Arno Zoller Rebellion der Mutanten Rex Corda Band Nr. 27 Rebellion der Mutanten Ein blutiger Aufstand tobt auf der Erde...
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Arno Zoller Rebellion der Mutanten Rex Corda Band Nr. 27 Rebellion der Mutanten Ein blutiger Aufstand tobt auf der Erde. Die Mutanten, Menschen, die durch die Auswirkungen eines Atomkrieges in ihren Anlagen so verändert wurden, daß sie verbrecherisch sind, wollen die Herrschaft über die Erde übernehmen. Aber nicht nur dieser Aufstand von menschlichen Bestien, die mit einer gnadenlosen Härte kämpfen, belastet Rex Corda, sondern auch die laktonische Geheimpolizei. Es war ihm gelungen, eine Gruppe von Wissenschaftlern aus dem laktonischen Forschungszentrum Teckan zu befreien und mit zur Erde zu bringen. Für Terra sind diese Wissenschaftler von lebenswichtiger Bedeutung. Die Laktonen würden nicht einen Augenblick zögern, Terra zu zerstören, wenn sie wüßten, wo die Wissenschaftler sind. Rex Corda, aus dem Weltraum zur Erde zurückgekehrt, steht vor einem schier aussichtslosen Problem: Auf der einen Seite muß er die blutrünstigen Mutanten besiegen, auf der anderen Seite die Wissenschaftler vor der todbringenden Gefahr aus dem Kosmos schützen. »Rebellion der Mutanten« schildert seinen tollkühnen Kampf!
*** Der weite offene Platz unweit vom Regierungszentrum von Den Haag war schwarz von Menschen. Die Kundgebung der Partei zur Sicherung der Menschenrechte – kurz PSM genannt – hatte zahlreiche Bürger der neuen Regierungshauptstadt Terras angelockt. Mutanten waren nicht zu sehen; jedenfalls schien es so auf dem ersten Blick. Cern zog sich mit einem verächtlichen Lächeln aus dem Gewühl zurück. Aus den Augenwinkeln beobachtete er die zusammengesunkene Gestalt von Dellern Smythe, die neben den Holzplanken einer Tribüne kauerte. Natürlich war Smythe wieder einmal sinnlos betrunken. Der Mutant, der sich selbst den Namen Cern gegeben hatte, wandte leicht seinen Kopf nach links. Olaf Harrison betrachtete die wogende Menschenmasse mit dem arglosen Interesse eines Kindes. Die Augen waren unter seinen dunklen Sonnengläsern nicht zu erkennen. Die Stimme des Redners auf der Tribüne wurde von den Lautsprechern zu einem ohrenbetäubenden Gebrüll gesteigert. Unbewußt nahm Cern die Schlagworte in sich auf. »MUTANTEN SIND KEINE MENSCHEN! SIE GEHÖREN IN ANSTALTEN! SIE SIND EIN FLUCH DER MENSCHHEIT, EIN KRANKHAFTES ÜBERBLEIBSEL DER VERGANGENHEIT!« Einzelne Schreie aus der Menge antworteten. Cern wandte sich vorsichtig um. Er hatte einige Beamte der MutantenPolizei entdeckt, die geradewegs auf ihn zusteuerten. Hatten sie ihn entdeckt? Der Mutant verbarg sich hinter dem breiten Rücken eines ungeschlachten belgischen Bauern. Die Beamten zogen vorbei. Das Gesicht Cerns war zu einer teuflischen Grimasse verzerrt. Plötzlich riß er den Arm empor. Olaf Harrison hatte das Kommando bemerkt. Die dicken, kurzfingerigen Hände des Mikroingenieurs verschwanden in einer schwarzen Ledertasche, die über seiner breiten Schulter hing. Ein leichtes Schwirren lag in der Luft. Cern forschte nach den Gefühlen Harrisons und fühlte die Befriedigung über den gelungenen Start. Dellern Smythe hatte also ebenfalls geschaltet. Aber der junge Mann neben den Holzplanken richtete sich nicht aus seiner zusammengesunkenen Stellung auf. Die Augen waren geschlossen. Jeder Außenstehende mußte bemerken, daß der junge Mann sinnlos betrunken war. Daß Smythe in diesem Augenblick Gravofelder manipulierte, konnte keiner ahnen. Keiner außer Cern und Harrison.
Cern sah auf seine breite Armbanduhr. Seine fanatisch glühenden Augen verfolgten den Sekundenzeiger. Noch vier Sekunden! Jetzt! Die Stimme des Redners auf der Tribüne brach ab. Gleichzeitig flatterten die Spruchbänder und Fahnen. Mit knallenden Geräuschen zerrissen die Stoffbahnen. Erregte Rufe kamen aus der Menge. Man schob sich nach vorn. Jeder wollte die Ursache des Zwischenfalles ergründen. Die Massen waren in Bewegung gekommen. Jedoch nur für kurze Zeit. Wie festgenagelt hielten sie an, als fürchteten sie, auch nur einen Schritt weiterzugehen. Die neue Stimme riß alle in ihren Bann. Sie schien aus dem Nichts zu kommen. Kein Mensch stand vor den Mikrofonen auf der Tribüne. Der Redner, der eben noch seine Schlagworte in die Menge gebrüllt hatte, war zurückgetaumelt. Er hielt die Hände vor sein Gesicht, der Körper des Mannes wand sich in krampfartigen Zuckungen. »WIR, DIE MUTANTEN, SIND DIE NEUEN MENSCHEN! WIR HABEN DIE MACHT, UND WIR WERDEN DAVON GEBRAUCH MACHEN! ES GIBT KEINE PARTEI MEHR, DIE MENSCHENRECHTE GEGEN UNS SICHERN MÜSSTE! WIR WERDEN SIEGEN, WIR, DIE NEUEN MENSCHEN!« Wie zufällig hielt Cern einen winzigen Gegenstand vor seinem Mund. Seine Lippen waren fast unbeweglich, als er die Worte in das daumengroße Mikrofon sprach. »DIE VERSAMMLUNG IST AUFGEHOBEN! IN ZEHN SEKUNDEN WIRD AUF DER BÜHNE EINE BOMBE ZUR EXPLOSION GEBRACHT! WIR, DIE MUTANTEN, RATEN IHNEN…« Das Gebrüll der Massen übertönte die Stimme, die aus dem Nichts zu kommen schien. Aber jetzt sahen es einige: Vor den Mikrofonen schwebte ein winziger blitzender Gegenstand. Ein intensives Leuchten ging von ihm aus. Die Bombe! Die Menge wurde von Panik erfaßt. Rücksichtslos drängten die Menschen in die Seitenstraßen. Ältere und schwächere Personen wurden niedergetrampelt. Keiner sah sich um. Nur Flucht war der Gedanke. Über dem wilden Rufen und Schreien der Fliehenden und Verletzten, den gebrüllten Befehlen der Polizisten drang die gnadenlose, eiskalte Stimme, die langsam die Sekunden zählte. »Zehn! Neun! Acht! Sieben! Sechs…1« * Der Sekretär legte den Stoß Unterlagen auf den Schreibtisch Boyd Cliftons. Der UNITERChef nickte seinem Angestellten zu. »Danke, Alfie, Sie können gehen!« Dann wandte sich Boyd Clifton wieder zum Holografen. Er seufzte leicht, als er das eingefrorene Lächeln auf dem Gesicht Sir Walter Battensmiths sah. »Sie haben hoffentlich Ihre Papiere beisammen?« erkundigte sich der Engländer beißend. Boyd Clifton nickte leicht. Es war nicht das erste Mal, daß er einen Zusammenstoß mit Battensmith hatte. Sir Walter war der Vertreter Europas im TERRAKOM, der höchsten politischen Instanz der Erde. Seine scharfen Thesen waren gefürchtet. Mit leichtem Lächeln blickte Clifton auf die Ordner vor seiner Nase. Man konnte ihn nicht so leicht aus der Ruhe bringen. »Ich möchte noch einmal die Frage stellen«, meinte der UNITERChef freundlich, »auf die Sie mir vor fünf Minuten offenbar nicht antworten wollten: Was hat Rex Corda mit der ganzen Sache zu tun?« »Corda ist Vorsitzender des TERRAKOM und gleichzeitig Präsident der Erde.« »Das ist mir bekannt«, antwortete Boyd Clifton unbewegt. »Tatsächlich?« Sir Walter Battensmith schien erstaunt. »Ich sagte es Ihnen nur für den Fall, daß es nicht in Ihren Akten stehen sollte.« Mit einer Handbewegung schnitt der Engländer den Einwand des UNITERChefs ab. »Als Präsident – sollte man meinen – ist sein Platz hier auf der Erde. Hier auf der Erde, verstehen Sie, und nicht irgendwo zwischen einigen Planeten, die uns nichts angehen!« »Deswegen brauchen Sie nicht zu schreien«, bemerkte Boyd Clifton kühl. »Aber offenbar sind Ihnen einige Fakten nicht ganz geläufig. Wenn Sie gestatten, Sir, darf ich Ihnen einige Tatsachen ins
Gedächtnis rufen. Orathonen und Laktonen…« Sir Walter Battensmith verzog sein Gesicht zu einer ungeduldigen Grimasse, aber er unterbrach Clifton zunächst nicht. Trotz der kühlen Stimme strahlten die Worte des UNITERChefs einen eigenartigen Zwang aus. Die Erde war unvermittelt zwischen die großen galaktischen Machtblöcke Orathon und Lakton geraten. Die Erde war der Schauplatz grauenhafter Kämpfe geworden. Nur durch ein Wunder wurde die völlige Vernichtung des gesamten TerraSystems verhindert. Mit Hilfe Laktons konnte man die Orathonen in die Flucht schlagen. Aber nun zeigte es sich, daß das Sternenreich Lakton nicht der uneigennützige Freund der Erde war, wie es bisher schien. Lakton hatte die Erde nur als Werkzeug benutzt, als ein Mittel zum Zweck, um die Orathonen zu vertreiben. Man hatte dafür der Erde wissenschaftliche Hilfe versprochen, denn immer noch waren die Terraner geistige Zwerge gegen die technisch hochentwickelten Galaxier. Doch jetzt schien es, als würden die Laktonen ihr Versprechen nicht halten. Die der Erde gelieferten wissenschaftlichen Daten waren zum Teil unbrauchbar oder führten in eine Sackgasse. Mit allen Mitteln wollten die Laktonen verhindern, daß sich die Terraner als gleichwertige Partner zu ihnen aufschwingen konnten. »Sie sehen das völlig falsch«, unterbrach Sir Walter Battensmith scharf. Sein hageres, scharfgeschnittenes Gesicht zeigte deutliche Mißbilligung. »Ich will keinesweg die Verdienste Präsident Cordas schmälern, aber mir scheint, als setzte der junge Mann ein wenig zu hoch an.« »Bitte?« Boyd Clifton hob gelassen die Augenbrauen. »Das ist doch Wahnsinn«, sagte Battensmith erregt. »Corda kann doch nicht erwarten, daß wir in einem Jahr nachholen, wozu andere Völker Jahrhunderte gebraucht haben. Es ist unbedingt notwendig, die Laktonen als Freunde zu sichern. Sie wollen mich nur von den Tatsachen ablenken. Ich frage noch einmal: Was sucht Rex Corda irgendwo im All? Haben wir nicht auf Terra genug Probleme, mit denen sich Corda herumschlagen kann?« Boyd Clifton war nicht aus der Ruhe zu bringen. Der ehemalige MathematikProfessor und CIAChef war es gewöhnt, die Dinge mit philosophischer Gelassenheit zu sehen. Dennoch klang seine Stimme jetzt eine Nuance schärfer. »Selbst als Vertreter Europas im TERRAKOM sollten Sie Ihre Worte sorgfältiger wählen, Sir. Es handelt sich keineswegs um Abenteuer, worauf Präsident Corda aus ist. Sie sollten sich eines merken, Sir: Die Politik der Erde kann nicht nur auf der Erde in irgendeinem Parlament gemacht werden. Wir brauchen ein neues kosmisches Denken, das Sie offenbar nicht aufzubringen gewillt sind.« Sir Walter Battensmith erstarrte. Das naturgetreue dreidimensionale Abbild auf dem Holografen gab eine leichte Rötung im Gesicht des Engländers wieder. Ungerührt fuhr Boyd Clifton fort. »Sie erinnern mich an die Leute, die vor einem halben Jahrhundert gegen jede Raumforschung waren. Der Mensch hätte auf der Erde Probleme genug zu bewältigen, sagten sie. Offenbar herrscht die gleiche Anschauung bei Ihnen. Es ist keineswegs meine persönliche Meinung, wenn ich Ihnen sage, Sir: Es wäre das Ende der Menschheit, wenn sie sich auf diesen Planeten beschränken würde, nur aus dem Grunde, weil wir zufällig hier geboren wurden. Mit dieser Einstellung hätte Kolumbus nie Amerika entdecken können. Allerdings war er kein Engländer. Vielleicht erklärt dies einiges…« Sir Walter Battensmith beherrschte sich bewundernswert. Mit gerötetem Gesicht stieß er zwischen den Zähnen hervor: »Das führt wohl etwas zu weit, Mr. Clifton. Der Grund meines Anrufs war eigentlich…« Boyd Clifton schien den anderen nicht zu hören. Er blickte auf seinen Schreibtisch, wo eine Milchglasscheibe plötzlich eine Bildaufzeichnung wiedergab. »Ich schalte um, Sir«, knurrte der UNITERChef. »Es handelt sich um einen Holografenbericht aus Den Haag.« Auf einen Knopfdruck hin flammte hinter dem UNITERChef eine Schirmwand auf. Die Augen Sir Walter Battensmiths schienen aus ihren Höhlen zu quellen, als er durch die Holografiewiedergabe Zeuge des Geschehens wurde.
»Das war es, Clifton, genau…« »Ich weiß«, entgegnete Boyd Clifton gelassen. »Aus diesem Grund haben Sie angerufen…« Auf dem Holografenschirm tobte der Terror. * »… Fünf! Vier! Drei! Zwei! Eins!« Eine gewaltige Explosion zerriß die Tribüne, auf der sich die Politiker der PSM aufgebaut hatten. Die Männer waren längst von den Holzaufbauten verschwunden, aber sie waren nicht weit gekommen. Immer noch drängten sich die Massen um die Tribüne herum. Es war einfach unmöglich, so schnell den Platz zu räumen. Die gnadenlose, eiskalte Stimme war verstummt. Die brüllende Explosion des kleinen leuchtenden Gegenstandes vor den Mikrofonen hatte die Tribüne in eine Hölle von durcheinanderwirbelnden Holz und Metallsplittern verwandelt. Schreie klangen auf. Sie kamen von Menschen, die von den Trümmern getroffen worden waren. Viele Politiker der Partei zur Sicherung der Menschenrechte waren darunter. Nur wenige überlebten den Anschlag. Nach einer Minute war Ruhe eingekehrt. Die meisten Menschen hatten den Platz verlassen und jagten voller Todesangst durch die neu angelegten Straßen des Regierungsviertels. Auf dem Platz blieben Tote und Schwerverletzte zurück. Stille herrschte, die ab und zu von einem lauten Stöhnen durchbrochen wurde. In der Ferne schrillten Sirenen. Rettungswagen näherten sich in rasendem Tempo. In der Luft schwirrten Polizeigleiter heran. In dem allgemeinen Aufruhr fiel es zunächst nicht auf, daß sich eine kleine Gruppe von Männern langsam entfernte. Auch den Beamten der MutantenPolizei fiel es zunächst nicht auf. Sie waren immer in der Nähe, wenn etwas geschah, das direkt oder auch indirekt mit terranischen Mutanten zu tun hatte. Sie billigten das Vorgehen der Partei zur Sicherung der Menschenrechte nicht, aber sie konnten auch nichts dagegen unternehmen. Sie wußten nur, daß ihrer Sache ein schwerer Schaden zugefügt wurde. Natürlich waren die Mutanten auch Menschen. Und die MutantenPolizei war dafür eingesetzt worden, die Verbindung zwischen Mutanten und »Normalen« zu halten… * Leutnant Baker biß sich auf die Lippen. Er hatte die Holografenkamera adjustiert. Die Aufzeichnungen liefen jetzt vollautomatisch. Von Anfang an war Leutnant Baker mit seinen Leuten dabeigewesen. Als Angehöriger der MutantenPolizei sah er es als seine Pflicht an, die Regierungsstellen von den Absichten und Handlungen gewisser AntiMutantenParteien zu informieren. Die scharfen Augen des Leutnants glitten über das verwüstete Feld. Einige Tribünen waren noch erhalten geblieben. Dann sah er die Bewegung. Es waren drei Männer, die sich mit verdächtiger Langsamkeit zwischen den Bewußtlosen und Verwundeten bewegten. Und Leutnant Baker erkannte sofort, daß es sich um Mutanten handeln mußte. Es waren nicht jene bedauernswerten Deformationen, die auf den ersten Blick zu erkennen waren. Diese Mutanten sahen äußerlich wie normale Menschen aus. Aber Leutnant Baker hatte ein überragendes Gedächtnis. Der eine war ein Ingenieur, dessen Sehnerven verändert waren. Baker hatte sofort die Klassifizierung im Kopf. Es war ein Mikroingenieur, dessen Augen mit der Schärfe eines Mikroskops funktionierten. Blitzartig tauchte ein Name auf: Harrison! Der Mutant hatte bisher noch keinen Ärger gemacht. Aber Baker wußte, daß dieser Mensch instabil war. Auch die andere Gestalt erkannte er: Dellern Smythe. Smythe schwankte, und Leutnant Baker erinnerte sich sofort an die Ursache. Dieser Mann war ein unheilbarer Trinker. Was auf der einen Seite sein überragendes mutiertes Gehirn erzeugte, vermochte sein Verstand zum anderen nicht zu fassen. Ohne den Alkohol wäre Smythe wahnsinnig geworden. Den dritten kannte Leutnant Baker nicht, aber er ahnte sofort, daß es der gefährlichste der Gruppe sein mußte. Ein dandyhaft gekleideter Mann, hochgewachsen, fast dürr. Fanatisch blitzende Augen. Hastige, aber unheimlich kontrollierte Bewegungen. Im gleichen Augenblick sah der dritte Mann herüber. Baker aktivierte die Alarmanlage. Der andere hatte ihn sofort an seiner roten Uniform erkannt, die ihn als Angehörigen der MutantenPolizei
kennzeichnete. Das seltsame Trio beschleunigte seine Schritte. Sie liefen, immer behindert durch den betrunkenen Smythe in ihrer Mitte. Während Leutnant Baker hinter ihnen herrannte, entsann er sich der Mutation des Betrunkenen. Smythe konnte Schwerkraftfelder erzeugen oder verändern. In der Hand eines gewissenlosen Mannes mußte dieser Alkoholiker zu einer Katastrophe werden. Leutnant Baker drehte sich im Laufen um und brüllte seinen Leuten einen Befehl zu. Die Angehörigen des Korps der MutantenPolizei waren sofort zu den Verletzten geeilt. Nur zögernd wandten sie sich von den Verwundeten ab und folgten ihrem Chef. Die drei Mutanten hatten den Platz verlassen und waren in einer Nebenstraße verschwunden… * Cern blickte sich gehetzt um. Im letzten Augenblick hatte man sie bemerkt. Natürlich waren es wieder Angehörige der MutantenPolizei gewesen. Der Mutant schwor sich, blutige Rache an dieser Organisation zu nehmen. Absichtlich übersah er dabei die Tatsache, daß die MutantenPolizei den Opfern des großen Atomkrieges erst ein normales Leben ermöglicht hatte. Nein, Cern wollte das nicht sehen. Wie sollte einer jener »Normalen« einen Mutanten verstehen wollen? Sie würden immer auf der Seite der anderen stehen, wenn sie es in Wahrheit auch nicht zugeben wollten. »Los, Smythe!« schrie Cern bösartig, als der Betrunkene wieder zusammensackte. »Reiß dich endlich zusammen!« Wortlos torkelte Dellern Smythe neben ihm her. Ein lautes Keuchen von der anderen Seite verriet Cern, daß Harrison durch den kurzen eiligen Lauf am Ende seiner Kräfte war. Der Mikroingenieur konnte durch seine übergroße Fettleibigkeit keinen eiligen Schritt ohne besondere Anstrengung unternehmen. Das seltsame Trio zwängte sich durch die Gruppen von Menschen hindurch, die mit blassen Gesichtern auf der Straße standen. Die Menschen, die völlig verwirrt das Geschehen kommentierten, gaben ihnen zusätzlichen Schutz. Sie achteten nicht auf die drei Mutanten, die äußerlich nicht von Menschen zu unterscheiden waren. Dellern Smythe sackte zusammen. Schaum stand vor dem Mund des Gravonauten. Cern fluchte vor sich hin. Normalerweise müßte Smythe in der Lage sein, auch für sich ein Gravofeld erzeugen zu können. Längst hätten sie den Verfolgern entkommen sein können. Aber Smythe war am Ende seiner Kräfte. Die Anstrengung, die Bombe Harrisons bis vor das Mikrofon zu manipulieren, hatte ihn völlig erschöpft. Cern riß den Gravonauten empor und jagte ihn mit Stößen seiner schmalen Fäuste weiter. Sie mußten den Gleiter erreichen, den sie aus Sicherheitsgründen weitab vom Versammlungsplatz abgestellt hatten. Aber schon jetzt bezweifelte Cern, daß es ihnen gelingen würde. Zu dicht waren ihnen die Beamten der MutantenPolizei auf den Fersen. Man hatte sie erkannt, und sie würden nicht mehr lockerlassen. Außerdem würden auch bald die normalen Einheiten der Polizei aktiviert werden. Sie hatten das Ende der Straße erreicht und bogen in eine kleinere Gasse ab. Hier befand sich kein Mensch; von fern hörte man das Gemurmel der Menge, das von einzelnen Schreien der Verwundeten und gebrüllten Kommandos unterbrochen wurde. Sie waren etwa zwanzig Meter in die Gasse eingedrungen, als Cern zufällig seinen Kopf wandte. Die roten Schatten näherten sich. Und sie waren bewaffnet! Gehetzt blickte sich Cern um. Aber ein Entkommen schien hier unmöglich. Da verzerrte für Sekunden ein bösartiges Grinsen sein schmales Gesicht. Die Angehörigen der MutantenPolizei waren normale Menschen, also konnten sie mit den Waffen der Mutanten geschlagen werden. »Halt!« brüllte Cern. Seinem akustischen Befehl folgte ein empathischer Impuls. Smythe und Harrison blieben taumelnd stehen, als wären sie gegen eine Gummiwand geprallt. Hinter ihnen verlangsamten die rotgekleideten Uniformierten ihren Lauf und blieben ebenfalls stehen. »Konzentriert euch«, zischte Cern. »Wir werden mit diesen harmlosen Idioten schon fertig.« Mit
einer harten Bewegung schlug er in Smythes Gesicht, um den Gravonauten wachzubekommen. Dellern Smythe stöhnte auf, doch seine Augen öffneten sich nicht. Seinen klaffenden Lippen entfloh eine stinkende Schnapsfahne. »Wo hast du deine Tasche, Harrison?« bellte Cern. Der Mikroingenieur sah betreten auf seine nackten Füße, die in ledernen Sandalen steckten. Sein Kindermund schürzte sich zu einem verlegenen Grinsen. »Stehengelassen, glaube ich«, stammelte er. Cern stieß einen Fluch aus. Nur mühsam widerstand er dem Impuls, sich auf den dicken Mikroingenieur zu stürzen, der in seinen hellen schlotternden Kordhosen einen lächerlichen Anblick abgab. Im gleichen Augenblick peitschte eine Stimme auf. Ein Offizier der MutantenPolizei hielt ein Sprachrohr in der Hand. Sie waren immer noch nicht näher gekommen. »Ergebt euch, oder wir holen euch!« Das war unmißverständlich. Die Rotgekleideten ließen keinen Zweifel daran aufkommen, daß sie über die wahren Vorgänge während der Kundgebung informiert waren. Cern stieß ein heiseres Gelächter aus. Noch hatte er nicht vor, sich zu ergeben. »Holt uns doch!« brüllte er. Seine dunklen Augen zeigten ein bösartiges, gnadenloses Funkeln. * Mit zusammengebissenen Zähnen beobachtete Sir Walter Battensmith das Explodieren der Bombe, das panische Auseinanderstieben der Massen, dann die tödliche Stille, die sich über den Platz legte. Schlagartig war die kleine Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern vergessen. »Der wievielte Anschlag ist das eigentlich?« erkundigte sich der Engländer. Die Frage war rhetorisch gemeint, dennoch antwortete Boyd Clifton. »Der siebzehnte, um genau zu sein, Sir!« Sir Walter Battensmith schien die Antwort nicht gehört zu haben. »Überall flackert der Terror auf«, murmelte er. »Immer sind es die Mutanten!« In die Gedanken des Engländers hatten sich die Worte aus dem Nichts unauslöschlich eingeprägt. WIR, DIE MUTANTEN, SIND DIE NEUEN MENSCHEN! Sir Walter schüttelte den Kopf. »Auf der ganzen Welt sind diese Vorgänge zu beobachten. Aber in Europa ist es am schlimmsten!« »Besonders in der Umgebung von Den Haag«, bestätigte Boyd Clifton. Hinter ihm verlosch das Bild auf dem Holografen. Beide Männer schwiegen. Dann reckte sich Sir Walter Battensmith empor. Sein Gesicht schien aus dem Holografen vor Boyd Clifton herauszuwachsen. »Kommen wir zur Sache, Clifton«, schnappte er. »Ich habe Sie nicht angerufen, um mich mit Ihnen zu streiten oder tiefsinnige Betrachtungen zu führen. Sie sind Chef des UNITER. Früher waren sie Präsident der CIA. Ich nehme an, daß diese Vorgänge, wie wir sie eben gesehen haben, Ihre United Intelligence Division of Terra besonders angehen. Oder betrachten Sie die Vorfälle als Aufgabe der MutantenPolizei?« »Keineswegs«, nickte Clifton. »Genauer gesagt, nicht nur. Die Geschehnisse fallen zwar durchaus in die Kompetenzen der MutantenPolizei, aber in ganz anderer Hinsicht, als wir sie betrachten. Die MutantenPolizei ist aus dem Internationalen Roten Kreuz hervorgegangen. Diese Polizisten sind mehr dazu da, die Mutanten zu schützen und in die Gesellschaftsordnung einzuweisen, als etwa dem Militär auszuliefern.« »Das habe ich mittlerweile auch herausbekommen«, knurrte der Engländer ärgerlich. »Aber Sie sind besser über die Dinge informiert als ich. Die Aufstände der Mutanten nehmen Überhand. Sie vertreten alle Agenten aller Völker der Erde, Clifton. Ich weiß, daß Sie J. Konstantinow S. Diamidow voll verantwortlich sind. Trotzdem frage ich Sie, bevor ich die Dinge vor das TERRAKOM bringe: Glauben Sie, daß die MutantenAufstände organisiert sind?« Boyd Clifton lächelte freudlos. »Mehr als das. Sie sind ein deutliches Zeichen einer gefährlichen Stimmung unter den Mutanten.
Man hat die Mutanten bisher unterdrückt, jedenfalls glauben die Mutanten das. Für uns macht das keinen Unterschied. Wichtig allein sind die Ergebnisse. Überall gibt es Aufstände der Mutanten. Ich halte es nicht für möglich, daß sie zentral gelenkt werden. Bisher noch nicht. Aber sollte jemand auf die Idee kommen, einen Aufstand unter dem Motto: ›Mutanten aller Länder, vereinigt euch!‹ anzuzetteln, dann gnade uns Gott! Dann können uns nämlich nicht einmal mehr Ihre lieben Freunde, die Laktonen, helfen.« »Wie meinen Sie das?« Der UNITERChef ging auf die Frage nicht ein. »Mein Vorschlag, Sir: Bringen Sie die Angelegenheit vor das TERRAKOM. Schnellstens! Warnen Sie Ihren Freund, den laktonischen Botschafter K. Enschko. Wenn die Mutanten wirklich zuschlagen sollten, dann ist er es zuerst, der nichts zu lachen hat!« Sir Walter Battensmith runzelte erstaunt die Stirn. »Ganz einfach«, grinste Clifton. »Unter den Mutanten befinden sich viele Wissenschaftler. Ich will nicht behaupten, daß alle verbrecherisch sind. Das wäre ein böser Trugschluß. Aber ein Demagoge kann sie verblenden. Nehmen wir einmal an, ein solcher Demagoge existiert. Dann wird er zunächst versuchen, sich ein überlegenes technisches Wissen anzueignen. Dieses Wissen bekommt er nicht von uns, sondern von den Laktonen!« »Unmöglich!« schnappte Battensmith. »Vielleicht«, gab Clifton zu. »Trotzdem sollten Sie sich hüten, das Wort ›unmöglich‹ überhaupt in den Mund zu nehmen. Meine Informationen stammen von einem Offizier der MutantenPolizei, einem Leutnant Baker. Dieser ungemein fähige Mann hat bereits mit Rex Corda eng zusammengearbeitet. Sie erinnern sich vielleicht: Als Fred Matson, der Strukturenergetiker, das orathonische Kraftfeld um das TerraSystem zerschlug. Und diesem Leutnant Baker verdanken wir auch jenen aufschlußreichen Holografenbericht, der die Vorfälle in Den Haag zeigte. Ich darf mich jetzt von Ihnen verabschieden, Sir.« »Einen Augenblick!« dröhnte Battensmiths Stimme vom Holografen her. »Was sagten Sie vorhin über den laktonischen Botschafter? Ich weiß zwar nicht, wie die Mutanten die unüberwindlichen Sperren der laktonischen Abwehr der Botschaft in Den Haag durchdringen wollen, aber Sie meinten, Sir K. Enschko sei gefährdet. Wie stellen Sie sich ein Lösung vor?« »Ganz einfach«, meinte Boyd Clifton trocken. »Unser verehrter Botschafter, ›Sir‹ K. Enschko, sollte von der Erde verschwinden. Zum Mars, zur Venus, zum Mond, was weiß ich? Aber auf jeden Fall wäre es für ihn das beste!« »Das bringen Sie ihm mal bei!« gab Sir Walter Battensmith ebenso trocken zurück. Der Holograf wurde dunkel. Der Engländer hatte abgeschaltet. * »Holt uns doch!« dröhnte die Stimme in seinen Ohren. Leutnant Baker schüttelte den Kopf. Die Stimme übte einen eigenartigen Zwang aus. Ihre Worte besagten genau das Gegenteil dessen, was sich an Emotionen in seinem Hirn formte. Leutnant Baker kämpfte mit seinem Wunsch, einfach davonzulaufen. Aus den Augenwinkeln sah er, daß es seinen drei Gefährten nicht besser erging. Einer hatte sich schon umgewandt. Der andere tänzelte nervös neben ihm. Der dritte kauerte sich zu Boden, die Hände vor das zuckende Gesicht gekrampft. Ungläubig blickte Leutnant Baker auf seine Hand. Sie senkte sich, schien zu erschlaffen. Der Strahler in ihr neigte sich zu Boden und klapperte schließlich auf das harte Pflaster der Gasse. Doch er durfte sich nicht beeinflussen lassen. Baker war als Angehöriger der MutantenPolizei im Umgang mit Mutanten geschult. Sein Geist war durch zahllose Bekanntschaften mit Mutanten gestählt. In einer fließenden Bewegung bückte sich Leutnant Baker, ohne die drei Mutanten aus den Augen zu lassen. Seine Hand tastete über die harten Steine, bis er den Strahler wieder erreicht hatte. Um seinen Augen war ein Schleier, aber mit einer plötzlichen Anspannung wischte er ihn hinweg. »Max! Timo!« knallte seine Stimme. Zwei seiner Gefährten richteten sich empor. Leere Augen starrten den Leutnant an. »Lesser!«
Er hatte seine Leute sofort wieder in der Hand. Der Bann war von ihnen gewichen. Und doch wußte Leutnant Baker, daß es nur der erste emotionelle Ansturm war, den er überstanden hatte. Es lag nur an ihm. Seine Leute waren einfacher zu beeinflussen. Schon der erste geistige Ansturm der Mutanten hätte sie zur Flucht gezwungen. Es mußte noch Minuten dauern, bis die ersten Einheiten der Polizei heran waren. Sie hatten noch zu sehr mit den Verwundeten auf dem Versammlungsplatz zu tun. Und plötzlich verfluchte Leutnant Baker jene gewissenlosen Politiker, die das Volk aufhetzten und damit genau das Gegenteil erreichten, was ihre Parolen verhießen. Doch für solche Gedanken war jetzt keine Zeit. Leutnant Baker hob die Waffe. Er hatte nicht die Absicht, abzudrücken, aber er mußte die Mutanten festnehmen. Nur sie konnten für die bisher unerklärlichen Dinge auf der Kundgebung verantwortlich sein. Vor ihm bildeten die drei Mutanten eine kompakte Einheit. Und jetzt wußte Baker auch, wer der dritte Mann war, den er von Anfang an für den Anführer gehalten hatte: Das mußte Cern sein, von dem man sagte, daß er ein Empath sei. Er hatte die gleiche Eigenschaft wie Rex Corda, und doch mußte dieser Mann bösartig sein, sonst hätte er sich längst freiwillig der Regierung gestellt. Solche Begabungen waren selten. Es stimmte einfach nicht, wenn man behauptete, die Mutanten würden in Anstalten für unheilbare Geisteskranke zusammengefaßt. Die Mutanten waren äußerst wertvoll für die Erde. Doch wer wußte es schon? Die Gedanken schossen bitter durch seinen Kopf. Leutnant Baker schüttelte den quälenden Zwang von sich ab. Mit einem Blick versicherte er sich dessen, daß die drei anderen Angehörigen der MutantenPolizei wieder einsatzbereit waren. Mit einem Wink befahl Leutnant Baker, daß seine Leute vorgehen sollten. Er setzte sich an die Spitze. Sie konnten nicht länger mehr warten. Die Bewegung ließ ihn erstarren. Ungläubig starrte er auf die Menschenmenge, die sich aus den Häusern ihnen entgegenstellte. Fäuste ballten sich drohend. Frauen schrien wütend auf. Kinder kreischten. Von einem Augenblick zum anderen war die zuvor stille Straße in ein Chaos verwandelt. Mit angstvoll geweiteten Augen blickten die Angehörigen der MutantenPolizei auf den Mob, der sich ihnen entgegenwälzte. Waffen drohten. Beile, Flinten, Keulen. Ein riesenhafter Mann schwang eine Holzplanke über seinem Kopf, aus der verbogene rostige Nägel hervorragten. Es gab keinen Zweifel: Die Bevölkerung stellte sich gegen die MutantenPolizei! * Er hatte es gewagt! Seine Leute waren unfähig. Er hatte es schon immer gewußt. Jetzt hatte er die letzte Bestätigung. Dellern Smythe war zu Boden gesunken. Olaf Harrison war zu einer Statue des Entsetzens erstarrt. Seine großen runden Kinderaugen spiegelten das Unheil wider. Die wulstigen trockenen Lippen bewegten sich, ohne ein Geräusch zu erzeugen. Also mußte er wieder einmal selbst die Sache in die Hand nehmen. Cern richtete sich empor. Die vier Uniformierten leuchteten ihm rot entgegen. Sie waren Gegner, die man nicht unterschätzen durfte. Er konzentrierte sich. Emotionen prallten ihm entgegen. Max, Timo, Lesser und Baker. Jeder gänzlich verschieden in seinem emotionalen Wellenbereich. Baker war der Anführer. Ein harter Brocken. Aber ohne seine Leute würde er hilflos sein. Cern lachte schrill auf. Es war ein Lachen, dem jede Freundlichkeit fehlte. Es war grausam, tödlich. Einer nach dem anderen sank zu Boden. Aber immer noch blieb einer übrig. Baker, der Leutnant der MutantenPolizei. Baker, der Mann, der… Cern fühlte sich einen Augenblick verwirrt. Blitzschnell erkannte er, daß er diesen Leutnant nicht ohne weiteres unschädlich machen konnte. Es war möglich, ihm Schmerz, Haß, Furcht, Gewalt, Grauen einzusuggerieren, aber es würde Zeit kosten. Wertvolle Zeit. Inzwischen konnten die Truppeneinheiten längst heran sein. Also mußte er es anders machen. Cern richtete seine Emotionen auf die Waffe der Hand des Leutnants. Befriedigt registrierte er, wie der Strahler auf das harte Pflaster klapperte. Aber immer noch war dieser Mann gefährlich. Cern verfluchte sich, daß er keine Waffe bei sich trug. Er hätte jetzt den Leutnant unschädlich machen
können. Im nächsten Augenblick. Die Zeit reichte nicht aus. Er hatte eine andere Idee. Sie befanden sich in einer Sackgasse. Dellern Smythe hätte sie überwinden müssen. Doch der Mann schien im Augenblick nicht in der Lage zu sein. Die Gegner befanden sich im Vorteil. Cern konnte nicht weiter. Aber es gab noch andere Möglichkeiten. Seine Gedanken drangen in die Häuser ein. Menschen waren dort, normale Menschen, die sich leicht beeinflussen ließen. Ströme empathischer Energie drangen in die geduckten alten Häuser ein, mobilisierten die Bewohner. Menschen rannten einen Augenblick später auf die Straßen, ohne zu wissen, warum sie es taten. Es war nur Haß in ihnen, Haß, der sie gegen die rot uniformierten Männer hetzte, die die Straße verschlossen. Und Cern lachte befriedigt auf. Er lachte nicht mehr, als ein dunkler Schatten über sein Gesicht fiel. Der Mutant blickte empor. Gegen den harten blauen Himmel zeichneten sich die Konturen von mehreren Gleitern der Polizei ab. Die Flugzeuge senkten sich rasch. * Auf dem Holografen erschien das runde Gesicht eines laktonischen Nachrichtenroboters. »Sir Walter Battensmith«, meldete sich der Sekretär des TERRAKOMVertreters, »wünscht Sir K. Enschko zu sprechen!« Der Nachrichtenroboter in seinen fließenden farbigen Gewändern verzog keine Miene. »Kann ich eine Nachricht entgegennehmen?« »Verbinden Sie mich mit Sir K. Enschko«, sagte der englische Sekretär scharf. »Bedaure«, meinte der laktonische Roboter mit einem Kopfschütteln, »aber Sir Enschko ist in einer wichtigen Besprechung!« Unvermittelt verschwand das Gesicht des Roboters auf dem Bildschirm. Das runde Roboterantlitz verschwand wie weggewischt. An seiner Stelle erschienen gleitende farbige Linien, die sich in einen prunkvollen Raum auflösten. Sir K. Enschko, der Botschafter des laktonischen Reiches, lag auf einer bequemen Pneumocouch. Einige leichtbekleidete Sklavinnen umgaben ihn kichernd. Enschko ließ sich eine Traube in den Mund reichen. »Nun?« fragte er nachlässig. »Was will Ihr Chef von mir? Ich kann es Ihnen gleich sagen: Ich hasse unnötige Störungen! Ich habe zu tun!« Der Sekretär Sir Walter Battensmiths unterdrückte eine spöttische Bemerkung, die sich auf die Frauen um den laktonischen Botschafter bezog, und stellte die Verbindung her. Battensmith, der Vertreter Europas im TERRAKOM, erschien auf dem Holografen über dem Laktonen. Leicht neigte der Terraner sein Haupt, bevor er den Botschafter höflich begrüßte. K. Enschko dankte mit einem gnädigen Kopfnicken. »Sie haben Glück, mein Lieber«, meinte er mit einem leutseligen Kopfnicken. »Ich lasse mich normalerweise zu dieser Stunde nicht stören. Was gibt es?« Battensmith schluckte die unhöfliche Begrüßung. »Ich möchte Sie warnen, Sir«, sagte er steif. »Wir haben wichtige Fingerzeige erhalten, nach denen die Botschaft Laktons in nächster Zeit besonders gefährdet ist. Sie sollten vor allen Dingen etwaige geheime Aufzeichnungen…« Sir K. Enschko lachte schallend. Mit einer Hand winkte er ein schlankes dunkelhaariges Mädchen heran, das er leicht um die Taille faßte. Der laktonische Botschafter schien den Engländer auf dem Holografen völlig vergessen zu haben. Battensmith biß die Lippen zusammen. Aber er gab noch nicht auf. »Aus sicherer Quelle haben wir erfahren, daß Ihre Botschaft in den nächsten Tagen verbrecherischen Anschlägen zum Opfer fallen soll.« Sir K. Enschko grinste immer noch.
»Ich freue mich«, sagte er mit beißendem Spott, »daß meine Kollegen auf diesem Planeten so sehr um mein Wohlergehen besorgt sind. Aber meine Roboter werden schon auf mich aufpassen. Und eines sage ich Ihnen, Battensmith: Es ist mehr als unwahrscheinlich, daß mir einer Ihrer Primitiven ernsthaften Schaden zufügen könnte. Passen Sie lieber auf sich selbst auf! Ende.« Sir Walter Battensmith knurrte wütend auf. Er war immer noch davon überzeugt, daß man mit den Laktonen weiterhin zusammenarbeiten mußte; doch K. Enschko hatte ihm jetzt einen empfindlichen Schlag versetzt. Gut, dachte Battensmith, wenn K. Enschko nicht will, soll er sehen, wie er ohne unsere Informationen weiterkommt. Mit einem müden Lächeln löschte der Engländer die Verbindung. Er hatte getan, was er konnte. * Vor Wut drohte er seine Beherrschung zu verlieren. Er sah seine Niederlage klar vor Augen. Er war zu klug, um die ausweglose Situation nicht in aller Deutlichkeit zu sehen. Vom klaren blauen Himmel schossen die dunklen Polizeigleiter herab. Auf der Straße ballte sich der wütende Mob zusammen. Doch die Wut würde nicht mehr lange dauern. Cern gelang es nicht, die Emotionen länger in die verwirrten Gehirne der Bürger einströmen zu lassen. Cern stöhnte heiser auf. Wenigstens blieb ihm noch die Zeit zu einer persönlichen Rache, bevor sie durch die Polizeiübermacht zum Aufgeben gezwungen wurden. Cern ballte die schmalen weißen Fäuste. Das also sollte das Ende seiner hochfliegenden Pläne sein. Er hatte nicht einmal anfangen können… In einer Entfernung von etwa zwanzig Metern waren die Polizeigleiter gelandet. Die Schwarzuniformierten sprangen aus den aufklaffenden Luken. Noch wußten sie nicht, wem sie gegenüberstanden und was der Zweck des Volksaufruhrs war. Aus glitzernden Augen beobachtete Cern, wie die Polizisten die Mitglieder der MutantenPolizei befreiten. Sie waren von einem Ring brüllender und tobender Bürger eingeschlossen gewesen. Aus den Augenwinkeln sah Cern, daß zwei der Rotuniformierten am Boden lagen. Aber auch die beiden anderen schienen am Ende ihrer Kraft gewesen zu sein. Die Gesichter waren zerkratzt und geschwollen. Jetzt mußte er handeln. Cern bückte sich zu einem letzten verzweifelten Versuch. Aber seine empathischen Sondersinne hatten schon längst registriert, daß er Dellern Smythe nicht aus seiner Lethargie erwecken konnte. Wütend gab Cern dem jungen Mann einen Tritt. Jetzt waren die Schwächen seiner Gruppe offenbar. Smythe konnte Phantastisches leisten, doch er hatte keine Disziplin. Ebenso war auf den Mikroingenieur, Olaf Harrison, kein Verlaß. Der Dicke hatte die Tasche mit dem wertvollen Inhalt auf dem Platz vergessen. Auch das hätte ihnen jetzt helfen können. Cern wandte sich halb zur Seite. Er schien den einen Rotuniformierten nicht zu bemerken, der jetzt bei einem der Polizisten stand und erregt zu ihm herüberwies. Die anderen Polizisten hatten die Leute schnell wieder unter Kontrolle. Mit leeren Gesichtern verschwanden die Bürger in ihren Häusern. Sie wußten nicht, was sie auf die Straße getrieben hatte, was ihre Augen blutunterlaufen vor Haß und ihre Fäuste zusammengekrampft werden ließ. Die Uniformierten näherten sich. In ihren Händen blitzten schwere Waffen. Cern blickte ihnen ruhig entgegen. Doch in seinem Innern tobte ein Aufruhr. Er sah zur Seite und bemerkte das offene Kindergesicht Harrisons, dessen Lippen sich zu einem freundlichen Lächeln verzogen. »Okay«, sagte der erste Beamte. »Sie nennen sich Cern, nicht wahr? Haben Sie Ihre Papiere bei sich? Sie stehen im Verdacht, zusammen mit Ihren Begleitern für den Anschlag vor wenigen Augenblicken verantwortlich zu sein. Ihre Papiere!« Cern antwortete nicht. Das zerschlagene Gesicht des einen Rotuniformierten tauchte vor ihm auf. Die dunklen Augen des Mannes blickten sorgenvoll. »Das ist doch dieser Mutant, nicht wahr, Leutnant«, fragte der Polizist wieder. Leutnant Baker nickte. Die Beamten näherten sich mit Handschellen. »Nein!« schrie eine Stimme. Cern wandte sich erstaunt um. Neben ihm hatte Dellern Smythe die Augen aufgerissen. Angstvoll
starrte er die Beamten an. »Nein!« schrie er wieder. »Mich bekommt ihr nicht!« Cern begann wieder Mut zu schöpfen. Aber doch war es zu spät. Die Übermacht war einfach zu groß. Der Mutant zuckte zusammen, als sich Handschellen um seine Gelenke schlossen. Einer der Polizisten näherte sich Smythe. Der Gravonaut begann zu kreischen, dann hüpfte er mit einem seltsam grotesken Satz in die Luft. Aus seiner Hosentasche fiel eine Flasche und zerbrach klappernd auf den harten Steinen. Übelriechender Alkoholdunst überschwemmte die Gruppe. Die Beamten wichen erstaunt einen Schritt zurück. Smythe fiel nicht wieder zu Boden. Seine Sprungbahn führte ihn senkrecht nach oben. Die Geschwindigkeit seiner Bewegung hörte plötzlich auf. Dellern Smythe schwebte zwei Meter über ihren Köpfen in der Luft und taumelte haltlos hin und her. Während die Polizisten mit offenem Mund nach oben starrten, riß der Leutnant der MutantenPolizei die Waffe aus dem Halfter eines Schwarzuniformierten. Die Bewegung kam zu schnell, als daß Smythe oder Cern hätten reagieren können. Der Leutnant nahm blitzschnell eine Einstellung vor. Ein nadelfeiner Strahl schoß in die Luft. Wie eine reife Frucht fiel der Mutant in die Arme eines bärenstarken Polizisten. Und wieder erlosch die wilde Hoffnung in Cern. Das schlaffe Bündel sank zu Boden, als der Polizist den Gravonauten losließ. Der Leutnant der MutantenPolizei gab die Waffe zurück und blickte dann Cern fest an. »Ich bin Leutnant Baker«, informierte er den Mutanten. »Wenn sich Ihre Unschuld an den rätselhaften Vorfällen erweist, brauchen Sie nichts zu befürchten. Wir haben nicht vor, Ihnen Schaden zuzufügen. Aber Sie werden verstehen, daß wir jeden Verdächtigen untersuchen müssen.« »Hypnotische Befragung?« stieß Cern hervor. Der Leutnant nickte. Er blickte hinter den Mutanten, wo sich gerade Olaf Harrison mit einem verlegenen Grinsen näherte. »Kommen Sie«, meinte Leutnant Baker. »Dann haben Sie es hinter sich!« Cern erstarrte. Er hatte eine empathische Botschaft aufgefangen, die aus nächster Nähe gekommen sein mußte. Er konnte sich nicht geirrt haben. Nur wenige Meter von ihnen entfernt mußte sich ein weiterer Mutant befinden. Wenn es ihm jetzt gelang, die Beamten noch ein paar Sekunden aufzuhalten… Vorsichtig blickte Cern zur Seite. Der Mann, der plötzlich neben ihm in einer kleinen Tür aufgetaucht war, kam ihm unbekannt vor. Er war den Polizisten nicht aufgefallen; oder aber sie hatten ihn bemerkt, aber nicht weiter beachtet, da er zu den Schaulustigen gehören mochte, die jetzt vereinzelt an Fenstern und Türen wieder auftauchten. Cern gab einen erstickten Schrei von sich und warf sich zu Boden. Sein Körper wand sich in wilden Zuckungen. »Wagen Sie nicht, mich anzurühren!« schrie er. »Mein Körper weist eine positive empathische Spannung auf. Sie würden eine Berührung nicht überleben!« Die Beamten traten zurück. Auf ihren Gesichtern erschien Verblüffung. »Was ist mit ihm los?« fragte einer der Polizisten Leutnant Baker unsicher. Baker biß die Lippen zusammen. Er ahnte, daß es eine Finte sein konnte. Baker war an Überraschungen mit Mutanten gewöhnt. Aber von einer empathischen Aufladung hatte er noch nie gehört. Mit einem entschlossenen Schritt trat er an den sich am Boden Windenden heran. Die Faust des Leutnants der MutantenPolizei stieß vor und berührte Cern am Aufschlag des staubigen Anzugs. Die Polizisten atmeten erleichtert auf, als nichts geschah. »Er blufft«, meinte Leutnant Baker gleichmütig. »Sie können ihn ohne Gefahr abtransportieren. Vergessen Sie den Dicken dahinten nicht!« Und in diesem Augenblick wußte Cern, daß er gewonnen hatte. Der kleine unscheinbare Mann links von ihm zog plötzlich einen flachen Kasten aus seinem Mantel hervor. Ein durchdringendes schrilles Summen lag in der Luft. Es schien von allen Seiten zugleich zu kommen. Das von Beulen und Kratzern übersäte Gesicht Leutnant Bakers zeigte einen gehetzten Ausdruck. »Mordwespen!« keuchte der Rotuniformierte. »Verdammt, Leute! Wir müssen uns in Sicherheit
bringen! Schnell! Rückzug!« Aber es war bereits zu spät. Die Polizisten hatten Cern gepackt, um ihn vorwärtszuschleifen. Olaf Harrison ging ohne Widerstand mit. Das schlaffe Bündel des bewußtlosen Gravonauten wurde von zwei stämmigen Polizisten getragen. Die Schwarzuniformierten zeigten einen verwirrten Ausdruck. Sie konnten die Vorgänge nicht begreifen. Das Summen wurde lauter und zugleich schriller. Und dann tauchten die ersten dunklen Punkte in der Luft auf und umschwärmten die Beamten. Ein Polizist schrie wild auf und fuchtelte mit den Armen in der Luft umher. Ein anderer hatte seine Waffe in der Hand und feuerte um sich, den Strahl auf breiteste Streuwirkung gestellt. Doch es war nutzlos. Der wirbelnde Schwarm der Insekten näherte sich von allen Seiten. Es waren unvorstellbar viel. Gegenwehr war nicht möglich. Plötzlich war die Straße wie leergefegt. Auch die letzten Zuschauer waren verschwunden. Nur ein kleiner unscheinbarer Mann lehnte scheinbar gelangweilt in einem Torwinkel, in seiner Hand einen flachen offenen Kasten… * Panik überkam ihn. Schreiend preßte Leutnant Baker seine Hände gegen den Kopf. Um ihn herum summten die bösartigen Insekten, stießen wieder und wieder auf ihn herab. Sie fressen dich bei lebendigem Leib auf! schoß es Leutnant Baker durch den Kopf. Jeder Stich der mordgierigen Insekten ließ seinen Körper sich aufbäumen. Sie erreichten den ersten Gleiter. Für einen Augenblick hatte Leutnant Baker Ruhe. Er sah, daß das erste Flugzeug voll besetzt war. Die Polizisten schienen blind vor Panik geworden zu sein. Schuldbewußt gestand sich Baker ein, daß es ihm nicht besser ergangen war. Auch er war in wahnsinniger Angst geflohen, denn gegen die mutierten Insekten gab es keine Gegenwehr. Leutnant Baker rannte um den ersten Gleiter herum. Der zweite war ebenfalls auf der Straße niedergegangen, aber er hob sich gerade in die Luft, als Baker ihn erreichte. Fluchend blieb der Leutnant stehen. Ein bösartiges Singen an seinem Ohr veranlaßte ihn, gegen seine Wange zu schlagen. Knackend verendete das bösartige Insekt. Als der dritte Gleiter zusammen mit dem ersten aufstieg, zog sich Baker rasch in einen Hausflur zurück. Hatte man ihn vergessen? Nein! Jetzt erkannte es Baker. Sie hatten nicht aufsteigen wollen. Die entsetzten Gesichter verrieten es ihm. Auch die taumelnde Flugkurve der Gleiter verriet, daß sie von einer unbekannten Gewalt nach oben geschleudert wurden. Keiner der Gleiter befand sich jetzt mehr auf der Straße. In der Richtung, aus der sie geflohen waren, lagen einige bewegungslose schwarzuniformierte Gestalten. Leutnant Baker stöhnte bitter auf. Nie hätten die Polizisten ihre verletzten oder gar toten Kollegen zurückgelassen. Er drückte sich enger in den Hausflur, lehnte sich gegen eine von Schimmel zerfressene Wand. Leutnant Baker hielt den Atem an. Er konnte nur hoffen, daß die Dunkelheit im Hausflur das leuchtende Rot seiner Uniform verbarg. Schritte näherten sich. Stimmen klangen auf. »Sie sind alle weg!« Ein Lachen. Grausam, bösartig. »Die Kerle waren uns nicht gewachsen. Gehen wir! « Eine andere Stimme fiel in das Lachen ein. Dazwischen erklang das Lallen eines Betrunkenen. »Sssie segelten ggenauu in den Hhimmel hinein!« Leutnant Baker schlich sich tiefer in den Hausflur hinein. Ein Schatten tauchte vor dem hellen Rechteck des Eingangs auf. Und plötzlich war da eine Stimme, zittrig und hohl. »Du wirst dich doch sicher erkenntlich zeigen, was?«
»Später, das hat Zeit«, meinte die kühle Stimme. Leutnant Baker vermutete, daß sie Cern gehörte, jenem Mutanten, den er heute zum erstenmal gesehen hatte. »Was hast du mit den Gleitern gemacht? « fuhr die Stimme fort. Jetzt sprach wieder der Betrunkene, doch seine Worte waren nicht zu verstehen, da sich die Mutanten wieder entfernt hatten. Plötzlich zerrissen donnernde Explosionen die Luft. Baker stieß in seinem Versteck keuchend den Atem aus. Er ahnte, was geschehen war. * »Verdammt, Alfie, sehen Sie sich das an!« Der Sekretär Boyd Cliftons näherte sich schnell. Als Angestellter des UNITER, dessen Chef Boyd Clifton war, hatte er schon allerhand zu sehen bekommen, aber jetzt verschlug es ihm die Sprache. Ebenfalls wortlos wies Boyd Clifton mit seiner brennenden Zigarette auf den Holografen, auf dem sich das grauenhafte Geschehen abspielte. Dann drehte der UNITERChef fieberhaft an der Akustikregulierung. Abgehackte Wortfetzen waren das einzige, was durchkam. Kopfschüttelnd wandte sich Clifton an seinen Sekretär. »Ein Holografiebericht aus der Nähe der Katastrophenstelle von Den Haag. Polizeigleiter haben verdächtige Personen – vermutlich Mutanten – ausgemacht. Die MutantenPolizei verfolgte sie bereits. Jetzt sehen Sie sich das an!« Es waren zwei Filme, die zu gleicher Zeit auf dem Holografen vor Clifton abliefen. Einer zeigte einen Polizeigleiter, in dem die offenbar völlig konfuse Besatzung sinnlose Bewegungen vollführte. Der andere zeigte einen anderen Gleiter, der von einer LaserAußenkamera aufgenommen wurde. Steuerlos taumelte das Fahrzeug in die Tiefe. Fieberhaft stellte Clifton die Akustikverbindung her. »Hier UNITERHQ! Melden Sie sich! Was ist los bei Ihnen? Was ist geschehen?« Clifton wußte, daß zur gleichen Zeit vermutlich die zuständige Polizeidienststelle die gleichen drängenden Fragen stellte, aber seine Verbindung hatte den Vorrang. Unwillkürlich zuckten sie zurück, als ein vor Angst und Grauen verzerrtes Gesicht übergroß auf dem Holografen auftauchte. »Gleiter steuerlos«, stieß der Beamte hervor. »Sonnenmotoren arbeiten, werden aber trotzdem zu Boden gedrückt. Wir versuchen…« Der Rest der Worte ging in einem gellenden Aufschrei unter. Ein Lichtblitz zuckte über das Bild, dann war der Holograf nur noch eine Masse von zuckenden Lichtern. Die Bilder wechselten. Die Holografenkameras zeichneten jedes Detail minuziös auf. Keiner der Gleiter konnte landen oder sich wenigstens wieder in den Luftraum retten. Sie zerbarsten mit flammenden Explosionen, bis auch die letzte Kamera ausgefallen war. Nur kurze Zeit darauf war der Holograf dunkel. Dann erschien das Gesicht eines Einsatzbeamten aus der Polizeizentrale. »Wir können uns das nicht erklären, Chef. Die Gleiter waren in Ordnung, als sie zum Einsatz kamen. Irgendeine Kraft…« Boyd Clifton nickte stumm, dann unterbrach er die Verbindung. * Der Schlag auf die Schulter ließ den schmächtigen jungen Mann fast zusammenbrechen. Dellern Smythe war jetzt nicht mehr betrunken, und sein Gesicht zeigte den üblichen verdrossenen Ausdruck. »Gut gemacht!« lobte Cern. »Damit wären alle unliebsamen Zeugen ausgeschaltet. Und für das nächstemal, Smythe, kannst du dir merken, daß du dich etwas mehr zusammenreißen solltest. Wir sind hier kein Zirkus. Deine Schwebenummer war völlig nutzlos!« Mit einer Handbewegung schnitt der dandyhaft gekleidete Anführer der Mutanten die Antwort des Gravonauten ab. »Nun zu Ihnen, Myrvill!« Der kleine schmächtige Mann verneigte sich stolz. Der Kasten, dessen Deckel jetzt geschlossen war, ruhte an seiner Brust. Aus seinem Innern erklangen bösartig summende Geräusche.
»Sie beruhigen sich bald wieder«, verkündete der kleine Mutant stolz, den man den Namen Insektensprecher gegeben hatte. Olaf Harrison näherte sich schüchtern. Die weiten Kordhosen schlotterten um seine fetten Beine. »Wo sind die Maschinen niedergegangen?« fragte er leise. Cern funkelte den Mikroingenieur wütend an. »Irgendwo. Woher soll ich das wissen. In der Stadt natürlich!« Cern forschte einen Moment in den Gefühlen des anderen, doch sein mißtrauischer Geist konnte nichts Verdächtiges entdecken. Nur die übliche Unsicherheit, die Harrison umgab, wenn er nicht gerade hinter seinen Mikrowerkzeugen saß. Die Augen des Ingenieurs waren hinter der dunklen Brille mit den Lederklappen an der Seite nicht zu erkennen. Der kleine Insektensprecher fühlte sich als der Held des Tages. Er hatte den großen Cern vor dem Zugriff der Polizei bewahrt, und jetzt wollte er dem Anführer der Mutanten sogar einen neuen Dienst erweisen. »Ich habe noch einen Gleiter«, flüsterte der Insektensprecher aufgeregt. »Wir brauchen keine Verfolgung mehr zu fürchten.« Plötzliches Mißtrauen verengte die Augen Cerns. »Warum haben Sie uns überhaupt geholfen, Myrvill?« Der Kleine zuckte unter dem stechenden Blick zusammen. »Ich mußte es einfach tun, Cern«, stotterte er. »Es gibt kaum einen Mutanten, der noch nicht von Ihren Heldentaten gehört hat. Ich sah Sie heute zum erstenmal. Aber ich wußte, daß Sie nur der große Cern sein konnten. Sie werden einmal die Mutanten befreien und Ihnen den Platz geben, den sie verdienen! Wir werden kämpfen!« Der Insektensprecher hatte sich in eine richtige Begeisterung hineingeredet, während er die Männer zu seinem versteckten Gleiter führte. In der Ferne klang Sirenengeheul auf. Seit dem Absturz der Gleiter waren noch nicht einmal zwei Minuten vergangen. Cern lächelte selbstgefällig. Dellern Smythe bedachte den Kleinen mit einem stechenden Blick. »Paß lieber auf deine fliegenden Wanzen auf, du verhinderter Imker!« Der Insektensprecher Myrvill fühlte sich zu Tode beleidigt, aber er sagte kein Wort. Insgeheim nahm er sich aber vor, bei passender Gelegenheit dem anderen die Mordwespen hinterherzuhetzen. »Keinen Streit«, meinte Cern scharf. Er besichtigte den kleinen Gleiter, der in einem verfallenen Schuppen am Ende der Straße verborgen war. »Außerdem scheinst du über unsere wahren Ziele nicht informiert zu sein, Myrvill.« Er war zum »Du« übergegangen, den Insektensprecher betrachtete er als seiner Gruppe zugehörig. Sie sahen sich vorsichtig um, bevor sie in den Gleiter kletterten. Das Schrillen der Polizeisirenen war näher gekommen; allerdings war anzunehmen, daß sie sich erst an den Unfallort begeben würden. Als letzter verschwand Cern in dem kleinen Gleiter. Er blickte sich ebenfalls noch einmal vorsichtig um. Doch die Gestalt, die – nur wenige Meter entfernt – hinter einem zweiten Schuppen lauerte, bemerkte er nicht. * Sobald die Schritte verklungen waren, schlüpfte Leutnant Baker aus seinem Versteck. Er sah die vier Gestalten gerade in einem schmalen Eingang verschwinden, der sich zwischen zwei tiefgeduckten alten Häusern am Ende der Sackgasse auftat. Immer noch dröhnten die fernen Explosionen in den Ohren des Leutnants. Er ahnte, daß alle seine Gefährten tot waren. Er allein war durch einen Zufall am Leben geblieben. Der Feind hatte ihn nicht bemerkt. Einen Augenblick hatte Leutnant Baker geschwankt, ob er sich nicht zurückziehen sollte, um Verstärkung anzufordern. Doch dann ging er, immer vorsichtig an die Häuserwand gepreßt, in die Richtung, in der die vier Mutanten verschwunden waren. Jetzt verfluchte er seine auffällige Uniform, die ihn jedem Fremden sofort als Angehörigen der MutantenPolizei kenntlich machen mußte. Aufatmend preßte sich Leutnant Baker an die Wand. Wieder waren die Stimmen zu hören. Er hatte
sich nicht getäuscht, sie waren in jenem Spalt verschwunden, der sich zwischen den alten Häusern auftat. Vorsichtig steckte er seinen Kopf vor. Aber sogleich zog er ihn rasch wieder zurück. Baker hatte einen Schuppen gesehen, in dem ein kleiner dunkler Gleiter stand. An diesem Gleiter standen die Mutanten. Sie unterhielten sich leise, und Leutnant Baker wunderte sich über die Sorglosigkeit dieser Männer. Oder sie waren gar nicht sorglos. Sie waren nur von einer unerklärlichen Sicherheit. Der Gedanke war grauenhaft. Kaum ein anderer Mensch auf der Erde kannte die Mutanten besser als er, Leutnant Baker. Er wußte, welche Macht sie verkörpern konnten. Jetzt ahnte der einsame Mann in der verschmutzten roten Uniform, daß er den Beginn eines schrecklichen Kampfes miterlebte. Ein Bruderkrieg würde es werden. Doch es waren ungleiche Brüder! Ein leises Heulen bewies ihm, daß sich der Gleiter in die Luft erhoben hatte. Das dunkle Flugzeug schwebte dicht über dem Boden, weil unten der Spalt zwischen den Häusern breiter war. Jetzt konnte Leutnant Baker erkennen, daß es kein Personengleiter war. Ein wahnsinniger Plan zuckte in ihm auf. Baker stand vor einem vor Schmutz fast blinden Fenster. Ein weiteres Fenster in der angrenzenden Mauer des Hauses gab ihm einen Überblick über den kleinen Hof mit dem Schuppen, aus dem sich der Gleiter gerade erhoben hatte. Er konnte nicht gesehen werden, und doch fühlte Baker, wie eine kalte Faust sein Herz zu umkrampfen schien. Seiner Schätzung nach hatte er einige der höchst spezialisierten MutantenTypen vor sich. Der schmale junge Mann, der sich in die Höhe erhoben hatte, mußte einer jener sagenhaften Gravonauten sein. Baker hatte noch nie erlebt, daß ein Mutant auf diesem Gebiet wirklich etwas leisten konnte. Wenn seine Informationen ferner stimmten, dann war der Mutant, der sich selbst den Namen Cern gegeben hatte, ein Empath wie Rex Corda. Der dicke Mann in den Kordhosen mußte ein Mikroingenieur sein; das war an der dunklen Brille zu erkennen. Das Unglaublichste aber war die Anwesenheit eines Insektensprechers. Leutnant Baker hätte nie geglaubt, daß es diese Art von Mutanten wirklich geben könnte, aber hier war ihm der Beweis mit grauenhafter Deutlichkeit vor Augen geführt worden. Plötzlich erinnerte er sich an die schmerzenden Einstiche, die durch die grobe Uniform gedrungen waren. Wangen und Stirn brannten. Wieviel Stiche der Mordwespen waren nötig, um einen Mann zu erledigen? Beinahe hätte er zu spät reagiert. Der dunkle Schatten huschte an ihm vorbei, verhielt aber einen Meter hinter ihm, um sich vorsichtig durch das enge, halb geöffnete Holztor zu manövrieren. Diesen Augenblick nutzte der Leutnant. Geduckt sprang er auf den Gleiter zu. Es war sein Glück, daß es sich nicht um einen Personengleiter handelte, dessen Tragkraft nicht so groß war wie die eines Lastengleiters. So hatte er vielleicht die Chance, bei seinem waghalsigen Abenteuer nicht entdeckt zu werden. Leutnant Baker schlüpfte unter das Flugzeug, klammerte sich an die Landekufen und fühlte die kurze schwankende Bewegung, die der Gleiter bei der zusätzlichen Belastung machte. Langsam wurde das Metall warm. Die Hände Bakers schwitzten und wurden glatt. Mit einem steilen Satz schoß der Gleiter in die Luft. Der Fahrtwind fauchte schneidend am Gesicht des Leutnants vorbei. Er versuchte die Schmerzen zu ignorieren. Unter ihm schossen die geduckten, niedrigen Häuser des alten Stadtviertels vorbei. Vielleicht wurde jemand auf ihn aufmerksam und alarmierte die Polizei. Dann war sein Zweck auch erreicht. Mit zusammengebissenen Zähnen duckte sich Leutnant Baker enger gegen den Leib des Gleiters. Er wußte nicht, wie lange er es noch aushalten konnte. Sein Unternehmen war zu riskant, das wußte der Leutnant. Aber er wußte auch, daß er den Tod seiner Kameraden aufklären mußte. Jeder von ihnen hätte in dieser Situation genauso gehandelt. Leutnant Baker nickte grimmig vor sich hin. Dann zerriß sein Schrei die aufgewühlten Luftmassen. Eine eisenharte Hand hatte sich um seine Kehle geklammert. Röchelnd stieß er den Atem aus. Seine wunden Hände lösten sich von den rettenden Verstrebungen. Er drohte zu fallen. Unter ihm gähnten die Schluchten der Straßen. *
Mit einem spöttischen Glitzern in den Augen lehnte sich Cern vor. »Das also ist mein Plan«, schloß er. »Wir bauen eine erstklassige Tarnorganisation auf. Die Gewerkschaft der Mutanten. Eine Art Arbeitsamt, wenn ihr wollt. Die Mutanten sollen in die normale Gesellschaft eingegliedert werden. Die MutantenPolizei hat versagt, ebenso die Behörden. Wir sind als Monster verschrien. Wir sind Ausgestoßene, Kranke. Wir holen uns alles wieder zurück. Die Menschheit ist an uns schuldig geworden. Sie wird ihre gerechte Strafe erhalten!« »Gewerkschaft der Mutanten?« fragte Harrison verwundert. Er blickte Cern verständnislos an, aber der MutantenAnführer achtete nicht auf den Mikroingenieur. Sein Gesicht hatte plötzlich einen wachsamen, verschlagenen Ausdruck bekommen. »Das ist doch nicht möglich!« murmelte Cern vor sich hin. »Was ist?« fragte Myrvill. Er fühlte sich als Adjutant des Führers und war beleidigt, als auch er keine Antwort erhielt. »Schmerz«, flüsterte Cern. »Angst, Entsetzen!« Sein Gesicht war verzerrt. »Was ist los, Chef?« fragte Myrvill noch einmal. Seine Hände lösten sich von dem Gabelsteuer. Cern beruhigte sich wieder. »Hat dieser Gleiter eine Bodenluke?« erkundigte er sich beiläufig. Myrvill wies wortlos auf den zwischen Vorder und Rückseite sichtbaren Spalt am Boden. Cern griff hinter sich und öffnete den Riegel, der die kleine Bodenklappe verschloß. Seine Hand schoß blitzschnell durch den geöffneten Spalt. Das Dröhnen der Aggregate wurde jetzt im Innern der kleinen Kabine überlaut. Dennoch hörte man Cerns triumphierendes Lachen. Danach einen erschreckten schrillen Schrei. Cern warf sich nach unten und riß einen menschlichen Arm nach oben. »Verdammt!« fluchte Smythe, der wortlos vor sich hingestarrt hatte. »Darunter befand sich ja ein… « »Ganz recht«, lachte Cern spöttisch. Er hatte den Arm festgeklemmt und setzte sich mit seinem ganzen Gewicht auf den abgewinkelten Unterarm des Fremden unter dem Gleiter. Die wilden Schmerzensschreie des Mannes bewiesen, daß ihm beinahe der Arm ausgekugelt wurde. »So wird er am wenigsten Unsinn anstellen«, grinste Cern zufrieden. Dann starrte er in die ratlosen Gesichter der anderen Mutanten. »Er trägt eine rote Uniform«, stellte Myrvill fest. Er war so erregt, daß er einen Augenblick sogar seinen geliebten Kasten hatte fahren lassen. Schnell griff er wieder nach ihm. »Äußerst intelligent«, lobte Cern spöttisch. »Er muß der MutantenPolizei angehören. Das ist ein netter Fang.« »Warum wirfst du ihn nicht einfach ab?« wunderte sich Smythe. Auch er hatte für einen Moment sein gelangweiltes Benehmen verloren. Interessiert blickte er aus einem Seitenfenster in die Tiefe. » Aus dieser Höhe wird kaum viel von ihm übrigbleiben, schätze ich.« »Ja«, stimmte Myrvill schrill zu, »warum werfen wir ihn nicht ab, den verdammten Schnüffler?« »Ruhe!« donnerte Cern. Seine blitzenden Augen musterten jeden einzelnen der Mutanten. Auch Harrison, der allerdings bisher keinen Kommentar abgegeben hatte. »Wenn meine Vermutung stimmt, handelt es sich um diesen Leutnant Baker, der sich so heldenhaft benommen hat. Er wird noch Gelegenheit haben, seinen Mut zu beweisen. Jetzt aber könnte er als Geisel recht nützlich sein. Oder als interessantes Studienobjekt.« Sein grausames Lachen dröhnte durch die Kabine und übertönte das laute Stöhnen, das durch die Bodenplatte hereindrang. Harrison hatte sich entsetzt abgewandt. »Paßt dir etwas nicht, Harrison?« fragte Cern scharf. Der dicke Mikroingenieur zuckte die Schultern. Die kurzsichtigen Augen hinter den dicken Sonnengläsern blinzelten. »Kein Kommentar, Chef«, sagte er tonlos. Cern lächelte ölig. Der Mutant wischte sich ein imaginäres Staubkorn von seinem dunklen Anzug und reckte dann seinen Kopf, um über das Kontrollbord nach vorn sehen zu können.
»Wir sind bald da«, verkündete er. »Du bist ausgezeichnet geflogen, Myrvill.« Der schmächtige Insektensprecher erglühte vor Stolz. Unter ihnen erstarb das Keuchen des Gefangenen. Der Arm, den Cern fest niedergedrückt hielt, war schlaff geworden. * Der große Holograf, der eine ganze Wand im großen Versammlungssaal des TERRAKOMGebäudes einnahm, glühte auf. Die Abgeordneten sprangen von ihren Sitzen. Erregte Stimmen wurden laut. Einen Moment füllte das lächelnde Gesicht Rex Cordas den Bildschirm, dann wurde es von Farbschleiern weggewischt. »Endlich«, sagte Sir Walter Battensmith, der Vertreter der früheren europäischen Staaten, zu J. Konstantinow S. Diamidow. Der Russe vertrat den Asienblock im neuen terranischen Machtgebilde. Diamidow zuckte die Achseln. »Noch ist Corda nicht hier«, brummte er gleichmütig. Sir Walter Battensmith beobachtete weiterhin die Farbmuster, die über den Holografen huschten. Dann war wieder das Gesicht Rex Cordas voll zu sehen. Das dreidimensionale Abbild war über drei Meter hoch. Die hellen blauen Augen schienen jeden der versammelten Politiker zu durchdringen. Dann stand seine tönende Stimme im Raum. Immer wieder wurde sie von Störungen unterbrochen, aber die meisten Worte waren klar zu verstehen. »Meine Herren!« Rex Corda lächelte. »Ich weiß nicht, ob Sie mich sehen oder hören können, denn unsere EinwegHyperverbindung wurde von uns erst neu entwickelt. Ebenfalls weiß ich nicht, ob zu dieser Stunde der Versammlungsraum im TERRAKOM besetzt ist. Sollte es der Fall sein, betrachten Sie bitte diese Verbindung als einen interessanten Versuch.« Wieder ging ein erregtes Raunen durch die Versammlung. Keiner hatte damit gerechnet, daß Rex Corda in diesem Augenblick zu ihnen sprechen könnte. Ja, viele unter den Politikern hatten sogar vermutet, daß der Präsident Terras bereits tot sei. »Ich darf Ihnen mitteilen«, meinte Rex Corda lächelnd, »daß unsere kleine Expedition ein voller Erfolg war. Die ›Walter Beckett‹ wird in etwa drei Tagen auf Terra eintreffen. Wir werden rechtzeitig noch einmal versuchen, eine Nachricht durch den Hyperraum zu übermitteln.« Sir Walter Battensmith, der die ganze Zeit unruhig auf seinem Sitz hin und her gerutscht war, erhob sich jetzt und eilte auf den Holografen zu. Unter dem großen Gesicht Cordas nahm er sich wie ein Zwerg aus. »Kommen Sie sofort zurück, Präsident Corda!« schrie der Engländer. »Es geschehen hier Dinge, die Ihre Anwesenheit unbedingt erforderlich machen! Kommen Sie auf dem schnellsten Wege…« Die Stimme Rex Cordas unterbrach ihn. Einzelne Politiker erhoben sich von ihren Sitzen, um den Engländer zurückzuholen. »Wir verbrauchen ungeheure Energien, um diese Nachricht durchzugeben.« Der Präsident drehte sich seitlich. Seine Lippen bewegten sich, aber seine Stimme war jetzt nicht mehr zu verstehen. Dann aber kamen die Worte wieder klar. »Das ist das Ende der Nachricht. Ich freue mich darauf, Sie wiedersehen zu können, meine Herren.« Jedem der Politiker ging sofort der Doppelsinn der Worte auf. Rex Corda mußte große Strapazen überstanden haben. Sein Gesicht schien härter geworden zu sein, und doch war die »Walter Beckett« nur wenige Wochen unterwegs gewesen. Wohin ihr Kurs allerdings gegangen war, das entzog sich der Kenntnis jedes einzelnen der Anwesenden. Doch Corda lebte. Er kehrte zurück. Wenn auch erst in drei Tagen. In drei Tagen konnte viel geschehen… Sir Walter Battensmith ging mit hängenden Schultern auf seinen Platz zurück. Er ignorierte die verweisenden Blicke seines russischen Kollegen und stützte den Kopf in die Hände. Dann richtete er sich wieder empor, gerade in dem Augenblick, in dem das lächelnde Gesicht des terranischen Präsidenten von der Holografenwand verschwand. Wogende Farbschleier erfüllten den Schirm, dann wurde er dunkel. Sir Walter Battensmith sprang auf.
»Meine Herren! Jetzt, da der Präsident von seinem Exkurs zurückkehrt, ist eine Lösung des MutantenProblems dringender denn je. Die Unruhen müssen aufhören!« Das Thema, das im TERRAKOM vor der überraschenden Unterbrechung durchdiskutiert wurde, fand jetzt seine Fortsetzung. »Interessant, Sir«, meinte eine Stimme vom anderen Ende des Saales. »Soweit mir bekannt ist, finden die meisten Unruhen in Ihrem Verwaltungsbezirk statt. Interessant ist, daß in Den Haag, nach unseren Ermittlungen der Ausgangspunkt der MutantenUnruhen, der laktonische Botschafter sitzt. Kommen die Aufstände vielleicht auf sein Konto? Es ist nicht das erste Mal, daß die Laktonen uns innenpolitische Schwierigkeiten machen wollen. Denken Sie bitte an die Affäre Seagren!« »Unmöglich!« schnappte Sir Walter Battensmith. Dennoch gab ihm der Einwand zu denken. Die Anspielung des anderen Politikers bezog sich auf die Kandidatur eines amerikanischen Präsidentschaftskandidaten, der sich mit Unterstützung der Laktonen gegen Rex Corda aufstellen ließ. Es war tatsächlich so: Den Laktonen war eine geeinigte Erde ein Dorn im Auge. Schon jetzt hatte sich das zunächst relativ primitive Völkchen der Terraner zu einem zündenden Funken innerhalb der beiden großen Machtblöcke Orathon und Lakton entwickelt. Doch Sir Walter Battensmith wollte nicht wahrhaben, daß die Laktonen wieder einmal gegen die Abmachungen verstoßen könnten. »Unmöglich!« wiederholte er. »Sie sollten sich merken, meine Herren, daß der laktonische Botschafter, Sir K. Enschko, immer auf unserer Seite stand. Natürlich gibt es Mißverständnisse. Das ist auch ganz natürlich zwischen zwei Rassen, deren Ursprungsplaneten Tausende von Lichtjahren auseinanderliegen.« Einen Augenblick sah Battensmith auf den Platz neben sich. Der Vertreter des Asienblocks, Diamidow, starrte vor sich hin. Seine Augen schienen blicklos zu sein. Battensmith schüttelte den Kopf und machte einen neuen Anlauf. »Es ist bedauerlich, daß die Mutanten sich gerade Den Haag als Zentrum ausgesucht haben. So scheint es jedenfalls. Die Regierung wird jedenfalls alles unternehmen, um die Bevölkerung zu schützen. Es ist außerordentlich bedauerlich, daß in Den Haag der Sitz des laktonischen Botschafters ist. Wir machen auf einen Botschafter einer fremden Welt einen äußerst schlechten Eindruck, das kann ich Ihnen versichern!« »Dann soll Enschko doch zum Mars gehen!« rief ein Abgeordneter. Gelächter quittierte diese Bemerkung. Sir Walter Battensmith setzte sich verwirrt. Zum zweitenmal innerhalb kurzer Zeit hatte jemand diesen Vorschlag gemacht, und er hatte immer noch nicht herausgefunden, ob die Anregung ernsthaft gemeint war. Die Diskussion ging weiter, aber Battensmith beteiligte sich nicht mehr daran. Erstaunt starrte er auf den Russen, dessen Augen immer noch den glasigen Ausdruck zeigten. »Was ist los?« fragte Battensmith. »Fehlt Ihnen etwas?« Langsam schüttelte der Russe den Kopf. Dann blickte er den Engländer voll an. »Denken Sie nur«, flüsterte er, »eine Nachricht durch den Hyperraum. Ein Flug durch die halbe Galaxis in wenigen Wochen. Und vor einem halben Jahrhundert fingen wir erst an, Raketen zu bauen.« Battensmith lachte überlegen, doch es klang nicht echt. »Die Laktonen haben uns eben geholfen«, meinte er gleichmütig. »Ein Grund mehr, um sie in jeder Hinsicht zufriedenzustellen.« Der Russe schien ihm nicht zugehört zu haben. »Ein harter Brocken, an dem wir kauen«, meinte er leise, »hoffentlich verschlucken wir uns nicht daran.« * Mit gerunzelter Stirn starrte Sir K. Enschko, der laktonische Botschafter in Den Haag, auf den Holografenschirm, wo soeben die letzten Konturen verblaßten. »Rex Corda!« zischte Sir K. Enschko. Der hagere Laktone strich sich nachdenklich über die enganliegende Kombination. Er konnte es noch nicht fassen. Den primitiven Terranern war es gelungen, eine Nachricht über eine vermutlich sehr große Entfernung durch den Hyperraum auszustrahlen. Diese Leistung paßte nicht zu dem Bild, das er sich von den Terranern gemacht hatte. Sie hatten zwar jenes Raumschiff, das sie die »Walter Beckett« genannt hatten, mit Hilfe der Laktonen ausrüsten dürfen –
auch das war etwas, was Sir K. Enschko keineswegs billigte. Allerdings hatte ihn Jakto Javan dabei nicht nach seiner Meinung gefragt. Doch dieses Raumschiff war orathonischer Bauart. Und wie Sir K. Enschko wußte, war das Raumschiff keineswegs mit einer Hyperholografenanlage versehen worden. Hatten es die Primitiven verstanden, sich so schnell an die laktonische Technik anzugleichen, daß sie sogar diese Technik der Hyperübertragung erreichen konnten? Oder ob das Ganze nichts weiter als ein großangelegter Bluff, um ihn hereinzulegen? Sir K. Enschko hatte schon einige Überraschungen mit den Terranern erlebt. Allerdings entsprach es seiner Wesensart, immer noch hochmütig auf die »Primitiven« herabzusehen. Ein Mädchen näherte sich lächelnd dem laktonischen Botschafter. Grinsend betrachtete Enschko die schlanke Gestalt. Sie hielt einen Korb im Arm. Der Botschafter hatte erst vor kurzer Zeit entdeckt, daß die terranischen Trauben eine Köstlichkeit darstellten, die sich mit den erlesensten Leckerbissen der Kolonialplaneten Laktons wohl vergleichen ließ. Doch jetzt erfüllte Enschko die Anwesenheit des Mädchens mit Unbehagen. Er dachte daran, was dieser terranische Präsident Rex Corda wohl erreicht hatte. Es war für den Botschafter nicht klar herauszubekommen gewesen, worauf Corda eigentlich aus war. Sicherlich mußte es sich um jene » Veränderten« handeln, die beinahe seine Botschaft in Schutt und Asche gelegt hatten. Mit einer ärgerlichen Handbewegung scheuchte er das erschrockene Mädchen aus dem Raum. Was war damals geschehen? Es ging um jenen seltsamen kostbaren Stoff, der auf der Erde entwickelt worden war. Becon hieß er. Enschko dachte kurz daran, daß jener terranische Wissenschaftler jenes Element entwickelt hatte, jenen Stoff, dessen Eigenschaften auch für die Laktonen ein Rätsel waren. Man hatte Experimente angestellt. Becon war unter die Hirnschalen einiger terranischer Versuchspersonen gepflanzt worden. Enschko hatte davon gewußt. Er hatte diese Experimente weiterbetrieben, hatte auf eigene Faust Terraner »verändert«. Es hätte fast seinen Tod bedeutet. Die »Veränderten« hatten die laktonische Botschaft gestürmt. Nicht einmal die Kampfroboter hatten gegen jene Monster etwas ausrichten können. Sie waren wahnsinnig gewesen, auch ihre Kräfte waren ungeheuer. Mit einem gekaperten Raumschiff waren sie ins All entflohen. Hatte Rex Corda sich auf ihre Spur geheftet? Dieser rätselhafte Mann schien jenes Abenteuer gut überstanden zu haben, wenn es so war. Und doch hätte es nicht so sein dürfen. Sir K. Enschko versank in Grübeleien. Er fühlte im Innersten, daß ihm die Dinge über den Kopf wuchsen. Sollte er melden, daß die Terraner augenscheinlich über einen Hyperholografensender verfügten, der mit laktonischen Erzeugnissen vergleichbar war? Nein! Sir K. Enschko wollte den Dingen selber auf den Grund gehen. Nur ungern entsann er sich der Tatsache, daß er als Botschafter auf einer primitiven Welt war. Der Botschafter grunzte wütend. Was hatte man ihm geraten? Er sollte auf einen anderen Planeten des TerraSystems gehen, weil er da in größerer Sicherheit wäre! Das war lächerlich! Und doch konnte sich Sir K. Enschko einer geheimen Furcht nicht erwehren… * Eine harte Faust trieb ihn voran. Befehle gellten ihm ins Ohr. Er verstand deren Sinn nicht. Sein Körper schien in eine einzige wunde Masse verwandelt. Die Gedanken kreisten wild durch sein gemartertes Hirn. Sein Plan war wahnsinnig gewesen. Man hatte ihn entdeckt. Alles war aus. Aus und vorbei! Leutnant Baker wurde von harten Stößen gegen eine steil aufragende Mauer getrieben. Er hörte ein Rauschen in seinen Ohren. Das mußte der Schmerz sein, die ungeheuren Strapazen, die er überstanden hatte und doch am Leben geblieben war. Das Rauschen wurde stärker, und dann entsann sich Leutnant Baker jener ungeheuren glänzenden Fläche, auf die der schwarze Gleiter herabstieß. Der Gleiter, an deren Unterseite er gefangen war, von einem Arm gehalten, der seine Hand nach oben gezogen hatte und sie wie einen Schraubstock gepreßt hatte. Er hatte das Bewußtsein während des letzten Teils des Fluges nicht voll verloren. Immer wieder richtete ihn der Schmerz auf. Er hatte es kurz erwogen, sich mit aller Gewalt niederzuwerfen, um im Todessturz ein schnelles Ende zu finden. Er war dem Feind lebend in die Hände gefallen. Und eigentlich
war es kein Feind für ihn. Es waren Mutanten. Jene Mutanten, für die sich Leutnant Baker ein Leben lang eingesetzt hatte. Und jetzt wurde er ihr Opfer. Wieder wurde das Rauschen stärker. Es erklang in langsamen Intervallen. Die glänzende Fläche. Das Meer! Sie waren nicht lange geflogen. Also mußten sie sich an der Küste der Nordsee befinden. Leutnant Baker taumelte zu Boden, als ihn ein erneuter Schlag traf. Rohe Fäuste zerrten ihn empor. »Vorwärts!« brüllte eine rauhe Stimme. Das mußte der Anführer der Mutanten sein, der sich Cern nannte. Und jetzt erst wußte Leutnant Baker, wie er jenen Mann einzuordnen hatte. Das war der Anführer der Gewerkschaft der Mutanten! Jene Geheimorganisation, die sich hinter einer biederen Fassade tarnte. Dennoch wußte Leutnant Baker, daß hier der Schlüssel zu den gesamten Mutanten Aufständen auf der ganzen Welt lag. Wieder befiel ihn durch die Schleier der Schmerzen die Scham über seinen mißglückten Einsatz. Er hatte auf eigene Faust gehandelt. Blind und verantwortungslos! Jetzt erhielt er die Quittung dafür. Und es geschah ihm recht. Die summenden Stimmen lösten sich wieder zu verständlichen Worten auf. »Los, Smythe, gib ihm noch einen Tritt. Der Kerl bewegt sich wie eine Schnecke!« bellte die Stimme. Leutnant Baker fiel auf das Gesicht und raffte sich sofort wieder auf. Er spürte die Schmerzen jetzt nicht mehr. Er war gegen jede Gewalteinwirkung gleichgültig. Er konnte nicht mehr als sterben. Und es geschah auf einem Einsatz. »Okay, Boß!« Die Antwort kam viel zu spät. Der Fußboden fiel ihm wieder entgegen. Es war harter Beton. Den Aufprall fühlte er nicht. Ebensowenig die harten Stöße, die Leutnant Baker jetzt vergeblich zur Eile antrieben… * »Schließt ihn gut ein und fesselt ihn!« meinte Cern gleichmütig. »Ihr habt ihn bewußtlos geschlagen. Seht zu, daß er bald wieder zu sich kommt. Ihr könnt euch danach hinlegen. Gute Arbeit.« Cern lächelte verächtlich, als sich die Mutanten eilig mit ihrem Gefangenen davonmachten. »He!« bellte seine harte Stimme. »Harrison und Myrvill bleiben bei mir!« Die beiden Angesprochenen blieben stehen. Das spitze Mausgesicht des Insektensprechers zeigte einen verwunderten Ausdruck. »Das ist also Ihr Hauptquartier, Chef. Wirklich großartig! Aber warum haben Sie keine Wachen aufgestellt?« Cern winkte ab. »Brauchen wir nicht. Ein Wächter genügt völlig. Er ist übrigens blind!« Der MutantenAnführer weidete sich an dem erstaunten Gesicht des anderen. »Du dachtest wohl, ein Insektensprecher sei das Größte unter den Mutanten, was? Wir haben noch ein paar nette Überraschungen. Schon einmal von einem Pyrotiker gehört?« Myrvill schüttelte stumm den Kopf. »Wirst ihn noch kennenlernen. Aber du bist für unsere Sache auch sehr nützlich, Wespentreiber.« Der Insektensprecher zuckte zusammen. »Sagen Sie das nicht noch einmal«, stieß er zwischen schmalen Lippen hervor. »Warum so nervös?« grinste Cern. »Du warst mir nützlich, aber glaube nicht, daß du mich erpressen darfst. Das sollte eine kleine Warnung sein!« Wie von der Faust eines Riesen gefällt, schlug Myrvill zu Boden. Er wand sich in krampfhaften Zuckungen. »Nicht – hören Sie – ich – nicht! Nein! Nneiin!« Er schrie. Sein Gesicht war von Schmerz verzerrt. »Aufstehen!« kommandierte Cern. Es dauerte eine Minute, bis sich der Insektensprecher wieder erhoben hatte. Seine Augen blickten gehetzt… »Das war nur eine kleine Warnung«, meinte Cern in freundschaftlichem Ton. »Ich brauche disziplinierte Männer. Nicht Leute, die sich immer im Mittelpunkt sehen wollen.« Myrvill blickte an sich herab, das Gesicht immer noch vom Grauen gezeichnet. »Was haben Sie mit ihm gemacht?« fragte Harrison interessiert. Er gab sich einen unbeteiligten
Anschein, aber seine Augen glitzerten. Ein Außenstehender hätte sehen können, daß der Mikroingenieur keineswegs mit den Methoden seines Chefs einverstanden zu sein schien. Cern lachte. »Unser Wespentreiber bildete sich ein, daß ihm jedes Gelenk an seinem Körper ausgekugelt würde. Eine bestimmt unangenehme Vorstellung. Es wäre mir peinlich, wenn ich sie wiederholen müßte.« Myrvill blickte immer noch erstaunt an sich herab. Versuchsweise bewegte er die einzelnen Glieder. Er schien aufs höchste überrascht, daß sein Körper noch unversehrt war. »Wie gesagt«, meinte Cern, »eine Warnung.« Er schlug dem kleinen Mann kameradschaftlich auf die Schulter. Jetzt strahlte der MutantenAnführer reines Wohlwollen aus. Und plötzlich lächelte der schmächtige Mutant, der sich eben noch in wahnsinnigen Schmerzen auf dem harten Beton gewälzt hatte. »Du bist schon in Ordnung, Myrvill!« dröhnte Cern. »Komm jetzt – und du auch, Harrison! Wir haben jetzt eine Menge zu tun.« * Der hochgewachsene MutantenAnführer in seinem eleganten Anzug folgte der dicken Gestalt. Olaf Harrison, der Mikroingenieur aus dem dänischen Verwaltungsbezirk, sah in seinen unförmigen Kordhosen lächerlicher aus denn je. Der Eindruck der Lächerlichkeit wurde noch durch die Tatsache verstärkt, daß der Mutant sich beharrlich weigerte, Socken zu tragen, er zog es vor, Ledersandalen um die breiten Plattfüße zu zwängen. »Deine Arbeit ist im Augenblick am wichtigsten«, meinte Cern und folgte dem Mikroingenieur in einen kleinen Raum, dessen Wände von Regalen eingenommen wurden. Auf diesen Regalen stand eine verwirrende Vielfalt von blitzenden Instrumenten, die meisten jedoch so klein, daß man die Grifferden gerade fassen konnte, während das eigentliche Werkzeug nur unter dem Mikroskop zu erkennen war. Oder unter den mutierten Augen eines Mikroingenieurs… Harrison wandte sich unwillig in der Tür um. Sobald der plumpe Ingenieur seinen Raum erreicht hatte, war er völlig verändert. Ein wütender Blick traf den Mutanten Cern, der lässig im Türrahmen lehnte und den Ingenieur aus seinen harten dunklen Augen musterte. »Was gibt’s noch?« fragte der Mikroingenieur kurz. »Sie wissen, daß ich keinen Besuch dulden kann, Cern. Auch Sie nicht.« Cern lächelte zynisch, aber er hatte sich schon halb umgedreht, um zu gehen. »Keine Sorge, Harrison, ich blase dir deine Staubkörner schon nicht weg.« »Nicht nur das«, versetzte der Ingenieur ernsthaft. »Schon die statische Elektrizität Ihres Körpers könnte meine ganzen Versuche durcheinanderbringen. Sie irren, wenn Sie annehmen, daß ein Mikroingenieur als einziges Merkmal seine überscharfen Augen hat. Das ist nur eine Voraussetzung. Sicher haben Sie keine Ahnung davon, daß sich mein Herzschlag wesentlich verlangsamt, wenn ich an meiner Arbeit sitze. Ich atme kaum. Meine Hände zittern nicht!« Cern grinste. »Frohes Schaffen«, wünschte er. »Du weißt, Harrison, daß der Spion in einer Stunde fertig sein muß!« »Sie brauchen mich nicht anzutreiben«, meinte der Ingenieur ärgerlich. »Wenn Sie mich noch weiter aufhalten, ist die Maschine nicht einmal vor morgen früh fertig.« Der MutantenAnführer starrte ihn intensiv an, doch der Dicke ließ sich jetzt nicht beeindrucken. Mit einem Achselzucken verschwand Cern. Er hatte schon öfter die Erfahrung gemacht, daß man Harrison, so kindlich und beeinflußbar er auch sonst erschien, in seinem eigentlichen Wirkungskreis nichts anhaben konnte. Eine Beeinflussung war zu schwierig. Harrison war ein Narr – außerhalb seines Labors – ; hier verwandelte er sich aber in einen Roboter, dessen minuziöse Arbeiten ihn immer wieder in Verblüffung versetzten. Olaf Harrison wartete, bis Cern verschwunden war. Die knallenden Schritte auf dem Betonfußboden des ehemaligen Bunkers verklangen. Der Mutant rückte seine dunkle Brille zurecht und entspannte sich. Er schaltete das blaue Speziallicht ein, unter dessen Einwirkung seine Augen ihre einmalige Kapazität entwickelten, und nahm die dunkle Brille mit den Lederklappen an den Seiten schließlich ab.
Eine Minute brauchte er, um die Brennweiten seiner Pupillen zu verändern. Das Gesicht des Ingenieurs verzog sich in schmerzhafter Konzentration. Harrison war jetzt vom normalen Standpunkt aus blind. Er konnte nur noch verschwommene, gigantische Umrisse im Raum erkennen. Aber vor seinen Augen wurde ein winziger Teil seines Arbeitstisches mikroskopisch fein erfaßt. Wie dicke Raupen krochen die Maserungen des Holzes zu beiden Seiten dahin. Eine winzige Zange hatte die scheinbare Größe von mehreren Metern. Von rechts schob sich ein riesiger, von rotweißen Rillen durchzogener Körper auf die Zange zu. Harrison wußte, daß es sein Zeigefinger war, aber wieder einmal staunte er über seine wunderbare Begabung. Allerdings hatte er manchmal seine Zweifel daran, ob er sie in den Dienst der richtigen Sache stellte. Diese Zweifel tauchten dann besonders auf, wenn Harrison an seiner Arbeit saß. Er war dann nicht länger mehr der unbeholfene, plumpe Mann mit dem runden Babygesicht, sondern ein Gigant, dessen mutierte Augen den Mikrokosmos erforschen konnten. Harrison erinnerte sich, daß er seine Begabung verhältnismäßig spät – erst im Alter von fünfzehn Jahren – erkannt hatte. Seine Begabung hatte ihn erschreckt. Dann hatte er gelernt, seinen veränderten Organismus unter Kontrolle zu halten. Er wurde Mikroingenieur. Er hatte nie vorgehabt, für jemanden zu arbeiten, bis ihn Cern mit seinem untrüglichen Gespür für wertvolle Mitarbeiter fand. Harrison entsann sich deutlich der ersten Begegnung. Sie lag fast ein halbes Jahr zurück. In diesem halben Jahr war unendlich viel geschehen. Diese Dinge waren nicht immer mit dem Recht zu vereinbaren gewesen, das für »Normale« und Mutanten galt. Doch immer hatte ihn Cern davon überzeugen können, daß das Recht auf seiner Seite war. Die Mutanten mußten eine Sonderstellung haben, die ihren Fähigkeiten gerecht wurde. Immerhin waren sie Kinder des Atomkrieges. Die Menschheit hatte eine schwere Schuld an ihnen abzutragen. Zuerst waren sie Verfemte, Gehetzte gewesen. Dann kam die MutantenPolizei in ihren roten Uniformen. Sie half mildern, was von der Bevölkerung den Monstern an Mißtrauen entgegengebracht wurde. Aber immer noch waren die Mutanten Außenseiter; würden sie jemals wirklich einen Platz in der menschlichen Gemeinschaft finden? Harrison schüttelte die quälenden Gedanken ab. Seine Aufmerksamkeit wandte sich der Arbeit zu. Sein Körper war jetzt auf diese Arbeit abgestimmt. Kein Staubkorn wirbelte mehr in der Luft des abgeschirmten Raumes, die Luftfeuchtigkeit blieb konstant. Ein zweiter Finger kroch wie eine Riesenraupe auf das Werkzeug zu. Dann begann eine Reihe von schnellen sicheren Bewegungen. Harrison holte die vorbereiteten Einzelteile aus den Regalen hinter sich. Er wußte, wo sie lagen. Ein Beobachter wäre erstaunt von der Sicherheit gewesen, mit der der Mutant die winzigen Elemente ergriff und auf die Arbeitsplatte legte. Unter den geschickten Händen des Mutanten entstand ein komplizierter Mechanismus. Er hatte die Form eines Eies; ein Kranz von blitzenden Objekten bildete einen schimmernden Ring. In weniger als einer halben Stunde hatte Harrison sein Werk vollendet. Liebevoll betrachtete der Ingenieur sein Werk. Es war eine Meisterleistung, besser als das Auge, das mit dem Mikrofon unter den Stößen des Gravonauten zu einer vernichtenden Bombe geworden war. Jetzt, da Harrison mit seiner Arbeit fertig war, kehrten die quälenden Gedanken zurück. Vielleicht hätte er die Bombe nicht bauen sollen. Unschuldige waren getötet worden… Harrison schüttelte seinen breiten Kopf. Aus seinem hellen strähnigen Haar fiel ein blondes Haar auf den Arbeitstisch und legte sich wie ein Kabel um die Mikrokamera. Vorsichtig blies Harrison es weg. Hinter ihm entstand ein donnerndes Dröhnen. Harrison zuckte zusammen. Er erwachte wie aus einem quälenden Alptraum. Das Klopfen wiederholte sich. Jetzt hatte es eine normale Lautstärke. Harrison schaltete das Licht ab und setzte seine Brille auf. Der Vorgang der Umstellung wiederholte sich, aber diesmal in umgekehrter Reihenfolge. »Herein!« sagte der Mikroingenieur unwillig. Er erwartete Cern, aber statt des MutantenAnführers erschien der Gravonaut. Das Gesicht Smythes war verfallen, sein Atem ging in hastigen Stößen. »Hast du vielleicht etwas zu trinken, Olaf?« keuchte er. Harrison nickte und wies mit dem Kopf zu einem Regal. Der Gravonaut tat ihm leid. Dieser junge Mann war ein Wrack geworden. Der Alkohol hatte ihn innerlich völlig ausgehöhlt. Gierig griff Dellern
Smythe nach der Flasche und trank in durstigen Zügen. Aufatmend setzte der hagere junge Mann ab. Jetzt glänzten seine Augen, und das bleiche Gesicht rötete sich etwas. »Cern hat mir für zwei Tage meine Ration gesperrt«, meinte er ärgerlich. »Er wird mich noch umbringen. Vielen Dank, übrigens. Bist du fertig?« Harrison nickte und wies stolz auf den eiförmigen Gegenstand, der nicht einmal die Größe eines Fingerhuts hatte. »Tolle Sache«, meinte Smythe anerkennend. »Schon ausprobiert?« Olaf Harrison schüttelte den Kopf. Er drehte sich auf seinem pneumatischen Sessel, der eigens für seine besonderen Körpermaße angefertigt worden war, und langte nach einer Schaltwand. »Okay?« fragte er. Der Gravonaut nickte stumm. Er hatte die Augen geschlossen. »Vorsichtig!« warnte Harrison. Er starrte auf den kleinen Gegenstand, der sich zwanzig Zentimeter in die Luft erhoben hatte. Smythe blinzelte. Dann machte er eine Bewegung, und der kleine Gegenstand war aus dem Raum verschwunden. Harrison hatte nur einen blitzenden Schatten gesehen, der durch die angelehnte Doppeltür geschossen war. Aufmerksam beobachtete er den Bildschirm, auf dem jetzt ein Abbild des Ganges draußen erschienen war, so wie er sich dem Auge des Mikrospions zeigte. »Gute Übertragung«, nickte Harrison. Smythe beachtete ihn nicht. Das Auge schwebte den Gang entlang, getragen von den Gravitationsfeldern, die Smythe erzeugte. »Rechts in den Gang«, kommandierte der Mikroingenieur. Die rechte Abzweigung tauchte auf dem Bildschirm auf. »Links! – Höher! – Jetzt halt!« Auf dem Bildschirm waren Gestalten zu sehen. Gleichzeitig waren über den Lautsprecher Geräusche zu hören, Schritte, die auf dem Betonboden knallten. Es war Cern, der sich an einer Stahltür zu schaffen machte. »Unser Gefangener«, grinste Smythe. »Dieser MutantenPolizist.« Er spie das Wort aus, als handele es sich um einen Fluch. »Generalprobe beendet?« wandte er sich an den Mikroingenieur. Harrison schüttelte den Kopf. Das Spionenauge schwebte jetzt über Cern. Gleichzeitig mit ihm schlüpfte es in den kleinen dunklen Raum. Man erkannte jetzt auf dem Bildschirm, daß Cern eine schwere Waffe in der Hand trug. Er richtete sie auf eine Gestalt, die, zu einem unförmigen Bündel verschnürt, in einer Ecke des Raumes lag. »Sie brauchen nicht aufzustehen«, tönte die arrogante Stimme Cerns. »Obwohl ich sonst Höflichkeit gewohnt bin!« Die Augen des Leutnants starrten ihn an. Man sah, daß der Mann völlig entkräftet war. »Wo bin ich?« keuchte Leutnant Baker. Cern lachte. »Es gibt keinen Grund, warum ich Ihnen das nicht sagen sollte. Denn Sie werden mein Hauptquartier nicht lebend verlassen. Sie befinden sich in einem ehemaligen Atombunker am Meer. Der genaue Ort wird Sie vermutlich nicht interessieren. Luftlinie etwa 200 Kilometer von Den Haag entfernt. Das hier ist noch ein Provisorium. Später werden wir unser Hauptquartier in Den Haag aufschlagen. Vielleicht auch an einem anderen Ort.« Leutnant Baker richtete sich auf. »Was haben Sie vor?« Cern schien seine Frage nicht gehört zu haben. »Rom, Paris, Berlin, Moskau, wollen mal sehen. Unsere Leute arbeiten schon seit langer Zeit. Die Übernahme kann eigentlich jeden Tag erfolgen. Ihr habt die Mutanten immer unterschätzt. Jetzt empfangt ihr die Quittung dafür.« »Rex Corda wird mit euch aufräumen«, versprach Leutnant Baker. »Das hier ist ein offener Aufstand!« Cern schien sich darüber zu amüsieren. »Sie drohen mit dem schwarzen Mann, Baker. Wissen Sie denn überhaupt, ob Corda, dieser Verräter, noch lebt?« »Verräter?« fragte Leutnant Baker verblüfft. »Genau. Corda ist selbst Mutant. Wenn er sich auch bemüht, diese Tatsache zu verschleiern. Was
hat er für die Mutanten getan? Nichts! Das ist es nämlich. Also müssen wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen.« Cern richtete sich stolz auf. »Ja, mit der Gewerkschaft der Mutanten!« »Hübsche Tarnung«, bemerkte Baker. »Hoffentlich kommt Ihr Arbeitsamt auch richtig in Schwung. « »Sie sind dumm, Baker«, versetzte Cern schneidend. »Ich behalte mir vor, Ihnen eine kleine Extrabehandlung zukommen zu lassen, wenn Sie sich wieder etwas erholt haben. Damit auch Sie sehen, daß Sie die Mutanten unterschätzt haben. Sie Narr haben sich einfach an unseren Gleiter gehängt. Schönes Heldentum, Baker. Dumm und verblendet. Ich konnte Ihre Gefühle deutlich wahrnehmen. Ihr › Normalen‹ seid uns immer unterlegen!« »Sie sind wahnsinnig«, sagte Leutnant Baker gleichgültig. Cern schien sich auf den gefesselten Mann stürzen zu wollen. Doch dann riß ihn ein Klingelzeichen zurück. »Wir sprechen uns noch«, stieß er drohend hervor. Dann eilte er aus dem kleinen Raum. Mit ihm bewegte sich ein winziges schimmerndes Objekt auf den Gang, gerade rechtzeitig, bevor die Tür zugeschlagen wurde… * »Es kommen neue«, sagte der blinde Wächter. Cern starrte auf das schwammige weiße Gesicht, das völlig ausdruckslos blieb. »Wann sind sie hier, Wladimir?« »In etwa zwei Stunden. Sie kommen mit einem alten benzingetriebenen Fahrzeug. Sie werden in etwa einer Stunde auf den neuen Schirmen zu sehen sein.« »Dir entgeht nichts, was, Wladimir?« fragte Cern grinsend. Das Gesicht des blinden Mutanten überzog sich mit einem stolzen Lächeln. »Nichts«, sagte er. »Ich sehe sie an ihren Gedanken; ich erkenne sie besser und eher als ein Mann mit normalen Augen. Ich werde das Empfangskomitee rechtzeitig vorbereiten.« Cern stimmte in Gedanken zu. Er wußte, daß ihn der blinde Wächter genauso verstand, als wenn er sich in Worten ausgedrückt hätte. Einen Augenblick starrte Cern auf die unförmigen Beinstummel, die unter einer Decke verborgen waren. Dann verließ er die Wachstation des blinden Mutanten. Früher einmal war Wladimir ein Hellseher gewesen. Cern hatte ihn von einem Jahrmarkt geholt, auf dem der hilflose Mann ein kümmerliches Leben gefristet hatte. Er hatte ihm gezeigt, wie er seine Mutation bis zur Perfektion entwickeln konnte… * Vor einer Stunde war Cern mit seiner kleinen Streitmacht aufgebrochen. Diesmal befanden sich in seinem großen Gleiter außer Dellern Smythe ein Pyrotiker, der auf den Namen Francko hörte. Der Mann war groß und hatte klobige Gesichtszüge. Er wirkte immer wie verschlafen, doch seine blitzenden, hellwachen Augen verrieten das Gegenteil. Unter ihnen dehnte sich Den Haag aus. In der Stadt mußte jetzt der Aufruhr toben, aber die Straßen waren verlassen und ruhig. Unsicherheit befiel den MutantenAnführer. War der Putsch nicht geglückt? Seine Leute hatten genau nach Anweisung gehandelt, das verriet die erste Bildübertragung, die er nach dem Verhör von Leutnant Baker empfangen hatte. Doch jetzt sah es so aus, als hätten seine Unterführer nichts erreicht. Mit einem scharfen Befehl wies Cern den Pyrotiker Francko zurecht, als unvermittelt ein Streichholz in der Hand des großen Mannes aufflammte, ohne daß eine Bewegung stattgefunden hätte. Dann lachte Cern erleichtert auf. Das abgebrannte Gebäude der PSM – der Partei zur Sicherung der Menschenrechte – bewies deutlich, daß der Angriff erfolgreich eingeleitet worden war. Nach seinem Plan hatten die Mutanten ganze Arbeit geleistet. Greffern Nole, der Unterführer, hatte mehrere Pyrotiker auf das Gebäude angesetzt. Unvermittelt waren von Gravonauten gesteuerte Fässer mit Benzin in der Luft erschienen und von den Pyrotikern entflammt worden. Ein glutender, wabernder Regen hatte das Parteigebäude überschüttet. Keiner war entkommen.
Dann waren in schnellen Einsätzen die Regierungsgebäude besetzt worden. Die Politiker waren als Geiseln in Gefangenschaft genommen worden. Das war der wichtigste Teil der Aktion gewesen. Ohne die Geiseln hätte die Aktion keinen Erfolg gehabt. Jetzt hatte man ein Druckmittel gegen das Militär, das bald vom TERRAKOM gegen die Aufständischen in Den Haag eingesetzt werden würde. Cern lachte. Vor einem Tag noch hätte man ihn gefangennehmen können. Es war den Soldaten und Polizisten nicht gelungen. Obwohl Den Haag zu der Stunde von Mutanten gewimmelt hatte, ohne daß die Behörden etwas ahnten, wäre sein genialer Plan beinahe ins Wasser gefallen. Doch jetzt prangten überall die Fahnen der Gewerkschaft der Mutanten auf den Regierungsgebäuden. Auch die Rundfunk und Fernsehanstalten waren besetzt worden. Eine große Menge von Geiseln hatte man in unterirdischen Verliesen oder in den Gefängnissen der Regierung verschlossen. Denn die Gefängnisse waren jetzt ebenfalls leer. Es hatte zum Plan Cerns gehört, durch die Freilassung aller Verbrecher eine zusätzliche Verwirrung zu erzeugen. Wieder lachte der MutantenAnführer triumphierend auf, als der Gleiter an einer flatternden Fahne auf einem Regierungsgebäude vorbeischwebte. Die Fahne zeigte einen hellen menschlichen Kopf mit glühenden roten Augen. Nach allen Seiten schossen von diesem Kopf aus stilisierte Blitze. Das war ihr Zeichen. Jetzt würde die Gewerkschaft der Mutanten sich vor Anhängern kaum retten können. Alle Mutanten mußten vereinigt werden. Nicht nur ein paar Hundert. Der Gleiter ging auf dem Dach des größten Fernsehgebäudes nieder. * Dem MutantenAnführer trat ein hochgewachsener athletischer Mann entgegen. Cern schüttelte Greffern Nole die Hand. »Der Zeitplan wurde von mir genau eingehalten«, lachte Nole. »Sie kommen gerade zurecht zur Fernsehübertragung.« Ein Fahrstuhl brachte die beiden Mutanten, die im Handstreich den größten Verwaltungsbezirk Europas eingenommen hatten, in ein Studio. Überall an den Wänden waren Mutanten postiert. Die wenigsten von ihnen hatten ein menschliches Aussehen. Besonders auffallend war eine monströse Erscheinung, die in jeder ihrer drei Arme eine Waffe trug und sie in drei verschiedenen Richtungen auf die umhereilenden Techniker gerichtet hatte. »Zur Übertragung bereit«, meldete der Sendeleiter. Der Mann hatte eine klaffende Wunde auf der Stirn, um die er sich einen schmutzigen Stoffetzen gewickelt hatte. Der Mann hatte sich bis zuletzt gegen die Übermacht gewehrt. Schließlich aber hatten die Impulse der PsychoDocs seinen Widerstand gebrochen. Cern trat vor die Kamera. Er machte einen beherrschten, selbstsicheren Eindruck. Keiner der Zuschauer konnte sich dem trügerischen Bann seiner Worte entziehen. »Sie alle«, begann er, »haben von der Gewerkschaft der Mutanten gehört. Diese Organisation verfolgt die Absicht, den unterdrückten Mutanten in aller Welt bessere Lebensbedingungen zu schaffen und sie aus ihrem unwürdigen Dasein zu erlösen. Unsere Regierung hat sich nicht als fähig erwiesen. Ihr höchster Repräsentant, Rex Corda, scheint sich kaum um das Wohl der Erde zu kümmern. Der Rest der Regierung besteht aus unfähigen Schwätzern.« Cern legte eine Pause ein. Den folgenden Worten verlieh er besonderes Gewicht. »Einer der größten Fehler war, unsere Freunde, die Laktonen, vor den Kopf zu stoßen. Von den Sternen blickt man mit Verachtung auf die Erde. Darum hat die Gewerkschaft der Mutanten die Regierung übernommen. Recht und Frieden werden wieder einkehren. Menschen und Mutanten werden einträchtig nebeneinander leben. Unsere laktonischen Freunde werden neues Vertrauen zu uns finden. Die Erde kann wieder aufatmen. In diesem Augenblick werden überall in der Welt die Menschen erkennen, daß die Fähigsten an die Spitze gehören. Sie brauchen nichts zu befürchten. Die Ära der Befreiung hat begonnen. Ich danke Ihnen.« Aufatmend trat Cern von der Kamera zurück. »Ob sie es schlucken werden?« grinste Greffern Nole an seiner Seite. Cern erhob stolz den schmalen Kopf.
»Es war schon immer so, daß die Menschen zu ihrem Glück gezwungen werden mußten. Wir werden diese schwere Bürde auf uns nehmen.« Er wandte sich unwillig um, als der Pyrotiker Francko auf ihn zutrat. »Was gibt’s?« »Cern«, flüsterte Francko. »Soeben erhalte ich die Nachricht von einem unserer Verbindungsleute, daß Rex Corda sich bereits mit dem TERRAKOM in Verbindung gesetzt hat. Er wird in wenigen Tagen eintreffen. Sicher haben Sie schon von seinem Schlachtkreuzer gehört?« Cern winkte verächtlich ab. »Corda kann uns nichts anhaben. Jetzt vielleicht. Nicht aber in zwei Tagen. Dann sind wir unbesiegbar geworden. Außerdem ist Corda selbst Mutant. Ich hoffe, daß ich ihn auf unsere Seite ziehen kann.« * Der laktonische Botschafter blieb überrascht stehen. Sir K. Enschko wollte seinen Augen nicht trauen. Vor ihm lag ein Bedienungsroboter auf dem Boden. Die bunten Umhänge, mit dem die humanoide Gestalt bekleidet war, waren zur Seite geschoben und zeigten eine klaffende rauchgeschwärzte Wunde im Metalleib. Dem Botschafter Laktons fiel ebenfalls auf, daß der Bedienungsroboter eine Waffe in der biegsamen metallenen Hand trug. Normalerweise waren diese Roboter nicht auf Kampf eingestellt. Trotzdem waren sie natürlich bewaffnet. Sir K. Enschko blickte sich schnell um. Er stellte eine Verbindung zu einem Angestellten der Botschaft her und verlangte eine Erklärung für diesen unbegreiflichen Vorfall. Der Angestellte wußte von nichts. Es war kein Schuß gehört worden. Auch sei die Botschaft von einer zwanzig Meter hohen Schirmmauer umgeben, die jeden Eindringling abhalte. Ferner sorge die RadarÜberwachung dafür, daß jedes Objekt rechtzeitig geortet würde. »Was soll das heißen?« schrie Enschko wütend. »Hier in meinem Arbeitsraum liegt ein Bedienungsroboter.« Der laktonische Botschafter richtete das Aufnahmegerät, das seinem Gesprächspartner bisher nur sein wütendes Gesicht gezeigt hatte, auf die am Boden liegende reglose Gestalt. Unweit von ihr lag ein Tablett mit Früchten, die der Roboter hatte servieren wollen. Und jetzt fiel dem Botschafter auch das geschwärzte Loch an der Decke auf. Es war also ein Schuß abgegeben worden. Natürlich hatte man kein Geräusch hören können, dennoch mußte der Durchbruch Erschütterungen verursacht haben. Das Gesicht des Angestellten war kreidebleich. Sein Mausgesicht verzog sich zu einer Grimasse des Entsetzens. »Sir«, stammelte er. »Durch unseren Energieschirm kann nicht einmal eine Maus hindurchdringen! Eine Maus ist ein terranisches Kleinstlebewesen«, setzte er hastig hinzu. Sir K. Enschko unterbrach wütend die Verbindung. Er wußte, daß sein Angestellter recht hatte, trotzdem wollte er sich vom Zustand des Energieschirms persönlich überzeugen. Man hatte den Schirm eingeschaltet, weil in der Stadt ein Eingeborenenaufstand herrschte… Sir K. Enschko hatte eine umfassende technische Vorbildung. Jeder Botschafter auf einem fremden Planeten mußte sich in der laktonischen Wissenschaft auskennen. Denn oft war man allein auf sich gestellt. Mit schweren Schritten stampfte Enschko in den Generatorraum, von wo aus das Kraftfeld errichtet wurde. Dann gab er einige Befehle ab. Über einen Bildschirm sah er, wie einer seiner Roboter einen schweren metallenen Gegenstand gegen den Schirm warf. Das Schirmfeld flammte auf. Zuckende Lichter glitten über die Fläche. Doch das beruhigte Enschko keineswegs. Der Schirm funktionierte, aber er hatte eben keine Kuppelform. Der Schirm war nach oben offen. Ein halbkugeliges Feld würde zu große Energiemengen verschlingen. Und dann bestand noch die Gefahr, daß sich Feinde von unten in die Botschaft schlichen. Die Kellerräume waren zwar nach dem neuesten Stand der laktonischen Technik abgesichert, doch auch das verschaffte Sir Enschko keine Beruhigung. Wenigstens wollte er jetzt ein halbkugeliges Feld errichten. Der Keller würde von allen Kampfrobotern bewacht werden. Sir K. Enschko wandte sich um. Er hatte aus den Augenwinkeln heraus einen Schatten gesehen, der sich blitzschnell durch die Luft bewegte.
Der Botschafter riß die Waffe aus dem Halfter. Seine Lippen teilten sich zu einem häßlichen Grinsen, das die rötlichen Zähne entblößte. Aber der Raum war leer. Er mußte sich getäuscht haben. Kopfschüttelnd machte er sich daran, die Verschalung des Generators zu entfernen. Er mußte vorsichtig zu Werke gehen, um nicht durch eine falsche Bewegung das ganze Feld zusammenbrechen zu lassen. Die Schaltungen lagen jetzt offen vor seinen Augen. Blitzschnell drehte sich Enschko um. Dann schüttelte er – wütend über sich selbst – den Kopf. Er sah Gespenster. Er hatte sich tatsächlich eingebildet, daß ihm jemand über die Schulter sähe. Während seine Gedanken einen wirbelnden Tanz aufführten, beschäftigte sich der Laktone weiter mit den Schaltungen. Geschickt lösten seine Finger einige Verbindungen. Das Feld würde jetzt eine Abstufung schwächer sein, aber das machte nichts. Immer noch war es stark genug, um jeden Eindringling in eine glühende Gaswolke zu verwandeln. Ein phantastischer Gedanke jagte ihm durch den Kopf. Konnte es sein, daß man ihn durch eine Mikrokamera beobachtete? Wer aber konnte es ein? Unmöglich konnten die Terraner etwas Derartiges entwickelt haben. Soweit Enschko bekannt war, verfügte selbst die laktonische Technik nicht über ein solches Gerät. Denn angenommen, ein solches Auge wäre tatsächlich konstruiert worden, dann müßte auch ein Flug oder Antigravmechanismus in ihm untergebracht sein. Und das erklärte immer noch nicht den zerstörten Bedienungsroboter. Das würde ja bedeuten… Sir K. Enschko schüttelte den Kopf, während er die Verkleidung vor dem veränderten Generator anbrachte. Es war einfach unmöglich. Und jetzt hatte er die Erklärung. Der Roboter hatte versagt. Das kam manchmal vor. Er hatte blind in die Luft geschossen und sich danach selbst erledigt. Sollten sich die Techniker damit befassen. Ihn interessierte es nicht mehr. Und jetzt war auch die letzte Gefahrenquelle ausgeschaltet. Über der Botschaft der Laktonen wölbte sich ein halbkugeliges Feld. Deutlich zu erkennen an einem matten, fluoreszierenden Schein. Jedes auftreffende Staubkorn wurde sofort verbrannt und flammte für eine Mikrosekunde auf. Keiner in der Botschaft bemerkte, daß an einer Stelle des Schirmes, nahe dem oberen Mittelpunkt, sekundenlang ein helles Objekt aufleuchtete und wie ein verblassender Komet im Nichts verging. * Cern schrie wütend auf. Eben noch hatte er sich an dem tadellosen Funktionieren des Spionenauges geweidet, doch jetzt war der Bildschirm schlagartig dunkel geworden. »Was ist passiert? Antworte, Harrison!« Unter seinen heftigen Stößen taumelte der Mikroingenieur zu Boden. Verstörte Augen starrten den MutantenAnführer an. Unmerklich rückte Dellern Smythe von Cern ab. Harrison rappelte sich beleidigt wieder hoch. »Das war vorauszusehen«, sagte er. »Aber das ist kein Grund zur Aufregung. Ich habe erkannt, daß der Botschafter das Schirmfeld verändert hatte. Es wurde halbkugelig. Also konnte unser »Auge« nicht mehr darüber hinwegfliegen. Die Ergebnisse sind aber längst aufgespeichert.« Vorwurfsvoll klopfte sich der Mikroingenieur seine Kordhose ab. Cern grinste breit. »Heißt das, daß wir ein Schutzfeld um unser Hauptquartier errichten können?« Harrison nickte. »Es bereitet jetzt keine Schwierigkeiten mehr. Das Prinzip war ohnehin bekannt. Es ging nur um die Schaltungen.« »Und die haben wir jetzt?« grinste Dellern Smythe. Wieder nickte Harrison. Cern klopfte ihm auf die Schulter. »Ausgezeichnet! Das bedeutet für dich eine zusätzliche Belohnung, Harrison.« Harrison lächelte gequält. »Ich brauche keine Belohnungen. Mir ist es recht, wenn ich meine Arbeit in Ruhe verrichten kann. Wir sollten anfangen, den Schirmfeldgenerator zu bauen. Ich brauche dazu etwa fünf Techniker und ein paar Gravonauten, um die Maschinenteile zu bewegen.« »Sollst du haben«, nickte Cern. »Der Generator ist im Augenblick dein wichtigstes Projekt.« Der MutantenAnführer verließ das Labor. Über Sprechfunk forderte er seine Elitetruppe an. Unbedingt mußte er die Arbeit seiner Unterführer überwachen. Es könnte sonst sein, daß ein anderer Mutant die Macht an sich reißen würde.
Die Mutanten schlossen sich ihrem Führer an. Im Laufschritt gingen sie zu einem Luxusgleiter, der mit den Insignien der Gewerkschaft der Mutanten geschmückt war. Mit einem Blick überschaute Cern den großen Gebäudekomplex, der sein Hauptquartier darstellte. Er hatte klug gewählt. Dieser ehemalige Atombunker war von seinen Leuten zusätzlich befestigt worden. Mit dem Schutzschirm würde er unüberwindlich sein. Auch ein Rex Corda konnte dann nichts mehr gegen ihn ausrichten. Er mußte es so machen wie ein Teil der Regierungen, die sich schon zu einem Drittel der offenbaren Übermacht der Mutanten unterworfen hatten. Der Gleiter stieg mit den Mutanten auf. Jetzt hatten sie einen guten Überblick über die Straßen. Von allen Seiten kamen die Mutanten auf das Hauptquartier der Gewerkschaft zu. Zu Fuß, mit Gleitern, in altmodischen Autos. Sie wurden in einigen Verwaltungsgebäuden neben dem Hauptquartier abgefertigt und nach ihren Begabungen eingestuft. In langgestreckten Baracken bekamen sie eine Unterkunft. Pausenlos suchten die Empathen nach Spionen. Sie wurden von Wladimir geleitet. Der blinde Mann im Rollstuhl hatte schon fünfzehn Spione entdeckt. Diesen wurde kein Pardon gegeben. Binnen weniger Tage herrschte Cern über Tausende von Mutanten als rücksichtsloser Diktator. Die Verwaltungszentren einiger Hauptstädte waren in der Hand der Gewerkschaft. Seit einigen Stunden waren Truppen gegen die Rebellen eingesetzt worden, aber jeder wußte jetzt schon, daß die Regierungstruppen ungeheure Verluste erleiden würden. Außerdem waren da noch die Geiseln. Die Elite der europäischen Gesellschaft war in der Hand der Mutanten. Ihr Schicksal würde besiegelt sein, wenn die Regierungstruppen angriffen. Ein schwere Krise war über Europa hereingebrochen. Es konnte nicht mehr lange dauern, dann wurde die ganze Welt davon erfaßt. Und das kurz nach dem großen Aufatmen, kurz nach der Befreiung aus der Umklammerung durch die kosmischen Giganten Orathon und Lakton. Diesmal kam die Bedrohung von innen, und sie war nicht minder gefährlich. * Die »Walter Beckett«, das Flaggschiff und gleichzeitig einzige raumtüchtige Schiff der terranischen Flotte, glitt aus dem Hyperraum. Ein Beobachter hätte erkennen können, daß das Schiff eine gefährliche Reise gemacht hatte. Der Rumpf zwischen den beiden gewaltigen Hanteln war von Dellen übersät. Einige der großen Antennen und Hohlspiegel waren abgeknickt oder fehlten. Die »Walter Beckett« war genau zwischen den beiden Systemen Sol und Alpha Centauri aufgetaucht. Der gewaltige Hantelraumer, der einmal zur orathonischen Flotte gehört hatte, näherte sich der PlutoBahn. In seinem Innern herrschte geschäftiges Treiben. Jeder der Besatzung freute sich darüber, wieder die Erde sehen zu können. Doch es gab an Bord der »Walter Beckett« eine Gruppe, die sich auf den Anblick der Erde freute, ohne diesen Planeten überhaupt gesehen zu haben. Rex Corda befand sich im großen Versammlungssaal. Er wurde von den fünfunddreißig laktonischen Wissenschaftlern umgeben, die Corda von Teckan, dem Planeten der Wissenschaft, befreit hatte. Alles Wesentliche war bereits besprochen worden. Und trotzdem tauchten in letzter Sekunde noch Zweifel auf, ob eine geheime Unterbringung der laktonischen Spitzenwissenschaftler auf der Erde möglich war. Besonders Fan Kar Kont, der FarGeborene, hatte ernsthafte Bedenken angemeldet. »Rex Corda«, meinte er, »wir wissen, daß sich auf Ihrem Planeten Terra ein Botschafter Laktons befindet. Er mag zwar anmaßend sein und arrogant, aber unfähig ist er auf keinen Fall. Sie können sicher sein, daß er Ihre Welt mit einem Netz von Spionen überzogen hat.« »Er wird keine Gelegenheit haben, sie einzusetzen«, gab Rex Corda zurück. »Die Situation der Erde ist mehr als kompliziert. Ich bezweifle, ob sich ein Außerirdischer auf Terra zurechtfinden wird. Wir haben zwar eine Regierung, die den gesamten Erdball umspannt, dennoch sind die Interessengruppen immer noch national eingestellt.« »Ein primitiver Zustand«, warf Ierra Kretan, die laktonische Mathematikerin, ein. Als Rex Corda sie ansah, senkte sie den Blick und betrachtete angelegentlich den Ring auf ihrer rechten Hand, der mit einem kirschroten Stein geschmückt war.
»Zugegeben«, versetzte Rex Corda. »Primitiv, dieser Zustand. Aber Ihnen gibt er die Möglichkeit, wirklich sicher und unbeeinflußt den Forschungen nachzugehen. Sie werden feststellen, daß die Terraner sich bei aller Primitivität ein freiheitliches Denken bewahrt haben, das durch keine außerirdische Macht gebrochen werden kann.« Neben einer hohen Computerwand richtete sich eine kleine, fast zwergenhafte Gestalt auf Ga Venga, der kynothische Dolmetscher, strich sich vielsagend über den flammendroten Brustkeil auf der Vorderseite seiner eng anliegenden Kombination. »Vergessen Sie nicht, Ierra«, krähte der Dolmetscher, »ohne die Hilfe der Terraner würde Ihr großartiger Oberbefehlshaber, Jakto Javan, längst nicht mehr unter den Lebenden weilen!« Die Mathematikerin zuckte die Achseln und schwieg. »Ich habe Sie hier zusammengerufen«, fuhr Rex Corda fort, »um Ihnen meinen Plan zu unterbreiten. Wir haben in den Vereinigten Staaten – in der Nähe von Colorado Springs – ein geheimes Forschungszentrum. Ursprünglich war es für die Verteidigung des Kontinents vorgesehen. Wir haben es NORAD genannt. Es befinden sich unterirdische Laboratorien dort. Sie werden dort alle Möglichkeiten haben, Ihre Forschungen in Ruhe fortsetzen zu können. In Ihrem Beisein werde ich jetzt den Sicherheitsdienst anrufen. Natürlich besteht die Möglichkeit, daß man meine Botschaft abhört. Ich rechne sogar damit. Also halten Sie sich bitte im Hintergrund. Keiner darf erfahren, daß sich auf diesem Raumschiff laktonische Wissenschaftler befinden.« Die Verbindung war schon vorbereitet worden. Während die Wissenschaftler aus dem Bereich der Holografenkameras traten, drückte Rex Corda den Verbindungsknopf. »Rex Corda auf Flaggschiff ›Walter Beckett‹!« meldete er sich. »Ist die Verbindung hergestellt? Boyd Clifton, melden Sie sich!« Der Holograf blieb dunkel, obwohl die Kontrollen anzeigten, daß die Verbindung hergestellt worden war. Dann zuckten Lichter über das gewölbte Feld. Rex Corda schüttelte den Kopf und überflog noch einmal die Kontrollen. Plötzlich war ein Gesicht zu sehen. Es gehörte dem Sekretär des UNITERVerbandes. »Hier Alfie«, meldete er sich formlos. »Mr. Corda, bitte, kommen Sie sofort! Hier ist die Hölle los. Die Mutanten haben…« Die Verbindung war abgebrochen. Rex Corda reaktivierte die Einstellungen. »Meine Herren«, sagte er ruhig, »die Schwierigkeiten scheinen schon angefangen zu haben.« * Man hatte ihm die Fesseln abgenommen, dennoch waren die Qualen unerträglich. Es waren keine körperlichen Schmerzen, die man ihm zufügte, sondern der Einfluß von Intelligenzen, die krank und wesensfremd waren. Es war nicht immer jener MutantenAnführer gewesen, von dem Leutnant Baker wußte, daß er Cern hieß. Manchmal kam auch ein seltsames Fahrzeug in seine Zelle, auf dem ein Monster ruhte, der nur entfernt mit einem Menschen vergleichbar war. Leutnant Baker hatte umfassende Erfahrungen mit Mutanten während seiner Dienstzeit sammeln können. Er hatte ungeheuer viele Arten von ihnen kennengelernt, von Degenerationen, die kaum noch eine Ähnlichkeit mit einem Menschen aufwiesen, bis zu Mutanten, die in nichts von einem normalen Menschen zu unterscheiden waren. Er hatte ein tiefes Verständnis für jene Wesen, die ohne eigene Schuld verändert worden waren. Er kannte ihre Angst und ihre Schwäche. Doch jetzt hatte es sich in sein Unterbewußtsein eingeschlichen, daß die Mutanten alle bösartige, gefährliche Monster darstellten. Sie hatten alles aus ihm herausgeholt. Alle Verbindungen. Die Lage des UNITERCenters, die Organisation der MutantenPolizei. Noch nie hatte sich Leutnant Baker so hilflos gefühlt. Er hatte überlegt, sich zu töten, um den Mutanten nicht noch mehr Informationen in die Hände zu spielen. Doch es war einfach unmöglich. Er hatte nichts, das einen Freitod möglich machte, und außerdem schien er pausenlos bewacht zu werden. Leutnant Baker erwachte aus seinem Brüten, als ein Wärter einen Napf mit Essen vor ihm abstellte.
Ein Blick verriet ihm, daß auf dem Gang vor seiner Zelle mehrere Wächter mit schußbereiten Waffen patrouillierten. Aber auch ein Ausbruchsversuch in diesem Augenblick wäre nutzlos gewesen. Er war einfach zu entkräftet. Der Mutant, der das Essen vor ihm abgesetzt hatte, entfernte sich wieder aus der Zelle. Leutnant Baker starrte gegen die Decke. Er glaubte seinen Augen nicht trauen zu können. Durch den sich schließenden Spalt der Tür schoß ein winziges Etwas. Ein Gegenstand von der Größe eines Taubeneies. Leutnant Baker schloß die Augen und lehnte sich auf seiner Pritsche zurück. Er war das Opfer von Halluzinationen geworden. Er sah Gespenster. Das konnte einfach nicht sein. Er öffnete die Augen. Dicht vor ihm schwebte ein leuchtendes Auge in der Luft. Das Auge starrte ihn direkt an. Mit einem Blick, der von Panik gezeichnet war, wich Leutnant Baker in den hintersten Winkel seiner Zelle zurück. Das Auge starrte ihn immer noch an. Es schwebte bewegungslos in der Luft * Dellern Smythe legte seine Hand schwer auf die breiten Schultern des Mikroingenieurs. »Ich muß dir etwas sagen, Harrison«, lallte er. »Ich hasse Cern. Er ist nichts weiter als ein wahnsinniger Diktator, der die Erde beherrschen will. So, und jetzt kannst du mich verraten.« Über das breite Kindergesicht des Ingenieurs glitt ein leichtes Lächeln. »Keiner will dich verraten, Dellern«, meinte Harrison. »Du bist schon in Ordnung, Junge.« Dellern Smythe richtete sich auf. »Nicht verraten?« keuchte er. »Was meinst du damit?« Olaf Harrison zuckte die Achseln. Durch seinen fetten Körper ging eine wellenförmige Bewegung. »Was willst du jetzt eigentlich?« fragte er ruhig. »Der Leutnant!« keuchte Smythe. »Dieser Leutnant Baker, den wir gefangengenommen haben. Ich kenne ihn von früher. Er ist nicht schlecht. Er hat uns immer geholfen. Uns, den Mutanten. Cern hat kein Recht, ihn gefangenzuhalten!« »Gut«, meinte Harrison schließlich. »Du stehst also gegen Cern. Nehmen wir einmal an, daß es sich mit mir genauso verhält. Was schlägst du vor, was wir tun sollen? Was können wir zwei schon ausrichten? Wir gegen einen verhetzten Mob, der die Welt erobern möchte und die entscheidenden Schritte dazu schon getan hat?« Das Jungenhafte, Unbekümmerte war aus dem Gesicht des Mikroingenieurs weggewischt. Er sah ernst und gefaßt aus. »Ich weiß«, stieß Smythe hervor. Jetzt wirkte er nicht mehr betrunken. »Wir haben keine Macht. Wir müssen das tun, was man uns befiehlt, sonst ist unser Leben nichts mehr wert. Aber wir wollen doch leben!« Der letzte Satz war wie ein Schrei. »Okay«, meinte Harrison ruhig. »Deine Vorschläge?« Die Stimme des Gravonauten klang wie gehetzt. »Wir können nur wenig von dem Unrecht wiedergutmachen. Wir glaubten ja zuerst auch an Cern, sonst hätten wir uns ihm nie angeschlossen. Wir müssen jedenfalls den Leutnant befreien. Bei der nächsten Gelegenheit.« »Ich habe ein Auge auf ihn«, lächelte Harrison. Seine plumpen Finger glitten über die Tasten eines Schaltpultes. Und Dellern Smythe sah, daß der Ingenieur seine Worte ganz konkret gemeint hatte. Der Schirm flammte auf. Sie blickten in das von Grauen gezeichnete Gesicht des Leutnants. Er schien sie mit seinen gehetzten Augen zu durchdringen. »Wir können uns mit ihm nicht in Verbindung setzen«, sagte Harrison, »zu viele Spione überwachen das Hauptquartier. Darum sollten wir auch unsere Gedanken und Gefühle abschirmen. Vielleicht sind sie uns schon auf der Spur.« Beide zuckten zusammen, als sich die Doppeltür mit einem Ruck öffnete. Cern stand im Raum. Das schmale Gesicht des dandyhaft gekleideten MutantenAnführers verzog sich zu einem Lächeln.
»Ah«, machte Cern. »Die Elite ist also wieder zusammen.« Geistesgegenwärtig wies der Mikroingenieur auf den kleinen Bildschirm. »Wie Sie sehen, Chef, lassen wir den Gefangenen noch zusätzlich bewachen. Damit wäre jede Fehlerquelle ausgeschaltet. Nicht auszudenken, wenn einer Ihrer Wächter vielleicht Verrat üben sollte.« »Ausgezeichnet!« lachte Cern. Mit einem mißtrauischen Blick überflog er das kleine Labor. »Es ist immer gut, wenn man sich auf seine Leute verlassen kann. Übrigens habe ich mich gestern davon überzeugen können, daß dein Schirm gut funktioniert. Wir erwarten Rex Corda jeden Augenblick. Soll er sich doch an uns die Zähne ausbeißen. Wir sind gerade dabei, das UNITERHauptquartier zu stürmen. Ich habe keinen Zweifel daran, daß uns das gelingen wird. Dann werden wir das TERRAKOM übernehmen.« * Scheinbar entspannt hockte Boyd Clifton auf einem Pneumosessel in seiner Zentrale. Doch von seinen Lippen flossen pausenlos die Befehle. Das UNITERGebäude war von einer Horde Mutanten angegriffen worden. Doch hier hatte die Gewerkschaft der Mutanten einen Brocken gefunden, an dem sie sich die Zähne ausbiß. Gegen die überlegene Koordination eines Boyd Clifton kam sie nicht ohne weiteres an. Der Chef des UNITER bellte einen neuen Befehl. Auf einer riesigen Wand ihm gegenüber konnte er das ganze Kampfgeschehen verfolgen. Er wußte, daß eine Eroberung des UNITER der Anfang vom Ende war. Dann könnten sie gleich diesen Mutanten Cern als neuen Präsidenten der Erde anerkennen. Selbst die Laktonen, in Person ihres Botschafters Sir K. Enschko, standen hinter dem Aufstand. Selbst der Botschafter war geblendet worden. Offenbar waren ihm Aufstände von »Eingeborenen« nichts Neues. Die Schlacht um das UNITERGebäude stand unentschieden. Langsam wurden die Angreifer zurückgetrieben. Zum wiederholten Male an diesem Tag versuchte Boyd Clifton eine Holografenverbindung zum Raumschiff Cordas herzustellen. Es war nur eine Stunde her gewesen, als Clifton selbst an den Kämpfen teilgenommen hatte. Ausgerechnet in diesem Augenblick hatte Rex Corda von seinem Flaggschiff aus eine Holografenverbindung errichtet. Der UNITERChef stieß einen überraschten Schrei aus, als sich der Holograf vor seinen Augen erhellte. Rex Corda hatte sich gemeldet! Auf dem Schirm erschien das Gesicht des terranischen Präsidenten. Jetzt erst war Boyd Clifton wirklich erleichtert. »Clifton?« dröhnte die Stimme vor ihm aus dem Lautsprecher. »Melden Sie sich! Was ist los? Wir versuchen dauernd, eine Verbindung herzustellen!« Der UNITERChef drückte die Antworttaste. »Es sieht hier ziemlich wild aus, Mr. President. Die Mutanten haben hier die Macht übernommen. Wir brauchen Sie! Den Haag ist völlig in der Hand der Aufständischen. Damit ist auch der laktonische Botschafter aufs höchste gefährdet.« »Wir befinden uns jetzt auf der JupiterBahn. In zwei Stunden haben wir die Erde erreicht.« »Fliegen Sie Den Haag an, Mr. Corda! Dort sitzt der Kopf der Verschwörung! Ein Mutant, der sich Cern nennt, hat die Macht übernommen! Wir werden…« * Auf der »Walter Beckett« brach die Verbindung ab. Als letztes sahen die Männer eine schattenhafte Gestalt, die vor dem UNITERChef durch das Bild raste. Dann schwieg der Schirm. Nach einer weiteren Stunde hatte das Flaggschiff von Terra den Asteroidengürtel überwunden und steuerte auf die MarsBahn zu. Auf den Fernholografen war Terra schon als kleine grünlichblaue Scheibe auszumachen. Die Unruhe an Bord der »Walter Beckett« wuchs. Es herrschte eine deutlich fühlbare Spannung. Schließlich trat Latak Decimo, der laktonische Synoptiker, an Rex Corda heran. »Wir können uns sehr gut vorstellen, was Sie sich jetzt überlegen, Corda. Tun Sie zunächst Ihre
Pflicht, um Ihren eigenen Leuten zu helfen. Sie haben für uns schon zu oft Ihr Leben riskiert. Sie brauchen nicht immer auf uns Rücksicht zu nehmen.« Rex Corda nickte dankbar. Er hatte verstanden, was Decimo meinte. Er wußte auch, daß er von den fünfunddreißig laktonischen Wissenschaftlern als Sprecher auserwählt war. Im gleichen Augenblick flammte der Holograf wieder auf. Boyd Clifton, der UNITERChef, erschien auf dem Schirm. Er hatte einen breiten Kratzer auf der Stirn und trug eine Waffe in der Hand. »Haben Sie die Verbindung?« Corda gab die Bestätigung durch. »Angriff abgeschlagen«, meldete der UNITERChef. »Wir hatten hier einen netten kleinen Aufstand. Der erste Ansturm scheint jetzt allerdings vorbei zu sein. Um Sie zu informieren, Mr. President: Ganz Europa liegt jetzt in der Hand der Mutanten. Sie haben eine Organisation gegründet, die sich Gewerkschaft der Mutanten nennt. Diese Organisation sammelt pausenlos Mitglieder. Der Zustrom ist ungeheuer. Zuerst war Den Haag dran, dann folgten die anderen europäischen Verwaltungszentren. Landen Sie in Den Haag, Mr. President. Ungefähr 200 Kilometer nach Nordwesten befindet sich das Hauptquartier der Organisation. Es liegt in einem alten Atombunker. Soviel wir herausgefunden haben, ist es stark befestigt. Meiner Ansicht nach kann dieses Fort nur von einem Raumschiff aus bekämpft werden.« »Okay, Clifton«, bestätigte Corda, »aber wer sagt, daß ich einen Angriff fliegen muß?« »Die Regierung verlangt es einfach von Ihnen. Sie wissen noch nicht, wie es hier aussieht. Auf der Erde – und ganz besonders in Europa – herrscht der reinste Terror!« »Wir kommen«, meinte Rex Corda. Der Holograf wurde dunkel. * Eine Schicht von rötlichen Wolken überlagerte steil aufragende Bergschroffen, die sich einen Weg durch die Wattedecke gebahnt hatten. »Sie leben auf einem schönen Planeten«, sagte Latak Decimo ernst. Ierra Kretan, die neben ihm stand, neigte bestätigend ihren Kopf. Als Rex Corda sie anblickte, senkte sie unvermittelt den Blick. Latak Decimo hüstelte und blickte wieder auf den Holografen. Die Erde beeindruckte ihn. Besonders interessant fand er die Neigung der Erdachse, wodurch die Klimaschwankungen herbeigeführt wurden. Der laktonische Synoptiker wandte sich an Rex Corda. »Haben Sie sich jetzt entschieden?« Immer noch rang der terranische Präsident um eine Entscheidung. »Den Haag«, sagte er. »200 Kilometer davon. Muß dicht am Meer liegen. Es sollte uns keine Schwierigkeiten bereiten, die Festung der Mutanten zu finden.« »Versuchen wir vorher, eine Funkverbindung herzustellen?« fragte Decimo. »Selbstverständlich. Hoffentlich nehmen sie Vernunft an und sind zu einer Übergabe bereit.« »Wirst du schwere Waffen einsetzen?« fragte John Haick. Der Freund Cordas dachte an die schweren Atomgeschütze, die auch aus einer Superfestung eine glutende Hölle machen konnten. »So weit wird es nicht kommen«, meinte Rex Corda mit zusammengepreßten Lippen. Langsam begann er den Schock zu überwinden. Voller Hoffnung waren sie zur Erde zurückgekehrt, nach langen Wochen im Raum. Sie hatten eine kostbare Fracht an Bord: Die laktonischen Wissenschaftler. Die Erde würde einen ungeheuren wissenschaftlichen Aufschwung nehmen. Und jetzt schienen alle hochfliegenden Hoffnungen zerstört, vernichtet… Der gewaltige Hantelraumer schwang sich dem europäischen Kontinent entgegen. Latak Decimo meldete sich jetzt von der Funkzentrale aus. Er hatte einige Fernsehstationen hereinbekommen, die sämtlich in der Hand der Organisation waren, die sich nach Cliftons Angaben Gewerkschaft der Mutanten nannte. Während die »Walter Beckett« nur noch wenige Kilometer über dem Kontinent stand, hatte Decimo den Sender des Hauptquartiers angepeilt. Der große Holograf im Kommandoraum zeigte ein schmales Gesicht, das von dunklen Haaren eingerahmt war. Die Augen glühten fanatisch, der Mund gab pausenlos Kommandos von sich. Er mußte längst wissen, daß eine Verbindung hergestellt worden war, aber er
ignorierte die Tatsache. »Machen Sie’s kurz, Mr. President«, sagte er dann unvermittelt. »Wie Sie sehen, habe ich zu tun!« Rex Corda ließ sich durch die eigenartige Begrüßung nicht verblüffen. Er lächelte. »Sind Sie der Chef der Aufständischen?« fragte er. »Sie sehen eigentlich nicht so aus. Verbinden Sie mich mit ihrem Vorgesetzten. Die ›Walter Beckett‹ wird in wenigen Minuten zur Landung ansetzen. « Das Gesicht des Mannes hatte sich vor Wut verzerrt. »Ich bin Cern«, fauchte er. »Und das hier ist kein Aufstand, sondern die Ablösung einer unfähigen Regierung. Außerdem verbiete ich Ihnen die Landung. Wir werden Ihr lächerliches Schiff sofort zusammenschießen.« »Nehmen Sie Vernunft an«, sagte Rex Corda ruhig. »Sie glauben doch nicht im Ernst, daß Sie etwas gegen unsere Bordgeschütze ausrichten können?« Die Antwort des MutantenAnführers bestand aus einem zynischen Lachen. Dann unterbrach Cern die Verbindung. »Landung?« fragte der Laktone an den Kontrollen. »Noch nicht«, entschied Rex Corda. »Decimo«, sagte er in ein Mikrofon, »versuchen Sie eine Verbindung zum UNITERHauptquartier herzustellen. Unsere Informationen reichen noch nicht aus.« Eine Minute später erschien Boyd Clifton auf dem Bildschirm. Seine Miene war entspannt. »Erster Angriff abgeschlagen. Wie weit sind Sie, Sir?« Corda berichtete von dem Verhalten des Anführers der Mutanten. »Ganz klar«, meinte Boyd Clifton. »Für ihn kommt nur eine Übernahme der Weltregierung in Frage. Er läßt sich auf keine Verhandlungen ein. Allerdings glaube ich nicht, daß er einem Angriff von Ihnen standhalten könnte.« »Ich führe keinen Angriff durch, ohne wenigstens Verhandlungen durchgeführt zu haben«, sagte Rex Corda fest. Boyd Clifton lachte bitter auf. »Versuchen Sie es. Aber was glauben Sie, was wir schon alles versucht haben. Wir haben den Mutanten die völlige Gleichberechtigung versprochen, die sie – zugegeben – bisher nur auf dem Papier hatten. Die Situation ähnelt dem Rassenproblem in den Vereinigten Staaten – vor fünfzig Jahren. Nur daß die Mutanten wesentlich besser organisiert sind und über ein größeres Machtpotential verfügen.« »Warum konnte bisher nichts dagegen unternommen werden?« fragte Rex Corda. Wieder lachte Clifton. »Sie meinen, UNITER und TERRAKOM haben versagt? Sie können damit recht haben. Nur war es hier nicht so einfach. Cern hat völlig rechtmäßig einen alten Bunker aufgekauft, um darin seine sogenannte Gewerkschaft unterzubringen. Eine völlig legale Angelegenheit. Bis zu dem Zeitpunkt, da man den Blitzschlag gegen die Verwaltungszentren Europas führte, konnte den Mutanten nichts Illegales vorgeworfen werden. Bis es zu spät war.« »Wie stellt sich der laktonische Botschafter, Sir K. Enschko, dazu?« Boyd Clifton verzog seinen Mund. »Völlig neutral. Die Mutanten haben ihm ewige Treue gelobt – taktisch sehr klug. Meiner Meinung nach ist das ein Doppelspiel. Enschko hat sich täuschen lassen. Wir haben ihm schon längst geraten, zum Mars zu gehen und dort seine Botschaft aufzumachen.« »Ausgezeichnete Idee«, sagte Rex Corda. »Jetzt aber die wichtigsten Punkte über die Bewaffnung des MutantenForts!« Boyd Clifton zuckte hilflos die Achseln. »Es tut mir leid, es zugeben zu müssen, aber wir tappen völlig im dunkeln. Die Regierung hat Angriffe durch Landungstruppen und Sturzkampfbomber veranlaßt, aber es war immer ein Fehlschlag. Sie kamen nicht weit.« Rex Corda beugte sich gespannt vor. »Was soll das heißen?« »Entweder brannte das Meer – vermutlich Benzin, das sich auf mehrere Quadratkilometer ausgedehnt hatte –, oder eine unerklärliche Macht zwang die Piloten, abzudrehen oder ihre Maschinen ins Meer zu stürzen. Wir haben diese Angriffe schon nach kurzer Zeit eingestellt. Dazu kam das Problem mit den Geiseln.« »Geiseln?«
Schweigend unterbrach Rex Corda die Verbindung. »Landen!« befahl er dann. Der Hantelraumer schoß nach unten, schien jede Sekunde auf der Erdoberfläche zu zersplittern. Elegant wurde der rasende Sturz aufgefangen, und die ungeheure Masse der »Walter Beckett« ging in einer Entfernung von etwa 200 Metern von dem düsteren grauen Fort entfernt zu Boden. Das Fort schien ausgestorben. Auf den grauen Betonwällen, die nicht einmal zehn Meter über die Dünen ragten, zeigte sich keine Bewegung. * In den Augen des Leutnants standen Tränen. Er starrte auf den eiförmigen Gegenstand, der etwa einen Meter vor seinem Gesicht schwebte. »Ihr wollt es wirklich für mich tun?« flüsterte er. »Warum?« »Wir gehen den falschen Weg«, sagte eine gedämpfte Stimme. »Wir helfen Ihnen. Sie müssen den anderen sagen, daß nicht alle von uns schlecht sind. Versprechen Sie uns das?« Leutnant Baker nickte stumm. Jetzt hatte er wieder Hoffnung gefaßt. Er hatte sein ganzes Leben für die Mutanten gekämpft, damit diese unter besseren Bedingungen leben konnten. Jetzt wurde ihm gezeigt, daß sein Kampf nicht umsonst gewesen war. »Wann?« fragte er. »Wir wissen es noch nicht. Aber wir versprechen es Ihnen, Leutnant: Sie kommen hier heraus!« * Latak Decimo beugte sich gespannt vor. Auf dem Detailschirm vor seinen Augen war ein winziges Objekt erschienen, das direkt auf die »Walter Beckett« zuhielt. Doch das Objekt, das sich als Diskusraumer erwies, kam aus der entgegengesetzten Richtung, in der sich das Fort der Mutanten befand. Die Kampfzentrale der »Walter Beckett« bereitete sich auf einen Angriff vor… Doch es kam zu keinem Zusammenstoß. »Ralf Griffith!« rief Rex Corda überrascht, als er das bekannte Gesicht auf dem Holografen auftauchen sah. Wenige Minuten später war der UNITERAgent neben dem gigantischen Hantelraumer gelandet. Die Männer wechselten bei der Begrüßung nur die notwendigsten Worte. Sie wußten, daß jetzt keine Zeit verschwendet werden durfte. »Clifton hat mich sofort zu Ihnen geschickt«, sagte Griffith. »Alles mit Ihnen okay?« fragte Rex Corda. Der Agent nickte. Er wußte, was der Präsident gemeint hatte. Auch Griffith war ein »Veränderter«. Aber er war der einzige, der die Experimente mit Becon ohne schädliche Veränderungen seiner Psyche überstanden hatte. Griffith besaß jetzt einen superharten Körper. Er war unangreifbar geworden. »Boyd Clifton meinte, daß ich Ihnen beim Angriff auf das MutantenFort helfen könnte. Ich habe noch keine meiner Eigenschaften verloren. Aber bisher hat Clifton es nicht gewagt, mich gegen die Mutanten einzusetzen.« »Dieser Einsatz wird jetzt erfolgen«, versprach Rex Corda grimmig. »Werden Sie das Fort zerschlagen?« fragte der Agent. »Nein«, sagte Corda. »Wir geben Cern und seinen Leuten eine Chance.« Beide Männer blickten auf den großen Holografen. Die Fernoptik ließ das Fort aus nächster Nähe erscheinen. Latak Decimo hatte jetzt die Steuerung eines »Auges« übernommen. Ein Gegenstand näherte sich dem Fort. Er hatte Antigravantrieb und bestand eigentlich nur aus einer LaserKamera, die mit einer Tonübertragung gekoppelt war. Das Bild zeigte jetzt die grauen Festungswälle aus einer Entfernung von vielleicht zwanzig Metern. Und noch immer zeigte sich keine Bewegung. »Da!« sagte Latak Decimo. Aber alle hatten den Mann zu gleicher Zeit entdeckt. Er war aus einer Klappe gekommen, die sich sofort wieder hinter ihm schloß. Der Mann schien gelangweilt. Er gönnte der Masse des Hantelraumers, der nur wenige hundert Meter vom Fort entfernt lag, keinen Blick. Er drehte sich um, als sich die kleine Tür hinter ihm ein zweites Mal öffnete. Eine schlaksige, junge Gestalt taumelte heraus. Der Mann schien irgendwie betrunken. Er stolperte und fiel beinahe auf sein
Gesicht. Mit glasigen Augen starrte er auf die »Walter Beckett«. Der andere auf der Kiste sagte ein paar Worte zu ihm. Sie waren nicht zu verstehen, weil die LaserKamera noch zu weit entfernt war und die Brandung des nahen Meeres ihm die Worte vom Munde riß. Langsam schob sich der gewaltige Hantelraumer auf das Fort zu. Nichts geschah. »Halt!« befahl Rex Corda. Jetzt lieferten die Außenkameras ein völlig scharfes Bild. Auf dem Holografen sahen sie die Betonmauern aus einer Entfernung von zwanzig Metern. Die beiden Männer kümmerten sich einfach nicht um die gigantische Masse, die vor ihnen aufragte. Aus irgendeinem Grund schienen sie sich völlig sicher zufühlen. Urplötzlich erschien auf dem Holografen das Gesicht des Anführers der Mutanten. »Verschwinden Sie, Corda!« bellte Cern. »Sie sind hier unerwünscht mit Ihrem Luxuskreuzer! Ich habe die Möglichkeit, Sie zu vernichten, bevor Sie nur einen einzigen Schuß abgefeuert haben.« »Sie bluffen ziemlich schlecht, Cern«, meinte Rex Corda ruhig. »Sie hätten es schon längst getan, wenn Sie wirklich etwas gegen uns ausrichten könnten. Die ›Walter Beckett‹ wird nicht eher weichen, als bis wir zu einer Einigung gekommen sind.« Der MutantenAnführer lachte. »Sie leben nicht nur auf dem Mond, Corda, Sie scheinen sogar auf der Milchstraße zu leben. Aber schön, sagen Sie Ihr Sprüchlein auf!« Rex Corda blieb gelassen. »Ich werde jetzt zu Ihnen kommen, Cern. Aber Sie werden mir entgegenkommen. Wir treffen uns auf halbem Weg. Jeder darf zwei Männer mitbringen, unbewaffnet natürlich. Auf neutralem Gebiet können wir uns in Ruhe über eine Einigung unterhalten.« Über das Gesicht des MutantenAnführers glitt ein tückisches Leuchten. »Sie fühlen sich uns gewachsen, Corda? Sie sind ja selbst Mutant. Ihr Wunsch, uns zu helfen, hätte nur etwas früher kommen können. Ich weiß nicht, was Sie sich von den Verhandlungen erhoffen, aber bitte, ich komme Ihnen entgegen. Wie Sie sehen, befinden sich beide Männer von meiner Seite schon draußen. Sagen wir, in fünf Minuten.« »Einverstanden«, meinte Rex Corda. Der Holograf wurde dunkel. »Wahnsinn«, sagte Latak Decimo. Will Rimson schüttelte zweifelnd seinen Kopf. Rex Corda biß sich auf die Lippen. »Ich weiß, daß es wie Wahnsinn aussieht«, meinte er. »Und ich weiß auch, was für ein hohes Risiko ich eingehe. Aber ich muß diesem Mann einfach gegenüberstehen.« »Lassen Sie mich an Ihrer Stelle gehen«, meinte Ralf Griffith. Der Geheimagent war überraschend neben Rex Corda aufgetaucht. Rex Corda nickte. Griffith würde einer der beiden Männer sein, die in fünf Minuten zusammen mit Rex Corda die »Walter Beckett« verlassen würden. Corda wußte, warum Griffith auf diesem Einsatz bestand. Es war eine völlig private Tragödie, die niemand etwas anging. Seine beiden Söhne waren Mutanten. Sie wurden vermutlich von den Orathonen entführt, genauso wie Rex Cordas Geschwister entführt wurden. Doch Griffiths Söhne kehrten bisher nicht zurück. Jetzt hatte der Mann die Hoffnung, daß hier vielleicht, im Lager der Mutanten, seine Söhne auftauchen würden. Es war eine wahnsinnige Hoffnung. Aber Rex Corda wußte auch, daß er sich auf Ralf Griffith hundertprozentig verlassen konnte. Griffith war ein »Veränderter«. Unter seiner Hirnschale befand sich Becon, jener von Walter Beckett entwickelte Stoff mit den überragenden Eigenschaften. Ralf Griffith war durch Becon zum Supermann geworden, zu einem furchtbaren Gegner, dessen Körper kaum zu verletzen war. Im Gegensatz zu den anderen »Veränderten« war Griffith normal geblieben. Sein Geist war nicht dem Wahnsinn verfallen wie bei den anderen unglücklichen Versuchspersonen. »Warum wollen Sie sich mit diesem Fanatiker treffen?« fragte Latak Decimo. »Es ist doch völlig klar, daß der andere einen Anschlag auf Sie plant. Vermutlich will er Sie gefangennehmen, um mit Ihnen als Geisel die Regierung der Erde zu erpressen. Bleiben Sie hier, Rex Corda. Es hat keinen Sinn!« Der Präsident blickte den Laktonen ernst an. »Ich weiß genau, welches Risiko ich eingehe, Decimo. Ich bin mir über die Gefahr völlig im klaren. Aber es muß einfach sein, verstehen Sie nicht? Ich bin
selbst Mutant. Ich kann manche Dinge besser erkennen als ein normaler Mensch. Ich muß wissen, was hinter diesem Cern steckt. Sonst kommen wir keinen Schritt weiter. Ich bin Empath. Ich kann Gefühlsregungen erkennen, aber auch erzeugen. Vielleicht gelingt es mir, auf diesen Mutanten einzuwirken, daß er sein verbrecherisches Vorhaben, die Welt zu beherrschen, aufgibt.« Es war völlig klar, daß Rex Corda nicht von seinem gewagten Plan abzubringen war. Latak Decimo wandte sich wortlos ab. Allerdings hatte der laktonische Synoptiker nicht die Absicht, Rex Corda und seine Begleiter ungeschützt aus der »Walter Beckett« zu lassen. Wie selbstverständlich gesellte sich John Haick den beiden Männern zu, die aus dem Raum gingen. Langsam schwang die Luftschleuse zurück. Ein eisiger Wind schlug den drei Männern entgegen, die, nur mit leichten Schutzanzügen bekleidet, auf die Rampe traten, die in einer sanften Neigung zum Boden führte. Vor ihnen herrschte ein Halbdunkel. Cern hielt es nicht für nötig, den Verhandlungsplatz zu erleuchten. Als hätte man in der »Walter Beckett« den gleichen Gedanken gefaßt, flammten plötzlich überstarke Scheinwerfer auf. Doch das Licht wurde sofort so weit herabgemildert, daß keiner der Gegenpartei geblendet wurde. Rex Corda erkannte sofort den MutantenAnführer. Er stand hinter den beiden Gestalten, die schon zuvor von ihnen beobachtet worden waren. Der Präsident fühlte die beruhigende Nähe von Ralf Griffith und John Haick neben sich. Er schloß schon nach seinen ersten Schritten halb die Augen und versuchte, sich auf die hagere, in einen eleganten dunklen Anzug gekleidete Gestalt zu konzentrieren, von der er wußte, daß es Cern war. Plötzlich zuckte er zurück. Ein solch gnadenloser Haß schlug ihm entgegen, daß Rex Corda einen Augenblick aufstöhnte. Dann überstürzten sich die Ereignisse. Cern brüllte ein paar Befehle, und der größere seiner beiden Begleiter hob die Hand. Es war derjenige, der sich die Zigarette angezündet hatte, ohne dafür ein Streichholz zu benutzen. Fassungslos sahen die drei Männer auf seinen Arm. Die Finger zuckten. Ein Feuerball entstand vor seiner Hand und rollte mit ungeheurer Geschwindigkeit auf Rex Corda und seine beiden Begleiter zu. »Hinwerfen!« schrie Ralf Griffith. Sie handelten instinktiv. Dennoch schien es zu spät zu sein. Die wogende Feuerzunge jagte auf sie zu. Und jetzt sahen die drei Männer, daß es nicht nur eine, sondern viele waren, die in Wellen aus der Hand des Mutanten hervorzuschießen schienen. Jeden Augenblick konnte sie eine vernichtende Lohe erreichen. Die beiden ersten waren wirkungslos über sie hinweggerauscht und an der Wandung der »Walter Beckett« verpufft. Doch die Hitze hatte ihnen die Haare versengt. Ein penetranter Geruch nach verbranntem Benzin lag schwer in der Luft. Wieder raste eine lohende Feuerzunge auf Rex Corda und seine beiden Begleiter zu. Diesmal gab es kein Ausweichen. * Er fühlte sich seltsam leicht. Instinktiv wußte er, daß jetzt der Augenblick gekommen war. Er blickte an sich herunter und stellte fest, daß er einen Meter über dem Boden seiner Zelle schwebte. Träumte er? Nein, die Eindrücke waren zu real. Ein Geräusch ertönte an der Tür. Es klickte, dann öffnete sich das eiserne Portal und schwang ganz auf. Leutnant Baker stolperte, dann war er wieder auf dem Boden angelangt. Irgendwie hatte er den Eindruck, als sei sein Schweben nur eine Art Generalprobe gewesen. Die Tür stand offen, und Leutnant Baker ging hindurch. Am Ende des Ganges, der nur von trüben Leuchtkörpern kümmerlich erhellt wurde, kauerte reglos eine Gestalt. Eine Bewegung ließ ihn zusammenfahren. Ein dunkler Gegenstand schwirrte durch die Luft und verharrte regungslos neben seinem Ohr. »Keine Angst«, flüsterte eine Stimme. »Wir werden Ihnen den Weg zeigen, Leutnant Baker. Wir bringen Sie sicher auf das Raumschiff.«
»Welches Raumschiff?« keuchte Baker verwundert. »Das Schiff Rex Cordas. Es liegt dicht neben dem Bunker. Haben Sie keine Angst. Die letzten Meter werden Sie fliegen müssen.« Baker verstand den Sinn der Worte nicht, aber er vertraute seinen unsichtbaren Beschützern. »Rechts in den Gang!« flüsterte die Stimme. Rufe wurden laut. Schritte trappelten auf dem harten Beton. Eine Patrouille von Mutanten bewegte sich den Gang entlang. »Sie wissen natürlich schon längst Bescheid«, flüsterte die Stimme, als die Gefahr vorüber war. » Die Wächter schlafen nie. Aber wir bringen Sie durch, Baker. Und vergessen Sie uns nicht! Sie können immer auf uns rechnen.« Baker hastete den Gang entlang, den seltsamen schwebenden Gegenstand dicht vor seinem Ohr. * Rex Corda sah die Feuerkugel heranrollen. Er hörte unterdrückte Rufe, aber er wußte nicht, aus welcher Richtung sie kamen. Plötzlich wurde er zurückgerissen. Eine harte Faust hatte ihn gepackt. Doch sie gehörte keinem Menschen. Aus den Augenwinkeln sah er die scheinbar regungslosen Gestalten John Haicks und Ralf Griffiths. Im Hintergrund wurde die Szenerie zu einem verwaschenen Schatten. Ein Traktorstrahl aus dem Innern der »Walter Beckett« hatte sie ergriffen und riß sie zurück, schneller als die Flammenzunge ihnen folgen konnte. Plötzlich fand sich Rex Corda aufatmend in der Luftschleuse wieder, von wo sie vor weniger als einer Minute aufgebrochen waren. Neben ihm öffnete John Haick gerade den Mund zu einer entsprechenden Bemerkung, als die drei Männer zugleich aufschrien. Ein dunkler Körper wirbelte durch die Luft und klatschte schwer auf die Rampe, nur einen Meter von der Luftschleuse entfernt. Während vom Fort aus Schüsse aufbellten, war die Luftschleuse hinter den drei Männern plötzlich mit Laktonen angefüllt, die schwere Waffen in den Händen trugen. »Bleiben Sie hier!« schrie die Stimme Latak Decimos, aber Ralf Griffith hatte sich durch den sich schließenden Spalt der Luftschleuse gezwängt und hatte mit ein zwei Schritten den Bewußtlosen erreicht. Zusammen mit seinem erstaunten Ruf hörten die Männer im Innern der Schleuse ein Maschinengewehr losknattern. Von der Rampe ertönte ein wilder Schrei. Eine Garbe von Kugeln prasselte gegen die äußere Wandung der Luftschleuse, die jetzt zu einem Drittel geöffnet blieb. Dann taumelte Ralf Griffith herein. In den Armen trug er die schlaffe Gestalt eines Mannes. Der Bewußtlose war mit einer roten Uniform bekleidet, die in Fetzen an ihm herunterhing. * Ralf Griffith lächelte breit. »Ich hoffe, mein Theater hatte Erfolg.« Im Innern der jetzt geschlossenen Luftschleuse standen sich die Männer erstaunt gegenüber. »Was für ein Theater?« Vorsichtig ließ Griffith den Körper des Bewußtlosen zu Boden sinken. »Sie brauchen nicht gleich zu wissen, daß ihre lächerlichen Kugeln wirkungslos von mir abgeprallt sind. Darum habe ich so getan, als sei ich tödlich getroffen worden, und bin mit letzter Kraft mit meiner Last in die Schleuse gewankt.« Nachdenklich schaute er auf den Bewußtlosen. »Er kommt mir bekannt vor.« »Ja«, sagte Rex Corda ruhig. »Das ist Leutnant Baker. Angehöriger der MutantenPolizei. Mich würde einmal interessieren, wie er hierherkommt.« Bei der Nennung seines Namens schlug Baker die Augen auf und starrte die Umgebung um sich herum an. Sein Blick fiel auf den breitschultrigen blonden Mann, dessen hellblaue Augen ihn intensiv ansahen. »Rex Corda«, murmelte der Leutnant erleichtert. »Dann haben sie mich also doch nicht betrogen.« Er schloß die Augen und versank wieder in Bewußtlosigkeit. Aber seine Züge waren entspannt. Im gleichen Augenblick ging ein donnernder Schlag gegen die gewölbte Wandung des Verbindungsstückes der »Walter Beckett«. Der Fußboden neigte sich ihnen entgegen, als die
Gravitationsneutralisatoren die unvermutete Bewegung ausglichen. Dann hielt der Schutzschirm, den Fan Kar Kont sofort aufgerichtet hatte, alle weiteren Schläge der überschweren Geschütze des Forts ab. Über die Gänge der »Walter Beckett« hasteten die Besatzungsmitglieder, die sich an ihre Kampfstationen begaben. In wenigen Sekunden hatten die Männer die Kommandozentrale erreicht. »An Waffenleitzentrale«, befahl Rex Corda. »Einen Warnschuß gegen den oberen Teil des Forts.« Für einen Augenblick trat der Schutzschirm der »Walter Beckett« außer Phase, als eine Kampfgranate hindurchdrang und eine hundertstel Sekunde später explodierte. Der Holograf zeigte eine Flammenhölle, die sekundenlang anhielt. Dann starrten die Männer überrascht auf die Bildwiedergabe. Das Fort war völlig unversehrt. Doch jetzt war etwas zu bemerken, von dem die Männer wußten, daß es zuvor nicht dagewesen war: Ein riesiger halbkugeliger Schirm wölbte sich über dem grauen Betongebäude. Man konnte die Begrenzung deutlich sehen, wo die auftreffenden Staubkörnchen verbrannt wurden und den äußeren Rand des Schirmes markierten. »Sie verfügen über einen Schutzschirm«, keuchte John Haick überrascht. »Das ist doch nicht möglich! Das ist…« Die Männer schwiegen. Der Holograf zeigte eine Flammenhölle. Wieder und wieder verpufften die Geschosse des Forts nutzlos an den starken Schirmfeldern der »Walter Beckett«. »Start!« befahl Rex Corda. Als rotleuchtendes Schemen, von einem Feuerwerk von Geschossen umgeben, löste sich die »Walter Beckett« vom Erdboden und trieb langsam in die Höhe. Sie gewann schnell an Fahrt und war in den Wolken verschwunden. »Wohin?« fragte John Haick. »Ins NORAD«, sagte Rex Corda ernst. Er gab die notwendigen Koordinaten durch. Die »Walter Beckett« überschritt die Nachtgrenze. Als sie über dem CheyenneGebirge schwebte, war es wieder Tag… * »So, jetzt wissen Sie wirklich Bescheid über die Situation«, schloß Rex Corda. Boyd Clifton, der UNITERChef, starrte ihn an. »Fünfunddreißig Wissenschaftler von Lakton«, staunte er. »Jetzt verstehe ich, warum Sie unter solchen Sicherheitsvorkehrungen hier gelandet sind. Das NORAD bietet natürlich den Leuten den besten Schutz.« »Wenn die Laktonen ahnen würden, daß wir ihre Spitzenwissenschaftler auf der Erde haben, würden sie nicht davor zurückschrecken, uns eine riesige Flotte auf den Hals zu hetzen. Ich nehme sogar an, eine Zerstörung von Terra wäre ebenfalls möglich.« Boyd Clifton hatte sich immer noch nicht von seinem Erstaunen erholt. »Wie war Ihr Flug?« fragte Rex Corda, um das Thema zu wechseln. Aber die Frage war nicht nur eine Höflichkeitsfloskel. Dafür war jetzt keine Zeit. »Ich würde ihn kein zweites Mal wagen«, bekannte Boyd Clifton. »Die Reise eines UNITERAgenten von Europa nach den Vereinigten Staaten ist gleichbedeutend mit Selbstmord. Ich habe zwei Gleiter meiner Eskorte verloren.« Der UNITERChef lehnte sich vor und starrte den Präsidenten an. »Sie haben mich wegen einer besonderen Sache ins NORAD geholt, Mr. Corda. Handelt es sich nur um die LaktonWissenschaftler?« Rex Corda schüttelte den Kopf. »Wie Sie wissen, hatte ich keinen Erfolg bei meinem Versuch, die Gewerkschaft der Mutanten umzustimmen. Für Cern kommt nur eine Übernahme der Weltregierung in Frage. Er verfügt durchaus auch über die technischen Möglichkeiten, dies mit Gewalt durchzuführen. Aber wir haben hier einen Mann, dem es gelang, aus der Gefangenschaft der Mutanten zu entkommen. Es handelt sich um Leutnant Baker von der MutantenPolizei.« Rex Corda betätigte eine Taste und sprach in ein Mikrofon: »Bitte, Leutnant Baker!« Die Tür öffnete sich sofort und ein junger Mann erschien. Ein leichtes Lächeln stand auf seinen Lippen, als er die beiden Männer erkannte. Leutnant Baker ließ die linke Schulter etwas tiefer als
gewöhnlich hängen. Fremd wirkten in seinem jungen Gesicht die Falten, die sich dort eingegraben hatten. Man sah diesem Mann an, daß er außerordentliche Strapazen überstanden haben mußte. »Nehmen Sie Platz, Leutnant«, sagte Rex Corda ruhig. Dann wandte er sich an den UNITERChef. » Ich kenne Baker von früher. Sie werden kaum einen Angehörigen der MutantenPolizei finden, dessen Wissen über die Mutanten Terras so umfassend ist.« Eine leichte Röte überzog die Wangen des Leutnants. »Ich habe Baker kennengelernt«, fuhr Rex Corda fort, »als der große Energieschirm um unser Sonnensystem lag. Leutnant Baker fand den Mutanten, dem es möglich war, das hochenergetische Feld zu durchbrechen. Es handelte sich um Fred Matson, dem Strukturenergetiker. Es gibt aber noch viele andere MutantenTypen, wenn ich mich so ausdrücken darf. Wir wissen immer noch sehr wenig darüber. Mutanten sind von Natur aus scheu. Es wurden viele Fehler gemacht. Die Bevölkerung brachte ihnen ein Mißtrauen entgegen. Diese Tatsachen wurden von der Regierung nicht erkannt oder nur lax behandelt. Sicherlich spielen die Wirren des letzten Jahres dabei auch eine große Rolle. Welche Mutationen haben Sie noch kennengelernt, Leutnant?« Leutnant Baker biß sich auf die Lippen. »Ich wurde vor einiger Zeit gefangengenommen. Vielleicht werden Sie sich erinnern, Sir«, wandte er sich an Boyd Clifton, »als…« »Mr. Clifton genügt völlig«, warf der UNITERChef ruhig ein. »… als in Den Haag die Partei zur Sicherung der Menschenrechte von den Mutanten zerschlagen wurde.« Boyd Clifton nickte. Rex Corda sah ihn fragend an. »Ein Haufen von Fanatikern und Besserwissern«, brummte Boyd Clifton. »Im Grunde hetzten sie nur gegen die Mutanten. Aber wir konnten nichts gegen sie unternehmen. Die Partei war völlig legal gegründet.« »Verstehe«, meinte Rex Corda. »Fahren Sie bitte fort, Leutnant!« »Wir verfolgten die Attentäter, unter denen sich Cern befand. Meine Kollegen fanden alle den Tod. Ich selbst wurde gefangengenommen.« »Die Typen der Mutanten«, erinnerte Rex Corda sanft. »Entschuldigen Sie«, meinte Baker. »Ich habe folgende ›Typen‹ kennengelernt, die ihre Begabung bis zur Perfektion entwickelt haben. Sie konnten anscheinend frei darüber verfügen. Das war mir etwas Neues. Bisher waren Mutanten – etwa einem Künstler vergleichbar – auf eine Inspiration oder einem äußeren Anstoß angewiesen, um ihre Begabung einsetzen zu können. In einem Fall war es nicht so. Es handelte sich um einen Gravonauten, jemand, der mit Gravofeldern manipulieren konnte. Ich nehme an, daß ich diesem Mutanten mein Entkommen zu verdanken habe. Ihm und einem Mikroingenieur. Der Name des Mikroingenieurs ist der einzige, den ich behalten konnte: Olaf Harrison. Ein sympathischer Bursche. Wurde von Cern vermutlich zur Mitarbeit gezwungen. Ihm gelang es, den Energieschirm zu errichten. Das System hat er aus der laktonischen Botschaft spioniert, wie er mir berichtete.« »Erstaunlich«, murmelte Rex Corda. »Ferner gibt es einen Pyrotiker, der fast jeden Gegenstand, meiner Meinung nach sogar auch die Luft, zum Entflammen bringen kann. Es gibt einen Insektensprecher, der eine Horde von Mordwespen kommandiert. Ich bin selbst schon mit diesen ekelhaften Biestern zusammengestoßen.« Leutnant Baker betrachtete ein paar Narben an seinen Unterarmen. »Die letzte mir bekannte Gruppe besteht aus PsychoDocs. Das sind spezialisierte Empathen, die einen Mann durch die Kraft ihrer Gedanken zum Wahnsinn bringen können. Sie sind auch in der Lage, den umgekehrten Vorgang herbeizuführen. Sie können Wahnsinnige heilen. Eine Gruppe habe ich noch vergessen: Es handelt sich um die Wächter. Es scheinen vollkommene Telepathen, also Gedankenleser, zu sein. Ihr Anführer ist blind, aber er hat jeden Spion entlarvt, der sich dem Fort näherte. Er sitzt in einem Rollstuhl und…« »Wenn dieser Telepath jeden Spion entlarvt«, unterbrach Rex Corda, »dann muß er auch die beiden Mutanten festgestellt haben, die Ihnen geholfen haben. Den Mikroingenieur Harrison und den Gravonauten.« »Das wäre schrecklich«, keuchte Leutnant Baker. »Denn wenn wir die Macht der Mutanten brechen
sollten, dann nur durch diese beiden Männer.« * Mit vor Grauen geweiteten Augen starrte Dellern Smythe auf die schwammige Gestalt, die halb aus ihrem Rollstuhl gerutscht war. Wladimir, der blinde Wächter, hatte sein eigenes Spiel machen wollen. Doch jetzt regte sich in dem bleichen schwammigen Gesicht kein Muskel. Wladimir war hinter sein Geheimnis gekommen, und Dellern Smythe hatte instinktiv gehandelt. Zusammen mit seinem Rollstuhl war Wladimir gegen die Decke geprallt, als die Schwerkraft durch die besondere Mutation Smythes jäh ihren Wert verkehrte. Der Aufprall an der Decke hatte genügt. Wladimir war tot. Wenn der Wächter Meldung gemacht hätte, ohne den Versuch zu machen, Smythe zu erpressen, würde jetzt er, Smythe, tot sein. Mit Schaudern dachte er daran, was Wladimir von ihm verlangt hatte, damit er ihn nicht verriet. Seine Augen! Der Blinde hatte seine Augen gewollt. In diesem Moment hatte Smythe gehandelt. Der Mutant fuhr zusammen, als hinter ihm harte Schritte ertönten. Er wußte, daß es Cern war. Der MutantenAnführer hatte die Angewohnheit, in jeder freien Minute das Gebäude zu durchstreifen. Er war mißtrauisch. Er verließ sich nicht auf die Berichte seiner Wächter. »Ah, Dellern«, grinste der MutantenAnführer. »Ich habe dich schon gesucht. Was treibst du ausgerechnet hier in der Wachstation?« »Wladimir ist tot«, würgte Smythe hervor. »Ich habe ihn eben gefunden.« Cern zeigte keine Regung. »Du scheinst ihn gern gehabt zu haben. Sein Tod nimmt dich schwer mit, was?« Er durchdrang den Gravonauten mit seinen Blicken. »Übrigens ist unser Gefangener, dieser Leutnant Baker, verschwunden. Jemand hat sogar behauptet, ihn gesehen zu haben, wie er vom Himmel gefallen ist, als das Raumschiff Cordas starten wollte. Ein eigenartiges Phänomen, das eigentlich nur ein Gravonaut erklären kann, oder?« Dellern Smythe nickte unsicher. Mehr denn je sehnte er sich nach einem anständigen Schluck. Unvermittelt drang ein bohrender Impuls in sein Gehirn. Wie von der Faust eines Riesen getroffen, taumelte Dellern Smythe zu Boden. Cern hatte ihn angegriffen, heimtückisch aus dem Hinterhalt. Smythe konnte sich nicht wehren. Seine wichtigsten Nervenzentren waren wie gelähmt. Er hörte seine Lippen Worte stammeln, ein Geständnis; er bekannte sich schuldig, er nahm alle Schuld auf sich… »Wer steckt noch mit dir unter einer Decke«, dröhnte die unheimliche Stimme. Plötzlich war Dellern Smythe völlig klar. »Niemand«, sagte er ruhig. »Es gehört nicht viel dazu, um allein dahinterzukommen, daß Sie im Unrecht sind, Cern.« Ein gleißender Blitz, der aus einer winzigen Waffe kam, die schon lange in der Hand des Mutanten Anführers gelegen haben mußte, löschte sein Bewußtsein aus. * Will Rimson strich sich lächelnd über seine Glatze. »Es ist doch eigenartig, Rex, daß geniale Menschen immer zur selben Zeit auf die gleichen Gedanken kommen können. Eben wollte ich dir ebenfalls den Vorschlag machen, die ›Walter Beckett‹ mit Becon zu überziehen.« Will Rimson strahlte über das ganze Gesicht. Rex Corda konnte diese Freude verstehen. Die »Walter Beckett« war dann unverwundbar geworden. Die Gewerkschaft der Mutanten wäre dann zu schlagen. Es würde genügen, die »Walter Beckett« gegen ihren Energieschirm zu stoßen, um die ganze Zentrale in einem gewaltigen Energieblitz verschwinden zu lassen. »Wann könntest du soweit sein?« fragte Rex Corda. Will Rimson schien zu rechnen. »Ich habe Sonderkolonnen bestellt, die das fertige Material verarbeiten können. Wenn nichts dazwischenkommt, sind wir morgen fertig.« * Durch das schnelle Verfahren wurde die von Will Rimson angegebene Frist sogar noch unterboten. Der Einsatz der »Walter Beckett« für den nächsten Tag stand schon fest, als Latak Decimo, der sich zufällig im Funkraum aufhielt, die Nachricht auffing.
Raumschiffe bewegten sich auf das TerraSystem zu. Raumschiffe der laktonischen Flotte! Wußte man bereits, daß sich laktonische Wissenschaftler auf der Erde befanden? Außer Latak Decimo, Fan Kar Kont und Ierra Kretan waren die Wissenschaftler in den unterirdischen Laboratorien unterhalb des NORAD untergebracht worden. Nicht einmal die Existenz solcher Laboratorien war der Außenwelt bekannt. Was also konnte die Ursache des Einbruchs der Laktonen sein? Rex Corda sprach in einer eilig zusammengerufenen Konferenz die Möglichkeiten durch. »Es gibt nur einen wirklich stichhaltigen Grund«, meinte der Präsident Terras. »Dieser Grund heißt Kalta. Wir haben auf dieser Welt die Laktonen gezwungen, die Ausbeutung einer ihnen unterlegenen Rasse abzubrechen. Uns hat der Gedanke geleitet, daß ein humaner Standpunkt überall und unter allen Umständen praktisch angewendet werden muß. Kalta könnte genausogut die Erde sein. Vergessen Sie das nicht, meine Herren!« »Ganz recht«, knurrte Will Rimson. Er sah die Generäle und Politiker an, die eilig zusammengerufen worden waren. »Wir haben eine Welt gerettet, indem wir einen Preis bezahlten. Becon, das haben wir den Laktonen geboten, damit sie eine Welt in Frieden leben ließen. Jetzt kommt Jakto Javan, der Führer der Laktonen, um sich seinen Preis zu holen.« »Halten Sie das nicht für gefährlich?« fragte Abel Th. Emerson, der militärische Kommandant des NORAD. »Die Vergangenheit hat gezeigt, daß man mit Becon eine Welt ›verändern‹ kann. Sie können Supermänner schaffen. Ein Heer von Leuten, die unsere Welt überrollen könnte.« »Wenn die Laktonen wirklich die Absicht hätten, die Erde zu vernichten«, meinte Rex Corda, »dann brauchten sie sich nicht den Umweg über Becon zu machen. Ein paar ihrer Superbomben würden genügen, um unser System zu vernichten. – Aber keine Angst, General: Nie würden wir den Laktonen die ganze Formel von Becon übergeben.« Emerson horchte auf. »Sie wollen die Laktonen übers Ohr hauen, Mr. Corda?« »Durchaus nicht«, lächelte der Präsident. »Wir werden keinen betrügen, auch wenn es die Laktonen verdient hätten. Sie werden mit Becon keine ›Veränderten‹ herstellen können. Professor Rimson hat die Formel schon entsprechend verändert.« »Aber was wird aus der Erde?« warf ein hoher Offizier ein. Rex Corda nickte. »Diese Frage ist völlig berechtigt. Die MutantenFrage ist das Wichtigste, was uns bewegt. Darum fällt das Eintreffen der Laktonen auch außerordentlich ungünstig. Wir müssen so schnell wie möglich die Situation mit den Laktonen klären; wir können nicht beides auf einmal tun. In beiden Fällen ist die ›Walter Beckett‹ das wichtigste Werkzeug. Es gelang uns rechtzeitig, sie unzerstörbar zu machen. Ich blicke mit Vertrauen in die Zukunft.« Das Gesicht Emersons war ernst. Der General blickte zu Boden, als er sagte: »Und das behaupten Sie, Mr. President, während die Gewerkschaft der Mutanten schon ganz Europa in der Hand hat?« »Ja«, sagte Rex Corda fest. * Die »Walter Beckett startete um Mitternacht. Der Landeplatz, der in die Felsen des Cheyenne Gebirges gefräst worden war, strahlte von Tausenden von Scheinwerfern wider. Die »Walter Beckett« war mit einem seltsamen Glanz überzogen, als sie sich scheinbar leicht vom Boden abhob. Der Gigant schwang sich in den von Wolken überzogenen Nachthimmel. Scheinwerfer folgten dem hantelförmigen Riesenleib. Nach Sekunden kündete nur noch das Heulen der aufgewühlten Luftmassen vom Start des Superraumschiffes. * »Ich verlange Jakto Javan zu sprechen!« Im Gesicht des Nachrichtenroboters verzog sich keine Miene, obwohl die Gesichter dieser Maschinenmenschen beweglich waren. »Was wollen Sie?« »Rex Corda, Präsident von Terra, wünscht Jakto Javan zu sprechen!« Rex Corda wirkte ruhig und völlig entspannt. Doch er war keineswegs so sicher, wie er sich gab. Man hatte ausgemacht, daß die kleine Flotte der Laktonen aus fünfzig Raumschiffen bestand. Rex Corda
hatte nur vermutet, daß Jakto Javan diese Flotte leitete, aber aus der Reaktion des Roboters hatte er ersehen, daß seine Vermutung richtig gewesen war. Doch wie sollte man diese fünfzig Raumschiffe aufhalten? Das Gesicht des Nachrichtenroboters erschien wieder auf dem Holografen. Doch zu einer Erwiderung kam es nicht. Das Bild wechselte, farbige Linien schossen über den Bildschirm. Auf dem Holografen in der Kommandozentrale der »Walter Beckett« erschien das dreidimensionale Abbild eines Laktonen. Auf der linken Schulter des Laktonen leuchteten blau glänzende Edelsteine. »Sie haben Mut, Corda«, meinte Jakto Javan spöttisch. »Sie wollen mit einem Schiff eine Flottille von fünfzig Raumern aufhalten? Machen Sie sich nicht lächerlich!« »Ich verbiete Ihnen hiermit die Landung auf Terra. Schon das Eindringen in unser Sonnensystem stellt eine Grenzverletzung dar!« Das Gesicht des LaktonenFührers wurde dunkel. Jakto Javan schien unter Atemnot zu leiden. »Was sagen Sie, Corda? Grenzverletzung? Haben Sie den Verstand verloren?« »Durchaus nicht«, lächelte Rex Corda. »Aber ich kann mich nicht erinnern, daß Sie Ihr Eindringen in unser PlanetenSystem angekündigt haben. Also muß ich Sie bitten, zu verschwinden. Ich darf gleich hinzufügen, daß ich im Falle einer Weigerung die nötigen Druckmittel habe, um meine Empfehlung notfalls mit Gewalt durchzusetzen.« Jakto Javan lachte spöttisch. »Sie können mich nicht bluffen, Corda! Sie waren zeitweilig recht wertvoll für mich. Aber jetzt hört der Spaß auf. Ihre Unverschämtheiten reichen mir langsam. Neuerdings scheinen Sie sich auch in die laktonische Politik mischen zu wollen.« Das Gesicht Cordas zeigte einen verwunderten Ausdruck. »Zeitweilig recht wertvoll, sagten Sie? Ich will keinesfalls an Ihre Dankbarkeit appellieren, Javan. Aber eines sollte man feststellen: Ohne das Eingreifen der Terraner wären Sie längst nicht mehr am Leben. Ich möchte sogar behaupten, daß ohne uns der Krieg zwischen Orathon und Lakton längst zugunsten der Featherheads entschieden wäre.« Jakto Javan bleckte die rötlichen Zähne. »Kein Wort mehr, Corda! Sie wissen genau, warum wir zu Ihnen gekommen sind. Wir wollen diesen Stoff, das Becon. Geben Sie uns die vollständige Formel, und wir lassen Sie in Ruhe!« Rex Corda blieb freundlich wie zuvor. »Natürlich wollen wir unsere laktonischen Freunde an unserem wissenschaftlichen Fortschritt teilhaben lassen. Allerdings dürfen wir einige Bedingungen an die Übergabe der BeconFormel knüpfen. « »Welche Bedingungen sollen das sein?« »Das TerraSystem wird völlig neutral«, erklärte Rex Corda. »Sie ziehen Ihren Botschafter von Terra ab, denn im Grunde ist dieser Enschko kein Botschafter. Er will Terra unter seine Gewalt zwingen. Aber Terra ist nicht Kalta, Schento.« »Mäßigen Sie sich!« schrie Jakto Javan. Rex Corda neigte beruhigend den Kopf. Er nahm einen Zettel von Latak Decimo entgegen, der im Hintergrund stand, ohne von der LaserKamera der Holografenverbindung erfaßt zu werden. »Flotte ist zum Stillstand gekommen«, las Rex Corda. »Jakto Javan hat alle fünfzig Raumschiffe stoppen lassen.« »Also«, meinte Rex Corda ruhig. »Sie ziehen Ihre Botschaft auf den Mars zurück. Wir können natürlich eine Transmitterverbindung einrichten. Übrigens muß nicht nur Ihr Sir K. Enschko von Terra verschwinden. Das betrifft alle anderen laktonischen Agenten, die mit mehr oder minder Erfolg gegen unsere Regierung arbeiten!« Man sah Jakto Javan an, daß er wie vor den Kopf geschlagen war. Endlich faßte sich der Führer des außerirdischen Volkes. »Sie werden Ihren Lohn erhalten, Corda«, dröhnte er. »Bisher haben wir noch mit Ihnen sympathisiert. Das hört jetzt auf. Wir möchten Ihnen raten, sich innerhalb von zehn Sekunden Ihrer Zeitrechnung zurückzuziehen, sonst trifft Sie unser vorprogrammiertes Geschoß!« »Natürlich«, sagte Rex Corda ruhig, »werden wir uns nicht zurückziehen. Ihr Fehler ist es, Javan, zu
glauben, ein primitiver Volksstamm würde bis in alle Ewigkeit primitiv bleiben.« Jakto Javan runzelte verständnislos seine Stirn. Doch er gab keine Antwort. Er hatte gewarnt. Mehr konnte er nicht tun. * »Sind Sie völlig sicher?« fragte Jakto Javan. »Das ist doch Irrsinn.« »Durchaus nicht.« Der Techniker verneigte sich. »Es ist eine Tatsache: Das Schiff der Terraner verfügt über keinen Schutzschirm.« Zehn Sekunden! Jakto Javan hatte die Order gegeben. Er war der Meinung, daß man den Terranern einen Denkzettel geben mußte. Doch jetzt war er durchaus nicht mehr der Meinung. Das Geschoß mußte das Schiff der Terraner vernichten, und das hatte Jakto Javan keinesfalls vor. »Rex Corda! Weichen Sie aus!« brüllte Jakto Javan gegen die Holografenkamera. Das Gesicht Rex Cordas auf seinem Bildschirm blieb unbewegt. »Haben Sie das Geschoß abgefeuert oder nicht?« fragte der Präsident Terras rätselhaft. »Wollen Sie mich vernichten oder nicht?« Jakto Javan schüttelte den Kopf. Er wußte, daß Rex Corda ein kalter Rechner sein konnte, doch diesmal schien er einfach zu viel zu wollen. Er mußte übergeschnappt sein.« »Verdammt, Corda, wissen Sie nicht, daß Ihr kümmerliches Schiff keinen Schutzschirm hat?« Rex Corda lachte. Jakto Javan blickte auf den kleinen Zeitmesser. Noch zwei Sekunden terranischer Zeitrechnung… Mit einem tiefen Bedauern verfolgte er die brüllende Explosion auf dem Bildschirm. Jeden Augenblick erwartete Jakto Javan die Explosion, die eine gleißende Supernova mitten im TerraSystem erscheinen lassen würde. Doch die Holografen enthüllten wenige Sekunden später, daß die »Walter Beckett« völlig unversehrt geblieben war. Jakto Javan brüllte wütend auf. Er kümmerte sich nicht darum, daß die Verbindung zu dem terranischen Schiff hergestellt war. Doch dann dachte er daran, daß Rex Corda jedes seiner Worte verstehen konnte. »Supergeschütz, Kaliber 120 Zentimeter«, gab Javan an die Waffenleitzentrale weiter. Dann blickte er direkt in die Holografenkamera hinein. »Sie haben dieses Geschoß ›Silent Mary‹ genannt«, bemerkte Jakto Javan ruhig. »Sie haben Ihr Raumschiff gut gesichert. Aber einer Granate mit einem Gewicht von zwei Tonnen kann Ihr Raumschiff nicht gewachsen sein. Wir spielen mit offenen Karten, Corda. Ergeben Sie sich!« Rex Corda gab keine Antwort. Der Terraner schien ruhig und gefaßt. Und in diesem Augenblick flammten die Umrisse der »Walter Beckett« leuchtendrot auf. Die Granate der »Silent Mary« – das war der Spitzname, den ihr die Terraner gegeben hatten – war explodiert. Jakto Javan riß ungläubig die Augen auf, als er – nachdem sich die wabernden Feuerzungen verzogen hatten – die »Walter Beckett« ruhig im Raum schweben sah. Das Schiff der Terraner war unversehrt. Es schien einfach unglaublich, denn das Flaggschiff Rex Cordas verzichtete auf den Aufbau eines Schutzschirmes. Jakto Javan starrte ungläubig auf den Schirm. Der Holograf zeigte ihm das Innere der Kommandozentrale der »Walter Beckett«. Es war ruhig innerhalb des terranischen Raumschiffes. Was war geschehen? Warum funktionierten nicht einmal die stärksten Geschosse der laktonischen Streitkräfte? In diesem Augenblick wurde das Flaggschiff der Laktonen vom Schrillen der Alarmglocken erschüttert. Auf den Holografenschirmen erschienen zu gleicher Zeit zwei Nachrichtenoffiziere. »Jakto Javan! Drei unserer Raumer sind getroffen worden!« Jakto Javan starrte auf den Holografen, der ihn mit dem terranischen Schiff verbinden sollte, doch der Schirm blieb tot… * »Alle Antennen abgeschossen?« fragte Rex Corda knapp. »Sonstige Beschädigungen?«
»Nichts, Sir«, meldeten sich nacheinander die einzelnen Stationen der »Walter Beckett«. Will Rimson näherte sich. Er trug ein spitzbübisches Lächeln auf seinen Lippen. »Ich habe mir das so in etwa gedacht. Natürlich haben wir Ersatzantennen, und auch die entsprechenden Spiegel sind wieder ausgefahren. Du kannst also wieder mit deinem lieben Freund Javan sprechen.« »Hören Sie mich, Jakto Javan?« fragte Rex Corda. Auch er mußte unwillkürlich grinsen. Die Wand des Holografen war dunkel, plötzlich leuchtete aber das Bild Jakto Javans hervor. »Corda! Sie haben drei meiner Raumer kampfunfähig geschossen. Sie sollten…« Rex Corda lächelte spöttisch. »Ich wiederhole noch einmal meine Bedingungen: Völlige Neutralität der Erde, Abzug der laktonischen Agenten und Versetzung der Botschaft auf den Planeten Mars!« * Siebenundvierzig Schiffe der Laktonen griffen gleichzeitig den terranischen Kreuzer an. Das Schiff Rex Cordas taumelte durch den Raum, doch man konnte ihm nichts anhaben. Es schien einfach unzerstörbar. Jakto Javan stand vor einem Rätsel. Es dauerte einige Zeit, bis wieder die Verbindung zwischen den feindlichen Parteien hergestellt war. Jakto Javan wechselte einen Blick mit seinem Vertrauten. »Ein Teufelskerl, dieser Corda«, knurrte der Laktonenführer. »Dieses Becon scheint doch…« Der Schirm erhellte sich wieder. »Sagen Sie bitte Ihren Leuten«, meinte Rex Corda spöttisch, »daß sie nicht ihre Granaten über meine Antennen schießen sollen. Es ist immer so mühsam, sie zu erneuern.« »Hören Sie, Corda«, sagte Jakto Javan erregt, »durch Ihren Widerstand haben Sie im Grunde Ihr Leben verwirkt. Dennoch will ich Gnade vor Recht ergehen lassen. Geben Sie mir die Formel für Becon, und ich werde vergessen, daß Sie gegen eine laktonische Flotte gekämpft haben.« * Der Präsident Terras schüttelte den Kopf. »Sie verstehen immer noch nicht, Jakto Javan«, meinte Rex Corda mit leichtem Spott. »Ich möchte Sie über eine Tatsache informieren: Wir haben selbstverständlich vorausberechnen können, was Ihr nächster Schachzug sein würde. Im Zentrum der Galaxis wurde ein Raumschiff der terranischen Flotte abgesetzt. Dieses Raumschiff ist seiner Position nach nicht feststellbar. Die Besatzung verfügt über die genaue Kenntnis der BeconFormel. – Sollten Sie die Erde besetzen oder irgendeine Gewalt gegen uns ausüben wollen, geht eine vorchiffrierte Nachricht an jenes Raumschiff ab. Dieses Schiff wird sofort Kurs auf den nächsten OrathonPlaneten nehmen und die Formel an Ihre Feinde weiterleiten.« Das Gesicht Jakto Javans auf dem Holografen wurde blaß. »Das würden Sie tatsächlich tun, Corda?« Rex Corda lächelte leicht. »Warum nicht, Javan? Sie haben uns angegriffen. Sie haben sich widerrechtlich in dieses System begeben. Es ist Ihnen nicht gelungen, mein Raumschiff kampfunfähig zu schießen, abgesehen von unwesentlichen Treffern. Ich könnte jetzt Ihre Flotte, Javan, aufreiben, das wissen Sie ganz genau. Ich will es nicht, weil ich Sie persönlich schätze, Schento. Aber Sie müssen zugeben, daß die primitiven Terraner im Augenblick das Ruder in der Hand halten, oder?« Auf dem Holografen wurde das Gesicht Jakto Javans zu einer eisigen Grimasse. »Zugegeben, Corda, Sie haben für den Augenblick gewonnen. Aber Sie haben uns auch die Formel für das Becon versprochen.« »Genau«, lächelte Rex Corda. »Diese Formel sollen Sie auch erhalten. Aber Sie werden keine Experimente mit lebenden Wesen damit machen können, Javan. Sie werden Ihre Kreuzer unangreifbar wie die ›Walter Beckett‹ machen können. Das sollte eigentlich genug sein. Dennoch bestehen wir auf unseren Bedingungen. Ich darf sie wiederholen…« Jakto Javan führte eine abwehrende Bewegung durch. »Ich akzeptiere Ihre Bedingungen, Corda, wenn auch unter Druck.« »Es sind Zugeständnisse, keine Bedingungen«, lächelte Rex Corda. Das Gesicht des LaktonenFührers wurde dunkel. »Wie dem auch sei, Corda. Becon hat auch seine Tücken. Wir haben Experimente mit diesem Material gemacht, und es haben sich einige Schwierigkeiten ergeben. Wir werden keine Experimente mit lebenden Wesen mehr durchführen. Auch unser oberster Herrscher, der SCHENNA, hat sich
dagegen entschieden. – Ich nehme Ihre Bedingungen an und erwarte Ihre Formel.« »Genau das entspricht den Abmachungen«, versetzte Rex Corda. »Ich habe jetzt die Computernachricht freigegeben. Danach kehre ich zur Erde zurück. Sie werden inzwischen Ihrem Botschafter die nötigen Anweisungen geben!« Plötzlich entspannten sich die harten Gesichtszüge Jakto Javans zu einem Lächeln. »Leben Sie wohl, Corda. Wir werden uns an unsere Abmachungen halten.« * Die »Walter Beckett« war zur Erde zurückgekehrt. Das Raumschiff war in Den Haag gelandet, um die offizielle Verabschiedung des laktonischen Botschafters, Sir K. Enschko, vornehmen zu können. Rex Corda verabschiedete den Botschafter feierlich. »Sie werden sich vielleicht einsam fühlen, Enschko«, lächelte er. »Aber dafür haben Sie in wichtigen Fällen die Transmitterverbindung.« Enschko blickte den terranischen Präsidenten kaum an. Er stieg in den kleinen Raumer, der ihn zum Mars bringen würde. Fast war der Botschafter froh über diese Versetzung. Denn in letzter Zeit hatten die Beobachtungen durch jene rätselhafte Macht überhand genommen. Es hatte damit angefangen, daß er jenen angeschossenen Roboter gefunden hatte. Es verging kaum eine Woche, in dem nicht Sir K. Enschko durch einen ähnlichen Fall beunruhigt wurde. Seine beleidigte Miene, mit der er Rex Corda gegenüberstand, war nur eine Maske. Sir K. Enschko würde mit seiner Botschaft auf einen wesentlich ruhigeren Planeten umziehen können… * Olaf Harrison spürte die Unruhe, die im Fort am Atlantik ausgebrochen war. Ein neuer Angriff stand ihnen bevor. Es würde ein Angriff durch jenes Schiff sein, von dem sie wußten, daß es Rex Corda befehligte. Es war nicht nur die Unruhe, die Harrison die zukünftigen Vorgänge ahnen ließ. Cern ließ ihn jetzt Tag und Nacht arbeiten. Harrison entwickelte Superwaffen, die mit der Phasenlänge des Schutzschirmes gekoppelt waren. Es waren genug vorhanden, doch Cern verlangte mehr. Nicht einmal in einem Jahrzehnt würde er genug Waffen herstellen können, um die wahnsinnigen Wünsche des MutantenAnführers zu erfüllen, dachte Harrison bitter. Er dachte an Dellern Smythe. Es war gelungen, den Leutnant aus der Festung zu schmuggeln, aber Dellern war dabei gestorben. Man sagte, Cern habe es eigenhändig getan… Harrison schauderte, als er auf die monströsen Waffen starrte, die zum Teil halbfertig sein kleines Labor füllten. Dann ging ein Ruck durch den Mann. Er wußte, was er zu tun hatte. Dellern Smythe hatte ein Opfer gebracht. Auch er, Harrison, würde ein Opfer bringen. Der Mikroingenieur nahm sich die fertigen Waffen vor. Keiner würde die Veränderungen erkennen. Keiner würde sie erproben, bevor sie zum Einsatz gegen das Raumschiff Rex Cordas kamen. Und dann würde es für die Mutanten unter Cern zu spät sein. Keine der neuen Waffen würde funktionieren. Und doch blieben immer noch genügend übrig… Harrison arbeitete schnell und sicher. Ein Teil der Waffen würde sich gegen den Schützen selbst richten, ein anderer Teil würde einfach nicht funktionieren. Und doch genügte es nicht. Er hatte die Sprühanlage für das Nervengas schon einmal eingesetzt, als der Gravonaut Dellern Smythe den Leutnant aus der Festung herausgehoben hatte. Jetzt mußte er diese Anlage noch wesentlich verbessern. Und dann war da noch etwas anderes: Olaf Harrison hatte eine geheime Schaltung zum Schutzschirm angelegt. Cern glaubte, nur er allein könne das Schirmfeld errichten oder wieder ausschalten. Olaf Harrison hoffte, daß dieser Glaube sich als trügerischer Fehlschluß erweisen würde… * »Schon wieder?« fragte Cern spöttisch. Über das Abbild Rex Cordas auf dem neu errichteten Holografen lief ein Schwanken, dann festigte sich das Bild wieder. Rex Corda nickte.
»Ein letztes Angebot, Cern. Übergeben Sie Ihre Zentrale, und ich werde mich für Sie einsetzen, daß Sie eine faire Verhandlung bekommen…« »Das ist lächerlich«, schnaubte der MutantenAnführer. »Sie spielen sich immer noch auf, als seien Sie der Beherrscher dieser Welt. Ich habe Sie abgelöst, Corda. Begreifen Sie das endlich!« »Wir werden mit Gewalt gegen Sie vorgehen müssen, Cern«, sagte Rex Corda ernsthaft. »Das haben Sie schon einmal versucht«, höhnte der MutantenAnführer. »Dabei sind Sie mit Ihrem Luxuskreuzer beinahe weggeblasen worden. Sie sind geflohen, wenn ich Sie erinnern darf.« »Ein letzter Versuch«, sagte Rex Corda unbewegt. »Sie verfügen wirklich über erstaunliche technische Hilfsmittel, Cern. Doch auch Ihr Schutzschirm wird Ihnen nichts nützen. Die Vibration einer Explosion über dem Schirmfeld wird genügen, um den Beton Ihrer Festung zerbröckeln zu lassen. Keiner von Ihnen kann einen solchen Angriff überleben.« Über das Gesicht des MutantenAnführers glitt ein überlegenes Lächeln. »Sie halten mich tatsächlich für sehr dumm, Corda. Natürlich habe ich mich gegen einen solchen Angriff abgesichert. Denken Sie an die Geiseln, die wir überall auf der Welt in der Hand haben. Vor meinem Tod werde ich den letzten entscheidenden Befehl geben. Tausende werden sterben. Und es sind Menschen, die man zur Elite der Erde zählt.« »Das wäre sinnlos«, sagte Rex Corda hart. Cern lachte. »Sie haben recht. Aber das ist noch nicht alles. Ich habe genug spaltbares Material in meiner Festung. Sollte Ihnen tatsächlich ein Angriff gelingen, dann wird er den europäischen Kontinent vernichten. Geben Sie auf, Corda!« Unvermittelt wurde der Holograf in der Kommandozentrale der »Walter Beckett« dunkel. * »Wir müssen noch heute nacht starten«, meinte Rex Corda. »Aber Sir«, versetzte Ralf Griffith, »die ›Walter Beckett‹ ist noch lange nicht wiederhergestellt. Die Antennen müssen noch…« »Jetzt«, beharrte der Präsident. »Und wir verlassen uns dabei nicht auf unser sicheres Schiff! Cern selbst hat uns den Weg gewiesen, die einzige Möglichkeit, um die Erde von seiner Tyrannei zu befreien. « Von allen Seiten richteten sich erstaunte Blicke auf Rex Corda. »Ganz einfach«, lächelte Rex Corda. »Es geht nicht gegen die Festung. Es geht nur gegen einen Mann: Gegen Cern.« »In einer halben Stunde habe ich Ihnen eine Elitetruppe zusammengestellt«, versprach Abel Th. Emerson. »Die Männer stehen sofort zur Verfügung.« »Nicht nötig«, sagte Rex Corda ruhig. »Drei Mann genügen. Und diese drei Mann befinden sich schon hier: Leutnant Baker wird uns führen, mich und Ralf Griffith!« Leutnant Baker war nachdenklich. »Ich glaube, Sie haben recht, Mr. President. Die Mutanten sind auf einen harten Angriff gefaßt, nicht aber auf einen Angriff, der von drei Mann geführt wird. Ich hoffe nur, Sie wissen, was Sie tun, Mr. President.« »Ganz gewiß«, versetzte Rex Corda. »Ich möchte nur folgendes klarstellen: Europa ist fast völlig in der Hand der Mutanten. Sie haben sogar ihre Fühler nach Nord und Südamerika ausgestreckt. Überall haben sie ihre Leute. Ich vertraue aber darauf, daß sie blindlings ihrem Anführer Cern gehorchen, daß sie also, auf sich allein gestellt, nicht denken können. Wir werden der Verschwörung die Spitze nehmen und dann sehen, was daraus wird.« * Sie gingen gegen Morgen los. Der Gleiter brachte sie in unmittelbare Nähe des Forts am Atlantik. Die letzten hundert Meter legten sie zu Fuß zurück. »Das ist die Grenze«, flüsterte Leutnant Baker. »Soviel ich weiß, können die Wächter bis zu jenem Punkt unsere Gedanken orten, nicht aber darüber hinaus.« »Wir gehen weiter«, entschied Rex Corda. »Sie werden Ihre Gedanken abschirmen!« »Und wie sollen wir das tun?« fragte Ralf Griffith verblüfft. Rex Corda lachte leise. »Denken Sie an gar nichts. Den Rest erledige ich!«
Sie stampften über die Dünen. Neben ihnen rauschte das Meer. Am Himmel zeigte sich kein Stern. Auch der Mond fehlte. Dicke Wolken bedeckten den Himmel. Wie ein geducktes Tier tauchte vor ihnen der Bunker auf, von dem sie wußten, daß nur ein Zehntel seiner Masse über der Oberfläche sichtbar war. Rex Corda lief mechanisch durch den feinen Sand, in dem seine Stiefel tief einsanken. Er schritt wie ein Schlafwandler. Seine Gedanken waren damit beschäftigt, ein Schutzfeld um die Männer neben sich zu legen. Es war ungeheuer anstrengend. Rex Corda mußte das Bewußtseinsbild von Griffith und Baker neutralisieren. Das bedeutete, daß er ihre Gefühle in sich aufnehmen mußte. Es war einfach zuviel für ihn. Sie waren längst innerhalb der Absperrung angelangt. Ihre winzigen Minensuchgeräte und ABCOrter hatten die mechanischen Fallen aufgespürt. Rex Corda schrie auf, als er die geistige Anspannung nicht mehr aushalten konnte. Es ging einfach nicht mehr. Es überschritt seine Kräfte. »Auseinander!« rief er. Jeder der drei umklammerte seine Waffe. Doch trotz des Hochleistungsstrahlers hatten sie gegen die Übermacht keine Chance. Strahler flammten auf. Jetzt erkannte Rex Corda, daß sie sich vielleicht noch zwanzig Meter vom Fort entfernt befanden. Die Verstärkung würde bald kommen, doch sie waren jetzt zu früh entdeckt worden. Erstaunt sah er, daß sich Ralf Griffith nicht zu Boden geworfen hatte. Der »Veränderte« stand aufrecht im gleißenden Scheinwerferlicht. Er hielt nicht einmal seine Waffe in der Hand. Ohne eine Warnung bellten Schüsse vor ihm auf. Die Gegend war jetzt taghell erleuchtet. Langsam setzte sich Ralf Griffith in Bewegung. Langsam schritt er auf die dunkle Mauer zu, auf die Quelle der gleißenden Scheinwerfer, deren hartes Licht ihn blendete. Jetzt wußte Rex Corda, wie der Plan aussehen mußte. Alle Aufmerksamkeit war auf Ralf Griffith konzentriert. Parallel zu ihm bewegte sich Corda vorwärts. Er vermutete, daß es Leutnant Baker – dreißig Meter von ihm entfernt – genauso machte. Rex Corda aktivierte seine empathischen Sondersinne. Nur so konnte er Ralf Griffith unterstützen. Dieser Mann war unangreifbar, dennoch konnten die Mutanten ihn aus seinem seelischen Gleichgewicht bringen. Der Präsident fühlte, was in Griffith vorging. Der Agent vertraute ganz auf ihn. Er stürmte blindlings voran, etwas anderes gab es für ihn nicht zu tun. Dann brüllten die ersten Energieentladungen auf. Sie prallten wirkungslos am Körper des » Veränderten« ab. Als eine Gestalt, deren Konturen von Feuer nachgezeichnet wurden, schritt Ralf Griffith weiter auf die Festung der Mutanten zu. Über das Lager der Mutanten schien völlige Verwirrung hereingebrochen zu sein. Weder ihre physischen noch ihre psychischen Energien hatten gegen jenen Mann Erfolg, der scheinbar allein gegen das Fort voranstapfte. Eine kleine Gestalt, von sengenden Lichtblitzen umhüllt. * Rex Corda biß sich auf die Lippen. Der Ansturm in seinem Gehirn wurde übermächtig. Die Mutanten konzentrierten ihre emotionelle Macht auf Griffith, ohne zu ahnen, daß zwei weitere Männer rechts und links von ihm sich auf das Fort zubewegten. Doch wie sollte es weitergehen? Rex Corda hob den Kopf, als er ein feines Singen über sich hörte. Das leise Geräusch steigerte sich zu einem Brummen, das immer tiefer wurde, bis es zu einem tiefen Orgeln herabsank. Die »Walter Beckett« landete! In diesem Augenblick hatte Ralf Griffith den Energieschirm des MutantenForts am Atlantik erreicht. Nach allen Gesetzen der Physik hätte er zu einem aufglutenden Bündel werden müssen, doch nichts geschah. Von einem Augenblick zum anderen erlosch der Schirm. Das satte Glühen, das einen Halbbogen um das Fort gebildet hatte, war verschwunden.
Und in diesem Augenblick ging eine flammende Lohe von dem einsamen Mann aus, der wie ein Zwerg vor dem zyklopischen Gewölbe stand, das die Festung der Mutanten bildete. Rex Corda verstand den Vorgang: Ralf Griffith gab mit einem Mal die gesamte Energie ab, die man in ihn hineingepumpt hatte. Er wurde zu einer lebenden Bombe, die große Teile des Gemäuers auseinanderriß. Der Präsident sah eine dicke kleine Gestalt auf sich zutaumeln. Der Mann war ungeheuer dick und trug eine Sonnenbrille… Kurz vor Corda stürzte der Mann zu Boden. »Mr. President«, stöhnte er. »Nehmen Sie mich auf! Ich bin Olaf Harrison. Glauben Sie mir, ich…« Der Mann wurde bewußtlos. Rex Corda sah kurz auf den Mann nieder. Er entsann sich der Worte Leutnant Bakers. Doch dann wurde seine Aufmerksamkeit von einem anderen Geschehen gefesselt. Die »Walter Beckett« griff aktiv in den Kampf ein. Und diesmal konnte sich ihr nichts in den Weg legen. Hoffentlich blieb Cern keine Zeit, den tödlichen Befehl zu geben. * »Im Grunde hatte der Aufstand gegen Cern schon vor einigen Tagen begonnen«, berichtete Olaf Harrison. Der Mikroingenieur starrte aus geweiteten Augen auf den Holografen, wo unter den gnadenlosen Scheinwerfern die rauchenden auseinandergesprengten Betonquader des Mutanten Hauptquartiers klafften. Minuten zuvor waren diese Quader rötlich glühend gewesen, hatten sich ächzend unter ungeheuren Hitzeeinwirkungen gebogen. »Sie meinen, Cern hat geahnt, daß es zu Ende ging?« fragte Leutnant Baker. »Eigentlich nicht«, meinte Harrison. »Es war mehr die Tatsache, daß sich ein Mensch ihm nähern konnte, ohne daß er gegen ihn etwas ausrichten konnte, weder mit Hilfe seiner Mutanten noch durch seine Superwaffen. Wenn ich nicht schließlich den Schutzschirm hätte zusammenbrechen lassen…« »Sie waren es?« wunderte sich Ralf Griffith. »Ich dachte…« Die Männer lachten. »Alles können Sie nun auch wieder nicht, Ralf«, lächelte Corda. »Trotzdem«, meinte Harrison. »Im Grunde war es dieser Mann« – er wies auf Griffith – , »der Cern zum Wahnsinn gebracht hatte. Myrvill, ein Insektensprecher, hat sämtliche seiner kleinen Tiere auf diesen Mann gehetzt. Schon drei Bisse der Mordwespen genügen, einen Menschen ins Jenseits zu befördern, aber…« »Ach, das ist es!« brummte Griffith. Er starrte auf seine Unterarme, auf denen seltsame, verkrümmte kleine Lebewesen hingen. »Sie sind einfach nicht durch meine Haut gekommen«, lachte er ungläubig. »Was werden Sie jetzt tun?« fragte Olaf Harrison den terranischen Präsidenten, auf dessen Gesicht noch die Spuren des nächtlichen Kampfes abzulesen waren. »Sie haben Cern besiegt. Das Hauptquartier ist erledigt. Sie haben den Mythos der Unbesiegbarkeit zerstört. Doch überall in Europa sind noch die Unterführer an der Macht.« »Sie haben recht«, versetzte Rex Corda. »Wir sind noch längst nicht am Ende. Aber das ist die Sache von UNITER. Die Verschwörung wird im Sande verlaufen. Zusätzlich wird die Charta der Mutanten dafür sorgen, daß auch für die Mutanten das Recht wieder Gleichheit für alle bedeutet.« »Die Charta der Mutanten?« fragte Harrison verwundert. »Es handelt sich um ein Gesetz, das schon vor einiger Zeit ausgearbeitet worden ist«, sagte Rex Corda. »Es gibt keinen rechtlichen Unterschied zwischen Mutanten und NichtMutierten. Wenn wir die bestehenden Unterschiede natürlich auch nicht leugnen können!« »Was bedeutet das?« erkundigte sich Olaf Harrison. »Es ist ganz einfach«, meinte Rex Corda. »Die Charta der Mutanten beinhaltet, daß jeder Mutant vor seinem Namen eine einfache Bezeichnung zu tragen hat.« »Und die wäre?« fragte Harrison unsicher. »Mt.« sagte Rex Corda. »Sie heißen demnächst Mt. Olaf Harrison!« Der Mikroingenieur biß sich auf die Lippen. »Bedeutet das nicht wieder eine neue Ära der Verfolgung
für die Mutanten?« Rex Corda schüttelte den Kopf. »Wir werden solche Auswüchse mit all unserer Macht zu verhindern wissen. Auch ich bin Mutant, Harrison. Sie wissen es. Wie würden Sie mich übrigens in Zukunft, nach der Verabschiedung der Charta, anreden?« Der Mutant zögerte und blickte auf seine breiten Füße, die in staubigen Sandalen steckten. Dann sah er auf. In seinen Augen lag ein wacher Zug. »Mt. Rex Corda«, sagte Harrison. »Genau«, meinte Rex Corda. Und beide Männer lächelten. ENDE