Wolfgang Matschinsky Radführungen der Straßenfahrzeuge
Wolfgang Matschinsky
Radführungen der Straßenfahrzeuge Kinemat...
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Wolfgang Matschinsky Radführungen der Straßenfahrzeuge
Wolfgang Matschinsky
Radführungen der Straßenfahrzeuge Kinematik, Elasto-Kinematik und Konstruktion
3., aktualisierte und erweiterte Auflage Mit 344 Abbildungen
123
Dr.-Ing. Wolfgang Matschinsky Georgenschwaigstr. 18 80807 München Germany
Die 1. Auflage erschien 1987 im Verlag TÜV Rheinland unter dem Titel Die Radführungen der Straßenfahrzeuge. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 3-540-64155-6 Springer Berlin Heidelberg New York
ISBN 978-3-540-71196-4 Springer Berlin Heidelberg New York Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media www.springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1998, 2007 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Sollte in diesem Werk direkt oder indirekt auf Gesetze, Vorschriften oder Richtlinien (z. B. DIN, VDI, VDE) Bezug genommen oder aus ihnen zitiert worden sein, so kann der Verlag keine Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität übernehmen. Es empfiehlt sich, gegebenenfalls für die eigenen Arbeiten die vollständigen Vorschriften oder Richtlinien in der jeweils gültigen Fassung hinzuzuziehen. Satz: LE-TEX Jelonek, Schmidt & Vöckler GbR, Leipzig, nach Vorlage des Autors Herstellung: LE-TEX Jelonek, Schmidt & Vöckler GbR, Leipzig Einbandgestaltung: WMXDesign, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier
68/3100/YL – 5 4 3 2 1 0
Vorwort
Die Radführungen haben im Laufe der hundertzwanzigjährigen Geschichte des Kraftfahrzeugs eine stetige Entwicklung erfahren. Die einfachen Abfederungen der Kutschwagen genügten bald den Anforderungen wachsender Fahrgeschwindigkeiten nicht mehr, und exakt definierte Radbewegungsformen wurden durch die Einführung kinematischer Mechanismen erzielt. Mit zunehmender Kenntnis des Schwingungsverhaltens des Fahrzeugs und der fahrdynamischen Zusammenhänge rückten Feinheiten der Bewegungsgeometrie in den Vordergrund. Dies führte zu einer Evolution der Radführungs-Bauarten von einfachen Starrachsaufhängungen hin zu kinematischen Getriebeketten, die zunächst noch in klassischer Maschinenbautechnik und meistens als „ebene“ Mechanismen mit Gleit- oder Wälzlagerungen erste präzise Festlegungen von Radführungs-Kenngrößen wie dem Rollzentrum, dem Eigenlenkverhalten usw. erlaubten, bis mit der Verfügbarkeit schneller Großrechner komplexere räumliche Gebilde mit bis zu fünf Lenkern je Rad eine nahezu freie Auslegung der Radführungsgeometrie und der Elasto-Kinematik möglich machten. Inzwischen überwachen softwaregesteuerte Regelsysteme das Fahrverhalten und wirken indirekt oder direkt auf die Radführungselemente ein. Im Vergleich zum Motorenbau ist die theoretische Behandlung der Radaufhängungen wesentlich langsamer in Gang gekommen. Bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts blieb die Zahl der richtungsweisenden Veröffentlichungen zu Themen der Radführungskinematik überschaubar, wobei diese teilweise, den Möglichkeiten jener Zeit entsprechend, vereinfachend oder auf spezielle Bauarten beschränkt verfasst waren. Für eine erfolgreiche Arbeit in der Fahrwerksentwicklung sind andererseits von allen Beteiligten anerkannte Beurteilungskriterien und Fachausdrücke sowie ein handlicher und durchgängig verwendbarer theoretischer Hintergrund wünschenswert. Dies hat mich seit Beginn meiner Laufbahn als Fahrwerkskonstrukteur, zunächst im Hause Büssing und danach im Hause BMW, dazu angeregt, aufbauend auf den vorhandenen Denkansätzen und unter Beibehaltung und Präzisierung der eingeführten Fachwörter und Definitionen eine verständliche, einheitliche und alle Bauarten erfassende Vorgehensweise zur kinematischen Analyse der Mechanismen der Radaufhängungen zu erarbeiten.
VI
Vorwort
In diesem Buche habe ich versucht, Aufgabenstellungen und Lösungsverfahren zusammenzufassen und zu ordnen, die mir bei der Entwicklungsarbeit als wesentlich und zweckmäßig erschienen sind. Das Buch soll dem Leser die Zusammenhänge an einer Radaufhängung anschaulich machen und ihm auch erste Hinweise und Empfehlungen zum Entwurf einer solchen geben. Ich danke allen Herstellerfirmen, die mir technische Unterlagen und Abbildungen zur Verfügung gestellt haben, ebenso meinen Kollegen im Hause BMW für ihre Hilfe bei der Beschaffung aktuellen Materials und hier besonders Herrn Dr. Philip Köhn für seine nützlichen Anregungen zu meinen Ausführungen über regeltechnische Einrichtungen. Den Mitarbeitern des Springer-Verlages danke ich für die freundliche Beratung und Betreuung. München, im Frühjahr 2007
Wolfgang Matschinsky
Inhaltsverzeichnis
Formelzeichen 1 Einleitung 1.1 Aufgaben der Radführung 1.2 Zum Aufbau des Buches 1.3 Das Koordinatensystem
XI 1 1 3 4
2 Bauarten und Freiheitsgrade 2.1 Freiheitsgrade der Radaufhängungen 2.2 Bauteile der Radaufhängungen 2.2.1 Der Radträger 2.2.2 Die Gelenke 2.2.3 Die Lenker 2.2.4 Die kinematische Kette 2.3 Grundmodelle der Radaufhängungen 2.3.1 Deduktion aus der starren Aufhängung eines Körpers 2.3.2 Einzelradaufhängungen 2.3.3 Starrachsaufhängungen 2.3.4 Tandem-Radträger 2.3.5 Verbundaufhängungen
7 7 8 8 8 10 12 13
3 Kinematische Analyse der Radführungen 3.1 Grundlagen aus der ebenen Getriebelehre 3.2 Grundlagen der Vektorrechnung 3.3 Zur Systematik der Radaufhängungen 3.4 Bewegungszustand des Radträgers 3.5 Äußere und innere Kräfte an der Radaufhängung 3.6 Einfluss von Gelenkwellen und Vorgelegegetrieben 3.7 Radbewegung bei Federungs- und Lenkvorgängen
23 23 30 33 38 44 49 60
4 Der Reifen 4.1 Aufbau und Eigenschaften 4.2 Schräglauf und Schlupf
63 63 65
13 15 18 21 21
VIII
Inhaltsverzeichnis
5 Federung und Dämpfung 5.1 Aufgaben der Federung 5.2 Fahrzeugschwingungen 5.2.1 Einmassenschwinger 5.2.2 Zweimassenschwinger 5.2.3 Nickschwingung und Wankschwingung 5.3 Federsysteme 5.4 Federung und Radaufhängung 5.5 Fahrzeugfedern 5.5.1 Allgemeines 5.5.2 Blattfedern 5.5.3 Drehstabfedern 5.5.4 Schraubenfedern 5.5.5 Gummielastische Federn 5.5.6 Gasfedern 5.6 Schwingungsdämpfer 5.7 Der Schrägfederungswinkel
71 71 72 72 79 81 88 95 102 102 102 108 111 116 121 124 128
6 Antrieb und Bremsung 6.1 Stationärer Beschleunigungs- und Bremsvorgang 6.2 Antriebs- und Brems-Stützwinkel 6.2.1 Allgemeines 6.2.2 Radträgerfeste Momentenstütze 6.2.3 Fahrgestellfeste Momentenstütze 6.2.4 Sonderfälle 6.2.5 Effektiver Stützwinkel 6.3 Anfahr- und Bremsnicken 6.3.1 Statisches und dynamisches Anfahr- und Bremsnicken 6.3.2 Einachsantrieb und Einachsbremsung 6.3.3 Kraftübertragung durch Gelenkwellen 6.3.4 Vorgelege-Untersetzungsgetriebe im Radträger 6.3.5 Rückwirkung der Längskräfte auf die Federungskennlinie 6.3.6 Unsymmetrische Fahrzeuglage 6.3.7 Einfluss der ungefederten und der rotierenden Massen 6.3.8 Einfluss der elastischen Lager der Radaufhängung 6.4 Doppelachsaggregate
131 131 134 134 138 141 147 150 152 152 154 157 159 161 163 165 166 168
Inhaltsverzeichnis
IX
7 Kurvenfahrt 7.1 Die Sturz- und Vorspuränderung bei Radbewegung 7.2 Kräfte und Momente unter Querbeschleunigung 7.3 Das Rollzentrum 7.3.1 Das Fahrzeug bei sehr geringer Querbeschleunigung 7.3.2 Das Fahrzeug bei hoher Querbeschleunigung 7.3.3 Einfaches Modell zur Nachbildung der Radbewegung 7.4 Die Fahrzeuglage bei stationärer Kurvenfahrt 7.5 Das kinematische Eigenlenkverhalten 7.6 Fahrstabilität bei Zweispurfahrzeugen 7,7 Kurvenfahrt von Einspurfahrzeugen
171
8 Die Lenkung 8.1 Grund-Bauarten 8.2 Lenkgetriebe 8.3 Kenngrößen der Lenkgeometrie 8.3.1 Herkömmliche Definitionen und physikalische Bedeutung 8.3.2 Allgemeingültige Definitionen bei räumlicher Geometrie 8.4 Das Lenkgestänge 8.4.1 Bauarten 8.4.2 Die Lenkfunktion 8.4.3 Das Rückstellmoment der Lenkung 8.4.4 Lenkungsschwingungen 8.5 Selbst einstellende Lenkvorrichtungen
231 231 232 235
9 Die Elasto-Kinematik der Radaufhängungen 9.1 Allgemeines 9.2 Elasto-Kinematik bei Einzelradaufhängungen 9.2.1 Elastisches Verhalten des Radführungsmechanismus 9.2.2 Elastisch gelagerte Hilfsrahmen 9.3 Statisch überbestimmte Systeme
287 287 292
10 Servo- und Regelsysteme am Fahrwerk 10.1 Allgemeines 10.2 Bremsanlage und Antriebsstrang
171 173 181 181 187 194 198 210 220 226
235 242 263 263 266 274 281 282
292 308 314 317 317 319
X
Inhaltsverzeichnis
10.3 10.4 10.5 10.6
Geregelte Federungs- und Dämpfersysteme Servolenkungen und aktive Lenksysteme Überwachung des Reifen-Innendrucks Fahrwerks-Regelsysteme im Verbund
322 329 337 338
11 Synthese und Konstruktion 11.1 Allgemeines 11.2 Ebene Radaufhängungen 11.3 Kinematische Synthese des räumlichen Systems 11.4 Anmerkungen zur Konstruktion
341 341 342 346 353
12 Aufhängungen für Motorräder
371
13 Einzelradaufhängungen 13.1 Allgemeines 13.2 Aufhängungen für Vorderräder 13.2.1 Lenkgeometrie mit fahrgestellfestem Lenkzapfen 13.2.2 Lenkgeometrie mit radträgerfester Spreizachse 13.2.3 Lenkgeometrie mit ideeller Spreizachse 13.3 Aufhängungen für Hinterräder 13.3.1 Ebene Mechanismen 13.3.2 Sphärische Mechanismen 13.3.3 Räumliche Mechanismen
383 383 383
14 Starrachsführungen 14.1 Allgemeines 14.2 Deichsel- und Schubkugelachsen 14.3 Lenkergeführte Starrachsen 14.4 Statisch überbestimmte Systeme
419 419 422 427 431
15 Verbundaufhängungen
435
Schlussbemerkung
445
Schrifttum
447
Stichwortverzeichnis
451
383 387 396 401 401 405 410
Formelzeichen
Vektoren werden durch Fettschrift gekennzeichnet: v = Geschwindigkeitsvektor; v = skalare Größe der Geschwindigkeit. a b c „inneres“ oder „Skalarprodukt“ der Vektoren a und b; das Ergebnis ist der Skalar c. a u b c „äußeres“ oder „Vektorprodukt“ der Vektoren a und b; das Ergebnis ist ein Vektor c, der senkrecht auf a und b steht.
A A a aq
mm² mm/s² mm/s²
Fläche Radaufstandspunkt Beschleunigung Querbeschleunigung
b c cF cFA cS cA cM
mm N/mm N/mm N/mm N/mm N/mm Nmm/rad
Spurweite Federrate Tragfederrate effektive Federrate am Radaufstandspunkt Stabilisatorrate je Rad Ausgleichsfederrate je Rad Drehfederrate zum Winkel M
D
Dämpfungsmaß
D
Schnittpunkt Spreizachse/Fahrbahnebene
D
Drehpunkt
d E e e F
Spreizachse; Drehachse Elastizitätsmodul Einheitsvektor Randfaserabstand eines Profilquerschnitts Freiheitsgrad eines Mechanismus
F FF
N/mm² mm N N
Kraft Federkraft
XII
Formelzeichen
N
Federkraft reduziert auf den Radaufstandspunkt Freiheitsgrad eines Gelenks Federweg an einem Federelement Rollwiderstandsbeiwert Fahrzeuggewicht Gleitmodul (Schubmodul) Zahl der Gelenke eines Mechanismus Erdbeschleunigung Hilfspunkt auf der Radachse
FFA f f fR G G g g H H
N N/mm²
h h
mm mm
Schwerpunktshöhe Steigung der Momentanschraube
hRZ I i iD iF iH iL i K k kD
mm mm4
Höhe des Rollzentrums über der Fahrbahn Flächenträgheitsmoment Über- oder Untersetzungsverhältnis Dämpferübersetzung Federübersetzung Lenkgetriebeübersetzung Lenkgestängeübersetzung Trägheitsradius Radträger Zahl der Radträger einer Radaufhängung Dämpferkonstante
mm
mm/s²
Lenkrad; Lenkspindel
mm
Ns/mm
L
Längspol (Pol in der Fahrzeug-Seitenansicht)
L
Lenkgetriebe
L
mm²kg/s
Drall, Drehimpuls Zahl der Lenker einer Radaufhängung
l
l
mm
Radstand
l
mm
Länge Radmittelpunkt
M M MB
Nmm Nmm
Moment Biegemoment
MD
Nmm
Drehmoment
Formelzeichen
MH M RB M RS
Nmm Nmm Nmm
Drehmoment am Lenkrad Reifen-Bohrmoment Reifen-Rückstellmoment aus dem Schräglauf
m
Momentanachse
mp
Momentanachse bei Parallelfederung
mw m n n n nR nW
Momentanachse bei Wankbewegung Masse Normalvektor Polytropenexponent geometrische Nachlaufstrecke Reifennachlauf Nachlaufversatz
kg
mm mm mm
XIII
Pol, Momentanpol
P p
bar
Gasdruck
p
mm
Polabstand
p
mm
Radlasthebelarm
pc
mm
Hebelarm der Gewichtsrückstellung Querpol (Pol in der Fahrzeug-Querschnittsebene)
Q q
mm
Querpolabstand
R RF
mm mm
Reifenradius Fertigungsradius des Reifens
RSt
mm
statischer Reifenradius
Rw
mm
wirksamer oder „Abrollradius“ des Reifens
RZ
Rollzentrum
r
Rollachse des Fahrzeugs
r
Zahl der freien Eigenrotationen von Lenkern in einem Mechanismus
r
mm
Hebelarm, Radius
rS
mm
Lenkrollradius
rV
mm
Spreizungsversatz („Störkrafthebelarm“)
rT
mm
Triebkrafthebelarm (wirksamer Hebelarm der Antriebskraft bei Gelenkwellenantrieb)
XIV
Formelzeichen
Schwerpunkt Federschwerpunkt Momentanschraubenachse
S , SP SF s s T T , Ts T
mm
Radhub Schubmittelpunkt Stoßmittelpunkt Trägheitspol
T
s
Schwingungsdauer
t
mm/s
Vorschubgeschwindigkeit (Momentanschraubung)
t
s
Zeit
U
J
Energie
u v vM
mm/s mm/s mm/s
Umfangsgeschwindigkeit Geschwindigkeit Geschwindigkeit des Radmittelpunktes
v
mm/s
vA
mm/s
v
mm/s
vA
mm/s
(fiktive) Geschwindigkeit bei als „blockiert“ betrachteter radträgerfester Momentenstütze (fiktive) Geschwindigkeit des Radaufstandspunktes bei „blockierter“ Momentenstütze (fiktive) Geschwindigkeit bei „blockierter“ Momentenstütze und Gelenkwellenantrieb (fiktive) Geschwindigkeit des Radaufstandspunktes bei „blockierter“ Momentenstütze und Antrieb durch Gelenkwellen
W
Mittelstück einer Gelenkwelle
x, y , z
Hauptachsen eines Koordinatensystems
Griechische Buchstaben: D rad, Grad Anstellwinkel eines Gummilagers D rad, Grad Beugewinkel eines Wellengelenks D rad, Grad Schräglaufwinkel des Reifens E rad, Grad Schwimmwinkel des Fahrzeugs J rad, Grad Radsturzwinkel G rad, Grad Lenkwinkel eines Rades
Formelzeichen
Gv H HA HB H MB
H
H K K
XV
rad, Grad
Vorspurwinkel
rad, Grad
Schrägfederungswinkel
rad, Grad
Antriebs-Stützwinkel
rad, Grad
Brems-Stützwinkel
rad, Grad
Stützwinkel bei Motorbremsung
rad, Grad
Stützwinkel bei radträgerfester Momentenstütze
rad, Grad
Stützwinkel bei Gelenkwellenantrieb Abstimmung (Schwingungssystem) Wirkungsgrad
4
mm²kg
Massenträgheitsmoment
N N
rad, Grad
Nickwinkel
rad, Grad
Adiabatenexponent Anstellwinkel zwischen Fahrzeug-Rollachse und Wank-Momentanachse einer Radaufhängung Schlupf
rad, Grad
räumlicher Neigungswinkel der Spreizachse
O O P P
Reibwert rad, Grad
Übertragungswinkel in einem Mechanismus
3
Ebene
3c
Seitenriss
3cc
Querriss
3ccc
Grundriss
S U U V V W W M
Kreiszahl
Md
mm
Krümmungsradius
kg/mm³
Dichte
N/mm²
Normalspannung
rad, Grad
Spreizungswinkel
rad, Grad
Nachlaufwinkel
N/mm²
Schubspannung
rad, Grad
Wankwinkel
rad, Grad
Drehwinkel
XVI
Formelzeichen
Mk F Z
rad, Grad rad/s
Winkelgeschwindigkeit
Z
rad/s
Eigenkreisfrequenz
ZK ZR
rad/s rad/s
Winkelgeschwindigkeit des Radträgers Winkelgeschwindigkeit des Radkörpers
ZJ
rad/s
Sturzwinkelgeschwindigkeit
ZG
rad/s
Lenkwinkelgeschwindigkeit
ZH
rad/s
Winkelgeschwindigkeit des Lenkrades
ZL
rad/s
Winkelgeschwindigkeit des Lenkstockhebels
kardanischer Winkel Antriebs- oder Bremskraftanteil der Vorderachse
Indizes: a a e h i i k l m n p r u v w
kurvenaußen ausgefedertes Rad eingefedertes Rad hinten kurveninnen ideell zum Radträger gehörig links mittlerer Wert Normallage bei Parallelfederung rechts ungefedert (Masse) vorn bei Wankbewegung
1 Einleitung
1.1 Aufgaben der Radführung Die Radführung oder „Radaufhängung“ ist die Verbindung zwischen dem Fahrzeugkörper und dem Rade mit seinem Reifen. Sie gibt dem Rade eine im wesentlichen vertikal ausgerichtete Beweglichkeit, um Fahrbahnunebenheiten auszuweichen, wobei ein Federelement kurzfristig Energie speichert und wieder abgibt und so weitgehend Beschleunigungsspitzen vom Fahrzeugkörper fernhält. Ein Dämpfer sorgt dafür, dass von instationären Beschleunigungs-, Brems- und Seitenkräften angeregte Schwingungen, die den Komfort und die Fahrsicherheit beeinträchtigen, rasch abklingen. Üblicherweise werden bei schnellen Straßenfahrzeugen die Vorderräder gelenkt. Zu diesem Zweck kann ein „Lenker“ des Mechanismus der Radaufhängung, die „Spurstange“, über das vom Fahrer betätigte Lenkgetriebe verstellt werden. Die Übertragung der Radlasten und der Antriebs-, Brems- und Seitenkräfte durch die Radaufhängung bietet die Möglichkeit, unerwünschte Nebenerscheinungen dieser Kräfte wie Nick- und Wankbewegungen des Fahrzeugkörpers durch geeignete Ausbildung der Radführungsgeometrie und der Federung, z.B. Brems- und Anfahrnickausgleich, Stabilisierung usw. zu mildern. Da alle Maßnahmen an Geometrie, Federung und Dämpfung Auswirkungen auf die Stellung des Rades bzw. des Reifens auf der Fahrbahn haben, sind die Erkenntnisse aus der Fahrdynamik bei der Konstruktion und Abstimmung zu beachten, was zu Kompromissen zwischen den Forderungen nach bestmöglichem Fahrverhalten und größtmöglichem Fahrkomfort zwingen kann. Der Reifen ist als Verbindungsglied zwischen Fahrzeug und Fahrbahn von überragender Bedeutung für das Fahrverhalten und zugleich das am schwersten zu beherrschende Bauteil, nicht nur weil er aus stark verformbarem, vorwiegend organischem Material hergestellt, sondern auch weil er ein „Verschleißteil“ mit über der Laufzeit veränderlichen Eigenschaften ist, dessen Betriebssicherheit zudem von der Wartung durch den Fahrzeugbesitzer wesentlich abhängt und damit praktisch dem Einfluss des Herstellers entzogen ist. Er ist u. a. ein Federelement, erzeugt aber selbst
2
1 Einleitung
auch hochfrequente Schwingungen und überträgt Erregerkräfte von der Fahrbahn auf das Fahrzeug. Deshalb ist es zumindest bei Personenwagen üblich, die Radaufhängung durch gummielastische Lagerungen gegenüber dem Fahrzeugkörper zu isolieren. Damit wird der Mechanismus der Radaufhängung in Grenzen verformbar, und der richtigen Auslegung dieser „Elasto-Kinematik“ ist bei schnellen Fahrzeugen große Aufmerksamkeit zu widmen. Nicht jeder Mechanismus, der kinematisch den Anforderungen der Bewegungsgeometrie des Rades genügt, ist auch für eine gute elastokinematische Abstimmung geeignet, wodurch die Zahl der möglichen Radaufhängungs-Bauarten für schnelle und komfortable Straßenfahrzeuge im Gegensatz z.B. zu Rennwagen eingeschränkt wird und oft völlig andere Lösungen gefunden werden müssen.
Bild 1.1. Vorderachse des „Audi 100“ (1976)
(Werkbild Audi AG)
Bild 1.1 zeigt eine Vorderradaufhängung mit angetriebenen Rädern. Dabei ist a das Rad mit dem Reifen, b der so genannte „Radträger“, welcher die Radlagerung aufnimmt und die Stellung des Rades gegenüber dem Fahrzeug festlegt. Im allgemeinen trägt er auch die Bremsvorrichtung (hier eine Bremsscheibe c und einen Bremssattel) und gelegentlich ein Untersetzungs-Vorgelegegetriebe für den Antrieb (aber nur in Ausnahmefällen auch den Antriebsmotor). Der Radträger b ist die „Koppel“ einer räumlichen Getriebekette. Darin ist d ein Querlenker, der zusammen mit einer Zugstrebe e ein Lenkerdreieck bildet, wobei e zugleich der Arm eines Drehstabstabilisators f ist. Der
1.2 Zum Aufbau des Buches
3
Teleskop-Stoßdämpfer g ist fest mit dem Radträger verbunden, seine Kolbenstange ist durch ein in einem Gummielement eingebautes Kugellager drehbar am Fahrzeugkörper angelenkt. Der Dämpfer bildet hier ein „radführendes“ Federbein und seine Kolbenstange einen weiteren Lenker des Radführungsmechanismus, weshalb Radaufhängungen dieser Bauart als „Federbeinachsen“ bezeichnet werden. Der Lenker h verbindet den Radträger mit einem Zahnstangen-Lenkgetriebe i und ist über das letztere an seinem inneren Gelenk verschiebbar. Als „Spurstange“ überträgt er so die vom Fahrer am Lenkrad eingeleitete Lenkbewegung auf den Radträger. Die Feder k komplettiert die Radaufhängung zu einem „statisch bestimmten“ System. Die Antriebswelle l leitet das Antriebsmoment vom fahrzeugfesten Achsgetriebe (nicht dargestellt) zum Rade weiter. Dieses Buch behandelt im wesentlichen den Mechanismus der Radaufhängung, die Systematik und die kinematischen Gesetze und Konstruktionsmethoden zum Entwurf solcher Mechanismen, die Lenkgeometrie, die Federung (besonders im Zusammenwirken mit der Radaufhängung) und die Elasto-Kinematik. Radlager, Gelenke und andere Maschinenelemente werden in diesem Rahmen nur falls erforderlich angesprochen. Über den Reifen gibt es ausführliche Literatur, so dass hier nur kurz an einige wesentliche Eigenschaften erinnert werden soll. Eingehende Untersuchungen und Erläuterungen zur Schwingungstheorie und zur Dynamik des Fahrzeugs, u. a. mit ausführlichen Informationen über wichtige Reifeneigenschaften, finden sich in den grundlegenden Werken der fahrzeugtechnischen Fachliteratur [15, 67].
1.2 Zum Aufbau des Buches Im folgenden werden zunächst die kinematischen Gesetzmäßigkeiten der Bauarten von Rad- und Achsaufhängungen zusammengestellt und daran anschließend Verfahren zur kinematischen Analyse ihrer Bewegungsgeometrie vorgeführt. Mit diesen Grundlagen werden das Zusammenwirken von Radaufhängung und Federung, das Verhalten beim Beschleunigen und beim Bremsen, die Vorgänge an einer Radaufhängung unter Querbeschleunigung (Kurvenfahrt), die Lenkgeometrie und der Einfluss der äußeren Kräfte und der Bauteilelastizitäten auf die Funktion der Radaufhängung untersucht. Dabei wird sich zeigen, dass für die theoretische Behandlung dieser Probleme Grundkenntnisse der technischen Mechanik, der darstellenden Geometrie und der Vektorrechnung ausreichen, denn bei Radaufhängungen handelt es sich fast ausschließlich um „statisch bestimmte“ Systeme.
4
1 Einleitung
Softwaregesteuerte Regelsysteme zur Überwachung des Bremsschlupfes („ABS“) und des Antriebsschlupfes, des Federungsverhaltens, des Reifendruckes und des Gesamt-Fahrverhaltens greifen indirekt oder direkt in den Radführungsmechanismus ein und sollen daher ebenfalls angesprochen werden, wenn sie auch über das eigentliche Thema dieses Buches, nämlich die Baugruppe „Radaufhängung“, hinausgehen. Danach werden Methoden zum Entwurf von Radaufhängungen und Fragen zur Konstruktion der Bauteile erörtert. Abschließend folgen Betrachtungen der Radaufhängungen für Motorräder sowie von Einzelradaufhängungen, Starrachsführungen und Verbundaufhängungen für Zweispurfahrzeuge. Bei der Auswahl der Beispiele ging es vorwiegend um die Vielfalt der Lösungen und weniger um eine Übersicht der am Markt aktuellen Konstruktionen, weshalb auch „historische“ Radführungssysteme ihre Würdigung erfahren sollen. Im „theoretischen“ Teil des Buches wird der Bewegungszustand einer Radaufhängung bei der kinematischen Analyse (Kap. 3) und der Berechnung der kinematischen „Kenngrößen“ (Kap. 5–8) durch „Geschwindigkeitsvektoren“ v von Punkten des Radträgers und durch seinen „Winkelgeschwindigkeitsvektor“ Z beschrieben. Dies ist anschaulich und entspricht den herkömmlichen und gewohnten Analyseverfahren der Getriebelehre. Im vorliegenden Falle handelt es sich allerdings nicht um die Verfolgung heftiger Bewegungen, sondern eher um differentielle Verschiebungen bzw. Differentialquotienten. Eine „Geschwindigkeit“ v z kann mit dem Zeitdifferential dt auch als Differentialquotient dz/dt und eine „Winkelgeschwindigkeit“ ZJ als Differentialquotient dJ dt aufgefasst werden; im Quotienten ZJ / v z bzw. (dJdt)/(dz/dt) lässt sich das Zeitdifferential dt herauskürzen, und dieser erweist sich dann als Differentialquotient dJdz.
1.3 Das Koordinatensystem In diesem Buche geht es um die Entwicklung und Konstruktion von Radaufhängungen. Dabei sind selbstverständlich die Erkenntnisse und Anforderungen seitens der Fahrdynamik von wesentlicher Bedeutung und werden zur Auslegung und Abstimmung der Kinematik und der ElastoKinematik herangezogen. In der theoretischen Behandlung der Fahrdynamik werden verschiedene Koordinatensysteme verwendet, so ein raumfestes System, ferner ein „horizontiertes“ fahrzeugfestes System, dessen x-Achse mit der x-Achse des Fahrzeugkörpers identisch ist, dessen y-Achse dagegen parallel zur Fahrbahnebene liegen bleibt. In den Rechenprogrammen zur Bildschirmkon-
1.3 Das Koordinatensystem
5
struktion werden unterschiedliche, aber ebenfalls fahrzeugfeste Koordinatensysteme benutzt. Der Konstruktionsalltag sieht jedoch vorwiegend andere Probleme, wie das Feilschen um jeden Millimeter Einbauraum und Freigängigkeit im Fahrzeug oder Festigkeits- und Montagefragen. Daher wird in der Praxis bei der Konstruktion einer Radaufhängung stets das Fahrzeug als „feste Umgebung“ zugrunde gelegt, was besonders bei der heute bei PKW vorherrschenden Einzelradaufhängung den Vorteil einer eindeutigen Bewegungsform hat. Als Koordinatensystem für die im folgenden angestellten Betrachtungen wird deshalb ein rechtshändiges fahrzeugfestes System gewählt, dessen x-Achse in der Fahrzeugmittelebene nach vorn, dessen y-Achse nach links und dessen z-Achse nach oben weist, Bild 1.2. In der Abbildung sind ferner die Definitionsrichtungen des „Nickwinkels“ -, des „Wankwinkels“ M und des „Gierwinkels“ \ eingetragen. Der Lenkwinkel G ist als „rechtsdrehender“ Winkel um die z-Achse positiv definiert, wenn das linke Vorderrad im Sinne einer Linkskurve eingeschlagen wird.
Bild 1.2. Das Koordinatensystem
Es dürfte nicht schwer fallen, die im folgenden zur Analyse der Achsund Lenkgeometrie entwickelten Gleichungen bei Bedarf in ein anderes fahrzeugfestes Koordinatensystem umzurechnen. Meistens genügt eine „zyklische Vertauschung“ der Komponenten, evtl. kann eine Vorzeichenumkehr notwendig werden, z.B. wenn Radführungs-Kenngrößen mit Orientierung an einer bestimmten Fahrzeugseite definiert wurden. Da das Buch sich vorrangig mit dem Mechanismus der Radaufhängung und seinen kinematischen und elasto-kinematischen Eigenschaften befasst, werden Radführungssysteme im folgenden besonders bei den in den theoretischen Kapiteln vorherrschenden Schemabildern häufig ohne die zugehörigen Federelemente dargestellt, denn normalerweise können an jeder Radaufhängung alle Bauarten von Federn verwendet werden.
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2 Bauarten und Freiheitsgrade
2.1 Freiheitsgrade der Radaufhängungen Ein schnelles Straßenfahrzeug benötigt an jedem Rade zum Ausgleich der Fahrbahnunebenheiten und zur Vermeidung hoher Beschleunigungen am Fahrzeugkörper eine im wesentlichen vertikal gerichtete Bewegungsmöglichkeit, einen „Freiheitsgrad“. Ein Freiheitsgrad ist eine Lageänderung eines Raumkörpers, z.B. des Radträgers mit seinem Rade, nach einer eindeutigen und reproduzierbaren Funktion. Bild 2.1 zeigt, dass dieser eine Freiheitsgrad nicht unbedingt aus einer vertikalen Parallelverschiebung allein bestehen muss, wie im Beispiel a, sondern auch als kombinierte Hub-, Quer- und Kippbewegung (Spur- und Sturzänderung, Beispiel b) oder als allgemeine „Koppelbewegung“ (Beispiel c) verwirklicht werden kann, wobei alle Bewegungsparameter stets in fester Abhängigkeit voneinander stehen (man spricht dann von „Zwanglauf“).
Bild 2.1. Radführungen mit einem (a, b, c) und zwei Freiheitsgraden (d)
8
2 Bauarten und Freiheitsgrade
Werden zwei Räder gemeinsam an einem Radträger angebracht (wie z.B. bei einer Starrachse, Beispiel d), so muss dieser Radträger zwei Freiheitsgrade erhalten, um jedem Rade einen Freiheitsgrad gegenüber dem Fahrzeug zu sichern (parallele Ein- und Ausfederung und „Wanken“ bei Kurvenfahrt). Die Starrachsaufhängung ist also ein Mechanismus mit zwei Freiheitsgraden. Sollen alle Räder stets die Möglichkeit des Fahrbahnkontakts haben, so können an einem Radträger höchstens drei Räder gelagert werden, wobei nicht mehr als zwei der Radmittelebenen und nicht mehr als zwei der Radachsen „fluchten“ dürfen.
2.2 Bauteile der Radaufhängungen 2.2.1 Der Radträger Jedes Fahrzeugrad ist an der Radaufhängung über ein Radlager (heute stets ein Wälzlager in Spezialbauweise) drehbar befestigt. Das Glied der Radaufhängung, welches das Radlager aufnimmt, ist der „Radträger“. Bei der Einzelradaufhängung von Bild 2.1b, einer „Pendelachse“, ist der Radträger drehbar über ein einziges Gelenk unmittelbar mit dem Fahrzeugkörper verbunden. Die Einzelradaufhängung nach Bild 2.1c dagegen ist eine kinematische Getriebekette bestehend aus dem Radträger als „Koppel“ des Getriebes und zwei Lenkern, die die Koppel und damit das Rad auf einer allgemeinen Bahnkurve führen. Der Starrachskörper (die „Achsbrücke“) von Bild 2.1d ist ein Radträger mit zwei Rädern. Wie schon in Bild 2.1c angedeutet, werden Rad- oder Achsaufhängungen im allgemeinen durch Mechanismen aus Koppeln (z.B. Radträgern), Lenkern und Gelenken gebildet, durch deren zweckmäßige Kombination die erforderlichen Freiheitsgrade und die gewünschten Radführungseigenschaften sichergestellt werden. 2.2.2 Die Gelenke Das kleinste Bauelement eines Mechanismus ist ein Gelenk. Gelenke dienen entweder zur unmittelbaren Verbindung des Radträgers bzw. der Koppel des Radführungsmechanismus mit dem „festen“ Bauteil, z.B. dem Fahrzeugkörper, oder zur mittelbaren Verbindung beider über Lenker. Im Raum gibt es sechs voneinander unabhängige Bewegungsmöglichkeiten (Freiheitsgrade), nämlich drei Translationen in Richtung dreier Raumkurven (die nicht unbedingt geradlinig und orthogonal angeordnet
2.2 Bauteile der Radaufhängungen
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sein müssen wie die Hauptachsen eines Koordinatensystems) und drei Rotationen um drei beliebige Achsen. Ein Gelenk kann maximal fünf Freiheitsgrade erlauben (ein Gelenk mit sechs Freiheitsgraden wäre sinnlos, weil beide Gelenkhälften ungebunden frei beweglich wären). Eine Auswahl an Gelenkbauarten, wie sie für Radaufhängungen in Betracht kommen, ist in Bild 2.2 zusammengestellt.
Bild 2.2. Gelenk-Bauarten
Das Kugelgelenk, Bild 2.2a, ermöglicht die freie Relativdrehung beider Gelenkhälften (Kugel und Kugelpfanne) um drei voneinander unabhängige Drehachsen, es bietet also drei (rotatorische) Freiheitsgrade. GelenkFreiheitsgrade mögen im folgenden durch den Kleinbuchstaben „ f “ bezeichnet werden. Damit gilt für das Kugelgelenk f = 3. Wird an einem Kugelgelenk im wesentlichen nur eine Rotationsachse ausgenützt und ist die Drehbewegung um die beiden anderen Achsen klein, so kann auch ein Gummigelenk wie das zylindrische Gummilager nach Bild 2.2b verwendet werden mit den Vorteilen der weitgehenden Unempfindlichkeit gegenüber kurzzeitigen Überlastungen, der besseren Geräuschisolation, der Wartungsfreiheit und der geringen Kosten. Beim Gummigelenk rufen sowohl die Drehung um die Lagerhauptachse als auch die Verschränkung gegenüber derselben (die so genannte „kardanische“ Bewegung) merkliche Reaktions- bzw. Rückstellmomente hervor, die bei der Dimensionierung der Anschlussteile beachtet werden müssen. Auch bei einem Kugelgelenk können Losbrechmomente auftreten, besonders wenn es beschädigt ist. Das echte Drehgelenk, Bild 2.2c, erlaubt nur eine reine Drehbewegung (f = 1), während das Drehschubgelenk, Bild 2.2d, eine Drehung um eine Achse und eine davon unabhängige Vorschubbewegung längs derselben zulässt (f = 2). Drehgelenke werden oft durch die Kombination zweier Gummi-Drehlager dargestellt, Bild 2.3 links, während als Drehschubge-
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2 Bauarten und Freiheitsgrade
lenk an Radaufhängungen vor allem die Kolbenstangenführung eines Stoßdämpfers auftritt (bei Feder- oder Dämpferbeinachsen), rechts.
Bild 2.3. Drehgelenk und Drehschubgelenk
Selten, zumindest in der Originalform, wird an Radaufhängungen das Kugelflächengelenk verwendet, Bild 2.2e. Die Kugel wird formschlüssig auf einer Fläche geführt, die durchaus räumlich gekrümmt sein kann. Von den sechs Freiheitsgraden im Raum wird hier nur die Bewegung in der Flächennormalen unterbunden, so dass als Gelenk-Freiheitsgrad f = 5 zu setzen ist. 2.2.3 Die Lenker Zur mittelbaren Verbindung zwischen dem Radträger und dem Fahrzeugkörper dienen die Lenker als Zwischenglieder in der kinematischen Kette der Radaufhängung. Die wichtigsten Lenkerbauarten sind in Bild 2.4 zusammengestellt. Deren einfachster Vertreter ist der Stablenker mit zwei Kugelgelenken oder diesen gleichwertigen Gummilagern, Bild 2.4a. Die Summe der Gelenk-Freiheitsgrade an diesem Lenker ist, da jedes Kugelgelenk drei Freiheitsgrade einbringt, f = 6, womit dieser Lenker sinnlos wäre, wenn nicht einer der sechs Freiheitsgrade in einer Eigenrotation r der Stange um ihre Längsachse bestünde, welche sich bei „gekröpften“ Stangen fallweise sehr störend bemerkbar machen kann, die Bewegungsabläufe des Gesamtmechanismus aber nicht beeinflusst. Der Stablenker geht also mit fünf statt sechs Freiheitsgraden in die Berechnung des Gesamt-Freiheitsgrades eines Mechanismus ein bzw. vermindert denselben um 1. Bei der Betrachtung des Gesamt-Freiheitsgrades eines Mechanismus ist demnach für jede derartige Eigenrotation ein Freiheitsgrad abzuziehen.
2.2 Bauteile der Radaufhängungen
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Bild 2.4. Lenkerbauarten
Ein gerader Stablenker wird statisch nur durch Zug- und Druckkräfte belastet. Da aber, wie bereits zu Bild 2.2 bemerkt, Kugelgelenke und Gummilager Losbrech- bzw. Drehmomente ausüben, genügt es nicht in jedem Falle, den Stab lediglich auf Knicksicherheit zu dimensionieren, sondern es empfiehlt sich – angesichts der hohen Lastwechselzahl der Federungsbewegungen während der Fahrzeuglaufzeit – bei sehr schlanken Lenkern auch eine Überprüfung der Dauerfestigkeit gegen Wechselbiegung. Die Kombination eines Drehgelenks mit einem Kugelgelenk ergibt einen Dreiecklenker, Bild 2.4b. Ein Dreiecklenker bietet mit dem Kugelgelenk (f = 3) und dem Drehgelenk (f = 1) vier Freiheitsgrade, vermindert also den Gesamt-Freiheitsgrad des Mechanismus um zwei. Der Dreiecklenker kann kinematisch als Kombination zweier Stablenker aufgefasst werden, wobei zwei Kugelgelenke räumlich zusammenfallen. Auch diese Vorstellung ergibt eine Verminderung des Gesamt-Freiheitsgrades eines Mechanismus um zwei, nämlich um einen je Stablenker. Mit zwei Drehgelenken, deren Drehachsen durchaus räumlich gegeneinander verschränkt angeordnet werden können, erhält man einen Trapezlenker, Bild 2.4c. Die beiden Drehgelenke ergeben zusammen den Freiheitsgrad f = 2, d.h. der Trapezlenker hebt vier der sechs räumlichen Freiheitsgrade eines Mechanismus auf. Ein Lenker mit einem Kugelgelenk und einem Drehschubgelenk, Bild 2.4d, wird in der Fahrzeugtechnik häufig in Form eines Teleskopdämpfers mit kugelig bzw. gummielastisch gelagertem Ende der Kolbenstange angewandt. Dabei handelt es sich zugleich stets um den kinematischen Sonderfall, wo die Kugelmitte auf der Achse des Drehschubgelenks bzw. der Dämpfermittellinie liegt, so dass eine Eigenrotation r des Lenkers möglich ist, die keine Auswirkung auf den Gesamt-Freiheitsgrad des Mechanismus hat. Mit dem Kugelgelenk und dem Drehschubgelenk errechnet sich also für den Drehschublenker unter Abzug der Eigenrotation der resultierende Freiheitsgrad f = 3 + 2 – 1 = 4, d. h. er verringert den GesamtFreiheitsgrad eines Mechanismus um 2.
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2 Bauarten und Freiheitsgrade
2.2.4 Die kinematische Kette Abgesehen von den einfachen Fällen, wo die Rad- oder Achsaufhängung durch unmittelbare Verbindung zwischen Radträger und Fahrzeugkörper dargestellt ist, bildet sie im allgemeinen eine kinematische Getriebekette, bestehend aus einem oder mehreren Radträgern, den Lenkern und dem raumfesten „Gestellglied“ oder „Steg“. Als Steg soll hier, wie bereits in Kap. 1 begründet, der Fahrzeugkörper betrachtet werden. Eine derartige Getriebekette zeigt Bild 2.5 schematisch, wobei die wichtigsten Gelenkund Lenkertypen verwendet wurden. Der (einzige) Radträger K ist die „Koppel“ des räumlichen Mechanismus und der Fahrzeugkörper bildet den „Steg“ s. Die Radaufhängung besteht ferner aus drei Lenkern mit insgesamt sechs Gelenken, nämlich einem Stablenker a mit zwei Kugelgelenken 1 und 2, einem Dreiecklenker b mit einem Kugelgelenk 3 und einem Drehgelenk 5 sowie einem Drehschublenker c mit einem Kugelgelenk 4 (dem „Stützlager“ bei einer „Federbeinachse“) und einem Drehschubgelenk 6 (dem Teleskopdämpfer) Jeder Radträger und jeder Lenker besitzt als Raumkörper sechs Freiheitsgrade, wobei im folgenden Freiheitsgrade von Raumkörpern mit dem Großbuchstaben F bezeichnet werden sollen.
Bild 2.5. Kinematische Getriebekette mit einem Freiheitsgrad (Einzelradaufhängung)
Mit k als Zahl der Radträger und l als Zahl der Lenker ergibt sich als Summe der Freiheitsgrade dieser Teile, solange sie ungebunden sind, demnach F = 6(k + l). Ein Gelenk i mit dem Freiheitsgrad f i schränkt den Gesamt-Freiheitsgrad um (6 - f i ) Freiheitsgrade ein. Ebenso geht jeder
2.3 Grundmodelle der Radaufhängungen
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Lenker-Freiheitsgrad für den Gesamt-Freiheitsgrad verloren, der sich als Eigenrotation des Lenkers herausstellt. Mit g Gelenken und r Eigenrotationsmöglichkeiten von Lenkern ergibt sich demnach die Bilanz der Freiheitsgrade eines Mechanismus [8] zu i
F
6( k l )
¦ (6 f ) r i
1
oder g
F
6( k l g ) r
¦f
i
(2.1)
1
wobei k = Zahl der Radträger, l = Zahl der Lenker, g = Zahl der Gelenke, f i = Freiheitsgrad des Gelenks i, r = Zahl der Eigenrotationen. Die Radaufhängung von Bild 2.5 besteht aus einem Radträger (k = 1), drei Lenkern (l = 3) und sechs Gelenken (g = 6). Vier Kugelgelenke, ein Drehgelenk und ein Drehschubgelenk bringen 4×3 + 1 + 2 = 15 GelenkFreiheitsgrade ein. Der Stablenker und der Drehschublenker können um ihre Achsen frei rotieren (r = 2). Damit ergibt sich als Freiheitsgrad der Radaufhängung F = 6(1 + 3 – 6) – 2 + 15 = 1, wie für eine Einzelradaufhängung erforderlich.
2.3 Grundmodelle der Radaufhängungen 2.3.1 Deduktion aus der starren Aufhängung eines Körpers Wie aus den Grundregeln der Statik bekannt, kann ein Raumkörper mit seinen insgesamt sechs Freiheitsgraden „statisch bestimmt“ starr aufgehängt werden, indem alle sechs Freiheitsgrade durch geeignete Lagerelemente aufgehoben werden. Dies geschieht z.B. durch eine Abstützung des Körpers an sechs Stablenkern, von denen jeder einen Freiheitsgrad blockiert, nämlich jeweils die Bewegung aller Punkte des Körpers, die auf seiner Längsachse liegen, in Richtung dieser Achse. Die sechs Stablenker dürfen allerdings keine gemeinsame Raumgerade schneiden, weil dies eine unbestimmte, instabile Lage ergäbe. Ein solcher statisch bestimmt gelagerter Raumkörper ist in Bild 2.6a dargestellt. Sein Freiheitsgrad ist F = 0, und dies entspricht z.B. einer starren Befestigung eines Radträgers an einem Fahrzeugkörper, Bild 2.6e.
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2 Bauarten und Freiheitsgrade
Bild 2.6. Ableitung der Radführungsmechanismen aus der starren Lagerung
Wird einer der sechs Stablenker entfernt, Bild 2.6b, so erhält der Raumkörper einen Freiheitsgrad, F = 1. Die räumliche Führung an fünf Stablenkern ist also der Grundtyp der Einzelradaufhängung, Bild 2.6f. Mit vier Stablenkern besitzt der Raumkörper zwei Freiheitsgrade (c) und bildet so den Grundtyp einer starren Achse (g) oder eines TandemRadträgers (h). Nach Entfernung eines weiteren Stablenkers, Bild 2.6d, ist der mit nunmehr drei Freiheitsgraden ausgestattete Raumkörper zur einwandfreien Führung dreier Räder als „Dreiradsatz“ befähigt (i). Aus der Fünf-Lenker-Einzelradaufhängung (Bild 2.6f) und der VierLenker-Starrachsführung (g) lassen sich durch Zusammenfassung von Stablenkern zu Dreiecklenkern viele der bekannten Bauarten der Einzelrad- oder Starrachsaufhängungen deduktiv herleiten. Damit ist aber die Zahl der möglichen Varianten von Radaufhängungen nicht erschöpft. Ersatz von Stablenkern durch gleichwertige andere Gelenk- oder Lenkerverbindungen, Einführung von Trapezlenkern (die aus Bild 2.6 nicht ableitbar sind!), Hinzufügung neuer Lenker und Gelenke sowie Korrektur der evtl. dadurch neu eingebrachten Freiheitsgrade durch Schaffung zusätzlicher Zwangsbedingungen, Anbringung von „Zwischenkoppeln“ als Verbindungen von Achslenkern untereinander erweitert die Variantenzahl beliebig. Die Teilung eines Radträgers einer Starrachse und gelenkige Verbindung beider Hälften oder auch eine Aufspannung von Lenkern zwischen den Radträgern zweier Einzelradaufhängungen, jeweils unter Beachtung und ggf. Korrektur des Gesamt-Freiheitsgrades F = 2 der gemeinsamen Anordnung zweier Räder, führt zu den „Verbundaufhängungen“, die weder den Einzelrad- noch den Starrachsführungen zugeordnet werden können, weil ihre beiden Radträger weder voneinander unabhängig noch starr miteinander gekoppelt sind.
2.3 Grundmodelle der Radaufhängungen
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Daher wird im folgenden ein anderer Weg beschritten, um einen Überblick der Gestaltungsmöglichkeiten zu zeigen, und zwar beginnend bei der einfachsten Lösung, nämlich der unmittelbaren Verbindung Radträger/Fahrzeug, bis zu den aufwendigeren Radführungen an kinematischen Ketten, wie dies auch in etwa der historischen Entwicklung entspricht. 2.3.2 Einzelradaufhängungen Die einfachste Art, einen Radträger am Fahrzeugkörper beweglich anzubringen, ist die unmittelbare Verbindung beider durch ein Gelenk. Die Einzelradaufhängung muss den Freiheitsgrad F = 1 aufweisen, wofür nur das Drehgelenk in Frage kommt, Bild 2.7. Je nach räumlicher Lage der Drehachse erhält man die Längslenkerachse (a), die Schräglenkerachse (b) und die Pendelachse (c). Die Radachse und die Lenkerdrehachse brauchen nicht in einer gemeinsamen Ebene zu liegen (b, c) oder zueinander parallel zu verlaufen (a); man spricht dann von „geschränkten“ Drehachsen. Derartige Maßnahmen haben, richtig angewandt, vorteilhafte Auswirkungen auf die Radführungsgeometrie, wie später gezeigt wird.
Bild 2.7. Einzelradaufhängungen mit Drehgelenk a) Längslenker- b) Schräglenker- und c) Pendelachse
Ein Drehschubgelenk hat den Freiheitsgrad 2 und reicht daher allein nicht aus, um eine Einzelradaufhängung zu bilden. Den überflüssigen Freiheitsgrad kann ein Stablenker aufheben, Bild 2.8, und es entstehen z.B. eine zwar selten, aber bis heute an Vorderrädern angewandte VertikalSchubführung (a) oder eine durch Überlagerung einer „schraubenden“ Drehbewegung kinematisch aufgewertete Schräglenker-Hinterachse (b), vgl. auch Bild 2.7b. Werden Radträger und Fahrzeug durch ein Kugelgelenk mit dem Freiheitsgrad 3 unmittelbar verbunden, so sind z.B. zwei Stablenker nötig, um den Gesamt-Freiheitsgrad auf F = 1 zu reduzieren, Bild 2.9. Die „DoppelQuerlenker“-Variante (a) ist mehrfach als Hinterachse ausgeführt worden,
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2 Bauarten und Freiheitsgrade
während die „Schräglenker“-Variante einen Sonderfall darstellte mit einem typisch angloamerikanischen Konstruktionsdetail, nämlich der (längenkonstanten) Kardan-Antriebswelle als „Querlenker“.
Bild 2.8. Einzelradaufhängungen mit Drehschubgelenk
Bild 2.9. Sphärische Einzelradaufhängungen
Die Radaufhängungen in Bild 2.9 bilden offensichtlich Grenzfälle zwischen der unmittelbaren und der mittelbaren Verbindung von Radträger und Fahrzeug. Da alle Punkte des Radträgers sich auf Kugelflächen um das Radträger und Fahrzeug koppelnde Kugelgelenk bewegen, handelt es sich um „sphärische“ Mechanismen. Wenn der Radträger nicht mehr unmittelbar gelenkig mit dem Fahrzeugkörper verbunden ist, bildet er die Koppel einer Getriebekette. Der einfachste Mechanismus ergibt sich bei Verwendung eines Trapezlenkers und eines zusätzlichen Stablenkers, Bild 2.10. Die Achsen der beiden Drehgelenke des Trapezlenkers brauchen nicht in einer gemeinsamen Ebene zu liegen.
Bild 2.10. Trapezlenkerachse
2.3 Grundmodelle der Radaufhängungen
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Bild 2.11. Doppel-QuerlenkerAufhängungen
Werden an der allgemeinen Fünf-Lenker-Aufhängung nach Bild 2.6f zweimal je zwei Stablenker zu Dreiecklenkern zusammengelegt, so bleibt ein Stablenker übrig, und das Ergebnis ist die „Doppel-Querlenker-Achse“ mit ihren vielfältigen Abwandlungsmöglichkeiten, Bild 2.11. Bei der Version a ist, wenn es sich um eine Vorderradaufhängung handelt, der Stablenker die „Spurstange“. Die Version b wurde als Hinterachse bei Rennwagen angewandt. Drei Stablenker, Bild 2.12, können entweder durch einen Dreiecklenker ergänzt werden (a) und stellen so die Grundform der „Vier-Lenker-Achse“ dar, wie sie in Rennwagen und neuerdings auch in Serienfahrzeugen eingebaut wird, oder sie bilden zusammen mit einem Drehschublenker den Grundtyp der „Federbeinachse“ (b), die im Falle einer Vorderradaufhängung mit hier „aufgelöstem“ unterem Dreiecklenker eine „ideelle“ Spreizachse aufweist (vgl. hierzu Kap. 8).
Bild 2.12. Vier-LenkerAufhängungen
Mit fünf Stablenkern ist die aufwendigste Form einer Einzelradaufhängung erreicht, und der Grundtyp eines räumlichen Mechanismus mit einem Freiheitsgrad (vgl. die Bilder 2.6 b und f). Wie sich im folgenden noch zeigen wird, sind bei der kinematischen und elasto-kinematischen Abstimmung einer Radführung um so mehr Freiheiten gegeben, je mehr Lenker zur Verfügung stehen. Vor allem die Elasto-Kinematik und die zunehmend eingesetzten Regelsysteme verlangen geometrische Gestaltungsfreiheit und ansteuerbare Elemente.
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2 Bauarten und Freiheitsgrade
Bild 2.13. Fünf-LenkerAufhängungen
Die Radaufhängung von Bild 2.13a bildet die Grundform der FünfLenker-Einzelradaufhängung und wird heute an Hinter- wie an Vorderrädern angewandt. Aus ihr lassen sich die meisten Typen von Einzelradaufhängungen ableiten. Die Bauart (b) weist dagegen eine „Zwischenkoppel“ auf, hier einen vertikal angeordneten Stablenker, der zwei Achslenker verbindet, und kann daher ebenso wenig aus Bild 2.6 abgeleitet werden wie die Trapezlenkerachse. 2.3.3 Starrachsaufhängungen Die Führung einer Starrachse muss den Gesamt-Freiheitsgrad F = 2 aufweisen, wobei sich dieser im wesentlichen aus einer vertikalen Translation und einer Rotation um die Fahrzeuglängsachse zusammensetzt. Das einzige Gelenk, welches den Freiheitsgrad 2 und die Kombination einer Translations- mit einer Rotationsbeweglichkeit anbietet, nämlich das Drehschubgelenk (vgl. Bild 2.2), ist allerdings als alleiniges Führungselement für die Starrachse ungeeignet, weil bei diesem die Translationsrichtung mit der Richtung der Rotationsachse zusammenfällt (notwendig wäre eine orthogonale Anordnung beider Komponenten).
Bild 2.14. Starrachsführungen mit Schubkugel
2.3 Grundmodelle der Radaufhängungen
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Als unmittelbare Verbindung von Achse und Fahrzeug kommen also nur das Kugelgelenk und das Kugelflächengelenk in Frage, Bild 2.14. Bild 2.14a zeigt die einfachste und sehr häufig verwendete Bauart: der vom Kugelgelenk gebotene überflüssige dritte Freiheitsgrad wird durch einen Stablenker aufgehoben, der die Achse seitlich führt. Dies ist die „Deichsel“- oder „Schubkugelachse“ mit „Panhardstab“, welche in Personenwagen und Nutzfahrzeugen vor allem als Hinterachse eingesetzt wurde und wird. Wenn statt des Kugelgelenks ein Kugelflächengelenk vorgesehen wird, Bild 2.14b, so sind drei Stablenker (oder äquivalente Mechanismen) erforderlich, hier zwei Längslenker und ein Panhardstab. Die „Schubkugel“ dient nun nur noch zur Aufnahme der Drehmomentreaktion bei Antrieb und Bremsung und nicht mehr zur Übertragung der Schubkraft; dies übernehmen die beiden Längslenker. Die Bilder 2.14c–e zeigen Alternativen zum Panhardstab, welche die beim Ein- und Ausfedern auftretenden, durch die Kreisbogenführung des Stabes verursachten Seitenbewegungen des Achskörpers am Fahrzeug – und damit Lenkbewegungen der Achse – vermeiden, und zwar c eine Kugelflächenführung („Gleitstein“, nur bei Rennfahrzeugen angewandt), d eine "Scherenführung“ aus zwei Dreiecklenkern (selten, aber im Flugzeugbau als Verdrehsicherung von Stand- und Gleitrohr an Federbeinen bekannt) und e ein „Wattgestänge“. In den beiden letztgenannten Fällen wird also der Stablenker durch einen aufwendigeren Mechanismus ersetzt. Für die mittelbare Verbindung des Achs- und des Fahrzeugkörpers über Lenker stehen im wesentlichen die Kombination eines Dreiecklenkers mit zwei Stablenkern oder die Aufhängung an vier Stablenkern zur Verfügung, Bilder 2.15a und b. Beides sind sehr gebräuchliche Starrachsführungen.
Bild 2.15. Lenkergeführte Starrachsen
Im Gegensatz zu den Einzelradaufhängungen kommt es bei Starrachsen gelegentlich vor, dass der Aufhängungsmechanismus nicht den theoretisch erforderlichen Freiheitsgrad F = 2 aufweist. Bild 2.16 zeigt zwei Beispiele hierfür.
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2 Bauarten und Freiheitsgrade
Bild 2.16. Kinematisch unexakt geführte Starrachsen
Die Aufhängung an fünf Stablenkern, nämlich vier Längslenkern und einem Panhardstab, Bild 2.16a, hat nur einen Freiheitsgrad und ist damit „überbestimmt“. Für den reinen Ein- und Ausfederungsvorgang ergeben sich daraus noch keine Probleme, da die normalerweise symmetrisch zur Fahrzeugmittelebene angeordneten Längslenker in der Seitenansicht deckungsgleiche Bewegungen ausführen. Bei antimetrischer Radbewegung, nämlich gegensinnigem Ein- und Ausfedern der beiden Räder, wie z.B. bei Kurvenfahrt, würden aber, wenn die vier Längslenker nicht gleich lang und parallel zueinander angeordnet sind, Schwenkbewegungen des Achskörpers auf beiden Fahrzeugseiten entstehen, die u. U. gegensinnig gerichtet sind, was wegen der – zumindest bei Antriebsachsen anzunehmenden – Verdrehsteifigkeit der Achsbrücke nicht möglich ist. Der Achskörper wird daher auf Torsion belastet und die unbedingt erforderlichen Gummilager in den Lenkern werden verzwängt. Durch eine geschickte räumliche Anordnung der Lenker können die Zwangskräfte gering gehalten werden (vgl. Kap. 9). Die freie Wahl der kinematischen Auslegung derartiger Achsaufhängungen ist allerdings eingeschränkt. Gründe für ihre Anwendung können Platzprobleme sein oder der Wunsch, den Mittelbereich der Achsbrücke einer Antriebsachse mit dem Gehäuse des Achsgetriebes von Momenten freizuhalten, um Undichtigkeiten und Ölaustritt bei Verformung zu vermeiden. Die Achsführung nach Bild 2.16b besteht aus zwei Längslenkern und einem Querlenker und besitzt damit gemäß Gl. 2.1 drei Freiheitsgrade, ist also „unterbestimmt“. An der Darstellung ist sofort erkennbar, dass die Längslenkeraufhängung gegenüber einem Moment um die Fahrzeugquerachse, z.B. einem Bremsmoment, wehrlos ist. Brems- und Antriebsmomente werden hier durch die Federn aufgenommen unter Hinnahme einer elastischen Verdrehung des Achskörpers („Aufziehen“) um die Querachse. Ähnliche Starrachsführungen werden bei schweren Nutzfahrzeugen gelegentlich angewandt, um die Gelenkbelastungen zu vermindern: Bei Aufnahme z.B. eines Bremsmoments an übereinander angeordneten Längslenkern, wie in Bild 2.16a, würde jeder der unteren mit etwa dem doppelten Betrag der Bremskraft belastet und jeder der oberen mit dem einfachen,
2.3 Grundmodelle der Radaufhängungen
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während an den Längslenkern nach Bild 2.16b jeweils nur die einfache Bremskraft zieht. 2.3.4 Tandem-Radträger Neben der üblichen Koppelung zweier Räder gegenüberliegender Fahrzeugseiten in Form der Starrachse ist auch die Koppelung zweier hintereinander laufender Räder einer Fahrzeugseite über einen gemeinsamen Radträger möglich, wenn auch sehr selten zu finden, Bild 2.17. Eine derartige Radaufhängung benötigt ebenfalls den Gesamt-Freiheitsgrad F = 2 und wird z.B. durch vier Stablenker verwirklicht, wobei als Hauptbewegungsformen die vertikale Hubbewegung und eine Pendelbewegung um die Querachse auftreten.
Bild 2.17. Tandem-Radträger
2.3.5 Verbundaufhängungen Bei den Einzelradaufhängungen kann sich jedes Rad einer „Achse“ unabhängig und unbeeinflusst von den übrigen Rädern mit einem Freiheitsgrad bewegen, während bei den Starrachsaufhängungen beide Räder gemeinsam zwei Freiheitsgrade besitzen, aber keine Relativbewegungen ausführen können. Beide Bauweisen sind Sonderfälle einer allgemeinen Form von Radaufhängungen, bei welchen zwei Räder einer Achse insgesamt zwei Freiheitsgrade aufweisen und bei welchen, im Gegensatz zur Starrachse, Relativbewegungen der Räder möglich sind, wobei aber, im Gegensatz zur Einzelradaufhängung, die Bewegungsform eines Rades durch die momentane Stellung des anderen beeinflusst wird: es handelt sich um die übergeordnete Kategorie der „Verbundaufhängungen“. Mit derartigen Aufhängungen wird angestrebt, die Vorzüge von Einzelrad- und Starrachsführungen anzunähern und besonders für die Fahrzustände „Geradeausfahrt“ und „Kurvenfahrt“ jeweils optimale geometrische Bedingungen bereitzustellen. Die Einzelradaufhängung mit „0% Verbund“ bildet einen Grenzfall und gewissermaßen den Nullpunkt der Skala (was keine Wertung darstellen soll), die Starrachse hat „100% Verbund“, begrenzt aber die Skala nicht nach oben, denn die Verbundeigenschaften lassen sich beliebig variieren.
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2 Bauarten und Freiheitsgrade
Dabei sind verschiedene Merkmale denkbar, um diesen „Verbund“ zu quantifizieren (z.B. die Massenkopplung der beiden Radträger bzw. Räder bei antimetrischer Bewegung, was aber hier nicht diskutiert werden soll). Verbundaufhängungen können den Einzelradaufhängungen nahe stehen bzw. von diesen abgeleitet erscheinen oder auch offensichtlich von Starrachsführungen abstammen. Im Gegensatz zu den letzteren besitzt aber bei den Verbundaufhängungen jedes Rad seinen eigenen Radträger. Zwei sehr unterschiedliche Beispiele sind in Bild 2.18 dargestellt. Die Verbundaufhängung nach Bild 2.18a ähnelt der Fünf-LenkerEinzelradaufhängung von Bild 2.13a, wobei jedoch hier die oberen Querlenker nicht am Fahrzeugkörper, sondern an den jeweils gegenüberliegenden Radträgern angelenkt sind. Der Mechanismus hat mit k = 2 Radträgern, l = 10 Stablenkern mit freien Eigenrotationen (d.h. r = 10) und g = 20 Kugelgelenken mit der Summe aller Gelenkfreiheitsgrade 3×20 = 60 den Gesamt-Freiheitsgrad F = 2 nach Gl. 2.1, wie zur einwandfreien Führung zweier Räder erforderlich. Die Verbundaufhängung nach Bild 2.16b zeigt im Gegensatz zum Beispiel a eine deutliche Verwandtschaft mit der Starrachse. Der Achskörper ist allerdings in zwei Radträger aufgeteilt, die durch ein Drehschubgelenk ecksteif verbunden sind. Da dieses Gelenk zwei zusätzliche Freiheitsgrade einbringt, sind z.B. zwei zusätzliche Stablenker notwendig, um diese Freiheitsgrade zu kompensieren, so dass diese Aufhängung statt der für eine Starrachsführung ausreichenden vier Stablenker (vgl. Bild 2.15) deren sechs aufweist. Würde das Drehschubgelenk durch ein Drehgelenk ersetzt, könnte einer der beiden zusätzlichen Stablenker eingespart werden. Ein solches Drehgelenk kann andererseits auch durch einen biegesteifen, aber verwindungsweichen Querträger (z.B. einen Träger mit „offenem“ Profilquerschnitt) vertreten werden. Auf diesem Bauprinzip basierende Varianten der Verbundaufhängung nach Bild 2.18b haben als Hinterachsen von Frontantriebsfahrzeugen weltweite Verbreitung gefunden. Die Eigenschaften der Verbundaufhängungen ähneln je nach Auslegung fallweise mehr denen der Einzelradaufhängungen oder denen der Starrachsen; eines aber haben sie alle mit den letzteren gemeinsam, nämlich ihre räumliche Ausdehnung über die gesamte Fahrzeugbreite.
Bild 2.18. Beispiele für Verbundachsen
3 Kinematische Analyse der Radführungen
3.1 Grundlagen aus der ebenen Getriebelehre Die meisten Radaufhängungen führen dreidimensionale Bewegungen aus, deren Untersuchung zeichnerisch in mindestens zwei Rissen und rechnerisch in einem räumlichen Koordinatensystem erfolgen muss. Eine „ebene“, d. h. in einer einzigen Ansicht bzw. Projektionsebene stattfindende oder abzubildende Bewegung ist aber leichter zu überschauen, ferner lassen sich Erkenntnisse aus der ebenen Getriebelehre im allgemeinen sinngemäß auf die räumliche Getriebelehre übertragen. Daher soll zunächst an einige wesentliche Gesetze der ebenen Getriebelehre erinnert werden. In Bild 3.1a ist ein „ebener“ Körper gezeichnet, dessen Punkt A sich momentan mit der Geschwindigkeit vA bewegt. Der Körper soll „starr“ sein, d. h. der Abstand eines Punktes B von A ist konstant, folglich muss B in Richtung AB die gleiche Geschwindigkeitskomponente vAB haben wie Punkt A. Für Punkt B kann also nur noch seine Bewegungsrichtung t, nicht aber seine Geschwindigkeit frei gewählt werden; vB ergibt sich in Richtung t mit vAB bzw. vA . Aus dieser Bedingung folgt ein bekanntes zeichnerisches Verfahren zur Ermittlung des Geschwindigkeitszustandes eines Körpers: vA wird um 90° gedreht (Vektor v'A ), ebenso die Richtung der gesuchten Geschwindigkeit vB . Da vAB jetzt als v'AB senkrecht zu AB erscheint und sowohl für Punkt A als auch für Punkt B gilt, erhält man den gesuchten, um 90° gegenüber t gedrehten Vektor v'B auf der Parallelen zu AB durch die Vektorspitze von v'A (Verfahren der „lotrechten Geschwindigkeiten“). Der Vektor vB ergibt sich durch eine Rückwärtsdrehung von v'B um 90°. Alle Punkte auf der Senkrechten zu vA können keine Geschwindigkeitskomponente in Richtung A haben; das gleiche gilt für vB und B. Der Punkt P des (erweitert gedachten) Körpers, der momentan mit dem Schnittpunkt der beiden Senkrechten zu vA in A und zu vB in B zusammenfällt, hat weder eine Geschwindigkeitskomponente in Richtung PA noch in Richtung PB. Er kann also überhaupt nicht in Bewegung sein. P ist der „Momentanpol“, um den sich der Körper im Augenblick dreht. Die Geschwindigkeitsvektoren aller Punkte des Körpers stehen daher senkrecht
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3 Kinematische Analyse der Radführungen
auf ihren Verbindungslinien zum Pol P, den „Polstrahlen“, und ihre Geschwindigkeiten sind ihren Polabständen proportional. So ergibt sich die Geschwindigkeit vC eines Punktes C nach dem Verfahren der lotrechten Geschwindigkeiten aus dem Polstrahl PC und vA oder vB , aber auch – ohne Kenntnis des Polstrahls – unmittelbar aus vA und vB durch Schnitt der beiden Parallelen zu AC und BC durch die Vektorspitzen der lotrechten Vektoren dieser beiden Geschwindigkeiten. A und B können Lagerstellen zweier Lenker sein, die zu vA und vB senkrecht angeordnet und in A0 und B0 drehbar an der festen Umgebung verankert sind. Weitere Lenker sind nicht zulässig, denn ein Körper hat in der Ebene drei Freiheitsgrade, nämlich zwei Translationen und eine Rotation, und jeder der beiden Lenker hebt einen Freiheitsgrad auf. A0 A B B0 bilden eine ebene Viergelenkkette mit dem Freiheitsgrad F = 1, und der Körper ist die „Koppel“ der Kette.
Bild 3.1. Ebene Kinematik: Geschwindigkeiten und Momentanpol
3.1 Grundlagen aus der ebenen Getriebelehre
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Bei der – in früheren Zeiten einzig möglichen – zeichnerischen Konstruktion war es oft notwendig, den Polstrahl eines Punktes der Koppel (z.B. des Radträgers einer Radaufhängung) zu bestimmen, obwohl der Pol P außerhalb der Zeichenfläche lag. Der Konstruktionsgang für vC aus vA und vB oder auch der „Strahlensatz“ weisen den Weg zur Konstruktion des Polstrahls PC der „ebenen“ Doppelquerlenkeraufhängung in Bild 3.1b mit Hilfe geometrisch ähnlicher Dreiecke. Bild 3.1c schließlich zeigt die Anwendung des Verfahrens der lotrechten Geschwindigkeiten auf ein vereinfacht als „eben“ angenommenes Lenkgestänge einer Starrachse aus einer Spurstange B2C und einer Lenkschubstange A B1 bei der Bestimmung der Lenkübersetzung i B bzw. i C zwischen dem Lenkgetriebe und jedem der beiden Räder, ebenso der Gesamtübersetzung im . Die „Geschwindigkeiten“ vA usw. können auch als differentielle „Verschiebungsvektoren“ mit der Dimension einer Länge aufgefasst werden, wenn man sie in Gedanken mit dem Zeitdifferential dt multipliziert. Da die Verfahren der Getriebelehre meistens mit dem Begriff der „Geschwindigkeit“ arbeiten, wird diese Praxis hier und auch später bei der Vektorrechnung der Anschaulichkeit halber beibehalten, obwohl „Geschwindigkeiten“ im folgenden fast ausschließlich als differentielle Verschiebungsvektoren verwendet werden. Der Momentanpol P bewegt sich mit den Polstrahlen und hat senkrecht zu AP die Geschwindigkeitskomponente vPA , Bild 3.2, die sich nach dem Strahlensatz aus vA ergibt, und entsprechend senkrecht zu BP die Komponente vPB . Die resultierende „Polwechselgeschwindigkeit“ vP erhält man durch Schnitt der Lote in den Vektorspitzen von vPA und vPB . A0 und B0 sind die – in diesem Falle ständigen – Krümmungsmittelpunkte der Bahnen von A und B; die Polstrahlen PA und PB haben hier die Geschwindigkeit Null. Der Krümmungsmittelpunkt C0 der Bahnkurve eines beliebigen Punktes C der Koppel liegt an der Stelle des Polstrahls PC, die momentan keine Geschwindigkeit hat, und wird in Bild 3.2a mit vC und der Komponente vPC der Polwechselgeschwindigkeit vP bestimmt (Verfahren von Hartmann). C0 C ist der Krümmungsradius U C von C. Momentanpol und Krümmungsradius dürfen nicht verwechselt werden! Der Momentanpol legt den Geschwindigkeitszustand eines Körpers und die Tangenten der Bahnkurven seiner Punkte fest und vertritt damit die erste Ableitung der Bahnkurven, der Krümmungsradius beschreibt dagegen die Änderung der Tangenten der Bahnkurven, d. h. er vertritt deren zweite Ableitung bzw. definiert den Beschleunigungszustand (so ist z.B. die Radialbeschleunigung des Punktes C in Bild 3.2a bC vC2 / U C ). Um dies zu verdeutlichen, wurden die Drehpunkte A0 und B0 , also die Krümmungsmittelpunkte der Bahnen von A und B, bewusst auf der dem Pol P gegenüberliegenden Seite der Koppel gewählt.
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3 Kinematische Analyse der Radführungen
Bild 3.2. Krümmungsradien a) nach Hartmann b) nach Bobillier
Bewegliche Momentanpole (und im Raum: Momentanachsen) dürfen daher stets als Bezugspunkte bzw. –achsen für statische Kräfteanalysen, normalerweise aber nicht zur Untersuchung dynamischer Zusammenhänge herangezogen werden. Bild 3.2b zeigt das Verfahren von Bobillier zur Bestimmung von Krümmungsradien, auf dessen Beweis hier verzichtet wird. Der Schnittpunkt DAB der Linien A0 B0 und AB ist der Momentanpol der Relativbewegung der Lenker A0 A und B0 B. Der Winkel G zwischen der Linie DAB P und dem Polstrahl AP ist gleich dem Winkel zwischen dem Polstrahl BP und der Polbahntangente t (Richtung von vP , vgl. Bild 3.2a). Dieser Zusammenhang gilt für beliebige Punkte und Polstrahlen. Man erhält also den Krümmungsmittelpunkt C0 zu einem Punkt C durch Antragen des Winkels G an den Polstrahl CP, Konstruktion von DBC aus B und C und schließlich von C0 aus DBC und B0 . Die Kenntnis der Polbahntangente ist also nicht erforderlich!
3.1 Grundlagen aus der ebenen Getriebelehre
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Der Momentanpol P bewegt sich in der festen Umgebung auf der „Rastpolbahn“ R und relativ zur Koppel auf der „Gangpolbahn“ G. Beide lassen sich durch das Aufzeichnen verschiedener Stellungen von A und B bzw. (A und B in Ausgangslage festgehalten) von A0 und B0 konstruieren. Die Gangpolbahn wälzt ohne Schlupf auf der Rastpolbahn ab und erzeugt die gleiche Bewegung der Koppel wie das tatsächlich vorhandene Lenkerpaar. Alle Mechanismen, die die gleiche Gang- und Rastpolbahn besitzen, sind kinematisch gleichwertig. Rad- und Achsaufhängungen bilden, wie in Kap. 2 ausgeführt, von seltenen Ausnahmefällen abgesehen statisch bestimmte Systeme, welche jeweils aus einem kinematischen Mechanismus bestehen, der so viele Freiheitsgrade aufweist, wie die Zahl der zu führenden Räder beträgt, und aus Federelementen, deren Zahl im allgemeinen ebenfalls der Zahl der Räder entspricht. Veränderungen der räumlichen Lage eines Rades werden durch äußere Kräfte verursacht. Dabei verschiebt sich der Mechanismus der Radaufhängung gegen die Rückstellkräfte der Federelemente. An einer Radaufhängung treten typische Belastungsfälle auf, die zu charakteristischen Fahrmanövern gehören und im allgemeinen getrennt betrachtet werden, bei Bedarf aber überlagert werden können. Es handelt sich dabei um die Belastungsfälle der vertikal wirkenden Radlast (der größten ständig vorhandenen Kraft an der Radaufhängung!) bzw. der Radlaständerung, ferner um die in Fahrtrichtung angreifenden Brems- und Antriebskräfte sowie Stoßkräfte, und auch die in Fahrzeug-Querrichtung wirkenden Seitenkräfte. Im Laufe der Entwicklung der Fahrzeugtechnik haben sich eine Anzahl von Fachbegriffen bzw. „Kenngrößen“ eingebürgert, die im Zusammenhang mit den erwähnten Belastungsfällen wesentliche Auskünfte über die Eigenschaften der Radaufhängungen geben und damit prinzipielle Vergleiche erlauben. Manche dieser Kenngrößen wurden sinngemäß aus dem Schiffbau oder der Luftfahrt übernommen. Dabei handelt es sich vorwiegend um wirksame Hebelarme von äußeren Kräften oder um Größenverhältnisse bzw. „Übersetzungen“ von Kräften untereinander. Als Beispiele seien genannt: das Rollzentrum, der Lenkrollradius, der Bremsstützwinkel oder die Federübersetzung. Einige dieser Kenngrößen sind bereits genormt und bei einfachen Radaufhängungen oder bei konventioneller Lenkgeometrie (vgl. Kap. 8) zum Teil sogar zeichnerisch exakt bestimmbar. An allgemeinen, räumlich aufgebauten Radaufhängungen bereitet ihre Ermittlung nach herkömmlicher Definition aber oft Schwierigkeiten, ferner sind, wie später gezeigt wird, verbesserte Definitionen erforderlich, um die Kompatibilität mit den genormten Begriffen und die sinngemäße Vergleichbarkeit der physikalischen Wirkungsweise zu gewährleisten. An kinematischen Mechanismen mit einem Freiheitsgrad (also z.B. Einzelradaufhängungen) besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen
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3 Kinematische Analyse der Radführungen
dem Kräfteplan und dem Geschwindigkeitsplan, wie anschließend erläutert wird. Als Mechanismen mit zwei Freiheitsgraden kommen in der Fahrwerkstechnik die Starrachsen und die Verbundaufhängungen in Frage; hier ergeben sich wiederum eindeutige Abhängigkeiten, wenn die beiden Freiheitsgrade „Ein- und Ausfedern“ (symmetrische Bewegung der Räder) und „Wanken“ (antimetrische Bewegung) jeweils getrennt untersucht werden. Die Bewegungsgeometrie bzw. der Geschwindigkeitsplan eines Mechanismus lassen sich durch relativ einfache Berechnungsverfahren analysieren. In den folgenden Kapiteln wird gezeigt, dass sämtliche in der Fahrwerkstechnik gebräuchlichen Achs- und Lenkungskenngrößen exakt und kompatibel mit den herkömmlichen Definitionen über die Bewegungsgeometrie allein bestimmt werden können. Um die Grundgedanken dieser Vorgehensweise deutlich zu machen, mögen an einem einfachen, „ebenen“ Mechanismus mit einem Freiheitsgrad die verschiedenen bekannten Ansätze zur Überprüfung des Kräfteund Momentengleichgewichts und des Bewegungszustandes verglichen werden, Bild 3.3. Ein Körper K wird in der Ebene durch zwei Stablenker A und B geführt. Im Punkt 1 des Körpers greift eine Kraft F1 an. Da der Mechanismus aus K, A und B einen Freiheitsgrad hat, muss eine Gegenkraft F2 erzeugt werden, um das Kräftegleichgewicht zu erhalten. F2 möge am Punkt 2 des Körpers angreifen und der Richtung nach bekannt oder vorgegeben sein.
Bild 3.3. Zusammenhang zwischen Kräfteplan und Geschwindigkeitsplan
3.1 Grundlagen aus der ebenen Getriebelehre
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Die Stablenker A und B können nur Kräfte FA und FB in Richtung ihrer Längsachsen übertragen. Es sind also vier Kräfte F1 , FA , FB und F2 ins Gleichgewicht zu setzen, wobei die Kraft F1 gegeben ist und die Richtungen der anderen drei Kräfte bekannt sind. In Bild 3.3 wird dieses statische Problem zeichnerisch durch einen Kräfteplan (unten) gelöst unter Zuhilfenahme einer „Culmann’schen Zwischenresultierenden“ C, deren Wirkungslinie durch den Schnittpunkt E der Wirkungslinien von F1 und F2 und den Schnittpunkt P der Wirkungslinien von FA und FB verläuft. C ist daher die (noch unbekannte) Resultierende von FA und FB bzw., mit umgekehrtem Vorzeichen, auch von F1 und F2 . Aus F1 sind im Kräftedreieck sofort C und F2 bestimmbar und, falls erwünscht, anschließend unter Zuhilfenahme von C auch die Lenkerkräfte FA und FB . Für den Mechanismus in Bild 3.3 stellt der Punkt P den Momentanpol des Körpers K gegenüber der festen Umgebung dar. Die Lenkerkräfte FA und FB können kein Moment um diesen Pol ausüben. Daher müssen alle anderen an K angreifenden Kräfte bezüglich des Pols P im Gleichgewicht sein. Ein Momentanpol kann also als Momentenbezugspunkt für statische Berechnungen herangezogen werden. Im vorliegenden Falle haben die Kräfte F1 und F2 die wirksamen Hebelarme a1 und a2 um P, und die Gleichgewichtsbedingung lautet F1 a1 F2 a2 , woraus F2 sofort bestimmt werden kann. Der Momentanpol P ist aber auch der Mittelpunkt des augenblicklichen Geschwindigkeitsfeldes am Mechanismus. Die Geschwindigkeitsvektoren v1 und v2 der beiden Kraftangriffspunkte 1 und 2 stehen senkrecht auf den zugehörigen Polstrahlen 1-P bzw. 2-P und müssen, da K ein starrer Körper sein soll, gleich große Komponenten v* in Richtung 1-2 aufweisen, womit das Größenverhältnis zwischen v1 und v2 festgelegt ist. Bewegt sich der Körper K um den Pol P, so verschiebt sich der Kraftangriffspunkt 1 absolut mit der Geschwindigkeit v1 und in Richtung der Kraft F1 mit der Geschwindigkeitskomponente vF1. Die an dieser Komponente von der Kraft F1 aufgebrachte „Leistung“ beträgt dann F1 v1. Wenn Reibung in den Gelenken vernachlässigt wird, muss Leistungsgleichgewicht vorliegen, d. h. diese Leistung am Punkt 2 wieder abgegeben werden. Punkt 2 bewegt sich mit der Geschwindigkeit v2 , und mit deren Komponente vF2 in Richtung von F2 kann die Leistungsbilanz aufgestellt werden: F1 v1 F2 vF2 . Damit ist F2 bekannt. Da die Geschwindigkeiten von Punkten am Körper K unmittelbar den Hebelarmen um den Pol P proportional sind, lässt sich aus Bild 3.3. auch ablesen: vF1 / a1 vF2 / a2 , womit der Zusammenhang zwischen der Kräfteanalyse über die statischen Gleichgewichtsbedingungen und derjenigen über den Geschwindigkeitsplan anschaulich demonstriert ist. Die Kräfteanalyse über den Geschwindigkeitsplan erfordert nicht einmal die Kenntnis des Momentanpols: Wenn die Bewegungsrichtungen der beiden Punkte 1 und 2 bekannt sind (in Bild 3.3 durch gestrichelte Gleitstein-
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3 Kinematische Analyse der Radführungen
führungen angedeutet), so folgt zu einer gegebenen Geschwindigkeit v1 aus der Starrkörperbedingung, also Gleichheit der Komponenten v*, unmittelbar v2 . Diese Erkenntnis ist wichtig für die Analyse komplexer räumlicher Mechanismen, wo Momentanpole oder Momentanachsen nicht mehr in einfacher Weise zu bestimmen sind.
3.2 Grundlagen der Vektorrechnung Für die rechnerische Untersuchung der Bewegungen von Radaufhängungen kommen hauptsächlich zwei Methoden in Frage, nämlich die „analytische Geometrie“ und die Vektorrechnung. Erstere führt schon in einfachen Fällen zu aufwendigen und schwer überschaubaren nichtlinearen Gleichungssystemen, letztere erweist sich als sehr anschaulich und als besonders „computergerecht“; sie ermöglicht ferner leicht verständliche Definitionen der fahrzeugtechnischen „Kenngrößen“ auch an räumlichen Systemen. Die wenigen Grundlagen aus der Vektorrechnung, welche im folgenden für die Analyse von Radaufhängungen nötig sind, sollen hier kurz in Erinnerung gerufen werden. Alle Gesetze der Vektorrechnung sind in rechtwinkligen und „rechtshändigen“ oder „rechtsdrehenden“ Koordinatensystemen definiert, welche aus drei Hauptachsen bestehen, die wechselseitig rechte Winkel bilden, z.B. die Achsen x, y und z in Bild 3.4, und wo der x-Achse die y-Achse bei Blick in positive z-Richtung um 90° im Uhrzeigersinn vorauseilt. Das gleiche gilt für die Reihenfolgen y, z, x und z, x, y (Gesetz der „zyklischen Vertauschung“).
Bild 3.4. Vektor mit Komponenten
Bild 3.5. Addition von Vektoren
3.2 Grundlagen der Vektorrechnung
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Ein Vektor ist eine räumlich ausgerichtete Größe, z.B. eine physikalische Größe wie eine Länge, eine Kraft, eine Geschwindigkeit, eine Winkelgeschwindigkeit oder ein Drehmoment. Der Vektor a hat in dem dargestellten x-y-z-Koordinatensystem die Komponenten ax , ay und az . Ein Vektor der Länge 1 heißt „Einheitsvektor“. Der Einheitsvektor i der x-Richtung hat die Komponenten ix 1, iy 0 und iz 0, entsprechend haben die Einheitsvektoren j und k der y- und der z-Achse die Komponenten 0, 1, 0 und 0, 0, 1. Der Absolutbetrag eines Vektors a berechnet sich nach dem Satz des Pythagoras aus der quadratischen Summe seiner Komponenten zu
a
a x2 a y2 a z2 .
a
(3.1)
Aus jedem Vektor a kann ein Einheitsvektor e a der Länge 1 hergestellt werden, indem der Vektor durch seinen Betrag dividiert wird: (3.2)
ea a / a .
Die Addition oder Subtraktion von Vektoren geschieht durch Addition oder Subtraktion ihrer Komponenten, wie anschaulich in drei Rissen in Bild 3.5 dargestellt. Es gilt a b c oder in Komponentenschreibweise:
cx
a x bx
cy
a y by
cz
a z bz .
(3.3a,b,c)
Im unteren linken Teil der Abbildung ist ferner erläutert, dass ein Vektor x2 vom Koordinatenursprung zu einem Punkt 2, der „Ortsvektor“ des Punktes, durch vektorielle Addition des Ortsvektors x1 eines Punktes 1 und des Differenzvektors x12 von Punkt 1 zu Punkt 2 berechnet werden kann. Bei der Multiplikation von Vektoren gibt es mehrere Varianten mit unterschiedlicher geometrischer bzw. physikalischer Bedeutung, Bild 3.6.
Bild 3.6. Multiplikation von Vektoren: a) Skalar-, b) Vektor- und c) Spatprodukt
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3 Kinematische Analyse der Radführungen
Das „innere“ Produkt zweier Vektoren a und b ist das Produkt der Komponente des ersten Vektors in Richtung des zweiten mit dessen Betrag, Bild 3.6a, und berechnet sich aus den Komponenten beider zu
ab
a x bx a y by a z bz
c,
(3.4)
wobei c kein Vektor mehr ist, sondern eine Zahl (evtl. mit physikalischer Dimension, wie einer Länge usw.), ein „Skalar“, daher auch der Name „Skalarprodukt“. Aus Bild 3.6a folgt anschaulich eine weitere mögliche Schreibweise:
ab
a b cos D ,
(3.5)
und eine physikalische Anwendung des Skalarprodukts ist z.B. die Berechnung einer Leistung aus den Vektoren einer Kraft und einer Geschwindigkeit, wenn diese nicht gleichgerichtet sind. Aus den Gln. 3.4 und 3.5 geht hervor, dass ab b a ist; ferner gilt, wie man leicht nachrechnet, a b ac a (b c) . Im Gegensatz zum Skalarprodukt ist das Ergebnis des „äußeren“ oder „Vektorprodukts“ (Bild 3.6b) (3.6)
aub c
ein Vektor. Wegen der üblichen Schreibweise (u) wird es auch als „Kreuzprodukt“ bezeichnet. Der Vektor c steht senkrecht auf der aus den Vektoren a und b aufgespannten Ebene; bei Drehung des Vektors a auf „kürzestem“ Wege, also um d180q , in den Vektor b im Uhrzeigersinn blickt man in positive Richtung von c (entsprechend ist auch in Bild 3.4 i u j k und der Drehwinkel in der x-y-Ebene 90°). Die skalare Größe des Ergebnisvektors ist
c
a b sin D
(3.7)
(vgl. Bild 3.6b). Aus der Definition des Richtungssinnes folgt, dass
aub
bua
ist. Das Vektorprodukt dient im folgenden u. a. zur Bildung von Normalvektoren (z.B. Geschwindigkeitsvektoren, die auf einer Drehachse und einem Radiusvektor senkrecht stehen). Mit den Komponenten der Vektoren a und b lässt sich das Vektorprodukt formell durch die Determinante
c
i ax bx
j ay by
k az bz
(3.8)
3.3 Zur Systematik der Radaufhängungen
33
darstellen (formell deshalb, weil in der ersten Zeile Vektoren stehen), und es ergeben sich die Komponenten:
cx
a y bz a z by ,
cy
a z bx a xbz ,
cz
a xby a y bx ,
(3.9a,b,c)
wobei wieder das Gesetz der zyklischen Vertauschung sichtbar wird. Geringe Bedeutung hat für die in diesem Buche anzustellenden Betrachtungen das „Spatprodukt“
V
a(buc)
(3.10)
ein Skalarprodukt aus einem Vektor a und dem Ergebnisvektor des Kreuzprodukts bu c . Wenn die Vektoren Längen darstellen, so ist das Ergebnis des Spatprodukts, ein Skalar, gleich dem Volumen des aus den drei Vektoren aufgespannten „Spates“, eines schiefen Quaders, Bild 3.6c. Praktisch kann es von Nutzen sein, wenn drei Vektoren, z.B. drei Achslenker, in drei zueinander parallelen Ebenen oder bei unmittelbarer Aneinanderreihung in einer gemeinsamen Ebene liegen sollen (beide Mal muss dann V = 0 sein).
3.3 Zur Systematik der Radaufhängungen Es sind unterschiedliche Ansätze gemacht worden, um eine Systematik der Radaufhängungen zu erstellen. Eine grundsätzliche Einteilung der in der Praxis gebräuchlichsten Bauarten in Einzelradaufhängungen und Starrachsführungen ist wohl unumstritten. Die Einzelradaufhängung ist ein Mechanismus, der einen Radträger mit einem Rade führt; bei der Starrachse gehören zu einem Radträger zwei Räder. Größere Verwirrung herrschte ursprünglich bei der Einordnung der Radaufhängungen, welche zwei gegenüberliegende Räder einer „Achse“ weder voneinander unabhängig führen noch sie starr miteinander koppeln, und für die der handliche Name „Verbundaufhängungen“ oder „Verbundachsen“ zweckmäßig erscheint. Eine Verwechselungsgefahr mit hintereinander angeordneten, gekoppelten und meistens starren Achsen schwerer Nutzfahrzeuge dürfte nicht gegeben sein, da solche üblicherweise als „Doppelachsen“, „Doppelachsaggregate“ oder „Tandemachsen“ bezeichnet werden. Eine Starrachsführung ist im allgemeinen symmetrisch zur Fahrzeugmittellängsebene aufgebaut. Die Einteilung der Starrachsführungen nach Lenker- oder Gelenktypen ist wenig ergiebig angesichts der geringen Zahl
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3 Kinematische Analyse der Radführungen
der Variationsmöglichkeiten. Hinzu kommt, dass – im Gegensatz zu den Einzelradaufhängungen – Starrachsführungen nicht nur kinematisch „exakt“ (nämlich mit dem Freiheitsgrad 2), sondern auch „unexakt“, nämlich kinematisch über- oder unterbestimmt ausgeführt werden (vgl. Kap. 2). Bei den Verbundaufhängungen erscheint eine Systematik ziemlich aussichtslos, da diese, wie bereits erwähnt, von Fall zu Fall einmal den Einzelradaufhängungen, ein anderes Mal den Starrachsführungen näher stehen können und der Phantasie des Konstrukteurs bei der Erfindung von Verbundmechanismen kaum Grenzen gesetzt sind. Allenfalls bei den Einzelradaufhängungen mag es nahe liegen, auf ihrer Ähnlichkeit mit geläufigen Mechanismen wie Doppelkurbeln, Kurbelschleifen usw. ein Ordnungsprinzip aufzubauen. Dennoch ist bei der Einteilung der in der Praxis meistens „räumlich“ ausgebildeten Radaufhängungen in ein aus der ebenen Getriebelehre stammendes Schema Vorsicht geboten. Die Unterscheidung der Radaufhängungen nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. nach konstruktiven Merkmalen, z.B. als Doppelquerlenkerachsen, Federbeinachsen usw., hat wenig Aussagekraft in Bezug auf das kinematische Potential des betreffenden Mechanismus. In der Praxis kann die Federbeinachse wegen des langen Teleskopdämpfers und der meistens im Vergleich dazu kurzen unteren Lenker nicht die gleiche Radsturz-Charakteristik über dem Federweg vorweisen wie die Doppelquerlenkerachse; die „Kurbelschleife“ als kinematischer Grundmechanismus der Federbeinachse an sich aber braucht bei gekonnter Auslegung, was die Verwirklichung der Bahnkurve ihrer Koppel betrifft, einer „Doppelkurbel“ nicht nachzustehen. Dass die Feder- oder Dämpferbeinachse die Kolbenstange des in den Radführungsmechanismus einbezogenen Stoßdämpfers als Radführungsglied verwendet und damit einerseits störende Reibungskräfte provozieren kann – und dass sie andererseits wegen des entfallenden oberen Querlenkers einen erheblichen Raumgewinn im Fahrzeug bietet – ist für die Praxis von wesentlich größerer Bedeutung als ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Mechanismenfamilie. Ein weiteres mögliches, aber sehr allgemein gehaltenes Ordnungsprinzip für Einzelradaufhängungen ist, wie anschließend erläutert wird, die Unterscheidung nach dem kinematischen Potential der Mechanismen. Von der unmittelbaren Verbindung zwischen Radträger und Fahrzeugkörper durch ein Gelenk abgesehen (vgl. Kap. 2, Bilder 2.7 und 2.8) bildet der Radträger einer Einzelradaufhängung im allgemeinen die Koppel einer kinematischen Kette. Denkt man sich z.B. die in Bild 3.3 dargestellte (ebene) Viergelenkkette dreidimensional ausgeführt, so ist völlig klar, dass einige der angedeuteten Gelenkpunkte der Lenker durch ecksteife Drehachsen senkrecht zur Zeichenebene ersetzt werden müssen, wenn verhindert werden soll, dass die
3.3 Zur Systematik der Radaufhängungen
35
Koppel K aus der Zeichenebene herauszutaumeln beginnt. Ist dies sichergestellt, so bewegt sich der dreidimensionale Körper K in der gewählten Ansicht weiterhin so wie der zweidimensionale von Bild 3.3 in seiner Zeichenebene; aus dem Pol P in der Ebene wird eine „Momentanachse“ senkrecht zur Ebene. Gleiches gilt für die in Bild 3.7 links dargestellte Einzelradaufhängung aus einem Trapez- und einem Stablenker, Version a. Da die Achsen der beiden Drehgelenke am Trapezlenker parallel zueinander verlaufen, muss auch die Momentanachse m des Radträgers im Raum durch den Schnittpunkt der verlängerten Mittellinie des Stablenkers mit der durch die Drehachsen am Trapezlenker aufgespannten Ebene und parallel zu diesen Drehachsen verlaufen; beim Ein- und Ausfedern verlagert sie sich im Raume stets parallel. In einer Zeichenebene senkrecht zu den Drehachsen des Trapezlenkers könnte die Bewegung des Radträgers exakt zeichnerisch mit Zirkel und Lineal konstruiert werden. Der Radträger führt eine ebene Bewegung aus. Werden die Achsen der Drehgelenke am Trapezlenker in der Lenkerebene gegeneinander „angestellt“, d. h. im Endlichen zum Schnitt gebracht, Bild 3.7b, so liegt ihr Schnittpunkt Z am Trapezlenker fest – und damit sowohl am Radträger als auch am Fahrzeugkörper. Der Punkt des (vergrößert gedachten) Radträgers, der mit Z zusammenfällt, ist ständig bewegungslos und muss daher auf der Momentanachse m liegen, die ansonsten wieder durch den Schnittpunkt der Stablenker-Mittellinie mit der gemeinsamen Ebene der Drehgelenke verläuft. Alle Punkte des Radträgers bewegen sich nun auf konzentrischen Kugelflächen um seinen Festpunkt Z. Der Radträger führt also eine sphärische Bewegung um den Zentralpunkt Z aus. Im Gegensatz zur ebenen Bewegung verschiebt sich hier beim Ein- oder Ausfedern der Radaufhängung die Momentanachse im Raum nicht parallel zu sich selbst, sondern pendelt um das Zentrum Z.
Bild 3.7. Ebene, sphärische und räumliche Trapezlenker-Aufhängungen
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3 Kinematische Analyse der Radführungen
Anhand der Bilder 3.7a und b ist sofort einzusehen, dass die „ebene“ Radaufhängung nur ein Sonderfall der „sphärischen“ ist, indem der Zentralpunkt Z ins Unendliche gerückt wird. Andererseits wird bei der Betrachtung der Radaufhängungen von Bild 2.9 in Kap. 2 deutlich, dass es sich dort um sphärische Mechanismen mit real ausgeführtem Zentralpunkt Z handelt. Eine sphärische Getriebekette ist dadurch gekennzeichnet, dass es einen festen Zentralpunkt Z gibt, durch den alle Gelenk-Drehachsen verlaufen, Bild 3.8. Die realen Gelenkpunkte können auf den Drehachsen beliebig verschoben werden, ohne dass sich die kinematische Funktion des Mechanismus dadurch ändert (was sich anschaulich leicht an einer vierkantigen Papierpyramide nachprüfen lässt, deren Kanten flexibel gefaltet sind). Die drei eingezeichneten Mechanismen sind also kinematisch gleichwertig, wobei a und b „materiell“ ausgeführte Zentren Z aufweisen, während das Zentrum im Beispiel c „ideell“ ist (vgl. auch Bild 3.7b). Gleichwertig sind sie natürlich nicht mehr in ihren jeweiligen Kräfteplänen unter äußerer Belastung – und damit in ihrem elasto-kinematischen Verhalten! Alle vier Drehachsen in Bild 3.8 könnten durch echte Drehgelenke dargestellt werden, ohne dass es zu Verzwängungen kommt (so ist es beim „Kardangelenk“ der Fall, dem meistverbreiteten sphärischen Getriebe). Dies erfordert allerdings eine sehr präzise Herstellung und sehr steife Bauteile. Deshalb wird man in der Praxis bei Radaufhängungen nicht mehr Drehgelenke vorsehen als für die Funktion unbedingt notwendig und zur Erfüllung von Gl. 2.1, Kap. 2, ausreichend, vgl. auch Bild 3.7b, um bei einem „statisch bestimmten“ System und gegenüber Fertigungstoleranzen und Elastizitäten unempfindlich zu bleiben.
Bild 3.8. Kinematisch gleichwertige sphärische Getriebeketten
3.3 Zur Systematik der Radaufhängungen
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Die Grundform der sphärischen und damit auch der ebenen Bewegung ist also die Drehung der Koppel eines Mechanismus um eine Momentandrehachse. Da alle Punkte der Koppel, die im Augenblick in die Momentanachse fallen, die Geschwindigkeit Null haben, kann dies nicht der „allgemeine“ Fall eines dreidimensionalen Bewegungszustandes sein! Sollen auch die auf der Momentanachse liegenden Koppelpunkte grundsätzlich eine Bewegungsmöglichkeit erhalten, so ist dies nur noch durch eine der Momentandrehung überlagerte axiale Vorschubbewegung längs der Momentanachse zu erreichen. Damit wird aus der Momentandrehung, bei welcher die Geschwindigkeitsvektoren aller Koppelpunkte senkrecht zur Momentanachse gerichtet sind, eine „Momentanschraubung“ [8], und aus der Momentan(dreh)achse wird eine Momentanschraubenachse. Alle Punkte der Koppel, oder bei einer Radaufhängung: des Radträgers, erhalten zusätzlich zu ihrer jeweiligen Umfangsgeschwindigkeit um die Schraubenachse, die zum Abstand von derselben proportional ist, noch eine überall gleich große Vorschubgeschwindigkeit in Richtung der Schraubenachse überlagert. Der Trapezlenker in Bild 3.7c hat im Raum „verschränkte“ Drehachsen, die keinen reellen Schnittpunkt aufweisen im Gegensatz zur sphärischen Radaufhängung im Beispiel b. Der Radträger führt im Raum eine Bewegung aus, die durch überlagerte Momentandrehungen um beide Drehachsen bei gleichzeitiger Kugelbewegung um den fahrzeugseitigen Anlenkpunkt des Stablenkers gekennzeichnet ist, und diese Bewegung lässt sich auf eine Momentanschraubung um eine Schraubenachse s zurückführen. Der Radträger in Bild 3.7c vollzieht eine räumliche Bewegung. Eine Momentanachse m ist im Raum durch vier Parameter eindeutig festgelegt, z.B. durch ihre Neigungswinkel in zwei Ansichten, ihren Abstand von einem Bezugspunkt und die Neigung des Abstandsvektors gegen eine Ebene. Eine Momentanschraubung ist dagegen erst durch die Angabe der momentanen „Schraubensteigung“ definiert, also durch einen fünften Parameter. Dabei ist zu jeder Stellung des Mechanismus, d. h. zu jeder Lage der Schraubenachse, auch die momentane Steigung festgelegt. Beide Größen sind im allgemeinen über dem Bewegungsverlauf variabel. Die Grundeigenschaften einer Radaufhängung werden durch die Angabe ihrer wichtigsten fahrzeugtechnischen „Kenngrößen“ beschrieben. Diese Kenngrößen geben Aufschluss über die Wirkungsweise der Radaufhängung im Zusammenhang mit bestimmten Fahrmanövern. So informieren das Rollzentrum über die Art der Seitenkraftabstützung zwischen Radaufhängung und Fahrzeugkörper, der Stützwinkel und der Schrägfederungswinkel über die Aufnahme von Längskräften. Von erheblicher Bedeutung für die Fahrstabilität ist das kinematische Eigenlenkverhalten,
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3 Kinematische Analyse der Radführungen
ausgedrückt durch die Vorspuränderung über dem Federweg, und die Sturzänderung über dem Federweg beeinflusst das Seitenführungsvermögen der Radaufhängung besonders im fahrdynamischen Grenzbereich. Bei angetriebenen Radaufhängungen mit Antrieb der Räder über quer zur Fahrtrichtung eingebaute Gelenkwellen ist der Schrägfederungswinkel im allgemeinen gleich dem Antriebs-Stützwinkel. Sollen alle diese fünf Kenngrößen bei der Synthese einer Radaufhängung unabhängig voneinander frei wählbar sein, so muss dem Entwurf ein Mechanismus zugrunde gelegt werden, der durch fünf unabhängige Parameter beschrieben ist, und dies ist der „räumliche“ Mechanismus [58]. Eine „sphärische“ oder „ebene“ Radaufhängung gestattet die freie Wahl von nur vier fahrzeugtechnischen Kenngrößen. Da an einer nicht angetriebenen Achse ein Antriebs-Stützwinkel nicht interessiert und der Schrägfederungswinkel heute keine größere Bedeutung mehr hat, genügen für nicht angetriebene oder „Laufräder“ ebene oder sphärische Radaufhängungen, es sei denn, elasto-kinematische Überlegungen rechtfertigen aufwendigere Systeme.
3.4 Bewegungszustand des Radträgers Für die Analyse einer ebenen oder sphärischen Radaufhängung wäre es ausreichend, die momentane Winkelgeschwindigkeit des Radträgers und die Lage der Momentanachse zu bestimmen; bei einer räumlichen Aufhängung käme noch die Ermittlung der Vorschubgeschwindigkeit bzw. der Steigung der Momentanschraube hinzu. Die Berechnung der erwähnten Momentanachsen wäre aber relativ umständlich. Einfacher und ebenso nutzbringend ist es, den momentanen Winkelgeschwindigkeitsvektor Z K des Radträgers K und den Geschwindigkeitsvektor v eines beliebigen Punktes des Radträgers zu ermitteln [58]. Im folgenden wird als Bezugspunkt am Radträger vorwiegend der Radmittelpunkt M gewählt und damit dessen Geschwindigkeitsvektor v M als Bezugsgeschwindigkeit. Wenn also an der Einzelradaufhängung in Bild 3.9 die Vektoren Z K und v M bekannt sind, ist ihr momentaner Geschwindigkeitszustand festgelegt. Die Geschwindigkeit v i eines beliebigen Radträgerpunktes i berechnet sich dann mit dem Verbindungsvektor ri vom Bezugspunkt M zum Punkt i nach der Gleichung
vi
v M Z K u ri .
(3.11)
3.4 Bewegungszustand des Radträgers
39
Bild 3.9. Bewegungszustand einer Einzelradaufhängung
Sind i das radträgerseitige und i’ das fahrgestellseitige Gelenk eines Stablenkers, und wird dieser als starr angenommen, so muss der Gelenkabstand i-i’ konstant bleiben. Wenn auch der Punkt i’ eine Geschwindigkeit besitzt, z.B. weil er über ein Lenkgetriebe verstellt oder infolge elastischer Deformation seiner Lagerung verschoben wird, so müssen, da der Stablenker seine Länge nicht ändern soll, die Geschwindigkeiten v i und v i' der Punkte i und i’ gleiche Komponenten in Richtung des Lenkervektors ai haben, d. h. es gilt
v i ai
(3.12)
v i' a i .
Aus den Gln. 3.11 und 3.12 erhält man
( v M Z K u ri ) ai
v i' ai
(3.13a)
oder, ausgedrückt durch die Komponenten vx , vy , vz usw. sowie die Komponenten des Radius ri , geschrieben als Differenzen rx xi xM usw. der Koordinaten des Punktes i und der Radmitte M,
{vMx ZKy ( zi z M ) ZKz ( yi yM )}( xi xi' ) {vMy ZKz ( xi xM ) ZKx ( zi z M )}( yi yi' ) {vMz ZKx ( yi yM ) ZKy ( xi xM )}( zi zi' ) vi' x ( xi xi' ) vi' y ( yi yi' ) vi' z ( zi zi' )
(3.13b)
40
3 Kinematische Analyse der Radführungen
Da die Radaufhängung in Bild 3.9 fünf Stablenker aufweist (von denen zwei zu einem oberen Dreiecklenker mit doppelt zu zählendem radträgerseitigem Kugelgelenk zusammengelegt sind), kann für jeden von ihnen eine Gleichung der Form 3.13 aufgestellt werden. Das Federelement ergänzt als hochelastischer sechster „Lenker“ die Radaufhängung zu einem statisch bestimmten System. Beim Einfedern erfährt es eine Längenänderung mit der Einfederungsgeschwindigkeit vf des unteren Federanlenkpunkts in Richtung des Einheitsvektors e F der Feder. Mit einem (nicht dargestellten) Abstandsvektor rF zwischen dem Radmittelpunkt M und dem unteren Federanlenkpunkt ergibt sich
( v M Z K u rF ) e F
(3.14)
vf
oder
(vMx ZKy rFz ZKz rFy ) eFx (3.15)
(vMy ZKz rFx ZKx rFz ) eFy (vMz ZKx rFy ZKy rFx ) eFz
vf .
Fünf Gleichungen der Form 3.13 für fünf Stablenker und die Federbedingung 3.15 bilden ein lineares Gleichungssystem zur Berechnung der je drei Komponenten der Vektoren v M und Z K des Radträgers. Die kinematische Analyse erfolgt am besten getrennt für den Federungsvorgang (wobei vf z 0 und alle vi' 0 ) und den Lenkvorgang ( vf 0; an der „Spurstange“ vi' z 0 und an den übrigen Lenkern = 0). Bei Berücksichtigung der Lagerelastizitäten können Verschiebungen an allen Lenkerlagern auftreten [61]. Die Bewegungsanalyse lässt sich auch durchführen, indem als Bezugspunkt anstelle von M eines der radträgerseitigen Lenkerlager gewählt und an diesem eine der sechs Unbekannten, z.B. die Geschwindigkeitskomponente vz , vorgegeben wird [58]. Dann sind nur noch fünf Gleichungen für fünf Unbekannte aufzulösen. Enthält die Radaufhängung einen Dreiecklenker, wie z.B. in Bild 3.9, und wird das Gelenk an der Spitze desselben als Bezugspunkt gewählt, so zerfällt das Gleichungssystem in zwei Gruppen von zwei bzw. drei Gleichungen, deren erste sofort lösbar ist. Damit muss eine exakte zeichnerische Analyse der räumlichen Bewegung des Radträgers möglich sein, denn zwei lineare Gleichungen definieren die Schnittgerade zweier Ebenen, während drei lineare Gleichungen den Schnittpunkt dreier Ebenen festlegen. Beide Aufgaben sind zeichnerisch in einfacher Weise erfüllbar. Am Beispiel der Radaufhängung in Bild 3.9 ist dies auch anschaulich plausibel: Die Bahn des Kugelgelenks des Dreiecklenkers lässt sich mit den geläufigen Methoden der darstellenden Geometrie als Kreis im Raum bzw. als Ellipse in einem Riss exakt aufzeichnen. Wird ein beliebiger Punkt auf dieser Bahnkurve als momentaner Aus-
3.4 Bewegungszustand des Radträgers
41
gangspunkt für die Bestimmung der Stellung des Radträgers gewählt, so bildet dieser einen radträgerfesten Fixpunkt im Raum wie der Zentralpunkt einer sphärischen Radaufhängung (vgl. Bild 3.8). Verwendet man nun zwei der Stablenker in Bild 3.9 als „Lenker“ einer solchen sphärischen Aufhängung, so kann die sphärische Taumelbewegung des Radträgers um das Gelenk des Dreiecklenkers zeichnerisch exakt nachvollzogen werden, und diese braucht nur noch mit der Abstandsbedingung des übrig gebliebenen dritten Stablenkers abgeglichen zu werden, um die neue Radstellung zu erhalten. Zugegeben, dies ist aufwendig – war aber bis in den Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts die einzige Möglichkeit, um derartige Radaufhängungen zu analysieren bzw. zu konstruieren. Die rein zeichnerische Analyse einer echten Fünf-Lenker-Aufhängung wie z.B. in Bild 2.13, Kap. 2, würde, da die o. g. fünf Gleichungen nicht „auseinander fallen“, demnach eine Konstruktion im fünfdimensionalen Raum erfordern, was mit elementaren Mitteln der darstellenden Geometrie nicht möglich ist. Nicht zuletzt aus diesem Grunde konnten echte räumliche Fünf-Lenker-Radaufhängungen erst dann sinnvoll entwickelt werden, als leistungsfähige Rechner für den Einsatz in der Industriepraxis zur Verfügung standen. Im Abschn. 3.1 wurde bereits festgestellt, dass an einem statisch bestimmten System, wie einer normalen Radaufhängung unter Berücksichtigung des Federelements, ein enger Zusammenhang zwischen dem Gleichgewicht der Kräfte und dem Geschwindigkeitsfeld besteht. In einer Ebene kann der Momentanpol eines Körpers als momentaner Drehpunkt desselben angesehen werden, d. h. er ist sowohl der Mittelpunkt des Geschwindigkeitsplans als auch der Momenten-Bezugspunkt für die am Körper angreifenden Kräfte. Entsprechendes gilt im Raum für Mechanismen, die eine sphärische bzw. ebene Bewegung durchführen. Alle auf der Momentanachse liegenden Punkte des Radträgers sind momentan bewegungslos, Bild 3.10.
Bild 3.10. Sphärische Radaufhängung mit Momentanachse und einem Momentanpol in einer Rissebene
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3 Kinematische Analyse der Radführungen
Die Momentanachse m kann als Bezugsachse für das Momentengleichgewicht der am Radträger wirkenden Kräfte verwendet werden. Der Durchstoßpunkt P1 der Momentanachse in einer beliebigen Ebene 31 (hier der Radmittelebene) hat keine Geschwindigkeit und bildet den Mittelpunkt oder „Pol“ des Geschwindigkeitsplanes aller in 31 liegenden Radträgerpunkte. Daher steht die Projektion vM1 des Geschwindigkeitsvektors v M der Radmitte M in der Ebene 31 senkrecht auf dem Polstrahl M P1. Kräfte in 31 befinden sich im Gleichgewicht, wenn ihre Momentensumme um den Pol P1 verschwindet. Eine Kraft in 31 , deren Wirkungslinie durch den Pol verläuft, erzeugt kein Drehmoment am Radträger (weder in 31 um P1 noch im Raum um m). Im Gegensatz zu den Momentanachsen der sphärischen oder ebenen Mechanismen ist die Momentanschraubenachse eines räumlichen Mechanismus nicht als Momenten-Bezugsachse oder als geometrischer Ort von „Momentanpolen“ verwendbar. Da die Schraubung eine mit der Drehbewegung gekoppelte Vorschubbewegung aufweist, erzeugen Kräfte an der Schraubenachse, die nicht zu ihr senkrecht wirken, mit ihren Axialkomponenten Drehmomente am Mechanismus. Da ferner im allgemeinen die mit der Schraubenachse zusammenfallenden Punkte der Koppel des Mechanismus nicht bewegungslos sind, sondern axial verschoben werden, können auch Schnittpunkte der Schraubenachse mit Ebenen, die nicht auf ihr senkrecht stehen, nicht als „Pole“ angesehen werden. Bild 3.11 zeigt eine Schraubenachse s, welche eine x-y-Ebene 3 xy im Punkt Ds durchstößt. Ein mit Ds zusammenfallender Punkt des Raumkörpers hat längs s die Vorschubgeschwindigkeit t und, da die Schraubenachse nicht senkrecht auf 3 xy steht, eine Geschwindigkeitskomponente in 3 xy , nämlich die Projektion des Vektors der Vorschubgeschwindigkeit, und kommt somit nicht als „Pol“ in der Ebene 3 xy in Frage. Dennoch gibt es stets einen Punkt des schraubend bewegten Körpers, der in einer Ebene momentan keine Geschwindigkeit hat, nämlich denjenigen Punkt Pxy , an welchem in der Ebene 3 xy entgegengerichtet gleich große Komponenten der Schrauben-Umfangsgeschwindigkeit u und der Vorschubgeschwindigkeit t auftreten. Da t zur Schraubenachse parallel verläuft (und damit die Projektion von t in 3 xy parallel zur Projektion der Schraubenachse), muss die Verbindungslinie vom Durchstoßpunkt Ds zum (gesuchten) Punkt Pxy in 3 xy senkrecht zur Projektion der Schraubenachse s erscheinen. In Bild 3.11 ist dieser zu einer Schraubung um die Achse s mit der momentanen, nur der Anschaulichkeit halber zur Vollschraube ergänzten rechtsgängigen Schraubenlinie der Steigung H maßstäblich konstruierte Punkt Pxy eingezeichnet. Die Komponenten uxy der Schrauben-Umfangsgeschwindigkeit u und t xy der Vorschubgeschwindigkeit t in 3 xy löschen sich aus. Übrig bleibt eine vertikale Geschwindigkeit v des Punktes Pxy , die keinen Einfluss auf die Bewegungen in 3 xy hat.
3.4 Bewegungszustand des Radträgers
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Bild 3.11. Momentanschraubung und „Momentanpol“ in einer Rissebene
Anders ausgedrückt: Der Pol in einer Rissebene ist bei der Schraubung der singuläre Punkt, an welchem die Bahn eines schraubend bewegten Raumkörperpunktes die Rissebene senkrecht durchstößt. Eine Kraft in 3 xy , deren Wirkungslinie durch den Pol Pxy verläuft, übt kein Moment auf den bewegten Raumkörper aus. Dies wird auch bei dreidimensionaler Betrachtung deutlich, wenn berücksichtigt wird, dass Pxy der Punkt in der Ebene 3 xy ist, wo die Tangente an die Schraubenlinie, also auch der Vektor v der resultierenden Geschwindigkeit, eine Normale der Ebene bildet. Eine Kraft in einer Ebene kann aber an einem Normalvektor derselben keine Arbeit leisten. Ein um die Schraubenachse s mit der Steigung H bewegter Raumkörper hat also in der Ebene 3 xy einen Momentanpol Pxy . Entsprechende Pole lassen sich für alle zu 3 xy parallelen Ebenen konstruieren; ihr geometrischer Ort ist die durch Pxy parallel zu s verlaufende Gerade pxy . Die Koordinaten von Pxy bezüglich des Durchstoßpunktes Ds der Schraubenachse s in 3 xy sind leicht zu berechnen: mit einem (gesuchten) Verbindungsvektor a in der Ebene 3 xy wird die Geschwindigkeit von Pxy v P Z u a t . Mit der Voraussetzung az 0 und aus den Bedingungen
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3 Kinematische Analyse der Radführungen
vPx 0 und vPy 0 folgen die Komponenten des Verbindungsvektors a in der betrachteten Schnittebene zu ax
t y / Zz und ay
t x / Zz .
(3.16a,b)
Die Gleichungen für die Koordinaten der Pole für y-z- oder z-x-parallele Ebenen folgen aus den Gln. 3.16 durch zyklische Vertauschung. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass die solcherart definierten „Pole“ nur zur Analyse der Bewegungen und Kräftegleichgewichte in den zugehörigen Ebenen herangezogen werden dürfen! Am Schluss der Bewegungsanalyse einer Einzelradaufhängung mag noch die Frage aufkommen, ob der untersuchte Mechanismus „räumlichen“ Charakter hat, d. h. ob er eine Schraubung durchführt oder nicht. Sind die Vektoren der Winkelgeschwindigkeit ZK und der Geschwindigkeit v i eines beliebigen Radträgerpunktes (z.B. der Radmitte M) bekannt, so liegt eine Schraubung dann vor, wenn v i eine Komponente in Richtung des Vektors ZK aufweist. Mit dem Einheitsvektor der Momentan- oder Schraubenachse eZ Z K / Z K wird die Komponente von v i in Richtung der Schraubenachse, nämlich die axiale Vorschubgeschwindigkeit längs derselben, t v i eZ . Die Umfangskomponente u ergibt sich durch Subtraktion der Vorschubgeschwindigkeit von v i , also u v i t eZ und hat den Betrag u u . Damit kann der Steigungswinkel D der Momentanschraube am Punkt i bestimmt werden aus tan D t / u . Der Abstandsradius des Punktes i von der Schraubenachse ist mit den Beträgen der Umfangsgeschwindigkeit und der Winkelgeschwindigkeit ri u / ZK und folglich die Schraubensteigung (die für alle Punkte des Raumkörpers gleich groß ist)
H
2S ri tan D .
Eine Steigung H < 0 bedeutet „Linksgewinde“ (am linken Rade oft für räumliche Hinterradaufhängungen zutreffend). Auch an räumlichen Radaufhängungen kann in singulären Lagen die Schraubensteigung verschwinden; an sphärischen gibt es grundsätzlich keine Steigung.
3.5 Äußere und innere Kräfte an der Radaufhängung Die Arbeit mit Polen und Momentanachsen ist bei räumlichen Radaufhängungen umständlich und nicht sehr sinnvoll. Es empfiehlt sich daher, sowohl für die Bewegungs- als auch für die Kräfteanalyse „zu den Anfängen“ zurückzukehren, nämlich zur Momentanschraubung und zum Arbeitssatz.
3.5 Äußere und innere Kräfte an der Radaufhängung
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Wenn für einen Punkt P der Geschwindigkeitsvektor v bekannt ist, so bedeutet dies: a) Alle an P angreifenden Kräfte, die senkrecht zu v wirken, leisten momentan keine Arbeit und werden über den Mechanismus starr auf den „Steg“, z.B. den Fahrzeugkörper, übertragen. b) Alle an P angreifenden äußeren Kräfte, die Komponenten in Richtung von v aufweisen, leisten Arbeit und müssen durch die Arbeit von Gegenkräften im Gleichgewicht gehalten werden. Beide Kriterien werden im folgenden häufig bei der Bestimmung von Kenngrößen der Achs- und der Lenkgeometrie Anwendung finden. Der Arbeitssatz (b) gibt ferner eine Anleitung für ein einfaches Verfahren, um auch bei komplex aufgebauten räumlichen Mechanismen die unter dem Einfluss äußerer Kräfte entstehenden Reaktionskräfte im Mechanismus zu berechnen. Bild 3.12 zeigt eine Einzelradaufhängung, die aus zwei Dreiecklenkern, einem Stablenker und einem Federelement besteht und die an beliebigen Radträgerpunkten j durch äußere Kräfte Fj belastet ist. Gesucht sei die daraus resultierende Axialkomponente der Reaktionskraft am fahrgestellseitigen zylindrischen Gummilager i des unteren Dreiecklenkers, also die Kraft FiD in Richtung des Einheitsvektors eD . Denkt man sich sämtliche Lagerstellen außer dem Lager i im Raum unverschiebbar und auch das Federelement längenkonstant, das Lager i aber in Richtung von eD mit der „Geschwindigkeit“ v iD verschoben, so entsteht ein spezieller, eindeutig der Verschiebung v iD zugeordneter Bewegungszustand in der Radaufhängung mit „Geschwindigkeiten“ v jD der Angriffspunkte der äußeren Kräfte Fj .
Bild 3.12. Bestimmung einer Reaktionskraft mit Hilfe des Arbeitssatzes
46
3 Kinematische Analyse der Radführungen
Da momentan nur an den Punkten j und am Lagerpunkt i (und hier nur in Richtung von eD ) Arbeit geleistet wird, kann auf die äußeren Kräfte Fj und die gesuchte Lagerkraftkomponente FiD der Arbeitssatz angewandt werden: Die Summe der Skalarprodukte aus den Kräften und den zugeordneten Geschwindigkeitsvektoren muss verschwinden, d. h. es gilt
FiD viD
¦ (F v D ) j
j
0.
(3.17a)
j
Mit den Komponenten der Kräfte Fj und den Geschwindigkeiten v jD erhält man die Bestimmungsgleichung für die Axialkraft FiD des Lagers i:
FiD
¦ (F
jx v jDx
Fjy v jDy Fjz v jDz ) / viD .
(3.17b)
j
Durch entsprechende Wahl von vorgegebenen (fiktiven) Verschiebungen lassen sich auf die gleiche Weise alle inneren Kräfte der Radaufhängung bestimmen. Die Vorgehensweise kann als Anwendung des „Arbeitssatzes“ auf den statisch bestimmten Mechanismus der Radaufhängung aufgefasst werden – oder auch: des „Prinzips der virtuellen Verschiebungen“ auf kinematische Ketten [69]. Der soeben beschriebene Weg zur Ermittlung von Reaktionskräften an der Radaufhängung hat den Vorteil, dass die für die kinematische Analyse verwendeten Berechnungsgleichungen auch für die Kräfteanalyse herangezogen werden und eine zusätzliche Aufstellung und Auswertung der statischen Gleichgewichtsbedingungen nicht mehr erforderlich ist. Die Arbeit mit „Geschwindigkeiten“ erleichtert ferner die Definition der fahrzeugtechnischen Radführungs-Kenngrößen, bei denen es sich oft um Kräfte- oder, über den Arbeitssatz, um Geschwindigkeitsverhältnisse handelt. Dies möge an einem einfachen Beispiel erläutert werden: Bild 3.13 zeigt eine „ebene“, d. h. kinematisch in der Zeichenebene vollständig beschriebene Vorderradaufhängung, welche aus zwei Längslenkern besteht, bei einem stationären Bremsvorgang.
Bild 3.13. Kräfteplan an einem gebremsten Vorderrad
3.5 Äußere und innere Kräfte an der Radaufhängung
47
Aus der Schwerpunktshöhe und dem Radstand ergibt sich am Fahrzeug mit der Verzögerungs-Massenkraft ein Kippmoment um die Querachse, das die Vorderräder um eine Radlaständerung 'Fz zusätzlich belastet und die Hinterräder um den gleichen Betrag entlastet. Die Reibungsbremse, hier als Trommelbremse mit Bremsbacken symbolisiert, wirkt zwischen dem Radträger und dem Fahrzeugrade, wie heute allgemein üblich. Bei der Abbremsung des Fahrzeugs treten am Radaufstandspunkt A als Zusatzkräfte gegenüber der Fahrzeug-Ruhelage die „dynamische Radlaständerung“ 'Fz und die Bremskraft FxB auf, deren Resultierende die schräggerichtete Kraft Fr ist. Diese Zusatzkraft ist mit der Federkraft und den Kräften der Achslenker ins Gleichgewicht zu setzen. Die Federkraft möge bereits auf den Radaufstandspunkt umgerechnet oder „auf den Radaufstandspunkt reduziert“ worden sein, d. h. mit der „Federübersetzung“ multipliziert, weshalb sie hier mit 'FFA (A für „Radaufstandspunkt“) bezeichnet wird. Die einfache Radaufhängung weist im Schnittpunkt der Lenker einen „Längspol“ L auf; um diesen Pol wird der Radträger momentan beim Einund Ausfedern schwenken. Die Reibungsbremse ist die „Momentenstütze“, welche das als Produkt aus Bremskraft und Reifenradius auftretende Radbremsmoment M B reibschlüssig auf den Radträger und damit die Radaufhängung überträgt. Da das Bremsmoment weitgehend unabhängig von der Relativdrehzahl Rad/Radträger ist, kann man sich zur Vereinfachung der Denkweise den gleichen Kräfteplan auch bei stehendem Fahrzeug bzw. bei „blockierter“ Bremse vorstellen, also im vorliegenden Falle den Radaufstandspunkt A als fest mit dem Radträger verbunden – und bei Federungsbewegungen zusammen mit diesem um den Pol L schwenkend – ansehen. Die fiktive „Geschwindigkeit“ des Radaufstandspunktes, welche sich unter Annahme einer blockierten Momentenstütze bei einer Federungsbewegung oder evtl. auch einer Lenkbewegung einstellt, möge im folgenden stets durch einen Stern (*) gekennzeichnet werden. Im allgemeinen Fall wird diese Geschwindigkeit an einem räumlichen Mechanismus gemäß Gl. 3.11 mit dem Abstandsradius rA von der Radmitte M zum Radaufstandspunkt A als
v A
v M Z K u rA
(3.18)
berechnet werden. Im vorliegenden Beispiel ist die fiktive Geschwindigkeit des als radträgerfest betrachteten Radaufstandspunktes einfach als Vektor senkrecht zum Polstrahl A-L zu bestimmen. Über ihre Komponenten lässt sich mit Hilfe des Arbeitssatzes die von der Bremskraft FxB und der Radlaständerung 'Fz verursachte Federkraftänderung 'FFA berech – nen, und gemäß Bild 3.13 wird die „Leistungsbilanz“ ('Fz 'FFA )vAz
FxB vAx 0 oder mit tan H B vax / vAz auch 'FFA 'Fz FxB tan H B .
48
3 Kinematische Analyse der Radführungen
Der Neigungswinkel H B des Polstrahls A-L über der Fahrbahnlinie ist der so genannte „Brems-Stützwinkel“ [7], eine längsdynamische „Kenngröße“ der Radaufhängung, und erlaubt die Beurteilung des vorhandenen „Bremsnickausgleichs“. Offensichtlich ist die Federkraftänderung 'FFA um so kleiner, je größer der Stützwinkel H B ist. In Bild 3.13 wirkte die Bremse zwischen Rad und Radträger. Die soeben angestellten Betrachtungen gelten natürlich nicht mehr, wenn die Bremse (oder allgemein: eine Momentenstütze) fahrgestellfest gelagert ist und die Übertragung des Moments zum Rade hin über eine Gelenkwelle erfolgt. Als brauchbares „Rezept“ zur korrekten Ermittlung einer kinematischen Kenngröße im Zusammenhang mit fiktiven Federungs- oder Lenkvorgängen möge aber hier festgehalten werden: Man bestimme die Geschwindigkeit des Radaufstandspunktes während eines fiktiven Federungs- oder Lenkvorganges bei angenommener Blockierung einer an der Kraftübertragung beteiligten Momentenstütze (Bremse oder Motor) und wende den Arbeitssatz am Radaufstandspunkt an. Die Rechtfertigung für die Annahme einer blockierten Momentenstütze über die erwähnte annähernde Konstanz des Reibmoments der Bremse ist sicher, vor allem im Hinblick auf den Fall einer Antriebs-Momentenstütze, unbefriedigend und sollte hier nur den Einstieg in die Methode erleichtern. Verständlicher dürfte das Argument sein, dass bei der Betrachtung quasistationärer Fahrzustände die allen Vorgängen überlagerte quasikonstante Fahrgeschwindigkeit von allen Bewegungsgrößen im Mechanismus subtrahiert werden kann, so dass nur noch die relativen Bewegungsgrößen der Bauteile übrig bleiben. Diese Vorstellung befreit von dem anschaulichen Problem, einen übersichtlichen Kräfte- und Momentenplan an einem Mechanismus aufstellen zu müssen, in welchem einzelne Bereiche mit hoher Drehzahl rotieren. Die Annahme einer blockierten Momentenstütze bietet besondere Vereinfachungen bei der Anwendung des Arbeitssatzes, was am Beispiel des über eine radträgerfeste Momentenstütze gebremsten Rades noch nicht ins Auge springt, sich aber im folgenden bei aufwendigeren Übertragungsmechanismen erweisen wird. Bei praktisch allen Einzelradaufhängungen befindet sich nämlich die Momentenstütze für den Belastungsfall „Antrieb“ nicht am Radträger, sondern am Fahrzeugkörper, und das Antriebsmoment wird über Gelenkwellen zum Rade hin übertragen. Gelegentlich sorgt ein zusätzliches Untersetzungsgetriebe im Radträger, ein „Radnaben-Vorgelege“, für eine Drehmomentänderung. Es leuchtet sicher ein, dass die Verfolgung des vom Motor über die im allgemeinen räumlich abgewinkelten Gelenkwellen und ein evtl. vorhandenes Vorgelegegetriebe auf die Radachsen übertragenen Drehmoments und der durch die Beugewinkel der Gelenkwellen entstehenden Reaktionskräfte an der Radaufhängung und Lenkung sowie die Bestimmung des da-
3.6 Einfluss von Gelenkwellen und Vorgelegegetrieben
49
raus resultierenden Kräfteplans eine anspruchsvolle Anwendung der Gesetze der räumlichen Statik darstellt. Die soeben aufgestellte Regel mit der Annahme einer „blockierten“ Momentenstütze dagegen weist auch für den Fall der Drehmomentübertragung durch Gelenkwellen einen übersichtlichen und relativ einfachen Weg zur Lösung des Problems. Um zu einem fiktiven Geschwindigkeitsvektor am Radaufstandspunkt bei als blockiert betrachteter Momentenstütze (Antriebsmotor oder Bremse) am Fahrzeugkörper zu gelangen, ist es allerdings erforderlich, die vorhandenen Gelenkwellen und evtl. Vorgelegegetriebe in das kinematische Modell mit einzubeziehen.
3.6 Einfluss von Gelenkwellen und Vorgelegegetrieben Um die Wirkung einer Gelenkwelle im Mechanismus einer Radaufhängung zu beurteilen, mögen zunächst die kinematischen Gesetzmäßigkeiten an einem Wellengelenk erörtert werden. Das bekannteste Wellengelenk ist das „Kardangelenk“, Bild 3.14, ein sphärisches Getriebe mit vier Drehachsen, die sich in einem Punkt schneiden, wobei die koppelseitigen Achsen einen rechten Winkel bilden. Es wurde bereits im 16. Jahrhundert an Kunstuhren verwendet.
Bild 3.14. Das Kardangelenk: Bauformen und Kinematik
50
3 Kinematische Analyse der Radführungen
Bild 3.14a zeigt die normale Ausführung als „Festgelenk“, Bild 3.14b die axial verschiebbare Version als „Topfgelenk“. Die Übertragung der Winkelgeschwindigkeit bzw. des Drehmoments erfolgt bei vorhandenem Beugewinkel D ungleichförmig. In einem auf die Welle 1 bezogenen Koordinatensystem hat der Einheitsvektor e1 der Gabel 1 die Komponenten e1x 0, e1y cos M1 und e1z sin M1 , wenn M1 der Drehwinkel der Gabel 1 ist, Bild 3.14c, und der Einheitsvektor e 2 der Gabel 2 mit dem Gabeldrehwinkel M 2 die Komponenten e2x cos M 2 sin D , e2y sin M 2 und e2z cos M 2 cos D . Da die beiden Drehachsen des Gelenkkreuzes stets einen rechten Winkel bilden, gilt e1 e 2 0 , woraus sich sofort die Beziehung der Drehwinkel ergibt:
tan M 2
tan M1 cos D .
(3.19)
Durch Differentiation von 3.19 kommt man zum Verhältnis der Winkelgeschwindigkeiten:
Z2 / Z1
cos D /(1 sin ²M1 sin ²D ).
(3.20)
Die Diagramme in Bild 3.14d zeigen die Winkelabweichung M 2 M1 , den so genannten „Kardanfehler“, und das Verhältnis Z2 / Z1 über dem Drehwinkel M1 für verschiedene Beugewinkel D . Da in jedem Augenblick Leistungsgleichgewicht vorhanden ist, gilt für die Drehmomente beider Wellenseiten M D1 / M D2 Z2 / Z1 . Wegen der beträchtlichen Fehler bei großen Beugewinkeln ist das Kardangelenk als radseitiges Antriebsgelenk für lenkbare Räder wenig geeignet. Angesichts der hohen Wellendrehzahlen bei schnellen Fahrzeugen machen sich die Drehzahl- und Drehmomentschwankungen aber auch an nicht gelenkten angetriebenen Rädern bemerkbar, weshalb sich zumindest für die Radantriebswellen heute, von Ausnahmefällen abgesehen, so genannte „homokinetische“ oder „Gleichlaufgelenke“ durchgesetzt haben. Eine der wenigen Bauarten, die sich bewährt haben, ist das „TripodeGelenk“, Bild 3.15. Dieses ähnelt dem „Topfgelenk“ von Bild 3.14b, weist aber drei um 120° versetzte Zapfen auf. Unter einem Beugewinkel D kann sich die mit den Zapfen verbundene Welle im Gehäuse bzw. der „Glocke“ der anderen Welle zwangsfrei einstellen, wobei der Mittelpunkt des Wellensterns in seiner Ebene aber mit der Exzentrizität e
r§ 1 · 1¸ ¨ 2 © cos D ¹
(3.21)
gleichsinnig zur Gelenkwelle mit dreifacher Wellendrehzahl umläuft. Bei einem Beugewinkel von 20° erreicht die Exzentrizität etwa 3% des Teilkreisradius r.
3.6 Einfluss von Gelenkwellen und Vorgelegegetrieben
51
Bild 3.15. Das Tripode-Gelenk
Für eine Überprüfung der kinematischen Funktion des Tripode-Gelenks können die drei Arme des Wellensterns und die drei Führungsrillen im Gehäuse jeweils durch drei radial bzw. axial angeordnete Drehschubgelenke ersetzt werden, die insgesamt sechs Drehschublenker führen, von denen wiederum je zwei durch Kugelgelenke verbunden sind. Betrachtet man für die Anwendung der Gl. 2.1, Kap. 2, das Gehäuse als „Steg“ und die Welle mit dem Stern als „Radträger“, so ergibt sich ein Freiheitsgrad F = 3. Damit erfüllt das Gelenk die Bedingung für ein Wellengelenk, indem es Beugewinkel in zwei Ebenen und eine axiale Verschiebung erlaubt. Hierbei war keine Rede von einer präzisen Anordnung der Sternzapfen unter 120° oder einer exakt parallelen Ausrichtung der Führungsrillen! Das TripodeGelenk funktioniert also auch bei Winkel- und Teilungsfehlern (die Gleichlaufeigenschaften werden dann allerdings leiden). Als radseitiges Antriebsgelenk für lenkbare Räder ist das TripodeGelenk wegen seines in Normalausführung beschränkten Beugewinkels weniger verbreitet. Es wird aber gern als fahrzeugseitiges Gelenk verwendet, weil es mit seinen nadelgelagerten Kugelrollen auch unter Drehmoment leicht axialverschiebbar bleibt und deshalb die Übertragung von Schwingungen des Antriebsaggregates auf die Radaufhängung und damit die Lenkung mildert, z.B. wenn ein Fahrzeug mit Getriebeautomat bei eingelegter Fahrstufe über die Bremse, also gegen das Schlupfmoment des Wandlers, im Stand gehalten wird. Gleichlauf setzt symmetrische Funktion der Anordnung voraus. Bei Kardanwellen wird ein Ausgleich der Winkelfehler auf der Antriebs- und der Abtriebsseite durch eine „Z-Anordnung“ oder eine „W-Anordnung“ der Welle erreicht, Bilder 3.16a und b; das Wellenmittelstück läuft aber dabei weiterhin ungleichförmig um. Aus der W-Anordnung leitet sich das Doppel-Kardangelenk nach Bild 3.16c ab. Der Ausgleich der Winkelfehler tritt aber nur bei exakt symmetrischer Führung der Wellen ein (wie in starren Vorderachsen von LKW). Ist eine der Wellen nicht zwangsgeführt, wie bei Einzelradaufhängungen, so muss eine Zentriervorrichtung innerhalb des Doppelgelenks vorgesehen werden.
52
3 Kinematische Analyse der Radführungen
Bild 3.16. Gleichlauf-Anordnungen
Echte Gleichlaufgelenke arbeiten heute vorwiegend mit Kugeln zur Drehmomentübertragung, welche durch die geometrische Ausbildung der Führungsbahnen stets in die Symmetrieebene der Wellenhälften gezwungen werden. Eine solche Anordnung zeigt Bild 3.16d. Die meistens sechs Kugeln greifen in Führungsrillen des Gehäuses und des Mitnehmers ein. Unter einem Beugewinkel schneiden sich die Zylinderflächen am Gehäuse und am Mitnehmer, in welchen die Kugelmittelpunkte sich bewegen, in der winkelhalbierenden Ebene, und die Kugelmitten stellen sich in dieser Ebene auf der Schnittkurve der beiden Zylinder, einer Ellipse, ein. Darin werden sie noch durch eine gegenläufig schraubenförmige Ausbildung zusammengehöriger Führungsrillen an Gehäuse und Mitnehmer unterstützt. Ein Kugelkäfig dient als übergeordnetes Sicherungselement. Die Drehmoment-Umlenkung an einer abgewinkelten Gelenkwelle ruft ähnlich wie am Gehäuse eines Winkelgetriebes Reaktionsmomente hervor. Das resultierende Moment M der Kugeln bildet einen Normalvektor auf der Symmetrieebene, Bild 3.16e. Das Wellen-Drehmoment M D ist eine Komponente von M, und als zweite tritt ein Biegemoment M B auf:
MD
M cos(D / 2),
(3.22)
MB
M sin(D / 2).
(3.23)
3.6 Einfluss von Gelenkwellen und Vorgelegegetrieben
53
Bei konstantem Beugewinkel D ist an einem Gleichlaufgelenk der Vektor des Biegemoments im Raum nach Größe und Richtung konstant, die Welle wird also durch Umlaufbiegung belastet. An einem Kardangelenk dagegen steht der resultierende Momentenvektor jeweils senkrecht zum Gelenkkreuz, ändert daher zweimal je Umdrehung Größe und Richtung und regt damit die Welle zu Biegeschwingungen mit doppelter Frequenz der Wellendrehzahl an. Diese Biegeschwingungen verursachen Brummgeräusche im Fahrzeug und sind, viel mehr als die Drehmomentschwankungen, der Grund dafür, dass Kardangelenke allmählich aus komfortablen Personenwagen verschwinden. Eine sehr einfache und anschaulich verständliche Konstruktion eines Gleichlaufgelenks ist in Bild 3.17a dargestellt. Die beiden Wellenhälften sind durch ein zentrales Kugelgelenk gekoppelt. In jeweils gleichem Abstand von der zentralen Kugel tragen die Wellen Drehgelenke, an denen gleich lange Dreiecklenker aufgehängt sind. Die Spitzen der Dreiecklenker sind durch ein zweites Kugelgelenk verbunden, d. h. die Dreiecklenker bilden eine „Scherenführung“ zur Übertragung des Drehmoments (vgl. Kap. 2, Bild 2.14d).
Bild 3.17. Gleichlaufgelenk; schematischer Aufbau und Freiheitsgrade
54
3 Kinematische Analyse der Radführungen
Die beiden Kugeln befinden sich bei einer Beugung und Verdrehung der Wellenhälften stets in der winkelhalbierenden Ebene der Wellen. Da ein Drehmoment von einer Wellenhälfte zur anderen nur in Form eines Kräftepaars über die beiden Kugelgelenke übertragen werden kann, steht der resultierende Drehvektor des Kräftepaars senkrecht auf der winkelhalbierenden Ebene und hat folglich gleich große Komponenten bezüglich der beiden Wellen. Das Gleichlaufgelenk in Bild 3.17a ist zwar wegen seiner Unwucht für schnell laufende Wellen ungeeignet, sein Bauprinzip liegt aber auch dem bekannten Gleichlauf-Festgelenk nach Bild 3.17b zugrunde. Hier werden sechs Kugeln, von denen zwei im Längsschnitt zu sehen sind, durch einen nicht dargestellten Käfig in den Kugelrillenbahnen des Gelenkgehäuses und des Wellenmitnehmers so geführt, dass sie sich stets in der winkelhalbierenden Ebene beider Wellen einstellen. Die Krümmungsmittelpunkte der Kugelbahnen im Längsschnitt sind gegeneinander versetzt und entsprechen den Drehachsen der beiden Dreiecklenker von Bild 3.17a. Mit auf zylindrischen Flächen angeordneten Führungsbahnen der Kugeln, Bild 3.17c, ergibt sich ein Gleichlaufgelenk mit axialer Verstellbarkeit. Bei einem Beugewinkel der Wellenhälften stellen sich die Kugeln in der winkelhalbierenden Ebene 3 S ein, Bild 3.17d. Wird eine der Wellen festgehalten, so kann sich die andere relativ zur ersten einmal unter Beibehaltung des Beugewinkels mit einer Winkelgeschwindigkeit Z c um die Winkelhalbierende der Wellen verdrehen, zum anderen kann sich der Beugewinkel selbst mit der Winkelgeschwindigkeit Z cc verändern. Da Z c und Z cc in 3 S liegen, kann also eine Relativbewegung beider Wellenhälften eines Gleichlaufgelenks nur um eine in der Symmetrieebene 3 S liegende Drehachse stattfinden. Der Normalvektor n der Symmetrieebene 3 S liegt in der durch die Einheitsvektoren e1 und e 2 der Wellen aufgespannten Beugeebene 3 B . Einen Einheits-Normalvektor der Symmetrieebene erhält man, indem der Summenvektor des Einheitsvektors e1 und des – sicherheitshalber in die gleiche Hauptrichtung „umgeschalteten“ Einheitsvektors e 2 sgn(e1 e 2 ) durch seinen Betrag dividiert wird: n
e1 e 2 sgn(e1 e 2 ) e1 e 2 sgn(e1 e 2 )
(vgl. Bild 3.17e). Die Drehmomente von Gelenkwellen im Antriebsstrang können, wie besonders von gelenkten Vorderrädern bekannt ist, Rückwirkungen auf die Radaufhängung und die Lenkung haben. An einem gebeugten Wellengelenk zeigt der resultierende Momentenvektor, vgl. Bild 3.16e, in Richtung des Normalvektors n und teilt sich an jeder Wellenhälfte in einen Drehund einen Biegemomentenvektor auf.
3.6 Einfluss von Gelenkwellen und Vorgelegegetrieben
55
Mit den anhand von Bild 3.17 gewonnenen Erkenntnissen über die kinematischen Eigenschaften eines Gleichlaufgelenks kann, wie schon bei der Kräfteanalyse gemäß Abschn. 3.5, auch dessen Einfluss auf die Radaufhängung über das Studium der Bewegungsgeometrie, nun aber unter Einbindung der Gelenkwelle in den Radführungsmechanismus, untersucht werden. Dabei entsteht zunächst das Problem, dass die Gelenkwelle je nach Fahrgeschwindigkeit mit einer bestimmten konstanten Drehzahl umläuft. Bei unveränderter Stellung der Radaufhängung (keine Lenk- oder Federungsbewegung) tritt diese Drehzahl sowohl am fahrzeug- bzw. motorseitigen Wellenzapfen als auch am radseitigen (im allgemeinen der Radwelle bzw. –achse) auf. Bewegt sich die Radaufhängung beim Einoder Ausfedern bzw. beim Lenken der Räder, so wird dem radseitigen Wellenstummel die Winkelgeschwindigkeit des Radträgers überlagert. Dies kann zu einer Änderung der Winkelgeschwindigkeit des Wellenstummels in seiner Lagerung (z. B. den Radlagern) im Radträger führen. Wird von dieser Winkelgeschwindigkeit die als konstant angenommene des fahrzeugseitigen Wellenstummels abgezogen oder, einfacher ausgedrückt, wird das fahrzeugseitige Wellenende fiktiv als stillstehend betrachtet, so ergibt sich zwischen dem Radträger und dem radseitigen Wellenstummel als Relativgeschwindigkeit die Differenz der absoluten Winkelgeschwindigkeiten der beiden Bauteile – mit anderen Worten: die unter dem Einfluss des Wellenstranges in die Radaufhängung eingebrachte zusätzliche Bewegung. Bild 3.18 zeigt schematisch ein am Fahrzeug gelagertes Achsgetriebe G, eine längenverschiebliche Gelenkwelle W mit Gleichlaufgelenken 1 und 2 und den Radträger K einer beliebigen, nicht weiter dargestellten Radaufhängung.
Bild 3.18. Gelenkwellenantrieb mit Vorgelege-Untersetzungsgetriebe (schematisch)
56
3 Kinematische Analyse der Radführungen
Am Radträger K kann noch ein Vorgelegegetriebe angebracht sein, das die Drehzahl der Radwelle bzw. Radachse gegenüber der des radseitigen Gelenkwellenstummels (hier und im folgenden als „Zwischenwelle“ Z bezeichnet) um den Untersetzungsfaktor i verringert. Die Zwischenwelle Z und die Radachse brauchen nicht koaxial und nicht parallel zueinander zu verlaufen. Ist kein Vorgelegegetriebe eingesetzt, so ist die Zwischenwelle, zumindest aus kinematischer Sicht, natürlich mit der Radachse identisch. Für die Untersuchung des Einflusses der Gelenkwelle und evtl. des Vorgelegegetriebes auf die Radaufhängung wird, wie vorhin begründet, die konstante Winkelgeschwindigkeit des fahrzeugseitigen Wellenendes eliminiert, d. h. dieses Wellenende wird als stillstehend oder die Momentenstütze, also der Antriebsmotor oder eine fahrzeugfeste Bremse, wieder als „blockiert“ angenommen. Unter der Voraussetzung, dass der momentane Bewegungszustand des Radträgers bereits bekannt und gemäß Abschn. 3.4 durch seine Parameter Z K und v M beschrieben sei, berechnet sich die Geschwindigkeit des radseitigen Wellengelenks 2 entsprechend Gl. 3.11 zu
v M Z K u r2 .
v2
(3.25)
v 2 wird im allgemeinen nicht senkrecht zur Längsachse des Wellenmittelstücks W wirken, sondern bezogen auf dieses eine Axialkomponente haben, die als Schubgeschwindigkeit v S eine Verlängerung oder Verkürzung der Gelenkwelle hervorruft, Bild 3.19. Mit e W als Einheitsvektor des Wellenmittelstücks W gilt vS
(v 2 eW ) eW .
(3.26)
Durch Subtraktion der Schubgeschwindigkeit v S von der Gelenkgeschwindigkeit v 2 ergibt sich die Komponente v D , welche das Wellenmittelstück um das fahrzeugseitige Wellengelenk 1 schwenkt:
vD
v 2 vS .
v D steht senkrecht auf e W .
Bild 3.19. Relativbewegungen am fahrzeugseitigen Gleichlaufgelenk
(3.27)
3.6 Einfluss von Gelenkwellen und Vorgelegegetrieben
57
Eine Relativverdrehung der Gelenkhälften am Gelenk 1 zwischen dem Wellenmittelstück W und dem fahrzeugseitigen, hier fiktiv als stillstehend betrachteten Wellenstummel kann nur in der Beuge-Symmetrieebene am Gelenk 1 erfolgen. Der Vektor Z W der Winkelgeschwindigkeit des Wellenmittelstücks um das Gelenk 1 muss also auf dem Normalvektor n1 der Symmetrieebene des Gelenks senkrecht stehen; da am Gelenk 1 ferner nur eine Winkelgeschwindigkeit, aber keine translatorische Geschwindigkeit auftreten kann, muss Z W auch senkrecht zu v D gerichtet sein. Wenn die Einheitsvektoren e G des getriebeseitigen Wellenendes und e W des Wellenmittelstücks so definiert werden, dass sie im wesentlichen zur Fahrzeugaußenseite hin weisen und damit sgn(e G e W ) 1 ist, so errechnet sich der Einheits-Normalvektor der Symmetrieebene am Gelenk 1 analog Gl. 3.24 zu
n1
eG e W , eG e W
(3.28)
und der Einheitsvektor der Richtung der Winkelgeschwindigkeit Z W des Wellenmittelstücks um das Gelenk 1, der auf n1 und v D senkrecht stehen muss, kann aus dem Vektorprodukt beider berechnet werden:
e ZW
n1 u v D . n1 u v D
(3.29)
Ist a W der Verbindungsvektor der Wellengelenke 1 und 2, so bildet seine Komponente a Ws senkrecht zu eZW den wahren Radius des Gelenks 2 um eZW :
a Ws
a W (a W eZW ) eZW ,
(3.30)
und aus den Beträgen von a Ws und v D folgt der Betrag von Z W :
ZW
vD / aWs .
(3.31a)
Damit ist der Vektor der Winkelgeschwindigkeit des Wellenmittelstücks
ZW
ZW eZW .
(3.31b)
Wenn auch der Einheitsvektor e Z der Zwischenwelle Z im wesentlichen zur Fahrzeugaußenseite hin gerichtet ist, berechnet sich am radseitigen Gleichlaufgelenk 2 der Einheits-Normalvektor n 2 der Symmetrieebene zwischen dem Gelenkwellenmittelstück W und der Zwischenwelle Z aus den Einheitsvektoren beider, Bild 3.20, analog Gl. 3.28 zu
n2
(e W e Z ) / e W e Z .
(3.32)
58
3 Kinematische Analyse der Radführungen
Bild 3.20. Winkelgeschwindigkeiten am Radträger bei Gelenkwellenantrieb
In der Symmetrieebene am Gelenk 2 wird der Vektor Z Z, W der RelativWinkelgeschwindigkeit der Zwischenwelle Z gegenüber dem Wellenmittelstück W liegen. Die Absolut-Winkelgeschwindigkeit Z Z der Zwischenwelle ist die Vektorsumme aus den Winkelgeschwindigkeiten Z W des Wellenmittelstücks W und der Relativ-Winkelgeschwindigkeit Z Z, W ; andererseits muss Z Z auch, da die Zwischenwelle im Radträger K drehbar gelagert ist, gleich der Vektorsumme der Winkelgeschwindigkeit ZK des Radträgers und der Relativ-Winkelgeschwindigkeit Z Z, K der Zwischenwelle gegenüber dem Radträger sein, wobei die Richtung der letzteren aus der Konstruktion des Radträgers, nämlich durch ihren Einheitsvektor e Z , bekannt ist und nur noch ihr Betrag ZZ, K zu bestimmen ist. Es gilt also Z W Z Z, W Z K Z Z, K oder Z Z, W Z K ZZ, K e Z Z W und ferner, da Z Z, W auf n 2 senkrecht stehen muss, Z Z, W n 2 0 . Daraus folgt die Bestimmungsgleichung für ZZ, K : (Z W Z K ) n 2 ZZ, K . (3.33) eZ n2 Wenn im Radträger kein Vorgelegegetriebe eingebaut ist, fällt die Zwischenwelle mit der Radachse zusammen; Z R Z Z Z K Z Z, K Z K Z Z, K e Z ist dann der Vektor der absoluten Winkelgeschwindigkeit des Rades im Raum. Ist dagegen ein Vorgelegegetriebe mit der Untersetzung i vorhanden (wobei i > 0 für gleichsinnige Drehrichtungen von Eingangs- und Ausgangswelle, wie in Bild 3.20 durch einen Riementrieb angedeutet), so wird der Betrag der Relativ-Winkelgeschwindigkeit des Rades R gegenüber dem Radträger K im Verhältnis zu ZZ, K um den Faktor i verringert. Es gilt also ZR, K ZZ, K / i . Mit dem Einheitsvektor e R der Radachse wird daher die Absolut-Winkelgeschwindigkeit des Radkörpers im Raum, berechnet
3.6 Einfluss von Gelenkwellen und Vorgelegegetrieben
59
unter Berücksichtigung einer Gelenkwelle und eines Vorgelegegetriebes im Kraftübertragungsstrang und unter Annahme einer „blockierten“ Momentenstütze: ZR
Z K (Z Z, K / i ) e R .
(3.34)
Mit ZR und der Geschwindigkeit eines beliebigen Punktes des Radkörpers R, zweckmäßigerweise aber der Geschwindigkeit v M der Radmitte M (die mit der Geschwindigkeit des mit M zusammenfallenden Radträgerpunktes identisch und von dessen Geschwindigkeitszustand her bereits bekannt ist), kann analog Gl. 3.11 die Geschwindigkeit jedes anderen Punktes am Radkörper für den Fall einer blockierten Momentenstütze und Kraftübertragung durch Gelenkwellen berechnet werden. Die fiktive Geschwindigkeit des Radaufstandspunktes A bei „blockierter“ fahrzeugfester Momentenstütze und Kraftübertragung durch Gelenkwellen möge im folgenden, um sie gegenüber dem Fall der radträgerfesten Momentenstütze abzugrenzen, durch einen Doppelstern (**) hervorgehoben werden. Dann gilt analog Gl. 3.18:
v
A
v M Z R u rA .
(3.35)
Damit ist die Grundlage gegeben, um Kräfteanalysen an der Radaufhängung unter Berücksichtigung des Einflusses von Gelenkwellen und ggf. Vorgelegegetrieben durchzuführen und so z.B. einen daraus folgenden Stützwinkel H
zu bestimmen. Abschließend sei noch ein Hinweis zur praktischen Konstruktionsarbeit gestattet: Wenn zur rechnerischen Modellierung der Radaufhängung ein Programm zur Analyse von Mehrkörpersystemen verwendet wird, oder wenn das benützte CAD-Programm Wellengelenke als fertige Elemente anbietet, so kann auf den anhand der Bilder 3.18–3.20 beschriebenen Berechnungsgang verzichtet werden, indem der Kraftübertragungsstrang einschließlich der Gelenkwellen und ggf. Vorgelegegetriebe simuliert und das fahrzeugseitige Wellenende „blockiert“ wird, um den räumlichen Verschiebungsvektor des Radaufstandspunktes zu erhalten. Man vergewissere sich dann aber, ob ein von der Software bereitgestelltes „Wellengelenk“ auch wirklich ein echtes Gleichlaufgelenk vertritt und nicht etwa ein Kardangelenk – denn dies würde in gebeugtem Zustand, entsprechend der Größe des bei der jeweiligen Gelenkstellung auftretenden Kardanfehlers, zu einem unsinnigen Ergebnis führen. Ein Gleichlaufgelenk kann aber auch, zumindest für rechnerische Zwecke , sehr einfach gemäß Bild 3.17a modelliert werden: wenn die Länge der Dreiecklenker etwa das eineinhalbfache des Abstandes ihrer Drehachsen von der Zentralkugel beträgt, sind rechnerische Beugewinkel von mehr als 90° möglich.
60
3 Kinematische Analyse der Radführungen
3.7 Radbewegung bei Federungs- und Lenkvorgängen Alle Kräfte zwischen der Fahrbahn und dem Fahrzeug werden an den Radaufstandspunkten auf die Räder übertragen. Die Kenntnis der momentanen Positionen der Radaufstandspunkte ist daher für alle Untersuchungen über die Wirkung der Radaufhängung im Fahrzeug, z.B. für die Bestimmung ihrer kinematischen Kenngrößen, erforderlich. Die meisten der Kenngrößen der Radaufhängung beziehen sich auf spezielle Lastfälle wie z.B. Seitenkräfte oder Radumfangskräfte. Dann ist es zusätzlich nötig, die räumliche Lage der Radebene bzw. ihrer Normalen, der Radachse, somit den Lenkwinkel G und den Sturzwinkel J zu bestimmen. Für die Anwendung der in den Abschn. 3.4–3.6 beschriebenen Verfahren wird die Radachse aR zweckmäßigerweise durch den Radmittelpunkt M und einen Hilfspunkt H festgelegt, Bild 3.21. Für letzteren kann evtl. der Mittelpunkt eines radseitigen Wellengelenks verwendet werden. Wird die Koordinate yH des Hilfspunkts vorgegeben, so erhält man mit den in Bild 3.21 eingezeichneten Strecken bzw. Projektionen:
xH
xM ( yM yH ) tan G ,
(3.36a)
zH
z M ( yM yH ) tan J cosG .
(3.36b)
Diese Gleichungen dienen u.a. dazu, für eine gegebene Ausgangslage oder „Konstruktionslage“, „Normallage“ der Radaufhängung den Hilfspunkt H zu definieren, der im Verlauf aller weiteren Berechnungen ebenso wie die Radmitte M als radträgerfester Punkt behandelt und dessen jeweiliger Bewegungszustand nach Gl. 3.11 ermittelt wird. Angesichts der Vorzeichendefinition des Lenkwinkels G in Bild 3.21 ist zu beachten, dass ein in der Ausgangslage vorhandener Vorspurwinkel rechnerisch einem negativen Lenkwinkel entspricht.
Bild 3.21. Definition der Radachse durch einen Hilfspunkt H
3.7 Radbewegung bei Federungs- und Lenkvorgängen
61
Der Radaufstandspunkt ist kein radträgerfester Punkt, Bild 3.22, sondern befindet sich, von oben gesehen, stets auf der Projektion der Radachse aR in die Fahrbahnebene 3 xy . Die Projektion der Radachse bzw. die Verbindungslinie der Projektionen M xy und H xy der Punkte M und H ist in 3 xy gegen die y-Achse unter dem Lenkwinkel G angestellt, bzw. die Vertikalebene 3 G durch die Radachse aR ist gegen die FahrzeugQuerschnittsebene 3 yz um G verdreht. Der Lenkwinkel kann aus dem Abstand der Punkte H und M in Fahrtrichtung und der Länge der Projektion der Radachse im Grundriss 3 xy berechnet werden:
sin G
xH xM . ( xH xM )² ( yH yM )²
(3.37)
Der Radsturz J bezeichnet die Neigung der Radebene gegen die Vertikale bzw. die Neigung der Radachse aR gegen die Fahrbahnebene 3 xy und erscheint in wahrer Größe in der Ebene 3 G , wo er mit der Höhendifferenz zwischen dem Hilfspunkt H und der Radmitte M sowie dem Abstand beider bestimmt werden kann:
sin J
zH zM . ( xH xM )² ( yH yM )² ( z H z M )²
(3.38)
Sind der Lenkwinkel G , der Radsturz J , der Reifenradius R und die Koordinaten der Radmitte M bekannt, so erhält man mit den in Bild 3.22 eingezeichneten Strecken bzw. Projektionen die Koordinaten des Radaufstandspunktes für die momentane Stellung der Radaufhängung aus
Bild 3.22. Bestimmung der Koordinaten der Radstellung
62
3 Kinematische Analyse der Radführungen
xA
xM R sin J sinG ,
yA
yM R sin J cosG ,
zA
z M RcosJ .
(3.39a,b,c)
Wenn im Verlaufe nachfolgender Untersuchungen der Radaufstandspunkt A manchmal als momentan fest mit dem Radträger verbunden betrachtet wird, so muss er für jede Stellung bzw. endliche Verschiebung der Radaufhängung stets nach den Gln. 3.39 wieder neu definiert werden. Die Bestimmung der räumlichen Stellungen einer Radaufhängung bei Federungs- und Lenkvorgängen ist bei der Konstruktion der Radaufhängung über ein dreidimensionales Simulationsprogramm (z.B. ein CADVerfahren) stets im Rahmen der verfügbaren Programmfunktionen möglich. Im Interesse der physikalisch einwandfreien Berechnung der fahrzeugtechnischen Kenngrößen der Radaufhängung sollte auch ein Zugriff auf den Geschwindigkeitszustand des Radträgers (also auf die Vektoren der Winkelgeschwindigkeit und der Geschwindigkeit eines Bezugspunktes) möglich sein. Andernfalls könnten allgemein die Stellungen einer Radaufhängung bei endlich großen Federungs- oder Lenkbewegungen exakt nur durch die Auflösung eines nichtlinearen Gleichungssystems berechnet werden. Für die Praxis genügt ein einfacheres Verfahren, bei welchem die räumliche Verschiebung des Radträgers in vielen kleinen Schritten erfolgt und zur Berechnung der Verschiebungsvektoren für jeden Rechenschritt die Auflösung eines linearen Gleichungssystems ausreicht [61, 64], z.B. bei einer Radaufhängung mit Stablenkern zwischen Radträger und Fahrzeugkörper eines Systems aus sechs Gleichungen vom Typ der Gl. 3.13. Der Gesamtfederweg am Federelement wird in kleine Schritte in der Größenordnung 'f 0,1...0,01 mm aufgeteilt, ebenso der Weg des inneren Spurstangengelenks bei einer Lenkachse (das Bewegungsgesetz dieses Gelenks wird durch ein Unterprogramm definiert). Federungs- und Lenkvorgang werden zweckmäßigerweise mit Rücksicht auf die Bestimmung der Kenngrößen getrennt durchgeführt. Bei jedem Schritt werden mit den momentanen Positionen aller Radführungsglieder die sechs Gleichungen nach den je drei Komponenten der Winkelgeschwindigkeit ZK des Radträgers und der Geschwindigkeit v M aufgelöst, mit diesen nach Gl. 3.11 die Verschiebungsvektoren aller Punkte der Radaufhängung bestimmt und durch deren Addition zu den bisherigen Positionen die neuen Koordinaten ermittelt. Diese leicht programmierbare und in der Praxis bewährte Methode hat den weiteren Vorteil, dass bei jedem der Rechenschritte auch die Verschiebungsvektoren aller Gelenkpunkte, also die ersten Ableitungen ihrer Bewegungsbahnen, anfallen, die entspr. Abschn. 3.5 für die Kräfteanalyse verwendbar sind und schließlich die Grundlage für die Bestimmung der kinematischen Radführungs-Kenngrößen bilden.
4 Der Reifen
4.1 Aufbau und Eigenschaften Die Übertragung der Kräfte und Momente zwischen Fahrzeug und Fahrbahn übernimmt der Reifen, ein gasgefüllter Torus aus Natur- und Kunstgummi, verstärkt durch ein Gewebe aus Textilfäden, Stahldraht oder Synthetikfasern, Bild 4.1. Der Reifen sitzt mit seinem „Fuß“ 2 am Außenumfang der Felge 1 auf der „Felgenschulter“, wo ihm der aus Stahldraht gefertigte Wulstkern 3 Halt gibt. Um den Wulstkern sind Gewebelagen 4, die „Karkassenfäden“, geschlungen, welche dem Reifen seine Festigkeit gegen den inneren Gasüberdruck verleihen. Im „Diagonalreifen“ (a) kreuzen sich die Fäden 4 unter einem Winkel, der in weitem Bereich um 45° liegen kann, im „Radial“- oder „Gürtelreifen“ (b) verlaufen die Karkassenfäden im wesentlichen quer zur Fahrtrichtung, und ein umfangssteifer Gürtel 6 verstärkt den Reifen unterhalb der Lauffläche 5.
Bild 4.1. Reifenbauarten (schematisch)
Unter einer Radlast Fz drückt sich der Reifen um einen Federweg f ein und vergrößert seine Kontaktfläche auf der Fahrbahn, den „Latsch“,
64
4 Der Reifen
Bild 4.1 rechts, wobei das Kräftegleichgewicht im wesentlichen durch das Produkt Fläche × Innendruck, kaum aber durch Druckerhöhung und, bei genügend biegsam gestalteter Seitenwand, möglichst wenig durch Verformungsarbeit („Walkarbeit“) des Materials hergestellt wird, denn Walkarbeit bedeutet thermische Beanspruchung und Energieverlust (Rollwiderstand!). Der „statische Halbmesser“ RSt , der Abstand der Radmitte von der Fahrbahn, ist die Differenz zwischen dem „Fertigungshalbmesser“ RF und der Einfederung f. Durch die Art der Lastaufnahme, nämlich Vergrößerung der Latschfläche bei etwa konstantem Innendruck, ergibt sich eine zunächst leicht progressive, dann weitgehend lineare Federkennlinie, deren Rate bei Personenwagen etwa das zehn- bis zwanzigfache der Federrate der Radaufhängung beträgt. Beim Abrollen staucht sich der Reifen im Bereich der Aufstandsfläche bzw. des Latsches ein wenig in Umfangsrichtung, so dass die Fahrgeschwindigkeit v kleiner ausfällt als die Umfangsgeschwindigkeit der Lauffläche. Der rechnerische „wirksame“ Abrollhalbmesser Rw liegt zwischen dem Fertigungshalbmesser RF und dem statischen Halbmesser RSt und besonders beim Radialreifen, der weicher einfedert als der Diagonalreifen, dessen umfangssteifer Gürtel sich aber gegen die Stauchung wehrt, näher am Fertigungshalbmesser. Der wirksame Halbmesser hat nichts mit einer dynamischen Verhärtung des Reifenumfangs unter Fliehkraft bei hoher Fahrgeschwindigkeit zu tun, welche für eine nur geringfügige Anhebung der Radmitte sorgt. Deshalb wird heute meistens anstelle des wirksamen Halbmessers (auch als „dynamischer Halbmesser“ bezeichnet) der „Abrollumfang“ angegeben. Am Gürtelreifen treten wegen der Umfangssteifigkeit seines Gürtels geringere Verformungen und Schlupfbewegungen innerhalb des Latsches auf mit dem Vorteil des geringeren Rollwiderstandes, längerer Lebensdauer der Lauffläche und besserer Fahrbahnhaftung besonders bei niedrigen Reibwerten, z.B. bei Nässe oder auf Schnee und Eis. Diese hohe Umfangssteifigkeit des Gürtels hat aber andererseits zur Folge, dass stoßhafte oder oszillierende Längskräfte zwischen Fahrbahn und Reifen entsprechend stark auf die Radlagerung und damit die Radaufhängung übertragen werden, was im Vergleich zum Diagonalreifen eine merkliche Beeinträchtigung des Abrollkomforts mit sich bringt. Die Einführung der Gürtelreifen zwang daher – vor allem im PKW-Bau – zu einer bewusst längsnachgiebigen Ausbildung der Radaufhängungen („Längsfederung“) mit den entsprechenden Auswirkungen auf deren geometrische Funktion und führte letztlich zur Entwicklung der mit dem Begriff „Elasto-Kinematik“ umschriebenen konstruktiven Auslegungsverfahren.
4.2 Schräglauf und Schlupf
65
Die Tragfähigkeit des Reifens hängt im wesentlichen vom umschlossenen Luftvolumen ab; deshalb benötigen „Niederquerschnittsreifen“, deren Verhältnis der Seitenwandhöhe zur Reifenbreite kleiner als das (heute kaum gebräuchliche) „Normalverhältnis“ von 80% ist, eine entsprechend größere Breite.
4.2 Schräglauf und Schlupf Unter einer Seitenkraft Fy verschiebt sich der Latsch infolge der Seitenweichheit des Reifens quer zur Fahrtrichtung; rollt das Rad gleichzeitig vorwärts, so stellt sich ein „Schräglaufwinkel“ D ein, Bild 4.2a, weil die von vorn in der Latschfläche ankommenden Laufflächenelemente von der Seitenverformung noch wenig beeinflusst sind und versuchen, in der Reifenmittelebene einzulaufen, so dass sich eine gegen das Latschende hin wachsende Querverformung ergibt. Die Fortbewegungsrichtung ist um den Schräglaufwinkel gegenüber der Radmitte verdreht.
Bild 4.2. Der Reifen bei Seitenkraft a) Schräglaufwinkel b) Seitenkraft und Schräglaufwinkel c) Rückstellmoment und Schräglaufwinkel d) Gough-Kennfeld
66
4 Der Reifen
Der Schwerpunkt des über der Latschlänge etwa trapezförmig wachsenden Querspannungsdiagramms ( W ), dessen Resultierende gleich der Seitenkraft Fy ist, liegt um den „Reifennachlauf“ nR hinter der Radmitte versetzt, so dass die Seitenkraft ein „Rückstellmoment“ M = Fy u nR erzeugt, welches die Reifenmittelebene in die tatsächliche Fortbewegungsrichtung unter dem Winkel D zu drehen versucht. Der Schräglauf des Reifens ist im Idealfall (nämlich bei rein elastischer Verformung des Reifens) kein „Fahrwiderstand“, sondern erfolgt verlustfrei. Mit wachsender Querverformung beginnen jedoch die am stärksten ausgelenkten Laufflächenbereiche am Latschende durch Überschreitung der Haftgrenze zurückzuschnellen, was einmal Energieverlust und Verschleiß, zum anderen eine Begrenzung der übertragbaren Seitenkraft und eine Verringerung des Reifennachlaufs bzw. des Rückstellmoments zur Folge hat. Das Kennfeld der Seitenkräfte Fy über dem Schräglaufwinkel D , Bild 4.2b, erhält daher einen degressiven Verlauf. Eine Erhöhung der Radlast Fz führt nicht zu einer proportionalen Vergrößerung der übertragbaren Seitenkraft, weil der Reifen zunehmend beginnt, über die Reifenschulter seitlich „abzurollen“. Das Diagramm gilt nur für einen relativ hohen Reibwert (13"-Niederquerschnittsreifen). Eine für das Fahrverhalten und die Auslegung der Radaufhängungs- und Federungsparameter sehr wichtige Folgerung aus dem degressiven Wachstum der Seitenkraft sowohl über dem Schräglaufwinkel als auch der Radlast soll durch das in Bild 4.2b eingezeichnete Zahlenbeispiel verdeutlicht werden: Der Reifen überträgt bei einer Radlast von 4 kN bzw. Achslast von 8 kN und einem Schräglaufwinkel D = 5,3° eine Seitenkraft von 2,6 kN, die gesamte Achse kann also 5,2 kN bzw. einer Querbeschleunigung von 5,2 8 = 0,65g das Gleichgewicht halten. Am Fahrzeug entsteht aber infolge der Querbeschleunigung und der Schwerpunktshöhe ein Kippmoment, welches zu ungleich hohen Radlasten am kurvenäußeren und kurveninneren Rade führt. Bei einer Schwerpunktshöhe von 550 mm und einer Spurweite von 1400 mm wird die Radlastverlagerung, wenn nicht andere Fahrzeugachsen – z.B. über Stabilisatorfedern – einen Teil des Kippmoments der betrachteten Achse aufnehmen, ca. 2 kN betragen, d.h. die Belastung des kurvenäußeren Rades wächst auf ca. 6 kN, das kurveninnere dagegen wird stark entlastet und trägt nur noch ca. 2 kN. Offensichtlich muss nun der Schräglaufwinkel der Achse auf ca. D = 6,2° anwachsen, damit die erforderliche Gesamt-Seitenkraft Fya Fyi 5,2 kN übertragbar wird. Je größer die Radlastdifferenz an einer Achse, desto größer der erforderliche Schräglaufwinkel bei gegebener Seitenkraft. Die Radlastdifferenz wird primär durch die Schwerpunktshöhe und die Spurweite bestimmt und kann durch Maßnahmen an der Radführungsgeometrie
4.2 Schräglauf und Schlupf
67
(Rollzentrum, s. Kap. 7) und der Federung (Stabilisatoren, s. Kap. 5) beeinflusst werden – auf Kosten der anderen Fahrzeugachse! Aus den Diagrammen der Seitenkraft (Bild 4.2b) und des Rückstellmoments (c) über dem Schräglaufwinkel ergibt sich das Reifenkennfeld nach Gough, Bild 4.2d, in welchem die Seitenkraft über dem Rückstellmoment mit Hilfe der Parameter Schräglaufwinkel und Radlast dargestellt ist. Der Reifennachlauf kann ebenfalls abgelesen werden: nR = const. heißt M Fy = const.
Bild 4.3. Umfangskraft und Schlupf
Eine Umfangskraft Fx im Latsch (Bremskraft, Antriebskraft) verursacht einen Umfangsschlupf O , da die von vorn in die Latschfläche eintretenden Laufflächenelemente beim Bremsen gedehnt, bei Antrieb gestaucht werden. Auch die Umfangskraft zeigt über dem Schlupf ein degressives Verhalten, Bild 4.3 (t = trockene, n = nasse und g = glatte Fahrbahn). Da die maximale Kraftschlußbeanspruchung durch Umfangskraft und Seitenkraft ähnlich wie bei der „Newton’schen Reibung“ begrenzt ist, lassen sich Kombinationen von Umfangs- und Seitenkraft bzw. von Schlupf und Schräglaufwinkel für eine konstante Radlast in einem gemeinsamen Diagramm darstellen, Bild 4.4a, dessen Einhüllende der Kamm’sche Kreis ist. Der „Reibungskuchen“ [82] fasst das Übertragungsverhalten des Reifens in einem Raumdiagramm zusammen (Bild 4.4b) wo Schräglaufwinkel D und Schlupf O (bei gleicher Gewichtung von D = 90° und O = 100%) die Grundfläche und die Kraftschlußgrenze K die Höhe bilden.
Bild 4.4. a Kamm’scher Kreis und b „Reibungskuchen“
68
4 Der Reifen
Bei einer Neigung der Radebene gegen die Vertikale um einen „Sturzwinkel“ J entsteht eine „Sturzseitenkraft“, weil der Reifen infolge der unterschiedlichen Eindrückung und Umfangsstauchung nach Art eines Kegels abrollen will, Bild 4.5, was naturgemäß beim umfangssteiferen Radialreifen weniger ausgeprägt ist als beim Diagonalreifen. Ein Grad Sturz erzeugt beim Diagonalreifen etwa ein Sechstel der Seitenkraft, die ein Grad Schräglaufwinkel ergeben würde, beim Radialreifen nur noch etwa ein Zwölftel. Die Kraftschlußgrenze wird durch den Sturz nicht erhöht, aber der Schräglaufwinkel bei gegebener Seitenkraft verringert.
Bild 4.5. Die Sturzseitenkraft
Der Radsturz im stationären Belastungsbereich (Fahrzeug mit Fahrer allein bis Fahrzeug voll beladen) wird durch die thermische Belastung des Reifens, die mit der Radlast und der Fahrgeschwindigkeit wächst, in engen Grenzen eingeschränkt. Für ein optimales Fahrverhalten ist ein leicht negativer Sturz, kombiniert mit einem geeigneten Vorspurwinkel, günstig, da dann die Reifen bei Geradeausfahrt mit einer gewissen Seitenkraft vorgespannt sind und beim Anlenken schneller ansprechen. Für die optimale Traktion auf Glätte sind natürlich ein Sturzwinkel und Vorspurwinkel Null ideal. Es besteht verständlicherweise der Wunsch, die bestmögliche Radstellung auch bei Kurvenfahrt beizubehalten. Hier erweist sich theoretisch die Starrachse als beste, da sie einen nahezu konstanten Sturzwinkel zur Fahrbahn aufweist. Angetriebene Starrachsen mit Winkelgetriebe in der Achsbrücke müssen aber mit Rücksicht auf die Achswellen mit Sturz und Vorspur Null auskommen. Auch die meisten Verbundaufhängungen sind bezüglich des Sturzverhaltens günstig ausgelegt. Bei der Einzelradaufhängung muss dagegen stets ein Kompromiss zwischen der Geradeausfahrt und der Kurvenfahrt geschlossen werden. Ideal wäre eine progressive Zunahme des Sturzes mit dem Einfederweg, so dass dieser im statischen Lastbereich noch in thermisch zulässigen Grenzen bleibt und bei extremer Querbeschleunigung stark anwächst. Dies ist im Prinzip bei Doppelquerlenkerachsen möglich, führt aber dann auch zu einer weniger erwünschten progressiven Zunahme des negativen Sturzes am ausgefederten Rade, ferner ergibt sich eine verringerte Höhenänderung des Rollzentrums über dem
4.2 Schräglauf und Schlupf
69
Federweg, also ein verstärktes „Aufstützen“ bei Kurvenfahrt (s. Kap.7), was den erhofften Gewinn zunichte machen kann. Eine der Sturzseitenkraft ähnliche Wirkung entsteht durch eine (evtl. beabsichtigte) Herstellungs-Unsymmetrie des Reifens z.B. im Gürtel, so dass eine Konstant-Seitenkraft beim Abrollen hervorgerufen wird („Konus-Effekt“). Die Übereinanderschichtung der gegeneinander winkelig verlaufenden Karkassenfäden unter der Lauffläche gibt dem Fadenwinkel der obersten Lage den stärksten Einfluss, so dass jeder Reifen einen „Winkel-Effekt“, d.h. einen Konstant-Schräglaufwinkel ohne Seitenkraft, aufweist, der sich bei Rückwärtsfahrt umkehrt. Winkel- und Konus-Effekt machen sich nur dann störend bemerkbar, wenn sie unter wechselnder Umfangskraft ihre Größe ändern. Vorstehend wurden die wichtigsten stationären Reifeneigenschaften betrachtet. Für Übergangs- oder Einlaufvorgänge gilt die Faustregel, dass der stationäre Betriebszustand nach etwa einer Radumdrehung erreicht wird. Der Reifen ist von allen Bauteilen des Fahrwerks am stärksten von Fertigungsabweichungen betroffen, was angesichts der verwendeten Materialien nicht verwundern kann. Maß- und Formfehler wie Höhen- und Seitenschlag sind relativ leicht messbar, Ungleichförmigkeiten in der Verteilung des Materials oder der Steifigkeit (tyre non-uniformity) können dagegen nur auf speziellen Prüfmaschinen festgestellt werden. Massen- oder Steifigkeitsabweichungen rufen beim Abrollen Radial-, Lateral- und Tangentialkraftschwankungen hervor, deren Amplituden zudem über der Fahrgeschwindigkeit veränderlich sein können und deren höhere harmonischen Anteile im Gegensatz zu den Erfahrungen aus dem allgemeinen Maschinenbau durchaus noch beträchtliche Amplituden erreichen. Diese regen hochfrequente Schwingungen bis in den hörbaren Bereich an, und eine wesentliche Aufgabe der in der Radaufhängung verwendeten Gummilager ist neben der Dämpfung von Fahrbahnstößen die Isolation des Fahrzeugkörpers gegenüber diesen Erregerkräften des Reifens.
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5 Federung und Dämpfung
5.1 Aufgaben der Federung Die Federung soll den Fahrzeugkörper vor Stößen und hohen Beschleunigungen schützen, die beim Überfahren von Fahrbahnunebenheiten entstehen würden. Die Änderung der Federkraft ist von der Federrate abhängig. Je niedriger die Federrate, desto geringer ist der Kraftanstieg bei der Anhebung des Rades durch eine Bodenunebenheit. Beim Einfedern des Fahrzeugrades speichert die Federung kurzzeitig Energie, welche sie beim Ausfedern wieder freigibt. An den Fahrzeugkörper wird nur die Federkraftschwankung weitergeleitet. Zwischen der Fahrzeugfederung und der Fahrbahn befindet sich die „ungefederte“ Masse, nämlich das Rad mit dem Radträger und einem gewissen Anteil der Lenkermassen der Radaufhängung. Diese Masse würde beim Überfahren von Unebenheiten erheblich beschleunigt werden, wenn nicht der Reifen selbst eine „Federung“ böte. Um ein ununterbrochenes Schwingen des Fahrzeugkörpers unter dem Einfluss der Kraftschwankungen und Energieumsätze an der Federung zu vermeiden, sind Schwingungsdämpfer oder „Stoßdämpfer“ vorgesehen, welche die Schwingungen zum Abklingen bringen. Diese Stoßdämpfer sorgen zudem für eine verbesserte Bodenhaftung der Reifen, indem sie das Abspringen der Räder von der Fahrbahn verhindern, und erhöhen damit wesentlich die Fahrsicherheit. Die Stoßdämpfer wirken allerdings, indem sie sich gegen plötzliche Radbewegungen wehren, eigentlich nun wieder als „Stoßverstärker“. Für die Federungsabstimmung muss daher stets ein Kompromiss zwischen den Forderungen nach bestmöglicher Fahrsicherheit und höchstem Fahrkomfort gefunden werden. Da zur Fahrzeugfederung ausführliche Literatur vorliegt [67], werden im folgenden nur die wichtigsten Schwingungsarten des Fahrzeugs kurz angesprochen. Gleiches gilt für die technischen Federn [36, 38, 79], weshalb hier vor allem ihre Besonderheiten im Zusammenwirken mit der Radaufhängung betrachtet werden sollen.
72
5 Federung und Dämpfung
5.2 Fahrzeugschwingungen 5.2.1 Einmassenschwinger Das einfachste Schwingungsmodell zeigt Bild 5.1, eine Fahrzeugmasse m auf einer Feder, deren Rückstellkraft F über die Federrate c linear mit dem Radhub s zunimmt:
F ( s ) c s.
(5.1)
Unter dem Gewicht der Masse m sinkt die Feder um den statischen Federweg s 0 ein:
s0
m g /c
(5.2)
mit g = Erdbeschleunigung. Für Schwingungsberechnungen bildet bekanntlich die statische Ruhelage den Nullpunkt der Bewegung. Bei einer Auslenkung aus der Ruhelage um den Weg z wirkt die Federkraft rückstellend, es gilt
m z c z. Der Lösungsansatz für diese Differentialgleichung ist eine „harmonische“ Funktion, z.B.
z (t ) a cos(Z 0 t ). Mit a als Amplitude, t als Zeit und Z als einem noch zu bestimmenden Parameter ergibt sich
mZ a cos(Z t ) c a cos (Z t ) oder
Z
c /m.
Bild 5.1. Ungedämpfter linearer Einmassenschwinger
(5.3)
5.2 Fahrzeugschwingungen
Für die volle Schwingungsdauer T muss Z T
Z
73
2S sein, also ist
2S T
(5.4)
die „Kreisfrequenz“ der Eigenschwingung. Die Schwingfrequenz in Hz ist
f0
1/ T
(5.5)
und die Schwingungszahl in min -1
n0
60 f 0 | 10Z .
(5.6)
Aus den Gln. 5.4 und 5.5 folgt
Z
2S f 0
(5.7)
und mit der statischen Einfederung nach Gl. 5.2 wird auch
Z
g / s0 .
(5.8)
Bei einer linearen Feder besteht also ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der statischen Einfederung s 0 einer Masse und ihrer Eigenfrequenz, Bild 5.1c. Für den Menschen sind Frequenzen zwischen ca. 0,7 und 2,0 Hz am ehesten verträglich, was statischen Einfederwegen zwischen ca. 500 und 60 mm entspricht. An komfortablen Fahrzeugen müssen Federwege von r 100 mm und mehr angeboten werden; bei hohen Eigenfrequenzen und damit kleinen statischen Einfederwegen kann es also zu einer völligen Entlastung der Feder (Abheben von der Unterlage, Befestigung nötig) oder des Rades (Abheben von der Fahrbahn) kommen. Schwingungen werden entweder durch eine auf die Masse einwirkende Erregerkraft FE (t ) hervorgerufen („unmittelbare Erregung“), Bild 5.2a, oder durch eine erzwungene Hubbewegung z E (t ) der Federauflage („mittelbare“ oder „Fußpunkterregung“), Bild 5.2b. Die Erregerkreisfrequenz Z ist im allgemeinen von der Eigenkreisfrequenz Z verschieden.
Bild 5.2. Einmassenschwinger a) unmittelbare und b) mittelbare Erregung
74
5 Federung und Dämpfung
Für eine harmonische Erregerkraft FE cosZ t lautet dann die Bewegungsgleichung der unmittelbar erregten Schwingung m z c z FE cosZ t , und mit dem Ansatz z (t ) a cosZ t ergibt sich
mZ 2 a c a
FE .
(5.9)
Bei Fußpunkterregung mit der Amplitude z E (t ) hcosZ t mit h als Amplitude der Fahrbahnwelle ist die Bewegungsgleichung der mittelbar erregten Schwingung
m z c ( z h cosZ t ) 0 und mit z (t )
a cos Z t gilt mZ a c ( a h) 0.
(5.10)
Nach Division der Gln. 5.9 bzw. 5.10 durch die Masse m, Ersatz von m und c durch Z entsprechend Gl. 5.3 sowie Einführung des Verhältnisses
K Z Z 0 ,
(5.11)
der sogen. „Abstimmung“, ergibt sich für den unmittelbar erregten Schwinger als Amplitude
a
( FE / c) 1 -K 2
(5.12)
h . 1 K2
(5.13)
und für den mittelbar erregten a
Die „Vergrößerungsfunktionen“ a c / FE bzw. a/h der Schwingamplitude a gegenüber der Erregeramplitude sind also beim linearen Schwinger nur vom Frequenzverhältnis K abhängig. Für K 1 haben Schwinger- und Erregeramplitude das gleiche Vorzeichen („unterkritischer“ Schwingungszustand), für K 1 wird die Amplitude a unendlich groß („Resonanz“) und für K !1 bewegt sich der Schwinger entgegengesetzt zur Erregerfunktion („überkritischer“ Zustand). Die Gleichungen 5.9 und 5.10 lassen sich anschaulich deuten, denn in 5.9 steht formal die Bedingung für den Schnittpunkt einer Geraden mit der Steigung c über der Abszisse a mit einer um die Ordinate FE versetzten Geraden mit der Steigung mZ , Bild 5.2c, in 5.10 die Bedingung für den Schnittpunkt einer Geraden der Steigung mZ über a mit einer Geraden der Steigung c über einer um h verkürzten Abszisse, Bild 5.2d. Die Größe
5.2 Fahrzeugschwingungen
75
mZ aber entspricht einer fiktiven Federrate einer Federkennlinie F c( z ) mZ z , die der Masse m eine mit der Erregerfrequenz Z identische Eigenfrequenz verleihen würde. Eine lineare Federung hat, wie Bild 5.1 zeigte, den Nachteil einer mit der statischen Einfederung sinkenden Eigenfrequenz. Dies trifft z.B. für ein Fahrzeug mit wechselnder Beladung zu. Soll die Eigenfrequenz unabhängig von der Beladung stets gleich groß bleiben, so muss das Verhältnis c / m Z 02 konstant bleiben, und mit der Federrate c als Ableitung der Federkraft nach dem Federweg, c = dF/ds, sowie der Federkraft F = mg ergibt sich die Federkennlinie aus der Bedingung dF/ds Z02 F/g bzw. deren Integral ln F ln F0 ln( F / F0 ) Z02 s / g mit ln F0 als Integrationskonstante. Die Federkennlinie für die beladungsunabhängige Eigenfrequenz lautet damit [19]
F ( s)
F0 eZ s / g
(5.14)
und ist in Bild 5.3 dargestellt.
Bild 5.3. Federkennlinie für konstante Eigenfrequenz
Die Federrate c = dF/ds ist die örtliche Steigung der Kennlinie F(s) und gilt nur für kleine Schwingamplituden, wo eine Linearisierung der Kennlinie noch erlaubt ist. An die Stelle der statischen Einfederung s 0 tritt nun, z.B. in Gl. 5.8, die Subtangente s 0i , die im Falle von Bild 5.3 wegen der konstanten Eigenfrequenz nicht nur bei F F0 , sondern an jedem Punkt der Kennlinie gleich groß ist. In der Praxis werden fast stets „progressive“ Federkennlinien, wenn auch nicht unbedingt zur Erzielung einer konstanten Eigenfrequenz, angewandt, einmal um ein zu starkes Absinken der Eigenfrequenz mit wachsender Beladung, aber auch um ein „Durchschlagen“ der Federung bei höheren Fahrbahnwellen zu vermeiden. Bei nichtlinearer Federung und größeren Amplituden genügt es nicht mehr, die Eigenschwingungsdauer mit der örtlichen linearisierten Federrate zu bestimmen. Die Schwingungsamplituden in beiden Ausschlagrichtungen ergeben sich aus der Bedingung, dass die Arbeitsaufnahme der Fe-
76
5 Federung und Dämpfung
der jeweils gleich groß ist (sogen. „konservatives“ Schwingungssystem ohne Energiezufuhr bzw. –verlust). Die Berechnung der Schwingungsdauer erfolgt durch Integration über dem Federweg. Progressive Federungen werden in der Praxis am einfachsten durch die Überlagerung der Kennlinien einer Hauptfeder (im allgemeinen eine Metallfeder) und einer Zusatzfeder (vornehmlich aus gummielastischem Material) erzeugt oder auch durch eine entsprechende Formgebung der Hauptfeder. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Beeinflussung des Verlaufs der „Federübersetzung“ durch die entsprechende Auslegung der Radaufhängung (s. Abschn. 5.4). Ungedämpfte Schwingungen klingen, einmal angeregt, theoretisch nicht mehr ab. Da dies an Fahrzeugen unerwünscht ist, werden Schwingungsdämpfer verwendet. Diese bauen allerdings selbst Beschleunigungskräfte auf und wirken daher zum Teil auch komfortmindernd, nämlich eher stoßverstärkend als stoßdämpfend. Dämpfer „vernichten“ Energie, denn sie setzen diese in Wärme um, was sich in einem erhöhten Fahrwiderstand auf schlechter Fahrbahn bemerkbar macht. Das älteste und oft ungewollt vorhandene Dämpfungsmittel ist die Reibung. Die meistens etwa konstante Reibkraft addiert sich zu den Verzögerungskräften der Feder und subtrahiert sich von ihren Beschleunigungskräften, verzerrt also die harmonische Schwingbewegung und führt zu Beschleunigungsüberhöhungen; ferner werden Störkräfte, die kleiner sind als die Reibkraft, quasi „ungefedert“ auf das Fahrzeug übertragen. Deshalb wird angestrebt, die Reibung in den Gelenken der Radaufhängung so gering wie möglich zu halten und die Dämpfung der Schwingungen allein durch Flüssigkeitsdämpfer mit geschwindigkeitsabhängiger Dämpfkraft zu erreichen. Bei einer harmonischen Bewegung z a cos Z t ergibt sich die Geschwindigkeit zu z aZ sinZt und die Beschleunigung zu z aZ cosZ t , d. h. die größte Schwinggeschwindigkeit (und damit Dämpferkraft) tritt dann auf, wenn die Beschleunigung Null ist, und umgekehrt. Bild 5.4 zeigt einen Einmassenschwinger mit linearer Feder und einem Flüssigkeitsdämpfer schematisch; die Dämpfkraft möge proportional der Geschwindigkeit vD des Kolbens im Dämpfer sein, Bild 5.4c, d. h. es gilt FD k D vD mit kD als „Dämpferkonstante“. Die Bewegungsgleichungen für die unmittelbar (Bild 5.4a) und die mittelbar erregte Schwingung (Bild 5.4b) werden um ein „Geschwindigkeitsglied“ bereichert:
m z k D z c z
FE cos Z t bzw. mz k D ( z hZsinZt ) c( z hcosZt ) 0
5.2 Fahrzeugschwingungen
77
Bild 5.4. Gedämpfter linearer Einmassenschwinger
Da nun sowohl Kosinus- als auch Sinusglieder auftreten, ist ein erweiterter Ansatz z (t ) a1 cos Z t a 2 sin Z t zweckmäßig. Mit Z 02 c / m nach Gl. 5.3 und dem Lehr’schen Dämpfungsmaß
D
k D /( 2mZ )
k D /(2 mc ),
(5.15)
einer dimensionslosen, für das Verhalten des Schwingers charakteristischen Kennzahl, welche bei Kraftfahrzeugen um 0,2–0,3 liegt, entstehen aus jeder der beiden soeben aufgestellten Bewegungsgleichungen für die Zeitpunkte Z t 0 und Z t S je zwei Bestimmungsgleichungen für die Amplituden a1 und a 2 , die um 90° phasenverschoben auftreten und vektoriell zu addieren sind. Man erhält so die Vergrößerungsfunktionen [19, 67] a
( FE / c) (1 K 2 ) 2 4 D 2K 2
(5.16)
für den unmittelbar erregten und
a
h 1 4 D 2K 2 (1 K 2 ) 2 4 D 2K 2
(5.17)
für den mittelbar erregten Schwinger. Bild 5.5 zeigt für den fahrzeugtechnisch interessanteren Fall der Fußpunkterregung die Vergrößerungsfunktion a/h (die „Resonanzkurve“) über der Abstimmung K und mit dem Dämpfungsmaß D als Parameter.
Bild 5.5. Vergrößerungsfunktionen beim linearen Einmassenschwinger
78
5 Federung und Dämpfung
Für K = 2 nimmt a/h unabhängig von D den Wert 1 an. Über den Bereich 0 K d 2 hinweg ist die Schwingeramplitude a größer als die Er2 dagegen kleiner. Die Resonanzüberhöregeramplitude h, oberhalb K hung bei K 1 wird mit wachsendem Dämpfungsmaß D geringer. Im Bereich 0 K d 2 sinkt, darüber steigt die Amplitude a mit dem Dämpfungsmaß. D = 0 bedeutet „keine Dämpfung“; für diesen Fall geht Gl. 5.17 in Gl. 5.13 über. Die geschwindigkeitsabhängige Dämpfung stellt einen Idealfall dar, der praktisch nie erreicht wird. Bild 5.6 soll die Wirkung verschiedener Dämpfungsmechanismen anhand des Ausschwingvorgangs einer um 100 mm ausgelenkten und dann freigegebenen Masse von 300 kg deutlich machen, welche federnd mit einer Eigenkreisfrequenz Z0 2S s -1 bzw. einer Federrate c = 12,1 N/mm aufgehängt ist. Für D = 0 stellt sich eine kontinuierliche harmonische Schwingung ein. Mit Flüssigkeitsdämpfung und einem Dämpfungsmaß D = 0,3 klingt die Schwingung anfangs stärker, dann immer schwächer ab; sie dauert theoretisch unendlich lange an, wobei die Amplitude sich nach einer e-Funktion verringert. Dämpfung durch eine wegabhängige Reibkraft r (z.B. „Werkstoffdämpfung“) ergibt nur oberflächlich betrachtet ein ähnliches Verhalten wie die Flüssigkeitsdämpfung; die Durchgänge durch die Ruhelage sind steiler und die Beschleunigungen in den Umkehrpunkten höher. Wegabhängige Reibungsdämpfung ist also noch ungünstiger als eine Dämpfung mit einer konstanten Reibkraft FR , für die aber das „Hängenbleiben“ des Schwingers in einem Amplitudenbereich der Breite r FR / c um die Ruhelage typisch ist. Radaufhängungen mit Reibungsdämpfung (Blattfederpaket!) nehmen daher nach einer Belastung nicht unbedingt wieder ihre ursprüngliche Lage ein, und bei Lenksystemen mit merklicher Reibung im Gestänge ist der Rücklauf in die exakte Geradeausstellung nicht gewährleistet.
Bild 5.6. Ausschwingvorgang an einer Masse bei verschiedenen Dämpfungsmechanismen
5.2 Fahrzeugschwingungen
79
5.2.2 Zweimassenschwinger Die „ungefederten“ Massen (Räder, Radträger, und Teile der Radaufhängung) machen bei Personenwagen etwa 8–10% der Fahrzeugmasse aus, die zugehörige Federrate (Reifen und Fahrzeugfederung „parallel“ geschaltet) wird im wesentlichen von der Reifenrate bestimmt, die in der Größenordnung des Zehnfachen der Fahrzeug-Federrate liegt. Gemäß Gl. 5.3 ist die Eigenfrequenz der „ungefederten“ Massen also etwa zehnmal so groß als die des Fahrzeugkörpers, weshalb es zumindest bei hohen Frequenzen notwendig ist, die Radschwingungen zu berücksichtigen, was hier vereinfacht an einem Zweimassenmodell geschehen soll. Bild 5.7 zeigt ein solches System, bei welchem die ohnehin sehr schwache Dämpfwirkung des Reifens vernachlässigt wurde. Das System besteht also aus der anteiligen Fahrzeugmasse m2 mit der Fahrzeugfeder (Federrate c 2 ), einem Dämpfer (Dämpferkonstante k 2 ), der Radmasse m1 und der Reifenfeder mit der Rate c1 . Die Vergrößerungsfunktion a 2 / h der Schwingung der Fahrzeugmasse weist zwei Resonanzüberhöhungen auf, und zwar einmal bei der „Aufbauresonanz“ (K 2 1) , zum anderen bei der „Rad“- oder „Achsresonanz“ (K 2 |10) . Eingetragen ist auch die aus der Reifenfederung und der Reifenfederrate sich ergebende Amplitude a P /(c1 h) der Radlastschwankung. Mit wachsendem Dämpfungsmaß D der Fahrzeugfederung verringert sich die Amplitude der Aufbauschwingung deutlich, die der Radlastschwankung aber erheblich weniger bei gleichzeitiger Verbreiterung des betroffenen Frequenzbereichs. Zu beachten ist, dass die Erregeramplitude h bei langen Fahrbahnwellen, also niedrigen Erregerfrequenzen, in der Praxis erheblich größer ist als bei kurzen Wellen bzw. höheren Erregerfrequenzen, so dass der geringe Abbau der Radlastamplitude in der Umgebung der Fahrzeugresonanz (K 1) relativ höher zu bewerten ist.
Bild 5.7. Gedämpfter Zweimassenschwinger
80
5 Federung und Dämpfung
Die populäre Meinung, dass eine stärkere Dämpfung die Fahrsicherheit, wenn auch auf Kosten des Komforts, erhöht, gilt nicht uneingeschränkt. Bei gegebener Federrate bringen eine wachsende Dämpfkraft bzw. ein vergrößertes Dämpfungsmaß D zwar bei anfangs geringfügiger, dann zunehmender Beeinträchtigung des Federungskomforts eine zunächst deutliche Verringerung der dynamischen Radlastschwankungen und damit Verbesserung der Fahrsicherheit; wie Bild 5.8 (nach [40]) aber zeigt, erreicht die gute Bodenhaftung ein Maximum und geht dann bei drastischer weiterer Abnahme des Komforts wieder zurück. Der Grund hierfür ist anschaulich leicht einzusehen: bei zu straffer Dämpfung schafft es die Feder nicht mehr, das Rad den Bodenwellen nachzuführen, und dieses hüpft von einer Wellenspitze zur anderen. Eine „sportliche“ härtere Federabstimmung (unterbrochene Linien) bringt nur noch eine geringe Verbesserung der Bodenhaftung bei erheblichem Komfortverlust. In Gl. 5.15 ist das Dämpfungsmaß D der Dämpferkonstanten k D proportional und der Wurzel aus der Federrate c umgekehrt proportional, D ~ k D / c . Eine Komfortverbesserung, d. h. eine Verringerung der komfortschädigenden Dämpferkräfte, ist daher bei gleichem Dämpfungsmaß, folglich gleich bleibendem Schwingverhalten des Fahrzeugs, am besten durch eine Absenkung der Federrate bzw. der Aufbau-Eigenfrequenz zu erzielen. Eine „weiche“, also komfortable Federauslegung erlaubt demnach die Einhaltung eines gewünschten Dämpfungsmaßes D bei niedrigen absoluten Dämpferkräften mit allen daraus folgenden Vorteilen für den Schwingungskomfort, die Geräuschübertragung und letztlich auch den Kraftstoffverbrauch. Die Bewertung des Fahrkomforts bei Kraftfahrzeugen ist seit Jahrzehnten das Objekt zahlreicher Untersuchungen [41]. Beeinträchtigungen des Komforts werden vom Fahrzeuginsassen je nach Frequenzbereich unterschiedlich über die mechanische Schwingamplitude, die Schwinggeschwindigkeit und die Schwingbeschleunigung wahrgenommen, wobei gleichzeitig auftretende akustische Störungen untrennbar mit einwirken. Das optische Erkennen des Fahrbahnzustandes und damit ggf. der Ursache der Belästigung kann den Gesamteindruck mildernd korrigieren.
Bild 5.8. Abstimmungsspielraum zwischen Fahrkomfort und Fahrsicherheit (schematisch)
5.2 Fahrzeugschwingungen
81
5.2.3 Nickschwingung und Wankschwingung Die Betrachtung des Schwingungsverhaltens des Fahrzeugs im vorangegangenen Abschnitt fußte auf der vereinfachenden Annahme, dass die Masse des Fahrzeugkörpers in Einzelmassen über den Achsen bzw. den Rädern aufgeteilt werden darf, was nicht immer zulässig ist. Daher sollen abschließend noch einige Überlegungen zum Schwingungsverhalten des Gesamtfahrzeugs angestellt werden, wobei hier nun wieder vereinfachend die Radmassen, die Reifenfedern und die Dämpfer vernachlässigt werden. In der Seitenansicht des Fahrzeugs können i. a. beide Federn einer „Achse“ zusammengefasst betrachtet werden, da Fahrzeuge normalerweise zur ihrer Mittelebene symmetrisch aufgebaut sind. Das Ersatzschema eines derart vereinfachten Fahrzeugmodells zeigt Bild 5.9. Der Fahrzeugkörper weist in der Seitenansicht zwei Freiheitsgrade auf, nämlich die Hubbewegung in z-Richtung und eine Drehbewegung um die Querachse, die „Nickbewegung“ mit dem „Nickwinkel“ - . Mit den Schwerpunktsabständen l1 und l 2 der Achsen sind bei einer allgemeinen, kombinierten Hub- und Nickbewegung die Federwege über der Vorderachse (1) s1 z - l1 und über der Hinterachse (2) s 2 z - l 2 . Mit dem „Trägheitsradius“ i = 4 / m kann das Nickträgheitsmoment auch als 4 i 2 m geschrieben werden, und die Bewegungsgleichungen lauten:
m z z (c1 c2 ) - c1l1 c2l2 ) 0 i ² m- - c1l1 ² c2l2 ²) z (c1l1 c2l2 )
(5.18) (5.19)
0
Der Ansatz z a cosZ t und - -0 cosZ t liefert die Bestimmungsgleichung für die Quadrate der beiden Eigenkreisfrequenzen:
i 2 m 2Z 4 mZ 2 {c1l12 c2l22 i 2 (c1 c2 )} c1 c2 (l1 l2 ) 2
0.
(5.20)
Die Gln. 5.18 und 5.19 enthalten bei - bzw. bei z jeweils den gleichen Koeffizienten c1l1 c2l2 . Ist dieses „Koppelglied“ gleich Null, so können aus Gl. 5.18 unmittelbar die Hub- und aus Gl. 5.19 die Nickeigenfrequenz berechnet werden, die Gleichungen sind „entkoppelt“. Die Bedingung für die „Feder-Entkopplung“ ist also
c1l1
Bild 5.9. Hub- und Nickschwingung
c2 l 2
(5.21)
82
5 Federung und Dämpfung
und hat die gleiche Form wie die Schwerpunktsbedingung zweier Massen. Die Federn entsprechen dann einer Ersatzfeder mit der Federrate c c1 c 2 in einem „Federschwerpunkt“, der mit dem Fahrzeugschwerpunkt zusammenfällt. Für den Fall der „Feder-Entkopplung“ sind die Eigenfrequenzen der Hub- und der Nickschwingung: und
Zz2
(c1 c2 ) / m
(5.22)
Z-2
(c1 l12 c2 l22 ) /(i 2 m).
(5.23)
Gleichheit von Zz und Z- hätte den Vorteil, dass am Fahrzeug, zumindest in der Seitenansicht, nur eine Eigenfrequenz aufträte, was die Federungsabstimmung erheblich erleichtern würde. Durch Gleichsetzung von 5.22 und 5.23 erhält man
i2
(5.24)
l1 l2 .
Diese Gleichung ist vom physikalischen „Reversionspendel“ her bekannt, welches in zwei Punkten, die Gl. 5.24 erfüllen, wahlweise aufgehängt werden kann und beide Mal mit gleicher Frequenz schwingt. Die Auflösung der Gln. 5.18 und 5.19 liefert im allgemeinen zwei Kombinationsformen einer Hub- und einer Nickschwingung, wobei einmal die Hub- und einmal die Nickschwingung dominiert. Wenn angenommen wird, dass die Hub- und die Nickschwingung in gleicher Phasenlage angeregt werden, ergibt sich aus dem Amplitudenverhältnis beider ein „Pol“ P im Abstand p z (t ) / - (t ) , um welchen der Fahrzeugkörper in der Seitenansicht schwenkt, vgl. Abb. 5.9. Da die Beschleunigungen jeweils im gleichen Verhältnis wie die Wege stehen, lässt sich aus den o. g. Gleichungen der Polabstand berechnen, wenn der Trägheitsradius i bekannt ist. Für den Sonderfall i 2 l1 l2 erhält man die Gleichung p 2 p (l1 l2 ) l1 l2
0
mit den Lösungen p1 l1 und p2 l2 , d. h. der Fahrzeugkörper schwingt einmal um die Vorder- und einmal um die Hinterachse unabhängig davon, ob gleichzeitig „Feder-Entkopplung“ gemäß Gl. 5.21 vorliegt oder nicht. Mit den anteiligen Massen m1 ml2 /(l1 l2 ) bzw. m2 ml1 (l1 l2 ) der Fahrzeugmasse an Vorder- und Hinterachse wird der „Steiner’sche Anteil“ dieser Massen am Nick-Trägheitsmoment 4St m1 l12 m2 l22 ml1 l2 und damit gemäß Gl. 5.24 gleich dem Gesamt-Nickträgheitsmoment; das Fahrzeugmodell aus Masse und Nickträgheitsmoment in der Seitenansicht ist dann einem aus zwei Massenpunkten über der Vorder- und der Hinterachse gleichwertig. Gleichung 5.24 definiert die „Massen-Entkopplung“, und zwei dieser Gleichung genügende Fahrzeugpunkte, hier die beiden Ach-
5.2 Fahrzeugschwingungen
83
sen, sind gegenseitige „Stoßmittelpunkte“. Eine Störung, z.B. Vertikalkraft, an Achse 1 hat keine Auswirkung auf Achse 2 und umgekehrt. Nur für den Fall der Massen-Entkopplung ist die Aufteilung der Fahrzeugmasse auf zwei Einzelschwinger über den Achsen physikalisch einwandfrei. Nickschwingungen werden durch Beschleunigungs- und Bremsvorgänge, vor allem aber durch Fahrbahnunebenheiten verursacht. Letztere wirken auf die Hinterachse um einen aus dem Radstand l und der Fahrgeschwindigkeit v berechenbaren Zeitverzug 't l / v später als auf die Vorderachse. Das Schwingungsverhalten eines Fahrzeugs, das ein Einzelhindernis in Form einer Halbsinuswelle überfährt, ist in Bild 5.10 wiedergegeben. Das Fahrzeug soll massen-entkoppelt sein, wie dies für Personenwagen etwa zutrifft. Aus der Differenz der Amplituden an Vorder- und Hinterachse und dem Radstand folgt der Nickwinkel - . Für gleiche Eigenfrequenzen an beiden Achsen, hier n 80 min -1 , bleibt der Zeitverzug 't der Phasen konstant, die Nickschwingung dauert ebenso lange an wie die Hubschwingungen über den Achsen. Wird dagegen die Vorderachse mit niedrigerer Eigenfrequenz versehen als die Hinterachse (hier 70 zu 90 min -1 ), so holt die schneller schwingende Hinterachse den Zeitverzug bald auf und bewegt sich bereits zu Beginn der zweiten Vollschwingung etwa in gleicher Phase wie die Vorderachse, weshalb der Nickwinkel nahezu abgeklungen ist. Die Praxis schließt daher einen Kompromiss zwischen dem Wunsch nach Entkopplung von Hub- und Nickschwingungen und dem Wunsch nach Verringerung des Nickwinkels beim Überfahren von Einzelhindernissen, indem die Eigenfrequenz der Vorderradfederung um bis zu ca. 30% niedriger gewählt wird als die der Hinterradfederung.
Bild 5.10. Nickschwingung am Einzelhindernis
84
5 Federung und Dämpfung
Kleine und leichte Personenwagen erhalten meistens einen im Verhältnis zur Fahrzeuglänge großen Radstand, um Innenraum zu gewinnen, und können daher die Gl. 5.24 nicht erfüllen. Mit einer „Längsverbundfederung“ lassen sich die Federraten so aufteilen, dass bei unveränderter Gesamt-Hubfederrate – also Hubeigenfrequenz – eine verminderte Nickfederrate bzw. Nickfrequenz entsteht. Da eine Längsverbundfederung – ihrer Bestimmung nach – die Nickfederrate absenkt, sind an den Radaufhängungen Maßnahmen gegen das Brems- und Anfahrnicken zu empfehlen. Eine Längsverbundfederung zeigt Bild 5.11 schematisch an einem Fahrzeug in der Seitenansicht. Vorder- und Hinterrad sind durch eine „Verbundfeder“ mit der Federrate cF2 verbunden, die beim Parallelfedern beider Räder von beiden Enden her auseinander gezogen wird und, da ihre Mitte dabei ortsfest liegen bleibt, an jeder Radaufhängung mit ihrem halben Volumen, also ihrer doppelten Federrate wirkt. Bei einer reinen Nickbewegung wird sie dagegen lediglich ohne Längenänderung in Fahrtrichtung hin und her geschoben. Mit dieser Feder allein wäre das Fahrzeug also nicht fixiert und könnte wie ein Waagebalken jede Winkelstellung einnehmen. Aus diesem Grunde ist bei einer Verbundfederung mindestens eine „Richtfeder“ zwischen mindestens einer der Radführungen und dem Fahrzeugkörper erforderlich. In Abb. 5.11 sind zwei Richtfedern mit der Rate cF1 vorgesehen. Unterschiedliche Achslastverteilungen am Fahrzeug können durch die Wahl unterschiedlicher Richtfederraten kompensiert werden, auch sind dann unterschiedliche „Übersetzungen“ der Verbundfeder durch Festlegung entsprechender Hebelarme an den beiden Radaufhängungen sinnvoll. Mechanische Längsverbundfederungen mit Schraubenfedern ähnlich Bild 5.11 gab es bei den kleinen Modellen von Citroɺn, und mit längs liegenden Verbund-Drehstabfedern u. a. bei Packard. Angesichts der beengten Raumverhältnisse in modernen PKW erweist sich ein Längsverbund über Hydraulikleitungen als erheblich günstiger. Die Wagen der British Motor Corporation waren zunächst mit einer „Hydrolastic“-Federung aus hydraulisch verbundenen Gummilagern ausgerüstet, die dann zu einem „Hydragas“-System mit Gasfedern weiterentwickelt wurde.
Bild 5.11. Längsverbundfederung (schematisch)
5.2 Fahrzeugschwingungen
85
Bild 5.12. Hydrolastic-Verbundfederung (Werkbild Moulton Developments Ltd.)
Das Prinzip der Hydrolastic-Federung zeigt Bild 5.12. Die Federungseinheit besteht aus einem Gehäuse, das sich am Fahrzeugkörper abstützt, und einem an der Radaufhängung abgestützten Kolben, der über einen Rollbalg mit dem Gehäuse in Verbindung steht. Im oberen Bereich des Gehäuses sitzt eine progressive Gummi-Schubfeder. Der Raum zwischen dem Rollbalg und der Gummifeder ist mit einer unter Druckvorspannung stehenden Hydraulikflüssigkeit gefüllt. Eine Leitung verbindet auf jeder Fahrzeugseite die Federungseinheiten von Vorder- und Hinterrad. Beim parallelen Einfedern beider Räder (a) wird der Druck in der Flüssigkeit durch die Kolben und Rollbälge erhöht, und die Gummifedern werden verformt. Bei einer quasistationären Nickbewegung (etwa während eines länger andauernden Brems- oder Beschleunigungsmanövers) verdrängt das einfedernde Rad die Flüssigkeit über die Verbindungsleitung zum ausfedernden Rade; solange keine nennenswerte Drosselung in der Verbindungsleitung stattfindet, ändert sich der Druck in der Flüssigkeit kaum, und die Gummifedern bleiben ohne zusätzliche Belastung. Dank der gegensinnig konischen Formgebung des Gehäuses und des Kolbens wächst aber beim Einfedern die wirksame Balgfläche (deren Durchmesser etwa von der Stelle der Balgkontur definiert wird, wo der Balg eine waagrechte Tangentialebene aufweist), während sie beim ausfedernden Rade abnimmt. Es ist unschwer zu erkennen, dass der Balg im Zusammenwirken mit den konischen Kolben- und Gehäusewandungen hier die Rolle der „Richtfeder“ übernimmt. Eine stoßhafte Nickbewegung führt dagegen zu einer merklichen Drosselung in der Verbindungsleitung, so dass der Druck in den Kammern des Vorder- und des Hinterrades unterschiedlich ausfällt und die Gummifedern entsprechend unterschiedlich verformt werden (b). In den Kammern befinden sich zusätzlich Dämpferventile. Mit diesem System wurde die Nickeigenfrequenz auf ca. 70% der Hubeigenfrequenz vermindert [68].
86
5 Federung und Dämpfung
Bild 5.13. Hydragas-Verbundfederung
(Werkbild Moulton Developments Ltd.)
Die Hydragas-Verbundfederung, Bild 5.13, arbeitet mit Gasfederelementen anstelle von Gummifedern. Bei einer „Wankschwingung“ des Fahrzeugkörpers um die Fahrzeuglängsachse erscheint das Federungssystem symmetrisch zu derselben aufgebaut. Mit der Spurweite b, Bild 5.14a, errechnen sich die gegensinnigen Federwege der Räder einer Achse bei einem Wankwinkel M zu s (b / 2)M , woraus die Federkraftänderungen F c(b / 2)M und das Wank-Rückstellmoment M F b c (b / 2)M b folgen, also ist die Wankfederrate c M M / M der Achse
cM
c b 2 / 2.
(5.25)
Bild 5.14. Wankfederung: a) Tragfeder b) Stabilisatorfeder c) Ausgleichsfeder
5.2 Fahrzeugschwingungen
87
Bei der Bestimmung der Gesamt-Wankfederrate des Fahrzeugs ist aber zu beachten, dass an Vorder- und Hinterachse im allgemeinen, abgesehen von unterschiedlichen Konstruktionen der Radaufhängungen, fast stets auch ungleich große Wankfederraten vorgesehen werden. Durch diese Maßnahmen kann – neben anderen Einflussgrößen – dafür gesorgt werden, dass sich bei Kurvenfahrt das von der Seitenkraft am Fahrzeugschwerpunkt hervorgerufene Kippmoment an Vorder- und Hinterachse wunschgemäß in Radlaständerungen umsetzt und das Fahrverhalten vorteilhaft beeinflusst wird. Die Wankfederung wird also zu einer „Umverteilung“ des Gesamt-Wankmoments an den Achsen des Fahrzeugs verwendet. Wie später in Kap. 7 gezeigt wird, ist es im allgemeinen erforderlich, an der Vorderachse ein deutlich höheres Wankmoment abzustützen als an der Hinterachse (bei PKW bis zum doppelten Wert!). Diese Forderung widerspricht der Federungsauslegung für ein optimales Nickverhalten am Einzelhindernis, vgl. Bild 5.10, welche zu einer im Vergleich zur Hinterachse niedrigeren Hubeigenfrequenz der Vorderachse führt. Um der an sich weicher abgestimmten Vorderachse eine deutlich höhere Wankfederrate zu geben, wird an der Vorderachse fast immer eine „Stabilisatorfeder“ eingebaut, die nur auf gegensinniges Ein- und Ausfedern der beiden Räder anspricht und bei gleichsinnigen Hubbewegungen unwirksam bleibt. Als Zusatzmaßnahme kann (selten), wenn die Wanksteifigkeit an der Vorderachse sonst unerträglich hoch werden müsste, die Wankfederrate der Hinterachse durch eine „Ausgleichsfeder“ herabgesetzt werden, indem ein Teil der Hubfederrate in diese übernommen wird. Die Bilder 5.14b und c zeigen schematisch die Wirkungsweisen der Stabilisatorbzw. Ausgleichsfedern in der Radaufhängung. In der Praxis werden als Stabilisatorfedern fast durchweg Drehstabfedern eingesetzt, die sich leicht im Fahrzeug unterbringen und abstimmen lassen, Bild 5.15. Im Beispiel b dient der Stabilisator zugleich als Achslenker (MacPherson-Prinzip [77]).
Bild 5.15. Drehstab-Stabilisatoren
88
5 Federung und Dämpfung
Bild 5.16. Beispiele für Ausgleichsfedern
Drei Bauprinzipien von Ausgleichsfedern sind in Bild 5.16 dargestellt, und zwar eine als Waagebalken arbeitende Querblattfeder (a), eine zwischen zwei Radaufhängungen wirkende Schraubenfeder (b) und eine z-förmig abgewinkelte Drehstabfeder (c), das Gegenstück zum DrehstabStabilisator von Bild 5.15.
5.3 Federsysteme Die Federelemente wirken im Fahrzeug im allgemeinen in Verbindung mit anderen Bauteilen, z.B. Zusatzfedern, elastischen Lagerungen oder mit Lenkern der Radaufhängung. Häufig werden Federelemente mit unterschiedlichen Eigenschaften kombiniert, wofür Bild 5.17 Beispiele zeigt. In Bild 5.17a ist ein hydropneumatisches Federbein dargestellt, dessen Federrate c2 von der Querschnittsfläche der Kolbenstange, dem Flüssigkeits- bzw. Gasdruck und dem Gasvolumen bestimmt wird. Eine zusätzlich angebaute Schraubenfeder mit der Federrate c1 trägt einen Anteil der Gesamtlast F, so dass die Gasfeder nur die statischen Laständerungen ausregeln muss („teiltragendes“ hydropneumatisches Federbein). Bei einer Verschiebung des Angriffspunktes der Kraft F um den Federweg f wird die Schraubenfeder um f zusammengedrückt und die Kolbenstange taucht um f in den Zylinder ein. Der Kraftzuwachs ist also 'F f (c1 c2 ) , d. h. die beiden Federn wirken parallel gegen F, und ihre Federraten können in Summe betrachtet werden: mit 'F f cres ergibt sich die resultierende Federrate der „Parallelanordnung“ zu
5.3 Federsysteme
cres
c1 c2 .
89
(5.26)
Die Schraubenfeder in Bild 5.17b mit der Federrate c1 stützt sich an der Fahrzeugkarosserie über ein konisches Gummilager mit der Federrate c2 ab, z.B. zwecks besserer Geräuschabschirmung der Karosserie. Die äußere Kraft F drückt die Schraubenfeder um einen Weg f1 F / c1 zusammen und wirkt über die Schraubenfeder auch auf das Gummilager, welches um f 2 F / c2 nachgibt. Der Angriffspunkt der Kraft F verschiebt sich also um f res f1 f 2 , und die resultierende Federrate für diese „Serienanordnung“ wird mit f res F / c1 F / c2 F (1 / c1 1 / c2 )
cres
c1c2 . c1 c2
(5.27)
In Bild 5.17c endlich stützt ein Gummilager mit der Radialfederrate c einen drehbar gelagerten Hebel mit dem Radius r ab. Ein Drehmoment M wird denselben gegen das Gummilager um einen Winkel M verdrehen und am Lager den Federweg f rM erzeugen, so dass es eine Kraft F c rM abgibt. Diese Kraft übt am Hebel das Rückstellmoment M F r c r 2M aus; die wirksame Drehfederrate der Anordnung ist also cM M / M oder
cM
Bild 5.17. Federsysteme: a) Parallelanordnung b) Serienanordnung c) Drehfederung
c r 2.
(5.28)
90
5 Federung und Dämpfung
Bild 5.18. Gummilager bei schrägem Lastangriff
Das Gummilager in Bild 5.18 ist als Kombination zweier Federelemente aufzufassen, deren Wirkungslinien aufeinander senkrecht stehen. Durch Ausnehmungen (nierenförmige Öffnungen) ist die Federrate in Richtung 1 gegenüber der eines Vollgummilagers stark verringert worden. An dem Lager treten zwei orthogonale Federraten c1 in Richtung 1 und c2 in Richtung 2 auf. Eine schräg zum Hauptachssystem des Lagers angreifende Kraft F deformiert das Lager in Richtung 1 mit ihrer Komponente F sinD um den Federweg f1 F sinD / c1 und in Richtung 2 mit der Komponente F cos D um f 2 F cos D / c2 . Die resultierende Verschiebung f erfolgt nicht in Richtung der Kraft F, sondern wegen der größeren Federweichheit in Richtung 1 etwas stärker in dieser Richtung. Der Vorgang gleicht dem der „schiefen Biegung“ an einem Balken mit unterschiedlich großen Flächenträgheitsmomenten; die rechnerischen Zusammenhänge sind identisch, wenn anstelle der Hauptfederrate c2 das Trägheitsmoment I1 um die Achse 1 gesetzt wird und anstelle von c1 I 2 . Dann lässt sich auch auf das Gummilager von Bild 5.18 die (früher bekannte und für Festigkeitsanalysen unverzichtbare) zeichnerische Konstruktion des „Trägheitskreises“ nach Mohr/Land anwenden: Der Kreisdurchmesser ergibt sich aus der Summe der Federraten, wobei vom Lagerschwerpunkt S aus die Rate c1 auf Achse 1 an Achse 2 angetragen wird oder auch die Rate c2 auf Achse 2 an Achse 1 (wie in der Darstellung). Vom Schnittpunkt L mit der Wirkungslinie von F wird eine Gerade durch den Teilungspunkt zwischen den Federraten gezogen, die den Kreis im Punkt N schneidet. Durch N und den Lagerschwerpunkt S würde beim Biegebalken die „neutrale Faser“ verlaufen, hier also die Normale der resultierenden Verformung f. Deren Größe errechnet sich aus F und der „Federrate“ c*, die aus dem Kreis abgelesen werden kann, zu f = F/c*. Wie beim Biegebalken wäre es auch hier sinnlos zu versuchen, etwa durch unsymmetrische Materialverteilung im Gummilager mehr als zwei Hauptfederraten und –richtungen in der Ebene zu erzeugen. Sehr häufig finden sich am Fahrgestell elastische Aufhängungen von ganzen Baugruppen, z.B. von Hilfsrahmen oder „Fahrschemeln“, an welchen Radaufhängungen oder Teile derselben zwecks Geräuschisolation,
5.3 Federsysteme
91
besserer Vormontage oder Erzielung einer elasto-kinematischen Wirkung befestigt sind. Nimmt man vereinfachend an, dass diese Hilfsrahmen in sich völlig starr sind (was von Fall zu Fall nicht erlaubt sein wird), so ist es interessant, die Gesamtwirkung eines solchen elastisch aufgehängten Systems durch eine übersichtliche Rechenmethode abzuschätzen. Bild 5.19 zeigt schematisch ein System von Gummifedern, die ein Aggregat (z.B. einen Motor oder ein Getriebegehäuse) in einer Ebene elastisch abstützen. Die Gummilager besitzen jeweils eine Druckfederrate c1 und eine dazu senkrecht wirksame Schubfederrate c2 . Unter der Voraussetzung, dass sämtliche Federelemente in einer Grundstellung gleichzeitig kraftfrei bzw. entspannt sind und alle Federraten linear und konstant, kann ein aus beliebig vielen Einzelfedern bestehendes Federungssystem in der Ebene durch zwei Hauptfederraten cI und cII sowie eine Drehfederrate cM an einem „Federschwerpunkt“ S F vertreten werden. Die wirksamen Hebelarme der Federkomponenten eines Lagers i um den (noch unbekannten!) Federschwerpunkt mit seinen Koordinaten x0 und y0 ergeben sich zu
r 1i
( y0 yi ) cos D i ( x0 xi ) sin D i ,
(5.29a)
r 2i
( y0 yi ) sin D i ( x0 xi ) cos D i .
(5.29b)
woraus sich die resultierende Drehfederrate des Gesamtsystems analog Gl. 5.28 zu
cM
¦ (c
2 1i r1i
c2 i r22i )
i
berechnet.
Bild 5.19. Ebenes Federsystem und Federschwerpunkt
(5.30)
92
5 Federung und Dämpfung
Der Federschwerpunkt ist derjenige Punkt in der Ebene, um welchen das Federsystem die minimale Drehfederrate aufweist – denn bei einer Drehung um jeden anderen Punkt würden die Hauptfederraten cI und cII einen Hebelarm um diesen Punkt haben und damit analog zu Gl. 5.28 die Drehfederrate weiter erhöhen. Die Bedingungen wcM / wx0 = 0 und wcM / wy0 0 für das Minimum der Drehfederrate liefern die Bestimmungsgleichungen für die Koordinaten x0 und y0 des Federschwerpunkts S F :
x0 ¦(c1i sin ²D i c2i cos ²D i ) y0 ¦(c2i c1i ) sin D i cos D i ¦{xi (c1i sin ²D i c2i cos ²D i ) yi (c2i c1i ) sin D i cos D i } 0 x0 ¦(c2i c1i ) sin D i cos D i y0 ¦(c1i cos ²D i c2i sin ²D i ) ¦{xi (c2i c1i ) sin D i cos D i yi (c1i cos ²D i c2i sin ²D i )} 0
(5.31a)
(5.31b)
Die Einzelfeder mit der Rate c1i erfährt bei einer Verschiebung ihres Angriffspunktes i in x-Richtung um einen Weg f x eine Längenänderung f x cos D i , die Federkraft ist F1i c1i f x cos D i und ihre Komponente in x Richtung F1ix c1i f x cos ²D i . Entsprechend ergibt sich in y-Richtung die Kraft F1iy c1i f y sin ²D i . Die Faktoren cos D i und sin D i sind gewissermaßen die „Federübersetzungen“ der Federkomponente c1i in x- bzw. y-Richtung. Die resultierenden Hauptfederraten des gesamten Systems unter ihrem (noch unbekannten) Anstellwinkel D 0 sind daher die Summen der in Richtung D 0 wirksamen Komponenten aller Einzel-Federraten:
cI
¦{c
1i
cos ²(D 0 D i ) c2i sin ² (D 0 D i )}
(5.32a)
sin ²(D 0 D i ) c2i cos ²(D 0 D i )}
(5.32b)
i
cII
¦{c
1i
i
Der Winkel D 0 der Hauptachsen des Federsystems ergibt sich aus der Bedingung, dass die Hauptfederraten die Extremwerte aller Federraten am System sind; aus dcI / dD 0 0 folgt
tan(2D 0 )
¦(c2i c1i ) sin(2D i ) ¦(c2i c1i ) cos(2D i )
(5.32c)
5.3 Federsysteme
93
Aus den Gln. 5.32c sowie 5.31a,b ergeben sich der Anstellwinkel D 0 und die Koordinaten x0 und y0 , damit nach den Gln. 5.30 und 5.32a,b die Drehfederrate des Systems cM und dessen Hauptfederraten cI und cII am Federschwerpunkt S F . Über den Federschwerpunkt lassen sich Verschiebungen des Gesamtsystems unter äußerer Belastung sehr einfach bestimmen, Bild 5.20. Die resultierende Verschiebung f ergibt sich entweder zeichnerisch durch die Konstruktion am Trägheitskreis, vgl. Bild 5.18, oder durch Addition der Verschiebungen f I FI / cI bzw. f II FII / cII der in Richtung der Hauptachsen wirksamen Kraftkomponenten. Da die Wirkungslinie von F am Federschwerpunkt S F vorbeiläuft, entstehen zusätzlich ein Drehmoment M D F r F und ein Drehwinkel M F r F / cM im Uhrzeigersinn.
Bild 5.20. Verschiebung eines Federsystems bei Belastung
Eine der häufigsten Anwendungen des in Bild 5.19 dargestellten Lagerungsprinzips ist die symmetrische „Anstellung“ zweier Gummilager an einem Bauteil zum Zweck der Verlagerung des Federschwerpunkts aus der Verbindungslinie der beiden Lager aus elasto-kinematischen Gründen, Bild 5.21. Zwei gleiche Gummilager mit einer Radialfederrate cr und einer Axialfederrate ca sind gegen ihre Verbindungslinie mit der Basis 2b symmetrisch unter einem Winkel D schräg gestellt. Auf Grund der symmetrischen Anordnung wird der Federschwerpunkt S F auf der Symmetrielinie der Lagerung liegen, wobei die Symmetrielinie und die Verbindungslinie der Lager die Hauptachsen des Gesamtsystems bilden. Eine Querkraft FQ am Federschwerpunkt muss also eine Verschiebung des Aggregats in Richtung ihrer Wirkungslinie zur Folge haben, d. h. die effektiven Lagerkräfte F1 und F2 stehen mit FQ im Gleichgewicht. Auf das einfache System in Bild 5.21 lässt sich sehr anschaulich die zeichnerische Konstruktion nach Bild 5.18 anwenden: an jedem der beiden Gummilager muss die dort wirkende Reaktionskraft (im Bilde am unteren
94
5 Federung und Dämpfung
Lager die Kraft F2 ) eine Verschiebung in Richtung von FQ erzeugen, also einen Federweg f Q , und die Gerade von der Lagermitte senkrecht zu f Q muss auf dem unter dem Winkel D schräg gestellten Kreis mit dem Durchmesser cr ca den Punkt N ausschneiden. Mit N und dem Lastpunkt L ergibt sich auf dem Kreisdurchmesser der Teilungspunkt T (der „Trägheitspol“) und damit das Federratenverhältnis ca / cr . Mit angegebenen Maßen wird bei der symmetrischen Lagerung nach Bild 5.21 der Abstand des Federschwerpunkts
m b
(cr ca )sin(2D ) . 2(cr sin ²D ca cos ²D )
In dem Diagramm ist für ein Federratenverhältnis cr / ca 10 der Abstand m des Federschwerpunkts bezogen auf die halbe Basis b über dem Anstellwinkel D aufgetragen. Ersichtlich wächst m zunächst mit D und fällt nach Erreichen eines Maximums wieder ab. Wäre die Federrate cr unendlich groß und die Rate ca gleich Null, so ginge das Gummilager in eine kinematische Schubführung über, und als Drehpunkt des Aggregats erschiene der kinematische Momentanpol P im Schnittpunkt der Normalen der beiden Lagerdrehachsen. Der Federschwerpunkt ist also stets näher an der Lagerbasis als der Schnittpunkt der Lagernormalen.
Bild 5.21. Federschwerpunkt einer symmetrischen Anordnung von zwei Lagern
5.4 Federung und Radaufhängung
95
Eine Anordnung wie in Bild 5.21 ist oft an Hilfsrahmen bzw. „Fahrschemeln“ zu finden, evtl. unterstützt durch ein weiteres Lager oder ergänzt zu einer Vierpunktaufhängung. Wenn die beiden Gummilager aber die Drehachse eines Achslenkers, z.B. eines Dreieck- oder Trapezlenkers, an einer Radaufhängung bilden, so wird der bei der Federungsbewegung der Radaufhängung aufgezwungene Drehwinkel um diese Drehachse an den schräg gestellten Lagern einen „kardanischen“ Winkel (eine Verschränkung der Außen- und Innenbuchsen der Lager gegeneinander) verursachen und der wunschgemäßen Dimensionierung der Federraten, besonders der radialen Rate, enge Grenzen setzen (vgl. Bild 5.46 in Abschnitt 5.5.5). Die Kenntnis des Federschwerpunkts und der Haupt-Federungsrichtungen kann für die Beurteilung eines elastischen Aufhängungssystems sehr wertvoll sein, z.B. eines Hilfsrahmens, der die Radaufhängungen einer Achse trägt. Es sei aber abschließend nochmals darauf hingewiesen, dass die vorstehend beschriebenen Verfahren nur angewandt werden können, solange das Federsystem aus linearen Federelementen besteht, die in einer Grundstellung alle gleichzeitig entspannt sind. In anderen Fällen, z.B. bei gegenseitiger Vorspannung bereits im Einbauzustand, oder bei nichtlinearen Federelementen, sind stets entsprechende nichtlineare Lösungsmethoden (evtl. Iterationsverfahren) einzusetzen, besonders natürlich dann, wenn der federnd gelagerte Rahmen selbst elastisch ist.
5.4 Federung und Radaufhängung Die Federelemente in der Radaufhängung können, von Ausnahmen abgesehen, im allgemeinen nicht unmittelbar am Radmittelpunkt angreifen und stehen daher seitlich versetzt und manchmal auch gegen die Senkrechte geneigt im Fahrzeug. Die zwischen Fahrbahn und Reifen wirkende Radaufstandskraft besteht aus dem anteiligen Gewicht der „gefederten“ Masse des Fahrzeugkörpers und den anteiligen Gewichten der „ungefederten“ Massen des Rades, des Radträgers und der Achslenker. Die Federung hat daher nur die „gefederte Radlast“ abzustützen, also die um das ungefederte Gewicht reduzierte Radaufstandskraft. Die „Federübersetzung“ ist das Verhältnis zwischen der gefederten Radlast und der Kraft bzw. dem Drehmoment des installierten Federelements. In Bild 5.22 ist eine Einzelradaufhängung, hier eine Pendelachse, dargestellt mit einer Schraubenfeder und einem Teleskop-Stoßdämpfer, die beide je einmal am Radträger und am Fahrzeugkörper angelenkt sind.
96
5 Federung und Dämpfung
Bei einer differentiellen Federungsbewegung des Pendels um seine fahrzeugseitige Drehachse entsteht am Radaufstandspunkt A die Geschwindigkeit v A und am unteren Anlenkpunkt der Feder eine Geschwindigkeit, die in Richtung der Federmittellinie die Komponente vf besitzt. Die „gefederte“ Radlast bzw. die aus der Federkraft FF des Federelements resultierende, auf den Radaufstandspunkt A „reduzierte“ Federkraft FFA leistet Arbeit mit der vertikalen Komponente vAz der Geschwindigkeit v A . Nach dem Arbeitssatz gilt, mit positiv definierten Vorzeichen der Parameter entsprechend der Darstellung in Bild 5.22: FF vF FFA vAz oder FFA
FF (vf / vAz ).
Dabei ist i F vf / vAz FFA / FF d f/ds
(5.34)
die Federübersetzung. Wegen der Gleichheit der z-Komponenten kann in
den Gln. 5.33 und 5.34 anstelle von vAz auch eine „Geschwindigkeit“ vAz (vgl. Kap. 3) verwendet werden. Diese Definition gilt allgemein, gleichgültig an welcher Stelle der Radaufhängung die Feder eingebaut ist und ob sie zwischen einem Teil der Radaufhängung und dem Fahrzeugkörper oder, wie es gelegentlich vorkommt, zwischen zwei Radführungsgliedern eingespannt ist (im letzteren Fall setzt sich vf aus den Verschiebungen beider Federenden zusammen).
Bild 5.22. Die Feder- und Dämpferübersetzung
5.4 Federung und Radaufhängung
97
Anhand von Bild 5.22 ist leicht vorstellbar, dass sich beim Ein- und Ausfedern der Radaufhängung die Richtung der Geschwindigkeit des Radaufstandspunktes und auch die Neigung des Federelements gegenüber dem Fahrzeugkörper und dem Radträger ändern werden. Die Federübersetzung ist also im allgemeinen über dem Federweg bzw. Radhub nicht konstant. Dies trifft auf fast alle Radaufhängungen zu. Am Federelement selbst ist die Ableitung der Federkraft nach dem Federweg dessen „Federrate“:
cF
dFF / df .
(5.35)
Die Federrate ist oft selbst über dem Federweg veränderlich und wächst z.B. bei einer „progressiven“ Feder mit demselben. Ist die Federrate unveränderlich, so spricht man auch von einer „Federkonstanten“. Bei Einzelradaufhängungen ist es wegen des eindeutigen Zusammenhangs zwischen der Federkraft FF und der auf den Radaufstandspunkt „reduzierten“ Federungskraft FFA unwichtig, wo und in welcher Lage das Federelement im Fahrzeug eingebaut ist. Für praktische wie theoretische Überlegungen wird daher gern die auf den Radaufstandspunkt bezogene „Ersatz-Federkennlinie“ oder „radbezogene“ Federkennlinie FFA ( s ) verwendet. Deren effektive Federungsrate ergibt sich also aus
cFA
dFFA / ds.
(5.36)
In FFA FF iF ist im allgemeinen, wie bereits gesagt, die Federübersetzung iF mit dem Radhub veränderlich. Die effektive Federungsrate cFA berechnet sich daher [6] nach der Vorschrift
cFA (wFFA / wFF )(dFF (ds ) (wFFA / w iF )(diF / ds ), und mit wFFA / wFF iF , dFF / ds (dFF / df )(df /ds ) cF iF , wFFA / w iF FF ergibt sich
cFA
cF iF2 FF (diF / ds ).
(5.37)
Die effektive Federungsrate am Radaufstandspunkt wird also nicht nur von dem allbekannten ersten Glied der Gl. 5.37 bestimmt, sondern enthält bei veränderlicher Federübersetzung noch einen zweiten Term, die „kinematische Federrate“. Anschaulich lassen sich die beiden Anteile folgendermaßen deuten: Das erste Glied entsteht durch die Änderung der Federkraft über dem Federweg bei einem Mechanismus mit konstanter Federübersetzung (z.B. wenn die Feder an einer Seilrolle zieht), das zweite durch eine Veränderung der Übersetzung bei konstanter Federkraft (z.B. bei Verschiebung des Federanlenkpunktes auf einem Achslenker ohne Längenänderung der Feder).
98
5 Federung und Dämpfung
Bild 5.23. Kinematische Beeinflussung der Federkennlinie
Das Zustandekommen der „kinematischen Federrate“ ist besonders einfach an der für hintere Motorradaufhängungen typischen „ebenen“ LenkerFeder-Kombination in Bild 5.23 zu erkennen [55]. Die Federkraft FF wirkt am Hebelarm b auf den Lenker, die (gefederte) Radlast Fz am Hebelarm a. Es gilt also Fz a FFb mit i F b / a als Federübersetzung. Beim Einfedern aus der dargestellten Lage werden offensichtlich beide Hebelarme zunehmen. Im zweiten Term von Gl. 5.37 kann mit den Veränderlichen a und b geschrieben werden diF / ds d(b/a)/ds oder
diF / ds (wiF / wa)(da/ds ) (w iF / wb)(db/ds ), wobei w iF / wa b / a ² und w iF / wb 1 / a. Die Differentiale da/ds und db/ds (= Längenänderungen der Hebelarme a und b über dem Radhub s) lassen sich in Bild 5.23 anschaulich bestimmen: Die vertikale Komponente vMz der Geschwindigkeit des Radmittelpunkts M ist gleich der Radhubgeschwindigkeit; mit der horizontalen Komponente va von vM vergrößert sich momentan der Hebelarm a. Folglich ist da/ds = va / vMz . Aus vM folgt ferner die Geschwindigkeit vB des unteren Federlagers im Verhältnis der Abstände von M und B vom Lenkerdrehpunkt. Die Komponente von vB in Richtung der Federmittellinie ist die Einfederungsgeschwindigkeit vf der Feder. Die Komponente vd von vB will die Feder um ihren fahrzeugseitigen Anlenkpunkt schwenken und dabei den Hebelarm b mit der Geschwindigkeit vb vergrößern. Es gilt also iF vf / vMz und ferner da/ds va / vMz sowie db/ds vb / vMz ; mit diesen Beziehungen wird die radbezogene Federrate der Anordnung in Bild 5.23 gemäß Gl. 5.37:
cFA
cF (vf / vMz )² FF { (b / a ²)(va / vMz ) (1 / a)(vb / vMz )}.
5.4 Federung und Radaufhängung
99
Bild 5.24. Drehfeder und Lenker
Drehfedern, also Drehstäbe oder auch Gummi-Drehlager, müssen ihre Drehmomente über einen Hebelarm an die Radaufhängung weitergeben; so liegt es in der Natur der Sache, dass ihre Federübersetzung über dem Radhub veränderlich ist. Schon beim klassischen Drehstablenker ist die über dem Drehwinkel und damit dem Federweg stattfindende Veränderung des Radkrafthebelarms von merklichem Einfluss. Die Drehfeder in Bild 5.24 mit der Drehfederrate cM möge in der dargestellten Lage bereits um einen Winkel M verdreht, d. h. vorgespannt, sein. Die momentane Stellung des Drehstab-Hebelarms ist durch den Winkel D gegen die Horizontale gegeben (im Bild ist D 0 ). Die gefederte Radlast berechnet sich mit der horizontalen Komponente cMM / a . Die – hier nicht dia des Drehstabhebels r zu FAz M d / a mensionslose – Federübersetzung ist also i F 1 / a . Die radbezogene Federrate wird entspr. Gl. 5.37
cFA
dFAz / ds ( wFAz / wM )(dM / ds ) (wFAz / wa)(da/ds ),
cM / a, dM/ds 1/a, wFAz / wa M cM / a ² und da/ds wobei wFAz / wM = va / vMz . Mit diesen Beziehungen wird die radbezogene Federrate der Drehfederanordnung von Bild 5.24 gemäß Gl. 5.37 cFA
(cM / a ²){1 M (va / vMz )},
und mit a r cos D und va / vMz Drehstabformel
cFA
tan D erhält man daraus die bekannte
cM (1 M tan D ) /( r ² cos ²D ).
Zu beachten ist, dass das Minimum der Federrate der leicht s-förmig geschwungenen Federkennlinie nicht etwa bei der waagerechten Stellung des Drehstabhebels liegt, sondern je nach Vorspannwinkel in der Ausgangslage mehr oder weniger weit unterhalb derselben. Je kürzer der Hebelarm r, desto stärker ausgeprägt ist der progressive S-Schlag der Kennlinie.
100
5 Federung und Dämpfung
An modernen, voll auf die Elasto-Kinematik hin konstruierten Radaufhängungen für Personenwagen sind kinematische Tricks zur Beeinflussung der Federkennlinie im allgemeinen nicht zu empfehlen, da sie zu stark wechselnden Kraftrichtungen über dem Radhub zwingen und damit wechselnde horizontale Kraftkomponenten an den Radaufhängungen erzeugen. Stützt sich das Federelement zwischen Radaufhängung und Fahrzeugkörper ab, so sollte es möglichst über den gesamten Radhub hinweg etwa senkrecht stehen und keine horizontalen Kräfte abgeben. Insbesondere längsgerichtete Horizontalkräfte, die gegen die „Längsfederung“ der Radaufhängung arbeiten, sind zu vermeiden, da sie die elasto-kinematische Abstimmung erschweren oder gar unmöglich machen. Es ist zwar denkbar, auch diese Kräfte elasto-kinematisch „aufzufangen“, z.B. durch „Pfeilung“ von Lenkern usw. (vgl. hierzu Kap. 9), – aber wohl eher nur in der Theorie, denn die großen Toleranzen der Kennlinien von Gummilagern werden angesichts der hohen Federkräfte zu Dauerproblemen während der Serienlaufzeit führen. Müssen Federelemente räumlich stark geneigt werden, so sollten sie daher innerhalb der Radaufhängung oder zwischen dieser und einem dazugehörigen elastisch aufgehängten Hilfsrahmen oder Fahrschemel angeordnet werden. Gleiches gilt für die Dämpfer; hier kommt verschärfend hinzu, dass die Dämpferkräfte im Gegensatz zu den Federkräften nicht nur von der jeweiligen Radstellung, sondern auch von der Ein- bzw. Ausfederungsgeschwindigkeit abhängen. Bei Starrachsen und Verbundaufhängungen gibt es wegen der zwei Freiheitsgrade des Systems keine eindeutige Beziehung mehr zwischen dem Hub eines Rades und dem Weg am zugehörigen Federelement. Hier ist u. a. auch dessen Einbauposition von Einfluss. Eine Starrachse ist vereinfacht im Querschnitt in Bild 5.25 dargestellt. Aus Platzgründen sind die beiden Federelemente zwischen den Reifenflanken im Abstand der „Federspur“ bF angeordnet, die deutlich kleiner ist als die Radspur b.
Bild 5.25. Die „Federspur“ bei der Starrachse
5.4 Federung und Radaufhängung
101
Beim gleichsinnigen Einfedern beider Räder ergibt sich an beiden Federn ein Federweg f in Größe des Radhubs s (sofern diese nicht durch ihre Anlenkung an Radführungsgliedern nochmals übersetzt sind). Die radbezogene Federrate cp für die Parallelfederung ist also gleich der Federrate cF des Federelements. Beim Wanken um einen Radhub r s ist auf Grund des geringeren Abstands der Federelemente vom Drehpunkt in Fahrzeugmitte der jeweilige Weg an den Federn f w r s bF / b . Nach Gl. 5.37 wird die effektive radbezogene Wank-Federrate je Rad
cw
cF (bF / b)².
(5.38)
cw ist also wesentlich kleiner als cp cF . Durch eine Neigung der Federn im Fahrzeug oder durch ihre Anordnung auf Radführungselementen können die effektiven Federraten für die Parallel- und die Wankbewegung weiter beeinflusst werden. Für den Dämpfer in Bild 5.22 gelten prinzipiell die gleichen geometrischen Bedingungen wie für die Feder. Im Gegensatz zur Feder ist aber die Dämpferkraft FD nicht vom Dämpferhub, sondern von der Geschwindigkeit vD des Kolbens im Dämpferzylinder abhängig: FD
k D vD ,
(5.39)
wobei die „Dämpferkonstante“ kD im allgemeinen für verschiedene Bereiche von vD unterschiedlich ausgelegt wird. Mit der „Dämpferübersetzung“
iD
vD / vAz
(5.40)
wird die auf den Radaufstandspunkt A bezogene Dämpfkraft
FDA
FD i D
(5.41a)
bzw. mit einer auf den Radaufstandspunkt bezogenen Dämpferkonstanten kDA FDA k DA vAz , (5.41b) und aus den Gln. 5.39, 5.40 und 5.41 folgt
k DA
k D iD2 .
(5.42)
Die Dämpferkonstante gibt das momentane Verhältnis zwischen der Einfederungsgeschwindigkeit und der Dämpferkraft an und ist, im Gegensatz zur Federrate bei der Feder, keine Ableitung der Dämpferkraft (hier: nach der Geschwindigkeit). Beim Dämpfer gibt es daher keine „kinematische Dämpferkonstante“.
102
5 Federung und Dämpfung
5.5 Fahrzeugfedern 5.5.1 Allgemeines An schnellen Fahrzeugen sind Federwege von r 100 mm und darüber erforderlich; von den technischen Federbauarten eignen sich hierfür vor allem die Biege- und die Torsionsfedern. Bei den Biegefedern ist es die Blattfeder, die wegen ihrer zusätzlichen Verwendbarkeit als Radführungselement bis heute vielfältig in Gebrauch ist und sich bei schweren Nutzfahrzeugen neben den Gasfedern behauptet. Die Torsionsfedern, nämlich Drehstab- und Schraubenfedern, sind – wie auch die Gasfedern – nicht unmittelbar für Radführungsaufgaben brauchbar und setzen lenkergeführte Achs- oder Radaufhängungen voraus, weshalb sie vorwiegend an Personenwagen vorkommen. Gummifedern sind als Tragfedern heute kaum noch anzutreffen und finden vor allem als Zusatzfedern Verwendung. Die zahlreichen an der Radaufhängung und in ihrer Umgebung eingesetzten Gummilager erfüllen aber anspruchsvolle federungs- und schwingungstechnische Aufgaben, z.B. im Rahmen der elasto-kinematischen Abstimmung der Radaufhängung. 5.5.2 Blattfedern Die im Fahrzeugbau gebräuchlichen Blattfeder-Bauarten zeigt Bild 5.26, und zwar vorwiegend für die bereits vom Kutschwagenbau her bekannte geschichtete Form: a eine „Viertelfeder“, b eine Parallelschaltung zweier Viertelfedern, wie sie früher oft als „Doppel-Querlenker-Aufhängung“ angewandt wurde, c die „Halbelliptikfeder“, die häufigste Bauform, d eine z.B. aus Einbaugründen unsymmetrische Variante derselben, e die Parallelanordnung einer Hauptfeder und einer bei höherer Last einsetzenden Zusatzfeder, f die „Cantilever-Feder“ für große Federwege bei geringerer Last, g und h die aus dem Kutschwagenbau stammende „Dreiviertel“- und „Vollelliptikfeder“ als Serienanordnung. Bei der „Weitspalt-Blattfeder“ i werden die einzelnen Blätter durch Elastomer-Zwischenlagen getrennt, um die Blattreibung auszuschalten. Reibungsfrei arbeitet die für ein konstantes bzw. optimiertes Verhältnis von Biegemoment und Biege-Widerstandsmoment, nämlich für eine möglichst gleichmäßig hohe Biegespannung bzw. Materialausnützung, als Einzelblatt formgewalzte „Parabelfeder“ k. Die Blattfeder ist ein Biegebalken mit sehr niedrigem Biegeträgheitsmoment und großer Durchbiegung. Die Grundgleichung zur Berechnung aller Biegevorgänge ist der Zusammenhang zwischen dem Elastizitätsmodul E, dem Biegeträgheitsmoment I B , dem Biegemoment M B und dem Biege-Krümmungsradius
5.5 Fahrzeugfedern
U
E IB / M B,
103
(5.43)
welcher bekanntlich der Kehrwert der zweiten Ableitung der Biegelinie ist.
Bild 5.26. Blattfeder-Bauarten
Für das einfache Federblatt von Bild 5.27a mit konstantem Querschnitt ergibt sich damit eine effektive Federrate am freien Ende
c 3E I B / l 3 ,
(5.44)
und der Krümmungsradius erreicht seinen kleinsten Wert am Einspannende, d. h. dort ist die Biegespannung am größten.
Bild 5.27. Profile und Beanspruchungen der Blattfedern
104
5 Federung und Dämpfung
Um dies zu vermeiden, wächst bei den Federblättern nach Bild 5.27b (Parabelfeder) und d (Dreieckfeder) das Biegewiderstandsmoment proportional der Blattlänge bzw. dem Biegemoment. Die Dreieckfeder wird in der Praxis durch übereinander geschichtete Federblätter gleicher Breite und zunehmender Länge verwirklicht, heute oft als Weitspaltfeder (vgl. Bild 5.26i) zur Verringerung der Reibung. Mit I Bmax als dem (größten) Biegeträgheitsmoment am Einspannquerschnitt ist bei der idealen, d. h. spitz zulaufenden Dreieckfeder die Federrate am freien Ende
c
2 E I Bmax / l 3 ,
(5.45)
denn das konstante Verhältnis von Biegemoment und Widerstandsmoment, d. h. die konstante Biegespannung über der Blattlänge, führt zu einem konstanten Krümmungsradius und damit größeren Federwegen bei besserer Materialausnützung. Für die wirklichkeitsnahe Ausführung der geschichteten Blattfeder ist aber die Modellvorstellung einer „Trapezfeder“ (e) mit etwas geringerem Federweg und nicht konstanter Biegespannungsverteilung angemessener. Die Parabelfeder (b) erreicht das Ziel der optimalen Materialausnützung durch einen Querschnittsanstieg über der Blattlänge, der wie bei der Dreieckfeder ein linear zum Einspannungsquerschnitt hin wachsendes BiegeWiderstandsmoment ergibt. Ihre Herstellung erfordert eine besondere Walztechnik. Ihr größter Vorteil ist die völlige Vermeidung der Reibung zwischen den Federblättern. Eine symmetrische „Halbfeder“ wie in Bild 5.26c ist eine Parallelanordnung zweier Viertelfedern, und deren Federraten sind zu addieren. Bei der unsymmetrischen Halbfeder nach Bild 5.26d dagegen liegt keine einfache Parallelanordnung vor. Die Auflagerkräfte verhalten sich umgekehrt wie die Federlängen, Bild 5.28, d. h. es gilt F1 / F2 l2 / l1 , wobei die zugehörigen Federraten sich entspr. Gl. 5.45 über den Reziprokwert der dritten Potenz der Federarmlängen bestimmen:
c1 / c2
(l2 / l1 )3 .
Die aus den Kräften F1 und F2 der Federhälften und ihren Federraten folgenden Federwege erzeugen am Angriffspunkt der äußeren Kraft F einen Kippwinkel
D
( f 2 f1 ) /(l1 l2 )
mit D im Bogenmaß (rad) und einen resultierenden Federweg
f
f1 l1D .
5.5 Fahrzeugfedern
105
Bild 5.28. Unsymmetrische Blattfeder
Unter der idealisierenden Annahme, dass es sich bei den Federhälften um echte Dreieckfedern handelt und dass vernünftigerweise der Einspannquerschnitt an beiden Seiten gleich ist (durchlaufende Federblätter), ergibt sich mit Gl. 5.45 nach kurzer Rechnung eine resultierende Federrate
c 2 E I Bmax
l1 l 2 l12 l22
(5.46)
und ein Kippwinkel
D
F l1 l2 (l2 l1 ) . 2 E I Bmax l1 l2
(5.47)
Eine ideale Dreieckfeder (aber annähernd genau auch eine geschichtete Blattfeder) verbiegt sich bei Belastung durch eine Einzelkraft kreisbogenförmig. Der Krümmungsradius der Bahn des freien Federendes ergibt sich dabei bekanntlich zu etwa 70–75% der Federlänge, Bild 5.29. Mit diesem Radius ist also eine Blattfeder, die zugleich als Radführungslenker dient, kinematisch zu berücksichtigen.
Bild 5.29. Kinematisch wirksamer Radius einer Blattfeder
Eine zur Radführung herangezogene „Halbfeder“ ist im allgemeinen mit einem Ende am Fahrgestell angelenkt, Bild 5.30, während das andere längsverschieblich (gleitend oder an einer Pendellasche) gelagert ist.
Bild 5.30. Momentanpol bei einer unsymmetrischen Blattfeder
106
5 Federung und Dämpfung
Der Krümmungsmittelpunkt K für die Einspannstelle des Starrachskörpers an der Feder liegt dann auf der Federsehne nahe dem „Festlager“ und ist in gestreckter Lage der Feder von der Einspannstelle 1 um den Abstandsradius U | (7 / 9)l1 entfernt (vgl. Bild 5.29). Die Achsauflage einer unsymmetrischen Feder schwenkt beim Ein- und Ausfedern um einen „Pol“ P, dessen Abstand p sich aus dem Kippwinkel D nach Gl. 5.47 und dem aus der Federrate nach Gl. 5.46 und der Federkraft F zu berechnenden Federweg f F / c zu p f / D oder
p
l1 l2 l2 l1
(5.48)
ergibt. Der Krümmungsmittelpunkt K bleibt beim Durchfedern etwa ortsfest, der Pol P bewegt sich aber mit dem Polstrahl auf- und abwärts. Er entspricht kinematisch durchaus dem „Momentanpol“ eines lenkergeführten Mechanismus; so kann es zweckmäßig sein, bei einer blattgefederten Starrachse, die beim Durchfedern um einen Pol in der Seitenansicht schwenkt (wie u. a. einer Schubkugelachse nach Bild 2.14), zur Erzielung einer ausgeglichenen Belastung der Federarme den Pol einer am Achskörper festgespannten Feder in den des Achskörpers zu legen. Der Pol P ist auch in der Radführungsgeometrie als solcher zu behandeln, z.B. für die Berechnung eines „Stützwinkels“, vgl. Kap. 3, Bild 3.13. Daran ändert sich nichts durch eine dieser „kinematischen“ Funktion überlagerte und evtl. beachtlich große Verformung, z.B. die Verwindung einer achsführenden Blattfeder unter einem Antriebs- oder Bremsmoment, Bild 5.31.
Bild 5.31. Blattfeder unter Drehmoment
Eine als alleiniges Achsführungselement arbeitende Blattfeder muss nämlich im allgemeinen auch die Antriebs- und Bremsmomente M aufnehmen, wobei auf die Federenden entgegengesetzt gerichtete Kräfte F1 und F2 wirken und der Achskörper sich in der Feder um einen Winkel D ' „aufzieht“. Mit den Einzelfederraten c1 und c2 der beiden Federarme wird die resultierende Drehfederrate des Achskörpers an der Blattfeder gemäß Gl. 5.28 cD '
c1 l12 c2 l22
5.5 Fahrzeugfedern
107
und mit den Federraten entspr. Gl. 5.45 c1
2 E I Bmax / l13 und c2
2 E I Bmax / l23
wird
cD '
2 E I Bmax (l1 l2 ) /(l1 l2 ).
Die Division dieser Gleichung durch Gl. 5.46 ergibt cD ' / c l1 l2 oder
cD '
c l1 l2 .
(5.49)
Bei einer symmetrischen Feder (l1 l2 l ) ist also cD ' c l ² , d. h. die Verwindungssteifigkeit gegen das elastische „Aufziehen“ unter Drehmoment wächst bei gegebener Hubfederrate c mit dem Quadrat der Federlänge. Dies ist – neben der Verringerung der Zahl der Federblätter und damit der Reibung – ein entscheidender Vorteil langer Blattfedern. Ist eine Starrachse über eine längs liegende Gelenkwelle angetrieben, so addiert sich der vom Antriebs- oder Bremsmoment verursachte Aufziehwinkel D ' zu dem vom Ein- oder Ausfedervorgang herrührenden Beugewinkel des achsseitigen Wellengelenks und kann durchaus größer als dieser ausfallen. Dies ist bei der Auslegung des Wellengelenks und bei der Untersuchung der Freigängigkeit des Achskörpers bzw. des Ritzelgehäuses gegenüber anderen Fahrzeugteilen (z.B. bei einer Vorderachse: gegenüber der Kupplungsglocke und dem Getriebegehäuse) zu beachten. Die Lage des Krümmungsmittelpunkts K für die freie Federbewegung nach Bild 5.30 bestimmt auch u. a. die zweckmäßige Position einer längs liegenden „Lenkschubstange“ am achsseitigen Lenkhebel einer gelenkten Starrachse (vgl. auch Kap. 8). Bei einem dem Federungsvorgang überlagerten elastischen „Aufziehen“ um einen Winkel D ' wird der Achskörper um einen Punkt D schwenken (Bild 5.31), der etwa in Höhe des oberen Federblattes liegt. Dieser Punkt ist rechnerisch oder experimentell zu bestimmen, wenn eine Lenkschubstange so angebracht werden soll, dass äußere Momente wie Antriebs- oder Bremsmomente keine ungewollten Lenkeinschläge verursachen können. In Personenwagen ist gelegentlich eine quer liegende Blattfeder zu finden, die sowohl an der Achse (bzw. den beiden Radaufhängungen) als auch am Fahrzeugkörper zweifach gelagert ist, Bild 5.32. Bei symmetrischer bzw. gleichsinniger Ein- oder Ausfederungsbewegung beider Räder, Bild 5.32a, ist das Biegemoment M im mittleren Bereich der Feder konstant, weshalb es bei dieser Federbauart sinnvoll erscheint, zumindest im Mittelteil einen konstanten Blattquerschnitt vorzusehen. Bei antimetrischer bzw. gegensinniger Federungsbewegung, z.B. beim Wanken des Fahrzeugs, wird dagegen die Feder s-förmig verbogen, Bild 5.32b. Für einen konstanten Querschnitt der gesamten Feder ergeben sich mit dem Biegeträgheitsmoment I B und den in Bild 5.32 angegebenen Hilfsmaßen je
108
5 Federung und Dämpfung
Fahrzeugseite eine Parallel-Federrate cp und eine Wank-Federrate cw am jeweiligen Ende der Blattfeder zu
cp
3E I B /{l 3 (1 E ) 2 (1 2 E )},
(5.50a)
cw
3E I B /{l 3 (1 E ) 2 },
(5.50b)
also cw / cp 1 2 E , die Wankfederrate ist höher als die Parallelfederrate, was angesichts des Verformungsbildes der Feder nicht überrascht. In dieser Federbauart ist ein Stabilisator „versteckt“. Die anteilige Stabilisatorrate je Fahrzeugseite ist cS cw cp oder
cS
6 E I B E /{ l 3 (1 E ) 2 (1 2 E )}.
(5.50c)
Bild 5.32. Zweipunktig gelagerte Blattfeder a) Parallel- und b) Wankfederung
5.5.3 Drehstabfedern Die einfachste Torsionsfeder, der Drehstab, kann an der Radaufhängung nur in Verbindung mit einem Hebel wirksam werden, Bild 5.33. Mit dem Gleitmodul G und dem Verdrehträgheitsmoment I D sowie der Stablänge l wird die Drehfederrate
cM
G I D / l.
Bei einem Kreisquerschnitt mit dem Durchmesser d ist I D und folglich die Drehfederrate cM
GS d 4 /(32l ).
(5.51)
S d 4 / 32 (5.52)
5.5 Fahrzeugfedern
Bild 5.33. Drehstabfeder
109
Bild 5.34. Drehstabfederung und elastisch aufgehängter Hilfsrahmen
Die effektive Federrate am Angriffspunkt einer äußeren Kraft F ist vom Vorspannwinkel und der Stellung des Hebelarms abhängig, vgl. Bild 5.24. Die Federungskraft F ruft eine entsprechende Reaktionskraft am Drehstablager hervor, die die Geräuschisolation erschwert. Bei einer Lagerung des Drehstabs an einem elastisch aufgehängten Hilfsrahmen, Bild 5.34, ist es zweckmäßig, die Reaktionskraft über Auslegerarme c oder ähnliches an Lagerstellen d in die Vertikalebene durch die Radaufstandspunkte zurückzuleiten, um dem Hilfsrahmen seine Beweglichkeit zu erhalten. Die große Einbaulänge der Drehstabfeder bereitet bei modernen PKW Schwierigkeiten. Eine Serienanordnung des Drehstabs mit einem konzentrischen „Drillrohr“, Bild 5.35, bringt wegen der hohen Drehfederrate des letzteren wenig. Eine elegante Serienanordnung zeigt Bild 5.36 [34]:
Bild 5.35. Drehstabfeder mit Drillrohr
Bild 5.36. Serienanordnung zweier Drehstäbe
Die Drehstäbe mit den Drehfederraten cM1 und cM 2 sind beiderseits der eigentlichen Drehachse d des Lenkers 1 verlegt. Der untere Drehstab ist mit einem Ende fest und mit dem anderen drehbar am Fahrgestell gelagert und trägt an diesem einen Hebelarm 2 der Länge a1 a2 , an welchem der zweite (obere) Drehstab eingespannt ist, welcher am Radius a1 auf den eigentlichen Lenker wirkt. Ein Drehmoment M erzeugt am oberen Drehstab den
110
5 Federung und Dämpfung
Drehwinkel M1 M 2 M / cM1 und am unteren den Drehwinkel M 2 M / M 2 . Für M1 a1 M 2 (a1 a2 ) verlagert sich der obere Drehstab praktisch ohne Verbiegung parallel im Raum. Dazu muss cM1 /(cM1 cM 2 ) a1 /( a1 a2 ) sein und für gleich lange Drehstäbe gleichen Durchmessers: a1 a2 . Das Lager g ist nicht notwendig, aber aus Schwingungsgründen evtl. nützlich. Ähnlich wie bei der zweifach gelagerten Blattfeder von Bild 5.32 kann auch eine Drehstabfeder zu einer kombinierten Hub- und Stabilisatorfeder geformt werden. In Bild 5.37 werden an einer Radaufhängung die unteren Querlenker 1, die Zugstreben 2 und der Stabilisator 3 aus einem einzigen Rundstahl gebogen [24]. Die Zugstreben werden beim Ein- und Ausfedern tordiert und stellen die Hubfedern dar. In ähnliche Richtung, nämlich Verringerung der Zahl der Einzelteile, zielende Erfindungen haben sich nicht durchsetzen können, vor allem wohl wegen der Abstimmungsprobleme (die bis in die Radführungsgeometrie hineinspielen), der sperrigen Teile, umständlicher Richtvorgänge und der erschwerten Einbindung in eine gute „Elasto-Kinematik“. Die einzige Ausnahme ist das MacPherson-Prinzip (vgl. Bild 5.15b). Die Drehstabfeder wird heute vorwiegend als Stabilisator verwendet. Dabei ist besonders an Vorderrädern mit ihrem Raumbedarf bei Lenkeinschlag eine Abwinkelung der Stabilisator-Seitenarme kaum zu vermeiden, wodurch der Stabilisator auch im Mittelbereich auf Biegung belastet wird, Bild 5.38.
Bild 5.37. Drehstabfeder mit mehreren Funktionen
Bild 5.38. Torsion und Biegung am Drehstab-Stabilisator
5.5 Fahrzeugfedern
111
Da das Biege-Widerstandsmoment eines Rundstabes nur halb so groß ist wie sein Torsions-Widerstandsmoment, wird die Güte der Materialausnützung verringert und die Spannungsspitze, welche am Übergang vom Seitenarm zur Lagerstelle des Mittelteils auftritt, erhöht. Das Diagramm zeigt für ein Zahlenbeispiel den Anteil der Biegearbeit AB an der GesamtFederarbeit, abhängig vom Winkel D . Die Biegearbeit bei D 0 rührt von den Seitenarmen her. Kröpfungen im Mittelbereich erhöhen ebenfalls den Biegeanteil. 5.5.4 Schraubenfedern Die Schraubenfeder ist ein „aufgewickelter“ Drehstab mit dem Vorteil, dass sie unmittelbar als „Hubfeder“ eingesetzt werden kann. Einige gebräuchliche Bauarten sind in Bild 5.39 zusammengestellt. Die Grundform ist zylindrisch (a) mit konstantem Windungs- und Drahtdurchmesser und konstanter Steigung; die Kennlinie ist linear. Die Federenden werden entweder plan geschliffen (teuer), Bild 5.39a unten, oder es wird eine „nicht mitfedernde“ Dreiviertel-Endwindung mit einer geringfügig über dem Drahtdurchmesser liegenden Steigung angebogen, die sich in einer passenden Federunterlage anlegt, Bild 5.39a oben. Besteht Kippgefahr der Federenden, z.B. bei großen Winkelbewegungen der Federauflage, so hilft eine feste Einspannung einer z.B. „eingezogenen“ Endwindung, Bild 5.39b oben, oder eine kugelige Lagerung des Federtellers (unten). Bei konstantem Draht- und Windungsdurchmesser kann eine nichtlineare (aber stets nur progressive) Federkennlinie durch eine Wickelung mit veränderlicher Steigung erzielt werden, Bild 5.39c, wobei sich mit wachsender Einfederung die Windungen nacheinander anlegen.
Bild 5.39. Bauarten von Schraubenfedern
112
5 Federung und Dämpfung
Eine progressive Federkennlinie entsteht auch bei einer Serienanordnung zweier Federn unterschiedlicher Auslegung, Bild 5.39d; sind beide Federn linear, so ergibt sich die Federrate der Serienanordnung nach Gl. 5.27, solange beide Federn im Einsatz sind, und nach Blockieren der weicheren ein Knick in der Kennlinie mit der verbleibenden Rate der noch freien Feder. Eine mit veränderlicher Steigung und veränderlichem Windungs- und Drahtdurchmesser gewickelte „Tonnenfeder“, Bild 5.39e, ermöglicht die Verwirklichung nahezu beliebiger progressiver Kennlinien und einer geringen Einbauhöhe, da sich die Windungen teilweise ineinander und auf dem Federteller anlegen können. Für den (abgewickelten) Rundstahl der Schraubenfeder mit w Windungen und einem Windungsdurchmesser D ergibt sich eine Länge l wS D und nach Gl. 5.52 eine Drehfederrate cM Gd 4 /(32wD) ; als wirksamer Hebelarm einer äußeren Kraft F gemäß Gl. 5.28 tritt hier der halbe Windungsdurchmesser auf, Bild 5.40. Durch Gleichsetzung der Drehmomente der Kraft F und des tordierten Drahtes
FD / 2 cM M und Einführung des Federwegs f c F / f der Schraubenfeder zu
Gd 4M /(32wD)
M D / 2 ergibt sich die Hubfederrate
c G d 4 /(8wD 3 ).
(5.53)
Bild 5.40. Windung einer Schraubenfeder als „aufgewickelter“ Drehstab
Schraubenfedern können nahezu allen Einbauverhältnissen angepasst werden. Steht eine begrenzte Bauhöhe zur Verfügung, so ist eine geringe Windungszahl bei großem Draht- und Windungsdurchmesser zu wählen; dabei ist aber zu beachten, dass mit zunehmendem Drahtdurchmesser die zulässige Höchstspannung etwas abnimmt und dass der Anteil der üblicherweise angebogenen „nichtfedernden“ Endwindungen an der GesamtDrahtlänge wächst (somit auch das Gewicht der Feder). In der Praxis werden bei zylindrischen Schraubenfedern konventioneller Bauart nicht weniger als 4 „federnde“ Windungen angewandt. Eine andere Möglichkeit,
5.5 Fahrzeugfedern
113
Bauhöhe zu sparen, besteht in der Übersetzung der Federkraft mit Hilfe der Radführungsglieder. Lange, schlanke Federn mit großer Windungszahl sind gewichtsgünstiger, neigen aber eher zum Ausknicken. Die Knicksicherheit ist also stets zu überprüfen, wofür es verschiedene Berechnungsansätze gibt [38, 79]. Die Vielfalt von möglichen Auslegungsvarianten einer zylindrischen Schraubenfeder für einen gegebenen Belastungsfall, z.B. eine Fahrzeugfederung mit F = 4 kN Tragkraft in statischer Ruhelage und einer wirksamen Federrate c = 20 N/mm, die von der Ruhelage aus noch einen Einfederweg f E = 100 mm bieten soll, ist in Bild 5.41 in Form eines Schaubildes dargestellt. Aus F und c errechnet sich die statische Einfederung zu f 0 f / c 200 mm , der Gesamtfederweg ist also f f 0 f E 300 mm , die Gesamt-Arbeitsaufnahme ist A c f ² / 2 900 kJ . Soll die Höchstspannung W max von 1 kN/mm² nicht überschritten werden, so entsteht durch Variation der Konstruktionsparameter D, d und w bei A = const. und W = const. das Kennfeld rechts im Bild. Dabei sind auch Übersetzungen i der Feder in der Radaufhängung berücksichtigt, um den Variantenspielraum zu vergrößern; Übersetzungen i < 0,5 werden allerdings wegen der daraus folgenden hohen Reaktionskräfte in den Lagern der Achslenker nach Möglichkeit vermieden. Das Diagramm zeigt ferner die Kurven gleicher Einbaulängen (L) der Federn, wobei nur „federnde“ Windungen berücksichtigt wurden, nicht aber die Endwindungen.
Bild 5.41. Variationen von Schraubenfedern für ein gegebenes Arbeitsdiagramm
Bei Einzelradaufhängungen und Starrachsen werden Schraubenfedern oft auf Radführungslenkern abgestützt; dann werden sie beim Ein- und Ausfedern auf Biegung beansprucht, wenn nicht besondere Maßnahmen (wie in Bild 5.39b) getroffen wurden. Eine senkrecht zu einem Achslenker eingebaute Feder wird vorwiegend am unteren Ende verbogen, und in ausgefedertem Zustand besteht die Gefahr des Abkippens von der Unterlage, Bild 5.42a. Hier sind lange und schlanke Federn vorteilhafter. Die kleinstmöglichen Verbiegungen – und gleich große Momente an beiden Enden –
114
5 Federung und Dämpfung
ergibt eine Anordnung gemäß Bild 5.42b, wo die Mittelpunkte der Federenden auf einem gemeinsamen Kreis 1 liegen und die Auflageflächen der Federn einen gemeinsamen Zylinder 2 tangieren.
Bild 5.42. Schraubenfeder und Achslenker
Für den letztgenannten Fall ist eine angenäherte Berechnung des Einspannmoments in relativ einfacher Weise möglich. Ein äußeres Biegemoment M erzeugt an einer Windung ein Biegemoment M B (M ) M sin M und ein Drehmoment M D (M ) M cos M , Bild 5.43a. Das Arbeitsintegral über der Federwindung liefert den Biegewinkel zwischen den Drahtenden 2S
D
2S
( M / G I D ) ( D / 2) cos ²M dM (M/E I B ) ( D / 2) sin ²M dM ,
³
³
0
0
und damit wird die Biegefederrate cD
cD
M / D für w Federwindungen
G d 4 /{16 wD(1 2G / E )}.
Bild 5.43. Gebogene Schraubenfeder: Abschätzung des Einspannmoments
5.5 Fahrzeugfedern
115
Bei gegebenem Biegewinkel D und einer Federhöhe h, Bild 5.43b, wird unter der vereinfachenden (und gut zutreffenden) Annahme, dass die Biegelinie der Feder etwa ein Kreis mit dem Radius r | (h / 2) / sin(D / 2) ist, die Bogenlänge u r D , und mit der ungespannten Länge l0 der Feder näherungsweise die Federkraft F c(l0 u ) . Der mittlere Hebelarm der Federkraft kann als Quotient der schraffierten Kreisfläche und der Bogenlänge abgeschätzt werden: am | r (D sin D ) /( 2D ) , damit das von der Kraft F ausgeübte mittlere Biegemoment an der Feder M F | F am , und das Einspannmoment an den Federenden ist die Differenz M E | cD D M F . Für M E ! F D / 2 besteht Kippgefahr. Diese vereinfachte, aber sehr brauchbare Abschätzung ist keine Knicksicherheitsberechnung! Eine solche ist unabhängig davon stets notwendig. Abschließend sei am Beispiel einer zylindrischen Feder mit konstantem Windungs- und Drahtdurchmesser und veränderlicher Steigung die Funktionsweise der progressiven Schraubenfeder mit aufeinander abwälzenden Windungen gezeigt. Die Feder soll so ausgelegt werden, dass sie in einem gewissen Bereich eine Kennlinie für eine konstante Eigenfrequenz nach Gl. 5.14 erzeugt; hierfür ergeben sich relativ einfache Bestimmungsgleichungen. Die progressive Kennlinie möge bei einer Belastung F0 einsetzen. In Bild 5.44 ist links die maßstäbliche Abwicklung der Feder (über der Gesamtwindungszahl wg statt über der Länge wg S D ) dargestellt. Die Federkennlinie steigt bis zur Kraft F0 linear an, danach beginnt der Abwälzvorgang. Die Federrate des linearen Bereichs ist nach Gl. 5.53
c0
G d 4 /(8wg D 3 ),
Bild 5.44. Progressive zylindrische Schraubenfeder
116
5 Federung und Dämpfung
und nach Abschalten von wg Windungen gilt
c / c0
wg /( wg wa ).
Wegen der Bedingung F/c = const. ( F0 / c0 ) ist die Subtangente f 0 F / c der Kennlinie im progressiven Teil konstant, d. h. während des Abwälzvorgangs hat im Moment des Anlegens der jeweils noch freie Teil der Feder, also wg wa Windungen, gerade den Einfederweg f 0 zurückgelegt. Die Steigung der unbelasteten Feder an der betreffenden Stelle muss daher s
f 0 /( wg wa ) d
betragen haben, woraus durch Integration die Abwicklung der entspannten Feder folgt (gleiches gilt sinngemäß bei beliebig progressiven Federn mit veränderlicher Subtangente). Wegen F / F0 c / c0 ist
F
F0 wg /( wg wa ).
Die Feder teilt sich in einen progressiv gewickelten Teil mit w1 Windungen und einen linear gewickelten Teil mit w2 Windungen auf, wobei w2 / wg F0 / Fmax . Nach dem Anlegen der progressiv gewickelten Windungen blockieren die linearen Windungen gleichzeitig. Soll die Kennlinie am Ende des progressiven Bereichs über Fmax hinaus weitergeführt werden, so ist am Übergang von den progressiv gewickelten Windungen zu den linearen ein Steigungssprung (Knick) einzubauen oder besser der lineare Teil abzutrennen und z.B. gemäß Bild 5.39d mit der progressiven Feder „in Serie“ anzuordnen. Die Höchstspannung W max wird nur in den zuletzt blockierenden Windungen w2 erreicht. 5.5.5 Gummielastische Federn Gummielastische Federn werden in schnellen Fahrzeugen vorwiegend als Anschlagpuffer oder als Zusatzfedern verwendet, die der etwa linearen Kennlinie der Hauptfeder einen progressiven Endbereich überlagern sollen. Die Entwicklung und Abstimmung solcher Federn geschieht in enger Zusammenarbeit mit den Federherstellern. Diese Federn werden nicht nur aus Naturgummi oder synthetischem Gummi, sondern auch aus anderen Elastomeren geformt. Die hier angestellten Betrachtungen gelten für alle Arten von Elastomer-Federn, die im folgenden der Einfachheit halber weiter als „Gummifedern“ oder –„lager“ bezeichnet werden sollen. Als Gummifedern sind aber auch alle elastischen Lagerungen von Fahrzeugteilen wie Motor, Getriebe und Lenkung sowie die Gummilager in den
5.5 Fahrzeugfedern
117
Lenkern der Radaufhängung anzusehen. Deren Dimensionierung erfolgt nach den Gesichtspunkten der Akustik (Schallisolation) unter Beachtung der Anforderungen seitens der Radführungsgeometrie (Elasto-Kinematik). Für geometrisch einfache Bauformen können die Federkennlinien angenähert rechnerisch bestimmt werden [36]. Die Rückstellmomente der Lager können, besonders bei Mehrlenkerachsen, die Gesamtfederrate der Radaufhängung beträchtlich erhöhen. Das am häufigsten an Radaufhängungen anzutreffende Gummilager ist das zylindrische Lager, Bild 5.45. An einem Vollgummilager erhalten die Gleichungen für die axiale und die (ringsum gleich große) radiale Federrate eine ähnliche Form:
ca
2S hG / ln(r2 / r1 )
(5.54)
7,5k S hG / ln(r2 / r1 ).
(5.55)
und
cr
Der Beiwert k hängt vom Verhältnis der Baulänge h zur GummiWandstärke s r2 r1 ab und steigt vom Wert 1 bei h/s = 0 progressiv an. Die in Radaufhängungen als Lenkerlager verwendeten zylindrischen Gummilager weisen Querschnittsverhältnisse bis ca. h/s = 10 auf. Für diesen Bereich kann der Beiwert k durch die Gleichung
k | 1 0,02(h / s ) 2,5
(5.56)
gut angenähert werden. Der Gleitmodul G wächst mit der Shore-Härte und liegt bei ShoreHärten zwischen HS = 45–65 zwischen ca. 53–113 N/cm² [36]. Das Verhältnis cr / ca kann in weitem Bereich gewählt werden, Werte unter cr / ca = 4 sind aber mit einem zylindrischen Vollgummilager kaum zu verwirklichen. Die Drehfederrate ist
cM
4S hG /(1 / r12 1 / r22 ).
Bild 5.45. Zylindrisches Gummilager
(5.57)
118
5 Federung und Dämpfung
Da Gummi auf Dauer keine Zugbelastung verträgt, werden die hoch beanspruchten Gummilager der Radaufhängungen konstruktiv so ausgelegt, dass vorwiegend Druck- und Schubspannungen auftreten. Bei einfachen Lagern wie dem zylindrischen von Bild 5.45 wird nach dem Vulkanisiervorgang eine Druckeigenspannung erzeugt, indem die Außenhülse auf einen kleineren Durchmesser kalibriert wird bzw. die Innenhülse aufgedornt wird. Die Gln. 5.54, 5.55 und 5.57 gelten dann nur noch eingeschränkt, weshalb bei der Auslegung die Erfahrungen der Hersteller heranzuziehen sind. Zylindrische Gummilager werden in Radaufhängungen meistens nicht nur auf reine Verdrehung um ihre Lager-Hauptachse, sondern zusätzlich auf Verkanten der Achsen von Innen- und Außenbuchse beansprucht; dies nennt man die „kardanische“ Verformung. Der Grund hierfür kann z.B. sein, dass das Lager ein Kugelgelenk ersetzen muss (vgl. Kap. 2, Bild 2.2) oder dass der Mechanismus der Radaufhängung von äußeren Kräften elastisch deformiert wird; der kardanische Winkel kann aber auch die Folge einer absichtlichen Schrägstellung der Lagerachse gegenüber der Drehachse eines Achslenkers aus elasto-kinematischen Erwägungen sein. Für „harte“ zylindrische Gummilager, deren Buchsenlänge h mindestens fünfmal so groß ist wie ihre Gummi-Wandstärke s, lässt sich die „kardanische Federrate“ aus der radialen recht gut in Analogie zur Theorie des Biegebalkens abschätzen: An einem Balken der Länge l mit rechteckigem Querschnitt der Höhe h und der Breite b ist bekanntlich die Zug-DruckFederrate c = Ebh/l, die Biegefederrate aber cM E (b h ³ / 12) / l . Das Verhältnis beider ist also cM / c h ² / 12 . Im Längsschnitt bietet das zylindrische Gummilager ein vergleichbares Bild, nämlich einen Rechteckquerschnitt mit einer Höhe h und der Breite zweier Gummischichten b = 2s. Bei ausreichender Buchsenlänge bzw. genügend kleiner Schichtdicke wird sich die Gummischicht unter kardanischer Belastung fast bis zu ihren offenen Flanken hin linear verformen ähnlich dem Querschnitt des Biegebalkens, folglich kann auch am Gummilager das gleiche Verhältnis der Federraten wie am Balken angenommen werden, und die kardanische Federrate, der Quotient des kardanischen Moments und des kardanischen Winkels, wird
ck | cr h ² / 12
(5.58)
mit der Dimension Nmm/rad. Diese Gleichung gilt, wie gesagt, nur für relativ harte Lager; an ausgesprochen „weichen“, als „Feder“ dienenden Lagern mit h < 5b macht sich dagegen die Nachgiebigkeit der offenen Stirnflächen durch Spannungsabbau bemerkbar und führt so zu erheblich kleineren kardanischen Federraten.
5.5 Fahrzeugfedern
119
Bild 5.46. Der „kardanische“ Winkel
Bei der Dimensionierung eines zylindrischen Gummilagers, das auch kardanisch ausgelenkt werden soll, ist darauf zu achten, dass die maximale Verformung der Gummischicht nicht über 40% der Ausgangschichtdicke s erreichen soll, Bild 5.46a. Die mögliche Buchsenlänge und damit die radiale Federrate wird dadurch u. U. merklich begrenzt. Das Zustandekommen eines kardanischen Winkels bei einer erzwungenen Verdrehung eines unter einem Winkel D gegen eine äußere Drehachse d angestellten Gummilagers versucht Bild 5.46b zu veranschaulichen: Die mit der Drehachse d verbundene Lagerhälfte rotiert um d mit dem – im Bild als Drehvektor dargestellten – Winkel M , der z.B. von der Verdrehung eines Dreiecklenkers herrührt. Dessen Komponente in Richtung der Hauptachse des Lagers ist der effektive Verdrehwinkel
Md M cos D ,
(5.59a)
und die dazu senkrechte Komponente ist der kardanische Winkel
M k M sin D .
(5.59b)
Im Raum besitzt ein Gummilager drei Hauptfederraten und drei Verdrehfederraten. An dem zylindrischen Lager nach Bild 5.47 wurde die radiale Federrate crad1 durch „Fenster“ geschwächt, während die dazu rechtwinklig
120
5 Federung und Dämpfung
wirkende Radialrate crad2 durch einvulkanisierte Zwischenbleche erhöht wurde. Maßnahmen dieser Art finden sich häufig an Gummilagern, die als Aufhängungselemente eines Hilfsrahmens elasto-kinematische Aufgaben übernehmen sollen. Bei Lagern für Achslenker mit ihren großen Drehbewegungen setzt dagegen die Betriebssicherheit der freien Gestaltung Grenzen.
Bild 5.47. Zylindrisches Gummilager mit Haupt-Federrichtungen
Auch Gummilager können hydraulisch gedämpft werden, was allerdings voraussetzt, dass merkliche Federwege auftreten. Das für die „Längsfederung“ einer Radaufhängung vorgesehene Lenkerlager in Bild 5.48 enthält in der Achse der Hauptbelastung zwei mit Hydraulikflüssigkeit gefüllte Kammern (obere Hälfte des Bildes), die durch einen als Drossel dienenden Ringkanal unter der Außenbuchse miteinander verbunden sind. Als Federelement dienen die in einem um 90° verdrehten Schnitt in der unteren Hälfte des Bildes dargestellten, im wesentlichen auf Schub beanspruchten Vollgummiblöcke. Wenn schon zwei Kammern in einem hydraulisch gedämpften Gummilager zur Verfügung stehen, liegt es nahe, diese von außen her zu beaufschlagen und über ein Regelsystem in „aktive“ Lager zu verwandeln – an Motor- und Aggregatelagerungen bereits praktiziert, an Lenkerlagern für Radaufhängungen noch selten.
Bild 5.48. Hydraulisch gedämpftes Gummilager. Oben: Schnitt durch eine Kammer. Unten: Schnitt durch den Gummikörper (vereinfacht nach einer Werkszeichnung der BMW Group)
5.5 Fahrzeugfedern
121
Sämtliche Gummilager an Lenkern und an einem diese evtl. tragenden Hilfsrahmen sind heutzutage für die Elasto-Kinematik der Radaufhängung sorgfältig aufeinander abgestimmt. Dabei ist es natürlich erwünscht, dass die getroffene Abstimmung hinsichtlich der Federraten und der Dämpfungseigenschaften auch nach jahrelangem Gebrauch des Fahrzeugs erhalten bleibt. Dies setzt voraus, dass die Gummilager erstens ausreichend dimensioniert sind und dass sie vor ungewöhnlichen Beanspruchungen (Auspuff-Wärmestrahlung!) geschützt werden. Sehr günstig ist es, wenn alle Lager einer Radaufhängung mit etwa gleichen oder ähnlichen Gummimischungen und Shorehärten entwickelt werden, so dass eine möglichst gleichmäßige „Alterung“ aller Lager zu erwarten ist. Die für Lager an Fahrwerksteilen verwendeten Shorehärten bewegen sich zwischen HS = 45 und HS = 70. 5.5.6 Gasfedern Die Gasfeder enthält eine abgeschlossene Gasmenge, deren Volumen V beim Ein- und Ausfedern verändert wird, Bild 5.49. Die Federungskraft ergibt sich aus der wirksamen Fläche A und der Differenz des Innendrucks p und des Umgebungsdrucks pa zu
F
A( p pa ).
(5.60)
Die bei der Kompression zugeführte Energie wird teilweise durch Druckerhöhung gespeichert und teilweise als Wärme an die Umgebung abgeleitet. Bei niedrigen Federungsgeschwindigkeiten (statische Beladungsänderung) gilt das isotherme Gasgesetz pV = const., bei hohen Geschwindigkeiten (dynamischer Federungsvorgang bei schneller Fahrt) dagegen, wo keine Zeit zur Wärmeableitung bleibt, das adiabatische Gesetz pV N const. Für allgemeine Berechnungen wird ein polytropes Gesetz
pV n
const.
(5.61)
mit dem Polytropenexponenten 1 n d N 1,4 angewandt. Der mit der Einfederungsgeschwindigkeit wachsende Polytropenexponent n hat zur Folge, dass hochfrequente Stöße, wie sie z.B. beim Überfahren der Schienen an einem Bahnübergang auftreten, mit stärkerem Druckanstieg (also höherer Federrate) aufgenommen werden als niederfrequente (z.B. die lange Bodenwelle des Bahnübergangs selbst).
Bild 5.49. Gasfeder (schematisch)
122
5 Federung und Dämpfung
Da Gase stets diffundieren, ist eine Gasfederung praktisch nur in Verbindung mit Niveauregelung anzutreffen. Die je nach Auslegung mehr oder weniger schnell ansprechende Regelung überdeckt die isothermen Vorgänge, so dass das isotherme Gasgesetz wenig Bedeutung hat. Aus Gl. 5.60 und V = Ah folgt dF = Adp und mit Gl. 5.61 dp = -pndV/V, wobei dV = -Adf, damit wird die Federrate c = dF/df
c
A² p n / V
(5.62)
oder mit Gl. 5.60
c F ² p n /{( p pa )²V },
(5.63)
wenn die Fläche A konstant ist. Ausführliche Berechnungsformeln in [19]. Es gibt zwei Grundbauarten von Gasfedern, nämlich die Federung „mit konstantem Gasvolumen“ und die Federung „mit konstanter Gasmasse“. Die Federung mit konstantem Gasvolumen wird bei Beladungsänderungen durch Nachpumpen oder Ablassen von Gas geregelt, wobei der Gasraum gleich groß bleibt. Bild 5.50 zeigt schematisch eine Balgfeder mit einem Stempel oder Kolben 1, dem Balg 2, einer Regelstange 3 zur Betätigung des Regelventils 4 (Dreiwegehahn) und einer Pumpe 5. Die wirksame Arbeitsfläche wird hier etwa durch den Durchmesser definiert, an welchem die Balgwandung im unteren Umkehrpunkt ihre horizontale Tangentialebene hat. Als Gas wird im allgemeinen die Umgebungsluft verwendet, was das System besonders einfach macht. Bei Beladungsänderung bleibt das umschlossene Volumen konstant, der Innendruck wächst entspr. Gl. 5.60 proportional zur Last, daher ist die Federrate nach Gl. 5.63 ebenfalls etwa proportional dazu. Die Feder mit konstantem Gasvolumen erleichtert es also, die Eigenfrequenz über der Beladung gleich zu halten. Da das vom Balg umschlossene Volumen im allgemeinen bei weitem nicht ausreicht, um die gewünschte niedrige Eigenfrequenz zu verwirklichen, wird stets ein Zusatzvolumen in einem der Anschlussteile untergebracht, z.B. durch Vergrößerung des topfförmigen Oberteils in Bild 5.50. Große Bedeutung kommt der Balgwandung zu, die bei hohen Frequenzen infolge der Gummi-Materialdämpfung eine dynamische Verhärtung der GesamtFederrate bewirkt. Durch eine Konturierung des Abrollkolbens 1 können die wirksame Arbeitsfläche und damit die Federrate über dem Radhub beeinflusst werden.
Bild 5.50. Luftfeder mit „konstantem Gasvolumen“
5.5 Fahrzeugfedern
123
Luftfedern arbeiten mit Maximaldrücken von 7–15 bar und stationären Drücken um ca. 3 bar. Bei der Federung mit konstanter Gasmasse dient ein Übertragungsmedium (Öl) zur Weiterleitung des Gasdruckes auf die Arbeitsfläche, weshalb sie auch als „hydropneumatische Federung“ bezeichnet wird. Da beim Federungsvorgang Öl bewegt wird, kann die Schwingungsdämpfung in das System integriert werden. Bild 5.51 zeigt schematisch ein hydropneumatisches „Federbein“, einen Federzylinder mit hohler Kolbenstange 1, ein Dämpferventil 2, einen Gasdruckspeicher 3 und eine Zuleitung 4, über welche Öl nachgepumpt oder abgelassen werden kann. Als Arbeitsfläche wirkt der Verdrängungsquerschnitt der Kolbenstange, der durch ihren Außendurchmesser gegeben ist. Wegen der kleinen Arbeitsfläche sind höhere Drücke um 20–50 bar erforderlich. Aus den Gln. 5.60 und 5.63 folgt daher ein wesentlich geringerer Einfluss des Umgebungsdruckes pa auf die Federrate als bei Luftfedern; da aber das Gasvolumen V mit wachsender Beladung abnimmt, steigt die Federrate und damit die Eigenfrequenz. Die Gasfeder mit konstanter Gasmasse verhält sich also umgekehrt als eine lineare Feder.
Bild 5.51. Hydropneumatisches Federbein mit „konstanter Gasmasse“
Eine Gegenüberstellung der wesentlichen Eigenschaften beider Gasfeder-Bauarten wird in Bild 5.52 anhand eines Zahlenbeispiels vorgenommen. Die obere Diagrammreihe gilt für das „konstante Gasvolumen“, also die Luftfederung, die untere für die „konstante Gasmasse“ bzw. die hydropneumatische Federung. Beiden Bauarten gemeinsam ist die Absenkung der Federrate c0 in der Ruhelage und damit der zugehörigen (linearisierten) Eigenfrequenz f 0 mit wachsendem Gasvolumen (linke Diagramme). Die Anpassung der Feder mit konstantem Volumen an veränderliche statische Lasten F0 geschieht durch Regelung der Gasmenge, der Druck p0 in der Ruhelage steigt, das Volumen V bleibt konstant. Die Federrate wächst etwas schwächer als die Last, und die Eigenfrequenz f 0 sinkt geringfügig ab (mittleres Diagramm oben). Bei der Feder mit konstanter Gasmasse gilt dagegen pV = const.,
124
5 Federung und Dämpfung
das Volumen nimmt mit der Beladung ab, die Federrate c0 und damit die Frequenz f 0 steigen überproportional (mittleres Diagramm unten). Galten die vorstehenden Betrachtungen für die Ruhelage, so zeigen die Diagramme rechts in Bild 5.52 Beispiele für dynamische Federkennlinien (berechnet mit dem Adiabatenexponenten N 1,4 ) für je drei statische Belastungen. Beide Federbauarten weisen progressive dynamische Kennlinien auf, die hydropneumatische aber mit deutlich stärkerer Progression.
Bild 5.52. Vergleich der wichtigsten Eigenschaften der Gasfeder-Bauarten: oben: „konstantes Gasvolumen“, unten: „konstante Gasmasse“
5.6 Schwingungsdämpfer Als Schwingungsdämpfer hat sich der Teleskop-Dämpfer durchgesetzt, welcher unmittelbar mit dem Fahrzeugkörper und dem Radträger oder einem Lenker der Radaufhängung verbunden werden kann, Umlenkhebel und dergleichen überflüssig macht und wegen seines großen Hubes und der entsprechend geringen Kräfte ein spontanes Ansprechen auf Radhubbewegungen ermöglicht. Es gibt zwei Grundbauarten, Bild 5.53, nämlich den Zweirohrdämpfer (a) und den Einrohr- oder „Gasdruck“-Dämpfer (b). Die ursprüngliche Bauart, der Zweirohrdämpfer, besteht aus der Kolbenstange mit dem Kolben sowie einem inneren Dämpferzylinder, der zusammen mit dem konzentrischen Außenrohr einen ringförmigen Vorratsraum für das Dämpferöl bildet, Bild 5.53a. Beim Zusammendrücken des
5.6 Schwingungsdämpfer
125
Dämpfers („Druckstufe“) strömt das Öl (1) durch den Kolben in den oberen Raum des Dämpferzylinders. Da das Dämpferöl etwa unter Atmosphärendruck steht, darf hier keine wesentliche Drosselung der Strömung erfolgen, weil dies hohe Unterdrücke auf der Kolbenunterseite, damit Gefahr der Dampfblasenbildung (Kavitation) und entsprechende Erschütterungen zur Folge hätte. Auf der Kolbenoberseite befindet sich daher lediglich ein Rückschlagventil 3. Das von der eintauchenden Kolbenstange verdrängte Ölvolumen strömt durch das Dämpferventil 6 im Dämpferboden in den Vorratsraum 2. Wird der Dämpfer auseinander gezogen („Zugstufe“), so strömt das Öl aus dem oberen Dämpferraum durch das Dämpferventil 4 im Kolben nach unten. Das von der zurückweichenden Kolbenstange freigegebene Volumen wird aus dem Vorratsraum 2 über das Rückschlagventil 5 nachgesaugt. Der Zweirohrdämpfer ist anspruchslos und funktioniert auch nach geringem Ölverlust weiter, muss aber im wesentlichen in senkrechter Lage eingebaut werden. Neben dem Zweirohrdämpfer hat der Einrohrdämpfer sich seinen festen Platz erobert, Bild 5.53b. Der Ausgleich des von der Kolbenstange verdrängten Ölvolumens erfolgt hier durch Kompression bzw. Entspannung eines unter einem Druck von bis zu ca. 25 bar stehenden Gasvolumens, das durch eine Membran oder einen Trennkolben 7 vom Ölraum getrennt ist. Der Kolben trägt Ventile sowohl für die Druckstufe (8) als auch die Zugstufe (9).
Bild 5.53. Teleskop-Schwingungsdämpfer a) Zweirohrdämpfer b) Einrohr-(Gasdruck-)Dämpfer
126
5 Federung und Dämpfung
Die hohe Druckvorspannung im Gasdruckdämpfer verhindert Kavitationserscheinungen und unterstützt das schnellere Ansprechen des Dämpfers. Der Einrohrdämpfer kann in jeder Lage eingebaut werden. Die Kolbenstangendichtung muss den hohen Gasdruck zuverlässig aushalten, denn Gas- oder Ölverluste führen zum baldigen Ausfall des Dämpfers; sie ist daher straffer konstruiert und verursacht damit etwas höhere Losbrechkräfte als die Dichtung des Zweirohrdämpfers. Der Gasdruck erzeugt mit der Querschnittsfläche der Kolbenstange eine „Ausfahrkraft“, die das Fahrzeug anzuheben versucht und bei der Auslegung der Federung zu berücksichtigen ist. Auch Zweirohrdämpfer können unter eine (allerdings niedrigere) Gasdruck-Vorspannung gesetzt werden, um die Vorteile des EinrohrGasdruckdämpfers bei vergleichsweise geringerem Ausfallrisiko zu gewinnen. Im allgemeinen werden die Dämpferventile so abgestimmt, dass in der Druckstufe deutlich kleinere Dämpferkräfte erzeugt werden als in der Zugstufe (sogen. „geknickte Kennung“). Dies geschieht sicher nicht aus Tradition, z.B. weil die ersten Dämpfer keine Bodenventile besaßen und damit in der Druckstufe wirkungslos waren, und hat immer wieder zu Diskussionen geführt. Da die Praxis aber weitgehend dabei geblieben ist, müssen Gründe dafür vorhanden sein. Die Dämpferabstimmung hat ja nicht nur auf das Komfort-Schwingungsverhalten des Fahrzeugs allein Rücksicht zu nehmen, sie ist auch von wesentlichem Einfluss auf die Fahrsicherheit, vor allem bei instationären Lenk- und Lastwechselvorgängen, welche nur durch aufwendige Rechenmodelle nachvollziehbar sind und deren Optimierung auch heute noch eine Domäne des Fahrversuchs ist. Bei andauernder Schwingungsanregung muss die stärkere Zugstufe eines unsymmetrisch ausgelegten Dämpfers eine Absenkung der mittleren Fahrzeughöhe über der Fahrbahn zur Folge haben. Wenn vereinfachend angenommen wird, dass der Dämpferhub gleich der Erregeramplitude h ist, was oberhalb eines Frequenzverhältnisses K Z / Z0 5 etwa zutrifft, ergibt sich die „dynamische Absenkung“ als Quotient der mittleren Dämpferkraft und der Federrate mit den Dämpferkonstanten k z bzw. kd der Zugund der Druckstufe annähernd zu
'h |
4hK D kz kd . S k z kd
Angesichts der kleinen hochfrequenten Erregeramplituden bleibt die dynamische Absenkung im allgemeinen vernachlässigbar. Die herkömmliche Dämpferabstimmung mit geschwindigkeitsabhängiger Kraft muss alle fahrdynamischen Situationen abdecken und kann als
5.6 Schwingungsdämpfer
127
Kompromisslösung diese Aufgabe nicht in jedem Fall optimal erfüllen. Soll der Dämpfer auf schlechter Fahrbahn oder bei dynamischer Fahrweise ausreichende Bodenhaftung gewährleisten, so wird die zugehörige Kennung beim gemächlichen Rollen auf guter Fahrbahn als zu „hart“ empfunden. Daher besteht der Wunsch, die Dämpferkennlinien den jeweiligen Fahrsituationen besser anpassen zu können. Selbstverständlich bieten heutige elektronische Regelsysteme derartige Möglichkeiten bei entsprechendem Aufwand. Eine Anpassung der Dämpferkennung an die Fahrsituation ohne äußeres Regelsystem allein mit hydraulisch-mechanischen Mitteln zeigt Bild 5.54: Innerhalb des Dämpferkolbens bewegt sich ein Schwimmkolben, der sich bei normaler Fahrweise in einer mittleren Stellung einpendelt und dabei eine Bypassleitung freigibt, durch welche ein Teil des Ölstroms an den Ventilen des Dämpferkolbens vorbeigeführt wird und die Gesamtdämpfung sich entsprechend verringert (linkes Bild). Auf schlechter Wegstrecke, bei forscher Fahrweise und bei Kurvenfahrt fährt der Schwimmkolben in die Anschlagstellung (im Bild rechts für die Zugstufe dargestellt) und verschließt den Bypass, so dass der gesamte Ölstrom durch die Ventile des Dämpferkolbens gezwungen und die volle Dämpfwirkung erzielt wird.
Bild 5.54. Selektives Dämpfungssystem der Mercedes-Benz A-Klasse (2004); Ventilplatten nicht dargestellt. (vereinfacht nach einem Pressebild der DaimlerChrysler AG)
128
5 Federung und Dämpfung
5.7 Der Schrägfederungswinkel Alle Kräfte am frei rollenden, d. h. nicht von einer Brems- oder Antriebskraft beaufschlagten Rade können nur über die Radlagerung, also geometrisch über den Radmittelpunkt M, auf den Radträger bzw. die Radaufhängung übertragen werden, Bild 5.55. Es handelt sich bei diesen Kräften um die Radlast Fz , den Rollwiderstand FR und andere Widerstandskräfte wie z.B. den Aquaplaning-Widerstand sowie allgemeine Stoßkräfte FSt . Der Rollwiderstand FR wird vereinfacht als Längskraft am Rade angenommen, deren Größe mit der Radlast Fz in Verbindung steht. Eine am Radaufstandspunkt angreifende Resultierende aus Fz und FR liefe aber an der Radachse vorbei, d. h. sie müsste ein Drehmoment auf das Rad ausüben, Bild 5.55a, was bei Vernachlässigung der Lagerreibung nicht möglich ist. Tatsächlich entsteht ja der Rollwiderstand auf komplexe Weise aus der Deformationsarbeit am Reifen und aus Gleitreibungsverlusten innerhalb der Latschfläche. Die Resultierende aus Fz und FR muss daher die Radachse schneiden, und die Gleichgewichtsbedingung an einem mit konstanter Drehzahl rollenden Rade lautet FR Fz lR / R. Mit f R lR / R als dimensionslosem „Rollwiderstandsbeiwert“ gilt also
FR
f R Fz
(5.64)
Auch beliebig gerichtete Stoßkräfte am frei rollenden Rade können nur über die Radachse übertragen werden, gleichgültig ob sie zentrisch wie in Bild 5.55b oder exzentrisch wirken (c). Eine exzentrische Stoßkraft FSt ruft eine Drehbeschleunigung des Radkörpers hervor, und das Kräftepaar FSt e aus der Stoßkraft FSt bzw. der gleich großen Summe aus der Massenbeschleunigungskraft Fdyn und der Radlagerkraft FM hält dem Beschleunigungs-Reaktionsmoment M dyn das Gleichgewicht. Aus den Bildern 5.55b und c wird deutlich, dass die Stoßwirkung auf den Fahrzeugkörper gemildert werden könnte, wenn die Radaufhängung in Richtung der Stoßkraft federnd nachgiebig wäre. Dies ist mit Rücksicht auf andere fahrdynamische Anforderungen nur in Grenzen möglich.
Bild 5.55. Längskräfte am frei rollenden Rade: a) Rollwiderstand b) zentrische und c) exzentrische Stoßkraft
5.7 Der Schrägfederungswinkel
129
Bild 5.56. Der Schrägfederungswinkel
Als mechanische Kenngröße für die rein kinematische Reaktion der Radaufhängung auf Stoßkräfte hat sich der „Schrägfederungswinkel“ H eingebürgert, Bild 5.56, der die Richtung der momentanen Bewegungsbahn der Radmitte M gegen die Vertikale in der Seitenansicht des Fahrzeugs angibt. Er fällt besonders an der „Teleskop-Gabel“ der Motorräder auf (a), kann aber auch an anderen Radaufhängungen dargestellt werden wie z.B. dem Längslenker in Bild 5.56b. Der Schrägfederungswinkel ist an Vorder- und Hinterrädern positiv definiert, wenn die Radmitte sich beim Einfedern entgegen der Fahrtrichtung verschiebt, und berechnet sich mit den Komponenten der bei einem reinen Federungsvorgang auftretenden Geschwindigkeit v M der Radmitte aus
tanH
vMx / vMz .
(5.65)
Da bei allen hochfrequenten Stößen auch Massenkräfte am Rade und der Radaufhängung entstehen, hat der Schrägfederungswinkel für den Fahrkomfort nur geringe Bedeutung und bietet allenfalls bei niederfrequenten Störungen mit großer Amplitude (Geländefahrt!) gewisse Vorteile. Zur Isolation des Fahrzeugkörpers gegenüber hochfrequenten Erregerkräften mit sehr kleinen Amplituden, wie sie auf normaler Fahrbahn ständig vorkommen, trägt er überhaupt nichts bei; dies ist eine Aufgabe für die in allen modernen Radaufhängungen verwendeten gummielastischen Lager für die Lenker und ggf. Hilfsrahmen („Fahrschemel“).
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6 Antrieb und Bremsung
6.1 Stationärer Beschleunigungs- und Bremsvorgang Antriebs- und Bremskräfte werden an den Radaufstandspunkten vom Reifen auf die Fahrbahn übertragen; die Massenbeschleunigungs- bzw. die Massenverzögerungskraft des Fahrzeugs greifen am Fahrzeugschwerpunkt S an. Daraus entsteht ein Kippmoment am Fahrzeug, das beim Bremsen die Vorderräder zusätzlich belastet bzw. die Hinterräder entlastet und beim Beschleunigen umgekehrt wirkt. Brems- und Antriebsvorgang unterscheiden sich am Gesamtfahrzeug lediglich durch das Vorzeichen der Längsbeschleunigung ax . Im folgenden wird zunächst der Bremsvorgang am Gesamtfahrzeug betrachtet. Die resultierenden oder „dynamischen“ Vorder- und Hinterachslasten Fzv' und Fzh' während des Bremsvorgangs, Bild 6.1, berechnen sich aus den statischen Gleichgewichtsbedingungen mit der Bremsverzögerung ax (< 0) zu
Fzv'
m g (l lv ) / l m ax h / l ,
Fzh'
m g lv / l m ax h / l.
Bild 6.1. Bremsvorgang am Zweiachsfahrzeug
(6.1a,b)
132
6 Antrieb und Bremsung
Mit den ausgenutzten Kraftschlussbeiwerten f v und f h an der Vorderund der Hinterachse sind die Bremskräfte
Fxv
Fzv' f v ,
Fxh
Fzh' f h .
(6.2a,b)
Die Summe der Bremskräfte ist die Massen-Verzögerungskraft
Fxv Fxh
m ax .
(6.3)
Bei Bremsung sind f v , f h und ax negativ. Für eine an der Vorder- wie der Hinterachse gleich große Kraftschlussbeanspruchung, d. h. f v f h , folgt aus den Gln. 6.1 und 6.2 f v f h ax / g , und damit werden die Bremskräfte für die „ideale Bremskraftverteilung“
Fxv
m g (ax / g ){(l lv ) / l (ax / g ) h / l},
Fxh
m g (ax / g ){lv / l (ax / g ) h / l}.
(6.4a,b)
Dies ist die Parameter-Darstellung einer Parabel Fxh ( Fxv ) mit dem Parameter ax / g. In Bild 6.1 ist rechts die „ideale“ Bremskraftverteilung für die angegebenen Daten eines mittleren PKW eingezeichnet (Kurve a). Zumindest bei Fahrzeugen ohne Bremskraft-Regelsystem (ABS) wird aus Sicherheitsgründen eine davon abweichende Verteilung gewählt, um zu vermeiden, dass bei Reibwertstreuungen der Bremsbeläge gegenüber der Bremsscheibe oder des Reifens gegenüber der Fahrbahn die Hinterachse überbremst wird bzw. eher blockiert als die Vorderachse, denn bei blockierter Hinterachse steht an dieser keine Kraftschlussreserve für die Seitenführung mehr zur Verfügung, und das Fahrzeug wird beim Bremsen zum Drehen neigen. Das heute allgemein verwendete Anti-BlockierSystem mildert dieses Problem aber erheblich ab. Zu jedem Beladungszustand des Fahrzeugs gehört selbstverständlich eine andere ideale Bremskraftverteilung. Sollen alle Beladungszustände durch eine „feste“ installierte Bremskraftverteilung abgedeckt werden, so ist die ungünstigste Konstellation (im allgemeinen das nur mit dem Fahrer allein besetzte Fahrzeug) zu Grunde zu legen, womit bei höherer Beladung auf mögliche höhere Bremskräfte verzichtet wird. Die Gerade b zeigt eine solche Verteilung, wo die Hinterachs-Bremskraft bis zu den höchsten zu erwartenden Verzögerungen um 0,8 g stets unterhalb der „idealen“ Kraft bleibt. Auch ein geknickter Verlauf wird angewandt, im Falle der Kurve c durch Einsatz eines Druckbegrenzungsventils an der Hinterachse und bei der Kurve d durch ein Druckminderventil. Fahrzeuge mit extremen Schwankungen der statischen Hinterachslast, z.B. LKW und Kombiwagen und die meisten Fronttriebler, benutzen Druckminderventile, deren Umschaltpunkt je nach statischer Achslast verschoben wird (sogen. „Bremskraftregler).
6.1 Stationärer Beschleunigungs- und Bremsvorgang
133
Durch Eintragung der Linien konstanter Verzögerung ()ax und konstanter Kraftschlussbeiwerte wird das Bremskraftverteilungs-Diagramm zu einem Kennfeld erweitert [18]: für ax / g const. ergeben sich aus Gl. 6.3 Geraden Fxh ( Fxv ), deren Achsenabschnitte jeweils gleich m ax sind. Mit f v bzw. f h const. folgen aus den Gln. 6.1–6.3 die Funktionen
Fxv (1 f v h / l )
f v {m g (l lv ) / l Fxh h / l},
Fxh (1 f h h / l )
f h {m g lv / l Fxv h / l},
(6.5a,b)
welche ebenfalls Geraden darstellen; für Fxv 0 wird unabhängig von f v Fxh m g (l lv ) / h, d. h. alle Geraden f v const. laufen durch diesen Ordinatenpunkt, ferner durch den jeweiligen Schnittpunkt der zugehörigen Geraden ax / g const. mit der idealen Bremskraftparabel, wo ax / g f v = f h ist. Für Fxh 0 wird, unabhängig von f h , Fxv m g lv / h. Beim Zweiachsfahrzeug sind die Radlasten während des Bremsvorgangs nur von der Bremsverzögerung, nicht aber von der installierten Bremskraftverteilung abhängig, vgl. Gl. 6.1. Dies gilt nicht mehr bei Fahrzeugen wie z.B. dem Sattelzug in Bild 6.2. Die Höhen hK , h1 und h 2 der Sattelkupplung und der Teil-Schwerpunkte von Zugmaschine und Auflieger sowie die gewählte Bremskraftverteilung bestimmen die Kupplungskräfte Fxk und Fzk und damit die dynamischen Belastungen aller drei Achsen. – Angesichts des kurzen Radstands der Zugmaschine und der Höhe der Sattelkupplung wird die dynamische Achslast der Vorderachse während einer Vollbremsung des Zuges etwa doppelt so groß ausfallen wie die statische, im Gegensatz zu normalen LKW, wo die Erhöhung ca. 30–50% beträgt. Entsprechend hoch ist das bei optimaler Kraftschlussausnutzung erzielbare Bremsmoment. Dies ist bei der Dimensionierung der Bremsanlage, des Achskörpers und aller Lagerungen zu berücksichtigen. Die Hinterachslast der Zugmaschine verändert sich dabei nur geringfügig. Die vorstehend für den Bremsvorgang aufgestellten Gleichungen gelten ebenso für den Beschleunigungsvorgang, wobei ax ! 0 zu setzen ist.
Bild 6.2. Bremsvorgang an einem Sattelzug
134
6 Antrieb und Bremsung
6.2 Antriebs- und Brems-Stützwinkel 6.2.1 Allgemeines Die Beschleunigungs- oder Bremskräfte greifen in Fahrtrichtung an den Radaufstandspunkten A an. Bild 6.3 zeigt ein Fahrzeug mit Allradantrieb schematisch in der Seitenansicht bei stationärer Vorwärtsbeschleunigung. Es möge sich vor Beginn des Beschleunigungsvorgangs im statischen Gleichgewicht befunden haben, d. h. die (auf die Radaufstandspunkte „reduzierten“) Federkräfte entsprachen den („gefederten“) Radlasten. Dann genügt es für die Bestimmung des neuen Gleichgewichtszustandes, die entstehenden Zusatzkräfte und ihre Auswirkungen auf die Fahrzeuglage zu untersuchen (angesichts des üblichen Dämpfungsmaßes D | 0,3 nimmt das Fahrzeug nach etwa einer Sekunde die neue stationäre Gleichgewichtslage an). Das Verhältnis der vorderen und hinteren Längskräfte an den Radaufstandspunkten ist im allgemeinen konstruktiv festgelegt, im Falle eines Antriebs beider Achsen z.B. durch ein „Verteilergetriebe“ und im Falle der Bremsung durch die Dimensionierung der Bremsscheibendurchmesser und der Kolbenflächen in den Bremssätteln. Der in Bild 6.3 eingezeichnete Kräfteplan gilt sinngemäß auch für den stationären Bremsvorgang (dort sind dann lediglich die Vorzeichen der Kräfte umzukehren) und ist insofern vereinfacht, als die „ungefederten“ und die „rotierenden“ Massenanteile am Gesamtfahrzeug dessen Masse zugeschlagen wurden. Ferner wurden aerodynamische Kräfte vernachlässigt. Die Gesamt-Längskräfte Fxv und Fxh an Vorder- und Hinterachse erzeugen am Fahrzeug die Längsbeschleunigung ax und die Massenkraft m ax am Fahrzeugschwerpunkt S.
Bild 6.3. Kräfteplan am Fahrzeug bei Beschleunigung
6.2 Antriebs- und Brems-Stützwinkel
135
Aus dem Radstand l und der Schwerpunktshöhe h folgen die Achslastverlagerung 'Fzv an der Vorderachse sowie die umgekehrt gleich große Verlagerung 'Fzh an der Hinterachse. Die Resultierenden Frv bzw. Frh aus den Längskräften Fxv und Fxh und den Achslastverlagerungen r 'Fzv, h schneiden sich mit der Massenkraft m ax in Höhe des Schwerpunkts S in einem Punkt E, dessen Lage von der Längskraftverteilung auf die Vorderund die Hinterachse abhängt. Für einen Längskraftanteil F der Vorderachse liegt E im Abstand F l hinter derselben. Der Anteil von Vorder- und Hinterachse an der Gesamt-Antriebs- bzw. Bremskraft wird, wie im Abschn. 6.1 erwähnt, konstruktiv so festgelegt, dass eine optimale Kraftschlussausnutzung erzielt wird unter Berücksichtigung fahrdynamischer Sicherheitskriterien. Die resultierenden Zusatzkräfte Frv und Frh an Vorder- und Hinterachse bilden mit der Fahrbahnebene die Winkel H iv und H ih . In Kap. 3 war anhand von Bild 3.13 bereits erläutert worden, wie eine Radaufhängung im Zusammenwirken mit der Federung diese Zusatzkräfte aufnimmt. Dabei war als fahrzeugtechnische Kenngröße der „Stützwinkel“ H B – oder nun allgemeiner: H – eingeführt worden, nämlich der Winkel in der Seitenansicht des Fahrzeugs, unter welchem – bei als „blockiert“ angenommener Momentenstütze (Bremse, Motor) – die Radaufhängung Kräfte auf den Fahrzeugkörper übertragen kann, ohne dass eine Federkraftänderung erfolgt. Dort wurde auch erklärt, dass dieser Stützwinkel für eine beliebige Radaufhängung aus ihrer Bewegungsgeometrie bestimmt werden kann, indem bei als blockiert betrachteter Momentenstütze ein fiktiver Geschwindigkeitsvektor v A des Radaufstandspunktes A bei einem fiktiven Ein- oder Ausfederungsschritt ermittelt und dessen Neigung gegen die Vertikale berechnet wird. Im Falle der radträgerfesten Bremse von Bild 3.13 bedeutet deren Blockierung, dass der Radaufstandspunkt A momentan als fest mit dem Radträger verbunden anzusehen ist. Seine fiktive Bewegungsbahn beim Einoder Ausfedern kann also für die Antriebs- oder Bremskraftstatik am Fahrzeug den Mechanismus der Radaufhängung vertreten, Bild 6.4, und an der nun durch eine „Schlitzführung“ gleichwertig ersetzten Radaufhängung ist der Kräfteplan leicht aufzustellen (vgl. auch Kap. 3, Abschn. 3.5). Die Längskraft FxB steht mit der Horizontalkomponente der Reaktionskraft Fk der Radaufhängung (der Normalkraft zu der unter dem Stützwinkel H geneigten Schlitzführung) im Gleichgewicht, Fk cos H FxB , und deren Vertikalkomponente hilft der – auf den Radaufstandspunkt „reduzierten“ – Federkraftänderung 'FFA , die Radlaständerung 'Fz abzufangen: Fk sin H 'FFA 'Fz . Aus beiden Gleichungen folgt
'FFA
'Fz FxB tan H .
(6.6)
136
6 Antrieb und Bremsung
Bild 6.4. Der Brems-Stützwinkel
Offensichtlich wird die Federkraftänderung 'FFA und damit die Einfederung an der Achse um so geringer, je größer der Stützwinkel ist. Bild 6.4 zeigt eine Vorderradaufhängung; wie aus dem Kräfteplan am Gesamtfahrzeug, Bild 6.3, ersichtlich, müssten an einer Hinterradaufhängung die „Schlitzführung“ bzw. der Vektor v A zur anderen Seite der Vertikalen hin geneigt sein, um dem dortigen Kräfteplan sinnvoll entsprechen zu können. Die Definition der Stützwinkel an Vorder- und Hinterachse muss also, im Gegensatz zur Definition des Schrägfederungswinkels (vgl. Kap. 5, Abschn. 5.7), unterschiedlich vorgenommen werden. Ist v A der Vektor der fiktiven Geschwindigkeit des Radaufstandspunktes bei einem Federungsvorgang unter Annahme einer blockierten Momentenstütze, so ergibt sich der Stützwinkel mit den Komponenten von v A aus
tan H v, h
r vAx / vAz
(6.7)
(das obere Vorzeichen gilt an Vorderrädern). Eine Ein- oder Ausfederung der Achse während des längsdynamischen Vorgangs wäre offensichtlich völlig unterbunden, wenn in Bild 6.4 die „Schlitzführung“ senkrecht zur resultierenden Kraft Fr verlaufen und somit die Federkraftänderung vermieden würde; für 'FFA 0 folgt aus Gl. 6.6 tan H 'Fz / FxB . Dies wäre der „ideale“ Stützwinkel für „100% Nickausgleich“ [7]. Aus den Maß- und Kräfteplänen in Bild 6.3 folgen die Tangens der idealen Stützwinkel an Vorder- und der Hinterachse zu
tan H iv
h /( F l)
tanH ih
h /{(1 F l }
(6.8a,b)
6.2 Antriebs- und Brems-Stützwinkel
137
Mit einem „idealen“ Stützwinkel wäre die Radaufhängung in der Lage, trotz des vorhandenen Freiheitsgrades der Ein- und Ausfederung die jeweilige Resultierende Fr im Zustand des (dann im allgemeinen „labilen“) Gleichgewichts aufzunehmen, so dass eine Inanspruchnahme der Federung unnötig wäre. Die tatsächlichen Stützwinkel H der Achsen weichen meistens aus verschiedenen Gründen von den idealen ab, so dass gewisse Federungsbewegungen unvermeidlich sind. Der Kräfteschnittpunkt E in Bild 6.3 ist der „Antriebs“- bzw. „Bremsmittelpunkt“ [83]. Die Antriebskraftverteilung und damit die Lage des Antriebsmittelpunktes kann je nach Zweckbestimmung des Fahrzeugs sehr unterschiedlich ausfallen; wegen der erwähnten üblichen Auslegung der Bremskraftverteilung liegt dagegen der Bremsmittelpunkt im allgemeinen um so weiter zur Hinterachse hin verschoben, je kopflastiger das Fahrzeug bzw. je näher der Fahrzeugschwerpunkt der Vorderachse ist. Bei Einachsantrieb (bzw. auch bei Einachsbremsung), in Bild 6.5 als Vorderradantrieb gezeichnet, liegt der Punkt E in Schwerpunktshöhe senkrecht über der nicht angetriebenen bzw. nicht gebremsten Achse; der zugehörige „ideale“ Stützwinkel wäre dann 90°, was nicht realisierbar ist, weil es einer Blockierung der Federung gleichkäme. An einem PKW mit 2700 mm Radstand und 550 mm Schwerpunktshöhe ist der ideale Stützwinkel für Einachsantrieb bzw. Einachsbremsung an der angetriebenen bzw. gebremsten Achse 11°30’. Bei Allradantrieb bzw. Allradbremsung mit einem Vorderachsanteil F 0,7 (also 70% Vorderachsanteil an der Bremskraft bzw. an der Antriebskraft) werden H iv 16q10' bzw. H ih 34q10' . Ein Bremskraft-Regelsystem (ABS) gehört inzwischen zur Standardausrüstung jedes Fahrzeugs. Damit ist – zumindest während instationärer Regelvorgänge – keine feste Bremskraftverteilung mehr gegeben, weshalb auch bei optimal ausgelegten Stützwinkeln der Radaufhängung gewisse Federungsbewegungen nicht zu vermeiden sind, es sei denn, ein schnelles „aktives“ Federungssystem greift korrigierend in die Fahrzeuglage ein. Bei den meisten Motorrädern sind die Vorder- und die Hinterradbremse unabhängig voneinander bedienbar; für diese Fahrzeuge gilt also das ebengesagte ohnehin.
Bild 6.5. Kräfteplan bei Einachsantrieb
138
6 Antrieb und Bremsung
6.2.2 Radträgerfeste Momentenstütze Bei der Einführung der Kenngröße „Stützwinkel“ anhand der Bilder 6.3 und 6.4 bzw. 3.13 wurde vorausgesetzt, dass die „Momentenstütze“ zur Aufnahme des Antriebs- oder Bremsmoments zwischen Radträger und Radkörper angeordnet ist, so dass bei einer „Blockierung“ derselben der Radaufstandspunkt als momentaner Radträgerpunkt anzusehen ist. Die in Bild 6.6 dargestellten Bauarten von Radaufhängungen erfüllen diese Bedingung. Die „Triebsatzschwinge“, Beispiel a, wird vor allem bei leichten Zweiradfahrzeugen angewendet; der Antriebsmotor ist am Radträger befestigt und kann sogar innerhalb der Radschüssel untergebracht sein („Radnabenmotor“, z.B. bei hydrostatischem Antrieb). Wenn das Achsgetriebe in die Brücke einer Starrachse eingebaut ist und eine in Fahrtrichtung angeordnete Gelenkwelle das Antriebsmoment vom Motor zur Achse überträgt, Beispiel b, so erfolgt bei paralleler Ein- oder Ausfederung der Achse keine Verdrehung dieser Gelenkwelle gegenüber der Achse, und damit stehen auch die Zahnräder im Achsgetriebe still. – Die längs eingebaute Gelenkwelle erzeugt allerdings ein Wankmoment M D zwischen Achse und Fahrzeugkörper, Bild 6.7a, das eine zusätzliche Radlastverlagerung von einer Fahrzeugseite zur anderen hin und damit eine Beschränkung der übertragbaren Leistung mit sich bringt, sofern keine Differentialsperre vorgesehen ist. Abhilfe könnte durch eine außermittig positionierte Momentenstrebe („Schwert“) nach Bild 6.7b geschaffen werden; für e = d/i mit i als Getriebeuntersetzung ergäben sich gleich große Radlasten unter Antriebsmoment. Eine solche Maßnahme hätte aber, wenn – wie anzunehmen ist – auch das Bremsmoment an der Achsbrücke abgestützt wird, nun eine unterschiedliche Radlastverteilung beim Bremsen zur Folge, was erst recht unerwünscht ist.
Bild 6.6. Radträgerfeste Antriebs- bzw. Bremsmomentenstützen
6.2 Antriebs- und Brems-Stützwinkel
139
Bild 6.7. Starrachse mit Winkelgetriebe
Die Bremse wird heute im allgemeinen am Radträger abgestützt, wie an der Einzelradaufhängung in Bild 6.6c gezeigt, da am Fahrzeugkörper gelagerte und über Gelenkwellen mit den Rädern verbundene Bremsen im Durchmesser begrenzt und auch steinschlaggefährdet sind und die Gelenkwellen eine Drehelastizität in den Kraftübertragungsstrang einbringen, die angesichts der Schwingungsanregungen durch Regelsysteme wie „ABS“ schädlich wäre. Um bei Bremssätteln ein übermäßiges „Lüften“ der Beläge gegenüber der Bremsscheibe durch elastische Verformungen und das Radlagerspiel unter Einwirkung von Seitenkräften am Rade gering zu halten, sollten bei Zweispurfahrzeugen die Bremsbeläge möglichst in Höhe der Radmitte, also nahe der „neutralen Faser“ elastischer Kippbewegungen der Bremsscheibe, untergebracht werden (dies gilt nicht für Solomotorräder, die das Problem merklicher Rad-Seitenkräfte nicht haben). Wenn eine Radaufhängung ungenügende Voraussetzungen für einen guten Bremsnickausgleich bietet, so lässt sich ein solcher u. U. dennoch mit entsprechendem Mehraufwand erzwingen. Bild 6.8 zeigt eine Hinterradaufhängung mit „geschobenem“ Längslenker (Radträger K), deren Drehpunkt bzw. „Pol“ also im fahrzeugseitigen Längslenkerlager liegt und einen negativen Brems-Stützwinkel von hohem Betrag zur Folge hätte.
Bild 6.8. Drehbar gelagerte Momentenstütze am Radträger
140
6 Antrieb und Bremsung
Beim Bremsen würden sowohl die dynamische Radentlastung 'Fz als auch die Bremskraft FB ein beträchtliches Drehmoment um das Lager L ausüben und das Fahrzeugheck bis zum Ausfederanschlag der Radaufhängung „aufbocken“, was besonders bei schlechten Straßenverhältnissen zu einem instabilen Fahrzustand führen kann. Durch eine zur Radachse konzentrische drehbare Lagerung des Bremsankers BA und eine Abstützung desselben an einem geeigneten Achslenker oder, wie im gezeigten Beispiel, am Fahrzeugkörper über eine Bremsstrebe BS wird im Schnittpunkt der Verbindungslinie der Radmitte M und des Lenkerlagers bzw. Pols L mit der Mittellinie der Bremsstrebe ein Längspol LB für den Bremsanker geschaffen und ein großer positiver BremsStützwinkel H B erzielt. Bei als „blockiert“ betrachteter Bremse wäre also hier der Radaufstandspunkt A momentan starr mit dem Bremsanker und nicht dem Radträger K verbunden, was bei einer Anwendung der in Kap. 3 beschriebenen Berechnungsansätze zu beachten ist: als „Radträger“ wäre für den Fall der Bremsung der Bremsanker zu setzen, und der eigentliche Radträger erhält die Funktion eines Achslenkers! Aus dem Schrägfederungswinkel H , unter welchem die Radmitte beim Einfedern entgegengesetzt zur Fahrtrichtung ausweicht, vgl. Abschn. 5.7, und dem Stützwinkel H lässt sich in der Fahrzeug-Seitenansicht ein „Längspol“ L definieren, wie am Beispiel eines Vorderrades in Bild 6.9 gezeigt: der Polabstand ergibt sich aus den unter den Winkeln H an der Radmitte bzw. H am Radaufstandspunkt angetragenen Polstrahlen mit dem Reifenradius R zu
p
R /(tan H r tan H
(6.9)
(das obere Vorzeichen gilt für Vorderräder) und hat besonders bei gelenkten Rädern wesentliche Bedeutung für die Lenkgeometrie, denn beim Einoder Ausfedern und damit Schwenken des Radträgers um den Längspol verändern sich der Nachlaufwinkel W und die Nachlaufstrecke n (vgl. Kap. 8), was sich am Lenkrad störend bemerkbar machen kann. Bei größeren PKW werden deshalb Änderungen des Nachlaufwinkels von mehr als ca. 2–3° je 100 mm Federweg vermieden. Der Längspolabstand p setzt also an lenkbaren Rädern Grenzen für den Stützwinkel, es sei denn, man nähme einen negativen Schrägfederungswinkel in Kauf.
Bild 6.9. Längspol und Nachlaufänderung
6.2 Antriebs- und Brems-Stützwinkel
141
Bild 6.10. Motorradgabel = Radaufhängung mit „gefedertem“ Lenkzapfen
Die Vorderradgabeln der Motorräder weisen im Vergleich zu den Radaufhängungen der Zweispurfahrzeuge im allgemeinen eine umgekehrte Reihenfolge in der Anordnung des Lenk- und des Federungsmechanismus auf, Bild 6.10. Die Radaufhängung, hier eine kurze „geschobene“ Kurbel K (sogen. „Kurzschwinge“), wird beim Lenken mit dem Rade geschwenkt, der „Steuerkopf“ (welcher dem Achsschenkelbolzen mit der „Spreizachse“ beim Auto entspricht) befindet sich zwischen der Radaufhängung und dem Motorrad-Rahmen. Hier kann bei geschickt gewählter Lage der Kurbel und des Längspols trotz eines großen Stützwinkels die Änderung der Nachlaufstrecke über dem Radhub gering gehalten werden. In Bild 6.10 wurde der Längspol L durch eine drehbare Lagerung des Bremsankers BA auf der Radachse M und die Führung desselben durch eine Bremsstrebe BS erzielt. Damit ist der Bremsanker allerdings nicht mehr fest mit dem Radträger, der Kurbel K, verbunden. – Die früher sehr häufig verwendete „Dubonnet-Achse“ (s. Kap. 13) zeigt eine mit der Motorradgabel vergleichbare Grundanordnung von Lenkzapfen und Radaufhängung und kann daher wie diese für einen guten Bremsnickausgleich ohne wesentliche Nachteile bei der Lenkgeometrie ausgelegt werden. Für H W wird die Nachlaufänderung über dem Radhub dn/ds = 0. Bei der Anwendung des Arbeitssatzes zur Bestimmung des Stützwinkels ist, wie bereits gelegentlich des Bildes 6.8 bemerkt, auch an der Motorradgabel nach Bild 6.10 oder bei einer Dubonnet-Achse der Bremsanker anstelle des Radträgers als momentan „fest mit dem Radkörper verbunden“ zu betrachten bzw. zu modellieren. 6.2.3 Fahrgestellfeste Momentenstütze An nahezu allen Einzelradaufhängungen für angetriebene Räder wird im Gegensatz zu den bisher betrachteten Beispielen das Antriebsmoment (aus
142
6 Antrieb und Bremsung
bereits geschilderten Gründen nur noch selten auch das Bremsmoment) von einer fahrgestellfesten Momentenstütze aus über im wesentlichen quer zur Fahrtrichtung angeordnete Gelenkwellen auf das Rad übertragen, Bild 6.11, Beispiel a. Gleiches gilt für die bereits 1893 in der Absicht, die „ungefederten“ Massen zu reduzieren und die Straßen zu schonen, erfundene „De-DionAchse“, Bild 6.11b, eine „leichte“ Starrachse. Sie wurde häufig als Hinterachse für schnelle und sportliche Fahrzeuge verwendet und kam in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts sogar als Vorderachse von Indianapolis-Rennwagen [46] zum Einsatz. Ihr Hauptvorteil ist die Vermeidung der unsymmetrischen Radlastverteilung, die sich bei normalen angetriebenen Starrachsen unter der Wirkung des Drehmoments der längs liegenden Gelenkwelle einstellt (vgl. Bild 6.7).
Bild 6.11. Fahrzeugfeste Momentenstützen und Gelenkwellenantrieb
Wenn bei derartig angetriebenen Radaufhängungen wieder der Arbeitssatz zur Untersuchung des Federungsverhaltens unter Antriebs- oder Bremskraft angewandt werden soll, nämlich wie in Abschn. 6.2 über eine fiktive Geschwindigkeit des Radaufstandspunktes unter Annahme einer blockierten Momentenstütze, so wird am Beispiel der einfachen Längslenkeraufhängung von Bild 6.12 sofort klar, dass sich hier ein anderer Bewegungsablauf ergeben wird als in den Bildern 6.4 bzw. 3.13. Die am inneren Ende als festgehalten angenommene Gelenkwelle verhindert, dass der Radkörper beim Ein- und Ausfedern mit dem Radträger K, nämlich dem Längslenker, um dessen fahrgestellseitige Drehachse d schwenkt. Der Radkörper wird über die Radlagerung im Längslenker im Raume auf der gekrümmten Bahn der Radmitte M parallel verschoben, wobei der Radaufstandspunkt A die Bewegung der Radmitte M in der Seitenansicht des Fahrzeugs kopiert.
6.2 Antriebs- und Brems-Stützwinkel
143
Bild 6.12. Längslenkerachse: Bewegungszustand bei Antrieb durch eine Gelenkwelle
Folglich ist auch seine Geschwindigkeit in der Seitenansicht der Geschwindigkeit vM der Radmitte gleichgerichtet, und da der Radkörper eine reine Translationsbewegung ausführt, liegt der Antriebs-Längspol im Unendlichen. Die Geschwindigkeit vM der Radmitte definiert aber den Schrägfederungswinkel H (vgl. Kap. 5, Bild 5.56). Es ist also zu erwarten, dass der Stützwinkel dem Betrage nach etwa gleich dem Schrägfederungswinkel ausfallen wird. Im folgenden mögen die kinematischen Parameter, die aus der Vorstellung einer blockierten fahrzeugfesten Momentenstütze abgeleitet sind, zur Unterscheidung von denen bei radträgerfester Momentenstütze durch einen Doppelstern (**) gekennzeichnet werden, d. h. die fiktive Geschwindigkeit
des Radaufstandspunktes mit v
A und der Stützwinkel mit H . Die translatorische Bewegung des mit dem Radkörper verbundenen Gelenkwellenendes in dem um seine Achse d schwenkenden Längslenker von Bild 6.12 wird durch eine Relativdrehung der Radwelle im Radlager ermöglicht. Dies würde bei Vorhandensein eines Vorgelegegetriebes im Radträger eine Drehzahländerung des Radkörpers relativ zum radseitigen Gelenkwellenstummel zur Folge haben, d. h. eine zusätzliche Drehbewegung in der Fahrzeug-Seitenansicht erzeugen, wodurch, wie später gezeigt wird, der Stützwinkel erheblich beeinflusst werden kann. Für die Bestimmung des Antriebs- oder Bremstützwinkels einer Radaufhängung mit quer liegender Gelenkwelle wird also wieder die jeweilige Momentenstütze, d. h. der Motor oder die Bremse, als „blockiert“ betrachtet und der daraus folgende fiktive Geschwindigkeitsvektor des Radaufstandspunktes bei einem Federungsschritt untersucht. Die Berechnung des Geschwindigkeitsplans am Radträger erfolgt gemäß Kap. 3, Abschn. 3.4, und der Einfluss der Gelenkwelle wird berücksichtigt wie in Abschn. 3.6 beschrieben. Mit der Kenntnis des Geschwindigkeitsvektors v M des Radmittelpunkts M und der Winkelgeschwindigkeit Z R des Radkörpers ist
144
6 Antrieb und Bremsung
dessen fiktiver Bewegungszustand bei als blockiert betrachteter Momentenstütze beschrieben, so dass auch die fiktive Geschwindigkeit v
A des Radaufstandspunktes berechnet werden kann. Aus deren Komponenten wird analog Gl. 6.7 der Stützwinkel H
für den Fall der Kraftübertragung durch Gelenkwellen ermittelt:
tan H v,
h
r vAx / vAz
(6.10)
(das obere Vorzeichen gilt für Vorderräder). Wenn in den Radträgern der Radaufhängung Vorgelege-Untersetzungsgetriebe eingebaut sind, wird in gleicher Weise verfahren. Vorgelege-Untersetzungsgetriebe am Radträger werden bei Nutzfahrzeugen und Geländewagen angewandt, um entweder das „ungefederte“ Gewicht der Antriebsteile zu verringern oder um durch einen Höhenversatz der Antriebswelle gegenüber der Radachse die Bodenfreiheit zu vergrößern. Solange das Vorgelegegetriebe in der Achsbrücke einer nicht lenkbaren Starrachse eingebaut ist, die auch das Winkelgetriebe enthält und über eine längs liegende Gelenkwelle angetrieben wird, hat es keine Auswirkungen auf den Stützwinkel, da bei „blockiertem“ Motor die längs liegende Gelenkwelle und alle Wellen in der Achsbrücke (dem Radträger) stillstehen, also auch die des Vorgelegegetriebes, so dass bei einem fiktiven Federungsvorgang die Achsbrücke selbst als Momentenstütze erscheint. Die Berechnung des Stützwinkels erfolgt dann unmittelbar aus den Parametern v M und Z K der Achsbrücke.
Bild 6.13. Radnaben-Vorgelegegetriebe in einer LKW-Hinterachse (Werkbild MAN Nutzfahrzeuge AG)
6.2 Antriebs- und Brems-Stützwinkel
145
Ein Planeten-Vorgelegegetriebe im Antrieb einer starren LKW-Hinterachse zeigt Bild 6.13. Wie bei schweren Fahrzeugen üblich, ist die Radnabe über Kegelrollenlager unmittelbar auf dem Achskörper „fliegend“ gelagert. Die Antriebswelle bleibt damit frei von äußeren Kräften am Rade und trägt das „Sonnenrad“ des Planetensatzes. Das Umfangsrad ist am Achskörper fixiert, und die Radnabe wird über den Planetenträger mitgenommen. Rad und Antriebswelle drehen also gleichsinnig. Die Untersetzung beträgt ca. 3:1 und erlaubt eine deutliche Gewichtserleichterung der Antriebswellen und natürlich auch des Winkelgetriebes in der Achsbrücke. Ist ein radträgerfestes Vorgelegegetriebe dagegen, wie für Einzelradaufhängungen typisch, über eine etwa quer liegende Gelenkwelle mit einem fahrzeugfesten Achsgetriebe verbunden, Bild 6.14, so treten die in Kap. 3, Abschn. 3.6 beschriebenen Relativbewegungen zwischen dem Radträger und den Wellen im Vorgelegegetriebe auf, und es ist die Winkelgeschwindigkeit Z R des Radkörpers entsprechend Gl. 3.34 zu berechnen, um nach Gl. 3.35 die fiktive Geschwindigkeit v
A des Radaufstandspunktes bei blockierter Momentenstütze und daraus nach G. 6.10 den Stützwinkel H
zu erhalten.
Bild 6.14. Einzelradaufhängung mit Gelenkwellenantrieb und Vorgelegegetriebe (schematisch)
Auch aus dem Stützwinkel H
kann entspr. Gl. 6.9 unter Mitwirkung des Schrägfederungswinkels H ein „Pol“ in der Fahrzeug-Seitenansicht berechnet werden, nun aber nicht mehr für den Radträger, sondern den Köper des Fahrzeugrades allein.
146
6 Antrieb und Bremsung
Bild 6.15. Vorgelegeuntersetzung und Antriebs-Momentanpol des Radkörpers
Das Zustandekommen eines solchen Pols zeigt Bild 6.15 anschaulich an zwei „ebenen“ Radaufhängungen, nämlich einer Räderkastenschwinge (a), welche konzentrisch zu einer fahrzeugfesten Antriebswelle gelagert ist, oder einem Radträger mit innerem Vorgelegegetriebe und quer liegender Gelenkwelle (b). Im Beispiel a laufen Fahrzeugrad und Antriebsritzel gleichsinnig um, d.h. bei blockiert gedachter Antriebswelle, also stillstehendem Ritzel, würde das Fahrzeugrad gegenüber der Schwingen-Winkelgeschwindigkeit Z K eine rückwärts drehende Relativ-Winkelgeschwindigkeit 'Z R ZK / i erhalten, also eine Absolut-Winkelgeschwindigkeit Z R Z K (i 1) / i, und der Polabstand p des Antriebs-Längspols LA folgt aus Z R p Z K l (= Geschwindigkeit des Radmittelpunktes) zu
p
l i /(i 1)
(6.11)
(wobei i > 0 für gleichen Drehsinn von Ritzel und Fahrzeugrad). Allgemein ist der Abstand des Radträger-Längspols L aus der x-z-Komponente der Radmittengeschwindigkeit und der y-Komponente der RadträgerWinkelgeschwindigkeit berechenbar, d. h. es ist l vMxz / ZKy , und damit wird aus Gl. 6.11:
p
vMxz
ZKy
i . i 1
(6.12)
Eine mit Bild 6.15a vergleichbare Konstruktion gab es gelegentlich an Doppelachsen von LKW. Eine einzige starre Hinterachsbrücke trug an jeder Seite ein um die Querachse pendelnd gelagertes Gehäuse, das hintereinander zwei Räder in Tandemanordnung führte, welche von der Welle in der Achsbrücke aus über Zahnradkaskaden angetrieben wurden [72].
6.2 Antriebs- und Brems-Stützwinkel
147
Eine Drehrichtungsumkehr im Vorgelegegetriebe führt zu einer erheblichen Verkürzung des Polabstandes p und folglich zu einer drastischen Vergrößerung des Stützwinkels H A , wie bei dem Zweiwellengetriebe nach Bild 6.15b. Weitere Beispiele s. [54]. Eine quer liegende Gelenkwelle ohne Vorgelegegetriebe ist gewissermaßen ein Getriebe mit der Untersetzung i = 1, womit nach Gl. 6.11 der Polabstand p unendlich groß wird und der Zusammenhang zwischen Bild 6.15 und Bild 6.12 wieder hergestellt ist. Wenn die verwendete Gelenkwelle mit Kardangelenken ausgerüstet ist, ändert sich die Relativdrehzahl zwischen Rad und Gelenkwelle periodisch mit doppelter Wellendrehzahl, vgl. Kap. 3, Abschn. 3.6. Dies ergibt theoretisch einen zweimal pro Umdrehung wechselnden „Stützwinkel“. In der Praxis bedeutet das allerdings lediglich eine während der Brems- oder Antriebsphase auftretende Schwingungsanregung. Für die Bestimmung des effektiven Stützwinkels ist daher die Kardanwelle rechnerisch wie eine homokinetische Gelenkwelle zu behandeln. 6.2.4 Sonderfälle Mit einer quer liegenden Gelenkwelle, die nur ein einziges (inneres) Wellengelenk trägt, das auf der Drehachse zwischen Radträger und Fahrgestell positioniert ist und evtl. sogar zugleich als Gelenk der Radaufhängung dient, wurde in Form der Pendel- oder Schrägpendelachse viele Jahrzehnte lang eine besonders einfache Form der angetriebenen Einzelradaufhängung gebaut, Bild 6.16. Die rechnerische Untersuchung der Antriebsgeometrie kann mit den gleichen Formeln wie im Abschnitt 3.6 erfolgen, indem das einzige Wellengelenk als „äußeres“ Gelenk (Nr. 2 in Bild 3.20) angesehen wird und eine fiktive Fortsetzung der Gelenkwelle ins Fahrzeuginnere, dort mit einem „inneren“ Gelenk 1, simuliert wird. – Wenn ein Wellengelenk wie in Bild 6.16 auch als Gelenk der Radaufhängung eingesetzt wird, so kann es praktisch nur als Kardangelenk (samt den damit verbundenen Nachteilen) ausgeführt werden, da die üblichen Gleichlaufgelenke für eine Übertragung hoher Axialkräfte wenig geeignet sind.
Bild 6.16. Angetriebene Schrägpendelachse (schematisch)
148
6 Antrieb und Bremsung
Der Räderkastenschwinge von Bild 6.15a entspricht sinngemäß die Pendelachse nach Bild 6.17, wo das Tellerrad eines Winkelgetriebes mit dem Radträger und der Radachse mitschwenkt und mit dem in der Pendeldrehachse angeordneten Antriebsritzel kämmt, so dass also gegenüber Bild 6.16 hier auch das letzte verbliebene Wellengelenk eingespart wird. Hier ist das Achsgetriebe nicht mehr als „fahrgestellfest“ anzusehen, da sich eine Hälfte desselben, nämlich der das Tellerrad führende Radträger, beim Ein- und Ausfedern bewegt. Bei der Analyse des Stützwinkels ist also ein „radträgerfestes Vorgelegegetriebe“ zu berücksichtigen. Anhand von Bild 6.17 ist die Geometrie der Kraftübertragung anschaulich leicht zu erkennen: bei als blockiert angenommenem Motor steht auch das Ritzel des Winkelgetriebes still, so dass das mit der Radwelle verbundene Tellerrad momentan im Eingriffspunkt E der Verzahnung abwälzen muss; da ferner der Schnittpunkt T der Pendel-Drehachse d mit der Radwelle ständig in Ruhe ist, verläuft die Momentanachse m** der fiktiven Radbewegung bei blockierter Momentenstütze durch E und T und schneidet die Längs-Vertikalebene durch den Radaufstandspunkt A im AntriebsLängspol L**. Der Polstrahl L**-A steht senkrecht zum (nicht dargestellten) Geschwindigkeitsvektor des Radaufstandspunktes und bildet mit der Fahrbahnlinie den Antriebs-Stützwinkel H
. Die Momentanachse m** ist „radträgerfest“ und damit der Stützwinkel über dem Federweg annähernd konstant. Die vereinfachte Betrachtungsweise von Bild 6.17 gilt exakt nur für das dargestellte „zentrische“ Winkelgetriebe ohne Wellenversatz. Mit den im Abschn. 3.6 gegebenen Gleichungen lässt sich auch dieses System einwandfrei analysieren, indem das „äußere“ Wellengelenk (2) in den Schnittpunkt Radachse/Pendeldrehachse gelegt wird – bei Hypoidversatz HV, wie in Bild 6.18 angedeutet, ist dann der äußere Wellenstummel um HV gegen die Radachse zu verschieben – sowie ein fiktives „Wellenmittelstück“ um 90° abgewinkelt in der Pendel-Drehachse d angeordnet und um ein fiktives „inneres“ Gelenk 1 ergänzt wird, wobei die Kegeltrieb-Untersetzung als „Vorgelegeuntersetzung i“ Berücksichtigung findet. Bild 6.17. Pendelachse mit abwälzendem Kegelradtrieb Bild 6.18. Kinematisches Ersatzmodell zu Bild 6.17
6.2 Antriebs- und Brems-Stützwinkel
149
Die Pendelachse nach Bild 6.17 zeigt einen merklichen AntriebsStützwinkel, obwohl der Schrägfederungswinkel jeder Pendelachse um 0° liegt. Da aber bei dieser Achsbauart meistens das Ritzel einer Fahrzeugseite vor, das der anderen dagegen hinter der Radachse angeordnet wird, haben die beiden Räder der Achse umgekehrt gleich große positive bzw. negative Stützwinkel. Im Ergebnis ist der Gesamt-Stützwinkel der Achse Null, und es wird lediglich ein Wankmoment induziert mit der Folge einer unsymmetrischen Radlastverteilung wie bei einer Starrachse. An Motorrädern wird noch heute vorwiegend der Kettenantrieb verwendet, und zwar fast immer in Kombination mit einer Schwingenaufhängung (entsprechend der Längslenkeraufhängung bei Autos), Bild 6.19. Wenn die Bremse sich an der Schwinge abstützt, ist deren Drehpunkt auch der Pol LB für die Bremsung, und der Polstrahl LB A ist gegen die Fahrbahnebene unter dem Brems-Stützwinkel H B geneigt. Von Triebsatzschwingen (vgl. Bild 6.6a) abgesehen, ist der Antriebsmotor im allgemeinen fest mit dem Fahrzeugrahmen verbunden. Wird er zwecks Bestimmung des Antriebs-Stützwinkels, wie bisher geübt, als blockiert betrachtet, so steht auch das motorseitige Kettenritzel still. Bei einer Einfederungsbewegung wird das Hinterrad nun an einer „Getriebekette“ geführt, die aus der Hinterradschwinge und dem oberen, unter Antriebskraft gespannten Kettentrumm besteht. Der Antriebs-Längspol L A liegt im Schnittpunkt der Schwinge und des oberen Kettentrumms und bestimmt den Antriebs-Stützwinkel H A . Bei Motorbremsung ergibt sich – mit dem dann gespannten unteren Kettentrumm – dementsprechend ein Längspol LMB und ein zugehöriger Stützwinkel H MB . Hier gibt es also insgesamt drei Stützwinkel Wenn anstelle der Längsschwinge in Bild 6.19 ein aufwendigerer Mechanismus als Radaufhängung verwendet wird, z.B. ein Doppelkurbelgetriebe, so ist für die Bestimmung der Pole LA und LMB der Polstrahl M LB durch die Verbindungslinie der Radmitte mit dem Längspol der betreffenden Radaufhängung zu ersetzen [54].
Bild 6.19. Stützwinkel bei Kettenantrieb
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6 Antrieb und Bremsung
Die Motorradschwinge mit Kettenantrieb weist eine gewisse Verwandtschaft mit der Räderkastenschwinge von Bild 6.15a auf. Wäre die Schwingendrehachse (Längspol LB ) konzentrisch zur Ritzelachse angeordnet (was gelegentlich so gemacht wurde, aber, abgesehen von der vermiedenen Abstandsänderung der Kettenräder, ohne Vorteil für den Stützwinkel und die Ketten- und Reifenbeanspruchung), so wäre das System dem von Bild 6.15a gleichwertig, nur mit einem „inneren“ Kettentrieb statt eines Zahnradsatzes zur Untersetzung. Da die Radien der Kettenräder die Untersetzung bestimmen, ergäbe sich dann auf der verlängerten Mittellinie der Schwinge der Antriebspol nach dem Strahlensatz und in völliger Übereinstimmung mit Gl. 6.11. 6.2.5 Effektiver Stützwinkel In den vorhergehenden Abschnitten wurde an einer Reihe von Beispielen die Bestimmung von Stützwinkeln für Umfangskräfte am Rade beschrieben. Unabhängig von der konstruktiven Ausführung des Kraft- und Momenten-Übertragungsstranges sei als allgemeingültige und stets zum Ziel führende Methode zur Ermittlung eines Stützwinkels festgehalten: Der Stützwinkel ist der Neigungswinkel des fiktiven Geschwindigkeitsvektors des Radaufstandspunktes gegen die Vertikale in der FahrzeugSeitenansicht, der sich bei einem Federungsvorgang einstellt, für welchen die dem betreffenden Belastungsfall zugeordnete Momentenstütze (Motor oder Bremse) als „blockiert“ betrachtet wird; er ist positiv, wenn sich der Radaufstandspunkt beim Einfedern an einem Vorderrad nach vorn und an einem Hinterrad nach hinten verschiebt. Dabei sind sowohl ein Anfahr- als auch ein Brems-Stützwinkel für eine Anordnung der Momentenstütze zwischen Rad und Radträger (Radbremse, Radnabenmotor, Triebsatzschwinge) nach Gl. 6.7 zu berechnen. Es gilt also für den Antriebs-Stützwinkel H A H bzw. für den Brems-Stützwinkel H B H . Für eine Momentenstütze am Fahrzeugkörper und Übertragung des Antriebs- oder des Bremsmoments über eine Gelenkwelle ist Gl. 6.10 anzuwenden, somit gilt H A H
bzw. H B H
. Da die Stützwinkel bisher stets bezogen auf das Koordinatensystem des Fahrzeugkörpers berechnet wurden, muss bei einer als Reaktion auf die Längsbeschleunigung bzw. –verzögerung sich einstellenden Nickbewegung des Fahrzeugs der Nickwinkel - berücksichtigt werden, um die effektiven Stützwinkel in Bezug auf die Fahrbahnebene zu erhalten, Bild 6.20. Mit den fahrzeugbezogenen Stützwinkeln H bzw. H
werden die fahrbahnbezogenen effektiven Stützwinkel (oberes Vorzeichen: vorn)
H e
H r -
bzw. H e
H
r -.
(6.13a,b)
6.2 Antriebs- und Brems-Stützwinkel
151
Bild 6.20. Effektive Stützwinkel und Bestimmung der Fahrzeuglage (Bremsung)
Die Stützwinkel geben die Richtungen der momentanen Bahnen der Radaufstandspunkte beim Ein- und Ausfedern unter Annahme einer blockierten Momentenstütze an und wurden in Bild 6.20, wie schon in Bild 6.4 gehandhabt, vereinfachend durch Führungsschlitze am Fahrzeugkörper symbolisiert, in denen die Radaufstandspunkte beim Federungsvorgang gleiten können. Senkrecht zu diesen Führungsschlitzen sind „Führungskräfte“ Fk von beliebiger Größe übertragbar, ohne dass die Fahrzeugfederung beansprucht wird. An den Kräfteplänen in Bild 6.20 erkennt man anschaulich die Funktion der Stützwinkel. Die Federkraftänderungen 'FFA sind an Vorder- und Hinterachse deutlich geringer als die „dynamischen“ Achslaständerungen 'Fz und betragen im Beispiel nur etwa zwei Drittel derselben; man spricht daher von einem „Nickausgleich“ (hier: einem Bremsnickausgleich) von etwa 30% an jeder Achse (zum Begriff „Nickausgleich“ sei angemerkt, dass dieser keine „Kenngröße“ der Radaufhängung ist und dass sein Betrag vom Stützwinkel und vom Kräfteplan am Fahrzeug, also dessen Abmessungen und der installierten Umfangskraftverteilung an den Radaufstandspunkten, abhängt; eine Achse mit gegebenem Stützwinkel wird in Fahrzeugen mit großem oder kleinem Radstand unterschiedliche Nickwinkel hervorrufen). Die auf den Radaufstandspunkt „reduzierte“ Federkennlinie ist an der Vertikalen des Fahrzeugkörpers orientiert, die nun infolge der Bremsung um den Nickwinkel - nach vorn geneigt ist. Damit werden die Federkraftänderungen (oberes Vorzeichen für Vorderräder): 'FFAv,h
'Fz Fxv, h tan H e cos - r sin - tanH e
.
(6.14)
152
6 Antrieb und Bremsung
Die Berechnung der Fahrzeuglage muss im allgemeinen durch eine Iteration erfolgen, da die mit der Federungs- und Nickbewegung meistens einhergehenden Veränderungen der Stützwinkel und der Federraten zu berücksichtigen sind [59].
6.3 Anfahr- und Bremsnicken 6.3.1 Statisches und dynamisches Anfahr- und Bremsnicken Bild 6.21 zeigt links den Verlauf des vorderen und hinteren Federweges sv bzw. sh und des Nickwinkels - eines gebremsten Fahrzeugs mit den angegebenen Fahrzeug-Hauptdaten und mit linearer Federung sowie konstanten fahrzeugbezogenen Brems-Stützwinkeln (jeweils ca. 50% „Bremsnickausgleich“) bei stationärer Bremsung mit der Verzögerung ax . Wegen der Überlagerung der Stützwinkel durch den zunehmenden Nickwinkel (vgl. Bild 6.20) wächst der Einfederweg an der Vorderachse degressiv, der Ausfederweg an der Hinterachse dagegen progressiv; der Nickwinkel verläuft etwa linear. Rechts ist das Verhalten des Fahrzeugs bei plötzlichem Einsatz einer Bremsverzögerung von 0,5 g über der Zeit dargestellt. Da im ersten Augenblick das Gleichgewicht zwischen Radlast, Bremskraft, Federkraft und kinematischer Stützkraft ( Fk in Bild 6.20) noch nicht vorhanden ist, kommt es zu einer Überschwingung etwa mit der NickEigenfrequenz des Fahrzeugs, und erst am Ende der ersten Vollschwingung pendelt sich dieses auf die stationären Werte ein. Ist der vorhandene Stützwinkel größer als der „ideale“ für 100% Nickausgleich, so bedeutet dies eine Überkompensation der äußeren Zusatzkräfte, d. h. das Fahrzeug wird bei Bremsung an der Vorderachse angehoben usw. Je wirksamer der Nickausgleich, desto geringer die Fahrzeugbewegung auch bei instationären Längskraftänderungen.
Bild 6.21. Statisches und dynamisches Bremsnicken
6.3 Anfahr- und Bremsnicken
153
Wichtig ist bei hohem Nickausgleich eine gute Funktion der Dämpfer, um auf unebener Fahrbahn ein „Stempeln“ der Räder bei scharfer Bremsung oder ruckartiger Beschleunigung zu vermeiden. Vorteile des Anfahr- und Bremsnickausgleichs sind: a)Vermeidung des Durchschlagens der Federung, damit Erhalt der auslegungsgemäßen Federweichheit und des auslegungsgemäßen Dämpfungsmaßes sowie eines ausreichenden Restfederweges bei Anfahr- oder Bremsvorgängen auch auf unebener Fahrbahn; b) Verringerung der Fahrzeugbewegungen, also Verbesserung des Komforts und der Fahrsicherheit bei Beschleunigungs- oder Bremsvorgängen (z. B. beim „Lastwechsel“ in der Kurve); c) Angesichts der geringeren Gefahr des Durchschlagens der Federung die Möglichkeit, insgesamt eine weichere Federungsabstimmung vorzusehen, so dass die absoluten Dämpferkräfte bei gleich bleibendem Dämpfungsmaß niedriger gehalten werden können. Durch Anfahr- oder Bremsnickausgleich werden aber nicht, wie manchmal vermutet wird, die dynamischen Achslastverlagerungen zwischen Vorderund Hinterachse aufgehoben! Als Nachteil des Nickausgleichs wird gelegentlich ein subjektiv „härteres“ Ansprechen der Federung genannt, was zunächst im schnelleren Aufbau der Längsbeschleunigung bzw. –verzögerung am Fahrzeug (geringere Energieverluste durch Abschwächung des Einschwingvorganges) eine Erklärung finden könnte. Bei vielen Radaufhängungen ist aber tatsächlich eine Wechselwirkung zwischen Längskräften und der Federung gegeben, vgl. später im Abschn. 6.3.5. Ein negativer Schrägfederungswinkel kommt dagegen heute angesichts der elastischen Lagerungen der Radaufhängungen kaum noch in Betracht. Bei Fahrzeugen mit veränderlicher Bremskraftaufteilung, z.B. Motorrädern, wo im allgemeinen die Vorder- und die Hinterräder unabhängig voneinander gebremst werden, ist anzustreben, dass der vorgesehene Stützwinkel nicht größer festgelegt wird als der „ideale“ Stützwinkel für den ungünstigsten Fall, nämlich die Bremsung nur eines Rades, um eine Überkompensation der Nickbewegung zu vermeiden. – Eine veränderliche Brems- oder Antriebskraftverteilung stellt sich auch während der Aktivitätsphase von inzwischen bei PKW wie LKW zur Standardausrüstung gehörenden Brems- oder Antriebsschlupf-Regelsystemen ein, so dass selbst optimal auf die normale Brems- oder Antriebskraftverteilung ausgelegte Stützwinkel vertikale Fahrzeugbewegungen nicht verhindern, sondern nur mildern können. Es lohnt sich also nicht, bei der Festlegung von Stützwinkeln um jeden Winkelgrad zu feilschen! Dem Ein- und Ausfedern der Räder bei Bremsung oder Beschleunigung wird nur durch die geschilderten kinematischen Maßnahmen sinnvoll und
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6 Antrieb und Bremsung
wirksam begegnet. Eingriffe in die Raddämpfung während des Bremsvorgangs verzögern die Federungsbewegungen nur unwesentlich und ändern nichts an den stationären Endwerten, sie bringen lediglich den Nachteil der Überdämpfung (Springen auf schlechter Fahrbahn). Eingriffe in die Federung, z.B. durch Nachregelung von Gasfedern, haben im allgemeinen eine nachteilige Erhöhung der Federrate zur Folge (damit Unterdämpfung) und setzen eine Schnelligkeit des Ansprechens der Regelung voraus, wie sie bei üblichen Niveauregelsystemen nicht gegeben – und nur über ein „aktives Federungssystem“ zu erreichen ist. Das dynamische Überschwingen wie in Bild 6.21 sowie der damit verbundene Nickwinkel sind nur vermeidbar, wenn sowohl an der Vorderwie an der Hinterachse je 100% Nickausgleich vorgesehen werden (und die zugehörige Brems- oder Antriebskraftverteilung exakt eingehalten wird). Da kinematische Maßnahmen gegen das Anfahr- und Bremsnicken praktisch nur an angetriebenen bzw. gebremsten Rädern getroffen werden können, ist bei Einachsantrieb oder Einachsbremsung eine Nickbewegung nicht zu vermeiden, abgesehen von der wohl eher hypothetischen Lösung, die Momentenstütze (z.B. das Achsgetriebe der angetriebenen Achse) schwenkbar zu lagern und ihr Reaktionsmoment über ein Gestänge auf den Aufhängungsmechanismus des nicht angetriebenen bzw. gebremsten Rades zu übertragen. Bremskraftregler werden im allgemeinen abhängig von den Achslasten gesteuert, z.B. durch Messung des Federwegs bei mechanischen oder des Gasdrucks bei hydropneumatischen oder Gasfedern. Wenn an der betreffenden Achse ein vollständiger Nickausgleich verwirklicht ist, wird eine dynamische Zusatz-Radlast von der Federung nicht wahrgenommen; in diesem Falle kann der Bremskraftregler nur die statischen Radlasten berücksichtigen. Hier muss die Bremskraftverteilung über Sensoren beeinflusst werden, welche die Bremsverzögerung messen. 6.3.2 Einachsantrieb und Einachsbremsung Die Feststellbremse („Handbremse“) wirkt im allgemeinen nur auf eine Achse des Fahrzeugs, und zwar wegen der einfacheren Ansteuerung meistens auf die nicht gelenkte Hinterachse. Nur mit diesem Bremsaggregat sind bei modernen Fahrzeugen, von Motorrädern und –rollern abgesehen, noch Einachsbremsungen möglich. Dabei geht es um zwei typische Fälle, nämlich einen echten Verzögerungsvorgang (Notbremsung bei Ausfall der „Betriebsbremse“, heute wegen der üblichen Zweikreis-Auslegung derselben unwahrscheinlich) und zum anderen den Versuch des Anfahrens mit versehentlich angezogener Handbremse.
6.3 Anfahr- und Bremsnicken
155
Wie bereits erwähnt, erfordert ein guter Bremsnickausgleich an einer Hinterachse einen Brems-Stützwinkel von ca. 20–35°. Wenn an einer so ausgerüsteten Hinterachse die Momente der Betriebsbremse und der Feststell- bzw. Handbremse in gleicher Weise abgestützt sind (z.B. beide mal am Radträger), so ist bei Bremsung der Hinterachse allein der installierte Stützwinkel erheblich größer als der für die Einachsbremsung „ideale“ Winkel, Bild 6.22 (vgl. auch Bild 6.5). Das Fahrzeug wird also bei einer Bremsung über die Hinterradbremse allein nicht nur erwartungsgemäß an der Vorderachse, sondern auch an der Hinterachse stark „eintauchen“; der Einfederweg an den Hinterrädern kann sogar größer ausfallen als der an den Vorderrädern.– Ein ähnliches Verhalten zeigt sich, wenn bei einem Fahrzeug mit Vorderradantrieb und angezogener Hinterrad-Handbremse angefahren wird. Dieser Vorgang hat nichts mit den ausgeprägten Federungsbewegungen zu zun, die man an hinterradgetriebenen Fahrzeugen mit Längs- oder Schräglenkerachse (oder jeder anderen Aufhängung mit geringem Polabstand in der Seitenansicht) beobachten kann, wenn versucht wird, mit angezogener Handbremse anzufahren. Hier wird das über die Gelenkwelle zum Rade geleitete Antriebsmoment M A durch die Bremse „abgefangen“ und als Bremsmoment M B auf den Radträger umgeleitet, Bild 6.23, wo angesichts des geringen Polabstandes ein beachtlich großes Kräftepaar aus
und einer vertikalen Reaktionskraft Fz an einer Federkraftänderung 'FFA der Radaufhängung entsteht. Die resultierende Vortriebskraft Fx am Radaufstandspunkt bleibt in diesem Falle Null. Ein ähnlicher Effekt entsteht bei der Anwendung von AntriebsschlupfRegelsystemen, wenn die Drehbeschleunigung der Radmasse über die Bremsanlage beeinflusst wird („Bremseneingriff“). Die mittel- bis hochfrequenten Bremsmomentschwankungen regen den Fahrzeugkörper bei geringem Längspolabstand der betroffenen Radaufhängung zu fühlbaren Hub-, Nick- und Wankschwingungen an. Die Nickanregung wird theoretisch vermieden, wenn der Längspol der Radaufhängung in der Seitenansicht des Fahrzeugs beim Fahrzeugschwerpunkt liegt.
Bild 6.22.Handbremsbetätigung an einer Hinterachse mit hohem Bremsnickausgleich
Bild 6.23. Anfahren mit angezogener Handbremse
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6 Antrieb und Bremsung
Wie bereits erwähnt, ist bei Einachsantrieb, z.B. Hinterachsantrieb, eine Beeinflussung der Federungsbewegung nur an der angetriebenen Achse selbst möglich. Bild 6.24 zeigt die Federwege an einem Fahrzeug mit Hinterachsantrieb über der Anfahrbeschleunigung, wobei die Hinterachse einmal mit ca. 55% Nickausgleich (a), einmal mit „idealem“ AnfahrStützwinkel berechnet wurde (b). Die Federwege an der Vorderachse werden von den Maßnahmen an der Hinterachse praktisch nicht berührt. Trotz der nahezu völlig unterdrückten Federungsbewegung an der Hinterachse bei idealer Bremskraftabstützung (b) baut sich wegen des unveränderten Ausfederweges an der Vorderachse ein Nickwinkel auf, der noch etwa drei Viertel des Nickwinkels im Falle a erreicht. Von einem „Nickausgleich“ kann also nur bedingt die Rede sein. Konstruktive Maßnahmen an einer einzelnen Achse wirken sich eben nur anteilig auf das Gesamtfahrzeug aus. Die in der englischen Fachsprache gebräuchlichen Ausdrücke „antidive“, „anti-squat“, „anti-lift“ usw. kommen daher dem Sachverhalt näher. Um einen Nickwinkel des Fahrzeugs auch bei Einachsantrieb weitgehend zu vermeiden, wurde auch schon vorgeschlagen, an der angetriebenen Achse einen übergroßen Stützwinkel vorzusehen, der deutlich oberhalb des idealen Winkels liegt, und somit eine gleichsinnige Federungsbewegung an beiden Achsen zu erzwingen, d.h. Ausfedern bei Hinterrad- oder Einfedern bei Vorderradantrieb [83]. Zu derartigen Maßnahmen ist anzumerken, dass bei der Auslegung der Achsgeometrie auch andere Belastungsfälle als der einfache der stationären Beschleunigung in Erwägung gezogen und sicher beherrscht werden müssen, wie z.B. der umgekehrte Vorgang der instationären Motorbremsung (abruptes Schalten in eine niedrigere Gangstufe, Gefahr blockierender Räder).
Bild 6.24. Hinterachsantrieb mit ca. 55% (a) und 100% Nickausgleich (b)
6.3 Anfahr- und Bremsnicken
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6.3.3 Kraftübertragung durch Gelenkwellen Eine abgewinkelte Gelenkwelle in der Kraftübertragung zwischen einem fahrzeugfesten Achsgetriebe und dem Rade beeinflusst den Geschwindigkeitsplan an der Radaufhängung, wie in Kap. 3, Abschn. 3.6 erläutert. Oft ist bereits in der „Konstruktions“- oder „Normallage“ der Radaufhängung ein Beugewinkel an den Wellengelenken vorhanden; zumindest ergibt sich aber ein solcher beim Ein- oder Ausfedern des Rades. Die Auswirkung eines Gelenkwellen-Beugewinkels auf den Antriebs-Stützwinkel einer Schräglenker-Hinterachse wird anhand von Bild 6.25 untersucht. Für die „Gelenkwellenpfeilung“ 0° in Konstruktionslage (a) ergibt sich als Antriebs-Stützwinkel H A nahezu über den gesamten Federweg s hinweg der Schrägfederungswinkel H Dies ist verständlich, da die Gelenkwelle (bei als „blockiert“ angenommenem Hinterachsgetriebe) die Verdrehung der Radscheibe in der Seitenansicht unterbindet, so dass alle Punkte des Rades die Bewegung des Radmittelpunktes parallel verschoben nachahmen (vgl. auch Bild 6.12). Da der betrachtete Schräglenker sich in der Konstruktionslage in einer fahrbahnparallelen Ebene befinden soll, beträgt der Schrägfederungswinkel und damit der Stützwinkel dort 0° und sinkt beim Einfedern entsprechend der zunehmenden Neigung des Schräglenkers ab. Ist die Gelenkwelle nach vorn-innen gepfeilt (b), so entsteht in Konstruktionslage ein geringer positiver Stützwinkel, dessen Verlauf über dem Radhub der Neigung des Schräglenkers in der Seitenansicht folgt, also gegenüber dem Stützwinkel des Beispiels a parallel versetzt verläuft. Dementsprechend bewirkt eine umgekehrte Pfeilung nach hinten-innen, Beispiel c, einen negativen Stützwinkel in Konstruktionslage.
Bild 6.25. Einfluss der Gelenkwellenpfeilung auf den Stützwinkel
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6 Antrieb und Bremsung
In allen drei Fällen sinkt der Stützwinkel mit wachsendem Einfederweg ab, was für den Fall des Hinterradantriebs – wo eine Einfederung beim Beschleunigen zu erwarten ist – einen „degressiven“ Verlauf bedeutet. Die Auswirkungen der Gelenkwellenpfeilung auf das Federungsverhalten beim Beschleunigungsvorgang sind offensichtlich von untergeordneter Bedeutung, zumal die hier mit r 10q recht groß angenommenen (Dauer)Pfeilungen bereits erhebliche Probleme mit der Lebensdauer der Wellengelenke aufwerfen würden. Die Überprüfung eines echten Längslenkers (also mit exakt quer zur Fahrtrichtung angeordneter Drehachse) unter den gleichen Bedingungen wie in Bild 6.25 führt zu dem Ergebnis, dass die Pfeilung der Gelenkwelle hier überhaupt keine Auswirkung auf den Antriebs-Stützwinkel hat. Die übersichtlichen Bewegungsverhältnisse an einer (ebenen) Schräglenkerachse erlauben eine einfache und anschauliche Erklärung für dieses Verhalten, Bild 6.26. Unter Anwendung der in Kap. 3, Abschn. 3.6 gewonnenen Erkenntnisse über die Relativverdrehungen der Radachse im Radträger unter dem Einfluss einer Gelenkwelle beim Ein- und Ausfedern des Rades und als blockiert angesehener Momentenstütze ist in der Draufsicht 3ccc der Achse, wenn ein Vorspurwinkel vernachlässigt wird, zu erkennen, dass die jeweils in der Symmetrieebene des abgewinkelten Gelenks liegenden Vektoren sowohl der Relativ-Winkelgeschwindigkeit Z W des Gelenkwellen-Mittelstücks gegenüber dem als stillstehend betrachteten getriebeseitigen Wellenende als auch der Relativ-Winkelgeschwindigkeit Z R, W der Radwelle gegenüber dem Gelenkwellen-Mittelstück um die Hälfte des Beugewinkels D gegen die Fahrtrichtung angestellt sind und damit zueinander parallel verlaufen (die Gelenkwelle befindet sich in einer „Z-Stellung“, vgl. Bild 3.16 in Kap. 3). Wegen Z R Z W Z R, W muss also auch die Absolut-Winkelgeschwindigkeit Z R des Radkörpers unter dem halben Beugewinkel gegen die Fahrtrichtung angestellt sein.
Bild 6.26. Analyse der Radbewegung an einer Schräglenkerachse unter Annahme einer blockierten Gelenkwelle
6.3 Anfahr- und Bremsnicken
159
Da in dem einfachen Beispiel die Radachse und die Drehachse des Schräglenkers sich im „Querpol“ Q schneiden, letzterer somit ein fahrzeugfester Punkt der Radachse ist, verläuft die Momentanachse m
des Radkörpers für den Federungsvorgang bei blockiert gedachter Momentenstütze und Kraftübertragung durch Gelenkwellen parallel zu Z R durch diesen Querpol. Der Längspol L
liegt dann im Abstand q / tan(D vor der Radmitte und hat für die horizontale Stellung des Schräglenkers im Seitenriss 3c die Höhe des Reifenradius R über der Fahrbahn. Demnach liefert die Gelenkwelle einen Beitrag zum Antriebs-Stützwinkel von
'H A | ( R / q) tan (D ,
(6.15)
und der wirksame Stützwinkel H A ergibt sich annähernd durch Addition des Schrägfederungswinkels H und des Gelenkwellenbeitrags 'H A . Bei einem reinen Längslenker ist der Querpolabstand q unendlich groß, und damit verschwindet nach Gl. 6.15 der Einfluss der Gelenkwelle. Bild 6.27 zeigt für einen gegebenen Reifenradius R und zwei Gelenkwellen-Pfeilungswinkel den Stützwinkelzuwachs 'H A in Abhängigkeit vom Querpolabstand q, berechnet nach Gl. 6.15. Da bei Gleichlaufgelenken mit Kugeln als Übertragungselementen die Lebensdauer wesentlich vom Dauer-Beugewinkel abhängt (auch bei lastfreiem Betrieb!), ist eine Pfeilung der Gelenkwelle zum Zwecke des Anfahrnickausgleichs kaum zu empfehlen.
Bild 6.27. Gelenkwellenpfeilung und Stützwinkel
6.3.4 Vorgelege-Untersetzungsgetriebe am Radträger Ein Vorgelege-Untersetzungsgetriebe am Radträger einer über Gelenkwellen angetriebenen Achse oder Radaufhängung verändert die Relativ-Winkelgeschwindigkeit der Radachse gegenüber dem Radträger und kehrt u. U. sogar deren Vorzeichen um, vgl. Kap. 3, Abschn. 3.6. Damit ist auch bei einer reinen Längslenker-Aufhängung eine erhebliche Auswirkung auf den Antriebs-Stützwinkel zu erwarten, weil die Relativverdrehung der Vorgelege-Eingangswelle im Längslenker bei als blockiert angesehenem
160
6 Antrieb und Bremsung
Hinterachsgetriebe umgekehrt gleich der Schwenkung des Längslenkers in der Fahrzeug-Seitenansicht ist. In Bild 6.28 sind die Antriebs-Stützwinkel H A sowie die Federwege s über der Anfahrbeschleunigung für die Radaufhängung von Bild 6.25 dargestellt unter Annahme eines Gelenkwellen-Beugewinkels von 0° in Konstruktionslage und verschiedener Untersetzungen von radträgerfesten Vorgelegegetrieben. Für i = 1 (keine Untersetzung) ergeben sich natürlich die gleichen Verhältnisse wie im Beispiel a von Bild 6.25. Mit einer Vorgelege-Untersetzung i = 2 (wobei i > 0 für gleichsinnig drehende Eingangs- und Ausgangswelle im Vorgelege) wächst der Antriebs-Stützwinkel auf den beachtlichen Wert von ca. 16° in Konstruktionslage und liegt damit über dem „idealen“ Winkel für einen normalen PKW mit Einachsantrieb, was sich sofort durch eine Ausfederungsbewegung des Hinterrades beim Beschleunigen des Fahrzeugs, also ein „Aufbocken“ des Fahrzeughecks, bemerkbar macht. Ein Vorgelegegetriebe mit Drehrichtungsumkehr (hier mit einer Untersetzung i 1,1) führt zu einem Antriebs-Stützwinkel von fast 50° und zu einem instabilen Federungsverhalten mit wachsender Anfahrbeschleunigung: schon bei einer Beschleunigung von ca. 1 m/s² wird das Fahrzeugheck um fast 50 mm, also etwa die Hälfte des üblicherweise konstruktiv vorgesehenen Maximal-Ausfederweges, nach oben gestoßen. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass eine derartige Auslegung des Antriebsstranges bei weich gefederten PKW kaum zu erwarten ist und eher für Gelände- und Nutzfahrzeuge mit höherem Schwerpunkt und steiferer Federung in Frage kommt.
Bild 6.28. Stützwinkel und Anfahrnicken der Achse von Bild 6.25 mit Vorgelege
6.3 Anfahr- und Bremsnicken
161
Auch diese Ergebnisse lassen sich anschaulich erklären, wenn nach Gl. 6.11 und analog zu Bild 6.15 für verschiedene Vorgelege-Untersetzungen die Lagen des Antriebs-Längspols L
an einer LängslenkerHinterachse berechnet werden, Bild 6.29. Diese Pole sind nicht fahrzeugfest, sondern praktisch fest mit dem Längslenker verbunden (allgemein ausgedrückt: sie liegen stets auf der Verbindungslinie der Radmitte und des Längspols L der Radaufhängung, hier also des Drehgelenks des Längslenkers am Fahrzeug). In der Abbildung sind maßstäblich die Längspole L
für einige Untersetzungen eingezeichnet. Ersichtlich hat die Umkehr der Drehrichtung im Vorgelege bei einer Untersetzung i < 0 sehr große Stützwinkel zur Folge; die an einer Hinterradaufhängung daraus resultierende Ausfederbewegung des Fahrzeughecks beim Beschleunigen vergrößert die Stützwinkel weiter ggf. bis zu einem instabilen Zustand. Die Untersetzung i f bedeutet, dass auch bei beliebiger Motordrehzahl keine Drehung des Rades mehr erfolgt; damit ist der Radkörper praktisch radträgerfest und der Längspol L der Radaufhängung zugleich Pol für die Bestimmung des Antriebs-Stützwinkels.
Bild 6.29. Beeinflussung des Antriebs-Längspols durch Vorgelegegetriebe
6.3.5 Rückwirkung der Längskräfte auf die Federungskennlinie Wie bereits in Abschn. 6.3.1 angedeutet, können unter gewissen Voraussetzungen die auf das Rad wirkenden Längskräfte temporär die Federrate beeinflussen. Bild 6.30 zeigt schematisch eine Hinterradaufhängung in der FahrzeugSeitenansicht. Deren Mechanismus ist hier ohne Belang, wenn ihr Schrägfederungswinkel H und damit ihre Bewegungsrichtung am Radmittelpunkt M sowie ihre Stützwinkel H bzw. H
oder die Bewegungsrichtung des Radaufstandspunktes A für den Antriebs- oder Bremsvorgang unter Annahme einer blockierten Momentenstütze bekannt sind; dann kann die reale Radaufhängung durch Schlitzführungen an den genannten Punkten vertreten werden. Die Schlitzführungen sind gekrümmt dargestellt, um daran zu erinnern, dass die Schrägfederungs- und Stützwinkel über dem Federweg veränderlich sein können.
162
6 Antrieb und Bremsung
Bild 6.30. Beeinflussung der „kinematischen“ Federrate durch Längskräfte am Rade
Auf das Rad wirkt von unten her die Radlast FAz und von oben die – auf den Radaufstandspunkt A reduzierte – Federkraft FF iF mit iF als Fe
bzw. FAx derübersetzung. Am Radaufstandspunkt mögen Längskräfte FAx angreifen, also eine Antriebskraft oder, mit umgekehrtem Vorzeichen, eine Bremskraft. Auch am Radmittelpunkt M kann eine Längskraft FMx wirken, z.B. eine Fahrwiderstandskraft (Rollwiderstand, Schneematsch, Wasserdurchfahrt usw.). Wenn der Schrägfederungswinkel H oder der Stützwinkel H bzw. H
von Null verschieden sind, wie in Bild 6.30 dargestellt, so wirken die
bzw. FAx für radträger- bzw. fahrzeugfeste MoLängskräfte FMx und FAx mentenstützen am Rade bzw. der Radaufhängung mit vertikalen Komponenten, und aus der Gleichgewichtsbedingung in z-Richtung ergibt sich die Radaufstandskraft
FAz
FF iF FMx tan H # FAx tan H # FAx tan H
(6.16)
(das obere Vorzeichen gilt für Vorderräder), und die auf den Radaufstandspunkt bezogene Federrate cFA dFAz / ds folgt aus Gl. 6.16 analog zur Herleitung von Gl. 5.37 in Kap. 5 zu
cFA
cF iF2 FF (d iF / d z ) FMx (1 tan ²H dH d z )
(1 tan ²H )(dH / d z ) # FAx
# FAx (1 tan ²H
)(dH
/ d z )
(6.17)
6.3 Anfahr- und Bremsnicken
163
(das obere Vorzeichen gilt an Vorderrädern). Gleichung 6.17 besagt, dass die effektive Federrate sich bei Einwirkung von Längskräften am Rade vergrößern oder verringern kann, sofern der Schrägfederungswinkel oder einer der Stützwinkel über dem Federweg veränderlich ist. An vielen Hinterradaufhängungen nehmen der Schrägfederungswinkel und die Anfahr- und Brems-Stützwinkel mit dem Einfederweg ab, d. h. die Differentialquotienten dH d z, dH / d z und dH
/ d z sind negativ. Dann verursacht eine positive Längskraft, z.B. eine Antriebskraft, für die Dauer ihrer Einwirkung eine Herabsetzung und eine negative, z.B. eine Bremskraft, eine Erhöhung der temporären Federrate. Da die Bremskraft an einem Hinterrade bezogen auf die Gesamtbremskraft am Fahrzeug im allgemeinen vergleichsweise niedrig ist, fällt hier vor allem die Wirkung einer Antriebskraft, besonders in den unteren Getriebestufen, ins Gewicht. Die Veränderung der Stützwinkel über dem Federweg ist naturgemäß besonders stark ausgeprägt bei Radaufhängungen, deren Längspol nahe am Rade ist, also z.B. Längs- und Schräglenkerachsen. An Vorderradaufhängungen, wo der Bremskraftanteil vergleichsweise hoch ist, wird mit Rücksicht auf die Lenkgeometrie der Polabstand meistens sehr groß bemessen, so dass sich die Stützwinkel nur mäßig mit dem Federweg ändern. Die vorstehenden Betrachtungen sind für die Bestimmung der Fahrzeuglage bei stationären Anfahr- oder Bremsvorgängen ohne Belang, sofern diese, wie wegen der nichtlinearen Federkennlinien und der meistens veränderlichen Stützwinkel nicht anders möglich, über eine iterative Berechnung oder durch Anwendung eines Rechenprogramms zur MehrkörperSystemanalyse erfolgt – in diesem Falle sind nämlich die hier angesprochenen Effekte im Berechnungsgang von selbst enthalten. Eine Bedeutung erhält die veränderte Federrate nach Gl. 6.17 dagegen für instationäre Vorkommnisse während eines (quasi-stationären) Beschleunigungs- oder Bremsvorgangs, z.B. beim gleichzeitigen Überfahren von Bodenwellen. Und nur für diese Situationen kann der in Abschn. 6.3.1 erwähnte Eindruck einer Veränderung der Federrate während des längsdynamischen Manövers in der beschriebenen Abhängigkeit von den Stützwinkel-Gradienten eine Erklärung finden. 6.3.6 Unsymmetrische Fahrzeuglage Die Untersuchungen in diesem Kapitel betrafen bisher nur das Fahrzeug bei Geradeausfahrt und stationärer Anfahrbeschleunigung bzw. Bremsverzögerung. Entsprechend wurden die Antriebs- und Brems-Stützwinkel aus der gleichsinnigen Federungsbewegung beider Räder einer Achse abgeleitet. Die Stützwinkel sind aber auch in anderen Fahrsituationen als nur während der Geradeausfahrt wirksam.
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6 Antrieb und Bremsung
Bild 6.31. Längslenker-Hinterachse; Radstellung bei Kurvenfahrt
Bild 6.31 zeigt eine Längslenker-Hinterachse bei Kurvenfahrt. Das Fahrzeug hat sich unter dem Einfluss der Fliehkraft um einen Wankwinkel M zur Kurvenaußenseite hin geneigt. Da der Stützwinkel H wie auch der (nicht eingezeichnete) Schrägfederungswinkel H beim Längslenker mit dem Ein- und Ausfederweg stark veränderlich ist, ergeben sich nun unterschiedliche Werte desselben am kurvenäußeren und am kurveninneren Rade. Der Stützwinkel H a des kurvenäußeren Rades ist deutlich kleiner als der Stützwinkel H i des kurveninneren. Unter Längskräften werden also beide Radaufhängungen unterschiedlich reagieren: Bei Bremsung liegt kurveninnen ein hoher Grad des Bremsnickausgleichs vor, kurvenaußen ein merklich geringerer. Das Fahrzeug wird während des Bremsvorgangs am Kurvenaußenrad stärker ausfedern als am Kurveninnenrad, d. h. es wird von der Hinterachse dazu veranlasst, einen kleineren Wankwinkel anzunehmen. Dies ist gleichbedeutend mit einem „Stabilisator-Effekt“ an der Hinterachse, der den Untersteuergrad vermindert bzw. eine Tendenz zum Übersteuern hin fördert. Im Gegensatz dazu üben im Falle einer angetriebenen Längslenker-Hinterachse die Antriebskräfte wegen der unterschiedlichen Antriebs-Stützwinkel (welche, wie bereits erwähnt, bei Antrieb ohne Radnaben-Vorgelege den Schräglaufwinkeln gleich sind) bei Beschleunigung ein den Wankwinkel vergrößerndes, bei Motorbremsung dementsprechend wieder ein den Wankwinkel verringerndes Moment auf den Fahrzeugkörper aus wie schon im Falle der Bremsung über die Radbremsen. In der Praxis sind die Fahrzeugbewegungen und ihre Auswirkungen auf das Fahrverhalten im allgemeinen von untergeordneter Bedeutung im Vergleich zu anderen, dominierenden Einflussgrößen wie der Federungs- und Stabilisatorabstimmung und der Wankmomentenverteilung sowie den evtl.
6.3 Anfahr- und Bremsnicken
165
mit den Federungsbewegungen einhergehenden kinematischen oder elastokinematischen Lenkwinkeln. Auf einen weiteren mit der Kurvenfahrt zusammenhängenden Effekt, nämlich die Wirkung der einer Bremskraft gleichgerichteten Seitenkraftkomponente in Fahrtrichtung bei einem stark eingelenkten Vorderrade, wird in Kap. 7 eingegangen. 6.3.7 Einfluss der ungefederten und der rotierenden Massen Bei den bisher angestellten Betrachtungen blieben die „ungefederten“ und die „rotierenden“ Massen unberücksichtigt bzw. sie wurden vernachlässigt, obwohl sie etwa 6–10% der Fahrzeugmasse ausmachen. Der Schwerpunkt der ungefederten Massen kann näherungsweise in Höhe der Radmitten angenommen werden, also etwas niedriger als der Fahrzeugschwerpunkt. Der daraus resultierende Fehler bei der Berechnung der dynamischen Radlastverlagerung ist vernachlässigbar, und das gleiche gilt für die Momente der Massenkräfte um die „Längspole“ der Radaufhängungen, die im allgemeinen ebenfalls im Bereich zwischen der Fahrbahnebene und der FahrzeugSchwerpunktshöhe liegen. Die rotierenden Massen, bei Fahrt in den oberen Gangstufen im wesentlichen die Räder mit den Reifen und den Bremsscheiben, erzeugen beim Bremsen und Beschleunigen Reaktionsmomente am Fahrzeug. Die Summe der Trägheitsmomente der vier Räder eines PKW, die etwa 1,5–2 ‰ des Nickträgheitsmoments des Fahrzeugkörpers beträgt, und die Drehbeschleunigung bzw. –verzögerung ax / R der Räder ergeben einen Beitrag zum Nickmoment am Fahrzeug, der nicht mehr als 2–3% des Moments der Massenkraft am Fahrzeugschwerpunkt ausmacht. Bekanntlich kann bei der Fahrt in den unteren Gangstufen der auf das Gesamtfahrzeug bezogene Anteil des Trägheitsmoments der umlaufenden Triebwerksteile, der mit dem Quadrat der Drehzahlübersetzung eingeht, merklich ansteigen. Hier sind also bei der Anwendung der vorstehend beschriebenen Verfahren zur Bestimmung der Stützwinkel größere Abweichungen zu erwarten. Der Fahrbetrieb im ersten oder zweiten Gang ist allerdings für die Beurteilung des Fahrverhaltens von geringerer Bedeutung. Durch die Berücksichtigung der Wirkungen der ungefederten und der rotierenden Massen ginge die einheitliche, anschauliche und übersichtliche Betrachtungsweise verloren, ohne dass ein erkennbarer Nutzen für die Praxis gewonnen wäre. Auch wurde bereits im Abschn. 6.3.1 darauf hingewiesen, dass die Stützwinkel als fahrzeugtechnische Kenngrößen der Radaufhängungen angesichts häufiger nichtlinearer oder nichtstationärer dynamischer Vorgänge (z.B. bei Eingriff von Regelsystemen, oder einfach bei Reibwertschwankungen) nicht immer auch exakte Aussagen zum Grade des Brems- oder Anfahrnickausgleichs beinhalten.
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6 Antrieb und Bremsung
6.3.8 Einfluss der elastischen Lager der Radaufhängung Von Rennwagen und Motorrädern bzw. –rollern abgesehen, sind die heutigen Radaufhängungen mit elastischen Lagerungen versehen, hauptsächlich wegen der damit erzielten Geräusch- und Schwingungsisolation, aber auch aus elasto-kinematischen Gründen. Die Lager lassen eine Verformung des Mechanismus der Radaufhängung unter äußeren Kräften zu. Bild 6.32 zeigt als einfaches Beispiel eine Radführung, bei welcher die Längskräfte und Drehmomente durch übereinander liegende Längslenker aufgenommen werden. Die gegenüber der Wirklichkeit überhöht gezeichneten elastischen Verlagerungen der Gelenkpunkte unter Einwirkung der Resultierenden Fr aus einer Bremskraft () Fx und einer zugeordneten dynamischen Radentlastung ()'Fz bringen, wie die eingezeichneten Kräftepläne für die unverformte und die verformte Radaufhängung zeigen, nur vernachlässigbare Änderungen der Einzelkräfte, z.B. der Federkraftänderung 'F , und damit des Ein- oder Ausfederweges. Die elastischen Verformungen bedeuten im wesentlichen eine Nullpunktverlagerung des Koordinatensystems der Radaufhängung mit ihren Kräften. Eine elastisch gelagerte Radaufhängung erschwert es allerdings oder macht es gar unmöglich, Brems- oder Anfahr-Stützwinkel versuchstechnisch durch Messung der Bewegungsrichtung des Radaufstandspunktes bei blockierter Bremse oder blockiertem Triebwerk zu bestimmen, denn geringste Verformungen vor allem in Fahrzeug-Längsrichtung, die je nach Bauart der Radaufhängung und Einbaulage des Federelements auch bei rein vertikaler äußerer Belastung eintreten können, werden das Ergebnis beträchtlich verfälschen. Eine elastische Längsverschiebung von beispielsweise 5 mm auf 100 mm Federweg täuscht einen Stützwinkelanteil von 3° vor, also ca. 15–20% Bremsnickausgleich an einer PKW-Vorderachse oder ca. 25% Anfahrnickausgleich bei Einachsantrieb! Es sei auch darauf hingewiesen, dass eine Messung des stationären Bremsnickens durch Zug am stehenden Fahrzeug, selbstverständlich in Schwerpunktshöhe, problematisch ist, weil es angesichts der Aufhängungs- und Reifenelastizitäten unsicher bleibt, ob sich die installierte Bremskraftverteilung tatsächlich einstellt; gleiches gilt für das Anfahrnicken bei Allradantrieb. Die allgemeine Definition der Stützwinkel (und aller anderen kinematischen Kenngrößen der Radaufhängung wie des Rollzentrums, des Lenkrollradius usw.) muss aber präzisiert werden: Der Stützwinkel ist in der Seitenansicht des Fahrzeugs der Winkel der momentanen Bewegungsrichtung des Radaufstandspunktes gegen die Vertikale beim Einfedern mit als blockiert angenommener Momentenstütze und bei kräftefreier und kinematisch starr gelagerter Radaufhängung. Das bedeutet, dass die Kenngrößen der Radaufhängungen nur durch die kinematische Analyse oder allenfalls messtechnisch bei ausgebauten Fe-
6.3 Anfahr- und Bremsnicken
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derelementen und Ersatz aller elastischen Lager durch steife Gelenke bestimmt werden dürfen. Es hat auch keinen Sinn, „Kenngrößen“ für bestimmte Lastfälle unter Berücksichtigung der Elastizitäten zu definieren. Meistens ist deren Einfluss unbedeutend, da die Verformungen nur zu vernächlässigbaren Änderungen von Kraftwirkungslinien und damit der „Pole“ und der Kräftepläne führen – schließlich sind die Radaufhängungen fast durchweg „statisch bestimmte“ Mechanismen! Erst recht nicht sollte versucht werden, elastische Verformungen in die „Kinematik“ der Radaufhängung zu integrieren, also sie bei der Festlegung der Nenn-Koordinaten der Kinematik „vorzuhalten“ (etwa um die „Kinematik“ dem elasto-kinematischen Ist-Zustand in Konstruktionslage anzupassen), denn dies führt mit Sicherheit ins Chaos bei der Dokumentation der Konstruktion: erstens wäre eine solche „Kinematik“ für jede neue Achslast, jede neue Federungs- oder Gummilagerungsabstimmung neu zu erstellen, und zweitens ergäben sich, abhängig von den Kennlinien der Federelemente und der Gummilager, über dem Radhub ohnehin wieder Abweichungen von der tatsächlichen Bewegungsform. Einzig sinnvoll und wirklichkeitsnah ist bei der konstruktiven Ausarbeitung einer Radaufhängung die Festlegung der kinematischen Grundstellung mit allen Gelenkpunkten am starren System und eine elasto-kinematische Überlagerung der Verformungen für den speziellen äußeren Belastungsfall. So bleibt der Zusammenhang zwischen den Zeichnungs-Abmessungen der Bauteile (bzw. zeitgemäßer: dem Datensatz im Computer) und der Kinematik der Radaufhängung nachvollziehbar. Die „Natur“ macht es letztendlich ebenso: ohne äußere Belastung nehmen alle Strukturen ihre „Nennmaße“ an!
Bild 6.32. Elastische Verformung einer Radaufhängung beim Bremsvorgang
168
6 Antrieb und Bremsung
6.4 Doppelachsaggregate Bei Nutzfahrzeugen werden häufig zwei Achsen in sehr kurzem Abstand hintereinander angeordnet, um bei gesetzlich begrenzter Belastung der Einzelachse eine höhere Gesamttragfähigkeit zu erreichen. Die Achsen können sowohl bezüglich der Achsaufhängung als auch der Federung voneinander unabhängig sein; oft wird aber ein Federungsverbund vorgesehen (Waagebalkenprinzip), selten auch ein kinematischer Verbund. Dämpfer werden stets unmittelbar zwischen Fahrzeug und Achse angebracht, um „Stempelschwingungen“ der Achsen gegeneinander zu unterbinden. Die einfachste Bauart von Doppelachsen zeigt Bild 6.33a schematisch, eine Starrachsführung durch Blattfedern (ein Federpaket je Fahrzeugseite), deren Enden mit den Achsbrücken fest verbunden sind und damit die Brems- und ggf. Antriebsmomente aufnehmen, wobei die Federpakete in der Mitte um die Fahrzeugquerachse drehbar gelagert sind (Waagebalken). Längskräfte zwischen Fahrzeug und Achsaggregat können nur an der Drehlagerung der Blattfedern übertragen werden, wie am Beispiel einer gebremsten Doppel-Hinterachse gezeigt: die Gesamt-Achsentlastung 'FzA am Fahrzeug verteilt sich wegen des Federungsverbundes auf beide Achsen gleichmäßig, die Gesamt-Bremskraft FxA wirkt auf das Doppelachsaggregat am Hebelarm hc über der Fahrbahn, und mit dem Radstand l c ergeben sich die Achslaständerungen an der ersten und der zweiten Achse zu 'Fz1 'FzA / 2 FxA hc / l c und 'Fz2 'FzA / 2 FxA hc / l c. Die resultierenden Achslasten während des Bremsvorgangs sind also stark unterschiedlich; an der ersten Achse kann je nach Art des Fahrzeugs und der Gesamt-Bremskraftverteilung eine Ent- oder auch eine Belastung auftreten, die zweite wird erheblich entlastet. Sind beide Achsen mit gleichen Bremsen bestückt und die Betätigungskräfte bzw. –drücke gleich groß, so wird der Kraftschluss zwischen Reifen und Fahrbahn sehr ungleichmäßig ausgenützt, und die zweite Achse wird bei Steigerung der Bremsverzögerung frühzeitig blockieren. Die Bremskraftverteilung muss daher den dynamischen Achslasten angepasst werden, d.h. die erste Achse erhält den weitaus größeren Anteil. Ein ähnliches Verhalten zeigt die Aufhängung nach Bild 6.33b mit „geschobenen“ und „gezogenen“ Längslenkern oder Deichselachsen. Hier wird deutlich, dass die Stützwinkel H und H 2 mit ihren gegensätzlichen Vorzeichen gegensinnig auf das Fahrzeug wirken, indem an der zweiten Achse ein sehr hoher „Bremsnickausgleich“ vorliegt, während die erste ein „Aufbocken“ des Fahrzeugs anstrebt mit dem Resultat, dass die Räder der ersten Achse sich gegen die Fahrbahn stemmen und die der zweiten von dieser abheben möchten. Bedenkt man, dass die Arme der Blattfederpakete in Bild 6.33a, kinematisch betrachtet, geschobenen bzw. gezogenen Len-
6.4 Doppelachsaggregate
169
kern entsprechen, so wird die Gleichwertigkeit der Achsen der Beispiele a und b offensichtlich. Es erscheint also zweckmäßig, die Stützwinkel beider Achsen etwa gleich groß zu machen. In Bild 6.33c ist dies durch eine Längsführung der Achsen an übereinander liegenden Blattfederpaketen zwar am Achsaggregat selbst annähernd erreicht (H | H | 0), aber die gemeinsame Befestigung der Federpakete an einem um die Fahrzeugquerachse pendelnden Lagerbock schafft wieder einen Verbund wie in Bild 6.33a, das Achsaggregat bildet gewissermaßen ein „Unterfahrzeug“, das durch die am Drehpunkt des Lagerbockes angreifende Längskraft eine Achslastverlagerung zur ersten Achse hin erfährt. Unproblematisch ist stets die völlig getrennte kinematische Achsführung mit gleich großen Stützwinkeln, wie durch zwei gezogene Kurbeln oder Deichseln in Bild 6.33d. Hier ist auch bei Federverbund ein einwandfreies Bremsverhalten zu erwarten. Weitere gebräuchliche gute Lösungen zeigen die Bilder 6.33e und f, letztere mit Blattfederpaketen ähnlich Bild 6.33c, aber mit je einer Pendellagerung pro Federpaket („Doppel-Längslenker“ mit Federverbund, aber ohne kinematischen Verbund). Für die Belastung durch Antriebskräfte gelten sinngemäß die gleichen Überlegungen.
Bild 6.33. Bremskraftübertragung bei Doppelachsen
170
6 Antrieb und Bremsung
In den Beispielen der Bilder 6.33a, c, e und f übernahmen Blattfedern die Rolle von Achslenkern. Mit echten Achslenkern wird allerdings eine präzisere Anbindung ans Fahrzeug erzielt, insbesondere werden die Federpakete von der Abstützung der Seitenkräfte (die an den beiden Achsen bei Kurvenfahrt unterschiedlich groß sind!) befreit. Die beiden Achsen des Tandem-Aggregats in Bild 6.34 werden durch je zwei untere Längslenker und je einen oberen Dreiecklenker geführt. Die reibungsarmen Weitspalt-Blattfedern haben keine Radführungsaufgaben mehr, arbeiten aber nach dem Waagebalken-Prinzip als Verbundfedern. Die etwa horizontal angeordneten Achslenker sorgen dafür, dass die Stützwinkel beider Achsen etwa gleiche, wenn auch niedrige Werte haben.
Bild 6.34. Lenkergeführte Tandem-Hinterachse eines LKW (Werkbild MAN Nutzfahrzeuge AG)
7 Kurvenfahrt
7.1 Die Sturz- und Vorspuränderung bei Radbewegung In Kap. 4 wurde dargelegt, dass die Seitenkraft an einem Rade vom Schräglaufwinkel und vom Radsturzwinkel abhängt. Der Schräglaufwinkel wird nicht nur von der unter Querbeschleunigung sich einstellenden seitlichen Driftbewegung des Fahrzeugs, sondern auch von evtl. zusätzlich aufgebrachten Lenkwinkeln am Fahrzeug beeinflusst. Die Vorspuränderung oder allgemein Änderung des Lenkwinkels über dem Federweg oder dem Wankwinkel kann ferner einen resultierenden Lenkwinkel der gesamten Achse verursachen. Wie in den bisherigen Betrachtungen werden sowohl der Sturz als auch der Lenkwinkel auf ein fahrzeugfestes Koordinatensystem bezogen untersucht. Der Radsturz J ist positiv definiert, wenn die Radmittelebene sich relativ zur Fahrzeug-Mittellängsebene nach oben-aussen neigt bzw. wenn die Radachse in Richtung zur Fahrzeugmitte hin ansteigt. Der Lenkwinkel G ist am linken Rade positiv definiert, wenn die Schnittoder „Spur“gerade der Radmittelebene in der Fahrbahn sich in Fahrtrichtung von der Fahrzeugmitte entfernt bzw. wenn die Projektion der Radachse in die Fahrbahnebene sich im Fahrzeuggrundriss nach vorn-innen erstreckt. Das bedeutet, dass ein positiver „Vorspurwinkel“ G v in herkömmlicher Betrachtungsweise, nämlich mit in Fahrtrichtung aufeinander zulaufenden Rädern, an einem linken Rade der oben angeführten Definition entsprechend in Rechengleichungen als negativer Lenkwinkel eingehen muss. Aus dem momentanen Bewegungszustand der Radaufhängung (Federungs- oder Lenkvorgang) folgt entsprechend den in Kap. 3 angegebenen Berechnungsverfahren ein Vektor Z K der Winkelgeschwindigkeit des Radträgers K. Für die „Winkelgeschwindigkeiten“ ZJ der Sturz- und ZG der Lenkwinkeländerung ist es gleichgültig, wie groß die momentane Translationsgeschwindigkeit v M der Radmitte M oder ein Vorschub t längs einer Momentanschraube ist und ob die Radachse die Momentanachse m schneidet oder nicht; denkt man sich eine zur Radachse parallele radträgerfeste Gerade a, die die Momentanachse schneidet, so wird diese in allen Ansichten und für alle Bewegungszustände parallel zur Radachse erschei-
172
7 Kurvenfahrt
nen und bezüglich des Radsturzes und des Lenkwinkels diese vertreten können, Bild 7.1. Die momentane Radsturzänderung wird in wahrer Größe sichtbar in einer vertikalen Projektionsebene 3 G , die die Radachse a bzw. deren Ersatzgerade enthält; der Einheits-Normalvektor e dieser Ebene hat die xund y-Komponenten cos G und sinG und keine z-Komponente. Da die Radachse fest mit dem Radträger K verbunden ist, ergibt sich die Sturzänderungs-Winkelgeschwindigkeit ZJ als Komponente der Winkelgeschwindigkeit Z K des Radträgers in Richtung des Normalvektors e, also ZJ Z K e oder
ZJ
ZKx cos G ZKysinG .
(7.1)
Um die Ableitung dJ ds des Radsturzes nach dem Federweg zu erhalten, kann mit dem Zeitdifferential dt gesetzt werden: ds/dt vAz (fahrzeugbezogene Vertikalgeschwindigkeit des Radaufstandspunktes) und dJ dt ZJ . In Kap. 6 war es zur Bestimmung der Kenngrößen der Längsdynamik stets erforderlich, die fiktive Geschwindigkeit v A des Radaufstandspunktes bei als blockiert betrachteter Momentenstütze zu verwenden. Da in einem Rechenprogramm zur Analyse der Radführungseigenschaften nach den hier angewandten Verfahren also bevorzugt dieser Geschwindigkeitsvektor zur Verfügung stehen wird und die vertikalen Komponenten der Vektoren v A und v A (für das am Radträger frei drehbare Rad) gleich groß sind, ergibt sich als Sturzänderung über dem Federweg
dJ ds
Bild 7.1. Berechnung der Radsturz- und der Lenkwinkeländerung aus dem Bewegungszustand des Radträgers
ZJ / vAz
ZJ / vAz .
(7.2)
7.2 Kräfte und Momente unter Querbeschleunigung
173
Die Lenkwinkel-Änderungsgeschwindigkeit ZG ist, bezogen auf das Fahrzeug, die Winkelgeschwindigkeit der Projektion a der Radachse a (oder ihrer Ersatzgeraden) in die Grundriss- bzw. x-y-Ebene. Denkt man sich einen beliebigen Punkt P auf der Radachse oder der Ersatzgeraden in einem Gabelarm mit vertikalen Begrenzungsebenen geführt, dessen Drehachse vertikal durch den Schnittpunkt P0 der Radachse und der Momentanachse verläuft, so wird sich der Gabelarm in der Draufsicht stets deckungsgleich mit der Projektion der Radachse bewegen. Die Geschwindigkeit v P ZG u a des Kontaktpunkts P an der Führungsgabel ist die Komponente der Geschwindigkeit v P Z K ua des Punktes P auf der Radachse in Normalrichtung der Gabel, also in Richtung des Einheits-Normalvektors e, d. h. es gilt v P e v P e. Der Vektor a hat die x-, yund z-Komponenten a cos J sinG acosJ cosG und - asinJ und der Vektor ZG besitzt nur die z-Komponente ZG . Damit ergeben sich die Skalarprodukte
v P e aZG cosJ und v P e a (ZKx sinJ sinG ZKysinJ cosG ZKz cosJ ), und aus der Gleichheit beider folgt
ZG
ZKx tanJ sinG ZKy tanJ cosG ZKz
(7.3)
sowie analog zu Gl. 7.2 die Lenkwinkeländerung über dem Federweg
dG d s
ZG / vAz
ZG / vAz .
(7.4)
7.2 Kräfte und Momente unter Querbeschleunigung Bei stationärer Kurvenfahrt übt die auf die Masse m des Fahrzeugkörpers wirkende Querbeschleunigung ay eine Massenkraft oder „Fliehkraft“ m ay am Fahrzeugschwerpunkt aus, wodurch am Fahrzeug ein Kippmoment um die Längsachse (x-Achse) entsteht, das die Aufstandskräfte der kurvenäußeren Räder erhöht und die der kurveninneren verringert. Mit der Massenkraft stehen die Seitenkräfte an den Rädern im Gleichgewicht, welche wiederum über die Radaufhängungen auf den Fahrzeugkörper übertragen werden. Ein solcher Fahrzeugkörper ist schematisch in Bild 7.2 dargestellt. Er ist an einer Vorder- und einer Hinterachse so geführt, dass er sich zum einen translatorisch auf und ab bewegen und zum anderen auch um eine annähernd horizontal in Fahrtrichtung liegende Achse „wanken“ kann. Dabei wird die resultierende Seitenkraft Fyv der Vorderachse am Kontaktpunkt RZ v zwischen Achs- und Fahrzeugkörper übertragen und die Sei-
174
7 Kurvenfahrt
tenkraft Fyh der Hinterachse an deren Kontaktpunkt RZ h . Da diese Punkte im allgemeinen deutlich näher zur Fahrbahn angeordnet sind als der Fahrzeugschwerpunkt SP, entsteht ein Kippmoment um die Verbindungslinie r der Kontaktpunkte RZ v und RZ h , welches an der Vorder- und der Hinterachse Federungsmomente M Fv und M Fh verursacht. In diesen Federungsmomenten mögen allgemein die aus den Fahrzeug-Tragfedern und evtl. vorhandenen Stabilisator- oder Ausgleichsfedern resultierenden Momente zusammengefasst sein – und, besonders bei Mehrlenkerachsen, die von den Gummilagern der Lenker erzeugten Rückstellmomente an der Radaufhängung (vgl. Kap. 5, Gl. 5.25 und die Bilder 5.14–5.16). Der Fahrzeugkörper neigt sich daher etwa um die Achse r mit einem „Wankwinkel“ M [28]. Die Punkte RZ v und RZ h werden deshalb als „Rollzentren“ der Vorderund der Hinterachse bezeichnet und ihre Verbindungslinie r als „Rollachse“ des Fahrzeugkörpers. Das Rollzentrum ist also der Punkt in der vertikalen Querschnittsebene durch die Radaufstandspunkte einer Achse, an welchem die resultierenden Seitenkräfte der Reifen der Achse auf den Fahrzeugkörper übertragen werden bzw. der Punkt, um den der Fahrzeugkörper unter Querbeschleunigung in erster Näherung seinen Wankwinkel aufbaut. Der Hebelarm der Fahrzeugmasse m am Schwerpunkt SP um die Rollachse r ist
hc
{h hRZv (1 lv / l ) hRZh lv / l}.
Bild 7.2. Kräfte und Momente am Fahrzeug bei Kurvenfahrt
(7.5)
7.2 Kräfte und Momente unter Querbeschleunigung
175
Bild 7.3. Kippmoment der „ungefederten“ Massen
Nicht nur die „gefederte“ Masse des Fahrzeugkörpers, sondern auch die „ungefederte“ Masse mu der Räder des Fahrzeugs mit den Radträgern und den anteiligen Massen der Radführungsglieder übt auf den Fahrzeugkörper bei Querbeschleunigung ein Kippmoment aus. Bei einer Wank-Winkelgeschwindigkeit ZM des Fahrzeugkörpers, Bild 7.3, gegenüber der Fahrbahnebene ergeben sich relativ zum Fahrzeugkörper gegensinnige Einund Ausfederbewegungen an beiden Rädern und relative Sturzänderungen entsprechend dem (in der Praxis i. a. negativen) Sturzgradienten dJ ds. Für einen positiven Sturzgradienten des Rades gemäß Gl. 7.2 – und zwar, was aber nur für Verbund- und Starrachsen von Bedeutung ist, den Sturzgradienten aus einer reinen Wankbewegung oder „antimetrischen“ Federungsbewegung beider Räder – würden sowohl das beim Wanken des Fahrzeugs „kurveninnere“ (links im Bild) als auch das „kurvenäußere“ (rechts) relativ zum Fahrzeugkörper im Drehsinn der Wankwinkelgeschwindigkeit ZM schwenken, nämlich mit der Winkelgeschwindigkeit Zrel (b / 2)ZM (dJ ds), so dass sich als Absolut-Sturzwinkelgeschwindigkeit des Rades bzw. des Radträgers
ZKM
ZM Zrel
ZM {1 (b / 2)(dJ / ds )}
ergibt, und bei vereinfachender Annahme des Schwerpunkts der ungefederten Massen in Höhe der Radmitte errechnet sich das auf den Fahrzeugkörper ausgeübte Moment M uF pro Rad aus M uFZM mu ay RZKM an den Vorderrädern (Index „v“) und den Hinterrädern („h“) zu
M uFva,i
muv a y R{1 (bv / 2)(dJ ds ) va,i },
M uFha,i
muh ay R{1 (bh / 2)(dJ ds ) ha,i },
(7.6a,b)
wobei a = kurvenäußeres und i = kurveninneres Rad. Ist an einer Radaufhängung der Pol Q des Radträgers im Fahrzeugquerschnitt bekannt, so ergibt sich der Sturzgradient aus dem Polabstand q zu dJ ds 1/q. Bei Starrachsen und Verbundaufhängungen ist hier der Pol für die reine Wankbewegung (antimetrische Bewegung) zu verwenden
176
7 Kurvenfahrt
(vgl. im folgenden Bild 7.9). Eine Starrachse schwenkt beim Wanken um einen Punkt in Fahrzeugmitte, hier ist also der Sturzgradient der antimetrischen Bewegung dJ ds 2/b, und nach den Gln. 7.6 verschwindet das Moment M uF ; die Starrachse stützt sich nicht an der Federung des Fahrzeugs ab, was auch anschaulich klar ist. Beim Wanken um die Rollachse r mit dem Wankwinkel M verschiebt sich der Fahrzeugschwerpunkt SP an seinem Hebelarm hc um einen Weg hcM zur Fahrzeugaußenseite, so dass die Fahrzeugmasse m um die Rollachse ein resultierendes Moment m ay hc mghcM ausübt. Diesem Moment müssen die Rückstellmomente M Fv, h der Federungen der Vorder- und der Hinterachse das Gleichgewicht halten. Für vereinfachte Betrachtungen mögen hier die resultierenden „Wankfederraten“ cM v und cM h der Vorderund der Hinterachse als konstant angenommen werden. An (gelenkten) Vorderrädern tritt bei größeren Lenkeinschlagwinkeln und deutlich von Null verschiedenen Stützwinkeln H (vgl. Kap. 6) ein weiterer Effekt auf [64]. Die Seitenkraft wirkt am eingeschlagenen Rade nicht mehr in Querrichtung auf das Fahrzeug, sondern als Kraft Fs unter dem Lenkwinkel G , Bild 7.4. Ihre Längskomponente Fsx Fs sin G wird daher von der Radaufhängung wie eine „Bremskraft“ aufgenommen (dies gilt nicht für Dubonnet-Achsen und die Radaufhängungen der Motorräder, welche beim Lenken mit dem Rade zusammen schwenken). Die Stützwinkel des kurvenäußeren und des kurveninneren Rades können wegen unterschiedlicher Einfederungszustände ungleich groß sein, was für die Seitenkräfte Fsa und Fsi bei größeren Lenkwinkeln ohnehin gilt. Es entsteht so an der Vorderachse ein zusätzliches Moment
M H
( Fsa sin G a tanH va Fsi sin G i tanH vi )bv / 2,
Bild 7.4. Seitenkraft und Brems-Stützwinkel bei großem Lenkeinschlag
(7.7)
7.2 Kräfte und Momente unter Querbeschleunigung
177
welches, falls positiv, wie ein Stabilisator auf das Fahrzeug wirkt. Sind die Stützwinkel über dem Radhub veränderlich und z.B. mit dem Einfederweg wachsend, so wird dieser Stabilisator-Effekt verstärkt. Das Stabilisierungsmoment M H liefert einen Beitrag zum „Untersteuern“ des Fahrzeugs, was größere Schräglaufwinkel an den Vorderrädern zur Folge hat und bei gegebenem Kurvenradius zu entsprechend vergrößerten Radeinschlagwinkeln zwingt, die wiederum den Anteil der Längskraftkomponente Fsx an der Seitenkraft erhöhen. Auf diese Weise kann ein selbst verstärkendes Untersteuerverhalten eingeleitet werden, das in der Praxis durchaus eine Rücknahme des konstruktiv zunächst vorgesehenen Stützwinkels oder zumindest einen Verzicht auf einen progressiven Verlauf desselben über dem Radhub notwendig machen kann. Mit den Kippmomenten der „gefederten“ Fahrzeugmasse m und der „ungefederten“ Radmasse mu an Vorder- und Hinterachse sowie den resultierenden Wankfederraten der Achsen ergibt sich aus der Gleichgewichtsbedingung m a y hc m g hcM M uFva M uFvi M uFha M uFhi
M cM v cM h ) M H
der Wankwinkel des Fahrzeugkörpers zu
M
m a y hc M uFva M uFvi M uFha M uFhi M H . cM v cM h m g hc
(7.8)
Das Gesamt-Kippmoment am Fahrzeug wird aber durch die Schwerpunktshöhe h über der Fahrbahn bestimmt. Das resultierende Federungsmoment M cM v cM h ) ist nur ein Teil desselben, und der fehlende Anteil wird an den Rollzentren über die Mechanismen der Radaufhängungen abgestützt. An der Vorderachse wirkt der Fliehkraftanteil m ay (l lv ) / l der Fahrzeug-Gesamtfliehkraft an der Rollzentrumshöhe hRZv über der Fahrbahn und an der Hinterachse der Anteil maylv / l an der Rollzentrumshöhe hRZh . Der Anteil des Kippmoments der ungefederten Massen, welcher sich nicht entsprechend den Gln. 7.6a und 7.6b am Fahrzeugkörper abstützt, sondern unmittelbar auf der Fahrbahn, ist M uR mu ay R M uF oder
M uRva,i
muv ay R (bv / 2)(dJ ds ) va,i ,
M uRha, i
muh a y R(bh / 2)(dJ / ds ) ha, i
(7.9a,b)
(sollte das negative Vorzeichen in diesen Gleichungen irritieren, so sei daran erinnert, dass die Sturzgradienten dJ ds im allgemeinen ebenfalls negativ sind). Das resultierende Wank-Federungsmoment (cM v cM h )M des Fahrzeugkörpers und der ungefederten Massen verteilt sich, wenn der Fahrzeugkörper als verwindungssteif angesehen werden kann, auf die beiden Fahrzeugachsen im Verhältnis ihrer Wankfederraten.
178
7 Kurvenfahrt
Mit diesem und den Momenten an den Rollzentren ergeben sich an der Vorder- und an der Hinterachse die resultierenden Wankmomente
Mv
may hRZv (l lv ) / l M uRva M uRvi cM vM M H
Mh
may hRZh lv / l M uRha M uRhi cM hM
(7.10a,b)
und schließlich die Radlaständerungen bei Kurvenfahrt 'Fzv, h
M v, h / bv, h .
(7.11)
Aus den statischen Vorder- und Hinterradlasten am stehenden Fahrzeug
Fzov
{( m / 2)(l lv ) / l muv }g ,
Fzoh
{(m / 2)lv / l muh }g ,
(bei Starrachsen ist hier für mu die halbe Achskörpermasse einzusetzen) errechnen sich die resultierenden Vorder- und Hinterradlasten eines Vierradfahrzeugs bei Kurvenfahrt: Fzva,i
{( m / 2)(l lv ) / l muv }g r 'Fzv
(7.12a,b) Fzha,i {(m / 2)lv / l muh }g r 'Fzh (das obere Vorzeichen gilt für das kurvenäußere Rad, Index „a“, das untere für das kurveninnere, Index „i“). Unter der Voraussetzung, dass der Lenkwinkel klein bzw. der gefahrene Kurvenradius groß ist, d.h. dass die Fliehkräfte in Fahrzeugquerrichtung bzw. y-Richtung wirken, sind die Gesamt-Seitenführungskräfte an der Vorder- und der Hinterachse jeweils den statischen Achslasten proportional:
Fyva Fyvi
a y {m(l lv ) / l 2muv },
Fyha Fyhi
a y {mlv / l 2muh }.
(7.13a,b)
Ohne Radlastverlagerung 'Fz könnten beide Räder einer Achse gleich große Seitenkräfte Fym ( Fya Fyi ) / 2 bei einem Schräglaufwinkel D übertragen, der sich aus der Schräglaufkennlinie für die statische Last Fzo ergibt, Bild 7.5. Wegen der Radlastverlagerung gelten aber nun kurvenaußen und -innen Kennlinien für die Radlasten Fzo 'Fz bzw. Fzo 'Fz . Das kurvenäußere Rad wird daher eine um 'Fy1 vergrößerte und das kurveninnere eine um 'Fy1 verringerte Seitenkraft ausüben, wobei wegen der degressiven Abhängigkeit der Seitenkraft von Radlast und Schräglaufwinkel (vgl. Kap. 4, Abb. 4.2b) der letztere auf einen Wert D wächst. Offensichtlich nähert sich dabei das kurveninnere Rad seinem Seitenkraftmaximum, während das äußere noch Reserven besitzt. Durch einen Vorspurwinkel G v kann dem kurvenäußeren Rade ein größerer Schräglaufwinkel und damit
7.2 Kräfte und Momente unter Querbeschleunigung
179
eine größere Seitenkraft Fym 'Fy2 aufgezwungen werden, während das kurveninnere Rad entsprechend entlastet wird und der resultierende Schräglaufwinkel der gesamten Achse auf den Wert D zurückgeht. Vorspur kann also das Seitenführungspotential einer Achse erhöhen – sofern ein entsprechend hoher Fahrbahnreibwert vorhanden ist! Bei Reibwerten nahe Null bleiben derartige kinematische Maßnahmen wirkungslos, weil bereits geringste Schräglaufwinkel zum Überschreiten der Kraftschlußgrenze führen können. Daher ist es stets günstiger, erwünschte Lenkeffekte auf elasto-kinematischem statt auf rein kinematischem Wege herbeizuführen, weil deren Größe sich dann nach den wirkenden bzw. möglichen äußeren Kräften und nicht nur dem Radhub richtet.
Bild 7.5. Schräglaufwinkel an einer Achse mit unterschiedlichen Radlasten und mit bzw. ohne Vorspurwinkel
Wegen der meistens nichtlinearen gegenseitigen Abhängigkeiten vieler Rechengrößen kann der vorstehend beschriebene Berechnungsgang im allgemeinen nur iterativ durchgeführt werden. Die Radlastdifferenzen an Vorder- und Hinterachse und damit deren resultierende Schräglaufwinkel werden bei gegebener Querbeschleunigung durch folgende konstruktive Maßnahmen beeinflusst: a) die Verteilung der resultierenden Wankfederraten auf die Vorder- und die Hinterachse, z.B. durch Variation von Tragfederraten, Einführung von Stabilisator- oder Ausgleichsfedern; ein Stabilisator an der Vorderachse erhöht die Gesamt-Wankfederrate des Fahrzeugs und verringert damit den Wankwinkel, folglich auch die Radlastdifferenz an der – unveränderten – Hinterachse auf Kosten der Vorderachse (bei Fahrzeugen mit verwindungsweichem Rahmen, vgl. das nachfolgende Bild 7.6, funktioniert dies allerdings nur in beschränktem Maße); b) die Abstimmung der Rollzentren an der Vorder- und der Hinterachse c) die vordere und hintere Spurweite; d) das Reaktionsmoment einer Achsantriebswelle, vgl. Kap. 6, Bild 6.7.
180
7 Kurvenfahrt
Für die Größe der Schräglaufwinkel sind bei gegebenen Radlastdifferenzen ferner maßgebend: e) die Seitenkraft-Schräglauf-Kennlinien der Reifen, welche z.B. durch die Wahl unterschiedlicher Reifeninnendrücke oder gar unterschiedlicher Reifendimensionen an Vorder- und Hinterachse beeinflusst werden können (nicht zu vergessen unterschiedliche Abnutzungsgrade der Laufflächen) f) schließlich auch ganz wesentlich die statische Achslastverteilung am Fahrzeug, also die Schwerpunktslage, welche ja das Verhältnis der Achs-Seitenkräfte festlegt. Weitere Maßnahmen zur Beeinflussung der Schräglaufwinkel, welche an dem bisher vorausgesetzten einfachen Fahrzeugmodell nicht betrachtet werden konnten, sind willkürlich überlagerte Lenkwinkel wie z.B. Vorspurwinkel, bei Wankbewegung durch die Radführungskinematik erzeugte Eigenlenkwinkel, oder infolge elastischer Verformung der Radaufhängung entstehende Lenkwinkel. Das Fahrzeugmodell nach Bild 7.2 setzte einen starren Fahrzeugkörper voraus, was bei PKW näherungsweise angenommen werden darf. Bei LKW ist dagegen der Fahrzeugrahmen meistens verwindungsweich ausgeführt, einmal wegen der einfacheren Herstellung aus „offenen“ Blechprofilen, zum anderen oft bewusst zur Verbesserung der Geländetauglichkeit. Die Verdrehfederrate cM R des Rahmens, Bild 7.6, liegt dabei durchaus in der Größenordnung der Wankfederraten von Vorder- und Hinterachse und u. U. deutlich darunter. In diesem Falle ist ein erweitertes Fahrzeugmodell mit zwei Teilschwerpunkten S v und S h für den vorderen und den hinteren Teil des Fahrzeugkörpers notwendig, die Wankwinkel M v und M h werden durch die anteiligen Massen, die Achs-Wankfederraten und das Verwindungsmoment cM R (M v M h ) des Rahmens bestimmt. Für den vorderen und den hinteren Fahrzeugteil ergeben sich – bei Vernachlässigung der „ungefederten“ Massen – mit den Teilschwerpunktsabständen hvc bzw. hhc zur Rollachse r die Gleichgewichtsbedingungen
Bild 7.6. Fahrzeug mit verwindungsweichem Rahmen
7.3 Das Rollzentrum
mv ay hvc mv ghvc M v
cM vM v cM R (M v M h ),
mh ay hhc mh ghhc M h
cM hM h cM R (M v M h ).
181
(7.14a,b)
Die rotierenden Fahrzeugräder stellen Kreisel dar, deren Drehimpuls durch die Kurvenfahrt eine Richtungsänderung aufgezwungen wird. Die daraus entstehenden Kreiselmomente wirken als zusätzliches Kippmoment am Fahrzeug, welches aber nur bei Solo-Motorrädern eine wesentliche Rolle spielt (vgl. hierzu Abschn. 7.7). Eine Ausnahme bei den Zweispurfahrzeugen sind die Traktoren mit ihren großen Antriebsrädern, wenn deren Reifen zwecks Traktionsverbesserung mit Wasser befüllt oder wenn zusätzliche schwere Scheiben auf die Radschüsseln montiert werden.– Bei Fronttrieblern mit Quermotor ist es aus dieser Sicht vorteilhaft, wenn die Kurbelwelle gegensinnig zu den Fahrzeugrädern dreht (wenn auch praktisch kaum von Bedeutung).
7.3 Das Rollzentrum 7.3.1 Das Fahrzeug bei sehr geringer Querbeschleunigung Im Abschnitt 7.2 war angenommen worden, dass die Übertragung der Seitenkräfte zwischen Fahrzeugkörper und Radaufhängung an einem Gelenk oder dergleichen, dem „Rollzentrum“, stattfindet, um welches sich der Fahrzeugaufbau gegenüber der Achse mit einem Wankwinkel M neigt. Dies ist bei starren Achsen leicht vorstellbar, bei Einzelrad- und Verbundaufhängungen schon weniger; ferner ist nicht auszuschließen, dass die Fliehkraft an dem Mechanismus der Radaufhängung auch Hubarbeit leistet, was in dem einfachen Modell von Bild 7.2 nicht vorgesehen war. Sicher ist das Rollzentrum aber in der vertikalen Querschnittsebene durch die Radaufstandspunkte zu suchen, denn die unter Querbeschleunigung auftretenden Kräfte, nämlich die Radlaständerungen und die Seitenkräfte, wirken in dieser Ebene (letztere bei Vernachlässigung des Reifennachlaufs, vgl. Kap. 4!). Die Vorgänge innerhalb einer Radaufhängung unter Belastung durch Seitenkräfte werden im folgenden näher beleuchtet. Die Abstützung der Massen-Querbeschleunigungskraft ist bereits an der einzelnen Fahrzeugachse statisch „überbestimmt“, weil an zwei Punkten in einer Ebene, den beiden Radaufstandspunkten, gleichgerichtete Seitenkräfte wirken, deren Größe und deren Verteilung auf die beiden Reifen von nichtlinearen Gesetzmäßigkeiten abhängen, und zwar den Beziehungen zwischen der Schräglauf-Seitenkraft, der Radlast, einem evtl. vorhandenen Vorspurwinkel und dem Radsturz.
182
7 Kurvenfahrt
Bild 7.7. Kräfteplan am Einachsmodell bei sehr geringer Querbeschleunigung
Solange die auftretende Querbeschleunigung noch verschwindend klein ist, kann ein etwa linearer Zusammenhang zwischen der SchräglaufSeitenkraft und dem Schräglaufwinkel sowie der Radlast angenommen werden. Wird für eine grundsätzliche Vorüberlegung die gegenseitige Beeinflussung der Vorder- und der Hinterachse eines Fahrzeugs vernachlässigt oder besser: wird ein Fahrzeug mit identischen Vorder- und Hinterachslasten, Vorder- und Hinterradaufhängungen, Vorder- und Hinterradfederungen sowie Vorder- und Hinterreifen vorausgesetzt, so können jeweils die vordere und die hintere Fahrzeughälfte für sich allein betrachtet werden, ähnlich wie Einachsanhänger mit unendlich langer Deichsel. Wenn auch noch Vorspur- und Sturzwinkel der Räder vernachlässigt werden, so treten an den beiden Radaufstandspunkten gleichgerichtete und (bei verschwindend kleiner Querbeschleunigung) gleich große Seitenkräfte Fy sowie entgegengesetzt gleich große Radlaständerungen 'Fz auf, deren Resultierende P1 und P2 sich im Fahrzeugschwerpunkt SP mit der horizontal gerichteten anteiligen Massen-Querkraft (deren Größe 2Fy ist) schneiden, Bild 7.7. Das Rollzentrum der Radaufhängung ist im allgemeinen der Fahrbahnebene erheblich näher als der Fahrzeugschwerpunkt, woraus unter Querbeschleunigung ein Kippmoment an der Fahrzeugfederung und ein Wankwinkel resultieren. Als Rollzentrum wird, wie erwähnt, derjenige Punkt der vertikalen Querschnittsebene einer Achse bezeichnet, an dem eine Querkraft vom Fahrzeugkörper über die Radaufhängung und die Radaufstandspunkte auf die Fahrbahn übertragen werden kann. Bei Belastung durch eine Querkraft am Rollzentrum muss also der Mechanismus der Radaufhängung im Gleichgewicht sein, d. h. es werden keine zusätzlichen Krafteinwirkungen wie z.B. die eines Federelements notwendig. Bei einer sehr kleinen Querbeschleunigung und noch gleich großen Seitenkräften Fy an beiden Radaufstandspunkten übt die Gesamt-Seitenkraft 2Fy auf den Achsmechanismus an seinem Rollzentrum ein Kippmoment aus, das sich aus der Gesamt-Seitenkraft und der Rollzentrumshöhe hRZ über der Fahrbahn berechnet. Der oberhalb des Rollzentrums befindliche
7.3 Das Rollzentrum
183
Fahrzeugschwerpunkt SP verursacht eine Wankbewegung mit einem Wankwinkel M bzw. einer Wank-Winkelgeschwindigkeit ZM gegen den Widerstand des resultierenden Federungsmoments, und die beginnende Wankbewegung geht mit gegensinnig gleich großen Ein- und Ausfederungsgeschwindigkeiten vAw der Radaufstandspunkte einher (Index „w“ für „Wanken“). An der ebenen Doppelquerlenkerachse in Bild 7.8 schwenken die Räder beim Ein- und Ausfedern um die Schnittpunkte ihrer jeweiligen oberen und unteren Querlenker, die Momentanpole Q1 und Q2 , und senkrecht zu den Polstrahlen A1Q1 bzw. A2Q2 zwischen den Polen und den Radaufstandspunkten erscheinen deren Ein- bzw. Ausfederungsgeschwindigkeiten vAw . Nach dem Arbeitssatz ist die Leistung der (nicht eingezeichneten) Seitenkräfte Fy an den Radaufstandspunkten mit den Horizontalkomponenten vAwy der Geschwindigkeitsvektoren vAw gleich der des Kippmoments 2 Fy h RZ am Rollzentrum mit der Wank-Winkelgeschwindigkeit ZM :
2 Fy h RZZM
2 Fy vAwy ,
und da die auf das Fahrzeug-Koordinatensystem bezogene Vertikalkomponente vAwz der Geschwindigkeit vAw sich aus der Wank-Winkelgeschwindigkeit ZM und dem Abstand yA des Radaufstandspunktes von der Fahrzeugmittelebene zu vAwz ZM yA berechnet, kann in der oben stehenden Gleichung ZM ersetzt werden. Damit ergibt sich die Rollzentrumshöhe über der Fahrbahn zu
hRZ
yA (vAwy / vAwz ).
(7.15)
Die x-Komponente von v Aw ist für das Rollzentrum bedeutungslos, weshalb in Gl. 7.15 der einfacheren Programmierung halber auch ein Vektor v A(w) eines „radträgerfesten“ Radaufstandspunktes verwendbar ist.
Bild 7.8. Das Rollzentrum an einer Einzelradaufhängung
184
7 Kurvenfahrt
Das Rollzentrum ist demnach der Schnittpunkt der Lote der antimetrischen Geschwindigkeitsvektoren der Radaufstandspunkte zu Beginn einer Wankbewegung des Fahrzeugs und liegt in der Fahrzeugmittelebene. Diese Definition ist unabhängig vom Typ der Radaufhängung allgemein anwendbar – es gilt dann nur noch, am jeweiligen Mechanismus der Radaufhängung die genannten Geschwindigkeitsvektoren der antimetrischen Radbewegung zu finden. Bei einer Belastung der Achse durch eine Seitenkraft am Rollzentrum muss, wie erwähnt, der Mechanismus der Radaufhängung sich definitionsgemäß im Gleichgewicht befinden, d. h. zur Aufnahme der Seitenkräfte ohne Zuhilfenahme der Federkräfte in der Lage sein. Kräfte P1 und P2 an den Radaufstandspunkten in Bild 7.8, die keine Auslenkung des Radführungs-Mechanismus hervorrufen, müssen durch die Momentanpole Q1 bzw. Q2 verlaufen, und ihre Wirkungslinien schneiden sich mit derjenigen der Seitenkraft 2Fy im Rollzentrum RZ. Die Kräfte P1 und P2 erzeugen an den oberen und unteren Querlenkern der Radaufhängungen Reaktionskräfte K1o und K1u bzw. K 2o und K 2u . Im Kräfteplan bilden die Reaktionskräfte in den Querlenkern mit der Seitenkraft 2Fy am Rollzentrum RZ ein geschlossenes Kräftepolygon, d. h. die beiden Lenkerpaare sind gemeinsam in der Lage, einer Seitenkraft am Rollzentrum das (wegen der zwei Freiheitsgrade der beiden Radaufhängungen „labile“) Gleichgewicht zu halten und diese Seitenkraft auf den Fahrzeugkörper zu übertragen. Bei einer Einzelradaufhängung wie in Bild 7.8 ist die Bahnkurve des Radaufstandspunktes im Fahrzeugquerschnitt für jede Radstellung eindeutig festgelegt, da der Mechanismus einer Einzelradaufhängung nur einen Freiheitsgrad besitzt. Hier gibt es keinen Unterschied zwischen der Wankund der Hubbewegung des Fahrzeugs. An einer ebenen oder sphärischen Radaufhängung kann stets ein „Pol“ als Schnittpunkt der Momentanachse mit der Querschnittsebene definiert werden, um welchen der Radträger mit dem Rade momentan schwenkt; der Vektor vAw steht dann senkrecht auf dem Polstrahl, und das Rollzentrum ist der Schnittpunkt der Polstrahlen beider Räder, der zu Beginn einer Wankbewegung noch in der Fahrzeugmittelebene liegt. Diese beliebte Darstellungsweise ist aber nur bei ebenen und sphärischen Mechanismen möglich. Bei räumlichen Einzelradaufhängungen müsste ein solcher „Pol“ aus dem momentanen Geschwindigkeitszustand rückgerechnet werden. Daher ist es zweckmäßig, die allgemeine Definition des Rollzentrums nach Gl. 7.15 zu verwenden, zumal sie sich für Rechenprogramme zur kinematischen Analyse der Radaufhängungen als weitaus einfachste anbietet. Die Verbundaufhängung als allgemeine Grundform des Führungsmechanismus für zwei Räder einer Achse mit insgesamt zwei Freiheitsgraden weist unterschiedliche Bewegungsbahnen der Radaufstandspunkte bei parallelen bzw. antimetrischen Federungsvorgängen auf.
7.3 Das Rollzentrum
185
Bild 7.9. Das Rollzentrum an einer Verbundachse
An dem einfachen, im Fahrzeugquerschnitt „ebenen“ Modell einer Verbundaufhängung nach Bild 7.9 lassen sich die unterschiedlichen Geschwindigkeitsvektoren bei Parallel- und bei Wankbewegung anschaulich konstruieren: Jeder Radträger ist durch ein zugeordnetes Pendel mit dem Fahrzeugkörper verbunden, und auf der (verlängert gedachten) Mittellinie des Pendels müssen also die Momentanpole des Rades sowohl für die Parallel- wie die Wankbewegung liegen. Beide Radträger sind ferner in der Fahrzeugmitte durch ein Drehgelenk gekoppelt. Das Mittelgelenk kann sich bei paralleler Federungsbewegung beider Räder aus Symmetriegründen nur vertikal bewegen; sein „Polstrahl“ liegt also horizontal und ist der zweite geometrische Ort für die Momentanpole der Räder. Auf der Horizontalen durch das Mittelgelenk finden sich daher als Schnittpunkte mit den jeweiligen Pendel-Mittellinien die Pole Q1p und Q 2 p der beiden Radträger für die Parallelbewegung der Räder. Bei einer antimetrischen bzw. Wankbewegung kann das Mittelgelenk dagegen keine Vertikalverschiebung erfahren (denn dies wäre eine „symmetrische“ Komponente) und sich nur horizontal verlagern. Die Pole Q1w und Q 2 w der antimetrischen Radbewegung finden sich daher auf der Vertikalen durch das Mittelgelenk als Schnittpunkte mit den Pendelmittellinien und fallen bei dem hier gewählten (und fahrzeugtechnisch nicht allzu interessanten) Achsmodell in der Fahrzeugmitte zusammen. Die antimetrischen Geschwindigkeitsvektoren vA1w und vA2w der beiden Radaufstandspunkte stehen senkrecht auf den Polstrahlen A1Q1w bzw. A2Q2 w , welche letzteren sich in der Fahrzeugmittelebene im Rollzentrum RZ schneiden (das hier mit den Polen zusammenfällt). Einer Horizontalkraft am Rollzentrum müssen definitionsgemäß Reaktionskräfte an den Radaufstandspunkten das Gleichgewicht halten können, ohne die Hilfe von Federelementen zu beanspruchen. Diese antimetrisch angeordneten Reaktionskräfte schneiden sich im Rollzentrum RZ. Die Reaktionskraft P1 am
186
7 Kurvenfahrt
linken Radaufstandspunkt erzeugt eine Kraft K1 am linken Pendel und eine Vertikalkraft V am Mittelgelenk, vgl. den Kräfteplan in Bild 7.9a, die wiederum auf den rechten Radträger wirkt und dort von der Reaktionskraft P2 und der Pendelkraft K 2 kompensiert wird. Setzt man die Kräftepläne der beiden Radträger zusammen, so heben sich die Vertikalkräfte V gegenseitig auf, und die Kräfte P1 und P2 stützen sich auf dem Umweg über die Pendel im Rollzentrum RZ ab, wo ihre horizontale Resultierende 2Fy auf den Fahrzeugkörper übertragen wird. Bei paralleler Federungsbewegung ergeben sich symmetrische Geschwindigkeitsvektoren vA1p und vA2p ähnlich wie bei jeder Einzelradaufhängung. Es wäre aber sinnlos, daraus ein „Rollzentrum“ RZ * für die Parallelfederung ableiten zu wollen; mit diesem „Rollzentrum“ lässt sich kein antimetrischer Kräfteplan aufbauen, wie Bild 7.9b zeigt: die Horizontalkomponenten H1 und H 2 am Mittelgelenk wären an beiden Radträgern gleichgerichtet und könnten sich bei Zusammenlegung der Kräftepläne nicht kompensieren. Dies gelänge dagegen sofort mit einem symmetrischen Kräfteplan, also mit entgegengesetzt gerichteten Seitenkräften an beiden Rädern, wie sie z.B. bei Geradeausfahrt entstehen, wenn die Räder mit „Vorspur“ fahren. Diese Seitenkräfte würden versuchen, das Fahrzeug anzuheben. Entsprechendes gilt auch für Einzelradaufhängungen, wenn deren Rollzentrum ober- oder unterhalb der Fahrbahn liegt, denn bei Einzelradaufhängungen sind das „echte“ Rollzentrum RZ der Wankbewegung und das „falsche“ RZ* der Parallelbewegung identisch.
Bild 7.10. Das Rollzentrum an einer Starrachse
Dass die Ermittlung des Rollzentrums nur über eine differentielle antimetrische Federungsbewegung der beiden Räder erfolgen kann, lässt sich besonders klar an einer Starrachsaufhängung demonstrieren: Die Starrachse nach Bild 7.10 ist in der Fahrzeug-Querschnittsebene durch eine Kulisse und einen darin gleitenden fahrzeugfesten Bolzen geführt (Gleitsteinführung, gelegentlich bei Rennfahrzeugen angewandt), welch letzterer sich sofort als Übertragungspunkt aller Seitenkräfte zwischen Achse und Fahrzeugkörper und damit als Rollzentrum RZ vorstellt. Bei einer antimetrischen Wankbewegung schwenkt die Achse um den Bolzen, die antimetrischen Geschwindigkeitsvektoren vAw der Radaufstandspunkte stehen
7.3 Das Rollzentrum
187
senkrecht auf den Polstrahlen durch das Rollzentrum. Die parallele Federungsbewegung einer Starrachse besteht dagegen im Fahrzeugquerschnitt nur in einer Vertikalverlagerung mit vertikal gerichteten Geschwindigkeitsvektoren; ein daraus abgeleitetes „Rollzentrum“ RZ* läge also in der Fahrbahnebene – womit sich auch erklären lässt, warum eine Vorspur an einer Starrachse keine Hubkräfte auf den Fahrzeugkörper ausübt, im Gegensatz zu Einzelrad- und Verbundaufhängungen. Eine von Null verschiedene Rollzentrumshöhe ist offensichtlich bei Einzelradaufhängungen nur möglich, wenn Spurweitenänderungen beim Ein- und Ausfedern in Kauf genommen werden. Dabei entstehen Schräglaufwinkel und Seitenkräfte am Reifen, die aber bei normalen Fahrgeschwindigkeiten nicht ins Gewicht fallen. Bei extrem langsamer Fahrt bzw. am stehenden Fahrzeug verursacht die Reifen-Querverformung jedoch eine Erhöhung der wirksamen Federrate. In den vorstehenden Überlegungen blieben die Elastizitäten der Lenkerlager und die Querfederraten der Reifen unberücksichtigt. Wie schon im Abschn. 6.3.8 des vorangegangenen Kapitels ausgeführt, bringt die Nachgiebigkeit der Lagerungen nur vernachlässigbare Änderungen von Kraftrichtungen und –wirkungslinien und tritt hier zusammen mit den Querverschiebungen der Radaufstandspunkte vor allem als Parallelverschiebung des Fahrzeug-Koordinatensystems gegenüber der Fahrbahn in Erscheinung. An den Gesamt-Kräfteplänen am Fahrzeug und seinem Wankverhalten ändert sich dadurch in erster Näherung nichts. Das Rollzentrum ist also, wie bereits die Stützwinkel der Längsdynamik, eine kinematische „Kenngröße“ der Radaufhängung und wird am starren Mechanismus ermittelt. Wie aus den vorstehenden Betrachtungen hervorgeht, lässt es sich über die Bewegungsgeometrie einer „Achse“ mit zwei Rädern folgendermaßen definieren: Das Rollzentrum ist der Momentanpol des Fahrzeugkörpers gegenüber einer Achse bei beginnender Wankbewegung unter Seitenkraft, d. h. bei Querbeschleunigung Null, und ergibt sich am starren Mechanismus der Radaufhängung in der vertikalen Querschnittsebene durch die Radaufstandspunkte und in Fahrzeugmitte als Schnittpunkt der Normalen der Bewegungsbahnen der beiden Radaufstandspunkte bei einer antimetrischen Federungsbewegung beider Räder. 7.3.2 Das Fahrzeug bei hoher Querbeschleunigung Bei hoher Querbeschleunigung ist das vereinfachte Fahrzeugmodell mit streng antimetrischer Bewegungsgeometrie und antimetrischem Kräfteplan nicht mehr verwendbar. Der merkliche Wankwinkel führt im allgemeinen zu einer unsymmetrischen Stellung der Radaufhängungen, ferner sind die Seitenkräfte am kurveninneren und kurvenäußeren Rade verschieden groß.
188
7 Kurvenfahrt
Bild 7.11. Einzelradaufhängung bei hoher Querbeschleunigung (Rollzentrumshöhe konstant)
Die Seitenkraft am kurvenäußeren Rade (Index „a“) wächst entsprechend der erhöhten Radlast gegenüber der des kurveninneren (Index „i“) deutlich an, Bild 7.11, und die jeweiligen Resultierenden aus den RadSeitenkräften Fqa, i und den (entgegengesetzt gleich großen) Radlaständerungen 'FRa, i schneiden sich mit der Massen-Querkraft m aq in Schwerpunktshöhe, wobei aber ihr Schnittpunkt gegenüber dem Schwerpunkt SP zur Kurveninnenseite (links) hin verschoben ist. In der Praxis kommt noch eine nichtlineare, meistens im Einfederungsast progressive Federkennlinie hinzu. Die Einzelradaufhängung in Bild 7.11 ist so ausgelegt, dass sich eine annähernd gerade Bewegungsbahn des Radaufstandspunktes A und damit eine etwa konstante Rollzentrumshöhe hRZ über der Fahrbahn bei paralleler Federungsbewegung ergeben. Bei Doppelquerlenkerachsen erfordert dies ungleich lange obere und untere Querlenker, deren Längen sich etwa umgekehrt verhalten wie ihre Abstände von der Fahrbahn [26], vgl. das obere Teilbild. An der einfachen „ebenen“ Radaufhängung von Bild 7.11 können in der Querschnittsebene sofort die Pole Pqa und Pqi des kurvenäußeren und des kurveninneren Radträgers gegenüber dem Fahrzeugkörper als Schnittpunkte der jeweiligen Querlenkerpaare bestimmt werden. Die Polstrahlen Aa Pqa bzw. Ai Pqi geben die Richtungen an, in welchen Kräfte an den Radaufstandspunkten Aa und Ai unmittelbar über die Mechanismen der Radaufhängungen, d. h. ohne Zuhilfenahme von Federkräften, auf den Fahrzeugkörper übertragen werden können. Die Resultierenden der Seiten-
7.3 Das Rollzentrum
189
kräfte Fqa, i und der Radlaständerungen 'FRa,i an den Radaufstandspunkten teilen sich daher über die Radaufhängungen in je eine „kinematische“ Kraft K a,i in Richtung des zugehörigen Polstrahls und je eine auf den Radaufstandspunkt „reduzierte“ Federkraftänderung 'FFRa,i auf. In Bild 7.11 fällt die kurvenäußere Federkrafterhöhung 'FFRa erheblich geringer aus als die kurveninnere Federentlastung 'FFRi ; selbst unter der Annahme einer linearen Federkennlinie wird also das Fahrzeug am kurvenäußeren Rade weniger stark einfedern, als es am kurveninneren aushebt. Dies ergibt zusätzlich zur Wankneigung eine resultierende Anhebung des Fahrzeugkörpers, er „stützt sich auf“. Der effektive Drehpunkt der Fahrzeuglagenänderung im Querschnitt wird zur Fahrzeugaußenseite hin verschoben. – Ein „Rollzentrum“ lässt sich für diese Stellung nicht mehr durch einfache geometrische Betrachtungen definieren, wie sie bei sehr geringer Querbeschleunigung noch erfolgreich waren. Schon bei dem hier untersuchten „Einachsmodell“ nämlich stellt die Achse im Fahrzeugquerschnitt ein „statisch überbestimmtes“ System dar; die Verteilung der Seitenkräfte auf die beiden Räder ergibt sich aus dem nichtlinearen Reifenkennfeld und damit aus Gesetzmäßigkeiten, die vom Mechanismus der Radaufhängung her nur unwesentlich (z.B. durch Vorspur- oder Sturzänderungen) beeinflusst werden können. Um das „Aufstützen“ der Achse zu verhindern, ist es offensichtlich angebracht, die Richtungen der Polstrahlen der Radaufstandspunkte und damit der Reaktionskräfte K der Radaufhängung dahingehend abzuändern, dass – eine lineare Federungskennlinie vorausgesetzt – die Federkraftänderungen an beiden Rädern umgekehrt gleich groß werden, Bild 7.12.
Bild 7.12. Doppelquerlenkerachse mit veränderlicher Rollzentrumshöhe
190
7 Kurvenfahrt
Dies wird erreicht, indem der kurvenäußere Polstrahl Aa Pqa eine flachere und der kurveninnere Polstrahl Ai Pqi eine steilere Anstellung gegenüber der Fahrbahn erhalten [60]. Damit ändert sich auch die Bewegungsbahn des Radaufstandspunktes relativ zum Fahrzeugkörper von einer Geradführung (Bild 7.11) in eine gekrümmte Kurve (oberes Teilbild in Bild 7.12), und das Rollzentrum RZ wird bei paralleler Einfederung des Fahrzeugs zur Fahrbahn hin abgesenkt bzw. beim Ausfedern angehoben. Die radbezogene Federkraftänderung 'FFRa am kurvenäußeren Rade ist in Bild 7.12 etwas größer als die Federkraftänderung 'FFRi am kurveninneren; hier wird das Fahrzeug also, im Gegensatz zu Bild 7.11, beim Wanken zugleich ein wenig zur Fahrbahn hin eintauchen (solange keine Progression der Federkennlinie am Kurvenaußenrade einsetzt). Der „Aufstützeffekt“ lässt sich demnach durch eine Auslegung der Radaufhängung beeinflussen, bei welcher das Rollzentrum mit dem Einfederweg des Fahrzeugs zur Fahrbahn hin absinkt. Auch Starrachsführungen können einen Aufstützeffekt hervorrufen, obwohl dort die Seitenkraftverteilung auf die beiden Räder für den Mechanismus der Aufhängung ohne Bedeutung ist, weil der Achskörper die Seitenkräfte stets „summiert“ auf den Fahrzeugkörper überträgt. In Bild 7.13 sind zwei Varianten einer einfachen Starrachsführung durch einen Gleitstein dargestellt (vgl. auch Bild 7.10). Die Variante a hat ein „achsfestes“ Rollzentrum RZ, und die Gleitführung ist am Fahrzeugkörper angebracht. Bei hoher Querbeschleunigung und damit großem Wankwinkel neigt sich die Gleitführung zusammen mit dem Fahrzeugkörper gegen die Vertikale, und die am Rollzentrum horizontal wirkende Fliehkraft m aq teilt sich an der Gleitführung in zwei Komponenten auf, nämlich eine Führungskraft K und eine Ausschubkraft 'F , welche die Achse gegen den Widerstand der (nicht dargestellten) Fahrzeugfedern nach unten aus dem Fahrzeug herausschieben will. Dieses Fahrzeug wird sich also bei Kurvenfahrt „aufstützen“. Ist dagegen der Gleitstein „fahrzeugfest“ und die Gleitführung am Achskörper angebracht, Variante b, so bleibt die Führungsbahn, wenn die unterschiedlichen Reifeneinfederungen infolge der Radlastverlagerung vernachlässigt werden, stets senkrecht zur Fahrbahn, und an der Führungsbahn entsteht keine Ausschubkraft.
Bild 7.13. Starrachsen (a) mit konstantem und (b) veränderlichem Rollzentrum
7.3 Das Rollzentrum
191
Das Rollzentrum wird aber bei der Variante b im Gegensatz zur Variante a beim Einfedern des Fahrzeugkörpers gemeinsam mit diesem zur Fahrbahn hin absinken. Auch bei Starrachsen kann also der Aufstützeffekt durch eine Auslegung der Achsführungsgeometrie, bei welcher sich die Rollzentrumshöhe über der Fahrbahn mit dem Einfederweg des Fahrzeugs verringert, vermieden werden. Die beiden Varianten der Starrachsführung nach Bild 7.13 stellen zwei Spezialfälle der Rollzentrums-Geometrie dar, nämlich einmal ein achsfestes und das andere Mal ein fahrzeugfestes Rollzentrum. Im Falle a ist die Rollzentrumshöhe über der Fahrbahn konstant, im Falle b ist die Höhenänderung des Rollzentrums bei Parallelfederung des Fahrzeugs umgekehrt gleich dem Einfederweg. Wie schon bei den Einzelradaufhängungen sind aber auch bei Starrachsführungen andere Auslegungen möglich. Gleitsteinführungen zur Seitenkraftabstützung wurden, wie bereits gesagt, bei Rennfahrzeugen gelegentlich angewandt, bei Straßenfahrzeugen verständlicherweise nicht. Eine elegante, reibungs- und wartungsarme Ersatzlösung ist das „Wattgestänge“, welches James Watt u. a. zur Geradführung von Dampfdruck-Indikatornadeln benutzte, Bild 7.14. Es handelt sich im Normalfall um eine ebene Viergelenkkette mit gegenläufigen, gleich langen Lenkern.
Bild 7.14. Das Wattgestänge
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7 Kurvenfahrt
In der zentralsymmetrischen Stellung dieses Getriebes, Bild 7.14a, liegt der Pol P der Koppel AB im Unendlichen, d. h. alle Verschiebungsvektoren von Koppelpunkten stehen senkrecht zu den Lenkern. Der Krümmungsmittelpunkt C0 der Koppelmitte C liegt ebenfalls im Unendlichen, wie sich z.B. zeichnerisch durch Anwendung des Verfahrens von Bobillier leicht nachprüfen lässt (vgl. Kap. 3, Bild 3.2b; den unendlich klein gewordenen Winkeln G aus Bild 3.2b entsprechen hier die Strecken e). In Symmetrielagen von Mechanismen entstehen Krümmungsradien, welche die Bahnkurve besonders gut annähern; Punkt C wird daher über einen weiten Bereich hinweg nahezu geradlinig geführt. Seine Bahn a ist strichpunktiert eingezeichnet. In ausgelenkter Stellung des Getriebes kehrt der Momentanpol ins Endliche zurück (Lage Pc) , die Koppel dreht sich beim Auf- und Abbewegen, die Geradführung der Koppelmitte C bleibt aber noch immer gut erhalten, da Pc etwa in gleicher Höhe liegt wie C c . Die Analogie zwischen dem Wattgestänge und der Gleitsteinführung stellen die Bilder 7.14b bzw. 7.14c her: dem fahrzeugfesten Führungsschlitz entspricht die Lagerung der Lenker am Fahrzeugkörper (häufigste Anwendung im Fahrzeugbau), dem achsfesten die Lagerung der Koppel am Fahrzeugkörper. Neben der Anordnung in einer vertikalen Ebene (Bild 7.14d) wurde das Wattgestänge auch schon waagerecht verlegt (e), es bleibt dann beim Einoder Ausfedern nicht mehr eben. Beim Antiparallelkurbelgetriebe mit ungleich langen Lenkern liegt der Koppelpunkt C mit unendlich großem Krümmungsradius (d. h. mit momentaner Geradführung) außermittig und näher am längeren der beiden Lenker (f). Die Beeinflussung der Rollzentrumshöhe und –höhenänderung ist auch bei allgemeinen, lenkergeführten Starrachsaufhängungen in gewissem Umfange möglich. In Bild 7.15 sind einige Beispiele für kinematisch „exakte“ Starrachsführungen dargestellt, also Mechanismen mit zwei Freiheitsgraden. Die Schubkugel- oder Deichselachse (a), hier mit „Panhardstab“, kann Querkräfte nur am Deichselgelenk K1 und über den Panhardstab übertragen. Solange dieser etwa horizontal liegt, ist die Verbindungslinie der Deichselspitze K1 und des Schnittpunkts K 2 des Panhardstabs mit der Fahrzeugmittellängsebene, an der beliebige Querkräfte auftreten können, ohne ein Moment auf die Federung auszuüben, als Wank-Momentanachse mw anzusehen, welche die Querschnittsebene durch die Radaufstandspunkte im Rollzentrum RZ durchstößt. Ist der Panhardstab stärker geneigt, so ruft die Querkraft unabhängig von einem Wankwinkel eine Anhebung oder Absenkung des Fahrzeugkörpers hervor, der Panhardstab wirkt in ähnlicher Weise wie der Stab eines Hochspringers; dieser Vorgang hat nichts mit dem vorhin beschriebenen Aufstützeffekt zu tun, der aber zusätzlich zu erwarten ist, es sei denn, das fahrzeugseitige Lager des Pan-
7.3 Das Rollzentrum
193
hardstabes befindet sich in der Fahrzeugmitte, so dass die Rollzentrumshöhe sich mit dem Parallel-Einfederweg verändert. Die Achsführungen der Beispiele b bis d sind zur Fahrzeugmittelebene symmetrisch aufgebaut. Die resultierende Querkraft der beiden unteren Lenker muss im Schnittpunkt K1 ihrer Mittellinien, die der oberen in ihrem Schnittpunkt K 2 (bzw. der Spitze des Dreiecklenkers im Beispiel b) wirken. K1K 2 ist also die Wank-Momentanachse mw der Achsen, auf welcher das Rollzentrum RZ liegt [56]. Dieses wird im Beispiel b wegen seiner engen Nachbarschaft zur achsfesten Spitze des Dreiecklenkers seine Höhe über der Fahrbahn beim Federungsvorgang kaum ändern, die Neigung der Achse mw aber richtet sich etwa nach derjenigen der unteren Einzellenker. Im Beispiel c sind vier Lenker nach einer Seite der Achse hin orientiert, K1 und K 2 liegen beiderseits der Achse. Beim Einfedern wandert K1 abwärts, K 2 aber aufwärts, die Neigung von mw ändert sich stark, die Höhe des Rollzentrums RZ dagegen wenig. Die Verhältnisse kehren sich im Beispiel d um, wo die Lenker gegensinnig ausgerichtet sind; mw behält die Neigung gegenüber der Fahrbahnebene beim Durchfedern in etwa bei, das Rollzentrum RZ aber bewegt sich beim Einfedern des Fahrzeugkörpers schnell abwärts.– Die Neigung der Momentanachse mw ist von wesentlicher Bedeutung für das kinematische Eigenlenkverhalten, wie in Abschn. 7.5 gezeigt wird.
Bild 7.15. Das Rollzentrum bei verschiedenen Starrachsaufhängungen
194
7 Kurvenfahrt
Während das Zustandekommen des Aufstützeffekts bei Einzelradaufhängungen und Starrachsführungen, wie vorstehend gezeigt, anschaulich leicht zu erklären ist, ergeben sich bei Verbundaufhängungen größere Probleme, nicht nur wegen der Vielfalt ihrer kinematischen Variationsmöglichkeiten. Es ist natürlich zu erwarten, dass sich Mischeigenschaften einstellen je nach der Nähe der betreffenden Aufhängung zur Einzelrad- oder zur Starrachsführung. Im nachfolgenden Abschnitt wird ein einfacher Rechenansatz beschrieben, mit welchem grundsätzliche Untersuchungen zum querdynamischen Verhalten aller Bauarten von Radaufhängungen ermöglicht werden. Bei Starrachs- und Verbundaufhängungen ist, im Gegensatz zu den Einzelradaufhängungen, auch noch über die geometrische Anordnung der Federelemente eine gewisse Beeinflussung des Aufstützverhaltens gegeben. Während bei Einzelradaufhängungen stets eine auf den Radaufstandspunkt „reduzierte“ Federungskennlinie die installierten Federelemente in allen Situationen gleichwertig vertreten kann, gibt es bei Starrachsen und Verbundaufhängungen Unterschiede in der Wirkung der Tragfedern bei gleichsinniger bzw. gegensinniger Federungsbewegung (vgl. auch Kap. 5, Bild 5.25); ferner ist es für den Aufstützeffekt nicht gleichgültig, wie sich die Federn je nach ihrer Einbauposition bei einer Wankbewegung relativ zur Achse und zum Fahrzeugkörper verlagern. In Bild 7.16 ist zweimal die gleiche Starrachsführung dargestellt, wobei im Falle a die unteren und im Falle b die oberen Federlager in Höhe des Rollzentrums RZ angebracht sind. Ersichtlich neigen sich die Federn im Falle a etwa parallel mit dem Fahrzeugkörper, so dass sie eine Kraftkomponente in horizontaler Richtung (also der Richtung der Fliehkraft) entwickeln und dafür in vertikaler Richtung (der Richtung der Gewichtskraft) mit geringerer Steifigkeit wirksam sind. Im Beispiel b dagegen verändern sie ihre vertikale Ausrichtung gegenüber der Fahrbahn kaum.
Bild 7.16. Einbaulage der Federn an einer Starrachse und Stellung beim Wanken
7.3.3 Einfaches Modell zur Nachbildung der Radbewegung Wie bereits an der Verbundaufhängung von Bild 7.9 erkennbar, treten im allgemeinen Fall einer Aufhängung zweier Räder einer Achse zwei typische Bewegungsformen auf, die sich im Fahrbetrieb überlagern: einmal die
7.3 Das Rollzentrum
195
gleichsinnige (symmetrische) Ein- oder Ausfederung beider Räder mit den Geschwindigkeiten vA1p und vA2p , zum anderen die gegensinnige (antimetrische) Wankbewegung mit den Geschwindigkeiten vA1w und vA2w . Ähnliches gilt für Starrachsen (dort erfolgt die gleichsinnige Bewegung in rein vertikaler Richtung), während bei Einzelradaufhängungen beide Bewegungsformen zusammenfallen. Die Geschwindigkeitsvektoren der antimetrischen Bewegung stehen senkrecht auf den Polstrahlen vom Radaufstandspunkt A zum Rollzentrum RZ (Bilder 7.9 und 7.10) und haben, bereits abgesehen von den Vorzeichen, normalerweise nicht die gleichen Richtungen wie die Vektoren der symmetrischen Bewegung. Während ferner für die symmetrische Bewegung jedem Radaufstandspunkt eine eindeutige Bahnkurve im Fahrzeugquerschnitt zugeordnet werden kann, ergeben sich für die antimetrische Bewegung jeweils unterschiedliche Bahnkurven, abhängig vom Einfederungszustand der Achse, d. h. der (symmetrischen) Ausgangslage der Radaufstandspunkte auf der Bahnkurve der symmetrischen Bewegung. Bild 7.17 soll dies an zwei sehr unterschiedlich gestalteten Verbundaufhängungen deutlich machen. Über der jeweiligen Bewegungsbahn g p des linken Radaufstandspunktes für den symmetrischen Federungsvorgang sind verschiedene Bahnen g w für den antimetrischen Federungsvorgang eingezeichnet, und zwar neben der Wankbewegung aus der Normallage (Radaufstandspunkt An ) heraus noch je drei Bahnen für „eingefederte“ und „ausgefederte“ Ausgangslagen, z.B. Beladungszustände des Fahrzeugs.
Bild 7.17. Parallel- und Wank-Bewegungsbahnen der Radaufstandspunkte an zwei Verbundaufhängungen unterschiedlicher Bauart
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7 Kurvenfahrt
Ersichtlich sind bei beiden Achsbauarten die Bahnen g w stärker gegen die Vertikale geneigt als die Bahnen g p ; dies ist ja einer der Gründe für die Anwendung von Verbundaufhängungen, nämlich die Verwirklichung eines relativ hoch liegenden Rollzentrums mit zugleich geringer Spuränderung bei paralleler Federungsbewegung. Bei gleicher Betrachtungsweise würde eine Starrachse eine vertikale Gerade g p und Kreisbögen g w um Punkte in Fahrzeugmitte zeigen. Eine Einzelradaufhängung weist identische Bahnen g p g w auf. Diese Darstellungsform legt es nahe, einen einheitlichen Rechenansatz zur vergleichenden Untersuchung des querdynamischen Verhaltens von Einzelrad-, Starrachs- und Verbundaufhängungen zu erarbeiten. Mit der vereinfachenden Annahme, dass die Schräglauf-Seitenkräfte von erheblich größerer Bedeutung sind als die Sturz-Seitenkräfte, d. h. unter Vernachlässigung der Sturzänderung über dem Federweg bzw. dem Wankwinkel, wird die Beschreibung der Bahnen der Radaufstandspunkte beider Räder einer Achse für die grundsätzliche Betrachtung der Zusammenhänge bei der Kurvenfahrt ausreichen [63]. Die Grund-Bewegungsbahn g p beim parallelen Federungsvorgang möge durch eine Parabel beschrieben sein; mit der Ausgangskoordinate y0 des Radaufstandspunktes in Normallage kann sie folglich über dem Federweg s mit zwei Konstanten k1 und k2 nach der Gleichung yp y0 k1s k 2 s ² (7.16) berechnet werden, Bild 7.18. In Bild 7.18 sind zusätzlich zur „Normallage“ (Radaufstandspunkte A1n und A2n ) auch zwei unterschiedlich um s1 und s2 eingefederte Radaufstandspunkte A1 und A2 angedeutet; sie liegen auf spiegelbildlichen Bahnen g w , die von einer gemeinsamen Mittelstellung bzw. Ausgangslage beim mittleren Federweg sm ( s1 s2 ) / 2 (7.17) ausgehen. Die auf der gekrümmten Kurve g p als Grundlinie aufbauende Bahnkurve g w weist in ihrem Ursprungspunkt auf g p eine um den Winkel W w verdrehte Tangente t w gegenüber der Tangente von g p auf; dieser Winkel wird meistens über dem mittleren Federweg sm veränderlich sein, so dass die relative Steigung von g w gegenüber g p durch ein konstantes und ein federwegabhängiges Glied zu berücksichtigen ist. Ferner ist eine relative Krümmung der Kurve g w gegenüber der (bereits selbst gekrümmten) Kurve g p vorhanden, die sich über dem Federweg ebenfalls verändern kann. Untersuchungen an realistischen Verbundaufhängungen mit dem vorgeschlagenen Rechenansatz zeigten aber, dass die relative Krümmung im allgemeinen von untergeordneter Bedeutung ist, weshalb sie hier als konstant betrachtet und durch eine Parabel dargestellt werden soll. Mit dem antimetrischen Federweg
sa
( s2 s1 ) / 2
(7.18)
7.3 Das Rollzentrum
197
Bild 7.18. Rechenansatz zur Nachbildung der Parallel- und der Wankfederung
erhält daher die auf die Grundkurve g p der Parallelbewegung bezogene, von der Mittelstellung sm nach Gl. 7.17 ausgehende Wankbewegungsbahn g w die Form
yw
r ( k3 k 4 sm ) sa r k5 sa2 .
(7.19)
In den Gln. 7.16 und 7.19 sind die Konstanten k 2 bzw. k5 positiv angesetzt, was zur Fahrzeugaußenseite hin gerichteten Krümmungsradien der Bahnkurven g p bzw. g w entspricht, wie in Bild 7.18 dargestellt. In der Realität sind diese Bahnkurven meistens zur Fahrzeuginnenseite hin gekrümmt, vgl. auch Bild 7.17, und dementsprechend die ebenerwähnten Konstanten negativ. Aus den Gln. 7.16 und 7.19 folgt für die resultierenden Bahnkurven des linken, weniger weit eingefederten oder „kurveninneren“ Radaufstandspunktes A1 sowie des rechten oder „kurvenäußeren“ Aufstandspunktes A2
y1
y0 k1s1 k 2 s12 (k3 k 4 sm ) sa k5 sa2 ,
(7.20)
y2
y0 k1s2 k 2 s22 (k3 k 4 sm ) sa k5 sa2 .
(7.21)
Da eine Einzelradaufhängung durch eine einzige, für die Parallel- wie für die Wankbewegung gültige Bahnkurve beschrieben wird, genügt für diese die Gl. 7.16, d. h. bei der Einzelradaufhängung sind die Koeffizienten k3 bis k5 gleich Null. Eine Starrachse zeigt demgegenüber keine Spuränderung bei paralleler Einfederung, hier sind die Koeffizienten k1 und k2 gleich Null. Nur bei einer Verbundaufhängung sind im allgemeinen Fall alle fünf Koeffizienten von Null verschieden. Bei dem vereinfachten Rechenmodell ist die Radführungsgeometrie auf die Bewegungsbahnen der beiden Radaufstandspunkte reduziert. Folglich muss auch angenommen werden, dass die Federelemente unmittelbar an
198
7 Kurvenfahrt
den Radaufstandspunkten angreifen und parallel zur Fahrzeugmittelebene stehen. Sonderfälle der Federanordnungen an Starrachsen oder Verbundaufhängungen, wie in Bild 7.16 gezeigt, können nicht berücksichtigt werden, und Untersuchungen an diesen Radführungs-Bauarten werden daher typische Erscheinungen des Wankverhaltens evtl. nur in sehr guter Annäherung beschreiben. Das Modell nach Bild 7.18 ermöglicht – mit den ebenerwähnten Einschränkungen – die Analyse der wichtigsten querdynamischen Eigenschaften von Einzelrad-, Starrachs- und Verbundaufhängungen mit einem einheitlichen Gleichungssystem. Die Koeffizienten k1 bis k5 sind durch die kinematischen „Kenngrößen“ der Radaufhängungen definiert: Die Rollzentrumshöhe ist, wenn zur Vereinfachung der Berechnungen die relativ zur Fahrzeugbreite geringe Spuränderung über dem Federweg (die Änderung der Koordinate y des Radaufstandspunktes) vernachlässigt wird,
hRZ ( s) | y0 (k1 2k 2 s k3 k4 s), und die Änderung der Rollzentrumshöhe beim parallelen Ein- und Ausfedern wird
d hRZ / ds | y0 (2k 2 k 4 ). Der örtliche Krümmungsradius der resultierenden Bahnkurve g p g w ist
U k 2 2k5 ) und beträgt bei einer Starrachse etwa die Hälfte der Spurweite.
7.4 Die Fahrzeuglage bei stationärer Kurvenfahrt Unter Anwendung des in Abschn. 7.3.3 beschriebenen Rechenansatzes sollen im folgenden die Wirkungen verschiedener konstruktiver Maßnahmen und die Einflüsse einiger wichtiger Auslegungsparameter auf die Stellung des Fahrzeugkörpers bei stationärer Kurvenfahrt untersucht werden [63]. Um die Eigenschaften der betrachteten Radführungen möglichst unverfälscht herausarbeiten zu können, möge wieder wie bereits im Abschn. 7.3 angenommen werden, dass entweder beide Fahrzeugachsen identisch sind oder dass es sich um einen Einachsanhänger mit unendlich langer Deichsel handelt. Am realen Fahrzeug werden in der Regel vorn und hinten unterschiedliche Bauarten von Radaufhängungen angewandt, und erst recht ist die Federungsabstimmung ungleich: mit Rücksicht auf das Nickverhalten wird zumindest bei PKW vorn eine niedrigere Hubeigenfrequenz gewählt als hinten, während zur Sicherung eines untersteuernden Fahrverhaltens die vordere Wankfederrate deutlich über der hinteren liegt. Diese Maß-
7.4 Die Fahrzeuglage bei stationärer Kurvenfahrt
199
nahmen beeinflussen natürlich das Wank- und Aufstützverhalten der beiden Achsen wechselseitig: die Achse mit der höheren Wanksteifigkeit „hilft“ der anderen bei der Aufnahme des Wankmoments, lässt sie aber bei der Abstützung der äußeren Vertikal- und Querkräfte allein. Die Kräftepläne an den Radaufstandspunkten z.B. der Achsen in Bild 7.11 oder 7.12 sind dann insofern nicht korrekt, als die Federkraftanteile 'FFRa,i nicht allein auftreten, bzw. als das Kippmoment, welches die Achse auffangen muss, nicht mehr dem Produkt aus der anteiligen Fahrzeug-Massenkraft und der Schwerpunktshöhe entspricht. Vernachlässigt werden ferner, da im einfachen Rechenmodell nach Abschn. 7.3.3 der Radsturz nicht vorkommt, Sturzseitenkräfte der Reifen. Des weiteren wird vorausgesetzt, dass keine Vorspurwinkel auftreten, denn diese sind in Grenzen frei wählbar und nicht achstypisch. Schließlich wird auch keine Rücksicht auf Längskräfte wie Antriebs- oder Bremskräfte genommen, die bekanntlich ebenfalls die Schräglaufwinkel der Reifen beeinflussen (vgl. Kap. 4). Die Normal-Achslast ist bei Vernachlässigung der „ungefederten“ Massen gleich der doppelten Federkraft in Normallage. In dem Rechenbeispiel wird mit einer linearen Federung gearbeitet, um den Einfluss der Radaufhängung möglichst unverfälscht zu zeigen. Die Daten des Fahrzeugmodells sind: Achslast: Spurweite in Normallage: Schwerpunktshöhe: Reifenradius Radbezogene Federrate
8000 N 1500 mm 550 mm 300 mm 23 N/mm
Für den Reifen wurde ein wirklichkeitsnahes Kennfeld zugrunde gelegt, wobei die Schräglauf-Seitenkraft bei einem Reibwert von P in Normallage über dem Schräglaufwinkel degressiv anwächst und bei einem Grenz-Schräglaufwinkel von 10° ihr Maximum von 3600 N erreicht. Für unterschiedliche Radlasten verschiebt sich der Grenz-Schräglaufwinkel nach einem quadratischen Gesetz, und die Maximal-Seitenkraft nimmt mit der Radlast nach einem degressiven Gesetz zu [63]. Bild 7.19 zeigt die Veränderung der Fahrzeugstellung und der wirksamen Kräfte über der Querbeschleunigung aq für das Modellfahrzeug mit einer Einzelradaufhängung, deren Nenn-Rollzentrumshöhe in Normallage h RZ 150 mm beträgt und über dem Federweg konstant bleiben soll (d. h. es gilt d h RZ / d s 0). Ausgehend von der statischen Radlast (und, wegen der Vernachlässigung der ungefederten Massen, zugleich der Federkraft) FR 4000 N wächst bzw. fällt die kurvenäußere bzw. kurveninnere Radlast etwa linear.
200
7 Kurvenfahrt
Bild 7.19. Fahrzeuglage und Kräfte über der Querbeschleunigung (Einzelradaufhängung)
Da auf diese Weise das Seitenführungsvermögen des kurvenäußeren Rades mit der Querbeschleunigung aq erhöht und das des kurveninneren verringert wird, steigt die kurvenäußere Seitenkraft Fqa über aq progressiv an, während die kurveninnere Seitenkraft Fqi zunächst degressiv wächst und schließlich wieder abnimmt. Die Radlasten FR und die Seitenkräfte Fq sind hier auf die Fahrbahnebene bzw. deren Normale bezogen und daher nicht mit den Vertikal- und Querkräften Fz und Fy im Fahrzeug-Koordinatensystem zu verwechseln. Während der Wankwinkel M über aq etwa linear zunimmt, ist beim Schräglaufwinkel D deutlich eine Progression zu erkennen, die mit der
7.4 Die Fahrzeuglage bei stationärer Kurvenfahrt
201
degressiven Abhängigkeit der Seitenkraft sowohl vom Schräglaufwinkel als auch von der Radlast zu erklären ist (vgl. Kap. 4). Die dem Beispiel von Bild 7.19 zugrunde liegende Radaufhängung neigt zum Aufstützen, weil sich wegen der konstanten Rollzentrumshöhe die effektiven Führungsbahnen der Radaufstandspunkte im Fahrzeugquerschnitt wie in Bild 7.11 gegenüber der Fahrbahnebene derart neigen, dass die kurvenäußere Seitenkraft einen zunehmenden Beitrag zur Abstützung des Fahrzeuggewichts leistet. Dies äußert sich in einem stark degressiven Verlauf des Einfederwegs s a am kurvenäußeren Rade. Die Anhebung ' h des Fahrzeugschwerpunkts bei Querbeschleunigung lässt sich, wie bereits anhand von Bild 7.12 angedeutet, durch eine veränderliche Rollzentrumshöhe mildern oder unterdrücken [60]. In Bild 7.20 ist der Einfluss der Rollzentrumshöhe h RZ in Konstruktionslage und der Höhenänderung d h RZ / d s auf die Höhenänderung ' h des Fahrzeugschwerpunkts für Einzelradaufhängungen in Form eines Kennfeldes dargestellt, und zwar für eine Querbeschleunigung aq 7 m/s². Wie anschaulich auf Grund der Bilder 7.11 und 7.12 zu erwarten, ist die Neigung zum Aufstützen um so größer, je höher das Rollzentrum in der Ausgangslage über der Fahrbahn angeordnet ist; entsprechend größer muss dann auch die Rollzentrums-Höhenänderung gewählt werden, um den Aufstützeffekt zu vermeiden.
Bild 7.20. Einzelradaufhängungen; Aufstützeffekt in Abhängigkeit von der Rollzentrumshöhe und -höhenänderung
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7 Kurvenfahrt
Einzelradaufhängungen mit Rollzentrumshöhen um 250–300 mm in Konstruktionslage werden heute bei PKW nicht mehr verwendet. Die verschiedenen Varianten der Pendelachsen gehörten zu dieser Gruppe; die Rollzentrums-Höhenänderung der „Eingelenk-Pendelachse“ mit in Fahrzeugmitte zusammenfallenden Drehpunkten der beiden Pendel ist d h RZ / d s 1, die der normalen Zweigelenk-Pendelachsen liegt um –1,1 bis –1,2. Gemäß Bild 7.20 ist also für Pendelachsen eine Fahrzeuganhebung ' h um ca. 25–30 mm bei 7 m/s² Querbeschleunigung zu erwarten (bereits bei linearer Federung!). Aber auch die reine Längslenker-Achse, welche häufig als Hinterachse an Fahrzeugen mit Frontantrieb verwendet wird, mit ihren Parametern h RZ 0 und d h RZ / d s 0 stützt das Fahrzeug um ca. 13 mm auf. Mit einer realistischen, im Einfederungsast progressiven Federung werden diese Beträge noch größer ausfallen. Dass der Aufstützeffekt allgemein gern mit der Pendelachse in Verbindung gebracht wurde, ist der Tatsache zuzuschreiben, dass bei dieser ein über dem Wankwinkel zunächst entstehender sehr günstiger „negativer“ Radsturz relativ zur Fahrbahn zuletzt im Bereich hoher Querbeschleunigungen infolge des starken Aufstützens ziemlich rasch in einen „positiven“ Sturz übergeht, so dass die Seitenführungsfähigkeit des kurvenäußeren Rades in der Nähe der Kraftschlußgrenze, also im fahrdynamischen Grenzbereich, rapide abnimmt. Bei den Längslenker-Achsen dagegen neigen sich beide Räder gemeinsam mit dem Fahrzeugkörper zur Kurvenaußenseite und stellen sich so kontinuierlich in positiven Sturz relativ zur Fahrbahn. Damit ist zwar von den Längslenker-Achsen kein hohes Seitenführungspotential zu erwarten, aber der Übergang in den Grenzbereich erfolgt stetig und bleibt so vorhersehbar und beherrschbar. Doppelquerlenkerachsen werden heute im allgemeinen auf Rollzentrumshöhen zwischen ca. 0 und 150 mm ausgelegt; die Höhenänderung des Rollzentrums über dem Federweg wird um –1 bis –2 gewählt. Feder- oder Dämpferbeinachsen erhalten als Vorderachsen, und besonders bei Zahnstangenlenkung mit Rücksicht auf die meistens sehr kurzen Spurstangen, auch entsprechend kurze Querlenker, und da der „obere Querlenker“ gewissermaßen unendlich lang ist, ergeben sich Höhenänderungen des Rollzentrums über dem Federweg in der Größenordnung dhRZ / ds = –2,5 bis –3,5. Feder- oder Dämpferbein-Vorderachsen mit diesen Eigenschaften würden also bei Kurvenfahrt zu einem „Eintauchen“ des Vorderwagens führen, wenn nicht die in praxi vorhandene Zusatzfeder am kurvenäußeren Rade die Einfederung desselben begrenzen würde. Stabilisatoren erhöhen die Wankfederrate, ohne die Tragfederrate zu beeinflussen. Die Wirkung von Stabilisatorfedern auf die Stellung des Modellfahrzeugs bei stationärer Kurvenfahrt wird in Bild 7.21 anhand von zwei Radführungen mit gleicher Rollzentrums-Nennhöhe, aber unterschiedlichen Höhenänderungen desselben über dem parallelen Ein- bzw. Ausfederweg und bei einer Querbeschleunigung von 7 m/s² untersucht.
7.4 Die Fahrzeuglage bei stationärer Kurvenfahrt
203
Bild 7.21. Einfluss von Stabilisatoren auf die Fahrzeuglage
Die Radaufhängung mit konstanter Rollzentrumshöhe d h RZ / d s 0 zeigt eine Milderung des Aufstützeffekts mit wachsendem Verhältnis cS / cF der Stabilisator- und der Tragfederrate. Der Stabilisator verringert den Wankwinkel und verzögert damit die ungünstige Winkeländerung der Führungsbahnen der Radaufstandspunkte gegenüber der Fahrbahn, wie sie für derartige Achsen typisch ist und zum Aufstützen führt (vgl. Bild 7.11). Übliche Stabilisatorraten an Vorderrädern von PKW erreichen durchaus 50% und mehr der Tragfederrate. „Aktive“ Federungssysteme, die nur den Wankwinkel und nicht die Höhenlage des Fahrzeugkörpers ausregeln, kann man sich in Bild 7.21 durch die sehr hohen Stabilisatorraten cS 10cF und darüber (rechts im Diagramm) vertreten denken. Ein merklicher Wankwinkel tritt hier kaum noch auf, so dass die Hubbewegung des Fahrzeugkörpers bei Querbeschleunigung um so stärker auffällt. Die Radaufhängung mit der Rollzentrums-Höhenänderung dhRZ / ds = –1,8 soll nach Bild 7.20 den Aufstützeffekt völlig unterdrücken und verhält sich mit wachsender Stabilisatorrate genau umgekehrt: je größer diese wird, desto stärker hebt sich der Fahrzeugschwerpunkt an. Der Stabilisator verringert den Wankwinkel und damit die Federwege an beiden Rädern und nimmt so der Radaufhängung die Möglichkeit, die Führungsbahnen ihrer Radaufstandspunkte relativ zur Fahrbahn optimal auszurichten, vgl. Bild 7.12, und so die aufstützenden Komponenten der Reifen-Seitenkräfte abzubauen. Da bei sehr hohen Stabilisatorraten kaum noch ein Wankwinkel auftritt, spielt dort auch die Rollzentrums-Höhenänderung nur noch eine unterge-
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7 Kurvenfahrt
ordnete Rolle, und die Hubbewegung des Fahrzeugkörpers ist im wesentlichen von der Rollzentrumshöhe abhängig. Deshalb nähern sich beide Radaufhängungen in Bild 7.21 bei hohen Stabilisatorraten in ihrem Verhalten zunehmend einander an. Eine Ausgleichsfeder unterstützt die Tragfeder bei der Aufnahme des Fahrzeuggewichts und bleibt für die Wankfederrate wirkungslos; sie ist das Gegenstück zur Stabilisatorfeder. Dementsprechend ist auch das Verhalten des Fahrzeugs bei stationärer Kurvenfahrt zu erwarten: die Einzelradaufhängung mit der konstanten Rollzentrumshöhe wird einen verstärkten Aufstützeffekt zeigen, die Aufhängung mit der „idealen“ Rollzentrumsänderung dh RZ / d s 1,8 dagegen den Fahrzeugkörper mit wachsender Querbeschleunigung absenken (wohlgemerkt: eine lineare Federkennlinie vorausgesetzt). Die Starrachse überträgt die Seitenkräfte beider Räder in ihrer Gesamtsumme auf den Fahrzeugkörper und ist damit vom Reifenkennfeld unabhängig. Als Einflussgrößen auf das Wankverhalten kommen damit nur die Rollzentrumshöhe (bzw. der Abstand Rollzentrum-Schwerpunkt), die Rollzentrums-Höhenänderung und die Federung in Frage. Bild 7.22 zeigt die Schwerpunktsanhebung ' h für Starrachsen mit verschiedenen Rollzentrumshöhen über der Rollzentrums-Höhenänderung bei einer Querbeschleunigung von 7 m/s². Im Gegensatz zu den Einzelradaufhängungen ist der Aufstützeffekt bei den Starrachsen um so geringer, je höher (bei gegebener Schwerpunktshöhe) das Rollzentrum liegt. Der Abstand Schwerpunkt-Rollzentrum bestimmt zusammen mit der Federung den Wankwinkel und damit die Schrägstellung der „Führungsbahn“ zwischen Achse und Fahrzeugkörper (vgl. Bild 7.13). Der sehr kleine Wankwinkel bei einem hohen Rollzentrum (z. B. hRZ 400 mm) macht das Fahrzeug gegenüber den nur noch sehr geringen Neigungsänderungen der Führungsbahn unempfindlich. Der Aufstützeffekt wird bei Starrachsen offensichtlich weitgehend vermieden, wenn sich die Höhenänderung des Rollzentrums etwa zwischen d h RZ –0,75 und –1 bewegt (wieder: für eine lineare Federung). Die Rechenergebnisse zu Bild 7.22 entstanden, dem vereinfachten Fahrzeugmodell entsprechend, unter der Annahme von parallel zur Fahrzeugmittelebene wirksamen Federn; wie schon erwähnt, ist dies bei Einzelradaufhängungen stets erlaubt, trifft aber bei Starrachsführungen nicht immer zu (vgl. Bild 7.16). Wird die Kraftrichtung der Federelemente stets senkrecht zur Fahrbahnebene angenommen, so verschwindet die Schwerpunktsanhebung ' h über der Querbeschleunigung unabhängig von der Schwerpunktshöhe h und der Rollzentrumshöhe h RZ bei einer Rollzentrums-Höhenänderung d h RZ / d s 1. Verbundaufhängungen zeigen je nach Auslegung ein Verhalten, das zwischen dem der Einzelradaufhängungen und dem der Starrachsführungen liegt.
7.4 Die Fahrzeuglage bei stationärer Kurvenfahrt
205
Bild 7.22. Starrachsen: Einfluss der Rollzentrums-Höhenänderung
Für die den Starrachsen nahe stehende Verbundachse von Bild 7.17a wurden die in Bild 7.23 eingetragenen Konstanten k1 bis k5 zur Anwendung des Rechenansatzes nach Abschn. 7.3.3 ermittelt. Der Wankwinkel M verläuft über der Querbeschleunigung aq etwa linear, und die Achse verursacht bei linearer Federung trotz ihres hoch liegenden Rollzentrums eine, wenn auch nur geringfügige, Absenkung des Fahrzeugschwerpunkts mit wachsender Querbeschleunigung, was mit der merklichen Rollzentrums-Höhenänderung d h RZ / d s | 1,3 zu erklären ist.
Bild 7.23. Wankfederungsverhalten der Verbundaufhängung nach Bild 7.17a
Die Verbundachse nach Bild 7.17b ähnelt dagegen eher einer Einzelradaufhängung mit sehr langen Querlenkern. Für diese Aufhängung wurden die in Bild 7.24 eingetragenen Konstanten errechnet. Mit einer Rollzentrumshöhe von 186 mm und einer Höhenänderung desselben von –0,8 hebt bei hoher Querbeschleunigung das Fahrzeug etwas aus, aber deutlich weniger als eine Einzelradaufhängung mit gleichen Daten (vgl. Bild 7.20).
Bild 7.24. Wankfederungsverhalten der Verbundaufhängung nach Bild 7.17b
206
7 Kurvenfahrt
Bild 7.25. Einfache Verbund-Hinterradaufhängung und geometrische Beziehungen
Weite Verbreitung hat bei Fahrzeugen mit Vorderradantrieb eine Verbundachsfamilie gefunden, deren Mitglieder sich durch einen sehr einfachen Aufbau auszeichnen, und mit welcher die Verbundeigenschaften sich problemlos von der Einzelradaufhängung bis zur Starrachse (und darüber hinaus) darstellen lassen, Bild 7.25. Zwei starre Längsarme tragen die Radachsen und sind an ihren vorderen Enden gelenkig am Fahrzeugkörper gelagert. Ein Drehgelenk mit in Fahrzeugquerrichtung liegender Drehachse verbindet die beiden Längsarme. In der Praxis wird dieses Gelenk bevorzugt durch ein biegesteifes, aber torsionsweiches offenes Blechprofil ersetzt; dann verläuft die effektive Drehachse annähernd durch den Schubmittelpunkt des Profils. Das Drehgelenk zur Verbindung der beiden Längsarme kann auch als Drehschubgelenk ausgebildet sein; in diesem Falle entstehen bei der kinematischen Modellierung der Aufhängung keine Probleme mit dem Freiheitsgrad. In der Praxis, und besonders bei Ersatz durch das Torsionsprofil, ist es als „festes“ Drehgelenk anzusetzen, und dann verändert sich bei antimetrischer Federungsbewegung der Abstand der fahrzeugseitigen Lager, was durch Gummilager ermöglicht wird, die für die Geräuschdämmung und die Elasto-Kinematik dimensioniert werden. Für eine exakte kinematische Abbildung ist eine Bedingung zu formulieren, die eine spiegelbildlich gleich große Querbeweglichkeit der Längsarmlager sichert [74], was z.B. durch ein fiktives, beide Lager mit dem Fahrzeugkörper verbindendes „Wattgestänge“ (vgl. Bild 7.14) geschehen kann. Unter der vereinfachenden Annahme, dass die fahrzeugseitigen Anlenkpunkte der Längsarme etwa den gleichen Abstand voneinander haben wie die Radmitten und dass die Drehachse des Querprofils in der Ebene der Längsarmlager und der Radmitten liegt (wovon in der Praxis mit Rücksicht auf das kinematische Eigenlenkverhalten abgewichen wird), lässt sich die Geometrie des Rollzentrums in einfacher Weise darstellen: bei paralleler Federungsbewegung beider Räder dreht sich die gesamte Achse um die
7.4 Die Fahrzeuglage bei stationärer Kurvenfahrt
207
Verbindungslinie der Längsarmlager, die Momentanachse m p der Parallelfederung. Die Radaufstandspunkte verlassen dabei ihre Vertikallängsebenen nicht. Bei Wankbewegung muss der in Fahrzeugmitte liegende Punkt T des quer liegenden Drehgelenks (bzw. der Schubmittelpunkt des dieses vertretenden offenen Profils) aus Antimetriegründen in Ruhe bleiben, so dass die Wank-Momentanachsen mw der Räder durch ihre jeweiligen Längsarmlager und den Punkt T verlaufen. Die Wank-Momentanachse des linken Rades schneidet die vertikale Querschnittsebene durch die Radaufstandspunkte im „Querpol“ Q1 , der entsprechend der vorhin getroffenen vereinfachenden Annahme im Abstand R des Reifenradius über der Fahrbahnebene liegt. Die Verbindungslinie vom Pol Q1 zum Radaufstandspunkt A1 schneidet die Fahrzeugmittelebene im Rollzentrum RZ. Beim parallelen Ein- und Ausfedern um die Momentanachse mp bleibt Q1 in erster Näherung „achsfest“ und bewegt sich mit den Rädern auf und ab, und das gleiche gilt damit auch für das Rollzentrum. Die Rollzentrumshöhe ist also über dem Federweg konstant. Für eine vergleichende Prinzipuntersuchung verschiedener Varianten der Verbundaufhängung nach Bild 7.25 mit unterschiedlichen Rollzentrumshöhen h RZ, die durch Verschiebung der die Längsarme verbindenden Drehachse in Fahrtrichtung entstehen, berechnen sich die Konstanten k3 und k5 (die anderen Konstanten sind hier gleich Null) mit einer halben Spurweite von 750 mm und einem Reifenradius von 300 mm, wie in der folgenden Tabelle eingetragen:
hRZ ( mm) 0 50 100 200 300 400
k3 0 0,0667 0,1333 0,2667 0,4000 0,5333
k5 0 -0,00011 -0,00022 -0,00044 -0,00067 -0,00089
Bei Annahme einer linearen Federung zeigen alle Varianten eine mäßige Aufstützneigung; die Fahrzeuganhebung ist in Bild 7.26 für eine Querbeschleunigung von 7 m/s² dargestellt.
Bild 7.26. Aufstützeffekt an Verbundaufhängungen nach Bild 7.25
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7 Kurvenfahrt
Die Aufhängung mit der Rollzentrumshöhe Null ist eigentlich keine Verbundachse, sondern eine Einzelradaufhängung (= reine Längslenkerachse). Die Fahrzeuganhebung ' h stimmt daher mit derjenigen der Längslenker-Einzelradaufhängung überein (vgl. Bild 7.20). Für eine Rollzentrumshöhe von 300 mm (= Reifenradius) geht die Verbundaufhängung in den Sonderfall der Starrachse über, da hier der Punkt T und damit die Relativdrehachse der Längsarme in die Verbindungslinie der Radmitten zu liegen kommt. Man erhält daher die gleiche Fahrzeuganhebung wie bei der Starrachsaufhängung mit der Rollzentrums-Höhenänderung Null (vgl. Bild 7.22). Wird die Rollzentrumshöhe über 300 mm angenoben, so wird die Relativdrehachse der Längsarme hinter die Radmitten verschoben. Die Kinematik der Wankbewegung entspricht dann der einer „verkürzten“ oder „Zweigelenk“-Pendelachse, und die Räder neigen sich bei der Wankbewegung zur Kurveninnenseite. Da dieses Verhalten, im Gegensatz zur echten Pendelachse, bei der Verbundaufhängung auch durch einen Aufstützeffekt (der hier ohnehin sehr schwach ausgeprägt ist) nicht beeinflusst wird, stellt die Verbundaufhängung nach Bild 7.25 in der Variante mit hinter den Radmitten angeordnetem Querprofil einen „Kurvenleger“ dar, welcher ähnlich wie bei Motorrädern die Räder in „negativen“ Sturz bringt. Eine derartige Auslegung war an den Hinterachsen der Mercedes-Benz-Rennwagen der Jahre 1937–39 getroffen worden (vgl. Kap. 15, Bild 15.5). Berechnungen zum Aufstützeffekt an Verbundaufhängungen unterschiedlicher Art unter Verwendung des Ansatzes nach Abschn. 7.3.3 bestätigen, dass deren Eigenschaften, zumindest was das kinematische Verhalten bei querdynamischen Vorgängen betrifft, eine Mischung aus denen der Einzelrad- und der Starrachsführungen sind. Es sei abschließend noch einmal darauf hingewiesen, dass es sich bei den vorstehenden Untersuchungen um Studien an einem „Einachsmodell“ handelt, das zwar die typischen Eigenschaften der betroffenen Radaufhängungen zu demonstrieren erlaubt, aber die im realen Fahrzeug gegebene wechselseitige Beeinflussung der Vorder- und der Hinterachse unberücksichtigt lässt. Wegen der bereits erwähnten praktischen Zwänge bei der Achsabstimmung, besonders aber wegen der progressiven Federkennlinien, ist ein gewisser Aufstützeffekt offensichtlich nur in Ausnahmefällen völlig zu vermeiden. Die mit der Anhebung des Fahrzeugschwerpunktes einhergehende Vergrößerung des Rollmoments am Fahrzeug und damit der Radlastverlagerung ist dabei weniger von Bedeutung als die bei vielen Radaufhängungen gleichzeitig auftretende Sturzänderung (nämlich Verlust an „negativem“ Sturz), welche im fahrdynamischen Grenzbereich eine progressive Zunahme des Schräglaufwinkels zur Folge hat. Da die Ein- und Ausfederwege an der Radaufhängung aus verschiedenen Gründen begrenzt sind
7.4 Die Fahrzeuglage bei stationärer Kurvenfahrt
209
(Platzbedarf im Radhaus, Drehwinkel der Lenkerlager, Beugewinkel von Antriebs-Gelenkwellen), wird durch das Aufstützen des Fahrzeugs bei Kurvenfahrt der Ausfederanschlag des kurveninneren Rades vorzeitig erreicht, was zum Entlasten oder gar Abheben des Rades, also jedenfalls zu Unruhe im Fahrverhalten, und besonders bei angetriebenen Rädern zum Verlust der Traktion führt. Die meisten der in neuerer Zeit entwickelten Mehrlenker-Radaufhängungen lassen auf Grund ihrer geometrischen Auslegung erkennen, dass Wert darauf gelegt wurde, den Aufstützeffekt gering zu halten. Es wurde bereits mehrmals daran erinnert, dass die Bestimmung des Rollzentrums als einer kinematischen „Kenngröße“ der Radführung am starren Mechanismus mit steifen Lagerungen, also ohne Berücksichtigung der Lagerelastizitäten und der Reifenverformung zu erfolgen hat, wenn es seine Funktion im Rahmen der bisher angestellten Betrachtungen erfüllen soll. In Bild 7.27 ist schematisch ein Fahrzeug im Querschnitt bei hoher Querbeschleunigung dargestellt. Die Massenkraft m ay am Fahrzeugschwerpunkt SP erzwingt mit dem Hebelarm hc um das Rollzentrum ein Kippmoment am Fahrzeugkörper, das gegen die Rückstellmomente der (nicht dargestellten) Federelemente einen Wankwinkel M hervorruft.
Bild 7.27. Elastischer Querversatz des Fahrzeugs bei Querbeschleunigung
Die Querverschiebungen der Radaufstandspunkte an den Reifen unter den Seitenkräften FQa und FQi sind bei hoher Querbeschleunigung beträchtlich und erheblich größer als die an den Lagerungen der Radaufhängungen entstehenden elastischen Verformungen, so dass das Fahrzeug mitsamt seinen Radaufhängungen sich gegenüber den Radaufstandspunkten
210
7 Kurvenfahrt
um eine elastische Auslenkung e seitlich verschiebt. Damit dreht sich der Fahrzeugkörper effektiv um einen Punkt RZ . Dass dieser Punkt nicht, wie gelegentlich angenommen, als „Rollzentrum“ verwendet werden kann, zeigt schon die Tatsache, dass dann mit dem Hebelarm hc vom Schwerpunkt SP zum Punkt RZ ein Wankmoment an der Federung wirksam wäre, das im gezeichneten Beispiel einen nahezu doppelt so großen Wankwinkel hervorrufen müsste als bei einem Moment um das Rollzentrum RZ. Die dynamischen Radlaständerungen 'FRa,i werden durch die Schwerpunktsverlagerung um den Weg e geringfügig verändert und mit ihnen auch die Seitenkräfte, was aber bisher angestellten Betrachtungen nicht in Frage stellt. Präzise fahrdynamische Berechnungen mit Berücksichtigung der Reifeneigenschaften und der elastischen Verformungen des Radführungsmechanismus werden ohnehin heutzutage kaum mehr mit den in diesem Kapitel erarbeiteten kinematischen Kenngrößen durchgeführt, sondern mit Rechenprogrammen zur fein strukturierten Modellierung des Gesamtfahrzeugs.
7.5 Das kinematische Eigenlenkverhalten Das kinematische Eigenlenkverhalten eines Fahrzeugs hängt zum einen von den Lenkeigenschaften der Achsen und zum anderen vom Wankwinkel M und dem Radstand l ab. Bei Kurvenfahrt neigt sich der Fahrzeugkörper annähernd um die Verbindungslinie der Rollzentren RZ v und RZ h der Vorder- und der Hinterachse, die Rollachse r, mit dem Wankwinkel M . Dabei federn die kurveninneren bzw. kurvenäußeren Räder relativ zum Fahrzeugkörper aus bzw. ein und nehmen u. U. geänderte Lenkwinkel an. Dies ist in Bild 7.28 vereinfacht mit Hilfe von Starrachsen angedeutet, deren Wank-Momentanachsen mwv und mwh am Fahrzeugkörper um Winkel N v bzw. N h gegen die Rollachse r geneigt sind. Beim Wanken des Fahrzeugkörpers stellen sich die Wank-Momentanachsen, sofern ihre Winkel N gegen die Rollachse von Null verschieden sind, im Grundriss gegenüber der Projektion der Rollachse schräg, und die Mittellinien der Starrachsen müssen, da sie im Raum senkrecht zu den zugehörigen Momentanachsen stehen, auch im Grundriss senkrecht zu den Projektionen derselben erscheinen. Aus den Verdrehungen der Projektionen der Momentanachsen ergeben sich die Lenkwinkel der Achsen, die dem Wankwinkel und ihren Anstellwinkeln gegen die Rollachse proportional sind. Ein sehr anschauliches Beispiel für das dargestellte Fahrzeugmodell ist der bekannte lenkbare Rollschuh. – Ein positiver Lenkwinkel G an einer Hinterachse vergrößert in einer Linkskurve den gefahrenen Kurvenradius und wirkt demnach „untersteuernd“, ein positiver Lenkwinkel an einer Vorderachse dagegen „übersteuernd“.
7.5 Das kinematische Eigenlenkverhalten
211
Bild 7.28. Das kinematische Eigenlenkverhalten des Fahrzeugs (schematisch)
Der Winkel N zwischen der Rollachse r und einer Wank-Momentanachse mw möge positiv definiert sein, wenn die Rollachse, in Fahrtrichtung gesehen, über der Momentanachse ansteigt. Dann gilt für den kinematischen Eigenlenkwinkel der Achse [56] mit den Winkeln im Bogenmaß
G
N M.
(7.22)
Bild 7.29. Wank-Momentanachse und Rollzentrum an einer Vier-Lenker-Starrachse
An einer Starrachse mit ihrer im allgemeinen zur Fahrzeugmittelebene symmetrischen Aufhängung ist die Wank-Momentanachse leicht zu erkennen: Die Vier-Lenker-Führung in Bild 7.29 kann Seitenkräfte nur an den Schnittpunkten Pv und Ph der unteren bzw. oberen Stablenker auf den Fahrzeugkörper übertragen, so dass auf der Verbindungslinie beider das
212
7 Kurvenfahrt
Rollzentrum RZ liegen muss. Ebenso kann die Achse momentan relativ zum Fahrzeugkörper nur um die Linie Pv Ph zwangsfrei schwenken, und diese ist daher die Wank-Momentanachse mw (vgl. auch Bild 7.15). Auch an Einzelrad- und Verbundaufhängungen ist es denkbar, eine Kenngröße N zur Definition einer effektiven Wank-Momentanachse und damit des kinematischen Eigenlenkverhaltens zu berechnen; dies lohnt jedoch den Aufwand nicht, da ein solcher (ideeller) Winkel ohnehin über die bei der Wankbewegung entstehenden Lenkwinkel der einzelnen Räder bestimmt und rückgerechnet werden müsste. Sowohl beim gleichsinnigen als auch beim gegensinnigen Ein- und Ausfedern der Räder können bei allen Radaufhängungen Lenkwinkel auftreten, d. h. Schwenkbewegungen der Projektionen der Radachsen gegenüber der Fahrzeuglängsachse im Grundriss. Der resultierende Lenkwinkel einer Achse im fahrzeugfesten Koordinatensystem ist der Mittelwert der Lenkwinkel beider Räder, Bild 7.30:
G res
(G G ) / 2.
(7.23)
Ist G z G , so besitzt jedes Rad einen effektiven Vorspurwinkel G v,eff gegenüber dem Lenkwinkel G res . Entsprechend der gebräuchlichen Definition der Vorzeichen ist der Vorspurwinkel positiv, wenn die Radmittelebenen nach vorn hin aufeinander zulaufen. Daher sind positive Vorspurwinkel an den linken Fahrzeugrädern mit negativen Lenkwinkeln gleichzusetzen. Erhält das linke Rad einer Achse den Index 1 und das rechte den Index 2, so ergibt sich als effektiver Vorspurwinkel je Rad:
G v,eff
(G G ) / 2.
(7.24)
Bild 7.30. Vorspurwinkel und resultierender Lenkwinkel
Der Vorspurwinkel ändert sich meistens mit dem Radhub. Bild 7.31 zeigt den Verlauf der Vorspur G v über dem Radhub s an einer maßstäblich dargestellten ebenen Doppelquerlenkerachse, welche aus zwei Dreiecklen-
7.5 Das kinematische Eigenlenkverhalten
213
kern mit horizontal und in Fahrtrichtung angeordneten Drehachsen und einem hinter der Achse liegenden Stablenker (bei einer Vorderachse z.B. der Spurstange) besteht. Der innere Anlenkpunkt des Stablenkers ist in der Ausgangsposition „0“ so festgelegt, dass die Vorspurkurve über dem Radhub in Konstruktionslage eine vertikale Tangente hat, d. h. dass die momentane Vorspuränderung über dem Radhub gleich Null ist. Gegen Ende des Ein- bzw. Ausfederweges ergibt sich allerdings eine zunehmende Abweichung von der Auslegungs-Vorspur, und zwar beim Einfedern zu positiven und beim Ausfedern zu negativen Vorspurwerten hin; die Kurve des Vorspurwinkels über dem Radhub weist einen „S-Schlag“ auf. Dies ist typisch für normale Mehrlenkeraufhängungen. Die „Koppelkurven“ der mit der Koppel eines Mechanismus, im Falle einer Radaufhängung also dem Radträger K, verbundenen Punkte wie hier des äußeren Stablenkerlagers haben, von seltenen Symmetrielagen des Mechanismus abgesehen, im allgemeinen „dreipunktig berührende“ Krümmungsradien, welche also die reale Bahnkurve durchsetzen. Da das äußere Stablenkerlager nur eine feste Kreisbahn um das innere beschreiben kann, die im Falle der Position „0“ mit dem BahnKrümmungsradius in Konstruktionslage zusammenfällt, sind mit wachsendem Radhub Abweichungen der von der Koppelbewegung vorgegebenen Bahnkurve vom Krümmungskreis und damit Lenkwinkel unvermeidlich. Fehlerhafte oder ggf. auch gewollte Positionsabweichungen von Lenkerlagern verstimmen den Mechanismus und wirken auf die Vorspurkurve.
Bild 7.31. Die Vorspuränderung über dem Federweg bei einer Doppelquerlenkerachse (Rückansicht und Draufsicht)
214
7 Kurvenfahrt
Eine Höhenverlagerung des inneren Stablenkerlagers um r 1 mm (Positionen 1 bzw. 2) führt bereits in der Konstruktionslage zu einer Richtungsänderung der Bahnkurve des äußeren Stablenkerlagers und so zu einem deutlich von Null verschiedenen Gradienten der Vorspur über dem Radhub. Die Kurven 1 und 2 behalten aber trotz der geänderten Neigung die Grundform der Basiskurve 0, nämlich den S-Schlag, bei. Wird dagegen die Länge des Stablenkers verändert, hier um r 10 mm (Positionen 3 und 4 des inneren Lenkerlagers), so bleibt zwar die Tangentenrichtung der Vorspurkurve in Konstruktionslage erhalten, aber deren Krümmung wird beeinflusst. Im Falle des verkürzten Lenkers (3) krümmt sich die Kurve zur „Nachspur“ hin; sie weicht aber stark von einem Kreisbogen ab, weil sich der S-Schlag der Basiskurve 0 noch immer durchsetzt. Entsprechend ergibt sich bei der Kurve 4 des verlängerten Stablenkers ein zur Vorspur hin gekrümmter Verlauf. Wenn der Stablenker im Gegensatz zu Bild 7.31 nicht hinter, sondern vor dem Rade angebracht wird, kehren sich die im Diagramm gezeigten Tendenzen um. Was soeben am inneren Lager des Stablenkers demonstriert wurde, gilt für jeden Lagerpunkt der Radaufhängung. Die Höhenverlagerung jedes Gelenks gegenüber der „Idealposition“ für die minimale Vorspuränderung über dem Radhub führt zu einer Änderung des Gradienten der Vorspurkurve und die Längenänderung jedes Lenkers zu einer Änderung ihrer Krümmung. Das bedeutet für die Praxis, dass besonders die Höhenpositionen aller Radführungsgelenke fertigungstechnisch sorgfältig kontrolliert werden müssen. Oft ist eine Vorspuränderung über dem Radhub zumindest in der Umgebung der Konstruktionslage und in Geradeausstellung unerwünscht. Aus Gl. 7.3 im Abschn. 7.1 folgt in der Geradeausstellung (G für eine gewünschte Lenkwinkelgeschwindigkeit ZG 0 :
ZKz / Z.y
tanJ ,
und dies bedeutet, dass die Projektion des Vektors Z K , welcher für den momentanen Bewegungszustand des Radträgers charakteristisch ist, in der Querschnittsebene des Fahrzeugs parallel zur Radachse erscheinen muss. Dieser Vektor zeigt in Richtung der Momentandreh- bzw. Momentanschraubenachse. An einer Radaufhängung hat die Vorspurkurve über dem Radhub stets dann eine vertikale Tangente, wenn die Radachse im Fahrzeugquerschnitt parallel zur Projektion der Momentanachse liegt [60]. Diese Feststellung ist für Mehrlenkerachsen, wo die Momentan(schrauben)achse nur durch ein Rechenprogramm ermittelt werden kann, von eher theoretischer Bedeutung; sie kann aber beim Entwurf von ebenen oder sphärischen Radaufhängungen mit ihren meistens leicht zu konstruierenden Momentanachsen sehr nützlich sein.
7.5 Das kinematische Eigenlenkverhalten
215
Bild 7.32. Vorspurkurven bei der Schräglenker-Achse
Besonders anschaulich ist der Zusammenhang zwischen dem Eigenlenkverhalten und der Relativlage der Rad- und der Momentanachse im Querschnitt an der Schräglenkerachse zu erkennen, welche eine fahrzeugfeste Drehachse aufweist, Bild 7.32. Die Drehachse fällt im dargestellten Beispiel zur Fahrzeugmitte hin um 1° ab. Daher ergibt sich bei einem negativen Radsturz von 1° in Konstruktionslage eine vertikale Tangente der Vorspurkurve, die momentane Vorspuränderung über dem Radhub ist Null. Beim Ein- und Ausfedern beschreibt die Radachse ein Drehhyperboloid (bzw. einen Kegel, wenn im Gegensatz zu Bild 7.32 die Radachse die Lenkerdrehachse schneidet), und da die Lenkerdrehachse fahrzeugfest liegen bleibt, kann es jeweils nur eine Radposition geben, wo die Radachse und die Lenkerdrehachse im Querschnitt des Fahrzeugs parallel erscheinen. Die Schräglenkerachse hat deshalb eine gekrümmte Vorspurkurve. Weicht der Radsturz in der Konstruktionslage von der Neigung der Lenker-Drehachse ab, so erhält die Vorspurkurve dort einen zur Vor- oder Nachspur tendierenden Gradienten. An lenkbaren Radaufhängungen kann stets durch die relative Anordnung der Spurstangen und der Achslenker wunschgemäß Einfluss auf die Vorspurkurve genommen werden, wie bereits anhand von Bild 7.31 mit der Variation der Lage des Stablenkers beschrieben. Sonderfälle lenkbarer Einzelradaufhängungen zeigt Bild 7.33. Die „Dubonnet-Achse“ (a) ist eine Einzelradaufhängung mit fahrgestellfestem „Achsschenkelbolzen“; die eigentliche Radaufhängung (hier eine Kurbel) befindet sich „außerhalb“ des Lenkmechanismus ähnlich wie bei Motorradgabeln, so dass sie beim Lenkvorgang mitgeschwenkt wird. Der Lenkmechanismus ist also vom Federungsvorgang nicht betroffen, weshalb eine durchgehende Spurstange wie bei Starrachsen verwendet werden kann.
216
7 Kurvenfahrt
Bild 7.33. Sonderfälle lenkbarer Einzelradaufhängungen
An der Teleskop-Geradführung (b) sind die Krümmungsradien aller Radträgerpunkte unendlich groß, so dass eine Vorspuränderung beim Parallelfedern nur umgangen werden kann, indem die Schubführungen parallel zueinander verlaufen und eine durchgehende Spurstange eingesetzt wird; wegen der endlichen Länge der zum Lenkgetriebe L führenden Lenkschubstange sind dann aber Lenkeinschläge beim parallelen Ein- und Ausfedern nicht vermeidbar (das Fahrzeug fährt in Schlangenlinien). Wird dagegen ein geteiltes Lenkgestänge mit einem mittig angeordneten Lenkhebel L’ (unterbrochene Linien) vorgesehen, so entstehen bei Parallelfederung mit vorn liegenden Spurstangen Vorspur- und mit hinten liegenden Nachspurwinkel, der resultierende Lenkwinkel bleibt gleich Null; bei gegensinnigem Radhub ergeben sich dann auf jeden Fall Lenkfehler. Eine Möglichkeit, Doppelquerlenkerachsen nahezu von der Lenkgeometrie unabhängig zu machen, besteht in der Umkehrung eines der Dreiecklenker (c), indem dessen Drehachse am Radträger und sein Führungsgelenk am Fahrgestell gelagert und das Spurstangengelenk statt am Radträger am Lenker, und in Höhe des Führungsgelenks angebracht wird.
Bild 7.34. Lenkeffekte beim Panhardstab
7.5 Das kinematische Eigenlenkverhalten
217
Starrachsen, bei denen die Radachsen fluchten, können keine Vorspurwinkel erzeugen. Bei nicht angetriebenen Starrachsen oder bei über Gelenkwellen angetriebenen De-Dion-Achsen (vgl. Kap. 6, Bild 6.11b) dagegen ist es möglich und üblich, am Achskörper selbst Vorspur- und Sturzwinkel für die beiden Räder vorzusehen; in diesem Falle können Vorspuränderungen und (vernachlässigbare) Sturzänderungen auch beim parallelen Federungsvorgang entstehen, wenn der Achskörper gleichzeitig um die Querachse schwenkt (z.B. wegen eines Anfahr- oder Bremsnickausgleichs mit einem „Längspol“ in kurzem Abstand von der Achse). An Starrachsen können zusätzliche Lenkeffekte auftreten, wenn sie seitlich durch einen Querlenker (Panhardstab) geführt werden. Dieser bringt eine Unsymmetrie in die Aufhängung ein, da sein achsseitiges Gelenk A beim Ein- und Ausfedern einen Kreisbogen beschreibt und den Achskörper seitlich versetzt, Bild 7.34. An der Deichsel- oder Schubkugelachse (a) ergeben sich daraus Lenkwinkel beim Parallelfedern der Räder, weshalb die Deichsel so lang als möglich sein sollte. Erfolgt die Längsführung durch Längslenker (b), so verursacht der Panhardstab relativ zum Fahrzeugkörper seitliche Parallelverschiebungen der Achse, die sich allerdings angesichts des endlich langen Radstands ebenfalls in einer Störung des Geradeauslaufs äußern. Dies lässt sich durch eine diagonale Anordnung des Panhardstabes vermeiden, Beispiel c, indem die Projektion seines fahrzeugseitigen Gelenks A0 in der Seitenansicht, wo die Längslenker als ebene Viergelenkkette erscheinen, in den Krümmungsmittelpunkt der Bahnkurve des achsseitigen Gelenks A beim Parallelfederungsvorgang gelegt wird. Unter Belastung durch Seitenkräfte erzeugt der Panhardstab nun jedoch eine Längskraftkomponente, die bei elastischer Lagerung der Lenker zu Lenkwinkeln führen wird, wenn das Gelenk A nicht, wie im Bild gezeichnet, in Fahrzeugmitte liegt. An der klassischen Starrachsführung mit Blattfedern, Bild 7.35, wirken diese im Fahrzeugquerschnitt wie vertikale Schubführungen, im Seitenriss aber wie Längslenker mit Lagern D und D0 an Achse und Fahrzeug.
Bild 7.35. Wank-Momentanachse der blattgefederten Starrachse
218
7 Kurvenfahrt
Das achsseitige Gelenk D kann in der Seitenansicht etwa in Höhe des oberen Federblattes und das fahrzeugseitige Gelenk D0 auf der Sehne der Feder etwa im Abstand von 7 9 der halben Federlänge angenommen werden (vgl. Kap. 5, Bild 5.29). Parallel zu D D0 verläuft ungefähr die WankMomentanachse mw , welche das Rollzentrum RZ bestimmt. Ist die Starrachse lenkbar, Bild 7.36a, so sollte die Lenkschubstange in der Seitenansicht deckungsgleich mit der Linie D D0 verlegt werden, und im Idealfall ebenso lang, wie in der Skizze dargestellt. Ihr achsseitiger Anlenkpunkt sollte mit dem Punkt zusammenfallen, um den sich der Achskörper unter Bremsmoment bzw. Antriebsmoment in der Federaufhängung verwindet (vgl. Kap. 5, Bild 5.31). Erfolgt die Seitenführung der Starrachse durch einen Querlenker oder Panhardstab 1, Bild 7.36b, so wird die Lenkschubstange 2 zweckmäßigerweise parallel zu diesem verlegt, wodurch sich zumindest in der Geradeausstellung der Lenkung eine einwandfreie Geometrie sowohl bei paralleler als auch antimetrischer Radbewegung ergibt, besonders da ein derartiger Querlenker im allgemeinen sehr steif gelagert wird. Eine räumliche Vier-Lenker-Achse, Beispiel c, erfordert zusätzliche Überlegungen bei der Gestaltung der Lenkgeometrie, da die Momentanachsen mp für die Parallel- und mw für die Wankbewegung normalerweise im Raum aneinander vorbeilaufen. Die Mittellinie der Lenkschubstange D D0 sollte sowohl mp als auch mw schneiden und in der Seitenansicht sollte D0c der Krümmungsmittelpunkt der Bahnkurve von Dc sein. Die gesamte Achse wird dann beim Wanken ein Eigenlenkverhalten zeigen, das im wesentlichen durch die Momenanachse mw bestimmt ist (vgl. auch Bild 7.29 und Gl. 7.22). Wenn dies nicht erwünscht ist, kann durch eine Lageänderung der Lenkschubstange ein korrigierender Lenkwinkel erzeugt werden; die Achse mw ist dann aber, was das Eigenlenken betrifft, nicht mehr Wank-Momentanachse der Räder, wenn sie auch in erster Näherung weiterhin für die Bestimmung des Rollzentrums RZ brauchbar bleibt. Wenn eine lenkbare starre Achse (oder auch jede andere Radaufhängung) zur Verbesserung des Komforts längselastisch aufgehängt wird, sind in Fahrtrichtung angeordnete Lenkstangen problematisch. Eine einwandfreie Übertragung der Lenkbewegung vom Lenkgetriebe zum Achsschenkel bzw. Radträger lässt sich aber mit Hilfe eines „schwimmend“ gelagerten Zwischenhebels ZH, Bild 7.36d, erreichen, der mit dem Achsschenkel durch eine zur Lenkschubstange 1 parallel verlegte Referenzstange 1c verbunden ist und vom Lenkgetriebe L aus durch ein aus einer zweiten Lenkschubstange 2 und einer zweiten Referenzstange 2c bestehendes Parallelogramm betätigt wird. Das Eigenlenkverhalten von Verbundaufhängungen kann, ähnlich wie bei Mehrlenker-Einzelradaufhängungen, im allgemeinen nur über ein Rechenprogramm untersucht werden, da die beiden Räder einer solchen Aufhängung unterschiedliche Lenk- bzw. Vorspurwinkel entwickeln können.
7.5 Das kinematische Eigenlenkverhalten
219
Bild 7.36. Lenkschubstangen bei Starrachsen
Eine Ausnahme machen die in Bild 7.25 bereits vorgestellten einfachen Hinterachsen. Deren Wank-Momentanachse mw ergibt sich für jedes Rad aus dem zugehörigen Längslenkerlager L am Fahrgestell und dem Schnittpunkt M der Drehachse der Querverbindung mit der Fahrzeug-Mittellängsebene, Bild 7.37. Bei der üblichen Ausführung mit offenem Blechprofil liegt die Drehachse in dessen Schubmittelpunkt T. Die Querverbindung kann an der Radaufhängung in Fahrtrichtung beliebig nach vorn oder hinten verlegt werden, auch ihre Höhe relativ zu den Anlenkpunkten L ist – wenn es die Raumverhältnisse im Fahrzeug erlauben – frei wählbar. Also kann die Lage des Punktes M und damit der Momentanachse mw in weitem Bereich festgelegt werden, folglich auch ihre Stellung relativ zur Radachse im Fahrzeugquerschnitt und damit die Neigung der Wank-Vorspurkurve über dem Radhub.
Bild 7.37. Momentanachsen an der Koppellenker-Verbundachse
220
7 Kurvenfahrt
Der Schnittpunkt Qw der Wank-Momenanachse mw mit der Querschnittsebene durch die Radaufstandspunkte ist der „Querpol“ des zugehörigen Rades; um diesen kippt das Rad beim Wankfedern, er ist also maßgebend für die Radsturzänderung beim Wanken. Die Momentanachse mp für die Parallelfederung beider Räder verläuft quer zur Fahrtrichtung durch die Längsarmlager L und bestimmt, wie in den Kap. 5 und 6 beschrieben, den Schrägfederungswinkel und den Stützwinkel. Da das kinematische Eigenlenkverhalten der Rad- und Achsaufhängungen primär vom Radhub bzw. Federweg und nicht von äußeren Kräften abhängt, ist es falls möglich stets vorzuziehen, erwünschte Vorspur- oder Lenkeffekte für die Lastfälle Bremsung, Antrieb und Seitenkraft mittels elasto-kinematischer Maßnahmen herbeizuführen und nicht auf dem Wege über die Kinematik.
7.6 Fahrstabilität bei Zweispurfahrzeugen In Bild 7.38 ist ein Fahrzeug bei Kurvenfahrt in der Draufsicht vereinfacht dargestellt, indem beide Räder einer Achse zu einem fiktiven mittleren Rade zusammengefasst wurden („Einspurmodell“ [19]). Ein solches Modell kann für grundsätzliche fahrdynamische Überlegungen verwendet werden. In die Schräglaufwinkel des einzigen Vorder- und Hinterrades können durchaus die am realen Fahrzeug auftretenden Auswirkungen der Radlastveränderungen hineingerechnet werden. Der Einfluss der „Lenkfunktion“, nämlich der Zuordnung der Lenkwinkel des kurvenäußeren und des kurveninneren Vorderrades auf das Fahrverhalten ist mit dem Einspurmodell natürlich nicht erfassbar. Das Vorderrad ist um den mittleren Lenkwinkel G der realen Vorderräder eingeschlagen. Bei extrem langsamer Fahrt wird der Schnittpunkt M 0 der verlängerten Radachsen zugleich Kurvenmittelpunkt des Fahrzeugs sein. Unter Querbeschleunigung entstehen Seitenkräfte Fv und Fyh an Vorder- und Hinterachse, die für kleine Lenkwinkel G den statischen Achslasten proportional sind, also den Fahrzeugabmessungen und der Querbeschleunigung ay entsprechend die Größen Fv m ay (l lv ) / l und Fyh m aylv / l annehmen. Bei vereinfachender Annahme linearer Schräglauf-Seitenkraft-Gesetze mit Schräglaufkonstanten k v und kh stellen sich die Schräglaufwinkel D v Fv / k v und D h Fyh / k h ein, welche die tatsächlichen Fortbewegungsrichtungen der Radaufstandspunkte verändern. Der neue Kurvenradius ist
U | l /( G D v D h ). Für D v D h 0 (extrem langsame Fahrt) ist U Zentripetalbeschleunigung ay v ² / U ergibt sich
l / G Mit U und der
7.6 Fahrstabilität bei Zweispurfahrzeugen
221
Bild 7.38. Lenk- und Schräglaufwinkel bei Kurvenfahrt (Einspurmodell)
U U | 1 (m v ² / l ²){(l lv ) / k v lv / k h }.
(7.25)
Wenn U ! U ist, muss der Lenkwinkel G bei wachsender Querbeschleunigung ay vergrößert werden, um einen gewünschten Radius U zu fahren; das Fahrzeug ist „lenkunwillig“. Für U U muss dagegen der Lenkwinkel mit wachsender Querbeschleunigung zurückgenommen werden, das Fahrzeug ist „lenkwillig“. Ist U U , so verhält sich das Fahrzeug „neutral“, der einmal eingestellte Lenkwinkel G ergibt unabhängig von der Querbeschleunigung stets den gleichen Kurvenradius. Infolge der wachsenden Schräglaufwinkel verschiebt sich aber der Kurvenmittelpunkt M in allen Fällen nach vorn. Beim neutralen Fahrzeug ist D v D h , die Normalen der Bewegungsbahnen der Räder schneiden sich unter dem Lenkwinkel G und der geometrische Ort der neutralen Kurvenmittelpunkte M ist ein Kreis, dessen (nicht dargestelltes) Zentrum über dem Radstand l den Zentriwinkel 2G bildet. Außerhalb dieses Kreises liegen die Kurvenmittelpunkte des lenkunwilligen Fahrzeugs (D v ! D h ), innerhalb desselben die des lenkwilligen (D v D h ). Das lenkunwillige Fahrzeug wurde früher auch „untersteuernd“, das lenkwillige „übersteuernd“ genannt. Letzteres erreicht mit zunehmender Fahrgeschwindigkeit einen Zustand, wo es sich um die eigene Hochachse dreht ( U ), und aus Gl. 7.25 ergibt sich die „kritische“ Fahrgeschwindigkeit
vcr
l / m {lv / kh (l lv ) / k v }.
(7.26)
222
7 Kurvenfahrt
Das lenkwillige Fahrzeug verlangt oberhalb der kritischen Geschwindigkeit vom Fahrer ständige Lenkkorrekturen, da es sich nicht mehr von selbst stabilisieren kann. Die Gln. 7.25 und 7.26 berücksichtigen allerdings nur die zwischen Fahrzeug und Fahrbahn wirkenden Kräfte („Bodenstabilität“); unter dem Einfluss der aerodynamischen Kräfte wird im allgemeinen die Fahrstabilität und damit die kritische Geschwindigkeit erhöht. Das lenkunwillige Fahrzeug stabilisiert sich von selbst, indem es auf jede Störung mit einer Tendenz zur Rückkehr in die Geradeausfahrt reagiert. Die Gln. 7.25 und 7.26 sind für grundsätzliche Untersuchungen und das Verständnis der Zusammenhänge bei stationärer Kurvenfahrt gut brauchbar, die tatsächlichen Verhältnisse sind jedoch komplexer. So zeigt sich oft eine Veränderung der Fahrzeugparameter über der Fahrgeschwindigkeit, das gleiche Fahrzeug kann lenkunwillige und lenkwillige Bereiche aufweisen. Das Verhältnis U U wird deshalb heute nicht mehr zur Definition der Begriffe „Unter“- oder „Übersteuern“ verwendet. Stattdessen wird der Differentialquotient aus dem Lenkradwinkel G H und der Querbeschleunigung ay mit dem entsprechenden Quotienten des „neutralen“ Fahrzeugs verglichen. Für dieses gilt ay v ² / U v ²G l, also mit der Lenkübersetzung iS dG H / dG zwischen Lenkrad und Fahrzeugrad: dG H / d ay iS l / v ². Die Kennzahl
O dG H / d ay iS l / v ²
(7.27)
ist beim untersteuernden Fahrzustand > 0, beim neutralen = 0 und beim übersteuernden < 0 [71]. An schnellen Straßenfahrzeugen werden stets die Vorderräder gelenkt, Bild 7.39a. Mit wachsender Querbeschleunigung wird das untersteuernde Fahrzeug zuerst an den Vorderrädern, das übersteuernde zuerst an den Hinterrädern die Kraftschlußgrenze erreichen, d. h. der Schräglaufwinkel D v bzw. D h nimmt unkontrolliert zu. Dabei stabilisiert sich das untersteuernde Fahrzeug von selbst, weil bei der Zunahme des vorderen Schräglaufwinkels der Kurvenradius vergrößert und damit die Querbeschleunigung abgebaut wird. Das übersteuernde Fahrzeug muss dagegen vom Fahrer durch Zurücknahme des Lenkwinkels vom ursprünglichen Wert G auf G stabilisiert werden, um die Querbeschleunigung zu verringern; dabei nimmt aber auch der vordere Schräglaufwinkel von D auf D ab, so dass eine sehr große Korrektur des Lenkwinkels bis zum „Gegenlenken“ über die Geradeausstellung hinweg erforderlich werden kann, deren richtige Dosierung je nach Größe und Phasenlage Erfahrung voraussetzt. Das neutrale Fahrzeug kann sowohl vorn als auch hinten ausbrechen. Deshalb wird ein mäßig untersteuerndes Fahrverhalten angestrebt. Die Bestimmung der Fahrtrichtung durch Lenken der Hinterräder allein wäre schon bei langsamer Fahrt mit Erschwernissen verbunden, weil der Fahrer das ausschwenkende Fahrzeugheck nicht im Blick hat. Er müsste
7.6 Fahrstabilität bei Zweispurfahrzeugen
223
also mit erhöhter Aufmerksamkeit und Erfahrung lenken, um im Straßenverkehr keinen Schaden anzurichten. Hinzu kommen Stabilitätsprobleme bei schneller Fahrt, wie die folgenden Überlegungen zeigen: In Bild 7.39b ist ein Fahrzeug mit Hinterradlenkung schematisch dargestellt. Zunächst fällt der große „Schwimmwinkel“ E auf, um den sich die Fahrzeuglängsachse gegenüber der Fortbewegungsrichtung vS schräg stellt. Bei einem untersteuernden Fahrzeug wird im Grenzbereich zuerst der vordere Schräglaufwinkel D v unkontrolliert anwachsen, wobei zwar der Kurvenradius vergrößert und die Querbeschleunigung verringert, der Schwimmwinkel aber erhöht wird. Wenn der Fahrer auf diese Querbewegung des Fahrzeugs mit einer Zurücknahme des Lenkwinkels von G auf G reagiert, wächst der hintere Schräglaufwinkel um den Differenzbetrag der Lenkwinkel von D auf D , wodurch nun auch die Kraftschlußreserve an der Hinterachse knapper wird und evtl. aufgebraucht werden kann. Beim übersteuernden Fahrzeug wird die Kraftschlußgrenze zuerst an der Hinterachse erreicht, und in diesem Falle wäre eine Zurücknahme des Lenkwinkels sinnlos, weil damit der hintere Schräglaufwinkel weiter erhöht würde. Eine Vergrößerung des Lenkwinkels brächte nur einen kurzzeitigen Abbau des hinteren Schräglaufwinkels, aber einen kleineren Kurvenradius und damit eine weitere Zunahme der Querbeschleunigung. An Geländefahrzeugen, die zur Verbesserung der Wendigkeit mit einer Allradlenkung ausgerüstet sind, wird daher das hintere Lenkgestänge stillgelegt, sobald diese mit höherer Fahrgeschwindigkeit oder im Straßenverkehr betrieben werden.
Bild 7.39. Fahrstabilität bei Vorder- und Hinterradlenkung (Einspurmodell)
Von den instationären Betriebszuständen im Zusammenhang mit der Kurvenfahrt sind besonders der Lastwechsel in der Kurve und das Anlenken am Anfang derselben von Interesse. Unter dem „Lastwechsel“ versteht man den Übergang von einer stationären Kurvenfahrt mit einer Vortriebskraft Fx an den Antriebsrädern in
224
7 Kurvenfahrt
den Verzögerungszustand durch das Motorbremsmoment, welches an den Antriebsrädern eine Verzögerungskraft Fx 0 erzeugt. Bild 7.40a zeigt ein untersteuerndes Vierradfahrzeug z.B. mit Frontantrieb. Nach Zurücknahme des Fahrpedals kehrt sich die Richtung der Längskraft um, Bild 7.40b. Solange ausreichende Kraftschlußreserven vorhanden sind, wird durch den Wechsel der Umfangskraft am Rade allein kaum eine Änderung der Schräglaufwinkel verursacht (Bild 7.40c, vgl. auch Bild 4.4 in Kap. 4). Die gleichzeitige Verlagerung der Radlasten zur Vorderachse hin führt aber zu einer Verringerung der vorderen Schräglaufwinkel D v und Vergrößerung der hinteren Schräglaufwinkel D h , Bild 7.40d. Dadurch nimmt der Untersteuergrad ab, der Kurvenradius wird kleiner, das Fahrzeug „dreht ein“. Dem kann der Fahrer durch eine Zurücknahme des Lenkwinkels begegnen. Konstruktiv sind in engen Grenzen Möglichkeiten gegeben, um durch kinematische oder elasto-kinematische Eigenlenkreaktionen des Fahrzeugs während der Ein- bzw. Ausfederungsbewegung an der Vorder- bzw. der Hinterachse oder wegen der Längskraftumkehr Einfluss auf die Lastwechselreaktion zu nehmen, wobei es sich nur um Beträge von wenigen Winkelminuten handeln kann, wenn Beeinträchtigungen der Geradeauslauf-Stabilität vermieden werden sollen. In der Praxis zeigen sich keine wesentlichen Unterschiede zwischen vorder- und hinterradgetriebenen Fahrzeugen; letztere neigen allenfalls bei hohem Leistungseinsatz zu stärkerem Eindrehen, erstere reagieren dann besonders unwillig auf Lenkkorrekturen.
Bild 7.40. Der Lastwechselvorgang
Jede Kurvenfahrt beginnt mit einem instationären Vorgang, dem „Anlenken“, d. h. dem Aufbau eines Lenkwinkels G Die größten im Fahrbetrieb erreichten Lenkrad-Winkelgeschwindigkeiten dG H / dt liegen um 500°/s, weshalb messtechnische Untersuchungen etwa mit diesem Wert
7.6 Fahrstabilität bei Zweispurfahrzeugen
225
arbeiten [71]. Bei üblichen Lenkübersetzungen is dG H / dG um 20:1 entspricht dies einem Gradienten des Radeinschlagwinkels G von ca. 25°/s. Bild 7.41 zeigt im Diagramm den Verlauf des Lenkwinkels G der Seitenkräfte Fyv und Fyh an Vorder- und Hinterachse, der Querbeschleunigung ay und der Gierwinkelgeschwindigkeit \ über der Zeit t für einen Mittelklasse-Personenwagen mit untersteuernder Fahrwerksauslegung, wenn bei einer Fahrgeschwindigkeit von 100 km/h ein Lenkwinkel G q in 0,04 s linear aufgebaut wird. Nahezu proportional mit dem Lenkwinkel G wächst die vordere Seitenkraft Fyv , da der Lenkwinkel zunächst unmittelbar in einen vorderen Schräglaufwinkel umgesetzt wird, und damit wächst die Querbeschleunigung ay ebenfalls proportional an. Nach 0,04 s ist der Lenkwinkel G q erreicht, der vordere Schräglaufwinkel steigt nicht weiter an und wird durch die nun bereits vorhandene Gierwinkelgeschwindigkeit sogar kurzzeitig wieder reduziert, was einen Einbruch im Verlauf der vorderen Seitenkraft und der Querbeschleunigung zur Folge hat. Die Hinterachse kann Schräglaufwinkel erst aufbauen, wenn eine Schrägstellung der Radebenen gegenüber der Fahrtrichtung erfolgt ist, worauf die weitere Zunahme der Gierwinkelgeschwindigkeit gebremst und allmählich der stationäre Kurven-Fahrzustand erreicht wird. An dem Diagramm fällt auf, dass die hintere Seitenführungskraft Fyh während der ersten Hundertstel Sekunden ein negatives Vorzeichen hat, also den Aufbau der Seitenkraft zusätzlich verzögert. Die schematischen Darstellungen in Bild 7.41 links sollen für dieses Phänomen eine anschauliche Erklärung geben [4].
Bild 7.41. Der Anlenkvorgang
226
7 Kurvenfahrt
Beispiel a zeigt ein Fahrzeug mit durchschnittlicher Massenverteilung in der Draufsicht. Aus der Masse m und dem Gierträgheitsmoment 4\ kann 4\ / m und mit dem Schwerpunktsabstand lv der Trägheitsradius i\ der Vorderachse der Abstand ts des dieser entsprechenden „Stoßmittelpunktes“ Ts berechnet werden; es gilt ts i\ / lv (vgl. Kap. 5, Gl. 5.24). Im Beispiel a ist ts lh , d. h. die Hinterachse ist Stoßmittelpunkt der Vorderachse. Fasst man nun den plötzlichen Aufbau der Seitenkraft an der Vorderachse grob vereinfachend als „Stoß“ auf, so wird die Hinterachse im ersten Augenblick davon nichts spüren, da das Fahrzeug sich um den auf ihr liegenden Stoßmittelpunkt Ts zu drehen beginnt. Im Beispiel b ist das Gierträgheitsmoment sehr klein, der Stoßmittelpunkt liegt deutlich vor der Hinterachse (dies trifft z.B. für leere LKW und kopflastige Frontantriebs-PKW bei Besetzung mit dem Fahrer allein zu). Das Fahrzeug beginnt um den Stoßmittelpunkt Ts zu schwenken und verschiebt dabei die Hinterräder zur Kurvenaußenseite, so dass der hintere Seitenkraftaufbau sofort einsetzt. Umgekehrt im Beispiel c, wo das übergroße Gierträgheitsmoment (voll beladenes Fahrzeug) den Stoßmittelpunkt Ts hinter die Hinterachse verschiebt. Im ersten Moment der Gierbewegung wird die Hinterachse zur Kurveninnenseite hin „mitgenommen“, es entsteht eine „verkehrt herum“ gerichtete Seitenkraft Fyh 0. Abhilfe könnte offensichtlich ein langer Radstand bringen, der aber bei großen PKW bereits zu baulichen und bei Nutzfahrzeugen zu verkehrstechnischen Schwierigkeiten (Wendekreis!) führt. Eine andere Möglichkeit, den Aufbau der hinteren Seitenkraft zu beschleunigen, besteht im gleichsinnigen Anlenken der Hinterräder um einen auf den vorderen Lenkwinkel G v abgestimmten (kleineren) Lenkwinkel G h , Bild 7.41d. Diese Art der „Allradlenkung“ kann – im Gegensatz zur Allradlenkung mit gegensinnigem Lenkeinschlag zur Verbesserung der Wendigkeit – die Fahrstabilität merklich erhöhen; sie vergrößert allerdings auch den Wendekreisdurchmesser, weshalb der Lenkwinkel G h auf wenige Winkelgrad beschränkt und am besten bei großen Vorderrad-Lenkwinkeln wieder rückgängig gemacht wird.
7.7 Kurvenfahrt von Einspurfahrzeugen Einspurfahrzeuge können dem Kippmoment aus der Fliehkraft nur durch Neigung zur Kurveninnenseite hin begegnen, Bild 7.42. Die Fliehkraft übt das Moment M a m ay h cos M aus, die Gewichtskraft das Moment M G ()m g h sin M Der (negative) Radsturz ist gleich dem „Wankwinkel“ M Motorradreifen haben deshalb eine im Querschnitt abgerundete Lauffläche. Da bei Motorrädern die umlaufenden Massen und Trägheits-
7.7 Kurvenfahrt von Einspurfahrzeugen
227
momente der Räder und des Triebwerks einen höheren Anteil am Gesamtgewicht haben als bei Autos, sind ihre Kreiselmomente nicht mehr vernachlässigbar. Die Entstehung eines Kreiselmoments soll Bild 7.42a veranschaulichen. Wird ein Kreisel, der um eine y-Achse mit der Winkelgeschwindigkeit Z rotiert, mit einer Winkelgeschwindigkeit dG dt um seine z-Achse zwangsweise verdreht, so werden seine mit der Umfangsgeschwindigkeit u umlaufenden Massenelemente in y-Richtung abgelenkt bzw. beschleunigt, was am stärksten für die in die z-Achse fallenden Elemente zutrifft (Bahnkurve b). Dadurch entstehen Abdrängkräfte, welche auf die obere Lagerung des Kreisels in y-Richtung, auf die untere entgegen der y-Richtung wirken. Es handelt sich um die sogen. „Coriolis-Kräfte“, die z.B. auch dafür verantwortlich sind, dass auf der Nordhalbkugel der Erde nordwärts führende Flüsse nach Osten abgelenkt werden und Hochdruckgebiete, von oben betrachtet, im Uhrzeigersinn rotieren. Der Kreisel übt also auf seine Lagerung ein Moment M L um die x-Achse aus, das sich mit seinem Drehimpuls oder „Drall“ L 4Z (7.28) vektoriell der Impulsänderung entgegengerichtet ergibt: M L d L/dt. (7.29) Da in Bild 7.42a der Drallvektor L mit der Winkelgeschwindigkeit ZG dG dt um die z-Achse verdreht wird, liegt der Vektor d L senkrecht zu L in positiver x-Richtung, und es ist d L / dt ZG u L. Das Motorrad in Bild 7.42b befährt eine Kurve mit einer Geschwindigkeit v und verdreht sich in der Draufsicht mit der Winkelgeschwindigkeit Z v / U der Drall L der Räder hat die Komponenten Ly L cos M und Lz L sin M der Betrag des Kreiselmoments M L Z u L ergibt sich damit zu M L L cos M (v /U ). (7.30)
Bild 7.42. Einspurfahrzeug bei stationärer Kurvenfahrt a) Kreiselmoment b) Kräfteplan
228
7 Kurvenfahrt
Auch das Triebwerk mit seinen umlaufenden Massen hat einen Drallvektor, der sich bei quer liegender Kurbelwelle je nach deren Drehrichtung zum Drall der Räder addiert oder von ihm subtrahiert. Der resultierende Drall des Triebwerks kann durch gegenläufige Drehmassen (Generator, Kupplung usw.) reduziert oder aufgehoben werden. Mit der Fahrgeschwindigkeit v und dem Reifenradius R, Bild 7.42b, ergibt sich die Winkelgeschwindigkeit der Räder zu ZR v / R, folglich deren Drall zu L 4 v /R. Die Fliehkraft versucht mit ihrem Moment M a m ay h cos M das Motorrad aufzurichten, während das Moment M G m g h sin M der Gewichtskraft es in die Kurve neigen will. Der Neigungswinkel M des Motorrads ergibt sich aus der Gleichgewichtsbedingung M a M L M G 0, und folgt mit ay v ² / U aus
tan M
v² (m h 4R )/( U m g h)
(7.31)
(das negative Vorzeichen soll berücksichtigen, dass sich das Motorrad im Gegensatz zum Zweispurfahrzeug nach der getroffenen Definition des Wankwinkels in die Kurve neigt). Für 4 ist das resultierende Massenträgheitsmoment der beiden Räder und der auf die Raddrehzahl umgerechneten Triebwerksteile anzusetzen. Räder mit hohem Trägheitsmoment vergrößern den erforderlichen Neigungswinkel; dies kann schon in den oberen Gangstufen in die Größenordnung von 2° gehen.
Bild 7.43. Der Anlenkvorgang beim Einspurfahrzeug
Um eine Kurvenfahrt einzuleiten und den Fahrzeugschwerpunkt S gegenüber den Radaufstandspunkten zur Kurveninnenseite hin zu verlagern, bleibt dem Fahrer eines Einspurfahrzeugs nichts anderes übrig, als einen „verkehrt“, nämlich zur Kurvenaußenseite hin gerichteten Anfangslenkwinkel G c aufzubringen, also zunächst zur Kurvenaußenseite hin „auszuholen“, Bild 7.43. Bei ausreichend großem Drall der Räder entsteht während dieses Anlenkens mit dem Winkel G c ein Kreiselmoment M L,G c ,
7.7 Kurvenfahrt von Einspurfahrzeugen
229
welches die Neigung zur Kurveninnenseite unterstützt, Bild 7.43a. Der Fahrer lernt bald, über die Schnelligkeit der Lenkbewegung die Neigung des Fahrzeugs mit Hilfe des Kreiselmoments M L,G c zu beschleunigen oder auch das Fahrzeug wieder aufzurichten, was besonders bei „eckigem“ Kurvenverlauf oder bei plötzlich notwendigen Ausweichmanövern vorteilhaft ist. Bild 7.43b zeigt den Anlenkvorgang des Einspurfahrzeugs schematisch: für eine Linkskurve wird das Vorderrad kurzzeitig um einen Winkel G c nach rechts eingeschlagen, der Schwerpunkt S gerät dadurch auf die Kurveninnenseite, das Fahrzeug beginnt sich unter dem Einfluss der Gewichtskraft, unterstützt durch Kreiselmomente, nach innen zu neigen, der Lenkwinkel G c wird zurückgenommen und der stationäre Lenkwinkel G aufgebaut. Diesen Vorgang beherrscht der Fahrer unbewusst. Ein vergleichbarer Effekt zeigt sich bei Geradeausfahrt unter böigem Seitenwind: Der Windstoß neigt das Motorrad zur windabgewandten Seite hin und drängt es besonders an dem durch den Antriebsschlupf im Seitenführungsvermögen geschwächten Hinterrad ab. Das Vorderrad wird sowohl durch die Seitenkraft des Reifens, welche an der Nachlaufstrecke wirkt, als auch durch die an dem Rade mit seinen Speichen entstehende Durchströmungs-Widerstandskraft, deren Resultierende etwa am Radmittelpunkt und damit normalerweise vor der Spreizachse angreift, zur windabgewandten Seite hin eingeschlagen und leitet, unterstützt durch sein Kreiselmoment, eine gegensinnige Neigung des Motorrades ein. Das Zusammenwirken beider Komponenten verbessert – wenn auch auf Kosten eines seitlichen Versatzes des Fahrzeugs – die Seitenwindstabilität. Voraussetzung ist ein ausreichender Sicherheitsabstand vom Straßenrand. Von entscheidender Bedeutung für die Seitenwindstabilität von Motorrädern sind allerdings die Positionen der Massenschwerpunkte sowie der Resultierenden der Windkräfte am Fahrzeughauptteil (incl. Fahrer) und dem Vorderteil bzw. der Vorderradgabel, ferner die Lage der Lenk- bzw. Steuerkopfachse [32]. In den Bildern 7.42 und 7.43 war vernachlässigt worden, dass bei einer Kurvenneigung des Motorrads die Radaufstandspunkte angesichts der stark gekrümmten Querschnittskontur der Reifenlaufflächen zur Kurveninnenseite hin auswandern und demnach gegenüber den Radmittelebenen nach innen versetzt sind. Wird nun während der Kurvenfahrt die Vorderradbremse betätigt, so übt die Bremskraft ein Moment um die Lenkachse der Vorderradaufhängung (den „Steuerkopf“) aus, das den Radeinschlag zu vergrößern und folglich das Motorrad aufzurichten versucht. Die Kurvenstabilität von Motorrädern im Grenzbereich kann nicht nach den gleichen Kriterien beurteilt werden wie bei Zweispurfahrzeugen. Die Seitenkräfte zwischen Reifen und Fahrbahn werden durch Schräglauf und zu einem im Vergleich zum Auto beträchtlichen Anteil auch durch den Radsturz aufgenommen. Bezüglich des Schräglaufwinkels gibt es durchaus „untersteuernde“ und „übersteuernde“ Motorräder im Sinne der für Zwei-
230
7 Kurvenfahrt
spurfahrzeuge gültigen Definitionen. Zweispurfahrzeuge stabilisieren sich von selbst, wenn bei Überschreitung der Kraftschlußgrenze der vordere Schräglaufwinkel stärker anwächst als der hintere. Beim Motorrad bedeutet dies aber eine Zunahme des Neigungswinkels, der nur durch Erhöhung der Querbeschleunigung, also der Fahrgeschwindigkeit oder des Lenkwinkels begegnet werden kann, was beides bei fehlender Kraftschlußreserve zum Wegrutschen des Vorderrades führt. Ähnlich problematisch ist eine Überschreitung der Kraftschlußgrenze am Hinterrad: Zurücknahme des Lenkwinkels würde das Motorrad noch stärker neigen, eine Erhöhung des Lenkwinkels es zwar etwas aufrichten, aber den Kurvenradius verringern. Bei einem Wegrutschen des Hinterrades ist allerdings das Risiko für den Fahrer, unter das Fahrzeug zu geraten, weniger groß. In derartigen Notsituationen spielen die Kreiselmomente und ihr richtiger Einsatz eine wichtige Rolle; da der Mensch in seiner täglichen Umwelt mit Kreiselmomenten praktisch nie konfrontiert wird, sind hierfür Erfahrung und Übung erforderlich.
8 Die Lenkung
8.1 Grund-Bauarten Die Lenkung von luftbereiften Straßenfahrzeugen erfolgt durch Änderung des Winkels zwischen der Fahrzeuglängsachse und den Mittelebenen einiger oder aller Fahrzeugräder. Hierzu kann eine starre Fahrzeugachse um ihren Mittelpunkt geschwenkt werden (Drehschemellenkung, die älteste Bauart), Bild 8.1a, oder es kann das Fahrzeug in der Mitte abgeknickt werden (Knicklenkung, bei Arbeits- und Sonderfahrzeugen, Bild 8.1b). Beide Verfahren haben den Nachteil einer Verringerung der „Standfläche“ bei Lenkeinschlag, ferner wirken einseitige Störkräfte an einem Hebelarm, welcher der halben Spurweite entspricht.
Bild 8.1. Grundbauarten der Fahrzeuglenkung
Im 19. Jahrhundert erfand der Münchner Kutschwagenbauer Lankensperger die „Achsschenkellenkung“, welche einen sehr kleinen Störkrafthebelarm ermöglicht, bei Lenkeinschlag kaum Verlust an Standfläche verursacht und im Fahrzeug wenig Raum beansprucht. Da er seine Erfindung in England nur unter dem Namen seines dort ansässigen Geschäfts-
232
8 Die Lenkung
freundes Ackermann zum Patent anmelden konnte, wurde diese Bauart als „Ackermannlenkung“ bekannt. Bild 8.1c zeigt eine Achsschenkellenkung, wie sie mit durchgehender Spurstange bei Starrachsen verwendet wird, Bild 8.1d eine Ausführung für Einzelradaufhängungen mit geteiltem Lenkgestänge schematisch. Die Übertragung der Lenkbewegung vom Lenkrad auf die Fahrzeugräder geschieht über das Lenkgestänge (Spurstangen, Lenkschubstangen usw.), welches von einem Lenkgetriebe L betätigt wird. Letzteres hat eine innere Übersetzung iH , um die Lenkkräfte zu reduzieren. Auch das Lenkgestänge weist eine im allgemeinen mit dem Lenkeinschlag veränderliche Übersetzung iL zwischen dem Lenkgetriebe und den Fahrzeugrädern auf. Die Gesamt-Lenkübersetzung vom Lenkrad zu den Fahrzeugrädern errechnet sich aus dem Lenkradwinkel G H und den Radeinschlagwinkeln G a des kurvenäußeren bzw. G i des kurveninneren Rades zu
iS
(dG H / dG a dG H / dG i ) / 2.
(8.1)
Die Achsschenkellenkung ist heute die alleinige Bauart für schnelle Straßenfahrzeuge. Die Drehachse des Radträgers bzw. „Achsschenkels“ gegenüber der Radaufhängung (z.B. ein „Achsschenkelbolzen“) ist im allgemeinen während des reinen Lenkvorgangs unveränderlich (reine Drehbewegung des Radträgers); inzwischen gibt es aber auch Radaufhängungen mit veränderlicher Drehachse („ideeller“ Drehachse oder Momentanbzw. Momentanschraubenachse).
8.2 Lenkgetriebe Das Lenkgetriebe setzt den vom Fahrer am Lenkrad erzeugten Lenkwinkel G H in eine Verstellung des Lenkgestänges um, z.B. in den Drehwinkel G L eines „Lenkstockhebels“, der auf der „Lenkstockhebelwelle“, nämlich der Ausgangswelle eines Lenkgetriebes sitzt, Bild 8.2b–e. Dann ist die Lenkgetriebeübersetzung (eigentlich: -untersetzung)
iH
dG H / dG L .
(8.2)
Die einfachste Art, einen Lagerpunkt am Lenkgestänge zu verschieben, ist die Zahnstangenlenkung, Bild 8.2a. Hier kann die Lenkgetriebeübersetzung nur als Verhältnis des Winkels G H und des Zahnstangenhubes h definiert werden, sie ist also dimensionsbehaftet:
iH
dG H / d h.
(8.3)
Bei konstanter Verzahnungsübersetzung gilt iH G H / h 2S U / h , wenn U die Zahl der Lenkradumdrehungen beim Hub h ist; neuerdings werden
8.2 Lenkgetriebe
233
durch Eingriffe in die Verzahnungsgeometrie auch bei Zahnstangenlenkungen veränderliche Getriebeübersetzungen erzielt. Der Hauptvorteil der Zahnstangenlenkung ist ihre einfache Bauweise und der geringe Platzbedarf, nicht unbedingt aber die relativ steife unmittelbare Umsetzung der Lenkraddrehung in eine Spurstangenverschiebung ohne Einschaltung von Zwischenhebeln. Die geradlinige Bewegungsform schränkt zudem die konstruktiven Möglichkeiten bei der Auslegung der im allgemeinen dreidimensional wirksamen Lenkgeometrie ein. Bild 8.2b zeigt ein Lenkgetriebe mit einer Globoidschnecke 1 und einem Schneckenrad 2, wobei der Lenkradwinkel G H mit konstanter Übersetzung iH in einen Drehwinkel G L des Lenkstockhebels verwandelt wird. Neuere Ausführungen dieser Bauart besitzen auf der Lenkstockhebelwelle eine Lagergabel, in welcher sich zur Verminderung der Reibung eine nadelgelagerte Profilrolle befindet, die zwei Zähne eines Schneckenrades vertritt („Schneckenrollenlenkung“). Ebenso gebräuchlich ist eine Lenkung mit „Lenkmutter“, die durch ein Gewinde (heute ein Kugelumlaufgewinde) mit der Lenkspindel verbunden ist. In Bild 8.2c trägt die Lenkmutter ein Zahnstangensegment, das mit einem Zahnradsegment auf der Lenkstockhebelwelle kämmt. An die Stelle der Verzahnung kann auch ein Kurbeltrieb treten, Bild 8.2d, wobei die Lenkmutter die Rolle des Kolbens bzw. Gleitsteins übernimmt. Bei dieser Bauart ist die Lenkgetriebeübersetzung veränderlich. Die Bauarten nach Bild 8.2 c und d eignen sich, ebenso wie die Zahnstangenlenkung, wegen der geradlinigen Hubbewegung ihres Antriebteils besonders gut für die Überlagerung einer hydraulischen Servounterstützung (Kolben und Zylinder).
Bild 8.2. Bauarten der Lenkgetriebe
234
8 Die Lenkung
Von den oft kinematisch reizvollen bekannt gewordenen Varianten der Lenkgetriebe mit Lenkmutter möge noch die relativ einfache nach Bild 8.2e erwähnt werden, wo eine Kugelfläche an der Mutter 2 eine Kugelkalotte auf einem Arm an der Lenkstockhebelwelle 3 führt. Bei der Verdrehung der Lenkstockhebelwelle wird die Mutter infolge der Kreisbewegung des Kalottenarmes um die Lenkspindel 1 geschwenkt, und zwar stets auf die Lenkstockhebelwelle zu, wodurch sich mit wachsendem Lenkeinschlag der wirksame Hebelarm um die Lenkstockhebelwelle verringert, d. h. die Getriebeübersetzung iH nimmt ab (durch weitere Eingriffe in die Kinematik lässt sich dies auch umkehren). Die Lenkmutter schwenkt damit einmal im Drehsinn der Lenkspindel, das andere Mal gegensinnig, so dass sich einmal der Relativdrehwinkel und damit der Vorschub verringert, das andere Mal vergrößert. Dies ergibt eine Unsymmetrie im Übersetzungsverlauf und eine geringfügig ungleiche Zahl der Lenkradumdrehungen nach links und rechts. Die Zahnstangenlenkung wird durch ein federbelastetes Druckstück (3 in Bild 8.2a), das die Zahnstange gegen das Ritzel anlegt, über den vollen Lenkbereich hinweg spielfrei gehalten. Bei einigen Lenkgetriebe-Bauarten, wie der Schnecken- bzw. der Schneckenrollenlenkung sowie einigen Getrieben mit Lenkmutter, ist das nicht möglich. Da Verschleiß praktisch nur in der Geradeausstellung auftritt und ein Nachstellen zur Schwergängigkeit bei größeren Lenkwinkeln führen würde, werden die Eingriffsverhältnisse in der Umgebung der Geradeausstellung enger ausgeführt („Druckpunkt“) als im übrigen Bereich; dann entsteht bei großem Lenkeinschlag ein relativ weites, prinzipbedingtes „Lenkungsspiel“, das für den Fahrbetrieb ohne Bedeutung ist. Aus baulichen Gründen oder auch zur Erhöhung der Sicherheit bei Unfällen wird die Verbindungswelle vom Lenkrad zum Lenkgetriebe, die „Lenkspindel“, oft im Fahrzeug abgewinkelt. Bei kleinen Winkeln genügen gewebegestützte Gummikupplungen, bei größeren Winkeln werden Kardangelenke notwendig (Gleichlaufgelenke mit Übertragung des Drehmoments durch Kugeln haben, zumindest in der normalen Ausführung, wenn sie reibungsfrei sein sollen zu viel „Spiel“ und wenn sie spielfrei sein sollen zu viel Reibung). Ein resultierender Kardanfehler in der Gesamtanordnung bringt dann eine zusätzliche, zweimal je Lenkradumdrehung wechselnde Änderung der Lenkübersetzung in den Lenkungsstrang ein. Wenn die Lenkspindel zwei Kardangelenke aufweist, lässt sich der Kardanfehler durch eine „Z“- oder eine „W“-Anordnung vermeiden (vgl. Kap. 3, Bild 3.16). Dies funktioniert auch bei räumlicher Verdrehung der beiden Beugeebenen gegeneinander, wenn die aus der „ebenen“ Z- oder W-Anordnung resultierenden Gabelstellungen mitverdreht werden. Nach Beseitigung des Kardanfehlers bleibt allerdings die Drehmomentschwankung am mittleren Wellenstück, damit eine Schwankung des Wirkungsgrades und eine leichte Welligkeit des Lenkkraftverlaufs bestehen.
8.3 Kenngrößen der Lenkgeometrie
235
Hydraulische Servolenkungen benötigen Steuerventile, die in Abhängigkeit vom Drehmoment am Lenkrad den Öldruck regeln. Dies geschieht meistens durch eine Unterbrechung der mit dem Lenkrad verbundenen Lenkspindel (selbstverständlich mit Sicherheits-Endanschlägen) und Übertragung des Drehmoments mit Hilfe einer Drehstabfeder. Deren Torsionswinkel ist ein Maß für das Drehmoment und bestimmt die Stellung der Steuerventile. Die Drehstabfeder ist sehr einfach abzustimmen und sorgt zudem, da ihr Drehmomentanteil manuell erzeugt wird, für die bei schnellen Fahrzeugen nötige (und vorgeschriebene) „Rückmeldung“ der zwischen Fahrbahn und Reifen wirksamen Kräfte und Momente an das Lenkrad. Bei Hebellenkungen mit einer Lenkmutter, die ihr Reaktionsmoment am Getriebegehäuse abstützt (Bilder 8.2c und d), kann auch dieses Reaktionsmoment „federnd“ über einen Steuerkolben aufgenommen werden.
8.3 Kenngrößen der Lenkgeometrie 8.3.1 Herkömmliche Definitionen und physikalische Bedeutung Nach Einführung der Achsschenkellenkung im Kraftfahrzeug bildete sich eine Anzahl spezieller Lenkungs-Kenngrößen heraus, die zum einen Winkelbeziehungen am Rade und zum anderen Rückwirkungen äußerer Kräfte und Momente auf das Lenkgestänge und damit das Lenkrad beschreiben. Die „klassische“ Achsschenkellenkung der Starrachse, bei welcher der Radträger, der Achsschenkel, mit dem Starrachskörper über einen Achsschenkelbolzen drehbar verbunden ist, war noch für lange Zeit auch an Einzelradaufhängungen üblich, indem der Radträger nicht zugleich die „Koppel“ der Radaufhängung bildete, sondern an der Koppel über den Achsschenkelbolzen gelagert wurde. Erst mit der Verfügbarkeit zuverlässiger Kugelgelenke ging man dazu über, die Koppel der Radaufhängung selbst auch als Achsschenkel zu verwenden, Bild 8.3. Die Verbindungslinie d der Kugelgelenke zwischen den Achslenkern und dem Radträger übernahm nun die Rolle des Achsschenkelbolzens. Diese „Lenkachse“ oder „Spreizachse“ d ist im allgemeinen gegenüber der Vertikalen bzw. der z-Achse geneigt angeordnet, und zwar im Fahrzeugquerschnitt um den Spreizungswinkel V und in der Fahrzeug-Seitenansicht um den Nachlaufwinkel W Diese Definitionen gelten auch bei Lenkeinschlag, d. h. sie werden stets im Querschnitt bzw. in der Seitenansicht des Fahrzeugs gemessen. Spreizungs- und Nachlaufwinkel sind wesentlich für die Änderung des Radsturzes J über dem Lenkwinkel G verantwortlich, worauf noch eingegangen wird.
236
8 Die Lenkung
Bild 8.3. Definition der Lenkungs-Kenngrößen bei „fester“ Spreizachse
Die Lenk- oder Spreizachse d schneidet die Fahrbahnebene im Punkt D. Der horizontale Abstand der Radmittelebene vom Punkt D wird als Lenkrollradius oder Lenkrollhalbmesser rS bezeichnet (obwohl, wie später gezeigt wird, der Radaufstandspunkt A im allgemeinen beim Lenkvorgang nicht an diesem Radius umläuft) und der Abstand zwischen A und D in der Seitenansicht auf das Rad als Nachlaufstrecke n. Die entsprechenden Strecken bezogen auf die Radmitte M sind der Spreizungsversatz rV und der Nachlaufversatz nW . Diese vier Kenngrößen sind, im Gegensatz zum Spreizungs- und zum Nachlaufwinkel, auf das Rad bezogen definiert, d. h. sie schwenken beim Lenkeinschlag mit dem Rade. Der Lenkrollradius ist jedem Fachmann als wirksamer Hebelarm einer Bremskraft geläufig, ebenso die Nachlaufstrecke als wirksamer Hebelarm einer Seitenkraft. Wird bei front- oder allradgetriebenen Fahrzeugen das Antriebsmoment, wie bei Einzelradaufhängungen üblich, über quer liegende Gelenkwellen auf das Rad übertragen, so gilt näherungsweise der Spreizungsversatz als wirksamer Hebelarm der Antriebskraft am Lenkgestänge. Der Spreizungsversatz wird auch als „Störkrafthebelarm“ bezeichnet, weil alle Kräfte am frei rollenden Rade wie Stoßkräfte, Aquaplaningkräfte usw. über die Radlagerung an der Radmitte M auf den Radträger und damit an die Lenkung weitergeleitet werden. Bereits an Bild 8.3 ist deutlich zu erkennen, dass die erwähnten Hebelarme bzw. Kenngrößen nicht die wahren Abstände der mit ihnen in Verbindung gebrachten Kräfte von der räumlich geneigten Spreizachse d sein können, da sie sämtlich parallel zur Fahrbahnebene bzw. der fahrzeugfesten x-y-Ebene gemessen und definiert werden. Es wäre aber nicht sinnvoll, die Darstellung der Lenkgeometrie durch die Einführung räumlich angeordneter Kenngrößen zu bereichern, denn die vorgenannten, in den Hauptebenen des Fahrzeug- bzw. Radkoordinatensystems gemessenen Parameter eignen sich erstens, wie anschließend gezeigt wird, vorzüglich für die Anwendung der Vektorrechnung und stellen zweitens unter Beachtung der Definition der Lenkübersetzung die physikalischen Vorgänge korrekt dar.
8.3 Kenngrößen der Lenkgeometrie
237
Das räumliche Moment M B einer Bremskraft FB mit den Komponenten FBx FB , FBy FBz 0 um den Schnittpunkt D der Spreizachse mit der Fahrbahnebene, Bild 8.4, ergibt sich aus dem Abstandsradius rA mit seinen Komponenten rAx n, rAy rS und rAz 0 zu M B rA u FB mit den Komponenten M Bx M By 0 und M Bz rS FB . Der Lenkrollradius rS liefert also zusammen mit der Bremskraft FB ein Moment um die zAchse und nicht um die Lenkachse d (was anschaulich zu erwarten war). Entsprechendes erhält man für die Wirkung einer Seitenkraft an der Nachlaufstrecke n (dem „geometrischen“ Nachlauf; die Seitenkraft greift je nach Fahrzustand um den „Reifennachlauf“ nR versetzt an, vgl. Kap. 4, Bild 4.2, so dass als wirksamer Hebelarm die Summe beider Strecken anzusetzen ist). Während die bisher aufgezählten Kenngrößen der Lenkgeometrie zumindest für eine konventionelle Lenkung mit einer am Radträger ortsfesten Lenkachse d inzwischen durch Normen definiert sind, trifft dies für eine weitere, anschaulich weniger leicht zu bestimmende, wegen der Größe der mit ihr im Zusammenhang stehenden Radlast FR aber nicht minder wichtige Kenngröße noch nicht zu, nämlich den Radlasthebelarm p [64]. Solange der Vektor FR der Radlast die Lenkachse d nicht schneidet und die letztere nicht senkrecht auf der Fahrbahnebene steht, übt FR ein Drehmoment um d aus. Das Moment aus der Radlast FR mit ihren Komponenten FRx FRy 0 und FRz FR um den Schnittpunkt D der Spreiz- oder Lenkachse d mit der Fahrbahnebene an dem bereits erwähnten Radius rA ist M R rA u FR , wobei M Rx rS FR , M Ry n FR sowie M Rz 0.
Bild 8.4. Kräfte- und Geschwindigkeitsplan am Radträger (feste Spreizachse)
238
8 Die Lenkung
Der Radlasthebelarm möge positiv definiert sein, wenn die Radlast ein rückstellendes, gegen den Drehsinn der Winkelgeschwindigkeit Z K des Radträgers gerichtetes Moment M d um die Lenkachse d ausübt. Letzteres ist in Bild 8.4 demnach positiv anzusetzen, wenn es im Sinne des dem Vektor ZK entgegen gerichteten Einheitsvektors e d der Lenkachse dreht. Das aus der Radlast FR resultierende Moment um die Lenkachse d ergibt sich daher zu
M dR
M R ed .
(8.4)
Die Lenk- oder Spreizachse d ist gegen die z-Achse unter einem wahren Winkel O geneigt, der sich aus
tan O
tan ²V tan²W
ergibt. Damit erhält man die Komponenten des Einheitsvektors e d als
edx
tan W cosO
edy
tan V cosO
edz
cos O
(8.5a,b,c)
wobei e d auch – bis auf das Vorzeichen – der Einheitsvektor der Radträger-Winkelgeschwindigkeit Z K beim Lenkvorgang ist. Soll der Radlasthebelarm p ebenso wie die vorhin aufgeführten Kenngrößen auf die Winkelgeschwindigkeit um die z-Achse bezogen werden, so muss nach dem Arbeitssatz sein Moment p FR um die z-Achse die Bedingung
p FRZKz
M dR Zk
(8.6)
erfüllen. In der Schreibweise Z K ZK e d ergibt sich die z-Komponente des Vektors Z K zu ZKz ZK cos O und mit den Gln. 8.4–8.6 wird der auf die z-Achse bezogene Radlasthebelarm in Geradeausstellung (G )
p
rS tan W n tanV .
(8.7)
Die Lenkwinkel und die Stellungen der beiden Räder einer gelenkten Achse nehmen mit wachsendem Lenkeinschlag eine zunehmende Unsymmetrie an, weil im allgemeinen das kurveninnere Rad, dem kleineren Kurvenradius entsprechend, im Lenkwinkel dem kurvenäußeren um einen „Spurdifferenzwinkel“ voreilt und weil die räumlich geneigte Lenkachse d unterschiedliche Sturzwinkel an den Rädern erzeugt. Eine Gesamtbeurteilung der wirksamen Kräfte an beiden Rädern kann daher nur durch die Summation der von ihnen verursachten Momente am Lenkgetriebe L oder am Lenkrad H erfolgen. Zwischen dem Lenkrad und jedem der gelenkten Räder besteht unter Berücksichtigung der Bewegungsverhältnisse im Lenkgestänge und der inneren Übersetzung des Lenkgetriebes eine Gesamt-Lenkübersetzung iS aus der Lenkrad-Winkelgeschwindigkeit Z H
8.3 Kenngrößen der Lenkgeometrie
239
und der Lenk-Winkelgeschwindigkeit des Rades dG / dt ZG entsprechend Gl. 8.1:
iS
Z H / ZG .
(8.8)
Die Lenkwinkelgeschwindigkeit ZG kann nach Gl. 7.3, Kap. 7, aus der Winkelgeschwindigkeit Z K des Radträgers (oder auch: des Achsschenkels), dem Radsturz J und dem Lenkwinkel G bestimmt werden. Mit ZKx ZKz tan W und ZKy ZKz tan V wird
ZG ZKz {(tan W sinG tan V cosG ) tan J `.
(8.9)
Die Lenkwinkelgeschwindigkeit ZG ist also nicht gleich der z-Komponente ZKz der Winkelgeschwindigkeit des Radträgers um die Lenkachse d. Nur für den Radsturz J oder den Lenkwinkel G atn (tanV tanW , d.h. die Stellung, wo in der Draufsicht die Projektionen der Radachse und der Lenkachse aufeinander senkrecht stehen, ist ZG ZKz . Die Summierung der über die bisher vorgestellten Kenngrößen bzw. Hebelarme und äußeren Kräfte berechneten sowie durch die Lenkübersetzung geteilten Momente am Lenkrad führt damit zu einer physikalisch unkorrekten Situation, da die Lenkübersetzung auf die Winkelgeschwindigkeit ZG und nicht auf ZKz bezogen ist. Deshalb möge im folgenden anstelle der – den Kenngrößen der Lenkgeometrie zwar nicht ausdrücklich, aber ihrer Definition gemäß Bild 8.4 nach faktisch zugrunde liegenden – Bezugsgeschwindigkeit ZKz stets die Lenkwinkelgeschwindigkeit ZG zur formelmäßigen Darstellung der Kenngrößen herangezogen werden. Der „Fehler“ gegenüber der herkömmlichen Definition ist, zumindest im fahrdynamisch interessanten Lenkwinkelbereich, vernachlässigbar gering. Bild 8.5 zeigt die Abweichung der Lenkwinkelgeschwindigkeit ZG gegenüber der Winkelgeschwindigkeit ZKz des Radträgers bei „fester“ Spreizachse für eine Radaufhängung mit einem Spreizungswinkel V q und einem Nachlaufwinkel W q über dem Lenkwinkel G
Bild 8.5. Abweichung der Lenkwinkelgeschwindigkeit von der Winkelgeschwindigkeit des Radträgers um die z-Achse
240
8 Die Lenkung
Angesichts der steigenden Motorleistungen der Fahrzeuge und der damit erforderlichen größeren Bremsleistungen ist die Dimensionierung der Bremsanlage und vor allem der Bremsscheiben zu einem Platzproblem geworden. Der größtmögliche Durchmesser einer ins Rad eingebauten Bremsscheibe ergibt sich, wenn die letztere gegenüber dem Felgentiefbett versetzt angeordnet wird; in der Praxis bedeutet dies einen Versatz zur Fahrzeuginnenseite hin. Mit der Einführung der Regelsysteme zur Verhinderung des Bremsblockierens (ABS) kam der Wunsch nach einem möglichst kleinen Lenkrollradius hinzu, weil andernfalls die wechselnden Bremskräfte während des Regelvorgangs sich sehr störend am Lenkrad bemerkbar machen. Die Lenk- bzw. Spreizachse musste also in die Nähe der Radmittelebene verschoben werden. Da die Spreizachse d im allgemeinen durch zwei Kugelgelenke zwischen Radführungsgliedern und dem Radträger markiert wird, nehmen heute diese Kugelgelenke an vielen Radaufhängungen den Platz ein, der früher für die Bremsscheibe zur Verfügung stand. Die Bremsscheibe wird dabei unter das Felgentiefbett verdrängt, was einen Durchmesserverlust von etwa einem Zoll bedeutet (sofern nicht, wie dies dann oft geschieht, die nächst größere Felgendimension zugestanden wird), Bild 8.6 (links). Um dies zu vermeiden, werden bei leistungsstarken Fahrzeugen neben aufwendigen Konstruktionen auf der Basis der konventionellen Lenkgeometrie mit „fester“ Spreizachse zunehmend auch bereits Lösungen mit einer „ideellen“ Spreizachse angewandt, um die Bremsscheibe an ihrem bestgeeigneten Platz neben dem Felgentiefbett einzubauen und dennoch eine jenseits der Bremsscheibe wirksame Lenkachse zu verwirklichen.
Bild 8.6. Einbauraum für eine Bremsscheibe bei Radaufhängungen mit radträgerfester (d) und ideeller Lenk- bzw. Spreizachse (i)
8.3 Kenngrößen der Lenkgeometrie
241
Bild 8.6 zeigt rechts eine Radaufhängung nach dem DoppelquerlenkerPrinzip, bei welcher aber der obere wie der untere Dreiecklenker jeweils in zwei einzelne Stablenker aufgelöst ist, die mit je einem Kugelgelenk am Radträger angreifen. Der Schnittpunkt der zusammengehörigen Stablenker ist gewissermaßen ein „ideelles“ Kugelgelenk, und die Verbindungslinie des oberen und des unteren ideellen Kugelgelenks ist die ideelle Lenkbzw. Spreizachse i. Bei einer Radaufhängung mit ideeller Spreizachse ist die letztere im allgemeinen in ihrer Lage sowohl gegenüber dem Radträger als auch der Radaufhängung veränderlich, im Gegensatz zu Konstruktionen mit „fester“ Spreizachse. Eine Ausnahme machen bei den Radaufhängungen mit konventioneller Lenkgeometrie die Feder- oder Dämpferbeinachsen, wenn die Kolbenstange des Dämpfers nicht in die Spreizachse fällt: das fahrzeugseitige (obere) Lager der Kolbenstange bewegt sich beim Ein- und Ausfedern in dem einen Teil des Radträgers bildenden Dämpferzylinder auf und ab, verändert also seine Lage gegenüber dem Radträger und damit die Lage der Spreizachse gegenüber demselben – ohne dass diese allerdings dadurch zu einer „ideellen“ Spreizachse wird. Die für die Schaffung einer ideellen Spreizachse verwendeten Stablenkerpaare brauchen nicht, wie in Bild 8.6 dargestellt, in einer gemeinsamen Ebene zu liegen, sondern können den konstruktiven oder kinematischen Erfordernissen entsprechend räumlich versetzt angeordnet sein, Bild 8.7. Die Lenkgeometrie einer solchen Radaufhängung kann dadurch einen „räumlichen“ Charakter erhalten, d. h. aus der Drehbewegung des Radträgers um die Spreizachse d beim Lenkvorgang wird eine Momentanschraubung mit einer Winkelgeschwindigkeit ZK um die Schraubenachse ms und einer gleichzeitigen Vorschubgeschwindigkeit t längs derselben.
Bild 8.7. Räumliche Lenkgeometrie mit „Momentanschraube“
242
8 Die Lenkung
Da eine solche Schraubenachse nicht mehr in gleicher Weise wie eine feste Lenkdrehachse entsprechend den Bildern 8.3 und 8.4 zur Bestimmung der Kenngrößen der Lenkgeometrie herangezogen werden kann, müssen deren Definitionen so überarbeitet werden, dass sie unabhängig vom Bauprinzip der Radaufhängung stets physikalisch vergleichbare und gleichwertige Aussagen ermöglichen. Dies könnte z.B. durch die Ermittlung der auf eine jeweilige Wirkungsebene bezogenen ErsatzMomentanachsen und Ersatzpole gemäß Kap. 3, Bild 3.11 erfolgen – eleganter aber, wie im weiteren Verlauf gezeigt wird, durch die Anwendung des Arbeitssatzes bzw. des Prinzips der virtuellen Verschiebungen auf einen fiktiven Lenkvorgang bei unterbundener Federungsbewegung und unter Einwirkung einer äußeren Kraft. 8.3.2 Allgemeingültige Definitionen bei räumlicher Geometrie Bei einer im Raum über dem Lenkwinkel veränderlichen Spreizachse, z.B. einer ideellen Spreizachse wie in Bild 8.6 (rechts), sind der Spreizungswinkel V und der Nachlaufwinkel W nicht mehr unmittelbar für die Bestimmung von wirksamen Hebelarmen wie z.B. dem Radlasthebelarm p nach Gl. 8.7 verwendbar, da eine solche Spreizachse möglicherweise als Momentanschraubenachse auftritt und somit als Bezugsachse für Drehmomente nicht mehr in Frage kommt. Reine Winkelbeziehungen sind davon nicht betroffen. So gelten weiterhin die Gln. 7.1 und 7.3, Kap. 7, bzw. 8.9 zur Berechnung der Sturzänderungs-Winkelgeschwindigkeit ZJ und der Lenkwinkelgeschwindigkeit ZG in Abhängigkeit von der Winkelgeschwindigkeit ZK des Radträgers bzw. Achsschenkels. Der Spreizungswinkel und der Nachlaufwinkel sollen unabhängig vom Lenkwinkel G stets im Fahrzeugquerschnitt bzw. in der Fahrzeug-Seitenansicht definiert sein. Mit dem Vektor ZK als Richtungsvektor der Momentan(schrauben)achse bei einem fiktiven Lenkvorgang mit festgehaltener Federung ergeben sich also ganz allgemein der Spreizungswinkel V und der Nachlaufwinkel W als Winkel zwischen den Projektionen von ZK in den erwähnten Projektionsebenen und der z-Achse zu
V
atn (ZKy / ZKz ),
(8.10)
W
atn (ZKx / ZKz ).
(8.11)
Die nach diesen Gleichungen definierten Kenngrößen sind, wie oben erwähnt, auch bei räumlichen Lenkungsmechanismen mit veränderlicher Spreizachse in allen Fällen wie gewohnt anwendbar, wo es um Winkelbeziehungen geht. Für Krafthebelarme wie den Lenkrollradius, die Nachlaufstrecke, den Radlasthebelarm usw. dagegen haben der Spreizungs- und der Nachlaufwinkel normalerweise keine anschauliche Bedeutung mehr.
8.3 Kenngrößen der Lenkgeometrie
243
Eine sinnvolle allgemeingültige Definition der herkömmlichen Kenngrößen Lenkrollradius, Nachlaufstrecke, Spreizungsversatz, Nachlaufversatz und Radlasthebelarm muss sicherstellen, dass die physikalische Aussage der betreffenden Kenngröße am konventionellen Lenkungsmechanismus mit „fester“ Spreizachse unverändert gültig bleibt und dass die Kenngröße am allgemeinen räumlichen System eine Wirkung beschreibt, die mit der entsprechenden Wirkung am konventionellen System verglichen werden kann. So erwartet der Fachmann bei der Angabe z.B. eines „Lenkrollradius“ an einer Radaufhängung mit konventioneller Lenkgeometrie, dass die von einer am Radträger abgestützten Bremse erzeugte Bremskraft FB am Lenkrollradius rS ein Moment rS FB ausübt, welches unter Berücksichtigung der momentanen Lenkübersetzung iS ZH / ZG einen Drehmomentbeitrag M H rS FB / iS am Lenkrad leistet. Entsteht unter Voraussetzung der gleichen Lenkübersetzung an einer Radaufhängung mit räumlicher Geometrie aus einer gleich großen Bremskraft das gleiche Lenkradmoment, so muss dies einem gleich großen Lenkrollradius zuzuschreiben sein. Für eine fiktive Lenkbewegung bei festgehaltener Federung (vf 0) lässt sich der momentane Geschwindigkeitszustand des Radträgers K, der durch die Geschwindigkeit v M seines Bezugspunktes M und seine Winkelgeschwindigkeit Z K gekennzeichnet ist, entsprechend Abschn. 3.4 in Kap. 3 berechnen, und daraufhin die fiktive Geschwindigkeit v A des Radaufstandspunktes A bei als „blockiert“ betrachteter Bremse nach Gl. 3.18. Sollen die für die Weiterleitung von äußeren Kräften maßgebenden Kenngrößen der Lenkgeometrie, wie im Abschn. 8.3.1 empfohlen, auf die Lenkwinkelgeschwindigkeit ZG statt auf die Vertikalkomponente ZKz der Winkelgeschwindigkeit des Radträgers bezogen werden, so muss eine Bremskraft FB über den Lenkrollradius rS an der Lenkwinkelgeschwindigkeit ZG eine Leistung abgeben, die sich aus dem Produkt der Lenkwinkelgeschwindigkeit mit dem Drehmoment rS FB errechnet. Die Leistung der Kraft einer radträgerfesten Bremse kann aber auch über die Geschwindigkeit v A des „radträgerfesten“ Radaufstandspunktes berechnet werden, d. h. es gilt für ein um einen Lenkwinkel G eingeschlagenes Rad, Bild 8.8, rS FBZG FB v A . Der Vektor FB der Bremskraft hat die Komponenten FBx FB cos G
FBy FB sin G und FBz 0. Damit ergibt sich ZG rS FB vAx FB cos G
vAy FB sin G und der Lenkrollradius
rS (vAx cos G vAy sin G ZG (8.12) mit ZG nach Gl. 7.3, Kap. 7, bzw. Gl. 8.9. Analog wird der Spreizungsversatz unter fiktiver Annahme einer Längskraft FL am Radmittelpunkt M mit dessen Geschwindigkeitsvektor v M : rV (vMx cos G vMy sinG ZG . (8.13)
244
8 Die Lenkung
Bild 8.8. Geschwindigkeits- und Kräfteplan an einem gelenkten Rade mit räumlicher Lenkgeometrie
Eine Seitenkraft FQ erzeugt, bezogen auf den Lenkwinkel, an der Nachlaufstrecke n das Moment n FQ , und aus der Leistungsbedingung ZG n FQ FQ v A folgen mit den Komponenten FQx FQ sin G FQy FQ cos G
und FQz 0 das Gleichgewicht ZG nFQ vAx FQ sin G vAy FQ cos G und damit die Nachlaufstrecke
n (vAx sin G vAy cos G ZG .
(8.14)
Obwohl an der Radmitte M normalerweise keine Seitenkraft angreift, kann analog zur Berechnung der Nachlaufstrecke mit einer fiktiven Seitenkraft an der Radmitte auch der Nachlaufversatz definiert werden:
nW
(vMx sin G vMy cos G ZG .
(8.15)
Der Radlasthebelarm wird, wie bereits weiter oben gesagt, positiv definiert, wenn das von der Radlast FR am Lenkwinkel G erzeugte Drehmoment rückstellend wirkt, also den Lenkwinkel zu verringern trachtet. Dann ist die Leistung des Drehmoments p FR an der Lenkwinkelgeschwindigkeit ZG gleichzusetzen mit der Leistung der Radlast FR , die nur eine zKomponente besitzt, an der Vertikalgeschwindigkeit des Radaufstandspunktes A bei festgehaltener Federung. Da der Radaufstandspunkt stets in der „Falllinie“ der Radmittelebene, also exakt unterhalb der Radachse liegt, sind seine vertikalen Geschwindigkeitskomponenten bei frei drehbar gelagertem Rade und bei blockierter Radbremse gleich groß; da ferner die Geschwindigkeit v A bei blockierter Bremse von der Berechnung der anderen Kenngrößen her bereits zur Verfügung steht, soll sie der Einfachheit und Einheitlichkeit halber auch für die Bestimmung des Radlasthebelarms verwendet werden. Aus ZG p FR FR v A folgt der Radlasthebelarm
p
vAz / ZG .
(8.16)
8.3 Kenngrößen der Lenkgeometrie
245
Durch Erweiterung von Gl. 8.16 mit dem Zeitdifferential dt erhält man
p
d z /dG
(8.17)
d.h. der Radlasthebelarm ist die erste Ableitung der Hubbewegung des Fahrzeugs nach dem Lenkwinkel. Es wurde bereits erwähnt, dass die Kenngrößen „Spreizung“ und „Nachlaufwinkel“ bei einer Radaufhängung mit räumlicher Lenkgeometrie nur noch für Winkelbeziehungen von Bedeutung sind. Eine für die Auslegung der Lenkgeometrie wegen ihrer Auswirkung auf das Fahrverhalten wichtige Winkelbeziehung ist die Sturzänderung über dem Lenkwinkel dJ dG Mit ZKx ZKz tan W und ZKy ZKz tan V ergibt sich aus Gl. 7.1 die Sturzänderungs-Winkelgeschwindigkeit zu
Z J ZKz (tan W cosG tan V sinG ,
(8.18)
und mit Gl. 8.9 wird dJ dG
tanW cosG tanV sinG . tan J tanW sinG tanV cosG
(8.19)
In der Geradeausstellung (G ist offensichtlich der Gradient des Radsturzes über dem Lenkwinkel dem Nachlaufwinkel W proportional (exakt: nur beim Radsturz J q weil dann der Nenner in Gl. 8.19 den Wert 1 annimmt). Eine anschauliche Erklärung für diese Erscheinung wird in Bild 8.9 versucht: Die Radmitte M beschreibt im Raum eine geneigte Kreisbahn, während der Schnittpunkt DM der Radachse mit der Spreizachse unbeweglich bleibt. Die Höhendifferenz zwischen M und DM ist also dem Radsturz J proportional.
Bild 8.9. Einfluss des Nachlauf- und des Spreizungswinkels auf die Sturzänderung über dem Lenkwinkel
246
8 Die Lenkung
Der „Pol“ P der Radmitte in der Fahrzeug-Seitenansicht ist der Schnittpunkt der Spreizachse mit der Vertikalebene durch M, und der Kreisbogen durch M um P nähert das elliptische Bild der Bahnkurve von M an, deren Tangente in der Geradeausstellung unter dem Nachlaufwinkel W geneigt ist. Der Krümmungsradius in der Seitenansicht ist U rV /(tan V cosW Eine positive Spreizung V krümmt die Kurve bei Lenkeinschlag zu positiven Sturzwinkeln hin, wie aus Bild 8.9 anschaulich hervorgeht. Die Abhängigkeit der Sturzänderung vom Nachlaufwinkel wirkt sich besonders deutlich auf die Auslegung der Lenkgeometrie von Motorrädern aus, welche allerdings auf eine Nachlaufstrecke und einen Nachlaufwinkel beschränkt ist. Das Motorrad ist eine Übergangsform zum Fahrzeug mit „Knicklenkung“, vgl. Bild 8.1b, weil der Massenanteil der Vorderradgabel mit dem Rade und der Bremse an der Fahrzeug-Gesamtmasse relativ groß ist. Wegen der merklichen Schräglage bei Kurvenfahrt ergeben sich am Vorder- und am Hinterrad im allgemeinen unterschiedliche Radsturzwerte gegenüber der Fahrbahn. Ein um 90° eingeschlagenes Vorderrad würde bei einem Nachlaufwinkel von 0° stets einen Radsturz im Bereich um 0° herum gegenüber der Fahrbahn aufweisen, unabhängig vom Neigungswinkel des Fahrzeug-Hauptteils und damit praktisch dem Sturz des Hinterrades. Der Nachlaufwinkel muss daher dem Verwendungszweck des Motorrads angepasst werden (bei Motorrädern wird statt vom Nachlaufwinkel auch vom „Steuerkopfwinkel“ gesprochen; dieser ist der Winkel zwischen der Lenkdrehachse und der Fahrbahn, sein Betrag also 90° W ). Schnelle Reisemotorräder fahren Kurven mit mittlerem bis großem Radius und mit hoher Geschwindigkeit, also starker Schräglage, bei kleinen Lenkwinkeln. Hier genügen mittlere Nachlaufwinkel, um den Sturz des Vorderrades an den des Hinterrades anzupassen. Geländemotorräder („Motocross“-Maschinen) werden mit starker Schräglage und großem Lenkeinschlag durch sehr enge Kurven getrieben, sie erfordern also größere Nachlaufwinkel, damit das Vorderrad in diesen Situationen einen ausreichenden Sturz erhält. Die „Trial“-Motorräder dienen zu akrobatischen Leistungen bei extrem niedriger Fahrgeschwindigkeit und werden dabei fast ohne Schräglage gefahren; deshalb weisen ihre Vorderradgabeln vergleichsweise geringe Nachlaufwinkel auf. Für Zweispurfahrzeuge zeigt Bild 8.10 die exakt berechneten Funktionen des Radsturzes J der Nachlaufstrecke n und des Radlasthebelarms p über dem Lenkwinkel G wobei vier verschiedene Auslegungen der Lenkgeometrie bei „fester“ Spreizachse betrachtet werden. Die Tangente der Sturzkurve J G in Geradeausstellung steigt bei den Achsen 3 und 4 etwa dreimal so steil an als bei den Achsen 1 und 2, was dem Verhältnis der Nachlaufwinkel (9° zu 3°) entspricht; wegen der größeren Spreizung (12° gegen 5°) ist die Kurve 2 erheblich stärker gekrümmt als die Kurve 1, so dass bei vollem kurvenäußerem Lenkeinschlag (G
8.3 Kenngrößen der Lenkgeometrie
247
schließlich ein positiver Sturz erreicht wird. An allen Achsen nimmt die Nachlaufstrecke n kurveninnen zu, kurvenaußen ab (das Rad geht bei vollem kurvenäußerem Lenkwinkel sogar in „Vorlauf“). Der Radlasthebelarm p ist so definiert, dass die Radlast rückstellend wirkt, wenn p und G das gleiche Vorzeichen haben, was hier am kurveninneren Rade stets, am kurvenäußeren aber erst bei größeren Lenkwinkeln erfüllt ist, da alle Varianten in der Geradeausstellung einen gewissen positiven Wert des Radlasthebelarms aufweisen.
Bild 8.10. Sturz, Nachlaufstrecke und Radlasthebelarm über dem Lenkwinkel für vier Varianten der Lenkgeometrie bei „fester“ Spreizachse
248
8 Die Lenkung
Die Achsen 1 und 2 haben keinen Nachlaufversatz nW (die Nachlaufstrecke n entspricht hier dem Produkt aus dem Reifenradius R und dem Tangens des Nachlaufwinkels W so dass die Spreizachse in der Seitenansicht durch die Radmitte verläuft). Dann kommen im Grundriss des Fahrzeugs bei einem bestimmten kurvenäußeren Lenkwinkel, der sich aus tan G tanW tanV berechnen lässt, die Projektionen der Spreizachse und der Radachse zur Deckung, folglich müssen in dieser Stellung die Nachlaufstrecke n und der Radlasthebelarm p zugleich den Wert Null annehmen. Eine von Null verschiedene Nachlaufstrecke n verursacht beim Lenken eine Querbewegung des Radaufstandspunktes relativ zum Koordinatensystem des Fahrzeugs. In der Geradeausstellung, wo die Nachlaufstrecke an beiden Rädern einer Achse noch gleich groß ist, bedeutet dies eine Querverschiebung des Fahrzeugs gegenüber der Fahrbahn. Unterschiedliche Nachlaufstrecken an beiden Rädern, wie sie für größere Radeinschlagwinkel an allen Achsen von Bild 8.10 auftreten, haben beim Lenken im Stand eine gegenseitige Querbewegung der Radaufstandspunkte, also Verzwängungen der Reifen und erhöhte Parkierkräfte zur Folge. Dass auch die Varianten 2 und 4 mit dem Lenkrollradius rS 0 beim Lenken ihre Radaufstandspunkte wegen der von Null verschiedenen Nachlaufstrecken n0 bereits in Geradeausstellung in Fahrzeugquerrichtung verschieben, d. h. offensichtlich ihre Räder nicht an den Radaufstandspunkten auf der Stelle drehen, ist ein Hinweis darauf, dass der Name „Lenkrollradius“ nicht sehr glücklich gewählt ist. Wie bereits gesagt, wird der Lenkrollradius in der Praxis als wirksamer Hebelarm einer Brems- (oder evtl. Antriebs-)kraft bei radträgerfester Momentenstütze angesehen und entspr. Gl. 8.12 so berechnet, als ob der Radaufstandspunkt momentan fest mit dem Radträger verbunden wäre. Es wäre sogar falsch, sich die Mühe zu machen und die Bahn der beim Lenken auftretenden, am Reifenumfang wandernden Radaufstandspunkte zu analysieren, um aus ihrer Krümmung einen „Lenkrollradius“ zu bestimmen, wie das Beispiel in Bild 8.11 zeigt:
Bild 8.11. Bahn des Radaufstandspunktes auf der Fahrbahn bei Lenkeinschlag (Lenkrollradius = 0)
8.3 Kenngrößen der Lenkgeometrie
249
Die jeweiligen Radaufstandspunkte einer Radaufhängung mit einem Lenkrollradius rS 0, aber großem Spreizungs- und Nachlaufwinkel beschreiben über dem Lenkwinkel in der Fahrbahnebene eine Bahnkurve, deren Krümmungsradius in der Geradeausstellung ca. 40 mm beträgt! Der Lenkrollradius als Hebelarm einer Bremskraft um den Durchstoßpunkt D der Spreizachse in der Fahrbahnebene ist aber ständig gleich Null, denn die durch Pfeile gekennzeichneten Spurgeraden der Radmittelebenen weisen alle durch den Punkt D. Bei einer Radaufhängung mit ideeller und damit während des Lenkvorgangs veränderlicher Spreizachse kann auch der Lenkrollradius veränderlich sein, z.B. bei großen Lenkwinkeln anwachsen. Dann ist es zweckmäßig, durch eine entsprechende Ausbildung der hierfür maßgeblichen Achslenker, nämlich eine aufeinander abgestimmte Anordnung der radund der fahrzeugseitigen Gelenkpunkte, das Minimum des Lenkrollradius etwa in die Geradeausstellung zu legen, um Reaktionen am Lenkrad bei einem Bremsvorgang in der Kurve und unterschiedlich großen Lenkrollradien zu minimieren. Der Lenkrollradius erreicht sein Minimum bei dem Lenkwinkel, wo die Polbahntangente (vgl. Kap. 3) der Bewegung des Radträgers in der Fahrbahnebene parallel zur Spur der Radmittelebene erscheint bzw. in diese fällt [64] (s. auch Kap. 13, Bild 13.17). Die Nachlaufstrecke n, ergänzt durch den Reifennachlauf nR , bildet bei Kurvenfahrt den Hebelarm der Seitenkraft. Mit zunehmender Querbeschleunigung dominiert die Seitenkraft des kurvenäußeren Rades; da bei den meisten Radaufhängungen (ausgenommen solche mit V W die Nachlaufstrecke am kurvenäußeren Rade abnimmt und im Grenzbereich des Seitenführungsvermögens des Reifens auch noch der Reifennachlauf zusammenbricht, wird das Rückstellmoment am Lenkrad nicht proportional der Querbeschleunigung anwachsen. Dies ist durchaus erwünscht, da zu hohe Lenkradkräfte zu einer Verspannung der Armmuskeln führen und feinfühlige Lenkreaktionen, wie sie gerade im Grenzbereich wichtig sind, erschweren. Andererseits ist darauf zu achten, dass die Lenkkraft bei wachsender Querbeschleunigung nicht negativ wird. Unterschiedliche Radlasthebelarme an beiden Rädern ergeben ein Rückstellmoment am Lenkrad. Die höhere kurvenäußere Radlast wirkt sich aber nur dann wesentlich aus, wenn der äußere Radlasthebelarm ein negatives Vorzeichen hat, d. h. eine eigenständige Rückstellung an diesem Rade vorhanden ist. Diese „Gewichts-Rückstellmomente“ sind allerdings bei schneller Kurvenfahrt stets merklich kleiner als diejenigen aus der Seitenkraft. Ähnlich wie die Nachlaufstrecke n weist auch der Radlasthebelarm p in Bild 8.10 einen merklichen Gradienten über dem Lenkwinkel in der Geradeausstellung auf. Der Radlasthebelarm wechselt bei demjenigen Lenkwinkel das Vorzeichen, bei welchem der Radaufstandspunkt in der Drauf-
250
8 Die Lenkung
sicht auf der Projektion der Spreizachse liegt und folglich die Radlast kein Moment um diese ausüben kann (dies gilt nicht bei „ideeller“ Spreizachse mit Momentanschraubung!). Demnach liegt bei den Achsen in Bild 8.10 im kurvenäußeren Lenkbereich bei Lenkwinkeln zwischen 0° und ca. –5° (Achse 4) bzw. ca. –32° (Achse 1) keine eigenständige Rückstellung des kurvenäußeren Rades vor. Die resultierende Rückstellung der gesamten Achse ergibt sich bei Fahrt ohne merkliche Querbeschleunigung, also mit gleichen Radlasten an beiden Rädern, aus der Differenz der Radlasthebelarme beider Räder und ist in Bild 8.10 offensichtlich über den vollen Lenkwinkelbereich hinweg gewährleistet. Die Ableitung pc d p /dG in der Geradeausstellung ist der „Hebelarm der Gewichtsrückstellung“ [64, 67], den man sich als Länge eines Pendels vorstellen kann, an welchem eine Masse vom Gewicht der Achslast aufgehängt ist. Bei einer Auslenkung dieses Pendels um den Lenkwinkel G entsteht das Gewichts-Rückstellmoment in der Lenkung. Gewichtsrückstellung ist bei der Geradeausfahrt also stets gegeben, wenn das Diagramm des Radlasthebelarms p über dem Lenkwinkel G eine ansteigende Tangente aufweist. Mit diesem Hebelarm der Gewichtsrückstellung ergibt sich der Lenkmomentanstieg aus der Geradeausstellung heraus, der von der Radlast herrührt, zu
d M /dG
Fz (d p /dG
pcFz .
(8.20)
Bei einer Radaufhängung mir konventioneller Lenkgeometrie, also mit fester Spreizachse während des Lenkvorgangs, berechnet sich der Hebelarm der Gewichtsrückstellung in Geradeausrichtung der Lenkung [67] aus den Kenngrößen der Lenkgeometrie als
pc rV tan V n tanW .
(8.21)
Die Gewichtsrückstellung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Selbstzentrierung der Lenkung bei Geradeausfahrt (solange nicht Regelsysteme in die Lenkung eingreifen). Bei eingeschlagenen Rädern und höherer Querbeschleunigung verliert sie an Bedeutung gegenüber den aus den Seitenkräften entstehenden Momenten. Der Radlasthebelarm p selbst sollte möglichst klein sein, um Rückwirkungen von Radlastschwankungen, z.B. auf schlechter Fahrbahn, auf die Lenkung zu vermeiden. Bei den vorstehenden Berechnungen wurde angenommen, dass die Feder der Radaufhängung sich auf einem der Radführungsglieder abstützt und über das radträgerseitige Gelenk desselben auf den Radträger wirkt. Dann ist während eines Lenkvorgangs mit festgehaltener Federung und konventioneller Lenkgeometrie die Spreizachse im Raum unveränderlich, und die Funktion p(G ist unabhängig von der Position und Übersetzung des Federelements. Die Gewichtsrückstellung ist daher bei einer solchen
8.3 Kenngrößen der Lenkgeometrie
251
(und in der Praxis bei gelenkten Achsen vorherrschenden) Federanordnung allein durch die Lage der Spreizachse und damit nach Gl. 8.21 festgelegt. Die Gewichtsrückstellung kann aber auch von der Geometrie der Spreizachse unabhängig gestaltet werden, indem das Federelement unmittelbar am Achsschenkel bzw. Radträger abgestützt wird. In Bild 8.12a ist schematisch eine Federung über einen Drehstab dargestellt, dessen Hebel über ein kurzes Pendel p exzentrisch zur Spreizachse an einem Radträger angelenkt ist, wobei das Pendel in Geradeausstellung etwa parallel zur Spreizachse liegt. Bei Lenkeinschlag wird sich das Pendel schräg stellen, so dass seine Zugkraft (die mit der Radlast im Gleichgewicht stehende Federungskraft) ein Drehmoment um die Spreizachse ausübt und das Fahrzeug um einen Weg ' z anhebt. Bild 8.12b zeigt eine vergleichbare Lösung mit einer Schraubenfeder, bei Rennwagen als „Pullrod“-Anordnung bekannt. Bei Radaufhängungen mit ideeller und damit normalerweise während des Lenkvorgangs veränderlicher Spreizachse gilt Gl. 8.21 nicht. Der Radlasthebelarm p und der Hebelarm der Gewichtsrückstellung pc können durch die Anordnung der Gelenke der Radaufhängung und des Federelements beeinflusst werden [64]. Selbstverständlich muss die bei aller Art von Gewichtsrückstellung anfallende Hubarbeit des Vorderwagens am Lenkgetriebe (bzw. bei Fahrzeugen ohne Servolenkung: am Lenkrad) aufgebracht werden. Neben der Gewichtsrückstellung entsteht, wenn die Radlasthebelarme pa und pi am kurvenäußeren bzw. kurveninneren Rade nicht umgekehrt gleich groß sind ( pa pi ), also wenn die Anhebung des Fahrzeugs über beiden Rädern der Achse unterschiedlich oder gar gegensinnig abläuft, eine „Federungsrückstellung“ infolge Verwindung des Fahrzeugs gegen seine – entspr. Gl. 5.27 in Kap. 5 „in Serie“ anzusetzenden – Wankfederraten der Vorder- und der Hinterachse, welche aber bei üblichen Federungsabstimmungen nur wenige Prozent der Gewichtsrückstellung erreicht und daher vernachlässigt werden kann.
Bild 8.12. Frei wählbare Gewichtsrückstellung
252
8 Die Lenkung
Die Wirkung einer Antriebs- oder ggf. auch Bremskraft auf die Lenkung bei Drehmomentübertragung durch eine Gelenkwelle wird im allgemeinen nach dem Spreizungsversatz rV beurteilt; andererseits ist bekannt, dass unterschiedliche Gelenkwellen-Beugewinkel an angetriebenen Vorderrädern störende Lenkmomente verursachen. Der über dem Federweg und damit dem Beugewinkel meistens konstante Spreizungsversatz kann also nur näherungsweise bzw. unter bestimmten Voraussetzungen auch als wirksamer Hebelarm der Antriebs- oder Bremskraft betrachtet werden. In der Frühzeit der Fahrzeugtechnik, als zuverlässige Wellengelenke besonders für große Beugewinkel noch nicht verfügbar waren, wurde das Problem des Antriebs lenkbarer Räder gelegentlich auf andere Art gelöst: Eine konzentrisch zum Achsschenkelbolzen einer Starrachse umlaufende Zwischenwelle mit Kegelritzeln leitete das Antriebsmoment von einem fahrzeugseitigen Tellerrad auf ein radseitiges weiter, Bild 8.13. In Erinnerung an Bild 6.17 in Kap. 6 wird anschaulich sofort klar, dass bei einer Lenkbewegung des Radträgers K um die Spreizachse d bei als „blockiert“ angenommener Momentenstütze (dem Motor oder der Bremse, hier also auch der Ritzelwelle) das mit dem Fahrzeugrade verbundene Tellerrad am Verzahnungs-Eingriffspunkt E abwälzen muss, so dass die effektive Drehachse d des Radkörpers durch E und den Mittelpunkt T des Kegeltriebs bestimmt wird. Eine Umfangskraft am Rade wirkt also an dem Hebelarm zwischen dem Schnittpunkt von d mit der Fahrbahnebene und dem Radaufstandspunkt A, der hier als neue Lenkungs-Kenngröße „Triebkrafthebelarm“ rT eingeführt werden möge [63].
Bild 8.13. Antrieb eines lenkbaren Rades über umlaufende Kegelräder
Bild 8.14. Analogie zwischen Gleichlaufgelenk und Kegelradtrieb
8.3 Kenngrößen der Lenkgeometrie
253
Der Index „T“ könnte auch als allgemeiner Hinweis auf die „Transmission durch Gelenkwellen“ aufgefasst werden, um den seltenen Fall der Bremskraftübertragung durch Gelenkwellen mit einzubeziehen. Nachteilig an der Lösung nach Bild 8.13 sind der Leistungsverlust, die Geräuschentwicklung und der Verschleiß an den ständig umlaufenden Kegelrädern; dafür ergibt sich ein einwandfreier Gleichlauf in der Drehmoment- und Drehzahlübertragung. Offensichtlich wäre es leicht möglich, die effektive Drehachse d durch die Wahl der Kegelradübersetzung in den Radaufstandspunkt A zu legen und damit den Triebkrafthebelarm rT zu Null zu machen. Damit wäre die Lenkung trotz eines großen Spreizungsversatzes rV frei von Störungen durch die Antriebskraft. Beim Lenken im Stand könnte das Rad ohne Verdrehung der fahrzeugseitigen Antriebswelle, also auch bei blockiertem Triebwerk, frei abrollen (dieses Kriterium wäre im übrigen allgemeingültig, also auf alle lenkbaren Antriebsräder unabhängig von der Bauart der Radaufhängung und des Antriebsstranges anwendbar, wenn auch angesichts der Elastizitäten in Radaufhängung und Antriebsstrang versuchstechnisch wohl kaum nachzuprüfen). Die Drehmomentübertragung durch die Kegelräder in Bild 8.13 lässt mit ein wenig Phantasie bereits ahnen, was bei der allgemein üblichen Drehmomentübertragung durch Gleichlauf-Gelenkwellen vor sich geht: die beiden Wellenhälften an einem Gleichlaufgelenk kann man sich bei gegebenem und festgehaltenem Beugewinkel stets durch ein entsprechendes Kegelräderpaar verbunden denken [73], Bild 8.14. Die bisher angewandte Methode, wirksame Hebelarme äußerer Kräfte durch den Vergleich der „Leistungen“ derselben an den Verschiebungsgeschwindigkeiten ihrer Angriffspunkte und der „Leistungen“ der Reaktionsmomente an der Lenkwinkelgeschwindigkeit zu bestimmen, erlaubt mit ähnlich geringem Aufwand auch die Berechnung des Triebkrafthebelarms unter Berücksichtigung des zwischengeschalteten Kraftübertragungsstranges, der aus Gelenkwellen und evtl. radträgerfesten Vorgelege-Untersetzungsgetrieben bestehen kann. Aus einer Winkelgeschwindigkeit Z K des Radträgers während eines fiktiven Lenkvorgangs bei blockierter Federung und blockierter Momentenstütze können die Bewegungsverhältnisse an den Gleichlaufgelenken einer Gelenkwelle und an einem Vorgelegegetriebe im Radträger sowie die daraus folgende Relativ-Winkelgeschwindigkeit der Radwelle gegenüber dem Radträger nach dem in Kap. 3, Abschn. 3.6 beschriebenen Rechenansatz ermittelt und daraus die Absolut-Winkelgeschwindigkeit ZR des Radkörpers bestimmt werden. Mit der für den Radträger wie den Radkörper gleichermaßen verwendbaren Bezugsgeschwindigkeit v M der Radmitte ergibt sich am Radaufstandspunkt die zu einer fiktiven Lenkbewegung bei festgehaltener Federung und blockierter Momentenstütze gehörende Geschwindigkeit v
A nach Gl. 3.35.
254
8 Die Lenkung
Mit der Geschwindigkeit v
A kann der Triebkrafthebelarm für ein über Gelenkwellen und ggf. Vorgelegegetriebe bewegtes Rad auf die gleiche Weise berechnet werden wie die bereits vorgestellten Kenngrößen der Lenkgeometrie. Analog zu Gl. 8.12 für die Bestimmung des Lenkrollradius erhält man die formal gleiche, aber mit der für den Gelenkwellenbetrieb
gültigen Geschwindigkeit v
A anstelle von v A besetzte Gleichung für den Triebkrafthebelarm
rT
(vAx cos G vAy sin G ZG .
(8.22)
Dieser „Triebkrafthebelarm“ kann natürlich ebenso als „Bremskrafthebelarm“ definiert werden, wenn eine fahrgestellfeste Bremse über Gelenkwellen mit dem Rade verbunden ist; er ersetzt dann bezüglich der Auswirkungen auf die Lenkung den Lenkrollradius rS . Wie bereits in Kap. 6 bei der Diskussion um die „Stützwinkel“ ausgeführt, werden bei Verwendung von Kardangelenken mit ihrem im gebeugten Zustand zweimal je Umdrehung wechselnden Übertragungsverhältnis der Winkelgeschwindigkeit auch „Triebkrafthebelarme“ entstehen, deren Größe zweimal je Umdrehung wechselt. Dies erzeugt zwar am Lenkgestänge ein pulsierendes Moment unter Antriebs- bzw. Bremskraft, für den effektiven Triebkrafthebelarm ist aber ein Kardangelenk rechnerisch wie ein Gleichlaufgelenk zu behandeln. Die Definition des Triebkrafthebelarms nach Gl. 8.22 hat den Vorteil, dass nun auch für eine Antriebs- oder Bremskraft bei Gelenkwellen im Übertragungsstrang eine Kenngröße zur Verfügung steht, die sich auf den tatsächlichen Angriffspunkt der Kraft, nämlich den Radaufstandspunkt, bezieht und nicht wie der Spreizungsversatz auf die Radmitte. Die Anwendung dieser neuen Kenngröße rT führt zu interessanten und bei Kenntnis der in den Bildern 3.17–3.20 in Kap. 3 veranschaulichten Zusammenhänge unschwer interpretierbaren Ergebnissen. Die von den Gelenkwellen und evtl. einem Vorgelegegetriebe beeinflusste Winkelgeschwindigkeit ZR des Radkörpers unterscheidet sich von der Winkelgeschwindigkeit ZK des Radträgers nur durch eine in Richtung der Radachse wirkende Winkelgeschwindigkeit ZR, K (vgl. auch Kap. 3). Die fiktive Geschwindigkeit v A des Radaufstandspunktes bei als blockiert angesehener Momentenstütze wird daher bei Berücksichtigung der Gelenkwellen und Vorgelegegetriebe nur durch eine Geschwindigkeitskomponente in Radumfangsrichtung zur Geschwindigkeit v
A ergänzt. Die erwähnte Geschwindigkeitskomponente liegt also am Radaufstandspunkt in der Spurgeraden der Radmittelebene auf der Fahrbahn und steht damit senkrecht auf den Vektoren der Radlast und der Seitenkraft, weshalb der Radlasthebelarm p und die Nachlaufstrecke n von der Art der Antriebsoder Bremskraftübertragung nicht berührt werden.
8.3 Kenngrößen der Lenkgeometrie
255
Bild 8.15. Lenkbare Radaufhängung für vergleichende Untersuchungen
Bei der Untersuchung einer typischen PKW-Radaufhängung mit konventioneller Lenkgeometrie bzw. radträgerfester Spreizachse, Bild 8.15, zeigt es sich, dass der Triebkrafthebelarm rT über dem Lenkwinkel G ähnlich wie der Lenkrollradius rS und der Spreizungsversatz rV , praktisch konstant bleibt. Interessanter ist dagegen sein Verlauf über dem Radhub s, Bild 8.16: Während der Lenkrollradius und der Spreizungsversatz sich mit dem Radhub nicht sichtbar verändern, nimmt der Triebkrafthebelarm, der hier in Konstruktions- bzw. Normallage nahezu gleich dem Spreizungsversatz ist, beim Einfedern merklich ab bzw. beim Ausfedern zu.
Bild 8.16. Der Triebkrafthebelarm über dem Radhub im Vergleich zum Spreizungsversatz und zum Lenkrollradius bei radträgerfester Spreizachse
256
8 Die Lenkung
Damit erklärt sich sofort das typische Verhalten eines Fahrzeugs mit Vorderradantrieb bei Kurvenfahrt: Bei gleichen Vortriebskräften an beiden Rädern (unter Vernachlässigung der Differentialreibung) versucht die Vortriebskraft am ausgefederten kurveninneren Rade über ihren gegenüber dem eingefederten kurvenäußeren Rade größeren Triebkrafthebelarm die Vorderräder in die Geradeausstellung zu drehen, und bei Motorbremsung kehrt sich diese Tendenz um. Mit der Kenntnis der in Kap. 3 beschriebenen Bewegungsabläufe lässt sich die Abhängigkeit des Triebkrafthebelarms vom Radhub in einfacher Weise erklären, indem die im Fahrzeugquerschnitt auftretenden Winkelgeschwindigkeiten betrachtet werden, wobei angenommen wird, dass die Gelenkwelle sich nicht aus der Querschnittsebene herausbewegt, Bild 8.17. In der Konstruktionslage, Bild 8.17a, ist am radseitigen Gelenk Ga kein Beugewinkel vorhanden. Die Relativ-Winkelgeschwindigkeit ZR, W zwischen der Radwelle und dem Gelenkwellen-Mittelstück W beim Lenkvorgang unter Annahme einer blockierten Momentenstütze liegt in der Winkelhalbierenden der Wellenhälften am Gelenk, hier also der Vertikalen. Sofern Ga nahe genug an der Spreizachse d liegt, was in praxi nach Möglichkeit so ausgeführt wird, kann die Winkelgeschwindigkeit ZW des Wellenmittelstücks, wenn sie nicht ohnehin Null ist, vernachlässigt werden, und ZR, W ist dann praktisch gleich der Absolut-Winkelgeschwindigkeit des Radkörpers ZR . Diese weicht von der in die Spreizachse d fallenden Winkelgeschwindigkeit ZK des Radträgers ab, so dass sich die Relativ-Winkelgeschwindigkeit ZR, K ergibt, mit welcher das Rad sich gegenüber dem Radträger in seinem Radlager dreht. Da der Schnittpunkt H der Radachse mit der Spreizachse d im Fahrzeugquerschnitt bewegungslos erscheint, bildet dort die durch H parallel zu ZR verlaufende Gerade d die effektive Drehachse des Radkörpers. Diese liegt in Bild 8.17a parallel zur Radmittelebene, weshalb der Triebkrafthebelarm rT momentan gleich dem Spreizungsversatz rV ausfällt. Für die Radstellung, bei welcher am radseitigen Wellengelenk kein Beugewinkel auftritt, kann also offensichtlich der Spreizungsversatz in etwa den Triebkrafthebelarm vertreten. Bild 8.17b zeigt die Radaufhängung schematisch in eingefedertem Zustand, wo am radseitigen Wellengelenk ein Beugewinkel D entstanden ist. Die Winkelgeschwindigkeit ZR des Radkörpers stellt sich nun in die Winkelhalbierende der beiden Wellenhälften am Gelenk ein und neigt sich daher ein wenig in die Richtung der Spreizachse d. Die Relativ-Winkelgeschwindigkeit ZR, K ist kleiner geworden, und die Drehachse d des Radkörpers schneidet die Fahrbahnebene in einem Punkt D in einem im Vergleich zur Konstruktionslage (Bild 8.17a) verringerten Abstand rT vom Radaufstandspunkt A. Die umgekehrten Verhältnisse würden sich am ausgefederten Rade ergeben.
8.3 Kenngrößen der Lenkgeometrie
257
Bild 8.17. Winkelgeschwindigkeiten von Rad und Radträger beim Lenkvorgang und Drehmomentübertragung durch eine Gelenkwelle
Aus Bild 8.17 lässt sich eine einfache und anschauliche Methode ableiten, um bei einer Radaufhängung mit Antrieb über eine quer liegende Gelenkwelle die Größe des Triebkrafthebelarms abzuschätzen, Bild 8.18: man zeichne durch den Schnittpunkt H der Radachse a mit der Spreizachse d eine Parallele d zur Winkelhalbierenden zwischen Radachse und Gelenkwelle, die die Fahrbahn im Abstand rT vom Radaufstandspunkt A schneidet (dies gilt übrigens auch bei „ideeller“ Spreizachse).
Bild 8.18. Näherungskonstruktion des Triebkrafthebelarms bei abgewinkelter Gelenkwelle
258
8 Die Lenkung
Bei Fahrzeugen mit Frontantrieb wird eine Verringerung des Triebkrafthebelarms und damit des Spreizungsversatzes angestrebt, um den störenden Einfluss instationärer Antriebskräfte z.B. bei Bodenwellen oder wechselnden Reibwerten möglichst auszuschalten. Bei positiver Spreizung V führt dies zu einem nochmals kleineren Lenkrollradius, was wiederum den Bemühungen entgegenkommt, die Lenkung von instationären Bremskräften z.B. während der Regelungsphase eines Anti-Blockier-Systems freizuhalten. Ist der Spreizungswinkel, wie dies bei Feder- oder Dämpferbeinachsen kaum vermeidbar ist, sehr groß, so ergibt sich dann evtl. ein „negativer“ Lenkrollradius, der dem Betrage nach klein bleiben muss, um Fehlinformationen am Lenkrad über die Verteilung ungleich großer Bremskräfte, und damit evtl. Fehlreaktionen des Fahrers, besonders bei Bremsbeginn zu verhüten. An einfachen Fahrzeugen mit Vorderradantrieb und quer im Fahrzeug angeordnetem Triebwerk finden sich meistens ungleich lange Gelenkwellen an den beiden Rädern als Folge der außermittigen Lage des Differentialgetriebes. In Bild 8.19 ist der Verlauf der Triebkrafthebelarme an beiden Rädern über dem Radhub s bei ungleich langen Gelenkwellen dargestellt. Deren Differenz bei paralleler Ein- oder Ausfederung der Räder ergibt auch bei symmetrischen Antriebs- oder Schubkräften ein resultierendes Lenkmoment. Dieses macht sich z.B. bei Geradeausfahrt und Beschleunigung oder Gasrücknahme bemerkbar, wenn in der betreffenden Fahrsituation Beugewinkel an den Gelenken vorhanden sind oder wenn das Fahrzeug infolge des Lastwechsels aus- oder einfedert.
Bild 8.19. Unterschiedliche Triebkrafthebelarme der Räder an einer Achse mit ungleich langen Antriebs-Gelenkwellen
8.3 Kenngrößen der Lenkgeometrie
259
Bei Kurvenfahrt und gegensinniger Ein- bzw. Ausfederung der beiden Räder wird sich am kurvenäußeren Rade stets ein kleinerer Triebkrafthebelarm einstellen als am kurveninneren, auch wenn beide Gelenkwellen gleich lang sind. Da heute selbst Kleinwagen nahezu standardmäßig mit Servolenkungen ausgestattet sind, welche Störkräfte an den Rädern stark abgemildert an das Lenkrad weitergeben, ist das Problem der Lenkrad-Reaktionen bei Frontantrieb etwas in den Hintergrund getreten. Dabei darf aber nicht in Vergessenheit geraten, dass die Störkräfte weiterhin vorhanden sind und auf die Radführungsglieder wirken und z.B. durch elastische Verformungen der Radaufhängung Lenkwinkel erzeugen können. Die Verwendung einer Servolenkung befreit also nicht von der Aufgabe, die Kinematik und die Elasto-Kinematik der Radaufhängung sorgfältig auszulegen. Lenkreaktionen an den Vorderrädern werden den Fahrer um so mehr verunsichern, je weniger Signale er von diesen ans Lenkrad geliefert bekommt. Nach den Betrachtungen zum Gelenkwellenantrieb anhand der Bilder 8.16 und 8.17 fällt es nicht mehr schwer, auch die Auswirkungen eines im Radträger eingebauten Untersetzungs-Vorgelegegetriebes auf den Triebkrafthebelarm zu interpretieren. Bild 8.20 zeigt den Verlauf des letzteren über dem Radhub für die gleiche Radaufhängung wie in Bild 8.15, wenn am Radträger Vorgelegegetriebe angenommen werden, welche die Drehzahl der Radwelle gegenüber der Gelenkwelle im Verhältnis 2:1 herabsetzen, und zwar einmal unter Beibehaltung des Drehsinns (i = 2) und das andere Mal bei Drehrichtungsumkehr (i = –2). Zum Vergleich ist der Triebkrafthebelarm der Radaufhängung ohne Vorgelegegetriebe, also gewissermaßen mit der Untersetzung i = 1, eingezeichnet.
Bild 8.20. Der Triebkrafthebelarm über dem Radhub bei verschiedenen VorgelegeUntersetzungen
260
8 Die Lenkung
Die Kurven für i = 2 und i = –2 liegen etwa symmetrisch zu einer Vertikalen, die dem Hebelarm rT = 15 mm entspricht, und diesen Wert hat bei der betrachteten Radaufhängung der Lenkrollradius rS (vgl. Bild 8.16). Der Grund hierfür wird anschaulich klar, wenn vereinfacht die Bewegungsabläufe zwischen der Gelenkwelle W, dem Radträger K und dem Rade im Fahrzeugquerschnitt analog zu Bild 8.17 untersucht werden, wobei wieder angenommen werden soll, dass am inneren Wellengelenk und damit am Wellenmittelstück keine Bewegung während des fiktiven Lenkvorgangs bei festgehaltener Federung auftreten soll, Bild 8.21. Dann ergibt sich die Absolut-Winkelgeschwindigkeit Z Z der VorgelegeEingangswelle Z (in Kap. 3 als „Zwischenwelle“ bezeichnet) als Vektor in der Winkelhalbierenden der Welle Z und des Wellenmittelstücks W, aber die Relativ-Winkelgeschwindigkeit Z Z, K zwischen der Welle Z und dem Radträger K wird durch das Vorgelegegetriebe um den Faktor i der Getriebeuntersetzung verringert als Winkelgeschwindigkeit ZR, K Z Z, K / i an die Radwelle weitergegeben. Die geometrische Summe Z R Z K Z R, K ist der Vektor der Absolut-Winkelgeschwindigkeit des Radkörpers. In Konstruktionslage ohne Beugewinkel am äußeren Wellengelenk ist in Bild 8.21a die Winkelgeschwindigkeit Z R, K für die Untersetzung i = 2 gleichgerichtet, aber halb so groß wie Z Z, K , und der Vektor der AbsolutWinkelgeschwindigkeit Z R des Radkörpers neigt sich auf die Spreizachse d zu, so dass die effektive Schwenkachse d* des Radkörpers die Fahrbahn in einem Abstand rT vom Radaufstandspunkt A schneidet, der kleiner ist als der Spreizungsversatz rV , aber noch größer als der Lenkrollradius rS .
Bild 8.21. Einfluss einer Vorgelege-Untersetzung auf den Triebkrafthebelarm a) gleichläufiges und b) gegenläufiges Untersetzungsgetriebe.
8.3 Kenngrößen der Lenkgeometrie
261
Bei Drehrichtungsumkehr zwischen der Vorgelege-Eingangswelle und der Radwelle, Bild 8.21b, mit der Untersetzung i = –2 ist die Winkelgeschwindigkeit Z R, K der Radwelle im Radträger der doppelt so großen Winkelgeschwindigkeit Z Z, K der Eingangswelle des Vorgeleges entgegengerichtet, und es stellt sich eine Absolut-Winkelgeschwindigkeit ZR des Radkörpers ein, die stärker gegen die Vertikale geneigt ist als die Spreizachse d. Hier wird also der Triebkrafthebelarm in Konstruktionslage kleiner als der Lenkrollradius. Wäre die Vorgelege-Untersetzung unendlich groß, so fielen die Vektoren der Winkelgeschwindigkeiten Z R des Radkörpers und ZK des Radträgers zusammen. Mit i f wird allerdings die Gelenkwelle auch bei beliebig hoher Drehzahl keine Relativbewegung zwischen Radkörper und Radträger mehr erzeugen können; der Radkörper wäre „radträgerfest“ und damit die Momentenstütze ebenfalls. Dies entspräche dem Grenzfall des „Radnabenmotors“, wo der Lenkrollradius rS zugleich als Triebkrafthebelarm auftritt. Die aus Bild 8.21 ablesbaren geometrischen Bedingungen ermöglichen eine einfache Abschätzung des Triebkrafthebelarms rT für gegebene Werte des Lenkrollradius rS , des Spreizungswinkels V des Radsturzes J des Beugewinkels D am äußeren Wellengelenk, des Reifenradius R und des Untersetzungsverhältnisses i (<0 für Drehrichtungsumkehr) des Vorgelegegetriebes: mit den Winkelangaben im Bogenmaß (rad) wird
rT | rS ( R / i )(V J D .
(8.23)
Beim Ein- und Ausfedern ändert sich der Beugewinkel am radseitigen Wellengelenk, damit die Richtung der Winkelhalbierenden zwischen der Vorgelege-Eingangswelle und dem Wellenmittelstück und folglich die Relativ-Winkelgeschwindigkeit der Eingangswelle gegenüber dem Radträger. Die Relativ-Winkelgeschwindigkeit des Radkörpers ist gegenüber der der Eingangswelle um den Faktor i untersetzt, somit fällt ihre Änderung über dem Radhub und dementsprechend die Neigungsänderung der effektiven Drehachse d geringer aus. Eine Vorgelege-Untersetzung im Radträger reduziert also die Veränderung des Triebkrafthebelarms über dem Radhub, mit anderen Worten die Auswirkungen der Antriebskräfte auf die Lenkung bei Kurvenfahrt oder bei ungleich langen Gelenkwellen. Vorgelege-Untersetzungsgetriebe im Radträger werden hauptsächlich aus zwei Gründen, und daher in unterschiedlicher Bauweise, angewandt: einmal bei Geländefahrzeugen zwecks Vergrößerung der Bodenfreiheit (dann als Stirnradgetriebe mit Wellenversatz, oft ohne wesentliche Untersetzung), zum anderen bei Schwerfahrzeugen zwecks Gewichtseinsparung an den Übertragungselementen im Antriebsstrang (dann vorwiegend als Planetengetriebe mit konzentrischer Ein- und Ausgangswelle, wie auch in Bild 8.21 angenommen, und mit deutlicher Untersetzung).
262
8 Die Lenkung
In den angetriebenen Starrachsen von Schwerlastwagen verändert sich der Beugewinkel des radseitigen Wellengelenks nicht über dem Radhub; die Skizzen in Bild 8.21 stellen also für solche Achsen den Dauerzustand dar. Hier ergibt sich über dem Federweg keine Veränderung des Triebkrafthebelarms. Bei gegebenem und merklich von Null verschiedenem Spreizungswinkel lässt sich dann offensichtlich durch die Wahl der Vorgelege-Untersetzung der Triebkrafthebelarm klein halten mit den entsprechenden Vorteilen für die Belastung des Lenkgestänges und der Antriebselemente. Das Planeten-Vorgelegegetriebe in Bild 8.22 treibt das Rad über den Planetenträger an, so dass die Antriebswelle und das Rad gleichsinnig, hier mit einer Untersetzung um 3:1, drehen (vgl. Bild 8.21a).
Bild 8.22. Achsschenkel einer LKW-Vorderachse mit Planeten-Vorgelegegetriebe (Werkbild MAN Nutzfahrzeuge AG)
Wie in den vorangehenden Kapiteln sind auch hier die Kenngrößen der Lenkgeometrie an einem „starren“ Mechanismus mit unelastischen Lagern und Lenkern definiert worden. Das Argument, dass die Elastizitäten der Lenkerlager keine relevanten Änderungen an den Kräfteverhältnissen der Radaufhängung verursachen, gilt auch für einige der Lenkungs-Kenngrößen, aber für andere nur mit Einschränkung. Angesichts der kleinen Beträge der Kenngrößen Lenkrollradius, Nachlaufstrecke und Triebkrafthebelarm erreichen nämlich die elastischen Querverschiebungen der Radaufstandspunkte gegenüber den Felgen bei Fahrt mit hoher Querbe-
8.4 Das Lenkgestänge
263
schleunigung (vgl. Kap. 7, Bild 7.27) deren Größenordnung und sind folglich nicht mehr vernachlässigbar. Zwar werden Fahrzustände im fahrdynamischen Grenzbereich vorzugsweise mit Simulationsprogrammen analysiert, in denen alle beteiligten Bauteile so wirklichkeitsgetreu als möglich modelliert sind; sollten derartige Untersuchungen aber unter Verwendung der vorstehend definierten „Kenngrößen“ vorgenommen werden, so empfiehlt es sich, die Querverformungen der Reifen zum Lenkrollradius bzw. Triebkrafthebelarm zu addieren bzw. von diesen Radien zu subtrahieren, ähnlich wie die geometrische Nachlaufstrecke bei Seitenkraft durch den aktuellen Reifennachlauf zu ergänzen ist.
8.4 Das Lenkgestänge 8.4.1 Bauarten Die Übertragung der vom Fahrer am Lenkrad bzw. Lenkgetriebe eingeleiteten Lenkbewegung auf die Fahrzeugräder erfolgt durch das Lenkgestänge. Dieses muss, von Ausnahmen (Dubonnet-Achsen) abgesehen, auch die Federungsbewegung der Radaufhängung mit vollziehen. Bei Einzelradaufhängungen sind daher im allgemeinen zwei seitliche Spurstangen zwischen dem Radträger und dem Lenkgetriebe vorgesehen, deren Anordnung auf die Bauart der Radaufhängung und das gewünschte Eigenlenkverhalten Rücksicht zu nehmen hat. Gebräuchliche Lenkgestängeanordnungen für Einzelradaufhängungen sind in Bild 8.23 zusammengestellt, wobei heute wegen der üblichen längselastischen Aufhängung nur noch etwa quer zur Fahrtrichtung liegende Spurstangen in Frage kommen. Im Beispiel a sind die Drehachsen des Lenkstockhebels am Lenkgetriebe L und des Zwischen- oder Führungshebels der gegenüberliegenden Fahrzeugseite parallel ausgerichtet, und diese beiden Hebel bilden mit der mittleren Spurstange ein ebenes Gestänge. Die äußeren Spurstangen sind unabhängig von der mittleren am Lenkstock- und am Führungshebel angelenkt. Beide Hebel machen zweckmäßigerweise gleich große Winkelausschläge nach beiden Seiten, um eine für Links- und Rechtskurven symmetrische Lenkgeometrie und gleiche Lenkrad-Umdrehungszahlen zu erreichen. Die Anordnung von Bild 8.23a hat zur Folge, dass alle sechs Gelenke der Spurstangen etwa den vollen Lenkwinkel ausführen müssen (Reibung!) und dass ihre Elastizitäten sich in Reihe addieren. Wird die mittlere Spurstange an ecksteifen Drehgelenken geführt, Beispiel b, so können die äußeren Spurstangen an dieser angelenkt werden (in Grenzen auch außermittig), was einerseits konstruktive Freiheiten der
264
8 Die Lenkung
räumlichen Anordnung schafft, andererseits die geometrische Vielfalt einschränkt, denn sämtliche Punkte der mittleren Spurstange, also auch die inneren Gelenke der äußeren Spurstangen, ahmen im Raum parallel versetzt die Kreisbewegung des Lenkstockhebels nach, die in Geradeausstellung quer zur Fahrtrichtung erfolgt. Nur vier Gelenke nehmen am vollen Lenkwinkel teil, was die Gesamtreibung reduziert; auch sind nur vier Gelenke in der Verbindung der beiden Fahrzeugräder mit ihren Elastizitäten hintereinander geschaltet. Wenn an einer Radaufhängung der Spreizungs- oder der Nachlaufwinkel (oder beide) sehr groß sind, passt ein ebenes Lenkgestänge nicht optimal zur räumlich geneigten Bewegungsbahn der äußeren Spurstangengelenke, so dass bei größeren Lenkwinkeln Lenkfehler beim Ein- und Ausfedern entstehen. Daher werden die Drehachsen des Lenkstock- und des Führungshebels auch spiegelbildlich gegeneinander geneigt ausgeführt, Beispiel c. Wenn die mittlere Spurstange an Kugelgelenken aufgehängt ist, müssen die Gelenke der äußeren Stangen bei Anlenkung an der mittleren wegen deren Eigendrehung auf ihrer Mittellinie liegen (d), oder das mittlere Gestänge wird „sphärisch“ mit ecksteifen Gelenken ausgeführt, deren Drehachsen sich im Schnittpunkt Z von Lenkstock- und Führungshebelwelle treffen (e). Um gleich große und symmetrische Winkelausschläge G Lmax beider Hebel zu erhalten, muss der Abstand l1 der Lotfußpunkte der mittleren Spurstange auf den Hebeldrehachsen kleiner sein als die Spurstangenlänge l2 [25]: l2 l1 2r ² sin ²D cosG Lmax ) / l1. Diese Gleichung gilt auch für Lenkgestänge nach Bild 8.23c bzw. d.
Bild 8.23. Lenkgestänge für Einzelradaufhängungen
8.4 Das Lenkgestänge
265
Umlenk- oder „Kipphebel“ als Lenkstock- und Zwischenhebel sind ungünstig wegen der hohen Reaktionskräfte und der daraus folgenden elastischen Verformungen (Beispiel f). Mit einer Zahnstangenlenkung, bei welcher im einfachsten Falle die Zahnstange auch die Rolle der mittleren Spurstange übernimmt (g), sind nur geradlinige Bewegungen der inneren Gelenke der seitlichen Spurstangen möglich. Selten werden Zahnstangenlenkungen mit Zwischenhebeln oder –gestängen kombiniert (h). Bei Starrachsen werden die Achsschenkel im allgemeinen über eine durchgehende Spurstange 3 verbunden („Lenktrapez“), Bild 8.24, und eine Lenkschubstange 2 steuert einen der Achsschenkel vom Lenkstockhebel 1 aus an. Die Lenkschubstange muss unter Berücksichtigung der Achsaufhängung und des Eigenlenkverhaltens eingebaut werden, vgl. Kap. 7, Abschn. 7.5, ferner ist zu beachten, dass gleichen Lenkradwinkeln G H bei Links- und Rechtseinschlag einmal der kurveninnere und einmal der kurvenäußere Radeinschlagwinkel zuzuordnen sind. Gelegentlich werden auch „geteilte“ Spurstangen 3a und 3b, z.B. mit einem Umlenkhebel 4 auf der Achsbrücke, angewandt, Beispiel b. Jedes Gestänge weist eine mit dem Lenkwinkel veränderliche Gestängeübersetzung iL zwischen dem Lenkstockhebel und jedem der Achsschenkel auf, und mit
iLa,i
dG L / dG a,i
Bild 8.24. Lenkgestänge für Starrachsen
(8.24)
266
8 Die Lenkung
und der Lenkgetriebeübersetzung iH übersetzung, vgl. Gl. 8.1,
iS
dG H / dG L wird die Gesamt-Lenk-
iH (iLa iLi ) / 2.
Bei Zahnstangenlenkungen ist entsprechend Gl. 8.3 iH die Gestängeübersetzung iLa,i
d h /dG a,i .
(8.25)
dG H / d h und (8.26)
Gelenkte Doppel-Starrachsen, Bild 8.24c, benötigen im allgemeinen zwei unterschiedlich ausgelegte Lenktrapeze (Spurstangen 3a und 3b) und zwei Lenkschubstangen 2a und 2b, wobei ein Zwischenhebel 5 die Rolle des Lenkstockhebels für die zweite Achse übernimmt und über eine Zwischenstange 4 angesteuert wird. Eine sehr einfache Lösung, die nur für lenkergeführte Achsen in Frage kommt, zeigt das Beispiel d. Die unteren Längslenker der zweiten Achse sind in Verlängerung derjenigen der ersten an dieser angelenkt, die zweite Lenkschubstange 2b kann daher ohne Zwischenhebel direkt am Lenkhebel der ersten Achse angebracht werden. Der auch die Seitenkraft aufnehmende Dreiecklenker der zweiten Achse wird natürlich unmittelbar am Fahrzeug aufgehängt. 8.4.2 Die Lenkfunktion Ein Lenkgestänge soll eine bestimmte „Lenkfunktion“ zwischen den kurveninneren und kurvenäußeren Radeinschlagwinkeln G i und G a herstellen, z.B. möglichst gut die Bedingung erfüllen, dass die verlängerten Radachsen sich in einem gemeinsamen Punkt K schneiden, Bild 8.25. Diese Funktion heißt „Ackermannfunktion“ und die dieser entsprechenden zusammengehörigen Winkel G i und G a sind die „Ackermannwinkel“. Da die in Höhe der Radmitte gemessenen Lenkungsparameter nW und rV bei konventioneller Lenkgeometrie mit radträgerfester Spreizachse praktisch über dem Lenkwinkel konstant bleiben, werden als Drehpunkte des Achsschenkels im Grundriss gern die Schnittpunkte der Spreizachsen mit der Horizontalebene durch die Radmitten gewählt, deren Abstand als „Lenkzapfenspur“ b* bezeichnet wird, Bild 8.25a. Daraus folgt im Grundriss (Bild 8.25b) das „Ackermanngesetz“
cot G a
cot G i b / l
(8.27)
mit l als dem Abstand zwischen der gelenkten und der nicht gelenkten Achse bzw. bei allradgelenkten Fahrzeugen: dem Abstand zwischen der betrachteten Achse und dem Lotfußpunkt vom Kurvenmittelpunkt K auf die Fahrzeuglängsachse.
8.4 Das Lenkgestänge
267
Bild 8.25. Die Ackermann-Funktion
Bei mehreren gelenkten Achsen gibt es also entsprechend viele Ackermannfunktionen mit den zugehörigen Zwischengestängen. Die für die Auslegung der Zwischengestänge maßgebende Beziehung zweier Ackermannwinkel auf einer Fahrzeugseite lautet (Bild 8.25b)
l1 cot G
l2 cot G .
(8.28)
Bei erheblicher räumlicher Neigung der Spreizachse und erst recht bei veränderlicher (z.B. „ideeller“) Spreizachse ist es zweckmäßig, von diesem vereinfacht definierten Ackermanngesetz Abstand zu nehmen und die tatsächlichen (z.B. über ein Rechenprogramm ermittelten) Radstellungen zu Grunde zu legen, Bild 8.25c. Mit den Koordinaten beliebiger Punkte auf den Grundrissprojektionen der Radachsen, z.B. der Radmitten oder der Radaufstandspunkte, berechnet sich dann der zu einem Radeinschlagwinkel G a gehörende Ackermannwinkel G i aus
tan G i
( xi lh ) /{( xa lh ) cot G a ya yi },
(8.29)
wobei in Bild 8.25c ya 0 ist. Bei großen räumlichen Neigungen der Spreizachse kann der Unterschied am vollen Radeinschlag gegenüber der Berechnung nach Gl. 8.27 durchaus 1–2° Lenkwinkel ausmachen. An Nutzfahrzeugen werden häufig nicht lenkbare Doppel-Hinterachsen oder „Doppelachsaggregate“ verwendet, Bild 8.25d. Wenn gleiche Radlasten und Reifen-Schräglaufkennfelder der vier Räder der Doppelachse an-
268
8 Die Lenkung
genommen werden, so entspricht die Seitenkraftverteilung auf die Vorderachse und die beiden Hinterachsen bei langsamer Fahrt ohne merkliche Querbeschleunigung der eines mit drei Kräften belasteten Balkens, und der Kurvenmittelpunkt K teilt den Abstand der beiden Hinterachsen im Verhältnis ihrer Schräglaufwinkel, liegt damit hinter der geometrischen Hinterachsmitte. Aus der Gleichgewichtsbedingung Fy1l1 Fy2l2 für die beiden Hinterachs-Seitenkräfte um die Vorderachse und der Proportionalität der Schräglaufwinkel und der Seitenkräfte ergibt sich nach kurzer Rechnung der effektive Radstand eines Fahrzeugs mit nicht lenkbarer DoppelHinterachse zu
le
(l12 l22 ) /(l1 l2 ).
(8.30)
Wenn eine Lenkung exakt nach der Ackermannfunktion ausgelegt ist, rollen die Fahrzeugräder bei langsamer Fahrt ohne Schräglaufwinkel ab. Bei hoher Querbeschleunigung entstehen aber an allen Rädern Schräglaufwinkel, und der Kurvenmittelpunkt verschiebt sich nach vorn, vgl. auch Kap. 7, Bilder 7.38 und 7.40. Dann fallen die Schräglaufwinkel der kurveninneren Räder größer aus als die der kurvenäußeren, Bild 8.26. Andererseits könnten die letzteren wegen ihrer höheren Radlasten größere Seitenkräfte aufnehmen als die entlasteten kurveninneren Räder. Deshalb wird in der Praxis häufig eine Auslegung der Lenkfunktion getroffen, die im Sinne eines wachsenden „Vorspurwinkels“ von der Ackermannfunktion zum Paralleleinschlag der Räder hin abweicht [30] (vgl. auch Bild 7.5 in Kap. 7), was nebenbei einen geringeren Platzbedarf des kurveninneren Rades im Radhaus und meistens auch eine Entschärfung kinematischer Probleme mit dem Lenkgestänge mit sich bringt (vgl. im folgenden die Bemerkungen zum „Übertragungswinkel“). Eine allzu große Abweichung vom Ackermanngesetz führt aber bei Achsen mit merklicher Nachlaufstreckenänderung über dem Lenkwinkel, also mit großer Spreizung, zu Schwierigkeiten mit dem Lenkungsrücklauf, worauf noch eingegangen wird.
Bild 8.26. Schräglaufwinkel bei hoher Querbeschleunigung
8.4 Das Lenkgestänge
269
Der Entwurf eines Lenkgestänges kann wegen dessen räumlichen Charakters und der Empfindlichkeit der Parameter nicht vereinfachend in der Ebene vorgenommen werden und hat die räumliche Neigung der Spreizachse zu berücksichtigen. Eine „ebene“ Konstruktion ist allenfalls als erste Näherung und als Ausgangsbasis für die exakte Auslegung brauchbar. Für Starrachsen mit quer von Rad zu Rad durchlaufender Spurstange („Lenktrapez“) sind in der Literatur verschiedene Auslegungs-Rezepte, z.B. der „Causant-Plan“, zu finden [39]. Angesichts der aufwendigen Hilfskonstruktionen und der mäßigen Ergebnisse der meistens am ebenen Modell entwickelten Methoden kommt der Konstrukteur im Bedarfsfall durch „Probieren“ mit dem Zirkel oder am Rechner viel schneller ans Ziel, wenn er sich die Mühe macht, die entsprechend der Spreizachse räumlich geneigten Bahnen der Spurhebelgelenke (bei konventioneller Lenkgeometrie Ellipsen in den Rissen) zu Grunde zu legen. Zur Vorklärung der Form eines allgemeinen ebenen „Lenkvierecks“, der Viergelenkkette Lenkstockhebel-Spurstange-Spurhebel an einer Radaufhängung, bietet die ebene Getriebelehre das Verfahren der „Winkelzuordnung“ an, Bild 8.27. Dabei soll zu drei gegebenen Lagen Bg , Ba und Bi eines Gelenkpunkts, z.B. eines Spurstangengelenks in Geradeausstellung und bei kurvenäußerem bzw. kurveninnerem Lenkeinschlag (dessen Bahn übrigens nicht unbedingt, wie dargestellt, ein Kreis um B0 sein muss, sondern eine beliebige Form haben kann wie z.B. eine Gerade bei einer Zahnstangenlenkung), die Mittelstellung Ag eines um einen gegebenen Punkt A0 drehenden Hebels bestimmt werden, der bei Verschiebung von Bg in die Lagen Ba bzw. Bi Winkelausschläge G a bzw. G i durchführen soll.
Bild 8.27. Winkelzuordnung in der Ebene
Denkt man sich das gesuchte Gestänge in der (noch unbekannten) Stellung A0 Aa Ba „eingefroren“ und um A0 mit dem negativen Winkel G a zurückgedreht, so muss Aa wieder mit Ag zusammenfallen, und Ba gerät in
270
8 Die Lenkung
die Lage Ba . Wegen der konstanten, noch unbekannten Spurstangenlänge Aa Ba Ag Bg Ag Ba muss der gesuchte Punkt Ag auf der Mittelsenkrechten über Bg Ba liegen. Entsprechendes gilt sinngemäß für den Lenkwinkel G i , womit Ag bestimmt ist. Obwohl die Auslegung eines Lenkgestänges nur bei Berücksichtigung der räumlichen Bewegungsform sinnvoll ist, sollen im folgenden einige grundsätzliche Betrachtungen der Einfachheit halber am ebenen Modell vorgenommen werden. Die Bestimmung der Lenkgestänge-Übersetzung iL dG L dG kann in der Ebene graphisch z.B. nach dem Verfahren der „lotrechten Geschwindigkeiten“ (Kap. 3, Bild 3.1) oder auch mit den wirksamen Hebelarmen e1 und e2 der Spurstange um die Lenkstockhebelwelle bzw. die Spreizachse geschehen, Bild 8.28a, also durch den Quotienten iL e1 / e2 . Die „Übertragungswinkel“ P und P sind für die Betriebssicherheit des Gestänges maßgebend. Für P oder P 0 wird das Gestänge instabil; insbesondere der Winkel P des „angetriebenen“ Gliedes der kinematischen Kette, hier des über die Spurstange verdrehten Fahrzeugrades, darf eine Minimalgröße nicht unterschreiten, um unter der Wirkung äußerer Kräfte am Rade eine Überlastung der Gelenke bzw. bei Vorhandensein einer hier als Spurstangen-Federrate c symbolisierten Elastizität im Lenkgestänge ein Überdrücken oder „Durchschlagen“ desselben zu vermeiden.
Bild 8.28. Übertragungswinkel und wirksame Hebelarme im Lenkgestänge
8.4 Das Lenkgestänge
271
Die Sicherheitsreserven sind von den Hebellängen r1 und r2 abhängig. Das Diagramm zeigt oben für ein Zahlenbeispiel den wirksamen Hebelarm e1 der Spurstange um den Achsschenkelbolzen, abhängig von P und r1 sowie darunter die Längen-Überdeckung x von Spurhebel und Spurstange. Die wirksame Verdrehsteifigkeit des Rades um den Achsschenkelbolzen ist cG c e12 und die Energieaufnahme bis zum Überdrücken des Gestänges U c x ² / 2. Offensichtlich sind bei kurzen Spurhebeln (Zahnstangenlenkung!) erheblich größere Übertragungswinkel P wünschenswert als bei langen Hebeln. Starrachsen bei Nutzfahrzeugen müssen kurveninnere bzw. kurvenäußere Radeinschlagwinkel von ca. 60° bzw. 45° ermöglichen; wegen der guten Steifigkeit des Lenktrapezes am starren Achskörper können Übertragungswinkel bis hinab zu 10–12° verkraftet werden. Bei den mehrteiligen und vergleichsweise elastischen Lenkgestängen der Einzelradaufhängungen von PKW liegen die minimalen Übertragungswinkel zwischen ca. 20° bei langen und 30° bei kurzen Spurhebeln. In Sonderfällen (Traktoren!) hilft die Hintereinanderschaltung zweier Lenkgestänge, große Radeinschlagwinkel bei vertretbaren Übertragungswinkeln zu realisieren, Bild 8.28b. Sind die gelenkten Räder nicht angetrieben, so werden Wendehilfen, z.B. einseitig betätigte Hinterradbremsen, erforderlich. Wegen e1 r1 sin P usw. ist auch iL r1 sin P /( r2 sin P ), d.h. iL wird unendlich groß für P 0 und Null für P 0. Bei der tatsächlichen, dreidimensionalen Lenkgeometrie ist der Übertragungswinkel P nicht allein in der Ebene von Spurstange und Spurhebel zu messen. Das Gestänge wird stets dann instabil, wenn die (verlängert gedachte) Spurstange die Spreizachse schneidet, was in Bild 8.28 bei P 0 gegeben ist, im Raum aber auch bei einer parallelen Lage der Spurstange und der Spreizachse. Diese zweite Komponente kommt zum Tragen, wenn beim Ein- oder Ausfedern des Rades die Spurstange gegenüber der Spreizachse zunehmend schräg angestellt wird. Im Raum ist in Analogie zu Bild 8.28 der Übertragungswinkel P an einem Spurstangengelenk i als Winkel zwischen der Mittellinie der Spurstange a und der Normalebene des momentanen Geschwindigkeitsvektors v i des Gelenks während des Lenkvorgangs zu definieren, Bild 8.29.
Bild 8.29. Der Übertragungswinkel am räumlichen Lenkgestänge
272
8 Die Lenkung
Der Vektor v i ist durch die Geometrie der Radaufhängung festgelegt, und wenn die Spurstange senkrecht auf v i (der Tangente der Bewegungsbahn des Gelenks i) stehen würde, wäre sie offensichtlich nicht mehr in der Lage, das Gelenk i auf seiner Bahn zu fixieren, das Gestänge wäre instabil, der Übertragungswinkel wäre 0°. Demnach ist der Winkel zwischen dem Geschwindigkeitsvektor v i und dem Spurstangenvektor a das Komplement des Übertragungswinkels P Das Skalarprodukt von a und v i ist gemäß Gl. 3.5 in Kap. 3 auch das Produkt der Beträge beider Vektoren und des Kosinus des eingeschlossenen Winkels (90q P folglich gilt a v i a v i cos(90q P , und mit cos(90q P sinP ergibt sich der Übertragungswinkel aus der Gleichung ax vix a y viy az viz sin P . (8.31) ax2 ay2 az2 vix2 viy2 viz2 Typische Eigenschaften der bei Einzelradaufhängungen, vor allem für PKW, üblichen Lenkgestängeanordnungen, wieder als „ebene“ Getriebeketten vereinfacht, zeigt Bild 8.30. Die Gestänge sind sämtlich auf eine Zuordnung eines kurveninneren bzw. kurvenäußeren Lenkwinkels von 45° bzw. 33,3° ausgelegt. Das Diagramm zeigt ferner als Grenzkurven die nach Gl. 8.27 berechnete Ackermannfunktion A und die Gerade P für den Paralleleinschlag der Räder.
Bild 8.30. Typische Lenkfunktionen verschiedener Gestänge-Bauarten
8.4 Das Lenkgestänge
273
Die Bauart 1 war unter den Hebel-Lenkgestängen sehr verbreitet („hinten liegende“ Spurhebel und nach vorn weisender Lenkstock- und Führungshebel, also eine gegenläufig drehende Getriebekette), einmal wegen der günstigen räumlichen Unterbringung vor der Stirnwand der Fahrgastkabine, zum anderen wegen der kurzen Lenkspindel („Sicherheits-Lenksäule“). Dieses Gestänge nähert die Ackermannfunktion A sehr schlecht an, seine Lenkfunktion besteht über einen weiten Bereich hinweg nahezu in einem Paralleleinschlag der Räder, und in der Umgebung der Geradeausstellung kann sogar der kurvenäußere Lenkwinkel vorübergehend geringfügig größer ausfallen als der kurveninnere. Erst gegen den vollen Lenkeinschlag hin krümmt sich die Kurve zunehmend und schneidet schließlich die Ackermannkurve. Dabei gerät das Lenkgestänge am kurveninneren Rade nahe an die „Strecklage“, der kurveninnere Übertragungswinkel nimmt rapide ab, die Gestängeübersetzung strebt gegen Null. Am kurvenäußeren Rade geschieht das Gegenteil. Damit erklärt sich auch die starke Krümmung der Lenkfunktion. Man erkennt, dass am kurveninneren Rade der Spurhebel und die Spurstange zunehmend gegensinnig schwenken, was den Abbau des Übertragungswinkels beschleunigt. Das Gestänge 2 mit gleichsinnig drehenden, hinter der Achse liegenden Hebeln ergibt eine deutlich bessere Annäherung der Ackermannfunktion und etwas günstigere Übertragungswinkel. Wesentliche Vorteile sowohl hinsichtlich der Lenkfunktion als auch der Übertragungswinkel bringen die vor der Achse angeordneten Gestänge, besonders das gegenläufige Gestänge 4, wo sich die Verhältnisse gegenüber dem Gestänge 1 geradezu umkehren. Unkritische Übertragungswinkel, wenig veränderliche Gestängeübersetzungen und eine praktisch mit der Ackermannfunktion zusammenfallende (zumindest dieser proportionale) Lenkfunktion werden mit dem Nachteil eines weit nach vorn verschobenen Lenkgetriebes erkauft. Die Ackermannfunktion A ist nicht einfach gekrümmt, sondern strebt einem Wendepunkt zu, weil in der Umgebung von 90° Radeinschlagwinkel das kurveninnere und das kurvenäußere Rad ihre Rollen tauschen. Nur mit dem vorn liegenden Lenkgestänge 4 ist die Ackermannfunktion theoretisch bis zur fünften Ableitung darstellbar [33]. Zahnstangenlenkungen entsprechen Lenkgestängen mit unendlich langem Lenkstockhebel, ihre Eigenschaften liegen daher jeweils zwischen denen der gleich- und der gegenläufigen Hebelgestänge mit jeweils vor oder hinter der Achse angeordneten Spurhebeln, wie die Lenkfunktionen 5 und 6 zeigen. Allen Gestängen mit nach vorn weisenden Spurhebeln ist gemeinsam, dass die letzteren zur Radseite hin abgewinkelt sein müssen, wenn – zumindest bei konventioneller Lenkgeometrie mit radträgerfester Spreizachse – eine gute Annäherung an die Ackermannfunktion gewünscht wird.
274
8 Die Lenkung
Dies bringt oft Einbauprobleme gegenüber der Felge und der Bremsscheibe mit sich. An einer Radaufhängung mit ideeller Spreizachse ähnlich wie in Bild 8.6 wandert die letztere am kurveninneren Rade nach vorn, am kurvenäußeren nach hinten. Dies bedeutet bei vorn liegendem Spurhebel eine Verkürzung des effektiven „Spurhebelradius“ am kurveninneren Rade und dementsprechend eine Verlängerung desselben am kurvenäußeren Rade. Die veränderlichen Radien unterstützen die Verwirklichung der Ackermannfunktion, indem der abnehmende kurveninnere Hebelradius von selbst größere Radeinschlagwinkel zur Folge hat bzw. der wachsende kurvenäußere Hebelradius zu geringeren Radeinschlagwinkeln führt. Hier ist es im allgemeinen nicht notwendig, das radseitige Spurstangengelenk extrem weit außen in der Radschüssel zu positionieren. Gleichzeitig entschärft die erwähnte Wanderung der ideellen Spreizachse die Probleme mit den Übertragungswinkeln. Folgerichtig ist es bei hinter der Spreizachse angeordneten Spurstangen um so schwieriger, eine gute Annäherung an die Ackermannfunktion und annehmbare Übertragungswinkel zu erzielen. Die Lenkgestängeübersetzungen iLa und iLi vom Lenkgetriebe zum kurvenäußeren und zum kurveninneren Rade hin werden von der Gestängebauart 1 bis zur Bauart 4 zunehmend ausgeglichener. Die Gesamtübersetzung iL (iLa iLi ) / 2 verläuft bei Links- und Rechtseinschlag symmetrisch und wächst im allgemeinen mit dem Lenkeinschlag, wenn die Summe G a G i der Radeinschlagwinkel kleiner ist als der Gesamtausschlag 2G L des Lenkstockhebels (PKW), bzw. sie fällt, wenn sie größer ist (LKW); letzteres gilt ferner für alle Zahnstangenlenkungen. Die vorstehenden Anmerkungen stellen keine Bewertung der angesprochenen Bauarten der Lenkgestänge dar und sollen lediglich auf deren Besonderheiten und evtl. Probleme aufmerksam machen. 8.4.3 Das Rückstellmoment der Lenkung Von einem schnellen Fahrzeug wird erwartet, dass das Lenkrad aus dem eingeschlagenen Zustand von selbst in die Geradeausstellung zurückkehrt, d.h. dass die Lenkung sich selbst „zentriert“, und dass die dabei auftretenden Lenkradmomente in sinnvollem Zusammenhang mit äußeren Kräften an den Fahrzeugrädern stehen. Diese Selbstzentrierung wird durch die Auslegung der Lenkgeometrie und des Lenkgestänges sichergestellt. Bei schneller Geradeausfahrt ist praktisch allein die „Gewichtsrückstellung“ wirksam (vgl. die Gln. 8.20 und 8.21). Auch während der Kurvenfahrt soll am Lenkrad ein von den Radkräften abhängiges Rückstellmoment fühlbar sein, das den Fahrer über den momentanen Fahr- und Umgebungszustand informiert. Die richtige Abstim-
8.4 Das Lenkgestänge
275
mung des Momentenverlaufes über der Querbeschleunigung ist sehr wesentlich am „Fahrgefühl“, also dem Sicherheits- und Komforteindruck, beteiligt. Das Lenkradmoment soll aber nicht proportional zur Querbeschleunigung wachsen, weil dies zu hohen Haltekräften am Lenkrad, damit zu Muskelanspannungen und einem Verlust an Feinfühligkeit bei evtl. nötigen Lenkkorrekturen im fahrdynamischen Grenzbereich führt. Da heute in fast allen Fahrzeugen Servolenkungen verbaut werden, ist das Lenkradmoment zusätzlich über die Abstimmung der Kennlinie des Servoventils beeinflussbar. Bei schneller Kurvenfahrt werden nur kleine Lenkwinkel erreicht. Wegen der an allen Fahrzeugrädern auftretenden Schräglaufwinkel verlagert sich der Kurvenmittelpunkt bezogen auf das Fahrzeug-Koordinatensystem vor die verlängerte Mittellinie der Hinterachse, vgl. auch Bild 8.26. In Bild 8.31 ist schematisch ein Fahrzeug bei hoher Querbeschleunigung mit den an seinen Rädern wirkenden Kräften in der Draufsicht dargestellt. Wegen der noch relativ kleinen (hier übertrieben groß gezeichneten) Radeinschlagwinkel ist es unwichtig, nach welcher Lenkfunktion die Räder eingeschlagen wurden. Deshalb ist die Vorverlegung des Kurvenmittelpunktes K entscheidend für die Verteilung der Schräglaufwinkel.
Bild 8.31. Lenkungsrückstellung bei hoher Querbeschleunigung
276
8 Die Lenkung
Das von den Vorderrädern auf das Lenksystem ausgeübte Moment rührt vorwiegend von den Schräglauf-Seitenkräften her und nur zu einem geringen Teil von der Radlast am Radlasthebelarm. Bei positivem Radsturz relativ zur Fahrbahn am kurvenäußeren Vorderrade wirkt dessen Sturzseitenkraft FJva „eindrehend“. Die Schräglauf-Seitenkräfte sind durch das Reifenkennfeld (also durch die Radlast und den Fahrbahn-Reibwert) gegeben und wachsen degressiv mit der Radlast und dem Schräglaufwinkel, s. Kap. 4, also Fs Fs ( Fz , D Die Radlasten Fz machen sich über die Radlasthebelarme p am Lenksystem bemerkbar, wobei am kurvenäußeren Rade ein negativer Radlasthebelarm rückstellend wirkt. Evtl. vorhandene vordere Antriebskräfte FTva,i gehen mit den Triebkrafthebelarmen rTa, i ein, die bei größeren Wankwinkeln unterschiedlich groß sind, vgl. Bild 8.16. Mit diesen sowie den in Bild 8.31 dargestellten Kräften und Hebelarmen wird das Rückstellmoment am Lenkgetriebe
M L | {Fsva (nva nRva ) FJva nva Fzva pva FTva rTa } / iLa {Fsvi ( nvi nRvi ) FJvi nvi Fzvi pvi FTvi rTi } / iLi
(8.32)
wobei va, vi = kurvenäußeres bzw. kurveninneres Vorderrad. Das Lenkradmoment ergibt sich daraus zu
MH
M L / iH .
Wegen der dynamischen Radlastverlagerung zur Kurvenaußenseite hin ist Fzva größer als Fzvi . Die Radlastverlagerung kann, wie bereits in Kap. 7 dargelegt, durch die Höhen der Rollzentren an den Fahrzeugachsen und durch die Verteilung der Wankfederraten auf dieselben stark beeinflusst werden. Als weiterer, nicht zu unterschätzender Einflussfaktor kann die längsdynamische Auslegung der Radaufhängung auftreten, und zwar durch die Größe und den Verlauf des Stützwinkels, wie bereits in Kap. 7 anhand von Bild 7.4 angedeutet. Die Längskomponente der Seitenkraft in Bild 7.4 belastet die Radaufhängung in gleicher Weise wie eine Bremskraft bei Geradeausfahrt und radträgerfester Bremse. Die „Anti-Dive“- Auslegung der Vorderradaufhängung kann so ein stabilisierendes Moment an der Vorderachse hervorrufen und das Fahrverhalten wie auch das Lenkradmoment verändern. Die Festlegung der Stützwinkel muss also auch unter Berücksichtigung des Kurvenverhaltens des Fahrzeugs erfolgen. Die Schräglauf-Seitenkräfte der Vorderräder gehen mit der geometrischen Nachlaufstrecke n und dem Reifennachlauf nR in das Lenkmoment ein. Bei fast allen Radaufhängungen nimmt der geometrische Nachlauf über dem kurveninneren Lenkwinkel zu und über dem kurvenäußeren ab bis hin zu negativen Werten (das Rad geht in „Vorlauf“, vgl. Bild 8.10). Mit wachsender Querbeschleunigung, wenn die Reifen-Seitenkräfte in ihr Maximum einlaufen, geht der Reifennachlauf gegen Null zurück. Dies hat zur
8.4 Das Lenkgestänge
277
Folge, dass die äußere Seitenkraft sich am Rückstellmoment der Lenkung immer weniger stark beteiligt und schließlich sogar eindrehend wirken kann. Da aber die Lenkgestängeübersetzung im allgemeinen zum kurvenäußeren Radeinschlag hin wächst und zum kurveninneren hin abnimmt, wird der Einfluss der am Kurvenaußenrad erzeugten Lenkmomente gegenüber denen des Kurveninnenrades abgeschwächt. Die kurvenäußere Radlast, die infolge der dynamischen Radlastverlagerung mit wachsender Querbeschleunigung zunimmt, wirkt nur dann rückstellend, wenn der Radlasthebelarm p negativ ist. Bei sehr hoher Querbeschleunigung sind allerdings die von der Radlast erzeugten Rückstellmomente im Vergleich zu denen aus der Seitenkraft klein. Die Lenkungsrückstellung bei langsamer Fahrt, z.B. nach dem Abbiegen in eine Seitenstraße oder während eines Rangiervorganges, wird im Gegensatz zur vorstehend diskutierten Rückstellung bei schneller Kurvenfahrt von einer weit größeren Anzahl von Parametern beeinflusst. Im Grenzfall des Rollens mit einer Fahrgeschwindigkeit und Querbeschleunigung nahe Null verschwinden dagegen die Radlastverlagerung und dynamische Seitenkräfte. Die während dieses Fahrzustandes für die Lenkungs-Rückstellung maßgebenden Kräfte, Hebelarme und Momente sind in Bild 8.32 schematisch eingezeichnet. Die beiden Vorderräder sind nach einer allgemeinen Lenkfunktion eingeschlagen, die von der Ackermannfunktion im Sinne eines Paralleleinschlags (oder auch: eines großen „Vorspurwinkels“) abweicht, so dass ihre verlängerten Radachsen sich erst hinter der verlängerten HinterachsMittellinie schneiden. Das Fahrzeug wird sich beim Abrollen ohne Querbeschleunigung um einen Kurvenmittelpunkt K bewegen, der durchaus, wie hier gezeichnet, im Gegensatz zur schnellen Kurvenfahrt hinter die Hinterachslinie fallen kann. Die kurvenäußeren und kurveninneren Vorder- und Hinterräder und die mit ihnen in Beziehung stehenden Kenngrößen und Kräfte werden im folgenden mit den Indizes va, vi, ha und hi gekennzeichnet. Mit den Koordinaten der Radaufstandspunkte und des Kurvenmittelpunkts K ergeben sich die Schräglaufwinkel an den vier Fahrzeugrädern zu
D va D vi D ha D hi
atn{( xva xK ) /( yK y va )} G a , atn{( xvi xK ) /( yK y vi )} G i , atn{( xha xK ) /( yK yha )},
(8.33a–d)
atn{( xhi xK ) /( yK yhi )}.
Mit diesen Schräglaufwinkeln folgen aus dem Reifenkennfeld (Kap. 4) die Schräglauf-Seitenkräfte Fs der vier Räder.
278
8 Die Lenkung
Bild 8.32. Lenkungsrückstellung bei extrem langsamer Fahrt
Die Sturz-Seitenkräfte FJ sind in Bild 8.32 an allen Rädern so eingezeichnet, wie sie bei positiven Sturzwinkeln wirken würden, also von der Fahrzeugmittelachse weggerichtet. Die Rollwiderstandskräfte FW werden mit den Radlasten Fz und dem Rollwiderstandsbeiwert f R (vgl. Kap. 4) FWv, h f R Fzv, h . Auch bei extrem langsamer Fahrt ist eine Antriebsleistung notwendig. Als allgemeiner Fall wurde hier Allradantrieb angenommen, und mit dem Vorderachsanteil F an der Gesamt-Antriebskraft sowie den SperrmomentAnteilen KSp(v, h) der Differentialgetriebe teilt sich die Gesamt-Antriebskraft FT am Fahrzeug auf die vier Räder folgendermaßen auf:
FTva,i
F FT (1 # KSpv ) / 2,
FTha, i
(1 F ) FT (1 # KSph ) / 2.
(8.34a,b)
8.4 Das Lenkgestänge
279
(das obere Vorzeichen gilt für das kurvenäußere Rad, Index „a“). Die Schräglauf-Seitenkräfte Fs wirken auf das Lenkgestänge über Hebelarme, die sich als Summe der geometrischen Nachlaufstrecken n und der Reifennachläufe nR ergeben, die Sturzseitenkräfte dagegen nur an den geometrischen Nachlaufstrecken. Der Rollwiderstand FW greift als Kraft am frei rollenden Rade am Spreizungsversatz bzw. Störkrafthebelarm rV an und die Antriebskraft FT am Triebkrafthebelarm rT . Die zwangsweise Rollbewegung der Räder auf einem Kreis um den Kurvenmittelpunkt K verursacht im Reifenlatsch ein „Bohrmoment“ M RB , Bild 8.32a, das um so größer ausfällt, je größer der Reibwert P je kleiner der Radius U um K, je höher die Radlast Fz und je breiter die Latschfläche ist. Mit dem Radius Un ( xn xK )² ( yn yK )² (8.35) (n = va, vi, ha, hi) wird das Bohrmoment M RBn M ( Fzn , P U n ). Die vorstehend definierten Kräfte und Momente ermöglichen die Aufstellung der Gleichgewichtsbedingung um den noch unbekannten Kurvenmittelpunkt K, wobei am Gesamtfahrzeug die gegenüber den Fahrzeugabmessungen verschwindend kleinen Nachlaufstrecken n und nR , die Triebkrafthebelarme rT und die Spreizungsversätze rV vernachlässigt werden mögen: {( FTva FWv ) sin G a ( Fsva FJva ) cos G a }( xva xK ) MK
{( FTva FWv ) cos G a ( Fsva FJva ) sin G a }( yK y va ) {( FTvi FWv ) sin G i ( Fsvi FJvi ) cos G i } ( xvi xK ) {( FTvi FWv ) cos G i ( Fsvi FJvi ) sin G i } ( yK y vi )
(8.36)
( Fsha FJha Fshi FJhi )( xh xK ) ( FTha FWh )( yK yha ) ( FThi FWh )( yK yhi ) M RBva M RBvi M RBha M RBhi 0. Der Kurvenmittelpunkt K wird sich so einstellen, dass das Fahrzeug mit minimalem Leistungseinsatz bewegt wird, d.h. es gilt
FTva U va FTvi U vi FTha U ha FThi U hi
min.,
(8.37)
was durch ein relativ einfaches Iterationsprogramm ermittelt werden kann. Wenn die Koordinaten des Kurvenmittelpunktes K bestimmt sind, sind auch die Schräglaufwinkel aller Räder und sämtliche Kräfte und Momente bekannt. Dann geben die Vorderräder am Lenkgestänge die Momente
M va
Fsva (nva nRva ) FJva nva FTva rTva FWv rVva Fzv pva M RBva
und M vi
Fsvi (nvi nRvi ) FJvi nvi FTvi rTvi FWv rVvi Fzv pvi M RBvi (8.38a,b)
280
8 Die Lenkung
ab (rückstellend bei positiven Vorzeichen), und mit den Lenkgestängeübersetzungen iL der beiden Vorderräder ist das am Lenkgetriebe summierte Gesamt-Rückstellmoment
ML
M va / iLa M vi / iLi
(8.39)
bzw. mit der Lenkgetriebeübersetzung iH das Moment am Lenkrad
MH
M L / iH .
(8.40)
Bei einer Radaufhängung mit konventioneller radträgerfester Spreizachse sind der Triebkrafthebelarm rT und der Spreizungsversatz rV über dem Lenkwinkel G etwa konstant, also gilt rTva | rTvi und rVva | rVvi . Daraus folgt, dass der Einfluss der Widerstandskräfte FW in Gl. 8.36 und, zumindest wenn keine merkliche Sperrwirkung am Differential vorhanden ist, der Triebkräfte FT auf die Lenkungs-Rückstellung gering ist. Der kurvenäußere Radlasthebelarm ist im allgemeinen kleiner als der kurveninnere, so dass die Radlast rückstellend wirkt; wegen der geringen absoluten Beträge der Radlasthebelarme ist aber auch das Rückstellmoment aus der Radlast nur von untergeordneter Bedeutung. Von dominantem Einfluss ist dagegen das Lenkmoment aus den Schräglauf-Seitenkräften, da die geometrische Nachlaufstrecke n sich über dem Lenkwinkel normalerweise merklich verändert. Das kurvenäußere Rad wird dabei mit einer erheblich kleineren (evtl. sogar negativen) Nachlaufstrecke geführt als das kurveninnere, während für den Zustand der extrem langsamen Kurvenfahrt etwa gleich große Reifen-Nachlaufstrecken angenommen werden dürfen. Daher ist die Gesamtwirkung der SchräglaufSeitenkräfte eindrehend, sofern sie, wie in Bild 8.32 dargestellt, an den Vorderrädern zur Fahrzeugmitte hin gerichtet sind, was an der vorausgesetzten Abweichung von der Ackermannfunktion im Sinne eines Paralleleinschlags der Räder liegt. Die Rettung der Gesamt-Lenkrückstellung kann also hier nur noch vom Bohrmoment der Reifen kommen, das ähnliche Größenordnungen erreicht. Die Lenkungs-Rückstellung bei langsamer Fahrt wird demnach als Differenzmoment zweier großer Momente erzielt, wobei diese beiden Momente als typische Reifenparameter mit erheblichen Streuungen behaftet sind, die eine Vielzahl von Ursachen haben können: Verschleißzustand, Reifen-Luftdruck, Temperatur, Herstellerunterschiede usw. Um diesem Problem auszuweichen, kann es erforderlich sein, die Lenkfunktion nahe an die Ackermannfunktion zu legen mit den Folgen eines relativ großen kurveninneren Radeinschlagwinkels (Raumbedarf im Fußraum eines PKW und im Vorderwagen allgemein) und meistens dann auch eines weniger günstigen Übertragungswinkels am kurveninneren Rade. Es ist auch vorausschauend zu bedenken, dass während der Serienlaufzeit eines Fahrzeugs beinahe regelmäßig Änderungen an der Reifenbestückung vorge-
8.4 Das Lenkgestänge
281
nommen werden, wobei es sich zumindest bei PKW dann vorwiegend um Reifen mit breiterer Felge und damit größerer Schräglaufsteifigkeit handelt, die im nachhinein einen evtl. mühsam erzielten Kompromiss zu Gunsten des Lenkungsrücklaufes wieder in Frage stellen. In Bild 8.32 ist, wie anfangs bereits erwähnt, der Kurvenmittelpunkt K hinter der verlängerten Hinterachslinie eingezeichnet. Bei großen Radeinschlagswinkeln und großen, zur Fahrzeugmittellinie hin gerichteten Vorderrad-Seitenkräften, wie sie bei merklicher Abweichung der Lenkfunktion vom Ackermanngesetz auftreten, üben diese Seitenkräfte nämlich, da ihre Wirkungslinien im Fahrzeuggrundriss erheblich gegeneinander versetzt verlaufen, ein dem Drehsinn der Kurvenfahrt entgegenwirkendes Moment auf das Fahrzeug aus, so dass die Seitenkräfte der Hinterräder, wie in Bild 8.32 dargestellt, als Gegenkräfte einspringen müssen und folglich zur Kurvenaußenseite hin gerichtet sind. Die – zumindest in früheren Zeiten – sehr beliebte Methode, durch annähernden Paralleleinschlag der Vorderräder in den Radhäusern Platz zu sparen, kinematische Probleme im Lenkgestänge zu umgehen und gleichzeitig einen kleinen Wendekreis zu erzielen, kann also, vor allem bei breiter Spur und kurzem Radstand, an ihre Grenzen stoßen. Ganz besonders gilt dies für Radaufhängungen mit starker Änderung der Nachlaufstrecke über dem Lenkwinkel, also Aufhängungen mit z.B. großem Spreizungswinkel, wie er an heutigen Feder- oder Dämpferbeinachsen wegen des Zwanges zur Minimierung des Lenkrollradius gang und gäbe ist. 8.4.4 Lenkungsschwingungen Am Lenksystem treten hauptsächlich zwei Arten von Schwingungen auf, nämlich eine im Bereich der Eigenfrequenzen der „ungefederten“ Massen, also bei 10–15 Hz, die so genannte „Lenkunruhe“, eine andere im Bereich der Wankfrequenz des Fahrzeugs, d.h. bei ca. 2 Hz, das „Schlingern“. Ursache der Lenkunruhe sind Unwuchten von Reifen und Rad sowie ungleichmäßige Verteilungen der Elastizität an den Reifen, besonders die Radialkraftschwankung. Die letztere regt über den Radlasthebelarm das Lenksystem zu Schwingungen an, die Unwuchten dagegen sowohl über den Radlasthebelarm als auch über den Spreizungsversatz. Das Schlingern ist, vereinfacht ausgedrückt, eine Schwingung des Lenkrades gegen die Fahrzeugmasse, in welche die instationären Reifeneigenschaften sowie die Fahrzeugfederung und –dämpfung hineinwirken. Das polare Trägheitsmoment eines Lenkrades beträgt bei einem PKW zwar nur etwa ein Zehntel desjenigen eines Fahrzeugrades, erreicht aber, auf den Radeinschlagwinkel bezogen, d.h. mit dem Quadrat der Gesamt-Lenkübersetzung multipliziert, beachtliche Werte in der Größenordnung des Gierträgheitsmoments des Fahrzeugs [13].
282
8 Die Lenkung
Ein Lenkrad mit niedrigem Trägheitsmoment verschiebt die SchlingerEigenfrequenz nach oben, leitet aber andererseits die Lenkunruhe stärker an die Hände des Fahrers weiter. Die so genannten „Lenkungsdämpfer“ dienen im allgemeinen nicht zur Bekämpfung der Lenkunruhe (dazu sprechen sie zu träge an), sondern des Schlingerns. Beide Schwingungsarten sind wegen einflussreicher nichtlinearer Parameter vereinfachenden Rechenansätzen nicht zugänglich.
8.5 Selbst einstellende Lenkvorrichtungen In den vorangehenden Abschnitten waren nur Lenksysteme betrachtet worden, die vom Fahrer über das Lenkrad und das Lenkgetriebe betätigt werden. Bei langen Gelenkfahrzeugen, also Sattelzügen oder GelenkOmnibussen, werden aber auch lenkbare Hinterachsen am Nachläufer vorgesehen, deren Stellung sich aus dem jeweiligen Fahrzustand ergibt und nicht unmittelbar vom Fahrer beeinflusst wird. Diese Lenkaggregate sollen den Spurbreitenbedarf bei Kurvenfahrt verringern.
Bild 8.33. Nachläuferachse an einem Gelenk-Omnibus (nach Unterlagen der MAN Nutzfahrzeuge AG)
Bild 8.33 zeigt schematisch die selbst einstellende Lenkung der Hinterachse des Nachläufers an einem Gelenk-Omnibus. Vorderfahrzeug V und Nachläufer N sind am Gelenk K gekoppelt. Abhängig vom Knickwinkel zwischen beiden Fahrzeugteilen werden über das am Gelenk S mit dem Vorderfahrzeug verbundene Lenkgestänge die Räder der Hinterachse des Nachläufers eingeschlagen. Das gleiche Verfahren wird im Prinzip auch bei Sattelzügen mit nur einer Auflieger-Hinterachse angewandt, allerdings
8.5 Selbst einstellende Lenkvorrichtungen
283
dann im allgemeinen mit einer Drehschemellenkung, d.h. Schwenkung der gesamten Achse (vgl. Bild 8.1a) anstelle der in Bild 8.33 gezeigten Achsschenkellenkung. Die „Lenkfunktion“ für die beiden Hinterräder am Nachläufer muss von einem über dem Knickwinkel abnehmenden „Radstand“ ausgehen, denn das Lot a vom Kurvenmittelpunkt M auf die Mittellinie des Nachläufers entspricht gewissermaßen der – nicht lenkbaren „Vorderachse“ desselben. Neuerdings werden Gelenk-Omnibusse auch als „Schubgelenkbusse“ mit einer nicht lenkbaren Hinterachse des Nachläufers gebaut, die stattdessen als Antriebsachse des gesamten Zuges verwendet wird. Die Verlagerung des Antriebsmotors in das Heck des Nachläufers vereinfacht die Gestaltung des Fahrgastraumes erheblich. Gegen das Ausknicken des Zuges unter der Schubkraft der Nachläufer-Hinterachse werden starke Dämpfer und ein überwachendes Regelsystem eingesetzt. Die Schubkraft des Nachläufers drängt in engen Kurven die (nicht angetriebene) Hinterachse des vorderen Fahrzeugteils zur Kurvenaußenseite hin und verringert damit den Wendekreisradius und den Gesamt-Spurbreitenbedarf. Doppelachsaggregate dürfen die doppelte gesetzlich zugelassene Last von Einzelachsen nur dann tragen, wenn ein bestimmter Mindest-Achsabstand vorgesehen wird. Dann entstehen in engen Kurven beträchtliche Querschlupfbewegungen an den Reifen der beiden Achsen. Zur Schonung der Reifen und der Fahrbahn werden daher „selbst einstellende“ oder „selbst spurende“ Doppelachsaggregate eingesetzt. Die Doppelachse in Bild 8.34a besteht aus zwei gleichen, „gezogenen“ Deichselachsen, deren Seitenführung durch Blattfederpakete übernommen wird, wobei diese jeweils um eine vertikale Drehachse am Fahrzeug schwenken können. Wenn die momentane Laufrichtung des Achsaggregates nicht mit der Längsachse des Aufliegers übereinstimmt, so verschieben sich beide Achsen unter der Wirkung der gegensinnig angreifenden Seitenkräfte (vgl. Bild 8.25d) zu beiden Fahrzeugseiten, wobei die Federpakete nach dem Waagebalkenprinzip für entgegengesetzt gleich große Querverschiebungen bzw. Lenkwinkel sorgen. Die Achsen rollen also ohne seitlichen Schlupf ab; der Kurvenmittelpunkt verbleibt etwa auf der Symmetrielinie m des Achsaggregates, der resultierende Lenkwinkel ist Null („Doppeldeichselachse“ ohne Spurbreitengewinn). Bild 8.34b zeigt demgegenüber ein Doppelachsaggregat mit deutlicher Lenkwirkung. Die vordere Achse ist an drei „geschobenen“, die hintere an drei „gezogenen“ Längslenkern aufgehängt. Die beiden unteren Längslenker der vorderen Achse schneiden sich in der Draufsicht in Geradeausstellung in einem Punkt Pv hinter der Achse, die der hinteren Achse in einem Punkt Ph vor derselben, wobei Pv weiter von der vorderen Achse entfernt ist als Ph von der hinteren. Bei Kurvenfahrt wirken die seitenführenden
284
8 Die Lenkung
Blattfederpakete wieder als Waagebalken und erzwingen dabei etwa gleich große Querverschiebungen der beiden Achsen, die um ihre „Pole“ Pv bzw. Ph schwenken, wobei die hintere Achse wegen ihres geringeren Polabstandes einen größeren Lenkwinkel annimmt als die vordere. Da im Gegensatz zu Bild 8.34a beide Achsen hier gleichsinnig lenken, verlagert sich der (nicht dargestellte) Schnittpunkt ihrer Mittellinien, der Kurvenmittelpunkt des Aufliegers, nach vorn, was einer scheinbaren Verkürzung des Radstandes bzw. des Abstandes von der Sattelkupplung zum Achsaggregat entspricht. Dieses Aggregat bringt also einen Spurbreitengewinn ähnlich wie am Gelenk-Omnibus nach Bild 8.33. Anders als bei dem letzteren erfolgt aber die Einstellung des Lenkwinkels nicht abhängig vom Knickwinkel zwischen Auflieger und Zugfahrzeug, sondern von den Kräften zwischen den Reifen und der Fahrbahn. Beide Doppelachsaggregate in Bild 8.34 erfüllen übrigens die Bedingungen für eine gleichmäßige Bremskraftbeaufschlagung aller Räder (vgl. Bild 6.33 in Kap. 6).
Bild 8.34. Selbst einstellende Spurlenkaggregate
Die Zulassungsvorschriften für den Straßenverkehr legen Höchstabmessungen für Fahrzeuge fest, um deren Beweglichkeit im gemischten Verkehr zu gewährleisten. So muss z.B. ein Kreisring mit einem Außenradius r1 und einem Innenradius r2 durchfahren werden können, ohne dass Fahrzeugteile über diese Grenzen hinausragen. Ein Fahrzeug mit gegebener Breite B darf dann vor der Mitte der Hinterachse nur eine Länge von ma-
8.5 Selbst einstellende Lenkvorrichtungen
285
ximal L r12 ( B r2 ) 2 aufweisen, Bild 8.35a. Um mehr Fahrzeuglänge zu gewinnen, werden deshalb die vorderen Außenecken großer Fahrzeuge oft angeschrägt oder verrundet, wie an den Zugmaschinen der Beispiele b und c angedeutet. Bild 8.35b zeigt einen Sattelzug mit Spurlenkaggregat nach Bild 8.34a im Prüfkreis; dieses dient nicht der Erzielung größerer zulässiger Fahrzeuglänge, sondern größerer zulässiger Achslasten. Der Auflieger stellt sich, wenn Schräglaufwinkel der Hinterreifen bei höherer Querbeschleunigung vernachlässigt werden, mit der geometrischen Mittellinie seines Hinterachsaggregates auf den Kurvenmittelpunkt M ein und verhält sich damit günstiger als ein Auflieger mit nicht lenkbarer Doppel-Hinterachse (vgl. Bild 8.25d und Gl. 8.30). Für das Doppelachsaggregat nach Bild 8.34b kann eine „Lenkfunktion“ als geometrischer Ort k der Schnittpunkte der beiden Hinterachsen aufgezeichnet werden, Bild 8.35c. Denkt man sich die Kurve k fest mit dem Auflieger verbunden, so wird sich dieser bei Kurvenfahrt, wenn wieder Schräglaufwinkel bei höherer Querbeschleunigung außer Acht gelassen werden, so einstellen, dass die Kurve k den durch die Achsen der Zugmaschine festgelegten Kurvenmittelpunkt M berührt.
Bild 8.35. Spurbreitenbedarf bei Kreisfahrt
286
8 Die Lenkung
Bei tangentialer Einfahrt in den Prüfkreis dürfen Fahrzeuge nur um ein festgelegtes Maß über die Bahnbegrenzung nach außen schwenken. Jedes Fahrzeug mit hinterem Überhang schwenkt bei der Kreiseinfahrt ein wenig aus. Bei Gelenk-Omnibussen und Sattelzügen treten ein Knickwinkel zwischen Zugfahrzeug und Nachläufer bzw. eine Verschwenkung des Aufliegers gegenüber seiner Hinterachse bereits ein, wenn sich der Nachläufer bzw. Auflieger und seine Hinterachse noch auf dem geraden Einfahrstreigen befinden. Dadurch wird bei Fahrzeugen mit lenkbaren Hinterachsen, die einen Gewinn an Spurbreite bieten wie der Gelenk-Omnibus nach Bild 8.33 oder ein Sattelauflieger mit Spuraggregat nach Bild 8.34b, der Seitenversatz beim Einfahren in den Kreis zusätzlich vergrößert (daher oft der Warnhinweis „Fahrzeug schwenkt aus“ am Fahrzeugheck).
9 Die Elasto-Kinematik der Radaufhängungen
9.1 Allgemeines Fahrbahnunebenheiten und Unwuchten oder Ungleichförmigkeiten der Räder und Reifen regen die Radaufhängung vor allem im Bereich der Eigenfrequenzen der „ungefederten“ Massen zu Schwingungen an; Einzelstöße, wie Schlaglöcher oder Querfugen, weisen ein breites Frequenzspektrum bis in den hörbaren Bereich auf, ebenso die Eigenschwingungen des Reifens. Da moderne Reifen eine große Umfangssteifigkeit besitzen, also gegenüber Umfangskraftschwankungen kaum nachgiebig sind, entstehen aus den erwähnten Störungen Umfangs- bzw. Längskräfte am Reifen, die durchaus die Größenordnung der Radlast erreichen können [57]. Die Gummilager der Radführungsglieder geben der Radaufhängung gewisse Nachgiebigkeiten zum Abbau der niederfrequenten Stoßkräfte und dienen zur Eindämmung der Körperschallübertragung. Ihr weiterer Vorteil liegt in ihrer Wartungsfreiheit, Reibungsarmut, Erholungsfähigkeit nach kurzzeitigen Überlastungen und nicht zuletzt in ihren günstigen Kosten. Die oben erwähnten Längs-Stoßkräfte erfordern bei komfortabel ausgelegten Fahrzeugen eine elastische „Längsfederung“ der Fahrzeugräder in einer Größenordnung bis zu r 20 mm. Würde eine Längsfederung mit diesen Federwegen allein durch eine entsprechend nachgiebige Ausbildung der Gummilager der Radaufhängung und ohne zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen an derselben hergestellt, so ergäben sich im allgemeinen unzulässige elastische Verstellungen am Mechanismus der Radaufhängung, nämlich Abweichungen von der gewünschten „kinematischen“ Funktion wie z.B. Vorspuränderungen unter Längskraft oder überlagerte elastische Lenkwinkel bei Seitenkraft. Unter dem Begriff „Elasto-Kinematik“ versteht man die sorgfältige Abstimmung der Federraten aller beteiligten elastischen Lager und der räumlichen Anordnung der Achslenker sowie der Elastizitäten der Achslenker und der betroffenen Fahrgestellpartien (Hilfsrahmen oder „Fahrschemel“, Karosserieträger usw.) aufeinander mit dem Ziel, die durch die Elastizitäten entstehenden und unvermeidlichen Verformungen unter äußerer Belastung zu kompensieren oder sogar in wünschenswerte Bewegungen umzuwandeln.
288
9 Die Elasto-Kinematik der Radaufhängungen
Da mit einer und derselben Radaufhängung unterschiedliche räumliche Kräftekonstellationen, nämlich bereits im quasistatischen Bereich die Belastungsfälle der Radlast, der Bremskraft, der Antriebskraft und der Seitenkraft, möglichst jede für sich optimal elasto-kinematisch beherrscht werden sollen, ist es verständlich, dass vor der Verfügbarkeit schneller Rechner derartige Auslegungen eher empirisch getroffen werden mussten und bewusst „elasto-kinematisch“ dimensionierte Radaufhängungen erst von den frühen 70er Jahren an entwickelt werden konnten. Mehrlenkerachsen bieten freiere Variationsmöglichkeiten in der räumlichen Anordnung der Lenker und damit wesentliche Vorteile für eine gute elastokinematische Abstimmung; hierin ist auch der Grund für ihre zunehmende Anwendung selbst in preisgünstigen Gebrauchsfahrzeugen zu sehen. Die Schwingungen der Radaufhängung rufen an den Radführungsgliedern Massenbeschleunigungskräfte und damit auch Reaktionskräfte an ihren Lagern hervor. Letztere lassen sich zumindest theoretisch vermeiden, wenn die rad- und fahrzeugseitigen Lager eines Radführungslenkers gegenseitige „Stoßmittelpunkte“ bilden [9], also bezogen auf den Schwerpunkt des Lenkers Gl. 5.24, vgl. Kap. 5, erfüllen („Massen-Entkopplung“ des Lenkers). Bild 9.1 zeigt einen stabförmigen Achslenker mit konstantem Querschnitt; hier befindet sich der Stoßmittelpunkt Ts jedes Lagerauges bei 2 3 der Lenkerlänge. Eine Stoßkraft F an einem der Augen will den Lenker um Ts schwenken und verursacht, wenn das gegenüberliegende Auge festgehalten wird, dort eine Reaktionskraft F c F / 2.
Bild 9.1. Achslenker und Stoßmittelpunkt
Besonders wichtig ist die Beachtung des Stoßmittelpunktes, wenn große „ungefederte“ Massen gegenüber dem Fahrzeugkörper bewegt werden, wie z.B. bei Triebsatzschwingen (vgl. Kap. 6, Bild 6.6a). Ein ähnliches Stoß-Problem ist die „Lenkstößigkeit“, grob vereinfachend am „ebenen“ Grundrissmodell in Bild 9.2 veranschaulicht. Der Gesamt-Schwerpunkt S der Kombination Rad/Radträger/Bremse liegt im allgemeinen in einem Abstand e gegenüber der Radmittelebene versetzt, und eine Längs-Stoßkraft Fx versucht daher das Rad mit dem Radträger nicht nur mit einer Geschwindigkeit vx in Längsrichtung zu verschieben, son-
9.1 Allgemeines
289
dern es zusätzlich um einen Lenkwinkel G zu drehen. Wenn keine Radaufhängung vorhanden wäre, würde das Rad um den Stoßmittelpunkt Ts schwenken, dessen Abstand sich mit dem Trägheitsradius i entsprechend Gl. 5.24 zu p = i²/e berechnet. Wenn die Radaufhängung diese Bewegung behindert, entstehen Reaktionskräfte an den Achslenkern, also auch an einer Spurstange Sp, es sei denn, der Querlenker Q und die Spurstange, beide vereinfachend als starr angenommen, schneiden sich in Ts und setzen, da die zwecks Längsfederung weich aufgehängte Zugstrebe Z im ersten Moment des Stoßes noch keine nennenswerte Kraft aufbaut, der kombinierten Translations- und Rotationsbewegung des Rades keinen Widerstand entgegen.
Bild 9.2. Lenkstößigkeit (schematisch)
Die Lenkstößigkeit wäre offensichtlich günstig zu beeinflussen, wenn der Schwerpunkt der „ungefederten“ Masse in der Radmittelebene läge, und kann andernfalls nur unter Hinnahme von Lenkwinkeln bei LängsStoßkräften, dann aber auch beim stationären Bremsen oder Beschleunigen, gemildert werden. An der realistischen dreidimensionalen Radaufhängung spielen in die Lenkstößigkeit auch die Haupt-Trägheitsachsen des Radträgers und der Radführungselemente und ihre Elastizitäten hinein, so dass sich die Lenkstößigkeit erheblich komplexer darstellt als in Bild 9.2. Eine historische Lösung des Problems der Längsfederung, erstmals 1933 angewandt, zeigt Bild 9.3. Die in sich so steif als möglich gehaltene Doppelquerlenker-Aufhängung ist fahrgestellseitig an einem Halter befestigt, der um eine vertikale Achse d schwenkbar gelagert ist und sich gegen ein Gummilager G abstützt. Etwa parallel zu der durch die Drehachse d und die Spreizachse (hier einen echten „Achsschenkelbolzen“) verlaufenden Ebene ist die Spurstange Sp angeordnet, so dass elastische Längsbewegungen des Rades nahezu ohne Lenkwinkel möglich sind. Dies ist noch keine „Elasto-Kinematik“ im heutigen Sinne, deutlich wird hier aber bereits ein Bemühen um eine verwindungssteife Aufnahme des Bremsmoments ohne „Aufziehen“ des Radträgers um die Querachse.
290
9 Die Elasto-Kinematik der Radaufhängungen
Bild 9.3. Längselastische Vorderradaufhängung am Mercedes-Benz Typ „170 S“ (1949) (Werkbild DaimlerChrysler AG)
Die Güte der Widerstandsfähigkeit gegen das Aufziehen hängt natürlich wesentlich von der Torsionssteifigkeit der Drehwelle d ab. Bei Anregung mit sehr hohen Frequenzen werden die Radführungsglieder zu Schwingungen veranlasst. Die Biege-Eigenfrequenzen eines gleichmäßig mit Masse belegten Stablenkers der Länge a wie in Bild 9.1 sind
Zn
n ²S ² E I B / m a ³ ,
(9.1)
wobei n die Ordnungszahl der Eigenschwingung, E der Elastizitätsmodul, I B das Biegeträgheitsmoment und m die Masse sind. Das Biegeträgheitsmoment lässt sich durch die Querschnittsfläche A und den Biegeträgheitsradius iB ausdrücken, und mit dem Materialvolumen V A a und der Dichte U m/V wird aus Gl. 9.1
Zn
(n ²S ²iB / a ²) E / U .
(9.2)
Die vorwiegend für Radführungs-Bauteile in Frage kommenden Werkstoffe Stahl und Aluminium zeigen bezüglich des Quotienten E / U keinen wesentlichen Unterschied; eine ausreichend hohe Biege-Eigenfrequenz der Lenker wird daher am besten durch einen großen Trägheitsradius iB erzielt, wie z.B. bei einem dünnwandigen Hohlträger. Große Flächen mit dünner Wandstärke können wiederum zu Membranschwingungen angeregt werden, weshalb sie zur Erhöhung der Formsteifigkeit oft doppelt gewölbt oder „bombiert“ werden. Elasto-Kinematik ist, wie anfangs bereits gesagt, die richtige Abstimmung der Elastizitäten und geometrischen Lagen der Lenker einer Radaufhängung. Nicht jede Radaufhängung aber, die kinematisch ihre gewünschten Aufgaben erfüllen könnte, z.B. einen Sturzwinkelverlauf, ein Rollzentrum usw., ist auch elasto-kinematisch in den Griff zu bekommen.
9.1 Allgemeines
291
Bei jeder elastischen Verformung der Radaufhängung wird Energie gespeichert, die von der die Verformung verursachenden äußeren Kraft geleistet werden muss. Dies ist nur möglich, wenn der Angriffspunkt dieser Kraft einen Weg zurücklegt, der eine der Kraft gleichgerichtete Komponente hat. Radaufhängungen werden oft an einem Hilfsrahmen oder „Fahrschemel“ befestigt, der über Gummilager mit der Karosserie verbunden wird und ggf. noch das Achsgetriebe aufnimmt. Dies geschieht in Fällen, wo die Radaufhängung selbst auf Grund ihrer geometrischen Verhältnisse nicht für eine wünschenswerte elasto-kinematische Abstimmung geeignet ist, aber auch zur besseren Isolation des Fahrzeugkörpers gegenüber Reifenroll- und Getriebegeräuschen und nicht zuletzt zur Erleichterung der Fahrzeug-Endmontage. Der Hilfsrahmen bildet zusammen mit den Aufhängungen beider Räder ein Aggregat, dessen Federschwerpunkt S F bei symmetrischem Aufbau in der Fahrzeugmittelebene liegt, Bild 9.4a. Während unter Querkräften ohne Probleme ein gutes elastisches Eigenlenkverhalten erzielt werden kann, nämlich durch Verlegung des Federschwerpunktes hinter die Ebene, in welcher die Seitenkräfte wirken, wird sich der Hilfsrahmen bei einseitig angreifenden Längskräften mitsamt den Rädern stets geringfügig in der Draufsicht schräg stellen. Das gleiche gilt für alle Starrachsaufhängungen, Bild 9.4b. Mit den Anstellwinkeln D und D der unteren bzw. oberen Lenker gegen die Fahrzeugmittelebene und den Federraten c1 bzw. c2 der einzelnen Lenker wird die resultierende Querfederrate der unteren Lenker an ihrem Schnittpunkt P1 : cQ1 2c1 sin ²D , entsprechend die der oberen Lenker an deren Schnittpunkt P2 : cQ2 2c2 sin ²D , also die Gesamt-Querfederrate des Aggregats
cQ
2(c1 sin ²D c2 sin ²D ).
Soll der Federschwerpunkt, wie dargestellt, auf der Achsmitte liegen, so gilt cQ1 l1 cQ2 l2 , und die Drehfederrate ist cG cQ1l12 cQ2l22 .
Bild 9.4. Hilfsrahmen- und Starrachsaufhängung
292
9 Die Elasto-Kinematik der Radaufhängungen
Für eine optimale elasto-kinematische Abstimmung eignet sich am besten eine Mehrlenker-Einzelradaufhängung. Wegen der dreidimensionalen, miteinander gekoppelten Vorgänge bei den unterschiedlichen äußeren Belastungsfällen ist eine Analyse des elastischen Verhaltens der Radaufhängung nur am Rechner möglich. Da die metallischen Bauteile der Radaufhängung, wie die Lenker und die mit ihnen in Verbindung stehenden Trägerbereiche des Fahrzeugkörpers und evtl. vorgesehene Hilfsrahmen, erfahrungsgemäß ähnlich stark an der elastischen Gesamtverformung beteiligt sind wie die elastischen Lager der Lenker und Hilfsrahmen, müssen in einem guten elasto-kinematischen Analyseprogramm auch die Steifigkeitsmatrizen der metallischen Bauteile verarbeitet werden können, welche z.B. über Finite-Element-Verfahren ermittelt werden. Komplexe Bauteile zeigen, im Gegensatz zu einem einzelnen Gummilager in einem Lenker, je nach Belastungskombination unterschiedliche Reaktionen, worauf noch zurückzukommen ist. Nachfolgend sollen an vereinfachten Beispielen typische Erscheinungen an elastischen Radaufhängungen und geeignete konstruktive Maßnahmen qualitativ diskutiert werden.
9.2 Elasto-Kinematik bei Einzelradaufhängungen 9.2.1 Elastisches Verhalten des Radführungsmechanismus Um die grundsätzlichen Probleme und Lösungswege der elasto-kinematischen Abstimmung einer Radaufhängung aufzuzeigen, soll zunächst eine vereinfachte Mehrlenkerachse bei verschiedenen typischen quasistatischen Belastungsfällen betrachtet werden, Bild 9.5. Diese Radaufhängung besteht aus zwei übereinander angeordneten Dreiecklenkern, die an einem als steif angenommenen Fahrzeugkörper elastisch gelagert sind, und einem Stablenker (bzw. der Spurstange bei gelenkten Rädern). Die Radaufhängung soll ein „ebenes“ System bilden, d.h. ihre Geometrie ist im Fahrzeugquerschnitt, der y-z-Ebene, vollständig beschrieben (die Drehachsen der Dreiecklenker liegen exakt in Fahrzeuglängsrichtung). Die beiden Kugelgelenke der Dreiecklenker, die den Radträger führen, befinden sich in der Querschnittsebene durch den Radaufstandspunkt A. Auf dem unteren Dreiecklenker stützt sich die Feder ab. Grundsätzlich könnte ein solches System als Vorder- wie als Hinterradaufhängung Verwendung finden (in der Praxis müsste dann allerdings von der soeben für die Positionen der Kugelgelenke getroffenen Annahme abgewichen werden, an einer Vorderachse mit Rücksicht auf die Lenkgeometrie, hier also die Festlegung des Nachlaufwinkels und der Nachlaufstrecke, und an einer Hinterachse aus nachstehend erläuterten Gründen).
9.2 Elasto-Kinematik bei Einzelradaufhängungen
293
Bild 9.5. Elastische Doppelquerlenkerachse belastet durch die Radaufstandskraft
Die Geometrie der Radaufhängung wurde hier bewusst sehr einfach gewählt, um ohne Aufwand an Gleichungen und Argumenten und allein aus der Anschauung heraus über die zu erwartenden elasto-kinematischen Effekte diskutieren zu können. Bei einer Belastung durch die Radaufstandskraft FR entsteht im Fahrzeugquerschnitt, da das die Federungskraft am Radträger abstützende Kugelgelenk des unteren Dreiecklenkers gegenüber der Wirkungslinie der Radaufstandskraft um einen Hebelarm eR nach innen versetzt ist, am Radträger ein Kippmoment, welches den unteren Dreiecklenker nach außen zieht und den oberen nach innen drückt. Der Radträger wird daher im Fahrzeugquerschnitt um einen Winkel 'J R elastisch in „negativen“ Sturz kippen, und zwar um einen Punkt N R , dessen Position von den Steifigkeiten der Gummilager der Dreiecklenker abhängt. Bei rein kinematischer Funktion des „starren“ Systems (ohne Gummilager) möge sich mit der gewählten Lage des Stablenkers die in Bild 9.5 dargestellte „kinematische“ Kurve k der Vorspur G v über dem Radhub s ergeben. Da der Stablenker im Beispiel unterhalb des „neutralen“ Punktes N R der elastischen Sturzbewegung unter Radlast angreift, wird der Lotfußpunkt DS vom radseitigen Stablenker-Kugelgelenk auf die Verbindungslinie der Kugelgelenke der Dreiecklenker (bzw. die „Spreizachse“ bei einer lenkbaren Radaufhängung) elastisch um den Weg ' yR nach außen bewegt. Wegen der vorgegebenen Lage der Wirkungslinie der Radauf-
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9 Die Elasto-Kinematik der Radaufhängungen
standskraft in der vertikalen Querebene durch die Kugelgelenke der Dreiecklenker bzw. durch die Spreizachse bleibt der Stablenker kraft- und damit verformungsfrei. Da er in Bild 9.5 vor der Achse angeordnet ist, muss sich das Rad folglich im Grundriss, der x-y-Ebene, in Konstruktionslage um einen Winkel 'G vR in Richtung „Vorspur“ verstellen. Die „elastische“ Vorspurkurve e beginnt also im Nullpunkt (s = 0) bereits um diesen Winkel versetzt und entfernt sich, da die elastische Verformung der Gummilager mit der Radlast beim Einfedern zunimmt, immer mehr von der „kinematischen“ Vorspurkurve k. Die effektive Vorspurkurve unter Berücksichtigung der elastischen Lager hat demnach im allgemeinen einen gegenüber der rein kinematisch berechneten Funktion versetzten Nullpunkt und auch eine unterschiedliche Steigung. Ersteres lässt sich bei der normalerweise vorgesehenen Einstellarbeit nach der Montage korrigieren, letzteres – und evtl. auch eine gewünschte Änderung der Krümmung der Vorspurkurve – durch eine bewusst „kinematisch falsche“ Festlegung der Gelenke des Stablenkers bzw. der Spurstange im Fahrzeugquerschnitt (vgl. Kap. 7, Bild 7.31). Bereits an diesem ersten Beispiel wird klar: Die elasto-kinematische Auslegung einer Radaufhängung ist nicht Aufgabe der letzten Feinabstimmung vor Serienbeginn im Fahrversuch, sondern sie beginnt beim ersten Entwurf des Mechanismus der Radaufhängung in Form von Iterationen kinematischer und elasto-kinematischer Analysen und Korrekturen am Rechner, wobei jeweils nicht nur der soeben besprochene Belastungsfall durch die Radaufstandskraft, sondern auch die nachfolgend diskutierten typischen Belastungsfälle durchzuspielen sind und die Merkmale der beteiligten Bauteile und Baugruppen schnellstmöglich vorgeklärt werden. Zum Belastungsfall „Radaufstandskraft“ sei noch bemerkt, dass die von den elastischen Lagern herrührende Verstellung 'G vR der Vorspurkurve wenn möglich vermieden werden sollte, da sich dieselbe in Abhängigkeit von den Steifigkeiten der Gummilager ergibt und damit auch von Veränderungen derselben im Laufe der Fahrzeug-Lebensdauer, z.B. durch „Alterung“ oder Verschleiß. Je nach Bauart der Radaufhängung ist dies mehr oder weniger gut erfüllbar, sofern nicht andere konstruktive Zwangsbedingungen dem entgegenstehen, z.B. die Raumverhältnisse über oder unter dem Triebwerksblock bei einer Spurstange. Die elastische Sturzänderung 'J R ist im Vergleich zur Vorspur von geringerem Interesse, solange sie im Bereich von Bruchteilen eines Winkelgrades bleibt. Fehler oder allmähliche Veränderungen der Vorspur wirken sich im allgemeinen nicht erheblich auf die Fahrsicherheit aus, können aber durch erhöhten Reifenverschleiß bemerkbar werden. Die Radaufhängung muss neben der ständig präsenten Radlast auch andere äußere Kräfte aufnehmen, die von fahrdynamischen Ereignissen herrühren, wie die Seitenkraft bei Kurvenfahrt oder während eines Anlenk-
9.2 Elasto-Kinematik bei Einzelradaufhängungen
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vorganges, ferner die Bremskraft und ggf. eine Antriebskraft. Die elastischen Reaktionen der Radaufhängung auf diese Belastungen bestimmen wesentlich den Gesamteindruck hinsichtlich des Fahrverhaltens, der Handlichkeit und der Fahrsicherheit. In Bild 9.6 wird die Radaufhängung von Bild 9.5 durch eine Seitenkraft FQ belastet, die in Richtung auf die Fahrzeugmitte, also als „kurvenäußere“ Seitenkraft wirkt. Die Radaufhängung möge bereits durch die Radaufstandskraft vorbelastet sein, d.h. die momentane Stellung beinhaltet die aus der Radaufstandskraft resultierende elastische Vorspurkurve, und diese dient als Ausgangskurve „k“ für die folgenden Betrachtungen. Die Seitenkraft erzeugt im Fahrzeugquerschnitt im unteren Dreiecklenker eine Druck- und im oberen eine Zugkraft, weshalb der Radträger mit einem elastischen Sturzwinkel 'J Q um einen neutralen Punkt N Q im Gegensatz zu Bild 9.5 in „positive“ Richtung kippt (wobei N Q im allgemeinen nicht mit N R zusammenfällt).
Bild 9.6. Die Radaufhängung von Bild 9.5 bei Belastung durch eine Seitenkraft
296
9 Die Elasto-Kinematik der Radaufhängungen
Der Lotfußpunkt DS des äußeren Stablenkerlagers auf der Verbindungslinie der Dreiecklenker-Kugelgelenke wird daher nun zur Fahrzeuginnenseite hin um einen Weg ' yQ verschoben. Ferner entsteht, im Gegensatz zu Bild 9.5, wegen der um den Reifennachlauf nR (vgl. Kap. 4) gegenüber dem Radaufstandspunkt A nach hinten versetzten Wirkungslinie der Seitenkraft FQ ein Drehmoment an der Radaufhängung, das den Stablenker auf Zug belastet und eine elastische Verlagerung seines radseitigen Gelenks um 'lSQ nach außen verursacht. Beide Verformungen erzeugen am Rade in Konstruktionslage eine Vorspurverringerung um einen Winkel 'G vQ . Eine solche Änderung zur „Nachspur“ hin wäre, sofern sie in Grenzen bleibt, an einem gelenkten Vorderrade positiv zu bewerten, weil sie „untersteuernd“ wirkt und die Fahrzeugreaktion auf einen zu heftigen Anlenkvorgang entschärft. An einem Hinterrade würde sie dagegen ein „Übersteuern“ bedeuten und damit unerwünscht sein. An Bild 9.6 ist zu erkennen, dass der Anteil der Vorspuränderung, der von der Querverschiebung ' yQ herrührt, wesentlich von der Höhenlage des Stablenkers in Bezug auf den neutralen Punkt N Q abhängt. Läge der Stablenker oberhalb von N Q , so kehrten sich die Verhältnisse um: die Radaufhängung ginge bei vorn liegendem Stablenker (wie im Beispiel) in Vorspur und bei hinten liegendem in Nachspur. Soll also eine Vorderradaufhängung mit elastischen Lagerungen bei Seitenkraft untersteuernd reagieren, so sollte eine tief angeordnete Spurstange möglichst vor und eine hoch angeordnete hinter der Achse vorgesehen werden. Letzteres ist oft der Fall an Vorderachsen von Fahrzeugen mit Frontantrieb und oberhalb des Getriebegehäuses positioniertem Lenkgetriebe. Der Reifennachlauf nR hat sein Maximum bei der Schräglauf-Seitenkraft Null und sinkt im querdynamischen Grenzbereich auf Null ab. Daher wandert der Angriffspunkt der Seitenkraft FQ mit wachsender Querbeschleunigung am Rade nach vorn, und zwar bei PKW-Reifen um elastokinematisch beachtliche Wege von ca. 25–40 mm. Das bedeutet in Bild 9.6, dass das Drehmoment der Seitenkraft um die Verbindungslinie der Dreiecklenker-Kugelgelenke (bzw. die Spreizachse) abnimmt, folglich auch die elastische Verschiebung 'lSQ des äußeren Stablenkerlagers und damit ihr Anteil am elastischen Lenkwinkel. Dieser Effekt betrifft alle Radaufhängungen unabhängig von der Qualität ihrer elasto-kinematischen Abstimmung: die elastische Untersteuerneigung nimmt bei wachsender Querbeschleunigung an der Vorderachse ab und an der Hinterachse zu. Die elastische Verstellung der Radaufhängung in Richtung „Nachspur“ bzw. die Abnahme des Vorspurwinkels unter Seitenkraft ist, wie bereits gesagt, an einer Hinterachse wegen der übersteuernden Wirkung schädlich. In Bild 9.6 ist deutlich zu erkennen, dass alle drei Gelenke, die den Radträger in seiner Lage halten, sich im Grundriss vor der Wirkungslinie der Seitenkraft befinden. Letztere ist also an den beiden Dreiecklenkern und
9.2 Elasto-Kinematik bei Einzelradaufhängungen
297
dem Stablenker „fliegend“ abgestützt, was rein anschaulich bereits eine verstärkte Nachgiebigkeit der Radaufhängung im hinteren Bereich erwarten lässt. Um auch den Stablenker durch eine Druckkraft zu belasten, also eine elastische Verschiebung seines radträgerseitigen Gelenks zur Fahrzeuginnenseite hin zu erreichen, wurden im Teilbild a die radträgerseitigen Gelenke der Dreiecklenker so weit nach hinten verlagert, dass ihre Verbindungslinie die Fahrbahnebene in der Seitenansicht hinter dem Angriffspunkt der Seitenkraft schneidet. Damit ist, bei angepasster Dimensionierung der beteiligten Gummilager, zumindest die Voraussetzung dafür geschaffen, dass bereits zu Beginn des Anlenkvorganges eine untersteuernde Reaktion der Hinterradaufhängung erfolgt. An einer Vorderachse wäre eine derartige „Lenkgeometrie“ freilich unbrauchbar, aber glücklicherweise auch nicht nötig. Als weiteren Belastungsfall muss jede Radaufhängung den Bremsvorgang beherrschen. Die Bremse ist heute bei praktisch allen schnellen Fahrzeugen aus bereits erwähnten Gründen am Radträger gelagert und leitet das aus der Bremskraft FB und dem Reifenradius resultierende Bremsmoment an den Radträger weiter, so dass er effektiv durch eine Kraft FB am Radaufstandspunkt A belastet ist, Bild 9.7.
Bild 9.7. Die Radaufhängung von Bild 9.5 unter Belastung durch eine Bremskraft
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9 Die Elasto-Kinematik der Radaufhängungen
Damit wird das radträgerseitige Gelenk des unteren Dreiecklenkers elastisch nach hinten und das des oberen nach vorn verschoben. Der Lotfußpunkt DS des radträgerseitigen Lagers des Stablenkers auf der „Spreizachse“ wandert wegen seiner im gewählten Beispiel tief liegenden Position um einen Weg ' xB nach hinten, und das aus der Bremskraft FB und dem Hebelarm eB um die Spreizachse resultierende Moment zieht das radträgerseitige Lager des Stablenkers um einen Weg 'lSB nach außen, woraus sich ein elastischer Nachspurwinkel 'G vB in Konstruktionslage ergibt (bei einer Vorderachse entspricht eB dem Lenkrollradius rS ). Zusätzlich wird durch die Schwenkbewegung des Radträgers um einen elastischen „Aufziehwinkel“ 'W B in der Seitenansicht das radträgerseitige Lager des Stablenkers nach unten gedrückt und gerät dadurch in eine gegenüber der getroffenen kinematischen Auslegung völlig „falsche“ Höhenlage. Dies hat zur Folge, dass die „elastische“ Vorspurkurve e gegenüber der „kinematischen“ Kurve k nicht nur in der Konstruktionslage um den Winkel 'G vB versetzt, sondern auch mit einer merklich geänderten Steigung verläuft, nämlich zunehmender Tendenz zur Nachspur beim Einfedern, vgl. Kap. 7, Bild 7.31 (bei einem hinter der Radaufhängung angeordneten Stablenker würde dessen äußeres Gelenk nach oben gedrückt mit dem gleichen Ergebnis). Mit der geänderten Tendenz der Vorspurkurve beim Bremsen kann man sich anfreunden, bedeutet sie doch im Falle einer Bremsung bei Kurvenfahrt sowohl für ein kurvenäußeres Vorderrad (das beim Bremsen ein wenig einfedert) als auch ein kurvenäußeres Hinterrad (das ein wenig ausfedert) jeweils einen untersteuernden Lenkwinkelbeitrag. Die dargestellte Vorspuränderung tritt aber auch beim Durchfedern während eines Bremsvorganges bei Geradeausfahrt auf und ist dort weniger erwünscht. Die Verstellung um den Winkel 'G vB zur Nachspur hin bereits in Konstruktions- bzw. Normallage wäre an einem Hinterrade mit Rücksicht auf evtl. Lastwechselvorgänge bei Kurvenfahrt (vgl. Kap. 7) auf jeden Fall nachteilig. Daher ist man bestrebt, eine Hinterradaufhängung unter Bremskraft in Richtung zur Vorspur hin zu verformen, um bei einem Bremsmanöver während der Kurvenfahrt wenigstens an dem für die Fahrstabilität wichtigeren kurvenäußeren Rade der beginnenden Lastwechselreaktion des Fahrzeugs entgegenzuwirken. Dies wäre bei der Aufhängung von Bild 9.7 möglich durch eine „Pfeilung“ des Stablenkers im Grundriss (Bild 9.7a) unter einem Winkel D der so bemessen ist, dass die elastische Verlängerung 'lSB des Stablenkers durch eine unter dem Einfluss der Längsverschiebung ' xB des Lotfußpunktes DS mit dem Winkel D erzeugte kinematische Verlagerung des äußeren Stablenkerlagers um ' xB tan D kompensiert oder besser: überkompensiert wird. Es müsste also gewählt werden: D t atn('lSB / ' xB ). Bild 9.7a bietet noch eine zweite Deutung dieses Vorgangs an: Der Stablenker schneidet die Querschnittsebene durch die äußeren Gelenke der
9.2 Elasto-Kinematik bei Einzelradaufhängungen
299
im gewählten Beispiel symmetrisch zu dieser Ebene angeordneten Dreiecklenker in einem „Pol“ P. Bei einer Rückwärtsverlagerung des Radträgers um ' xB schwenkt derselbe um den Pol P mit einem korrigierenden Vorspurwinkel 'G vk in Richtung Vorspur, wobei 'G vk ' xB / p ist (Winkel im „Bogenmaß“). Hier wird also das elastische Verhalten der Radaufhängung durch einen kinematischen Kniff kompensiert. Mit Maßnahmen wie dieser beginnt eigentlich das, was heute unter dem Begriff „Elasto-Kinematik“ verstanden wird, nämlich die bewusste gegenseitige Abstimmung der Steifigkeiten der Lagerungen und der Bauteile sowie der räumlichen Anordnung der letzteren (bisher wurde der Übersichtlichkeit halber nur von einer „Pfeilung“ des Stablenkers gesprochen; es sei aber klargestellt, dass vergleichbare Wirkungen durch gegenseitige Pfeilungen auch anderer Achslenker erzielt werden können, sofern diese Einfluss auf den Lenkwinkel des Rades haben). Wenn es sich bei der betrachteten Radaufhängung um eine Antriebsachse handelt, bleibt noch ein letzter typischer Belastungsfall zu untersuchen, nämlich der Antrieb des Rades über eine quer liegende Gelenkwelle, wie bei Einzelradaufhängungen üblich, Bild 9.8.
Bild 9.8. Die Radaufhängung von Bild 9.5 bei Belastung durch eine Antriebskraft
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9 Die Elasto-Kinematik der Radaufhängungen
Da das aus der Antriebskraft FT und dem Reifenradius resultierende Drehmoment von der Gelenkwelle aufgefangen und unmittelbar am Fahrzeugkörper abgestützt wird, wird der Radträger lediglich durch eine Einzelkraft FT am Radmittelpunkt M belastet. Die beiden Dreiecklenker sind in etwa gleichen Abständen ober- und unterhalb der Radmitte angebracht und werden daher gleichsinnig und je nach Auslegung ihrer Lagerungen im wesentlichen parallel um ' xT nach vorn verschoben. Gleiches gilt also auch für den Lotfußpunkt DS des äußeren Stablenkerlagers auf der „Spreizachse“. Die Antriebskraft erzeugt aber mit ihrem Hebelarm eT um die Spreizachse zusätzlich ein Drehmoment um dieselbe, das den Stablenker auf Druck belastet und sein äußeres Gelenk elastisch um 'lST nach innen verschiebt, während es die Dreiecklenkerlager um ' yT nach außen zieht. Aus beiden Verschiebungen entsteht ein elastischer Vorspurwinkel 'G vT (bei einer Vorderachse entspricht eT dem Spreizungsversatz rV ). Die elastische Vorspurkurve e wird also in der Konstruktionslage gegenüber der „kinematischen“ Kurve k um 'G vT versetzt sein, aber über dem Radhub s im wesentlichen zu dieser parallel verlaufen. Wenn sich ein Rad unter Antriebskraft elastisch zur Vorspur hin verstellt, so wird es bei einem Zurücknehmen der Antriebskraft in Nachspur schwenken. Dies würde bei Kurvenfahrt an einem kurvenäußeren Hinterrad im Moment des „Lastwechsels“, also bei evtl. abrupter Gasrücknahme z.B. in einer Gefahrensituation, zu einer Verschärfung der übersteuernden Fahrzeugreaktion führen (vgl. Kap. 7, Bild 7.40). Daher wird an einer angetriebenen Hinterradaufhängung eine Tendenz zu einer elastischen Vorspurverringerung unter Antriebskraft angestrebt, um im Augenblick des Lastwechsels wenigstens am kurvenäußeren Rade den für die Fahrstabilität wichtigen Lenkwinkelsprung in Richtung „Vorspur“ zu gewinnen. Dies könnte durch eine ähnliche Maßnahme erreicht werden, wie bereits für den Bremsvorgang gezeigt, nämlich eine geeignete Pfeilung von Achslenkern. Da die Geometrie der Radaufhängung aber nur einmal und für alle Belastungszustände einheitlich festgelegt werden kann, steht dieses Mittel jetzt möglicherweise nicht mehr zur Verfügung. Damit bleibt als letzte noch nicht ausgenützte kinematische Option eine geeignete gegenseitige Abstimmung der wirksamen Hebelarme eB und eT der Brems- und der Antriebskraft [14], um die von beiden Kräften hervorgerufenen Drehmomente am Radträger in ein Verhältnis zu setzen, das einen Ausgleich der jeweiligen elastischen Lenkwinkel mit ein- und derselben Geometrie der Radaufhängung ermöglicht. Wenn vereinfachend angenommen wird, dass die Beträge der Vorspurwinkel bei Bremsung bzw. Antrieb und bei gegebener Verdrehsteifigkeit der Aufhängung des Radträgers um die Hochachse den Hebelarmen der Brems- bzw. Antriebskraft proportional sind, 'G vB ~ eB und 'G vT ~ eT , so erfordert die exakte Kompensation dieser Winkel entsprechende Korrekturwinkel 'G vBk () ' xB / p bzw. 'G vTk ()' xT / p , und damit ergibt
9.2 Elasto-Kinematik bei Einzelradaufhängungen
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sich die Bedingung eT / eB ' xT / ' xB . In der Praxis wird man zugunsten eines optimalen Lastwechselverhaltens noch größere Korrekturwinkel wählen, also die schädlichen Nach- bzw. Vorspurwinkel beim Bremsen bzw. Beschleunigen überkompensieren. In Bild 9.8 ist der Hebelarm eT der Antriebskraft deutlich größer als der Hebelarm eB der Bremskraft in Bild 9.7. Bei einer gegebenen Pfeilung von Achslenkern muss sich daher bereits ein beträchtlicher Korrekturwinkel einstellen, so dass keine wesentlichen Veränderungen der Hebelarme mehr notwendig sind. In Bild 9.8a wird eine von verschiedenen Möglichkeiten gezeigt, die Anpassung der Hebelarme zu erreichen, nämlich eine Verlagerung des oberen Dreiecklenkerlagers nach innen ohne Veränderung des unteren Dreiecklenkers. In diesem Falle hat die Vergrößerung von eT auf eT1 eine Verringerung von eB auf eB1 zur Folge, was natürlich an einer Vorderachse einen Eingriff in die Lenkgeometrie bedeutet. Die Verlagerung des äußeren Lagers des oberen Dreiecklenkers ist hier mit einer Verkürzung desselben einhergegangen, weil – z.B. aus Platzgründen – seine innere Lagerung nicht verschoben wurde. Dies bringt allerdings eine verstärkte Progression des (negativen) Radsturzes beim Einfedern und auch eine verringerte Höhenänderung des Rollzentrums über dem Federweg mit sich, also eine verstärkte Neigung zum Aufstützen in der Kurve. Selbstverständlich müssen nach derartigen Änderungen der Geometrie und evtl. auch der Lagersteifigkeiten sämtliche bisher betrachteten Belastungsfälle von neuem durchgespielt werden, wie überhaupt jeder Entwurf einer neuen Radaufhängung in einer großen Zahl von „Schleifen“ erfolgt, deren zeitlicher Abstand im Laufe der Weiterentwicklung zunimmt. Für das Beispiel von Bild 9.8 wurde angenommen, dass der Antrieb des Rades über eine quer liegende Gelenkwelle ohne radträgerfestes Untersetzungsgetriebe erfolgte. Ist ein Vorgelegegetriebe im Radträger vorhanden, wird – im Gegensatz zur Darstellung in Bild 9.8 – der Radträger sich nicht mehr annähernd parallel nach vorn verlagern, sondern sich unter dem Einfluss des Reaktionsmoments FT R (i 1) / i des Vorgelegegetriebes in der Seitenansicht im Uhrzeigersinn elastisch „aufziehen“ ähnlich, aber in umgekehrter Richtung als bei einer Vorwärtsbremsung entspr. Bild 9.7 (hierbei ist R der Reifenradius und i die Vorgelege-Untersetzung). Die als Beispiel gewählte Radaufhängung in den Bildern 9.5–9.8 war der besseren Anschaulichkeit wegen insofern gegenüber den in der Praxis zu erwartenden Radaufhängungen vereinfacht worden, als wichtige Achslenker in der vertikalen Querschnittsebene durch die Radaufstandspunkte lagen. Im allgemeinen wird dies bereits an einer Vorderachse wegen deren Nachlaufwinkel und –strecke nicht mehr gegeben sein, und erst recht nicht bei einer Mehrlenker-Hinterradaufhängung (vgl. Bild 9.6a). An den bisher angesprochenen Effekten und elasto-kinematischen Maßnahmen ändert sich damit grundsätzlich nichts, die elastischen Verformungen treten allerdings in Überlagerung auf und können nur noch über Rechenprogramme
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9 Die Elasto-Kinematik der Radaufhängungen
kontrolliert werden. Die Berücksichtigung derartiger Varianten hätte hier unnötigerweise die beabsichtigten prinzipiellen Betrachtungen erschwert. Es liegt auf der Hand, dass eine freie Gestaltung der Radaufhängung und ihrer kinematischen und elasto-kinematischen Dimensionierung um so leichter fällt, je mehr einzelne Lenker und je mehr Gelenke sie aufweist. Der wesentliche Grund für die zunehmende Anwendung von MehrlenkerAufhängungen ist – neben der Raum- und Gewichtseinsparung – der Wunsch nach einer ausgewogenen Elasto-Kinematik. Bild 9.9 zeigt eine Fünf-Lenker-Hinterradaufhängung, bei welcher alle anhand der Bilder 9.5–9.8 diskutierten elasto-kinematischen Effekte realisiert worden sind.
Bild 9.9. Hinterachse des Mercedes-Benz 500 SEL (1991) (Werkbild DaimlerChrysler AG)
9.2 Elasto-Kinematik bei Einzelradaufhängungen
303
Die Aufhängungen beider Räder sind an einem Hilfsrahmen oder „Fahrschemel“ befestigt, der auch das Hinterachsgetriebe trägt und zur Geräuschisolation wie zur vereinfachten Endmontage über vier großvolumige Gummilager mit dem Fahrzeugkörper verbunden ist. Zur Radführung dienen ein unteres und ein oberes, jeweils in der Draufsicht gegeneinander winklig angestelltes, Querlenkerpaar und ein weiterer Stablenker als „Spurlenker“ Sp. Die Höhenlage des letzteren ist von Einfluss auf das Vorspurverhalten, vgl. die Bilder 9.5–9.8. Für die Aufnahme der Längskräfte sind im wesentlichen die oberen und unteren Querlenkerpaare verantwortlich, wobei in Bild 9.9 die oberen Querlenker sich in der Draufsicht kreuzen. In einer für Vorderachsen gültigen Terminologie würden die vier Querlenker eine „ideelle Spreizachse“ i erzeugen, die sich im Raume als gemeinsame Schnittgerade der Mittellinien aller vier Querlenker einstellen wird, und die hier wegen der überkreuzten oberen Lenker gegenüber den radträgerseitigen Gelenken derselben zur Fahrzeuginnenseite hin verschoben ist, folglich im Fahrzeugquerschnitt eine merkliche Schrägstellung aufweist und gemäß Bild 9.8 stark unterschiedliche wirksame Hebelarme der Brems- und der Antriebskraft verwirklicht. Bezüglich der „Lenkgeometrie“ entsprechen die gekreuzten oberen Querlenker einem (kürzeren) Dreiecklenker, aber eine mit einem solchen verbundene Verringerung der Höhenänderung des Rollzentrums und Verstärkung des Aufstützeffekts bei Kurvenfahrt wird durch die im Fahrzeugquerschnitt unverändert wirksamen Längen der einzelnen Querlenker vermieden. Die Betrachtungen zu den Bildern 9.5–9.8 wurden der einfacheren Darstellungsweise wegen vorwiegend auf die „Normallage“ der Radaufhängung beschränkt, wobei die mit der Belastung durch äußere Kräfte einhergehenden Ein- und Ausfederungsbewegungen nicht berücksichtigt wurden. Diese Federungsbewegungen können aber, abhängig von der „längskinematischen“ Auslegung der Radaufhängung, die elasto-kinematischen Eigenschaften merklich beeinflussen. Die Fünf-Lenker-Hinterradaufhängung in Bild 9.10 besteht aus drei Quer- und zwei Längslenkern. Sie möge für ein „neutrales“ Eigenlenkverhalten in Normallage konstruiert sein, was hier in besonders einfacher Weise dadurch erreicht wird, dass in der Seitenansicht die unteren, als gleich steif angenommenen Querlenker symmetrisch zu dem um den Reifennachlauf nR (vgl. Kap. 4) hinter den Radaufstandspunkt A versetzten Angriffspunkt der Seitenkraft F angeordnet sind und der obere senkrecht über diesem Punkt. Die Längslenker der Radaufhängung definieren aber einen Pol L in nicht allzu großer Entfernung vom Rade, z.B. um einen guten Brems-Stützwinkel (vgl. Kap. 6) zu gewährleisten. Beim Ein- und Ausfedern schwenkt folglich der Radträger in der Seitenansicht um diesen Pol und nimmt dabei alle seine Lenkerlager mit. Der „neutrale“ Punkt der elastischen Seitenkraftabstützung wandert folglich auf einer Kreisbahn g N um L, während der Radaufstandspunkt A, der sich stets unterhalb der Radmitte
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9 Die Elasto-Kinematik der Radaufhängungen
M befindet, deren Bahn g M kopieren wird. Da der Angriffspunkt der Seitenkraft F um den Reifennachlauf nR hinter A versetzt ist, wird auch er eine Bahn g F parallel zu g M ausführen. Beim Einfedern verschiebt sich also der „neutrale“ Punkt gegenüber dem Angriffspunkt der Seitenkraft nach hinten, beim Ausfedern nach vorn. Dies bedeutet, dass bei Kurvenfahrt sowohl die kurvenäußere Seitenkraft als auch die kurveninnere (welche am inneren Rade gegensinnig zur Kraft F in Bild 9.10 wirkt) an der Radaufhängung elastische Vorspurwinkel erzeugen. Folglich nimmt an der Achse die Gesamt-Vorspur mit wachsendem Wankwinkel merklich zu. An einer Hinterradaufhängung verbessert dies das Untersteuern, da die kurvenäußere Seitenkraft über der Querbeschleunigung erheblich stärker wächst als die kurveninnere. – Eine Vorderradaufhängung würde konsequenterweise einen hinter dem Rade liegenden Pol erfordern, um elastisches Untersteuern sicherzustellen, dann natürlich mit über der Querbeschleunigung wachsender Gesamt-Nachspur.
Bild 9.10. Längspol und Elasto-Kinematik bei Kurvenfahrt
Der Aufziehwinkel bei Bremsung, der eine starke Veränderung des Gradienten der Vorspurkurve über dem Federweg verursacht (s. Bild 9.7), kann reduziert werden, wenn die Radaufhängung so gestaltet wird, dass nur ein Lenker wesentlich von Längskräften am Radaufstandspunkt belastet wird und damit fast allein für die „Längsfederung“ maßgebend ist, d.h. als einziger längsweich aufgehängt werden muss. Eine weitere Möglichkeit, dem Problem des elastischen Aufziehens unter Bremskraft auszuweichen, besteht in der Anbringung der gesamten Radaufhängung an einem Hilfsrahmen bzw. Fahrschemel, der selbst aus-
9.2 Elasto-Kinematik bei Einzelradaufhängungen
305
reichend elastisch am Fahrzeugkörper gelagert ist. Die Radaufhängung selbst kann so mit steiferen Lagerungen ausgestattet werden. Eine solche Maßnahme ergibt sich an angetriebenen Hinterachsen im allgemeinen von selbst, da meistens ein Hilfsrahmen zur Isolation der Getriebegeräusche und zur Erleichterung der Endmontage der Achse über drei oder vier Gummilager vorgesehen ist. Damit wird allerdings in Kauf genommen, dass die gesamte Achse mit ihrem Hilfsrahmen bei einseitig wirkender Längskraft wieder ein wenig „lenkt“, vgl. Bild 9.4. Am besten wäre es zweifellos, wenn die Radaufhängung jeder Fahrzeugseite bei wunschgemäß dimensionierter Längsfederung auf die an ihr angreifenden äußeren Kräfte elasto-kinematisch selbst richtig reagieren könnte, ohne die Radaufhängung der gegenüberliegenden Seite zu beeinflussen oder von dieser beeinflusst zu werden. Dem steht nicht entgegen, dass auch eine so ausgestattete Radaufhängung zwecks Optimierung des Komforts wieder über einen elastisch gelagerten Hilfsrahmen mit dem Fahrzeug verbunden wird; dessen Aufgaben sind dann aber vorrangig die Geräuschisolation und die Montageerleichterung und nicht mehr elastokinematische Effekte. Auch dieser Weg wird häufig beschritten, wie im folgenden an vereinfachten Beispielen erläutert wird. Ein Gewinn an Freiheit der elasto-kinematischen Abstimmung ist offensichtlich dann zu erzielen, wenn der elastische Aufziehwinkel vermieden werden kann. Dieser Winkel entsteht, wenn das Drehmoment aus der Bremskraft an übereinander angeordneten Lenkern der Radaufhängung, in Bild 9.7 den Dreiecklenkern, abgestützt wird und diese Lenker zwecks weicher Längsfederung in Fahrtrichtung nachgiebig gelagert sind. Demnach böte eine Radaufhängung Vorteile, bei welcher das Bremsmoment an einem einzigen Bauteil verdrehsteif aufgefangen wird, sofern dieses Bauteil zugleich die Längsfederung allein bewältigen kann. Dies führt zu der in verschiedenen Varianten angewandten Bauart der Doppelquerlenkerachse mit verwindungssteifem Trapezlenker, Bild 9.11.
Bild 9.11. Trapezlenkerachsen (Federung nicht dargestellt)
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9 Die Elasto-Kinematik der Radaufhängungen
In der einfachsten Form benötigt diese Aufhängung nur einen zusätzlichen Stablenker, Bild 9.11a, um kinematisch vollständig zu sein. Die Drehgelenke am Trapezlenker müssen dann aber extrem steif ausgebildet sein, um Vorspuränderungen unter Längskraft zu vermeiden, und als „Längsfederung“ kommt nur eine axiale Elastizität der Drehgelenke in Frage, was mit reinen Gummilagern (auch bei Verwendung von Zwischenhülsen) kaum zu erreichen ist. Mit zwar geringen, aber jedenfalls in „falscher“ Richtung (Nachspur beim Bremsen, Vorspur bei Antrieb) erfolgenden elastischen Lenkwinkeln ist also zu rechnen. Hinzu kommt, dass die Radaufhängung, dem geringen Aufwand an Bauteilen entsprechend, auch kinematisch nicht besonders freizügig gestaltet werden kann, denn sie steht den sphärischen Mechanismen nahe (vgl. Kap. 3, Bilder 3.7 und 3.8). Wird die radseitige Drehachse des Trapezlenkers durch eine kardanische Verbindung ersetzt, Bild 9.11b, so erhält der Radträger am Trapezlenker eine zusätzliche Drehbarkeit in einer Art „Achsfaust“, die durch einen zweiten Stablenker kontrolliert werden muss. Damit ist die Möglichkeit gegeben, die nunmehr zwei Stablenker gegeneinander zu „pfeilen“ (vgl. Bild 9.7) und so elastische Lenkwinkel zu beeinflussen; die Radaufhängung kann auf Grund ihres kinematischen Potentials eine echte „räumliche“ Geometrie erhalten und ist zudem als Vorderradaufhängung denkbar. Wenn es sich um eine nicht oder nur begrenzt lenkbare Radaufhängung (z.B. Hinterradaufhängung) handelt, kann der technische Aufwand an der „kardanischen“ Lagerung erheblich verringert werden, indem diese durch ein Kugelgelenk k oder ein diesem gleichwertiges Gummilager sowie einen pendelnden Drehmomentlenker p ersetzt wird, Bild 9.11c. Die räumliche Anstellung des Drehmomentlenkers eröffnet weitere kinematische und elasto-kinematische Einflussmöglichkeiten. Eine ähnliche Wirkung wie mit einem Trapezlenker lässt sich auch durch eine ecksteife Lagerung des Radträgers an einem Längslenker erreichen, wie an der sphärischen Doppelquerlenkeraufhängung in Bild 9.12a, oder an einer Mehrlenker-Aufhängung, deren zwei Längslenker zu einem Dreiecklenker vereinigt werden, Bild 9.12b; dieser Dreiecklenker kann dann konstruktiv durch ein um die Hochachse biegsames Federblatt oder „Schwert“ ersetzt werden. Weiter besteht die Möglichkeit, die Längslenker einer Mehrlenker-Aufhängung an einem Ausgleichshebel zu lagern, Bild 9.12c, wobei die Hebelarme am Ausgleichshebel sich evtl. umgekehrt verhalten wie die in den Längslenkern bei Bremsung auftretenden Kräfte, so dass kein resultierendes Drehmoment am Ausgleichshebel entsteht und dieser zur „Längsfederung“ des Rades drehweich am Fahrzeugkörper geführt werden kann (damit wird allerdings eine Aufziehbewegung des Radträgers bei Längskräften am Radmittelpunkt, z.B. einer Stoßkraft, in Kauf genommen).
9.2 Elasto-Kinematik bei Einzelradaufhängungen
307
Alle in Bild 9.12 gezeigten Lösungen erfordern ein entsprechendes Raumangebot im Fahrzeug und sind deshalb nicht generell anwendbar, im Gegensatz zu denen nach Bild 9.11.
Bild 9.12. Radaufhängungen mit verdrehsteifer Aufnahme des Bremsmoments
Selbstverständlich ist auch mit den in den Bildern 9.11 und 9.12 gezeigten Lösungsansätzen der elastische Aufziehwinkel bei Bremsung nicht vollständig zu beseitigen, da alle Lagerungen und Bauteile (auch ein Trapezlenker) gewisse Elastizitäten aufweisen. Die Bauart nach Bild 9.12c könnte theoretisch durch Überkompensation der Drehmomentbalance am Ausgleichshebel sogar eine Umkehrung des elastischen Aufziehwinkels erzeugen, allerdings mit dem Nachteil um so größerer Drehbewegungen des Radträgers unter Längskraftbelastung am Radmittelpunkt. Dass die metallischen Bauteile der Radaufhängungen, der Hilfsrahmen und der betroffenen Karosseriebereiche elastische Eigenschaften aufweisen, die oft die Wirkung der verbauten Gummilager übertreffen, wurde bereits angesprochen. Diese Bauteile können nicht immer so gestaltet werden, wie es aus der Sicht des Fahrwerkingenieurs wünschenswert wäre, weil ihre Formgebung von Raumanforderungen seitens des Gesamtfahrzeugs („Package“) abhängt, sei es im Bereich des Motorraumes, hier unter Berücksichtigung der vorgesehenen Montageweise (Einfahren des Triebwerks von oben oder von unten), der Fahrgastzelle (Trägerverlauf, Sitzkontur, Einstiegsverhältnisse), des Gepäckraums, des Kraftstofftanks oder der von Jahrzehnt zu Jahrzehnt größer und heißer werdenden Abgasanlage. Die Dimensionierung wichtiger Karosserieträger und evtl. auch Radführungselemente muss zudem oft einer Verbesserung der Ergebnisse der Crash-Tests dienen. Auch unter diesen erschwerten Bedingungen ist es meistens durch angepasste Gestaltung der Radaufhängung möglich, negative Auswirkungen auf die Elasto-Kinematik gering zu halten.
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9 Die Elasto-Kinematik der Radaufhängungen
9.2.2 Elastisch gelagerte Hilfsrahmen Radaufhängungen werden in zunehmendem Maße an elastisch mit dem Fahrzeugkörper verbundenen Hilfsrahmen oder „Fahrschemeln“ montiert, und zwar nicht nur wegen einer evtl. mangelnden Eignung der Radaufhängung für eine gute elasto-kinematische Abstimmung, sondern auch zum Zwecke der optimalen Geräuschisolation und der einfacheren Endmontage in der Fertigungslinie. Die elasto-kinematische Auslegung eines Hilfsrahmens ist an einer Vorderachse schwieriger zu bewerkstelligen als an einer Hinterachse, weil an der Vorderachse die Übertragung der Lenkbewegung im Lenkgestänge beachtet werden muss. Hier gibt es zwei grundsätzliche Möglichkeiten: Erstens: Das Lenkgetriebe wird am elastisch gelagerten Hilfsrahmen befestigt. Dann erfolgt die elasto-kinematische Abstimmung desselben ähnlich wie bei Hinterachsen. Bei einseitiger Längskraft stellt sich der Hilfsrahmen schräg zur Fahrtrichtung und verstärkt im Gegensatz zu einem Hilfsrahmen einer Hinterachse die Gierreaktion des Fahrzeugs. Die Lenkspindel zwischen dem Lenkrad und dem Lenkgetriebe muss die Relativbewegungen zwischen Karosserie und Hilfsrahmen auffangen. Die Verdrehfederrate des Hilfsrahmens um die Hochachse muss möglichst groß sein, was eine breitbasige Aufhängung desselben erfordert und damit viel Platz im stets eng mit Aggregaten belegten Vorderwagen. Zweitens: Das Lenkgetriebe ist karosseriefest. Hier ergeben sich bei elastischen Verlagerungen des Hilfsrahmens unter Seitenkraft elastische Lenkwinkel, die sich auf das Eigenlenkverhalten des Fahrzeugs auswirken. Vorn liegende Spurstangen vom fahrzeugfesten mittleren Lenkgestänge zu den Rädern werden eine untersteuernde Anlenkreaktion der Achse erzeugen. Bei einseitiger Längskraft kann eine geschickte Anordnung der seitlichen Spurstangen und die Wahl der richtigen „Pfeilung“ derselben elastische Lenkwinkel weitgehend unterbinden. Wegen des beträchtlichen Raumbedarfs im Vorderwagen neben dem Motor-Getriebe-Aggregat sind elastisch gelagerte Hilfsrahmen an Vorderachsen bisher nicht sehr häufig anzutreffen. Die elasto-kinematische Verformungsanalyse einer Vorderradaufhängung ohne einen solchen Hilfsrahmen erfordert dann allerdings, wenn sie Erfolg versprechend sein soll, eine besonders sorgfältige Abbildung der elastischen Eigenschaften der verzweigten Karosseriebauteile und –träger im betroffenen Vorderwagenbereich. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Verformung komplexer Bauteile wie z.B. eines Hilfsrahmens zur Aufnahme mehrerer Radführungsglieder und evtl. auch noch eines Achsgetriebes nicht einfach als eine der äußeren Kraft proportionale Größe erscheint, sondern dass die elasti-
9.2 Elasto-Kinematik bei Einzelradaufhängungen
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sche Verlagerung eines Kraftangriffs- bzw. Lenkerlagerpunktes von der jeweiligen Gesamt-Kräftekonstellation abhängt. Wäre dies nicht der Fall, so könnte ein solches Bauteil rechnerisch durch eine Zahl von Ersatzfedern vertreten und mit den Federraten der Lenker-Gummilager „in Serie“ behandelt werden, womit sich die elasto-kinematische Analyse erheblich vereinfachen würde. Die Kolbenstange des Federbeins in Bild 9.13 wird durch die Querkraft FQ am Stützlager auf Biegung belastet, und als Gesamt-Federweg wirkt an der Radaufhängung die Summe der Kolbenstangen-Durchbiegung fS und der Verformung f G des Stützlagers (üblicherweise eines großvolumigen Gummilagers), wobei in der Praxis oft f S erheblich größer ausfällt als f G . Hier liegt also – zumindest für den Fall einer quasi-statischen Belastung – eine echte „Serienanordnung“ zweier Federelemente vor, und die effektive Querfederrate am Stützlager ist gemäß Gl. 5.27 (Kap. 5) zu berechnen. Dabei ist zu beachten, dass die dynamischen Federungseigenschaften metallischer Bauteile (auch metallischer Federelemente) sich von denen der Gummilager insofern unterscheiden, als die letzteren eine merkliche Eigendämpfung aufweisen, die metallischen Bauteilen fehlt. Die Serienanordnung von Gummilagern und elastischen Metallbauteilen (z.B. auch gekröpften Stablenkern!) hat also einen erheblichen Verlust an Dämpfung zur Folge.
Bild 9.13. Querfederrate am Stützlager eines Federbeins
Im Gegensatz zu dem Federbein von Bild 9.13 hängt das elastische Verhalten des im Vergleich zu einem Hilfsrahmen bzw. „Fahrschemel“ noch recht einfachen Biegeträgers in Bild 9.14 bereits deutlich von der Art seiner äußeren Belastung ab. Unter einer Querkraft FQ nimmt der Träger eine parabelähnliche Biegelinie an, während sich unter einer Längskraft FL eine s-förmig gekrümmte Biegelinie einstellt. Die effektiven „Federraten“ der Anlenkpunkte des Dreiecklenkers, c1 ( FQ / 2) / f1 und c2 FL / f 2 , verhalten sich bei den gegebenen Maßverhältnissen und unter Annahme eines konstanten BiegeTrägheitsmoments des Trägers wie 1:8!
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9 Die Elasto-Kinematik der Radaufhängungen
Bild 9.14. Effektive Federraten der Anlenkpunkte eines Lenkers an einem Träger
Je komplexer ein Bauteil und je größer die Zahl der Krafteinleitungen, desto vielfältiger das Verformungsverhalten der einzelnen Lagerstelle in Abhängigkeit vom Kollektiv der äußeren Belastungen. In Bild 9.15 dient ein Hinterachsträger zur Aufnahme des Hinterachsgetriebes und der Radaufhängungen. Mit Rücksicht auf die (nicht dargestellte) Abgasanlage und den Durchtritt der längs liegenden Antriebswelle ist das Rahmenviereck des Hinterachsträgers im oberen Bereich der Radaufhängungen angesiedelt und trägt nach unten ragende Lagerböcke zur Aufnahme der unteren Lenker. Eine Antriebskraft FA wirkt auf den (ebenfalls nicht dargestellten) Radträger am Radmittelpunkt und übt auf die unteren und oberen Lenker Schubkräfte in Fahrtrichtung aus. Während der obere Lenker durch seine Anbindung im steifen Bereich des Rahmenvierecks keine nennenswerten Verformungen am Hinterachsträger verursacht, wird im unteren Bereich der hintere Lagerbock durch die zur Fahrzeugaußenseite hin wirkende Lenkerkraft F1 nach außen gebogen und der vordere durch die Kräfte F2 und F3 zur Fahrzeugmitte hin gedrückt. Die am Hinterachsträger angreifenden Reaktionskräfte F4 , F5 und F6 des Hinterachsgetriebes verursachen gegensinnige Durchbiegungen des vorderen (v) und des hinteren Querträgers (h), wodurch die nach unten ragenden Lagerböcke vorn nach innen und hinten nach außen hin geschwenkt werden und sich damit die Gesamtverschiebungen der Anlenkpunkte der unteren Achslenker weiter verstärken. Da in Bild 9.15 der Lenkwinkel des Rades über die unteren Lenker definiert ist, hat die gegensinnige Querverschiebung der vorderen und der hinteren Lenkerlager am Hilfsrahmen eine erhebliche Vergrößerung der Vorspur zur Folge, die an einer Hinterachse mit Rücksicht auf das Lastwechselverhalten äußerst unerwünscht ist, und der durch entsprechend drastische elasto-kinematische Maßnahmen wie z.B. eine starke „Pfeilung“ von Lenkern (vgl. Bild 9.7) begegnet werden muss.
9.2 Elasto-Kinematik bei Einzelradaufhängungen
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Je aufwendiger die erforderliche Maßnahme, desto größer wird allerdings auch die Abhängigkeit der elasto-kinematischen Funktion von den Toleranzen der Federraten der Gummilager und des Hilfsrahmens. Gute Gummilager für Achslenker arbeiten in einem Toleranzbereich der Shorehärte von ca. r 3 HS und damit von immerhin bereits ca. r 10 % ihrer Soll-Federrate. Die metallischen Bauteile verhalten sich in dieser Beziehung keinesfalls besser: die Dickentoleranzen bei Feinblech von ca. r 8 10 % erscheinen in der Biegesteifigkeit eines Trägerprofils an den Stegwänden linear und an Flanschpartien quadratisch, und die übliche Gesenk-Toleranz von insgesamt ca. 2 mm für Schmiedeteile verursacht angesichts der relativ klein gehaltenen Profilquerschnitte derselben, da sie mit der dritten Potenz in das Flächen-Trägheitsmoment eingeht, eine eher noch größere Streuung der Steifigkeit. Es ist zwar hilfreich, wenn die betroffene Radaufhängung derartige Korrekturmaßnahmen gestattet, aber es ist wenn möglich erheblich vorteilhafter, eine Konfliktsituation erst gar nicht heraufzubeschwören. Im Falle von Bild 9.15 könnte eine wesentliche Erleichterung durch eine Anbindung der für den Lenkwinkel verantwortlichen Lenker im oberen, steifen Bereich des Hilfsrahmens erreicht werden. Das komplexe Verformungsverhalten eines Bauteils wie des Hilfsrahmens in Bild 9.15 kann nur durch die Erstellung einer Steifigkeitsmatrix unter Anwendung von Finite-Element-Methoden erfasst werden.
Bild 9.15. Komplexes Verformungsbild an einem Hilfsrahmen unter Antriebskraft
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9 Die Elasto-Kinematik der Radaufhängungen
Ging es bei den vorstehenden Betrachtungen darum, die Auswirkungen der elastischen Verlagerungen eines Hilfsrahmens möglichst zu vermeiden, so möge abschließend noch eine Situation beschrieben werden, wo diese vorteilhaft ausgenutzt werden können. Bild 9.16 zeigt eine Hinterradaufhängung mit angetriebenen Rädern. Die Aufhängung besteht aus zwei übereinander liegenden Längslenkern, die unmittelbar am Fahrzeugkörper gelagert sind, und drei Querlenkern, von denen zwei gemäß der Lehre von Bild 9.15 im oberen und steifen Bereich eines elastisch am Fahrzeugkörper aufgehängten Hilfsrahmens angebracht sind und damit den Lenkwinkel des Rades weitgehend unbeeinflusst von den Elastizitäten des Hilfsrahmens bestimmen, während der dritte, untere vorwiegend für die Kontrolle des Radsturzes zuständig ist. Das Hinterachsgetriebe hängt ebenfalls am Hilfsrahmen. Unter einer Antriebskraft, die über die quer liegende Gelenkwelle ein Reaktionsmoment M A auf das Hinterachsgetriebe und damit den Hilfsrahmen ausübt, kippt der letztere in seinen Gummilagern um einen Winkel M A und nimmt die Anlenkpunkte der vorderen Querlenker (v) nach oben mit bzw. senkt die der hinteren (h) ab. Da die Längslenker sich unmittelbar am Fahrzeugkörper abstützen, macht der Radträger diese Kippbewegung nicht mit. Auf diese Weise wird aber die für die Festlegung der gewünschten Vorspurfunktion G v0 ( s ) über dem Radhub wesentliche Zuordnung der oberen Querlenker relativ zueinander verändert (vgl. Kap. 7, Bild 7.31), und die Vorspurkurve G vA ( s ) für den Fall der Antriebskraft erhält einen an Hinterachsen „übersteuernd“ wirkenden Gradienten. Die Abweichung von der Sollkurve G v0 wächst mit dem Radhub s. Dies bedeutet bei paralleler Federungsbewegung des Fahrzeugs während der Geradeausfahrt Vor- und Nachspuränderungen der gesamten Achse und ist im allgemeinen harmlos, wenn auch nicht nützlich. Bei Kurvenfahrt ist dagegen das kurvenäußere Rad merklich um einen Radhub sa ein- und das kurveninnere um si ausgefedert. Nimmt der Fahrer nun plötzlich das Gaspedal zurück (Lastwechsel, vgl. Kap. 7, Abschn. 7.6), so fällt der Hinterachsträger wieder in seine Ruhelage, und das gleiche geschieht mit den an ihm befestigten Lenkerlagern. Beide Hinterräder springen in ihre Soll-Vorspurwinkel auf der Kurve G v0 ( s) zurück, d.h. das kurvenäußere Rad lenkt um einen Winkel 'G va in Richtung Vorspur und das kurveninnere um einen Winkel 'G vi in Richtung Nachspur, bzw. die gesamte Achse lenkt untersteuernd der unerwünschten, aber natürlichen Übersteuerungstendenz beim Lastwechsel entgegen. Die Untersteuerwirkung ist bei einer Anordnung entsprechend Bild 9.16 von den Federwegen der Räder (also dem Wankwinkel, d.h. der Querbeschleunigung) und vom Kippwinkel des Hinterachsträgers (d.h. dem eingesetzten Antriebsmoment) abhängig und damit optimal auf den Lastwechselvorgang abstimmbar (der Radträger „kennt“ die Fahrzeuglage und der Hinterachsträger das Drehmoment).
9.2 Elasto-Kinematik bei Einzelradaufhängungen
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Bild 9.16. Stabilisierende Lenkeffekte beim Lastwechsel in der Kurve
Derartige Lenkeffekte spielen sich, so fühlbar sie sich auf das Fahrverhalten auswirken, im Bereich von Winkelminuten ab. Wie bei allen Maßnahmen an einem „passiven“ System, das die elasto-kinematisch optimierte Radaufhängung darstellt, müssen jeweils die erzielbaren Vorteile und die evtl. damit einhergehenden Funktionsnachteile in anderen Fahrsituationen gegeneinander abgewogen werden. Im Falle der Beeinflussung des Lastwechselverhaltens mit den in Bild 9.16 angedeuteten Mitteln stellt sich z.B. die Frage, was das Fahrzeug tut, wenn in der Kurve beschleunigt wird. Dem kann entgegengehalten werden, dass der Fahrer stets bewusst beschleunigt und folglich bei hohem Leistungseinsatz mit der entsprechenden Gierreaktion des Fahrzeugs rechnet (die durch die beschriebenen Maßnahmen lediglich etwas verstärkt wird), während bei Kurvenfahrt Lastwechsel mit hohem Drehmomentensprung vorwiegend in Gefahrsituationen nötig werden, wo jede Hilfe willkommen ist, um das Fahrzeug auf Kurs zu halten. Vorstehend wurden nur „quasistationäre“ elasto-kinematische Vorgänge angesprochen. Die längselastisch aufgehängte Radaufhängung bildet allerdings auch ein Schwingungssystem, und zwar mit Rücksicht auf die verständlicherweise beschränkten Längsfederwege und daher progressiv ausgelegten Kennlinien der Lenkerlager ein nichtlineares mit einem breiten Frequenzspektrum. Ein wesentliches und schwieriges Problem ist dabei die Vermeidung von Rückkopplungen mit anderen Schwingungen wie der vertikalen Radeigenschwingung, um Nebenwirkungen wie z.B. „Stip-Slick“Erscheinungen beim Bremsen auszuschließen.
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9 Die Elasto-Kinematik der Radaufhängungen
Die im vorstehenden Abschnitt am Beispiel der Einzelradaufhängungen angesprochenen elasto-kinematischen Erscheinungen, Probleme und Lösungsansätze sollten einen Eindruck von den vielfältigen Möglichkeiten vermitteln, die bei der Entwicklung einer Radaufhängung auftreten bzw. zur Verfügung stehen. Im Einzelfall mag der eine oder der andere Effekt dominieren, auch mögen im Verlaufe einer Entwicklung und Fahrerprobung unerwartete neue Fragestellungen aufkommen. Die Entwicklung einer Mehrlenker-Radaufhängung auf ein wunschgemäßes elasto-kinematisches Verhalten hin erfordert neben dem Wissen um die grundsätzlichen Zusammenhänge am Radführungsmechanismus auch (oder erst recht) im Zeitalter der „Computer-Konstruktion“ ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen und Phantasie, und zwar nicht nur beim Konstrukteur, sondern ebenso beim Versuchsingenieur und beim Berechnungsspezialisten, denn ohne perfektes Zusammenspiel dieser Gruppen ist eine erfolgreiche Fahrwerksentwicklung nicht möglich, und ohne „Durchblick“ des projektierten Achssystems kann keine der genannten Gruppen zielgerichtet arbeiten.
9.3 Statisch überbestimmte Systeme Starrachsführungen werden gelegentlich statisch überbestimmt ausgeführt, z.B. mit fünf Lenkern statt der kinematisch erforderlichen und ausreichenden vier. Teilweise geschieht dies wegen günstigerer Einbauverhältnisse, etwa weil ein oberer Längslenker in Fahrzeugmitte unter dem Gepäckraumboden vermieden werden soll; auch kann der Wunsch dahinter stecken, den Mittelbereich der Achsbrücke von Drehmomenten bei Bremsung oder Antrieb freizuhalten, weil eine Verwindung der Achsbrücke je nach Bauart zu Undichtigkeiten am Achsgetriebe führen kann.
Bild 9.17. Statisch überbestimmte Starrachsführungen
9.3 Statisch überbestimmte Systeme
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Bild 9.17a zeigt eine Starrachsführung mit vier Längslenkern und einem Querlenker oder „Panhardstab“. Die Längslenker sind in der Seitenansicht gegeneinander „angestellt“, so dass die Achse beim parallelen Federungsvorgang um einen Längspol L schwenkt. Bei gegensinnigen Radbewegungen, z.B. bei Kurvenfahrt, möchte sich jede Hälfte des Achskörpers um ihren Pol L drehen, was eine Verwindung des Achskörpers erfordern würde; in demselben entsteht also ein Torsionsmoment, die elastischen Lager der Längslenker werden gegeneinander verspannt, und die hierfür notwendige Verformungsarbeit muss das Wankmoment leisten, d.h. die Achsaufhängung bringt einen – gewollten oder ungewollten – Stabilisatoreffekt in die Federung ein. Diese Zwangsbedingungen werden weitgehend vermieden, wenn die vier Längslenker gleich lang ausgeführt und jeweils paarweise übereinander und parallel verlegt werden. Auch ungleich lange Lenker können über einen gewissen Bereich des Wankwinkels hinweg toleriert werden, sofern sie in der Ausgangslage parallel zueinander ausgerichtet sind (was natürlich nur für einen bestimmten Beladungszustand des Fahrzeugs zutrifft), denn am einfedernden Rade entsteht mit wachsendem Wankwinkel ein Pol vor demselben und am ausfedernden ein solcher hinter diesem, so dass dem Achskörper gleichsinnige, wenn auch nicht unbedingt gleich große Verdrehwinkel abverlangt werden. Durch einen Versatz der kürzeren Lenker zur Fahrzeugmitte hin wird das Problem weiter entschärft (Bild 9.17b), weil diese, von der Fahrzeugmitte aus in die Ebene der längeren Lenker projiziert, bezüglich des Wankvorganges längeren Lenkern gleichwertig erscheinen ähnlich wie bei sphärischen Mechanismen (vgl. Kap. 3, Bild 3.8). Da die Schwenkwinkel der Längslenker im Seitenriss dem Wankwinkel M und den Quotienten b1 / l1 bzw. b2 / l2 ihrer Abstände von der Fahrzeugmittellängsebene und ihrer Längen proportional sind und die Längsverschiebungen ihrer achsseitigen Lager proportional zu den Lenkerlängen und den Quadraten der Schwenkwinkel wachsen, ergeben sich etwa gleich große Längsverschiebungen aller Lager und damit eine dem Wankwinkel überlagerte reine Längs-Translation des Achskörpers, wenn das Verhältnis zwischen dem Quadrat des Mittenabstandes und der Länge für alle Lenker gleich gewählt wird, also b12 / l 1 b 22 / l2 (all dies aber, wie gesagt, von einer Parallelstellung aller Längslenker in einer bestimmten Ausgangslage des Fahrzeugs aus). Überbestimmte Radaufhängungen erfordern eine besonders gute Einhaltung von Maß- und Einbautoleranzen, um nicht von vornherein Verspannungen des Systems zu erzeugen. Kinematische Kenngrößen wie z.B. ein Stützwinkel oder eine WankMomentanachse ergeben sich an einer überbestimmten Achsaufhängung im Zusammenspiel ihrer kinematischen und elastischen Eigenschaften aus
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9 Die Elasto-Kinematik der Radaufhängungen
der Verschiebung des Radaufstandspunktes bei einem differentiellen symmetrischen oder antimetrischen Federungsvorgang unter rein vertikaler, nur der Bewegung des Mechanismus dienender Belastung; es wäre falsch, Brems-, Antriebs- oder Seitenkräfte zu überlagern (vgl. hierzu die Ausführungen in Kap. 6, Abschn. 6.3.8!).
10 Servo- und Regelsysteme am Fahrwerk
10.1 Allgemeines Mit zunehmender Größe und beginnender Spezialisierung der Straßenfahrzeuge entstand bereits früh ein Bedarf an Servo- und Regeleinrichtungen, um die Betätigungskräfte oder die Fahrzeuglage in vertretbaren Grenzen zu halten. Dies führte zu hilfskraftunterstützten Brems- und Lenksystemen und zu Federungen mit zunächst mechanischer und schließlich pneumatischer oder hydropneumatischer Niveauregelung. Im weiteren Verlauf der Entwicklung wurden die Kennlinien bzw. Kennfelder dieser Servosysteme den Erkenntnissen der Fahrdynamik entsprechend verfeinert. Besonders die Einführung der Brems- und AntriebsSchlupfregelsysteme eröffnete ein breites Spektrum neuer Anwendungsmöglichkeiten. Mit der Verfügbarkeit schneller Rechner werden die verschiedenen Servo- und Regeleinrichtungen zu übergeordneten Systemen vernetzt, um die Fahrstabilität bis in den fahrdynamischen Grenzbereich hinein zu kontrollieren. Funktionsziel ist dabei ein möglichst neutrales Eigenlenkverhalten bis an den Grenzbereich heran.
Bild 10.1. Kurvenleger
Bereits seit den 1930er Jahren wurden – zunächst noch mit rein mechanischen Mitteln – erste Versuche unternommen, die Fahrzeuglage oder den Sturz der Räder (oder beides) bei Kurvenfahrt in günstiger Weise zu beeinflussen. Drei Beispiele hierfür zeigt Bild 10.1. schematisch. Der Aufbau-Kurvenleger (a) wurde als Versuchsfahrzeug auf der Basis eines Mercedes-Benz „170“ ausgeführt [51]. Die Fahrzeugkarosserie ist
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10 Servo- und Regelsysteme am Fahrwerk
gegenüber dem Fahrgestell pendelnd in einem Gestänge gelagert, welches oberhalb des Aufbauschwerpunkts S einen Momentanpol P bildet. Unter der Wirkung der Fliehkraft m ay verlagert sich der Schwerpunkt zur Kurvenaußenseite hin (Nachteil!), der Fahrzeugaufbau schwenkt dabei um den Pol und neigt sich zur Kurveninnenseite. Das Fahrwerk und die Räder bleiben davon unbeeinflusst. Nach Beendigung der Kurvenfahrt schwingt der Aufbau wie ein Pendel in die Ruhelage zurück, wobei er durch zusätzliche Rückstellfedern unterstützt werden kann. Der Mechanismus ähnelt dem von der Eisenbahn her bekannten System, welches bei Reisezugwagen dafür sorgt, dass die Resultierende aus Gewichts- und Fliehkraft stets etwa senkrecht zur Fußbodenebene wirkt („Wiegen-Federung“). An dem Versuchsfahrzeug wurde seinerzeit die weitgehend waagerechte Lage der Karosserie bei Fahrt in unebenem Gelände als angenehm empfunden; bemängelt wurde dagegen, dass das „Fahrgefühl“ leidet und die Einschätzung der Fahrgrenzen erschwert wird. Zwei weitere Varianten des Kurvenlegers sind in den Bildern 10b und c schematisch dargestellt [17]. Im Falle (b) werden die Fahrzeugräder gegenüber der Fahrbahn bei Kurvenfahrt in negativen Sturz gekippt, was eine Servokraft erfordert. Die Steuerung des Radsturzes erfolgte bei dem Versuchsfahrzeug, einem Rennwagen, unabhängig vom Lenkwinkel durch die Knie des Fahrers, wobei sich zeigte, dass dieser dadurch überfordert wird. Nach dem Vorschlag (c) sollen die Räder und der Fahrzeugaufbau mittels Servokraft zur Kurveninnenseite hin geneigt werden, z.B. gekoppelt mit dem Lenkwinkel. Beide Varianten wollen Sturz-Seitenkräfte erzeugen (was angesichts der Eigenschaften heutiger Radialreifen nur noch in engen Grenzen sinnvoll sein kann) und die Radlastverlagerungen verringern. Späte und weitaus anspruchsvollere Nachfahren der Kurvenleger sind gewissermaßen die im Rahmen dieses Kapitels anzusprechenden „aktiven“ Federungssysteme. Mit den heute verfügbaren Sensor- und Aktuatortechniken lassen sich theoretisch alle wünschenswerten kinematischen und fahrdynamischen Effekte verwirklichen, z.B. auf der Basis eines mittelmäßigen (passiven) Fahrwerksystems fahrdynamische Spitzeneigenschaften erzielen. Dies erfordert allerdings einen hohen Standard der Betriebssicherheit, da sich bei einem nie auszuschließenden Versagen des Regelsystems unvermittelt, und für den Fahrer völlig unerwartet, das bisher gewohnte Fahrverhalten drastisch in negativer Weise verändern wird. Deshalb bleibt auch im Zeitalter der Regeltechnik ein nach neuestem Erkenntnisstand kinematisch und elasto-kinematisch optimiertes (passives) Fahrwerk eine unverzichtbare Voraussetzung zur Anwendung der Regelsysteme. Je besser das BasisFahrwerk, desto moderater die erforderlichen Regeleingriffe und desto geringer folglich das Risiko eines Versagens.
10.2 Bremsanlage und Antriebsstrang
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10.2 Bremsanlage und Antriebsstrang Die ersten Kraftfahrzeuge wurden wie Kutschwagen über Klötze gebremst, die auf die eisen- oder vollgummibereiften Laufflächen der Fahrzeugräder wirkten. Mit der Einführung der Luftbereifung mussten neue Lösungen gefunden werden, so z.B. Konusbremsen oder an speziellen Reibrädern angreifende Bandbremsen. Auch zentral am Getriebeausgang angeordnete Bremsen wurden angewandt. Die Erfindung der Trommelbremse mit inneren Backen erlaubte, ähnlich wie die Bandbremse, je nach Anlenkung der Bremsbacken eine Selbstverstärkung der Bremskraft, was besonders extrem bei der „Duo-Servo-Bremse“ mit in Serie geschalteten „auflaufenden“ Bremsbacken in Erscheinung trat. Da der Selbstverstärkungsfaktor sehr stark vom Reibwert der Paarung Bremsbelag/Bremstrommel abhängt, war die Dosierbarkeit solcher Bremsen problematisch. Erst mit der Scheibenbremse und ihrer linearen Abhängigkeit der Bremskraft vom Pedaldruck und dem Reibwert wurde ein annähernd voraussehbarer Zusammenhang zwischen Betätigungskraft und Bremsmoment und damit eine bessere Regelbarkeit ermöglicht; die fehlende Selbstverstärkung machte aber erst recht eine Servo-Unterstützung der Pedalkraft notwendig. In der Ära der Saugmotoren geschah dies durch UnterdruckBremskraftverstärker, welche den Ansaug-Unterdruck der Vergaseranlage über eine Membrane auf den Hauptbremszylinder leiteten; mit der Verbreitung der Einspritztechnik mussten dann zusätzliche Unterdruckpumpen bereitgestellt werden, bis spezielle hydraulische oder elektrische Bremskraftverstärker entwickelt wurden. Auf die rein mechanische Kraftübertragung vom Bremspedal zum Nocken in der Bremstrommel über Seilzüge oder Gestänge (letztere gelegentlich mit kleinen Kardanwellen zur Überbrückung der Federungsbewegung) folgte bei PKW die hydraulische Verbindung eines vom Bremspedal betätigten Hauptbremszylinders mit den Radbremszylindern über Leitungen und Schläuche. Damit war, solange keine Undichtigkeiten auftraten, eine direkte Kraftübertragung zwischen dem Bremspedal und den Radbremsen gewährleistet. Bei LKW setzte sich bald die Druckluftbremse durch, wo ein vom Bremspedal geschaltetes „Trittplattenventil“ die Druckluftzufuhr zu den an den Radbremsen sitzenden Druckluftzylindern regelte; hier ist keine direkte Verbindung zwischen Radbremsen und Bremspedal mehr gegeben. Zur Erhöhung der Ansprech-Geschwindigkeit wurden auch aufwendigere Bremsanlagen ähnlich wie bei PKW mit hydraulischer Kraftübertragung von einem Hauptbremszylinder zu hydraulischen Radbremszylindern ausgeführt, wobei der Hauptbremszylinder durch einen vom Trittplattenventil versorgten Druckluftzylinder aktiviert wurde. Da zumindest in den Anfangszeiten der hydraulischen Bremse die Betriebssicherheit noch kritisch war und bei Leckage des Systems das Fahr-
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10 Servo- und Regelsysteme am Fahrwerk
zeug nicht mehr gebremst werden konnte, entwickelte sich über eine Bremsanlage mit Zwillings-Hauptbremszylinder und doppelt verlegtem Leitungssystem (Bugatti/Lockheed 1938) [20] die „Zweikreisbremse“ mit Tandem-Hauptbremszylinder, bei welcher jedem Kreis die Hälfte der Fahrzeugräder anvertraut war. Die einfachste Lösung ist die „Schwarz-Weiß-Aufteilung“: ein Bremskreis wirkt auf die Vorderräder, der andere auf die Hinterräder. Bei Ausfall des Vorderrad-Kreises ist allerdings die über die Hinterräder allein erzielte Bremswirkung sehr gering. Die „Diagonal-Aufteilung“ fasst jeweils ein Vorderrad mit dem Hinterrad der gegenüberliegenden Fahrzeugseite zusammen. Hier ist bei Ausfall eines Kreises zwar die mögliche Gesamt-Bremskraft halbiert, aber die installierte Bremskraftverteilung auf Vorder- und Hinterachse bleibt erhalten. Aus dem Versatz der höheren Bremskraft des Vorder- und der geringeren des Hinterrades um die Spurweite entsteht ein Giermoment, das – zumindest für den stationären Bremsvorgang – durch einen negativen Lenkrollradius ausgeglichen werden kann [3]. Aufwendigere Varianten der Diagonal-Aufteilung beaufschlagen mit jedem der Bremskreise ein Hinterrad und über parallel angeordnete Radzylinder jeweils beide Vorderräder. Für die Übertragung der Antriebskraft vom Motor-Getriebe-Block auf die Räder wurden, bei LKW noch bis in die 1920er Jahre hinein, Antriebsketten verwendet, die von Ritzeln auf einer fahrzeugfesten „Kettenbrücke“ aus auf Kettenblätter an den Fahrzeugrädern wirkten und zur Kompensation der Federungsbewegungen dienten. Bereits seit 1900 aber setzte sich die Kardanwelle als Verbindungsglied zwischen Antriebsblock und Antriebsachse bei PKW durch. Da üblicherweise mindestens zwei Räder einer Fahrzeugachse angetrieben werden und dieselben die Möglichkeit unterschiedlicher Drehzahlen erhalten müssen, um bei Kurvenfahrt, aber auch bei Fahrt im Gelände oder bei extremen Reibwert- und damit Schlupfunterschieden auf beiden Fahrzeugseiten ohne Verzwängung abrollen zu können, sind Getriebe mit Leistungsverzweigung, also zwei Abtrieben bei einem Antrieb, erforderlich.
Bild 10.2. Leistungsverzweigung: Links Differentialgetriebe, rechts Verteilergetriebe (schematisch)
10.2 Bremsanlage und Antriebsstrang
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Das bekannteste ist das „Differentialgetriebe“, welches in Bild 10.2 links einem Untersetzungs-Vorgelegegetriebe V nachgeschaltet ist. Dieses treibt den Steg S (den Planetenträger) eines Kegelrad-Planetengetriebes mit der Übersetzung 1:1 an, d.h. die Abtriebswellen b1 und b2 erhalten, Reibungsfreiheit vorausgesetzt, gleiche Drehmomente zugeteilt. Auch Stirnrad-Differentialgetriebe sind gebräuchlich. Bei unterschiedlichen Reibwerten an beiden Rädern einer Achse wird die übertragbare Antriebskraft von demjenigen Rade bestimmt, welches zuerst die Kraftschlußgrenze erreicht, da ein Differentialgetriebe wie ein Waagebalken wirkt und beiden Rädern das gleiche Drehmoment liefert. Steht ein höheres Antriebsmoment zur Verfügung, so wird dessen Überschuss in eine Drehbeschleunigung des durchdrehenden Rades umgewandelt. Um einen Vortrieb auch bei stark unterschiedlichen Reibwerten auf beiden Fahrzeugseiten zu ermöglichen, werden Sperrdifferentiale unterschiedlicher Bauart angewandt. Eine Reibungskupplung kann die beiden Abtriebswellen b1 und b2 durch ein konstantes Reibmoment koppeln, oder die axiale Abdrängkraft der Kegelräder im Differentialgetriebe kann über eine Reibungskupplung ein drehmomentabhängiges Sperrmoment erzeugen. Sperrdifferentiale wehren sich naturgemäß gegen enge Kurvenradien und können, besonders auf glattem Untergrund, zu einem „eckigen“ Lenkverhalten führen. Schaltbare Differentialgetriebe mit Lamellenkupplungen dienen zur Erzeugung asymmetrischer Drehmomentverteilungen. Wenn mehrere Fahrzeugachsen angetrieben werden, übernimmt ein „Verteilergetriebe“ die Übertragung der Antriebsleistung auf die Achsen. Bild 10.2 zeigt rechts schematisch ein solches Getriebe, welches einem Stirnrad-Vorgelegegetriebe V nachgeschaltet ist. Dieses treibt den Steg S (bzw. Planetenträger) eines Stirnrad-Planetengetriebes an, der über das Umfangsrad auf die Abtriebswelle b1 und über das Sonnenrad auf die Welle b2 wirkt. Da die Durchmesser von Umfangs- und Sonnenrad hier etwa im Verhältnis 2:1 stehen, wird die Motorleistung auf die beiden Abtriebswellen im gleichen Verhältnis aufgeteilt, z.B. passend zur Hinterund Vorderachslast eines LKW. Momentenverteilungen nahe 1:1 erfordern entweder Zwischenplaneten oder Kegelräder. Selbstverständlich werden auch bei Verteilergetrieben (evtl. schaltbare) Sperren angewandt. Bei allradgetriebenen Ackerschleppern und Geländefahrzeugen mit rein mechanischer Antriebskraftübertragung, also ohne regeltechnische Eingriffe, wird zur Verbesserung der Geradeaus-Stabilität auf weichem Untergrund oft auf ein Verteilergetriebe verzichtet und stattdessen ein festes Drehzahlverhältnis zwischen Vorder- und Hinterachse festgelegt, das den Vorderrädern eine geringfügig höhere Umfangsgeschwindigkeit verleiht und sie damit am Fahrzeug „ziehen“ lässt.
322
10 Servo- und Regelsysteme am Fahrwerk
Mitte der 1970er Jahre wurden die ersten Bremsschlupf-Regelsysteme in die Serienfertigung eingeführt. Zur Messung der Raddrehzahlen dienten ferromagnetische Impuls-Zahnräder auf den Radnaben oder in den Radlagern und Magnetsensoren am Radträger. Neuere Sensoren beruhen auf dem Hall-Effekt, wonach in einem elektrischen Leiter ein senkrecht zur Stromrichtung wirkendes Magnetfeld eine zu beiden senkrecht wirkende Spannung hervorruft [80]. Das „Anti-Blockier-System“ (ABS) erlaubt beim Bremsvorgang die optimale Ausnützung des individuellen Kraftschluss-Potentials an den Rädern; bei einem evtl. Ausfall des Systems wird aber eine die Geradeausstabilität sicherstellende Bremskraftverteilung entsprechend Kap. 6, Bild 6.1 beibehalten [12]. Beim Bremsen in der Kurve muss das Seitenführungsvermögen beider Achsen erhalten bleiben. Daher werden bei ABS-Systemen üblicherweise die beiden Vorderräder individuell und optimal ausgeregelt, während auf die Hinterräder das „select-low“-Prinzip angewandt wird: das Rad mit dem größeren Schlupf bestimmt den Bremsdruck auch des anderen, mit der größeren Kraftschlußreserve ausgestatteten Rades. Im Zuge der Weiterentwicklung der elektronischen Sicherheits- und Komfortregelsysteme erhielt das ABS-System zusätzliche Aufgaben, die im Abschnitt 10.6 behandelt werden. Die Antriebsschlupf-Regelsysteme („ASR“, „ASC“ usw.) bedienen sich ebenfalls der vom ABS her bereits vorhandenen Raddrehzahl-Sensoren. Der Regelvorgang erfolgt auf zwei Wegen: bei Erreichen der Haftgrenze an den Antriebsrädern wird die Motorleistung bei Ottomotoren durch Eingriffe in den Zündzeitpunkt und die Einspritzanlage und bei Dieselmotoren direkt über die Einspritzmenge zurückgenommen. Zusätzlich wird das Durchdrehen eines einzelnen Rades durch individuelle Bremsbetätigung („Bremseneingriff“) verhindert [12]. Da bei Fahrt in den unteren Gangstufen und ABS-Bremsung ein hohes Motor-Schleppmoment zu einer starken Lastwechselreaktion führen kann, wird bei abrupter Gasrücknahme durch den Fahrer der Abbau des Motormoments regeltechnisch verzögert. Bei Allradantrieb wird die Momentenverteilung auf die Vorder- und Hinterräder durch eine regelbare Kupplung im Verteilergetriebe variabel gestaltet. Wegen der geringen Drehzahlunterschiede an Vorder- und Hinterachse bleibt die Schlupf-Verlustleistung während des Regelvorganges in vertretbaren Grenzen.
10.3 Geregelte Federungs- und Dämpfersysteme Eine „Niveauregelung verhindert das statische Ein- und Ausfedern des Fahrzeugs bei unterschiedlicher Beladung. Dadurch werden die Parameter der Radführungsgeometrie (Radsturz, Rollzentrum usw.) und der Aerody-
10.3 Geregelte Federungs- und Dämpfersysteme
323
namik, die Leuchtweite der Scheinwerfer, die Bodenfreiheit und der dynamisch verfügbare Ein- und Ausfederweg konstant gehalten. Das Abfangen eines Nickvorgangs beim Bremsen oder Beschleunigen erfolgt bei einem konventionellen Niveau-Regelsystem, das „quasistatisch“ mit möglichst geringem Leistungseinsatz arbeitet, im allgemeinen merklich verspätet. Niveauregelung ist grundsätzlich bei allen Federungsbauarten möglich, bei mechanischen z.B. durch Verschiebung von Federlagern oder Verstellung von Drehstäben; heute wird sie stets in Verbindung mit Gasfedern oder hydropneumatischen Federelementen angewandt, wobei aus Gewichts- und Kostengründen die Luftfederung zunehmend die Oberhand gewinnt. Als Regelventil für Luftfedern diente jahrzehntelang ein sehr einfacher „Dreiwegehahn“ (vgl. Kap. 5, Bild 5.50). Obwohl dieser bei Fahrt auf unebener Fahrbahn praktisch ständig in einer der beiden Schaltrichtungen „offen“ steht, ist die Verlustleistung infolge der hohen kinematischen Zähigkeit von Gasen vernachlässigbar gering. Selbst bei einem Stadtomnibus mit einer derartigen Luftfederung und seinen häufigen Haltestellen-Stopps und den zugehörigen Bremsvorgängen und Niveau-Nachregelungen beim Ein- und Aussteigen der Fahrgäste beträgt der Leistungsbedarf der Luftfederung mit ca. 2 kW nur etwa ein Drittel desjenigen der Druckluft-Bremsanlage. Bei Doppelachsen eignet sich die Luftfederung hervorragend zur Herstellung eines Federverbunds. Auch wird pro Fahrzeugseite nur ein Regelventil benötigt, welches den Mittelwert der Federwege abzugreifen hat. Dies gestaltet sich besonders einfach an einer lenkergeführten Doppelachse, wenn einer der Lenker beide Achsen unmittelbar verbindet, Bild 10.3.
Bild 10.3. Verbund-Luftfederung mit Niveauregelung der Doppel-Vorderachse des Büssing-Prototyps „Decklaster“ (1965) schematisch (mit freundlicher Genehmigung der MAN Nutzfahrzeuge AG)
324
10 Servo- und Regelsysteme am Fahrwerk
Eine unabhängige Höhenstandsregelung an einem Fahrzeug mit mehr als drei Rädern stellt ein statisch überbestimmtes Problem dar. Bei der klassischen Niveauregelung mit Ventilen der erwähnten einfachen Bauart wurde eine unkontrollierte Verteilung der Federkräfte meistens durch eine „Dreipunktregelung“ umgangen: bei einem Vierradfahrzeug werden die Räder einer Achse (im allgemeinen der Vorderachse) getrennt beeinflusst und die der anderen gemeinsam geregelt (Druckausgleich bzw. Querverbund der Gasfedern). Bei einer derartigen Anordnung versucht allerdings in langgezogenen Kurven die beidseitig geregelte Achse das Fahrzeug allmählich aufzurichten, was erstens der Wirkung eines extrem starken Stabilisators entspricht und die Fahreigenschaften (Eigenlenkverhalten!) verändert und zweitens einen Schiefstand des Fahrzeugs zu Beginn der anschließenden Geradeausfahrt bzw. eine sehr ungünstige Ausgangslage für eine evtl. folgende gegensinnige Kurve zur Folge hätte. Deshalb wurde in der Regel ein Schalter vorgesehen, der abhängig von der Querbeschleunigung den Regelvorgang in Kurven einschränkt oder unterbindet. Das einfachste Verfahren ist die „Zweipunktregelung“, d.h. die Gasfedern der Vorder- und der Hinterachse sind jeweils durch Ausgleichsleitungen verbunden, und die Wankfederung wird ausschließlich durch kräftig dimensionierte Stabilisatoren erzielt. Bei Fahrzeugen, die in der Grundversion mit mechanischen Federn ausgerüstet sind, bietet sich eine „teiltragende“ Niveauregelung an. Die Federn nehmen die Leerlast des Fahrzeugs auf, hydropneumatische oder auch reine Gasfedern die Lastdifferenz. Ein solches System gewährleistet darüber hinaus einen Fahrbetrieb auch bei Ausfall der Gasfederung. Eine Hinterachse mit einem teiltragenden niveaugeregelten Federungssystem aus hydropneumatischen Federbeinen, die von Schraubenfedern umgeben sind, zeigt Bild 10.4. Ein Hebel am Stabilisator ertastet den mittleren Federweg beider Räder und betätigt über eine Regelstange den Reglerschalter.
Bild 10.4. Teiltragende hydropneumatische Federung mit Niveauregelung im BMW 745i (1987) (Werkbild BMW Group)
10.3 Geregelte Federungs- und Dämpfersysteme
325
An Stelle einer mit Fremdenergie betriebenen Regelpumpe können auch die Schwingbewegungen des Fahrzeugs verwendet werden, um eine Pumpwirkung zu erzielen. Eine solche „selbst pumpende“ Federung funktioniert allerdings nicht bei einer Be- oder Entladung des Fahrzeugs im Stand. Ein wesentlicher Vorteil der Luftfederung ist die Möglichkeit, eine nahezu konstante Eigenfrequenz über der Zuladung zu erreichen (vgl. Kap. 5, Bild 5.52). Hinzu kommt ihre Unempfindlichkeit gegen Leckverluste, da als Arbeitsmedium die Umgebungsluft verwendet wird. Moderne Niveauregelsysteme arbeiten nicht mehr mit dem über ein Gestänge betätigten Dreiwegeventil, sondern mit Wegmessungen über induktive oder kapazitive Geber innerhalb der Federbeine, und mit elektronisch geschalteten Ventilen. Eine Niveauregelung verbessert nicht nur den Fahrkomfort, sondern sorgt durch die konstante Fahrzeughöhe auch für einen gleich bleibend guten Luftwiderstandsbeiwert bzw. kann durch Absenken des Fahrzeugs bei hoher Fahrgeschwindigkeit diesen sogar zu verringern helfen; umgekehrt gestattet sie auch ein Anheben des Fahrzeugs auf schlechter Fahrbahn oder im Gelände. Bei Nutzfahrzeugen wird die Möglichkeit ausgenützt, durch einen Eingriff seitens des Fahrers das Fahrzeugniveau an die Höhe einer Laderampe o. ä. anzupassen. Eine individuelle Niveauregelung an allen Fahrzeugrädern erfordert wegen der angesprochenen statischen Überbestimmung weitergehende Kontrolleinrichtungen, z.B. die Überwachung der Differenzdrücke an allen Fahrzeugrädern. Die von einem Niveauregelsystem angebotenen Möglichkeiten zur Beeinflussung von Komfort und Fahrsicherheit haben folgerichtig auch Weiterentwicklungen bei der Regelung der Stoßdämpfer nach sich gezogen. Die Bedeutung der Dämpferabstimmung für den Fahrkomfort und das Fahrverhalten wurde bereits in Kap. 5 anhand der Bilder 5.4–8 diskutiert. In der Ära der Reibungs- und Hebelstoßdämpfer (von denen die letztgenannten oft nur eine Zug-, aber keine Druckstufe aufwiesen) galt die Faustregel, dass auf schlechter Fahrbahn die Reifen über mehr als die Hälfte der Fahrtstrecke hinweg keinen Bodenkontakt hatten, mit den entsprechenden Folgen für die Fahrsicherheit und den Reifenverschleiß. Mit der inzwischen allgemeinen Verbreitung der Teleskopdämpfer ist ununterbrochener Fahrbahnkontakt gewährleistet, und heute wird durch regelbare Dämpfer die optimale Dämpfkraftverteilung auch bei dynamischen Vorgängen gesteuert. Von Dämpfern mit drei- und mehrstufig schaltbaren Ventilkennungen ging die Entwicklung zu elektronisch stufenlos einstellbaren Ventilen, mit denen bei Schwingungen im Bereich der Aufbau-Eigenfrequenz (also bei
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10 Servo- und Regelsysteme am Fahrwerk
ca. 1,2 Hz) und bei längs- und querdynamischen Fahrmanövern die Dämpferkräfte situativ angehoben werden [42, 76]. Eine weitere Möglichkeit, die Dämpfkraft stufenlos zu regeln, besteht in der Anwendung magnetorheologischer Flüssigkeiten, bei welchen die Ausrichtung der Moleküle durch ein Magnetfeld beeinflusst und damit die Viskosität verändert wird [37]. Als anzustrebendes Ideal gilt der „Skyhook-Dämpfer“, also die (theoretische) Anbindung des Fahrzeugkörpers allein „am Himmel“ oder zumindest an einer horizontalen Ebene der festen Umgebung. Wird in Bild 5.7 (Kap. 5) der Dämpfer zwischen der Masse 2 und der Masse 1 entfernt und stattdessen ein Dämpfer mit der Konstanten ksky zwischen der Masse 2 und dem „Himmel“ installiert, so ist die Dämpfkraft allein von der Bewegung der Masse 2 abhängig: FDsky ksky z2 . Im tatsächlichen System nach Bild 5.7 ergibt sich aber als Dämpfkraft FD k 2 ( z2 z1 ). Die Gleichsetzung von FDsky und FD erfordert daher eine veränderliche Dämpfer„Konstante“ [67]. Wenn neben regelbaren Stoßdämpfern auch die Federung Einfluss auf die Radlasten bei dynamischen Vorgängen nehmen soll, so muss die quasistatisch arbeitende herkömmliche Niveauregelung durch ein schnelles, „aktives“ Federungssystem ersetzt werden. Eine Möglichkeit zur Beeinflussung querdynamischer Fahrmanöver stellt die aktive Verstellung der Stabilisatoren dar, mit deren Hilfe nicht nur der Wankwinkel des Fahrzeugs reduziert, sondern auch die Radlastverteilung wunschgemäß gewählt werden kann. Bild 10.5 zeigt eine Hinterachse, deren Stabilisator in zwei Hälften aufgeteilt ist, welche bei Bedarf durch einen hydrostatischen Schwenkmotor SM gegeneinander verdreht werden [47]. Der Schwenkmotor, Bild 10.6, besteht aus einem Gehäuse G, das mit einer der Stabilisatorhälften verbunden ist, und einer Welle W, die an der anderen Hälfte angebracht ist. Er besitzt zwei Hydraulikkammern zwecks Verdoppelung des Drehmoments, die über Zuleitungen L in beiden Drehrichtungen angesteuert werden. Durch Anwendung dieses Systems an Vorder- und Hinterachse wird der Wankwinkel bis zu einer möglichst hohen Querbeschleunigung auf einen Bruchteil desjenigen bei einer konventionellen Federung reduziert, was einerseits den Fahrkomfort deutlich erhöht und andererseits – durch geschwindigkeitsabhängige Wankmomentverteilung – das Eigenlenkverhalten möglichst neutral gestaltet. Da der Wankwinkel andererseits ein wichtiges Indiz für die Annäherung an die Stabilitätsgrenze darstellt, wird oberhalb des Auslegungspunktes eine Zunahme desselben zugelassen, um den Fahrer rechtzeitig zu warnen. Bei Geradeausfahrt und bei niedriger Querbeschleunigung bleibt der Schwenkmotor kraftfrei, so dass die Stabilisatorkraft wesentlich reduziert wird. Dies dient dem Fahrkomfort und verringert das „Kopieren“ von einseitigen Fahrbahnunebenheiten durch die Federung.
10.3 Geregelte Federungs- und Dämpfersysteme
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Bild 10.5. Aktive Wankstablilisierung an der Hinterachse des 7er BMW (2001) (Werkbild BMW Group)
Eine starke Stabilisierung des Fahrzeugs ohne gleichzeitige Höhenstandsregelung hat Einfluss auf das Verhalten der Radaufhängung bei Kurvenfahrt, wie bereits in Kap. 7 anhand von Bild 7.21 diskutiert.
Bild 10.6. Schwenkmotor zur aktiven Wank-Stabilisierung nach Bild 10.5 im Querschnitt (schematisch)
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10 Servo- und Regelsysteme am Fahrwerk
Niveauregelung, Wankwinkel-Kompensation und individuelle RadlastEinstellung zur Verbesserung der Fahrsicherheit bietet ein „aktives“ Federungssystem. Die Längen- bzw. Kraftänderung an dem aktiven Federbein in Bild 10.7 erfolgt durch hydraulische Höhenverstellung des oberen Federtellers der tragenden Schraubenfeder. In der Darstellung befindet sich derselbe in der oberen Anschlagposition; A bezeichnet den ringförmigen hydraulischen Arbeitsraum. Die Anordnung der aktiven Federbeine an der Vorder- und der Hinterachse ist aus den Bildern 13.18 und 13.37 in Kap. 13 zu entnehmen.
Bild 10.7. Aktives Federbein der Mercedes-Benz S-Klasse (2005) (Werkbild DaimlerChrysler AG)
Die hydraulische Höhenregelung ist bis hinauf zu einem Frequenzbereich von 5 Hz wirksam; höherfrequenten Schwingungen wird durch passive Zweirohr-Gasdruckdämpfer begegnet. Das System reduziert den Wankwinkel bei dynamischen Fahrmanövern auf ca. 30% desjenigen eines Fahrzeugs mit passiver Federung. Eine variable Wankmomentverteilung auf Vorder- und Hinterachse dient zur Erhö-
10.4 Servolenkungen und aktive Lenksysteme
329
hung der Fahrstabilität, und eine kontinuierliche Absenkung der Karosserie um 15 mm im Geschwindigkeitsbereich zwischen 65 und 140 km/h senkt den Luftwiderstand. Wie das vorhin erwähnte System der aktiven Wank-Stabilisierung erfüllt auch die aktive Federung zusammen mit Brems- und AntriebsSchlupfregelsystemen Aufgaben im Rahmen der übergeordneten Fahrdynamik-Regelung (s. Abschn. 10.6).
10.4 Servolenkungen und aktive Lenksysteme Hilfskraftunterstützte Lenkanlagen oder „Servolenkungen“ waren bis in die 1960er Jahre hinein nicht selbstverständlich, auch nicht bei Schwerlastwagen und Omnibussen. Bei Lenkübersetzungen von 30:1 und darüber hinaus waren an rein mechanischen Lenkungen Lenkraddurchmesser von 550 mm üblich, um die zulässigen Umfangskräfte von 400 N einzuhalten. Wenn auch LKW und Omnibusse damals kaum über 100 km/h erreichten, so war doch die fahrdynamische Agilität derartiger Fahrzeuge stark eingeschränkt. Die heutzutage serienmäßige Ausstattung mit Servo-Lenkgetrieben erlaubte es, die Lenkübersetzung von Schwerfahrzeugen auf die bei PKW übliche Größenordnung um ca. 20:1 zu verringern und auch den Lenkraddurchmesser deutlich kleiner zu wählen, was angesichts der heutigen Höchstgeschwindigkeiten von LKW und Omnibussen für eine sichere Fahrzeugbeherrschung unverzichtbar ist. Bei PKW ist die Servolenkung, von Kleinstwagen abgesehen, ebenfalls längst Standard geworden. Die ersten Servo-Lenksysteme arbeiteten mit separaten Hydraulikzylindern, die zum Lenkgestänge parallel geschaltet waren, und zeigten ein dementsprechend träges Ansprechverhalten. Bei modernen Lenkgetrieben sind die Hilfskraftzylinder in dieselben integriert. Dies gelingt besonders einfach mit Bauarten, die ein geradlinig bewegtes Element enthalten, wie Mechanismen mit einer „Lenkmutter“ (vgl. Kap. 8, Bilder 8.2c–e) und natürlich der Zahnstangenlenkung (Bild 8.2a), die sich inzwischen auch bei leichten Nutzfahrzeugen durchzusetzen beginnt. Eine moderne Zahnstangen-Hydrolenkung zeigt Bild 10.8. Die Zahnstange Z und der Hydraulikzylinder sind hintereinander angeordnet. Da die Verzahnung der Stange ebenso wie der Kolben K in Geradeausstellung mindestens um den einseitigen Zahnstangenhub von der HydraulikDichtung entfernt sein müssen, hat diese Anordnung eine relativ große Einbaulänge zur Folge. Der Abstand der inneren Gelenke der Spurstange Sp errechnet sich aus dem sechsfachen des einseitigen Hubes und einem Fixmaß, das durch die Dichtungs- und Lagerelemente und die Bauart der Spurstangenköpfe bestimmt ist und in der Größenordnung von 130 mm liegt. Deshalb weisen Fahrzeuge mit Zahnstangen-Hydrolenkung im all-
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10 Servo- und Regelsysteme am Fahrwerk
gemeinen relativ kurze Spurstangen und dementsprechend kurze AchsQuerlenker auf. Die Steuerung des von der Pumpe P erzeugten Öldrucks auf den Servozylinder erfolgt über einen auf der mit dem Lenkrad verbundenen Lenkspindel H sitzenden Drehschieber (Teilbild links oben) und eine mit der Ritzelwelle R verbundene Steuerbuchse S. Lenkspindel H und Ritzelwelle R können durch mechanische Anschläge begrenzte Relativ-Verdrehungen ausführen und sind durch einen Drehstab D gekoppelt, dessen Torsionswinkel vom Lenkrad-Drehmoment abhängt und den Drehschieber gegenüber der Steuerbuchse verschwenkt. Der Drehstab bewirkt, dass ein gewisser Teil des Lenkradmoments manuell aufgebracht wird und die vorgeschriebene „Rückmeldung“ der von der Fahrbahn herrührenden Lenkkraft ans Lenkrad gewährleistet ist. Durch die Abstimmung von Drehstab und Schieberkennlinie lässt sich der Lenkkraftverlauf beeinflussen.
Bild 10.8. Zahnstangen-Hydrolenkung
(Werkbild ZF Lenksysteme GmbH)
Da eine hohe Hilfskraftunterstützung nur bei langsamer Fahrt und beim Rangieren bzw. Einparken erforderlich ist, wird der Volumenstrom drehzahlabhängig begrenzt; die hydraulische Unterstützungskraft wird mit wachsender Fahrgeschwindigkeit zurückgenommen [45]. Neben der Anordnung nach Bild 10.8 mit „in Serie“ angeordnetem Verzahnungs- und Hydraulikbereich werden auch Zahnstangenlenkungen mit Mittelabtrieb gebaut, um längere Spurstangen zu ermöglichen, z.B für Federbeinachsen mit hoch liegendem Lenkgestänge (vgl. Kap. 1, Bild 1.1). Hydraulische Servolenkungen erfordern einen erheblichen Bau- und Montageaufwand, da neben dem Lenkgetriebe auch eine Pumpe, ein Ölbehälter und die Hydraulikleitungen zu installieren sind.
10.4 Servolenkungen und aktive Lenksysteme
331
Fortschritte in der elektrischen Antriebstechnik erlauben inzwischen die Serieneinführung elektrischer Servolenksysteme [2, 16]. Der Torsionsstab zwischen Lenkspindel und Ritzelwelle steuert über einen Drehmomentsensor und einen Regelprozessor einen schnell umsteuerbaren Elektromotor mit minimierter Welligkeit des Drehmoments. Die elektrische Servolenkung lässt sich optimal in fahrdynamische Regelsysteme einbinden und erfordert einen erheblich geringeren Montage- und Abstimmaufwand als eine hydraulische Anlage, da lediglich Kabel zu verlegen sind. Während die vorstehend besprochenen Servolenkungen in Abhängigkeit von der Lenkwinkel- bzw. Lenkmomentvorgabe durch den Fahrer arbeiten, eröffnet die Überlagerungs- oder „Aktivlenkung“ völlig neue Einflussmöglichkeiten im Zusammenwirken mit fahrdynamischen Regelalgorithmen. Hierbei wird der vom Fahrer eingestellte Lenkwinkel bei Bedarf durch ein Überlagerungsgetriebe im Sinne einer Verbesserung der Fahrsicherheit oder des Lenkkomforts korrigiert. Das Überlagerungsgetriebe (Bild 10.9) ist als Planetengetriebe zwischen der Lenkspindel H und der mit der Zahnstange Z kämmenden Ritzelwelle R eingesetzt und besteht aus einem Planetenträger T, der über Planetenräder P die Winkelgeschwindigkeit der Ritzelwelle gegenüber derjenigen der Lenkspindel „ins Schnelle“ übersetzt. Durch einen Stellmotor S kann der Planetenträger im Gehäuse G des Lenkgetriebes verdreht werden.
Bild 10.9. Überlagerungsgetriebe zur Aktivlenkung (schematisch)
Mit den Winkelgeschwindigkeiten Z H der Lenkspindel, Z R des Ritzels und Z T des Planetenträgers ergibt sich das Übersetzungsverhältnis iP
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10 Servo- und Regelsysteme am Fahrwerk
der Relativ-Winkelgeschwindigkeiten Z Hrel und Z Rrel gegenüber dem Planetenträger aus den Zähnezahlen der Sonnen- bzw. Planetenräder zu iP
Z Rrel Z Hrel
z1 z3 , z2 z4
wobei ZHrel ZH Z T bzw. ZRrel ZR Z T . Damit wird die AbsolutWinkelgeschwindigkeit des Ritzels Z R Z T Z Rrel oder
ZR
Z H iP Z T ( 1 i P ).
Eine gleichsinnige Verdrehung von Lenkspindel H und Planetenträger T verringert die Absolut-Winkelgeschwindigkeit des Ritzels, eine gegensinnige vergrößert sie. Die vorschriftsmäßige mechanische Verbindung von Lenkspindel und Ritzelwelle ist durch das Planetengetriebe gewährleistet. Bei Stillstand (bzw. bei Ausfall) des Stellmotors funktioniert das Lenkgetriebe wie jedes normale Zahnstangen-Getriebe. In Bild 10.10 ist die Anordnung des Überlagerungsgetriebes im Fahrzeug schematisch dargestellt (x = Stellmotor).
Bild 10.10. Einbauschema der Aktivlenkung im Fahrzeug (Werkbild ZF Lenksysteme GmbH)
10.4 Servolenkungen und aktive Lenksysteme
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Die Aktivlenkung erfüllt ihre Aufgabe vor allem im Verbund mit fahrdynamischen Regelsystemen [50, 75], worauf im Abschnitt 10.6 eingegangen wird. Über den Stellmotor des Planetenträgers können unabhängig von der Lenkwinkelvorgabe durch den Fahrer, also auch bei festgehaltenem Lenkrad, Lenkeinschläge an den Vorderrädern erzeugt werden. Winkelsensoren am Lenkritzel, dem Stellmotor und der Lenkspindel dienen zur Kontrolle des Lenkzustandes. Die Regeleingriffe erfolgen kontinuierlich und werden vom Fahrer nicht oder kaum wahrgenommen, und dieser empfindet sie als typische Eigenschaften seines Fahrzeugs. Mit der Überlagerungs- oder Aktivlenkung können Zielkonflikte, wie sie an der konventionellen Lenkung bestehen, in einfacher Weise gelöst werden, so z.B. die Bereitstellung einer „direkten“ Lenkübersetzung bei niedriger Fahrgeschwindigkeit oder beim Einparken (Verringerung der Zahl der Lenkradumdrehungen) und einer „indirekten“ bei schneller Fahrt (Verbesserung des Geradeauslaufs, Vermeidung heftiger Lenkreaktionen); so ergibt sich der Eindruck einer über der Fahrgeschwindigkeit variablen Lenkübersetzung. Im oberen Geschwindigkeitsbereich ist die Sicherstellung der Fahrstabilität vorrangig. Durch Messung der Gierwinkelgeschwindigkeit und der Querbeschleunigung wird in einem Fahrzeug-Rechenmodell der aktuelle Fahrzustand mit dem vom Fahrer vorgegebenen Soll-Zustand verglichen und bei Bedarf das Überlagerungsgetriebe angesteuert. Als Sensor für die Gierwinkelgeschwindigkeit kann z.B. ein Paar schwingender Biegebalken (Masse an Federblatt) verwendet werden, die nach Art einer Stimmgabel angeordnet sind, deren Achse mit der Hochachse (z-Achse) des Fahrzeugs zusammenfällt und die durch die Gierbewegung um diese Achse verdreht wird. Dabei entstehen an den Balken infolge der periodischen Abstandsänderung von der Drehachse Corioliskräfte (vgl. Kap. 7, Bild 7.42a), die quer zur Schwingebene wirken und ein periodisches Drehmoment um die Achse erzeugen [15]. Durch aktive Lenkeingriffe lässt sich u.a. das Fahrzeug bei Bremsung auf unterschiedlichen Reibwerten stabilisieren; auch können dynamische Fahrmanöver bei hoher Fahrgeschwindigkeit entschärft werden, weil durch den Lenkeingriff geringere Schwimmwinkel entstehen. Heftige Anlenkmanöver z.B. in Notsituationen, die zur Instabilität führen könnten, werden durch das Regelsystem auf einen stabilen Fahrzustand zurückgeführt. In den 1980er Jahren erschienen erstmals Fahrzeuge auf dem Markt, bei welchen zusätzlich zu den Vorderrädern auch die Hinterräder gleichsinnig (wenn auch um wesentlich kleinere Winkel) eingeschlagen werden. Dieser Auslegung lagen die anhand von Bild 7.41 in Kap. 7 beschriebenen fahrdynamischen Vorgänge zu Grunde, nämlich der verzögerte Aufbau der Schräglaufwinkel an den Hinterrädern beim Anlenkvorgang.
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10 Servo- und Regelsysteme am Fahrwerk
Zunächst erfolgte die (nichtlineare) Ansteuerung der Hinterräder durch eine feste mechanische Verbindung zum Lenkmechanismus der Vorderräder, indem bei kleinen Vorderrad-Lenkwinkeln gleichsinnige Lenkwinkel an den Hinterrädern aufgebracht wurden und bei großen Vorderradwinkeln (also im Rangier- oder Wendebetrieb) gegensinnige, um so bei schneller Fahrt die Fahrstabilität zu verbessern und bei langsamer den Wendekreisdurchmesser zu verringern (Honda). Andere Hersteller lösten das Problem z.B. durch hydraulisches Verschwenken eines kompletten Hinterachsaggregates. Es zeigte sich bald, dass durch eine regeltechnische Beeinflussung dieser Lenkvorgänge erheblich größere Vorteile für das Fahrverhalten zu erzielen waren als mit einem nur vom Vorderrad-Lenkwinkel abhängigen Lenkwinkelverhältnis. Auf der Basis der in Bild 13.36 (Kap. 13) dargestellten elasto-kinematisch optimierten 5-Lenker-Hinterradaufhängung wurde eine regeltechnisch überwachte „Aktive Hinterachskinematik“ entwickelt [27, 81], deren Ziel es war, Lenkmanöver jeglicher Art bis an die querdynamische Fahrgrenze heran durch gutmütige und vorhersehbare Fahreigenschaften zu unterstützen, denn bei vielen Fahrzeugen ändern sich die vom normalen Fahrbetrieb her gewohnten Fahrzeugreaktionen bei Annäherung an den Grenzbereich erheblich und evtl. für den Fahrer unerwartet. Ein wesentliches Kriterium für die Abstimmung der Aktiven Hinterachskinematik war die Reduzierung der Schwimmwinkelgeschwindigkeit bei Wechselkurven, also eine Verbesserung der dynamischen Stabilität. Dieses Lenksystem wurde ausschließlich zur Verbesserung der Fahrdynamik entwickelt; auf eine Verringerung des Wendekreisdurchmessers wurde verzichtet. Der Hinterrad-Lenkwinkel wurde nicht nur abhängig vom Vorderradeinschlag, sondern auch der Fahrgeschwindigkeit geregelt. Bei passiven Fahrwerken erfolgt, wie am bereits erwähnten Bild 7.41 gezeigt, der Seitenkraftaufbau an der Hinterachse gegenüber dem an der Vorderachse verzögert. Die „Aktivlenkung“ an der Vorderachse verbessert zwar das Ansprechverhalten und die Handlichkeit erheblich, kann aber an der Reaktion einer passiven Hinterachse nichts wesentliches ändern. Um die bei normalen Fahrwerken auftretende Phasenverschiebung zwischen dem Lenkradwinkel und der Querbeschleunigung einerseits sowie dem Schwimmwinkel und der Querbeschleunigung andererseits, die für den Kontrollverlust im fahrdynamischen Grenzbereich wesentlich verantwortlich ist, zu reduzieren, wurde in Simulationsrechnungen und im Fahrversuch die Bedeutung des Zeitverhaltens zwischen dem Lenkwinkelverlauf an Vorder- und Hinterachse erkannt und eine optimale Ansteuerstrategie ermittelt, welche die Amplituden und die Phasenlagen festlegt. Im wesentlichen ging es darum, den im fahrdynamischen Grenzbereich als Folge der Sättigung der Schräglaufkennlinien der Reifen progressiv an-
10.4 Servolenkungen und aktive Lenksysteme
335
wachsenden Schwimmwinkel nach Möglichkeit zu linearisieren, d.h. den progressiven Zuwachs durch einen gleich großen Hinterrad-Lenkwinkel zu kompensieren. Dies führte zu einem nichtlinearen Ansteuer-Kennfeld, Bild 10.11. Im querdynamischen Normalbereich steigt ab 40 km/h der HinterradLenkwinkel linear an und verbessert deutlich die Lenkpräzision und die Vorhersehbarkeit der Fahrzeugreaktionen. Im querdynamisch anspruchsvollen Bereich bei mittlerer bis hoher Querbeschleunigung steigt der Hinterrad-Lenkwinkel progressiv an, das Fahrzeug verhält sich weiterhin gutmütig. Im fahrdynamischen Grenzbereich würde eine weitere Erhöhung des Hinterrad-Lenkwinkels lediglich zu einem entsprechend verstärkten Überschieben der Vorderachse führen; deshalb wird der HinterradLenkwinkel hier begrenzt. Durch die erzielten Verbesserungen bei den dynamischen Übertragungsfunktionen konnte das Fahrverhalten bis an den physikalischen Grenzbereich linearisiert werden.
Bild 10.11. Mitlenk-Kennfeld der Aktiven HinterachsKinematik von BMW (1991) (Werkbild BMW Group)
Die Wirkungsweise der Aktiven Hinterachskinematik sei am Beispiel eines doppelten Spurwechsels erläutert, Bild 10.12. Als besonders kritisch erwies sich beim konventionellen Fahrzeug die Einfahrt in die dritte Spurgasse, wo der Schwimmwinkel E extrem hohe Werte annahm und Schleudergefahr signalisierte. Durch das bereits erwähnte optimierte Zeitverhalten zwischen den Phasenlagen von Lenkradwinkel, Querbeschleuni-
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10 Servo- und Regelsysteme am Fahrwerk
gung und Schwimmwinkel gelingt es mit der Aktiven Hinterachskinematik, das Anwachsen des Schwimmwinkels auf ca. 30% desjenigen des konventionellen Fahrzeugs zu verringern. Die hohen Herstellkosten haben es um die Hinterradlenkung wieder still werden lassen. Auch können in ein fahrdynamisches Gesamtsystem integrierte Regeleinrichtungen wie ABS, ASC, Aktivfederung und –lenkung, welche in den Abschn. 10.2–4 beschrieben wurden, Effekte in ähnlicher Richtung erzielen.
Bild 10.12. Doppelter Fahrspurwechsel mit (O) und ohne (' Aktive Hinterachskinematik (Werkbild BMW Group)
10.5 Überwachung des Reifen-Innendrucks
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10.5 Überwachung des Reifen-Innendrucks Bei der Bewertung der nützlichen Beiträge der Kinematik und ElastoKinematik der Radaufhängung und der fahrdynamischen Regelsysteme darf nicht übersehen werden, dass der Reifen als Bindeglied zwischen der Fahrbahn und dem Fahrzeug weiterhin die überragende Rolle in der Sicherung des Fahrverhaltens und des Fahrkomforts spielt. Hinzu kommt, dass seine Eigenschaften wesentlich stärker von der Laufzeit, d.h. dem Verschleiß, sowie der Temperatur, der Witterung und der Wartung abhängen als bei den anfangs genannten Einrichtungen bzw. Baugruppen. Wenn man bedenkt, dass ein Reifen bereits nach wenigen Fahrkilometern seine Betriebstemperatur erreicht, kann eine kurze Autobahnfahrt bei Höchstgeschwindigkeit mit einem auf niedrigen Luftdruck für Komfort und Stadtverkehr aufgepumpten Reifen dessen Verbindung zwischen Gürtel und Lauffläche so weit vorschädigen, dass bei einer späteren Langstreckenfahrt mit hoher Geschwindigkeit auch mit korrekt angepasstem Luftdruck ein Totalschaden (Laufflächenablösung) nicht auszuschließen ist. Die Überwachung des Reifen-Innendrucks ist daher seit langem ein bedeutendes Forschungs- und Entwicklungsthema und neuerdings (in den USA) Gegenstand gesetzlicher Regelungen [11]. Für die Reifendruck-Kontrolle haben im wesentlichen zwei Lösungswege in die Serienfertigung Eingang gefunden. Die komplexere Variante verwendet elektronische Bauteile in den Fahrzeugrädern, die mit dem Radventil gekoppelt sind und den Innendruck und die Temperatur während der Fahrt und auch während des Stillstands des Fahrzeugs messen. Über „Triggersender“ werden die genannten Daten von einem zentralen Steuergerät zyklisch abgefragt; bei Unterschreitung einer festgelegten Druckschwelle wird ein Warnsignal abgegeben. Der ReifenSolldruck ist nach dem Befüllen der Reifen dem geplanten Fahrtverlauf entsprechend über ein Bedienfeld vom Fahrer einzustellen. Wesentlich kostengünstiger arbeitet das zweite Verfahren, welches keine zusätzlichen Bauteile in der Felge benötigt und lediglich die ohnehin vorhandenen ABS-Sensoren verwendet. Da der Abrollradius (vgl. Kap. 4) eines PKW-Reifens bei Luftdruckverlust um ca. 0,5 mm je 0,5 bar abnimmt [78], lässt eine Drehzahländerung an einem der Fahrzeugräder auf einen Druckverlust an demselben schließen. Voraussetzung ist, dass vor Beginn der Fahrt an allen Fahrzeugrädern der korrekte Kalt-Fülldruck eingestellt und in das Regelsystem eingegeben wurde. Um Fehlbeurteilungen bei stationärer Kurvenfahrt auszuschließen, wird als Basis die mittlere Drehzahl aller Fahrzeugräder angenommen und mit den mittleren Drehzahlen der jeweils diagonal angeordneten Vorder- bzw. Hinterräder verglichen. Auf Schlechtwegstrecken und bei stärkeren längs- oder querdynami-
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10 Servo- und Regelsysteme am Fahrwerk
schen Fahrmanövern wird die Bewertung der gemessenen Signale vorübergehend ausgesetzt. Eine zusätzliche Nachregelung des Reifen-Innendrucks während der Fahrt ist seit vielen Jahren Gegenstand von Entwicklungsprojekten. Die Druckluftzufuhr in die Reifen von einer externen fahrzeugseitigen Quelle aus erfordert Dichtungen relativ großen Durchmessers neben oder in den Radlagern, die bei hoher Drehzahl funktionsfähig bleiben, ferner luftdichte Fügestellen zwischen Radträger, Radlager, Radnabe und Felge. Weniger technischen Aufwand verlangt die Übertragung elektrischer Energie vom Radträger zum drehenden Rade, dafür aber in jedem Rade eine Pumpe. Denkbar ist auch eine radinterne Pumpe, die mechanisch über einen Nocken o.ä. angetrieben wird, dann aber nur bei rollendem Fahrzeug arbeitet.
10.6 Fahrwerks-Regelsysteme im Verbund Die Tatsache, dass die meisten der vorstehend angesprochenen Regelsysteme Sensoren für die Messung der Raddrehzahl bzw. Fahrgeschwindigkeit, der Quer-, Längs- und Vertikalbeschleunigung sowie der Gierwinkelgeschwindigkeit gemeinsam nutzen, und die von modernen Rechnern gebotenen Möglichkeiten legen es nahe, durch Zusammenfassung der Signale und Wirkungen dieser Regelsysteme eine Überwachung und Beeinflussung des Gesamt-Fahrverhaltens vorzunehmen. Wie bereits erwähnt, stellen dabei die Gierwinkelgeschwindigkeit und der Schwimmwinkel die wichtigsten Regelgrößen dar. Die fahrdynamischen Eigenschaften eines Fahrzeugs offenbaren sich am deutlichsten über die Schräglaufwinkel der Reifen, welche wiederum in vielfältiger Weise vom Fahrbahnreibwert, der Radlastverteilung sowie der Kombination von Seiten- und Umfangskräften abhängen, also wesentlich von der Auslegung der Federung und der Kinematik und der Elasto-Kinematik der Radaufhängungen beeinflusst werden. Schräglaufwinkel und Umfangsschlupf stehen über den „Kamm’schen Kreis“ bzw. den „Reibungskuchen“ in engem Zusammenhang (vgl. Kap. 4) und werden durch das Brems- bzw. Antriebs-Schlupfregelsystem bei Annäherung an den fahrdynamischen Grenzbereich kontrolliert. Die Antriebs-Schlupfregelung durch Beeinflussung der Motor-Elektronik (Zündzeitpunkt, Einspritzmenge) und radindividuellen Bremseneingriff sowie bei Allradantrieb durch instationär schaltbare Kupplungen im Verteilergetriebe (vgl. Abschn. 10.2) erlaubt es in Zusammenarbeit mit einer regeltechnischen Steuerung der Radlastverteilung über aktive Federungs-, Stabilisierungs- und Dämpfersysteme (Abschn. 10.3) und evtl. durch Einsatz einer Überlagerungslenkung (Abschn. 10.4), ein fahrdynamisches Si-
10.6 Fahrwerks-Regelsysteme im Verbund
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cherheitskonzept zu installieren, welches über ein in Echtzeit ablaufendes, speziell auf das Fahrzeug abgestimmtes Simulationsmodell den aktuellen, von der Sensorik gemeldeten Betriebszustand des Fahrzeugs mit dem vom Fahrer vorgegebenen vergleicht und, falls einer derselben oder beide zu einer kritischen Fahrsituation führen würden, die Fahrzeugparameter so weit harmonisiert, dass ein stabiler Fahrtverlauf gewährleistet ist. Je nach Hersteller werden derartige integrierte Fahrdynamik-Regelsysteme unter Bezeichnungen wie „Elektronisches Stabilitäts-Programm (ESP)“ oder „Dynamische Stabilitäts-Control (DSC)“ usw. eingesetzt [12, 49]. Neben dieser primären Funktion der Sicherung der Fahrstabilität erfüllen die verschiedenen Fahrwerks-Regelsysteme weitere Aufgaben, die entweder begleitende Sicherheitseffekte anbieten oder dem Bedien- oder Fahrkomfort dienen [12, 15, 49]. So schließt der „Bremsassistent“ (oder die „Dynamic Brake Control“) aus der Heftigkeit der Pedalbetätigung, dass der Fahrer in einer Notsituation handelt, und sorgt automatisch für den schnellen Aufbau der maximal vertretbaren Bremskraft; die „Elektronische Bremskraftverteilung (EBV)“ stellt sicher, dass das Bremsschlupf-Regelsystem (ABS) das Seitenführungsvermögen der Hinterachse im Vergleich zu dem der Vorderachse ausreichend hoch hält. Das „Fading“ der Bremse kann durch automatische Druckerhöhung kompensiert werden, bei Regen (erkannt über die Betätigung der Scheibenwischer oder einen evtl. vorhandenen Regensensor) werden die Bremsscheiben durch leichtes Anlegen der Bremsbeläge trocken gehalten, und bei abrupter Zurücknahme des Fahrpedals wird eine evtl. nachfolgende Notbremsung durch sofortige Beseitigung des Lüftspiels zwischen Bremsscheibe und Belag optimal vorbereitet. Die „Cornering Brake Control“ [12, 49] wirkt bei Bremsung unter mittlerer oder hoher Querbeschleunigung durch Bereitstellung einer geeigneten Bremskraftverteilung auf die Fahrzeugräder der natürlichen Lastwechselreaktion des Fahrzeugs entgegen (vgl. Kap. 7, Abschn. 7.6). Vorwiegend dem Komfort dient die „Soft-Stop“-Funktion, welche bei einer Haltbremsung den infolge des höheren Haft-Reibwerts in Verbindung mit der elastischen Verspannung der Radaufhängung häufig zu beobachtenden lästigen Halteruck durch Zurücknahme des Bremsdruckes unmittelbar vor dem Stillstand entschärft. Ein „Anfahrassistent“ [12] erkennt, dass das Fahrzeug an einer Steigung angehalten wurde, und hält dasselbe nach dem Lösen der Handbremse noch über eine kurze Zeitspanne fest, um ein komfortables Anfahren ohne Betätigung der Fußbremse zu ermöglichen; der Bremsdruck wird in Abhängigkeit vom verfügbaren Anfahrmoment abgebaut. Mit der Funktion des „Bremsassistenten“ vergleichbar ist die „Dynamic Traction Control (DTC)“, welche durch Ausweitung der UmfangsschlupfSchwelle ein optimales Anfahren auf losem Untergrund gewährleistet.
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10 Servo- und Regelsysteme am Fahrwerk
Die nahezu vollständige Ausbreitung von Fahrwerks-Regelsystemen in der Serienproduktion erfordert, zumindest bei paralleler Verbauung mit konventioneller Fahrwerkstechnik in der gleichen Baureihe, gelegentlich Kompromisse bei der Auslegung der Kinematik und Elasto-Kinematik der Radaufhängungen. Im Abschn. 6.3 wurde darauf hingewiesen, dass instationäre Brems- oder Antriebsmomente (ABS, ASC) bei stark über dem Federweg veränderlichen Stützwinkeln unangenehme Nebenwirkungen haben können, und im Abschn. 7.4 wurde gezeigt, dass der „Aufstützeffekt“ bei Kurvenfahrt nicht allein durch die Geometrie des Rollzentrums, sondern sehr wesentlich auch durch die Auslegung von Federung und Stabilisierung bestimmt wird. Die Elasto-Kinematik der Radaufhängung, vgl. Kap. 9, trägt üblicherweise nur charakteristischen quasi-stationären Vorgängen am „passiven“ System Rechnung und erfordert zur optimalen Erfüllung bereits dieser Funktionen einen erheblichen Aufwand an den Radführungsgliedern und zugehörigen Gummilagern, so dass es kaum möglich erscheint, elasto-kinematische Reaktionen auf instationäre äußere Kräfte, die von denen bei stationären Kräften abweichen sollen, ohne regeltechnische Eingriffe (z.B. über „aktive“ Gummilager) darzustellen. Eine Antwort auf diese Probleme könnte darin gesucht werden, dass auf eine Verwirklichung der in den Kap. 5–7 erarbeiteten kinematischen Auslegungsparameter wie Anfahr- und Brems-Stützwinkel, Sturzgradient, Eigenlenkgradient, Rollzentrumshöhe und –höhenänderung usw. verzichtet wird, also Radaufhängungen mit „neutraler“ oder „Null-Geometrie“ angewandt werden (z.B. durch reine Translationsbewegungen in Seitenriss, Querriss und Grundriss), und dass sämtliche wünschenswerten geometrischen Effekte auf regeltechnischem Wege bereitgestellt werden. Da die Radführungsglieder, zumindest bei Einzelradaufhängungen, aber teilweise schon allein aus der Radaufstandskraft unter beachtlicher „Vorlast“ stehen, werden entsprechende Aktuatoren vom Kosten- und Energieaufwand her Probleme aufwerfen, ganz abgesehen von Fragen zur Betriebssicherheit. Es erscheint daher sinnvoller, die nützlichen kinematischen Auslegungsparameter der Radaufhängung weiterhin, wenn auch in der Dimensionierung auf die Zusammenarbeit mit Regelsystemen abgestimmt, anzuwenden und regeltechnische Eingriffe nur dort vorzusehen, wo das Kräfteniveau und damit das Sicherheitsrisiko gering und der fahrdynamische Nutzen groß ist. Was die „passive“ Radaufhängung problemlos und sicher bewältigen kann, sollte ihr auch weiterhin überlassen bleiben. Ein fahrdynamisch optimiertes passives Fahrwerk ist schon deshalb unverzichtbar, weil Regeleingriffe im Bereich um die Geradeausfahrt herum wegen des niedrigen Signalniveaus (Rauschgefahr) problematisch sind.
11 Synthese und Konstruktion
11.1 Allgemeines Bei der Auswahl des Typs der Radführung und der Festlegung der kinematischen Eigenschaften derselben spielen die unterschiedlichsten Gesichtspunkte eine Rolle, wie die Zweckbestimmung und Bauart des Fahrzeugs, die Fahrzeugklasse sowohl bezüglich der Größe als auch des Preises, die Firmentradition und Erfahrungen mit Vorgängermodellen, die Weiterverwendung der Aggregate des Vorgängermodells, verfügbare Fertigungseinrichtungen, das „Baukastenprinzip“ (Verwendung von „Gleichteilen“ mit anderen Modellen des Hauses), Bau- und Montageaufwand, Möglichkeiten der Fertigungskontrolle, Zuverlässigkeit und Wartungsaufwand („Cost of Ownership“, d.h. die dem Kunden während der Nutzung entstehenden Kosten), nicht zuletzt aber auch neue Aufgabenstellungen und Erkenntnisse, denen mit den vorhandenen Systemen nicht mehr ausreichend entsprochen werden kann. Der Käufer erwartet von seinem neuen Fahrzeug ein gutes Fahrverhalten; technischer Aufwand am Fahrwerk wird ihm aber, da dieses im Gegensatz zur äußeren und inneren Ausstattung des Fahrzeugs normalerweise vor seinen Augen verborgen bleibt, selten bewusst, so dass es der Fahrwerksingenieur nicht leicht hat, neue Lösungen, die neue Investitionen und womöglich höhere Produktionskosten erfordern, gegenüber den kaufmännischen Überlegungen durchzusetzen. Die Vorhaben der Fahrwerkentwicklung kollidieren zudem regelmäßig mit denen anderer Bereiche wie der Karosserieentwicklung (Innenraum, Gepäckraum, Tank, Einstiegsverhältnisse, Reserverad) und der Antriebsentwicklung (Lenkgestänge/Motor, Lenkgestänge/Getriebegehäuse, Auspuffanlage). Eine gutwillige Zusammenarbeit aller Entwicklungsbereiche ist daher selbstverständlich, wobei auf allen Seiten neben dem technischen Fachwissen die Fähigkeit zur überzeugenden Darstellung und die Bereitschaft zu vertretbaren Kompromissen im Interesse des Ganzen notwendig ist. Jedes Fahrzeug hat mindestens eine Vorder- und eine Hinterachse. Die Hinterachse ist für das Fahrverhalten ebenso wichtig wie die Vorderachse, wenn nicht – wegen ihrer Unabhängigkeit vom Lenkmechanismus und
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11 Synthese und Konstruktion
damit der Beeinflussung seitens des Fahrers – sogar noch wichtiger als diese, und die gelegentlich hörbare Bemerkung, die Bauart der Hinterachse sei nebensächlich, da sie ohnehin der Vorderachse nachlaufe, ist natürlich scherzhaft gemeint. Beide Achsen bestimmen zusammen mit den Reifen, der Federung, der Dämpfung und den Hauptdaten des Fahrzeugs (Massen, Trägheitsmomente und Schwerpunktslage) das Fahrverhalten, müssen also sorgfältig aufeinander abgestimmt sein. Dabei geht es weniger um die Kombination der Achsbauarten als um die Festlegung von deren kinematischen und elasto-kinematischen Kenngrößen wie z.B. des Rollzentrums, des Eigenlenkverhaltens, des Brems- und Anfahrnickausgleichs, der Lenkfunktion usw. Die Kinematik einer Starrachsführung ist im allgemeinen sehr übersichtlich (und problemlos auch rein zeichnerisch) in zwei Rissen festlegbar, da eine Starrachse normalerweise symmetrisch zur Fahrzeugmittellängsebene aufgehängt wird und in der Seitenansicht beim parallelen Federungsvorgang eine „ebene“ Bewegung ausführt. An Verbundaufhängungen sind viele Varianten denkbar, so dass es kaum möglich erscheint, allgemeine Ratschläge zu ihrem Entwurf zu geben; einzig die Verbundachsfamilie mit verwindbarer Quertraverse (vgl. Kap. 7, Bilder 7.25 und 7.37) lässt sich ähnlich einfach überschauen wie eine Starrachsaufhängung. Die nachfolgenden Überlegungen mögen daher im wesentlichen auf Einzelradaufhängungen beschränkt werden.
11.2 Ebene Radaufhängungen Ebene Getriebeketten werden bei mehrgliedrigen Radaufhängungen heute kaum noch anzutreffen sein. Die Doppelquerlenkerachsen vergangener Zeiten waren aber fast durchweg ebene Mechanismen (d.h. die Drehachsen aller Lenker verliefen im Raume parallel zueinander), weil dies mit den damaligen technischen Mitteln gar nicht anders möglich war: verwendet wurden ecksteife metallische Drehgelenke, auch radseitig, und für die Lenkbarkeit wurde an der „Koppel“ der Radaufhängung der eigentliche Radträger oder „Achsschenkel“ nochmals ecksteif drehbar an seinem „Achsschenkelbolzen“ gelagert. Erst mit der Verfügbarkeit zuverlässiger Kugelgelenke wurde die Koppel der Aufhängung zugleich Radträger. Solange die Drehachsen aller Lenker in Fahrzeuglängsrichtung angeordnet sind, kann nur die Bewegungsgeometrie im Fahrzeugquerschnitt beeinflusst werden, Bild 11.1. Aus der gewählten Höhe h RZ des Rollzentrums und der gewünschten Sturzänderung dJ / ds über dem Federweg, die gleich dem reziproken Querpolabstand q ist, ergibt sich die Lage des
11.2 Ebene Radaufhängungen
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Querpols Q. Wenn die Führungsgelenke 1 und 2 am Radträger vorgegeben werden, so sind auch die Richtungen der Querlenker bekannt, da sich diese im Pol Q schneiden müssen. Die gewünschte Höhenänderung des Rollzentrums d hRZ / ds über dem Federweg bestimmt den Krümmungsradius qc der Bahn des Radaufstandspunktes A, denn es gilt d hRZ / ds (b / 2) / qc. (11.1) Damit ist auf dem Polstrahl AQ der Krümmungsmittelpunkt Ac der Bahnkurve des Radaufstandspunktes A gefunden. Mit der Wahl einer der fahrgestellseitigen Drehachsen, hier 1c für den unteren Querlenker, ergibt sich z.B. nach dem Verfahren von Bobillier (Kap. 3, Bild 3.2) das Lenkerlager 2c des oberen Querlenkers. Die Untersuchung der Radbewegung beim Ein- und Ausfedern geschieht zeichnerisch oder rechnerisch in der Querschnittsebene des Fahrzeugs; wenn die Radaufhängung lenkbar sein soll, erfolgt die erste Festlegung der Lage und Länge einer Spurstange nach Vorgabe eines Spurstangengelenks ebenfalls nach dem genannten Verfahren. Da auch in einem ebenen System der Krümmungsradius der Bewegungsbahn eines Koppelpunktes (wie z.B. eines Spurstangengelenks) sich über dem Federweg verändert und die von der Spurstange vorgegebene Kreisbahn demnach nur eine Näherung der durch die Koppel beschriebenen Bahnkurve darstellt, werden sich über dem Federweg Lenkwinkel (Vorspuränderungen) einstellen, vgl. Kap. 7, Bild 7.31, und damit erhält, von Dubonnet-Achsen abgesehen, praktisch jede lenkbare Radaufhängung einen gewissen „räumlichen“ Charakter.
Bild 11.1. Ebene Doppelquerlenkeraufhängung
Die Einführung der Doppelquerlenkerachsen (und auch der Doppellängslenkerachsen oder „Doppelkurbelachsen“) Anfang der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erfolgte unter anderem auf Grund damaliger Untersuchungen zum „Lenkungsflattern“, denen zufolge eine Spur- und
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11 Synthese und Konstruktion
Sturzänderung beim Ein- und Ausfedern wegen der damit provozierten Kreiselmomente nachteilig erschien, d.h. man strebte eine etwa vertikal gerichtete Geradführungsbahn (mit unendlich großem Krümmungsradius) des Radaufstandspunktes an. Dies bedeutet auch, dass die Höhe des Rollzentrums über der Fahrbahn beim Ein- und Ausfedern konstant bleibt. Bei paralleler Lage der Querlenker, Bild 11.2, führt die Konstruktion von Bobillier zu der Bedingung, dass der Abstand e des Polstrahls AQ von einem der Querlenker gleich dem Abstand des Relativpols D12 beider Querlenker von dem jeweils anderen Querlenker ist. Bei Beachtung weiterer geometrischer Bedingungen kann der unendlich große Krümmungsradius des Radaufstandspunktes „vierpunktig“ berührend ausgeführt werden, d.h. mit besonders guten Geradführungseigenschaften [26]. Die Parallelstellung der Querlenker bedeutet, dass die momentane Sturzänderung Null ist, was in Konstruktionslage nicht unbedingt erwünscht sein mag. Aus Bild 11.2 lässt sich aber als allgemeine Grundregel – auch als Denkhilfe für den Entwurf räumlicher Mechanismen – ableiten, dass eine Geradführung des Radaufstandspunktes (oder eines Koppelpunktes) senkrecht zu seinem Polstrahl näherungsweise stets dann gegeben ist, wenn die Längen der Querlenker sich etwa umgekehrt verhalten wie ihre Abstände von dem genannten Polstrahl. Dies gilt auch für gegenüber der Vertikalen geneigte Geradführungen, im Falle des Radaufstandspunktes also für Radaufhängungen mit einem Rollzentrum ober- oder unterhalb der Fahrbahn. Die relative Länge der Querlenker ist also für die Veränderung der Rollzentrumshöhe über dem Radhub wesentlich, wobei normalerweise der obere Lenker etwas kürzer gewählt wird als der untere. Dies bringt zudem Vorteile für den Raumbedarf der Radaufhängung im Fahrzeugquerschnitt. Die mit der oben erwähnten Begründung eingeführten Radaufhängungen mit vertikaler Bewegungsbahn des Radaufstandspunktes zeigten sich keineswegs unempfindlich gegen das Lenkungsflattern; bald erkannte man, dass die Elastizitäten der Radführung weit einflussreicher waren als die Kinematik, so dass heute Spur- und Sturzänderungen nach fahrdynamischen Gesichtspunkten relativ frei gewählt werden können.
Bild 11.2. Geradführung des Radaufstandspunktes
11.2 Ebene Radaufhängungen
345
Bild 11.3. Die Sturzänderung der Doppelquerlenkerachse Ist der obere Querlenker merklich kürzer als der untere, Bild 11.3, so ergibt sich eine nichtlineare, stark progressive Sturzveränderung über dem Radhub. Eine progressive Zunahme des Radsturzes beim Einfedern, also z.B. an einem kurvenäußeren Rade, wird vom Fahrversuch gern gefordert, um trotz vertretbarer Radsturzwerte während der Geradeausfahrt, d.h. eines zulässigen (negativen) Sturzes bei voller Fahrzeugauslastung, im Kurven-Grenzbereich noch einen Gewinn an Sturzseitenkraft zu erzielen und die progressive Zunahme des Schräglaufwinkels hinauszuzögern. Dabei wird leicht übersehen, dass eine so ausgelegte Radaufhängung fast zwangsläufig eine verringerte Höhenänderung des Rollzentrums über dem Radhub aufweist (vgl. die soeben angestellten Überlegungen zu Bild 11.2) und damit das Aufstützen des Fahrzeugs in der Kurve fördert (vgl. hierzu Kap. 7, Bilder 7.11, 7.12 und 7.20), so dass am kurvenäußeren Rade der Einfederungszustand im Bereich der gewünschten Sturzprogression nur sehr spät oder überhaupt nicht erreicht wird und die Maßnahme sich als wirkungslos oder sogar schädlich erweisen kann. Hinzu kommt, dass eine Radaufhängung mit stark progressiver Sturzfunktion normalerweise am kurveninneren Rade bezogen auf den Fahrzeugkörper ebenfalls einen negativen Sturz erzeugt, der sich zum Wankwinkel des Fahrzeugs addiert und bezogen auf die Fahrbahn als stark positiver Sturz wirksam wird, so dass das kurveninnere Rad im fahrdynamischen Grenzbereich über seine Reifenschulter hinweg durch die Kurve geschleift wird. Die vorstehenden Betrachtungen am ebenen System wurden vor allem angestellt, um anschaulich einige wesentliche Gesichtspunkte für die Festlegung der querdynamischen Parameter einer Radaufhängung anzusprechen, die sinngemäß auch für das räumliche System gelten. An nicht angetriebenen Achsen ist ein Antriebs-Stützwinkel uninteressant; hier gibt es also nur vier Wunsch-Kenngrößen an der Achsgeometrie, weshalb sphärische oder ebene Radaufhängungen ausreichen. Räumliche Radaufhängungen werden aber zunehmend wegen elasto-kinematischer Vorteile angewandt.
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11 Synthese und Konstruktion
Ebene Radaufhängungen sind Sonderfälle der sphärischen, indem der Zentralpunkt der sphärischen Bewegung ins Unendliche gerückt ist. Sie sind sphärischen also gleichwertig, denn auch sie können durch eine räumliche Neigung ihrer – weiterhin untereinander parallel verlaufenden – Lenkerdreh- und Momentanachsen so gestaltet werden, dass in allen drei Koordinatenebenen des Fahrzeugs nichtlineare Bewegungsabläufe stattfinden. Werden sphärische oder ebene Radaufhängungen für angetriebene Räder verwendet, so ist ein Kompromiss zwischen den fünf Kenngrößen Rollzentrum, Eigenlenkverhalten, Sturzänderung, Brems-Stützwinkel und Antriebs-Stützwinkel erforderlich, wobei meistens der letztere auf der Strecke bleibt.
11.3 Kinematische Synthese des räumlichen Systems In Kap. 9 wurde bereits klargestellt, dass der Entwurf einer modernen Radaufhängung neben einer selbstverständlichen Optimierung des kinematischen Konzepts bewusst auf ihre elasto-kinematische Funktion hin geschieht. Damit wird die Bedeutung der kinematischen Synthese keineswegs geschmälert; es sei jedoch daran erinnert, dass zwar eine große Zahl von Varianten von Radaufhängungen die kinematischen Anforderungen erfüllen können, dass von diesen aber nur ein kleiner Teil auch elastokinematisch verwertbar sein wird. Dies bedeutet, dass bereits am Anfang einer Entwicklung und bei der meistens noch „tastenden“ ersten geometrischen Vorklärung darüber nachzudenken ist, wie mit dem gewählten Radführungstyp die Voraussetzungen für eine mit technisch gesunden, d.h. ausreichend dimensionierten Gummilagern abstimmbare Verwirklichung der gewünschten elasto-kinematischen Effekte zu erfüllen sind. Der Entwurf einer neuen Radaufhängung erfolgt daher in der Praxis in einem Iterationsprozess, nämlich einem Pendeln zwischen der kinematischen Synthese und der elasto-kinematischen Überprüfung des erreichten Standes zumindest für die bereits in Kap. 9 besprochenen Standard-Belastungsfälle der Radaufstandskraft, der Seitenkraft, der Bremskraft und ggf. einer Antriebskraft. Die geometrische Grundauslegung einer Radaufhängung muss auf weitere Randbedingungen Rücksicht nehmen, wie den verfügbaren Bauraum im Fahrzeug. Einbauraum beanspruchen auch die vorzusehenden Gelenke, vor allem Gummilager. Deren Gestaltung hängt von zusätzlichen konstruktiven Festlegungen ab, worauf später zurückzukommen ist, und ihre frühzeitige und vorausschauend mit Änderungsspielraum ausgestattete Dimensionierung bezüglich der Belastungen und der Winkelausschläge ist eine wesentliche Vorbedingung für eine erfolgreiche Konstruktion.
11.3 Kinematische Synthese des räumlichen Systems
347
Eine moderne Einzelradaufhängung soll kinematische Wunsch-Kenngrößen in allen drei Hauptebenen des Fahrzeug-Koordinatensystems aufweisen, und die Festlegungen des Rollzentrums, des Eigenlenkverhaltens und der Stützwinkel sind mit einem und demselben dreidimensionalen Mechanismus zu bewerkstelligen. Sicher ist es hilfreich, wenn eine bewährte Vorgänger-Konstruktion gleichen Typs mit ggf. lediglich anderen Abmessungen vorliegt, auf der sich ein neuer Entwurf aufbauen lässt. So sind zumindest Anhaltswerte für sinnvolle neue Lagen von Lenkern und Aggregaten gegeben. Die Entwicklung eines völlig neuen Systems, für das es weder im eigenen Hause noch beim Wettbewerb ein Vorbild gibt, erfordert dagegen erhebliche Vorarbeit und Phantasie und wird sich deshalb auch nur schwer in einen Terminplan hineinzwängen lassen. Für den – wenig wahrscheinlichen – Fall, dass überhaupt keine Vorstellung darüber besteht, wie zu einer kinematischen Aufgabenstellung die ersten Versuche einer Anordnung der Achslenker erfolgen können, sei im folgenden ein Ansatz vorgeführt, der auf der in Kap. 3 behandelten Grundlage der räumlichen Bewegung, nämlich der Momentanschraubung, aufbaut und wenigstens in all den Fällen anwendbar ist, wo Lenker unmittelbar zwischen einem Radträger und dem Fahrzeugkörper bzw. einem Hilfsrahmen aufgespannt werden sollen, d.h. wo keine „Zwischenkoppeln“ vorgesehen sind wie z.B. in Bild 2.13b in Kap.2. Die Momentanschraubung beschreibt den aktuellen Bewegungszustand eines Raumkörpers, bei Radaufhängungen also des Radträgers, vollständig und ist durch die zusammengehörigen Vektoren der Winkelgeschwindigkeit des Radträgers und der Geschwindigkeit eines seiner Punkte festgelegt. Aus diesem Bewegungszustand werden die kinematischen Kenngrößen der Radaufhängung wie das Rollzentrum usw. berechnet, wie in den Kapiteln 5–8 dargestellt. Umgekehrt kann demnach auch aus den (gewünschten) Werten dieser Kenngrößen auf die der geplanten Radaufhängung zu Grunde zu legende Momentanschraubung geschlossen werden. Es geht also zunächst darum, den Vektor Z K der Winkelgeschwindigkeit des Radträgers K in Konstruktionslage und den Vektor der Geschwindigkeit eines geeigneten Bezugspunktes zu bestimmen. Da die meisten Kenngrößen auf den Radaufstandspunkt A bezogen sind, liegt es nahe, diesen – oder richtiger den in Konstruktionslage mit dem Radaufstandspunkt zusammenfallenden Punkt des Radträgers – als Bezugspunkt zu wählen, was im Vergleich zu der in Kap. 3 als Bezugspunkt gewählten Radmitte M keinen prinzipiellen Unterschied bedeutet, da der Radaufstandspunkt für die nachfolgenden Überlegungen ebenfalls als „radträgerfest“ betrachtet wird. Dann ist aber sein „Geschwindigkeitsvektor“ auch, entsprechend der bisher geübten Praxis, als v A zu bezeichnen, um die Verbindung zu den Definitionen der Kenngrößen zu bekräftigen.
348
11 Synthese und Konstruktion
Bild 11.4. Bestimmung der Winkelgeschwindigkeit des Radträgers um die Fahrzeug-Querachse
Von den insgesamt sechs zu bestimmenden Komponenten der Vektoren Z K und v A kann eine vorgegeben werden, und zwar sinnvoll die Radhub (z.B. mit dem Wert „1“). Damit werden die übrigen geschwindigkeit vAz
bezogen. Unter der vereinfachenden Annahfünf Komponenten auf vAz me, dass in Konstruktionslage der Radsturz J sehr klein ist, kann die Radmitte M etwa in der gleichen Längsvertikalebene angenommen werden wie der Radaufstandspunkt A. Dann sind die Vertikalkomponenten der Ge | vMz . Die x- und schwindigkeiten dieser beiden Punkte gleich groß: vAz
y-Komponenten der Geschwindigkeit v A folgen nach den Gln. 6.7 bzw. 7.15 aus dem Stützwinkel H bzw. der Rollzentrumshöhe h RZ zu
vAx
r vAz tan H
und
vAy
vAz hRZ / yA
(11.2a,b)
(das obere Vorzeichen gilt an Vorderrädern) und die x-Komponente der
) und dem Geschwindigkeit v M gemäß Kap. 5, Gl. 5.65 aus vMz (| vAz Schrägfederungswinkel H zu
vMx
vAz tan H .
(11.3)
Wie in Kap. 6 dargelegt, ist der Schrägfederungswinkel H bei Antrieb des Rades über eine quer liegende Gelenkwelle, solange kein RadträgerVorgelegegetriebe eingebaut ist, dem Betrage nach gleich dem Stützwinkel H
, so dass dieser anstelle des Schrägfederungswinkels in Gl. 11.3 verwendet werden kann (an Vorderrädern mit negativem Vorzeichen!). Aus
vMx und vAx folgt mit dem Reifenradius R die y-Komponente der Winkel vMx ) / R oder geschwindigkeit des Radträgers, Bild 11.4, zu ZKy (vAx
ZKy
vAz ( # tan H tan H R.
(11.4)
Die noch fehlenden Komponenten der Winkelgeschwindigkeit des Radträgers werden durch die gewünschte Sturzänderung und die vorgesehene Lenkwinkel- bzw. Vorspuränderung über dem Radhub bestimmt. In
( d J d s ) Gl. 7.1, Kap. 7, werden die Variable ZJ durch den Ausdruck vAz und ZKy nach Gl. 11.4 ersetzt; Gl. 7.1 ergibt dann, nach ZKx aufgelöst, mit dem gewählten Lenkwinkel bzw. negativen Vorspurwinkel G G v
ZKx
(vAz / cos G ^ sinG R)(# tanH tan H dJ d s )}.
(11.5)
11.3 Kinematische Synthese des räumlichen Systems
349
Entsprechend werden in Gl. 7.3 die Lenkwinkelgeschwindigkeit durch
vAz (dG d s ) und die Größen ZKx und ZKy nach den Gln. 11.5 bzw. 11.4 ersetzt, und bei geeigneter Zusammenfassung von Winkelfunktionen folgt nach kurzer Rechnung
ZG
ZKz
vAz {(dG d s ) (dJ d s )tanJ tanG (1 / R)(# tan H tan H tanJ cosG )} (11.6)
Damit ist der Geschwindigkeitszustand des Radträgers in Konstruktionslage für die vorgegebene kinematische Aufgabenstellung bekannt. Für einen bestimmten Gelenkpunkt i am Radträger kann also dessen Geschwindigkeitsvektor v i v A Z K u ri berechnet werden, wenn ri der Verbindungsvektor vom Radaufstandspunkt A zum Gelenk i mit den Komponenten rix ( xi xA ) usw. ist, und seine Komponenten lauten
vix vAx ZKy ( zi z A ) ZKz ( yi yA ),
viy
vAy ZKz ( xi xA ) ZKx ( zi z A ),
(11.7a,b,c)
viz vAz ZKx ( yi yA ) ZKy ( xi xA ). Ein zu diesem Geschwindigkeitszustand des Gelenks i passender Stablenker oder Dreiecklenker muss in der Normalebene des Vektors v i liegen, Bild 11.5, um momentan den Bewegungsablauf nicht zu stören. Die „Spurgeraden“ g xz und g yz dieser Normalebene in den Längs- und Querrissebenen durch i liegen bekanntlich senkrecht zum Bild des Vektors v i . Werden nun für einen zweiten Gelenkpunkt n des gesuchten Lenkers (oder Dreiecklenker-Armes) die x- und die y-Koordinate vorgegeben, so kann dessen zKoordinate in Bild 11.5 anschaulich durch das Aneinandersetzen von Elementen der genannten Spurgeraden bestimmt werden, und die Strecke i-n ist einer von unendlich vielen möglichen Stablenkern am Gelenk i, die die kinematische Aufgabenstellung in Konstruktionslage erfüllen können.
Bild 11.5. Bestimmung einer Lenkerposition bei gegebener Momentanschraubung
350
11 Synthese und Konstruktion
Die Steigungen der Spurgeraden g xz und g yz sind durch die Komponenten des Geschwindigkeitsvektors v i gegeben; damit erhält man entsprechend der zeichnerischen Konstruktion von Bild 11.5 rechnerisch die z-Koordinate des gesuchten Gelenkpunkts n aus seinen vorgegebenen xund y-Koordinaten nach der Gleichung
zn
zi ( xn xi )(vix / viz ) ( yn yi )(viy / viz ).
(11.8)
Das beschriebene Verfahren erlaubt erste Annahmen von Lenkerlagen, die zu dem durch die kinematischen Kenngrößen in Konstruktionslage vorgegebenen Geschwindigkeitszustand des Radträgers passen, so z.B. zu Spurstangenlagen, die momentan keine Vorspuränderung beim Federungsvorgang verursachen. Die Optimierung der Lenkerlängen, welche für den Verlauf der Vorspurkurve und aller anderen Kenngrößen bei großen Federwegen von Bedeutung sind, muss dann durch „Probieren“ am Rechner erfolgen, ebenso die Festlegung evtl. nötiger Verschiebungen der Lenkerlagen aus elasto-kinematischen oder – viel banaler – aus Platzgründen. Es sind auch Vorschläge gemacht worden, um mit gegebenen Radführungsparametern in Konstruktionslage und gegebenen Funktionen derselben über dem Radhub unmittelbar die „fertige“ Lösung anzustreben [1, 44]. Die Konstruktion einer Radaufhängung besteht allerdings angesichts des stets sehr knappen verfügbaren Einbauraums buchstäblich in der Suche nach Millimetern, so dass es eine anspruchsvolle Aufgabe für ein Rechenprogramm ist, wenn dieses verwertbare Vorschläge machen soll. Die verwendete Software muss die räumlichen Verhältnisse im betreffenden Fahrzeugbereich berücksichtigen und das Achssystem interaktiv unter Einbeziehung von Änderungs- bzw. Kompromissvorschlägen des Konstrukteurs optimieren, wozu dann natürlich auch realistische Voraussagen über die Dimensionen der Lenker und der Lenkerlager gehören. Im Verlaufe der kinematischen und elasto-kinematischen Optimierung der Radaufhängung (die, wie bereits begründet, parallel erfolgen) werden viele kleine Korrekturen an der Geometrie erforderlich werden, die mit der Zeit immer kleinere Schrittweiten annehmen und allmählich die endgültige Gestalt der Radaufhängung erkennen lassen. Oft stellt sich während der anschließenden konstruktiven Ausarbeitung der Bauteile heraus, dass eine geringfügige Änderung der Position eines Lagers oder eines Lenkers zu einer einfacheren oder preisgünstigeren Lösung führen kann (z.B. durch Vereinheitlichung von Lagerböcken, Ersatz von Ziehteilen durch Faltteile usw.); in diesem Fall lohnt sich in Anbetracht der langen Serienlaufzeit der Radaufhängung ein erneuter „Durchgang“ der kinematischen und elastokinematischen Untersuchungen, falls im Terminrahmen noch möglich. Bei der Ausarbeitung der Bauteilkonstruktion ist der Konstrukteur für die richtige Dimensionierung verantwortlich, weshalb es schon im frühen Stadium der Entwicklung sinnvoll ist, zumindest überschlägige Festigkeits- und Steifigkeitsanalysen vorzunehmen, um die Abmessungen der
11.3 Kinematische Synthese des räumlichen Systems
351
Bauteile kennen zu lernen und für ausreichenden Freiraum zu sorgen. Später notwendige Änderungen können zu unangenehmen Maßnahmen zwingen, wenn sie sich nicht mehr innerhalb des vorhandenen Bauraums durchführen lassen. Viele Bauelemente sind aus physikalischen Gründen oder auch wegen kostengünstiger Massenbauweise weitgehend standardisiert: Das Baugewicht und –volumen einer Schraubenfeder richtet sich nach der geforderten Arbeitsaufnahme und diese folgt wiederum aus der Tragkraft und der Federrate in Konstruktionslage sowie dem zu bewältigenden Federweg. Die Einbaulänge eines Teleskop-Stoßdämpfers errechnet sich aus dem doppelten Dämpferhub und einem „Fixmaß“, das von der Bauart (Einrohrdämpfer mit oder ohne Trennkolben, Zweirohrdämpfer) und hauseigenen Standards des Lieferanten abhängt. Die vorausschauende Dimensionierung von Gummilagern und Federelementen kann nicht wichtig genug genommen werden. Zu Beginn einer Fahrzeugentwicklung werden die Fahrzeuggewichte gern zu optimistisch geschätzt, obwohl sie sich im Verlauf der Weiterentwicklung oft als unhaltbar erweisen, und zugleich wird der Konstrukteur bei seinen Bemühungen um einen ausreichenden Einbauraum für seine Baugruppe durch Interessenkonflikte mit dem Fahrzeuginnenraum, dem Gepäckraum, dem Motorraum oder dem Platzbedarf für Zusatzaggregate eingeengt, z.B. mit dem Hinweis auf die angenommenen Gewichtsvorgaben des Projekts. Stellt sich am Ende eine Gewichtsüberschreitung heraus, oder wird später eine deutlich komfortablere Federungsabstimmung angeordnet, und ist nicht genügend Raum für stärkere Federn usw. reserviert worden, hat dies Konsequenzen über die gesamte Laufzeit des Fahrzeugs hinweg. Bild 11.6 zeigt die Kennlinie einer Feder, die für eine statische Radlast FR bei einer statischen Einfederung f N ausgelegt ist und einen maximalen Federweg f E bis zur Endanschlagskraft Fm erreichen soll.
Bild 11.6. Federkennlinie und Arbeitsvermögen
352
11 Synthese und Konstruktion
Mit FR und f N ist die Eigenfrequenz des Fahrzeugs festgelegt, das Produkt Fm ( f N f E ) / 2 ist die vom Werkstoff der Feder aufzunehmende Arbeit und bestimmt die auftretende Höchstspannung. Kann diese ohne teure Sondermaßnahmen nicht weiter erhöht werden, oder ist ein größeres Volumen der Feder nicht unterzubringen, so zwingt eine nachträgliche Erhöhung der statischen Radlast z.B. um hier 5 % auf FRc , die bei unveränderter Eigenfrequenz zu einer um 5 % höheren Endkraft Fmc und um 5 % höheren Gesamt-Federarbeit führen würde, zu einer Kennlinie mit höherer Federrate, so dass die von dem Federmaterial verlangte Gesamtarbeit unverändert bleibt, Fmcc ( f Ncc f E ) / 2 Fm ( f N f E ) / 2 , d.h. der statische Einfederweg f Ncc sinkt in Bild 11.6 auf ca. 82% von f N , die Eigenfrequenz erhöht sich um fast 11% und die Maximalkraft um 13,5%. Das Lenkgetriebe und das mittlere Lenkgestänge befinden sich regelmäßig im Konkurrenzkampf mit dem Antriebsaggregat und anderen Bauelementen im Vorderwagen. Es ist daher zweckmäßig, im Hinblick auf eine störungsarme Zusammenarbeit mit den betroffenen Entwicklungsbereichen die Einbausituation dieser Teile möglichst von Anfang an zu klären. Können an einem Hebel-Lenkgestänge ungünstige Ausgangspositionen für die Anlenkung der seitlichen Spurstangen noch durch Kröpfungen oder Kragarme korrigiert werden (oft dann auf Kosten der Steifigkeit), so ist die Position der Spurstangengelenke an einer Zahnstangenlenkung praktisch an die Mittellinie der Zahnstange gebunden. Die relative Anordnung der inneren und der äußeren Spurstangengelenke ist andererseits von entscheidender Bedeutung für die Auslegung der Lenkfunktion (Wendekreis, Lenkungsrücklauf) und die Betriebssicherheit (Übertragungswinkel), vgl. auch Kap. 8. Die Zahnstangenlenkung benötigt als Servolenkung mit hintereinander gereihtem Verzahnungs- und Hydraulikbereich eine beträchtliche Einbaulänge in Fahrzeugquerrichtung, die sich aus dem Sechsfachen des einseitigen Zahnstangenhubes und einem Fixmaß ableitet. Deshalb weisen Fahrzeuge mit Zahnstangenlenkung meistens relativ kurze Spurstangen mit Winkelausschlägen der Kugelgelenke bis zu r30q auf und folglich, mit Rücksicht auf die Krümmung der Vorspurkurve über dem Radhub, auch kurze Querlenker (hier bestimmen also die Spurstangen die Lenkerlängen und nicht umgekehrt). Diesem Zwang kann durch eine Zahnstangenlenkung mit (teurerem) Mittelabtrieb der Spurstangen ausgewichen werden (vgl. auch Bild 1.1 in Kap. 1). Der Arbeitsaufwand für die erwähnten Voruntersuchungen und Vordimensionierungen zahlt sich auf jeden Fall aus. Fehler bei der Abschätzung der Größe von Bauteilen oder die Nichtbeachtung von Standards der vorgesehenen Zulieferer können der Anlass für spätere Sondermaßnahmen sein, die den Entwicklungsablauf verzögern, die Kosten in die Höhe treiben oder unnötige Qualitätsprobleme schaffen.
11.4 Anmerkungen zur Konstruktion
353
11.4 Anmerkungen zur Konstruktion An Mehrlenkerachsen ist es meistens sinnvoll, einige Radführungsparameter nach der Vor- oder der Endmontage durch Einstellarbeiten zu sichern. Dies erleichtert die Zulassung wirtschaftlich vertretbarer Herstellungstoleranzen. Normalerweise wird der Vorspurwinkel G v , manchmal auch der Radsturz J in einer festzulegenden Fahrzeuglage nachjustiert. Dies kann die Konstruktionslage sein; da das Fahrzeug am Ende der Montagelinie aber in unbeladenem Zustand ist, wird oft auch diese Lage zu Grunde gelegt. Es ist nützlich, schon beim ersten Entwurf einer Radaufhängung darüber nachzudenken, an welchen Lagerstellen die Einstellarbeiten vorgenommen werden sollen bzw. können, damit der Vorspur- und der Sturzwinkel voneinander unabhängig beeinflusst werden. Je nach Bauart der Radaufhängung sind für solche Maßnahmen nur bestimmte Lagerstellen optimal geeignet. Die Radaufhängung in Bild 11.7 aus drei Quer- und zwei Längslenkern, bei welcher zwei untere Querlenker etwa in gleicher Höhe liegen und der obere etwa senkrecht über einem der unteren angeordnet ist, bietet für eine unabhängige Einstellung des Vorspur- und des Sturzwinkels ideale Voraussetzungen: Die Verstellung des Sturzes J über den oberen Querlenker schwenkt den Radträger um eine etwa horizontale Achse a1 , nämlich die Verbindungslinie der äußeren Gelenke der unteren Querlenker, wobei sich der Vorspurwinkel nur unmerklich verändert, und durch Verstellung des vorderen der beiden unteren Querlenker wird der Radträger um die etwa vertikal ausgerichtete Achse a2 verdreht, die Verbindungslinie der äußeren Gelenke der beiden übereinander liegenden Querlenker, womit der Vorspurwinkel G v nahezu ohne Rückwirkung auf den Sturzwinkel J justiert werden kann. Würde dagegen eine Verstellmöglichkeit am hinteren der beiden unteren Querlenker vorgesehen, so würde der Radträger um die Achse a3 schwenken mit der Folge einer gekoppelten Veränderung von Vorspur und Sturz. Da die üblichen Toleranzen für den Radsturz mit etwa 10–20 Winkelminuten deutlich über denen des Vorspurwinkels mit ca. 2–10 Minuten liegen, sind grundsätzlich zuerst der Sturzwinkel und danach der Vorspurwinkel einzustellen.
Bild 11.7. Geeignete Lagerstellen für die Justierung des Vorspurwinkels und des Radsturzes (Fahrtrichtung nach links oben)
354
11 Synthese und Konstruktion
Die Einstellbarkeit der Radaufhängung ist also eine weitere wichtige Bedingung für die Festlegung der Lenkerpositionen und zusätzlich zu den Anforderungen der Kinematik und der Elasto-Kinematik zu beachten. An Radaufhängungen werden neben Stablenkern mit zwei Gelenken häufig auch Dreiecklenker angewandt, die man sich als Kombinationen zweier Stablenker vorstellen kann. Die räumliche Lage der Drehachsen solcher Dreiecklenker kann bei geringem Platzbedarf günstig zur Erzielung weit reichender kinematischer Effekte benützt werden, wie am Beispiel einer ausgeführten Vorderradaufhängung in Bild 11.8 vereinfachend erläutert: Die fahrzeugseitige Drehachse des unteren Dreiecklenkers durchstößt die Längsrissebene durch sein radseitiges Kugelgelenk in einem Punkt Lu , der in der Seitenansicht als momentaner Drehpunkt der Bahnkurve des Kugelgelenks angesehen werden darf, denn beide Punkte sind Teile des unteren Dreiecklenkers und Lu momentan unbeweglich. Läge das Kugelgelenk in der Seitenansicht zufällig auf dem Bild der Lenkerdrehachse (wofür die Radaufhängung ein wenig einfedern müsste), so wäre Lu exakt der „große“ Krümmungsmittelpunkt der als Ellipse erscheinenden Bahnkurve des Kugelgelenks. Dies trifft hier für das radträgerseitige Kugelgelenk des oberen Dreiecklenkers zu, d.h. Lo ist der Krümmungsmittelpunkt der Bahnkurve desselben im Seitenriss. Die Radaufhängung verhält sich daher im Seitenriss so, als ob sie an zwei sehr langen nach vorn bzw. nach hinten gerichteten Längslenkern mit FahrgestellLagern Lu und Lo geführt würde, und mit dem „Längspol“ L können näherungsweise der Schrägfederungswinkel H und der Stützwinkel H bestimmt werden (wenn vernachlässigt wird, dass dieser Pol L in der Vertikalebene durch die radseitigen Kugelgelenke der Dreiecklenker liegt und nicht in der Radmittelebene).
Bild 11.8. Anordnung der Vorderachslenker am „Großen Mercedes“ Typ 600 aus dem Jahre 1963 (Werkbild DaimlerChrysler AG)
11.4 Anmerkungen zur Konstruktion
355
Derartige Betrachtungen gehörten in der Zeit der zeichnerischen Konstruktionsarbeit zu den handwerklichen Hilfsmitteln bei der Entwicklung der Achsgeometrie und können auch heute noch als anschauliche Denkhilfen zur Beurteilung der räumlichen Wirkung von Dreiecklenkern dienen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass möglichst zu Beginn einer Entwicklung Klarheit über die Abmessungen und Eigenschaften der benötigten Lagerelemente, besonders der Gummilager, geschaffen werden sollte, um unliebsamen Überraschungen im Verlaufe der konstruktiven Ausarbeitung der Radaufhängung vorzubeugen. Bei den Gummilagern gibt es unterschiedliche Ausführungen hinsichtlich des Aufwandes, der Kosten und der Wirkungsweise. Die einfachste Form ist ein an einer Innenbuchse fest vulkanisiertes zylindrisches Gummilager, das unter Verwendung eines kurz nach der Montage verdunstenden Gleitmittels in die geometrisch vorbereitete Bohrung eines Bauteils „eingeschossen“ wird, Bild 11.9. Die Kontur des Lagers im Anlieferungszustand (unterer Halbschnitt) ist dabei so festgelegt, dass sich nach dem Einbau (oberer Halbschnitt) eine optimale Druckvorspannung im Gummimaterial einstellt. Es ist einzusehen, dass an einem solchen Lager mit größeren Toleranzen bezüglich der Federrate und der ertragbaren Drehwinkel zu rechnen ist. Gegen zu große Drehwinkel wehrt sich das Lager durch Nachrutschen (mit anschließender Verspannung und entsprechenden Folgen für die Federraten). Diese preiswerte Bauart ist daher an elasto-kinematisch anspruchsvollen Radaufhängungen heute kaum mehr zu finden. Gummilager für höhere Anforderungen werden stets mit einer festen Außenbuchse versehen und mit Innen- und Außenbuchse zusammen vulkanisiert. Wenn ein Gummilager neben einer vorherrschend radialen auch eine größere axiale Last auffangen soll, kann ein axialer „Anlaufbund“ vorgesehen werden, Bild 11.10. Die axiale Federkennlinie des Lagers hängt (bei erheblicher Streuung) von der Form des Bundes und der Anschlagfläche AF ab. Bei einer Drehung unter gleichzeitiger Anlage am Bund wird das Material auf Scherung belastet und beginnt schließlich zu gleiten.
Bild 11.9. Einfaches Gummilager zum „Einschießen“ in ein vorbereitetes Lagerauge (unten: vor dem Einbau)
Bild 11.10. Lager mit Axialanschlag
356
11 Synthese und Konstruktion
Bild 11.11. Kugelgelenk und Gummi-Kugelgelenk
Von wesentlicher Bedeutung ist ferner, dass das Setzverhalten zylindrischer Gummilager in Axialrichtung, und besonders eines Lagers wie in Bild 11.10, mit erheblich größeren Toleranzen behaftet ist als dasjenige in Radialrichtung. Deshalb sollte in allen Fällen, wo eine axiale Dauerlast vorliegt und wo axiale Setzerscheinungen für die Langzeit-Qualität der Radaufhängung schädlich sind (z.B. weil die Axialverlagerung zusammen mit „gepfeilten“ Lenkern zu einer allmählichen Veränderung der Vorspur führen kann), auf Gummilager dieser Bauart verzichtet und stattdessen zu einem „echten“ Kugelgelenk, Bild 11.11 links, oder wenigstens zu einem Gummi-Kugelgelenk (rechts) gegriffen werden. Eine wichtige Voraussetzung für die Dimensionierung eines Gummilagers ist die Entscheidung darüber, ob die Innenbuchse desselben „zweischnittig“ oder ob sie „einschnittig“ bzw. „fliegend“ verschraubt werden soll. Dies hängt von der Gestaltung der Anschlussteile ab, worauf später zurückzukommen ist. Die zweischnittige Verschraubung erlaubt die Verwendung einer kleineren Schraubendimension, deren Vorspannkraft mindestens gleich der halben maximalen Radialkraft des Lagers, dividiert durch den Reibwert der Paarung Buchse/Lagerbock, sein muss; bei gleichzeitig auftretenden größeren Drehwinkeln kommt noch ein nicht zu unterschätzender Zuschlag für die reibschlüssige Aufnahme des Gummi-Torsionsmomentes hinzu. Der Lagerbock muss mindestens eine nachgiebige Wange haben, um die Verschraubung mit der nötigen Vorspannkraft nicht zu behindern, weshalb hier Blechkonstruktionen zu bevorzugen sind. Die Schraubendimension bestimmt den Bohrungsdurchmesser der Innenbuchse des Lagers, die Vorspannkraft und die zulässige Spannung deren Außendurchmesser und damit bei gegebenen Radial- und Drehfederraten und zulässigen Spannungen im Gummimaterial auch den Durchmesser der Außenbuchse, Bild 11.12a. Die einschnittige bzw. fliegende Schraubverbindung, Bild 11.12c, erfordert eine merklich größere Schraubendimension nicht allein deswegen, weil die Vorspannkraft an einer einzigen Schnittfläche aufgebracht werden muss, sondern auch weil aus dem Abstand der Lagermitte von der Schnitt-
11.4 Anmerkungen zur Konstruktion
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fläche ein Kippmoment aus der Radialkraft des Lagers entsteht, das die Verteilung der Flächenpressung in der Schnittfläche überlagert und bei Überlastung zum Klaffen der Verbindung führen kann (Korrosionsgefahr, Gefahr des Schraubenbruchs). Die Innenbuchse erhält demgemäß einen größeren Durchmesser, während die tragende Buchsenlänge kleiner werden kann. Wenn eine Zerstörung des Lagers zu einer völligen Trennung der Bauteile führen kann, ist eine Beilagscheibe BS notwendig, deren Durchmesser größer sein muss als die Aufnahmebohrung des Lagers. Bild 11.12b zeigt eine fertigungstechnisch einfache und montagefreundliche Variante eines zweischnittig befestigten Gummilagers, wo die Innenbuchse an ihren Enden radiale Anschraubflächen für die Montage bietet, die keine Verspannung von Wangen eines Lagerbockes erfordern. In der Großserienfertigung wird oft ein Gummilager verwendet, dessen Außenbuchse mit einer dünnen Gummihaut (x) überzogen ist, Bild 11.12d. Diese erleichtert den Ausgleich von Einbautoleranzen und schützt zugleich vor „Kontaktkorrosion“ zwischen der Außenbuchse und dem angeschlossenen Bauteil, vor allem wenn unterschiedliche Werkstoffe vorliegen. Um die Montage nicht zu erschweren, müssen Lagerböcke für zweischnittige Verschraubungen eine „lichte Weite“ erhalten, die größer ist als die nach der Toleranzlage längste Lagerbuchse; dies kann durchaus zu Zuspannwegen von einem halben Millimeter führen, was Blechteile problemlos mitmachen, Schmiede- und vor allem Gussteile schon weniger.
Bild 11.12. Gummilager für zweischnittige und einschnittige Verschraubung
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11 Synthese und Konstruktion
Die in der Großserienproduktion üblichen Toleranzen der Gummilager und der Anschlussteile sind von wesentlichem Einfluss auf die Güte der erzielten kinematischen Funktion der Radaufhängung. Die Bohrung einer Innenbuchse ist mindestens 0,2 mm größer als der zugehörige Nenndurchmesser der Schraube, wobei der Schaftdurchmesser einer gerollten Schraube aber wiederum einige Zehntel mm unter ihrem Nenndurchmesser liegt. Die Durchmessertoleranz der Außenbuchse liegt ebenfalls bei 0,2 bis 0,4 mm. Hinzu kommt die zulässige Exzentrizität von Außen- und Innenbuchse, die bei guten Gummilagern weitere 0,2–0,3 mm beträgt. Allein am Gummilager selbst kann also gegenüber dem Schraubenschaft bereits ein Lagefehler von etwa einem halben Millimeter auftreten. Da auch die Aufnahmelöcher für die Schraube im Lagerbock normalerweise mit mindestens 0,2 mm Toleranz gefertigt werden, und noch weitere Abweichungen hinzukommen, wenn die Bohrungen dieses Lagerbockes bereits vor dem Anschweißen an einen Träger und nicht erst im Fertigzustand desselben gestanzt werden, kann die Abweichung einer Lagerposition von der theoretisch vorgesehenen leicht die Größenordnung eines Millimeters erreichen. Wenn man bedenkt, dass derartige Abweichungen an jedem der vielen Lenkerlager auftreten können (besonders an fahrzeugseitigen, meistens geschweißten Bauteilen und weniger stark am mechanisch bearbeiteten Radträger), so mag es u.U. ratsam sein, bestimmte Lageranbindungen, die sich wesentlich auf die Vorspur des Rades auswirken, durch Sondermaßnahmen wie mechanische Bearbeitung, Zentrierbuchsen bzw.- schrauben usw. qualitativ höher zu stufen. Es sei nicht verschwiegen, dass die allgemein übliche Verbindung von Kugelgelenken mit Radträgern oder Lenkungsteilen über Kegelsitze, nicht nur wegen der Toleranzen zwischen Kegelschaft und Kegelbohrung, sondern auch wegen der Toleranzen der Vorspannkraft, mit ähnlich großen Lageabweichungen in axialer Richtung des Kegels einhergeht. Deshalb werden bei Rennfahrzeugen oft die Kegelbohrungen für Spurstangen nicht wie im Serienfahrzeugbau vertikal, sondern horizontal angeordnet (angesichts der kleineren Winkelausschläge noch möglich) oder Kegelsitze durch zylindrische Passungen mit bearbeiteten Anschlagflächen ersetzt. Für die zweischnittige Aufnahme von Lagern eignen sich, wie gesagt, vor allem Blechbauteile, also Lagerböcke oder Lenker aus „offenen“ Profilen. Zweischnittige Befestigungsböcke an Schmiede- oder Gussbauteilen sind wegen der Steifigkeit derartiger Teile und der für eine einwandfreie Verspannung notwendigen parallelen Schnittflächen im allgemeinen nur durch aufwendige mechanische Bearbeitung herzustellen, Bild 11.13. Mindestens eine der Wangen des Lagerbockes muss auf eine blechähnliche Dicke gefräst werden, um die Vorspannung zu ermöglichen (Bild 11.13a); kerbenfreie Übergangsradien sind nötig, um Anrisse zu vermeiden.
11.4 Anmerkungen zur Konstruktion
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Bild 11.13. Zweischnittige Verbindungen an Schmiede- oder Gussteilen
Im Schwerfahrzeugbau wird das Problem auch durch die Schaffung eines „Fest“- und eines „Loslagers“ umgangen, Bild 11.13b. Die Passbuchse PB erlaubt, zumindest im Neuzustand, einen freien Aufbau der Vorspannkraft. Beide Lösungen sollten bei der Entwicklung einer Radaufhängung für große Serienstückzahlen vermieden und ggf. eine einschnittige Verbindung nach Bild 11.12c vorgezogen werden. Eine zweischnittige Verschraubung bietet sich zunächst sofort für einen Achslenker an, der als offenes U-Profil z.B. zugleich für die Aufnahme einer Schraubenfeder konzipiert ist, Bild 11.14. Das bedeutet aber für das Anschluss-Bauteil, hier einen Radträger als Schmiede- oder Gussteil, dass dieses die Aufnahmebohrung für die Außenbuchse des Lagers übernehmen muss, deren Achse in Bild 11.14 ungünstigerweise etwa senkrecht zur Schmiede- bzw. Einformrichtung liegt. Die Formteilung FT verläuft über das Lagerauge für das Gummilager hinweg, so dass die Stirnflächen evtl. zusätzlich freigefräst werden müssen, nachdem bereits die Lagerbohrung als Zerspanungsmaterial anfällt. Bei einem Gussteil kann mit Hilfe eines Formkerns für die Lagerbohrung wenigstens ein Teil dieser Zerspanungsarbeit vermieden werden. Soll der Lenker am fahrzeugseitigen Ende in gleicher Weise gestaltet werden, so muss dort ein Lagerbock mit – evtl. mechanisch zu bearbeitender – Aufnahmebuchse geschaffen werden, was fertigungstechnisch im allgemeinen noch mehr abzulehnen ist als die Bohrung im Radträger.
Bild 11.14. Einfacher Achslenker und Mehraufwand am Radträger
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11 Synthese und Konstruktion
Ein derartiger Achslenker erhält daher am fahrzeugseitigen Ende besser eine Rohrbuchse angeschweißt, um einen Lagerbock aus Blech mit zwei Wangen am Fahrzeugkörper bzw. einem Hilfsrahmen zu ermöglichen. Die Betrachtungen zu Bild 11.14 sollten darauf hinweisen, dass es nicht immer kostengünstig ist, ein Bauteil so einfach als irgend möglich zu gestalten und die Anschlussteile dies dann „büßen“ zu lassen. Achslenker ähnlich dem in Bild 11.14 gezeigten haben in Radaufhängungen meistens zusätzliche Belastungen zu ertragen: wegen der räumlichen Bewegungsform der Radaufhängung treten zwischen dem Radträger und dem Fahrzeugkörper in allen Koordinatenebenen Verdreh- bzw. Verwindungswinkel auf, d.h. die Mittelachsen der an den Enden eines Achslenkers eingebauten Gummilager werden gegeneinander verschränkt, was an diesen Lagern zu „kardanischen“ Verformungen (vgl. Bild 5.46 in Kap. 5) und – als Folge der kardanischen Rückstellmomente – am Achslenker zu einer Torsionsbelastung führt, Bild 11.15a. Als offenes Blechprofil ist der Achslenker dagegen wehrlos, er reagiert mit einer Verwölbung seines Querschnitts, und die Auflageflächen der Gummilager-Innenbuchse verdrehen sich gegeneinander um die, wenn auch sehr kleinen, Winkel D Diese Zwangsverdrehung belastet die reibschlüssige Verspannung der Innenbuchse, wobei die letztere zu verdrehsteif ist, um den Winkel D auszugleichen, und ggf. an den Lenkerflanschen zu rutschen beginnt mit der Gefahr einer allmählichen Lockerung der Schraubverbindung und der Korrosion der Spannfläche. Deshalb ist es im allgemeinen erforderlich, derartig belastete Achslenker durch ein „Schließblech“ örtlich zu Hohlkörpern mit hoher Torsionssteifigkeit umzugestalten oder an einem Ende ein echtes Kugelgelenk einzusetzen, das den Verdrehwinkel zwischen den Enden des Lenkers allein ausgleicht.
Bild 11.15. Querschnittsverwölbung offener Profile bei Verwindung
11.4 Anmerkungen zur Konstruktion
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Ein ähnliches Problem kann auch an einem Lagerbock entstehen, wenn dessen Wangen merklich unterschiedliche Steifigkeiten gegenüber der Lager-Radialkraft F aufweisen, Bild 11.15b. Die im Bild rechte Wange hat einen größeren Abstand von der Wand des den Lagerbock tragenden Bauteils und gibt deshalb unter der Belastung stärker nach als die linke Wange, so dass sich zwischen beiden Wangen ein Verschränkungswinkel D einstellt. Hier muss also durch die Bauteilgestaltung oder zusätzliche Aussteifungen für eine gleich große Elastizität beider Wangen gesorgt werden. Die Schließung eines offenen Profils zu einem Hohlprofil zwecks Erhöhung der Torsionssteifigkeit kann meistens nur an den Stellen eines Lenkers erfolgen, die nicht funktionsgemäß offen bleiben müssen, wie z.B. Montagestellen für Lager. Der Übergangsbereich vom offenen zum geschlossenen Querschnitt hat einen erheblichen Sprung in der Torsionssteifigkeit zur Folge. Von der Gestaltung dieses Bereichs hängt es wesentlich ab, ob Spannungsspitzen entstehen, die besonders für Schweißnahtverbindungen gefährlich werden können. Die Verdreh-Widerstandsmomente geschlossener bzw. offener Querschnitte können nach den bekannten Bredt’schen Formeln berechnet werden, die in Bild 11.16a bzw. 11.16b eingetragen sind, und stehen bei den als Beispiel gewählten, querschnittsund gewichtsgleichen Profilen im Verhältnis von etwa 30:1. Die übergangslose Schließung des offenen Profilquerschnitts durch ein Schließblech, Bild 11.16c, bringt also eine erhebliche Anrissgefahr besonders am Auslauf der Schweißnähte mit sich. Auch das Ausklinken einer „Entlastungsparabel“ P ändert daran nicht viel, der Bereich des Sprunges in den Widerstandsmomenten wird aber wenigstens in den Scheitel der Parabel verlegt.
Bild 11.16. Querschnitts-Kennwerte geschlossener und offener Profile
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11 Synthese und Konstruktion
Bild 11.17. Gestaltung des Übergangsbereiches von einem offenen Profil zu einem Hohlprofil
Günstiger und nicht unbedingt kostspieliger ist es, den Übergang vom offenen zum geschlossenen Querschnitt kontinuierlich zu gestalten, wie andeutungsweise in Bild 11.17 gezeigt. Der Achslenker trägt am rechten Ende Aufnahmeflächen für die zweischnittige Befestigung einer Lagerbuchse und am linken eine Aufnahmebuchse für ein Lager. Um die zweischnittige Verbindung nicht durch Querschnittsverwölbung unter Verwindung des Lenkers zu gefährden, ist dieser als doppelschaliger Hohlkörper aus zwei Tiefziehteilen hergestellt. Da also hier das „Schließblech“ ohnehin ein Ziehteil ist, macht es keine besonderen Schwierigkeiten, dessen Profil im Endbereich in die Gegenrichtung „umzustülpen“ und damit im Querschnitt des Lenkers eine zunehmende Annäherung an das Profil der anderen Lenkerschale zu formen, so dass im Auslaufbereich des Schließblechs ein – wenn auch doppelwandiges – offenes Profil entsteht. Dass auch Guss- oder Schmiedeteile nicht als „starre“ Körper angesehen werden dürfen, soll Bild 11.18 deutlich machen. Auf einer geschmiedeten Starrachsbrücke wird ein anderes Bauteil an zwei voneinander entfernten Stellen festgeschraubt. Wenn dieses Bauteil selbst nicht sehr steif ist, oder wenn es gegenüber elastischen Verformungen empfindlich ist (z.B. als Getriebegehäuse), sollte unbedingt eine der Anschraubstellen als „Loslager“ gestaltet werden. Oft genügt ein seitlich nachgiebiger Lagerbock.
Bild 11.18. Verspannungsfreie Verbindung zweier Bauteile
11.4 Anmerkungen zur Konstruktion
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Ähnliches gilt für alle Mehrfachverbindungen großer Bauteile, z.B. auch die Befestigung des Gehäuses einer Zahnstangenlenkung an einem Fahrgestellträger. Werden Bauteile aus Werkstoffen mit unterschiedlichen Wärmedehnungskoeffizienten miteinander verbunden, so ist angesichts der in der Fahrzeugpraxis auftretenden Temperaturspanne von mehr als 100°C erst recht auf eine statisch bestimmte Konstruktion zu achten. Wo aus verschiedenen Gründen Achslenker nicht mehr als Blechteile oder wenigstens aus Rohrmaterial oder anderen geeigneten Halbzeugen konstruiert werden können, muss zu Guss- oder Schmiedeteilen Zuflucht genommen werden. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn zu wenig Platz für eine ausreichende Dimensionierung des Querschnitts der relativ voluminösen Blechteile zur Verfügung steht oder, was die häufigste Ursache ist, wenn erhebliche Auskröpfungen notwendig werden, um an benachbarten Bauteilen vorbeizukommen. Gegossene oder geschmiedete Lenker gestatten eine wesentlich freiere und komplexere Formgebung. Da besonders bei Schmiedeteilen höherfeste Werkstoffe eingesetzt werden, können deren Profilquerschnitte sehr klein gehalten werden. Dies führt wiederum dazu, dass bei der Beanspruchung eines gekröpften Stablenkers durch eine Längskraft die von dieser herrührende Druck- bzw. Zugspannung im Profilquerschnitt nicht mehr gegenüber der im Bereich der Kröpfung herrschenden Biegespannung vernachlässigt werden kann. Um eine unsymmetrische resultierende Spannungsverteilung und damit eine unvollkommene Materialausnutzung zu vermeiden, ist es daher sinnvoll, Querschnittsformen anzuwenden, die eine Verschiebung des Profilschwerpunktes bzw. der „neutralen“ Biegefaser erlauben.
Bild 11.19. Optimierte Spannungsverteilung bei Längskraftbiegung
Der gekröpfte und durch eine Längskraft FL belastete geschmiedete Stablenker in Bild 11.19a ist im Bereich seiner Kröpfung als „T-Profil“ ausgeführt, dessen Schwerpunkt S am Profil in Richtung zur Längskraft hin verschoben ist, so dass unterschiedliche Abstände e1 und e2 der Rand-
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11 Synthese und Konstruktion
fasern und damit unterschiedliche Biege-Widerstandsmomente entstehen. Aus der Längskraft und dem Kröpfungsmaß p sowie dem Biege-Trägheitsmoment I x resultieren die Biegespannungen auf der Zug- bzw. Druckseite V zB FL p e1 / I x und V dB FL p e2 / I x , und mit der Querschnittsfläche A wird die Druck-Normalspannung aus der Längskraft V dL FL / A. Die bestmögliche Materialausnutzung und damit Gewichtsersparnis ergibt sich, wenn die resultierende Zug- und Druckspannung gleich groß ist, also wenn V zB V dL V dB V dL wird, und daraus folgt die Bedingung für den optimalen Längskraftabstand p des Profils: 2 Ix p . (11.9) A(e1 e2 ) Nach dieser Gleichung kann bei gegebener Kröpfung das Profil so dimensioniert werden, dass es den erforderlichen Hebelarm p erhält. In der Praxis kann es zweckmäßig sein, bei kerbempfindlichen Werkstoffen ein wenig von dieser „optimalen“ Auslegung abzuweichen und der Zugseite eine etwas geringere Maximalspannung zuzuteilen (sofern bei dem betroffenen Lenker eine eindeutige Haupt-Belastungsrichtung existiert). Die Bilder 11.19b–d zeigen weitere leicht herstellbare Profilformen mit frei wählbarer Schwerpunktslage. Die Profile c und d sind als „Vollquerschnitte“ weniger günstig bezüglich der Materialausnutzung, haben aber den Vorteil, dass sie im Raum frei ausgerichtet werden können und doch unter keiner Projektionsrichtung Hinterschneidungen aufweisen, d.h. dass sie auch an Schmiede- oder Gussteilen in wechselnde Haupt-Belastungsebenen hineingedreht werden können und dabei stets eine schmiede- oder gussgerechte Formteilung ermöglichen. An gekrümmten Blechbauteilen stellt die Normalspannung aus einer Längskraft im allgemeinen kein Problem dar, weil ausreichend große Querschnittsflächen vorhanden sind. Aus der Krümmung der Profilwände ergeben sich aber Sekundärspannungen im Blech und damit evtl. eine Beeinträchtigung der Formstabilität.
Bild 11.20. Sekundärverformungen an einem gekrümmten Hohlträger unter Einwirkung eines Biegemoments
11.4 Anmerkungen zur Konstruktion
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In Bild 11.20 ist ein aus zwei Halbschalen zusammengeschweißter Hohlträger mit einem gekrümmten Bereich dargestellt. Das Biegemoment M B versucht, den Träger im Sinne einer Vergrößerung seines Krümmungsradius aufzubiegen. Im oberen und unteren Profilboden bauen sich daher Druckspannungen V d bzw. Zugspannungen V z auf, Bild 11.20a. Diese Spannungen werden entsprechend der Wandkrümmung umgelenkt und bilden Resultierende senkrecht zur Blechwand, Bild 11.20b, die im Mittelbereich der Profilböden, wo die Versteifung durch die Seitenwände fehlt, das Blech nach außen hin aufzuwölben trachten. Daraus entsteht eine Sekundärverbiegung der Profilböden und der Seitenwände, welche um die (schwächeren) Kehlnahtverbindungen gegeneinander schwenken wollen (Rissgefahr). Bei umgekehrt gerichtetem Biegemoment werden im Gegensatz zu Bild 11.20b die Profilböden nach innen verwölbt und die Schweißnahtflansche nach außen gedrückt. Als Abhilfe gegen die Gefährdung durch die Sekundärmomente können im gekrümmten Bereich Versteifungssicken in die Profilböden eingeformt werden, Bild 11.20c, die den Mittelbereich vor dem Ausbeulen bewahren. Sicken oder Rippen zur Verstärkung dünner Wände müssen allerdings eine gewisse Mindesthöhe erreichen, um eine größere Biegesteifigkeit zu bieten, ohne zugleich die Maximalspannung zu erhöhen. In Bild 11.21 ist ein flaches Bauteil durch Flansche versteift worden. Mit wachsender Flanschdicke e wächst zwar das Biege-Trägheitsmoment I B progressiv, aber da anfangs die Gesamthöhe e schneller wächst als das Trägheitsmoment, sinkt vorübergehend das Biege-Widerstandsmoment I B / e bzw. wächst die Maximalspannung, bis etwa ab e = 0,7s auch eine Herabsetzung derselben eintritt.
Bild 11.21. Erhöhung der Biegesteifigkeit durch Flansche oder Rippen
Räumlich gekröpfte Achslenker können zusätzlich zur Biegung aus einer Längskraft auch noch durch Querkräfte belastet werden, z.B. weil sich ein Federelement auf ihnen abstützt; dann werden also Bereiche des Lenkers auf Torsion beansprucht. Dies gilt auch dann, wenn der Angriffspunkt
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11 Synthese und Konstruktion
der Querkraft auf der Lenkermittellinie, d.h. der Verbindungslinie seiner Außengelenke liegt, was anzustreben ist, um ein Kippmoment um die Lenkerachse und damit kardanische Momente an seinen Lagern zu vermeiden. Stabquerschnitte mit offenem Profil, auch die im Vergleich zu Blechteilen naturgemäß dickwandigeren der Guss- und Schmiedeteile, sind empfindlich gegenüber Torsionsbelastung. In manchen Fällen ist es aber möglich, durch eine entsprechende Gestaltung des Lenkers Torsionsspannungen zu vermeiden. In Bild 11.22 ist der Endbereich eines als Schmiedeteil entworfenen gekröpften Achslenkers dargestellt, der am Lagerauge durch eine Querkraft Fq belastet wird. Die Verbindungslinie der Profilschwerpunkte S hat wegen der Kröpfung des Lenkers einen s-förmigen Verlauf. Für die Festigkeitsanalyse jeder Lenkerpartie müssen die Belastungskombinationen im Lenkerquerschnitt bestimmt werden. Die Profilquerschnitte sind stets senkrecht zu der im allgemeinen auch räumlich verlaufenden gekrümmten Verbindungslinie der Profilschwerpunkte festzulegen. Im Bereich der vollen Kröpfung verläuft die Profilmittellinie parallel zur Längsachse des Lenkers, und die Querkraft greift im Schnitt I am Spurpunkt der Längsachse an, also außerhalb des Profilquerschnitts und in beträchtlichem Abstand vom Profilschwerpunkt S. Dennoch verursacht die Querkraft hier keine Torsion, da der Schubmittelpunkt T, der geometrische Ort der resultierenden Kraft aus allen Querkraft-Schubspannungselementen des Profilquerschnitts, im Angriffspunkt der Kraft Fq liegt. Die Tangente der Profilmittellinie bei Schnitt II verläuft durch die Mitte des Lagerauges. Hier greift Fq also in der Profilmitte an, so dass ein symmetrisches „I-Profil“ die richtige Dimensionierung darstellt.
Bild 11.22. Torsionsfreie Profilgestaltung an einem gekröpften Achslenker
11.4 Anmerkungen zur Konstruktion
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Im weiteren Verlauf vom Schnitt II zum Lagerauge hin krümmt sich die Profilmittellinie in Gegenrichtung, so dass z.B. im Schnitt III die Querkraft Fq im Vergleich zu Schnitt I auf der der Lenkerlängsachse gegenüberliegenden Seite erscheint. Die Verschiebung des „Stegs“ des Profils zu dieser Seite hin lässt die Querkraft wieder am Schubmittelpunkt T angreifen. Der Achslenker kann auf diese Weise trotz seiner Kröpfung und der Belastung durch eine Querkraft ohne Sonderaufwand und ohne Gewichtszunahme als „offenes“ Profil entworfen werden, lediglich mit einem – schmiedetechnisch unproblematischen – wandernden Profilsteg. Vorausgesetzt ist, dass das Kröpfungsmaß noch durch eine Positionierung des Schubmittelpunktes mit vernünftigen Profilquerschnitten und halbwegs stetigen Querschnittsübergängen beherrscht werden kann. Wenn das Biegemoment eines Trägers durch eine Querkraft F erzeugt wird, Bild 11.23, so ist dessen Querschnitt nicht nur mit der linear verlaufenden Biege-Normalspannung V belastet, sondern auch mit einer Querkraft-Schubspannung W die anders als die Biegespannung ihr Maximum an der „neutralen Faser“ n erreicht, Bild 11.23b.
Bild 11.23. Gewichtserleichterung durch Aussparungen
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11 Synthese und Konstruktion
Soll dieser Träger zwecks Gewichtseinsparung mit Ausstanzungen versehen werden, so sind runde Löcher (Bild 11.23a) nicht ideal, weil sie im Trägerquerschnitt II die Schubspannung W nicht übertragen können, die folglich um die Löcher herumgeleitet werden muss und evtl. beachtliche Spannungsspitzen verursacht. Eine elegante Lösung können dreieckförmige Ausnehmungen darstellen, Bild 11.23c, die dem Träger die Funktion eines „Gitterrahmens“ mit einwandfreier Biege- und Querkraftaufnahme verleihen. Die vorstehenden Betrachtungen und Anmerkungen sollen dazu anregen, vor Beginn einer Konstruktionsarbeit eine Bestandsaufnahme der voraussehbaren Aufgabenstellungen und Probleme und der verfügbaren oder erkennbaren Lösungswege vorzunehmen. Durch die Auswahl der Bauformen und Funktionsprinzipien legt der Konstrukteur sehr frühzeitig wesentliche Merkmale des Entwicklungsprojekts fest, von denen später, sollten sich Widrigkeiten einstellen, nur schwer oder überhaupt nicht mehr abgewichen werden kann. Der Begriff „konstruierte Qualität“ trifft den Nagel auf den Kopf: Die Zuverlässigkeit einer Neuentwicklung wird durch die Konstruktion entscheidend vorbestimmt. Wenn von zwei Lösungen eine vielleicht weniger „geistreich“ erscheint, aber keine erkennbaren Fragen aufwirft, die einen schwer abzuschätzenden Entwicklungsaufwand und Erprobungszeitbedarf erfordern können, so wird sich diese Lösung am Ende als die vernünftigere erweisen,. Die Bauteile der Radaufhängungen sind oft zu komplex geformt, um sie mit „klassischen“ Berechnungsverfahren oder –formeln bezüglich ihrer Festigkeit oder Steifigkeit analysieren zu können. Im Falle einfacher Achslenker wie in den Bildern 11.19 oder 11.22 lohnt sich aber weiterhin der Aufwand schon bei Konstruktionsbeginn, denn der Konstrukteur mit seinem im allgemeinen besseren Überblick über das fertigungstechnisch Machbare sollte durch seine Entwürfe bereits die Grundprinzipien vorgeben und nicht deren Erarbeitung durch den eher theoretisch ausgebildeten Berechnungsingenieur erwarten. Auch wenn heute praktisch alle sicherheitsrelevanten Fahrwerksteile während einer Entwicklung durch die zuständigen Fachbereiche rechnerisch und experimentell überprüft werden, so ist es doch sehr hilfreich, wenn von Anfang an eine tragfähige Basiskonstruktion vorliegt. Die in diesem Abschnitt angesprochenen Komplikationen bei der Entwicklung der Achsbauteile entstehen vorwiegend aus Problemen mit dem verfügbaren Einbauraum, wobei an jeder Radaufhängung alle zu erwartenden oder technisch möglichen Radstellungen berücksichtigt werden müssen wie die Ein- und Ausfederung und bei gelenkten Rädern die überlagerten Lenkwinkel. Abgesehen von Annäherungen der Achslenker an Karosseriebauteile oder Aggregate wie den Triebwerksblock, die Abgasanlage usw. entstehen besonders kritische Engstellen oft zwischen den Radführungselementen und dem Rade selbst mit seinen Einbauteilen wie der
11.4 Anmerkungen zur Konstruktion
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Bremse und zwischen dem Rade bzw. dem Reifen und der Außenhaut der Karosserie; jeder Designer ist darum bemüht, den Radausschnitt so klein und elegant als möglich zu entwerfen. Das Rad mit dem Reifen bildet einen Rotationskörper, dessen Freigängigkeitsanalyse zeichnerisch nicht einfach durchzuführen ist, mit CADVerfahren schon leichter. Für die Entscheidung über einen ausreichenden Sicherheitsabstand eines Bauteils gegenüber dem Rade ist es der Rotationskörper-Eigenschaft desselben zufolge gleichgültig, an welcher Stelle des Reifen- oder Radumfangs die Annäherung eintritt. Deshalb ist es nützlich, die auf die Radachse bezogenen „Rotationskonturen“ interessanter Bauteile zu ermitteln und mit dem Querschnitt des Rades zu vergleichen. Eine Rotationskontur entsteht, wenn ein Bauteil um eine Drehachse rotiert und der dabei gebildete einhüllende Toruskörper mit einer Darstellungsebene, die die Drehachse enthält, geschnitten wird. So ist die Rotationskontur RK einer in Bild 11.24 relativ zur x-Achse „windschief“ verlaufenden Geraden g um die x-Achse bekanntlich eine Hyperbel.
Bild 11.24. Entstehung der Rotationskontur RK einer Geraden g um die x-Achse
Zu jedem Raumkörper und jeder Raumkurve kann eine Rotationskontur bestimmt werden, auch z.B. zur Begrenzungslinie R des Innenrandes eines Karosserie-Radausschnittes, Bild 11.25, um die Achse [ eines um einen gewissen Radhub eingefederten und um einen Lenkwinkel eingeschlagenen Fahrzeugrades. Von jedem Punkt des räumlich verlaufenden Randbogens R aus werden der Abstand von der durch die Punkte M und H gegebenen Radachse [ und der Lotfußpunkt auf derselben bestimmt und im Radquerschnitt 3 aufgezeichnet. Die dort entstehende Rotationskontur RK R des Randbogens R zeigt u.U. wenig Ähnlichkeit mit ihrem Ursprung. In gleicher Weise können auch Rotationskonturen RK u eines Querlenkers 1 1c und anderer für den Freigang des Rades wesentlicher Bauteile ermittelt werden. Wenn die einzelnen Punkte des Randbogens R beziffert werden, hier z.B. mit a, b und c, so ist es im Radquerschnitt 3 sehr einfach, die Stelle
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11 Synthese und Konstruktion
der größten Annäherung oder evtl. Überschneidung des Reifens mit dem Randbogen festzustellen. Bei einem federnden und lenkenden Rade ist es selbstverständlich, die Rotationskonturen für alle mit Blick auf die Betriebssicherheit bedeutsamen Radstellungen zu sammeln und deren Einhüllende zu bilden. Das Erarbeiten der radbezogenen Rotationskonturen der Fahrzeugteile in der Umgebung des Rades entsprechend Bild 11.25 hat den Vorteil, dass Fragen zu Änderungen oder Zusatzangeboten der Rad-Reifen-Ausstattung, wie sie im Verlaufe einer Serienproduktion regelmäßig aufkommen, schnell und auf einfachste Art entschieden werden können, wie z.B. durch das Übereinanderlegen von transparenten Zeichnungen.
Bild 11.25. Rotationskonturen um die Radachse (Radausschnitt, Achslenker)
12 Aufhängungen für Motorräder
Die Radaufhängungen der Einspurfahrzeuge, also der Solo-Motorräder und der Motorroller, sind stets „ebene“ Mechanismen, deren Geometrie sich in der Seitenansicht des Fahrzeugs vollständig beschreiben lässt. Querbewegungen und Sturzänderungen der Räder beim Ein- und Ausfedern stören den Geradeauslauf; deshalb haben Radaufhängungen mit Querlenkern und dergl. sich in der Serienproduktion nicht durchsetzen können, auch nicht bei Motorrädern mit Seitenwagen. Mit den ebenen Radaufhängungen können nur der Schrägfederungswinkel, der Brems- und AntriebsStützwinkel und die Lenkungskenngrößen Nachlaufwinkel und Nachlaufstrecke beeinflusst werden. Anstelle des Nachlaufwinkels W wird bei Motorrädern auch der „Steuerkopfwinkel“ zwischen dem Lenkzapfen und der Fahrbahn angegeben, dessen Größe also 90q W ist. Dem „Schlingern“ des Zweispurfahrzeugs (vgl. Kap. 8, Abschn. 8.4.4) entspricht beim Einspurfahrzeug sinngemäß das „Pendeln“, eine Lenkungsschwingung, die u.a. von den Trägheitsmomenten der Vorderradgabel und des Hinterfahrzeugs um den Lenkzapfen oder „Steuerkopf“ abhängt. Daher ist man bestrebt, das Trägheitsmoment der Gabel möglichst klein zu halten. Eine Auswahl bekannt gewordener Vorderradaufhängungen zeigt Bild 12.1 schematisch und teilweise ohne Darstellung der Federung. Die Teleskopgabel (a) hat sich allgemein durchgesetzt, nicht nur wegen ihres eleganten Aussehens, sondern auch wegen ihres sehr geringen Trägheitsmoments um den Steuerkopf und ihrer relativ guten Steifigkeit. Der Längspol einer Schubführung liegt im Unendlichen, und da die Gabelrohre parallel oder nahezu parallel zum Steuerkopf angeordnet sind, ist zwar der Schrägfederungswinkel positiv und erlaubt ein leichtes Ansprechen der Federung, der Brems-Stützwinkel ist aber mit dem gleichen Betrag negativ, d.h. die Teleskopgabel taucht beim Bremsen stark ein. Abhilfe kann eine drehbare Bremsmomentenstütze mit einer Reaktionsstrebe zur Gabelbrücke bringen, Bild 12.2 (vgl. Kap. 6, Bild 6.8). Eine „gezogene“ Kurzschwinge (b) als Bremsmomentenstütze würde noch heftiger eintauchen, da ihr Längspol L nahe vor der Radachse liegt. Wird der Bremsanker drehbar gelagert und z.B. ein an der Radachse angreifendes Federbein mit der Bremsankerplatte gekoppelt, ergibt sich ein Bremspol LB , der beim Einfedern hinter dem Rade aufwärts wandert und
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12 Aufhängungen für Motorräder
einen progressiven Bremsnickausgleich bewirkt (Vespa). Hier vertritt also die Kolbenstange des Dämpfers die Reaktionsstrebe von Bild 12.2.
Bild 12.1. Vorderradaufhängungen für Motorräder und Motorroller (schematisch)
Bild 12.2. Bremsnickausgleich an einer Teleskopgabel
Die Knickgabel (c), welche gelegentlich bei Motorfahrrädern und früher an den Motorrad-Fahrgestellen von Neumann-Neander verwendet wurde, weist eher eine Längs- als eine Vertikalfederung auf und schwenkt beim Bremsen nach hinten. Etwa 100% Bremsnickausgleich bei geringer Änderung der Nachlaufstrecke über dem Federweg bietet die „geschobene“ Langschwinge (d), hat aber den Nachteil eines größeren Trägheitsmoments um den Steuerkopf und damit verstärkter Neigung zum Pendeln. Dieses wird bei der ge-
12 Aufhängungen für Motorräder
373
schobenen Kurzschwinge (e) erheblich verringert, sie benötigt aber eine drehbare Bremsmomentenstütze und eine Brems-Reaktionsstrebe, um den Bremspol LB weit genug hinter das Rad zu verlegen und ein Aufbäumen des Motorrades beim Bremsen zu vermeiden. Einen Vorderrad-Triebsatz an einer „Doppelkurbel“ (f) besaß die „Megola“ der 1920er Jahre; der umlaufende Fünfzylinder-Sternmotor stützte sein Drehmoment an einem über das Rad hinweg geführten Bügel ab, der an „geschobenen“ unteren Kurzschwingen und oberen „Viertelfedern“ aufgehängt war Auch „gezogene“ Kurzschwingen mit Brems-Reaktionsstrebe wurden angewandt, z.B. beim NSU-Rennmotorrad von 1952 (Bild 12.1g). Die „Trapezgabel“ (h), einst nahezu die Standardbauart für Motorradgabeln, hat zwar ein geringes Trägheitsmoment um den Steuerkopf, aber keine besonders gute Steifigkeit. Bremsnickausgleich durch gegenseitiges „Anstellen“ der beiden Kurbeln ist möglich. Schwinggabeln, vor allem mit geschobener Lang- oder Kurzschwinge, waren Ende der 1950er bis Mitte der 1960er Jahre sehr verbreitet. Ein wesentlicher Vorteil der Schwinggabeln war das gute Ansprechen der Federung. Der Bremsnickausgleich ermöglichte zudem eine weiche Federungsabstimmung. Bild 12.3 zeigt die Langschwingengabel der damaligen BMW-Motorräder.
Bild 12.3. Langschwingengabel der BMW R69 (1955) (Werkbild BMW Group)
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12 Aufhängungen für Motorräder
Bild 12.4. Kurzschwingengabel an einem Honda-Motorrad der 1950er Jahre
(Foto: Verfasser) Eine „geschobene“ Kurzschwingenaufhängung mit drehbar gelagerter Bremsankerplatte und Brems-Reaktionsstrebe ist in Bild 12.4 zu sehen und eine Trapezgabel in Bild 12.5; an beiden Konstruktionen ist eine gegenseitige „Anstellung“ der Lenker bzw. Kurbeln zur Erzielung eines Bremsnickausgleichs zu erkennen, vgl. die Bilder 12.1e und 12.1h. Für einen konstanten Stützwinkel, also einen unendlich großen Krümmungsradius der Bahn des Radaufstandspunktes bei als „blockiert“ angenommener Bremse, sollten sich die Längen der beiden Kurbeln bzw. der Kurzschwinge und der Reaktionsstrebe etwa umgekehrt verhalten wie ihre Abstände von der Fahrbahn, vgl. Kap. 11, Bild 11.2. Moderne Teleskopgabeln bieten sehr große Federwege an. Der Bremssattel der Gabel in Bild 12.6 liegt nahe an der verlängerten Steuerkopfachse und oberhalb der Radachse, was bei Solo-Motorrädern unbedenklich ist, da keine Seitenkräfte auf die Räder wirken und eine Vergrößerung des Spiels der Bremsbeläge gegenüber der Bremsscheibe durch elastisches Kippen derselben nicht zu befürchten ist. Die Stoßdämpfer und die sehr langen Schraubenfedern sind innerhalb der Gabelrohre untergebracht.
12 Aufhängungen für Motorräder
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Bild 12.5. Trapezgabel an einem NSUMotorrad der 1940er Jahre (Foto: Verfasser)
Bild 12.6. Teleskopgabel der BMW R80 (1984) (Werkbild BMW Group)
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12 Aufhängungen für Motorräder
Eine sinnvolle Weiterentwicklung der Teleskopgabel zeigt Bild 12.7. Die beiden (oberen) „Standrohre“ sind oberhalb des Vorderrahmens des Motorrades durch eine einzige Gabelbrücke verbunden und am Rahmen mit einem Kugelgelenk befestigt. Die unteren, mit der Achswelle des Rades verschraubten „Gleitrohre“ werden dicht über der Reifenlauffläche durch eine stabile Gabelbrücke zusammengehalten, die von dem Kugelgelenk eines über dem Triebwerksblock am Rahmen gelagerten Dreiecklenkers geführt wird. Die eigentliche Federung und Dämpfung übernimmt ein zentrales, auf dem Dreiecklenker abgestütztes Federbein. Das kleine Teilbild rechts gibt die kinematische Funktionsweise der Radaufhängung wieder.
Bild 12.7. „Telelever“-Vorderradaufhängung mit Bremsnickausgleich (1993) (Werkbild BMW Group)
12 Aufhängungen für Motorräder
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Der Ersatz des Steuerkopfbolzens durch die beiden Kugelgelenke nützt bei jedem Federungszustand die jeweils größtmögliche Abstützbasis zwischen der Rahmenoberkante und der Reifenlauffläche aus und gibt der Radaufhängung eine für eine gute Funktion des ABS-Systems wertvolle Steifigkeit gegenüber Längskräften. Ferner kann ohne Probleme, im Gegensatz zur normalen Teleskopgabel, ein merklicher Bremsnickausgleich verwirklicht werden. Da die Teleskopführungen der Radaufhängung von Bild 12.7 nur noch kinematische Funktionen erfüllen und weder Dämpfer noch Federn enthalten, liegt es nahe, sie durch einen weiteren Dreiecklenker zu ersetzen, so dass eine Doppel-Längslenker-Aufhängung mit einem echten „Radträger“ entsteht, Bild 12.8.
Bild 12.8. „Duolever“ - Vorderradaufhängung (2005)
(Werkbild BMW Group)
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12 Aufhängungen für Motorräder
Im Gegensatz zu einer Trapezgabel (Bild 12.5) schwenken die längs angeordneten Lenker hier aber beim Radeinschlag nicht mit dem Radträger. Die Abstandsänderungen zwischen der rahmenfesten Lenkstange und dem Radträger werden durch eine den Lenkwinkel übertragende Scherenführung (vgl. Kap. 2, Bild 2.14d) überbrückt. Von den Anfangszeiten der Motorradentwicklung an wurden und werden gelegentlich Versuche unternommen, eine „Achsschenkellenkung“ mit einem an der Radlagerung und in der Radmittelebene angeordneten Achsschenkelbolzen oder dgl. zu schaffen, vorwiegend zur Verbesserung der Steifigkeit gegenüber Längskräften. Abgesehen vom technischen Aufwand und meistens auch Einschränkungen beim Lenkwinkel bringen die erforderlichen Lenkstangen und Hebel zusätzliche Gelegenheit für Lenkungsspiel und Reibung; wesentlich an einer Motorradlenkung sind aber Spielfreiheit und ein einwandfreier Rücklauf in die Mittellage. Die wichtigsten Grundbauarten der Hinterradaufhängungen für Motorräder zeigt Bild 12.9 schematisch. Der Teleskopgabel entspricht die Schubführung (a), deren Längspol im Unendlichen liegt und, da die Bremsmomentabstützung üblicherweise am Schubglied (dem Radträger) erfolgt, zugleich der Bremspol ist. Bei Kettenantrieb ergibt sich der Antriebspol LA als Schnittpunkt der Normalen zur Schubführung und des oberen Kettentrumms (vgl. auch Bild 6.19 in Kap. 6). Bei Gelenkwellenantrieb und Befestigung des Winkelgetriebes am Schubglied liegt der Antriebspol im Unendlichen.
Bild 12.9. Hinterradaufhängungen für Motorräder (schematisch)
12 Aufhängungen für Motorräder
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Wegen des besseren Ansprechens der Federung hat sich die gezogene Schwinge durchgesetzt (b). Bei Kettenantrieb ist der Schnittpunkt LA der Schwinge und des oberen Kettentrumms Antriebspol. Wird das Bremsmoment an der Schwinge abgestützt, so ist deren Drehpunkt L, der Pol des Radträgers, auch Bremspol. Bei drehbar gelagerter Bremsmomentenstütze und zum Rahmen geführter Reaktionsstrebe (mit unterbrochenen Linien eingezeichnet) ergibt sich der Bremspol LB als Schnittpunkt von Schwinge und Strebe. Oft wird eine Bremsstrebe an der Schwinge selbst befestigt; dann ist die Bremse mit der Schwinge ecksteif verbunden, und das Schwingenlager L ist zugleich Bremspol. Selten wird der Radträger durch eine Viergelenkkette geführt, was ohnehin nur für den Gelenkwellenantrieb mit Winkelgetriebe sinnvoll sein kann (c); bei Parallelanordnung der Lenker liegt der Pol im Unendlichen. Wenn der Motor samt Getriebe am Radträger befestigt ist (d), so macht er dessen Bewegung mit (Triebsatzschwinge), und die Art der Drehmomentübertragung zum Rade hin ist für die Lage des Antriebspols bedeutungslos; der Längspol L der Radaufhängung ist auch Antriebspol. Die Aufhängungen b bis d haben einen progressiven Bremsnickausgleich und einen degressiven Anfahrnickausgleich, weil der Bremspol relativ zum Radaufstandspunkt beim Ausfedern nach oben, der Antriebspol dagegen beim Einfedern nach unten wandert. Bei der Triebsatzschwinge in Bild 12.10 ist der luftgekühlte Motor mitsamt dem Getriebe, dem Radantrieb und dem Auspuff an der Schwinge befestigt. Der Antrieb erfolgt über Zahnräder. Da die Kraftübertragung keine schwingenden oder verschiebbaren Elemente zur Kompensation des Federweges benötigt, ergibt sich eine robuste, voll gekapselte Bauweise. Das Rad ist „fliegend“ gelagert wie bei einem Auto. Die Mittelachse des Schwimmers im Vergaser (5) verläuft durch die Schwingen-Drehachse (3), so dass Axialbeschleunigungen beim Ein- und Ausfedern weitgehend von ihm ferngehalten werden. Schwingen-Drehachse und Radachse sollten möglichst gegenseitige Stoßmittelpunkte bilden (vgl. Kap. 5 und 6). Eine Parallel-Schubführung mit Winkelgetriebe und Gelenkwellenantrieb zeigt Bild 12.11. Die Welle benötigt zwei Gelenke, von denen das motorseitige als flexible Gelenkkupplung ausgeführt ist. Der Pol der Radaufhängung, zugleich Antriebs- und Bremspol, liegt im Unendlichen. Dämpfer und Federn sind in die Schubführung integriert. Als man während der 1930er Jahre mit der Abfederung auch der Hinterräder von Motorrädern begann, setzte sich dieser Typ der Radaufhängung zunächst durch. Der angebotene Federweg war allerdings noch klein im Vergleich zu heutigen Schwingenaufhängungen. Bei Kettenantrieb wurde die Schubrichtung etwa senkrecht zur Verbindungslinie der Kettenräder gewählt, um die Änderungen ihres Abstandes beim Durchfedern klein zu halten, d.h. es ergab sich ein „negativer“ Schrägfederungs- und damit Antriebs- und Brems-Stützwinkel (vgl. auch Bild 12.9a).
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12 Aufhängungen für Motorräder
Bild 12.10. Triebsatzschwinge der 50-ccm-Vespa (1975) (Werkbild Piaggio & C.)
Bild 12.11. Parallelführung mit Gelenkwellenantrieb bei der BMW R68 (1952) (Werkbild BMW Group)
12 Aufhängungen für Motorräder
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Ebenfalls einen Gelenkwellenantrieb weist die Hinterradschwinge nach Bild 12.12 auf. Das einzige Wellengelenk fluchtet annähernd mit der Schwingendrehachse; vor dem Winkelgetriebe befindet sich eine „Bogenzahnkupplung“ zum Ausgleich geringer Längenänderungen und Winkelfehler (beides ist im Bild nicht sichtbar). Die Gelenkwelle ist mit einer Überlastungskupplung (Bildmitte) ausgerüstet, welche aus ineinander greifenden, durch eine Schraubenfeder vorgespannten, axial gerichteten Klauen besteht. Die beim Auseinanderdrücken der Klauen wirksamen Reibungskräfte dienen ferner zur Schwingungsdämpfung. Die Hinterradschwinge ist einarmig, so dass der Ein- und Ausbau des Rades ebenso leicht vonstatten geht wie bei einem Auto (vgl. auch Bild 12.10). Das schräg angestellte Federbein ermöglicht große Federwege am Rade bei mäßiger Baulänge; sein Hebelarm um die Drehachse der Schwinge wächst beim Einfedern, wodurch eine stark progressive Federungskennlinie erzielt wird mit wesentlichem Anteil der „kinematischen Federrate“ (vgl. Kap. 5, Abschn. 5.4). Die Drehachse der Schwinge ist in der Seitenansicht zugleich ihr Längspol, welcher den hier sehr großen Brems- und Antriebs-Stützwinkel bestimmt.
Bild 12.12. Einarmschwinge der BMW R80 (1982)
(Werkbild BMW Group)
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12 Aufhängungen für Motorräder
Bild 12.13. „Paralever“-Radaufhängung (2005)
(Werkbild BMW Group)
An einer Viergelenkkette ist das Hinterrad in Bild 12.13 aufgehängt. Die neue Version der 1986 erschienenen Radaufhängung wird aus der unterhalb der Antriebs-Gelenkwelle angeordneten, auf einer durchgehenden Welle ecksteif gelagerten Einarmschwinge und einer oberhalb der Welle verlegten Reaktionsstrebe gebildet. Die Gelenkwelle läuft geschützt innerhalb des erweiterten Schwingengehäuses. Im Schnittpunkt der Schwinge und der Strebe liegt der Längspol der Radaufhängung, der im Vergleich zu Bild 12.12 erheblich nach vorn verschoben ist. Damit werden zwar der Brems- und der Antriebs-Nickausgleich vermindert, aber auch der Umfangsschlupf auf schlechter Fahrbahn bei hohem Leistungseinsatz und damit der Reifenverschleiß. Die Gelenkwelle mit zwei Kardangelenken ist im Mittelbereich mit einer Gummi-Drehfederkupplung ausgerüstet, die Belastungsspitzen im Antriebsstrang abfedert. Die Längen der Schwinge und der Reaktionsstrebe sind so auf die Länge der Gelenkwelle abgestimmt, dass das vordere Gelenk der letzteren im Krümmungsmittelpunkt der Bahn ihres hinteren liegt (vgl. Kap. 3, Bild 3.2) und folglich nur verschwindend geringe Bahnabweichungen entstehen, die leicht durch die Keilverzahnung am Getriebeausgang ausgeglichen werden können, womit ein axial verschiebliches Wellengelenk überflüssig ist.
13 Einzelradaufhängungen
13.1 Allgemeines Einzelradaufhängungen besitzen nur einen Freiheitsgrad, die Radbewegung relativ zum Fahrzeugkörper ist also bei paralleler und bei antimetrischer Federung die gleiche. Die Verwirklichung eines günstigen Radsturzes bezogen auf die Fahrbahn bei Kurvenfahrt hat daher merkliche Sturzänderungen beim Parallel-Einfedern oder bei unterschiedlicher Fahrzeugbeladung zur Folge. Ein ober- oder unterhalb der Fahrbahnebene liegendes Rollzentrum erfordert Spuränderungen beim Ein- und Ausfedern. Vorteile der Einzelradaufhängungen sind das Fehlen der Massenkopplung zwischen den Rädern und der mechanischen Kopplung durch Radführungsglieder, die die gesamte Fahrzeugbreite queren und so erheblich Raum beanspruchen, ferner die vielfältigen Möglichkeiten zur Erzielung elastokinematischer Effekte und das günstige Gewicht. Da das Federelement im allgemeinen gegenüber der Wirkungslinie der Radlast versetzt ist, stehen die Lagerungen der Radführungsglieder meistens unter z.T. erheblicher Vorlast. Bei angetriebenen Rädern erfolgt die Drehmomentübertragung normalerweise durch quer liegende Gelenkwellen; dann ist der Antriebs-Stützwinkel an Hinterrädern gleich dem positiven, an Vorderrädern gleich dem negativen Schrägfederungswinkel.
13.2 Aufhängungen für Vorderräder 13.2.1 Lenkgeometrie mit fahrgestellfestem Lenkzapfen Wohl die älteste Bauform einer lenkbaren und gefederten Einzelradaufhängung ist die Parallel-Schubführung der Räder, gewissermaßen ein auf der Spreizachse verschiebbarer Achsschenkel (vgl. Kap. 2, Bild 2.8a). Vorderachsen wie die des „Wartburg-Wagens“ aus dem Jahre 1898, Bild 13.1, waren um diese Zeit oft zu finden. Die Querblattfeder ist mittig an einer Pendelstütze gelagert (Ausgleichsfeder, vgl. Kap. 5, Bild 5.16a), und die Abdeckkappen unter den Federenden verbergen zylindrische
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13 Einzelradaufhängungen
Schraubenfedern. Die Lenkung erfolgt über einen mittleren Lenkstockhebel und zwei seitliche Spurstangen, welche anstelle der heute üblichen Kugelgelenke Kupplungsstücke nach Art des Kardangelenks, aber mit gegeneinander versetzten Drehachsen zur Vereinfachung der Herstellung, tragen. Dieses Achsprinzip wurde bis in die 1950er Jahre bei den Lancia-Wagen angewandt, ebenso (mit Globoidrollenführungen zur Verminderung der Reibung) bei American Motors, und hat im Morgan-Roadster überlebt. Die Problematik der Lenkgestängeanordnung wurde bereits in Kap. 7 anhand von Bild 7.33 erörtert.
Bild 13.1. Vertikale Schubführung am „Wartburg-Wagen“ von 1898 BMW-Museum München (Foto: W. Schwarzbach)
Eine früher sehr verbreitete Bauart von Vorderradaufhängungen war das „Dubonnet-Knie“, ursprünglich von dem Amateur-Rennfahrer und Fabrikanten Dubonnet zu dem Zweck erfunden, um Starrachsen an Rennwagen in die in den 1920er Jahren aufkommenden Einzelradaufhängungen umzuwandeln. Die Radaufhängung wird normalerweise von einer „geschobenen“ Kurbel gebildet und befindet sich, ähnlich wie die Kurzschwinge von Motorrad-Vordergabeln (vgl. Kap. 6, Bild 6.10), zwischen dem Achsschenkelbolzen und dem Rade und wird beim Lenkvorgang einschließlich der Federung mitgeschwenkt. Als die Vierradbremse Standard wurde und damit auch die Vorderräder Bremsen erhielten, verlor die Dubonnet-Aufhängung ihre Einfachheit und musste wegen der kurzen Radkurbel, um ein Aufbäumen beim Bremsen zu vermeiden, wie die erwähnte Motorrad-Kurzschwinge mit einem drehbar gelagerten Bremsanker und einer Reaktionsstrebe versehen werden.
13.2 Aufhängungen für Vorderräder
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Bild 13.2. Dubonnet-Vorderachse des Opel „Admiral“ (1938) Links Schnitt durch die Radkurbel, rechts durch die Reaktionsstrebe Fahrtrichtung im Bild nach oben. (Werkbild Adam Opel AG)
Wie die Kurzschwinge kann auch die Dubonnet-Achse im Gegensatz zu einer normalen Radaufhängung einen relativ großen Brems-Stützwinkel erhalten ohne allzu störende Nachlaufänderungen beim Durchfedern. Bild 13.2 zeigt die Vorderachse des Opel „Admiral“ aus dem Jahre 1938 in der Draufsicht. Das Achsrohr ist fest mit der Karosserie verschraubt; die beiden Gussgehäuse, welche um die Achsschenkelbolzen schwenkbar am Achsrohr gelagert sind, beherbergen liegende Schraubenfedern, die von Teleskopdämpfern geführt werden, und tragen die Lagerungen der Radkurbel (nämlich des Radträgers) und der Reaktionsstrebe. Beide Gehäuse sind vor der Achse über eine durchgehende Spurstange verbunden („Lenktrapez“), und am linken Gehäuse greift die vom Lenkgetriebe kommende Lenkschubstange an. Das gesamte Lenkgestänge bleibt vom Federungsvorgang unberührt. In dieser Bauart war die Dubonnet-Aufhängung zu jener Zeit die Standard-Vorderradaufhängung der PKW des General Motors Konzerns in Amerika und in Europa (bei Vauxhall sogar mit Drehstabfederung). Einer der letzten Vertreter dieses Prinzips war der BMW „700“. Eine „Explosionszeichnung“ seiner Vorderachse mit Kurbel, Reaktionsstrebe und nun bereits aufrecht stehendem Federbein-Stoßdämpfer zeigt Bild 13.3 sowie oben rechts die Einbaulage im Fahrzeug. Neben der Radführung durch eine Kurbel sind gelegentlich auch Varianten mit anderen Radaufhängungs-Mechanismen, aber weiterhin fahrgestellfestem Achsschenkelbolzen, bekannt geworden, Bild 13.4 [58]. So wurde anstelle der Kurbel in Bild 13.4a (hier ohne die übliche Reaktionsstrebe gezeichnet) eine vollständige Doppelquerlenker-Aufhängung um den Achsschenkelbolzen geschwenkt, Bild 13.4b.
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13 Einzelradaufhängungen
Bild 13.3. Vorderachse des BMW „700“ (1958)
(Werkbild BMW Group)
Die Radaufhängung nach Bild 13.4c stellt dagegen nur eine Abwandlung des Prinzips von Bild 13.1 dar, mit der Möglichkeit, die Raderhebungskurven von der Neigung des Achsschenkelbolzens unabhängig zu machen sowie das Problem der Spurstangen-Anbindung zu umgehen. Eine ausgeführte Doppelquerlenker-Aufhängung mit fahrgestellfestem Achsschenkelbolzen zeigt Bild 13.5. Ein Rahmen x ist an einem Achsrohr a um die Spreizachse d (den Achsschenkelbolzen) drehbar gelagert und trägt die Radaufhängung mit ecksteifen Drehgelenken sowohl am Rahmen als auch am Radträger K. Die Federung erfolgt durch großvolumige Gummi-Drehlager G. Auf dem Rahmen sitzt ein Hebel-Stoßdämpfer D. Die Spurstange Sp ist auch hier nicht mit dem Radträger, sondern dem Rahmen x verbunden und greift an einem Spurhebel SH an, dessen Befestigungskonus zur axialen Sicherung des Achsschenkelbolzens am Rahmen dient.
Bild 13.4. Varianten der DubonnetAufhängung (schematisch)
13.2 Aufhängungen für Vorderräder
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Bild 13.5. Vorderradaufhängung des Hanomag 1,3-Ltr. PKW (1939) (aus: Automobiltechnische Zeitschrift [48])
13.2.2 Lenkgeometrie mit radträgerfester Spreizachse In den 1930er Jahren wurden erste theoretische Untersuchungen zu den Trampelschwingungen der Starrachsen und dem damit zusammenhängenden Flattern gelenkter Räder angestellt, wobei die Koppelung der Lenkeinschläge und der beim Trampeln auftretenden Sturzänderungen über die Kreiselmomente der Räder zutage trat. Dies führte zu einer schnellen Verbreitung von Einzelradaufhängungen, und zwar zunächst bevorzugt von solchen, die – zumindest theoretisch – keine Sturzänderung beim Einund Ausfedern aufwiesen, also z.B. Längskurbelachsen. Neben der Dubonnet-Kurbel (auch „federndes Knie“ genannt) fand die DoppelLängskurbel-Aufhängung einen beachtlichen Wirkungskreis und erreichte im Volkswagen Rekord-Stückzahlen. Der Volkswagen „Typ 1“, als „Käfer“ bekannt, besaß zunächst eine als „ebenen“ Mechanismus zu bezeichnende Doppel-Längskurbel-Achse mit Parallelkurbeln, Bild 13.6. Jedes Rad ist an zwei mit den Kurbeln verbundenen Drehstäben (als Drehstabpakete aus Blättern zusammengesetzt) abgefedert. Die Spurstangen sind ungleich lang, um ohne Zwischenhebel für das rechte Rad auszukommen. Dies hat keine negativen Folgen für die Lenkgeometrie, da die Projektionen der Spurstangen in der Seitenansicht parallel zu den Kurbeln verlaufen und gleich lang sind wie diese, folglich keine Vorspuränderung über dem Federweg verursachen.
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13 Einzelradaufhängungen
Bild 13.6. Doppelkurbel-Vorderachse des VW Typ 1 (Werkbild Volkswagen AG)
Bild 13.6 zeigt die ursprüngliche Ausführung mit Drehgelenken zwischen den Kurbeln und der Koppel (den berühmten „Bundbolzen“) und mit Achsschenkelbolzen zwischen der Koppel und dem Achsschenkel, dem eigentlichen Radträger. Hier ist also die Spreizachse, im Gegensatz zu den Dubonnet-Achsen, radträgerfest. Im Laufe der Weiterentwicklung wurden an den Enden der Kurbeln Kugelgelenke zur unmittelbaren Verbindung mit den Achsschenkeln eingesetzt, und in der letzten Evolutionsstufe für den Typ 3 (den Pontonwagen VW 1500) wurden die unteren Kurbeldrehachsen im Fahrzeugquerschnitt gegen die oberen schräg angestellt, so dass der Querpol ins Endliche rückte und sich eine Sturzänderung beim Durchfedern sowie ein oberhalb der Fahrbahn liegendes Rollzentrum ergab. Diese Version stand damit den „sphärischen“ Mechanismen nahe. Solange keine zuverlässigen Kugelgelenke erhältlich waren, wurde an lenkbaren Einzelradaufhängungen meistens, wie bereits an der soeben besprochenen Doppelkurbelachse, ein zusätzliches Drehgelenk für den Freiheitsgrad des Lenkwinkels vorgesehen, d.h. die Koppel des Mechanismus der Radaufhängung war nicht zugleich auch der Radträger, sondern mit dem letzteren durch den Achsschenkelbolzen verbunden. Bild 13.7 zeigt eine (ebene) Doppelquerlenkeraufhängung mit einem Schnitt durch den Achsschenkelbolzen; deutlich erkennbar sind über demselben und unten neben ihm die Drehachsen der Querlenker an der Koppel der Aufhängung. Zur Geräuschisolation dient bereits ein Hilfsrahmen oder „Fahrschemel“, der über großvolumige Gummilager mit der Karosserie verbunden ist.
13.2 Aufhängungen für Vorderräder
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Bild 13.7. Vorderachse der Mercedes-Benz-Modelle 190, 219 und 220S (1954) (Werkbild DaimlerChrysler AG)
An der Vorderachse von Bild 13.8 übernehmen Querblattfedern die Rolle der Querlenker und gehen mit ca. 7 9 der freien Federlänge in die Radführungsgeometrie ein (vgl. Kap. 5, Bild 5.29).
Bild 13.8. Vorderachse des Typs „170V“ (1935) (Werkbild DaimlerChrysler AG)
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13 Einzelradaufhängungen
Wegen ihrer einfachen und Platz sparenden Bauweise sowie der großen Abstützbasis ihrer Anlenkpunkte am Fahrzeugkörper, d.h. des niedrigen Niveaus der in denselben eingeleiteten Kräfte, sind die Feder- oder Dämpferbeinachsen als Vorderachsen heute sehr verbreitet. Ihr früheres Handicap, nämlich die Querkraftbelastung der Kolbenstange und des Kolbens bereits unter der statischen Radlast und die daraus resultierende AnsprechReibung der Federung, wurde durch eine geschickte Anordnung der Feder und reibungsmindernde Maßnahmen an der Kolbenstange praktisch überwunden, so dass im Ansprechverhalten der Federung keine Nachteile gegenüber anderen Achssystemen mehr bestehen. Der Vorschlag, eine „Kurbelschleife“, also einen Kurbeltrieb mit „schwingendem“ Zylinder, als Radaufhängung zu verwenden, ist alt und geht aus einem Patent der Firma Cottin & Desgouttes im Jahre 1925 hervor [22], wobei noch nicht an die Benutzung eines Teleskop-Stoßdämpfers als „Drehschubgelenk“ gedacht wurde; dies erfolgte ein Jahr später in einem Patent von FIAT [23]. An Kraftfahrzeugen wurde diese Radaufhängung erst 1948 beim Ford „Anglia“ eingeführt. Da zugleich ein „aufgelöster“ Dreiecklenker mit dem Stabilisatorarm als Zugstrebe nach dem Patent von MacPherson [77] angewandt wurde, vgl. Kap. 5, Bild 5.15b, werden häufig auch solche Federbeinachsen als „MacPherson-Achsen“ bezeichnet, die dieses Merkmal gar nicht aufweisen. Feder- oder Dämpferbeinachsen sind Mechanismen, bei denen ein Dreiecklenker durch einen Drehschublenker mit einem Drehschub- und einem Kugelgelenk ersetzt wurde, nämlich die Kolbenstange des Dämpfers. Letztere ist also ein Radführungsglied geworden und wird daher durch die äußeren Kräfte an der Radaufhängung auf Biegung beansprucht. Bereits aus dem Versatz der Radaufstandskraft und der Gegenkraft am Kolbenstangen-Stützlager im Grundriss entsteht ein Kippmoment am Radträger, von welchem die Kolbenstange betroffen ist.
Bild 13.9. Querkraftausgleich an Federbeinachsen
13.2 Aufhängungen für Vorderräder
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Wenn die Querlenker und die Spurstange nahezu in einer Ebene liegen, was für viele Federbeinachsen zutrifft, so lässt sich die räumliche Lage der aus der Radlast resultierenden Stützlagerkraft anschaulich und einfach abschätzen: sie muss durch den Schnittpunkt der Wirkungslinie der Radlast Fz mit der besagten Lenkerebene verlaufen, Bild 13.9a. Aus der im allgemeinen schräg zur Kolbenstange angreifenden Stützlagerkraft FK ergibt sich eine Querkomponente FQ , Bild 13.9b, welche an der Stangenführung und am Dämpferkolben Kräfte F1 und F2 verursacht. Diese erzeugen Reibung, damit ein raues Ansprechen der Federung, und Verschleiß. Bei gelenkten Federbeinachsen sind die Federteller üblicherweise am Dämpfer-Außenrohr und an der Kolbenstange befestigt, so dass die Feder beim Lenkvorgang mitschwenken kann; dann ist ein vollständiger Ausgleich der von der Radlast herrührenden Querkraft an der Kolbenstange nur möglich, wenn die Mittellinie der Feder mit der Wirkungslinie der äußeren Kraft FK zusammenfällt, Bild 13.9c. Dies führt zu einer erheblichen Schrägstellung und Querverformung der Feder beim Ein- und Ausfedern. Eine wirkungsvolle Kompromisslösung zeigt Bild 13.9d: die Federmittellinie ist merklich weniger stark gegen die Dämpferachse geneigt, läuft daher am Stützlager vorbei und ist so weit versetzt, dass sie sich mit der äußeren Kraft FK in der Ebene der Kolbenstangenführung schneidet. Damit ist Gleichgewicht zwischen FK , der Federkraft F und der nur noch sehr kleinen Führungskraft F1 hergestellt. Die Querkraft F2 am Kolben verschwindet, d.h. der in den Dämpfer eingetauchte Teil der Kolbenstange ist frei von Biegemomenten, und die Kolbenstange gleitet ohne Verkanten in der Führung. Bei Federbein-Hinterachsen wird meistens das obere Ende der Schraubenfeder unabhängig vom Kolbenstangenlager am Fahrzeug abgestützt; dann verschwindet die Querkraft, wenn die Federmittellinie durch den Schnittpunkt der Radlast mit der Lenkerebene verläuft, Bild 13.9e [31, 35]. Eine echte „MacPherson-Achse“ zeigt Bild 13.10. Die beiden Arme des Drehstab-Stabilisators bilden die „Zugstreben“ der Lenkerdreiecke. Beim Ein- und Ausfedern dreht sich der Stabilisator um die Verbindungslinie seiner Lager am Fahrgestell und schwenkt dabei seine Arme in der Seitenansicht um diese Lager. Um Verzwängungen der inneren und äußeren Gummilager der Querlenker und damit „kardanische Winkel“ zu minimieren, sind die Mittelachsen der inneren Querlenkerlager und der Verbindungslager zu den Stabilisatorarmen gegeneinander so angestellt, dass sie sich etwa auf der Drehachse des Stabilisators schneiden. Damit ergeben sich annähernd „sphärische“ Relativbewegungen der Querlenker und der Stabilisatorarme. – Die Achsen der fahrzeugseitigen Lager des Stabilisators sind gegenüber dessen Drehachse schräg angestellt, so dass sie kardanischen Verformungen unterworfen werden. Die Ausrichtung der Lagerachsen senkrecht zu ihren Verbindungslinien mit den Gummilagern der Querlenker soll verhindern, dass Zug- oder Druckkräfte an den Armen
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13 Einzelradaufhängungen
des Stabilisators axiale Verschiebungen desselben in seinen vorderen Gummilagern erzeugen, die angesichts der im Grundriss schräg verlaufenden Stabilisatorarme Längsverlagerungen der Querlenker und damit wegen der Pfeilung derselben gegenüber den Spurstangen schädliche Lenkwinkel verursachen. Die Maßnahme lässt sich auch kinematisch deuten: ein seitliches Auswandern des Stabilisators in seinen vorderen Lagern erfolgt an beiden Seiten in Richtung der jeweiligen Hauptachsen derselben und damit senkrecht zu ihren Verbindungslinien mit den Lagern an den Querlenkern, so dass keine Längsverschiebungen der Querlenker erfolgen können. Auch ohne Einwirkung äußerer Kräfte ist der Stabilisator ständig auf seitlicher Wanderschaft, da die Kreisbogen-Bewegung seiner Enden in den Querlenkern nicht immer auf beiden Fahrzeugseiten symmetrisch erfolgt; sie verursacht im übrigen hohe Biegemomente am Mittelteil des Stabilisators, indem dessen Enden aufeinander zugebogen werden, und folglich eine Durchbiegung des Mittelteils, die bei Freigängigkeitsuntersuchungen zu berücksichtigen ist.
Bild 13.10. MacPherson-Vorderachse der BMW 3er-Reihe (1975) (Werkbild BMW Group)
13.2 Aufhängungen für Vorderräder
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Nach einer seitlichen Verschiebung kehrt der Stabilisator infolge der Reibung und Hysterese des Lagers nicht unbedingt sofort in seine Ruhelage zurück, sondern evtl. erst nach Überfahren einer Fahrbahnunebenheit. Ein ohne die beschriebene Schrägstellung der Lager daraus resultierender (unerwarteter) Lenkwinkelsprung würde den Fahrer verunsichern. Im Schnitt des Federbeins ist die schräge und exzentrische Anordnung der Schraubenfeder entspr. Bild 13.9d deutlich zu erkennen. Eine echte MacPherson-Achse ist übrigens auch die bereits in Kap. 1, Bild 1.1 als Demonstrationsbeispiel verwendete Vorderradaufhängung. Die angesprochenen Probleme und die Zwangslage, den an Vorderachsen meistens mit einer hohen Drehfederrate ausgestatteten Stabilisator in die Radführungsgeometrie einzubinden und mit diesem System eine ausgewogene Elasto-Kinematik zu verwirklichen, haben dazu geführt, dass die Lenker an Feder- und Dämpferbeinachsen wieder vorwiegend konventionell, d.h. mit strenger Trennung von kinematischer Funktion und Federung, ausgebildet werden.
Bild 13.11. Federbein-Vorderachse der „3er“Baureihe von BMW (1990) (Werkbild BMW Group)
Eine solche Federbeinachse zeigt Bild 13.11. Die Schraubenfeder ist entsprechend Bild 13.9d räumlich schräg und exzentrisch zur Kolbenstange angestellt. Der sichelförmige geschmiedete Dreiecklenker ist vorn (im Scheitelpunkt) mit einem Kugelgelenk am Vorderachsträger befestigt, welches ihm in der Draufsicht eine definierte Schwenkbewegung erlaubt. Die „Längsfederung“ erfolgt durch Querbewegungen des hinteren Lenkerarmes in einem weichen Gummilager, wobei eine richtig gewählte „Pfei-
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13 Einzelradaufhängungen
lung“ der Spurstange gegenüber dem Querarm des Dreiecklenkers für das gewünschte elastische Eigenlenkverhalten sorgt. Der Vorderachsträger ist fest mit der Karosserie verschraubt. Die Zahnstangenlenkung liegt etwa in Höhe des Dreiecklenkers vor der Achse, womit ein untersteuerndes Anlenkverhalten gefördert wird (vgl. Kap. 9, Bild 9.6). Mit der Einführung der Anti-Blockier-Systeme (ABS) für die Bremsen kam auch die Forderung nach einem möglichst kleinen Lenkrollradius, um die Übertragung der pulsierenden Bremskraft während eines Regelvorgangs auf das Lenkrad zu minimieren. Damit musste die Spreizachse näher zur Radmittelebene hin verschoben werden und beanspruchte nun die Raumpartie, in welcher eine optimal dimensionierte Bremsscheibe angeordnet sein sollte, nämlich neben dem Felgentiefbett und nicht darunter. Bei Doppelquerlenkerachsen führte dies zu einer Neuorientierung der Achslenker, Bild 13.12. Der untere Querlenker wurde so weit angehoben, dass sein Führungs- bzw. Traggelenk am Radträger innerhalb des „Topfes“ der Bremsscheibe untergebracht werden und die Scheibe ihre optimale Position neben dem Felgentiefbett behalten konnte. Um die Abstützbasis nicht unvertretbar zu verringern, wurde der obere Querlenker so weit nach oben verschoben, dass er höher als die Reifenlauffläche zu liegen kommt. So ergibt sich bei mäßigem Spreizungswinkel ein kleiner oder sogar negativer Lenkrollradius.
Bild 13.12. Vorderachse des Mercedes-Benz „350 SE“ (1976) (Werkbild DaimlerChrysler AG)
13.2 Aufhängungen für Vorderräder
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Vorteilhaft an dieser Anordnung ist auch, dass der untere Querlenker Längs-Stoßkräfte am Rade fast allein aufzufangen hat und der obere annähernd kraftfrei bleibt, so dass nur der untere Querlenker merklich längselastisch aufgehängt werden muss, um die erforderliche Längsfederung sicherzustellen, womit der elastische „Aufziehwinkel“ beim Bremsen reduziert wird. Diese Grundform der Doppelquerlenkeraufhängung hat wachsende Verbreitung erfahren und findet sich auch bei Radaufhängungen mit „ideeller“ Spreizachse (vgl. Abschn. 13.2.3). Bei Feder- oder Dämpferbeinachsen kommt die anhand von Bild 13.12 beschriebene Maßnahme nicht in Frage, weil sie eine annähernde Verdoppelung der Querkräfte am oberen Lager der Dämpfer-Kolbenstange zur Folge hätte. An einer Dämpferbeinachse, bei welcher die Tragfeder über den Querlenker auf das Führungs- oder Traggelenk und den Radträger wirkt, ist die Einbaulage der Feder für die Belastung der Kolbenstange durch Querkräfte ohne Belang. Hier ist es wichtig, das Traggelenk möglichst nahe an der Radmittelebene unterzubringen, Bild 13.13, und dadurch das Kippmoment aus der Radlast zu minimieren. Diese Lage des Traggelenks ergibt sich fast zwangsläufig, wenn ein kleiner oder gar negativer Lenkrollradius angestrebt wird. – Beim Lenkvorgang schwenkt der Radträger mit dem Dämpferrohr um die Verbindungslinie des Traggelenks und des karosserieseitigen Lagers der Kolbenstange, nämlich die Spreizachse.
Bild 13.13. Dämpferbein-Vorderachse des Typs „190“ (1982) (Werkbild DaimlerChrysler AG)
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13 Einzelradaufhängungen
13.2.3 Lenkgeometrie mit ideeller Spreizachse Die mit den ABS-Systemen entstandenen Konflikte zwischen dem optimalen Einbauraum der Bremsscheibe und der im gleichen Bereich anzusiedelnden Spreizachse gaben den Anstoß dazu, es mit einer immateriellen oder „ideellen“ Spreizachse zu versuchen, welche sich auch auf die fahrzeugäußere Seite der Bremsscheibe verlegen lässt. Am einfachsten ist dies durch den „Momentanpol“ einer Viergelenkkette zu bewerkstelligen, Bild 13.14. Während bei der konventionellen Lösung (links) das äußere Führungsgelenk F eines Dreiecklenkers nur auf der Fahrzeuginnenseite der Bremsscheibe positioniert werden kann, ergibt die Auflösung des Dreiecklenkers in zwei Stablenker einen Pol P, ein „ideelles“ Führungsgelenk.
Bild 13.14. Radträgerfestes (F) und ideelles Führungsgelenk (P)
Ein solcher Pol kann ohne Probleme auf der Fahrzeugaußenseite der Bremsscheibe erscheinen; er wird sich allerdings beim Lenken des Rades sowohl gegenüber dem Radträger als auch dem Fahrgestell verschieben, was neue Effekte an der Lenkgeometrie erzeugt. Die erste serienmäßige Anwendung dieses Prinzips erfolgte an einer Federbeinachse, an der sich, wie erwähnt, die in Bild 13.12 dargestellte Lösung verbietet, an der sich andererseits eine ideelle Spreizachse mit dem geringstmöglichen Aufwand verwirklichen lässt, da Feder- oder Dämpferbeinachsen nur einen einzigen Dreiecklenker aufweisen, Bild 13.15. Wenn schon ein Dreiecklenker in einen Querlenker und eine Zugstrebe zerlegt wird, so können diese beiden Teile auch in unterschiedlichen Höhen angebracht werden, um vorhandenen Bauraum besser auszunutzen und kinematische Effekte, z.B. einen günstigen Brems-Stützwinkel, zu erzielen, ohne am vorderen Zugstrebenlager in Konflikt mit dem „Böschungswinkel“ zu kommen. Bei einem reinen Lenkvorgang mit festgehaltener Federung bildet die Radaufhängung von Bild 13.15 einen sphärischen Mechanismus mit dem Federbein-Stützlager SL als sphärischem Zentralpunkt, Bild 13.16.
13.2 Aufhängungen für Vorderräder
Bild 13.15. Federbein-Vorderachse der BMW „7er“-Reihe (1977) mit ideeller Spreizachse (Werkbild BMW Group)
Bild 13.16. Lenkgeometrie der Vorderachse nach Bild 13.15 (schematisch)
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13 Einzelradaufhängungen
Die mit dem Querlenker QQ0 bzw. der Zugstrebe ZZ 0 vom Stützlager SL aus aufgespannten Ebenen schneiden die Fahrbahnebene in den Spurgeraden QcQ0c bzw. Z cZ 0c . Im Schnitt dieser Spurgeraden liegt der Pol P, durch den die sphärische Momentanachse bzw. ideelle Spreizachse i verläuft. Mit P und dem Radaufstandspunkt A können in der Fahrbahnebene der Lenkrollradius rS und die Nachlaufstrecke n bestimmt werden. Da sich die ideelle Spreizachse beim Lenkvorgang relativ zum Radträger (dem Achsschenkel mit dem Dämpferrohr) im Raume verschiebt, sind manche der in Kap. 8 für eine radträgerfeste Spreizachse aufgestellten Gleichungen und die herkömmlichen Erfahrungswerte zur Auslegung der Lenkgeometrie nicht mehr anwendbar und die Kenngrößen nach den in Abschn. 8.3.2 angegebenen allgemeingültigen Definitionen zu berechnen.
Bild 13.17. Die Polbahntangente bei einer ebenen Viergelenkkette
Der Lenkrollradius ist über dem Lenkwinkel, im Gegensatz zu konventionellen Radaufhängungen, veränderlich, und sein Minimum wurde bei der Radaufhängung nach Bild 13.15 durch eine entsprechende Positionierung der Lenker und ihrer Lager nahe der Geradeausstellung bei etwa 3° kurveninnerem Radeinschlag gewählt, um im üblichen Bereich der Kurvenfahrt sicherzustellen, dass der Lenkrollradius am kurvenäußeren Rade nicht kleiner ausfällt als am kurveninneren und damit eindrehende Momente beim Bremsen in der Kurve vermieden werden [64]. Das Minimum des Lenkrollradius ergibt sich in der Geradeausstellung, wenn die Tangente der Bahn des Pols parallel zur Spur der Radmittelebene verläuft. In Bild 13.17 wurde die Polbahntangente vereinfachend an einem „ebenen“ System nach dem Verfahren von Bobillier konstruiert (vgl. Bild 3.2 in Kap. 3). Durch eine leichte Abweichung der Tangentenrichtung nach vorn-
13.2 Aufhängungen für Vorderräder
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außen lässt sich das Minimum des Lenkrollradius zu einem kurveninneren Lenkeinschlagwinkel hin verschieben. Ein kleiner Lenkrollradius verlangt bei Feder- oder Dämpferbeinachsen naturgemäß einen großen Spreizungswinkel und damit eine räumlich stark geneigte Bewegungsbahn der äußeren Spurstangengelenke während des Lenkvorgangs. Deshalb wurde das Lenkgestänge der Vorderachse in Bild 13.15 als „sphärischer“ Mechanismus ausgebildet, d.h. die Lenkstockhebelwelle und die Drehachse des Zwischenhebels sind zur Fahrzeugmitte hin geneigt (vgl. auch Kap. 8, Bild 8.23e). Die Radbewegung während eines Federungsvorgangs ist wie bei praktisch allen Vorderradaufhängungen räumlichen Typs. An einer Doppelquerlenkerachse mit hoch angeordnetem oberem Querlenker (vgl. Bild 13.12) kann durch Auflösung des unteren Lenkerdreiecks in zwei Stablenker eine ideelle Spreizachse geschaffen werden, die erheblich weniger stark gegen die Vertikale geneigt ist als bei einer Federbeinachse, damit einen kleineren Störkrafthebelarm bzw. Spreizungsversatz ermöglicht, Bild 13.18 (kinematisches Schema in Bild 13.19).
Bild 13.18. Vorderachse der Mercedes-Benz „S-Klasse“ mit ideeller Spreizachse (2005) (Werkbild DaimlerChrysler AG) Bild 13.19. Kinematik-Schema zu Bild 13.18
400
13 Einzelradaufhängungen
Dargestellt ist die Ausführung der Achse mit „aktivem Federungssystem“, welches in Kap. 10 näher beschrieben wurde. – Wäre das Federbein am oberen Dreiecklenker abgestützt, so ergäbe sich beim Lenkvorgang eine sphärische Bewegung wie in Bild 13.16. Der untere Querlenker Q schwenkt aber beim Lenkvorgang und nimmt das untere Lager des Federbeins mit, d.h. auch dieses bewegt sich im Raume beim Lenken. Dadurch entstehen an allen radträgerseitigen Gelenken beim Lenkvorgang mit konstanter Federbeinlänge räumliche Verschiebungen, die durchaus auch vertikale Komponenten aufweisen; die Lenkgeometrie erhält damit im Gegensatz zur Federbeinachse nach Bild 13.15 einen räumlichen Charakter, die Spreizachse wird zu einer Momentanschraubenachse. Die unten vor der Achse angeordneten Spurstangen fördern ein untersteuerndes Anlenkverhalten (vgl. Kap. 9). Wird an einer Doppelquerlenkeraufhängung zusätzlich zum unteren auch das obere Lenkerdreieck durch zwei Stablenker ersetzt, so entsteht eine Fünf-Lenker-Aufhängung als aufwendigste Form der Einzelradaufhängung, Bild 13.20. Die Abstützung des Federbeins auf dem unteren Querlenker führt zu einer räumlichen Lenkgeometrie wie bereits bei der Vorderachse von Bild 13.l8. Die unteren Querlenker der Radaufhängung sind an einem Hilfsrahmen angebunden, der auch den Triebwerksblock aufnimmt und mit großvolumigen Gummielementen am Fahrzeugkörper gelagert ist.
Bild 13.20. Vorderachse des Audi „A8“ (1994) mit ideeller Spreizachse (Werkbild Audi AG)
13.3 Aufhängungen für Hinterräder
401
Die in der Höhe der oberen Querlenker über dem Getriebeblock angeordnete Zahnstangenlenkung liegt hinter der Achse, was im Interesse eines untersteuernden Anlenkverhaltens ist (vgl. Kap. 9). Die inneren Gelenke der Antriebswellen sind als Tripoden ausgeführt, vgl. Kap. 3, Bild 3.15, um die Übertragung von Schwingungen des Triebwerks auf die Radaufhängung und die Lenkung zu mildern.
13.3 Aufhängungen für Hinterräder 13.3.1 Ebene Mechanismen Nach ihrem Siegeszug als Vorderachse hat sich zumindest bei PKW die Einzelradaufhängung auch als Hinterachse weitgehend durchgesetzt; dennoch hat sich bis heute die Starrachse als Hinterradaufhängung – nicht nur bei den LKW – halten können, weil sie bei angetriebenen Rädern weniger technischen Aufwand erfordert und bei nicht angetriebenen Rädern so leicht gebaut werden kann, dass ihre prinzipiellen Nachteile kaum ins Gewicht fallen und ihre Vorteile, nämlich die Spur- und Sturzkonstanz, um so stärker hervortreten. Ein Nachteil bleibt ihr aber, und das ist die Auf- und Abbewegung der Achsbrücke unter dem Fahrzeugboden, die bei PKW erhebliche Einschränkungen im Gepäckraum und an der Abgasanlage nach sich zieht. Bei schnellen und komfortablen Reisewagen kommt hinzu, dass eine in Fahrzeuglängsrichtung „weiche“ Aufhängung der Starrachse nur begrenzt möglich ist und ihre Anbindung an einen elastisch am Fahrzeug gelagerten Hilfsrahmen oder „Fahrschemel“ den technischen Aufwand im Vergleich mit einer Einzelradaufhängung noch überbieten würde. Wegen der Anfälligkeit früherer Antriebs-Wellengelenke kamen als Einzelradaufhängungen an angetriebenen Hinterrädern zunächst für größere Stückzahlen nur solche Bauarten in Frage, die möglichst wenige Wellengelenke erfordern, und dies waren die Pendelachsen, also Mechanismen mit unmittelbarer Anlenkung des Radträgers am Fahrzeugkörper durch ein einziges Gelenk, hier ein Drehgelenk. Bei einer angetriebenen Pendelachse muss das (einzige) Wellengelenk auf der Drehachse der Radaufhängung liegen, Bild 13.21. Dies gilt auch für „Schrägpendelachsen“, deren Momentanachsen nicht exakt in Fahrtrichtung, sondern im Grundriss diagonal angeordnet sind. Vorteilhaft an der Lösung nach Bild 13.21 ist die staubdicht gekapselte Bauweise; die Abstützung der Längskräfte des Rades auf der schmalen Basis des Drehgelenks erzeugt aber höhere Lagerbelastungen. Deshalb sind Pendelachsen auch mit ausladenden und außerhalb des Achsgetriebes mit dem Fahrzeugkörper verbundenen Schwingarmen gebaut worden.
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13 Einzelradaufhängungen
Bild 13.21. Hinterachsgehäuse der Pendelachse des Mercedes-Benz „170“ (1931) (Werkbild DaimlerChrysler AG)
Die Version der Eingelenk-Pendelachse mit abwälzenden Kegelrädern, also ohne jegliches Wellengelenk, entspr. Bild 6.17 in Kap. 6 verlangt eine zur Achse der Ritzel konzentrische Lagerung der beiden Pendel im Getriebegehäuse, Bild 13.22.
Bild 13.22. Kegelradantrieb am „Pinzgauer“-Geländewagen (1972) (Werkbild Steyr-Daimler-Puch AG)
13.3 Aufhängungen für Hinterräder
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In Bild 13.22 sind die Radachsen in Fahrtrichtung gegeneinander versetzt, um beiderseits gleich groß dimensionierte Kegelradtriebe anwenden zu können; das Fahrzeug erhält folglich links und rechts unterschiedliche Radstände. Da ein Ritzel vor und eines hinter der Achse im Eingriff ist, ergeben sich umgekehrt gleich große Antriebs-Stützwinkel und damit ein resultierender Stützwinkel Null; das Antriebsmoment tritt an der Federung als Wankmoment in Erscheinung wie bei einer Starrachse mit längs liegender Antriebswelle (vgl. Kap. 6, Bild 6.7). Die Bauart ermöglicht einen Zentralrohrrahmen mit völlig gekapseltem Antriebsstrang. Andere Konstruktionen nach diesem Prinzip zeigten keinen Längsversatz der Radachsen und arbeiteten mit unterschiedlich großen Teilkreisdurchmessern der Kegeltriebe, um die Freigängigkeit der Ritzel von den jeweils gegenüberliegenden Tellerrädern zu gewährleisten. Bei Vorhandensein eines Kardan- oder Gleichlaufgelenks können die Drehachsen der Pendel in der Draufsicht auch schräg angeordnet werden, um eine günstigere Aufnahme der Längskräfte zu erzielen; dann kommen zu den Sturz- und Spuränderungen über dem Federweg auch Vorspuränderungen hinzu. Eine geschickte Ausführung einer solchen „Schrägpendelachse“ mit minimalem Aufwand an Einzelteilen zeigt Bild 13.23. Die Längsarme tragen die Radlagerung und stützen die Federbeine ab, während die frei umlaufenden Antriebswellen die Querarme bilden und ihre Kardangelenke als innere Lenkerlager dienen. Auch die Antriebswellen der Pendelachsen sind bei der Beurteilung der Längskinematik und der Berechnung des Antriebs-Stützwinkels als „Gelenkwellen“ zu betrachten, vgl. Bild 6.16 in Kap. 6, obwohl sie nur ein einziges Wellengelenk aufweisen.
Bild 13.23. Schrägpendel-Hinterachse des „Goggomobil“ (1954) (d = wirksame Drehachse) (Werkbild BMW Group)
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13 Einzelradaufhängungen
Wenn die Drehachse des Radträgers am Fahrzeugkörper eine beliebige Lage einnimmt, nicht mehr durch das innere Gelenk der Antriebswelle verläuft und u.U. auch keinen gemeinsamen Schnittpunkt mehr mit der Radachse hat, entsteht die allgemeine Schräglenkerachse mit erheblich größerer Freiheit in der Wahl der Geometrie der Radführung. Bild 13.24 zeigt eine Schräglenker-Hinterachse mit Raum sparenden „Tonnenfedern“ und getrennt angelenkten Stoßdämpfern. Die beiden Schräglenker (die Radträger) sind an einem Hinterachsträger in steifen Gummibuchsen gelagert. Der Hinterachsträger ist fest mit dem Gehäuse des Hinterachsgetriebes verschraubt und bildet mit diesem einen Hilfsrahmen, der über drei großvolumige Gummilager mit für die Elasto-Kinematik günstig ausgerichteten Hauptachsen an der Karosserie befestigt ist. Das hintere Gummilager ist nach links versetzt, um das Kippmoment der längs liegenden Gelenkwelle am Hinterachsträger auszugleichen (vgl. auch Bild 6.7b in Kap. 6); im Gegensatz zu Starrachsen hat diese Maßnahme keine negativen Folgen für die Radlastverteilung während eines Bremsvorgangs. Als „ebener“ Mechanismus ist die Schräglenkerachse in der kinematischen Freiheit der Auslegung natürlich gegenüber räumlichen Systemen eingeschränkt.
Bild 13.24. Schräglenker-Hinterachse der BMW „3er“-Serie (1982) (Werkbild BMW Group)
13.3 Aufhängungen für Hinterräder
405
Eine nicht angetriebene Dämpferbein-Hinterachse mit „ebener“ Geometrie zeigt Bild 13.25 im Querschnitt. Der Dämpfer ist mit dem Radträger verschraubt, welcher durch einen unteren Trapezlenker mit parallel angeordneten Drehachsen geführt wird. Als Federelement dient eine von Rad zu Rad durchlaufende Querblattfeder, die zweipunktig in der Nähe der fahrzeugseitigen Lager der Trapezlenker gegen den Fahrzeugkörper abgestützt ist und sich mit ihren hakenförmigen Enden über Gummipuffer an den Lenkern zentriert. Die zweipunktig gelagerte Blattfeder hat neben ihrer Aufgabe als Tragfeder auch die Funktion eines Stabilisators, wie bereits anhand von Bild 5.32 in Kap. 5 erläutert.
Bild 13.25. Dämpferbein-Hinterachse des Autobianchi „A112“ mit zweipunktig gelagerter Querblattfeder (1969) (Werkbild FIAT Auto S.p.A.)
13.3.2 Sphärische Mechanismen Eine Übergangsbauart zwischen den Radaufhängungen mit unmittelbarer und mittelbarer Anbindung des Radträgers an den Fahrzeugkörper bilden
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13 Einzelradaufhängungen
die „sphärischen“ Getriebeketten, deren Zentralpunkt den Radträger unmittelbar am Fahrzeugkörper ankoppelt, selbst wenn er nicht mehr real ausgeführt ist. Sphärische Radaufhängungen ermöglichen quasi-räumliche Bewegungen mit der Einschränkung, dass eine „Momentanschraubung“, das Kennzeichen echter räumlicher Mechanismen, nicht stattfindet und daher Kompromisse in der Auslegung der Achsgeometrie erforderlich sind. Die Radbewegung erfolgt im Quer- wie im Seitenriss translatorisch und rotatorisch, also sind in beiden Ebenen Parameter wie das Rollzentrum, die Sturzänderung über dem Federweg, oder die Stützwinkel beeinflussbar.
Bild 13.26. Sphärische Hinterradaufhängungen mit realem Zentralpunkt Z (schematisch)
Einige der bekannt gewordenen Varianten der sphärischen Einzelradaufhängungen mit real ausgeführtem Zentralpunkt Z sind in Bild 13.26 schematisch zusammengestellt. Bei der Doppelquerlenkerachse der Chevrolet „Corvette Sting Ray“ von 1963 bildete die Antriebswelle mit zwei Kardangelenken ohne Längenausgleich den oberen Achslenker (a). Im Seitenriss des Fahrzeugs hat die Radaufhängung nahezu die Wirkung eines Längslenkers. Der Ford „Zodiac“ der 1960er Jahre besaß eine sphärische „Schräglenkerachse“, Beispiel b, deren Seitenführung durch die längenkonstante Antriebswelle mit Kardangelenken erfolgte – wie schon bei der Achse von Beispiel a ein in England und den USA damals beliebtes Konstruktionsdetail, das erstmals in den Jaguar-Wagen und am Lotus-Rennwagen auftauchte. Der innere Arm des „Schräglenkers“ konnte an einer kurzen vertikalen Pendelstütze Horizontalbewegungen ausführen, so dass der
13.3 Aufhängungen für Hinterräder
407
fahrzeugseitige Anlenkpunkt seines äußeren Armes zum sphärischen Zentrum Z wurde. Die Momentanachse m ist die Schnittgerade der von den „Lenkern“ des Mechanismus, also der Antriebswelle und der Pendelstütze, aufgespannten Ebenen durch Z und fällt, im Gegensatz zur echten Schrägpendelachse, nicht mit der Verbindungslinie der Schräglenkerlager zusammen. Der sphärische Charakter bleibt nicht nur theoretischer Natur, sondern wirkt sich auf die Bewegungsgeometrie aus: insbesondere die Vorspuränderung über dem Federweg und die Lage und Lagenänderung des Rollzentrums unterscheiden sich deutlich von den Verhältnissen an der normalen Schräglenkerachse. Bild 13.26c schließlich zeigt annähernd maßstäblich die Hinterachse des Mercedes-Benz-Rennwagens von 1954 [53], eine „Eingelenk-Pendelachse“ mit Längsführung durch gegensinnig angeordnete Stablenker. Der Anlenkpunkt des Radträgers am Fahrzeug ist das sphärische Zentrum Z; die Achse stellt ein „sphärisches Wattgestänge“ dar. Die guten Geradführungs-Eigenschaften des Wattgestänges (s. auch Kap. 7, Bild 7.14) wurden hier ausgenützt, um die Vorspuränderungen beim Ein- und Ausfedern wunschgemäß festzulegen. Eine Aufhängung mit einem Trapezlenker, dessen Drehachsen am Fahrzeugkörper und am Radträger sich in einem Punkt schneiden, gehört ebenfalls zum sphärischen Typ (vgl. Kap. 3, Bild 3.8c). Der Mechanismus benötigt noch einen Stablenker zur Sturzkontrolle, Bild 13.27 [29]. Im oberen Bildteil a ist die Achse im Querschnitt zu sehen, im unteren Teil b die Draufsicht auf den Trapezlenker mit seinen Drehachsen d i am Fahrzeugkörper und d a am Radträger. Der Schnittpunkt von d i und d a ist der Zentralpunkt Z. Die Elasto-Kinematik wird im wesentlichen mit dem Trapezlenker L allein bestritten, der hier auf besondere Art als eigenständige „Viergelenkkette“ gestaltet ist: sein vorderes, der Längsfederung dienendes „Lager“ ist eine „Steuerschwinge“ 1, die mit einem Gummilager g1 am Fahrgestell und einem Lager g 3 am Trapezlenker befestigt ist und sich im Trapezlenker gegen eine Gummibettung in Grenzen verdrehen kann, so dass sie bezogen auf das Gesamtsystem wie ein Lager mit zwei extrem unterschiedlichen Federraten c1 und c2 auftritt. Der hintere Arm des Trapezlenkers ist als vertikales Federblatt 2 ausgebildet und vervollständigt zusammen mit der Steuerschwinge die Viergelenkkette des Trapezlenkers. Die Achse des inneren Gummilagers g 2 des Federblattes 2 ist senkrecht zu diesem ausgerichtet, um Axialkräfte und –verschiebungen und damit zusätzliche Biegebeanspruchungen des Federblattes möglichst zu vermeiden. Die Steuerschwinge 1 und das Federblatt 2 definieren einen „Pol“ PL für den Trapezlenker L gegenüber dem Fahrzeugkörper, um den der Trapezlenker bei einer elastischen Winkelbewegung der Steuerschwinge unter äußerer Belastung schwenkt. Da der Pol auf der Fahrzeugaußenseite des
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13 Einzelradaufhängungen
Rades liegt, wird eine Bremskraft das Rad in Richtung Vorspur und eine Antriebskraft dasselbe in Richtung Nachspur verstellen, damit unerwünschte elastische Verformungen aus anderen Bauteilen kompensieren und vor allem eine günstige Ausgangssituation für Lastwechselvorgänge bei Kurvenfahrt schaffen (vgl. Kap. 9). Eine Seitenkraft, die um den Reifennachlauf versetzt hinter dem Radaufstandspunkt, aber vor dem Pol PL angreift, bewirkt sowohl am Kurvenaußenrad als auch am Kurveninnenrad untersteuernde elastische Vorspur- bzw. Nachspurwinkel. Da der sphärische Zentralpunkt Z der Radaufhängung sich weit hinter dem Rade und unterhalb der Radmitte befindet, ergibt sich ein merklicher Antriebs-Stützwinkel, aber nur ein sehr kleiner Brems-Stützwinkel. Das Lager g 3 der Steuerschwinge kann zur Vorspur-Einstellung in einem Langloch am Trapezlenker L verschoben werden.
Bild 13.27. „Weissach-Hinterachse“ des Porsche 928 (1977) (Werkbild Dr.-Ing. h.c. F. Porsche AG)
13.3 Aufhängungen für Hinterräder
409
Eine neuere Variante der sphärischen Doppelquerlenker-Aufhängung, jedoch mit real ausgeführtem Zentralpunkt, ist in Bild 13.28 dargestellt. Den kinematischen Aufbau zeigt das linke Teilbild. Die etwa gleich langen Querlenker sind vom Radträger aus nach vorninnen gepfeilt und erzeugen kinematisch die gleiche Wirkung wie erheblich längere Lenker in der Querschnittsebene durch die Radaufstandspunkte (unterbrochene Linien), die wegen des Hinterachsgetriebes nicht unterzubringen waren, aber zur Erzielung des gewünschten kinematischen Eigenlenkverhaltens (Vorspuränderung über dem Radhub) nötig wären: das Verhältnis der Lenkerlängen im Fahrzeugquerschnitt zum Querpolabstand bestimmt bei diesem Typ der Radaufhängung die Relativbewegung zwischen der Radachse und der Momentanachse m, die für das Eigenlenkverhalten maßgeblich ist (vgl. Kap. 7, Abschn. 7.5) [52]. Die ElastoKinematik wird fast ausschließlich über die räumliche Anstellung der Hauptachsen des großvolumigen Gummilagers am Zentralpunkt Z unter Berücksichtigung der Pfeilung der Querlenker beherrscht.
Bild 13.28. „Zentrallenker-Hinterachse“ der BMW „3er“ Baureihe (1990) (Werkbild BMW Group)
410
13 Einzelradaufhängungen
13.3.3 Räumliche Mechanismen Wird ein Schräglenker auf seiner fahrzeugseitigen Drehachse axial verschieblich gelagert und mit einem federwegabhängigen Vorschub versehen, so entsteht ein „räumlicher“ Mechanismus, dessen Bewegungsform auf einer Momentanschraubung basiert (vgl. Kap. 2, Bild 2.8b). Die „Schraublenker-Hinterachse“ in Bild 13.29 führt eine Schraubung um eine relativ zum Fahrzeugkörper unveränderliche Schraubenachse durch. Der Vorschub ist aber über dem Federweg veränderlich und wird durch kurze, unter den äußeren Armen der Schräglenker angebrachte Zusatzlenker erzielt (im Bild oben links), deren Abstand und Winkel zur Schraubenachse die momentane Schraubensteigung und deren Länge die Veränderung derselben über dem Radhub bestimmen [60]. Die Schräglenker sind in radial sehr steifen und axial weichen Gummilagern geführt.
Bild 13.29. „Schraublenker-Hinterachse“ des BMW 528 (1981) (Werkbild BMW Group)
Bei einer ebenen Schräglenkerachse sind alle Radführungsparameter, also auch das Rollzentrum, durch die Drehachse des Lenkers definiert; an Bild 13.29 wird anschaulich sofort klar, dass die Zusatzlenker im wesentlichen die Spuränderung und damit das Rollzentrum beeinflussen, dessen Vertikalverlagerung mit dem Radhub im Vergleich zur Schräglenkerachse erheblich verstärkt wird und so den „Aufstützeffekt“ mildert (vgl. Kap. 7, Bild 7.20).
13.3 Aufhängungen für Hinterräder
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Eine räumliche Radaufhängung entsteht auch, wenn dem Schräglenker seine Rolle als Radträger genommen wird und er als Trapezlenker denselben zu führen hat, wobei ihm ein zusätzlicher Stablenker zu Hilfe kommen muss (vgl. Kap. 2, Bild 2.10). Die „Längskinematik“ der Radaufhängung nach Bild 13.30 ähnelt der eines Wattgestänges (vgl. Kap. 7, Bild 7.14) und ist so ausgelegt, dass sich ein positiver Schrägfederungswinkel und damit Antriebs-Stützwinkel einstellt. Wäre der Radträger zugleich Bremsmomentenstütze, so ergäbe sich ein sehr kleiner, evtl. sogar negativer Brems-Stützwinkel, weshalb hier eine drehbare Bremsmomentenstütze zur Anwendung kommt, die vom unteren Lenker (dem Trapezlenker) aus über eine Pendelstütze gesteuert wird.
Bild 13.30. „Koppelachse“ des Mercedes-Benz „450 SE“ (1973) (Werkbild DaimlerChrysler AG)
Die Wirkungsweise der Radaufhängung in der Seitenansicht soll durch Bild 13.31 anschaulich gemacht werden, wobei dieselbe vereinfachend als „ebener“ Mechanismus dargestellt ist. Der Pol P13 des Radträgers 3 gegenüber dem Fahrgestell 1 bestimmt den Schrägfederungswinkel H und damit den Antriebs-Stützwinkel H A . Bei Bremsung übernimmt die drehbare Aufhängung 5 des Bremssattels die Rolle des „Radträgers“, und ihr Pol P15 gegenüber dem Fahrgestell 1 ist der „Brems-Längspol“ LB , mit dem sich der Brems-Stützwinkel H B ergibt. Die Ermittlung der Pole erfolgte hier nach der sogen. „Polstrecken-
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13 Einzelradaufhängungen
Methode“: Wenn für zwei Glieder a und b deren Relativpol Pab und für eines derselben, z.B. Glied a, auch sein Relativpol Pac bezüglich eines dritten Gliedes c bekannt sind, so liegt der Relativpol Pbc auf der Geraden durch die Pole Pab und Pac .
Bild 13.31. Längskinematik der „Koppelachse“ (vereinfacht als ebenes Modell)
Radaufhängungen nach dem Doppelquerlenkerprinzip spielten seit den 1930er Jahren als Hinterachsen eine Außenseiterrolle vor allem in Sportwagen und Luxus-Limousinen, dabei oft mit „ebener“ Geometrie, bis im Jahre 1982 mit der „Raumlenker-Hinterachse“ eine bewusst unter elastokinematischen Gesichtspunkten entwickelte echte räumliche Radaufhängung auf dem Markt erschien, Bild 13.32. Die Serienauflegung dieser Fünf-Lenker-Achse lieferte zusammen mit fertigungstechnischen Neuerungen den Beweis für die Tauglichkeit anspruchsvoller Achssysteme im Alltag und löste eine Welle von Neuentwicklungen von Mehrlenkerachsen auch für preiswerte Fahrzeuge aus. Zwei obere und zwei untere, jeweils in der Draufsicht gegeneinander angestellte Querlenker übernehmen die Seiten- und Längskräfte, ein „Spurlenker“ Sp etwa in Höhe der Radachse bestimmt im wesentlichen den Lenk- bzw. Vorspurwinkel und dürfte in etwa in der „neutralen“ Achse der elastischen Sturzänderung unter Seitenkraft liegen (vgl. Kap. 9, Bild 9.6). Denkt man sich diesen Spurlenker als eine durch ein Lenkgetriebe verstellbare Spurstange, so könnte mit den übrigen vier Lenkern für einen virtuellen Lenkvorgang bei festgehaltener Federung in Analogie zu Vorderachsen eine „ideelle Spreizachse“ i bestimmt werden, die hier offensichtlich gegenüber den radseitigen Lenkerlagern nach außen hin versetzt ist und deren Neigung im Fahrzeugquerschnitt (gewissermaßen der „Spreizungswinkel“) für die gegenseitige Abstimmung der elastischen Lenkwinkel unter Antriebs- und Bremskraft von Bedeutung ist (vgl. Kap. 9, Bilder 9.7 und 9.8).
13.3 Aufhängungen für Hinterräder
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Bild 13.32. „Raumlenker-Hinterachse“ des Mercedes-Benz „190“ (1982) (Werkbild DaimlerChrysler AG)
Das Bremsmoment drückt die radseitigen oberen Lenkerlager nach vorn und zieht die unteren nach hinten, so dass der resultierenden Längsweichheit des oberen und des unteren Querlenkerpaares mit Rücksicht auf den elastischen „Aufziehwinkel“ Grenzen gesetzt sind (vgl. Kap. 9, Bild 9.7). Das Fünf-Lenker-Prinzip erlaubt aber die optimale Abstimmung des elastischen Lenkverhaltens für alle wesentlichen äußeren Belastungsfälle, wie anhand der Bilder 9.5–8 in Kap. 9 beschrieben. Da zur Geräuschisolation und vereinfachten Endmontage ohnehin ein „Fahrschemel“ vorhanden ist, übernehmen dessen Gummilager einen Teil der „Längsfederung“. Wie bereits erwähnt, lässt sich das elastische Aufziehen des Radträgers unter Bremskraft mildern durch die Abstützung des Bremsmoments an einem einzigen Achslenker; Beispiele hierfür sind die sphärische Trapezlenkerachse in Bild 13.27 und die sphärische Doppelquerlenkerachse nach Bild 13.28. Bei der Radaufhängung in Bild 13.33 sind beide Trapezlenker an einem Hilfsrahmen gelagert, der aus einer vorderen Traverse und dem Gehäuse des Hinterachsgetriebes besteht. Da die Trapezlenker sehr lang sind, müssen die Gummilager an ihren Drehachsen radial steif ausgebildet werden, um elastische Lenkwinkel unter Längskräften gering zu halten. Zu diesem Zweck wurde hier eine spezielle elasto-kinematische Anordnung getroffen, indem die vorderen Enden der inneren Drehachsen (1) der
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13 Einzelradaufhängungen
Trapezlenker durch einen Viereckrahmen (2) geführt werden, der um seine oberen, mit dem Hilfsrahmen verbundenen Gummilager schwenken kann und so den Drehachsen (1) eine Längsbewegung ermöglicht, wobei die in einem Querarm (3) am Getriebegehäuse eingebauten hinteren Lager axial weich und radial hart ausgebildet sind. Dieses System ergibt im wesentlichen eine parallele Längsfederung beider Räder auch bei einseitig wirkenden Längskräften. Den oberen Stablenker vertritt eine Kardanwelle, bereits weiter vorn als typisches anglo-amerikanisches Konstruktionselement vermerkt. Als hintere Lagerung des Getriebes dienen hier anstelle eines üblichen Gummilagers zwei schräg angestellte Streben, deren Schnittpunkt den hinteren „Federschwerpunkt“ darstellt und der offensichtlich sehr tief angeordnet ist, wodurch das elastische Kippen des Aggregates unter Seitenkraft und damit ein Verlust an Radsturz reduziert wird. Da die äußeren und inneren Drehachsen der Trapezlenker gegeneinander verschränkt verlaufen, handelt es sich um eine räumliche Radaufhängung. In der Seitenansicht sind die äußeren Drehachsen gegenüber der Fahrbahn stärker geneigt als die inneren. Die Neigung der inneren Drehachsen bestimmt im wesentlichen den Stützwinkel, während die Differenz der Neigungswinkel der äußeren und inneren Drehachsen die Vorspuränderung über dem Federweg festlegt.
Bild 13.33. Hinterachse des Jaguar „XJ 6“ (1988)
(Werkbild Jaguar Cars Ltd.)
Mehr Freiheit in der kinematischen und elasto-kinematischen Abstimmung wird gewonnen, wenn der einzige Stablenker einer normalen Trapezlenkerachse (die Kardanwelle in Bild 13.33) durch einen zweiten ergänzt wird. Um eine daraus resultierende Überbestimmung zu kompensieren, kann die den Radträger mit dem Trapezlenker verbindende
13.3 Aufhängungen für Hinterräder
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Drehachse durch ein hinteres Kugelgelenk und eine vordere, etwa senkrecht stehende Pendelstütze (eine kinematische „Zwischenkoppel“) ersetzt (vgl. auch Kap. 9, Bild 9.11c), Bild 13.34 [66]. Die beiden Stablenker bestimmen im wesentlichen die Vorspurkurve über dem Radhub und durch den zwischen ihnen vorhandenen „Pfeilungswinkel“ auch die elastokinematischen Effekte bei Längskraft, wie in Kap. 9 anhand von Bild 9.7 erläutert. Über die Neigung der Pendelstütze kann weiterer Einfluss auf die Elasto-Kinematik genommen werden. Die beiden Stablenker sind entsprechend der Lehre von Bild 9.15 im oberen, steifen Bereich des Hilfsrahmens positioniert und bleiben damit vor den elastischen Verformungen in dessen unterem Bereich weitgehend bewahrt. Der „Längspol“ und damit der Brems- und der Antriebs-Stützwinkel wird hauptsächlich durch den Schnittpunkt der äußeren und inneren Drehachsen des Trapezlenkers bestimmt. Das hintere innere Lager des Trapezlenkers ist ein radial und axial führendes Kugelgelenk, während das vordere als radial nachgiebiges Gummilager eine Schwenkung des Trapezlenkers um das hintere Lager und damit eine elastische „Längsfederung“ der Radaufhängung von max. ca. 9 mm je Rad zulässt. Zusammen mit der Längsfederung des Hilfsrahmens in seinen karosserieseitigen Gummilagern von ca. 6 mm kommt die Achse auf einen Gesamt-Längsfederweg von ca. 15 mm.
Bild 13.34. „Integral-Hinterachse“ des BMW 750i (1994) (Werkbild BMW Group)
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13 Einzelradaufhängungen
Der hintere Querträger des Hilfsrahmens ist zum Zwecke der Gewichtseinsparung mit dreieckförmigen Ausstanzungen versehen, wie in Kap. 11, Bild 11.23 empfohlen. Während die Radaufhängung von Bild 13.34 vorwiegend aus Stahlteilen hergestellt ist, wurden für die Nachfolgeversionen die Radträger, sämtliche Achslenker und der Hilfsrahmen aus Leichtmetallwerkstoffen hergestellt. Mehr noch als Trapezlenkerachsen sind Radaufhängungen mit einem starren Längsarm gegen das elastische Aufziehen des Radträgers unter Bremskraft gefeit, wie z.B. die sphärische Hinterachse von Bild 13.28. Durch einen dritten Stablenker entsprechend Bild 9.12b in Kap. 9 kann eine sphärische in eine räumliche Radaufhängung verwandelt werden. Die Radaufhängung in Bild 13.35 hat zwei untere und einen oberen Querlenker, wobei die beiden unteren die Vorspurkurve über dem Radhub kontrollieren. Anstelle eines starr mit dem Radträger verbundenen Längsarmes wird ein „Schwert“ verwendet, das kinematisch einem Dreiecklenker entspricht (im Schemabild durch unterbrochene Linien angedeutet). In der Seitenansicht schwenkt der Radträger um das vordere Lager des Schwertes, das annähernd den „Längspol“ der Radaufhängung definiert und damit die Stützwinkel, die denen einer sphärischen Aufhängung wie in Bild 13.28 nahe kommen. Da das radträgerseitige Lager des vorderen unteren Querlenkers folglich beim Ein- und Ausfedern einen kleineren Hub ausführt als das des hinteren, muss der vordere Querlenker merklich kürzer sein als der hintere, um eine korrekte Vorspurkurve zu erreichen.
Bild 13.35. Hinterachse des Ford „Focus“ (1998)
(Werkbild Ford Motor Co.)
13.3 Aufhängungen für Hinterräder
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Die vom Hilfsrahmen unabhängige Abstützung der Längskräfte über das Schwert ergibt eine vorteilhafte individuelle Längsfederung jedes Rades ohne Beeinflussung des anderen. Während die Radaufhängung von Bild 13.35 mit ihrer „Längskinematik“ noch den sphärischen Radaufhängungen nahe steht, so gestattet die Fünf-Lenker-Achse nach Bild 13.36 eine weitgehend freie kinematische Auslegung. Weiterhin ist die Abstützung des Bremsmoments einem Längslenker überlassen, der aber nicht mehr ecksteif mit dem Radträger verbunden ist [62, 65]. Der kinematische Aufbau der Achse entspricht Bild 2.13b in Kap. 2. Das Bremsmoment wird über den unteren Längslenker und den oberen Querlenker aufgenommen, der sich wiederum mit einer etwa vertikalen Strebe (einer „Zwischenkoppel“ im Mechanismus der Radaufhängung) am Längslenker abstützt. Damit wirkt der Längslenker in der Seitenansicht trotz der räumlichen Eigenschaften der Radführung ähnlich den Längsarmen der Radaufhängungen der Bilder 13.28 und 13.35 als Bremsmomentenstütze, und sein vorderes Gummilager kann wie bei diesen Radaufhängungen als extrem weiches Längsfederungselement dimensioniert werden. Der Längspol liegt weit vor dem vorderen Längslenkerlager. Die Pfeilung der beiden unteren Querlenker ist auf die Elastizitäten der Querlenkerlager bzw. des sie tragenden Hilfsrahmens abgestimmt. Da der Längslenker und der über die Vertikalstrebe mittelbar mit ihm verbundene Radträger die Kippbewegung des Hilfsrahmens in seinen Gummilagern unter Einwirkung eines Antriebsmoments nicht mit vollziehen, können die dabei entstehenden Relativ-Verschiebungen der inneren und äußeren Querlenkerlager gemäß Bild 9.16 in Kap. 9 vorteilhaft zur Beeinflussung des Lastwechselverhaltens in der Kurve ausgenützt werden.
Bild 13.36. „Integral-Hinterachse“ des BMW 850i (1989) (Werkbild BMW Group)
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13 Einzelradaufhängungen
Wie bei den Radaufhängungen der Bilder 13.28 und 13.35 können auch hier die Räder unabhängig voneinander in Längsrichtung elastisch ausweichen, wobei der Hilfsrahmen weitgehend von Längskräften frei bleibt. Dass sich mit einer Fünf-Lenker-Aufhängung, der aufwendigsten Form der Einzelradaufhängung, alle wünschenswerten kinematischen und elastokinematischen Eigenschaften verwirklichen lassen, wurde bereits in Kap. 9 anhand der Bilder 9.5-9 dargelegt. Wie schon die Achse von Bild 9.9 zeigt auch die Hinterradaufhängung von Bild 13.37 obere Querlenker, die sich in der Draufsicht kreuzen, und die in Verbindung mit den nicht gekreuzten unteren Querlenkern eine zweckmäßige Festlegung der wirksamen Hebelarme der Brems- und der Antriebskraft erlauben, um von diesen Kräften ausgelöste elastische Lenkeffekte für das Fahrverhalten und besonders den Lastwechsel in der Kurve zu optimieren. Das Bild zeigt die Ausführung mit „aktivem Federungssystem“ (vgl. Kap. 10); sämtliche Radführungsglieder und der „Fahrschemel“ sind aus Leichtmetall hergestellt.
Bild 13.37. „Raumlenker-Hinterachse“ der Mercedes-Benz „S-Klasse“ (2005) (Werkbild DaimlerChrysler AG)
14 Starrachsführungen
14.1 Allgemeines Die Starrachse zeigt beim Ein- und Ausfedern keine Spuränderung; der Radsturz gegenüber der Fahrbahn bleibt, wenn die unterschiedliche Reifeneindrückung bei Kurvenfahrt vernachlässigt wird, sowohl bei symmetrischer als auch bei antimetrischer Radbewegung konstant. Das Rollzentrum kann höher angeordnet werden als bei Einzelradaufhängungen, da bei Parallel-Einfederung keine Seitenbewegungen der Radaufstandspunkte und damit keine Querkräfte am Fahrzeug auftreten. Der Federschwerpunkt der Achsaufhängung liegt in der Draufsicht auf der Fahrzeugmittellinie, deshalb ist die Elasto-Kinematik der Starrachse der einer Einzelradaufhängung mit elastisch gelagertem Hilfsrahmen oder „Fahrschemel“ vergleichbar (vgl. Kap. 9, Bild 9.4). Die Radführung weist zwei Freiheitsgrade auf, daher ist der Raumbedarf in den Radkästen etwas größer als bei Einzelradaufhängungen mit ihren eindeutigen Radbewegungen. Reaktionskräfte aus der Radlast können an den Achslenkern vermieden werden, wenn die Federkräfte in der Querschnittsebene durch die Radaufstandspunkte auf den Achskörper, die „Achsbrücke“, wirken. Ist bei einer angetriebenen Starrachse das Achsgetriebe an der Achsbrücke befestigt, so liegt im allgemeinen der Stoßmittelpunkt Ts jedes Rades im Bereich zwischen der Achsmitte und dem anderen Rade, Bild 14.1, und eine vertikale Stoßkraft F1 an einem Rade verursacht eine Reaktionskraft F2 am anderen, die Achse beginnt zu „trampeln“.
Bild 14.1. Massenkoppelung der Starrachse
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14 Starrachsführungen
Der Schwerpunktsabstand des Stoßmittelpunktes berechnet sich aus 4m analog Gl. 5.24, Kap. 5, zu ts 2 i ² / b. dem Trägheitsradius i Um die Reaktionskraft F2 zu vermeiden, ist eine Massen-Entkopplung anzustreben: ts b / 2 erfordert i b / 2, was nur gelingt, wenn die Achsmasse relativ zum Trägheitsmoment ausreichend klein ist, wie bei nicht angetriebenen „Laufachsen“ oder bei De-Dion-Achsen (vgl. Bild 6.11b in Kap. 6). An einer De-Dion-Achse tritt auch die Radlastverlagerung infolge des Gelenkwellen-Drehmoments nicht auf, welche bei normalen angetriebenen Starrachsen die übertragbare Leistung herabsetzt, wenn keine Differentialsperre vorgesehen ist (vgl. Bild 6.7). Wegen der Drehmomentübertragung durch quer liegende Gelenkwellen ist aber bei einer De-DionAchse der Antriebs-Stützwinkel gleich dem Schrägfederungswinkel (Hinterachse) bzw. dem negativen Schrägfederungswinkel (Vorderachse). Die kinematisch exakte, statisch bestimmte Starrachsführung weist vier Stablenker auf oder lässt sich auf vier Stablenker zurückführen (vgl. Kap. 2, Bild 2.6g). Daneben gibt es „überbestimmte“ und seltener „unterbestimmte“ Aufhängungen. Bild 14.2 zeigt links eine statisch unterbestimmte Starrachsaufhängung, deren Längsführung durch einen Stablenker je Seite erfolgt, im Seitenriss (die Querführung können die Blattfedern oder z.B ein Panhardstab übernehmen). Brems- und ggf. Antriebsmomente werden durch die Blattfedern abgestützt, wobei sich der Achskörper in der Seitenansicht elastisch verdreht (vgl. auch Kap. 5, Bild 5.31). Der elastische „Aufziehwinkel“ sinkt mit dem Quadrat der Blattfederlänge, vgl. Kap. 5, Gl. 5.49, weshalb lange Federn mit weniger Blättern vorzuziehen sind. Die Stützwinkel folgen aus der längskraftfreien Einfederungsbewegung, welche bei der symmetrischen Blattfeder in Bild 14.2 eine Translation mit dem Krümmungsradius A A0 ist; dies entspricht funktionsmäßig einer Parallelogrammführung (unterbrochene Linien), und der Längspol L liegt im Unendlichen. Bei einer klassischen Starrachsführung an den Blattfedern allein (rechts in Bild 14.2) ist kinematisch anstelle des Stablenkers ein „Ersatzlenker“ mit etwa 7 9 der (halben) Federlänge anzusetzen (vgl. Kap. 5, Bild 5.29).
Bild 14.2. Statisch „unterbestimmt“ geführte Starrachsen
14.1 Allgemeines
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Unterbestimmte Aufhängungen entspr. Bild 14.2 (links) werden an schweren Sonderfahrzeugen gelegentlich angewandt, um das Kräfteniveau im Gesamtsystem zu senken, wie bereits in Kap. 2 bemerkt. Eine ausgeführte Starrachse mit Längsführung durch die Blattfedern allein zeigt Bild 14.3; die Seitenkräfte nimmt ein Panhardstab auf. Achsgetriebe und Bremsen sind am Fahrgestell gelagert (hier gilt also für die Bestimmung sowohl des Antriebs- als auch des Brems-Stützwinkels: „Momentenstütze am Fahrzeugkörper“). Dies ist eine „klassische“ DeDion-Achse. Die Achsbrücke wird beim Bremsen und Beschleunigen lediglich durch Längskräfte an der Radlagerung belastet. Da die Blattfedern in sehr geringem Abstand unterhalb der Radmitte angebracht sind, ist das Verwindungsmoment aus den Längskräften und damit das elastische „Aufziehen“ um die Querachse unbedeutend. Bei Sonderbauformen von PKW wie z.B. kompakten Kleinstwagen oder Großraum-Limousinen (sogen. „Vans“) mit ihren im Vergleich zu normalen PKW höheren Schwerpunkten ist eine Mitwirkung der Radaufhängung an der Reduzierung des Wankwinkels willkommen. Da eine größere Rollzentrumshöhe bei Einzelradaufhängungen verstärkte Spuränderungen mit sich bringt, könnten die erwähnten Fahrzeugbauarten eine Wiederbelebung der Starrachse einleiten, selbstverständlich in „leichter“ Ausführung als Laufachse bei Fahrzeugen mit Frontantrieb oder als De-Dion-Achse bei Hinterradantrieb, vgl. im folgenden die Bilder 14.6 und 14.8.
Bild 14.3. De-Dion-Hinterachse des Glas 2600 (1965) (Werkbild BMW Group)
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14 Starrachsführungen
14.2 Deichsel- und Schubkugelachsen Die einfachste Art der Längsführung und Drehmomentabstützung um die Fahrzeug-Querachse ist das „Schubrohr“, welches starr mit der Achsbrücke verschraubt und am Fahrgestell kugelig gelagert ist, Bild 14.4. Die längs liegende Antriebswelle läuft geschützt innerhalb des Rohres, und konzentrisch mit der „Schubkugel“, durch welche die Momentanachse für die parallele Radbewegung festgelegt ist, findet sich das einzige Wellengelenk (bei frühen Ausführungen von Schubkugelachsen trug das Schubrohr manchmal auch das Schaltgetriebe). Die Blattfedern übernehmen die Seitenführung. Diese robuste Starrachs-Bauart wird bis heute angewandt, im allgemeinen aber mit exakter Seitenführung durch Lenker (zur Seitenführung durch einen Panhardstab vgl. Bild 7.34 in Kap. 7!).
Bild 14.4. Fahrgestell des Mercedes-Benz „8/38“ mit Schubkugel-Hinterachse (1926) (Werkbild DaimlerChrysler AG)
Als De-Dion-Achse erhält die Schubkugelachse die Form einer „Deichsel“, Bild 14.5; man erkennt die kugelige Lagerung unten rechts im Bild an der Rahmentraverse, das fahrgestellfeste Hinterachsgetriebe und die quer liegenden Antriebs-Gelenkwellen der Räder. Um eine exakte Querführung zu erzielen, wurde eine vertikale Geradführung nach dem „ScherenPrinzip“ gewählt, vgl. auch Kap. 2, Bild 2.14d: zwei übereinander liegende Dreiecklenker sind durch ein Kugelgelenk verbunden, ihre Drehlagerun-
14.2 Deichsel- und Schubkugelachsen
423
gen befinden sich am Fahrgestell und an der Achsbrücke. Unter der Rahmentraverse vor dem Achsgetriebe sind die Gehäuse von HebelStoßdämpfern zu sehen.
Bild 14.5. De-Dion-Hinterachse des „Großen Mercedes“ Typ 770 (1937) (Werkbild DaimlerChrysler AG)
Für Fahrzeuge mit höher liegendem Schwerpunkt ist, wie anfangs erwähnt, eine Starrachsaufhängung wegen ihrer Spur-, Vorspur- und Sturzkonstanz bei Geradeausfahrt und der im Vergleich zu Einzelradaufhängungen weniger problematischen Verwirklichung eines hoch liegenden Rollzentrums durchaus interessant. Eine nicht angetriebene Starrachse – oder eine De-Dion-Achse – kann sehr leicht (ohne Massenkoppelung der Räder) gebaut und in der Draufsicht bogenförmig gestaltet werden, um im Hinterwagen Platz für den Kraftstofftank oder das Getriebe zu schaffen.
424
14 Starrachsführungen
Bild 14.6. De-Dion-Hinterachse des Smart „fortwo“ (1999); Antriebswellen nicht dargestellt (vereinfacht, nach einem Werkbild der Smart GmbH)
Bild 14.6 zeigt eine De-Dion-Hinterachse für einen Kleinstwagen mit Hinterradantrieb (Triebwerk und Gelenkwellen nicht dargestellt). Die hintere Seitenführung erfolgt über zwei nahe nebeneinander in der Fahrzeugmitte gelagerte Querlenker (gewissermaßen zwei „Panhardstäbe“), ist deutlich hinter der Achse angeordnet und schafft so nicht nur den erforderlichen Raum für den Triebwerksblock, sondern sichert auch das elastische Untersteuerverhalten. Die nach vorn versetzten Federn verringern die Hubfederrate bei gleich bleibender Wankfederrate. – Eine Deichselachse mit zwei Querlenkern ist allerdings kinematisch überbestimmt. Diese Überbestimmung bleibt bei Kurvenfahrt bzw. bei Wankneigung noch folgenlos, da der Achskörper um die in der Fahrzeugmittelebene durch das vordere Gummilager und die Querlenker definierte WankMomentanachse schwenkt und die nahe dieser Achse befestigten Querlenker die Bewegung nur unwesentlich behindern. Die Wank-Momentanachse und auf ihr das Rollzentrum sind „fahrzeugfest“ mit den entsprechenden Vorteilen für das kinematische Eigenlenkverhalten und die geringe Aufstützneigung.
14.2 Deichsel- und Schubkugelachsen
425
Bei parallelem Radhub weichen dagegen die kreisbogenförmigen Bahnen der äußeren Querlenkerlager stark von der durch den Achskörper vorgegebenen vertikalen Führungsbahn derselben ab, was elastische Verformungen der Gummilager der Querlenker hervorruft, die jedoch angesichts des bei Kleinwagen relativ kurzen Gesamtfederweges in Grenzen bleiben. Die Federraten beider Gummilager eines Querlenkers können hier mit der – sehr hohen – Biegefederrate des (halben) Achskörpers in der Draufsicht, zumindest in der „Normallage“, als Serienanordnung gemäß Bild 5.17b, Kap. 5, nach Gl. 5.27 zu einer resultierenden Federrate der Lenkerverbindung zwischen Achskörper und Fahrgestell zusammengefasst werden. Damit ergibt sich ein Federungssystem nach Bild 14.7, mit einer waagerechten „Zug“- bzw. „Druckfeder“, die am Fahrzeugkörper angehängt ist und deren anderes Ende auf einer senkrechten Gleitführung verschoben wird. Mit der ungespannten Länge l0 dieser „Feder“ und ihrer Federrate c wird die Federkraft F c (l l0 ), wobei sich die Länge l mit der Basis a und dem vertikalen Hub s aus l² = a² + s² ergibt. Die vertikal wirksame Federkraft Fs folgt aus der geometrischen Beziehung Fs / F s / l zu
· § l0 ¸. c s ¨1 ¸ ¨ ² ² a s ¹ © Die Kennlinie Fs ( s) zeigt einen „S-Schlag“ mit merklich abgesenkter Federrate in der Normallage (s = 0) und überlagert so der eigentlichen Fahrzeugfederung einen „weichen“ Mittelbereich mit progressiven Endästen [10, 55]. Die Ableitung d Fs / d s führt zu einer ausgeprägten „kinematischen Federrate“ (vgl. Kap. 5, Gl. 5.37 und Bild 5.23) Fs
§ l0 a ² ·¸ c ¨¨1 , 3 2 ¸ © ( a ² s ²) ¹ und in Normallage, d.h. s = 0, wird die örtliche Federrate cs0 c (1 l0 / a). cs
Bild 14.7. Beitrag der Querlenker der Achse von Bild 14.6 zur Federkennlinie bei paralleler Ein- und Ausfederung beider Räder (schematisch)
426
14 Starrachsführungen
Die Federrate in Normallage ist Null, wenn die ungespannte Länge l0 der „Feder“ gleich der Basislänge a ist. Für l0 a (Zugvorspannung in Normallage) ist cs0 ! 0, für l0 ! a (Druckvorspannung) ist cs0 0. Im letzteren Falle hat die Federkennlinie Fs ( s ) drei Nullstellen, nämlich eine instabile in der Normallage (s = 0) und zwei stabile Gleichgewichtslagen außerhalb der Normallage; hier arbeitet also die Feder wie bei einem Kippschalter. Das Diagramm in Bild 14.7 zeigt Beispiele für drei Vorspannungszustände, nämlich für l0 a und für ungespannte Längen l0 , die jeweils um 0,5% kleiner oder größer als a angenommen wurden. Die Hinterachse von Bild 14.6 ist mit einem Stabilisator ausgerüstet, der am Achskörper gelagert ist und sich über Pendelstützen an einem Rahmen abstützt, welcher neben der Achse samt den Federn und Dämpfern auch den (nicht gezeichneten) Triebwerksblock trägt und bei der Endmontage fest mit dem Fahrzeugkörper verschraubt wird.
Bild 14.8. „Parabel-Hinterachse“ der Mercedes-Benz „A-Klasse“ (2004) (Werkbild DaimlerChrysler AG)
Für eine Großraumlimousine mit ihren längeren Federwegen kommt eine Lösung wie in Bild 14.6 kaum in Frage. Die nicht angetriebene Deichselachse in Bild 14.8 ist durch ein vorderes Gummilager mit dem Fahrzeugkörper verbunden und wird durch ein hinter
14.3 Lenkergeführte Starrachsen
427
den Rädern angeordnetes Wattgestänge geführt. Damit kann wie schon in Bild 14.6 ein elasto-kinematisch untersteuerndes Verhalten sichergestellt werden. Die Koppel des Wattgestänges ist am Fahrzeugkörper gelagert und bewegt sich in einer ziemlich flach gegen die Fahrbahn geneigten Ebene (vgl. Kap. 7, Bild 7.14e). Das vordere Gummilager und die Koppel bestimmen die Wank-Momentanachse und das Rollzentrum; da sowohl das Gummilager als auch die Koppel fahrzeugfest sind (vgl. Bild 7.14c), verändert sich die Neigung der Wank-Momentanachse über dem Radhub kaum, damit ebenso wenig das kinematische Eigenlenkverhalten, und das Rollzentrum bewegt sich mit dem Fahrzeugkörper auf und ab, was den Aufstützeffekt bei Kurvenfahrt unterdrückt oder, angesichts der üblicherweise progressiven Federung, zumindest stark abmildert. Das für dieses Fahrzeug entwickelte „Selektive Dämpfungssystem“ wurde in Kap. 5, Bild 5.54 vorgestellt.
14.3 Lenkergeführte Starrachsen Wird das Rohr einer Schubkugelachse nur vertikal steif gelagert, horizontal dagegen nachgiebig, so dient es wie ein „Schwert“ nur noch zur Abstützung des Drehmoments um die Querachse. Die in Bild 14.9 dargestellte Hinterachse wird durch zwei Längslenker und einen Panhardstab geführt.
Bild 14.9. Hinterachse des Opel „Ascona“ (1970)
(Werkbild Adam Opel AG)
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14 Starrachsführungen
Das vordere Gummilager am Stützrohr erhält die Funktion eines „Kugelflächengelenks“, die Aufhängung entspricht damit Bild 2.14b in Kap. 2. Der Längspol ergibt sich in der Seitenansicht als Schnittpunkt der Längslenker und der Vertikalen durch das Lager am Stützrohr. Mit der Vorverlegung der Schraubenfedern wird die Federübersetzung bei Parallelfederung verringert und damit die Wankfederrate gegenüber der Hubfederrate aufgewertet (vgl. Bild 14.6); ein Stabilisator ist zusätzlich vorhanden. Als Beispiel für eine Achsaufhängung an zwei Stablenkern und einem Dreiecklenker ist in Bild 14.10 eine De-Dion-Hinterachse wiedergegeben. Der Dreiecklenker ist gegensinnig zu den Längslenkern angeordnet, so dass die Aufhängung in der Seitenansicht eine gegenläufige Viergelenkkette nach Art des Wattgestänges bildet. Diese Maßnahme, die nur bei DeDion-Achsen und nicht angetriebenen Achsen sinnvoll ist, führt zu einem progressiven Anfahr- und Bremsnickausgleich; letzteres, weil die Bremse sich im Gegensatz zur Achse von Bild 14.3 außen am Rade befindet. Da die Längslenker die Richtung der Wank-Momentanachse vorgeben, vgl. Kap. 7, Bild 7.15b, und auf der Verlängerung der Lenker auch der Längspol der Aufhängung zu finden ist, kann der Schrägfederungswinkel, d.h. bei einer De-Dion-Achse auch der Antriebs-Stützwinkel, in Konstruktionslage nicht groß sein, wenn ein übersteuerndes kinematisches Eigenlenkverhalten vermieden werden soll. – Eine freie Wahl der Stützwinkel bei gleichzeitig untersteuerndem kinematischem Eigenlenkverhalten ist an De-Dion-Achsen nur mit einer räumlichen Vier-Lenker-Aufhängung zu erreichen (vgl. Bild 7.29 in Kap. 7).
Bild 14.10. De-Dion-Hinterachse des Opel „Admiral“ (1952) (Werkbild Adam Opel AG)
14.3 Lenkergeführte Starrachsen
Bild 14.11. Hinterachse des BMW „501“ (1952)
429
(Werkbild BMW Group)
In Bild 14.5 konnte eine aus zwei Dreiecklenkern gebildete „Schere“ einen Panhardstab, also einen Stablenker, ersetzen. Wenn die gleiche Maßnahme an den beiden Längslenkern einer Starrachse ähnlich Bild 14.10 vorgenommen wird, wobei die Drehachsen der Dreiecklenker der Scheren etwa in Fahrtrichtung zu liegen kommen, so ergibt sich die in Bild 14.11 dargestellte Achsaufhängung. Die „Scheren“ bestehen auf jeder Fahrzeugseite aus einer ecksteif am Fahrzeugrahmen gelagerten, mit einer längs liegenden Drehstabfeder verbundenen Kurbel und einer an der Achsbrücke hängenden Pendellasche. Kurbel und Pendel sind kugelig (in Wälzlagern mit gummielastischer Bettung) aneinandergekoppelt. Die Widerlager der Drehstäbe am Fahrgestell können zur Korrektur der Fahrzeug-Höhenlage über Anschlagschrauben verstellt werden. Diese Achsaufhängung bietet ein Beispiel für eine extreme „kinematische“ Federungsauslegung mit einer Kennlinie, die in Normallage eine niedrige Federrate und beim Ein- und Ausfedern eine erhebliche Progression aufweist. Wenn die Kurbel und das Pendel sich der „gestreckten“ Lage nähern (rechts im Bild), wächst die wirksame Federungskraft gegen Unendlich bei endlich großem Drehstabmoment; die „kinematische Federrate“ hat zuletzt 100% Anteil an der Gesamt-Federrate [55]. Diese Achse kam ohne die üblichen Zusatzfedern zur Erzielung einer progressiven Federungskennlinie aus. Die sehr schräg angestellte Pendellasche im rechten Bildteil verursacht am seitenführenden oberen Dreiecklenker hohe Reaktionskräfte, weshalb, wie bereits in Kap. 5, Abschn. 5.4 gesagt, kinematische Tricks zur Beeinflussung der Federkennlinie an modernen, elasto-kinematisch dominierten Achskonstruktionen nicht mehr ratsam sind.
430
14 Starrachsführungen
Bild 14.12. Vier-Lenker-Hinterachse des Ford „Taunus“ (1970) (Werkbild Ford Motor Co.)
Eine Vier-Lenker-Aufhängung, die Grundform der statisch bestimmten Starrachsführung, ist in Bild 14.12 dargestellt. Der Schnittpunkt der oberen Diagonallenker liegt nahe am Achskörper, das Rollzentrum ändert also seine Lage über der Fahrbahn nur wenig und steigt sogar beim Einfedern geringfügig nach oben; die beiden unteren Längslenker bestimmen die Richtung der Wank-Momentanachse. Die „Auflösung“ des oberen Dreiecklenkers in zwei Stablenker hat den Vorteil, dass die großen Winkelausschläge des Lagers an der Spitze eines Dreiecklenkers, die aus überlagerten Hub- und Wankbewegungen der Achse entstehen, vermieden werden und in erheblich kleinere Winkelausschläge an den Lagern der Stablenker umgewandelt werden, wobei sich die aus der Wankbewegung resultierenden „Kardanwinkel“ obendrein hälftig auf die beiden Gummilager eines Stablenkers aufteilen können. Auch werden die Lenker vor Verzwängungen als Folge von Einbautoleranzen oder von elastischen Verformungen bewahrt, denn die Nachgiebigkeit der fahrzeugseitigen Lagerstellen vor allem bei LKW-Rahmen belastet einen Dreiecklenker auf Biegung besonders im Bereich seines Scheitels. Nur sehr selten wird bei Starrachsen, im Gegensatz zu den Einzelradaufhängungen, ein Teleskop-Dämpfer als „Drehschublenker“ (vgl. Kap. 2) für Radführungsaufgaben eingesetzt. Die Hinterachse in Bild 14.13 mit zwei Längslenkern und einem Panhardstab weist zwei derartige Drehschubführungen auf und ist damit eigentlich statisch überbestimmt, was aber angesichts des weit entfernten Längspols dieser im Seitenriss wie eine Längslenker-Dämpferbeinachse erscheinenden Aufhängung und der daraus
14.4 Statisch überbestimmte Systeme
431
folgenden geringen Verdrehwinkel um die Querachse wenig Bedeutung hat. Die Konstruktion lässt das Bestreben erkennen, in einem Kleinwagen raum- und kostensparend zu bauen. Vorteilhaft ist hier die Abstützung des Bremsmoments auf großer Basis (Abstand Längslenker/Dämpferlager) mit geringen Reaktionskräften, wie auch bei Feder- oder Dämpferbeinachsen, und damit die Möglichkeit einer weichen „Längsfederung“.
Bild 14.13. Hinterachse des Ford „Fiesta“ (1976)
(Werkbild Ford Motor Co.)
14.4 Statisch überbestimmte Systeme Achsaufhängungen an mehr als vier Lenkern sind kinematisch überbestimmt (und unter Berücksichtigung der beiden Federelemente auch statisch überbestimmt). Derartige Lösungen entstehen aus unterschiedlichen Gründen (vgl. Kap. 2, Abschn. 2.3.3). Die Fünf-Lenker-Aufhängung in Bild 14.14 hat zwei leicht gegen die Fahrtrichtung angestellte untere und zwei längs angeordnete und deutlich kürzere obere Lenker sowie einen Panhardstab zur Seitenführung. Dies ergibt eine annähernde Geradführung des Radaufstandspunktes in der Sei-
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14 Starrachsführungen
tenansicht bei als „blockiert“ betrachtetem Antrieb bzw. blockierter Bremse (vgl. die Geradführung bei ungleich langen Lenkern – wenn auch dort im Fahrzeugquerschnitt – in Bild 11.2 in Kap. 11), also etwa konstante Stützwinkel. Die kurzen oberen Längslenker schaffen Raum für die hintere Sitzbank. Da sie gegenüber den unteren und längeren Lenkern näher zur Fahrzeugmitte hin verlegt sind, kann eine Verzwängung der Lagerungen bei Wankbewegung weitgehend vermieden werden (vgl. Bild 9.17b in Kap. 9).
Bild 14.14. Hinterachse des Opel „Rekord Caravan“ (1966) (Werkbild Adam Opel AG)
Ebenfalls fünf Lenker weist die nicht angetriebene Hinterachse von Bild 14.15 auf, nämlich einen Panhardstab und vier – im Gegensatz zu Bild 14.14 aber gegensinnig angeordnete – Längslenker nach Art eines Wattgestänges. Dies ergibt einen progressiven Bremsnickausgleich bei kleinem Stützwinkel in Normallage. Da der Pol eines gegenläufigen Gestänges seine Lage stark verändert und sogar die Seite wechselt, kann eine Verspannung des Mechanismus beim Wanken gering gehalten werden, wenn dabei die Schnittpunkte der linken bzw. der rechten Längslenker im Seitenriss spiegelbildlich zur Achse zu liegen kommen, also am einfedernden Rade etwa den gleichen Drehsinn und Drehwinkel bewirken wie am ausfedernden. Die vier im Grundriss leicht schräg angestellten Längslenker würden ohne Berücksichtigung des Panhardstabes eine kinematische „Wank-Momentanachse“ definieren, und solange diese den Panhardstab schneidet, ist die Aufhängung nahezu statisch bestimmt (der Stab bildet dann einen „kinematischen Überschluss“); wegen der gegensinnigen Lenkeranordnung ändert diese „Momentanachse“ aber ihre Höhenlage beträchtlich. – Der in der Mitte des Panhardstabes erkennbare Befestigungspunkt diente zur Steuerung eines Bremskraftreglers, wie er bei leichten Fahrzeugen mit Frontantrieb häufig angewandt wird.
14.4 Statisch überbestimmte Systeme
433
Bild 14.15. Hinterachse des „Alfasud“ (1972) bzw. „Alfa 33“ (Werkbild Alfa Romeo Auto S.p.A.)
In Bild 14.16 ist eine angetriebene Vorderachse an zwei über je zwei Gummilager mit der Achsbrücke verbundenen „geschobenen“ Längsarmen und einem Panhardstab aufgehängt. Die Momentanachse der parallelen Radbewegung verläuft durch die fahrgestellseitigen Lager der Längsarme, woraus ein beträchtlicher Anfahr- und Bremsnickausgleich resultiert. Die von Rad zu Rad durchlaufende Spurstange liegt hinter der Achse, die Lenkschubstange (nicht dargestellt) greift am vorn erkennbaren Lenkhebel des rechten Rades an und ist etwa parallel zum Panhardstab ausgerichtet (vgl. auch Kap. 7, Bild 7.36b). Wären die beiden Längsarme starr an der Achsbrücke befestigt, so würde diese bei Wankbewegungen auf Torsion belastet, d.h. das Wanken wäre praktisch unterbunden. Die zwischen dem Achskörper und den Längslenkern eingebauten Gummilager haben eine breite Abstützbasis, um die Antriebs- und Bremsmomente – wenn auch unter elastischem „Aufziehen“ der Achse – übertragen zu können, geben aber bei gegensinniger Bewegung der Längsarme, wie sie beim Wanken des Fahrzeugs auftritt, ein Rückstellmoment am Fahrzeugkörper ab; sie wirken also wie ein Stabilisator, der hier zusätzlich vorgesehen ist. Wäre die Achse von Bild 14.16 nicht angetrieben, so könnten die Längsarme fest an der Achsbrücke angebracht und die letztere in sich verdrehbar ausgebildet werden (vgl. Kap. 2, Bild 2.18b und Kap. 7, Bilder 7.25 und 7.37). Damit stellt diese Achsführung eine Beziehung zwischen den Starrachs- und den Verbundaufhängungen her, denen das nachfolgende (und letzte) Kapitel gewidmet ist.
434
14 Starrachsführungen
Die Hinterachse des Fahrzeugs ist nach dem gleichen Prinzip aufgebaut, ihre Längsarme weisen natürlich nach vorn. Dieses Achsprinzip war seit den 1960er Jahren für derartige Geländefahrzeuge typisch, bis sich auch hier, wachsenden Fahrgeschwindigkeiten und damit Sicherheits- und Komfortansprüchen entsprechend, Einzelradaufhängungen durchzusetzen begannen.
Bild 14.16. Vorderachse des Geländewagens Mercedes-Benz „240/300 GD“ (1979) (Werkbild DaimlerChrysler AG)
15 Verbundaufhängungen
Die Verbundaufhängung ist die allgemeine Form der kinematischen Führung zweier Räder einer „Achse“; insgesamt sind für diesen Mechanismus zwei Freiheitsgrade nötig, vgl. Kap. 2, was bei Einzelradaufhängungen dadurch erreicht wird, dass jedes Rad unabhängig vom anderen einen Freiheitsgrad gegenüber dem Fahrzeugkörper erhält, und bei Starrachsführungen, indem der gesamte Achskörper mit zwei Freiheitsgraden aufgehängt wird. Die beiden Räder der Starrachse können aber keine Relativbewegungen ausführen, während solche bei Verbundaufhängungen möglich sind. Verbundaufhängungen werden angewandt, um einen Kompromiss zwischen den Eigenschaften der Einzelrad- und der Starrachsaufhängungen zu erzielen, z.B. geringe Spur-, Sturz- und Vorspuränderungen bei symmetrischer Federungsbewegung und einen günstigen Radsturz sowie eine merkliche Rollzentrumshöhe und ein evtl. ausgeprägtes kinematisches Eigenlenkverhalten bei antimetrischer Federungsbewegung. Sehr anschaulich demonstriert dies eine in einer Patentanmeldung [21] vorgeschlagene „Doppelquerlenkerachse“, welche in Bild 15.1 im Fahrzeugquerschnitt wiedergegeben ist (die Längsführung dieser Achse kann auf vielerlei Art erfolgen, ist aber hier nicht von Interesse). Die beiden Radträger werden von je einem oberen Querlenker geführt, während eine untere Traverse beide Radträger gelenkig verbindet und in Fahrzeugmitte durch eine Gleitsteinführung seitlich abgestützt wird (auch ein Stablenker oder „Panhardstab“ kommt in Frage). Die Radführung entspricht also im oberen Bereich einer üblichen Einzelradaufhängung und zeigt im unteren ein Element, das einer Starrachse ähnelt.
Bild 15.1. Einfache Doppelquerlenker-Verbundaufhängung (schematisch)
436
15 Verbundaufhängungen
Bei paralleler bzw. symmetrischer Hubbewegung beider Räder verschiebt sich die Traverse vertikal und mit ihr die radträgerseitigen Gelenke; der Pol Qp der parallelen Federungsbewegung jedes Rades (im Bild für das linke Rad konstruiert) ist daher der Schnittpunkt der Horizontalen durch das jeweils untere Traversengelenk am Radträger und der Mittellinie des zugehörigen oberen Querlenkers. Bei Wankbewegung bzw. antimetrischem Radhub schwenkt die Traverse um den Gleitstein, und der Pol Qw der Wankbewegung ist der Schnittpunkt der Verbindungslinie des radträgerseitigen Traversengelenks mit dem Gleitstein und des verlängerten oberen Querlenkers. Auch wenn Bild 15.1 dies suggerieren möchte, so ist eine Verbundachse keine „Kreuzung“ einer Starrachsführung mit einer Einzelradaufhängung, sondern die übergeordnete und beide „Sonderfälle“ einschließende Grundform der Führung zweier Räder im Fahrzeugquerschnitt. Von der Einzelradaufhängung oder auch von der Starrachse her kann das System in Bild 15.2 abgeleitet werden, nämlich einmal von der Pendelachse und zum anderen von einer „durchgesägten“ Starrachse, deren Hälften in Fahrzeugmitte durch ein Drehgelenk gekoppelt wurden. Dieses wird durch einen pendelnd aufgehängten Dreiecklenker in der Höhe fixiert und durch eine kurze Querstrebe, sozusagen das Überbleibsel eines Panhardstabes, in weichen Gummilagern seitlich abgestützt, um Querstöße („Schütteln“) auf schlechter Fahrbahn zu mildern. Zwei Längslenker vervollständigen die Aufhängung.
Bild 15.2. „Eingelenk-Pendelachse“ im Mercedes-Benz „220“ (1959) (Werkbild DaimlerChrysler AG)
15 Verbundaufhängungen
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Bild 15.3. Verbindung der Radträger der „Eingelenk-Pendelachse“ von Bild 15.2 (Werkbild DaimlerChrysler AG)
Bild 15.3 zeigt die tiefe Lage der Drehgelenkverbindung der beiden Achsrohre bzw. Radträger; Sinn der Konstruktion war vor allem eine Absenkung des Rollzentrums im Vergleich zu üblichen Pendelachsen. Das Achsgetriebe ist am linken Achsrohr befestigt. Die Achswelle des rechten Rades ist durch ein Kardangelenk und ein in Wälzkörpern verschiebbares Vielnutprofil mit dem Achsgetriebe gekoppelt. Hinter dem Achsgetriebe ist eine Ausgleichsfeder zu erkennen (vgl. auch Kap. 5, Bild 5.16b). Wenn der Motor als „blockiert“ angenommen wird, wälzt das Tellerrad im Achsgetriebe beim Ein- und Ausfedern am Ritzel ab; aus der Getriebeuntersetzung ergibt sich der Längspol und ein merklicher Antriebs-Stützwinkel für das linke Rad (vgl. Kap. 6, Bild 6.17). Da die Drehbewegung der linken Achswelle sich über das Kardangelenk gleichsinnig auf die rechte überträgt, gilt das Gesagte auch für das rechte Rad. Diese Aufhängung hat also, im Gegensatz zur normalen Pendelachse (= Einzelradaufhängung), einen beträchtlichen Anfahrnickausgleich. Die längsliegende Antriebswelle vom Motor-Getriebe-Block her stützt ihr Drehmoment am linken Achskörper ab, woraus ein Wankmoment gegenüber der Fahrzeugfederung entsteht wie bei Starrachsen (vgl. Kap. 6, Bild 6.7). – Die WankMomentanachse und damit der resultierende Lenkwinkel werden wie bei einer Starrachse durch die Längslenker bestimmt, während eine resultierende Vorspuränderung nicht möglich ist, solange das mittlere Drehgelenk parallel zur Fahrbahnebene liegt.
438
15 Verbundaufhängungen
Bild 15.4. Hinterachse des Fairthorpe „TX 1“ (1965) schematisch (nach „Motor“ Oct. 30, 1965, p. 43)
Verbundaufhängungen können aus Einzelradaufhängungen abgeleitet werden, indem Lenker des Radführungsmechanismus einer Fahrzeugseite an dem Radträger oder an Lenkern der anderen Fahrzeugseite angekoppelt werden (vgl. Kap. 2, Bild 2.18a). In ähnlicher Weise, aber weniger kompliziert, war die Hinterachse eines Sportwagens ausgeführt, Bild 15.4. Zwei Längsschwingen trugen um die Längsachse drehbar gelagerte Radträger, die durch sich kreuzende obere Querlenker jeweils mit der gegenüberliegenden Radaufhängung verbunden waren. Bei symmetrischer Federungsbewegung schwenkt das gesamte System um die Drehachsen der Längsschwingen am Fahrzeugkörper. Bei antimetrischer Bewegung bleiben die Mitten der Querlenker in Ruhe, d.h. der Querpol eines Rades ergibt sich jeweils im Fahrzeugquerschnitt als Schnittpunkt des Querlenkers und der Parallelen zur fahrzeugseitigen Längsschwingen-Drehachse durch das Drehgelenk des Radträgers an seiner Längsschwinge. Damit nimmt das kurvenäußere Rad bezogen auf den Fahrzeugkörper einen großen negativen Sturz an und das kurveninnere einen positiven. Die Drehachsen der Radträger schwenken in der Seitenansicht um die vorderen Drehgelenke der Längsschwingen. Bei Kurvenfahrt zeigt also die Drehachse des kurvenäußeren Rades in Fahrtrichtung abwärts, die des kurveninneren dagegen aufwärts. In Verbindung mit den hohen Radsturzwerten ergibt das merkliche Vorspurwinkel an beiden Rädern. Verbundaufhängungen werden heute, was die Zahl der produzierten Fahrzeuge betrifft, in weit größerem Ausmaße verwendet, als man zunächst erwarten möchte, und zwar als Hinterradaufhängungen für Fahrzeuge mit Frontantrieb, durchweg basierend auf dem in Kap. 2 mit Bild 2.18b bzw. in Kap. 7 mit den Bildern 7.25 und 7.37 bereits mehrfach angesprochenen Prinzip einer um die Fahrzeugquerachse verdreh- oder verwindbaren Querverbindung der beiden Radträger. Die erste Anwendung dieser Grundbauweise dürfte mit der RennwagenHinterachse in Bild 15.5 erfolgt sein, die sich deutlich von einer De-Dion-
15 Verbundaufhängungen
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Achse ableitet. Die Drehachse des die beiden Radträger verbindenden Drehgelenks, vgl. die kinematische Schemaskizze, befindet sich hinter den Radachsen, so dass die Wank-Momentanachse eine ähnliche Lage erhält wie bei „verkürzten“ Pendelachsen (der Querpol fällt hier, anders als in Bild 7.25 in Kap. 7, auf die gleiche Fahrzeugseite wie das zugehörige Rad). Dies ergibt ein hohes Rollzentrum und zur Kurveninnenseite hin stürzende Räder („Kurvenleger“). Im Gegensatz zu den Einzelradaufhängungen würde sich daran selbst durch einen Aufstützeffekt bei Kurvenfahrt nichts ändern.
Bild 15.5. Hinterachse des Mercedes-BenzRennwagens W125 (1937) (Werkbild DaimlerChrysler AG)
440
15 Verbundaufhängungen
Die Seitenführung erfolgt durch einen Gleitstein und einen Führungsschlitz am Getriebegehäuse (vgl. Bild 2.14c in Kap. 2). Die fest mit den Achshälften verschraubten längs liegenden Blecharme oder „Schwerter“ entsprechen kinematisch Dreiecklenkern. Enge Verwandtschaft mit dieser Achse zeigt die Hinterradaufhängung nach Bild 15.6, wo aber die Querverbindung als Drehschubgelenk (also ohne gegenseitige Fixierung der Achshälften in Querrichtung) ausgebildet wurde und damit je Rad einen zusätzlichen Stablenker zur Seitenführung erforderlich machte, den hier als damals für englische und amerikanische Konstruktionen typisches Detail die längenkonstante Kardanwelle vertrat. Die Achsgeometrie im Fahrzeugquerschnitt entspricht etwa Bild 7.17a in Kap. 7, während die Längsführung der Radträger durch gegensinnig angeordnete Stablenker nach Art eines Wattgestänges erfolgte (vgl. Bild 2.18b in Kap. 2).
Bild 15.6. Hinterachse des Rover „2000“ (1963)
(Werkbild Rover Group)
Erheblich einfacher gestaltet sich die Konstruktion einer solchen Verbundaufhängung, wenn kein Antrieb zu berücksichtigen ist. Die funktionell einer Starrachse nahe stehende Aufhängung von Bild 15.7 stellte einen Endpunkt der Entwicklung der „Torsions-Kurbelachse“ dar, die bereits 1959 begonnen hatte [5].
15 Verbundaufhängungen
Bild 15.7. „Torsionskurbelachse“ des Audi „100“ (1976)
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(Werkbild Audi AG)
Die Längsarme sind mit der Achsbrücke, einem nach unten offenen UProfil, fest verbunden; ein Panhardstab hinter der Achse besorgt die Seitenführung (in der allerersten Ausführungsform erstreckte sich der Panhardstab diagonal von der Achsbrücke zur Verbindungslinie der vorderen Lenkerlager, um die seitliche Versatzbewegung der Achse relativ zum Fahrzeugkörper bei paralleler Ein- und Ausfederung zu vermeiden, vgl. auch Bild 7.34c in Kap. 7). Bei paralleler Federungsbewegung schwenkt die Achse um die Verbindungslinie der fahrzeugseitigen Längsarmlager, und bei Wankfederung verwindet sich das offene Profil in erster Näherung um die durch seinen Schubmittelpunkt vorgegebene neutrale Torsionsachse (vgl. Bild 7.37 in Kap. 7). Am anderen Ende der „Verbund-Skala“, nämlich bei den Einzelradaufhängungen, ist die Variante nach Bild 15.8 angesiedelt. Die verwindbare Querverbindung ist zwischen die fahrzeugseitigen Längsarmlager gerückt und hat ein T-Profil erhalten. Dessen Schubmittelpunkt liegt im Schnitt von Flansch und Steg und hier offensichtlich nur geringfügig gegen die Verbindungslinie der Längsarmlager zum Fahrzeugheck hin verschoben. Der Panhardstab entfällt, dafür sind die Längsarme nun torsions- und biegesteif gestaltet, um Sturzmomenten und Seitenkräften standzuhalten. Die Achse hat annähernd die kinematische Funktion einer LängsschwingenEinzelradaufhängung. Das Rollzentrum liegt fast in der Fahrbahnebene, die Sturzänderung relativ zum Fahrzeugkörper bei antimetrischer Federungsbewegung ist klein, die Räder neigen sich fast parallel mit diesem.
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15 Verbundaufhängungen
Bild 15.8. Hinterachse des VW „Scirocco“ (1974) (Werkbild Volkswagen AG)
Da die Auf- und Abbewegung des Querprofils im Gegensatz zur „Starrachse“ von Bild 15.7 fortfällt, ergeben sich sehr günstige Raumverhältnisse im Fahrzeug. Erst an der Hinterradaufhängung von Bild 15.9 treten die „Verbund“Eigenschaften offen zutage. Der Querträger, nun wieder ein – nach vorn geöffnetes – U-Profil, befindet sich am vorderen Drittel der Längsarme. Die Aufhängung verhält sich bei Wankfederung ähnlich wie eine Schräglenkerachse und bei Parallelfederung wie eine Längslenkerachse (vgl. auch Bild 7.37 in Kap. 7). Die starre Verbindung der biege- und torsionssteifen Längsarme und des torsionsweichen offenen Querprofils stellt, wie aus der Festigkeitslehre bekannt ist, wegen der Querschnittsverwölbung tordierter offener Profile hohe Ansprüche an die Formgestaltung und die Fertigungsqualität bzw. deren Überwachung. Am günstigsten sind bekanntlich in Bezug auf die Querschnittsverwölbung das Winkel- und das T-Profil. Da das Querprofil nicht gut gekröpft werden kann, um den Durchtritt für eine längs liegende Antriebswelle zu schaffen, kommen die Verbundauf-
15 Verbundaufhängungen
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hängungen nach den Bildern 15.8 und 15.9 für Antriebsräder kaum in Frage. Auch hinsichtlich der Fahrzeug-Gewichtsklasse sind Grenzen gesetzt, denn für schwere Fahrzeuge sind größere Federwege erforderlich, die äußeren Kräfte wachsen mit dem Fahrzeuggewicht, die Spurweite und damit die verfügbare Verformungslänge aber nur unwesentlich. Eine Erhöhung der Werkstoff-Streckgrenze führt im allgemeinen zu weniger günstigen Schweißeigenschaften. Die Achsbauart erscheint aber gut geeignet für die Anwendung faserverstärkter Werkstoffe. An den Hinterachsen nach Bild 15.8 und 15.9 erfolgt die Seitenführung durch die beiden vorderen Lager der Längsarme allein, also vor den Radaufstandspunkten, woraus sich im Fahrzeuggrundriss ein „übersteuerndes“ Moment an der Radaufhängung ergibt. Dem kann durch „spurstabilisierende“ Gummilager mit entsprechend ausgerichteten Hauptfederraten begegnet werden [43], die den Federschwerpunkt des Aggregates im Fahrzeuggrundriss hinter die Achse verlegen (vgl. Bild 5.21 in Kap. 5). Im Gegensatz zu einer Fahrschemelaufhängung müssen diese Gummilager hier aber zusätzlich die Drehbewegung der Achse beim Ein- und Ausfedern sowie beim Wanken bewältigen.
Bild 15.9. Hinterachse des Audi „50“ (1974) (Werkbild Audi AG)
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15 Verbundaufhängungen
Die anhand der Bilder 15.7 bis 15.9 beschriebene und in der Auslegung sehr anpassungsfähige Verbundachsfamilie stellt eigentlich einen verwindbaren Rahmen dar. Die englische Bezeichnung „H-Frame Suspension“ streicht ihr wesentliches Merkmal sehr treffend heraus. Als Hinterachse von Fahrzeugen mit Vorderradantrieb stellt sie seit über 30 Jahren einen dominanten Anteil; in Anbetracht der wachsenden Bewertung der Elasto-Kinematik und der zunehmenden Anwendung von FahrwerkRegelsystemen ist aber zu beobachten, dass sie auch an preiswerten Fahrzeugen allmählich durch aufwendigere Mechanismen abgelöst wird.
Schlussbemerkung
Ein Buch kann nur einen Überblick eines Fachgebietes geben; zu einer erfolgreichen Arbeit an Radaufhängungen gehören naturgemäß eine gründliche eigene Beschäftigung mit dem Thema und das passende betriebliche Umfeld. Ein wesentliches Ziel wäre aber erreicht, wenn das Buch auf die wichtigsten der vielfältigen im Verlaufe einer Achsentwicklung auftretenden Fragestellungen und Probleme aufmerksam machen und Lösungswege aufzeigen oder wenigstens andeuten konnte. Einige Grundgedanken, nach denen alle hier vorgetragenen Verfahren und Lösungsansätze entwickelt worden sind, sollten jedoch im Rahmen dieser Arbeit deutlich hervorgetreten sein: Die verschiedenen Bauarten der Einzelrad-, Starrachs- und Verbundaufhängungen lassen sich durch einheitliche Berechnungsmethoden analysieren und nach den gleichen Kriterien beurteilen. Die Radaufhängungen stellen ein reizvolles Teilgebiet der räumlichen Kinematik dar und bieten wahrhaft „allgemeine“ Bewegungsabläufe. Die Radaufhängungen sind fast ausschließlich „statisch bestimmte“ Mechanismen. Deshalb ist die in diesem Buche konsequent geübte Anwendung des Arbeitssatzes bzw. des Prinzips der virtuellen Verschiebungen eine konkurrenzlos einfache, übersichtliche und stets zum Ziel führende Methode zur Bestimmung von Kräften und mechanischen Kenngrößen auch an komplexen Systemen. Die Kenngrößen der Achs- und der Lenkgeometrie sind mit ihren teilweise über hundert Jahre alten Definitionen nur auf den ersten Blick nicht korrekt beschrieben und stellen sich im Gegenteil bei eingehender Betrachtung als sehr sinnvoll und „computergerecht“ heraus. Mit Hilfe des Arbeitssatzes bzw. des Prinzips der virtuellen Verschiebungen gelingt es, die gewohnten Kenngrößen auch für räumliche Radaufhängungen kompatibel und leicht verständlich zu definieren. Die Wirkung von Gelenkwellen und Radnaben-Vorgelegegetrieben im Mechanismus der Radaufhängung kann bei geringem zusätzlichem Programmieraufwand unter Anwendung des Arbeitssatzes bzw. des Prinzips der virtuellen Verschiebungen an allen bekannten Ausführungsformen in einfacher und übersichtlicher Weise untersucht werden, wobei sehr anschauliche Gesetzmäßigkeiten zutage treten.
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Schlussbemerkung
Wegen der erwähnten statischen Bestimmtheit der Radführungsmechanismen ist der Einfluss der gewollten oder ungewollten Elastizitäten auf die Statik und die Kenngrößen der Radaufhängungen vernachlässigbar gering. Kinematik und Elasto-Kinematik werden daher zweckmäßigerweise zwar in enger Wechselwirkung, aber getrennt analysiert.
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Stichwortverzeichnis
Abrollhalbmesser 64, 337 ABS-System 132, 137, 322 Achsbrücke 8, 419 Achsschenkellenkung 231 Ackermannfunktion 266, 273, 280 Ackermannwinkel 266 Adiabatisches Gasgesetz 121 Aktive Federung 326, 400, 418 Aktivlenkung 331 Allradlenkung 226 Anfahrassistent 339 Anfahrnickausgleich 153 Anlenkvorgang 224, 228 Aquaplaning 128 Aufstützeffekt 189, 201ff., 340 Ausfahrkraft (Gasdruckdämpfer) 126 Ausgleichsfeder 86, 179, 383, 437 Bobillier (Verfahren von) 26, 343, 398 Bohrmoment (Reifen) 279 Bredt’sche Formeln 361 Bremsassistent 339 Bremseneingriff 155, 322 Bremskraftregler 132, 154 Bremsmittelpunkt 137 Bremsnickausgleich 151, 153 Cantileverfeder 102 Causantplan 269 Corioliskraft 227, 333 Culmann’sche Resultierende 29 Dämpferbeinachse 390, 395 Dämpferkonstante 101 Dämpfungsmaß 77
De-Dion-Achse 142, 421ff. Deichselachse 19, 422ff. Diagonalreifen 63 Differentialgetriebe 321 Differentialsperre 321 Doppelachse 168ff., 267, 283 Doppel-Kardangelenk 51 Doppelkurbelachse 387 Doppelquerlenkerachse 17, 394 Drall (Drehimpuls) 227 Drehgelenk 9 Drehschemellenkung 231, 283 Drehschubgelenk 9 Drehstabfeder 108, 330, 387, 429 Dreiecklenker 11 Dreiradsatz 14 Drillrohr 109 Druckpunkt (Lenkung) 234 Dubonnet-Achse 141, 384ff. Eigenfrequenz 73 Einheitsvektor 31, 50 Einrohrdämpfer s. Gasdruckdämpfer Einspurmodell 221 Einzelhindernis 83 Elastizitätsmodul 102, 290 Entlastungsparabel 361 Federbeinachse 17, 390 Federentkopplung 81 Federrate 97 Federschwerpunkt 91ff, 291, 443 Federspur 100 Federübersetzung 96 Freiheitsgrad 7, 13 Fußpunkterregung 73
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Stichwortverzeichnis
Gangpolbahn 27 Gasdruckdämpfer 124ff., 328 Gelenkzug 282 Gelenkwelle 49ff., 157, 253 Geradführung 344 Gewichtsrückstellung 249ff., 274 Gierwinkel 5, 225, 333 Gleichlaufgelenk 49ff. Gleitmodul (Schubmodul) 108 Gleitstein 19, 440 Gough-Schaubild 67 Gürtelreifen s. Radialreifen Hartmann (Verfahren von) 25 Hinterradlenkung 222, 226, 333 Hydragas-Federung 86 Hydrolastic-Federung 85 Hydropneumatische Federung 88, 123 Ideale Bremskraftverteilung 132 Idealer Stützwinkel 137 Ideelle Spreizachse 240, 274, 396ff. Isothermes Gasgesetz 121 Kamm’scher Kreis 67 Kardanfehler 50, 234 Kardangelenk 49, 403, 414, 440 Kardanischer Winkel 118, 360, 391 Karkasse 63 Kettenantrieb 149 Kinematische Federrate 97, 162, 381, 429 Knickgabel 372 Knicklenkung 231 Konus-Effekt (Reifen) 69 Kopieren 426 Koppel 8, 12, 388f. Kreiselmoment 181, 227 Kritische Fahrgeschwindigkeit 221 Krümmungsradius 25, 105 Kugelgelenk 9 Kurbelschleife 34, 390 Kurvenleger 317, 439 Kurzschwingengabel 371
Langschwingengabel 372 Längsfederung 287 Längslenkerachse 15 Längsverbundfederung 84 Lastwechselvorgang 223, 300, 312, 339, 417 Latsch (Reifen) 63 Lenkmutter 233 Lenkrollradius 236 Lenkschubstange 218 Lenkstößigkeit 288 Lenktrapez 265 Lenkungsdämpfer 282 Lenkungsflattern 343 Lenkunruhe 281 Lenkwinkel 5, 171 Lotrechte Geschwindigkeiten (Verfahren) 23 MacPherson-Achse 87, 391 Magnetorheologische Flüssigkeit 326 Massenentkopplung 82, 420 Momentanpol 23 Momentanschraubung 37, 347 Nachlaufstrecke 236, 244 Nachlaufversatz 236, 244 Nachlaufwinkel 235, 242 Nickschwingung 81 Nickwinkel 5 Niederquerschnittsreifen 65 Niveauregelung 322 Offenes Profil 359ff., 441ff. Panhardstab 19, 192, 217, 441 Parabelfeder 102 Pendelachse 8, 15, 147f., 401f. Pendelschwingung 371 Pfeilung (Achslenker) 298 Planetengetriebe 145, 261f., 331 Polbahntangente 26, 398 Polstrecken-Methode 411 Polwechselgeschwindigkeit 25 Polytropenexponent 121
Stichwortverzeichnis Querschnittsverwölbung (offenes Profil) 360, 442 Radialreifen 63 Radlasthebelarm 237, 244 Radnabenmotor 261 Radsturz 171 Radträger 2 Rastpolbahn 27 Raumlenker-Hinterachse 412f., 418 Reibungsdämpfung 78 Reibungskuchen 67 Reifennachlauf 66, 296 Resonanzkurve 77 Reversionspendel 82 Rollachse 174 Rollwiderstand 128 Rollzentrum 174, 183 Rotationskontur 369 Rotierende Massen 165, 228 Rückmeldung (Lenkung) 235, 330 Rückstellmoment (Reifen) 66 Sattelzug 133, 282ff. Scherenführung 19, 422, 429 Schlingern 281 Schlupf 67 Schrägfederungswinkel 128 Schräglaufwinkel 65, 178 Schräglenkerachse 15, 404 Schraubensteigung 44 Schraublenkerachse 410 Schubkugelachse 19, 422 Schubmittelpunkt 366, 441 Schubrohr 422 Schütteln 436 Schwert 416 Schwimmkolben 127 Schwimmwinkel 223, 333, 335 Select-Low-Prinzip 322 Servolenkung 329 Shorehärte 117 Skalarprodukt 32 Skyhook-Dämpfer 326 Sphärischer Mechanismus 16, 35, 399, 406ff.
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Spreizachse 235 Spreizungsversatz 236, 243 Spreizungswinkel 235, 242 Spurdifferenzwinkel 238 Spurlaufaggregat 283 Spurstange 263, 384ff. Stabilisator 87, 108, 179, 203 Stablenker 10 Statischer Halbmesser (Reifen) 64 Steuerkopfwinkel 246, 371 Störkrafthebelarm 236 Stoßmittelpunkt 83, 226, 288, 419 Sturzseitenkraft 68 Stützwinkel 48, 134ff. Teleskop-Stoßdämpfer 124, 390 Teleskopgabel 129, 371 Tonnenfeder 112, 404 Topfgelenk 50 Torsions-Kurbelachse 440 Trägheitspol 94 Trägheitsradius 81 Trampelschwingung 419 Trapezgabel 373 Trapezlenkerachse 305, 407, 411, 413ff. Trennkolben (Dämpfer) 125 Triebkrafthebelarm 252 Triebsatzschwinge 138, 288, 373, 379 Triggersender 337 Tripode-Gelenk 50, 401 Tyre non-uniformity 69 Übersteuern 221, 296 Übertragungswinkel 270 Ungefederte Massen 71, 165, 175 Untersteuern 221, 296 Vektorprodukt 32 Vergrößerungsfunktion 74ff. Verteilergetriebe 321 Virtuelle Verschiebungen 46 Vorgelegegetriebe 55, 144ff., 159, 259, 262, 301 Vorspurwinkel 171, 178, 212, 268
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Stichwortverzeichnis
Wankwinkel 5, 174 Wattgestänge 19, 191, 407, 427 Weitspalt-Blattfeder 102 Werkstoffdämpfung 78 Wiegenfederung 318 Winkeleffekt (Reifen) 69 Winkelzuordnung 269
Zahnstangenlenkung 232 Zentrallenker-Hinterachse 409 Zwanglauf 7 Zweikreisbremse 320 Zweirohrdämpfer 124 Zwischenkoppel 18, 415, 417 Zyklische Vertauschung 30