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1
Steigung q/(q-1) 0 < q/(q-1) < 1 q/(q-1) = 0 -∞ < q/(q-1) < 0 ∞ 1 < q/(q-1) < ∞
y 1 5
Zusammensetzung des Dampfs
4
3
2
1
x
0 0
xF
1
Zusammensetzung der Flüssigkeit
Abb. 15.8. Steigung der Schnittpunktsgeraden für verschiedene thermische Zustände des Zulaufs; die Nummerierung der Schnittpunktsgeraden bezieht sich auf die Beispiele in der Tabelle 15.2
Rücklaufverhältnis
Das Rücklaufverhältnis wurde in der Gl. 15.8 zu v = n L / n D definiert. Für das Rücklaufverhältnis ergeben sich zwei Grenzfälle. Entweder wird das gesamte Kondensat in die Kolonne zurückgeleitet (v = ∞) oder es wird nur so wenig Kondensat in die Kolonne zurückgeleitet, dass die Trennaufgabe gerade noch lösbar bleibt (v = vmin). Im ersten Fall, d.h. bei unendlich großem Rücklaufverhältnis, fallen die Verstärkungsgerade und die Abtriebsgerade mit der 45°-Diagonalen des McCabe-Thiele Diagramms zusammen. Es wird kein Destillat erzeugt ( n D = 0 ), was wirtschaftlich natürlich
15.2 Berechnung der theoretischen Stufenzahl
479
unsinnig ist. Im zweiten Fall benötigt die Kolonne unendlich viele theoretische Trennstufen und wäre unendlich hoch (s. weiter unten). Dies ist technisch gesehen absurd. Das betrieblich verwendete Rücklaufverhältnis muss also zwischen vmin und ∞ liegen. In der Praxis wird das betriebliche Rücklaufverhältnis aus dem minimalen Rücklaufverhältnis vmin abgeleitet. Das minimale Rücklaufverhältnis ergibt sich aus der Lage der Verstärkungsgeraden im McCabe-Thiele Diagramm. Dazu wird die Verstärkungsgerade durch den Schnittpunkt der Schnittpunktsgeraden mit der Gleichgewichtslinie gelegt (s. Abb. 15.9). y
Zusammensetzung des Dampfs
Gleichgewichtslinie Schnittpunktsgerade v min v min + 1 Verstärkungsgerade
xD v min + 1
x xF
xD
Zusammensetzung der Flüssigkeit
Abb. 15.9. Bestimmung des minimalen Rücklaufverhältnisses vmin im McCabeThiele Diagramm
Die grafische Lösung im McCabe-Thiele Diagramm eignet sich sowohl für ideale als auch für reale Mischungen. Bei realen Mischungen darf die Verstärkungsgerade die Gleichgewichtslinie zwischen x = xD und dem Schnittpunkt niemals überschreiten. Zur Bestimmung des minimalen Rücklaufverhältnisses darf die Verstärkungsgerade die Gleichgewichtslinie höchstens berühren. Für ideale Mischungen und einen flüssigen Zulauf im Siedezustand kann das minimale Rücklaufverhältnis statt grafisch auch rechnerisch mit einer Gleichung von Underwood hergeleitet werden.
480
15 Rektifikation
v min =
1− xD 1 § xD ⋅ ¨¨ −α⋅ α −1 © x F 1− xF
(15.15)
· ¸¸ ¹
Symbole: vmin = minimales Rücklaufverhältnis α = relative Flüchtigkeit der Komponenten
[-] [-]
Ist der im Betrieb gewählte Rücklauf klein, so braucht die Kolonne viele theoretische Trennstufen und die Kolonne wird höher. Mit der Anzahl der Trennstufen steigen die Investitionskosten. Ist der im Betrieb gewählte Rücklauf groß, so fließt eine größere Flüssigkeitsmenge dem Sumpf der Kolonne zu und muss wieder verdampft werden, um die gleiche Destillatmenge zu erzeugen. Auch die Kühlung im Kondensator am Kopf der Kolonne muss verstärkt werden, da mehr Brüden entstehen. Die Betriebskosten der Kolonne steigen somit an. Bei sehr großen Rücklaufmengen muss zudem die Kolonne einen größeren Durchmesser erhalten, wodurch auch die Investitionskosten steigen. Es gibt folglich ein optimales Rücklaufverhältnis, bei dem die Gesamtkosten der Rektifikation, d.h. die Summe aus Amortisations- und Betriebskosten, ein Minimum finden (s. Abb. 15.10). Das wirtschaftliche Minimum liegt bei v = 1,2 bis 4 vmin. Bei stetiger Produktion und hohen Heizkosten wählt man eher ein tiefes, bei sporadischer Produktion und im Vergleich zu den Investitionskosten niedrigen Heizkosten wählt man eher ein hohes Rücklaufverhältnis. Häufig wird v = 1,5 vmin gewählt.
Kosten pro Destillatmenge
Gesamtkosten
Investitionskosten
Betriebskosten
vmin
vopt. Rücklaufverhältnis v
Abb. 15.10. Gesamtkosten der Rektifikation zur Bestimmung des optimalen Rücklaufverhältnis vopt.
15.2 Berechnung der theoretischen Stufenzahl
481
Trennstufenzahl
Die Anzahl der wiederholten Verdampfungs- und Kondensationsvorgänge, die für eine Trennung mindestens notwendig sind, folgt aus einer Stufenkonstruktion zwischen den Bilanzgeraden und der Gleichgewichtslinie im McCabe-Thiele Diagramm. Die Stufenkonstruktion beginnt bei xS und endet bei xD . Die Anzahl der treppenförmigen Stufen ergibt die Anzahl der Verdampfungs- und Kondensationsvorgänge bzw. die minimale Anzahl der theoretisch benötigten Trennstufen. Die Anzahl der theoretischen Stufen des Abtriebsteils wird als Anzahl Treppenstufen zwischen x = xS und der Schnittpunktsgeraden bestimmt. Die Anzahl der theoretischen Stufen des Verstärkungsteils entspricht der Anzahl der Treppenstufen zwischen der Schnittpunktsgeraden und dem Punkt x = xD. Da die Rohmischung zwischen dem Abtriebsteil und dem Verstärkungsteil in die Kolonne eingespiesen wird, ist dadurch auch die Höhe des Zulaufs in die Kolonne definiert (s. Abb. 15.11). y 1 Gleichgewichtslinie
Zusammensetzung des Dampfs
6 5 3
4
Verstärkungsgerade Schnittpunktsgerade
2 1
Abtriebsgerade
x
0 0
xS
xF
xD
1
Zusammensetzung der Flüssigkeit
Abb. 15.11. Bestimmung der theoretischen Trennstufenzahl im McCabe-Thiele Diagramm; Abtriebsteil = 3 Trennstufen; Verstärkungsteil = 3 Trennstufen
Aus der Abbildung 15.12 links ist ersichtlich, dass stets eine minimale Menge Rücklauf in die Kolonne zurückgeführt werden muss, um eine Trennaufgabe zu erfüllen. Ist der Rücklauf zu klein, so wird die Verstärkungsgerade zu flach und berührt oder kreuzt die Gleichgewichtslinie im Bereich x= xF bis xD. Damit wird die Trennstufenzahl nth unendlich groß.
482
15 Rektifikation
Dies ist bei einem Rücklaufverhältnis v ≤ vmin der Fall. Einen anderen Extremzustand zeigt die Abb. 15.12 rechts. Er ergibt sich, falls das gesamte Kondensat wieder in den Kopf der Kolonne zurückgeleitet wird. Dann gilt v = ∞ und folglich x = y. Die Bilanzgeraden fallen mit der 45°Diagonalen des McCabe-Thiele Diagramms zusammen und die theoretische Trennstufenzahl erhält einen minimalen Wert. In diesem Fall wird kein Destillat erzeugt. Die beiden Extremfälle v = ∞ bzw. nth = ∞ sind für Produktionszwecke ungeeignet. Sie werden aber für theoretische Abklärungen gerne untersucht. Für ideale Mischungen kann die minimale Trennstufenzahl gemäß einer Gleichung von Fenske berechnet werden
n th , min Symbol:
§ x ⋅ (1 − x S ) · ¸ ln ¨¨ D x S ⋅ (1 − x D ) ¸¹ © = ln α
nth,min = minimale theoretische Trennstufenzahl y
[-]
y 1
x
0 0
xS
xD
Zusammensetzung der Flüssigkeit
1
Zusammensetzung des Dampfs
1 Zusammensetzung des Dampfs
(15.16)
x
0 0
xS
xD
1
Zusammensetzung der Flüssigkeit
Abb. 15.12. Extremfälle der Rektifikation: minimaler Rücklauf vmin bei unendlich großer theoretischer Stufenzahl nth = ∞ (links) und minimale theoretisch Stufenzahl nth,min bei unendlich großem Rücklauf v = ∞ (rechts)
Durch Auswertung einer Vielzahl realer Trennungen hat Gilliland eine empirische Beziehung zwischen der theoretischen Stufenzahl nth und dem betrieblichen Rücklaufverhältnis v gefunden, die er in einem Diagramm dargestellt hat (s. Abb. 15.13). Das nach ihm benannte Gilliland-Diagramm gilt auch für reale Mischungen. Die im Gilliland-Diagramm benötigten nth,min und vmin können bei realen Mischungen grafisch aus dem McCabe-Thiele Diagramm entnommen oder bei idealen Mischungen rech-
15.2 Berechnung der theoretischen Stufenzahl
483
nerisch mit Hilfe der Gleichungen von Underwood und Fenske bestimmt werden. Im Gilliland-Diagramm ist zudem der Arbeitsbereich für wirtschaftlich arbeitende Rektifikationskolonnen eingezeichnet.
Abb. 15.13. Diagramm von Gilliland zur Bestimmung des Rücklaufverhältnisses v und der theoretischen Stufenzahl nth; Grafik adaptiert aus [14]
Hersteller und Lieferanten von Rektifikationsanlagen verfügen heutzutage auch über Simulationsprogramme, die in der Lage sind, die rektifikative Trennung von Stufe zu Stufe unter verschiedenen Betriebsbedingungen ziemlich genau zu berechnen. Ein solches Simulationsprogramm ist z.B. Aspen.
484
15 Rektifikation
15.3 Einbauten von Rektifikationskolonnen Einbauten in den Rektifikationskolonnen beschleunigen den Wärme- und Stoffaustausch zwischen der dampfförmigen und der flüssigen Phase durch − Vergrößerung der Kontaktfläche, − Verlängerung der Kontaktzeit, − Erhöhung der Turbulenz. Die Wahl der Einbauten richtet sich nach den folgenden Gesichtspunkten − Trennwirkung (theoretische Böden pro Kolonnenhöhe) − Belastbarkeit (Dampfgeschwindigkeit, Rücklaufstromdichte) − Druckverlust pro theoretische Trennstufe (wichtig bei Vakuumrektifikation) − Gemischeigenschaften (verschmutzend, korrosiv, schäumend) − Kolonnenleistung (Menge und Reinheit der Produkte) − Kosten pro theoretische Trennstufe (Werkstoffe und Verarbeitung) Die gebräuchlichsten Kolonneneinbauten sind Böden, Füllkörper und geordnete Packungen, die in einer Vielzahl verschiedener Bauformen im Angebot stehen. Böden
Böden bestehen aus kreisrunden Platten mit mehreren Durchtrittsöffnungen für den Dampf. Die Böden sind in regelmäßigen vertikalen Abständen von 0,3 bis 1,0 m horizontal in der Kolonne eingebaut. Ein seitlich vorhandenes Überlaufwehr mit unten anschließendem Siphon führt die herabfließende Flüssigkeit auf den nächsttieferen Boden (s. Abb. 15.14). Die Flüssigkeit fließt im Kreuzstrom zum aufsteigenden Dampf über die Böden. Der Dampf tritt durch die Bodenöffnungen in Form von feinen Blasen in die Flüssigkeit ein. Es entsteht eine stark turbulente Sprudelschicht, die nach oben in eine Sprühschicht übergeht. Oberhalb der Sprühschicht befindet sich eine Beruhigungszone, die verhindern soll, dass der Dampf Flüssigkeitstropfen mitreißt. Der Wärme- und Stoffaustausch zwischen Dampf und Flüssigkeit findet in der Sprudel- und Sprühschicht auf den Böden statt. In der Beruhigungszone strömen die beiden Phasen ohne wesentlichen Kontakt aneinander vorbei.
15.3 Einbauten von Rektifikationskolonnen
Flüssigkeit
Lochblech
Flüssigkeit
485
Glocken
Überlauf
Überlauf
Siphon
Siphon
Brüden Flüssigkeit
Siebboden
Flüssigkeit
Brüden
Glockenboden
Abb. 15.14. Siebboden (links) und Glockenboden (rechts); Ausschnitte aus einer Rektifikationskolonne
Böden werden v.a. bei großen Stoffströmen, bei wechselnder Belastung und bei Verschmutzungsgefahr eingesetzt. Der Druckverlust pro theoretischem Boden liegt relativ hoch. Die wichtigsten Bauarten eines Rektifikationsbodens sind − − − − − −
Siebboden, Jetboden, Schlitzboden, Glockenboden, Tunnelboden, Ventilboden.
Ein Siebboden enthält eine Vielzahl regelmäßig angeordneter, kreisrunder Löcher (s. Abb. 15.14 links). Die Durchmesser der Löcher betragen je nach Anwendung zwischen 2 und 12 mm. Auf ein Überlaufwehr und einen Siphon kann eventuell verzichtet werden. Die Flüssigkeit und der Dampf strömen dann durch die selben Bodenöffnungen. Solche Siebböden werden Dualböden genannt. Der Siebboden ist günstig herzustellen. Er ist aber für wechselnde Belastungen nicht geeignet, da die Flüssigkeit bei zu geringer Dampfgeschwindigkeit ungehindert in den Sumpf abläuft. Eine Variante des Siebbodens ist der Jetboden. Die Öffnungen für den Dampf bestehen hier aus seitlich hochgebogenen Laschen. Der Dampf verlässt die als Düsen wirkenden Laschenöffnungen parallel zum Boden und treibt die Flüssigkeit über den Boden zum Überlaufwehr. Eine weitere Variante des Siebbodens ist der Schlitzboden oder Gitterboden. Statt kreisrunder Löcher sind im Boden längliche Schlitze eingestanzt, die senkrecht zur Strömungsrichtung der Flüssigkeit zum Über-
486
15 Rektifikation
laufwehr verlaufen. Schlitzböden werden mit Vorliebe bei verkrustenden Flüssigkeiten eingesetzt. Beim Glockenboden wird der Dampf durch regelmäßig angeordnete, glockenförmige Verteilvorrichtungen geleitet. Der Dampf strömt von unten durch den Glockenhals (Kamin), wird in der Glocke umgelenkt und tritt dann seitlich in die auf dem Boden liegende Sprudelschicht ein (s. Abb. 15.14 rechts). Der Durchmesser einer Glocke beträgt zwischen 50 und 150 mm. Der Rand der Glocke ist glatt, gezackt oder geschlitzt. Wegen des hohen Überlaufwehrs und der Glockenhälse bleibt bei Dampfausfall eine Flüssigkeitsschicht auf dem Glockenboden stehen. Eine Variante des Glockenbodens stellt der Tunnelboden dar. Dabei sind die Dampfkamine stark in die Breite gezogen und werden durch tunnelförmige Hauben abgedeckt. Die tunnelförmigen Hauben besitzen an ihren unteren Kanten seitlich aufgebogene Laschen. Der austretende Dampf fördert so die Flüssigkeitsschicht schlangenförmig zwischen den Tunneln über den Boden und verhindert Stauungen. Auch der Ventilboden kann als eine Variante des Glockenbodens angesehen werden. Beim Ventilboden sind die Dampföffnungen mit einer dynamisch wirkenden Klappe (Ventil) versehen. Ist der Dampfstrom hoch, so wird die Klappe angehoben und der Öffnungsquerschnitt vergrößert. Ist der Dampfstrom niedrig, schließt die Klappe, sodass der Dampfdruck wieder ansteigen kann. Der Dampf dringt so immer mit gleichbleibender Geschwindigkeit in die Flüssigkeitsschicht ein. Ventilböden eignen sich daher ausgezeichnet für wechselnde Dampfbelastungen. Aus verschiedenen Gründen wird der Gleichgewichtszustand zwischen Dampf und Flüssigkeit auf einem realen Boden einer Rektifikationskolonne nicht erreicht. − Die Kontaktzeit zwischen Dampf und Flüssigkeit dauert zu kurz. − Die Flüssigkeit auf dem Boden ist nicht ideal durchmischt. − Der Dampf reißt Flüssigkeitstropfen mit. Dieser Sachverhalt wird durch das Verstärkungsverhältnis ηB ausgedrückt. Das Verstärkungsverhältnis gibt an, zu welchem Grad der Gleichgewichtszustand auf einem Boden erreicht wird, und entspricht einem Wirkungsgrad bzw. Austauschgrad des effektiven Bodens. ηB =
y n , eff − y n −1 y n , G lg w − y n −1
(15.17)
15.3 Einbauten von Rektifikationskolonnen
487
Symbole: ηB = Wirkungsgrad des Bodens, Verstärkungsverhältnis [-] [-] yn-1 = Zusammensetzung des realen Dampfs vom (n-1)-ten Boden [-] yn,eff = Zusammensetzung des realen Dampfs vom n-ten Boden [-] yn,Glgw = Zusammensetzung eines Dampfs, der mit der Flüssigkeit des n-ten Bodens im Gleichgewicht stände
Das Verstärkungsverhältnis liegt üblicherweise zwischen 60 und 90%. Die Anzahl Böden, die in einer Bodenkolonne zur Trennung eines realen Flüssigkeitsgemischs notwendig sind, errechnet sich bei Verwendung eines Sicherheitsfaktors s mit n eff =
n th ⋅ s ≈ 2 ⋅ n th ηB
Symbole: neff = effektive Bodenzahl einer Bodenkolonne nth = theoretische Bodenzahl nach McCabe-Thiele s = Sicherheitsfaktor
(15.18)
[-] [-] [-]
Der Sicherheitsfaktor s beträgt je nach Schwierigkeit der Trennung zwischen 1,3 und 2. Die effektiv benötigte Bodenzahl neff kann in einer ersten Schätzung als das Doppelte der theoretischen Stufenzahl nth angenommen werden. Füllkörper
Füllkörper sind kleine, regelmäßig geformte Körper mit Abmessungen zwischen 5 und 200 mm. Sie können aus Metall, Kunststoff, Keramik, Glas oder Graphit aufgebaut sein und eignen sich aufgrund der Materialvielfalt auch für aggressive Flüssigkeiten. Die Füllkörper sollen gut benetzbar sein, eine hohe spezifische Oberfläche aufweisen und eine starke Turbulenz erzeugen. Zugleich sollen sie nur einen geringen Druckabfall verursachen. Diese zum Teil gegenläufigen Anforderungen führen zu einer Vielzahl von Bauformen. Die wichtigsten Bauarten sind in der Abb. 15.15 aufgeführt.
488
15 Rektifikation
Abb. 15.15. Füllkörperformen (M = Metall, P = Kunststoff, K = Keramik); a) Raschig-Ring (M,K), b) Pall-Ring (M), c) Pall-Ring (P), d) VSP-Füllkörper (M), e) VSP-Füllkörper (P), f) Top-Pak (M), g) Hackette (P), h) Igel-Füllkörper (P), i) Interpack-Sattel (M), k) Novalox-Sattel (P), l) Berl-Sattel (K), m) Intalox-Sattel (M); Zeichnung adaptiert aus [4]
Die Füllkörper werden regellos in die leere oder mit Wasser gefüllte Rektifikationskolonne eingeschüttet und liegen in Schichten von 1 bis 2 m auf stark perforierten Tragrosten auf. Kolonnen mit Füllkörpern zeichnen sich im Vergleich zu Kolonnen mit Böden durch eine hohe Belastbarkeit, eine gute Trennwirkung pro Kolonnenhöhe und einen geringen Druckabfall aus. Bei kleinen Stoffströmen ist eine Füllkörperkolonne billiger als eine Bodenkolonne, da der Einbau von Böden in Kolonnen mit kleinem Durchmesser schwierig ist. Füllkörperkolonnen eignen sich für korrosive und schäumende Flüssigkeiten. Für verschmutzende Flüssigkeiten sind sie wegen der schlechten mechanischen Reinigungsmöglichkeit weniger geeignet. Je kleiner die Füllkörper sind, desto größer ist der Wirkungsgrad der Trennung und der Druckabfall pro theoretische Trennstufe. In der Praxis hat sich ein Größenverhältnis zwischen den Füllkörpern und dem Kolonnendurchmesser von 1:10 bis 1:30 als optimal erwiesen. Dampf und Flüssigkeit verlaufen im Gegenstrom durch die Füllkörperschüttung und werden durch die Füllkörper mehrfach umgelenkt. Dadurch entsteht ein inniger Wärme- und Stoffaustausch.
15.3 Einbauten von Rektifikationskolonnen
489
Die regellose Schüttung führt nach einer gewissen Höhe dazu, dass die herabströmende Flüssigkeit in Strähnen und Bächen zusammenläuft. Dieses Phänomen wird als Bachbildung bezeichnet. Zudem ist der Leerraumanteil bzw. das relative Lückenvolumen an der Kolonnenwand größer, was das Herablaufen der Flüssigkeit an der durchgehend senkrechten Wand begünstigt. Die Flüssigkeit verlagert sich nach unten immer mehr zur Wand. Diese Erscheinung ist als Randgängigkeit bekannt. Bachbildung und Randgängigkeit verschlechtern den Wärme- und Stoffaustausch massiv. Um diesen unerwünschten Effekten entgegenzuwirken, wird die Flüssigkeit nach einer Höhe von 3 bis 6 Kolonnendurchmessern jeweils neu über den Kolonnenquerschnitt verteilt. Die Trennung in einer Füllkörperkolonne erfolgt nicht stufenweise wie in einer Bodenkolonne sondern kontinuierlich. Mit einer bestimmten Höhe der Füllkörperschicht wird die Wirkung einer theoretischen Trennstufe erreicht. Die Höhe der Füllkörperschicht für eine theoretische Trennstufe wird HETS (Height Equivalent to one Theoretical Stage) genannt. HETS hängt von der Form und Größe der Füllkörper, den Eigenschaften des Flüssigkeitsgemischs und den Betriebsbedingungen ab. HETS liegt typischerweise zwischen 0,2 und 0,7 m. Die Gesamthöhe aller Füllkörperschichten in einer Füllkörperkolonne berechnet sich zu h FK −Kolonne = n th ⋅ HETS Symbole: hFK-Kolonne = Gesamthöhe der Füllkörperschichten in einer Füllkörperkolonne nth = theoretische Trennstufenzahl berechnet nach McCabe-Thiele oder Fenske HETS = Höhe der Füllkörperschicht für eine theoretische Trennstufe
(15.19) [m] [-] [m]
HETS entspricht einem Mittelwert über die gesamte Kolonnenhöhe. In Wirklichkeit variieren aber die HETS-Werte innerhalb der Kolonne. Die Einteilung der Füllkörperschicht in gleich hohe theoretische Trennstufen wird der kontinuierlichen Arbeitsweise der Füllkörperkolonne nicht gerecht. Die Stofftrennung in einer Rektifikationskolonne basiert auf Diffusionsvorgängen und letztlich auf dem Zweifilmmodell (s. Kapitel „Stofftransport“). Über eine sehr kleine Höhe der Füllkörperschicht dh reichert sich die leichterflüchtige Komponente um dy in den Brüden an. Gemäß der Zweifilmtheorie gilt
490
15 Rektifikation
n G ⋅ dy = k G ⋅ ( y G lg w − y eff ) ⋅ dA
(15.20)
Symbole: n G = molarer Dampfstrom [mol⋅s-1] dy = Änderung der Dampfzusammensetzung [-] kG = Stoffdurchgangskoeffizient für die leichter[mol⋅s-1⋅m-2] flüchtige Komponente, bezogen auf die Gasphase [-] yGlgw = Zusammensetzung des Dampfs im Gleichgewicht mit der Flüssigkeit am selben Ort [-] yeff = effektive Zusammensetzung des Dampfs dA = benetzte Oberfläche der Füllkörper [m2]
dA ist die benetzte Oberfläche der Füllkörper in der Füllkörperschicht der Höhe dh. Sie kann aus der spezifischen Oberfläche a und dem Benetzungsgrad der Füllkörper η" berechnet werden. dA = η " ⋅ a ⋅ A quer ⋅ dh
(15.21)
Symbole: η" = benetzter Anteil der Füllkörperoberfläche a = spezifische Oberfläche der Füllkörper [m2/m3] = Aquer = Querschnittsfläche der Kolonne dh = sehr geringe Höhe der Füllkörperschicht
[-] [m-1] [m2] [m]
Substituiert man dA in Gl. 15.20 und löst diese nach dh auf, so erhält man nach einer Integration die Gesamthöhe der Füllkörperschichten in der Kolonne y =x
h FK − Kolonne =
ω D n G dy ⋅ k G ⋅ η" ⋅ a ⋅ A quer y = x y G lg w − y eff
³
α
Symbol:
(15.22)
S
hFK-Kolonne = Gesamthöhe aller Füllkörperschichten in der Füllkörperkolonne
[m]
Das Integral der Gl. 15.22 entspricht einer Anzahl von Übergangseinheiten und wird gemäß Chilton und Colburn NTU (Number of Transfer Units) genannt. yω = x D
NTU =
³
yα = xS
Symbol:
dy y G lg w − y eff
NTU = Anzahl Übertragungseinheiten in einer Füllkörperkolonne
(15.23)
[-]
15.3 Einbauten von Rektifikationskolonnen
491
Der Faktor vor dem Integral der Gl. 15.22 gibt die Höhe einer Übergangseinheit an und wird HTU (Height of one Transfer Unit) genannt. HTU = Symbol:
n G k G ⋅ η" ⋅ a ⋅ A quer
HTU = Höhe einer Übergangseinheit
(15.24)
[m]
Die Höhe aller Füllkörperschichten in einer Kolonne beträgt folglich h FK − Kolonne = NTU ⋅ HTU
(15.25)
Die Höhe einer Übergangseinheit (HTU) und die Höhe einer theoretischen Trennstufe (HETS) sind in der Regel nicht gleich groß, da sie auf unterschiedlichen Rechnungsmethoden beruhen. Sie weichen aber nur wenig von einander ab. Genauso stimmen die Stufenzahl der Übergangseinheiten (NTU) und die theoretische Stufenzahl (nth) nicht exakt überein. Nur im Grenzfall, dass die Gleichgewichtskurve und die Bilanzgeraden parallel zueinander verlaufen, entsprechen sich die Werte. Dies trifft für ideale Flüssigkeiten mit eng beieinander liegenden Siedepunkten, die sich schlecht trennen lassen, einigermaßen gut zu. Die NTU-HTU-Methode wird im Moment noch selten verwendet, da der Stoffdurchgangskoeffizient kG auf den Stoffübergangskoeffizienten β in der Dampfphase bzw. in der flüssigen Phase beruht. Die Sherwoodbeziehungen, aus denen die Stoffübergangskoeffizienten β in der dampfförmigen und flüssigen Phase abgeleitet werden können, sind bei der Rektifikation aber noch weit gehend unerforscht (s. Kapitel „Stofftransport“). Geordnete Packungen
Geordnete Packungen werden vor allem bei schwierigen Trennaufgaben, d.h. bei hohen Rektifikationskolonnen, oder bei niedrigen Betriebsdrükken, d.h. bei Vakkuumrektifikation, eingesetzt. Geordnete Packungen besitzen einen ausgezeichneten Trennwirkungsgrad pro Packungshöhe, sind hoch belastbar und verursachen nur einen minimalen Druckabfall. Anfällig sind sie auf Verschmutzungen und Verkrustungen, da sie sich mechanisch nicht reinigen lassen. Geordnete Packungen bestehen aus gefalteten und manchmal gelochten Bändern, die in unterschiedlicher Richtung verlaufend aufeinander gestapelt werden und senkrecht gestellt zylinderförmige Packungselemente von 0,1 bis 0,3 m Höhe ergeben (s. Abb. 15.16).
492
15 Rektifikation
Es werden spezifische Oberflächen von bis zu 800 m2/m3 erreicht. Dies ist etwa das Doppelte des Maximalwerts bei Füllkörperschüttungen. Als Werkstoffe finden Metalle, Kunststoffe, Keramik und Graphit Anwendung.
Abb. 15.16. Geordnete Packung, Mellapak der Firma Sulzer, Winterthur/CH
Brüden und Flüssigkeit verlaufen zickzackförmig zwischen den gefalteten Bändern im Gegenstrom zueinander. Da die Neigung der Falten in benachbarten Bändern entgegengesetzt ist, besteht eine ausgezeichnete Quervermischung in allen Richtungen. Eine Bachbildung bleibt aus. Die Randgängigkeit ist bedeutend kleiner als in einer Füllkörperschicht. Die Packungselemente werden jeweils 90° zu einander verdreht in die Kolonne eingebaut, was die Quervermischung zusätzlich verbessert. Die Berechnung der Höhe einer Packungskolonne erfolgt analog zu derjenigen einer Füllkörperkolonne (s. Gl. 15.19-15.25). Geordnete Packungen werden trotz ihres hohen Preises immer häufiger eingesetzt. Gegenüber Füllkörper- und Bodenkolonnen resultiert ein Gewinn durch z.B. − eine höhere Produktqualität, − größere Produktmengen, − niedrigere Betriebskosten für Heizung und Kühlung.
15.4 Dimensionierung einer Rektifikationskolonne
493
15.4 Dimensionierung einer Rektifikationskolonne Dampfgeschwindigkeit
Der Betriebsbereich einer Rektifikationskolonne ist begrenzt durch die untere und die obere Belastungsgrenze (s. Abb. 15.17). Die untere Belastungsgrenze wird bei niedrigen Dampfgeschwindigkeiten erreicht. Ist die Dampfgeschwindigkeit zu gering, so fließt die Flüssigkeit, ohne vom Dampf verwirbelt zu werden, in dünnen Strähnen direkt in den Sumpf. Ein Kontakt zwischen Dampf und Flüssigkeit bleibt weit gehend aus. Die Trennwirkung unterhalb der unteren Belastungsgrenze ist somit minimal. Eine Bodenkolonne „regnet durch“ und läuft leer. Etwas oberhalb der unteren Belastungsgrenze beginnt der aufsteigende Dampf die Flüssigkeit zu stauen, weshalb die untere Belastungsgrenze auch als unterer Staupunkt bezeichnet wird. Die obere Belastungsgrenze wird bei hohen Dampfgeschwindigkeiten erreicht. Ist die Dampfgeschwindigkeit zu hoch, so werden Tropfen und Strähnen mit dem Dampf mitgerissen. Damit schwindet die Trennwirkung. Die obere Belastungsgrenze gilt deshalb auch als oberer Staupunkt. Wird die Dampfgeschwindigkeit weiter gesteigert, beginnt die Flüssigkeit in den Ablaufkanälen zu stauen und flutet schließlich die Kolonne. Der Druckabfall steigt schlagartig an. Der Punkt, an dem der Druckabfall schlagartig zu steigen beginnt, wird als Flutpunkt bezeichnet. In der Praxis werden die Kolonnen bei 60 bis 90% der Dampfgeschwindigkeit betrieben, die bei der oberen Belastungsgrenze erreicht wird. Damit ist eine maximale Kontaktfläche und Turbulenz gegeben, ohne dass der Dampf Flüssigkeit mitreißt und die Kolonne Gefahr läuft zu fluten. Die obere Belastungsgrenze stellt folglich eine wichtige Größe für die Auslegung der Kolonne dar. Die Dampfgeschwindigkeit wird stets auf den freien Kolonnenquerschnitt ohne Einbauten bezogen. Man spricht deshalb von einer Leerrohrgeschwindigkeit. Die Dampfgeschwindigkeit beträgt in der Regel zwischen 0,5 und 2,5 m/s (bei Glocken-, Tunnel- und Schlitzboden 3 bis 6 m/s). Die Flüssigkeit fließt demgegenüber mit ca. 1 bis 15⋅10-3 m/s die Kolonne hinunter (Leerrohrgeschwindigkeit). Druckabfall
Der Druckabfall in einer Rektifikationskolonne darf nicht zu groß werden, da erstens die grafische Bestimmung der theoretischen Bodenzahl nach McCabe-Thiele einen konstanten Druck voraussetzt und zweitens der
494
15 Rektifikation
Sumpf der Kolonne bei höherem Druck auf eine unnötig hohe Temperatur aufgeheizt werden müsste, damit die Brüden überhaupt entstehen. log ∆p F oB
Druckverlust
m L = konst.
uB mL = 0 (trockene Packung)
log v G vGu
vGo
vGF
Geschwindigkeit der Brüden
Abb. 15.17. Druckabfall ∆p in einer gepackten Kolonne als Funktion der Leerrohrgeschwindigkeit des Dampfs vG; Darstellung rein qualitativ, Achsen mit log L =Massenstrom Flüssigkeit, uB = untere Belastungsgrenarithmischen Skalen; m ze, oB = obere Belastungsgrenze, F = Flutpunkt
Der Druckabfall in einer Kolonne setzt sich zusammen aus dem hydrostatischen Druck der Flüssigkeitssäule in der Kolonne und dem dynamischen Strömungswiderstand des Dampfs. Der Druck durch die Oberflächenspannung der Flüssigkeit zum Dampf ist demgegenüber gering und wird meist vernachlässigt. ∆p Kol = ∆p st + ∆p dyn
(15.26)
Symbole: ∆pKol = Druckabfall in der Kolonne [Pa] =[kg⋅m-1⋅s-2] ∆pst = hydrostatischer Druckabfall in der Kolonne[Pa] =[kg⋅m-1⋅s-2] ∆pdyn = dynamischer Druckabfall in der Kolonne [Pa] =[kg⋅m-1⋅s-2]
15.4 Dimensionierung einer Rektifikationskolonne
495
Der hydrostatische Druckabfall wird durch das Gewicht der Flüssigkeit in der Kolonne verursacht. ∆p st =
mL ⋅ g A quer
Symbole: mL = Masse der Flüssigkeit in der Kolonne g = Erdbeschleunigung (= 9,81 m⋅s-2) Aquer = Querschnittsfläche der Kolonne
(15.27)
[kg] [m⋅s-2] [m2]
In Bodenkolonnen kann der hydrostatische Druckabfall als Summe der hydrostatischen Druckabfälle über alle Sprudelschichten berechnet werden. ∆p st = n eff ⋅ ρ S ⋅ g ⋅ h S = n eff ⋅ (1 − ε) ⋅ ρ L ⋅ g ⋅ h S Symbole: neff = effektive Bodenzahl einer Bodenkolonne ρS = mittlere Dichte der Sprudelschicht ρL = Dichte der klaren Flüssigkeit (einphasig) hS = mittlere Höhe der Sprudelschicht ε = Leerraumanteil bzw. Gasanteil der Sprudelschicht
(15.28) [-] [kg⋅m-3] [kg⋅m-3] [m] [-]
Der dynamische Strömungswiderstand des Dampfs wird durch die Einbauten verursacht. Es gilt in guter Näherung
∆p dyn = ζ ⋅
ρ G ⋅ v G2 2
Symbole: ζ = Widerstandsbeiwert der Einbauten ρG = Dichte des Dampfs vG = Leerrohrgeschwindigkeit des Dampfs
(15.29)
[-] [kg⋅m-3] [m⋅s-1]
Der Widerstandsbeiwert ζ hängt von der Geometrie der Einbauten und in geringem Ausmaß von der Oberflächenspannung der Flüssigkeit ab. Bei Bodenkolonnen stimmt der nach Gl. 15.29 berechnete dynamische Druckabfall mit einem Druckabfall überein, wie er bei der Dampfströmung durch trockene Böden entsteht. Der Widerstandsbeiwert ζ ist das mathematische Produkt aus der effektiven Bodenzahl neff und dem Widerstandsbeiwert ζB eines einzelnen Bodens. ζ = n eff ⋅ ζ B Symbol:
ζB = Widerstandsbeiwert eines trockenen Bodens
(15.30) [-]
496
15 Rektifikation
Bei gepackten Kolonnen (Füllkörper oder geordnete Packung) ist der Widerstandsbeiwert ζ keine Konstante, sondern nimmt mit zunehmender Dampfgeschwindigkeit zu, weil der Dampf die herabfließende Flüssigkeit aufzustauen beginnt. Dadurch wird der Strömungsquerschnitt für den Dampf verengt. Die Abbildung 15.17 zeigt den Druckabfall ∆p in einer gepackten Kolonne als Funktion der Dampfgeschwindigkeit vG (Leerrohrgeschwindigkeit), dargestellt in einem doppelt logarithmischen Koordinatensystem. Im Betriebsbereich zwischen der unteren Belastungsgrenze (uB) und der oberen Belastungsgrenze (oB) ergibt sich eine lineare Beziehung. Oberhalb der oberen Belastungsgrenze wird sehr schnell der Flutpunkt (F) erreicht. Die beiden Knickpunkte bei den Belastungsgrenzen sind nicht bei allen Betriebsdrucken gleich ausgeprägt. Bei Vakuumrektifikation sind sie kaum noch erkennbar. Die Linien nähern sich bei fallendem Druck immer mehr der Geraden für eine trockene Kolonne. Der dynamische Druckabfall in Packungsschichten wird von den Herstellern der Einbauten häufig als Funktion des so genannten Dampfbelastungsfaktors FG angegeben.
FG = v G ⋅ ρ G Symbole: FG = Dampfbelastungsfaktor, F-Faktor vG = Leerrohrgeschwindigkeit des Dampfs ρG = Dichte des Dampfs
(15.31) [kg0,5⋅m-0,5⋅s-1] [m⋅s-1] [kg⋅m-3]
Der Dampfbelastungsfaktor ist auch eine wichtige Größe zur Bestimmung der oberen Belastungsgrenze der Einbauten, des Trennwirkungsgrads pro Schichthöhe, des Volumens der Kolonne und schließlich der Kosten der Einbauten für eine gestellte Trennaufgabe. Kolonnendurchmesser
Die betrieblich notwendige Querschnittsfläche der Kolonne Aquer errechnet und der maximal zulässich aus dem maximal möglichen Dampfstrom V G sigen Leerrohrgeschwindigkeit des Dampfs vG. A quer =
G V m n ⋅ M G G = = G ρG ⋅ v G v G ρG ⋅ v G
Symbole: Aquer = freie Querschnittsfläche der Kolonne
(15.32)
[m2]
15.4 Dimensionierung einer Rektifikationskolonne
497
vG = Leerrohrgeschwindigkeit des Dampfs = Volumenstrom des Dampfs V G
[m⋅s-1] [m3⋅s-1]
G = Massenstrom des Dampfs m
[kg⋅s-1]
n G = Molenstrom des Dampfs
[mol⋅s-1]
ρ G = mittlere Dichte des Dampfs
[kg⋅m-3]
M G = mittlere molare Masse der dampfförmigen Komponenten
[kg⋅mol-1]
Die mittlere molare Masse der Komponenten im Dampf lässt sich berechnen mit M G = y ⋅ M 1 + (1 − y) ⋅ M 2
(15.33)
Symbole: y = Molanteil der leichterflüchtigen Komponente im Dampf [-] M1 = molare Masse der leichterflüchtigen Komponente [kg⋅mol-1] M2 = molare Masse der schwererflüchtigen Komponente [kg⋅mol-1]
Der Kolonnendurchmesser dKol beträgt d Kol = 2 ⋅ Symbol:
A quer
(15.34)
π
dKol = Durchmesser der Rektifikationskolonne
[m]
Verhalten sich die gasförmigen Komponenten ideal, so kann die mittlere Dichte des Dampfs ρG in der Gl. 15.32 mit dem Betriebsdruck p und der Betriebstemperatur T ausgedrückt werden. ρG =
G n G ⋅ M G p ⋅ M G m = = R ⋅T V V G G
(15.35)
Symbole: p = Betriebsdruck [Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2] T = Betriebstemperatur [K] R = universelle Gaskonstante (= 8,314 J/K⋅mol) [kg⋅m2⋅s-2⋅K-1⋅mol-1]
Somit resultiert für die Querschnittsfläche der Kolonne A quer =
n G ⋅ R ⋅ T vG ⋅ p
(bei idealen Gasen)
(15.36)
498
15 Rektifikation
Heizung/ Kühlung
Für den Fall, dass der Zulauf zur Rektifikationskolonne im Siedezustand erfolgt und die Kolonne adiabat d.h. ohne Wärmeverlust arbeitet, muss die Sumpfheizung eine Leistung erbringen von Q Sumpfheizung = n G ,S ⋅ ∆h v ,S Symbole: Q Sumpfheizung = Heizleistung der Sumpfheizung
(15.37) [W] = [kg⋅m2⋅s-3]
n G ,S = Molenstrom des Dampfs oberhalb des Sumpfs
[mol⋅s-1]
∆h v ,S = mittlere Verdampfungsenthalpie [J/mol] = [kg⋅m2⋅s-2⋅mol-1]
des Flüssigkeitsgemischs im Sumpf
Die mittlere Verdampfungsenthalpie ∆h v ,S hängt von der Zusammensetzung des Dampfs oberhalb des Sumpfs ab. ∆h v ,S = y S ⋅ ∆h v ,1 + (1 − y S ) ⋅ ∆h v , 2
(15.38)
Symbole: yS = Zusammensetzung der Dampfphase oberhalb [-] des Sumpfs [J/mol] = [kg⋅m2⋅s-2⋅mol-1] ∆hv,1 = Verdampfungsenthalpie der leichterflüchtigen Komponente [J/mol] = [kg⋅m2⋅s-2⋅mol-1] ∆hv,2 = Verdampfungsenthalpie der schwererflüchtigen Komponente
Am Kopf der Kolonne wird mit Vorteil ein Dephlegmator eingesetzt, der nur einen Teil der Brüden kondensiert und in die Kolonne zurückleitet. Der nicht kondensierte Anteil der Brüden wird in einem zweiten Kondensator niedergeschlagen und bildet das Destillat. Durch die Verwendung eines Dephlegmators resultiert eine zusätzliche Verstärkung der Trennwirkung. Die Kühlleistung des Dephlegmators ist unter diesen Umständen Q Dephlegmator = n R ⋅ ∆h v , K ≈ n L ⋅ ∆h v , K
(15.39)
Symbole: Q Sumpfheizung = Kühlleistung des Dephlegmators
[W] = [kg⋅m2⋅s-3]
n R = Molenstrom des Rücklaufs in die Kolonne
[mol⋅s-1]
n L = Molenstrom der Flüssigkeit in der Kolonne
[mol⋅s-1]
∆h v ,K = mittlere Verdampfungsenthalpie [J/mol] = [kg⋅m2⋅s-2⋅mol-1]
des Flüssigkeitsgemischs im Kopf
15.4 Dimensionierung einer Rektifikationskolonne
499
Die mittlere Verdampfungsenthalpie ∆h v ,K im Kopf der Kolonne ist ∆h v ,K = y n ⋅ ∆h v ,1 + (1 − y n ) ⋅ ∆h v , 2
(15.40)
Symbole: yn = Zusammensetzung der Dampfphase im Kopf der Kolonne (nach n theoretischen Trennstufen)
[-]
Die Kühlleistung des Destillatkondensators ist
Q Destillatkondensator = n D ⋅ ∆h v , D
(15.41)
Symbole: Q Destillatkondensator = Kühlleistung des Destillatkondensators n D = Molenstrom des Destillats ∆h v ,D = mittlere Verdampfungs-
[W] = [kg⋅m2⋅s-3] [mol⋅s-1]
[J/mol] = [kg⋅m2⋅s-2⋅mol-1]
enthalpie des Destillats
Die mittlere Verdampfungsenthalpie ∆h v,D des Destillats beträgt ∆h v ,D = x D ⋅ ∆h v ,1 + (1 − x D ) ⋅ ∆h v , 2 Symbol:
xD = Zusammensetzung des Destillats
(15.42) [-]
Ist die Kolonne nicht gut isoliert, so kondensieren vermehrt Brüden in der Kolonne und erhöhen die Rücklaufmenge. Der zusätzliche Rücklauf wird als wilder Rücklauf bezeichnet. Der Flüssigkeitsstrom ist in der Kolonne nicht mehr konstant, sondern nimmt nach stetig unten zu. Die Bilanzlinien des McCabe-Thiele Diagramms verlaufen dadurch nicht mehr gerade, sondern sind nach unten durchgebogen. Die Trennwirkung wird zwar scheinbar besser, aber die notwendige Heizleistung steigt an, da ein größerer Rücklauf eine höhere Heizleistung auf der untersten Trennstufe erfordert. Bei gleicher Heizleistung läuft eine adiabate Kolonne stets effizienter als eine schlecht isolierte, da die Bilanzlinien im McCabe-Thiele Diagramm als Geraden in einem größeren Abstand zur Gleichgewichtslinie verlaufen. Die treibende Kraft für den Stoffaustausch ist damit größer. Erfolgt der Zulauf im Siedezustand und läuft die Kolonne gut isoliert (adiabat), so folgt aus einer Energiebilanz
Q Sumpfheizung = Q Dephlegmator + Q Destillatkondensator
(15.43)
500
15 Rektifikation
Kurzanleitung des methodischen Vorgehens
Im Folgenden finden Sie eine stichwortartige Zusammenfassung darüber, mit welchen Schritten eine kontinuierlich betriebene Rektifiktionskolonne ausgelegt werden könnte. 1. Kolonne skizzieren, Bezeichnung der Stoffströme eintragen (s. Abb. 15.1) 2. Stoffbilanz um die gesamte Kolonne erstellen, um fehlende Konzentrationen oder Stoffströme zu berechnen (Gln. 15.1-15.2) 3. Phasengleichgewicht ermitteln und ins McCabe-Thiele Diagramm einzeichnen (s. Kap. „Destillation“) 4. Schnittpunktsgerade ins Diagramm einzeichnen (Gl. 15.14) 5. minimales Rücklaufverhältnis bestimmen (grafisch oder Gl. 15.15) 6. praktisches Rücklaufverhältnis wählen (z.B. 1,5⋅vmin) 7. Verstärkungsgerade ins Diagramm einzeichnen (Gl. 15.9) 8. Abtriebsgerade ins Diagramm einzeichnen (Gl. 15.13) 9. Zahl der theoretischen Böden ermitteln (grafisch oder Gl. 15.16) 10.Einbauten wählen (s. Unterkapitel „Einbauten“) 11.Anzahl der effektiven Böden bzw. Kolonnenhöhe bestimmen (Gln. 15.18, 15.19, 15.25) 12.zulässige Dampfgeschwindigkeit bestimmen (nach Herstellerangaben) 13.Kolonnendurchmesser berechnen (Gln. 15.32-15.36) 14.Druckabfall in der Kolonne berechnen (Gln. 15.26-15.31) 15.Druckabfall kritisch bewerten, ev. andere Einbauten wählen (Punkt 10) 16.Heiz- und Kühlleistungen berechnen (Gln. 15.37-15.42) 17.jährliche Betriebskosten berechnen (gemäß betriebsinternen Kostensätzen) 18.Investitionskosten abschätzen (gemäß Hersteller- und Lieferantenofferten) 19.Summe aus Betriebs- und Investitionskosten ermitteln (Gegenwartskosten) 20.eventuell neues Rücklaufverhältnis wählen und die Punkte 7 bis 19 nochmals durchrechnen, um die Gesamtkosten zu minimieren
15.5 Sonderfälle der Rektifikation
501
15.5 Sonderfälle der Rektifikation Als Sonderfälle der Rektifikation gelten Rektifikationsverfahren zur Trennung von Stoffgemischen, die nicht in einer einzelnen, kontinuierlich betriebenen Kolonne getrennt werden können. Flüssigkeiten mit eng beieinander liegenden Siedepunkten sind schwierig zu trennen und bilden häufig auch Azeotrope. Zur Trennung solcher Flüssigkeitsgemische braucht es mehr als eine Kolonne und spezielle Verfahren wie z.B. die Zweidruckrektifikation, die extraktive Rektifikation oder die azeotrope Rektifikation. Bei Flüssigkeitsgemischen, die in geringen Mengen oder in wechselnder Zusammensetzung anfallen, ist eine Aufarbeitung in einer kontinuierlich betriebenen Kolonne zu aufwändig. Die Rektifikation wird dann mit Vorteil diskontinuierlich, d.h. absatzweise durchgeführt. Manchmal werden chemische Reaktionen mit einer Rektifikation kombiniert durchgeführt, sodass die Reaktionen und die Rektifikation gleichzeitig und im selben Apparat ablaufen. So können leichtflüchtige Reaktionsprodukte noch während der Reaktion entfernt werden, was das Reaktionsgleichgewicht zu den Produkten hin verschiebt. Die Ausbeute und der Umsatz pro Zeit werden verbessert. Eine Kombination von Reaktion und Rektifikation nennt man Reaktivdestillation. Zweidruckrektifikation
Die Zweidruckrektifikation verwendet zwei Kolonnen, die bei unterschiedlichen Drücken betrieben werden, und dient dazu, azeotrope Gemische zu trennen. Die zwei Kolonnen werden in Serie geschaltet. Die erste läuft unter Normaldruck, die zweite unter Vakuum. In der ersten Kolonne wird die reine leichterflüchtige Komponente und ein hoch siedendes Azeotrop gewonnen. Das Azeotrop wird in die zweite Kolonne geführt, wo die reine schwererflüchtige Komponente und ein niedrig siedendes Azeotrop erzeugt wird. Das niedrig siedende Azeotrop wird wieder in die erste Kolonne zurückgeleitet und dort getrennt (s. Abb. 15.18). Da sich die beiden Azeotrope in ihrer Zusammensetzung unterscheiden, können schließlich die reinen Komponenten gewonnen werden (s. Abb. 15.19). Die Zweidruckrektifikation ist wegen des Vakuumbetriebs der einen Kolonne relativ kostspielig. Eventuell können Heizkosten eingespart werden, indem man die Vakuumkolonne mit den Brüden der NormaldruckKolonne beheizt.
502
15 Rektifikation leichtflüchtige Komponente Azeotrop 2 (leichtflüchtig) Verdichter
Normaldruckkolonne (Hauptkolonne)
K2
Vakuumkolonne (Nebenkolonne)
Zulauf
Pumpe Drosselung schwerflüchtige Komponente
Azeotrop 1 (schwerflüchtig)
Abb. 15.18. Zweidruckrektifikation zur Trennung azeotroper Gemische, schematische Darstellung y
Zusammensetzung des Dampfs
1
Vakuum
Normaldruck
x
0 0
1 Zusammensetzung der Flüssigkeit
Abb. 15.19. Zweidruckrektifikation; Verschiebung des azeotropen Punkts durch Änderung des Drucks
15.5 Sonderfälle der Rektifikation
503
Extraktive Rektifikation
Ein azeotropes Gemisch kann auch dadurch getrennt werden, dass man einen Hilfsstoff zugibt. Der Hilfsstoff geht mit den Mischungskomponenten unterschiedlich starke Wechselwirkungen ein und verschiebt dadurch den azeotropen Punkt. Meist bildet der Hilfsstoff selbst ein azeotropes Gemisch mit einer der Mischungskomponenten, wobei sich dieses azeotrope Gemisch einfacher trennen lässt als das ursprüngliche. Die zugesetzten Hilfsstoffe werden auch Schleppmittel genannt. Bei der extraktiven Rektifikation (Distex-Verfahren) wird ein schwerflüchtiger Hilfsstoff gewählt, der sich selektiv mit einer Mischungskomponente „bindet“. Dadurch sinkt der Dampfdruck dieser Komponente. Die relative Flüchtigkeit der anderen Mischungskomponente steigt. Wird z.B. Anilin einem Gemisch aus Benzen und Cyclohexan zugesetzt, das einen azeotropen Punkt aufweist, so sinkt der Partialdruck des sonst leichtersiedenden Benzens so stark ab, dass es die Rolle der schwererflüchtigen Komponente übernimmt. Der azeotrope Punkt verschwindet (s. Abb. 15.20). y 1
Zusammensetzung des Dampfs (Benzen)
Benzen - Cyclohexan (ohne Zusatz)
Benzen - Cyclohexan + Anilin
x
0 0
1 Zusammensetzung der Flüssigkeit (Benzen)
Abb. 15.20. Extraktive Rektifikation: Eliminierung des azeotropen Punkts (Benzen-Cyclohexan) durch Zusatz eines schwerflüchtigen Hilfsstoffs (Anilin)
504
15 Rektifikation
Cyclohexan kann im Destillat einer ersten Rektifikationskolonne gewonnen werden. Die Mischung aus dem Hilfsstoff und dem schwererflüchtigen Benzen wird einer zweiten Rektifikationskolonne zugeführt und getrennt. Der schwerflüchtige Hilfsstoff wird rezykliert, d.h. erneut der ersten Kolonne zugeführt (s. Abb. 15.21).
K1
K2 Cyclohexan
Benzen
Benzen + Cyclohexan
Benzen + Anilin
Anilin
Abb. 15.21. Extraktive Rektifikation zur Trennung des azeotropen Gemischs Benzen-Cyclohexan, Hilfsstoff Anilin, schematische Darstellung
Azeotrope Rektifikation
Bei der azeotropen Rektifikation wird ein leichtflüchtiger Hilfsstoff zugegeben, der bei eng siedenden Gemischen als Azeotropbildner oder bei azeotrop siedenden Gemischen als Azeotropwandler wirkt. Der Hilfsstoff weist eine ähnliche Siedetemperatur auf wie die übrigen Flüssigkeitskomponenten. Das mit dem Hilfsstoff neu gebildete Azeotrop stellt ein Minimumazeotrop dar, das am Kopf der Kolonne leicht abgezogen werden kann. Im Sumpf der Kolonne wird die erste der beiden Mischungskomponenten in reiner Qualität erhalten (s. Abb. 15.22).
15.5 Sonderfälle der Rektifikation
505
Bevorzugt werden Hilfsstoffe eingesetzt, die mit der zweiten, azeotropbildenden Mischungskomponente bei niedriger Temperatur eine Mischungslücke aufweisen. So kann das Azeotrop am Kopf der Kolonne nach dem Kondensieren in einem Dekanter (Absetzbehälter, Phasenabscheider) in eine hilfsstoffreiche und eine hilfsstoffarme Phase aufgeteilt werden. Die hilfsstoffreiche Phase wird wieder in die Kolonne zurückgeführt, während die hilfsstoffarme Phase zwecks Gewinnung der zweiten Komponente in reiner Qualität in eine zweite Rektifikationskolonne eingeleitet wird.
Komponente 2 + Hilfsstoff
Hilfsstoff + Komponente 2 Kondensator
Hilfsstoff
B1
K1 Zulauf (Azeotrop)
K2 Dekanter
Komponente 2 + Hilfsstoff
Azeotrop-kolonne (Hauptkolonne)
Nebenkolonne
Komponente 1
Komponente 2
Abb. 15.22. Azeotrope Rektifikation zur Trennung eng siedender oder azeotroper Gemische, schematische Darstellung
Diskontinuierliche Rektifikation
Die diskontinuierliche (absatzweise) Rektifikation wird hauptsächlich verwendet, − wenn nur geringe Stoffmengen zu trennen sind, − wenn die Stoffmengen zu unregelmäßigen Zeiten anfallen, − wenn sich die Zusammensetzung häufig ändert.
506
15 Rektifikation
Bei der diskontinuierlichen Rektifikation wird das zu zerlegende Stoffgemisch in einer relativ großen Sumpfblase vorgelegt und auf Siedetemperatur erhitzt. Auf der Sumpfblase ist eine Rektifikationssäule aufgesetzt, die als reiner Verstärkungsteil arbeitet. Die aufsteigenden Brüden durchströmen den Rektifizieraufsatz nach oben und werden am Kopf der Säule kondensiert. Ein Teil des Kondensats läuft als Rücklauf im Gegenstrom zu den Brüden die Rektifikationssäule hinunter, ein anderer Teil wird als Kopfprodukt bzw. Destillat kontinuierlich abgezogen. Nach beendeter Rektifikation verbleibt in der Sumpfblase ein Flüssigkeitsgemisch, das als Sumpfprodukt v.a. die schwererflüchtigen Komponenten enthält (s. Abb. 15.23). Destillat Kondensator
Rücklauf
Heizung
Sumpfblase Vorlagen für die fraktionierte Rektifikation
Abb. 15.23. Diskontinuierliche (absatzweise) Rektifikation, schematische Darstellung
Da im Kopfprodukt hauptsächlich die leichterflüchtige Komponente abgezogen wird, verarmt der Sumpf mit der Zeit an der leichterflüchtigen Komponente. Dadurch sinkt nach und nach auch der leichterflüchtige Anteil in den Brüden oberhalb des Sumpfs. Es bestehen zwei Verfahrensvarianten. Entweder wird das Rücklaufverhältnis laufend erhöht, sodass die Zusammensetzung des Kopfprodukts konstant bleibt, oder das Rücklaufverhältnis bleibt unverändert, wodurch der schwererflüchtige Anteil im Kopfprodukt laufend zunimmt. Eine konstante Destillatqualität wird dadurch erzielt, dass der Rücklauf während der Rektifikation ständig erhöht wird. Dadurch steigt die Anzahl der theoretischen Trennstufen im Rektifizieraufsatz und das Kopfprodukt hat trotz verschlechterter Sumpfqualität stets dieselbe Zusammensetzung.
15.5 Sonderfälle der Rektifikation
507
Dafür nimmt der Destillatstrom mit der Zeit ab. Die Rücklaufmenge wird prozesstechnisch über die Destillatkonzentration geregelt. Wird das Rücklaufverhältnis konstant gehalten, so muss zwangsläufig der Anteil der schwererflüchtigen Komponente im Destillat zunehmen, da auch dessen Anteil im Sumpf laufend zunimmt. Das Destillat mit dem höchsten Anteil an leichterflüchtigen Komponenten wird zu Beginn der Rektifikation erzeugt. Danach enthält das Destillat immer mehr höhersiedende Komponenten. Durch Verwendung verschiedener Vorlagen können Kopfprodukte mit unterschiedlicher Zusammensetzung gewonnen werden (fraktionierte Rektifikation). Die diskontinuierliche Rektifikation mit konstantem Rücklaufverhältnis eignet sich deshalb sehr gut zur Trennung von Mehrkomponentengemischen. Ein weiterer Vorteil ist die einfache Regelung der Mengenströme. Die Konzentrationen im Destillat und im Sumpf vor und nach der Rektifikation können aus einer Stoffbilanz hergeleitet werden. n S,0 ⋅ (x D − x S, 0 ) = n S ⋅ (x D − x S ) Symbole: nS,0 = Gesamtzahl der Mole im Sumpf zu Beginn der Rektifikation nS = Gesamtzahl der Mole im Sumpf am Ende der Rektifikation x D = mittlere Zusammensetzung des Destillats xS,0 = Zusammensetzung des Sumpfs zu Beginn der Rektifikation xS = Zusammensetzung des Sumpfs am Ende der Rektifikation
(15.44) [mol] [mol] [-] [-] [-]
Reaktivdestillation
Die Rektifikation kann mit einer chemischen Reaktion kombiniert werden, sodass parallel zur Rektifikation eine chemische Reaktion stattfindet. Der Vorteil der Verknüpfung von Rektifikation bzw. Destillation mit einer Reaktion im gleichen Apparat besteht darin, dass ein leichtflüchtiges Reaktionsprodukt durch den Verdampfungsvorgang laufend aus dem Reaktionsgemisch abgezogen werden kann und sich das Reaktionsgleichgewicht einer reversiblen Reaktion auf die Seite der Produkte verschiebt. Die Reaktion wird dadurch beschleunigt und läuft selektiver ab. Folgereaktionen können unterbunden werden. Auch Energieeinsparungen sind möglich, da das Produkt nach der Reaktion zur destillativen Aufarbeitung nicht erneut erwärmt werden muss.
508
15 Rektifikation
Voraussetzung für eine sinnvolle Verbindung einer Reaktion mit einer Destillation bzw. Rektifikation ist, dass die Reaktion beim Betriebsdruck und der Betriebstemperatur des Verdampfungsprozesses einen vernünftigen Umsatz bei guter Selektivität ergibt. Sowohl homogene als auch heterogene Reaktionen sind möglich.
15.6 Fragen aus der Praxis Auslegung einer Rektifikationskolonne
Ein binäres Lösungsmittelgemisch hat eine relative Flüchtigkeit von 3 und wird in einer Bodenkolonne durch Rektifikation getrennt. Das Gemisch wird im Siedezustand (am Kochpunkt) in die Kolonne eingespiesen. Die molare Zusammensetzung des Zulaufs ist 60% an leichterflüchtiger Komponente und 40% an schwererflüchtiger Komponente. Das Kopfprodukt soll zu 90%, das Sumpfprodukt zu 95% rein sein. Wie soll die Kolonne ausgelegt werden? Führt das im Folgenden vorgeschlagene Vorgehen zum Erfolg? a) Berechnen einer Tabelle mit den korrespondierenden molaren Zusammensetzungen der flüssigen und der dampfförmigen Phase. b) Zeichnen des McCabe-Thiele Diagramms. c) Zeichnen der Schnittpunktsgeraden und Beschriftung derselben. d) Grafisches Bestimmen des minimalen Rücklaufverhältnisses. e) Wahl eines betrieblich vernünftigen Rücklaufverhältnisses. f) Eintragen der betrieblichen Verstärkungs- und Abtriebsgeraden in das McCabe-Thiele Diagramm. g) Grafisches Bestimmen der theoretisch nötigen Anzahl Böden in der Kolonne. h) Festlegen der Anzahl der Böden, die es in der Kolonne realistisch gesehen braucht. i) Bestimmen der Höhe bzw. des Bodens, auf welchem der Zulauf in die Kolonne erfolgen soll. Heizleistung und Kolonnendurchmesser
Eine Rektifikationskolonne wird mit einer Heizleistung von 60 kW betrieben. Der Sumpf enthält eine Mischung aus Chlorbenzen und Ethylbenzen. Dem Sumpf entweichen Brüden mit einem Molanteil von 40% Ethylbenzen. Die Rektifikation läuft unter Normaldruck bei 1 bar. Die Siedetempe-
15.7 Literatur
509
ratur beträgt ungefähr 134 °C. Die Leerrohrgeschwindigkeit soll 2 m/s nicht überschreiten. Die Stoffdaten von Chlorbenzen und Ethylbenzen sind der Tabelle 15.3 zu entnehmen. Tabelle 15.3. Stoffdaten von Chlorbenzen und Ethylbenzen Eigenschaft Siedepunkt bei 1 bar molare Masse Verdampfungsenthalpie
Chlorbenzen 131,7 °C 112,6 g/mol 35,71 kJ/mol
Ethylbenzen 136,2 °C 106,2 g/mol 35,64 kJ/mol
a) Wie groß ist der Molenstrom der Brüden unten in der Kolonne? b) Wie groß ist der Volumenstrom der Brüden unten in der Kolonne? c) Wie groß soll der Kolonnendurchmesser gewählt werden? Vakuumrektifikation
Wann ist eine Rektifikation unter Vakuum einer solchen unter Normaldruck vorzuziehen? Welches sind die Vor- und Nachteile einer Vakuumrektifikation?
15.7 Literatur (Literaturstellen zu Stoffdaten s. Kap. „Destillation“) [1] Billet R (1973) Industrielle Destillation. Chemie, Weinheim [2] Kirschbaum E (1969) Destillier- und Rektifiziertechnik. 4 Aufl, Springer, Berlin Heidelberg New York [3] Schlünder E, Thurner F (1986) Destillation, Absorption, Extraktion. Thieme, Stuttgart [4] Grassmann P, Widmer F, Sinn H (1997) Einführung in die thermische Verfahrenstechnik. 3 Aufl, de Gruyter, Berlin New York [5] Grassmann P (1983) Physikalische Grundlagen der Verfahrenstechnik. 3 Aufl, Sauerländer, Aarau [6] Mersmann A (1980) Thermische Verfahrenstechnik. Springer, Berlin Heidelberg New York [7] Sattler K (1988) Thermische Trennverfahren - Grundlagen, Auslegung, Apparate. VCH, Weinheim [8] Sattler K, Kaspar W (2000) Verfahrenstechnische Anlagen - Planung, Bau und Betrieb. Wiley-VCH, Weinheim, Bd 1-2 [9] Verein Deutscher Ingenieure (1997) VDI-Wärmeatlas. 8 Aufl, Springer, Berlin Heidelberg New York
510
15 Rektifikation
[10]Vauck W, Müller H (1994) Grundoperationen chemischer Verfahrenstechnik. 10 Aufl, Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig [11]Ignatowitz E (1997) Chemietechnik. 6 Aufl, Europa-Lehrmittel, HaanGruiten [12]Bockhardt H et al (1997) Grundlagen der Verfahrenstechnik für Ingenieure. 4 Aufl, Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Stuttgart [13]Philipp H (1980) Einführung in die Verfahrenstechnik. Sauerländer, Aarau [14]Weiss S et al (1974) Thermische Verfahrenstechnik I. VEB Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig
16 Trocknung
16.1 Einleitung Prinzip der Trocknung Unter Trocknung versteht man ganz allgemein das Abtrennen von Flüssigkeiten aus feuchten Gütern. − Feuchte Gase können beispielsweise mit Hilfe von Molekularsieben durch Adsorption, mit Hilfe von CaCl2 durch Bildung von Kristallwasser oder mit Hilfe von kalten Oberflächen durch Kondensation getrocknet werden. − Wasserhaltige Flüssigkeiten können mit Hilfe von hygroskopischen Trocknungsmitteln wie wasserfreiem Kalziumchlorid (CaCl2) oder Natriumsulfat (Na2SO4) durch Bildung von Kristallwasser oder Phosphorpentoxid (P2O5) durch chemische Umsetzung zu Phosphorsäure getrocknet werden. Ebenso ist eine thermische Trocknung z.B. mittels Destillation möglich. − Wasserhaltige Feststoffe können mechanisch vorentwässert und durch Zufuhr von Wärme weiter gehend getrocknet werden. Die folgenden Darstellungen beziehen sich ausschließlich auf den Trocknungsvorgang an feuchten Feststoffen. Das thermische Trocknen durch Zufuhr von äußerer Wärme ist sehr Energie intensiv. Es wird deshalb angestrebt, die Feuchte vorgängig zum thermischen Verfahren so weit als möglich durch Anwendung von weniger aufwändigen mechanischen Verfahren zu reduzieren. So gehen dem Trocknungsprozess unter Zufuhr von Wärme meistens Einheitsverfahren wie Sedimentieren, Filtrieren, Zentrifugieren oder Abpressen voran (s. Abb. 16.1). Das Trocknen unterscheidet sich vom Eindampfen (s. Kap. „Verdampfen“) dadurch, dass nur eine geringe Menge an Flüssigkeit abzutrennen ist.
512
16 Trocknung
Feuchtes Gut
Mechanische Vorentwässerung
Thermische Trocknung
Trockenes Gut Abb. 16.1. Unterteilung der Trocknung eines Guts in mechanische und thermische Verfahrensschritte
Der eigentliche Trocknungsprozess kann in mehrere Teilschritte zergliedert werden. Zunächst wird Wärme durch Leitung, Konvektion, Strahlung oder Induktion von außen an das Gut herangeführt oder im Gutsinnern erzeugt (s. Kap. „Wärmeübertragung“). Die Wärme dient dazu, die im Feststoff enthaltene Flüssigkeit zu verdunsten oder zu verdampfen. Der entstandene Dampf muss dann aus dem Gutsinnern abgeführt werden. Es gilt zu verhindern, dass sich der Dampf beim Abkühlen des Guts wieder auf oder im Gut niederschlägt. Häufig wird der Dampf außerhalb des Trocknungsapparats kondensiert. So können wertvolle Lösungsmittel zurückgewonnen werden. Bei der thermischen Trocknung laufen die Wärme- und Stofftransportvorgänge gekoppelt ab. Durch die Wärmezufuhr steigt die Gutstemperatur und damit der Dampfdruck der Flüssigkeit im Gutsinnern. Dies bewirkt ein Partialdruckgefälle vom Gutsinnern nach außen, wodurch der Stofftransport des Dampfs einsetzt. Gleichzeitig wird dem Gut durch die Verdampfung die Verdampfungsenthalpie entzogen, wodurch die Temperatur im Gutsinnern sinkt. Dadurch entsteht ein treibendes Temperaturgefälle, das den Wärmetransport von außen nach innen weiter begünstigt. Der Entzug der Verdampfungsenthalpie (Verdunstungskälte) führt in der Praxis zu einer Gutstemperatur, die z.B. bei einer konvektiven Trocknung mit Luft stets unterhalb der Lufttemperatur liegt. Näheres zum kombinierten Wärme- und Stofftransport findet sich im Kapitel „Stofftransport“ sowie später in diesem Kapitel unter dem Titel „Zustandsänderung der feuchten Luft“.
16.1 Einleitung
513
Ist das Gut an der Oberfläche genügend feucht, so wird die Trocknungsgeschwindigkeit ausschließlich von den Wärme- und Stoffübergängen an seiner Oberfläche bestimmt. So können die bekannten Nusselt- und Sherwood-Beziehungen verwendet werden, wie sie in den Kapiteln „Wärmeübertragung“ und „Stofftransport“ vorgestellt wurden. Ist das Gut an der Oberfläche bereits trocken, so wandert die Grenze zwischen trockenem und feuchtem Gut langsam ins Gutsinnere hinein. Diese Feuchtigkeitsgrenze wird Trockenspiegel genannt. Die Trocknungsgeschwindigkeit hängt jetzt auch von der Wärmeleitung und der Möglichkeit der Feuchtewanderung im Gut ab. Maßgebende Faktoren sind die Hygroskopie, die Porenstruktur und die Wärmeleitfähigkeit in den feuchten bzw. angetrockneten Gutsschichten. Der thermische Trocknungsprozess kann auf verschiedene Art und Weise günstig beeinflusst bzw. beschleunigt werden: − vorgängige Entfernung von Flüssigkeit durch mechanische Verfahren − vorgängige Zerkleinerung des feuchten Guts (Vergrößerung der spezifischen Oberfläche) − Vorwärmen des feuchten Guts mit warmer Abluft − Zugabe von Tensiden (Verdrängung von Feuchte aus dem Gutsinnern) − Neutralisation von Säuren (Säuren bewirken eine Dampfdruckerniedrigung) − fortwährendes Umschichten, ev. Fluidisieren des feuchten Guts − Rückführung von trockenem Gut (verhindert Verkleben des Trockners) Die Trocknung ist eines der wichtigsten thermischen Verfahren überhaupt. Es findet Anwendung bei Brennstoffen, Baustoffen, Farbstoffen, Papier, Pharmazeutika, Lebensmitteln, Genussstoffen und vielen weiteren Produkten. Mit der Trocknung bezweckt man unter anderem − eine Reduktion des Volumens bzw. der Masse (Beispiel: Vereinfachung von Lagerung und Transport), − eine Erhöhung der Haltbarkeit (Beispiel: Unterdrückung der Fäulnis und Zersetzung bei Lebensmitteln und Medikamenten), − eine Verbesserung der Handhabbarkeit bzw. Applikation (Beispiel: sichere Ausbringung von Agrochemikalien). Art der Wärmeübertragung Je nach Art der Wärmeübertragung unterscheidet man verschiedene Trokknungsverfahren. Die Wärme kann grundsätzlich durch Leitung, Konvektion, Strahlung oder Induktion dem Gut zugeführt werden (s. Abb. 16.2).
514
16 Trocknung
Das Ziel der Wärmeübertragung bleibt stets, die Gutstemperatur und damit den Dampfdruck im Gut zu erhöhen. Nur wenn der Dampfdruck im Gut über dem Dampfdruck in der umgebenden Gasphase liegt, kann die Trocknung ablaufen. Ist dabei der Partialdruck des Dampfs kleiner als der Umgebungsdruck, so spricht man von einer Verdunstung. Ist der Partialdruck des Dampfs geringfügig größer als der Umgebungsdruck, so spricht man von einer Verdampfung.
Leitung
Konvektion nL
nD Q
nD
Q Induktion
Strahlung Q nD
nD Q
Abb. 16.2. Unterschiedliche Arten der Wärmeübertragung auf das feuchte Gut; = übertragener Wärmestrom, n = Luftstrom, n = Dampfstrom Q L
D
Bei der Kontakttrocknung berührt das feuchte Gut eine beheizte Oberfläche. Die Wärme wird durch Leitung auf das Gut übertragen. Damit das Gut örtlich nicht überhitzt, darf es nur in einer dünnen Schicht auf der beheizten Oberfläche aufliegen und wird meistens mehrmals umgelagert. Da die Wärmeleitung bei dichten Stoffen besser ist als bei porösen, eignet sich die Kontakttrocknung vor allem für pastöse und flüssige Medien. Häufig wird die Kontakttrocknung durch Vakuum unterstützt.
16.1 Einleitung
515
Bei der Konvektionstrocknung umströmt ein heißes Gas das feuchte Gut. Es können auch Rauchgase zum Einsatz kommen, sofern das Gut und deren spätere Verwendung dies erlauben. Bei brennbaren Gütern werden manchmal Inertgase verwendet. Das feuchte Gut kann vom Gas überstrichen, durchspült, aufgewirbelt oder mitgerissen werden. Das Gas liefert nicht nur die Verdampfungsenergie, sondern führt die feuchten Dämpfe auch mit sich ab. Bei diesem kombinierten Wärme- und Stofftransport ist es wichtig, dass das Gas sowohl heiß und trocken als auch mit hoher Relativgeschwindigkeit zum Gut in den Trockner gelangt. Die Konvektionstrocknung ist vor allem für poröse, körnige und nicht staubende Güter geeignet und wird von allen Trocknungsverfahren am häufigsten angewandt. Bei der Strahlungstrocknung wird die Wärme durch Infrarotstrahlung an das Gut übertragen. Wegen der hohen Strahlungsleistung von bis zu 10 kW/m2 trocknet das Gut sehr schnell aus. Da die Infrarotstrahlen teilweise ins Gutsinnere vordringen können, erfolgt die Trocknung zum Teil auch von Innen heraus, wodurch an der Oberfläche keine Schwindrisse entstehen und sich auch keine Haut bildet. Dies ist vor allem bei dünnen Lackschichten oder Keramiken von Vorteil, wenn eine kurze Trocknungszeit verlangt wird. Bei strahlenundurchlässigen Gütern droht jedoch die Gefahr einer oberflächlichen Überhitzung, weshalb diese Güter wiederholt gewendet bzw. umgeschichtet werden müssen. Bei der Induktionstrocknung, die auch als Hochfrequenztrocknung oder dielektrische Trocknung bezeichnet wird, befindet sich das feuchte Gut als Dielektrikum zwischen den beiden Elektroden eines Plattenkondensators und wird einem hochfrequenten elektrischen Feld ausgesetzt. Im dauernd wechselnden Magnetfeld verschieben sich gelöste Ionen und richten sich Dipole wie z.B. Wassermoleküle durch Drehung laufend aus, was zu einer inneren Reibung beziehungsweise Wärmeentwicklung auf molekularer Ebene führt. Die Wärme entwickelt sich bevorzugt gerade dort, wo die Feuchte am höchsten ist, was sich als großer Vorteil erweist. Die Trocknung erfolgt vom Gutsinnern nach außen. Die Frequenzen liegen zwischen 2 und 100 MHz. Bei der im Nahrungsmittelbereich verbreitet angewendeten Mikrowellentrocknung sind es gar 2'450 MHz. Trotz der aufwändigen Energieerzeugung fallen die spezifischen Energiekosten bescheiden aus. Die Hochfrequenztrocknung wird bei schlecht wärmeleitenden, hochwertigen Stoffen angewandt, bei denen eine Verformung oder Bildung von Schwindrissen vermieden werden soll. Anwendungsbeispiele sind Edelhölzer, Keramiken, Lebensmittel und Genussstoffe. Ungeeignet zur Induktionstrocknung sind Güter mit apolaren Lösungsmitteln wie z.B. Kohlenwasserstoffe oder brennbare Lösungsmittel.
516
16 Trocknung
Selbstverständlich können in der Praxis auch Kombinationen der oben aufgeführten Möglichkeiten der Wärmezufuhr auftreten. Der entstandene Dampf muss bei allen vorgestellten Trocknungsverfahren vom Gut weggeführt werden. Dies geschieht in der Regel mit Luft unter Normaldruck. Der Dampf kann aber auch durch Anlegen eines Vakuums abgezogen werden. Ob Zufuhr von Frischluft oder Anlegen eines Vakuums, beides führt zu einer Erniedrigung des Partialdrucks des Dampfs in der Gasphase, was den Feuchtetransport in Gang setzt. Wird die Trocknung unter Normaldruck durchgeführt, spricht man von einer Normaldrucktrocknung, bei Verwendung von Vakuum von einer Vakuumtrocknung. Liegt die Gutstemperatur beim Trocknen im Vakuum unterhalb der Gefriertemperatur der gebundenen Flüssigkeit, so spricht man von einer Gefriertrocknung. Die gefrorene Gutsfeuchte geht dann direkt vom festen in den gasförmigen Zustand über, d.h. sie sublimiert. Aus diesem Grund wird die Gefriertrocknung auch Sublimationstrocknung genannt. Die Vakuumtrocknung und im speziellen die Gefriertrocknung werden vorwiegend für Wärme empfindliche Stoffe eingesetzt.
16.2 Zustandsänderung des feuchten Guts Feuchtigkeitsbindung Das zu trocknende Gut kann als Feststoff (Pulver, Flocken, Körner, Fasern, Folien), als Brei (Schlamm, Paste, Creme) oder als Flüssigkeit (konzentrierte Lösung, Suspension) auftreten. Die Feuchte kann darin in verschiedener Art enthalten sein, so z.B. als Oberflächenflüssigkeit, Zwickelflüssigkeit, Kapillarflüssigkeit, Quellflüssigkeit oder als chemisch gebundene Flüssigkeit (s. Abb. 16.3). Als Oberflächenflüssigkeit bedeckt sie die äußere Gutsoberfläche in Form eines dünnen Films. Der Dampfdruck an der Gutsoberfläche entspricht dann exakt dem Sättigungsdruck der Flüssigkeit bei der entsprechenden Gutstemperatur. Der Dampfdruck kann aus einer DruckTemperatur-Beziehung, eventuell unter Berücksichtigung einer Dampfdruckerniedrigung durch einen gelösten Stoff, hergeleitet werden (s. Kap. „Verdampfen“). Als Zwickelflüssigkeit liegt die Feuchte zwischen den Körnern einer Schüttung vor. Oftmals kann die Zwickelflüssigkeit durch mechanische Verfahren wie z.B. Zentrifugation nur ungenügend abgetrennt werden, da sie durch Adhäsionskräfte zwischen den Körnern haften bleibt.
16.2 Zustandsänderung des feuchten Guts
517
Als Kapillarflüssigkeit ist die Feuchte in durchgängigen Poren oder geschlossenen Hohlräumen im Innern des Guts enthalten. Wegen der Oberflächenspannung der Flüssigkeit sinkt der Dampfdruck in kleinen Kapillaren. Das Gut wird hygroskopisch. Bis zu einer Kapillargröße von 0,1 µm ist dieser Effekt noch vernachlässigbar. Darunter wird die Dampfdruckerniedrigung mit der Gl. 16.1 berechnet.
∆p σ =
4σ d
(16.1)
Symbole: ∆pσ = Dampfdruckerniedrigung in Kapillaren [Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2] σ = Oberflächenspannung [N/m] = [J/m2] = [kg⋅s-2] d = Kapillardurchmesser [m]
Als Quellflüssigkeit ist die Feuchte ein Bestandteil der festen Phase und durchdringt diese vollständig. Zwischen der Flüssigkeit und dem Feststoff wirken osmotische Kräfte. Ein Feststoff mit Quellflüssigkeit ist gelartig und hygroskopisch. Während des Trocknens schrumpft das Volumen des Guts, bei Zugabe von Flüssigkeit wächst es wieder an. Als chemisch gebundene Flüssigkeit ist die Feuchte entweder in Form von Kristallwasser wie z.B. bei CaCl2⋅ 2H2O oder in Form von Ionen wie z.B. bei Ca(OH)2 im Feststoff enthalten. Chemisch gebundene Flüssigkeit lässt sich in der Regel erst bei hohen, durch die chemische Bindung klar definierten Zersetzungstemperaturen entfernen. Diesen speziellen Trocknungsvorgang nennt man Kalzinieren. Oberflächenflüssigkeit Zwickelflüssigkeit
Kapillarflüssigkeit
Quellflüssigkeit
chemisch gebundene Flüssigkeit
Abb. 16.3. Feuchtigkeitsbindung in einem Feststoff
Hygroskopische Güter sind solche, bei denen der Dampfdruck der gebundenen Flüssigkeit unter dem Dampfdruck der gleichen Flüssigkeit bei gleicher Temperatur im freien Zustand liegt. Solange das umgebende Gas
518
16 Trocknung
20%
t ons
.
T2 > T1 T3 > T 2
10% T
Kapillarkondensation/ -verdampfung
k T 1=
Absorption/ Desorption
30%
QuellKapillarZwickelflüssigkeit flüssigkeit flüssigkeit
40%
XG
Feuchtebeladung des Guts
Dampf enthält, wird ein hygroskopisches Gut immer auch Feuchte enthalten. Eine vollständige Trocknung eines hygroskopischen Guts gelingt somit nur mit einem absolut trockenen Gas oder bei einer ziemlich hohen Temperatur. Maßgebend für die Hygroskopie eines Stoffes sind seine Quellfähigkeit, seine mikroporöse Struktur (Kapillaren mit d < 0,1 µm) und eventuell in der Gutsfeuchte gelöste schwerflüchtige Stoffe (Dampfdruckerniedrigung s. Kap. „Verdampfen“). Sorptionsisothermen beschreiben den Feuchtegehalt eines Guts bei konstanter Temperatur und bilden eine wichtige Grundlage zur Auslegung eines Trocknungsprozesses. Sie geben die Flüssigkeitsbeladung des Guts als Funktion der relativen Feuchte des umgebenden Gases im physikalischchemischen Gleichgewicht an. Die Abbildung 16.4 zeigt beispielhaft die Adsorptionsisothermen eines hygroskopischen, kapillarporösen Guts.
0% 0%
20%
40%
60%
80%
100%
relative Luftfeuchtigkeit ϕ Abb. 16.4. Adsorptionsisothermen eines hygroskopischen, kapillarporösen Guts
16.2 Zustandsänderung des feuchten Guts
519
Trocknungsverlauf
Bei einer Trocknung verschwindet als erstes die Oberflächen- und Zwikkelflüssigkeit, dann die Kapillar- und schließlich die Quellflüssigkeit. Die chemisch gebundene Flüssigkeit bleibt üblicherweise im Feststoff enthalten. Zur Bestimmung der benötigten Trocknungszeit wird der Trocknungsverlauf des feuchten Guts experimentell aufgenommen. Der Trocknungsverlauf lässt sich auf drei verschiedene Arten darstellen (s. Abb. 16.5): 1. Feuchtegehalt des Guts als Funktion der Zeit 2. Trocknungsgeschwindigkeit als Funktion der Zeit 3. Trocknungsgeschwindigkeit als Funktion des Feuchtegehalts Der Feuchtegehalt des Guts XG wird als Flüssigkeitsbeladung auf die Masse des trockenen Guts bezogen (kg Flüssigkeit pro kg trockenes Gut). Die Trocknungsgeschwindigkeit -dXG/dt entspricht dem Betrag der ersten zeitlichen Ableitung des Feuchtegehalts XG. Wie aus der Abb. 16.5 ersichtlich ist, kann der Trocknungsverlauf in maximal drei Abschnitte unterteilt werden. Nach einer kurzen Anlaufperiode hat das Gut seine Gleichgewichtstemperatur mit der umgebenden Luft erreicht. Diese Temperatur entspricht der so genannten Kühlgrenztemperatur, die im Unterkapitel „Zustandsänderung der Luft“ näher vorgestellt wird. Es beginnt der erste Trocknungsabschnitt. Im ersten Trocknungsabschnitt ist die Trocknungsgeschwindigkeit konstant und die Gutsfeuchte nimmt zeitlich linear ab. Die Gutsoberfläche ist während des gesamten ersten Trocknungsabschnitts von einem dünnen Flüssigkeitsfilm bedeckt. Verdampfte Flüssigkeit wird durch Kapillarwirkung dauernd aus dem Gutsinnern nachgeliefert. Die Gutstemperatur bleibt konstant bei der Kühlgrenztemperatur. Die Trocknungsgeschwindigkeit hängt somit nur vom Zustand der feuchten Luft (Temperatur, Feuchtigkeit) und der Anströmgeschwindigkeit des Guts ab. Die Berechnung der Trocknungsgeschwindigkeit ist relativ einfach und wird entweder aus dem Experiment oder über Sherwoodbeziehungen hergeleitet (Stoffübergang s. Kap. „Stofftransport“). Gegen Ende des ersten Trocknungsabschnitts trocknen die größten Poren aus. Der Anteil der mit Flüssigkeit benetzten Gutsoberfläche nimmt dann ab.
16 Trocknung
2. Knickpunkt
X G, E max X G, E
Trocknungsgeschwindigkeit
b)
1. Knickpunkt
XG
Feuchtebeladung des Guts
a)
1. Knickpunkt
- dX G /dt
520
2. Knickpunkt
Zeit t c)
Zeit t d) 2. Knickpunkt
2. Knickpunkt
Feuchtebeladung XG
- dt/dX G
1. Knickpunkt
- dX G /dt
Trocknungsgeschwindigkeit
1. Knickpunkt
t
X G,ω
X G,α XG
Abb. 16.5. Trocknungsverlauf in einem kapillarporösen Gut (--- hygroskopisch; ⎯ nicht hygroskopisch); a) Feuchtegehalt des Guts XG gegen Zeit t; b) Trocknungsgeschwindigkeit -dXG/dt gegen Zeit t; c) Trocknungsgeschwindigkeit -dXG/dt gegen Feuchtegehalt des Guts XG; d) Reziproke Trocknungsgeschwindigkeit –dt/dXG gegen Feuchtegehalt des Guts XG , die schraffierte Fläche entspricht der Trocknungszeit t; I: 1.Trocknungsabschnitt; II: 2.Trocknungsabschnitt; III: 3.Trocknungsabschnitt; XGα = Feuchtegehalt am Anfang; XGω = Feuchtegehalt am Ende der Trocknung; XG,E = Gleichgewichtsfeuchte bei hygroskopischen Gütern
Zu Beginn des zweiten Trocknungsabschnitts ist die Oberfläche ausgetrocknet. Der Trockenspiegel, d.h. die Grenze zwischen getrockneten und feuchten Teilen des Guts, verschiebt sich allmählich in das Gut hinein. Die Trocknungsgeschwindigkeit nimmt ab. Sie wird immer mehr durch die Transporteigenschaften der ausgetrockneten oberflächennahen Gutsschicht bestimmt. Die Temperatur der Gutsoberfläche steigt an, bis sie im Maximum die Temperatur der Luft erreicht. Viele Vorgänge sind mit einander gekoppelt wie z.B. der Wärmeübergang an der Oberfläche, die Wärmeleitung von der Gutsoberfläche durch die ausgetrocknete Schicht zum Trokkenspiegel, die Dampfdiffusion vom Trockenspiegel an die Gutsoberfläche
16.2 Zustandsänderung des feuchten Guts
521
und der Stoffübergang an der Oberfläche. Eine rein theoretische Berechnung ist wegen der vielen veränderlichen Einflussgrößen kaum mehr möglich. Am Übergang zwischen dem ersten und dem zweiten Trocknungsabschnitt zeigt sich ein deutlicher Knick. Der Knickpunkt entspricht einer kritischen Gutsfeuchte und ist für die Auslegung von Trocknungsprozessen sehr wichtig. Er wird von den Trocknungsbedingungen im ersten Trocknungsabschnitt (Anströmgeschwindigkeit, Temperatur, Luftfeuchte) und den Eigenschaften des Guts (Porosität, Quellfähigkeit, Form, Abmessung usw.) festgelegt. Bei nicht-hygroskopischen Gütern endet der zweite Trocknungsabschnitt mit der vollständigen Austrocknung des Guts, bei hygroskopischen geht er in einen dritten Trocknungsabschnitt über. Der dritte Trocknungsabschnitt beginnt, wenn das Gut die maximale hygroskopische Beladung XG,E max erreicht hat. Der dritte Trocknungsabschnitt hört zeitlich gesehen nie auf, da sich die Gutsfeuchte XG nur asymptotisch der Gleichgewichtsfeuchte XG,E nähert. Auch zwischen dem zweiten und dem dritten Trocknungsabschnitt kann sich ein Knickpunkt ergeben. a)
b) h
T
h
pD
T
pD
Flüssigkeitsfilm
Q mD
Trocknungsgas Gasgrenzschicht
feuchtes Gut
Ortshöhe
Ortshöhe
Q mD
Trockenspiegel
Gasgrenzschicht trockenes Gut
DD
feuchtes Gut
KL
KL T; pD
Temperatur; Dampfdruck
Trocknungsgas
T; pD Temperatur; Dampfdruck
Abb. 16.6. Temperatur- und Druckverlauf des Dampfs an der Oberfläche eines trocknenden Guts; T = Temperatur; pD = Dampfdruck; h = Ortskoordinate senkrecht zur Gutsoberfläche; DD = Dampf-Diffusion; KL = kapillare Leitung; a) Verdunstung an der Gutsoberfläche (1. Trocknungsabschnitt); b) Verdunstung im Gutsinnern (2. Trocknungsabschnitt)
522
16 Trocknung
Die Abbildung 16.6 zeigt schematisch den Temperatur- und Dampfdruckverlauf senkrecht zur Gutsoberfläche. Links ist die Oberflächenverdunstung im ersten Trocknungsabschnitt und rechts die Verdunstung aus dem Gutsinnern im zweiten Trocknungsabschnitt dargestellt. Während die treibende Temperatur- bzw. Partialdruckdifferenz bei der oberflächlichen Verdunstung ausschließlich in der anhaftenden Gasgrenzschicht liegt (links), befindet sie sich bei der Verdunstung im Gutsinnern hauptsächlich in der ausgetrockneten oberflächennahen Gutsschicht (rechts). Links wird die Feuchtigkeit durch kapillare Sogwirkung an die Gutsoberfläche geführt, rechts erfolgt die Ableitung der Feuchtigkeit aus dem Gutsinnern durch reine Dampfdiffusion. Die Trocknung verlangsamt sich mit fortschreitendem Absinken des Trockenspiegels.
16.3 Zustandsänderung der feuchten Luft Eigenschaften der feuchten Luft
Feuchte Luft ist eine Mischung aus trockener Luft und Wasserdampf.
m1+ Y = m L + m D Symbole: m1+Y = Masse feuchter Luft mL = Masse trockener Luft mD = Masse Wasserdampf
(16.2) [kg] [kg] [kg]
Beim Trocknen ändert sich zwar die Wasserdampfmenge in der feuchten Luft, nicht aber die Masse an trockener Luft. Aus diesem Grund bezieht man die Zustandsgrößen stets auf die Masse trockener Luft. Die Wasserdampfbeladung der Luft, auch Feuchtegehalt genannt, ist definiert als Y= Symbol:
mD mL
(16.3)
Y = Wasserdampfbeladung bzw. Feuchtegehalt der Luft [kg/kg]
Die Mischung aus trockener Luft und Wasserdampf verhält sich nahezu ideal. Unter Verwendung des idealen Gasgesetzes kann die Gl. 16.3 umgeformt werden zu Y=
pD ⋅ M W (p tot − p D ) ⋅ M L
(16.4)
16.3 Zustandsänderung der feuchten Luft Symbole: pD =
Dampfdruck, Partialdruck von Wasserdampf ptot = Gesamtdruck, Umgebungsdruck MW = molare Masse von Wasser M L = mittlere molare Masse von Luft
523
[Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2] [Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2] [kg⋅mol-1] [kg⋅mol-1]
Setzt man die numerischen Werte für die molaren Massen in die Gl. 16.4 ein, so erhält man Y = 0,622 ⋅
(16.5)
pD (p tot − p D )
Die relative Feuchtigkeit von Luft ist definiert als
ϕ=
(16.6)
pD * p W (T )
Symbole: ϕ = relative Luftfeuchtigkeit
[-]
p *W (T ) = Sättigungsdruck von Wasser bei der Lufttemperatur T
= Dampfdruck reinen Wassers
[Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2]
Die relative Feuchtigkeit einer realen Luft schwankt stets zwischen 0 und 100%. Aus den Gleichungen 16.5 und 16.6 folgt eine Beziehung zwischen der Feuchtebeladung der Luft Y und der relativen Luftfeuchtigkeit ϕ. Y = 0,622 ⋅
ϕ ⋅ p *W
(16.7)
( p tot − ϕ ⋅ p *W )
Der Sättigungsdruck des Wasserdampfs nimmt gemäß der Beziehung von Clausius-Clapeyron exponentiell mit der Temperatur zu (s. Kap. “Verdampfen”). Bei einer Temperaturerhöhung sinkt die relative Luftfeuchtigkeit, sofern der Feuchtegehalt der Luft gleich bleibt. Parallel dazu vergrößert sich das Trocknungsvermögen der Luft. Umgekehrt steigt die relative Feuchtigkeit und verkleinert sich das Trocknungsvermögen einer Luftmasse, wenn sie abgekühlt wird. Die spezifische Enthalpie der feuchten Luft setzt sich additiv aus den Enthalpien der trockenen Luft und des Wasserdampfs in der Luft zusammen. Die spezifische Enthalpie wird wie alle Zustandsgrößen beim Trocknen auf die trockene Luftmasse bezogen. 1 kg trockener Luft entspricht (1+Y) kg feuchter Luft. Für die spezifische Enthalpie gilt daher
524
16 Trocknung
h 1+ Y = h L + Y ⋅ h D
(16.8)
Symbole: h1+Y = spezifische Enthalpie von feuchter Luft = Enthalpie pro (1+Y) kg feuchte Luft [J/kg] = [m2⋅s-2] hL = spez. Enthalpie von trockener Luft [J/kg] = [m2⋅s-2] hD = spez. Enthalpie von Wasserdampf [J/kg] = [m2⋅s-2]
Per Definition wird die spezifisch Enthalpie von Luft und Wasser bei 0°C gleich Null gesetzt. Somit ergibt sich für die spezifische Enthalpie der feuchten Luft h 1+ Y = c p L ⋅ ϑ + Y ⋅ (∆h v W ( 0°C) + c p D ⋅ ϑ) Symbole: ϑ = Temperatur in °Celsius cpL = spezifische Wärmekapazität von [J⋅kg-1⋅K-1] = trockener Luft cpD = spezifische Wärmekapazität von [J⋅kg-1⋅K-1] = Wasserdampf [J/kg] = ∆hvW(0°C) = Verdampfungsenthalpie von Wasser bei 0 °C (= 2'500 kJ/kg)
(16.9) [°C] [m2⋅s-2⋅K-1] [m2⋅s-2⋅K-1] [m2⋅s-2]
Bis 50 °C bleiben die spezifischen Wärmekapazitäten ziemlich konstant. Es gilt demnach in guter Näherung h 1+ Y = {(1,00 ⋅ ϑ / °C) + Y ⋅ (2'500 + 1,86 ⋅ ϑ / °C)} kJ ⋅ kg −1
(16.10)
Die spezifische Enthapie h1+Y und die Feuchtebeladung Y können auch grafisch dargestellt werden. Um den Bereich der feuchten Luft möglichst groß zu gestalten, wird das Koordinatensystem schiefwinklig gewählt. Die Isenthalpen verlaufen so in einem Winkel von ca. 45° als Geraden von links oben nach rechts unten. Diese Art der Darstellung wurde erstmals 1923 von Herrn Mollier gewählt. Ein solches Mollier-Diagramm für einen Gesamtdruck von 1 bar und einen Temperaturbereich von 0 bis 180 °C ist in der Abb. 16.7 wiedergegeben. Das Mollier-Diagramm gilt immer nur für einen vorgegebenen Gesamtdruck.
16.3 Zustandsänderung der feuchten Luft
525
Abb. 16.7. Mollier-Diagramm für feuchte Luft bei einem Gesamtdruck von 1 bar; Grafik adaptiert aus [7]
Die Sättigungslinie ϕ = 1 unterteilt das Diagramm in zwei Bereiche. Oberhalb der Sättigungslinie befindet sich das Gebiet der untersättigten, feuchten Luft (ϕ < 1). Unterhalb der Sättigungslinie ist die Luft an Wasserdampf übersättigt (ϕ > 1). Die überschüssige Feuchtigkeit ist hier kondensiert und bildet einen Nebel (Nebelgebiet s. Abb. 16.8 rechts). Mit Hilfe des Mollier-Diagramms lassen sich folgende Zustandsgrößen bestimmen: − − − − − −
die Feuchtebeladung Y die spezifische Enthalpie h1+Y die relative Luftfeuchtigkeit ϕ die Lufttemperatur ϑ die Kühlgrenztemperatur ϑK der Taupunkt ϑTP
526
16 Trocknung
Die Abbildung 16.8 zeigt links die Linien gleicher Werte (Isolinien) sowie rechts die Hilfslinien zur Bestimmung des Taupunkts und der Kühlgrenztemperatur. Gebiet untersättigter Luft
Y = konst. h 1+Y = konst.
Kühlgrenzlinie
(Sättigungslinie)
h 1+Y
h 1+Y
Taupunktlinie
ϑ = konst.
a)
Nebelgebiet
b)
Y
ϑK (Sättigungslinie) ϑTP
Y
Abb. 16.8. Bestimmung der Zustandsgrößen in einem Mollier-Diagramm; a) Isolinien, b) Hilfslinien zur Bestimmung des Taupunkts ϑTP und der Kühlgrenztemperatur ϑK
Heizen/ Kühlen
Beim Aufheizen oder Abkühlen feuchter Luft bleibt die Beladung Y konstant. Im Mollier-Diagramm verschiebt sich der Zustandspunkt der Luft auf einer Senkrechten (s. Abb. 16.9 links). Wird stark abgekühlt, so bestimmt die Temperatur an der Sättigungslinie, wann erstmals Feuchte auskondensiert und Nebel entsteht. Dieser Punkt wird Taupunkt ϑTP genannt (s. Abb. 16.9 links). h 1+Y = konst.
Luft vor dem Abkühlen
Aufheizen
∆h 1+Y ∆h 1+Y
h 1+Y
h 1+Y = konst.
h 1+Y
Abkühlen
Luft nach dem Abkühlen Taupunkt
Taupunkt ∆Y
a)
Y
b)
ϑ = konst.
Y
Abb. 16.9. Aufheiz- bzw. Abkühlvorgang im Mollier-Diagramm; a) Enthalpieänderung, Bestimmung des Taupunkts, b) Beladungsänderung bei kondensierter Feuchte
16.3 Zustandsänderung der feuchten Luft
527
Bei einer Abkühlung in den Bereich der übersättigten Luft kondensiert Wasserdampf. Der Zustandspunkt der Luft bewegt sich zunächst auf der Senkrechten bis zur Sättigungslinie, danach entlang der Sättigungslinie bis zum Schnittpunkt mit der Isothermen durch den fiktiven Punkt im Nebelgebiet. Die relative Luftfeuchtigkeit beträgt 100%. Die Beladung der Luft nimmt durch das auskondensierte Wasser um ∆Y ab (s. Abb. 16.9 rechts). Die für das Aufheizen bzw. Abkühlen notwendige spezifische Energie kann direkt dem Diagramm entnommen werden. Für die gesamte Heizbzw. Kühlenergie gilt Q = m L ⋅ ∆h 1+ Y = m L ⋅ (h 1+ Y , ω − h 1+ Y , α )
(16.11)
Symbole: Q = Heiz- bzw. Kühlenergie [J] = [kg⋅m2⋅s-2] [kg] mL = Masse trockener Luft ∆h1+Y = spezifische Enthalpieänderung der Luft beim Heizen bzw. Kühlen [J⋅kg-1] = [m2⋅s-2] h1+Y, α = spezifische Enthalpie der Luft vor dem Heizen bzw. Kühlen [J⋅kg-1] = [m2⋅s-2] h1+Y, ω= spezifische Enthalpie der Luft nach dem Heizen bzw. Kühlen [J⋅kg-1] = [m2⋅s-2]
Mischen von zwei Luftmassen
Werden zwei Luftmassen miteinander vermischt, so können die Eigenschaften der Mischluft über Bilanzen errechnet werden. Für die Masse der trockenen Luft gilt m L, 1 + m L, 2 = m L, m
(16.12)
Für den Feuchtegehalt gilt m L, 1 ⋅ Y1 + m L, 2 ⋅ Y2 = m L , m ⋅ Ym
(16.13)
Für den Wärmeinhalt gilt m L, 1 ⋅ h 1+ Y , 1 + m L , 2 ⋅ h 1+ Y , 2 = m L , m ⋅ h 1+ Y , m Indices:
(16.14)
1 = Luftstrom 1 2 = Luftstrom 2 m = Luftmischung
Der Zustandspunkt der Mischung Ym, h1+Y, m resultiert aus einer Umformung der Gln. 16.12 bis 16.14. Dies ergibt
528
16 Trocknung
Ym =
m L, 1 ⋅ Y1 + m L, 2 ⋅ Y2
(16.15)
m L, 1 + m L, 2
und h 1+ Y , m =
m L, 1 ⋅ h 1+ Y , 1 + m L , 2 ⋅ h 1+ Y , 2
(16.16)
m L, 1 + m L, 2
Der Zustandspunkt der Mischung kann auch grafisch auf einfache Weise ermittelt werden. Der Mischpunkt liegt im Mollier-Diagramm auf der Verbindungsgeraden zwischen den Zustandspunkten der beiden Luftmassen und unterteilt diese im Verhältnis der Luftmassen, d.h. es gilt das Hebelgesetz (s. Abb. 16.10 links). Bei der Mischung zweier an Feuchte gesättigter Luftmassen mit unterschiedlichen Temperaturen bildet sich stets Nebel (s. Abb. 16.10 rechts).
feuchte Luft
h 1+Y, 2
feuchte Luft
h 1+Y
h 1+Y
h 1+Y, m h 1+Y, 1
Mischgerade Nebel
Nebel
Y1
a)
Ym
Y2
Y
Y1
b)
Ym Y
Y2
Abb. 16.10. Mischung von zwei Luftmassen; a) Hebelgesetz zur Bestimmung des Mischpunkts; die Luftmasse 1 ist im Beispiel 2x größer als die Luftmasse 2; b) Nebelbildung bei Mischung zweier gesättigter Luftmassen unterschiedlicher Temperaturen
Mischen von Luft mit Wasser
Die Zustandspunkte von reinem Wasser (oder auch von reinem Wasserdampf) liegen im Mollier-Diagramm im Unendlichen. Der Zustandspunkt der Luft nach Zumischung von reinem Wasser kann deshalb nicht mit dem Hebelgesetz berechnet werden. Für die befeuchtete Luft gelten aber folgende Bilanzen. Feuchtebilanz:
16.3 Zustandsänderung der feuchten Luft
529
m L, 1 ⋅ Y1 + m W = m L, 1 ⋅ Ym
(16.17)
m L, 1 ⋅ h 1+ Y , 1 + m W ⋅ h W = m L , 1 ⋅ h 1+ Y , m
(16.18)
Enthalpiebilanz:
Der Masse der trockenen Luft mL, 1 ändert sich durch die Zumischung von Wasser nicht. Aus einer Verknüpfung der Gln. 16.17 und 16.18 ergibt sich
hW =
h 1+ Y , m − h 1+ Y , 1 Ym − Y1
=
∆h 1+ Y ∆Y
(16.19)
Die Richtung, in welcher sich der Zustandspunkt der Luft bei einer Zumischung von Wasser verändert, wird im Mollier-Diagramm durch die Steigung ∆h1+Y/∆Y festgelegt. Gemäß der Gleichung 16.19 entspricht dies aber gerade der Enthalpie hW des zugefügten Wassers bzw. Wasserdampfs. Im Mollier-Diagramm ist diese Enthalpie in einem Randmaßstab aufgetragen. Wird die Verbindungslinie vom so genannten Polpunkt zum Enthalpiewert des Wassers auf dem Randmaßstab gezogen und parallel durch den Zustandspunkt der zu befeuchtenden Luft verschoben, so resultiert ein erster geometrischer Ort für die befeuchtete Luft. Ein zweiter geometrischer Ort resultiert aus der Feuchtebilanz. Durch Umformung der Gleichung 16.17 erhält man Ym = Y1 +
mW m L, 1
(16.20)
Der Zustandspunkt der befeuchteten Luft wird also als Schnittpunkt der Geraden mit Steigung ∆h1+Y/∆Y = hW durch den Zustandspunkt der zu befeuchtenden Luft (Y1; h1+Y, 1) und die Senkrechte durch den Wert Ym bestimmt (s. Abb. 16.11 links). Bei der Konvektionstrocknung eines feuchten Guts wird an der feuchten Gutsoberfläche während des 1. Trocknungsabschnitts sehr schnell die so genannte Kühlgrenztemperatur erreicht. Die Kühlgrenztemperatur liegt stets unterhalb der effektiven Lufttemperatur und oberhalb des Taupunkts. Sie hängt von der Temperatur und relativen Feuchtigkeit der Luft ab und wird durch die Verdunstung der Gutsfeuchte in die umgebende Luft bewirkt (s. Kap. „Stofftransport/ Wärme- und Stofftransport beim Trocknen mit Luft“ bzw. Abb. 16.8 in diesem Kapitel). Der Zustandspunkt einer durch Verdunstung befeuchteten Luft verschiebt sich im Mollier-Diagramm auf einer Geraden, die einer Verlänge-
530
16 Trocknung
rung der Isothermen aus dem Nebelgebiet ins Gebiet der untersättigten Luft entspricht. Diese so genannte Kühlgrenzlinie hat die Steigung cpL⋅ϑK. Kühlgrenzlinien sind in den Abb. 16.7 und 16.11 strichpunktiert dargestellt. h W = ∆h 1+Y / ∆Y untersättigte Luft Kühlgrenzlinie
h 1+Y
h 1+Y
Polpunkt
Y1
Ym
Yα
Y
a)
Nebel
b)
ϑ = konst.
Yω Y
Abb. 16.11. Mischen von Luft mit Wasser; a) Befeuchtung von Luft mit Wasser bzw. Wasserdampf (allgemein); b) Verdunstungstrocknung eines feuchten Guts im ersten Trocknungsabschnitt
Die Beladung der befeuchteten Luft folgt aus einer Feuchtebilanz für die Luft und das Gut. Yω = Yα +
mG ⋅ (X G α − X G ω ) mL
Symbole: Y = Feuchtebeladung der trockenen Luft XG = Feuchtebeladung des trockenen Guts mG = Trockenmasse des feuchten Guts mL = Trockenmasse der Luft Indices:
(16.21) [kg⋅kg-1] [kg⋅kg-1] [kg] [kg]
α = zu Beginn der Trocknung ω = am Ende der Trocknung
Die Abbildung 16.11 zeigt rechts die Veränderung der Eigenschaften der Luft bei einer Konvektionstrocknung. Aus der Messung der Kühlgrenztemperatur und dem Vergleich mit der Lufttemperatur basiert das Psychrometer nach Assmann (s. Abb. 16.12). Das Psychrometer besteht aus zwei Thermometern. Das erste misst die tatsächliche Lufttemperatur. Das zweite ist von einem feuchten Wattebausch
16.3 Zustandsänderung der feuchten Luft
531
umhüllt und misst die so genannte Kühlgrenztemperatur, die auch als Feuchtkugeltemperatur bezeichnet wird. Aus der wahren Lufttemperatur und der Feuchtkugeltemperatur wird über Tabellen oder durch Berechnung auf die relative Luftfeuchtigkeit geschlossen.
ϑ
ϑK feuchte Watte Luft
Abb. 16.12. Psychrometer nach Assmann
Trocknungsprozesse mit warmer Luft
Bei einer typischen konvektiven Trocknung mit Luft wird die Luft zuerst aufgeheizt und dann über das feuchte, nicht beheizte Gut geleitet. Die für die Verdampfung des Wassers notwendige Wärme wird der Luft entnommen, die sich dabei abkühlt und zugleich mit Feuchtigkeit belädt. Die Gutsoberfläche nimmt während des ersten Trocknungsabschnitts die Kühlgrenztemperatur an. Der konvektive Trocknungsprozess mit Luft ist schematisch in der Abb. 16.13 dargestellt. Für einen Wärme empfindlichen Stoff ist das in der Abb. 16.13 dargestellte einstufige Trocknungsverfahren ungeeignet, da das Produkt mit sehr heißer Luft in Berührung kommt. In diesem Fall ist es besser, die Luft nur mäßig vorzuwärmen und während des Trocknungsprozesses mehrmals aufzuheizen. Die maximale Lufttemperatur wird dadurch erniedrigt. Ein zweistufiger Trocknungsprozess ist in der Abb. 16.14 dargestellt. Es wird so auch weniger Frischluft verbraucht, da die Feuchtebeladung ∆Y insgesamt mehr zunimmt als bei einer einstufigen Trocknung (vgl. Abb 16.13 und 16.14).
532
16 Trocknung aufgeheizte Luft 2 befeuchtete Luft Kühlgrenzlinie 3
h 1+Y
Frischluft
1
2
3
Luft
1
Nebelisotherme
∆Y
Y
Abb. 16.13. Trocknungsverlauf im Mollier-Diagramm bei einer einstufigen konvektiven Lufttrocknung
aufgeheizte Luft
h 1+Y
2
1 Frischluft
4
3
5
Luft
1
2
3
4
5
befeuchtete Luft ∆Y
Y
Abb. 16.14. Trocknungsverlauf im Mollier-Diagramm bei einer zweistufigen konvektiven Lufttrocknung
Um die Luftgeschwindigkeit über dem feuchten Gut zu erhöhen und damit den Wärme- und Stofftransport zu begünstigen, wird das Umluftverfahren gewählt. Dabei wird ein Teil der befeuchteten Luft im Prozess zurückgeführt und der Frischluft beigemischt. Das Umluftverfahren eignet sich wie die mehrstufige Trocknung für Wärme empfindliche Stoffe, da bei der Mischung der Luftströme die maximale Lufttemperatur gesenkt wird. Durch das Umluftverfahren können auch klimatisch bedingte Schwankungen in den Eigenschaften der Frischluft ausgeglichen werden, indem man das Verhältnis zwischen Frischluft und Umluft entsprechend verändert. Die Abbildung 16.15 zeigt den Trocknungsprozess mit Luftrückführung schematisch.
16.3 Zustandsänderung der feuchten Luft
533
aufgeheizte Luft 3 befeuchtete Luft Frischluft
h 1+Y
4 1
2 1
2
3
4
Luft Mischluft ∆Y
Y
Abb. 16.15. Trocknungsverlauf im Mollier-Diagramm bei einer einstufigen konvektiven Lufttrocknung mit Luftrückführung (Umlufttrocknung)
Der Wärmebedarf ist in allen drei vorgestellten Schaltungsvarianten (s. Abb. 16.13 bis 16.15) gleich groß, sofern die Eigenschaften der Luft am Ein- und Austritt als gegeben angenommen werden. Das Umluftverfahren und die mehrstufige Trocknung eignen sich speziell auch für Trocknungsprozesse, bei denen die Abluft gereinigt werden muss. Weil die Feuchtebeladung der Abluft bei diesen zwei Prozessen hoch sein kann, laufen die Reinigungsverfahren einfacher und effizienter ab. In der Praxis können mehrstufige Trocknung und Umlufttrocknung auch kombiniert auftreten (s. Abb. 16.16). aufgeheizte Luft 6
h 1+Y
3
4
5
7
2 1
Frischluft
1
2
3
4
5
6
7
Luft
befeuchtete Luft Mischluft ∆Y
Y
Abb. 16.16. Trocknungsverlauf im Mollier-Diagramm bei einer zweistufigen Lufttrocknung mit Umluftführung in beiden Stufen
534
16 Trocknung
16.4 Trocknungsapparate Es gibt über 100 verschiedene Bauarten von Trocknungsapparaten, die je nach Beschaffenheit, äußerer Form, Menge und geforderten Restfeuchte des Trockenguts ihre spezifischen Vorzüge aufweisen. Klassierungsmethoden, um eine Ordnung in die Vielfalt der Trocknungsapparate zu bringen, basieren auf den unterschiedlichen Bedingungen, die bei der Trocknung vorherrschen. Eine Einteilung der Trocknertypen ist so möglich nach − − − − − − − −
Art der Wärmezufuhr (z.B. Konvektions- oder Strahlungstrockner), Betriebsdruck (Normaldruck- oder Vakuumtrockner), Aggregatszustand (Gefrier-, Flüssigkeits- oder Feststofftrockner), Strömungsführung (Gleich-, Gegen- oder Kreuzstromtrockner), Trocknungsdauer (Kurzzeit-, Mittelzeit- oder Langzeittrockner), Betriebsweise (Chargen- oder Durchlauftrockner), äußerer Form des Guts (z.B. Stückgut- oder Pastentrockner), Formgebung bei der Trocknung (z.B. Granulier- oder Mahltrockner).
Die gebräuchlichsten Trocknertypen werden in der Folge kurz vorgestellt. Konvektionstrockner
Bei der Konvektionstrocknung strömt ein heißes Gas über oder durch das feuchte Gut. Gut und Gas treten dadurch in einen innigen Kontakt zu einander. Das Gas und das Gut können im Gleich-, Gegen- oder Kreuzstrom zu einander geführt werden (s. Kap. „Reaktionstechnik“). Bei Gleichstrom kommt das feuchte Frischgut gleich zu Beginn mit dem heißen, trockenen Gas zusammen. Trotzdem weist die Oberfläche nur Kühlgrenztemperatur auf. Die feuchte Oberfläche schützt es vor Überhitzung. Am Ende der Trocknung haben sich die Temperaturen vom getrockneten Gut und dem feuchtebeladenen Gas angenähert (s. Abb.16.17 links). Gleichstrom wird angewandt, falls − das trockene Gut gegen hohe Temperaturen empfindlich ist, − das angetrocknete Gut keine hohe Trocknungsgeschwindigkeit erträgt, − eine gleichmäßige Gutsfeuchte angestrebt wird. Bei Gegenstrom trifft das feuchte Frischgut auf das bereits abgekühlte und befeuchtete Abgas. Die Wärmeübertragung geschieht anfangs nur moderat. Über den gesamten Trocknungsweg betrachtet, kann der Wärme-
16.4 Trocknungsapparate
535
übergang an das Gut gleichmäßiger und effizienter erfolgen als bei Gleichstrom. Am Ende des Trocknungswegs erreicht das getrocknete Gut eine hohe Temperatur, die in der Nähe derjenigen der heißen Frischluft liegen kann (s. Abb.16.17 rechts). Gegenstrom wird angewandt, falls − − − −
das getrocknete Gut eine nur geringe Restfeuchte aufweisen darf, das Gut hygroskopisch ist, das feuchte Gut keine hohe Trocknungsgeschwindigkeit erträgt, das Gut eine hohe Endtemperatur aushält.
Bei Kreuzstrom durchdringt das heiße Frischluft das Gut senkrecht zu seiner Bewegungsrichtung. Hier kann sowohl feuchtes als auch getrocknetes Gut direkt mit der heißen, trockenen Luft zusammentreffen. Kreuzstrom wird angewandt, falls − das Gut jederzeit eine hohe Trocknungsgeschwindigkeit erträgt, − das Gut im trockenen Zustand Wärme unempfindlich ist, − eine hohe Trocknungsgeschwindigkeit verlangt wird. ϑ
Temperatur
Temperatur
ϑ
" Trocknungsweg a) Gleichstrom
" Trocknungsweg b) Gegenstrom
Abb. 16.17. Temperaturverlauf bei Gleich- und Gegenstrom von Luft und Gut im Konvektionstrockner; I = 1.Trocknungsabschnitt; II = 2.Trocknungsabschnitt
Der einfachste Konvektionstrockner ist der Kammertrockner oder Hordentrockner (s. Abb. 16.18). Er eignet sich für stückige, körnige, pastöse oder flüssige Güter, die in kleinen Mengen anfallen. Das Gut liegt auf mehreren, horizontal übereinander liegenden Blechen oder Siebgeweben (Horden). Aufgeheizte Luft, die teils im Umluftverfahren umgewälzt wird, strömt über und selten auch durch die Horden. Leitbleche sorgen für eine gleichmäßige Luftverteilung auf die Horden. Kammertrockner arbeiten diskontinuierlich.
536
16 Trocknung
Frischluft
Abluft
Gebläse
M
Heizregister
Tür Luftleitblech (verstellbar) Trocknungsbleche auf Wagen
Abb. 16.18. Kammertrockner mit Luftumwälzung, die Trocknungsbleche sind in einem rollbaren Gestell übereinander gestapelt
Der Tellertrockner eignet sich für rieselfähige Güter, die kontinuierlich anfallen. Mehrere kreisrunde Bleche (Teller) sind horizontal übereinander in einem Stapel angeordnet (s. Abb. 16.19). Gutseintrag M Achse mit Krählwerk Drosselklappen zur Luftregulierung
Abluft
Teller
Heizung Frischluft
Gutsaustrag
Abb. 16.19. Tellertrockner mit sieben Tellern und rotierendem Krählwerk (auch Vakuumbetrieb möglich)
16.4 Trocknungsapparate
537
Das feuchte Gut wird zuerst dem obersten Teller zugeführt. Ein Krählwerk mit senkrechter Achse im Zentrum der Teller bewegt das Gut unter vielfacher Umschichtung zum Tellerrand, von wo es auf den darunterliegenden Teller fällt. Dort wird das Gut erneut durch das Krählwerk erfasst, umgeschichtet und zur Tellermitte bewegt, wo es auf den nächst tieferen Teller fällt. Bei jedem zweiten Teller geht das Gut nach innen, bei den anderen nach außen. Dies wiederholt sich, bis das getrocknete Gut den Tellertrockner unten verlässt. Aufgrund der etagenförmigen Anordnung der Teller wird der Tellertrockner auch Etagentrockner genannt. Der Bandtrockner eignet sich für stückige, teigige und körnige Güter. Der Betrieb ist kontinuierlich. Das feuchte Gut wird als dünne Schicht auf ein langsam laufendes Förderband aus perforiertem Blech, Drahtgewebe oder Textil ausgebreitet. Heiße Luft streicht über und teilweise durch das Gut. Am Ende des Bands fällt das Gut auf ein darunter laufendes Band, wodurch es umgeschichtet wird. Bandtrockner zeichnen sich durch eine große Durchsatzleistung aus. Gutseintritt
Abluft Staubfilter
Rollbänder
Verteilschicht für Luft
Gutsaustritt Frischluft beheizt
Abb. 16.20. Bandtrockner mit drei Rollbändern, Bänder sind perforiert und mit stückigem Gut belegt
Der Trommeltrockner besteht aus einem schwach zur Horizontalen geneigten, langsam drehenden Rohr (s. Abb. 16.21). Er eignet sich für rieselfähige Güter, die in großen Mengen kontinuierlich anfallen. Das feuchte Gut wird am erhöhten Rohrende ins Rohr eingebracht und rieselt im Kontakt mit heißer Luft bedingt durch die Drehbewegung des geneigten Rohres allmählich zum tieferen Ende. Rohreinbauten vergrößern die Kontaktoberfläche und schichten das Gut laufend um. Der Trommeltrockner wird manchmal auch Drehrohrtrockner genannt.
538
16 Trocknung Abluft Gutseintritt Zellradschleuse
Zyklon Drehrohr
Frischluft
M
Lager
Feinstaub
Drehantrieb Zellradschleuse Gutsaustritt
Abb. 16.21. Trommeltrockner bestehend aus einem zur Horizontalen geneigten, rotierenden Rohr; Einbauten sind z.B. Hubschaufeln für grobkörnige Produkte (I) oder Kreuzprofile für feinkörnige Produkte (II)
Der Wirbelschichttrockner eignet sich für körnige, nicht klebende Güter und wird sowohl kontinuierlich als auch diskontinuierlich betrieben. Abluft
Gutseintritt Zellradschleuse
Zyklon
Zellradschleuse
Wirbelschicht
Feinstaub Strömungsgleichrichter Frischluft, beheizt
Kühlluft
Zellradschleuse
Gutsaustritt
Abb. 16.22. Wirbelschichttrockner (Fließbetttrockner), heiße Luft strömt von unten in das aufgewirbelte Trocknungsgut; feinstaubiger Produktabrieb wird in einem nachgeschalteten Zyklon ausgeschieden
Beim Wirbelschichttrockner liegt das Gut auf einer perforierten und manchmal vibrierenden Unterlage und wird von unten her durch heiße Luft aufgewirbelt. Die ständige Störung der Grenzschichten an den Kornoberflächen führt zu ausgezeichneten Wärme- und Stoffübergängen vor allem im ersten Trocknungsabschnitt. Aufgrund der Reibung zwischen den Körnern können feine explosionsfähige Stäube entstehen und zugleich elektrostatisch aufgeladen werden. Zur Ableitung der elektrostatischen La-
16.4 Trocknungsapparate
539
dung muss die Anlage geerdet sein (auch Luftfilter). Zusätzlich sind häufig Vorrichtungen zur Druckentlastung oder eine explosionsdruckstoßfeste Bauweise vorgeschrieben. Der Wirbelschichttrockner wird manchmal auch Fließbetttrockner genannt. Mit Sprühdüsen versehen ist eine Kombination von Feuchtgranulation und Trocknung möglich (Wirbelschicht-Sprühgranulatoren). Der Sprühtrockner eignet sich für schnell trocknende flüssige bis pastöse Güter. Aufgrund der kurzen Verweilzeit bei hoher Temperatur eignet sich der Sprühtrockner auch für Hitze empfindliche Stoffe. Sprühtrockner werden auch Zerstäubungstrockner genannt. Sprühgetrocknete Produkte sind leicht löslich, da sich bei der Trocknung häufig Hohlkugeln bilden. Das flüssige Gut wird oben in einem zylindrischen Turm in feine Tröpfchen von 20 bis 300 µm Durchmesser versprüht und fällt im Kontakt mit heißer Luft nach unten. Aufgrund der großen spezifischen Oberfläche trocknen die Tröpfchen innert weniger Sekunden, noch bevor sie an der Trocknerwand oder am Boden auftreffen. Die heiße Luft kann im Gleichoder Gegenstrom zum Produkt geführt werden. Gleichstrom hat den Vorteil, dass von Anfang an hohe Trocknungsgeschwindigkeiten erreicht werden und das Gut am Ende des Trocknungswegs nur noch mit mäßig warmer Luft in Berührung steht. Gebläse
Lufterhitzer
Frischluft Produktpumpe
Strömungsgleichrichter
Gutseintritt, flüssig
Abluft
Sprühtrockner Zyklon
Zellradschleusen Feinstaub Gutsaustritt, fest
Abb. 16.23. Sprühtrockner mit Gleichstromführung von Luft und Gut; feinstaubige Produktanteile werden im nachgeschalteten Zyklon aus dem Luftstrom ausgeschieden
540
16 Trocknung
Der Abluftstrom wird üblicherweise in einem Zyklon von Feinstaub gereinigt. Die Versprühung des feuchten Guts erfolgt mittels schnell rotierender Drehscheiben (5'000 bis 20'000 Upm; für Pasten und Suspensionen) oder durch Düsen mit oder ohne Druckluft (Luftdruck bis 6 bar, Produktdruck bis 200 bar; für homogene Lösungen und Schmelzen). Um die Turmhöhe zu verkleinern, kann die Trocknung auch in zwei Schritte unterteilt werden. Im ersten Schritt trocknen die Tröpfchen im Sprühtrockner, bis sie an ihrer Oberfläche nicht mehr klebrig sind. Im zweiten Schritt trocknet das Pulver bis zur geforderten Restfeuchte z.B. in einem Wirbelschichttrockner. Kontakttrockner
Bei der Kontakttrocknung steht das Gut in direktem Kontakt mit einer beheizten Oberfläche. Um die Verdampfung zu begünstigen, wird häufig Vakuum eingesetzt. Druckpulsationen können den Trocknungsprozess beschleunigen. Kammertrockner (Abb. 16.18) und Tellertrockner (Abb. 16.19) können als Kontakttrockner arbeiten, sofern die Horden bzw. Teller direkt beheizt werden. Die Apparate arbeiten dann meistens unter Vakuum. Walzentrockner eignen sich für dickflüssige, Hitze unempfindliche Güter. Sie bestehen aus einer oder zwei von innen beheizten, langsam drehenden großen Walzen (s. Abb. 16.24). nasses Gut
Walzen, dampfbeheizt
Walze, dampfbeheizt Schälmesser Schälmesser Auffangwanne für abtropfendes Gut nasses Gut
a)
trockenes Gut b)
trockenes Gut
Abb. 16.24. Walzentrockner mit a) einer und b) zwei Walzen, schematisch
Ihre Oberfläche ist entweder glatt oder gerillt. Das feuchte Gut wird in einer dünnen Schicht auf die Walze aufgetragen, entweder durch Eintauchen der Walze in das dickflüssige Gut oder durch Aufbringen des Guts von oben. Schlecht haftende Produkte können mittels rotierender Stachelwalzen auf die Walzen aufgesprüht werden. Nach einer knappen Umdre-
16.4 Trocknungsapparate
541
hung wird die angetrocknete Gutsschicht mit einem Schälmesser von der Walze abgelöst. Das Gut ist flockig oder körnig. Wegen der kurzen Trocknungszeit dienen Walzentrockner vielfach nur als Vortrockner. Die endgültige Trocknung erfolgt dann in Kammer-, Teller-, Wirbelschichtoder Schaufeltrocknern. Der Schaufeltrockner eignet sich für dickflüssige und pastöse Güter, wie sie z.B. bei der Filtration und Zentrifugation als Filterkuchen oder bei der Sedimentation als Dickschlamm anfallen. Der Schaufeltrockner besteht aus einem liegenden zylindrischen Behälter mit einer horizontalen Rührwerkswelle (s. Abb. 16.25). Die Betriebsweise ist diskontinuierlich. Die Behälterwand und die Rührwerkswelle sind beheizt. Schaufeln an der Rührwerkswelle durchmischen das Gut dauernd und erneuern den Kontakt zu den heißen Oberflächen. Entstehende Brüdendämpfe werden mit Hilfe einer Vakuumpumpe über einen Staubfilter abgesaugt und einem Kondensator zugeführt. Die Schaufeln sind schräg gestellt, sodass sie in der einen Drehrichtung das Produkt zur Mitte und in der anderen Drehrichtung nach außen fördern. Zum Einfüllen und Trocknen wird jene Drehrichtung gewählt, welche das Produkt nach außen fördert, zum Entleeren die entgegengesetzte. Falls nur eine Drehrichtung möglich ist, wird immer nach innen gefördert. Die Entleerung gelingt dadurch praktisch rückstandsfrei. Fremdkörper im Trocknungsraum oder Produkt im Wellenlager können zu einer lokalen Überhitzung und zur Bildung von Glimmnestern führen. Bei Hitze empfindlichen oder feuergefährlichen Gütern sind geeignete Sicherheitsvorkehrungen zu treffen.
Gutseintritt
Vakuumpumpe Brüden zum Kondensator Brüdenfilter
Dampf Heizmantel
Schaufel
Rohrachse, dampfbeheizt
Rotorantrieb
Dampf
M
Kondensat Trocknungsgut
Gutsaustritt
Kondensat
Abb. 16.25. Schaufeltrockner, je nach Drehrichtung des Rotors wird das Trocknungsgut nach innen oder nach außen geschaufelt, Füllgrad ca. 60%
542
16 Trocknung
Der Doppelkonustrockner eignet sich für rieselfähige Güter und arbeitet diskontinuierlich. Der Trocknungsbehälter setzt sich aus zwei konischen Teilen zusammen (s. Abb. 16.26). Der Behälter ist außen mit einem Heizmantel versehen und wird mit Dampf beheizt. Der Doppelkonustrockner rotiert langsam um seine horizontale Achse. Die entstehenden Brüdendämpfe werden mit Hilfe einer Vakuumpumpe über ein Staubfilter einem Kondensator zugeleitet. Im Gegensatz zum Schaufeltrockner lässt sich ein Doppelkonustrockner emaillieren, weshalb er sich auch für saure Produkte eignet. Ein weiterer Vorteil des Doppelkonustrockners ist die Schonung der Produktform, da keine Rührorgane auf das Produkt mahlend einwirken. Wegen der schlechteren Durchmischung dauert die Trocknung deutlich länger als beim Schaufeltrockner. Brüdenfilter Füll-/Entleerungsstutzen, zur Seite schwenkbar Doppelmantel, dampfbeheizt Drehantrieb
Brüden
Vakuumpumpe
M
Dampf Kondensat
Abb. 16.26. Doppelkonustrockner; ein von außen beheizter geschlossener Behälter rotiert um seine horizontale Achse und schichtet dabei das in ihm enthaltene zu trocknende Gut laufend um
Gefriertrockner
Die Gefriertrocknung eignet sich speziell für Wärme empfindliche, hochwertige Güter wie Pharmazeutika und einige Nahrungsmittel. Die Betriebsweise kann diskontinuierlich oder kontinuierlich sein. Ein diskontinuierlicher Gefriertrockner besteht z.B. aus einem vakuumfesten, gut isolierten Kammertrockner mit Vakuumpumpe, Dampfkondensator und Kälteaggregat. Ein kontinuierlicher Gefriertrockner besteht z.B. aus einem Tellertrockner mit der gleichen Zusatzausrüstung, wie beim Kammertrockner erwähnt.
16.4 Trocknungsapparate
543
Weil die ursprünglich mit Wasser gefüllten Zwischenräume bei der Gefriertrocknung erhalten bleiben, ist das gefriergetrocknete Produkt porös, oft hygroskopisch und sehr leicht löslich (lyophil). Die Gefriertrocknung läuft in vier wesentlichen Schritten ab, nämlich − − − −
Einfrieren, Haupttrocknung, Nachtrocknung, Aufwärmen.
Beim Einfrieren bilden sich zuerst Eiskristalle aus reinem Wasser. Die Konzentration in der übrig bleibenden Gutsflüssigkeit steigt dadurch an, bis der eutektische Punkt erreicht ist. Der Gefrierpunkt der letzten Gutsfeuchte wird also nicht durch den Gefrierpunkt von Wasser, sondern durch die eutektische Temperatur des Wasser-Produktgemischs bestimmt. Ein langsamer Einfriervorgang wird normalerweise bevorzugt, weil dabei große Eiskristalle gebildet werden. Bei der Trocknung entstehen so große Hohlräume, durch die der Wasserdampf ungehindert austreten kann. Biologische Produkte werden hingegen meistens schnell eingefroren, weil dadurch viele kleine Eiskristalle entstehen, die die Zellwände der tierischen oder pflanzlichen Zellen nicht zerstören. Die Einfriergeschwindigkeit beträgt z.B. bei Lebensmitteln zwischen 0,5 und 3 cm/h. Eine einmal erzeugte Eisstruktur ist oberhalb einer Temperatur von -100°C instabil. Große Eiskristalle wachsen deutlich an, kleine verschwinden. Trotzdem genügt in vielen Fällen eine Gefriertemperatur von -20 bis -50°C. Die gewählte Einfriergeschwindigkeit und Gefriertemperatur beeinflussen nicht nur die Trocknungszeit, sondern auch die erzielten Produkteigenschaften ganz wesentlich. Eine zwischenzeitliche Erwärmung (engl. thermal treatment) bewirkt eine Umkristallisation und ein Einfrieren von Komponenten, die sonst nicht kristallisiert wären und zu hochkonzentrierten Einschlüssen geführt hätten. Auch wird durch das Wachstum der großen und das Verschwinden der kleinen Kristalle die Porenstruktur aufgeweitet, was die Sublimationstrocknung begünstigt. Während der Haupttrocknung muss die Temperatur im gefrorenen Gut so gehalten werden, dass kein Antauen erfolgen kann. Wärme wird vorsichtig zugeführt. Die Temperatur wird entweder mit elektrischen Widerstandsthermometern oder durch Messung des Dampfdrucks überwacht. Bei der Messung des Dampfdrucks wird das Ventil zwischen dem Trockenraum und dem Kondensator bzw. der Vakuumpumpe jeweils kurzzeitig abgesperrt, sodass sich im Trockenraum ein Gleichgewichtszustand zwischen dem Wasserdampf und dem Eis ausbilden kann, was erst eine zuverlässige Messung ermöglicht. Der Dampfduck beträgt 1 Pa bei -60°C,
544
16 Trocknung
10 Pa bei -42°C, 100 Pa bei -20°C und 600 Pa bei 0°C. Die aus einem Gefriertrockner abgeführten Dampfvolumen sind enorm groß. 1 kg Wasser entsprechen bei 1 Pa Druck 98'000 m3 Dampf. Im Gutsinnern muss der Wasserdampf durch die Poren nach außen diffundieren. Bei kleinen Porenabmessungen erfolgt der Transport des Wasserdampfs gemäß dem so genannten Knudsen-Fluss, d.h. die freie Weglänge von Wasserdampfmolekülen ist in der Gasphase länger als der Porendurchmesser. Die Porendurchmesser und die Schichtdicke bestimmen die Größe des Dampfstroms. Die Trocknung läuft nur langsam ab. Das eingefrorene Frischgut wird deshalb vor dem Trocknen oft zerkleinert. Als Faustregel gilt ein quadratischer Zusammenhang zwischen der Trocknungszeit und der Schichtdicke des Guts (tZeit ∝ dSchicht2). Während der Nachtrocknung desorbiert die nicht gefrorene, absorbierte Quellflüssigkeit aus dem Gut. Die Temperatur darf etwas steigen. Da aber die Desorption erst nach dem Sublimieren des letzten Eises einsetzen darf, muss die Wärmezufuhr gedrosselt sein. Nach dem Trocknen erfolgt ein vorsichtiges Aufwärmen des Guts. In der Regel wird die Vakuumkammer mit warmer, getrockneter Luft oder Inertgas geflutet. In beiden Fällen muss darauf geachtet werden, dass der Taupunkt des eingeleiteten Gases kleiner ist als die Gutstemperatur, da sonst das Gut wieder befeuchtet wird. Auswahl und Auslegung eines Trockners
Die Auswahl eines Trockners ist aufgrund der unterschiedlichen Güter recht komplex. Sie hängt von den Antworten auf die folgenden Fragen ab. − − − − − − − − −
Wie ist die Feuchte an das Gut gebunden? Ist das Gut hygroskopisch? Wie groß ist die Dampfdurchlässigkeit des Guts (Porenstruktur)? Wie hoch ist die Wärmeleitfähigkeit des Guts? Ist das Gut empfindlich auf Wärme oder Oxidation? Ist es staubend, elektrostatisch aufladbar, feuergefährlich, toxisch? Bildet die Gutsflüssigkeit brennbare Dämpfe? Welche Mengen müssen getrocknet werden? Fällt das Gut sporadisch oder kontinuierlich an? Wie ist die Gutsform (stückig, folienartig, flockig, körnig, pulvrig, breiig, klebrig, flüssig)? − Schrumpft das Gut? Zerbröckelt es? Gibt es Schwindrisse? − Muss der Trockner einfach und sauber zu reinigen sein (Nahrungsmittel, Pharmazeutika)?
16.4 Trocknungsapparate
545
− Wie groß ist die gegebene Anfangsfeuchte und wie groß die geforderte Endfeuchte des Guts? − Muss das Lösungsmittel zurückgewonnen werden? − Welche Heizmedien stehen zur Verfügung? − Gibt es Besonderheiten am Einsatzort? Am besten scheidet man zuerst ungeeignete Trocknertypen aus und vergleicht dann die übrig gebliebenen systematisch. Wärme- oder oxidationsempfindliche Güter trocknet man z.B. mit Vorteil unter Vakuum, staubende in Kontakttrocknern, hygroskopische in Gegenstrom-Konvektionstrocknern. Trocknungsversuche in Pilottrocknern erleichtern den endgültigen Entscheid. Die wichtigsten Grundlagen zur Auslegung des Trockners liefern die Sorptionsisothermen und die Kurven des Trocknungsverlaufs. Die Hygroskopie und die Wärmeempfindlichkeit eines Stoffs bestimmen die Strömungsführung bei der konvektiven Trocknung. Der Trocknungsverlauf legt die Verweilzeit im Trockner fest (s. Abb. 16.5). Die Luftmenge, die bei einer konvektiven Trocknung erforderlich ist, kann aus einer Stoffbilanz für das verdampfte Wasser abgeleitet werden. Es gilt m W = m G ⋅ (X G α − X G ω ) = m L ⋅ (Yω − Yα )
(16.22)
Daraus folgt der Luftbedarf einer konvektiven Trocknung § X − X Gω · ¸¸ m L = m G ⋅ ¨¨ Gα Y − Y ω α ¹ © Symbole: mW = Masse Wasserdampf mG = Trockenmasse des feuchten Guts mL = Trockenmasse der feuchten Luft XG = Feuchtebeladung des trockenen Guts Y = Feuchtebeladung der trockenen Luft Indices:
(16.23)
[kg] [kg] [kg] [kg⋅kg-1] [kg⋅kg-1]
α = zu Beginn der Trocknung ω = am Ende der Trocknung
Der Wärmebedarf wird aus der Enthalpieänderung der Luft z.B. im Mollier-Diagramm hergeleitet (s. Gl. 16.11). Der Wärmebedarf pro kg verdampften Wassers beträgt bei der Konvektionstrocknung zwischen 4'000 und 15'000 kJ. Es empfiehlt sich, den Trocknungsverlauf unter den geplanten Betriebsbedingungen im Pilottrockner nachzuprüfen. Die Tabelle 16.1 fasst die wichtigsten Schritte zur Wahl und Auslegung eines Trockners nochmals zusammen.
546
16 Trocknung
Tabelle 16.1. Auswahl und Auslegung eines Trockners Vorgehen bei der Auswahl und Auslegung eines Trockners 1. Beurteilung der Gutseigenschaften (Form, Größe, Porosität, physikalische Eigenschaften, Menge) 2. Aufnahme der Sorptionsisothermen 3. Aufnahme des Trocknungsverlaufs 4. Festlegung der Betriebsweise und der Strömungsführung 5. Auswahl des Trocknertyps 6. Berechnung des Luft- und Wärmebedarfs 7. Überprüfung der Annahmen in einer Pilotanlage 8. Dimensionierung des Trockners 9. Auslegung der peripheren Anlagenteile (Erhitzer, Ventilatoren, Kondensatoren, Zyklone, etc.)
Sicherheit beim Trocknen
Aufgrund der großen Wärmezufuhr von außen drohen bei der Trocknung Gefahren, die in der Regel auf Zersetzungsreaktionen zurückzuführen sind, die im trocknenden Gut ablaufen. Aber auch die Bildung von brennbaren Dämpfen und Stäuben ist zu beachten. Um Schutzmaßnahmen zu definieren, sind das Trockengut im feuchten und trockenen Zustand, die gewählte Trocknungsapparatur und die geplante Betriebsweise in einer Risikoanalyse kritisch zu beurteilen. Als Betriebstemperatur ist immer eine Temperatur zu wählen, die deutlich unterhalb der Onset-Temperatur der Zersetzungsreaktion liegt. Brennbare und toxische Güter verlangen nach einer geschlossenen Bauart des Trockners und einer effizienten Abluftreinigung. Staubexplosionsfähige Güter sollten vorzugsweise als Schüttungen unter Inertgas (Stickstoff mit Sauerstoffüberwachung), unter Vakuum (mit Drucküberwachung) oder in druckfesten bzw. druckstoßfesten Apparaten getrocknet werden. Wärme empfindliche Güter sind hingegen vorteilsweise aufgewirbelt in Wirbelschicht- oder Sprühtrocknern zu entfeuchten, dies wegen der vergleichsweise kurzen Verweilzeit bei hoher Temperatur. Eine andere Möglichkeit für Hitze empfindliche Stoffe stellt die Vakuumtrocknung dar, da hier die Verdampfungstemperaturen wegen des Vakuums sehr tief liegen. Besondere Vorsicht ist bei Produkten geboten, die zur Autokatalyse neigen. Solche Produkte dürfen einer höheren Temperatur nur kurzzeitig ausgesetzt werden. Produktablagerungen oder -anbackungen sind dabei strikte
16.4 Trocknungsapparate
547
zu vermeiden. Generell sind alle Trockner in regelmäßigen Abständen gründlich zu reinigen. Elektrostatisch aufladbare, brennbare Güter sind insbesondere beim Ausladen aus dem Trockner gefährlich. Apparat und Behälter sind elektrisch zu erden und lokale Löscheinrichtungen sind vorzusehen. Werden lösungsmittelhaltige Produkte in Konvektionstrocknern getrocknet, so sollte bevorzugt Frischluft statt Umluft verwendet werden. Dadurch reichern sich die Lösungsmitteldämpfe weniger an. Über eine geeignete Messvorrichtung ist sicherzustellen, dass der Lösungsmittelgehalt der Luft stets unterhalb 50% der unteren Explosionsgrenze liegt. Die Beladung von Konvektionstrocknern mit lösungsmittelhaltigen Gütern darf nur im kalten Zustand erfolgen. Tellertrockner werden bei nur geringen Umlaufgeschwindigkeiten betrieben, damit keine Gefahr durch elektrostatische Aufladung entsteht. Durch Anpassen der Luftgeschwindigkeit wird zudem eine Aufwirbelung des Trockenguts vermieden. In Bandtrocknern kann sich Staub im Bereich der Heizregister ablagern. Durch geeignete Wahl des Heizmediums kann die Temperatur des Heizregisters unterhalb der Onset-Temperatur der Zersetzungsreaktion gehalten werden. Ein möglicher Austritt des Heizmediums und Kontakt mit dem Trockengut ist bei allen Trocknungsapparaten in Betracht zu ziehen. In Wirbelschichttrocknern dürfen wegen der verbreitet auftretenden Reibung zwischen den Teilchen keine elektrostatisch aufladbaren Güter getrocknet werden. In Sprühtrocknern können Produktanbackungen an der Trocknerwand entstehen. Die Reinigungs- bzw. Kontrollintervalle müssen kürzer sein als die Selbstentzündungszeit (Induktionszeit) des Produkts unter Berücksichtigung der Schichtdicke und der maximalen Trockengas-Eintrittstemperatur. In Schaufeltrocknern ergeben sich spezifische Gefahren wegen der umlaufenden Schaufeln. Es muss z.B. mittels eines Magnetabscheiders vermieden werden, dass ein Fremdkörper in den Trockner gelangt. Der Fremdkörper könnte zwischen den Schaufeln und der Wand festgeklemmt und durch Reibung über die Zersetzungstemperatur des Guts erhitzt werden. Die Umlaufgeschwindigkeit der Schaufeln ist grundsätzlich auf 1 m/s zu limitieren. Damit können auch elektrostatisch aufladbare, reibungsoder schlagempfindliche Güter getrocknet werden. Es muss verhindert werden, dass sich Produkt in der Durchführung der Rührwerkswelle ablagert. Die Produktablagerung könnte Glimmnester bilden, die schließlich den ganzen Trocknerinhalt in Brand setzen. Bei fehlender Schmierung kann auch das Lager der Welle selbst bis über die Zersetzungstemperatur
548
16 Trocknung
des Trockenguts erhitzt werden. Deshalb ist eventuell eine Temperaturüberwachung der Wellendurchführung vorzusehen. Vakuumtrockner dürfen bei brennbaren Gütern erst nach der Evakuierung beheizt werden. Am Ende des Trocknungsvorgangs ist das Vakuum mittels Inertgas zu brechen und die Temperatur des Produkts vor dem Ausladen unter die Zersetzungstemperatur bei Luftzufuhr zu bringen. Um die sichere Betriebsweise eines Trockners festzulegen, werden vorgängig Untersuchungen am Trockengut ausgeführt. Die Untersuchungen sollen Auskunft über die folgenden Produkteigenschaften geben: − − − − − − − −
In welchem Temperaturbereich finden exotherme Reaktionen statt? Bilden sich bei der Reaktion Gase? Wieviel? Sind sie brennbar? Welche Energien werden bei den Reaktionen freigesetzt? Wie groß ist die maximale Temperaturerhöhung unter adiabatischen Bedingungen? Sind gewisse Reaktionen autokatalytisch? Wie lange dauert es bei Betriebstemperatur, bis die freigesetzte Reaktionswärme zu einer Selbstentzündung oder Explosion führt? Welchen Einfluss haben Verunreinigungen und die verwendeten Werkstoffe? Sind Wechselwirkungen des Produkts mit dem Heizmedium möglich? Folgende Sicherheitstests sind sinnvollerweise durchzuführen:
− − − − − − − − − − − −
Prüfung auf Brennbarkeit Staubexplosionsfähigkeit Entwicklung brennbarer Gase Prüfung der Exothermie mit und ohne Sauerstoffzufuhr Bestimmung der Onset-Temperatur (Mindesttemperatur zur Messung einer Exothermie) Bestimmung der adiabatisch maximalen Temperaturerhöhung Bestimmung der adiabatischen Induktionszeit (Zeit bis zur maximalen Reaktionsrate, Selbstentzündung bzw. Explosion) Warmlagerversuch unter adiabatischen Bedingungen (48h Langzeittest) Bestimmung der Zündtemperatur Prüfung auf Schlagempfindlichkeit ev. Messung der Mindestzündenergie ev. Messung der Temperatur- und Druckanstiegsgeschwindigkeit
Zur Abklärung des Sachverhalts werden vor allem Differenzialthermoanalysen (DTA) bzw. dynamische Differenzialkalorimetrien (DDK, engl. DSC) und Wärmestau-Versuche im Drahtkorb oder Dewar-Gefäß durchge-
16.5 Fragen aus der Praxis
549
führt. Für genauere Angaben zu den Sicherheitsauflagen beim Trocknen wird auf die Fachliteratur verwiesen [15, 16].
16.5 Fragen aus der Praxis Kühlgrenztemperatur und Taupunkt
Ein Psychrometer misst eine Kühlgrenztemperatur von 40 °C. Die effektive Temperatur der Luft beträgt 80 °C. Wie groß sind die Beladung, die spezifische Enthalpie und die relative Feuchtigkeit der Luft? Bei welchem Wert liegt der Taupunkt? Was bedeutet der gefundene Wert des Taupunkts für den Betrieb? Kühlen eines Luftstroms
In einem Wärmeübertrager wird Luft von 100 °C auf 50 °C abgekühlt. Die eingesetzte Luft hat eine relative Feuchte von 5%. Wie groß sind die Beladung und die Enthalpie der Luft vor dem Abkühlen sowie die Beladung, die relative Feuchte und die Enthalpie der Luft nach dem Abkühlen? Mischung von Luft mit überhitztem Dampf
Luft mit einer Beladung von 10 g Wasserdampf pro kg trockene Luft und einer Temperatur von 20 °C wird mit überhitztem Dampf von 3'200 kJ/kg erwärmt. Dabei stellt sich eine Temperatur von 80 °C ein. Wie groß sind die Beladung, die relative Feuchtigkeit und die Enthalpie der Luft nach der Mischung mit dem Dampf? Wärmebedarf beim Trocknen
Aus einer Frischluft mit ϑ1 = 74°C und ϕ1 = 20% wird bei einem Trocknungsprozess Abluft mit ϑ2 = 60°C und ϕ2 = 76%. Wie viel Wärme wird dabei pro kg Wasser, das verdampft und in die Luft übergeht, verbraucht?
550
16 Trocknung
Konvektionstrocknung mit Luftrückführung
a) 1 kg/s Luft (bezogen auf trockene Luftmasse) von 68°C und 40% = 40 kW. Welchen neuen relativer Luftfeuchtigkeit wird erhitzt mit Q Zustandspunkt erreicht die Luft? b) Mit der erhitzten Luft sollen 40 g/s feuchtes Gut mit einer Feuchtebeladung von 50% vollständig getrocknet werden. Das Gut entstammt einer Kältekammer, dessen Temperatur nahe 0°C beträgt. Die Wärmeleistung zum Aufheizen des trockenen Guts von 0 °C auf die Trocknungstemperatur ist im Vergleich zur Verdampfungsleistung klein und darf vernachlässigt werden. Welchen Zustandspunkt erreicht die Luft nach der Aufnahme der Feuchtigkeit? c) Ein Teil der Luft wird mit Frischluft vermischt im Verhältnis von 1 zu 2. Der andere Teil der Luft wird ins Freie abgeblasen. Die Frischluft hat eine Temperatur von 73 °C und eine spezifische Feuchte von 70 g/kg. Welchen Zustandspunkt ' erreicht die Mischluft? Hinweis: Bei korrekter Lösung entspricht der Zustandspunkt ' dem Zustandspunkt .
16.6 Literatur [1] Kneule F (1975) Das Trocknen. 3 Aufl, Sauerländer, Aarau [2] Krischer O, Kast W (1992) Die wissenschaftlichen Grundlagen der Trocknungstechnik. 3 Aufl, Springer, Berlin Heidelberg New York [3] Kröll K (1978) Trockner und Trocknungsverfahren. 2 Aufl, Springer, Berlin Heidelberg New York [4] Kröll K, Kast W (1989) Trocknen und Trockner in der Produktion. Springer, Berlin Heidelberg New York [5] Sattler K (1988) Thermische Trennverfahren - Grundlagen, Auslegung, Apparate. VCH, Weinheim [6] Mersmann A (1989) Thermische Verfahrenstechnik. Springer, Berlin Heidelberg New York [7] Grassmann P, Widmer F, Sinn H (1997) Einführung in die thermische Verfahrenstechnik. 3 Aufl, de Gruyter, Berlin [8] Verein Deutscher Ingenieure (1997) VDI-Wärmeatlas. 8 Aufl, Springer, Berlin Heidelberg New York [9] Gnielinski V, Mersmann A, Thurner F (1993) Verdampfung, Kristallisation, Trocknung. Vieweg, Braunschweig
16.6 Literatur
551
[10]Vauck W, Müller H (1994) Grundoperationen chemischer Verfahrenstechnik. 10 Aufl, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig [11]Robel H et al (1983) Lehrbuch der chemischen Vefahrenstechnik. VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig [12]Ignatowitz E (1997) Chemietechnik. 6 Aufl, Europa-Lehrmittel, HaanGruiten [13]Bockhardt H et al (1997) Grundlagen der Verfahrenstechnik für Ingenieure. 4 Aufl, Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Stuttgart [14]Philipp H (1980) Einführung in die Verfahrenstechnik. Sauerländer, Aarau [15]Ott J et al (1985) Trocknen von Feststoffen. Vogt-Schild, Solothurn [16]Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie/ BG Chemie (2002) Thermische Sicherheit chemischer Prozesse, Merkblatt R004. Jedermann, Heidelberg
17 Berechnungen und Antworten zu Teil III
17.1 Mischen, Rühren Strömungsbild im Rührkessel Maßgebend für die Bezeichnung der Strömungsart ist die Situation in unmittelbarer Nähe des Rührorgans. Axial d.h. in Richtung der Rührwerkswelle wirken der Propellerrührer a), der Schrägblattrührer b), der MIGRührer i) und der Wendelrührer k). Leistungsaufnahme im Rührkessel Die Reynoldszahl des Rührers beträgt gemäß Gl. 10.1
Re =
ρ ⋅ f ⋅ d 2 1'000 ⋅ 90 ⋅ 0,6 2 = = 540'000 η 60 ⋅10 −3
(17.1)
Bei Kenntnis der Reynoldszahl kann in der Abb. 10.5 die dazugehörige Newtonzahl herausgelesen werden. Sie beträgt Ne = 2,8. Die Leistungsaufnahme des Rührwerks berechnet sich gemäß Gl. 10.2 zu P = Ne ⋅ ρ ⋅ f 3 ⋅ d 5 = 2,8 ⋅ 1'000 ⋅ 1,53 ⋅ 0,6 5 W = 735 W
(17.2)
Diese Leistung sollte in Relation mit dem Flüssigkeitsvolumen im Rührkessel gesetzt werden. Die spezifische Leistungsaufnahme sollte zwischen 100 und 1'000 W/m3 liegen. Statische Mischer
Die Mischstrecke beträgt bei turbulenter Strömung rund das tausendfache der Länge eines statischen Mischelements. Im vorliegenden Fall wäre die Mischstrecke 50 m lang. (Bei laminarer Strömung ist keine Quervermischung vorhanden. Die Mischstrecke wäre gar unendlich lang!) Eine lange Mischstrecke ist gefährlich, wenn z.B. Edukte mit einander gemischt wer-
554
17 Berechnungen und Antworten zu Teil III
den, die zu unerwünschten Folgereaktionen neigen. Es würde eine Produktverteilung resultieren, die viele Nebenprodukte und nur wenig Hauptprodukt enthielte. Statische Mischer eignen sich speziell für Situationen, in denen eine Durchmischung von Komponenten mit verschiedenen Dichten oder viskosen Eigenschaften in Rohrleitungen relativ schnell erfolgen soll.
17.2 Sedimentieren Sinkgeschwindigkeit eines Einzelkorns
Die kinematische Viskosität von Wasser ν kann z.B. in der Wasserdampftafel (Tabelle 7.15) nachgeschlagen werden. Bei 20°C ist ν = 10-6 m2⋅s-1. Zur Ermittlung der Sinkgeschwindigkeit muss zuerst die Archimedeszahl berechnet werden. Ar =
3 § ρ − ρW dP ⋅ g ⋅ ¨¨ P 2 ν © ρW
· 10 −9 ¸¸ = −12 ⋅ 9,81 ⋅1,4 = 13'734 ¹ 10
(17.3)
Die Archimedeszahl hat eine mittlere Größe. Zur Berechnung der Reynoldszahl gilt somit die Gl. 11.17. Re = Ar 0,714 6,55 = 137,5
(17.4)
Die Sinkgeschwindigkeit folgt aus der Gl. 11.22, wobei für die Sphärizität des Sandkorns ϕ = 0,7 eingesetzt wird (s. Tabelle 11.1).
v=
ϕ ⋅ Re⋅ ν 0,7 ⋅137,5 ⋅10 −6 m = = 9,6 cm / s dP 10 −3 s
(17.5)
Die Sinkgeschwindigkeit des einzelnen Sandkorns ist relativ groß. Sinkgeschwindigkeit eines Teilchenschwarms
Die Archimedeszahl wurde bereits in der vorhergehenden Fragestellung zu Ar = 13'734 bestimmt. Mit der Gleichung 11.26 ergibt sich ein Exponent m von m = 5,5 ⋅ Ar −0, 06 = 5,5 ⋅13'734 −0, 06 = 3,1
(17.6)
Der Exponent m wird in die Gl. 11.24 zur Berechnung der Sedimentationsgeschwindigkeit eingesetzt.
17.3 Verdampfen
v S = v ⋅ (1 − ε T ) = 9,6 ⋅ (1 − 0,2) cm / s = 9,0 cm / s m
3,1
555
(17.7)
Die Sedimentationsgeschwindigkeit hat trotz gegenseitiger Beeinflussung der Teilchen nur um ca. 7 % abgenommen.
17.3 Verdampfen Dampfdruck nach Clausius-Clapeyron
Zuerst wird mit der Gl. 12.12 die spezifische Verdampfungsenthalpie ∆hv M berechnet. Für T1 und T2 sind die absoluten Temperaturen in Kelvin einzusetzen.
∆h v M = =
R ⋅ T1 ⋅ T2 ⋅ ln (p *2 p *1 ) T2 − T1
(17.8)
8,314 J ⋅ 298 ⋅ 350 ⋅ ln (1,013 0,126) = 34'760 J mol (350 − 298) ⋅ mol
Der gesuchte Dampfdruck p*3 ergibt sich aus der Gl. 12.11. ° ∆h v M § 1 1 ·°½ ⋅ ¨¨ − ¸¸¾ p *3 = p *1 ⋅ exp® °¯ R © T1 T3 ¹°¿ 34'760 § 1 1 ·½ = 0,126 bar ⋅ exp® ⋅¨ − ¸¾ = 0,388 bar ¯ 8,314 © 298 324 ¹¿
(17.9)
Der Unterschied von p*3 = 0,39 bar zum arithmetischen Mittel (p*1+p*2)/2 = (0,126+1,013)/2 = 0,57 bar ist groß, obwohl die Temperatur T3 genau zwischen den Temperaturen T1 und T2 liegt. Zwischen zwei Druckwerten darf nicht arithmetisch interpoliert werden, außer wenn der Druckunterschied sehr klein ist. Beim betrachteten Lösungsmittel handelt es sich übrigens um Ethylacetat bzw. Essigester. Dampfdruck nach Trouton
Die Lösung erfolgt mit der Gl. 12.11 von Clausius-Clapeyron, wobei für die Verdampfungsenthalpie ∆hv M die Regel von Trouton (Gl. 12.13) angewendet wird. Für apolare Stoffe gilt für die spezifische Entropie ∆sv M = 85 J⋅mol-1⋅K-1.
556
17 Berechnungen und Antworten zu Teil III
∆h v M = TS ⋅ ∆s v M = 342 ⋅ 85 J / mol = 29'080 J / mol
(17.10)
Der gesuchte Dampfdruck p*2 beträgt ° ∆h v M § 1 1 ·½° ¸¸¾ p *2 = p *1 ⋅ exp® ⋅ ¨¨ − °¯ R © T1 T2 ¹°¿ 29'080 § 1 1 ·½ = 1,013 bar ⋅ exp® ⋅¨ − ¸¾ = 0,224 bar ¯ 8,314 © 342 298 ¹¿
(17.11)
Beim Lösungsmittel handelt es sich um Hexan. Hexan ist ein absolut apolarer Stoff. Sein wahrer Dampfdruck beträgt 0,202 bar bei 25 °C. Die Abweichung des berechneten vom realen Resultat ist relativ gering. Die Abweichung fällt umso geringer aus, je näher der gesuchte Wert beim vorgegebenen Druck-Temperatur-Wertepaar liegt (hier 1,015 bar, 69 °C). Optimale Heizleistung
Einen Anhaltspunkt für die optimale Heizleistung liefert die Gl. 12.20. Bei einer horizontalen Heizfläche ist die kritische, maximale Heizleistung kurz vor dem Übergangssieden
{
}
q krit = 0,13 ⋅ ∆h v ⋅ ρ 0g,5 ⋅ g ⋅ σ ⋅ (ρ " − ρ g )
= 0,13 ⋅ 173 ⋅ 13 0,5 ⋅ {9,81 ⋅ 0,0164 ⋅ 1'412}
0, 25
0 , 25
(17.12)
kW / m 2 = 315 kW / m 2
Wie nahe man in der Praxis an diese kritische Heizleistung heranzugehen wagt bzw. wie groß der Sicherheitsabstand gewählt werden soll, hängt von der Art der Wärmezufuhr ab. Bei einer Wärmezufuhr durch einen Wärmeträger wie z.B. Öl oder Wasserdampf ist die Übertemperatur fix vorgegeben. Es droht kein Burn Out, selbst wenn die Heizfläche vorübergehend durch Dampfblasen bedeckt sein sollte. Anders sieht die Situation aus, wenn z.B. mit einem Brenner direkt beheizt wird. Hier könnte das Material des Verdampfers Schaden nehmen, wenn kurzzeitig ein Übergangssieden auftritt, weil dies zu Filmsieden und hohen Temperaturen führen würde. Hier muss der Sicherheitsabstand zur kritischen Heizleistung größer gewählt sein. In der Praxis wird eine Heizleistung von 70-85% der kritischen Heizleistung vorgeschlagen, vorausgesetzt der Verdampfer wird stets gut gewartet (keine Verkrustungen etc.).
17.3 Verdampfen
557
Siedepunktserhöhung durch gelösten Stoff
Kochsalz wird chemisch Natriumchlorid genannt. Eine 0,1 molare Kochsalzlösung entspricht einer Mischung von 5,8 Gramm Natriumchlorid in 1 Liter Wasser. Beim Lösen in Wasser zerfällt (dissoziiert) das Natriumchlorid vollständig in Natrium- und Chlorid-Ionen. Aus 0,1 Mol Salz bilden sich 0,2 Mol Ionen, d.h. die Konzentration an gelösten Teilchen in der Lösung beträgt 0,2 mol/L (s. Gl. 12.17). Die Siedepunktserhöhung kann mit Gl. 12.19 berechnet werden. Die Verdampfungsenthalpie von Wasser bei 100 °C wird der Tabelle 12.1 entnommen. R ⋅ TS 8,314 ⋅ 373 2 ∆Ti = T − TS ≈ ⋅ 0,2 ⋅ 1'000 K ⋅ ci = 1'000 ⋅ 2'260'000 ρ L ⋅ ∆h v 2
(17.13)
= 1,02 K Der Faktor 1'000 in der Gl. 17.13 berücksichtigt, dass die Konzentrationsangabe ci in mol/m3 und nicht in mol/L erfolgen muss, sofern überall SI-Basiseinheiten eingesetzt werden. Der Siedepunkt erhöht sich durch das gelöste Salz um 1 °C. Das salzhaltige Wasser siedet bei 101 °C. Siedepunktserhöhung durch hydrostatischen Druck
Zur Beantwortung der Frage dient die Gl. 12.22. Fehlende Stoffdaten können der Tabelle 7.15 entnommen werden. Der Dampfanteil in der siedenden Flüssigkeit wird vernachlässigt. Der Siedepunkt erhöht sich somit um ∆Th = Th − TS = =
ρ "g ⋅ g ⋅ h ⋅ R ⋅ TS
2
(17.14)
M L ⋅ ∆h v ⋅ p
960 ⋅ 9,81 ⋅ 1,6 ⋅ 8,314 ⋅ 373 2 K = 4,3 K 0,018 ⋅ 2'260'000 ⋅ 100'000
Die Siedepunktserhöhung bedingt durch die Flüssigkeitssäule ist beträchtlich und wird fälschlicherweise oft vernachlässigt.
558
17 Berechnungen und Antworten zu Teil III
17.4 Kondensieren Kondensation an einem Rohr
Um die Kondensationsleistung zu erhöhen, sind folgende Möglichkeiten denkbar: − − − −
Dampfgeschwindigkeit erhöhen Rippen an Rohr anbringen Wandtemperatur erniedrigen Inertgasanteil klein halten
Alle erwähnten Vorschläge können im Einzelfall sehr effizient sein. Die Dampfgeschwindigkeit, mit der das Rohr seitlich angeströmt wird, erhöht den Wärmeübergangskoeffizienten, weil die Anströmung die Temperaturgrenzschicht und eventuell auch die Konzentrationsgrenzschicht, die aus Inertgasen besteht, verkleinert. Die Rippen erhöhen die Wärmeübertragungsfläche und damit den Wärmefluss, der sich normalerweise proportional zur Fläche verhält. Eine kleinere Wandtemperatur erhöht das treibende Temperaturgefälle der Kondensation und damit den Wärmefluss gemäß Gl. 7.37. Bereits ein kleiner Inertgasanteil behindert die Kondensation empfindlich. Ein Teil des Dampfs sollte laufend abgeleitet werden, um angereicherte Inertgasanteile wegzuführen. Kondensation an einem Rohrbündel
Die Strömungsgeschwindigkeit ist kleiner als 5 m/s, sodass Impulskräfte vernachlässigt werden dürfen. Der Wärmeübergangskoeffizient an ein einzelnes horizontales Rohr kann anhand der Gl. 13.9 berechnet werden. ª λ3 ⋅ ρ 2 ⋅ ∆h v ⋅ g º α = 0,75 « " " » ¬ η " ⋅ (TS − TW ) ⋅ d ¼
1
(17.15)
4
0,75 W ª 0,67 3 ⋅ 970 2 ⋅ 2,26 ⋅ 10 6 ⋅ 9,81 º = 2 ⋅« » m ⋅ K ¬ 0,35 ⋅ 10 −3 ⋅ 40 ⋅ 25 ⋅ 10 −3 ¼
1
4
= 8'680
W m2 ⋅ K
Im Rohrbündel liegt der Wärmeübergangskoeffizient etwas niedriger. Es gilt die Gl. 13.11. α Bündel = α ⋅ n
−1 12
= 8'680
W W −1 ⋅ 200 12 = 5'580 2 2 m ⋅K m ⋅K
(17.16)
17.4 Kondensieren
559
Die Wärmeleistung des Kondensators errechnet sich mit Gl. 7.37.
= α ⋅ A ⋅ ∆T = α ⋅ n ⋅ " ⋅ π ⋅ d ⋅ ∆T Q = 5'580 ⋅ 200 ⋅ 3 ⋅ π ⋅ 0,025 ⋅ 40 W = 10'514 kW
(17.17)
Die Kondensatmenge beträgt = m
Q 10'514 kW ⋅ kg = = 4,65 kg s = 16,75 t h ∆h v 2'260 kJ
(17.18)
Die Gleichung 17.15 beruht auf der Annahme, dass die Strömung laminar ist. Es gilt nun, diese Annahme zu überprüfen. Dazu wird die Reynoldszahl gemäß Gl. 13.12 berechnet. Re =
m
2 ⋅ n ⋅ " ⋅ η"
=
4,65 2 ⋅ 200 ⋅ 3 ⋅ 0,35 ⋅10
−3
= 157
(17.19)
Die aktuelle Reynoldszahl ist kleiner als 250. Die Annahme einer laminaren Strömung war also korrekt. Die Gleichung 13.9 durfte verwendet werden und die obigen Resultate sind als gültig zu erachten. Vergleich von Mischkondensatoren
Mischkondensatoren ohne Einbauten, in denen eine kalte Flüssigkeit verdüst wird, sind besonders effizient. Durch das Verdüsen entstehen viele feine Tröpfchen, die eine hohe spezifische Oberfläche besitzen. Damit wird die Kontaktoberfläche zur Kondensation vergrößert. Die hohe Relativgeschwindigkeit zwischen den verdüsten Tröpfchen und dem kondensierenden Dampf verkleinert zudem die Grenzschichten für den Stoff- und den Wärmetransport. Es entstehen Turbulenzen, die den Stoff- und den Wärmeübergang beschleunigen (s. Kap. „Stofftransport/ Konvektion“). Aber auch Mischkondensatoren mit Einbauten besitzen Vorteile, wie dies die Tabelle 17.1 ausweist. Tabelle 17.1. Vergleich von Mischkondensatoren ohne bzw. mit Einbauten Mischkondensatoren
ohne Einbauten
mit Einbauten
Vorteile
− hohe Effizienz − einfacher Aufbau
− tropfenfreier Purge − niedriger Energieverbrauch
Nachteile
− verstopfte Düsen − Mitreißen der Tropfen − hoher Energieverbrauch
− verdreckte Einbauten − Kosten der Einbauten
560
17 Berechnungen und Antworten zu Teil III
17.5 Destillation Massen- und Stoffbilanz
Für die Massenströme einer Destillationsblase gilt Feed (F) = Destillat (D) + Rückstand (R).
F =m D +m R m
(17.20)
Für den Stoffstrom der leichterflüchtigen Komponente mit Massenanteil w gilt F ⋅ wF = m D ⋅ wD + m R ⋅ wR m
(17.21)
F in der Gl. 17.21 und aufgelöst nach Nach einer Substitution von m R ergibt sich dem Massenstrom des Rückstands m w − wF ½ 96 − 40 ½ R =m D ⋅® D m ¾ = 150 kg h ⋅ ® ¾ ¯ 40 − 5 ¿ ¯wF − wR ¿ = 150 kg h ⋅ 1,6 = 240 kg h
(17.22)
F beläuft sich gemäß Gl. 17.20 auf Der Massenstrom des Feeds m 390 kg/h. Absatzweise Destillation
Benzen und Toluen wurden früher Benzol und Toluol genannt. Die Endung -ol ist aber für die Stoffklasse der Alkohole reserviert. Weder Benzen noch Toluen stellen Alkohole dar. Die Wortendung -en bezeichnet chemische Stoffe mit C-C-Doppelbindungen. Sowohl Benzen als auch Toluen gehören zur Stoffklasse der Aromaten. Aromaten sind ringförmige Verbindungen mit C-C-Doppelbindungen. Benzen hat eine molare Masse von MB = 78,11 g/mol. 78,11 kg entsprechen 1 kmol Benzen. Toluen hat eine molare Masse von MT = 92,14 g/mol. 92,14 kg entsprechen 1 kmol Toluen. Die anfängliche Mischung von 78,11 kg Benzen und 92,14 kg Toluen ist also äquimolar, d.h. die Molanteile in der Ausgangsmischung betragen für beide Mischungskomponenten 50%. Benzen und Toluen sind chemisch sehr ähnlich aufgebaut. In der Fachsprache spricht man von homologen Stoffen. In der Mischung verhalten sie sich ideal. Dadurch kann die Aufgabe mit Hilfe der relativen Flüchtigkeit rechnerisch gelöst werden. Eine grafische Lösung gemäß der Abb. 14.10 führt zwar auch zur richtigen Lösung, ist aber nicht zwingend notwendig.
17.5 Destillation
561
Die grafische Lösung ist vor allem bei Mischungen angezeigt, in denen sich die Komponenten nicht ideal verhalten. Die Beziehung von Rose (Gl. 14.10) erlaubt es, die relative Flüchtigkeit α mit Hilfe der Siedepunkte der reinen Lösungsmittel abzuschätzen. Die Siedepunkte sind in Kelvin einzusetzen. log α1, 2 = 8,9 ⋅
TS*2 − TS*1 TS*2 + TS*1
= 8,9 ⋅
383,75 − 353,25 = 0,368 383,75 + 353,25
→ α1, 2 = 10 0,368 = 2,335
(17.23)
(17.24)
Am Ende der Destillation beträgt der Molanteil der leichterflüchtigen Komponente im Rückstand noch x = 0,1. Mit der Gleichung 14.28 wird das Verhältnis der Molmengen im Rückstand vor und nach der Destillation bestimmt. α
x n = 0 n0 x
2 , 335
ª x (1 − x 0 ) º α −1 0,5 ª 0,1 (1 − 0,5) º 1,335 = ⋅ ⋅ = 0,107 ⋅« ⋅ » 0,1 «¬ 0,5 (1 − 0,1) »¼ ¬ x 0 (1 − x ) ¼
(17.25)
Im Rückstand verbleiben nach der Destillation n = n 0 ⋅ 0,107 = 2 kmol ⋅ 0,107 = 214 mol
(17.26)
1'786 Mol wurden abdestilliert. Die durchschnittliche Zusammensetzung des Destillats y folgt aus Gl. 14.29. y=
n 0 ⋅ x 0 − n ⋅ x 2'000 ⋅ 0,5 − 214 ⋅ 0,1 = 0,548 = n0 − n 2'000 − 214
(17.27)
Die Zusammensetzung des gesammelten Destillats weicht nur unwesentlich von der Zusammensetzung der Rohlösung ab ( y = 0,55 statt x0 = 0,5). Mit einer einfachen Destillation können Lösungsmittel, die wie Benzen und Toluen einen ähnlichen Siedepunkt haben, nur ungenügend getrennt werden. Um Benzen und Toluen von einander zu trennen, muss auf die Rektifikation zurückgegriffen werden (s. Kap. „Rektifikation”). Mit den folgenden Gleichung kann die Masse im Rückstand m bzw. im Destillat mD nach der Destillation berechnet werden. m = n ⋅ (x ⋅ M B + (1 − x ) ⋅ M T )
= 214 ⋅ (0,1 ⋅ 78,11 + 0,9 ⋅ 92,14 ) g = 19,5 kg
(17.28)
562
17 Berechnungen und Antworten zu Teil III
m D = n D ⋅ (y ⋅ M B + (1 − y) ⋅ M T )
(17.29)
= 1'786 ⋅ (0,548 ⋅ 78,11 + 0,452 ⋅ 92,14 ) g = 150,8 kg
Im Rückstand sind nach der Destillation von den ursprünglich vorhandenen 170,25 kg noch 19,5 kg verblieben. 150,8 kg finden sich am Ende der Destillation im Destillat. Wasserdampfdestillation
a) Gemäß der Grafik von Badger-McCabe (Abb. 14.11) siedet das Gemisch bei 84,5 °C. Dies wird durch den Schnittpunkt der Wasserkurve beim Gesamtdruck von 760 Torr (= 1'013 mbar) und der Toluenkurve festgelegt. Der Siedepunkt ist auf der x-Achse ablesbar. Im Vergleich zu den Siedepunkten von reinem Toluen (111 °C) und Wasser (100 °C) siedet das Gemisch bei einer deutlich niedrigeren Temperatur. Das Gemisch bildet ein Minimumazeotrop. b) Der Dampfdruck des Toluens ist auf der y-Achse ablesbar und beträgt am Siedepunkt des Wasser-Toluen-Gemischs etwa 330 Torr (440 mbar). Der Partialdruck des Wassers beträgt somit 760 Torr - 330 Torr = 430 Torr (573 mbar). c) Die Zusammensetzung der Brüden entspricht den Druckanteilen der Komponenten in der Dampfphase. Der Molanteil y des Toluens in den Brüden ergibt sich zu y=
p*Aceton p*Aceton 330 Torr = = ≈ 0,43 760 Torr p*Aceton + p*Wasser p*total
(17.30)
d) Der für die Bildung der Brüden benötigte Wasserdampf berechnet sich mit Gl. 14.34. Für den Sättigungsfaktor Φ der flüssigen Mischung mit Wasserdampf wird 80% angenommen. mW =
m Org Φ
⋅
p *W p *Org
⋅
(17.31) M W 1 kg 430 Torr 18 g / mol = ⋅ ⋅ = 0,32 kg M Org 0,8 330 Torr 92 g / mol
Es braucht hier nur wenig Wasserdampf, weil die molare Masse und der Dampfdruck der organischen Komponente (= Toluen) relativ groß sind. Mit der berechneten Wasserdampfmenge ist der Wasserdampf, der zum Aufheizen des Systems benötigt wird, noch nicht berücksichtigt. Er ist in der Realität noch zum Resultat hinzu zu rechnen.
17.6 Rektifikation
563
17.6 Rektifikation Auslegung einer Rektifikationskolonne
a) Zur Berechnung der folgenden Tabellenwerte wurde die Gl. 14.9 verwendet, die auf der relativen Flüchtigkeit α aufbaut. x ist der Molanteil der leichterflüchtigen Komponente in der flüssigen und y derjenige in der dampfförmigen Phase. y=
3x α⋅x = 1 + (α − 1) ⋅ x 1 + 2 x
(17.32)
Tabelle 17.2. Molanteile x und y in der flüssigen bzw. dampfförmigen Phase x y
0,1 0,250
0,2 0,429
0,3 0,563
0,4 0,667
0,5 0,750
0,6 0,818
0,7 0,875
0,8 0,923
0,9 0,964
y 1 Schnittpunktsgerade
9 8
Zusammensetzung des Dampfs
vmin + 1
7
= 0,28
6
Verstärkungsgerade
5 4
3
0,6 Abtriebsgerade
xD vmin + 1
2
= 0,65
45°-Diagonale 1
x 0
xS = 0,05
xF = 0,6
xD = 1 0,9
Zusammensetzung der Flüssigkeit
Abb. 17.1. McCabe-Thiele Diagramm zur Bestimmung der theoretischen Stufenzahl einer Rektifikationskolonne
564
17 Berechnungen und Antworten zu Teil III
b) Die Werte der Tabelle 17.2 werden nun in ein quadratisches Diagramm übertragen, wobei der Molanteil der flüssigen Phase auf der x-Achse und der Molanteil der dampfförmigen Phase auf der y-Achse einzusetzen sind. Es entsteht eine nach links oben gebogene Kurve, die so genannte Gleichgewichtslinie (s. Abb. 17.1). Als Hilfslinie wird die 45°-Diagonale von links unten nach rechts oben eingezeichnet. c) Die Schnittpunktsgerade unterteilt die Grafik in einen linken unteren Teil, der die Verhältnisse im Abtriebsteil der Kolonne beschreibt, und in einen rechten oberen Teil, der die Verhältnisse im Verstärkungsteil der Kolonne wiedergibt. Gemäß der Tabelle 15.2 verläuft die Schnittpunktsgerade senkrecht, wenn der Zulauf bzw. der Feed in die Kolonne im siedenden Zustand erfolgt. Die Schnittpunktsgerade wird nun senkrecht oberhalb der Zusammensetzung des Zulaufs xF in das McCabe-Thiele Diagramm eingetragen (s. Abb. 17.1). d) Es gibt eine grafische und eine rechnerische Lösung. Zuerst soll die grafische Lösung vorgestellt werden. Dazu wird im McCabe-Thiele Diagramm eine Hilfsgerade eingetragen. Sie verläuft vom Punkt (xD; xD) über den Schnittpunkt der Schnittpunktsgeraden mit der Gleichgewichtskurve bis zur y-Achse. Das minimale Rücklaufverhältnis kann nun entweder aus dem y-Achsenabschnitt oder aus der Steigung der Hilfsgeraden abgeleitet werden (s. Abb. 15.9). Die Berechnung über den y-Achsenabschnitt erfolgt mit 0,65 =
xD 0,9 = → v min = 0,38 v min + 1 v min + 1
(17.33)
Die Berechnung über die Steigung der Hilfsgeraden erfolgt mit v min = 0,28 → v min = 0,39 v min + 1
(17.34)
Rechnerisch kann das minimale Rücklaufverhältnis mit der Gl. 15.15 berechnet werden. Dies ist erlaubt, weil die relative Flüchtigkeit α über den gesamten Konzentrationsbereich als konstant angenommen wird und sich das Gemisch ideal zu verhalten scheint. v min =
1− xD 1 § xD ⋅ ¨¨ −α⋅ α −1 © x F 1− xF
· 1 § 0,9 0,1 · ¸¸ = ⋅ ¨ − 3⋅ ¸ = 0,38 0,4 ¹ ¹ 2 © 0,6
(17.35)
In allen Fällen resultiert das selbe minimale Rücklaufverhältnis vmin von etwa 0,4.
17.6 Rektifikation
565
e) Das betrieblich verwendete Rücklaufverhältnis v wird häufig bei 150% des minimalen Rücklaufverhältnisses festgelegt. v = 1,5 ⋅ v min ≈ 1,5 ⋅ 0,4 = 0,6
(17.36)
f) Mit dem betrieblichen Rücklaufverhältnis v = 0,6 kann nun ein neuer yAchsenabschnitt berechnet werden.
y − Achsenabschnitt =
xD 0,9 = = 0,56 v + 1 0,6 + 1
(17.37)
Dieser y-Achsenabschnitt wird nun im McCabe-Thiele Diagramm markiert. Jetzt wird eine Gerade vom Punkt (xD; xD) bis zum markierten yAchsenabschnitt gezogen. Der Teil der Geraden, der zwischen dem Punkt (xD; xD) und der senkrecht verlaufenden Schnittpunktsgeraden liegt, entspricht der Verstärkungsgerade (s. Abb. 15.11). Der Schnittpunkt der Verstärkungsgeraden mit der Schnittpunktsgeraden und der Punkt (xS; xS) legen die Abtriebsgerade fest. Verstärkungs- und Abtriebsgerade sind in der Abb. 17.1 eingezeichnet. g) Die Anzahl der theoretischen Stufen nth, die es für eine Trennung mittels Rektifikation braucht, ergibt sich aus einem Treppenzug zwischen der Gleichgewichtskurve und der Abtriebs- bzw. Verstärkungsgeraden (s. Abb. 15.11). Die Treppenkonstruktion beginnt bei xS = 0,05 und endet bei xD = 0,9. Es sind insgesamt 9 theoretische Stufen notwendig (s. Abb. 17.1). h) Auf einem Boden einer Rektifikationskolonne wird der Gleichgewichtszustand zwischen der Dampf- und der Flüssigkeitsphase nie ganz erreicht. In der Praxis entspricht die Trennleistung eines realen Bodens etwa der Hälfte derjenigen einer theoretischen Stufe (s. Gl. 15.18). Effektiv werden also etwa 18 Böden benötigt. i) Die Schnittpunktsgerade im McCabe-Thiele Diagramm schneidet die Treppenkonstruktion in 6 theoretische Stufen des Abtriebteils (links) und 3 theoretisch Stufen des Verstärkungsteils (rechts). Da eine theoretische Stufe etwa zwei praktischen Böden entspricht, muss der Zulauf oberhalb des zwölften Bodens in die Kolonne, d.h. auf etwa 2/3 der Kolonnenhöhe, erfolgen.
566
17 Berechnungen und Antworten zu Teil III
Heizleistung und Kolonnendurchmesser
a) Zuerst wird die mittlere Verdampfungsenthalpie der Brüden ∆h v mit Hilfe der Gl. 15.38 berechnet. ∆h v = y ⋅ ∆h v,1 + (1 − y) ⋅ ∆h v , 2
(17.38)
= 0,4 ⋅ 35,71 kJ mol + 0,6 ⋅ 35,64 kJ mol = 35,67 kJ mol Die mittlere Verdampfungsenthalpie ∆h v ist fast gleich groß wie die Verdampfungsenthalpien der reinen Lösungsmittel. Dies erstaunt nicht, besitzen die beiden Lösungsmittel doch praktisch die selben Siedetemperaturen. Der Molenstrom der Brüden folgt aus einer Umformung der Gl. 15.37. n =
Q Heizung
∆h v
=
60 kW ⋅ mol = 1,68 mol / s 35,67 kJ
(17.39)
b) Der Volumenstrom der Brüden wird mit Hilfe des idealen Gasgesetzes berechnet. 3 = n ⋅ R ⋅ T = 1,68 ⋅ 8,314 ⋅ 407 m = 56,9 L / s V p 100'000 s
(17.40)
c) Der Kolonnendurchmesser dKol resultiert aus einer Verknüpfung der Gln. 15.32 und 15.34. d Kol = 2 ⋅
A quer π
=2⋅
V 0,0569 = 2⋅ ⋅ m = 0,19 m vg ⋅ π 2⋅π
(17.41)
Eine Kolonne mit 20 cm Innendurchmesser genügt, um die verlangte Stofftrennung mittels Rektifikation sicherzustellen. Vakuumrektifikation
Eine Rektifikation unter Vakuum bietet folgende Vorteile: − Die relative Flüchtigkeit ist im Vergleich zu derjenigen bei Normaldruck größer. Die Trennung läuft effizienter ab. Die Kolonne wird weniger hoch. − Azeotrope verschieben sich in Richtung leichterflüchtige Komponente und können so mittels Zweidruckrektifikation getrennt werden.
17.7 Trocknung
567
− Die Siedetemperatur ist niedrig. Wärme empfindliche Stoffe können thermisch schonend getrennt werden. − Da die Arbeitstemperatur niedrig ist, kann eventuell Abfallwärme zur Beheizung der Kolonne verwendet werden. Eine Rektifikation unter Vakuum leidet unter folgenden Nachteilen: − Die Kolonne muss vakuumfest gebaut sein, was die Beschaffungskosten erhöht. − Es müssen Vakuumpumpen eingebaut und gewartet werden. − Die Kolonne hat einen viel kleineren Durchsatz pro Querschnitt, da die Dampfphase eine geringe Dichte aufweist. Dadurch wird die Kolonne dicker. − Bei Leckagen kann Luft eindringen. Die Kondensation am Kopf der Kolonne wird erschwert. Die Trennung verschlechtert sich. − Bei Leckagen kann sauerstoffhaltige Luft eindringen, was bei brennbaren Lösungsmitteln zu explosionsfähigen Gasgemischen führt.
17.7 Trocknung Kühlgrenztemperatur und Taupunkt
Den schematischen Aufbau eines Psychrometers zeigt die Abb. 16.12. Die Kühlgrenztemperatur ist die Temperatur einer feuchten Oberfläche, die von Luft überströmt wird. Aufgrund der Verdunstung von Wasser kühlt sich die Oberfläche ab. Das Ausmaß der Verdunstung hängt von der relativen Feuchtigkeit der Luft ab. Eine gesättigte Luft kann keine zusätzlich Feuchte aufnehmen. Im Mollier-Diagramm (Abb. 16.7) ist die Kühlgrenztemperatur von 40 °C in einer strichpunktierten Linie dargestellt. Die Stoffdaten der Luft werden am Schnittpunkt der Kühlgrenzlinie mit der Isothermen bei 80 °C bestimmt (s. Abb 16.8). Die Beladung der Luft mit Wasser ist Y = 32 g/kg, die spezifische Enthalpie h1+Y = 164 kJ/kg und die relative Feuchtigkeit ϕ = 10 %. Der Taupunkt ϑTP wird senkrecht unterhalb des Zustandspunkts der Luft an der Sättigungskurve abgelesen. Er beträgt ϑTP = 32 °C. Tritt die oben beschriebene Luftmasse durch eine Fehlmanipulation oder ein Leck aus einer geschlossenen Apparatur aus, so wird sie in der Umgebung der Austrittsstelle kondensieren, da der Taupunkt oberhalb der Umgebungstemperatur von normalerweise 20 bis 25 °C liegt. In Elektronikbauteilen kann dies zu Kurzschlüssen führen. Längerfristig ist auch eine elektrochemische Korrosion von Metallen in der Nähe des Luftaustritts denkbar.
568
17 Berechnungen und Antworten zu Teil III
Kühlen eines Luftstroms
Der Zustandspunkt der warmen Luft findet sich im Mollier-Diagramm als Schnittpunkt der nach oben gebauchten Linie mit einer relativen Feuchtigkeit von ϕα = 0,05 und der Isothermen von ϑα = 100 °C. Die Isothermen verlaufen im Diagramm flach von links unten nach rechts oben (s. Abb. 16.7). Beim Kühlen bewegt man sich im Mollier-Diagramm senkrecht nach unten (s. Abb. 16.9a). Den Zustandspunkt der gekühlten Luft findet sich als Schnittpunkt der Senkrechten unterhalb des Zustandspunkts der warmen Luft mit der Isothermen von 50 °C. Die Beladung wird durch den Abkühlvorgang nicht verändert und beträgt Yα = Yω = 33 g Wasser /kg trockene Luft. Die Enthalpie beträgt am Anfang hα = 190 kJ/kg Luft, sinkt dann aber durch das Abkühlen auf hω = 136 kJ/kg Luft. Kühlt eine Luftmasse ab, so steigt ihre relative Feuchtigkeit. Die relative Luftfeuchtigkeit beträgt nach dem Abkühlen ϕω = 40%. Mischung von Luft mit überhitztem Dampf
Zuerst wird der Zustandspunkt der Luft vor dem Erhitzen im MollierDiagramm (Abb. 16.7) eingetragen. Er ist als Schnittpunkt der Senkrechten mit der Beladung von Yα = 0,01 und der Isothermen von ϑα = 20 °C leicht zu finden. Nun wird eine Gerade vom Polpunkt zum Randwert 3'200 kJ/kg gezogen und durch den Zustandspunkt der Luft vor dem Erhitzen parallel verschoben (s. Abb. 16.11a). Der Schnittpunkt dieser Parallelen mit der Isotherme bei ϑω = 80 °C ergibt den Zustandspunkt der mit Dampf erhitzten Luft. Die Beladung beträgt nach dem Erhitzen Yω = 124 g/kg, die Enthalpie hω = 410 kJ/kg und die relative Feuchtigkeit ϕω = 35%. Wärmebedarf beim Trocknen
Die Aufgabe kann sowohl grafisch als auch rechnerisch gelöst werden. a) grafische Lösung Man trägt die Zustandspunkte für die Frischluft und die Abluft in das Mollier-Diagramm ein (Abb. 16.7), verbindet die Punkte mit einer Geraden und verschiebt die Gerade parallel, bis sie durch den Polpunkt verläuft. Verlängert man diese Parallele bis zum Randmaßstab, so lässt sich an diesem der gesuchte Wärmebedarf pro kg verdampftes Wasser ablesen. Die grafische Lösung ergibt hW = 2'340 kJ/kg. b) rechnerische Lösung
17.7 Trocknung
569
Die rechnerische Lösung erfolgt mit Hilfe der Gl. 16.19. Dazu müssen zuerst die Zustandspunkte der Frischluft α und der Abluft ω im MollierDiagramm gefunden werden (s. Abb. 16.7). Anhand der Zustandspunkte lassen sich die Beladungen Y und die spezifischen Enthalpien h1+Y bestimmen (s. Abb. 16.8a). Die Beladungen betragen Yα = 0,050 und Yω = 0,108. Die spezifischen Enthalpien sind h1+Y,α = 206 kJ/kg und h1+Y,ω = 340 kJ/kg. Nun kann der gesuchte Wärmebedarf mit Hilfe der Gl. 16.19 berechnet werden. hW =
h 1+ Y ,ω − h 1+ Y ,α Yω − Yα
=
340 − 206 ⋅ (kJ kg ) = 2'310 kJ / kg 0,108 − 0,050
(17.42)
Die rechnerische Lösung stimmt mit der grafischen Lösung gut überein. Dies überrascht nicht. Schließlich basiert die Grafik auf rechnerischen Vorgaben. Der Randmaßstab im Mollier-Diagramm wird aus der Gl. 16.19 abgeleitet. Abweichungen von grafischen und rechnerischen Resultaten sind auf Ungenauigkeiten beim Ablesen im Mollier-Diagramm zurückzuführen. Konvektionstrocknung mit Luftrückführung
Das Verfahren entspricht grundsätzlich demjenigen, welches in der Abb. 16.15 gezeigt wird. Da der Trocknungsvorgang im Mollier-Diagramm etwas anders verläuft als in der Abb. 16.15 dargestellt, wird er in der Abb. 17.2 neu wiedergegeben. Der Rechnungsweg wird im folgenden detailliert geschildert. a) Zuerst wird der Zustandspunkt der Luft ins Mollier-Diagramm 16.7 eingetragen. Die Luft weist eine spezifische Enthalpie von h1+Y,2 = 280 kJ/kg auf. Durch das Aufheizen erhöht sich die spezifische Enthalpie um ∆h 1+ Y =
40 kJ ⋅ s Q = = 40 kJ / kg mL s ⋅ 1 kg
(17.43)
Die spezifische Enthalpie der erhitzten Luft beträgt somit h 1+ Y ,3 = h 1+ Y , 2 + ∆h 1+ Y = 280 kJ / kg + 40 kJ / kg = 320 kJ / kg Die Beladung der Luft bleibt durch das Aufheizen unverändert.
(17.44)
570
17 Berechnungen und Antworten zu Teil III
erhitzte Luft 3 Frischluft befeuchtete Luft
2
h 1+Y
1 4
1
2
Mischluft
1
2
3
4
Luft
∆Y
Y
Abb. 17.2. Konvektionstrocknung mit Luftrückführung; Vorgänge im MollierDiagramm links und schematischer Aufbau der Trocknungsanlage rechts
b) Beim Trocknen des Guts nimmt die Luft 20 g/s Feuchtigkeit auf. Die Beladung der Luft steigt somit auf Y4 = Y3 +
W m 20 g ⋅ s = 80 g / kg + = 100 g / kg mL s ⋅ 1 kg
(17.45)
Während des Trocknens ändert sich die spezifische Enthalpie der Luft nicht. Die Enthalpie des eingetragenen Guts ist wegen der tiefen Temperatur vernachlässigbar klein. In der Trocknungskammer selbst wird weder geheizt noch gekühlt, d.h. es wird weder Enthalpie zugeführt noch abgeführt. Der Zustandspunkt der befeuchteten Luft findet sich im MollierDiagramm als Schnittpunkt der Isenthalpen mit h1+Y = 320 kJ/kg und der Beladungslinie mit Y = 100 g/kg. c) Der Zustandspunkt der Frischluft wird im Mollier-Diagramm eingezeichnet. Wird die Frischluft mit der befeuchteten Luft vermischt, so liegt der Zustandspunkt der Mischluft ' im Mollier-Diagramm auf der Verbindungsgeraden zwischen den Zustandspunkten und . Das Verhältnis der Luftmassen bestimmt die Lage des Mischpunkts auf der Verbindungsgeraden (Hebelgesetz). Im vorliegenden Fall wird die Verbindungsgerade in drei gleiche Teile unterteilt. Der Mischpunkt liegt nach dem ersten Drittel der Verbindungsgeraden näher beim Zustandspunkt der Frischluft als bei demjenigen der feuchten Luft, da der Anteil der Frischluft überwiegt. Die Aufgabe ist so gestellt, dass der gefundene Zustandspunkt ' mit dem Zustandspunkt übereinstimmt.
17.7 Trocknung
571
Die Eigenschaften der Luft sind in der Tabelle 17.3 zusammengefasst. Tabelle 17.3. Zustandspunkte der Luft gemäß der letzten Trocknungsfrage; vorgegebene Werte sind kursiv gedruckt, gefundene Werte stammen aus dem Mollier-Diagramm Abb. 16.7 Luft frisch gemischt heiß feucht
Beladung Y 70 g/kg 80 g/kg 80 g/kg 100 g/kg
Temperatur ϑ Enthalpie h 1+Y 73 °C 260 kJ/kg 68 °C 280 kJ/kg 104 °C 320 kJ/kg 57 °C 320 kJ/kg
rel. Feuchte ϕ 30 % 40 % 10 % 80 %
Teil IV Regelungstechnik
Der vierte Teil des Buchs widmet sich der Regelungstechnik. Untenstehend folgt eine kurze Übersicht über die Kapitel in Stichworten. Das Literaturverzeichnis zur Regelungstechnik befindet sich am Ende des vierten Buchteils. 1. Einleitung: Begriffe und Bezeichnungen, Regelungsbeispiele 2. Steuerung und Regelung: Wirkungsplan, Steuerstrecke, Regelkreis 3. Übertragungsverhalten: Statische und dynamische Eingangsfunktionen, Beharrungskennlinie, Sprungantworten, Frequenzgänge 4. Reglertypen: Hilfsenergien für Regler, stetige Regler (P-, PI-, PD-, PID-Regler), unstetige Regler (Zweipunkt-, Dreipunktregler) 5. Regelgüte: Führungs- und Störverhalten, Bewertung der Regelgüte, Beurteilung der Regelbarkeit 6. Einstellregeln für industrielle Regler: Ziegler-Nichols, Chien-Hrones-Reswick, T-Summen-Regel 7. Komplexe Regelsysteme: Split-Range-Regelung, Kaskadenregelung, Verhältnisregelung 8. Prozessleittechnik: Aufbau und Funktion eines Prozessleitsystems, Sicherheit computergesteuerter Anlagen
574
Teil IV
Der vierte Buchteil vermittelt die Grundlagen zu technischen Regelvorgängen, wie sie in chemischen oder verfahrenstechnischen Anlagen ablaufen. Er richtet sich v.a. an Chemiker, Chemie-Ingenieure und Verfahrenstechniker, die sich ein elementares und fundiertes Grundwissen in der Regelungstechnik aneignen wollen. Regelungstechnische Probleme werden heute meistens interdisziplinär gelöst, d.h. Chemiker, Mechaniker, Elektrotechniker und Informatiker arbeiten gemeinsam in einem Team an der Lösung des Problems. Es ist wichtig, dass alle Beteiligten die selbe Sprache sprechen und die wichtigsten regelungstechnischen Fachbegriffe kennen und verstehen. In chemischen und verfahrenstechnischen Anlagen werden Prozessgrößen wie Temperatur, Druck, Fluss, Füllstand, pH oder Konzentrationen geregelt. Es zeigt sich, dass bei allen Regelvorgängen Gemeinsamkeiten auftauchen, die man mit einer einheitlichen Vorgehensweise beschreiben kann. Gewisse Grundgesetze der Regelungstechnik gelten unabhängig von der Art der geregelten Prozessgröße oder des apparativen Aufbaus. Chemische und verfahrenstechnische Prozesse sind heute weit gehend automatisiert. Damit wird der Angestellte von eintönigen und repetitiven Routinearbeiten körperlich und geistig entlastet und kann sich neuen Aufgaben widmen. Er ist örtlich nicht mehr an den Prozess gebunden und kann so den Prozess z.B. aus einer entfernten Messwarte überwachen und bedienen. Dadurch ist er auch vor toxischen oder feuergefährlichen Stoffen deutlich besser geschützt, was seiner Gesundheit und Sicherheit dient. In diesem vierten Teil soll das nötige Wissen vermittelt werden, um ein Regelungsproblem, wie es in der Praxis auftritt, ingenieurmäßig zu lösen. Regelkreise sollen bei bestehenden oder neuen Prozessen vernünftig geplant, bestehende Regelkreise korrekt analysiert und die Einstellparameter der Regler zweckmäßig angepasst werden können.
18 Einleitung in die Regelungstechnik
18.1 Aufgabe einer Regelung Eine technische Regelung hat die Aufgabe, eine bestimmte physikalische Größe in einem Prozess auf einen vorgegebenen Wert zu bringen und sie dort zu halten oder nach einer vorgeschriebenen Funktion zu verändern. Der vorgegebene Wert soll unabhängig von äußeren Einflüssen möglichst schnell erreicht und möglichst exakt beibehalten werden. Beispielsweise soll der Druck in einem Dampfkessel unabhängig vom wechselnden Dampfbezug konstant bleiben (s. Abb. 18.1). DampfdruckSollwert
Stellgrösse für Dampfheizung Regler
Dampf zum Verbraucher Dampfkessel
Dampfdruck-Istwert
Abb. 18.1. Regelung eines Dampfkessels (stark vereinfacht)
Die Steuerungstechnik weist mit der Regelungstechnik viele Gemeinsamkeiten auf. Sie wird deshalb in der Folge gemeinsam mit der Regelungstechnik behandelt. Wo notwendig, wird auf die Unterschiede in den beiden Techniken hingewiesen. Die Begriffe „Steuern“ und „Regeln“ werden auch im täglichen Leben oft gebraucht. Insbesondere der Begriff „Regeln“ tritt auch im nichttechnischen Sinne auf. So will man z.B. eine Angelegenheit mit der Familie oder den Behörden „regeln“. Gemeint ist damit immer, dass ein bestimmtes Ziel oder eine Absicht erreicht werden soll. Tatsächlich laufen im täglichen Leben und in der Natur für den Menschen teils bewusst, teils unbewusst viele Regelungsvorgänge ab. Für diesen verallgemeinerten Regelungsgedanken wurde der Begriff der Kybernetik geschaffen. Die folgenden Kapitel gehen auf kybernetische Vorgänge nur am
576
18 Einleitung in die Regelungstechnik
Rand ein. Sie beschränken sich im wesentlichen auf den Entwurf und die Analyse von technischen Regelvorgängen.
18.2 Begriffe und Bezeichnungen Die Begriffe der Steuerungs- und Regelungstechnik sind in verschiedenen nationalen und internationalen Normen definiert. Dies erleichtert die Verständigung unter den Fachleuten. Die folgenden Ausführungen basieren auf den DIN Normen (DIN = Deutsches Institut für Normung e.V.). Die DIN Norm 19'226 regelt die Begriffe und Bezeichnungen der Steuerungsund Regelungstechnik. Die DIN Norm 19'227 beschreibt die Kennzeichen und Symbole der Messstellen. Die DIN Norm 19'221 beinhaltet international harmonisierte Formelzeichen der Steuerungs- und Regelungstechnik. Die wichtigsten Bezeichnungen der bei Steuer- und Regelvorgängen auftretenden physikalischen Größen sind in der Tabelle 18.1 dargelegt. Weitere Erklärungen folgen an späterer Stelle. Tabelle 18.1. Ein- und Ausgangsgrößen der Steuerung bzw. Regelung Definition der Größe Die Führungsgröße wird auch als Sollwert bezeichnet und entspricht dem gewünschten Wert für die betrachtete Prozessgröße. Die Führungsgröße wird von außen vorgegeben und bleibt durch den Prozess unbeeinflusst.
Symbol w
Die Regelgröße wird auch als Istwert bezeichnet und ist diejenige Prozessgröße des Systems, die zur Regelung des Systems gemessen werden kann. Der Messwert wird dem Regler zugeführt.
x
Die Aufgabengröße ist die Prozessgröße, die mit der Regelung beeinflusst werden soll. In manchen Fällen sind Aufgabengröße und Regelgröße identisch.
xA
Die Regeldifferenz ist die mathematische Differenz zwischen der Führungsgröße und der Regelgröße. Es gilt e = w - x .
e
Die Reglerausgangsgröße ist die Ausgangsgröße des Reglers und zugleich die Eingangsgröße der Stelleinrichtung.
yR
Die Stellgröße ist die Größe, mit der das geregelte System in gewünschter Weise beeinflusst werden kann. Sie ist Ausgangsgröße der Stelleinrichtung und zugleich Eingangsgröße der Regelstrecke.
y
Störgrößen sind von außen einwirkende Größen, die die beabsichtigte Steuerung oder Regelung beeinträchtigen.
z1, z2, z3
18.3 Beispiele von Regelungen
577
18.3 Beispiele von Regelungen Im Folgenden werden einige Beispiele von Regelungen aus dem technischen Bereich diskutiert. Watt’scher Fliehkraftregler James Watt, ein englischer Ingenieur, geb. 1736, gest. 1819, der 1765 die erste brauchbare Dampfmaschine baute, erfand 1788 den Fliehkraftregler, wie er in Abb. 18.2 skizziert ist. Der Regler soll die Drehzahl der Dampfmaschine unabhängig von der Last und vom Dampfvordruck konstant halten. Sein Funktionsprinzip wird im Folgenden kurz beschrieben. An zwei pendelnd gelagerten Armen (2), die mit einer drehenden Welle (3) verbunden sind, befinden sich zwei Massen (1). Die Welle wird von der Dampfmaschine über ein Kegelradgetriebe (4) angetrieben. Sobald sich die Welle dreht, werden die Massen nach außen geschleudert. Dies hat zur Folge, dass der Nutring (5) über das Gestänge (6) gegen die Spiralfeder (7) gedrückt wird. Die Stellung des Nutrings ist also direkt von der Drehzahl der Welle und damit der Dampfmaschine abhängig. Die Nutringstellung wird nun über den Hebel (8) auf das Ventil (9) übertragen. Mit dem Handrad (10) kann es zusätzlich geschlossen oder geöffnet werden.
Abb. 18.2. Prinzipskizze des Watt’schen Fliehkraftreglers
578
18 Einleitung in die Regelungstechnik
Bei ungeschickter Dimensionierung dieses Regelsystems kann das Ventil bei einer Drehzahlsteigerung zu schnell geschlossen werden. Dann sinkt die Drehzahl rapid. Als Folge davon wird das Ventil aufgerissen und die Drehzahl steigt schnell. Nun beginnt der Vorgang erneut, das Ventil schließt sich. Eine solche Regelung schwingt und ist instabil. Es ist ein Ziel dieses Buchteils, Kriterien für stabile Regelkreise zu erarbeiten. Abgaskatalysator Seit Mitte der 80er Jahre sind Neuwagen mit Ottomotoren in Westeuropa mit Abgasreinigungs-Katalysatoren ausgerüstet. Der Katalysator reduziert die drei wichtigen Schadstoffkomponenten Kohlenmonoxid (CO), Stickoxide (NOx) und unverbrannte Kohlenwasserstoffe (HC) in hohem Ausmaß. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass das Luft-BenzinGemisch ein genaues Verhältnis einhält. Im Katalysator laufen dann z.B. folgende Reaktionen ab: 2 CO + O2 2 C2H6 + 7 O2 2 NO + 2 CO
→ 2 CO2 → 4 CO2 + 6 H2O → N2 + 2 CO2
Aus dem Auspuff entweichen so vorwiegend Kohlendioxid, Wasserdampf und elementarer Stickstoff. Die Schadstoffreduktion im Katalysator ist stark von der Luftzahl λ (Lambda) abhängig, welche als Verhältnis der zugeführten Luftmasse zum stöchiometrischen Luftbedarf definiert ist. Ein stöchiometrisches Verhältnis von λ = 1 entspricht je nach Herkunft des Benzins einem mittleren Massenverhältnis von 14,7 kg Luft zu 1 kg Benzin. Bei λ > 1 spricht man von einem mageren, bei λ < 1 von einem fetten Gemisch. In der Abbildung 18.3 ist die starke Abhängigkeit der Schadstoffreduktion von der Luftzahl λ dargestellt. Diese wird mit einer so genannten Lambda-Sonde gemessen. Sie erzeugt je nach Luftzahl eine unterschiedliche elektrische Spannung. Die Spannungs-Luftzahl-Kennlinie der Lambda-Sonde ist ebenfalls in der Abb. 18.3 eingetragen. Die Abbildung 18.4 zeigt das Regelungsprinzip. Die Sondenspannung wird zum Regler geführt. Gleichzeitig wird die aktuell verbrauchte Luftmenge erfasst und das Messsignal ebenso zum Regler geführt. Dieser steuert das Einspritzventil dermaßen, dass das Gemisch eine Luftzahl aufweist, bei der die Schadstoffreduktion im Katalysator maximal wird (λ etwas kleiner als 1).
18.3 Beispiele von Regelungen
579
Abb. 18.3. Schadstoffreduktion im Abgaskatalysator und Spannung der LambdaSonde in Abhängigkeit von der Luftzahl [13]
Abb. 18.4. Prinzipskizze der Lambda-Regelung eines Benzinmotors [13]
Temperaturregelung beim Duschen Die Temperaturregelung des Wassers beim Duschen ist eine typische Handregelung. Von einer Handregelung spricht man, wenn der Mensch die Funktion eines Reglers übernimmt. Der Volumenstrom und die Temperatur des Duschwassers wird an der Mischbatterie durch Auf- oder Zudrehen des Kalt- bzw. Warmwasserhahns eingestellt. Die Wassertemperatur wird auf einen Wert geregelt, den man als angenehm empfindet. Erfahrungsgemäß weiß man, dass zuerst kaltes Wasser kommt, da die Zuleitungen zu Beginn mit kaltem Wasser gefüllt sind. Erst wenn das kalte Wasser
580
18 Einleitung in die Regelungstechnik
durch nachfließendes Warmwasser verdrängt ist, gelangt warmes Wasser zur Mischbatterie und kann mit kaltem Wasser zur gewünschten Temperatur vermischt werden. Die Mischdrehknöpfe werden in eine geeignete Stellung gebracht. Die Wassertemperatur bleibt jedoch nicht lange konstant. Zu Beginn wird ein Teil des Heißwassers dazu benötigt, die Rohrleitung zu erwärmen. Erst danach steht es voll zur Erwärmung des Duschwassers zur Verfügung. Das Duschwasser wird dadurch mit der Zeit heißer und muss durch Verstellen der Mischdrehknöpfe nachgeregelt werden. Schließlich wird das Warmwasser kühler, weil es im Warmwasserspeicher durch Kaltwasser ersetzt wird. So muss erneut nachgeregelt werden. Das Regeln ist deshalb ein fortwährender Vorgang, der aus Messen, Vergleichen und Nachstellen besteht.
18.4 Fragen aus der Praxis Regelungsvorgänge im Alltag Welche Regelungsvorgänge kennen Sie aus dem Alltag? Können Sie die dabei auftretenden Parameter den physikalischen Größen der Tabelle 18.1 zuordnen? Aufgabengröße und Regelgröße Aufgabengröße und Regelgröße sind nicht immer identisch. Welche Regelgrößen schlagen Sie in den folgenden Fällen vor (s. Tabelle 18.2)? Tabelle 18.2. Aufgabengröße und unbekannte Regelgröße Aufgabengröße xA Säuregehalt von Abwässern Feuchtigkeit von Textilbahnen Durchfluss von Abgasen in einem Kamin Staubgehalt im Abgasstrom Viskosität eines Polymerisats im Rührreaktor Füllstand in Kugelmühlen Temperatur im Solekreislauf Sauerstoffgehalt des Blutes
Regelgröße x
Regelung durch Menschen Welche Vorteile und Nachteile hat der Mensch als Regler?
19 Steuerung und Regelung
19.1 Wirkungsplan Für die Darstellung gesteuerter oder geregelter Abläufe benötigt der Regelungstechniker eine einfache grafische Möglichkeit, um die logischen Zusammenhänge zwischen den Informationsflüssen und deren Verarbeitung im System darzustellen. Dies ist der so genannte Wirkungsplan, der früher auch Signalflussplan genannt wurde. Er hat für den Regelungstechniker die selbe Bedeutung wie ein Schaltschema für den Elektrotechniker oder ein Verfahrensfließbild für den Chemie-Ingenieur. Elemente des Wirkungsplans Ein Wirkungsplan enthält als mögliche Elemente Wirkungslinien, Funktionsblöcke, Additionsstellen und Verzweigungsstellen (s. Abb. 19.1). u
a) Wirkungslinie
u2
+
u1
u dt
v
b) Block
u v
+ c) Addition
d) Verzweigung
Abb. 19.1. Elemente des Wirkungsplans; u: unabhängige, verursachende Größe; v: abhängige, beeinflusste Größe
582
19 Steuerung und Regelung
Wirkungslinie Eine Wirkungslinie gibt den Weg eines Signals im Wirkungsplan wieder. Die Wirkungslinie hat einen Anfangs- und einen Endpunkt und wird als Pfeil dargestellt. Die Richtung der Signalwirkung wird auch Wirkungsrichtung genannt. Sie darf mit der Richtung von Massen- und Energieströmen des betrachteten Systems nicht verwechselt werden. Ein Signal durchläuft die Wirkungslinie in unendlich kurzer Zeit und ist über die gesamte Länge einer Wirkungslinie, selbst nach Verzweigungen, immer gleich groß. Funktionsblock Ein Funktionsblock verarbeitet eine oder mehrere Eingangsgrößen zu einer oder mehreren Ausgangsgrößen. Es gilt das Prinzip von Ursache und Wirkung. Der Funktionsblock hat die Form eines Rechtecks. Innerhalb des Rechtecks kann die wirkungsmäßige Abhängigkeit der Ausgangsgrößen von den Eingangsgrößen symbolisch oder in Kurzform angegeben werden (Funktion, Kennlinie, Piktogramm, etc.). Der Funktionsblock ist für sich allein gesehen rückwirkungsfrei, d.h. seine Ausgangsgrößen beeinflussen die Eingangsgrößen niemals. Additionsstelle Eine Additionsstelle addiert bzw. subtrahiert algebraisch mehrere Eingangsgrößen. Sie wird im Wirkungsplan durch ein Kreislein dargestellt, das wesentlich kleiner als ein Funktionsblock ist. Die Polarität, mit welcher ein Signal in die Addition eingeht, wird durch ein Vorzeichen angegeben. Es steht in Wirkungsrichtung gesehen rechts neben der Pfeilspitze zur Additionsstelle. Positive Vorzeichen können auch weggelassen werden. Verzweigungsstelle Eine Verzweigungsstelle ist eine Stelle im Wirkungsplan, von der aus die selbe Größe mehreren Funktionsblöcken oder Additionsstellen zugeführt wird. Sie wird als Punkt auf der Wirkungslinie markiert. Das Eingangssignal einer Verzweigung wird in unveränderter Größe an alle Äste der Verzweigung weitergeleitet.
19.1 Wirkungsplan
583
Grundstrukturen des Wirkungsplans Die Funktionsblöcke können in einem Wirkungsplan zu verschiedenen Strukturen zusammengeschaltet sein. Reihenstruktur Bei einer Reihenstruktur (s. Abb. 19.2) sind alle Funktionsblöcke innerhalb eines Systems mit ihren Wirkungsrichtungen so aneinander gereiht, dass die Ausgangsgröße des einen Funktionsblocks gleich der Eingangsgröße des nachfolgenden Funktionsblocks wird. Diese Grundstruktur ist typisch für eine Steuerkette.
Abb. 19.2. Reihenstruktur
Parallelstruktur Bei einer Parallelstruktur (s. Abb. 19.3) haben die Funktionsblöcke eine gemeinsame Eingangsgröße. Ihre Ausgangsgrößen werden in einer Additionsstelle oder in einem weiteren Funktionsblock wieder zusammengefasst.
Abb. 19.3. Parallelstruktur
Kreisstruktur Bei einer Kreisstruktur (s. Abb. 19.4) wird die Ausgangsgröße eines Funktionsblocks als Eingangsgröße in einen davor liegenden Funktionsblock zurückgeführt. Damit können Rückwirkungen dargestellt werden. Diese Grundstruktur ist typisch für einen Regelkreis.
584
19 Steuerung und Regelung
Abb. 19.4. Kreisstruktur
Wirkungswege und Wirkungsabläufe Wirkungsweg Der Wirkungsweg beschreibt den Weg, den ein Signal oder eine Information im Wirkungsplan durchläuft. Wird das Signal zu einem früheren Funktionsblock zurückgeleitet und dort verarbeitet, sodass es sich letztlich selbst beeinflusst, so spricht man von einem geschlossenen Wirkungsweg. Gibt es im System keine Rückführungen von Signalen zu davor angeordneten Funktionsblöcken, so spricht man von einem offenen Wirkungsweg. Wirkungsablauf Die Art der Funktion, in der eine abhängige Größe von verursachenden Größen in einem System beeinflusst wird, wird als Wirkungsablauf bezeichnet. Entsprechend der obigen Definition spricht man von einem geschlossenen Wirkungsablauf, wenn der Wert einer abhängigen Größe von sich selbst beeinflusst wird bzw. von einem offenen Wirkungsablauf, wenn die abhängige Größe unabhängig vom eigenen Wert ist.
19.2 Steuerung Eine Steuerung ist ein Vorgang in einem System, bei dem eine oder mehrere Eingangsgrößen eine Ausgangsgröße gemäß einer dem System eigenen funktionellen Gesetzmäßigkeit beeinflussen. Eine Steuerung zeichnet sich durch einen offenen Wirkungsablauf aus, d.h. es gibt keine Rückkopplung der Ausgangsgröße auf sich selbst. Die Funktionselemente sind wie Glieder in einer Kette linear verknüpft, weshalb die Struktur auch als Steuerkette bezeichnet wird (s. Abb. 19.5).
19.2 Steuerung
z1 w
y Steuereinrichtung
585
z2 x
Steuersystem
Abb. 19.5. Wirkungsplan einer Steuerkette Tabelle 19.1. Elemente der Steuerkette Definition der Glieder einer Steuerkette Die Steuereinrichtung umfasst die Gesamtheit aller Geräte und Funktionen, die zur Verwirklichung der Steuerung zusätzlich zum Prozess benötigt werden. Die Eingangsgröße ist die Führungsgröße w. Als Ausgangsgröße wird die Stellgröße y gebildet. Die Steuerstrecke entspricht dem gesteuerten Prozess, der beeinflusst werden soll. Die Eingangsgröße ist die Stellgröße y. Durch Einwirkung auf den Prozess folgt daraus die Steuergröße x bzw. die Aufgabengröße xA. Das Steuersystem ist das gesamthafte System bestehend aus Steuereinrichtung und Steuerstrecke.
Stetige und unstetige Steuerung Man unterscheidet zwischen einer stetigen und einer unstetigen Steuerung. Bei einer stetigen Steuerung lässt sich die Stellgröße y und somit die Steuergröße x stufenlos verstellen (z.B. Backofen mit stufenloser Temperaturvorwahl). Bei einer unstetigen Steuerung kann die Stellgröße y nur bestimmte, diskrete Werte annehmen (z.B. Kochplatte mit Stufenschalter). Der Verlauf der Steuergröße x kann aber trotzdem stetig sein. Ablaufsteuerung Wenn die Stellgröße im Verlauf eines Prozesses verändert werden soll, spricht man von einer Ablaufsteuerung. Eine zeitgeführte Ablaufsteuerung ändert die Stellgröße als Funktion der Zeit. Eine prozessabhängige Ablaufsteuerung ändert die Stellgröße je nachdem, ob gewisse Übergangs- oder Fortschaltbedingungen erfüllt sind.
586
19 Steuerung und Regelung
Störgrößenaufschaltung Bei der Störgrößenaufschaltung wird eine Störgröße direkt gemessen und der Steuereinrichtung als zusätzliche Eingangsgröße zugeführt (s. Abb. 19.6). z
Störgrössenerfassung
w
y
x
Steuereinrichtung
Steuersystem
Abb. 19.6. Steuerkette mit Störgrößenaufschaltung
19.3 Regelung Eine Regelung ist ein Vorgang in einem System, bei dem fortlaufend eine zu regelnde Größe, die Regelgröße, erfasst, mit einer anderen Größe, der Führungsgröße, verglichen und im Sinne einer Angleichung an die Führungsgröße beeinflusst wird. Kennzeichnend für das Regeln ist der geschlossene Wirkungsablauf, bei dem die Regelgröße auf einem rückführenden Wirkungsweg fortlaufend auf sich selbst einwirkt. Der Signalfluss beschreibt einen Kreis, weshalb die Struktur auch als Regelkreis bezeichnet wird (s. Abb. 19.7). z1 w
y Regeleinrichtung Regelkreis
Regelsystem
Abb. 19.7. Wirkungsplan eines Regelkreises
z2 x
19.3 Regelung
587
Tabelle 19.2. Elemente des Regelkreises Definition der Glieder eines Regelkreises Die Regeleinrichtung umfasst die Gesamtheit aller Geräte und Funktionen, die zur Verwirklichung der Regelung zusätzlich zum Prozess benötigt werden. Die Eingangsgrößen sind die Führungsgröße w und die Regelgröße x. Als Ausgangsgröße wird die Stellgröße y gebildet. Die Regelstrecke entspricht dem geregelten Prozess, der beeinflusst werden soll. Die Eingangsgröße ist die Stellgröße y. Durch Einwirkung auf den Prozess folgt daraus die Regelgröße x bzw. die Aufgabengröße xA. Das Regelsystem ist das gesamthafte System bestehend aus Regeleinrichtung und Regelstrecke.
Zeitkontinuierliche Regelung und Abtastregelung Bei der zeitkontinuierlichen Regelung wird die Regelgröße ununterbrochen erfasst und mit der Führungsgröße verglichen. Bei der Abtastregelung wird die Regelgröße nur zu bestimmten Zeitpunkten wiederholt erfasst und mit der Führungsgröße verglichen. Adaptive Regelung Bei der adaptiven Regelung passt sich die Regeleinrichtung veränderlichen Betriebsbedingungen und -zuständen z.B. durch Änderung der Regelparameter selbsttätig an. Mehrpunktregelung Bei einer Mehrpunktregelung kann die Stellgröße nur eine endliche Anzahl unterschiedlicher Werte annehmen. Bei einem elektrischen Bügeleisen wird die Temperatur z.B. durch eine Zweipunktregelung geregelt. Beim Erreichen eines oberen Grenzwertes wird die Heizung ausgeschaltet und beim Erreichen eines unteren Grenzwertes wieder eingeschaltet. Festwertregelung und Folgeregelung Bei einer Festwertregelung ist die Führungsgröße auf einen festen Wert eingestellt. Bei einer Folgeregelung ändert die Führungsgröße gemäß einem vorgegebenen Programm, wodurch sich auch die Regelgröße entspre-
588
19 Steuerung und Regelung
chend anpasst. So wird z.B. eine Antenne einem Satelliten mit einer Folgeregelung nachgeführt. Bei einer zeitgeführten Folgeregelung ändert die Führungsgröße und damit die Stellgröße als Funktion der Zeit. Bei einer prozessabhängigen Folgeregelung ändert die Führungsgröße und damit die Stellgröße je nachdem, wie gewisse Bedingungen im Prozess erfüllt sind. Selbsttätige Regelung und Handregelung Eine selbsttätige Regelung ist eine Regelung, bei der alle Vorgänge im Regelkreis ohne Zutun eines Menschen ablaufen. Eine Handregelung ist eine Regelung, bei der die Aufgabe mindestens eines Elements im Regelkreis vom Menschen übernommen wird. Führungsverhalten und Störverhalten Das Führungsverhalten beschreibt das Verhalten der Regelgröße x bzw. der Aufgabengröße xA, wenn die Führungsgröße w ändert. Das Störverhalten beschreibt das Verhalten der Regelgröße x bzw. der Aufgabengröße xA, wenn eine oder mehrere Störgrößen z ändern. Detaillierter Regelkreis Der Wirkungsplan eines Regelkreises (Abb. 19.7) kann gemäß der DIN Norm 19'221 auch detailliert aufgezeichnet werden (s. Abb. 19.8). z
Vergleichsglied
u
w
e
-
Regelglied
yR
Steller
Regeleinrichtung
y
Prozess
x
Stelleinrichtung
Regler
r
Stellglied
Bildung der Aufgabengrösse
xA
Messeinrichtung
Regelstrecke
Abb. 19.8. Detaillierter Wirkungsplan eines Regelkreises; Grafik in Anlehnung an [1 Teil 4]
19.3 Regelung
589
Tabelle 19.3. Elemente des detaillierten Regelkreises Definition der Glieder des detaillierten Regelkreises Die Messeinrichtung ist die Gesamtheit aller zum Aufnehmen, Anpassen und Weitergeben von Größen bestimmten Funktionseinheiten. Die Eingangsgröße ist die Regelgröße x. Die Ausgangsgröße wird als Rückführgröße r bezeichnet. Der Regler ist eine Funktionseinheit, die aus dem Vergleichsglied und dem Regelglied besteht. Er ist ein Teil der Regeleinrichtung. Das Vergleichsglied ist eine Funktionseinheit, die die Regeldifferenz e aus der Führungsgröße w und der Rückführgröße r bildet. Im detaillierten Wirkungsplan der Regelung gilt e = w - r . Das Regelglied ist eine Funktionseinheit, in der aus der vom Vergleichsglied zugeführten Regeldifferenz e die Reglerausgangsgröße yR gebildet wird, sodass im Regelkreis die Regelgröße x der Führungsgröße w möglichst schnell und exakt nachgeführt wird. Dies soll auch gelten, wenn Störgrößen z auftreten. Die Stelleinrichtung, früher auch Stellgerät genannt, ist eine aus Steller und Stellglied bestehende Funktionseinheit. Der Steller, früher auch Stellantrieb genannt, ist eine Funktionseinheit, in der aus der Reglerausgangsgröße yR die zur Ansteuerung des Stellglieds erforderliche Stellgröße y gebildet wird. Der Steller ist oft in den Regler integriert und gehört zur Regeleinrichtung. Das Stellglied ist eine am Eingang der Regelstrecke angeordnete Funktionseinheit, die meist in einen Massen- oder Energiefluss eingreift. Das Stellglied gehört zur Regelstrecke. Eingangsgröße ist die Stellgröße y.
Stelleinrichtung Durch das Stellglied wirkt die Regeleinrichtung auf die Regelstrecke ein. Da hierzu oft eine erhebliche Stellarbeit geleistet werden muss, ist vielfach eine Signalverstärkung notwendig. Diese Aufgabe übernimmt der Steller, auch Stellantrieb genannt. Er verstärkt die Reglerausgangsgröße yR mit Hilfe von äußerer Energie zur Stellgröße y. In einem chemischen Prozess kann die äußere Energie elektrisch, pneumatisch oder hydraulisch zugeführt werden. Die Abbildung 19.9 zeigt die Unterteilung der Stelleinrichtung in Steller und Stellglied anhand eines pneumatischen Ventils.
590
19 Steuerung und Regelung
Steller Stelleinrichtung Stellglied
Abb. 19.9. Steller und Stellglied bei einem pneumatischen Ventil
Wertebereiche Die meisten Größen müssen innerhalb gewisser Wertebereiche liegen, damit die volle Funktionsfähigkeit der Steuerung bzw. Regelung gewährleistet ist. Diese Bereiche sind auch wichtig bei der Festlegung der Schnittstellen zwischen den einzelnen Funktionseinheiten. Die Tabelle 19.4 enthält eine Gegenüberstellung der bei einer Regelung auftretenden Größen und ihrer Wertebereiche. Tabelle 19.4. Regeltechnische Größen und Wertebereiche mit dazugehörigen Symbolen Größe Symbol Eingangsgröße u Ausgangsgröße v Führungsgröße w Reglerausgangsgröße yR Stellgröße y Störgröße z Regelgröße x Aufgabengröße xA Rückführgröße r
Bereich Eingangsbereich Ausgangsbereich Führungsbereich Reglerausgangsbereich Stellbereich Störbereich Regelbereich Aufgabenbereich Rückführbereich
Symbol Uh Vh Wh YRh Yh Zh Xh XAh Rh
19.4 Fragen aus der Praxis
591
19.4 Fragen aus der Praxis Vorzeichenumkehr im Wirkungsplan Wie kann man eine Vorzeichenumkehr in einem Wirkungsplan darstellen? Lenken eines Autos Ist das Lenken eines Autos eine Steuerung oder eine Regelung? Wie sieht der Wirkungsplan aus? Welche Störgrößen beeinflussen den Prozess? Textil-Waschmaschine Wie wird eine Textil-Waschmaschine gesteuert bzw. geregelt? Wie sind die einzelnen Prozessschritte und die dabei notwendigen Steuerungs- bzw. Regelvorgänge zu erklären? Elemente des Watt’schen Fliehkraftreglers Wie sind die technischen Vorrichtungen des Watt’schen Fliehkraftreglers mit den Regelungsgrößen des Regelkreises der Abb. 19.8 in Einklang zu bringen? Welche Zuordnungen sind einfach, welche schwierig? Schwingungen Wie ist die Gefahr des Schwingens der Aufgabengröße bei einem gesteuerten Prozess im Vergleich zu einem geregelten Prozess zu beurteilen? Welche Umstände fördern das Auftreten der unerwünschten Schwingungen?
20 Übertragungsverhalten
Eine wesentliche Grundlage für das Verständnis der Funktion einer Steuerstrecke oder eines Regelkreises bildet die Art der Signalverarbeitung in den einzelnen Funktionsblöcken. Wie im vorhergehenden Kapitel gezeigt, stellen Funktionsblöcke gerichtete Glieder dar. Sie besitzen eine oder mehrere Eingangsgrößen und verarbeiten diese zu einer oder mehreren Ausgangsgrößen. Gemäß DIN 19'266 Teil 2 [2] werden Eingangsgrößen ganz allgemein mit dem Symbol u und Ausgangsgrößen mit dem Symbol v bezeichnet (s. Abb. 20.1). In der Literatur trifft man allerdings auch die Symbole xe für Eingangsgrößen und xa für Ausgangsgrößen recht häufig an.
u
v
(=xe)
(=xa)
Abb. 20.1. Funktionsblock als gerichtetes Glied; u = Eingangsgröße, v = Ausgangsgröße
Ist die Art der Signalverarbeitung, das so genannte Übertragungsverhalten, für jedes einzelne Glied einer Steuerstrecke bzw. eines Regelkreises bekannt, so lässt sich daraus das Gesamtverhalten des Systems ableiten. Dieser Schluss auf das Gesamtverhalten ist für Steuerstrecken ziemlich einfach, für Regelkreise jedoch deutlich schwieriger, da wegen des geschlossenen Wirkungsablaufs Signale auch zurückgeführt werden und das System dadurch in Schwingungen geraten könnte. Das Übertragungsverhalten einzelner oder mehrerer zusammen geschalteter Funktionsblöcke beschreibt die Änderung der Ausgangsgröße v als Funktion der Eingangsgröße u. Da diese Änderung häufig von der Zeit abhängt, wird das Übertragungsverhalten auch Zeitverhalten genannt. In manchen Fällen strebt die Ausgangsgröße v einem konstanten Wert zu, sofern sich die Eingangsgröße u nicht mehr ändert. Der Zusammenhang zwischen den beiden Größen u und v nach langer Zeit und erfolgter Einschwingung nennt man das Beharrungsverhalten.
594
20 Übertragungsverhalten
20.1 Beharrungskennlinie Die Beharrungskennlinie beschreibt den Zusammenhang zwischen der Eingangsgröße u und der Ausgangsgröße v nach langer Zeit, d.h. im stationären Zustand. Nicht alle Systeme gelangen in einen Beharrungszustand, nachdem die Eingangsgröße einmalig verändert worden ist. Verändert sich die Ausgangsgröße trotz einer konstant gehaltenen Eingangsgröße auch noch nach längerer Zeit, so spricht man von einem System ohne Ausgleich. Strebt die Ausgangsgröße nach einer sprungartigen Veränderung der Eingangsgröße einem konstanten Wert zu, so spricht man von einem System mit Ausgleich. Nur für Systeme mit Ausgleich kann eine Beharrungskennlinie festgelegt werden. Als Beispiel für ein System mit Ausgleich sei ein Ofen angeführt. In der Abbildung 20.2 ist die Ofentemperatur im Beharrungszustand als Funktion der Heizleistung aufgezeichnet. Der Zusammenhang zwischen der Ofentemperatur und der Heizleistung ist nicht linear, weil nebst der Wärmekonvektion auch die Wärmestrahlung wirkt und die abgestrahlte Wärme des Ofens mit der Oberflächentemperatur in der vierten Potenz ansteigt (s. Kap. „Wärmeübertragung“). Ofentemperatur v
h Be
a
linie en n k s ng rru
Heizleistung u
Abb. 20.2. Beharrungs-Kennlinie der Ofentemperatur als Funktion der Heizleistung
Das Verhältnis zwischen der Ausgangsgröße v und der Eingangsgröße u im Beharrungszustand wird als Verstärkungsverhältnis Φ bezeichnet.
Φ = lim t →∞
v (t) u (t)
(20.1)
20.3 Sprungantworten
595
20.2 Dynamische Eingangsfunktionen Meistens interessiert nicht nur das statische Beharrungsverhalten, sondern auch das dynamische Zeitverhalten eines oder mehrerer zusammen geschalteter Funktionsblöcke. Das dynamische Zeitverhalten kann in der Regel durch Differentialgleichungen beschrieben werden. Der mathematische Aufbau der Differentialgleichungen ist aber im Voraus für gewöhnlich unbekannt. Um das Übertragungsverhalten eines oder mehrerer Funktionsblöcke zu bestimmen, wird deshalb die Eingangsgröße anhand charakteristischer Testfunktionen zeitlich verändert und der Verlauf der Ausgangsgröße grafisch erfasst. Als Testfunktionen dienen möglichst einfache, anschauliche und leicht reproduzierbare Standardfunktionen. Gebräuchlich sind Sprung-, Impuls-, Anstiegs- und Sinusfunktionen. Die Antworten auf die Testfunktionen werden speziell benannt. Gebräuchliche Testfunktionen und ihre Antworten sind in der Tabelle 20.1 aufgelistet. Die Auswahl der geeignetsten Testfunktion richtet sich nach dem jeweiligen Anwendungszweck. In der chemischen Verfahrenstechnik sind die Systeme in der Regel träge und die Frequenzen klein (f < 10-3 Hz). Sinusfunktionen sind daher wenig verbreitet. Am häufigsten werden in der chemischen Verfahrenstechnik Sprungfunktionen eingesetzt. Der Sprung der Eingangsgröße muss allerdings groß genug ausfallen, damit die Sprungantwort von der Auswirkung allfälliger Störgrößen, die ebenfalls als Sprünge auftreten können, unterscheidbar bleibt.
20.3 Sprungantworten Sprungantworten lassen sich in insgesamt fünf Grundtypen einteilen. Man unterscheidet Sprungantworten mit Proportional-, Verzögerungs-, Integral-, Differential- und Totzeitverhalten. Proportionalverhalten
Ein System mit einem proportionalen Verhalten überträgt die Änderung einer Eingangsgröße u unmittelbar und ohne Verzögerung auf die Ausgangsgröße v (s. Abb. 20.3).
596
20 Übertragungsverhalten
Tabelle 20.1. Übersicht über Testfunktionen und Funktionsantworten zur Ermittlung des Übertragungsverhaltens eines oder mehrerer zusammengeschalteter Funktionsblöcke Eingangsfunktion
Grafik der Eingangsfunktion
Ausgangsfunktion
Die Sprungfunktion verändert die Eingangsgröße einmalig um die Sprunghöhe ∆u. Sie ist leicht realisierbar, da es sich im Prinzip um eine binäre Änderung handelt.
Die Sprungantwort ist der zeitliche Verlauf der Ausgangsgröße bei einer Sprungfunktion als Eingangsgröße.
Die Anstiegsfunktion ändert die Eingangsgröße mit einer zeitlich konstanten Steigung ∆u/∆t. Sie wird angewendet, wenn das System auf eine fortlaufende Änderung der Eingangsgröße reagieren soll.
Die Anstiegsantwort ist der zeitliche Verlauf der Ausgangsgröße bei einer Anstiegsfunktion als Eingangsgröße.
Die Impulsfunktion entspricht einem idealen Dirac-Stoß mit vorgegebener Zeitfläche ∆u⋅∆t. In der Praxis ist die Funktion oft nur schwierig zu verwirklichen, für theoretische Überlegungen jedoch sehr beliebt.
Die Impulsantwort ist der zeitliche Verlauf der Ausgangsgröße bei einer Impulsfunktion als Eingangsgröße.
Die Sinusfunktion ändert die Eingangsgröße entsprechend einer Sinusschwingung mit Amplitude ∆u und Kreisfrequenz ω. Sie ist in der chemischen Verfahrenstechnik eher unüblich und wird für elektronische Frequenzgangmessungen verwendet.
Die Sinusantwort ist der zeitliche Verlauf der Ausgangsgröße bei einer Sinusfunktion als Eingangsgröße. Die Messung erfolgt meistens im eingeschwungenen Zustand.
20.3 Sprungantworten
u
597
v
t
0
t
0 Ausgangsfunktion
Eingangsfunktion
Abb. 20.3. Sprungantwort eines Systems mit proportionalem Übertragungsverhalten
Die Sprungantwort lässt sich mathematisch beschreiben mit
v( t ) = K P ⋅ u ( t )
(20.2)
KP wird Proportionalitätsbeiwert, Proportionalitätskonstante, Streckenverstärkung oder Übertragungsfaktor genannt. Wird der Wert der Funktionsantwort durch den Wert der Eingangsfunktion dividiert, so spricht man von einer normierten Antwort. Das Symbol für einen Funktionsblock mit einem proportionalen Übertragungsverhalten ist in der Abb. 20.4 dargestellt. Der entsprechende Funktionsblock wird auch P-Glied genannt. KP u
v
Abb. 20.4. Funktionsblock mit Proportionalverhalten (P-Glied)
Beispiele für Systeme mit Proportionalverhalten sind die Wegübertragung eines Hebels oder die Auslenkung einer Feder bei wechselnder Zugkraft (s. Abb. 20.5).
598
20 Übertragungsverhalten
""2 = v 2
""1 = u
"=v
1
F=u
Weg eines Hebels
Auslenkung einer Feder
Abb. 20.5. Systeme mit proportionalem Übertragungsverhalten
Verzögerungsverhalten
KP u
KP u
KP u
Ein System mit einem Verzögerungsverhalten reagiert zwar sofort auf einen Sprung der Eingangsgröße, benötigt aber eine gewisse Zeit, um eine konstante Ausgangsgröße zu erreichen. Systeme mit nur einem Verzögerungselement nennt man Verzögerungsglieder erster Ordnung. Systeme mit mehreren Verzögerungselementen nennt man Verzögerungsglieder höherer Ordnung. Bei Verzögerungsgliedern höherer Ordnung unterscheidet man schwingungsfähige und nicht schwingungsfähige Systeme. Schwingungsfähige Verzögerungsglieder entstehen durch alternierenden Energieaustausch zwischen mindestens zwei physikalisch verschiedenen Speichern. Nicht schwingungsfähige Verzögerungsglieder höherer Ordnung entstehen durch serielle Schaltung von mindestens zwei physikalisch gleichartigen Speichern. Die Abbildung 20.6 zeigt die Sprungantwort für ein Verzögerungsglied erster Ordnung sowie für ein nicht schwingungsfähiges bzw. ein schwingungsfähiges Verzögerungsglied höherer Ordnung. Alle dargestellten Verhalten entsprechen Verzögerungen mit Ausgleich, da sie einem endlichen Wert zustreben.
Verzögerung erster Ordnung
Verzögerung höherer Ordnung, nicht schwingungsfähig
Verzögerung höherer Ordnung, schwingungsfähig
Abb. 20.6. Sprungantwort von Systemen mit verzögerndem Übertragungsverhalten
20.3 Sprungantworten
599
Die Sprungantwort lässt sich im Falle einer Verzögerung erster Ordnung mathematisch beschreiben mit (20.3)
−t v( t ) = K P ⋅ §¨1 − e τ ·¸ ⋅ u ( t ) © ¹
Im Falle einer Verzögerung zweiter Ordnung gilt − t − t · § τ1 τ2 ⋅ e τ1 + ⋅ e τ2 ¸¸ ⋅ u ( t ) v( t ) = K P ⋅ ¨¨1 − τ1 − τ 2 © τ1 − τ 2 ¹
(20.4)
τ ist die Verzögerungszeit eines Verzögerungselements und kann z.B. grafisch aus der Abb. 20.6 links durch Anlegen einer Tangente durch den Nullpunkt (t = 0) entnommen werden. Die Symbole für Funktionsblöcke mit verzögerndem Übertragungsverhalten sind in der Abb. 20.7 dargestellt. Die entsprechenden Funktionsblöcke werden PT1- bzw. PTn-Glieder genannt. KP Kp
τ
u u
KP Kp v v
PT1-Glied
τ ...τ 1
KP Kp
n
vv
u u
PTn-Glied (nicht schwingungsfähig)
τ ...τ 1
n
uu
vv
PTn-Glied (schwingungsfähig)
Abb. 20.7. Funktionsblöcke mit Verzögerungsverhalten (PT1- bzw. PTn-Glieder)
Beispiele für Systeme mit Verzögerungsverhalten sind der Druck in einer Druckluftleitung mit Speicher(n), die Temperatur in einem beheizten System oder die Stoffkonzentration in einer kontinuierlich betriebenen Rührkesselkaskade (s. Abb. 20.8). T=v
pein = u
paus = v
cα = u
Pel. = u cω = v
Druckluftleitung
Heizung
Rührkesselkaskade
Abb. 20.8. Systeme mit verzögerndem Übertragungsverhalten
600
20 Übertragungsverhalten
Integralverhalten
Bei den bisher betrachteten Übertragungsverhalten strebt das Ausgangssignal nach einer sprunghaften Änderung des Eingangssignals stets einem neuen, festen Endwert zu, der dann beibehalten wird (Beharrungswert). Systeme, die sich so verhalten, nennt man Systeme mit Ausgleich. Ganz anders verhalten sich Systeme ohne Ausgleich. Sie besitzen keinen Beharrungswert. Vielmehr ändert sich die Ausgangsgröße laufend in Funktion der Eingangsgröße. Ein typischer Vertreter für ein System ohne Ausgleich ist ein System mit Integralverhalten. Bei einem Integralverhalten ist die Änderungsgeschwindigkeit der Ausgangsgröße ∆v/∆t direkt proportional zur Eingangsgröße u (s. Abb. 20.9). u
v
KI = ∆v/∆t
0
t
0
t
Ausgangsfunktion
Eingangsfunktion
Abb. 20.9. Sprungantwort eines Systems mit integrierendem Übertragungsverhalten
Die Sprungantwort lässt sich mathematisch beschreiben mit t
v( t ) = K I ⋅ u ( t ) ⋅ dt
³
(20.5)
0
KI wird Integrierbeiwert oder Integrationskonstante genannt und entspricht der Steigung der Sprungantwort in Abb. 20.9. Das Symbol für einen Funktionsblock mit einem integrierenden Übertragungsverhalten ist in der Abb. 20.10 dargestellt. Der entsprechende Funktionsblock wird auch I-Glied genannt.
20.3 Sprungantworten
601
KI u
v
Abb. 20.10. Funktionsblock mit Integralverhalten (I-Glied)
Ein Beispiel für ein System mit Integralverhalten ist der Füllstand eines Behälters mit kontinuierlichen Zu- und Abflüssen (s. Abb. 20.11). V=u
h=v Füllstand eines Behälters
Abb. 20.11. System mit integrierendem Übertragungsverhalten
Differentialverhalten
Bei einem Differentialverhalten ist die Ausgangsgröße v proportional zur Änderungsgeschwindigkeit der Eingangsgröße ∆u/∆t (s. Abb. 20.12). u
v
ideales D-Glied
reales D-Glied
0 Eingangsfunktion
t
0
t
Ausgangsfunktion
Abb. 20.12. Sprungantwort eines Systems mit differenzierendem Übertragungsverhalten
602
20 Übertragungsverhalten
Die Sprungantwort lässt sich mathematisch beschreiben mit v( t ) = K D ⋅
(20.6)
d u(t) dt
KD wird Differenzierbeiwert oder Differentialkonstante genannt und gleicht der Steigung einer Anstiegsfunktion, wenn die Anstiegsantwort einen konstanten Wert ergibt, d.h. mit der Zeit horizontal verläuft. Das Symbol für einen Funktionsblock mit einem differenzierenden Übertragungsverhalten ist in der Abb. 20.13 dargestellt. Der entsprechende Funktionsblock wird auch D-Glied genannt. In der Praxis ist ein differenzierendes Verhalten oft mit einer Verzögerung erster Ordnung kombiniert, weshalb die rechte Flanke in der Abb. 20.13 nicht senkrecht abfällt. KD u
v
Abb. 20.13. Funktionsblock mit Differentialverhalten (D-Glied)
Ein Beispiel für ein Differentialverhalten ist die Reaktion eines Elektrons in einer Atomhülle auf eine energetische Anregung von außen (s. Abb. 20.14). Es springt von einer inneren Elektronenschale auf eine äußere und wieder zurück.
E=u ∆h = v
Anregung eines Elektrons in einer Atomhülle
Abb. 20.14. System mit differenzierendem Übertragungsverhalten
20.3 Sprungantworten
603
Totzeitverhalten
Ein System mit Totzeitverhalten überträgt die Änderung einer Eingangsgröße u erst nach Ablauf einer Totzeit Tt auf die Ausgangsgröße v. Vor dem Ablauf der Totzeit ist die Änderung der Eingangsgröße anhand der Ausgangsgröße nicht erkennbar (s. Abb. 20.15). u
v
t
t
0
0 Tt
Eingangsfunktion
Ausgangsfunktion
Abb. 20.15. Sprungantwort eines Systems mit Totzeitverhalten
Die Sprungantwort eines Systems mit Totzeit lässt sich mathematisch beschreiben mit v( t ) = u ( t − Tt )
(20.7)
Tt stellt die Totzeit des Systems dar. Sie entspricht der Zeit, nach der sich eine sprunghafte Veränderung der Eingangsgröße in der Ausgangsgröße erstmals bemerkbar macht. Das Symbol für einen Funktionsblock mit Totzeit ist in der Abb. 20.16 dargestellt. Der entsprechende Funktionsblock wird auch Tt-Glied genannt. Tt u
v
Abb. 20.16. Funktionsblock mit Totzeitverhalten (Tt-Glied)
Beispiele für Systeme mit Totzeitverhalten sind typischerweise solche, in denen ein Energie- oder Materialfluss über eine längere Strecke verläuft. Beispiele sind die Temperaturregelung des Warmwassers beim Duschen oder die Einstellung der Banddicke in einem Walzwerk (s. Abb. 20.17).
604
20 Übertragungsverhalten
Warmwasser
Blech Kaltwasser
Mischung von Kalt- und Warmwasser
Banddicke im Walzwerk
Abb. 20.17. Systeme mit Totzeit
Verhaltenskombinationen
Selbstverständlich können die bisher aufgeführten Übertragungsverhalten auch in Kombination auftreten. Die Abbildung 20.18 illustriert beispielsweise die Übertragungsverhalten von PD-, PI-, PID- bzw. PIDTt-Gliedern. v
v
t
t
0
0
PD - Glied
PI - Glied
v
v
Tt t 0 PID - Glied
t 0 PIDTt - Glied
Abb. 20.18. Übertragungsverhalten von PD-, PI-, PID- bzw. PIDTt-Gliedern
20.4 Frequenzgänge
605
20.4 Frequenzgänge Wird am Eingang eines oder mehrerer Funktionsblöcke eine Sinusschwingung angelegt (s. Gl. 20.8), so tritt bei einem System mit Ausgleich am Ausgang wiederum eine Sinusschwingung auf, deren Periode mit derjenigen der Eingangsschwingung übereinstimmt, deren Amplitude und Phasenlage aber von denjenigen der Eingangsschwingung abweichen (s. Gl. 20.9). u ( t ) = u 0 ⋅ sin (ω ⋅ t )
(20.8)
v( t ) = v 0 ⋅ sin (ω ⋅ t + ϕ)
(20.9)
Maßgebend zur Bestimmung der Amplitude und der Phasenlage ist der Zustand nach erfolgter Einschwingung (s. Abb. 20.19). u
u0
T
t
0 Eingangsschwingung
v
Einschwingungsvorgang
eingeschwungener Zustand v0
∆t
T
t
0 Ausgangsschwingung
Abb. 20.19. Einschwingvorgang eines Systems mit Ausgleich bei sinusförmiger Anregung; T = Periode der Schwingung
Die Amplitude v0 und die Phasenlage ϕ der Schwingungsantwort sind eine Funktion der Amplitude u0 und der Frequenz f bzw. Kreisfrequenz ω = 2π f der Eingangsschwingung. Bei langsamen Schwingungen ist die Amplitude der Schwingungsantwort meistens groß und die Phasenver-
606
20 Übertragungsverhalten
schiebung klein Bei schnellen Schwingungen ist die Amplitude der Schwingungsantwort meistens klein und die Phasenverschiebung groß. (s. Abb. 20.20). Wird die Amplitude der Ausgangsschwingung im Verhältnis zur Amplitude der Eingangsschwingung v0/u0 wiedergegeben, so spricht man von einer normierten Schwingungsantwort. Die Phasenlage wird meistens mit dem Phasenverschiebungswinkel ϕ = -∆t⋅ω angegeben.
u01 = 100 %
f1
ϕ1
v01 = 80 % ϕ 1 = - 40 °
u02 = 100 %
f2
ϕ2
v02 = 50 % ϕ 2 = -112 °
u03 = 100 %
f3
ϕ3
v03 = 25 % ϕ 3 = -200 °
Abb. 20.20. Amplitude und Phasenlage einer Schwingungsantwort bei verschiedenen Anregungsfrequenzen
Wird die Amplitude und die Phasenverschiebung der Ausgangsschwingung gemeinsam in Funktion der Frequenz f bzw. Kreisfrequenz ω = 2π f der Eingangsschwingung nach erfolgter Einschwingung angegeben, so spricht man von einem Frequenzgang. Der Amplitudengang beschreibt das Verhältnis der Amplitude der Ausgangsschwingung zur Amplitude der Eingangsschwingung in Funktion der Kreisfrequenz ω. Der Phasengang beschreibt die Phasenverschiebung zwischen Eingangsgrößen und Ausgangsgrößen in Funktion der Kreisfrequenz ω. Zur grafischen Darstellung des Amplituden- und Phasengangs bedient man sich vor allem zweier Methoden: 1. Frequenzkennlinien (Bode-Diagramm) 2. Ortskurve des Frequenzgangs (Nyquist-Ortskurve)
20.4 Frequenzgänge
607
Bode-Diagramm
Beim Bode-Diagramm sind die Amplitude und die Phasenverschiebung als Funktion der Eingangsfrequenz in je einer separaten Kurve gezeichnet. Im Amplitudengang wird die normierte Amplitude der Schwingungsantwort im logarithmischen Maßstab gegen die Eingangsfrequenz im logarithmischen Maßstab aufgetragen. Im Phasengang wird der Winkel der Phasenverschiebung ebenfalls gegen die Eingangsfrequenz im logarithmischen Maßstab aufgezeichnet. Oft können die beiden Kurven in Teilbereichen durch Geraden approximiert werden. Die Abbildung 20.21 zeigt als Beispiel das Bode-Diagramm für ein Verzögerungsglied erster Ordnung mit einer Verzögerungszeit τ = 1. Sind die Bode-Diagramme von zwei hintereinander geschaltenen Funktionsblöcken bekannt, so kann das Gesamtverhalten der beiden Funktionsblöcke durch Addition der Phasenverschiebungen und Multiplikation der Amplituden einfach hergeleitet werden.
Abb. 20.21. Frequenzkennlinien (Bode-Diagramm) für ein Verzögerungsglied erster Ordnung; ωτ = Bezugsfrequenz = 2π/τ, τ = Verzögerungszeit des Verzögerungsglieds
608
20 Übertragungsverhalten
Nyquist-Ortskurve
Die Ortskurve nach Nyquist ist eine vektorielle Darstellung des Frequenzgangs, d.h. des Amplituden- und Phasengangs, in einer einzigen Kurve. Die Länge eines Vektors vom Koordinatenursprung zu einem Punkt auf der Ortskurve entspricht der normierten Amplitude v0/u0 und der Winkel dieses Vektors zur horizontalen Achse entspricht dem Phasenverschiebungswinkel ϕ. Dabei hängen sowohl die normierte Amplitude als auch der Phasenverschiebungswinkel von der Eingangsfrequenz ω ab. Der Nachteil der Darstellung des Frequenzgangs in nur einer Kurve besteht darin, dass die Eingangsfrequenz ω als Parameter separat in die Grafik eingetragen werden muss. Es gibt Bereiche auf der Ortskurve, wo die Eingangsfrequenz innerhalb eines kurzen Abschnitts stark ändert, und andere Bereiche, wo die Frequenz über längere Abschnitte nahezu konstant bleibt. Der Vorteil der Darstellung in einer Ortskurve ist, dass aus ihrer Form direkt auf das Übertragungsverhalten der Funktionsblöcke geschlossen werden kann. So entspricht z.B. die Anzahl der Quadranten, durch die eine Ortskurve verläuft, der Anzahl Verzögerungselemente im System. In der Abbildung 20.22 ist ein System mit einer Verzögerung fünfter Ordnung dargestellt. Die Ortskurve verläuft durch fünf Quadranten.
ω4
ω3
ω0=0
0 ω5 ϕ v0/u0 ω2
ω1
Abb. 20.22. Ortskurve des Frequenzgangs (Nyquist-Ortskurve) für ein Verzögerungsglied fünfter Ordnung
20.5 Fragen aus der Praxis
609
20.5 Fragen aus der Praxis Schwingungsfähigkeit bei Verzögerungen
Weshalb sind die in der Abb. 20.8 dargestellten Systeme mit Verzögerungen höherer Ordnung nicht schwingungsfähig? Anstiegsfunktion und -antwort
Wie sähe die Antwortfunktion für ein P-, I- bzw. D-Glied aus, wenn am Eingang des Gliedes eine Anstiegsfunktion anstünde? Zur Untersuchung welchen Verhaltens wäre die Anstiegsfunktion wohl die geeignetere Testfunktion als die Sprungfunktion? Impulsfunktion und -antwort
Welches Verhalten könnte sinnvollerweise mit einer Impulsfunktion untersucht werden? Regelbarkeit bei verschiedenem Übertragungsverhalten
Welche der fünf Grundtypen des Übertragungsverhaltens sind Ihrer Meinung nach einfach zu regeln und welche nicht? Welche Faktoren könnten die Regelbarkeit eines Systems nachhaltig beeinflussen? Sinusfunktion und -antwort
Gesucht ist die grafische Darstellung der Sinusfunktion und -antwort für den Fall, dass die Ausgangsgröße die halbe Amplitude der Eingangsfunktion aufweist und um den Phasenwinkel 90° hinter der Eingangsschwingung herhinkt. Wie sieht der Ortsvektor in diesem Fall im NyquistDiagramm aus? Bode- und Nyquist-Diagramm
Wie sehen die Bode-Diagramme und die Nyquist-Ortskurven für ein P-, PT1 bzw. ein Tt-Glied aus?
21 Reglertypen
Wie bereits im Kapitel „Steuerung und Regelung“ erwähnt wurde, versteht man unter einem Regler die Einrichtung, welche die Regeldifferenz e feststellt und aus ihr entsprechend einem Regler internen Algorithmus die Stellgröße y bildet, um mit deren Hilfe über die Stelleinrichtung auf die Regelstrecke einzuwirken. Dabei soll die Stellgröße so beschaffen sein, dass die Regeldifferenz im geschlossenen Regelkreis möglichst schnell und anhaltend beseitigt oder zumindest minimiert wird. Je nach Standpunkt gibt es verschiedene Kriterien, nach denen sich Regler in Gruppen einteilen lassen. Klassifizierungsmöglichkeiten ergeben sich beispielsweise aufgrund der folgenden Überlegungen. Betriebsenergie:
Zeitverhalten (s. Abb. 21.1):
− elektrisch − pneumatisch − hydraulisch
− stetige Regler − unstetige Regler
Regelgröße/ Aufgabengröße:
Arbeitsweise (s. Abb. 21.1):
− − − − − − −
− − − − − −
Temperaturregler Druckregler Durchflussregler Füllstandregler pH-Regler Drehzahlregler Leistungsregler
P-Regler PI-Regler PD-Regler PID-Regler Zweipunktregler Dreipunktregler
Elektrisch betriebene Regler haben die Vorteile einer einfachen Signalverarbeitung in relativ kleinen Geräten sowie die Möglichkeit der Signalübertragung über große Entfernungen bis hin zu einigen Kilometern. Ihre Nachteile sind die relativ kleinen Verstellkräfte und der mangelnde Explosionsschutz, der gegebenenfalls besondere Maßnahmen erforderlich macht.
612
21 Reglertypen
Pneumatisch betriebene Regler haben die Vorteile einer explosionssicheren Betriebsweise und der Verfügbarkeit über große Stellkräfte. Ihre Nachteile sind der relativ große Raumbedarf, die beschränkte Signalübertragung über längere Strecken (< 200 m) sowie der Verschleiß mechanisch bewegter Teile. Hydraulisch betriebene Regler haben die Vorteile einer Übertragung großer Kräfte und Leistungen sowie der raschen Reaktion. Ihre Nachteile bestehen in der Temperaturempfindlichkeit des Hydrauliköls, der Gefahr von Leckagen und der damit verbundenen Rutschgefahr sowie im großen Aufwand zur Erzeugung des hohen Betriebsdrucks. Einheitsregler arbeiten mit Signalen in genormten Bereichen, z.B. Druck von 0,2 bis 1,0 bar, elektrischer Strom von 4 bis 20 mA oder elektrische Spannung von 0 bis 10 V. Einheitsregler ermöglichen eine vereinheitlichte Bauweise von Mess- und Stelleinrichtungen. Zum Eingriff in die Regelstrecke werden die Signale häufig verstärkt. Stetige Regler erzeugen eine Reglerausgangsgröße, die jeden beliebigen Wert innerhalb des Reglerausgangsbereichs annehmen kann. Bei unstetigen Reglern kann die Reglerausgangsgröße nur wenige diskrete Werte innerhalb des Reglerausgangsbereichs annehmen. Die Arbeitsweise von stetigen bzw. unstetigen Reglern wird in den folgenden Unterkapiteln ausführlicher beschrieben.
Reglertypen
stetige Regler
unstetige Regler
P-Regler PI-Regler PD-Regler PID-Regler
Zweipunktregler Dreipunktregler
Abb. 21.1. Einteilung der Regler nach Zeitverhalten und Arbeitsweise
21.1 Stetige Regler
613
21.1 Stetige Regler Stetige Regler können gemäß ihrem Übertragungsverhalten in P-, I-, PI-, D-, PD- und PID-Regler unterteilt werden. P-Regler Der Proportionalregler, kurz P-Regler genannt, reagiert auf eine Änderung der Regeldifferenz e mit einer sofortigen proportionalen Änderung der Stellgröße y. Das konstante Verhältnis der Änderung der Stellgröße zur Änderung der Regeldifferenz wird Proportionalbeiwert, Reglerverstärkung oder Übertragungsfaktor des Reglers genannt.
∆y = y − y 0 = K R ⋅ e = K R ⋅ ( w − x )
(21.1)
Symbole: ∆y = Stellgrößenänderung y = Stellgröße y0 = Stellgröße bei e = 0 e = Regeldifferenz KR = Proportionalbeiwert w = Führungsgröße x = Regelgröße
Gemäß der Gleichung 21.1 hätte eine beliebig große Regeldifferenz eine beliebig große Stellgröße zur Folge. Dies ist jedoch in der Realität nicht möglich, da die Stellgröße technisch begrenzt ist. Sie kann sich nur innerhalb des Stellbereichs verändern und verhält sich nur dort linear zur Regeldifferenz. Entsprechend ist auch der Bereich der Regelgröße beschränkt, in der sich die Stellgröße von ihrem minimalen auf ihren maximalen Wert verändert. Dieser Bereich der Regelgröße wird Proportionalbereich genannt. Zwischen dem Proportionalbeiwert KR und dem Proportionalbereich XP besteht ein reziproker Zusammenhang. XP =
Yh KR
(21.2)
Symbole: XP = Proportionalbereich Yh = Stellbereich
Bei manchen P-Reglern wird der Proportionalbereich XP anstelle des Proportionalwerts KR als Regelparameter eingegeben. Dies hat den Vorteil, dass sofort ersichtlich ist, bei welcher Regelgröße die Stellgröße ihren minimalen bzw. ihren maximalen Wert erreicht.
614
21 Reglertypen
P-Regler sind einfach und verständlich aufgebaut und zeichnen sich durch ein schnelles Eingreifen aus. Den P-Reglern gelingt es aber nicht, die Regeldifferenz bleibend zu eliminieren. Ein hoher Proportionalbeiwert verringert zwar die bleibende Regeldifferenz, erhöht dafür aber die Gefahr einer instabilen Schwingung. I-Regler
Der Integralregler, kurz I-Regler genannt, summiert die Regeldifferenz über die Zeit auf. Je länger die Regeldifferenz am Regler ansteht, desto größer wird die Stellgrößenänderung. Die Stellgrößenänderung verschwindet erst, wenn auch die Regeldifferenz verschwunden ist. Der I-Regler ermöglicht so eine allmähliche Angleichung der Regelgröße an die Führungsgröße, ohne dass eine Regeldifferenz bestehen bleibt. t
∆y = y − y 0 = K RI ⋅ e ⋅ dt =
³ 0
t
KR ⋅ e ⋅ dt Tn 0
³
(21.3)
Symbole: KRI = Integrierbeiwert des Reglers t = Zeitdauer seit Einschalten des Reglers Tn = Nachstellzeit
Reine I-Regler werden in der chemischen Verfahrenstechnik äußerst selten eingesetzt, da sie entweder zu träge sind oder zu unkontrollierten Schwingungen führen. Sie werden deshalb meist mit einem P-Anteil zu einem PI-Regler kombiniert. PI-Regler
Der Proportional-Integralregler, kurz PI-Regler genannt, verknüpft das Verhalten eines Proportionalreglers mit demjenigen eines Integralreglers. Das Übertragungsverhalten des PI-Reglers ist t § · 1 ∆y = y − y 0 = K R ⋅ ¨ e + ⋅ e ⋅ dt ¸ ¨ ¸ Tn 0 © ¹
(21.4)
³
Die Kenngrößen eines PI-Reglers sind einerseits der Proportionalbeiwert KR und andrerseits die so genannte Nachstellzeit Tn. Die Nachstellzeit Tn entspricht der Zeitspanne, in der sich die Sprungantwort eines PIReglers um den Proportionalanteil erhöht (s. Abb. 21.2). Eine große Nachstellzeit bedeutet eine geringe Wirkung des I-Anteils des Reglers. Umge-
21.1 Stetige Regler
615
kehrt resultiert aus einer kleinen Nachstellzeit eine große Wirkung des IAnteils. y
I-Anteil P-Anteil t Tn
0
Tn
Abb. 21.2. Sprungantwort eines PI-Reglers zur Bestimmung der Nachstellzeit Tn des I-Anteils
PI-Regler sind in Chemieanlagen mit konstanten Führungsgrößen weit verbreitet (Festwertregelung). Sie unterscheiden sich von reinen P-Reglern durch die fehlende Regeldifferenz nach längerer Zeit. Gegenüber PReglern sind sie geringfügig langsamer. Bei dynamisch ändernden Führungsgrößen (Folgeregelung) sind allerdings reine P-Regler vorzuziehen, da die PI-Regler hier zu Schwingungen neigen. D-Regler
Ein Differentialregler, kurz D-Regler genannt, besitzt ein Differentialglied mit dem Übertragungsverhalten ∆y = y − y 0 = K RD ⋅ Symbole: KRD de dt Tv
de de = K R ⋅ Tv ⋅ dt dt
(21.5)
= Differenzierbeiwert des Reglers = Änderung der Regeldifferenz innerhalb der Zeitspanne dt = infinitesimal kurze Zeitspanne = Vorhaltezeit
Die Änderung der Stellgröße ist proportional zur zeitlichen Ableitung der Änderung der Regeldifferenz. Selbstverständlich ist die Änderung der Stellgröße auf den Stellbereich begrenzt, sodass auch bei einer sprunghaften Änderung der Regeldifferenz nur eine endliche Änderung der Stellgröße, allerdings auf ihren maximalen Wert, erfolgt. Ein reiner D-Regler ist für eine Regelung absolut ungeeignet, weil er nur dann eine Stellgröße liefert, wenn die Regeldifferenz ändert, und bei
616
21 Reglertypen
einer konstanten (riesigen) Regeldifferenz nicht eingreift. D-Anteile werden deshalb mit P- bzw. PI-Anteilen zu PD- bzw. PID-Reglern kombiniert, wo sie zur Beschleunigung des Regelvorgangs eingesetzt werden. PD-Regler
Der Proportional-Differentialregler, kurz PD-Regler genannt, reagiert auf eine Änderung der Regeldifferenz gemäß seinem D-Anteil sofort mit einer massiven Änderung der Stellgröße und führt diese nachher gemäß seinem P-Anteil auf einen konstanten Wert zurück. Gegenüber einem reinen PRegler verhält sich der PD-Regler deutlich schneller. Das Übertragungsverhalten eines PD-Reglers ist (21.6)
de · § ∆y = y − y 0 = K R ⋅ ¨ e + Tv ⋅ ¸ dt ¹ ©
Die Kenngrößen eines PD-Reglers sind einerseits der Proportionalbeiwert KR und andrerseits die so genannte Vorhaltezeit Tv. Die Vorhaltezeit Tv entspricht der Zeitspanne, in der sich der Proportionalanteil bei einer Anstiegsfunktion um den Differentialanteil vergrößert (s. Abb. 21.3). Eine große Vorhaltezeit bedeutet eine große Wirkung des D-Anteils des Reglers und umgekehrt. y
P-Anteil D-Anteil t Tv
0
Tv
Abb. 21.3. Anstiegsantwort eines PD-Reglers zur Bestimmung der Vorhaltezeit Tv des D-Anteils
PD-Regler sind gegenüber reinen P-Reglern schneller, können aber wie P-Regler Regeldifferenzen auf Dauer nicht auskorrigieren. Dies und die Tatsache, dass sie bei Störungen zu übermäßigen Reaktionen neigen, die eventuell zu unkontrollierbaren Schwingungen führen, bewirken, dass sie in Chemieanlagen nur selten anzutreffen sind. Gänzlich ungeeignet sind
21.2 Unstetige Regler
617
PD-Regler für Regelstrecken mit pulsierenden Größen wie z.B. Druck oder Durchfluss bei volumetrisch fördernden Pumpen. PID-Regler
Der Proportional-Integral-Differentialregler, kurz PID-Regler genannt, verbindet die Vorteile eines Proportional-, Differential- bzw. Integralreglers. Sein Übertragungsverhalten lautet t § 1 de · ∆y = y − y 0 = K R ⋅ ¨ e + ⋅ e ⋅ dt + Tv ⋅ ¸ ¨ Tn 0 dt ¸¹ ©
(21.7)
³
Der PID-Regler reagiert aufgrund des D-Anteils sehr schnell. Dank des P-Anteils ist er ziemlich schwingungsstabil und dank des I-Anteils gleicht er bleibende Regeldifferenzen mit der Zeit aus. Der PID-Regler eignet sich auch für anspruchsvolle Regelungsaufgaben in der chemischen Verfahrenstechnik. Sein Nachteil besteht einzig in der relativ komplexen Festlegung der drei Kenngrößen KR, Tn und Tv. Zur Bestimmung der Kenngrößen (Parametrierung) sind aber aufgrund von Erfahrungswerten relativ einfache Methoden verfügbar, die im Kapitel “Einstellregeln für industrielle Regler” vorgestellt werden. Manche PID-Regler schalten ihren I-Teil erst zu, nachdem die Regelgröße in die Nähe des Sollwerts angelangt ist. Damit wird verhindert, dass sich der I-Anteil zu Beginn einer Regelung, d.h. in der Anfahrphase, zu stark aufbaut und zu einem Überschwingen der Regelgröße führt. Bevor die Regelgröße eine gewisse Bandbreite um den Sollwert erreicht hat, wirkt der PID-Regler als reiner PD-Regler. Ein Regler, der seine Arbeitsweise aufgrund gewisser Kriterien verändern kann, wird als Regler mit Strukturumschaltung bezeichnet.
21.2 Unstetige Regler Unstetige Regler besitzen im Gegensatz zu stetigen Reglern kein stufenlos verstellbares Ausgangssignal. Die Stellgröße lässt sich vielmehr nur auf einige diskrete Werte einstellen. Unstetige Regler werden deshalb auch als schaltende Regler bezeichnet. Unstetige Regler eignen sich hauptsächlich für Regelstrecken, die durch Verzögerung und Speicherung ausgleichend auf die Regelgröße einwirken.
618
21 Reglertypen
Zweipunktregler
Bei einem Zweipunktregler kann die Stellgröße nur zwei Größen annehmen, y ist entweder 0 oder 100%, d.h. der Regler schaltet die Stelleinrichtung entweder „ein“ oder „aus“. Ein Beispiel für die Zweipunktregelung ist die Temperaturregelung eines Bügeleisens (s. Abb. 21.4). Ein Bimetallstreifen streckt sich bei niedriger Temperatur und schließt einen elektrischen Kontakt, wodurch sich (eventuell über ein Relais) die elektrische Heizung einschaltet. Bei höherer Temperatur verbiegt sich der Bimetallstreifen und öffnet den Kontakt, wodurch sich die Heizung wieder ausschaltet. Die Sollwert-Temperatur wird an einer Schraube eingestellt und bestimmt den Schaltpunkt xS. Bimetallstreifen
+ Sollwertsteller
Isolation Träger
Abb. 21.4. Zweipunktregelung der Temperatur mit einem Bimetallstreifen
Hat das Bügeleisen die Schalttemperatur gerade erreicht, schaltet der Bimetallstreifen die Heizung aus. Dadurch sinkt die Temperatur, wodurch die Heizung wieder eingeschaltet wird. Bei einem geregelten System mit einer Verzögerung erster Ordnung für den Wärmetransport macht sich die Temperaturänderung beim Messfühler sofort bemerkbar. Als Folge würde der Zweipunktregler dauernd schalten und wäre innert kürzester Zeit mechanisch und elektrisch verbraucht. Die meisten Zweipunktregler besitzen deshalb einen unteren und einen oberen Schaltpunkt. Die Heizung wird erst beim Erreichen des oberen Schaltpunkts xSo ausgeschaltet und erst beim Erreichen des unteren Schaltpunkts xSu wieder eingeschaltet. Den Abstand zwischen dem unteren und dem oberen Schaltpunkt nennt man Schaltdifferenz oder Hysterese. Durch die Einführung einer Hysterese wird die Schalthäufigkeit verringert. Dieser Vorteil geht zu Lasten einer etwas vergrößerten Schwankung der Regelgröße. Die Abbildung 21.5 zeigt das Übertragungsverhalten eines Zweipunktreglers ohne bzw. mit Schaltdifferenz.
21.2 Unstetige Regler
y
619
y
100%
100% Schaltdifferenz
0%
x (= T)
0% xSu
xS = w
xSo
x (= T)
Zweipunktregler ohne Schaltdifferenz
mit Schaltdifferenz
Abb. 21.5. Übertragungsverhalten eines Zweipunktreglers ohne bzw. mit Schaltdifferenz
Das periodische Öffnen und Schließen des elektrischen Kontakts zur Heizung bewirkt ein ständiges Pendeln der Temperatur um den Sollwert. Wegen des verzögerten Wärmetransports kann bei einem System höherer Ordnung die Temperatur am Ort des Messfühlers sogar noch steigen, wenn die Heizung schon längst ausgeschaltet ist. Das Temperaturmaximum wird erst nach einer Verzugszeit Tu erreicht (s. Abb. 21.6). Genauso wird das Temperaturminimum erst erreicht, nachdem die Heizung bereits wieder eingeschaltet ist. Zu große Temperaturschwankungen müssen allerdings vermieden werden. Als Maßnahmen zur Verkleinerung der Temperaturschwankungen eignen sich: − Verwendung kleiner Schaltdifferenzen (Achtung: dafür erhöht sich die Schalthäufigkeit und die Kontakte nutzen sich schneller ab!) − geringe Verzögerung des Wärmetransports zwischen Heizung und Temperaturmessung, d.h. kurze Transportwege (Achtung: dafür nutzen sich die Schaltkontakte schneller ab!) − großes Wärmespeichervermögen des Bügeleisens (dafür wird das Bügeleisen schwerer und unhandlicher!) − Herabsetzung des Leistungsüberschusses (dafür braucht das Bügeleisen länger, bis es die Sollwert-Temperatur nach dem Einschalten erstmalig erreicht!) − Einbau einer Grundlastheizung (dafür ist der Energieverbrauch während Ruhepausen höher, eventuell droht das Bügeleisen bei Nichtgebrauch sogar zu überhitzen!)
620
21 Reglertypen
x
(= Temperatur) Tu
Tu
xSo w xSu Tu
Tu
(= Dauer der Regelung) y
(= Heizung)
100%
0%
aus ein
aus ein
(= Dauer der Regelung)
Abb. 21.6. Zeitlicher Verlauf der Regelgröße bei einem Zweipunkt geregelten System höherer Ordnung
Dreipunktregler
Ein Dreipunktregler besitzt ein Ausgangssignal in drei verschiedenen Größen. Die Stellgröße y kann z.B. -100%, 0% oder +100% sein. Damit kann z.B. unterhalb einer gewissen Temperatur T1 geheizt und oberhalb einer gewissen Temperatur T2 gekühlt werden. In einem festgelegten Bereich um die Führungsgröße wird weder geheizt noch gekühlt. Dieser Bereich wird Kontaktabstand oder Totzone genannt. Weitere Anwendungen für einen Dreipunktregler sind z.B. das Be- oder Entfeuchten einer Klimakammer oder die pH-Regelung durch Zudosierung von Säure oder Base. Auch bei Dreipunktreglern gibt es solche mit Schaltdifferenzen bzw. Hysterese und solche ohne. Die Vor- und Nachteile entsprechen denjenigen der analogen Zweipunktregler. Die Abbildung 21.7 veranschaulicht das Übertragungsverhalten eines Dreipunktreglers ohne bzw. mit Schaltdifferenzen. Ein Spezialfall des Dreipunktreglers ist der Dreipunktschrittregler, der auch Dreilaufregler genannt wird. Dabei steuert die Stellgröße eines Dreipunktreglers einen Motor mit Rechts- und Linkslauf, der z.B. eine Ventilspindel verdreht. Besteht eine Regeldifferenz, so kann der Regler den Ventilhub stufenlos verstellen. Bei korrekter Stellung des Ventilhubs sendet der Regler kein Stellsignal mehr aus. Die Ventilspindel verharrt in ihrer Lage und Schwankungen der Reglergröße bleiben somit aus. Die Ventil-
21.3 Fragen aus der Praxis
621
spindel kann stufenlos verstellt werden, obwohl der Dreipunktregler nur diskrete Ausgangswerte liefert. Der Hub der Ventilspindel entspricht der Stellgröße y, während der Ausgangswert des Reglers die Regelausgangsgröße yR wiedergibt. y
y untere Schaltdifferenz
100%
0%
100%
Kontaktabstand
xSo xSu w
x
- 100%
0%
obere Schaltdifferenz
w xSo1 xSu1 xSu2
xSo2
x
- 100% ohne Schaltdifferenz
mit Schaltdifferenz
Abb. 21.7. Übertragungsverhalten eines Dreipunktreglers ohne bzw. mit Schaltdifferenz
21.3 Fragen aus der Praxis Berechnung des Proportionalbereichs
Ein P-Regler hat einen Stellbereich von 0 bis 100% und einen Proportionalbeiwert von 20%. Wie groß ist der Proportionalbereich? Proportionalbereich und Regeldifferenz
Welcher P-Regler weist die kleinere bleibende Regeldifferenz auf, ein solcher mit einem Proportionalbeiwert von 20% oder ein solcher mit einem Proportionalbeiwert von 50%? Sprungfunktion und -antwort
Wie sieht der zeitliche Verlauf der Stellgröße eines P-, eines PI- bzw. eines PID-Reglers nach einer sprunghaften Änderung der Führungsgröße aus? Vergleich von P-, PI- und PD-Reglern
Welche Vor- und Nachteile besitzen ein P-, ein PI- bzw. ein PD-Regler?
622
21 Reglertypen
Wahl des Reglers
Welche Reglertypen eignen sich Ihrer Meinung nach besonders gut für die Regelung der Temperatur, des Drucks, des Durchflusses bzw. des Füllstands in einer chemischen Anlage? Unbekannter Reglertyp
Welchem Reglertyp entspricht ein P-Regler mit einem Proportionalitätsbeiwert von unendlicher Größe? Zweipunktregler
Welche Konsequenzen hat ein kleiner Abstand zwischen dem oberen und dem unteren Schaltpunkt eines Zweipunktreglers? Dreipunktregler
Wie sieht der zeitliche Verlauf der Regelgröße eines Dreipunktreglers aus, wenn sich die Führungsgröße nicht verändert?
22 Regelgüte
Das Übertragungsverhalten einer Regelstrecke bzw. einer Regeleinrichtung wurde bereits in den beiden vorhergehenden Kapiteln erörtert. Im vorliegenden Kapitel sollen nun die Regelstrecke und die Regeleinrichtung mit einander verknüpft und das Gesamtverhalten eines Regelkreises diskutiert werden. Die Regelgüte beschreibt das Verhalten der Regelgröße x unter Einfluss der Führungsgröße w und der Störgrößen z im Regelkreis. Um eine Aussage über die Güte einer Regelung treffen zu können, muss das statische und dynamische Verhalten des Regelkreises untersucht werden. Eine gute Regelung soll drei Bedingungen erfüllen: 1. Die Regelung soll stabil sein, d.h. die Regelgröße muss nach einer Änderung der Führungsgröße oder nach einer Einwirkung einer Störgröße wieder einen stabilen Beharrungswert anstreben. 2. Die Abweichung der Regelgröße von der Führungsgröße soll im stationären Dauerbetrieb möglichst klein sein. 3. Nach einer Änderung der Führungsgröße bzw. nach einer Störung soll der neue stationäre Zustand möglichst schnell erreicht werden. Das Führungsverhalten beschreibt das Verhalten der Regelgröße bei einer Änderung der Führungsgröße. Das Störverhalten beschreibt das Verhalten der Regelgröße bei einer Änderung einer Störgröße.
22.1 Führungsverhalten Die Abbildung 22.1 zeigt das zeitliche Verhalten der Regelgröße x in einem stabilen Regelkreis, nachdem die Führungsgröße w sprunghaft verändert wurde. Der Sprung der Führungsgröße beträgt üblicherweise 10% des Führungsbereichs. Eine erste Änderung der Regelgröße macht sich nach Verstreichen der Totzeit Tt bemerkbar. Die Anregelzeit entspricht der Zeitspanne seit dem Sprung der Führungsgröße, bis die Regelgröße erstmals innerhalb eines vereinbarten Toleranzbereichs um den neuen Beharrungswert zu liegen kommt. Der Tole-
624
22 Regelgüte
ranzbereich beträgt üblicherweise ± 1% des Regelbereichs und wird um den neuen Beharrungswert gelegt. Die Ausregelzeit entspricht der Zeitspanne seit dem Sprung der Führungsgröße, bis die Regelgröße dauerhaft in den vereinbarten Toleranzbereich eintritt. Die Sollwertabweichung entspricht dem Unterschied zwischen der Führungsgröße und der Regelgröße. Sie ist positiv, wenn die Regelgröße bzw. der Istwert größer ist als die Führungsgröße bzw. der Sollwert. Die Sollwertabweichung ist identisch zur negativen Regeldifferenz. Man unterscheidet eine vorübergehende und eine bleibende Sollwertabweichung. Eine vorübergehende Sollwertabweichung ist eine Abweichung der Regelgröße von der Führungsgröße, die während des Übergangs vom alten Beharrungszustand in den neuen Beharrungszustand auftritt, nachdem die Führungsgröße geändert hat. Eine bleibende Sollwertabweichung ist die Abweichung der Regelgröße von der Führungsgröße nach erfolgtem Einschwingvorgang d.h. im neuen Beharrungszustand. Die Überschwingweite ist die größte vorübergehende Sollwertabweichung, die zu einem Zeitpunkt auftritt, nachdem die Regelgröße den neuen Toleranzbereich nach einem Sprung der Führungsgröße erstmals erreicht hat.
Abb. 22.1. Zeitliches Verhalten der Regelgröße nach einem Sprung der Führungsgröße in einem stabilen Regelkreis; t0 = Zeitpunkt der sprunghaften Änderung der Führungsgröße w; Tt = Totzeit bis zur ersten Änderung der Regelgröße x; Abbildung aus DIN Norm 19'226 [2], Wiedergabe mit Erlaubnis des DIN (Deutsches Institut für Normung e.V.)
22.2 Störverhalten
625
22.2 Störverhalten Die Abbildung 22.2 zeigt das zeitliche Verhalten der Regelgröße x in einem stabilen Regelkreis, nachdem eine Störgröße z sprunghaft verändert wurde. Die Anregelzeit entspricht der Zeitspanne nach dem Sprung der Störgröße, bis die Regelgröße erstmals wieder innerhalb des vereinbarten Toleranzbereichs um den Beharrungswert zu liegen kommt. Der vereinbarte Toleranzbereich bleibt durch den Sprung der Störgröße unverändert, d.h. der Toleranzbereich wird nicht wie beim Sprung der Führungsgröße um einen neuen Beharrungswert verlegt. Die Ausregelzeit entspricht der Zeitspanne nach dem Sprung der Störgröße, bis die Regelgröße wieder dauerhaft in den vereinbarten Toleranzbereich eintritt. Die Sollwertabweichung, die nach einem Sprung einer Störgröße entsteht, wird analog zu derjenigen definiert, die nach einem Sprung der Führungsgröße auftritt (s. Unterkapitel „Führungsverhalten“). Die vorübergehende Sollwertabweichung ist eine Abweichung der Regelgröße von der Führungsgröße, die sich während des Einschwingvorgangs ergibt, nachdem die Störgröße geändert hat. Die Überschwingweite ist die größte vorübergehende Sollwertabweichung, die nach dem Sprung der Störgröße auftritt. Ist der Einschwingvorgang abgeschlossen, so entspricht der statische Unterschied zwischen der Regelgröße und der Führungsgröße der bleibenden Regelabweichung.
Abb. 22.2. Zeitliches Verhalten der Regelgröße nach einem Sprung einer Störgröße in einem stabilen Regelkreis; t0 = Zeitpunkt der sprunghaften Änderung der Störgröße z; Abbildung aus DIN Norm 19'226 [2], Wiedergabe mit Erlaubnis des DIN (Deutsches Institut für Normung e.V.)
626
22 Regelgüte
22.3 Bewertung der Regelgüte Die Regelgüte beschreibt die Qualität einer Regelung. Es ist zu unterscheiden zwischen der Regelgüte im Beharrungszustand und der Regelgüte während des Einschwingvorgangs. Kriterien für die Regelgüte im Beharrungszustand sind die bleibende Regeldifferenz bzw. die bleibende Sollwertabweichung. Kriterien für die Regelgüte während des Einschwingvorgangs sind z.B. die Anregelzeit, die Ausregelzeit oder die Überschwingweite. Häufig wird zur Charakterisierung der Regelgüte auch die Regelfläche herangezogen, die sich zwischen der Kurve der Sprungantwort und der Sollwertlinie bildet. Man unterscheidet lineare, absolute, quadratische und zeitgewichtete Regelflächen. Die lineare Regelfläche berechnet sich mit t
(22.1)
t
A lin = e ⋅ dt = ( w − x ) ⋅ dt
³ 0
Symbole: Alin e t w x
³ 0
= lineare Regelfläche = Regeldifferenz = Zeit seit dem Sprung der Führungsgröße bzw. der Störgröße = Führungsgröße = Regelgröße
Die lineare Regelfläche hat den Nachteil, dass negative Flächen von positiven Flächen abgezählt werden und sich die Regelgüte dadurch scheinbar erhöht (s. Abb. 22.3). A lin = e dt
x
+ w
+
t
Abb. 22.3. Lineare Regelfläche als Gütekriterium
22.3 Bewertung der Regelgüte
627
Bei der absoluten Regelfläche werden alle Flächen betragsmäßig d.h. positiv zusammengezählt. Die Regeldifferenzen werden linear gewichtet (s. Abb. 22.4). t
³ 0
Symbol:
(22.2)
t
A abs = e ⋅ dt =
³ w − x ⋅ dt 0
Aabs = absolute Regelfläche x
A abs =
+
+
w
+
e dt
+
t
Abb. 22.4. Absolute Regelfläche als Gütekriterium
Bei der quadratischen Regelfläche werden große Regeldifferenzen besonders stark gewichtet. Die Anwendung der quadratischen Regelfläche ist für Prozesse sinnvoll, bei denen die Regelgröße möglichst wenig überschwingen soll. Die Regeldifferenzen gehen quadratisch in die Rechnung ein (s. Abb. 22.5). t
(22.3)
t
A quad = e 2 ⋅ dt = ( w − x ) 2 ⋅ dt
³ 0
Symbol:
³ 0
Aquad = quadratische Regelfläche x
+
2
A quad = e dt
+ w
+
+
t
Abb. 22.5. Quadratische Regelfläche als Gütekriterium
628
22 Regelgüte
Die zeitgewichtete Regelfläche bewertet anhaltende oder bleibende Regelabweichungen besonders stark, indem Regeldifferenzen zu späteren Zeitpunkten stärker in die Rechnung eingehen als Regeldifferenzen unmittelbar nach einer Störung. Das Vorgehen ist auch unter dem Begriff ITAE-Verfahren (Integral of Time multiplied by the Absolute value of the Error) bekannt. Lang andauernde Einschwingvorgänge werden bei Verwendung der zeitgewichteten Regelfläche als Regelgütekriterium bestraft (s. Abb. 22.6). t
A ITAE =
³ 0
Symbol:
(22.4)
t
e ⋅ t ⋅ dt =
³
w − x ⋅ t ⋅ dt
0
AITAE = zeitgewichtete Regelfläche A ITAE = e t dt
w
+
t
Abb. 22.6. Zeitgewichtete Regelfläche als Gütekriterium (ITAE-Verfahren)
Die Tabelle 22.1 fasst die wichtigsten Kriterien zur Bewertung einer Regelgüte zusammen. Tabelle 22.1. Statische und dynamische Regelgütekriterien Regelgütekriterien statisch dynamisch − Regeldifferenz bzw. − Anregelzeit − Sollwertabweichung − Ausregelzeit − Überschwingweite − Regelflächen
22.4 Bewertung der Regelbarkeit
629
22.4 Bewertung der Regelbarkeit Die Abbildung 22.7 zeigt eine typische Sprungantwort für eine Regelstrecke mit Verzögerungen. Aus dem Übergangsverhalten der Regelgröße in den neuen Beharrungszustand lassen sich zwei dynamische Kenngrößen ableiten, die Verzugszeit Tu und die Ausgleichszeit Tg. Die Verzugszeit Tu entspricht der Zeitspanne seit dem Sprung der Stellgröße y, die die erste Wendetangente der Sprungantwort auf der Zeitachse abschneidet. Die Verzugszeit ist ein Maß für die Zeit, bis sich eine Änderung der Stellgröße auf die Regelgröße merklich auswirkt. Die Ausgleichszeit Tg entspricht der Zeitspanne zwischen den zwei Schnittpunkten, die die erste Wendetangente der Sprungantwort mit der Zeitachse einerseits und mit der Parallelen zur Zeitachse durch den neuen Beharrungswert andrerseits festlegt. Die Ausgleichszeit ist ein Maß für die Dauer des Ausgleichsvorgangs, in der die Regelgröße nach Ablauf der Verzugszeit dem neuen Beharrungswert zustrebt. x neuer Beharrungswert xω Wendetangente
alter Beharrungswert
xα
t Tu
Tg
Abb. 22.7. Sprungantwort einer Regelstrecke mit Verzögerungen zur Bestimmung der Verzugszeit Tu und der Ausgleichszeit Tg
Das Verhältnis der Ausgleichszeit Tg zur Verzugszeit Tu lässt auf die Regelbarkeit eines Prozesses schließen. Die Regelbarkeit ist umso schwieriger, je länger die Verzugszeit andauert. Dies weil der geregelte Prozess während der Verzugszeit der Wirkung der veränderten Eingangsgröße voll ausgesetzt ist und sich die Regelgröße kaum merklich verändert. So kann der Regler auch nicht korrigierend eingreifen. Die Regelbarkeit ist aber auch umso schwieriger, je kürzer die Ausgleichszeit andauert. Dies weil der Regler nach Ablauf der Verzugszeit von der plötzlichen Änderung der
630
22 Regelgüte
Regelgröße überrascht wird. Er findet kaum genügend Zeit, um im richtigen Ausmaß entgegenzuwirken. In Bezug auf die Regelbarkeit kommt es also nicht auf die absoluten Werte von Tg und Tu an, sondern auf das Verhältnis von Tg zu Tu. Eine gute Regelbarkeit liegt vor, wenn Tg groß und gleichzeitig Tu klein ist. Eine schlechte Regelbarkeit ist gegeben, wenn Tg klein und gleichzeitig Tu groß ist. Die Tabelle 22.2 weist in verallgemeinerter Form auf die Regelbarkeit eines Prozesses hin. Tabelle 22.2. Regelbarkeit eines Prozesses beurteilt anhand des Quotienten von Ausgleichszeit Tg und Verzugszeit Tu Regelbarkeit Tg/Tu 10 > Tg/Tu 5 > Tg/Tu 3 > Tg/Tu Tg/Tu
sehr gut regelbar gut regelbar mäßig regelbar schlecht regelbar nicht regelbar
> 10 > 5 > 3 > 2 < 2
Je mehr Verzögerungselemente ein Prozess enthält, d.h. je höher seine Ordnung ist, desto kleiner wird das Verhältnis der Ausgleichszeit zur Verzugszeit Tg/Tu. Der regeltechnische Aufwand nimmt entsprechend zu (s. Abb. 22.8). Tg x
Tu n=0
10 n=1
8
n=2 n=3
6
n=4 n=5
4
n=6
2 t
0
2
4
6
8
10
n
Abb. 22.8. Sprungantworten von Regelstrecken höherer Ordnung mit n identischen Verzögerungen (links) sowie daraus resultierende Verhältnisse von Tg/Tu (rechts)
22.5 Fragen aus der Praxis
631
Die Tabelle 22.3 hilft, bei einem gegebenen Prozess mit bekanntem Verhältnis Tg/Tu einen geeigneten Reglertyp auszuwählen. Tabelle 22.3. Wahl eines Reglertyps anhand des Quotienten von Ausgleichszeit und Verzugszeit Tg/Tu Tg/Tu 10 > Tg/Tu 7 > Tg/Tu Tg/Tu
Reglertyp (Vorschlag) P-Regler > 10 > 7 PI-Regler > 3 PID-Regler < 3 Regelkaskade
22.5 Fragen aus der Praxis Führungs- und Störverhalten
Warum könnte es für die Regelbarkeit eines Systems eine Rolle spielen, ob die Führungsgröße oder eine Störgröße sprunghaft verändert wird? Ziele einer guten Regelung
Welche Anforderungen werden an eine gute Regelung gestellt? Können die Anforderungen unabhängig von einander erreicht werden? Wo bestehen allenfalls Wechselwirkungen und welcher Art sind sie? Totzeit und Verzugszeit
Wodurch unterscheiden sich Totzeit und Verzugszeit eines geregelten Systems? Gibt es eine Korrelation zwischen den beiden Größen? Ausgleichszeit und Anregelzeit
Besteht ein Zusammenhang zwischen der Ausgleichszeit und der Anregelzeit eines Systems? Regelbarkeit und Regelgüte
Sind Regelbarkeit und Regelgüte mit einander verknüpft? Hat eine schlechte Regelbarkeit eines Prozesses Auswirkungen auf die Regelgüte?
632
22 Regelgüte
Regelbarkeit bei gegebener Sprungantwort
Wie gut ist die Regelbarkeit des in der Abb. 22.1 dargestellten Prozesses? Regelflächen als Kriterium
Welche Regelfläche würden Sie als Kriterium wählen, um in den folgenden Fällen eine hohe Regelgüte zu erreichen: a) Einhalten eines Füllstands in einem Zwischenspeicher für brennbare Lösungsmittel b) Drehzahlregelung eines Notstromaggregats c) Neutralisation am Eingang einer industriellen Kläranlage (erstes Becken = Ausgleichsbecken bzw. Sedimentationsbecken) d) Aufheizen eines Reaktors mit einer zersetzungsgefährdeten exothermen Reaktion
23 Einstellregeln für industrielle Regler
Einstellparameter sind bei unstetigen Reglern (z.B. Zweipunkt- und Dreipunktregler) − die Schaltpunkte xS1, xS2 , − die Schaltdifferenzen ∆xS1, ∆xS2 sowie − der Kontaktabstand ∆xK und bei stetigen Reglern (z.B. P-, PD-, PI-, PID-Regler) − − − − −
die Führungsgröße w, die Reglerverstärkung KR bzw. der Proportionalbereich XP , die Nachstellzeit Tn , die Vorhaltezeit Tv sowie die Bandbreite bei Strukturumschaltung ∆xStruktur .
Die Einstellwerte werden so gewählt, dass eine möglichst hohe Regelgüte resultiert. Als Maß für die Regelgüte kann eines der im letzten Kapitel erwähnten Gütekriterien dienen (z.B. Regeldifferenz, Anregelzeit, Ausregelzeit, Überschwingweite, Regelfläche). Für Regler mit mehreren Einstellparametern gestaltet sich die Suche nach sinnvollen Kombinationen von Einstellwerten schwierig und zeitraubend. Es gibt deshalb Methoden, um zweckdienliche Kombinationen von Einstellwerten mit einfachen Mitteln festzulegen, wobei sich die Methoden vor allem in der Vorgehensweise unterscheiden. Im Chemiebereich werden stetige Regler verbreitet eingesetzt. Drei Methoden haben sich aufgrund ihrer Einfachheit, Bekanntheit und/oder Regelgüte für stetige Regler besonders bewährt. Es sind dies die Einstellregeln von Ziegler-Nichols, von Chien-Hrones-Reswick und die TSummen-Regel. Die mit den Einstellregeln erhaltenen Einstellwerte müssen bei Bedarf weiter optimiert werden. Eine generell günstigste Reglereinstellung existiert nicht. Die optimalen Einstellungen hängen vom Prozess ab. Zielsetzungen sind z.B. ein gutes Führungsverhalten, ein gutes Störverhalten, eine kleine Überschwingweite, ein kurzes Überschwingen, ein rasches Erreichen des Sollwerts u.a.m..
634
23 Einstellregeln für industrielle Regler
23.1 Ziegler-Nichols Bei dieser Methode wird der Regler vorerst als reiner Proportionalregler eingestellt (Tn = ∞, Tv = 0). Darauf wird ausgehend von einem großen Proportionalbereich XP , d.h. kleinem Proportionalbeiwert KR , der Proportionalbereich schrittweise verkleinert, bis der Regelkreis nach einem Sprung der Führungsgröße periodisch zu schwingen beginnt. Als Sprungweite werden etwa 10 % des Führungsbereichs vorgeschlagen. Aus dem zum Zeitpunkt der konstanten Schwingung am Regler eingestellten Proportionalbereich XP krit und der Schwingungsdauer Tkrit (s. Abb. 23.1) können gemäß der Tabelle 23.1 je nach Reglertyp zweckmäßige Einstellwerte abgeleitet werden. x
Tkrit.
t
Abb. 23.1. Schwingungsdauer bei periodischen Schwingung des Regelkreises
Tabelle 23.1. Einstellwerte nach Ziegler-Nichols Reglerstruktur P-Regler
Einstellparameter XP = 2,0 ⋅ XP krit
PI-Regler
XP = 2,2 ⋅ XP krit Tn = 0,85 ⋅ Tkrit
PD-Regler
XP = 1,25 ⋅ XP krit Tv = 0,12 ⋅ Tkrit
PID-Regler
XP = 1,7 ⋅ XP krit Tn = 0,5 ⋅ Tkrit Tv = 0,12 ⋅ Tkrit
23.2 Chien-Hrones-Reswick
635
23.2 Chien-Hrones-Reswick Bei realen Regelkreisen ist es manchmal unmöglich oder gefährlich, eine periodische Schwingung zu erzeugen, um die Einstellwerte nach der Methode von Ziegler-Nichols zu bestimmen. Für diesen Fall und bei Systemen mit größeren Verzögerungen eignet sich die Methode von ChienHrones-Reswick. Die Methode von Chien-Hrones-Reswick basiert auf der Sprungantwort der Regelstrecke, beziehungsweise auf deren Verzugszeit Tu und Ausgleichszeit Tg (s. Abb. 23.2, weitere Angaben s. Kap. „Regelgüte/ Regelbarkeit“).
100%
0% 0
1 Tu
2
3 Tg
4
5
6
7
8
9
Abb. 23.2. Verzugszeit Tu und Ausgleichszeit Tg einer Sprungantwort mit Ausgleich
Für geregelte Prozesse mit Ausgleich und einer Streckenverstärkung KS ergeben sich die in den Tabellen 23.2 und 23.3 aufgeführten sinnvollen Einstellwerte. Dabei wird einerseits unterschieden nach gutem Führungsbzw. Störverhalten und andrerseits, ob ein Überschwingen der Regelgröße erlaubt ist oder nicht. Tabelle 23.2. Einstellwerte nach (max.20%-igem) Überschwingen
Chien-Hrones-Reswick
bei
erlaubtem
Reglerstruktur P-Regler
Führungsverhalten KR = 0,71 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu)
Störverhalten KR = 0,71 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu)
PI-Regler
KR = 0,59 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu) Tn = 1,00 ⋅ Tg
KR = 0,71 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu) Tn = 2,30 ⋅ Tu
PID-Regler
KR = 0,95 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu) Tn = 1,35 ⋅ Tg Tv = 0,47 ⋅ Tu
KR = 1,20 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu) Tn = 2,00 ⋅ Tu Tv = 0,42 ⋅ Tu
636
23 Einstellregeln für industrielle Regler
Tabelle 23.3. Einstellwerte nach Chien-Hrones-Reswick bei verbotenem Überschwingen Reglerstruktur P-Regler
Führungsverhalten KR = 0,30 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu)
Störverhalten KR = 0,30 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu)
PI-Regler
KR = 0,34 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu) Tn = 1,20 ⋅ Tg
KR = 0,59 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu) Tn = 4,00 ⋅ Tu
PID-Regler
KR = 0,59 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu) Tn = 1,00 ⋅ Tg Tv = 0,50 ⋅ Tu
KR = 0,95 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu) Tn = 2,40 ⋅ Tu Tv = 0,42 ⋅ Tu
23.3 T-Summen-Regel Speziell bei Prozessen in der chemischen Industrie führen die Methoden von Ziegler-Nichols bzw. Chien-Hrones-Reswick gelegentlich zu unbefriedigenden Ergebnissen, weshalb die T-Summen-Regel, abgekürzt TΣRegel, entwickelt wurde. Die TΣ-Regel legt hohen Wert auf die Zuverlässigkeit der Regelung. Der Regler soll eher etwas langsam wirken, um dafür ein starkes Überschwingen oder gar Instabilitäten zu vermeiden. Maßgebend für die Herleitung der Einstellwerte ist die Sprungantwort einer Regelstrecke mit Verzögerungselementen (s. Abb. 23.2). Daraus wird einerseits der Verstärkungsbeiwert KS und andrerseits die Summenfläche AΣ bestimmt (s. Abb. 23.3). x
KS
AΣ
t
Abb. 23.3. Streckenverstärkung KS und Summenfläche AΣ bei einer S-förmigen Sprungantwort der Regelstrecke
23.3 T-Summen-Regel
637
Das Verhältnis der Summenfläche zum Verstärkungsbeiwert entspricht der so genannten Summenzeitkonstante TΣ.
TΣ =
AΣ
(23.1) KS
Die Summenzeitkonstante TΣ ist ein Maß für die Schnelligkeit, mit der ein Signal in der Regelstrecke übertragen wird. Bei einer Auswertung von Hand kann man die Summenzeitkonstante TΣ auch als die Zeit finden, bei der gemäß Abb. 23.4 die beiden schraffierten Flächen A1 und A2 gleich groß sind. x KS
A2
A1 t
TΣ
Abb. 23.4. Streckenverstärkung KS und Summenzeitkonstante TΣ bei einer Sförmigen Sprungantwort der Regelstrecke
Tabelle 23.4. Einstellwerte nach der T-Summen-Regel für normale oder schnelle Regelungen Reglerstruktur P-Regler
normale Regelung KR = 1,0 / KS
schnelle Regelung KR = 1,0 / KS
PI-Regler
KR = 0,5 / KS Tn = 0,5 ⋅ TΣ
KR = 1,0 / KS Tn = 0,7 ⋅ TΣ
PD-Regler
KR = 1,0 / KS Tv = 0,33 ⋅ TΣ
KR = 1,0 / KS Tv = 0,33 ⋅ TΣ
PID-Regler
KR = 1,0 / KS Tn = 0,66 ⋅ TΣ Tv = 0,167 ⋅ TΣ
KR = 2,0 / KS Tn = 0,8 ⋅ TΣ Tv = 0,194 ⋅ TΣ
638
23 Einstellregeln für industrielle Regler
Aus den beiden Größen KS und TΣ lassen sich gemäß der Tabelle 23.4 praxisnahe Einstellwerte herleiten, wobei zwischen einer normalen, stabilen und einer schnellen, dafür etwas instabileren Einstellung unterschieden wird.
23.4 Fragen aus der Praxis Ziegler-Nichols
Von welchen geregelten Prozessen in einem chemischen Betrieb erwarten Sie, dass die Methode von Ziegler-Nichols anwendbar ist? Einstellparameter eines PID-Reglers
In der Heizanlage eines Wirbelschichtreaktors, in der Luft durch einen dampfbeheizten Wärmeübertrager geschickt wird, soll die Temperatur möglichst konstant eingehalten werden. Aus diesem Grund wurde ein PIDRegler eingebaut. Durch Aufnahme einer Sprungantwort, wobei das Dampfventil von 60 auf 70% geöffnet worden war, erhielt man eine Verzugszeit von 15 s und eine Ausgleichszeit von 120 s. Die Temperatur stieg allmählich von 210 auf schließlich 230 °C (Beharrungswert). Die höchste erreichbare Arbeitstemperatur bei maximaler Heizleistung beträgt vergleichsweise 280 °C. Es ist mit Störungen von außen zu rechnen. Welche Einstellparameter schlagen Sie für den Regler vor? T-Summen-Regel und Chien-Hrones-Reswick
Es sind die Einstellparameter eines PID-Reglers gemäß der T-SummenRegel und der Methode von Chien-Hrones-Reswick für eine Regelstrecke zu berechnen, deren Sprungantwort in der Abb. 23.2 dargestellt ist. Die Verstärkung der Regelstrecke KS sei 100%. Wie können die unterschiedlichen Resultate kommentiert werden? Grenzen der Anwendung für Chien-Hrones-Reswick
Haben Sie eine Idee, weshalb die Methode von Chien-Hrones-Reswick, die im Wesentlichen auf dem Verhältnis von Tg/Tu beruht, in der Praxis versagen kann?
24 Komplexe Regelsysteme
Komplexe Regelsysteme werden bei Regelungsaufgaben eingesetzt, zu deren Lösung ein einzelner der bisher vorgestellten Regler nicht genügen würde.
24.1 Split-Range-Regelung Bei der Split-Range-Regelung wird das Reglerausgangssignal yR zwei verschiedenen Stelleinrichtungen zugeführt. Damit ist es z.B. möglich, mit einem einzigen Temperaturregler sowohl eine Heizung als auch eine Kühlung anzusteuern. Meistens ist das Übertragungsverhalten des Reglers linear (proportional). Mit dem Split-Range-Regler werden für die beiden Stelleinrichtungen zwei Proportionalbereiche XP erzeugt, in denen zwei Stellgrößen y1 und y2 variieren. Die Proportionalbereiche können unterschiedlich groß sein, d.h. die Proportionalbeiwerte des Reglers können für die beiden Bereiche voneinander abweichen. Die Abbildung 24.1 zeigt das Übertragungsverhalten eines Split-Range-Reglers mit den beiden Proportionalbereichen. Die beiden Proportionalbereiche können gegeneinander verschoben sein, sodass z.B. eine Totzone um den Sollwert w entsteht (s. Abb. 24.1 mittig) oder die Proportionalbereiche im Bereich des Sollwerts überlappen (s. Abb. 24.1 unten). Bezogen auf eine Temperaturregelung bedeutet dies im letzteren Fall, dass in der Nähe des Sollwerts gleichzeitig geheizt und gekühlt wird. Eine solche Regelung ist sehr schnell und exakt, da die Zuleitungen nicht zuerst aufgeheizt bzw. abgekühlt werden müssen. Sie verbraucht aber viel Energie, da sich Heiz- und Kühlwirkungen z.T. unnötig kompensieren. Bei einer Totzone um den Sollwert (s. Abb. 24.1 mittig) wird in der Nähe des Sollwerts weder geheizt noch gekühlt, wodurch Energie gespart werden kann. Dafür kann nicht so schnell und genau geregelt werden wie bei direkt aneinander grenzenden oder gar überlappenden Proportionalbereichen.
640
24 Komplexe Regelsysteme
y a)
Stelleinrichtung 1
Stelleinrichtung 2
100% y1
yR
y2 w x
0% XP1
y b)
XP2
Stelleinrichtung 1
Stelleinrichtung 2
100% y1 yR
y2 w x
0% XP1
y c)
XP2
Totzone
Stelleinrichtung 1
Stelleinrichtung 2
100% y1 yR
y2
w x
0% XP2 XP1
Abb. 24.1. Übertragungsverhalten eines Split-Range-Reglers mit Reglerausgangsgröße yR ; a) mit aneinander grenzenden Proportionalbereichen XP1 und XP2 (oben), b) mit Proportionalbereichen XP1 und XP2 und dazwischen liegender Totzone (mittig), c) mit überlappenden Proportionalbereichen XP1 und XP2 (unten)
24.2 Kaskadenregelung
641
Nicht immer lässt sich ein Regelproblem mit einem linearen Regler optimal lösen. Wenn z.B. um den Sollwert herum besonders fein und sorgfältig geregelt werden muss, wie z.B. bei einem pH-Wert am Umschlagpunkt einer pH-Kurve, so ist der lineare Regler, der seine Stellgröße proportional zur Regeldifferenz verändert, ungeeignet. Eine solche Regelung wird besser mit einem nicht-linearen Regler ausgeführt. Die Nichtlinearität lässt sich häufig an einem Potentiometer einstellen. In der Abbildung 24.2 ist die Nichtlinearität symmetrisch um den Sollwert einer Split-Range-Regelung angeordnet. Eine Nichtlinearität von 0,1 bedeutet, dass sich die Stellgröße in der Nähe des Sollwerts nur wenig (unterproportional) verändert. Eine Nichtlinearität von 0,9 bedeutet, dass sich die Stellgröße in der Nähe des Sollwerts stark (überproportional) verändert. y
Stelleinrichtung 1
Stelleinrichtung 2
100% 0.9
0.9
0.7
0.7
0.5
0.5
0.3
0.3
0.1
0.1
w
x
0% XP1
XP2
Abb. 24.2. Split-Range-Regler mit nicht-linearem Übertragungsverhalten; XP1 bzw. XP2 entsprechen Regelbereichen für die Stelleinrichtungen 1 bzw. 2
24.2 Kaskadenregelung Bisher wurden nur einschleifige Regelkreise betrachtet. Bei trägen Systemen mit schlechter Regelbarkeit (s. Kap. „Regelgüte“) kann mit einer zweischleifigen Regelung, einer so genannten Kaskadenregelung, eine deutliche Verbesserung der Regelgüte erzielt werden. Die Kaskadenregelung enthält zwei miteinander vermaschte Regelkreise, wobei der eine Regelkreis dem anderen überlagert ist. Der überlagerte Regelkreis misst die Regelgröße x1 = x und vergleicht sie mit dem Sollwert w1 = w. Der Regler des überlagerten Regelkreises,
642
24 Komplexe Regelsysteme
der Führungsregler oder Hauptregler genannt wird (engl. master), greift jedoch nicht direkt in die Regelstrecke ein, sondern übermittelt seine Stellgröße y1 als Führungsgröße w2 an einen zweiten Regler, der Folgeregler oder Hilfsregler genannt wird (engl. slave) und im unterlagerten Regelkreis eingebaut ist. Der unterlagerte Regelkreis misst eine Hilfsgröße x2 = xH und vergleicht sie mit der Stellgröße des Führungsreglers y1. Aus der Differenz e2 errechnet der Folgeregler die Stellgröße y2 = y, die nun über die Stelleinrichtung in den geregelten Prozess eingreift. Der Vorteil einer solchen Kaskadenregelung liegt darin, dass Störungen vom unterlagerten Hilfsregelkreis schnell erfasst und auskorrigiert werden und die Regelgröße durch den überlagerten Hauptregelkreis mit hoher Genauigkeit an den Sollwert herangeführt wird. Voraussetzung dafür ist, dass der Hilfsregelkreis im Vergleich zum Hauptregelkreis mindestens zweibis dreimal schneller reagiert und Störungen frühzeitig erkennt. Für den Hilfsregler werden oft P-Regler und für den Hauptregler PI- oder PIDRegler eingesetzt. Als typisches Beispiel einer Kaskadenregelung im Bereich der chemischen Verfahrenstechnik zeigt die Abb. 24.3 die Temperaturregelung eines dampfbeheizten Rührkessels. Störungen in der Zuleitung des Dampfs, d.h. Schwankungen im Dampfdruck, werden durch den Hilfsregelkreis schnell ausgeglichen, während der Hauptregelkreis die Innentemperatur Ti im Rührkessel nach einiger Zeit exakt an den Sollwert angleicht. Die Tabelle 24.1 stellt die Eigenschaften eines Hauptreglers denjenigen eines Hilfsreglers gegenüber. Dampf
y2 = y
Folgeregler
y1 = w2
x2 = p
Führungsregler
x1 = Ti
Kondensat
w1 = Tsoll
Abb. 24.3. Kaskadenregelung der Innentemperatur eines dampfbeheizten Rührkessels
24.3 Verhältnisregelung
643
Tabelle 24.1. Gegenüberstellung der Eigenschaften eines Führungs- und eines Folgereglers Führungsregler, Hauptregler
Folgeregler, Hilfsregler
(engl. Master) überlagerte Regelung
(engl. Slave) unterlagerte Regelung
langsame Regelung
schnelle Regelung
meist PI- oder PID-Regler
meist P-Regler
Regelgröße x1 entspricht der Regelgröße x (analog Aufgabengröße xA)
Regelgröße x2 entspricht der Hilfsgröße xH (analog Störgröße z)
Führungsgröße w1 entspricht dem Sollwert w
Führungsgröße w2 entspricht der Stellgröße des Führungsreglers y1
Stellgröße y1 entspricht der Führungsgröße des Folgereglers w2
Stellgröße y2 entspricht der Stellgröße der Stelleinrichtung y
24.3 Verhältnisregelung In der Praxis stellt sich oft die Aufgabe, eine Prozessgröße in einem gewissen einstellbaren Verhältnis zu einer anderen Prozessgröße zu halten. Dies ist beispielsweise bei der Verbrennung eines flüssigen oder gasförmigen Heizstoffs mit Luft oder bei der Mischung zweier Reaktionspartner in einer Rohrstrecke der Fall. Die Regelung eines solchen Systems wird mit einer so genannten Verhältnisregelung vorgenommen. Die Verhältnisregelung misst den Volu = x1 und multipliziert ihn im Verhältmenstrom des einen Stoffes V 1 nissteller mit dem Verhältnisfaktor der Mischung KM. Diese errechnete Größe dient als Führungsgröße für den Regelteil der Verhältnisregelung. Der Regelteil vergleicht den errechneten Wert mit dem Volumenstrom des = x2. Bei Abweichungen vom korrekten Mischungszweiten Stoffes V 2 verhältnis wirkt der Regelteil über die Stellgröße y auf ein Ventil ein, das den Volumenstrom des zweiten Stoffes entweder erhöht oder reduziert. Der Verhältnisregler berechnet somit aus zwei Regelgrößen und einem Verhältnisfaktor die Stellgröße, die eine der beiden Regelgrößen so lange verändert, bis das Mischungsverhältnis stimmt. Häufig muss auch die Gesamtmenge der Mischung geregelt werden, was in einem überlagerten Regelkreis geschieht. Somit handelt es sich bei der Verhältnisregelung häufig um eine Folgeregelung.
644
24 Komplexe Regelsysteme
Die Abbildung 24.4 zeigt als Beispiel einer Verhältnisregelung die geregelte Zumischung von Verbrennungsluft zu Brennstoff mit dem Ziel, einen Ofen effizient und schadstoffarm beheizen zu können. Die Abbildung 24.5 ergänzt die Verhältnisregelung von Verbrennungsluft und Brennstoff (s. Abb. 24.4) mit einer Führungsregelung, die die Temperatur im Innern des Ofens kontrolliert. KM KM x x1 = w
Verhältnissteller V1 = x1
Regelteil y
V2 = x2
Ofen
Brenner
Abb. 24.4. Verhältnisregelung von Verbrennungsluft und Brennstoff zur effizienten und schadstoffarmen Beheizung eines Ofens
KM V1’ = x1’
y’
Verhältnisregler = Folgeregler
Ofen V2’ = x2’ Brenner
T y
Temperaturregler = Führungsregler
x
w
Abb. 24.5. Verhältnisregelung von Verbrennungsluft und Brennstoff als Folgeregelung zur überlagerten Temperaturregelung (Führungsregelung) eines brennstoffbeheizten Ofens
24.4 Fragen aus der Praxis
645
24.4 Fragen aus der Praxis Heiz-Kühlsystem
Ein Rührkessel ist mit einem Heiz-Kühlsystem mit Split-Range-Regelung ausgerüstet. Das Übertragungsverhalten des Split-Range-Reglers ist in der Abb. 24.1 dargestellt. Welche Heiz- und Kühlleistung resultiert bei einer Reglerausgangsgröße von 25, 50 bzw. 75%? pH-Regelung
Welches Übertragungsverhalten eines Split-Range-Reglers würden Sie für die pH-Regelung eines kommunalen Abwassers am Neutralpunkt (pH = 7) wählen? Schnelligkeit von Hilfs- und Hauptregelkreis
Warum soll der Hilfsregelkreis in einer Kaskadenregelung schneller wirken als der Hauptregelkreis? Parameter für Hilfs- und Hauptregelkreis
Würden Sie die Einstellwerte eines Hilfs- und eines Hauptreglers einer Regelkaskade eher auf ein gutes Führungsverhalten oder auf ein gutes Störverhalten ausrichten? Luft-Benzin-Mischung
Im ersten Kapitel der Regelungstechnik wurde die Lambda-Regelung eines Autokatalysators diskutiert. Wie könnte sich die gemessene Lambda-Zahl (Luftzahl λ) auf die Volumenströme von Verbrennungsluft und Benzin auswirken? Wie sieht der entsprechende Wirkungsplan aus?
25 Prozessleittechnik
Die Prozessleittechnik beschäftigt sich mit der computergestützten Führung eines Prozesses und umfasst die Vorgänge Messen, Steuern, Regeln, Optimieren, Registrieren und Überwachen mit dem Ziel, ein Produkt möglichst kostengünstig, qualitativ hochstehend, sicher, umweltverträglich und in passender Menge zum richtigen Zeitpunkt herzustellen. Die Prozessleittechnik wird manchmal auch als Mess-, Steuer- und Regelungstechnik, abgekürzt MSRT, bezeichnet. Im englischen heißt der entsprechende Begriff „Instrumentation“.
25.1 Entwicklung der Prozessleittechnik In der bisher beschriebenen Regelungstechnik wurde jeder Regelkreis für sich allein betrachtet. Jeder Regelkreis bestand somit aus einer eigenen Messsonde, einem eigenen Regler, einer eigenen Anzeige ev. mit Ausgabe und einem eigenen Stellgerät. Eine solche Regelung, bei der jede Regelgröße für sich getrennt geregelt wird, nennt man Einzelregelung. In einer chemischen Anlage müssen aber sehr viele Prozessgrößen wie z.B. Temperaturen, Drücke, Durchflüsse, Füllstände gleichzeitig und fortlaufend gemessen, überwacht, registriert, gesteuert oder geregelt werden. Besteht für jede Prozessgröße ein eigener Regelkreis, so spricht man von einer parallelen Gerätetechnik. Eine parallele Gerätetechnik zeichnet sich einerseits durch eine hohe Zuverlässigkeit aus, andrerseits ist sie wegen der vielen Regelelemente aufwändig und kostspielig. Eine Gruppenregelung enthält mehrere Einzelregelungen und ist eine Funktionseinheit zum Regeln eines zusammenhängenden Teilprozesses. Eine Prozessregelung enthält mehrere Gruppenregelungen und ist die Funktionseinheit zum Regeln des gesamten Prozesses. In Gruppen- und Prozessregelungen können sich verschiedene Regelkreise einzelne Funktionselemente teilen. So kann z.B. ein Regler in hintereinander geschalteten Zeitsequenzen die Regelung mehrerer Regelkreise übernehmen, was die Regelung wesentlich vergünstigt.
648
25 Prozessleittechnik
Die Anzeige, Überwachung und Regelung von Prozessgrößen in chemischen Anlagen kann auf verschiedene Art und Weise erfolgen. Das Betriebspersonal kann die Anlage entweder direkt vor Ort oder von der Messwarte aus führen. Bei einer Bedienung vor Ort muss das Betriebspersonal oft lange Wege zwischen den verschiedenen Messanzeigen und Stellgeräten (Schaltern, Ventilen, etc.) auf sich nehmen. Das Betriebspersonal ist dabei höherer Gefahr ausgesetzt, bedingt durch die unmittelbare Umgebung von chemischen Stoffen (toxisch, ätzend, verbrühend, explosiv, brandgefährlich) und mechanischen Apparaten (rotierende Wellen, Hebel, Förderbänder). In einer konventionellen Messwarte werden die verschiedenen Informationsangaben in einer Vielzahl einzelner Anzeige- und Schreibinstrumenten dargestellt. Dabei werden die Messwerte in ein abstrahiertes Bild der Produktionsanlage übertragen. Das Anlagenschema enthält an geeigneter Stelle die gemessenen Informationsgrößen (Druck, Temperatur, pH, Durchfluss, Füllstand, etc.). Die unmittelbare Veranschaulichung des Orts der Informationsentstehung, also der Apparate und Leitungen der Anlage, ist gegenüber einer Regelung vor Ort verloren gegangen. Wichtige Zusatzinformationen wie veränderte Geräusche, Vibrationen, Leckagen etc. sind in der Messwarte nicht mehr wahrnehmbar. Deshalb sind periodische Sicherheitsrundgänge in der Anlage erforderlich. Bei komplexeren Anlagen ergeben sich in den Messwarten oft sehr breite Anlagenschemata, die sich über ganze Wände erstrecken. Die große Breite und die langen Wege zu den Instrumenten führen zu Unübersichtlichkeit und neuen Gefahrenquellen. In Prozessleitsystemen werden die zahlreichen Einzelinformationen verarbeitet und in Führungsgrößen zusammengefasst. Das Anlagenschema wird zusammen mit den Führungsgrößen auf Bildschirmen (Monitoren) übersichtlich dargestellt. Auf Wunsch kann statt des Anlagenschemas eine einzelne Apparategruppe oder der zeitliche Verlauf einer Prozessgröße auf den Bildschirm gebracht werden. Bedieneingriffe, Betriebszustände oder Alarme werden meistens durch einen Drucker protokolliert. Die Bedienung der Produktionsanlage erfolgt nahezu ausschließlich vom Sitzplatz vor den Bildschirmen aus mit entsprechenden Bedienelementen wie Tastatur, Lichtgriffel, Rollkugel oder Computermaus. Durch die Verknüpfung der Vielzahl von Einzelinformationen in einem einzigen System wird es möglich, den Ablauf eines chemischen Prozesses sequenziell zu steuern, das heißt eine Synthesevorschrift oder Rezeptur ohne menschlichen Eingriff ablaufen zu lassen. Als Mangel eines Prozessleitsystems gilt wie bei der Messwarte die große Distanz zur Anlage, die gegebenenfalls fehlerhafte Zustände nur schwerlich erkennen lässt. Periodische Kontrollgänge
25.1 Entwicklung der Prozessleittechnik
649
in der Anlage sind angebracht. Die Abbildungen 25.1 und 25.2 illustrieren den Unterschied zwischen der Struktur eines konventionellen Regelsystems und dem Aufbau eines modernen Prozessleitsystems.
21
Abb. 25.1. Konventionelles Mess- und Regelsystem
Betriebsleitebene
Prozessleitebene
E/A-Ebene
Feldebene
Abb. 25.2. Aufbau eines modernen Prozessleitsystems
650
25 Prozessleittechnik
25.2 Aufbau eines Prozessleitsystems Wie aus der Abbildung 25.2 ersichtlich ist, besteht ein Prozessleitsystem aus einer Betriebsleitebene, einer Prozessleitebene, einer E/A-Ebene und einer Feldebene. Die Betriebsleitebene enthält im Normalfall einen oder bis zu fünf Computer mit Monitoren sowie Ein- und Ausgabegeräte (Tastatur, Maus, Schreiber, Disketten-, Magnetbandgerät). Über die Betriebsleitebene wird der einzelne Prozess kontrolliert, gesteuert und geregelt. Prozessdaten können archiviert und ausgewertet werden. Die Betriebsleitebene ist die einzige Schnittstelle im Prozessleitsystem zwischen Mensch und Anlage bzw. Prozess. Hier können Verfahrensvorschriften eingegeben, geändert, freigegeben und gestartet werden. Die Zugriffsberechtigung muss ausführlich und eingehend geregelt sein. Als Betriebssystem findet das amerikanische UNIX-System verbreitet Anwendung. Als Benutzeroberfläche wird häufig WINDOWS verwendet. Dies ermöglicht eine intensive Beobachtung des Prozesses in mehreren Bildern und eine flexible und schnelle Bedienung über die Maus. Die Prozessleitebene enthält einen oder bis zu zwanzig Computer, die den eigentlichen Prozess überwachen, steuern und regeln. Hier werden Messsignale umgewandelt, verarbeitet und Stellgrößen errechnet. Jeder Computer (mit 32 Bit Prozessor) wirkt in der Regel selbstständig und ist einem Anlagenteil bzw. einem Teilprozess fest zugeordnet. Funktionsmodule und das firmenseitig entwickelte Betriebssystem sind in einem EPROM abgelegt. Konfigurierung und Parametrierung erfolgen online im RAM der Station. Die Kommunikation mit der Betriebsleitebene läuft durch ein sehr schnelles BUS-System (z.B. Ethernet) über Koaxial- oder Glasfaserkabel. Die E/A-Ebene verknüpft Prozessleitebene und Feldebene. In der E/AEbenen werden die Messsignale aus der Anlage in für den Prozessrechner verständliche Signale umgewandelt. Umgekehrt werden Stellsignale vom Prozessrechner über Eingabe-Ausgabe-Wandler in brauchbare Stellgrößen auf der Feldebene verändert. Es gibt drei Arten von Signalformen, die Eingabe-Ausgabe-Wandler verarbeiten. Analoge Signale kommen als Stromoder Spannungswerte direkt von Sensoren. Zur Verarbeitung müssen analoge Signale digitalisiert werden. Digitale Signale aus der Prozessleitebene werden über Digital-Analog-Wandler als Analogwerte zu den entsprechenden Stellgliedern ausgegeben. Binärsignale stammen von Relaiskontakten, Grenzwertgebern, Tastern und Schaltern. Alle Meßwerte werden zyklisch erfaßt, d.h. sie werden in einer bestimmten zeitlichen Reihenfolge abgefragt. Die Zykluszeit ist abhängig vom dynamischen Verhalten der
25.3 Funktionen eines Prozessleitsystems
651
Regelstrecke. Durchfluß und Druck verlangen z.B. kürzere Abtastzeiten als Füllstand und Temperatur. Jeder Meßwert wird vor der Verarbeitung auf seine Gültigkeit überprüft (z.B. Fehler durch Leitungsbruch). Die Kommunikation mit der Prozessleitebene erfolgt über ein robustes BUSSystem mit hoher Datensicherheit (z.B. Profibus). Die Feldebene besteht aus den Messsonden und Stellgliedern vor Ort in der Prozessanlage. In explosionsgefährdeten Bereichen muss die Datenverbindung zur E/A-Ebene ex-sicher ausgeführt sein. Verwendet werden z.B. Koaxial- oder Glasfaserkabel. In jüngster Zeit besteht ein Trend, Messsonden mit eigener „Intelligenz“ auszustatten, sodass sie die Messsignale selbst auswerten und in ein für den Prozessrechner direkt verständliches (z.B. digitales) Signal umwandeln.
25.3 Funktionen eines Prozessleitsystems Die Aufgaben eines Prozessleitsystems können mit den vier Funktionen Überwachen, Protokollieren, Regeln und Steuern umschrieben werden. Durch dauerndes Überwachen der Anlage und des Prozesses werden Störungen oder gefährliche Betriebszustände frühzeitig erkannt. Beim Eintritt von Störungen können verschiedene Maßnahmen ausgelöst werden, wie z.B. Störmeldungen auf dem Bildschirm und/oder dem Drucker, Senden von Meldungen über das Telefonnetz oder Funk, Auslösen von Sirenen und Blitzlicht, Aktivierung von Schutz- und Sicherheitsschaltungen oder gar eine Notabschaltung der Anlage. Protokolle können entweder spontan bei jedem Ereignis, zyklisch zu einer bestimmten Uhrzeit oder durch eine Bedienhandlung erstellt werden. Beim Protokollieren unterscheidet man − Störprotokolle (Grenzwertüberschreitungen, Systemfehlermeldungen), − Bedienprotokolle (Bedieneingriffe, Konfigurier- und Parametriereingriffe) und − Betriebsprotokolle (Betriebsdaten, Betriebszustände). Das Regeln von Betriebszuständen ist eine weitere zentrale Aufgabe eines Prozessleitsystems. Regler in einem modernen Prozessleitsystem sind reine Software-Bausteine, mit denen sowohl einfache als auch komplexe Regelaufgaben gelöst werden können. Ein solcher Baustein „Regler“ erlaubt z.B. folgende Funktionen:
652
− − − − − − −
25 Prozessleittechnik
Festwert- und Folge-Regelung PID- Regelung 2-Punkt/3-Punkt-Regelung Split-Range-Regelung Kaskadenregelung Verhältnisregelung Grenzwertmeldungen
Durch Steuern können diskontinuierliche Prozesse automatisiert werden. Der erste Schritt zur Automatisierung eines Prozesses ist die Darstellung des Prozessablaufs in einem Flussdiagramm. Dabei wird der gesamte Prozessablauf in einzelne Schritte, die so genannten Takte, aufgeteilt. Diese werden im Flussdiagramm als Rechtecke dargestellt. Im allgemeinen wird ein Takt erst dann eingeleitet, wenn bestimmte logische oder zeitliche Bedingungen (so genannte Fortschaltbedingungen) erfüllt sind. Diese Bedingungen werden in Rhomben im Flussdiagramm eingezeichnet. Die Abbildung 25.3 zeigt ein solches Flussdiagramm. Vor Beginn des Taktes 1 wird beispielsweise abgeklärt, ob das Bodenventil des Reaktors geschlossen ist. Nur wenn dies der Fall ist, wird der Takt 1 eingeleitet, wenn nicht, verzweigt sich der Prozessablauf. Es wird eine Störmeldung ausgegeben und der Prozess wird gestoppt. Start
Bodenventil geschlossen?
Feststoff
nein
M Wasser
ja (Takt 1)
100 L Wasser einfüllen
Störmeldung
Stop Einfüllen fertig?
nein
Heizschlange
ja (Takt 2)
50 kg Feststoff einfüllen
Stimmt Gewichtskontrolle?
Bodenventil nein
ja (Takt 3)
Rührwerk ein
Störmeldung
Stop Aufheizen auf 70°C
Abb. 25.3. Flussdiagramm einer Rührkesselsteuerung
25.4 Darstellungen im Prozessleitsystem
653
Wie das Beispiel in der Abb. 25.3 zeigt, ist die Aufgabe einer Steuerung, die Sequenz der Prozessschritte zu durchlaufen und zu überwachen und allenfalls Verzweigungen, Schleifen oder Sprünge zu befehlen oder Alarme auszulösen. Man nennt eine solche Steuerung auch Sequenzsteuerung, Ablaufsteuerung oder Programmsteuerung. Flussdiagramme zur Steuerung von diskontinuierlichen chemischen Prozessen sind als Programm-Ablauf-Pläne (PAP) bekannt und normiert [4]. Der PAP ist ein Kommunikationsmittel, das in einer für den Verfahrensgeber wie für den Regeltechniker gleichermaßen verständlichen Form Abläufe und Verknüpfungen so darstellt, dass die darauf basierende Software sauber strukturiert und überschaubar wird.
25.4 Darstellungen im Prozessleitsystem Auf den Monitoren der Betriebsleitebene sind vielfältige Darstellungen möglich. Die wichtigsten sind Übersichtsbilder, Gruppenbilder und Kurvendarstellungen. Übersichtsbilder zeigen die gesamte Anlage oder größere zusammenhängende Anlagenbereiche in einem relativ kleinen Maßstab. Dies erlaubt es, die Struktur der Anlage auf einen Blick zu erfassen. Durch Anwählen einzelner Anlageteile oder Funktionen werden diese aufgerufen. Mittels WINDOWS-Technik können diese Bilder dem Übersichtsbild ausschnittsweise überlagert werden. Gruppenbilder zeigen einen Ausschnitt der Gesamtanlage, typischerweise eine Apparategruppe mit gemeinsamer Funktion. Kurvendarstellungen zeigen den zeitlichen Verlauf analoger oder binärer Prozessgrößen. Dies dient in erster Linie der Prozessüberwachung und der Protokollierung. Aus Messarchiven sind Prozessabläufe auch noch nach längerer Zeit nachvollziehbar. Im Störfall kann die Zeitachse zum Zeitpunkt des Ereignisses gespreizt werden, was eine detaillierte Analyse der auslösenden Umstände erlaubt. Zur Darstellung von dynamisch veränderlichen Prozessgrößen auf dem Bildschirm bestehen folgende Möglichkeiten: − − − − − −
Anzeigen des Zahlenwertes Ein- und Ausblenden von Texten Fluten von Bargraphen und Füllflächen (in verschiedenen Richtungen) Änderung von Farben oder Schattierungen Positionsänderung des grafischen Symbols Blinken des Symbols
654
25 Prozessleittechnik
25.5 Sicherheit computergesteuerter Anlagen Sicherheit kann nicht einfach auf ein bestehendes Prozessleitsystem „aufgepfropft“ werden. Sie muss von Anfang an projektbegleitend geplant und eingeführt sein. Aufgrund des RI-Schemas und der Verfahrensvorschrift soll das Projektteam die verschiedenen Prozessabläufe möglichst genau (einschließlich Schnittstellen) definieren und einer Risikoanalyse unterziehen. Daraus sind die notwendigen Maßnahmen (z.B. Verriegelungen, Redundanz, Notkühlung, etc.) abzuleiten und in den Programm-Ablauf-Plänen (PAP) festzuhalten. Die Risikoanalyse ist mit dem Fortgang des Projektes laufend nachzuführen und den veränderten Situationen anzupassen. Eine geeignete Methode zur Risikoanalyse von computergeführten Chemieanlagen ist CHAZOP (Computer Hazard and Operability Study). CHAZOP wurde in Analogie zur HAZOP-Methode (Hazard and Operability Study; PAAG-Verfahren) entwickelt, welche in der chemischen Industrie vielerorts bekannt ist. Nähere Angaben zu CHAZOP finden sich z.B. in T. Kletz, Computer Control and Human Error [16]. Je nach dem Ergebnis der Risikoanalysen sind auch Störungen der Energieversorgung (einschließlich Notenergieversorgung, Niederspannungsbereiche) in die Überlegungen zur Sicherheit des Automationssystems mit einzubeziehen. Prozessleitsysteme sollten mit einer unterbruchslosen Stromversorgung ausgerüstet sein. Der „unterbruchslose“ Übergang von Normalversorgung zur Notstromversorgung ist unter praxisnahen Bedingungen zu überprüfen, da beim Übergang häufig ein, wenn auch extrem kurzer Unterbruch oder Spannungsabfall eintreten kann. Die Zuverlässigkeit von Prozessleitsystemen kann durch Redundanz wesentlich erhöht werden. Redundanz bedeutet, dass sicherheitsrelevante Systeme in doppelter Ausführung vorhanden sind. Die redundanten Systeme sollten unabhängig von einander und nach verschiedenen Prinzipien wirken. Im Falle einer Störung übernimmt das Reservesystem oder Teile davon die Funktion der ausgefallenen Systemeinheit (Back up). Speziell mit der Anwendung von Prozessleittechnik in der chemischen Industrie beschäftigt sich die „Interessengemeinschaft Prozessleittechnik der chemischen und pharmazeutischen Industrie, NAMUR“ . NAMUR-Geschäftsstelle c/o Bayer AG Geb. K9 D-51368 Leverkusen Tel. 0049/214/ 30-71034 Fax 0049/214/ 30-72774 internet: http://www.namur.de
25.5 Sicherheit computergesteuerter Anlagen
655
Erläuterung von Sicherheitsbegriffen Aktiver Fehler (funktionsauslösend) Defekt, der bewirkt, dass z.B. das Sicherungssystem anspricht, ohne dass ein kritischer Zustand vorhanden ist (z.B. weil ein defekter Temperaturfühler das Überschreiten eines kritischen Grenzwerts simuliert, so dass die Notkühlung aktiviert wird). Passiver Fehler (funktionshemmend) Defekt, der bewirkt, dass trotz kritischem Anlagezustand z.B. das Sicherungssystem nicht anspricht (z.B. weil ein defekter Temperaturfühler die Unterschreitung der Solltemperatur simuliert, heizt das System weiter, obwohl die Temperatur bereits kritische Werte erreicht). Common Mode Failure Ausfall mehrerer Elemente eines redundanten Systems, der wegen unerkannter Abhängigkeiten der Elemente durch die gleiche Ursache ausgelöst wird. Häufige Ursachen für Common Mode Failures sind z.B. − „normale“ äußere Einflüsse wie Staub, Schmutz, Temperatur, Feuchtigkeit, Korrosion, Vibrationen − „unerwartete“ äußere Einflüsse wie Überschwemmung, Feuer, Energieausfall, Erdbeben − Entwurfs-/Fertigungs-/Material-Fehler − Fehler bei der Montage, Wartung oder Instandsetzung Plausibilitätstest Überprüfung eines Analogwertes, ob der Signalpegel im Einheitsbereich von 4 bis 20 mA bzw. bei pneumatischen Steuerungen von 0.2 bis 1 bar liegt. Da die meisten Defekte eines Geräts wie Kurzschluss, Unterbruch etc. ein Über- oder Unterschreiten dieser Bereiche bewirken, sind bis zu 95 % der Fehler mit dem Plausibilitätstest erfassbar. Watchdog („Wachhund“) Der Watchdog ist ein Teil des Rechners und hat die Aufgabe, periodisch (typisch 1 Mal pro Sekunde) alle „lebenswichtigen“ Systemfunktionen zu überprüfen.
656
25 Prozessleittechnik
Software-Sicherheitsstellung (SSS) Beim Auftreten eines kritischen Anlagezustandes werden die Aktoren in einen durch die Software (Programm) definierten Sicherheitszustand befohlen (Ventile auf, zu oder verharrend, Motoren meistens aus, Regelventile oder drehzahlvariable Motoren meistens auf Null bzw. Minimalwert des Stellbereiches). Die Software-Sicherheitsstellung darf nur ausgelöst werden, wenn das Prozessleitsystem noch funktionsfähig ist. Hardware-Sicherheitsstellung (HSS) Sicherheitsstellung, die nur durch die eingesetzten Mess-, Steuer- und regeltechnischen Elemente (und ihre Schaltung) bestimmt wird, auf welche das Prozessleitsystem keinen Einfluss hat. Sie wird dann eingeleitet, wenn Hinweise darauf bestehen, dass das Prozessleitsystem einen Defekt aufweisen könnte. Unabhängige Sicherungsebene Eine vom normalen Automationssystem der Anlage völlig unabhängige übergeordnete Ebene für alle sicherheitsrelevanten Sensoren und Stellglieder. Das Ansprechen dieser Ebene bringt die Anlage unabhängig vom Zustand des normalen Automationssystems in die Hardware-Sicherheitsstellung und löst ev. zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen aus (z.B. Verwässern des Ansatzes). Not-Aus Der Ausdruck wird in verschiedenen Bedeutungen gebraucht, z.B. Schalter, der eine ganze Anlage stromlos macht (,,Feuerwehrschalter“) oder Schalter zur manuellen Auslösung der Hardware-Sicherheitsstellung.
25.6 Fragen aus der Praxis Prozessleittechnik und konventionelle Regeltechnik Welche Vor- und Nachteile hat die moderne Prozessleittechnik gegenüber einer konventionellen Mess-, Steuer- und Regeltechnik?
25.6 Fragen aus der Praxis
657
Aufbau eines Prozessleitsystems Können die verschiedenen Funktionen eines Prozessleitsystems räumlich von einander getrennt werden? Darstellungen und Eingriffe Wie wird das Prozessgeschehen bei einem Prozessleitsystem dargestellt und wie kann in den Prozessablauf eingegriffen werden? Veränderliche Prozessgrößen Auf welche Art und Weise können veränderliche Prozessgrößen auf dem Monitor dargestellt werden? Maßnahmen bei Störungen Wie kann ein Prozessleitsystem auf eine Prozessgröße reagieren, die stark vom Sollwert abweicht? Aktiver und passiver Fehler Verursacht ein aktiver oder ein passiver Fehler den größeren Schaden? Redundanz Kennen Sie Beispiele für Redundanz aus dem Alltag? Software- und Hardware-Sicherheitsstellung Worin besteht der Unterschied zwischen einer Software-Sicherheitsstellung und einer Hardware-Sicherheitsstellung? Welche Vor- und Nachteile ergeben sich im Betrieb?
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
26.1 Einleitung Regelungsvorgänge im Alltag a) z.B. Lambda Regelung des Automotors: xA x w e yR y z1 z2 z3 z4
Schadstoffkonzentration im Abgas elektrische Spannung (Istwert der λ-Sonde) elektrische Spannung (Sollwert ≈ 200 mV) Spannungsdifferenz (= w - x) Strom zum Öffnen des Ventils Öffnung des Benzinventils Benzinqualität Luftdruck Temperatur des Motors Verschmutzung der λ-Sonde
b) z.B. Temperaturregelung beim Duschen: xA=x aktuelle Temperatur des Mischwassers (empfundener Istwert) w angenehme Temperatur des Mischwassers (gedachter Sollwert) e Temperaturdifferenz (= w - x) yR Verdrehung des Wasserhahns y Öffnung des Mischventils z1 Wasserdruck des Kaltwassers z2 Wasserdruck des Warmwassers z3 Temperatur des Kaltwassers z4 Temperatur des Warmwassers
660
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
Aufgabengröße und Regelgröße Tabelle 26.1. Gegenüberstellung von Aufgabengrößen xA und Regelgrößen x (Beispiele) Aufgabengröße xA Säuregehalt von Abwässern Feuchtigkeit von Textilbahnen Durchfluss von Abgasen in einem Kamin Staubgehalt im Abgasstrom Viskosität eines Polymerisats im Rührreaktor Füllstand in Kugelmühlen Temperatur im Solekreislauf Sauerstoffgehalt des Blutes
Regelgröße x pH-Wert elektrische Leitfähigkeit oder Dielektrizität Druckabfall über Blende oder Rohrstrecke Lichtstreuung (elektr. Signal) Motorstrom, Drehmoment des Rührwerks Drehmoment des Antriebmotors el. Widerstand des Pt100-Fühlers CO2-Gehalt des Blutes
Regelung durch Menschen Der Mensch verfügt als Regler über folgende vorteilhafte Eigenschaften: − − − − −
universell einsetzbar billig bei einmaligen oder veränderlichen Prozessen lernfähig mit vielen Sensoren ausgestattet komplex denkend und vielfältig handelnd
Der Mensch besitzt als Regler folgende nachteilige Eigenschaften: − unzuverlässig (Ermüdung, Stress, Emotionen, Überforderung, Vergesslichkeit) − teuer bei wiederholten, gleichartigen Prozessen − beschränkte Schnelligkeit − geringe Verträglichkeit gegenüber Chemikalien und Umwelteinflüssen
26.2 Steuerung und Regelung Vorzeichenumkehr im Wirkungsplan Es gibt zwei Möglichkeiten, das Vorzeichen eines Signals in einem Wirkungsplan zu wechseln. Erstens kann eine Additionsstelle mit Vorzeichenumkehr eingefügt werden (s. Abb. 26.1 links). Zweitens kann ein Funktionsblock mit entsprechendem Inhalt eingezeichnet werden. (s. Abb. 26.1 rechts).
26.2 Steuerung und Regelung
661
+/ -
a) Additionsstelle
b) Funktionsblock
Abb. 26.1. Vorzeichenumkehr in einem Wirkungsplan
Lenken eines Autos Beim Lenken eines Autos handelt es sich um eine typische Handregelung. Die Aufgabe des Reglers übernimmt der Mensch. Das menschliche Auge folgt dem Straßenverlauf (Folgeregelung), das Hirn verarbeitet die Signale und über die Arme werden Lenkkorrekturen ans „Steuerrad“ übertragen. Die Bezeichnung „Steuerrad“ ist strenggenommen falsch. Korrekterweise müsste man von einem „Reglerrad“ sprechen. Störgrößen können sowohl bei der Regeleinrichtung (= Autofahrer) als auch bei der Regelstrecke (= Auto + Fahrbahn) auftreten. Alle typischen Elemente einer Regelung sind bei der Lenkung eines Autos vorhanden. Regeln heißt andauerndes Messen, Vergleichen, Berechnen, Verstärken und Stellen. Die Abbildung 26.2 zeigt den Wirkungsplan für das Lenken eines Autos. Alkohol, Drogen, Gespräch, Musik, Handy
Seitenwind, Haftung, Beschleunigung
z Strassenverlauf w
Autofahrer; Auge, Hirn = Regler
z Lenkeinschlag yR
Lenkvorrichung; Steuerrad, Lenkgetriebe = Steller
Radstellung y
Fahrbahn, Fahrzeug = Regelstrecke
Fahrtrichtung x
Abb. 26.2. Wirkungsplan für das Lenken eines Autos
Textil-Waschmaschine In einer Textil-Waschmaschine wirkt eine Ablaufsteuerung mit teils zeitgeführten und teils prozessabhängigen Schritten. Bei zeitgeführten Schritten (z) dauern Aktionen unabhängig von weiteren Einflüssen, bis eine vorgegebene Zeit abgelaufen ist. Ein Beispiel ist der Waschvorgang, der unab-
662
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
hängig vom Verschmutzungsgrad der Wäsche innerhalb einer gewissen Zeitdauer stattfindet. Bei prozessabhängigen Schritten (p) dauern Aktionen, bis ein Abbruchkriterium erfüllt ist. Ein Beispiel ist das Füllen der Maschine mit Wasser, das beim Erreichen des gewünschten Füllstands beendet wird. Die Prozessschritte einer Waschmaschinen-Steuerung sind: Wasser auffüllen (p), Waschmittel zugeben (z), Aufheizen (p), Rühren/Waschen (z), Wasser ablassen (z), Spülwasser einlassen (p), Rühren/Waschen (z), Wasser ablassen (z), Schleudern (z) Elemente des Watt’schen Fliehkraftreglers Die Zuordnung der Elemente eines Fliehkraftreglers zu den Regelungsgrößen der Abb. 19.8 ist nicht immer einfach. Die Tabelle 26.2 entspricht einem Vorschlag. Tabelle 26.2. Regelungsgrößen und Elemente des Watt’schen Fliehkraftreglers Regelungsgröße Eingangsgröße u Aufgabengröße xA Führungsgröße w
Regelgröße x Reglerausgangsgröße yR Stellgröße y Störgröße z1 Störgröße z2
Elemente des Watt’schen Fliehkraftreglers gewünschte Drehzahl effektive Drehzahl Höhe des Nutrings an der Pendelwelle, eingestellt durch Verdrehung des Handrads, sodass die gewünschte Drehzahl gerade erreicht wird effektive Höhe des Nutrings an der Pendelwelle Höhenlage des Ventilkörpers freier Strömungsquerschnitt für den Dampf Vordruck des Dampfs in der Zuleitung Leistungsentnahme durch Verbraucher
Schwingungen Nur Regelkreise, bei denen ein Signal an den Regler zurückgeführt wird, können schwingen. Bei Steuerstrecken ist dies unmöglich. Ursachen für Schwingungen sind Verzögerungen auf dem Wirkungsweg, die an den verschiedensten Stellen auftreten. Der Eingriff des Reglers in das geregelte System erfolgt dadurch oft zu spät. Schwingungen sind insbesondere zu befürchten, wenn − − − −
das System über große Totzeiten oder Verzögerungszeiten verfügt, das zurückgeführte Signal einen hohen Verstärkungsfaktor aufweist, Führungsgrößen schnell und massiv verändert werden, sich Störgrößen schnell und massiv verändern.
26.3 Übertragungsverhalten
663
26.3 Übertragungsverhalten Schwingungsfähigkeit bei Verzögerungen In allen Systemen der Abb. 20.8 sind die Verzögerungselemente in Serie geschaltet und bestehen aus physikalisch gleichwertigen Speicherelementen. Eine Rückkoppelung fällt daher aus. Anstiegsfunktion und -antwort Die Anstiegsantworten eines Proportional-Glieds (P-Glied), eines IntegralGlieds (I-Glied) und eines Differential-Glieds (D-Glied) zeigt die Abb. 26.3. Gestrichelt ist die Anstiegsfunktion dargestellt, die jeweils am Eingang des Übertragungsglieds ansteht. Die Anstiegsfunktion eignet sich gut zur Bestimmung eines Differentialverhaltens (s. Abb. 26.3 rechts). u; v
u; v
u; v
v
v
u
u
u v
t
t
P-Glied
t
I-Glied
D-Glied
Abb. 26.3. Anstiegsantworten von P-, I- und D-Gliedern
Impulsfunktion und -antwort Wie die Abbildung 26.4 zeigt, eignet sich die Impulsfunktion gut zur Bestimmung eines Integralverhaltens. u; v u
v t I-Glied
Abb. 26.4. Impulsantwort eines I-Glieds
664
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
Regelbarkeit bei verschiedenem Übertragungsverhalten Die fünf Grundtypen des Übertragungsverhaltens sind das Proportionalverhalten (P), das Integralverhalten (I), das Differentialverhalten (D), das Verzögerungsverhalten (PTn) und das Totzeitverhalten (Tt). Totzeiten, Verzögerungen und schlagartige Änderungen von Größen sind besonders schwierig zu regeln. Vereinfachend gilt für die Regelbarkeit: P: I: D: PTn: Tt :
sehr einfach einfach schwierig schwierig sehr schwierig
Sinusfunktion und -antwort Die Sinusfunktion und -antwort ist in der Abb. 26.5 dargestellt. Die Sinusantwort besitzt maximale Amplituden, wenn die Sinusfunktion bereits wieder den Nullwert durchläuft. Im Nyquist-Diagramm erweist sich die Darstellung mit einem einzigen Vektor, der senkrecht nach unten zeigt, als besonders einfach (s. Abb. 26.5 unten). u 1 0 -1 v
Sinusfunktion
ϕ = 90°
t
1 0 -1
t Sinusantwort
1 -90° 0.5
Nyquist-Diagram
Abb. 26.5. Sinusfunktion und -antwort dargestellt als zeitlicher Verlauf und im Nyquist-Diagramm
26.3 Übertragungsverhalten
665
Bode- und Nyquist-Diagramm Bei einem Proportionalglied (P-Glied) gibt es keine Verzögerungen und auch keine Frequenz abhängigen Dämpfungen. Die Wirkungsweise lässt sich sowohl im Bode- als auch im Nyquist-Diagramm sehr einfach darstellen (s. Abb. 26.6 oben). Bei einem Verzögerungsglied erster Ordnung (PT1-Glied) wirkt sich die Verzögerung vor allem bei hohen Kreisfrequenzen ω aus. Die Amplituden werden im Verhältnis v0/u0 gedämpft und die Perioden um den Phasenverschiebungswinkel ϕ verzögert (s. Abb. 26.6 mittig). Ein Totzeitglied (Tt-Glied) verzögert vor allem bei hohen Frequenzen. Es tritt aber keine frequenzabhängige Dämpfung des Ausgangswerts auf (s. Abb. 26.6 unten). Bode P
Nyquist ϕ
log v0 /u0 v0 /u0 = Kp
Kp
0 log ω
PT1
ϕ
log v0 /u0 v0 /u0 = Kp log ω
Tt
log ω
Kp
0° -90°
log ω
ϕ
log v0 /u0 v0 /u0 = 1
1
0 log ω
-90°
log ω
Abb. 26.6. Bode- und Nyquist-Diagramme für P-, PT1- und Tt-Glieder
666
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
26.4 Reglertypen Berechnung des Proportionalbereichs Der Proportionalbereich XP eines Reglers ist eine Funktion des Stellbereichs Yh und des Proportionalbeiwerts KR. Es gilt gemäß Gl. 21.2
XP =
(26.1)
Yh 100 % = = 500 % KR 20 %
Proportionalbereich und Regeldifferenz
Die Regelabweichung e fällt umso kleiner aus, je größer der Proportionalbeiwert KR ist. Dies folgt beispielsweise aus der Gl. 21.1. Der Proportionalbeiwert KR darf aber nicht zu groß gewählt werden, da das System sonst instabil wird und zu unkontrollierbaren Schwingungen neigt. Sprungfunktion und -antwort
P-, PI- und PID-Regler verhalten sich genau gleich wie die entsprechenden Funktionsblöcke (P-, PI-, PID-Glieder), die im vorhergehenden Kapitel besprochen wurden. Die Sprungantworten sind in der Abb. 26.7 dargestellt. y
y
t
0 P - Regler
y
t
0 PI - Regler
t
0 PID - Regler
Abb. 26.7. Sprungantworten von P-, PI- und PID-Reglern
Vergleich von P-, PI- und PD-Reglern
Die Tabelle 26.3 fasst die Vor- und Nachteile der verschiedenen Regler zusammen.
26.4 Reglertypen
667
Tabelle 26.3. Vor- und Nachteile von P-, PI- und PID-Reglern Reglertyp P-Regler PI-Regler PD-Regler
Vorteile schnell, einfach keine Regeldifferenz noch schneller
Nachteile bleibende Regeldifferenz etwas langsamer bleibende Regeldifferenz, Neigung zu Schwingungen
Wahl des Reglers
Die Wahl des Reglers richtet sich nicht nur nach der geregelten Größe, sondern auch nach dem Wirkungsablauf im Regelkreis, nach dem zeitlichen Verhalten der Führungsgröße, nach dem Einfluss von Störungen, nach der geforderten Genauigkeit und vielem mehr. Die Tabelle 26.4 schlägt mögliche Lösungen vor. Tabelle 26.4. Reglertypen für typische Regelaufgaben in der Chemie Regelgröße Temperatur Druck Durchfluss Füllstand
idealer Reglertyp P, PI, PID, 2-Punkt PI, 2-Punkt PI P, (PID), 2-Punkt
Unbekannter Reglertyp
Wenn der Proportionalbeiwert KR unendlich groß ist, so ist der Proportionalbereich XP unendlich klein (s. Gl. 26.1). Das statische Übertragungsverhalten des Reglers kennt dann nur zwei Zustände. Die Reglerausgangsgröße yR ist entweder 0 oder 100%. Dies entspricht einem klassischen Zweipunktregler ohne Schaltdifferenz. Zweipunktregler
Wie die Abbildung 26.8 zeigt, führt ein kleinerer Abstand zwischen den Grenzwerten einerseits zu einer genaueren Regelung der Regelgröße x und andrerseits zu häufigerem Schalten. Während eine genauere Regelung wünschenswert ist, kann das häufigere Schalten zu Abnutzungserscheinungen an Schaltkontakten und geschalteten Geräten führen.
668
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
x
xSo
kleine Schaltdifferenzen häufiges Schalten
xSu t
x xSo grosse Schaltdifferenzen seltenes Schalten xSu t
Abb. 26.8. Verlauf der Regelgröße x als Funktion der Zeit t bei einem Zweipunktregler mit veränderten Grenzabständen; xSo = oberer Schaltpunkt, xSu = unterer Schaltpunkt
Dreipunktregler
Bei tiefen Werten der Regelgröße schaltet der Dreipunktregler positiv auf yR = +1. Bei hohen Werten der Regelgröße schaltet er negativ auf yR = -1. Dazwischen schaltet er neutral auf yR = 0. Bei konstanter Führungsgröße w schwankt die Reglerausgangsgröße yR zwischen nur zwei Werten. Entweder muss periodisch geheizt oder gekühlt werden, aber nie beides zusammen. Folglich entsteht ein zeitlicher Verlauf der Regelgröße x analog einer Zweipunktregelung, wie sie in der Abb. 21.6 oder 26.9 wiedergegeben wird. Beim Erreichen des oberen Schaltpunkts xSo schaltet der Regler beispielsweise auf yR = 0. Beim Erreichen des unteren Schaltpunkts xSu schaltet der Regler auf eine Reglerausgangsgröße von yR = +1. x
yR
xSo w xSu
100%
0% 1
2
3
4
1
2
3
4
Abb. 26.9. Zeitlicher Verlauf der Regelgröße x und der Reglerausgangsgröße yR eines Dreipunktreglers, falls die Führungsgröße w konstant bleibt
26.5 Regelgüte
669
26.5 Regelgüte Führungs- und Störverhalten
Der Eingriff der Führungsgröße erfolgt im Regelkreis weit vorne direkt im Regler. Dagegen kann eine Störgröße irgendwo im Regelkreis auftreten. Es dauert länger, bis sich ein Sprung der Führungsgröße in der Regelgröße bemerkbar macht, als dies bei einer Störung der Fall ist. Eine Störgröße kann direkt auf die Regelgröße einwirken und wird dann vom Messsystem sofort erfasst. Ein Regler für ein gutes Störverhalten darf deshalb etwas schneller und stärker reagieren als ein Regler für ein gutes Führungsverhalten (s. Tabellen 23.2 und 23.3). Ziele einer guten Regelung
Die Anforderungen an eine gute Regelung sind: − ein schnelles Erreichen der vorgegebenen Führungsgröße (kurze Anregelzeit, kurze Ausregelzeit) − kein großes Überschwingen der Aufgabengröße (kleine Überschwingweite) − ein genaues Einhalten der Führungsgröße (kleine bleibende Regeldifferenz) − ein unempfindliches Verhalten gegenüber Störungen (Stabilität, keine Schwingungen) Eine allzu schnelle Regelung kann zu großen Überschwingweiten und Instabilitäten führen. Es muss ein Kompromiss zwischen den Kriterien Genauigkeit und Stabilität einerseits und Schnelligkeit andrerseits gefunden werden. Totzeit und Verzugszeit
Innerhalb der Totzeit bleibt die Regelgröße unverändert, weil das Signal auf dem Wirkungsweg so lange braucht, bis es zur Regelgröße gelangt. Innerhalb der Verzugszeit kann sich hingegen die Regelgröße bereits verändern, auch wenn dies nur in geringem Ausmaß geschieht. Diese minimale Änderung der Regelgröße kann ein empfindlicher D-Regler bereits frühzeitig erkennen und daraus Korrekturmaßnahmen ableiten.
670
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
Ausgleichszeit und Anregelzeit
Es gibt keinen mathematisch exakten Zusammenhang zwischen der Ausgleichszeit und der Anregelzeit. Grundsätzlich gilt aber, dass eine längere Ausgleichszeit auch die Anregelzeit verlängert (s. Abb. 26.10). Die Anregelzeit kann nie kleiner als die Ausgleichszeit sein. Als grobe Schätzung gilt Anregelzeit ≈ Verzugszeit + Ausgleichszeit.
Tu
Tg TAnregel
Abb. 26.10. Verzugszeit Tu, Ausgleichszeit Tg und Anregelzeit TAnregel einer Sprungantwort mit der Regelgröße x und der Zeitdauer t seit dem Sprung
Regelbarkeit und Regelgüte
Die erreichbare Regelgüte hängt unter anderem auch von der Regelbarkeit des Systems ab. Bei einem Prozess mit einer schlechten Regelbarkeit kann bei vergleichbarem Regelaufwand nur eine schlechte Regelgüte erreicht werden. Regelbarkeit bei gegebener Sprungantwort
Das Verhältnis von Ausgleichszeit zu Verzugszeit Tg/Tu beträgt 2,4. Der Prozess ist somit gemäß Tabelle 22.2 nur schlecht regelbar. Verursacht wird dies durch die relativ große Totzeit und den schnellen Anstieg der
26.6 Einstellmethoden für industrielle Regler
671
Sprungantwort. Zur Regelung braucht es bereits eine Regelkaskade, ein einzelner PID-Regler genügt nicht mehr (s. Tabelle 22.3). Regelflächen als Kriterium
Es werden folgende Kriterien für die Regelflächen vorgeschlagen: a) quadratisch b) zeitgewichtet, eventuell quadratisch c) linear oder quadratisch d) quadratisch Eine quadratische Regelfläche ist immer dann sinnvoll, wenn eine große Regeldifferenz nicht erlaubt ist. Im Fall a) darf der Zwischenspeicher nie leer laufen oder überfüllt werden, da sonst der Prozess unterbrochen wird oder brennbares Lösungsmittel austreten könnte. Im Fall b) darf das Notstromaggregat keine zu hohen Spannungen erzeugen, da sonst die Sicherungen der elektrisch betriebenen Geräte durchbrennen. Im Fall d) darf der Reaktor nicht zu heiß werden, da sonst die exotherme Reaktion beschleunigt wird, die Temperatur weiter ansteigt und die Zersetzungsreaktion einsetzt. Eine lineare Regelfläche ist sinnvoll, wenn eine bleibende Regeldifferenz längerfristig unterdrückt werden soll. Dies ist beispielsweise bei der Neutralisation c) der Fall. Die Wahl der zeitgewichteten Regelfläche ist dann zweckmäßig, wenn es auf eine kurze Ausregelzeit ankommt. Dies trifft auf die Drehzahlregelung des Notstromaggregats im Fall b) zu. Eine relativ große Überschwingweite ist beim Notstromaggregat zu Beginn erlaubt, da der Strom erst nach dem Einschwingvorgang den Verbrauchern zur Verfügung gestellt wird.
26.6 Einstellmethoden für industrielle Regler Ziegler-Nichols
Die Methode von Ziegler-Nichols eignet sich für Prozesse, bei denen eine periodische Schwingung eingestellt werden darf, ohne dass die Anlage oder die Umgebung einen Schaden erleidet. Die periodische Schwingung ist eine Voraussetzung dafür, die Regelparameter festzulegen. Die Methode von Ziegler-Nichols wird in der Praxis angewendet bei der
672
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
− Drehzahlregelung bzw. Antriebsregelung, − Druckregelung, sofern die Druckamplituden den zulässigen Bereich des Betriebsdrucks weder über- noch unterschreiten, − Füllstandsregelung, sofern ein Überfüllen oder ein Leerlaufen ausgeschlossen werden kann, − Durchflussregelung, sofern kritische Drücke oder Fließgeschwindigkeiten (Kavitation) nicht erreicht werden. Einstellparameter eines PID-Reglers
Mit der Ausgleichszeit Tg = 120 s und der Verzugszeit Tu = 15 s kann die Regelbarkeit der Heizanlage abgeschätzt werden. Aus dem Verhältnis von Tg/Tu = 8 folgt gemäß Tabelle 22.2, dass der Prozess gut regelbar ist und ein PID-Regler für die gestellte Aufgabe vollkommen genügt (s. Tabelle 22.3). Wenn die Stellgröße y von 60 % auf 70 % zunimmt, steigt die Temperatur um 20 °C. Für den Regelbereich der Heizanlage werden Temperaturen zwischen 20 °C (Raumtemperatur) und 280 °C (maximale Arbeitstemperatur) angenommen. Der Regelbereich erstreckt sich also über 260 °C. Somit kann die Streckenverstärkung KS berechnet werden.
20 °C 260 °C 7,7 % ∆x = = = 0,77 KS = ∆y 70 % − 60 % 10 %
(26.2)
Die Methode von Chien-Hrones-Reswick unterscheidet vier Möglichkeiten, um die Regelparameter festzulegen. Die Parameter hängen davon ab, ob ein Überschwingen beim Anfahrvorgang erlaubt oder verboten ist und ob ein gutes Führungsverhalten oder Störverhalten im Vordergrund steht (s. Tabellen 23.2 und 23.3). Aufgrund der Aufgabenstellung sind keine temperaturkritischen Reaktionen zu erwarten, dafür treten Störungen von außen auf. Deshalb werden die Regelparameter für ein erlaubtes Überschwingen bei gutem Störverhalten bestimmt (s. Tabelle 23.2). Für die Reglerverstärkung KR gilt
KR =
1,2 Tg 1,2 ⋅ = ⋅ 8 = 12,5 K S Tu 0,77
(26.3)
Für die Nachstellzeit Tn gilt
Tn = 2,0 ⋅ Tu = 2,0 ⋅ 15 s = 30 s
(26.4)
26.6 Einstellmethoden für industrielle Regler
673
Für die Vorhaltezeit Tv gilt Tv = 0,42 ⋅ Tu = 0,42 ⋅ 15 s = 6,3 s
(26.5)
Die Streckenverstärkung KS wurde mit der Gl. 26.2 nur grob abgeschätzt. Daher ist das Resultat für die Reglerverstärkung KR gemäß der Gl. 26.3 mit Vorsicht zu betrachten. Die Reglerverstärkung KR sollte von Hand an die realen Verhältnisse angepasst und optimiert werden. T-Summen-Regel und Chien-Hrones-Reswick
Gemäß der Abbildung 23.2 betragen die Streckenverstärkung KS = 100 %, die Summenzeitkonstante TΣ = 3,0 , die Verzugszeit Tu = 1,6 und die Ausgleichszeit Tg = 2,7. Die Regelparameter werden mit den Tabellen 23.2, 23.3 und 23.4 berechnet. Die Tabelle 26.5 fasst die Resultate zusammen. Tabelle 26.5. Vergleich der T-Summen-Regel (T-Σ) mit der Methode von ChienHrones-Reswick (CHR) anhand der Einstellparameter eines PID-Reglers; KR = Reglerverstärkung, Tn = Nachstellzeit, Tv = Vorhaltezeit, mÜ = mit Überschwingen, oÜ = ohne Überschwingen, FV = Führungsverhalten, SV = Störverhalten Methode T-Σ normal T-Σ schnell CHR mÜ FV CHR mÜ SV CHR oÜ FV CHR oÜ SV
KR 1,0 2,0 1,6 2,0 1,0 1,6
Tn 2,0 2,4 3,6 3,2 2,7 3,8
Tv 0,5 0,6 0,8 0,7 0,8 0,7
Die Resultate der T-Summen-Regel und der Methode von ChienHrones-Reswick sind ähnlich. Auffallend ist die große Bandbreite für die Reglerverstärkung KR, die aber stark vom erlaubten oder nicht erlaubten Überschwingen abhängt. In der Praxis muss die richtige Größe für KR noch gefunden werden. Auch die Nachstellzeiten Tn und die Vorhaltezeiten Tv variieren. Wie aus den kleineren Werten für die Nachstellzeit Tn zu entnehmen ist, gewichtet die T-Summen-Regel den Integralanteil des Reglers stärker als die Methode von Chien-Hrones-Reswick. Die etwas kleineren Werte für die Vorhaltezeit Tv bei der T-Summen-Regel weisen darauf hin, dass der Differentialanteil des Reglers hier weniger Bedeutung erhält als bei der Methode von Chien-Hrones-Reswick. Dies ist für träge Systeme, die in der chemischen Technik häufig anzutreffen sind, sicherlich zweckmäßig.
674
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
Grenzen der Anwendung für Chien-Hrones-Reswick
Die Methode von Chien-Hrones-Reswick basiert auf dem Verhältnis der Ausgleichszeit Tg zur Verzugszeit Tu einer Sprungantwort eines Systems. Die in der Abbildung 26.11 dargestellten Sprungantworten zweier verschiedener Systeme besitzen scheinbar dieselbe Regelbarkeit, da Tg/Tu in beiden Fällen identisch ist. Es ist aber offensichtlich, dass das System rechts in der Praxis viel schwieriger zu regeln ist als das System links. Die Regelgröße x bewegt sich zu Beginn gar von der neuen Führungsgröße w weg, was den Regler zu falschen Eingriffen verleiten könnte. x
x
t Tu
Tg einfach regelbar
t Tu
Tg
schwierig regelbar
Abb. 26.11. Sprungantworten zweier Systeme mit gleichem Verhältnis Tg/Tu
26.7 Komplexe Regelsysteme Heiz-Kühlsystem
Die Proportionalbereiche XP für das Heizen und Kühlen können aneinander angrenzen (Abb. 24.1 oben), auseinander liegen (Abb. 24.1 mittig) oder sich überschneiden (Abb. 24.1 unten). Es ist beispielsweise zu beachten, dass bei einer Reglerausgangsgröße yR von 50 % in der Abb. 24.1 oben nur geheizt wird, in der Mitte weder geheizt noch gekühlt wird und unten sowohl geheizt als auch gekühlt wird. Die genauen Werte für die Heiz- und Kühlleistung sind der Tabelle 26.6 zu entnehmen.
26.7 Komplexe Regelsysteme
675
Tabelle 26.6. Heiz- und Kühlleistung bei einem Split-Range-Regler Reglerausgangsgröße yR 25 % oben 50 % oben 75 % oben 25 % mittig 50 % mittig 75 % mittig 25 % unten 50 % unten 75 % unten
Heizleistung y1 54 % 11 % 0% 28 % 0% 0% 62 % 37 % 0%
Kühlleistung y2 0% 0% 44 % 0% 0% 42 % 4% 25 % 69 %
pH-Regelung
Der pH-Wert gibt den Säuregehalt eines Wassers anhand der Konzentration von freien Protonen im logarithmischen Maßstab wieder. Es gilt § c( H + ) · ¸ pH = − log10 ¨¨ ¸ © mol / L ¹
(26.6)
Da der pH-Maßstab nicht linear, sondern logarithmisch aufgebaut ist, braucht es z.B. für eine Korrektur des pH-Werts von pH 11 auf pH 10 tausendmal mehr Säure als für eine Korrektur von pH 8 auf pH 7. Dies gilt, falls keine puffernden Säure-Basenpaare wirken. In der Nähe eines pHWerts von 7 führen bereits kleine Mengen von Säuren oder Laugen zu großen pH-Verschiebungen. Der Regler sollte also ein Verhalten aufweisen, das ausgehend von pH 7 progressiv verläuft. Ist der pH-Wert > 7, muss Säure zudosiert werden. Ist der pH-Wert < 7, muss Lauge zudosiert werden. Der Regler muss also zwei Stelleinrichtungen bedienen, die eine für die Säure und die andere für die Lauge. Geeignet ist deshalb ein SplitRange-Regler für Säure und Lauge mit einem nicht linearen, stark progressiven Übertragungsverhalten. Schnelligkeit von Hilfs- und Hauptregelkreis
Der Hauptregelkreis hat insgesamt größere Verzögerungen als der Hilfsregelkreis. Wäre er schneller, so würden unkontrollierbare Schwingungen auftreten.
676
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
Parameter für Hilfs- und Hauptregelkreis
Hilfsregelkreis und Hauptregelkreis unterscheiden sich in den Anforderungen. Ein Hilfsregelkreis wird extra eingebaut, um den Einfluss von Störungen zu vermindern. Der Hilfsregelkreis wird deshalb auf ein gutes Störverhalten ausgelegt. Ein Hauptregelkreis will die Regelgröße der Führungsgröße nachführen. Störungen wirken sich hier auf die Regelgröße nur mit Verzögerung und in abgeschwächter Form aus. Der Hauptregelkreis wird deshalb auf ein gutes Führungsverhalten ausgelegt. Luft-Benzin-Mischung
Die Lambda-Zahl (Luftzahl λ) beeinflusst das korrekte Mischungsverhältnis im Verhältnisregler für Verbrennungsluft und Benzin. Der Wirkungsplan ist in der Abb. 26.12 gezeichnet. KM = λ konst.
Verhältnisregelung
λ - Messung
VL Luft Benzin
Motor
VB
Abgas
"Gaspedal"
Abb. 26.12. Wirkungsplan der Verhältnisregelung Luft-Benzin im Automotor
26.8 Prozessleittechnik Prozessleittechnik und konventionelle Regeltechnik
Bei der konventionellen Regeltechnik braucht jede Regelgröße einen eigenen Regler. Bei der Prozessleittechnik erfolgt die Regelung der verschiedenen Regelgrößen mit nur einem Rechner. Die Regelgrößen werden getaktet abgerufen. Daraus ergibt sich eine minimale Verzögerung von einigen Millisekunden, bis die Größen verarbeitet sind. Geht der Rechner kaputt, so sind mehrere Regelkreise betroffen. Die Vorteile der Prozessleittechnik sind die geringeren Kosten und die einfache Programmierung am Bildschirm.
26.8 Prozessleittechnik
677
Aufbau eines Prozessleitsystems
Die vier Ebenen eines Prozessleitsystems sind nicht wie die konventionelle Regeltechnik vertikal in Regelkreise gegliedert, sondern horizontal nach Gemeinsamkeiten in der Aufgabenstellungen geordnet. Die Ebenen und ihre Funktionen sind häufig auch örtlich getrennt. Die Tabelle 26.7 zeigt die vier Ebenen eines Prozessleitsystems, ihre Funktionen und mögliche Standorte. Tabelle 26.7. Funktionsebenen eines Prozessleitsystems Ebene Betriebsleitebene Prozessleitebene E/A-Ebene Feldebene
Funktion Schnittstelle Mensch-Computer Steuerung und Regelung Wandlung der Signale Schnittstelle Computer-Anlage
Standort Leitwarte, Arbeitsplatz Mensch Computerraum oder Schrank Vorraum der Anlage oder Schrank Chemieanlage, eventuell Ex-Zone
Darstellungs- und Eingriffsmöglichkeiten
Bei einem Prozessleitsystem wird ein Prozessablauf auf dem Bildschirm dargestellt mit Hilfe von Übersichts- und Gruppenbildern, Tabellen und Diagrammen. Eingriffsmöglichkeiten bestehen über Tastatur, Maus, Joystick, TrackPoint, TouchPad, Rollkugel oder Lichtgriffel in die Wahl der Rezeptur, die Sequenzsteuerung, die Reglerkonfigurierung und die Reglerparametrierung. Veränderliche Prozessgrößen
Dynamische Veränderungen können in Übersichts- und Gruppenbildern auf mannigfaltige Weise dargestellt werden. Es bestehen folgende Möglichkeiten: − − − − − −
Veränderliche Zahlenwertanzeige (z.B. „pH = 7“) Einblendung von Texten (z.B. „H2SO4 conc.“) Veränderliche Füllflächen (z.B. Füllstand in einem Stehtank) Farbänderungen (z.B. Wechsel von Schwarz auf Rot) Positionsänderungen (z.B. veränderte Lage von Hebeln, Lasthaken) Blinkende Symbole (z.B. „leerer Säurebehälter“)
678
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
Maßnahmen bei Störungen
Je nach Ausmaß der Abweichung reagiert das Prozessleitsystem mit einer einfachen Registrierung, einer Störmeldung, einer Alarmierung, einem Prozesseingriff oder einem Anfahren der Software-Sicherheitsstellung (Not-Aus). Aktiver und passiver Fehler
Ein aktiver Fehler ist eine scheinbare Störung, die Alarm auslöst, aber nicht wirklich existiert. Fälschlicherweise wird der Sicherheitszustand angefahren. Ein passiver Fehler ist eine wahre Störung, die aber nicht erkannt wird und keinen Alarm auslöst. Der Sicherheitszustand wird fälschlicherweise nicht angefahren. Ein passiver Fehler ist in der Regel tragischer als ein aktiver Fehler. Redundanz
Redundanz bedeutet das doppelte Auslegen und Installieren von sicherheitsrelevanten Einrichtungen. Beispiele sind − − − −
Zweikreis-Bremssystem des Autos, Bargeld, Kreditkarte und Checks, Elektrische Sicherungen des Gebäudeanschlusses und eines Apparats, Inertisierung und Vermeidung von Zündquellen.
Software- und Hardware-Sicherheitsstellung
Die Software-Sicherheitsstellung wird vom Prozessleitsystem aktiv angefahren. Das Übergehen in einen sicheren Prozesszustand kann schonend erfolgen, sodass z.B. Zwischenprodukte später weiterverarbeitet werden können. Die Hardware-Sicherheitsstellung wird bei einem Ausfall des Prozessleitsystems ohne Hilfsenergie angefahren und erfolgt vergleichsweise abrupt. Das Hochfahren eines Prozesses aus der Hardware-Sicherheitsstellung ist aufwändiger, zeitraubender und kostspieliger als aus der Software-Sicherheitsstellung.
27 Literatur zur Regelungstechnik
Die folgenden Literaturangaben beziehen sich ausschließlich auf die Regelungstechnik, d.h. den Teil IV des Buchs. Literaturangaben zu den Prozessen der chemischen Verfahrenstechnik, d.h. zu den Teilen I-III des Buchs, finden sich am Ende der jeweiligen Kapitel.
27.1 Normenwerke [1] (1993) DIN 19'221, Regelungstechnik und Steuerungstechnik – Formelzeichen. Beuth, Berlin [2] (1994) DIN 19'226, Regelungstechnik und Steuerungstechnik. Beuth, Berlin, Teile 1-6 [3] (1993) DIN 19'227, Grafische Symbole und Kennbuchstaben für die Prozessleittechnik. Beuth, Berlin, Teile 1-4 [4] (1983) DIN 66'001, Sinnbilder für Datenfluss- und Programmablaufpläne (PAP). Beuth, Berlin
27.2 Lehrbücher [5] Blasinger F (1996) Regelungstechnik. 2 Aufl, JUMO Mess- und Regeltechnik, Stäfa [6] Lutz H, Wendt W (1998) Taschenbuch der Regelungstechnik. 2 Aufl, Harri Deutsch, Thun [7] Simic D, Hochheimer G, Reichwein J (1996) Messen, Regeln und Steuern. 2 Aufl, VCH, Weinheim [8] Merz L, Jaschek H (1996) Grundkurs der Regelungstechnik. 13 Aufl, Oldenbourg, München [9] Samal E (2000) Grundriss der praktischen Regelungstechnik. 20 Aufl, Oldenbourg, München [10]Schlitt H (1993) Regelungstechnik. 2 Aufl, Vogel, Würzburg [11]Hengstenberg J, Sturm B, Winkler O (1994) Messen und Regeln in der chemischen Technik. Springer, Berlin Heidelberg New York [12]Ignatowitz E (1997) Chemietechnik. 6 Aufl, Europa-Lehrmittel, HaanGruiten, Kap V, XII
680
27 Literatur zur Regelungstechnik
27.3 Fachaufsätze [13](1985) Abgastechnik für Ottomotoren. Robert Bosch GmbH, Stuttgart [14]Kuhn U (1995) Eine praxisnahe Einstellregel für PID-Regler: Die TSummen-Regel. Automatisierungstechnische Praxis (atp) 5:10-16 [15](1998) ESCIS Bulletin Nr.5, Prozessleitsysteme und Ereignisse zur Sicherheit computergesteuerter Anlagen. SUVA, Luzern [16]Kletz T (1995) Computer Control and Human Error. Institution of Chemical Engineers, Rugby GB
Sachverzeichnis
Abdampfen 399 Abgaskatalysator 578, 659 Abrasion 71 Absorption 332, 339 Abtriebsgerade 474, 565 Abtriebsteil 468 Achat 144 ACHEMA 9 Admiralitätslegierung 100 Adsorption 315, 511 Ähnlichkeit 21 Aktivität 407, 450 Aktivitätskoeffizient 450 Alitieren 81 Aluminium 92, 97, 179 Aluminiumbronze 101 Amplitudengang 606, 607 Analogien 347 Anlagenmodell 38 Anode 73 Anregelzeit 623, 625, 670 Anstiegsantwort 596, 663 Anticorrodal 97 Antoine 405, 447 Apparateschema 36 Äquivalentdurchmesser 203 Aramidfasern 121, 133 Archimedeszahl 160, 392, 554 Armaturen 204 Arrhenius 312, 342 Assmann 530 Aufgabengröße 576, 660 Auftreiben 387 Ausbeute 150, 179 Ausgleichsvorgänge 183 Ausgleichszeit 629, 635, 670 Ausregelzeit 624, 625
Austauschgrad 486 Austenit 90, 94 Autoinhibition 165 Autokatalyse 165, 546 Autoklav 154 Avional 97 Azeotropbildner 504 Azeotropie 453, 501 Azeotropwandler 504 Bachbildung 489, 492 Badger-McCabe 461 Balkendiagramm 50 Batchprozess 148 Baumann 70 Beharrungsverhalten 593, 600, 626 Belastungsgrenze 493 Benchmarking 6 Bernoulli 187, 355, 390 Beschichtung 79 Betriebskennlinie 207 Betriebsleitebene 650 Betriebsschema 36 Bilanzgerade 473, 474 Bingham-Plastizität 221 Bitumieren 83 Blasensäule 157 Blasensieden 409, 413, 417 Blasius 202 Blei 103 Bleiglas 117 Blockschema 34 Bode-Diagramm 607, 665 Bodenkolonne 156, 484 Borsilikatglas 118 Boudouard-Gleichgewicht 88 Brinell 68
682
Sachverzeichnis
Bronze 100 Brown’sche Bewegung 377, 389 Bruchspannung 63 Brüden 400 Brüdenverdichtung 420 Brünieren 82 Buckingham Π-Theorem 30, 176, 263, 321 BUNA 139 Burn Out 410, 413, 556 Butylkautschuk 140 CAD-3D-Grafik 39 CAVE 40 Chargenbetrieb 148 CHAZOP 654 Chen-Othmer 309 Chien-Hrones-Reswick 635, 673 Chilton-Colburn 490 Chrom 92 Chromatieren 82 Clausius-Clapeyron 330, 403, 555 Colburn 323 Colebrook 202 CW-Wert 193, 357 Dalton 440 Damköhlerzahl 29, 339 Dampf 287, 297, 402 Dampfbelastungsfaktor 496 Dampfdruckkurve 402, 427, 444 Dampfgeschwindigkeit 493 Dampfstrahlverdichter 420 Danckwerts 333 Dauerstandfestigkeit 64 Dauerwechselfestigkeit 64 Dekanter 505 Dephlegmator 434, 498 Destillation 439, 560 Differentialregler 615 Differentialverhalten 601 Diffundieren 81 Diffusion 306, 307, 368, 377, 428 Diffusionskoeffizient 309 Dilatanz 219
Dimensionslose Kenngrößen 25, 262, 320 Dispergierung 378 Distex-Verfahren 503 Doppelrohr 155, 291 Drahtmodell 38 Dreilaufregler 620 Dreipunktregler 620, 668 Dreipunktschrittregler 620 Dry Out 414, 415 Dünnschichtverdampfer 418 Duroplaste 122, 134 E/A-Ebene 650 Edelmetalle 73, 79, 108 Eindampfen 399 Einheitsoperationen 5, 374 Einstein 233, 236, 394 Eisen 88 Elastizität 217 Elastizitätsgrenze 61 Elastomere 123, 136 Elektrographit 120 Elektrostatik 547 Eloxieren 82, 97 Email 82, 118, 179 Emissionsfaktor 237 Energieerhaltungssatz 234 Epoxidharze 123, 135 Erosion 71 Erosionskorrosion 77, 86 Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuk 140 Ethylentetrafluorethylen 131 Eulerzahl 28, 349 Eutektikum 91, 543 Eutektoid 91 Extraktion 327 Fachorganisationen 8 Fallfilmverdampfer 214, 418 Fanning Friction Factor 202 Farbencode 38 Feldebene 651 Fenske 482 Ferrit 90, 94
Sachverzeichnis Festbett 276, 324 Festigkeit 59 Feuchtegehalt 522 Feuchtigkeitsbindung 516 Feuchtkugeltemperatur 531 Feuerfeste Steine 113 Feuerverzinken 80, 81, 104 F-Faktor 496 Fick’sches Gesetz 307, 313, 316 Filmkondensation 428 Filmsieden 411 Filmströmung 210, 429 Fittinge 204 Fließbett 158, 539 Fließgrenze 221 Fließschema 34 Flockung 389 Flotation 387 Flüchtigkeit 442, 453 Fluorethylenpropylen 131 Fluorkautschuk 141 Fluorsilikone 142 Flussdiagramm 652 Flutpunkt 493 Folgeregler 642 Formänderungsarbeit 63 Formfaktor 393 Fourier 243, 248, 254, 257 Frequenzgang 605, 606 Frischen 89 Froudezahl 28, 158, 160 Fugazität 453 Fugazitätskoeffizient 453 Führungsgröße 576 Führungsregler 642 Führungsverhalten 588, 623, 669 Füllkörper 176, 436, 487 Füllkörperkolonne 156 Funktionsblock 582 Galvanisieren 81 Gantt-Diagramm 50 Gasblasenkolonne 157 Gay-Lussac 29 Gefriertrocknung 516, 542 Gegenstrom 148, 284, 423, 534
683
Gepackte Kolonne 157, 436, 491 Gibbs-Duhem-Margules 451 Gilliland-Diagramm 482 Glas 115 Glasfasern 118, 123 Glaskeramik 118 Gleichgewichtslinie 470 Gleichstrom 148, 283, 423, 534 Glühfarbe 236 Gold 109 Granit 144 Grashofzahl 29, 263 Grauguss 95 Grenzschichten 350 Griechisches Alphabet 15 Grigull 432 Grundfließbild 34 Grundoperationen 5, 33, 373 Grünspan 99 Gummieren 83 Gusseisen 89, 95 Güteziffer 63 Guttapercha 139 Hagen-Poiseuille 198, 202 Handregelung 579, 588, 661 Härte 66 Härter 122 Hartlot 76 Hastelloy 102, 105 Hattazahl 29, 338 Hauptausführung 21 Hauptregler 642, 675 Hebelgesetz 445, 528, 570 Henry 329 Hermann 202 HETS 489 Higbie 332 Hilfsregler 642, 675 Hochfrequenztrocknung 515 Holz 142 Homochronzahl 29 Homogenisieren 378 Hooke’sches Gesetz 60, 217 Hordentrockner 535 HTU 491
684
Sachverzeichnis
Hydraulischer Durchmesser 203, 211 Hygroskopische Güter 517 ILMAC 10 Impulsantwort 596, 663 Impulskraft 214, 361 Inbetriebnahme 45 Inchromieren 81 Incoloy 102 Inconel 102 Induktionstrocknung 515 Induktionszeit 547, 548 Inertgase 428 Inhibitoren 86 Inoxidieren 82 Integralregler 614 Integralverhalten 600 Isometrische Zeichnung 39, 40 Isoprenkautschuk 139 ITAE-Verfahren 628 IZOD-Probe 65 Kalrez 141 Kaltfluss 131 Kalzinieren 517 Kapazität 150 Kapillarflüssigkeit 517 Karman’sche Wirbelstraße 390 Kaskadenregelung 641 Kassatkin 460 Katalyse 337, 339 Kathode 73 Kautschuk 136 Kavitation 71, 210 Keramiken 110 Keramische Auskleidung 82 Kern der Strömung 259 Kevlar 121, 133 Kirchhoff’sches Gesetz 234, 238 Knoop 68 Knudsen-Fluss 544 Kobalt 93, 102 Kohlenstofffasern 121 Kolonne 156 Kondensatoren 434
Kondensieren 427, 511, 558 Konnoden 445, 448 Konstantan 100 Konstruktion 84 Kontaktabstand 620 Kontaktkorrosion 76, 97 Kontinuitätsgleichung 185, 355 Konvektion 233, 259, 306, 317, 377 Konzentrationsdifferenz 335 Konzentrationsgrenzschicht 318 Korrosion 71, 75, 178 Korrosionschutz 78 Kreuzstrom 148, 285, 535 Kriechen 64, 97, 103, 131 Kristallglas 117 Kristallisation 399, 417, 419, 424 Kritischer Punkt 402 Kühlgrenzlinie 530 Kühlgrenztemperatur 519, 526, 529, 567 Kunstkohle 120 Kunststoffe 121, 179 Kupfer 92, 99 kv-Wert 361 k-Wert 279 Kybernetik 575 Lackieren 83 Lambert’sches Cosinusgesetz 242 Le Châtelier Prinzip 330 Ledeburit 91 Leerrohrgeschwindigkeit 493 Lehm 111 Leichtmetalle 97 Leidenfrost-Phänomen 411 Leistung 150 Leitbleche 292 Leitermethode 288 Lewiszahl 343 Lignin 143 Liner 124 Lochfraß 76, 79, 86, 104, 179 Lokalelemente 76 Mäanderströmung 214 Magerungsmitteln 112
Sachverzeichnis Magnesium 98 Mammutpumpe 413 Managementteam 46 Mangan 93 Manganbronze 101 Martens 67 Martensit 91, 94 Maßeinheiten 11, 175 Massenbilanz 560 Maßstabsvergrößerung 21 McCabe-Thiele-Diagramm 448, 473, 499 Mehrstufenverdampfung 421 Meilensteine 44 Melaminharz 135 Melpolder-Headington 443 Messeinrichtung 589 Messing 100 Messwarte 574, 648 Metalle 299 Mikrowellentrocknung 515 Milchglas 118 Mineralöle 299 Mischen 377, 553 Modell 21 Mohs’sche Härteskala 67 Mollier-Diagramm 524, 567 Molybdän 92, 106 Monel 102 M-Zahl 160 Nachstellzeit 614 NAMUR 654 Nassdampf 402, 444, 448 Naturkautschuk 136 Naturstoffe 142 Naturumlauf 419 Nebelgebiet 525 Neopren 140 Nernst’sche Gleichung 85 Nernst’sches Verteilungsgesetz 326, 371 Netzplantechnik 50, 177 Neusilber 101 Newton’sche Flüssigkeit 192, 218 Newton’scher Wärmeübergang 261
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Newtonzahl 382, 553 Nickel 92, 101 Nickelbronze 100 Nikuradse 202 Nimonic 102 Niob 92, 105, 106 Nitrilkautschuk 139 Not-Aus 656, 678 NPSH-Wert 210 NTU 490 Nusselt’sche Wasserhauttheorie 430 Nusseltzahl 28, 264 Nyquist-Diagramm 608, 664, 665 Oberflächenerneuerungstheorie 333 Oberflächenspannung 415 Oberflächenverdampfung 417, 418 Omegazahl 160 Opferanode 85 Ostwald 220 Parallelstrom 424 Parametrierung 617 Partialdruck 440 Patina 99 PD-Regler 616 Pech 83 Penetrationstheorie 332, 468 Perfluoralkoxy 131 Perfluorkautschuk 141 Perlit 91 Pflichtenheft 43 Phasengang 606, 607 Phenolharz 134 Phosphatieren 82 pH-Wert 85, 675 PID-Regler 617, 672 Pi-Größen 30 PI-Regler 614 Planck’sches Strahlungsgesetz 235 Planung 33 Plastizität 217, 221 Platin 109 Plattieren 80 Plexiglas 132, 179
686
Sachverzeichnis
Poise 192 Poisson-Zahl 61 Poldi 70 Polpunkt 529 Polyacetal 132 Polyamid 132 Polyaramid 121, 133 Polybutadien 139 Polycarbonat 132, 179 Polychloropren 140 Polychlortrifluorethylen 131 Polyester 123, 135 Polyetherimid 133 Polyethersulfon 133 Polyethylen 130 Polyimid 133 Polymere 121 Polymethacrylsäuremethylester 132, 179 Polyolefine 130 Polyoxymethylen 132 Polyphenylenether 133 Polyphenylenoxid 133 Polyphenylensulfid 133 Polypropylen 130 Polystyren 130 Polysulfon 133 Polytetrafluorethylen 131 Polyurethan 135 Polyvinylchlorid 131 Polyvinylfluorid 131 Polyvinylidenfluorid 131 Porzellan 113 Prandtl 200, 202 Prandtlzahl 265 P-Regler 613 Programm-Ablauf-Plan 653 Projektierung 21, 176 Projektleiter 49 Projektmanagement 41 Projektorganisation 46 Projektphasen 41 Proportionalbereich 613, 666 Proportionalregler 613 Proportionalverhalten 595 Protokolle 651
Prozessleitebene 650 Prozessleittechnik 647, 676 Prozessschema 34 Pseudoplastizität 219 Psychrometer 530, 567 Pufferzeit 54 Pumpenkennlinie 207 Qualifizierung 45 Quarzglas 119 Randgängigkeit 489, 492 Raoult 406, 440, 450 Rauhigkeit 201 Rayleigh-Gleichung 458 Rayleighzahl 267 Reaktion 336, 507 Reaktionstechnik 147, 179 Reaktivdestillation 507 Reaktoren 152, 160 Redox-Gleichung 74 Redundanz 654, 678 Regelbarkeit 629, 664, 670 Regeldifferenz 576, 624, 666 Regeleinrichtung 587, 661 Regelflächen 626, 671 Regelglied 589 Regelgröße 576, 660 Regelgüte 623, 669, 670 Regelkreis 586, 588 Regelstrecke 587, 661 Regelsystem 587 Regelung 573, 575, 586 Regeneratoren 290 Regler 589, 611, 666 Reglerausgangsgröße 576 Reglerverstärkung 613 Reibung 187, 190 Rektifikation 314, 467, 563 Rekuperatoren 283, 290 Relative Feuchtigkeit 523 Relative Flüchtigkeit 442, 452 Ressourcenplanung 49 Reynoldszahl 28, 263, 381, 429, 434 Rheologie 216, 363
Sachverzeichnis Rheopexie 223 Rieselfilm 428 RI-Schema 36 Robertverdampfer 419 Rockwell 69 Rohranordnungsfaktor 273 Rohrbündel 269, 292, 418, 435, 558 Rohrkrümmer 361 Rohrleitungseinbauten 204, 360 Rohrleitungsmodell 38 Rohrreaktor 155, 166, 169, 180 Rohrreibungszahl 201, 269 Rohrströmung 196, 358 Rohrwendel 270 Rose 442, 561 Rotguss 100 Rotorverdampfer 418 Rücklauf 469 Rücklaufverhältnis 473, 478 Rücksprunghärteprüfung 70 Rühren 377, 553 Rührertypen 378 Rührkessel 153, 165, 167, 170, 180, 274, 287, 379, 417, 553 Rührkesselkaskade 171 Salzschmelze 299 Sattdampf 402 Sättigungslinie 525 Säule 156 Scale-Up 24 Schaltdifferenz 618 Scheinbare Masse 388 Scheinvorgang 55 Scherrate 190 Scherverdickung 219 Scherverdünnung 219 Schichtenmodell 262, 318, 320 Schleppmittel 503 Schlünder 468 Schmidtzahl 321 Schnittpunktsgerade 476 Schubspannung 60, 190 Schüttschicht 276 Schutzschicht 73 Schwärzegrad 237
687
Schwermetalle 99 Schwimmender Kopf 292 Scope 43 Sedimentator 395 Sedimentieren 387, 554 Selbsttätige Regelung 588 Selektivität 150, 179 Sherardisieren 81 Sherwoodzahl 28, 321, 369 Shore 69, 71 Sicherheitsstellung 656, 678 Siedediagramm 447 Siedekeime 409 Siedelinie 444, 448 Siedepunktserhöhung 406, 415, 557 Siedeverzug 409, 416 Signalflussplan 581 Silafont 97 Silber 108 Silikone 141 Sinusantwort 596, 664 SI-System 11 Sole 299 Sollwertabweichung 624, 625 Sondermetalle 104 Sorptionsisotherme 518, 545 Spaltkorrosion 77 Spannung 60, 84 Spannungsrisskorrosion 77, 125 Sphärizität 393 Sphäroguss 95 Split-Range-Regelung 639, 675 Spongiose 76 Sprödigkeit 66 Sprühgranulatoren 539 Sprühtrockner 539, 546, 547 Sprungantwort 595, 596, 666 Stahl 88, 89, 92, 178 Stahlguss 94 Standardbedingungen 72 Stande 153 Statische Mischer 383, 553 Staudruck 204 Staupunkt 493 Stefan’scher Verdrängungsstrom 316, 317, 325
688
Sachverzeichnis
Stefan-Boltzmann’sches Gesetz 236 Steifigkeit 61 Steine 144 Steingut 112 Steinzeug 112 Stelleinrichtung 589 Steller 589 Stellglied 589 Stellgröße 576 Stellit 81, 102 Steuereinrichtung 585 Steuerkette 584 Steuerstrecke 585 Steuersystem 585 Steuerung 575, 584, 652 Steuerungsausschuss 48 Stoffbilanz 163, 560 Stoffdurchgang 325 Stoffdurchgangskoeffizient 329 Stofftransport 305, 368 Stoffübergangskoeffizient 319 Stoffumwandlung 3 Stokes 192, 198, 391 Störgrößen 576 Störgrößenaufschaltung 586 Störverhalten 588, 625, 669 Stradivarizahl 26 Strahlung 232, 233, 364, 411, 515 Strahlverdichter 208, 420 Strangaufweitung 223 Strass 117 Streckenverstärkung 597 Streckgrenze 62 Strombrecher 153, 274, 380 Strömungsformen 211 Strömungsführung 148, 283 Strömungsgrenzschicht 318 Strömungslehre 185, 355 Strukturierte Packung 436, 491 Strukturumschaltung 617 Strukturviskosität 219 Styren-Butadien-Kautschuk 139 Sublimationstrocknung 516 Sumpf 400 Suspendieren 378 SWOT- Analysis 6
Taktzeit 148, 151 Tantal 92, 105, 107 Taulinie 444, 448 Taupunkt 427, 526, 544, 567 Teilstrom 148 Temperaturdiagramm 447 Temperaturdifferenz 286 Temperaturgrenzschicht 318, 408 Temperguss 95 Thermokompression 420 Thermoplaste 122, 127 Thixotropie 222 Titan 92, 98 Toleranzbereich 623 Tombak 100 Ton 111 Tongut 111 Tonzeug 112 Torricelli 188, 356 Totzeit 623, 669 Totzeitverhalten 603 Trägerdampfdestillation 460 Transformationstemperatur 115 Trennfaktor 442 Trennstufenzahl 481 Tripelpunkt 402 Trockenspiegel 513, 520 Trockner 534 Trocknung 315, 345, 511, 567 Trocknungsabschnitt 519 Trombe 380 Trouton’sche Regel 404, 471, 555 T-Strom 286 T-Summen-Regel 636, 673 Turbulenzballen 259, 317, 377 Turm 156 Überschwingweite 624, 625 Überströmlänge 271 Übertragungsfaktor 597 Übertragungsverhalten 593, 663 Umrechnungen 15 Umsatz 150, 179 Underwood 479 Vagabundierende Ströme 85
Sachverzeichnis
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Validierung 45 Van Laar 451 Vanadium 93 Ventile 205, 361 Venturi-Rohr 226, 355, 420 Verbundwerkstoff 119, 121, 123 Verdampfen 399, 514, 555 Verdampfer 417 Verdunsten 315, 399, 514, 567 Verfahrensfließbild 34 Verfahrenstechnik 4, 175 Vergleichsglied 589 Vergrößerungsfaktor 21 Verhältnisregelung 643, 676 Verschleiß 71 Verstärkungsgerade 471, 565 Verstärkungsteil 468 Verstärkungsverhältnis 486 Verweilzeitverteilung 169 Verzögerungsverhalten 598 Verzugszeit 629, 635, 669 Verzunderung 71, 93 Vickers 68 Viskoelastizität 218, 223 Viskosität 176, 190, 218 Viton 141 Vorhaltezeit 616 Vulkanisieren 136
Wasserstoffbrückenbindung 452 Wasserstoffversprödung 77, 85, 86, 98, 99 Watt’scher Fliehkraftregler 577, 662 Weberzahl 28, 158 Weißblech 76, 79, 104 Weissenberg- Effekt 224 Weißrost 97 Werkstoffe 59, 79, 87, 178 Whitman-Lewis 326 Widerstandsbeiwert 193, 204 Wiedemann-Franz’sches Gesetz 99 Wien’sches Verschiebungsgesetz 236 Wilke-Chang 310 Wirbeldiffusion 377 Wirbelschicht 277, 538, 546 Wirbelschichtreaktor 158, 181 Wirbelsintern 83 Wirbelwiderstand 193 Wirbelzähler 390 Wirkungsablauf 584 Wirkungslinie 582 Wirkungsplan 581, 660 Wirkungsweg 584 Wöhler-Kurven 64 Wolfram 93, 107
Wandrauhigkeit 201 Wärmebilanz 289 Wärmedurchgang 277 Wärmeeindringzahl 251 Wärmeleitung 232, 243, 365, 514 Wärmerohr 295 Wärmestromdichte 246 Wärmeträger 297 Wärmeübergang 367, 429 Wärmeübertrager 290 Wärmeübertragung 231, 342, 364 Wasser 297 Wasserdampfbeladung 522 Wasserdampfdestillation 461, 562 Wasserdampftafel 297 Wasserhauttheorie 430 Wasserspiele 45
Zähigkeit 66 Zeitplanung 49 Zeitverhalten 593 Zellulose 142 Zementit 91 Zentrifugation 394 Zerstäubung 30 Zerstäubungstrockner 539 Ziegler-Nichols 634, 671 Zink 80, 104 Zinn 104 Zinnbronze 100 Zinnpest 104 Zirkaloy 106 Zirkonglas 117 Zirkonium 105, 106 Zuber-Vishnev 410
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Sachverzeichnis
Zugfestigkeit 62 Zusammensetzungsdiagramm 448 Zwangsumlauf 419
Zweifilmtheorie 326, 371, 468, 489 Zweipunktregler 587, 618, 667 Zwickelflüssigkeit 516