 Knochentransplantat, 5 Metatarsus, 6 Carpus
proximale Phalanx (Zehe)
Metacarpus
proximale Phalanx (Zehe)
Knochentransplantat Metacarpus
Metacarpus
proximale Phalanx (Zehe)
Metatarsus proximale Phalanx (Zehe)
Metatarsus Carpus
proximale Phalanx (Zehe)
– Nichtpalpable A. dorsalis pedis und keine tastbare
Pulsation der 1. und 2. A. metatarsea sowie die Unmöglichkeit der Darstellung der Gefäße mit einem Flowmeter. Dies bedeutet, dass die dorsalen Gefäße („first set blood supply system“) nicht verwendbar sind. Es ist daher notwendig, die plantaren Gefäße zu verwenden („second set blood system“).
12.2.1.2 Kontrolle der Operationssaaltemperatur Die Dissektion, Durchtrennung und Anastomose der Blutgefäße sind wesentliche Teile des Zehentransfers. Diese Blutgefäße haben viele glatte Muskelzellen und diese sind sehr empfindlich auf Außentemperaturveränderungen. Kälteeinfluss verursacht Gefäßspasmus.
KAPITEL 12
! Ein länger bestehender Spasmus der Blutgefäße ver-
ursacht nicht nur eine Ischämie im Transplantat, sondern auch eine Stase des Blutflusses, eine Thrombozytenaggregation und Thrombose.
Dies kann evtl. zu einem Verlust des Transplants führen. Daher sollte die Raumtemperatur zwischen 20 und 25°C liegen.
12.2.1.3 Harnableitung Da die Operation normalerweise mehr als 5 Stunden dauert, sollte ein Harnblasenkatheter präoperativ angelegt und am 1. postoperativen Tag noch belassen werden.
12.2.2 Anästhesie Beim freien Zehentransfer kommt es leicht zu Spasmen in den anastomosierten Blutgefäßen. Daher ist es ein wichtiger Faktor, eine geeignete Anästhesiemethode zu wählen, um Gefäßspasmen zu vermeiden oder zumindest nicht zu verstärken. Die Epiduralanästhesie weist die meisten Vorteile auf. Wenn die Epiduralanästhesie bei bestimmten Patienten nicht anwendbar oder nicht wirksam ist, kann jede Anästhesieform, die keine Spasmen begünstigt, verwendet werden. Wenn die Epiduralanästhesie gewählt wird, so können die zervikale und lumbale Anästhesie gleichzeitig beginnen. Die Erstere anästhesiert die obere Extremität und die Hand, Letztere die untere Extremität und den Fuß. Die Epiduralanästhesie weist für den freien Zehentransfer einige Vorteile auf: • Die Methode hat einen guten vasodilatatorischen Effekt. Dies vermindert oder beugt dem Auftreten von Gefäßspasmen vor. • Der Epiduralkatheter kann für 2–3 Tage belassen werden, und Medikamente gegen den Spasmus können über diesen Zugang periodisch verabreicht werden. Auf diese Weise wird nicht nur dem Gefäßspasmus vorgebeugt, sondern kann auch der postoperative Schmerz behandelt werden. Im Fall einer Gefäßkomplikation innerhalb der ersten 3 postoperativen Tage kann für die Revision sofort wieder eine Epiduralanästhesie eingeleitet werden. • Durch die periphere Lähmung kann es nicht zu unkontrollierten Bewegungen kommen, wie bei der Extubation nach einer Allgemeinnarkose. Gefäßverengende Mittel sind sowohl intra- wie auch postoperativ verboten.
Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
Aufgrund der möglichen Nebenwirkungen bei Applika tion größerer Mengen von Lokalanästhetika und der langen Operationsdauer wird häufig eine Vollnarkose durchgeführt.
12.2.3 Operation 12.2.3.1 Operationsteams Zwei Operationsmannschaften arbeiten zur gleichen Zeit. Ein Team arbeitet am Fuß, um die 2. Zehe zu präparieren und für ihre Transplantation zu isolieren. Das gleiche Team versorgt auch den entstandenen Defekt an der Entnahmestelle. Das andere Team präpariert an der Hand die Strukturen wie Knochen, Sehnen, Nerven und Blutgefäße. Die Präparation und Abtragung der 2. Zehe kann ungefähr 3 Stunden dauern. Daher sollte das Team, das am Fuß arbeitet, zuerst beginnen. Das Handteam beginnt, nachdem das erste Team die Präparation der Blutgefäße beendet hat. Vor allem bei weniger erfahrenen Operateuren wird auf diese Weise verhindert, dass bei Verletzung der Zehenarterie oder der Feststellung einer Gefäßanomalie die ganze Operation unmöglich wird. Wenn die Operateure sehr erfahren sind, können die 2 Teams simultan vorgehen.
12.2.3.2 Medikamente Das Operationsfeld, besonders der Gefäßstiel und das Gefäßvolumen sollen durch andauernde Irrigation mit 0,5% Procain-Lösung feucht gehalten werden.. Eine halbe Stunde bevor die Blutgefäßanastomose beginnt sollte niedermolekulares Dextran, das Heparin enthält, intravenös gegeben werden (100 ml Dextran mit 16,7 mg Heparin).
12.2.3.3 Präparation der Empfängerseite Bevor die Zehe im Empfängergebiet transplantiert wird, müssen alle Strukturen dargestellt und markiert sein. Die Präparation kann in Oberarmblutsperre (300 mmHg) erfolgen.
Präparation am Daumen Der Hautschnitt im Daumenbereich ist abhängig von der Amputationshöhe. Abbildung 12.6 a,b zeigt den Hautschnitt bei einer Amputationsverletzung im Metakarpalbereich. Nach dem Hautschnitt wird der Stumpf des Daumens, der Metakarpalknochen oder der Karpalknochen freigelegt und präpariert, wobei die anhän-
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Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
KAPITEL 12 Abb. 12.6 a,b. Präparation des Daumenstumpfes. a Hautschnitt. b Dargestellte Strukturen. 1 Extensor-pollicislongus- Sehne, 2 V. cephalica, 3 A. radialis, 4 Stumpf des Metakarpalknochens des Fingers, 5 Fingernerven, 6 Flexorpollicis-longus-Sehne
a
Sehne des M. extensor pollicis longus
V. cephalica A.radialis
Stumpf des metacarpalen Fingerknochens Fingernerven Sehne des M.flexor pollicis longus
b
KAPITEL 12
Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
a
b Abb. 12.7 a,b. Präparation des Stumpfes der amputierten Finger. a Hautschnitt. b Freigelegte Strukturen
genden Weichteile und Muskeln bewahrt werden, um sie mit der Gelenkkapsel der Zehe oder den korrespondierenden Weichteilen zu vernähen. Wenn die Knorpeloberfläche nicht vorhanden ist, aber das Os metacarpale noch lang genug ist, kann das MP-Gelenk durch eine Arthroplastik wiederhergestellt werden. In anderen Fall sollte der Stumpf des Fingerknochens, des Metakarpalknochens oder des Karpalknochens getrimmt werden, sodass
er in die Höhlung der Zehe eingesetzt werden kann. Wenn das Metakarpale zu kurz ist, kann man die Knochenhöhle für die Einpflanzung eines Knochenblocks vergrößern, oder das Metatarsale wird direkt mit der Zehe verbunden. Die Haut im Bereich des Handrückens sollte an beiden Seiten subkutan unterminiert werden, um den dorsalen Hautlappen der Zehe einpassen zu können. Durch
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Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
eine zweite Hautinzision dorsal (F) werden die V. cephalica und andere Venen des Handrückens sowie die A. radialis, die Sehne des langen Daumenstreckers und der oberflächliche Ast des N. radialis dargestellt. Die Haut zwischen den beiden Inzisionen (E und F) wird ausreichend unterminiert, um genügend Platz für den Gefäßstiel, die Strecksehnen und den Nerv zu bieten. Der Kanal sollte für 2 Finger des Operateurs passierbar sein. Durch die Verlängerung des ersten Hautschnitts in die Hohlhand und den Handgelenkbereichs (G) werden die Nn. digitales proprii (N1 und N2) und die Sehne des Flexor pollicis longus dargestellt. Wenn die Sehne nicht gefunden wird, so kann die Sehne des Flexor digitorum superficialis II oder auch IV Verwendung finden. Ist der Abstand zwischen den Empfänger- und Spendernerven zu groß, werden Nerventransplantate verwendet.
Präparation am Langfinger Die Präparation im Langfingerbereich verläuft ähnlich der am Daumen beschriebenen. Auf einige Unterschiede sei jedoch hingewiesen. Im Bereich des Langfingerstumpfes wird die Haut in einem Längsschnitt über der Konvexität eröffnet (Abb. 12.7 a,b). Der Knochen wird freigelegt und getrimmt. Im Bereich des dorsoradialen Handrückens wird eine zweite Hautinzision (F) zur Darstellung der V. cephalica, der dorsalen Handvenen, der A. radialis, des Extensor digitorum communis und des oberflächlichen Astes des M. radialis durchgeführt. Es wird wiederum ein weiter Tunnel zwischen den beiden Hautschnitten für die Passage der Gefäße, der Sehne und des Nervs des Transplantats gebildet (2 Finger breit). Über eine dritte Inzision (G) im Hohlhandbereich werden die palmaren Fingernerven und die A. digitalis communis sowie die Beugesehnen dargestellt.
12.2.3.4 Präparation im Spendergebiet Die Präparation der 2. Zehe ist einer der wichtigen Schritte im gesamten Transplantationsvorgang. Die Höhe der Entnahmestelle ist abhängig von dem Amputationsniveau und den Hautverhältnissen im Daumen- oder Langfingerbereich.
Beginn der Präparation durch den dorsalen Hautschnitt Wie in Abb. 12.8 dargestellt, werden im Hautschnitt (A) die V. metatarsea dorsalis, die mit der 2. Zehe zieht, der dorsale Venenbogen des Fußes und die V. saphena magna freipräpariert. Zwischen dem 1. und 2. Metatarsalekopf zieht ein Venenast von der Plantarseite zum dorsalen Ve-
KAPITEL 12
nenbogen des Fußes. Dies sollte dargestellt und getrennt werden. Als nächstes werden die A. dorsalis pedis und die 1. A. metatarsea dorsalis präpariert. Die 1. A. metatarsea dorsalis teilt sich in 3 dorsale Zehenarterien zwischen dem 1. und 2. Metatarsalekopf. Sie versorgt beide Seiten der Großzehe und die tibiale Seite der 2. Zehe und setzt sich fort mit dem anastomosierenden Ast zwischen den plantaren und dorsalen Zehenarterien. Die 2 dorsalen Zehenarterien der Großzehe werden freipräpariert und nahe zur Großzehe durchtrennt, um so die Zehenarterie zur 2. Zehe zu schützen. Die A. metatarsea dorsalis 1 liegt meistens tief in der Interosseusmuskulatur und nur gelegentlich an der Oberfläche des Muskels. Aber in beiden Fällen liegt sie eher oberflächlich nahe des MPGelenks. Aufgrund dieser anatomischen Situation sollte die Präparation der Arterie von diesem Punkt aus beginnen und in Richtung des Zwischenzehenraums verlaufen, um den Ast, der die 2. Zehe versorgt, zu identifizieren. Erst daran anschließend sollte die weitere Präparation in Richtung der A. dorsalis pedis erfolgen. Die A. doralis pedis gibt nahe der Basis des Metatarsale einen eher großen tiefen plantaren Ast ab, der in die Plantarregion zieht, um mit der A. plantaris lateralis den plantaren Bogen zu bilden. Dieser tiefe plantare Ast sollte freigelegt werden. Ob dieser Ast legiert werden soll, hängt vom Zustand des so genannten „first set blood suply system“ ab. In vielen Fällen gibt es 2–3 tiefe plantare Äste, einer davon ist die A. digitalis plantaris communis 1. Diese kann als so genanntes „second set blood suply system“ dienen. Der Ast des N. cutaneus medialis dorsalis, der die dorsale Haut der 2. Zehe versorgt, wird in der Höhe der A. dorsalis pedis abgetrennt.
Präparation durch die Inzision zur nächsten Zehe Wie in Abb. 12.8 gezeigt, werden durch den Hautschnitt (B) die A. fibularis plantaris der Großzehe mit ihren Begleitvenen, der zugehörige N. digitalis plantaris fibularis, die A. plantaris digitalis tibialis der 3. Zehe mit ihren Begleitvenen und der dazu gehörige N. plantaris digitalis tibialis der 3. Zehe freipräpariert. Die Präparation sollte nahe zur fibularen Seite der Großzehe und tibialen Seite der 3. Zehe vorgenommen werden, um Verletzungen der Zehengefäße und Nerven, die zur 2. Zehe ziehen, zu vermeiden.
Die erwähnten Nerven sollten unberührt bleiben, da jede Präparation zusätzlich Schäden verursachen könnte. Wenn die A. metatarsea dorsalis 1 nicht verwendet werden kann, dann sollte die A. digitalis plantaris fibularis der Großzehe mehr nach zentral dargestellt werden, um eine Anastomose zu ermöglichen.
KAPITEL 12
Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
Abb. 12.8. Hautinzision für die Präparation der 2. Zehe. A Fußrücken, B benachbarte Zehe, C Fußsohle
Fußrücken
Hautlappen benachbarte Zehe 1,5
2,5
Beginn der Präparation durch den plantaren Hautschnitt Wie in Abb. 12.8 dargestellt, wird durch den Hautschnitt plantar (C) die Beugesehne der Zehe freigelegt. Die Sehne des oberflächlichen Beugers wird geteilt und die tiefe wird mehr proximal dargestellt. Der 1. und 2. N. digitalis communis plantaris mit der begleitenden A. metatarsea plantaris und ihren Beleitvenen wird ebenfalls freipräpariert.
Neuerliche Präparation durch den dorsalen Hautschnitt Im dorsalen Operationsgebiet wird die Streckersehne der Zehe freipräpariert. Die Sehne des langen Streckers wird nahe dem Knöchel abgetrennt und die des kurzen Streckers an der Basis der Metatarsalia. Schließlich wird das MT-Gelenk exartikuliert, sodass die 2. Zehe komplett isoliert ist. Wenn zur gleichen Zeit bei Daumen- oder
Fußsohle
Langfingerrekonstruktion auch eine Rekonstruktion des Metakarpale notwendig ist, wird der 2. Metatarsalknochen freigelegt und an geeigneter Stelle durchgesägt. Das distale Segment des Metatarsale 2 wird dann bis zur Zehe freigelegt und zusammen mit der Zehe abgetrennt.
Neuerliche Präparation durch den plantaren Hautschnitt Wir kehren zur V-förmigen Hautinzision (C) zurück, um den 1. und 2. gemeinsamen Zehennerv abzutrennen. Wenn die Perfusion der Zehe durch das so genannte „first set blood suply system“ (A. dorsalis pedis) gut ist, werden die 1. und 2. A. metatarsea plantaris mit ihren Begleitvenen durchtrennt. Die Nerven werden auf eine adäquate Länge freipräpariert und dann durchtrennt und die Aa. metatarseae plantares werden nahe dem MT-Gelenk ligiert, wenn sie nicht für die Blutversorgung verwendet werden. Reicht die Blutversorgung durch das A.-dorsalispedis-System nicht aus, muss entlang der A. digitalis
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Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
KAPITEL 12 A. dorsalis pedis
A. dorsalis metatarsalis I
laterale dorsale Zehenarterie der Großzehe A. digitalis dorsalis
tiefer plantarer Ast
Arcus plantaris A. metatarsalis plantaris
palmare Zehenarterie
Verbindungsast zwischen den dorsalen und plantaren digitalen Zehenarterien laterale plantare Zehenarterie der Großzehe
Abb. 12.9. Blutversorgung der 2. Zehe. 1 A. dorsalis pedis, 2 A. metatarsea dorsalis I, 3 A. digitalis dorsalis, 4 tiefer plantarer Ast, 5 Arcus plantaris, 6 A. metatarsea plantaris, 7 Verbindungs-
plantaris weiter bis zur A. metatarsea plantaris und dann bis zum tiefen plantaren Ast und weiter bis zur A. metatarsea dorsalis präpariert werden, um das „second set blood suply system“ zu bilden. Es gibt 2 Methoden, um die Nerven abzutrennen. Die eine Methode teilt die 2. Nn. digitales plantares communes der 2. Zehe an einer geeigneten Stelle, nachdem der plantare fibulare Zehennerv der Großzehe und der plantare tibiale Zehennerv zur 3. Zehe abgetrennt wurden. Bei der anderen Methode werden die Aa. digitales plantares communes geteilt und anschließend der Teil, der zur 2. Zehe geht, abgetrennt. Zum Schluss wird die Sehne des Flexors so nahe wie möglich an ihrem Muskel abgetrennt. Nun ist die 2. Zehe nur noch durch die dorsalen Arterien und Venen mit dem Fuß verbunden. Die Blutversorgung des Zehentransplantats ist in Abb. 12.9 dargestellt.
ast zwischen den dorsalen und plantaren digitalen Zehenarterien, 8 laterale plantare Zehenarterie der Großzehe, 9 laterale dorsale Zehenarterie der Großzehe, 10 palmare Zehenarterie
V. saphena magna
A. dorsalis pedis
Sehne des M. extensor longus tiefe Beugersehne Sehne des kurzen Streckers tiefer plantarer Ast (ligiert) A. metatarsalis dorsalis I Fingernerven
V. metatarsalis dorsalis
Einbringen des Kirschner-Drahtes Ein Kirschner-Draht wird in die 2. Zehe in retrograder Richtung so eingebracht, dass die Drahtspitze dorsal am Ende der Zehe erscheint. Wenn das MP-Gelenk wiederhergestellt wird, wird der Draht in retrograder Richtung durch das Gelenk vorgeschoben und die Zehe in gestreckter Position fixiert. Wird der Metatarsalknochen mitgenommen, wird der Kirschner-Draht in die Markhöhle eingeführt.
Abtrennung der zweiten Zehe Nach Beendigung der Präparation im Handbereich wird die 2. Zehe komplett vom Körper isoliert und der Gefäßstiel abgetrennt (Abb. 12.10).
Abb. 12.10. Freipräparierte 2. Zehe. 1 A. dorsalis pedis, 2 tiefe Beugesehne, 3 Sehne des Extensor longus, 4 V. saphena magna, 5 tiefer plantare Ast (ligiert), 6 A. metatarsea dorsalis I, 7 Fingernerven, 8 V. metatarsea dorsalis, 9 Sehne des kurzen Streckers
KAPITEL 12
Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
Hauttransplantat
Hautlappen
Abb. 12.12. Position des Drains
Abb. 12.11. Versorgung der Wunde nach Zehenentnahme
Versorgung der Entnahmestelle In den meisten Fällen kann die Entnahmestelle direkt verschlossen werden. Wenn ein Defekt am Fußrücken verbleibt, kann man ihn durch ein Spalthauttransplantat verschießen. Für die Bedeckung des 2. Metatarsale kommt ein Nahlappen infrage (Abb. 12.11).
12.2.3.5 Transplantation der zweiten Zehe Bei der Daumenrekonstruktion im Falle eines einfachen Daumenverlusts geht man folgendermaßen vor:
schließend die V. saphena magna durchtrennt werden. Mit einer Heparin-Procain-Lösung (50 mg Heparin in 200 ml 2%iger Procain-Lösung) wird die A. dorsalis pedis perfundiert, bis aus der Vene klare Flüssigkeit austritt („wash out“). Normalerweise benötigt man 5–10 ml der Perfusionslösung. Dann werden 5 ml der 2%igen Lidocain-Lösung (mit 50 mg Heparin) verabreicht, um des Vasospasmus zu bekämpfen.
Kontrolle der Operationsplanung Die Zehe wird nun in das Empfängergebiet – zum Daumenstumpf – gebracht, und es wird kontrolliert, ob die Länge des rekonstruierten Daumens ausreicht und die Opposition zu den Fingern, die Osteosynthese und der Hautverschluss möglich sind.
Abtrennung und Perfusion des Zehentransplantats
Fixierung der Zehe
Wie schon vorher erwähnt, wird nach Beendigung der Präparation an der Hand die 2. Zehe komplett vom Körper isoliert, wobei zuerst die A. dorsalis pedis und an-
Ein Kirschner-Draht wird retrograd in die Zehe eingebracht, sodass die Spitze des Drahtes am Ende der Zehe oder am distalen Ende des distalen Fingergelenks sicht-
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Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
KAPITEL 12
a, b
c
d, e
f
g Abb. 12.13 a–g. Sehnennähte durch Verflechtung
bar wird. Das Transplantat wird in Streckstellung fixiert. Dies wird vor der Durchtrennung des Gefäßstiels durchgeführt, um die Durchblutung der Zehe nach der Fixation beobachten zu können und die Position der Fixation entsprechend einzurichten.
Osteosynthese der Zehe Das Zehentransplantat wird nun auf den Knochenstumpf aufgesetzt und durch Vorschieben des zuvor eingebrachten Kirschner-Drahtes im Handbereich fixiert. Das Transplantat wird in etwa 15°-Plantarflexion fixiert. Die Gelenkkapsel des Transplantats wird an die Weichteile des Daumenstumpfes in einer 15°-Oppositionsstellung angenäht. Da das Transplantat ungefähr die Länge des Daumens hat, wird die Methode der Koadaption gewählt, abhängig vom Daumenverlust und den Hautverhältnissen im Stumpfbereich (vgl. Abb. 12.5). Die Osteosynthese soll möglichst übungsstabil sein und mit möglichst geringer Materialmenge durchgeführt werden.
Der rekonstruierte Daumen sollte etwas kürzer als der normale sein. Wenn er zu lang ist, stört er die Funktion der Hand.
Tunnelierung für die Sehnen und Gefäße Um Verdrehungen oder Beeinträchtigungen zu vermeiden, werden die Sehnen, Arterien und Venen einzeln unter der dorsalen Hautbrücke vorsichtig durchgezogen und vorübergehend durch Nähte an der Stelle fixiert, an der sie später an die korrespondierenden Strukturen der Hand anastomosiert werden.
! Beim Durchziehen durch den subkutanen Tunnel ist
darauf zu achten, dass es zu keinen Verdrehungen, besonders bei den Blutgefäßen kommt.
KAPITEL 12
Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
Anastomose der Blutgefäße Die Gefäßanastomosen sind die wichtigsten Handlungen der ganzen Operation. Da einige Unterschiede zwischen den Blutgefäßen der Zehe und der Hand bestehen, müssen die Blutgefäße entsprechend der verschiedenen Durchmesser und Lage angeordnet werden.
Sehnennaht Die Strecksehnen werden üblicherweise mit der Durchflechtungsmethode (Pulvertaft-Technik) rekonstruiert. Für die Beugesehnen verwendet man eine modifizierte Kessler-Naht (Abb. 12.12 a–g). Am Rücken des Handgelenks wird die Sehne des langen Zehenstreckers mit der Sehne des langen Daumenstreckers verbunden. Im Bereich des Thenars wird die tiefe Beugesehne der Zehe mit der langen Daumenbeugesehne verbunden. Manchmal ist die kurze Streckersehne der Zehe wirkungsvoller bei der Streckung des distalen Fingergelenks der Zehe. In diesem Fall werden beide, die lange und die kurze Streckersehne, mit der langen Streckersehne des Daumens verbunden. Wenn es nicht möglich ist, die lange Streckersehne des Daumens und die lange Beugesehne zu verwenden, so kann man anstelle dieser Sehnen die Streckersehne des Zeigefingers und die oberflächliche Fingerbeugesehne verwenden. Weil das Fingergelenk der Zehe leicht gebeugt ist (bei der Rekonstruktion eines Daumens oder Fingers erwartet man aber eine volle Streckung), ist die Naht der Streckersehnen unter einer größeren Spannung durchzuführen.
Koadaption der Nerven Im Thenarbereich werden die 2 Fingernerven des Daumens mit den 2 plantaren Zehennerven koadaptiert. Es werden Einzelknopfnähte mit 9/0- oder 10/0-atraumatischen Nylonfäden und perineurale oder epineurale Nähte verwendet (Abb. 12.13, vgl. Plastische Chirurgie, Bd. 1, Kap. 12). Mit der gleichen Methode wird der N. digitalis cutaneus dorsalis der Zehe mit dem R. superficialis n. radialis koadaptiert. Bei einem schweren Trauma der Hand kann es zu Abweichungen von diesem Behandlungsplan kommen. Wenn nur ein N. digitalis oder N. digitalis communis vorhanden ist, können die beiden Zehennerven an die Faszikel des N. digitalis oder N. digitalis communis koadaptiert werden, da diese Nervenquerschitte größer sind als die der plantaren Nerven der Zehe (Abb. 12.14). Die Nn. digitales der Hand haben normalerweise 3–4 Faszikel, während der N. digitalis communis 4–6 Faszikel besitzt. Die Nn. digitales der Zehe bestehen dagegen nur aus 2 Faszikeln.
falsch
richtig
Abb. 12.14. Kombinierte epineurale und perineurale „Naht der Nerven“
Sind die Nn. digitales communes der Hand zu kurz oder ungleich in der Länge, wird versucht, einen möglichst langen Nervenanteil vom Fuß zu gewinnen, um eine Nerventransplantation zu vermeiden. Wenn ein Nerventransplantat notwendig wird, so nimmt man es aus der Fußrückenseite des Spendergebietes. Bei fehlenden Fingernervenstümpfen im Empfängerbereich kann eine korrespondiere Anzahl von Faszikeln vom N. medianus für die Koadaption verwendet werden (Abb. 12.15). Sollten die Faszikel immer noch zu kurz sein, muss ein Nerventransplantat verwendet werden. Bei polydigitalen Amputationsverletzungen kann ein ausreichend langer Nervenstumpf eines anderen Fingers verwendet werden. Aufgrund der schlechten funktionellen Ergebnisse (nur protektive Sensibilität) wird eine Koadaption der Äste des R. superficialis N. radialis mit den plantaren Nerven des Zehentransplantats nicht durchgeführt. Die besten Resultate erreicht man durch die direkte Anastomose der palmaren Fingernerven und plantaren Zehenerven.
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Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
KAPITEL 12
N. digitalis pedis Nn. digitales communes N. digitalis pedis
N. digitalis proprius/ N. digitalis communis
N. medianus
Abb. 12.15. Koadaption von 2 Zehennerven an einen Fingernerv
Abb. 12.16. Verbindung der Zehennerven mit dem N. medianus
Easy-flow-Drainage
stumpfübergangs, erreicht man eine Umfangsvergrößerung an der Basis des rekonstruierten Fingers.
Beim Zehentransfer zur Wiederherstellung des Daumens oder eines Fingers liegen die meisten Blutgefäße im Handrückenbereich und die Anastomosen nahe der “snuffbox”. Um eine Kompression der Anastomosen und der Gefäße zu vermeiden, wird nach Blutstillung ein “Easy-flow-Drain” (Abb. 12.16) eingelegt. Manchmal ist es auch sinnvoll, eine zweite Drainage palmar zu legen.
Hautverschluss Der Hautverschluss muss spannungsfrei erfolgen, da eine postoperative Schwellung zu erwarten ist. Ist nicht genügend Haut vorhanden, so ist die Indikation zur Hauttransplantation großzügig zu stellen. Erfolgt die Hauttransplantation im palmaren Bereich des Zehen-
12.2.3.6 Intraoperatives Management von Gefäßvariationen und Durchblutungsproblemen Management bei arteriellen Gefäßvariationen Vorhandensein der A. dorsalis pedis bei fehlender A. metatarsea dorsalis I. Wenn die A. dorsalis pedis bei der Voruntersuchung getastet werden kann und durch eine Doppleruntersuchung nachgewiesen wird, ist eine Zehentransplantation grundsätzlich durchführbar.
KAPITEL 12
Derzeit gibt es jedoch keine zuverlässige Untersuchungsmethode zur Darstellung von Größe, Verlauf und Funktion der A. metatarsea dorsalis I. Aufgrund intraoperativ gefundener anatomischer Variationen (16 von 400 Fällen, das sind 5%), kann es deshalb zu einer Änderung des Operationsplanes kommen. Wenn die A. dorsalis pedis vorhanden ist, aber die A. metatarsea dorsalis I nicht von ihr entspringt, sollte versucht werden, eines der Ersatzversorgungssysteme darzustellen. Bei den o. g. 16 Fällen wurde wie folgt vorgegangen: • Der Zehentransfer konnte nicht durchgeführt werden (6 Fälle), weil keine brauchbaren Gefäße im Fußbereich gefunden wurden. • Verwendung der A. metatarsea dorsalis II anstelle der A. metatarsea dorsalis I (4 Fälle). • Verwendung von perforierenden Ästen der A. plantaris und der A. metatarsea plantaris in Kontinuität der A. dorsalis pedis (2 Fälle). • Verwendung der A. metatarsea plantaris communis (4 Fälle). Die A. metatarsea dorsalis I ist intakt, aber ihr Durchmesser ist für eine Anastomose zu klein. Die Größe der A. metatarsea dorsalis I ist mitverantwortlich für Durchblutungsprobleme. Wenn ein Durchblutungsproblem auftritt, ist es umso größer, je geringer der Durchmesser der Arterie ist. Wenn der Durchmesser der A. metatarsea dorsalis I <1 mm beträgt, sollte die Zehe mit 2 arteriellen Durchblutungssystemen versorgt werden.
Bei dieser Maßnahme tritt kein Problem auf. Alle entsprechenden Fälle zeigten ein gutes Resultat. Folgende Methoden fürein zweites Versorgungssystem stehen zur Verfügung: • zusätzlicher Anschluss der A. metatarsea dorsalis II oder • zusätzlicher Anschluss der A. plantaris und A. metatarsea plantaris oder • Präparation der A. metatarsea dorsalis II an ihrem proximalen Teil und Anastomose mit dem abgetrennten Ende der perforierenden A. plantaris. Die A. metatarsea dorsalis I hat ein ausreichendes Kaliber, aber nur einen hypoplastischen Endast zur 2. Zehe. Bei der Präparation der 2. Zehe muss die A. metatarsea pedis 1 bis zu ihrer Aufzweigung im Zwischenzehenbereich dargestellt werden, bis man einen Ast mit ausreichendem Durchmesser für die 2. Zehe findet. Wenn kein Gefäß mit ausreichendem Durchmesser gefunden wird, muss ein so genanntes zusätzliches Ersatzversorgungssystem in die Präparation mit einbezogen werden.
Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
Bei Verwendung der o. g. “Ersatzdurchblutungssysteme” ist eine ausreichende Durchblutung der transferierten 2. Zehe erreichbar.
Management bei venöser Gefäßvariation Im Allgemeinen werden nur selten Variationen gefunden (Gu: in der chinesischen Bevölkerung). Die V. saphena magna bildet einen typischen Venenbogen am Fußrücken in 92,5%, in 3,3% besteht kein Venenbogen und in 4,2% besteht ein inkompletter Bogen. Bezüglich des venösen Abflusses können 4 Situationen unterschieden werden: 1. Der venöse Abfluss geht über die kräftige V. saphena magna (149/400 Fälle). 2. Abfluss über dünne Äste der V. saphena magna. Wenn nach der Anastomose nur ein verminderter Fluss erreichbar ist, ist zu überlegen ob die Zehentransplantation durchgeführt werden kann. 3. Abfluss über dicke Vv. comitantes. 4. Abfluss über dünne Vv. comitantes. Es gab 3 Fälle dieses Typs, von denen es bei 2 Fällen zu einer venösen Trombose kam. Die Zehen überlebten, nachdem der thrombosierte Teil der Vene reseziert wurde und eine neue Anastomose angelegt wurde. Der venöse Rückfluss dieses Typs hängt von der Morphologie des venösen Netzwerks ab. Wenn das venöse Netzwerk aus zarten und feinen Venen gebildet wird, die gestreckt verlaufen und einen freien venösen Abfluss ermöglichen, kann die Transplantation durchgeführt werden.
Die verzögerte (“delayed”) Zehentransplantation • Wenn die Minderperfusion bei einer Zehentransplantation nach 30–60 min nicht überwunden werden kann, • der Gefäßstiel nicht durchtrennt ist, • die Möglichkeiten der Spasmusbehandlung durchgeführt wurden (Erhöhung der Raumtemperatur >25°C, Einhüllen der Zehe in warme feuchte Tücher, Beträufeln des Gefäßstieles mit 2% Lidocain und evtl. Strippen der Adventitia des spastischen Gefäßes und Dilatation des spastischen Gefäßes durch LidocainInjektion), • kein “Ersatzversorgungssystem” vorhanden ist, dann sollte das gestielte Zehentransplantat mit einem axialen Kirschner-Draht an seinem Entnahmeort fixiert werden. Die Hautinzision wird lose adaptiert und der Fuß in einen nichtkompressiven dicken Watteverband gelegt. Systemisch werden Dextrane und Vasodilatoren
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Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
KAPITEL 12
(cave: Blutdruck!) verabreicht. Mit einer normalen Rekapillarisierung ist nach 16–22 Stunden zu rechnen. Wenn die Rekapillarisierung normal ist, dann kann die Zehe transferiert und die Operation beendet werden. Ursachen für den Vasospasmus sind Veränderungen im Endothel (Endothelin) und die Abnahme des NOGehaltes (vasodilatierender Faktor) im Gewebe und Gefäßen. Wenn ausgeprägte Spasmen bei tiefem Verlauf und geringem Durchmesser der A. metatarsea dorsalis I mit einem feinen Endast zu 2. Zehe entstehen, sollte die Transplantation verzögert werden (“delay”), um den Operationserfolg zu sichern.
12.2.3.7 Postoperative Nachbehandlung
Watteverband transferierte Zehe Plastik-Splint Hand
Allgemeine postoperative Nachbehandlung Der Gefäßverschluss und die gefährdete Durchblutung durch andere Faktoren sind die gefährlichsten Komplikationen bei einem Zehentransfer und können in der Nekrose der Zehe enden. Daher sollte die Hand in einem dicken nichtkompressiven Watteverband und einer Gipslongette zur Immobilisierung angewickelt werden (Abb. 12.17). Der Patient sollte in den ersten Tagen in einer Intensivpflege, bei einer Raumtemperatur von 25°C, betreut werden. Der operierte Arm sollte geringgradig über Herzhöhe gelagert werden, aber nicht zu hoch, um die Blutzirkulation nicht zu behindern. ! In den ersten 2–3 Stunden nach der Operation ist die Hauttemperatur der transferierten Zehe oft tiefer als die der gesunden Finger. Wenn dieser Zustand nicht korrigiert wird, ist die sekundäre Thrombosegefahr erhöht.
Der Körper des Patienten sollte durch geeignete Maßnahmen erwärmt werden. Wenn notwendig, kann auch ein Heizkörper in die Nähe des Arms gebracht werden (cave: Verbrennung!), damit die Hauttemperatur möglichst schnell die normale Höhe erreicht. Die Farbe der Haut und der Schwellungszustand der transferierten Zehe müssen kurzfristig kontrolliert werden. Die Hauttemperatur und die Kapillardurchblutung müssen stündlich überwacht und die Ergebnisse sorgfältig aufgezeichnet werden. Wenn alles normal verläuft, kann das Monitoring nach 3 Tagen auf 3- bis 6-stündliche Intervalle verlängert werden. Wichtige Punkte der postoperativen Kontrolle sind: 1. Hautfarbe. Behinderungen des Venenrückflusses können eine rötliche Farbe der Haut verursachen und je nach Zu-
Abb. 12.17. Postoperativer Verband und Ruhigstellung
nahme der Behinderung bis zu dunkelrot reichen. Behinderungen des arteriellen Zuflusses können sich durch leichtrosa Färbung oder Blässe dokumentieren 2. Ödem. Bei einer beginnenden Abflussstörung der Venen zeigt sich frühzeitig eine Zunahme der Fingerspitzenschwellung. Wenn kein Ödem zu bemerken ist und die Hautfalten tiefer werden oder die Fingerspitze schrumpft, ist dies ein Zeichen der Behinderung der arteriellen Blutversorgung. 3. Hauttemperatur. Wenn die Hauttemperatur 2–3°C tiefer ist als die der gesunden Finger, ist dies ein Zeichen für eine Durchblutungsstörung. Wenn die Hauttemperatur 3–5°C tiefer liegt, muss eine schwere Störung der Durchblutung angenommen werden. Liegt daher die Hauttemperatur unmittelbar nach der Operation bei 34–35°C, so ist dies ein Zeichen einer guten Prognose. 4. Rekapillarisierung. Die Rekapillarisierung wird schneller, wenn ein venöser Rückfluss behindert wird und langsamer wenn der arterielle Zufluss sinkt. Wenn die Hautfarbe einige Veränderungen aufweist, ist dieses Phänomen nicht klar zu sehen. Bei einer kompletten Obstruktion durch eine Thrombose verschwindet das Zeichen der Rekapillarisierung. Bei einem Spasmus kann die Rekapillarisierung noch vorhanden sein, bei einer Thrombose fehlt sie komplett. Daher kann man dieses Phänomen zur Unterscheidung von Thrombose und Spasmus verwenden. Falls eine Plexusanästhesie durchgeführt wurde, sollte der Plexuskatheter für 2–3 Tage belassen werden, um
KAPITEL 12
eine adäquate Schmerztherapie und Sympathikolyse durchführen zu können. Zur systemischen Beeinflussung der Blutgerinnung werden 500–1000 ml niedermolekulares Dextran/Tag für etwa 5–6 Tage verabreicht. Zusätzlich kann Persantin gegeben werden. Heparin wird nur nach Gefäßrevision gegeben. Urokinase und Aspirin können auch Verwendung finden. Die Gabe von Vitamin-Komplexpräparaten ist anzuraten. Antibiotika sind ebenfalls im Therapieplan vorgesehen. Die Drainage wird am 2. postoperativen Tag entfernt. Die Hautnähte bleiben bis zum 10. Tag. Der postoperative Gipsverband wird durch eine Unterarmgipsschiene ersetzt. Von der 3. postoperativen Woche an beginnt die Mobilisierung des Zehentransplantats durch vorsichtige passive und später aktiv unterstützte Extension und Flexion.
Die Gipsschiene kann nach 4–8 Wochen abgenommen werden. Ein intensives physiotherapeutisches Rehabilitationsprogramm wird anschließend begonnen. Die Applikation von Eis ist in der frühen Phase kontraindiziert!
Postoperative Komplikationen und deren Behandlung Durchblutungsstörungen, verursacht durch eine Thrombose oder andere Faktoren, sind die schwerwiegendsten Komplikationen, die zu einem kompletten Absterben der transferierten Zehe führen können, wenn sie nicht rechtzeitig und adäquat behandelt werden. Der rekonstruierte Daumen oder Finger zeigt üblicherweise innerhalb der 1. bis 2. Woche postoperativ eine geringe Schwellung, eine rosige Hautfarbe und eine Hauttemperatur von 33–35°C (wenn die Umgebungstemperatur 25°C beträgt). Er hat eine ähnliche oder leicht tiefere Temperatur als der gesunde Finger. All dies sind Zeichen einer guten Blutzirkulation. Wenn hier Veränderungen eintreten, muss man an eine Durchblutungsstörung denken. Behinderung des venösen Rückflusses. Ein schweres Ödem, eine zunehmende Spannung im Fingerkuppenbereich, eine violette Hautfarbe und eine um 2–3°C tiefere Temperatur als der gesunde Finger zeigen eine Behinderung des venösen Abflusses an. In diesem Fall sollte der Arm hoch gelagert werden oder auf der einen oder auch zweiten Seite des rekonstruierten Fingers Entlastungsinzisionen vorgenommen werden. Wenn es nicht unmittelbar zu einer Besserung kommt oder – im Gegenteil – die Hautfarbe dunkler wird oder sich zu rot-violett hin verändert und die Hauttemperatur weiter fällt auf 3–5°C tiefer als die gesunden Finger, dann kann die Vene stark komprimiert oder thrombosiert sein. In diesem Fall muss
Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
unverzüglich die Indikation zur operativen Revision gestellt werden, sonst ist eine Nekrose unvermeidbar. Durchblutungsstörungen entstehen meistens innerhalb von 24 Stunden nach der Operation. Eine chirurgische Exploration ist angezeigt, wenn sich die Hautfarbe verändert und die Hauttemperatur sinkt. Die Beurteilung, ob eine Thrombose oder ein Vasospasmus die Ursache für die venöse Abflussbehinderung ist, ist entscheidend, wenn das Problem später als 48 Stunden postoperativ entsteht. Eine operative Revision ist bei einer Thrombose indiziert, sie ist aber bei einem Vasospasmus kontraindiziert. Arterielle Durchblutungsstörung. Arterielle Durchblutungsstörungen zeigen eine geringe Schwellung, Vertiefung der Hautfalten, Schrumpfen der Fingerkuppe, eine blasse Hautfarbe und eine Hauttemperaturabsenkung von 2–3°C im Vergleich zum gesunden Finger. Die Ursache kann eine Thrombose oder Kompression der Arterie sein, wenn dies innerhalb von 24 Stunden nach der Operation auftritt. Wenn konservative Maßnahmen in kurzer Zeit keine Besserung bringen, so muss die operative Revision sofort vorgenommen werden. Tritt die arterielle Durchblutungsstörung nach 48 Stunden postoperativ auf, dann ist eher ein Vasospasmus anzunehmen, verursacht durch die Schmerzen bei der Entfernung des Drains, Kälte oder Rauchen und Ähnliches. Dann sollte man sich bemühen, die verursachenden Faktoren zu beseitigen und keinen chirurgischen Eingriff durchführen. Die Anwendung von Antikoagulanzien, spasmuslösenden Medikamenten und vor allem geringe Heparindosen zeigten sich effektiv. Wenn eine Durchblutungsstörung auftritt, sei es venös oder arteriell, ist es wichtig herauszufinden, ob sie durch eine Thrombose oder einen Vasospasmus verursacht wird.
Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Durchblutungsstörungen ist in Tabelle 12.3 aufgelistet. Atrophie und Verschmälerung der transferierten Zehe. Wann immer schwere Durchblutungsstörungen im postoperativen Verlauf auftreten, entstehen in verschiedenem Ausmaß eine Atrophie und Verschmälerung der Gewebe. Die Haut wird dünner und schmäler, das subkutane Gewebe nimmt ab, die Bewegungen in den Gelenken werden behindert, auch wenn die Blutzirkulation gut ist. Dies zeigt, dass eine Minderdurchblutung der Gewebe zu verschiedenen Graden einer Fibrose in der transplantierten Zehe führt. Infektion. Nur in einem Fall konnten wir eine Pseudomonas-aeruginosa-Infektion sehen. Die Infektion begann an der Eintrittstelle des Kirschner-Drahtes und setzte
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Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
KAPITEL 12
Tabelle 12.3. Unterscheidung von Thrombose und Vasospasmus Vasospasmus
Thrombose
Ursache
Schmerz, ungenügendes Blutvolumen, niedrige Temperatur
Gefäßwandveränderungen, herabgesetzte Durchblutung, schlechte Anastomose
Zeitpunkt
Intraoperativ, 48 h später
Intraoperativ, 24 h später
Pathologie
Verminderung des Gefäßdurchmessers
Verschluss des Gefäßes durch einen Thrombus
Klinik
Kapillarfüllung vorhanden
Fehlende Kapillarfüllung
Spasmenlösende Medikamente
Wirkungsvoll
Unwirksam
Erwärmen
Hilfreich
Gefährlich (erhöht den Metabolismus und den Sauerstoffverbrauch)
Behandlung
Beseitigung der Ursachen, Gabe von Spasmolytika und Antikoagulanzien
Frühzeitige chirurgische Revision
Intraoperative Befunde
Das Blutgefäß ist dünn, keine Thrombose im Bereich der Anastomose, der chirurgische Eingriff sollte gleich beendet werden, eine Resektion und Reanastomosierung verbietet sich
Das Blutgefäß proximal der Anastomose ist erweitert, die Anastomosenstelle ist blauviolett und derb, wenn man sie palpiert, das Blutgefäß distal der Anastomose ist dünn und pulslos, ein Thrombus findet sich im Anastomosenbereich, Anastomose sollte reseziert und reanastomosiert werden, oder ein Gefäßinterponat sollte Verwendung finden
sich fort bis zum distalen Anteil des Transplantats. Die Haut brach auf und Eiter entleerte sich. Der Infekt heilte aus. Fußödem. Nur wenige Patienten zeigten postoperativ nach dem Gehen ein geringes Ödem des Fußes, von dem die Zehe genommen worden war. Die Ödeme waren ausgeprägter am Abend und verschwanden nach Bettruhe. Nach einigen Monaten sahen wir keine Ödeme mehr. Das Ödem wird durch die vorübergehende schlechte kollaterale Blutversorgung nach der Entnahme der Saphena magna und den Veränderungen im Bereich der Vv. comitantes der A. dorsalis pedis verursacht. Diese Ödeme treten seltener auf, wenn möglichst viele der dorsalen Venen des Fußes erhalten wurden.
12.2.3.8 Rehabilitation Der rekonstruierte Daumen oder Finger benötigt eine intensive Rehabilitation, um eine gute Funktion zu erreichen. Übungen werden verordnet, um die Muskelkraft wiederherzustellen, das Bewegungsausmaß der Gelenke zu verbessern und die Opposition zu verstärken, um den
Spitz-, Seit- und Drehgriff auszuführen. Wenn die Zehe durch Kapselnähte in der Hand fixiert ist, können die Übungen 4 Wochen nach der Operation beginnen. Wurde eine knöcherne Verbindung verwendet, kann 8 Wochen später mit dem Training begonnen werden. Die Methoden für das funktionelle Training sind folgende: 1. Aktive Beugung und Streckung des MP- und des IPGelenks. Diese Übungen werden meistens vom Patienten selbst durchgeführt nach folgendem Programm: – Ein Gelenk wird mit der gesunden Hand festgehalten und das andere Gelenk aktiv gebeugt und gestreckt (Abb. 12.18 a–d). Die maximal mögliche Beugung und Streckung muss bei jeder Übung erreicht werden, – freie Beugung und Streckung jedes Gelenks, – Bewegungen des Daumens zum Finger und zur Hohlhand, – Abduktion- und Adduktionsübungen des Daumens. 2. Passive Beugung und Streckung der Gelenke. Dies wird von dem Patienten selbst mit seiner gesunden
KAPITEL 12
Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
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b
a
c
Abb. 12.18 a–d. Methoden zur Übung der Gelenke. a Beuge- und Streckübungen für ein Gelenk. b Beuge- und Streckübungen für mehr als ein Gelenk. c Opposition des Daumens zum Finger und zur Hohlhand. d Abduktions- und Adduktionsbewegungen des Daumens
Hand durchgeführt, wobei er die Beugung und Streckung aller Gelenke des rekonstruierten Daumens oder Fingers unterstützt. Die Bewegungen müssen zart durchgeführt werden, um die Gelenkskapsel und die umgebenden Sehnen und Nerven nicht zu verletzen. Wenn Verwachsungen der Sehnen oder Kapselkontrakturen im Gelenkbereich auftreten, kann mit Hilfe eines Sandsackes mit einem Gewicht von 1–2 kg eine Dehnungsbehandlung durchgeführt werden (Abb. 12.19). Dies sollte 12–20 min pro Übung mehrmals am Tag erfolgen. 3. Übungen gegen Widerstand. Zusammendrücken eines Gummiballs kann die Muskelkraft für Beugung, Adduktion und Opposition stärken (Abb. 12.20 a–d). Wie in Abb. 12.21 zu sehen, kann auch die Übung mit einem Gummibandbrett die Beugung, Streckung und Abduktion verbessern. Die Übung sollte mit einiger Kraft durchgeführt werden. Jede Bewegung dauert
d
etwa 3–4 s und wird 10- bis 20-mal wiederholt. Die Übung sollte ein- bis 2-mal pro Tag durchgeführt werden, bis eine Müdigkeit auftritt. 4. Spreizübungen für die 1. Zwischenfingerfalte. Eine Kontraktur der 1. Zwischenfingerfalte findet man häufig bei verletzten Händen, aber sie ist meist nicht sehr schwer. Bei geringen Kontrakturen kann der Patient seinen eigenen Oberschenkel benützen, um das Spreizen und Dehnen der ersten Zwischenfingerfalte zu üben. Wenn die Kontraktur ausgedehnt ist, wird eine spezielle Apparatur (Abb. 12.22) mehrmals täglich für 10–20 min eingesetzt. 5. Ergotherapie. Zusätzlich zu den Übungen für die täglichen Dinge des Lebens, wie z. B. das Halten eines Kugelschreibers oder Bleistiftes, Benutzung des Essbesteckes, Zuknöpfen z. B. von Hemden, sollten auch Übungen zum Gebrauch von Werkzeugen durchgeführt werden.
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Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
KAPITEL 12 Abb. 12.19. Gerät zur Beugung des Daumens
1,5 kg
2,5 kg
b a
d
c
Abb. 12.20 a–d. Muskelübungen der Hand mit einem Gummiball. a Beugung der Finger. b Beugung des Daumens. c Opposition des Daumens. d Adduktion des Daumens
KAPITEL 12
Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
12.2.4 Ergebnisse
Abb. 12.21. Gummibandnetzwerk zur Verstärkung der Muskeln für Abduktion und Extension des Daumens
2,5 kg
Abb. 12.22. Gerät zur Dehnung der 1. Zwischenfingerfalte
Die vorher erwähnten Übungen sollten nach physikalischer Therapie oder einem warmen Bad erfolgen. Aufwärmübungen wie Schließen und Öffnen der Faust sollten auch öfters am Tag vorgenommen werden.
Am 13. Februar 1966 wurde der erste Transfer der 2. Zehe zur Wiederherstellung eines verlorenen Daumens in HuaShan-Hospital in Shanghai durchgeführt (Abb. 12.23 a–f). Anschließend (1966 bis 2004) wurden mehr als 400 Zehentransfers durchgeführt. Von diesen Zehentransfers waren 386 erfolgreich, 14 gingen verloren. Die Überlebensrate betrug 96,5%. 240 Fälle konnten in einem Zeitraum von mehr als 2 Jahren kontrolliert werden. Das Resultat zeigte, dass der Zehentransfer eine ideale Methode für die Daumen- oder Fingerrekonstruktion ist. Unter den erwähnten 400 Patienten waren 294 männlich und 106 weiblich. Das Alter der Patienten lag zwischen 5 und 58 Jahren bei einem Durchschnittsalter von 33,5 Jahren. In 396 Fällen handelt es sich um unfallbedingte Verletzungen, in 4 Fällen um Missbildungen. In 316 Fällen war der Daumen betroffen, in 32 Fällen der Zeigefinger, in 28 Fällen der Zeigefinger und der Mittelfinger, in 17 Fällen der Mittelfinger, in 4 Fällen der Ringfinger und in 3 Fällen der kleine Finger. 206 Fälle waren einfache Transfers der 2. Zehe (d. h. die 2. Zehe wurde durch Disartikulation im MT-Gelenk abgesetzt), die Indikation dazu war ein Zehen- oder Fingerverlust bei intaktem MP-Gelenk oder metakarpalem Gelenkkopf (Abb. 12.24 a,b). Ein Transfer der 2. Zehe mit dem MT-Gelenk wurde in 93 Fällen durchgeführt. Dieser Vorgang ist indiziert, wenn beim Daumen- oder Fingerverlust auch der metakarpale Gelenkkopf mit verletzt ist. In 28 Fällen mit dem Verlust von mehr als 2 oder 4 Fingern wurde ein kombinierter Transfers der 2. und 3. Zehe durchgeführt (Abb. 12.25 a–d). In einem Fall vom Verlust des Langfingers und der benachbarten Phalanx des Fingers wurde ein kombinierter Transfer der 2. Zehe mit der proximalen Phalanx der 3. Zehe vorgenommen. Bei 30 Patienten, die einen Daumen- oder Fingerverlust und außerdem einen großen Hautdefekt der Hand erlitten hatten, wurde in 24 Fällen ein Transfer der 2. Zehe zusätzlich mit einem gestielten Leistenlappen und in 6 Fällen zusätzlich mit einem freien lateralen Oberschenkellappen durchgeführt. In 24 Fällen wurde ein Transfer der 2. Zehe mit einem Dorsalis-pedis-Lappen gewählt. Dies ist notwendig, wenn ein zusätzlicher Hautdefekt im Bereich der ersten Fingerzwischenfalte oder des Handrückens besteht (Abb. 12.26 a–d). In Fällen von Daumen- und Fingerverlust mit Hautdefekt im Bereich der Hohlhand oder der Daumenregion (12 Fälle ) wurde eine Transplantation der 2. Zehe und ein Transfer eines an dem Hautast der Ulnararterie oberhalb des Handgelenks gestielten Lappens vorgenommen (Abb. 12.27 a–d). Ein kombinierter Transfer der 2. Zehe und des „wrap around flap“ von der Großzehe wurde in 4 Fällen (Abb. 12.28 a–h) praktiziert. Die Indikation dafür ist
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Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
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b
c
d
e
f Abb. 12.23 a–f. Transfer der 2. Zehe zur Rekonstruktion des Daumens, der „Erste Fall der Welt“. a Präoperativ. b Gewinnung der 2. Zehe. c Postoperative Funktion – Daumenstreckung.
d Postoperative Funktion – Daumenbeugung. e Greiffunktion postoperativ. f Ansicht der Hand und des Entnahmefußes postoperativ
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b Abb. 12.24 a,b. Daumenverlust (IIB-Defekt) Rekonstruktion durch einen Transfer der 2. Zehe. a Präoperativ, b postoperastiv
a
b
c
d Abb. 12.25 a–d. a Verlust der 4 Langfinger. b Präparation der 2. und 3. Zehe. c Postoperative Funktion – Streckung. d Postoperative Daumen-Finger-Opposition
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d Abb. 12.26 a–d. a Darstellung eines B-Defekts. b Transfer der zweiten Zehe mit dorsalem Fußlappen. c Postoperatives Bild. d Postoperative Funktion
a
b
c
d Abb. 12.27 a–d. a IIIB-Defekt, Planung eines Unterarmlappens versorgt durch den Hautast der A. ulnaris, der über dem Handgelenk entspringt. b Hautschnitt zur Gewinnung der
2. Zehe mit Metatarsale. c Transfer des 2. Zehen und Lappenpräparation sind komplett. d Transplantation des 2. Zehen und Lappentransfer sind vollendet
KAPITEL 12
Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
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g
h Abb. 12.28 a–h. a Ein Daumen-IIB-Defekt mit zusätzlicher Beugekontraktur des Index- und Ringfingers. Ein Hypothenarlappen wird geplant. b Planung eines von der 2. A. metacarpea dorsalis versorgten Lappens. c Die Präparation des an der 2. A. metacarpea dorsalis gestielten Lappens ist fertig. d Die Präparation eines Hypothenarlappens und der Transfer des dorsalen Lappens zum Indexfinger sind vollendet. e Auch
der Transfer des Hypothenarlappens zum Ringfinger ist vollendet. f Das postoperative Ergebnis der Daumenrekonstruktion durch den 2. Zehentransfer ist zu sehen. g Postoperative Funktion der Daumen und Fingerstreckung. Die 2 PD von Daumen, Zeige- und Ringfinger beträgt 4 mm. h Postoperative Funktion der Daumen- und Fingerbeugung und Daumen-Finger-Opposition.
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c
d
e
f Abb. 12.29 a–f. a Ein IIB-Defekt des Daumens und Defekt Typ IV von Zeige- und Mittelfinger. b Planung eines kombinierten Transfers der 2. Zehe sowie „wrap around flap“ von der Großzehe. c Autologes Knochentransplantat aus dem Hüft-
knochen für den Daumen sowie die Präparation des „wrap around flaps“ und der 2. Zehe sind vollendet. d Postoperativer Zustand. e Postoperatives Ergebnis der Daumen- und Fingerstreckung. f Postoperatives Ergebnis der Beugung
ein Verlust des Daumens und mehrerer Finger (Abb. 12.29 a–f). In 2 Fällen eines Hohlhanddefekts und Amputation des distalen Drittels des Unterarms wurde ein kombinierter Transfer der 2. und 3. Zehe und eines „wrap around flap“ von der Großzehe durchgeführt.
Bei einer Amputation im distalen Vorarmbereich wurde eine Transplantation der beiden 2. Zehen vorgenommen. Es kann so ein guter Gegengriff erreicht werden (Abb. 12.30 a–g).
KAPITEL 12
Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
519
a
b
c
d
e
f
Abb. 12.30 a–g. a Amputation im distalen Unterarmbereich. b Hauttransplantat zum Verschluss der Entnahmestellen beidseits nach Entnahme beider 2. Zehen. c Transfer der beiden Zehen zur radialen und ulnaren Seite des Unterarms. d Röntgendarstellung der Fixation der beiden Zehen zu Radius und Ulna. e Die beiden Zehen gut angeheilt, der Zustand der Entnahmestellen ist zufrieden stellend. f Postoperative Fingerstreckung. g Postoperative Fingerbeugung und Opposition
g
520
Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
12.2.4.1 Postoperative Funktion 240 Fälle dieser Serie wurden zwischen 2 und 28 Jahre (durchschnittlich 10,5 Jahre) in ihrer Funktion nachkontrolliert. Es handelte sich um 204 Wiederherstellungen des Daumens und 36 Wiederherstellungen der Finger. 171 Fälle waren einfache Transfers der 2. Zehe, 41 Fälle Transfers der 2. Zehe mit dem MT-Gelenk, und in 28 Fällen handelte es sich um einen kombinierten Transfer der 2. und 3. Zehe. Die Evaluierung der Funktion beinhaltete: 1. Sensibilität der Hand einschließlich Schmerzempfindung, Berührungsempfindung und Zweipunktediskriminierung.
KAPITEL 12
2. Beweglichkeit der Hand, vor allem der Opposition des Daumens zur Hohlhand, der Opposition des Daumens zu den Fingern und der Fingerkuppen-Hohlhand-Abstand. 3. Spendergebietmorbidität. Bei 84 Patienten wurden die subjektiven Beschwerden, vor allem Schmerzen, und die Einschätzung der Zufriedenheit des Patienten untersucht. Objektiv wurde die Deformität, der Zustand der Haut und das Laufen und Springen geprüft sowie der Gang analysiert. 4. Arbeitsfähigkeit. Die Nachuntersuchungsergebnisse sind in den Tabellen 12.4, 12.5, 12.6, 12.7, 12.8 dargestellt.
Tabelle 12.4. Sensibilität von 240 rekonstruierten Fingern Nachuntersuchungszeit (Jahre)
S0–S2
S3–S4
2 PD <10 mm
1–2
38
202
98
3–5
16
224
164
>5
4
236
216
Tabelle 12.5. Beweglichkeit von 240 rekonstruierten Fingern Nachuntersuchungszeit (Jahre)
Daumen-HohlhandOpposition
Daumen-FingerOpposition
Fingerkuppe-HohlhandAbstand 2,5–3,5 cm
1–2
144
156
102
3–5
192
202
196
>5
202
228
222
Tabelle 12.6. Arbeitsfähigkeit von 240 Fällen Nachuntersuchungszeit (Jahre)
Leichte Arbeit
Ersatzarbeit
Vorherige Arbeit
1–2
192
36
12
3–5
120
84
36
>5
72
108
60
Tabelle 12.7. Spendermorbidität in 84 Fällen (in %) 5 Jahre postoperativ Funktionelle Einbußen
Transfer der 2. Zehe
Kombinierter Transfer der 2. und 3. Zehe
Metatarsale erhalten
Metatarsale entfernt
Schmerzen
6,1
8,6
14,3
Laufen und springen
4,1
8,1
0
Hautveränderungen
6,1
8,6
14,3
Deformierung
10,2
13,1
41,7
KAPITEL 12
Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
Tabelle 12.8. Subjektive Beurteilung der Fußfunktion bei 84 Fällen (in %) 5 Jahre postoperativ Transfer der 2. Zehe
Kombinierter Transfer der 2. und 3. Zehe
91,6
85,6
Gut
6,4
8,0
Schlecht
2,0
6,4
Zufriedenstellend
12.2.5 Regeln für den Eingriff Aus der langjährigen Erfahrung lassen sich 3 Regeln für diesen Eingriff ableiten.
12.2.5.1 Regel Nr. 1 Jeden Fall sollte man als den ersten Fall ansehen. Daher ist es notwendig, auf eine sorgfältige Vorbereitung vor der Operation zu achten, alle Handlungen während der Operation genauestens durchzuführen und besonders die postoperative Kontrolle der transplantierten Zehe exakt einzuhalten. Wir sollten nicht den Erfolg eines früheren Falles als Versicherung für den nächsten nehmen. Auch sollten wir aus unseren Fehlern lernen.
•
•
12.2.5.2 Regel Nr. 2 („add up“)
•
Man kann nicht etwas für nichts bekommen. Es liegt in der Verantwortung des Chirurgen, Gewinn und Verlust abzuwägen. Der Verlust sollte so gering wie möglich gehalten und ein maximaler Gewinn erreicht werden. Das heißt, jeder Teil der Operation und jede Operation sollte zu einem positiven Ergebnis führen.
12.2.5.3 Regel Nr. 3 (Variation) Nicht jeder Fall stellt eine einfache Wiederholung dar. Unterschiede können in jedem einzelnen Fall entdeckt werden. Wenn man alle, auch die kleinsten Unterschiede in seinen Handlungen betrachtet, kann man Veränderungen erkennen und neue Wege beschreiten. So entstehen neue Theorien und neue Techniken. Dies ist auch der Fall beim Zehentransfer. Schlüssel zum Erfolg des Zehentransfers • Minimal-traumatisierende Dissektion der Zehe Während der Präparation der 2. Zehe muss der Chirurg besonders auf Gefäßvariationen achten, insbesondere auf die Blutgefäße der 2. Zehe im Bereich der Zwischenzehenfalte. Die Ver-
•
wendung eines so genannten „second set blood suply system“ hilft die Überlebensrate zu verbessern. Besonders genaue Anastomosen der Blutgefäße Das Trimmen der Adventitia, die Vermeidung übermäßiger Spannung, eine genaue Koadaption, eine geeignete Spannung und die Vermeidung von Verdrehungen und evertierenden Nähten sind die 5 wichtigsten Punkte für eine gute Gefäßanastomose. Passende Anordnung und Verbindung der korrespondierenden Strukturen Dazu gehören eine stabile Knochen- und Gelenkfixation, spannungsfreie Nervenkoadaption, geeigneter Hautverschluss und frühzeitige Bewegung der Sehnen usw. Rechtzeitiges Eingreifen bei postoperativen Blutversorgungsproblemen Die Ursache einer Durchblutungskrise ist oft schwer festzustellen. Üblicherweise ist die Thrombose der Grund für eine Durchblutungskrise in der frühen postoperativen Phase (innerhalb 24 h nach der Operation). Es ist daher notwendig, rasch zu revidieren und eine neue Anastomose der Blutgefäße vorzunehmen. Wenn eine Durchblutungsstörung in der späten postoperativen Phase (später als 48 h postoperativ) auftritt, so ist die Ursache oft ein Vasospasmus. Dieses Ereignis sollte mit Antispasmolytika und Antikoagulanzien behandelt werden. Wenn eine Durchblutungskrise festgestellt wird, so ist für den Vasospasmus ein konservatives Behandlungsschema und im Fall einer Thrombose eine chirurgische Revision die Methode der Wahl. Intensive Rehabilitation Das Ziel einer Operation ist es, einen brauchbaren und ästhetischen Finger zu rekonstru ieren. Um dies zu erreichen, sind aktive Bewegungsübungen, unterstützt durch Physiotherapie und Ergotherapie wesentlich.
521
522
Rekonstruktion von Daumen- und Fingerdefekten
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N. Pallua . D. v. Heimburg
Inhalt 13.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 13.1.1.1 Veränderungen im Alter. . . . . . . 13.1.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.2.1 Standardisierte fotographische Dokumentation. . . . . . . . . . . . . 13.1.3 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.3.1 Klassifikation nach Guerrerosantos. . . . . . . . . . . . . 13.1.3.2 Klassifikation nach Teimourian und Malekzadeh . . . . . . . . . . . . 13.1.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.4.1 Operationen bei Gewebe überschuss. . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.4.2 Operationen bei Gewebe defekten . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.1 Operationen bei Gewebeüberschuss . . . . . 13.2.1.1 Liposuktion. . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.1.2 Dermolipektomie. . . . . . . . . . . . 13.2.2 Operationen bei Gewebedefekten. . . . . . . 13.2.2.1 Augmentation nach Glicenstein im Oberarmbereich . . . . . . . . . . 13.2.2.2 Augmentation (Lipofilling) nach Coleman im Handbereich. . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
KAPITEL 13
Formkorrekturen der oberen Extremität
13.1 Allgemeines 523 523 525 526 526 527 527 527 527 527 531 531 531 531 532 536 536 536 537
Formkorrekturen an der oberen Extremität werden, im Vergleich zu formenden Eingriffen am Stamm oder der unteren Extremität, seltener durchgeführt. Neben den wiederherstellenden Eingriffen nach Verletzung ist die rein ästhetische Formung des Oberarms die häufigste Operation, seltener sind ästhetische Eingriffe am Unterarm oder an der Hand.
13.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie Am Oberarm findet sich unter der Haut und dem anhängenden subkutanen Fettgewebe eine Aponeurose, die im Schulterbereich in die Pektoralis-Deltoideus- und Axillafaszie und im Ellenbogenbereich in die Unterarmfaszie übergeht. Im Verlauf der Achse des Oberarms werden hiervon 2 tiefe Septen zum Humerus abgegeben. Diese unterteilen die Muskulatur in vordere und hintere Muskelgruppen (Abb. 13.1). Das mediale Septum ist von außen leicht als Sulcus bicipitalis medialis zu identifizieren und stellt eine Orientierungslinie dar. In der anterioren proximalen Region des Oberarms verlaufen die V. cephalica und die Nn. cutanei brachii mediales. Der N. cutaneus antebrachii medialis durchbricht die Faszie gemeinsam mit der V. basilica im distalen Oberarmdrittel. Diese Areale stellen Gefahrenpunkte bei der Operation dar (Abb. 13.2). Die erwähnten anatomischen Strukturen müssen geschont werden (s. auch unten, Komplikationen). Nach Lockwood (1991) wird das Fasziensystem des Arms • in das superfizielle Fasziensystem, welches das subkutane Fettgewebe des Arms von der Axilla zum Ellenbogengelenk umscheidet, und • in das longitudinale Faszienschlingensystem, das sich von der Klavikula (klavipektorale und axilläre Faszie) in das superfizielle Fasziensystem ausdehnt (Abb. 13.3), unterschieden.
524
Formkorrekturen der oberen Extremität
KAPITEL 13
vordere Muskelgruppe
V. cephalica
Septum
V. basilica
Septum
oberflächliche Faszie hintere Muskelgruppe
Abb. 13.1. Querschnitt durch den rechten Oberarm (von distal gesehen). Die schraffierte Fläche stellt das Ausmaß der Mobilisation bei einer Oberarmstraffung dar. Wichtige Strukturen liegen ventral bzw. dorsal davon
Die klavipektorale Faszie liegt unter dem M. pectoralis major, spannt sich zwischen Klavikula (kranial) und axillärer Faszie (kaudal) auf und umscheidet den M. pectoralis minor und M. subclavius. Sie dient als Aufhängeband für die axilläre Faszie. Das Ausmaß der Laxizität dieses longitudinalen Faszienapparates hat nach Lockwood große Bedeutung für die Oberarmerschlaffung. Es kann abgeschätzt werden, indem das laxe mediale Haut-/Fettgewebe durch die Hand des Untersuchers in Richtung Axilla verschoben wird. Am Unterarm umscheidet die oberflächliche Unterarmfaszie die Flexoren- und Extensorenmuskulatur. Darüber liegt das subkutane Fettgewebe, in dem N. cutaneus antebrachii medialis und N. cutaneus antebrachii lateralis sowie die V. cephalica und die mediane Unterarmvene, die in der Ellenbeuge in die V. basilica mündet, verlaufen.
Abb. 13.2. Epifasziale Nerven und Venen der Beugefläche des Oberarms. Haut und Fettgewebe sind entfernt, und die Faszie ist erhalten. Die schraffierten Areale stellen Gefahrenpunkte bei der Oberarmstraffung dar
KAPITEL 13
Formkorrekturen der oberen Extremität
M. sternocleidomastoideus
Klavikula klavipektorale Faszie M. subclavius
A kostokorakoide Membran
B
Abb. 13.4. Der Hoyer-Koeffizient wird definiert durch den Quotienten B/A. Während der Abstand A im Alter kontinuierlich abnimmt, kommt es zu einer Zunahme des Abstandes B. Die Strecke B kann im Alter den doppelten Wert von A erreichen. Der Humerus dient als Referenzpunkt
M. pectoralis maior axilläre Faszie
M. pectoralis minor
Abb. 13.3. Aufbau des Fasziensystems im Schultergelenkbereich. (Nach Lockwood 1995)
13.1.1.1 Veränderungen im Alter Die altersentsprechenden Veränderungen der oberen Extremität ähneln denen aller anderen Körperareale. Verschiedene Faktoren begünstigen die Alterung des Arms. Die natürliche Erschlaffung der axillären Faszie durch das Alter wird vor allem durch wechselndes Körpergewicht – Gewichtszu- und -abnahme – verstärkt. Durch den natürlichen Verlust von Muskelmasse entwickelt sich ein Missverhältnis zugunsten des Hautüberschusses. Die Zunahme des Abstands der unteren Armsilhouette vom Unterrand des Humerus im Vergleich zur Abnahme der Distanz der oberen Armsilhouette zum Humerus sind typische Veränderungen des Oberarms während des Alterungsprozesses. Dies lässt sich in der Zunahme des so genannten Hoyer-Koeffizienten ausdrücken. Der Humerus dient hierbei als nicht dem Alterungsprozess unterliegender Referenzpunkt (Abb. 13.4). Die typische Erscheinung des gealterten Oberarms ist das Durchhängen im Bereich des Trizepsmuskels. Die Erschlaffung der Weichgewebe und der Fasziensysteme wird in extremer Ausprägung als „Fledermausflügel“ bezeichnet. Dem Fasziensystem wird an der Entstehung immer mehr Bedeutung beigemessen.
Die Altersveränderungen des Ellenbogens entsprechen einer Abnahme des subkutanen Fettgewebes über dem lateralen Anteil des Ellenbogens, einer Zunahme von Hautfalten und von Pigmentierung und der Entwicklung loser Haut über den knöchernen Prominenzen. Am Unterarm treten die Altersveränderungen nicht so deutlich wie am Oberarm auf. Altersabhängig kommt es zu einer Zunahme der Laxizität. Das Alter eines Menschen erkennt man an der Hand.
Dies ist eine gängige Meinung, die durch die Regelmäßigkeit des beschriebenen Alterungsprozesses an der Hand bestätigt wird. An der Hand kommt es zunächst zu einer Verringerung und später zu einer vollkommenen Atrophie des subkutanen Fettgewebes (Intermetakarpalfettgewebe) mit zunehmender Hauterschlaffung. Die Handrückenvenen werden zunächst im Bereich der Gelenke und im höheren Alter als zusammenhängendes Venengeflecht sichtbar. Später treten auch die Sehnen sichtbar hervor. Die beschriebenen Veränderungen sind normale Alterserscheinungen, die interindividuell stark variieren können. Obwohl sie keinen krankhaften Zustand darstellen, sind sie Indikatoren des Alters und können für den Patienten sehr störend sein. Daher wenden sich immer häufiger Menschen mit dem Wunsch nach Korrekturbzw. Formungsoperationen der oberen Extremität an den Plastischen Chirurgen.
525
526
Formkorrekturen der oberen Extremität
13.1.2 Diagnostik Bei adipösen Patienten hat sich ein bariatrischen interdisziplinäres Vorgehen zusammen mit Internisten (Stoffwechseldiagnostik), Viszeralchirurgen (z. B. „gastric banding“), Diätberatern (Veränderung der Essgewohnheiten), Physiotherapeuten (Ausarbeitung eines Bewegungsprogramms) und ggf. weiteren Disziplinen bewährt. Die Aufgabe der chirurgischen Diagnostik besteht in der Erfassung lokaler Gewebeüberschüsse bzw. -defekte. Begleiterkrankungen wie z.B. leichte Hypertonie oder ein gut eingestellter Diabestes mellitus stellen keine Kontraindikationen für diese elektiven Eingriffe dar. Bei sehr adipösen Patienten ist im Hinblick auf das Operationsrisiko und mögliche postoperative Komplikationen allerdings eine ausführliche internistische Abklärung erforderlich.
KAPITEL 13
13.1.2.1 Standardisierte fotographische Dokumentation Die fotographische Dokumentation ist in der Plastischen Chirurgie ein Muss. Die Standardisierung der Aufnahmetechnik erfolgt vor einem dunklen Hintergrund in der jeweils gleichen Körperposition prä- und postoperativ. Die Standardtechnik für den Oberarm ist die Aufnahme von vorne mit horizontal elevierten Armen. Neben einer Gesamtübersicht sollte jede Seite von ventral und von dorsal fotographiert werden. In dieser Position wird die Erschlaffung am deutlichsten, und das Operationsergebnis der Oberarmstraffung läßt sich so am besten darstellen. Der horizontal abduzierte Unterarm sollte ebenfalls von ventral und von dorsal unter Einschluss des Ellenbogens und des Handgelenks aufgenommen werden. Die Hand wird frei hängend abgebildet, um die Zeichen der Atrophie darzustellen.
a
b
c
d Abb. 13.5 a–d. Klassifikation der Oberarmerschlaffung nach Teimourain und Malekzadeh. a Typ 1: Minimales bis moderates subkutanes Fettgewebe mit minimaler Hautlaxizität. Der Hautturgor ist gut und die Elastizität ausreichend. Die Elastizität kann mit dem „Pinch-Test“ überprüft werden. In diesem Ausprägungsgrad ist eine Fettgewebsreduktion der gesamten Zirkumferenz durch Liposuktion ausreichend. b Typ 2: Generalisierte Anreicherung subkutanen Fettgewebes mit moderater Hautlaxizität. In seltenen Fällen ist eine reine Fettgewebsreduktion durch Liposuktion ausreichend.
Bei vielen dieser Patienten müssen die Hautüberschüsse durch Exzision entfernt werden. c Typ 3: Generalisierte Fettsucht und ausgeprägte Hautlaxizität. Diese Patientengruppe ist für Liposuktion alleine nicht geeignet. Neben einer Fettgewebsreduktion ist eine Hautstraffung (ggf. mit Faszienaufhängung) erforderlich. d Typ 4: Minimales subkutanes Fettgewebe mit ausgeprägter Hautlaxizität. Diese Patientengruppe ist in der Regel älter im Vergleich zu den anderen Gruppen. Eine Hautstraffung mit Faszienaufhängung ist ausreichend
KAPITEL 13
Formkorrekturen der oberen Extremität
13.1.3 Klassifikation
Indikationen
Die Einteilung der Oberarmerschlaffung wird üblicherweise nach der Entstehung oder dem Ausmaß vorgenommen. Zwei Klassifikationen sind verbreitet.
Die Indikation zur Oberarmstraffung ist rein ästhetisch und ist wie bei allen körperformenden Eingriffen in der Regel dann gegeben, wenn sich eine Disproportion zwischen der lokalisierten Deformität und dem Körper des Patienten zeigt. Angrenzende Körperareale sind hierbei zu berücksichtigen. Arm und Brust werden von einigen Autoren als „brachiomammäre Einheit“ bezeichnet. Eine stattgehabte Straffung und Pexie der Brust kann dann das Missverhältnis dieser ästhetischen Einheit zu ungunsten des Oberarms deutlich machen. Eine Kombination der beiden Straffungsverfahren kann indiziert sein. Hohes Alter, Fettleibigkeit und Gewichtsschwankungen sind prädisponierende Faktoren für die Entwicklung des erschlafften und korrekturwürdigen Oberarms. Die steigende Anzahl von Brachioplastiken beruht u. a. auf der wachsenden Zahl zuvor übergewichtiger Patienten nach extremem Gewichtsverlust. Die reine Liposuktion ohne Hautentfernung (SAL) mit dünnen Absaugkanülen ist bei kontraktionsfähiger Haut (Typ 1 und eingeschränkt bei Typ 2 nach Teimourian u. Malekzadeh 1998, vgl. Abb. 13.5 a–d) indiziert. Ein Durchhängen darf hierbei nicht vorliegen, da dieses durch alleinige Liposuktion noch weiter verstärkt würde. Die frühzeitige Liposuktion der Oberarme kann bei Patienten der Kategorie Typ 1 eine spätere Straffung überflüssig machen. Bei stärker ausgeprägten Altersveränderungen wird die Dermolipektomie alleine oder in Kombination mit einer Liposuktion durchgeführt.
13.1.3.1 Klassifikation nach Guerrerosantos Guerrerosantos (1979) differenziert nach der Entstehung in Formveränderung 1. bei Fettsucht (Obesität), 2. nach extremem Gewichtsverlust und 3. Erschlaffung bei dünnen Menschen.
13.1.3.2 Klassifikation nach Teimourian und Malekzadeh Die Einteilung nach Teimourian u. Malekzadeh (1998) ist dagegen für den klinischen Gebrauch besser geeignet. Das jeweilige Ausmaß der Oberarmerschlaffung entspricht nach dem Befund und dem geeigneten Korrektureingriff einem der 4 Ausprägungsgrade (Abb. 13.5 a–d).
13.1.4 Therapie 13.1.4.1 Operationen bei Gewebeüberschuss Die ersten Korrektureingriffe des erschlafften Oberarms bestanden in der Reduktion der Haut und des subkutanen Fettgewebes. Erwähnt wurde diese Art der Brachioplastik bei allgemeiner Adipositas bereits 1930 von Thorek, allerdings ohne Beschreibung der angewandten Technik. Die ersten detaillierten Veröffentlichungen über die ästhetische Brachioplastik mit Haut-Fettgewebs-Reduktion und Straffung stammen von südamerikanischen Plastischen Chirurgen. Vergleichbar der Bedeutung der Colles-Faszien-Aufhängung am Perineum bei der medialen Oberschenkelstraffung, wurde von Lockwood (1988) auch bei der Korrektur des erschlafften Oberarms eine Bedeutung der Faszien beschrieben. Diese veränderte Sichtweise geht in die modernen Korrekturverfahren ein, die Faszien des oberflächlichen Systems zu straffen und zu verankern. Veränderungen der ursprünglich spindelförmigen Dermolipektomie durch W-Plastik, geschwungene S-Inzisionen oder den T-Verschluss sollen zusätzlich die postoperativen Ergebnisse verbessern. Die Modifikationen führen zu verbesserter Retraktion der Haut, optimierter Heilung und feineren Narben.
Prinzipien der Operationstechniken und Nachbehandlung Liposuktion. Die Liposuktion wird mit dünnen Kanülen durchgeführt. Die Anwendung der ultraschallunterstützten Liposuktion (UAL) erfordert große Erfahrung mit diesem Verfahren. Dermolipektomie.
• Anzeichnung und Schnittführung. Das Ziel aller Techniken ist die Reduktion des durchhängenden Gewebes. Dies wird erreicht durch Straffung erschlaffter Hautanteile und das Entfernen überschüssigen Fettgewebes. Die benötigte Narbe sollte möglichst unauffällig am medialen Oberarm platziert werden. Hierfür bietet sich der Verlauf des Sulcus bicipitalis medialis besonders an (Linie zwischen Mittelpunkt der Axilla und dem Epicondylus medialis). Weiter nach dorsal
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Formkorrekturen der oberen Extremität
KAPITEL 13
Abb. 13.6. Spindelförmige Exzision. Einfachste Form der Oberarmstraffung mit spindelförmiger Haut-Fett-Resektion und Platzierung der späteren Narbe im Sulcus bicipitalis
angebrachte Inzisionen sind von hinten sehr auffällig sichtbar (Abb. 13.6). Der präoperativen Anzeichnung kommt daher eine wichtige Rolle zu. Die Anzeichnung der Schnittführung erfolgt am sitzenden Patienten in der 90°-abduzierten Armstellung, die auch für die Photographie empfohlen wird, da hierbei die maximale Erschlaffung des Gewebes im Verhältnis zur „osteomuskulären Projektion“ am auffälligsten ist. Bei der Markierung empfiehlt es sich, die jeweils korrespondierenden, gegenüberliegenden Hautanteile durch quere Linien kenntlich zu machen. Dies erleichtert den exakten und symmetrischen Hautverschluss (Abb. 13.7). Eine Ausdehnung der Inzision sollte eine gerade Narbe im Bereich der Axilla vermeiden, da dadurch eine Narbenkontraktur resultieren kann. Die Narbe wird daher durch eine Z-Plastik oder eine V-förmige Inzision mit nach vorne offenem „V“ im Bereich der Axilla unterbrochen (Abb. 13.8 a,b). Bei Patienten nach massivem Gewichtsverlust kann die Notwendigkeit einer durchgehenden Schnittführung bis zur Bruststraffung notwendig sein. Zur Erhaltung der brachiomammären Einheit wird hierfür eine geschwungene Inzision empfohlen (Abb. 13.9 a–c). Die Schnittführung am Oberarm sollte im Verlauf des Sulcus bicipitalis medialis liegen. Pitanguy (1975) postuliert dagegen die Anlage einer geschwungenen („sinous“) Schnittführung gegenüber einer geraden an der Oberarminnenseite, da seiner Meinung nach die ästhetischen und funktionellen Ergebnisse besser seien.
Abb. 13.7. Inzisionen im Oberarmbereich. Die Inzisionen sollten in den Sulcus gelegt werden. Die Annahme, weiter dorsal gelegene Inzisionen seien „unsichtbar“, stimmt nicht, wie das Schema falsch angelegter Inzisionen zeigt
Im Bereich des Ellenbogens sollte bei geringem Hautüberschuss (Typ 1 und 2) diese Region nicht in die Inzision einbezogen werden. Bei ausgeprägter Hautlaxizität im distalen Oberarm kann die Methode nach Juri (s. unten) und in Einzelfällen auch eine Inzision über den Ellenbogen hinaus angelegt werden. • Narkoseform und Lagerung. In der Regel wird für diesen Eingriff eine Allgemeinnarkose gewählt. Die Lagerung der Arme sollte auf 2 sterilen Armtischen erfolgen (Abb. 13.10). • Naht und Verband. Die Naht sollte immer mehrschichtig erfolgen. Selbst nach der einfachen Vorgehensweise nach Baroudi (1975) wird dreischichtiges
KAPITEL 13
Formkorrekturen der oberen Extremität
Abb. 13.8 a,b. Schema der Narbenführung im Axillabereich. Z- bzw. V-förmige Anlage der Inzisionen bei Ausdehnung in die Axilla, um Kontrakturen zu vermeiden
B
B A
A
a
Vernähen (Subkutis, Subdermis und Dermis) empfohlen. Nach Lockwood (1988) erfolgt zusätzlich die tiefe Faszienaufhängung mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial. Drainagen müssen nach sorgfältiger Blutstillung nicht unbedingt eingelegt werden. Von einigen Autoren wird allerdings die Einlage von Drainagen mit Ausleitung in der Axilla zur Erhöhung der Sicherheit empfohlen. Nach der Operation sollte ein leicht komprimierender Verband angelegt werden. Eine Lage gewickelter Watte schützt vor einem Abdruck der oberflächlichen Kompressionswickelung. • Postoperative Maßnahmen. Lockere Kompressionsbandagen und leicht elevierte Arme für die ersten 3 Tage nach der Operation führen zu einer guten Abschwellung und sind angenehm für den Patienten. Intrakutane Fäden werden zwei bis drei Wochen belassen, und den Patienten sind anstrengende Armbe-
b
lastungen für 4 Wochen untersagt. Kompressionsbandagen reduzieren die Ausbildung überschießender Narben. • Aufklärung und Komplikationen. “‘Brachioplasty‘ should be visualized as primarily a cosmetic procedure ... this is a procedure that can put a well trained and experienced surgeon eventually in trouble.“ (Baroudi 1975) Die Brachioplastik führt unvermeidbar zu langen Narben. Hierüber muss der Patient im Aufklärungsgespräch informiert werden. Der Patient und der Plastische Chirurg sollten zwischen dem ästhetischen Gewinn durch die Brachioplastik und den verbleibenden Narben abwägen. Da es sich um einen rein ästhetischen Eingriff handelt, muss der Patient über alle Komplikationen, auch die seltenen, aufgeklärt werden (s. die folgende Übersicht).
529
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Formkorrekturen der oberen Extremität
KAPITEL 13 Abb. 13.9 a–c. Brachiomammäre Einheit nach Gonzales-Ulloa. Die so genannte „brachiomammäre Einheit“ sollte bei einer Straffung der Brust und der Oberarme beachtet werden. Die Inzisionen werden in diesem Fall durch eine geschwungene Narbe miteinander verbunden. Hierdurch ist es möglich, die Haut-Fett-Überschüsse unter Erhalt der Einheit mit gutem Ergebnis zu korrigieren
a
b
c
Abb. 13.10. Schema Operationslagerung. Lagerung des Patienten während der Operation mit horizontalem Oberkörper und ausgelagerten Armen auf steril abgedeckten Armtischen
KAPITEL 13
Die verschiedenen Komplikationen: 1. Auffällige Narben Die Narben sind das Hauptproblem der Oberarmstraffung. Die korrekte Platzierung der Narbe lässt diese weniger auffällig erscheinen. Bei auffälligen Narben wurden diese meistens fehlpositioniert. Wird die Inzision zu hoch angebracht, d. h. mehr als 2 Querfinger oberhalb des Sulcus, liegt die spätere Narbe weit anterior und ist sichtbar. 2. Konturdeformitäten, Hautunregelmäßigkeiten Insbesondere eine unregelmäßig verteilte Spannung über die Narbenlänge führt zu Konstriktionsbändern. 3. Wundheilungsstörungen Übermäßige Hautresektion, starke Spannung an den Wundrändern, traumatische Gewebsmanipulation und Hämatomentwicklung begünstigen Wundheilungsstörungen. 4. Unharmonische Übergänge am Ellenbogen bzw. an der Axilla Die geeignete Technik sollte gewählt werden. 5. Hypertrophe Narben Die Narbenreifung am Oberarm benötigt 18–24 Monate. Erst nach diesem Zeitraum ist eine feine und blasse Narbe zu erwarten. Hierüber muss der Patient aufgeklärt werden. 6. Ödem 7. Serom Die häufigste Komplikation ist eine unzureichende Straffung, Asymmetrie der verbliebenen Haut-/ Fettanteile oder der Narbe. Besonders unangenehme Spätfolgen ergeben sich nach akzidenteller Verletzung der V. basilica. Die betroffenen Patienten klagen über Ödem und persistierende Schmerzen. Die unnötige Verletzung wichtiger Lymphgefäße führt zu Ödemen und eine Schädigung der Hautnerven zu Anästhesie oder Parästhesien. Durch besondere Sorgfalt können die Venen und Lymphgefäße geschont werden. Die V. basilica und V. cephalica sollten im Verbund mit etwas umgebendem Fettgewebe, welches Lymphgefäße führt, unbeschädigt erhalten bleiben. Ein über Wochen anhaltendes Engegefühl ist dagegen normal und verschwindet nach dem ersten Monat.
Formkorrekturen der oberen Extremität
13.1.4.2 Operationen bei Gewebedefekten Die Geschichte der Augmentation der Extremitäten geht auf Entwicklungen Ende der 1970er Jahre zurück. Glicenstein (1979) entwickelte konfektionierte Wadenimplantate für Patienten nach Poliomyelitis und erzielte zufriedenstellende Resultate. Die Oberarmvergrößerung ist dagegen ein selten durchgeführter Eingriff. Mit Implantaten können jeweils M. triceps, M. biceps oder M. deltoideus augmentiert werden. Die Maße der Oberarmmuskeln lassen sich allerdings im Vergleich zum Unterschenkel durch Training vergrößern, sodass die Indikation für die augmentierende Armplastik sehr eng zu stellen ist. Weitere Indikationen können zur Augmentation des Bizeps bestehen oder nach Teilabrissen des Bizeps von Kraftsportlern verlangt werden. Als Anästhesieform wird die Intubationsnarkose bevorzugt, da die Präparation für den Patienten mitunter sehr unangenehm und schmerzhaft sein kann. Neben den allgemeinen Komplikationen wie Hämatom, Serom, Kapselkontraktur, Narbenhypertrophie, Implantatdislokation und Infektion stellen die Nervenschädigung des N. radialis am Humerus und ein mögliches Kompartmentsyndrom schwere Komplikationen dar.
13.2 Spezielle Techniken 13.2.1 Operationen bei Gewebeüberschuss 13.2.1.1 Liposuktion Die alleinige Liposuktion ist selten indiziert. Diese Patienten (Typ 1 nach Teimourian u. Malekzadeh 1998) weisen Fettgewebspolster bei straffer Haut auf. Bei dieser Patientengruppe ist häufig eine Diätberatung angezeigt. Nach erfolgreicher Gewichtsreduktion normalisiert sich die Armform, und es besteht keine Indikation zur Operation. Bei Typ 2–4 führt die alleinige Liposuktion aufgrund unzureichender Hautschrumpfung zu unbefriedigenden Resultaten. In den wenigen Fällen, die indiziert sind, sollten dünne Kanülen eingesetzt werden. Die Inzisionen werden unauffällig im Bereich der Axilla und der Ellenbeuge platziert. Die durchschnittlichen Mengen entfernten Fettgewebes liegen bei 100–200 cc. Nach der Fettabsaugung an den Oberarmen ist das kontinuierliche Tragen von Kompressionskleidung für die Dauer von 2 Monaten dringend angezeigt.
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Formkorrekturen der oberen Extremität
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13.2.1.2 Dermolipektomie Technik nach Baroudi Die von Baroudi (1975) beschriebene Vorgehensweise entspricht der einfachen spindelförmigen Dermolipektomie und Straffung. Baroudi empfiehlt die kraniale Inzision zuerst 3–4 cm oberhalb des Sulcus anzulegen und den Lappen nach kaudal abzuheben. Der untere Lappen wird über die kraniale Inzision gelegt und dann entfernt. Die Naht der zuvor spindelförmigen Exzision kommt dadurch als longitudinale Narbe im Sulcus bicipitalis medialis zu liegen. Eine Straffung der Faszien oder Aufhängung erfolgt nach dieser Technik nicht (vgl. Abb. 13.6).
a
Technik nach Juri (Vorschublappen mit „T“-Verschluss) Juri et al. (1979) favorisierten erstmals eine Aufhängung des unteren Haut-/Fettlappens im Bereich der Axilla. Sie beschrieben einen rechteckigen Vorschublappen mit einer resultierenden axillären T-Narbe. Die longitudinale Inzision kommt nach dieser Technik nicht exakt im Sulcus bicipitalis medialis zu liegen. Der distale Punkt der Anzeichnung liegt 1–2 cm über dem Epicondylus medialis des Humerus (dieser stimmt bei adipösen Menschen mit der zu korrigierenden Ptosis der Oberarmhaut überein). Diese Linie wird nach kranial bis zum Oberrand des Überschussgewebes und weiter bis zum vorderen Punkt der Axillarlinie verfolgt und schließlich zum hinteren Punkt der Axilla verlängert. Nach Juri et al. vermeidet diese Vorgehensweise den Hautüberschuss an den Ausläufern sowohl ellenbogennah als auch axillär (Abb. 13.11 a,b).
Technik nach Regnault (dreieckförmige Dermolipektomie des oberen Oberarmdrittels) Bei leichteren Formen der Oberarmerschlaffung, die vorwiegend im proximalen Drittel lokalisiert sind, kann eine Straffung lediglich im Bereich der Axilla/proximaler Oberarm vorgenommen werden. Die resultierende Narbe verläuft sternförmig und lässt sich gut verstecken (Abb. 13.12 a–f).
Technik nach Lockwood (spindelförmige Hautstraffung mit axillärer Faszienaufhängung) Das Konzept der Oberarmstraffung nach Lockwood (1988) basiert auf der Korrektur der erschlafften Fasziensysteme des Oberarms in Kombination mit Dermolipektomie. Die Technik kombiniert eine spindelförmige lon-
b
Abb. 13.11 a,b. Anzeichnung nach Juri. Es verbleibt eine T-förmige Narbe
gitudinale Hautstraffung mit Platzierung einer geraden Narbe im Sulcus bicipitalis medialis und eine ellipsenförmige vertikale Straffung in der Axilla mit Verankerung der Oberarmfaszie mit Nylonfäden der Stärke 0 an der axillären Faszie. Nach Lockwood sollte die Narbe in der Falte, die von der medialen hinteren Kante des M. biceps gebildet wird und knapp oberhalb des medialen Epicondylus des Humerus endet, zu liegen kommen. Um dies zu erreichen, empfiehlt Lockwood als fixe Linie die kraniale longitudinale Inzision 2 Querfinger oberhalb des Sulcus bicipitalis medialis zuerst anzulegen und die kaudale longitudinale Inzision während der Operation festzulegen (Abb. 13.13 a–i).
Technik nach Goddio (narbensparende spindelförmige Exzision mit Verstärkung durch deepithelialisierten Lappen) Goddio (1989) beschreibt ihre Operationstechnik als die Verstärkung der Oberarmsilhouette durch den kaudal gestielten Vorschublappen ohne Fettgewebsresektion in Fällen eines Hautüberschusses ohne Fettüberschuss. Durch die kurze Narbe sollen die Komplikationen, insbesondere Ödembildung, deutlich reduziert werden (Abb. 13.14 a–d).
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a
b
c
d
f e Abb. 13.12 a–f. Korrektur im Bereich des proximalen Oberarmdrittels nach Regnault. a Schemaanzeichnung. b Prä operativ. c Nach Anzeichnung. d Nach Dermolipektomie.
e Schema Wundschluss (es verbleibt eine sternförmige Narbe). f Postoperativ
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C A
SP AP B
a
b
c
d
e
f Abb. 13.13 a–i. Oberarmstraffung nach Lockwood. a Schema Anzeichnung. b Präoperativ. c,d Nach Anzeichnung. e Vor Dermolipektomie.
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a
g
b
h
c
i Abb. 13.13 f–i. Oberarmstraffung nach Lockwood. f Nach Straffung und Anzeichnung der Hautresektion. g Nach Wundschluss. h Haut-Subkutis-Resektate. i Postoperativ d
Abb. 13.14 a–d. Oberarmstraffung nach Goddio. Die obere Inzision erfolgt zuerst. Der untere Lappen wird deepithelisiert und zur Verstärkung unter den kranialen Lappen gelegt
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KAPITEL 13
Gonzales-Ulloa (1989) favorisierte eine Dermolipektomie. Pitanguy (1977) empfiehlt eine Straffung der Haut im Ellenbogenbereich gleichmäßig in alle Richtungen (Abb. 13.15 a,b).
13.2.2 Operationen bei Gewebedefekten 13.2.2.1 Augmentation nach Glicenstein im Oberarmbereich
a
Wadenimplantate nach Glicenstein (1979) können auch zur Augmentation des M. triceps verwendet werden. Die Implantate messen 8(–10)×4(–5)×2 cm und lassen sich über eine oberhalb des Ellenbogengelenks angelegte Inzision von 3–4 cm einbringen. Die Gelimplantate müssen tief unter die Muskulatur eingebracht werden, damit sie sich nicht abzeichnen und nicht dislozieren.
13.2.2.2 Augmentation (Lipofilling) nach Coleman im Handbereich
b
Abb. 13.15 a,b. Schema der Straffung im Ellenbogenbereich nach Pitanguy
Technik der Straffung im Ellenbogenbereich Insbesondere nach erfolgter Oberarmstraffung sind Hautüberschuss und Falten am Ellenbogen auffällig und führen beim Patienten zum Wunsch nach Korrektur. Der Erhalt der Funktion des Ellenbogengelenks ist entscheidend. Eine unauffällige Narbe und ungehinderte Bewegung sind die Voraussetzungen für ein gutes Ergebnis.
Die Reduktion überschüssiger Haut und Straffung der Handrückenhaut, die von wenigen Autoren beschrieben wurde, stellt kein geeignetes Verfahren zur Formung der Hände dar. Neben der unbefriedigenden Ergebnisse schränken Narben in diesem sensiblen Bereich die Funktion ein. Die propagierte Auffütterung des atrophierten subkutanen Fettgewebes an der Altershand kann bei Anwendung von freien Fettgewebstransplantaten in mehreren Sitzungen nach dem Coleman-Verfahren (Coleman 1995) zu guten Resultaten führen. Besondere Vorsicht ist angezeigt, um die Handrückenvenen nicht zu beschädigen und die Fettgewebspartikel in vielen Kanälen zu platzieren. Das transplantierte Fettgewebe schafft ein pralleres subkutanes Fettgewebspolster und kaschiert dadurch die durch den Alterungsprozess vermehrte Venenzeichnung. Nach der Operation kann es zu Pigmentverschiebungen kommen. In diesen Fällen ist die Behandlung mit 4%igem Hydrochinon erfolgversprechend.
KAPITEL 13
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Formkorrekturen der oberen Extremität
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R.G.H. Baumeister
Inhalt 14.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 14.1.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.3 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.3.1 Indikation. . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.3.2 Therapeutische Möglichkeiten. . . 14.1.3.3 Nachbehandlung. . . . . . . . . . . . 14.2 Spezielle Technik. . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.1 Transplantatentnahme . . . . . . . . . . . . . . 14.2.2 Transplantation zur Überbrückung der Axilla . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
KAPITEL 14
Lymphgefäßtransplantation an der oberen Extremität
14.1 Allgemeines 539 539 539 540 540 540 540 541 541 541 543
14.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie Die häufigste Form von Lympödemen in Europa tritt nach Eingriffen an der Achsel, meist im Rahmen von Mammakarzinomerkrankungen auf. Nach Schünemann u. Willich (1997) ist dabei die Inzidenz abhängig von der Art des Eingriffs und liegt zwischen 28,9% bei modifiziert radikaler Mastektomie mit Bestrahlung und 10,1% bei brusterhaltender Therapie mit Bestrahlung. Gemeinsam ist diesen Eingriffen die Unterbrechung des lymphatischen Systems an einer Engstelle, in diesem Fall den axillären Lymphbahnen und Lymphknoten. Durch diese definierte Unterbrechung besteht die Möglichkeit einer lokalen Überbrückung des Defekts. Als Interpositionsmaterial kommen im Prinzip Lymphgefäße, Venen oder artifizielle Gefäßstrukturen in Betracht. Vergleichende experimentelle Studien haben dabei eine klare Überlegenheit von autologen Lymphgefäßen ergeben (Yuwono u. Klopper 1990).
14.1.2 Diagnostik Die Diagnostik eines Lymphödems wird primär klinisch gestellt. Ein klassisches Zeichen ist das so genannte “Stemmer-Zeichen”. Hierbei lässt sich an der Rückseite der Finger nur eine verbreiterte Hautfalte abheben. Vor einer operativen Therapie sollte eine genauere und möglichst quantitative Diagnostik erfolgen. Hierfür steht die Lymphsequenzszintigraphie als gering invasive Untersuchungsmethode zur Verfügung. Benötigt man eine Aussage über periphere Lymphgefäße, kann additiv eine indirekte Lymphographie mit wasserlöslichem Kontrastmittel oder eine Magnetresonanztomographie (MRT) mit Darstellung von Lymphbahnen durchgeführt werden. Eine Darstellung des Lymphgefäßsystems mit Hilfe öliger Kontrastmittel nach Aufsuchen eines Lymphgefäßes ist nicht notwendig und sollte nicht durchgeführt werden. Die Entwicklung einer Darstellung von Lymphgefäßen mit Hilfe der MRT wird in Zukunft erweiterte diagnostische Möglichkeiten eröffnen.
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Lymphgefäßtransplantation an der oberen Extremität
14.1.3 Therapie 14.1.3.1 Indikation Vor rekonstruktiven operativen Maßnahme sollte die mögliche spontane Rückbildung eines passageren Ödems, die innerhalb von etwa 6 Monaten eintritt, abgewartet werden. Mindestens diese Zeitspanne sollte auch für eine intensive komplexe physikalische Therapie, in Form von manuellen Lymphdrainagen, entstauenden Übungen sowie einer Bestrumpfung genutzt werden. Auch ist der Abschluss einer etwaigen Bestrahlung abzuwarten, da sich die Bestrahlung auf die Transplantate in Form einer Schädigung mit perivaskulärer Fibrosierung auswirken würde (Rubin u. Casarett 1968). Da es sich bei der Lymphgefäßtransplantation um eine direkte Rekonstruktion des unterbrochenen Lymphsystems handelt, sollte, anders als es bei Resektionsmethoden angezeigt erscheint, nicht auf eine massive Ausprägung des Lymphödems gewartet werden.
Im Gegenteil sollte dem vermehrten Auftreten von Sekundärveränderungen, wie Fibrosierungen und Fettgewebszunahme, zuvorgekommen werden. Die rekonstruktive Therapieoption ist dann anzustreben, wenn die konservative Behandlung nicht zu einer stabilen Ödemreduktion führt. Es sollte sich dabei möglichst nicht um eine therapeutische Dauermaßnahme handeln. Vor einer Operation sollte die Tumorfreiheit geprüft sein. Ein Bestrahlungsfeld stellt kein Hindernis für das Einziehen von Transplantaten dar, es sei denn es handelt sich um einen massiven Strahlenschaden, der heute jedoch kaum mehr gesehen wird. Vor einer Transplantation muss zudem die Möglichkeit der Transplantatentnahme vom Oberschenkel überprüft werden. Es ist durch Anamnese und durch klinische Untersuchung nach Ödembildungen zu fahnden. Schließlich ist durch eine Lymphsequenzszintigraphie eine okkulte Lymphabflussstörung auszuschließen. Mit der gleichen Methode wird präoperativ an der betroffenen Extremität die Diagnose Lymphödem überprüft und das Ausmaß der Transportstörung erfasst.
14.1.3.2 Therapeutische Möglichkeiten Die primäre Therapieoption bei Lymphödemen stellt die konservative Therapie mit Anleitung zu entstauenden Übungen, manuellen Lymphdrainagen sowie einer anschließenden Kompression durch elastische Bandagierung und Applikation eines maßgefertigten ZweizugKompressionsstrumpfes dar.
KAPITEL 14
Hinsichtlich einer operativen Therapie ist zwischen • rekonstruktiven Maßnahmen (Lymphgefäßtransplantation), • ableitenden Maßnahmen (Anlage lymphovenöser Anastomosen) und • Resektionsoperationen am Ende der Skala der Maßnahmen zu unterscheiden. Die Lymphgefäßtransplantation stellt wegen ihres Ziels, der Wiederherstellung möglichst normaler Lymphabflussverhältnisse, eine frühzeitig einzuleitende Maßnahme dar, da bei länger bestehendem Lymphödem zunehmend Sekundärveränderungen zu erwarten sind. Nach mindestens 6-monatiger intensiver konservativer Therapie sollte deshalb die Rekonstruktion den Patienten als Möglichkeit angeboten werden. Die Anlage von lymphovenösen Anastomosen ist nach Auffassung des Autors dann zu erwägen, wenn eine direkte Rekonstruktion innerhalb des Lymphgefäßsystems nicht möglich ist, da bei der Verbindung in das Venensystem entgegengesetzte Druckverhältnisse sowie eine erhöhte Thrombosierungsgefahr zu beachten sind. Resektionsmethoden stehen am Ende der therapeutischen Skala und kommen als „ultima ratio“ zur Anwendung, falls sekundäre Veränderungen dazu nötigen.
14.1.3.3 Nachbehandlung Zur Verbesserung des Lymphstroms erhält der Patient am Ende der Operation 500 ml niedermolekulares Dextran bzw. HÄS 6%. Für etwa 5 Tage werden die Infusionen mit 250 ml pro Tag weitergeführt. Nach einer Antibiotikagabe (Cephalosporine), zunächst parenteral, dann peroral während des stationären Aufenthalts wird eine Erysipelprophylaxe in Form eines Langzeitpenicillins für ein halbes Jahr fortgeführt. Die präoperativ bereits durchgeführte Bestrumpfung wird mit dem reduzierten Umfang entsprechend neu angepassten Armstrümpfen zunächst in der Regel für ein halbes Jahr weitergeführt. Danach wird der Gummistrumpf abtrainiert. Nachdem bei einer anfänglichen Vergleichsserie von jeweils 10 Patienten kein Unterschied zwischen den Gruppen mit und ohne manueller Lymphdrainage gesehen wurde, wird diese zunächst nicht mehr durchgeführt. Nur bei einer bleibenden lokalen oder diffusen Ödematisierung wird diese nach 6 Monaten wieder aufgenommen. Generell werden die Patienten aufgefordert, mit ihrem Arm alle Tätigkeiten, die sie wünschen, wieder zur verrichten, jedoch darauf zu achten, wie sich dies auf den Arm auswirkt und danach bei einer Verschlechterung die entsprechenden Tätigkeiten zu meiden oder, falls nicht möglich, zumindest zu vermindern.
KAPITEL 14
14.2 Spezielle Technik 14.2.1 Transplantatentnahme An der Innenseite des Oberschenkels verlaufen im ventromedialen Lymphgefäßbündel bis zu 16 Lymphbahnen (Abb. 14.1). Zwischen den Engstellen an der Innenseite des Knies und der Leiste werden etwa 2–3 Kollektoren entfernt, wobei die benachbarten Lymphbahnen die Transportleistung problemlos übernehmen können. Auf diese Weise gewinnt man, abhängig von der Länge des Oberschenkels, Transplantate bis zu einer Länge von etwa 30 cm. Häufig finden sich am peripheren Ende der Transplantate Seitenäste. Diese können mit entnommen werden und erlauben dadurch die Anastomosierung mit einer größeren Anzahl peripherer Lymphbahnen als es der Zahl der entnommenen Kollektoren entspricht. Seitenäste, die im mittleren Abschnitt der Transplantate abgehen, werden durch bipolare Koagulation oder feine Ligaturen versorgt. Anhängende größere Fettbürzel werden soweit vorsichtig von den Gefäßen entfernt, dass sie während des späteren Durchzugmanövers nicht hinderlich sind. Zentral werden die Transplantate unterhalb ihrer Einmündung in die inguinalen Lymphknoten abgesetzt und mit einem lang gelassenen 6/0-Faden verschlossen. Distal werden sie offen gelassen. Die Lumina der Stümpfe der belassenen Gefäße werden entweder durch bipolare Elektrokoagulation oder durch feine Ligatur verschlossen. An den lang gelassenen zentralen Ligaturen werden die Transplantate später orthograd in Position gezogen. ! Die Transplantate drohen leicht auszutrocknen, deshalb ist eine regelmäßige Befeuchtung mit Ringerlösung notwendig.
Für eine zwischenzeitliche Lagerung werden sie in ein gut befeuchtetes Tuch eingewickelt. Abb. 14.1. Entnahme von 2–3 Lymphgefäßtransplantaten aus dem ventromedialen Bündel am Oberschenkel, in dem bis zu 16 Lymphbahnen verlaufen
Lymphgefäßtransplantation an der oberen Extremität
14.2.2 Transplantation zur Überbrückung der Axilla Bei Lymphbahnunterbrechungen in der Achsel wird distal der Achsel im nicht voroperierten Gebiet eine oberflächliche quere Hautinzision im Bereich der Gefäß-Nerven-Bündel an der Innenseite des Oberarms durchgeführt. Die weitere Präparation erfolgt stumpf unter dem Operationsmikroskop. Die Lymphbahnen können dabei als milchig erscheinende zarte Strukturen von den silbrig glänzenden, z. T. mit Querstreifen versetzten kleinen Nerven, den zentral bläulich durchscheinenden kleinen Venen und den flachen, zerfaserbaren Bindegewebssträngen unterschieden werden. Endgültige Klarheit erhält man nach Durchtrennung der entsprechenden Struktur. Hierbei sollte ein zentrales Lumen erkennbar sein. Bei lange bestehenden Lymphödemen mit einer fortgeschrittenen Fibrosierung auch der Lymphgefäße sind diese unter Umständen nur noch als Spalt erkennbar. Da im Ödem Farbstoffe schlecht transportiert werden und sich hauptsächlich über Hautlymphkapillaren ausbreiten, wird auf eine Farbstoffinjektion am Arm verzichtet. Zum Auffinden der zentralen Anschlussgefäße am Hals kann jedoch eine Farbstoffinjektion hinter dem Ohr und im behaarten Schläfenbereich nützlich sein. Für die zentrale lympholymphatische Anschlussmöglichkeit wird etwa 2–3 cm oberhalb der Klavikula am Hinterrand des M. sternocleidomastoideus quer inzidiert (Abb. 14.2). Unter dem Muskel, lateral der V. jugularis interna finden sich im Fettgewebe zartwandige, vom Kopf zum Venenwinkel absteigende Lymphbahnen sowie kleine Lymphknoten. Durch die vorangegangene retroaurikuläre subdermale Patentblauinjektion kommt es zur Blaufärbung von Lymphbahnen, sodass diese sich leichter identifizieren lassen. Zwischen den beiden Inzisionen am Oberarm und am Hals wird im subkutanen Fettgewebe ein auf die entsprechende Länge zugeschnittener großkalibriger RedonSchlauch, in den zuvor ein dicker Faden eingebracht wor-
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Lymphgefäßtransplantation an der oberen Extremität
KAPITEL 14 Abb. 14.2. Lymphgefäßtransplantate zur Überbrückung eines Defekts in der Achsel mit lympholymphatischen Anastomosen am Oberarm und am Hals. Lage der Transplantate im Subkutangewebe nach Tunellierung
Abb. 14.3. 50-jährige Patientin, sekundäres Armlymphödem rechts nach Axilladissektion
Abb. 14.4. 9 Monate nach Lymphgefäßtransplantation. Das die Patientin stigmatisierende Handödem ist verschwunden
KAPITEL 14
den war, eingezogen. An den Inzisionen wird zunächst vorsichtig mit einem Pean der Beginn und das Ende des Kanals gebildet. Eine gebogene Kornzange wird nun vorgeschoben und beim Zurückziehen der gefasste RedonSchlauch eingezogen. Der innen liegende dicke Faden wird nun peripher mit den lang gelassenen zentralen Ligaturen der Transplantate verknüpft und die Transplantate auf diese Weise von peripher nach zentral in den zuvor gut befeuchteten Redon-Schlauch eingezogen. Wenn die zentralen Abschnitte der Transplantate in genügender Länge in der Halswunde erscheinen, werden sie am Faden gefasst und der Redon-Schlauch nach peripher zurückgezogen. Nun liegen die Transplantate spannungsfrei im Subkutangewebe, bereit zur Anastomosierung. Hierfür werden unter die Gefäße dunkelgrüne kleine Kunststofffolien geschoben, um die zarten Gefäße vor dem dunklen Hintergrund besser sichtbar zu machen. Die lympholymphatische Anastomosierung am Oberarm und am Hals erfolgt unter maximaler Vergrößerung des Operationsmikroskops in der so genannten zugfreien Anastomosierungstechnik (s. Plastische Chirurgie, Bd. I, Kap. 13) peripher zumeist End-zu-End, zentral unter Umständen auch End-zu-Seit (Abb. 14.3, 14.4).
Lymphgefäßtransplantation an der oberen Extremität
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W. Schneider . O. Frerichs
Inhalt 15.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 15.1.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.3 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.4.1 Differenzialtherapie. . . . . . . . . . Rekonstruktive Möglichkeiten im Oberschenkelbereich. . . . . . . Rekonstruktive Möglichkeiten im Knie und Unterschenkelbereich. . . 15.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.1 Hauttransplantation. . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.2 Expander. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.3 Gestielte Lappenplastiken . . . . . . . . . . . . 15.2.3.1 Verschiebe-/Schwenklappen plastiken . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.3.2 Gestielte (Insel-) Lappenplastiken. Tensor-fasciae-latae-Lappen. . . . . “Anterior lateral thigh (ALT) flap“ . . Grazilislappen. . . . . . . . . . . . . . Biceps-femoris-Lappen. . . . . . . . Medialer Gastrocnemiuslappen. . . Soleuslappen . . . . . . . . . . . . . . Distal gestielter Suralislappen. . . . 15.2.4 Freie mikrochirurgische Lappenplastiken . . 15.2.4.1 M. latissimus dorsi. . . . . . . . . . . 15.2.4.2 A.-radialis-Lappen . . . . . . . . . . . 15.2.4.3 Skapula- und Paraskapulalappen. . 15.2.4.4 Lateraler Oberarmlappen. . . . . . . 15.2.4.5 Grazilislappen . . . . . . . . . . . . . . 15.2.4.6 M.-rectus-abdominis-Lappen. . . . 15.2.4.7 Perforatorlappen . . . . . . . . . . . . 15.2.4.8 Fibula. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
KAPITEL 15
Weichteil- und WeichteilKnochen-Defekte im Oberund Unterschenkelbereich
15.1 Allgemeines 545 545 549 549 554 555 555 557 563 563 564 565 565 565 565 566 566 566 567 568 568 568 568 568 571 571 571 571 573 573 574
Traumatische Weichteildefekte an der unteren Extremität machen einen Großteil der Fälle in der rekonstruktiven Chirurgie aus. Die vergleichsweise schlechte Durchblutungssituation und der dünne und schlecht verschiebliche Weichteilmantel des Unterschenkels haben eine Rekonstruktion früher erheblich erschwert. Diese Umstände verhinderten ein radikales Débridement und führten so häufig zu verzögerten Heilungsverläufen und sekundären Komplikationen. Erst durch die Entwicklung mikrochirurgischer Techniken ist in vielen Fällen eine Erhaltung von amputationsbedrohten Extremitäten möglich geworden.
15.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie Für rekonstruktive Maßnahmen an der unteren Extremität ist die exakte Kenntnis der anatomischen Lagebeziehungen eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche chirurgische Therapie. Die Lage und Funktion der einzelnen Muskeln und ihre Gruppierung zu Synergisten und Antagonisten ist entscheidend für das Verständnis der Funktion des Beines (Abb. 15.1 a–d). Wichtig sind diese Parameter für die Einschätzung der Hebemorbidität bei Muskellappenplastiken und der Notwendigkeit von Ersatzplastiken. Die Größe der Muskeln, ihre Gefäßversorgung und das über Perforatoren versorgte Hautareal sind entscheidend zur Planung einer Defektdeckung. Besonderes Augenmerk verdient der Gefäßverlauf am Ober- und Unterschenkel (Abb. 15.2 a). Prinzipiell ist mikrochirurgisch überall dort ein Anschluss möglich, wo ein guter arterieller Strom und venöser Anschluss vorhanden ist, eine technisch sichere mikrochirurgische Anastomose möglich ist und keine Fließbehinderung bei Bewegung vorliegt. Am Oberschenkel erfolgen Gefäßanschlüsse häufig End-zu-Seit an die A. femoralis im proximalen Anteil. Im Bereich des Adduktorenkanals ist der Gefäßanschluss aufgrund der tiefen, intramuskulären Lage erschwert. Bei der Anastomose muss auf einen nach proximal spitzen Winkel zwischen Anschluss- und Lap-
546
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
KAPITEL 15
M. obliquus abdominis externus
M. iliacus
Spina iliaca ant.sup.
M. psoas
M. tensor fasciae latae M. iliopsoas
M. erector spinae
Crista iliaca
Spina iliaca post.sup.
M. sartorius
M. tensor fasciae latae
M. pectineus M. gluteus maximus M. adductor longus M. rectus femoris M. gracilis M. gracilis
M. adductor magnus
M. vastus medialis
Tractus iliotibialis (et M. vastus lateralis) M. semimembranosus
M. bicipitis femoris Caput longum
M. semitendinosus
Epicondylus lateralis femoris.
Patella Epicondylus medialis femoris.
Condylus lateralis tibiae
Condylus medialis tibiae
Caput fibulae
Tuberositas tibiae
Caput breve M. sartorius
M. plantaris Caput fibulae
Pes anserinus superficialis
Margo anterior tibiae
M. peroneus longus
Facies medialis tibiae
Caput laterale m. gastrocnemii
Caput mediale m. gastrocnemii
Caput mediale m. gastrocnemii
M. tibialis anterior.
M. peroneus brevis M. extensor digitorum longus
M. soleus
a
Tendo calcaneus M. peroneus longus
M. flexor digitorum longus
M. peroneus brevis
M. extensor hallucis longus Retinaculum mm. extensorum superius Malleolus lateralis Retinaculum mm. extensorum inferius M. extensor digitorum brevis
M. soleus
M. flexor digitorum longus Malleolus medialis M. extensor hallucis brevis Mm. interossei dorsales
M. flexor hallucis longus
M. tibialis posterior.
Retinaculum mm. peroneorum superiorus
Retinaculum mm. flexorum (Lig. laciniatum)
M. abductor digiti minimi Aponeurosis plantaris
b
Abb. 15.1 a–d. Muskeln und Sehnen im Oberschenkel-, Knie- und Unterschenkelbereich. a Ansicht von ventral, b Ansicht von dorsal
KAPITEL 15
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
547
M. latissimus dorsi Fascia thoracolumbalis Crista iliaca M. gluteus medius M. gluteus maximus
M. obliquus abdominis externus Spina iliaca anterior sup.
M. tensor fasciae latae
Trochanter major
M. psoas major
M. piriformis
Spina iliaca anterior sup. Lig. inguinale M. obturatorius internus
M. adductor longus
Lig. sacrospinale Lig. sacrotuberale Tuber ischiadicum M. adductor magnus
Sitzhalfter Tractus iliotibialis
M. sartorius
M. gracilis
M. rectus femoris M. semitendinosus
M. vastus lateralis M. semitendinosus
M. bicipitis femoris Caput longum
M. vastus medialis M. rectus femoris
Pars epicondylica m. adductoris magni
Caput breve M. semimembranosus Caput fibulae Caput laterale m. gastrocnemii
M. semimembranosus
Patella
Condylus medialis femoris
Patella Condylus medialis tibiae
Condylus lateralis tibiae Tuberositas tibiae
Tuberositas tibiae
M. tibialis anterior
M. soleus
Pes anserinus superficialis
Caput mediale m. gastrocnemii
M. tibialis anterior. M. soleus M. peroneus longus M. peroneus brevis Tendo calcaneus (Achillis) Retinaculum mm. peroneorum superius
M. extensor digitorum longus
Tendo plantaris
M. extensor hallucis longus
Tendo calcaneus (Achillis)
Retinaculum mm.extensorum superius Retinaculum mm.extensorum inferius M. extensor digitorum brevis M. peroneus tertius
inferius
Retinaculum mm. extensorum Tendo m. extensoris hallucis longi M. abductor hallucis
M. flexor hallucis longus Tendo m. flexoris digitor. long. Malleolus medialis Retinaculum mm. flexorum Tuberositas ossis navicularis
M. abductor digiti minimi
c
M. flexor digiti minimi brevis Tuberositas ossis metatarsalis V
d
Abb. 15.1 a–d. Muskeln und Sehnen im Oberschenkel-, Knie- und Unterschenkelbereich. c Ansicht von lateral, d Ansicht von medial
548
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
KAPITEL 15
Aorta abdominalis
A. iliaca externa
Th12
A. iliaca communis
L1
A.circumflexa ilium profunda
L3 L4 L5 S1
A. glutea sup. A. glutea inf.
A. femoralis
A. pudena externa A.obturatoria R.anterior R. posterior
A. profunda femoris A. perforans (prima)
A.circumflexa femoris medialis
R. cutaneus lateralis N. ilioinguinalis N. cutaneus femoris lateralis
S2 S3
A. pudena interna A.circumflexa femoris lateralis R. ascendens R. descendens
N. iliohypogastricus
L2
A. iliaca interna
N. gluteus superior
R.femoralis R.genitalis
N. gluteus inferior
N. femoralis N.obturatorius
Nn. clunium inferiores
R.anterior R.posterior
N. cutaneus femoris posterior
A. perforans (secunda)
N. ischiadicus
A. perforans (tertia)
A. genus descendens
A. genus superior medialis
A. poplitea
Aa. surales Rete articulare genus
A. genus inferior medialis
N. peroneus communis N. peroneus profundus
A. tibialis anterior A. tibialis posterior
N. saphenus
N. peroneus superficialis
R. infrapatellaris
N. cutaneus surae lateralis N. tibialis
a
b
Abb. 15.2 a,b. Gefäß-Nerven-Stämme im Oberschenkel-, Knie- undN.Unterschenkelbereich. a Gefäßstämme: Ansicht von vencutaneus A. peronea surae medialis tral. b Nervenstämme: Ansicht von lateral A. dorsalis pedis
A. plantaris lateralis
A. plantaris medialis A. arcuata
A. digitales propriae
A. metatarseae dorsales
N.suralis
N. cutaneus dorsalis medialis N. cutaneus dorsalis intermedius N. cutaneus dorsalis lateralis
N. plantaris medialis N. plantaris lateralis
N. digitalis dorsalis hallucis lateralis et digiti secundi medialis
KAPITEL 15
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
pengefäßes geachtet werden, um einen Blutfluss in das Lappengefäß zu gewährleisten. Gestielte Muskellappen werden zum Großteil von Ästen der A. profunda femoris versorgt (z. B. Mm. gracilis, biceps femoris, rectus femoris, tensor fasciae latae). Am Unterschenkel ist das wichtigste Gefäß für mikrochirurgische Techniken die A. tibialis posterior. Sie eignet sich bei Gefäßgesunden im gesamten Verlauf für End-zu-SeitAnastomosen. Die A. tibialis anterior und die A. fibularis eignen sich im mittleren und vor allem im distalen Drittel des Unterschenkels aufgrund ihrer Größe und ihrer Lage nur bedingt für einen Gefäßanschluss. Freie Lappenplastiken im mittleren und distalen Drittel werden daher häufig über einen langen Gefäßstiel oder Interponate im proximalen Drittel angeschlossen.
Erhaltung der Extremität. Hier muss bei starken Einschränkungen bedacht werden, ob eine Amputation und prothetische Versorgung nicht ein funktionell besseres Ergebnis erbringen könnte. Bei chronischen Knocheninfekten können die Schnittbilddiagnostik und eine Szintigraphie Auskunft über das zu erwartende Resektionsausmaß geben. Sind Nerven betroffen, so sollte präoperativ eine elektrophysiologische Diagnostik erfolgen. Bei malignen Tumoren muss eine Metastasierung abgeklärt und entschieden werden, ob in gleicher Sitzung eine Lymphknotendissektion durchgeführt wird.
Präoperativ sollte durch eine Angiographie die arterielle Versorgung des Fußes untersucht werden, um eine eventuelle Schädigung des hauptversorgenden Gefäßes durch die Anastomose zu vermeiden.
Defekte im Ober- und Unterschenkelbereich können nach ihrer Ätiologie eingeteilt werden in:
Die V. saphena magna kann als Interponat zur Überbrückung von arteriellen Defekten genutzt werden. Bei thrombosierten tiefen Venen kann der venöse Anschluss von freien Lappen auch an das oberflächliche Venensystem erfolgen. Die Anatomie und Funktion der Nerven (Abb. 15.2 b) ist entscheidend für die primäre Rekonstruktion, die sekundäre Rekonstruktion durch Transplantation und zum Anschluss von freien funktionellen Ersatzplastiken. Am Oberschenkel eignen sich die motorischen Äste des N. femoralis z. B. zur Koaptation bei einer freien funktionellen Rekonstruktion der Kniegelenkstrecker. Am Unterschenkel ist der N. fibularis aufgrund seiner exponierten Lage am Fibulaköpfchen am häufigsten geschädigt. Der N. suralis ist der wichtigste Spendernerv zur Nerventransplantation.
15.1.2 Diagnostik Zur Therapieplanung gehört bereits bei der Erstkonsultation eine genaue Anamnese und sorgfältige Befunderhebung. Besonderes Augenmerk ist hierbei auf die Faktoren zu richten, die eine Rekonstruktion beeinflussen können. Am Unterschenkel treten Durchblutungsstörungen mit einer hohen Prävalenz auf. Makro- und Mikroangiopathien aufgrund von Vorerkrankungen können die Komplikationsrate einer Lappenplastik deutlich erhöhen. Aus diesem Grund sollte ein Pulsstatus mit Dopplersonographie dokumentiert werden und bei elektiven Eingriffen in Zweifelsfällen eine digitale Subtraktionsangiographie (DSA) durchgeführt werden. Weiterhin sind die Gelenkbeweglichkeit und die Sensibilität des Fußes entscheidend für die Indikation zur
15.1.3 Klassifikation
• • • • •
posttraumatische Defekte, Defekte nach Malignomen, Defekte bei Gefäßerkrankungen, chronische Defekte bei Osteomyelitis und Sonstige.
Traumatische Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte entstehen in Mitteleuropa am häufigsten durch Verkehrsunfälle. Bei diesen Hochrasanzunfällen liegen – vor allem im Unterschenkelbereich – häufig offene Knochenbrüche vor. Quetschzonen erfordern ein radikales Débridement und erzeugen Weichteildefekte mit freiliegendem Knochen. Eine frühzeitige Defektdeckung durch gut durchblutetes Gewebe ist entscheidend für die Knochenheilung und in der Lage, Spätkomplikationen, wie Knocheninfekte, zu vermindern. Godina konnte 1986 zeigen, dass die Komplikationsrate bei einer primären oder spätprimären Defektdeckung innerhalb von 72 Stunden geringer ist als bei einer sekundären Operation. Dies entspricht der „urgence différée“ nach Iselin. Erst nach einem Zeitraum von wenigen Monaten sinkt die Komplikationsrate erneut, erreicht jedoch nicht das Niveau der frühen Versorgung. Der ideale Zeitpunkt muss aber für jeden Patienten individuell entschieden werden. Bei schwerverletzten, polytraumatisierten Patienten sollten z. B. zunächst die vital bedrohlichen Verletzungen therapiert werden, und ausgedehnte Weichteilrekonstruktionen können so häufig erst sekundär durchgeführt werden. Bei ausgedehnten Quetschverletzungen ist eine Defektdeckung ggf. erst nach der Demarkation nekrotischer Weichteile sinnvoll. Amputationsverletzungen der unteren Extremität gehen häufig mit ausgedehnten Nekrosezonen einher. Dies ist beim Débridement vor der Replantation zu berücksichtigen. Bei Replantationen ist daher manchmal eine sekundäre Defektdeckung notwendig (Abb. 15.3 a–c).
549
550
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
KAPITEL 15
Aus diesem Grund sollten bereits bei der Replantation mögliche Anschlussgefäße für einen freien Lappen bedacht und rekonstruiert werden. Bei der Defektdeckung können dann ggf. gleichzeitig Ersatzplastiken und Nervenrekonstruktionen erfolgen. Eine Defektdeckung kann weiterhin nach Verbrennungen notwendig werden. Bei tief drittgradigen Verbrennungen können Knochen oder andere funktionelle Strukturen freiliegen, die eine rekonstruktive Maßnahme erfordern. Gelenkkontrakturen müssen durch eine frühzeitige Defektdeckung mit adäquaten Weichteilen vermieden werden. Im Oberschenkelbereich treten etwa 60% aller Extremitätentumoren auf. Eine exakte klinische und bildgebende Diagnostik erlaubt bereits präoperativ eine Beurteilung über das Resektionsausmaß und notwendige Lappenplastiken. Ziel der Defektdeckung ist die Ermöglichung einer radikalen Resektion und einer frühzeitigen adjuvanten Therapie oder Rehabilitation. Nur durch eine Defektdeckung mit stabilen Wundverhältnissen kann eine komplikationsarme Strahlentherapie schnellstmöglich durchgeführt werden. Bei der Tumorresektion muss die spätere Defektdeckung bedacht und Zugangswege sowie Resektionsgrenzen entsprechend gewählt werden. Soweit es nach onkologischen Kriterien möglich ist, sollten die großen Gefäße für eine Lappenplastik erhalten werden. Entstehen durch die Resektion entscheidende Funktionsverluste, ist bei der Defektdeckung an eine gleichzeitige Ersatzplastik oder Nerventransplantation zu denken. Eine einzeitige Versorgung verkürzt die Rehabilitation erheblich und sollte bei sicherer R0-Resektion immer angestrebt werden. Eine maligne Entartung kann auch bei chronischen Wundheilungsstörungen in 7% vorkommen. In diesen Fällen ist aus tumorchirurgischer Sicht häufig nur eine Defektdeckung durch mikrochirurgische Techniken sinnvoll, um radikal resezieren zu können (Abb. 15.4 a–b). Die häufigsten Ursachen für chronische Ulzeration am Unterschenkel sind:
a
b
• Diabetes mellitus, • chronisch venöse Insuffizienz und • eine periphere arterielle Verschlusskrankheit.
c Abb. 15.3 a–c. Subtotale Unterschenkelamputation. a Klinisches Bild präoperativ. b Klinisches Bild intraoperativ nach Débridement und Fixateure externe. c Klinisches Bild: Zustand nach spätprimärer Defektdeckung mit freiem M.-latissimusdorsi-Lappen
Die Erkennung und Behandlung der verursachenden Grundkrankheit ist entscheidend für eine erfolgreiche Erhaltung der amputationsbedrohten Extremität. Bei Gefäßerkrankungen sollten zunächst eine gefäßchirurgische oder phlebologische Diagnostik und Therapie erfolgen, um eine sinnvolle rekonstruktive Maßnahme zu ermöglichen. Spalthauttransplantationen stellen für die Patienten die am wenigsten belastenden Eingriffe dar. Sie gehen aber mit Heilungsstörungen und einer Rezidivrate einher, da das umliegende Gewebe weiterhin durchblutungsgestört ist. Randomisierte Lappenplastiken sind in
KAPITEL 15
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
551
Abb. 15.4 a,b. Chronisches Ulkus im distalen Unterschenkelbereich. a Klinischer Aspekt präoperativ (intraoperative Schnellschnittdiagnose: Plattenepithelkarzinom). b Klinischer Aspekt postoperativ (Resektion im Gesunden mit Sicherheitsabstand und Defektdeckung durch freien lateralen Oberarmlappen)
b
a
a, b
c Abb. 15.5 a–c. Chronische Osteomyelitis der Tibia. a Klinisches Bild präoperativ. b Klinisches Bild intraoperativ nach radikalem
Débridement. c Klinisches Bild postoperativ nach Defektdeckung durch freien M.-latissimus-dorsi-Lappen und Spalthaut
dieser Patientengruppe, vor allem am distalen Unterschenkel, im Vergleich zu Gefäßgesunden komplikationsreich. Nach Maßnahmen zur Verbesserung der Durchblutungssituation sind die Erfolgsaussichten für Lappenplastiken deutlich gesteigert. Mikrochirurgische Lappen sind teilweise erst nach oder gleichzeitig mit Bypass-Operationen möglich. Die Indikation zu aufwän-
digeren rekonstruktiven Operationen ist sorgfältig abzuwägen.
! Aufgrund der in dieser Patientengruppe häufig vorlie-
genden multiplen Nebenerkrankungen besteht ein größeres allgemeines Operationsrisiko, und die Komplikations- und Rezidivrate ist ebenfalls erhöht.
552
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
KAPITEL 15 Abb. 15.6 a–e. Posttraumatischer Defekt an Knie und proximaler Tibia. a Klinisches Bild präoperativ. b,c Schema 1, 2
a
A. femoralis
A. femoralis
V. femoralis
V. femoralis
AV Shunt
A. V. thoracodorsalis
Latissimus dorsiLappen
Defekt
b
c
KAPITEL 15
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
d Abb. 15.6 a–e. Posttraumatischer Defekt an Knie und proximaler Tibia. d Klinisches Bild: Bei traumatisierter distaler A. femoralis Anlegen eines Saphenainterponates als Shunt zwischen proximaler Arterie und Vene. Durchtrennung des Shunts und Anschluss eines freien M.-latissimus-dorsi-Lappens. e Klinisches Bild postoperativ nach Spalthautdeckung des Muskels
e
b
a
c
d Abb. 15.7 a–d. Pseudarthrose des Femurs mit chronischer Osteomyelitis. a Röntgenaufnahme. b 1. Schritt: Débridement und Defektdeckung mit gestieltem M. vastus lateralis.
c 2. Schritt: knöcherne Stabilisierung mit freiem microvaskulärem Fibulatransplantat in den Femur hinein. d Röntgenaufnahme 2 Jahre postoperativ
553
554
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
Die Patienten müssen sich über das im Vergleich zur Amputation kompliziertere Verfahren und größere Risiko klar sein. Sekundäre Amputationen innerhalb weniger Jahre sind z. B. in der Patientengruppe mit arterieller Verschlusskrankheit in 10–30% der Fälle notwendig. Bei chronischer Niereninsuffizienz liegt diese Rate sogar noch höher. Eine Osteomyelitis ist eine chronische Erkrankung, die ohne radikales Débridement nicht heilbar ist. Die Resektion des Infektes muss weit im gesunden Gewebe erfolgen, um ein Rezidiv zu vermeiden. Um so radikal débridieren zu können, sollte eine sichere Defektdeckung durch gut durchblutetes Muskelgewebe möglich sein. Chang u. Mathes (1982) zeigten im Tierexperiment, dass Muskellappen im Vergleich zu randomisierten Lappen einen positiveren Einfluss auf Infekte haben. An der Tibia, vor allem im mittleren und distalen Drittel, erfordert dies häufig freie mikrovaskuläre Muskeltransplantate (Abb. 15.5 a–c). Die chronische Entzündung führt häufig zu Veränderungen der Empfängergefäße mit vermehrter Sklerose und gestörten Durchblutungsverhältnissen. Daher muss teilweise ein Lappenanschluss über Gefäßinterponate (Abb. 15.6 a–e) in pathologisch nicht veränderten Bereichen erfolgen. Bei ausgeprägten Entzündungen ist ggf. eine vollständige Knochenresektion erforderlich. Bei einem zweizeitigen Vorgehen muss zunächst der Infekt reseziert und der Defekt durch einen Muskellappen gedeckt werden (Abb. 15.7 a–d). Nach einer Stabilisierung durch einen Fixateur externe und reizloser Abheilung kann dann eine sekundäre Knochenrekonstruktion durch eine freie mikrovaskuläre Fibulatransplantation erfolgen. Ist dies nicht möglich, muss eine Knochenverkürzung und sekundäre Rekonstruktion durch Kallusdistraktion durchgeführt werden. Neben dem radikalen Débridement ist eine abstrichgerechte Langzeitantibiose mit knochengängigen Antibiotika Grundlage für einen Therapieerfolg.
15.1.4 Therapie Der ideale Zeitpunkt der Defektdeckung muss individuell entschieden werden. Bei frischen Verletzungen sollten freie Lappen nur dann bei der Primärversorgung angewandt werden, wenn wichtige funktionelle Strukturen durch Exposition in ihrer Erhaltung bedroht sind. Optimale technische und personelle Bedingungen sind hierfür jedoch Voraussetzung. In allen anderen Fällen sollte eine Defektdeckung als optimal vorbereiteter Elektiveingriff so frühzeitig wie möglich erfolgen. Die Art der Defektdeckung wird nach der klassischen rekonstruktiven Therapieleiter (Tabelle 15.1) entschie-
KAPITEL 15 Tabelle 15.1. Auswahl der Lappen für die untere Extremität und deren Wertigkeit 1.
Spalthaut und Vollhaut
2.
Fasziokutaner Lappen
3.
Myokutaner Lappen
4.
Muskeltransposition + Spalthaut
5.
Mikrovaskuläre Lappentransplantation
6.
Mikrovaskuläre Gewebetransplantation – fasziokutan, myokutan – kombiniert
7.
Perforatorlappen
den. Es ist dabei wichtig, bereits vor der Operation die Möglichkeiten für Rückzugsverfahren zu bedenken und mit dem Patienten zu besprechen. Es soll immer der Eingriff gewählt werden, der die besten Erfolgsaussichten bei der geringsten Belastung für den Patienten hat. Die früher häufiger durchgeführte gestielte Kreuzlappenplastik vom kontralateralen Bein sollte wegen der starken Beeinträchtigung des Patienten daher nur noch als Rückzugsverfahren durchgeführt werden. Dieses Verfahren kann in Ausnahmefällen sogar durch den Anschluss einer freien Lappenplastik an das kontralaterale Bein durchgeführt werden. Eine schnelle Rehabilitation des Patienten bei größtmöglicher Funktionalität der Extremität sollte das Ziel für den Chirurgen sein. Die besonderen anatomischen und physikalischen Verhältnisse machen an der unteren Extremität ein differenziertes postoperatives Behandlungsschema notwendig. Grundsätzlich sollte eine frühzeitige postoperative Mobilisation erfolgen. Nach Lappenplastiken kann es jedoch häufig zu einer erheblichen Schwellung und lividen Verfärbung des Lappens bei früher Mobilisation des Patienten kommen. Durch den erhöhten intravasalen Druck kann es weiterhin in den ersten Tagen zu Nachblutungen kommen. Aus diesem Grund ist eine postoperative Bettruhe mit Hochlagerung der betroffenen Extremität empfehlenswert. Die Dauer der Mobilisation sollte dann stufenweise gesteigert und das Bein elastisch gewickelt werden. Zur Vermeidung eines Lymphödems im Lappen sollte für mehrere Monate ein Kompressionsstrumpf nach Maß getragen werden. Liegt der Lappen in Höhe des Schuhwerks, muss ein orthopädischer Schuh nach Maß verordnet werden, um Druckschäden in diesem asensiblen Bereich zu vermeiden. Der Patient ist über die Pflege und mögliche Komplikationen intensiv aufzuklären.
KAPITEL 15
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
555
15.1.4.1 Differenzialtherapie Rekonstruktive Möglichkeiten im Oberschenkelbereich Defekte des Oberschenkels können häufig durch lokale Lappenplastiken aus erhaltenen Weichteilen verschlossen werden. Neben randomisierten Hautlappen können nahezu alle Muskeln des Oberschenkels als gefäßgestielte Muskellappen, z. T. mit Hautinseln, genutzt werden (vgl. Tabelle 15.1). Gut geeignet ist hier der Tensor-fasciae-latae-Lappen (Tabelle 15.2) zur Defektdeckung am lateralen/proximalen (Abb. 15.8 a–c) und ventralen Oberschenkel. Der Rectus-femoris-Lappen (Tabelle 15.3) ist ebenfalls für Weichteilrekonstruktionen am proximalen/ventralen Oberschenkel einsetzbar. Im Bereich der Leiste und am dorsalen/proximalen Oberschenkel kann der gestielte M. gracilis (Tabelle 15.4) Verwendung finden. Dorsal eignet sich der M. biceps femoris (Tabelle 15.5) z. B. zur Behandlung eines Dekubitalulkus am Tuber ischiadicum (Abb. 15.9 a–c). Sind diese Techniken nicht möglich, können Defekte am proximalen Oberschenkel und im Leistenbereich durch einen gestielten M.-rectus-abdominis-Lappen (Tabelle 15.6) mit transversaler oder vertikaler Hautinsel (TRAM/VRAM) gedeckt werden. Im distalen Oberschenkelbereich kann ein gestielter M.-gastrocnemiusLappen (Tabelle 15.7) zum Einsatz kommen. Bei sehr großen Defekten soll eine Rekonstruktion durch freie Gewebeverpflanzungen erfolgen. Bei Defekten des Femurs kann zur Verhinderung einer Beinverkürzung eine einzeitige Rekonstruktion durch eine freie mikrovaskuläre Fibulatransplantation (Tabelle 15.8) erfolgen. Die Fibula wird als reines Knochentransplantat oder als osteofasziokutaner Lappen gestielt an der A. fibularis entnommen. Die Hebemorbidität ist hierbei unter Belassung des distalen tibiofibularen Gelenks gering. Zur Erreichung einer größeren Stabilität kann die Fibula gedoppelt in den Defekt eingepasst werden (vgl. Abb. 15.7 a–d).
a
b
c Abb. 15.8 a–c. Chronische Fistel über dem Trochanter major. a Klinisches Bild präoperativ. b Klinisches Bild nach Débridement und Hebung des M.-tensor-fasciae-latae-Lappens. c Klinisches Bild: postoperatives Ergebnis
Tabelle 15.2. M.-tensor-fasciae-latae-Lappen Art
Muskellappen, myokutan
Gefäßversorgung
A. + V. circumflexa femoris lateralis, Typ I
Innervation
N. cutaneus femoris lateralis, Th 12
Größe
10×40 cm
556
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
KAPITEL 15
Tabelle 15.3. M.-rectus-femoris-Lappen Art
Muskellappen
Gefäßversorgung
A. + V. circumflexa femoris lateralis, Typ II
Innervation
N. femoralis
Größe
20×8 cm
Tabelle 15.4. M.-gracilis-Lappen Art
Muskellappen, myokutan
Gefäßversorgung
A. + V. circumflexa femoris medialis, Typ II
Innervation
N. obturatorius
Größe
6×24 cm
Tabelle 15.5. M.-biceps-femoris-Lappen Art
Muskellappen, myokutan
Gefäßversorgung
A. + V. profunda femoris, Typ II
Innervation
N. ischiadicus
Größe
15×45 cm
a
c
b
Abb. 15.9 a–c. Dekubitus des Tuber ischiadicum. a Klinisches Bild präoperativ und Lappenplanung. b Klinisches Bild: Hebung des M.-biceps-femoris-Lappens. c Klinisches Bild: postoperatives Ergebnis
KAPITEL 15
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
Tabelle 15.6. M.-rectus-abdominis-Lappen, TRAM/VRAM Art
Muskellappen, myokutan
Gefäßversorgung
A. + V. epigastrica inferior/superior, Typ III
Innervation
N. intercostalis 7–12
Größe
Muskel 25×6 cm, Hautinsel 25×15 cm
Tabelle 15.7. M.-gastrocnemius-Lappen Art
Muskellappen
Gefäßversorgung
A. + V. suralis, Typ I
Innervation
N. tibialis
Größe
20×8 cm
Tabelle 15.8. Fibulatransfer Art
Osteofasziokutan
Gefäßversorgung
A. + V. fibularis, Typ V
Innervation
N. fibularis superficialis
Größe
3×40 cm
Rekonstruktive Möglichkeiten im Knie- und Unterschenkelbereich Knie und proximales Unterschenkeldrittel. Spalthautverpflanzungen sind auf gut vaskularisiertem Untergrund möglich. Im Bereich des Knies sind sie aufgrund der Kontrakturgefahr jedoch nicht empfehlenswert. Insbesondere am ventralen und dorsalen Knie sollten aus diesem Grund nur fasziokutane Lappen oder Muskellappen zum Einsatz kommen (Tabelle 15.9). Ein geeigneter gestielter fasziokutaner Lappen für die Kniekehle ist der proximal gestielte Suralislappen (Tabelle 15.10). Die Blutversorgung erhält dieser Lappen über die begleitenden Gefäße des N. suralis. Er ist in der Gewebedicke und -textur ideal für die Knieregion. Im Entnahmeareal ist eine Spalthauttransplantation notwendig (Abb. 15.10 a–c).
Am proximalen Unterschenkeldrittel (Abb. 15.11 a,b) und im Kniebereich wird der gestielte Gastrocnemiuslappen (vgl. Tabelle 15.7) als Standardmuskellappen benutzt. Die Gefäßversorgung durch die Aa. surales ist sehr verlässlich, und die Komplikationsrate ist auch bei gefäßkranken Patienten gering. Der mediale Kopf wird aufgrund seiner größeren Reichweite häufiger genutzt, und der Rotationsbogen reicht vom gesamten proximalen Unterschenkel bis über die Patella. Bei größeren Defekten können auch beide Köpfe eingesetzt werden. Die sehnigen Anteile können zur Rekonstruktion des Bandapparates oder des Lig. pataellae genutzt werden (Abb. 15.12 a–d). Bei sehr großen Defekten kann eine Defektdeckung durch freie mikrovaskuläre Gewebeverpflanzungen erfolgen. Neben Muskellappen wie dem M. latissimus dorsi (vgl. Abb. 15.6 a–e, Tabelle 15.11) bieten sich auch fasziokutane Lappen (z. B. lateraler Oberarmlappen, Tabelle 15.12) oder Skapulalappen (Tabelle 15.13) an.
557
558
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
KAPITEL 15
Tabelle 15.9. Lappenauswahl im Kniebereich und proximalen Unterschenkeldrittel 1.
Lokale Haut-/Fettlappen (randomisiert, axial)
2.
Fasziokutane Lappen
3.
Muskeltransposition und Spalthaut (M. gastrocnemius, gracilis, satorius, vastus medialis, vastus lateralis usw.)
4.
Mikrovaskuläre Lappen (Latissimus dorsi, Skapula, Radialis, lateraler Oberarmlappen usw.), Perforatorlappen
Tabelle 15.10. Suralislappen Art
Fasziokutan
Gefäßversorgung
A. commitans N. suralis, V. saphena parva, Typ A
Innervation
N. suralis
Größe
15×6 cm
a
c
b
Abb. 15.10 a–c. Drittgradige Verbrennung der Kniekehle. a Klinisches Bild präoperativ. b Klinisches Bild: epifasziales Débridement und Planung eines proximal gestielten Suralislappens. c Klinisches Bild postoperativ
KAPITEL 15
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte Abb. 15.11 a,b. Drittgradige Verbrennung der proximalen Tibiavorderkante. a Klinisches Bild präoperativ. Klinisches Bild: Defektdeckung durch medial gestielten M.-gastrocnemiusLappen
b
a
b
Tabelle 15.11. M.-latissimus-dorsi-Lappen Art
Muskellappen, myokutan, osteomyokutan
Gefäßversorgung
A. + V. thoracodorsalis, Typ V
Innervation
N. thoracodorsalis
Größe
25×35 cm, Hautinsel 10×25 cm
Tabelle 15.12. Lateraler Oberarmlappen Art
Fasziokutan
Gefäßversorgung
A. + V. collateralis radialis, Typ B
Innervation
N. cutaneus brachii/antebrachii posterior
Größe
15×8 cm
Tabelle 15.13. Skapula-/Paraskapulalappen Art
Fasziokutan
Gefäßversorgung
A. + V. circumflexa scapulae, Typ B
Innervation
N. intercostalis 3–5
Größe
20×7 cm
559
560
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
KAPITEL 15
b
a
d
c
Abb. 15.12 a–d. Chronische Heilungsstörung bei Zustand nach Patellafraktur und Osteosynthese. a Klinisches Bild präoperativ. b Klinisches Bild: Débridement und Defektdeckung mit medial gestieltem M.-gastrocnemius-Lappen, Rekonstruktion der Patellarsehne durch Anteile der Achillessehne. c Klinisches Bild postoperativ. d Postoperative Funktion (nahezu vollständige Knieextension)
Mittleres Unterschenkeldrittel. Randomisierte Hautlappen sollten aufgrund der nach distal zunehmend schlechteren Durchblutung nur für kleine Defekte und mit einem sicheren Längen-Breiten-Verhältnis von höchstens 1,5:1 eingesetzt werden (Tabelle 15.14). Als fasziokutaner Lappen kann der gestielte A.-tibialis-posterior-Lappen (Tabelle 15.15) genutzt werden. Wenn der Lappen an distalen Perforatoren gestielt wird, reicht er bis in das distale Drittel des Unterschenkels. Dieser Lappen kann jedoch bei Gefäßerkrankungen der A. tibialis posterior problematisch sein, und der Entnahmedefekt muss mit Spalthaut verschlossen werden.
Tabelle 15.14. Lappenauswahl mediales Drittel – Unterschenkel 1.
Fasziokutane Lappen
2.
Myokutane Lappen (M. gastrocnemius usw.)
3.
Muskeltransposition und Spalthaut (M. tibialis anterior, soleus usw.)
4.
Mikrovaskuläre Lappen (Perforatorlappen)
KAPITEL 15
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
561
Tabelle 15.15. M.-tibialis-posterior-Lappen Art
Fasziokutan
Gefäßversorgung
Perforatoren A. + V. tibialis posterior, Typ B
Innervation
N. saphenus
Größe
7×20 cm
Tabelle 15.16. M.-soleus-Lappen Art
Muskellappen
Gefäßversorgung
Muskeläste A. + V. poplitea, tibialis posterior, Typ II
Innervation
N. tibialis
Größe
8×28 cm
Tabelle 15.17. Lappenauswahl distales Unterschenkeldrittel 1.
Mikrovaskuläre Lappen (M. latissimus dorsi, Radialis, ULA, Perforator usw.)
2.
Neurovaskuläre Lappen (M. dorsalis pedis, Skapula usw.)
3.
Muskeltransposition und Spalthaut/Vollhaut (M. extensor hallucis longus, extensor digit. com., tibialis posterior, Perforator usw.)
a, b
c Abb. 15.13 a–c. Drittgradige Verbrennung im distalen Unterschenkelbereich. a Klinisches Bild präoperativ. b Klinisches
Bild: Defektdeckung durch distal gestielten Suralislappen. c Klinisches Bild: Spalthauttransplantation im Entnahmegebiet
562
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
KAPITEL 15
b
a
c
d Abb. 15.14 a–d. Defekt nach Achillessehnennaht. a Klinisches Bild präoperativ. b Klinisches Bild intraoperativ nach Débridement und Lappenplanung. c Klinisches Bild intraoperativ:
Hebung des distal gestielten M.-peroneus-brevis-Lappens. d Postoperatives Ergebnis
Bei größeren Defekten dient der proximal gestielte Soleuslappen (Tabelle 15.16) als sichere Methode zur Deckung. Dieser Lappen kann auch als Hemisoleus oder distal gestielt zum Einsatz kommen. Knöcherne Defekte der Tibia können durch Fibulatransposition oder freie mikrovaskuläre Fibulatransplantation von der Gegenseite ersetzt werden (s. oben). Größere Defekte müssen wiederum durch freie Lappen gedeckt werden.
kelbäuche im proximalen bis mittleren Drittel liegen. Aus diesem Grund müssen distal gestielte Lappenplastiken zum Einsatz kommen.
Distales Unterschenkeldrittel. Im distalen Drittel können randomisierte Lappen nur noch bei kleinen Defekten eingesetzt werden. Die schlechte Durchblutungssituation und das für Spalthauttransplantationen wenig geeignete Entnahmeareal führen vergleichsweise häufig zu Komplikationen (Tabelle 15.17). Proximal gestielte Lappen der Unterschenkelmuskulatur kommen in diesem Bereich nicht infrage, da die Mus-
! Hierbei ist aufgrund des physiologisch von proximal
nach distal gerichteten Durchblutungsmusters vermehrt mit Durchblutungs- und Heilungsstörungen zu rechnen.
Als fasziokutaner Lappen bietet sich der distal gestielte neurovaskuläre Suralislappen (Abb. 15.13 a–c, vgl. Tabelle 15.10) an. Einer der sichersten Muskellappen in diesem Bereich ist der distal gestielte M.-peroneus-brevis-Lappen (Abb. 15.14 a–d, Tabelle 15.18). Dieser Lappen kann zur Defektdeckung kleinerer Defekte über der Achillessehne genutzt werden. Die Gefäßversorgung über distale Äste der A. tibialis anterior ist konstant, und die Hebemorbidität dieses Lappen ist vergleichsweise gering.
KAPITEL 15
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
Tabelle 15.18. M.-peroneus-brevis-Lappen Art
Muskellappen
Gefäßversorgung
A. + V. fibularis, tibialis anterior, Typ II
Innervation
N. fibularis superficialis
Größe
3×15 cm
Tabelle 15.19. Lappenauswahl im Knöchelbereich 1.
Fasziokutane Lappen
2.
Neurovaskuläre Lappen (M. dorsalis pedis, tibialis posterior usw.)
3.
Mikrovaskuläre Lappen, Perforator
Defekte im Bereich der Achillessehne. Mikrovaskuläre Lappen, besonders auch dünne Perforatorlappen, sind in diesem Gebiet die erste Wahl. Fasziokutane Lappen kommen an zweiter Stelle. Als dritte Lösung kann man Muskeltranspositionen und Spalthauttransplantate einsetzten (z. B. M. tibialis posterior; Tabelle 15.21). Defekte im Bereich der Fußsohle. Siehe unten, Kap. 17.
Tabelle 15.20. Lappenauswahl im Fußrückenbereich 1.
Lokale Haut-/Fettlappen
2.
Fasziokutane Lappen (M. dorsalis pedis pulpa usw.)
3.
Mikrovaskuläre Lappen (Perforator)
Tabelle 15.21. Lappenauswahl im Achillessehnenbereich 1.
Mikrovaskuläre Lappen (Perforator)
2.
Fasziokutane Lappen
3.
Muskeltransposition und Spalthaut
Knöchelbereich. Größere Defekte im Knöchelbereich erfordern meistens eine mikrochirurgische Transplantation, um eine Amputation zu vermeiden (Tabelle 15.19). Fasziokutane Lappen, wie der laterale Oberarmlappen, eignen sich aufgrund ihrer vergleichsweise geringen Dicke und guten Textur gut, um Defekte im Knöchelbereich zu verschließen. Alternativ können freie Muskellappen mit Spalthauttransplantation eingesetzt werden, Muskulokutane Lappen werden aufgrund ihrer Gewebedicke nur bei sehr großen Defekten eingesetzt. Fußrücken. Im Bereich des Fußrückens sind vor allem lokale Haut-Fett-Lappen (axial oder auch venös gestielt u. Ä.) die erste Wahl. Als zweite Wahl empfehlen sich fasziokutane Lappen und als dritte mikrovaskuläre Lappen (Tabelle 15.20).
15.2 Spezielle Techniken 15.2.1 Hauttransplantation Die Hauttransplantation ist indiziert bei oberflächlichen Defekten und bei ausgedehnten Defektzuständen, die mit anderen Techniken nicht zur Abheilung zu bringen sind (Verbrennung usw.). Sie ist kontraindiziert bei einem schlecht durchbluteten und evtl. kontaminierten Wundbett. Im Bereich der Niederresistenzzonen besteht postoperativ ein erhöhtes Risiko der Ausbildung einer „instabilen Narbe“, weshalb hier eine relative Kontraindikation besteht. Bei der Behandlung chronischer Wunden kann die Hauttransplantation als unterstützende Maßnahme zur Epithelialisierung des Wundgrundes verwendet werden.
Wundschluss bedeutet Infektionsprophylaxe und verminderten Verlust von Körperflüssigkeit.
Für den klinischen Gebrauch hat sich die Einteilung der Hauttransplantate in Abhängigkeit von • der Transplantatdicke (Spalthaut/Vollhaut), • der Geometrie („Punch“, „Mesh“, „Sheat“), • der Art (Eigen-: autolog; Fremd-: allogen und heterogen), • der Natur (biologisch/artifiziell) und • der Transplantationstechnik bewährt (Abb. 15.15 a–c).
563
564
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
KAPITEL 15 Abb. 15.15 a–c. Spalthauttransplantation linker Unterschenkel (PHW MHHannover). a Klinisches Bild: Defekt nach Débridement und Auflegen von Spalthaut. b Klinisches Bild nach Abheilung. c Klinisches Bild 2 Jahre postoperativ
a
c
b
15.2.2 Expander Siehe Plastische Chirurgie, Bd. I, Kap. 6. Um Narben oder umschriebene Defekte, besonders im Oberschenkelbereich, zu korrigieren hat sich die Expandertechnik bewährt. Die Indikationen sind allerdings unserer Meinung nach begrenzt. ! Im Unterschenkelbereich sind starke Druckerhöhungen durch Expander zu vermeiden, wegen der Gefahr von Durchblutungsstörungen und Thrombosen.
Eine genaue Anamnese und Abklärung der Lokalsitua tion ist daher von Bedeutung. Bei Beachtung dieser Kriterien sind jedoch gute Ergebnisse erreichbar (Abb. 15.16 a–d).
KAPITEL 15
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
b
a
d
c Abb. 15.16 a–d. Expandertechnik (PHW MHHannover). a Klinisches Bild: Narbenfeld im Oberschenkelbereich. b Expander platziert am rechten Oberschenkel. c Expander
nach Entnehme nach 3 Monaten. d Klinisches Bild 2 Jahre später
15.2.3 Gestielte Lappenplastiken
Extremität eine Reihe von gestielten Lappenplastiken (Haut-, Muskel, myokutan, osteokutan usw.) zu heben.
15.2.3.1 Verschiebe-/Schwenklappenplastiken Aufgrund der Durchblutungsverhältnisse im Bereich der unteren Extremität ist bei lokalen „Random-pattern-Lappenplastiken“ darauf zu achten, dass das Längen-BreitenVerhältnis wenn möglich 1:1,5 nicht übersteigt. Bei der Lappenplanung ist darüber hinaus auch darauf zu achten, dass der scheinbare Defekt im Bereich einer konvexen Oberfläche viel größer ist als oft angenommen („der zu kurze Lappen“; Abb. 15.17 a–d).
15.2.3.2 Gestielte (Insel-) Lappenplastiken Nach intensiven klinischen und anatomischen Forschungen ist es möglich geworden, im Bereich der unteren
Tensor-fasciae-latae-Lappen Siehe Plastische Chirurgie, Bd. III, Kap. 11. Der Tensor-fasciae-lata-Lappen gehört zum Gebiet der A. circumflexa femoris lateralis. Er besteht aus einem muskulären und einem Faszienanteil. Er kann bis zu 15 cm breit und etwa 40 cm lang sein. Die Durchblutung des distalsten Teils, etwa 10 cm, ist aber in manchen Fällen problematisch, sodass eine zweizeitige Hebung des Lappen zu empfehlen ist. Er kann als Insellappen ge hoben werden und ist vor allem im Oberschenkelbereich (oberes Drittel), inguinal und bis gluteal z. B. über dem Tuber ossis ischii einsetzbar. Der Lappen kann auch als freier mikrovaskulärer Lappen verwendet wer-
565
566
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
KAPITEL 15
a
b
c
d Abb. 15.17 a–d. Lokaler Verschiebelappen (PHW MHHannover). a Klinisches Bild: Defekt im Kniegelenkbereich medial. b Klinisches Bild nach Resektion präparierter Schwenklappen.
c Klinisches Bild: Lappen eingenäht, Entnahmestelle primär verschlossen. d Klinisches Bild 4 Jahre postoperativ
den (Fußsohle, Achillessehnenrekonstruktion usw.; vgl. Abb. 15.8 a–c, Tabelle 15.2).
und für den Genitalbereich. Er kann bis zu 24 cm Länge und mit Einbeziehung der Sehne bis zu 32 cm Länge gehoben werden. Seine Breite beträgt etwa 6–8 cm. Die Durchblutung seiner Hautinsel ist nicht sehr konstant und sicher. Die nervale Versorgung ist konstant. Die Entnahmestelle kann oft primär verschlossen werden.
“Antero lateraler thigh (ALT) flap“ Siehe Plastische Chirurgie, Bd. III, Kap. 11, S. 349. Der ALT ist ein Lappen mit relativ konstanter Gefäßversorgung. Die Gefäße haben einen guten Durchmesser und versorgen eine große Hautinsel. Er kann als myokutaner oder Perforatorlappen gehoben werden. Seine Vorteile als Perforatorlappen werden in Plastische Chirurgie, Bd. I, beschrieben. Er ist ein ausgezeichneter neuerer Lappen für Defekte im Oberschenkelbereich, oberes und mittleres Drittel. Er kann auch als freier mikrochirurgischer Lappen eingesetzt werden, wobei ihm seine Versatilität zu Nutzen ist. Als freier Lappen kann er auch myokutan oder als Perforatorlappen Verwendung finden.
Grazilislappen Siehe Plastische Chirurgie, Bd. III, Kap. 11, S. 343. Der myokutane Grazilislappen ist ein Lappen für schmale Defekte im oberen Oberschenkeldrittel, inguinal
Biceps-femoris-Lappen Siehe Plastische Chirurgie, Bd. III, Kap. 16, S. 479. Der Biceps-femoris-Lappen wird meist als VY-Lappen präpariert. Als Verschiebelappen ist er vor allem für Defekte am dorsalen Oberschenkel geeignet. Er lässt sich bei Durchtrennung des Muskelansatzes auch weit in den Glutealbereich verpflanzen (vgl. Abb. 15.9 a–c).
Medialer Gastrocnemiuslappen Für die Entnahme des medialen Gastrocnemiusmuskellappens sind 2 Hautinzisionen beschrieben; der mediale und der dorsale Zugang: Der Hautschnitt für den medialen Zugang zum medialen Gastrocnemiuskopf wird mit einem Schnitt von
KAPITEL 15
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
567
a
b
d
c Abb. 15.18 a–e. M.-soleus-Lappen (PHW MHHannover). a Klinisches Bild: chronisches Ulkus im oberen Unterschenkeldrittel. b Klinisches Bild: proximal gestielter Haut-Fett-Lappen für den Defekt im Kniegelenkbereich.c Klinisches Bild: Unterfütterung mit M.-soleus-Lappen. d Schema des Soleuslappens. e Klinisches Bild 3 Monate postoperativ
knapp unterhalb der Tibiakondyle, parallel und etwa 3 cm hinter der medialen Tibiakante und bis 7–10 cm oberhalb des Malleolus medialis angezeichnet. Bei dieser Schnittführung werden die Äste des N. saphenus geschont. Bei der Lappenpräparation ist darauf zu achten, dass die Haut nicht von der darunter liegenden oberflächlichen Körperfaszie getrennt wird. Bei ventral gelegenen Gewe-
e
bedefekten kann jedoch eine schmale Hautbrücke zwischen Defekt und Hautinzision zur Lappenhebung entstehen. Ist dies der Fall, soll die Hautinzision weiter nach dorsal verlagert oder der dorsale Zugang gewählt werden. Die Mobilisation des Caput mediale erfolgt – wenn auch in variabler Reihenfolge – in mehreren Etappen.
568
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
Der Spaltraum zwischen der Hautfaszie und dem medialen M. gastrocnemius kann stumpf mit dem Finger dargestellt werden. Der Spaltraum zwischen M. gastrocnemius und M. soleus kann ebenfalls stumpf mit dem Finger dargestellt werden. Der distale, sehnige Anteil des M. gastrocnemius wird mit 2 Haltefäden (2/0, nicht resorbierbar) angeschlungen und scharf vom Achillessehnenkomplex abgetrennt. Im distalen Bereich können die beiden Muskelbäuche sehr einfach voneinander unterschieden werden. Wenn möglich sollte eine Tunnelierung erfolgen. Für die Tunnelierung wird subkutan und nicht subfaszial präpariert. Am Tibiakopf ist der Hautmantel knapp. Darüber hinaus müssen narbige Veränderungen mit berücksichtigt werden. Ob eine Tunnelführung des Lappens möglich ist oder die Haut im Lappenweg gespalten werden muss, ist individuell zu entscheiden. Bei der Tunnelierung ist auch eine Kompression des Lappenstiels zu vermeiden. Von einigen Autoren wird eine Denervation des Muskellappens durch Neurotomie empfohlen. Zur Sicherung des Rekonstruktionsergebnisses hat es sich bewährt, die Muskellappenplastik zumindest ein kleines Stück unterhalb der defektangrenzenden Haut zu fixieren. Bei möglichen Spitzennekrosen besteht dann immer noch eine ausreichende Defektbedeckung. Bei ventralen Kniedefekten kann es notwendig sein, das Lig. patellae zu rekonstruieren. Dies kann mit Hilfe des distalen sehnigen Lappenanteils erfolgen (vgl. Abb. 15.12 a–d). Das so rekonstruierte Band kann mit einer Durchflechtung der Pes-anserinus-Sehnen verstärkt werden. Eine postoperative Immobilisation von Fuß- und Kniegelenk ist notwendig.
Soleuslappen Aufgrund seiner Vaskularisation können proximal und distal gestielte Lappenplastiken aus dem Gebiert des M. soleus gehoben werden. Die proximal gestielte Lappenplastik ist indiziert zur Defektdeckung im mittleren Unterschenkeldrittel. Mit der distal gestielten Lappenplastik können Defekte im distalen Unterschenkeldrittel gedeckt werden (Abb. 15.18 a–e).
Distal gestielter Suralislappen Der distal gestielte Suralislappen wird von der A. suralis, einem kaliberschwachen Gefäß, versorgt. Er ist ein schmaler Lappen, der vor allem im Knöchel-, Achillessehnen- und Fersenbereich Verwendung findet. Der Hebedefekt muss meist mit einer Spalthaut gedeckt werden. Ein evtl. zweizeitiges Vorgehen kann aufgrund der Durchblutung notwendig sein. Es ist eine Lappenplastik für den geübten plastischen Chirurgen (vgl. Abb. 15.13 a–c).
KAPITEL 15
15.2.4 Freie mikrochirurgische Lappenplastiken Freie mikrochirurgische Lappenplastiken sind indiziert, wenn keine adäquate lokale Lappenplastik möglich ist oder zur Verfügung steht.
15.2.4.1 M. latissimus dorsi Aufgrund des oft großen Defektvolumens ist der M. latissimus dorsi als Spendergebiet von herausragender Bedeutung. Bei der Defektdeckung ist auch an eine gleichzeitige funktionelle Rekonstruktion, z. B. eine Fußheberersatzplastik durch Transposition des M. tibialis posterior, möglich. Ist das regionale Muskelgewebe durch Verletzungen jedoch nicht für eine Transposition geeignet, kann er auch als freie motorische Ersatzplastik mit neurovaskulärem Anschluss dienen (Berger u. Schneider 1993). Der neurovaskulär angeschlossene M. latissimus dorsi kann z. B. zur Defektdeckung größerer Defekte am Oberschenkel und gleichzeitig zur primären Rekonstruktion des M. quadriceps femoris (Abb. 15.19 a–e) eingesetzt werden. Im Unterschenkelbereich ist er einsetzbar für die Rekonstruktion z. B. der Fußstrecker oder auch für den M. gastrocnemius und M. soleus. Ist der intakte Nerv des ursprünglichen Muskels nicht mehr vorhanden, sollte ein Anschluss an einen Nerven erfolgen, der Agonisten innerviert und dessen Teilausfall nicht zu weiteren starken Funktionseinschränkungen führt.
Bei der Operation ist auf eine physiologische Vorspannung des transplantierten Muskels bei entlastender Gelenkstellung zu achten. Der Wiedereintritt der motorischen Funktion erfolgt erst nach Monaten der Nervenregeneration und sollte neurophysiologisch kontrolliert werden. Der Patient muss über diesen langwierigen Rehabilitationsverlauf eingehend aufgeklärt und die betroffenen Gelenke während dieser Zeit durch passive Bewegung funktionsfähig erhalten werden. Eine völlige Wiederherstellung der Kraft und des Bewegungsumfanges ist nicht zu erwarten (Abb. 15.20 a–d).
15.2.4.2 A.-radialis-Lappen Der A.-radialis-Lappen ist ein fasziokutaner Lappen, der daher gut geeignet ist für den Knöchel-AchillessehnenBereich, aber auch für die Ferse und den Fußrücken sowie für begrenzte Defekte im Patellabereich. Bevor dieser Lappen gehoben wird, ist eine exakte Abklärung der
KAPITEL 15
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
569
Abb. 15.19 a–e. Defektverletzung am Oberschenkel ventral mit Zerstörung des M. quadriceps (PHW MHHannover). a Klinisches Bild präoperativ. b Klinisches Bild: Rekonstruktion der Vasa femoralis und Defektdeckung durch neurovaskulären freien Latissimus-dorsi-Lappen. c Postoperative Funktionsaufnahmen mit sicherem Einbeinstand. d Postoperative Funktion mit Hebung gegen Schwerkraft um etwa 40°. e Elektrophysiologischer Nachweis der muskulären Aktivität im transplantierten Muskel mit diskreten Zeichen neurogenen Umbaus bei gleicher Amplitude und Latenz im Vergleich zum kontralateralen M. rectus femoris 10 Jahre nach Transplantation a
b, c
e
d
570
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
KAPITEL 15 Abb. 15.20 a–d. Überrolltrauma beider Unterschenkel mit Zerstörung der Tibialis-anterior- und Peroneuslogen sowie partieller Schädigung der Flexoren (PHW MHHannover). a Klinisches Bild präoperativ. b Klinisches Bild: Zustand nach Defektdeckung durch Spalthauttransplantation mit Fußheberausfall. c Klinisches Bild: Zustand nach funktioneller neurovaskulärer Latissimus-dorsi-Transplantation beidseits im Zehenspitzenstand. d Funktionelles Ergebnis der Fußheberrekonstruktion
a
b, c
d
Tabelle 15.22. Radialislappen Art
Fasziokutan
Gefäßversorgung
A. + V. radialis, Typ B
Innervation
N. cutaneus antebrachii medialis et lateralis
Größe
10×40 cm
Durchblutungsverhältnisse im Spendergebiet notwendig. Der Allen-Test ist eine verlässliche Möglichkeit, um die Durchblutung der Hand zu testen, wenn ein Hauptgefäß wie die A. radialis entfernt wird (Lappengefäß). Für die
ausführlichere Beschreibung wird auf die Literatur verwiesen. Das einzige Problem dieses Lappens ist die Entnahmestelle. Es ist daher eine ausführliche Aufklärung des Patienten notwendig (Abb. 15.21 a–c, Tabelle 15.22).
KAPITEL 15
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
15.2.4.3 Skapula- und Paraskapulalappen Der Skapulalappen ist ein Haut-Fettgewebe-Lappen, durchblutet von dem Hautast der A. circumflexa scapulae. Der Lappen kann am besten gehoben werden, wenn der Patient auf der Seite mit abduziertem Arm gelagert ist. Der Gefäßstiel ist oft schwierig zu präparieren. Der Entnahmedefekt kann meist direkt geschlossen werden. Die Lappen sind gut einsetzbar für Defekte im Unterschenkel-, Knöchel- und Kniebereich (Abb. 15.22 a–d).
15.2.4.4 Lateraler Oberarmlappen
a
Der laterale Oberarmlappen ist ein septokutaner Lappen. Er wird durchblutet von der A. radialis collateralis posterior und profunda brachii. Eine genaue Planung der Hautinzisionen ist notwendig. Der Lappen wird über dem lateralen intermuskulärem Septum geplant. Vorsicht ist geboten bei der Präparation, um den N. radialis nicht zu schädigen. Sein Vorteil ist der konstante neurovaskuläre Stiel und die Möglichkeit, ihn als sensiblen Lappen zu verwenden. Sein Nachteil ist der Entnahmedefekt (vgl. Abb. 15.4 a,b). b
15.2.4.5 Grazilislappen Der Grazilismuskel kann verwendet werden für einen freien Muskeltransfer oder auch als weniger verlässlicher muskulokutaner Lappen (s. oben, „Grazilislappen“; Abb. 15.23 a–d).
15.2.4.6 M.-rectus-abdominis-Lappen
c Abb. 15.21 a–c. Narbenplatte über dem unteren Unterschenkelbereich (PHW MHHannover). a Klinisches Bild präoperativ. b Klinisches Bild 2 Monate postoperativ. c Klinisches Bild 4 Jahre postoperativ
Der M.-rectus-abdominis-Lappen kann entweder als Muskellappen oder als ein muskulokutaner Lappen gehoben werden. Der Muskel wird versorgt von den Aa. epigastrica superior et inferior. Der inferiore Stiel hat die größeren Gefäße. Er kann auch ohne Muskel nur an Perforator gestielt werden. Er kann oft bis zu 50 cm lang und über 15 cm breit gehoben werden. Wichtige Variationen sind der TRAM-Flap (transverser Lappen) und der großflächige Obliques-Lappen. Nachteile sind bei Entnahme des Muskels die Gefahr von Hernien und Störungen sowie Bauchdeckenschwäche. Meist können die Defekte primär geschlossen werden wie bei einer Abdominoplastik (s. Plastische Chirurgie, Bd. III Kap. 11, S. 337, Kap. 12, S. 374; Abb. 15.24 a–d).
571
572
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
KAPITEL 15
a
b
c
d Abb. 15.22 a–d. Fersenulkus (PHW MHHannover). a Klinisches Bild: Einzeichnen des Lappens. b Klinisches Bild: Präparation
des Lappenstiels. c Klinisches Bild: Lappenhebung. d Klinisches Bild ein Monat postoperativ
a
b
c
d Abb. 15.23 a–d. Defekt im Vorfußbereich – Grazilislappen (PHW MHHannover). a Klinisches Bild: Lappenpräparation.
b Klinisches Bild: gehobener Lappen. c Klinisches Bild post operativ. d Klinisches Bild 4 Monate postoperativ
KAPITEL 15
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
a
573
b
Abb. 15.24 a–d. Chronisches Ulkus im Unterschenkelbereich (PHW MHHannover). a Klinisches Bild: Einzeichnung des Rektuslappens (VRAM). b Klinisches Bild intraoperativ – Lappenstiel. c Klinisches Bild 2 Monate postoperativ. d Klinisches Bild 4 Monate postoperativ
15.2.4.7 Perforatorlappen Alle muskulokutanen und Haut-Fett-Lappen können auch an ihren Perforatorgefäßen gestielt werden. Dies bedarf einer exakten und vorsichtigen Präparation, um den Lappenstiel nicht zu beschädigen. Mit dieser Technik (s. Spezialliteratur) sind Defekte in allen Bereichen des Körpers mit besonders flexiblen und dünnen Lappen rekonstruierbar. Die Perforatorlappen sind ein wesentlicher Fortschritt für die Rekonstruktion, nicht nur in funktioneller, sondern auch in ästhetischer Hinsicht.
15.2.4.8 Fibula Die Operation erfolgt in Rückenlage und Oberschenkelblutleere. Eine Unterlage befindet sich unter dem ipsilateralen Gesäß. Für ein reines Knochentransplantat beginnt der Hautschnitt dorsal des Collum fibulae und verläuft entlang des hinteren Knochenrandes gerade nach distal. Die Länge des Hautschnittes ist abhängig von der Länge des zu entfernenden Knochens. Die Fascia cruris wird zwischen dem M. soleus und den Mm. peronaei im Bereich des Septum intermuscu-
c, d
lare laterale eröffnet. Die hier durchtretenden perforierenden fasziokutanen Äste müssen subtil ligiert werden. Sie dienen als Leitschiene zum Aufsuchen der peronealen Gefäße. Soll nur ein reines Knochentransplantat gehoben werden, müssen im proximalen Unterschenkeldrittel 2–3 neurovaskuläre Stiele am oberen Ende des M. soleus ligiert werden. Der M. soleus wird dann unter dem Collum fibulae transversal eingeschnitten. Er lässt sich nach dorsal wegklappen, wenn man die proximal entspringenden Fasern spaltet. Die Peronealgefäße werden an jenen Stellen aufgesucht, an denen sie unter den M. flexor hallucis longus ziehen. Zu diesem Zeitpunkt sollte der N. tibialis posterior von dem Stiel weggedrängt sein. Als nächstes erfolgt die ventrale Präparation. Der M. peronaeus longus wird von seinem Ursprung von der Fibula abgetrennt. Bei der Entnahme eines längeren Knochenstückes werden die Mm. peronaei et extensor digitorum longus ebenfalls knochennah abpräpariert. Die Septa intermuscularia anterius et posterius werden etwa 0,5 cm von ihrem tibialen Ursprung gespalten. Der N. peronaeus superficialis und seine Muskeläste werden von der Muskelschicht vorsichtig getrennt. Das Tibialis-ante-
574
Weichteil- und Weichteil-Knochen-Defekte
rior-Gefäß-Nerven-Bündel, welches hinter der Membrana interossea liegt, wird nach medial weggehalten. Danach lässt sich die Membrana interossea entlang ihrer gesamten Länge darstellen. Das Periost wird 1 cm über bzw. unterhalb der proximalen bzw. distalen Osteotomiestelle gespalten und scharf abgetrennt. Dieses Vorgehen lässt eine effektive muskuloperiostale Blutversorgung an beiden Enden des Transplantats zu. Nach proximaler und distaler Osteotomie wird das Fibulatransplantat nach lateral geschoben, um die Membrana interossea zu spannen, die in kaudokranialer Richtung etwa 0,5 cm von ihrem fibularen Ansatz durchtrennt wird. Als nächstes erfolgt die dorsale Präparation. Der proximale Anteil des M. flexor hallucis longus wird belassen, um Verletzungen der Peronealgefäße zu vermeiden. Die Durchtrennung der dorsalen Muskulatur führt dazu, dass das Transplantat nur noch an seinem Gefäßstiel mit dem Unterschenkel in Verbindung steht. Nachdem das Fibulatransplantat nach lateral weggehalten wurde, lässt sich der Stiel bis zum Ursprung der A. peronaea darstellen. Der Gefäßstiel wird nach proximal hin ligiert und das Transplantat entnommen. Nach Öffnen der Blutleere, subtiler Blutstillung und Einlage einer Redon-Drainage ohne Sog erfolgt der schichtweise Wundverschluss. Postoperativ erfolgt eine Ruhigstellung auf einer dorsalen Unterschenkelgipsschiene für 7–14 Tage. Nach Entfernung der Fäden sollte eine krankengymnastische Begleittherapie zur Gangschulung durchgeführt werden.
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A. Berger . R. Hierner
Inhalt 16.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 16.1.1.1 Konzept der «Funktionskette untere Extremität» . . . . . . . . . . . 16.1.2 Makroamputationsverletzungen. . . . . . . . 16.1.2.1 Ätiologie. . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1.3.1 Begleitverletzungen. . . . . . . . . . 16.1.4 Klassifikation der Makroamputationen. . . . 16.1.5 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1.5.1 Leitlinien für die präklinische und Erstversorgung. . . . . . . . . . 16.1.5.2 Indikationsstellung. . . . . . . . . . . Replantationsfähigkeit. . . . . . . . . . . . . . Replantationseignung . . . . . . . . . . . . . . Replantationsrisiko. . . . . . . . . . . . . . . . . Replantationswürdigkeit. . . . . . . . . . . . . Replantationswilligkeit . . . . . . . . . . . . . . 16.1.5.3 Operative Schritte der Makroreplantation . . . . . . . . . . . Wundreinigung, Desinfektion und Débridement. . . . . . . . . . . Segmentale Resektion. . . . . . . . . Osteosynthetische Versorgung . . . Versorgung der Muskel- und Sehnenverletzungen. . . . . . . . . . Mikrochirurgische Versorgung . . . Postoperative Ruhigstellung. . . . . 16.1.5.4 Nachbehandlung. . . . . . . . . . . . Postoperative Überwachung . . . . Postoperative Begleittherapie und Maßnahmen. . . . . . . . . . . . 16.1.5.5 Sekundäreingriffe. . . . . . . . . . . . Sekundäre Extremitäten verlängerung . . . . . . . . . . . . . . Weitere Sekundäreingriffe. . . . . . Sekundäre oder späte Reamputation. . . . . . . . . . . . . . 16.1.6 Ergebnisse nach Makroreplantation. . . . . . 16.1.7 Sozioökonomische Gesichtspunkte . . . . . .
576 576 576 577 577 578 578 579 579 579 581 581 583 583 584 586 586 587 590 590 590 590 591 591 591 592 592 592 596 596 596 597
KAPITEL 16
Amputationsverletzungen im Bereich der unteren Extremität
16.1.8 Unmittelbar nach der Replantation. . . . . . 16.1.8.1 Primäre Stumpfversorgung mit frühzeitiger prothetischer Versorgung. . . . . . . . . . . . . . . . 16.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 16.2.1 Replantation im Oberschenkelbereich. . . . 16.2.2 Replantation im Kniebereich . . . . . . . . . . 16.2.3 Replantation im proximalen und mittleren Unterschenkeldrittel. . . . . . . . . . . . . . . . 16.2.4 Replantation im distalen Unterschenkeldrittel. . . . . . . . . . . . . . . . 16.2.5 Bilaterale Amputation. . . . . . . . . . . . . . . 16.2.6 Makroreplantation im Kindesalter . . . . . . . 16.3 Mikroreplantation. . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.1 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.2.1 Begleitverletzungen. . . . . . . . . . 16.3.3 Klassifikation der Mikroreplantationen . . . . 16.3.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.4.1 Leitlinien der Mikroreplantation . . 16.3.5 Indikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.6 Operative Schritte der Mikroreplantation . . 16.3.6.1 Wundreinigung, Desinfektion und Débridement. . . . . . . . . . . 16.3.6.2 Osteosynthese. . . . . . . . . . . . . . 16.3.6.3 Versorgung der Muskel- und Sehnenverletzungen. . . . . . . . . . 16.3.6.4 Mikrochirurgische Versorgung . . . 16.3.6.5 Postoperative Ruhigstellung. . . . . 16.3.7 Nachbehandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.7.1 Postoperative Überwachung . . . . 16.3.7.2 Postoperative Begleittherapie. . . . 16.3.8 Sekundäreingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.9 Ergebnisse der Mikroreplantation. . . . . . . 16.3.10 Sozioökonomische Gesichtspunkte . . . . . . 16.3.11 Spezielle Techniken bei Mikroreplantationen. . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.11.1 Replantation im Sprunggelenk bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.11.2 Replantation im Mittelfuß bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.11.3 Replantation im Zehenbereich. . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
599 600 600 600 600 600 602 602 605 606 606 606 606 606 607 607 607 607 608 608 608 608 608 608 608 608 609 609 609 609 609 609 611 612
576
Amputationsverletzungen
16.1 Allgemeines Als Makroamputationen im Bereich der unteren Extremität bezeichnet man Amputationsverletzungen proximal des oberen Sprunggelenks (Articulatio talocrualis).
16.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie 16.1.1.1 Konzept der “Funktionskette untere Extremität” Die untere Extremität kann als eine Funktionskette be trachtet werden, deren Glieder jeweils einen spezifischen Beitrag für ihre Hauptfunktionen, Stützfunktion (beid beiniger Stand) und Lokomotion (langsamer Gang, schneller Gang, Laufen), beisteuern. Notwendige Voraus setzungen für beide Hauptfunktionen sind: 1. ausreichende Länge beider Extremitäten, 2. gute passive und aktive Gelenkbeweglichkeit, 3. ausreichend große und funktionelle Kontaktfläche, 4. gute Sensibilität an der Kontaktfläche (Fußsohlen fläche), 5. gute muskuläre Kontrolle. Eine Funktionsbeeinträchtigung resultiert von Läsionen der Haut, Muskeln/Sehnen, Nerven und Knochen alleine oder in Kombination (Tabelle 16.1).
KAPITEL 16
In Abhängigkeit von der Amputationshöhe im Fußbe reich kommt es zu unterschiedlich starken Funktionsbe einträchtigungen (Tabelle 16.2). Die Bedeutung der einzelnen Zehen für die Funktion des Fußes ist unterschiedlich. Die Großzehe und vor allem der Großzehenballen sind wichtig für einen kraft vollen Fußabdruck. Die 2. bis 5. Zehe haben für den Abdruck weniger Bedeutung, sind aber für Abbremsbe wegungen – vor allem beim Sport – wichtig. Vorfußam putationen im Zehenbereich distal der Metatarsophalan gealgelenke erfüllen im Allgemeinen die anatomischen Anforderungen für einen adäquaten Amputationsstumpf (1. ausreichende Stumpflänge, 2. trabekulärer Knochen, 3. adäquate Weichteildeckung und Sensibilität, 4. gute muskuläre Kontrolle). Die Amputation der 2. Zehe – un ter Erhalt des Metatarsale II – kann zu einem Einwärts wandern der Großzehe unter Ausbildung eines Hallus valgus führen. Eine Amputation der 5. Zehe führt im all täglichen Leben zu keiner nennenswerten Beeinträchti gung. Bei Sportlern kann es durch die Verminderung der Abbremsfunktion bei Bewegungen mit abrupten Ab bremsen oder Richtungsänderungen zu signifikanten funktionellen Beeinträchtigungen kommen. Der Verlust der Großzehe hat keinen nennenswerten negativen funktionellen Einfluss während der Standpha se und beim langsamen Gang. Der Längenverlust führt zu einer Beeinträchtigung der Abdruckfunktion des Fußes. Die funktionelle Beeinträchtigung ist umso stär ker, je schneller der Patient geht. Wenn immer möglich, sollte so viel Länge wie möglich erhalten bleiben. Der Metatarsalbereich des Fußes ist wichtig für die Größe der Standfläche. Bei Amputationen im Metatarsal
Tabelle 16.1. Darstellung der möglichen Einzelfunktionen der unteren Extremität nach Amputation, Amputation und frühzeitiger prothetischer Versorgung und Replantation in Abhängigkeit von der Amputationshöhe Amputationshöhe Einzelfunktion
Wahrscheinliche Funktion Replan tation
Stumpfversorgung + Prothese
Stumpfversorgung
Hüfte/Oberschenkel Extension/Flexion
+
+
+
Abduktion/Adduktion
+
+
+
Außen-/Innenrotation
+
+
+
+
+
+
+
+
–
Kniegelenkbereich Extension/Flexion Unterschenkel/Sprunggelenk/Fuß Gehen in der Horizontalen auf ebener Unterfläche Gehen in der Horizontalen auf unebener Unterfläche
+
(–)
–
Treppauf- und -absteigen
+
(–)
–
schnelles Gehen/Laufen
+
(–)
–
KAPITEL 16
Amputationsverletzungen
577
Tabelle 16.2. Funktionelle Beeinträchtigung der globalen Fußfunktion in Abhängigkeit von der Amputationshöhe Funktionelle Beeinträchtigung Amputationsniveau
Stütz
Beidbeiniger Stand
Langsamer Gang
Schneller Gang/ Laufen
D II–V
–
–
–
(+ Sportler)
D I
–
–
–
+
D II–V
–
–
+
+
D I
–
–
+
+
Transtarsal proximal (Zone III)
–
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
Zehen (Zone I)
Metartarsale (Zone II)
Lisfranc Chopart Transtarsal proximal (Zone IV) Pirogoff Boyd Vasconcelos Transartikulär (Zone V)
– keine Beeinträchtigung, + Beeinträchtigung.
bereich verbleibt meist eine ausreichende Funktion für den beidbeinigen (Stützfunktion) und einbeinigen (Standfunktion) Stand und das langsame Gehen. Im Tarsometatarsalbereich findet die Kraftübertra gung vom Unterschenkel auf den Fuß statt. Bei Verlust der Abdruckfunktion der Zehen und des Abrollbereiches unter dem Großzehenballen kommt es zu einer Redukti on der Standfläche auf das kleine Areal unterhalb des Fußrückens. Durch die Überbeanspruchung der Weich teile treten hier oft Druckgeschwüre auf. Bei Amputati onsverletzungen proximal der Lisfranc-Linie kann zu sätzlich durch die fehlende Muskelwirkung der extrinsischen Zehnextensoren eine Pes-equinovalgusDeformität des Fußes entstehen. Aus biomechanischer Sicht stellt die transtalare Am putationslinie (Syme) die nächste wichtige Amputations linie dar. Durch die weitere Reduktion der Auftrittsfläche kommt es auch zu einer funktionellen Beeinträchtigung während des beidbeinigen Standes und zu einer Ge wichtsverlagerung auf die gesunde Seite. Wiederum kön nen durch übermäßige Druckbeanspruchung im Bela stungsbereich Druckgeschwüre entstehen.
16.1.2 Makroamputationsverletzungen 16.1.2.1 Ätiologie Das Verhältnis von Amputationsverletzungen im Bereich der oberen Extremität verglichen mit jenen der unteren Extremität wird in der Literatur mit 14:1 angegeben.
Totale und subtotale Amputationsverletzungen im Be reich der unteren Extremität im eigentlichen Sinn der Definition sind sehr seltene Verletzungen. Amputations verletzungen im Oberschenkelbereich kommen in Frie denszeiten selten vor. Die meisten Amputationsverlet zungen betreffen den Unterschenkelbereich. In größeren Serien machen sie jedoch nur 0,2–1% aller kombinierten Knochen-Weichteil-Defekte aus. Da häufig fälschlicher weise drittgradig offene Unterschenkelfrakturen bzw. komplexe Knochen-Weichteil-Traumata im Unterschen kelbereich mit noch ausreichender Restdurchblutung auch als „subtotale Amputationen“ bezeichnet werden, liegt die scheinbare Inzidenz in der Literatur höher.
578
Amputationsverletzungen
16.1.3 Diagnostik Subtotale und totale Makroamputationsverletzungen an der unteren Extremiät stellen für den Betroffenen eine erhebliche funktionelle, ästhetische und psychische Be einträchtigung dar. Der Patient mit einer Makroamputationsverletzung ist prinzipiell wie ein polytraumatisierter Patient zu behandeln. Die präklinische Versorgung, alle diagnostischen Maßnahmen und der Transport in den Operationssaal müssen so schnell wie möglich erfolgen, um die kalte Ischämiedauer des Amputats so kurz wie möglich zu halten (nicht über 5 Stunden).
Die Diagnostik und Therapie derartiger Verletzungen verlangen ein interdisziplinäres Vorgehen. Mitglieder des
KAPITEL 16
Therapieteams (Replantationsteam) sind: der replantie rende Chirurg, der Anästhesist, Pflegepersonal, der Haus arzt, der Physiotherapeut und der Bewegungstherapeut, der Neurologe, der Orthopädiemeister und der Sozial dienst. Ein optimales Behandlungsergebnis kann nur dann ereicht werden, wenn alle Mitglieder des Thera pieteams lückenlos zusammenarbeiten. Besonders muss auf die Bedeutung der Physiotherapie hingewiesen werden.
16.1.3.1 Begleitverletzungen Makroamputationsverletzungen im Bereich der unteren Extremität und vor allem des Unterschenkels sind häufig mit Begleitverletzungen verbunden. Art und Schwere der Begleitverletzungen müssen so genau wie möglich erfasst werden (Cave: Polytrauma!).
Tabelle 16.3. Klassifikation der Makroamputationen im Bereich der unteren Extremität Verletzungsausmaß
Verbindung
Durchblutung
Therapie
Totale (komplette) Amputation
–
–
Replantation
Subtotale Amputation
<25% der Zirkumferenz
–
Replantation
>25% der Zirkumferenz
–
Revaskularisation
+
Rekonstruktion
Typ I: Knochen Typ II: Strecksehne Typ III: Beugesehne Typ IV: Hauptnervenstamm Typ V: Hautbrücke Komplexer Knochen-Weichteil-Schaden Lokalisation Oberschenkelbereich Knie und proximaler Unterschenkel Mittlerer Unterschenkel Distaler Unterschenkel Amputationsmechanismus Glattrandige Schnittverletzung Amputationsverletzung mit lokalisierter Quetschung Amputationsverletzung mit diffuser Quetschung Mehretagenverletzung Ausrissverletzung Skelettierungs- oder Degloving-Amputationen Sonstiges
KAPITEL 16
Amputationsverletzungen
16.1.4 Klassifikation der Makroamputationen Makroreplantationen im Bereich der unteren Extremität werden – wie die Makroreplantationen im Bereich der oberen Extremität – eingeteilt nach
XII
XI
• Ausmaß (total, subtotal, komplexe Knochen-Weich teil-Schädigung/“mangeled extremity“), • Lokalisation und • Unfallmechanismus (Tabelle 16.3). Nach der Lokalisation der Läsion unterscheidet man Am putationsverletzungen im Oberschenkelbereich, im Knie gelenkbereich, im proximalen und mittleren Unterschen kelbereich und im distalen Unterschenkelbereich. Darüber hinaus können noch Mischformen (Mehreta genverletzungen) unterschieden werden (Abb. 16.1).
X
16.1.5 Therapie IX
VIII
VII
VI
V
Abb. 16.1. Klassifikation der Makroreplantationen nach der Amputationshöhe
Für die Therapie von Amputationsverletzungen verwen den wir ein so genanntes „integratives Therapiekonzept“, welches neben der primär anzustrebenden kompletten Replantation eine intensive physiotherapeutische Thera pie und eventuelle Sekundäreingriffe umfasst (Tabel le 16.4). • Die Qualität der primären Replantation entscheidet über das funktionelle und ästhetische Ergebnis. Die Möglichkeit sekundärer Eingriffe entbindet nicht von der Notwendigkeit, bei der Primäroperation die bestmögliche Versorgung durchzuführen. • Die Nachbehandlung nimmt eine Schlüsselrolle bei der Behandlung des verletzten Patienten ein. Die Physiotherapie ist integraler Bestandteil der Therapie. Nur durch ausreichend oft und genügend lange und intensiv durchgeführte Physiotherapie kann ein optimales Ergebnis erzielt und auf lange Sicht gehalten werden. • Das durch die Replantation erzielte Ergebnis lässt sich oftmals durch Sekundäreingriffe deutlich verbessern.
16.1.5.1 Leitlinien für die präklinische und Erstversorgung Vordringlichste Aufgaben des präklinischen Managements ist die Stabilisierung des Allgemeinzustandes des Patienten („life for limb“).
579
580
Amputationsverletzungen
KAPITEL 16
Tabelle 16.4. „Integratives Therapiekonzept“ bei Makroreplantationen im Bereich der unteren Extremität Primärversorgung bei der Replantation k) Wundreinigung, Desinfektion und adäquates Débridement
Mehrzeitige Replantation:
l) Osteosynthetische Versorgung m) Mikrochirurgische Versorgung n) Versorgung von Muskel- und Sehnenverletzungen
Einzeitige Replantation
o) Wundschluss und Prophylaxe von postoperativen Fehlstellungen Physiotherapie (ambulant und stationär) 1) Krankengymnastik 2) Ergotherapie 3) Dynamische Fußdruckmessung und Bewegungsschulung Sekundäreingriffe Geplant „Konzept der primär geplanten verkürzenden Replantation mit sekundärer Extremitätenverlängerung“ sekundäre Extremitätenverlängerung Sonstiges „Konzept der zweizeitigen normotopen Replantation“ Sonstiges „Konzept der geplanten heterotopen Revaskularisation mit sekundärer normotoper Replantation (‚limb-banking‘)“ sekundäre normotope Replantation Sonstiges Fakultativ 1. Revision bei Gefäßkomplikationen 2. Frühe Reamputation 3. Sekundäre rekonstruktive Eingriffe Weichteildeckung Knochendefektrekonstruktion Nervendefektrekonstruktion Muskel-/Sehnenrekonstruktion Sonstiges 4. Adjuvante Eingriffe Tenodese Kapsulodese Arthrodese Orthese Sonstiges 5. Palliative Eingriffe Narbenkorrekturen Neuromverlagerungen Sonstiges 6. Sekundäre Reamputation
KAPITEL 16
Der Patient mit einer subtotalen oder totalen Ober- oder Unterschenkelamputation ist in höchstem Maße gefähr det und wie ein Polytraumatisierter zu behandeln. Zur Frühprävention eines ARDS („acute respiratory distress syndrome“) soll auch der wache Patient durch den Not arzt an der Unfallstelle intubiert werden. Zur Blutstillung im Bereich des Amputatstumpfes genügt meist ein Druck verband.
! Die Anlage einer Oberschenkelblutsperre oder eines Tourniquet ist obsolet und gefährlich.
Sowohl am Amputationsstumpf als auch am Amputat sollen alle Manipulationen wie Säuberung, Desinfektion oder Setzen von Klemmen vermieden werden. Nur bei blutenden Hauptgefäßen des Stumpfes kann das Setzen von Klemmen notwendig sein. Nach Sicherung der Vitalfunktionen stellt die Minimierung des Ischämieschadens, welcher abhängig ist von der Ischämiedauer und der Art der Ischämie (warm/kalt), das nächst wichtige Therapieziel dar.
Das Amputat muss geborgen und nach dem „Prinzip der trockenen Kühlung“ adäquat gelagert werden. Es ist da rauf zu achten, dass Patient und Amputat gemeinsam so schnell wie möglich – meist mit dem Hubschrauber – in ein vorab informiertes Replantationszentrum gebracht werden. Patienten mit einer Makroamputationsverletzung im unteren Extremitätenbereich sind nach den gleichen Leitlinien wie Polytraumatisierte zu behandeln.
Das diagnostische Procedere nach Klinikaufnahme er folgt im so genannten „Schockraum“. Nach Sicherung der Vitalfunktionen dient uns für eine möglichst exakte Scha denserfassung ein „standardisiertes diagnostisches Vor gehen“. In Abhängigkeit vom Allgemeinzustand des Pati enten ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, wie viel weiterführende Diagnostik für den Patienten verantwor tet werden kann. Eine grobe Orientierung liefert die ini tale klinische Untersuchung. Mit laborchemischen Un tersuchungen wird sofort nach Einlieferung in den Schockraum begonnen. Vorrangig wird eine Blutgasana lyse zur Kontrolle der Gasaustauschfunktion sowie des Säure-Basen-Haushalts durchgeführt. Hämoglobin, Hä matokrit und kleines Blutbild sowie die Untersuchung der Blutgerinnung folgen. Zur Bestimmung des knöcher nen Schadens und zum Ausschluss einer Mehretagenver letzung führen wir eine Röntgenuntersuchung von Oberund Unterschenkel sowie des Amputats in 2 Ebenen durch. Vor allem bei Quetschverletzungen hat sich in vielen Fällen eine digitale Substraktionsangiographie (DSA) be
Amputationsverletzungen
währt. Neben der Diagnostik von arteriellen Gefäßverlet zungen, gibt die DSA zuverlässig Auskunft über die aktu elle Gefäßsituation. Eine adäquate Durchblutung ist notwendig, um eine ungestörte Wundheilung zu erzielen. Darüber hinaus ist es wichtig, die Qualität der Durchblu tung der distalen Extremitätenabschnitte zu evaluieren. Bei schlechter distaler Perfusion und fehlender Möglich keit der Defektdeckung kann deshalb mit Hilfe der DSA auch die Indikation zur Ablehnung der Replantation ge stellt werden. Oft ist es erst intraoperativ möglich, das wirkliche Ausmaß des Knochen- und Weichteilschadens mit Hilfe der klinischen Vitalitätsbeurteilung genauer zu bestimmen (Perfusion). Bei subtotaler oder totaler Unterschenkelamputation im Rahmen eines Polytraumas muss das oben genannte „standardisierte diagnostische Vorgehen bei Unterschenkeldefekten“ in ein „Diagnostik- und Therapieschema bei Polytrauma“ integriert werden.
16.1.5.2 Indikationsstellung In Anlehnung an die Empfehlungen des „Replantation Comittee“ der „International Society for Reconstructive Microsurgery“ lassen sich folgende allgemeine Empfeh lungen für die Indikationsstellung im Bereich der unteren Extremität geben: • Wegen des großen Replantationsrisikos ist die Makro replantation oberhalb des Kniegelenks eine Seltenheit und sollte nur bei glatter Amputation erwogen wer den. • Aufgrund der höheren Regenerationspotenz kann bei Kindern die Indikation zur Replantation weiter gefasst werden als beim Erwachsenen. • Die Indikation zur Replantation sollte bei Frauen aus ästhetischen Gründen ebenfalls weiter gefasst wer den. Um das Ziel der erfolgreichen Replantation zu erreichen, bewährt es sich, ein standardisiertes Vorgehen zu wählen. Es orientiert sich an möglichst objektivierbaren klinischen Kriterien. Die in Tabelle 16.5 aufgeführten grundlegende Fragen sind systematisch zu eva luieren.
Replantationsfähigkeit Für die Beurteilung, ob ein Patient überhaupt operiert werden kann, muss die Replantationsfähigkeit evaluiert werden. Sie bewertet den Allgemeinzustand des Patienten zum Zeitpunkt der Primärdiagnostik im Schockraum und während der operativen Versorgung.
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Amputationsverletzungen
KAPITEL 16
Tabelle 16.5. Entscheidungsbaum „subtotale und totale Unterschenkelamputation“ 1.
Besteht primär Rekonstruktions- bzw. Operationsfähigkeit?
2.
Besteht eine Rekonstruktionseignung beim Patienten?
3.
Erlaubt das Rekonstruktionsrisiko eine Replantation?
4.
Besteht Rekonstruktionswürdigkeit von Amputatstumpf und Amputat ?
5.
Besteht Rekonstruktionswilligkeit beim Patienten?
6.
Welches Replantationskonzept empfiehlt sich für die Replantation?
7.
Besteht eine Gefährdung des Patienten nach der Replantation?
8.
Lässt sich eine Ergebnisverbesserung durch Sekundäreingriffe erzielen?
Es gilt der Grundsatz „life for limb“.
Objektive und allgemein anerkannte Parameter für die Bewertung der aktuellen Operationsfähigkeit sind Blut druck, Respiration und Ausscheidung. Bei fehlender Operationsfähigkeit wird die Stumpf versorgung als Maßnahme zur Blutstillung – und damit zur Schocktherapie – und als einfachster und am we nigsten invasiver Eingriff durchgeführt. Ziel ist die opti male Stumpfversorgung (Abb. 16.2). Eine adäquate Kno chenlänge und Weichteildeckung sowie eine gute Sensibilität sind Voraussetzungen für eine möglichst komplikationslose Prothesenversorgung. Aufgrund der Notfallsituation kann in vielen Fällen eine sekundäre Stumpfkorrektur notwendig werden. Bei mobilem Knie gelenk sollte ein Unterschenkelstumpf angestrebt werden. Zwingt die klinische Situation zur Aufgabe des Kniege lenks, sollte geprüft werden, ob eine transartikuläre Am putation mit Erhalt originärer Muskelkräfte möglich ist. Das Innervationsgebiet des N. saphenus kann in der Kniegelenkebene eine sensible Stumpfkappe garantieren. Neben der konventionellen Stumpfversorgung sollte bereits bei der Erstoperation an die Möglichkeit einer einzeitigen oder zweizeitigen („flap-banking“) Stumpf versorgung mit Amputatteilen gedacht werden. Lassen sich keine Amputatteile („Gewebebankkonzept“) für die Stumpfversorgung verwenden, kann der Amputations stumpf sekundär durch Nachkürzung, freie (mikrovasku läre) Gewebetransplantate oder mit Hilfe der progres siven Extremitäten- bzw. Stumpfverlängerung verbessert werden. Bei primär bestehender Operationsfähigkeit entschei det der Allgemeinzustand des Patienten vor Amputation (Rekonstruktionseignung) über das weitere Vorgehen.
inadäquater Amputationsstumpf sekundäre Operationen
sekundäre progressive Stumpfverlängerung
freie mikrovaskuläre Gewebetransplantation
von Amputat „Gewebe-Bank“
primäre einzeitige Transplantation
optimaler Stumpf
andere Spendergebiete
mehrzeitige Transplantatio „Flap-Banking“
Länge Abpolsterung Sensibilität
Abb. 16.2. Möglichkeiten der einzeitigen und zweizeitigen Versorgung traumatisch bedingter Amputationsstümpfe im Unterschenkelbereich.
KAPITEL 16
Replantationseignung Die Replantationseignung bewertet, ob der allgemeine Gesundheitszustand des Patienten eine Replantation zu lässt. Eigen- und Fremdanamnese sind wichtige Informati onsquellen für die Festsetzung des therapeutischen Vor gehens. Für eine Replantation nicht geeignet sind Pati enten • mit systemischen chronischen Erkrankungen (Diabe tes mellitus, Tumoren usw.), • mit allgemeinen Gesundheitsproblemen (Herzinsuffi zienz, arterielle Verschlusskrankheit/AVK usw.) und • mit stark eingeschränkter Intelligenz. Der Patient muss mental in der Lage sein, die langwierige Nachbehandlung zu verstehen und aktiv mitzuarbeiten. Das biologische Alter des Patienten hat eine große Be deutung, da mit zunehmendem Alter das Replantations risiko steigt und die Wahrscheinlichkeit, ein gutes funkti onelles Ergebnis zu erzielen, sinkt. Schlechtere funktionelle Ergebnisse sind zurückzuführen auf eine hö here Inzidenz von Gelenkeinsteifungen, Sehnenadhäsi onen, schlechtere Nervenregeneration und höhere Rate an Kälteintoleranz. Bei fehlender Rekonstruktionseignung erfolgt die Stumpfversorgung mit frühzeitiger prothetischer Versor gung.
Replantationsrisiko Das Replantationsrisiko beschreibt die Wahrscheinlich keit des Auftretens von lokalen und/oder systemischen Komplikationen nach Replantation/Revaskularisation. Der Allgemeinzustand des Patienten muss nicht nur eine längere Operationsdauer erlauben, sondern auch eine mögliche systemische postoperative Beeinflussung des Organismus durch das Replantat tolerieren. Ausge dehnte Knochen-Weichteil-Schädigungen führen neben lokalen zu systemischen Auswirkungen, welche durch den Terminus der „Traumakrankheit“ definiert sind. Zu den lokalen Symptomen im Replantat zählen: • der akut einsetzende Gefäßverschluss (arteriell/ venös), • das „no-reflow phenomenon“, • die subakut auftretende Infektion sowie • algodystrophe Syndrome als Spätkomplikationen. Zu den akuten systemischen Symptomen zählt man die Crush-Syndrome und das Ischämie-Reperfusions-Syn drom, welche zu Mono-, Oligo- oder Multiorganversagen führen können. In der subakuten Phase kann sich von ei
Amputationsverletzungen
ner lokalen Infektion im Knochen-Weichteil-Defekt eine Sepsis ausbilden. Für die Beurteilung einer möglichen se kundären Schädigung des Gesamtorganismus im Rah men der “Traumakrankheit” gelten als objektivierbare Kriterien: • Dauer und Art (warm/kalt) der Gewebeischämie, • Art und Ausmaß der Gewebeschädigung, • Größe der unfall- und iatrogen bedingten syste mischen Beeinträchtigung des Patienten. Die kalte Ischämiedauer sollte auf 3 Stunden begrenzt sein, die 5-Stunden-Grenze jedoch keinesfalls überschreiten.
Eine wichtige weitere Möglichkeit der Reduzierung des Ischämieschadens liegt in der sofortigen posttrauma tischen Herabsetzung des Zellstoffwechsels durch Küh lung. Das Amputat muss trocken in einem Plastiksack verpackt werden und in einen zweiten Plastiksack auf Eis gelagert werden, wobei aber eine Mindesttemperatur von +4°C mit Rücksicht auf die drohende kryogene Zellrup tur nicht unterschritten werden soll („Prinzip der tro ckenen Kühlung“). Es ist auch darauf zu achten, dass die Kühlung nicht nur während des Transportes in das Re plantationszentrum, sondern auch während der Diagnos tik und der Replantation bis zur definitiven Revaskulari sation aufrechterhalten bleibt. Eine weitere Möglichkeit der Reduktion des Ischämie schadens bietet die Amputatperfusion. Der Wert der Per fusion liegt in der raschen, alle Gewebeschichten errei chenden, permanenten Kühlung über die Hauptblutgefäße. Derzeit wird kontrovers diskutiert, ob derartige Verfah ren Endothelläsionen und ein Intimaödem verursachen und ob daher auf diese Methoden verzichtet werden sollte. Zusätzlich zu dem Ischämieschaden entsteht nach Re vaskularisation ein charakteristischer Reperfusionsscha den, der abhängt von der Größe der geschädigten Mus kelmasse. Bei Überschreiten tolerabler Ischämiezeiten wird während der Reperfusion ein sogenanntes „no-re flow phenomenon“ mit hochgradiger Gefährdung der rekonstruierten Extremität oder des Replantats beobach tet. Die lokale Ischämie- bzw. Reperfusionsproblematik kann bei Ischämiesyndromen von Extremitäten ein aus geprägtes „declamping phenomenon“ auslösen, das durch plötzliche Einschwemmung vielfältiger, in der revaskula risierten Extremität generierter und akkumulierter Meta bolite und Mediatoren hervorgerufen wird. Dieses post traumatische Schocksyndrom ist charakterisiert durch einen plötzlichen Blutdruckabfall, einhergehend mit ei ner Abnahme des peripheren Widerstandes. Protrahierte Schockzustände und systemische „Lowflow-Zustände“ engen die Toleranzgrenzen für rekon struktive Eingriffe aufgrund der Ischämie- bzw. Reperfu
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Amputationsverletzungen
sionsproblematik des Gesamtorganismus weiter ein. Die Grundmechanismen des Ischämie-Reperfusions-Scha dens werden als weitgehend uniform gesehen, weisen je doch im Hinblick auf die speziell betroffenen Organe (Herz, Niere, Lunge, Gehirn) charakteristische Manifesta tionen auf. Für die klinische Situation bedeutet dies, dass alles versucht werden muss, bei gleichzeitiger trockener Kühlung die Ischämiedauer möglichst kurz zu halten. Präoperativ bedeutet dies einen schnellen Transport in ein Spezialzentrum sowie eine schnelle Diagnostikphase. In traoperativ kann durch sofortigen arteriellen und venösen Anschluss mit Hilfe eines temporären Shunts die Ischä miezeit verkürzt werden. Man muss dabei darauf achten, dass der primäre venöse Rückfluss mit einer hohen Kon zentration an Radikalen und Mediatoren verworfen wird. Aufgrund der großen Wundfläche muss ein möglicher großer Blutverlust überwacht und korrigiert werden. Medikamentös kann eine Verminderung des Reperfu sionsschadens erreicht werden durch Gabe von Substan zen, die in die Reaktionskette der Radikalgenerierung eingreifen wie z. B. Radikal-Scavenger (Superoxiddismu tase, Katalase, Mimethylsulfoxid), Xanthinoxidaseinhibi toren (Allopurinol), Eisenchelatoren (Resferoxamin) oder monoklonale Antikörper zur Blockade der erhöhten Granulozytenadhärenz. Im Gegensatz zur Ischämiedauer, welche meistens aufgrund der Transportdauer vorgegeben ist, kann die zu erwartende „Traumakrankheit“ durch die Reduktion von potenziell toxischem, geschädigtem Gewebe (vor allem Muskel) im Rahmen eines „adäquaten“ Débridements bis zur segmentalen Resektion effizient therapeutisch beeinflusst werden.
Derzeit erfolgt die Risikoabschätzung einer Makrore plantation empirisch mit Hilfe des Hannover Polytrau ma-Scores (PTS). Bei einer als funktionell einzustufenden Unterschenkelamputation ist die Indikation zur Replan tation gegeben. Ebenso bei polytraumatisierten Patienten, welche maximal Stadium 1 und 2 des PTS zeigen. Ob wohl eine Reihe biochemischer Faktoren (PMN-Elastase, Kathepsin B, Laktat, CRP, Neopterin, AT III), teilweise bereits bei Klinikaufnahme Hinweise geben können, gibt es derzeit keine allgemein anerkannten biochemischen Parameter zur Risikoabschätzung nach Revaskularisation größerer Gewebeblöcke. Ein zu großes Replantationsrisiko besteht • beim monotraumatisierten Patienten bei einer kalten Ischämiezeit >4–5 Stunden, • bei einer ausgedehnten Mehretagenverletzung, • bei einer ausgedehnten Knochen-Weichteil-Schädi gung (vor allem Quetschungen und Verbrennungen) und • bei einer ausgedehnten Kontamination.
KAPITEL 16
Auch proximale Amputationsverletzungen können re plantiert werden, wenn nach Verringerung der potenziell toxischen Muskelmasse durch „adäquates Débridement“ ein funktionell besseres Ergebnis erzielt werden kann als nach Amputation und frühprothetischer Versorgung. Neben den oben genannten Kriterien schränkt beim po lytraumatisierten Patienten der Schweregrad des Gesam verletzungsbildes (PTS >Stadium 2) die Replantationsin dikation weiter ein. Hier stellt wiederum die primäre Stumpfversorgung, evtl. gefolgt von stumpfverbessernden Maßnahmen, die Therapie der Wahl dar (vgl. Abb. 16.2).
Replantationswürdigkeit Die Replantationswürdigkeit evaluiert die Wahrschein lichkeit für die Rekonstruktion einer „funktionellen Ex tremität“. Replantationswürdigkeit von Amputat und Amputationsstumpf sind nacheinander zu bewerten. Bei bilateralen Amputationsverletzungen müssen 4 Regionen bewertet werden.
Bei subtotalen Amputationen und komplexen KnochenWeichteil-Schäden (offene C III-Fraktur nach Gustilo) kann der „mangeled extremity severity score“ (MESS)“ zusätzliche Entscheidungshilfen bieten. Bei einem Score >7 ist mit einem signifikant schlechteren funktionellen Ergebnis und mit einer signifikant erhöhten Komplikati onsrate zu rechnen (Tabelle 16.6). Es erscheint wichtig, den MESS sowohl vor Beginn des Débridements als auch nach Beendigung zu bestimmen. Der für die Beurteilung der Replantationswürdigkeit ver wendete MESS sollte den Zustand nach Débridement be schreiben. Amputat. Wir definieren ein Makroamputat (am Unter schenkel) als „replantationswürdig“, wenn die kalte Is chämiezeit <4–5 Stunden beträgt. Es sollen keine ausge dehnten Mehretagenverletzungen vorliegen, keine ausgedehnte Weichteilschädigung (Quetschverletzung, langstreckige Avulsionen, Hitze-, Druck- und Barotrau men) und keine ausgedehnten Kontaminationen (z. B. toxische Verunreinigungen) vorliegen. Die Möglichkeit der Rekonstruktion des N. tibialis posterior (Fußsohlen sensibilität) soll bestehen. Das von Chen angeführte Kri terium der Extremitätenverkürzung <6–8 cm kann nach den guten Erfahrungen mit der Extremitätenverlänge rung nach Replantation nicht mehr empfohlen werden. Bei fehlender Replantationswürdigkeit ist das thera peutische Ziel die „optimale Stumpfversorgung“ (vgl. Abb. 16.2). Liegt eine Replantationswürdigkeit des Amputats vor, entscheidet nun der Zustand des Amputationsstumpfes über das weitere Vorgehen.
KAPITEL 16
Amputationsverletzungen
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Tabelle 16.6. “Mangeled Extremity Severity Score” (MESS) nach Helfert Knochen-Weichteil-Schaden: geringe Energie (Durchspießung; einfache Fraktur; Kleinkaliber-Schusswunden)
1
mittlere Energie (offene oder multiple Frakturen, Dislokationen)
2
hohe Energie (Großkaliber-Schusswunde, Quetschung)
3
massive Quetschung (Holzfäll-, Eisenbahnunfälle usw.)
4
Schock: Normotension (stabiler RR am Unfallort und während der Operation
0
transiente Hypotonie (instabiler RR, aber promptes Ansprechen auf intravenöse Flüssigkeitszufuhr)
1
persistierende Hypotonie (RR <90 mmHg, Ansprechen auf intravenöse Flüssigkeitszufuhr nur im Operationssaal)
2
Ischämie: keine
0
geringe (abgeschwächte oder fehlende Pulse bei normaler Perfusion)
1
mäßige (fehlende Pulse, Parästhesien, verlängerte Rekapillarisierung)
2
fortgeschrittene (kalt, Paralyse, Parästhesien, fehlende Sensibilität; doppelte Punktzahl für Ischämie >6 h)
3
Alter: <30 Jahre
0
30–50 Jahre
1
>50 Jahre
2
Amputatstumpf. Unsere Kriterien für die Replantati onswürdigkeit des Amputationsstumpfes sind
1. keine ausgedehnte Mehretagenverletzung der betrof fenen Extremität, 2. keine ausgedehnte Kontamination, 3. keine ausgedehnte Weichteil- und/oder Knochenschä digung und 4. keine zusätzliche Schädigung des N. ischiadicus. Bei fehlender Replantationswürdigkeit des Amputati onsstumpfes ist zu prüfen, ob diese definitiv oder tempo rär besteht. Bei lebensbedrohlichem Allgemeinzustand des Patienten (fehlende Operationsfähigkeit, „life for limb“) und definitiv fehlender Replantationswürdigkeit des Amputatstumpfes besteht die Indikation zur defini
tiven Stumpfversorgung. Bei Operationsfähigkeit des Pa tienten und passager fehlender Replantationswürdigkeit im Stumpfbereich (Stromverletzung, Quetschverletzung, Hochdruckinjektionsverletzungen usw.) sollte die Mög lichkeit des primären Stumpfdébridements und der heterotopen Revaskularisation („tissue-banking“ nach Godina) bedacht werden. Nach Erreichen der Replantati onsfähigkeit des Amputatstumpfes kann dann in einer zweiten Operation die normotope Transplantation des Amputats („limb-banking“) oder noch brauchbarer An teile („flap-banking“) durchgeführt werden (Abb. 16.3). Bei Replantationswürdigkeit des Amputations stumpfes und des Amputats ist eine Replantation mit ver tretbarem Risiko möglich und funktionell sinnvoll. Über das weitere Vorgehen entscheidet nun die Replantations willigkeit des Patienten.
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Amputationsverletzungen
KAPITEL 16 Abb. 16.3. Konzept der geplant primär heterotopen Revaskularisation mit sekundärer normotoper Transplantation („limb-banking“ nach Godina)
„limb-banking“ „flap-banking“
„tissue bank transfer“ erhaltenes Amputat
primäre meterotope Revaskularisation mit sekundärer Cross over Replantation
Segmentaler Gewebedefekt > 15 cm zerstörtes Amputat
einzeitige Cross over Replantation
Replantationswilligkeit Die Replantationswilligkeit legt die subjektiven Wünsche und Bedürfnisse des Patienten (oder seiner Angehörigen) fest. Intakte körperliche Integrität, berufliche Notwen digkeiten, Freizeitbelange, soziale Hintergründe und die Möglichkeit der Rehabilitation und sozialen Reintegrati on bestimmen den Wunsch oder die Ablehnung einer Replantation. Die Entscheidung, ob eine Replantation sinnvoll ist, sollte nach einem ausführlichen aufklärenden Arzt-Pati enten-Gespräch und interdisziplinären Konsil der am meisten erfahrene Chirurg des Replantationszentrums treffen. Besteht keine Replantationswilligkeit von Seiten des Patienten, wird eine primäre Stumpfversorgung am Un falltag durchgeführt.
16.1.5.3 Operative Schritte der Makroreplantation Aufgaben und operative Schritte der Primärver sorgung Vordringliche Aufgaben der operativen Primärversorgung sind: 1. Minimierung des Traumas durch adäquates Débridement von potenziell geschädigtem Gewebe 2. Revitalisierung des abgetrennten Extremitätenabschnitts 3. Rekonstruktion einer funktionellen Extremität
KAPITEL 16
Operative Schritte der Primärversorgung sind: 1. Wundreinigung und Desinfektion, 2. Präparation der Gefäß-Nerven-Bündel und Débridement (inklusive Sonderform der primär geplanten Extremitätenverkürzung) 3. Osteosynthetische Versorgung 4. Mikrochirurgische Versorgung 5. Versorgung der Muskel- und Sehnenverletzungen 6. Wundschluss 7. Spitzfußprophylaxe (vgl. Tabelle 16.4)
Eine definitive, einzeitige Replantation sollte immer angestrebt werden, da sekundäre Eingriffe das Infektrisiko erhöhen und das funktionelle Ergebnis beeinträchtigen können.
Als „salvage procedure“ kann bei intraoperativ auftre tender Verschlechterung des Allgemeinzustandes des Pa tienten die Replantation nach Revaskularisierung, im Sinne einer Minimalversorgung, beendet werden. Die kurze Primäroperation soll den Patienten möglichst schnell der optimalen Intensivtherapie (und -diagnostik) zuführen, den initialen Blutverlust minimieren und die Ischämiezeit der Extremität verkürzen. Osteosynthese und Weichteildébridement sollen auf das der Situation angepasste Maß beschränkt bleiben. Eine großzügige Knochenkürzung löst erste Probleme der Weichteilde ckung und erleichtert die Gefäßanastomosen. Bei weiterer Verschlechterung des Allgemeinzustandes ist die frühe Reamputation unverzüglich durchzuführen (Berger 1980). Nach Stabilisierung des Zustandes nach 24–48 Stun den (maximal 72 Stunden) steht, wenn nötig, eine Se cond-look-Operation an, deren Ziel die funktionelle und kosmetische Rekonstruktion ist. Unter elektiven Bedin gungen (für Patient und Therapieteam) mit stabilem Kreislauf und intakter Blutgerinnung kann nun ein aus gedehntes Weichteildébridement erfolgen. Es können notwendige Nervenrekonstruktionen durchgeführt wer den, Weichteildefekte durch freien mikrochirurgischen Gewebetransfer gedeckt und unter Umständen Osteo synthesen komplettiert werden (Abb. 16.4).
Wundreinigung, Desinfektion und Débridement Der Patient sollte auf einer Wärmematte gelagert werden (adäquate Körpertemperatur zur Gefäßspasmusprophy laxe). Routinemäßig sollte auch eine Bleimatte zum
Amputationsverletzungen
eingeschränkte Primäroperation Überleben des Amputates Second-Look Operation funktionelle und kosmetische Rekonstruktion
einzeitige Cross over Replantation
Abb. 16.4. Zweizeitige normotope Replantation
Schutz vor intraoperativer Röntgenstrahlung unterlegt werden. Der ipsilaterale Oberschenkel sollte immer im Operationsfeld liegen, um evtl. die V. saphena magna als Gefäßinterponat entnehmen zu können. Zusätzlich sollte routinemäßig der gegenseitige Unterschenkel für eine mögliche Venenentnahme vorbereitet werden.
Alle Makroreplantationen werden in Intubationsnarkose durchgeführt. Die Gabe eines Antibiotikums (30 min vor Anlage der Blutsperre oder direkt nach Öffnen der Blutsperre) ist aufgrund der meist hohen Verschmutzung zu empfehlen. Eine mehrtägige postoperative Antibiotikagabe ist eben falls zu empfehlen. Bei subtotalen Amputationen mit nur noch erhaltener Hautbrücke (Subtyp V) kann diese vom Replanteur durchtrennt werden, um einen gleichzeitigen Einsatz von 2 Operationsteams zu ermöglichen. Größere nichtverletzte Nerven und Gefäße (Subtyp IV) müssen in Kontinuität erhalten bleiben.
Bei der Desinfektion ist darauf zu achten, dass keine Flüs sigkeit in die Gefäße gelangt, da dies zu Endothelschädi gungen führen würde. Die Desinfektion muss mit farblosem Desinfektionsmittel erfolgen, um eine uneingeschränkte Beurteilung der Replantatperfusion zu ermöglichen.
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Amputationsverletzungen
temporärer Shunt
KAPITEL 16
Nerven zuerst darzustellen, damit sie beim folgenden Dé bridement nicht verletzt werden. Das Ausmaß des Gefäßund Nervenschadens wird mit der Lupenbrille oder bes ser unter dem Operationsmikroskop begutachtet. Zur Prophylaxe eines Kompartmentsyndroms emp fiehlt sich die routinemäßige Spaltung aller Komparti mente unterhalb der Amputationslinie. Die Komparti mente im Fußbereich sollten nicht vergessen werden (Abb. 16.6 a–d). Erst intraoperativ ist es möglich, das wirkliche Ausmaß des Weichteilschadens vor allem der Muskeln, Sehnen und Nerven, genauer zu bestimmen.
V., N., A. tibialis posterior
Abb. 16.5. Temporärer Shunt zur Verringerung der Ischämiezeit
Eine sterile Oberschenkelmanschette sollte grundsätzlich angelegt werden. Ob die Darstellung der Strukturen, Os teosynthese und Versorgung der Sehnennähte in Blut sperre erfolgen, ist abhängig von der Technik des Replan teurs (Cave: Vergrößerung der ischämischen Muskelmasse). Zur Verringerung des „declamping phenomenons“ kann der distale Extremitätenanteil mit Speziallösungen, wie sie bei der Organtransplantationschirurgie Verwen dung finden, oder Blutkonserven gespült werden. Wird keine Spülung durchgeführt, sollte das initial zurückflie ßende Blut verworfen werden (Cave: Blutverlust). Bei amputationsartigen Verletzungen kann die Ischä miezeit durch Anlage eines temporären Shunts (Goretex) zwischen proximalem und distalem Extremitätenbereich wirkungsvoll verkürzt werden. Darüber hinaus können alle nichtdurchbluteten Gewebeanteile identifiziert und das Débridement optimiert werden. Auf einen möglichen größeren Blutverlust ist zu achten. Der temporäre Shunt hat sich vor allem bei Amputationsverletzungen mit dif fuser Quetschung und Avulsionsamputationen bewährt (Abb. 16.5). Bei einer totalen Amputationsverletzung müssen Dé bridement und Präparation des Amputats unverzüglich beginnen, um die Ischämiezeit möglichst kurz zu halten. Nach Markierung aller wichtigen Strukturen muss das Amputat wieder trocken gekühlt werden. Bei subtotalen Amputationsverletzungen soll der distale Extremitäten anteil ebenfalls trocken gekühlt werden, abhängig vom Gefäßstiel (Cave: Kälteschock!). Ein ausreichendes Wunddébridement ist der Schlüssel für eine komplikationsarme Makroreplantation. Man muss sich immer vor Augen halten, dass der klinisch ap parente Weichteilschaden meist kleiner ist als die tatsäch liche Weichteilschädigung. Es ist wichtig, Gefäße und
Kriterien der Vitalitätsburteilung Kriterien für die intraoperative Vitalitätsbeurteilung des Knochens sind: • Blutung aus exponierten Frakturenden • Der Zustand des Periosts von Fraktursegmenten (bei denudierten Segmenten kann es zu einer posttraumatischen Fragmentnekrose kommen, da weder die medulläre noch die muskuloperiostale Blutversorgung intakt ist) Kriterien für die Vitalitätsbeurteilung des Muskels sind: • Blutungen an Anschnittstellen • Eine kräftig rote Farbe • Eine mäßig prall-elastische Konsistenz • Kontraktion bei Stimulation (Cave: bei Blutsperre >20 min kein zuverlässiges Kriterium, wegen ischämiebedingter fehlender Kontraktion) Kriterien für die Vitalitätsbeurteilung der Haut sind: • Blutungen an Anschnittstellen • Fehlende Verfärbung und Blasenbildung
Makroskopisch geschädigtes Gewebe (Muskel, Knochen, Haut) – vor allem Muskel – muss radikal entfernt werden, da es funktionell minderwertig ist und den Patienten po tenziell gefährdet („life for limb“). Eine Ausnahme bilden die Nerven. Bei einem kontusionierten Nerven, dessen Kontinuität erhalten ist, kann theoretisch ein Schädigung Grad I bis IV nach Sunderland vorliegen. Da die Mög lichkeit einer spontanen Funktionswiederkehr besteht, sollte hier primär zurückhaltend verfahren werden. Manchmal hilft die direkte Nervenstimulierung, dessen Funktionsfähigkeit bei noch bestehender Kontinuität zu belegen. Aufgrund der perioperativen Unsicherheit muss die Nervenregeneration postoperativ engmaschig kon trolliert werden. Bei fehlendem oder stagnierendem
KAPITEL 16
Amputationsverletzungen
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Abb. 16.6 a–d. Routinemäßige Kompartmentspaltung bei Makroreplantationen im Bereich der unteren Extremität. a Schema: Kompartimente im Unterschenkelbereich. b Schema: Kompartmentspaltung im Unterschenkelbereich über lateralen Zugang. c Schema: Kompartimente im Fußbereich. d Schema: Kompartmentspaltung im Fußbereich über medialen Zugang
N. peroneus profundus et Vasa tibialia anteriora
Vasa peronea V. saphena magna et N. saphena
Septum intermusculare anterius N. peroneus superficialis und das Septum durchbrechende Muskelarterie Septum intermusculare posterius
a
N. tibialis et Vasa tibilia posteriora Fascia cruris, Lamina profunda
N. peronaeus superficialis N.peronaeus profundus
Fascia cruris, Lamina superficialis V. saphena parva et N. suralis Membrana interossea
b
laterales Kompartiment interosseales Kompartiment
mediales Kompartiment zentrales Kompartiment
c
d
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Amputationsverletzungen
Hoffmann-Tinel-Zeichen ist die operative Revision mit sekundärer Nerventransplantation innerhalb des ersten postoperativen Jahres notwendig. Es ist ratsam, lieber zu viel primär zu resezieren, da die klinische Erfahrung gezeigt hat, dass das primäre Débridement meist zu sparsam durchgeführt wird.
Das Débridement darf erst dann beendet werden, wenn gut blutende glatte Wundränder vorliegen. Ebenso müs sen bei komplexen Knochen-/Weichteilschädigungen makroskopisch verletzungsfreie glatte Schnittkanten vor liegen (MESS <7). Ein Débridement kann auch notwendigerweise so ausgiebig sein, dass eine funktionelle Extremität nicht mehr wiederhergestellt werden kann. Hier ist intraoperativ die Indikation zur primären Stumpfversorgung zu stellen.
Segmentale Resektion Eine Sonderform des Wunddébridements stellt die ge plante Extremitätenverkürzung im Rahmen des „Kon zeptes der primären geplanten verkürzenden Replantati on mit sekundärer Extremitätenverlängerung“ dar. Determinanten der Extremitätenverkürzung sind das Ausmaß des zu erwartenden • Weichteildefektes, • Nervendefektes und schließlich • Knochendefektes. Hauptziele der primären Verkürzung bei Erstoperation sind: • die möglichst vollständige Entfernung geschädigten Gewebes zur postoperativen Komplikationsprophy laxe und zur Erzielung besserer funktioneller Ergeb nisse, • der primäre Wundschluss, • die optimal weichteilgedeckte Osteosynthese und • eine maximal wiederhergestellte Sensibilität im Fuß bereich. Indikationen für das „Konzept der primären geplanten verkürzten Replantation mit sekundärer Extremitäten verlängerung“ sind: • Weichteil- und Knochendefekte im Rahmen einer of fenen C III-Fraktur nach der Klassifiation von Gustilo, • subtotale und totale Amputationsverletzungen mit segmentalen Nervendefekten von mehr als 2 Haupt stämmen und/oder • ein ausgedehnter zirkulärer Weichteildefekt.
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Kontraindikationen für ein solches Verfahren bestehen bei einem segmentalen Knochen-Weichteil-Defekt >15 cm, da die Kaliberunterschiede der zu anastomosie renden Strukturen im Hinblick auf eine funktionelle Re plantation zu groß werden. Da bei dieser Situation keine Replantationsfähigkeit mehr besteht, werden diese Fälle der Stumpfversorgung zugeführt.
Osteosynthetische Versorgung Im Hinblick auf eine rasche Mobilisierung – oder zumin dest einen möglichst frühen Beginn der krankengymna stischen Übungsbehandlung – sollte die Osteosynthese zumindest übungsstabil sein. Bei blanden Weichteilver hältnissen nach primärer Extremitätenkürzung kann eine minimale innere Stabilisierung mit wenigen Schrauben erwogen werden. Bei unsicheren Weichteilverhältnissen bleibt der Fixateur externe die Osteosynthesemethode der ersten Wahl.
Versorgung der Muskel- und Sehnenverletzungen Vor allem im distalen Unterschenkelbereich sollte, wenn es die Ischämiezeit zulässt, die Versorgung der Muskelund Sehnenverletzung im Anschluss an die Osteosynthe se durchgeführt werden, da bei optimaler Übersicht bes sere funktionelle Ergebnisse erzielt werden können. Liegt eine kalte Ischämiedauer >3 Stunden vor, muss jedoch zuerst die Gefäßstrombahn wiederhergestellt werden. Korrespondierende Muskel- und Sehnenstümpfe müssen miteinander vernäht werden. Muskelnähte sollten immer durch Muskelsepten oder Sehnenausläufer gelegt werden, um eine ausreichende mechanische Belastbarkeit zu er reichen (Abb. 16.7). Um ein gutes funktionelles Ergebnis zu erzielen, muss auf eine ausreichende Spannung dieser Strukturen geachtet werden.
Mikrochirurgische Versorgung Die Kontinuität der Gefäß-Nerven-Strukturen muss wie der hergestellt werden: Bei Arteriendefekten ist es ratsam, die Indikation für ein Veneninterponat großzügig zu stellen. Es ist wichtig, nicht nur die oberflächlichen Venen wiederherzustellen, da bei fehlendem tiefem Abfluss eine zusätzliche Muskelnekrose entstehen kann. Eine Skelett kürzung mit dem alleinigen Ziel, Gefäßinterponate zu vermeiden, kann heute als obsolet angesehen werden. Im Gegensatz zu den Gefäßen wird die Kontinuität der peripheren Nerven nur dann in der Primäroperation wiederhergestellt, wenn entweder keine Nerventrans
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Amputationsverletzungen
bei bereits liegendem Fixateur externe, kann man zusätz lich Steinmann-Nägel am 1. und 5. Metatarsale einbrin gen. Durch 2 zusätzliche Querstäbe kann der Fixateur externe dann nach distal zur Spitzfußprophylaxe erwei tert werden.
16.1.5.4 Nachbehandlung Postoperative Überwachung Wegen der systemischen Wirkung nach Revaskularisierung größerer Extremitätenabschnitte aufgrund eines Ischämie-Reperfusions-Syndroms sowie von Crush-Syndromen, muss der Patient postoperativ intensivmedizinisch überwacht werden.
Abb. 16.7. Methode der muskulomuskulären Naht
plantate benötigt werden (direkte spannungsfreie Koap tation) oder einwandfreies Nerventransplantationsmate rial von einem nicht mehr zu rekonstruierenden Extremitätenabschnitt im Sinne des „Gewebebankkon zeptes“ zur Verfügung steht. Bei Nervendefekten ohne der Möglichkeit des Gewebebankkonzeptes erfolgt die Nerventransplantation sekundär innerhalb der ersten 3–6 Monate. Zur Verbesserung der Ergebnisse nach früh sekundärer Nerventransplantation sollte, wenn möglich, eine histologische Differenzierung der motorischen und sensiblen Fasern durchgeführt werden. Der N. tibialis posterior (Sensibilität der Fußsohle) soll immer rekonstruiert werden, um Mutilationsverletzungen und neurogen bedingte Ulzerationen an der Fußsohle zu vermeiden
Postoperative Ruhigstellung Nach Einlage mehrerer Drainagen ohne Sog sollte ein lo ckerer Wundschluss durchgeführt werden. Ein dicker lo ckerer Watteverband beendet die Operation.
! Die Spitzfußprophylaxe ist ein wichtiger Teil der Primärversorgung. Jedes Versäumnis führt sekundär zu Fußdeformitäten mit Funktionsbeeinträchtigung.
Bei blanden Gewebeverhältnissen kann eine Fußplatte zur Spitzfußprophylaxe angelegt werden. Wegen der Möglichkeit einer Druckschädigung an der Fußsohle und
Die klinische Untersuchung sowie eine Röntgenuntersu chung der rekonstruierten oberen Extremität in 2 Ebenen dienen zur routinemäßigen Ergebnisbeurteilung. Die Amputatdurchblutung wird klinisch oder mit Hilfe eines Dopplergerätes ebenfalls engmaschig kontrolliert. Bei unklaren vaskulären Komplikationen kann eine postope rative DSA und/oder Phlebographie notwendig werden. Lungen- und Nierenfunktion müssen engmaschig über prüft werden. In Abhängigkeit von Quick-Wert, PTT, AT-III-Spiegel und der Thrombozytenzahl werden die Patienten während der ersten 5 Tage 500 ml Rheomakro dex 40 i. v. unter Antibiotikaschutz verabreicht. Die re plantierte Extremität sollte auf Körperniveau gelagert sein (Herzniveau). Bei erhöhtem „inflow“ kann auch die Extremität kurzzeitig tiefer gelegt werden. Bei zunehmender Zyanose und Umfangszunahme muss die Indikation zur operativen Revision unverzüg lich gestellt werden. Gefäßkomplikationen nach Replantation treten mei stens als Vasospasmus oder Thrombose auf. Sie müssen sofort nach Diagnose therapiert werden. Mögliche Ursa chen für einen Vasospasmus sind Hypotension, niedrige Raumtemperatur, mechanische Einwirkungen und Ge fäßverletzungen sowie ein protrahiert verlaufendes „noreflow phenomenon“. In seltenen Fällen kann es notwen dig werden, einen Teil der Adventitia in der Nähe der Anastomose zu entfernen. Die Hauptursache für eine Thrombose ist ein verletz ter Gefäßabschnitt im Anastomosenbereich oder dem venösen Abflussgebiet und eine postoperativ auftretende Infektion. Die Therapie ist chirurgisch. Das Gefäß wird präpariert und nach makroskopischen Verletzungszei chen untersucht. Zeigt das Gefäß keine makroskopisch sichtbaren Verletzungsmarken, wird die Anastomose un tersucht und ggf. revidiert. Bestehen Prellmarken, wird das Gefäß bis ins Gesunde reseziert und der Defekt mit einem Gefäßinterponat überbrückt. Bei infektbedingter
591
592
Amputationsverletzungen Tabelle 16.7. Indikationen zur frühen Reamputation von Makroreplantaten an der unteren Extremität (Berger, Piza) Absolute Indikationen „No-reflow-phenomen“ Zwei-Organ-Versagen Tiefe Infektion mit beginnender Sepsis Relative Indikationen Nierenversagen Lungenversagen (ARDS) Persistierende Crush-Syndrome (Hyperkaliämie. Methämoglobinämie, steigende CK) Gerinnungsprobleme (DIC)
Thrombose muss der Infekt saniert werden. Da eine Ge fäßanastomose und ein Veneninterponat im infizierten Gebiet höchst thrombosegefährdet sind, soll ein längeres Umgehungsinterponat eingebracht werden. Zwischen dem 4. und dem 7. postoperativen Tag zeigt es sich, ob der Organismus mit den toxischen Abbaupro dukten aus dem Replantat fertig wird oder ob es zu einer schweren Allgemeinbeeinträchtigung kommt. Als emp findlichstes Organ reagiert die Niere, erst im Weiterem die übrigen Organsysteme. Besonderer Wert wird des halb auf hohe Stundenurinmengen zur Ausschwemmung toxischer Myoglobinmetaboliten gelegt. Dabei sind in manchen Fällen Infusionsmengen von etwa 4000–5000 ml/ Tag nötig. Bei dieser hohen Flüssigkeitszufuhr muss vor allem auf die Lungenfunktion geachtet werden. Ein therapeutisch nicht beherrschbares Nieren- oder Lungenversagen sowie ein beginnendes Zweiorganversa gen stellen die Indikation zur frühen Reamputation (Ta belle 16.7) dar. Weitere Indikationen für eine akute Re amputation ist ein unüberwindliches Gefäßproblem und eine septische Streuung einer lokalen Infektion im Re plantat. Die meisten akuten Reamputationen sind bedingt durch Fehler bei der Indikationsstellung zur Replantation/Revaskularisation. Vor allem eine zu lange Ischämiezeit und eine Unterschätzung der tatsächlichen Gewebeschädigung sind zu nennen.
Postoperative Begleittherapie und Maßnahmen Wie im Bereich der oberen Extremität kann auch an der unteren Extremität ein optimales Behandlungsergebnis nur dann erzielt werden, wenn eine intensive physiothe rapeutische Nachbehandlung erfolgt. Neben der Wieder erlangung bzw. der Erhaltung der Gelenkbeweglichkeit
KAPITEL 16
sind individuell angepasste orthopädische Maßnahmen (Schienen, Einlagen usw.) sowie Sensibilitätstraining und Gangschule die zentralen Aufgabengebiete der phy siotherapeutischen Begleittherapie. Eine computerge steuerte Bewegungstherapie und Schuhversorgung hat sich – wie bei allen größeren Defektverletzungen im Fuß sohlenbereich – bewährt.
16.1.5.5 Sekundäreingriffe Bei den meisten Makroreplantationen im Bereich der unteren Extremität ist mit einer Sekundäroperation zu rechnen.
Eine zweite Operation nach Replantation wird notwen dig, wenn eine definitive Versorgung primär nicht voll ständig erreicht werden konnte, schon am Operationstag zweizeitig geplant worden ist, postoperativ Komplikati onen aufgetreten sind oder eine funktionelle und/oder ästhetische Verbesserung im Rahmen des so genannten „integrativen Therapiekonzeptes“ erreicht werden soll. Wir unterscheiden in geplante und nichtgeplante Sekun däreingriffe. Geplante, d. h. bereits zum Zeitpunkt der Primärver sorgung festgesetzte Sekundäreingriffe werden not wendig, wenn man nach dem „Konzept der primären verkürzenden Replantation mit sekundärer Extremi tätenverlängerung“ oder dem „Konzept der geplanten zweizeitigen heterotopen Replantation („limb-banking“; vgl. Abb. 16.3) vorgegangen ist. Darüber hinaus kann eine geplante sekundäre Operation innerhalb der ersten 24–72 Stunden nach primärer Replantation notwendig werden, wenn aufgrund des Allgemeinzustandes des Pa tienten die Replantation nicht vollständig durchgeführt werden konnte (vgl. Abb. 16.4).
Sekundäre Extremitätenverlängerung Wird nach dem „Konzept der primären verkürzenden Re plantation mit sekundärer Extremitätenverlängerung“ (Abb. 16.8 a–m) vorgegangen, kann 6–12 Monate nach er folgreicher Replantation die Extremitätenverlängerung durchgeführt werden. Bei Narben- und Weichteilproble men muss zunächst, evtl. durch mikrochirurgische freie Haut-Muskel-Lappen, genügend Weichteilmaterial geschaf fen werden. Durch proximale metaphysäre oder submeta physäre Knochendurchtrennung an der Tibia wird, fern der primären Verletzungsstelle (heterotop), ein möglichst opti mal durchblutetes, „muskel- und gefäßgestieltes ortsstän diges vaskularisiertes Knochentransplantat“ erzeugt. 5–7 Tage nach Osteotomie beginnt die Distraktion. Das Kno chentransplantat kann zur Extremitätenverlängerung nun sukzessive entlang der Knochenachse distrahiert werden.
KAPITEL 16
Amputationsverletzungen
593
Abb. 16.8 a–m. Primär geplant verkürzenden Replantationen mit sekundärer Extremitätenverlängerung nach Amputation im mittleren Unterschenkelbereich. a Klinischer Aspekt bei Aufnahme. b Radiologischer Befund bei Aufnahme. c Schema der Replantation nach dem Konzept der primär geplant verkürzten Replantation mit sekundärer Extremitätenverlängerung. d Postoperativ nach primär verkürzender Replantation
a, b
Kalibersprung
Replantation mit geplanter Verkürzung
sekundäre Extremitätenverlängerung
c
d
594
Amputationsverletzungen
KAPITEL 16
e, f
g
h, i
j
k, l
m
Abb. 16.8 a–m. Primär geplant verkürzenden Replantationen mit sekundärer Extremitätenverlängerung nach Amputation im mittleren Unterschenkelbereich. e Röntgenbild postoperativ (a./p.). f Röntgenbild postoperativ (lateral). g Röntgenbild nach Implantation eines intramedullären Distraktionsnagels 2 Monate nach Replantation (a./p.). h Röntgenbild nach Implantation eines intramedullären Distraktionsnagels 2 Monate nach Replantation (lateral). i Röntgenbild am Ende der Distraktionsphase (5 Monate: 7 Montage nach Replantation) (a./p.). j Röntgenbild am Ende der distraktionsphase (5 Monate: 7 Montage nach Replantation) (lateral). k Röntgenbild 12 Monate nach Replantation (a./p.). l Röntgenbild 12 Monate nach Replantation (lateral). m Klinischer Aspekt 3 Jahre nach Replantation vor Narbenkorrektur im Bereich des myokutanen latissimus dorsi Lappens (Ansicht von medial)
KAPITEL 16
Amputationsverletzungen Abb. 16.9. Möglichkeit der Kallusdistraktion auf verschiedenen Ebenen und unter Einsatz von inneren zentralen Distraktions systemen nach Betz
sekundäre Zwei-EtagenExtremitätenverlängerung d = dfem + dtib
Femurverlängerung inneres System programmierbarer Marknagel
d
dfem dtib
Tibiaverlängerung äusseres System Ringfixateur
Unfal/Operationstag
Replantation mit primärer Verkürzung
Während der so genannten Distraktionsphase erfolgt eine Extremitätenverlängerung um 1 mm pro Tag. Mit Hilfe des äußeren Distraktionssystems von Ilizarov (1992) können während der Distraktion Kontrakturen der an grenzenden Gelenke sowie Achsenfehlstellungen in 3 Ebenen gleichzeitig korrigiert werden. Während der nun folgenden Konsolidierungsphase, die unserer Ansicht nach mindestens doppelt so lange wie die Distraktionsphase dauern soll, wandelt sich der Distraktionskallus über die Schritte der sekundären Os teogenese in lamellären Knochen um. Es entsteht ein bio mechanisch günstiges röhrenförmiges organähnliches Knochenregenerat mit ausgebildeter Markhöhle. Nach Ablauf der Konsolidierungsphase kann ein in tramedullärer Marknagel eingebracht werden, um das Knochenregenerat gegen zu hohe Belastungen zu schüt zen, die während der Remobilisierungsphase auftreten
12 Monate
können. Liegt eine ausgeprägte posttraumatische Arthro se im Sprunggelenkbereich vor, ist eine Arthrodese zur Funktionsverbesserung indiziert. Wird der Marknagel von distal durch den Kalkaneus eingebracht, kann damit gleichzeitig neben dem Regeneratschutz die Arthrodese schnell und sicher durchgeführt werden (Abb. 16.8 a–m). Besonders bei großen segmentalen Gewebedefekten und/oder gleichzeitig bestehender proximaler Tibiafrak tur kann die sekundäre Extremitätenverlängerung teil weise auch im Femurbereich durchgeführt werden. Am Femur können interne Distraktionssysteme zu Anwendung kommen (Abb. 16.9). Die Vorteile der Kallusdistraktion mit dem internem System liegen neben den Vorteilen der Marknagelung im geringen Infek tionsrisiko, dem hohen Behandlungskomfort, dem guten ästhetischen Ergebnis und dem zentralen Angriffs punkt.
595
596
Amputationsverletzungen
Weitere Sekundäreingriffe Nach primärer Replantation kann durch Anwendung eines so genannten „integrativen Therapiekonzeptes“ eine funktionelle und/oder ästhetische Ergebnisverbesse rung durch Sekundäreingriffe und adjuvante Maßnah men (Kapsulodesen, Tenodesen, Arthrodesen, Orthesen usw.) erzielt werden. Elektive funktionsverbessernde Operationen werden erst nach kompletter Wundheilung und einer längeren Erholungszeit für den Patienten durchgeführt. Eine exakte Diagnostik der Funktionen nach Replantation ist entscheidend für den therapeu tischen Erfolg. Grundsätzlich müssen folgende Fragen beantwortet werden: • Ist eine sekundäre rekonstruktive Operation möglich? • Ist eine sekundäre rekonstruktive Operation sinnvoll? Ein sekundärer rekonstruktiver Eingriff nach Replantati on ist nur sinnvoll, wenn er den Bedürfnissen des Pati enten gerecht wird und eine ausreichende Compliance seitens des Patienten für den vorgeschlagenen Eingriff und die oft lange Rehabilitation besteht. Elektive funkti onsverbessernde Eingriffe umfassen die Weichteilde ckung, Knochenrekonstruktion, Nervenrekonstruktion und Muskel- und Sehnenrekonstruktion. Das differen zialtherapeutische Vorgehen entspricht jenem bei der Re konstruktion von kombinierten Weichteil-Knochen-De fekten im Unterschenkelbereich. Unabdingbare Voraussetzungen für eine erfolgreiche sekundäre Wiederherstellung der Funktion sind: • stabile knöcherne Verhältnisse, • ein „ersatzstarkes“ Transplantatlager und • freie passive Gelenkbeweglichkeit. Palliativeingriffe sind indiziert, wenn eine rekonstruktive Operation weder sinnvoll noch möglich ist. Die Arthode se, meist im oberen Sprunggelenk, hat das Ziel, unter Preisgabe der schmerzhaften Mobilität, einen schmerz frei belastbaren und funktionsadaptierten Extremitäten abschnitt zu schaffen. Die Arthrodese hat besonders bei Patienten im jüngeren Erwachsenenalter mit hoher kör perlicher Belastung nach wie vor ihre Berechtigung. Wir haben keine Erfahrung mit dem arthroplastischen Gelen kersatz nach Replantation. Die Technik der Extremitätenverlängerung kann auch zur sekundären Stumpfverbesserung nach Reamputation eingesetzt werden. Eine Sehnentransposition des M. tibi alis posterior oder M. peroneus brevis als motorische Er satzoperation kann helfen, die Fußheberfunktion zu ver bessern.
KAPITEL 16
Sekundäre oder späte Reamputation Hauptgrund für eine späte Reamputation ist in den meisten Fällen die inadäquate Primärversorgung Die alleinige Revaskularisierung durch einen gefäßchirurgischen Eingriff gemeinsam mit der osteosynthetischen Versorgung ist nicht ausreichend. Bereits bei der Erstoperation muss die Funktionalität das oberste Ziel sein. Der Wiederherstellung der peripheren Nerven kommt dabei die zentrale Bedeutung zu.
Gründe für eine Reamputation zu einen späteren Zeit punkt, meist nach Abschluss der Rehabilitationsphase, sind: 1. persistierende funktionelle Beeinträchtigungen, 2. Selbstverstümmelung bei fehlender Sensibilität und 3. therapieresistente Schmerzen im Replantat. Ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten muss die Vor- und Nachteile einer prothetischen Versorgung ge genüber dem jetzigen Zustand erörtern. Mögliche sekun däre Operationen sowie deren Erfolgsaussichten sollen besprochen werden. Wie bei der Amputation ist auch bei der Reamputation der „optimale Stumpf “ das therapeu tische Ziel. Die Technik der Extremitätenverlängerung kann auch zur sekundären Stumpfverbesserung nach se kundärer Reamputation eingesetzt werden.
16.1.6 Ergebnisse nach Makroreplantation Die Einheilungsrate nach Unterschenkelreplantation ist abhängig • vom Ausmaß der Amputation (total: 62,5%, subtotal 69,2), • von der Amputationshöhe (je distaler die Amputation, desto höher die Einheilungsrate) und • von Art und Dauer der Ischämie (5 h: 100%, 6–10 h: 80%, 11–15 h: 40%, >15 h: 0%). Nach Braun et al. (1992) hat auch das zeitliche Vorgehen bei der Replantation einen Einfluss. Durch ein geplantes zweizeitiges Vorgehen kann die Verlustrate von 26,6 auf 11% gesenkt werden. Das funktionelle Ergebnis nach Replantation ist ab hängig von therapiebedingten, patientenbedingten und defektbedingten Faktoren. Für die Bewertung des funkti onellen Ergebnisses hat sich die Klassifikation nach Chen bewährt (Tabelle 16.8). Patienten, die nach Unterschenkelreplantation an ih ren früheren Arbeitsplatz zurückkehren können, ein nor males Gangbild, gute Sensibilität und eine fast freie Ge
KAPITEL 16
Amputationsverletzungen
597
Tabelle 16.8. Klassifikation und funktionelle Ergebnisse nach Makroreplantation im Unterschenkelbereich Grad
I
Arbeitsfähigkeit
Bisherige Arbeit
Gelenkbeweglichkeit
Fast normale Gelenkbeweglichkeit im Knie- und Sprunggelenkbereich
Sensibilität
Funktionelles Ergebnis Chen u. Han (1988) (n=23)
Berger et al. (1997) (n=14)
[n]
[%]
[n]
[%]
Fast normal
8
34,8
10
71,4
Fast normal
11
47,8
3
21,4
19
82,6
13
92,8
17,4
1
7,2
Normales Gangbild II
Leichte Arbeit
>40° der normalen Gelenkbeweglichkeit Leicht beeinträchtigtes Gangbild
„Funktionelle Extremität“ III
Nützlich im täglichen Leben
ehen ohne Gehilfen möglich, ortho pädische Schuhan passung notwendig
Verringerung der Sensibilität im Bereich der Fußsohle, keine trophischen Ulzerationen und/ oder Verletzungen
4
IV
–
Kann nicht ohne Gehilfen gehen
Fehlende Sensibilität im Bereich der Fußsohle, trophische Ulzerationen und/ oder Verletzungen
–
„Nichtfunktionelle Extremität“
lenkbeweglichkeit zeigen (Grad I) können in 34,8–71,4% gefunden werden (vgl. Abb. 16.8 a–m). In 21,4–47,8% der Fälle zeigen die Patienten ein GradII-Ergebnis (Möglichkeit, einfache Arbeit zu verrichten, geringe Gangbeeinträchtigung, gute Sensibilität, Gelenk beweglichkeit >40%). Addiert man die Anzahl der GradI- und -II-Ergebnisse, kann eine „funktionelle Extremi tät“ nach Unterschenkelreplantation in 82,6–92,8% erreicht werden. Eine „nichtfunktionelle Extremität“ nach Unterschenkelreplantation ist in 1/10 bis 1/5 der Fälle zu erwarten. Die funktionellen Ergebnisse nach Re plantation sind abhängig von der Amputationshöhe. Re plantationen im distalen Unterschenkeldrittel zeigen bes sere Ergebnisse als jene im mittleren und proximalen Drittel.
16.1.7 Sozioökonomische Gesichtspunkte Bei der Indikation zur Replantation/Revaskularisation im Unterschenkelbereich sind neben den objektiven me dizinischen Gegebenheiten auch soziale Umstände, der
4
–
17,4
1
7,2
zu erwartende Krankenstand, die voraussichtliche Dauer der Rehabilitation und die möglichen persönlichen Kon sequenzen für den Betroffenen, wie Verlust des Arbeits platzes, soziale Entwurzelung, Isolation usw., von ent scheidender Bedeutung (Tabelle 16.9). Nach Unterschenkelreplantation ist mit einer Wieder eingliederung in den Arbeitsprozess ist nach 8–10 Mona ten zu rechnen. Intensive krankengymnastische Begleit therapie sowie stationäre Rehabilitationsmaßnahmen nach knöcherner Konsolidierung müssen konsequent durchgeführt werden, um ein optimales funktionelles Er gebnis zu erzielen. Eine orthopädische Schuhversorgung ist oft notwendig, um neurogen bedingte Ulzerationen bei noch nicht stattgehabter Resensibilisierung und Fuß fehlhaltungen zu vermeiden. Neben dem unterschied lichen Ausmaß des Primärdébridements spielt die posto perative Begleittherapie eine wesentliche Rolle bei der Erzielung eines optimalen funktionellen Ergebnisses. Eine Fußfehlstellung (Pes equinocavus) tritt nach Re plantation bei etwa 40% der Patienten auf. Eine Reduzie rung dieser Rate kann nur erreicht werden, wenn bereits intraoperativ mit einer Spitzfußprophylaxe und postope
598
Amputationsverletzungen
KAPITEL 16
Tabelle 16.9. Vergleich der Vor- und Nachteile der Replantation und der primären Stumpfversorgung mit früher prothetischer Versorgung Kriterium
Replantation
Primäre Stumpfversorgung + früh zeitige prothetische Versorgung
Operationsrisiko
10–30%
Niedrig
Beeinträchtigung der Funktion (MdE)
Verringert
Hoch
Dauer der Arbeitsunfähigkeit
8–10 Monate
4–6 Monate
Anzahl der Sekundäroperationen
4–7
0–1
Gesamtdauer der Behandlung
29–48 Monate
12–24 Monate
Integrität des Körperbildes
Ja
Nein
Ästhetisches Ergebnis
Gut bis mäßig
Schlecht: ohne Prothese Gut: mit Prothese
Medizinische Kosten
Hoch
Gering
Kosten für Sekundäroperationen
Hoch
Gering
Kosten für Arbeitszeitausfall
Hoch
Gering
Kosten für die berufliche Wiedereingliederung
Hoch
Hoch
Kosten für orthetische und/oder prothetische Hilfen
(Ja)*
Hoch
* Bei zusätzlich orthetischer Versorgung.
rativ mit krankengymnastischer Begleittherapie so früh wie möglich begonnen wird. Zuverlässige Angaben über „Pain-dysfunction-Syndrom“, als chronisch lokale Kom plikation nach Großreplantation am Unterschenkel lie gen nicht vor. Postoperativ auftretende Schwellungszu stände des replantierten Anteils sind bekannt. Je besser der venöse und lymphatische Abfluss, vor allem über die tiefen Venen, rekonstruiert wird, desto seltener und we niger ausgeprägt tritt diese Spätkomplikation auf. Der frühere Beruf kann in 35–67% wieder aufgenom men werden. In etwa der Hälfte der Fälle ist eine Um schulung notwendig. Eine Wiederaufnahme der Arbeit stätigkeit kann in 82,6–91,6% erwartet werden. Notwendige sekundäre Eingriffe, durchschnittlich 4–7 Operationen, müssen deshalb genau mit dem Patienten besprochen werden, um dessen soziale Reintegration nicht zu beeinträchtigen. Die Gesamtbehandlungsdauer beträgt meist zwischen 29 und 48 Monaten (vgl. Tabel le 16.9). Nach primärer Stumpfversorgung kann der meist jun ge Patient nach einem relativ kurzen stationären Aufent halt früh prothetisch versorgt werden. Die Vorteile der schnellen prothetischen Versorgung bestehen: • in der Frühmobilisation des Patienten mit den gün stigen Auswirkungen auf den gesamten Organismus, • der schnelleren Überwindung der unmittelbaren Ope rationsfolgen,
• der geringeren Atrophie der Muskulatur des Stützund Bewegungsapparates, • der exakten Ödemkontrolle bei besseren Heilungsbe dingungen, • der Verringerung der Wundheilungsstörungen. Der Verbrauch schmerzstillender Medikamente verrin gert sich um etwa 1/3. Die Versorgung mit der endgül tigen Prothese kann bereits in der 3. Woche nach der Operation erfolgen. Die Verkürzung der Zeit der Arbeits unfähigkeit ist ein zusätzlicher Vorteil. Bei der notfallmäßigen Stumpfversorgung kann nicht immer ein optimaler Stumpf erreicht werden. In Abhän gigkeit von der traumatischen Amputationshöhe und der Ausdehnung des Weichteil-Knochen-Schadens sind bei dieser Patientengruppe Sekundäroperationen zur Stumpf verbesserung (vgl. Abb. 16.2) notwendig. Die Gesamtbe handlungsdauer ist etwa mit 12–24 Monaten anzugeben (vgl. Tabelle 16.9). Trotz der längeren Rekonvaleszenzzeit, den bedeutend höheren Kosten und der längeren Gesamtbehandlungs dauer ist unserer Meinung nach eine Replantation/Re vaskularisation im Unterschenkelbereich, wenn technisch möglich, indiziert und einer Stumpfversorgung vorzuzie hen. Bei exakter Indikationsstellung, einwandfreier Ope rationstechnik und optimaler Nachbehandlung (Kran kengymnastik, Sekundäreingriffe) kann eine geringere Beeinträchtigung der Lebensqualität des Patienten als
KAPITEL 16
nach Stumpfversorgung erreicht werden. Auf der ande ren Seite ist bei fehlender Indikation zur Replantation (wenn möglich) die sofortige optimale Stumpfversorgung mit früher prothetischer Versorgung eine für den Pati enten ideale Therapieform.
16.1.8 Unmittelbar nach der Replantation Komplikationen nach Replantation können in lokale, das Replantat betreffende, und systemische Komplikationen eingeteilt werden (Tabelle 16.10). Zu den ersten zählt man den akut auftretenden (arte riellen und venösen) Gefäßverschluss, ferner die subakut auftretende lokale Infektion sowie algodystrophische Syndrome als mögliche Spätkomplikation. Die schwer wiegendste lokale Komplikation stellt der akute arterio venöse Gefäßverschluss dar. Vaskuläre Komplikationen aufgrund technischer Fehler treten meist innerhalb der ersten 6 postoperativen Tage auf. Spätere „Gefäßkompli kationen“ sind verdächtig auf einen Infekt. Die vaskulär bedingte Verlustrate wird mit 11% angegeben.
Amputationsverletzungen
599
Über die Häufigkeit von erfolgreich revidierten vasku lären Komplikationen liegen keine Daten größerer Serien vor. Die Rate von schwerwiegenden lokalen Infekten variiert zwischen 11 und 60%. Die Inzidenz einer späten Reamputation liegt zwischen 3,7–78,9% (bei uns 5%). Gründe für eine Reamputation zu einem späteren Zeitpunkt, meist nach Abschluss der Rehabi litationsphase, sind persistierende funktionelle Be einträchtigung, Selbstverstümmelung bei fehlender Sen sibilität, chronische Entzündungszustände (Osteitis: 4%) und therapieresistente Schmerzen im Bereich des Re plantats. Obwohl es einige Literaturangaben über Schmerzen nach Replantation gibt, können keine Angaben aus grö ßeren Serien über die Inzidenz von algodystrophischen Syndromen („pain-dysfunction syndrome“) gefunden werden. Auch über einen postoperativer Schwellungszu stand im Bereich des Replantats werden keine Daten grö ßerer Serien gefunden. Es scheint, dass je besser das tiefe Venensystem wiederhergestellt wurde, desto geringer und kürzer die postoperative Schwellneigung ausgeprägt ist.
Tabelle 16.10. Mögliche der lokale und systemische Komplikationen nach Replantation im Bereich der unteren Extremität Lokale Komplikationen Amputationsrate
Systemische Komplikationen 11,1–37,5%
Mortalität
0–11,7%
1. Crush-Syndrome
11,1%
Akut 1. Gefäßkomplikationen
11,1%
primäre (mechanische) Gefäßschädigung
Hyperkaliämie (Herzversagen)
Hyperkoaguabilität (Thrombose)
Myoglobinämie (Nierenversagen)
Sekundäre Gefäßschädigung
Fettembolie (Lungenversagen)
Radikalgeneration („no-reflow-phenomenon“)
2 Ischämie-Reperfusions-Syndrom (Radikalgeneration)
11,1%
Mono,-Oligo,-Multiorganversagen Subakut 2. Wundheilungsstörungen und lokale Infektionen
11,1–60% Spätphase
3. Posttraumatische Fußdeformität
41,6%
4. Reflex-Dystrophie-Syndrome
–
5. Kälteintoleranz Leichte Form
50–100%
Starke Beinträchtigung
–
6. Schwellneigung
–
7. Späte Reamputation
5,8–79,8%
–: keine Angaben gefunden.
3. Sepsis
2,8%
600
Amputationsverletzungen
Zu den akuten systemischen Komplikationen zählt man die Crush-Syndrome und das Ischämie-Reperfusi ons-Syndrom, welche zu Mono-, Oligo- und Multiorgan versagen führen können. Die Symptome sind umso deut licher, je mehr Knochen- und vor allem Muskelgewebe geschädigt ist. Schädigungen im distalen Unterschenkel bereich führen deshalb seltener zu systemischen Kompli kationen als weiter proximal gelegene. Das Risiko eines postoperativen Mono-, Oligo- oder Multiorganversagens nach Replantation wird mit 11% für ein Nierenversagen und 11% für ein ARDS angegeben. Die Letalität nach Makroreplantation an der unteren Extremität wird in neueren Untersuchungen mit 0–11% (bei uns 2 Fälle) an gegeben. Zu den subakut auftretenden Komplikationen nach Replantation zählt die Sepsis, die in etwa 3% der Fälle auftritt.
16.1.8.1 Primäre Stumpfversorgung mit frühzeitiger prothetischer Versorgung Systemische und lokale Komplikationen nach primärer Stumpfversorgung bzw. Nachamputation und frühzei tiger prothetischer Versorgung sind selten. Phantom schmerzen nach Amputation treten in 5–10% der Fälle auf.
16.2 Spezielle Techniken Abhängig vom zeitlichen Vorgehen, der Amputationshö he und der Lokalisation (unilateral/bilateral) ergeben sich operationstechnisch einige Besonderheiten.
16.2.1 Replantation im Oberschenkelbereich Die Replantation im Oberschenkelbereich ist sehr selten, ist aber per se nicht kontraindiziert. Sie sollte dann erwogen werden, wenn es sich um eine glattrandige Amputationsverletzung ohne weitere Begleitverletzungen handelt. Dies gilt besonders bei Kindern.
Darüber hinaus sollte eine Oberschenkelreplantation nur dann durchgeführt, wenn zumindest eine protektive Sen sibilität im Fußsohlenbereich wiederhergestellt werden kann. Im Oberschenkelbereich kann eine Skelettkürzung von 10–15 cm durchgeführt werden. Die Spaltung aller Kompartimente im Unterschenkel- und Fußbereich sollte immer vorgenommen werden. Bei gelenknahen Ober schenkelamputationen hat sich die Winkelplatte bewährt. Wenn immer möglich, kann ein intramedullärer Kraft träger erwogen werden.
KAPITEL 16
Nach Revaskularisierung sollte die Möglichkeit der Wiederherstellung der Funktion im Bereich des N. tibia lis posterior überprüft werden. Neben der Wiederherstellung der Sensibilität muss die Standfunktion rekonstruiert werden. Die Standfunktion kann durch Wiederherstellung des Streckmechanismus oder durch eine Arthrodese im Kniegelenkbereich erzielt werden. Wenn immer möglich, sollte der Streckmecha nismus rekonstruiert werden. Bei gleichzeitig bestehen dem ventralen Haut-Muskel-Defekt ist eine freie Latissi mus-dorsi-Lappenplastik zu empfehlen. Durch den zusätzlichen nervalen Anschluss kann eine funktionelle Muskeltransplantation daraus entstehen. Die gewonnen Kraft alleine reicht nicht aus, das Knie gegen Beugung zu stabilisieren, hilft aber bei Restfunktionen des Streckme chanismus und sichert zusätzlich bei „amuskulärem Stand“. Zur Wiederherstellung der aktiven Streckfunkti on kann sekundär – wenn möglich – eine Sehnentrans position Flexor auf Extensor vorgenommen werden (Abb. 16.10 a–g).
16.2.2 Replantation im Kniebereich Bei Replantationen im Kniegelenkbereich gelten die glei chen Voraussetzungen wie für den Oberschenkelbereich. Bei transartikulärem Amputationsverlauf mit gut er haltenen Knorpelverhältnissen sollte die Gelenkrekon struktion versucht werden, um zumindest eine Teilfunk tion zu erhalten. Besteht keine Möglichkeit der Gelenkrekonstruktion im Kniegelenkbereich, kann ent weder eine (sekundäre) Arthroplastik oder eine Arthro dese vorgenommen werden.
16.2.3 Replantation im proximalen und mittle ren Unterschenkeldrittel Im Unterschenkelbereich kann eine Knochenkürzung von 10–15 cm durchgeführt werden. Eine Verkürzung bis zu 5 cm kann durch Absatzkorrektur ausgeglichen wer den. Eine sekundäre Extremitätenverlängerung ist mög lich. Die Spaltung aller Kompartimente unterhalb der Am putationslinie sollte routinemäßig stattfinden. Nach Revaskularisierung sollte die Möglichkeit der Wiederherstellung der Funktion im Bereich des N. tibia lis posterior überprüft werden. Bei Amputationen im Be reich des proximalen Unterschenkeldrittels müssen zu sätzlich sowohl der N. tibialis anterior als auch der N. peronaeus communis rekonstruiert werden. Neben der Wiederherstellung der Sensibilität muss eine stabile Situation im Sprunggelenksbereich erreicht werden.
KAPITEL 16
Amputationsverletzungen
601
a
b
c
d
e, f
g Abb. 16.10 a–g. Subtotale Amputationsverletzung im distalen Oberschenkelbereich. a Präoperativ. b Intraoperativ nach Osteosynthese. c Nach Replantation (temporäre Weichteildeckung durch Aufbringen von Kunsthaut/Epigard).
d Transplantation eines freien myokutanen Latissimus-dorsiLappens im Sinne einer „urgence différée“. e–g Ein Jahr nach Replantation. e Frontale Ansicht, f laterale Ansicht, g Standfunktion
602
Amputationsverletzungen
Dies kann erzielt werden durch: • Wiederherstellung der aktiven Beuge- und Streck funktion, • Wiederherstellung der aktiven Beugefunktion und ei ner passiven Streckfunktion (Sehnenzügelung), • Arthrodese im oberen Sprunggelenk (bei uneinge schränkter Kniefunktion). Für die Wiederherstellung der aktiven Beugefunktion im Sprunggelenkbereich (aktiver Fußabdruck) sollte primär versucht werden, die Achillessehnenfunktion zu rekon struieren. Für die Wiederherstellung der passiven Exten sion im Sprunggelenkbereich hat sich die Transposition der Sehnen des M. tibiaslis posterior bewährt.
16.2.4 Replantation im distalen Unterschenkeldrittel Eine Spaltung der Kompartimente unterhalb der Ampu tationslinie ist zu empfehlen. Bei Amputationen im Be reich des oberen Sprunggelenks bestehen mehrere Mög lichkeiten der Osteosynthese. Wenn immer möglich, sollte das Gelenk erhalten bleiben. Sind Knorpelflächen zerstört, kann entweder eine Arthrodese oder eine Ar throplastik vorgenommen werden. Für die Plattenosteo synthese und mehr noch die Sprunggelenkprothesenim plantation müssen gute Weichteilverhältnisse bestehen. Für die Versorgung der Muskel- und Sehnenverletzungen bestehen gute Voraussetzungen. Die Sehnen werden nach Anfrischung End-zu-End koaptiert. Bei Amputationen
unilaterale heterotope Replantation
KAPITEL 16
im distalen Drittel soll der N. peronaeus superficialis re konstruiert werden, um zumindest eine protektive Sensi bilität (Spitz/Stumpf) am Fußrücken zu erreichen und so die Schuhversorgung des Patienten zu erleichtern.
16.2.5 Bilaterale Amputation Die bilaterale Unterschenkelamputation stellt eine Sel tenheit dar. Bezüglich der Bewertung der Replantations würdigkeit gelten die oben genannten Leitlinien. Fol gende Grundsätze sind zusätzlich zu beachten: Bei der bilateralen Amputationsverletzung gehen 4 Regionen in die Evaluation mit ein. Bei einer bilateralen Amputationsverletzung sollte, wenn immer möglich, eine bilaterale normotope Replan tation durchgeführt werden. Auch bei der bilateralen Un terschenkelreplantation können Verkürzungen von 10–15 cm akzeptiert werden, da sie sekundär ausgegli chen werden können (Extremitätenverlängerung). Bein längendifferenzen bis zu 4–6 cm können und sollen so weit wie möglich bei der Replantation korrigiert werden (Abb. 16.11, 16.12 a–d). Ist eine bilaterale Replantation nicht möglich, sollte versucht werden, zumindest einen Unterschenkel zu re plantieren, da dadurch die prothetische Versorgung er heblich erleichtert wird. Wenn möglich, sollte die normo tope Replantation erfolgen. Ist eine normotope unilaterale Replantation nicht möglich, sollte immer auch an die Möglichkeit der hete rotopen oder Cross-over-Replantation gedacht werden. Vom psychologischen Standpunkt aus erscheint es für
bilaterale Replantation
optimaler Amputationsstumpf
Abb. 16.11. Therapeutische Möglichkeiten bei bilateraler Unterschenkelamputation
unilaterale normotope Replantation
optimaler Stumpf
KAPITEL 16
Amputationsverletzungen
603
b
a
c
d Abb. 16.12. a–d Bilaterale Unterschenkelreplantation bei einem 24-jährigen Patienten nach bilateraler Amputation. a,b Präoperativ. a Amputate, b Amputationsstümpfe. c Nach
Replantation und sekundäre mikrochirurgische Transplan tation je eines myokutanen Latissimus-dorsi-Lappens. d Funktionsbild 2 Jahre nach Replantation
den Patienten günstiger, wenigstens eine Extremität zu erhalten. Vom funktionellen Standpunkt aus bringt dieses Vorgehen gegenüber der prothetischen Versorgung bei der unterer Extremitäten bessere Ergebnisse. Vorausset zung für die kontralaterale („Cross-over-“) Replantation ist die fehlende Möglichkeit der ipsilateralen (anato mischen) Replantation bzw. keine Aussicht auf eine Re konstruktion einer „funktionellen Extremität“ bei ipsila teraler Replantation.
Lassen sowohl Amputat als auch kontralateraler Am putationsstumpf eine Cross-over-Replantation zu, sollte – wenn möglich nach einem Gespräch mit dem Patienten oder dessen Angehörigen – diese durchgeführt werden, da hierdurch wenigsten eine „funktionelle Extremität“ rekonstruiert werden kann (Abb. 16.13 a–k).
604
Amputationsverletzungen
KAPITEL 16
a linker Unterschenkel - hohe Stabilität - geringes Infektionsrisiko
b
rechter Fuß
c d
f
e Abb. 16.13 a–k. Cross-over- (kontralaterale) Replantation nach bilateraler Unterschenkelamputation bei einem 11-jährigen Jungen (Rekonstruktionsschema vgl. Abb. 16.11). a,b Postoperativ. a Laterale Ansicht, b Ansicht. c Schema der Osteosynthese. d Radiologisch nach Replantation. e Ein Jahr
nach sekundärer mikrochirurgischer Transplantation eines myokutanen Latissimus-dorsi-Lappens zur Narbenkorrektur im distalen Unterschenkelbereich. f Radiologisch ein Jahr nach Replantation
KAPITEL 16
g
Amputationsverletzungen
605
h
i
j
Abb. 16.13 a–k. Cross-over- (kontralaterale) Replantation nach bilateraler Unterschenkelamputation bei einem 11-jährigen Jungen (Rekonstruktionsschema vgl. Abb. 16.11). g Stumpfbereich rechts. h Funktionsbild 2 Jahre nach Replantation (prothetische Versorgung des Unterschenkelstumpfes rechts). i–k 2 Jahre nach Replantation. i Mediale Ansicht, j dorsale Ansicht, k laterale Ansicht
16.2.6 Makroreplantation im Kindesalter Für Makroreplantationen im Unterschenkelbereich bei Kindern gelten die gleichen Grundsätze wie bei Makrore plantationen an der oberen Extremität im Kindesalter. Aufgrund der höheren Regenerationspotenz kann bei Kindern die Indikation zur Replantation weiter gefasst werden als beim Erwachsenen.
k
Nach Hidalgo u. Shaw (1987) kann es bei Amputati onen im Kindesalter mit Schädigung der Wachstumsfu gen notwendig sein, eine kontralaterale Epiphysiodese durchzuführen. Trotz der limitierten Erfahrung mit der Extremitätenverlängerung im Kindesalter empfehlen wir, die Indikation zur iatrogenen Epiphysiodese nur noch in Ausnahmefällen zu stellen.
606
Amputationsverletzungen
KAPITEL 16
16.3 Mikroreplantation Als Mikroreplantationen bezeichnet man Verletzungen, die nur mit mikrochirurgischen Techniken erfolgreich behandelt werden können. V
16.3.1 Ätiologie Als Mikroamputationsverletzungen im Bereich der un teren Extremität bezeichnet man totale und subtotale Amputationsverletzungen im Bereich des oberen Sprung gelenks und distal davon. Meist handelt es sich um Quetschverletzungen. Unter den seltenen Ursachen stel len die Rasenmäherverletzungen die größte Untergruppe dar. Hier sind häufig auch Kinder betroffen. IV
16.3.2 Diagnostik Bei der Untersuchung von Patienten mit Amputations verletzungen im unteren Extremitätenbereich müssen 4 Situationen unterschieden werden: • die isolierte Verletzung, • die Verletzung im Rahmen eines Polytraumas, • die Art der Amputation (glatter Schnitt, Quetschung usw.), • die Dauer der Ischämie.
III
Es ist auf eine möglichst exakte Schadenserfassung zu achten.
16.3.2.1 Begleitverletzungen
II
Mikroamputationsverletzungen im Bereich der unteren Extremität treten meist isoliert auf. Über die Inzidenz dieser Verletzungen im Fußbereich bei Mehrfachverlet zungen liegen keine zuverlässigen Daten vor.
16.3.3 Klassifikation der Mikroreplantationen Mikroamputationsverletzungen im Fußbereich können klassifiziert werden nach Ausmaß, Amputationslinie so wie totaler und subtotaler Amputationsverletzung. Sub total wird weiterhin eingeteilt nach den stehengebliebe nen Strukturen (Biemer, Berger, s. Literaturverzeichnis). Bei Amputationsverletzungen im Fußbereich können 5 verschiedene Amputationshöhen unterschieden wer den:
I
Abb. 16.14. Klassifikation der Mikroamputationsverletzungen im Fußbereich nach der Amputationshöhe
KAPITEL 16 Tabelle 16.11. Klassifikation der Mikroamputationsverletzungen im Fußbereich in Abhängigkeit vom Verlauf der Amputationslinie
Amputationsverletzungen
Tabelle 16.12. Indikationen für die Replantation von Mikroamputationsverletzungen im Fußbereich •
Amputationen proximal des Metatarsale-IGelenkspaltes
monodigitale
•
Amputationsverletzungen im Metatarsalbereich
polydigitale
•
Amputationsverletzungen im Rückfußbereich
1. Amputationen im Zehenbereich (Zone I)
mit Großzehenbeteiligung ohne Großzehenbeteiligung 2. Amputationen im Metatarsalbereich (Zone II) 3. Amputationen im distalen Tarsalbereich (Vordertarsus; Zone III) 4. Amputationen im proximalen Tarsalbereich (Hintertarsus; Zone IV) 5. Amputationen im Bereich des oberen Sprunggelenks (Articulatio talocruralis; Zone V)
1. Amputationen im Zehenbereich als monodigitale (nur eine Zehe betroffen) Amputationsverletzungen. Amputationen im Zehenbereich als polydigitale (meh rere Zehen betroffen) Amputationsverletzung. Bei den polydigitalen Amputationsverletzungen unterscheidet man mit oder ohne Großzehenbeteiligung. 2. Amputationen im Metatarsalbereich. 3. Distale transtarsale Amputationen (zwischen Cho part- und Lisfranc-Absetzungslinie). 4. Proximale transtarsale Amputationen. 5. Amputationen im Bereich des oberen Sprunggelenks (Abb. 16.14, Tabelle 16.11).
16.3.4 Therapie Siehe Makroreplantation, Abschn. 16.1.2. Der Replanteur muss in der Lage sein, alle mikrochirurgischen Techniken (Gefäße und Nerven) zu beherrschen!
16.3.4.1 Leitlinien der Mikroreplantation Siehe Makroreplantationen und Kap. 10.
16.3.5 Indikation Für die differenzialtherapeutischen Überlegungen gelten prinzipiell die gleichen Prinzipien wie für den Handbe reich.
Aufgrund der geringen funktionellen Beeinträchti gungen nach Amputationen im Fußbereich verglichen zur Hand, wird die Indikation zur Replantation strenger und die Indikation zur Stumpfversorgung großzügiger gestellt. Ziel ist soviel funktionelle Stand-Abroll-Fläche im Fußbereich wie möglich zu erhalten.
Abhängig von Amputationshöhe, Art und Anzahl der be troffenen Zehen, Alter und Geschlecht des Patienten wer den absolute und relative Indikation zur Replantation beschrieben (Tabelle 16.12). Aufgrund der großen funk tionellen Bedeutung des Großzehenballens für Standund Gehfunktion sollten Amputationen proximal des Metatarsale-I-Gelenkspaltes für eine Replantation vorge sehen werden. Weitere absolute Indikationen sind glatt randige Amputationsverletzungen im Metatarsal- und Rückfuß- sowie im Sprunggelenkbereich. Jeder funktio nelle (Sensibilität) Längengewinn stellt eine Verbesserung für die prothetische bzw. orthetische Versorgung das. Das weitere Vorgehen (Replantationsfähigkeit, -eig nung, -risiko, -würdigkeit sowie Replantationswilligkeit) entspricht demjenigen bei Makroamputatonsverlet zungen (s. oben).
16.3.6 Operative Schritte der Mikroreplantation Die operativen Schritte der Mikroreplantation im Fußbe reich entsprechen jenen im Handbereich und sind in Ta belle 16.13 zusammen gestellt. Bei der Osteosynthese sollte eine möglichst anato mische Wiederherstellung erzielt werden, um sekundäre Heilungsstörungen oder Störungen aufgrund von Fehl belastungen zu vermeiden. Vor allem das Fußlängs- und -quergewölbe sollte so anatomisch wie möglich rekonstruiert werden.
Oft sind sekundäre Korrekturoperationen – frühestens 6–12 Monate nach Replantation – notwendig. Bei Replantationen im Mittel- und Rückfußbereich sollte die Indikation zum gelenkübergreifenden Fixateur externe zur temporären Fixierung des Sprunggelenkbe reiches gestellt werden.
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608
Amputationsverletzungen Tabelle 16.13. Operative Schritte der Mikroreplantation im Fußbereich 1.
Wundreinigung, Desinfektion und Débridement
2.
Osteosynthetische Versorgung
3.
Versorgung der Beugesehnenverletzungen
4.
Versorgung der Strecksehnenverletzungen
5.
Mikrochirurgische Wiederherstellung der arteriellen Strombahn
6.
Mikrochirurgische Wiederherstellung der venösen Strombahn
7.
Mikrochirurgische Wiederherstellung der Nervenkontinuität
8.
Wundverschluss und postoperative Ruhigstellung
! Die Entstehung eines posttraumatischen Spitzfußes – als Immobilisationsschaden – muss vermieden werden.
Ein weiterer Vorteil des Fixateurs liegt in der erleichterten Perfusionskontrolle, Lagerung (Aufhängen in der Herz höhe an einem Bettextensionsgestell) und Wundpflege.
16.3.6.1 Wundreinigung, Desinfektion und Débridement Die Techniken und Grundprinzipien bei der Wundreini gung, Desinfektion und dem Débridement entsprechen den Techniken bei der Makroreplantation, angeglichen an die Techniken bei der Mikroreplantation im Handund Fingerbereich.
16.3.6.2 Osteosynthese Die Osteosynthese sollte übungsstabil sein und mit einem Minimum von Fremdmaterial auskommen. Miniplätt chen, Schrauben und Kirschner-Drähte sind hier eine gute Wahl.
16.3.6.3 Versorgung der Muskelund Sehnenverletzungen Die Versorgung von Muskel- und Sehnenverletzungen erfolgt nach den Prinzipien der modernen Fußchirurgie.
KAPITEL 16
16.3.6.4 Mikrochirurgische Versorgung Die Kontinuität der Gefäße und Nerven muss unter mi krochirurgischen Bedingungen (Mikroskop oder Lupe) mit den entsprechenden Instrumenten wiederhergestellt werden. Der Replanteur muss mikrochirurgisch geschult sein. Die sehr kleinen Durchmesser der Gefäße in diesem Bereich (0,5–3 mm) machen eine gute Technik und ihre perfekte Anwendung notwendig, um gute Ergebnisse zu erreichen. Die peripheren Nerven sollten zumindest im Bereich der Trittfläche der Fußsohle wiederhergestellt werden. Die Hautnähte dürfen nur eine lockere Adaptati on erreichen, da meist ein Ödem zu erwarten ist.
16.3.6.5 Postoperative Ruhigstellung Ein lockerer Watteverband, wobei die Watte in Kompres sen eingepackt sein soll, wird im Anschluss an die Opera tion angelegt. Auch bei den Mikroreplantationen ist eine Spitzfußprophylaxe durch eine Schienung oder evtl. ei nen lockeren Gipsverband wichtig.
16.3.7 Nachbehandlung 16.3.7.1 Postoperative Überwachung Wenn die Mikroamputationsverletzung im Rahmen eines Polytraumas aufgetreten ist, muss der Patient postopera tiv intensivmedizinisch überwacht werden. Die Durch blutung des Replantats soll vor allem klinisch oder auch mit einem Dopplergerät engmaschig kontrolliert werden, um bei Verdacht auf eine Ein- oder Ausflussstörung so fort eingreifen zu können. In den ersten 3–5 Tagen geben wir 500 ml Rheomakrodex 40 i. v. Acetylsalicylsäureprä parate oder Persantin werden zur Thromboseprophylaxe über längere Zeit gegeben. Manche Zentren geben Hepa rinmedikationen. Bei notwendigen Revisionseingriffen soll immer auch an ein Veneninterponat gedacht werden. Es ist dabei zu bedenken, dass bei Veneninterponaten zur Wiederherstellung der Arterien diese nicht zu lang sind, um bei stärkerem arteriellen Druck ein „kinking“ zu vermeiden.
16.3.7.2 Postoperative Begleittherapie Analog zur Schienenversorgung im Handbereich ist im Fußbereich eine deutliche Ergebnisverbesserung durch adäquate orthopädische Versorgung zu erreichen, und diese sollte immer durchgeführt werden.
KAPITEL 16
Durch den Einsatz der dynamischen Fußdruckmes sung kann die orthopädische Versorgung individuell ge staltet werden. Darüber hinaus kann die immer notwen dige Gangschulung effektiver durchgeführt werden. Solange keine Schutzsensibilität im Replantatbereich be steht, ist zumindest erhöhte Vorsicht (tägliche visuelle Kontrolle auf Druckstellen) bei Teil- oder Vollentlastung notwendig. Auch im Fußbereich hat sich das Sensibili tätstraining (Sensibilisierung/Desensibilisierung) be währt.
16.3.8 Sekundäreingriffe Die häufigsten funktionsverbessernden Sekundärein griffe im Fußbereich sind Narbenkorrekturen und Kor rekturosteotomien. Sie sollten frühestens 6–12 Monate nach der Replantation durchgeführt werden. Zu Eingriffe bei Komplikationen und sekundären oder späten Reamputationen s. oben, unter Makroreplantati onen.
16.3.9 Ergebnisse der Mikroreplantation Über die Ergebnisse nach Mikroreplantation im Fußbe reich liegen nur kleine Zahlen vor, da die Indikation zur Replantation sehr eng zu stellen ist. Wir haben in 20 Jah ren nur 5 Großzehen, 2 Amputationen im Mittelfußbe reich und 3 Replantationen im Sprunggelenkbereich durchgeführt. Die Einheilungsrate betrug aufgrund der engen Indikationsstellung 92%. Die Patienten waren alle mit dem Ergebnis zufrieden.
Amputationsverletzungen
16.3.10 Sozioökonomische Gesichtspunkte Über die sozioökonomischen Gesichtspunkte nach Mi kroreplantation im Fußbereich liegen keine aussagekräf tigen Serien vor.
16.3.11 Spezielle Techniken bei Mikroreplantationen 16.3.11.1 Replantation im Sprunggelenkbereich Die Grenze zwischen distaler Unterschenkelamputation und Sprunggelenkamputation ist fließend. Da die Bedin gungen, die wir für eine Mikroamputation verlangen (notwendige mikrochirurgische Technik, mehr Sehnen als Muskelgewebe), auch im Enddrittel des distalen Un terschenkels vorhanden sind (Abb. 16.15 a–j). Die Techniken entsprechen den Techniken der Mikro amputationen im oberen Extremitätenbereich (Abb. 16.16 a–f).
16.3.11.2 Replantation im Mittelfußbereich Amputationen im Mittelfußbereich, wenn sie total sind, enden meistens mit einer Stumpfbildung. Bei subtotalen Amputationen kann man bei einer Revaskularisation und eventuellen späteren Lappenplastiken noch gute Ergeb nisse erreichen. Als Osteosynthesematerial empfehlen sich Kirschner-Drähte.
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a b
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g
Abb. 16.15 a–j. Glattrandige totale Amputation durch Segelfliegerseilwinde im Bereich des distalen Unterschenkeldrittels – Sprunggelenkbereich. a Präoperativ: Amputat. b Radiologisch präoperativ: Amputat. c Präoperativ: Amputationsstumpf. d Radiologisch präoperativ: Amputationsstumpf. e,f Klinischer Befund postoperativ. e Medial, f Lateral. g Postoperativer radiologischer Befund
KAPITEL 16
Amputationsverletzungen
16.3.11.3 Replantation im Zehenbereich Die Replantation der Großzehe stellt die häufigste Indi kation der Mikroreplantation im Fußbereich dar (Abb. 16.17 a–g). Das Vorgehen am Interphalangealgelenk ist abhängig von der Amputationshöhe. Bei transartikulärer Amputa tion und sehr gelenknaher Amputation erfolgt die Resek tion der Gelenkflächen und Arthrodese in leichter Exten sionsstellung. Für die Osteosynthese hat sich die Plattenosteosynthese oder die Kirschner-Draht-Osteo synthese in Kombination mit einer Drahtzerklage be währt. Eine intraoperative Röntgenkontrolle in 2 Ebenen sollte durchgeführt werden. Die Flexor-hallucius-longus-Sehne sollte immer, wenn möglich, genäht werden, da hierdurch ein besserer Ab druck des Fußes beim Gehen erreicht wird. Ebenso sollte die Extensor-hallucius-longus-Sehne rekonstruiert wer den, damit eine den Gang störende Flexionstellung der Großzehe nicht auftreten kann. Für die mikrochirurgische Versorgung hat sich die Erfahrung aus der freien mikrovaskulären Zehentrans plantation bewährt. Primär sollte versucht werden, das A.-metatarsalis-dorsalis-I-System zu rekonstruieren. Ist dies nicht vorhanden, hypoplastisch oder reicht die Perfusion nicht aus, sollte als Nächstes das A.-plantaris-/ A.-metatarsalis-System angeschlossen werden. Für einen adäquaten venösen Ausfluss ist eine direkte dorsale Vene ausreichend.
h
i
Nur wenn die plantare Sensibilität wiederhergestellt werden kann, ist eine Replantation im Fußbereich sinnvoll.
Beide N. digitales plantares sollten, wenn immer mög lichst, koaptiert werden (Abb. 16.18 a–c).
j Abb. 16.15 a–j. Glattrandige totale Amputation durch Segelfliegerseilwinde im Bereich des distalen Unterschenkeldrittels – Sprunggelenkbereich. h Funktionsaufnahme 2 Jahre nach Replantation: Extension (Hackenstand). i Funktionsaufnahme 2 Jahre nach Replantation: Flexion (Hocke). j Funktionsbild nach bestandener Motorfliegerprüfung
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Abb. 16.16 a–f. Unilaterale normotope Replantation im oberen Sprunggelenkbereich nach bilateraler Amputation. a–c Präoperativ. a Amputationsstümpfe, b Amputat links, c Amputat rechts. d Postoperativ nach Replantation links (Wert des Fixateur externe bei der Unterschenkelreplantation zur Spitzfußprophylaxe, leichteren Perfusionsbeurteilung und drucklosen Lagerung durch Aufhängen). e Röntgen postoperativ. f Postoperativ nach Stumpfversorgung rechts
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f Abb. 16.17 a–g. Großzehenamputation nach Rasenmäherverletzung bei einem 2-jährigen Mädchen. a,b Präoperativ. a Amputat, b Amputationsstumpf. c Röntgenbild präoperativ. d,e Postoperativ. d Ansicht von dorsal, e Ansicht von plantar. f,g Ein Jahr nach Replantation. f Extension, g Flexion g
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Abb. 16.18 a–c. Rasenmäherverletzung bei 24-jähriger Patientin – linke Großzehenamputation. a Zustand nach Replantation, lokaler Lappenplastik und Spalthaut sowie Koaptation der Nn. digitales plantares. b,c Klinisches Bild 5 Monate postoperativ, gutes Gangbild, beschwerdefrei, beginnende Sensibilität an der Tritfläche. b Ansicht von medial, c Ansicht von dorsal
c
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615
J. Liebau . A. Berger
Inhalt 17.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 17.1.1.1 Haut im Fußbereich . . . . . . . . . . 17.1.1.2 Funktionellen Einheiten und Untereinheiten im Fußbereich. . . . 17.1.1.3 Vaskularisation . . . . . . . . . . . . . 17.1.1.4 Innervation. . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.3 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.4.1 Therapiemöglichkeiten . . . . . . . . Fasziokutane Lappen oder Muskellappen . . . . . . . . . . . . . . Sensible oder nichtsensible Lappen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.4.2 Differenzialtherapie. . . . . . . . . . Sprunggelenk . . . . . . . . . . . . . . Ferse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fußrücken . . . . . . . . . . . . . . . . Fußsohle. . . . . . . . . . . . . . . . . Komplexe Fußdefekte. . . . . . . . . 17.1.4.3 Postoperative Behandlung. . . . . . 17.1.4.4 Sekundäreingriffe. . . . . . . . . . . . 17.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.1 Hauttransplantation. . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.2 Gestielte Lappenplastiken . . . . . . . . . . . . 17.2.2.1 Verschiebe-/Schwenklappen plastiken . . . . . . . . . . . . . . . . . Rotationslappenplastiken an der Fußsohle. . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.2.2 Gestielte (Insel-) Lappenplastiken. A.-dorsalis-pedis-Insellappen. . . . A.-plantaris-medialis-Lappen („instep flap“) . . . . . . . . . . . . . . Lateraler Supramalleolarlappen. . . Lateraler Kalkaneuslappen. . . . . . Distal gestielter A.-suralis-Lappen. M.-extensor-digitorum-brevis Lappenplastik . . . . . . . . . . . . . . 17.2.3 Freie mikrochirurgische Lappenplastiken . . 17.2.4 Fernlappenplastiken. . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.4.1 „Cross-leg flap“. . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
KAPITEL 17
Defektdeckung im Fußbereich
17.1 Allgemeines 617 617 617 620 622 623 623 624 624 624 625 625 625 625 625 625 627 628 629 630 631 631 631 631 631 632 634 634 635 636 638 638 638 643 644 644
Der Fuß ist eine komplexe, hohen funktionellen Anfor derungen ausgesetzte Körperregion. Die Füße tragen das gesamte Körpergewicht und sind maßgeblich beteiligt bei Tätigkeiten des Alltags wie Stehen, Gehen, Laufen und Klettern. Vielfältige Kräfte wirken auf den Fuß ein. Der Fuß ist exponiert für Verletzungen und erworbene De formitäten. Belastungen durch sportliche Aktivitäten las sen ein Vielfaches des Körpergewichtes betragende Kräfte auf den Fuß einwirken. Hinzu kommen mögliche Schädi gungen durch modisches, eng sitzendes Schuhwerk. Ver letzungen führen zur Instabilität der fein abgestimmten Anatomie und Mechanik im Fußbereich. Durch die spe zielle Beschaffenheit der Weichteilummantelung des Fußes und die Anatomie der Fußsohlenregion mit ihrem einzigartigen Aufbau ist der Gewebeersatz anspruchsvoll. Das Ziel ist eine funktionell und ästhetisch zufriedenstel lende Rekonstruktion.
17.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie 17.1.1.1 Haut im Fußbereich Die Weichteilbedeckung am Fuß hat einen spezifischen Aufbau, der seiner funktionellen Aufgabe mit extrem ho hen Belastungen Rechnung trägt. Die Haut der Fußsohle weist sehr lange Papillarmuster auf, die eine feste Ver zahnung der Epidermis in der Dermis gewährleisten. Weitere Kennzeichen der so genannten Leistenhaut (Abb. 17.1 a) sind fehlende Haarfollikel und Talgdrüsen. Die Epidermis, insbesondere das Stratum corneum, ist im Bereich der Fußsohle dicker als an jeder anderen Stel le des Integuments. Die Anatomie der Fußsohle weist ein fibroadipöses Gewebe mit bindegewebigen Septen aus kollagenen und elastischen Faserzügen, eine komplexe Polsterkonstruktion auf, die geeignet ist, Druck und Scherkräfte aufzufangen. Im dorsalen Bereich des Fußes besteht der gleiche Hauttyp wie an der restlichen unteren Extremität, die sogenannte Faltenhaut (Abb. 17.1 b). Wie im Handrückenbereich, besteht auch im Fuß rückenbereich eine sehr dünne Subkutanschicht. Im Be
618
Defektdeckung im Fußbereich
KAPITEL 17 Abb. 17.1 a–d. Die Hauttypen im Fußbereich. a Plantare Leistenhaut. b Faltenhaut
Hautleisten Hautfurchen
papillärer Gefäßplexus
ekkriner Schweißdrüsengang
Epidermis
Dermis
subdermaler Gefäßplexus dermaler Gefäßplexus Pacinikörperchen subcutanes Fettgewebe
a
ekkriner Schweißdrüsengang
Haarschaft
Talgdrüse
Epidermis
Dermis
Pacinikörperchen dermaler Gefäßplexus subdermaler Gefäßplexus Arector Pili
b
subkutanes Fettgewebe Haarfollikel
KAPITEL 17
Defektdeckung im Fußbereich
Abb. 17.1 a–d. c Anatomische Darstellung der Fußsohle, oberflächliche Schicht
619 Aponeurosis plantaris
A., N. plantaris digiti V fibularis
R. superficialis a. plantaris tibialis N. plantaris hallucis tibialis Fasciculi transversi
A. plantaris hallucis tibialis
Nn. digitales plantares communes
Vagina tendinis digiti Aa. metatarsae plantares
c
Aa. digitales plantares et Nn.digitales plantares proprii
620
Defektdeckung im Fußbereich
KAPITEL 17 Abb. 17.1 a–d. d Tiefere Schicht
Aponeurosis plantaris; Schnittrand
M. abductor digiti V
M. flexor digitorum brevis
A., V. plantaris fibularis
M. abductor hallucis
Tuberositas ossis metatarsi V
N. plantaris tibiais et r. superficialis a. plantaris
Arcus plantaris A.plantaris digiti V fibularis
M. flexor hallucis brevis
M. flexor digiti V brevis N. digitalis plantaris communis
Mm. lumbricales
M. flexor digiti V brevis et longus
N. plantaris hallucis tibialis
A. metatarsea plantaris M. adductor hallucis; Caput transversum
Nn. digitales plantares communes
M. flexor digitorum longus
M. flexor hallucis longus
Aa. metatarseae plantares
Aa. digitales plantares et Nn.digitales plantares proprii
d
Vagina tendinis
reich des Fußrandes stoßen die beiden Hauttypen aufei nander. Hier besteht typischerweise – vor allem beim älteren Menschen – ein hyperkeratotischer Saum. Dieser Übergangsbereich ist auch bei Weichteilrekonstruktionen zu beachten.
17.1.1.2 Funktionellen Einheiten und Untereinheiten im Fußbereich Mit Hilfe von 3 Linien können am Fuß 5 funktionelle Einheiten beschrieben werden: • Sprunggelenk, • Ferse, • Fußrücken, • Fußsohle und • Zehen.
KAPITEL 17
Defektdeckung im Fußbereich
621
Linie von den Metatarsale-Köpfen zum Ansatz der Achillessehne schräge Linie vom Chopart-Gelenk zur hinteren Begrenzung der Fußlängswölbung
Fußbereich Fußsohle
Linie durch die Metatarsophalangealgelenke
a Ferse Sprunggelenk Fußsohle
1. und 4. Kommissur
2. und 3. Kommissur
Zehen
Fußrücken
b
N. fibularis superficialis M. extensor digitorum longus R. perforans a. fibularis N. fibularis profundus A. malleolaris fibularis anterior V. saphena parva
M. extensor hallucis longs A., V. tibialis anterior
A. malleolaris tibialis anterior
A. tarsea fibularis M. extensor digitorum et hallucis brevis
A. tarsea tibialis M. tibialis anterior
Rete dorsale pedis A. arcuata N. fibularis profundus
Aa. metatarseae dorsales
A. metatarsea dorsalis I Nn. digitales dorsales hallucis fibularis et digiti II tibialis
Abb. 17.2 a–d. Funktionelle Einheiten und Untereinheiten im Fußbereich. a Ansicht von lateral. b Ansicht von plantar (Fußsohle). c Dorsum pedis, tiefere Schicht
Nn. digitales dorsales pedis
c
Aa. digitales dorsales
622
Defektdeckung im Fußbereich
KAPITEL 17 Abb. 17.2 a–d. d Dorsum pedis, Muskelschicht
N. fibularis superficialis Lig. transversum cruris
V. saphena magna N. saphenus
A., V. tibialis anterior N. fibularis profundus M. tibialis anterior Lig. cruciforme M. extensor digitorum longus M. fibularis tertius
M. extensor hallucis longus A.V. dorsalis pedis
N. cutaneus dorsi pedis fibularis M. extensor digitorum brevis Verbindung des M.fibularis tertius zur Streckaponeurose digiti V
A.V. metatarsea dorsalis
M. extensor hallucis brevis
N. fibularis profundus
A. metatarsea dorsalis I
Aa.Nn. digitales dorsales
d
Von Bedeutung – insbesondere bezüglich der Belastungs situation – sind auch die Übergangsbereiche der bela steten zur nichtbelasteten Fußregion (lateraler Rand saum). Wie im Handbereich können in den jeweiligen funktionellen Einheiten weitere Untereinheiten unter schieden werden. In der Sprunggelenkeinheit unterschei det man eine anteriore, laterale, posteriore (Regio achil les) und eine mediale Untereinheit. An der Ferse wird eine laterale, dorsale, mediale und plantare Untereinheit beschrieben. In der Fußrückeneinheit unterscheidet man eine laterale, zentrale und mediale Untereinheit. Im Bereich der Fußsohle werden mehrere Unterein heiten unterschieden (Abb. 17.2 a,b). Die Fußsohle kann in 3 Bereiche, das hintere Drittel (plantare Fersenunter einheit), mittlere Drittel und vordere Drittel unterteilt
werden. Im Bereich des mittleren Drittels unterscheidet man weiter einen medialen (idealerweise nichtbelastetes Fußgewölbe oder „instep“) und einen lateralen Abschnitt. Im vorderen Drittel unterscheidet man eine mediale bio mechanisch wichtige Großzehenballenregion, mittlere und laterale biomechanisch wichtige Kleinzehenballen region.
17.1.1.3 Vaskularisation Die Gefäßversorgung erfolgt durch die Endäste der 3 Un terschenkelarterien (Aa. tibialis posterior, tibialis anterior et peronea). Sie weist eine hohe Variabilität bezüglich Verlauf und Kaliber auf und ist derart gestaltet, dass ein
KAPITEL 17
Gleichmaß der Durchblutung gewährleistet ist. Die Kenntnis der individuellen Versorgung ist für rekon struktive Eingriffe entscheidend (Abb. 17.1 c, 17.2 c).
17.1.1.4 Innervation Die sensible Versorgung der Haut des Fußrückens und der Dorsalseite der Zehen erfolgt durch die Nn. cutanei dorsales lateralis (Endast des N. suralis), Nn. cutanei dor sales intermedius et medialis (Endäste des N. peroneus superficialis) und den Endast des N. peroneus profundus im Bereich der Haut des 1. Zwischenknochenraumes (Abb. 17.2 c). Die sensible Versorgung im Bereich der Fußsohle er folgt über Endäste des N. saphenus sowie die Nn. plan tares medialis et lateralis (Endäste des N. tibialis posteri or; Abb. 17.1 d).
17.1.2 Diagnostik Für Diagnostik, Therapie und später Prävention von Fuß defekten haben sich folgende Prinzipien bewährt: • eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit, • eine „gemeinsame Sprache“ und • die Anwendung eines so genannten „integrativen The rapiekonzeptes“. Mitglieder des Therapieteams sind neben dem Patienten und dessen Familie/Angehörige, Pflegepersonal, medizi nisch-technisches Personal (Physiotherapie, Orthopädie meister usw.) ärztliches Personal (Internist, Neurologe, Urologe, plastischer Chirurg, Orthopäde, Neurochirurg u. a.) und die Sozialdienste sowie Krankenkassen. Je bes
Defektdeckung im Fußbereich
ser die einzelnen Mitglieder des Therapieteams zusam menarbeiten, desto besser ist das Ergebnis. Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit der Mitglieder des Therapieteams benötigt man eine „gemeinsame Spra che“. Für die Diagnostik und Dokumentation verwenden wir deshalb ein „standardisiertes Diagnostik- und Doku mentationsschema“. Für Behandlung und später Prävention der Fußdefekte verwenden wir ein so genanntes „integratives Therapie konzept“, welches neben der primären Therapie des Fuß defektes Sekundäreingriffe sowie adjuvante Maßnahmen umfasst (Tabelle 17.1). Am Anfang steht die Analyse des Defektes: Die Loka lisation, das Ausmaß bezüglich Fläche und Tiefe, Beteili gung funktioneller Strukturen wie Sehnen, Gefäße, Ner ven, Knochen, Gelenke und die Beschaffenheit des angrenzenden Gewebes sowie die Durchblutungssituati on werden untersucht und dokumentiert (Tabelle 17.2). Die präoperative Diagnostik umfasst die klinische Untersuchung, konventionelle Röntgendiagnostik zur Evaluierung knöcherner Veränderungen sowie die Un tersuchung der Durchblutungssituation mittels Du plexsonographie oder Angiographie (Tabelle 17.3). Die Knochenbeteiligung bedarf der besonderen Aufmerk samkeit, insbesondere wenn eine Osteitis vorliegt. Die Ätiologie des Defektes ist bedeutsam für die operative Versorgung und das Langzeitergebnis. Unterschieden wird der posttraumatische Defekt vom trophischen Ul kus und der instabilen Narbe.
! Aufgrund der körperfernen Perfusions- und Innerva-
tionssituation ist der Fuß für Wundheilungsstörungen prädisponiert. Besonders bei älteren Menschen können systemische Erkrankungen hinzukommen wie Gefäßerkrankungen, Diabetes, periphere Neuropathien, die die Wundheilung erschweren.
Tabelle 17.1. Integratives Therapiekonzept bei Fußdefekten 1. Standardisiertes Vorgehen zur Patientenauswahl
2. Primäres Management
3. Sekundäreingriffe
4. Adjuvante Maßnahmen
Defektbedingte Faktoren
Sekundäre Wundheilung )
Hyperkeratose management
Postoperative Kompressionstherapie
Patientenbedingte Faktoren
Hauttransplantation
Ulkusmanagement (Amputation)
Orthopädische Schuhversorgung
Therapiebedingte Faktoren
Fasziokutaner Lappen Faszioadipöse Lappen + Hauttransplantation Muskellappen + Hauttransplantation Amputation
Dermatologische Begleittherapie
623
624
Defektdeckung im Fußbereich Tabelle 17.2. Präoperative Planung
KAPITEL 17 Tabelle 17.4. Indikationen
•
Alter
•
Begleiterkrankung
posttraumatisch
•
Lokalisation
Verbrennung
•
Ätiologie
„Instabile Narbe“
•
Schädigungsausmaß
2. Infektion
•
Umgebendes Gewebe
3. Tumor
•
Gefäß-/Nervenversorgung
4. Angeborene Fehlbildung
1. Trauma
5. Trophische Störungen Tabelle 17.3. Präoperative Diagnostik 1. Klinische Untersuchung
Dekubitus Diabetisches Fußsyndrom 6. Sonstiges
2. Apparative Untersuchung Röntgenaufnahme Computertomographie/Magnetresonanz tomographie (mit 3D-Rekonstruktion) Dopplersonographie
Das den funktionellen und ästhetischen Erfordernissen genügende einfachste Verfahren sollte gewählt werden.
Angiographie Phlebographie Sonstiges
17.1.3 Klassifikation Die Indikationen zur Rekonstruktion von Defekten im Bereich des Fußes erstrecken sich von der posttrauma tischen Schädigung über entzündliche Komplikationen zu Verbrennungsverletzungen, Tumoren, Fehlbildungen, Druckschädigungen und trophischen Störungen bei Stoffwechselerkrankungen (diabetisches Fußsyndrom; Tabelle 17.4).
17.1.4 Therapie Die Logistik der Fußrekonstruktion, d. h. Evaluation des Defektes, individuell abgestimmte operative Vorgehens weise und maßgeschneiderte postoperative Versorgung zur Stabilisierung des Ergebnisses entscheidet über ihren Erfolg. Die Weichteilbedeckung soll stabil und schmerz frei sein sowie das Tragen von – möglichst normalem – Schuhwerk erreichen. Das Ziel der Weichteilrekonstruk tion ist: • eine rasche Wundheilung, • eine stabile Weichteilsituation und • ein möglichst ungestörtes funktionelles und ästhe tisches Ergebnis.
17.1.4.1 Therapiemöglichkeiten Die rekonstruktive Versorgung von Defekten im Bereich des Fußes stellt eine Herausforderung dar. Jeder Fall be darf einer individuellen Planung unter Einbeziehung von Alter, Begleiterkrankungen, Ätiologie, Ausmaß der Schä digung, Beschaffenheit des umliegenden Gewebes und Evaluierung der Gefäß- und Nervenversorgung. Abhän gig davon kommen sekundäre Wundheilung, lokale Techniken, Hauttransplantate, gestielte Lappenplastiken, mikrochirurgische freie Lappenplastiken und Amputati on zur Anwendung (Tabelle 17.5). Hauttraktionsverfah ren haben sich nicht bewährt. Prinzipiell sollte dem ein fachsten Verfahren, das eine stabile Weichteilsituation gewährleistet, der Vorzug gegeben werden. Die sekundäre Wundheilung sollte nicht vergessen werden. Vor allem bei der Behandlung von Druckulzera können hier oft überraschende Therapieerfolge erzielt werden. Prinzipiell gilt, dass ein Dekubitus umso schnel ler spontan genesen kann je schneller dieser entstanden ist. Bei bettlägerigen Patienten kann die sekundäre Wundheilung durch eine partielle Kalkanektomie im Rahmen des Débridement bei der Wundbettvorbereitung unterstützt werden. Hauttransplantaten und lokalen Verfahren ist im Spektrum der möglichen Techniken der Vorzug zu ge ben, jedoch sind diese durch Größe und Aktionsradius begrenzt, sodass freie Lappenplastiken erforderlich wer den. Bei den lokalen Lappenplastiken ist die Spenderstel lenmorbidität in die Planung einzubeziehen. Der „Crossleg-Fernlappen“ muss der Vollständigkeit halber erwähnt
KAPITEL 17 Tabelle 17.5. Operative Techniken 1.
Sekundäre Wundheilung (+ partielle Kalkanektomie)
2.
Hauttransplantat
3.
Lokale Lappen
4.
Freie Lappen
5
Amputation
6.
Sonstiges
werden, hat jedoch bei der notwendigen Immobilisati onsdauer mit entsprechenden Risiken nur nachgeordnete Bedeutung und hat, sofern die Mikrochirurgie vorgehal ten werden kann, eher historischen Wert. Die Amputation stellt ebenfalls eine wichtige Technik zur Defektdeckung dar. Sie ist vor allem bei ausgedehnten Skelettschädigungen nach traumatischer Läsion und De fekten infolge von chronischen Durchblutungsstörungen indiziert. Präoperativ wird der zu rekonstruierende Defekt einer Analyse unterzogen, die die Lokalisation, die Ausdeh nung und die Beschaffenheit des nach Débridement vor liegenden Untergrundes sowie den Kontaminationsgrad erfasst. Liegen funktionelle Strukturen wie Knochen, Knorpel, Sehnen, Nerven, Gefäße frei oder liegt eine chronische Entzündung vor, muss Gewebe mit ausrei chender eigener Gewebeperfusion aufgebracht werden, um eine sichere Wundheilung zu gewährleisten. Additive Untersuchungen schließen den Status der Gefäßversor gung und möglicher -schädigung mittels Dopplersono graphie und/oder Angiographie sowie eine konventio nelle Röntgendiagnostik zur Klärung der knöchernen Verhältnisse und der Weichteilsituation ein.
Fasziokutane Lappen oder Muskellappen Fasziokutane Lappen haben den Vorteil guter mecha nischer Belastbarkeit. Dieses Gewebe trägt in der Regel wenig auf und trägt so den Erfordernissen der Weichteil ummantelung im Bereich des Fußes einschließlich dem Tragen von Schuhen Rechnung. Liegen ausgedehnte Substanzdefekte oder eine chro nische Entzündung vor, ist ein Muskellappen – favorisiert der M.-latissimus-dorsi-Lappen – überlegen. Ein gut durchbluteter Muskel kann – nach adäquatem Débridement – selbst lang bestehende Osteomyelitiden zur Ausheilung bringen.
Defektdeckung im Fußbereich
Sensible oder nichtsensible Lappen Die Bedeutung der Sensibilität der Rekonstruktion wird kontrovers diskutiert. Einige Autoren halten eine Tiefen sensibilität für ausreichend, andere halten eine möglichst gute Rekonstruktion der Sensibilität für eine stabile Ver sorgung im Sinne einer ungestörten Belastung und der Prävention wiederkehrender Ulzerationen für notwen dig. Die klinische Erfahrung zeigt, dass für eine stabile Weichteilbedeckung eine Tiefensensibilität ausreichend und das Feingefühl nicht zwingend erforderlich ist.
17.1.4.2 Differenzialtherapie Sprunggelenk Für den Sprunggelenkbereich gelten prinzipiell die glei chen Prinzipien, wie für das distale Unterschenkeldrittel. Kleine Defekte können mit lokalen Lappenplastiken ge deckt werden. Eine Reihe von gestielten Muskellappen plastiken wurde dafür beschrieben. Hierbei ist aber im mer der Spenderdefekt des jeweiligen Muskels mit dem möglichen Benefit aufzuwiegen. Die M.-peroneus-brevisMuskelplastik hat sich für kleine Defekte – vor allem nach Osteosynthese im lateralen Malleolusbereich – bewährt (Abb. 17.3 a–c). Ein neues Konzept stellen die faszioadipösen (Perfora tor-) Lappenplastiken nach Heymanns dar. Der Wert dieses Verfahrens kann noch nicht abschließend beurteilt werden. Für laterale und mediale Defekte wird oft auch der A.-dorsalis-pedis-Lappen eingesetzt. Letzterer hat den Nachteil der erforderlichen Spalthauttransplantation im Bereich des Fußrückens mit einer hohen Spenderstel lenmorbidität. Bei ausgedehnten Defekten bleibt nur die freie mikro chirurgische Lappenplastik. Aufgrund des besseren äs thetischen Ergebnisses bevorzugen wir fasziokutane Lap penplastiken. Hier kommen wegen seiner ähnlichen Hautbeschaffenheit der A.-radialis-Lappen sowie der ALT-Perforator-Lappen zum Einsatz. Indikationen für eine freie Muskel- oder myokutane Lappenplastik sind ausgedehnte Knochendefekte und Knochendefekte im Rahmen einer Osteomyelitis.
Ferse Vor allem bei Fersendefekten im Rahmen eines Dekubitus sollte die sekundäre Wundheilung (evtl. in Verbindung mit einer partiellen Kalkanektomie) bedacht werden. Die Fersenregion kann bei oberflächlichen Defekten mit einer (Voll-) Hauttransplantation versehen werden. Aufgrund der besonderen Belastungssituation ist dieses Verfahren jedoch nur begrenzt tauglich. Vorzuziehen ist eine stabile Weichteilbedeckung (Tabelle 17.6).
625
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Defektdeckung im Fußbereich
KAPITEL 17
b
a
Abb. 17.3 a–c. Deckung eines chronischen Defektes nach distaler Fibulaosteosynthese mit Hilfe einer gestielten M.-peroneus-brevis-Lappenplastik bei einer 40-jährigen Patientin. a Klinischer Aspekt präoperativ. b Klinischer Aspekt intraoperativ nach Débridement und Lappenhebung. c Klinischer Aspekt ein Jahr postoperativ: gute Eversion des Fußes durch verbleibende Funktion des M. peroneus longus
c Tabelle 17.6. Differenzialtherapie im Fersenbereich 1.
Hauttransplantat
2.
Faszioadipöse Lappen + Hauttransplantat
3.
Muskellappen
4.
Plantaris-medialis-Lappen
5.
freie fasziokutane Lappen
6.
freie Muskellappen (myokutan)
7.
Perforatorlappen
Im Bereich der dorsalen Ferse eignen sich gestielte Lap pen wie der distal gestielte Suralislappen oder der Kalkaneuslappen. Stehen keine gestielten Lappenplastiken zur Verfügung, sollte als nächstes an freie fasziokutane Lappenplastiken gedacht werden. Im Bereich der plantaren Ferse stellt der A.-plantaris-medialis-Lappen („instep flap“) die Therapie der Wahl dar. Bei komplexen dorsalen und plantaren Defekten stellt die freie mikrochirurgische Lappenplastik die Therapie der Wahl dar. Der Cross-legLappen stellt wegen seiner notwendigen Immobilisation das Verfahren der letzten Wahl dar (Tabelle 17.7).
„Hyperkeratose“ „Savonnage“ (orthopädische Schuhversorgung)
Fußrücken Die Weichteilbedeckung am Fußrücken ist nur spärlich vorhanden. Defekte in diesem Bereich gehen daher häu fig mit einer Beteiligung der Strecksehnen bzw. des Strecksehnengleitgewebes einher. Diese Tatsache stellt besondere Anforderungen an den Gewebeersatz, um die Funktion der Strecksehnen möglichst zu erhalten. Bei oberflächlichen Defekten mit erhaltenem Sehnen gleitgewebe und gut durchblutetem Wundgrund besteht die Möglichkeit der Defektdeckung mittels (Voll-) Haut transplantat.
KAPITEL 17
Defektdeckung im Fußbereich
Tabelle 17.7. Differenzialtherapie im Fußsohlenbereich 1/3-Defekt Plantare Ferseneinheit
Mittelfußeinheit
Vorfußeinheit
1. „Instep flap“
1. Freier fasziokutaner Lappen
(+ Knochendefekt)
2. Freier fasziokutaner Lappen
2. Freier Muskellappen + Hauttransplantation
1. Amputation
3. Freier Muskellappen + Hauttransplantation
3. Cross-leg
(– Knochendefekt)
4. Cross-leg
1. Freier fasziokutaner Lappen 2. Freier Muskellappen + Hauttransplantation 3. Cross-leg 2/3-Defekt
Plantare Ferseneinheit + Mittelfußeinheit
Mittelfußeinheit + Vorfuß-Einheit
1. Freier Muskellappen + Hauttransplantation
(+ Knochendefekt)
2. Amputation
1. Amputation (– Knochendefekt) 1. Freier Muskellappen + Hauttransplantation 2. Amputation 3/3- (kompletter) Defekt
(+ Knochendefekt) 1. Amputation (– Knochendefekt) 1. Freier Muskellappen + Hauttransplantation 2. Amputation
! Die Gefahr besteht in der Verklebung des Hauttransplantates mit den Sehnen sowie der Schrumpfung des Transplantates mit möglicher funktioneller Beeinträchtigung.
Bei tieferen Defekten oder in einer Infektsituation ist eine Deckung mit gut durchblutetem Gewebe notwendig. Lokale Möglichkeiten sind begrenzt, sodass frühzeitig der freie Gewebetransfer in Erwägung gezogen werden muss. Einem fasziokutanen Lappen oder einem Faszienlappen in Kombination mit einem Spalthauttransplantat oder einem Perforatorlappen ist aufgrund seiner Gewebebe schaffenheit (wenig auftragend) der Vorzug zu geben (z. B. A.-radialis-Lappen, A.-temporalis-Faszienlappen, ALT). Die Wiederherstellung der Gleitschicht der Strecksehnen schließt diese Verfahren ein.
Fußsohle Die Rekonstruktion der Fußsohle stellt aufgrund der Be sonderheit des Gewebes und der hohen Belastung eine Herausforderung dar (vgl. Tabelle 17.7).
Klassischerweise wird die belastete von der nichtbela steten Fußsohlenregion unterschieden. Im klinischen Alltag zeigt sich jedoch, dass durch die zivilisationsbe dingten Fußdeformitäten im Sinne einer Senk-SpreizfußDeformität der nichtbelastete Fußsohlenanteil immer kleiner wird (Abb. 17.4 a,b). Ein (Voll-) Hauttransplantat kann bei umschriebenen oberflächlichen Defekten zum Einsatz kommen, ergibt jedoch eine funktionell minderwertige Zone mit dem Ri siko einer „instabilen Narbe“ und Hyperkeratose im Randbereich. Die (Voll-)Hauttransplantation sollte vor allem im nichtbelasteten Fußareal (medialer Anteil des mittleren Fußsohlendrittels) bedacht werden. Sie ist not wendig, um den Spenderdefekt der A.-plantaris-media lis-Lappenplastik zu decken. Lokale Lappen sind aufgrund des Hautaufbaus (steife Haut) und des hohen Spenderdefektes im Fußsohlenbe reiches limitiert. Eine Möglichkeit stellt die Fersenrotati on dar mit dem Nachteil des begrenzten Aktionsradius, da sich die Fußsohlenhaut so gut wie nicht mobilisieren lässt. Fasziokutane Lappen bestehend aus Fußsohlenhaut und Plantarfaszie können verwendet werden.
627
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Defektdeckung im Fußbereich
KAPITEL 17 Abb. 17.4 a,b. Nichtbelastetes Areal im Fußsohlenbereich im Abhängigkeit von der Fußform. a Druckbild des normalen Fußes. b Druckbild des Platt-Spreiz-Fußes (Fläche des nichtbelasteten Areals geht gegen Null)
3,5 3 2 1 1,5 0,5 0
0 2 3 4 6 8 10 12 12 3
2 3 1,5 4
0
5
1 1,5 2 2,5 3 3,5 3,9
a
6 8 10 12
b
Der „instep flap“, ein an der A. plantaris medialis ge stielter neurovaskulärer Insellappen, eignet sich beson ders in seiner Eigenschaft, ortsständig gut durchblutetes Gewebe aus der nichtbelasteten Fußsohlenregion in die belastete Fußsohlenregion zu transferieren. Es stellt die Therapie der 1. Wahl für Defekte des proximalen Fußsoh lendrittels (plantare Fersenuntereinheit) dar. Dieser Lap pen ist als konventioneller „instep flap“ in die Fersenregi on oder auch als „reversed instep flap“ zum Vorfuß möglich. Probleme können unter Umständen an der Ent nahmestelle auftreten, die mit einer Spalthaut versorgt wird. Zur (neurovaskulären) Rekonstruktion kleinerer De fekte sind freie Hautlappen wie der A.-radialis-Lappen gut geeignet. Bei ausgedehnten Substanzdefekten, freiliegendem Knochen oder Osteomyelitis stellt die freie Muskellap penplastik die Therapie der Wahl dar. Hierzu eignen sich besonders der M. latissimus dorsi und der M. gracilis. Myokutane Lappenplastiken haben den Vorteil einer wi derstandsfähigeren Haut und den Nachteil des so ge nannten „Lappenschwimmens“ („savonnage“). Reine
Muskellappen in Kombination mit einem mitteldicken Spalthauttransplantat zeigen ein deutlich besseres ästhe tisches Ergebnis. Bei der Therapie von sekundären Ulzera, die bei allen Patienten vorkommen können, stellt die degenerierte Muskelmasse nur noch ein schlechtes Weichteillager dar (Abb. 17.5 a–d). Bei dünner Subkutanschicht im Rücken bereich ist die myokutane Latissimus-dorsi-Lappenpla stik durchaus ein empfehlenswertes Therapieverfahren.
Komplexe Fußdefekte Polyregionale Fußdefekte sind meist traumatisch bedingt. Oft liegen ausgedehnte Quetschverletzungen vor. Bei zu sätzlicher Knochenschädigung sollte die Nachamputati on als Therapieverfahren bedacht werden, um langwie rige Krankheitsverläufe zu vermeiden. Hierbei muss immer die Funktionseinbuße des Fußes in Abhängigkeit von der verbleibenden Fußlänge beachtet werden. Je kür zer der Fuß, umso ausgeprägter ist die primäre und se kundäre funktionelle Beeinträchtigung.
KAPITEL 17
Defektdeckung im Fußbereich
629
b
a
c
d Abb. 17.5 a–d. Schrotschussverletzung eines Jägers mit ausgedehnter Defektverletzung linker Fuß, Fußsohle und Außenknöchelbereich. Defektdeckung nach Débridement mit freiem M.-latissimus-dorsi-Lappen mit 2 Hautinseln zur
Zehen- und Vorfußamputationen führen zu einer akzeptablen funktionellen Beeinträchtigung, weshalb die Indikation zur Nachamputation großzügiger gestellt werden kann. Tarsale und mehr proximale Amputation führen zu einer signifikanten funktionellen Beeinträchtigung, weshalb mehr Anstrengung zur Rekonstruktion gemacht werden sollten.
Die Kombination von funktioneller Skelettkürzung und funktioneller Weichteilrekonstruktion stellt oft einen sehr guten Kompromiss dar.
Defektdeckung der Fußsohle sowie der Außenknöchelregion. a Klinischer Befund bei der Einlieferung. b Röntgenbild. c M.-latissimus-dorsi-Lappen. d Klinischer Aspekt postope rativ
17.1.4.3 Postoperative Behandlung Postoperativ ist eine engmaschige Kontrolle des Lokalbe fundes erforderlich, um mögliche Instabilitäten im Ge webs- und Narbenbereich, Hyperkeratosen oder Druck läsionen frühzeitig zu erkennen. Die Anpassung und das Tragen von speziellem Schuhwerk und maßgefertigten Einlagen sind unbedingter Therapiebestandteil und dienen der Sicherung des Langzeitergebnisses. Die Prä vention des Druckulkus bei inadäquatem Schuhwerk hat oberste Priorität. Im Fußsohlenbereich sind Fußdruck messungen sowie Ganganalysen für eine individuelle or thopädische Schuhanpassung von großer Bedeutung (Abb. 17.6 a–d). Die Behandlung der Hyperkeratosen hat sich außeror dentlich bewährt und ist unbedingt zu empfehlen (Tabel le 17.8).
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Defektdeckung im Fußbereich
KAPITEL 17
a
b
c
d Abb. 17.6 a–d. Statische und dynamische Messung zur Bestimmung der räumlichen und zeitlichen Druckverteilung im Fußsohlenbereich Tabelle 17.8. Postoperative Therapie 1.
Engmaschige Kontrolle des Lokalbefundes Instabilitäten im Gewebs- und Narbenbereich Hyperkeratosen Druckläsionen
2.
Hyperkeratosemanagement Konservative und minimal-invasive Hyperkeratosetherapie
3.
Ulkusmanagement Prävention: Anpassung und Tragen von speziellem Schuhwerk und maßgefertigten Einlagen (auf der Basis von individuellen Fußdruckmessungen)
4.
17.1.4.4 Sekundäreingriffe Sekundäreingriffe sind häufig notwendig. Je größer der Defekt im Fußbereich – vor allem im Fußsohlenbereich –, desto wahrscheinlicher ist die Notwendigkeit für Se kundäreingriffe. Neben sekundären ästhetischen Lap penkorrekturen, wie (mehrzeitige) Lappenausdünnung, können Operationen zur besseren Lappenverzahnung im Übergang Leistenhaut/Felderhaut (Abb. 17.7 a–c) und Korrektureingriffe (Knochenresektion und Weichteilkor rektur) bei Druckulkus im Lappenbereich notwendig werden (Tabelle 17.9). Tabelle 17.9. Sekundäreingriffe bei Defekten im Fußbereich
Therapie: Knochenresektion und Weichteil management
1.
Ästhetische Lappenkorrekturen
Sonstiges
2.
Operationen zur besseren Lappenverzahnung im Übergang Leistenhaut/Faltenhaut
3.
Korrektureingriffe (bei Druckulkus)
(mehrzeitige) Lappenausdünnung
Knochenresektion Weichteilkorrektur) 4.
Sonstiges
KAPITEL 17
Defektdeckung im Fußbereich
a, b
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c Abb. 17.7 a–c. Korrektur des Übergangs Lappen-/Leistenhaut im dorsalen Fersenbereich mit Hilfe einer multiplen Z-Plastik. a Klinischer Befund präoperativ: Durch dermatologische Begleittherapie kann die präoperativ bestehende Hyperkerato-
17.2 Spezielle Techniken 17.2.1 Hauttransplantation Bei oberflächlichen Defekten und gut durchblutetem Wundgrund ist die Hauttransplantation selbst im Bereich der belasteten Fußsohle, sofern ausreichend subkutanes Gewebe vorhanden ist, angezeigt. Für die Fußsohle, auch für den Fußrücken, ist Vollhaut – am ehesten aus der Lei ste – zu verwenden (vgl. Abb. 17.10 e). Es gibt Arbeiten, die die Haut im Bereich des Fußrückens als Spendeareal für die Fußsohlenregion für überlegen halten. Diese Technik hat allerdings den Nachteil des per se ungün stigen Spenderareals.
! Bei tiefer reichenden Defekten verursacht die Haut-
transplantation, sofern sie einheilt, auch langfristig Probleme wie Schmerzen und eine instabile Narbe mit eingeschränkter Belastbarkeit und Stabilität.
17.2.2 Gestielte Lappenplastiken 17.2.2.1 Verschiebe-/Schwenklappenplastiken Eine Fülle von lokalen Hautlappen in klassischen Tech niken wie Rotationslappen, Brückenlappen, Schwenklap
se deutlich vermindert werden. b Klinischer Befund intraoperativ: Planung der multiplen Z-Plastik. c Klinischer Befund ein Jahr postoperativ
pen, Insellappen u. a. wurde beschrieben, jedoch gibt es aufgrund der eingeschränkten Mobilität und begrenzten Ausdehnung des Weichteilmantels des Fußes sowie Nach teilen im Bereich des Hebeareals nur einige wenige Tech niken, die sich klinisch bewährt haben. Eine Fülle von Muskellappenplastiken maßgeblich aus der intrinsischen Fußmuskulatur wurde entwickelt. Ihre Abmessungen sind begrenzt, die Präparation aufwändig und mögliche postoperative Funktionseinschränkungen sind einzube ziehen.
Rotationslappenplastiken an der Fußsohle Die Rotationslappen ermöglichen einen stabilen Defekt verschluss im Bereich umschriebener Fußsohlendefekte in der Überganszone belasteter zur nichtbelasteten Region. Eine komplette Mobilisierung der Haut ist aller dings erforderlich. Der durch die Rotation entstehende Defekt im Bereich der nichtbelasteten Fußregion muss mit einem Hauttransplantat gedeckt werden. Dieses Verfahren bedeutet einen aufwändigen Eingriff mit ausgedehnten Narben und ist nur bei kleinen Defekten anwendbar (Abb. 17.8 a,b). Auch gestielte subkutan verlagerte Lappen aus den nichtbelasteten Arealen sind für kleine Defekte eine gute Lösung (Abb. 17.9 a,b).
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Defektdeckung im Fußbereich
KAPITEL 17
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b Abb. 17.8 a,b. Rotationslappenplastik zur Deckung eines kleinen Defektes im Bereich des Vorfußes. a Klinischer Befund präoperativ. b Klinischer Befund ein Jahr postoperativ: Der
Sekundärdefekt im Bereich der Lappenspenderstelle ist mit einem Hauttransplantat gedeckt worden
a
b Abb. 17.9 a,b. Chronische Druckstelle: Großzehenballen bei einem 47-jährigen Patienten. a Lokaler subkutan gestielter
Lappen, Entnahmestelle mit Vollhaut gedeckt. b Klinischer Befund ein Jahr postoperativ, gut belastbar
17.2.2.2 Gestielte (Insel-) Lappenplastiken
Verlagerung werden die Muskeln mit Spalthauttransplan taten versorgt. Als Muskellappen zur Defektdeckung im Bereich des distalen Unterschenkels und des Knöchels stehen der M.-extensor-digitorum-longus-Lappen und der M.-soleus-Lappen zur Verfügung. Der M. extensor digitorum longus, ein Muskel mit einer segmentalen Ge fäßversorgung, wird an seinem proximalen Ursprung an der Fibula desinseriert. Die Gefäßversorgung aus Perfo ratoren etwa 20 cm proximal des Sprunggelenks bleibt intakt. Der Muskel wird zur Defektdeckung nach distal umgeschlagen und mit einem Spalthauttransplantat ver sehen. Ebenso kann der M. soleus Anwendung finden. Problematisch hierbei können die auftragende Muskel masse und eine venöse Stauung sein. Der M. abductor digiti minimi kann proximal gestielt kleine Defekte am lateralen Knöchel und der Ferse decken. Der proximal gestielte M. abductor hallucis kann für Defekte im Be reich des Innenknöchels zur Anwendung kommen.
Im Fußbereich ist eine Reihe von gestielten (Insel-) Lap penplastiken beschrieben. Als fasziokutane Lappenpla stiken haben sich der A.-dorsalis-pedis-Lappen, der A.-plantaris-medialis-Lappen („instep flap“), der Supra malleolarlappen, der laterale Kalkaneuslappen und der distal gestielte Suralislappen bewährt. Fasziokutane distal gestielte Lappen mit ihrer Gefäßversorgung aus Perfora toren 8–10 cm proximal der Malleolen können lateral (A. peronea) und medial (A. tibialis posterior) zur De fektdeckung im Bereich der Ferse und der Knöchelregion zur Anwendung kommen. Die Spenderstelle wird mit einem Spalthauttransplantat versorgt. Als Muskellappen kommen M. soleus, M. extensor di gitorum longus, M. extensor digitorum brevis (vgl. Abb. 17.16 a–f), M. peroneus brevis, M. abductor digiti minimi und M. abductor hallucis zur Anwendung. Nach
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Abb. 17.10 a–e. Malignes Melanom, rechte Ferse lateral, Exzision mit 2 cm Sicherheitsabstand, Defektdeckung mit A.-dorsalis-pedis-Lappen. a Klinisches Bild intraoperativ: Exzision des Tumors. b Schema des Lappens. c Klinisches Bild intraoperativ: Präparation des A.-dorsalis-pedis-Lappens. d Klinisches Bild ein Jahr postoperativ. e Entnahmestelle am Fußrücken
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Defektdeckung im Fußbereich
A.-dorsalis-pedis-Insellappen Der A.-dorsalis-pedis-Lappen (Abb. 17.10 a–e) ist einer der ersten beschriebenen Arterienlappen. Es ist ein fasziokuta ner an der A. dorsalis pedis gestielter Lappen. Der Rotati onsradius ist weit, möglich bis zum distalen Unterschenkel. Die Hautinsel kann bis zu 8×15 cm ausgedehnt werden. Das Spendeareal wird mit einem Hauttransplantat, vorzugswei se Vollhaut, versehen und ist bei diesem Verfahren ein pro blematischer Bereich. Narbige Verziehungen, Verklebungen zu den Sehnen, instabile Narben, Hyperkeratosen – insbe sondere im Randbereich – und Schmerzen – besonders beim Tragen von Schuhen – können sich einstellen.
A.-plantaris-medialis-Lappen („instep flap“) Die Operation erfolgt in Rückenlage und Blutleere. Die Lappenplastik wird in dem nichtbelasteten medialen An teil des mittleren Fußsohlendrittels angezeichnet. Nach
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Eröffnung des Tarsalkanals wird das mediale plantare Ge fäß-Nerven-Bündel aufgesucht und angeschlungen. Die Faszie der M. abductor hallucis und Teile der Plantarapo neurose werden in den Lappen miteinbezogen. Nun wird der M. abductor hallucis durchtrennt und der Gefäß-Ner ven-Stiel weiter dargestellt, wobei unbedingt der sensible N. digitalis medialis zur Großzehe geschont werden muss. Proximal wird der N. plantaris medialis vom Gefäßstiel gelöst und der kleine Nervenast für die sensible Versor gung der Lappenplastik dargestellt. Zur Verlängerung des Lappenstiels ist eine intraneurale mikrochirurgische Prä paration unter Lupenbrillenvergrößerung notwendig. An schließend werden der tiefe Ast der A. plantaris medialis und die Äste zu den umliegenden Strukturen sowie deren Begleitvenen unterbunden und durchtrennt. Der Rotationsradius des Lappens reicht zur Deckung von Defekten im Bereich der plantaren Fersen- (Unter-) Einheit und wird begrenzt durch die Höhe der Bifurkati on der A. tibialis posterior in ihre beiden Endäste, den Aa. plantaris medialis et lateralis (Abb. 17.11 a–d).
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d Abb. 17.11 a–d. Deckung eines Defektes im proximalen Fußsohlendrittel nach Resektion eines malignen Melanoms bei einer 67-jährigen Patientin mit Hilfe eines neurovaskulär gestielten A.-plantaris-medialis-Lappens („instep flap“). a Klinischer Aspekt nach Tumorresektion und Lappenplanung. b Klinischer Aspekt nach Lappenhebung. c Klinischer Aspekt im Fußbereich 3 Monate postoperativ: Die Spender-
stelle wurde mit einem mitteldicken Spalthauttransplantat gedeckt. Es besteht noch ein kleiner Restdefekt. d Klinischer Aspekt ein Jahr postoperativ: Lappenplastik ist funktionell und ästhetisch gut in die Fußsohle integriert. Die Spenderstelle ist komplett genesen. Im Randbereich besteht ein mäßig hyperkeratotischer Wall
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Abb. 17.12 a–c. Instabile Narbe im Fersenbereich im Übergang von belasteter zu nichtbelasteter Fußsohle. Defektdeckung nach Débridement mit „instep flap“ (A. plantaris medialis). a Klinisches Bild präoperativ. b Klinisches Bild postoperativ. c Schema
c
Nach Naht des M. abductor hallucis wird die Blutleere geöffnet, die Lappendurchblutung kontrolliert und eine subtile Blutstillung durchgeführt. Das Spenderareal wird mit einem mitteldicken Spalthaut- oder (besser) Voll hauttransplantat gedeckt. Ein klassischer Überknüpfver band für 5 Tage und eine Ruhigstellung in einer dorsalen Unterschenkelgipsschiene (mit Lappenfenster) haben sich bewährt (Abb. 17.12 a–c).
Lateraler Supramalleolarlappen Die Operation erfolgt in Rückenlage und Blutleere. Nach Masquelet soll das proximale Ende die Unterschenkel mitte nicht überschreiten. Der Vorderrand des Lappens liegt oberhalb der Sehne des M. tibialis anterior, der Hin
A.tibialis post. Retinaculum flexorum
terrand über der Fibula. Das distale Ende des Lappens muss die Austrittstelle des R. perforans der A. peronea einschließen. Diese Austrittstelle kann präoperativ mit dem Dopplergerät dargestellt werden. Der Hautschnitt wird nach distal vor dem Malleolus lateralis verlängert. Die Präparation beginnt am Lappenvorderrand. Durch Anheben der Haut kann der distale Gefäßstiel mit dem R. perforans nach Durchtrennung des Retinaculum extensorum dargestellt werden. Als Nächstes sollten die Äste des N. peroneus superficialis aufgesucht wer den. Der größte Nachteil der lateralen Supramalleolarlap penplastik liegt in der Tatsache, das der Hauptstamm des N. peroneus superficialis oft durchtrennt werden muss und hierdurch im Fußrückenbereich ein sensibler Defekt entsteht.
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Defektdeckung im Fußbereich
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d Abb. 17.13 a–d. Deckung eines Dekubitus im Bereich des Malleolus lateralis mit Hilfe eines lateralen Supramalleolarlappens. a Klinischer Aspekt präoperativ. b Klinischer Aspekt nach Débridement und Lappenplanung. c Lappenpräparation, (durch Einschluss der V. saphena parva und Präparation des Gefäß-Nerven-Stiels „en bloc“ kann eine sicherere Durchblutung dieser Lappenplastik erzielt werden. Durch Zwischenschaltung eines klassischen „Lappen-Delays“
kann die Durchblutungssituation weiter verbessert werden. d Lappeneinpassung in den Defekt: Durch Drehung des Lappens um 180° kann ein dorsaler Fersendefekt gedeckt werden. Hier ist darauf zu achten, dass kein Druck im Stielbereich entsteht. Vorzugsweise bleibt der Stielbereich primär offen, wird evtl. mit einem dünnen Spalthauttransplantat gedeckt. Wenn ästhetisch erforderlich, kann ein Korrektureingriff im Stielbereich nach frühestens 3 Monaten erfolgen
Unter Belassung der hinteren Hautbrücke des Lappens können folgende Gefäße dargestellt werden:
periostal von der Fibula gelöst, um den versorgenden Hautnerv nicht zu verletzen. Nach der Naht und dem Öffnen der Blutleere wird die Lappendurchblutung kontrolliert und eine subtile Blut stillung durchgeführt. Das Spenderareal wird mit einem mitteldicken Spalthaut- oder (besser) Vollhauttransplan tat gedeckt. Ein klassischer Überknüpfverband für 5 Tage und eine Ruhigstellung in einer dorsalen Unterschenkel gipsschiene (mit Lappenfenster) haben sich bewährt (Abb. 17.13 a–d).
1. R. perforans, 2. Anatomose mit Ästen der A. tibialis anterior, die A. malleolaris lateralis anterior, und 3. die Anastomose mit der A. tarsalis lateralis. In Abhängigkeit von der nötigen Länge des Gefäßstiels werden in der Folge unterschiedlich viele Gefäße unter bunden und durchtrennt. Für die Defektdeckung im Be reich des Malleolus lateralis bleibt die Lappenplastik am R. perforans gestielt, alle anderen Äste werden ligiert und durchtrennt. Zur Defektdeckung im Bereich des Malleo lus medialis bleibt die Lappenplastik an der A. malleola ris medialis gestielt. Für eine Defektdeckung im Fußrü ckenbereich muss die Anastomose mit der A. tarsalis lateralis geschont werden. Dieser Gefäßstiel wird bis zum Sinus tarsi verfolgt, der den distalen Drehpunkt der Lap penplastik bildet. Der Hinterrand des Lappens wird sub
Lateraler Kalkaneuslappen Der laterale Kalkaneuslappen (Abb. 17.14 a–d) eignet sich als sensible stabile Weichteilrekonstruktion für um schriebene Defekte im Bereich der dorsalen Ferse, der Achillessehnenregion und des Außen- und Innenknö chels. Die Hautinsel aus dem Bereich unterhalb und ven tral des Außenknöchels kann bis zu 3×5 cm messen. Die
KAPITEL 17
N. suralis
Defektdeckung im Fußbereich
N. cutaneus dorsalis lateralis
V. saphena parva
M. extensor digitorum minimi A. peronea Rami calcanei laterales des N. suralis
a M. abductor digiti minimi
Ansatzsehne des M. peroneus brevis
Ansatzsehne des M. peroneus longus
b
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Abb. 17.14 a–e. Kalkaneuslappenplastik zur Deckung eines kleinen Defektes im lateralen Fersenbereich. a Vaskularisati-
on im lateralen Fersenbereich. b–e Varianten des Kalkaneus lappens
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Defektdeckung im Fußbereich
Planung bezieht das Gefäß (A. calcanea lateralis), das zu vor bevorzugt dopplersonographisch dargestellt werden sollte, mit ein. Der Stiel umfasst das neurovaskuläre Bün del: A. calcanea lateralis, V. saphena parva und Äste des N. suralis. Das Hebeareal wird mit einem Spalthauttrans plantat versorgt.
Distal gestielter A.-suralis-Lappen Der Suralislappen (Abb. 17.15 a–h) ist für Defekte im nichtbelasteten Fersenbereich zu empfehlen. Seine Ge fäßversorgung erhält er aus der A. suralis, ein in der Regel kaliberschwaches Gefäß aus der A. peronea, das den N. suralis begleitet. Eine sorgfältige Planung, operative Durchführung und postoperative Kontrolle sind erfor derlich. Präoperativ wird die V. saphena parva angezeich net. Die Präparation beginnt nach Defektdébridement im Bereich des N. suralis, der zusammen mit der A. suralis nach kranial verfolgt wird. Auf die Einbeziehung der Vene ist zu achten. Die Hautinsel wird mit der Fascia cru ris umschnitten, der Gefäßstiel nach kaudal mobilisiert und der Lappen spannungsfrei in den Defekt eingebracht. Auf einen spannungsfreien bogenförmigen Verlauf des Gefäßstiels ist unbedingt zu achten, der ggf. mit einem Spalthauttransplantat bedeckt werden muss. Der Hebe defekt wird ebenfalls mit einer Spalthaut verschlossen. Auf eine druckfreie Lagerung nach der Operation ist streng zu achten. Stellen sich früh postoperativ Perfusi onsstörungen ein, muss der Lappen ggf. passager zurück verlagert werden, um den Transfer möglicherweise se kundär, nach 10–14 Tagen – nach erfolgter Lappenkonditionierung durch "delay" – erneut zu versu chen. Bei dieser Lappenplastik ist in der Form ohne Delay mit einer partiellen Nekroserate (Defekt liegt dann meist in dem zu deckenden Defektareal) in 15–30% der Fälle zu rechnen. Gelingt diese Gewebedeckung, handelt es sich um eine hochwertige stabile Rekonstruktion mit limi tierter Spenderstellenmorbidität (Abb. 17.15 a–g).
M.-extensor-digitorum-brevis-Lappenplastik Der M. extensor digitorum brevis besteht aus 4 Muskel anteilen am Fußrücken. In rechteckigem Design (bis 5×8 cm) kann er nach medial, lateral und posterior unter Bewahrung seines Gefäßstiels bzw. seiner Gefäßstiele di stal des Retinaculum extensorum verlagert werden (Abb. 17.16 a–f).
KAPITEL 17
17.2.3 Freie mikrochirurgische Lappenplastiken Die freien Lappen erweitern das Versorgungsspektrum von Fußdefekten. Auch ausgedehnte Defekte mit schwerer Gewebezerstörung, freiliegendem Knochen oder ausge dehnte Infektsituationen können mit diesen Verfahren zur Ausheilung gebracht werden. Die Anforderungen an die Weichteilrekonstruktion wie Stabilität und Belastbar keit und möglichst wenig Schmerzen bestimmen in Zu sammenschau mit der Spenderstellenmorbidität das Ver fahren. Freie mikrochirurgisch angeschlossene Lappen können grundsätzlich in jeder Region Anwendung finden, sofern ein geeignetes Anschlussgefäß vorhanden ist, was meistens der Fall ist.
Eine präoperative Gefäßdarstellung mittels Dopplerso nographie oder Angiographie stellt die Gefäßversorgung und somit die potenziellen Anschlussgefäße dar. Der kräftigste arterielle Zustrom und so die verlässlichste Ge fäßverbindung lässt sich beim Anschluss an die A. tibialis posterior erreichen. Demgegenüber ist die A. tibialis an terior zumeist ein eher kaliberschwaches Gefäß. Eine in traoperative Kontrolle der Durchblutung durch Ab klemmversuch des Anschlussgefäßes gewährleistet eine ausreichende Durchblutung des Fußes. Wird nur Haut benötigt, so bieten sich der Radialis lappen und Skapulalappen sowie der ALT an. Der Radia lislappen weist den dünnsten und gleichzeitig stabilsten Hautverschluss auf, vor allem im dorsalen Fersen- und Fußrückenbereich (Abb. 17.17 a–d). Erfolgt die Lappen hebung suprafaszial und wird der Spenderdefekt mit Hil fe eines Vollhauttransplantats aus der Leiste versorgt, kann die Spendermorbidität deutlich verringert werden. Aufgrund der dickeren Subkutanschicht im Vergleich zum Fersenbereich muss der Patient über evtl. notwen dige Sekundärkorrekturen aufgeklärt werden. Zusätzlich kommen abhängig von der Defektausdeh nung in Abwägung mit der Spenderstellenmorbidität, der laterale Oberarmlappen (kurzer Stiel, dicke Subkutan schicht) und der Paraskapulalappen (Narbe) zur Anwen dung. Bei dicker Subkutisschicht können auch freie Faszienlappen in Verbindung mit einem Spalthauttrans plantat eingesetzt werden. Neben dem thorakalen Faszi enlappen nach Wintsch hat sich der A.-temporalis-su perficialis-Faszienlappen bewährt. Im Bereich der Muskellappen stellt der M. latissimus dorsi die Methode der Wahl dar (vgl. Abb. 17.5 a–d). Er bietet die größte Muskelmasse und Oberfläche. Meist wird nur der Muskel transferiert und mit einem Spalthauttransplantat verse hen, um eine optimale Kontur ohne auftragende Hautin sel und Fettgewebe zu erzielen. Die postoperative Fibrose
KAPITEL 17
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Abb. 17.15 a–h. Suralislappen. 70-jährige Patientin mit lateralem Defekt an Ferse und Fußrand. a Lappendesign zur Deckung von Defekten im Fersenbereich. b Schema: Aspekt nach Lappentransposition in den Fersendefekt. c Schema: Planung eines Suralislappens. d Klinisches Bild
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h Abb. 17.15 a–h. Suralislappen. 70-jährige Patientin mit lateralem Defekt an Ferse und Fußrand. e Schema: Präparation des Stiels. f Schema: Transposition des Lappens zum Defekt.
g Klinisches Bild: rechter Fuß seitlich, 6 Monate postoperativ. h Klinisches Bild Frontalansicht
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c Abb. 17.16 a–f. M.-extensor-digitorum-brevis-Lappenplastik zur Deckung eines chronischen Defektes im Bereich des Malleolus lateralis. a Schema: Darstellung des Stieles. b Kli-
nisches Bild präoperativ. c Klinisches Bild nach Débridement: Es zeigt sich ein Defekt mit Gelenkeröffnung
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Abb. 17.16 a–f. M.-extensor-digitorum-brevis-Lappenplastik zur Deckung eines chronischen Defektes im Bereich des Malleolus lateralis. d Klinisches Bild intraoperativ nach Lappenhebung. e Klinisches Bild intraoperativ nach Einnähung des Lappens und Öffnung der Blutleere. Es zeigt sich ein gut durchbluteter Muskellappen. f Klinisches Bild postoperativ
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d Abb. 17.17 a–d. A.-radialis-Lappen bei 21-jährigem Patienten. a Posttraumatischer Defekt über Fußrücken und Unterschenkel (chronischer Infekt). b A.-radialis-Lappen gehoben
am Unterarm. c Klinisches Bild ein Jahr postoperativ später. d Klinisches Bild postoperativ: Zehenspitzenstand, gute Belastbarkeit
und Atrophie des Muskels kommen der Gestaltung des Weichteilmantels des Fußes entgegen. Für kleinere De fekte kommt auch der M. gracilis in Betracht. Auch der M.-rectus-abdominis- oder der M.-serratus-Lappen kön nen für kleinere bis mittlere Defekte als freie Muskellap pen eingesetzt werden.
17.2.4 Fernlappenplastiken Fernlappenplastiken werden in den Industrieländern nur noch ausnahmsweise eingesetzt und haben deshalb mehr historischen Wert. In den Entwicklungsländern sind sie jedoch noch immer das am häufigsten verwendete Ver fahren zur Deckung großer Defekte.
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Defektdeckung im Fußbereich
17.2.4.1 „Cross-leg flap“ Die Cross-leg-Technik ist ein mehrzeitiges klassisches Verfahren, welches eine Behandlungsdauer von 4–8 Wo chen und mindestens 3 operative Schritte umfasst. Während des 1. Schrittes wird der Lappen in der vor gesehen Größe einzeitig – oder bei großen Lappen in mehreren Sitzungen mehrzeitig innerhalb von 4–5 Tagen – umschnitten und sofort wieder in sein altes Bett zurück genäht, wo er für 14 Tage verbleiben muss. Durch Ab drosselung aller anderen Versorgungswege erweitern sich die Stielgefäße (klassische Lappenkonditionierung). Für die Defektdeckung im Fußbereich wird bevorzugt die Haut von der Innenseite des kontralateralen Unterschen kels im Bereich des Versorgungsgebietes der A. saphena verwendet. Es handelt sich hier um eine Lappenplastik mit definierter Blutversorgung („axial pattern flap“). Eine Lappenkonditionierung ist meist nicht notwendig. Im 2. Schritt überträgt man die Lappenplastik auf die zu deckende Wunde. Nach mehrzeitiger Lappenkonditi onierung darf der Operateur nicht vergessen, Narben an der Lappengrenze wegzuschneiden, da sie das Anwach sen an den Wundrändern des neuen Bettes behindern. Der sekundäre Defekt im Bereich des Spendergebietes wird temporär (z. B. allogenes Hauttransplantat) gedeckt. Zur Vermeidung einer zu großen Lappenspannung oder eines akzidentellen Ausreißens müssen beide Extremi täten – mit Hilfe eines Fixateur externe oder eines Gips verbandes – fixiert werden. Der Patient muss in dieser Position für 3 Wochen verbleiben können. Während die ser Zeit kommt es zur Ausbildung von Anastomosen der Lappenblutgefäße mit den ortsständigen Blutgefäßen. Dieser Vorgang kann durch intermittierendes Abklem men des Lappenstiels (mit Hilfe einer weichen Darm klemme) zur Erzeugung einer „kontrollierten Ischämie“ unterstützt werden („Stieltraining“). In einem 3. Schritt wird der Lappenstiel durchtrennt und Teile des Stiels evtl. wieder an ihren ursprünglichen Ort zurückverlagert. Im Bereich des Fußes wird der kon ditionierte Lappen approximiert. Ein zu straffes Einnä hen nach Stieldurchtrennung führt häufig zu Randnekro sen. Ein 4. Schritt kann zur definitiven Lappeneinpassung nach weiteren 10–14 Tagen notwendig werden.
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U.K. Kesselring
Inhalt 18.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 18.1.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.1.3 Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.1.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.1.4.1 Indikationen zur Dermolipektomie. . . . . . . . . . . . 18.2 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . 18.2.1 Dermolipektomie. . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.2.2 Sonstige Eingriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
KAPITEL 18
Ästhetische Eingriffe an der unteren Extremität
18.1 Allgemeines 645 645 645 646 646 646 647 647 650 653
18.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie Die ästhetischen Operationen an den unteren Extremitäten beschränken sich im Wesentlichen auf Konturverbesserungen mittels Liposuktion oder Implantaten sowie auf Dermolipektomien im Oberschenkelbereich. Der Fettansatz des weiblichen Oberschenkels ist grundsätzlich verschieden von dem des Mannes. Bei Mann sind die typischen Reservefettablagerungen proximal lateral und distal medial selten anzutreffen. Auch beobachtet man bei der Frau relativ früh degenerative Anzeichen in jenen Bereichen. Die nur schwach elastische Haut im inneren Oberschenkelbereich zeigt erschlaffte Hängefalten, und auch über den Knien und unter dem charakteristischen “Reithosenspeck” sowie unterhalb des Gesäßes bilden sich Hautfalten, welche durch den – von oben nach unten drückenden – Weichteildruck diese typischen Gewebsstauphänomene auslösen. Vor der Einführung der Lipoaspiration (Kesselring 1976) war die Dermolipektomie die einzige wirkungsvolle chirurgische Therapie für diese Deformitäten. Beim unelastischen Hautüberschuss, mit oder ohne Fettüberschuss, ist sie nach wie vor die Behandlungsmethode der Wahl. Wir gehen in diesem Kapitel nicht auf die so genannten “bodylifts” ein, welche vor einem halben Jahrhundert von Gonzales-Ulloa (1959), später von Regnault (1979) und in jüngerer Zeit von Lockwood (1993) ausführlich beschrieben und modifiziert wurden. Mit jenen Techniken werden am Stamm durch hohe, meist zirkuläre Dermolipektomien, Deformitäten im Oberschenkel-Gesäß-Bereich korrigiert.
18.1.2 Diagnostik Die Mehrzahl der Patienten, welche für ein Problem der unteren Extremitäten die Hilfe des plastischen Chirurgen suchen, beklagen sich über einen überschüssigen, störenden Fettansatz in den folgenden Lokalisationen: am Oberschenkel gluteal, medial oder in der Trochanterregion sowie im Kniebereich, am Unterschenkel im Wadenund im Knöchelbereich.
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Ästhetische Eingriffe an der unteren Extremität
Bei den übergewichtigen Patientinnen und Patienten, wobei Erstere den Großteil des Patientenguts darstellen, kommt es meist naturgemäß im ganzen Oberschenkelbereich zu einer erhöhten Fettgewebskonzentration. Diese kann diffus den üblichen, lokalisierten Fettgewebspolstern überlagert sein oder, diesem Verteilungsmuster folgend, jene grotesk hervorheben. Diese auch als Lipodystrophie bezeichneten, lokalen Deformitäten entsprechen nicht dem pathologischen Befund gleichen Namens, wenn lokal keine histologischen Pathologien nachgewiesen werden können. Die marktträchtige Bezeichnung Zellulitis entspricht keinem krankhaften Befund. Es handelt sich lediglich um das durch die dünne Haut und den erhöhten Fettgewebsdruck sichtbar gewordene Muster der die Fettkompartimente eingrenzenden Bindegewebssepten.
Es ist schwer vorstellbar, wie ein solcher Zustand mit dem von den Herstellern angepriesenen Salben und Essenzen positiv beeinflusst werden könnte. Ebenso schwer nachvollziehbar erscheint die von verschiedenen Autoren geäußerte Idee, durch das chirurgische Spalten dieser Sep-
KAPITEL 18
ten in einer subkutanen Ebene die Symptomatologie zu beseitigen.
18.1.3 Klassifikation Siehe in Berger, Plastische Chirurgie, Bd 1, Kap. 10 (Abschn. 10.1.1, 10.1.2).
18.1.4 Therapie 18.1.4.1 Indikationen zur Dermolipektomie Bei der Dermolipektomie im Oberschenkelbereich handelt es sich oft um einen mehrstündigen Eingriff, der gelegentlich auch einen intraoperativen Lagewechsel des Patienten mit sich bringt. Dieser sollte deshalb bei guter Gesundheit sein, frei von belastenden Pathologien oder den Heilungsverlauf beeinträchtigenden medikamentösen Behandlungen. Der Patient soll auch in eingehenden Gesprächen und mit Anschauungsmaterial auf die zu erwartenden Narben aufmerksam gemacht werden.
a
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Abb. 18.1 a–c. Gluteal diagonal hoch gezogene Dermolipektomie. a Ansicht von dorsal. b Ansicht von lateral. c Ansicht von frontal
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Abb. 18.2 a–c. Infraglutäal geplante Dermolipektomie. a Ansicht von dorsal. b Ansicht von lateral. c Ansicht von frontal
c
Die hauptsächlichen Indikationen sind alle Fälle, in denen wegen der Hautqualität und -quantität eine alleinige Fettabsaugung nicht erfolgversprechend ist. Ist von Seiten des Patienten die Akzeptanz der zu erwartenden Narben vorhanden, so gibt es keine lokalen Kontraindikationen.
18.2 Spezielle Techniken 18.2.1 Dermolipektomie In einem Jahrhundert dokumentierter Silhouettenchirurgie in diesem Bereich ist wohl keine Schnittführung unversucht geblieben, um ein optimales Resultat zu erreichen. Heute sind die Techniken weitgehend standardisiert. Bei der Dermolipektomie im Gesäß-Oberschenkel-Bereich handelt es sich um eine zirkumferenziale oder teilzirkumferenziale Haut-Fettgewebs-Resektion, welche entweder im Glutäalbereich diagonal hoch gezogen werden kann (Abb. 18.1 a–c) oder, mehr horizontal, in die Infraglutäalfalte gelegt wird (Abb. 18.2 a–c). Wenn bei der hohen Inzision die entstehende Narbe gut vom Badekleid verdeckt werden kann, so besteht der Nachteil des
Flachziehens des Gesäßprofils (Abb. 18.3 a,b). Dies wird bei der tiefen Narbenführung weitgehend intakt gelassen (Abb. 18.4 a,b), im Badekleid ist dafür die Narbe nicht zu übersehen (Abb. 18.5 a,b). Wenn ein schlaffer Hautüberschuss auf der Oberschenkelinnenseite auch mit dorsaler Rotation des Lappens nicht eliminiert werden kann, so muss er mit einer medialen Dreiecksresektion entfernt werden (Abb. 18.6). Weiter distal gelegenes, störendes Fett kann abgesaugt werden (Abb. 18.7). Dies erleichtert auch das Verlagern des Lappens. Wesentlich für die Dauerhaftigkeit des Ergebnisses sind die tiefen Verankerungen des Lappens mit Einzelknopfnähten an der Adduktorenfaszie im Bereiche des Tuberculum pubicum. Wir benützen dazu spät resorbierbares Nahtmaterial der Größe 0. Ebenfalls unerlässlich sind mehrschichtige Fasziennähte im ganzen Wundrandbereich, wobei nicht nur der repositionierte Haut-/Fettlappen tief an der Muskelfaszie verankert wird, sondern auch die in Zwischenebenen durch das Fettgewebe ziehenden, oberflächlichen (Scarpa-)Faszien als Haltesubstrat verwendet werden. In diesem Bereich verwenden wir 3/0 resorbierbares gezwirntes Nahtmaterial. Um einer sekundären Sanduhrdeformität vorzubeugen, emp-
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a
a
b
b Abb. 18.3 a,b. Abflachung des Gesäßprofils bei hoher Dermolipektomie. a Präoperativer Befund. b Postoperativer Befund
Abb. 18.4 a,b. Rundung des Gesäßes. a Präoperativer Befund. b Postoperativer Befund
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a
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b Abb. 18.5 a,b. Die tiefe Narbe kann schlecht versteckt werden. a Präoperativer Befund. b Postoperativer Befund
Abb. 18.6. Seltene mediale Dreiecksresektion
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a
Abb. 18.7. Absaugen distal liegender störender Fettpolster
b Abb. 18.8 a,b. Die Verankerung des belassenen, proximalen Fett-Dermis-Lappens (a) oder von Fett-Dermis-Zügeln (b) ist wichtig
fiehlt es sich, einen breiten deepithelisierten Fettlappen unter den Nahträndern vorzuziehen und hoch zu verankern (Abb. 18.8 a). Hoch eingenähte Dermiszügel können ebenfalls ein distales Absacken der Tegumentmassen verhindern (Abb. 18.8 b). Wenn eine vermehrte Rundung des Gesäßes gewünscht wird, so kann das überschüssige Fettgewebe gestielt zur Auspolsterung der Glutäalregion genutzt werden (Abb. 18. 9a–d, 18.10 a,b). Ist eine Abdominoplastik ebenfalls indiziert, so kann sie mit einer zirkumferenziellen oder teilzirkumferenziellen Oberschenkeldermolipektomie kombiniert werden (Abb. 18.11 a–e).
18.2.2 Sonstige Eingriffe Bei den rein ästhetischen Eingriffen am Unterschenkel handelt es sich im Wesentlichen um Konturveränderungen der Wade mittels Implantaten (Carlssen 1979; Kesselring 1980; Szalay 1995) oder um Wadenverschmälerung. Hier kann die Fettabsaugung oder die partielle Muskelresektion (Lemperle 1998) angewendet werden.
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Ästhetische Eingriffe an der unteren Extremität
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b a
d Abb. 18.9 a–d. Ist eine Auspolsterung des Gesäßes nötig, so kann vorteilhaft mit den lokal vorhandenen Geweben in Form von gestielten Lappen gearbeitet werden. a Deepithelialisierung des als Lappen zu gebrauchenden Areals. b Planung der Lappenplastik zur „Unterfütterung“ des Glutealbereiches. c Präparation der Lappenplastik distal. d Bildung eines medial gestielten Fettlappens
c
Abb. 18.10 a,b. Klinisches Ergebnis der unter Abb. 18.9 a–d gezeigten Operation. a Präoperativer Befund. b Postoperativer Befund
a, b
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a
b
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d Abb. 18.11 a–e. Abdominoplastik kombiniert mit einer Oberschenkelstraffung. a Präoperativer Befund: Ansicht von frontal. b Postoperativer Befund: Ansicht von frontal. c Postoperativer Befund: Ansicht von lateral. d Präoperativer Befund: Ansicht von dorsal.
KAPITEL 18
Ästhetische Eingriffe an der unteren Extremität
In Anbetracht der Seltenheit dieser Indikationen verweisen wir auf die entsprechenden Publikationen der zitierten Autoren und auf das Kapitel über die Fettabsaugung.
Literatur
e Abb. 18.11 e. Postoperativer Befund: Ansicht von dorsal
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653
R.G.H. Baumeister
Inhalt 19.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie. . . . . . . . 19.1.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1.3 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1.3.1 Indikation. . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1.3.2 Therapeutische Möglichkeiten. . . 19.1.3.3 Nachbehandlung. . . . . . . . . . . . 19.2 Spezielle Technik. . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2.1 Transplantatentnahme . . . . . . . . . . . . . . 19.2.2 Transplantation bei einseitigen Lymph ödemendes gesamten Beins. . . . . . . . . . . 19.2.3 Transplantation bei peripherer lokalisierter Lymphbahnunterbrechung. . . . . . . . . . . 19.2.4 Transplantation bei Penis und Skrotalödemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
KAPITEL 19
Lymphgefäßtransplantation an der unteren Extremität
19.1 Allgemeines 655 655 655 656 656 656 656 656 656 656 658 659 659
19.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie Lymphödeme der unteren Extremität treten in Europa zumeist als sekundäre Lymphödeme nach Eingriffen am Lymphsystem an der Leiste oder im kleinen Becken bei der Therapie von Malignomen auf. Sie sind gut hinsichtlich der Lokalisation ihrer Lymphbahnunterbrechung charakterisiert und treten häufig einseitig auf. An den unteren Extremitäten spielen, anders als an der oberen Extremität, neben den sekundären die primären Lymphödeme eine nicht unbedeutende Rolle. Für eine Lymphgefäßtransplantation sind diejenigen Ödeme von Bedeutung und geeignet, die sich aufgrund einer einseitigen Atresie des Lymphsystems an der Leiste oder im kleinen Becken entwickeln.
19.1.2 Diagnostik Die Diagnose eines Lymphödems, die primär anhand der klinischen Symptome gestellt wird, wird an der unteren Extremität durch die häufigen differenzialdiagnostischen Überlegungen im Hinblick auf ein Phlebödem, die Mischformen sowie chronische Verläufe und Indurationen erschwert. Daneben stellen Fettverteilungsstörungen, die von den Patienten nicht selten auf “die Lymphe” geschoben werden, eine relativ große Anzahl von Gewebsvermehrungen an der unteren Extremität dar. Letztere reichen jedoch in der Regel nur bis zum Sprunggelenk, während ein Lymphödem den Fußrücken und die Zehen miterfasst. Pathognomonisch ist insbesondere das so genannte “Stemmer-Zeichen”: Beim Abheben einer Hautfalte von der Rückseite einer Zehe ist diese verdickt. Vor einem operativen Eingriff ist jedoch in jedem Fall eine Diagnosesicherung durch eine Lymphsequenzszintigraphie vorzunehmen. Bei dem Verdacht auf das Vorliegen eines primären Lymphödems wird zusätzlich eine indirekte Lymphographie mit wasserlöslichem Kontrastmittel durchgeführt, um eine Abschätzung des Zustands des peripheren Lymphsystems des Beins zu ermöglichen.
656
Lymphgefäßtransplantation an der unteren Extremität
Mit der Weiterentwicklung der Magnetresonanztomographie ist die Darstellung von Lymphgefäßen mit einer verbesserten präoperativen Einschätzung des Gesamtzustands des Lymphsystems zu erwarten.
19.1.3 Therapie 19.1.3.1 Indikation Für eine Lymphgefäßtransplantation sind nur einseitige Lymphödeme der unteren Extremitäten geeignet, da zumindest ein gesundes Spenderbein vorhanden sein muss. Das Lymphsystem muss zudem an einer definierten Stelle unterbrochen sein. Zumeist liegt die Unterbrechungsstelle in der Leiste oder an einer Seite des kleinen Beckens. Seltener finden sich lokale periphere Lymphbahnunterbrechungen wie an der Innenseite des Knies oder an der Innenseite des distalen Unterschenkels, etwa nach Operation oder Trauma mit verstärkter Narbenbildung und Unterbrechung von mehreren Hauptkollektoren. Diese sind dann für die Überbrückung durch kurze Lymphbahnsegmente geeignet. Nicht geeignet sind periphere primäre Lymphödeme aufgrund einer diffusen lymphatischen Hypo- und Aplasie.
19.1.3.2 Therapeutische Möglichkeiten Konservative therapeutische Maßnahmen stehen am Beginn einer möglichen Behandlungskaskade. Sie umfassen entstauende Übungen, manuelle Lymphdrainage sowie eine konsequente maßgefertigte Bestrumpfung. Reichen diese Maßnahmen nicht aus, um eine entscheidende Verbesserung zu erreichen, sollte zunächst die Möglichkeit einer Rekonstruktion überprüft werden. Hierbei ist ein normaler Lymphabstrom des gesunden kontralateralen Beins von besonderer Bedeutung, da durch die Transposition von Lymphbahnen zusätzlich in der gesun-
KAPITEL 19
den Beckenstrombahn Lymphe aus dem ödematösen Bein abtransportiert werden muss. Die Anlage lymphovenöser Anastomosen kommt nach Ermessen des Autors nur als sekundäre Option infrage, da neben der erhöhten Thrombosierungsrate auch ein höherer Druck im Venensystem im Vergleich zum intrakanalikulären Druck der fibrosierten Lymphgefäße zu rechnen ist. Resezierende Maßnamen kommen als „ultima ratio“ zur Anwendung, falls Immobilität oder sekundäre Veränderungen dazu nötigen.
19.1.3.3 Nachbehandlung Siehe Kap. 14.1.3.3.
19.2 Spezielle Technik 19.2.1 Transplantatentnahme Die Transplantatentnahme entspricht der in Kap. 14.2.1. beschriebenen Technik (Abb. 19.1). Zur Therapie einseitiger Ödeme der unteren Extremität aufgrund einer Blockade in der Leiste oder im Becken können jedoch die Transplantate an den Leistenlymphknoten gestielt verbleiben. Dabei werden die peripheren Enden der Transplantate durch Ligaturen mit lang gelassenen Fäden verschlossen. An diesen lassen sich dann die Transplantate in vergleichbarer Technik, wie sie bei der Lymphgefäßtransplantation an der oberen Extremität beschrieben wurde, jedoch mit dem peripheren Transplantatende voraus, zum kontralateralen Oberschenkel verlagern (Abb. 19.2).
19.2.2 Transplantation bei einseitigen Lymphödemen des gesamten Beins Bei einseitigen Lymphödemen aufgrund einer Blockade in der Leiste oder dem Becken werden aufsteigende Abb. 19.1. Entnahme von 2–3 Lymphgefäßtransplantaten aus dem ventromedialen Bündel am Oberschenkel, in dem bis zu 16 Lymphbahnen verlaufen, z.B. für die Verwendung als freie Transplantate bei lokalisierten peripheren Lymphbahnunterbrechungen.
KAPITEL 19 Abb. 19.2. Transposition von am Spenderbein an den inguinalen Lymphknoten gestielten Lymphgefäßtransplantaten zum erkrankten Bein. Bei Lymphödemen durch Blockierung in der Leiste oder im Beckenbereich, lympholymphatische Anastomosierungen am betroffenen Oberschenkel
Abb. 19.3. Interposition von kurzen Lymphgefäßtransplantaten bei lokalisierten peripheren Lymphbahnunterbrechungen, z. B. durch eine querverlaufende Narbenzone am Unterschenkel, mikrochirurgische lympholymphatische Anastomosierungen vor und nach der Blockadestelle
Lymphgefäßtransplantation an der unteren Extremität
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Lymphgefäßtransplantation an der unteren Extremität
KAPITEL 19
Abb. 19.4. 45-jähriger Patient, Zustand nach operativem Eingriff an der Innenseite des rechten Knies
Abb. 19.5. 6 Monate nach Lymphgefäßtransplantation
Lymphbahnen durch eine quere oberflächliche Inzision aufgesucht. Sie finden sich meist zwischen der tastbaren A. femoralis und der V. saphena magna im Subkutangewebe. Die größten Kollektoren verlaufen in der Regel knapp oberhalb der Faszie. Sollten sich keine für eine Anastomosierung geeigneten Lymphgefäße oberhalb der Faszie antreffen lassen, sind auf jeden Fall Lymphbahnen in der Tiefe zwischen A. femoralis und V. femoralis zu finden. Von den Inzisionen an beiden Beinen wird mit Pean und Kornzange ein Kanal gebildet, der bogenförmig knapp oberhalb der Symphyse verläuft. In diesen Kanal wird zunächst eine mit einem Faden bestückte RedonDrainage eingezogen. An diesen Faden werden die lang gelassenen feinen Ligaturen am distalen Ende der Transplantate geknüpft, und diese werden durch den RedonSchlauch hindurchgezogen. Der Redon-Drainageschlauch wird dann zur erkrankten Seite hin herausgezogen, sodass die Transplantate spannungsfrei im Subkutangewebe zu liegen kommen. Dabei kommen
die distalen Enden der Transplantate an die aufsteigenden Lymphbahnen im Ödemgebiet zu liegen, und die Lymphe kann nach der Anastomosierung orthograd über die Symphyse hinweg zu den Lymphknoten der gesunden Leiste fließen (Abb. 19.2).
19.2.3 Transplantation bei peripherer lokalisierter Lymphbahnunterbrechung Lokale Blockierungen, etwa an der Innenseite des Knies im Bereich einer querenden Operationsnarbe oder im Bereich einer quer verlaufenden Unfallnarbe am Unterschenkel, können durch kurze Lymphbahnsegmente überbrückt werden. Hierzu wird entweder die alte Narbe eröffnet oder es werden Hilfsschnitte angelegt und von dort zu- und abführende Lymphbahnen aufgesucht. Diese werden dann jeweils End-zu-End in zugfreier Anastomosierungstechnik mit den Lymphgefäßtransplantaten anastomosiert (Abb. 19.3, 19.4, 19.5).
KAPITEL 19
Lymphgefäßtransplantation an der unteren Extremität
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Abb. 19.6. Transposition von an den Leistenlymphknoten gestielten Lymphgefäßtransplantaten des gesunden Spenderbeins zur Therapie von Skrotum- und Penisödemen. Mikrochirurgische lympholymphatische End-zu-End-Anastomosierung am Skrotalansatz
19.2.4 Transplantation bei Penis und Skrotalödemen Zur Ableitung von Lymphe aus dem Ödemgebiet wird an der Skrotalwurzel eine schräge oberflächliche Inzision durchgeführt. Durch vorsichtige Präparation wird versucht, in dem meist derben Gewebe Lymphbahnen darzustellen. Dies gelingt jedoch nicht immer. Wenn sich meist ein, maximal 2 Lymphbahnen darstellen lassen, werden diese mit kurzen Lymphgefäßtransplantaten, die an den Leistenlymphknoten gestielt verbleiben und durch einen kurzen Tunnel zur skrotalen Inzision geführt werden, in zugfreier Anastomosierungstechnik End-zu-End anastomosiert (Abb. 19.6).
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Sachverzeichnis
A Abszess in der Fingerbeere 126 Achillessehne 563 Adson-Manöver 146 Agee-Technik 166 Aktin 92 Allen-Test 570 ALT 625, 638 – flap 566 Amputat 412, 415 Amputation – bilaterale 602 – der Hand – – komplette 400 – – subtotale 400 – – totale 400 – kongenitale 47 – sekundäre 554 Amputationsstumpf 412, 415 – traumatisch bedingter – – Möglichkeiten der einzeitigen Versorgung 414 – – Möglichkeiten der zweizeitigen Versorgung 414 Amputationsverletzung – Ätiologie 400 – bilaterale 467, 473 – der unteren Extremität 576–611 – – mikrochirurgische Versorgung 590 – – muskulomuskuläre Naht 591 – – postoperative Ruhigstellung 591 – – postoperative Überwachung 591 – – Sekundäreingriff 592 – – Vitalitätsbeurteilung 588 – Diagnostik 400 – distal des Radiokarpalgelenks 400 – Ergebnisse 434 – Erstversorgung 407 – funktionsverbessernder Sekundär eingriff 429 – im Handbereich – – Entscheidungsbaum 409 – – Klassifikation 401 – Indikationsstellung 407 – Klassifikation 400 – Komplikationen 447 – Maßnahmen 428 – mit diffuser Quetschung 402
– mit lokalisierter Quetschung 402 – mögliche Beeinträchtigung 398 – obere Extremität bis proximal des Radiokarpalgelenks 403 – polydigitale 454 – – mit Daumenbeteiligung 402 – – ohne Daumenbeteiligung 402 – – Replantationssequenz 454 – postoperative Begleittherapie 428 – präklinische Erstversorgung 407 – Therapie 406 Angiosom im Bereich der oberen Extremität, nach Taylor 320 Antibiotikakette, lokale 121 Antibiotikum 120 AO-Arthrodesenplatte 75 ARDS, s. Lungenversagen Armskelett – Knochenkern 4 – Wachstumsfugen 5 Arteria – circumflexa femoris lateralis 555, 556 – – Gefäßversorgung 555 – circumflexa scapulae 559 – collateralis radialis 559 – commitans N. suralis 558 – dorsalis pedis – – Insellappen 634 – – Lappen 625, 632, 634 – dorsalis pedis 490 – epigastrica – – inferior 557 – – superior 557 – interossea posterior – – Lappen 364 – peronaea 549, 557, 563, 574 – plantaris medialis 628, 634 – – Lappen 626, 632, 634 – poplitea 561 – – Muskeläste 561 – profunda femoris 549, 556 – radialis 570 – – distal gestielter Faszienlappen 363 – – Lappen 347, 568, 625, 627, 628 – suralis 557 – temporalis – – Faszienlappen 627
– temporalis superficialis – – Faszienlappen 638 – thoracodorsalis 559 – tibialis – – anterior 549, 563 – – posterior 549, 560, 561 Arteriae surales 557 Arthrodese 470 – des Grundgelenks 77 A-Streifen 291 Ausriss – C5 bis Th1, kompletter, Rekonstruktionsplan 202 – C5/C6, Rekonstruktionsplan 206 – C6 bis Th1, Rekonstruktions plan 204 – C7 bis Th1, Rekonstruktions plan 204 Ausrissverletzung 402 Axon 133 Axonotmesis 137, 138 B Bauchhautlappenplastik, gestielte 360 Begleitvene 490 Behandlungsteam, multidisziplinäres 10 Beugefunktion, Wieder herstellung 282 Beugesehnen – an den Fingern, Zugänge 64 – Panaritium 119 Beugesehnenscheidensack, Infekte 119 Beugesehnenverletzung, Versorgung 417 Biceps-femoris-Lappen 566 Bindegewebskörper, dreidimensio naler 99 Bisskanal 122 Bissverletzung 118, 122 Blix-Kurve 292 Botulinumtoxin bei Kokontrak tionen 242 Bunnel-Littler-Test 57 Bursa synoviale (Schleimbeutel) 347 Bypass-Operation 551
662
Sachverzeichnis C Caput ulnae, Zugänge 64 Chondroitinsulfat 89 Chow-Technik 166 Cleland-Ligament 98 Composite graft 371, 378 C-reaktives-Protein 120 Cross-Finger 374 – mikrochirurgisch resensibilisierte Lappenplastik – – nach Berger 386 – – nach Meissl 386 Cross-leg-Lappen/-Flap 626, 644 Cross-over-Replantation, heterotope 468 Crush-Syndrom 428, 448 D Daumen – Adduktion 260 – gleich große 30 – Opposition 260 – Rekonstruktion – – Anästhesie 497 – – Ergebnis 513 – – Indikationen 494 – – Kontraindikationen 494 – – Medikamente 497 – – muskuläre Stabilisierung 41 – – Operationsplanung 495 – – Operationssaaltemperatur 496 – – Operationsteam 497 – – präoperative Vorbereitung 495 – – Präparation der Empfänger seite 497 – – Präparation des Spenderge bietes 497 – – Regeln für den Eingriff 521 – – Rehabilitation 510 – – Versorgung der Entnahme stelle 503 – traumatischer Defekt – – Klassifikation 493 – – Prinzipien der Therapie 493 – unterschiedlich große 30 Daumenbeugung – Extensor-digiti-minimi-Transfer 283 – Extensor-index-propriusTransfer 283 Débridement 121, 416, 420, 587 Defekt, polyregionaler 352, 358, 387 Defektdeckung – akute 327 – Daumen 367 – Ellenbogenbereich 344, 347 – Handbereich 358 – Handgelenkbereich 344 – Handrücken 360 – Hohlhand 361
– im Bereich der oberen Extremität 320–390 – Langfinger 375 – Möglichkeiten 330 – motorische Ersatzoperation 344 – proximales Unterarmdrittel 347 – sekundäre 328 – Unterarmbereich 344 – verzögert akute (urgence différée) 327 – Zeitpunkt 327 Defektlänge – scheinbare 371 – wirkliche 371 Defektverletzung – isolierte 324 – im Rahmen eines Polytraumas 324 Defektverschluss, Zeitpunkt 327 Degloving – Amputation 454 – Verletzung 402 Dehnungslappenplastik, palmare – Lappenreihe 373 Dekubitalulkus 555 Dermatansulfat 89 Dermisersatz 333 Dermisersatzstoff, künstlicher 333 Desinfektion 416, 420, 587 Deviation in den Grundgelenken 62 Diabetes mellitus 550 Diagnostikteam, multidisziplinäres 10 Dialyseshunt 123 DIC, siehe Gerinnungsproblem DMCA-Lappen nach Hilgenfeld 376 Dokumentationsschema nach Brunelli 193 Double-crush-Syndrom 138 Druckschaden 554 DRUG, siehe Radioulnargelenk, distales Dupuytren-Kontraktur 83 – Behandlungsziel 100 – Besserung – – durch Unterbrechung der Kontrakturstränge 101 – – ohne Unterbrechung der Kontrakturstränge 101 – Entzündung 87 – Erbkrankheit 86 – Fehlbildung, angeborene 86 – Infektion, spezifische 87 – Narbenstadium 94 – Phase, reaktive 94 – Ruptur nach enzymatischer Behandlung 101 – sekundäre Veränderungen 108 – Stillstand der Progression 100 Dynamometer 56 E Easy-flow-Drainage 427 Elastizität, instantane 93
Elektiveingriff 554 Elektromyographie 140 Elektroneurographie 140 Elektrostimulation, funktionelle (FES) 301 Elementarisation 423 Ellenbogenbeugung – komplette Parese der gesamten Extremität 213 – sekundäre – – Möglichkeiten der Wieder herstellung 209 Ellenbogenfläche – dorsale (Regio olecrani) 347 – laterale 347 – mediale 352 – ventrale (Fossa cubitalis) 347 Endglieddefekt 367, 375 – Zone 1 367, 371, 378 – Zone 2 367, 371, 378 – Zone 3 367, 372, 383 – Zone 4 371, 374, 385 Endoneurium 133 Energiespeicher 85 Engpasssyndrom 135 Entwicklung, menschliche, kritische Perioden 6 Entzündung, phlegmonöse 120 Epineurium 133 Erbkrankheit 86 Erholung, mechanische 93 Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis – Physiotherapie 65 – Therapie, konservative 60 – Therapieteam 60 Ersatzplastik, gleichzeitige 550 Expander 564 Extensor-carpi-radialis-longusTransfer 283 Extensor-digiti-minimi-Transfer 280 – für die Daumenbeugung 283 Extensor-index-proprius-Transfer 278, 280 – für die Daumenbeugung 283 Extensor-to-flexor-many-tailedTransfer 268 Extremität, obere – Amputation – – Einzelfunktionen 397 – – frühzeitige prothetische Versorgung 397 – Amputationshöhe – Amputationsverletzung bis proximal des Radiokarpalgelenks 403 – Defektdeckung 319 – – Ätiologie 323 – – Begleittherapie 336 – – defektbedingter Faktor 327 – – Diagnostik 324 – – Entscheidungskriterien 326 – – erfolgreiche 326
– – Klassifikation 325 – – Komplikationen 337 – – patientenbedingter Faktor 327 – – postoperative Maßnahmen 336 – – Therapie 326 – – therapiebedingter Faktor 327 – – Vorgehen, standardisiertes diagnostisches 324, 325 – funktionelle Einheit, 322 – Konzept der Funktionskette 396 – Konzept der Niederresistenz zone 323, 324 – Makroamputation 405 – Makroreplantation – – integratives Therapiekonzept 406 – rekonstruktive Einheit 320, 322 – Spannungslinie der Haut 321 Extremität, untere – Amputationsverletzung – – Begleitverletzungen 578 – – Diagnostik 578 – – mikrochirurgische Versorgung 590 – – muskulomuskuläre Naht 591 – – postoperative Ruhigstellung 591 – – postoperative Überwachung 591 – – Sekundäreingriff 592 – – Vitalitätsbeurteilung 588 – Funktionskette 576 – Replantationseignung 583 – Replantationsrisiko 583 – Replantationswilligkeit 586 – Replantationswürdigkeit 584 Extremitätentumor 550 Extremitätenverlängerung, sekundäre 592 Extremitäterhaltung 549 F Fallhand 153 Faltenhaut 617 Fasciculus – lateralis 145 – – infraklavikuläre Läsion 223 – – retroklavikuläre Läsion 223 – medialis 145 – – infraklavikuläre Läsion 223 – – retroklavikuläre Läsion 223 – posterior 145 – – infraklavikuläre Läsion 223 – – retroklavikuläre Läsion 223 Faser – elastische 92 – oberflächliche quere 97, 98 Faserbündel, kollagenes, vorausgehende Veränderung 94 Faserproduktion 89 Fasziektomie – komplette 106 – partielle 106
Sachverzeichnis
Fasziotomie – geschlossene 101 – offene chirurgische 101 Fehlbildung, angeborene 86 Fernlappenplastik 333 – gestielte – – aus dem Bauchhautbereich 358 – – aus dem Leistenbereich 358 Fersenulkus 572 FES, siehe Elektrostimulation, funktionelle Fettlappen, lokaler 563 Fettpolster 85 Fibroblasten – Kontraktion 92 – Querkontraktion 93 – Traktion 92 Fibronektin 92 Fibula 555, 573 Fibulatransplantat – freies 553 – vaskularisiertes 392 Fibulatransplantation, freie mikrovaskuläre 554, 555, 562 Fibulatransposition 562 Finger – Rekonstruktion – – Anästhesie 497 – – Ergebnis 513 – – Indikationen 494 – – Kontraindikationen 494 – – Medikamente 497 – – Operationsplanung 495 – – Operationssaaltemperatur 496 – – Operationsteam 497 – – präoperative Vorbereitung 495 – – Präparation der Empfänger seite 497 – – Präparation des Spender gebietes 500 – – Regeln für den Eingriff 521 – – Rehabilitation 510 – – Versorgung der Entnahme stelle 503 – Seitenstrang 97 – Transposition an neurovaskulären Stiel 36 – traumatischer Defekt – – Klassifikation 493 – – Prinzipien der Therapie 493 Fingergelenk, Gelenkkapseln 114 Fingernagel 372 Fingerreplantation, distale, Zone I 448 Fingerspitze, Trennung 25 Fixateur externe 554 Flaschenzeichen 161 Flexor-carpi-ulnaris-Transfer 274 Flexor-digitorum-superficialisMany-tailed-Transfer 271 Fossa cubitalis, siehe Ellenbogenfläche, ventrale Fremdhandtransplantation 475 – Abstoßungsreaktion 479
663 – Auswahl des Empfängers 478 – Auswahl des Spenders 478 – Bewegungsübung 480 – chirurgische Möglichkeiten 485 – Elektrotherapie 480 – ethische Aspekte 477 – Immunogenität 479 – Reorganisation des Gehirns 481 – sensorische Reedukation 480 – spezifische sensorische Übung 480 – Toleranz gegenüber transplantiertem Organ 480 – Toleranzerzeugung 487 – übliches Heilverfahren 482 – Widerspruchsregelung 477 Frohse-Arkade 152 Froment-Zeichen 170 Funktion von C7 bis Th1, erhaltene – Rekonstruktionsplan 206 Funktionsanalyse – Ellenbogen, nach Gilbert 232 – Hand, nach Raimondi 233 – Schulter, nach Gilbert 232 Funktionseinheit, periphere neuro-senso-muskuläre 293 Fußheberersatzplastik 568 Fußrücken 563 – Sehnen und Muskeln 490 F-Welle 142 G Gastrocnemiuslappen – gestielter 557 – medialer 567 Gefäßverletzung 100 Gefäßversorgung 558 Gelenk – Empyem 119 – Infektion 128 – Zugänge 64 Gelenkkapseln des Fingergelenks 114 Gerinnungsproblem (DIC) 428 Gewebeart 479 Gewebedefekt – echter 327 – scheinbarer 327 Gewebeelastizität 327 Gewebetransplantation, mikrovaskuläre – fasziokutan, myokutan kombiniert 554 Glabrous skin 84 Gleit-Filament-Theorie 292 Glykosaminoglykan 89 Gnosis, taktile 396 Godina 1986 549 Gracilitransfer, freier funktioneller 304, 306, 309 Grayson-Ligament 98 Grazilislappen 566, 571 Greiffunktion 396
664
Sachverzeichnis Grundgelenk – Arthodese 77 – Deviation 62 – Kapsulodese 271 H Halsrippe 147 Halsrippensyndrom 146 Haltefunktion 396 Hämatom 100 Hand – Anatomie 113 – – komplette 400 – – subtotale 400 – – totale 400 – angeborene Fehlbildungen – – Besonderheiten der Therapie 19 – – Duplikationen 14 – – fehlende Ausbildung von Extremitätenteilen 10 – – fehlende Differenzierung von Extremitätenteilen 14 – – generalisierte (muskulo-)skelettale Anomalien 17 – – Gigantismus 16 – – Klassifikation 10 – – klinische Embryologie 2 – – Minderwachstum 16 – – Schnürringsyndrome 16 – – standardisiertes Diagnostik schema 10 – – standardisiertes Dokumentations schema 10 – – Versorgung proximaler Anteile 26 – – Zeitpunkt der Therapie 19 – ästhetische Bedeutung 6 – Begleitverletzung 400 – chirurgisch relevante Anatomie 176, 249 – Fasersystem – – Anpassung, strukturelle 99 – – Weiterentwicklung, ständige 99 – Fremdkörper 120 – funktionelle Bedeutung 6 – funktionelle Einteilung nach Alnot 179 – Globalfunktion, Bedeutung der einzelnen Handabschnitte 399 – Greifformen 8 – Infekt 122 – – Amputation 123 – – Durchblutungsminderung 123 – – Faszienraum 124 – – Grenzflächenamputation 124 – – Revision, operative 121 – – Schnittführung 124 – – Zeitfaktor 121 – isolierte Verletzung 400 – makroskopische Anatomie 176 – mikroskopische Anatomie 179
– Röntgenuntersuchung 120 – soziale Bedeutung 6 – standardisierte Untersuchung bei chronischen Beschwerden 55 – Vakuumversiegelung 122 – Verletzung im Rahmen eines Polytraumas 400 – Verlust 477 – – Verlust von Lebensqualität 477 Handbereich, Sensibilitätstestung 191 Handfunktion – Grundmuster 398 – komplette Arthrodese 73 – Leitsymptome bei Beeinträchtigung 53 – Prothese 75 – Zugänge 64 Handreplantation (Zone VI) 462 Handwurzelreplantation (Zone V) 458 Haut- und Weichteildefekt – Axilla 337 – kraniale Schulterregion 337 – laterale Schulterregion 337 – Oberarmbereich 337 Hautdistraktion, kontinuierliche 334 Hauteinheit, funktionelle 320 Hautexpansion 334 Haut-Fett-Lappen 571 – axialer 563 – venös gestielter 563 Hautlappen – lokaler 563 – randomisierter 555, 560 Hautlinie im Bereich der oberen Extremität 320 Haut-Muskel- und andere Weichteildefekte, gemischte (Typ-BDefekt) 325 Hautnekrose 100 Hautnerv 490 Hauttransplantation 330 – allogene 563 – autologe 563 – biologisch/artifizielle 563 – heterogene 563 Hemisoleus 562 Herpes simplex 118 – Infektion 126 Hiatus quadrilateralis 150 Hohlhand, Zugänge 64 Hyperabduktionssyndrom 148 Hypothenar 97 Hypothenarraum 114, 127 H-Zone 292 I Immunsuppression – allgemeine Nebenwirkungen 479 – Gefahren 485 Incisura-scapulae-Syndrom 150
Infektion, tiefe mit beginnender Sepsis 428 Insellappen, homodigitaler – nach Subramanian 372 – nach Venkataswami 372 Instep flap 626, 628 Insuffizienz, chronisch venöse 550 Interdigitalfaltensyndaktylie – einfache komplette 24 – monofokale 24 Intrinsic-plus-Stellung 65 Ischämie-Reperfusions-Syndrom 428, 448 K Kalkaneuslappen 626 – lateraler 632, 636 Kallusdistraktion 390, 595 Karpalkanal 157 – Zugänge 64 Karpaltunnelsyndrom 66, 162, 163 Katzenbissverletzung 122 Kiloh-Nevin-Syndrom 163 Kinking 427 Klassifikation – der Fehlstellung im Daumenbereich nach Nalebuff 58 – nach Larsen 58 Klinodaktylie 33 Kniebereich, Lappenauswahl 558 Knöchelbereich 563 Knochenbruch, offener 549 Knocheninfekt 549 Knochenkern, Resektion 35 Knochentransfer – freier mikrovaskulärer 390 – gestielter mikrovaskulärer 390 Knochentransplantat, nichtvaskularisiertes 390 Knochenverletzung – Zeitpunkt der Versorgung 328 Knochen-Weichteil-Schädigung, komplexe 400 Knopflochdeformität 54, 77 Kollagenstoffwechsel, hereditäre Störung 86 Kommissur (Zwischenfingerfalte), Rekonstruktion 24 Kommissurolyse, Crescendo 367, 369 Kommunikation, nonverbale 396 Kompartmentspaltung 589 Kompartmentsyndrom 422 – Schädigung 198 Komponente, visköse 93 Kompressionsstrumpf 554 Kompressionssyndrom 135 – peripherer Nerven 133 – – sensibel-antidrome Technik 143 Kontrakturgewebe, Entfernung 101 Kontrakturstrang 89 Körpergleichgewicht, Erhaltung 396
Kreislaufstörung 86 Kreuzlappenplastik, gestielte 554 Krückenlähmung 155 Kühlung, trockene 408 L Lacertus fibrosus 157 Landsmeer-Ligament 97 Langer-Linie 320 Länge-Spannungs-Diagramm 292 Lappen – fasziokutaner 554, 557, 560, 563 – mikrovaskulärer 560, 563 – muskulokutaner 571 – myokutaner 554, 560 – neurovaskulärer 563 – osteofasziokutaner 555 – septokutaner 571 Lappenplastik 128 – A. cubitalis 347 – A. cubitalis perforator – A. interossea posterior 354 – A. recurrens radialis 347 – A. recurrens ulnaris 347 – axial pattern 333 – defektangrenzende 333 – distal gestielte 562 – distales Unterarmdrittel (inklusive Handgelenk) 353 – dorsale Handgelenkregion 353 – freie mikrochirurgische 568 – Handrücken 360 – Hohlhand 361 – laterale Handgelenkregion 357 – lokale 555 – mediale Handgelenkregion 357 – mittleres Unterarmdrittel 353 – nichtdefektangrenzende 335 – palmare Handgelenkregion 357 – random pattern 333 – ulnodorsale – nach Becker 354 – nach Gilbert 354 – venöse 419, 458 Lappenreihe, Konzept 372 Lappentransplantation, mikrovaskuläre 554 Latenz, distale 142 Latissimus dorsi 558 Latissimus-dorsi-Lappen, gestielter 337 Latissimus-dorsi-Lappenplastik – freie myokutane 351 – gestielte 344 Latissimus-dorsi-Transfer, freier funktioneller 304, 307, 311 Leistenhaut 617 Ligamentum – carpi transversum 157 – pataellae 557, 568
Sachverzeichnis
Limb banking, siehe Replantation, sekundäre Limited fasciectomy 105 Loge-de-Guyon-Syndrom 167 Lokal-Lappenplastik 333 Lumbricalesersatz 268 Lungenversagen (ARDS) 428 Lunula 372 l‘urgence V.O.P., siehe vaissau-os-peau Lymphangitis 120 Lymphbahnunterbrechnung, Transplantation 658 Lymphgefäßtransplantation 540, 655 Lymphödem 540, 655 – primäres 655 – sekundäres 655 M Makroamputation 396 – der oberen Extremität, Klassifikation 405 – der unteren Extremität – – Erstversorgung 579 – – Klassifikation 579 Makroamputationsverletzung 403, 428, 577 – an der oberen Extremität – – Entscheidungsbaum 413 Makrodaktylie 42 Makroreplantation 412, 420, 430, 435, 444, 447, 470 – Abschätzung des Replantationsrisikos 415 – Chen 435 – der unteren Extremität, im Kindesalter 605 – Ellenbogenbereich 424 – Ergebnisse 596 – Handbereich – – dorsaler 425 – – palmarer 425 – im Bereich der oberen Extremität – – integratives Therapiekonzept 406, 422 – – routinemäßige Kompartment spaltung 424 – im Unterschenkelbereich, funktionelle Ergebnisse 597 – Klassifikation nach der Amputationshöhe 404 – Oberarmbereich 424 – Replantationseignung 414 – Replantationsfähigkeit 412 – Replantationswilligkeit 415 – Replantationswürdigkeit 415 – Unterarmbereich, palmarer 425 – untere Extremität, Primärversorgung, operative Schritte 586 Mangeled extremity 404 – Mangeled Extremity Severity Score (MESS) nach Helfert 585
665 Martin-Gruber 167 Master Sheat, s. auch Untersuchungsplan 188 Matrix, Entfernung 372 Mehretagenamputationsverletzung 402, 465, 470 Membrana interossea 574 Mesh 563 Mikroamputationsverletzung 396, 400, 409, 427 – postoperative Nachbehandlung 427 – postoperative Ruhigstellung 427 – postoperative Überwachung 427 Mikroreplantation 409, 416, 429, 434, 444, 447, 448 – Abschätzung des Replantationsrisikos – der unteren Extremität – – Ergebnisse 609 – – Klassifikation 606 – – Leitlinien 607 – – operative Schritte 607 – Klassifikation nach der Amputationshöhe 403 – Replantationseignung 410 – Replantationsfähigkeit 409 – Replantationswilligkeit 412 – Replantationswürdigkeit 411 Mikroruptur 90 Mikrotrauma 90 Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) 396 Mittelhandraum 114, 128 Mittelhandreplantation (Zone IV) 458 M-Streifen 291 Musculi – gracilis 549 – peronaei extensor digitorum longus 573 Musculus – abductor – – digiti minimi 632 – – hallucis 632 – biceps femoris 549, 555 – deltoideus 150 – dorsalis – – pedis 563 – – pedis pulpa 563 – – tibialis posterior 563 – extensor digitorum – – brevis 632 – – longus 632 – extensor indicis proprius 66 – – Umlagerung der Sehne 66 – flexor hallucis longus 574 – gastrocnemius 558, 560 – gracilis 555, 558, 628 – infraspinatur 149 – latissimus 628 – – dorsi 557, 568, 638 – peroneus brevis 625, 632 – quadriceps femoris 568 – rectus femoris 549
666
Sachverzeichnis – satorius 558 – soleus 632 – supinator 152 – supraspinatus 149 – tensor fasciae latae 549 – tibialis – – anterior 560 – – soleus 560 – vastus – – lateralis 553, 558 – – medialis 558 Musculus-extensor-digitorum-brevisLappenplastik 638 Musculus-gastrocnemius-Lappen – gestielter 555 – medial gestielter 559 Musculus-latissimus-dorsiLappen 559, 625 Musculus-peroneus-brevis-Lappen, distal gestielter 562 Musculus-rectus-abdominisLappen 571 – gestielter 555 Musculus-tibialis-posteriorLappen 561 Muskel – Innervation 249 – Kontraktionskraft 292 – motorische Ersatzoperation – – adjuvante operative Maßnahme 256 – – Auswahl des Spendermuskels 253 – – Diagnostik 251 – – Klassifikation 251 – – postoperative Nachbehand lung 256 – – Prinzipien der Operations technik 254 – – spezielle Techniken 260 – – Therapie 251 – regenerierter, Besonderheiten 208 – Ruhespannung, physiologische 292 – Typ-I-Faser 292 – Typ-IIA-Faser 292 – Typ-IIB-Faser 292 – Verlaufsrichtung 249 Muskelamplitude 249 Muskelfunktion – EMG-Untersuchung 295 – Endorganausfall 295 – Endorganinsuffizienz 295 – Insuffizienz – – isolierte muskuläre 294 – – isolierte nervale 294 – – kombinierte neuromuskuläre 294 – Skala nach dem British Medical Research Council 140 Muskel-Grading 192 Muskelkraft 249 Muskellappen 571 Muskel-Sehnen-Umsetzplastik, sekundäre 206
Muskeltestung nach dem Hospital for Sick Children Grading System 232 Muskeltransplantation – Bestimmung der physiologischen Muskelspannung im Empfängergebiet 300 – Diagnostik 294 – Ersatz – – des M. deltoideus 304 – – des M. opponens 312 – freie funktionelle 289, 290 – – Ätiologie 294 – gleichzeitige Wiederherstellung der Ellenbogenbeugung, Handgelenkund Fingerbeugung nach Berger 313 – Indikationen 296 – Klassifikation 295 – – des Medical Research Council (MRC) 301 – – nach Doi 301 – Komplikationen 304 – Operationsdurchführung 299 – Operationsplanung 299 – postoperative Nachbehandlung 300 – Rekonstruktion einer Basisfunktion bei kompletter Läsion des Plexus brachialis nach Doi 315 – Spendermuskeln im Bereich der oberen Extremität 300 – Therapie 296 – Wiederherstellung – – der Ellenbogenbeugung 306 – – der Handgelenk- und Finger beuger 309 – – der Handgelenk- und Finger- strecker 312 – – einer fehlenden Muskel funktion 298 – – einer insuffizienten Muskel funktion 298 – – Zeitpunkt 298 Muskeltransposition 290, 554, 560, 563 Muskelverletzung 590 – Versorgung 426 Myofibrillen 290 Myofibroblastom 92 Myosin 92 N Nadelfasziotomie 101 Nagelwall 124 Nah-Lappenplastik 333 Naht – tendomuskuläre 426 – tendotendinöse 426 Nervendekompression 66 Nervenkontinuität, mikrochirurgische Wiederherstellung 418
Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) 140 Nervenrekonstruktion 550 Nerventransplantation 550 Nervenverletzung 100, 330 – Zeitpunkt der Versorgung 328 Nervus – axillaris 150 – cutaneus – – antebrachii lateralis 570 – – antebrachii medialis 570 – – antebrachii posterior 559 – – brachii posterior 559 – – femoris lateralis 555 – femoralis 556 – fibularis superficialis 557, 563 – intercostalis 557, 559 – ischiadicus 556 – medianus 157 – obturatorius 556 – peronaeus 490 – – superficialis 573 – radialis 152 – saphenus 561, 567 – suprascapularis 149 – suralis 557, 558 – thoracodorsalis 559 – tibialis 557, 561 – ulnaris 87, 167 Nervus-interosseus-posteriorSyndrom 161 Neurapraxie 137, 138 Neurographie, sensible 143 Neurotization – extraplexuelle 203 – intraplexuelle 203 Neurotmesis 137, 138 Niederresistenzzone, im Bereich der oberen Extremität 324 Nierenversagen 428 NLG, siehe Nervenleitgeschwindigkeit No-reflow-phenomen 428 O Oberarm 344 Oberarmlappen – freier lateraler 551 – lateraler 557–559, 563, 571, 638 – posteriorer 337 Oberschenkelbereich, Defekte 549 Operation – nach Matev 81 – nach Sauvé-Karpandji 66 Opponensersatz – mit Abductor digiti minimi 262 – mit Flexor-digitorum-superficialisIV-Sehne 262 – mit Palmaris-longus-Sehne 266 Organentnahme, Gesetze 276 Organtransplantation, allogene 475 Orthese, myoelektrische 303
Osteosynthese bei Replantation im Handbereich 418 Osteotomie 34 Oszillation um die Nulllinie 93 P Palmaraponeurose – Erholung, mechanische 90 – Querkontraktion 91 – Relaxation 90 – Restdehnung 90, 91 – Retardation 90 Palmaris-longus-Many-tailedTransfer 271 Paralyse, partielle 213 Paralysie des amants 162, 171 Paraskapulalappen 337, 559, 571, 638 Parkbanklähmung 155 Parona-Raum 114 Paronychie – akute 124 – chronische 126 Patency-Test 418 Pavian – Anatomie und Funktion der Hand 84 – Längsgriff 85 – Quergriff 85 Penisödem 659 Perforator 563 Perforatorlappen 554, 558, 560, 563, 573 Perforator-Lappenplastik, faszioadipöse 625 Perineurium 133 Peroneusloge 570 PES, siehe Plexus Evaluations System Phalen-Test 162 Piso-Hamate-Hiatus-Syndrom 171 Plantaraponeurose 85 Plexitis – postaktinische 227 – – Therapie 226, 227 – radiogene 224 – – Klassifikation 225 – – operative Therapie 227 Plexus brachialis 144 – Anzahl myelinisierter Fasern 179 – Ätiologie 181 – chirurgische Exploration 198 – Funktion 181 – – der Endäste 181 – geburtstraumatische Läsion 230 – – Diagnostik 231 – – Dokumentation 231 – – konservative Therapie 244 – – Spontanregeneration 234 – – Therapie 231 – – Therapieziele 233 – infraklavikuläre Läsion 223
Sachverzeichnis
– komplette supraklavikuläre Läsion 222 – Läsion – – adjuvanter Eingriff 241 – – Prinzipien der Diagnostik 181 – – Prinzipien der Therapie 182 – – Untersuchung, empfohlene klinische 190 – – Untersuchungsplan, s. auch Master Sheat 188 – operative Revision 245 – – im Säuglingsalter 236 – posttraumatische Läsion – – Epidemiologie 183 – – Klassifikation 184 – – Pathogenese 184 – – Therapie 195 – – Therapiealgorithmus 196 – – Therapieziele 195 – retroklavikuläre Läsion 223 – Sekundärtherapie, 2. bis 3. Lebensjahr und später 239 – Sekundärverletzung 191 – supraklavikuläre Läsion 219 Plexus Evaluations System (PES) 187 Pollex flexus congenitus, Dekompression 20 Polyarthritis, chronische 49 Polydaktylie 29 Polysyndaktylie 29 Polytrauma – Weichteildeckung 328 – Weichteilrekonstruktion 328 Pressure specifying sensory device (PSSD) 139 Pronator-teres-Syndrom 163 Pronator-teres-Transfer 274 Pseudoneurom 136 PSSD, siehe pressure specifying sensory device Pulley, siehe Umlenkvorrichtung Pyoderma gangraenosum 119 R Radfahrerlähmung 171 Radialis 558 Radialislappen 570, 638 – distal gestielter 366 Radialisparese, Ersatzoperationen 274 Radical fasciectomy 101 Radioulnargelenk, distales (DRUG) 52 Random-pattern-Lappenplastik 565 Rasenmäherverletzung 614 Reamputation – sekundäre 596 – späte 596 Rectus-femoris-Lappen 555 Regio olecrani, siehe Ellenbogenfläche, dorsale Reithosenspeck 645 Relaxation, mechanische 93
667 Replantation – der unteren Extremität – – Gesichtspunkt, sozioökono mischer 597 – – lokale Komplikationen 599 – – systemische Komplikationen 599 – – Vergleich der Nachteile 598 – – Vergleich der Vorteile 598 – distal des DIP-Gelenks (Zone II) 451 – distal des MP-Gelenks (Zone II) 451 – distal des Radiokarpalgelenks 462 – distal, des Nagelwalls 448 – einzeitige 421 – heterotope 454, 456 – im distalen Unterarmbereich 470 – im distalen Unterschenkeldrittel 602 – im Ellenbogenbereich 470 – im Kindesalter 430 – im Kniebereich 600 – im Mittelfußbereich 609 – im mittleren Unterschenkeldrittel 600 – im Oberarmbereich 470 – im Oberschenkelbereich 600 – im proximalen Unterarmbereich 470 – im proximalen Unterschenkeldrittel 600 – im Schulterbereich 470 – im Sprunggelenkbereich 609 – im Zehenbereich 611 – Millesi 434 – Nachteile 445, 446 – operative Schritte 416 – sekundäre (limb banking) 416 – sozioökonomischer Gesichtspunkt 444 – Tamai 434 – verkürzende 594 – Vorteile 445, 446 – zweizeitige 421 Replantationsfähigkeit 581 Replantationsteam 407 Replantationsverband 420 Resektion, segmentale 590 Resting tension line (RSTL) 320 Retardation – inverse 93 – mechanische 93 Retinaculum flexorum 157 Revaskularisierung, primär heterotope 416 Rheumachirurgie an der Hand 49 – chirurgisch-relevante Anatomie 49 – Diagnostik 52 – klinische Untersuchung 53 Ringband 66 RSTL, siehe relaxed skin tension line Ruhigstellung, postoperative 420
668
Sachverzeichnis S Saphena interponat als Shunt 553 Saturday night palsy 155 Sauerstoffradikale 92 Sauvé-Karpandji-Operation 66 Schleimbeutel, siehe Bursa synoviale Schmerztherapie 224 Schnittverletzung, glattrandige 402 Schnürring – einfacher 45 – mit distaler Beteiligung 46 Schnürringsyndrom 44 Schulterbereich 337 Schwanenhalsdeformität 54, 81 – nach Nalebuff 58 Schwielenabszess 114 Sehnenscheide 114 Sehnenscheideninfektion 126 Sehnenscheidenspülung 126 Sehnenverletzung 329, 590 – mikrochirurgische Versorgung 426 – Zeitpunkt der Versorgung 328 Seit-zu-Seit-Koppelung 280 Sensibilität 625 Sensibilitätsskala nach Seddon 140 Sensibilitätsstestung nach Gilbert 233 Shunt, temporärer 423, 588 Silikonspacer 77 Silikonsynovialitis 77 Skalenussyndrom 146 Skapula 558 Skapulalappen 337, 557, 559, 571, 638 Skelettierungsamputation 454, 457 Skelettierungsverletzung 402 Skelettmuskulatur, quergestreifte 290 Skrotumödem 659 Soleuslappen 568 – proximal gestielter 562 Spalthaut 554, 560, 563 Spanplastik, intermetakarpale 266 Standardprojektion 56 Stichverletzung 118 Strangbildung 97 Streckaponeurose, Verletzungen 114 Strecksehnen, Zugänge 64 Strecksehnenverletzung, Versorgung 417 Strombahn – arterielle – – mikrochirurgische Wiederher stellung 418 – venöse – – mikrochirurgische Wiederher stellung 418 Struther-Arkade 167 Struther-Ligament 162 Stumpfversorgung – optimale 412, 415 – – Wertigkeit der einzelnen Abschnitte des Handskeletts bei Amputationen 399
– primäre 600 – – Kostenentwicklung nach Replantation 445 – – mit frühzeitiger prothetischer Versorgung 437 Stützfunktion 396 Subkutis, Druckaufnahme 84 Sulcus-ulnaris-Syndrom 171 Supinatorsyndrom 156 Supramalleolarlappen 632 – lateraler 635 Suralislappen 626, 638 – proximal gestielter 557 – distal gestielter 568, 632 – – neurovaskulärer 562 Syndaktylie 20 – der 1. Kommissur, einfache inkomplette 28 – einfache komplette polyfokale interdigitale 28 – einfache partielle 23 – interdigitale 23 – komplexe 28 – monofokale 23 – postoperative Nachbehandlung 28 Syndrom – algodystrophisches 447 – kostoklavikuläres 148 Synovektomie 128 T Tendolyse 429 Tensor-fasciae-latae-Lappen 555, 565 Thenarraum 114, 127 Therapie, immunsupprimierende 120 Thoracic-outlet-Syndrom 146 Tibialis-anterior-Loge 570 TRAM/VRAM 555 TRAM-Flap 571 Transplantat – monoartikuläres 295 – polyartikuläres 295 Trauma 87 Triple-Helixstruktur 93 Truncus – inferior 145 – medius 145 – superior 145 Tuber ischiadicum 555 Tumor 87 U Übergangsbereich, digitopalmarer 98 Ulnarisrinnensyndrom, kubitales 171 Umlenkvorrichtung (pulley) 300 Unterarm, Sensibilitätstestung 191 Unterarmschiene, palmare 65 Unterschenkel, Lappenauswahl mediales Drittel 560
Unterschenkelbereich, Defekte 549 Unterschenkeldrittel – distales, Lappenauswahl 561 – proximales, Lappenauswahl 558 Untersuchungsplan, s. auch Master Sheat 188 Urgence différée, siehe Defektdeckung, verzögert akute V Vaissau-os-peau (l‘urgence V.O.P.) 404 Vaskularisation 320 Vena – circumflexa femoris lateralis 555, 556 – – Gefäßversorgung 555 – circumflexa scapulae 559 – collateralis radialis 559 – epigastrica – – inferior 557 – – superior 557 – fibularis 557, 563 – poplitea 561 – – Muskeläste 561 – profunda femoris 556 – radialis 570 – saphena parva 558 – suralis 557 – thoracodorsalis 559 – tibialis anterior 563 – tibialis posterior 561 – – Muskeläste 561 Vene, oberflächliche 490 Veneninterponat – kurzes 460 – langes – – aus dem Fußrückenbereich 460 Verletzung, vital bedrohliche 549 Verschlusskrankheit, periphere arterielle 550 Versorgung, osteosynthetische 417, 426, 590 Vollhaut 554, 563 Vollhauttransplantation, im Handrückenbereich 362 V-Phlegmon 114 VRAM 573 W Waller-Degeneration 137 Wartenberg-Syndrom 155 Weichteil- und Knochendefekte, kombinierte (Typ-C-Defekt) 325 Weichteildeckung beim Polytrauma 328 Weichteildefekt – akute 323 – Anamnese 549 – Befunderhebung 549
– chronischer 323 – Diagnostik 549, 645 – – elektrophysiologische 549 – Resektionsausmaß 549 – Schnittbilddiagnostik 549 – Szintigraphie 549 – Therapieplanung 549 Weichteil-Knochen-Defekt – Anamnese 549 – Befunderhebung 549 – Therapieplanung 549 – – Differenzialtherapie 391 – Diagnostik 549, 645 – – elektrophysiologische 549 – im Unterarmbereich, kombinierter – kombinierter (Typ C) 390 – Resektionsausmaß 549 – Schnittbilddiagnostik 549 – Szintigraphie 549 Weichteilrekonstruktion beim Polytrauma 328
Sachverzeichnis
Wrap-around-Lappenplastik, modifizierte 389 Wundheilung, sekundäre 330, 378 Wundreinigung 416, 420, 587 Wundverschluss 420, 427 – primärer direkter 330 – sekundärer direkter 330 Wurzel – C5, brauchbare, Rekonstruktionsplan 204 – C5/C6, brauchbare, Rekonstruktionsplan 204 Z Zehentransfer, zusätzliche Blutversorgung 492 Zehentransplantation 503 – Fixierung der Zehe 503 – Koadaption der Nerven 505
669 – Management – – bei arteriellen Gefäßvaria tionen 506 – – bei venöser Gefäßvariation 507 – Nachbehandlung, postoperative 508 – postoperative Komplikation 509 – Sehnennaht 505 – verzögerte (delayed) 507 Zeigefingerpollizisation, komplette 35 Zellproliferation 88, 89 – perivaskuläre 92 – vorausgehende Veränderung 90 Zellulitis 646 Z-Streifen 290 Zweiorganversagen 428 Zweipunktediskrimination 139 Zwischenfingerfalte (Kommissur) 367