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> piano, leise irg=wie> dat die Anders SPRICHT. (--) JA:= =aber et is=isch dEnk et=is schOn ene schlach och KÖLSCH mit drin. ja: dat is=dat is RHEI[nisch]. [RHEI ]nisch. [ja=ja ]. [RHEIni]sche:rhEinische SINGsAng is dat. irg=wie> dat die Anders SPRICHT). Es handelt sich dabei um einen mit dat ‚dass‘ eingeleiteten Objektsatz, der eine syntaktische Fortführung der Verb-Zweit-Konstruktion in IP 18/19 darstellt. Damit liegt syntaktische Abgeschlossenheit vor. Textorganisatorisch fungiert die Phrase als eine Detaillierung der durch das Pronomen dat in IP 18 eingeführten, aber nicht weiter explizierten Eigenschaft der gemeinsamen Bekannten ‚Rita‘. Pragmatisch betrachtet liegt mit den Phrasen 18-20 eine Turnkonstruktionseinheit vor, durch die ein Widerspruch zur Einschätzung von Sprecher K09b formuliert wird. Diese pragmatisch-textorganisatorische Einheit wird mit Phrase 20 abgeschlossen. Es erscheint daher gerechtfertigt, hier eine tunübergabe-relevante Stelle anzusetzen. Nach einer Pause kommt es dann auch zum Sprecherwechsel, indem K09b in IP 21/22 sein Argument aus der Passage 11 - 16 noch einmal in einer Reformulierung wiederholt. Auch die Turnkonstruktionseinheit in IP 22 (aber et is=isch dEnk et=is schOn ene schlach och KÖLSCH mit drin) stellt einen eindeutigen Abschlusskontext dar. Abzüglich der Selbstreparatur aber et is am Beginn handelt es sich um eine syntaktisch vollständige und abgeschlossene Konstruktion (abhängiger Hauptsatz nach verbum sentiendi; vgl. Auer 1998b). Textorganisatorisch betrachtet wird hier ein Widerspruch wiederholt, der sich auf den Vorgänger-Turn bezieht. Auf der lexikalischen Ebene wird der Widerspruch durch die Modalpartikel schOn hergestellt. Nach dieser Phrase findet ein glatter Sprecherwechsel statt, d.h. das mögliche Turn-Ende wird vom Gesprächspartner unmittelbar als solches interpretiert und der folgende Turn wird in IP 23 ohne eine intervenierende Pause angeschlossen. Durch diese interaktionale Ratifizierung des möglichen Turn-Endes durch den Sprecherwechsel gehört auch
Einatmen, je nach Dauer Ausatmen, je nach Dauer
Sonstige Konventionen ((hustet))
para- und außersprachliche Ereignisse sprachbegleitende para- und außersprachliche Ereignisse unverständliche Passage, je nach Länge vermuteter Wortlaut vermuteter Laut oder Silbe mögliche Alternativen Auslassung im Transkript Verweis auf im Text behandelte Transkriptzeile
Informationen zur beiliegenden CD-ROM Die beiliegende CD-ROM enthält die Tondateien für alle Gesprächsausschnitte, die in den Analysekapiteln 3 und 4 vorgestellt werden. Auf die Tondateien kann über eine HTML-Seite mit dem Inhaltsverzeichnis der beiden Kapitel zugegriffen werden. Zum Start muss die Datei ‚start.html‘ mit einem beliebigen Internetbrowser aufgerufen werden. Die Tondateien sind im WAV-Format und können mit jedem Wiedergabeprogramm (z.B. Windows Media Player) abgespielt werden.
Man müsste […] wissen, wie sich die Tonhöhenbewegung in der lebenden Sprache verhält und in ihren Mundarten (die Scheidung in norddeutsche und süddeutsche Sprachmelodie, die von Sievers herrührt, genügt auf die Dauer so wenig, wie dem Germanisten die Zweiteilung des deutschen Sprachgebietes in Hochdeutsch und Niederdeutsch genügen würde). (Kuhlmann 1931: 7f.)
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Einleitung
Das einleitende Zitat des Freiburger Sprechkundlers Walter Kuhlmann formuliert ein zentrales Desiderat der dialektologischen Forschung: Während die regionale Variation auf dem Gebiet der segmentellen Phonetik/Phonologie (nahezu) vollständig erfasst und in Form von Monographien und Dialektatlanten beschrieben ist, steckt die dialektologische Intonationsforschung (nicht nur innerhalb der germanistischen Sprachwissenschaft) immer noch in den Kinderschuhen (vgl. Schirmunski 1962: 238, Heike 1983, Auer et al. 2000). Auch Wiesinger (2000: 24) betont in seinem programmatischen Aufsatz zu aktuellen Entwicklungstendenzen in der Dialektologie die Notwendigkeit eines dialektologisch orientierten Zugriffs auf die Intonation. Zwar stellt die Intonationsforschung innerhalb der Phonetik (Botinis/Granström/Möbius 2001) und der Gesprächsforschung (Auer/Selting 2001) ein zentrales Arbeitsfeld dar, doch widmen sich die meisten Untersuchungen der Standardsprache, ohne die mögliche areale Variabilität der Intonation zur Kenntnis zu nehmen. Diese Forschungslücke erscheint umso verwunderlicher, da gerade die Sprechmelodie sowohl von Laien als auch von Dialektologen oft als charakteristisches Erkennungszeichen für bestimmte Regionen genannt und häufig mit dem Attribut ‚singend‘ oder ‚Singsang‘ belegt wird – allerdings ohne dass konkrete Beschreibungen für diese auditiven Impressionen vorgelegt werden.1 Stellvertretend für eine Fülle von intuitiven und pauschalisierenden Aussagen zur Intonation regionaler Varietäten dienen die folgenden Zitate von Adolf Socin, Otto Bremer und Otto Jespersen. An diesem Ton [der Sprache] würde man z.B. einen Rheinpfälzer von einem Altbaiern sehr leicht unterscheiden, wenn sie auch wirklich die Laute, welche allein wir durch unsere Buchstaben bezeichnen, vollkommen gleichmäßig aussprächen. (Socin 1888: 485) Der Tonfall ist mundartlich ausserordentlich verschieden. Man erkennt jede Mundart sofort an ihrem singenden Charakter. Einen solchen hat j e d e Mundart, wenn man auch hier monotoner spricht als dort. (Bremer 1893: 195; Hervorhebung im Original) 1
Vgl. Zimmermann (1998) für einen Überblick über die ‚singende‘ Sprechmelodie im Deutschen.
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Einleitung
Jede Sprache und jeder Dialekt „singt“ auf seine Weise, man hört aber nur die Weise der anderen als Singen. Besonders aber hören wir, die wir die Einheitssprache sprechen, das Singen in den Dialekten. Die Verschiedenheiten beruhen wesentlich auf der Art und dem Umfang des Auf- und Abgleitens. (Jespersen 1904: 238f.)
Intonatorische Merkmale, und prosodische Merkmale im Allgemeinen, unterliegen kaum der bewussten Kontrolle und sind daher auch besonders resistent gegenüber dem Dialektabbau bzw. dem Dialektausgleich. Es ist daher möglich, bestimmte SprecherInnen, deren Lexik oder segmentalphonologisches System keinerlei Dialektmerkmale (mehr) enthalten, allein aufgrund ihrer prosodischen, überwiegend intonatorischen Merkmale regional zu verorten (Gilles et al. 2001, Gilles 2002b, Peters et al. 2003). Der Grund für die mangelnde Kontrollierbarkeit und die Abbauresistenz regionaler Intonationseigenschaften ist gemäß der neurolinguistischen Forschung darin zu sehen, dass prosodische Merkmale nicht in derselben Gehirnregion verarbeitet werden wie die übrigen linguistischen Strukturen: Während sich das Sprachzentrum in der linken Gehirnhälfte befindet, ist das Verarbeitungszentrum für globale prosodische Phänomene (u.a. die Satzintonation) größtenteils in der rechten Gehirnhälfte lokalisiert (Mayer et al. 1999, Dogil et al. 2002). Die vorliegende Studie versteht sich als ein erster, explorativer Schritt, diese Forschungslücke der Dialektologie zumindest teilweise zu schließen. Mit Hilfe von gesprächsanalytischen und akustisch-phonetischen Verfahren werden die intonatorischen Teilsysteme von acht Regionalvarietäten des Deutschen rekonstruiert und kontrastiert. Die Ergebnisse dieser empirischen Untersuchung basieren auf Sprachdatenerhebungen, die in Hamburg, Berlin, Dresden, Duisburg, Köln, Mannheim, Freiburg und München durchgeführt wurden. Diese Varietätenauswahl gewährleistet einen Querschnitt durch die deutsche Dialektlandschaft, indem sowohl die Nord-Süd- als auch die Ost-West-Dimension abgedeckt ist. Der methodische Zugang zur regionalen intonatorischen Variation verläuft zunächst nicht über die Form der Intonation. Vielmehr stehen am Beginn der Untersuchung konversationelle Funktionen, die unabhängig von der Intonation definiert werden. In einem korrelativen Verfahren wird für zwei der wichtigsten konversationellen Funktionen die intonatorische Gestaltung in den Regionalvarietäten untersucht. Bei diesen Funktionen handelt es sich um ‚Abschluss‘ und ‚Weiterweisung‘, die grundlegende gesprächsstrukturierende Aufgaben übernehmen: Mit einer abschließenden Einheit kündigen SprecherInnen an, dass eine größere Gesprächseinheit, etwa ein Gesprächsbeitrag, zu Ende ist. Umgekehrt wird durch weiterweisende (‚progrediente‘) Einheiten angekündigt, dass die Sprecherin/der Sprecher weiterreden möchte. Durch diesen funktionsbasierten Zugang wird eine vom Untersuchungsgegenstand ‚Intonation‘ unabhängige Vergleichsgrundlage für weitergehende phonetische und tonologische Analysen geschaffen. Zur Struktur dieser Arbeit: Im weiteren Verlauf dieses einleitenden Kapitels werden die phonetischen Grundlagen der Intonation, mögliche Beschreibungsver-
Phonetische Grundlagen der Intonation
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fahren und die Funktionen der Intonation vorgestellt. Darüber hinaus folgt in Kap. 1.4 die Diskussion der relevanten Forschungsliteratur zur regionalspezifischen Intonation. In Kap. 2 wird ein methodischer Zugang zur Beschreibung und Interpretation regionaler Intonation entwickelt sowie die Datengrundlage vorgestellt. In Kap. 3 werden anhand von Gesprächsausschnitten Kontextanalysen der konversationellen Funktionen Abschluss und Weiterweisung durchgeführt. Für jede der acht Regionalvarietäten werden hier die prototypisch in diesen Funktionskontexten verwendeten Intonationskonturen ermittelt. Diese Prototypen dienen als Ausgangsbasis für eine ausführliche quantitative formbezogene Analyse in Kap. 4, die den Schwerpunkt dieser Arbeit bildet. Hier wird das regionale Vorkommen der einzelnen Intonationskonturen untersucht und es werden alle realisatorischen Varianten und ihre tonologische Struktur bestimmt.2 In Kap. 5 werden die Ergebnisse der Studie zusammengefasst.
1.1 Phonetische Grundlagen der Intonation Die Intonation konstituiert zusammen mit Akzentuierung, Rhythmus, Lautstärke, Sprechgeschwindigkeit, Phrasierung und Pausen das prosodische System einer Sprache.3 Unter Intonation wird hier der kontinuierliche Verlauf der Sprechmelodie in Wörtern und Wortfolgen verstanden („the ensemble of pitch variations in the course of the utterance“; 't Hart et al. 1990: 19). Dabei werden durch den akustisch-phonetischen Parameter der Grundfrequenz (F0) tonale Merkmale zu größeren prosodischen Einheiten zusammengefügt. Die Grundfrequenz ist definiert als die Anzahl der (quasi-)periodischen Schwingungen des Sprachsignals pro Sekunde (Einheit: Hertz (Hz)) und entsteht durch eine komplexe Kombination aus muskulären Aktivitäten im Kehlkopf, die für den Spannungsgrad der Stimmbänder verantwortlich sind, und aerodynamischen Faktoren, durch die der Ausatmungsdruck kontrolliert wird. Das perzeptive Äquivalent des physikalisch-akustischen Parameters der Grundfrequenz ist die wahrgenommene Tonhöhe (pitch). In der vorliegenden Studie werden die Begriffe ‚Grundfrequenz‘, ‚F0‘ und ‚Tonhöhe‘ daher synonym gebraucht. Da die Grundfrequenz an die Periodizität der Stimmbandschwingungen gebunden ist, kann sie entsprechend auch nur bei stimmhaften Sprachlauten realisiert werden (Vokale, Sonoranten, stimmhafte Konsonanten), wohingegen alle stimmlosen Laute keine Grundfrequenz aufweisen. In der visuellen Präsentation eines Intonationsverlaufs manifestiert sich das Ausbleiben der Grundfrequenz in einem unterbrochenen Verlauf. Bei der Wahrnehmung werden die Grundfrequenz-Lücken im Sprachsignal apperzeptiv ergänzt, so dass ein ununterbrochener Intonationsverlauf entsteht. Wenn nach einer Grundfrequenzlücke die Intonation auf einem hö2 3
Weitergehende tonologische und phonologische Aspekte werden in Peters (2005) behandelt. Zur Phonetik und Phonologie des prosodischen Systems vgl. Nooteboom (1997) und Fox (2000).
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Einleitung
heren oder niedrigeren Wert fortgeführt wird, so wird kein Tonsprung nach oben bzw. unten, sondern eine ansteigende bzw. fallende Tonbewegung wahrgenommen, d.h. trotz Fehlens der Grundfrequenz wird in der Lücke der Verlauf weitergeführt (vgl. Nooteboom 1997: 644). Der durchschnittlich genutzte Grundfrequenzbereich (pitch range; vgl. Ladd 1996: Kap. 7) liegt bei Frauenstimmen zwischen 120 und 480 Hz und bei Männerstimmen zwischen 50 und 250 Hz (vgl. Laver 1994: 451). Das menschliche Gehör besitzt ein besonders hohes Auflösungsvermögen im Bereich der Grundfrequenz. Für synthetische Stimuli hat Flanagan (1957) gezeigt, dass selbst Frequenzunterschiede zwischen zwei Tönen von nur einem Hertz noch diskriminiert werden können. Für die Spontansprache liegt dieser Wert deutlich höher: Nach 't Hart et al. (1990: 29) können nur Tonhöhenunterschiede, die mindestens drei Halbtöne betragen, zuverlässig diskriminiert werden. Diese Ergebnisse zum Auflösungsvermögen des Gehörs bilden die Grundlage für neuere Stilisierungsmodelle von Intonationsverläufen (vgl. etwa die ‚Prosogramme‘ von Mertens 2005). Der analytische Zugriff zur Intonation kann sowohl auditiv- als auch akustisch-phonetisch erfolgen. In Ermangelung einfach handhabbarer akustisch-phonetischer Analyseverfahren war die Intonationsforschung bis weit in die 1980er Jahre hinein auf den auditiven Zugang angewiesen. Lediglich für kleinere Datenkorpora oder zur Illustration einzelner Beispiele konnten akustisch-phonetische Messverfahren eingesetzt werden (z.B. Kymographion, Spektrographie, der Tonhöhenschreiber nach Grützmacher & Lottermoser, Visipitch). Globale Intonationsverläufe können von trainierten PhonetikerInnen mit der auditiv-phonetischen Methode relativ zuverlässig erfasst werden. Allerdings hat diese Methode ihre Grenzen, wenn es darum geht, lokale Tonhöhenbewegungen genau zu bestimmen. Mit der Verfügbarkeit leistungsfähiger und erschwinglicher Computer seit Beginn der 1990er Jahre hat sich der akustisch-phonetische Zugriff auf die Intonation weitgehend durchgesetzt. Es ist nun möglich, Sprachdaten verlässlich und in großem Umfang auszuwerten. Dadurch wurde die inter-subjektive Vergleichbarkeit der Versuchsergebnisse gesteigert. Als ein globaler Parameter, der den Intonationsverlauf in einer Wortfolge mitbestimmt, wird die Deklination angesehen (vgl. Vaissière 1983, Ladd 1984, 't Hart et al. 1990). Mit diesem Parameter wird das graduelle Absinken der Tonhöhe im Verlauf einer Äußerung erfasst. Dieser Deklinationstrend manifestiert sich in einem Deklinationsbereich, der an der unteren Grenze durch eine Basislinie (baseline) und an der oberen Grenze durch eine Dachlinie (topline) festgelegt wird (vgl. 't Hart et al. 1990). Auf der konstant fallenden Basislinie werden die Täler und auf der (schneller fallenden) Dachlinie werden die Gipfel einer Intonationskontur realisiert. Nach Vaissière (1983) trägt die Deklination dazu bei, Äußerungen als eine kohärente Gestalt wahrnehmbar zu machen. Der Grad der Deklination hängt von der Länge der Äußerung ab: In kurzen Äußerungen fällt die Grundfrequenz schneller als in längeren. In anderen Modellen fällt die Grundfrequenz nicht kontinuierlich, sondern ex-
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ponentiell ab bzw. kann im Phraseninneren wieder ansteigen, wodurch ein wellenartiger Deklinationsbereich entsteht (vgl. die Modellierung in Mixdorff 1998). Der physiologische Auslöser der Deklination wird im nachlassenden Ausatmungsdruck im Verlauf einer Äußerung gesehen. 't Hart et al. (1990) betrachten die Deklination als eine universale Eigenschaft von Intonationsverläufen. Das Konzept wird auch in fast allen Intonationsbeschreibungen explizit oder implizit zugrunde gelegt. Dennoch finden sich Hinweise darauf, dass die Deklination nicht grundsätzlich in jeder Phrase auftritt. Vaissière (1983:57) stellt für Spontansprache folgendes fest: „many sentences do not even display such a tendency”. Darüber hinaus blieb in der Forschung bislang unberücksichtigt, ob es einzel- oder regionalsprachliche Unterschiede im Vorkommen der Deklination gibt. Der Verlauf der Intonation innerhalb einer prosodischen Einheit wird auch als ‚Intonationskontur‘ bezeichnet. Als zentrale Produktionseinheit und kognitive Verarbeitungsdomäne für eine Intonationskontur gilt die ‚Intonationsphrase‘, die unter verschiedenen Bezeichnungen in nahezu allen Untersuchungen verwendet wird. Der Begriff der Intonationsphrase (intonation phrase, IP) geht auf Pierrehumbert (1980) zurück. Nahezu synonyme Begriffe sind ‚rhetorische Phrase‘ (von Essen 1964), ‚tone unit‘ (Crystal 1969), ‚tone group‘ (O‘Connor/Arnold 1973), ‚Tongruppe‘ (Pheby 1984), ‚major phrase‘ (Ladd 1986), ‚intonation unit‘ (Chafe 1988) oder ‚Äußerungseinheit‘ (Schwitalla 1997). Demnach ist die IP die zentrale prosodische Strukturierungseinheit für Äußerungen. Obwohl es durch die Bezeichnung nahelegt wird, ist die Intonationsphrase nicht ausschließlich intonatorisch definiert. An der Konstitution einer IP sind vielmehr mehrere prosodische Merkmale beteiligt, die in ihrer Gesamtheit die ‚Gestalt‘ der Intonationsphrase konstituieren. Trotz dieser etwas unglücklichen Bezeichnung wird im Folgenden der Begriff der Intonationsphrase (oder auch nur die Kurzform ‚Phrase‘) verwendet, da er sich in der Intonationsforschung mittlerweile durchgesetzt hat. Die Grenzen von IPs werden durch Bündel prosodischer Merkmale gebildet. Nach Cruttenden (1997) gehören dazu Tonhöhenveränderungen an Beginn und Ende der IP, flankierende Pausen, die Dehnung der Silben am Phrasenende und die Verlangsamung der Sprechgeschwindigkeit (final lengthening). Weiterhin kann an IP-Grenzen ein Tonhöhensprung, entweder von hoch nach tief oder von tief nach hoch (reset), stattfinden, der als intonatorischer Bruch ebenfalls zu Wahrnehmung einer IP.-Grenze beiträgt. Neben diesen Merkmalen erwähnt Chafe (1994: 60) zusätzlich noch die Beschleunigung der anakrustischen Silben am Phrasenbeginn. Die Grenzen einer IP sind damit durch ein rhythmisches Muster aus Beschleunigung und Verlangsamung markiert. Teilweise können die Einheitengrenzen zusätzlich durch nonverbale Mittel markiert sein (Schönherr 1997). Diese Merkmale konstituieren gemeinsam die prosodischen Grenzmarkierungen einer IP. Dabei ist die Gewichtung der einzelnen Merkmale noch nicht geklärt (vgl. Schwitalla 1997: 50, Bannert/Schwitalla 1999). Konsens kristallisiert sich zunehmend in Bezug auf die Relevanz der Pause als Einheitenbegrenzer heraus: Nach Halford (1996: 25) und
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Einleitung
Bannert/Schwitalla (1999: 321) ist das Vorhandensein einer Pause kein aussagekräftiger Parameter für die Annahme einer IP-Grenze, da sie sich sowohl im Inneren als auch an den Rändern von Intonationsphrasen beobachten lassen. Neben den Begrenzungen weist eine Intonationsphrase auch eine interne Struktur auf. Die IP besitzt eine globale Intonationskontur ohne prosodische Brüche, die vergleichbar einem musikalischen Motiv eine interne intonatorische Kohäsion stiftet (‚kohäsive Akzentsequenz‘; Selting 1993; ‚globaler Intonationsbogen‘; Schwitalla 1997: 57f.; vgl. auch Couper-Kuhlen 1983). Die tatsächliche Struktur einer Intonationskontur kann sich in verschiedenen Formen niederschlagen. Jede Phrase weist mindestens einen starken Akzent auf, der dann als Ankerpunkt für den Intonationsverlauf dient. Durch weitere Akzente werden entsprechend weitere Ankerpunkte für den phrasalen Intonationsverlauf bereitgestellt, wodurch ein komplexer Verlauf entstehen kann. Unter einem Akzent (accent) wird in der vorliegenden Untersuchung eine prosodisch prominente Silbe verstanden, die innerhalb einer syntaktischen Konstruktion aufgrund semantisch-pragmatischer Kriterien fokussiert wird. Zur Akzentuierung werden in Kombination die Parameter Dauer, Lautstärke und Tonhöhe eingesetzt. Akzentuierung darf folglich nicht mit der Betonung (stress) gleichgesetzt werden: Letztere ist eine Eigenschaft der Wortprosodie und operiert damit auf einer tieferen prosodischen Ebene als die Akzentuierung. In einer Phrase werden nicht alle lexikalischen Betonungen tatsächlich phonetisch realisiert, vielmehr werden insbesondere vorerwähnte (‚thematische‘) lexikalische Einheiten weitgehend ohne Wortbetonung geäußert. Dennoch besteht ein Zusammenhang zwischen Akzent und Betonung: Von bestimmten Sonderfällen einmal abgesehen (z.B. Kontrastbetonung), können nur lexikalisch betonte (besser: betonbare) Silben als Ankerpunkte für Akzente ausgewählt werden. Auf dem letzten Akzent einer Phrase wird meist der prominenteste Tonhöhenverlauf der gesamten Phrase ausgeführt, der sich als ‚Kadenz‘ bis zum Ende erstreckt und damit die Phrase abschließt (Chafe 1988: 1). Die regionale Variation solcher Kadenzen wird im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehen.
1.2 Intonatorische Beschreibungsverfahren „Intonation has traditionally been regarded as a problem.“ – mit diesem Diktum beginnt das Intonationskapitel eines aktuellen Handbuchs zur prosodischen Sprachstruktur (Fox 2000: 269). Diese Schwierigkeiten betreffen die Art der Analyse (auditiv- oder akustisch-phonetisch), die systematische strukturelle und funktionale Beschreibung und die Inkorporierung in das linguistische Gesamtsystem. Obwohl es sich bei der Intonation um einen ‚einfachen‘, eindimensionalen Parameter handelt – Tonhöhenveränderungen im Zeitverlauf –, sieht sich die Forscherin/der Forscher mit einer massiven realisatorischen Variabilität und strukturellen Komplexität
Intonatorische Beschreibungsverfahren
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konfrontiert, die häufig dazu geführt hat, dass in Grammatiken oder Dialektbeschreibungen die intonatorische Strukturebene oft völlig ausgeblendet wurde.4 Die inhärente Gradualität der Intonation wird teilweise als ein Hauptkennzeichen angesehen: „Intonation may have a continuous form with a complex structure“ (Botinis/Granström/Möbius 2001: 266). Im Gegensatz zur segmental-phonetischen Ebene, für die adäquate Beschreibungsverfahren entwickelt wurden, um das kontinuierliche Sprachsignal in diskrete, ‚alphabetische‘ Elemente zu strukturieren, hat sich für die Intonation noch kein allgemein anerkanntes Beschreibungsverfahren etablieren können. Im Folgenden wird ein Überblick über die Beschreibungsverfahren zur Strukturierung der Intonation gegeben, die zur Analyse der regionalspezifischen Intonation angewendet werden können. Zur Erfassung und Modellierung des Intonationsverlaufs innerhalb der Einheit der Intonationsphrase haben sich mehrere ‚Intonationsschulen‘ herausgebildet, die sich in konturbasierte Modelle und Ebenen-Modelle einteilen lassen. Für die Vertreter des ersten Modelltyps stehen die Intonationsverläufe im Vordergrund der Beschreibung, während beim Ebenen-Modell von den Tonlagen bestimmter, strukturell relevanter Silben ausgegangen wird, aus denen dann der konkrete Intonationsverlauf (als sekundär abgeleitetes Konstrukt) interpoliert wird. Während in den konturbasierten Zugängen die Intonationskontur als eine mehr oder weniger holistische ‚Gestalt‘ (im Sinne der Gestalttheorie) aufgefasst wird, steht bei den Ebenen-Modellen die Dekomponierung des Intonationsverlaufs in einzelne strukturell relevante Wendepunkte im Vordergrund. Die Diskussion um den adäquaten Zugang hat eine lange Tradition innerhalb der Intonationsforschung, kann aber hier aus Platzgründen nicht weiter nachgezeichnet werden (levels vs. configurations; vgl. Ladd 1996: Kap. 2.3). 1.2.1 Britische Schule Als das einflussreichste konturbasierte Modell lässt sich die sog. ‚Britische Schule‘ einstufen, deren Beschreibungsinstrumentarium in verschiedenen Fassungen eine weite Verbreitung innerhalb der Intonationsforschung erfahren hat (Crystal 1969, Halliday 1970, O‘Connor/Arnold 1973, vgl. die Überblicke in Couper-Kuhlen 1986, Cruttenden 1997, Fox 2000: 277-280). Das ursprüngliche Anliegen dieses Ansatzes lag in der möglichst einfachen und konsistenten Beschreibung der Intonation, die dann als Anleitung im Sprachunterricht zum Einsatz kommen sollte. Diese Forschungsrichtung wurde auch in Deutschland aufgenommen und z.B. von von Essen (1964), Kohler (1995) oder Pheby (1975, 1984) für das Deutsche adaptiert. Die Bestimmung des Intonationsverlaufs erfolgt rein auditiv. Die zentrale Analyseeinheit ist die tone group oder tone unit, die der Intonationsphrase entspricht und 4
Ausnahmen bilden hier die vorbildlichen Intonationskapitel in der IdS-Grammatik (Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997) und in der aktuellen Auflage der DUDEN-Grammatik (Peters im Druck).
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deren einzelne Konstituenten jeweils verschiedene Intonationsverläufe aufweisen können. Meist werden drei Konstituenten unterschieden, zu deren Bestimmung die Akzentverteilung in der Phrase herangezogen wird. Aus der Aneinanderreihung der Teilverläufe der Konstituenten ergibt sich der Globalverlauf der Phrase. Die Konstituente vom Phrasenbeginn bis zur ersten Akzentsilbe wird als ‚Vorlauf‘ (anacrusis, pre-head) bezeichnet. Mit der ersten Akzentsilbe beginnt der ‚Kopf‘ oder der ‚rhythmische Körper‘ (head, body), der bis zum letzten Akzent reicht; die erste Silbe des Kopfes wird als onset bezeichnet. Während diese beiden Konstituenten optionale Komponenten sind, so ist die letzte Akzentsilbe der einzige obligatorische Bestandteil einer IP. Der Verlauf auf dieser letzten Akzentsilbe wird als ‚Nukleus‘ (nucleus) oder ‚Schwerpunkt‘ bezeichnet. Die phonetischen Exponenten des Nukleus sind Tonhöhe (pitch), Lautstärke und Dauer, wobei der Tonhöhe die wichtigste Rolle zugesprochen wird. Die Tonhöhenprominenz des Nukleus entsteht durch eine Tonbewegung auf dieser Silbe (pitch obstrusion), die auf einen Tonhöhengipfel oder ein Tonhöhental zurückgeführt werden kann. Die tonale Prominenz kann allerdings auch durch einen Tonhöhensprung oder durch eine Richtungsänderung der Tonhöhe hervorgerufen werden. In der Kombination aus akzentuierter Silbe und prominenter Tonbewegung konstituiert sich damit ein sog. ‚Akzentton‘ (pitch accent). Wenn innerhalb der Intonationsphrase auf die nukleare Silbe noch weitere Silben folgen, so bilden sie den sog. ‚Nachlauf‘ (tail). Mit dieser letzten, fakultativen Konsituente wird die Tongruppe abgeschlossen. Die gesamte Struktur aus Nukleus und Nachlauf wird häufig ‚nuklearer Ton‘ (nuclear tone) oder auch ‚nukleare Kontur‘ (nuclear contour) genannt (vgl. Cruttenden 1997: 40ff.). Doch damit enthält diese Terminologie eine Inkonsistenz, auf die bereits Grabe (1998a) hingewiesen hat: Die nukleare Kontur ist nämlich nicht, wie die Bezeichnung nahelegt, der Verlauf auf dem Nukleus, sondern der Verlauf auf Nukleus und Nachlauf. Um eine Eindeutigkeit der Begriffe zu gewährleisten, orientiert sich die vorliegende Studie an folgender Konvention: Der ‚Nukleus‘ ist die gesamte Silbenfolge von der letzten akzentuierten Silbe bis zum IP-Ende. Die erste Silbe eines Nukleus (die immer die akzentuierte Silbe ist) heißt ‚Nukleussilbe‘. Zur Kennzeichnung der Silbenfolge nach der Nukleussilbe wird ‚Nachlauf‘ verwendet. In Abb. 1 sind die beschreibungstechnischen Konstituenten und die Extraktion der Grundfrequenz für eine Intonationsphrase aus dem Hamburgischen dargestellt. Am unteren Rand der Grafik befindet sich die Transkription der Phrase. Gemäß den Notationskonventionen des GAT-Systems (Selting et al. 1998), in dem grundsätzlich die radikale Kleinschreibung gilt, wird die Nukleussilbe durch Großschreibung der Silbe gekennzeichnet. Bei pränuklearen, sekundären Akzenten wird nur das Vokalzeichen der Silbe groß geschrieben (vgl. die Zusammenstellung der Notationskonventionen auf S. XI). Der Vorlauf setzt sich hier aus den unbetonten Silben un=meine zusammen und wird mit leicht fallender Intonation realisiert. Der Kopf der Phrase (mUtter is gebürtige) beginnt mit einem ansteigenden Akzentton in mUtter, an den sich eine leicht fallende Kontur anschließt. Der Nukleus besteht aus
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Intonatorische Beschreibungsverfahren Vorlauf
Kopf
Nukleus
Nukleussilbe
Nachlauf
Pitch (Hz log.)
150
100
un=meine mUt 70 0
ter 0.5
is
gebürtige 1 Time (s)
MÜNCH
ner 1.5
in 1.83
Abb. 1 Konstituenten einer Intonationsphrase
dem dreisilbigen Wort MÜNCHnerin, das sich in die Nukleussilbe MÜNCH und den zweisilbigen Nachlauf nerin aufteilt. Nach einer Gipfelbildung in der Nukleussilbe kommt es im Nachlauf zu einer schnellen Fallbewegung auf ein tiefes Niveau. Da es sich bei dieser Intonationsphrase um einen vollständigen Satz handelt, fällt der Nukleus mit dem ‚Satzakzent‘ der traditionellen Terminologie zusammen. Der Schwerpunkt der Analysen innerhalb dieses Paradigmas liegt auf dem Nukleus, dessen prominente Kontur das intonatorische Zentrum einer jeden Phrase bildet. Dabei wird zwischen fallenden, steigenden, fallend-steigenden, steigend-fallenden und gleichbleibenden nuklearen Konturen unterschieden. Dabei ist als eine zentrale formale Eigenschaft der nuklearen Kontur auf ihre Flexibilität hinzuweisen: Der Intonationsverlauf ist prinzipiell unabhängig von der Länge des Nukleus (i.e. der Silben im Nukleus) und verteilt sich über das vorhandene Silbenmaterial. Durch die genannten Konturkategorien ist zunächst allerdings nur die Orientierung des Verlaufs angegeben. Die phonetischen Realisierungen z.B. von fallenden Konturen können durchaus verschiedene Formen aufweisen, für die wiederum bestimmte beschreibbare Strukturprinzipien gelten können. Die Konturkategorien sind daher als Oberbegriffe für Konturfamilien zu verstehen, unter denen mehrere Varianten subsumiert sein können. Für die Analyse regionaler Intonation eignen sich diese Kategorien besonders dazu, mögliche Variabilitätsbereiche zu definieren, deren Strukturen in den einzelnen Regionen untersucht werden können. Daher richtet sich die Struktur des zentralen Analyseteils der vorliegenden Arbeit nach diesen nuklearen Konturkategorien. Dabei werden jedoch die gleichbleibenden Konturen als eine Sonderform der Anstiegskonturen betrachtet und mit diesen zusammengefasst.
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Einleitung
1.2.2 Tonsequenzmodelle Das Ziel der autosegmental-metrischen Tonsequenzmodelle ist nicht nur die möglichst adäquate Beschreibung der Intonationskontur, sondern auch die Erarbeitung einer ‚Phonologie der Intonation‘ (Ladd 1996, Gussenhoven 2002, 2004). Im Vordergrund stehen zunächst keine Intonationskonturen, sondern das aus der autosegmentalen Tonsprachenforschung übernommene Konzept der ‚Töne‘, die auf verschiedenen Ebenen innerhalb des Stimmumfangs der Sprecherin/des Sprechers liegen. Durch die Verbindung der einzelnen Töne entsteht der konkrete Intonationsverlauf einer Phrase („Der Ton macht die Melodie“; vgl. Wunderlich 1988). Beginnend mit den einflussreichen Studien von Bruce (1977) und Pierrehumbert (1980) zur Intonation des Schwedischen bzw. Englischen wurde das Tonsequenzmodell sukzessive ausgebaut und auf viele Sprachen und Varietäten angewendet. Die Töne des Tonsequenzmodells sind als abstrakte Zielpunkte von Tonbewegungen zu verstehen, die auf zwei Ebenen liegen. In den meisten Ansätzen werden lediglich zwei Töne, ein Hochton und ein Tiefton, angenommen, die auch in der deutschsprachigen Forschungsliteratur mit H (high tone) und L (low tone) abgekürzt werden. Die Zielpunkte der Töne liegen im oberen bzw. unteren Viertel des Sprechstimmumfangs. Intonationskonturen sind dann durch eine Abfolge von H- und L-Tönen geprägt. Abhängig vom strukturellen Status einer Silbenposition innerhalb der IP werden verschiedene Typen von Hoch- bzw. Tieftönen angesetzt. Wie im Modell der Britischen Schule werden auf akzentuierten Silben Akzenttöne (pitch accents) gebildet, die in der Notation an einem nachgestellten * zu erkennen sind (‚gesternte‘ oder ‚tropische Töne‘). Mit H* oder L* wird damit ein Hochton bzw. Tiefton auf einer akzentuierten Silbe gekennzeichnet. Im Tonsequenzmodell besitzt grundsätzlich jede akzentuierte Silbe den gleichen Status, d.h. die Unterscheidung zwischen nuklearen und pränuklearen Akzenttönen besitzt keine strukturelle Relevanz, sie bleibt aber rekonstruierbar. Akzenttöne können monotonal oder bitonal sein. Bei den beiden monotonalen Tönen H* und L* wird die Akzentsilbe als hoch bzw. tief wahrgenommen. Bitonale Akzenttöne sind gegenüber den monotonalen Akzenttönen mit einem vorausgehenden bzw. nachfolgenden Ton mit entgegengesetzter Tonqualität verbunden (‚ungesternter Ton‘). So bezeichnet die Struktur L*+H einen Tiefton, an den ein Hochton angebunden ist. Nach dem Tiefton in der Akzentsilbe beginnt hier ein Anstieg auf ein hohes Niveau, das meist auf der Folgesilbe erreicht wird. Wenn bei einem bitonalen Akzentton ein ungesternter Ton dem gesternten folgt, spricht man von einem trailing tone; ein vorausgehender ungesternter Ton wird als leading tone bezeichnet. Letztere Konstellation liegt z.B. beim Akzentton L+H* vor, mit dem ausgedrückt wird, dass einer perzeptiv prominenten hohen Akzentsilbe ein tiefer Zielton auf der (unbetonten) Silbe vorausgeht. Damit stehen monotonale Akzenttöne für statische Töne und bitonale Akzenttöne für Tonbewegungen. Akzenttöne im Sinne der autosegmental-metrischen Intonations-
Intonatorische Beschreibungsverfahren
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forschung dienen zur Markierung von Informationsbestandteilen und stehen in engem Verhältnis zu den Fokussierungsstrukturen einer Äußerung. Eine zweite tonale Kategorie ist für die Markierung der Phrasengrenzen zuständig. Diese tonalen Bestandteile übernehmen keine informationsstrukturierende Funktion, sondern dienen ausschließlich der Phrasierung von Äußerungen in kleinere Einheiten. Durch die Grenztöne wird die Tonbewegung auf der ersten bzw. letzten Silbe einer IP angegeben. Diese sog. ‚Phrasengrenztöne‘ oder ‚Grenztöne‘ sind am angefügten % zu erkennen, wobei ein vorausgehendes % für einen initialen und ein nachgesetztes % für einen finalen Phrasengrenzton steht. So steht der Grenzton L% für eine tiefe Tonlage am Ende der IP. Mit %H wird entsprechend ein hoher initialer Grenzton bezeichnet. Auch die IP-Grenztöne sind binär angelegt, d.h. es wird nur zwischen L% und H% bzw. %L und %H differenziert. Der initiale Grenzton ist im Deutschen nach Grice/Baumann (2002: 283) fast immer tief oder mittel-hoch, so dass ein explizite Kennzeichnung nicht erforderlich ist. Für den seltenen hohen Ansatz steht die Symbolisierung %H zur Verfügung. Die Differenzierung zwischen Akzenttönen und Grenztönen ist allen Tonsequenzmodellen gemeinsam. Darüber hinaus zeigen sich die Beschreibungen zur Intonation des Deutschen allerdings uneins bei der Annahme einer weiteren Ton-Kategorie. Die frühen Tonsequenz-Systeme von Wunderlich (1988), Uhmann (1991) und Féry (1993) verwenden lediglich Akzent- und Grenztöne. Dagegen wird in den sog. ToBI-Modellen eine weitere Ton-Kategorie angenommen. ToBI steht für Tones and Break Indices und wurde als ein autosegmentales Transkriptionsverfahren der Intonation des Englischen entwickelt (Beckman/Ayers-Elam 1997) und ist mittlerweile für zahlreiche Sprachen adaptiert worden. Die Umsetzung für das Deutsche ist das GToBI-Modell, das im Folgenden ausführlich dargestellt werden soll, da es die bis dato vollständigste und konsistenteste Beschreibung des deutschen Konturinventars bereitstellt.5 Wie in allen ToBI-Modellen wird hier unterhalb der Intonationsphrase eine weitere Phrasierungsdomäne angenommen, die ‚Intermediärphrase‘ (intermediate phrase; ip) genannt wird. Jede intermediäre Phrase weist genau einen Akzentton auf, und das Ende dieser Teilphrase wird durch einen eigenen Grenzton markiert. Intonationsphrasen setzen sich damit aus Intermediärphrasen zusammen. Im einfachsten Fall sind die beiden Phrasen-Typen koextensiv. Am Ende einer IP fallen die Grenzen von IP und ip zusammen und bilden eine Grenzton-Kombination: Neben den IP-Grenztönen L% und H% sind damit noch die ip-Grenztöne Lund H- vorhanden. Letztere werden häufig auch ‚Phrasentöne‘ (phrase tone; Pierrehumbert 1980) oder auch ‚Phrasenakzente‘ (phrase accents; Grice et al. 2000) genannt. Durch den ip-Grenzton wird nach Grice/Baumann (2002: 280) „die Kontur vom letzten Ton des nuklearen Tonakzents bis zum Ende der jeweiligen Phrase“ beschrieben. Diese Ton-Kategorie weist damit die Eigenschaft der Ton-Ausbreitung auf, wie sie als phonologische Operation in der autosegmentalen Phonologie entwickelt worden ist (tone spreading; vgl. Yip 2002). Phrasenakzente sind präferiert mit ei5
Vgl. Grice/Benzmüller (1995), Benzmüller/Grice (1997), Grice/Baumann (2002).
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Einleitung
ner lexikalisch betonten Silbe assoziiert. Diese zusätzlichen Grenztöne sind notwendig, um die möglichen tonologischen Kontraste innerhalb einer Sprache adäquat erfassen zu können. So wird z.B. durch die Tonsequenz H* L-H% eine fallend-steigende Kontur erfasst. Nach dem Hochton H* auf der Akzentsilbe folgt ein Phrasenakzent L-, der mit einer lexikalisch betonten Silbe assoziiert ist (sofern eine solche Silbe vorhanden ist). Mit der Teilsequenz H* L- wird also die fallende Komponente erfasst. Das Intonationsphrasenende weist einen hohen Grenzton H% auf. Aus der Verbindung zwischen L- und H% ergibt sich die finale Anstiegsbewegung. Zur Kennzeichnung von Sonderfällen stehen in GToBI Diakritika zur Verfügung. So ist es z.B. möglich, dass der Gipfel eines Hochtons in Relation zu einem vorausgehenden Gipfel deutlich tiefer liegt, als es durch die Deklination erwartbar wäre. Um diese ‚Herabstufung‘ (downstep, catathesis; vgl. Beckman/Pierrehumbert 1986) zu markieren, wird dem Hochton ein ! vorangestellt (!H*, H*+!H). Diese Tonmodifikation ist nur möglich, wenn in der IP ein weiterer Hochton vorausgeht. Weiterhin können extra-hohe Töne mit Hilfe des Diakritikums ^ gekennzeichnet werden (^H). Das vollständige Inventar an Akzenttönen und Grenzton-Kombinationen der aktuellen Version des GToBI-Systems bietet Tab. 1. Tab. 1 Toninventar nach GToBI (nach Grice/Baumann 2002) Akzenttöne H* L+H* L* L*+H H+L* H+!H*
Grenzton-Kombinationen H-% H-^H% L-H% L-%
initialer Grenzton %H
In der Sequenzierung aus Akzentton und Grenzton-Kombination in Form von Finite State-Grammatiken entstehen zahlreiche Konturen, die die Erstellungen einer vollständigen ‚Intonationsgrammatik‘ des Deutschen erlauben. Obwohl in den Tonsequenzmodellen die Unterscheidung der Britischen Schule zwischen nuklearen und pränuklearen Konturen aufgehoben ist, liegt auch hier der Schwerpunkt der Beschreibungen auf den Konturen, die sich vom letzten Akzentton bis zum Phrasenende erstrecken.6 Die gängigsten dieser nuklearen Konturen des Standarddeutschen sind in Tab. 2 zusammengestellt (nach Grice/Baumann 2002: 285f.). Die einzelnen Konturen sind gemäß ihrer Verlaufsrichtung in fallende, steigend-fallende, steigende, gleichbleibende, fallend-steigende sowie Sonderformen (‚Früher Gipfel‘, ‚Stilisierte Herabstufung‘) eingeteilt. Die tonale Struktur der Kontur ist durch einen schematischen Verlauf dargestellt. Weiterhin sind mögliche funktionale Kontexte der Konturen sowie Beispielphrasen angegeben. In den Beispielen ist die Akzentsil-
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Dementsprechend erkennt Ladd (1996: 45) auch durchaus die partielle Kompatibilität beider Systeme an: „There is no necessary contradiction in recognising both the functional unity of ‚nuclear tones‘ […] and the phonological separateness of their component parts.“
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Intonatorische Beschreibungsverfahren
be durch Fettdruck und Großschreibung, die Ankersilbe für den ip-Grenzton mit Großbuchstaben repräsentiert. Tab. 2 Gängige nukleare Konturen des Standarddeutschen nach GToBI; in der schematischen Kontur repräsentiert der dicke Konturabschnitt die Nukleussilbe; der weniger fette Konturabschnitt ist der Ankerpunkt des ip-Grenztons (nach Grice/Baumann 2002:28ff.) GToBI
schematische Kontur
Kontext
Beispiel
H* L-%
Neutrale Aussage Neutrale W-Frage
Mein ZAHN tut WEH. Wo hast du den WAgen gePARKT?
L+H* L-%
Kontrastive Feststellung
Schon der verSUCH ist STRAFbar!
L*+H L-%
Selbstverständliche Feststellung Engagierte oder sarkastische Feststellung
Das WEISS ich SCHON! Der Blick ist ja FAbelhaft!
L* H-^H%
Neutrale Entscheidungsfrage Echo-Frage
Tauschen Sie auch BRIEFMARken? Von wem ich das HAbe?
L* L-H%
Empörung Melden am Telefon
DOCH! BECkenBAUer?
(L+)H* H-^H%
Anschlussfrage
… oder ist das Ihr BRUder?
Gleichbleibend
(L+)H* H-%
Weiterweisende Äußerung Floskelhafte Ausdrücke
ANdererSEITS … Guten MORgen!
Fallendsteigend
(L+)H* L-H%
Höfliches Angebot
Mögen Sie ROGgenBRÖTchen?
H+!H* L-%
Bestätigung einer bekannten Tatsache
Hab’ ich mir schon geDACHT.
H+L* L-%
Beruhigende oder höfliche Aufforderung
Nun erZÄHle doch MAL!
(L+)H* !H-%
Ausrufe
BECkenBAUer
Fallend
Steigendfallend (später Gipfel)
Steigend
Früher Gipfel
Stilisierte Herabstufung
Zur Illustration des GToBI-Systems ist in Abb. 2 die Beispielphrase aus Abb. 1 mit den entsprechenden Tonsequenz-Symbolen aligniert worden. Die IP enthält zwei Akzente (mUt, MÜNCH) und ist daher in zwei Intermediärphrasen aufzuspalten. Die hohe Tonhöhe am IP-Beginn wird durch den hohen initialen Grenzton %H wiedergegeben. Der erste Akzentton auf mUtter weist in der Akzentsilbe ein F0-Tal auf, das auf einen L*-Ton hinweist. Dass es noch in dieser Silbe zu einem Anstieg
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Einleitung
kommt, der auf der Folgesilbe fortgeführt wird, deutet auf einen bitonalen Akzent L*+H hin. Der anschließende fallende Verlauf bis zur letzten Akzentsilbe wird durch einen tiefen ip-Grenzton L- erfasst. Auf der letzten Akzentsilbe MÜNCH wird ein Hochton H* realisiert. Die finale Fallbewegung schließlich kann durch die Grenzton-Kombination L-L% modelliert werden. Als Gesamtsequenz dieser IP ergibt sich damit %H L*+H L- H* L-L%. 150 Pitch (Hz log.)
%H
L*+H L-
H*
100
L-L%
un=meine mUt 70 0
ter 0.5
is
gebürtige 1 Time (s)
MÜNCH
ner 1.5
in 1.83
Abb. 2 Beschreibung der Intonationskontur im Rahmen des autosegmentalen Tonsequenzmodells
Sowohl die Annahme der Intermediärphrase (ip) als auch des Phrasentons/Phrasenakzents ist in der Intonationsforschung des Deutschen nicht unumstritten. So kritisiert Grabe (1998a), dass bislang keine auditive oder akustische Evidenz für die Annahme der Intermediärphrase vorgelegt wurde. Auch Wunderlich (1988), Uhmann (1991) und Féry (1993) lehnen diese Zwischenebene und auch den Phrasenton/Phrasenakzent ab und schlagen ein teilweise reduziertes Toninventar vor. Allen Tonsequenzmodellen ist gemeinsam, dass aus einem minimalen Inventar an Beschreibungselementen, Verkettungsoperationen und Assoziationsprinzipien ein konsistentes System der Intonation einer Sprache erstellt werden soll. Auch wenn GToBI explizit als „Transkriptionssystem für die Intonation des Deutschen“ (Grice/Baumann 2002: 275) bezeichnet wird, so ist es dennoch nicht unbelastet von theoretischen Grundannahmen der autosegmentalen Phonologie. Ob z.B. das Intonationssystem einer Sprache einen Phrasenton enthält und mit welcher Position in der Phrase er assoziiert ist, sollte und kann nicht a priori durch das Transkriptionssystem festgelegt werden, sondern lässt sich erst nach einer umfassenden tonologischen Analyse entscheiden. Mindestens für zwei Konturen scheint in GToBI der Phrasenton tatsächlich redundant zu sein: Bei (L+)H* H-% und H+L* L-% wird nach dem Akzentton ein gleichbleibend flacher Verlauf bis zum Phrasenende ausgeführt. Die Phrasentöne H- bzw. L- haben für den tatsächlichen Konturverlauf daher keine Relevanz. Damit werden in der Transkription tonale Elemente angenommen, die keine Entsprechungen auf der Formseite haben, sondern vielmehr aufgrund theorie-immanenter Annahmen postuliert werden.
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Intonatorische Beschreibungsverfahren
Ein weiterer Kritikpunkt an den Tonsequenzmodellen betrifft die Berücksichtigung der intonatorischen Funktionen. Zwar wird durch das Toninventar die Menge der möglichen Intonationskonturen einer Sprache/Varietät in From einer Finite State-Grammatik vorgegeben, jedoch ist nicht geklärt, welche linguistischen und extralinguistischen Funktionen diese Konturen im Gespräch jeweils übernehmen. In Tab. 2 (oben) sind für jede GToBI-Kontur einige typische Verwendungskontexte angegeben, doch stammen diese Funktionen teilweise aus unterschiedlichen Bereichen: Hier finden sich nämlich syntaktisch-semantische Funktionen (‚W-Frage‘, ‚Echo-Frage‘, ‚kontrastive Feststellung‘), gesprächsstrukturierende Funktionen (‚weiterweisende Äußerung‘), Modalisierungen (‚Empörung‘, ‚höfliches Angebot‘, ‚beruhigende Aufforderung‘) oder sprachliche Rituale (‚Melden am Telefon‘, ‚Ausrufe‘). Da diese Funktionen auf verschiedenen Ebenen liegen, ist die phonologische Distinktivität der einzelnen Konturen (noch) nicht geklärt. Damit sei nicht impliziert, dass die vorgestellten Konturen nicht in den angegebenen Kontexten verwendet werden. Es bedarf allerdings zunächst einer weitergehenden, ausführlichen Analyse der Funktionskontexte der Konturen, bevor m.E. von einer ‚Phonologie der Intonation‘ (im Sinne eines Systems von phonologisch distinktiven Oppositionen) gesprochen werden kann. Vor dem Hintergrund dieser Bewertung sollte deutlich geworden sein, dass mit dem GToBI-Tonsequenzmodell weder ein phonetisches Transkriptionssystem noch eine phonologische Beschreibung (im hier verwendete Sinne) vorliegt. Vielmehr handelt es sich um ein Verfahren, das dazu dient, die Menge der phonetisch diskriminierbaren Intonationskonturen einer Sprache/Varietät festzustellen. Diese Strukturebene wird im Folgenden als ‚Tonologie‘ bezeichnet. Unter ‚Tonologie‘ verstehe ich diejenigen autosegmentalen Verfahren, die dazu dienen, die phonetische Vielfalt der Intonationskonturen zu strukturieren und ein konsistentes, redundanzfreies System aller intonatorischen Kontraste zu erstellen. Als Beschreibungssystem hat sich für diese Strukturebene das autosegmental-metrische Verfahren bewährt, wie sie z.B. im GToBI-System vorliegt. Die tonologische Beschreibungsebene ist dementsprechend zwischen der phonetischen Realisationsebene und der phonologischen Funktionsebene angesiedelt (Tab. 3). Tab. 3 Drei-Ebenen-Modell des Intonationssystems intonatorische Strukturebene Phonetik Tonologie Phonologie
Aufgabe Realisation von Intonationskonturen autosegmental-metrische Strukturierung der möglichen Intonationskonturen Funktion von Intonationskonturen
Gerade für die Analyse einer Sprache/Varietät, deren Intonationssystem noch nicht bekannt ist, erweist sich dieses Drei-Ebenen-Modell als vorteilhaft. Das Modell gestattet die eindeutige Trennung zwischen der phonetischen Realisierung und der tonologischen bzw. phonologischen Struktur. Während die Differenzierung zwischen
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Einleitung
der segmentalen Phonologie und ihrer phonetischen Implementierung zur Kernstruktur aktueller phonologischer Beschreibungen gehört (etwa in der ‚Lexikalischen Phonologie‘; vgl. Kenstowicz 1994, Roca/Johnson 1999), wird diese Trennung in den Tonsequenzmodellen (noch) nicht konsequent durchgeführt. Doch diese Differenzierung ist notwendig, um die phonetischen Realisierungen einer tonologischen Struktur in verschiedenen Varietäten miteinander vergleichen zu können. Weiterhin können dadurch Kontexte für Assimilationen und Neutralisierungen erfasst werden. Auf der dritten Ebene dieses Intonationsmodells schließlich werden die tonologischen Konturen bedeutungsrelevanten phonologischen, d.h. konversationellen Funktionen (vgl. Kap. 1.3.5) zugeordnet.
1.3 Funktionen der Intonation Seit dem Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Intonation wird allgemein akzeptiert, dass dieser Parameter an einer Vielzahl von Funktionen beteiligt ist. Bis heute wurde jedoch noch kein Konsens darüber erzielt, welche intonatorischen Merkmale mit welchen Funktionen assoziiert sind. Vielmehr steht die Intonation in einem komplexen Beziehungsgefüge zu linguistischen, aber auch paraund extralinguistischen Strukturebenen. In ihrem Überblick stellen Botinis/Granström/Möbius (2001) daher auch eine nicht eindeutige Form-Funktionskorrelation fest: The relation of function and form, much like other aspects of phonetics, is one-to-many and the question of invariance and variability is an actual theme in intonation studies too. (Botinis/Granström/Möbius 2001: 266)
Im Folgenden soll ein kurzer, keineswegs erschöpfender Abriss der (im weitesten Sinne) linguistisch relevanten Funktionen bzw. Funktionskomplexe gegeben werden, an denen die Intonation beteiligt ist. 1.3.1 Einheitenbildung Im Zusammenhang mit den phonetischen Grundlagen wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Intonation an der Einheitenbildung beteiligt ist: Gesprochene Sprache wird mithilfe der globalen Intonationsbögen in Intonationsphrasen eingeteilt (tonal phrasing, grouping; vgl. Botinis/Granström/Möbius 2001: 268f., Auer/Selting 2001: 1123f.). Die phonetischen Mittel zur Konstitution einer IP wurden bereits in Kap. 1.1 dargestellt. Die Größe einer IP ist variabel und reicht von einer Silbe bis zu komplexen syntaktischen Konstruktionen. Häufig werden in IPs syntaktische Teilsätze (Neben- oder Hauptsätze) realisiert (Croft 1995), doch sind syntaktische Strukturen und IPs nicht zwangsläufig koextensiv. So ist es durchaus möglich, dass eine syntaktische Struktur auf zwei IPs verteilt wird. Beim folgenden
Funktionen der Intonation
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Beispiel aus Schwitalla (1997: 51) wird eine IP-Grenze (/) im Inneren einer Hauptsatzkonstruktion realisiert: mit der hab isch erst mal am TElefon / n riesenKNATSCH gehabt
Umgekehrt ist es möglich, komplexere syntaktische Strukturen in eine Phrase zu integrieren. Beim folgenden Beispiel handelt es sich um eine Konstruktion mit abhängigem Hauptsatz, der um einen Relativsatz erweitert wird. Die gesamte Konstruktion wird in einer IP realisiert: ich glAub das war schon fast MISsingsch was der sprach
Für diese lange Konstruktion wäre auch eine Aufteilung in drei kürzere IPs denkbar, die jeweils die folgenden Teilsätze enthalten würden: ich GLAUB / das war schon fast MISsingsch / was der SPRACH
Durch die Phrasierung in IPs werden insbesondere längere Äußerungen prosodisch gegliedert, wodurch die Hörerin/der Hörer bei der Sprachverarbeitung kognitiv geleitet und entlastet wird. Nach Bannert/Schwitalla (1999: 314) ist es in Gesprächen wichtig, „dass Sprecher und Hörer wissen, wann eine Sprecheinheit zu Ende ist. Inhalte von Äußerungen zu verstehen fällt umso leichter, je deutlicher der Sprecher Einschnitte beim Sprechen macht“. In Bezug auf die Einheitenbildung erlaubt die Intonation also ein hohes Maß an Flexibilität. Nach Chafe (1988) handelt es sich bei der IP nicht ausschließlich um eine prosodische Strukturierungseinheit. Vielmehr wird in der Aufeinanderfolge der IPs der ‚Informationsfluss‘ (information flow) beim Sprechen reflektiert. Demnach ist jede IP die linguistische Manifestation eines Informationsbestandteils, auf den die Sprecherin/der Sprecher in diesem Moment fokussiert („a linguistic expression of the particular information on which the speaker is focusing his or her consciousness at a particular moment“; Chafe 1988: 2). Nach Chafe (1994: 108ff.) wird pro Intonationsphrase jeweils eine neue rhematische Information in das Diskurswissen eingeführt (One New Idea Constraint). Einen Schritt weiter geht Gumperz (1981: 43), der Einheitenbildung (chunking) als eine komplexe Interpretationsleistung ansieht, in der prosodische, phonologische,syntaktische, lexikalische und rhythmische Faktoren zusammenwirken. Die beschriebene Einheitenbildung gilt als eine universale (Teil-)Funktion der Intonation (bzw. der Prosodie im Allgemeinen). Daher ist für diese Funktion auch keine oder nur geringe regionale Variation zu erwarten. 1.3.2 Prominenz und Fokus Die Intonation ist ein zentraler phonetischer Parameter, um Prominenzabstufungen herzustellen. In Intonationssprachen wie dem Deutschen oder Englischen dient die Intonation zusammen mit der Lautdauer und der Intensität zur Etablie-
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Einleitung
rung von Akzentabstufungen (akzentuierte vs. nicht-akzentuierte Silben). Diese Prominenzfunktion korreliert teilweise mit der semantischen Funktion der Kennzeichnung der satzsemantischen Struktur. Mithilfe intonatorischer Verfahren wird der semantische Fokus eines (Teil-)Satzes hervorgehoben (‚Fokusakzent‘, ‚Satzakzent‘). In einem Satz ist diejenige Konstituente der Fokus, die inhaltlich im Vordergrund steht (psychologisches Prädikat, Rhema). Gleichzeitig treten dadurch die übrigen Konstituenten in den ‚Hintergrund‘. Dabei handelt es sich um die inhaltlich vorausgesetzten Elemente (psychologisches Subjekt, Präsupposition, Thema). Innerhalb der Domäne des Fokus wird der abstrakte Fokusakzent durch einen (intonatorischen) Akzentton realisiert, wie er oben am Beispiel des Tonsequenzmodells vorgestellt wurde. Lokale Intonationsbewegungen übernehmen hier also die Funktion der Informationsverteilung. Die Bildung der Fokusdomänen im Deutschen und ihre intonatorischen Realisierungen wurden ausführlich von Uhmann (1991) und Féry (1993) untersucht. Es sind mehrere Fokus-Typen zu unterscheiden, die teilweise auch intonatorisch unterschiedlich gestaltet werden können. So werden weite Foki (Fokussierung auf den gesamten (Teil-)Satz) in manchen Sprachen/Dialekten intonatorisch anders realisiert als enge Foki oder Kontrastakzente. Letztere Fokustypen können z.B. durch einen größeren Tonumfang des Akzenttons (Bannert 1985 für das Standarddeutsche) oder durch eine andere nukleare Intonationskontur markiert werden (Peters 2001 für Kontrastakzente des Berlinischen). 1.3.3 Lexikalische Differenzierung In Tonsprachen wird die Intonation zur phonologischen Bedeutungsdifferenzierung eingesetzt. Weite Teile der afrikanischen, mittelamerikanischen und südostasiatischen Sprachfamilien weisen lexikalisch kontrastive Tonmuster auf der Silbenebene auf (vgl. Yip 2002). Verwandt mit den Tonsprachen sind die Tonakzentsprachen, in denen kontrastive Tonmuster nicht auf der Silben-, sondern auf der Wortebene operieren (pitch accent languages; Pike 1948). Zu diesem Sprachtyp gehören u.a. das Schwedische, Norwegische, aber auch einige mittelfränkische Dialekte (Schmidt 1986, 2002). Hier sind spezifische Tonmuster Bestandteil des Lexikoneintrags eines Wortes. Sowohl für die Tonsprachen als auch für die Tonakzentsprachen liegt die Funktion der Intonation in der lexikalischen bzw. morphologischen Differenzierung. 1.3.4 Satzarten und Satzmodi In der älteren Intonationsforschung wurde eine enge Korrelation zwischen syntaktischer Satzstruktur und dem Intonationsverlauf angenommen. Diese Ansicht wird am deutlichsten von Bierwisch (1966) und Pheby (1984) vertreten, zumindest implizit ist diese Grundannahme auch bei von Essen (1964) und Kohler (1995) zu fin-
Funktionen der Intonation
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den. Demnach sind verschiedene Tonmuster mit einzelnen Satzmustern verknüpft. Gemäß dieser Konzeption lässt sich die intonatorische Gestaltung eines ‚Satzes‘ aus seiner syntaktischen Struktur ableiten. Dabei wird der Schwerpunkt auf die Differenzierung zwischen Aussagesatz und Fragesatz gelegt. Von Essen (1964: 58ff.) nimmt drei ‚Intonationstypen’ ( = nukleare Intonationskonturen) an:
• • •
terminale Intonation („in Aussagen, Aufforderungen, Ausrufen, vorangestellten Anreden, Ergänzungsfragen, indirekten Reden, den zweiten Gliedern von Doppelfragen“) progrediente Intonation („bei unvollendeten Redeteilen, denen die Schwerpunktsbildung erst folgen soll“) interrogative Intonation („angewandt in Entscheidungsfragen, Nachfragen“)
Der terminale Intonationstyp wird fallend, der interrogative wird steigend ausgeführt. „Progrediente (weiterweisende) Aussprüche laufen mit gehobener Stimme aus, im übrigen unterscheiden sie sich nicht von den terminalen“ (von Essen 1964: 59). Dieses ‚minimale‘ System wird bei Pheby (1984) auf fünf und bei Kohler (1995) auf sechs Tonmuster erweitert. An dieser unterschiedlichen Anzahl und auch aus den angeführten Verwendungskontexten, die von Essen für seine drei Tonmuster vorsieht, wird deutlich, dass die Autoren tatsächlich kein konsistentes Modell entwerfen, in dem die Intonation eindeutig abhängig von der Syntax ist. Wenn bei von Essen sowohl ein Aussagesatz als auch eine Ergänzungsfrage mit dem gleichen Intonationsmuster realisiert werden, dann demonstriert dies doch gerade die Unabhängigkeit der Intonation. Darüber hinaus handelt es sich bei von Essens Funktionskontexten nicht ausschließlich um syntaktische Kontexte. Vielmehr liegt hier eine Überschneidung von syntaktischen und pragmatisch-textorganisatorischen Merkmalen vor. Damit wird die Annahme der primär syntaktischen Funktion der Intonation ad absurdum geführt. Ausgehend von der empirisch nicht nachweisbaren Eins-zu-Eins-Zuordnung von Satzart und Intonationsverlauf haben die Mitarbeiter der Münchner Forschungsgruppe um Hans Altmann vorgeschlagen, eine zwischen Intonationsverlauf und syntaktischer Struktur vermittelnde, abstrakte Zwischenebene zu berücksichtigen, die sie ‚Satzmodus‘ nennen.7 Dabei handelt es sich um die fünf (semantischen) Funktionstypen ‚Assertion‘, ‚Interrogation‘, ‚Wunsch‘, ‚Aufforderung‘ und ‚Exklamativ‘. Der Satzmodus kann sich grundsätzlich in mehreren Satzarten manifestieren: So kann der interrogative Modus durch einen Verb-Erst-Satz (‚Kommst du morgen?‘), aber auch durch einen Verb-Zweit-Satz ausgeführt werden (‚Du kommst morgen?‘). In umfangreichen Produktions- und Perzeptionsexperimenten wurde untersucht, inwieweit die Satzmodi mit distinkten Intonationsverläufen assoziiert werden. Dies konnte zuverlässig für einen Teil der Satzmodi gezeigt werden und manifestierte sich am deutlichsten in der Differenzierung von ‚Frage‘ und ‚Nicht-Frage‘. Die Satzmodusforschung blieb allerdings nicht ohne Kritik. So kommen etwa Brandt et al. (1992: 78) zu dem Schluss, „dass die In7
Vgl. die Beiträge in Altmann (1988) und Altmann/Batliner/Oppenrieder (1989).
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tonation ein grammatisches Mittel ist, das rein pragmatische Aufgaben hat, das heißt, dass sein Beitrag zur Interpretation von Äußerungen nicht über die Semantik läuft“ (vgl. auch Schmidt 2002). Die Primärfunktion der Intonation ist also nicht in der Differenzierung der semantischen Satzmodi zu sehen, sondern liegt vielmehr im Bereich der Pragmatik. Trotz aller Kritik an den Ergebnissen der Satzmodusforschung wurde dennoch dadurch erstens die traditionelle Abhängigkeit der Intonation von der Syntax aufgelöst und zweitens wurde durch den Einbezug von Perzeptionsexperimenten die Relevanz eines Intonationsverlaufs für die Hörerin/den Hörer ermittelt. Gleichzeitig resultiert aus der Kritik an den möglichen syntaktisch-semantischen Funktionen der Intonation, dass sie für die hier angestrebte dialektvergleichende Untersuchung als Vergleichsgrundlage nicht infrage kommen können. 1.3.5 Gesprächsorganisation Obwohl bereits früh (etwa bei von Essen 1964 oder Pheby 1984) darauf hingewiesen wurde, dass die Funktionen der Intonation im Zusammenhang mit der pragmatischen Struktur des ‚Gesprächs‘ (im weitesten Sinne) stehen, konnte sich die Intonationsforschung lange Zeit nicht von der Abhängigkeit von der grammatischen (besonders syntaktischen) Struktur lösen. Erst durch das Aufkommen der Pragmatik und insbesondere der ethnomethodologischen Konversationsanalyse (vgl. Bergmann 1988, 2001) wurde eine funktionale Perspektive formuliert, die die intonatorische Gestaltung als ein zentrales sprachliches Mittel zur Strukturierung von Konversationen auffasst. Daher ist nach House (1990: 43) die pragmatische Hauptfunktion der Intonation „to anchor an utterance to its context, enabling the hearer to make suitable inferences to enrich his interpretation“. Im Rahmen der Konversationsanalyse wird die Leistung der Intonation als ein Kontextualisierungshinweis beschrieben, durch den sich die Gesprächspartner gegenseitig Hinweise zur Interpretation des sprachlichen Kontexts geben (vgl. Auer 1986, 1992). Durch die konversationelle Sichtweise auf die Funktionen der Intonation wird es zum ersten Mal ermöglicht, Intonation unabhängig von der Semantik und der Syntax als autonomes Signalisierungssystem zu betrachten. Damit besitzt eine intonatorische Struktur keine isolierbare, kontextfreie ‚Bedeutung‘, sondern allenfalls ein Funktionspotenzial, das sich erst durch die kombinierte Analyse aller an einer sprachlichen Handlung beteiligten linguistischen Ebenen herausarbeiten lässt (i.e. Syntax, Semantik, Konversationsstruktur, Turnstruktur). Untersuchungen der gesprächsstrukturierenden Mittel der Intonation bedienen sich eines gänzlich anderen Datentyps als die syntaktisch und/oder experimentell basierte Intonationsforschung. Während in der letzteren Forschungsrichtung überwiegend isolierte Einzelsätze verwendet werden, die entweder kontextfrei oder eingebettet in einen konstruierten Gesprächskontext unter Laborbedingungen vorgelesen werden (lab speech), kommen für stärker pragmatisch und interaktional aus-
Funktionen der Intonation
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gerichtete Untersuchungen nur Gespräche aus natürlichen Kommunikationssituationen infrage. Die Rolle der Intonation für die Gesprächsorganisation ist in zahlreichen Einzeluntersuchungen nachgewiesen worden.8 Intonation dient in dieser Sichtweise v.a. zur Signalisierung kohäsiver Beziehungen zwischen Äußerungen und konversationellen Aktivitäten, sowie als Mittel zur Konstitution, Aufrechterhaltung und Veränderung von Gesprächsstilen und interaktiven Beziehungen (vgl. Selting (1995: 27). Innerhalb dieses Forschungsparadigmas zeigt z.B. Selting (1993, 1995a) in ihrer Untersuchung zur intonatorischen Realisierung und konversationellen Funktion von Fragen, dass bei gleicher syntaktischer Struktur unterschiedliche konversationelle Funktionen möglich sind. So wird bei w-Fragen und Verb-Erst-Fragen mit final steigender Intonation die Kontextualisierung einer ‚offenen‘ Frage nahegelegt. Dadurch wird ein weiter Antwortspielraum eröffnet, in dem neue thematische Aspekte in die Konversation eingebracht werden können. Auf solche Fragen werden längere Antworten erwartet (‚neu-fokussierende Fragen‘). Demgegenüber wird bei Fragen mit final fallender Intonation häufig keine ausführliche Antwort erwartet, vielmehr dient dieser Fragetyp der Inferenzüberprüfung oder dem Nachfragen. Oft werden hier nur kurze (bestätigende, zustimmende, evaluierende oder kommentierende) Antworten gegeben (‚re-fokussierende Fragen‘). Aus dieser Differenzierung der beiden Fragetypen kann gefolgert werden, dass der Intonationsverlauf nicht durch die syntaktische Struktur der Frage, sondern allein durch die jeweilige kontextuelle Funktion der Frage bestimmt wird. In der Ausweitung dieses Ergebnisses lässt sich sogar formulieren, dass es keine Intonationsverläufe gibt, die ausschließlich z.B. mit deklarativen Äußerungen oder mit Fragen assoziiert sind. Der Schwerpunkt der folgenden Ausführung liegt auf der Bedeutung der Intonation für die Konstitution und Gliederung von Gesprächsbeiträgen. Diese Funktionen dienen in der vorliegenden Untersuchung als Vergleichsgrundlage, um in weiteren Analyseschritten die intonatorischen Realisierungen der einzelnen Regionen klassifizieren und kontrastiv bewerten zu können. Bei der Gliederung von Gesprächsbeiträgen (‚Turns‘) können zwei antagonistische Funktionskomplexe unterschieden werden: Einerseits werden spezifische linguistische Merkmale eingesetzt, um das Ende eines Gesprächsbeitrags zu signalisieren. Andererseits können spezifische Merkmale darauf hindeuten, dass der Sprecher seinen Beitrag noch nicht beendet hat. Diese abstrakten Funktionskomplexe werden im Folgenden mit den Begriffen ‚Abschluss‘ und ‚Weiterweisung‘ bezeichnet. Prototypische Abschlüsse treten am Ende von Gesprächsbeiträgen auf. Hier signalisieren SprecherInnen mit bestimmten syntaktischen, semantischen, pragmatischen und prosodischen Verfahren, dass ihr Turn zu Ende ist. Durch den darauf 8
Vgl. die Überblicksdarstellungen in Couper-Kuhlen (1983, 1986), Selting (1995), Couper-Kuhlen/Selting (1996), Stock (1996), Auer/Selting (2001), Rabanus (2001a, b), Wichmann (2002), Stein (2003: Kap. 12), Wennerstrom (2003).
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Einleitung
folgenden Sprecherwechsel ist ersichtlich, dass auch der Gesprächspartner diesen Abschluss als solchen interpretiert. Abschlüsse können auch im Inneren von Gesprächsbeiträgen vorkommen und dienen dann der Untergliederung längerer Turns. Turn-interne Abschlüsse markieren z.B. das Ende von Erzählungen oder Sachverhaltsdarstellungen oder kleinere erzähltechnische, thematische oder argumentative Einschnitte (Ende eines Erzählschritts, eines Themas, eines Subthemas oder eines Einschubs). Abschlüsse finden sich nicht nur am Ende von IP-Abfolgen, sondern können auch, wie bei Ausrufen und Einwürfen, aus einphrasigen Gesprächsbeiträgen bestehen. In zahlreichen Untersuchungen wurde die fast universelle Tendenz herausgearbeitet, dass Abschlüsse mit fallendem Intonationsverlauf am Phrasenende markiert werden (Delattre/Poenack/Olsen 1965, Lieberman 1967, Cruttenden 1981, Bolinger 1978, 1986, Wichmann 2000). Diese Tendenz lässt sich auch für die Sprachdaten der vorliegenden Untersuchung teilweise bestätigen. Dennoch können beträchtliche regionale Unterschiede für die tatsächliche phonetische Ausprägung der Fallbewegung und ihre Assoziation mit der akzentuierten Silbe beobachtet werden.9 ‚Weiterweisung‘ als zweites Glied der Funktionsopposition repräsentiert das Gegenteil des Abschlusses und wird zur Ankündigung der Fortsetzung von ausgedehnteren Gesprächsaktivitäten eingesetzt, die vom Sprecher auf eine Länge von zwei oder mehr Intonationsphrasen konzipiert wurden. So kann u.a. angekündigt werden, dass ein Gesprächsbeitrag, eine Erzählung, ein Argumentationsstrang oder eine Sachverhaltsdarstellung, ein Thema oder ein Subthema noch nicht zu Ende ist (‚Progredienz‘, von Essen 1964; ‚continuation‘, Delattre/Poenack/Olsen 1965; Pierrehumbert/Hirschberg 1990; ‚Turnhalten‘, Selting 1995a:182ff.). Weiterweisende Intonationsphrasen dienen dem Sprecher zur Sicherung des Rederechts in längeren Turns (mindestens zwei IPs) und zur Konstruktion thematischer Kohärenz. In der Perspektive des Gesprächspartners werden solche IP-Folgen so interpretiert, dass kein Sprecherwechsel erwartet oder erwünscht ist. Weiterweisung, wie sie hier verstanden wird, gehört damit zu den Kohäsionsmitteln10 der gesprochenen Sprache. Während also die Abschlussfunktion stärker abgrenzend wirkt, ist die Aufgabe der Weiterweisung, Kohäsion zwischen Intonationsphrasen eines Redebeitrags herzustellen (Couper-Kuhlen 1983, Gilles 2001a). Dieser Funktionskomplex wird übereinzelsprachlich überwiegend mit einem final steigenden oder fallend-steigenden Intonationsverlauf realisiert (vgl. Cruttenden 1981, Bolinger 1978, Chafe 1988).
9
10
Vgl. Delattre (1965:27) zu sprachspezifischen Unterschieden der finalen Fallbewegung: „Finality is mainly falling in all four languages [i.e. Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch; PG]. But how differently in each one!“. Zur Kohäsion vgl. Halliday/Hasan 1976, Stark 2001. Kohäsive Mittel dienen u.a. dazu, Akzentsequenzen zu einer (holistischen) Intonationsphrase zusammenzuführen oder IPs nahtlos aneinander anzuschließen (schneller Vorlauf). Weiterhin fördern Pronominalisierungen, Anaphern, pragmatische Präsuppositionen u.ä. die Kohäsion auf der syntaktischen und pragmatischen Ebene.
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Funktionen der Intonation
Die beiden Funktionskomplexe weisen Ähnlichkeiten zu den abstrakten funktionalen Kategorien CLOSED und OPEN auf, wie sie von Cruttenden (1981, 1997, 2001) eingeführt wurden. Ausgehend von der Beobachtung, dass Intonation auf mehreren linguistischen Strukturebenen funktionale Relevanz besitzt, wird in diesem Entwurf eine übergeordnete Funktionsebene postuliert. In den beiden antithetischen Funktionskategorien CLOSED und OPEN werden die funktionalen Gemeinsamkeiten von lexikalischen,11 grammatischen, diskursiven und attitudinalen Funktionen zusammengefasst. Diese abstrakten Funktionskategorien sind auf der Formseite mit fallenden (CLOSED) bzw. (fallend-)steigenden Intonationskonturen (OPEN) assoziiert, so dass sich auf diese Weise für das Intonationssystem eine feste, jedoch abstrakte Funktions-Form-Zuordnung ergibt. Der Zusammenhang zwischen lexikalischen, grammatischen, diskursiven und attitudinalen Funktionen und den zugehörigen Intonationsverläufen ist in der folgenden Übersicht dargestellt. Zuordnung von Funktionen zu intonatorischen Formen (nach Cruttenden 1981: 81)
lexical grammatical discoursal discoursal discoursal attitudinal attitudinal
Falls Reinforcing Statement Finality Closed-Listing Conducive Statement Dogmatic ¯ CLOSED
Rises ¬ intonatorische Form Limiting Question Continuity Open-Listing Non-Conducive Statement with reservations Conciliatory ¯ OPEN ¬ abstrakte Funktion
Aus der Liste der Funktionen ist ersichtlich, dass hier Funktionen vereinigt sind, die einen gemeinsamen ‚semantischen Kern‘ aufweisen. So ähneln z.B. die grammatischen Funktionen ‚Statement‘ und ‚Question‘ den diskursiven Funktionen ‚Finality‘ bzw. ‚Continuity‘.12 In diesen abstrakten Funktionen von Cruttenden ist unschwer die hier vorgeschlagene Distinktion ‚Abschluss‘-‚Weiterweisung‘ wiederzuerkennen. Der methodische Nachteil von Cruttendens Entwurf liegt allerdings darin, dass an die beiden Funktionskomplexe von vornherein bestimmte Intonationskonturen bzw. Klassen von Intonationskonturen gebunden sind, d.h. die Funktion-Form-Zuordnung ist fi11
12
Als lexikalisch bedingte Intonationsunterschiede analysiert Cruttenden Fälle von semantisch ähnlichen Lexempaaren, die unterschiedliche Intonationsverläufe tragen. So ist der Intonationsverlauf auf know (in bestimmten Kontexten) fallend, so dass dieses Verb aufgrund seiner „REINFORCING nature” (Cruttenden 1981: 80) zur Kategorie CLOSED gehört. Andererseits gehört das Verb think aufgrund seiner „doubt or LIMITING nature” (ebd.) zur Kategorie OPEN und wird mit fallend-steigendem Verlauf intoniert. Zu ähnlichen Zuordnungen kommt auch die Satzmodus-Forschung (vgl. Altmann/Batliner/Oppenrieder 1989).
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Einleitung
xiert und existiert bereits vor der eigentlichen Analyse. Die Zuweisung der konkret in einem Korpus vorfindlichen intonatorischen Formen zu den beiden Kategorien erfolgt „[i]ntuitively (judging both formally and functionally)“ (Cruttenden 2001: 57). Neben dem problematischen Vorgehen, intonatorische Funktionen, intuitiv zu bestimmen, birgt dieser Ansatz darüber hinaus eine gewisse Zirkularität: Da die Zuordnung einer Diskursfunktion zur intonatorischen Gestaltung bereits vor der eigentlichen Analyse geleistet ist, kann eine ‚vorurteilsfreie‘ Analyse einer Varietät schwerlich durchgeführt werden. Dass die Zuordnung von Funktion und Form nicht unumstößlich fixiert ist, gesteht Cruttenden (2001) implizit in seiner Beschreibung der Intonation des Englischen von Manchester ein. In dieser Varietät finden sich nämlich steigende Intonationsverläufe in IPs, die zur CLOSED-Kategorie zählen, obwohl gemäß obiger Zusammenstellung hier eigentlich fallende Verläufe zu erwarten wären. Vor dem Hintergrund dieser Kritik an Cruttendens abstrakten Funktionskomplexen wird deutlich, dass es für die angestrebte explorative Untersuchung notwendig ist, konversationelle Funktionen als Vergleichsgrundlage zu verwenden. Diese Funktionen sind jedoch nicht a priori mit bestimmten intonatorischen Formen assoziiert. Vielmehr müssen die Funktions-Form-Korrelationen für jede Varietät zunächst unter Vermeidung einer zirkulären Vorgehensweise bestimmt werden. Das dazu erforderliche methodische Vorgehen wird in Kap. 2.1 ausführlich dargestellt.
1.4 Forschungen zur regionalen Variation der Intonation Die am Beginn dieser Studie angeführten Zitate von Otto Bremer, Adolf Socin und Otto Jespersen belegen, dass in der älteren Sprachwissenschaft und Phonetik schon immer ein Bewusstsein für die regionale Variabilität im Bereich der Prosodie bestand. Dennoch wird der Prosodie im Vergleich zur segmentalen Phonetik/Phonologie nur marginales Interesse entgegengebracht. Dies zeigt sich z.B. bei den dialektologischen Ortsmonographien, in denen nach einem festen Schema Laut- und Formenlehre bestimmter Dialekte vorgestellt werden. Während die rezenten Entsprechungen der historischen Vorgängerphoneme und teilweise auch die Morphologie ausführlich dargestellt werden, bleibt die Prosodie weitgehend ausgeklammert. Wenn ein Prosodie-Kapitel überhaupt vorhanden ist, dann werden dort überwiegend Aspekte des Wortakzents behandelt. Ausführlichere Darstellungen zur Satzintonation sind eher selten, sie finden sich z.B. in den Arbeiten von Meynen (1911) zu Homberg (heute ein Stadtteil von Duisburg) und Bräutigam (1934) zu Mannheim. In diesen Ausführungen zur Satzintonation werden jedoch in einer eingeengten Perspektive lediglich para- und extralinguistische Funktionen diskutiert, wie z.B. die Beteiligung der Intonation am Ausdruck von Emotionen. Die zentralen gesprächsorganisatorischen Funktionen der Intonation werden in diesen Arbeiten nicht thematisiert bzw. waren noch nicht als solche identifiziert.
Forschungen zur regionalen Variation der Intonation
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Die Gründe für die stiefmütterliche Behandlung der regionalen Variabilität der Intonation innerhalb der Dialektologie sind vielfältig. In der germanistischen Sprachwissenschaft dominierte bis weit in das 20. Jh. hinein das historisch-vergleichende Paradigma. Da die Rekonstruktion der segmentellen Struktur älterer Sprachstufen anhand von Textzeugnissen im Vordergrund stand, blieb die Intonation systematisch ausgespart, da sie in Texten keine graphische Markierung erfährt.13 Im Gegensatz zur segmentalen Phonologie, für die schon früh alphabetische Transkriptionssysteme zur Verfügung standen, fand die Entwicklung von adäquaten Transkriptionsverfahren für die Intonation erst viel später statt. Dazu kommt, dass die Durchführung der notwendigen akustisch-phonetischen Analysen bis in die 1980er Jahre hinein mit einem hohen technischen Aufwand verbunden war. Bedingt dadurch erfolgte die Intonationsbeschreibung überwiegend auditiv; akustische Messungen konnten nur für kleinere Datenmengen durchgeführt werden. Erst durch die Verfügbarkeit und einfache Handhabbarkeit von validen Verfahren zur Ermittlung der Grundfrequenz und der Entwicklung einer eigenständigen tonologischen Komponente konnte nicht nur die Intonationsforschung im Allgemeinen sondern auch die dialektologisch ausgerichtete Forschung neue Impulse erhalten. Im Folgenden wird ein chronologischer Abriss der Forschung zur regionalen Intonation des Deutschen gegeben. Neben den konkreten Ergebnissen liegt der Schwerpunkt der Darstellung auf methodischen Aspekten. 1.4.1 Frühe Arbeiten Bremer (1893), Sievers (1912) Erste Aussagen zur Intonation der deutschen Dialekte finden sich bei Otto Bremer und Eduard Sievers. Nach Bremer (1893) lässt sich im deutschen Sprachgebiet ein Nord-Süd-Gegensatz feststellen. Demnach trägt im norddeutschen Gebiet „die starkbetonte Silbe den Hochton“ (Bremer 1893: §§194, 196). Dagegen stellt er für den Südwesten eine entgegengesetzte Akzentuierung fest: Einen abweichenden Tonfall haben die schwäbisch-elsässisch-schweizerischen Mundarten. Hier hat die starkbetonte Silbe einen tieferen Ton als die neben- und schwachbetonte Silbe. (Bremer 1893: §196, Anm.)
Ohne auf Bremers Beobachtung Bezug zu nehmen, stellt Sievers (1912) seine kühne These der zwei entgegengesetzten Intonationssysteme auf. Auch in diesem Entwurf werden akzentuierte Silben (‚Nachdrucksilben‘) im Norden durch ‚Erhöhung des Tones‘ und im Süden durch ‚Vertiefung‘ markiert. Es wäre an sich recht wohl denkbar, dass die heutzutage im Süden weit verbreitete Art der Betonung, welche die Nachdrucksilben tiefer legt als die unbetonten, auch ihrerseits eine altüberlieferte Form ist. Dort wird dann die Vertiefung des Tons als eine Auszeich13
Doch vgl. hierzu Mihm (2002), der eine konsistente schriftsprachliche Markierung der mittelfränkischen Tonakzente (vgl. S. 72) in einer Kölner Handschrift des 15. Jh. herausarbeitet.
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nung empfunden. Für das Prinzip aber ist es gleichgültig, wie die Auszeichnung zustande kommt, ob durch Erhöhung des Tones, wie im Norden und in der Bühnensprache, oder durch Vertiefung, wie im Süden. (Sievers 1912: 10, Anm. 1) Wir finden im deutschen Sprachgebiet zwei scharf getrennte Lager. Das eine melodisiert dann in dem einen, das andere in genau umgekehrtem Sinne. Oder, wo bei der einen Gruppe von Lesern hohe Tonlage herrscht, wendet die andere Gruppe tiefe Tonlage an, wo die eine Gruppe die Tonhöhe steigen lässt, lässt die andere sie sinken, und umgekehrt. [...] Diese Umlegung der Melodien, [...] beruht nämlich einfach darauf, dass im Deutschen überhaupt zwei konträre Generalsysteme der Melodisierung einander gegenüberstehen, auch in der einfachen Alltagsrede. Diese Systeme wiederum sind landschaftlich geschieden. [...I]m ganzen herrscht das eine Intonationssystem im Norden, das andere im Süden des deutschen Sprachgebietes, während das Mittelland in sich mehrfach gespalten ist. Man kann daher die beiden Systeme vorläufig wohl als das norddeutsche und das süddeutsche bezeichnen. (Sievers 1912: 62f.)
Nach Sievers stehen sich das norddeutsche und das süddeutsche Intonationssystem einander gegenüber, woraus sich ‚konträre Generalsysteme‘ ergeben. Das Mitteldeutsche hat in dieser Sichtweise als ein Übergangsgebiet zu gelten, in dem sich beide Melodisierungen finden. Sievers‘ sehr pauschale Angaben beziehen sich auf das Tonhöhen-Verhältnis der betonten zu den unbetonten Silben. Aus der Hochlage der betonten Silbe und der Tieflage der unbetonten Silbe resultiert eine fallende Bewegung, während die Tieflage der betonten Silbe und die Hochlage der unbetonten Silben zu einer Anstiegsbewegung führt. Die Intonationskonturen des Norddeutschen stehen damit in einem spiegelbildlichen Verhältnis zu ihren süddeutschen Entsprechungen und sind wechselseitig voneinander herleitbar: Im hypothetischen Beispiel in Abb. 3 stünde demnach einem nördlichen fallend-steigenden Verlauf ein steigend-fallender Verlauf im Süden gegenüber.
Norden
Süden
Abb. 3 Schematische Darstellung von Eduard Sievers These der ‚konträren Generalsysteme der Melodisierung‘
Abgesehen davon, dass sowohl Bremer als auch Sievers die empirische Überprüfung ihrer (radikalen) Thesen schuldig bleiben, ist unklar, worauf sich die Umlegung der Melodien tatsächlich bezieht. Ist davon der gesamte Konturverlauf, nur die nukleare Kontur oder nur die Akzentsilbe betroffen? Im Verlauf der vorliegenden Untersuchung wird sich die Gelegenheit bieten, die Sieverssche These zu überprüfen. Es dürfte schon von einer oberflächlichen Sichtweise heraus evident sein, dass eine
Forschungen zur regionalen Variation der Intonation
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vollständige Umlegung aller tonalen Relationen einer Intonationskontur sicherlich nicht angenommen werden kann. Waiblinger (1925) In Waiblingers kleiner Studie zum ‚Tonfall deutscher Mundarten‘ werden geradezu exemplarisch die methodischen Schwierigkeiten der regionalen Intonationsforschung sichtbar. Zur Illustration regionaler Unterschiede werden mittels des Kymographions Aufnahmen von 22 Dialektsprechern aus verschiedenen deutschen Regionen erstellt. Die Datenbasis besteht aus kurzen, isolierten Einzelsätzen: „Jeder Sprecher suchte sich eigene Sätze aus, die er aus seinem Lebenskreise heraus erfand. So war von vornherein die Gewähr geboten, dass jeder seinen Text unbefangen und mit innerer Anteilnahme sprach“ (Waiblinger 1925:43). Das Korpus enthält neben Aussagesätzen (‚Háide fáhrn mer von Láipzch nach Dräsn in gút zwee Schdunn.‘, Sächsisch), emotional gefärbten Ausrufen (‚Das ist wúnderbar!‘, Hamburgisch), Grußformeln (‚Godn Dág, Fritzn!‘, Mecklenburgisch) überwiegend Fragen (‚Gósch mit, Sepp?‘, Schwäbisch; ‚Wie gáet di dat?‘, Ostpreußisch). Die Datenmenge ist damit äußerst heterogen, sowohl in Bezug auf die Akzentstrukturen und Silbenzahlen der Akzenttöne als auch in Bezug auf die konversationellen Funktionen der Äußerungen. Problematisch ist insbesondere die vollständig kontextfreie Realisierung der Äußerungen. Diese aus heutiger Sicht beliebige Datenzusammenstellung reflektiert die in der älteren Dialektologie nicht selten anzutreffende Meinung, dass die Intonation keine ausgeprägt linguistische Funktion besitzt, sondern überwiegend zum Ausdruck von Emotionen dient. Vor diesem Hintergrund könnte die Intonation praktisch an jeder beliebigen Äußerung untersucht werden. Übertragen auf die regionale Variation bedeutet das für Waiblinger: „Dialektische Eigenart im tonischen Ausdruck ist nicht auf besondere Auffassung des Tonischen, sondern auf landschaftliche Unterschiede der Gemütslage, der Sprechstimmung zurückzuführen“ (Waiblinger 1925:44). Die Melodielinien der einzelnen Äußerungen werden in Graphiken mit Halbtonskalierung dargestellt, wobei Realisierungen aus mehreren Dialekten gruppiert werden. Aufgrund der geringen Datenmenge kann es sich bei den Darstellungen nur um Illustrationen handeln. Inwieweit die Melodien überhaupt charakteristisch für eine Region sind, kann nicht entschieden werden. Die Gruppierung der Melodien ist nicht (mehr?) nachvollziehbar: Es werden sowohl formale Kriterien (‚Haupttonsilbe liegt höher als die anderen Silben‘) als auch funktionale Kriterien angeführt, die teilweise sogar vermischt werden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Waiblinger keine eindeutigen Ergebnisse oder auch nur regionale Präferenzen ermitteln kann. Vielmehr wird eine Vielzahl von verschiedenen Verläufen festgestellt, ohne dass sich eine regionale Systematik abzeichnet. So weisen z.B. Fragen auch innerhalb einer Varietät keinen einheitlichen Verlauf auf und können entweder steigend oder fallend realisiert werden.
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Zur Illustration sind in Abb. 4 zwei Verläufe für das Sächsische und Schwäbische wiedergegeben: ‚Háide fáhrn mer von Láipzch nach Dräsn in gút zwee Schdunn.‘ (‚Heute fahren wir von Leipzig nach Dresden in gut zwei Stunden.‘) vs. ‚Hent ihr sonnscht kóI)Ñ Aerbet als en alda Má) z‘ärgeret?‘ (‚Habt ihr sonst nichts zu, als einen alten Mann zu ärgern?‘). Problematisch ist zunächst, dass hier unzulässigerweise ein Aussagesatz mit einer (rhetorischen) Frage verglichen wird.
Abb. 4 Intonationsverläufe des Sächsischen und Schwäbischen (halbtonskaliert; aus Waiblinger 1925: 44)
Für das Sächsische (durchgezogene Linie) werden tiefe Akzentsilben festgestellt, die mit Punkten symbolisiert werden. Alle unbetonten Silben liegen damit höher als die betonten. Umgekehrt soll es sich beim Schwäbischen verhalten (gepunktete Linie): Hier liegen alle Akzentsilben hoch und die unbetonten tief. Dieser Kontrast zwischen der Tieflage im Sächsischen und der Hochlage im Schwäbischen stünde im diametralen Gegensatz zur oben vorgestellten Sieversschen Annahme. Wie die Untersuchungen zum verwandten Dresdnerischen und Freiburgischen in Kap. 4.1 und 4.4 zeigen werden, ist die Verteilung von ‚tiefen‘ und ‚hohen‘ Akzentsilben tatsächlich umgekehrt. Es ist daher fraglich, ob die Intonationsverläufe von Waiblinger tatsächlich korrekt erfasst und beschrieben wurden. Darüber hinaus weist diese Art der formalen Analyse des Intonationsverlaufs weitere Probleme auf: In der Bestimmung der Tonlagen bleibt die Dynamik des Verlaufs in und um die Akzentsilbe herum unklar: Werden die Akzentsilben tatsächlich durchgängig tief bzw. hoch realisiert oder handelt es sich vielmehr um ansteigende bzw. fallende Verläufe? Berücksichtigt ist ebenfalls nicht, wo die Prominenzzentren der Akzentsilben liegen. So ist es z.B. durchaus möglich, dass eine Akzentsilbe zwar tief beginnt, dass aber aufgrund eines schnellen Anstiegs dennoch ein Hochton wahrgenommen wird. Ohne eine exakte Analyse der Dynamik des Verlaufs in der Akzentsilbe lässt sich diese Frage nicht beantworten. Insgesamt handelt es sich bei Waiblingers Untersuchung aus heutiger Sicht um ein nicht nachahmenswertes Beispiel für die vollständige Vernachlässigung von formalen und funktionalen Aspekten der Intonation. Daraus können aber gleichzeitig
Forschungen zur regionalen Variation der Intonation
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die methodischen Anforderungen an die adäquate Analyse von (regionaler) Intonation abgeleitet werden: Intonation kann nicht losgelöst von der konversationell-funktionalen und der formalen Ebene analysiert werden. Notwendig ist vielmehr eine ausführliche Differenzierung nach konversationellen Funktionen und die genaue Analyse der lokalen intonatorischen Parameter (Akzent- und Grenztongestaltung). In einem weiteren Analyseschritt können beide Ebenen korreliert werden, um zu einer (möglicherweise regionalspezifischen) Funktion-Form-Zuordnung zu gelangen. Martens (1952) Die Arbeit von Martens ist die erste Untersuchung zu den deutschen Regionalvarietäten, die auf einer umfangreichen Datenbasis und einer wohlüberlegten Methodik beruht. Ziel der kontrastiven Analyse ist es, die charakteristischen Merkmale der Hamburger und der Münchner Umgangssprache herauszuarbeiten. Die Datengrundlage bilden Aufnahmen eines für den Untersuchungszweck konstruierten, fiktiven Dialogs, der von insgesamt 19 Versuchspersonen aus Hamburg und München vorgetragen und aufgezeichnet wurde. Durch die Verwendung des konstruierten Vorlese- bzw. Vortragstexts sollte einerseits eine gewisse Natürlichkeit und Dialogizität und andererseits die Vergleichbarkeit der Datengrundlage für alle Versuchspersonen gewährleistet werden. Bei dieser Form der Datenerhebung bleibt es jedoch fraglich, ob durch die Vorgabe eines einheitlichen Textes ein spontanes Gespräch elizitiert werden kann. Den forschungsgeschichtlichen Hintergrund der Untersuchung bildet im Wesentlichen Sievers‘ Annahme unterschiedlicher intonatorischer ‚Generalsysteme‘ in den norddeutschen und süddeutschen Dialekten. In der Kontrastierung der hamburgischen mit der münchnerischen Umgangssprache sollten sich dann intonatorische Merkmale der beiden Generalsysteme und auch die ‚Umlegung der Melodien‘ (Sievers 1912: 63) herauskristallisieren. Die erhobenen Sprachdaten werden zunächst in ‚Einheiten‘ (= Intonationsphrasen) segmentiert. Die Einheiten werden weiterhin danach eingeteilt, ob sie ‚sinninhaltlich abschließend‘ oder ‚sinninhaltlich weiterweisend‘ fungieren. Diese Einteilung basiert auf der syntaktisch-semantischen Struktur der jeweiligen Einheit: Alle deklarativen Sätze und auch Teilsätze wurden als abschließend eingestuft und alle Fragen als weiterweisend. Damit ist die Anzahl der abschließenden Einheiten viel höher als die der weiterweisenden. Syntaktisch motivierte Weiterweisung (etwa durch vorangestellte Nebensätze) und auch pragmatisch motivierte Weiterweisung werden in diesem Ansatz nicht berücksichtigt. Zur Datenauswertung wurde zunächst eine auditive Bestimmung der Lage der ‚Haupt-‘ und ‚Nebenhervorhebung‘ vorgenommen. Dann wurden innerhalb der Einheit die Tonhöhen aller Silben (haupt-, neben-, unbetont) mit auditiv-phonetischen Methoden bestimmt. Die auditiven Messergebnisse wurden mit akustisch-phonetischen Messmethoden kontrolliert (Tonhöhenschreiber). Ganz zu-
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recht argumentiert Martens, dass diese absoluten Tonhöhen für eine Analyse nur bedingt geeignet sind, daher werden die Relationen zwischen den Tonhöhen innerhalb einer Phrase in den Vordergrund gestellt. Dazu werden die ermittelten absoluten Tonhöhen in relative konvertiert, indem der Vierteltonabstand ausgehend von einem gesetzten Nullpunkt bestimmt wird. Dieser Nullpunkt entspricht dem tiefsten vom Sprecher verwendeten Ton (‚Grundton‘). Durch diese Konvertierung können nun nicht nur die Relationen zwischen einzelnen Tonhöhen eines Sprechers ermittelt werden, sondern auch Vergleiche zwischen Sprechern bzw. den Umgangssprachen angestellt werden. Das intonatorische Merkmal, das Martens zum Vergleich der beiden Umgangssprachen heranzieht, betrifft das Verhältnis der Tonhöhe zwischen der Haupt- und der Nebenhervorhebung: An Sätzen wie z.B. die bedIenung ist denkbar EINfach wird untersucht, ob die Haupthervorhebung (EIN) im Vergleich zu der vorausgehenden Nebenhervorhebung (dIe) tiefer oder höher liegt. Mit diesem Merkmal wird damit eine globale Eigenschaft der Intonationsphrase und weniger der tatsächliche Intonationsverlauf auf einem Akzent oder einer Konstituente der IP (z.B. dem Nukleus) erfasst. Die Messergebnisse werden über das Gesamt der abschließenden bzw. weiterweisenden Phrasen gemittelt. Als wichtigste Ergebnisse haben zu gelten: Der Hauptakzent liegt bei abschließenden Einheiten im Verhältnis zum vorausgehenden Nebenakzent im Hamburgischen durchschnittlich 2 Vierteltöne höher. Im Münchnerischen dagegen liegt die Haupthervorhebung bei gleichen Bedingungen durchschnittlich um 3 Vierteltöne tiefer. Bei weiterweisenden Einheiten ist es umgekehrt: Der Hauptakzent liegt im Verhältnis zum vorausgehenden Nebenakzent im Hamburgischen um 3 Vierteltöne tiefer, während er im Münchnerischen um 6 Vierteltöne höher liegt. Ein Beispiel für diese regional unterschiedlichen Verhältnisse zwischen Nebenund Haupthervorhebung ist in Abb. 5 wiedergegeben. Der Teilsatz drEht man einen SCHALter wird hier in beiden Städten mit einer fallenden Kontur realisiert. Im Hamburgischen (durchgezogene Linie) ist der nukleare Akzent auf SCHAL um 4,5 Vierteltöne höher als der pränukleare Akzent auf drEht. Im Münchnerischen dagegen liegt die Nukleussilbe um 5,7 Vierteltöne tiefer als der pränukleare Akzent. Aus dem Kontrast zwischen der Hochlage im Hamburgischen und der Tieflage im Münchnerischen leitet Martens zunächst ab, dass die Sieverssche Hypothese der zwei intonatorischen ‚Generalsysteme‘ korrekt ist. In der Umkehrung der Tonhöhenrelationen bei den weiterweisenden Einheiten sieht Martens die ebenfalls auf Sievers zurückgehende ‚Umlegung der Melodien‘ bestätigt. Trotz des innovativen Ansatzes und der methodischen Stringenz weist Martens‘ Arbeit dennoch einige Probleme auf: Die Datenbasis, bestehend aus fiktiven, inszenierten Dialogen gewährleistet zwar ein hohes Maß an Vergleichbarkeit, dennoch haftet ihr ein gewisses Maß an Künstlichkeit an, so dass fraglich ist, ob tatsächlich natürliche Gespräche aufgezeichnet wurden. Die Untersuchung basiert nur auf zwei Städten. Es konnte zwar gezeigt werden, dass die Sieverssche Hypothese
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Forschungen zur regionalen Variation der Intonation Ha.
Mü. 30
+ 24 =
=
+
20
10
0 dreht =
man .
ei.
-nen .
Schal+
-ter .
Abb. 5 'Durchschnittskontur' für den Teilsatz dreht man einen Schalter im Hamburgischen (durchgezogene Linie) und Münchnerischen (gestrichelte Linie) nach Martens (1952:293); die Haupthervorhebung ist mit '+', die Nebenhervorhebung ist mit '=' markiert; die Skalierung der Tonhöhe (rechts) erfolgt in Vierteltönen
auf diese Städte zutrifft, für eine Übertragung auf das ‚Norddeutsche‘ und das ‚Süddeutsche‘ ist dies jedoch nicht ausreichend. Schwer wiegender ist jedoch, dass die Ergebnisse nur für einen bestimmten Phrasentyp gelten: Die erwähnten Tonhöhenrelationen lassen sich nur unter spezifischen Bedingungen beobachten, nämlich erst dann, wenn eine Einheit (mindestens) zwei Akzente enthält. Die Ergebnisse betreffen damit ein globales Gestaltungsmerkmal der Intonationskontur, aus dem keine Aussagen über die Gestaltung eines einzelnen Akzents abgeleitet werden können. Da immer nur die Relation zwischen zwei Akzenten erfasst wurde, können streng genommen eigentlich keine isolierten Aussagen über den nuklearen Akzent aufgestellt werden. So kann z.B. das relationale Merkmal nicht für Phrasen angewendet werden, die nur einen, nämlich den nuklearen Akzent aufweisen. In natürlichen Gesprächen sind jedoch Phrasen mit einem Akzent überaus häufig, und es kann angenommen werden, dass regionalspezifische Unterschiede auch bei solchen Phrasen vorkommen können. Mit der von Martens gewählten Methodik können diese Unterschiede nicht erfasst werden. Nicht berücksichtigt wurde weiterhin, dass der pränukleare Akzent ja ebenfalls in seiner Lage variieren kann und mitnichten, quasi als Fixpunkt, immer auf der gleichen Höhe liegt. Gerade im Hamburgischen existiert eine Kontur, die durch extra-hohe Tonhöhe am Phrasenbeginn gekennzeichnet ist (Auer 2001). Fast zwangsläufig liegt dann der folgende nukleare Akzent tiefer – und diese Tonhöhenrelation entspräche nach Martens eher dem Münchnerischen als dem Hamburgischen. Der pränukleare Akzent kann darüber hinaus nicht nur in seiner Höhe variieren, sondern auch ansteigend realisiert werden, wodurch die charakteristische ‚Hutkontur‘ mit der Tonfolge L*+H … H*+L entsteht (Féry 1993). Es bleibt unklar, ob Martens für solche im Deutschen häufig anzutreffende Konturen eine tiefe oder eine hohe Nebenhervorhebung angesetzt hat. Insgesamt ist also die Interaktion zwi-
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schen einer pränuklearen Nebenhervorhebung und der nuklearen Haupthervorhebung beträchtlich komplexer, so dass durch eine einfache Tonhöhenrelation nur ein Teil der möglichen Variation erfasst werden kann. Die funktionale Komponente ist nur rudimentär ausgebaut. Die Kriterien für ‚sinninhaltliche(n)‘ Abschluss bzw. Weiterweisung erscheinen ad-hoc und sind nicht immer nachvollziehbar. So wird z.B. in der Konstruktion Es gibt jetzt einen Elektromotor, den kann man in jedes Fahrrad einbauen. der erste Teilsatz als abschließend gewertet, obwohl hier lediglich thematisches Material geäußert wird und das Rhema des Satzes erst im folgenden abhängigen Hauptsatz angeführt wird. Der erste Teilsatz ist vielmehr mit seiner präsentativen Verbalkonstruktion ‚es gibt …‘ fast zwingend auf eine Fortsetzung angewiesen. Aus pragmatischen Gründen macht es daher keinen Sinn, an der Teilsatzgrenze einen Abschluss anzunehmen. Da an die Unterscheidung von ‚abschließend‘ und ‚weiterweisend‘ auch die radikale Umlegung der Tonhöhenverhältnisse geknüpft ist, führt natürlich die nicht korrekte Zuordnung zu der einen oder anderen Kategorie dann in der Berechnung der durchschnittlichen Tonhöhenrelationen zu verzerrenden Fehlern. Trotz dieser Kritikpunkte hat die Untersuchung als ein Meilenstein der älteren Intonationsforschung zu gelten, da hier zum ersten Mal mit einer nachvollziehbaren Methodik regionale Kontraste herausgearbeitet werden konnten. Gericke (1963) In Gerickes Studie zur Intonation der Leipziger Umgangssprache werden regionalsprachliche Unterschiede im Kontrast zum Standarddeutschen untersucht. Dazu werden zunächst erzählende Aufnahmen von drei Leipziger Sprechern erstellt („Die gesprochenen Texte sind vor dem Mikrofon spontan entstanden.“ Gericke 1963: 344). Um die Vergleichbarkeit mit dem Standarddeutschen herzustellen, wurden diese (transkribierten) Originalerzählungen von Berufssprechern nachgesprochen, „unter der Bedingung, dass Lage und Position des Hauptakzentes beizubehalten waren“ (Gericke 1963: 344). Ob jedoch dieses Nachsprechen als ‚natürlich‘ bezeichnet werden kann, darf angezweifelt werden. Wie bei Martens wird eine Einteilung in abschließende und weiterweisende ‚Sprecheinheiten‘ (= Intonationsphrasen) vorgenommen, allerdings wird diese Einteilung „nicht nach dem Sinngehalt gefällt“ – funktionale Kriterien kommen damit nicht zur Anwendung. Alternative Einteilungskriterien werden allerdings nicht expliziert. Es ist anzunehmen, dass eine rein formale Differenzierung vorgenommen wurde: Demnach sind final fallende Einheiten abschließend und final ansteigende Einheiten weiterweisend. Gerickes Untersuchung ist eine der ersten, die in größerem Umfang von der akustisch-phonetischen Analyse Gebrauch macht (Tonhöhenschreiber nach Grützmacher & Lottermoser), um den Unzulänglichkeiten der rein auditiven Analyse zu begegnen. In der Auswertung wird zwischen der ‚Silbenintonation‘ und der ‚Satzmelodie‘ unterschieden: Unter Silbenintonation wird die Dynamik auf den haupt-,
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neben- oder unbetonten Silben verstanden, wohingegen durch die Satzmelodie globale Verlaufsstrukturen der Sprecheinheit beschrieben werden. Die Silbenintonation der Hauptakzente des Leipzigerischen ist generell durch Hochlage gekennzeichnet. Die zahlreichen Beispiele in Gerickes Publikation machen damit deutlich, dass Waiblingers (1925) und von Essens (1940) Annahme einer tiefen Akzentsilbe im Sächsischen nicht korrekt sein kann. Der Hauptakzent ist weiterhin durch eine steigend-fallende Bewegung gekennzeichnet, während die Berufssprecher hier eher rein steigende oder fallende Verläufe verwenden. Im Bereich der Satzmelodie ist die geringe ‚Lösungstiefe‘ abschließender Einheiten ein spezifisch leipzigerisches Merkmal: Während die Berufssprecher eine lineare Fallbewegung bis in den unteren Bereich ihres Stimmumfangs ausführen, fällt die Intonation bei Leipziger SprecherInnen nur bis etwa zur Hälfte des zur Verfügung stehenden Stimmumfangs (sog. ‚Halbschluss‘). Es ist das Verdienst von Gericke, die dialektologische Intonationsforschung durch die umfängliche Anwendung akustisch-phonetischer Verfahren auf ein solides empirisches Fundament gesetzt zu haben. Kritisch zu hinterfragen sind dennoch zwei Aspekte: Erstens ist durch die Art der Datenerhebung nicht sichergestellt, dass tatsächlich natürliche Sprachdaten erhoben wurden. Zweitens werden die Funktionen der Intonation nicht hinlänglich expliziert bzw. ohne genauere Angabe der Kriterien in abschließende und weiterweisende Einheiten eingeteilt. Schädlich/Eras (1970) Explizit dialektgeographische Studien zur Intonation sind kaum vorhanden. Ein Versuch wurde von Schädlich/Eras (1970) für das Gebiet der damaligen DDR unternommen. Dazu ließen die Autoren den Fragesatz ‚Willst du nicht mit mir gehen?‘ in 440 Aufnahmeorten in die jeweiligen Dialekte übersetzen. An intonatorischen Merkmalen wurden die Lage und Qualität der Hauptakzentsilbe (bestimmt mit Hilfe der ‚Tonbruchstelle‘; vgl. Isacenko/Schädlich 1966) und der ‚Satzschluss‘ auditiv-phonetisch ausgewertet. Das Ziel der Studie war es, die von Sievers aufgestellte These der beiden intonatorischen Generalsysteme zu verifizieren; allerdings kann die These im gewählten Untersuchungsgebiet gar nicht wirklich überprüft werden, da oberdeutsche Varietäten nicht berücksichtigt wurden. „Im Niederdeutschen überwiegen die Belege für Tieflage der Akzentsilbe, im Mitteldeutschen dagegen für Hochlage (in beiden Fällen im Verhältnis 2:1)“ (Schädlich/Eras 1970: 974). Beim Satzabschluss dominiert im niederdeutschen Gebiet fast durchgängig der finale Anstieg; zwar dominiert im mitteldeutschen Gebiet auch der finale Anstieg, allerdings „zeigt beinahe die Hälfte der Belege fallenden Satzschluss“ (Schädlich/Eras 1970: 794). Insgesamt ist also die Variation bei den beiden untersuchten Merkmalen beträchtlich, so dass sich keine eindeutige dialektgeographische Verteilung annehmen lässt. Dennoch werden die Ergebnisse als eine Bestätigung der Sievers-These gewertet. Die Ursache für die hohe Variation ist sicherlich in der Aufnahmetechnik begründet: Die kontextfreie Übersetzung einer hochdeutschen
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Einleitung
Frage in den Dialekt entspricht nun einmal nicht der konversationellen Einbettung einer ‚echten‘ Frage. Diesem methodischen Manko kann nur durch die Verwendung von natürlichem Sprachmaterial begegnet werden.14 Guentherodt (1971, 1973) Die Frageintonation steht auch im Zentrum der Arbeiten von Guentherodt (1971, 1973) zu den pfälzischen Dialekten. Zur Elizitierung der Frageintonation wurden die Testsätze in Frage-Antwort-Sequenzen eingebettet. Im Fragebogen wurde das jeweils zu fokussierende Wort markiert (Beispiele: ‚Wer weiß DAS? – DAS weiß er.‘, ‚Wer beZAHLT heute das Bier? – Er beZAHLT heute das Bier.‘). Damit haftet den Sequenzen ein hoher Grad an Künstlichkeit an. Die Erhebungen fanden in 62 Orten der Pfalz statt. Als Ergebnis konnte die bislang einzige intonatorische Isoglosse etabliert werden, die das Untersuchungsgebiet in ein nordöstliches und ein südwestliches Gebiet unterteilt. Im ersten Gebiet werden Fragen überwiegend mit final fallendem Verlauf realisiert, während das zweite Gebiet final steigenden Verlauf aufweist. Die Originaldaten von Guentherodt sowie weitere Daten zum Pfälzischen wurden unlängst von Peters (Ms.a) einer Re-Analyse unterzogen, die zu einer partiellen Modifikation der ursprünglichen Ergebnisse führt: Für das südpfälzische Gebiet sind nicht final steigende, sondern fallend-steigende Verläufe (Ergänzungsfragen) und auch steigend-fallende belegt (Entscheidungsfragen). Dieser gravierende Unterschied beruht darauf, dass in der Originalanalyse nur Belege berücksichtigt wurden, deren phrasenletzte Silbe gleichzeitig die nukleare Silbe ist. In diesen einsilbigen Nuklei sind die tonologischen Konturverläufe neutralisiert. Erst beim längeren Nuklei zeigt sich die zugrunde liegende Struktur der Kontur. * Bei allen Verdiensten dieser älteren Studien zur Dialektintonation offenbaren sich doch einige Schwächen: (1) Den Analysen liegen oft kontextfrei erhobene Sprachdaten, meist in Form von Einzelsätzen, zugrunde. Da eine der zentralen Funktionen der Intonation in der Gesprächsstrukturierung liegt, ist es unabdingbar, spontanes Gesprächsmaterial aus natürlichen Kommunikationssituationen zu verwenden. (2) Die Datenmenge, auf der die Untersuchungen basieren, ist teilweise zu gering. Es werden oft lediglich einzelne Belege analysiert, die dann als Prototypen einer ganzen Region gelten sollen. Da intonatorische Merkmale hohe Variabilität aufweisen können, ist es jedoch erforderlich, große Datenmengen auszuwerten. Durch 14
Der Beitrag ist in den Akten des 6. Internationalen Phonetikkongresses erschienen. Am Ende des Beitrags finden sich die Diskussionsbeiträge der Zuhörer des Vortrags. Interessanterweise wird dort bereits auf die nicht zu unterschätzende Problematik dieser Form der Datenerhebung hingewiesen („Da die Sätze nicht aus freier Erzählung vom Tonband ausgeschnitten sind, muss man mit künstlichem Sprechen rechnen.“; abgedruckt in Schädlich/Eras 1970: 796).
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die angewendeten auditiven und akustischen Auswertungsverfahren mangelt es den Analysen teilweise an Exaktheit und Detailliertheit. Angesichts der Fortschritte in der Verfügbarkeit und Handhabbarkeit akustisch-phonetischer Analysemöglichkeiten stellt dies heute kein Hindernis mehr dar. (3) Die formalen Analysekategorien sind nicht wohldefiniert: Zwar wurde schon früh die zentrale Realisierungsdomäne der Intonationsphrase (‚Sprecheinheit‘) erkannt, die nicht grundsätzlich ko-extensiv mit dem ‚Satz‘ ist, doch wurde nur rudimentär berücksichtigt, dass Intonationskonturen eine interne Strukturierung aufweisen, die sich in unterschiedlichen Akzent-, Phrasen- und Grenztönen, zeigt.. (4) Gravierend wirkt sich aus, dass kein tragfähiges Konzept der intonatorischen Funktionen entwickelt wurde. Es wurde zwar bald deutlich, dass Satztypen wie Aussagesatz, Entscheidungs- oder Ergänzungsfrage als grundlegende Analysekategorien nur partiell in Betracht kommen. Doch die zentralen gesprächsstrukturierenden Funktionen der Intonation wurden nicht erkannt. Mehr intuitiv als wohldefiniert und ohne genaue Kriterien für ihre Bestimmung anzugeben, haben Martens und Gericke die Funktionskomplexe ‚Abschluss‘ und ‚Weiterweisung‘ als Analysekategorien zugrunde gelegt. 1.4.2 Neuere Impulse Seit dem Beginn der 1980er Jahre hat die allgemeine Intonationsforschung deutliche Fortschritte gemacht. Möglich wurde dies durch feinere phonetische Analysemethoden, adäquate phonologische Beschreibungsverfahren und eine verstärkte Berücksichtigung der intonatorischen Funktionen bei der Gesprächsstrukturierung. Diese neuen Forschungsimpulse werden von der dialektologischen Intonationsforschung aufgegriffen und tragen seit etwa 1985 zu ihrer Revitalisierung bei. Die Forschungszentren, die durchaus unterschiedliche Zielsetzungen haben und auch in der Methodik differieren, befinden sich vor allem in Großbritannien (Gruppe um John Local und Bill Wells; Esther Grabe; Alan Cruttenden), Skandinavien (Gjert Kristoffersen für das Norwegische15; SWEDIA2000-Projekt für das Schwedische16), den Niederlanden (Carlos Gussenhoven, Jörg Peters17), Frankreich (Antonio Romano18), Belgien (Anne Catherine Simon19), Italien (vgl. Grice/Savino 1995, Savino 2004, Grice/Savino 2004 für süditalienische Regionalvarietäten) und 15 16 17 18
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Vgl. http://www.hf.uib.no/i/Nordisk/ntt/index.htm. [letzter Zugriff am 2.2.2005] Vgl. http://swedia.ling.umu.se. [letzter Zugriff am 2.2.2005] Vgl. http://www.let.ru.nl/gep/carlos/carloslimburg.html. [letzter Zugriff am 2.2.2005] ‚Atlas Multimédia Prosodique de l‘Espace Roman (AMPER)‘; vgl. http://www.u-grenoble3.fr/dialecto/AMPER/amper.htm. Eine Beispielkarte für die Intonation im Portugiesischen ist unter http://www.ii.ua.pt/cidlc/gcl/wavs/list_wav.asp verfügbar. [letzter Zugriff am 2.2.2005] ‚Phonologie du Français Contemporain (PFC) du Belgique francophone‘; vgl. http://valibel.fltr.ucl.ac.be/pfc.htm. [letzter Zugriff am 2.2.2005]
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Deutschland (DFG-Projekt ‚Dialektintonation‘; geleitet von Peter Auer und Margret Selting).20 Forschergruppe um Local und Wells Die Arbeiten der Forschergruppe um Local und Wells21 sind nicht primär varietäten-kontrastiv angelegt, vielmehr werden regionalspezifische intonatorische Verfahren verschiedener britischer Non-Standardvarietäten (London Jamaican, Tyneside English, Ulster English, Southern British English) herausgearbeitet, die aufgrund ihrer ausführlichen diskurs-funktionalen Komponente für die vorliegende Arbeit besonders relevant werden. Der methodische Neuansatz besteht darin, dass zwei Lösungen für zwei der angesprochenen Schwierigkeiten älterer Arbeiten angeboten werden. Ausgehend von der Prämisse „prosodic features can have a variety of interactive functions“ (Local/Wells/Sebba 1985: 309) ist es für die Autoren erstens evident, dass die Funktionen der Prosodie nur anhand natürlich-sprachlicher Interaktionen untersucht werden können. Andere experimentelle Datenerhebungen, die auf vorgelesenen oder nachgesprochenen Einzelsätzen, Texten oder künstlichen, evozierten Dialogen basieren, werden aufgrund dieser grundsätzlichen Erwägung abgelehnt. Die verwendeten Daten stammen z.B. aus verdeckt aufgenommenen Familieninteraktionen und spontanen Gesprächen zwischen SchülerInnen einer high school. Zweitens wird anstelle eines formbasierten Zugangs zuerst die konversationelle Funktion in den Vordergrund gestellt, erst in einem weiteren Schritt werden die phonetischen Exponenten dieser Funktion beschrieben. Als eine zentrale konversationelle Funktion wird hier der Gesprächsbeitrag angesehen, dessen Grenzen interaktiv festgelegt werden. In einer Kontextanalyse wird gezeigt, dass sich die Interaktionsteilnehmer am Turn-Taking orientieren (‚desgined as complete‘ bzw. ‚perceived as complete‘; Local/Kelly/Wells 1986: 426). Die konversationelle Funktion ist damit unabhängig von der Prosodie in der Gesprächsstruktur fundiert, womit der intuitive oder zirkuläre Zugang vermieden wird: „The approach we have adopted here differs from that of many linguists, in that the anlysis is impelled by what participants do, rather than by what some phonological constructs do“ (Local/Kelly/Wells 1986: 433). Es kann gezeigt werden, dass an solchen Turn-Übergaben eine spezifische Kombination prosodischer Merkmale anzutreffen ist, die sich bei turn-internen Phrasen nicht beobachten lassen. An dieser Kontextualisierung eines Turn-Endes sind neben der Intonation auch Lautstärke, Dauerparameter und Sprechgeschwindigkeit beteiligt. Die tatsächliche Ausprägung der Merkmale und ihre Kombination weisen auch regionale Unterschiede auf: Turn-Enden im London Jamaican werden mit schnellem Fall auf der letzten Silbe 20
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Die Forschungsaktivität in diesem Feld nimmt besonders in Europa stetig zu (vgl. die Zusammenstellung in Gilles/Peters (2004). In den USA werden die regionalspezifische Intonation bislang noch nicht erforscht. Vgl. v.a. Local/Wells/Sebba (1985), Local/Kelly/Wells (1986), Wells/Peppé (1996), Peppé/Maxim/Wells (2000).
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einer Phrase realisiert, wohingegen im Ulster English ein finaler Anstieg zu beobachten ist. Diese neue Methodik, die explizit von der Gesprächs- und v.a. von der Interaktionsstruktur ausgeht, erlaubt die genaue Bestimmung der prosodischen Exponenten für eine konversationelle Funktion – und stellt damit einen deutlichen Fortschritt gegenüber den älteren rein formbasierten Arbeiten dar. Die Analyse nicht nur der Intonation, sondern auch der übrigen prosodischen Parameter (Lautstärke, Dauer, Sprechgeschwindigkeit), mündet in eine komplexe Beschreibung. Es bleibt allerdings unklar, welche prosodischen Merkmale hauptverantwortlich für die Kontextualisierung des Turn-Takings sind, wie sich die Interaktion der Merkmale darstellt und welche Merkmale nur als idiolektale Eigenheiten aufzufassen sind. Diese Beschreibungskomplexität verhindert damit weitgehend eine phonologische Systematisierung und Vergleichbarkeit der Ergebnisse, etwa im Rahmen der autosegmentalen Intonationsforschung. Ein Nachteil ist auch in der relativ geringen Datenmenge zu sehen. Für das London Jamaican wurden z.B. lediglich zwei 10-minütige Aufnahmen mit je zwei SprecherInnen herangezogen. Um jedoch zuverlässige Aussagen über die Merkmale einer Varietät und ihre konsistente und reihenhafte Verwendung zu erhalten, ist der Einbezug einer größeren Datenmenge, sowohl von der einzelnen Sprecherin/vom einzelnen Sprecher als auch generell von einer größeren SprecherInnengruppe erforderlich. Im Rahmen dieses phonetisch-konversationsanalytischen Ansatzes wurde von Local und Mitabeitern bislang nur das Turn-Taking-System untersucht. Neben dieser Abschluss-Funktion müsste das Verfahren auf weitere Funktionen übertragen werden. Im Rahmen des DFG-Projekts ‚Dialektintonation‘ wurde dies z.B. in den Arbeiten von Auer (2001), Selting (2000, 2003a, b) und Gilles (2001b) unternommen. Forschungsprojekt ‚Intonational Variation in English‘ (IViE) In einem groß angelegten Forschungsprojekt zur intonatorischen Variation der britisch-englischen Regionalsprachen hat die Forschergruppe um Esther Grabe und Francis Nolan zentrale Ergebnisse sowohl zu regionalspezifischen Merkmalen der Intonation als auch zu ihrer phonetisch-phonologischen Klassifikation vorgelegt.22 Regionalspezifische intonatorische Merkmale werden nicht nur als Merkmale an sich beschrieben, sondern in ein Modell der phonetisch-phonologischen Variation eingebettet. Dabei sind zwei Aspekte hervorzuheben: Erstens wird es durch die Auswertung einer umfangreichen Datenbasis möglich, Aussagen über die Häufigkeit der Verwendung bestimmter Varianten in den Varietäten zu geben. Zweitens werden intonatorische Variationsmerkmale im Rahmen der autosegmentalen Phonologie interpretiert. Das weiterführende Ziel solcher Analysen ist es, vergleichbar der segmental-phonologischen Typologie eine prosodische Typologie zu etablieren, 22
Vgl. v.a. Grabe (1998a, b, 2002, 2004), Grabe/Post (2002), Grabe et al. (2000, 2001).
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die bislang erst in Ansätzen existiert.23 Die Sprachdaten des Korpus stammen aus neun britischen bzw. irischen Städten24 und wurden in verschiedenen experimentellen Settings erhoben (kontrollierte Einzelsätze, vorgelesener Text, Wiedererzählung dieses Texts, ‚Map Task‘, spontanes Gespräch), die die Analyse von Sprechstilen erlauben. Bei den SprecherInnen handelt es sich um Jugendliche (ca. 16 Jahre), die in den secondary schools der jeweiligen Städte rekrutiert wurden. Die Sprachdaten wurden mit Hilfe des IViE-Notationssystems transkribiert und auf der Projekthomepage zur Verfügung gestellt.25 Dieses Transkriptionssystem ist mehrlagig angelegt und erlaubt die Trennung von phonetischer Transkription und zugehöriger tonologischer Struktur (vgl. Kap. 2.4). In dieser Analyse wird m.E. zum ersten Mal konsequent zwischen phonetischen und phonologischen Unterschieden differenziert. Bei allen älteren Studien, einschließlich der konversationsanalytisch-orientierten Arbeiten von Local et al. sind alle analysierten Merkmale und Varianten gleichwertig. Da die Einbindung in ein phonetisch-phonologisches Modell fehlt, wird auch nicht danach differenziert, ob zwei Varianten zu verschiedenen tonologischen Kategorien gehören oder ‚nur‘ als phonetische Varianten zu betrachten sind. Von phonologischer Variation sind das Inventar an tonologischen Komponenten (Akzenttöne, Grenztöne) sowie die Kombinationsmöglichkeiten zwischen diesen betroffen, wohingegen sich die phonetische Variation auf die Realisierungsweise eines Akzent- oder eines Grenztons bezieht. Die phonologischen Unterschiede zwischen zwei Varietäten können am Beispiel der verwendeten Nukleuskonturen in deklarativen Sätzen und Fragen dargestellt werden (vgl. Abb. 6 aus Grabe/Post 2002). Die Daten stammen aus Cambridge bzw. Belfast und basieren auf dem kontrollierten Einzelsatz-Teilkorpus, d.h. für jede Stadt steht die gleiche Beleganzahl zur Verfügung. Pro Varietät und syntaktische Struktur wurde die Häufigkeit der fünf Nukleuskonturen bestimmt. Demnach dominiert in Cambridge in deklarativen Äußerungen in über 90 % die Fallkontur H*L %. Dagegen wird im irischen Belfast überwiegend die Anstiegskontur L*H % angewendet. Etwas anders verhält es sich bei den Entscheidungsfragen (rechts). Für diese syntaktische Struktur stehen in Cambridge drei Nukleuskonturen zur Verfügung (H*L %, H*L H%, L*H H%), wodurch sich eine hohe intra-varietäre Variabilität ergibt. In Belfast dagegen wird für diesen Fragetyp nahezu uneingeschränkt die Anstiegskontur L*H % verwendet, und damit ist hier die intra-varietäre Variabilität geringer. Darüber hinaus wird im Gegensatz zu Cambridge intonatorisch nicht zwischen Deklarativsatz und Entscheidungsfrage unterschieden. 23
24 25
Vgl. die Ansätze dazu in den Beiträgen in Hirst/Di Christo (1998) sowie Fitzpatrick (2000). In einer prosodischen Typologie müssten natürlich neben der Intonation auch die übrigen prosodischen Parameter (Dauer, Lautstärke, Timing, Rhythmus u.a.) Berücksichtigung finden. Belfast, Cardiff, Cambridge, Dublin, Leeds, Liverpool, Newcastle, Bradford (British Punjabi English), London (west-indian descent). Vgl. http://www.phon.ox.ac.uk/~esther/ivyweb/. [letzter Zugriff 2.2.2005]
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Abb. 6 Verteilung einiger Nukleuskonturen für deklarative Äußerungen bzw. ‚inverted questions’ (‚May I lean on the railings?’) für die Varietäten aus Cambridge und Belfast (aus Grabe/Post 2002)
Für die phonetische Variation untersuchen Grabe et al. (2000) die Realisierung der Nukleussilbe bei fallenden und ansteigenden Konturen. Aufbauend auf ähnlichen Studien zum Schwedischen (Bannert/Bredvad-Jensen 1975) wird untersucht, wie der F0-Verlauf modifiziert wird, wenn das für die Konturausführung zur Verfügung stehende sonorante Material sukzessive abnimmt. Die Abnahme des sonoren Materials wird im Vergleich der Eigennamen Mr. Sheafer, Mr. Sheaf und Mr. Shift bestimmt. Dabei ergeben sich prinzipiell zwei Alternativen: Parallel zur Reduktion des sonoren Materials kann der Konturverlauf entweder schneller – ‚komprimiert‘ – oder unvollständig – ‚trunkiert‘ – realisiert werden. Für die ansteigenden Akzente kann für alle britischen Varietäten Kompression beobachtet werden, d.h. für diese Akzente zeigt das Merkmal keine regionale Diversifizierung. Anders bei den fallenden Akzenten: Hier kommt es in einigen Varietäten zur Trunkierung (Leeds, Belfast) und in anderen zur Kompression (Cambridge, Newcastle): Der regionale Kontrast zwischen diesen beiden Gruppen resultiert also daraus, dass unterschiedliche Strategien der Akzentmodifikation angewendet werden. In den Studien von Grabe wird zum ersten Mal ein tragfähiges Konzept für die Regionalspezifik intonatorischer Variation vorgelegt, in dem konsequent zwischen der phonetischen Realisierungsebene und der phonologischen (in der hier verwendeten Terminologie: tonologischen) Struktur differenziert wird. Darüber hinaus gestattet es eine umfangreiche Datenbasis, Vorkommenshäufigkeiten für bestimmte Konturen anzugeben, so dass die Präferenzstrukturen der Varietäten sichtbar werden. Vor dem Hintergrund der übrigen vorgestellten Ansätze kristallisieren sich auch hier zwei problematische Aspekte heraus: (1) Die Sprachdaten stammen aus kontrollierten, experimentellen Situationen (Vorlesesprache). Zwar wurde von jeder Sprecherin/jedem Sprecher eine kurze Aufnahme mit Spontansprache erstellt, doch basieren alle bislang vorgelegten Ergebnisse auf den kontrollierten, vorgelesenen Sprachdaten. (2) Der zugrunde gelegte Funktionsbegriff ist eingeengt auf die Syntax: Es wird angenommen, dass die Intonation zur Kodierung von syntakti-
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schen Konstruktionen dient. Damit bleibt jedoch der gesamte Bereich der gesprächsstrukturellen Funktionen der Intonation ausgeschlossen.
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Methode und Daten
Vor dem Hintergrund der vorangegangen Diskussion über die Vor- und Nachteile der älteren Forschung zur regionalspezifischen Intonation können nun die Anforderungen an die Methode und die Datengrundlage dieser Studie formuliert werden.
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Da eine der Hauptfunktionen der Intonation in der Gesprächsstrukturierung liegt, ist es notwendig, regionalspezifische Intonationsmuster in Bezug auf eben diese Funktionen zu analysieren. Im hier gewählten Zugang werden daher zwei konversationelle Funktionen ausgewählt – Abschluss und Weiterweisung –, die als unabhängige Variablen der Untersuchung fungieren. Die abhängige Variable ist die regionalspezifische intonatorische Realisierung für diese Funktionen. Um die Funktionen unabhängig von der intonatorischen Realisierung festlegen zu können, werden nicht-intonatorische Kriterien aus den Bereichen Syntax, Semantik und Pragmatik zur Funktionsbestimmung benötigt. Die gesprächsstrukturierenden Funktionen der Intonation können nicht mit konstruierten Testsätzen oder in einem experimentellen Paradigma analysiert werden. Vielmehr sind spontansprachliche, konversationelle Daten erforderlich. Aufgrund der hohen inhärenten Variabilität der Intonation und der im Gegensatz zur segmentellen Phonetik/Phonologie eingeschränkteren kategorialen Differenzierungsmöglichkeiten ist eine große Datenbasis notwendig, um die regionalspezifisch präferierten intonatorischen Verfahren herausarbeiten zu können. Bei der Interpretation der regionalspezifischen Kontraste ist zu beachten, welche strukturellen Ebenen des Intonationssystems betroffen sind. Dabei kann zwischen tonologischen und phonetischen Kontrasten unterschieden werden: Tonologische Kontraste betreffen die Inventare an Intonationskonturen bzw. die autosegmentalen tonologischen Einheiten und ihre Kombinationsmöglichkeiten (Akzenttöne, Phrasentöne, Grenztöne). Regionalspezifische phonetische Variation bezieht sich dagegen auf die intonatorische Implementierung dieser tonologischen Einheiten. So ist es z.B. möglich, dass sich Varietäten in den dynamischen Merkmalen der Akzenttonrealisierung unterscheiden.
Im Folgenden wird in Kap. 2.1 ein methodischer Zugriff entwickelt, in dessen Zentrum die Formulierung einer Vergleichsgrundlage steht. In Kap. 2.2 werden dann die einzelnen Analyseschritte zusammengefasst. Als methodisches Rüstzeug wird das Verfahren zur Grundfrequenzanalyse (Kap. 2.3) sowie das intonatorische Transkriptionssystem (Kap. 2.4) vorgestellt. Die Beschreibung des verwendeten Datenkorpus für acht deutsche Großstädte erfolgt in Kap. 2.5. Neben einer Kurzcharakterisierung der Varietätenstruktur werden dort auch die vorliegenden Ergebnisse aus der Forschungsliteratur zur regionalspezifischen Intonation aufgeführt. Abschließend werden in Kap. 2.5.5 globale akustische Kenngrößen der einzelnen Varietäten bzw. SprecherInnen eingeführt, die als Referenzwerte für die weitere akustisch-phonetische Analyse dienen.
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Methode und Daten
2.1 Entwicklung eines methodischen Zugriffs Wie in Kap. 1.4 ausgeführt wurde, lassen sich Analyseverfahren, die für kontrollierte und standardisierte Sprachdaten entwickelt wurden, nur bedingt auf natürliche Sprachdaten anwenden. Um Vergleichbarkeit zwischen den erhobenen Daten zu gewährleisten, werden in solchen Verfahren alle nicht-intonatorischen Faktoren konstant gehalten, damit das untersuchte Merkmal nicht beeinflusst wird. Dies geschieht üblicherweise, indem als Testmaterial relativ kurze Sätze mit identischer syntaktischer Konstruktion verwendet werden, die in der gleichen Weise von Versuchspersonen aus verschiedenen Dialektregionen realisiert werden. Dieses Verfahren wurde z.B. für die Erforschung der britischen Regionalvarietäten angewandt (vgl. Grabe 2004). Dagegen wird sich authentische Dialektalität oder Regionalsprachlichkeit, die in dieser Studie im Mittelpunkt steht, nur in möglichst natürlichen, ungesteuerten Gesprächssituationen manifestieren. Aus diesem Grund besteht das dieser Untersuchung zugrunde liegende Sprachdatenkorpus aus natürlichen, alltagssprachlichen Gesprächen aus verschiedenen deutschen Städten. Im Gegensatz zu kontrolliert erhobenem Sprachmaterial ist das natürliche Sprachmaterial allerdings durch massive Heterogenität in der Phonetik/Phonologie, in der Lexik, bei den syntaktischen Konstruktionen und bei den Aktivitätstypen gekennzeichnet, wodurch die Vergleichbarkeit zwischen den Varietäten erschwert wird. Um jedoch regionale Unterschiede beschreiben zu können, ist die Vergleichbarkeit bestimmter ‚Einheiten‘ zwischen den Varietäten unabdingbar. Diese methodische Schwierigkeit wurde unlängst von Schmidt (2001: 27) als ein zentrales Problem der (konversationell orientierten) Intonationsforschung formuliert, die (noch) „über keine intersubjektiv befriedigenden Verfahren verfügt, mit denen sich entscheiden ließe, ob Intonationsmuster bei Äußerungen unterschiedlicher Komplexität und unterschiedlicher segmentell-lexikalischer ‚Basis‘ identisch, ähnlich, unähnlich usw. sind“. Um diese Vergleichbarkeit linguistischer Einheiten zwischen verschiedenen Varietäten zu erreichen, bedarf es also einer Methodik, die eine eindeutige Isolierung des zu untersuchenden Phänomens (hier: der Intonation) aus der Gesamtmenge der linguistischen Merkmale erlaubt. Zentrale Relevanz besitzt die Frage nach der Vergleichsgrundlage, dem tertium comparationis, auf dessen Basis die intonatorischen Phänomene der einzelnen Varietäten miteinander verglichen, klassifiziert und kontrastiert werden können. Da eine der Hauptfunktionen der Intonation in der Gesprächsstrukturierung liegt, ist es naheliegend, solche Funktionen als Vergleichsbasis anzusetzen. Die Gesprächsfunktionen, die als Vergleichsgrundlage für eine dialektvergleichende Studie verwendet werden können, müssen bestimmten Bedingungen genügen: Dialektalität als die lokale Ausprägung sprachlicher Merkmale wird in der Konventionalisierung dieser Merkmale innerhalb der (hier: städtischen) Sprachgemeinschaft reflektiert, d.h. diese Merkmale sind Bestandteile der jeweiligen Varietäten und ihrer
Entwicklung eines methodischen Zugriffs
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Norm. Folglich dürfen nur solche Funktionen ausgewählt werden, für die ein hohes Ausmaß an Konventionalisierung erwartbar ist. Eine mögliche Konventionalisierung kann sich aus der zentralen Relevanz der Funktion(en) für die Gesprächsgestaltung und aus der hohen Rekurrenz der Funktion(en) ergeben. Aufgrund dieser Überlegungen fällt die Wahl des tertium comparationis auf die Funktionskomplexe ‚Abschluss‘ und ‚Weiterweisung‘, für die sowohl eine regionale Konventionalisierung als auch eine hohe Rekurrenz angenommen werden kann. Auf der obersten Organisationsebene natürlicher Gespräche konstituieren die beiden Funktionskomplexe eine binäre Opposition, die sich aus der grundlegenden Struktur von Gesprächsbeiträgen ergibt: SprecherInnen setzen gezielt sprachliche Signalisierungsverfahren ein, um anzudeuten, dass ihr Gesprächsbeitrag zu Ende ist bzw. weiter fortgeführt werden soll. Gleichzeitig werden diese Funktionen durch die Gesprächspartner ko-konstruiert, indem sie sie ratifizieren und sich präferiert verhalten: Ein Abschluss legt eine potenzielle Turn-Übergabe nahe, wohingegen bei Weiterweisung präferiert kein Versuch der Turnübernahme stattfindet. Aus gestalttheoretischer Perspektive übernimmt die Abschlussfunktion überwiegend gestalt-schließende und die Weiterweisungsfunktion gestalt-integrierende Aufgaben. Abschluss und Weiterweisung sind damit grundlegende Strukturprinzipien der Turnorganisation, die für die thematische Organisation und die sinnvolle interaktionale und pragmatische Interpretation der Gesprächsbeiträge verantwortlich sind. Diese Funktionen gelten ausschließlich für deklarative Äußerungen; von der Analyse bleiben damit alle Fragen und die damit verbundene Frageintonation systematisch ausgeschlossen. Zur Vermeidung einer methodischen Zirkularität, wie sie z.B. in Cruttendens (2001) Ansatz zu beobachten ist (s.o. S. 23), ist es notwendig, dass die Funktionsbestimmung einer bestimmten Intonationsphrase zunächst unabhängig von ihrer intonatorischen Gestaltung erfolgt. Erst in einem weiteren Untersuchungsschritt wird dann die intonatorische Realisierung der jeweiligen Funktion analysiert. Es kommt damit ein korrelatives Verfahren zu Einsatz: Die gesprächsstrukturierende Funktion stellt dabei die unabhängige Variable dar. Die dazugehörende intonatorische Realisierung ist als die abhängige Variable anzusehen. Abschluss und Weiterweisung werden in der vorliegenden Studie als lokale, funktionale Eigenschaften von Intonationsphrasen (IP) aufgefasst. Für die Einteilung der IPs gemäß Abschluss und Weiterweisung stehen in der Analyse alle nicht-intonatorischen Merkmale der Struktur von Gesprächsbeiträgen zur Verfügung, i.e. Syntax, Semantik, Pragmatik. In einer kombinierten Analyse wird das abschließende bzw. weiterweisende Potenzial dieser Strukturebenen herausgearbeitet. Je mehr Indizien auf eine bestimmte Funktion hindeuten, desto eindeutiger ist die Funktionszuschreibung. Für die Funktionsbestimmung werden nur sog. ‚substanzielle‘ Intonationsphrasen berücksichtigt. Chafe (1994: 63) führt zwei Kriterien für eine substanzielle (substantive) IP an: Die Phrase muss erstens prosodisch vollständig realisiert sein,
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Methode und Daten
d.h. es muss mindestens ein prominenter Akzent (Nukleus) und eine vollständige Intonationskontur1 vorhanden sein. Zweitens müssen in der Phrase Informationen (ideas) über Zustände, Ereignisse oder Referenzobjekte geliefert werden. Von der Funktionsbestimmung ausgeschlossen sind damit regulative (regulatory) IPs (eigenständige Phrasen, die der Steuerung der Interaktion oder des Informationsflusses dienen; z.B. lexikalische Gliederungssignale) und fragmentarische (fragmentary) Phrasen. Abschluss und Weiterweisung manifestieren sich als lokale Funktionen zwar in Intonationsphrasen, doch ist diese Domäne allein für eine Funktionszuweisung nicht immer aussagekräftig. Für eine adäquate Analyse ist daher der Einbezug des weiteren Gesprächszusammenhangs auf der Basis von gesprächsanalytischen Transkripten erforderlich: Hier gilt es, die syntaktische Struktur einer bestimmten IP sowie ihre Einbettung in den Interaktionsverlauf und in der pragmatisch-thematischen Entwicklung herauszuarbeiten. Obwohl theoretisch jede Intonationsphrase entweder als abschließend oder weiterweisend klassifizierbar ist, lässt sich die Funktionsbestimmung in der konkreten Analyse nicht für jede Phrase durchführen. Der Grund dafür ist, dass die konversationellen Funktionen in komplexen Signalisierungsverfahren kontextualisiert werden, an denen alle linguistischen Ebenen beteiligt sind. Wenn nur eine der Ebenen auf eine bestimmte Funktion hindeutet oder wenn auf den anderen Ebenen keine eindeutigen Signale für die eine oder die andere Funktion erkennbar sind, dann kann nur ein potenzieller Abschluss bzw. potenzielle Weiterweisung festgestellt werden; im ungünstigsten Fall ist die Funktionsbestimmung dann nicht möglich. So ist z.B. eine syntaktisch abgeschlossene Phrase nicht per se als konversationeller Abschluss zu werten. Ebensowenig bedeutet das Ausbleiben eines Sprecherwechsels nach einer syntaktisch abgeschlossenen Phrase zwangsläufig, dass Weiterweisung vorliegt. In diesen Beispielen ist zur Disambiguierung vielmehr eine genaue Analyse des pragmatisch-gesprächsorganisatorischen Kontextes notwendig. Darüber hinaus ist es möglich, dass sich die Funktion weder in der syntaktischen noch in der pragmatischen Struktur manifestiert, sondern allein durch die Prosodie kontextualisiert wird. Diese Konstellation muss in der vorliegenden Studie ausgeklammert bleiben, da die Funktionsbestimmung ja unter Ausschluss der intonatorischen Ebene vorgenommen wird. Bei der Funktionsbestimmung müssen zusätzlich Asymmetrien bei der Relevanz der linguistischen Ebenen beachtet werden: Während z.B. syntaktische Unabgeschlossenheit am IP-Ende immer auf Weiterweisung hindeutet, folgt umgekehrt aus der syntaktischen Abgeschlossenheit einer IP nicht zwangsläufig, dass ein konversationeller Abschluss vorliegt. Die stärkste Evidenz für die Annahme der einen oder der anderen Funktion lässt sich immer dann feststellen, wenn die Merkmale auf der syntaktischen, semantischen und pragmatischen Ebene konvergieren und 1
Vgl. intonational completion bei Ford/Thompson (1996) oder die kohäsive Akzentsequenz bei Selting (1993).
Entwicklung eines methodischen Zugriffs
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die Interpretation in eine eindeutige Richtung lenken. Durch diese kumulative Evidenz lassen sich dann prototypische Abschluss- bzw. Weiterweisungskontexte definieren. Aufgrund ihrer Eindeutigkeit stehen diese Prototypen auch im Zentrum der Funktionsanalyse. Daneben lassen sich aber auch zahlreiche Fälle feststellen, in denen die Merkmale der beteiligten linguistischen Ebenen nicht konvergieren bzw. kein eindeutiges Interpretationspotenzial aufweisen. In der Analyse wird auf einige diese potenziellen Funktionskontexte gesondert hingewiesen. Im Folgenden werden die nicht-intonatorischen Kriterien für die Bestimmung der beiden Funktionen im einzelnen vorgestellt. Diese Kriterien werden dann in der Funktionsanalyse im anschließenden Kap. 3 eingesetzt, um eine Intonationsphrase als abschließend oder weiterweisend zu klassifizieren. Erst in einem weiteren korrelativen Analyseschritt werden dann für die einzelnen Varietäten die zugehörigen intonatorischen Formen bestimmt. 2.1.1 Kriterien für die Abschlussfunktion An einem konversationellen Abschlusspunkt müssen alle Projektionen, die im vorangegangenen Kontext durch syntaktische, semantische und pragmatische Mittel aufgebaut wurden, eingelöst sein. Ein konversationeller Abschlusspunkt liegt dann vor, wenn entweder ein mögliches Turn-Ende oder eine faktische Turn-Übergabe erreicht ist. Zur Herausarbeitung solcher Abschlusspunkte stellt die Konversationsanalyse das geeignete Instrumentarium bereit. Als empirische Forschungsrichtung untersucht die Konversationsanalyse die formalen Strukturen, Prinzipien und Mechanismen von Gesprächen.2 Im Zentrum steht die Rekonstruktion der sprachlichen Interaktion, die als fortwährender Prozess der Herstellung und Absicherung sinnhafter sozialer Ordnung aufgefasst wird. Demnach ist die Struktur eines Gesprächs nicht von außen vorgegeben (etwa durch ‚Regeln‘) und damit unabhängig von der konkreten Gesprächssituation, sondern wird „in der Interaktion lokal, in dem Moment und an der Stelle der aktuellen Interaktion durch diese Interaktion selbst- und rückbezüglich hervorgebracht“ (Hausendorf/Quasthoff 1996: 117). Zentrale Relevanz besitzt dabei der Begriff der ‚Kontextualisierung‘, mit dem sowohl die Einbettung einer Äußerung in einen Gesprächskontext als auch die Hervorbringung dieses Kontexts während der Interaktion gemeint ist (vgl. Auer 1986, 1992). Die KA [Konversationsanalyse; PG] sieht die Interagierenden also als kontextsensitive Akteure, die den Kontext ihres Handelns analysieren, mit Hilfe ihres Alltagswissens interpretieren, ihre Äußerungen auf diesen Kontext einstellen und sich wechselseitig fortwährend ihre Kontextorientierung in vielfältiger Weise anzeigen. (Bergmann 2001: 921)
Diese Kontextorientiertheit der Gesprächsteilnehmer ist in vielfältiger Weise an der Konstruktion der sinnvollen Ordnung des Gesprächs beteiligt. Sie manifestiert sich 2
Für einen Überblick über die Konversationsanalyse vgl. Levinson (1983), Bergmann (1988, 2001).
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Methode und Daten
u.a. im Sprecherwechsel, dessen Mechanismus in der weithin einflussreichen Studie von Sacks/Schegloff/Jefferson (1974) herausgearbeitet wurde. Für die Analyse der Interaktionsstruktur stellen die Reaktionen der Gesprächspartner eine Ressource zur Interpretation des vorausgegangenen Redezugs zur Verfügung. (Potenzielle) Redezüge (Turns) bestehen aus sog. ‚Turnkonstruktionseinheiten‘ (turn constructional units, TCU). Eine TCU legt die Endpunkte von möglichen Gesprächsbeiträgen (‚Turns‘) fest und wird nach Schegloff (1996: 55) wie folgt definiert: „By ‚turn-constructional unit‘, it may be recalled, we meant to register that these units can constitute possibly complete turns; on their possible completion, transition to a next speaker becomes relevant (although not necessarily accomplished).“ In der ursprünglichen Konzeption einer TCU durch Sacks/Schegloff/Jefferson (1974) blieb die tatsächliche linguistische Ausgestaltung dieser Einheit teilweise vage. Als zentrales Merkmal wird die syntaktische projectability angenommen: Syntaktische Konstruktionen werden auf einen (möglichen) Abschlusspunkt hin konzipiert, der von den Interaktionspartnern auch als solcher wahrgenommen wird: „Syntactic units allow for the prediction of the possible completion points in advance of their arrival and thus contribute to the precise exchange of speakership“ (Ford/Fox/ Thompson 1996: 428). Die Enden von TCUs werden damit relevant für den Mechanismus des Sprecherwechsels, indem sie von den Gesprächsteilnehmern als turnübergabe-relevante Stellen (transition relevant places; TRP) interpretiert werden. Sacks/Schegloff/Jefferson (1974) weisen darauf hin, dass turnübergabe-relevante Stellen optional sind (option points): An einem TRP kann ein Sprecherwechsel stattfinden, es muss aber nicht dazu kommen. Die tatsächliche syntaktische Ausfüllung einer TCU ist dabei zunächst nicht relevant. Die Größe und die grammatische Komplexität einer TCU kann daher von einem komplexen Satzgefüge über einen Teilsatz bis hin zu einer lexikalischen Konstruktion reichen. Aus der Kritik an dieser traditionellen TCU-Auffassung, in der die Syntax (besser: die projektierende Kraft der Syntax) als das zentrale Merkmal der Einheitenbildung angesehen wurde, wurde von Selting (1998) eine Weiterentwicklung vorgenommen, um die Prosodie als wesentlichen Bestandteil der Turngestaltung in die Definition miteinzubeziehen: A ‚TCU‘ is thus a unit that is constituted and delimited by the interplay of syntax and prosody: it is constituted as a cohesive whole by the deployment of syntactic and prosodic construction schemata, and it ends with the co-occurence of a possible syntactic and a possible prosodic unit completion in its sequential context.3
Einen Schritt weiter gehen Ford/Thompson (1996) in ihrer Analyse der TCU-Struktur. Aus dem ursprünglichen Entwurf wird übernommen, dass mit dem 3
Diese Auffassung einer Turnkonstruktionseinheit ist teilweise deckungsgleich mit der ‚Äußerungseinheit’, wie sie von Schwitalla (1997:51) postuliert wird. Als konstitutive Merkmale einer Äußerungseinheit gelten: vollständige syntaktische Konstruktion (i.e. vollständige Sätze, aber auch Relativsätze, Präpositionalphrasen, Infinitivkonstruktionen u.a.), lexikalische Gliederungssignale, Pausen, Verzögerungssignale und globale Intonationskonturen. Dabei ist die Gewichtung der einzelnen Merkmale noch eine weitgehend offene Forschungsfrage.
Entwicklung eines methodischen Zugriffs
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Ende einer TCU eine turnübergabe-relevante Stelle (TRP) vorliegt. Sie erweitern jedoch den allein auf der syntaktischer Projektion beruhenden Begriff der TRP (syntactic completion) um die Merkmale intonational completion und pragmatic completion. Die Endpunkte von möglichen Turns werden damit durch einen Merkmalskomplex konstituiert, den die Autorinnen complex transition relevant place (‚komplexe turnübergabe-relevante Stelle’; CTRP) nennen. An diesen CTRPs finden bevorzugt Sprecherwechsel statt: „A major finding of this study is the fact that speaker change correlates with CTRPs. This is evidence that the units defined by the convergence of syntactic, intonational, and pragmatic completion are real for conversationalists; speakers and hearers orient to, and design their own turns in response to, these units“ Ford/Thompson 1996: 172). Damit haben die Autorinnen Kriterien zur Identifizierung konversationeller Abschlüsse entwickelt, die für die vorliegende Studie operationalisiert werden können. Im Umkehrschluss lässt sich daraus auch ableiten, dass eine Phrase als weiterweisend einzustufen ist, wenn diese Abschluss-Kriterien nicht vorliegen. Kritisch anzumerken ist allerdings, dass in diesem Modell die semantische Ebene vollständig ausgeklammert bzw. implizit unter der Pragmatik subsumiert ist. Damit eine (substanzielle) Intonationsphrase als Abschluss fungieren kann, müssen zunächst alle syntaktischen Projektionen eingelöst sein, d.h. alle durch den Valenzrahmen vorgegebenen obligatorischen syntaktischen Strukturpositionen müssen besetzt sein (syntactic completion; vgl. Ford/Thompson 1996). Die syntaktische Struktur fordert damit also keine weitere Ergänzung, z.B. in Form eines Hauptsatzes bei einer Konstruktion mit vorangestelltem Nebensatz, die in weiteren Phrasen realisiert werden müssten. Alle abgeschlossenen syntaktischen Konstruktionen können durch fakultative Angaben, Rechtserweiterungen und Ausklammerungen fortgeführt werden (Auer 1996). Da aber die hier zugrunde gelegten substanziellen Intonationsphrasen intonatorisch bereits abgeschlossen sind, müssen eventuelle Expansionen in eigenen Intonationsphrasen realisiert werden. Hinsichtlich des Turn-Takings ist die Aussagekraft des syntaktischen Abschlusses allerdings relativ gering, woraus Ford/Thompson (1996: 155) schließen: „[S]yntactic completion points alone are the least reliable indicators of any other sort of completion“.4 Damit ist die syntaktische Abgeschlossenheit lediglich ein notwendiges Kriterium eines konversationellen Abschlusses. Auf der Ebene der Semantik liegt ein Abschluss vor, wenn eine längere Gesprächsaktivität mit einer expliziten Abschlussformulierung beendet wird wie z.B. in und da war=s zuENde oder so IS das eben alles. Allerdings sind diese lexiko-semantischen Abschlussmarkierungen in den vorliegenden Daten nur selten zu beobachten.
4
In dieser Studie wurde ebenfalls gezeigt, dass nahezu alle syntaktisch abgeschlossenen Einheiten ebenfalls auch intonatorisch abgeschlossen sind (98,8 %); es existiert damit eine weitgehende Ko-Extensivität von syntaktischer Struktur und Intonationsphrase; vgl. dazu auch Croft 1995.
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Methode und Daten
Deutliche Hinweise auf Abschlüsse können aus der Interpretation der pragmatischen Struktur abgeleitet werden. Nach Ford/Thompson (1996: 150) ist eine Äußerung dann pragmatisch abgeschlossen, wenn sie als eine „complete conversational action within its specific sequential context“ interpretierbar ist. Dieser Abschlusspunkt resultiert aus „ongoing monitoring of talk for possibly complete conversational actions“ (ebd. 151). Die Autorinnen weisen allerdings darauf hin, dass ihre Kriterien für die pragmatische Abgeschlossenheit „intuitive and provisional“ sind (ebd. 150), da es hier im Gegensatz zur syntaktischen Ebene schwieriger ist, operationalisierbare und generalisierbare Kriterien aufzustellen. Diese Schwierigkeiten resultieren daraus, dass konversationelle Aktivitäten unterschiedliche Reichweiten haben können: So kann für den Aktivitätstyp ‚Erzählung‘ eine Projektion angenommen werden, die ihr Ende im Abschluss der Erzählung findet. Aus der Globalstruktur der Erzählung kann damit ein pragmatischer Abschlusspunkt herausgearbeitet werden. Es ist allerdings auch möglich, dass in der Binnenstruktur der Erzählung weitere, kleinräumigere konversationelle Aktivitäten eingebettet sind, die ebenfalls pragmatische Abschlusspunkte aufweisen (können). Dies kann sich z.B. darin manifestieren, dass in eine Erzählung eine abgegrenzte Beschreibung (z.B. einer Person aus der Erzählwelt) oder einer Nebensequenz eingebettet ist. Es lassen sich damit pragmatische Abschlusspunkte von zwei verschiedenen verschachtelten konversationellen Aktivitäten beobachten. Ford/Thompson (1996) begegnen dieser Problematik, indem sie zwischen ‚globaler‘ und ‚lokaler‘ pragmatischer Abgeschlossenheit differenzieren. Globale pragmatische Abgeschlossenheit liegt dann vor, „if it [utterance, PG] had the property of not projecting anything beyond itself in the way of a longer story, account, or other agenda“ (ebd. 151). Ein globaler pragmatischer Abschlusspunkt ist z.B. dann erreicht, wenn einE SprecherIn eine Erzählung oder die Entwicklung eines Arguments innerhalb einer längeren argumentativen Passage abschließt. Lokale pragmatische Abgeschlossenheit liegt dagegen vor, wenn „the speaker is projecting more talk, but at which another speaker might reasonably take a minimal turn, such as offering a continuer, display of interest, or claim of understanding“ (Ford/Thompson 1996:150). Als Kriterium für die Identifizierung eines lokalen pragmatischen Abschlusspunkts geben die Autorinnen an, dass einE SprecherIn mit solchen Einheiten auf das pragmatische Zentrum eines global projektierten Aktivitätstyps hinsteuert („is leading up to something“; Ford/Thompson ebd.). Dieses differenzierende Kriterium mag zwar für kurze alltagssprachliche Interaktionen mit gleichberechtigten Interaktionspartnern ausreichend sein, es ist allerdings für die in dieser Untersuchung zugrunde gelegten narrativen, interviewähnlichen Sprachdaten (vgl. Kap. 2.5) praktisch nicht zu operationalisieren. Charakteristisch für diese Sprachdaten ist, dass die Interaktion zwischen den beiden Partnern über weite Teile der Aufnahmen nicht zweckgerichtet ist und keine Bearbeitungen von interaktionalen Aufgaben oder Aushandlungen stattfinden. Vielmehr sind alle Aufnahmen durch den Aktivitätstyp ‚(monologisches) Erzählen‘ cha-
Entwicklung eines methodischen Zugriffs
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rakterisiert. Anstelle einer festen Themenbindung mit rekonstruierbaren ThemenEnden und Themen-Wechseln ist häufig eine kontinuierliche Themenverschiebung zu beobachten. Dabei ergeben sich während des Erzählens Anknüpfungspunkte für neue thematische Stränge, wodurch die Bestimmung von Themen-Enden, als pragmatisch-textorganisatorische Abschlusspunkte, erschwert wird. Aufgrund dieser methodischen Schwierigkeiten bei der Aufstellung von Kriterien für die lokale pragmatische Abgeschlossenheit lässt sich die Differenzierung zwischen globalen und lokalen Abschlusspunkten für die hier angestrebte Funktionsbestimmung nicht operationalisieren. Daher werden in der Analyse der Sprachdaten nur die globalen pragmatischen Abschlüsse berücksichtigt. Als Kriterium für die pragmatische Abgeschlossenheit einer Intonationsphrase gilt, dass aus dem Verlauf des Turns oder des weiteren Kontexts heraus erkennbar und rekonstruierbar sein muss, dass an dieser Stelle eine konversationelle Aktivität wie z.B. eine Erzählung oder eine sub-thematische Einheit beendet ist. Es muss also eine pragmatische ‚Gestaltschließung‘ erkennbar sein. Die Bestimmung der pragmatischen Abgeschlossenheit kann damit, im Gegensatz zur syntaktischen Abgeschlossenheit, nur für eine Teilmenge der Intonationsphrasen durchgeführt werden. Die kombinierte Interpretation der Abschlusspotenziale der syntaktischen, semantischen und pragmatischen Ebene führt zu der Annahme einer komplexen turnübergabe-relevanten Stelle (‚designed as complete‘; Local/Kelly/Wells 1986: 426). Mit dieser Intonationsphrase ist damit gleichzeitig auch das Ende einer Turnkonstruktionseinheit erreicht. Diese TRP kann interaktional ratifiziert werden, wenn es danach zu einem Sprecherwechsel kommt. Der Interaktionspartner interpretiert die Merkmale der turnübergabe-relevanten Stelle als Möglichkeit und teilweise auch als Aufforderung, selbst das Rederecht zu übernehmen. Dies deutet darauf hin, dass er den Vorgänger-Turn als abgeschlossen wahrgenommen hat (‚perceived as complete‘; Local/Kelly/Wells 1986: 426). Beim Sprecherwechsel ist zwischen ‚echtem‘ Turn-Taking, bei dem der Gesprächspartner einen eigenständigen substanziellen Beitrag anschließt, und der einfachen Rückmeldung des Gesprächspartners mittels eines Rezeptionssignals (backchanneling; Schegloff 1982) zu unterscheiden. Nur bei ersterem Typ ist sichergestellt, dass der Beitrag sprecherInnenseitig als abgeschlossen konzipiert ist und hörerInnenseitig als abgeschlossen wahrgenommen wird. Wenn jedoch ein Gesprächspartner lediglich mit einem Rezeptionssignal wie mhm oder ja reagiert, so lässt sich nicht zweifelsfrei entscheiden, ob der Hörer den vorangegangenen Beitrag als abgeschlossen wahrnimmt oder ob er damit nicht vielmehr eine Aufforderung zum Weitersprechen zum Ausdruck bringen möchte. Schegloff (1982: 81) interpretiert solche Rezeptionssignale als continuer, die signalisieren, dass „an extended unit of talk is underway by another, and that it is not yet, or may be not yet be (even ought not to be), complete“. Nach Schegloff legt also das Auftreten solcher Rezeptionssignale eher Weiterweisung als Abschluss nahe. Aus diesem Grund werden die Minimalre-
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Methode und Daten
aktionen mittels eines Rezeptionssignals nicht als potenzielle Abschlusspunkte interpretiert. Insgesamt liegt ein eindeutiger konversationeller Abschluss genau dann vor, wenn die Abschlussqualität einer bestimmten Intonationsphrase in der Kombination aus der SprecherInnen- und HörerInnenperspektive rekonstruiert werden kann. Am Ende dieser IP konstituieren SprecherInnen durch die Kombination syntaktischer, semantischer und pragmatischer Abschlusspotenziale eine komplexe turnübergabe-relevante Stelle. HörerInnenseitig wird diese TRP als solche interpretiert, und es kommt zum Sprecherwechsel, an den sich ein eigenständiger, substanzieller Turn des Gesprächspartners anschließt. In der Funktionsanalyse steht dieser Abschlusstyp im Vordergrund. Neben diesem eindeutig rekonstruierbaren Abschlusskontext können weitere Abschlüsse angenommen werden, bei denen die Funktionszuweisung weniger eindeutig ist. Hierzu zählen alle Kontexte, für die sich zwar eine komplexe turnübergabe-relevante Stelle analysieren lässt, der aber die interaktionale Ratifizierung durch einen sich anschließenden Sprecherwechsel fehlt. Diese weniger eindeutigen Abschlüsse werden im Folgenden als potenzielle Abschlüsse bezeichnet. Zur Illustration des Interpretationsverfahrens mit Hilfe der vorgestellten nicht-intonatorischen Abschlusskriterien dient der folgende Gesprächsausschnitt (Tab. 1) aus einer Berliner Aufnahme. Im Transkript sind die Intonationsphrasen nummeriert. In der Spalte ‚IP‘ wird angegeben, um welchen IP-Typ es sich dabei handelt (substanzielle, fragmentarische oder regulative IP). In der Syntax-Spalte sind alle substanziellen IPs hinsichtlich ihrer Abgeschlossenheit eingeteilt. In der Spalte ‚Pragmatik‘ werden diejenigen Phrasen markiert, für die aus dem Kontext heraus ein pragmatischer Abschluss herausgearbeitet werden kann. In der letzten Spalte werden Phrasen markiert, nach denen es zu einem Sprecherwechsel kommt. Diese Passage aus dem Anfangsteil einer Berliner Aufnahme ist Bestandteil einer umfassenderen Beschreibung der familiären Verhältnisse des Sprechers B03. Er beschreibt hier den Gesundheitszustand seiner Mutter und seinen Umgang mit ihrer Krankheit. Am Ende der Passage leitet der Gesprächsleiter I zu einem neuen Thema über (‚Kreuzberg in den 30er Jahren‘). In diesem Ausschnitt lassen sich (mindestens) drei Abschlusspunkte identifizieren: Ein eindeutiger Abschluss liegt dann vor, wenn die beteiligten linguistischen Ebenen in eine gemeinsame funktionale Richtung weisen, wie es für IP 18 beobachtet werden kann. Mit der Phrase sO IS dit eben allet liegt ein syntaktischer Abschlusspunkt vor (vollständige Hauptsatzkonstruktion). Auf der pragmatisch-textorganisatorischen Ebene lässt sich erkennen, dass (spätestens) an dieser Stelle das Ende einer sub-thematischen Einheit erreicht ist, denn ab IP 20 beginnt der Gesprächsleiter I ein neues Thema (‚Kreuzberg in den dreißiger Jahren‘). Aus diesem Übergang zu einer neuen thematischen Einheit kann geschlossen werden, dass das Thema ‚Gesundheitszustand‘ (zumindest aus I‘s Perspektive) abgeschlossen ist. Auch die lexiko-semantische Struktur von IP 18 weist auf einen Abschluss hin: Mit der resignierten Äußerung sO IS det eben allet
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Entwicklung eines methodischen Zugriffs Tab. 1 B03-9001 ((B03 beschreibt den Gesundheitszustand seiner Mutter)) IP Syn- Prag tax
1 B03 2 3 4 5 6 I 7 B03 8 9 10 11 12 I 13 B03 14 15 I 16 B03 17 18 19 20 I 21 22 23 24
denn unsre faMIlie is so langsam= =sie SCHRUMPFT meine mUtter die is im HEIM (.) die erKENNT mich nich mehr= =die hat [die die ALZheimer da [hm wa (.) najA wat soll man MACHen= =<
f s s s s r r s s s s r s r r r s s r s s s s s
TT
j j j j
j j j j
j
j
j j
j j
j j n j j
n
j
Legende: IP: s = substanziell, r = regulativ, f = fragmentarisch; Syntax: j = abgeschlossen, n = nicht abgeschlossen; Prag(matik): n = kein pragmatischer Abschluss, j = pragmatischer Abschluss; TT (Turn-Taking): j = Turn-Taking findet statt
wird die vorhergehende Beschreibung abschließend resümiert. Damit kann diese Phrase als eine turnübergabe-relevante Stelle klassifiziert werden. Diese Interpretation wird gestützt durch den faktischen Sprecherwechsel, der sich (mit leichter Überlappung mit dem lexikalischen Gliederungssignal naJA) nach IP 18 ereignet. Insgesamt kann für diese Intonationsphrase aufgrund der kumulativen Evidenz eine Kongruenz zwischen den nicht-intonatorischen Strukturebenen festgestellt werden. Aus dem danach stattfindenden Sprecherwechsel lässt sich ableiten, dass auch der Gesprächspartner diese IP als einen möglichen Turn-Abschluss interpretiert. Als potenzielle Abschlüsse können die Phrasen 8 und 13 eingestuft werden. Mit der rhetorisch-resignativen Äußerung in IP 8 (najA wat soll man MAchen) wird semantisch betrachtet eine Resümee zum (aussichtslosen) Gesundheitszustand gezogen. Darin ähnelt diese Phrase auch IP 18. Gleichzeitig ist hier ein erster pragmatischer Abschlusspunkt der Sachverhaltsdarstellung in IP 1 bis 5 erreicht. Mit diese Phrase liegt damit eine turnübergabe-relevante Stelle vor, nach der der Gesprächspartner das Rederecht übernehmen könnte. Tatsächlich findet an dieser Stelle kein Sprecherwechsel statt, wodurch die interaktionale Ratifizierung für die Annahme eines eindeutigen Abschlusses fehlt.
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Methode und Daten
Aus pragmatisch-textorganisatorischer Perspektive kann auch IP 13 (oder mit wEm se da VOR sich hat) als abschließend eingestuft werden. Es handelt sich hierbei um den eigentlichen Endpunkt der sub-thematischen Einheit, an dem der letzte inhaltliche Aspekt der mehrgliedrigen Beschreibung des Gesundheitszustandes realisiert wird. Auch hier wird die turnübergabe-relevante Stelle vom Gesprächspartner nicht zum Sprecherwechsel genutzt. Der weitere Kontext liefert Hinweise darauf, dass der Sprecher B03 seinen Beitrag an dieser Stelle nicht nur als abgeschlossen konzipiert hat, sondern das Rederecht an den Partner I übergeben will. Dies zeigt sich darin, dass es im Anschluss an IP 13 relativ lange dauert, bis das Rederecht wieder zugewiesen ist. Die zahlreichen Rezeptions- und Gliederungssignale (wa, hm, nich, naja) deuten darauf hin, dass B03 sein Rederecht abgeben möchte, doch der Gesprächsleiter I greift das Rederecht (noch) nicht auf. Mit dieser Intonationsphrase liegt damit ein potenzieller Abschluss-Kontext vor, der sich aus der syntaktischen und pragmatisch-textorganisatorischen Struktur ergibt. Diese kursorische Funktionsanalyse diente dazu, die prinzipielle Vorgehensweise zur Bestimmung eines Abschlusses vorzuführen. Dieses Verfahren wird in Kap. 3 anhand ausgewählter Gesprächskontexte für alle Varietäten durchgeführt. Nachdem dann mit Hilfe nicht-intonatorischer Kriterien der Abschluss-Charakter bestimmter Intonationsphrasen festgestellt worden ist, können im nächsten Schritt die intonatorischen Realisierungen ermittelt und ihre regionalspezifischen Merkmale herausgearbeitet werden. 2.1.2 Kriterien für die Weiterweisungsfunktion Durch weiterweisende Einheiten wird angekündigt, dass dieselbe Sprecherin/derselbe Sprecher noch mindestens eine Folgephrase anschließen möchte. Mit weiterweisenden Konstruktionen wird also eine Fortsetzungserwartung aufgebaut. Weiterweisung liegt prinzipiell immer dann vor, wenn aufgrund anderer Merkmale kein konversationeller Abschluss in Form einer komplexen turnübergabe-relevanten Stelle festgestellt werden kann. Dies bedeutet, dass Weiterweisung nie an einem Turn-Ende mit folgendem Sprecherwechsel oder an einem Themenende vorkommen kann. Allen weiterweisenden Phrasen ist generell gemeinsam, dass sie im Inneren eines Gesprächsbeitrags (turn-intern) auftreten. Allerdings reicht dieses Kriterium nicht aus, um Weiterweisung ausreichend zu identifizieren, da turn-intern auch (potenzielle) Abschlüsse auftreten können (vgl. Kap. 2.1.1). Das zentrale Weiterweisungskriterium ist im Aufbau oder in der Fortführung einer Projektion zu sehen. Diese Projektion kann sowohl syntaktisch, semantisch oder auch pragmatisch motiviert sein. Bei der syntaktisch motivierten Weiterweisung befindet sich in der Phrase eine explizit projektierende syntaktische Konstruktion, die eine Fortführung in der Folgephrase erforderlich macht. Damit ist also nicht die projektierende Kraft der (emergenten) Syntax innerhalb einer Intonationsphrase gemeint, sondern ausschließ-
Entwicklung eines methodischen Zugriffs
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lich die über die IP hinausweisende Projektion. Dabei macht die projektionsauslösende Phrase eine projektionseinlösende Folgephrase erwartbar (vgl. Auer 2000). Dieses projektierende Potenzial weisen z.B. alle vorangestellten Nebensätze auf, deren zugehörige Hauptsätze in der Folgephrase realisiert werden müssen. So kann im untersuchten Korpus z.B. bei Konditionalkonstruktionen häufig die Voranstellung der Protasis beobachtet werden (wenn ... / dann ...). In diese Kategorie gehören auch unvollständige syntaktische Konstruktionen, die z.B. aufgrund ihrer Länge in zwei Intonationsphrasen aufgeteilt werden (z.B. nach der (.) mittleren REIfe / habe ich dann ein (.) LEHRberuf / bei der (.) firma MAY gekriegt). Ebenfalls projektierend sind Linksherausstellungen oder Freie Themen (z.B. mein BRUder / der war vIer JAHre alt; vgl. Scheutz 1997). Semantisch motivierte Weiterweisung liegt dann vor, wenn ein lexikalisches Element in einer Phrase eine Entsprechung in der Folgephrase erwartbar macht. Hierzu zählen u.a. alle rechtskonnektierenden Rangierpartikeln wie zwar, eigentlich, schon, sicher, erstens und vielleicht (vgl. Engel 1988: 89ff.). Aber auch verba dicendi können weiterweisend sein, wenn sie als Bestandteil größerer syntaktischer Konstruktionen als eigenständige Phrasen realisiert werden (z.B. bei ‚abhängigen Hauptsätzen‘; vgl. Auer 1998b). In syntaktisch und semantisch weiterweisenden Phrasen kann das weiterweisende Potenzial immer zweifelsfrei aus der IP heraus rekonstruiert werden. Die nicht eingelösten Projektionen befinden sich immer im Inneren einer TCU, d.h. am Ende dieser Phrasen können keine turnübergabe-relevanten Stellen vorliegen. Aufgrund dieser Eindeutigkeit bei der Funktionszuweisung bilden diese prototypischen Weiterweisungskontexte auch den Schwerpunkt der Funktionsanalysen. Neben der eindeutigen Weiterweisung können auch potenzielle Weiterweisungskontexte beobachtet werden, die pragmatisch motiviert sind. Das projektierende Potenzial ist dann häufig nicht in der syntaktischen oder lexikalisch-semantischen Struktur erkennbar, sondern muss in einer Kontextanalyse aus der diskursiven Struktur abgeleitet werden. Pragmatische Weiterweisung findet sich insbesondere in längeren Gesprächsbeiträgen einer Sprecherin/eines Sprechers, wie z.B. in Erzählungen, in Beschreibungen oder in der Entwicklung eines Arguments. So gelten z.B. für den Aktivitätstyp ‚Erzählung‘ bestimmte strukturelle Bedingungen, wonach u.a. ein ‚tellable point‘ (Chafe 1994), ein konversationeller Höhepunkt, vorhanden sein muss, aus dem heraus offensichtlich wird, warum die Erzählung in den momentanen Gesprächskontext passt. Die einzelnen Erzählschritte leiten auf diesen Höhepunkt hin, so dass ein Abschluss des Turns bzw. der Erzählung davor nicht möglich ist bzw. einer Verletzung der Regeln dieses Aktivitätstyps gleichkommt. Daraus folgt, dass die Phrasen vor dem Höhepunkt aufgrund ihrer pragmatischen Struktur als weiterweisend anzusehen sind. Wollte man nach einer der Phrasen willkürlich einen Abschluss setzen, so wäre keine pragmatisch-sinnvolle Interpretation als Erzählung möglich. Pragmatisch motivierte Weiterweisung kann auch bei themen-internen Phrasen vorliegen. Ähnlich wie bei den pragmatischen
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Methode und Daten
Abschlusspunkten ist die pragmatische Weiterweisung nicht für alle Intonationsphrasen bestimmbar, da die Interpretation teilweise nur intuitiv durchgeführt werden kann. Für die Analyse werden nur solche Phrasen berücksichtigt, deren pragmatische Strukturen relativ eindeutige Hinweise enthalten. Aufgrund der Unsicherheiten bei der Funktionsbestimmung werden diese Phrasen als potenziell weiterweisende Phrasen bezeichnet. Im folgenden Transkriptausschnitt lässt sich die Bestimmung der Weiterweisung demonstrieren. Der Berliner Sprecher B03 berichtet hier vom Verhältnis zu seinen Kindern. Die Passage besteht aus sechs Intonationsphrasen, von denen all bis auf Z. 5 substanzielle IPs sind. B03-6985 ((Verhältnis von B03 zu seinen Kindern)) -> 1 2 3 4 5 6
B03
die verbIndung is zwar=n bisschen BLÖD und und n bißchen SCHLECHT mAnchmal KOMmen se mAnchmal kOmmen se NICH .h aber ich kann mir wEnigstens mal denn um meene ENkelkinder kümmern
Mit Phrase 1 wird eine semantisch motivierte Weiterweisung aufgebaut, die durch die Verwendung der rechtskonnektierenden Partikel zwar ausgelöst wird. Durch den Sachverhalt in Phrase 1 wird eine Einschränkung oder ein Vorbehalt erwartbar, der in den meisten Fällen mit aber eingeleitet wird. Da die Phrase intonatorisch bereits abgeschlossen ist, muss die durch die semantische Struktur aufgebaute Fortsetzungserwartung in den kommenden Phrasen realisiert werden. In der Folgephrase 2 wird die aufgebaute Projektion noch nicht eingelöst. Vielmehr gibt der Sprecher mit Koordinationsellipse und und n bisschen SCHLECHT eine Reformulierung des vorangegangenen Sachverhalts. Durch diese Phrase wird die Projektion weiter aufrecht erhalten. Auch die beiden folgenden Phrasen bringen noch nicht die Projektionseinlösung, denn hier wird eine Parenthese eingeschoben, durch die die ‚schlechte Verbindung‘ des Sprechers zu seinen Kindern konkretisiert wird. Damit kreisen die ersten vier Phrasen um den in der ersten Phrase realisierten Sachverhalt, ohne die dort aufgebaute Projektion einzulösen. Dies geschieht erst ab der fragmentarischen Phrase 5, in der der Konjunktor aber das erste Signal zur Projektionseinlösung liefert, wodurch der Bezug zurück zur zwar-Konstruktion hergestellt wird. Vollständig eingelöst wird die Projektion erst in Phrase 6, indem eine Einschränkung des Sachverhalts aus Phrase 1 formuliert wird (ich kann mir wEnigstens mal denn um meene ENkelkinder kümmern). In diesem Beispiel kann damit mit Phrase 1 ein eindeutiger Weiterweisungskontext identifiziert werden, der semantisch motiviert ist; die aufgebaute Projektion erstreckt sich relativ weit über vier Phrasen. Zusammenfassend ist das Verfahren zur Bestimmung von abschließenden und weiterweisenden Intonationsphrasen anhand nicht-intonatorischer Kriterien in
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Entwicklung eines methodischen Zugriffs
Abb. 1 in Form eines Flussdiagramms dargestellt. Eindeutige Abschlüsse können demnach dann herausgearbeitet werden, wenn eine substanzielle IP syntaktisch und pragmatisch abgeschlossen ist und von einem Sprecherwechsel gefolgt ist. Wenn der Sprecherwechsel fehlt, wird nur ein potenzieller Abschluss angenommen. Als eindeutiges Weiterweisungskriterium gilt die syntaktische Unabgeschlossenheit. Als potenziell weiterweisend können Phrasen analysiert werden, die zwar syntaktisch abgeschlossen, aber pragmatisch unabgeschlossen sind. Intonationsphrase
fragmentarisch
substanziell
syntaktisch abgeschlossen
nein
regulativ
Weiterweisung
ja
pragmatisch abgeschlossen
nein
potenzielle Weiterweisung
ja
Sprecherwechsel
nein
ja
Abschluss
potenzieller Abschluss
Abb. 1 Verlaufsdiagramm zur Bestimmung der Funktionen ‚Abschluss‘ und ‚Weiterweisung‘
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Methode und Daten
2.2 Übersicht über die Analyseschritte Für die Durchführung dieser Studie ergeben sich damit die folgenden Analyseschritte. 1. Den Ausgangspunkt der Untersuchung bilden die gesprächsstrukturierenden Funktionen ‚Abschluss‘ und ‚Weiterweisung‘. Die Analyse ist damit ausschließlich auf deklarative Äußerungen beschränkt; damit sind alle Frage-Formate (Entscheidungsfragen, Ergänzungsfragen, w-Fragen) systematisch ausgeschlossen. Zur Vermeidung zirkulärer Analysen werden die Funktionen (unabhängige Variablen) zunächst ohne Bezug auf die Intonation (abhängige Variable) bestimmt. In einer qualitativ angelegten Kontextanalyse werden in Kap. 3 für alle Regionalvarietäten unter Verwendung der oben (Kap. 2.1) herausgearbeiteten nicht-intonatorischen Kriterien abschließende und weiterweisende Intonationsphrasen identifiziert. Aufgrund der Komplexität werden diese Kontextanalysen nur für jeweils einige ausgewählte exemplarische Gesprächsausschnitte pro Regionalvarietät durchgeführt. Im Anschluss daran wird für diese abschließenden bzw. weiterweisenden Phrasen die intonatorische Realisierung ermittelt. Dabei wird insbesondere die nukleare Kontur erfasst. Aus dieser Analyse resultiert eine erste Übersicht von nuklearen Intonationskonturen, die mit den beiden Funktionen kookkurrieren. Diese Intonationskonturen stellen das Analyseraster für weitergehende quantitative Untersuchungen bereit. 2. Die in Kap. 3 ermittelten Intonationskonturen sind hinsichtlich ihrer Struktur und regionalen Verteilung zunächst noch unzureichend beschrieben. Im nächsten Schritt dienen diese Konturen daher als Grundlage für eine quantitative Analyse, in der die akustisch-phonetischen und tonologischen Strukturen sowie die regionalspezifischen Verteilungen herausgearbeitet werden. In dieser umfangreichen Analyse, die auch das Zentrum dieser Studie bildet, kann eine im Vergleich zum ersten Analyseschritt weitergehende formale Differenzierung ermittelt werden. Am Ende dieser Analysen liegen für jede Varietät differenzierte Angaben über die Struktur und Häufigkeit einer Kontur oder Konturvariante sowie über die präferierte Konturrealisierung vor (Kap. 4). 3. Als Endergebnis (Kap. 5) können dann für jede Regionalvarietät die Inventare an nuklearen Konturen für die Abschluss- und Weiterweisungsfunktion sowie für weitere funktionale Sub-Typen aufgestellt werden.
Grundlagen der Grundfrequenz-/F0-Analyse
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2.3 Grundlagen der Grundfrequenz-/F0-Analyse In der vorliegenden Arbeit werden aus Gründen der Datentransparenz und der Nachvollziehbarkeit nach Möglichkeit immer Konturverläufe dargestellt, die auf Originalmesswerten beruhen. Eine vereinfachende Darstellung mittels schematischer Konturen oder auch aus dem Höreindruck abgeleitete Konturen wird weitgehend vermieden. Die Interpretation der phonetischen Struktur nimmt also ihren Ausgangspunkt auf einem niedrigen Abstraktionsniveau. Lediglich zur Kennzeichnung ungefährer Verläufe und in den Analyseergebnissen wird auf schematisierte Verläufe zurückgegriffen. Im Folgenden soll das Verfahren zur Ermittlung und Darstellung von Grundfrequenzverläufen erläutert werden. Alle phonetischen Analysen werden mit Hilfe des umfangreichen Phonetik-Softwarepaketes ‚Praat‘ durchgeführt.5 Der Algorithmus zur Extraktion der Grundfrequenz (F0) errechnet aus dem Sprachsignal den Zeitverlauf der periodischen Schwingungen der Stimmlippen pro Sekunde.6 Die gemessenen Frequenzwerte können in einer Graphik dargestellt werden, in der der zeitliche Verlauf der Intonation abgebildet ist. 2.3.1 Glättungsverfahren Sowohl bei der visuellen als auch bei der statistischen Interpretation ist auf eine Reihe von möglichen Fehlerquellen hinzuweisen, deren Erkennung und Eliminierung für die korrekte Interpretation des F0-Verlaufs notwendig sind. Verschiedene Ursachen können dazu führen, dass die Ergebnisse des F0-Algorithmus fehlerhaft sind. So führen z.B. Nebengeräusche oder Stimmqualitätsveränderungen (Glottalisierung, Alterstimme u.a.) dazu, dass der F0-Algorithmus falsche Frequenz-Kandidaten vorschlägt. Möglich sind auch sog. ‚Oktavsprünge‘, die entstehen, wenn in der Extraktion der falsche Kandidat für einen F0-Wert ausgewählt wurde. Diese Messfehler sind daran zu erkennen, dass ein Konturabschnitt um eine Oktave aus seiner Umgebung herausgehoben ist, ohne dass ein solcher Sprung auditiv nachvollziehbar wäre. Vor der Analyse müssen solche Messfehler erkannt und ausgeschlossen werden. Weiterhin üben Konsonanten Einfluss auf den folgenden und teilweise auch auf den vorausgehenden Konturverlauf aus. Stimmlose Konsonanten, insbesondere stimmlose Frikative, können zu einer Erhöhung der Grundfrequenz beitragen. Umgekehrt wird die Grundfrequenz in der Umgebung stimmhafter Laute erniedrigt (vgl. Lehiste 1976: 230f.). Es handelt sich hierbei um sprach-universale, phonetische Eigenschaften, die keinerlei Relevanz für die Satzintonation haben. Es wird daher auch angenommen, dass diese mikrointonatorischen Auslenkungen in der Wahrnehmung keine Rolle spielen und herausgefiltert werden (vgl. Laver 1994: 456). Bei der visuellen Interpretation von Tonhöhenkurven ist jedoch auf das 5 6
Vgl. http://www.praat.org. Das Programm wird von Paul Boersma und David Weenik entwickelt und betreut und hat sich in der akustischen Phonetik als defacto-Standard etabliert. Zur genauen Beschreibung des F0-Extraktionsalgorithmus vgl. Boersma (1993).
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Methode und Daten
potenzielle Vorhandensein solcher Mikrovariation zu achten und ggf. ist eine Bereinigung erforderlich.7 Ein Großteil der Messfehler und der perzeptiv nicht relevanten Mikrovariation kann durch ein Glättungsverfahren eliminiert werden. Die ‚störenden‘ Messwerte werden dazu mit Hilfe der ‚Smooth-Funktion‘ von Praat (Bandbreite: 10 Hz) gelöscht, so dass eine geglättete Kontur resultiert. Das Glättungsverfahren ist in Abb. 2 am Beispiel einer kölnischen IP dargestellt. Die obere Grafik enthält die F0-Messungen, wie sie sich nach dem ersten Analyseschritt ergeben. Zusätzlich ist hier, wie auch in allen weiteren Darstellungen, die nukleare Akzentsilbe durch Schattierung markiert. Die Mikrovariation ist an den zahlreichen schnellen Aufund Ab-Bewegungen zu erkennen, die jeweils nur eine Auslenkung von wenigen Hertz aufweisen. Des weiteren enthält der Verlauf einige sehr steile Bewegungen (z.B. am Ende von dat, am Beginn von FRIE, am Ende von sen, am Beginn von war), die auf Messfehler hindeuten. Die untere Grafik zeigt den Konturverlauf nach der Glättung: Die kleinen F0-Auslenkungen und die Messfehler sind verschwunden und die perzeptiv irrelevante Mikrovariation wurde minimiert. ohne Konturglättung 200 150
100 bis dat 70 0
man: 0.5
am FRIE sen 1
platz
1.5
war 2
2.37
Time (s) mit Konturglättung 200 150
100 bis dat 70 0
man: 0.5
am FRIE sen 1
1.5
platz
war 2
2.37
Time (s)
Abb. 2 Darstellung des Glättungsverfahrens: Rohwerte ohne Glättung (oben), geglättete Kontur (unten)
7
Zur Rechtfertigung vgl. Möbius (1993: 29); für ein Verfahren zur Herstellung von perzeptiv-äquivalenten Konturen (sog. close copy synthesis) vgl. Adriaens (1991). Für ein aktuelles Stilisierungsverfahren, das auf einem perzeptiven Modell basiert, vgl. den Prosogram-Algorithmus von Mertens/Alessandro (1995) und Mertens (2005).
Grundlagen der Grundfrequenz-/F0-Analyse
59
2.3.2 Wahl der Achsskalierung Ein weiterer methodischer Aspekt betrifft die Wahl der Achsskalierung für die Darstellung der Grundfrequenz. Wenn die F0-Messwerte mit einer linearen Skala dargestellt werden, so wird nur die akustisch-physikalische Realität abgebildet. Diese Form der Datenanalyse ist jedoch dann nicht mehr adäquat, wenn Intervalle in verschiedenen F0-Regionen oder von verschiedenen SprecherInnen miteinander verglichen werden sollen. Aus der psycho-akustischen Forschung ist bekannt, dass die Verarbeitung der Sprechmelodie im Gehör nicht linear, sondern logarithmisch verläuft, d.h. je nachdem in welcher Lage ein bestimmtes F0-Intervall lokalisiert ist, variiert die wahrgenommene Größe des Intervalls. So entspricht z.B. das Intervall zwischen 50 und 100 Hz in der Perzeption nicht dem Intervall von 100 bis 150 Hz: Obwohl die akustische Intervallgröße in beiden Fällen gleich ist, ist in der Wahrnehmung die Tonhöhendifferenz des Intervalls von 50 bis 100 Hz größer als diejenige des Intervalls von 100 bis 150. Im Wesentlichen wird ein Ton doppelt so hoch wahrgenommen, wenn die Frequenz verdoppelt wird (Oktavintervall). Die perzeptive Differenz zwischen 50 und 100 Hz ist damit äquivalent zum Intervall von 100 bis 200 Hz oder 200 bis 400 Hz. Der Grund für diese Asymmetrie liegt in der abnehmenden Auflösungsfähigkeit des Gehörs mit zunehmender Frequenz. Diese Abhängigkeit der wahrgenommenen Intervallgröße von der Lage auf der Frequenzskala wird durch die Verwendung einer logarithmischen Skala berücksichtigt und ausgeglichen. In Abb. 3 sind die lineare und die logarithmische Skalierung am Beispiel der kölnischen Phrase da=hab=ich früher nich BEIschaffen können karneval8 einander gegenübergestellt. Im Vergleich der beiden Skalierungen ist zu sehen, dass die Konturbestandteile im oberen Frequenzbereich unter der logarithmischen Skalierung weniger Auslenkung aufweisen als unter linearer Skalierung. Die Verwendung der logarithmischen Skala erlaubt es, Ton-Intervalle zu bestimmen und zu vergleichen, die in unterschiedlichen Frequenzbereichen liegen. Damit ist es z.B. möglich, eine gewisse Normalisierung von Männer- und Frauenstimmen, aber auch zwischen tiefen und höheren Stimmen zu erreichen. Da in der vorliegenden Untersuchung die Intervallbestimmung ein wichtiges Analyseinstrument ist, ist die Verwendung der logarithmischen Skala unerlässlich. Alle im Folgenden dargestellten F0-Verläufe basieren auf dieser Skalierung. Um die Vergleichbarkeit der Darstellungen weitgehend zu gewährleisten, wird in den Abbildungen nach Möglichkeit immer ein konstanter Frequenzbereich verwendet, der bei Männerstimmen meist 50-70 bis 200 Hz und bei Frauenstimmen 100 bis 250-300 Hz beträgt. Im Einzelfall kann der genutzte Frequenzbereich in tiefere oder höhere Regionen hineinragen; in solchen Fällen wird der dargestellte Frequenzbereich entsprechend verändert. Neben der logarithmischen Skala existiert mit der Halbtonskala ein äquivalentes Verfahren zur psycho-akustisch motivierten Erfassung des Frequenzbereichs. 8
Übersetzung: ‚davon habe ich früher an Karneval nicht [genug] herbeischaffen können‘.
60
Methode und Daten lineare Skalierung
F0 [Hz] - linear
300 250 200 150 100 da=hab=ich früher nich 50 0 0.5
BEI
schaffen 1
können 1.5
karneval 2
2.25
logarithmische bzw. Halbtonskalierung 300 200 150 100 70 da=hab=ich früher nich 50 0 0.5
BEI
schaffen 1
können 1.5
karneval 2
18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 -2 -4 -6 -8 -10 -12 2.25
Tonhöhe [st] - linear
F0 [Hz] - logarithmisch
Time (s)
Time (s)
Abb. 3 Lineare vs. logarithmische Hertz- bzw. Halbtonskalierung
Mittels der Halbtonskala wird der Frequenzbereich in jeweils gleich große musikalische Halbtonschritte eingeteilt (Einheit: st; semi tone).9 Die Verwendung der Halbtonskala führt zum gleichen Ergebnis wie die logarithmische Skala. Wenn die Achsen entsprechend aneinander ausgerichtet werden, so ist ein logarithmischer F0-Verlauf identisch mit einem halbtonskalierten F0-Verlauf. Das Verhältnis, besser: die Äquivalenz zwischen den beiden Skalierungsarten ist aus Abb. 3 zu entnehmen. Neben der logarithmischen Skala auf der linken y-Achse ist auf der rechten y-Achse die Halbtonskala eingezeichnet, so dass eine direkte Übertragung der Hertzwerte in Halbtonschritte möglich ist. Logarithmische und Halbtonskala unterscheiden sich also nur im zugrunde gelegten mathematischen Modell, führen aber beide zum selben Ergebnis/zur selben Darstellung. Der (arbiträr festgelegte) Nullpunkt der verwendeten Halbtonskala entspricht einem Frequenzwert von 100 Hz, was durch die Verbindungslinie zwischen 100 Hz und 0 st angedeutet ist. Die Umrechnung der Hertz- in Halbtonwerte erfolgt mit der Formel:10 f ( Hz ) ) 100 ln 2
12 * ln( f ( st ) =
9 10
Zur Herleitung der Halbtonskala und ihr Verhältnis zur logarithmischen Skala vgl. Reetz (1999: 95ff.). Diese Umrechnung wird in der Praat-Software angewendet und basiert auf einer Formel von 't Hart et al. (1990: 23f.).
Transkriptionssystem
61
Die Halbtonskala wird im Folgenden immer dann verwendet, wenn die Relationen zwischen Intervallen (von verschiedenen Sprecher/von verschiedenen Varietäten) mathematisch berechnet werden müssen. Denn aufgrund ihrer Linearität ist es einfacher, mit der Halbtonskala zu rechnen als mit der logarithmischen Skala.
2.4 Transkriptionssystem Die herkömmlichen Notationsverfahren zur Beschreibung der Intonation wie ToBI und G-ToBI basieren auf den Ergebnissen von phonetisch-phonologischen Analysen der Standardvarietäten des Englischen bzw. Deutschen (Beckman/Ayers-Elam 1997, Grice/Benzmüller 1995, Grice/Baumann 2002). Sie sind für die Beschreibung regionalspezifischer Intonationsmerkmale nur bedingt geeignet, da hier bereits die Beschreibungskategorien vorgegeben sind, die eigentlich in den regionalsprachlichen Daten erst noch ‚entdeckt‘ werden müssen. Eine Entwicklerin des ToBI-Systems weist selbst darauf hin, dass dieses System (als ‚breite‘ Transkription) tatsächlich nur zur Transkription von Sprachen/Varietäten eingesetzt werden sollte, deren phonologisch relevanten tonalen Kategorien bereits bekannt sind (Beckmann 1995). Vor diesem Hintergrund kommt damit für die vorliegende Untersuchung das ToBI- oder ein vergleichbares autosegmental-metrisches System als Transkriptionssystem nicht in Frage. Weiterhin ist in diesen Systemen keine konsequente Trennung zwischen phonetischer Realisierung und tonologischer Systematisierung und Distinktivität durchgeführt, so dass mögliche phonetische Formvarianten unter einer phonologischen Intonationskontur subsumiert sind (vgl. oben Kap. 1.2.2). Doch gerade für die kontrastive Analyse von regionalen Varietäten erweisen sich Unterschiede in der phonetischen Gestaltung als relevant. Zur Beschreibung der regionalen Variation ist daher das eingeschränkte Symbolinventar der ToBI-Systeme nicht ausreichend. Mit einem adäquaten Notationssystem sollte es möglich sein, den Intonationsverlauf möglichst genau und theorieneutral zu erfassen. Gleichzeitig sollte die Lesbarkeit solcher Transkripte gewährleistet sein. Zur Erfassung und Klassifizierung der intonatorischen Variabilität ist es weiterhin wichtig, Varianten bzw. Variantenmengen zu identifizieren, die dann in einem weiteren Analyseschritt einer gemeinsamen (tonologischen) Kategorie zugeordnet werden können. Die intonatorische Transkription ist damit das zentrale Hilfsmittel, die Datenmenge bottom-up zu strukturieren, d.h. von einem niedrigen zu einem höheren Abstraktionsgrad der Analyse zu gelangen. Es käme einem methodischen Fehlschritt gleich, die Kategorien des phonetischen Beschreibungssystems von vornherein mit den tonologischen und phonologischen Kategorien gleichzusetzen. Das zurzeit am weitesten fortgeschrittene System zur Beschreibung regionaler Intonation ist das von Esther Grabe im Rahmen eines Forschungsprojekts zur regionalen Intonation britisch-englischer Dialekte entwickelte IViE-System (‚Intona-
62
Methode und Daten
tional Variation in English‘; vgl. Grabe 2001). In diesem System wird klar zwischen der phonetischen, phonologischen und der (hier nicht weiter relevanten) rhythmischen Struktur der Intonationsphrase getrennt, so dass eine von theoretischen Ausgangsannahmen unbelastete Beschreibung möglich ist, die gerade für die Erfassung von regionaler intonatorischer Verschiedenheit eine Grundbedingung ist. Ausgehend von der auditiven und akustischen Struktur werden strukturell relevante Silben der IP mit einem Ton-Etikett versehen, das die Tonhöhe dieser Silbe wiedergibt. In dieser Hinsicht steht also auch IViE in der Tradition der autosegmentalen Phonologie: Intonationskonturen sind hier das Resultat der Interpolation zwischen verschiedenen Zielpunkten innerhalb einer Phrase. Es unterscheidet sich jedoch z.B. vom ToBI-System durch ein reichhaltigeres Symbolinventar. Als Software-Ergänzung ist das IViE-System so konzipiert, dass in einem phonetischen Analyseprogramm das durchlaufende Sprachsignal zeitsynchron mit einer intonatorischen Transkription versehen werden kann. Die IViE-Symbolfolgen können jedoch auch unabhängig von einem Software-System, z.B. in Manuskripten, als Transkription eingesetzt werden. Das hier angewendete Transkriptionssystem basiert auf IViE; an einigen Punkten wurden jedoch Modifikationen vorgenommen. Es wird generell zwischen drei relativen Tonhöhenniveaus unterschieden: tief (L bzw. l), mittel-hoch (M bzw. m) und hoch (H bzw. h). Diese Tonhöhenniveaus werden einzelnen Silben zugewiesen. Es erhalten jedoch nur diejenigen Silben ein Tonsymbol, in denen eine wahrnehmbare Richtungsänderung des Verlaufs stattfindet. Der (angenäherte) Verlauf einer Kontur ergibt sich dann aus der Verbindung zwischen den einzelnen Tönen. Während in den tonologisch-autosegmentalen Beschreibungssystemen ausschließlich Großbuchstaben verwendet werden, werden in IViE Groß- und Kleinbuchstaben eingesetzt, um den Unterschied zwischen akzentuierten und nicht-akzentuierten Silben zu symbolisieren. Großbuchstaben entsprechen dabei den tropischen (‚gesternten‘) Tönen der autosegmentalen Intonationsforschung; Kleinbuchstaben sind für unakzentuierte Silben reserviert. Die Phrasengrenzen einer IP werden wie in ToBI mit ‚%‘ symbolisiert. Nukleare Konturen beginnen also immer mit einem Großbuchstaben, an den sich eine Folge von Kleinbuchstaben anschließt, die durch ein %-Zeichen abgeschlossen wird. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, dass in den Analysen zwischen der tonologischen Interpretation (nur Großbuchstaben) und der phonetischen Transkription (Klein- und Großbuchstaben) unterschieden werden kann. Ein Zielton in einer Silbe wird mit einem einfachen Tonsymbol versehen. Eine Besonderheit betrifft die Akzentsilbe: Wenn hier anstelle eines klar identifizierbaren Zieltons H, L oder M eine konstant gleitende Bewegung vorliegt, deren eigentlicher Zielpunkt sich in einer früheren oder späteren Silbe befindet, so werden die Tonfolgen LH (ansteigende Gleitbewegung) bzw. HL (fallende Gleitbewegung) verwendet.
Transkriptionssystem
63
Um einen interpolierten Verlauf zwischen zwei Symbolen auszudrücken, wird der Bindestrich ‚-‘ verwendet. Die Transkription l-h steht also für einen Anstieg. Ein gleichbleibender Verlauf über mehrere Silben wird mit zwei identischen Symbolen ausgedrückt: h-h, l-l, m-m. Wenn die letzte Silbe eines gleichbleibenden Verlaufs ein Phrasengrenzton ist, so steht statt des letzten Tonsymbols lediglich ‚%‘; h-% symbolisiert z.B. ein gleichbleibendes Plateau, das bis zur Phrasengrenze auf hohem Niveau liegt. In diesen Fällen wird also die Lage des Grenztons durch den vorhergehenden Ton determiniert. Wenn jedoch auf der letzten Silbe eine eigene Tonbewegung stattfindet, so bekommt der Grenzton ein eigenes Tonsymbol (z.B. h%). Eine der wichtigsten Änderungen gegenüber dem IViE-System betrifft die Anzahl der interpolierten Teilstrecken in einer nuklearen Kontur. In IViE ist nur eine interpolierte Konturstrecke zulässig, die ausschließlich den Verlauf zwischen den zwei letzten Ton-Etiketten festlegt. Zur Erfassung komplexer Konturen ist es hingegen notwendig, auch zwei interpolierte Teilstrecken zuzulassen. So wird ein fallend-steigender Verlauf mit H-l-h% symbolisiert. Die beiden durch einen Bindestrich angedeuteten Teilstrecken können sich hier über mehrere Silben erstrecken. Um auszudrücken, dass ein Verlauf sich nur auf zwei unmittelbar benachbarte Silben bezieht, werden die beiden Symbole nicht durch einen Bindestrich, sondern durch einen Leerschritt verbunden. Demnach bedeutet L h, dass auf einen tiefen Zielton in der Akzentsilbe eine unmittelbare Folgesilbe mit hohem Tonniveau folgt. Die folgenden Beispiele illustrieren einige typische Konturverläufe: H-l% H-l-h% H-l-m% H-% LH h-%
L-h% L h-%
einfach fallender Verlauf auf tiefes Niveau fallend-steigender Verlauf auf hohes Niveau fallend-steigender Verlauf auf mittleres Niveau gleichbleibend hoher Verlauf (Plateaukontur) konstant ansteigende Bewegung in der Akzentsilbe, Maximum liegt auf der nächsten Silbe (erste Silbe des Nachlaufs), gleichbleibend hoher Verlauf bis zum Phrasenende einfach steigender Verlauf auf hohes Niveau tiefe Akzentsilbe, auf die in der nächsten Silbe ein Hochplateau folgt
Eine mit der Silbenebene alignierte intonatorische Transkription hat dann entsprechend das folgenden Format (hypothetisches Beispiel): Lhl H-l-l% tonoLOgische interpretaTION
Für die Analyse können weitere formale Differenzierungsmöglichkeiten notwendig werden, die an den entsprechenden Stellen im Text eingeführt werden.
64
Methode und Daten
2.5 Korpuserstellung und -beschreibung Im Folgenden wird das in dieser Arbeit ausgewertete Sprachdatenkorpus beschrieben. Dazu werden die Kriterien für die Auswahl der Ortspunkte motiviert, phonologische Kurzcharakterisierungen der ausgewählten acht Regionalvarietäten vorgestellt, die Datenerhebung und -aufbereitung erläutert und schließlich einige generelle intonatorische Kenngrößen der einzelnen SprecherInnen ermittelt. 2.5.1 Auswahl der Ortspunkte Da zur regionalspezifischen Intonation des Deutschen nur geringe und teilweise impressionistische bis unzuverlässige Informationen vorliegen, ist diese Studie grundsätzlich explorativ angelegt. Anhand von acht Ortspunkten werden die phonetischen, phonologischen und konversationell-funktionalen Variationsmöglichkeiten der intonatorischen Gestaltung analysiert. Um möglichst die Extrempole der Variationsmöglichkeiten zu erfassen, wird eine weite Streuung der Ortspunkte innerhalb der deutschen Regionen vorgenommen. Die Untersuchung basiert auf den regionalen Substandards in Ballungszentren verschiedener deutscher Großstädte. Umfangreiche Sprachdatenerhebungen fanden statt in:
• • • • • • • •
Hamburg (Nordniedersächsisch) Berlin (Mischvarietät auf niederdeutschem Substrat) Dresden (Obersächsisch) Duisburg (Rheinmaasländisch) Köln (Ripuarisch) Mannheim (Rheinfränkisch) Freiburg (Niederalemannisch) München (Mittelbairisch)
Mit der Auswahl dieser Städte wird ein Großteil der deutschen Dialektregionen abgedeckt. Die intonatorische Variation kann sowohl in der Nord-Süd- als auch in der Ost-West-Dimension erfasst werden. Die einzelnen Stadtvarietäten dienen als ‚Modelle‘ für die weitere Umgebung. Bei allen Städten handelt es sich um Großstädte, im Fall von Hamburg, Berlin, Köln und München sogar um Millionenstädte, die alle über große Einzugsbereiche verfügen. Aufgrund der zentralen Stellung der Großstädte im wirtschaftlichen und öffentlichen Leben und aufgrund vielfältiger Sprachkontaktsituationen ist der Kommunikationsraum ‚Stadt‘ ein wichtiger Katalysator bei der Entstehung von regionalen Umgangssprachen. Im Zentrum stehen damit nicht die Stadtsprachen im engeren Sinne. Das Hauptkennzeichen dieser städtisch geprägten, regionalen Umgangssprachen ist ihre inhärente Variabilität. Im Gegensatz zu den Grunddialekten und zur Standardsprache weisen sie eine spezifische Mischung aus dialektalen und standardnäheren Sprechweisen auf. Diese Variantenmischung ist in hohem Maße abhängig von soziolinguistischen Faktoren wie
Korpuserstellung und -beschreibung
65
Alter, Geschlecht oder Situation. Innerhalb des Varietätengefüges nehmen diese Umgangssprachen eine vermittelnde Stellung zwischen den Grunddialekten und der Standardsprache ein. Die Umgangssprachen breiten sich von den Städten in die Umgebung aus und überlagern dort die alten Grunddialekte (vgl. Chambers/Trudgill 1998). Im Zuge des allgemeinen Dialektausgleichs seit dem 19. Jh. übernehmen die Umgangssprachen die Funktion der regionalen Alltags- und Prestigevarietät. In der nicht-wissenschaftlichen Alltagsmeinung nehmen die Städte eine zentrale Funktion bei der Bildung von Stereotypen ein: Oft werden nämlich ganze Dialektregionen mit einer Stadt assoziiert, so dass z.B. häufig das Münchnerische mit dem Bairischen gleichgesetzt wird. Eine solche Gleichsetzung einer Dialektregion mit einer Großstadt wäre natürlich für eine Analyse von segmentell-phonologischen, morphologischen und lexikalischen Merkmalen nicht angebracht. Für die Intonationsanalyse und insbesondere für eine explorative Untersuchung ist diese methodenbedingte Gleichsetzung jedoch vertretbar. Aufgrund der weitgehenden Universalität bestimmter intonatorischer Merkmale, die z.B. dafür verantwortlich sind, dass sich Einzelsprachen immer nur teilweise in ihren Intonationssystemen unterscheiden (Bolinger 1978), kann sich die innereinzelsprachliche, regionale Intonation nur in einem umgrenzten Bereich ereignen, der weniger Variationsspielraum als bei segmentellen Merkmalen zulässt. Daraus kann eine (freilich in weiterer Forschung zu überprüfende) Hypothese abgeleitet werden, dass Intonation geographisch als relativ stabil anzusehen ist.11 Aus diesen Gründen erscheint es gerechtfertigt, die regionalen Varietäten der Großstädte als Repräsentanten eines weitaus größeren Raumes anzusehen. Das Hamburgische steht demnach stellvertretend für die nordniedersächsischen Varietäten. Das Berlinische wurde gewählt als Repräsentant für die Region um die Hauptstadt, deren Einfluss heute nach allen Richtungen zu verspüren ist (nach Brandenburg, Mecklenburg, Sachsen-Anhalt; vgl. Schönfeld 2001). Mit dem Dresdnerischen wird das Obersächsische abgedeckt. Die rheinmaasländische Varietät des Duisburgischen geht als eine Varietät des Ruhrgebiets in die Untersuchung ein. Das Kölnische und das Mannheimerische gelten als Repräsentanten des Mittelfränkischen. Das Freiburgische dient hier als Modell für das Alemannische und das Münchnerische schließlich soll das Bairische repräsentieren. Damit sind alle dialektologischen Großräume des deutschen Sprachraums durch eine Großstadt repräsentiert. Die Lokalisierung der acht Städte innerhalb der deutschen Dialektregionen ist in Abb. 4 wiedergegeben. Die praktische Durchführbarkeit einer solchen Untersuchung im Bereich der Grundlagenforschung bringt es mit sich, dass Lücken bleiben, die weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben müssen. Aus diesem Grund fehlen Ortspunkte im Gebiet des östlichen Niedersächsischen (z.B. Hannover), im Hessi11
Eine erste Analyse zum Verhältnis zwischen segmentellen und prosodischen Dialektmerkmalen hat Schlichting (2001) am Beispiel des Stuttgarter Schwäbischen vorgelegt. In einer apparent time-Analyse zum Dialektwandel konnte festgestellt werden, dass jüngere SprecherInnen segmentelle Dialektmerkmale abbauen, aber gleichzeitig prosodische Dialektmerkmale beibehalten.
66
Methode und Daten
schen (Frankfurt), im Saarländischen (Saarbrücken), im Thüringischen (Erfurt), im Schwäbischen (Stuttgart)12 und im Ostfränkischen (Nürnberg).
MecklenburgischVorpommersch
Hamburg
iederdeutsch Ostn
Nordniedersächsisch
niederdeuts West ch
Rhei n
Brandenburgisch
Berlin
Ostfälisch
Westfälisch Rheinmaasländisch
Duisburg
Obersächsisch
ch
ris pua
Ri
Thüringisch
Köln
itteldeutsch Ostm
itte Westm ldeutsch
Dresden
ch
is nk
lfrä
se
Mo
Ostfränkisch
h
isc
nk
Mannheim
n
ei
Rh
frä
Nordbairisch
Ba ir
isc
Sc
h
h
Alemannisch wäbis
ch
Mittelbairisch
Freiburg Nie
Hochalem.
der
ale
München
ma
nni
sch
Abb. 4 Dialektregionen des Deutschen und die Lokalisierung der acht Städte dieser Untersuchung
2.5.2 Phonologische Kurzcharakterisierung der acht Regionalvarietäten Im Folgenden werden einige charakteristische Merkmale der acht Regionalvarietäten vorgestellt, die überwiegend aus dem Bereich der Phonetik/Phonologie und teilweise aus der Morphologie stammen. Auf die teilweise massiven lexikalischen Besonderheiten der Varietäten kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden.13 Wie bereits erwähnt, sind die Regionalvarietäten weitgehend durch die Mischung von dialektnäheren mit standardnäheren Varianten geprägt, d.h. die dialektale Variante wird nicht durchgängig verwendet. Die Merkmale gelten nicht ausschließlich für das jeweilige Stadtgebiet, sondern sind natürlich auch in der weiteren Umge12 13
Die Intonation des Stuttgarter Schwäbisch wird zur Zeit im Dissertationsprojekt von Frank Kügler (Potsdam) bearbeitet. Vgl. dazu die Beiträge zu den deutschen Dialektregionen in Russ (1990).
Korpuserstellung und -beschreibung
67
bung zu finden. In der Kurzcharakterisierung der Regionalvarietäten werden auch die vorhandenen Information zur Regionalintonation zusammengestellt Hinsichtlich der Distanz zur Standardsprache kann für die acht Regionalvarietäten kann ein typisches Nord-Süd-Gefälle beobachtet werden: Die Distanz der nördlicheren Varietäten zur Standardsprache ist generell geringer, als dies bei den südlichen Varietäten der Fall ist. Insbesondere die Varietäten im niederdeutschen Gebiet (Hamburg, Berlin), aber auch die mitteldeutschen Varietäten aus Duisburg und Dresden zeichnen sich dadurch aus, dass sie in weniger Merkmalen vom Standard abweichen. Demgegenüber sind die Varietäten aus Köln, Mannheim und besonders aus Freiburg und München durch deutliche Kontraste zur Standardsprache gekennzeichnet. Hamburg Unter dem ‚Hamburgischen‘ wird hier die hochdeutsche Varietät auf niederdeutschem Substrat verstanden; es handelt sich damit weder um das im Rückgang befindliche Niederdeutsche noch um das nur noch in Resten vorhandene Missingsch.14 Die Unterschiede des Hamburgischen zur Standardsprache betreffen größtenteils die phonetische Realisierung; tiefergehende phonologische Unterschiede sind selten. Die Zusammenstellung orientiert sich an dem erhobenen Datenmaterial sowie an den Darstellungen von Martens (1981) und Auer (1998a).
• • • • • • • • • • • •
14
Verdumpfung von nhd. /a:/ > [O:] (Rekl[O:]me, Str[O:]sse, g[O:]r, s[O:]gen) Diphthongierung von nhd. /o:/ > [oU]([oU]ben ‚oben‘, s[oU] ‚so‘, Epis[oU]de ‚Episode‘, l[oU]s ‚los‘) Diphthongierung von nhd. /e:/ > [eI] (g[eI]n ‚gehen‘, st[eI]n ‚stehen‘, gew[eI]sen, Universit[eI]ten) Ausbleiben der lexeminitialen s-Palatalisierung ([sp]ielt, Rinn[st]ein, [sp]ontan; nur noch in der älteren Generation erhalten) ‚Flapping‘ intervokalischer stimmloser Plosive (Poppenbü[*]el, Mu[*]er, Sei[*]e ‚Seite‘) Frontierung und Hebung von /a/ > [<] (häufig vor velarem [x]: gem[<]cht ‚gemacht‘, S[<]chen ‚Sachen‘, gebr[<]cht ‚gebracht‘) Frontierung und Hebung von /a:/ vor tautosilbischem /r/ > [<:] (M[<:]rk ‚Mark‘, [<:]rzt ‚Arzt‘) Kürzung von /a:/ vor /x/ ([tax] ‚Tag‘, ges[axt] ‚gesagt‘) Frikativierung von auslautendem /g, k/ ([tax] ‚Tag‘, ges[axt] ‚gesagt‘) Verdumpfung des Diphthongonsets bei /ai/ > [^I] ([v^In] ‚Wein‘, [k^In] ‚kein‘) r-Varianten – das ursprüngliche Zungenspitzen-r des Niederdeutschen ist nur noch bei Sprecher HH01 zu hören; für die übrigen Sprecher gilt das Zäpfchen-r [8] wortinterne glottale Verschlüsse (mit[?]ein[?]ander, Eigen[?]initi[?]ative, be[?]ob[?]achten, [?]Or[?]atorium, [?]in[?]ein[?]ander). Wie die Beispiele zeigen, tritt der Glottisverschluss nicht nur wie im Standarddeutschen vor betonten, sondern auch vor unbetonten Vokalen auf.
Zum Missingsch als Mischform aus Nieder- und Standarddeutsch vgl. Martens (1981).
68
Methode und Daten
Intonation Für das Hamburgische wurde von Martens (1952) eine der wenigen kontrastiven Untersuchungen zur regionalen Variation vorgelegt, deren Methodik und Ergebnis bereits in Kap. 1.4.1 ausführlicher vorgestellt wurde. Die wichtigsten Ergebnisse sind: Im Kontrast zum Münchnerischen wird in abschließenden Einheiten mit (mindestens) zwei Akzenten der Hauptakzent in Relation zum vorangehenden Nebenakzent höher gelegt. Bei weiterweisenden Einheiten ist es umgekehrt: Hier wird der Hauptakzent im Verhältnis zum vorangehenden Nebenakzent tief realisiert. Mit der Konturfamilie der ‚hoch ansetzenden‘ Konturen beschreibt Auer (2001) auffällige und exklusiv hamburgische Intonationsmerkmale. Gemeinsam ist diesen Konturen der hohe, oft sogar extra-hohe Ansatz auf der ersten Silbe einer Phrase. Die prägnanteste Form wird zur Kontextualisierung eines Höhepunktes oder einer Pointe einer Erzählung oder Argumentation eingesetzt. Dabei entsteht die Kontur aus der Kombination aus einem extra-hohen initialen Grenzton, einem Tiefton auf der ersten akzentuierten Silbe (Kopfakzentsilbe) und einem Hochton auf der Nukleussilbe: %H L* (...) H*+L %. Die perzeptive Auffälligkeit der Kontur resultiert aus dem mehrfachen Wechsel der Melodie-Richtung (fallend-steigend-fallend). Eine zweite ‚hoch ansetzende‘ Kontur wird in Entscheidungsfragen verwendet. Dabei wird die erste Silbe, die gleichzeitig der Kopfakzent der Phrase ist, mit einem extra-hohen initialen Grenzton versehen: %H* …. Beide Konturen wurden in einem Wahrnehmungsexperiment erfolgreich auf ihre regionale Auffälligkeit getestet (Gilles et al. 2001). Phonetische Aspekte der Realisierung von Fallkonturen wurden von Peters (1999) und Gilles (2001a) analysiert. Demnach ist das Hamburgische durch eine frühe Ausrichtung des Grundfrequenzgipfels innerhalb der akzentuierten Silbe gekennzeichnet. Dieses Merkmal wird in Kap. 4.1.3 ausführlich dargestellt und auch für die übrigen Varietäten untersucht. Berlin Beim Berlinischen handelt es sich um eine Ausgleichsvarietät, die durch den Kontakt des lokalen Niederdeutschen mit dem Hochdeutschen und Obersächischen entstanden ist (Lasch 1928, Schönfeld 2001). Der Ausgleichsprozess begann um 1500 und führte nach und nach zu einer weitgehenden Verdrängung des Niederdeutschen. Begünstigt wurde der Ausgleich durch große Zuwanderungswellen, so dass im Jahr 1920 3,8 Mio. Einwohner im Großraum Berlin lebten. Das Berlinische zeichnet sich im phonetisch-phonologischen, im morphosyntaktischen und im lexikalischen Bereich durch zahlreiche Besonderheiten aus. Dabei ist bei den phonetisch-phonologischen Besonderheiten zu beachten, dass viele der entsprechenden Merkmale aufgrund der wechselvollen sprachlichen Einflüsse auf die Berliner Stadtsprache, insbesondere des Niederdeutschen und des Obersächsischen, lexikalisch beschränkt auftreten.
Korpuserstellung und -beschreibung
• • • • • • • •
69
kontextgebundene Frikativierung von /g/ > [j], [ç] oder [x] (Präfix ge- > je-, [j]ut ‚gut‘, [j]roß ‚groß‘; inlautend Ke[j]el ‚Kegel‘; we[ç] ‚weg‘, Krie[ç] ‚Krieg‘; flo[x] ‚flog‘, jenu[x] ‚genug‘) Monophthongierung von mhd. /ou/ > [o:] (k[o:]fen ‚kaufen‘, l[o:]fen ‚laufen‘) Monophthongierung von mhd. /ei/ > [e:] (k[e:]n ‚kein‘, B[e:]n ‚Bein‘) unverschobene Tenues in d[E]t/d[I]t/dat ‚das‘, wat ‚was‘, ick(e) ‚ich‘ Rundung von /I/ > [y] vor labialen Konsonanten (schw[]]mmen ‚schwimmen‘, f[]]sch ‚Fisch‘, t[]]sch ‚Tisch‘) Affrikatenreduktion im Anlaut /ts/ > [s], /pf/ > [f] ([su:] ‚zu‘, [sAIt] ‚Zeit‘) Schwa-Anfügung (dette, drinne, dranne, feste, jetze, ville, achte, Bette, icke ‚Akkudativ‘ (daß ich mir da durchboxe; Jib det den Mann; mit die Frau)
Intonation Zur Intonation des Berlinischen wird erst seit einigen Jahren geforscht.15 Im Rahmen des DFG-Forschungsprojekts ‚Dialektintonation‘ wurden von Selting, Peters und Gilles einige Besonderheiten des Berlinischen herausgearbeitet. Der sog. ‚Springton‘ (Selting 2000) kann unter spezifischen akzentuellen und konversationellen Bedingungen auftreten: Voraussetzung für das Auftreten der salienten Variante des Springtons ist, dass auf eine akzentuierte Silbe eine unakzentuierte und eine weitere akzentuierte Silbe folgen. Die Intonationskontur ist gekennzeichnet durch die Tieflage der Akzentsilbe, gefolgt von einem sprungartigen Anstieg auf der unbetonten und einem ebenso schnellen Abfall auf der dritten Silbe der Konstruktion. In einer solchen dreisilbigen Struktur wird also eine unbetonte Silbe sprungartig aus der allgemeinen Tieflage der umgebenden Silben herausgehoben. Das Auftreten des seltenen, aber perzeptiv auffälligen Springtons ist an bestimmte konversationelle Kontexte geknüpft und tritt zur Markierung von Höhepunkten in Erzählungen, in Bewertungen und in Nach-Beendigungen auf. Unmittelbar relevant für die vorliegende Untersuchung ist die Analyse der ‚Treppenkonturen‘ des Berlinischen (Selting 2001). Treppenkonturen entstehen, wenn der pränukleare Bereich einer Intonationsphrase durch einen flach-tiefen Verlauf gekennzeichnet ist und sich dann auf der nuklearen Akzentsilbe ein schneller Anstieg auf hohes Niveau ereignet; bis zum Phrasenende verläuft die Intonation flach auf diesem hohen Niveau. Diese Kontur ist die zentrale Weiterweisungskontur des Berlinischen und wird in Kap. 4.2 detailliert dargestellt. Peters (2001) beschreibt am Beispiel des Berlinischen steigend-fallende Verläufe der Form L*+(>)H L%, die zur Kontrastierung eingesetzt werden (Kontrastakzent). Mit Peters (1999) und Gilles (2001a) liegen zwei phonetische Detailstudien zur phonetischen Realisierung fallender Akzente vor, die in Kap. 4.1.3 ausführlich dargestellt werden.
15
Geographisch am nächsten zum Berlinischen ist die Arbeit von Van de Kerckhove (1948) zu Rostock. Doch wird hier ausschließlich die dortige niederdeutsche Varietät beschrieben, deren Merkmale nicht ohne Weiteres auf das Berlinische übertragen werden können.
70
Methode und Daten
Dresden Auch beim Obersächsischen, zu dem das Dresdnerische zählt, handelt es sich um das Produkt eines sprachlichen Ausgleichs, an dem mittel-, nieder- und oberdeutsche Elemente beteiligt waren. Dabei überwiegen die mitteldeutschen Merkmale. Im heutigen Dresdnerischen sind einige saliente Merkmale des Obersächsischen erhalten, die teilweise auch als Kennzeichen größerer Sprachregionen, insbesondere des Ostmitteldeutschen bzw. Mitteldeutschen gelten können (für ausführlichere Darstellungen vgl. Becker/Bergmann 1969, Bergmann 1990).
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Entrundung von /y(:)/, /ö(:)/ > [i(:)] bzw. [e(:)] (gem[i:]tlich ‚gemütlich‘, m[i]ssen ‚müssen‘, sch[e:]n ‚schön‘) Verdumpfung von /a:/ > [O:] (s[O:]gen ‚sagen‘) Senkung von /e:/ > [<:] (gel[<:]sen ‚gelesen‘, [<:]ben ‚eben‘) Monophthongierung von mhd. /ei/ > [e:] ([ge:]n ‚kein‘, h[e:]ßt ‚heißt‘) Monophthongierung von mhd. /ou/ > [o:] häufig Zentralisierung von Lang- und Kurzvokalen Lenierung stimmloser Plosive im An- und Inlaut (wol[d]e ‚wollte‘, wei[d]er ‚weiter‘) Frikativierung von /g/ > [X] (Fra[X]e ‚Frage‘) Frikativierung von /b/ > [v] (Le[v]en ‚Leben‘) Reduktion unbetonter Vokale ([laIb*dS] ‚Leipzig‘, [zQg*S] ‚sächsisch‘) Negator [ni] ‚nicht‘ Rückversicherungssignal [no], [nu]
Intonation In älteren dialektologischen Arbeit wird in Bezug auf das Obersächische häufig auf die ‚singende‘ Sprechmelodie hingewiesen (vgl. Becker/Bergmann 1969: 47f., Zimmermann 1998), ohne jedoch zu explizieren, worauf dieses ‚Singen‘ tatsächlich beruht. Auch in einer neueren Untersuchung zur Spracheinstellung wird festgestellt, dass das Obersächsische häufig als ‚singend‘ und (negativ qualifizierend) als ‚monoton‘ und ‚leiernd‘ bezeichnet wird (Hundt 1996) . Ausführliche akustisch-phonetische Messungen u.a. zum Obersächsischen unternahmen Zwirner/Maack/Bethge (1956). Sie registrieren eine auffallend flache Intonation, die nur geringe Anstiege und Fallbewegungen aufweist: „Manche lange, dem Ohr deutlich ‚gesungen‘ klingende Laute sind bei der Sächsin melodisch fast völlig unbewegt“ (Zwirner/Maack/Bethge 1956: 24). Für das Leipzigerische stellt Gericke (1963) eine weitere Auffälligkeit heraus. Sie beobachtet häufig eine fallende Abschlussbewegung, die nicht bis zur finalen ‚Lösungstiefe‘ reicht: Die Melodie wird nicht bis in die Lösungstiefe, als deren Bereich das untere Fünftel des von dem jeweiligen Sprecher angewandten Sprechstimmenbereichs festgestellt wurde, geführt. Wird in besonderen Fällen die Lösungstiefe doch einmal erreicht, so werden die Nachlaufsilben aus diesem Bereich wieder nach oben herausgewölbt. Oft wird eine solche Nachlaufsilbe, auch wenn es sich um eine unwichtige Endsilbe handelt, so hoch em-
Korpuserstellung und -beschreibung
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porgewölbt, dass sie Akzentwert erhält. Der Vorlauf liegt oft tiefer als das Satzende. (Gericke 1963: 365f.).
Spezifisch dresdnerische Intonationsmerkmale wurden in jüngster Zeit von Margret Selting im Kontext des DFG-Projekts ‚Dialektintonation‘ herausgearbeitet. Die ‚Treppenkonturen‘ (Selting 2003a) des Dresdnerischen ähneln zu großen Teilen ihren berlinischen Entsprechungen. In Fragen hat sich jedoch eine Variante mit einem zweifachen Anstieg herausgebildet. In Anlehnung an Gericke (1963) untersucht Selting (2003b) die Fallbogen-Kontur im Dresdnerischen, die an der Kontextualisierung von Emphase beteiligt ist. Duisburg Die substandardsprachliche Varietät des Duisburgischen wird als eine Ausprägung des ‚Ruhrdeutschen‘ angesehen (Mihm 1985). Es handelt sich dabei im Wesentlichen um eine dialektal mitteldeutsche Varietät, die noch einige Elemente aus dem Niederdeutschen enthält und zum Gebiet des Rheinmaasländischen gehört. Vergleichbar den anderen Großstadt-Varietäten kann auch das Duisburgische nicht als eine homogene Varietät angesehen werden: Bedingt durch die massive Zuwanderung von Arbeitskräften im 19. Jh. und wegen zahlreicher Eingemeindungen von rechts- und linksrheinischen Ortschaften im 20. Jh. ist es zu einer starken sprachlichen Mischung gekommen. Das Duisburgische ist durch die folgenden Merkmale gekennzeichnet (vgl. Mihm 1985, Salewski 1998):
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unverschobene Tenues in den Reliktwörtern dat ‚das‘, wat ‚was‘, it ‚es‘ (teilweise noch in bestimmten Lexemen (Kopp) und Morphemen (bißken) frikativische Aussprache von /g/ (anlautend im Präfix ge- > je-; auch wortmedial in Reli[j]on, Au[0]en; auslautend z.B. Krie[ç], Ta[x]) Okklusion von anlautendem j > g (lexemgebunden in [g]etzt, [g]e ‚je‘ und [g]eder) Überlänge bei Diphthongen (H[O:K]ser) teilweise ausbleibende Dehnung in offener Silbe bzw. der analogischen Dehnung (V[a]ter, [tax] ‚Tag‘) leichte Dehnung bzw. Gespanntheit von Kurzvokalen, die im Standarddeutschen kurz und ungespannt realisiert werden (W[i(:)]nter, M[u(:)]tter, K[y(:)]che) ‚Akkudativ‘: formaler Zusammenfall von Akkusativ und Dativ Fehlen von Artikel nach Präposition: auf Arbeit, auf Schicht Pluralbildung teilweise mit -s: Pullovers, Kinders
Intonation Zu intonatorischen Eigenschaften des Duisburgischen oder auch des Ruhrdeutschen ist praktisch nichts bekannt. In der Ortsmonographie zum linksrheinischen Homberg, heute ein Stadtteil von Duisburg, geht Meynen (1911: 31ff.) auf die Satzintonation ein. Dabei wird der Melodieverlauf einiger Beispielsätze mit einer Notenschrift notiert. Der Schwerpunkt der Beschreibung liegt jedoch nicht in der Darstellung der duisburgischen Besonderheiten, sondern vielmehr in den allgemeinen Auswirkungen des Affekts (Wut, Ironie, usw.) auf den Melodieverlauf; für eine di-
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Methode und Daten
alektologische Interpretation ist die Aussagekraft dieser Darstellung als äußerst gering einzustufen. Weiterhin wird in älteren Arbeiten zu den mittelfränkischen Tonakzenten angenommen (vgl. Wiesinger 1975), dass das Duisburgische noch im Gebiet mit phonologischer Tonakzentopposition liegt (vgl. unten die Kurzbeschreibung zum Kölnischen). In Kap. 4.1.3.4 wird dargestellt werden, dass die ehemaligen Tonakzente im Duisburgischen nicht mehr vorhanden sind. Köln Das Kölnische ist der Repräsentant des westmitteldeutschen Ripuarischen. Um Verwechslungen mit der basilektalen Stadtsprache Kölns, dem ‚Kölsch‘, auszuschließen, wird zur Bezeichnung der umgangssprachlichen Regionalvarietät des Kölner Raumes der Begriff ‚Kölnisch‘ verwendet. Das Kölnische zeichnet sich u.a. durch die folgenden Merkmale aus (vgl. Macha 1991, Kreymann 1994):
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erhaltene mhd. Monophthonge /i:, y:, u:/ ([i:s] ‚Eis‘, [M[y:]s ‚Mäuse‘, H[us:]s ‚Haus‘) mhd. Diphthonge /uo, y(/ erscheinen teilweise als Monophthonge [o:, (:] ([fo:s] ‚Fuß‘, [jo:t] ‚gut‘, [z(:s] ‚süß‘, [m(:t] ‚müde‘) teilweise Dehnung von mhd. /a/ > [a:] (m[a:]chen ‚machen‘, S[a:]chen ‚Sachen‘) Hebung von mhd. /â/ > [o:, u:] (Dr[o:]t ‚Draht‘, Br[u:]t ‚Brot‘) Velarisierung von auslautendem /n/ > [N] (Ho[N](k) ‚Hund‘, mi[N]e ‚meiner‘) Velarisierung von auslautendem /t/ > [k] ([lyk] ‘Leute‘, [hyk] ‚heute‘, [tsik] ‚Zeit‘; dadurch kommt es auch zur Kürzung des Langvokals) Velarisierung von postvokalischem /l/ > [É] Koronalisierung von /ç/ > [S, þ] (i[þ] ‚ich‘, pe[S] ‚Pech‘) unverschobene Tenues in den Reliktwörtern dat ‚das‘, wat ‚was‘, it ‚es‘ Tilgung von auslautendem -t (Res ‚Rest‘, bewoss ‚bewusst‘, Weetschaf ‚Wirtschaft‘)
Intonation Zur eigentlichen Satz- oder Diskursintonation des Kölnischen liegen keine Informationen vor. Indirekt lassen sich jedoch Rückschlüsse aus der Forschung zu den mittelfränkischen Tonakzenten (auch ‚Rheinische Akzentuierung‘) ableiten.16 Diese für das deutsche Sprachgebiet singuläre wortprosodische Eigenschaft ist im gesamten Mittelfränkischen (Ripuarisch und Moselfränkisch17) und dem Limburgischen in den Niederlanden und Belgien zu finden.18 Diese Varietäten sind damit zu den gemäßigten Tonsprachen zu rechnen und weisen partielle Ähnlichkeiten mit dem Schwedischen oder Norwegischen auf. Es handelt sich um eine phonologische Opposition, bei der allein die tonale Gestaltung der Wortakzentsilbe zur Bedeutungsunterscheidung eingesetzt wird. Die binäre Opposition wird durch zwei Tonakzente konstituiert: Der Tonakzent 1 (TA1, auch ‚Schärfung‘) besteht aus einer schnell fallenden bzw. schnell steigenden Tonbewegung, wohingegen der Tonakzent 2 16 17 18
Ausführliche Beschreibungen der mittelfränkischen Tonakzentopposition bieten Heike (1964) und Schmidt (1986). Jedoch nicht (mehr) im Luxemburgischen; vgl. Gilles (2002a). Zur Tonogenese vgl. de Vaan (1999), Gussenhoven (2000a), Mihm (2002), Schmidt (2002).
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Korpuserstellung und -beschreibung
(TA2; auch ‚Trägheitsakzent‘) durch eine flache, manchmal zweigipflige Struktur gekennzeichnet ist. Nicht jedes Wort trägt einen Tonakzent. Als minimale Bedingung gilt, dass die betreffende Silbe Wortakzentstatus hat und einen Langvokal, einen Diphthong oder eine Kombination aus Kurzvokal plus folgendem Sonoranten aufweist. Die Verteilung der beiden Tonakzente im Lexikon ist durch die historische Wortklasse und den Folgekontext bestimmt. Den so genannten ‚spontanen‘ Tonakzent 1 tragen alle Wörter, die auf mhd. ie, üe, uo, ê, ô, â zurückgehen. Für die Tonzuweisung ist also keine Angabe des umgebenden Kontextes notwendig; die Information über die mhd. Wortklasse ist ausreichend. ‚Kombinatorischen’ TA1 tragen Wörter, die auf mhd. î, iu, û, ei, öü, ou, Kurzvokal plus Sonorant, gedehnten Kurzvokal vor einer stimmhaften Silbengrenze zurückgehen. In allen anderen Fällen steht der Tonakzent 2 (also bei mhd. î, iu, û, ei, öü, ou, Kurzvokal plus Sonorant, gedehnten Kurzvokalen vor stimmloser Silbengrenze und im Auslaut). Die Domäne der Tonzuweisung ist damit der sonorante Bereich des Silbenreims der Akzentsilbe. Die folgenden Minimalpaare illustrieren das bedeutungsunterscheidende Potenzial der Tonakzente; in Transkriptionen wird der TA1 durch Superskript ‚1’, der TA2 durch ‚2’ symbolisiert. Die Tonakzentopposition dient u.a. zur Numerus- und Kasusunterscheidung, aber auch zur rein lexikalischen Differenzierung. TA1 [bE:n1] [StE:n1] [a:8m1] [hu:1s] [hal1s] [b8aU1t] [8aI1f] [hE71t] [m/l1]
‚Beine‘ ‚Steine‘ ‚Arme‘ ‚Hause‘ (Dat.) ‚Halse‘ (Dat.) ‚(er) braut‘ ‚Reibe‘ ‚Herde‘ ‚Mühle‘
TA2 [bE:n2] [StE:n2] [a:8m2] [hu:2s] [hal2s] [b8aU2t] [8aI2f] [hE72t] [m/l2]
‚Bein‘ ‚Stein‘ ‚Arm‘ ‚Haus‘ (Nom.) ‚Hals‘ (Nom.) ‚Braut‘ ‚Reif‘ ‚Herd‘ ‚Müll‘
Funktion Numerus Numerus Numerus Kasus Kasus lexikalisch lexikalisch lexikalisch lexikalisch
Notwendigerweise muss die silbenintonatorische Ebene der Tonakzente mit der Satz- und Diskursintonation interagieren. Je nach gewähltem Akzentton (fallend bzw. steigend) wird dann die Form der Tonakzente modifiziert. Zur Illustration dieser Modifikationen sind in Abb. 5 die Tonverläufe für das Minimalpaar [m/l1] ‚Mühle‘ vs. [m/l2] ‚Müll‘ in zwei satzintonatorischen Kontexten wiedergegeben. Die Tonakzentwörter sind hier in den Satzrahmen ‚Ich habe Mühle/Müll gesagt.‘ bzw. ‚Habe ich Mühle/Müll gesagt?‘ eingebettet. Der für den Tonakzent relevante Bereich der Akzentsilbe ist durch Schattierung markiert. Für den TA1 im deklarativen Modus ist ein schnell fallender Verlauf mit ‚spitzem‘ Gipfel erkennbar (links oben), wohingegen der TA2 ohne Gipfel und nur mit einer langsamen Fallbewegung realisiert wird (rechts oben). Die tonale Differenzierung wird beibehalten, wenn die beiden Testwörter in einer Frage realisiert werden (untere Reihe). Die Tonakzente erscheinen hier in der spiegelbildlichen Form: TA1 enthält hier eine schnelle Anstiegsbewegung, die schon früh in der Silbe einsetzt. TA2 wird im Wesentlichen flach reali-
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Methode und Daten TA2 - Deklarativsatz
TA1- Deklarativsatz 500
500
300
300
200
200
150
150
100
100
m ø
m
l
Ich habe 50 0
gesagt.
Mühle 0.5
1
l
Ich habe
500
300
300
200
200
150
150
m ø
gesagt. 1.27
TA2 - Frage
500
100
Müll
50 0
1.5
TA1 - Frage
100
l
m ø
70
l
70
Habe ich 50 0
ø
70
70
Mühle 0.5
gesagt? 1
Time (s)
Habe ich 1.43
50 0
0.5
Müll
gesagt? 1 Time (s)
1.5
1.77
Abb. 5 Tonakzentopposition am Beispiel des Minimalpaars [m/l1] ‚Mühle‘ vs. [m/l2] ‚Müll‘ im Kölnischen; TA1 und TA2 in deklarativen Äußerungen (oben) und Entscheidungsfragen (unten)
siert und der Anstieg findet erst nach der Akzentsilbe statt. Das in beiden satzintonatorischen Kontexten gemeinsame Merkmal von TA1 ist damit die frühe Tonbruchstelle, während der TA2 generell durch eine späte Tonbruchstelle gekennzeichnet ist (Jongen 1972). Die funktionale Belastung der Tonakzentopposition im Mittelfränkischen ist relativ niedrig, d.h. die Anzahl der echten Minimalpaare, die sich nur im Ton unterscheiden, ist gering. In Einzelwortrealisierungen und auch in Einzelsätzen lassen sich die Tonakzente relativ verlässlich nachweisen. Zur Stabilität der Tonakzente in Spontansprache liegen bislang noch keine Untersuchungen vor. In Kap. 4.1.3.4 und 4.2.3.3 wird daher zu prüfen sein, in welcher Form die Tonakzentopposition erhalten bleibt und ob es zu Neutralisierungen kommt. Mannheim Wie das Kölnische zählt auch das Mannheimerische zum Westmitteldeutschen. Obwohl diese rheinfränkische Varietät nicht zum Gebiet des Pfälzischen gerechnet wird, weist sie dennoch einige Merkmale dieser benachbarten linksrheinischen Varietät auf. Die Zusammenstellung der Merkmale basiert auf den Arbeiten von Bräutigam (1934), Post (1990) und Kallmeyer/Keim (1994).
• •
Entrundung von /y(:), ö(:)/ > [i(:)], [e(:)] (sch[e:] ‚schön‘, ber[i:]hmt ‚berühmt‘, Mach kee Spr[Iþ] ‚Mach keine Sprüche!‘) verdumpfte, teilweise auch nasalierte Vokale (M[O]nnem ‚Mannheim‘, [O]nere ‚andere‘, dr[o):] ‚daran‘)
Korpuserstellung und -beschreibung
• • • • • • • • • • •
75
teilweise Hebung von /o/ zu [u] (k[u]mme ‚kommen‘) Senkung von /i/ vor /r/ > [E] (Gesch[EP] ‚Geschirr‘, d[EPfSt] ‚dürftest‘) s-Palatalisierung vor tauto-morphemischem t (kann[St] ‚(du) kannst‘, Lu[St] ‚Lust‘) Monophthongierung von mhd. /ei/ > [e:] (Kl[e:]d ‚Kleid‘) Monophthongierung von mhd. /ou/ > [a:] ([a:x] ‚Auge‘, [fra:] ‚Frau‘) Frikativierung von intervokalischem /b/ > [v] (ha[v]e ‚haben‘, diesel[v]e ‚dieselben‘, bu[v] ‚Bub‘ und Räu[v]er ‚Räuber‘) Lenierung von /p, t, k/ ([b]a[b]ier ‚Papier‘, ho[g]e ‚hocken‘) in Schwasilben Tilgung von wortfinalem -n Koronalisierung von /ç/ > [S, þ] (i[þ] ‚ich‘, Pe[S] ‚Pech‘) Adjektivendung im Nom. und Akk. teilweise auf [i] (sch[e:ni] ‚schöne‘, gu[di] ‚gute‘, bun[di] ‚bunte‘) auffällige lexikalisierte Einzelformen (z.B. gedenkt ‚gedacht‘)
Intonation Zu intonatorischen Merkmalen des Mannheimerischen liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor.19 In der Dialektmonographie von Bräutigam (1934) ist ein kleines Kapitel zum ‚Satzton‘ enthalten, in dem sich die folgende pauschalisierende Beschreibung findet: [D]er Ton strebt gegen Schluss einer Redeperiode nach oben, dadurch entsteht eine unruhige, etwas aufreizende Sprache. Beruhigender wirkt dagegen die Sprechweise der Dorfmaa. [Dorfmundarten, PG], die einmal weniger rasch ist als die der Stadtma. [Stadtmundart, PG], dann wegen ihrer Klangfarbe behäbiger wirkt und schließlich am Schluss weniger ansteigt als in der Stadtma. (Bräutigam 1934: 35f.).
Ähnlich wie Meynen (1911) für das Duisburgische hebt auch Bräutigam die Affekt-Funktionen der Intonation hervor. Mittels einer Notenschrift werden auch einige Beispiele vorgeführt, doch ist dort das im Zitat erwähnte Ansteigen am Ende einer Einheit nicht dargestellt. Stattdessen werden alle deklarativen Äußerungen mit fallender Intonation notiert, die keinerlei Regionalspezifik aufweisen. Als Grundlage für eine weitergehende Beschäftigung mit dem Mannheimerischen ist Bräutigams Arbeit daher nicht geeignet. Für das Gebiet des (linksrheinischen) Pfälzischen stehen einige Ergebnisse zur Frageintonation zur Verfügung. Diese Arbeiten von Guentherodt (1971, 1973) zählen zu den wenigen tatsächlich umfangreich-empirischen Analysen, die im Rahmen der älteren Intonationsforschung vorgelegt wurden. Die Autorin konnte zeigen, dass Entscheidungs- und Ergänzungsfragen im nördlichen Pfälzischen überwiegend mit fallender finaler Intonation realisiert werden, wohingegen das südliche Pfälzische hier steigende Intonation aufweist. Durch extensive Datenerhebungen konnte auch eine dialektgeographische Isoglosse etabliert werden, die die beiden 19
Im Rahmen der Untersuchungen zur ‚Kommunikation in der Stadt‘ (Kallmeyer 1994) wurde am Beispiel des Mannheimerischen zwar die Leistung der Intonation als Kontextualisierungshinweis ausführlich untersucht, doch standen hier weniger systematisch-intonatorische als vielmehr dialektologische Aspekte im Vordergrund, so dass diese Arbeiten keine Informationen zu spezifisch mannheimerischen Intonationsmerkmalen bereitstellen.
76
Methode und Daten
Regionen voneinander trennt (vgl. die Karte in Guentherodt 1973: 33). Es handelt sich dabei bis heute um die erste und einzige intonatorische Isoglosse im deutschen Sprachraum. In seiner unlängst durchgeführten Re-Analyse der Originaldaten von Guentherodt kommt Peters (Ms.a) teilweise zu unterschiedlichen Ergebnissen. Zum einen sind auch im südlichen Pfälzischen fallend intonierte Fragen belegt. Zum anderen werden die von Guentherodt als final ansteigend klassifizierten Konturen adäquater als steigend-fallend und teilweise auch fallend-steigend gefasst. Nach Peters ist die Frage-Intonation des Südpfälzischen auch in Mannheim anzutreffen. Freiburg Für das Westoberdeutsche wurde aus dem niederalemannischen Gebiet die Stadt Freiburg ausgewählt. Das Freiburgische ist durch die folgenden basilektalen Merkmale gekennzeichnet (vgl. Günther 1967).
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Erhalt der mhd. Monophthonge /i:, u:/ (m[i:]n H[u:]s ‚mein Haus‘) teilweiser Beibehalt der mhd. Diphthonge /ie, y(, uo/ gespannte Kurzvokale s-Palatalisierung vor tauto-morphemischem Fortisplosiv (Schwe[S]ter) teilweise keine ich-/ach-Lautallophonie und Generalisierung des velaren Frikativs (si[x] ‚sich‘, Pe[x] ‚Pech‘, verwirkli[x]en ‚verwirklichen‘) in Schwasilben Tilgung von wortfinalem -n Diminutivsuffix –li ([hi:sli] ‚Häuschen‘, [mi:sli] ‚Mäuschen‘) Personalpronomina [i] ‚ich‘, [mi] ‚mich‘, [di] ‚dich‘
Intonation Auch zur Intonation Freiburgs ist nichts bekannt. Die Intonation des Alemannischen (inklusive des Schweizerdeutschen) gilt jedoch generell als besonders auffällig und ohrenfällig vom übrigen deutschen Sprachgebiet abweichend. Dennoch liegen zum alemannischen Gebiet lediglich kurze Erwähnungen in dialektologischen Monographien vor, die auf wenigen Einzelbelegen und nie auf systematischen Untersuchungen basieren. Für das Stuttgarter Schwäbisch ermittelt Frey (1975) in Aussagesätzen eine charakteristische steigend-fallende Kontur auf dem Nukleus einer Phrase, die in deutlichem Kontrast zur einfach fallenden Kontur des Standarddeutschen steht. Da diese Kontur auch für Fragen eingesetzt werden kann, ist nach Frey im Stuttgarter Schwäbisch die intonatorische Differenzierung zwischen Frage und Nicht-Frage neutralisiert. In Abb. 6 sind einige Beispiele der steigend-fallenden Kontur wiedergegeben (aus Frey 1975: 68); die nukleare akzentuierte Silbe ist mit °‘ bezeichnet. Eine typisch steigend-fallende Kontur in einer deklarativen Phrase bietet das zweite Beispiel (,am °'naxmi'dag ‚am Nachmittag‘): Ausgehend vom tiefen Niveau auf °'nach steigt die Intonation kontinuierlich an, und auf der letzten Silbe kommt es zu einer finalen Fallbewegung. Ähnliche steigend-fallende Konturen werden für das Stuttgarter Schwäbisch auch von Kügler (2004) analysiert. Für den weiteren alemannischen Raum werden sie kursorisch bei Panizzolo (1982), Gibbon
Korpuserstellung und -beschreibung
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(1998), Stock (2000) und Ulbrich (2002) für das Schweizerhochdeutsche und ausführlicher von Fitzpatrick-Cole (1999) für die Stadt Bern behandelt.
Abb. 6 Illustration der steigend-fallenden Kontur im Stuttgarter Schwäbisch (aus Frey 1975)
München Als Repräsentant des Mittelbairischen wurde die Regionalvarietät Münchens ausgewählt, die durch die folgenden Merkmale gekennzeichnet ist (vgl. Wiesinger 1990). Auch für diese Varietät gilt, dass die angeführten Dialektvarianten nur selten durchgängig von einem Sprecher/einer Sprecherin verwandt werden; vielmehr sind häufig Mischungen zwischen mittelbairischen und standardnäheren Formen zu beobachten, die bereits von Kufner (1961) festgestellt wurden.
• • • • • • • •
stellenweise Entrundung der vorderen, gerundeten Vokale (Schl[isl] ‚Schlüssel‘, [dzi:gK] ‚Zügel‘, [miP] ‚Mühe‘, Verk[aifP] ‚Verkäufer‘) teilweiser Erhalt der mhd. Diphthonge /ie, y(, uo/ ([liPp] ‚lieb‘, [miPt] ‚müde‘, [fiPs] ‚Füße‘); vor Labialen > [wi] ([dwif] ‚tief‘) teilweise Monophthongierung von mhd. /ou/ > [a:] ([ba:m] ‚Baum‘, [dra:m] ‚Traum‘) Hebung von mhd. /a/ > /O, O:/ ([blOtn] ‚Platte‘, [mOntl] ‚Mantel‘) Tilgung von wortfinalem Schwa ([Of] ‚Affe‘, [hO:s] ‚Hase‘) Frikativierung von /b/ > [v] Vokalisierung von /l/ > [I] ([hOIs] ‚Holz‘) Personalpronomina [i] ‚ich‘, [mi] ‚mich‘, [di] ‚dich‘
Intonation Die erste Arbeit zur Intonation des Münchnerischen ist sicherlich Martens‘ (1952) Untersuchung, deren Details bereits oben in Kap. 1.4.1 dargestellt wurden. Als Hauptergebnis gilt, dass in abschließenden Phrasen der Hauptakzent im Verhältnis zu einem vorangehenden Nebenakzent tief realisiert wird; bei weiterweisenden Phrasen ist es umgekehrt. Kufner (1961) gibt in seiner Dialektmonographie vier charakteristische intonatorische Merkmale an: (1) Bei Fallkonturen wird in der Hälfte der ausgewerteten Belege nur eine mittlere statt einer tieferen Lösungstiefe er-
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Methode und Daten
reicht. (2) Am Phrasenende kommt es stellenweise zu einem leichten finalen Anstieg. (3) Die Tonhöhe sinkt vor dem Zentrum (gemeint ist wohl der Nukleus der Phrase) deutlich ab. (4) Ausgesprochen hohe Tonhöhenniveaus werden selten verwendet, „was dem Nicht-Münchner oft den Eindruck gibt, dass der Sprecher durch nichts aus der Ruhe zu bringen sei und dass die Sprache in gleichbleibender Eintönigkeit dahinfließe“ (Kufner 1961: 45). Das Südbairische in Tirol und Südtirol wurde unlängst von Barker (2002a, b) untersucht. Für diese Dialekte wird als ‚default accent‘ ein steigender Akzent L*+H angenommen, an den sich eine Fallbewegung anschließt. Diese Kontur weist damit teilweise Ähnlichkeiten mit der steigend-fallenden Kontur des alemannischen Freiburg auf (s.o.). Demnach würde sich das Südbairische deutlich vom Mittelbairischen unterscheiden, denn Martens (1952) hat für München überwiegend einfach fallende Akzente beschrieben. 2.5.3 Datenerhebung Als Datengrundlage für die Erforschung der Intonation regionaler Varietäten kommt nur spontansprachliches Material in Frage. Nur in relativ ungesteuerten Gesprächssituationen ist gewährleistet, dass auch tatsächlich natürliche Sprache erhoben wird. Diese Prämisse schließt die Verwendung von Testsätzen oder -wörtern, wie sie in vielen Untersuchungen zur Intonation anzutreffen sind, aus. Die Elizitierung einer Regionalvarietät, als informelle und kontextgebundene Sprachform, die vor allem in in-group-Kommunikationssituationen eingesetzt wird, lässt sich praktisch nicht unter Laborbedingungen erheben. Dazu kommt, dass die bei der Verwendung von vorgelesenem oder nachgesprochenem Material unterstellte Übersetzbarkeit von Äußerungen aus verschiedenen Dialekten auf der unrealistischen Voraussetzung aufbaut, dass sich Sätze aus einer Regionalvarietät problemlos und ohne Veränderung von Lexik, Syntax und Morphologie in die Phonetik einer anderen Regionalvarietät übertragen lassen. Tatsächlich sind solche Übertragungen äußerst problematisch und verfälschen, wenn sie denn von den InformantInnen überhaupt ausgeführt werden, die erhobenen Sprachdaten erheblich. Da eine der Hauptfunktionen der Intonation in der Strukturierung von (natürlichen) Gesprächen liegt, verbietet es sich geradezu, konstruierte Daten, auch wenn es sich um konstruierte Dialoge handelt, zu verwenden. Um diese Nachteile von künstlich-elizitiertem Sprachmaterial zu vermeiden, wurde zur Erstellung der acht Korpora eine freie Interviewtechnik gewählt: Ein Gesprächsleiter führte längere, zwanglose, jedoch intern strukturierte Gespräche mit Gewährspersonen aus den acht Städten. Die Dauer der Aufnahmen bewegt sich zwischen 40 Minuten und zwei Stunden; im Durchschnitt sind die Aufnahmen länger als eine Stunde. Diese große Datenmenge ist notwendig, da aufgrund der hohen Variabilität intonatorischer Merkmale erst durch die Verwendung von hohen Beleg-
Korpuserstellung und -beschreibung
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zahlen die Aufstellung von regionalspezifischen intonatorischen Kategorien ermöglicht wird. Während der Aufnahmensituation sollte der Gesprächsleiter weniger als klassischer Interviewer auftreten, der lediglich einen Fragenkatalog abarbeitet. Vielmehr war es seine Aufgabe, als ‚Gesprächsanimateur‘ eine lebhafte, lockere Gesprächsatmosphäre zu schaffen. Vor Erstellung der Aufnahmen wurden die Gesprächsleiter in diese Aufgaben eingearbeitet. Damit die in-group-Situation immer gewährleistet blieb, stammte der Gesprächsleiter jeweils aus der gleichen Stadt wie die Gewährspersonen (Alter zwischen Mitte 20 und Mitte 30). Durch dieses Aufnahmedesign wurde sichergestellt, dass alle Aufnahmen immer mit Ortsansässigen durchgeführt wurden. Als Zweck des Interviews wurde den InformantInnen mitgeteilt, dass sie als ‚Experten‘ über die Situation des Dialekts in der jeweiligen Stadt befragt werden sollten. Hier wurden Themen behandelt wie z.B. die Kompetenz im Hochdeutschen bzw. im Dialekt, regionale Unterschiede in der näheren Region, Domänenverteilung der Varietäten, Dialektabbau, Dialektrenaissance sowie Einstellungen gegenüber Dialekt und Standardsprache. Dieses Gesprächsthema diente als Vorwand, um vom eigentlichen Untersuchungsziel abzulenken. Im weiteren Verlauf der Aufnahme stand die Biographie der Gewährspersonen und die Lebensbedingungen in der Stadt im Mittelpunkt. Hier wurden die Gewährspersonen animiert, längere, erzählende Beiträge (Erzählungen, Anekdoten u.a.) zu produzieren. Weiterhin wurden von der Gesprächsleiterin/dem Gesprächsleiter kontroverse Themen (Migrantenproblematik, Jugendkriminalität, Lokalpolitik, Finanzhaushalt, Ausgaben und Aufgaben der Stadt) eingeleitet, die zu lebhaften, argumentativen Passagen zwischen den Beteiligten führten. Die interviewähnliche Aufnahmesituation bringt es mit sich, dass die geführten Gespräche eine starke Themenbindung aufweisen. Häufig wird durch den Gesprächsanimator ein Thema vorgeschlagen, das dann von der Gewährsperson bearbeitet wird. Die Aufnahmen weisen folglich eine Reihe von monologischen Passagen auf, die aus Sachverhaltsbeschreibungen und Erzählungen bestehen. In den Aufnahmen ist damit überwiegend die Textsorte ‚mündliche Alltagserzählung‘ vertreten. Aber auch argumentative Passagen, in denen die InformantInnen ihren Standpunkt zu einem kontroversen Thema vertreten, sind nicht selten. Die interviewähnliche Situation mit ihrer Rollenverteilung in ‚Fragenden‘ und ‚Antwortenden‘ trägt auch dazu bei, dass in den Aufnahmen fast durchgängig reibungslose Sprecherwechsel durchgeführt werden. Nur selten kommt es zu turn-kompetitiven Sequenzen oder auch zu längerem überlappendem Sprechen. Da die regionalsprachlichen Merkmale bei älteren SprecherInnen deutlicher ausgeprägt sind, wurden überwiegend Gewährspersonen aus der älteren Generation ausgewählt. Das Alter rangiert zwar zwischen 45 und 95 Jahren, doch überwiegen die über 60-jährigen. Es nahmen mehr Männer als Frauen an den Aufnahmen teil und alle sind in der jeweiligen Stadt geboren und aufgewachsen. Ausgewählt
80
Methode und Daten
wurden nur solche SprecherInnen, die sich durch ein hohes Dialektalitätsniveau und Erzählfreudigkeit auszeichnen. Weitere soziale Parameter wie Bildung oder Schicht-/Milieuzugehörigkeit wurden nicht berücksichtigt. Sowohl den Gewährspersonen als auch den GesprächsleiterInnen wurde für ihre Mitarbeit bei der Aufnahmenerstellung eine Aufwandsentschädigung bezahlt. Bei den meisten Aufnahmen ist neben dem Gesprächsleiter/der Gesprächsleiterin nur eine Gewährsperson beteiligt. Wenn sich jedoch die Gelegenheit ergab, so wurde ein weiterer Teilnehmer (meist der Ehepartner oder ein(e) FreundIn) mit in das Gespräch einbezogen. Fast alle Aufnahmen wurden im Rahmen des DFG-Projekts ‚Dialektintonation‘ erstellt. Für das Teilkorpus zum Duisburgischen konnte auf umfangreiche Erhebungen eines Projekts zur Bergarbeitersprache der Universität Duisburg aus den 80er Jahren zurückgegriffen werden (vgl. Salewski 1998).20 Auch diese Aufnahmen wurden in freier Interviewtechnik mit einem Gesprächsleiter erhoben und sind daher ohne weiteres mit den übrigen Aufnahmen vergleichbar. Für das Kölner Teilkorpus wurden zusätzlich einige Aufnahmen der vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) in den 1990er Jahren ausgestrahlten Doku-Soap-Serie ‚Die Fußbroichs‘ miteinbezogen. Bei diesen Aufnahmen wurde eine Arbeiterfamilie aus Köln-Mühlheim längere Zeit von einem Kamerateam in ihrem Alltagsleben begleitet. Die beiden Hauptakteure, Fred Fußbroich (Specherkürzel ‚KF‘) und seine Frau Annemie (‚KFw‘), zeichnen sich durch eine besonders lebhafte Sprechweise aus und sind daher bestens für eine intonatorische Analyse geeignet. Für jede Stadt stehen 10 Aufnahmen zur Verfügung, von denen sieben bis neun für die weitere Analyse ausgewählt wurden. In jeder Aufnahme wurde ein, bei Gruppengesprächen manchmal auch zwei HauptsprecherInnen, zur weiteren Analyse ausgewählt. Insgesamt basiert die Untersuchung auf den Sprachdaten von 62 SprecherInnen. Die Gesamtdauer beläuft sich auf ca. 87 Stunden; durchschnittlich stehen damit für jede Stadt knapp 11 Stunden Sprachmaterial zur Verfügung. Die Sozialdaten der einzelnen SprecherInnen sowie Angaben zur Dauer der Aufnahme finden sich in Anhang A (S. 373) zusammengestellt. Zur Identifizierung von Stadt und SprecherIn werden Sprecherkürzel verwendet, die sich aus dem Autokennzeichen der Stadt und einer laufenden Nummer zusammensetzen (z.B. HH01, M03); bei den weiblichen Gewährspersonen ist zusätzlich ein ‚w‘ nachgestellt. Die Aufnahmen wurden mit einem digitalen Audiorecorder (Sony TCD D-7 bzw. TCD-100) und zwei unauffälligen Clip-Mikrofonen (Sony ECM T-140) mit Kanaltrennung für die beiden Teilnehmer bzw. bei mehreren Teilnehmern mit einem Tischmikrofon (Sony ECM MS957) erstellt. Dieses Verfahren ermöglicht eine für natürliche Gespräche hochwertige Aufnahmequalität, die für die meisten akustischen Analysen ausreichend ist. Zur konversationellen und akustisch-phonetischen Analyse wurden die DAT-Bänder in Tondateien (AIFF-Format) konvertiert.
20
Die Aufnahmen wurden freundlicherweise von Herrn Prof. Dr. A. Mihm (Duisburg) zur Verfügung gestellt.
81
Korpuserstellung und -beschreibung
2.5.4 Datenaufbereitung Für die Aufnahmen wurden Basistranskripte gemäß dem Gesprächsanalytischen Transkriptionssystem (GAT; Selting et al. 1998) erstellt. Diese Transkriptionen sind im Wesentlichen orthographisch und enthalten zusätzlich die wichtigsten dialektalen Charakteristika der Regionalsprachen. Alle Gesprächsbeiträge sind in Intonationsphrasen (IP) segmentiert, deren Gesamtmenge sich auf auf ca. 300.000 beläuft. Die zentrale Analysedomäne dieser Untersuchung ist der Nukleus der Intonationsphrase (vgl. Kap. 1.1). In einer ersten Sichtung der Daten mit auditiv-phonetischen Methoden wurden aus dem zur Verfügung stehenden Datenmaterial über 4100 Einzelbelege ausgewählt, für die in weiteren Schritten eine konversationelle bzw. akustisch-phonetische Analyse durchgeführt wurde. Die Verfahren, wie diese Datensammlungen zusammengestellt wurden, werden in den jeweiligen Analysekapiteln vorgestellt. Tab. 2 informiert über die Aufteilung dieser Datenmenge auf die vier zentralen Konturtypen. Tab. 2 Übersicht über die analysierten Beleghäufigkeiten der vier Hauptkonturtypen Konturtyp Fallkonturen Anstiegskonturen fallend-steigende Konturen steigend-fallende Konturen Summe
analysierte Belege 1741 1657 270 473 4141
Um diese große Datenmenge an akustischen Tondaten mit den dazugehörenden Transkripten effizient verwalten zu können und für die weitere Analyse nutzbar zu machen, wurde das Datenbanksystem prosoDB entwickelt (Gilles 2001c). Es handelt sich dabei um eine internetbasierte, multimediale Datenbankumgebung zur Verwaltung und akustisch-phonetischen Analyse von strukturierten Sammlungen konversationeller Belege. Sie dient der flexiblen Verknüpfung von Ton, Bild und Transkript, um gesprächslinguistische oder prosodische Analysen in großen Datenkorpora zu erleichtern. prosoDB verwaltet verschiedene Angaben zu einem konversationellen Beleg in einer relationalen Datenbank (MySQL). Dazu zählen u.a. Informationen über die Aufnahme, die SprecherInnen, der Beginn- und Endzeitpunkt des Belegs innerhalb der Aufnahme, das zugehörige Transkript, der weitere Transkriptkontext, die Zuordnung zu einer Analysekategorie sowie die Einbindung von Analysegraphiken. Darüber hinaus besitzt prosoDB eine Schnittstelle zur Phonetik-Software ‚Praat‘, so dass jeder Beleg direkt akustisch-phonetisch analysiert werden kann. Aufgrund der Internetbasiertheit des Systems ist der Inhalt der Datenbank von jedem beliebigen Rechner aus abrufbar. Der Bildschirmabgriff in Abb. 7 zeigt die Suchmaske sowie ein Abfrageergebnis einer Datenbankrecherche. Die Suchmaske (links) dient der Eingabe der Suchkriterien; im Beispiel wurden alle Belege der Kategorien ‚tief1, tief2, tief3, tief4‘ in der Aufnahme ‚FR05‘ gesucht.
82
Methode und Daten
Abb. 7 Ergebnisdarstellung einer Datenbankabfrage in prosoDB; Eingabe der Suchkriterien links, Ausgabe der Ergebnisse rechts
Möglich wären auch weitere Sucheinschränkungen. So könnte etwa gezielt nach einem bestimmten Sprecher in dieser Aufnahme, nach Wortformen im Transkript und/oder nach Bemerkungen gesucht werden. Die Ergebnistabelle auf der rechten Seite enthält zeilenweise die Informationen zu den 11 gefundenen Belegen. Hier werden u.a. die Beleg-Kategorien, der Aufnahmename, die zugehörige Transkriptzeile sowie Bemerkungen ausgegeben. Die beiden Lautsprechersymbole dienen dazu, die entsprechende Transkriptzeile bzw. den weiteren Gesprächskontext anzuhören. Durch Klicken auf die Symbole in den Spalten ‚Praat’ und ‚Pitch’ werden akustisch-phonetische Analysen durchgeführt. Im ersten Fall wird der Ton-Beleg zur detaillierten Analyse an das Phonetik-Programm ‚Praat’ übergeben; mit der zweiten Funktion wird eine Graphik der Grundfrequenzanalyse erzeugt und dargestellt. Durch Klicken auf eine Transkriptzeile in der Ergebnisansicht kann zum entsprechenden Ausschnitt im Transkript gewechselt werden (Abb. 8). Diese Datendarstellung ist besonders für Analysen der konversationellen Einbettung eines Belegs geeignet. In der Transkriptansicht werden am rechten Rand die schon aus der Datenbankansicht bekannten Symbole zur Analyse des jeweiligen Belegs ausgegeben. In diesem Datenbankkonzept sind damit zwei Analysemöglichkeiten für Gesprächsdaten kombiniert: Es können einerseits reihenhafte (z.B. akustische) Analysen zu bestimmten Beleg-Kategorien durchgeführt werden. Andererseits ist es möglich, vom einzelnen Beleg zu seinem konversationellen Kontext zu springen, um z.B. funktionale Kontextanalysen durchzuführen. prosoDB besitzt noch eine Rei-
Korpuserstellung und -beschreibung
83
Abb. 8 Ausgabe eines Transkriptausschnittes mit Analysekategorien in prosoDB
he weiterer Darstellungs- und Analysefunktionen (u.a. eine Benutzer-, Projekt- und Korpusverwaltung), die hier aus Platzgründen nicht vorgestellt werden können; eine ausführliche Darstellung findet sich in Gilles (2001c). 2.5.5 F0-Umfang, F0-Maximum und F0-Minimum In diesem Kapitel werden für alle SprecherInnen des Korpus globale Kenngrößen des Intonationsverlaufs dargestellt, die als Referenzwerte für weitere Analysen herangezogen werden. Neben dem globalen F0-Umfang, den eine Sprecherin/ein Sprecher durchschnittlich zur Produktion einer Intonationskontur benötigt, werden die durchschnittlichen Werte für die globale Gipfelhöhe und den globalen Tiefpunkt bestimmt. Für die Realisation einer Intonationskontur steht ein bestimmter Frequenzbereich zur Verfügung, dessen Umfang und Lage im Frequenzbereich für jeden Sprecher mehr oder weniger individuell festgelegt ist. Ausschlaggebend für die durchschnittlich von einem Sprecher präferierte Lage für die tiefste und die höchste Frequenz sind physiologische Bedingungen und habituelle Faktoren. Innerhalb des durch den durchschnittlichen Tiefpunkt und Höhepunkt aufgespannten Bereichs werden alle Intonationskonturen realisiert. Dieses Intonationsmerkmal wird in Anlehnung an den englischen Terminus pitch range bzw. pitch span (vgl. Ladd 1996: Kap. 7) im Folgenden als ‚F0-Umfang‘ bezeichnet. Der in einer Intonationsphrase genutzte F0-Umfang bleibt im Verlauf einer Gesprächssequenz nicht konstant; vielmehr kann er in Abhängigkeit von der jeweiligen Intonationskontur, der emotionalen Involviertheit, lokalen Hervorhebungen und dem diskursiven Status der Äußerung vergrößert oder verkleinert werden. So konnte z.B. für vorgelesene Nachrichtentexte gezeigt werden, dass der F0-Umfang
84
Methode und Daten
systematisch variiert. Am Beginn einer Nachricht wird ein relativ weiter F0-Umfang eingesetzt, der im Verlauf der Nachricht dann sukzessive verkleinert wird. Mit dem Einsetzen der nächsten Nachricht wird wieder ein größerer F0-Umfang eingesetzt (pitch reset) und die sukzessive Verkleinerung des Umfangs beginnt von neuem. Die Gattung ‚Nachrichtentext‘ erhält auf diese Weise eine globale intonatorische Gestaltung.21 Eine solche prosodische Strukturierung ist jedoch nur für in hohem Maße konventionalisierte und routinisierte Textgattungen wie Nachrichtensendungen beobachtbar, in dialogischer Spontansprache ist dieses starre Muster nicht vorhanden. Wenn sich im Verlauf einer längeren Äußerung der F0-Umfang ändert, so kann dies auf die Variation des F0-Maximums bzw. des F0-Minimums zurückgeführt werden, deren Werte die Größe und die relative Lage des F0-Umfangs einer jeden Äußerung bestimmen. In Bezug auf das F0-Minimum wurde bereits recht früh erkannt, dass das F0-Minimum am Phrasenende für jeden Sprecher bei einem relativ konstanten Wert liegt, während die Höhe des F0-Maximums deutlich mehr Variation zeigt (Liberman/Pierrehumbert 1984). Die skizzierten Funktionen der Variation des F0-Umfangs stehen im Folgenden nicht im Vordergrund. Vielmehr soll lediglich der durchschnittlich genutzte F0-Umfang der einzelnen SprecherInnen bzw. Varietäten ermittelt werden. Es stehen damit nicht die Extremwerte des Sprechstimmumfangs im Vordergrund, die teilweise deutlich tiefer bzw. höher als die Eckwerte des durchschnittlichen Umfangs liegen können. Vielmehr handelt es sich bei dem globalen F0-Umfang um einen Mittelwert, durch den die Größe des Frequenzbereichs angegeben wird, den eine Sprecherin/ein Sprecher durchschnittlich für die Realisation von Intonationsverläufen ausnutzt. Neben diesem globalen Umfang (Umfangglobal) werden auch die damit verknüpften Merkmale des globalen Maximalwertes (Maxglobal) und des globalen Minimalwertes (Minglobal) ermittelt.22 Diese Analyse verfolgt zwei Ziele: Erstens soll festgestellt werden, ob regionale Unterschiede im globalen F0-Umfang zwischen den Varietäten existieren. So lassen sich häufig anzutreffende pauschalisierende Vermutungen überprüfen, wonach bestimmte Dialekte einen geringeren bzw. größeren Umfang verwenden. So weist Bremer (1893:196) allgemein darauf hin, dass in den Dialekten „[...] vor allem […] die Größe der Intervalle ausserordentlich verschieden“ sei. Dem Dresdnerischen wird nachgesagt, es nutze im Vergleich mit anderen Varietäten einen geringen F0-Umfang: „Zunächst sind sich alle darüber einig, dass die Grundmelodie [im 21
22
Die globale Strukturierung von Nachrichtentexten bzw. generell von vorgelesenen Texten wurde in einer Vielzahl von Studien untersucht; vgl. Yule (1980), der das Konzept des major paratone einführte, Möhler/Mayer (1999) für deutsche Nachrichtensendungen, Sluijter/Terken (1993), Swerts/ Geluykens (1993) für niederländische und Wichmann (2000: 108-120) für britische Nachrichtensendungen. Durch die Bildung dieser Mittelwerte bleibt die teilweise recht hohe Variation des F0-Umfangs natürlich unberücksichtigt. Durch die Berücksichtigung einer breiten Datenbasis können diese Effekte jedoch minimiert werden.
85
Korpuserstellung und -beschreibung
Dresdnerischen, PG] ziemlich spannungslos verläuft, wenig energisch, mit relativ weichen Konturen und geringen Schwereabstufungen innerhalb des flachen Intonationsmusters.“ (Zimmermann 1998: 8, Hervorhebung PG). Wenn es sich hierbei um ein globales Merkmal des Dresdnerischen handeln sollte, so müsste die Bestimmung des F0-Umfangs ergeben, dass in Dresden im Vergleich mit den übrigen Städten tendenziell geringere globale Umfänge verwendet werden. Zweitens dienen die individuellen, durchschnittlichen F0-Umfänge als globale Referenzwerte, mit denen entsprechende Messergebnisse für einzelne Konturtypen verglichen werden können. Auf diese Weise können dann z.B. die durchschnittliche Ausdehnung und Lage einer fallenden oder steigenden Kontur mit dem globalen F0-Umfang verglichen und regionale Unterschiede bestimmt werden. Der globale F0-Umfang wird für die insgesamt 62 SprecherInnen des Korpus ermittelt. Dazu werden für jeden Sprecher 40 aufeinander folgende Intonationsphrasen ausgewählt und ausgemessen.23 Insgesamt liegen der Umfangsbestimmung damit 2480 Intonationsphrasen zugrunde. Die Auswahl der IPs erfolgte in zwei disjunkten Passagen der Aufnahme, um eventuelle Einflüsse der Emotionalität und unterschiedlicher Sprechstile zu minimieren. In jeder Intonationsphrase wurde gemäß Abb. 9 der minimale und der maximale F0-Wert gemessen. F0-Maximum
Umfang
F0-Minimum
Abb. 9 Positionen der Messpunkte für das F0-Maximum und F0-Minimum in einer Beispielkontur zur Bestimmung des globalen F0-Umfangs (Umfangglobal)
Alle ermittelten Hertz-Werte werden in Halbtöne (st) konvertiert, wodurch Unterschiede in der Lage des F0-Umfangs teilweise kompensiert werden können (vgl. Ladd 1996: 360f. und Kap. 2.3 oben). Von den Messergebnissen für jede Sprecherin/jeden Sprecher werden die Mittelwerte gebildet und die folgenden drei Kenngrößen ermittelt:
• • •
Maxglobal: Durchschnittliches F0-Maximum in der Intonationsphrase Minglobal: Durchschnittliches F0-Minimum in der Intonationsphrase Umfangglobal:Durchschnittlicher F0-Umfang einer Intonationsphrase
Der F0-Umfang errechnet sich aus der Differenz der Durchschnittswerte für das F0-Maximum (Maxglobal) und die F0-Tiefpunkte (Minglobal). 23
Dabei werden nur vollständige Intonationsphrasen berücksichtigt. Ausgeschlossen bleiben abgebrochene Phrasen sowie Phrasen, die nur aus einem Rezeptionssignal (z.B. hm, ja) bestehen.
86
Methode und Daten
Die Position von Maximum und Minimum innerhalb einer IP kann sehr variabel sein und hängt in vielen Fällen von der nuklearen Kontur ab. Bei fallenden nuklearen Konturen liegt das F0-Maximum häufig auf dem Gipfel einer Akzentsilbe H* (meist der nuklearen Akzentsilbe), und das F0-Minimum befindet sich meist auf einer unbetonten Silbe am Phrasenende. Bei ansteigenden Konturen ist das Maximum oft am Ende der Phrase auf dem hohen finalen Grenzton h% lokalisiert, während sich das Minimum oft entweder auf einem Tiefakzent L oder einer unbetonten Silbe befindet. Für die Umfangbestimmung wurden alle Intonationsphrasen in den beiden ausgewählten Aufnahmeausschnitten berücksichtigt. Die Berechnungen liefern damit Informationen über den durchschnittlichen, globalen Umfang ohne Bezug auf einen bestimmten Intonationsverlauf oder auf pragmatische Faktoren. Dies bedeutet auch, dass die aufgrund von Emphase besonders hoch realisierten Maxima und auch Registerverschiebungen in die Berechnungen aufgenommen wurden. Diese Heterogenität der Ausgangsdaten trägt dazu bei, dass die Streubereiche von Umfangglobal, Maxglobal und Minglobal teilweise recht hoch ausfallen. In Abb. 10 sind die Umfänge für die einzelnen SprecherInnen dargestellt und pro Stadtvarietät gruppiert. Die Größe des F0-Umfangs ergibt sich aus der Länge des Balkens; der jeweilige Wert (in st) ist ober- bzw. unterhalb des Balkens angezeigt. Zusätzlich ist aus der Grafik die Lage des individuellen Umfangs im Frequenzbereich (auf der Basis der Halbtonskala) ablesbar: Jeder Balken beginnt am Mittelwert des Minimalwerts und endet mit dem Mittelwert des Maximalwerts; da die verwendete Halbtonskala auf einen Nullpunkt von 100 Hz ausgerichtet ist,24 ergeben sich für Frequenzwerte unter 100 Hz negative Halbtonwerte. So liegt z.B. für den hamburgischen Sprecher HH10 das Minimum bei -2,9 st (85 Hz) und das Maximum bei 4,4 st (131 Hz), woraus sich ein globaler Umfang von 7,3 st ergibt. Mittels dieser Darstellung können global tiefere von höheren Stimmen unterschieden werden. Es ist ersichtlich, dass der F0-Umfang der Frauenstimmen (im Sprecherkürzel mit einem ‚w‘ gekennzeichnet) generell in höheren Frequenzlagen liegt. Gleichzeitig ist auch erkennbar, dass der F0-Umfang bei Frauen nur geringfügig größer ist als bei Männerstimmen: So ist der F0-Umfang von DD06w nur leicht größer als bei der Männerstimme DD04. Ähnliches gilt für die Freiburger Frauenstimmen FR01w oder FR05w im Vergleich mit der Männerstimme FR08. Diese geringen geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Größe des Umfangs sind im wesentlichen auf Verwendung der Halbtonskala zurückzuführen, die eine Normalisierung der Stimmumfänge bewirkt (vgl. Kap. 2.3). Die Diagramme zeigen generell, dass innerhalb einer Varietät die Lage der Umfänge im Frequenzbereich recht variabel ist, was im wesentlichen auf physiologische (Größe und Masse der Stimmbänder) und habituelle Faktoren der SprecherInnen sowie auf den Sprechstil zurückzuführen ist. Es ist daher auch kaum möglich, regionale Unterschiede zwischen den Städten festzustellen. Die Umfänge der meis24
Zur Funktionsweise der Halbtonskala vgl. Kap. 2.3.
87
Korpuserstellung und -beschreibung Hamburg HH01 HH03 HH04 HH06 HH07 HH08 HH09 HH10
200
9,64 7,48
9,03
7,32
150
6,00
F0-Umfang [st]
F0-Umfang [st]
10,13 7,18
100
16,00 14,00 12,00 10,00 8,00 6,00 4,00 2,00 0,00 -2,00 -4,00
B02
B03
9,11 8,38
9,96
10,11
7,94
150
100
F0-Umfang [st]
200
10,76
16,00 14,00 12,00 10,00 8,00 6,00 4,00 2,00 0,00 -2,00 -4,00
K11w
200
10,09
11,68
6,8 150 8,31
9,36 100
100
DD02
8,04
Dresden DD04 DD05
DD07
Dd10 DD06w
200
8,05
8,98
10,37
7,61
150 7,03 9,55 100
16,00 14,00 12,00 10,00 8,00 6,00 4,00 2,00 0,00 -2,00 -4,00
9,17
7,84
11,08 8,42
200
7,89 6,45 8,24
7,84 150
100
8,15 7,85
7,33
150
100
F0-Umfang [st]
7,62
16,00 14,00 12,00 10,00 8,00 6,00 4,00 2,00 0,00 -2,00 -4,00
M02
M03
9,43
6,53
M05
M08
M09
M10 M01w M07w
200
10,70 10,05 10,57
150
7,77 9,83 7,16
100
F0-Umfang [Hz]
6,90
5,75
F0-Umfang [Hz]
F0-Umfang [st]
150
München
200
5,42
8,59 7,13
Freiburg
6,95
200
MA04 MA05 MA06 MA07 MA08 MA10 MA11 MA12
KFw
F0-Umfang [st]
F0-Umfang [st]
K07w
FR03 FR06 FR07 FR08 FR01wFR02w FR03w FR05w 16,00 14,00 12,00 10,00 8,00 6,00 4,00 2,00 0,00 -2,00 -4,00
8,49
Mannheim
KF
10,58
B10
F0-Umfang [Hz]
7,22
K10
F0-Umfang [Hz]
18,00 16,00 14,00 12,00 10,00 8,00 6,00 4,00 2,00 0,00 -2,00 -4,00
K09
B09
8,13
6,73
Köln
K06
B08
7,51 9,14
DD01
10,89
B07
F0-Umfang [Hz]
F0-Umfang [st]
8,29
F0-Umfang [Hz]
17,00 15,00 13,00 11,00 9,00 7,00 5,00 3,00 1,00 -1,00 -3,00 -5,00
B05
9,95 8,24
Duisburg
DU01 DU02 DU03 DU04 DU05 DU06 DU07 DU08
B04
F0-Umfang [Hz]
11,34
F0-Umfang [Hz]
16,00 14,00 12,00 10,00 8,00 6,00 4,00 2,00 0,00 -2,00 -4,00
Berlin
B01
Abb. 10 Individuelle Werte für den globalen F0-Umfang in Halbtönen (st); die Lage der Balken entspricht der Lokalisierung des F0-Umfangs im Frequenzraum; das untere Ende eines Balkens repräsentiert das durchschnittliche F0-Minimum, das obere Ende das durchschnittliche F0-Maximum; die Zahl an jedem Balken gibt die Größe des F0-Umfangs an (in st)
ten SprecherInnen bewegen sich in einem relativ engen Bereich zwischen 7 und 9 st. Lediglich das Freiburgische, Kölnische und Duisburgische fallen aus dem allgemeinen Muster heraus. In Freiburg weisen vor allem die männlichen Sprecher einen vergleichsweise geringen F0-Umfang auf (zwischen 5,42 und 6,95 st). Dagegen werden in Köln und Duisburg von Männern wie Frauen deutlich höhere Umfänge präferiert (bis 11,68 st). Der Unterschied zwischen dem kleinsten und größten Umfang beträgt damit 6,62 st (große Quart). In den übrigen Städten kann keine Präferenz für einen bestimmten Umfang festgestellt werden. Dies manifestiert sich im intra-varietären Nebeneinander von SprecherInnen mit großem und kleinerem
88
Methode und Daten
Umfang. Im Hamburgischen weist Sprecher HH01 mit 11,34 st den größten und Sprecher HH09 mit 6 st den kleinsten Umfang auf. Ähnliche Verhältnisse lassen sich im Vergleich zwischen K06 und K07w, DD10 und DD05 bzw. M09 und M03 nachweisen. Da in jeder Stadtvarietät diese Variationsbreite beobachtet werden kann, lässt sich folgern, dass die Größe des globalen Umfangs keine oder nur eine äußerst geringe Regionalspezifik aufweist. Um zu einer Annäherung an den durchschnittlich in einer Varietät genutzten F0-Umfang zu gelangen, wird im nächsten Schritt der Mittelwert des Umfangs basierend auf den Messungen von allen SprecherInnen einer Varietät ermittelt (Tab. 3 und Abb. 11). Tab. 3 Durchschnittlicher F0-Umfang in Halbtönen pro Stadt sowie Standardabweichung
Mittelwert[st] 8,61 8,19 8,34 9,43 9,00 8,36 6,97 9,00
Hamburg Berlin Dresden Duisburg Köln Mannheim Freiburg München
F0-Umfangglobal [st] Standardabweichung [st] 3,50 3,32 3,75 3,95 4,48 3,61 2,76 3,64
Der durchschnittlich größte Umfang findet sich demnach mit 9,43 st in Duisburg, der geringste in Freiburg (6,97 st). Mit ca. 2,5 Halbtönen ist die Differenz recht gering. Die übrigen Städte rangieren um 8 st. Wie zu erwarten war, liegen die Mittelwerte für die geographisch relativ nah beieinander liegenden Städte Berlin und Dresden bzw. Köln und Duisburg dicht zusammen. Für alle Varietäten ist eine hohe Standardabweichung kennzeichnend, die auf die außerordentliche Variabilität von Umfangglobal zurückzuführen ist.
F0-Umfang global [st]
11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 HH
B
DD
DU
K
MA
Abb. 11 Durchschnittlich genutzter F0-Umfang in Halbtönen
FR
M
Korpuserstellung und -beschreibung
89
Insgesamt können damit in dieser Analyse nur geringe regionale Unterschiede aufgezeigt werden.25 Auffällig sind lediglich die tendenziell geringeren Umfänge des Freiburgischen und die tendenziell größeren des Duisburgischen. Pauschalisierende Charakterisierungen, wie sie oben vorgestellt wurden, die auf generell besonders große bzw. kleine Umfänge hindeuten, lassen sich demnach nicht bestätigen: So ist z.B. der im Dresdnerischen global zur Verfügung stehende F0-Umfang nicht größer oder kleiner als in den meisten anderen Varietäten. Für die folgenden phonetischen Analysen in Kap. 4 dienen die hier ermittelten Werte als Referenzwerte. Es wird u.a. zu prüfen sein, welche Bereiche dieses globalen F0-Umfangs für die einzelnen Intonationskonturen genutzt werden und wie sich die Maximal- und Minimalwerte relativ zu ihren globalen Entsprechungen verhalten.
25
In seiner Untersuchung zu regionalen Unterschieden zwischen der ostmitteldeutschen (Halle, Leipzig) und wienerdeutschen Standardaussprache ermittelt Iivonen (1998) ebenfalls einen nur geringen Unterschied im globalen Variationsbereich.
3
Funktionen und Intonationskonturen
Mit Hilfe der in Kap. 2.1 aufgestellten nicht-intonatorischen Kriterien werden nun Intonationsphrasen bestimmt, für die eine abschließende bzw. weiterweisende Funktion angenommen werden kann. Dazu werden anhand von Transkriptausschnitten Kontextanalysen durchgeführt, in denen für bestimmte Intonationsphrasen die jeweilige Funktion herausgearbeitet wird. Die Analyse basiert auf syntaktischen, semantischen und pragmatischen (textorganisatorischen und interaktionalen) Merkmalen. Für jede Stadt wird zunächst ein prototypischer Abschluss- bzw. Weiterweisungskontext vorgestellt, für den die Funktionszuweisung eindeutig aus dem Gesprächskontext hergeleitet werden kann. Zusätzlich weisen die Gesprächsausschnitte meist noch potenzielle Abschluss- bzw. Weiterweisungskontexte auf, die zusätzlich in die Analyse miteinbezogen werden. Im nächsten Schritt wird für die Phrasen die intonatorische Gestaltung untersucht. Dazu wird der Intonationsverlauf über der gesamten Phrase, insbesondere aber für den intonatorischen Nukleus analysiert. Im Ergebnis lassen sich dann für jede Varietät Funktion-Form-Korrelationen aufstellen. Durch die Anordnung der Analysen ist keine dialektologische Gliederung impliziert. Aus Platzgründen kann in diesem Kapitel jeweils nur eine Kontextanalyse pro Stadtvarietät vorgestellt werden. Aufgrund des qualitativen Ansatzes lässt sich hier auch nur ein erster Überblick über die in den beiden Funktionen anzutreffenden Intonationskonturen geben. Die genaue Beschreibung der regionalspezifischen intonatorischen Realisierung und die tonologische Struktur der Konturen stehen dabei zunächst im Hintergrund. Die beiliegende CD-ROM enthält die Tondaten für alle in diesem Kapitel vorgestellten Gesprächsausschnitte.
3.1 Abschlussfunktion Köln Das Identifizierungsverfahren für konversationelle Abschlüsse wird zunächst an einem Gesprächsausschnitt aus dem Kölnischen vorgeführt. Eindeutige Abschlüsse werden durch ‚=>‘ markiert, potenzielle Abschlüsse durch ‚->‘. Der folgende Transkriptausschnitt (1) enthält eine argumentative Passage, an der die Sprecher K09a und K09b sowie die Gesprächsleiterin I beteiligt sind. Der Hintergrund dieser Passage ist eine vorausgegangene Beschreibung von K09a über die dialektale Verschiedenheit innerhalb des Kölner Stadtgebietes. An dieser Stelle setzt mit Phrase 1 der Sprecher K09b ein und schildert aus seiner Sicht die regionale sprachliche Verschiedenheit im weiteren Umfeld des Kölnischen.
92
Funktionen und Intonationskonturen
(1) K09-14322, sec. 65 – 112 ((Dialektale Verschiedenheit innerhalb des Kölner Umlandes)) 1 2 3 -> 4 5 6 7 -> 8
K09b
I K09b
9 10 11 12 -> 13 14 15 => 16 17 I 18 K09a 19 => 20 21 K09b => 22 23 K09a 24 K09b 25 26 K09a 27
also ich äh: bin im westerWALD geboren. (-) oberLAHR. un bin mit Einem jAhr hier nach KÖLN gezogen. (-) un seitdEm (-) schimpf ich mich KÖLner. [aber ich bin [mit !EI!nem jahr. JA, ich bIn: (.) dAdurch .h nach meiner meinung KÖLner; (.) .hh und=äh im:- (-) ich bin jetzt dreiunfUf=werde dreiunFUFFzich? (.) .hh un=äh: im wEsterWALD; (-) .hh da is dat O:ch so Ähnlich mit der SPRAche? dat (--) Ähnelt auch dem KÖLner; (-) .hh äh: man: (.) hÖrt zwar schon en unterschied RAUS, aber (-) .hh äh: (--) auch im westerWALD wird oft gesagtkOmmste aus dem kÖlnischen beREICH. (1.0) hm=hm; (--) bei der rIta hör ich dat HEUT noch. (0.7) RAUS. <
In den Phrasen 1 bis 8 erläutert K09b zunächst seinen biographischen Hintergrund (‚geboren im Westerwald‘, ‚mit einem Jahr nach Köln gezogen‘), der es ihm ermöglicht, die Sprache Kölns mit derjenigen des Westerwalds zu vergleichen. Ab Phrase 11 stellt er die These auf, dass das Westerwäldische zwar nicht mit dem Kölnischen gleichgesetzt werden kann, aber durchaus hörbare Gemeinsamkeiten mit dem kÖlnischen beREICH aufweist. Dem hält Sprecher K09a in IP 18 das konkrete Beispiel ‚Rita‘ entgegen, die ebenfalls keine gebürtige Kölnerin ist und immer noch Merkmale verwendet, die auf ihre Heimatregion hinweisen (dat die Anders SPRICHT). Dem widerspricht K09b in seinem anschließenden Turn ab 21 teilweise, indem er die gemeinsame großregionale Basis mit Köln als Zentrum hervorhebt. Diesem Einwand pflichtet K09a dann im Folgenden (IP 23ff.) bei, indem er die gemeinsame sprachliche Basis des ‚Rheinischen‘ hervorhebt. In dieser Passage können mehrere Abschlüsse identifiziert werden. Als eindeutige konversationelle Abschlüsse lassen sich die substanziellen Phrasen 16, 20 und
Abschlussfunktion
93
22 einstufen. Mit IP 16 (kOmmste aus dem kÖlnischen beREICH) liegt syntaktisch ein Verb-Erst-Satz vor, dessen Struktur abgeschlossen ist. Obwohl es sich dabei syntaktisch um eine Entscheidungsfrage handelt, ist die Phrase pragmatisch betrachtet als ein Bestandteil einer Sachverhaltsbeschreibung aufzufassen. Aus der Redeeinleitung in der vorangegangenen Phrase wird deutlich, dass es sich bei IP 16 um die Inszenierung einer Frage handelt, die nicht der Informationsbeschaffung, sondern der faktischen Zuschreibung einer Eigenschaft dient (=Du kommst aus dem kölnischen Bereich). Wichtiger für die Abschluss-Interpretation ist jedoch, dass an dieser Stelle eine längere Beschreibung ihren pragmatisch-textorganisatorischen Abschluss gefunden hat. In der Kombination aus syntaktischer und pragmatischer Abgeschlossenheit wird damit hier eine turnübergabe-relevante Stelle konstituiert und das Rederecht zur Disposition gestellt. Zunächst wird in IP 17 durch das Rezeptionssignal hm=hm der Gesprächsleiterin I signalisiert, dass sie das Rederecht nicht für einen ausgedehnten Beitrag übernehmen möchte. Doch ab IP 18 ergreift der Sprecher K09a das Rederecht. Spätestens mit dieser Phrase ist damit die turnübergabe-relevante Stelle in IP 11 durch den Sprecherwechsel als faktischer Turn-Abschluss eindeutig ratifiziert worden. Der nächste eindeutige konversationelle Abschluss ereignet sich in IP 20 (<
94
Funktionen und Intonationskonturen
dieser Beleg zu den eindeutigen konversationellen Abschlüssen, die mit Hilfe nicht-intonatorischer Kriterien bestimmt werden können. In der Passage (1) sind noch zahlreiche potenzielle Abschlüsse enthalten, d.h. Kontexte, die zwar syntaktisch und pragmatisch als abgeschlossen betrachtet werden können, denen aber die interaktionale Bestätigung durch einen Sprecherwechsel fehlt. Als potenzielle Abschlusskontexte kommen u.a. die IPs 4, 8 und 13 infrage. Als Verb-Zweit-Satz im Aussagemodus (vgl. Eroms 2000: 106ff.) ist IP 4 (un seitdEm (-) schimpf ich mich KÖLner) syntaktisch abgeschlossen. Auf der Ebene der Textorganisation liegt hier der Endpunkt einer kurzen biographischen Sequenz vor. Dieser syntaktische und pragmatische Endpunkt wird von der Gesprächsleiterin I als TRP wahrgenommen, denn sie leitet einen Sprecherwechsel ein, um eine kurze Nachfrage zu stellen (mit !EI!nem jahr). Da dieser Sprecherwechsel jedoch in Konkurrenz mit dem ersten Sprecher stattfindet, kann nicht zweifelsfrei entschieden werden, ob mit IP 4 tatsächlich ein Turn-Ende intendiert ist. IP 8 (ich bIn: (.) dAdurch .h nach meiner meinung KÖLner) ist eine syntaktisch abgeschlossene Wiederaufnahme des Themas, nachdem der Turn von K09b in IP 6 unterbrochen wurde. Hiermit wird die bereits in IP 4 formulierte thematisch-abschließende Einschätzung noch einmal aufgegriffen. Auch IP 13 (dat (--) Ähnelt auch dem KÖLner) ist syntaktisch und pragmatisch abgeschlossen (Abschluss der Einschätzung, dass der Dialekt des Westerwalds dem Kölnischen ähnelt), ohne dass jedoch dieser Abschluss seine Bestätigung in einem Sprecherwechsel findet. Nachdem nun die eindeutigen und potenziell abschließenden Phrasen ohne Rekurs auf die prosodische Gestaltung identifiziert worden sind, wird im nächsten Schritt die intonatorische Kontextualisierung der Abschlüsse gezeigt. Aus den Transkriptionssymbolen für die phrasenfinale Tonhöhenbewegung in Transkript (1) geht bereits hervor, dass diese Phrasen mit einer final fallenden Intonationskontur realisiert werden. Stellvertretend für die besprochenen Abschlusskontexte wird im Folgenden nur die Realisierung von IP 22 vorgeführt. Abb. 1 zeigt den (geglätteten) Intonationsverlauf, in der die Nukleussilbe als intonatorisches Zentrum der gesamten Phrase durch Schattierung hervorgehoben ist. In der Phrase werden die beiK09-14322 200
H-
150
l% 100
aber et is=isch 70 0
0.5
dEnk et=is schOn 1
ene
1.5 Time (s)
schlach 2
Abb. 1 Abschluss im Kölnischen mit einer nuklearen Fallkontur
och KÖLSCH mit 2.5
drin 3
Abschlussfunktion
95
den Akzente auf schOn und KÖLSCH jeweils durch Hochlage und Gipfelbildung ausgeführt. Der Globalverlauf der Phrase ist fallend, allerdings ist der pränukleare Akzent schOn, mit dem der Widerspruch zum Vorgänger-Turn kontextualisiert wird, sehr hoch gelegt (180 Hz), woraus ein insgesamt stark fallender Globalverlauf resultiert. Die beiden Akzent-Gipfel liegen auf einer insgesamt stark abfallenden Linie (‚top line-declination’; vgl. Ladd 1984). Der Nukleus der Kontur setzt sich aus den drei Silben KÖLSCH mit drin zusammen. Als nukleare Kontur wird hier eine Fallkontur eingesetzt, die (vorläufig) mit den phonetischen Transkriptionssymbolen H-l% erfasst werden kann. Dabei wird durch ‚-‘ ausgedrückt, dass der Intonationsverlauf zwischen dem hohen Zielpunkt H und dem tiefen Endpunkt l% interpoliert wird. Die nukleare Kontur ist damit ein klassischer fallender Akzentton, der schon verschiedentlich als Abschlusskontur von Deklarativsätzen (nicht nur des Deutschen) beschrieben worden ist (vgl. u.a. von Essen 1964, Delattre/Poenack/Olsen 1965, Altmann 1988, Grice/Baumann 2002). Die nukleare Fallbewegung verläuft nicht kontinuierlich vom hohen Ausgangspunkt bis zum tiefen Endpunkt am Phrasenende, sondern wird sprungartig realisiert. Ausgehend vom hohen Niveau in der Nukleussilbe kommt es nämlich zunächst zu einem Sprung von ca. 130 auf 110 Hz in der ersten Nachlaufsilbe mit. Danach nimmt die Fallgeschwindigkeit deutlich ab, so dass der Fall auf den beiden Nachlaufsilben mit drin nur leicht fortgeführt wird. An der Nahtstelle zwischen der Nukleussilbe und der ersten Nachlaufsilbe kann sich damit ein Knick herausbilden. Die Tonhöhe des Phrasengrenztons l% beträgt ca. 100 Hz/0 st. Dieser Wert entspricht ziemlich genau der präferierten Tonhöhe dieses Sprechers für Tieftöne (Minglobal 106 Hz/0,9 st; vgl. Kap. 2.5.5). Aus Abb. 1 ist auch ersichtlich, dass der Gipfel des Nukleus KÖLSCH zwar niedriger als der vorausgehende Akzent auf schOn, aber dennoch höher als die vorausgehenden unbetonten Silben ene schlach och liegt.1 Im Globalverlauf bildet sich damit eine Senke zwischen den Akzenten heraus, so dass der Gipfel der Nukleussilbe trotz des starken Deklinationstrends aus dem Gesamtverlauf der Phrase herausgehoben ist. Aus dieser relativ zu den vorausgehenden unbetonten Silben höheren Lage des Gipfels wird der potenzielle F0-Umfang der anschließenden Fallkontur erweitert und es kann eine größere Fallbewegung resultieren. Dieser Fallkontur-Typ wird in der Britischen Intonationsschule als high-fall oder full-fall bezeichnet (vgl. Wichmann 2000:53ff, Crystal 1969). Berlin Der folgende Transkriptausschnitt (2) aus dem Berlinischen enthält eine konversationelle Erzählung des Sprechers B07, die durch eine gezielte Frage des Gesprächsleiters I nach einem bedrohlichen Erlebnis initiiert wird. B07 erzählt daraufhin in 1
Auf der unmittelbar pränuklearen Silbe och ‚auch‘ ist keine F0-Extraktion möglich; in einer auditiven Analyse kann aber auch hier ein tieferes Tonniveau als auf der Nukleussilbe ermittelt werden.
96
Funktionen und Intonationskonturen
den Zeilen 9 bis 38 eine gefährliche Situation bei der Landung eines Flugzeugs auf Sylt. Nach der ‚Orientation‘ (Chafe 1994) in IP 9 bis 11 etabliert der Sprecher B07 den Erzählrahmen (‚Flug nach Sylt‘). Ab IP 12 folgt dann der Erzählkern. (2) B07-2259, sec. 2615-2670 ((B07 beschreibt gefährliche Situation bei der Landung eines Flugzeugs))
->
-> ->
->
1 I 2 3 4 5 6 7 8 9 B07 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
-> 31 32 33 34 -> 35 36 37 => 38 39 I 40 41
hatten sIe mal so in ihrem lEben so ne situatION? wo dit mal so KITZlich war? wo dit so hArt auf HART ging? wo se dAchten au WArte? mEnsch dit war (...)? dit war jeFÄHRlich? da war ick Irjendwie nah DRAN? dit stand uff der KIPpe so? (-) also ähm- (-) ich hAb mal: wAs mit einem FLUG äh:äh:auf einem flUg erlebt nach SYLT. (-) da gAbs n paar LEUte? die alSO:- (--) hystErisch geworden sind im FLUGzeug. aber ick hab dit nIch so emPFUNden. ich (war) ich wEiß nich ob das so BRENZlich war? .h da SIND wir? es gab mal FLÜge? von der brItisch AIRways? mit der- (--) wEess ick nich (was) das WARN. (-) ham die caraVELLE damals geflogen? oder so? jedenfalls schOn ne DÜsenmaschine? (-) .h die flogen nach SYLT. (.) und, der pilot hat den FLUGhafen nich gekricht.(-) der hat also entweder en falschen ANflugwinkel gehabt? oder war zu HOCH. (-) .hh der hat also drEimal (ah ne:) zwEimal DURCHgestartet? und beim drIttenmal hat er=t erst jeTROFfn.(.) .hhh und da wArn also en paar LEUte? (-) h et (.) war ooch en bisschen NEBlich? und en bisschen WINdig? (--) .h ich hab das nich als so gefÄhrlich emPFUNden.(1.0) ich wEiß nich obs geFÄHRlich war; (1.0) WENN es war? (.) Ich habs so NICHT empfunden. (1.0) und und aber HATten sie; hatten sie also auch jetzt Unabhängig von der fliegerEI?(0.5) so so: äh: (-) ein EIN so ne- (-)
97
Abschlussfunktion 42 43 44 45 46 47
( ) jetzt beim; sach ick ma beim beim BERGsteigen? oder (0.5) .h äh:m äh:: im URlaub? oder (--) vielleicht auch im STRAssenverkehr? (.) .h einfach mal so ne situaTION? wo se dachten das is glEichermaßen BRENZlich?
Ein eindeutiger konversationeller Abschluss lässt sich für IP 38 beschreiben. Bei der syntaktischen Struktur handelt es sich um einen Verb-Zweit-Satz im Aussagemodus, der als Apodosis eines Konditionalgefüges fungiert (paraphrasierbar als wenn es gefährlich war, dann habe ich es nicht so empfunden). Auf der Ebene der Textorganisation werden mit dieser Phrase der Abschluss und die Evaluierung der Erzählung über eine brenzlige Flugzeuglandung formuliert. Mit dieser Konstruktion betont der Sprecher, dass die von anderen als bedrohlich empfundene Landung von ihm als weniger gefährlich wahrgenommen wurde. Mit dieser Einschätzung, die bereits an zwei weiteren Stellen der Erzählung formuliert wurde (IP 15, 35), wird eine Rückbindung an die Ausgangsfrage des Gesprächsleiters in IP 1 bis 8 hergestellt, in der explizit nach einer gefährlichen Situation gefragt wurde. Im Erzählmodell von Labov/Waletzky (1973) oder Chafe (1994) entspricht diese Phase der ‚Coda‘, die dazu dient, mit einem Metakommentar die Relevanz der Erzählung für das Gespräch zu verdeutlichen. Am Ende der Aktivität ‚Erzählen‘ wird dadurch eine turnübergabe-relevante Stelle etabliert. Nach einer Pause interpretiert der Gesprächspartner I das Turn-Ende und leitet einen Sprecherwechsel ein. Damit kann für das Ende von IP 38 ein eindeutiger konversationeller Abschluss rekonstruiert werden. Die Erzählung weist zahlreiche potenzielle Abschlüsse auf, von denen hier die IPs 11, 14, 15, 31 und 35 herausgegriffen werden. Alle diese Phrasen sind syntaktisch abgeschlossen. Pragmatisch-textorganisatorisch betrachtet liegen hier Endpunkte von einzelnen Erzähletappen vor. So wird z.B. mit IP 11 die Erzählphase der ‚Orientation‘ von der ‚Complication‘ abgegrenzt. In IP 31 befindet sich das Ende der ‚Climax‘-Phase: Mit und beim drIttenmal hat er=t erst jeTROFfn ist der Höhepunkt der Erzählung formuliert, und es schließen sich die Erzählphasen an, durch die der Übergang aus der Erzählwelt zurück in die momentane Interaktion geleistet wird. Alle diese Phrasen sind damit auf der syntaktischen und pragmatischen, nicht jedoch auf der interaktionalen Ebene abgeschlossen. Alle erwähnten abschließenden Phrasen werden mit final fallenden Intonationskonturen kontextualisiert. Stellvertretend wird die intonatorische Gestaltung von IP 38 genauer vorgestellt. In Abb. 2 ist hier ein insgesamt global fallender Verlauf zu erkennen, der sich auch auf den dreisilbigen Nukleus NICHT empfunden erstreckt (H-l%). Ähnlich wie beim Beispiel aus dem Kölnischen ereignet sich die Fallbewegung nicht linear: Nach einem sprungartigen Fall von der Nukleussilbe NICHT auf die erste Nachlaufsilbe fällt die Kontur im gesamten Nachlauf empfunden nur noch geringfügig weiter. Die Phrase endet mit einem Grenzton l% bei 87 Hz/-2,4 st. Dieser Wert entspricht fast dem von diesem Sprecher durchschnittlich präferierten tiefen Tonniveau (Minglobal: 91 Hz/-1,7 st; vgl. Kap. 2.5.5).
98
Funktionen und Intonationskonturen B07-2259 200
150
h H100
l% Ich habs so 70 0
NICHT 0.5
empfunden 1
1.24
Time (s)
Abb. 2 Abschluss im Berlinischen mit einer nuklearen Fallkontur
Im Gegensatz zum kölnischen Beispiel (oben Abb. 1) ist der Nukleus bzw. die Nukleussilbe hier nicht aus dem global fallenden Verlauf herausgehoben. Die pränukleare Silbe so liegt hier nämlich nicht tiefer, sondern deutlich höher als die folgende Nukleussilbe NICHT. Die Konsequenz aus der höheren Lage der pränuklearen Silbe ist, dass sich der Nukleus stärker in den global fallenden Verlauf einordnet. Durch diese Akzentuierungsweise wird der Nukleus weniger stark hervorgehoben. In der Terminologie der britischen Intonationsforschung wird diese Akzenttonrealisierung als low-fall bezeichnet (Crystal 1969, Wichmann 2000:53ff.) und dem high-fall gegenübergestellt. In der autosegmentalen Intonationsforschung wird diese Konstellation mit dem Konzept des downstep beschrieben (vgl. Grice/Benzmüller 1995). Mannheim Im mannheimerischen Transkriptausschnitt (3) erfolgt eine Sachverhaltsbeschreibung, in der der Sprecher MA05 einen Aussichtspunkt in der Nähe von Mannheim beschreibt, von dem aus bei gutem Wetter die Vogesen gesehen werden können. In der Passage wird in den IPs 1 bis 11 zunächst eine genaue Lokalisierungssequenz des Aussichtspunkts realisiert. Dabei wird insbesondere durch IP 1 (ich wEeSS net ob=se=sich AUSkenne) eine ausführlich beschreibende Aktivität projektiert, die auch einen beschreibungstechnischen Höhepunkt erwartbar macht. In IP 12 bis 16 werden die genauen Bedingungen für den freien Blick auf die Vogesen angegeben. Im anschließenden Beitrag liefert die Gesprächsleiterin I eine Evaluierung der aus ihrer Sicht überraschenden Beschreibung. (3) MA05-3136, sec 1775.59 – 1803.73 2 ((Beschreibung eines Aussichtspunkts in der Nähe von Mannheim, von dem aus man bei gutem Wetter bis in die Vogesen sehen kann)) 1 2 2
MA05
ich wEess net ob=se=sich AUSkenne? (.) ich weiß nicht, ob Sie sich auskennen wEinem fahrt ma hinEIN?
Für einige tief-dialektale Äußerungen ist eine kursiv gesetzte Interlinearübersetzung angegeben.
Abschlussfunktion
3 4 5 6
I MA05
-> 7 8 -> 9 10 -> 11 12
13 14 15 => 16 17 I 18 19 20 21 22 23
MA05 I MA05 I MA05
99 in Weinheim fährt man hinein un Obbe do is die WAcheburg? und da oben ist die Wachenburg [un=die WINdeck, und die Burg Windeck [hmhm, hh un uff dErre SEIT? (-) und auf dieser Seite .hh äh (.) is der HERSCHkopp. ist der Hirschkopf do geht des des TUNnel nei. da geht der Tunnel hinein de SAUkopftunnel. (.) .hh un do: äh: is ä STELL? und da ist eine Stelle des heißt voGEsenblick. (--) .h und die kEnne sie bei gUtem WEDder a: nadi:rlich? (--) und die können sie bei gutem Wetter natürlich auch wann=nEt gutes wedder is SCHLECHT. (--) wenn kein gutes Wetter ist, ist es schlecht wenns morge ((unverständlich)) REG=; (.) =wenns morge REGne dä:t. (--) wenn es morgen regnen würde .h kenne se hAit die voGEse sehe. (.) können sie heute die Vogesen sehen also=ich=mein von frEiburg is klar dass ma da die vogEsen SEHen kann- [ne? [haja FREIburg. des IS ja:- (--) .hh [aber (.) ] des hab ich NET gewusst; [des=is ja KLAR]. dass ma die sogar von HIER aus [sieht. [DOCH.
Ein eindeutiger Abschlusskontext kann für IP 16 (kenne se hAit die voGEse sehe) herausgearbeitet werden. Syntaktisch handelt es sich hierbei um den projektionseinlösenden Strukturteil der in der Phrase davor begonnenen Konditionalkonstruktion, die sich als ‚wenn es morgen regnen würde, dann könnten Sie heute bis in die Vogesen sehen‘ paraphrasieren lässt.3 Es handelt sich hierbei um den Abschluss und Höhepunkt der längeren Beschreibung des ‚Vogesenblicks‘: An dieser Stelle ist der erzählenswerte inhaltliche Kern der gesamten Passage erreicht (tellable point; vgl. Chafe 1994), auf den alle vorangegangenen Phrasen hinführen. Hier legt damit insbesondere die Textorganisation einen konversationellen Abschluss nahe, der durch die Übernahme des Rederechts durch die Gesprächspartnerin I als interaktionaler Abschlusspunkt wahrgenommen und interpretiert wird. 3
Zur inhaltlich etwas verqueren ‚Logik‘ dieser Argumentation: Nach der Meinung des Sprechers geht einem Regentag oft ein klarer Tag voraus; theoretisch herrschen an diesem Tag daher besonders gute Sichtbedingungen vor.
100
Funktionen und Intonationskonturen
Als potenziell abschließend können u.a. die Phrasen 9 und 11 angesehen werden. In IP 9 (de SAUkopftunnel) wird eine in IP 8 begonnene Parenthese abgeschlossen, durch die ein für den momentanen Gesprächsgegenstand nicht weiter relevantes Detail eingeführt wird. Mit IP 11 (des heißt voGEsenblick) wird mit der expliziten Nennung des Aussichtspunkts die Lokalisierungssequenz abgeschlossen. In beiden Phrasen liegen syntaktische Abschlusspunkte vor, die entweder durch Projektionseinlösung oder durch die Realisierung einer autonomen Konstruktion konstituiert werden. Textorganisatorisch dienen diese Abschlusspunkte der thematischen Gliederung der längeren Beschreibung. Diese lokalen pragmatischen Abschlusspunkte werden jedoch, da sie in einen global projektierenden Aktivitätstyp eingebettet sind, interaktional weder in Form eines Sprecherwechsels noch durch eine Platzierung von nicht-turnkompetitiven Hörersignalen genutzt. Die intonatorische Gestaltung der eindeutig abschließenden Phrase 16 ist in Abb. 3 wiedergegeben. Auf den beiden Akzenten hAit ‚heute‘ und voGEse ‚Vogesen‘ liegen jeweils unterschiedliche Akzenttöne vor. Pränuklear handelt es sich um einen steigenden Akzent, wohingegen der für die Phrase zentrale nukleare Akzent wiederum eine Fallkontur aufweist. In der Kombination aus steigendem und fallenden Akzent entsteht im dazwischenliegenden Konturstück ein Hochplateau, dessen Länge von der Zahl der intervenierenden Silben abhängt. Aufgrund ihrer Form wird eine solche Kontur als ‚Hutkontur‘ bezeichnet (hat pattern; vgl. ‚t Hart et al. 1990, Wunderlich 1988). Der viersilbige Nukleus (vo)GEse sehe besteht aus einer initial schnellen Fallbewegung in der Nukleussilbe. Die pränukleare Silbe vo liegt höher als die Nukleussilbe, so dass wie im berlinischen Beispiel ein low-fall vorliegt. In der Nukleussilbe GE wird bereits ein Großteil der gesamten Fallbewegung ausgeführt. Nach der Knickbildung noch in der Nukleussilbe fällt der Verlauf mit geringerer Geschwindigkeit weiter. Auf der phrasenletzten Silbe kommt es zu einer abermaligen Absenkung (final lowering), die nach Hirschberg/Pierrehumbert (1986) und Wichmann (2000:57) für die Kontextualisierung von besonders ausgeprägter Abgeschlossenheit verantwortlich ist. Der finale Endpunkt liegt mit 97 Hz/-0,5 st nur MA05-3136
150
h H-
100
l% kenne se 70 1795.08
hAit die
vo
GE
se
sehe
'können Sie heute die Vogesen sehen' 1795.5
1796
1796.49
Time (s)
Abb. 3 Abschluss im Mannheimerischen mit einer nuklearen Fallkontur
Abschlussfunktion
101
leicht höher als der von diesem Sprecher durchschnittlich präferierte Frequenzwert für Tieftöne (Minglobal: 91Hz/-1,6 st). Dresden Im folgenden Beleg aus dem Dresdnerischen beschreiben die Pferdeliebhaber (DD07a, DD07b) die körperliche Entwicklung eines Fohlens. (4) DD07-21676, sec. 3166-3191 ((Die Pferdeliebhaber DD07a und DD07b beschreiben die körperliche Entwicklung eines Fohlens)) 1 2 3 4 => 5 6 7 8 9 10 11 => 12 13 14
DD07a aber beLAStet werden? KÖRperlich belastet werden? (.) kann das fOhlen EIgentlich erst? oder das junge PFERD eigentlich erst? (.) im drItten LEbensjahr. I ahHA. (-) [(...] DD07b [(...)] DD07a [dann ist das knOchenbein (.) SOWEIT? (.) äh AUSgebildet? dass der grÖsste teil is beim PFERD? (.) dass es also Ohne schaden och en REIter tragen kann. I hm. (--) un es och praktisch dann och so wie man=s manchmal so im FILM sieht? 15 dass die dann das och richtig erst LERN=n müssen? 16 auch och en [SATtel drauf zu haben und alles? 17 DD07a [JAja.
In diesem Ausschnitt lassen sich zwei eindeutige Abschlüsse feststellen. Mit IP 5 wird eine bereits in IP 1 begonnene Infinitivsatzkonstruktion beendet. Gleichzeitig ist diese Phrase pragmatisch abgeschlossen, da an dieser Stelle eine kohärente inhaltliche Interpretation der Passage möglich ist. Nach dieser Phrase kommt es zu einem Sprecherwechsel, wodurch dieser Abschlusspunkt als turnübergabe-relevante Stelle genutzt wird. Allerdings ist der Wortlaut nach dem Hörersignal aHA aufgrund der Überlappung nicht verständlich. Ab IP 9 setzt DD07a zu einer Detaillierung an, in der die körperliche Entwicklung (Ausbildung des Knochenbeins) und die Möglichkeit, das Pferd zum Reiten zu benutzen, angeführt werden. Syntaktisch als abhängiger dass-Satz realisiert, ist an dieser Stelle wiederum ein pragmatischer Abschlusspunkt erreicht. Parallel zur ersten Passage wird auch hier eine inhaltlich kohärente Sachverhaltsbeschreibung beendet. Es kommt im Anschluss an ein Hörersignal in IP 14 zu einem Sprecherwechsel, in dem I eine elaborierte Nachfrage formuliert. Für diesen zweiten konversationellen Abschluss ist in Abb. 4 die intonatorische Gestaltung dargestellt. In der global fallenden Kontur liegen die Gipfel der beiden
102
Funktionen und Intonationskonturen
Akzente Ohne und REIter auf einer leicht abfallenden Linie, die auf das phrasenintonatorische Merkmal der Deklination zurückgeführt werden kann. DD07-21676 200 H150
100
l% dass es also
70 0
0.5
Ohne
schaden och=en REI ter 1
1.5
tragen 2
kann 2.34
Time (s)
Abb. 4 Abschluss im Dresdnerischen mit einer nuklearen Fallkontur
Der fünfsilbige Nukleus REIter tragen kann ist wie in den anderen vorgestellten Varietäten fallend realisiert, allerdings zeigen sich hier deutliche Unterschiede: Innerhalb der Nukleussilbe REI kommt es zu einer leichten Anstiegsbewegung, wodurch sich die Gipfelbildung des Akzents erst in der zweiten Silbenhälfte ereignet. Dies steht in deutlichem Kontrast zur mannheimerischen Kontur, die durch eine schnelle Fallbewegung in der Nukleussilbe gekennzeichnet ist. Die finale Fallbewegung beginnt nicht unmittelbar nach der Nukleussilbe, vielmehr bleibt die erste Nachlaufsilbe tra noch auf dem gleichen Niveau wie die Nukleussilbe. Erst auf tragen kann setzt die eigentliche Fallbewegung ein. Deren Verlauf ist bis zum tiefen Phrasenende linear, ohne dass es zu Veränderungen der Fallgeschwindigkeit kommt. Dadurch unterbleibt die für andere Varietäten beobachtete Knickbildung im Nachlauf. Der finale Tiefpunkt l% befindet sich bei 102 Hz / 0,34 st und liegt damit etwas tiefer als der persönliche Referenzwert (Minglobal: 116 Hz / 2,2 st). Duisburg Im duisburgischen Beispiel (5) berichtet der Bergmann DU01 von seiner Nebenerwerbslandwirtschaft, die er in der versorgungstechnisch schwierigen Nachkriegszeit betrieben hat. Die Passage besteht überwiegend aus kurzen Hauptsätzen und Ellipsen, in denen jeweils einzelne, in sich inhaltlich kohärente Beschreibungen der Lebensumstände in der Nachkriegszeit geschildert werden. (5) DU01-8579, sec. 1001-1038 ((Der Bergmann DU01 berichtet von seiner Nebenerwerbslandwirtschaft, die er in der Nachkriegszeit zur Verbesserung seiner Versorgungssituation betrieben hat)) -> 1 2
DU01
ich hatte zwei FELder gehabt. (-) da mEine frAu die (-)
Abschlussfunktion 3 -> 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 -> 14 => 15 16 17 18 19 => 20 21 22
I2 I1 DU01
I1 DU01
I1
DU01 I1 DU01
103 mit=m kInderwagen sind=ma nach=m FELD gefahren. (.) un ham da UMgegraben alles. nich wahr? (-) dAmals die ZEIT. [hm [ja und ham (.) äh selber KARToffel gehabt. (-) un dann in die schlEchte zeit wie dat NIX gab? da ham=ma ZUCkerrüben angeplanzt. hm AUCH gemacht. eine PRESse gehabt. ZUCkerrüben k kraut gemacht. (.) wat wIr nich Alle geMACHT hab=m du. ja? (.) wIe äh wIe kam se denn an die FELder. gabs n konnt ma di PAChten oder? nja HIER. war von rheinPREUssen. auch von de ZEChe. ja? von=ne ZEChe.
Mit den IPs 15 und 20 lassen sich zwei eindeutige Abschlüsse identifizieren. IP 15 ist ein mit dem Pronomen wat ‚was‘ eingeleiteter, syntaktisch abgeschlossener Verb-Letzt-Satz im Exklamativmodus. Als eine Besonderheit ist hier das lexikalische Gliederungssignal du prosodisch in die Phrase integriert. Dieser ‚Ausruf‘ fungiert textorganisatorisch als abstraktes Resümee der Schilderung der diversen Aktivitäten zur Lebensmittelversorgung, die davor aufgelistet wurden. Nach dem Rückversicherungssignal ja und einer Mikropause wird die turnübergabe-relevante Stelle vom Gesprächsleiter I1 wahrgenommen und resultiert in einem Sprecherwechsel. In IP 20 wird ein kurzer Turn, bestehend aus einem Hauptsatz mit nicht realisiertem Vorfeld abgeschlossen, in dem eine von I1 in IP 15ff. formulierte Frage knapp beantwortet wird: (das Feld) war von RHEINpreussen. Durch den darauf folgenden Sprecherwechsel wird wiederum deutlich, dass diese textuell-kohärente Einheit interaktional als abgeschlossen interpretiert wird. Der Transkriptausschnitt (5) enthält besonders viele potenzielle Abschlüsse. Dabei handelt es sich um isolierte Erinnerungsfragmente, die jeweils in eigenen IPs realisiert werden und die als pragmatisch abgeschlossen gelten können (vgl. IP 1, 4, 14). Sowohl für die eindeutigen als auch für die potenziellen Abschlüsse werden Konturen mit fallenden Nuklei verwendet. Als Beleg ist in Abb. 5 die Kontur für den eindeutigen Abschluss in IP 15 dargestellt. Aufgrund des ausrufartigen Charakters zeigt die Phrase einen besonders hohen Gipfel auf dem pränuklearen Akzent wIr, an den sich ein insgesamt stark deklinierender Verlauf bis zum Phrasenende anschließt. Im dreisilbigen Nukleus MACHT hab=m du wird die globale Fallbewegung kontinuierlich fortgesetzt. Da die pränuklearen Silben höher als die Nukleussilbe
104
Funktionen und Intonationskonturen
MACHT liegen, ist der nukleare Akzent dem global fallenden Verlauf subordiniert (low-fall bzw. downstep). Das finale Tonniveau liegt mit 92 Hz / -1,44 st leicht tiefer als der durchschnittliche Referenzwert Minglobal dieses Sprechers (97 Hz / -0,9 st). DU01-8579 200
150
H-
100
l% wat wIr nich
70 0
Alle
ge
MACHT
0.5
1
hab=m
du 1.5
Time (s)
Abb. 5 Abschluss im Duisburgischen mit einer nuklearen Fallkontur
Hamburg Der hamburgische Transkriptausschnitt (6) entstammt einer längeren Schilderung biographischer Stationen des Hamburger Sprechers HH01. An dieser Stelle beschreibt der Rentner HH01 seine Handwerkeraktivitäten, die ihn in verschiedene Teile Deutschlands führten. Die Aufnahme ist zuvor kurz unterbrochen worden und setzt an dieser Stelle neu ein. (6) HH01-1449, sec. 607-630 ((Nach einer Unterbrechung setzt die Aufnahme an dieser Stelle neu ein; durch den Gesprächsleiter I wird das vorherige Thema über die Handwerkeraktivitäten des Rentners HH01 erneut aufgegriffen)) 1 2 3 => 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 => 16 17 18
I HH01
I HH01 I HH01
I
ja wir warn bei den GLAsern stehn geblieben? achSO. ja ähm ähm nee beim MAlen. beim MAlen. geNAU. JO. (.) und beim eLEKtriken. (-) ja (.) und da machen wir dann all so (.) n
105
Abschlussfunktion 19 20 HH01 21 22 23
sO WEIT schon. ja::; da sin (-) von von unsere geSELLschaft (.) hier aus. nich? unsere HAUSgesellschaft. ne?
In den Phrasen 1 bis 8 wird die Wiederanknüpfung an das vorangegangene Thema geleistet, indem verschiedene Handwerksarbeiten angeführt werden (GLAsern, MALen, eLEKtriken). Nach einer allgemeinen Beschreibung der Handwerkertätigkeiten in IP 9 bis 12 (taPEten ab und so / wIe die all so geHÖRT) erfolgt in IP 13 eine thematische Verschiebung zu den Orten der Tätigkeiten, die in einer dreigliedrigen Liste aufgeführt werden (ob in WERTheim oder / hanNOver / oder STUTTgart). Darauf kommt es zu einer hyperbolischen Äußerung, mit der der Sprecher seine ‚Weitgereistheit‘ hervorhebt: und da wAr=ich schon Überall geWEsen. Es kommt nach dem Rezeptionssignal ne? zum Sprecherwechsel und der Gesprächsleiter I greift die letzte Äußerung von HH01 auf und signalisiert anerkennendes Erstaunen. Die Passage enthält mit den IPs 4 und 16 zwei eindeutige Abschlusskontexte: Mit IP 4 (beim MAlen) liegt eine Konstruktionsellipse vor (paraphrasierbar als ‚wir waren beim Malen stehen geblieben‘; vgl. Stein 2003: 301ff.). Die textorganisatorische Funktion dieser Phrase besteht in der Formulierung eines Widerspruchs und einer Korrektur (‚nicht beim Glasern, sondern beim Malen stehen geblieben‘). Es kommt daraufhin zu einem Sprecherwechsel, in dem der Gesprächspartner die Korrektur akzeptiert. In dieser Paarsequenz aus Korrektur und Akzeptieren der Korrektur ist das erste Paarsequenz-Element pragmatisch abgeschlossen und durch den glatten Sprecherwechsel interaktional ratifiziert. Ein Turn-Abschluss kann auch für IP 16 (und da wAr=ich schon Überall geWEsen) herausgearbeitet werden. Syntaktisch betrachtet handelt es sich hierbei um einen vollständigen Verb-Zweit-Satz im Aussagemodus, dessen lokale syntaktische Projektionen eingelöst sind. Aus der Sicht der Textorganisation formuliert der Sprecher eine resümierende Feststellung, mit der die vorausgegangene Liste abgeschlossen wird und die Vielzahl der Einsatzorte von HH01 (ausgedrückt durch das hyperbolische Überall) hervorgehoben werden soll. Pragmatisch betrachtet ist die Phrase damit abgeschlossen und konstituiert eine turnübergabe-relevante Stelle. Die interaktionale Einbettung zeigt, dass nach IP 16 ein Sprecherwechsel stattfindet. Aus der Übernahme des Rederechts ab IP 17 durch I ist ersichtlich, dass beide Gesprächspartner die vorangegangene Phrase als Turn-Abschluss interpretieren. Sprecherseitig deuten die bereits erwähnte resümierende Struktur von IP 16 und auch das Rückversicherungssignal ne?4 darauf hin, dass HH01 an dieser Stelle sein Rederecht zur Disposition stellt. Der Sprecher hat also seinen Beitrag dahingehend konzipiert, dass nach seiner resümierenden Feststellung eine Reaktion des Gesprächspartners erwartbar wird. Dieser Erwartungshaltung wird der Gesprächspartner I gerecht, indem er ab Zeile 17 mit ACH / tatSÄCHlich / sO WEIT schon die Interpretations4
Zur Funktion von Rückversicherungssignalen vgl. Schwitalla (2002).
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Funktionen und Intonationskonturen
richtung von HH01 aufgreift und dem Verhalten Anerkennung zollt. Aus interaktionaler Sicht ist der Abschluss also zweifach motiviert: Erstens verwendet der Sprecher Verfahren, um seinen Redezug als abgeschlossen erscheinen zu lassen (‚designed as complete’; vgl. Local et al. 1986). Zweitens wird dieses konversationelle Verfahren vom Gesprächspartner als intendierter Turn-Abschluss wahrgenommen (‚perceived as complete’; vgl. Local et al. 1986). Die Einzelinterpretationen der syntaktischen, pragmatisch-textorganisatorischen und interaktionalen Merkmale deuten also alle in die gleiche Richtung: In den besprochenen Intonationsphrasen finden Turn-Abschlüsse statt. Die intonatorische Gestaltung des Abschlusses im Hamburgischen wird für IP 16 dargestellt (Abb. 6) Die Abbildung zeigt, dass der Gesamtverlauf durch eine global fallende Bewegung geprägt ist. Auf dem zweisilbigen Nukleus WEsen findet eine ausgeprägte Fallbewegung statt. Schon in der Nukleussilbe WE fällt die F0 um 23 Hz (von 123 auf 100 Hz am Silbenende). Die Fallbewegung setzt sich auf der letzten Silbe des Nukleus fort und endet auf tiefem finalen Niveau bei 80 Hz. Der durchschnittlich präferierte F0-Tiefpunkt (Minglobal, vgl. Kap. 2.5.5) dieses Sprechers befindet sich bei 96 Hz, d.h. in diesem konkreten Beleg erreicht der Sprecher ein besonders tiefes Endniveau. HH01-1449 200
150 Hm 100 l% da 70 0
wAr=ich schon
Ueberall
0.5
ge 1
WE
sen 1.5
Time (s)
Abb. 6 Abschluss im Hamburgischen mit einer nuklearen Fallkontur H-l%; die Nukleussilbe ist durch Schattierung markiert
Obwohl die Phrase einen Deklinationstrend aufweist, der sich in der sukzessiven Tieferlegung der Akzentgipfel manifestiert, ist der Nukleus dennoch aus dem Gesamtverlauf herausgehoben, da die pränukleare Silbe ge tiefer als der Gipfel der Nukleussilbe liegt. Damit gehört dieser Nukleus zur Klasse der high-fall-Konturen. München Der münchnerische Gesprächsausschnitt in (7) ist einer längeren autobiographischen Erzählung entnommen. Die Sprecherin M01w erläutert hier die verschiedenen Lebensstationen und Umzüge ihrer Großeltern innerhalb von München.
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Abschlussfunktion (7) M01-14186, sec 213-233.52 ((Wohnungen und Lebensstationen der Großeltern von M01w)) 1 2 3 4 5 6 -> 7
M01w
I M01w
8 9 10 11 12 -> 13
I M01w
14 => 15 16 17 18 19 20
I M01w I
I M01w
M01w I
Er ist dann nach MÜNchen kumme? (-) zum ARbeite. un hot dann hier gHEIrat? (-) [die: [und SEIT dem un SEIT dem? un dann ham die also do immer in dem VIERtel gwohnt; (--) hm=hm. ämol in THALkirchen unten, (--) dann in in der bayernBRUNnerstraß, (.) in oberSEND[lingen, ((schluckt)) [hm=hm, (1.0) .hh un dAnn san=s nEunzehnhundertElf in dIe WOHnung reinzogen. (1.0) .hh [seit [die GROSSeltern. ihre GROSSeltern no; (-) ja WAHNsinn. un dann is [vIere]zwanzich die GROSSmutter gstOrm? [hm ] hm=hm
Der Ausschnitt beginnt in IP 1 mit der Beschreibung des Zuzugs des Großvaters (Er) nach München. Danach findet in IP 5 ein erster Einschnitt statt, indem die Gesprächsleiterin I in Überlappung mit M01w zu einer Fortführung der Reihe der Lebensabschnitte ansetzt (und SEIT dem). Nachdem M01w die durch I initiierte Fortführung in IP 6 aufgegriffen hat, wird nach einem Konstruktionswechsel in IP 7 eine resümierende Äußerung formuliert. Ab IP 8 beginnt eine Konkretisierung der Lebensumstände der Großeltern, indem die wechselnden Wohnungen innerhalb Münchens aufgelistet werden. Diese Liste wird mit der Nennung des letzten Umzugs der Großeltern in IP 13 in dIe WOHnung abgeschlossen. Gemeint ist hier die Wohnung, in der die Aufnahme gerade stattfindet. Dies wird durch den Akzentzusammenstoß dIe WOHnung deutlich. Es ist anzunehmen, dass diese Äußerung von einer Geste der Sprecherin begleitet ist, die der visuellen Stützung der Deixis dient. Nach einer Pause kommt es dann in IP 14 zu einem versuchten Sprecherwechsel, doch M01w behält noch für eine weitere Phrase ihr Rederecht und erst ab IP 16 gelingt I die vorübergehende Übernahme des Rederechts. Ab IP 18 findet dann ein Übergang zu einem weiteren Sub-Thema statt, in dem nicht mehr die verschiedenen Wohnstationen, sondern andere Lebensumstände der Großeltern im Vordergrund stehen. In der Passage können ein eindeutiger (IP 15) und zwei potenzielle Abschlüsse (IPs 7, 13) identifiziert werden. Dabei bilden die beiden Phrasen 13 und 15 einen komplexen Abschlusskontext, der im Folgenden im Vordergrund steht. Die syntaktische Struktur von IP 13 (und dAnn san=s nEunzehnhundertElf in dIe WOHnung reinzogen) ist eine vollständige Hauptsatzkonstruktion. Damit liegt an dieser
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Funktionen und Intonationskonturen
Stelle das Ende eines ‚möglichen Satzes‘ vor (Selting 1995b). Die Möglichkeit, den Satz über sein rechtes Ende zu expandieren, wird durch die Sprecherin genutzt, indem sie in IP 15 die Phrase die GROSSeltern nachreicht. Bei dieser Rechtsversetzung handelt es sich um die Explizitform des Agens, das durch das klitisierte Pronomen in san=s (=‚sind sie‘) in IP 13 referenziert wird. Die Expansion wird als eigenständige Phrase produziert und auch weit entfernt vom Verb-Zweit-Satz positioniert; eine lange Pause (1.0 sec) und auch die versuchte Turn-Übernahme von I liegen dazwischen. Daraus, dass die Rechtsversetzung also erst relativ spät realisiert wird, kann gefolgert werden, dass der mögliche Satz in IP 13 von der Gesprächspartnerin I schon vor dieser Expansion als beendet interpretiert wurde. Obwohl es sich bei der Expansion die GROSSeltern isoliert betrachtet um ein syntaktisches Fragment handelt, so kann sie dennoch als eine Fortführung und Beendigung der vorangegangenen Hauptsatzkonstruktion aufgefasst werden. In diesem Sinne ist auch mit IP 15 ein syntaktischer Abschlusspunkt erreicht. Textorganisatorisch betrachtet wird mit der IP 13 eine Liste, bestehend aus den verschiedenen Wohnorten, abgeschlossen. Mit diesem letzten Listenelement wird die zeitliche und räumliche Dimension der Geschichte der Wohnungswechsel abgeschlossen und zugleich auf die Gegenwart hingeführt: Nach einer langen ‚Geschichte‘ ist die Erzählerin nun im Hier und Jetzt angelangt. Damit kann für IP 13 ein pragmatischer Abschlusspunkt angenommen werden, der zusammen mit dem syntaktischen Abschluss zur Konstitution einer turnübergabe-relevanten Stelle beiträgt. Auf der interaktionalen Ebene lässt sich durch die versuchte Turn-Übernahme von I in 14 ableiten, dass die Phrase von der Partnerin als abschließend wahrgenommen wurde. Allerdings kommt es hier zu einem Simultanstart, und die Turn-Übernahme missglückt. An dieser Stelle reicht M01w zur Verdeutlichung die Rechtsexpansion die GROSSeltern nach. Erst danach (ab Phrase 16) kann I erfolgreich das Rederecht übernehmen. Interaktional betrachtet liegt damit mit IP 15 ein eindeutiger Turn-Abschluss vor, während IP 13 aufgrund der missglückten Turn-Übergabe nur als potenzieller Abschluss einzustufen ist. In diesen beiden Phrasen werden wie in den bereits vorgestellten Varietäten final fallende Konturen zur Abschlusskontextualisierung eingesetzt. Aufgrund des überlappenden Sprechens ist für IP 16 keine verlässliche F0-Extraktion möglich. Für die potenziell abschließende Phrase 13 ist in Abb. 7 der global fallende Verlauf zu erkennen. Die Deklination manifestiert sich hier in der sukzessiven Tieferlegung der Akzentgipfel. Die nukleare Kontur erstreckt sich über die fünf Silben von WOHnung reinzogen und lässt sich phonetisch mit H-l% transkribieren. In diesem Konturabschnitt wird die ausgeprägteste F0-Bewegung der gesamten Phrase ausgeführt. Auf den ersten beiden Silben findet eine schnelle Fallbewegung auf ein tiefes Niveau statt. Auf den restlichen Nachlaufsilben von reinzogen verläuft die Kontur hingegen flach auf tiefem Niveau bei ungefähr 140 Hz. Auch bei diesem nuklearen Verlauf kommt es damit zur Herausbildung eines Knicks im Nachlauf. Der phrasenfinale Frequenzwert entspricht relativ genau dem durchschnittlich von dieser
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Abschlussfunktion M01-14186 300 h
H-
200
l%
150
un 100 223.88
dAnn
san=s 224.5
nEunzehnhundert
Elf
225
in dIe
225.5
WOH nung 226
reinzogen 226.5
Time (s)
Abb. 7 Abschluss im Münchnerischen mit einer nuklearen Fallkontur
Sprecherin genutzten unteren Wert des F0-Umfangs (Minglobal: 144 Hz; vgl. Kap. 2.5.5).5 Die pränukleare Silbe dIe befindet sich auf höherem Niveau als die folgende Nukleussilbe WOH. Damit ist diese fallende Nukleuskontur durch low-fall bzw. downstep gekennzeichnet. Freiburg Im Freiburgischen lässt sich die in den vorangegangenen Analysen herausgearbeitete Korrelation zwischen Abschluss und Fallkontur nicht beobachten. Zur Abschlusskontextualisierung wird hier eine gänzlich andere Kontur eingesetzt. Im folgenden Transkriptausschnitt (8) diskutieren die beiden Sprecherinnen FR01a und FR01b über die möglichen Termine für einen Betriebsausflug eines Universitätsseminars. (8) FR01-3374, sec. 234-257 ((Planungen zu einem Betriebsausflug)) 1 2
FR01a un=ich WEISS, da het sich Au mal jemand AUfgregt; da hat sich auch mal jemand aufgeregt 3 weil ma=s zu dIcht gmacht habe am seMESCHter, (-) weil wir es zu dicht am Semester gemacht haben -> 4 .h dann geht AU fascht niemand mehr mit. (.) dann geht auch fast niemand mehr mit 5 .h die mache VORbereitunge und des Alles? => 6 da könn=die AU nit. (2.0) dann können die auch nicht 7 I SCHAD; (-) 8 FR01b [ja 9 I [( ) 10 FR01a [mein 11 mein nächschtes jahr klappts ja mit dem ERSCHte nit? => 12 do=isch jo de Erschte am SONNtag. (1.0) 5
Die Lücken im F0-Verlauf von reinzogen entstehen durch einige glottalisierte Perioden im Sprachsignal, für die der F0-Algorithmus keine F0-Werte extrahieren kann.
110
Funktionen und Intonationskonturen da ist der erste ja am Sonntag 13 FR01b ja GUT, 14 [aber dann ( ) glaub=ich am MONtag, 15 FR01a [dann gehts am MONtag; 16 des könne ma nit [MAche. 17 FR01b [aber mOntags kann man schlecht e [beTRIEBSausflug mache; 18 FR01a [ne: E:be. 19 E:be. 20 FR01b <
Nachdem FR01a in IP 1 bis 6 die Schwierigkeiten geschildert hat, einen für alle Teilnehmer geeigneten Termin zu finden, wird in IP 11/12 eine weitere Schwierigkeit angesprochen: Der erste Tag eines bestimmten (nicht aus dem Kontext rekonstruierbaren) Monats, an dem normalerweise der Ausflug stattfindet, kommt für das nächste Jahr nicht in Frage, da er auf einen Sonntag fällt. Nach dieser Äußerung kommt es zum Sprecherwechsel und FR01b wendet ein, dass man den Termin auch nicht auf den Montag verschieben könne. In einer mehrfach überlappten und von Lachen begleiteten Passage wird dann auch dieser Termin verworfen. Es lassen sich zwei eindeutige Abschlusskontexte ermitteln. Durch den syntaktisch abgeschlossenen Verb-Zweit-Aussagesatz in IP 6 (da könn=die AU nit) wird eine logische Folgerung formuliert, die aus der Proposition der vorangegangenen Phrase resultiert (‚da die Teilnehmer zu diesem Zeitpunkt mit der Semestervorbereitung beschäftigt sind, können sie nicht am Betriebsausflug teilnehmen‘). Nach dieser turnübergabe-relevanten Stelle kommt es nach einer Pause zu einem Sprecherwechsel. Auch in der Phrase 12 (do=isch jo der Erschte am Sonntag ‚da ist ja der erste ((des Monats)) am Sonntag‘) ist die syntaktische und semantische Struktur wiederum als vollständig und abgeschlossen zu betrachten (Verb-Zweit-Satz im Aussagemodus). Der gesamte Beitrag von FR01a von Phrase 10 bis 12 stellt textorganisatorisch betrachtet eine assoziative Auslotung einer möglichen Alternative dar, deren Tragfähigkeit für die angestrebte Terminfindung gleichzeitig auch negiert wird. Die Gedankenassoziation der Sprecherin kann also an dieser Stelle als abgeschlossen eingestuft werden. Nach dieser Phrase kommt es zu einer langen Pause von einer Sekunde, die ebenfalls darauf hindeutet, dass der vorausgegangene Gesprächsschritt zu seinem Ende gekommen ist. Die interaktionale Einbettung belegt, dass nach Phrase 12 ein Sprecherwechsel erfolgt. Die Gesprächspartnerin FR01b interpretiert die assoziative Terminsuche von FR01a als beendet und spinnt den Faden weiter, indem sie die naheliegende Terminverschiebung von Sonntag auf Montag andeutet (IP 14). Auch hier ist damit durch den Sprecherwechsel der Turn-Abschluss in IP 12 interaktional ratifiziert. Ein potenzieller Abschluss lässt sich für IP 4 beschreiben (dann geht AU fascht niemand mehr mit). Textorganisatorisch ist diese Phrase parallel zur bereits besprochenen IP 6 gebaut. Auch hierbei handelt es sich um eine logische Folgerung, die sich
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Abschlussfunktion
aus den zuvor geäußerten Erläuterungen ergibt. Durch die syntaktische und pragmatische Abgeschlossenheit wird eine turnübergabe-relevante Stelle konstruiert, die jedoch im Gegensatz zu IP 6 nicht genutzt wird. In den drei herausgearbeiteten Abschluss-Phrasen wird jeweils die gleiche Intonationskontur verwendet, die sich radikal von den Fallkonturen der übrigen Varietäten unterscheidet. Stellvertretend ist in Abb. 8 der Verlauf für IP 12 dargestellt. Nach einem Beginn in der mittleren Sprechstimmlage fällt die Kontur pränuklear zunächst leicht ab. Auf dem zweisilbigen Nukleus SONNtag wird dann eine steigend-fallende Kontur realisiert. Im Vergleich mit der Fallkontur ist diese Kontur intonatorisch komplexer, da sie aus zwei Teilbewegungen besteht. Wie die Fallkontur weist auch diese Kontur einen F0-Gipfel auf, der sich jedoch im Nachlauf befindet. Der wichtigste Kontrast zwischen den beiden Konturen manifestiert sich in der Nukleussilbe: Eine tiefgelegte Akzentsilbe L- steht einer hohen Akzentsilbe in den übrigen Varietäten entgegen. Als phonetische Transkription dieser nuklearen Kontur ergibt sich damit L-h-l%. FR01-3374 300
h200 Ll%
150
do=isch ja de 100 0
Erschte am 0.5
SONN 1
tag 1.47
Time (s)
Abb. 8 Abschluss im Freiburgischen mit einer nuklear steigend-fallenden Kontur
Die Nukleussilbe SONN ist durch einen wannenförmigen Verlauf gekennzeichnet. Die eingeleitete Bewegung ist jedoch perzeptiv nur wenig relevant und auf den F0-erhöhenden Einfluss des vorausgehenden Frikativs zurückzuführen. Demgegenüber ist eine deutliche Anstiegsbewegung in dieser Silbe zu verzeichnen, die von ca. 130 bis 170 Hz reicht. Auf der Folgesilbe tag befindet sich bei ca. 220 Hz das Maximum der Kontur. Es schließt sich eine schnelle finale Fallbewegung an, die bei ca. 130 Hz endet. In diesem Beleg liegt also weitgehende Identität von Start- und Endpunkt der steigend-fallenden Kontur vor. Auditiv ist dieser Beleg besonders auffällig, da sich die beiden Konturbestandteile auf nur zwei Silben verteilen und auch einen weiten F0-Umfang ausnutzen.
112
Funktionen und Intonationskonturen
3.2 Weiterweisungsfunktion In den folgenden Kontextanalysen werden die nicht-intonatorischen Kriterien zur Identifizierung weiterweisender Phrasen angewendet, die sich notwendigerweise immer im Inneren eines Gesprächsbeitrags befinden. Auch diese Darstellung verfolgt zwei Ziele: Es wird einerseits das Funktionieren der Weiterweisung im Gesprächskontext, ihre Motiviertheit durch bestimmte syntaktische Konstruktionen und pragmatische Strukturen sowie die intonatorische Gestaltung weiterweisender Phrasen erläutert. Zum zweiten dient die Darstellung dazu, einen ersten Überblick über die in den acht Stadtvarietäten anzutreffenden Weiterweisungskonturen zu geben. Für diese Funktion ist es notwendig, eine Differenzierung in zwei Sub-Typen vorzunehmen: sukzessiv-reihende und gleichordnend-reihende Weiterweisung. Durch diese Differenzierung wird berücksichtigt, ob die aneinander gefügten Informationskomponenten sich gegenseitig bedingen oder nicht. Die sukzessiv-reihende Weiterweisung lässt sich am häufigsten beobachten. Hiermit werden zeitlich oder logisch aufeinander folgende Informationskomponenten von Erzählungen, Beschreibungen oder Argumentationen miteinander verknüpft. Wenn z.B. in einer Erzählung einzelne Erzählschritte aneinander gefügt werden, so wird darin meist auch das zeitliche Aufeinanderfolgen dieser Schritte in der Erzählwelt reflektiert. Diese weiterweisenden Phrasen dienen damit der thematischen Progression, aber auch der Kohäsion des Gesprächsbeitrags. Dies bedingt, dass die Reihenfolge der einzelnen Phrasen nicht ohne Sinnveränderungen geändert werden kann. Unter der gleichordnend-reihenden Weiterweisung werden Listenstrukturen subsumiert. Listen entstehen durch die Aneinanderreihung mindestens zweier Inhaltsbestandteile (meist nominale Elemente), die syntaktische und semantische Parallelen aufweisen.6 Dies ist z.B. bei einer Einkaufsliste der Fall (A: Was soll ich einkaufen? B: Äpfel, Bananen, Käse und Bier.) Die einzelnen Listenelemente stehen dann in einem gleichordnend-reihenden Verhältnis zueinander. Listen können innerhalb einer einzigen IP realisiert werden. Häufiger sind jedoch Listen, deren Elemente sich auf mehrere, meist direkt aufeinander folgende IPs verteilen. Listen können ‚geschlossen‘ oder ‚offen‘ sein. Im ersten Fall ist intendiert, dass die Menge der aufgelisteten Elemente exhaustiv ist. Bei offenen Listen werden quasi assoziativ einige Listenelemente geäußert, ohne dass Vollständigkeit intendiert ist. Dieser Listentyp wird häufig mit einer generalisierenden Formel wie und so weiter beendet (‚generalized list-completer‘; Jefferson 1990). Für die Länge von Listen scheint eine übereinzelsprachliche Präferenz von drei Elementen zu existieren (‚three-part lists‘; vgl. Jefferson 1990). Im Gegensatz zur sukzessiv-reihenden Weiterweisung stehen die einzelnen Elemente einer Liste nicht in einem zeitlich sukzessiven Verhältnis zueinander. Sie sind vielmehr strukturell gleichgeordnet. Dies zeigt sich darin, dass die 6
Zu Listenstrukturen vgl. v.a. Jefferson (1990), Müller (1989), Selting (2003).
Weiterweisungsfunktion
113
Reihenfolge von Listenelementen geändert werden kann, ohne dass es zu Sinnveränderungen oder zur Aufgabe der Listenstruktur kommt. In Gilles (2001b) konnte am Beispiel des Hamburgischen und Berlinischen bereits gezeigt werden, dass für beide Weiterweisungstypen teilweise unterschiedliche intonatorische Verfahren eingesetzt werden. Es erscheint daher nicht unplausibel, dass diese Differenzierung auch für weitere regionale Varietäten relevant ist. Die sukzessiv-reihende Weiterweisung wird in Kap. 3.2.1 und die gleichordnend-reihende Weiterweisung in Kap. behandelt. Für jede Stadt wird anhand des konversationellen Kontexts das Funktionieren der Weiterweisung und die dort eingesetzte intonatorische Gestaltung vorgestellt. Aus dem Kontext wird jeweils eine Intonationsphrase herausgegriffen, für die sich die konversationelle Funktion exemplarisch beschreiben lässt. 3.2.1 Sukzessiv-reihende Weiterweisung Eindeutige Weiterweisung liegt dann vor, wenn die gewählte syntaktische Konstruktion eine Fortführung in einer weiteren Phrase erfordert. So verlangt z.B. die Protasis eines Konditionalgefüges immer eine Fortsetzung durch die Apodosis. Diese syntaktisch motivierte Weiterweisung wird in Kap. 3.2.1.1 vorgestellt. Darüber hinaus kann Weiterweisung auch durch globale pragmatische Merkmale motiviert sein. So können innerhalb einer Erzählung einzelne Erzählschritte weiterweisend gestaltet sein, um die Kohärenz der Globalstruktur herzustellen. Aufgrund der methodischen Schwierigkeiten bei der Bestimmung dieses Weiterweisungstyps (vgl. Kap. 2.1) werden diese Phrasen als potenziell weiterweisend eingestuft. Da dieser Weiterweisungstyp in den hier zugrunde gelegten, überwiegend erzählenden und beschreibenden Sprachdaten besonders häufig auftritt, wird er gesondert in Kap. 3.2.1.2 behandelt. 3.2.1.1 Syntaktisch motivierte Weiterweisung Hamburg In Beleg (9) liefert HH07 Argumente für seine Ansicht, dass Eltern zu einer stärkeren Beteiligung an der Finanzierung der Schulen herangezogen werden sollten. Der Sprecher untermauert sein Argument in Form einer Beweisführung: ‚Wenn Eltern in der Lage sind, ihren Kindern jeden Tag zwei Mark zu geben, dann sollten sie ebenfalls auch bereit sein, einen ähnlichen Betrag für Lehrmittel o.ä. bereitzustellen.‘ Sowohl die Protasis (5-6) als auch die Apodosis dieses Konditionalgefüges sind über mehrere Phrasen verteilt (7-14).
114
Funktionen und Intonationskonturen
(9) HH07-12193, sec. 2170-2201 ((Plädoyer für eine stärkere Beteilung der Eltern an der Finanzierung der Ausstattung der Schulen)) 1 2
HH07
3 I 4 HH07 => 5 6 => 7 8 9 10 11 12 13 14
wenn (1.3) ich an FRÜher denke? (2.0) dann (.) hab ich meine (.) schnitte BROT mit zur (.) schule bekomm. ja. .hh
Zwei eindeutige Weiterweisungskontexte können in dieser Passage herausgearbeitet werden. Die in IP 5 gewählte syntaktische Konstruktion ‚in der Lage sein‘ ist Teil einer Konditionalkonstruktion und verlangt einen fortführenden Komplementsatz mit erweitertem Infinitiv oder einen dass-Satz. Damit ist die Konstruktion in Phrase 5 syntaktisch nicht abgeschlossen und verweist weiter auf (mindestens) eine Folgephrase. In der Anschlussphrase 6 wird dann entsprechend auch ein Komplementsatz mit erweitertem Infinitiv angeschlossen. Analog dazu kann IP 7 interpretiert werden: Der Sprecher beginnt hier mit der Apodosis des in IP 5 initiierten Konditionalgefüges. Die notwendigen Ergänzungen werden in den folgenden Phrasen angefügt. Ab Phrase 8 wird eine Erweiterung der Apodosis eingeleitet, indem eine ausgedehnte Parenthese in Listenform eingeschaltet wird (IP 8 bis 12). Erst in Phrase 14 wird die in Phrase 7 begonnene Konstruktion mit der erweiterten Infinitivkonstruktion täglich fünfzig PFENnig bezahlen zu können abgeschlossen. Die durch die syntaktische Konstruktion aufgebaute Projektion erstreckt sich damit über sechs dazwischen geschaltete Phrasen. Ein Grund für die Aufteilung der Apodosis auf mehrere Phrasen liegt möglicherweise in der Länge der gewählten Konstruktion: Die Konstruktion ‚in der Lage sein, etwas zu tun‘ würde zu einer überlangen IP führen. Vorstellbar wäre etwa Dann müssten sie auch in der Lage, sein täglich fünfzig Pfennig bezahlen zu können. Zur Vermeidung solch schwer prozessierbarer Phrasen (hier: 22 Silben) wird die Konstruktion auf mehrere Phrasen aufgeteilt. Zwangsläufig ist dann die erste Phrase dieser Konstruktion weiterweisend einzustufen. Insgesamt kann also aus der lokalen syntaktischen Struktur von IP 5 und 7 Evidenz für eine Fortführung der Konstruktion abgeleitet werden. Die Unvollständig-
115
Weiterweisungsfunktion
keit der Syntax impliziert, dass ohne eine Fortführung auch keine kohärente semantische und pragmatische Interpretation der Phrase möglich ist. Aus den Tonhöhenmarkierungen in Transkript (9) ist ersichtlich, dass beide weiterweisende Phrasen mit final steigender Intonation realisiert werden. Der Intonationsverlauf für IP 7 ist in Abb. 9 dargestellt. Nach einem schnellen Anstieg auf den pränuklearen Akzent mÜssten fällt die Kontur bis zum Beginn des Nukleus ab. HH07-12193 200 h% 150
100 L70
dann
0
LA
mÜssten sie auch in der 0.5
1
ge 1.5
sein 1.77
Time (s)
Abb. 9 Weiterweisung im Hamburgischen mittels einer final ansteigenden Kontur L-h%
Die Akzentsilbe des dreisilbigen Nukleus LAge sein wird auf tiefem Tonniveau realisiert. Die Grundfrequenz bleibt hier praktisch während der gesamten Silbendauer konstant auf tiefem Niveau, so dass es zur Herausbildung eines Tals kommt. Damit trägt diese Silbe einen Tiefton L. Am Ende der Nukleussilbe setzt ein finaler Anstieg ein, der sich ohne weitere Richtungsänderung kontinuierlich bis zum Ende der Phrase fortsetzt, die damit durch einen hohen Grenzton h% abgeschlossen wird. Die nukleare Kontur lässt sich durch die Symbolfolge L-h% erfassen. Die gesamte Kontur erstreckt sich im Bereich zwischen 78 und 151 Hz. Im Vergleich mit den durchschnittlich präferierten Werten dieses Sprechers wird in diesem Beleg ein erweiterter Sprechstimmumfang verwendet: Minglobal befindet sich etwas höher bei 90 Hz, und Maxglobal liegt hier bei lediglich 137 Hz. Ein weiterer Beleg soll die syntaktisch motivierte Weiterweisung im Hamburgischen verdeutlichen. In seinen Ausführungen in (10) antwortet HH07 auf die Frage des Gesprächsleiters, ob sich norddeutsche Politiker in der Öffentlichkeit des Plattdeutschen bedienen sollten. Die markierte Phrase 5 ist syntaktisch weiterweisend angelegt. (10) HH07-380, sec. 1125-1155 ((Ausführungen auf die Frage des Gesprächsleiters I, ob Politiker in Norddeutschland sich des Plattdeutschen bedienen sollten)) 1 2 3 4
HH07
ja das äh ((hustet)) das ist so=ne SAChe. (3.5) ((räuspert)) die ((hustet)) die politIker (-) in ihren (1.5) REden? (2.5) die kÖnnen natürlich
116
Funktionen und Intonationskonturen
=> 5 6 7 8 9 10
I HH07 I HH07
wenn wenn sie jetz beispielsweise in FRIESland sind? hm=hm, oder a auf au in irgendeinem DORF? (-) da GERne mal plattdeutsch reden. ja ja. nech und da da kommt das auch AN.
Die Weiterweisung resultiert aus der syntaktischen Unvollständigkeit des Konditionalgefüges. In Phrase 5 wird eingeleitet mit wenn die Protasis realisiert, die der Vervollständigung durch eine Apodosis bedarf. Diese Projektion wird jedoch nicht in der unmittelbar folgenden Phrase eingelöst. Es folgt zunächst in IP 6 eine Rückmeldung des Gesprächsleiters, die jedoch nicht turn-kompetitiv zu werten ist. Danach setzt HH07 seinen Turn ‚störungsfrei‘ fort, indem er in Phrase 7 die Protasis um eine Rechtsexpansion erweitert. Damit wird auch in dieser Phrase die Projektion weiter aufrecht erhalten, d.h. auch diese Phrase ist syntaktisch bedingt weiterweisend. Erst in Phrase 8 folgt die Apodosis, und die in Phrase 5 aufgebaute syntaktische Projektion ist eingelöst. Bei der intonatorischen Gestaltung der weiterweisenden Phrase wenn sie jetz beispielsweise in FRIESland sind findet sich keine kontinuierlich ansteigende nukleare Kontur, sondern ein charakteristischer fallend-steigender Verlauf. HH07-380 200 H-
150
h%
100 l70 0
wenn sie jetz beispielsweise in 0.5
1 Time (s)
FRIES
land
sind 1.5
Abb. 10 Weiterweisung im Hamburgischen mittels einer fallend-steigenden Kontur H-l-h%
Die komplexe Bewegung verteilt sich auf die drei Silben des Nukleus. Die Nukleussilbe FRIES wird hoch realisiert (145 Hz), auf der Folgesilbe kommt es zu einem schnellen Abfall auf ca. 80 Hz. Auf der phrasenletzten Silbe findet ein schneller Anstieg auf das Niveau der Nukleussilbe statt. Zur Transkription der fallend-steigenden Kontur wird die Symbolfolge H-l-h% verwendet. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass im Hamburgischen zur sukzessiv-reihenden Weiterweisung zwei Konturen eingesetzt werden: L-h% und H-l-h%.7
7
Auf die unterschiedlichen funktionalen Potenziale der beiden Konturen kann hier nicht weiter eingegangen werden; vgl. dazu die Ausführungen in Gilles (2001b).
Weiterweisungsfunktion
117
Mannheim Die Weiterweisung im mannheimerischen Beispiel (11) ist ebenfalls syntaktisch motiviert. Das Thema des Ausschnitts ist die innerstädtische Dialektvariation und die Ähnlichkeiten einzelner Stadtteile mit hessischen Dialekten bzw. dem Rheinfränkischen im nördlichen Worms. In der markierten Phrase 16 beginnt Sprecher MA07 einen Konditionalsatz, dessen Protasis un=äh wenn=se wEiter RÜWwer gehe innerhalb dieser Phrase realisiert wird. (11) MA07-2455, sec. 695–726 ((Erläuterung der dialektalen Variation zwischen Mannheimer Stadtteilen und ihr Verhältnis zu den umgebenden Dialekten)) 1 2
I
des=is KOmisch; ne? [dass es] Innerhalb von Einem (.) .hh stAdtgebiet dann doch noch so UNterschiede gibt. ne? 3 MA07w [hm=hm ] 4 I dass Irgendwie:- (0.8)DENKT [ma gAr net so.] 5 MA07w [hm=hm ] (--) 6 I wenn man des irgend jemandem erZÄHln würd. 7 MA07 ja zum beispiel die SCHÖnauer. (.) 8 I hm=hm? (.) 9 MA07 die hawwe=die lege sich eher an de RIED aa. 10 I hm=hm; (0.5) 11 MA07 äh:: (0.8) BIBlis? 12 BÜRstadt? (-) 13 MA07w ja s=HESsische halt widder. ne? (-) 14 MA07 die gehe gehe ins HESsische. 15 I hm=hm? (1.0) => 16 MA07 un=äh wenn=se wEiter RÜWwer gehe? und wenn sie weiter rüber gehen 17 dann hAwwe se schun wIdder (.) äh än WORMser dialekt. (--) dann haben sie schon wieder einen Wormser Dialekt 18 I ah=JA. 19 MA07 äh Alles in Änere stadt. (--) alles in einer Stadt 20 I hm=hm,
Damit ist Phrase 16 zwar syntaktisch wohlgeformt, allerdings wird mindestens eine Folgephrase projektiert: Die zur Vervollständigung der Konstruktion notwendige Apodosis folgt dann in der Folgephrase 17 (dann hAwwe se schun wIdder (.) äh än WORMser dialekt). Die lokale Struktur der syntaktischen Ebene legt damit nahe, diese Phrase als weiterweisend zu analysieren. Auf der Ebene der intonatorischen Gestaltung zeigt das Mannheimerische Ähnlichkeiten mit dem Hamburgischen, denn auch hier kann zur Kontextualisierung der Weiterweisung u.a. eine kontinuierlich ansteigende nukleare Kontur verwendet werden (Abb. 11). Nach einem größtenteils flachen pränuklearen Verlauf
118
Funktionen und Intonationskonturen
mit einer leichten Erhebung auf dem pränuklearen Akzent wEiter beginnt in der tiefen Nukleussilbe RÜW der finale Anstieg. MA07-2455 200
h%
150
L-
100 un=äh 70 0
wenn=se
wEiter
0.5
1
RÜW wer
gehn 1.5
1.68
Time (s)
Abb. 11 Weiterweisung im Mannheimerischen mittels einer final ansteigenden Kontur L-h%
Die Anstiegsbewegung vollzieht sich ohne nennenswerte Ablenkungen kontinuierlich über den gesamten dreisilbigen Nukleus und endet auf hohem Tonniveau. Die Talbildung in der Nukleussilbe RÜW ist hier nicht so ausgeprägt wie im Hamburgischen, es ist vielmehr schon früh in dieser Silbe der Beginn der Anstiegsbewegung zu beobachten. Trotz dieses leichten Unterschieds zum Hamburgischen kann auch diese Kontur mit L-h% transkribiert werden. Köln Im folgenden Kölner Beleg (12) schildert Sprecherin K07 ihre Erlebnisse aus der Kriegszeit. Nachdem in Phrase 1 bis 5 ein Erinnerungsfragment vorgestellt worden ist, leitet die Sprecherin über in einen Metakommentar: In den Phrasen 6 bis 8 wird die ältere Schwester als eine kompetentere Gewährsperson eingeführt. In diesem Redezug ist Phrase 7 weiterweisend. (12) K07-19279, sec. 542–586 ((Kriegserinnerungen)) 1
K07
2 3 4 5 6 => 7 8 9 I 10 K07 11 12
und dann warn=wir auf einem Offenem GÜterwagen gefahrn. (.) bis nach HAUse. (1.1) ich weiß hEute nicht mehr wie meine Eltern dat geSCHAFFT ham. (.) .hh und wie w!I!r das als KIND geschafft ham. (.) WEISS ich nich. (--) .hh meine schwEster hat MEHR erinnerungen daran. die=s zwar Ein jahr ÄLter wie ich? (.) aber die wEiss noch MEHR wie ich. (.) ja; (1.0) und=äh: (--) mein BRUder; vIer JAHre war der. (--) der fuhr=der dUrfte dann immer da oben auf dem wAgen SITzen;
119
Weiterweisungsfunktion 13
weil der ja noch ne klääne JUNG war. ne? weil der noch ein kleiner Junge war
Mit die ist zwar Ein jahr ÄLter wie ich wird wiederum eine syntaktische Projektion aufgebaut, die nach einer Ergänzung in der Folgephrase verlangt. In dieser konzessiven Konstruktion aus zwei Hauptsätzen macht die Rangierpartikel zwar im ersten Hauptsatz einen mit aber eingeleiteten zweiten Hauptsatz erwartbar. Entsprechend wird die notwendige Fortführung in Phrase 8 geleistet (aber die wEiß noch MEHR wie ich). Die intonatorische Gestaltung der weiterweisenden Phrase 7 in Abb. 12 lässt eine steigend-fallende nukleare Kontur erkennen. K07-19279 300
hm% L-
200
die=s zwar 150 0
Ein jahr 0.5
ÄL
ter 1
wie ich 1.35
Time (s)
Abb. 12 Weiterweisung im Kölnischen mittels einer steigend-fallenden Kontur L-h-m%
Im viersilbigen Nukleus ÄLter wie ich wird in der Nukleussilbe ÄL ein Tiefton realisiert, der auf ein F0-Tal zurückzuführen ist. Im Nachlauf beginnt eine Anstiegsbewegung, die sich bis zur vorletzten Silbe fortsetzt und dort ihr Maximum erreicht. Auf der letzten Silbe ich ereignet sich ein leichter, jedoch hörbarer Fall auf mittel-hohes Niveau. Für diese Kontur wird die Transkription L-h-m% verwendet: Die Anstiegsbewegung wird durch L-h, die Fallbewegung auf mittel-hohes Niveau durch h-m% ausgedrückt. Das Besondere an dieser Weiterweisungskontur liegt darin, dass sie im Gegensatz zu den bislang vorgestellten Weiterweisungskonturen nicht mit einem hohen Grenzton h% endet, sondern zum Phrasenende hin wieder abfällt. Im nächsten Kölner Beleg (13) wird die Weiterweisung durch einen vorangestellten Nebensatz gewährleistet. In Phrase 2 beginnt die Sprecherin einen mit (dialektalem) wie eingeleiteten Temporalsatz, dessen zugehöriger Matrixsatz in der nächsten Phrase realisiert wird (‚als der Kleine getauft wurde, sagte ich zu Rosi‘). (13) K11-15283, sec. 2750-2771 ((Beschreibung der Feierlichkeiten bei einer Kindtaufe)) 1 => 2
K11
war sehr SCHÖN? un wie der klEine dann geTAUFT wurde;
120
Funktionen und Intonationskonturen 3 4
5 6
sach ich zu der ROsi? sag ich zu der Rosi ich sache hÖrt emal habt ihr denn auch den PFARrer eingeladen? ich sage, hört einmal, habt Ihr denn auch den Pfarrer eingeladen ja. er hat zUgesacht er KOMMT. ne?
Die Intonationskontur der Phrase 2 in Abb. 13 zeigt für den dreisilbigen Nukleus (ge)TAUFT wurde abermals eine steigend-fallende Kontur. Auf der Nukleussilbe TAUFT hat sich auf dem tiefem Niveau bei ca. 150 Hz ein Tal herausgebildet. Danach wird auf der ersten Nachlaufsilbe durch einen deutlichen Tonhöhensprung das Maximum des Anstiegs erreicht. Auf den letzten beiden Nachlaufsilben wurde kommt es dann zu einer finalen Fallbewegung auf mittel-hohes Endniveau. Die nukleare Kontur hat damit die phonetische Struktur L-h-m%. K11-15283 h200
m% L-
150 un wie der 0
0.5
klEine dann
ge
1 Time (s)
TAUFT 1.5
wurde 2
Abb. 13 Weiterweisung im Kölnischen mit einer steigend-fallenden Kontur L-h-m%
München Im münchnerischen Beispiel (14) wird in IP 10 mit wenn wenn=s Irgendwas ANders baun ein Konditionalgefüge begonnen. Als Verb-Letzt-Satz baut die Protasis wiederum eine Projektion auf. Der projektionseinlösende Konstruktionsteil wird erst drei Phrasen später in IP 13 realisiert. Die Apodosis wird zwar als Verb-Zweit-Satz ausgeführt, es fehlt allerdings die für Konditionalgefüge typische Satzeinleitung mittels dann. Aus der semantischen Struktur wird jedoch deutlich, dass es sich hierbei um den Abschluss des Konditionalgefüges handeln muss. Zwischen die Konstruktionsteile des Satzgefüges ist eine Liste eingeschoben, durch die die allgemeine Semantik der Protasis konkretisiert wird (SCHUlen / oder theAter oder=so). Die durch IP 10 aufgebaute syntaktische Projektion erstreckt sich damit über drei Phrasen (10 bis 13). Das eindeutig weiterweisende Potenzial manifestiert sich allerdings nur in der lokalen syntaktischen Struktur von IP 10. Die Passage (14) enthält in den IPs 14 bis 17 ein weiteres Konditionalgefüge, dessen syntaktisch motivierte Weiterweisung analog zu IP 10 analysierbar ist.
121
Weiterweisungsfunktion (14) M02-16540, sec.1563–1588 ((Diskussion über den geplanten Stadion-Neubau in München)) 1 2 3
M02a
4 5 M02b 6 M02a 7 8 9 => 10 11 12 13 14 15 16 I 17 M02a 18 19
unser stAdion wird finanZIERT. das is KLAR. (-) nur nur äh die erSCHLIEssung ois. nur die Erschließung alles [das MACHT die stAdt. [Infrastruktur; grad Infrastruktur; das MUSS die stadt machen. i=MEIN (-) äh äh:; (.) schAu ma HER. (-) wenn wenn=s Irgendwas ANders baun? SCHUlen? oder theAter oder=so? des muss die stAdt ja AA irgendwie infrastrukturiern. (.) aber=we=ma en inVEStor hat. der=der berEit is fünfhundert millIonen da zu in[vesTIERN? [hm=hm (--) .h dann is doch des a geWINN für=für die ganze stadt. (--) des hat mo früher jo AA gsagt bei der olympiAde; mein gOtt was brAuch=mir so ä STAdion da.
Die intonatorische Gestaltung der markierten Phrase in Abb. 14 lässt eine Weiterweisungskontur erkennen, die sich von den bislang vorgestellten unterscheidet. Der Nukleus ANders baun hat mit den hamburgischen, mannheimerischen und kölnischen Konturen den Tiefton in der Nukleussilbe gemeinsam, der sich hier in Form einer leichten Talbildung manifestiert. Noch in dieser Silbe kommt es zu einem schnellen Anstieg, dessen Maximalwert am Beginn der ersten Nachlaufsilbe ders erreicht wird. Ab dieser Silbenposition wird das hohe Tonhöhenniveau fast konstant bis zum Phrasenende gehalten, so dass sich ein Hochplateau herausbilden kann. Zur Kennzeichnung dieser Plateaukonturen wird die Notation L h-% verwendet. M02-16540 200 h%
150 L
100 wenn wenn=s 70 0
Irgendwas 0.5
AN 1
ders
baun 1.5
1.67
Time (s)
Abb. 14 Weiterweisung im Münchnerischen mittels einer Hochplateaukontur L h-%
122
Funktionen und Intonationskonturen
Dabei wird durch den L-Ton das Tal in der Nukleussilbe ausgedrückt. Das auf der ersten Nachlaufsilbe einsetzende Hochplateau wird durch h-% symbolisiert. Durch das Spatium zwischen L und h kommt zum Ausdruck, dass sich die beiden Zieltöne in unmittelbar benachbarten Silben befinden. Freiburg Im freiburgischen Beispiel (15) wird die Weiterweisung nicht durch eine Nebensatzkonstruktion, sondern durch ein lexikalisches Element ausgelöst, das eine Fortsetzung in einer Folgephrase erwartbar macht. Die Landwirtin FR05w schildert hier die Bepflanzung eines Ackers und bedient sich einer Kontrastierung, um die zwei Hälften des Ackers einander gegenüber zu stellen. (15) FR05-4280, sec. 569-611 ((Die Landwirtin FR05w beschreibt die landwirtschaftliche Fruchtfolge)) 1
FR05w mir hen Au noch ä ACker kha im kirchweg; (.) wir hatten auch noch einen Acker gehabt im Kirchweg 2 I hm=hm; 3 FR05w do he ma immer äh Ei: jahrda haben wir immer ein Jahr => 4 he=ma=uff der Eine hälfte HERDäpfel kha? hatten wir auf der einen Hälfte Kartoffeln gehabt 5 un uff der ANdre hälfti; und auf der anderen Hälfte 6 FR05 ( ) 7 FR05w äh: HALBweize? 8 I hm=hm; 9 FR05w un des het ma dann s=nÄchscht johr grad GWECHselt. und das hat man dann im nächsten Jahr einfach gewechselt 10 dass es widder der bOde sich erHOLT het. damit der Boden sich wieder erholen konnte
Die weiterweisende IP 4 besteht aus einem Verb-Zweit-Satz im Aussagemodus, dessen Verbvalenzrahmen vollständig besetzt ist. Das weiterweisende Potenzial resultiert hier aus dem Aufbau eines lexikalischen Kontrastes. Durch die Nennung der Einen hälfte in IP 4 wird eine Fortsetzungserwartung aufgebaut, die das zweite Element des Kontrastpaares relevant setzt. Als Projektionseinlösung folgt mit IP 5 dann die ANdre hälfti. Dass in IP 4 eine Kontrastierung aufgebaut wird, zeigt sich auch in der Akzentuierungsstruktur dieser Phrase, da anstelle des Substantivs der vorausgehende Indefinitartikel den pränuklearen Akzent trägt (Eine hälfte statt eine hÄlfte). Die Intonationskontur für IP 4 in Abb. 15 zeigt auf dem Nukleus HERDäpfel kha ‚Kartoffeln gehabt‘ eine Plateaukontur L h-% mit schon in der Nukleussilbe einsetzender Anstiegsbewegung, wie sie auch für das Münchnerische festgestellt wurde. Nach der Talbildung in der Nukleussilbe HERD steigt der Verlauf schnell an.
123
Weiterweisungsfunktion
Auf der ersten Nachlaufsilbe geht die Anstiegsbewegung dann in das Hochplateau über, das bis zum Phrasenende beibehalten wird. FR05-4280 %
h200 L-
150 he=ma=uff der 0
0.5
Eine hälfte 1 Time (s)
HERD 1.5
äpfel kha 2 2.11
Abb. 15 Weiterweisung im Freiburgischen mit einer Hochplateaukontur L h-%
Dresden Im dresdnerischen Gesprächsausschnitt (16) liegt mit Phrase 1 wiederum die Protasis eines Konditionalgefüges vor. Die dadurch projektierte Apodosis wird erst in Phrase 6, also 5 Phrasen später, realisiert (dann bin ich mit der EIsenbahn gefahrn). Die parenthetischen Phrasen 2, 3, und 4 werden von der Konditionalkonstruktion umklammert und sind daher ebenfalls weiterweisend. (16) DD04-21455, sec. 2564-2580 ((Bericht von den früheren Arbeitsumständen des Sprechers DD04)) => 1 2 3 4 5 6 7 8
DD04
I DD04
naja (-) aber (-) wenn mir dann HÄM gingn hier? naja, wenn wir dann heim gingen hier des war meistens ähn äh gegen MITternacht erscht? dann war=mir fertisch mit [unseren ARbeiten? [hm=hm ( ) .hh u:nd (1.0) .h ging keine STROssenbahn mehr? dann bin ich mit der EIsenbahn gefahrn? vom hAuptbahnhof nach TRAChau? von trAchau in meine WOHnung?
Nicht nur die markierte IP 1, sondern auch die folgende Parenthese werden mit Anstiegskonturen vom Typ L h-% kontextualisiert, wie sie schon für das Münchnerische und Freiburgische beschrieben wurden (Abb. 16). In der Nukleussilbe HÄM ‚heim‘ sind eine Talbildung und der Anstiegsbeginn zu erkennen. Das leicht abfallende Hochplateau beginnt mit der ersten Nachlaufsilbe und erstreckt sich bis zum Phrasenende. Berlin Für die berlinische Passage in (17) lassen sich zwei Phrasen mit syntaktisch motivierter Weiterweisung feststellen. Bei Phrase 7 handelt es sich um einen Verb-Zweit-Aussagesatz mit verbum dicendi, der unvollständig ist, da das erforderli-
124
Funktionen und Intonationskonturen DD04-21455 200 h150
%
L 100 wenn mir dann
HÄM
gingn
hier
'wenn wir dann heim gingen hier' 70 0
0.5
1
1.43
Time (s)
Abb. 16 Weiterweisung in Dresden mittels einer Hochplateaukontur L h-%
che Objekt noch fehlt. Das fehlende Objekt wird erst in Phrase 9 geäußert, allerdings nicht als dass-Satz (‚ich habe immer betont, dass ich nicht über Amerika spreche’), sondern als abhängiger Hauptsatz (‚ich habe immer betont, ich spreche nicht über Amerika’). (17) B04-1231, sec. 3171-3189 ((über die Einschätzung von Amerikanern durch Deutsche)) 1 2 3 4 5 6 => 7 => 8 9 10 11 12
B01
I B01 I B01
I B01
und dIt hat mir ebmt in der RICHtung- (—) ick sach ma mein (-) mein VORurteil. (—-) über aMErika, hm:, .h äh hat sich dA vielleicht n bisschen revidIERT. [(ja); [aber ick hab immer beTONT? ooch als ick WIEderjekomm bin? .h dEnkt dran ick sprech nich über aMErika? .h <
Ebenfalls weiterweisend ist der Verb-Letzt-Aussagesatz in Phrase 8, der in Form eines mit als eingeleiteten Temporalsatzes ausgeführt ist. Bei diesem Nebensatz handelt es sich um eine detaillierende Erweiterung innerhalb einer syntaktisch projektierenden Äußerung, die bereits in Phrase 7 begonnen wurde. Der Nukleus in Phrase 7 besteht nur aus der Silbe TONT, folglich muss auf dieser Silbe auch die gesamte nukleare Kontur realisiert werden. In Abb. 17 ist am Beginn dieser Silbe eine Talbildung erkennbar, an die sich ein finaler Anstieg anschließt. Ähnlich dem hamburgischen und mannheimerischen Beispiel ist diese Kontur phonetisch mit L-h% zu transkribieren. Bei solchen einsilbigen Nuklei handelt es sich um besondere Intonationskonturen: Da hier für die Konturausführung nur eine Silbe zur Verfügung steht, ist die Kontur bestimmten Modifikationen unterworfen, die auch dazu beitragen können, dass regionale Kontraste neutralisiert werden. Da die zugrunde liegende tonologische Struktur hier nur bedingt erkenn-
125
Weiterweisungsfunktion B04-1230 200
h% L-
150
100 aber ick hab 70 0
Immer
be
TONT
0.5 Time (s)
0.9057
Abb. 17 Weiterweisung im Berlinischen mit einem finalem Anstieg L-h%
bar ist, ist es notwendig, die Analyse auf mehrsilbige Nuklei auszuweiten. Daher soll nun aus dem gleichen Transkriptausschnitt zusätzlich die ebenfalls weiterweisende IP 8 vorgestellt werden, deren Nukleus mehrsilbig ist. Auf dem fünfsilbigen Nukleus WIEderjekomm bin in Abb. 18 ist eine Plateaukontur ausgeführt. Im Gegensatz zu den Plateaukonturen des Freiburgischen und Münchnerischen ist hier in der Nukleussilbe WIE keine Talbildung zu erkennen. Vielmehr deutet sich ein Tal auf der pränuklearen Silbe ick an. Da es in der Nukleussilbe auch zu keiner Gipfelbildung kommt, ist diese Silbe ausschließlich durch eine Anstiegsbewegung geprägt. Das Maximum dieser Teilbewegung ist am Beginn des Nachlaufs lokalisiert. Ab da wird die Tonhöhe abgesehen von leichten lokalen Mikrobewegungen bis zum Phrasenende gehalten. Das Hochplateau wird damit in der gleichen Weise realisiert wie z.B. im Dresdnerischen und Münchnerischen. Die nukleare Anstiegskontur des Berlinischen kann durch die Transkription LH h-% erfasst werden. Dabei wird durch LH die permanente Gleitbewegung in der Nukleussilbe ausgedrückt, die weder ein Tal noch einen Gipfel aufweist. B04-1231 200
h-
%
LH
150
100 Ooch als ick 70 0
WIE
der
0.5 Time (s)
jekomm
bin 1
1.12
Abb. 18 Weiterweisung im Berlinischen mittels einer Hochplateaukontur LH h-%
Aufschlussreich für die Konturmodifikationen bei veränderter nuklearer Silbenzahl ist der Vergleich zwischen dieser mehrsilbigen und der einsilbigen Weiterweisungskontur auf (be)TONT in Abb. 17 (oben). Aus der Anstiegsbewegung des einsilbigen Nukleus kann nicht abgeleitet werden, wie die Kontur bei zunehmender Silbenzahl
126
Funktionen und Intonationskonturen
gestaltet wird. Dabei sind zwei Optionen denkbar: (1) Der ansteigende Verlauf könnte sich bei zunehmender Silbenzahl an das vorhandene Material anpassen, so dass ein kontinuierlicher Anstieg L-h% entstünde. Damit ergäbe sich für das Berlinische die gleiche Weiterweisungskontur wie etwa für das Mannheimerische. (2) Nach dem initialen Anstieg bildet sich ein Hochplateau heraus. Wie Abb. 18 belegt, optiert das Berlinische für diese zweite Möglichkeit. Dieser kurze Vergleich soll verdeutlichen, dass es für kontrastive Untersuchungen nicht ausreichend sein kann, ausschließlich IP-finale, einsilbige Nuklei zu berücksichtigen, wie es z.B. von Guentherodt (1971, 1973) für Pfälzer Dialekte gemacht wurde. Eventuelle regionale Kontraste sind nämlich bei diesen Nuklei neutralisiert und erst die mehrsilbigen Nuklei erlauben eine genaue Bestimmung der tonologischen Struktur. Duisburg Im duisburgischen Gesprächsausschnitt in (18) beschreibt der Bergmann DU03 einen Hebeturm, der zum Verladen der Kohle eingesetzt wird. Bei der weiterweisenden IP 9 handelt es sich um einen vorangestellten, mit je nachdem eingeleiteten Nebensatz, dessen zugehöriger Hauptsatz in Phrase 10 begonnen, allerdings vor Beendigung abgebrochen wird (wurde das alles). In Phrase 11 kommt es zu einer Selbstkorrektur, mit der der Sprecher eine neue Konstruktion beginnt. Trotz dieser Reparatur wird mit IP 9 eine syntaktische Projektion aufgebaut. (18) DU03-11925, sec. 1245-1279 ((Beschreibung eines Hebeturms)) 1 DU03 2 3 4 5 6 7 8 => 9 10 11 12 13 14 15
daraufhin hat man dann den hebeturm AUSgebaut? als se äh DINGS (.) als äh (—) wie soll ich SAgen, als FAHRbühne so ungefähr? ne, (—) und hat die WAgen draufgetan? da gingen die RUNter? und dann wurden die aufm schiff raufgesch wurd das schiff immer (.) je nachdem wie hoch der WASserstand war? wurd das alles (.) danach konnte der FAHren. nech? (.) .hh so WAR das früher. nech? ich hab noch bIlder Oben davon. (—-) (—) und äh (1.2) ich ZEICH=se ihnen mal nachher.
Die duisburgische Weiterweisungskontur über dem viersilbigen Nukleus WASserstand war in Abb. 19 enthält ebenfalls ein Hochplateau auf dem Nachlauf. Ein grundsätzlicher Unterschied zu allen übrigen vorgestellten Plateaukonturen betrifft die Gestaltung der Nukleussilbe, die hier nämlich weder durch einen Tiefton noch durch einen Anstieg charakterisiert ist. Vielmehr setzt die nukleare Kontur unmittelbar auf hohem Tonniveau ein: Ausgehend vom tieferen pränuklearen Niveau
127
Weiterweisungsfunktion
wird der Hochton der Nukleussilbe durch einen Tonhöhensprung erreicht. Diese Kontur ist damit durch ein durchgängiges, nukleares Hochplateau gekennzeichnet. Als phonetische Transkription dieser Kontur ergibt sich H-%. DU03-11925 200 150
H-
%
100 je nachdem wie 70 0
hoch der WAS 0.5
ser
stand 1
war 1.23
Time (s)
Abb. 19 Weiterweisung im Duisburgischen mit einer Hochplateaukontur H-%; aufgrund von Glottalisierung ist auf der Silbe ser kein F0-Verlauf extrahierbar
Für alle vorgestellten Gesprächsausschnitte konnte gezeigt werden, dass durch die gewählte syntaktische Konstruktion eine Projektion aufgebaut wird, die eine Fortführung in einer (nicht notwendigerweise unmittelbar) folgenden Phrase erwartbar macht. Bedingt durch diese syntaktisch-semantische Unabgeschlossenheit ist keine sinnvolle Interpretation der pragmatischen Struktur der betroffenen Phrase möglich. Damit impliziert die syntaktisch motivierte Weiterweisung automatisch auch die pragmatisch motivierte Weiterweisung. 3.2.1.2 Pragmatisch motivierte Weiterweisung Neben der direkt aus der lokalen Syntax einer Phrase ableitbaren Weiterweisung ist in den analysierten Sprachdaten häufig die ausschließlich pragmatisch motivierte Weiterweisung zu beobachten. Dieser Typ ist charakteristisch für längere Erzählungen und Sachverhaltsbeschreibungen und manifestiert sich meist in der sukzessiven Aneinanderreihung einzelner Erzählschritte und Inhaltskomponenten. Für drei ausgewählte Varietäten werden die folgenden Analysen zeigen, dass bei diesem Weiterweisungstyp die gleichen Intonationskonturen verwendet werden wie bei der syntaktisch motivierten Weiterweisung.
Hamburg Das hamburgische Beispiel (19) stammt aus einer längeren Erzählung des Sprechers HH07. Zu Beginn (IP 1 bis 5) fragt der Gesprächsleiter I, wann und unter welchen Umständen der Sprecher in den Stadtteil Bergedorf gezogen ist. Dadurch wird der Aktivitätstyp ‚biographisches Erzählen‘ initiiert, der eine längere Erzählung erwartbar macht (‚multi-unit turn‘; vgl. Selting 1998). In seinem Beitrag setzt HH07 ab IP
128
Funktionen und Intonationskonturen
6 zu einer längeren Ausführung an, in der er zeitlich nacheinander stattfindende Stationen seines Lebenswegs aneinanderreiht (‚Schulzeit’, ‚mittlere Reife’, ‚Lehre’, ‚Lehrstelle bei Firma May’, ‚Lehrort in Winterhude’, ‚Absolvierung der Lehrzeit’, ‚weitere Arbeitszeit im Betrieb’ und schließlich ‚Umzug nach HH-Bergedorf ’). Damit wird in fast jeder Phrase ein neuer inhaltlicher Aspekt in das Diskurswissen eingeführt. Diese Erzählstruktur genügt dem von Chafe (1994) vorgeschlagenen ‚One New Idea Constraint’, wonach pro Intonationsphrase immer nur eine rhematische Komponente (‚idea’) realisiert wird. Die Passage enthält mindestens sechs weiterweisende Phrasen. In den IPs 17 und 18 ist die bereits diskutierte syntaktisch motivierte Weiterweisung zu beobachten (markiert mit ‚W’). Bei den mit einem Pfeil markierten IPs ist die Weiterweisung durch die pragmatische Struktur der Erzählung bestimmt. (19) HH07-476, sec. 186.79-245.67 ((Ausschnitt aus biographischer Erzählung über den Ausbildungsweg und des Arbeitsleben von HH07)) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
I
HH07 I HH07
I HH07
13 14 15 16 17 HH07 18 19 20 21 I 22 HH07 -> 23 -> 24 25 W W -> ->
26 I 27 HH07 28 I
ja (.) und dAnn sind dann sind sie also ham sie am STADTrand da gewohnt? [und [geNAU. (.) sInd dann irgendwann nach BERgedorf gekomm? .hh (-) jA, (-) ich hA (-) b=ähm (2.0) bIn zur SCHUle gegang? (.) bis nEunzehnhundert (—) sIebenundVIERzig? (.) hm=hm ((schluckt)) (—) auch in sAsel und in wEddingsbüddel un=in POPpenbüddel? .hh damals äh ä=äh wa:r die (.) sAseler schule lazaRETT?(—) .hh und (.) wir wurden so in knEipen (-) .h äh h EINgegliedert? (.) <
129
Weiterweisungsfunktion 29 HH07 30 I 31
ja. (-) TOLL. (-) GUT.
Die Weiterweisung der vier Phrasen 19, 20, 23 und 24 resultiert aus den Erfordernissen des globalen Aktivitätstyps ‚biographisches Erzählen‘: Das Ziel dieser Erzählung, der tellable point (Chafe 1994), ist die Ankunft des Sprechers 1951 in Bergedorf (IP 25), denn damit wird am Ende dieses längeren Beitrags der Bogen zurück zu der Gesprächsinitiierung durch den Gesprächsleiter geschlossen. Die Erzählschritte vor dieser abschließenden Phrase (i.e. 6 bis 24) führen auf diesen konversationellen Höhepunkt zu. Dies kann u.a. daraus abgeleitet werden, dass keine sinnvolle pragmatische Interpretation möglich wäre, wenn die abschließende Phrase 25 fehlen würde: Ein Abschluss der Erzählung z.B. in IP 20 oder 23 wäre keine adäquate ‚Antwort‘ auf die Gesprächsinitiierung von I in IP 1 bis 5. Im Inneren der Erzählung scheint auch ein Sprecherwechsel kaum möglich zu sein, denn keine dieser Phrasen kann als eine mögliche Turn-Übergabe interpretiert werden. Zwar erfolgt in IP 21 eine kurze Rückmeldung von I, die jedoch eher als Animation zum Weiterreden denn als versuchte Turn-Übernahme zu interpretieren ist. Die semantisch-pragmatische Struktur dieser Phrasen zeigt also eindeutige Merkmale für ‚Turn-Halten‘ (Selting 1995a). Im Inneren der Erzählung scheint kein Einschnitt möglich zu sein, vielmehr wird die Erzählung als ein längerer, monolithischer Gesprächsbeitrag gewertet. Um die Einheit dieses Gesprächsbeitrags zu gewährleisten, ist die pragmatische Struktur so angelegt, dass die einzelnen Erzählschritte kohäsiv aneinander angeschlossen werden und auf den Abschlusspunkt in IP 25 hinführen. Alle pragmatisch weiterweisenden Phrasen in (19) weisen den gleichen nuklearen Intonationsverlauf auf, i.e. eine Anstiegsbewegung vom Typ L-h%, für den in Abb. 20 stellvertretend der Verlauf für IP 23 wiedergegeben ist. HH07-476 200 150
h%
100 L70 0
ja und dann
hab ich da meine 0.5
LEHR
1 Time (s)
zeit
absolviert 1.5
1.84
Abb. 20 Weiterweisung im Hamburgischen mit einer Anstiegskontur L-h%
Die gleiche Anstiegskontur wird auch in den IPs 17 und 18 verwendet, die aufgrund ihrer syntaktischen Unabgeschlossenheit weiterweisend sind. Damit ergibt sich hier kein intonatorischer Unterschied zwischen der syntaktischen und der pragmatisch bedingten Weiterweisung. Alle Erzählschritte in Passage (19) werden also mit der
130
Funktionen und Intonationskonturen
gleichen nuklearen Kontur kontextualisiert. Der auf den Erzählabschluss hinführende Charakter dieser Phrasen, wie er in der pragmatischen Analyse herausgestellt wurde, wird damit durch die gleichförmige intonatorische Realisierung unterstützt. Mannheim Im folgenden mannheimerischen Beispiel (20) beschreibt der Sprecher MA05 die Aufteilung eines öffentlichen Platzes in einem Urlaubsort und dessen unmittelbare Umgebung. Zur Herstellung der Kohärenz wird diese Sachverhaltsdarstellung ebenso wie erzählende Passagen weiterweisend gestaltet. (20) MA05-1970, sec. 2802-2819 ((Beschreibung der Attraktionen des Urlaubsortes Stein am Rhein)) 1
MA05 des=s wunnerSCHEEN. das ist wunderschön 2 do is so (1.0) 3 is des alte rOthaus mit (.) lAuter FRESke bemolt. ist das alte Rathaus mit lauter Fresken bemalt 4 also g!A!nz fanTAStisch. ne? (.) -> 5 do sin dann so kleene STROssecafélin? da sind dann so kleine Straßencafés 6 .h da könne sie -> 7 un do fahrt do d=de hauptverkehr is ()ums ROThaus rum? und da geht der Hauptverkehr ums Rathaus herum -> 8 un do sin CAFélin un so? und da sind Cafés und so 9 kenn=n se des ding do AAgucke. können Sie das Ding da angucken 10 un wenn=s ( ) W 11 wenn se e steck WEIderlaafe? und wenn Sie ein Stück weiterlaufen 12 sin se am (.) am HOCHrhein.
In einer emphatisierten Einleitung wird in IP 1 bis 4 zunächst das sehenswerte Rathaus hervorgehoben (is des alte rOthaus mit (.) lAuter FRESke bemolt). Darauf folgt in IP 5 bis 9 eine genauere Beschreibung der unmittelbaren Umgebung dieses Rathauses. Als weiterweisend können hier besonders die IPs 5, 7 und 8 angesehen werden, mit denen einzelne Beschreibungsbestandteile aneinander gefügt werden (‚Straßencafés‘, ‚Verkehrsführung ums Rathaus‘). Die sukzessive Reihung entsteht auch dadurch, dass die einzelnen Beschreibungseinheiten jeweils mit einer ähnlichen syntaktischen Formel eingeleitet werden: Satzeinleitungen wie do sin dann und un do sin konstituieren die charakteristische syntaktische Formelhaftigkeit, die bereits in der Erzählforschung als ein Strukturmittel erzählerischer Kohärenz herausgestellt worden ist (vgl. Quasthoff 1980: 213ff.). Obwohl hier ein bestimmtes syntaktisches Mittel zur Kontextualisierung einer reihenden Struktur angewendet wird, bedeutet dies jedoch nicht, dass aus der Syntax unmittelbare Evidenz für die Weiterweisung abgeleitet werden kann, denn die syntaktische Struktur der einzelnen Phra-
131
Weiterweisungsfunktion
sen weist kein weiterweisendes Potenzial auf. Es sind vielmehr die pragmatischen Anforderungen an die Struktur einer Sachverhaltsbeschreibung, die zum Einsatz der reihenden, formelhaften syntaktischen Struktur führen. Alle markierten Phrasen, auch die syntaktisch motivierte Weiterweisung in IP 11 (Protasis eines Konditionalgefüges), tragen wiederum dieselbe Anstiegskontur, die für das Mannheimerische auch in der syntaktisch motivierten Weiterweisung verwendet wird. Exemplarisch ist in Abb. 21 der Verlauf für IP 5 wiedergegeben. Ausgehend von einer mittel-hohen Nukleussilbe STRO steigt die Tonhöhe in zwei Stufen sukzessive auf das hohe phrasenfinale Niveau an (M-h%). MA05-1970 200 h%
150
M100 do sin dann so kleene 70 0
STRO sse
0.5
cafélin 1
1.48
Time (s)
Abb. 21 Weiterweisung im Mannheimerischen mit einer Anstiegskontur M-h%
Berlin Zum Abschluss der Diskussion der pragmatisch motivierten Weiterweisung soll noch ein berlinischer Gesprächsausschnitt vorgestellt werden, der eine besonders hohe Dichte an weiterweisenden Phrasen enthält. Ausschnitt (21) stammt aus einer längeren biographischen Erzählung, in der der Sprecher B03 in schneller Folge die Stationen seines beruflichen Lebens aneinanderreiht. In den einleitenden Phrasen 1 und 2 hebt der Sprecher den Einfluss seiner Frau (referenziert mit DIE in IP 1) hervor, die ihn dazu motiviert hat, sich bei den ‚Berliner Stadtreinigungsbetrieben‘ (BSR) hochzuarbeiten. Nach dieser Erzähleinleitung folgt eine mehrgliedrige Reihung von Einzelstationen, die die Berufskarriere des Sprechers nachzeichnen (‚Straßenfeger‘, ‚Lagerarbeiter‘, ‚Büroangestellter‘). (21) B03-2882, sec. 1919–1952 ((Stationen des beruflichen Werdegangs)) 1
B03
2 3 -> 4 -> 5
I B03
und DIE hat mir ooch det jemacht? (-) die hat mir das auch gemacht [= ‚hat dafür gesorgt‘] wie dass ick bei de be:esEr mir HOCHjearbeitet [habe. dass ich mich bei der BSR hochgearbeitet habe [hm=hm .h erst war ick STRAssenfeger? (.) [JIB ihn] eene? (1.0) gib ihm eine
132 6 -> 7 8 9 10 -> 11 -> 12 -> 13 -> 14 15 -> 16 -> 17 -> 18 -> 19 -> 20
Funktionen und Intonationskonturen I B03
I B03
[hm=hm ] denn: (-) hab ick äh: im LAger jearbeitet? weil der mir jefrAgt hat ob=ick dit MACHen will? najA sag ick is doch kEen probLEM? MACH ick? verstehste Ick denn im LAger jearbeitet? (--) .h denn hab ick n paar büROarbeiten mitjemacht? denn hab ick en bisschen UFFjepasst? (1.0) wAt denn der schreibt hier die zAhl SO:? [ja ] [also] MERKSte dir dit hier oben? (-) .h denn war ick drei jahre im büRO? (1.0) hab=ick MITjeschrieben? wa? da hab=ick en OTto jemacht? (.) en FLOTtn?
Durch den Aufbau einer globalen, aktivitätstypischen Projektion in den IPs 1 und 2 wird ein pragmatischer Rahmen geöffnet, den der Sprecher ab IP 4 mit der zeitlich geordneten Abfolge einzelner Berufsstationen auffüllt. Dabei wird in IP 4 mit dem Temporaladverb erst eine semantisch motivierte Weiterweisung aufgebaut, die eine nächste Station im Werdegang erwartbar macht. In der Folgephrase wird dann diese Projektion mit der Satzeinleitung denn: (-) hab ick … eingelöst. Die folgenden Stationen werden in syntaktisch größtenteils ähnlich gebauten Phrasen ausgeführt (denn hab ick …, ick denn…, denn war ick …). Auch die mehrfach wiederkehrende Satzeinleitung mit denn ‚dann, darauf‘ unterstützt den reihenden Charakter. Diese syntaktischen Merkmale tragen dazu bei, dass die gesamte Passage eine hohe Kohäsion erhält. Dies manifestiert sich auch darin, dass vom Gesprächsleiter keine Versuche zur Turn-Übernahme unternommen werden; so wäre es z.B. denkbar, dass Nachfragen zu bestimmten Details eingeschoben werden. Tatsächlich bleibt das Rederecht von B03 über eine weite Strecke hinweg unangefochten. Es kommt lediglich vereinzelt zu nicht turn-kompetitiven Hörersignalen (IP 6, 15). Damit orientiert sich der Hörer an den Strukturmerkmalen dieses Aktivitätstyps: In der biographischen Erzählung ist der Sprecher quasi ‚lizensiert‘, einen längeren Turn auszuführen, in dem er die Stationen seines Berufs- und Lebenswegs ausführen kann. Diese ausgeprägte Form der sukzessiven Reihung einzelner Erzählschritte lässt Ähnlichkeiten mit einer Liste erkennen. Eine Gemeinsamkeit der beiden Weiterweisungstypen besteht darin, dass die einzelnen Etappen der Erzählung mit jeweils der gleichen syntaktischen Struktur realisiert werden. Der zentrale Unterschied zwischen der sukzessiv-reihenden Weiterweisung und einer Liste liegt in der erzähl-zeitlichen Struktur. Es ist das Hauptkennzeichen der sukzessiv-reihenden Weiterweisung, dass hier Ereignisse in ihrer tatsächlichen zeitlichen Abfolge aneinander gereiht werden. Bei der Liste wird jedoch gemäß der hier zugrunde gelegten Listendefinition (vgl. Kap. 2.1.2) davon ausgegangen, dass die Listenelemente in keiner zeitlichen Reihenfolgebeziehung zueinander stehen, d.h. die Nennung der Listenelemente erfolgt prinzipiell in beliebiger Reihenfolge. Dieser berlinische Gesprächs-
133
Weiterweisungsfunktion
ausschnitt zeigt damit auch, dass eine operationalisierbare Trennung zwischen der sukzessiv-reihenden Weiterweisung und der gleichordnend-reihenden Weiterweisung nicht immer eindeutig möglich ist. Es kann daher mit Überlappungen der beiden Weiterweisungstypen gerechnet werden. Zur intonatorischen Gestaltung der weiterweisenden IPs in Passage (21) wird die bereits von der syntaktisch motivierten Weiterweisung des Berlinischen bekannte Hochplateaukontur LH h-% eingesetzt. Zwei Beispielverläufe bieten die Abb. 22 (IP 11) und 23 (IP 16). In der Nukleussilbe erfolgt jeweils eine schnell gleitende Anstiegsbewegung, die ihr Maximum aber erst in der Folgesilbe erreicht. Diese Tonhöhe wird bis zum Phrasenende weitgehend beibehalten; kleinere steigende und fallende F0-Bewegungen sind auf segmentelle Einflüsse zurückzuführen und haben keine Auswirkungen auf die Perzeption des Plateaus als gleichbleibend-hoch. B03-2879 200 150 h100
%
LH
70
ick denn im
0
LA
ger
jearbeitet
0.5
1
1.45
Time (s)
Abb. 22 Weiterweisung im Berlinischen mittels Hochplateaukontur LH h-% B03-1933 200 150
h-
%
LH 100 also 70 0
MERKS te
dir dit
0.5
hier 1
oben 1.5
Time (s)
Abb. 23 Weiterweisung im Berlinischen mittels Hochplateaukontur LH h-%
3.2.2 Gleichordnend-reihende Weiterweisung (Listen) Während für die sukzessiv-reihende Weiterweisung in den Regionalvarietäten eine Vielzahl von Anstiegskonturen ermittelt werden konnte, so werden für die Kontextualisierung der gleichordnend-reihenden Weiterweisung weniger Konturen eingesetzt. Die konversationelle Struktur und die intonatorische Gestaltung solcher
134
Funktionen und Intonationskonturen
Listenstrukturen werden anhand von Gesprächsausschnitten aus dem Münchnerischen, Hamburgischen, Berlinischen und Freiburgischen vorgestellt. München Im münchnerischen Beispiel in (22) ist eine zweigliedrige Liste enthalten, in der zwei soziale Gruppen aufgelistet werden (‚Gewerkschaftler‘ und ‚SPDler‘). Die beiden Listenelemente werden jeweils in eigenen IPs realisiert. Die Syntax des zweiten Elements ist elliptisch gestaltet (ergänzbar zu ‚hier waren auch ungeheuer viel SPDler‘). (22) M03-14794, sec. 1886-1902 ((Über die Gründung einer Genossenschaft)) 1 2 -> 3 -> 4 5 6 7 8
M03
I M03
was das für ein w!A!hnsinniges gefährliches finanzielles RIsiko ist? wenn man sich für diese geNOSsenschaft entscheidet? und hier warn ja auch ungeheuer viel GWERKschaftler? espeDEler? [so alt EINgsessene; [mh (-) und dIe ham natürlich SAGT? na da da da lassen ma die FINger davon.
Die inhaltliche Koordiniertheit der beiden Listenelemente wird in der Wiederholung der Intonationskontur reflektiert. Die Intonationskonturen in Abb. 24 zeigen, dass beide Listenelemente mit einer Hochplateaukontur realisiert werden. Auch die Nukleussilbe wird hoch ausgeführt, so dass der gesamte Nukleus ein durchgängiges Hochplateau bildet, das teilweise eine leichte Neigung zeigt. Diese Kontur kann mit der Symbolfolge H-% erfasst werden. M03-14794 200 150 H-
H-
%
%
100 GWERK 70 0
schaftler / 0.5
espe
DE
1 Time (s)
ler 1.5
1.84
Abb. 24 Listenintonation H-% im Münchnerischen
Durch die Wiederholung der Kontur für jedes Listenelement wird die gesamte Liste zu einer kohäsiven, prosodischen Gestalt. Wenn die prosodische Parallelität nicht vorhanden wäre, könnte das zweite Listenelement auch eine Reparatur sein.
135
Weiterweisungsfunktion
Hamburg In der Liste in (23) werden in den IPs 8 und 9 Stadtteile aus der Umgebung von Hamburg aufgezählt. Die Liste wird abgeschlossen durch eine generalisierende Formel und so wEider und so FORT, mit der auf weitere Stadtteile, die aus der Perspektive des Sprechers hier nicht notwendigerweise genannt werden müssen, implizit Bezug genommen wird. Zusammen mit der generalisierenden Abschlussformel setzt sich diese Liste aus drei Elementen zusammen und genügt damit der für viele Sprachen beobachteten Präferenz für dreigliedrige Listen (vgl. Jefferson 1990). (23) HH01-2489, sec. 345-370 ((Auflistung von Hamburger Stadtteilen)) 1 HH01 2 3 I 4 HH01 5 6 7 -> 8 -> 9 10
es gibt ja VIERlanden? und es gibt ja auch MARSCHlanden. ja. mArschLANde. woll=mal SO sagen. ne? also vIerlanden is da ZOLLspieker? und MARSCHlande? ochsenWERder? fünfHAUsen? und so wEider und so FORT.
In dieser hamburgischen Liste wird die gleiche Hochplateaukontur H-% verwendet, die bereits für das Münchnerische beschrieben wurde. Abb. 25 zeigt, dass die hohe F0 auf den Listenelementen ochsenWERder und fünfHAUsen im gesamten Nukleus auf hohem Niveau gehalten wird; im zweiten Listenelement ist ein leichtes deklinationsbedingtes Absinken festzustellen. Die generalisierende Formel und so wEider und so FORT fungiert als Listenabschluss und wird mit einer Fallkontur realisiert. HH01-2489 200 150 H-
%
H-
%
100 ochsen 70 0
WERder / fuenf 0.5
1
HAUsen / 1.5 Time (s)
und so wEider und so FORT 2
2.5 2.77953
Abb. 25 Listenintonation H-% im Hamburgischen
Berlin Im berlinischen Gesprächsausschnitt (24) listet der Sprecher in IP 6 bis 8 drei Dialekte auf. Dadurch sind hier drei Substantive syntaktisch parallelisiert.
136
Funktionen und Intonationskonturen
(24) B01-1564, sec. 2923-2939 ((Über die Möglichkeit, Dialekte zu erkennen und Dialektmerkmale abzulegen)) 1 2 3 4 5 -> 6 -> 7 -> 8 9 10 11 12 13 14 15 16
I B01 I B01
17 18
dit SCHWÄbische ooch so. SCHWÄbische ooch so. JA? oder BAIrische ooch. [wa so ja [dit SCHWÄBische? BAIrische? SÄCHSische? wenn die: wenn DIE erstmal so sprechn? dit hÖrste nochmal RAUS? aber dit berLInern? .h also da muss ma aber REgelrecht? äh äh weit WEG sein ne weile. [ja?] [ja.] also wolln ma SAgen? wenn wa je wenn wa jetz irjendwo fünf jAhre irjendwo in BAyern lebt? denn sprichste dann berLInerste nich mehr.
Die intonatorische Realisierung der drei Listenelemente in Abb. 26 zeigt wiederum Hochplateaukonturen. Die Nukleussilben sind durch H- bzw. LH-Töne gekennzeichnet. Im Gegensatz zu den Listenkonturen aus München und Hamburg ist hier allerdings eine ausgeprägte Anstiegsbewegung in der Nukleussilbe zu verzeichnen. Auf den jeweils zweisilbigen Hochplateaus wird die Tonhöhe entweder gehalten oder sinkt deklinationsbedingt leicht ab. Auch hier wird die Gestalt der Liste durch die gleichförmige, sich wiederholende Intonation prosodisch kohäsiv ‚verpackt‘. B01-1564 H200
% LH
h-
%
H%
150
det SCHWÄ 100 0
bische /
BAI
0.5
rische / SÄCH 1
Time (s)
Abb. 26 Listenintonation H-% bzw. LH h-% im Berlinischen
sische 1.5
137
Weiterweisungsfunktion
Freiburg Im freiburgischen Beispiel in (25) dienen die vier Adjektive der Liste in IP 4 bis 7 zur Charakterisierung des Sommerwetters. Die Aufgabe der Liste besteht hier in der Detaillierung der in IP 1 eingeführten ‚Klimaveränderung‘ . (25) FR01-2218, sec. 2025-2040 ((Beschreibung des Sommerwetters))
-> -> -> ->
1 FR01b im FERNsehn hen se schon gsagt? 2 das sei ebe mit dieser KLImaveränderung? 3 I mhm [mhm. 4 FR01b [ääh das es zu WARM war. 5 zu LANG? 6 zu SCHÖN? 7 zu TROCke? (-) 8 ha=i=sagt9 also KOMisch. 10 ich muss dEm emol SCHREIbe? 11 der hätt in FREIburg wohne sodde. der hätte mal in Freiburg wohnen sollen
Im Freiburgischen finden sich nun teilweise andere Listenkonturen. Das erste Listenelement in IP 4 wird mit der bereits von der Abschlussfunktion bekannten steigend-fallenden Kontur L-h-l% realisiert. Im zweiten und vierten Listenelement (LANG, TROCke) wird dagegen eine Anstiegskontur L-h% verwendet. Das mittlere Listenelement SCHÖN trägt die bereits bekannte Hochplateaukontur H-%. Dieser Beleg illustriert, dass in einer Liste nicht alle Elemente zwangsläufig mit der gleichen Kontur realisiert werden müssen; es ist also durchaus möglich, verschiedene Konturtypen zu mischen. Allerdings wird dadurch die kohäsive Einheit der Listengestalt minimiert. Nach Grabe (1998a: 182) ist für solche koordinativen Strukturen nur selten eine Mischung der Konturen festzustellen. Es ist insbesondere das erste Listenelement in IP 4 (zu WARM war), das die kohäsive Listeninterpretation ‚stört‘. FR01-2218 300
h-
h% H-
h% L-
200
%
L-
Ll%
zu 150 0
WARM 0.5
war /
zu
LANG /
1
zu SCHOEN / zu TROC 1.5
2
Time (s)
Abb. 27 Listenintonation L-h-l%, L-h% und H-% im Freiburgischen
ke 2.5
138
Funktionen und Intonationskonturen
Da die dort verwendete Kontur L-h-l% in Freiburg als Abschlusskontur fungiert (vgl. oben Kap. 3.1), wird durch ihre Verwendung in einer (weiterweisenden) Liste ein Einschnitt erzeugt. Dieser Einschnitt könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Sprecherin mit dieser Phrase eigentlich auch ihren Turn abschließen wollte. Bedingt durch eine Planungsänderung fügt die Sprecherin dann jedoch noch weitere Phrasen an, die alle der Detaillierung von Phrase 4 dienen. In dieser Interpretation wäre IP 4 also eher eine listeneinleitende Äußerung, auf die dann ab IP 5 die eigentliche, dreigliedrige Liste folgt.8 Auch in den Varietäten, die hier nicht vorgestellt wurden (Duisburg, Dresden, Köln, Mannheim), werden in Listen überwiegend Hochplateaukonturen des Typs H-% verwendet. Zur Vermeidung von Beschreibungsredundanz wird auf Analysen für diese Varietäten verzichtet. Die genaue quantitative Verteilung der einzelnen Listenkonturen wird in Kap. 4.2.1 ausführlich dargestellt. 3.2.2.1 Zwischenergebnis: Konturen für Abschluss und Weiterweisung In dieser Studie werden Abschluss und Weiterweisung als konversationelle Funktionen aufgefasst, die sich innerhalb der prosodischen Domäne der Intonationsphrase manifestieren. Zur Vermeidung einer zirkulären Methodik werden die Funktionen zunächst ohne Rekurs auf die tatsächliche intonatorische Gestaltung der IP mit Hilfe von nicht-intonatorischen Kriterien bestimmt. Die Funktionszuweisung erfolgt daher ausschließlich auf der syntaktischen, semantischen und pragmatischen (i.e. textorganisatorischen und interaktionalen) Ebene. Erst nach der Funktionsbestimmung wird die intonatorische Gestaltung der betreffenden Phrase analysiert. Ein notwendiges, nicht-intonatorisches Kriterium für einen konversationellen Abschluss ist die syntaktische Abgeschlossenheit. Dazu müssen alle syntaktischen Projektionen eingelöst sein, die eine Fortsetzung in einer Folgephrase verlangen. Wenn zusätzlich dazu auch pragmatische Abgeschlossenheit festgestellt werden kann (z.B. das Ende einer sub-thematischen Einheit oder eines Aktivitätstyps), dann liegt mit der betreffenden Phrase eine turnübergabe-relevante Stelle vor, die es erlaubt, einen potenziellen Abschluss anzunehmen. Wenn es nach einer solchen Phrase zu einem nicht überlappenden Sprecherwechsel kommt, wird die syntaktische und pragmatische Struktur auch vom Interaktionspartner als abgeschlossen interpretiert. Unter diesen Umständen liegt ein eindeutiger Turn-Abschluss vor. Für jede der acht Städte wurde die Intonationskontur der abschließenden Phrase analysiert. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Struktur des Nukleus, der als obligatorischer und oft auch prominentester Bestandteil der gesamten IP zentrale Relevanz besitzt. Als Zwischenergebnis dieser qualitativen Analyse können für die Regionalvarietäten insgesamt zwei nukleare Konturen herausgearbeitet werden, die zur Kontextualisierung von sowohl eindeutigen als auch potenziellen Abschlüssen 8
Im Rahmen von Seltings (2003) Drei-Komponenten-Modell der Listenstruktur entspräche die listeneinleitende IP 4 der sog. projection component, an die sich die eigentliche Liste anschließt.
139
Weiterweisungsfunktion
eingesetzt werden: eine fallende und eine steigend-fallende Nukleuskontur (Abb. 28). Die beiden Konturen werden vorläufig mit den phonetischen Transkriptionen H-l% bzw. L-h-l% wiedergeben. Dabei ist L-h-l% die charakteristische Abschlusskontur Freiburgs, während in den übrigen Städten Fallkonturen vom Typ H-l% verwendet werden. Die Fallkontur H-l% ist durch einen Grundfrequenzgipfel in der Nukleussilbe gekennzeichnet, an den sich die finale Fallbewegung anschließt. Bei der steigend-fallenden Kontur L-h-l% wird dagegen die Nukleussilbe mit einem Tal und/oder einer Anstiegsbewegung realisiert. Ein Grundfrequenzgipfel bildet sich hier erst im Nachlauf der Kontur heraus. HH, B, DD, DU, K, MA, M H-
l%
L-
h-
FR l%
Abb. 28 Schematische Intonationskonturen und intonatorische Transkription für konversationelle Abschlüsse in deutschen Regionalvarietäten; die Nukleussilbe ist durch Schattierung hervorgehoben
Obwohl sich die beiden Konturen im Akzenttonverlauf radikal unterscheiden (fallend vs. steigend), ist ihnen die tiefe terminale Tonhöhe gemeinsam. Dieses Teilergebnis bestätigt damit die von Cruttenden (1981) angenommene übereinzelsprachliche Eigenschaft, wonach deklarative Äußerungen terminal fallend intoniert werden. Der finale Frequenzwert befindet sich in den meisten der analysierten Konturen in der Nähe des durchschnittlichen individuellen Grundfrequenzminimums Minglobal. Die diskursive Finalität manifestiert sich damit auch in den absoluten Frequenzwerten am Phrasenende. Weiterweisung kann prinzipiell immer dann angenommen werden, wenn keine Merkmale auf einen Abschluss hindeuten. Folglich sind weiterweisende Kontexte immer innerhalb eines Turns anzutreffen. Auch für die Bestimmung dieser Funktion hat es sich als notwendig erwiesen, zwischen potenziell und eindeutig weiterweisenden Kontexten zu differenzieren. Eine Phrase ist eindeutig weiterweisend, wenn ihre syntaktische Konstruktion eine Fortsetzungserwartung aufbaut, die in einer Folgephrase eingelöst werden muss. Bei potenziell weiterweisenden Phrasen wird durch den Aktivitätstyp (z.B. Erzählung, längere Sachverhaltsdarstellung) eine globale pragmatische Projektion aufgebaut. Die in diesen Kontexten verwendeten Intonationskonturen weisen eine im Vergleich zur Abschlussfunktion reichere regionale Diversifizierung auf. Für die sukzessiv-reihende Weiterweisung werden insgesamt sechs nukleare Konturen eingesetzt. Die schematischen Konturen des Nukleus in Abb. 29 zeigen, dass fünf der sechs Konturen mit einem hohen Grenzton enden. Damit wird Weiterweisung überwiegend durch eine hohe finale Tonhöhe kontextualisiert. In den Varietäten wird die hohe finale Tonhöhe durch unterschiedliche nukleare Konturen erreicht. So kann der Nukleus als Hochplateau oder als kontinuierlicher Anstieg ausgeführt
140
Funktionen und Intonationskonturen
werden. Die Plateaukonturen sind die häufigste Option und finden sich z.B. in Dresden, München, Freiburg, Berlin und Duisburg. Dieser Konturtyp ist weiter zu differenzieren nach der Lage bzw. Dynamik der Nukleussilbe, die entweder tief (L), hoch (H) oder gleitend (LH) realisiert werden kann. Der kontinuierliche Anstieg ist für Hamburg und Mannheim zu beobachten. L
H-
l-
HH, MA h%
L
HH h%
L-
h
DD, M, FR - %
B LH h
K h-
m%
H
- %
DU - %
Abb. 29 Schematische Darstellung der Intonationskonturen in der sukzessiv-reihenden Weiterweisung; die Nukleussilbe ist durch Schattierung hervorgehoben
Für das Hamburgische lassen sich zwei deutlich voneinander unterscheidbare Konturen feststellen. Hier kann neben dem kontinuierlichen Anstieg L-h% noch die fallend-steigende Kontur H-l-h% zur Weiterweisung eingesetzt werden, die auch mit einer funktionalen Differenzierung einhergeht. Im Rahmen dieser Studie kann auf diese Differenzierung leider nicht genauer eingegangen werden. Eine Analyse der hamburgischen Weiterweisungskonturen findet sich in Gilles (2001b). Während es sich bei der einfach ansteigenden Kontur L-h% um die Standardweiterweisungskontur handelt, ist die fallend-steigende Kontur H-l-h% spezifischen Funktionskontexten vorbehalten: Sie dient im Wesentlichen dazu, Hintergrundinformation in das Diskurswissen einzuführen, von der der Sprecher annimmt, dass sie für das weitere Verständnis notwendig ist. Das Kölnische ist in diesem Zusammenhang besonders interessant, denn die Weiterweisungskontur weist hier am Phrasenende eine Fallbewegung auf mittleres Niveau auf (L-h-m%). Diese Kontur widerspricht nicht nur der universellen Tendenz, wonach weiterweisende Phrasen oft hoch enden. Zudem kommt nämlich eine ähnliche steigend-fallende Kontur auch im Freiburgischen vor, wo sie allerdings in der gegensätzlichen Funktion, i.e. als Abschlusskontur, eingesetzt wird. Im Kontrast zur sukzessiv-reihenden Weiterweisung steht für die intonatorische Kontextualisierung der gleichordnend-reihenden Weiterweisung von Listenelementen ein kleineres Konturinventar zur Verfügung. Die beiden Listenkonturen sind in Abb. 30 schematisiert. In den meisten Städten wird hierfür eine nukleare Kontur mit durchgehendem Hochplateau H-% verwendet. Im Freiburgischen wird zwar auch ein Hochplateau eingesetzt, allerdings beginnt die Kontur mit einer tiefen Nukleussilbe (L h-%).
141
Weiterweisungsfunktion HH, B, DD, DU, K, MA, M - % H
L
h
-
FR %
Abb. 30 Schematische Darstellung der Intonationskonturen in der gleichordnend-reihenden Weiterweisung (Listenintonation)
Für beide Funktionen konnte in der Kontextanalyse anhand exemplarischer Ausschnitte die Korrelation von gesprächsstrukturierender Funktion mit der intonatorischen Gestaltung gezeigt werden. Für die vorgestellten Beispiele ist es daher gerechtfertigt, von Abschluss- bzw. Weiterweisungskonturen zu sprechen, d.h es ist die phonologische Funktion dieser Konturen, Abschluss- bzw. Weiterweisung zu kontextualisieren. In diesem Kapitel konnte allerdings nur ein erster Überblick über die in diesen Funktionen zu erwartenden Konturen gegeben werden. Die genaue Analyse der intonatorischen Struktur (phonetische Realisation und tonologische Struktur) und insbesondere ihre quantitative Verteilung in den Regionalsprachen erfolgt nun in den folgenden Kapiteln.
4
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Im vorangegangenen Kapitel wurden die Funktionen ‚Abschluss‘ und ‚Weiterweisung‘ in ihrer kontextuellen Einbettung untersucht und darüber hinaus ein erster Überblick über die in diesen Funktionen verwendeten Intonationskonturen gegeben. In diesem qualitativen Zugang konnte eine partielle und beschreibungstechnisch vorläufige Phonologie der Intonation der deutschen Regionalvarietäten gegeben werden. Dabei konnten die für die Bestimmung der regionalspezifischen Verschiedenheit relevanten Aspekte der tonotaktischen Strukturen sowie der phonetischen Konturrealisierung nur angedeutet werden. Diese Aspekte werden nun im Folgenden mit Hilfe einer quantitativen Datenanalyse detaillierter untersucht. Die Datengrundlage bilden umfangreiche Belegsammlungen, in denen aus zusammenhängenden Aufnahmeausschnitten alle Konturen in der Abschluss- bzw. Weiterweisungsfunktion für jede Sprecherin/jeden Sprecher zusammengefasst sind. Im Zentrum dieser Studie stehen detaillierte Analysen der akustisch-phonetischen Struktur der Intonationskonturen. Die acht Konturen, die in Kap. 3 als Abschluss- bzw. Weiterweisungskonturen identifiziert wurden, werden dazu in vier Konturfamilien eingeteilt: Fallkonturen, Anstiegskonturen, fallend-steigende Konturen, steigend-fallende Konturen. In der Analyse wird nur der obligatorische und perzeptiv prominenteste Bereich der Intonationsphrase, i.e. der Nukleus, berücksichtigt. Variationsaspekte des pränuklearen Verlaufs einer IP bleiben weitgehend ausgeklammert.1 In einem quantitativen Zugriff werden für jede Konturfamilie die regional präferierten Konturrealisierungen und eventuelle Konturvarianten ermittelt. Am Ende eines jeden Analysekapitels steht eine tonologische Diskussion der einzelnen Konturen. Auf der beiliegenden CD-ROM befinden sich die Tondaten für alle in diesem Kapitel vorgestellten Belege. Die für die meisten Varietäten prototypisch in der Abschlussfunktion zu findenden Fallkonturen werden in Kap. 4.1 dargestellt. Kap. 4.2 widmet sich den Anstiegskonturen, die ausschließlich in weiterweisenden Kontexten vorkommen. Fallend-steigende (Kap. 4.3) bzw. steigend-fallende Konturen (Kap. 4.4) können je nach Varietät sowohl abschließend als auch weiterweisend eingesetzt werden. In diesen beiden Kapiteln wird dabei die ausschließlich funktionale Perspektive aus beschreibungstechnischen Gründen zugunsten einer formbezogenen Perspektive aufgegeben.
1
Eine Ausnahme bildet die Analyse der unmittelbar pränuklearen Silbe in Fallkonturen in Kap. 4.1.5.
144
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
4.1 Phonetik der nuklearen Fallkontur In der Funktionsanalyse wurde festgestellt, dass in fast allen Städten – wichtige Ausnahme: Freiburg, wo die die Fallkontur nur marginal vertreten ist2 – zur Abschluss-Kontextualisierung eine fallende Nukleuskontur verwendet wird. Die Stadtvarietäten aus Hamburg, Berlin, Dresden, Duisburg, Köln, Mannheim und München unterscheiden sich also auf dieser ‚phonologischen‘ Ebene nicht. Gleichzeitig verhalten sich diese Varietäten wie das Standarddeutsche und die meisten anderen Sprachen, denn final fallende Konturen gelten fast universell als prototypische Formen zur Markierung von Abschlüssen (Cruttenden 1981). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Fallkontur in allen Varietäten gleich realisiert wird. Vergleichbar mit der Variation segmenteller Dialektmerkmale ist auch für die Intonation erwartbar, dass sich, wenn eine größere Datenmenge zugrunde gelegt wird, Verdichtungen auf eine bestimmte Merkmalsausprägung bzw. -kombination herausgebildet haben. Diese Variante kann dann aufgrund der hohen Verwendungshäufigkeit als die kanonische, charakteristische Realisierung einer Intonationskontur für diese Varietät gelten. Durch die Interpretation der Variationsmuster der Konturparameter ist es möglich, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Varietäten und eine mögliche weitere formale und evtl. funktionale Subkategorisierung der Fallkontur zu ermitteln. Die phonetische Analyse beginnt bei globalen Merkmalen des intonatorischen Nukleus. Im weiteren Verlauf werden dann spezifischere und lokal-gebundene Merkmale erörtert. Am Anfang steht in Kap. 4.2.1 die Analyse des Globalverlaufs der nuklearen Fallkontur. Als nächstes folgt die Analyse des für die Ausführung der Fallkontur genutzten F0-Umfangs (Kap. 4.1.2). Die deutlichsten regionalen Unterschiede werden bei der Realisierung der Nukleussilbe festgestellt; dieser Variation sind Kap. 4.1.3 (zweisilbige Nuklei) und Kap. 4.1.4 (einsilbige Nuklei; Trunkierung/Kompression) gewidmet. Schließlich werden in Kap. 4.1.5 die Struktur und regionale Variation der pränuklearen Silbe untersucht. 4.1.1 Globalverlauf der Fallkontur Im Zentrum der folgenden Analyse stehen großräumige Bewegungsparameter, die sich entweder auf den gesamten Nukleus (oder einen Teil davon) beziehen. Diese Parameter ermöglichen es, die Fallkontur in ihrem Globalverlauf zu charakterisieren und Varianten zu unterscheiden. Dazu werden ausschließlich ‚lange‘ Nuklei berücksichtigt, die aus mindestens drei Silben bestehen; der Konturverlauf lässt sich hier am besten beobachten, da noch keine Neutralisierungen oder Anpassungen aufgrund einer geringen Silbenzahl stattgefunden haben. 2
Das Freiburgische bleibt daher von den Analysen in diesem Kapitel ausgeschlossen. Zur Analyse der steigend-fallenden Kontur, die im Freiburgischen in der Abschlussfunktion dominiert, vgl. Kap. 4.4.
145
Phonetik der nuklearen Fallkontur
Die Analyse basiert auf insgesamt 863 mindestens dreisilbigen Nuklei (zwischen 106 und 136 Belege pro Stadtvarietät), die von jeweils 8 SprecherInnen pro Stadtvarietät stammen. Gemeinsam ist allen diesen Nuklei, dass sie erstens mit einem Hochton in der Nukleussilbe beginnen, an den sich eine Fallbewegung anschließt, und dass sie zweitens sämtlich in Abschlusskontexten platziert sind. Fallkonturen, bei denen der Gipfel schon auf der unbetonten Silbe vor bzw. nach der Nukleussilbe liegt (‚early peak‘ bzw. ‚late peak‘; vgl. Kohler 1987, Féry 1993), sowie Konturen mit ‚total downstep‘ (Grabe 1998a) bleiben von der Analyse ausgeschlossen; Nuklei mit ‚partial downstep‘ werden dagegen in der Analyse berücksichtigt. Bei diesen Fallkonturen ist der Verlauf vor dem Nukleus zwar teilweise höher als die Nukleussilbe, dennoch ist in der Nukleussilbe immer noch eine lokale Gipfelbildung vorhanden, so dass eine prominente nukleare Fallbewegung analysierbar ist. Über die Verteilung der Länge des gesamten Nukleus (Nukleussilbe + Nachlaufsilben) informiert Abb. 1.3 100% 90% 80% 70% 60%
>6
50%
6 5
40%
4
30%
3
20% 10% 0% HH
B
DD
DU
K
MA
M
Abb. 1 Häufigkeitsverteilung der Silbenzahlen für nukleare Fallkonturen mit mehr als drei Silben (N=863)
Die Verteilung der Silbenzahlen zeigt für die meisten Städte ein ungefähr vergleichbares Muster. Am häufigsten sind dreisilbige Nuklei mit Anteilen zwischen 40 und 60 %, gefolgt von den viersilbigen Strukturen (ca. 20 %). Die übrigen Nukleuslängen sind zu weitaus geringeren Anteilen vorhanden. Im untersuchten Sample können drei globale Verlaufsformen der Fallkontur unterschieden werden, die in unterschiedlichen Häufigkeiten auftreten. Bei allen Konturen passt sich der Verlauf dem vorhandenen Silbenmaterial an, d.h. die Anzahl der Silben im Nachlauf ist für den Verlauf unerheblich. Die häufigste Fallkontur-Variante ist gekennzeichnet durch eine schnelle Fallbewegung am Beginn des Nachlaufs, die dann in einen relativ flachen Verlauf auf tiefem Niveau übergeht, 3
Die Bestimmung der Silbenzahlen erfolgt nicht nach orthoepisch-phonologischen, sondern nach phonetischen Kriterien, d.h. ausgefallene oder totalassimilierte Schwa-Silben (z.B. [zi:m] sieben), die v.a. im Hamburgischen und Berlinischen frequent sind, wurden bei der Zählung nicht berücksichtigt.
146
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
wodurch an der Position der Geschwindigkeitsveränderung ein (auditiv und akustisch) markanter ‚Knick‘ entsteht. In diesem Globalverlauf wird die Kontur von den meisten Untersuchungen zum Standarddeutschen angenommen (u.a. von Essen (1964: 21f.), Delattre et al. (1965), Grabe (1998a), Uhmann (1991), Féry (1993), Grice/Baumann (2002)). Im Rahmen der Tonsequenzmodelle wird die Knickposition als das Ende des (fallenden) Akzenttons interpretiert, an den sich der tiefe Grenzton anschließt. Hingegen sind die beiden folgenden Fallkontur-Varianten meines Wissens nach für das Standarddeutsche nicht belegt bzw. nicht beschrieben worden. Bei der zweithäufigsten Variante tritt kein Knick im Konturverlauf auf, vielmehr fällt F0 vom Maximum in der Nukleussilbe bis zum Ende der IP kontinuierlich ab, so dass ein linear fallender Verlauf resultiert. Die dritte Variante schließlich ist ein Spezifikum des Dresdnerischen; die Variante ist in den übrigen Varietäten nur zu verschwindend geringen Anteilen vorhanden. Es handelt sich um eine bogenförmige Fallkontur (‚Fallbogen‘; vgl. Gericke 1963, Selting 2003b), die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Fallbewegung verzögert stattfindet. Nach dem Maximum der Nukleussilbe bleibt der Verlauf auf mindestens der ersten Nachlaufsilbe auf gleich hohem Niveau. Im weiteren Verlauf fällt F0 nur langsam ab und erst gegen Ende der IP nimmt die Fallgeschwindigkeit zu. Sie tritt im Dresdnerischen in spezifischen funktionalen Kontexten auf und ist in den anderen Varietäten praktisch nicht vorhanden. Die auditive Salienz der linearen und der bogenförmigen Fallbewegung ist desto höher, je länger der Nachlauf ist (mindestens drei bis vier Silben). In Abb. 2 sind die drei Varianten der Fallkontur schematisch dargestellt. Knickkontur l% H-
Linearer Fall l% H-
Fallbogen h- % H-
Abb. 2 Schematische Darstellung der drei Varianten der Fallkontur
Die quantitative Verteilung der drei Fallkonturvarianten ist in Abb. 3 dargestellt. Wie bereits angedeutet, ist die Variante mit Knick die häufigste und dominiert in fast allen Städten mit Werten zwischen 82 % (Mannheim) und 63 % (München). Aus diesem Muster fällt nur das Dresdnerische heraus, das die Knickkontur zu lediglich 33 % aufweist. In Mannheim und auch in Köln ist der Anteil der übrigen Varianten mit ca. 20 % recht gering, so dass angenommen werden kann, dass die Knickkontur hier die allein gültige zur Kontextualisierung von Abschlüssen ist. In den übrigen Städten beträgt der Anteil des linearen Falls zwischen 25 % (Berlin) und 42 % (Dresden). Fast exklusiv findet sich im Dresdnerischen zusätzlich der Fallbogen mit ca. 24 %.
147
Phonetik der nuklearen Fallkontur 100% 90% 80% 70% 60% 50%
Knickkontur
40%
Fallbogen linearer Fall
30% 20% 10% 0% HH
B
DD
DU
K
MA
M
Abb. 3 Häufigkeiten der drei Varianten der Fallkontur (N=863)
Im Folgenden werden die phonetischen Struktureigenschaften der drei Nachlaufvarianten (Knickkontur, linearer Fall sowie Fallbogen) und ihre Regionalspezifik genauer erläutert. 4.1.1.1 Knickkontur Diese Variante, die als die prototypische Fallkontur des Standarddeutschen angesehen wird, ist auch in allen Regionalsprachen (außer natürlich dem Freiburgischen) vertreten und ist gleichzeitig auch die häufigste Variante. Der Globalverlauf ist fallend ohne Richtungsänderung. An einer noch näher zu bestimmenden Position im Nachlauf kommt es zu einer starken Verlangsamung der Fallgeschwindigkeit: Die Fallgeschwindigkeit ist am Beginn der Kontur (in der Nukleussilbe und in den ersten Nachlaufsilben) hoch und nimmt danach stark ab. Im F0-Verlauf manifestiert sich der Übergang von hoher zu niedriger Fallgeschwindigkeit in einem Knick. In den meisten Fällen hat sich bis zum Zeitpunkt des Knicks bereits der Großteil der gesamten Fallbewegung ereignet, so dass sich der Knick im unteren Drittel des für die Fallkontur genutzten F0-Umfangs befindet. Danach verläuft die Kontur entsprechend nur noch leicht fallend bis zum finalen Tiefton der IP oder bleibt auf diesem tiefen Niveau und verläuft flach bis zum IP-Ende. Der Knick erlaubt die Aufteilung der global fallenden Kontur in zwei Konturbestandteile: (1) eine schnell fallende, durch den Akzentton hervorgerufene Fallbewegung und (2) eine langsam fallende oder tief-flache finale Komponente. Die Knickposition fällt in den meisten Fällen nicht mit der Grenze zwischen Nukleussilbe und Nachlauf zusammen, sondern ist etwas später im Nachlauf lokalisiert. In der Positionierung des Knicks wird damit also nicht die Grenze zwischen Nukleussilbe und Nachlauf reflektiert. In der Analyse werden nur auditiv und akustisch auffällige Geschwindigkeitsveränderungen als Knickstellen kategorisiert; kleinere Knickstellen, die auf mikrointonatorische Variation zurückzuführen sind, werden dagegen außer acht gelas-
148
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
sen. In seltenen Fällen und eher bei relativ langen Nuklei (mehr als fünf Silben) können auch zwei Knickstellen auftreten; diese Variante bleibt jedoch im Folgenden unberücksichtigt. In den Transkriptionen wird die Knickstelle mit ‚|’ angezeigt. Charakteristische Beispiele aus den sieben Stadtvarietäten zeigt Abb. 4. Um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten, werden nur Nuklei ausgewählt, die vier Silben aufweisen. Zur besseren Erkennung der Knickposition sind idealisierte Linien eingezeichnet, die den schnell fallenden Beginn und das langsam(er) fallende Ende des Nukleus markieren. HH01-12687
B08-10965
200 150 100 70 0
DD02-2349
150
200 150
100 HAN
lge
rech
70
l% net 0.5
50 0
DU02-8786
HEIN
lje
mot 0.5
% tet 0.75
MA06-3036 200
200
150
70 0
Hll% FLUCH ha fen geht 70 0.74 0 0.5
K11-15249
200
100
100
150
150 HlSTRA ssen
wei
0.5
% se 0.94
100 0
HlWUESS ten wir 0.5
% nich 0.82
100
H- ll% HOCH u fer strooss 70 0 0.5
1
M03-16429 200 150 100
Hl% MIET ver trag hot 70 0.76 0 0.5
Abb. 4 Beispiele für Fallkonturen mit Knickbildung im Nachlauf aus sieben Stadtvarietäten; die Knickposition ist am Schnittpunkt der beiden Interpolationsgeraden zu erkennen (die Herkunft der Sprecher geht aus dem Kürzel oberhalb der Grafiken hervor)
In allen Belegen tritt der Knick nach der schnell fallenden Bewegung des Akzenttons auf. So ist z.B. im hamburgischen Nukleus ANge|rechnet der Knick zwischen der ersten und zweiten Nachlaufsilbe positioniert. Die gesamte nukleare Fallkontur weist einen F0-Umfang von 100 Hz auf (Maximum: 190, Minimum: 90). Bis zum Knick bei 118 Hz hat die Fallkontur bereits 72 Hz, also fast drei Viertel des Umfangs durchlaufen. Nach dem Knick verläuft die Kontur zunächst relativ konstant auf tiefem Niveau. Erst auf der letzten Silbe net ist nochmals eine leichte Fallbewegung zu verzeichnen. Vergleichbare Realisierungen liegen bei den Belegen aus Dresden (FLUCH|hafen geht) und Mannheim (HOCH|uferstrooss ‚Hochuferstrasse‘) vor, denn auch hier ist nach dem Knick zunächst keine Fortsetzung der Fallbewegung feststellbar und erst die letzte Silbe zeigt eine leichte Fallbewegung. Diese geringfü-
149
Phonetik der nuklearen Fallkontur
gige Fortsetzung des Falls ist auf phrasenfinale Absenkung zurückzuführen, die für mehrere Sprachen angenommen wird (final lowering; vgl. Hirschberg/Pierrehumbert 1986). Ein Strukturmerkmal der Knickkontur ist, dass die Knickposition konsistent immer mit einer Silbengrenze assoziiert ist; nur in seltenen Fällen liegt der Knick im Inneren einer Silbe. Wie aus der alignierten Transkription in Abb. 4 (oben) ersichtlich ist, wird diese Knickkontur durch die Symbolfolge H-l-l% erfasst. Dabei steht die Komponente H-l für die interpolierte Strecke zwischen Hochton und Tiefton bis zur Knickposition; zur Transkription des weiteren flach-tiefen und aufgrund von final lowering leicht fallenden Verlaufs am Phrasenende wird -l% verwendet. In den Beispielen aus Berlin (EINje|mottet), Duisburg (STRAssen|weise), Köln (WÜSSten| wir nich) und München (MIETver|trag hot) bleibt dagegen der Verlauf nach dem Knick relativ flach auf tiefem Niveau oder fällt leicht. Eine phrasenfinale Absenkung ist hier nicht zu beobachten. Zum Transkription dieser Variante ohne phrasenfinale Absenkung wird die Symbolfolge H-l-% verwendet. Phrasenfinale Absenkung kann in allen untersuchten Varietäten auftreten, ohne dass eine regionale Spezifik erkennbar ist. Im mannheimerischen Nukleus HOCH|uferstrooss 'Hochuferstrasse' (Abb. 4, 2. Reihe, 3. Bild) ist die frühe Positionierung des Knicks auffällig. Hier kommt es schon nach der ersten Silbe zur Knickbildung, während der Knick in den übrigen Städten eine Silbe später positioniert ist. Der Knick im Konturverlauf bleibt auch bei längeren Nachläufen erhalten. Im folgenden Beispiel aus dem Münchnerischen (Nukleus (blon)DInen bewältigen) bleiben nach einem Fall auf den ersten beiden Silben vier der fünf Nachlaufsilben auf tiefem Niveau (Abb. 5). M09-16565 200 150 100 70 0
blon
HlDI nen 0.5
l%
bewältigen 1 1.12
Abb. 5 Knickkontur im Münchnerischen
Die auditive Prägnanz der Knickkontur hängt generell von dem insgesamt für die Fallkontur ausgenutzten F0-Umfang ab: Je größer der F0-Umfang (i.e. je höher das F0-Maximum in der Nukleussilbe), desto auffälliger der Knick. Bei geringerem F0-Umfang reduziert sich der Bereich zur Ausführung des Falls, und der Übergang von hoher zu niedriger Fallgeschwindigkeit ist auditiv wenig salient. In diesen Fällen nähert sich der Konturverlauf dem linearen Fall an. Dies trifft besonders auf das Dresdnerische zu, denn aufgrund einer teilweise stark wirkenden Deklination finden sich hier nukleare Gipfel, die bereits in der Mitte oder im unteren Drittel des genutzten F0-Umfangs liegen. Für die sich daran anschließende Fallbewegung steht
150
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
dann entsprechend nur noch ein reduzierter F0-Umfang zur Verfügung. Aus diesem Grund sind hier einige der Knickkonturen auditiv nicht so salient wie in den übrigen Varietäten. In Abb. 6 ist erkennbar, dass der nukleare Gipfel in ANge|fangen werden bei lediglich 100 Hz und der IP-finale Wert bei 64 Hz liegen. Für die gesamte Fallbewegung bis zum IP-Ende werden hier also nur ca. 36 Hz genutzt. Im Kontrast dazu ereignet sich bei den meisten Beispielen in Abb. 4 (oben) die Kontur in einem deutlich größeren F0-Umfang. DD05-10904 150 100 70 Hl% AN ge fangen werden 50 0 0.5
Abb. 6 Knickkontur im Dresdnerischen
Die exakte Ausrichtung des Knicks an einer Silbengrenze im Nachlauf legt die Vermutung nahe, dass die Ausrichtung nicht zufällig erfolgt. Es gilt daher im Folgenden zu klären, welche Faktoren die Position des Knicks bestimmen. Im Wesentlichen können in allen Varietäten drei Möglichkeiten der Knickausrichtung beobachtet werden, die zu unterschiedlichen Anteilen implementiert werden. Zunächst einmal ist für einen Teil der Fallkonturen zu beobachten, dass die Silbenfolge bis zum Auftreten des Knicks einen Fuß bildet. Die phonologische Kategorie des Fußes (F) besteht aus einer lexikalisch betonten Silbe und den folgenden unbetonten Silben bis zum Auftreten der nächsten betonten Silbe (vgl. u.a. Hall 2000: 277ff.). So setzt sich der berlinische Nukleus EINjemottet aus den zwei Füßen (EINje)F und (mottet)F zusammen; der intonatorische Knick ist zwischen den beiden Füßen positioniert. Durch den Knick werden hier trochäische Füße voneinander abgegrenzt. Allerdings können mit der rhythmisch-phonologischen Kategorie des Fußes nicht alle Knicklokalisierungen erfasst werden. Daneben scheinen nämlich auch weitere prosodische Kategorien relevant zu sein, wie z.B. die Ausrichtung am phonologischen Wort. In der prosodischen Hierarchie von Nespor/Vogel (1986) wird der phonologische Fuß vom phonologischen Wort (w) dominiert und bezeichnet eine Konstituente, die die zugrunde liegende lexikalische Struktur eines Wortes (qua Lexikoneintrag) abbildet. Das phonologische Wort ist nicht gleichzusetzen mit der grammatischen Kategorie des Wortes, denn zusammengesetzte Wortformen wie Komposita oder Verben mit trennbaren Präfixen bilden jeweils zwei (oder mehr) phonologische Wörter. So wird z.B. im berlinischen Nukleus beZAHLT | jekricht der Knick zwischen den beiden phonologischen Wörtern [beZAHLT]w und [je-
151
Phonetik der nuklearen Fallkontur
kricht]w realisiert. In diesem Fall ist für den Intonationsverlauf die Fußstruktur des Nukleus nicht relevant. Da das Deutsche reich an trochäischen phonologischen Wörtern ist, ist es nicht selten, dass die Domänen ‚Fuß‘ und ‚phonologisches Wort‘ zusammenfallen. So besteht das Kompositum Kinderklinik aus zwei Füßen, (Kinder)F und (klinik)F, die gleichzeitig auch eigene phonologische Wörter sind: [(Kinder)F]w [(klinik)F]w. Für diese Fälle kann nicht entschieden werden, ob der Fuß oder das phonologische Wort die für die Knickausrichtung relevante Domäne ist. Als dritte und letzte Möglichkeit werden in geringerem Ausmaß Konturen beobachtet, bei denen keine der angeführten prosodischen Kategorien für die Knickausrichtung verantwortlich ist. So ist der Knick in FE|derbetten unmittelbar nach der Nukleussilbe lokalisiert und liegt damit sowohl innerhalb eines Fußes als auch innerhalb eines phonologischen Wortes. In Tab. 1 sind einige Beispiele für die Möglichkeiten der Knickausrichtung angegeben. Die Beispiele in der ersten Spalte bestehen aus einem nuklearen Fuß, der sich zumeist aus der akzentuierten Silbe und einer unbetonten Folgesilbe zusammensetzt. Nach dem Knick folgt ein weiterer Fuß, der oft ebenfalls eine trochäische Struktur aufweisen kann. Dieser zweite Fuß kann jedoch auch aus nur einer (schweren) Silbe bestehen, wie es die Beispiele ANJe|fang oder jeWEsen | is belegen. Tab. 1 Ausrichtungsmöglichkeiten für die Knickposition der Fallkontur: Fuß, phonologisches Wort (phoW), phonologisches Wort + Fuß (phoW + Fuß) und Sonstige Fuß ANje|fang WEGje|wesen DURCHze|boxen EINge|sperrt hier SATT ge|wesen GIBT die | lösung MIETver|trag hot ('Mietvertrag hat') DICHT ge|macht
phoW RUSsische | gefangenschaft jeWEsen | is FUTter|verwerter beZAHLT | jekricht KINder | gemacht FACH|hochschule PLATTdeutsch | gesprochen OI|getrage (‘eingetragen‘) blonDInen | bewältigen LAUge | gewesen sein DOde | schun gebe hot ('Tote schon gegeben hat')
phoW + Fuß KINder|klinik LIEfert | auch SELber | machen KREUZ|berger ENkelkinder | kümmern Ober|schulen UFF|jabe (‘Aufgabe‘) STRAssen|weise EIgen|tümer PUBlikum | finden TROTZdem | an
Sonstige FIR|mengründe FE|derbetten LER|nen sie
Bei den Beispielen in der zweiten Spalte (phoW) in Tab. 1 ist der Knick ausschließlich am phonologischen Wort ausgerichtet: Meist besteht das phonologische Wort aus einem Trochäus. Nach dem Knick beginnt das folgende phonologische Wort jedoch mit einer leichten Silbe, womit der Knick dann fußintern positioniert ist: ([PLATTdeutsch]w|[ge)F(sprochen)F]w. Die dritte Spalte (phoW+Fuß) in Tab. 1 enthält Nuklei, bei denen die Fußgrenze mit der Grenze eines phonologischen Worts zusammenfällt. Der intonatorische Knick ist in diesen Fällen oft an Wortgrenzen oder Kompositionsfugen (STRAssen|weise, EIgen|tümer) lokalisiert, die gleichzeitig Fußgrenzen sind. Zur visuellen Kontrastierung dieser beiden Knickverankerungsmöglichkeiten vgl. Abb. 7. Im Nukleus LEID ge|wesen ist der Knick am Ende eines zweisilbigen nuklearen Fußes
152
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
(LEID ge)F lokalisiert (Abb. 7 links). Im Nukleus KINder | gehabt befindet sich der Knick nach dem phonologischen Wort KINder (Abb. 7 rechts). DU05-12532
DU04-7845
200
200
150
150
100 70 0
100 HLEID
lge
% wesen
0.5
0.74
70 0
HKIN
lder
% gehabt 0.47
Abb. 7 Knickkontur; Ausrichtung des Knicks am Fuß (links) bzw. am phonologischen Wort (rechts)
In der Kategorie ‚Sonstige‘ in Tab. 1 finden sich überwiegend Knickkonturen, bei denen der Knick sehr früh, d.h. an der Silbengrenze zwischen Nukleussilbe und erster Nachlaufsilbe lokalisiert ist. Mit auffälliger Häufigkeit ist diese Ausrichtung im Mannheimerischen belegt. So erfolgt im Nukleus (be)DEU|tet hot in Abb. 8 der Knick bereits nach der Nukleussilbe DEU. Diese Knicklokalisierung ‚zerschneidet‘ damit sowohl den nuklearen Fuß (be(DEU|tet hot)F) als auch das phonologische Wort ([beDEU|tet]w [hot]w). Die weiteren mannheimerischen Beispiele in Abb. 8 zeigen ebenfalls die frühe Ausrichtung an der Silbengrenze zwischen Nukleussilbe und erster Nachlaufsilbe. MA04-3163
MA06-3061
MA06-2991
200
200
200
150
150
150
100 70 0
be
HlDEU tet 0.5
% hot 0.82
100 70 0
a
H- lTOM sicher 0.5
% aa 0.85
100 70 0
HTOT
l-
% lachen 0.5
Abb. 8 Frühe Knickausrichtung nach der Nukleussilbe im Mannheimerischen; Übersetzung: aTOMsicher aa ‚atomsicher auch‘
Um festzustellen, welche Faktoren präferiert für die Ausrichtung des Knicks zuständig sind und um eventuelle regionalspezifische Distributionen für die Knickausrichtung zu ermitteln, werden nun im Folgenden die Häufigkeiten für die drei Kategorien ‚Fuß‘, ‚phonologisches Wort‘ (phoW) und ‚Sonstige‘ sowie für die Kombination aus Fuß und phonologischem Wort (phoW+Fuß) ermittelt. Die Datenbasis besteht aus insgesamt 583 Fallkonturen mit Knick. Es ergibt sich das komplexe Variationsmuster in Abb. 9. Es zeigt sich, dass alle Ausrichtungsbedingungen zu teilweise hohen Anteilen belegt sind, so dass eine Präferenz nicht ohne weiteres zu erkennen ist. Für fast alle Städte ist ein hoher Anteil an Strukturen belegt, bei denen Fuß und phonologisches Wort zusammenfallen (Kategorie ‚phoW+Fuß‘). Daneben ist in einigen Varietäten die Ausrichtung am phonologischen Fuß frequent.
153
Phonetik der nuklearen Fallkontur 100% 90% 80% 70% 60%
Sonstige
50%
phoW+Fuß phoW
40%
Fuß
30% 20% 10% 0% HH
B
DD
DU
K
MA
M
Abb. 9 Häufigkeitsverteilungen für die vier Knickausrichtungen (N=583)
Die irreguläre Ausrichtung ist bis auf das Mannheimerische, das teilweise die sehr frühe Knicklokalisierung präferiert, und Kölnische nur selten belegt. Insgesamt scheint sich also anzudeuten, dass sich in allen Varietäten die Knickausrichtung an einer prosodischen Kategorie orientiert. Rechnet man die Häufigkeiten zusammen, so ergibt sich mit Werten zwischen 72 und 95 % eine Ausrichtung entweder am Fuß oder am phonologischen Wort bzw. an einer Kombination der beiden Kategorien. Die hohen Anteile für den Zusammenfall von Fuß und phonologischem Wort in Abb. 9 erschweren jedoch die Entscheidung, welche prosodische Kategorie für die Knickausrichtung tatsächlich maßgeblich ist. Im nächsten Analyseschritt bleiben daher dieser Kategorienzusammenfall sowie die sonstigen Ausrichtungen ausgeschlossen. Es werden also nur Belege berücksichtigt, bei denen sich die Ausrichtung eindeutig auf den Fuß bzw. das phonologische Wort zurückführen lässt. Das Balkendiagramm in Abb. 10 basiert damit auf einer Untermenge der in Abb. 9 zugrunde gelegten Datenmenge (244 von 583 Belegen). 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
phoW Fuß HH
B
DD
DU
K
MA
M
Abb. 10 Häufigkeiten für die Knickausrichtung an den Kategorien ‚Fuß‘ und ‚phonologisches Wort‘ (N=244)
154
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Abb. 10 zeigt, dass in den meisten Städten die Häufigkeiten um 60 % rangieren – entweder für den Fuß (z.B. Hamburg, Dresden, Duisburg) oder das phonologische Wort (z.B. Köln, Mannheim). Diese hohe intra-varietäre Variation führt dazu, dass in diesen Städten keine eindeutige Präferenz erkennbar ist. Es ist daher anzunehmen, dass keine der beiden prosodischen Kategorien für die Knickausrichtung verantwortlich ist. Lediglich das Berlinische und etwas weniger ausgeprägt das Münchnerische zeigen eine eindeutigere Präferenz für Knickausrichtung am Fuß (79 bzw. 69 %). Nur für diese Varietäten kann also angenommen werden, dass die Knickposition durch eine tieferliegende prosodische Kategorie, hier: durch den phonologischen Fuß, bestimmt wird. Insgesamt ergibt sich hieraus für die Sensitivität der Knickausrichtung ein uneinheitliches Bild: Zwar deutet sich für die meisten Städte an, dass eine prosodische Kategorie für die Ausrichtung verantwortlich sein könnte, doch ist die Variation so hoch, dass nicht entschieden werden kann, welche Kategorie, der Fuß oder das phonologische Wort, für die Knickausrichtung relevant ist. Lediglich für das Berlinische und Münchnerische kann eine Präferenz für die Knickausrichtung am Fuß festgestellt werden. Für die übrigen Städte kann eine Relevanz der prosodischen Kategorien nicht zweifelsfrei angenommen werden, so dass alternative Faktoren in Betracht gezogen werden müssen. Es deutet sich somit an, dass die Knickausrichtung sich nicht eindeutig mit Hilfe der rhythmischen Domäne des Fußes und/oder der lexikalisch-phonologischen Domäne des phonologischen Wortes erklären lässt. Allgemeiner formuliert: Die Knickpositionierung erscheint unabhängig von prosodischen Kategorien, die tiefer in der prosodischen Hierarchie liegen (Nespor/Vogel 1986). Ein alternativer Faktor könnte die Anzahl der Silben sein, nach denen spätestens der Knick erfolgt sein muss. Damit würde angenommen, dass zur Lokalisierung des Knicks ein ‚Zeitfenster‘ beginnend in der Nukleussilbe zur Verfügung steht, innerhalb dessen sich der Knick befinden muss. Die Knickausrichtung wäre dann abhängig vom Akzentton, sie würde also am linken Rand des Nukleus initiiert werden und wäre unabhängig von tieferliegenden prosodischen Kategorien. In Abb. 11 ist die Knickposition relativ zu der Anzahl der Silben dargestellt (gezählt ab der Nukleussilbe). In der Legende bedeutet ‚Beginn x-te Silbe‘, dass der Knick am Beginn dieser Silbe (meist an der Silbengrenze zur vorhergehenden Silbe) liegt. Die meisten Varietäten zeigen hier ein weitgehend gleiches Variationsmuster. Für alle Varietäten gilt generell, dass der Knick am häufigsten am Beginn der dritten Silbe auftritt. Spätere Ausrichtungen sind nur zu geringen Anteilen anzutreffen und erreichen maximal 20 % (Berlin). Daraus kann geschlossen werden, dass zur Lokalisierung des Knicks ein Zeitfenster von maximal zwei Silben (inklusive der Nukleussilbe) zur Verfügung steht; spätestens am Beginn der dritten Silbe des Nukleus muss also die Knickbildung erfolgt sein. Mit Häufigkeiten zwischen 80 % (Berlin) und 100 % (Mannheim) ist dies für alle Varietäten mit hoher Konsistenz der Fall. Der präferierte Ankerpunkt ist der Beginn der dritten Silbe, denn hier wird zwischen 55
155
Phonetik der nuklearen Fallkontur
und 70 % der Knick positioniert. Wenn nur die viersilbigen Nuklei betrachtet werden, so ist die Verteilung noch eindeutiger: Von 152 Belegen werden 111 (i.e. 72 %) mit einem Knick am Beginn der dritten Silbe realisiert, während sich ein späterer Knick nur in 8 % der Belege feststellen lässt. Abb. 11 vermittelt für die meisten Varietäten ein ähnliches Variationsmuster. Lediglich das Mannheimerische und das Kölnische fallen aus diesem Muster heraus, denn hier tritt die frühe Knickausrichtung an der zweiten Silbe mit ca. 40 bis 45 % recht häufig auf. Beim Mannheimerischen resultiert die frühe Ausrichtung aus einer generellen Eigenschaft der Nukleussilbe, die in Kap. 4.1.3 genauer analysiert wird: Durch eine insgesamt früh einsetzende Fallbewegung kann sich bereits in der Nukleussilbe ein Großteil des gesamten Falls ereignen. Dies führt dazu, dass auch bei den mehrsilbigen Nuklei bereits am Beginn der zweiten Silbe das F0-Minimum des Nukleus erreicht werden kann. 100% 90% 80% 70% 60%
Beginn 4+. Silbe Beginn 4. Silbe
50%
Beginn 3. Silbe
40%
Beginn 2. Silbe
30% 20% 10% 0%
HH
B
DD
DU
K
MA
M
Abb. 11 Knickausrichtung nach Silben (N=583)
Insgesamt lässt sich damit die Lokalisierung des F0-Knicks auf die Auswirkungen eines Zeitfensters zurückführen, dass die Größe von zwei Silben hat. Dabei wird eine Knickausrichtung am Ende der zweiten Silbe des Zeitfensters präferiert. Meist handelt es sich bei der Silbenfolge im Zeitfenster um einen Fuß und/oder ein phonologisches Wort. Diese Überlagerung mit einer weiteren strukturellen Ebene scheint jedoch für die tatsächliche intonatorische Gestaltung nur sekundär zu sein und beruht auf dem frequenten Vorkommen trochäischer Strukturen in den deutschen Varietäten.4 Dieses Ergebnis hat Auswirkungen für die anzunehmende Struktur des tonologischen Akzenttons der Fallkontur. Die gesamte Knickkontur wurde oben mit den 4
Es wäre sicherlich lohnenswert, diese ‚Konkurrenz‘ zwischen den Beschreibungsmerkmalen im Rahmen der Optimalitätstheorie (Prince/Smolensky 1993) genauer zu untersuchen.
156
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Tonfolgen H-l-% bzw. H-l-l% (mit final lowering) beschrieben, wobei durch die Komponente H-l die Konturstrecke bis zum Knick ausgedrückt wird. Diese Konturkomponente entspricht tonologisch dem in der Nukleussilbe initiierten fallenden Akzentton. Wie gezeigt, wird der Knick – und damit der (erste) Tiefton der Fallkontur – innerhalb eines Zeitfensters gesetzt, das am linken Rand der nuklearen Kontur beginnt und eine maximale Größe von zwei Silben aufweist. Die Positionierung des Tieftons erfolgt also präferiert in einer konstanten Distanz zum Hochton. Daraus kann abgeleitet werden, dass der Tiefton vom vorhergehenden Hochton abhängig ist. Die Annahme eines bitonalen Akzenttons H*+L erscheint damit gerechtfertigt: Die besonders enge Verbindung der beiden tonalen Bestandteile des bitonalen Akzents, wie sie durch das +-Zeichen angezeigt wird, entsteht dadurch, dass auf den Akzentton H* der tiefe trailing tone L in einem relativ konstanten Abstand folgt. Diese bitonalen Akzenttöne werden auch für das Standarddeutsche angenommen (vgl. z.B. Féry 1993, Grabe (1998a). In dieser Hinsicht unterscheiden sich also die Regionalsprachen nicht grundlegend von der Standardsprache. Nicht bestätigt werden kann dagegen die Annahme von Benzmüller/Grice (1998) und Grice/Baumann (2002), wonach der Tiefton unabhängig vom H-Akzentton ist und als Grenzton -L einer intermediären Phrase (ip) einzustufen ist. Die Autoren stellen fest (ebenfalls für das Standarddeutsche): „Je weiter die nächste (postnuklear) betonte Silbe entfernt ist, desto später liegt dieser tiefe Zielpunkt [=Knick, PG]. Es zeigt sich sogar, dass in 94 % aller fallend-steigenden Konturen und in 91 % aller fallenden Konturen der Zielpunkt genau mit der betonten Silbe korrespondiert“ (Grice/Baumann 2002: 295). Demnach variiert also die Position des L-Tons systematisch mit der lexikalisch-phonologischen Struktur des Nachlaufs. Die Fallkontur wird daher in GToBI mit einem monotonalen Akzentton H* symbolisiert, auf den der Grenztonkomplex bestehend aus tiefem Phrasenakzent und Phrasengrenzton L-% folgt. Diese tonologische Struktur konnte jedoch in der vorliegenden Untersuchung nicht verifiziert werden. Die tief-flache, oder deklinationsbedingt leicht fallende Konturphase, die nach dem Knick beginnt und sich bis zum Phrasenende erstreckt, kann durch die Ausbreitung der Tonqualität des trailing tone L des bitonalen Akzenttons modelliert werden. Die gesonderte Annahme eines tiefen Phrasengrenztons L% ist damit nicht erforderlich. Ausreichend ist vielmehr die Annahme einer tonal unspezifizierten Phrasengrenze %. Nur wenn auf der letzten Silbe eine abermalige Fallbewegung produziert wird, muss der Grenzton als L% spezifiziert werden. Für die Knickkontur kann damit die tonologische Struktur H*+L (L)% angenommen werden, wobei durch die Einklammerung die Optionalität des final lowering zum Ausdruck gebracht wird (i.e. H*+L L%). Zusammenfassend lässt sich die Knickkontur H*+L (L)% als die häufigste Variante für diejenigen Varietäten beschreiben, die überhaupt Fallkonturen aufweisen. Lediglich im Dresdnerischen ist diese Kontur mit ca. 33 % relativ selten, während sie in den übrigen Städten mit Werten zwischen 63 und 82 % vertreten ist. Bezüglich
157
Phonetik der nuklearen Fallkontur
der Lokalisierung des Knicks präferieren die meisten Städte die Knickausrichtung am Beginn der dritten Silbe. Als eine exklusive Eigenschaft des Mannheimerischen kann der verhältnismäßig hohe Anteil der Knicksausrichtung am Beginn der zweiten Silbe gewertet werden. 4.1.1.2 Linearer Fall Bei der zweiten Variante der Fallkontur lässt sich kein Knick bzw. keine merkliche Änderung der Fallgeschwindigkeit beobachten. Beginnend auf dem Maximum der Nukleussilbe fällt F0 linear bis zum IP-Ende. Die lineare Fallbewegung passt sich dabei in ihrem Verlauf der vorhandenen Silbenzahl an, d.h. der Fall ereignet sich schneller, wenn weniger Silben zur Verfügung stehen und verläuft langsamer, wenn die Silbenzahl des Nukleus zunimmt. Für das Standarddeutsche und auch in anderen Beschreibungen des Deutschen findet diese Kontur keine Erwähnung. Prägnante Belege aus den sieben Stadtvarietäten bietet Abb. 12. Um die Konturen besser zwischen den Varietäten vergleichen zu können, wurden jeweils viersilbige Nuklei gewählt; die Kontur ist jedoch für alle Nukleuslängen belegt. Der Kontrast zur Knickkontur (vgl. oben Abb. 4) ist augenfällig: In der Fallbewegung fehlt nicht nur ein markanter Knick, darüber hinaus lässt sich am Ende der Kontur auch keine flache oder leicht fallende Phase beobachten. Die Fallkonturvariante, für die in Abb. 12 einige Beispiele angeführt sind, kann folglich mit einer linearen InterpoHH01-12688
B01-7403
200 150 100 70 0
HLAS ten aus
l% gleich
0.5
1
DD02-6672
200
200
150
150
100 70 0
HSEE
fahrt
je 0.5
DU01-8744
l% fahrn 0.79
100 70 0
200
200
150
150
70 0
l% fangen 0.5
0.70
100 70 0
HLINK
l% wat de machs 0.5
0.79
100 70 0
M03-16403 200 150 100 70 0
HMASS gschneidert 0.5
0.74
MA07-3397
150
HAN ge
l% haelt 0.5
K01-12076
200
100
HAU gen noch
l% worn 1
Abb. 12 Beispiele für den linearen Fall (H-l%) in sieben Stadtvarietäten
HKAI
l% ser
tafel 0.5
0.81
158
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
lation zwischen dem Maximalwert in der Nukleussilbe und dem Minimalwert am IP-Ende erfasst werden.5 Insgesamt lassen sich in allen sieben Varietäten recht ähnliche Realisierungen beobachten. Deutliche formale Ähnlichkeit ist zwischen den hamburgischen, berlinischen und duisburgischen Realisierungen zu erkennen, die jeweils durch schnelle Fallgeschwindigkeit und auch relativ hohe Gipfel gekennzeichnet sind (HH: 220 -> 95 Hz, B: 160 -> 100 Hz, DU: 160 -> 80 Hz). Etwas flachere Verläufe finden sich im Mannheimerischen und Münchnerischen. Für das Dresdnerische liegt die typische Konfiguration mit relativ engem F0-Umfang vor, so dass die Fallbewegung auch nur gering ausfällt (120 -> 100 Hz). Insgesamt wird die lineare Fallbewegung jedoch in allen Varietäten ungefähr gleich realisiert, so dass hier keine Regionalspezifik vorliegt. Die erkennbare Variation der Gipfelhöhe der Nukleussilbe ist durch die (größtenteils) individuelle Realisierungsfreiheit bedingt. Die lineare Fallbewegung lässt sich durch die Angaben von nur zwei Eckwerten charakterisieren (i.e. Höhe des Gipfels und Wert für den IP-finalen Ton). Zur phonetischen Transkription ist daher H-l% ausreichend: Der Konturverlauf ergibt sich aus der linearen Interpolation zwischen dem Hochton H der Nukleussilbe und dem tiefen Grenzton l% am IP-Ende. Die lineare Fallbewegung tritt überwiegend in den gleichen Kontexten wie die Knickkontur auf; sie kann daher als eine seltenere Variante dieser Kontur eingestuft werden. Teilweise kann die Kontur auch dazu dienen, Ankündigungen einer längeren monologischen Aktivität (z.B. einer Erzählung) zu kontextualisieren. 4.1.1.3 Fallbogen Die dritte und letzte Variante der Fallkontur ist eine fast exklusive Eigenheit des Dresdnerischen. Der in Anlehnung an Gericke (1963) als ‚Fallbogen‘ bezeichnete Verlauf ist in den übrigen Varietäten nur mit vernachlässigbaren Häufigkeiten vertreten. Im Dresdnerischen manifestiert sich der Fallbogen in einer Verzögerung der Fallbewegung: Nach dem Hochton auf der Nukleussilbe bleibt F0 ungefähr auf hohem Niveau und sinkt nur leicht ab. Erst gegen Ende der IP nimmt die Fallgeschwindigkeit zu und der finale Tiefton wird erreicht. In ihrer Untersuchung zur Intonation der Leipziger Umgangsprache beschreibt Gericke (1963: 358) die Kontur wie folgt: „Die Melodie sinkt nach dem letzten HA [=Hauptakzent, PG] nicht ab, sie läuft in der Regel fast waagerecht bis zur vorletzten oder letzten Silbe, die durch die Hochlage Akzentwert (HA oder NA [=Nebenakzent, PG]) erhält und sinkt dann in einem gedehnten Fallbogen ab, aber nicht so tief, dass der Hörer den Eindruck der Spannungslösung bekäme.“ In Abb. 13 ist der schematische Fallbogen-Verlauf für den Satz ich hÄtte mal gErne mal 5
Die Intonationsverläufe in Abb. 12 sind nicht sämtlich streng linear fallend. Dies liegt an kleineren F0-Perturbationen, die hauptsächlich durch den Einfluss von Konsonanten hervorgerufen werden. Auf diese Weise lässt sich z.B. im münchnerischen Beispiel im Onset der Silbe gschnei die Auslenkung von F0 nach oben erklären. Für die Perzeption sind solche minimalen F0-Auslenkungen unerheblich.
Phonetik der nuklearen Fallkontur
159
den zoologischen GARten gesEhn dargestellt (dünne Linie, gekennzeichnet mit ‚O‘). Für den Nukleus GARten gesEhn manifestiert sich der Fallbogen darin, dass der Verlauf auch nach dem Gipfel in der Nukleussilbe GAR nur geringfügig fällt. Erst am Ende der Phrase setzt dann die Fallbewegung ein, die jedoch nicht bis in die tiefe oder sehr tiefe Region des Sprechstimmumfangs geführt wird, sondern schon im mittleren Bereich endet.6 Neben dem bogenförmigen Verlauf zählt Gericke also auch die geringere ‚Lösungstiefe‘ zu den Charakteristika des Fallbogens.
Abb. 13 Schematische Verläufe des sächsischen Fallbogens (dünne Linie) und der standarddeutschen Knickkontur (dicke Linie) für den Satz ich hÄtte gErne mal den zoologischen GARten gesEhen; aus Gericke (1963: 358)
Zum Vergleich ist in Abb. 13 die schematische Kontur eines Sprechers des Standarddeutschen eingezeichnet (dicke Linie, gekennzeichnet mit ‚N‘), der den gleichen Satz nachgesprochen hat. Bei dieser Realisierung kommt es nach einer initial schnellen Fallbewegung zu einer Verlangsamung der Fallgeschwindigkeit, es liegt damit eine charakteristische Knickkontur vor. Im Kontrast zwischen der Realisierung des sächsischen Dialektsprechers und des standardnahen Nachsprechers werden die charakteristischen Merkmale des Fallbogens deutlich: Beginnend auf der Nukleussilbe GAR verläuft F0 nur leicht fallend und bildet auf der nebenbetonten Nachlaufsilbe sEhn einen weiteren Gipfel. Erst mit dieser Silbe kommt es zu einem merklichen Fall auf tiefes Niveau. Es ist ebenfalls erkennbar, dass der finale Endpunkt des Fallbogens nicht die tiefste Lage des genutzten F0-Umfangs erreicht (im Schema mit ‚sehr tief‘ bezeichnet). Es handelt sich hierbei um die bereits oben (Kap. 4.1.2) beschriebene Eigenschaft des Dresdnerischen, bei Fallkonturen F0 tendenziell nicht bis zur vollständigen Lösungstiefe absinken zu lassen. Nach Gericke sind damit also für den Fallbogen zwei Faktoren konstitutiv: (1) die verzögerte Fallbewegung und (2) die geringere Lösungstiefe. Fallbogen dieses Typs und insbesondere ihre funktionale Leistung in der Konversation werden ausführlich auch von Selting (2003b) untersucht. Die Autorin weitet die Analyse auch auf phonetisch verwandte Konturen aus, wozu u.a. auch die lineare Fallkontur zählt. Im Folgenden werden dagegen nur Fallbogen im engen Sinne, i.e. Seltings Typ ‚(a)‘, berücksichtigt. 6
In Gerickes Abbildung (hier: Abb. 13) scheint die Alignierung der schematischen Kontur mit dem zugehörigen Transkript irrtümlicherweise um ungefähr eine Silbe verschoben zu sein. Aus der Beschreibung wird jedoch deutlich, dass der Gipfel der Fallkontur mit der Nukleussilbe GAR assoziiert sein muss.
160
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Fallbogen sind im Dresdnerischen im Vergleich zu den Knickkonturen oder dem linearen Fall seltener belegt, besitzen aber dennoch eine hohe perzeptive Salienz. Im vorliegenden Datenmaterial wird der Fallbogen nicht immer in der reinen Form realisiert, wie sie in den Experimenten von Gericke produziert wurden. Insbesondere bei der Realisierung der verzögerten Fallbewegung ist Variation zu konstatieren, die sich teilweise nur über eine, aber auch über mehrere Silben erstrecken kann. Als Fallbogen werden in der vorliegenden Analyse nur Konturen klassifiziert, bei denen mindestens die erste Nachlaufsilbe noch das F0-Niveau der Nukleussilbe aufweist (oder nur leicht tiefer liegt) und F0 im weiteren Verlauf nur langsam abfällt. Aufgrund dieser definitorischen Einengung müssen Fallbogen-Nuklei aus mindestens drei Silben bestehen (Nukleussilbe, erste Nachlaufsilbe auf gleich hohem F0-Niveau, zweite Nachlaufsilbe mit finalem Fall). Bei zwei- und einsilbigen Nuklei kann kein Fallbogen realisiert werden. Die auditive Prägnanz des Fallbogens korreliert mit der Silbenanzahl des Nukleus: Je mehr Silben der Nachlauf enthält, desto länger kann der Fallbogen realisiert werden. Abb. 14 zeigt einige Fallbogenrealisierungen des Dresdnerischen. Die Nukleussilbe selbst ist in den meisten Beispielen durch eine Anstiegsbewegung und einer damit verbundenen späten Lokalisierung des F0-Maximums gekennzeichnet (RUSSlands, EINgemeindet, FRAgebogen, ziGRETten ‚Zigaretten‘), wie sie häufig in Dresden zu hören ist. Der charakteristische Höreindruck entsteht durch die Verzögerung der Fallbewegung im Nachlauf. In den meisten Beispielen bleiben mindestens die ersten beiden Nachlaufsilben auf ungefähr dem gleichen Niveau wie die Nukleussilbe, und erst auf den letzten Silben kommt es zu einer deutlichen Fallbewegung. Im ersten Beispiel verläuft die Tonhöhe bis ans Ende von RUSSlands auf hohem Niveau und fällt dann kontinuierlich bis zum Ende ab. Bei EINgemeindet wordn und (zi)GRETten umgekippt war ist die Verzögerung des Falls ausgeprägter, denn hier bleibt die Tonhöhe für drei bzw. fünf Silben auf hohem Niveau, bevor der finale Fall einsetzt. Gerade beim letzten Beispiel ist damit eine Hochplateaubildung erkennbar, die von einer Anstiegs- und einer Fallbewegung flankiert wird. Für den Anfangszeitpunkt der finalen Fallbewegung lassen sich keine eindeutigen Kriterien angeben. Nach Selting (2003b) setzt der Fall oft auf der vorletzten oder letzten schweren Silbe des Nachlaufs ein. Diese Ausrichtung konnte in den vorliegenden Daten zwar auch festgestellt werden, allerdings sind auch andere Ausrichtungen belegt: Im ersten Beispiel in Abb. 14 setzt die Fallbewegung recht früh ein, i.e. am Ende des nuklearen Fußes (RUSSlands)F. Dagegen ist in den letzten beiden Belegen der Fall deutlich später, nämlich auf der phrasenletzten Silbe, lokalisiert. Diese Variation deutet darauf hin, dass für einen Fallbogen weniger die Ausrichtung und Art der finalen Fallbewegung relevant sind, sondern vielmehr das Merkmal der verzögerten Fallbewegung in Form eines an die Nukleussilbe anschließenden Plateaus. Häufig, jedoch nicht durchgängig, erreicht die finale Fallbewegung nicht die vollständige Lösungstiefe und endet im mittleren Bereich oder im unteren Drittel
161
Phonetik der nuklearen Fallkontur DD10-10382
DD01-6281
200
DD01-6331
150
150
100
100
150 100
HhRUSS lands feld 70 0 0.5
m% zuges 1
1.21
70
HEIN
0
hgemeindet
l% wordn
0.5
DD06w-13002
70 1
HhFRA ge bogen
0
0.5
l% kricht 0.92
DD01-6385
200 200
150 100 70 0
150 HEL
htern
l% noch 0.5
0.62
100 0
zi
HGRET ten
h-
m% war
umgekippt 0.5
1
1.26
Abb. 14 Fallbogen-Konturen (H-h-l%) des Dresdnerischen
des durchschnittlich genutzten F0-Umfangs, so dass der auditive Eindruck einer nicht ganz zu Ende ausgeführten Fallbewegung entsteht. Dieser ‚Halbschluss‘,7 von Gericke (1963) als fast obligatorische Eigenschaft des Leipzigerischen angesehen, wird in Abb. 14 im ersten und letzten Beispiel realisiert: Auf der letzten Silbe in RUSSlandsfeldzuges fällt F0 auf ca. 120 Hz, während der durchschnittliche Tiefpunkt dieses Sprechers (DD10) jedoch mit 90 Hz deutlich tiefer liegt. Ähnlich verhält es sich mit dem Nukleus (zi)GRETten umgekippt war des Sprechers DD01. Die letzte Silbe weist eine Tonhöhe von ca. 145 Hz auf, doch präferiert dieser Sprecher einen durchschnittlichen Tiefpunkt von 88 Hz.8 Die Fallbewegungen in den übrigen Beispielen in Abb. 14 reichen dagegen in deutlich tiefere Regionen und entsprechen weitgehend den durchschnittlich genutzten persönlichen Tiefpunkten. Die Obligatorik des Halbschlusses, die Gericke (1963) für das benachbarte Leipzigerische annimmt, kann also für Dresden nicht bestätigt werden. Der dresdnerische Fallbogen ist an der Kontextualisierung einer spezifischen Subfunktion des Abschlusskomplexes beteiligt: Nach Selting (2003b) wird die Kontur im Wesentlichen zur Markierung von Emphase und erhöhter emotionaler Beteiligung eingesetzt. Zur phonetischen Kennzeichnung der Kontur wird die Symbolkombination H-h-l% (bei Erreichen der Lösungstiefe) bzw. H-h-m% (bei ‚Halbschluss‘) gewählt: Der gleichbleibend hohe oder nur geringfügig fallende Verlauf wird durch H-h erfasst; dabei ist der zweite h-Ton mit der Silbe assoziiert, ab der der finale Fall beginnt. 7
8
Vgl. auch Gussenhoven (1984), der das Phänomen als ‚half-completion‘ beschreibt. Die Kontur wird im Englischen im sog. ‚vocative call‘ (Rufkontur) eingesetzt. Für ähnliche Konturen im Niederländischen vgl. den ‚incomplete fall‘ im Tonsequenzmodell ToDI (http://todi.let.kun.nl/ ToDI/home.htm; letzter Zugriff 10.02.2005). Die Neigung des Dresdnerischen zum ‚Halbschluss‘ wird im Zusammenhang mit der Ausnutzung des zur Verfügung stehenden F0-Umfangs in Kap. 4.1.2 detaillierter untersucht.
162
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
4.1.1.4 Zusammenfassung Die wichtigste Kontur in der Abschlussfunktion ist die Fallkontur, die sich in allen Varietäten – außer dem Freiburgischen – häufig findet. Die Analyse der mindestens dreisilbigen Nuklei zeigt, dass sich drei Varianten der Fallkontur identifizieren lassen, die unterschiedlich häufig in den untersuchten Varietäten vorkommen. Die Knickkontur ist in allen Varietäten außer dem Dresdnerischen die häufigste Variante. Hier kommt es nach einer anfänglichen schnellen Fallbewegung zur einer deutlichen Verlangsamung der Fallgeschwindigkeit, so dass ein hörbarer Knick entsteht. Die Knicklokalisierung erfolgt in allen Varietäten präferiert spätestens an der Grenze zwischen der ersten und der zweiten Nachlaufsilbe. Eine mannheimerische Besonderheit ist, dass der Knick hier häufig noch früher, i.e. an der Grenze zwischen Nukleussilbe und erster Nachlaufsilbe, platziert ist. Eine Korrelation mit einer tiefer liegenden prosodischen Domäne wie dem Fuß oder dem phonologischen Wort konnte nicht zweifelsfrei ermittelt werden; lediglich beim Berlinischen und (weniger deutlich) beim Münchnerischen fällt die Knickposition mit einer Fußgrenze zusammen. Nach dem Knick bleibt der Konturverlauf bis zum Phrasenende flach auf tiefem Niveau oder fällt deklinationsbedingt leicht ab. Die phrasenletzte Silbe kann optional durch final lowering noch einmal zusätzlich abgesenkt werden. Dies kann in allen Varietäten stattfinden, ohne dass eine Regionenspezifik feststellbar ist. Insgesamt kann die Knickkontur als tonologische Folge eines bitonalen Akzenttons und eines optionalen tiefen Grenztons beschrieben werden: H*+L (L)%. Durch die Einklammerung wird der optionale finale Grenzton symbolisiert. Das tief-flache Konturstück zwischen dem Knick und der durch final lowering abgesenkten phrasenletzten Silbe wird durch die Ausbreitung (spreading) des (ersten) L-Tons erfasst (vgl. Féry 1993). Ebenfalls in allen Varietäten vertreten, doch mit einem Übergewicht im Dresdnerischen, ist der lineare Fall. Hierbei handelt es sich um einen gleichmäßig fallenden Verlauf ausgehend vom hohen Startpunkt in der Nukleussilbe bis zum tiefem Niveau des finalen Grenztons. Das Ausbleiben eines Knicks im Konturverlauf deutet darauf hin, dass der Akzentton nicht bitonal, sondern monotonal ist. Im Gegensatz zur Knickkontur ist zur Kennzeichnung des linearen Falls die Spezifizierung des finalen Grenztons als L% erforderlich. Als tonologische Beschreibung dieser Konturvariante bietet sich daher H* L% an. Als ein Dresdner und höchstwahrscheinlich auch sächsisches Spezifikum kann der Fallbogen gelten, der zur Markierung von Emphase eingesetzt wird. Hier bleibt der Verlauf nach dem Gipfel in der Akzentsilbe für mindestens eine Nachlaufsilbe noch auf hohem Niveau. Dadurch findet die Fallbewegung insgesamt verzögert statt. Teilweise wird am Phrasenende auch nicht die Lösungstiefe erreicht, sondern der Verlauf endet in der Mitte des Sprechstimmumfangs (‚Halbschluss‘; vgl. Gericke 1963). Zur tonologischen Interpretation wird die Struktur H*>> L% angesetzt. Wie beim linearen Fall liegt auch hier ein monotonaler Akzentton zugrunde. Die
163
Phonetik der nuklearen Fallkontur
verzögerte Fallbewegung wird mit dem Diakritikum ‚>>‘ angedeutet, das eine Ausdehnung des Hochtons in den Nachlauf hinein andeutet. Im Endergebnis sind die folgenden regionalspezifischen Variationsaspekte der Fallkontur festzuhalten:
• • • •
Knickkontur relativ selten in Dresden tendenziell frühere Lokalisierung des Knicks im Mannheimerischen hoher Anteil des linearen Falls in Dresden Fallbogen in Dresden
In Tab. 2 sind die drei Fallkontur-Varianten mit ihren tonologischen Beschreibungen zusammengestellt. Tab. 2 Übersicht über die drei Varianten der Fallkontur und ihre tonologische Beschreibung
Knickkontur
Varianten der Fallkontur tonologische schematischer Struktur Verlauf H*+L (L)%
linearer Fall
H* L%
H-l%
Fallbogen (nur Dresden)
H*>> L%
H-h-l%
phonetische Varianten H-l-l% H-l-%
4.1.2 F0-Umfang, Gipfel und finaler Tiefpunkt der Fallkontur In der vorangegangenen Analyse wurden die Verlaufsparameter der Fallkontur ohne Bezug zur tatsächlichen oder relativen Tonhöhe untersucht. So wurde z.B. angenommen, dass der Gipfel in der Nukleussilbe ‚hoch‘ liegt und die Phrasengrenze ‚tief‘. Es wurde jedoch nicht ausgeführt, was mit den relativen Bezeichnungen ‚hoch‘ oder ‚tief‘ tatsächlich gemeint ist. In der folgenden Analyse steht daher nun die Variation der ‚Eckpunkte‘ der Fallkontur im Vordergrund, i.e. der Gipfel der Nukleussilbe, der tiefe Phrasengrenzton sowie abgeleitet davon der genutzte F0-Umfang. Um Vergleichbarkeit zwischen den SprecherInnen bzw. Varietäten zu gewährleisten, scheidet eine Analyse der absoluten Frequenzwerte aus. Stattdessen werden die absoluten Werte in relative konvertiert, indem ein Vergleich mit den individuellen Durchschnittswerten durchgeführt wird. Dazu wird der zur Realisierung der Fallkontur genutzte F0-Umfang (UmfangFall) mit dem globalen F0-Umfang (Umfangglobal) in Bezug gesetzt; die gleichen Analysen werden für die Gipfelhöhe (MaxFall) und die Lage des Grenztons (MinFall) durchgeführt, die relativ zu den Referenzwerten Maxglobal und Minglobal betrachtet werden.
164
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
4.1.2.1 F0-Umfang der Fallkontur In Kap. 2.5.5 wurde für jedeN SprecherIn der individuell genutzte F0-Umfang in einem zusammenhängenden Aufnahmeausschnitt ermittelt (Umfangglobal). Dieser globale F0-Umfang basiert damit auf Werten aus allen in der Varietät vorkommenden Konturen. Er setzt sich sowohl aus Fall- als auch aus Anstiegskonturen zusammen und repräsentiert den durchschnittlich genutzten F0-Umfang eines Sprechers. Dieser F0-Umfang dient nun als Referenzwert, um festzustellen, wie sich der F0-Umfang für die Fallkontur (UmfangFall) zum durchschnittlichen F0-Umfang verhält. Dabei besteht die Möglichkeit, dass für die Fallkontur ein kleinerer oder ein größerer F0-Umfang genutzt wird. Präferenzen für die eine oder die andere Option können dann als regionale Unterschiede interpretiert werden. Darüber hinaus ist zu untersuchen, auf welche Ursachen die eventuellen Unterschiede bei UmfangFall zurückzuführen sind: Werden sie durch unterschiedliche Lagen des Gipfels oder des finalen Tiefpunkts hervorgerufen (oder aus einer Kombination aus beiden)? Zur Ermittlung der F0-Umfänge der Fallkonturen werden das F0-Maximum in der Nukleussilbe und der F0-Wert am Ende der IP berücksichtigt. Um eine Normalisierung der individuell unterschiedlichen Umfänge zu gewährleisten, werden die gemessenen Hertzwerte in Halbtöne (st) konvertiert. Der F0-Umfang ergibt sich dann aus der Subtraktion des größeren Werts vom kleineren. Abb. 15 illustriert an einer schematischen Fallkontur die Messpunkte für das F0-Maximum und F0-Minimum. Im Beispiel liegen die beiden Werte innerhalb des durch den globalen F0-Umfang bereitgestellten Frequenzbereichs; UmfangFall ist hier also kleiner als Umfangglobal. Die Datenbasis setzt sich aus insgesamt 1431 Nuklei zusammen, die alle mindestens zwei Silben aufweisen. Einsilbige Nuklei bleiben ausgeschlossen, da hier die teilweise auftretende Trunkierung des Fallverlaufs zu einer Verfälschung der Umfangbestimmung führen würde.9 Maxglobal
MaxFall
Umfangglobal
UmfangFall
Minglobal MinFall
Abb. 15 Schematische Darstellung des Verhältnisses zwischen globalem F0-Umfang (Umfangglobal) und Umfang der Fallkontur (UmfangFall)
Es bedarf zunächst einer Erklärung, wie es überhaupt zu einem Unterschied zwischen den beiden Umfangsmaßen UmfangFall und Umfangglobal kommen kann. Bei der Bestimmung des individuellen Referenzwertes Umfangglobal werden alle vorkommenden Konturen in einem zusammenhängenden Aufnahmeausschnitt berücksichtigt. Neben den Fallkonturen zählen dazu natürlich auch die Anstiegskonturen (kontinu9
Das Merkmal ‚Trunkierung/Kompression’ wird in Kap. 4.1.4.2 untersucht.
165
Phonetik der nuklearen Fallkontur
ierlicher Anstieg und Plateaukonturen). Da die Anstiegskonturen insgesamt häufiger auftreten, wird durch deren Maximalwerte der Maximalwert des Gesamtumfangs maßgeblich bestimmt. Wenn also UmfangFall niedriger ist als Umfangglobal, wie es sich nach Tab. 3 für die meisten Varietäten andeutet, so ist dies darauf zurückzuführen, dass für die Anstiegskonturen ein größerer Umfang verwendet wird als für die Fallkonturen. Tab. 3 stellt die Werte für die durchschnittlich in der Fallkontur genutzten F0-Umfänge in Halbtönen bereit. Generell wird ein Bereich zwischen 6,43 st (Dresden) und 9,56 st (Duisburg) ausgenutzt. Mit ca. 3 st ist der rein numerische Unterschied zwischen den Varietäten damit relativ hoch. Einige der geographisch benachbarten Varietäten weisen gleich große F0-Umfänge auf: Berlinisch und Dresdnerisch zählen zu den Varietäten, die den geringsten Umfang für die Fallkontur ausnutzen (zwischen 6,4 und 7 st), während sich die Fallkonturen der rheinischen Varietäten aus Köln und Duisburg mit Werten um 9 st in größeren Umfängen ereignen. Auch bei diesen Gegenüberstellungen der absoluten Werte manifestieren sich damit schon Dialektunterschiede, insbesondere zwischen den östlichen und den westlichen Varietäten. Im mittleren Bereich der untersuchten Varietäten um 8 st rangieren das Hamburgische, Mannheimerische und Münchnerische. Tab. 3 N, Mittelwert und Standardabweichung [st] für UmfangFall, Umfangglobal und die Differenz zwischen beiden Umfängen Stadt
N
HH B DD DU K MA M Total
203 197 165 207 230 226 203 1431
UmfangFall Mittelwert[st] 8,24 6,96 6,43 9,56 8,81 7,42 7,95
Standardabweichung [st] 3,66 3,14 3,09 3,79 3,78 2,97 3,80
Umfangglobal Mittelwert [st]
Differenz Umfangglobal UmfangFall [st]
8,61 8,19 8,34 9,43 9,00 8,36 9,00
0,36 1,23 1,91 -0,13 0,18 0,94 1,06
Im Vergleich des Durchschnittswerts UmfangFall zum global genutzten Umfang (Umfangglobal) lassen sich nun regionale Unterschiede ermitteln. Hierbei können drei Möglichkeiten unterschieden werden: In der Fallkontur kann – relativ zu Umfangglobal – ein kleinerer, ein größerer oder der gleiche F0-Umfang genutzt werden. Zur Ermittlung der Differenz wird UmfangFall von Umfangglobal subtrahiert (letzte Spalte in Tab. 3). Wenn die Differenz zwischen den beiden Umfängen im positiven Bereich liegt, so wird für die Fallkontur ein kleinerer Umfang genutzt; bei negativen Differenzwerten ist UmfangFall größer als Umfangglobal. Tab. 3 zeigt, dass die Differenz zwischen den beiden Umfängen immer positiv bzw. nahe Null ist, d.h. für die Fallkontur wird meist ein kleinerer F0-Umfang genutzt. In Duisburg besteht praktisch kein Unterschied zwischen Umfangglobal und UmfangFall (Differenz: -0,13 st). In den übrigen
166
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Varietäten wird für die Fallkontur ein um 0,4 bis 1,9 st niedrigerer Umfang genutzt. Hier fällt insbesondere das Dresdnerische auf, wo die Fallkonturen mit einem fast zwei Halbtöne kleineren Umfang realisiert werden. Obwohl also den Dresdner SprecherInnen durchweg ein größerer Tonumfang zur Verfügung steht, wird für die Fallkontur ein im Vergleich mit den übrigen Varietäten geringerer Umfang ausgenutzt. Wie schon für den globalen F0-Umfang deutet sich auch hier in der relativ hohen Standardabweichung um 3 st (vierte Spalte in Tab. 3) an, dass die Variation des Umfangs innerhalb aller Varietäten recht hoch ist. Bedingt wird die Variation durch individuelle (i.e. habituelle) und diskursive Faktoren. UmfangFall ist in hohem Maße abhängig vom Grad der Abgeschlossenheit: Je abgeschlossener ein Redebeitrag ist, desto tiefer wird der Gipfel der Fallkontur gelegt, und daraus kann dann ein verkleinerter F0-Umfang resultieren. Ein aus diesen Gründen tiefer gelegter Gipfel muss jedoch nicht zwangsläufig zu einem reduzierten Umfang führen, denn parallel zur Gipfelabsenkung kann auch eine Tieferlegung des finalen Tiefpunkts erfolgen, wodurch keine Verkleinerung, sondern lediglich eine Verlagerung des Umfangs in einen tieferen Frequenzbereich entsteht.10 Um auch diese Variation darstellen zu können, ist zusätzlich eine separate Analyse der Gipfel und der finalen Tiefpunkte erforderlich. Diese Überlegungen unterstreichen die Notwendigkeit, die Variation von UmfangFall mit feineren Methoden zu analysieren. Dazu ist zunächst ein Normalisierungsverfahren erforderlich. Da nämlich die Umfänge der einzelnen Sprecher teilweise in unterschiedlichen Regionen des Tonumfangs liegen, würde eine bloße Mittelwertbildung auf der Basis der absoluten Frequenzwerte nicht zu den korrekten Ergebnissen führen. Statt der Mittelwerte für die Varietät müssen daher die individuellen Umfänge der Sprecher berücksichtigt und jeweils in Relation zu einem Referenzwert gebracht werden. Um die jeweilige Abweichung der Fallkontur vom globalen Umfang zu erhalten, wird jeder einzelne Wert für UmfangFall mit dem entsprechenden Wert für Umfangglobal verglichen. Umgerechnet in Prozentwerte erhält man dann die relative Abweichung vom globalen Umfang. Eine Beispielrechnung: Umfangglobal für den Hamburger Sprecher HH03 beträgt 7,22 st. In einer konkreten Fallkontur nutzt dieser Sprecher z.B. einen UmfangFall von 6,3 st. Die Differenz zwischen beiden Werten beträgt 0,92 st und UmfangFall liegt für diesen Beleg um 16,7 % tiefer als der Referenzwert Umfangglobal dieses Sprechers. Dieses Verfahren wurde auf alle individuellen Werte für UmfangFall angewendet, so dass man eine Menge von prozentualen Abweichungen vom Referenzwert Umfangglobal erhält. Durch diese Normalisierung mit Hilfe der (relativen) Prozentwerte ist es nun möglich, das Variationsspektrum zu visualisieren und zu analysieren. Zur 10
Durch eine radikale Tieferlegung des Gipfels kann die Verkleinerung des Umfangs so weit gehen, dass keine Fallbewegung mehr stattfindet, sondern ein flach-tiefer Verlauf zu beobachten ist. In diesen Fällen liegt total Downstep (Grabe 1998a) vor, der im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter berücksichtigt wird.
167
Phonetik der nuklearen Fallkontur
besseren Übersichtlichkeit werden die individuellen Werte gemäß dem Grad der Abweichung in Klassen mit einer Größe von 10 % eingeteilt. Da der Wert für UmfangFall entweder größer oder kleiner als Umfangglobal sein kann, wird zwischen positiven und negativen Abweichungsklassen unterschieden. Die Abweichungsklassen sowie ihre Größe sind in Tab. 4 dargestellt. Wenn z.B. ein konkreter Abweichungswert für UmfangFall um 15 % tiefer als Umfangglobal liegt, so wird er der negativen Abweichungsklasse ‚-20’ zugeordnet, denn in dieser Klasse werden die negativen Differenzen zwischen 10 und 20 % eingeordnet. Wenn ein Abweichungswert z.B. um 35 % höher als Umfangglobal liegt, so ist er der positiven Abweichungsklasse ‚+30’ zuzuordnen. Bei den Abweichungsklassen ‚-10’ und ‚+10’ ist die Differenz zwischen dem globalen und dem genutzten Umfang nur gering (maximal 10 % tiefer bzw. höher als der Referenzwert), so dass hier eine weitgehende Identität von UmfangFall und Umfangglobal angenommen werden kann. Tab. 4 Definition der negativen und positiven Abweichungsklassen Negative Abweichungsklassen AbweichungsBereich der Abweiklasse chungsklasse -10 0-10 % -20 10-20 % -30 20-30 % -40 30-40 % -50 40-50 % -60 50-60 % -70 60-70 % -80 und mehr mehr als 70 %
Positive Abweichungsklassen AbweichungsBereich der Abweiklasse chungsklasse +10 0-10 % +20 10-20 % +30 20-30 % +40 30-40 % +50 40-50 % +60 50-60 % +70 60-70 % +70 und mehr mehr als 70 %
Zur Visualisierung des Variationsspektrums wird eine Histogramm-Darstellung gewählt, in der die Häufigkeiten der einzelnen Abweichungsklassen an der Höhe der Balken abgelesen werden können. Auf diese Weise ergibt sich für jede Stadt ein Histogramm, dessen Variationsspektrum Häufigkeitsverdichtungen in bestimmten Klassen erkennen lassen (Abb. 16). Die einzelnen Histogramme sind so angeordnet, dass sie der ungefähren geographischen Lokalisierung der Städte entsprechen. Unterschiede in den Häufigkeitsverdichtungen deuten auf regionale Unterschiede zwischen den Stadtvarietäten. Die negativen Abweichungsklassen (links) sind farblich von den positiven Abweichungsklassen (rechts) abgesetzt: Bei den negativen Abweichungsklassen wird UmfangFall zunehmend kleiner als Umfangglobal. Rechts davon befinden sich die positiven Abweichungsklassen, bei denen UmfangFall zunehmend größer wird als Umfangglobal. Diese detaillierte Analyse mit Hilfe der Häufigkeitsklassen ist notwendig, um hinter der hohen Variation des F0-Umfangs verborgene Präferenzen herausarbeiten zu können. Durch den Vergleich der Lage der Häufigkeitsverdichtungen lassen sich dann Aussagen über die regionale Diversifikation ableiten.
168
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen Hamburg UmfangFall < Umfangglobal UmfangFall > Umfangglobal
14
12
8 6
Duisburg UmfangFall < Umfangglobal
14
UmfangFall > Umfangglobal
+70
mehr
+60
+50
+40
+30
+20
-10
Dresden UmfangFall < Umfangglobal UmfangFall > Umfangglobal
14 12
6
mehr
+70
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
mehr
mehr
+70
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
-20
-30
-40
-50
-60
-70
0 mehr
2
0
-20
4
2
-30
4
8
-40
6
10
-50
8
-60
10
-70
Häufigkeit [%]
12 Häufigkeit [%]
+10
mehr
+70
mehr
+60
+50
+40
+30
+20
-10
+10
-20
-30
-40
-50
-60
-70
0 mehr
2
0
-20
4
2
-30
4
-40
6
10
-50
8
-60
10
-70
Häufigkeit [%]
12 Häufigkeit [%]
Berlin UmfangFall < Umfangglobal UmfangFall > Umfangglobal
14
Köln UmfangFall < Umfangglobal UmfangFall > Umfangglobal
14 Häufigkeit [%]
12 10 8 6 4 2 mehr
+70
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
-20
-30
-40
-50
-60
-70
mehr
0
Mannheim UmfangFall < Umfangglobal UmfangFall > Umfangglobal
16 14
10
6
mehr
+70
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
-20
mehr
+70
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
-20
-30
-40
-50
-60
0 -70
2
0
-30
4
2
-40
4
-50
6
8
-60
8
-70
10
mehr
Häufigkeit [%]
12
mehr
Häufigkeit [%]
München UmfangFall < Umfangglobal UmfangFall > Umfangglobal
12
Abb. 16 Variationsspektren für UmfangFall in Relation zu Umfangglobal
Für das Hamburgische lässt sich im Histogramm erkennen, dass die Mehrzahl der Belege in der Klasse ‚-10‘ liegt (13 %); d.h. in diesen Belegen liegt UmfangFall nur bis maximal 10 % tiefer als Umfangglobal. Ca. 11 % der Belege befinden sich in Klasse ‚-20‘, d.h. diese Belege liegen zwischen 10 % und 20% tiefer als Umfangglobal. Eine ähnliche hohe Anzahl befindet sich in der Klasse ‚-40‘, in der UmfangFall um bis zu 40 % kleiner sein kann als Umfangglobal. Vergleichbar hohe Häufigkeiten finden sich jedoch auch in den positiven Abweichungsklassen ‚+10‘ und ‚+20‘. Das Maximum in der Abweichungsklasse ‚-10‘ und die leichte Verschiebung des Variationsspektrums in Richtung negative Klassen legen insgesamt nahe, dass im Hamburgischen für die Fallkonturen ein leicht reduzierter F0-Umfang präferiert wird. Eine vergleichbare Distribution lässt sich für das Duisburgische feststellen, allerdings ist hier
169
Phonetik der nuklearen Fallkontur
zusätzlich noch ein höherer Anteil in den positiven Abweichungsklassen zu erkennen; die am stärksten vertretene Klasse ist hier ‚+20‘, was auf einen hohen Anteil an Belegen mit erweitertem F0-Umfang hindeutet. Insgesamt kann für alle Varietäten eine mehr oder weniger ausgeprägte negative Abweichung von Umfangglobal beobachtet werden, die sich schon oben in Tab. 3 abzeichnete. Dennoch deuten sich einige regionale Unterschiede an. Mit einer Präferenz im Klassenbereich von ‚+20‘ bis ‚-40‘ bildet die Gruppe der westlichen Varietäten eine homogene Gruppe. Dabei ist die Klasse ‚-10‘ am stärksten vertreten. In Hamburg, Duisburg, Köln und Mannheim werden somit leicht verkleinerte Umfänge präferiert. Die östlichen Varietäten Berlinisch, Dresdnerisch und Münchnerisch weisen ein teilweise anderes Variationsspektrum auf. Besonders in Dresden und München, etwas weniger ausgeprägt auch in Berlin, werden Fallkonturen mit deutlich verringertem UmfangFall realisiert. Dieser Befund manifestiert sich generell darin, dass die Variationsspektren hier stärker als im Westen nach links verschoben sind. In Dresden und München zeigt sich dies an den Häufigkeiten in den tiefen negativen Abweichungsklassen ‚-60‘ und größer, die bei den westlichen Varietäten praktisch nicht vorhanden sind. Dies spricht für eine tendenzielle Verbreitung von Fallkonturen mit nur geringem F0-Umfang in den östlichen Varietäten. Während in Berlin und München jedoch auch noch nennenswerte Häufigkeiten im positiven Bereich liegen, befinden sich in Dresden fast alle Balken in der Region ab Klasse ‚-20‘. Das Zentrum des Variationsspektrums befindet sich in der Nähe der Klassen ‚-40‘ und ‚-50‘. Zum Vergleich: In Hamburg und Duisburg liegt das Zentrum bei ‚-10‘ und ist damit deutlich höher. Es darf also davon ausgegangen werden, dass im Dresdnerischen der reduzierte Umfang für die Fallkontur eindeutiger und stärker als in den übrigen Varietäten bevorzugt wird. Werden aus allen einzelnen Abweichungen vom persönlichen Referenzwert Mittelwerte gebildet, so ergeben sich die Werte in Tab. 5. Obwohl hier die Häufigkeitsverteilungen und -konzentrationen in bestimmten Klassen relativ zum Referenzwert Umfangglobal nicht mehr erkennbar sind, so wird doch deutlich, dass der Umfang im Dresdnerischen rund ein Viertel kleiner ist (-23,97 %) als der global zur Verfügung stehende Umfang. Die Mittelwerte der übrigen Städte liegen alle deutlich niedriger, d.h. im Durchschnitt wird dort für die Fallkontur nur ein leicht reduzierTab. 5 Durchschnittliche Abweichung von UmfangFall von Umfangglobal in [%] Stadt HH B DD DU K MA M
durchschnittliche Abweichung von UmfangFall von Umfangglobal [%] -4,95 -10,03 -23,97 -1,81 -1,16 -11,14 -11,14
170
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
ter Umfang verwendet. Am geringsten ist er im Kölnischen (-1,16 %) und Duisburgischen (-1,81 %); hier sind die beiden F0-Umfänge nahezu identisch. In Abb. 17 sind die Durchschnittswerte für UmfangFall in Relation zu Umfangglobal für drei Städte schematisiert. Erkennbar ist der Unterschied zwischen dem Duisburgischen, das fast den gesamten globalen Umfang nutzt, und dem Dresdnerischen, wo der deutlich reduzierte Umfang präferiert wird. DU Umfangglobal
B
DD
75 % 50 %
Abb. 17 Schema der durchschnittlich für die Fallkontur genutzten F0-Umfänge im Duisburgischen, Berlinischen und Dresdnerischen in Relation zu Umfangglobal
In der Analyse konnten zwar regionale Unterschiede im Verhältnis UmfangFall mit Umfangglobal herausgearbeitet werden, es ist jedoch noch nicht geklärt, worauf diese Unterschiede zurückzuführen sind. Für den reduzierten F0-Umfang (insbesondere des Dresdnerischen) können mindestens zwei Modifikationen des Tonverlaufs verantwortlich sein: Entweder erfolgt eine Tieferlegung des Gipfels, wodurch die Fallbewegung tiefer beginnt und damit nicht den vollen Referenz-Umfang durchlaufen kann, oder der finale Tiefpunkt liegt höher als der Referenzwert; in letzterem Fall wird also nicht die finale Lösungstiefe erreicht. Die folgenden Analysen widmen sich der Variation der Gipfelpositionierung und der finalen Lösungstiefe. 4.1.2.2 F0-Gipfel der Fallkontur Die Höhe des F0-Gipfels, der immer in der Nukleussilbe liegt, ist im Wesentlichen abhängig von der semanto-pragmatischen Relevanz der jeweiligen Phrase: Besitzt die Phrase bzw. das akzentuierte Lexem des Nukleus hohe semanto-pragmatische Relevanz, so wird bei Fallkonturen der Gipfel hoch gelegt bzw. ragt aus dem umgebenden Tonverlauf der Nebenakzente und unbetonten Silben deutlich heraus. Umgekehrt lässt sich bei geringer semanto-pragmatischer Relevanz beobachten, dass der Gipfel sich kaum aus der Gesamtkontur heraushebt. Den gleichen Einfluss auf die Gipfelhöhe übt die emotionale Involviertheit der Sprecherin/des Sprechers aus: In diesen Fällen kann die Gipfelhöhe weit über den durchschnittlichen Gipfel hinausragen, woraus sich auch der oftmals erweiterte Sprechstimmumfang in Phrasen mit starker emotionaler Beteiligung erklärt. Die vertikale Skalierung des F0-Gipfels ist damit durch diskursive Faktoren bestimmt und kann besonders in spontansprachlichen Daten beträchtlich variieren. Nach Pierrehumbert (1980) und Ladd (1993) ist die Gipfelhöhe eines Akzents auch unabhängig von den umgebenden Akzenten und kann – innerhalb eines bestimmten Rahmens – frei variieren (sog. Free
171
Phonetik der nuklearen Fallkontur
Gradient Variability hypothesis). Auch für die vorliegende Untersuchung ist daher eine hohe Variation des Merkmals zu erwarten. Analog zum Verfahren der relationalen F0-Umfangsbestimmung wird für jede Fallkontur die Gipfelhöhe (MaxFall) mit dem individuellen globalen Referenzwert für den Gipfel (Maxglobal) der Sprecherin/des Sprechers verglichen. Für jede einzelne Fallkontur kann somit die Abweichung vom Referenzwert Maxglobal bestimmt werden. Zur Visualisierung des Variationsmusters werden wiederum Histogramme eingesetzt (Abb. 18). Die Aufteilung in negative und positive Abweichungsklassen entspricht derjenigen für UmfangFall (s.o. Tab. 4). Bei den resultierenden Häufigkeitsverteilungen handelt es sich meist um normalverteilte Gauß-Kurven, d.h. um einen Verdichtungspol mit hohen Häufigkeiten verteilen sich die Extremwerte mit schnell geringer werdenden Häufigkeiten. Die selten vertretenen Klassen Berlin
Hamburg 30
MaxFall < Maxglobal
MaxFall > Maxglobal
Häufigkeit [%]
20 15 10
20 15 10 5
5
0
0 mehr -50
-40
-30
-20
-10
+10
+20
+30
mehr -50
+40 +50 mehr
MaxFall < Maxglobal
MaxFall > Maxglobal
-30
-20
-10
+10
+20 +30
MaxFall < Maxglobal
25
+40
+50 mehr
MaxFall > Maxglobal
20
20
Häufigkeit [%]
Häufigkeit [%]
-40
Dresden
Duisburg 25
MaxFall > Maxglobal
25
25 Häufigkeit [%]
MaxFall < Maxglobal
30
15 10
15 10 5
5
0
0 mehr -50
-40
-30
-20
-10
+10
+20
+30
+40
mehr -50
+50 mehr
-40
-30
-20
-10
+10
+20 +30
+40
+50 mehr
Köln 25
MaxFall < Maxglobal
MaxFall > Maxglobal
Häufigkeit [%]
20 15 10 5 0 mehr -50
-40
-30
-20
-10
+10
+20
+30
+40
+50 mehr
Mannheim 25
MaxFall < Maxglobal
München
MaxFall > Maxglobal 25
MaxFall > Maxglobal
20 Häufigkeit [%]
Häufigkeit [%]
20
MaxFall < Maxglobal
15 10 5
15 10 5
0
0 mehr -50
-40
-30
-20
-10
+10
+20
+30
+40
+50 mehr
mehr -50
Abb. 18 Variationsspektren für MaxFall in Relation zu Maxglobal
-40
-30
-20
-10
+10
+20
+30
+40
+50 mehr
172
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
von ‘+30‘ an aufwärts beinhalten Belege mit stark erhöhtem Gipfel, wie er häufig bei Emphase zu beobachten ist. Wie schon beim Merkmal UmfangFall deutet sich auch in den Variationsspektren in Abb. 18 eine West-Ost-Dichotomie an. Für die westlichen Städte Duisburg, Köln und Mannheim lassen sich für das Merkmal MaxFall ungefähr die gleichen Häufigkeitsmuster beobachten: Das Maximum liegt hier immer in Klasse ‚-10‘, die Gipfel der Fallkontur erreichen damit die Werte von Maxglobal oder liegen höchstens 10 % tiefer. Weitere Maxima befinden sich in den Klassen ‚+10‘ (also leicht höher als der persönliche Referenzwert) oder ‚-20‘. Die drei Varietäten entlang des Rheins verhalten sich also für dieses Merkmal gleichsinnig und präferieren Gipfelhöhen, die sich in der Nähe der persönlichen Referenzwerte Maxglobal befinden. Bei den drei östlichen Varietäten (Berlin, Dresden, München) liegen die Gipfel relativ zum globalen Umfang etwas tiefer. Es dominieren die Klassen ‚-20‘ und ‚-30‘, i.e. die Gipfel können maximal bis zu 40 % unter dem persönlichen Referenzwert liegen. Am deutlichsten manifestiert sich diese Tendenz im Berlinischen, denn hier sind in den Klassen oberhalb von ‚-20‘ kaum Belege vertreten, und die meisten Gipfel liegen damit deutlich tiefer als Maxglobal. Auch im Münchnerischen befinden sich die Gipfel mit einer Differenz von bis zu 30 % deutlich unterhalb des Referenzpunktes Maxglobal. Das Hamburgische schließlich nimmt eine Mittelstellung zwischen den Varietäten der Rheinschiene und des Ostens ein. Hier liegen die Gipfel präferiert tiefer als Maxglobal (Maximum in der Häufigkeitsklasse ‚-20‘), jedoch nicht so tief wie in Dresden oder München. Insgesamt ergibt sich damit für die intonatorische Variationsdimension der vertikalen Gipfelpositionierung, dass – relativ zum Referenzwert Maxglobal – Fallkonturen im Osten (Berlin, Dresden, München) mit tieferen Gipfeln realisiert werden als in den westlichen Varietäten (Duisburg, Köln, Mannheim). Am deutlichsten manifestiert sich der Kontrast zwischen dem Berlinischen und dem Mannheimerischen. Diese Tendenz wurde bereits von Martens (1952) beobachtet, der für den Vergleich zwischen dem Hamburgischen und Münchnerischen zeigen konnte, dass in München die Hauptakzentsilbe tiefer realisiert wird als in Hamburg. In Abb. 19, die aus Martens‘ Untersuchung entnommen ist, ist zu erkennen, dass im Satz Die Bedienung ist denkbar einfach die Nukleussilbe EIN- im Hamburgischen deutlich höher realisiert wird als in München. Die höhere Lage wird erreicht, indem der Gipfel aus dem allgemeinen Verlauf herausgehoben wird und damit gegen den Deklinationstrend verläuft. Demgegenüber fügt sich in München die Nukleussilbe in den allgemeinen Deklinationsverlauf der Phrase ein und liegt folglich auch tiefer. Das Ergebnis von Martens kann zwar in der vorliegenden Untersuchung für den Kontrast zwischen Hamburg und München im Wesentlichen bestätigt werden, allerdings ist der Unterschied zwischen diesen beiden Städten relativ gering. Viel auffälliger ist der Kontrast zwischen den ebenfalls östlichen Varietäten aus Berlin und Dresden, die gemeinsam den westdeutschen Varietäten gegenüberstehen. Die von Martens
Phonetik der nuklearen Fallkontur
173
Abb. 19 Vergleich der Höhe der Nukleussilbe in der Phrase Die Bedienung ist denkbar einfach im Hamburgischen (durchgezogene Linie) und Münchnerischen (gestrichelte Linie) aus Martens (1952:291); die Skalierung der Tonhöhe (rechts) erfolgt in Vierteltönen; im Hamburgischen wird die Nukleussilbe EIN- deutlich höher realisiert als im Münchnerischen
angenommene Unterscheidung zwischen dem Nord- und Süddeutschen entpuppt sich damit eher als West-/Ost-Unterscheidung. 4.1.2.3 Finaler Tiefpunkt der Fallkontur Deutlicher als für die vertikale Gipfelpositionierung kristallisieren sich bei der Variation des finalen Tiefpunktes (MinFall) regionale Unterschiede heraus. In analoger Weise zur Analyse von MaxFall wird beim Merkmal MinFall jeder einzelne Messwert für den Endpunkt einer Fallkontur mit dem jeweiligen persönlichen Referenzwert für den Tiefpunkt der globalen F0-Umfangsberechnung (Minglobal) verglichen. Die Ergebnisse sind in den Histogrammen in Abb. 20 dargestellt. Generell sind allen Varietäten Häufigkeitskonzentrationen um den Nullpunkt und/oder tiefer gemeinsam. Die finalen Tiefpunkte der Fallkontur sind damit häufig identisch mit dem Niveau von Minglobal. Für das Kölnische und ansatzweise auch das Mannheimerische ist dies die häufigste Option (deutliche Maxima in den Klassen ‚-10‘ und ‚+10‘). Für die übrigen Varietäten sind Häufigkeitskonzentrationen deutlich unterhalb des Nullpunkts festzustellen (Klasse ‚-20‘ und größer). Hier erreichen die meisten Fallkonturen finale Tiefpunkte, die unterhalb des globalen Durchschnitts Minglobal liegen. Besonders im Duisburgischen sind hohe Häufigkeiten in den Klassen ‚-30‘ und ‚-40‘ zu verzeichnen, die darauf hindeuten, dass die Fallkontur deutlich tiefer als Minglobal abfällt. Dieser Befund lässt sich auf den Einfluss der ‚phrasenfinalen Absenkung‘ (final lowering; vgl. Hirschberg/Pierrehumbert 1986) zurückführen, die dafür sorgt,
174
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen Berlin
Hamburg 30
MinFall < Minglobal
MinFall > Minglobal
Häufigkeit [%]
Häufigkeit [%]
20 15 10
20 15 10 5
5
0
0 mehr -50
-40
-30
-20
MinFall < Minglobal
-10
+10
+20
Duisburg
+30
+40
mehr -50
+50 mehr
-40
-30
-20
-10
+10
+20
+30
+40
+50 mehr
Dresden
MinFall > Minglobal
MinFall < Minglobal
18
MinFall > Minglobal
16 Häufigkeit [%]
Häufigkeit [%]
MinFall > Minglobal
25
25
20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0
MinFall < Minglobal
30
14 12 10 8 6 4 2 0
mehr -50
-40
-30
-20
-10
+10
+20
+30
+40
+50 mehr
mehr -50
-40
-30
-20
-10
+10
+20
+30
+40
+50 mehr
Köln 25
MinFall < Minglobal
MinFall > Minglobal
Häufigkeit [%]
20 15 10 5 0 mehr -50
-40
-30
-20
-10
+10
+20
+30
+40
+50 mehr
Mannheim 25
MinFall < Minglobal
München
MinFall > Minglobal
20
MinFall > Minglobal
20 Häufigkeit [%]
Häufigkeit [%]
MinFall < Minglobal
25
15 10 5
15 10 5
0
0 mehr -50
-40
-30
-20
-10
+10
+20
+30
+40
+50 mehr
mehr -50
-40
-30
-20
-10
+10
+20
+30
+40
+50 mehr
Abb. 20 Variationsspektren für MinFall in Relation zu Minglobal
dass zur Markierung von Abschlüssen F0 am Phrasenende besonders tief abgesenkt wird. Besondere Aufmerksamkeit verdient das Variationsmuster des Dresdnerischen. Im Vergleich mit dem Duisburgischen erscheint das gesamte Variationsmuster um zwei Klassen nach rechts verschoben. Zwar sind auch hier Belege mit tiefgelegten Akzenten anzutreffen, allerdings sind auch Häufigkeiten in den Klassen ‚+20‘ und ‚+30‘ zu verzeichnen, i.e. MinFall ist hier um 20 bis 30 % höher als der durchschnittliche Referenzwert. Damit weist das Dresdnerische einen merklichen Anteil an Fallkonturen auf, bei denen die finale Lösungstiefe nicht erreicht wird; es liegt ‚Halbschluss‘ vor (vgl. Gericke 1963). Im Gegensatz zum Kölnischen, wo die geringe Lösungstiefe auf die Emphasestrategie einer Sprecherin beschränkt ist,
Phonetik der nuklearen Fallkontur
175
handelt es sich hier um ein Phänomen, das alle Dresdner Sprecher kennzeichnet. Das dresdnerische Variationsspektrum unterscheidet sich deutlich vom benachbarten Berlinischen und auch vom Münchnerischen, Duisburgischen und Hamburgischen. Zwar finden sich auch in Köln und Mannheim noch einige Belege mit geringerem Ausmaß der Fallbewegung (Anteile in Klasse ‚+20‘), doch reichen diese Anteile nicht an das Dresdnerische heran; Anteile in der Klasse ‚+30‘ sind in diesen Varietäten praktisch nicht vorhanden. Damit ist die Ursache für den oben festgestellen reduzierten UmfangFall des Dresdnerischen gefunden: Da hier bei fallenden Verläufen der finale Tiefpunkt teilweise nicht die Region von Minglobal erreicht, wird der untere Bereich des zur Verfügung stehenden Umfangs nicht immer genutzt. Zum reduzierten UmfangFall trägt auch bei, dass in Dresden (wie auch im Berlinischen und Münchnerischen) die Gipfel der Fallkonturen etwas tiefer liegen als der Durchschnitt Maxglobal. Deutlicher als in den übrigen Varietäten nutzt also das Dresdnerische einen kleineren Teil des zur Verfügung stehenden F0-Umfangs. Der reduzierte F0-Umfang ist sicherlich als ein exklusives Intonationsmerkmal des Dresdnerischen und möglicherweise auch des Sächsischen anzusehen. Interessanterweise weist das Berlinische, das in seiner Sprachgeschichte durch das Sächsische beeinflusst wurde und das auch in weiten Teilen intonatorische Merkmale mit dem Dresdnerischen gemeinsam hat, diese Eigenschaft nicht auf. Einschränkend muss jedoch hinzugefügt werden, dass im Dresdnerischen nur ca. 30 bis 40 % der Belege diese Auffälligkeit zeigen; in der Mehrzahl der Belege nutzt die Fallkontur einen F0-Umfang, der keinerlei regionale Spezifik aufweist. Gerickes (1963:356) Ergebnis für die Leipziger Umgangssprache, dass 75 % der Einheiten „auf einer Tonhöhenstufe enden, die um 5-7 j11 über dem unteren Fünftel des angewandten Stimmbereichs liegt“, lässt sich daher in der vorliegenden Untersuchung nicht voll bestätigen. In Einklang mit Gerickes Ergebnissen steht jedoch der Wert für die Differenz zwischen MinFall und Minglobal: Wenn in Dresden die finale Lösungstiefe nicht erreicht wird, so liegt diese Differenz zwischen zwei und drei Halbtönen (i.e. zwischen 4 und 6 Vierteltönen) und entspricht weitgehend den von Gericke gemessenen fünf bis sieben Vierteltönen. Das Phänomen der nicht erreichten Lösungstiefe ist zwar innerhalb der deutschen Regionalsprachen als spezifisch Sächsisch anzusehen, doch lässt es sich zur Kontextualisierung bestimmter Funktionen auch in anderen Sprachen nachweisen. So wird z.B. für das Niederländische ein „final incomplete fall“ angenommen, „to express that what is said is not terrifically important“ (Gussenhoven/Rietveld/Terken 1999). Ähnliche Konturen werden auch für das Englische angenommen und als das Ergebnis des phonologischen Prozesses ‚HALF-COMPLETION‘ beschrieben (vgl. Gussenhoven 1984, Grabe 1998a).
11
‚j‘ steht für ‚Viertelton‘, i.e. “Frequenzmaßstab von temperierten Vierteltönen über 16 Hz“; vgl. Gericke (1963:342).
176
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
4.1.2.4 Zusammenspiel von F0-Umfang, Gipfelhöhe und finalem Tiefpunkt Die Variation für UmfangFall, MaxFall und MinFall wird nun an ausgewählten Beispielen des Korpus illustriert. Abb. 21 repräsentiert für das Hamburgische den (seltenen) Fall, dass sowohl der Gipfel als auch der finale Tiefpunkt der Fallkontur relativ genau den Werten für den globalen Umfang dieses Sprechers entsprechen. An den Markierungen für die Ober- und Untergrenze von Umfangglobal ist erkennbar, dass das F0-Maximum auf NA(se) nur leicht oberhalb von Maxglobal liegt und das Phrasenende identisch mit Minglobal ist. Bei diesem Beispiel wird also nicht nur der gesamte Umfangglobal ausgenutzt, er liegt darüber hinaus auch ziemlich exakt in den Grenzen, die durch Maxglobal und Minglobal vorgegeben werden. HH03-8225 200 150
Umfangglobal 100 dann 0
kAnn man schon 0.5
ein klEin=n auf die
1
1.5
NA se kriegen
2
2.83
2.5
Abb. 21 Weitgehende Entsprechung von Umfangglobal und UmfangFall im hamburgischen Nukleus NAse kriegen
Wie die oben dargestellten Histogramme belegen, ist eine solch exakte Entsprechung von Lage und Größe von Umfangglobal und UmfangFall selten im Korpus anzutreffen. In der überwiegenden Mehrzahl sind Verschiebungen von Umfang, Gipfel und/oder finalem Tiefpunkt zu verzeichnen. So ist in allen Varietäten (überwiegend zur Kontextualisierung von Emphase) die markante Höherlegung des Gipfels vorhanden, wie sie im Münchnerischen Beispiel aber an die brEzeln verDIEnen=s nichts zu erkennen ist (Abb. 22). Die durchschnittliche Gipfelhöhe dieses Sprechers beträgt 137 Hz, in diesem Beleg liegt der Gipfel jedoch emphasebedingt deutlich höher MU05-15525
Pitch (Hz)
200 150
Umfangglobal 100
70 aber an die 50 0
brEzeln 0.5
ver
DIE
nen=s nichts 1
1.34
Abb. 22 Höhere Platzierung von MaxFall im münchnerischen Nukleus (ver)DIEnen=s nichts; dadurch erweiterter UmfangFall in Relation zu Umfangglobal
177
Phonetik der nuklearen Fallkontur
(241 Hz). Nach dem Gipfel folgt eine ausgedehnte Fallbewegung auf einen finalen Tiefpunkt von 81 Hz, der nur wenig tiefer als der persönliche Referenzwert liegt (87 Hz). Im Duisburgischen lässt sich als Besonderheit ein hoher Anteil von deutlich tiefer als Minglobal fallenden Konturen beobachten (final lowering). Im Beispiel wenn wenn ‚t SCHNEE gab liegt der Gipfel mit 175 Hz etwas oberhalb des Referenzwertes (161 Hz), der finale Tiefpunkt liegt mit 73 Hz deutlich tiefer als der Referenzwert (94 Hz). Ein Effekt dieser Ausdehnung in den tiefen Frequenzbereich im Duisburgischen ist, dass der F0-Umfang erweitert wird. DU04-7555 200 150
Umfangglobal 100 70 auch 50 0
sO 0.5
(???)
Abends wenn wenn 't SCHNEE 1
1.5
gab 2
2.31
Abb. 23 Tieferlegung von MinFall im duisburgischen Nukleus SCHNEE gab
In der Diskussion zu UmfangFall, MaxFall und MinFall hat sich das Dresdnerische mit dem teilweisen Nicht-Erreichen der finalen Lösungstiefe als die auffälligste Varietät erwiesen. In Abb. 24 ist zu sehen, dass auf dem Nukleus SCHIMmer ein deutlich erkennbarer Fall stattfindet; auch auditiv handelt es sich hierbei eindeutig um eine Fallkontur. Die Fallbewegung wird im Bereich zwischen 115 und 99 Hz ausgeführt. Der globale Umfang dieses Sprechers umspannt jedoch den Bereich zwischen 139 und 88 Hz (i.e. Umfangglobal = 51 Hz); für die Fallkontur wird also nur etwas mehr als ein Drittel des zur Verfügung stehenden Umfangs genutzt (16 Hz). Der finale Tiefpunkt des Falls liegt mit 99 Hz um 11 Hz über dem persönlichen Referenzwert des Sprechers. Diese Differenz mag zwar rein numerisch betracht als sehr gering erscheinen, doch aufgrund des differenzierteren Auflösungsvermögens des Gehörs bei den tiefen Tonlagen ist dieser Unterschied auditiv salient. Aber nicht nur in Be-
Umfangglobal
Abb. 24 Reduzierter UmfangFall im Dresdnerischen infolge der Tieferlegung des Gipfels und einer geringeren Lösungstiefe
178
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
zug auf den persönlichen Referenzwert liegt hier ein reduzierter Umfang vor, sondern auch dann, wenn nur der Umfang dieser Phrase betrachtet wird: Der Phrasenbeginn mit so=e ‘so ein’ liegt nämlich mit 90 Hz ziemlich dicht am persönlichen Referenzwert von 88 Hz. Im nächsten Beispiel (Abb. 25) wird am Ende des Nukleus Oschatz (Ortsname) ebenfalls nicht die Tiefe des Referenzwertes erreicht (ca. 118 statt 88 Hz); die Kontur endet in mittlerer Lösungstiefe. Dass in diesem Beleg tatsächlich mittlere Lösungstiefe vorliegt, manifestiert sich wiederum nicht nur im Vergleich mit dem Referenzwert, sondern auch im Vergleich mit dem F0-Verlauf vor dem Nukleus: Bereits zu Beginn der Phrase wird auf nach ein deutlich tieferes F0-Niveau realisiert als am Ende der Phrase. Im vorliegenden Fall zieht die geringere Lösungstiefe nicht gleichzeitig auch einen reduzierten Umfang nach sich, denn der Gipfel ist hier relativ hoch gelegt (195 Hz, d.h. 56 Hz oberhalb des Referenzwertes dieses Sprechers). DD01-6481
200 150 Umfangglobal
100 70 nach 50 0
O
schatz 0.5
0.79
Abb. 25 Geringe Lösungstiefe im Dresdnerischen
4.1.2.5 Zusammenfassung Die Analyse der akustischen Parameter, die für die vertikale Lage der Fallkontur im globalen F0-Umfang verantwortlich sind (UmfangFall, MaxFall, MinFall), erbrachte die folgenden Ergebnisse: (1) Es lassen sich Unterschiede beim für die Fallkontur ausgenutzten F0-Umfang feststellen: In Hamburg und Duisburg entsprechen sich UmfangFall und Umfangglobal weitgehend, d.h. für die Fallkontur wird ungefähr der gleiche Umfang genutzt wie für die übrigen Intonationskonturen. In den übrigen Städten ist der genutzte Umfang jeweils kleiner als Umfangglobal. Am deutlichsten ist diese Differenz im Dresdnerischen, denn hier werden nur ca. drei Viertel des zur Verfügung stehenden Umfangs für die Fallkontur genutzt. Obwohl sich also die Varietäten beim globalen Umfang nur geringfügig unterscheiden (Umfangglobal im gesamten Korpus bewegt sich im Bereich zwischen 8,2 und 9,4 st), nutzen die Varietäten für die Fallkontur teilweise unterschiedlich große Tonhöhenbereiche. Es existieren also keine generellen regionalen Unterschiede des F0-Umfangs zwischen den Varietäten, die dafür ausschlaggebend sind, dass bestimmte Varietäten melodie- und spannungsreicher
Phonetik der nuklearen Fallkontur
179
erscheinen, während andere als ‚flacher‘ und melodieloser eingestuft werden. Allen SprecherInnen steht unabhängig von ihrer regionalen Zugehörigkeit der ungefähr gleiche F0-Umfang zur Verfügung. Regionale Unterschiede entstehen erst dadurch, dass eine Varietät aus dem ihr zur Disposition stehenden globalen F0-Umfang konturgebunden einen spezifischen F0-Umfang und spezifische Durchschnittswerte für die Lage des Gipfels und des finalen Tiefpunkts auswählt. So ist auch die von Zwirner/Maack/Bethge (1956:24) für das Sächsische beobachtete „auffallend flache Melodie“ nicht als ein globales Merkmal dieser Varietät zu interpretieren, vielmehr manifestieren sich solche Unterschiede immer und ausschließlich gebunden an einen Konturtyp. (2) Bezüglich der Relation zwischen globaler Gipfelhöhe und Gipfelhöhe der Fallkontur konnte eine Ost-West-Differenzierung festgestellt werden. In den östlichen Varietäten (Berlin, Dresden, München) wird MaxFall leicht tiefer realisiert als Maxglobal. Bei den westlichen Varietäten (Duisburg, Köln, Mannheim, weniger ausgeprägt auch das Hamburgische) liegt der Gipfel der Fallkontur ungefähr auf der gleichen Höhe wie Maxglobal. (3) Die Analyse des finalen Tiefpunkts MinFall ergibt, dass der Tiefpunkt des Falls mehrheitlich in der Nähe des Referenzwertes Minglobal (Dresden, Köln, Mannheim, München) oder leicht tiefer als dieser liegt (Hamburg, Berlin, Duisburg). Als exklusives Merkmal weist das Dresdnerische zusätzlich einen Anteil an Belegen auf, bei denen MinFall deutlich höher als der Referenzwert liegt, woraus eine tendenziell geringere Lösungstiefe resultiert. Dieses Merkmal wurde von Gericke (1963) auch für das Leipzigerische beschrieben und von der Autorin als ‚Halbschluss‘ bezeichnet; es erscheint daher nicht unberechtigt, von einem spezifisch sächsischen Merkmal zu sprechen. 4.1.3 Variation in der Nukleussilbe In der vorangegangenen Analyse der Fallkontur stand die Variabilität des Globalverlaufs und insbesondere die Nachlaufgestaltung im Vordergrund. Merkmale, die sich ausschließlich auf die Nukleussilbe beziehen, blieben ausgeklammert. Gleichwohl deutete sich an, dass der Globalverlauf der häufigsten Variante, der Knickkontur, durch phonetische Eigenschaften des Akzenttons auf der Nukleussilbe maßgeblich mitbestimmt wird, i.e. der Knick erfolgt präferiert nach der zweiten Silbe des gesamten Nukleus. Weiterhin kann die Realisierung des Akzenttons regionalspezifisch variieren. So setzt z.B. in Mannheim die im Akzentton initiierte Fallbewegung teilweise früher ein als in den anderen Städten. Es zeichnet sich also ab, dass mit der Nukleussilbe ein ‚neuralgischer Punkt‘ vorliegt, der Einfluss auf die gesamte nukleare Kontur ausübt. Dazu kommt, dass die Nukleussilbe aufgrund ihrer prosodischen Prominenz infolge erhöhter Lautstärke und Dauer die perzeptiv auffälligste Position im Nukleus konstituiert.
180
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
In der folgenden akustisch-phonetischen Studie stehen daher die Variationsparameter innerhalb der Nukleussilbe und ihre Regionalspezifik im Vordergrund. Wie die in den vorherigen Kapiteln vorgestellten Fallkonturen schon belegt haben, kann der Konturverlauf in der Nukleussilbe sehr variabel realisiert werden. Im möglichen intonatorischen Variationskontinuum können zwei extreme Realisierungen unterschieden werden, die durch spezifische Merkmalskombinationen beschrieben werden können: Bei der ersten Extrem-Realisierung weist der Verlauf in der Nukleussilbe keinerlei Fallbewegung auf. Dies wird im Wesentlichen dadurch ermöglicht, dass das F0-Maximum (MaxPos) am Ende der Nukleussilbe platziert ist. Erst nach diesem Wendepunkt findet dann nach der Nukleussilbe die eigentliche Fallbewegung statt. Der Verlauf bis zum F0-Maximum kann entweder steigend oder relativ flach auf hohem Niveau ausgeführt werden. Dieser idealisierte Verlauf ist am Beispiel eines zweisilbigen Nukleus in Abb. 26 (links) dargestellt. Bei der zweiten Extrem-Realisierung liegen umgekehrte Verhältnisse vor. Das F0-Maximum liegt hier bereits früh am Beginn der Nukleussilbe. Dies bedingt, dass die Fallbewegung schon in der Nukleussilbe einsetzt und sich ggf. auf den Folgesilben fortsetzt. Das frühe F0-Maximum bewirkt auch, dass eine eventuelle Anstiegsbewegung in der Nukleussilbe nur gering ausgeprägt sein kann oder sogar fehlen kann (Abb. 26, rechts).
Nukleussilbe
Nachlaufsilbe
Nukleussilbe
Nachlaufsilbe
Abb. 26 Schematische Extrem-Realisierungen des Verlaufs in der Nukleussilbe: Anstiegsbewegung, spätes F0-Maximum mit fehlender Fallbewegung (links) vs. geringe Anstiegsbewegung, frühes F0-Maximum mit starker Fallbewegung (rechts)
Die beobachtbaren Realisierungen bewegen sich in einem Variationskontinuum zwischen diesen beiden Extrem-Realisierungen. Zur Erfassung und dialektologischen Interpretation der Variation ist eine Parametrisierung des Konturverlaufs in der Nukleussilbe erforderlich. Dazu werden die folgenden vier Merkmale der Konturdynamik in der Nukleussilbe analysiert:
• • • •
Platzierung des F0-Maximums in der Nukleussilbe (Merkmalssigle: F0max) Ausmaß der Fallbewegung in der Nukleussilbe (Merkmalssigle: Fall) Ausmaß der Anstiegsbewegung in der Nukleussilbe (Merkmalssigle: Steig) relative Geschwindigkeit der Fallbewegung in der Nukleussilbe
Kombinationen dieser Merkmalsausprägungen konstituieren dann die für eine Varietät typische Realisierung der Nukleussilbe. Die Merkmale der Nukleussilbengestaltung sind den Einflüssen von weiteren Merkmalen der Intonationsphrase und der silbischen Struktur unterworfen, so dass
Phonetik der nuklearen Fallkontur
181
es notwendig ist, möglichst viele dieser Einflussfaktoren konstant zu halten. An erster Stelle ist hier die Länge des Nukleus relevant. Da sich der Intonationsverlauf dem vorhandenen sonoranten Material anpasst und sich über die vorhandenen Silben des Nukleus verteilt, muss insbesondere dieses Merkmal konstant gehalten werden.12 Die Analyse wird daher zunächst auf Fallkonturen in zweisilbigen Nuklei eingeschränkt; diese Nuklei können aus zweisilbigen Wörtern (z.B. PLEIte) oder zwei einzelnen Wörtern bestehen (z.B. GEHT nicht). Nachdem die Variationsmuster für die zweisilbigen Nuklei herausgearbeitet sind, kann die Analyse auch auf Nuklei mit mehr als zwei Silben ausgeweitet werden. Ein weiterer Einflussfaktor auf den Konturverlauf liegt in der Zusammensetzung der Akzentsilbe. In zahlreichen Untersuchungen wurde eine systematische Korrelation zwischen der Komplexität der Akzentsilbe und dem Konturverlauf festgestellt: Insbesondere die Platzierung des F0-Maximums variiert mit dem Aufbau der Akzentsilbe, so dass bei Kurzvokalen das Maximum früher realisiert wird als bei Langvokalen (Steele 1986). Um diesen Einfluss konstant zu halten, werden nur Nukleussilben berücksichtigt, die entweder aus einem Langvokal, einem Diphthong oder einem Kurzvokal mit einem folgenden Sonoranten bestehen. Alle Nuklei müssen eine globale Fallbewegung aufweisen, daher bleiben Nuklei ausgeschlossen, deren Fallbewegung durch downstep soweit reduziert ist, dass eigentlich nur noch ein tief-flacher Verlauf vorliegt. Um exakte akustische Messungen durchführen zu können, werden nur Konturen berücksichtigt, die ohne Überlappung mit einem anderen Sprecher realisiert werden und die modale Stimmqualität aufweisen; Belege mit glottalisierten Vokalen (creaky voice) bleiben daher ausgeschlossen. Für das Hamburgische ist noch eine Besonderheit zu berücksichtigen. Wie Peters (2002a) feststellte, ist hier für die Konturrealisierung das semantische Merkmal der Fokusweite relevant (s.u.). Um diesen semantischen Faktor konstant zu halten, werden für das Hamburgische nur Phrasen mit weitem Fokus berücksichtigt. Für die übrigen Stadtvarietäten lässt sich eine Abhängigkeit von der Fokusweite nicht beobachten (Peters, pers. Komm.), so dass Belege mit beiden Fokusweiten berücksichtigt werden können. Für die zweisilbigen Nuklei werden pro Stadtvarietät die Aufnahmen von sieben bis acht SprecherInnen ausgewertet; pro SprecherIn werden aus einem zusammenhängenden Ausschnitt der Aufnahme ca. 10 nacheinander vorkommende Fallkonturen ausgewählt, die den obigen Kriterien genügen. Diese Teilanalyse basiert damit auf insgesamt 606 Belegen. Für die Analyse der mehr als zweisilbigen Nuklei kommen noch einmal 657 Belege dazu. Die Gesamtzahl der ausgewerteten Belege beläuft sich damit auf 1263. Die akustische Analyse stützt sich auf mehrere Frequenz-Messpunkte (F1 bis F4) sowie auf Dauermessungen, die den Konturverlauf und seine Dynamik abbilden. Am Beispiel einer schematischen Kontur sind in 12
Vgl. u.a. Gartenberg/Panzlaff-Reuter (1991) und Peters (1999) für das Deutsche und Prieto et al. (1995) für das mexikanische Spanisch.
182
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Abb. 27 die Messpunkte dargestellt. Der Konturverlauf wird demnach durch die lineare Interpolation von vier F0-Messpunkten festgelegt: Nukleus Nukleussilbe Nachlaufsilbe F2
• • • •
F1 = Initialwert am Beginn des akzentuierten Vokals F2 = Maximalwert in der Nukleussilbe F3 = F0 am Ende der Stimmhaftigkeit der Nukleussilbe F4 = finale F0 am Phrasenende
dur F1
F3
F4
Abb. 27 Schema mit Messpunkten zur Analyse zweisilbiger Nuklei
Der Messpunkt F1 liegt immer am Beginn des Vokals der Nukleussilbe. Durch diese Festlegung bleibt der F0-Verlauf auf eventuell vorhandenen stimmhaften Konsonanten im Silbenonset ausgeschlossen. Dadurch wird gewährleistet, dass Silben sowohl mit als auch ohne stimmhaften Onsetkonsonanten mit der gleichen Messmethode erfasst werden. Der Messpunkt F2 repräsentiert das F0-Maximum in der Nukleussilbe und ist gleichzeitig der Wendepunkt, ab dem die Fallbewegung einsetzt. Mit dem Messpunkte F3 wird die Tonhöhe am Ende der Nukleussilbe erhoben; dieser Messpunkt befindet sich entweder am Ende eines Vokals (bei Langvokal/Diphthong) oder am Ende eines Sonorkonsonanten (bei Silben aus Kurzvokal plus Sonorkonsonant). Durch den Messpunkt F4 wird die Frequenz am Ende der Phrase bestimmt. Alle Werte werden in der Einheit ‚Hertz‘ gemessen und zur Auswertung in Halbtöne (st) konvertiert, um sprecherseitige Unterschiede im F0-Umfang zu kompensieren. Zusätzlich werden die Zeitpunkte der Messungen erhoben. Folgende Kenngrößen der Konturdynamik können durch diese Messungen erfasst werden:
• • • • • • •
F0-Umfang der Fallkontur (Differenz F2 - F4) Zeitpunkt für das Erreichen des F0-Maximums (Differenz dur - dur(F2)) Ausmaß der Steigbewegung in der Nukleussilbe (Differenz F2 - F1) Ausmaß der Fallbewegung in der Nukleussilbe (Differenz F2 - F3) Ausmaß der Fallbewegung auf der Nachlaufsilbe (Differenz F3 - F4) Steig-/Fallgeschwindigkeit in der Nukleussilbe Dauer des sonorantischen Bereichs (dur)
Zur Bestimmung der Messwerte wurde ein halbautomatisches Verfahren verwendet: Mit Hilfe der Software ‚Praat‘ wird zunächst der sonorantische Bereich zwischen F1 und F3 manuell markiert; eventuelle mikroprosodische Einflüsse stimmloser Konsonanten werden ausgeschlossen. Skriptgesteuert werden nun in Praat die
183
Phonetik der nuklearen Fallkontur
Frequenzwerte für F1, F2 und F3 und die dazugehörigen Zeitpunkte automatisch bestimmt. Im zweiten Schritt wird dann der Tiefpunkt in der Nachlaufsilbe (F4) gemessen. 4.1.3.1 Lokalisierung des F0-Maximums in der Nukleussilbe Als erstes Variationsmerkmal der Fallkontur wird die Lokalisierung des F0-Maximums (MaxPos) in der akzentuierten Silbe betrachtet. Dazu wird die Dauer bis zum Erreichen des F0-Maximums (=Messpunkt F2) bestimmt. Die horizontale Lage des Maximums wird dann relativ zur Dauer der akzentuierten Silbe bestimmt und in Prozent der Dauer ausgedrückt. An der schematischen Beispielkontur in Abb. 28 liegt das F0-Maximum in der Mitte der Nukleussilbe, d.h. es wird nach 50 % der Dauer erreicht. F0max bei 50 %
F2
Nukleussilbe
Nachlaufsilbe
Abb. 28 Schema des Messverfahrens zur Bestimmung der Position des F0-Maximums
MaxPos repräsentiert gleichzeitig den Wendepunkt der Kontur: An dieser Stelle wird die eigentliche Fallbewegung initiiert bzw. ein evtl. steigender Verlauf geht in einen fallenden über. MaxPos gehört damit zu den zentralen Variationsparametern, die den konkreten Verlauf einer Intonationskontur bestimmen. Die Lokalisierung des F0-Maximums kann beträchtliche Variation aufweisen und wurde im Rahmen der experimentellen Intonationsforschung intensiv untersucht.13 Im Vordergrund stehen Aspekte der (kontrastiven) Wortakzentuierung, der semanto-pragmatischen Interpretation eines Satzes (Kohler 1987), der diskursiven Struktur und der phonetischen Implementierung bei unterschiedlichen Silbenstrukturen und segmentaler Grundlage. So wurde z.B. gezeigt, dass eine tendenziell frühe Lokalisierung des Maximums zu beobachten ist, wenn die Dauer der akzentuierten Silbe abnimmt und/oder wenn die akzentuierte Silbe an einer Wort- oder Phrasengrenze steht (Pierrehumbert/Steele 1990, Peters 1999). In den zitierten Arbeiten wurde die Lokalisierung des F0-Maximums ausschließlich in Abhängigkeit von segmentellen und weiteren prosodischen Parametern und überwiegend für das Englische untersucht. Sprach- oder dialektvergleichende Studien sind nur spärlich vorhanden. So zeigte Grabe (1998a) für den 13
Vgl. u.a. Silverman/Pierrehumbert (1990), Peters (1999). Für einen Überblick vgl. Wichmann/House/Rietveld (2000).
184
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Vergleich deutscher mit englischen Fallkonturen, dass das Englische zu einer mittleren Platzierung des F0-Maximums tendiert, während im Deutschen14 das F0-Maximum fest mit dem Ende der akzentuierten Silbe assoziiert ist. Hieran anknüpfend zeigen Peters (1999) und Gilles (2001b) anhand von spontansprachlichen Daten, dass diese Variation auch für regionale Varietäten einer Sprache zu beobachten ist. Generell wird im Berlinischen das F0-Maximum später lokalisiert ist als im Hamburgischen. Zusätzlich ist die Lokalisierung des F0-Maximums noch durch das Merkmal der Fokusweite überlagert (Peters 2002a): Im Hamburgischen liegt bei weitem Fokus das F0-Maximum tendenziell früher als bei engem Fokus. Die beiden Beispiele in Abb. 29 visualisieren diesen Kontrast: Der Langvokal der betonten Silbe ist schattiert dargestellt, durch die Hilfslinie werden die zwei Moren des Langvokals abgegrenzt, und der Pfeil deutet die Lage des F0-Maximums an. Bei weitem Fokus wird das F0-Maximum früh, d.h. in der ersten Hälfte des Langvokals [a:] von Nase realisiert. Bei engem Fokus dagegen wird das Maximum spät, also erst am Ende des Vokals [y:] erreicht. Weiter Fokus
Enger Fokus
200
200
150
150
100
n
70 0
a: z Nase
100
K kriegn 0.59
70 0
ge
m y: t MUET
liche 0.5 0.53
Abb. 29 Unterschied in der Lokalisierung des F0-Maximums im Hamburgischen (nach Peters 2002a)
Der Einfluss der Fokusweite auf die Lage des F0-Maximums besitzt im Hamburgischen hohe Systematizität. Um diesen Faktor zu kontrollieren, wird in der folgenden Untersuchung nur der häufiger vorkommende weite Fokus berücksichtigt. Für die übrigen Stadtvarietäten kann keine solche Abhängigkeit zwischen F0-Maximum und Fokusweite festgestellt werden, so dass sich die Datenbasis für diese Städte aus Belegen mit beiden Fokusarten zusammensetzt. Diese Untersuchungen zeigen also, dass die linguistische Funktion des Merkmals MaxPos sowohl von sprachspezifischen und als auch von regionalsprachlichen Eigenheiten überlagert ist. Inwieweit sich die deutschen Regionalsprachen bezüglich MaxPos unterschiedlich verhalten, steht im Fokus der folgenden akustisch-phonetischen Analyse. Um die Positionen des F0-Maximums verschiedener Realisierungen und SprecherInnen miteinander vergleichen zu können, werden die absoluten Zeitwerte für MaxPos, wie sie die akustische Signalanalyse liefert, in relative Werte umgewandelt. MaxPos wird also bestimmt, indem der Zeitpunkt für das Erreichen des F0-Maximums in der Nukleussilbe in Relation zur Dauer des sono14
Grabes Untersuchung basiert auf standarddeutschen Sprachdaten aus dem niedersächsischen Braunschweig.
185
Phonetik der nuklearen Fallkontur
rantischen Bereichs der Silbe gesetzt wird. Dieser Wert kann dann als prozentualer Anteil der Gesamtdauer angegeben werden und rangiert zwischen 0 und 100 %. Niedrige Werte deuten auf ein früh, hohe Werte auf ein spät platziertes F0-Maximum. Im Nukleus HANdeln in Abb. 30 besteht der sonorantische Bereich der Nukleussilbe aus den Segmenten [a] und [n] (schattierte Fläche).15 Das F0-Maximum wird nach einem leichten Anstieg über den Vokal [a] im ersten Drittel des Nasals erreicht. Dieser mit einem Pfeil hervorgehobene Zeitpunkt liegt 49 % nach Beginn des gesamten sonorantischen Bereichs (=100 %) der Nukleussilbe. MaxPos liegt also für diesen Beleg ziemlich genau in der Mitte der Nukleussilbe. B07-13354 150 49 %
100 h
70
a n HAN
0
deln 0.47
Abb. 30 Beispiel für die Bestimmung der zeitlichen Position des F0-Maximums in der Nukleussilbe des Nukleus HANdeln; MaxPos wird hier nach 49 % der Dauer des sonorantischen Bereichs erreicht (schattierte Fläche)
Nach der Bestimmung von MaxPos für die gesamte Datenbasis werden die Mittelwerte und die Standardabweichungen für alle Stadtvarietäten errechnet. Die Ergebnisse dieser Messungen finden sich in Tab. 6 (Stichprobengröße N, Mittelwert, Standardabweichung). Tab. 6 N, Mittelwerte, Standardabweichungen für die Lokalisierung des F0-Maximums in der Nukleussilbe (MaxPos) für zweisilbige Nuklei Stadt HH B DD DU K MA M Summe
N 85 91 70 86 102 91 81 606
Mittelwert [%] 19,7 50,48 50,2 35,88 32,34 11,12 46,77
Standardabweichung [%] 21,59 32,37 32,75 28,03 33,52 13,97 35,61
Die Darstellung der Mittelwerte in einem Balkendiagramm (Abb. 31) illustriert, dass sich die Varietäten in diesem Merkmal teilweise stark unterscheiden. Für die östlichen Varietäten (Berlin, Dresden) lässt sich mit Werten um 50 % eine Lokalisierung des F0-Maximums in der Mitte des sonorantischen Bereichs ermitteln. Erwartungs15
Im Beispiel ist auch zu sehen, dass die F0-Aktivität nicht sofort mit dem Beginn des Vokals einsetzt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass bei diesem Sprecher am Vokalbeginn einige Perioden des Sprachsignals glottalisiert realisiert werden.
186
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
[% der Dauer des sonorantischen Bereichs]
gemäß sind also die Unterschiede zwischen dem Berlinischen und Dresdnerischen nur minimal. Mit einem MaxPos von ca. 47 % gehört auch das Münchnerische zu den Varietäten mit einer tendenziell mittleren Ausrichtung. Gegenüber dieser östlichen Gruppe positionieren sich die Varietäten aus Hamburg und Mannheim, in denen eine relativ frühe Lokalisierung des Maximums präferiert wird (19 bzw. 11 %). Mit einem MaxPos zwischen 36 bzw. 32 % nehmen das Duisburgische und Kölnische eine Mittelstellung zwischen dem Hamburgischen und Mannheimerischen einerseits und den östlichen Varietäten andererseits ein. 60 50 40 30 20 10 0 HH
B
DD
DU
K
MA
M
Abb. 31 Durchschnittliche Lokalisierung des F0-Maximums (MaxPos) in der Nukleussilbe für zweisilbige Nuklei
Charakteristische Beispiele für jede Stadt bietet Abb. 32. Zur besseren Orientierung ist in jedem Verlauf das F0-Maximum mit einem Pfeil hervorgehoben. Der Kontrast ist insbesondere zwischen dem Hamburgischen und Mannheimerischen einerseits und dem Berlinischen und Dresdnerischen andererseits augenfällig. Bei der ersten Gruppe ist das Maximum direkt am Beginn des betonten Vokals lokalisiert und es schließt sich eine schnelle Fallbewegung an (MaxPos: 0 %). Im berlinischen Beispiel steigt der Verlauf in der Nukleussilbe zunächst nur leicht an, um am Silbenende dann das F0-Maximum auszubilden (MaxPos: 78 %). Bei mittlerem und spätem MaxPos manifestiert sich die Gipfelbildung in der Nukleussilbe in einem kleinen Hochplateau mit einem gut wahrnehmbaren Hochton. Diese ausgeprägten Gipfel sind in Abb. 32 für Berlin, Duisburg und München zu erkennen. Dagegen kann die Gipfelbildung bei sehr frühem MaxPos (ca. 0-10 %) vollständig fehlen. Unmittelbar mit Beginn der sonorantischen Aktivität setzt auch die Fallbewegung ein, wie es z.B. für den mannheimerischen Nukleus FIRma beobachtet werden kann. Die vorliegenden Ergebnisse entsprechen weitgehend den Ergebnissen von Peters (1999), der für das Hamburgische das F0-Maximum nach 57 % und für das Berlinische nach 79 % der Silbendauer ermittelt hat. Obwohl diese Werte insgesamt höher liegen als in der vorliegenden Untersuchung, wird die allgemeine Tendenz bestätigt: Das Berlinische neigt zu einer späteren Platzierung des F0-Maximums als
187
Phonetik der nuklearen Fallkontur HH07-1541
B01-12880
DD01-12968
200
200
200
150
150
150
100
100
e: ÄH
70
nelt
0
0.41
w
70 0
70 0
in DRIN
ts
70
200
150
150
ne 0.37
dr
70 0
i n DRI
n trum 0.5
0.62
MA05-2082
200
100
e ZEN
0
K09-16070
150
dr
100 nig 0.50
DU01-8584 200
100
e: WE
100 bis
f
70 0.49
0
i FIR
ma 0.33
M08-15883 200 150 100
S
v i m SCHWIMM
70 0
bad 0.5 0.56
Abb. 32 Beispiele für die Lokalisierung des F0-Maximums (MaxPos) in sieben Stadtvarietäten
das Hamburgische. Die Unterschiede zwischen beiden Untersuchungen resultieren aus dem verwendeten Datenmaterial und der Messmethode. Bei Peters (1999) wurden auch Akzentsilben berücksichtigt, die nur eine sonorantische More aufweisen, während hier nur Akzentsilben herangezogen werden, die aus mindestens zwei sonorantischen Moren bestehen. Weiterhin wurde die Lokalisierung des F0-Maximums in Relation zur Gesamtdauer der Silbe berechnet und nicht, wie in der vorliegenden Untersuchung, relativ zur Dauer des sonorantischen Teils der Silbe (abzüglich eventuell vorhandener stimmhafter Onsetkonsonanten). Bedingt durch die Verwendung von konversationellem Sprachmaterial, in dem die Silben- und Wortstrukturen nicht konstant gehalten werden können, weisen die Mittelwerte teilweise hohe Streubereiche auf. Die Standardabweichungen in Tab. 6 (oben) sind für die meisten Städte mit Werten zwischen 22 bis 33 % recht hoch. Mit ca. 14 % ist die Standardabweichung in Mannheim am geringsten, woraus eine manifeste Tendenz zur frühen Lokalisierung des Maximums abgeleitet werden kann. Um zu ermitteln, ob sich die Varietäten im Merkmal MaxPos unterscheiden und ob bestimmte Varietäten zu Gruppen zusammengefasst werden können, wird eine statistische Varianzanalyse durchgeführt. In einer ‚Analysis of Variance‘ (ANOVA) wird überprüft, ob die Varianzen zwischen verschiedenen Gruppen gleich oder verschieden sind. Die statistische Analyse wird mit dem GLM-Modell des SPSS-Programmpakets durchgeführt. Die Gruppen sind durch den Faktor ‚Varietät‘ definiert. Die abhängige Variable ist der Zeitpunkt des Erreichens von MaxPos in der
188
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
sonoranten Koda. Da die oben ermittelten Prozentwerte für das Auftreten von MaxPos (i.e. die Relation von Gesamtdauer der sonoranten Koda zum Zeitpunkt des Auftretens von MaxPos) für die Verwendung in einer Varianzanalyse nicht geeignet sind, werden die Originalwerte für MaxPos (in sec) als abhängige Variable verwendet. Als Kontrollfaktor wird die Dauer des sonorantischen Bereichs (in sec) miteinbezogen. Dadurch wird die Relation zwischen der Position von MaxPos und der Dauer des sonorantischen Bereichs indirekt in die Varianzanalyse eingeführt; damit können Einflüsse, die auf eventuelle Dauerunterschiede zurückzuführen sind, in der Varianzanalyse eliminiert werden. Zur Ermittlung der statistischen Gleichheit bzw. Verschiedenheit zwischen den einzelnen Varietäten wurde ein Posthoc-Test nach Scheffé durchgeführt, mit dem paarweise die Varianz aller Kombinationen der Varietäten gestestet wird.16 Signifikante Unterschiede zwischen den Varietäten liegen dann vor, wenn der Signifikanzwert p kleiner oder gleich 0,05 ist (i.e. Konfidenzintervall 95 %). In diesem Fall sind die beiden Varietäten mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % voneinander verschieden. In Tab. 7 sind in Form einer Kreuzklassifikation alle Städtepaare mit einem ‚*‘ versehen, die sich signifikant voneinander unterscheiden. Tab. 7 Signifikanzen für die Lokalisierung des F0-Maximums der Fallkontur (MaxPos) (ANOVA, Posthoc-Test nach Scheffé; *: Städtepaare sind signifikant verschieden voneinander (p£ .05); leere Zellen: nicht-signifikanter Kontrast) B DD DU K MA M
* * * * * * HH
B
* * * DD
*
*
DU
K
* MA
Aus Tab. 7 ist u.a. zu entnehmen, dass das Berlinische signifikant verschieden vom Hamburgischen und Mannheimerischen ist (und umgekehrt). Vergleichbares trifft auf das Dresdnerische zu; zusätzlich zu Hamburg und Mannheim ist diese Varietät auch noch vom Kölnischen und Münchnerischen signifikant verschieden. Ein Blick auf die Ergebnisse für das Hamburgische und Mannheimerische zeigt, dass diese Varietäten von allen anderen Varietäten verschieden sind. Diese beiden Städte bilden also für dieses Merkmal eine homogene Gruppe, obwohl sie zu unterschiedlichen Dialektregionen gehören. Zu einer weiteren Gruppe lassen sich das Berlinische, Duisburgische, Kölnische und Münchnerische zusammenfassen, die jeweils vom Hamburgischen und Mannheimerischen verschieden sind. Erwartungsgemäß sind die Unterschiede zwischen den dialektgeographisch nahe beieinander liegenden Städten Berlin und Dresden nicht signifikant. Das gleiche trifft auf das westdeutsche Varietäten-Paar Duisburgisch (Rheinmaasländisch) und Kölnisch (Ripua16
Die vollständigen Ergebnisse der Varianzanalyse sind im Anhang (S. 375) zu finden.
189
Phonetik der nuklearen Fallkontur
risch) zu. Aus der Varianzanalyse lässt sich eine Zweiteilung der untersuchten Stichprobe ableiten: In einer ersten Gruppe befinden sich das Hamburgische und Mannheimerische, die beide eine frühe Lokalisierung des Maximums präferieren. Ihr gegenüber steht die zweite Gruppe, die die übrigen Varietäten enthält, die zu einer mittleren bis späten Lokalisierung tendieren. Um die Variation des Merkmals innerhalb des Korpus zu verdeutlichen, wurden die Prozentwerte in die drei Kategorien ‚frühe‘ (0 bis 33 %), ‚mittlere‘ (33 bis 66 %) und ‚späte‘ (66 bis 100 %) Lokalisierung des MaxPos gemäß einer Drittelung der Dauer des sonorantischen Bereichs eingeteilt. Durch diese Transformation in nominalskalierte Daten kann festgestellt werden, welcher Lokalisierungstyp am häufigsten vorkommt oder wie sich die Kombination der möglichen Lokalisierungstypen gestaltet (Abb. 33). Das konsistenteste Muster findet sich im Mannheimerischen. Hier werden über 80 % der Belege mit frühem MaxPos, i.e. im ersten Drittel des sonorantischen Bereichs, realisiert. Auch im Hamburgischen dominiert mit ca. 70 % die frühe Lokalisierung deutlich, so dass also in diesen beiden Varietäten relativ einheitlich auf die frühe Lokalisierung fokussiert wird. 100%
80%
60%
40%
20%
spät (> 66%) mittel (33-66%) früh (0-33%)
0%
HH
B
DD
DU
K
MA
M
Abb. 33 Lokalisierung des F0-Maximums der Fallkontur; Zuordnung zu den drei Kategorien ‚früh’ (0-33 %), ‚mittel’ (33-66 %) und ‚spät’ (66-100 %)
Deutlich höhere Variation weisen das Duisburgische und Kölnische auf; es dominiert jedoch wie in Hamburg und Mannheim die frühe Lokalisierung mit Werten zwischen 51 und 60 %. Die höchste Mischung zwischen den drei Lokalisierungstypen ist im Berlinischen, Dresdnerischen und Münchnerischen festzustellen. Während in den ersten beiden Städten die späte Lokalisierung mit ca. 40 % überwiegt, ist im Münchnerischen die frühe Lokalisierung die häufigste Option (41 %). Doch ist hier generell die Variation so hoch, dass keine deutliche Präferenz für einen bestimmten Lokalisierungstyp angenommen werden kann. Zur Interpretation solcher diffusen Verteilungen sind mehrere Ursachen denkbar: (1) Das Merkmal MaxPos besitzt in diesen Varietäten keine Relevanz, wodurch
190
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
eine variable Platzierung möglich wird. (2) Die korpusinhärente Variation, hervorgerufen durch unterschiedliche Silbentypen und segmentelle Einflüsse, bedingt eine variable Zuweisung der Lokalisierungstypen. (3) Obwohl die Datenbasis aus fallenden Akzenttönen besteht, die als (konversationelle) Abschlüsse fungieren, ist es möglich, dass hier eine weitere funktionale Ebene interferiert, d.h. dass die Unterschiede in der MaxPos-Lokalisierung funktional genutzt werden. Um möglichst viele Variationsparameter konstant zu halten und um die Darstellung der Analyseergebnisse übersichtlich zu gestalten, wurde bis jetzt das Merkmal MaxPos nur für die zweisilbigen Nuklei berücksichtigt. Als weiterer Variationsparameter wird nun die Silbenzahl des Nukleus hinzugenommen. Dadurch kann festgestellt werden, welchen Effekt die Zunahme der Silbenzahl auf die Lokalisierung von MaxPos ausübt. Dabei sind zwei Szenarios denkbar: (1) Die für die zweisilbigen Nuklei festgestellte Lokalisierung von MaxPos bzw. das dort festgestellte Variationsmuster bleibt auch bei zunehmenden Silbenzahlen konstant, d.h. die Silbenzahl besitzt keinen Einfluss. (2) Mit zunehmender Silbenzahl verschiebt sich das F0-Maximum. Unter diesen Umständen kann erwartet werden, dass MaxPos später lokalisiert wird, da mit zunehmender Silbenzahl auch mehr Zeit zur Realisierung der Fallkontur zur Verfügung steht. Die Datenbasis für diese Untersuchung wurde entsprechend um die drei- und mehrsilbigen Nuklei erweitert und basiert nun auf insgesamt 1263 Belegen aus den sieben Varietäten, die sich gemäß Tab. 8 auf die unterschiedlichen Silbenzahlen verteilen.17 Am häufigsten sind neben den zweisilbigen die dreisilbigen Nuklei vertreten. Längere (i.e. vier- und mehrsilbige) Nuklei kommen seltener vor. Tab. 8 Anzahl der ausgewerteten mehrsilbigen Nuklei in den sieben Stadtvarietäten Stadt
zweisilbig
dreisilbig
viersilbig
HH B DD DU K MA M Summe
85 91 70 86 102 91 81 606
64 47 30 53 30 50 38 312
19 19 11 25 25 35 30 164
mehr als vier Silben 18 23 38 21 29 27 25 181
Summe 186 180 148 185 186 203 174 1263
Zur Visualisierung der Lokalisierung des F0-Maximums sind in Abb. 34 die Mittelwerte für MaxPos bei verschiedenen Nukleuslängen abgetragen. Für jede Varietät sind die Werte für zweisilbige, dreisilbige, viersilbige und mehr als viersilbige Nuklei in Balken nebeneinander dargestellt, wodurch ein eventueller Effekt der zunehmenden Silbenzahl erkennbar wird. Auf den ersten Blick mag sich ein verwirrendes Bild 17
Die geringere Beleganzahl im Vergleich zur Analyse der mehrsilbigen Nuklei in Kap. 4.1.1 erklärt sich dadurch, dass einige Belege aufgrund von Glottalisierungen, Störgeräuschen u.ä. akustisch-phonetisch nicht ausgewertet werden können.
191
Phonetik der nuklearen Fallkontur 70
% der Gesamtdauer
60 50 Zweisilber
40
Dreisilber
30
Viersilber mehr als 4
20 10 0 HH
B
DD
DU
K
MA
M
Abb. 34 Mittelwerte für die Lokalisierung des F0-Maximums in der Nukleussilbe (F0max) für Fallkonturen bei unterschiedlichen Silbenzahlen im Nukleus (in % des Gesamtumfangs des Nukleus)
ergeben, dennoch lässt sich eine Systematik erkennen. Zunächst werden die beiden Varietäten mit tendenziell frühen MaxPos betrachtet, i.e. Hamburg und Mannheim. Für das Hamburgische ist klar erkennbar, dass MaxPos mit zunehmender Silbenzahl später lokalisiert wird: Liegt das durchschnittliche MaxPos bei den zweisilbigen Nuklei nach ca. 20 % der Gesamtdauer des sonorantischen Bereichs, so liegt dieser Wert bei den mehr als viersilbigen Nuklei bei ca. 48 %. Dieser Unterschied ist auch statistisch signifikant (p= 0,024; ANOVA, Post-hoc Test (Scheffé)). Die drei- und viersilbigen Nuklei ordnen sich mit 29 bzw. 33 % in diese Tendenz ein; die Unterschiede zwischen diesen Gruppen sind jedoch statistisch nicht signifikant. Die Kontrastierung des Merkmals MaxPos bei verschiedenen Silbenzahlen belegt damit, dass der F0-Gipfel im Hamburgischen mit zunehmender Silbenzahl nach rechts wandert. Die Lage des Gipfels variiert systematisch in der ersten Hälfte der Nukleussilbe. Diese Verschiebung ist in Abb. 35 durch die Kontrastierung von Nuklei mit verschiedenen Silbenzahlen dargestellt. Beim zweisilbigen Nukleus SAgen liegt ein frühes F0-Maximum vor, während sich das Maximum beim fünfsilbigen Nukleus BRÖTchen holen geh deutlich später, etwa in der Mitte des betonten Vokals [/:], befindet. HH01-12884
HH07-12182
200 150 150 100 100 70 0
s
a: SA
gen 0.5
70
br /: t BROET chen
0
holen 0.5
geh 0.96
Abb. 35 Verschiebung des F0-Maximums mit zunehmender Silbenzahl im Hamburgischen; frühes F0max rechts, spätes F0max links
192
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Diese Verschiebung des F0-Gipfels ist – in geringerem Ausmaß – auch im Mannheimerischen zu beobachten. Von der äußerst frühen Platzierung nach 11 % der Dauer bei zweisilbigen Nuklei verdoppelt sich MaxPos auf mehr als das Doppelte (26 %) bei den dreisilbigen Nuklei. Auch dieser Unterschied ist statistisch signifikant (p=0,007). Dieser Wert wird annähernd auch bei den vier- und mehrsilbigen Nuklei beibehalten. Im Mannheimerischen bleibt damit MaxPos ab dreisilbigen Nuklei konstant bei rund 23 %. Trotz dieser Zunahme ist die F0-Maximumlokalisierung generell als ‚früh‘ einzustufen, wodurch sich das Mannheimerische bei allen Silbenzahlen deutlich von den meisten anderen Varietäten abgrenzt. Die übrigen Varietäten sind sämtlich durch insgesamt spätere F0-Maxima gekennzeichnet. Die Verschiebung von MaxPos mit zunehmender Silbenzahl fällt hier bedeutend geringer aus oder ist überhaupt nicht nachzuweisen. In Berlin, Duisburg und München lässt sich eine kaum merkliche Erhöhung um lediglich ca. 10 % bei den mehr als zweisilbigen Nuklei beobachten. Im Dresdnerischen ist mit geringem Ausmaß die umgekehrte Tendenz zu beobachten: Hier liegt bei den drei- und viersilbigen Nuklei der Gipfel um 13 % früher als bei den zweisilbigen Nuklei. Die Zubzw. Abnahme von MaxPos liegt damit in einem relativ geringen Bereich, so dass davon ausgegangen werden darf, dass die Silbenzahl des Nukleus im Gegensatz zum Hamburgischen oder Mannheimerischen keinen Einfluss ausübt. Damit ist der Gipfel hier unabhängig von der Silbenzahl fest an eine bestimmte Position in der Nukleussilbe, i.e. ungefähr an die Mitte der Silbe, gebunden. Für diese Annahme spricht auch, dass MaxPos von den zweisilbigen zu den viersilbigen und den mehr als viersilbigen Nuklei stetig zunimmt. Insgesamt fallen die Unterschiede zwischen den Nukleuslängen damit äußerst gering aus und sind möglicherweise auch nicht perzipierbar. Nicht verwunderlich ist daher, dass keiner dieser Unterschiede statistische Signifikanz erreicht. Dazu trägt auch die teilweise hohe intravarietäre Variation des Merkmals bei, auf die bereits bei der Analyse der zweisilbigen Nuklei eingegangen worden ist und die durch die Mittelwertbildung verdeckt wird. In einer dialektgeographischen Interpretation der Verteilung des Merkmals MaxPos für zweisilbige Nuklei lässt sich demnach festhalten, dass das Hamburgische und Mannheimerische zu einer eher frühen Lokalisierung des Maximums tendieren. Auch im Duisburgischen und Kölnischen dominiert, wenn auch nur schwach, die frühe Lokalisierung; hier kommt es allerdings schon zu massiver Mischung mit den späteren Lokalisierungstypen. Alles in allem ergibt sich damit, dass in diesen vier westlichen Städten eine eher frühe Lokalisierung des Maximums präferiert wird. Diese Gruppe setzt sich deutlich von den östlichen Varietäten (Berlin, Dresden, München) ab, bei denen ein hoher Mischungsgrad zwischen früher, mittlerer und später Lokalisierung zu verzeichnen ist, die im Durchschnitt zu einer mittleren Lokalisierung führt. Der Einbezug der mehr als zweisilbigen Nuklei in die Analyse ergibt für die Varietäten mit früher Lokalisierung (Hamburg, Mannheim), dass sich das Maximum hier mit zunehmender Silbenzahl nach rechts verschiebt, d.h. später realisiert wird.
193
Phonetik der nuklearen Fallkontur
Bei diesen längeren Nuklei steht insgesamt eine größere Zeitspanne zur Verfügung, so dass auch das Maximum nicht mehr so früh realisiert werden muss wie bei den zweisilbigen Nuklei. Bei den übrigen Varietäten führt die Zunahme der nuklearen Silbenzahl zu keiner signifikanten Verschiebung des Maximums. Während die vorliegenden Ergebnisse weitgehend konform mit den Ergebnissen von Peters (1999) zum Hamburgischen und Berlinischen sind, so stehen sie doch in Kontrast zur Untersuchung von Grabe (1998a) zum Standarddeutschen. Hier wurde nämlich für das Standarddeutsche von Braunschweig generell eine späte Lokalisierung festgestellt, d.h. das F0-Maximum liegt invariant am Ende der akzentuierten Silbe. Daraus kann abgeleitet werden, dass in der Standardsprache eine gänzlich andere Regularität zur Platzierung des Maximums zum Tragen kommt, die sich von den Regionalsprachen unterscheidet. Es ist jedoch auch möglich, dass in Grabes Untersuchung auch regionale Faktoren relevant werden, denn die späte Lokalisierung des Braunschweigerischen zeigt recht hohe Ähnlichkeit zum Berlinischen oder Dresdnerischen. Sollte diese Annahme zutreffen, so könnte das Braunschweigerische zu der Gruppe der östlichen Varietäten gezählt werden. 4.1.3.2 Dynamik des Verlaufs in der Nukleussilbe Durch die Analyse des Platzierungsverhaltens des F0-Maximums wird die wichtige strukturelle Eigenschaft des Wendepunktes in der Nukleussilbe erfasst. Diese Ergebnisse sind jedoch für eine vollständige Beschreibung des Konturverlaufs in der Nukleussilbe nicht ausreichend. Aus der konkreten Lokalisierung des Maximums lässt sich nur bedingt auf den tatsächlichen Verlauf der Fallbewegung schließen. Dazu kommt, dass aus der Position des F0-Maximums noch nicht hervorgeht, welche perzeptive Salienz dieses Maximum hat und wie schnell oder mit welcher Dynamik der F0-Richtungswechsel stattfindet. Insbesondere wenn die Nukleussilbe nur wenig F0-Bewegung aufweist, verliert die Information über die Lage des Maximums an Aussagekraft. Dieser Beschreibungsnachteil soll anhand der folgenden Nuklei aus dem Dresdnerischen belegt werden. In Abb. 36 liegt in der Nukleussilbe MEN(ge) ein leicht eingedellter Verlauf vor. Obwohl diese Silbe als flach-hoch ohne merkliche F0-Bewegung wahrgenommen wird, liegt hier rein numerisch betrachtet DD01-12963
DD02-6641
200
200
150
150
100
m e MEN
70 0
100
N ge 0.38
Time (s)
70 0
m e:P MEHR
gehn
0.5 0.66 Time (s)
Abb. 36 Beispiele für flach-hohe Nukleussilben ohne ausgeprägte F0-Maxima
194
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
ein Beleg mit spätem MaxPos vor, denn der Maximalwert wird im velaren Nasal gemessen. Auch der zweite Verlauf in Abb. 36 ist im Wesentlichen flach-hoch (MEHR gehn). Dennoch liegt rein numerisch ein spätes MaxPos vor, auch wenn das Tonniveau vor dem Maximum nur wenige Hertz tiefer ist. In diesen beiden Verläufen liefert also die Information über das F0-Maximum keine Hinweise zum tatsächlichen Verlauf der Kontur. Aus diesem Grund ist ein weiterer Beschreibungsparameter notwendig, mit dem die Verlaufsdynamik in der Nukleussilbe erfasst werden kann. Im Folgenden wird dazu das Ausmaß der Teilbewegungen innerhalb der Nukleussilbe bestimmt. Prinzipiell kann sich der Verlauf aus einer ansteigenden und einer fallenden Teilbewegung zusammen setzen, die gemeinsam den Gipfel in der Nukleussilbe bilden. Je nach regionaler Präferenz sind die Teilbewegungen unterschiedlich stark ausgeprägt. Bei nur schwach ausgeprägten Teilbewegungen entsteht ein flach-hoher Verlauf, wohingegen sich bei einer starken Anstiegs- bzw. Fallbewegung ein ‚spitzer‘ Gipfel herausbilden kann. Das Ausmaß der Anstiegs- und Fallbewegung wird durch die Differenz der Messpunkte F2-F1 bzw. F2-F3 bestimmt (Merkmalssigle: Anstieg bzw. Fall). Um vergleichbare Werte zu erhalten, werden die beiden Teilbewegungen in Relation zum Gesamtumfang des Nukleus gebracht, der sich aus der Differenz zwischen maximalem (F2) und minimalem Wert (F4; Minimum am Phrasenende) ergibt. Es handelt sich dabei um eine lineare Interpolation, mit der der meist bogenförmige F0-Verlauf ansatzweise erfasst werden kann.18 Nach der Umrechnung in Prozentwerte ist es möglich, den prozentualen Anteil einer Teilbewegung an der gesamten nuklearen Fallbewegung zu bestimmen. In der Beispielkontur in Abb. 37 nimmt die Anstiegsbewegung ca. 20 % des zur Verfügung stehenden Umfangs in Anspruch, während die Fallbewegung ca. 35 % beträgt. Anstieg = 20 %
Fall = 35 % Fall = 65 %
Gesamtumfang des Nukleus = 100 %
Nukleussilbe Nachlaufsilbe
Abb. 37 Schema des Messverfahrens zur Bestimmung des Ausmaßes der Anstiegs- und Fallbewegung
Systematische Untersuchungen für dieses intonatorische Variationsmerkmal sind m.E. kaum zu finden, was möglicherweise auch mit der Verfügbarkeit genauer Messmethoden zusammenhängt. Ein früher Versuch in dieser Richtung wurde in der Phonometrie unternommen: In verschiedenen Arbeiten entwickelten Zwirner und Kollegen ein mathematisch-statistisches Verfahren zur phonometrischen Erfassung der Sprechmelodie (vgl. Zwirner/Zwirner 1935, Zwirner/Maack/Bethge 18
Für eine Annäherung an den tatsächlichen F0-Verlauf mittels einer trigonometrischen Funktion vgl. Heuft (1999).
Phonetik der nuklearen Fallkontur
195
1956, Zwirner/Zwirner 1982: 192ff. Zur Beschreibung von dynamischen Aspekten des Konturverlaufs werden sog. ‚Melodiewinkel‘ und ‚Lautwinkelhöhen‘ ermittelt. Dabei entspricht der Parameter des ‚Lautwinkels’ ziemlich genau dem hier verwendeten Parameter des Ausmaßes der Anstiegs- bzw. Fallbewegung.19 Allerdings werden die Messungen in diesem phonometrischen Ansatz nicht, wie es für prosodische Phänomene erforderlich wäre, auf mindestens der Silbenebene durchgeführt, sondern ausschließlich für den Einzellaut. Damit wird die Sprechmelodie in der Phonometrie nicht als ein prosodisches Merkmal aufgefasst, sondern ist Bestandteil der Segmentebene. Folglich sind die aus den umfangreichen phonometrischen Analysen gewonnenen Ergebnisse für die eigentliche Intonation nur von eingeschränktem Nutzen. Noch schwerer wiegt, dass bei dieser Methode keine Differenzierung zwischen den Akzenttönen vorgesehen ist, d.h. die Messergebnisse für fallende und steigende Akzenttöne werden unzulässigerweise vermischt. Wie im weiteren Verlauf der vorliegenden Untersuchung noch deutlich werden wird, unterscheiden sich die beiden Konturtypen gerade beim Ausmaß der Anstiegs- bzw. Fallbewegung beträchtlich. Für die Analyse ist daher die Differenzierung nach Akzenttontypen unbedingt erforderlich. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass die Anwendung der phonometrischen Methode auf deutsche Dialekte durch Zwirner/Maack/Bethge (1956) denn auch nur geringe messbare bzw. kaum interpretierbare regionale Unterschiede herausgearbeitet. Statt der aussagekräftigeren ‚Lautwinkelhöhe‘ werden hier auch leider nur die ‚Steig- und Fallwinkel‘ berücksichtigt. Zwar stellen die Autoren eine Nord-Süd-Staffelung fest, allerdings stammen die verwendeten Aufnahmen nur aus dem Niedersächsischen, dem Obersächischen und dem Bairischen. Zudem bewegen sich die festgestellten Unterschiede in einem engen Bereich. Insgesamt stellt damit Zwirners Messmethode zwar ein interessantes und wie die folgende Untersuchung zeigen wird, tragfähiges Verfahren zur Beschreibung der Konturdynamik dar, doch wurde sie von ihrem ‚Erfinder‘ selbst nicht in der adäquaten Weise angewendet.20 Ansatzweise beschreibt Delattre (1965) in seiner kontrastiven Studie zum Deutschen und Englischen die silbeninterne Konturdynamik: Demnach sind die Nukleussilben des Englischen durch einen ‚glide‘ gekennzeichnet, d.h. schon in der Nukleussilbe beginnt ein merkliches Absinken der Tonhöhe. Im Deutschen dagegen wird die Nukleussilbe flach auf hohem Niveau realisiert, und erst auf der folgenden Silbe findet die finale Fallbewegung statt. In jüngster Zeit wurde von Fox (2001) die F0-Bewegung (‚pitch movement‘) in Akzentsilben untersucht, mit dem Ziel, Unterschiede zwischen pränuklearen und nuklearen Akzenten zu ermitteln. 19 20
Die Lautwinkelhöhe „ist also das Maß für den Anstieg der Sprachmelodie innerhalb eines Lautes“ (Zwirner/Zwirner 1982: 197). Weitere Gründe, warum die originellen Ideen Zwirners nicht von der phonetischen Forschung aufgegriffen wurden, referiert Simon (1992). Dazu gehört neben der ‚trockenen‘ Darstellung von kaum kommentierten Tabellen und Auflistungen (‚phonometrische Textlisten‘), in denen die eigentlichen Ergebnisse untergehen, auch Zwirners problematisches Verhalten während der Zeit des Nationalsozialismus.
196
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Allerdings arbeitet die Autorin hier mit absoluten Frequenzwerten (in Hz), die noch dazu von verschiedenen SprecherInnen stammen. Die von ihr beobachtete, hohe Variation für dieses Merkmal ist folglich kaum verwunderlich. Dieses Ergebnis führt dann auch zu dem Schluss, dass das Merkmal keine Relevanz für die Akzentgestaltung besitzt. Doch kann aufgrund der geringen Belegzahl (48) und dem Fehlen eines normalisierenden Verfahrens die Aussagekraft dieser Analyse bezweifelt werden. Für die sieben Regionalvarietäten kann gezeigt werden, dass sich sehr wohl konsistente Präferenzen für das Ausmaß der Anstiegs- und Fallbewegung herausgebildet haben, die als Kennzeichen der regionalen Verschiedenheit dienen können. In der ersten Analyse werden zunächst die Mittelwerte basierend auf den absoluten Messwerten (in st) vorgestellt (Abb. 38). In der Darstellung sind die beiden Teilbewegungen graphisch voneinander abgesetzt: In der linken Hälfte sind die Mittelwerte für die Anstiegsbewegung repräsentiert; rechts davon befinden sich die Mittelwerte für die Fallbewegung. Absoluter Anstieg und Fall bei fallenden Akzenttönen [st] Hamburg Anstieg [st]
Berlin
Fall [st] Dresden Duisburg Köln Mannheim München 6
5
4
3
2
1
0
1
2
3
4
5
6
[st]
Abb. 38 Absolute Anstiegs- und Fallbewegungen in der Nukleussilbe bei zweisilbigen fallenden Nuklei (in [st])
In Hamburg sind demnach Akzentsilben durch einen Anstieg von durchschnittlich ca. 0,7 st und einen anschließenden Fall von ca. 4,2 st gekennzeichnet. Eine vergleichbare Struktur weist das Mannheimerische auf; auch hier liegt eine sehr geringe Anstiegs- und eine mit fast 6 st besonders starke Fallbewegung vor. Hier ist die Anstiegsbewegung so gering, dass sie vermutlich keine perzeptive Relevanz besitzt und vernachlässigt werden kann. In Berlin, Dresden und München dagegen ist die durchschnittliche Fallbewegung mit Werten um 1 st äußerst niedrig. Zwar ist der Anstieg mit Werten zwischen 1,7 und 1,9 st etwas höher, doch insgesamt deuten diese Werte auf flache Konturverläufe in der Nukleussilbe hin, während in den übrigen Städten innerhalb der akzentuierten Silbe deutlich größere Bewegungen
197
Phonetik der nuklearen Fallkontur
ausgeführt werden. In Duisburg und Köln werden ähnlich hohe Steigbewegungen realisiert; die Fallbewegungen sind mit Werten zwischen 2,2 und 3,3 st etwas ausgeprägter. Insgesamt zeigt sich, dass die Fallbewegung – wie zu erwarten war – stärker vorhanden ist als die Anstiegsbewegung. Die absoluten Werte in Abb. 38 beziehen sich nur auf die Nukleussilbe. Um die Dynamik dieser Bewegung in Relation zur Gesamtkontur zu bringen, d.h. zum zweisilbigen Nukleus, bedarf es eines Vergleichs der Teilbewegungen mit dem Gesamtumfang der Kontur. Dazu werden die prozentualen Anteile der Anstiegs- bzw. Fallbewegung relativ zum F0-Umfang des gesamten fallenden Nukleus bestimmt. Mit dieser Methode kann angegeben werden, wie sich die Fallbewegung über die Silben des gesamten Nukleus verteilt. Die Ergebnisse für das relative Ausmaß der Teilbewegungen sind in Abb. 39 dargestellt. An einem Beispiel soll die Darstellungsweise des Balkendiagramms erläutert werden: In Hamburg lässt sich ein durchschnittlicher Anstieg um ca. 11 % des F0-Umfangs des gesamten Nukleus (=100 %) beobachten. Der anschließende Fall nutzt 55 % des F0-Umfangs. Die Fallbewegung der Folgesilbe ist im Diagramm nicht eingetragen, sie ergibt sich jedoch automatisch aus dem Wert für die Nukleussilbe. Dazu muss der Wert für die Nukleussilbe von 100 subtrahiert werden. Im Hamburgischen beträgt folglich die auf der Folgesilbe stattfindende Fallbewegung noch 45 %. Relativer Anstieg und Fall bei fallenden Akzenttönen
Hamburg Berlin Dresden Duisburg Köln
Mannheim München 80
70
60
50
40
30
20
10
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Anstieg [%/Gesamtumfangs] Fall [%/Gesamtumfangs]
Abb. 39 Relatives Ausmaß der Anstiegs- und Fallbewegung in der Nukleussilbe bei zweisilbigen fallenden Nuklei [% des Gesamtumfangs des Nukleus]
Aus Abb. 39 lassen sich mehrere Einzelergebnisse ableiten. Die Varietäten unterscheiden sich vor allem im Ausmaß der Fallbewegung. Hamburg und Mannheim weisen hier mit 55 % bzw. 78 % die höchsten Werte auf. Hier ist die ohnehin prominente Akzentsilbe zusätzlich durch eine starke Fallbewegung markiert. Insbesondere im Mannheimerischen findet damit auf der folgenden unbetonten Silbe nur noch eine geringfügige Fallbewegung statt (durchschnittlich 22 %). Nicht selten lassen
198
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
sich Verläufe beobachten, in denen der tiefste F0-Wert bereits am Ende der Nukleussilbe lokalisiert ist. Die resultierende Kontur fällt damit nicht linear bis zum Phrasenende, sondern weist einen auch auditiv markanten ‚Knick‘ auf, der immer in der unmittelbaren Nähe der Silbengrenze liegt. Es kann wie schon für die mehrsilbigen Nuklei (Kap. 4.1.1.1) weder für Mannheim noch für Hamburg eine Abhängigkeit für das Auftreten des Knicks von weiteren prosodischen Ebenen beobachtet werden: Der Knick ist sowohl an der Silbengrenze zwischen zweisilbigen Lexemen (z.B. FIRma) als auch an der Grenze zwischen zwei phonologischen Wörtern (z.B. STROOSS heesst ‚Straße heißt‘) belegt. Die starke Bewegung in der Nukleussilbe trägt dazu bei, dass das zentrale phonetische Merkmal in der F0-Bewegung zu sehen ist. Dem gegenüber lässt sich für das Berlinische und Dresdnerische nur eine relativ geringe Fallbewegung feststellen (ca. 18-19 %). Der Großteil der Fallbewegung, nämlich ca. 80 % des Gesamtumfangs, findet damit also nach der Nukleussilbe auf der Folgesilbe statt. Ausgeprägter als in Hamburg und Mannheim sind hier die Anstiegsbewegungen, die sich im Bereich zwischen 26-36 % des F0-Umfangs bewegen. Im Gegensatz zu Hamburg oder Mannheim kommt es jedoch nicht zu einer Umkehrung der Verhältnisse: Obwohl in Dresden und Berlin aufgrund der späten bis mittleren Lokalisierung des F0-Maximums die Möglichkeit bestünde, die Anstiegsbewegung in der Nukleussilbe zu profilieren, erreicht diese Teilbewegung nicht das Ausmaß der Fallbewegung der westlichen Varietäten. Nukleussilben aus Berlin und Dresden sind somit durch relativ geringe Steig- und Fallbewegungen gekennzeichnet. Das zentrale phonetische Merkmal der Nukleussilbe liegt weniger in der Bewegung als vielmehr darin, dass diese Silbe mit (mehr oder weniger gleichbleibender) hoher F0 realisiert wird. Die eigentliche Bewegungskomponente ist auf die (perzeptiv weniger saliente) Folgesilbe verschoben. Das Münchnerische weist nur einen leicht höheren Wert für die Fallbewegung auf (22 %) und ist damit dem Berlinischen und Dresdnerischen recht ähnlich. Deutlich stärkere Fallbewegungen sind im Duisburgischen und Kölnischen zu verzeichnen (29 bzw. 41 %). Es ergibt sich damit eine Dreiteilung: Starke Fallbewegungen in Hamburg und Mannheim, mittlere Fallbewegungen in Köln und Duisburg und schwache Fallbewegungen in Berlin, Dresden und München. Nachdem nun das durchschnittliche Ausmaß der Teilbewegungen pro Stadtvarietät festgestellt ist, werden in Abb. 40 Belege vorgestellt, die als Kandidaten für die charakteristische Merkmalsausprägung der Städte gelten können. Die für die Variationsparameter relevante Nukleussilbe ist durch Schattierung hervorgehoben. Das Ausmaß der Fallbewegung, die in allen Varietäten immer prominenter als die Anstiegsbewegung ist, wird durch eine Klammer verdeutlicht, die sich zwischen dem Gipfel der Nukleussilbe und dem Ende dieser Silbe aufspannt. Die kleinsten Klammern, und damit die geringsten Fallbewegungen in der Nukleussilbe, sind für die berlinischen, dresdnerischen und münchnerischen Nuklei zu erkennen. So fällt z.B. im berlinischen Nukleus FERtig die Grundfrequenz von 105 Hz im Gipfel auf 98 Hz am Ende der Silbe, also lediglich um 7 Hz. Wenn diese Werte in Halbtöne kon-
199
Phonetik der nuklearen Fallkontur B03-999
HH01-1452 200 150
200 150
100
100 70 0
DD01-12968
150
100
70 HAM
burg 0.51
50 0
DU04-7555
FER
tig 0.49
70 0
K11-15230
ZEN
trum 0.5
MA06-2990
200
M07-14974
200
150
200
100
150
70 SCHNEE 0
gab 0.5
100 0
150
200
100 JAH
ren
150 STROOSS heesst
0.48
70 0
FRUEH
0.5
jahr
0
0.43
Abb. 40 Anstiegs- und Fallbewegung innerhalb der Nukleussilbe (schattierte Fläche) bei zweisilbigen fallenden Konturen; das Ausmaß der Fallbewegung ist an der Spannweite der eingezeichneten Klammer ablesbar
vertiert werden und in Relation zum Gesamtumfang dieser nuklearen Struktur gebracht werden, so ergibt sich für das Ausmaß der Fallbewegung ein Wert von ungefähr 20 %. Damit muss der überwiegende Teil der Fallbewegung auf der folgenden Silbe stattfinden. Die größeren Klammern für Hamburg, Duisburg und Köln deuten an, dass die Fallbewegung mehr Raum einnimmt. Hier ist die Nukleussilbe durch eine markante Fallbewegung charakterisiert. Im hamburgischen Beleg verteilt sich die gesamte Fallbewegung zu gleichen Teilen auf die beiden Silben. Das Mannheimerische schließlich stellt gewissermaßen den Extrempol zum Berlinischen oder Dresdnerischen dar. Im Beispiel STROOS heesst ‚Straße heißt’ ereignet sich die gesamte nukleare Fallbewegung bereits in der Nukleussilbe. Entsprechend wird die folgende Silbe flach auf tiefem Niveau realisiert. Über Mittelwerte und Standardabweichungen informiert Tab. 9. Verglichen mit der Variation für das Merkmal MaxPos sind die Standardabweichungen insbesondere für die Fallbewegung für einige Städte deutlich niedriger, woraus eine höhere Homogenität der Realisierungen abgeleitet werden kann. Tab. 9 N, Mittelwert, Standardabweichung für das Ausmaß der Anstiegs- und Fallbewegung Stadt
HH B DD DU K MA M Summe
N
85 91 70 86 102 91 81 606
absolut [st] 0,48 1,42 1,65 1,83 1,67 0,37 1,61
Anstiegsbewegung Mittelwert Standard[%] abw. [%] 7,77 12,51 21,84 22,2 28,73 30,38 17,11 21,94 20,54 31,79 6,19 12,34 24,37 29,04
absolut [st] 4,04 1,18 0,96 2,24 3,34 5,48 1,58
Fallbewegung Mittelwert Standard[%] abw. [%] 54,99 27,50 17,62 16,36 19,37 18,59 29,43 22,22 42 13,67 78,5 18,46 23,18 22,12
200
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Mit Hilfe der statistischen Varianzanalyse (ANOVA) wird nun für das Merkmal Fall überprüft, ob die Unterschiede zwischen den Varietäten statistisch signifikant sind und ob sich die Varianzmuster bestimmter Varietäten ähneln. Die Analyse wird durchgeführt mit ‚Varietät‘ als unabhängigem Faktor, dem Ausmaß der Fallbewegung (in st) und dem F0-Umfang des Nukleus als Kontrollvariable. Tab. 10 enthält in verkürzter Form die Ergebnisse der Posthoc-Tests nach Scheffé (Irrtumswahrscheinlichkeit 5 %), bei denen alle sieben Varietäten miteinander kombiniert werden. Wenn das Merkmal Fall zwischen zwei Städten signifikante Verschiedenheit erreicht, wird dies durch ‚*‘ in der entsprechenden Tabellenzelle ausgedrückt.21 Tab. 10 Signifikanzen für das Ausmaß der Fallbewegung (Fall) (ANOVA, Posthoc-Test nach Scheffé; *: Städtepaare sind signifikant verschieden voneinander (p£ .05); leere Zellen: nicht-signifikanter Kontrast) B DD DU K MA M
* * * * * * HH
* * *
* * *
B
DD
* * * DU
* * K
* MA
Tab. 10 belegt zunächst, dass sich die Merkmalsausprägungen des Berlinischen, Dresdnerischen und Münchnerischen nicht voneinander unterscheiden. Deutlicher als bei der Platzierung des F0-Maximums bilden damit die drei östlichen Städte eine Gruppe, in der eine gemeinsame Merkmalsausprägung auf die geringe Fallbewegung fokussiert wird. Die Ergebnisse der Varianzanalyse erlauben es dagegen nicht, auch die westlichen Varietäten zu einer homogenen Gruppe zusammenzufassen. Aus Tab. 10 geht hervor, dass die Variationsmuster des Hamburgischen, Duisburgischen, Kölnischen und Mannheimerischen jeweils verschieden von allen anderen Städten sind. Deutlicher als die Varianzanalyse für das Merkmal MaxPos legt diese Analyse eine feinere regionale Verteilung nahe. Während die östlichen Varietäten eine relativ homogene Gruppe mit vergleichbarer Realisierung aufweisen, sind die westlichen Varietäten wesentlich heterogener. Besonders erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang das Hamburgische und Mannheimerische: Während für MaxPos gezeigt wurde, dass die beiden Varietäten in diesem Merkmal sich nicht statistisch signifikant unterschieden, bilden sie hier zwei separate Gruppen. Diese Beobachtung deutet darauf hin, dass die Merkmale MaxPos und Fall zumindest für diese beiden Varietäten voneinander unabhängig sind. Zur Veranschaulichung der Variationsmuster für die Merkmale Anstieg und Fall wurde in den Abb. 41 und 42 eine Aufteilung gemäß einer Drittelung des Gesamtumfangs vorgenommen, indem die folgenden drei Kategorien gebildet werden: ge21
Die vollständigen Ergebnisse der statistischen Analyse finden sich im Anhang S. 376.
201
Phonetik der nuklearen Fallkontur
ringe Steig-/Fallbewegung (0-33 % des Gesamtumfangs), mittlere Steig-/Fallbewegung (33-66 %) und starke Steig-/Fallbewegung (66-100 %). Die Teilbalken symbolisieren die prozentualen Anteile für jede Kategorie. 100%
80%
60%
40%
20%
stark (> 66%) mittel (33-66%) gering (0-33%)
0% HH
B
DD
DU
K
MA
M
Abb. 41 Ausmaß der Fallbewegung in der Nukleussilbe relativ zum Gesamtumfang der nuklearen Kontur; Zuordnung zu den Kategorien 'gering' (Fallbewegung von 0 bis 33 %), 'mittel' (33-66 %), 'stark' (mehr als 66 %)
Aus Abb. 41 ist ersichtlich, dass das Berlinische, Dresdnerische, Duisburgische und Münchnerische auf eine geringe Fallbewegung fokussieren; hier wird in 60 bis 83 % der Belege eine Fallbewegung gemessen, die sich im oberen Drittel des nuklearen F0-Umfangs abspielt. In Mannheim dagegen dominiert mit ca. 78 % eindeutig die starke Fallbewegung. Die verbleibenden 22 % gehören zur mittleren Kategorie. Hier sind also die gering fallenden Verläufe, die in Berlin und Dresden die Regel sind, inexistent. Für das Hamburgische und auch für das Kölnische kann Variation zwischen den drei Kategorien beobachtet werden, die sich auch in der relativ hohen Standardabweichung widerspiegelt. Hier wird die mittlere und starke Fallbewegung zu je ca. 40 % präferiert, und damit ist diese Varietät dem Mannheimerischen ähnlicher als etwa dem Berlinischen oder dem Duisburgischen. Im Kölnischen kommen zu ca. 48 % die gering fallenden Fallkonturen vor, während die mittel und stark fallende Konturen zu Anteilen zwischen 25 und 30 % realisiert werden. Hinter dieser starken Variation verbirgt sich der Einfluss einer weiteren prosodischen Eigenschaft des Kölnischen, nämlich die sog. Rheinische Akzentuierung: Während die Anteile für geringe und mittlere Fallbewegung auf Wörter zurückzuführen sind, die den Tonakzent 2 (‚Zirkumflexion‘) tragen, findet die starke Fallbewegung auf Wörtern mit Tonakzent 1 (‚Schärfung‘) statt. Auf diesen Aspekt wird in der Zusammenfassung in Kap. 4.1.3.4 genauer eingegangen werden. Für die Steigbewegung zeigt Abb. 42, dass diese Teilbewegung in allen Varietäten nur eine untergeordnete Rolle spielt. Es dominiert durchweg die geringe Steigbewegung (0-33 %) mit Anteilen zwischen 63 und 88 %. In Mannheim und Ham-
202
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen 100%
80%
60%
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20%
stark (> 66%) mittel (33-66%) gering (0-33%)
0% HH
B
DD
DU
K
MA
M
Abb. 42 Ausmaß der Anstiegsbewegung in der Nukleussilbe relativ zum Gesamtumfang der nuklearen Kontur; Zuordnung zu den Kategorien ‚gering‘ (Anstiegsbewegung von 0 bis 33 %), ‚mittel‘ (33-66 %), ‚stark‘ (mehr als 66 %)
burg treten stärkere Steigbewegungen nur in Einzelbelegen auf. In Berlin, Dresden, Köln und München finden sich zu Anteilen von bis zu einem Drittel Belege mit mittlerer und starker Steigbewegung. Durch diese Profilierung der Steigbewegung entsteht eine nuklear steigend-fallende Kontur, bei der die Fallkomponente jedoch immer die vorherrschende ist.22 Beispiele aus drei Varietäten sind in Abb. 43 wiedergegeben. Es ist zu erkennen, dass die erste Hälfte der Nukleussilbe aus einer mehr oder weniger ausgeprägten Steigbewegung besteht. Im dresdnerischen Beleg erHOlung ist ebenfalls ersichtlich, dass auf der pränuklearen Silbe ein tiefes F0-Niveau vorliegt; erst dadurch kann gewährleistet werden, dass die Nukleussilbe steigen kann. Kennzeichnend für diese Variante ist, dass trotz der Anstiegsbewegung das F0-Maximum immer in der Nukleussilbe verbleibt. Es resultiert damit gleichzeitig die in den östlichen Varietäten präferierte mittlere bis späte Lokalisierung des F0-Maximums. B04-1414
DD10-13872
200
M08-15824
150
150
100
100
150 100 70 0
AUS
70
land 0.47
0
er
HO
lung 0.5
70 0
HER
gricht 0.5
Abb. 43 ‚Rising onglide‘ bei Fallkonturen in Berlin, Dresden und München
22
Für ‚echte‘ steigend-fallende Konturen, wie sie hauptsächlich im Freiburgischen und teilweise auch im Kölnischen auftreten vgl. Kap. 4.4. Für diesen Konturtyp ist eine Talbildung in der Akzentsilbe erforderlich, die sich auditiv in einem deutlichen tiefen Ton in der Akzentsilbe manifestiert; diese Konstellation liegt hier eindeutig nicht vor.
Phonetik der nuklearen Fallkontur
203
Solche Fallkonturen, bei denen zusätzlich eine deutliche Anstiegsbewegung zu verzeichnen ist, werden in GToBI mit der Symbolfolge L+H* L% bezeichnet. Durch den leading tone L+ wird ausgedrückt, dass es sich beim Anstieg um einen rising onglide handelt. Das perzeptive Zentrum des Akzenttons wird durch den Hochton H* gebildet. Insgesamt lässt sich die Variante mit ausgeprägter Anstiegsbewegung nur bei 5 und 15 % der Belege beobachten. Es handelt sich damit um eine relativ seltene, wenn auch perzeptiv auffällige Kontur. In einer aktuellen Untersuchung beschreibt Barker (2002a) nukleare Konturen in den tirolischen Dialekten in Österreich und Italien. Seine Ergebnisse können damit in Bezug zum verwandten Münchnerischen gebracht werden. Als default accent der tirolischen Dialekte wird ein steigend-fallender Verlauf angesetzt, der in ToBINotation mit L*+H L- gefasst wird; es handelt sich hier also um einen Anstieg mit perzeptivem Zentrum auf dem Tiefton L*. In einigen der abgebildeten Konturen kann dieser Akzentton auch tatsächlich erkannt werden. Allerdings ist aus dem verwendeten Datenmaterial ersichtlich, dass durch die Testsätze teilweise Kontrastakzente erhoben wurden. So impliziert die Akzentuierung Rufen sie mich MORgen an einen Kontrast zu einem anderen Termin. Als unmarkierte Akzentuierung (weiter Fokus) wäre stattdessen Rufen sie mich morgen AN erwartbar. Wenn es sich dabei tatsächlich um Kontrastakzente handeln sollte, dann ist die daran geknüpfte steigend-fallende Kontur jedoch kein regionales Spezifikum des Tirolischen. Wie Peters (2001) zeigt, sind solche Konturen recht häufig im Berlinischen und werden auch in anderen Varietäten für Kontrastakzente eingesetzt. Bei den übrigen F0-Verläufen, die in Barkers Arbeit wiedergegeben sind, ist dagegen der Anstieg nur wenig ausgeprägt. Diese Konturen wären mit L+H* L- adäquater erfasst. Die tirolischen Konturen entsprechen dann weitgehend den Konturen mit rising onglide, wie sie – wenn auch selten – in München, aber auch in Dresden und Berlin gefunden werden. Ähnlich den Ergebnissen zu MaxPos kann auch für das Merkmal Fall davon ausgegangen werden, dass sich mit der Zunahme der Silbenzahl im Nukleus auch das Ausmaß der Fallbewegung verändert. Für MaxPos konnte gezeigt werden, dass im Hamburgischen und Mannheimerischen, wo in Zweisilbern frühe Gipfellokalisierung vorherrscht, mit Erhöhung der Silbenzahl im Nukleus der F0-Gipfel nach rechts verschoben, i.e. später realisiert wird. Es wird nun zu prüfen sein, ob vergleichbare Tendenzen auch für das Merkmal Fall gelten. Wenn die Silbenzahl im Nukleus zunimmt, so bleibt für die Ausführung der Fallbewegung mehr Zeit, denn eine Komprimierung der Kontur, wie sie bei Zweisilbern möglich ist, ist dann nicht mehr erforderlich. Bei Mehrsilbern kann sich der Konturverlauf nämlich über einen größeren Zeitabschnitt verteilen, sodass die Fallbewegung in der Nukleussilbe geringer ausfallen kann. Die für diese Analyse um die mehr als zweisilbigen Nuklei erweiterte Datenbasis besteht aus insgesamt 1263 Belegen.23 Die Mittelwerte des Merkmals Fall (i.e. prozentualer Anteil in Relation zum Gesamtumfang des Nukleus) sind in Abb. 44 23
Zur Zusammensetzung der Daten vgl. Tab. 8, S. 190.
204
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
für die zweisilbigen, dreisilbigen, viersilbigen und mehr als viersilbigen Nuklei dargestellt. Für einige Varietäten ergibt sich eine Konstanz des Ausmaßes der Fallbewegung unabhängig von der Silbenzahl: Die dicht beieinander liegenden Mittelwerte in Berlin und Dresden deuten darauf hin, dass die Zunahme der Silbenzahl nicht zu einer Veränderung der Fallbewegung in der Nukleussilbe beiträgt. Für das Duisburgische, Kölnische und Münchnerische können dagegen leichte Abnahmen der Fallbewegung festgestellt werden: Werden z.B. in Duisburg die Zweisilber noch mit einer 30%igen Fallbewegung realisiert, so reduziert sich dieser Wert bei den mehr als viersilbigen Nuklei auf lediglich 10 %. Die gleiche Tendenz, wenn auch bei einer generell stärkeren Fallbewegung, manifestiert sich in Köln, wenn die Fallbewegung von 42 % bei den Zweisilbern auf 24 % bei den mehr als viersilbigen Strukturen zurückgeht. Geringere Abnahmen für Fall zeigt das Münchnerische. Alle diese Differenzen sind jedoch statistisch nicht signifikant.
% des Gesamtumfangs
90
Zweisilber
80
Dreisilber
70
Viersilber
60
mehr als 4
50 40 30 20 10 0 HH
B
DD
DU
K
MA
M
Abb. 44 Mittelwerte für das Ausmaß der Fallbewegung in der Nukleussilbe (Fall) für Fallkonturen bei unterschiedlichen Silbenzahlen im Nukleus (in % des Gesamtumfangs des Nukleus)
Bedeutend auffälliger sind wiederum das Hamburgische und das Mannheimerische, d.h. die Städte mit starker Fallbewegung bei zweisilbigen Nuklei. In Hamburg nimmt das Ausmaß von Fall mit zunehmender Silbenzahl kontinuierlich ab (von 55 auf 13 %). Diese massive Abnahme ist auch statistisch signifikant (ANOVA, Posthoc-Test; zwei- vs. dreisilbig: p=0,035, zweisilbig vs. viersilbig: p=0,045, zweisilbig vs. mehr als zweisilbig: p=0,035). Auch beim Mannheimerischen nimmt die Fallbewegung mit zunehmender Silbenzahl ab: Werden bei den Zweisilbern noch 78 % des Gesamtumfangs in der Nukleussilbe durchlaufen, so beträgt der Wert für die mehr als viersilbigen Nuklei nur noch 43 %. Auch diese Abnahme ist statistisch signifikant (zwei- vs. dreisilbig: p=0,019, zwei- vs. viersilbig: p=0,023, zwei- vs. mehr als viersilbig: p=0,031). Doch selbst bei den längsten Nuklei ist die Fallbewegung in der Nukleussilbe immer noch größer als z.B. in Berlin oder Dresden. Die regionalen Unterschiede, wie sie für die zweisilbigen Nuklei herausgearbeitet wurden, werden also auch bei den längeren Nuklei nicht neutralisiert, sondern beibehalten. Aus der
205
Phonetik der nuklearen Fallkontur
Beobachtung, dass im Vergleich zu den übrigen Varietäten die Fallbewegung in Mannheim und Hamburg unabhängig von der nuklearen Silbenzahl größere Ausmaße annimmt, kann geschlossen werden, dass es sich dabei tatsächlich um einen regionalspezifischen Parameter handelt und nicht um einen (ebenfalls regionalspezifischen) Assimilationseffekt, der durch das abnehmende Silbenmaterial bedingt sein könnte. 4.1.3.3 Anstiegs- und Fallgeschwindigkeit Ein weiteres Merkmal zur Erfassung der Anstiegs-/Falldynamik in der Nukleussilbe ist die relative Geschwindigkeit der beiden Teilbewegungen. Um die Teilgeschwindigkeiten zu erhalten, werden die Werte der Anstiegs- und Fallbewegung in Relation zu ihrer Dauer gesetzt; die Einheit der Geschwindigkeit wird hier in Halbtönen pro Millisekunde angegeben (st/ms). Vergleichbar den Darstellungen zum Ausmaß der Steig-/Fallbewegung beziehen sich in Abb. 45 die negativen Werte auf dem linken Teilbalken auf die Geschwindigkeit der Anstiegsbewegung, die positiven Werte des rechten Teilbalkens auf die Geschwindigkeit der Fallbewegung. Dieses Merkmal ähnelt in seiner Häufigkeitsverteilung den bereits besprochenen Merkmalen. Berlin und Dresden liegen erwartungsgemäß eng beieinander, das Hamburgische ähnelt dem Mannheimerischen, und Duisburg, Köln und München liegen zwischen diesen beiden Gruppen. Insgesamt kann also eine Korrelation zwischen dem Ausmaß der Anstiegs- und Fallbewegung und der Geschwindigkeit dieser Teilbewegungen konstatiert werden: Bewegungen mit geringem Ausmaß weisen auch eine geringe Geschwindigkeit auf, und große Teilbewegungen werden entsprechend mit hoher Geschwindigkeit ausgeführt. Anstiegs- und Fallgeschwindigkeit [st/ms] HH B DD DU K MA Anstieg [st/ms]
M
Fall [st/ms]
0,8
0,6
0,4
0,2
0
0,2
0,4
0,6
0,8
[st/ms]
Abb. 45 Relative Anstiegs- und Fallgeschwindigkeit in der Nukleussilbe bei zweisilbigen Fallkonturen (in Halbtönen pro Millisekunde)
206
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Erklärungsbedürftig sind hier die ungefähr gleichen Werte der Fallgeschwindigkeit für Hamburg und Mannheim (0,4 bzw. 0,43 st/ms). Obwohl im Mannheimerischen mit ca. 78 % eine um rund 23 % größere Fallbewegung stattfindet als im Hamburgischen, wird dieser Unterschied in der Fallgeschwindigkeit nicht reflektiert. Die Ursache für diese Asymmetrie ist in der unterschiedlichen Dauer des sonorantischen Bereichs in der akzentuierten Silbe zu suchen. Tab. 11 informiert über die Dauerwerte für den sonorantischen Bereich der untersuchten Varietäten. Vom Münchnerischen einmal abgesehen, ist eine charakteristische Zunahme der Dauer von Norden nach Süd-Westen festzustellen.24 Tab. 11 Mittelwert und Standardabweichung für die Dauer des sonorantischen Bereichs bei zweisilbigen fallenden Nuklei Stadt
Mittelwert [ms]
HH B DD DU K MA M
134 135 148 159 168 158 111
Standardabweichung [ms] 44 43 45 40 50 48 42
Für den vorliegenden Zusammenhang ist der Dauerunterschied zwischen dem Hamburgischen (134 ms) und Mannheimerischen (158 ms) relevant. Er beträgt 24 ms und erreicht auch statistische Signifikanz (t-Test, 5 %-Niveau, p = 0,002). Diese Differenz bedeutet für die Intonation, dass im Mannheimerischen aufgrund der größeren Dauer mehr Zeit als im Hamburgischen bleibt, die Fallbewegung auszuführen. Infolgedessen kann im Mannheimerischen bei ungefähr gleicher Fallgeschwindigkeit wie im Hamburgischen eine größere Fallbewegung stattfinden. Damit zeigt sich, dass auch regionalspezifische Dauerunterschiede in der Nukleussilbe Einfluss auf die intonatorische Gestaltung ausüben können. 4.1.3.4 Zusammenfassung und Diskussion Es ist das Ziel der vorangegangenen Analysen gewesen, die intra-varietären und regional-kontrastiven Merkmale der Konturdynamik der Nukleussilbe herauszuarbeiten. Basierend auf einer umfangreichen Datenbasis wurden drei akustisch-phonetische Parameter untersucht: (1) die Lokalisierung des F0-Maximums (MaxPos), (2) das Ausmaß der Anstiegs- und Fallbewegung (Anstieg bzw. Fall), (3) die Fallgeschwindigkeit. Dabei haben sich sowohl für die einzelnen Merkmale als auch für bestimmte Merkmalskombinationen regionalspezifische Präferenzen ergeben. In der 24
Die relativ hohen Standardabweichungen resultieren zum Teil aus den unterschiedlich komplexen Silbenstrukturen der ausgemessenen Akzentsilben.
Phonetik der nuklearen Fallkontur
207
Zusammenschau dieser Einzelergebnisse können für die Stadtvarietäten schematische Fallkonturen angesetzt werden, die auf den Mittelwerten der einzelnen Merkmale basieren. Bei der Darstellung dieser Mittelwertkonturen in Abb. 46 werden diejenigen Städte, die ähnliche Präferenzmuster aufweisen, zusammen gruppiert, so dass die regionalen Unterschiede und Gemeinsamkeiten sichtbar werden. Demnach lassen sich die sieben Varietäten zu drei Gruppen zusammenfassen. In den Abbildungen ist die Variationsdimension von MaxPos im Bereich der Nukleussilbe auf der horizontalen Achse abgetragen (0 % = F0-Maximum am Beginn der Silbe, 100 % = F0-Maximum am Ende der Silbe). Lokalisierung von F0 [% der Dauer Die vertikale Achse gibt das Ausmaß der Ander Nukleussilbe] stiegs- bzw. Fallbewegung an (0 % = keine An0 25 50 75 100 0 stiegs-/Fallbewegung, 100 % = gesamte Anstiegs-/Fallbewegung innerhalb der 25 Nukleussilbe). Die obere Abbildung zeigt die durch50 schnittlichen Fallkonturen für das Berlinische, Dresdnerische und Münchnerische. Die Kon75 tur ist hier durch einen silbeninternen Anstieg Berlin Dresden um ca. 25 %, ein F0-Maximum ziemlich genau München 100 in der Mitte der Silbe und eine Fallbewegung Nukleussilbe Nachlaufsilbe von ca. 20 % gekennzeichnet. Innerhalb der 0 25 50 75 100 0 Nukleussilbe ist damit die Anstiegsbewegung ausgeprägter als die Fallbewegung. Es finden 25 sich allerdings nicht wenige Belege, bei denen innerhalb der Nukleussilbe insgesamt nur we50 nig Bewegung stattfindet, so dass ein flach-hoher Verlauf entsteht. Daraus folgt zwangsläu75 fig, dass sich der Großteil der Fallbewegung Hamburg auf der Folgesilbe ereignet. Es ist bemerkensMannheim 100 wert, dass es ausschließlich diese drei östlichen Nukleussilbe Nachlaufsilbe Varietäten sind, die diese Mittelwertrealisie0 25 50 75 100 0 rung aufweisen. Die intra-varietäre Variation ist in dieser Darstellung natürlich nicht mehr 25 erkennbar. Besonders das Merkmal MaxPos weist eine hohe intra-individuelle und intra-va50 rietäre Variation auf. Demgegenüber ist die Variabilität für das Ausmaß der Fallbewegung 75 deutlich geringer: Wie oben gezeigt, wird in alKöln len drei Städten eindeutig die geringe FallbeDuisburg 100 wegung präferiert. Für eine Modellierung des Nachlaufsilbe Nukleussilbe Abb. 46 Mittelwert-Konturen für zweisilbi- Akzentverlaufs in diesen Städten ergibt sich ge Nuklei, basierend auf den Analysen der damit, dass die Information über das Ausmaß rel. F0-Umfang des Nukleus [%]
rel. F0-Umfang des Nukleus [%]
rel. F0-Umfang des Nukleus [%]
max
Merkmale MaxPos, Anstieg und Fall
208
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
der Anstiegs- und Fallbewegung besonders relevant ist, während die Lokalisierung des F0-Maximums aufgrund der hohen Variabilität nur leichte Relevanz besitzt. In deutlichem Kontrast zu den drei östlichen Varietäten positionieren sich die westlichen Varietäten aus Hamburg und Mannheim, die durch ein relativ frühes MaxPos (unter 25 %) und eine deutliche Fallbewegung in der Nukleussilbe (zwischen 55 und 78 %) charakterisiert sind (vgl. Abb. 46, Mitte ). Da auf der Folgesilbe nur noch wenig Fallbewegung stattfindet, entsteht an der Grenze zwischen Nukleussilbe und Nachlauf ein Knick, der zu einem konkaven Verlauf beiträgt. Das Mannheimerische stellt hierbei den Extremfall dar, denn nicht selten wird der tiefste F0-Wert bereits in der Nukleussilbe erreicht. Das frühe MaxPos bedingt hier, dass in der Nukleussilbe praktisch keine Anstiegsbewegung möglich ist. Auch für diese beiden Städte verbirgt sich hinter der Mittelwertkontur teilweise beträchtliche Variation: Im Hamburgischen ist die Variation von MaxPos gering, während das Ausmaß der Fallbewegung recht variabel sein kann. Die spezifische Merkmalsausprägung für MaxPos kann folglich als das zentrale regionale Merkmal angesehen werden, während das Ausmaß der Fallbewegung nur eine untergeordnete Relevanz besitzt. Im Gegensatz dazu konnte für die östlichen Varietäten gezeigt werden, dass hier das Ausmaß der Fallbewegung als das zentrale regionale Merkmal fungiert, während das (variationsreiche) Merkmal MaxPos weniger relevant zu sein scheint. Im Mannheimerischen dagegen ergibt sich für beide Merkmale eine eindeutige und fast variationsfreie Ausprägung: Recht konsistent werden hier sowohl ein frühes MaxPos als auch hohe Werte für das Ausmaß der Fallbewegung verzeichnet, so dass eine positive Korrelation zwischen den beiden Merkmalen angenommen werden kann. Zwischen der östlichen Gruppe und dem Mannheimerischen und Hamburgischen sind das Duisburgische und Kölnische angesiedelt (Abb. 46, unten): MaxPos erfolgt hier später als in Berlin, jedoch früher als in Mannheim. Das Ausmaß der Fallbewegung ist zwar höher als in Berlin, jedoch deutlich niedriger als in Mannheim. Auch das Ausmaß der Anstiegsbewegung rangiert hier zwischen den übrigen Städten. Die geographische Nähe der beiden westmitteldeutschen Städte wird damit auch durch die gleiche (mittelwertige) Akzentrealisierung reflektiert. Sowohl im Kölnischen als auch im Duisburgischen weisen die drei phonetischen Merkmale hohe Streubereiche auf. Zumindest für das Kölnische kann eine eindeutige Ursache dieser Variation festgestellt werden: Die Realisierung der Fallkontur ist durch die wortprosodische Besonderheit der mittelfränkischen Tonakzente überlagert. Die lexikalisch-phonologische Funktion und die phonetische Form der kölnischen Tonakzente wurden bereits oben in Kap. 2.5.1, S. 72f. dargestellt. Auf der Grundlage der durchgeführten Messungen kann nun überprüft werden, inwieweit die Tonakzente, die bislang nur unter kontrollierten Erhebungsbedingungen konsistent nachgewiesen werden konnten, auch in Spontansprache erhalten bleiben. Eine Aufteilung der Datenmenge gemäß den Kontextbedingungen für die Kombinatorik der Tonakzentzuweisung ergibt, dass für 45 Belege der Tonakzent 1 und für 41 Belege der Tonakzent 2 ange-
Phonetik der nuklearen Fallkontur
Köln
209
nommen werden kann. Die nach Tonakzenten getrennte Darstellung der Akzentrealisierung in Abb. 47 zeigt klare Realisationsunterschiede, d.h. die Tonakzentopposition ist – zumindest 0 25 50 75 100 0 für einige SprecherInnen – auch in der Spontansprache stabil vorhanden. Demnach ist die Ak25 zentrealisierung in Tonakzent-1-Wörtern (durchgezogene Linie) durch einen leichten An50 stieg, ein frühes MaxPos (ca. 21 %) und eine deutliche Fallbewegung um 56 % gekennzeich75 net. Diese Merkmalskombination entspricht damit recht genau der prototypisch für das Kölni100 Nukleussilbe Nachlaufsilbe sche angenommenen ‚Schärfung‘ (vgl. Schmidt 1986). Davon setzt sich die Akzentrealisierung Duisburg in Tonakzent-2-Wörtern (gestrichelte Linie) ab, 0 25 50 75 100 die eine stärkere Anstiegsbewegung (31 %), ein 0 späteres F0-Maximum (50 %) und eine nur geringe Fallbewegung (26 %) aufweisen. Insge25 samt sind damit die beiden Tonakzente durch distinkte phonetische Muster differenziert. Die 50 Tonakzentopposition konnte für vier der sieben Kölner SprecherInnen festgestellt werden 75 (K11w, K09, Kf, K10). Beim Sprecher K06 ist sie nicht mehr vorhanden; für die Sprecherin 100 Nukleussilbe Nachlaufsilbe Kfw war die Belegmenge zu gering, um zu aussagekräftigen Resultaten zu gelangen. Mit dieser Tonakzent 1 Tonakzent 2 Zusatzanalyse zum Kölnischen kann gezeigt Abb. 47 Mittelwert-Konturen des Kölni- werden, dass die zunächst festgestellte Variation schen und Duisburgischen für Tonakzent der Realisationsparameter ihre Ursachen in der 1 bzw. Tonakzent 2 Überlagerung durch ein weiteres, lexikalisch bedingtes Phänomen hat. Dagegen kann diese Erklärung für die hohe Variation im Duisburgischen nicht in Anspruch genommen werden. Das Duisburgische liegt am äußersten Nordrand des mittelfränkischen Tonakzentareals, und zumindest Wiesinger (1970: 65f.) setzt für das heute in die Stadt eingemeindete, linksrheinische Homberg noch eine Tonakzentopposition an. Inwieweit und in welcher Form die Tonakzentopposition in Duisburg ehemals vorhanden war, kann aufgrund mangelnder Datenlage nicht beantwortet werden. Die Mittelwert-Konturen für potenzielle Tonakzentwörter in Abb. 47 ergibt für beide Akzenttypen eine nahezu identische Realisierung. Bei zwei der acht Duisburger Sprecher (DU05, DU07) können noch Ansätze einer Tonakzentopposition festgestellt werden, doch handelt es sich dabei nur um wenige Belege. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass hier der eventuell früher einmal rel. F0-Umfang des Nukleus [%]
rel. F0-Umfang des Nukleus [%]
Lokalisierung von MaxPos [% der Dauer der Nukleussilbe]
210
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
vorhandene Tonakzentkontrast aufgegeben worden ist. Die heute zu beobachtende hohe Variation der Akzentrealisierung kann im Sinne einer Auflösung der Tonakzentopposition interpretiert werden. Im dialektologischen Gesamtüberblick über die Realisierung der Nukleussilbe kann damit insgesamt eine Ost-West-Differenzierung ermittelt werden, die teilweise quer zur traditionellen Nord-Süd-Einteilung deutscher Dialekte verläuft: Eine Region mit relativ homogener Realisierung umfasst sowohl das Berlinische, das ostmitteldeutsche Dresdnerische als auch das ostoberdeutsche Münchnerische. Gegenüber den östlichen Varietäten positionieren sich die westlichen Varietäten. Allerdings ist hier die Variation insgesamt größer, so dass in einer kleinen westmitteldeutschen Gruppe bestehend aus dem Kölnischen und Duisburgischen eine andere Akzentrealisierung präferiert wird als im Hamburgischen und Mannheimerischen. Die herausgearbeitete regionale Variabilität betrifft ausschließlich die Ebene der phonetischen Akzentrealisierung (phonetische Implementierung), die keine Auswirkungen auf die tonologische Ebene hat: In allen sieben Städten besteht die tonologische Struktur der Fallkontur aus einem Akzentton H*+L, dem ein optionaler tiefer Grenzton (L%) folgt. Auf dieser systematischen Ebene existieren damit keine regionalen Kontraste. 4.1.4 Sonderfall: Fallkonturen auf einsilbigen Nuklei Die vorangegangenen Analysen machten deutlich, dass der Intonationsverlauf durch die Länge des Nukleus beeinflusst wird und dass sich darüber hinaus diese Effekte regional unterschiedlich manifestieren. So nimmt z.B. das Ausmaß der Fallbewegung im Mannheimerischen mit abnehmender Silbenzahl des Nukleus zu und gleichzeitig vergrößert sich damit der regionale Kontrast zu anderen Varietäten (v.a. zum Berlinischen und Dresdnerischen). Diese Abhängigkeit vom vorhandenen sonoren/silbischen Material trifft im Besonderen auf die einsilbigen Nuklei zu. Hier steht zur Ausführung der Fallkontur lediglich eine, i.e. die phrasenletzte Silbe zur Verfügung. Es kommt zwangsläufig zur Häufung der tonalen Bestandteile auf einer Silbe, denn auf dem beschränkten silbischen Material müssen der Akzentton H*(+L) und der Grenzton L% realisiert werden. Daraus ergeben sich geringere Variationsmöglichkeiten und es kann prognostiziert werden, dass einige Dialektunterschiede, die für die zweisilbigen Nuklei beschrieben wurden, bei einsilbigen Nuklei teilweise oder ganz neutralisiert sind. In diesem Kapitel wird zunächst die allgemeine Konturdynamik bei Einsilbern dargestellt (Kap. 4.1.4.1); danach wird eine Analyse der F0-Modifikationen hinsichtlich Trunkierung/Kompression durchgeführt (Kap. 4.1.4.2).
211
Phonetik der nuklearen Fallkontur
4.1.4.1 Allgemeine Konturdynamik Da die Fallbewegung innerhalb einer Silbe abgeschlossen werden muss, ist damit zu rechnen, dass das F0-Maximum deutlich früher platziert wird als bei mehrsilbigen Nuklei. Im Mannheimerischen und Hamburgischen dürfte sich dieser Effekt nicht bemerkbar machen, da hier ohnehin die frühe Lokalisierung des Maximums präferiert wird. Für die übrigen Städte und insbesondere für das Berlinische und Dresdnerische kann angenommen werden, dass die dort präferierten mittleren und späten F0-Maxima zugunsten von frühen Maxima aufgegeben werden, wodurch es zu einer (zufälligen) Annäherung an die mannheimerische und hamburgische Realisierung kommen könnte. Dieser Anpassungseffekt ist von Grabe (1998a) auch für das Standarddeutsche nachgewiesen worden. Die folgende Analyse wird zeigen, dass bei einsilbigen Nuklei tatsächlich eine Neutralisierung der regionalen Kontraste eintritt. Diese Neutralisierung ist jedoch nicht vollständig, so dass Strukturmerkmale, die charakteristisch für die mehrsilbigen Nuklei sind, zumindest teilweise auch noch für die einsilbigen Nuklei gelten. Für die phonetische Analyse wurden insgesamt 233 einsilbige Nuklei ausgewählt, deren Silbenkerne aus Langvokal, Diphthong oder einem Kurzvokal mit folgendem (stimmhaften) Sonoranten besteht (Beispiele: MARK, EINS, geLERNT, AUCH, STIMMT). Analog zu den phonetischen Messungen in den vorangegangenen Kapiteln wurde für die Dauermessung der sonore Silbenreim zugrunde gelegt, d.h. stimmhafte Onsetkonsonanten bleiben ausgeschlossen. Tab. 12 Anzahl N und Mittelwerte der Dauer [ms] für einsilbige Fallkonturen Stadt HH B DD DU K MA M Summe
N 32 54 23 31 36 25 32 233
Dauer [ms] 167 170 177 171 206 235 163
Nach Tab. 12 werden in den meisten Städten die einsilbigen Nuklei mit ungefähr der gleichen Dauer realisiert, i.e. in Hamburg, Berlin, Dresden, Duisburg und München rangieren die Mittelwerte um 170 ms. Deutlich länger sind die Nuklei in Köln (206 ms) und Mannheim (235 ms), so dass hier mehr Gestaltungsspielraum für die Ausführung der Intonationskontur zur Verfügung steht als in den übrigen Städten. In Mannheim sind die höheren Dauern teilweise auf die dort stärker als in anderen Regionen wirkende phrasenfinale Dehnung zurückzuführen. Die relativ kurze Zeitspanne des einsilbigen Nukleus führt dazu, dass das F0-Maximum relativ früh platziert wird, damit in der Silbe überhaupt eine Fallbewegung stattfinden kann. Trotz dieser eingeschränkten Realisierungsmöglichkeit lässt
212
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
sich für die Platzierung des F0-Maximums regionale Variation feststellen, die in Einklang mit den Ergebnissen zu den zweisilbigen Fallkonturen gebracht werden kann. In Abb. 48 ist das Variationsmuster für die Lokalisierung des F0-Maximums wiedergegeben; für jede Stadtvarietät ist die Häufigkeit für die frühe, mittlere und späte Lokalisierung angegeben. 100% 80% 60% 40% spät (66-100%)
20%
Mitte (33-66%) früh (0-33 %)
0% HH
B
DD
DU
K
MA
MU
Abb. 48 Platzierung des F0-Maximums in einsilbigen, finalen Nuklei
Erwartungsgemäß ist in allen Varietäten die frühe Platzierung am häufigsten, d.h. das F0-Maximum wird spätestens nach 33 % der Dauer des Nukleus erreicht. Für Hamburg, Köln und Mannheim gilt die frühe Platzierung nahezu kategorisch, so dass die Fallbewegung direkt zu Beginn des Nukleus einsetzen kann. Dies ist für das Kölnische in Abb. 49 dargestellt. In den Nuklei ZEHN und KÖLN beginnt die Fallbewegung jeweils am linken Rand des Vokals und es folgt eine lineare Fallbewegung bis zum Ende der Phrase. 200
200
150
150
100 70 0
100 Z
EH
N 0.33
K Ö 70 0
LN 0.44
Abb. 49 Einsilbige Fallkonturen des Kölnischen; Platzierung des F0-Maximum am Beginn der Silbe (durch Pfeil hervorgehoben)
Für einige Varietäten in Abb. 48 sind jedoch die teilweise nicht geringen Anteile für die mittlere und sogar späte Lokalisierung auffällig. Besonders in Berlin, Dresden und München werden zwischen 30 und 40 % der Einsilber trotz des geringen sonoren Materials mit einer verzögerten Fallbewegung realisiert. Die generell späte Lokalisierung, die für diese Varietäten für die zweisilbigen Nuklei festgestellt wurde, ist damit bei den einsilbigen Nuklei nur teilweise aufgehoben. Die Beispiele für Berlin und Dresden in Abb. 51 stehen in deutlichem Kontrast zu den Kölner Belegen. Die Konturen in den berlinischen Nuklei RAUS und MAL beginnen mit einem leicht
213
Phonetik der nuklearen Fallkontur
steigenden Verlauf, bis das F0-Maximum in der Mitte erreicht ist; erst danach setzt die Fallbewegung ein. Auch im Dresdnerischen ist die initiale Anstiegsbewegung zu erkennen, und das Maximum liegt hier noch später. Charakteristisch ist hier weiterhin, dass die Fallbewegung äußerst gering ausgeprägt ist, obwohl die gesamte Kontur eindeutig als fallend wahrgenommen wird. Berlin
Berlin
150 100
Dresden 200
200
150
150
150
100
70 R
50 0
AU
S
100 M
0.33
Dresden
200
70 0
A
L 0.35
100
70 0
WALD
KL 70 0
0.35
AR 0.24
Abb. 50 Einsilbige Fallkonturen des Berlinischen und Dresdnerischen mit mittlerem und spätem F0-Maximum (durch Pfeil hervorgehoben)
Im Gegensatz zu den östlichen Varietäten trägt die durchschnittlich längere Dauer der Nuklei in den westmitteldeutschen Städten Köln und Mannheim dazu bei, dass sich hier eine weitere Variante der Fallkontur herausgebildet hat (Abb. 51). Sie ist gekennzeichnet durch eine früh einsetzende Fallbewegung, so dass schon früh in der Silbe die Tieflage erreicht wird; bis zum Ende der Silbe verbleibt der Verlauf auf diesem tiefen Niveau. Statt aus einer linearen Fallbewegung besteht die Kontur aus zwei Teilkomponenten, dem eigentlichen Fall und einer tief-flachen Komponente, woraus ein Knick im Verlauf resultiert. In nuce weisen diese Konturen also den gleichen Verlauf wie die zwei- (und mehrsilbigen) Knickkonturen auf – mit dem Unterschied, dass die Teilbewegungen auf eine Silbe komprimiert werden. Dies ist u.a. deswegen möglich, da hier die finalen Akzentsilben durch ihre Überlänge eine ausMA06-2297
MA06-2121
MA06-2103
MA06-2098
200
200
200
200
150
150
150
150
100
100
100
100
70 0
TOT 0.26
70 0
K09-16945 200
150
150
100
100 (nor)MAL 0.35
0.47
70 0
K09-14469
200
70 0
WOHNT
70 0
DURCH 0.39
STROOSS 0.41
70 0
K11-15236 200
150
150 DOOF 0.5
0.36 K11-15272
200
100 0
DO
100 0
(a)LARM 0.37
Abb. 51 F0-Kontur (dicke Linie) und Intensitätsprofil (dünne Linie) für einsilbige Fallkonturen des Mannheimerischen und Kölnischen; bei den kölnischen Wörtern norMAL und aLARM, die über eine Auftakt-Silbe verfügen, ist nur der Verlauf der akzentuierten Silbe dargestellt
214
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
reichende Dauer zur Ausführung der Kontur aufweisen. Der markante Knick ist in den Verläufen in Abb. 50 deutlich zu erkennen. Die Überlänge trägt daneben zum auditiven Eindruck der Zweigipfligkeit bei. Im Mannheimerischen tritt die Kontur nur auf, wenn die Nukleussilbe phonologisch lang ist und noch weiter gedehnt werden kann. Wie in den Beispielen in Abb. 50 muss die Silbe also aus einem Langvokal oder einem Diphthong bestehen. Häufig tritt diese Dehnung bei [o:] auf, das im Mannheimerischen auf mhd. ô oder â (strâzze > STROOSS, dâ > DO) zurückgehen kann. Für das Kölnische lässt sich ein recht eindeutiger Vorkommenskontext für die Konturvariante mit Knick angeben: Sie tritt überwiegend dann auf, wenn das Wort im Nukleus den Tonakzent 2 der Tonakzentopposition des Mittelfränkischen trägt. Es kommt hier also zu einer Interaktion zwischen der Phrasen-/Satzintonation und der Wortintonation (i.e. Rheinische Akzentuierung).25 Bei den Beispielen in Abb. 50 (norMAL, DURCH, DOOF, aLARM) handelt es sich sämtlich um Tonakzent-2-Wörter. Zu den phonetischen Exponenten des Tonakzents 2 gehören die generell längere Dauer im Vergleich zu TA1-Wörtern (oft als Überlänge) und eine aus zwei Teilbewegungen bestehende Tonstruktur; bei nicht IP-finalen TA2-Wörtern kann der Tonakzent aus einem fallend-steigend-fallenden Verlauf oder aus einem stark verzögert fallenden Verlauf bestehen. Aus diesem Grund wird der Tonakzent 2 auch häufig als ‚zweigipfliger Akzent‘ bezeichnet. Oft sind TA2-Wörter auch durch ein Intensitätsprofil mit einem Hochplateau oder einem nur langsam fallenden Verlauf gekennzeichnet. Wenn jedoch, wie im vorliegenden Fall, das (einsilbige) TA2-Wort IP-final steht, wird der zweite Gipfel durch eine Tieflage realisiert, wie sie in Abb. 50 zu sehen ist. Evidenz für eine solche Modifikation des TA2 am IP-Ende kommt z.B. von den Tonakzentrealisierungen in den limburgischen Städten Venlo und Roermond (Gussenhoven/van der Vliet 1999, Gussenhoven 2000b). Hier wird der TA2 mit der gleichen Struktur wie in Köln realisiert: auf eine relativ schnelle Fallbewegung in der ersten Hälfte folgt eine tief-flache Komponente. Ein Rest der (ursprünglichen) zweigipfligen Struktur ist im leichten Wiederanstieg am Silbenende in den Realisierungen von DOOF und aLARM zu erkennen; diese Kontur entspricht genau der von Schmidt (1986: 196ff.) für das moselfränkische Mayen angegebenen Form für TA2.26 Für die Verläufe in Abb. 50 ist ebenfalls der charakteristische Intensitätsverlauf zu erkennen, der hier als dünne Linie oberhalb des Intonationsverlaufs eingezeichnet ist. In DURCH und noch deutlicher in norMAL ist das nur langsame Absinken der Intensität bzw. ein hochplateauartiger Verlauf zu sehen. Die überwiegende Zahl dieser Realisierungen betrifft TA2-Wörter. Bei wenigen Fällen kann auch ein Wort mit dieser Kontur realisiert werden, das eigentlich TA1 tragen müsste; dies deutet darauf hin, dass die Tonakzentopposition teilweise
25 26
Die Grundzüge der Rheinischen Akzentuierung sind am Beispiel des Kölner Teilkorpus in Kap. 2.5.2, S. 72f. dargelegt. Schmidts Tonakzent-2-Wörter für diesen Kontext sind: Mann [mAn:2] und Taufe [dAU2f].
215
Phonetik der nuklearen Fallkontur
neutralisiert ist, d.h. aus der ursprünglich phonologischen Distinktion wird eine phonetische. Für die ‚echten‘ TA1-Realisierungen in Abb. 52 ist die schnelle Fallbewegung ohne weitere Richtungsänderungen typisch. Die Beispiele FUSS und (be)RUF belegen zudem, dass fast parallel zur Fallbewegung der Intonation auch ein Abfall der Intensität (dünne Linie oberhalb der Intonationskurve) zu beobachten ist. K11-15273
200
K09-14324
500 150 300 200 0
100 FUSS 0.45
70 0
(be)RUF 0.5
Abb. 52 Tonakzent 1 im Kölnischen; F0-Verlauf (dicke Linie) und Intensitätsverlauf (dünne Linie)
Es ist offensichtlich, dass die mannheimerischen und kölnischen Belege starke Ähnlichkeiten aufweisen. Ob die mannheimerischen Realisierungen als die Reste einer vormals dort vorhandenen Tonakzentopposition interpretiert werden können, darf jedoch bezweifelt werden, denn das mittelfränkische Tonakzentareal erstreckt sich im Süden nur bis zum Hunsrück. Für die Pfalz und das rheinfränkische Mannheim konnten keine Tonakzente rekonstruiert werden. Wahrscheinlicher ist vielmehr, dass die Konturvariante aus Abb. 50 in einem großen westmitteldeutschen Areal anzutreffen ist. Während sie im Mittelfränkischen als Bestandteil einer Tonakzentopposition eingesetzt wird, besitzt sie im Mannheimerischen einen (phonologisch) nicht-distinktiven Status. 4.1.4.2 Trunkierung/Kompression Zur quantitativen Erfassung der beschriebenen Prozesse dienen die Konzepte ‚Trunkierung‘ und ‚Kompression‘, die in jüngster Zeit zu zentralen Parametern in der Erforschung der Dialektintonation avanciert sind (vgl. v.a. Grabe et al. 2000). Bei der Abnahme des sonoren Materials können in Sprachen und auch in ihren Dialekten zwei verschiedene Strategien beobachtet werden: (1) Es ist möglich, dass Teile des Konturverlaufs nicht realisiert, also ‚trunkiert‘, werden. (2) Die Kontur wird vollständig realisiert und innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeitspanne gestaucht, also ‚komprimiert‘. In Abb. 53 sind die beiden Prozesse schematisch dargestellt. Durch eine Verkürzung der Dauer des sonorantischen Bereichs (schattiertes Rechteck) wird die Originalkontur (durchgezogene Linie) unterschiedlich modifiziert. Bei der Trunkierung wird hier die letzte Hälfte der Fallbewegung nicht realisiert. Bei der Kompression dagegen bleibt der gesamte Konturverlauf erhalten und wird in kürzerer Zeit realisiert. Die Trunkierung führt also zu einer geringeren
216
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
relativen F0-Exkursion pro Zeiteinheit, während sich bei Kompression die F0-Exkursion pro Zeiteinheit erhöht.
Trunkierung
Verkürzung der Dauer
Kompression
Verkürzung der Dauer
Abb. 53 Schematische Darstellung von Trunkierung und Kompression bei fallenden Verläufen
Trunkierung und Kompression schließen sich gegenseitig aus. Nach Ladd (1996: 132-136) handelt es sich um einen typologischen Parameter und in den Sprachen der Welt kann eine Präferenz entweder für Trunkierung oder Kompression festgestellt werden. Demnach wird das Standardenglische dem komprimierenden Typ zugerechnet (Ladd 1996, Grabe 1998a,b, Grabe et al. 2000), während das Ungarische und das Italienische Palermos (Grice 1995) als trunkierende Sprachen eingestuft werden. Die englischen Dialekte verhalten sich teilweise anders als die Standardsprache, denn hier ist Sensitivität hinsichtlich des Konturtyps zu beobachten. Nach Grabe et al. (2000) entsprechen Cambridge und Newcastle English dem Standardenglischen, i.e. hier ist generell Kompression anzutreffen. In Leeds und Belfast findet Kompression nur bei steigenden Akzenten statt, während in fallenden Akzenten trunkiert wird. Auch das Standarddeutsche ist nach Grabe (1998a,b) diesem Mischtyp zuzurechnen, denn es ähnelt den englischen Varietäten von Leeds oder Belfast: Hier wie dort werden fallende Konturen trunkiert und steigende komprimiert. Ein weiterer Mischtyp ist das Schwedische, da hier Akzent I trunkiert und Akzent II komprimiert wird (Bannert/Bredvad-Jensen 1975). Die Existenz solcher Mischformen lässt Zweifel daran aufkommen, ob es sich bei Trunkierung/Kompression überhaupt um einen sprach-typologischen Parameter handelt oder ob sich die unterschiedliche Implementierung nicht aus anderen Eigenschaften der Intonationsstruktur abgeleitet werden kann (vgl. Fox 1999). Zur Klärung dieses Problems bedarf es umfangreicher, sprachvergleichender phonetischer Studien des Merkmals, die bislang nur ansatzweise vorliegen. Aber auch wenn es sich mehr um eine Implementierungspräferenz und weniger um einen typologischen Parameter handeln sollte, so wird das Merkmal immer dann tonologisch relevant, wenn das Verhalten von komplexen Konturen bei verkürztem silbischem Material erklärt oder vorhergesagt werden soll. Ladd (1996: 132ff.) diskutiert diesen Aspekt von Tonhäufung am Beispiel der fallend-steigenden Frageintonation des Deutschen (Abb. 54). Wenn der Nukleus in den Entscheidungsfragen aus mindestens zwei Silben besteht, so kann die Kontur (hier: H* L H%) problemlos realisiert werden, da sich der Verlauf auf mehrere Silben vertei-
217
Phonetik der nuklearen Fallkontur
a.
H*
LH%
ist das IHre tüte? c.
H* HH%
ist das ihr GELD?
b.
H* LH%
ist das ihre TÜte? d.
H* LH%
nicht: *ist das ihr GELD?
Abb. 54 Auswirkungen der Trunkierung auf die Frageintonation im Deutschen (nach Ladd 1996:132ff.)
len kann (Abb. 54a, b). Bei einsilbigen Nuklei (GELD in Abb. 54c) ist diese Möglichkeit aufgrund des geringen silbischen Materials zur Hervorbringung der fallend-steigenden Kontur nicht mehr gegeben und es tritt Trunkierung ein, indem ein Teil der Bewegung abgeschnitten wird, i.e. der L-Ton von H* L H% wird phonetisch nicht realisiert und es entsteht eine Kontur mit gleichbleibend hoher Tonhöhe (H* H H%). Die Ausführung der gesamten fallend-steigenden Kontur, wie in Abb. 54d angedeutet, ist jedoch nach Ladd (1996) im Deutschen nicht möglich. Im Englischen dagegen könnten wegen der Tendenz zur Komprimierung auf solchen einsilbigen Nuklei alle drei tonalen Komponenten realisiert werden. Die Information über den trunkierenden oder komprimierenden Charakter einer Sprache kann somit bei der Prognose über das Verhalten von Intonationskonturen unter bestimmten Bedingungen relevant werden. Analysen von Trunkierung/Kompression werden überwiegend an kontrolliertem, durch Experimente elizitierten Sprachmaterial durchgeführt.27 In Grabe (1998b) wird die Reduzierung des sonoranten Materials gesteuert, indem die Silbenzahl und die Länge des Vokals verändert wird. Dazu werden die Eigennamen Schiefer, Schief und Schiff als Teststimuli verwendet. In den Realisierungen dieser Teststimuli wird dann die relative F0-Exkursion pro Zeiteinheit ermittelt. Die Versuchspersonen stammen aus dem niedersächsischen Braunschweig und sind StandardsprecherInnen, in deren Fallkonturen Trunkierung festgestellt wurde. Die folgende Analyse von Trunkierung/Kompression wird an spontansprachlichem Material durchgeführt und knüpft an Gilles (2001a) an, wo in einer qualitativen Untersuchung anhand ausgewählter einsilbiger Fallkonturen das Berlinische dem trunkierenden und das Hamburgische dem komprimierenden Typus zugerechnet werden konnte. Die Merkmalsausprägung des Berlinischen entspricht damit dem ebenfalls trunkierenden Standarddeutschen. Dagegen entspricht die Kompression des Hamburgischen mehr dem Englischen, das in Fallkonturen ebenfalls komprimiert.
27
Eine Ausnahme stellt Küglers (2004) Arbeit zum Stuttgarter Schwäbisch dar, die auf spontansprachlichem Material beruht.
218
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Die Datenbasis der vorliegenden Analyse stammt aus sieben Stadtvarietäten28 und die akustischen Akzentrealisierungen werden mit quantitativen Methoden ausgewertet. Es wird geprüft, ob und in welchem Ausmaß sich Trunkierung bzw. Kompression auch in anderen Stadtvarietäten wiederfinden lassen. Als Datenmaterial dienen einsilbige, fallende Nuklei; wiederum bleiben Belege mit total downstep ausgeschlossen. Die Belege werden gemäß dem vorhandenen sonoranten Material in zwei Klassen eingeteilt, die sich in der Anzahl der sonoranten Moren unterscheiden: Die Einsilber in der ersten Klasse weisen mindestens zwei sonorante Moren im Silbennukleus auf (Langvokal/Diphthong, Kurzvokal + tautosilbischer Sonorkonsonant; Beispiele: beRUF, norMAL, MARK, geTAN, ging). Die zweite Klasse besteht aus Wörtern mit nur einer sonoranten More (Kurzvokal; Beispiele: geMACHT, PLATZ, SCHLOSS, PLATT, verLUST). Die Wörter der ersten Klasse sind damit phonetisch (und phonologisch) länger als die Wörter der zweiten Klasse. Aus diesem silbenphonologischen Kontrast folgt weiter, dass in der ersten Klasse mehr Zeit zur Ausführung der Intonationskontur zur Verfügung steht als in der zweiten. Für alle Testwörter werden die Dauer der sonorantischen Aktivität und die F0-Exkursion in der Silbe erhoben. Die Dauer wird vom Beginn bis zum Ende der sonorantischen Aktivität erhoben. Zur Bestimmung der F0-Exkursion wird der Verlauf der Fallkontur mit Hilfe von drei Tonhöhen-Messpunkten parametrisiert. Abb. 55 zeigt eine schematische Fallkontur auf einem einsilbigen Nukleus (durchgezogene Linie). Durch die Messpunkte zu Beginn (F1), am Maximum (F2) und am Ende (F3) der Fallkontur wird eine Annäherung an den tatsächlichen Verlauf möglich (gestrichelte Linie). F1 F2
Dauer
F3
F0-Exkursion = (F2 - F1) + (F2 - F3)
Abb. 55 Schema der drei F0-Messpunkte für die Analyse von Trunkierung/Kompression
Die F0-Exkursion ergibt sich aus der Addition der Differenzen zwischen den Frequenzwerten F1 und F2 sowie zwischen F2 und F3. Die Frequenzmessungen erfolgen in Hertz und werden dann in Halbtöne konvertiert, um Unterschiede zwischen Männer- und Frauenstimmen sowie zwischen unterschiedlichen Registern zu kompensieren. Um festzustellen, ob eine geringere Dauer zu Trunkierung oder Kompression führt, wird die F0-Exkursion in Beziehung zur Dauer des sonorantischen Bereichs gesetzt. Durch die Division von F0-Exkursion durch die Dauer erhält man 28
Das Freiburgische bleibt auch hier ausgeschlossen, da dort die Fallkontur generell selten vorkommen.
219
Phonetik der nuklearen Fallkontur
die relative F0-Exkursion pro Zeiteinheit ‚Exrel‘ (rate of F0 change bei Grabe et al. 2000). Die Messungen wurden für insgesamt 434 einsilbige Nuklei aus den sieben Varietäten durchgeführt. Die Ergebnisse sind in Tab. 13 zusammengestellt. Getrennt nach ‚Langvokal/Diphthong‘ und ‚Kurzvokal‘ ist für jede Stadtvarietät die Anzahl der ausgewerteten Belege, die durchschnittliche Dauer (in Millisekunden [ms]), die F0-Exkursion [st] und die F0-Exkursion pro Zeiteinheit [st/sec] wiedergegeben. In der letzten Spalte schließlich ist das Dauerverhältnis der Nuklei mit Langvokal/Diphthong relativ zu den kurzvokalischen Nuklei angegeben. Demnach haben die sonorantischen Bereiche bei Silben mit zwei und mehr sonoren Moren teilweise die doppelte Dauer von Silben mit nur einer sonoren More. Tab. 13 Messergebnisse der Trunkierungs-/Kompressionsanalyse (N, Mittelwerte für Dauer [ms], absolute F0-Exkursion [st] und relative F0-Exkursion [st/sec] sowie Dauer-Verhältnis von Wörtern mit Lang- vs. Kurzvokal für einsilbige fallende Nuklei; für die kölnischen Einsilber mit Langvokal/Kurzvokal wurde eine zusätzliche Differenzierung nach Tonakzent 1 (K-TA1) und Tonakzent 2 (K-TA2) vorgenommen Langvokal/Diphthong
Kurzvokal
Mittelwerte Stadt
N
Dauer [ms]
Mittelwerte
absolute F0-Exkursion [st]
F0-Exkursion/sec [st/sec]
N
Dauer [ms]
absolute F0-Exkursion [st]
F0-Exkursion/sec [st/sec]
Quotient Dauer Lang- vs. Kurzvokal
HH
32
195
7,72
43,22
26
113
5,19
47,98
1,72
B
54
191
5,92
33,51
37
90
2,05
24,10
2,13
DD
23
190
3,83
21,30
23
103
2,04
20,89
1,85
DU
31
185
6,05
33,42
27
110
2,94
28,67
1,68
K
36
223
7,31
34,69
31
121
4,79
43,56
1,85
K-TA1
10
190
8,26
43,56
-
-
-
-
-
K-TA2
26
236
6,49
31,28
-
-
-
-
-
MA
25
260
8,87
35,66
24
122
4,01
33,73
2,17
M
32
192
6,91
38,08
33
99
3,80
37,74
1,94
In der grafischen Darstellung der Mittelwerte der absoluten Dauern in Abb. 56 ist der deutliche Dauerunterschied zwischen Einsilbern mit Langvokal/Diphthong und Kurzvokal augenfällig. Bei den meisten Städten (Berlin, Dresden, Duisburg, München) liegen die beiden durchschnittlichen Dauerwerte ungefähr in den gleichen Regionen (um 190 ms bzw. 100 ms). In Köln und Mannheim werden deutlich höhere Dauern gemessen. Es sind insbesondere die Silben mit zwei und mehr sonoren Moren, die sich von den Werten der übrigen Varietäten absetzen. Der hohe Wert von 260 ms für die Langvokal-Wörter im Mannheimerischen sind zum Teil auf phrasenfinale Dehnung (final lengthening) zurückzuführen, die dort in hohem Maß anzutreffen ist. Für das Kölnische ist zusätzlich noch die Differenzierung hinsichtlich der beiden Tonakzente zu berücksichtigen.29 Generell gilt für das Mittelfränkische, dass Tonakzent-1-Wörter kürzer als der Tonakzent-2 sind. Als segmentale Basis der Tonakzente ist jedoch eine Silbe mit mindestens 2 sonoranten Moren erforderlich. 29
Für einen Überblick über die Tonakzentopposition im Mittelfränkischen vgl. oben Kap. 2.5.2, S. 72f.
220
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen F0-Dauer 275
HH
F0-Dauer [ms]
225
B DD DU
175
K MA M
125
K-TA1 K-TA2 75 Langvokal/Diphthong
Kurzvokal
Abb. 56 Dauer der F0-Aktivität bei einsilbigen, fallenden Nuklei mit Langvokal/Diphthong bzw. Kurzvokal; für das Kölnische zusätzlich Aufteilung nach Tonakzent-1 (K-TA1) und Tonakzent-2 (K-TA2)
Tonakzente können daher nur bei den Nuklei der Klasse ‚lang‘ angetroffen werden. Diese Nuklei werden für das Kölnische hinsichtlich der Vorkommensbedingungen der Tonakzente aufgeteilt; in Abb. 56 sind die Dauerwerte für den TA1 (K-TA1) und TA2 (K-TA2) eingezeichnet. Trotz der hohen Variabilität des verwendeten spontanen Sprachmaterials manifestiert sich dieser Dauerkontrast. Die TA1-Realisierungen liegen mit 189 ms im Realisierungsbereich der meisten Städte. Mit durchschnittlich 236 ms ist der TA2 deutlich länger (ca. 24 %) und liegt damit fast in der Nähe der besonders langen Silben des Mannheimerischen. In der Datenbasis ist damit ein systematischer Dauerunterschied zwischen TA1 und TA2 vorhanden, der möglicherweise auch Einfluss auf Trunkierung/Kompression ausübt. In der weiteren Analyse wird daher für das Kölnische der Einfluss der Tonakzente zu beachten sein. Als Ergebnis der Daueranalyse bleibt festzuhalten, dass die unterschiedliche phonologische Struktur in der Dauer des sonorantischen Bereichs reflektiert wird. Damit ist die Voraussetzung für die Analyse der Akzentrealisierungen hinsichtlich Trunkierung und Kompression gewährleistet. Ob nun in den einzelnen Varietäten Trunkierung oder Kompression vorliegt, kann erst im Vergleich der Mittelwerte für die relative F0-Exkursion pro Zeiteinheit bestimmt werden. Trunkierung liegt dann vor, wenn die Silben mit nur einer sonoren More eine geringere F0-Exkursion pro Zeit aufweisen als die Akzentsilben mit mehr als einer sonoren More. Anders formuliert: Durch die Reduktion des sonoren Materials nimmt auch die F0-Exkursion pro Zeiteinheit ab. Von Kompression ist dann auszugehen, wenn die F0-Exkursion pro Zeiteinheit in Silben mit einer sonoren More höher ist als bei den Silben mit zwei oder mehr sonoren Moren. In diesem Fall nimmt also mit der Reduktion des sonoren Materials die F0-Exkursion pro Zeiteinheit zu.
221
Phonetik der nuklearen Fallkontur
Differenz Ex rel [st/sec] Lang- vs. Kurzvokal
Abb. 57 gibt die Differenz der Durchschnittswerte für die F0-Exkursion pro Zeiteinheit für Wörter mit Langvokal bzw. Kurzvokal wieder. Zur besseren direkten Vergleichbarkeit der Varietäten wird eine Normalisierung durchgeführt: Quasi als Initialpunkt der Analyse wird Exrel für Langvokale auf Null gesetzt und der Exrel-Wert für die Kurzvokale wird als positive (= Komprimierung) oder negative Abweichung (= Trunkierung) davon dargestellt. Trunkierung ist dann an fallenden, Komprimierung an steigenden Linien zu erkennen. Es ist erkennbar, dass sich die untersuchten Varietäten tatsächlich teilweise unterschiedlich verhalten. Die meisten Varietäten können dem trunkierenden Typ zugerechnet werden; in München, Mannheim, Duisburg, Berlin und Dresden nimmt die F0-Exkursion bei verringertem sonoren Material ab. 10
K HH
5
0
M
HH B
-5
DD
DD MA DU
DU -10
-15
K
B
MA M Langvokal/Diphthong
Kurzvokal
Abb. 57 Differenz der relativen F0-Exkursion [st/sec] von einsilbigen, fallenden Nuklei mit Kurzvokal in Relation zu Nuklei mit Langvokal/Diphthong; steigende Linien deuten auf Kompression, fallende auf Trunkierung
So ist z.B. für das Berlinische Exrel bei Kurzvokalen um 9,41 st/sec geringer als bei den Langvokalen und dieser deutliche Kontrast ist als Trunkierung zu interpretieren. Ebenfalls trunkierend ist das Duisburgische, wo bei Kurzvokalen Exrel um 4,7 st/sec geringer ist als bei Langvokalen. In Dresden und München beträgt die Differenz für Exrel nur knapp einen Halbton und ist in Mannheim mit ca. 2 st/sec nur geringfügig größer, so dass der Trunkierungseffekt hier geringer ausfällt. Deutliche Anzeichen von Kompression zeigen dagegen das Hamburgische und Kölnische, denn hier nimmt die F0-Exkursion bei den Silben mit Kurzvokal um 5 bzw. 9 Halbtöne zu. Hinsichtlich der Anpassungsstrategie bei der Reduktion des sonorantischen Materials können also die deutschen Stadtvarietäten entweder dem trunkierenden oder dem komprimierenden Typus zugerechnet werden. Trunkierung ist dabei die häufigere Option, sie ist jedoch in Mannheim, München und Dresden nur leicht
222
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
ausgeprägt. Komprimierung tritt insgesamt seltener auf, i.e. nur in Hamburg und Köln, und ist daher als die markierte Option anzusehen (Tab. 14). Tab. 14 Verteilung von Trunkierung und Kompression bei Fallkonturen in deutschen Stadtvarietäten Trunkierung Berlin Duisburg Mannheim (leicht) München (leicht) Dresden (leicht)
Kompression Hamburg Köln
Die von Grabe (1998a) für das Standarddeutsche in Braunschweig ermittelte Trunkierungstendenz gilt damit mehr oder weniger auch für die meisten der untersuchten Stadtvarietäten. Dem Typus des niedersächsischen Braunschweig folgen insbesondere die ‚benachbarten‘ Städte Berlin, Dresden und Duisburg. Obwohl Hamburg gleich weit von Braunschweig entfernt ist wie Berlin, gehört die Varietät dennoch zum komprimierenden Typ. Inwieweit es sich bei der generell vorherrschenden Trunkierungstendenz um ein originär mittel- und oberdeutsches Merkmal handelt, dem im niederdeutschen Gebiet Kompression entgegen steht, kann aufgrund der vorliegenden Daten nur spekuliert werden. Dagegen spricht vor allem die Existenz der Kompression auch im mitteldeutschen Köln. Die Beispiele in Abb. 58 illustrieren die Trunkierung in Akzentsilben mit Kurzvokal für fünf Stadtvarietäten. Anstelle eines fallenden Verlaufs bleibt nach der Trunkierung nur ein kurzer flach-hoher oder leicht fallender Verlauf übrig. Obwohl die relative F0-Exkursion hier äußerst gering ist und eine Fallbewegung sich akustisch kaum oder gar nicht manifestiert, werden alle Belege als fallend wahrgenommen. Die tiefe finale Tonhöhe wird in keinem der trunkierten Beispiele erreicht, wie Berlin
Berlin
Dresden
Dresden
200
200
200
200
150
150
150
150
100 70 0
100 MICH 0.22
70 0
Mannheim
100 STADT 0.31
70 0
Mannheim
100 GLÜCK 0.24
70 0
Duisburg
200
200
200
150
150
150
150
70 0
100 SCHLOSS 0.49
70 0
100 PLATT 0.27
70 0
0.31 München
200
100
ZACK
100 WEG 0.28
70 0
gHABT
Abb. 58 Beispiele für trunkierte F0-Verläufe auf einsilbigen Nuklei mit Kurzvokal
0.25
223
Phonetik der nuklearen Fallkontur
es auch von Grabe (1998a) für das Standarddeutsche in Braunschweig beschrieben wurde. Hingegen ist in den Beispielverläufen für Kompression in Abb. 59 deutlich die Fallbewegung zu erkennen, die teilweise über einen weiten Frequenzbereich reicht. Wenn in der Akzentsilbe ein stimmhafter Onsetkonsonant vorhanden ist, wie es in den Wörtern MACHT und (ver)MISST vorliegt, dann ist auch eine Gipfelbildung möglich. Fehlt ein stimmhafter Onsetkonsonant wie in SCHAFFT oder STIFT, dann setzt die Fallbewegung ohne Gipfelbildung ein. HH04-939
HH03-17572
KF-12375
K06-17570
200
200
200
200
150
150
150
150
100
100
100
100
MACHT 70 0
SCHAFFT 0.45
70 0
(ver)MISST 0.41
70 0
STIFT 0.5
70 0
0.42
Abb. 59 Beispiele für komprimierte F0-Verläufe auf einsilbigen Nuklei mit Kurzvokal
Auch für dieses Merkmal ist die Variation der relativen F0-Exkursion bedingt durch die Verwendung von spontansprachlichem Material und durch die unterschiedlichen Silbenstrukturen teilweise recht hoch. Dadurch ist es möglich, dass auch in eigentlich trunkierenden Varietäten dennoch einzelne Belege für Kompression auftauchen (und umgekehrt). In der statistischen Analyse (ANOVA) ist leider für keine der Städte ein statistisch signifikanter Kontrast zwischen den beiden Silbentypen festzustellen. Dies legt die Vermutung nahe, dass es sich um einen phonetisch graduellen Prozess handelt, der sich weniger in der kategorialen Ausprägung, sondern eher als Präferenz manifestiert. Für die Varietäten ist nicht nur Trunkierung/Kompression ein differenzierendes Merkmal, sie unterscheiden sich darüber hinaus auch teilweise drastisch innerhalb der Langvokal- bzw. Kurzvokalklassen. Dies zeigt sich, wenn anstelle der Differenzen für Exrel (wie in Abb. 57, oben) die tatsächlichen Mittelwerte kontrastiert werden. Zur Illustration dieser Unterschiede sind in Abb. 60 die Werte für Exrel wiedergegeben. Wie in Abb. 57 (oben) ist hier Trunkierung oder Kompression an steigenden bzw. fallenden Linien zu erkennen. Auffällig ist hier jedoch, dass sich schon bei den Wörtern mit Langvokal regional unterschiedliche Werte für Exrel ergeben. Demnach besitzen das Münchnerische, Mannheimerische, Duisburgische, Kölnische und Berlinische bei Wörtern mit Langvokal jeweils ungefähr gleich hohe Werte für Exrel (etwa bei 35 st/sec), die damit in der Mitte der untersuchten Varietäten liegen. Das Hamburgische erreicht noch deutlich höhere Werte (43 st/sec). Den Ex-
224 relative F0-Exkursion Exrel [st/sec]
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen 50,00 45,00 40,00 35,00 HH
30,00
B
25,00
DD DU
20,00
K
15,00
MA M
10,00 Langvokal/Diphthong
Kurzvokal
Abb. 60 Relative F0-Exkursion [st/sec] für einsilbige, fallende Nuklei mit Langvokal/Diphthong bzw. Kurzvokal
trempunkt am anderen Ende der Skala bildet das Dresdnerische, wo Exrel mit 21 st/sec nur halb so hoch ist wie im Hamburgischen. Da es sich hierbei um relative Messwerte handelt, die also direkt miteinander verglichen werden können, kann daraus abgeleitet werden, dass sich die Varietäten auch dann in der F0-Exkursion unterscheiden, wenn ausreichend Silbenmaterial zur Produktion der Fallkontur vorhanden ist. So ist Exrel in mannheimerischen Einsilbern mit Langvokal um 60 % höher als im Dresdnerischen, obwohl auch dort genügend sonorantes Material zur Verfügung stünde. Noch extremer fällt der Vergleich zum Hamburgischen aus, denn hier ist Exrel um mehr als das Doppelte höher als in Dresden (43 vs. 21 st/sec). Insgesamt liegen die Werte für das Dresdnerische deutlich unter denen der übrigen Varietäten. Das führt dann auch dazu, dass Exrel bei Kurzvokalen im trunkierenden Berlinischen (24 st/sec) immer noch größer ist als bei dresdnerischen Langvokalen (21 st/sec). Das Maß der relativen F0-Exkursion liefert damit auch Informationen über die durchschnittliche ‚Bewegungsfreudigkeit‘ der Grundfrequenz in akzentuierten Silben – unabhängig davon, ob eine Varietät zum trunkierenden oder komprimierenden Typ zu rechnen ist. Im Mittelfeld der Bewegungsfreudigkeit sind das Mannheimerische, Kölnische, Berlinische und Münchnerische angesiedelt. Dagegen weist das Hamburgische in Einsilbern äußerst viel Bewegung auf, während im Dresdnerischen nur wenig Bewegung zu beobachten ist – selbst dann, wenn genügend sonores Material zur Verfügung steht. Ein letzter Aspekt der relativen F0-Exkursion betrifft den Einfluss der mittelfränkischen Tonakzente im Kölnischen. Für diese Analyse werden die Langvokalwörter hinsichtlich TA1 bzw. TA2 differenziert, um Exrel für jeden Tonakzent separat zu ermitteln. In Abb. 62 sind diese tonakzentspezifischen Werte für Exrel neben den gemeinsamen Mittelwerten eingetragen. Es ergibt sich, dass sich die Tonakzenttypen unterschiedlich verhalten: TA1 zeigt mit 43 st/sec eine deutlich höhere F0-Exkursion als TA 2 (31 st/sec), so dass also die Tonakzentopposition im Merkmal Exrel reflektiert wird. Das Merkmal Exrel verdeutlicht damit für das Kölnische,
225
Phonetik der nuklearen Fallkontur
dass dem ‚bewegungsfreudigen‘ TA1 der ‚bewegungsärmere‘ TA2 entgegensteht. Ähnlich argumentiert auch Schmidt (2002: 221), für den ein Kennzeichen des TA1 die Stauchung des F0-Verlaufs ist, die durch die geringere Dauer des TA1 hervorgerufen wird. Genau diese Annahme lässt hier sich in der Analyse des spontansprachlichen Materials bestätigen. Auf den einsilbigen, finalen Nuklei werden damit die beiden Tonakzente akustisch recht genau voneinander geschieden, woraus geschlossen werden kann, dass die Tonakzentopposition des Mittelfränkischen hier eine stabile Struktur aufweist. Mit Hilfe von Abb. 61 kann für das Kölnische eine differenzierte Analyse von Trunkierung und Kompression vorgenommen werden. Wie die Zunahme von Exrel im Vergleich mit den Kurzvokalen nahelegt, ist die oben festgestellte Kompression im Kölnischen ausschließlich auf die TA2-Wörter zurückzuführen. Wenn nur die TA1-Wörter betrachtet werden, so ergibt sich ein gänzlich anderes Bild. Die konstante relative F0-Exkursion sowohl bei Lang- als auch bei Kurzvokal deutet darauf hin, dass hier weder Trunkierung noch Kompression vorliegt. Exrel [st/sec]
50,00 45,00 40,00 K
35,00
K-TA1 K-TA2
30,00 Langvokal/Diphthong
Kurzvokal
Abb. 61 Relative F0-Exkursion [st/sec] im Kölnischen in einsilbigen Nuklei mit Langvokal/Diphthong bzw. Kurzvokal; Mittelwerte sowie Differenzierung nach Tonakzent-1 (K-TA1) und Tonakzent-2 (K-TA2)
Die herausgearbeiteten regionalen Unterschiede bei der relativen F0-Exkursion lassen sich auch in der Analyse der absoluten F0-Exkursion bestätigen. Die Mittelwerte in Abb. 62 zeigen zunächst einmal, dass die absolute F0-Exkursion bei den Langvokalen deutlich größer ist als bei den Kurzvokalen. In den komprimierenden Varietäten Kölnisch und Hamburgisch sind insgesamt die höchsten Werte zu ver10,00
F0-Exkursion [st]
9,00 8,00
HH
7,00
B DD DU
6,00 5,00 4,00
K MA M
3,00 2,00 1,00
K-TA1 K-TA2
0,00 Langvokal/Diphthong
Kurzvokal
Abb. 62 Absolute F0-Exkursion [st] in Wörtern mit Langvokal und Kurzvokal
226
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
zeichnen (7,3 -> 4,8 st bzw. 7,7 -> 5,2 st), während das Dresdnerische eine geringe F0-Exkursion aufweist. Der Unterschied beträgt hier zwischen den Langvokalen (3,8 st) und Kurzvokalen (2 st) nur knapp zwei Halbtöne. Gleichzeitig entspricht damit die Exkursion der dresdnerischen Langvokale der Exkursion der Kurzvokale im Mannheimerischen und Münchnerischen, d.h. in absoluten Werten wird auf dresdnerischen Langvokalen eine Exkursion realisiert, die beim Kurzvokal aus Mannheim oder München bereits als Trunkierung eingestuft wird. Der Unterschied zwischen den Tonakzenten des Kölnischen lässt sich auch bei der absoluten F0-Exkursion bestätigen. Wie zu erwarten war, ist sie für den TA1 (8 st) höher als für den TA2 (7 st). Beim durchschnittlichen TA2 liegt damit eine absolute F0-Exkursion vor, die zwischen dem Hamburgischen und Mannheimerischen angesiedelt ist. Die Akzentmodifikation aufgrund von Trunkierung bzw. Kompression tritt nicht nur bei den hier analysierten einsilbigen Fallkonturen auf, sondern sie hat auch Einfluss auf andere Konturtypen. Gemäß der oben (S. 217) angeführten Analyse von Ladd (1996) wird angenommen, dass die Trunkierung im Standarddeutschen dazu führt, dass die fallend-steigende Kontur auf einsilbigen Nuklei wie z.B. GELD nicht vollständig realisiert wird. Abb. 63a zeigt, dass eine zugrunde liegende H*L H%-Kontur zu einer H*H H%-Kontur trunkiert wird. Nicht so im Hamburgischen: Die hier wirkende Kompression erlaubt es, dass auch auf einsilbigen Nuklei die vollständige fallend-steigende Kontur ausgeführt werden kann (Abb. 63b).30 Trunkierung a.
Kompression b.
H* HH%
ist das ihr GELD?
Hamburg:
H* LH%
ist das ihr GELD?
Abb. 63 Auswirkung der Trunkierung bzw. Kompression auf die phonologische Struktur
Die Überlegungen in Ladd (1996) zur systematischen Auswirkung von Trunkierung/Kompression auf das Intonationssystem können damit bestätigt werden: In einer Varietät mit Kompression können Konturen realisiert werden, die in trunkierenden Varietäten so nicht möglich sind. Bei Trunkierung/Kompression handelt es sich damit nicht ausschließlich um zwei gegenläufige phonetische Prozesse der Akzenttonmodifikation; vielmehr können die Prozesse auch die phonologische Struktur beeinflussen.
30
Tatsächlich handelt es sich bei der fallend-steigenden Kontur um eine besonders saliente Kontur des Hamburgischen (Kap. 4.3), deren regionale Salienz auch in einem Wahrnehmungsexperiment bestätigt werden konnte. Dabei wurde die komprimierte, einsilbige fallend-steigende Kontur von Hörern als besonders typisch für das Hamburgische eingestuft (Gilles et al. 2001).
Phonetik der nuklearen Fallkontur
227
4.1.4.3 Zusammenfassung Insgesamt ergibt sich für den Verlauf der einsilbigen Nuklei, dass aufgrund der Abnahme des sonoranten Materials Dialektunterschiede, die bei den mehrsilbigen Nuklei deutlich zutage treten, teilweise neutralisiert sind. Dennoch kristallisieren sich einige regionale Eigenheiten heraus: (1) Während in den westlichen Varietäten frühe F0-Maxima eindeutig dominieren, lassen sich in Berlin, Dresden und München noch nennenswerte Anteile für mittlere und späte F0-Maxima beobachten; hier wird also auch bei Einsilbern der flach-hohe Verlauf der Nukleussilbe beibehalten. Als eine Folge der späten Maxima ist die finale Fallbewegung teilweise nicht so stark ausgeprägt wie in den übrigen Varietäten. (2) In Mannheim und Köln finden sich neben der kontinuierlichen Fallbewegung eine Variante, bei der die Knickkontur erhalten bleibt, wie sie schon für die mehrsilbigen Nuklei beschrieben worden ist. (3) Wie schon bei den zweisilbigen Nuklei ergeben sich für das Kölnische Hinweise auf die Tonakzentdistinktion: Der TA1 ist durch einen kontinuierlichen, schnellen Fall gekennzeichnet, beim TA2 schließt sich an die Fallbewegung ein tief-flacher Verlauf oder ein leichter finaler Anstieg an. (4) Die meisten Varietäten weisen Trunkierung auf, d.h. parallel zur Abnahme des sonoren Materials nimmt auch die relative F0-Exkursion ab. Dies trifft auf das Hamburgische und Kölnische nicht zu, denn hier lässt sich Kompression beobachten; parallel zur Abnahme des sonoren Material, kommt es hier zur einer Zunahme der relativen F0-Exkursion. Dieses Ergebnis steht im Gegensatz zu den Verhältnissen im Standarddeutschen, das Grabe (1998a) dem trunkierenden Typus zurechnet. 4.1.5 Lage der pränuklearen Silbe Die vorangegangenen Detailanalysen waren ausschließlich der Konturdynamik des intonatorischen Nukleus gewidmet. Obwohl es sich im Verlauf dieser Studie mehrfach gezeigt hat, dass der Nukleus als die zentrale und wichtigste Variationskategorie einer Intonationsphrase fungiert, kann natürlich auch für die übrigen Konturbestandteile (pränuklearer Verlauf mit seinen Konstituenten prehead und head) regionale Variation angenommen und beobachtet werden.31 Zum Abschluss der phonetischen Analysen der Fallkontur soll daher nun die Sichtweise über den Nukleus hinaus ausgeweitet und ein Aspekt des pränuklearen Bereichs in den Blick genommen werden. Eine vollständige Darstellung der Variationsmöglichkeiten des pränuklearen Verlaufs würde den Rahmen dieser Arbeit 31
Erste Ergebnisse für das Deutsche liegen hier mit Auers (2001) Analyse zum Hamburgischen vor: Hier werden in spezifischen Verwendungskontexten extra-hohe phraseninitiale Grenztöne eingesetzt, die deutlich mit den nur mittel-hohen initialen Grenztönen des Standarddeutschen (Uhmann 1991) und den übrigen regionalen Varietäten kontrastieren.
228
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
sprengen. In einer methodischen Einengung soll daher nur die regionale Variation der unmittelbar pränuklearen Silbe betrachtet werden. Eine isolierte Analyse dieser pränuklearen Silbe hätte jedoch wenig Sinn, erforderlich ist es vielmehr, die Interaktion zwischen dieser Silbe und der folgenden Nukleussilbe zu untersuchen. Durch das jeweilige Verhältnis der Tonhöhen dieser beiden Silben zueinander wird bestimmt, wie stark der Nukleus aus dem Gesamtverlauf der Kontur herausgehoben ist. In den älteren Arbeiten zur Intonation des Deutschen (von Essen 1964, Pheby 1984), aber auch in den frühen autosegmentalen Untersuchungen (Wunderlich 1988, Féry 1993) spielt die pränuklearen Silbe keine herausragende Rolle für die Beschreibung des Toninventars. Besonders in den autosegmentalen Untersuchungen bleibt die pränukleare Silbe methodenbedingt zumeist ausgeschlossen: Beeinflusst durch die Beschreibungskategorien der Britischen Schule (Crystal 1969, O‘Connor/Arnold 1973) wird eine generelle Linksköpfigkeit prosodischer Domänen angenommen, Akzenttöne beginnen damit immer mit einer akzentuierten Silbe, und die (eventuell) vorausgehende unbetonte Silbe bleibt ausgeschlossen. Im Gegensatz dazu wird ansatzweise bei Féry (1993) und besonders in GToBI (Grice/Baumann 2002, Grice 1995) die Einschränkung auf linksköpfige Akzenttöne aufgehoben, so dass nun auch die pränukleare Silbe (zumindest unter bestimmten Bedingungen) Einzug in die strukturelle Beschreibung gehalten hat:32 Möglich sind hier auch rechtsköpfige Akzenttöne, bestehend aus einer unakzentuierten und einer folgenden akzentuierten Silbe. So werden in GToBI Konturen, bei denen die pränukleare Silbe hoch und die Nukleussilbe tiefer realisiert wird (early peak), als eine bitonale Folge bestehend aus einem hohen leading tone H+ und einem abgestuften (downstep) H*-Ton aufgefasst (H+!H*; bei Féry (1993): H+H*+L).33 Obwohl es sich phonologisch betrachtet beim abgestuften Akzentton !H* noch um einen Hochton handelt, wird er dennoch tiefer realisiert und liegt meist in der Mitte des genutzten Sprechstimmumfangs. Solche ‚early peak‘-Konturen werden oft zum apodiktischen Abschluss von Argumentationen oder Sachverhaltsbeschreibungen eingesetzt und sie finden sich nach Féry (1993) und Grice/Baumann (2002) nicht selten in der Sprache von Nachrichten- und Fernsehmoderatoren. Umgekehrt werden Konturen mit einem ausgeprägt tiefen Tal auf der pränuklearen Silbe und einem folgenden Hochton mit der rechtsköpfigen Struktur L+H* beschrieben. Solche Konturen klingen lebhafter und ‚involvierter‘.
32
33
Schon bei Pierrehumbert (1980) waren neben links- auch rechtsköpfige Strukturen möglich. Eine explizit phonologisch motivierte Berücksichtigung der pränuklearen Silbe wird bei Gussenhoven (1984) durch die Einführung der Konstituente der ‘Tonal Association Domain‘ vorgeschlagen. Im intonatorischen Beschreibungssystem IViE (Grabe 2001) wird die pränukleare Silbe sogar generell miteinbezogen; zusammen mit den Silben des folgenden Akzenttons wird damit die Beschreibungseinheit der ‘Implementation Domain‘ (ID) konstituiert. In Grabes (1998a) Untersuchung werden diese Konturen als partial downstep beschrieben und dem total downstep (H+L* in GToBI) gegenübergestellt.
229
Phonetik der nuklearen Fallkontur
Die beschriebene Differenzierung zwischen Fallkonturen mit frühem Gipfel mit Abstufung (H+!H* L-%) und tiefer pränukleare Silbe mit echtem Hochakzent (L+H* L-%) entspricht im Wesentlichen der Differenzierung zwischen low-fall und high-fall, wie sie in der Britischen Intonationsschule vorgenommen wird. Cruttenden (1997: 91) beschreibt die beiden Fallkonturen wie folgt: „[A] low-fall typically involves a step-down from any preceding pre-nuclear syllable and a high-fall typically involves a step-up.“ Am Beispiel des deutschen Satzes ich bin MÜde exemplifiziert Fox (1984: 23) die Differenzierung von low-fall und high-fall. In Abb. 64 befindet sich in beiden Konturen die Nukleussilbe MÜ jeweils auf der gleichen Höhe. Die Gestalt der Fallkontur wird dagegen unterschiedlich wahrgenommen, je nachdem, ob die pränukleare Silbe bin höher (a) oder tiefer (b) als die folgende Akzentsilbe liegt.
Abb. 64 Differenzierung zwischen low-fall (a) und high-fall (b); aus Fox (1984: 23)
Obwohl es sich dabei um eine binäre Einteilung handelt, wird in der Forschung hervorgehoben, dass sich die Binarität in der Empirie doch eher als graduell erweist und eine eindeutige Zuweisung zum dem einen oder dem andern Typ nicht immer möglich ist (vgl. Cruttenden 1997, Wichmann 2000: 70f.). Die funktionale Interpretation im Englischen ist deckungsgleich mit den Verhältnissen im Deutschen: „The low-fall is generally more uninterested, unexited, and dispassionate whereas the high-fall is more interested, more exited, more involved.“ (Cruttenden 1997: 91). Die terminologische Differenzierung zwischen low-fall und high-fall wird auch für die folgende Analyse übernommen. Die Diskussion belegt, dass es sich bei der pränuklearen Silbe nicht um eine beliebige, unbetonte Silbe handelt, vielmehr hat die vertikale Lage dieser Silbe Konsequenzen für die tonologische Interpretation des folgenden nuklearen Akzents. Um diese Abhängigkeit zwischen pränuklearer Silbe und Nukleus zu berücksichtigen, wird im Folgenden die vertikale Lage der pränuklearen Silbe relativ zur Höhe des Gipfels der folgenden Nukleussilbe betrachtet. Dabei ergeben sich die in Abb. 65 schematisierten Relationen: Die pränukleare Silbe kann entweder tiefer, gleich hoch oder höher als die folgende Nukleussilbe liegen. H-
l-
%
höher gleich tiefer pränukleare Silbe
Nukleus
Abb. 65 Schema der Lagemöglichkeiten der pränuklearen Silbe im Verhältnis zur Nukleussilbe
230
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Eine tiefe pränukleare Silbe kann auf zwei verschiedene Weisen realisiert werden: Entweder wird diese Silbe vollständig mit flachem Verlauf auf tiefem Niveau realisiert oder die pränukleare Silbe weist eine Anstiegsbewegung auf, die auf tiefem Niveau einsetzt und auf den Hochton der folgenden Nukleussilbe hinführt. Im ersten Fall erfolgt der Übergang von der pränuklearen Silbe zur Nukleussilbe durch einen Sprung, im zweiten Fall durch eine Anstiegsbewegung. Das perzeptive Resultat ist in beiden Konstellationen das gleiche: Durch den tiefen Verlauf vorher wird die Nukleussilbe deutlich aus dem Konturverlauf herausgehoben. Es liegt high-fall vor. Die Lage der pränuklearen Silbe trägt damit dazu bei, dass die Nukleussilbe besondere perzeptive Salienz erhält. Wenn dagegen der pränukleare Verlauf auf gleicher Höhe wie die Nukleussilbe ist oder gar höher liegt (low-fall), dann ist die Nukleussilbe nur durch eine sehr geringe oder gar keine gipfelartige Auswölbung nach oben charakterisiert. Die Folge ist, dass die Nukleussilbe und auch die gesamte nukleare Kontur dem allgemeinen fallenden Trend der Intonationsphrase untergeordnet sind. Im Zentrum der folgenden akustischen Analyse steht die Frage, ob die deutschen Regionalvarietäten eine Präferenz für die Lage der pränuklearen Silbe entwickelt haben, die sich in der quantitativen Verteilung manifestiert. Zur Beantwortung dieser Forschungsfrage wird die Lage der pränuklearen Silbe in Relation zum Gipfel der folgenden Nukleussilbe bestimmt. In die Analyse gelangen Frequenzmessungen von insgesamt 1358 Fallkonturen aus den sieben Stadtvarietäten (ca. 200 Belege pro Varietät). Für die pränukleare Silbe wird die Grundfrequenz in der Mitte der Silbe gemessen. Der Frequenzwert für den Gipfel der Nukleussilbe entspricht dem Messpunkt F2, wie er oben für die Analysen zur Dynamik der nuklearen Fallkontur ermittelt wurde. Die gemessenen Hertzwerte werden in Halbtöne transformiert, um Registerverschiebungen und geschlechtsbedingte Unterschiede zu nivellieren. In einem weiteren Rechenschritt wird die Differenz zwischen pränuklearer Silbe und Nukleussilbe bestimmt. Die resultierenden Tonhöhendifferenzen können dann in zwei Gruppen aufgeteilt werden: Konturen, bei denen die pänukleare Silbe tiefer als der Gipfel der Nukleussilbe liegt (= high-fall), und Konturen, bei denen die pränuklearen Silbe höher als die Nukleussilbe liegt oder die gleiche Höhe wie diese aufweist (= low-fall). In Abb. 66 sind die Anteile für die beiden Konturtypen in den sieben Städten dargestellt. Es zeigt sich generell, dass in allen Städten der high-fall mit Prozentwerten zwischen 70 und 89 % dominiert, während der ‚low-fall’ die seltenere Option ist. Dennoch lassen sich regionale Unterschiede für die Verwendung der beiden Konturvarianten feststellen. Die höchsten Anteile für den low-fall finden sich im Berlinischen (29 %) und Dresdnerischen (26 %); in etwas mehr als einem Viertel der Konturen befindet sich also die pränukleare Silbe mindestens auf gleicher Höhe wie die Nukleussilbe. Diese Varietäten kontrastieren mit dem Hamburgischen (14 %), Duisburgischen (11 %) und Mannheimerischen (11 %), wo die pränukleare Silbe deutlich sel-
231
Phonetik der nuklearen Fallkontur 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% HH
B
DD
DU
pränuk. gleich o. höher (= 'low fall')
K
MA
M
pränuk. tiefer (='high fall')
Abb. 66 Häufigkeiten für die Realisierung der pränuklearen Silbe; in Relation zum Gipfel der Nukleussilbe tiefer realisierte (=high-fall) vs. gleich oder höher realisierte pränukleare Silbe (=low-fall); N=1358
tener höher als die Nukleussilbe realisiert wird. Die übrigen Städte (Köln und München) liegen zwischen diesen beiden Gruppen und weisen Werte um 19 % für den low-fall auf. Aus der quantitativen Verteilung beider Konturtypen ist also ersichtlich, dass bei Fallkonturen einerseits zwar überall der high-fall dominiert, dass aber andererseits der low-fall in den östlichen Varietäten aus Berlin und Dresden doch mit recht hohen Anteilen vertreten ist, während besonders in Hamburg, Duisburg und Mannheim diese Konturvariante nur selten anzutreffen ist. Es kristallisiert sich damit auch für dieses Variationsmerkmal heraus, dass die beiden östlichen Varietäten den westlichen Varietäten entgegengesetzt sind, was auch schon für andere Variationsparameter der Fallkontur festgestellt wurde (vgl. die Lokalisierung des F0-Maximums und das Ausmaß der Fallbewegung in der Nukleussilbe in Kap. 4.1.3). Der regionale Kontrast zwischen den genannten Varietäten bei der Realisierung der Fallkontur beruht damit nicht auf einem einzelnen phonetischen Merkmal, sondern vielmehr auf einem Merkmalsbündel. Zur Illustration des high-fall dienen die folgenden Belege aus dem Duisburgischen und Mannheimerischen. In der duisburgischen Phrase aber mit wEnigstens zwei KARten (Abb. 67) ist ein deklinierender Verlauf zu erkennen, bei dem die Tonhöhe vom ersten Gipfel auf wEnigstens zum zweiten Gipfel auf KARten sukzessive abfällt. Trotz dieser globalen Fallbewegung ist der nukleare Akzent mit einer Gipfelbildung aus dem Gesamtverlauf herausgehoben, da die mit einem Pfeil gekennzeichnete pränukleare Silbe zwei tiefer als die folgende Akzentsilbe KAR lokalisiert ist. Durch diese relative Tieflage der pränukleare Silbe entsteht auch der oft zu beobachtende skandierende Rhythmus des Duisburgischen, da die Täler zwischen den Akzenten besonders ausgeprägt sind. Duisburgische Intonationsphrasen bestehen daher häufig aus einer Abfolge von fallenden und wieder ansteigenden Bewegungen (vgl. Peters Ms.b).
232
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen DU02-8746 200
150
100
aber mit 70 0
wEnigstens
zwei
0.5
KAR
ten
1
1.526
Abb. 67 Duisburg: tiefe pränukleare Silbe (mit Pfeil gekennzeichnet) und daraus resultierende high-fall-Kontur
Einen ähnlichen Verlauf zeigt das mannheimerische Beispiel in Abb. 68. Auch hier weist die Phrase zwei Akzente auf (vOrnedran und LUNgespital), allerdings ergibt sich kein global deklinierender Verlauf, da der erste Akzent auf vOrnedran tief-steigend realisiert wird. Dennoch liegt die pränukleare Silbe -te tiefer als die folgende Akzentsilbe LUN. Es resultiert das typische high-fall-Muster mit einem aus dem Gesamtverlauf herausgehobenen nuklearen Gipfel. MA06-3040 200
150
100
un 70 0
vOrnedran
wars al
te LUN ge
0.5
1
spital 1.5
1.65
Time (s)
Abb. 68 Mannheim: tiefe pränukleare Silbe (mit Pfeil gekennzeichnet) und daraus resultierende high-fall-Kontur
Mit diesen high-fall-Konturen kontrastieren die für das Berlinische und Dresdnerische charakteristischen low-fall-Konturen, die in den folgenden Abbildungen vorgestellt werden. In der berlinischen Phrase direkt nach=m FLUGhafen, mit der der Sprecher eine Auflistung von Ortsangaben zur genauen Lokalisierung seines Elternhauses abschließt, ist ein konstant fallender Verlauf zu erkennen (Abb. 69). In der Nukleussilbe FLUG kommt es zu keiner Gipfelprofilierung: Durch die höher liegende pränukleare Silbe nach=m ist die Nukleussilbe dem allgemein fallenden Verlauf untergeordnet. Die finale Fallbewegung beginnt damit nicht auf der Nukleussilbe, sondern eine Silbe früher. Der Verlauf zeigt damit die charakteristischen Merkmale eines low-falls bzw. einer downstep-Kontur mit frühem Gipfel (H+!H* L-% in GToBI-Terminologie; vgl. Grice/Baumann 2002).
233
Phonetik der nuklearen Fallkontur B01-7410 200
150
100
direkt
nach=m
FLUG
hafen
70 0
0.5
0.7261
Abb. 69 Berlin: hohe pränukleare Silbe (Pfeil) und daraus resultierende low-fall- Kontur (downstep)
Die dresdnerische Phrase un dA schneidet ihr euch in die FINger fungiert in diesem Kontext als Abschluss einer längeren Erzählung, und der Sprecher versucht an dieser Stelle, die Unumstößlichkeit seiner Einschätzung mittels low-fall prosodisch zu unterstreichen. Der Globalverlauf ist stark deklinierend mit dem höchsten Punkt auf der Kopfakzentsilbe dA (Abb. 70). Im weiteren Verlauf fällt die Kontur schnell auf mittleres Niveau. Die pränukleare Silbe die wird leicht höher als die folgende Nukleussilbe FIN platziert. DD02-13549 200
150
100
un 70 0
dA
schneidet ihr euch in 0.5
1
die
FIN
ger
1.5 1.63
Abb. 70 Dresden: hohe pränukleare Silbe (Pfeil) und daraus resultierende low-fall- Kontur (downstep)
Auch hier resultiert aus der relativen Hochlage der pränuklearen Silbe, dass die nukleare Silbe nicht mittels Gipfelbildung aus dem Gesamtverlauf herausgehoben wird; vielmehr ordnet sich der nukleare Fall der global fallenden Bewegung unter. Nachdem nun die quantitative Verteilung der Fallkontur-Varianten high-fall und low-fall vorgestellt worden ist, erfolgt im letzten Schritt der Analyse eine detailliertere Darstellung der tatsächlichen Tonhöhendifferenz zwischen der pränuklearen und der Nukleussilbe. Die Distanz zwischen den beiden Silben wird in Halbtönen ausgedrückt. Wenn die pränukleare Silbe tiefer als die Nukleussilbe liegt, so ergibt sich ein negativer Wert; bei Hochlage der pränuklearen Silbe ergibt sich ein positiver Wert. Werden alle Halbton-Distanzen pro Stadt in Abweichungsklassen eingeteilt,
234
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen Berlin
+5
mehr
+4
+3
Dresden
18 pränuk. tiefer als Nukleussilbe
16
pränuk. höher als Nukleussilbe
pränuk. tiefer als Nukleussilbe
14
14
Häufigkeit [%]
12 10 8 6
10 8 6
4
4
2
2
0
pränuk. höher als Nukleussilbe
12
Abweichung pränuk. Silbe von Nukleussilbe [st]
mehr
+5
+4
+3
+2
+1
-1
-2
-3
-4
-5
-6
mehr
mehr
+5
+4
+3
+2
+1
-1
-2
-3
-4
-5
-6
-7
mehr
0
Abweichung pränuk. Silbe von Nukleussilbe [st]
-7
Häufigkeit [%]
+2
Abweichung pränuk. Silbe von Nukleussilbe [st]
Duisburg 16
-1
mehr
+5
Abweichung pränuk. Silbe von Nukleussilbe [st]
mehr
+4
+3
+2
-1
+1
-2
-3
-4
-5
-6
-7
mehr
0
+1
5
pränuk. höher als Nukleussilbe
-2
10
-3
15
pränuk. tiefer als Nukleussilbe
-4
Häufigkeit [%]
Häufigkeit [%]
20
20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0
-5
pränuk. höher als Nukleussilbe
-6
pränuk. tiefer als Nukleussilbe
-7
Hamburg 25
Köln 18 pränuk. tiefer als Nukleussilbe
Häufigkeit [%]
16
pränuk. höher als Nukleussilbe
14 12 10 8 6 4 2
Abweichung pränuk. Silbe von Nukleussilbe [st]
mehr
+5
+4
+3
+2
+1
München
Abweichung pränuk. Silbe von Nukleussilbe [st]
mehr
+5
+4
+3
+2
+1
pränuk. höher als Nukleussilbe
-1
-2
-4
-5
-6
pränuk. tiefer als Nukleussilbe
-7
mehr
+5
+4
+3
+2
+1
-1
-2
-3
-4
-5
-7
-6
Abweichung pränuk. Silbe von Nukleussilbe [st]
20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 mehr
pränuk. höher als Nukleussilbe
Häufigkeit [%]
pränuk. tiefer als Nukleussilbe
mehr
Häufigkeit [%]
Mannheim 20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0
-3
-1
-2
-3
-4
-5
-6
-7
mehr
0
Abb. 71 Variationsspektren für die absolute Differenz (in st) zwischen der pränuklearen und der Nukleussilbe; negative Abweichungsklassen: pränukleare Silbe tiefer als Nukleussilbe; positive Abweichungsklassen: pränukleare Silbe höher als Nukleussilbe
so ergeben sich die Variationsspektren, die in der bekannten Histogrammform in Abb. 71 wiedergegeben sind. Die Größe einer jeden Abweichungsklasse beträgt ein Halbton. Fallkonturen mit low-fall befinden sich in den positiven Abweichungsklassen beginnend mit ‚+1‘; die Belege mit high-fall sind den negativen Abweichungsklassen von ‚-1‘ an zugeordnet. So sind z.B. in der Abweichungsklasse ‚-2‘ alle Belege versammelt, deren pränukleare Silbe um minimal einen, aber höchstens zwei Halbtöne tiefer realisiert werden als der Gipfel der Nukleussilbe. Wie sich schon in Abb. 66 (oben) andeutete, dominiert in allen Städten die Konstellation mit tiefer pränuklearer Silbe. In den Histogrammen zeigt sich dies daran, dass sich die höchsten Häufigkeitskonzentrationen in den negativen Klassen befinden (links). Genauer ausgedrückt, finden sich in allen Städten Häufigkeitskonzentrationen in den
235
Phonetik der nuklearen Fallkontur
Klassen zwischen ‚-1‘ und ‚-4‘. In den meisten Belegen liegt damit die pränukleare Silbe um einen bis vier Halbtöne niedriger als die Nukleussilbe. Die im Berlinischen und Dresdnerischen im Vergleich zu den übrigen Städten höheren Anteile an low-fall-Konturen sind in den Häufigkeitsbalken im positiven Bereich der Histogramme zu erkennen. In beiden Städten befinden sich die höchsten Anteile in der Klasse ‚+1‘, d.h. die pränukleare Silbe ist um bis zu einen Halbton höher als die Nukleussilbe. Im Dresdnerischen sind zusätzlich noch recht hohe Anteile in der Klasse ‚+2’ vertreten. Dagegen sind die Anteile in den höheren Abweichungsklassen (‚+3’ und mehr) recht gering. Der Kontrast zwischen diesen beiden Städten einerseits und dem Hamburgischen, Duisburgischen und Mannheimerischen andererseits ist augenfällig: Denn hier sind in den positiven Abweichungsklassen nur marginale Häufigkeiten zu verzeichnen. Insbesondere für das Duisburgische ist eine klare Präferenz für den high-fall erkennbar, die sich in der radikalen Abnahme der Häufigkeiten im Übergang von Klasse ‚-1‘ zu ‚+1‘ manifestiert. In fast allen Varietäten liegt ein zweites Maximum in der höchsten negativen Abweichungsklasse (‚mehr‘) vor. Dieses Maximum ist im Dresdnerischen (12 %), Kölnischen (14 %) und Münchnerischen (18 %) besonders ausgeprägt. Hierbei besteht also eine Differenz zwischen der pränuklearen und der Nukleussilbe, die größer als 7 Halbtöne ist. Diese Konstellation deutet auf einen Konturverlauf hin, bei dem der Gipfel der Nukleussilbe besonders stark aus dem Konturverlauf herausgehoben ist, wie es häufig in emphatisierten Äußerungen zu beobachten ist. So beträgt z.B. in der münchnerischen Phrase des MUSS die stadt machen (Abb. 72) die Distanz zwischen der pränuklearen Silbe des ‚das‘ und der Nukleussilbe MUSS ca. 120 Hz, was einer Halbtondistanz von ca. 12 st entspricht. Dieser weite F0-Sprung von der pränuklearen auf die Nukleussilbe verstärkt den Emphase-Eindruck, der ohnehin schon durch den Verum-Fokus der Phrase nahe gelegt wird (vgl. Höhle 1992). M02-16539
200 150
100
70 des 0
MUSS
die stadt machen 0.5
0.93
Abb. 72 München: große Differenz zwischen pränuklearer Silbe und Nukleussilbe aufgrund von Emphase
236
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Das Vorkommen dieser Konturvariante in fast allen Varietäten deutet darauf hin, dass es sich bei der Herausgehobenheit der Nukleussilbe um eine allgemein verbreitete Strategie zur Kontextualisierung von Emphase handelt, die keinerlei regionale Spezifik aufweist. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Durch die Höhe der pränuklearen Silbe wird die Struktur des folgenden fallenden Nukleus mitbestimmt. Wenn die unmittelbar pränukleare Silbe tiefer als die folgende Nukleussilbe liegt, so entsteht ein herausgehobener nuklearer Gipfel. Dagegen ist bei einer höheren pränuklearen Silbe der folgende Nukleus nicht extra herausgehoben, sondern vielmehr dem fallenden Gesamtverlauf subordiniert. In der ‚Britischen Intonationsschule‘ (Crystal 1969) und in manchen autosegmentalen Ansätzen wird daher die Lage der pränuklearen Silbe berücksichtigt, um z.B. den Unterschied zwischen einer Kontur mit frühem Gipfel und einer Kontur mit deutlichem Tal vor der Akzentsilbe erfassen zu können. Die Differenzierung wird dann im Beschreibungssystem durch die Unterscheidung von high-fall vs. low-fall bzw. L+H* L-% vs. H+!H* L-% (downstep) ausgedrückt. In der akustischen Analyse auf der Basis von 1358 Belegen aus sieben Stadtvarietäten wurde die Höhe der pränuklearen Silbe in Relation zum folgenden nuklearen Gipfel untersucht. In der Mehrzahl der Belege liegt die pränukleare Silbe in allen Varietäten tiefer als die Nukleussilbe. Es dominiert damit insgesamt der high-fall. Die Distanz zwischen den beiden tonalen Zielpunkten rangiert im Bereich zwischen einem und vier Halbtönen. In dieser Hinsicht sind also keine regionalen Unterschiede zu konstatieren. Darüber hinaus kann jedoch gezeigt werden, dass die Anteile an low-fall-Konturen in den Stadtvarietäten differieren. Insbesondere im Berlinischen und Dresdnerischen tritt der low-fall mit Häufigkeiten von 29 bzw. 26 % auf. Dabei wird die pränukleare Silbe um einen bis maximal zwei Halbtöne höher realisiert als die Nukleussilbe. In den westlichen Städten (besonders in Hamburg, Duisburg und Mannheim) ist der low-fall deutlich seltener, sodass sich analog zu den oben vorgestellten Variationsparametern der Fallkontur auch hier ein Ost-West-Kontrast andeutet.
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
237
4.2 Phonetik der nuklearen Anstiegskontur In Kap. 3.2 wurde gezeigt, dass Anstiegskonturen die prototypischen Konturen zur Kontextualisierung der Weiterweisung sind. In einer ersten Sichtung konnten mehrere Varianten identifiziert werden, die sich im Wesentlichen darin unterscheiden, ob die Kontur konstant steigend (L-h%) oder plateauartig (L h-%, LH h-%, H-%) verläuft und ob die Nukleussilbe hoch oder tief realisiert wird. Die Ergebnisse zeigen, dass insgesamt eine hohe Variabilität der Kontur in der Weiterweisungsfunktion vorliegt, sowohl innerhalb der einzelnen Stadtvarietäten als auch im Vergleich der Varietäten untereinander. Diese hohe Variabilität wird auch von Erickson et al. (1995) und Grabe (1998a) festgestellt, die für Anstiegskonturen generell eine weniger einheitliche phonetische Form beobachten als für Fallkonturen.1 Diese Variantenvielfalt wird im Folgenden detaillierter untersucht: Dazu wird in quantitativen Analysen für jede Varietät die Variabilität der Konturstruktur und die Präferenz für eine oder mehrere Varianten ermittelt. Anstiegskonturen werden auch in den Beschreibungen zum Standarddeutschen als prototypische Konturen zur Weiterweisung angesetzt, allerdings weichen die einzelnen Beschreibungen teilweise erheblich voneinander ab. In seiner einflussreichen Skizze der hochdeutschen Satzintonation hat von Essen (1964) drei Konturen vorgestellt, die ‚Progredienz‘ markieren. Die Hauptvariante ist ein final gleichbleibender Melodieverlauf: „Am Ende dieser Teilaussprüche fällt die Stimme nicht in die spannungslösende Tiefe, sondern bleibt gehoben, das Motiv läuft in ‚Schwebehaltung‘ aus“ (von Essen 1964: 37). Allerdings wird nicht ausgeführt, auf welcher Höhe die Einheit endet (mittel-hoch oder hoch?). Als weitere Varianten werden ein leicht steigender sowie ein ‚hinaufschleifender‘ Verlauf vorgestellt, ohne dass jedoch genauere Erläuterungen gegeben werden. Bei Delattre et al. (1965) wird nur eine Weiterweisungskontur angenommen (‚major continuation‘), die durch sog. ‚back depression‘ gekennzeichnet ist, worunter im Wesentlichen die Tieflegung der Akzentsilbe zu verstehen ist; übersetzt in die hier verwendete Terminologie handelt es sich dabei um eine Plateaukontur mit initialem Tiefton: L h-%. Bei Pheby (1984: 846f.) ist das Tonmuster 3 (gleichbleibend) für die Weiterweisung zuständig. Im Unterschied zu Delattre et al. (1965) ist hier die Akzentsilbe hoch gelegt und es schließt sich ein leicht fallendes Plateau an. Im autosegmentalen Ansatz von Féry (1993: 88ff.) wird dagegen ein nuklearer Akzentton L* H vorgeschlagen, durch den eine tiefe Akzentsilbe mit angeschlossenem Hochplateau modelliert wird: „The rise occuring immediately after the nuclear syllable remains roughly on the same level until the end of the IP“ (Féry 1993: 89). Die Kontur entspricht damit genau der von Delattre et al. (1965) angenommenen. Auch Selting (1995a, Kap. 2.3.1.1) beobachtet in Weiterweisungskontexten (bei ihr ‚Turn-Halten‘) entweder eine gleichbleibende oder eine leicht ansteigende Intonation am Phrasenende. Demgegenüber setzen 1
Die Ursachen hierfür liegen im physiologischen Steuerungsmechanismus für die Grundfrequenz, der bei der Produktion von Tieftönen komplexer ist als bei Hochtönen.
238
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Grice/Baumann (2002) eine Plateaukontur mit Hochton an, der eine optionale Anstiegsbewegung vorausgehen kann: (L+) H* H-%. Bei Grabe (1998a: 100ff) schließlich werden beide Konturen angenommen; sie differenziert zwischen H*>0% („a rise-plateau is realized as a rise on the stressed syllable with the peak of the rise aligned at its right edge“) und L*+H 0% („F0 rises beyond the stressed syllable“). Noch deutlich mehr Variation stellen Bräunlich/Henke (1998) fest, die in einem auditiven Zugriff fünf Anstiegskonturen unterscheiden. In ihrem Korpus aus Vorlesesprache sind die einzelnen Varianten teilweise mit gleich hohen Häufigkeiten vertreten, so dass sich ein insgesamt recht variables Bild ergibt. In keiner der Untersuchungen wird ein kontinuierlich ansteigender Verlauf (explizit) erwähnt, wie er als L-h% z.B. im Hamburgischen und Mannheimerischen vorkommt. Für diese Uneindeutigkeit der Forschungslage können drei mögliche Ursachen in Betracht gezogen werden: (1) In den Untersuchungen wurden jeweils unterschiedliche Typen der Weiterweisung (z.B. sukzessiv-reihende Weiterweisung und Listen) erfasst, die teilweise mit unterschiedlichen Konturen realisiert werden. Daraus kann eine Inkompatibilität der Untersuchungsergebnisse resultieren. (2) Die Unterschiede sind auf die regionale Herkunft der SprecherInnen zurückzuführen. So ist es denkbar, dass trotz einer ansonsten standarddeutschen Aussprache bestimmte, regionalspezifische Weiterweisungskonturen verwendet werden. (3) Die Weiterweisungsfunktion wird generell nicht mit einer einzigen nuklearen Kontur kontextualisiert, sondern weist inhärente Variabilität auf, die sich in der Verwendung mehrerer Varianten manifestiert. Über die regionalspezifische Intonation der Weiterweisung liegen bislang nur wenige Ergebnisse vor (vgl. Gilles 2001b). Van de Kerckhove (1948) zeigt für den Dialekt von Rostock (Ostniederdeutsch), dass die Akzentsilbe in weiterweisenden Einheiten meist tief liegt; darauf folgt entweder ein Hochplateau oder der Verlauf steigt kontinuierlich an. Damit können hier zwei Weiterweisungskonturen bestimmt werden. Aus den Abbildungen in Martens (1952) geht hervor, dass in Hamburg und München generell Plateaukonturen der Weiterweisung dienen. Während jedoch in Hamburg die Akzentsilbe tief liegt, werden in München hohe Akzentsilben realisiert. Die folgende Analyse wird jedoch zeigen, dass sich diese Verhältnisse (heute) nicht (mehr) beobachten lassen. Die Analyse ist analog zur vorangegangenen Darstellung der Fallkonturen angelegt, d.h. am Beginn stehen globale Merkmale der nuklearen Anstiegskontur. Im weiteren Verlauf der Untersuchung werden dann spezifische, lokal gebundene Aspekte erörtert. Zunächst steht in Kap. 4.2.1 der Globalverlauf der Anstiegskonturen in längeren Nuklei, i.e. mit mindestens drei Silben, im Vordergrund. Die Lokalisierung der Anstiegskonturen innerhalb des individuellen F0-Umfangs wird in Kap. 4.2.2 thematisiert. In Kap. 4.2.3 folgt die Analyse der dynamischen Parameter in der Nukleussilbe auf der Basis zweisilbiger Nuklei. Am Ende steht schließlich die Kompressionsanalyse für einsilbige, ansteigende Nuklei (Kap. 4.2.4).
239
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
4.2.1 Globalverlauf der Anstiegskontur Anstiegskonturen werden zur prosodischen Kontextualisierung beider Weiterweisungstypen verwendet (sukzessiv-reihende und gleichordnend-reihende Weiterweisung). Zwar kann für beide Funktionen das gleiche Inventar an Anstiegskonturen festgestellt werden, doch unterscheiden sich die quantitativen Verteilungen der Konturen beträchtlich – es zeigen sich Unterschiede nicht nur innerhalb einer Varietät, sondern auch im Varietätenvergleich. Die Missachtung dieser Funktionsdifferenzierung würde damit zur Verfälschung der quantitativen Variationsmuster führen. Um dem gegenzusteuern, wird im Folgenden die intonatorische Kontextualisierung der beiden Funktionen getrennt voneinander untersucht. In Kap. 4.2.1.1 erfolgt die Analyse der Anstiegskonturen bei sukzessiv-reihender Weiterweisung. Kap. 4.2.1.2 widmet sich den Anstiegskonturen in Listen. In der Analyse des Globalverlaufs werden nur Nuklei berücksichtigt, die mindestens drei Silben aufweisen, denn erst bei längeren Nuklei ist es möglich, die Ausdifferenzierung in verschiedenen Varianten zu beobachten. Die quantitative Verteilung in Abb. 1 gibt einen Überblick über die verschiedenen Silbenzahlen der insgesamt 896 in die Analyse eingegangenen Belege. Die verschiedenen Silbenzahlen sind in den Varietäten hinsichtlich ihrer Häufigkeit ungefähr vergleichbar verteilt. Am häufigsten sind in allen Varietäten die drei- und viersilbigen Nuklei vertreten, die mit Anteilen zwischen 30 und 40 % bzw. 20 bis 30 % realisiert werden. Längere Nuklei sind entsprechend seltener vertreten. 100% 90% 80% 70%
6+
60%
6
50%
5
40%
4
30%
3
20% 10% 0%
HH
B
DD
DU
K
MA
FR
6+
5
18
6
11
4
2
9
M 5
6
7
20
6
8
9
7
12
11
5
22
27
19
14
20
15
22
14
4
20
52
26
33
29
34
24
41
3
38
54
49
39
42
43
36
43
Abb. 1 Nukleare Silbenzahlen für weiterweisende Anstiegskonturen mit mindestens drei Silben (N=896); in der Tabelle finden sich die absoluten Häufigkeiten der einzelnen Silbenzahlen
240
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
4.2.1.1 Anstiegskonturen bei sukzessiv-reihender Weiterweisung Die Anstiegskonturen bei sukzessiv-reihender Weiterweisung können in zwei Gruppen unterteilt werden werden: Plateaukonturen und kontinuierliche Anstiege. Bei den Plateaukonturen erreicht die Anstiegsbewegung schon am Beginn des Nukleus ein hohes Tonniveau, das dann bis zum Phrasenende in Form eines Plateaus gehalten wird. Demgegenüber beginnt beim kontinuierlichen Anstieg die Tonbewegung auf tiefem Niveau und endet mit einem hohen Grenzton. Besonders die Plateaukonturen weisen eine komplexe Variation auf, die die Annahme mehrerer Varianten notwendig macht. Die Analyse fußt auf einer Datenmenge von 674 sukzessiv-weiterweisenden Belegen, die in einem ersten Schritt in Plateaukonturen und kontinuierliche Anstiege aufgeteilt werden. Die Balken in Abb. 2 sind gemäß ansteigender Häufigkeiten für den kontinuierlichen Anstieg angeordnet. Schon mit Hilfe dieses groben Analyserasters können einige regionale Kontraste festgestellt werden. 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% B
M
FR
DU
DD
kontinuierlich ansteigend
K
HH
MA
Plateau
Abb. 2 Häufigkeiten für Plateaukonturen und kontinuierliche Anstiege in sukzessiv-reihender Weiterweisung (N=674)
Die Kontur mit der weitesten Verbreitung ist die Plateaukontur, die im gesamten Sample zu 72 % verwendet wird. Sie ist im Berlinischen praktisch die einzige Kontur für die Weiterweisung. Auch in München, Freiburg, Duisburg, Dresden und Köln werden Plateaukonturen mit Häufigkeiten zwischen 68 und 82 % deutlich präferiert. Im Hamburgischen dagegen wird nur die Hälfte der Belege mit einer Plateaukontur realisiert, die hier in Konkurrenz zum kontinuierlichen Anstieg steht. Gänzlich anders verhält es sich mit dem Mannheimerischen, denn hier ist der kontinuierliche Anstieg mit 81 % die häufigste Kontur. Diese Varietät und in geringerem Umfang auch das Hamburgische stehen damit in deutlichem Kontrast zu den übrigen Varietäten. Die Konturendistribution in Abb. 2 gibt einen ersten Aufschluss über die generelle Präferenz der Anstiegskonturen im Weiterweisungskomplex. Dennoch kann diese Verteilung nur als eine vergröberte Generalisierung angesehen werden, da be-
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
241
sonders die Plateaukontur eine Reihe von formalen Varianten mit einer spezifischen Regionaldistribution aufweist. Die beiden Konturtypen werden im Folgenden getrennt voneinander untersucht. 4.2.1.1.1 Plateaukonturen In der Darstellung der Plateaukonturen werden die Städte zusammengruppiert, in denen die gleichen Plateaukonturvarianten verwendet werden: Berlin/Dresden; Duisburg; Hamburg/Köln/Mannheim/Freiburg/München. 4.2.1.1.1.1 Berlin/Dresden Für die Plateaukonturen des Berlinischen wurden von Selting (2001) und Gilles (2001b) erste Ergebnisse zur phonetischen Form und funktionalen Leistung vorgestellt. Selting (2001) unterscheidet zwei Typen der Plateaukonturen, die bei ihr ‚Treppenkonturen‘ genannt werden: Bei der ‚echten Treppe aufwärts‘ kommt es in der Akzentsilbe zu einem abrupten Sprung oder zu einer schnellen Anstiegsbewegung. Danach bleibt der Verlauf bis zum Phrasenende auf konstanter Höhe (notiert mit L+H* … %).2 Bei einer Variante der ‚Treppe aufwärts‘ kann die Tonhöhe des Plateaus zum Phrasenende hin bis auf mittleres Niveau absinken (L+H* %). Nach Selting ist insbesondere die ‚Treppe aufwärts‘ verantwortlich für den typisch berlinischen ‚Klang‘, der im Wesentlichen durch einen stufenartigen Verlauf und durch Monotonie gekennzeichnet ist: Der stufenartige Charakter entsteht durch den Sprung oder den schnellen Anstieg in der Nukleussilbe, der das tiefe und ebenfalls meist flache pränukleare Niveau vom nuklearen Hochplateau trennt. Der monotone Eindruck entsteht durch das Halten der Plateaus auf gleicher Tonhöhe über beliebig viele Nachlaufsilben. Die zweite Plateaukontur, ‚Treppe aufwärts mit gleitender Stufe‘, unterscheidet sich von der ‚echten Treppe‘ in der Gestaltung der Akzentsilbe, die hier eine Steigung während der gesamten Dauer der Akzentsilbe aufweist, so dass erst in der ersten oder zweiten Folgesilbe das Maximum erreicht wird. Hierfür verwendet Selting die Transkription L*+H … %. Die ‚echte Treppe‘ wird im Berlinischen überwiegend zur Kontextualisierung von „in irgendeiner Hinsicht rekurrente[n], routinemäßige[n], gewohnheitsmäßig erfahrene[n] und insofern erwartbare[n] Sachverhalte[n]“, aber auch in Listen eingesetzt (Selting 2001: 115). In Gilles (2001b) werden für das Berlinische drei Varianten der Plateaukontur angesetzt: H* … % erfasst Verläufe mit Tonhöhensprung in der Nukleussilbe und folgendem flachem Verlauf bis zum IP-Ende. Bei L+H*…% ist statt eines Sprungs eine schnell ansteigende Bewegung in der Nukleussilbe festzustellen. Als dritte 2
Mit der Notation ‚…’ soll ausgedrückt werden, dass der F0-Verlauf konstant hoch verläuft, ohne deklinationsbedingt abzusinken. Diese Notation wird in der vorliegenden Arbeit nicht verwendet, da konstant hoch bleibende Plateaus sowohl im Berlinischen als auch in den anderen Varietäten nicht konsistent verwendet werden. Vielmehr ist Variation zwischen diesem Plateauverlauf und einem leicht fallenden Plateau zu beobachten.
242
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Kontur schließlich wird L+>H* … % eingeführt, bei der nach einer Anstiegsbewegung der Gipfel erst auf der Folgesilbe lokalisiert ist; diese Kontur entspricht der ‚Treppe aufwärts mit gleitender Stufe‘ bei Selting (2001). Die Plateaus des Berlinischen zählen zu den charakteristischsten Intonationskonturen dieser Varietät, deren perzeptive Salienz in verschiedenen Wahrnehmungsexperimenten nachgewiesen werden konnte (vgl. Gilles et al. 2001, Peters et al. 2002). Die Plateaukonturen des Dresdnerischen wurden ebenfalls von Selting (2003a) untersucht. Bezüglich der phonetischen Realisierung wurde eine weitgehende Übereinstimmung mit den Treppenkonturen des Berlinischen festgestellt. Die funktionale Differenzierung, die sich im Berlinischen für die ‚echte Treppe aufwärts‘ und die ‚Treppe aufwärts mit gleitender Stufe‘ abzeichnet, ist dagegen im Dresdnerischen nicht vorhanden. Auf der Grundlage der hier verwendeten erweiterten Datenbasis können in den beiden Städten die folgenden drei Varianten angenommen werden. Es sind dies in abnehmender Häufigkeit ihres Auftretens:
• •
LH h-% H>-%
•
H-%
Anstieg in Nukleussilbe, Maximum auf der Folgesilbe, Plateau bis IP-Ende Anstieg in Nukleussilbe, Maximum am Ende der Nukleussilbe, Plateau bis IP-Ende Sprung in Nukleussilbe, Maximum am Beginn der Nukleussilbe, Plateau bis IP-Ende
Die hohe Tonhöhe am Beginn des Plateaus wird demnach durch verschiedene tonale Konfigurationen in bzw. unmittelbar nach der Nukleussilbe erreicht. Das allen Varianten gemeinsame Hochplateau wird in der Notation durch das Interpolationssymbol ‚-‘ ausgedrückt. Der finale Grenzton ist bei allen Varianten unspezifiziert (%) und ergibt sich aus der hohen Tonhöhe davor. Auf dem Plateau selbst findet keine nennenswerte vertikale Richtungsänderung mehr statt, d.h. die durch den Akzentton vorgegebene Tonhöhe gilt mehr oder weniger unverändert bis zum Phrasenende, ohne dass ein weiterer Ton den Verlauf beeinflusst. Diese Regularität bedingt, dass das Plateau unabhängig von der Länge des Nukleus ist und sich dem vorhandenen Silbenmaterial anpasst. Im Folgenden werden die drei für Berlin und Dresden typischen Varianten der Plateaukontur näher beschrieben. Bei LH h- % ist die gesamte Nukleussilbe durch eine Anstiegsbewegung geprägt, die auf dem tiefen Niveau einsetzt, das durch die pränukleare Silbe vorgegeben ist. Ohne Haltephase wird der Anstieg bis in das obere Drittel des F0-Umfangs ausgeführt; diese konstant gleitende Anstiegsbewegung wird durch die Transkription LH ausgedrückt. Nach der Nukleussilbe wird die Anstiegsbewegung in geringerem Ausmaß fortgesetzt und erreicht auf der ersten Nachlaufsilbe ihr Maximum. Dieser weitere Anstieg wird durch die Verwendung des Ton-Etiketts h nach der Gleitbewegung LH symbolisiert. Danach schließt sich das bis ans Phrasenende reichende Hochplateau an (-%). Die Kontur entspricht weitgehend der von Selting (2001) beschriebenen ‚Treppe aufwärts mit gleitender Stufe‘.
243
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
Die Beispiele für das Berlinische in Abb. 3 sind nach zunehmender Silbenzahl angeordnet, um die Ausdehnung des Plateaus und die Anpassung an verschiedene Nukleuslängen zu illustrieren. Um das relative Ausmaß des Anstiegs erkennen zu können, ist auch der F0-Verlauf der dem Nukleus vorausgehenden unbetonten Silbe eingezeichnet. In allen Belegen ist das auf konstanter Tonhöhe gehaltene Plateau zu erkennen, das sich mit zunehmender Länge des Nukleus ausdehnt. Charakteristisch ist, dass in der Nukleussilbe selbst keine Talbildung stattfindet, die auf die Herausbildung eines (phonologischen) Tieftons hindeuten würde. Stattdessen setzt der Anstieg immer ohne eine Haltephase auf tiefem Niveau mit hoher Geschwindigkeit ein. In der Nukleussilbe findet der Großteil der gesamten Anstiegsbewegung statt. So beträgt im dritten Beispiel der F0-Umfang der Phrase (UmfangAnstieg) 59 Hz (F0-Minimum: 132 Hz, F0-Maximum: 191 Hz): Davon benötigt allein der Anstieg in OOCH ‘auch‘ bereits 37 Hz (63 %) und die restliche Anstiegsbewegung von 22 Hz findet auf der Folgesilbe nach statt. Als höchster Punkt der IP trägt diese unbetonte Silbe den Ton h. B04-1309
B04-1209
200
200 150
150 l LH h 100 vor HIN er 0
zähl
% te
0.5
0.87
100 l LH h al LEE ne mit 70 0
ingrid 0.5
und
% mit
jünter 1
1.30
B03-1889 200 150 100 70 0
l LH h der OOCH nach
%
der 0.5
bier
flasche 1
jegriffen
hat 1.5 1.59
Abb. 3 Plateaukonturen LH h-% im Berlinischen
Die folgenden dresdnerischen Beispiele in Abb. 4 ähneln den berlinischen und unterstreichen die intonatorische Nähe der beiden Städte. Auch hier kommt es in der Nukleussilbe zu keiner Talbildung. Ein tieftoniges Tal wird vielmehr, wenn es überhaupt vorhanden ist, auf der pränuklearen Silbe realisiert (in Abb. 4 z.B. auf den pränuklearen Silben dann und plan(TAge)). Dem Berlinischen und Dresdnerischen ist also gemeinsam, dass in der Nukleussilbe weder ein Tal noch ein Gipfel realisiert wird, wie es für Tiefakzente bzw. Hochakzente erforderlich wäre. Charakteristisch ist vielmehr die schnelle, konstante Anstiegsbewegung, die hier durch LH symbolisiert wird. Das F0-Maximum der Kontur wird invariant immer auf der Silbe nach der Nukleussilbe lokalisiert. Genauer gesagt: Das Maximum befindet sich immer
244
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen DD04-10164
DD01-6314
200 150 150 100
100 l LH h dann WIE der
70 0
% kam 0.5
0.65
70 0
l plan
LH h TA ge ge
% sehn 0.98
0.5
DD01-6299 150
100 l
LH
die SCHWÄ
70 0
h gerin 0.5
hat
(.) hat
marmelade
1
1.5
% gemacht 2
Abb. 4 Plateaukonturen LH h-% im Dresdnerischen
am Beginn oder spätestens in der Mitte der Folgesilbe. Spätere Gipfellokalisierungen, etwa am Ende der Folgesilbe oder gar auf einer späteren Silbe im Nachlauf, können in Berlin oder Dresden selbst bei sehr langen Nachläufen nicht beobachtet werden. Weiterhin kommt es am Beginn der Anstiegsbewegung nicht zu einer Talbildung. Diese Merkmale deuten darauf hin, dass es sich bei diesem Akzentton nicht um einen tonologischen Tiefakzent bzw. steigenden Akzent (L* bzw. L*+H), sondern um einen Hochakzent H* handelt, bei dem der Gipfel geringfügig aus der eigentlichen Akzentsilbe heraus auf die Folgesilbe verschoben ist. Diese akustisch-phonetische Interpretation wird auch durch die auditive Wahrnehmung gestützt: Als Akzentton wird hier immer ein Hochton perzipiert, dem eine schnell gleitende Anstiegsbewegung vorausgeht. Für das Auftreten solcher Gipfelverschiebungen sind in der Literatur verschiedene Ursachen diskutiert worden, die sich nur teilweise auf die Plateaukonturen anwenden lassen. Steele (1986) zeigt, dass in Nukleussilben mit intrinsisch kurzen Vokalen die Gipfel tendenziell früh lokalisiert werden, wohingegen eine späte Lokalisierung oder eine Verschiebung in die Folgesilbe nur bei Langvokalen möglich ist. Diese Regularität lässt sich für die Plateaukonturen nicht bestätigen, denn der schnelle Anstieg mit Gipfel auf der Folgesilbe kann sowohl bei Akzentsilben mit Langvokal als auch bei Akzentsilben mit Kurzvokal auftreten. Nolan/Farrar (1999) belegen anhand pränuklearer Akzente des Englischen, dass die Gipfel-Verschiebung (‚peak lag‘) verstärkt auftritt, wenn der Akzentsilbe keine Silben vorausgehen. Wenn vor der Akzentsilbe noch anakrustische Silben vorhanden sind, so tritt ‚peak lag‘ seltener auf. Auch diese Konstellation lässt sich nicht auf den vorliegenden Fall übertragen, da vor den nuklearen Akzenten immer einige Silben realisiert werden. Relevanter in diesem Zusammenhang ist jedoch, dass Nolan/Farrar regionale Unterschiede ermitteln konnten, d.h. die prosodische Bedingung für das Auf-
245
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
treten von ‚peak lag‘ (keine Anakrusis) ist von einer weiteren Variationsdimension überlagert. Übertragen auf die berlinische und dresdnerische Plateaukontur kann daher angenommen werden, dass es sich bei der Gipfelverschiebung um die regionalspezifische Ausprägung der Akzentrealisierung handelt.3 Die zweithäufigste Plateau-Variante H>-% zeigt Ähnlichkeit mit LH-%. Beiden ist der schnelle Anstieg in der Nukleussilbe und das angeschlossene Plateau gemeinsam. Der einzige Unterschied ist in der Lokalisierung des F0-Gipfels zu sehen, der sich bei H>-% noch in der Nukleussilbe befindet. Allerdings ist der Gipfel sehr spät platziert und findet sich meist erst am Silbenende. Diese Lokalisierung wird durch das Diakritikum ‚>‘ gekennzeichnet.4 In Abb. 5 ist der schnelle Anstieg ohne Talbildung, beginnend auf dem tiefem Niveau der pränuklearen Silbe, zu erkennen. In allen vier Konturen wird der Gipfel am Ende oder im letzten Drittel (bei büRO) der Nukleussilbe erreicht. Da der Gipfel schon in der Silbe erreicht wird, in der auch der Anstieg einsetzt, ist die Anstiegsgeschwindigkeit oft höher als bei LH-%. Hohe Anstiegsgeschwindigkeiten zeigen besonders die Berliner Akzentsilben ALZ(heimer) und (bü)RO. Für das Dresdnerische ist wiederum der geringere F0-Umfang zu konstatieren, wodurch der Anstieg weniger steil realisiert wird als im Berlinischen. Dies ist besonders im letzten Beispiel zu erkennen, in dessen Akzentsilbe LEI nur ein geringer Anstieg zu verzeichnen ist. B03-6993
B03-2880
200
150
150
100 70 l die 50 0
H> ALZ
-
heimer
100
% da
0.90
0.5
l bü
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H> RO
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0.5
DD05-10916
% mitjemacht
1.39
1
DD02-6582
200
150
150
100 70 l -te 50 0
H> LEH rer 0.5
dabei 1
% waren 1.39
100 70 0
H> LEI
ter
gesagt
0.5
% gekricht
1
Abb. 5 Plateaukonturen H>-% im Berlinischen (oben) und Dresdnerischen (unten)
Die dritte und letzte Plateaukonturvariante des Berlinischen und Dresdnerischen ist H-%. Bei dieser selten vorkommenden Variante wird in der Nukleussilbe kein An3 4
Weitere Kriterien für die Lokalisierung bzw. Verschiebung von F0-Maxima in Wichmann et al. (2000). Die Notation H> wird in Anlehnung an Grabe (1998a) verwendet. Dort steht H*> (als tonologische Kategorie) für einen „rise on the stressed syllable with the peak of the rise aligned at its right edge“.
246
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
stieg realisiert. Vielmehr resultiert das hohe Niveau des H-Tons aus einem Tonhöhensprung. So zeigt das erste Beispiel in Abb. 6, dass auf die tiefe pränukleare Silbe sie ein Tonhöhensprung auf die Nukleussilbe FRÜH erfolgt. Auch im zweiten Beispiel (OOCH allet nich so jefallen ‚auch alles nicht so gefallen‘) wird in der Nukleussilbe bereits ohne merkliche Anstiegsbewegung das hohe Tonniveau erreicht, das dann bis zum Ende des Plateaus nahezu unverändert bleibt. Bei dieser Variante finden also im gesamten Nukleus keine nennenswerten Anstiegsbewegungen statt, vielmehr entspricht die initiale Tonhöhe weitgehend dem Maximum der gesamten Kontur. B02-1045
200
B01-7433
200
150
150
100 70 0
H l sie FRÜH
-
100
% haben
er
0.5
0.63
70 0
l H des OOCH
allet
nich
% jefallen
so
0.95
0.5
DD05-11065
DD07-11423
200 200
150
150
100 ma
70 0
H % SCHI nen schlosser
0.5
0.78
100 0
l das
H VOR
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hat
sowas 0.5
zu 1
1.24
Abb. 6 Plateaukonturen H -% im Berlinischen (oben) und Dresdnerischen (unten)
Es kann festgehalten werden, dass im Berlinischen und Dresdnerischen drei relativ ähnliche Varianten der Plateaukontur verwendet werden. Gemeinsam ist den Varianten LH h-%, H>-% und H-%, dass die Nukleussilbe entweder durch einen schnellen Anstieg oder einen Hochton gekennzeichnet ist. Die Lokalisierung des F0-Maximums erfolgt immer in einem engen Zeitfenster und ist unabhängig von der Silbenzahl des Nukleus: Wenn das Maximum infolge eines Sprungs oder schnellen Anstiegs nicht schon in der Nukleussilbe erreicht wird, so ist es spätestens am Beginn der ersten Nachlaufsilbe lokalisiert; spätere Positionen sind selten belegt. Die drei Varianten sind in Abb. 7 schematisiert. LH
h
-
%
H>
-
%
H
-
%
Abb. 7 Schema der drei Varianten der Plateaukontur im Berlinischen und Dresdnerischen; schattiertes Rechteck = Nukleussilbe; das F0-Maximum der Kontur ist durch einen Pfeil markiert
247
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
4.2.1.1.1.2 Duisburg Zwei der beschriebenen Plateaukonturvarianten finden sich auch im Duisburgischen. Am häufigsten finden sich hier diejenigen Varianten, bei denen das F0-Maximum in der Nukleussilbe platziert ist, i.e. H>-% und H-%. In Abb. 8 sind je zwei Beispiele dieser Varianten wiedergegeben. In den ersten beiden Beispielen liegt in der Nukleussilbe ein schneller Anstieg vor, dessen Maximum dann am Silbenende erreicht wird (H>-%). In den beiden unteren Belegen wird das hohe Niveau der Nukleussilbe durch einen F0-Sprung erreicht (H-%). Bei beiden Varianten ist der Verlauf des Plateaus meist flach-hoch; er kann aber gelegentlich, wie im Nukleus EINkaufen gegangen zu sehen, bis auf mittleres Niveau absinken. DU02-8646
DU05-12612
200
300
150 200 100
l H> % dann RENT ner wurde
70 0
0.5
150
l H> der Ü ber ihm
0
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0.5
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150
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l H den CHOR
breiter 0.5
0.92
DU02-9110
DU01-10698 200
100
% war
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1.32
100 70 0
l H is EIN
kaufen 0.5
% gegangen 1
1.18
Abb. 8 Plateaukonturen H> -% (oben) und H -% (unten) im Duisburgischen
Die in Berlin und Dresden vorherrschende Variante mit auf die erste Nachlaufsilbe verschobenem F0-Maximum (LH h-%) ist hier nur selten nachzuweisen. Stattdessen kann eine zwar relativ seltene, jedoch nur hier exklusiv vorhandene Variante beobachtet werden. Dieser Verlauf ist dadurch gekennzeichnet, dass es nach dem Hochton zu einer plötzlichen Fallbewegung auf fast mittleres Niveau kommt. Im folgenden Plateau wird diese Tonhöhe dann bis zum Phrasenende beibehalten. Bei dieser Variante ist also der Konturbeginn durch eine markante Auswölbung nach oben hervorgehoben. Bei den Verläufen in Abb. 9 liegen die Nukleussilben RUTSCH bzw. UM hoch (F0-Maximum in der Silbenmitte) und mit Beginn des Nachlaufs findet eine abrupte Fallbewegung statt, die in der Mitte der ersten Nachlaufsilbe auf mittel-hohem Niveau endet. Dieses Niveau wird dann bis zum Phrasenende beibehalten. Zur Transkription der hohen Nukleussilbe und des mittel-hohen Niveaus wird die Tonfolge H m-% verwendet. Dass es sich tatsächlich um mittel-hohe Plateaus (und nicht um tief fallende Verläufe) handelt, lässt sich ermitteln, wenn deren Tonhöhe mit der pränuklearen
248
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen DU01-8556
DU01-10705 200 200
150
150 l 100 0
H
m
ne RUTSCH
bahn
100
% da
70 0
0.96
0.5
l dem
H UM
m tausch
% noch 0.88
0.5
Abb. 9 Plateaukontur H-m% im Duisburgischen; nach der Akzentsilbe kommt es hier zu einem Absinken auf ein mittel-hohes Plateau
Silbe verglichen wird. Die pränukleare Tonhöhe liegt in den Beispielen immer deutlich tiefer als die des Plateaus (pränukleare Silbe: 150 bzw. 120 Hz; Plateau: ca. 180 bzw. 140 Hz). Aber auch der durchschnittlich präferierte Wert für Tieftöne (Minglobal) dieses Sprechers liegt mit 97 Hz deutlich tiefer als das Plateau. Dadurch kann belegt werden, dass die duisburgischen Plateaus präferiert mittel-hoch realisiert werden. Diese spezifisch duisburgische Variante wird sowohl zur sukzessiv-reihenden Weiterweisung als auch in der Listenbildung eingesetzt. Zusammenfassend werden damit im Duisburgischen mit H-% und H>-% Varianten der Plateaukontur bevorzugt, die ihr Maximum schon in der Nukleussilbe erreichen. Die Dominanz dieser Varianten ist in keiner anderen Stadt derart ausgeprägt. Zwar sind diese Varianten auch in Berlin und Dresden vertreten, jedoch nicht mit dieser Häufigkeit. Die in den östlichen Varietäten häufige Variante LH h-% ist dagegen in Duisburg kaum anzutreffen. Die schematischen Verläufe sind in Abb. 10 zusammengefasst. H>
-
%
H
-
%
H
m
-%
Abb. 10 Varianten der Plateaukontur im Duisburgischen; H>-% und H-% dominieren; H-m% kommt selten vor
4.2.1.1.1.3 Hamburg/Köln/Mannheim/Freiburg/München Diese große Varietäten-Gruppe setzt sich in zweierlei Hinsicht vom Duisburgischen, Berlinischen und Dresdnerischen ab. Erstens sind in zwei Städten, Hamburg und Mannheim, Plateaukonturen generell seltener (dort dominieren die kontinuierlichen Anstiege; vgl. Kap. 4.2.1.1.2). Zweitens wird in dieser Gruppe eine gänzlich andere Variante der Plateaukontur präferiert: Anstelle einer hochtonigen ist eine tieftonige Nukleussilbe zu beobachten. Insbesondere die Varianten der südlichen Städte München und Freiburg stehen in Kontrast zum Berlinischen, Dresdnerischen und Duisburgischen.
249
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
Die Plateaukonturen des Hamburgischen sind durch hohe Variabilität geprägt. Äußerst selten werden Plateaukonturen verwendet, deren F0-Maximum in der Nukleussilbe liegt (H-%, H>-%); auch die für Berlin charakteristische Kontur LH h-% ist (erwartungsgemäß) selten belegt. Am häufigsten sind Varianten, bei denen sich in der Nukleussilbe ein Tiefton herausgebildet hat, der entweder durch eine flache Haltephase oder durch ein F0-Tal hervorgerufen wird. In den hamburgischen Beispielen in Abb. 11 ist zu erkennen, dass der F0-Verlauf der Nukleussilben AUCH, DA und RE zunächst auf tiefem Niveau bleibt und erst dann ansteigt. Auf der Folgesilbe wird das Maximum erreicht, das dann bis zum Phrasenende weitgehend beibehalten wird. Diese Form der Anstiegskontur ist z.B. dem Berlinischen fast gänzlich fremd, denn dort überwiegt auch bei einer Anstiegsbewegung in der Nukleussilbe der perzeptive Eindruck eines Hochtons. Das Maximum der Anstiegsbewegung wird meist in der Mitte der ersten Nachlaufsilbe erreicht (vgl. Abb. 11). Durch diese späte Lokalisierung des Maximums steht insgesamt mehr Zeit für den Anstieg und damit auch für die Realisierung des konturinitialen Tieftons zur Verfügung. Im Vergleich dazu befindet sich das Maximum im Berlinischen oder Dresdnerischen fast immer am Beginn der Nachlaufsilbe und ist damit deutlich früher platziert. Diesem schnellen Anstieg ohne Talbildung der östlichen Varietäten steht der langsame Anstieg mit Talbildung in Hamburg gegenüber. Zur phonetischen Kennzeichnung dieser Variante kann ein Tiefton L in der Nukleussilbe angenommen werden, auf den das Plateau des Nachlaufs folgt: L h-%. HH06-540
HH06-537
HH06-545
200
200
200
150
150
150
100 70 0
L
h ja AUCH immer noch
0.5
100
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0.89
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L DA
h
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0.5
100
%
0.65
70 0
L h RE gel
sätze
0.5
%
0.91
Abb. 11 Plateaukonturen mit initialem Tiefton (L h-%) im Hamburgischen
Auch in den übrigen westlichen und südlichen Varietäten ist die Präferenz für L h-% ausgeprägt. Die folgenden beiden Abbildungen zeigen Beispiele aus Köln und Mannheim (Abb. 12) bzw. Freiburg und München (Abb. 13). In diesen Varietäten sind jeweils ausgeprägt tiefe Täler in der Nukleussilbe zu erkennen, an die sich nach einem Anstieg Hochplateaus anschließen. Die Tieftöne können auf unterschiedliche Weise realisiert werden: Erstens sind F0-Täler beobachtbar, die aus kurzen, flachen Haltephasen bestehen, die dann in eine Steigbewegung übergehen (z.B. auf MEI(nem), SOHN, AUF(stehn)). Zweitens kann die gesamte Nukleussilbe tief-flach ausgeführt werden, wie es z.B. in (ver)VOLLständigt (FR01), FUHRwerk kha ‚Fuhrwerk gehabt‘ (FR05) oder ÄLteste gewesen (M01) vorliegt. Bei diesem Typ fehlt dann die Anstiegsbewegung, und das Plateau wird durch einen Sprung auf die Nachlauf-
250
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
silbe erreicht. Das perzeptive Resultat ist in allen Fällen das gleiche: In der Nukleussilbe wird ein deutlicher Tiefton L wahrgenommen. K04-12828
K07-19285
K07-13965 300
300
200 200 150
200 150
100
L MEI
h nem
% jeld
0
0.5
100 0 0.80
L h SOHN je
schmissen 0.5
MA06-4928
% hat
150
1 1.13
L HUB
0
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-
0.5
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schon
1
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1.78
MA07-2467
200 200
150
150 100 70 0
L WAND
h ge
% wese 0.5
L h 100 KREUZ uff
0.70
0
% gezeichent
0.5
1
1.49
Abb. 12 Plateaukonturen mit initialem Tiefton (L h-%) im Kölnischen und Mannheimerischen FR01-3354
FR06-6234
FR05-4237
200 150 200
200
100 150 70 50 0
L h ZEIT tung
% beispielsweise
0.5
1
L ver VOLL 100 0
M01-14254
150
h % ständigt 0.5
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h
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0
0.5
150
300
0.90
M10-15694
M02-14367 200
% kha
200 150
100 200 150 0
L ÄL
h tes
te
% gewesen
0.5
0.97
h % 70 L AUF stehn können 50 0 0.5 0.87
100 70 0
L h SPEI se
lokal
is oder
0.5
% was 1
Abb. 13 Plateaukonturen mit initialem Tiefton (L h-%) im Freiburgischen und Münchnerischen
Die Beispiele zeigen größtenteils, dass das Maximum, und damit der Beginn des eigentlichen Hochplateaus, auf der ersten Nachlaufsilbe lokalisiert ist. Dies ist z.B. im münchnerischen Nukleus ÄLteste gewesen zu beobachten, wo das Maximum auf der Silbe tes liegt. Insbesondere bei längeren Nuklei kann das F0-Maximum auch noch später platziert werden. So befindet es sich z.B. im mannheimerischen Nukleus WAND gewese (Abb. 12) erst auf der zweiten Nachlaufsilbe (we). Auch im freiburgischen Beispiel ZEtung beispielsweise (Abb. 13) trägt die zweite Nachlaufsilbe (bei) das Maximum. Gleiches lässt sich für den münchnerischen Nukleus SPEIselokal is oder was beobachten, wo das Plateau mit der Nachlaufsilbe lo einsetzt. Wie im Hamburgischen trägt diese Verschiebung des Plateaubeginns dazu bei, dass die Konturkomponente davor längere Zeit tief bzw. steigend realisiert werden kann. Diese phonetischen Details bewirken eine auditive Profilierung des Tieftons L in der Akzentsilbe.
251
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
Das eigentliche Plateau verläuft wie in Berlin oder Duisburg überwiegend flach auf konstanter Höhe. Dieser Konturbestandteil weist damit im gesamten untersuchten Korpus keine (oder nur eine unsystematische) regionale Variabilität auf. Die eigentliche regionale Differenzierung der Plateaukontur basiert ausschließlich auf der Variation in der Nukleussilbe und in der ersten Nachlaufsilbe (i.e. im Akzentton). Diese in den Stadtvarietäten aus Hamburg, Köln, Mannheim, Freiburg und München am häufigsten vorkommende Plateaukontur ist in Abb. 14 schematisch dargestellt. L
h
-
%
Abb. 14 Schematischer Verlauf der Plateaukonturvariante L h-%
4.2.1.1.1.4 Sonderfall: Plateaukontur mit finalem Sprung Bei den besprochenen Plateaukonturen findet nach dem Anstieg bzw. Sprung in der Nukleussilbe bis zum Phrasenende keine weitere Richtungsänderung statt. Der Hochton am Beginn der Kontur legt auch gleichzeitig die Höhe des finalen Grenztons fest und das Hochplateau verläuft flach bis zum Phrasenende. Daneben lässt sich eine weitere Variante beobachten, die zwar relativ selten vorkommt, jedoch auditiv sehr prägnant ist. Hierbei kommt es im Anschluss an das Hochplateau am Phrasenende zu einem erneuten, zweiten Anstieg. Diese Kontur ist in Abb. 15 schematisch dargestellt. LH
h-
h
h%
Abb. 15 Schematischer Verlauf der Plateaukontur mit zusätzlichem finalen Anstieg (LH h-h h%)
Die Kontur weist also, ausgehend vom tiefen pränuklearen Niveau, einen zweifachen Anstieg mit einem dazwischenliegenden Plateau auf. Sie ist im Weiterweisungskontext eine nahezu exklusive Kontur des Dresdnerischen; vereinzelt findet sie sich auch in Berlin und München, besitzt dort aber nicht die gleiche perzeptive Prägnanz. Die komplexe Plateaukontur kann nur dann realisiert werden, wenn sich der Nukleus aus wenigstens vier Silben zusammensetzt. Bei kürzeren Nuklei wird eine einfache Plateaukontur (oder ein kontinuierlicher Anstieg) realisiert. Bei viersilbigen Nuklei ereignet sich auf der Nukleussilbe der erste Anstieg, die zweite und dritte Silbe bilden ein Plateau und auf der vierten Silbe kommt es zum weiteren Anstieg auf
252
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
ein höheres End-Niveau. Mit zunehmender Silbenzahl erhöht sich die perzeptive Salienz der Kontur. In Abb. 16 sind je zwei Beispiele aus dem Berlinischen, Dresdnerischen und Münchnerischen wiedergegeben. Im Berlinischen und Dresdnerischen entspricht der Verlauf bis zur letzten Silbe meist der einfachen Plateaukontur mit schnellem Anstieg und flach-hohem Plateau (LH h-%), wie sie dort häufig zu finden sind. Auf der phrasenletzten Silbe findet dann ein weiterer Anstieg statt. So wird im berlinischen Nukleus UFFschwung kriegen bei uns hier zunächst ein fünfsilbiges, flaches Plateau realisiert. Daran schließt sich ein sprungartiger Verlauf auf der phrasenletzten Silbe hier an. Dieser Anstieg deutet sich im vorausgehenden, insgesamt flachen Plateauverlauf nicht an, sondern findet ausschließlich auf der letzten Silbe statt. Er kann als Tonhöhensprung (z.B. auf hier, (ma)chen, dir) oder als schnelle Anstiegsbewegung ausgeführt werden (z.B. auf (müh)le, (mis)sen, (erspar)nis). B05-11630
B01-1159 150 200 100 150 100 0
LH UFF
hschwung kriegen bei
h uns
0.5
70
^h% hier 1
1.28
50 0
LH hMEIS ter
prüfung
zu
h h% ma chen
0.5
1
1.21
DD07-11456
DD10-10189 200
200
150
150 100 70 0
L BIE
hnert
h müh
100
^h% le
0.5
0.83
LH OOCH
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M06-14567 200
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L KEL
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h bei 0.5
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M06-14581
200
100
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100
^h% dir 1
70 0
LH hh h% KOS ten er spar nis 0.5
0.90
Abb. 16 Plateaukontur mit finalem Extra-Anstieg im Berlinischen, Dresdnerischen und Münchnerischen
Alle IP-finalen Silben dieser Plateaus sind unakzentuiert, d.h. die finale Tonhöhenbewegung wird nicht durch einen Akzentton hervorgerufen. Sie kann ebenfalls nicht aus Tendenzen des vorausgehenden Plateauverlaufs abgeleitet werden, sondern sie wird ausschließlich durch das Phrasenende gesteuert, so dass alle Bedingungen für die Annahme eines Phrasengrenztons h% erfüllt sind. Die Transkription der gesamten nuklearen Kontur ist abhängig vom gewählten Akzentton. Für das
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
253
Berlinische und Dresdnerische lautet sie mehrheitlich LH h-h h%, während sich im Münchnerischen die Variante L h-h h% findet. Der finale Grenzton befindet sich meist im oberen Viertel des genutzten Sprechstimmumfangs eines Sprechers. Es sind aber auch Anstiege belegt, die deutlich über den durchschnittlich genutzten Umfang hinausgehen. Es kommt dann zu einem kurzzeitigen ‚Umkippen‘ der Stimme ins Falsettregister, das in der Transkription mit dem Diakritikum ‚^‘ zum Ausdruck gebracht wird. So beträgt z.B. für den berlinischen Beleg B01-1159 in Abb. 16 die Tonhöhe auf dem finalen Grenzton 247 Hz. Da der durchschnittliche Maximalwert (Maxglobal) dieses Sprechers mit 181 Hz jedoch beträchtlich tiefer liegt, springt der Grenzton akustisch und auditiv deutlich aus dem Plateau heraus. Das Plateau selbst befindet sich mit ca. 200 Hz ungefähr auf der Höhe von Maxglobal. Auf ähnliche Weise ragt der Grenzton auch in den Belegen DD10-10189 und M06-14567 aus der Kontur heraus. Doch ist das Umkippen der Stimme nicht durchgängig zu beobachten. Bei den übrigen Beispielen in Abb. 16 liegt der Grenzton ungefähr auf der Höhe von Maxglobal, was dazu führt, dass das Plateau davor tiefer realisiert wird. Die Plateaukonturen LH h-h h% bzw. L h-h h% werden auch für das Standarddeutsche angenommen. Als Grenztonkonfiguration wird in GToBI die Tonfolge H-^H% verwendet, die „einen steilen Anstieg der Tonhöhe innerhalb der letzten Silbe der Phrase, oft sehr hoch im Sprechstimmumfang des Sprechers“ symbolisiert (Grice/Baumann 2002: 282). Diese Grenztonkonfiguration kann in Kombination mit hohen oder tiefen Akzenttönen eingesetzt werden, so dass also zwischen L* H-^H% und (L+)H* H-^H% unterschieden werden kann (s.o. die Zusammenstellung der GToBI-Konturen auf S. 13). Beide Konturen sind nur für den Fragemodus vorgesehen. Die Kontur mit Tieftonbeginn steht in neutralen Entscheidungsfragen (Tauschen Sie auch Briefmarken?) oder in Echofragen (Von wem ich das habe?). (L+)H* H-^H% findet sich vornehmlich in Anschlussfragen (… oder ist das ihr Bruder hier?). Auch in Seltings (2003a) Untersuchung der Plateaukonturen des Dresdnerischen wird die ‚Treppenkontur mit weiterem finalen Anstieg‘ als zentrale Kontur zur Fragengestaltung verwendet. Selting (2003a) zeigt weiterhin, dass die Plateaubildung ein konstitutives Merkmal der Dresdner Intonation ist. So können z.B. längere Plateaus auf verschiedenen Höhen innerhalb einer Phrase aufeinander folgen: Auf einem pränuklearen Akzent kommt es zu einem Anstieg auf ein Plateau mittlerer Höhe, das bis zum nuklearen Akzent beibehalten wird. Auf der Nukleussilbe kommt es zu einem Anstieg auf ein weiteres, höheres Plateau, das sich bis zum Phrasenende erstreckt. Zentrale Ankerpunkte für die Übergänge zwischen den Plateaustufen sind in solchen Fällen also immer Akzente. Der Unterschied zu der hier besprochenen Kontur LH h-h h% ist, dass die Richtungsänderung nicht durch einen Akzent, sondern durch einen Phrasengrenzton ausgelöst wird; es kann sich folglich auch kein (oder nur ein minimales) weiteres Plateau am Phrasenende herausbilden. In der vorliegenden Analyse konnte gezeigt werden, dass die Plateaukontur mit finalem Anstieg nicht wie im Standarddeutschen auf das Frageformat beschränkt
254
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
ist, sondern auch in deklarativen Äußerungen mit Weiterweisungsfunktion belegt ist. Die konversationelle Funktion entspricht damit der einfachen Plateaukontur ohne finalen Anstieg. Aus dieser funktionalen Äquivalenz kann geschlossen werden, dass es sich um eine intonatorische Variante der Plateaukontur handelt. 4.2.1.1.2 Kontinuierlicher Anstieg (L-h%) Neben der Plateaukontur ist auch der kontinuierliche Anstieg (L-h%) an der Kontextualisierung der sukzessiv-reihenden Weiterweisung beteiligt. Diese Kontur weist keine Phase mit gleichbleibendem Verlauf auf, vielmehr steigt die Tonhöhe ausgehend von einem Tiefton L kontinuierlich an, bis der hohe Grenzton h% erreicht ist. Der Verlauf weicht also radikal von den meisten Plateaukonturen ab. Die größte Ähnlichkeit besteht zu der Plateaukonturvariante L h-%, die ebenfalls mit einem Tiefton beginnt. In den neueren Untersuchungen zum Standarddeutschen wird zwar auch ein kontinuierlicher Anstieg angenommen, die Kontur ist allerdings fast nur für Fragen (neutrale Entscheidungsfragen und Echo-Fragen) vorgesehen (vgl. z.B. Féry 1993: 87f.). In GToBI wird die Kontur mit der Symbolfolge L* H-^H% wiedergegeben (Grice/Baumann 2002: 286). Allerdings steigt die Tonhöhe auf dem Grenzton ^H% extra-hoch an, was bei den hier zu beschreibenden Konturen nicht festzustellen ist. Insgesamt zeigt sich jedoch, dass die Beschreibungen des Standarddeutschen im Weiterweisungskontext generell keine Kontur mit kontinuierlichem Anstieg vorsehen. Wiederum weichen hier also die Regionalvarietäten von dem für die Standardsprache angenommenen Intonationssystem ab. Aus der quantitativen Übersicht über alle Anstiegskonturen (Abb. 2 oben, S. 240) geht hervor, dass L-h% im untersuchten Sample eine insgesamt geringere Verbreitung aufweist als die Plateaukontur. Nur in drei Städten findet sich die Kontur, allerdings mit teilweise recht hohen Anteilen. In Mannheim ist L-h% sogar der Regelfall. Aber auch in Hamburg wird die Kontur in der Hälfte der Belege und in Köln immerhin noch zu 37 % realisiert, während alle übrigen Varietäten nur geringe Anteile aufweisen. Die folgende Analyse konzentriert sich auf das Mannheimerische und Hamburgische. Zusätzlich wird auch das Dresdnerische berücksichtigt, da sich hier eine auffällige Sonderform herausgebildet hat. Im Mannheimerischen lassen sich zwei Varianten des kontinuierlichen Anstiegs feststellen, die jeweils gleich häufig vorkommen. Die erste Variante ist der ‚echte‘ kontinuierliche Anstieg, dessen Konturverlauf einer direkten Interpolation zwischen tiefem Anfangs- und hohem Endpunkt entspricht: Bei den Beispielen in Abb. 17 nimmt die Tonhöhe von Silbe zu Silbe stetig zu. Der hohe finale Grenzton wird ohne jegliche Geschwindigkeits- oder Richtungsänderung angesteuert. Die zweite Variante ist durch eine kontur-interne Veränderung der Geschwindigkeitsverhältnisse gekennzeichnet. Zu Beginn des Nukleus, insbesondere in der Nukleussilbe, steigt der Verlauf zunächst nur leicht an und erst auf der letzten oder der vorletzten Silbe nimmt die Steilheit des Anstiegs zu. Abb. 18 zeigt für sechs Be-
255
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur MA11-9428
MA12-9553
200
200
150
150
100 70 0
LNIE
der länd
de
100
h% rin 0.99
0.5
70 0
LDIENSCHT mäd
h% ghabt
chen noch
0.97
0.5
MA10-3757
200
150
100
L-
h% LAND
70 0
frauen
0.5
0.76
Abb. 17 Kontinuierlicher Anstieg L-h% im Mannheimerischen
lege diesen zunächst tief-flachen und dann schnell ansteigenden Verlauf. Im ersten Beispiel verläuft die Kontur auf den ersten drei Silben (VOgelstang) relativ flach auf tiefem Niveau, und die letzten beiden Silben (gewohnt) weisen einen ausgeprägten Anstieg auf. Durch diese Asymmetrie zwischen Konturanfang und -ende wird der finale Grenzton h% besonders hervorgehoben. Zu dieser verzögerten Anstiegsbewegung trägt auch ein weiteres Merkmal des Mannheimerischen bei, das in Kap. 4.2.3.2 genauer dargestellt wird: Es ist erkennbar, dass in allen Beispielen in Abb. 18 die Nukleussilbe durch einen insgesamt flachen Verlauf gekennzeichnet ist, wodurch der Anstieg erst ab der ersten Nachlaufsilbe beginnen kann. MA05-2838
MA11-9438
MA07-2776 200
200
150
150
150 100 L70 VO gel stang 0
100
h% wohnt
ge 0.5
0.72
70 0
LNEC
au 0.5
MA06-2272
100
h% kar
0.79
70 0 200
150
150
150
70 0
ge
100
h% ruf(en) 0.42
70 0
LWEI
ter er
0.5
0.64
100
h% zählt 0.5
h% hof
de
MA12-9584
200
LAN
LIN
MA07-4457
200
100
L-
0.75
70 0
ver
LEIH
ung
is 0.5
Abb. 18 Initial verlangsamter kontinuierlicher Anstieg L-l-h% im Mannheimerischen
Diese Variante ist mit den Mitteln des IViE-Labelling-Systems (Grabe 2001) nicht ohne Weiteres darstellbar. In einer möglichen Erweiterung des Transkriptionssystems kann hierfür die Notation L-l-h% eingeführt werden. Dabei wird durch die
256
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Symbolfolge L-l die tief-flache oder nur leicht steigende Strecke gekennzeichnet, während mit l-h% der stark-steigende finale Verlauf symbolisiert wird. Beide Varianten des kontinuierlichen Anstiegs sind auch im Hamburgischen anzutreffen (Abb. 19). Im Nukleus KRANkenhaus müssen verteilt sich die Anstiegsbewegung relativ gleichmäßig über die fünf Silben (L-h%). Dagegen ist im Nukleus MINderheiten der L-l-h%-Verlauf zu erkennen. HH08-10849
HH06-514 200
200
150
150
100 70 0
LKRAN ken
haus
100
h% sen
müs 0.5
70 0
0.93
LMIN
lder
h% ten
hei
0.5
0.65
Abb. 19 Kontinuierlicher Anstieg L-h% und L-l-h% im Hamburgischen
Im Dresdnerischen existiert eine seltene, allerdings charakteristische Form des kontinuierlichen Anstiegs. Auffällig ist bei den Beispielen in Abb. 20 die Tonhöhe des finalen Grenztons, der besonders hoch und zudem sprungartig realisiert wird. DD02-6547
DD02-6545
DD04-10197
300
300
Maxglobal
200 150
300
200
L
100
OOCH 70 0
^h% ver
100
kauft 0.5
150 LTAN
0.73
70 0
Maxglobal
200
Maxglobal
150 ^h% te
L-
100
hier
ge 0.5
70 0
LERNT
^h% hat
te 0.5
0.62
Abb. 20 Kontinuierlicher Anstieg mit extra-hohem Anstieg am IP-Ende im Dresdnerischen (L-^h%); zusätzlich ist der persönliche Referenzwert Maxglobal eingezeichnet (gepunktete Linie)
Um nachzuweisen, dass diese Grenztöne tatsächlich extra-hoch gelegt sind, ist es notwendig, den individuellen Referenzwert für das durchschnittliche F0-Maximum zu berücksichtigen (Maxglobal; vgl. Kap. 2.5.5). Dieser Referenzwert ist in Abb. 20 als gepunktete Linie eingezeichnet. Für den Sprecher DD02 beträgt Maxglobal 174 Hz. In den Belegen OOCH verkauft und geLERNT hatte liegt die finale F0 jedoch bei 246 bzw. 245 Hz, d.h. der Grenzton ist ca. 40 % höher als der Referenzwert Maxglobal. Ähnliche Relationen gelten für den Sprecher DD04. Die exzeptionelle Höhe des Grenztons wird durch einen Wechsel von modaler Stimmqualität ins Falsett erzielt, der in der Transkription durch das Diakritikum ‚^‘ angedeutet ist. Als Transkription der gesamten nuklearen Kontur ergibt sich damit für das Dresdnerische L-^h%. Diese dresdnerische Variante weist Ähnlichkeit zur oben besprochenen Plateaukonturvariante mit Extra-Anstieg (LH h-h ^h%) auf, bei der der Grenzton ebenfalls in Form eines Sprungs aus der Phrase herausragt und im oberen Bereich des Sprechstimmumfangs lokalisiert ist (vgl. Kap. 4.2.1.1.1.4, S. 252). Es stellt sich daher die Frage, ob es sich hierbei nicht um zwei Varianten derselben (tonologischen)
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
257
Kontur handeln könnte. Aufgrund der phonetischen Gestaltung sind alle Belege in Abb. 20 als kontinuierlich ansteigend zu betrachten, denn von Silbe zu Silbe nimmt die Tonhöhe zu. Dagegen könnte in einer tonologischen Interpretation argumentiert werden, dass es sich um Plateaukonturen handelt, bei denen die Plateaus verkürzt wurden. Auffällig ist, dass die Variante L-^h% im Dresdnerischen fast ausschließlich in dreisilbigen Nuklei auftritt, so dass sie tatsächlich als die Reduktionsform der Plateaukontur LH h-h ^h% angesehen und unter einer gemeinsamen tonologischen Kontur subsumiert werden könnte. In der vorliegenden Analyse wird L-^h% dennoch zu den kontinuierlichen Anstiegen gerechnet. Dies erklärt sich aus der primär phonetisch-explorativen Anlage der Untersuchung: Vor der Zuordnung zu tonologischen Kategorien steht die möglichst erschöpfende Erfassung und phonetische Beschreibung der empirisch vorfindbaren Intonationsverläufe. Erst nach dieser Analyse können in einem weiteren methodischen Schritt Varianten zu tonologischen Konturen zusammengefasst und Neutralisierungsbedingungen angegeben werden. Insgesamt stellt der kontinuierliche Anstieg L-h% in der Weiterweisung für die deutschen Regionalsprachen die seltenere Option dar: Diese Kontur ist nur in Mannheim, Hamburg und Köln zu finden. Für das Mannheimerische ist sie praktisch die alleinige Weiterweisungskontur, während sie in den beiden anderen Städten in starker Konkurrenz zur Plateaukontur steht. Hier kommt es also zu einer (funktional nicht relevanten) Mischung zwischen den beiden Anstiegskonturen. In den übrigen Städten ist die Kontur nur in geringen Anteilen vorhanden; in Berlin ist sie praktisch nicht existent. 4.2.1.1.3 Systematisierung der Anstiegskonturen Zur Kontextualisierung der sukzessiv-reihenden Weiterweisung konnte eine Reihe von nuklearen Anstiegskonturen herausgearbeitet werden, die in zwei Hauptgruppen eingeteilt werden können. Es handelt sich dabei zum einen um die Plateaukonturen und zum anderen um den kontinuierlichen Anstieg. Sowohl innerhalb der einzelnen Regionalvarietäten als auch im Vergleich untereinander ergibt sich ein komplexes Variationsmuster der verschiedenen Konturvarianten, die im Folgenden in ihrer quantitativen Verteilung dargestellt und systematisiert werden sollen. Für die regionale Variabilität der nuklearen Plateaukonturen ist im Wesentlichen die Gestaltung des Akzenttons und des Grenztons verantwortlich. Für den Akzentton können insgesamt vier Varianten beobachtet werden:
• • • •
H H> LH L
Hochton, der durch einen Sprung erreicht wird schneller Anstieg mit Gipfelbildung an der Grenze zum Nachlauf schneller Anstieg mit Gipfelbildung am Beginn der ersten Nachlaufsilbe Tiefton
Die Höhe des finalen Grenztons wird bei den meisten Plateaukonturen durch den Akzentton vorgegeben, d.h. die durch den Akzentton erreichte Tonhöhe wird na-
258
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
hezu unverändert bis zum Phrasenende beibehalten. Für die tonologische Interpretation bedeutet dies, dass der Grenzton unspezifiziert ist (%). Da der Akzentton die Tonhöhe des Plateaus vorgibt, wird auch die Annahme eines dazwischen liegenden Phrasenakzents/Phrasentons unnötig. Als eine Besonderheit des Dresdnerischen (seltener und weniger ausgeprägt auch im Berlinischen) kann der phrasenfinale Extra-Anstieg angesehen werden, der auditiv besonders auffällig ist. Bei dieser seltenen Kontur ist der Grenzton tonal spezifiziert. Eine weitere Besonderheit betrifft das Duisburgische, wo nach dem hohen Akzentton ein leichter Fall auf mittel-hohes Niveau stattfindet. Daran schließt sich dann das ebenfalls mittel-hohe Plateau an (H m-%). Auch bei dieser Variante weicht die Tonhöhe des Grenztons vom Akzentton ab. Während Plateaukonturen in nahezu allen Varietäten in irgendeiner Form auftreten, weist der kontinuierliche Anstieg L-h% eine eingeschränkte regionale Gültigkeit auf. Diese Kontur wird nur in einigen westlichen Varietäten (Hamburg, Köln, Mannheim) verwendet. Die Variationsbreite aller Anstiegsvarianten kann mit Hilfe der Abfolge in Abb. 21 verdeutlicht werden. Zur Modellierung der Variation ist ein Parameter ausreichend, durch den der Zeitpunkt für das Erreichen des F0-Maximums geregelt wird; die Verschiebung dieses Zeitpunkts ist in der Abbildung durch einen Pfeil angedeutet. H
- %
H>
-
%
LH h
- %
L
h
- %
L-
h%
Abb. 21 Stufenweiser Übergang einer Plateaukontur mit Hochakzent (H-%) in einen kontinuierlichen Anstieg mit Tiefakzent (L-h%)
Beim durchgehenden Hochplateau H-% (links) wird schon in der Nukleussilbe das Maximum erreicht und bis zum Phrasenende beibehalten. Mit zunehmend späterer Lokalisierung des Maximums kann sich in der Nukleussilbe zunächst unter Beibehaltung des Hochtoncharakters eine Anstiegsbewegung herausbilden (H>-%, LH h-%). Bei weiterer Verschiebung entsteht schließlich ein tiefer Akzentton, an den sich ein Plateau anschließt (L h-%). In der letzten Stufe wird das Maximum am Phrasenende lokalisiert, so dass ein kontinuierlicher Anstieg L h% entstehen kann. Die regionale Variabilität kann nun durch die Feststellung der Präferenzen für eine oder mehrere dieser Varianten in den Varietäten beschrieben werden. Die Anteile für die fünf häufigsten Varianten der Anstiegskontur sind in Abb. 22 wiedergegeben. Die teilweise hohe Variabilität resultiert in einer komplexen quantitativen Verteilung. Für eine bessere Übersichtlichkeit sind in Abb. 22 Städte mit ähnlicher Variantenverteilung gruppiert. Am deutlichsten kann das Mannheimerische ausgegrenzt werden, wo fast ausschließlich der kontinuierliche Anstieg L-h% vorherrscht (81 %). Recht hohe Anteile für L-h% sind auch für Köln (37 %) und Hamburg
259
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur 100%
80%
L h% L h-%
60%
LH h-% H> -% H -%
40%
20%
0% DU
B
DD
HH
MA
K
M
FR
Abb. 22 Quantitative Verteilung der fünf Varianten der Anstiegskontur in sukzessiv-reihender Weiterweisung (N=674)
(49 %) zu verzeichnen. In München, Freiburg und Köln ist die Plateaukontur mit tiefem Akzentton (L h-%) die häufigste Weiterweisungskontur. Unabhängig von der Gestaltung des Nachlaufs (als Plateau oder kontinuierlich steigend) dominieren damit in diesen westlichen bzw. südlichen Varietäten Anstiegsvarianten mit einem Tiefton in der Akzentsilbe. Als Kontrast zu dieser Städtegruppe positionieren sich die Varietäten aus Duisburg, Berlin und Dresden. Im Duisburgischen dominieren die Varianten mit Hochton (H-% und H>-%).5 Warum sich inselartig nur in Duisburg diese Präferenz herausgebildet hat, ist allerdings unklar. Dieses Muster lässt sich noch am ehesten mit dem Berlinischen zu vergleichen. Zwar ist das Berlinische durch hohe interne Variation gekennzeichnet, jedoch stellen die Varianten H-%, H>-% und LH h-% die größte Gruppe aller vorkommenden Varianten dar. Daraus kann eine Präferenz für die Gipfellokalisierung in der Akzentsilbe bzw. im Übergangsbereich zwischen Nukleussilbe und erster Nachlaufsilbe abgeleitet werden. Für das Dresdnerische schließlich lässt sich kaum eine Hauptvariante ausmachen, denn hier sind alle fünf Varianten zu ungefähr gleichen Anteilen vertreten. Ähnlich wie beim Berlinischen stellen jedoch auch hier die Varianten H-%, H>-% und LH h-% die größte Gruppe dar (61 %). Trotz der hohen Variabilität in Berlin und Dresden ist diesen Varietäten doch gemeinsam, dass insgesamt Varianten mit Hochton in der Akzentsilbe vorherrschen. Zusammen mit dem Duisburgischen kontrastieren diese drei Varietäten mit den übrigen westlichen bzw. südlichen Varietäten, die eine deutliche Präferenz für Tieftöne in der Akzentsilbe erkennen lassen.
5
Die in Duisburg exklusiv vorhandene, seltene Kontur H m-% ist in Abb. 22 unter H-% subsumiert.
260
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
4.2.1.2 Anstiegskonturen bei gleichordnend-reihender Weiterweisung In der Funktionsanalyse in Kap. deutete sich bereits an, dass zur prosodischen Kontextualisierung der gleichordnend-reihenden Weiterweisung (Listen) Anstiegskonturen generell die erste Wahl sind.6 Prinzipiell finden sich in Listen die gleichen Konturen wie bei der sukzessiv-reihenden Weiterweisung. Teilweise ist für Listen jedoch eine andere quantitative und regionale Distribution der Varianten festzustellen. Generell stellen Plateaukonturen die häufigste Option dar: Von den 222 untersuchten Listenelementen werden 199 (ca. 90 %) mit einer Variante der Plateaukontur realisiert. In den Abb. 23 und 24 sind für jede Stadt Beispiele der Listenkonturen wiedergegeben. Die Listenkontur mit der insgesamt höchsten Häufigkeit und der weitesten regionalen Verbreitung ist die Plateauvariante H-% (in Hamburg, Berlin, Dresden, Duisburg, Köln, Mannheim). So ist in Abb. 23 z.B. für das hamburgische Listenelement VIERlanden (Toponym) zu erkennen, dass die hohe Tonhöhe durch einen Sprung von der tiefen pränuklearen Silbe den auf die Nukleussilbe VIER erreicht wird. Die Realisierungen für die übrigen Städte in Abb. 23 zeigen insgesamt ähnliche Verläufe. B01-6954
HH04-8689
200
200
150
100 70 0
150
l den
HVIER
100
% landen
0.93
0.5
70 0
DU01-10459
200
150
150
70 0
100
HWAS ser
% geld
0.86
0.5 K09-14402
150
150
70 404.4
% kaufen
405
HHE rings
% mann
0.5
1
MA11-9285
200
HEIN
0.92
0.5
l der 70 0
200
100
% jeschmuggelt
DD01-6390
200
100
l Hziga RET ten
405.25
100 70 0
HVOR
trag
% halten
0.5
0.73
Abb. 23 Beispiele für Listenkonturen aus Hamburg, Berlin, Dresden, Duisburg, Köln und Mannheim
6
Zwar können auch Fallkonturen eingesetzt werden, allerdings nur marginal und nur unter besonderen konversationellen Bedingungen (etwa zur emphatischen Hervorhebung).
261
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
Die süddeutschen Städte Freiburg und München präferieren in der Listenfunktion überwiegend andere Konturen. Vergleichbar der sukzessiv-reihenden Weiterweisung ist hier die Plateaukontur H-% auch in der Listenfunktion aufgrund der generellen Präferenz für tiefe bzw. steigende Akzente relativ selten. Am häufigsten sind die Plateaukonturen mit Anstieg in der Nukleussilbe (LH h-% und L H-%) und der ebenfalls mit tiefer Nukleussilbe einsetzende kontinuierliche Anstieg L-h% vertreten. Im Gegensatz zu Nord- und Mitteldeutschland setzen die süddeutschen Listen also häufiger mit einem Tiefton ein, wie die Beispiele in Abb. 24 zeigen. Besonders in den Nuklei (niko)LAIviertel (Freiburg) und MArathonläufer (München) ist die für den Tiefton charakteristische Talbildung erkennbar. FR05-4280
FR01-2198
300
300
200
200
150 100 0
150 L hHERD äpfel
% kha 0.5
0.77
100 0
niko
L LAI
h- % viertel 0.5
M10-15674
0.76
M07w-14928
200 300
150 100 70 0
L MA
ra
hthon 0.5
% läufer 0.84
200 150 0
LMEHL
h% vermischen 0.5
0.97
Abb. 24 Beispiele für Listenkonturen aus Freiburg und München
Die quantitative Auswertung der Listenkonturen in Abb. 25 zeigt teilweise eine andere Variantenverteilung als bei der sukzessiv-reihenden Weiterweisung. Dabei können insbesondere die nord- und mitteldeutschen Varietäten aufgrund ähnlicher Variantenverteilungen zusammengefasst werden. Im Hamburgischen, Berlinischen, Duisburgischen und Kölnischen dominieren Plateaukonturen, die ihr Maximum in der Nukleussilbe haben (H-% bzw. H> %). In diesen Varietäten ist die Mischung mit anderen Konturen gering. Für die Listenfunktion kann damit eine relativ eindeutige Funktion-Form-Korrelation angenommen werden. Im Dresdnerischen und Mannheimerischen sind die H -%-Konturen deutlich seltener vertreten (ca. 40 %), so dass sich eine Mischung mit den übrigen Konturen ergibt. In Dresden sind die übrigen Konturen mit initialem Hochton (H>-%, LH h-%) noch recht häufig, woraus sich eine tendenzielle Ähnlichkeit mit dem Berlinischen oder dem Duisburgischen ergibt. Im Mannheimerischen sind dagegen neben der H-%-Variante v.a. die Konturen mit initialem Tiefton (L h-%, L-h%) häufig vorhanden. Die starke Variation belegt, dass in diesen Städten die Listenfunktion nicht durch eine bestimmte Kontur repräsentiert ist. Es lässt sich dennoch insgesamt festhalten, dass in einem Großteil des nord- und mitteldeutschen Gebietes in Listen mit großer Einheitlichkeit ähnli-
262
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
che Konturvarianten eingesetzt werden, während sich die genannten Stadtvarietäten in der Wahl der Kontur(en) für die sukzessiv-reihende Weiterweisung durchaus unterscheiden. 100% 90% 80%
L-h%
70%
L h-%
60%
LH h-% H>-%
50%
H-%
40% 30% 20% 10% 0% HH
B
DD
DU
K
MA
FR
M
Abb. 25 Quantitative Verteilung der Konturvarianten in Listen (N=222)
Die beiden süddeutschen Städte lassen sich allerdings nicht ohne weiteres zu einer Gruppe zusammenfassen. Im Münchnerischen ist eine Konturen-Mischung mit Schwerpunkt bei L h-% zu beobachten. Das Freiburgische setzt sich am deutlichsten von den übrigen Varietäten ab, denn hier dominieren Konturen mit tiefem Akzentton (L h-%, L-h%), während die Konturen mit Hochton bedeutend seltener vertreten sind. 4.2.1.3 Zusammenfassung Im Gegensatz zu den Fallkonturen präsentiert sich die Familie der Anstiegskonturen als bedeutend komplexer. Dies führte zur Annahme von fünf phonetischen Hauptvarianten sowie einigen Sonderfällen. In der Analyse mussten drei funktionale bzw. formale Variationsdimensionen berücksichtigt werden:
• • •
Funktionale Differenzierung: sukzessiv-reihende Weiterweisung bzw. Listen Globalverlauf im Nukleus: Plateau vs. kontinuierlicher Anstieg Akzentton im Nukleus: Hochton vs. Tiefton
Für beide Weiterweisungsfunktionen (sukzessiv-reihende und gleichordnend-reihende Weiterweisung) können die gleichen Varianten der Anstiegskontur verwendet werden. Es ergeben sich jedoch deutliche regionale Unterschiede in der quantitativen Ausnutzung. Hinsichtlich des nuklearen Globalverlaufs kann für die Plateaukontur die weiteste Verbreitung festgestellt werden. Dagegen findet sich der kontinuierliche Anstieg nur in einigen westdeutschen Varietäten (Hamburg, Köln,
263
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
Mannheim). Für den Akzentton ergibt sich im Duisburgischen, Berlinischen und Dresdnerischen eine Präferenz für einen Hochton. Dagegen ist in den übrigen westlichen bzw. südlichen Varietäten ein Tiefton vorherrschend (Hamburg, Köln, Mannheim, Freiburg, München). Nachdem nun die regionale Distribution aller phonetischen Varianten der Anstiegskontur ermittelt wurde, kann getrennt für die beiden Weiterweisungsfunktionen die Zuordnung der Varianten zu tonologischen Nukleuskonturen vorgenommen werden. Tab. 1 enthält die regionale Distribution der tonologischen Tab. 1 Verteilung der tonologischen Konturen für die sukzessiv-reihende Weiterweisung nebst ihren wichtigsten Varianten Anstiegskonturen bei sukzessiv-reihender Weiterweisung Präferenz
Stadt
Tonologische Struktur
Schematische Kontur(en)
intonatorische Varianten
(L+) H* %
H-% H>-% LH h-%
(L+) H* %
H-% H>-% LH h-%
(L+) H* H%
LH h-h h% LH h-h ^h%
(L+) H* %
H-% H>-%
H*+!H %
H m-%
L*+H %
L-h% L-l-h%
L* H%
L h%
L* H%
L-h% L-l-h%
L*+H %
L h-%
L*+H %
L h-%
Berlin
Dresden Hochton
Duisburg
Hamburg Köln
Tiefton
Mannheim
Freiburg München
264
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Nukleuskonturen für die sukzessiv-reihende Weiterweisung. Bei der Hochton-Plateaukontur des Berlinischen, Dresdnerischen und Duisburgischen handelt es sich um einen monotonalen Akzentton H*, an den sich ein Hochplateau auf gleicher Höhe anschließt; der finale Grenzton kann daher unspezifiziert bleiben (%). Eine eventuelle nukleare Anstiegsbewegung (ausgelöst durch einen Tiefton auf der pränuklearen Silbe) kann durch einen optionalen leading tone L+ ausgedrückt werden: (L+)H* %. Bei der seltenen Sonderform mit Anstieg auf der phrasenletzten Silbe (‚Doppeltreppe‘) ist es nötig, einen spezifizierten Grenzton H% anzusetzen ((L+)H* H%). Die duisburgische Sonderform mit mittel-hohem Plateau lässt sich durch die Tiefstufung (downstep) des Begleittons tonologisch modellieren (H*+!H %). Die beiden Typen der Tiefton-Konturen können tonologisch als L*+H % und L* H% gefasst werden. Beim ersten Typ wird durch den bitonalen Akzentton L*+H ausgedrückt, dass nach einem Tal in der Akzentsilbe der Beginn des Hochplateaus in einem festen Abstand erfolgt (in der Regel auf der ersten Nachlaufsilbe). Beim zweiten Typ, dem kontinuierlichen Anstieg, ist der Akzentton dagegen monotonal und es schließt sich ein hoher Phrasengrenzton an. In Hamburg und Köln findet sich sowohl L*+H % als auch L* H%. Mannheim dagegen verwendet fast ausschließlich L* H%, während in Freiburg und München L*+H % dominiert. Damit können alle Anstiegskonturen tonologisch durch einen Akzentton und einen Phrasengrenzton erfasst werden. Für keine der Konturen ist die Annahme eines Phrasenakzents erforderlich. Die entsprechende Konturdistribution für die Listenfunktion ist aus Tab. 2 ersichtlich. Tab. 2 Verteilung der tonologischen Konturen für Listen nebst ihren wichtigsten Varianten Anstiegskonturen bei Listen Städte
Hamburg Berlin Dresden Duisburg Köln
Tonologische Struktur
Schematische Kontur(en)
intonatorische Varianten
(L+) H* %
H-% H>-% LH h-%
(L+) H* %
H-% H>-% LH h-%
L* H%
L-h%
L*+H %
L h-%
Mannheim München
Freiburg
265
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
4.2.2 Umfang, Maximum und Minimum der Anstiegskontur Analog zur Analyse der Fallkonturen in Kap. 4.1.2 stehen hier nun die Variationsaspekte des für die Anstiegskonturen genutzten F0-Umfangs im Vordergrund. Es gilt zu klären, welcher F0-Umfang in den Stadtvarietäten zur Realisierung der Anstiegskonturen genutzt wird, wie sich die Variationsbreite innerhalb einer Stadt darstellt und wie sich die Varietäten hierin unterscheiden. In einer weitergehenden Analyse wird auch die Variation des Maximums (= höchster Punkt des Anstiegs) und des Minimums (= Beginn des Anstiegs) untersucht. Diese Analyse liefert Informationen darüber, wie die Anstiegskonturen innerhalb des zur Verfügung F0-Umfangs realisiert werden. Das Verfahren zur Bestimmung dieser Kennwerte ist in Kap. 4.1.2 ausführlich erläutert worden, so dass an dieser Stelle eine komprimierte Beschreibung ausreichend ist. Zunächst wird für jede Anstiegskontur der minimale Wert am Beginn des Anstiegs in der Nukleussilbe und der maximale Wert der gesamten nuklearen Kontur gemessen. Diese beiden Werte repräsentieren die Kennwerte MinAnstieg bzw. MaxAnstieg. Der Kennwert UmfangAnstieg ergibt sich aus der Differenz zwischen diesen beiden Werten. Da die Größe der F0-Umfänge der einzelnen SprecherInnen sowie ihre Lage innerhalb des Frequenzbereichs teilweise erheblich voneinander abweichen, werden die individuellen Mittelwerte Umfangglobal, Maxglobal und Minglobal als Referenzwerte herangezogen. In Abb. 26 ist an einer schematischen Plateaukontur das Verhältnis zwischen den drei globalen Referenzwerten und den Messwerten für die Anstiegskontur dargestellt. Maxglobal
MaxAnstieg
Umfangglobal
UmfangAnstieg
Minglobal MinAnstieg
Abb. 26 Darstellung des Verhältnisses zwischen den globalen Referenzwerten Umfangglobal, MingloMaxglobal einer Sprecherin/eines Sprecher zum Umfang einer konkreten Anstiegskontur (UmfangAnstieg, MinAnstieg, MaxAnstieg)
bal,
In diesem Vergleich wird jeder einzelne Messwert für UmfangAnstieg , MaxAnstieg und MinAnstieg zum entsprechenden Referenzwert in Bezug gesetzt und die prozentuale Abweichung ermittelt. Die Abweichungen können positive oder negative Werte annehmen. Alle Abweichungen werden pro Stadtvarietät in Abweichungsklassen einsortiert und in Form von Histogrammen dargestellt, die eine Visualierung der Präferenzstrukturen für die drei Kennwerte ermöglichen. Die Auswertung basiert auf den Messergebnissen aus insgesamt 473 Anstiegskonturen der acht Städte. Der Grund für die im Vergleich mit dem vorangegangenen Kapitel geringere Datenbasis liegt darin, dass hier ausschließlich Anstiegskonturen berücksichtigt werden, deren Nukleussilben entweder einen Tiefton oder eine Anstiegsbewegung aufweisen. Dabei kann es sich sowohl um kontinuierliche An-
266
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
stiege als auch um Plateaukonturen handeln. Ausgeschlossen bleiben hingegen alle Plateaukonturen, die mit einem sprunghaften F0-Anstieg beginnen (H-%). Bei letzteren liegen der Minimal- und der Maximalwert oft dicht beieinander oder fallen gar (im Maximalwert) zusammen. Das hat zur Folge, dass der F0-Umfang nur gering ausfällt. Eine Mischung dieser Konturen mit den ‚echten‘ Anstiegskonturen würde zu einer Verfälschung der Messergebnisse führen. 4.2.2.1 F0-Umfang der Anstiegskontur Abb. 27 zeigt für die acht Städte die Variationsspektren für den genutzten F0-Umfang der Anstiegskontur. Die Häufigkeiten in den negativen Abweichungsklassen (linke Diagrammhälfte) deuten darauf hin, dass der Umfang dieser AnstiegskontuBerlin
UmfangAnstieg > Umfangglobal
UmfangAnstieg < Umfangglobal
16
Häufigkeit [%]
12 10 8 6 4 2 +70
mehr mehr
+50
+40
+30
+20
-10
+60 +60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
UmfangAnstieg > Umfangglobal
Mannheim
UmfangAnstieg > Umfangglobal
UmfangAnstieg < Umfangglobal
30
UmfangAnstieg > Umfangglobal
Häufigkeit [%]
25 20 15 10
Freiburg UmfangAnstieg < Umfangglobal
14
mehr
+70
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
-20
-30
-40
-50
-60
mehr
-70
0
mehr
+70
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
-20
-30
-40
-50
-60
-70
5
mehr
München
UmfangAnstieg > Umfangglobal
UmfangAnstieg < Umfangglobal
16 14
10
12
Häufigkeit [%]
12
8 6 4 2
UmfangAnstieg > Umfangglobal
10 8 6 4 2
Abb. 27 Variationsspektren für UmfangAnstieg in Relation zu Umfangglobal
mehr
+70
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-20
-30
-40
-50
-60
-70
0 mehr
mehr
+70
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
-20
-30
-40
-50
-60
-70
mehr
0
-10
Häufigkeit [%]
Köln
-20
-30
mehr
mehr
+70
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
-20
-30
-40
-50
-60
-70
mehr
0
-40
5
-50
10
-60
15
UmfangAnstieg < Umfangglobal
20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0
-70
Häufigkeit [%]
Häufigkeit [%]
20
UmfangAnstieg < Umfangglobal
+10
Dresden
UmfangAnstieg > Umfangglobal
25
20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0
+70
Duisburg UmfangAnstieg < Umfangglobal
-20
-30
-40
-50
-60
-70
mehr
+70
mehr
+60
+50
+40
+30
+20
-10
+10
-20
-30
-40
-50
-60
-70
0
30
Häufigkeit [%]
UmfangAnstieg > Umfangglobal
14
mehr
Häufigkeit [%]
Hamburg UmfangAnstieg < Umfangglobal
18 16 14 12 10 8 6 4 2 0
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
267
ren kleiner ist als Umfangglobal. Bei den positiven Abweichungsklassen (rechte Diagrammhälfte) sind die Umfänge der Anstiegskonturen größer als der globale Referenzwert. Insgesamt ist eine Konzentration der Häufigkeiten im negativen Bereich zu konstatieren, d.h. der Umfang der Anstiegskontur ist in allen Städten durchschnittlich geringer, als es durch den persönlichen Referenzwert vorgegeben ist. Für einige Städte ist auch innerhalb dieses negativen Abweichungsbereichs eine weite Variationsspanne zu erkennen, so dass die Identifizierung eines präferierten F0-Umfangs nur bedingt möglich ist. Sowohl für die nord- und mitteldeutschen Städte als auch für das Münchnerische liegen die meisten Umfänge in den negativen Abweichungsklassen beginnend ab ‚-10‘, d.h. in den Anstiegskonturen wird ein F0-Umfang genutzt, der zwischen 10 und 70 % geringer ist als der entsprechende Referenzwert Umfangglobal. Der insgesamt geringste UmfangAnstieg lässt sich im Duisburgischen feststellen. Hier konzentrieren sich die Häufigkeiten im Bereich ‚-20‘ und tiefer und bilden ein Maximum in der Klasse ‚-60‘. Es sind damit fast keine Anstiegskonturen vorhanden, die den durch Umfangglobal vorgegebenen Umfang erreichen. Im Berlinischen, Dresdnerischen und Münchnerischen finden sich noch lokale Maxima in den Klassen ‚-10‘ und ‚+10‘: Hier sind also durchaus Anstiege mit größerem Umfang vorhanden. Beim Freiburgischen schließlich dominieren zwar die geringen Umfänge, es können aber auch nennenswerte Anteile in den positiven Abweichungsklassen beobachtet werden, die auf erweiterte Umfänge hindeuten. Insgesamt ergibt sich, dass die Variation für UmfangAnstieg recht hoch ist. Es werden tendenziell Umfänge bevorzugt, die kleiner als der Referenzwert Umfangglobal sind. Die im Vergleich zu den Referenzumfängen geringeren Umfänge können auf unterschiedliche Ursachen zurückgeführt werden. So ist es möglich, dass das Minimum höher und/oder das Maximum tiefer realisiert werden, woraus ein reduzierter UmfangAnstieg resultieren kann. Um diesen Aspekt zu klären, werden nun die oberen und unteren Ränder des Umfangs, also die Merkmale MaxAnstieg und MinAnstieg, getrennt voneinander untersucht. 4.2.2.2 F0-Maximum der Anstiegskontur Die Variationsspektren für das Merkmal MaxAnstieg in Abb. 28 zeigen im Gegensatz zu den Umfang-Histogrammen ein deutlicheres Präferenzmuster. Aus der generell niedrigen Anzahl der Balken ist ablesbar, dass die Variation von MaxAnstieg gering ausfällt. Für alle Städte gilt, dass das Maximum in den Klassen ‚+10‘ oder ‚-10‘ liegt. Damit befinden sich die Maxima der Anstiegskonturen fast immer ungefähr auf gleicher Höhe wie der Referenzwert Maxglobal. Besonders deutlich ist diese Präferenz für Köln, Freiburg und (etwas weniger deutlich) für Mannheim zu erkennen: Hier liegen die Gipfel recht konsistent fast ausschließlich in den beiden zentralen Abweichungsklassen. Für das Kölnische und Freiburgische beträgt die Häufigkeit dieser Klassen zusammen ca. 70 %. Die Variation ist bei den übrigen Städten zwar etwas
268
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen Berlin
Hamburg MaxAnstieg < Maxglobal
30
MaxAnstieg > Maxglobal
MaxAnstieg > Maxglobal
25
15
+70
mehr mehr mehr
+60
+70
+50
+40
+30
MaxAnstieg > Maxglobal
20
Häufigkeit [%]
20 15 10
15 10 5
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
Mannheim
Köln MaxAnstieg < Maxglobal
60
-20
-30
-40
-50
mehr
mehr
+70
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
-20
-30
-40
-50
-60
-70
mehr
-60
0
0
-70
MaxAnstieg > Maxglobal
MaxAnstieg < Maxglobal
40
MaxAnstieg > Maxglobal
35
Häufigkeit [%]
50 40 30 20 10
30 25 20 15 10 5
Freiburg MaxAnstieg < Maxglobal
45 40
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
-20
-30
-40
-50
-60
mehr
-70
0
mehr
+70
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
-20
-30
-40
-50
-60
-70
mehr
0
München
MaxAnstieg > Maxglobal
MaxAnstieg < Maxglobal
30
MaxAnstieg > Maxglobal
25
Häufigkeit [%]
35 30 25 20 15 10
20 15 10 5
mehr
+70
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
-30
-40
-50
-60
-70
0
mehr
mehr
+70
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
-20
-30
-40
-50
-60
-70
mehr
5 0
-20
Häufigkeit [%]
MaxAnstieg < Maxglobal
25
5
Häufigkeit [%]
+70
MaxAnstieg > Maxglobal
25
Häufigkeit [%]
+20
-10
Dresden
Duisburg MaxAnstieg < Maxglobal
30
+10
-20
mehr
+70
mehr
+60
+50
+40
+30
+20
-10
+10
-20
-30
-40
-50
-60
-70
0
mehr
5
0
-30
10
5
-40
10
20
-50
15
-60
20
-70
Häufigkeit [%]
25 Häufigkeit [%]
MaxAnstieg < Maxglobal
30
Abb. 28 Variationsspektren für MaxAnstieg in Relation zu Maxglobal
größer, aber dennoch ergibt sich eine weitgehende Übereinstimmung von MaxAnstieg mit Maxglobal. Beim Berlinischen und Dresdnerischen befinden sich noch nennenswerte Häufigkeiten in den positiv abweichenden Klassen ‚+20‘ bis ‚+40‘, in die Anstiegskonturen einsortiert sind, deren Gipfel deutlich höher als der Referenzwert sind. Hierbei handelt es sich überwiegend um die Plateaukonturen mit einem nochmaligen Anstieg auf der letzten Silbe (LH h-h h% bzw. L h-h h%), die in Kap. 4.2.1.1.1.4 als besonderes Kennzeichen dieser Städte herausgearbeitet worden sind. Der nochmalige finale Anstieg reicht dort oft in besonders hohe Stimmlagen hinein und zeigt eine Tendenz zum ‚Umkippen‘ der Stimme. Abgesehen von dieser östlichen Besonderheit kann also gezeigt werden, dass das Maximum MaxAnstieg relativ konsistent auf einer konstanten Höhe realisiert wird,
269
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
die zudem dem Referenzwert Maxglobal weitgehend entspricht. Am ausgeprägtesten manifestiert sich dies im Kölnischen und Freiburgischen. Aus dieser insgesamt geringen Variabilität des Maximums lässt sich damit schließen, dass die oben festgestellten, überwiegend geringen Umfänge auf die (erhöhte) Lage des F0-Minimums in der Nukleussilbe zurückzuführen sind. 4.2.2.3 F0-Minimum der Anstiegskontur Die Variation für das Merkmal MinAnstieg ist in den Histogrammen in Abb. 29 wiedergegeben. Erwartungsgemäß kumulieren für die meisten Städte die Häufigkeiten in den positiven Abweichungsklassen, d.h. die Werte für MinAnstieg liegen größtenteils über dem Referenzwert Minglobal. Die Startpunkte der Anstiegskontur befinden sich Berlin
Duisburg MinAnstieg < Minglobal
30
+70
mehr
+60
+50
+40
MinAnstieg > Minglobal
15
Köln
mehr
+70
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
Mannheim MinAnstieg > Minglobal
MinAnstieg < Minglobal
30
-20
-30
mehr
mehr
+70
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
-20
-30
-40
-50
0 -60
5
0 -70
5
-40
10
-50
10
-60
15
-70
Häufigkeit [%]
20
mehr
MinAnstieg < Minglobal
30
25
MinAnstieg > Minglobal
15
Freiburg MinAnstieg < Minglobal
25
mehr
+70
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
-20
-30
mehr
mehr
+70
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
-20
-30
-40
-50
-60
-70
0 mehr
5
0
-40
10
5
-50
10
20
-60
15
-70
Häufigkeit [%]
25
20
München
MinAnstieg > Minglobal
MinAnstieg < Minglobal
25
MinAnstieg > Minglobal
20 15
Abb. 29 Variationsspektren für MinAnstieg in Relation zu Minglobal
mehr
+70
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
-30
-40
mehr
+70
+60
+50
+40
+30
+20
+10
-10
-20
-30
-40
-50
-60
-70
0 mehr
5
0
-50
10
5
-60
10
-70
15
mehr
Häufigkeit [%]
20
-20
Häufigkeit [%]
MinAnstieg < Minglobal
25
20
Häufigkeit [%]
+30
Dresden
MinAnstieg > Minglobal
25
Häufigkeit [%]
-10
mehr
+70
mehr
+60
+50
+40
+30
+20
-10
+10
-20
-30
-40
-50
-60
-70
mehr
0
+10
2
MinAnstieg > Minglobal
-20
4
-30
6
-40
8
-50
10
-60
12
Häufigkeit [%]
Häufigkeit [%]
14
MinAnstieg < Minglobal
20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 -70
MinAnstieg > Minglobal
+20
Hamburg MinAnstieg < Minglobal
16
270
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
damit nicht im unteren Bereich des globalen Umfangs, sondern liegen höher. Bei relativ konstanter Position des Maximums MaxAnstieg hat dies zur Konsequenz, dass UmfangAnstieg generell geringer ausfällt. Es sind aber auch einige charakteristische regionale Präferenzen zu verzeichnen. Bei einer großen Städtegruppe (Hamburg, Berlin, Dresden, Duisburg, Mannheim, München) bilden sich Häufigkeitskonzentrationen im Bereich der Klassen ‚+30‘ bis ‚+60‘ heraus, die Startpunkte der Anstiege liegen hier also 30 bis 60 % höher als der Referenzwert. Beim Duisburgischen manifestiert sich eine extreme Präferenz dieser hochgelegten Minima, denn die meisten Belege befinden sich hier in der höchsten positiven Abweichungsklasse. Dieser Befund steht in Einklang mit dem oben in Kap. 4.2.1 ermittelten Ergebnis, dass nämlich das Duisburgische überwiegend Anstiegskonturen aufweist, die schon in der Nukleussilbe ihr Maximum erreichen. Bei der Variante H>-% steht entsprechend nur eine kurze Zeitspanne zur Realisierung einer Anstiegsbewegung innerhalb der Nukleussilbe zur Verfügung. Unter diesen erschwerten Bedingungen kann es daher zur Assimilation kommen, indem der Beginn des Anstiegs höher gelegt wird. Als Konsequenz der Assimilation wird die Anstiegsbewegung verkürzt realisiert. Die generelle Eigenschaft des Duisburgischen, das F0-Maximum schon in der Nukleussilbe zu platzieren, wird also in der Lage des F0-Minimums, besser: in der assimilatorischen Höherlegung des F0-Minimums, reflektiert. Das Freiburgische steht den übrigen Städten in deutlichem Kontrast gegenüber, denn hier wird MinAnstieg präferiert tiefer realisiert: Die höchsten Häufigkeitskonzentrationen befinden sich in den Klassen ‚-10‘, ‚+10‘ und ‚+20‘. Sie sind damit nicht weit vom Referenzwert Minglobal entfernt. Die Startpunkte der Anstiegskonturen liegen hier tatsächlich auf tiefem Niveau. Wie oben gezeigt, liegt in Freiburg auch MaxAnstieg relativ nahe am Referenzwert Maxglobal. Die durchschnittlichen Minimal- und Maximalwerte der Anstiegskontur sind weitgehend deckungsgleich mit den entsprechenden Referenzwerten. Insgesamt wird damit in den freiburgischen Anstiegskonturen der größte Umfang ausgenutzt. Wie in Kap. 4.2.1.1.3 gezeigt, konnte für diese Varietät auch ein hoher Anteil an initialen Tieftönen (L h-% bzw. L-h%) ermittelt werden. Durch die Analyse von MinAnstieg kann nun untermauert werden, dass diese Tieftöne durch tiefe F0-Täler zustande kommen. 4.2.2.4 Zusammenfassung Die Analyse hat gezeigt, dass Umfang, Maximum und Minimum der Anstiegskontur in den vorliegenden Daten variabel realisiert werden. Im Gegensatz zur analogen Analyse für die Fallkonturen sind die Variabilitätsspannen der Merkmale höher, so dass regionale Präferenzen nur in geringem Umfang zu erkennen sind. Abgesehen vom Freiburgischen gilt generell, dass ein reduzierter Umfang eingesetzt wird. Im Vergleich zur Fallkontur ist damit der genutzte Umfang bei Anstiegskonturen geringer. In der weiteren Analyse konnte gezeigt werden, dass das Maximum MaxAn-
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
271
weitgehend identisch mit dem Referenzwert Maxglobal ist. Der reduzierte Umfang resultiert damit im Wesentlichen aus der Höherlegung des Startpunkts des Anstiegs. Dies ist im Duisburgischen am ausgeprägtesten, wo MinAnstieg tendenziell besonders hoch gelegt wird. Im Gegensatz dazu steht das Freiburgische, wo MinAnstieg deutlich tiefer liegt und nur leicht über dem Referenzwert Minglobal liegt. stieg
4.2.3 Variation in der Nukleussilbe Als ein zentrales Ergebnis der Untersuchung der mehrsilbigen Anstiegskonturen in Kap. 4.2.1 konnte herausgearbeitet werden, dass in den deutschen Regionalvarietäten unterschiedliche nukleare Akzenttöne präferiert werden. Dabei kann ein Variationskontinuum ermittelt werden, dass von einem Hochton bis zu einem Tiefton reicht. Um die regionalen Variantenverteilungen zu bestimmen, wurden die Belege mit Hilfe des intonatorischen Transkriptionssystems in phonetische Konturklassen aufgeteilt. Dabei wurden die Akzenttöne H, H>, LH und L unterschieden. Durch diese Zuordnung zu den diskreten Symbolfolgen des Transkriptionssystems wird der Konturverlauf jedoch nur ansatzweise erfasst. Um Informationen über den genauen Konturverlauf in der Nukleussilbe zu erhalten, ist eine akustisch-phonetische Analyse der Konturdynamik erforderlich. Die folgende Untersuchung ist parallel zur Analyse der zweisilbigen Fallkonturen (Kap. 4.1) angelegt; weitere methodische Aspekte finden sich dort erläutert. Um Effekte zu minimieren, die aus der Länge des Nukleus resultieren, werden im Gegensatz zu den vorherigen Analysekapiteln nur zweisilbige Nuklei berücksichtigt. Weiterhin wird die Analyse auf solche Konturen eingeschränkt, bei denen das Maximum nicht in der Nukleussilbe, sondern auf der Folgesilbe lokalisiert ist. Dadurch wird gewährleistet, dass im Nukleus tatsächlich ein Anstieg stattfindet. Ausgeschlossen bleiben damit die Varianten, bei denen durch einen Tonhöhensprung in der Nukleussilbe das Plateau initiiert wird (H-%, H>-%). Um sicherzustellen, dass zur Ausführung des Verlaufs ausreichend Zeit zur Verfügung steht, muss die Nukleussilbe einen Langvokal/Diphthong oder einen Kurzvokal mit folgendem Sonoranten enthalten. Weiterhin bleiben Kontrastakzente sowie stark glottalisierte Phrasen, die akustische Messungen nicht zulassen, von der Analyse ausgeschlossen. Insgesamt werden aus den acht Varietäten 453 Belege untersucht (pro Varietät zwischen 33 und 81 Belege). Um die einzelnen Realisierungen miteinander vergleichen zu können, ist eine Parametrisierung des Konturverlaufs erforderlich. Dazu wird der Konturverlauf mit Hilfe einiger Messpunkte abgebildet. Aus der linearen Interpolation zwischen den Messpunkten ergibt sich der (mathematisch angenäherte) Konturverlauf. Pro Anstiegskontur werden die folgenden vier Frequenzwerte und zwei Zeitparameter erhoben.
• •
F1 F2
Tonhöhe am Beginn der sonorantischen Aktivität in der Nukleussilbe minimaleTonhöhe in der Nukleussilbe
272
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
• • • •
F3 F4 t(F2) dur
Tonhöhe am Ende der sonorantischen Aktivität in der Nukleussilbe Tonhöhe am Ende der IP Zeitpunkt für das Erreichen des Minimums (F2) in der Nukleussilbe Dauer der sonorantischen Phase in der Nukleussilbe
In Abb. 30 sind die einzelnen Messpunkte an einer schematischen Anstiegskontur exemplifiziert. Es ist ersichtlich, dass ausgehend vom ersten Messpunkt F1 in der Nukleussilbe eine leichte Fallbewegung hin zum Minimum F2 stattfindet. Wenn diese Fallbewegung fehlt, dann liegt das F0-Minimum direkt am Beginn der sonorantischen Aktivität. Unter solchen Umständen fallen die Messpunkte F1 und F2 zusammen. Im Beispiel befindet sich das F0-Minimum ungefähr in der Mitte der Nukleussilbe, so dass es zu einer Talbildung kommt. Danach beginnt eine steile Anstiegsbewegung bis zum Messpunkt F3 am Ende der Nukleussilbe. Auf der Nachlaufsilbe wird der Anstieg zunächst fortgesetzt, um dann in ein leicht ansteigendes Plateau überzugehen. Die phrasenfinale Tonhöhe wird durch den Messpunkt F4 am Ende der Nachlaufsilbe erfasst. Nukleussilbe Nachlaufsilbe F2 dur
F1
F3
F4
Abb. 30 Messpunkte zur Erfassung der Konturdynamik der Nukleussilbe bei zweisilbigen Nuklei
Die Messwerte F1 bis F4 werden für jede Realisierung als Hertz-Werte erfasst und in Halbtöne (st) konvertiert, um eine bessere Vergleichbarkeit von Stimmen in unterschiedlichen Lagen zu gewährleisten. Aus den Messwerten können die folgenden dynamischen Merkmale der Anstiegskontur ermittelt werden:
• • • •
Zeitpunkt für das Erreichen des F0-Minimums in Relation zur Dauer der Nukleussilbe (t(F2)) Ausmaß der Fallbewegung in der Nukleussilbe (Differenz F1 - F2) Ausmaß der Anstiegsbewegung in der Nukleussilbe (Differenz F3 - F2) F0-Umfang des gesamten Nukleus (Differenz F4 - F2)
In der Auswertung der Dynamik dieser Konturparameter können unterschiedliche Verläufe sowie ihre Variabilität innerhalb und zwischen den Varietäten bestimmt werden. In der folgenden Analyse stehen die Variabilität der Ausrichtung des F0-Minimums, das Ausmaß der Fallbewegung und das Ausmaß der Anstiegsbewegung in der Nukleussilbe im Mittelpunkt.
273
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
4.2.3.1 Lokalisierung des F0-Minimums Die Lokalisierung des F0-Minimums in der Nukleussilbe (Merkmalssigle: MinPos) ist im Gegensatz zur Variation des F0-Maximums bei fallenden Konturen m.W. bislang nicht untersucht worden. Mit diesem Merkmal wird die relative Position des F0-Minimums (Messpunkt F2) innerhalb der Gesamtdauer des sonorantischen Bereichs erfasst. MinPos wird bestimmt, indem die Zeitspanne bis zum Erreichen des F0-Minimums durch die Gesamtdauer des sonorantischen Bereichs dividiert wird. Die Merkmalsausprägung wird in Prozent ausgedrückt: Je niedriger dieser Wert ist, desto früher wird das F0-Minimum erreicht; je größer der Wert ist, desto später wird das F0-Minimum realisiert. Das F0-Minimum stellt den Wendepunkt dar, an dem eine vorausgehende Fallbewegung in die Anstiegsbewegung übergeht. Besitzt die Akzentsilbe keine Fallbewegung, so fällt das F0-Minimum mit dem Wert am Beginn der Akzentsilbe zusammen, woraus eine zeitlich frühe Ausrichtung des Minimums resultiert. Beim Vorhandensein einer Fallbewegung, die auch sehr flach ausfallen kann, wird das F0-Minimum entsprechend später realisiert. Exemplarisch für die frühe, mittlere und späte Ausrichtung des Minimums ist in Abb. 31 je ein Beispiel für das Berlinische, Freiburgische und Mannheimerische wiedergegeben. B02-7732
FR03-3500
MA04-1804
200
200
200
150
150
150
100 70 0
be
L H h% WE jung 0.5
100 70 0
L AU
100
h% to 0.63
70 0
L GROSS
h% stadt 0.73
Abb. 31 Beispiele für frühe (links), mittlere (Mitte) und späte Lokalisierung des F0-Minimums (rechts) bei zweisilbigen Anstiegskonturen
In der berlinischen Realisierung beWEjung ‚Bewegung‘ ist zu sehen, dass der Verlauf sofort mit Einsetzen der sonorantischen Aktivität am Beginn der Nukleussilbe schnell ansteigt. Damit liegt hier ein frühes F0-Minimum vor (= nach 0 % der Dauer der sonorantischen Aktivität). Der Tiefpunkt wird hier nicht durch die Herausbildung eines Tales unterstützt. Vielmehr ist die gesamte akzentuierte Silbe durch den Anstieg gekennzeichnet, der in der Transkription mit LH wiedergegeben ist. Beim freiburgischen Beleg AUto ist in der Nukleussilbe eine leicht fallend-steigende Bewegung zu erkennen, und das F0-Minimum liegt ungefähr in der Mitte der Silbe, so dass sich ein Tal entwickeln kann. Die mannheimerische Realisierung steht in deutlichem Kontrast insbesondere zum Berlinischen: In der akzentuierten Silbe von GROSSstadt ist eine leichte, auditiv kaum wahrnehmbare Fallbewegung zu beobachten, die dazu beiträgt, dass die Grundfrequenz eine höhere Verweildauer auf tiefem Niveau aufweist. Dies führt zur Perzeption eines (statischen) Tieftons L. Das F0-Minimum liegt hier also maximal spät (= nach 100 % der Dauer der sonoranti-
274 [% der Dauer des sonorantischen Bereichs
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 HH
B
DD
DU
K
MA
FR
M
Abb. 32 Mittelwerte für die Lokalisierung des F0-Minimums (MinPos) bei zweisilbigen, ansteigenden Nuklei
schen Aktivität). Daraus resultiert, dass in der Nukleussilbe GROSS keine Anstiegsbewegung stattfinden kann, die stattdessen vollständig auf die Folgesilbe stadt verlagert ist. Um festzustellen, inwieweit die Stadtvarietäten sich hinsichtlich dieses Merkmals unterscheiden, werden nun die Mittelwerte für die Lokalisierung des F0-Minimums errechnet. Abb. 32 erlaubt eine Zweiteilung der Stadtvarietäten gemäß der Präferenz für frühe (£ 33 % der Dauer) bzw. mittlere Ausrichtung des F0-Minimums (> 33 % und £ 66 %). Im Berlinischen und Münchnerischen dominiert die frühe Ausrichtung; die F0-Minima werden hier durchschnittlich nach 10 % der Dauer des sonorantischen Bereichs platziert. Etwas höhere Werte werden für das Hamburgische, Dresdnerische, Duisburgische und Freiburgische gemessen, dennoch liegt hier noch frühe Ausrichtung vor, da die Mittelwerte alle unter der Grenze von 33 % bleiben. Von dieser Gruppe setzen sich das Kölnische und Mannheimerische ab. Die Werte um 40 % belegen, dass das F0-Minimum hier durchschnittlich in der Mitte der Nukleussilbe lokalisiert ist. Ein Blick auf die Standardabweichungen (Tab. 4) zeigt, dass das Merkmal in einigen Varietäten teilweise sehr variabel realisiert wird. Mit einer Standardabweichung von ca. 13 % weist demnach das Münchnerische die geringste Variation auf, so dass sich hier eine klare Tendenz für frühes MinPos abzeichnet. Aber auch in Berlin und Dresden deuten die Standardabweichungen um 20 % noch auf eine relativ einheitliche frühe Lokalisierung hin. Mit Standardabweichungen größer als 30 % ist für die Städte Duisburg, Hamburg, Köln und Mannheim offensichtlich, dass die F0-Minimum-Ausrichtung hier einer breiten Schwankungsbreite unterworfen ist. Um festzustellen, ob sich trotz dieser Variation die Varietäten in diesem Merkmal unterscheiden, wurde eine statistische Varianzanalyse durchgeführt (ANOVA), bei der die (mathematische) Struktur der Variationsmuster auf Gleichheit bzw. Verschiedenheit getestet wird. Aus statistischen Gründen verbietet sich eine Varianzanalyse auf der Basis der Prozentwerte für MinPos. Die Analyse wird vielmehr mit
275
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur Tab. 4 N, Mittelwerte und Standardabweichung für die Lokalisierung des F0-Minimums (MinPos) der Anstiegskontur N
Mittelwert [%]
HH
59
24,94
Standardabweichung [%] 33,31
B
69
10,87
20,74
DD
66
17,19
19,66
DU
33
21,16
33,19
K
50
39,49
36,22
MA
81
43,7
38,78
FR
48
28,81
25,33
M
47
10,7
13,39
Summe
453
den Originalmesswerten des Zeitpunkts für das Erreichen des F0-Minimums als abhängige Variable und der Gesamtdauer der sonorantischen Aktivität als Kontrollfaktor durchgeführt. Damit werden eventuelle Effekte von unterschiedlichen Dauern auf die Ausrichtung des F0-Minimums abgefangen. Tab. 5 zeigt die Ergebnisse der ANOVA-Posthoc-Tests nach Scheffé in Form einer Kreuzklassifikation.7 Leere Zellen deuten an, dass zwischen den betreffenden Varietäten kein statistischer Unterschied besteht. Ein ‚*‘ gibt an, dass sich die Varietäten in diesem Merkmal signifkant unterscheiden. Am auffälligsten dürfte sein, dass sich vor allem das Kölnische und Mannheimerische von einigen der übrigen Varietäten (i.e. Hamburg, Berlin, Dresden, Duisburg, München) unterscheiden. Es sind dies genau die Varietäten, die auch einen deutlich höheren Mittelwert als die übrigen Varietäten aufweisen. Die Varianzmuster der übrigen Städte unterscheiden sich nicht voneinander. Tab. 5 Signifikanzen für das Merkmal MinPos der Anstiegskontur (ANOVA, Posthoc-Test nach Scheffé; *: Städtepaare sind signifikant verschieden voneinander (p< .05); leere Zellen: nicht-signifiB DD DU K
*
*
*
MA
*
*
*
HH
B
DD
*
FR M DU
*
*
K
MA
FR
Die hohe Variabilität des Merkmals im Freiburgischen führt dazu, dass hier keine statistisch signifikanten Kontraste vorliegen. Daraus kann geschlossen werden, dass das Merkmal hier keine Relevanz für die Struktur der Kontur besitzt. In einer dialektologischen Interpretation ist das Merkmal der Lokalisierung des F0-Minimums immerhin geeignet, die beiden mitteldeutschen Rheinstädte Mannheim und Köln aus 7
Die vollständigen Ergebnisse der Varianzanalyse befinden sich im Anhang (S. 378).
276
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
dem übrigen Untersuchungsgebiet auszugrenzen. Der hier präferierten mittleren Ausrichtung steht die frühe Ausrichtung insbesondere in den östlichen Städten Berlin, Dresden und München entgegen. 4.2.3.2 Dynamik der F0-Bewegung in der Nukleussilbe Wenngleich es sich beim Merkmal der Lokalisierung des F0-Minimums um eine zentrale Eigenschaft der Struktur der Anstiegskontur handelt, die die Relation zwischen einer eventuellen Fall- und der folgenden Anstiegsbewegung steuert, so ist damit lediglich eine strukturelle Kenngröße erfasst. Das Merkmal sagt dagegen kaum etwas über den tatsächlichen Verlauf in der Nukleussilbe aus. Analog zur Analyse der Fallkontur wird daher nun die Dynamik der Bewegungskomponenten untersucht. In den bislang vorgestellten Beispielen ist zu erkennen, dass sich der Verlauf in der Nukleussilbe aus einer Fallbewegung und einer Anstiegsbewegung zusammensetzt. Keine dieser Teilbewegungen muss obligatorisch vorhanden sein. Denkbar (und auch beobachtbar) ist z.B. ein Verlauf auf tiefem Niveau, bei dem weder eine Fall- noch eine Anstiegsbewegung realisiert wird. Bei einem solchen gleichmäßig flachen Verlauf läge das F0-Minimum früh, i.e. am Beginn der Akzentsilbe. Die Information über die F0-Minimum-Ausrichtung ist in solchen Fällen jedoch wenig aussagekräftig, da der Zeitpunkt nur aufgrund einer mathematischen Konvention gewählt wurde. Noch aus einem weiteren Grund wird eine Nukleussilbe nur unzureichend durch das F0-Minimum erfasst: Auch wenn bei z.B. tendenziell früher Ausrichtung die Anstiegsbewegung am F0-Minimum einsetzt, so ist damit noch nicht die Steilheit des Anstiegs erfasst. So ist es möglich, dass bei gleicher Ausrichtung des Minimums in einer Varietät ein leichter, in einer anderen Varietät dagegen ein besonders starker Anstieg stattfindet. Die eingleitend-fallende Teilbewegung ist in allen Varietäten nur marginal vorhanden, so dass sie weitgehend vernachlässigt werden kann. Der Schwerpunkt der Analyse liegt daher auf der Anstiegsbewegung. Um die Variation des Anstiegs in der Nukleussilbe zu visualisieren, sind in Abb. 33 drei Konfigurationen schematisiert: geringer, mittlerer und starker Anstieg. Beim geringen Anstieg ist in der Nukleussilbe kaum Bewegung zu verzeichnen; folglich ist die Anstiegsbewegung auf die Folgesilbe verlagert. Dagegen findet beim starken Anstieg in der Nukleussilbe eine ausgeprägte Bewegung statt, die auf der Folgesilbe nur geringfügig fortgesetzt wird. Nukleussilbe Nachlaufsilbe
geringer Anstieg mittlerer Anstieg starker Anstieg
Abb. 33 Variation der Anstiegsbewegung: geringer, mittlerer und starker Anstieg
277
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
Die Dynamik der Teilbewegungen in der Nukleussilbe wird auf der Grundlage der akustischen Kenngrößen analysiert. Die Fallbewegung entspricht der Differenz zwischen dem Initialwert F1 und dem F0-Minimum F2. Die Anstiegsbewegung wird als die Differenz zwischen dem Finalwert F3 der Nukleussilbe und dem F0-Minimum F2 ausgedrückt. Zur Ermittlung der relativen Teilbewegungen wurden die absoluten Werte in Relation zum F0-Umfang des gesamten Nukleus gesetzt. Der Umfang der Teilbewegungen kann dann in prozentualen Anteilen des F0-Umfangs ausgedrückt werden. Wenn z.B. die Anstiegsbewegung der Nukleussilbe 3 st beträgt und der F0-Umfang des gesamten Nukleus 6 st, dann beträgt die relative Anstiegsbewegung in der Nukleussilbe 50 %; zwangsläufig werden dann die restlichen 50 % des Gesamtanstiegs auf der Folgesilbe ausgeführt. In Abb. 34 sind in einer kombinierten Darstellung die Mittelwerte für die relative Fall- und Anstiegsbewegung in der Nukleussilbe wiedergegeben. Die Balken links von der Nullinie repräsentieren das Ausmaß der Fallbewegung; rechts davon befinden sich die Mittelwerte der Anstiegsbewegung. Relative Fall- und Anstiegsbewegung in der Nukleussilbe (in Relation zum F0-Umfang des gesamten Nukleus) HH B DD DU K MA FR
Fall [% des gesamten F0Umfangs]
M
Anstieg [% des gesamten F0-Umfangs]
80
70
60
50
40
30
20
10
0
10
20
30
40
50
60
70
80
%
Abb. 34 Mittelwerte für die relative Fall- bzw. Anstiegsbewegung der Nukleussilbe bei zweisilbigen Anstiegskonturen
Es zeigt sich, dass die Fallbewegung insgesamt nur eine äußerst geringe Rolle spielt. Sie beträgt in Berlin und München nur wenige Prozent des Gesamtumfangs und erreicht in Freiburg, Mannheim und Köln Anteile um 14 %. Die Ursache hierfür ist im pränuklearen Konturverlauf zu suchen: Meistens liegt nämlich die pränukleare Silbe bereits auf tiefem Niveau, so dass in der Nukleussilbe keine weitere Fallbewegung stattfinden kann. Vergleicht man diesen Befund mit der entsprechenden Konturkomponente der Fallkontur, so ergeben sich interessante Aufschlüsse. Für die Fallkontur konnte in Kap. 4.1.3 gezeigt werden, dass der dominanten Fallbewegung
278
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
eine Anstiegskomponente vorausgehen kann. Das Ausmaß dieser Teilbewegung ist generell höher als die entsprechende Bewegung der Anstiegskontur und beträgt insbesondere im Berlinischen, Dresdnerischen und Münchnerischen durchschnittlich 25 bis 30 % des F0-Umfangs. Deutliche regionale Unterschiede zeichnen sich dagegen bei der relativen Anstiegsbewegung ab. Dabei stehen sich das Berlinische und das Mannheimerische als Extrempole gegenüber. In Berlin beträgt der Anstieg in der Akzentsilbe 71 % des Gesamtumfangs des Nukleus. Damit werden durchschnittlich fast drei Viertel des in der Kontur genutzten F0-Umfangs bereits für den Anstieg in der Akzentsilbe verwendet. Auf der Folgesilbe finden dann die restlichen 29 % des Gesamtumfangs statt. Im Mannheimerischen ist es umgekehrt: Hier kommt es in der Akzentsilbe nur zu einer Anstiegsbewegung von durchschnittlich 17 %, so dass sich der Anstieg auf der Folgesilbe um weitere 83 % fortsetzt, bis der hohe finale Grenzton erreicht wird. Das Kölnische ähnelt dem Mannheimerischen in diesem Merkmal, denn auch hier ist mit ca. 29 % die Anstiegsbewegung noch relativ gering. Auch das Hamburgische und das Freiburgische weisen mit 36 bzw. 39 % noch geringe Anstiegsbewegungen auf, doch ist die Differenz zum Mannheimerischen deutlich. In den übrigen Städten (München, Duisburg, Dresden) rangiert die Anstiegsbewegung zwischen 41 und 57 % und zeigt damit mehr Ähnlichkeit mit dem Berlinischen als mit Mannheimerischen. HH06-532
B02-7697
DD01-12206
200
200
200
150
150
150
100
100
be HAND
70 0 200
lung
0.5
70 0
0.45
L
70 0
al
LEE
h% ne
0.49
150
L MUND
100
h% art
0.5
70 0
MA11-9023
150
150
L AR
L SECH
h% zig
0.77
0.5 FR07-9963
200
70 0
nich
200
200
100
100
h%
DU02-8619
K09-16080
150
100
70 0
L OO
h% beit
0.49
100 70 0
M07-14988
300
200
150
L DA
h% rum
0.49
L
100 0
MEN
h% ge
0.46
Abb. 35 Beispiele für das Ausmaß der Anstiegsbewegung in der Nukleussilbe; das Ausmaß der Fallbewegung ist an der Spannweite der eingezeichneten Klammer ablesbar
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
279
Zur Illustration der charakteristischen Merkmalsausprägung ist in Abb. 35 für jede Stadtvarietät eine typische zweisilbige Anstiegskontur abgebildet. Die Beispiele wurden so ausgewählt, dass das Ausmaß der Anstiegsbewegung dem errechneten Mittelwert für die jeweilige Varietät ungefähr entspricht. Durch die eingezeichnete Klammer wird die Spannweite der Anstiegsbewegung verdeutlicht. In der hamburgischen Kontur (be)HANDlung ist erkennbar, dass die Nukleussilbe überwiegend flach auf tiefem Niveau verläuft und ein Anstieg erst am Ende der Nukleussilbe einsetzt. An der eingezeichneten Klammer ist ablesbar, dass hier nur eine geringe Anstiegsbewegung vorliegt. Noch geringere Anstiegsbewegungen sind für das Kölnische (MUNDart) und Mannheimerische (ARbeit) zu verzeichnen. Dies führt dazu, dass der Großteil der Anstiegsbewegung auf der Folgesilbe stattfindet. Es ist offensichtlich, dass bei solchen flachen Nukleussilben die Bestimmung der Lokalisierung des F0-Minimums, wie sie oben vorgestellt wurde, wenig aussagekräftig ist. Vielmehr ist eine möglichst umfassende Beschreibung der Konturdynamik erforderlich, in der neben MinPos auch das Ausmaß der Fallbewegung und der Anstiegsbewegung analysiert wird. Von den beschriebenen westlichen Varietäten weichen besonders die östlichen Städte ab. In den Konturen für das Berlinische, Dresdnerische und Münchnerische, aber auch für das Duisburgische ist eine ausgeprägte Anstiegsbewegung in der Nukleussilbe erkennbar. Im berlinischen Beispiel steigt die Tonhöhe im Wort OO ‚auch‘ um ca. 75 % an, so dass auf dem folgenden nich der Anstieg nur geringfügig um 25 % fortgesetzt wird. Nicht selten finden sich gerade im Berlinischen Verläufe, bei denen das F0-Maximum direkt am Beginn der Nachlaufsilbe auftritt (LH h-%), so dass der nukleare Anstieg fast 100 % beträgt (vgl. Abb. 31, S. 273, Nukleus beWEjung ). Bei den übrigen Beispielen verteilt sich die Anstiegsbewegung zu ungefähr gleichen Teilen auf die beiden Silben. Ein starker nuklearer Anstieg trägt dazu bei, dass in der Nukleussilbe keine F0-Talbildung vorliegt, denn durch die früh einsetzende Bewegung besteht ja kaum eine Möglichkeit, dass die Tonhöhe auf tiefem Niveau verweilt. Je stärker der Anstieg und je geringer die Talbildung ist, desto weniger wird im Nukleus ein echter Tiefton L wahrgenommen. Die starke Anstiegsbewegung trägt vielmehr zur Wahrnehmung eines Hochtons bei. Diese Tendenz ist besonders im Berlinischen festzustellen: Neben wenigen Belegen mit relativ eindeutig perzipierbarem L-Ton sind häufig Verläufe anzutreffen, bei denen die Nukleussilbe ausschließlich aus einer Gleitbewegung besteht, die entsprechend mit der Symbolfolge LH zu transkribieren ist. Diese Varianten sind in Abb. 36 einander gegenübergestellt. Im Nukleus FAHRrad liegt zwar ein starker Anstieg (ca. 88 %) vor, dennoch ist noch eine leichte Talbildung angedeutet, die die Annahme eines L-Tones zulässt. Im zweiten Beispiel (KNEIpen) besteht fast die gesamte Nukleussilbe aus der Anstiegsbewegung und das Maximum liegt am Beginn der Folgesilbe (LH). Mit der Zunahme der Anstiegsbewegung ist auch die Verschiebung des F0-Maximums verbunden. Je stärker die Anstiegsbewegung in der Nu-
280
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
kleussilbe ist, desto früher wird das F0-Maximum erreicht. Wenn die Steilheit des Anstiegs weiter zunimmt, dann kann das F0-Maximum schon in der Nukleussilbe lokalisiert sein. Dies ist in Abb. 36 (rechts) für den Nukleus PLAUtze zu erkennen, in dem sich der Anstieg fast sprungartig ereignet. Bei diesem Verlauf kann folglich kein L-Ton mehr angenommen werden, es liegt vielmehr eindeutig ein Akzentton H vor. Bei der Konturgestaltung des Berlinischen treten damit statische Aspekte (Talbildung und eindeutige Bestimmung als L- bzw. H-Ton) hinter der Kinetik des Verlaufs zurück: Das Charakteristikum hier ist gerade die Präferenz der Tonbewegung gegenüber diskreten Tonstufen. 200
B02-7731
150 100 70 0
B03-7015
200 150
L h% FAHR rad 0.52
100 70 0
B03-2888
200 150
L H KNEI
%
100
pen 0.5
0.79
70 0
H PLAU
% tze 0.5
Abb. 36 Zunehmender Anstieg in der Nukleussilbe im Berlinischen (von links nach rechts); dadurch kommt es zu einer Vorverlagerung des F0-Maximums (markiert mit einem Pfeil)
Der Kontrast zum Kölnischen oder Mannheimerischen könnte kaum größer sein. Die ausgewählten Beispiele in Abb. 37 belegen, dass hier eine Tonbewegung in der Nukleussilbe keine Rolle spielt. Hier verläuft die Nukleussilbe entweder flach auf einer tiefen Talsohle oder weist eine leicht eingleitende Fallbewegung auf. Erst auf der Folgesilbe kommt es zur Anstiegsbewegung. Da in den analysierten Konturen Köln 150 100 70
L er
50
KLÄRT
0
h%
300
300
200
200
150
hat 0.5 0.649297
L
h%
GANZ 0
Time (s)
L
150
war
h% HAL
ten
0
0.5 0.606531 Time (s)
0.412154 Time (s)
Mannheim 200
200
200
150
150
150
100
L MEIS
70 0
h% ter 0.347687
Time (s)
100 70 0
L SÄ
h% ge 0.455437
Time (s)
100
L MER
70
h% kur
0
0.5 0.585562 Time (s)
Abb. 37 Zweisilbige Anstiegskonturen in Köln und Mannheim mit flach-tiefer Nukleussilbe
281
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
der Nachlauf immer nur aus einer Silbe besteht, ereignet sich der Anstieg hier sehr schnell oder in Form eines Tonsprungs (vgl. HALten, MEISter, SÄge). In diesen beiden Städten werden die Anstiegskonturen also stufig realisiert (erste, tiefe Stufe auf der Nukleussilbe; zweite, hohe Stufe auf der Folgesilbe). Der grundlegende strukturelle Unterschied zwischen dem Kölnischen und Mannheimerischen einerseits und dem Berlinischen andererseits kann somit auf die Präferenz von – statischen – Tonstufen bzw. – kinetischen – Tonbewegungen zurückgeführt werden. Wie die teilweise recht hohen Standardabweichungen in Tab. 6 belegen, ist auch dieses Merkmal hoher intra-varietärer Variation unterworfen. Die geringste Variation ergibt sich für das Mannheimerische, wo die geringe Anstiegsbewegung mit hoher Konsistenz realisiert wird. Tab. 6 N, Mittelwert [%] und Standardabweichung [%] für das Merkmal ‚Anstieg‘ bei zweisilbigen Anstiegskonturen N
Mittelwert [%]
Standardabweichung [%]
HH
59
36,72
30,88
B
69
71,58
24,51
DD
66
56,80
26,58
DU
33
56,90
34,37
K
50
29,00
26,96
MA
81
17,00
18,04
FR
48
38,84
22,94
M
49
50,00
23,62
Summe
453
Auch für das Merkmal ‚Anstiegsbewegung‘ wurde eine Varianzanalyse durchgeführt, um festzustellen, für welche Varietäten die Merkmalsausprägung signifikant verschieden ist (ANOVA Post Hoc Tests; abhängige Variable: Anstieg [st]; unabhängige Variable: Stadt; Kontrollvariable: F0-Umfang des gesamten Nukleus [st]). Die Ergebnisse sind in Tab. 7 als Kreuzklassifikation wiedergegeben.8 Tab. 7 Signifikanzen für das Merkmal ‚Anstiegsbewegung‘ (ANOVA, Posthoc-Test nach Scheffé; *: Städtepaare sind signifikant verschieden voneinander (p< .05); leere Zellen: nicht-signifikanter Kontrast) B
*
DD DU K
*
MA
*
*
FR M
* * HH
8
* B
DD
DU
K
MA
FR
Die Details der ANOVA-Auswertung finden sich im Anhang (S. 380).
282
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
rel. F0-Umfang des Nukleus [%]
Die Tabelle zeigt, dass sich das Mannheimerische signifikant vom Berlinischen, Dresdnerischen, Freiburgischen und Münchnerischen unterscheidet. Das Kölnische und das Hamburgische sind ihrerseits verschieden vom Berlinischen. Damit stehen sich das Berlinische einerseits und das Hamburgische, Kölnische und Mannheimerische andererseits diametral entgegen. Das Mannheimerische seinerseits kann deutlich vom Freiburgischen und Münchnerischen abgegrenzt werden. Für die anderen Städte können keine Signifikanzen Nukleussilbe Nachlaufsilbe 100 ermittelt werden, d.h. hier liegt hohe intra-varietäre Variabilität vor. 75
4.2.3.3 Zusammenfassung
50
Berlin Dresden Duisburg
25
0 0 25 50 75 100
rel. F0-Umfang des Nukleus [%]
Lokalisierung von MinPos [% der Dauer der Nukleussilbe] 100
Nukleussilbe
Nachlaufsilbe
75
50
25
München Freiburg
0
rel. F0-Umfang des Nukleus [%]
0 25 50 75 100 100
Nukleussilbe
Nachlaufsilbe
75
50
25
Mannheim Köln Hamburg
0 0 25 50 75 100
Abb. 38 Mittelwert-Konturen von zweisilbigen, ansteigenden Nuklei basierend auf den Mittelwerten für MinPos und dem Ausmaß der fallenden und ansteigenden Teilbewegungen in der Nukleussilbe
In dieser akustisch-phonetischen Detailanalyse wurde die Konturdynamik für zweisilbige Anstiege untersucht. Mit Hilfe von drei akustischen Kenngrößen kann für jede Varietät die vorherrschende Konturrealisierung festgestellt werden. Zur Visualisierung der charakteristischen Merkmalsausprägungen sind in Abb. 38 schematische Konturen dargestellt, die auf den Mittelwerten der drei Merkmale basieren. Das Berlinische, Dresdnerische und Duisburgische (oben) sind durch früh lokalisierte F0-Minima und durch schnelle und weite Anstiegsbewegungen in der Nukleussilbe gekennzeichnet, die zur Wahrnehmung eines Hochtons in der Nukleussilbe führen. Diesen Varietäten gegenüber positionieren sich die westlichen Varietäten aus Mannheim, Köln und ansatzweise auch Hamburg und Freiburg, die spätere F0-Minima und insgesamt flachere Nukleussilben aufweisen. Dies trägt dazu bei, dass in der Nukleussilbe ein Tiefton profiliert wird. In Bezug auf diese Varietäten werden damit die Ergebnisse der Analyse der mehrsilbigen Nuklei in Kap. 4.2.1 bestätigt: In Berlin, Dresden und Duisburg werden vornehmlich H-Akzente verwendet, während in den übrigen Varietäten L-Akzente die Regel sind. Es kristallisiert sich damit auch für diese Teilanalyse eine Ost-West-Dichotomie heraus, deren Zentren sich im nord-östlichen (Berlin,
283
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
rel. F0-Umfang des Nukleus [%]
Dresden) und westmitteldeutschen Raum (Köln, Mannheim) befinden. Diese Ergebnisse werden gestützt durch die entsprechende Analyse zur Fallkontur, bei der eine vergleichbare regionale Distribution herausgearbeitet werden konnte. Zum Abschluss soll noch auf die Tonakzentopposition des Kölnischen eingegangen werden, die als wortphonologische Besonderheit des Mittelfränkischen die Satzintonation überlagert.9 Für die zweisilbigen Fallkonturen konnte eine recht eindeutige Differenzierung der beiden Tonakzente festgestellt werden. Für die Anstiegskonturen wird nun im gleichen Verfahren eine Aufteilung in potenzielle Tonakzent-1- und Tonakzent-2-Wörter vorgenommen.10 Danach werden die Mittelwerte für die drei Konturmerkmale bestimmt, die als Mittelwert-Konturen in Abb. 39 grafisch dargestellt sind. Die Verläufe beider Tonakzente liegen sehr dicht beieinander. Es deutet sich damit an, dass hier die intonatorische Differenzierung der Tonakzente nicht aufrecht erhalten wird. Daraus kann jedoch keine generelle Neutralisierung der Tonakzentopposition bei Anstiegskonturen abgeleitet werden. Da sich die Tonakzente unter kontrollierten Erhebungsbedingungen in allen satzintonatorischen Kontexten, auch bei ansteigenden Verläufen, nachweisen lassen (vgl. Schmidt 1986), kann geschlossen werden, dass die hohe Variabilität des verwendeten spontansprachlichen Materials zum Zusammenfall der Tonakzentopposition geführt hat. Dieses Ergebnis steht in Kontrast zu den Verhältnissen der kölnischen Fallkontur, bei der die Tonakzentopposition auch in spontansprachlichem Material intakt ist (Kap. 4.1.3.4). Es deutet sich damit an, dass es bei Anstiegskonturen schwieriger ist, die Tonakzentopposition intonatorisch zu implementieren. 100
Nukleussilbe
Nachlaufsilbe Tonakzent 1 Tonakzent 2
75
50
25
0
0 25 50 75 100 Lokalisierung von MinPos [% der Dauer der Nukleussilbe]
Abb. 39 Mittelwert-Konturen für das Kölnische differenziert nach Tonakzent-1 (durchgezogene Linie) und Tonakzent-2 (gestrichelte Linie)
9 10
Für einen Überblick über die Struktur der Tonakzentopposition vgl. oben Kap. 2.5.2, S. 72f. Beispiele für TA1: FEInes, KÜHler, HAUse (Dat.); für TA2: RENte, BRANNte.
284
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
4.2.4 Sonderfall: Anstiegskonturen auf einsilbigen Nuklei
Verkürzung der Dauer
pres sion Kom
Tr u
nk ie
ru
ng
Ebenso wie bei den Fallkonturen stellen einsilbige Nuklei auch für die Anstiegskonturen einen Sonderfall dar. Da unter solchen Umständen die Zeitspanne zur Ausführung der Kontur reduziert ist, ist mit Anpassungsmechanismen zu rechnen. Für die einsilbigen, fallenden Nuklei wurde die regionale Distribution für das Auftreten von Trunkierung bzw. Kompression herausgearbeitet. Mit dem gleichen Verfahren wird im Folgenden der Anpassungsmechanismus bei einsilbigen Anstiegskonturen analysiert. Der theoretische Hintergrund und die Methode wurden bereits in Kap. 4.1.4.2 am Beispiel der fallenden Nuklei detailliert dargelegt, so dass hier eine verkürzte Darstellung der Analyse-Durchführung ausreichend ist. Die zu erwartenden Prozesse der Trunkierung bzw. Kompression sind in Abb. 40 schematisiert. Quasi als Spiegelbild zu den fallenden Konturen kann eine Verkürzung des sonorantischen Bereichs, die durch den schattierten Bereich symbolisiert ist, entweder zur Trunkierung (links) oder zur Kompression (rechts) führen.
Verkürzung der Dauer
Abb. 40 Schematische Darstellung von Trunkierung und Kompression bei ansteigenden Konturen
Um die Auswirkungen der beiden Prozesse feststellen zu können, werden einsilbige, ansteigende Nuklei kontrastiert, die sich systematisch im vorhandenen sonoranten Material unterscheiden: Die erste Gruppe, die als Referenzpunkt dient, enthält Nuklei, deren Silben einen Langvokal, Diphthong oder einen Kurzvokal mit folgendem Sonoranten enthalten; hier weist die Nukleussilbe also mindestens zwei sonorante Moren zur Konturrealisierung auf. In der zweiten Gruppe befinden sich ausschließlich Silben mit Kurzvokal, in denen nur eine sonorantische More zur Verfügung steht. Alle Belege müssen in der Nukleussilbe eine messbare Anstiegsbewegung aufweisen; ausgeschlossen bleiben folglich Belege, bei denen die Anstiegsbewegung aufgrund eines F0-Sprungs fehlt, wie er häufig im Duisburgischen, Dresdnerischen und Berlinischen sowie auf Listenelementen beobachtet werden kann. In der Kontrastierung der Konturrealisierungen der beiden Gruppen für jede der acht Varietäten kann dann der präferierte regionalspezifische Anpassungsmechanismus ermittelt werden. Der relevante akustisch-phonetische Parameter zur Bestimmung von Trunkierung bzw. Kompression ist die relative F0-Exkursion Exrel, hier gemessen in Halbtönen pro Sekunde (st/sec). Verläufe, bei denen infolge der Trunkierung Konturbestandteile ‚abgeschnitten‘ werden, lassen eine geringe relative F0-Exkursion
285
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
erwarten. Bei Kompression, die durch eine Stauchung des Verlaufs in einer kürzeren Zeitspanne gekennzeichnet ist, werden entsprechend höhere Werte für Exrel festgestellt. Die Bestimmung von Exrel basiert auf drei Frequenz-Messpunkten, die aus Abb. 41 ersichtlich sind. Mit dem Messpunkt F1 wird der initiale Frequenzwert am Beginn der sonorantischen Aktivität in der Nukleussilbe bestimmt. Der Messpunkt F2 befindet sich am Minimum der Anstiegskontur und F3 repräsentiert schließlich den Endpunkt des Anstiegs. Aus der Addition der beiden Teilstrecken der Kontur (fallende Teilstrecke F1 bis F2, steigende Teilstrecke F2 bis F3) errechnet sich dann die absolute F0-Exkursion. Zur Bestimmung der relativen F0-Exkursion Exrel wird die absolute F0-Exkursion durch die Dauer des sonorantischen Bereichs zwischen den Messpunkten F1 und F3 dividiert. F3
F1
F2
absolute F0-Exkursion = (F2 - F1) + (F3 - F2) relative F0-Exkursion (Exrel) = absolute F0-Exkursion / Dauer
Dauer
Abb. 41 Schema der drei Messpunkte für die Analyse von Trunkierung/Kompression bei steigenden Verläufen
Die Messungen werden für alle acht Varietäten durchgeführt. Die einzelnen Messergebnisse sind in Tab. 8 gelistet. Im Gegensatz zu den fallenden Konturen ist die Belegdichte für die einsilbigen, steigenden Nuklei mit Kurzvokal relativ selten; insbesondere die Ergebnisse für das Freiburgische, das nur sieben Belege aufweist, müssen daher mit Vorsicht interpretiert werden. Tab. 8 Messergebnisse der Trunkierungs-/Kompressionsanalyse für einsilbige, ansteigende Nuklei (N, Dauer [ms], Mittelwerte für absolute F0-Exkursion [st], relative F0-Exkursion [st/sec] sowie Verhältnis der Dauer von Lang- vs. Kurzvokalen Langvokal/Diphthong
Kurzvokal
Mittelwerte Stadt N
Dauer [ms]
absolute F0-Exkursion [st]
Mittelwerte F0-Exkursion pro Sek. [st/sec]
N
Dauer [ms]
absolute F0-Exkursion [st]
F0-Exkursion pro Sek. [st/sec]
Quotient 'Dauer Lang- vs. Kurzvokal'
HH
17
242
7,26
31,31
12
106
3,40
33,79
2,29
B
24
221
7,20
33,33
15
117
4,50
38,81
1,88
DD
20
240
8,04
34,26
15
105
4,29
42,17
2,28
DU
21
241
5,04
21,86
14
137
3,37
26,55
1,76
K
31
253
7,27
29,16
16
122
5,21
47,45
2,08 2,35
MA
25
234
6,75
29,66
10
100
5,10
49,62
FR
17
205
7,68
37,22
7
156
6,28
41,73
1,31
M
25
202
8,03
40,50
15
123
6,11
48,14
1,64
286
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Wie zu erwarten, sind in allen Städten die Nuklei mit Langvokal/Diphthong deutlich länger als ihre kurzvokalischen Entsprechungen. Aus der letzten Spalte der Tabelle ist ersichtlich, dass die Langvokale meist mehr als doppelt so lang sind wie die Kurzvokale (Quotient ‚Dauer Lang- vs. Kurzvokal‘ > 2). Nur im Freiburgischen sind die Langvokale lediglich um ca. 30 % länger als die Kurzvokale (Ratio: 1,31), doch ist dieses Ergebnis aufgrund der dünnen Belegdichte nicht besonders verlässlich. Die für die Bestimmung der Akzentton-Modifikation relevanten Mittelwerte der relativen F0-Exkursionen sind in Abb. 42 grafisch dargestellt. Den Ausgangspunkt einer jeden Linie bildet der Exrel-Wert für die langvokalischen Nuklei, den Endpunkt der Linie bildet der Exrel-Wert für die kurzvokalischen Nuklei.
relative F0-Exkursion Exrel [st/sec]
55 50 45 40 35 HH 30 25 20 15 10
B DD DU K MA FR M Langvokal/Diphthong
Kurzvokal
Abb. 42 Relative F0-Exkursion [st/sec] für einsilbige, ansteigende Nuklei mit Langvokal/Diphthong bzw. Kurzvokal
Bei den langvokalischen Nuklei liegen alle Städte bis auf das Duisburgische dicht beieinander im engen Bereich zwischen 30 und 40 st/sec. Diese Werte entsprechen weitgehend denjenigen, die schon für die fallenden Konturen ermittelt wurden. Erklärungsbedürftig ist der niedrige Exrel-Wert des Duisburgischen von nur 22 st/sec. In dieser Varietät sind Anstiegskonturen, die in der Nukleussilbe einen tatsächlichen Anstieg oder gar ein Tal herausbilden, generell selten und es dominieren die Plateaukonturen, bei denen schon in der Nukleussilbe das Maximum durch einen Sprung oder einen schnellen Anstieg erreicht wird. In den einsilbigen Nuklei wird diese Präferenz reflektiert, indem die Anstiegsbewegung ebenfalls sehr schnell ausgeführt wird. Dies hat zur Folge, dass trotz des ausreichend vorhandenen sonoranten Materials nur wenig F0-Bewegung produziert wird, woraus dann der relativ niedrige Wert für Exrel resultiert. Wie die ansteigenden Linien andeuten, sind bei den kurzvokalischen Nuklei insgesamt höhere Werte für die relative F0-Exkursion festzustellen. Dies deutet auf Kompression: Bei abnehmendem sonoranten Material nimmt das Ausmaß der
287
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
F0-Bewegung, hier: der Anstiegsbewegung, zu. Die Kompression steigender Akzente gilt ausnahmslos für alle Regionalsprachen, so dass hier keine regionale Variation vorliegt. Die Unterschiede zwischen den Varietäten sind nur gradueller Natur. In den meisten Städten (Hamburg, Dresden, Berlin, München, Freiburg, Duisburg) erhöht sich Exrel relativ zu den Langvokalen nur leicht (zwischen drei und sieben st/sec). Dagegen ist der Kompressionseffekt im Mannheimerischen und Kölnischen deutlich stärker, denn hier nimmt Exrel um 20 bzw. 18 st/sec zu: Hier ist es also noch einfacher, auch unter erschwerten Bedingungen eine vollständige Anstiegsbewegung auszuführen. Generell ist es also damit in den deutschen Varietäten möglich, auch auf Kurzvokalen ansteigende Bewegungen auszuführen, während dies bei den fallenden Verläufen größtenteils nicht möglich ist. Stellvertretend für alle Varietäten sind zur Illustration des Kompressionseffekts in Abb. 43 je zwei Beispiele aus München und Dresden für steigende Einsilber mit Lang- bzw. Kurzvokal wiedergegeben. Bei den Nuklei mit Langvokal (MEHR, WEG) ist zu sehen, dass der Verlauf zunächst auf tiefem Niveau bleibt und nur wenig ansteigt, so dass sich eine Talsohle herausbilden kann; erst am Ende der Silbe nimmt die Anstiegsgeschwindigkeit zu. Langvokale M05-15216
Kurzvokale DD04-10331
M09-14873
DD10-10381
200
200
200
200
150
150
150
150
100 70 0
m
100
P e: MEHR 0.43
v
70 0
e: WEG
100
g 0.30
m
70 0
A xt MACHT
0.24
100 70 0
8
y k RÜCK 0.27
Abb. 43 Beispiele für einsilbige, steigende Nuklei aus dem Münchnerischen und Dresdnerischen; Kompression in den Belegen mit Kurzvokal (MACHT, (zu)RÜCK); der für die Akzentton-Modifikation relevante Bereich ist durch Schattierung markiert
Bei den Kurzvokal-Wörtern MACHT und (zu)RÜCK fehlt hingegen eine Talsohle. Stattdessen liegt in der gesamten Silbe eine Anstiegsbewegung vor, die sich mit hoher Geschwindigkeit ereignet. Dies führt dazu, dass die relative F0-Exkursion in diesen Wörtern höher als bei den Langvokalen ist. Für die Kölner Daten muss zusätzlich die überlagernde Variationsdimension der beiden wortphonologischen Tonakzente berücksichtigt werden. Für die einsilbigen, fallenden Nuklei ergab sich in Kap. 4.1.4.2 ein Zusammenhang zwischen den Tonakzenten und Exrel: Tonakzent-1 (‚Schärfung‘) weist im Vergleich zu Tonakzent-2 eine höhere relative F0-Exkursion auf. Bei diesen Akzenten manifestiert sich der TA1 durch eine schnelle Fallbewegung, während dem TA2 ein flach-hoher Verlauf mit erst spät einsetzender Fallbewegung eigen ist. Ein ähnlicher Effekt wäre demnach auch für die (quasi spiegelbildlichen) steigenden Nuklei zu erwarten. In der akustischen Analyse können allerdings keine Auswirkungen der Tonakzente
288
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
festgestellt werden. Sowohl für TA1 als auch für TA2 werden nahezu identische Werte für Exrel gemessen (TA1: 28,8 st/sec, TA2: 29,6 st/sec). Lediglich in der Dauer unterscheiden sich die beiden Akzente, denn der TA1 ist mit durchschnittlich 239 ms deutlich kürzer als der TA2 mit 271 ms. Wie schon bei den zweisilbigen, steigenden Nuklei lässt sich also mit dieser Messmethode auch bei den Einsilbern kein Einfluss der Tonakzente auf den Intonationsverlauf ermitteln. Dieses negative Ergebnis darf jedoch nicht dazu verleiten, vorschnell eine Neutralisierung der Tonakzente unter diesen Bedingungen anzunehmen. Es ist nämlich durchaus denkbar, dass bei steigenden Nuklei die Merkmale Trunkierung oder Kompression für die Tonakzentopposition nicht relevant sind. Die Eigenschaften der Tonakzente wären damit mit der angewandten Messmethode gar nicht zu erfassen. Jongen (1972) und Schmidt (2002) argumentieren überzeugend, dass der für die Tonakzente zentrale akustische Parameter in der Position des Tonbruchs innerhalb der akzentuierten Silbe zu sehen ist: Tonakzent-1 ist in diesen Entwürfen durch eine frühe, Tonakzent-2 durch eine späte Tonbruchstelle charakterisiert. Ein möglicher Tonakzent-1 könnte demnach einen zunächst schnell ansteigenden und dann flach-hohen Verlauf aufweisen, während beim Tonakzent-2 dann umgekehrte Verhältnisse vorlägen, i.e. flach-tiefer Verlauf mit anschließendem Anstieg am Ende der Silbe. Unter solchen Bedingungen wären für beide Tonakzente gleiche Werte für Exrel erwartbar. Detailliertere Untersuchungen sind notwendig, um diesen Aspekt zu klären. Insgesamt ergibt sich also für die einsilbigen, ansteigenden Nuklei, dass alle Varietäten dem komprimierenden Typus zuzurechnen sind, ohne dass regionale Unterschiede erkennbar sind. Dieses Ergebnis entspricht dem Befund in Grabe (1998a, b) zum Standarddeutschen, wo in ansteigenden Nuklei ebenfalls Kompression festgestellt wurde. Zusammen mit den Ergebnissen für die fallenden Nuklei aus Kap. 4.1.4.2 ergeben sich dann die in Tab. 9 dargestellten Kombinationen von Trunkierung und Kompression. Tab. 9 Verteilung von Trunkierung und Kompression in fallenden und steigenden Nuklei in deutschen Regionalsprachen und im Standarddeutschen Trunkierung in fallenden Nuklei Kompression in ansteigenden Nuklei
Kompression in fallenden Nuklei Kompression in ansteigenden Nuklei
Berlin Dresden Duisburg Mannheim München Standarddeutsch (Grabe 1998a, b)
Hamburg Köln (nur in Bezug auf TA2)
In den meisten Städten wirkt bei fallenden Nuklei die Trunkierung, wohingegen steigende Nuklei durch Kompression charakterisiert sind. Diese durch die Richtung der Kontur bedingte Asymmetrie teilen das Berlinische, Dresdnerische, Duisburgische, Mannheimerische und Münchnerische mit dem Standarddeutschen. Dagegen sind in Hamburg und Köln (nur in Bezug auf Tonakzent-2-Wörter) sowohl steigende als auch fallende Konturen durch Kompression gekennzeichnet. In dieser Merk-
Phonetik der nuklearen Anstiegskontur
289
malskombination weichen die beiden Städte also sowohl vom Standarddeutschen als auch von den meisten Regionalsprachen ab. Trunkierung und Kompression sind als rein phonetische Modifikationen des Konturverlaufs einzustufen, von denen die tonologische Struktur der Fall- oder Anstiegskontur unbeeinflusst bleibt (vgl. Grabe 2004).
290
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
4.3 Phonetik der nuklear fallend-steigenden Kontur Der fallend-steigende nukleare Verlauf setzt sich aus zwei Teilbewegungen zusammen: Auf der akzentuierten Silbe wird eine Fallbewegung initiiert, die im Nachlauf (so vorhanden) einen Wendepunkt auf tieferem Niveau erreicht. Es schließt sich eine Anstiegsbewegung an, so dass die Kontur hoch endet (vgl. den schematischen Verlauf in Abb. 1). In seiner Extremform ereignet sich der Verlauf zwischen dem Maximal- und Minimalwert des F0-Umfangs der Sprecherin/des Sprechers. Für diese (Haupt-)Variante kann die oberflächennahe Transkription H-l-h% gewählt werden. H-
l-
h%
Abb. 1 Schematischer Verlauf des fallend-steigenden nuklearen Verlaufs; Nukleussilbe durch Schattierung markiert
Die Kontur ist in der älteren, auditiv basierten Intonationsforschung (z.B. bei von Essen 1964) noch nicht erwähnt. Pheby (1984: 885ff.) kennt den fallend-steigenden Verlauf und stuft ihn als selten vorkommende Variante des steigenden Tonmusters (i.e. Tonmuster 2b: \/) ein. In Kohlers (1995: 198ff.) Toninventar wird die Kontur als ‚Ton 5‘ bezeichnet, die aus einem fallenden und dann nur bis zur Mittellage wieder ansteigenden Tonhöhenverlauf besteht. Auch in den neueren autosegmentalen Untersuchungen hat die Kontur ihren festen Platz. Sie wird bei Uhmann (1991) und Féry (1993) als Tonfolge H*+L H% gefasst, auf einen bitonalen Akzentton folgt in diesem Entwurf also ein hoher Phrasengrenzton. Auch für Grice/Baumann (2002) gehört die Kontur zum Inventar des (Standard-)Deutschen und ist gemäß GToBI als (L+)H* L-H% zu transkribieren. Hier kann dem Hochton H* des Akzents ein optionaler leading tone L+ vorausgehen. Der finale Anstieg setzt sich aus dem Phrasenakzent L- und dem hohen Phrasengrenzton H% zusammen. Der finale Anstieg auf H% erreicht nicht die gleiche Höhe wie der H*-Gipfel des Akzenttons, sondern nur mittel-hohes Niveau. Im Gegensatz zu Uhmann (1991) und Féry (1993) wird also in GToBI kein bitonaler Akzentton H*+L angesetzt, sondern ein monotonaler Akzentton H*, dem ein Phrasenakzent L- folgt. Der Grund hierfür ist die Beobachtung, dass der Tiefton unabhängig vom Akzentton ist und auf einer lexikalisch betonten Silbe im Nachlauf positioniert wird.1 Der Kontur wird generell ein eingeschränkter Verwendungskontext zugeschrieben, i.e. sie erscheint nach Féry (1993: 91) in höflich formulierten Angeboten des Formats Mögen Sie Roggenbrötchen?. Die Kontur ist weitgehend auf den interrogativen Modus beschränkt und in deklarativen Äußerungen bislang nur marginal belegt. Vereinzelt findet sie sich in Fokussierungsaufforderungen (sog. summons wie 1
Zur experimentellen Bestätigung vgl. Benzmüller/Grice (1998).
Phonetik der nuklear fallend-steigenden Kontur
291
Du!, Hallo! im Sinne von Hörst du mir jetzt mal zu!; vgl. Schegloff 1986), Ausrufen (nach Kohler (1995) in Achtung!, Vorsicht!) und auch in der Kindersprache. In Gilles (2001b) konnte hingegen für das Hamburgische gezeigt werden, dass sich die Kontur mit hoher Häufigkeit nicht nur in interrogativen, sondern auch in deklarativen Äußerungen nachweisen lässt. Ausgehend von diesen ersten Ergebnissen wird die Analyse im Folgenden mit einer erweiterten Datengrundlage und mit feineren phonetischen Analysekategorien ausgebaut. Tatsächlich ist die Kontur in deklarativen Phrasen im untersuchten Korpus nicht für alle Varietäten belegt. Mit zu vernachlässigenden geringen Häufigkeiten findet sie sich z.B. im Berlinischen, Dresdnerischen, Duisburgischen, Kölnischen und Freiburgischen, woraus geschlossen werden kann, dass die Kontur hier für die Funktionen ‚Abschluss‘ oder ‚Weiterweisung‘ nicht relevant ist.2 In München ist die Kontur etwas häufiger anzutreffen. Mit hoher Häufigkeit taucht die Kontur im Hamburgischen und Mannheimerischen auf. Da die Kontur nur in drei von acht Varietäten mit nennenswerten Häufigkeiten vertreten ist, handelt es sich in Bezug auf die hier untersuchten deklarativen Äußerungen um ein relativ exklusives intonatorisches Merkmal der deutschen Regionalsprachen, das zudem durch seine komplexe Bewegung, insbesondere wenn sie auf nur wenigen Silben ausgeführt wird, auditiv besonders salient ist. Die folgende phonetische Analyse konzentriert sich auf das Hamburgische, Mannheimerische und Münchnerische. In diesen Varietäten steht die Kontur in Zusammenhang mit dem Funktionskomplex der Weiterweisung. Sie wird hier parallel zu den reinen Anstiegskonturen eingesetzt (L* H-%, L* H% u.ä.; Kap. 4.2), weist jedoch eine spezifische funktionale Einbettung auf, die für das Hamburgische bereits in Gilles (2001b) herausgearbeitet wurde. Demnach wird die Kontur in spezifischen Weiterweisungskontexten eingesetzt, deren Aufgabe in der Aktivierung von Hintergrundwissen besteht, von dem der Sprecher annimmt, dass es für das Verständnis des Gesprächs notwendig ist; häufig findet sich die Kontur daher in Einschüben und detaillierenden Reformulierungen. In den übrigen fünf Varietäten werden zur Weiterweisung die Anstiegskonturen verwendet, wie sie in Kap. 4.2 beschrieben wurden. Damit ergeben sich regionale Kontraste bei den Inventaren der weiterweisenden Intonationskonturen: In Mannheim, Hamburg und München ist für die Weiterweisung mit der fallend-steigenden Kontur eine zusätzliche Kontur vorhanden, die in den übrigen Varietäten fehlt. Als eine Besonderheit des Mannheimerischen kommt noch hinzu, dass hier eine Variante des fallend-steigenden Verlaufs, i.e. ein fallend-leicht-steigender Verlauf, anzutreffen ist, der nicht weiterweisend, sondern für eine spezifische Abschlussfunktion eingesetzt wird. Die Realisierungen der fallend-steigenden Verläufe sind in den drei Varietäten nur teilweise identisch und unterscheiden sich in einigen Variationsparametern, zu 2
Das muss nicht gleichzeitig bedeuten, dass die Kontur in diesen Varietäten nicht zum tonologischen Konturinventar gehört, denn bei der Frageintonation, die in der vorliegenden Arbeit nicht behandelt wird, kann die Kontur durchaus auftauchen.
292
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
denen das relative Tonhöhenniveau auf der Akzentsilbe, auf dem Tiefton und auf dem finalen Grenzton gehören. Die Variation der Konturparameter ist im Hamburgischen relativ gering, so dass ein kanonischer Konturverlauf bestimmt werden kann. Diese Einheitlichkeit lässt sich im Mannheimerischen nicht beobachten. Die hohe Variabilität in dieser Varietät legt es nahe, hier mehrere Varianten der fallend-steigenden Kontur zu unterscheiden. 4.3.1 Hamburg Wie bereits in Kap. 3.2 erläutert, gehört der fallend-steigende Verlauf zu den charakteristischen Weiterweisungskonturen des Hamburgischen. Es ist das hohe Maß an Intonationsbewegung auf dem Nukleus, das zur Salienz der Kontur beiträgt. Auditiv besonders auffällig ist die Kontur dann, wenn sie auf wenigen Silben realisiert wird: So kommt es bei zwei- und einsilbigen Nuklei zu einer Stauchung des Konturverlaufs in einer relativ kurzen Zeitspanne; dennoch werden auch unter solchen Bedingungen alle Konturbestandteile in gleicher Weise wie bei den mehrsilbigen Nuklei realisiert. Die regionale Salienz dieser Kontur wurde in einem Wahrnehmungsexperiment überprüft (Gilles et al. 2001, Peters et al. 2002). Versuchspersonen wurden dazu zwei Varianten eines Trägersatzes vorgespielt, die sich lediglich in der Intonation des Nukleus unterschieden: Die eine Variante enthielt den typisch hamburgischen fallend-steigenden Verlauf, bei der zweiten Variante handelte es sich um einen einfach steigenden Verlauf. Sowohl gebürtige Hamburger als auch nach Hamburg zugezogene sowie auswärtige Versuchspersonen stuften den fallend-steigenden Verlauf jeweils als typisch für das Hamburgische ein. Durch dieses Experiment konnte gezeigt werden, dass diese Kontur von den Hörern bzw. Sprechern als integraler Bestandteil des Hamburgischen angesehen wird. Einen prototypischen Beleg bietet Abb. 2. In der Phrase zunächst führte das zu einem zu einem großen Elend verteilt sich die nuklear fallend-steigende Kontur über die zwei Silben des Nukleus Elend. Das Grundfrequenzmaximum dieses Nukleus liegt bei ca. 160 Hz ungefähr in der Mitte des betonten Vokals [e:]. Das Maximum in der Akzentsilbe wird ausgehend vom tieferen pränuklearen Niveau durch einen Sprung erreicht. Zwar ist in der Akzentsilbe eine leichte Anstiegsbewegung zu verzeichnen, die aber perzeptiv kaum relevant ist und vielmehr der Bildung eines ausgeprägten F0-Gipfels dient. In der zweiten Hälfte des Vokals und in der Folgesilbe sinkt die Grundfrequenz mit einer Geschwindigkeit von ca. 24 st/sec ab und erreicht bei ca. 125 Hz den Tiefpunkt auf dem Vokal [E]. Diese Fallbewegung ist damit ein einfach fallender Akzentton des Typs H-l, dessen Struktur dem Akzentton in der nuklearen Fallkontur H-l-% entspricht. Auch für diese konnte für das Hamburgische das Ausbleiben einer Anstiegsbewegung in der Akzentsilbe und eine tendenziell frühe Lokalisierung des F0-Maximums ermittelt werden (vgl. Kap. 4.1.3). Unmittelbar am Phrasenende erfolgt dann der finale Anstieg auf 200 Hz. Die markanten Bewegungen dieser Kontur verlaufen hier in der kurzen Zeitspanne von ca. 0,4 sec und insbe-
293
Phonetik der nuklear fallend-steigenden Kontur
sondere der finale Anstieg wird mit einer hohen Geschwindigkeit von 48 st/sec ausgeführt. Der Anstieg ist mit dem Phrasenende assoziiert und endet mit dem Phrasengrenzton h%, der deutlicher höher als der H-Ton der Akzentsilbe liegt. Als phonetische Transkription für diese Kontur ergibt sich somit H-l-h%. HH04-1136 200
150
100 Hzunächst
führte das zu einem zueinem
grOßen
E
l-
h%
lend
70 0
0.5
1
1.5
2.10
Abb. 2 Fallend-steigender Verlauf auf dem zweisilbigen Nukleus Elend im Hamburgischen
Als Weiterweisungskontur endet diese Kontur mit einer markanten finalen Anstiegsbewegung, die einen weiten Bereich des F0-Umfangs nutzt. Diese Beobachtung steht im Gegensatz zu älteren auditiv-intonologischen Arbeiten (etwa von Essen 1964, Pheby 1984), in denen als progredientes Tonmuster lediglich ein leichter finaler Tonhöhenanstieg angenommen wird. Wenn das verfügbare Silbenmaterial weiter abnimmt, so passt sich der Konturverlauf den Veränderungen an, die sich bei einsilbigen Nuklei in der Kompression des fallend-steigenden Verlaufs manifestiert. Bei den Verläufen für die einsilbigen Nuklei HIER, MARK und (tradi)TION in Abb. 3 ist zu erkennen, dass die beiden Teilbewegungen trotz der kurzen Zeitspanne vollständig ausgeführt werden. Die Hochtöne H liegen jeweils am Beginn der Akzentsilbe und die F0-Gipfel werden sehr früh, i.e. im ersten Drittel der Silbe, platziert. Es finden ebenfalls keine oder nur geringe (in HIER) Anstiegsbewegungen in der Akzentsilbe statt. Wie beim obigen Beispiel ähnelt dieser Konturbestandteil den einfach fallenden Konturen des Hamburgischen. Die im Hochton initiierte Fallbewegung erreicht ihr Ende in der tiefen Lage nahe dem Phrasenende (Akzenttonverlauf H-l). Der Tiefton ist gleichzeitig HH01-21454
HH01-750
HH10-1120
200
200
150
150
200 150
100 100
100 H-
l- h%
H-
HIER 70 0
l-
h%
H70
MARK 0.5
70 0
0.34
0
tradi
l- h%
TION 0.5
0.89
Abb. 3 Einsilbige fallend-steigende Verläufe auf den Nuklei HIER, MARK und (tradi)TION im Hamburgischen
294
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
der Wendepunkt der Kontur und es beginnt nun der Anstieg auf hohes Endniveau (Phrasengrenzton h%). Die Grenztöne erreichen die Höhe des vorausgehenden Gipfels des Akzenttons oder liegen etwas tiefer. Bei den einsilbigen Nuklei ist oft eine Dehnung der Silbe zu beobachten, durch die die ausgeprägte Bewegung auf diesen kurzen Nuklei überhaupt erst ermöglicht wird. Trotz der kurzen Zeitspanne wird auch auf diesen einsilbigen Nuklei eine ausgeprägte Fallbewegung bis in die untere Lage des F0-Umfangs ausgeführt. Als assimilatorischer Effekt wäre es unter diesen Bedingungen möglich, dass die Fallbewegung nicht bis auf das tiefe Niveau ausgeführt wird; diese reduzierte Kontur hätte dann einen leicht-fallend-steigenden Verlauf. Doch eine solche Assimilation, die z.B. im Mannheimerischen (s.u. Kap. 4.3.2) anzutreffen ist, lässt sich in Hamburg nicht beobachten. Das Ausbleiben der Assimilation erklärt sich aus einer generellen Eigenschaft der Akzentrealisierung des Hamburgischen, nämlich der ‚Kompression‘. Sie sorgt dafür, dass der Intonationsverlauf bei reduziertem sonoranten Material nicht vereinfacht (‚trunkiert‘), sondern auf dem vorhandenen Silbenmaterial komprimiert realisiert wird (vgl. die Analyse von Trunkierung/Kompression in Kap. 4.1.4.2). Die Komprimierung des Verlaufs auf einer einzigen Silbe weist Ähnlichkeiten zu der von Bremer (1893: §185-188) beschriebenen ‚Doppelbetonung‘ auf. Diese führe zur Wahrnehmung einer schleifenden Bewegung auf dem Silbenreim, weil „auf eine forte>piano-Abschwellung eine piano>mezzoforte-Anschwellung und dann eine mezzoforte>piano-Abschwellung“ (Bremer 1893: §185) folge. Diese Betonungsart nimmt Bremer besonders für das Norddeutsche an (§187). Nach Bremer wird der ‚Doppelton‘ in Wörtern wie (er) kniet, (er) braut, (er) stellt oder (er) singt gesprochen, in Wörtern wie (er) sieht, (die) Braut, (er) reicht oder (er) sinkt hingegen ein einfacher Ton. Bremer betrachtet die Doppelbetonung als die kompensatorische Reaktion auf ein ehemals vorhandenes Schwa in der Folgesilbe: „früher sagte man er knieet, brauet u.s.w“ (§187). Infolge des Vokalausfalls kam es zur Übertragung des Tons der ehemaligen Schwasilbe auf den Stammvokal. Demnach ist das Vorkommen der Doppelbetonung nur in der Wortgruppe erwartbar, die lauthistorisch einen Schwa-Ausfall aufweist. Wie die Beispiele in Abb. 3 jedoch belegen, trifft Bremers Theorie in dieser Form auf das Hamburgische nicht zu: Wörter wie Mark oder Geld waren auch in früheren Sprachstufen einsilbig, so dass es hier gar nicht zu einem Schwa-Ausfall in der posttonischen Silbe kommen konnte. Dies deutet darauf hin, dass sich die hamburgische Kontur unabhängig von der segmentellen und silbischen Struktur entwickelt hat und ausschließlich dem Bereich der ‚Satz-‘Intonation zuzurechnen ist. Mit der Kennzeichnung der Kontur als H-l-h% ist zunächst lediglich der ungefähre Verlauf erfasst, die genaue interne Struktur ist damit noch nicht erschöpfend dargestellt. Es gilt insbesondere zu klären, wie sich die einzelnen tonalen Komponenten zueinander sowie zu vergleichbaren Konturen verhalten. An einer Datenba-
295
Phonetik der nuklear fallend-steigenden Kontur
sis von insgesamt 148 Belegen werden die folgenden Variationsmerkmale untersucht:
• • • •
vertikale Lage des Hochtons H in der akzentuierten Silbe vertikale Lage des Tieftons l Struktur der finalen Anstiegsbewegung vertikale Lage des Grenztons h%
Vertikale Lage des Hochtons H Um die relative vertikale Lage der tonalen Bestandteile, i.e. die Höhe von Hochton oder Tiefton, im durchschnittlich genutzten F0-Umfang (Umfangglobal) zu beurteilen, wird wieder auf das in Kap. 4.1.2 eingeführte Vergleichsverfahren zurückgegriffen:3 Jeder einzelne Messwert eines Hochtons bzw. Tieftons (in Halbtönen st) wird in Relation zum durchschnittlichen Wert des globalen F0-Umfangs (Maxglobal bzw. Minglo bal) eines jeden Sprechers gesetzt. Alle individuellen, prozentualen Abweichungen von diesen Referenzwerten werden in ein Histogramm eingetragen, das in Abweichungsklassen eingeteilt ist. Häufigkeitskonzentrationen in Abweichungsklassen erfassen einerseits besser als Mittelwerte oder auch die individuellen Messwerte der SprecherInnen die präferierten Merkmalsausprägungen und können andererseits mit vergleichbaren Eigenschaften anderer Konturen in Beziehung gesetzt werden. Da im fallend-steigenden nuklearen Verlauf H-l-h% der einfach fallende Verlauf H-l-% enthalten ist, bietet es sich an, die gemeinsame Teilkomponente, i.e. die Fallbewegung H-l, miteinander zu vergleichen. Das Histogramm in Abb. 4 zeigt die Variation der Gipfelhöhe H in den Konturen H-l-h% (breite Balken) und H-l-% (schmale Balken). Die Gipfelhöhen der beiden Konturen werden jeweils mit der durchschnittlichen, globalen Gipfelhöhe (Maxglobal) verglichen. Für die Kontur H-l-h% befinden sich die meisten Belege in der Klasse ‚-10‘ (= bis zu 10 % Abweichung von Maxglobal). Für diese Belege ist die Gip30,00%
kleiner als Maxglobal
größer als Maxglobal
25,00% 20,00% 15,00%
Max H-l-h% Max H-l-%
10,00% 5,00% 0,00% mehr -50
-40
-30
-20
-10
+10 +20
+30
+40 +50 mehr
Abb. 4 Variationsspektren für die Gipfelhöhe H- der Konturen H-l-h% (breite Balken) und H-l-% (schmale Balken) relativ zum persönlichen Referenzwert Maxglobal im Hamburgischen 3
Für eine ausführliche Beschreibung dieses Auswertungs- und Darstellungsverfahrens vgl. Kap. 4.1.2.
296
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
felhöhe also weitgehend identisch mit Maxglobal. Weitere Häufigkeitskonzentrationen finden sich in ‚-20‘ und deutlicher noch in ‚+10‘ und ‚+20‘. Die meisten Gipfel der Kontur liegen ganz in der Nähe von Maxglobal oder gar darüber. Sie gehören damit zu den höchsten, die im Hamburgischen zu finden sind. Aufschlussreich ist der Vergleich mit der einfach fallenden Kontur H-l-%, die im Histogramm mit schmalen Balken überlagert dargestellt ist. Hier ist zu erkennen, dass die Gipfel dieser Kontur generell eine Abweichungsklasse niedriger als bei H-l-h% liegen. Das Häufigkeitsmaximum befindet sich hier in der Klasse ‚-20‘ (i.e. zwischen 10 und 20 % niedriger als der Referenzwert Maxglobal). Die Gipfel in H-l-h% werden also nicht nur besonders hoch im Vergleich zum globalen Referenzwert Maxglobal realisiert, sondern sind auch höher als die Gipfel der hamburgischen Kontur H-l-%. Noch größer ist der Unterschied der Gipfelhöhe in H-l-h% zu den H-l-%-Gipfeln der östlichen Varietäten, die immer deutlich unter ihrem globalen Referenzwert MaxFall liegen (vgl. Kap. 4.1.2). Diese Gipfel sind damit also im Vergleich zu den hamburgischen H-l-h%-Gipfeln als besonders tief einzustufen. Vertikale Lage des Tieftons l In analoger Weise ist in Abb. 5 die Variation des Tieftons l der fallend-steigenden Kontur dargestellt. Im Histogramm ist die Variation dieses Tons relativ zum durchschnittlichen Tiefton des individuellen, globalen F0-Umfangs (Minglobal) dargestellt (breite Balken). Auch hier ist zusätzlich das Variationsspektrum des Tieftons der Vergleichskontur H-l-% eingetragen (schmale Balken). Für H-l-h% ist eine Häufigkeitsverdichtung in der Klasse ‚-10‘ zu erkennen, die darauf hindeutet, dass ca. 20 % der Belege ungefähr die gleiche Tiefe wie Minglobal erreichen. Charakteristisch sind die Häufigkeitskonzentration in den Klassen ‚+10‘ und aufwärts, die belegen, dass nach der Fallbewegung teilweise keine ausgeprägt tiefen Täler realisiert werden, d.h. nach dem relativ hohen Gipfel reicht die Fallbewegung nicht bis an den unteren Rand des F0-Umfangs, sondern endet präferiert innerhalb der unteren Hälfte des 25,00%
kleiner als Minglobal
größer als Minglobal
20,00% Min H-l-h%
15,00%
Min H-l-%
10,00%
5,00%
0,00% mehr -50
-40
-30
-20
-10
+10 +20 +30 +40 +50 mehr
Abb. 5 Variationsspektren für den Tiefton l der Konturen H-l-h% (breite Balken) und H-l-% (schmale Balken) relativ zum persönlichen Referenzwert Minglobal im Hamburgischen
297
Phonetik der nuklear fallend-steigenden Kontur
Umfangs. Wie eine Addition der Häufigkeiten dieser Klassen ergibt, gehören fast 60 % der Belege in diese Kategorie. Deutlich wird diese Präferenz für die nur halbtiefen Täler, wenn die Tieftöne von H-l-h% mit denjenigen von der Kontur H-l-% verglichen werden (schmale Balken in Abb. 5), deren Täler durchweg tiefer als Minglobal liegen und auch nur geringe Häufigkeiten in den positiven Klassen aufweisen. Trotz der tonologischen Identität des Akzenttons H-l in H-l-% und H-l-h% (beide lassen sich als H*+L beschreiben) können also Unterschiede in der phonetischen Implementierung festgestellt werden: Im Vergleich zu H-l-% sind in H-l-h% sowohl die Gipfel als auch die Tieftöne höher positioniert. In einem gedachten Frequenzbereich, wie er in Abb. 6 dargestellt ist, ist die gesamte Kontur H-l-h% etwas höher lokalisiert als H-l-%. l-
h%
Tonhöhe
H-
H-
l-
%
Abb. 6 Relative Lage des Maximums in der Akzentsilbe und des Minimums für die Konturen H-l-h% bzw. H-l-% im Hamburgischen
Dieser Befund lässt sich in Zusammenhang mit den unterschiedlichen konversationellen Funktionen der beiden Konturen interpretieren: Aufgrund des Ikonizitäts-Prinzips, dem die Prosodie im Allgemeinen folgt (vgl. Bolinger 1983, Auer 1989), ist H-l in der Fallkontur H-l-% besser geeignet, Abschlüsse zu signalisieren, da die (relativ zu H-l-h%) tieferen Gipfel und tieferen finalen Endpunkte mit der für Abschlüsse erwartbaren tiefen Tonhöhe korrelieren. Umgekehrt ‚passen‘ höhere Gipfel und der höhere l-Ton in der Weiterweisungskontur H-l-h% besser zum Ikonizitäts-Prinzip, das vorsieht, dass Unabgeschlossenheit mit hoher/steigender Tonhöhe kontextualisiert wird. In H-l-h% ist es also nicht nur der (ebenfalls als ikonisches Abbild der Unabgeschlossenheit zu wertende) finale Anstieg, der Weiterweisung signalisiert; auch die spezifische phonetische Implementierung des Akzenttons H-l weist bereits Merkmale der Weiterweisung auf. Struktur der finalen Anstiegsbewegung Aus den vorgestellten Beispielen und den phonetischen Analysen geht zwar die vertikale Lage des Tieftons hervor, noch nicht geklärt ist jedoch, mit welcher Silbenposition der Tiefton l assoziiert ist. Bei den in Abb. 2 und 3 (oben) gezeigten ein- und zweisilbigen Nuklei befindet sich der Tiefton zwangsläufig immer in der letzten Silbe. In diesen Fällen gibt es infolge der kurzen Zeitspanne, die für die Konturrealisierung zur Verfügung steht, auch keine andere Alternative. Ob nun der Tiefton invariabel immer mit der phrasenletzten Silbe assoziiert ist oder ob die Platzierung
298
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
durch andere phonologische Kriterien gesteuert ist, lässt sich nur entscheiden, wenn die Analyse auf Nuklei mit mehr als zwei Silben ausgedehnt wird. In Abb. 7 sind sechs H-l-h%-Konturen verschiedener hamburgischer Sprecher mit zunehmender Silbenzahl (drei- bis achtsilbig) zusammen mit ihrer intonatorischen Transkription wiedergegeben. Erkennbar ist das typische Herausragen der Gipfel aus dem Gesamtverlauf. Es ist ebenfalls zu sehen, dass der Tiefpunkt l der drei- und viersilbigen Strukturen (ZUzahlung, REIfe gemacht) am Beginn der letzten Silbe erreicht wird. Der finale Anstieg auf den Grenzton h% findet folglich ausschließlich auf der phrasenletzten Silbe statt. HH01-794
HH04-570
HH04-572
200
200
150
150
200 150 100 H70 ZU 0
zah
100
l- h% lung 0.5
70 0
0.79
100
Hl- h% REI fe ge macht 0.5
0.78
70 0
Hlbe TRIEBS wirt schafts 0.5
HH06-7814 200
150
150
70 0
HlHAAR schnei der ge
1
h% re 1.20
HH04-1142
200
100
l leh
ses
100
l h% sen
0.5
70 0
0.95
HUN
lsinn
l der da ge macht 0.5
h% wird 1
1.24
HH04-571 200 150 100 70 0
HWIRT
lschafts
l o
ber
0.5
schu
le
ge 1
h% gang: 1.28
Abb. 7 Mehrsilbige fallend-steigende Konturen des Hamburgischen; angeordnet nach zunehmender Silbenzahl (drei- bis achtsilbig)
Auch für die weiteren mehrsilbigen Nuklei in Abb. 7 gilt, dass der finale Anstieg immer und ausschließlich auf der phrasenletzten Silbe stattfindet (fünfsilbig: beTRIEBSwirtschaftslehre, sechssilbig: HAARschneider gesessen, siebensilbig: UNsinn der da gemacht wird, achtsilbig: WIRTschaftsoberschule gegang:4). Daraus folgt, dass der finale Anstieg unabhängig von der Silbenzahl und auch von anderen Eigenschaften des Nukleus (etwa der Silbenstruktur oder der lexikalischen Betonung der letzten Silbe) ist. Die Assoziation des Anstiegs mit dem Phrasenende ist damit ein konstitutives, 4
Im letzten Beleg wird tatsächlich die initiale Silbe betont, nämlich als Kontrastakzent: WIRTschaftsoberschule – nicht FACHhochschule; die letzte Silbe der Phrase [gang:] ist aus der Kontraktion des zweisilbigen gangen hervorgegangen.
299
Phonetik der nuklear fallend-steigenden Kontur
tonotaktisches Merkmal der Konturrealisierung im Hamburgischen. Wie die Verläufe der mehr als viersilbigen Nuklei zeigen, bedarf diese Analyse noch einer weiteren Differenzierung. Dazu sind die Konturen in (1) mit einer silbenalignierten Transkription dargestellt. (1) Ausrichtung des Anstiegs an der phrasenletzten Silbe im Hamburgischen H- l- l h% | | \| REIfe gemacht Hl - l h% | | \| HAARschneider gesessen
Hl - l h% | | \| beTRIEBSwirtschaftslehre Hl l h% | | \| WIRTschaftsoberschule gegang:
Die Fallbewegung zeigt in diesen Verläufen einen ‚Knick‘, der schon bei der Analyse der einfach fallenden Konturen festgestellt wurde (‚Knickkontur‘; vgl. Kap. 4.1.1.1), d.h. die Fallbewegung wird nach der zweiten, spätestens aber nach der dritten Silbe durch einen Knick abgebremst. An dieser Position geht die schnell fallende Bewegung des Akzenttons H-l in eine flache oder eine nur noch langsam fallende Bewegung über. So ist im Nukleus WIRTschaftsoberschule gegang: eine schnelle Fallbewegung bis an das Ende der zweiten Silbe zu verzeichnen. Die Silbenfolge oberschule ge bleibt – von kleineren mikroprosodischen Bewegungen abgesehen – ungefähr auf diesem Niveau, bis es auf der letzten Silbe zum Anstieg kommt. In der intonatorischen Transkription wird die gleichbleibende Talsohle mit l - l ausgedrückt, i.e. zwischen den beiden Ton-Etiketten findet keine merkliche Bewegung statt, so dass ein gleichbleibender Verlauf interpoliert wird. Wenn also der fallend-steigende Verlauf auf mehr als vier Silben ausgedehnt wird, ist die Kontur mit der phonetischen Transkription H-l-l-h% wiederzugeben. Damit sind zur intonatorischen Kennzeichnung vier tonale Zielpunkte erforderlich. Die Talsohle bzw. der Knick kann erst dann realisiert werden, wenn ausreichend Silbenmaterial zur Verfügung steht. Das ist bei den ein- und zweisilbigen Nuklei nicht möglich, so dass der Tiefton l ohne Talsohle in den finalen Anstieg übergeht. Auch bei den dreisilbigen Nuklei kann noch keine Talsohle entstehen, denn der Knick wird vorzugsweise erst nach der zweiten Silbe platziert, so dass sich auch hier keine Möglichkeit der Talsohle bietet. Erst ab einer Mindestzahl von vier Silben kann eine Talsohle von der Dauer einer Silbe realisiert werden. Im viersilbigen Beispiel in Abb. 7 (REIfe gemacht) deutet sich auf der Reduktionssilbe -ge- eine Talsohle an, die allerdings nur eine geringe Dauer aufweist. Deutlich hörbare/erkennbare Talsohlen entstehen erst ab den fünfsilbigen Nuklei, wie das Beispiel beTRIEBSwirtschaftslehre zeigt (Knick am Ende der Silbe -wirt-; zweisilbige Talsohle: -schaftsleh-). Dieses Ergebnis erlaubt es nun, die Struktur der tonologischen Neutralisierung des fallend-steigenden Verlaufs zu beschreiben: Bei ein- bis dreisilbigen Nuklei sind die beiden l-Töne, die die Talsohle konstituieren, zu einem l-Ton zusammengefallen
300
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
und damit neutralisiert. Erst ab einer Silbenanzahl von vier Silben manifestiert sich die nicht-neutralisierte Explizit-Form der Kontur. Mit der Verankerung des (letzten) l-Tons an der Silbengrenze zur phrasenletzten Silbe wird gleichzeitig auch die Struktur des finalen Anstiegs erfasst: Mit fast ausnahmsloser Konsistenz ereignet er sich mit hoher Steiggeschwindigkeit vollständig auf der letzten Silbe. Vertikale Lage des Grenztons h% Das letzte phonetische Merkmal betrifft die Variabilität der Höhe des Grenztons h%. In den oben präsentierten Abbildungen erreichte der Grenzton h% oft ein mehr als mittel-hohes Endniveau und reichte in manchen Fällen sogar an die Höhe des vorausgehenden Gipfels des Akzenttons H heran. Im Folgenden wird die Grenztonhöhe im Vergleich zur durchschnittlichen globalen Gipfelhöhe Maxglobal analysiert und als prozentuale Abweichung von diesem persönlichen Referenzwert dargestellt (Abb. 8). Bei den Klassen ‚-10‘ und ‚+10‘ weicht die Grenztonhöhe nur jeweils um 10 % nach unten bzw. oben vom Referenzwert ab. Häufigkeitskonzentrationen in negativen Klassen deuten darauf hin, dass der Grenzton tiefer als Maxglobal ist; bei Häufigkeitskonzentrationen in positiven Klassen ist es umgekehrt. 30,00%
kleiner als Maxglobal
größer als Maxglobal
25,00% 20,00% 15,00% 10,00% 5,00% 0,00% -40
-30
-20
-10
+10
+20
+30
+30
Abb. 8 Variationsspektrum des Grenztons h% im Hamburgischen in Relation zum persönlichen Referenzwert Maxglobal der Sprecher
Das Maximum des Variationsspektrums befindet sich mit ca. 27 % in der Klasse ‚-10‘, d.h. der Grenzton erreicht ungefähr die gleiche Höhe wie Maxglobal oder liegt leicht tiefer. Aber auch die Klasse ‚+10‘ weist noch relativ viele Belege auf. Grenztöne, die höher als Maxglobal liegen, sind damit keine Seltenheit (zusammengenommen 42 % aller Belege). Insgesamt liegt also der finale Hochton in H-l-h% relativ hoch und entspricht weitgehend dem Referenzwert Maxglobal. Die Struktur und Variabilität der hamburgischen fallend-steigenden Kontur können zusammenfassend wie folgt beschrieben werden: Der aus einer Fall- und einer Anstiegsbewegung zusammengesetzte komplexe Verlauf besitzt die höchste regionale Salienz, wenn er auf wenige Silben komprimiert wird. Der Gipfel des Ak-
301
Phonetik der nuklear fallend-steigenden Kontur
zenttons und die finale Höhe des Grenztons entsprechen tendenziell den persönlichen Referenzwerten für Maxglobal der einzelnen Sprecher, d.h. beide tonale Zielpunkte liegen relativ hoch und sind auch generell als hoch in Relation zu den östlichen Varietäten zu interpretieren. Bei längeren Nuklei entsteht im Verlauf eine Talsohle, die oft nach der zweiten, spätestens nach der dritten Silbe beginnt und sich bis zur letzten Silbe erstreckt. Der finale Anstieg findet ausnahmslos und unabhängig von Länge und Struktur des Nukleus ausschließlich auf der phrasenletzten Silbe statt. 4.3.2 Mannheim Trotz ihrer oberflächlichen Ähnlichkeit mit der hamburgischen Kontur ‚klingt‘ die fallend-steigende Kontur in Mannheim anders. In der folgenden Analyse sollen diese Unterschiede herausgearbeitet werden. Eine der ersten Auffälligkeiten im Mannheimerischen betrifft die funktionale Einbettung der Kontur: Wie im Hamburgischen findet sie sich am häufigsten im Weiterweisungskontext. Daneben kann jedoch auch eine Variante beobachtet werden, die ausschließlich im Abschluss-Kontext auftaucht: Hier ist nach der Fallbewegung zwar nur ein leichter, aber dennoch merklicher Anstieg auf mittel-hohes Endniveau (m%) feststellbar. Diese fallend-steigende Kontur wird zur Emphatisierung eingesetzt. Die Differenzierung zwischen den beiden Funktionskomplexen wird damit im Wesentlichen durch die Höhe des finalen Grenztons bestimmt: Weiterweisung durch deutlichen, Abschluss durch nur leichten finalen Anstieg. Diese Differenzierung entspricht der Unterscheidung zwischen high-rise und low-rise der Britischen Schule, wie sie z.B. von Halliday (1970) angenommen wird. Zur Explizierung der phonetischen Form und ihrer Variabilität werden im Folgenden alle Konturen untersucht, die (im weitesten Sinne) einen fallend-steigenden nuklearen Verlauf aufweisen. Insgesamt befinden sich im Korpus 92 Belege, die sich gemäß Tab. 1 auf die beiden Varianten verteilen. Im Vergleich zum Hamburgischen erscheint die Kontur im Mannheimerischen damit deutlich seltener. Tab. 1 Häufigkeiten der Varianten der fallend-steigenden Kontur im Mannheimerischen Kontur fallend-stark-steigend (=high-rise) fallend-leicht-steigend (=low-rise) Summe
Funktion Weiterweisung emphatisierter Abschluss
N 71 21 92
Die Variabilität der beiden Konturvarianten ist besonders hoch und betrifft v.a. die Höhe des Akzenttons und die vertikale und horizontale Ausrichtung des l-Tons. Nur die fallend-stark-steigende Konturvariante weist eine für akustische Analysen ausreichende Häufigkeit auf; für die Konturvariante mit nur leichtem Anstieg kann
302
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
lediglich eine qualitative Analyse auf der Basis der einzelnen Belege durchgeführt werden. 4.3.2.1 Fallend-stark-steigender Verlauf im Mannheimerischen Die fallend-steigende Kontur entspricht in ihrer Form teilweise der hamburgischen Kontur. Der Verlauf auf den zweisilbigen Nuklei KLÜNgel und WHISkey in Abb. 9 belegt, dass auch in Mannheim nach einem hohen Gipfel die Tonhöhe schnell absinkt und auf der letzten Silbe wieder ansteigt. Diese Konturen könnten in dieser Form auch im Hamburgischen begegnen. MA07-2416
MA04-1992 200
200 150 150
100
100 H-
m-
KLÜN 70 0
h% gel 0.38
70 0
H-
l-
WHIS
key
h%
0.65
Abb. 9 Konturbeispiele für den fallend-steigenden Verlauf im Mannheimerischen
Auch in Mannheim kann es bei einsilbigen Nuklei zur Kompression der Kontur auf einer stark gedehnten Silbe kommen, die wie im Hamburgischen auditiv besonders auffällig ist. Eine genauere Analyse ergibt jedoch, dass eine Verwandtschaft zwischen den beiden Städten tatsächlich nur oberflächlicher Natur ist. Das Mannheimerische unterscheidet sich zum einen in der phonetischen Implementierung und zum anderen in der tonologischen Struktur des finalen Anstiegs. Im Folgenden werden fünf Variationsparameter diskutiert:
• • • • •
vertikale Lage des Akzenttons H vertikale Lage des l-Tons Struktur des finalen Anstiegs Verlauf auf der phrasenletzten Silbe Höhe des Grenztons
Vertikale Lage des Akzenttons H Die Gipfel der H-Akzenttöne befinden sich zwar mehrheitlich im oberen Bereich des F0-Umfangs, doch liegen die Mannheimer Gipfel insgesamt tiefer als ihre hamburgischen Entsprechungen. Im Variationsspektrum in Abb. 10 sind Häufigkeitsmaxima für die Klassen ‚-10' und ‚-20' zu verzeichnen (breite Balken). Der H-Gipfel liegt damit bis zu 20 % unter dem durchschnittlichen Maxglobal. Aber auch die negative Abweichungsklasse ‚-30‘ und die positiven Abweichungsklassen ‚+20‘ und ‚+30‘ sind mit ca. 13 % belegt. Im Vergleich zu dem entsprechenden hamburgischen Va-
303
Phonetik der nuklear fallend-steigenden Kontur 25,00%
kleiner als Maxglobal
größer als Maxglobal
20,00% 15,00%
Max H-l-h% Max H-l-%
10,00% 5,00% 0,00% mehr -50
-40
-30
-20
-10
+10 +20 +30 +40 +50 mehr
Abb. 10 Variationsspektrum für die Gipfelhöhe der fallend-steigenden (breite Balken) und einfach fallenden Kontur im Mannheimerischen relativ zu dem persönlichen Referenzwert Maxglobal
riationsspektrum (vgl. oben Abb. 4) liegen die mannheimerischen Gipfel um ca. eine Abweichungsklasse tiefer. Noch aufschlussreicher ist der Vergleich mit den Gipfeln der mannheimerischen Fallkontur H-l-% (schmale Balken), denn hier ist eine weitgehende Identität der präferierten Gipfelhöhen festzustellen, d.h. die F0-Gipfel von H-l-h% und H-l-% werden ungefähr gleich hoch realisiert. Für das Hamburgische konnte dagegen gezeigt werden, dass die Gipfel von H-l-h% tendenziell höher als bei H-l-% gelegt werden. Mit geringerer Häufigkeit sind Realisierungen mit nur einem mittel-hohen Akzentton M anzutreffen. Bei diesen M-l-h%-Konturen ist die Fallbewegung nur in der unteren Hälfte des F0-Umfangs lokalisiert und weniger ausgeprägt als in H-l-h%. Die Verläufe in den Nuklei DENKmal, KURpfälzer, FAHRzeuge in Abb. 11 weisen in der Akzentsilbe ein mittleres Tonhöhenniveau auf und danach kommt es zu einer leichten Fallbewegung in den unteren Sprechstimmumfang (low-fall). Die Variante M-l-h% ist in Mannheim relativ selten anzutreffen, in Hamburg ist sie dagegen gänzlich inexistent. MA04-4681
MA06-2229
MA11-9466
200
200
200
150
150
150
100
100 M-
l-
DENK 70 0
h% mal 0.5
100 MKUR
70 0
l-
h% pfäl
M- l-
zer 0.62
Abb. 11 Konturbeispiele für M-l-h% im Mannheimerischen
FAHR 70 0
h% zeu
ge 0.61
304
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Vertikale Lage des l-Tons Aus den Verläufen in Abb. 9 (oben) ist bereits ersichtlich, dass die Fallbewegung unterschiedliche Tiefpunkte erreichen kann. Während in WHISkey eine weite Fallbewegung bis zu einem Wendepunkt im unteren F0-Umfang realisiert wird und die Annahme eines l-Tons gerechtfertigt erscheint, fällt die F0 in KLÜNgel nur bis ungefähr zur Mitte des Umfangs. Für diese Variante wird die Transkription H-m-h% gewählt, die als eine reduzierte Form von H-l-h% angesehen werden kann. Insgesamt lässt sich im untersuchten Sample im Vergleich mit dem Hamburgischen höhere Variabilität für die vertikale Positionierung des l-Tons feststellen. In nicht wenigen Belegen macht sich die Fallbewegung nur durch eine leichte Delle im Verlauf bemerkbar. Dennoch bleibt der schleifton-ähnliche Charakter der Kontur trotz der geringen F0-Auslenkung auditiv prägnant. Die Lage des l-Tons korreliert dabei offensichtlich mit der Silbenzahl im Nukleus: Bei längeren Nuklei werden für den l-Ton tendenziell Zielpunkte erreicht, die im unteren Bereich des Umfangs liegen. Wenn weniger Silbenmaterial zur Verfügung steht, so ist eine geringere Fallbewegung zu verzeichnen. Es sind insbesondere die einsilbigen Nuklei, bei denen nur ein leichtes Absinken zu beobachten ist. Zur Ausführung der komplexen Kontur ist eine Minimaldauer notwendig und bei einsilbigen Nuklei ist die vorhandene Zeitspanne recht kurz, so dass eine artikulatorische Beschränkung für die reduzierte Ausführung der Kontur sorgt. An den drei Beispielen in Abb. 12 (BLE:D ‚blöd‘, SO, KUMme ‚gekommen‘) ist erkennbar, dass F0 nach dem H-Ton nur um wenige Hertz absinkt und dann gleich wieder ansteigt. Im Vergleich zum dem ausgeprägt fallend-steigenden Verlauf und dem deutlich tieferen l-Ton auf einsilbigen Nuklei des Hamburgischen fallen diese mannheimerischen Konturen bedeutend flacher aus. MA06-6205
MA08-2517
MA06-2276
200
200
200
150
150
150
100
100 H- m- h% BLE:D
70 0
100 H- m- h%
H-
SO 0.35
70 0
KUM 0.56
70 0
m-
h% me 0.34
Abb. 12 Konturbeispiele für Hm h% im Mannheimerischen (Übersetzung: BLE:D ‚blöd‘, KUMme ‚gekommen‘)
Die Variationsbreite der l-Zielpunkte in Relation zu den individuellen Werten für Minglobal ist in Abb. 13 in der Histogramm-Darstellung wiedergegeben. Zum Vergleich ist im Diagramm zusätzlich die gleiche Variation für das Hamburgische überlagert dargestellt (schmale Balken). Insgesamt weisen alle Abweichungsklassen größer als ‚-10‘ nennenswerte Häufigkeiten auf, worin sich die allgemeine Variabilität des l-Tons ausdrückt. Ein lokales Maximum bildet sich in der Klasse ‚+10‘; diese Be-
305
Phonetik der nuklear fallend-steigenden Kontur 25,00%
kleiner als Minglobal
größer als Minglobal
20,00%
15,00%
10,00%
5,00%
0,00% mehr
-50
-40
-30
-20
-10
Min H-l-h% - Mannheim
+10
+20
+30
+40
+50
mehr
Min H-l-h% - Hamburg
Abb. 13 Variationsspektrum des l-Tons der fallend-steigenden Kontur im Mannheimerischen (breite Balken) und Hamburgischen (schmale Balken)
lege haben l-Zieltöne, die leicht höher (bis zu 10 %) als Minglobal liegen. Weitere Maxima befinden sich in den Klassen um ‚+30/+40‘; diese Belege liegen damit deutlich höher als Minglobal. In der letzten Abweichungsklasse (l-Ton = um mehr als 50 % höher als Minglobal) versammeln sich Belege, die nur eine leichte Fallbewegung aufweisen. Das Variationsspektrum belegt damit, dass in Mannheim zumindest für einen Teil der Belege der Zielpunkt des l-Tons eher mittel-tief als tief realisiert wird. Im Kontrast dazu stehen die Verhältnisse im Hamburgischen (schmale Balken in Abb. 13): Zwar ist auch hier die Variation recht hoch und es finden sich einige Belege mit nur mittel-tiefem l-Ton, aber dennoch werden, wie die Maxima in den Klassen ‚-10‘ und ‚-20‘ zeigen, tendenziell tiefere l-Töne präferiert. Zur Struktur der finalen Anstiegsbewegung Während es sich bei der Variation des l-Tons um Variation auf der Ebene der phonetischen Implementierung handelt, so betrifft die nun zu besprechende Variation die tonologische Struktur der Kontur selbst. Die Anstiegsbewegung der angeführten ein- und zweisilbigen Nuklei unterscheidet sich kaum vom Hamburgischen, d.h. hier wie dort wird der Anstieg auf der letzten Silbe ausgeführt. Wird jedoch die Analyse auf Nuklei mit mehr als drei Silben ausgedehnt, so treten regionale Unterschiede zutage. Im Hamburgischen bildet sich bei solchen Strukturen meist nach der zweiten Nachlaufsilbe eine Talsohle heraus, die sich bis zur phrasenletzten Silbe erstreckt, die dann als einzige Silbe den finalen Anstieg trägt. Auch im Mannheimerischen kann bei längeren Nachläufen eine solche Talsohle realisiert werden, allerdings ist der Beginn der Anstiegsbewegung nicht wie im Hamburgischen fest mit der phrasenletzten Silbe assoziiert. Vielmehr finden sich hier zahlreiche Belege, in denen der Anstieg eine Silbe früher einsetzt: So beginnt in allen Nuklei in Abb. 14 der Anstieg jeweils auf der vorletzten Silbe. Diese Anstiegssilbe ist durch eine dunklere Schattierung hervorgehoben.
306
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen MA04-1961
MA10-2846
MA08-2515
200
200
200
150
150
150
100 70 0
H UFF
l hör
100
h% re 0.5
0.75
70 0
MA09-3676 200
150
150
H
lHOCH deutsch zu
70 0
0.5
l fer
tä
100
h% ler 0.5
70 0
0.61
H HÜH
lner
l fut
h% ter 0.5 0.57
MA09-3678
200
100
M KÄ
l h% re de 0.87
100
H lHOCH deutsch anfängsch 70 0 0.5
l zu 1
re
h% de 1.42
Abb. 14 Konturbeispiele der fallend-steigenden Kontur des Mannheimerischen. Der finale Anstieg setzt in allen Beispielen auf der vorletzten Silbe ein; die Anstiegssilbe ist durch dunkle Schattierung hervorgehoben
Das frühe Einsetzen führt u.a. dazu, dass sich der Anstieg über eine größere Zeitspanne erstreckt. So beginnt im ersten Beleg der Anstieg auf der vorletzten Nachlaufsilbe hö(re) und setzt sich dann bis zum Phrasenende fort. Auf den weiteren Belegen in Abb. 14 erstreckt sich der Anstieg ebenfalls über die beiden letzten Silben (täler, futter, rede). Die beiden letzten Beispiele zeigen ebenfalls, dass sich die intervenierende Talsohle dem vorhandenen Silbenmaterial anpasst: In HOCHdeutsch zu rede erstreckt sich die l-l-Phase auf ungefähr zwei Silben, im reformulierend erweiterten Nukleus HOCHdeutsch anfängsch zu rede ‚Hochdeutsch zu reden anfängst‘ des gleichen Sprechers verläuft die Talsohle über vier Silben. In beiden Konturen beginnt der finale Anstieg immer auf der vorletzten Silbe. Obwohl in diesem langen Nukleus durchaus frühere Startpunkte für die Anstiegsbewegung vorhanden wären, ist der Anstiegsbeginn mit der vorletzten Silbe verankert. In Hamburg wären solche Verläufe nicht möglich, da hier der Anstieg invariant immer ausschließlich auf der letzten Silbe stattfindet. Durch die Beschränkung auf nur eine Silbe erfolgt der Anstieg in Hamburg auch immer mit hoher Steilheit. Im Mannheimerischen verlaufen die Anstiege dagegen deutlich flacher und langsamer und sind auditiv weniger prägnant, da die finalen Grenztöne tendenziell tiefer als ihre Entsprechungen im Hamburgischen liegen. Obwohl in den Konturen in Abb. 14 der Anstieg konsistent auf der vorletzten Silbe einsetzt, folgt daraus nicht zwangsläufig, dass der Anstiegsbeginn immer mit dieser Silbenposition assoziiert ist. Eine weitere Analyse zeigt, dass die Struktur des finalen Anstiegs von einer weiteren Ebene der prosodischen Hierarchie determiniert wird: Alle Anstiege beginnen nämlich auf der lexikalisch betonten Silbe des letzten (phonologischen) Fußes der IP. Dabei bezieht sich die Bezeichnung ‚lexikalisch betont‘ gemäß der Auffassung der Lexikalischen Phonologie (Mohanan 1986) auf den (nicht intonationsbedingten) Wortakzent der phonologisch zugrunde lie-
307
Phonetik der nuklear fallend-steigenden Kontur
genden Wortform; in Komposita können dementsprechend auch mehrere lexikalisch betonte Silben vorliegen. In der Formalisierung in (2) sind die lexikalisch betonten Silben unterstrichen und phonologische Füße in (…)F eingeschlossen. (2) Ausrichtung des Anstiegsbeginns an der lexikalisch betonten Silbe des phrasenletzten Fußes Hl- h% | || (UFF)F(höre)F
Hl- h% | | | (KÄfer)F(täler)F
H- l l- h% | | || (HOCHdeutsch zu)F(rede)F
H- l - l- h% | | | | (HÜHner)F(futter)F
H- l l- h% | | | | (HOCHdeutsch)F (anfängsch zu)F(rede)F
Demnach lässt sich das Präfixverb UFFhöre ‚aufhören‘ in die beiden phonologischen Füße (UFFF) und (höreF) zerlegen. Im letzteren Fuß ist die erste (Stamm-)Silbe lexikalisch betont und trägt auch den l-Ton. Ähnlich verhält es sich mit Komposita wie KÄfertäler oder HÜHnerfutter. Auch hier trägt die lexikalisch betonte Silbe des letzten Kompositionsgliedes den l-Ton und die phrasenletzte Silbe den Grenzton h%. Diese Regularität wird auch bei den längeren Nuklei konsistent beibehalten. Der Nukleus HOCHdeutsch anfängsch zu rede liefert zudem Evidenz dafür, dass der Anstiegsbeginn mit der letzten lexikalisch betonten Silbe assoziiert ist: Der mögliche, frühere Ankerpunkt auf der ebenfalls lexikalisch betonten Silbe fängsch wird nicht genutzt. Während also im Hamburgischen die tonalen Elemente l und h% des Anstiegs gemeinsam mit der letzten Silbe assoziiert sind (s.o. (1)), ist hier der l-Ton mit der lexikalisch betonten (i.e. vorletzten) und der h%-Grenzton mit der phrasenletzten Silbe assoziiert. Bei den Nuklei in (2) wären auch andere Ankerpunkte für den Anstiegsbeginn denkbar. Wie in (2') skizziert, könnte der Anstieg auch früher (KÄfertäler, HOCHdeutsch zu reden) oder später (HÜHnerfutter) einsetzen. Diese beiden Optionen sind im Mannheimerischen jedoch nicht zu beobachten bzw. unzulässig. (2')Nicht mögliche Ausrichtung des Anstiegsbeginns *
H -lh% | | | (KÄfer)F (täler)F
* Hl h% | \| (HÜHner)F(futter)F
* H l - l h% | | | | (HOCHdeutsch zu)F(rede)F
Aus dem Nicht-Vorkommen solcher Ausrichtungen kann damit zusätzliche Evidenz für die Abhängigkeit des Anstiegsbeginns von der letzten lexikalisch betonten Silbe der Phrase abgeleitet werden. Die Beispiele in (2) weisen durchweg unterschiedliche Silbenanzahlen im Nachlauf auf, trotzdem bleibt die Ausrichtung des finalen Anstiegs davon unbeeinflusst.
308
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Wie im Hamburgischen übt der Akzentton H damit auch in Mannheim keinerlei Einfluss auf den Anstieg aus. In beiden Städten wird die Struktur des Anstiegs durch das Phrasenende festgelegt, jedoch sind hier unterschiedliche Ausrichtungstypen am Werk: In Hamburg ist es invariant immer die letzte Silbe, die den Anstieg trägt. In Mannheim ist es die lexikalisch betonte Silbe der Phrase. Sollte die Hypothese zutreffend sein, dass die letzte lexikalisch betonte Silbe einer IP als Ankerpunkt des finalen Anstiegs fungiert, so müsste der Anstieg eine andere Ausrichtung erfahren, wenn die letzte lexikalisch betonte Silbe nicht wie in den obigen Beispielen die vorletzte Silbe einer Phrase einnimmt, sondern früher oder später lokalisiert ist. Wenn also z.B. eine H-l-h%-Phrase mit einem dreisilbigen Wort mit (lexikalischer) Initialbetonung endet, so wäre erwartbar, dass der Anstieg bereits auf der drittletzten Silbe einsetzt. Leider sind im Korpus keine Belege vorhanden, in denen ein drei-oder mehrsilbiges Wort die Phrase abschließt, so dass diese Hypothese nicht überprüft werden kann. In vielen Belegen ist allerdings die letzte lexikalisch betonte Silbe gleichzeitig die letzte Silbe der Phrase. Hypothesengemäß müsste also in dieser Konfiguration der Anstieg ausschließlich auf der letzten Silbe stattfinden. Für das Mannheimerische trifft dies tatsächlich zu. In den Beispielen in Abb. 15 ist die phrasenletzte Silbe gleichzeitig die letzte lexikalisch betonte Silbe (kummt 'kommt' bzw. (ge)zeigt). Genau diese letzte Silbe, und nur diese, trägt den finalen Anstieg (hervorgehoben durch dunkle Schattierung). MA12-4265
MA07-2815
200 200 150
150 100
100 H-
l-
schlecht WET ter ge 70 0
0.5
l biet
h%
70
kummt 1
HRING
1.25
50 0
lauße rum
l ge
h% zeigt 1.34
Abb. 15 Konturbeispiele des fallend-steigenden Verlaufs im Mannheimerischen; der finale Anstieg erfolgt hier auf der phrasenletzten Silbe (hervorgehoben durch dunkle Schattierung)
Intonationsphrasen mit dieser Struktur unterscheiden sich auf der phonetischen Realisierungsebene nicht grundlegend vom Hamburgischen. Dennoch sind die Faktoren, die zum Anstieg auf der letzten Silbe führen, nicht dieselben: In Hamburg wird unabhängig von der lexikalischen Betonungsstruktur im Nachlauf die letzte Silbe mit dem Anstieg versehen. In Mannheim findet der Anstieg auf der lexikalisch betonten Silbe des phrasenletzten Wortes statt, die in diesen Fällen ‚zufällig‘, mit der phrasenletzten Silbe zusammenfällt. In solchen Konstellationen ist damit auch der dialektale Unterschied zwischen den beiden Stadtvarietäten tonologisch
309
Phonetik der nuklear fallend-steigenden Kontur
neutralisiert. Die Analyse belegt damit, dass für die Ermittlung regionaler intonatorischer Kontraste eine Beschränkung auf genuin intonatorische Merkmale nicht ausreichend ist. Vielmehr muss parallel dazu auch die lexikalisch-phonologische Struktur der Phrase als potenzielle Variationsquelle in Betracht gezogen werden. Verlauf auf der phrasenletzten Silbe Wenn der Anstieg auf nur einer Silbe stattfindet, so finden sich in Mannheim Realisierungen, die sich noch in einem weiteren Merkmal vom Hamburgischen unterscheiden. Das hohe terminale F0-Niveau kann nämlich nicht nur durch einen Anstieg auf der letzten Silbe, sondern auch durch einen Tonsprung von der vorletzten auf die letzte Silbe erreicht werden. Anstatt eines Anstiegs trägt die letzte Silbe ein Hochplateau, das in Abb. 16 auf der letzten Silbe kapp ‚Mütze‘ zu erkennen ist. MA11-9173 200 150
100 H ne 70 2537.54
so=e
l BUN 2538
h% ti
kapp 2538.47
Abb. 16 Konturbeispiel für den fallend-steigenden Verlauf im Mannheimerischen; hier wird im Nukleus BUNti kapp ‚bunte Mütze‘ das hohe Endniveau nicht durch einen Anstieg, sondern durch einen Tonsprung erreicht
Zur Höhe des Grenztons h% Die Variabilität der Höhe des Grenztons wird relativ zur durchschnittlichen globalen Gipfelhöhe Maxglobal gemessen und als Histogramm dargestellt (Abb. 17, breite Balken). Das Maximum in der Abweichungsklasse ‚-20‘ und weitere hohe Häufigkeitskonzentrationen in den unmittelbar benachbarten Klassen liefern Hinweise darauf, dass die meisten Grenztöne um durchschnittlich ca. 20 % tiefer als Maxglobal liegen. Zum Vergleich ist das entsprechende Variationsspektrum für das Hamburgische in der Grafik überlagert eingezeichnet (schmale Balken). Die hohen Konzentrationen in den Klassen ‚-10‘ und ‚+10‘ zeigen, dass hier der Grenzton deutlich höher liegt als in Mannheim und sich nur geringfügig von Maxglobal unterscheidet. Das Mannheimerische und Hamburgische differieren damit in der phonetischen Implementierung der finalen Tonhöhe der fallend-steigenden Kontur. In der Diskussion der phonetischen Variation des fallend-steigenden Verlaufs im Mannheimerischen konnte gezeigt werden, dass sich diese Kontur in drei Konturvarianten aufteilen lässt: Am häufigsten findet sich die Variante H-l-h%, bei der die tonalen Zielpunkte im oberen bzw. unteren Bereich des F0-Umfangs liegen. Als reduzierte Formen können die Varianten H-m-h% und M-l-h% angesehen werden:
310
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Bei H-m-h% handelt es sich um eine reduzierte Fallbewegung, bei M-l-h% ist das Niveau der Akzentsilbe tiefer gelegt. 30,00%
kleiner als Maxglobal
größer als Maxglobal
25,00% 20,00% Mannheim
15,00%
Hamburg 10,00% 5,00% 0,00% mehr
-50
-40
-30
-20
-10
+10
+20
+30
+40
+50
mehr
Abb. 17 Variationsspektrum des finalen Grenztons h% der fallend-steigenden Kontur im Mannheimerischen (breite Balken) und Hamburgischen (schmale Balken)
Die Ausrichtung des finalen Anstiegs orientiert sich an der lexikalisch-phonologischen Struktur der Phrase. Im Gegensatz zum Hamburgischen, wo der Anstieg ausnahmslos mit der letzten Silbe der IP assoziiert ist, ist der Anstieg hier an die phonologische Struktur des letzten (phonologischen) Fußes der IP gebunden und beginnt ausnahmslos auf der lexikalisch betonten Silbe des phrasenletzten Wortes. Im Vergleich zum Hamburgischen unterscheidet sich die Mannheimer Realisierung beträchtlich: Die Varianten H-m-h% und M-l-h% existieren in Hamburg überhaupt nicht. Der Tiefton l wird in Mannheim nicht so tief realisiert wie in Hamburg und auch der Grenzton h% liegt in Mannheim durchschnittlich tiefer als im Hamburgischen. 4.3.2.2 Fallend-leicht-steigender Verlauf im Mannheimerischen Die Kontur H-l-m% ist als ein exklusiv mannheimerisches Merkmal anzusehen. Zusammen mit der einfach fallenden Kontur H-l-% fungiert diese Kontur im Abschlusskontext und fügt zusätzlich eine emphatische und affirmative Komponente hinzu.5 Während also der hohe Grenzton h% nach einer Fallbewegung immer Weiterweisung signalisiert, wird der mittel-hohe Grenzton m% in H-lm% als abschließend interpretiert. Innerhalb der untersuchten Stadtvarietäten ist die Kontur H-l-m% die einzige Kontur mit einem finalen Anstieg, die in Zusammenhang mit der Abschlussfunktion steht. Die H-lm%-Kontur besitzt eine hohe perzeptive Salienz und wurde in einem Wahrnehmungsexperiment auch von Nicht-Mannheimern als ein typisches Merkmal der mannheimerischen Intonation eingestuft (vgl. Peters et al 2003). 5
Auch das charakteristische mannheimerische Gliederungssignal haJO: wird mit dieser Kontur realisiert.
311
Phonetik der nuklear fallend-steigenden Kontur
Nach der Fallbewegung kommt es bei dieser Kontur zu einem Anstieg, dessen finale Höhe sich nur in der unteren Hälfte des F0-Umfangs bewegt und maximal bis zur Mitte reicht (low-rise). Beispiele für diese sehr auffällige Kontur bietet Abb. 18. Es ist zu erkennen, dass das Endniveau des finalen Anstiegs immer deutlich tiefer als der Hochton des Gipfels in der Nukleussilbe liegt. So ereignet sich der Anstieg z.B. im Nukleus beRUF kumme ‚Beruf gekommen‘ im Bereich zwischen 3,2 st (120 Hz) und 5,4 st (137 Hz) und nimmt damit nur zwei Halbtöne ein. Auf einsilbigen Nuklei wie KRAUT oder GELD findet der Verlauf zwangsläufig auf nur einer Silbe statt. MA08-3626
200
MA08-3212
200
150
150
100
150
100
100
H- l- m%
H-
KRAUT 70 0
l-m%
be RUF
H-
kum me
70 0
0.47
MA08-3248
200
70 0
0.67
MA08-3289
l
GER hard da
m% bei 0.96
MA10-2861
200
200
150
150
100
100 HFEHLT
70 0
ldene
m%
H-
halt 0.5
l-
m%
GELD 0.68
70 0
0.361
Abb. 18 Konturbeispiele für den fallend-leicht-steigenden Verlauf im Mannheimerischen
Die hohe auditive Prägnanz der Kontur wird noch durch die häufig zusätzlich auftretende Dehnung der Akzentsilbe bzw. durch die phrasenfinale Dehnung verstärkt. 4.3.3 München Während die Vorkommenshäufigkeit des fallend-steigenden Verlaufs im Hamburgischen als sehr hoch und im Mannheimerischen als hoch zu bezeichnen ist, weist lediglich das Münchnerische – ebenfalls in der Weiterweisungsfunktion – noch eine nennenswerte Anzahl von Belegen auf. Für die folgende Analyse konnten 30 Belege verwendet werden. Die Kontur gehört damit zwar zum Konturen-Inventar des Münchnerischen, allerdings spielt sie im System der Weiterweisung nur eine untergeordnete Rolle.
312
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Beim ersten Beispiel in Abb. 19 ist der Verlauf auf die drei Silben des Nukleus STANdardsatz verteilt. Der finale Anstieg findet auf der letzten Silbe statt. Da diese Silbe (-satz) gleichzeitig die letzte lexikalisch betonte Silbe ist, kann aus dem Beleg nicht geschlossen werden, ob die münchnerische Anstiegsausrichtung dem Hamburger oder dem Mannheimer Modell folgt. Dies wird jedoch nach der Inspektion der übrigen Verläufe in Abb. 19 evident: In allen Fällen endet hier die Phrase mit einem zweisilbigen phonologischen Fuß mit lexikalischer Initialbetonung (kommen, fenster, kumme ‚gekommen‘), auf dem auch der finale Anstieg ausgeführt wird, d.h. der Anstieg wird auf der letzten lexikalisch betonten Silbe initiiert. M03-14740
M05-15522
200
200
150
150
100 70 0
H l STAN dard
100
h% satz 0.5
70 0
0.83
H RECHT
lbe
h% men 0.83
0.5
M05-15611
M03-14715
200
200
150
150 100
l kom
L
70 0
H NÄCHS
lten
l zwei 0.5
100
h% ter
fens 1
1.39
70 0
L
H HOAM
l kum
h% me 0.5
0.77
Abb. 19 Konturbeispiele für den fallend-steigenden Verlauf im Münchnerischen; die anstiegsinitiale Silbe ist durch dunkle Schattierung markiert. Die Ausrichtung des finalen Anstiegs mit ihrem Beginn auf der letzten lexikalisch betonten Silbe entspricht dem Mannheimerischen
Damit wird in München der finale Anstieg in der gleichen Weise ausgerichtet wie im Mannheimerischen. Eine Ausrichtung ausschließlich an der letzten Silbe, also die Orientierung am Hamburger Modell, wäre auch aus dialektgeographischen Erwägungen heraus unplausibel erschienen, da es bedeutet hätte, dass das Hamburgische und Münchnerische intonatorische Gemeinsamkeiten aufweisen, die das geographisch dazwischen liegende Mannheimerische nicht teilt. Wie schon beim Mannheimerischen ist es auch in München durchaus möglich, dass der fallend-steigende Verlauf in seiner phonetischen Oberflächenform dem Hamburgischen entspricht. Dies ist immer dann der Fall, wenn die phrasenletzte Silbe gleichzeitig die letzte lexikalisch betonte Silbe ist (vgl. (STANdard)F(satz)F in Abb. 19). Die Ähnlichkeit der Konturen ist dann auf die tonologische Neutralisierung des Konturverlaufs zurückzuführen. Neben dieser Gemeinsamkeit bei der Anstiegsgestaltung unterscheidet sich das Münchnerische jedoch vom Mannheimerischen bei der Realisierung der Nukleussilbe. Die beiden letzten Konturen in Abb. 19 weisen in der Nukleussilbe jeweils stark steigende Verläufe auf, die mit der Tonfolge LH wiedergegeben werden. Im
Phonetik der nuklear fallend-steigenden Kontur
313
Mannheimerischen dagegen werden in der Nukleussilbe stark fallende Verläufe präferiert. 4.3.4 Zusammenfassung Die fallend-steigende Kontur ist für das Standarddeutsche im Wesentlichen als Interrogativkontur belegt und im deklarativen Modus nur marginal anzutreffen (vgl. Féry 1993, Grice/Baumann 2002). Für die Regionalsprachen konnte hingegen hier gezeigt werden, dass die Kontur sehr wohl auch in deklarativen Äußerungen, und zwar überwiegend zur Signalisierung von Weiterweisung, eingesetzt wird. Ihr Vorkommen ist aber auf wenige Stadtvarietäten beschränkt. Die Kontur ist im Hamburgischen und Mannheimerischen sehr häufig, im Münchnerischen dagegen nur in geringer Häufigkeit vorhanden. In allen übrigen Varietäten ist die Kontur weitgehend inexistent. Im Überblick über das Gesamtkorpus handelt es sich damit um eine relativ exklusive Eigenschaft von nur drei Stadtvarietäten. Die fallende und die steigende Konturkomponente passen sich dem vorhandenen Silbenmaterial an. Die Kontur ist dann perzeptiv am auffälligsten, wenn sie auf nur wenigen Silben, insbesondere auf nur einer Silbe, realisiert wird. Mit zunehmender Silbenzahl nimmt die perzeptive Salienz der Kontur ab. Zur Hervorbringung der Kontur auf einsilbigen Nuklei ist eine ausreichende Dauer des sonoranten Bereichs der Silbe erforderlich, i.e. sie kann nur auf Silben mit Langvokal oder Diphthong auftreten; oft ist noch eine Dehnung der Silbe zu beobachten. Im Hamburgischen trägt zusätzlich noch die Kompressionstendenz dazu bei, dass die Häufung der drei Töne H-l-h% auf nur einer Silbe ausgeführt werden kann. In diesem Merkmal unterscheidet sich das Hamburgische von der Standardsprache, denn für letztere wird aufgrund der Trunkierung angenommen, dass Tonhäufungen auf einer Silbe vermieden werden (Ladd 1996: 132ff.; zu Kompression und Trunkierung vgl. Kap. 4.1.4.2). In der Analyse konnten regionalspezifische Eigenschaften des Konturtyps auf zwei Ebenen herausgearbeitet werden: Auf der Ebene der phonetischen Implementierung konnten regionalspezifische Präferenzen bei der Realisierung der drei tonalen Zielpunkte festgestellt werden. Darüber hinaus ließen sich auch Unterschiede in der tonologischen Struktur der Kontur ermitteln. Für die Varietäten mit ausreichender Belegdichte (Hamburgisch und Mannheimerisch) wurde die phonetische Implementierung einzelner Konturparameter untersucht, um die charakteristische Merkmalskombination der Varietäten zu ermitteln. Der Gipfel H der Nukleussilbe wird im Hamburgischen sehr hoch realisiert und liegt auch höher als die vergleichbaren Gipfel der einfach fallenden Kontur H-l-%. Im Vergleich mit den übrigen Varietäten gehören die hamburgischen H-l-h%-Gipfel relativ betrachtet zu den höchsten Gipfeln überhaupt. Die mannheimerischen H-l-h%-Gipfel liegen deutlich tiefer als die hamburgischen und erreichen mehrheitlich die gleiche Höhe wie die Fallkontur H-l-%. Die vertikale Lage des
314
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Tieftons l ist in beiden Varietäten relativ variabel und befindet sich in Hamburg ungefähr auf der gleichen Höhe wie der Referenzwert Minglobal, während er in Mannheim deutlich höher lokalisiert ist. Nicht wenige Belege zeigen nur eine leichte Delle im Verlauf, so dass sich die fallend-steigende Bewegung in einem kleineren F0-Umfang ereignet Der finale Grenzton ist im Hamburgischen im Wesentlichen identisch mit dem Maxglobal, liegt in Mannheim jedoch deutlich tiefer. Die Kontur endet also in Hamburg fast immer und in Mannheim recht häufig auf hohem finalen Niveau; mittel-hohe Anstiegsendpunkte, wie sie u.a. von Kohler (1995) oder Grice/Baumann (2002) für das Standarddeutsche angenommen werden, haben im untersuchten Korpus eine relativ geringe Frequenz. Insgesamt ist die mannheimerische Variante bewegungsärmer als die hamburgische, die sich oft durch weite Bewegungen auszeichnet und dabei den gesamten zur Verfügung stehenden Bereich zwischen der oberen und unteren Grenze ausnutzt. Hinsichtlich der Struktur der fallend-steigenden Kontur unterscheidet sich das Münchnerische nicht vom Mannheimerischen, so dass sich die beiden Städte in diesem Merkmal zusammenfassen lassen. Allerdings ist die Kontur in München deutlich seltener vertreten als in Mannheim. Ein zentraler Unterschied zwischen dem Hamburgischen einerseits und dem Mannheimerischen und Münchnerischen andererseits betrifft die tonologische Struktur der finalen Anstiegsbewegung. Von den erwähnten phonetischen Realisierungsunterschieden abgesehen, wird die Kontur bei ein-, zwei- und dreisilbigen Nuklei in den drei Städten gleich realisiert und der Anstieg erfolgt auf der letzten Silbe der Phrase. Die regionalen Unterschiede manifestieren sich erst bei längeren Nuklei und unter bestimmten strukturellen Bedingungen. Während im Hamburgischen der Anstieg unter allen Umständen immer mit der phrasenletzten Silbe assoziiert ist, kann er in Mannheim oder München früher einsetzen und beginnt immer auf der letzten lexikalisch betonten Silbe der Phrase. Hier spielt also im Gegensatz zum Hamburgischen die lexikalisch-phonologische Struktur der Phrase eine entscheidende Rolle für den Konturverlauf. Der Anstieg wird in der lexikalisch betonten Silbe initiiert und erstreckt sich von da bis zum Phrasenende. In Abb. 20 ist die unterschiedliche Ausrichtung für das Hamburgische und Mannheimerische am fünfsilbigen Nukleus beTRIEBSwirtschaftslehre schematisiert. In Hamburg ereignet
Mannheimerisch Hamburgisch (s
s’)F
(s
s)F
(s
s)F
be TRIEBS wirt schafts leh re ‘Betriebswirtschaftslehre’
Abb. 20 Schematische Verläufe der fallend-steigenden Kontur im Hamburgischen (durchgezogene Linie) und Mannheimerischen (gestrichelte Linie); Ausrichtung des finalen Anstiegs an der letzten Silbe im Hamburgischen bzw. an der letzten lexikalisch betonten Silbe im Mannheimerischen
Phonetik der nuklear fallend-steigenden Kontur
315
sich der Anstieg nur auf der letzten Silbe re. Hingegen fungiert im Mannheimerischen die letzte lexikalisch betonte Silbe leh, in diesem Beispiel die vorletzte Silbe, als Ankerpunkt für den Anstiegsbeginn. Der schematisierte regionale Kontrast kann sich also immer nur dann einstellen, wenn der phrasenletzte phonologische Fuß mehrsilbig ist. Wenn ein einsilbiger phonologischer Fuß am Phrasenende steht, so wird im Mannheimerischen der Anstieg auf dieser Silbe realisiert – und damit wird gleichzeitig der Dialektunterschied zum Hamburgischen aufgehoben, denn dort ereignet sich der Anstieg ja immer auf der letzten Silbe. Der regionale Kontrast zwischen dem Hamburgischen einerseits und Mannheimerischen und Münchnerischen andererseits tritt also nur unter den folgenden sehr spezifischen Bedingungen zutage: Der Nukleus muss mindestens vier Silben aufweisen und der letzte phonologische Fuß muss mindestens ein Zweisilber mit Initialbetonung sein. In allen übrigen Fällen (i.e. ein- bis dreisilbige Nuklei, letztes Wort der Phrase ist ein einsilbiger Fuß) ist der regionale Kontrast neutralisiert. Die Analyse zeigt, dass die Ursache für die unterschiedliche Ausrichtung des Anstiegs nicht in rein intonatorischen Merkmalen zu suchen ist, sondern in der Relevanz von lexikalisch-phonologischen Strukturmerkmalen für die Intonation. In Mannheim und München besitzt diese tiefere phonologische Ebene Relevanz für die Intonation, während dies für das Hamburgische weder für diese noch für eine andere Kontur zutrifft. Dieser systematische Unterschied muss in der Formulierung der tonologischen Struktur der fallend-steigenden Kontur reflektiert werden. Gemeinsam ist den drei Stadtvarietäten, dass die fallende Konturkomponente auf einen bitonalen Akzentton H*+L zurückgeführt werden kann. Bei ausreichendem Silbenmaterial schließt sich daran ein tief-flacher Verlauf bis zum Beginn des Anstiegs an. Im Hamburgischen ist die Anstiegsbewegung ausschließlich an die letzte Silbe der Phrase gebunden. Zur tonologischen Modellierung kann hierfür ein hoher Grenzton H% angenommen werden. Die hamburgische Kontur kann damit tonologisch als H*+L H% gefasst werden. Die flach-tiefe Phase zwischen dem Ende der Fall- und dem Beginn der Anstiegsbewegung wird durch die Ausbreitung (spreading) des L-Tons gewährleistet, die auch für die Fallkontur H*+L % angenommen wird (vgl. 4.2.1). Ein Phrasenakzent ist daher nicht erforderlich. Dagegen ist für die Varietäten, in denen der Intonationsverlauf mit der lexikalisch-phonologischen Ebene interagiert, ein Phrasenakzent notwendig. Demnach ist in Mannheim und München der Phrasenakzent L- mit der letzten lexikalisch-betonten Silbe einer Phrase assoziiert. Aus der Interpolation zwischen L- und H% resultiert der finale Anstieg. In Abhängigkeit von der Struktur des IP-finalen Fußes variiert dann die Lage von L-: Bei Zweisilbern mit lexikalischem Initialakzent (vgl. Abb. 20) ist L- auf der vorletzten Silbe lokalisiert und es ergibt sich ein zweisilbiger Anstieg auf finales H%. Bei einsilbigen Wörtern befindet sich L- zusammen mit H% auf der phrasenletzten Silbe, d.h. der Anstieg ereignet sich nur auf dieser einen Silbe. In diesen Varietäten ist damit der
316
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Phrasenakzent L- primär mit dem Phrasenende und sekundär mit der letzten lexikalisch betonten Silbe assoziiert. Damit wird in diesen Städten die fallend-steigende Kontur mit der Tonfolge H*+L L-H% repräsentiert. Diese Struktur wird auch von Grice/Baumann (2002) für ein bestimmtes Frageformat des Standarddeutschen (‚Höfliches Angebot‘) vorgeschlagen. Während die beschriebenen Konturen in allen Städten der Weiterweisung dienen, konnte für das Mannheimerische zusätzlich eine auffällige Kontur für den Abschlusskontext festgestellt werden. Zwar selten, aber mit hoher auditiver Prägnanz der Gestalt, kommt hier eine Kontur vor, bei der auf die Fallbewegung eine nur leichte finale Anstiegsbewegung folgt. Es ist die einzige Kontur im untersuchten Korpus, bei der in der Abschlussfunktion ein finaler Anstieg zu beobachten ist. Die Kontur ist jedoch nicht nur innerhalb der deutschen Regionalsprachen ungewöhnlich, sondern auch im übereinzelsprachlichen Vergleich: Nach Bolinger (1978) sind finale Anstiege zur Markierung von Abschlüssen typologisch betrachtet selten und dispräferiert. Um diese mannheimerische Kontur in der tonologischen Kennzeichnung von der fallend-steigenden Weiterweisungskontur zu differenzieren, ist es erforderlich, die binäre Tonstufung der autosegmentalen Intonationsforschung in Hoch- und Tiefton um eine dritte Tonstufe, nämlich um den mittel-hohen Grenzton M%, zu erweitern. Aufgrund der geringen Belegdichte und da die Kontur häufig auf einsilbigen Nuklei vorkommt, lässt sich nicht angeben, ob die Anstiegsbewegung mit dem Phrasenende oder der letzten lexikalisch betonten Silbe assoziiert ist. Aus diesem Grund wird als vorläufige Kennzeichnung die tonologisch minimal spezifizierte Struktur H*+L M% angesetzt. In Tab. 2 sind die tonologischen Strukturen der fallend-steigenden Kontur zusammen mit ihren wichtigsten phonetischen Realisierungen und ihre konversationellen Funktionen in den Regionalvarietäten zusammengefasst. Tab. 2 Übersicht über die tonologisch differenzierbaren fallend-steigenden Konturen und ihre Funktionen Stadt Hamburg
Tonologische Struktur H*+L H%
Mannheim München
H*+L L-H%
Mannheim
H*+L M%
Phonetische Realisierung H-l-h% H-l-lh% H-l-h% M-l-h% H-m-h% H-l-m%
Verankerung des Anstiegs phrasenletzte Silbe
Funktion
letzte lexikalisch betonte Silbe
Weiterweisung
(unklar)
Abschluss
Weiterweisung
317
Phonetik der nuklear steigend-fallenden Kontur
4.4 Phonetik der nuklear steigend-fallenden Kontur Bei der steigend-fallenden nuklearen Kontur handelt es sich um das Spiegelbild der fallend-steigenden Kontur. Auch diese Kontur setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: In der Nukleussilbe beginnt eine Anstiegsbewegung, deren Maximum auf einer (näher zu spezifizierenden) Silbe im Nachlauf erreicht wird. Daran schließt sich die finale Fallbewegung an (Abb. 1). L-
h-
l%
Abb. 1 Schematischer Verlauf der steigend-fallenden Kontur
Wenn der Nukleus mehrere Silben aufweist, so kann zwischen den Teilbewegungen ein Hochplateau entstehen. Für die Anstiegsbewegung kann problemlos ein steigender Akzentton angenommen werden. Dagegen gestaltet sich die tonologische Modellierung des postnuklearen Tonhöhengipfels und der finalen Fallbewegung als schwieriger. Als eigenständiger nuklearer Konturtyp wird der steigend-fallende Verlauf auch für das Standarddeutsche angenommen und auf verschiedene Weisen notiert (Uhmann 1991: L*+H L%, Féry 1993: L*+H+L, Grice/Baumann 2002: L*+H L-%). Gemeinsam ist allen Vorschlägen, dass die Kontur mit einem bitonalen Akzentton beginnt, wodurch die Anstiegskomponente ausgedrückt wird. Die finale Fallbewegung wird durch einen tiefen Grenzton (Uhmann), durch einen trailing tone (Féry) oder durch eine Kombination aus Phrasen- und Grenzton wiedergegeben (Grice/Baumann). Die Funktion der Kontur ist nach Grice/Baumann (2002) auf eine ‚selbstverständliche Feststellung‘ und ‚engagierte oder sarkastische Feststellung‘ eingeschränkt (z.B. das ist ja FAbelhaft). Für das Standarddeutsche ist die Kontur damit in der Abschlussfunktion belegt. Die folgende Analyse wird hingegen zeigen, dass die Kontur in bestimmten regionalen Varietäten nicht auf diese Funktionen beschränkt ist. Innerhalb der deutschen Regionalsprachen ist das Vorkommen der Kontur auf ein größeres, zusammenhängendes Gebiet beschränkt. Nach Gibbon (1998: 93) ist sie „common to a chain of dialects along the Rhine valley, from Switzerland (‚Schwyzer Dütsch‘) to Cologne (‚Kölsch‘)“. Im vorliegenden Korpus taucht sie am häufigsten im alemannischen Freiburg auf und wird dort als zentrale Kontur zur Abschluss-Kontextualisierung eingesetzt. Nach Panizzolo (1982) und Fitzpatrick-Cole (1999) kann davon ausgegangen werden, dass diese Kontur auch im Schweizerdeutschen häufig ist. Auch für das Schwäbische (Frey 1975, Kügler 2004) und die bairischen Dialekte des Tirol (Barker 2002a, b) werden steigend-fallende Konturen angenommen. In der Analyse wird zu prüfen sein, inwieweit es sich dabei um die gleiche Konturkategorie handelt. Mit niedriger Häufigkeit und auch in anderer Funktion ist der steigend-fallende Verlauf
318
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
im Mannheimerischen anzutreffen. Häufiger ist die Kontur dagegen im Kölnischen, wo sie zu den auffallenden Intonationsmerkmalen des Rheinlandes gehört. Relativ selten schließlich ist die Kontur im Duisburgischen. Im Gegensatz zum Freiburgischen dient die Kontur in diesen Städten überwiegend zur Kontextualisierung von Weiterweisung, so dass bei ähnlicher Form gegensätzliche Funktionen möglich sind. Das Verbreitungsgebiet der steigend-fallenden Kontur umfasst damit weite Teile des Westober- und Westmitteldeutschen und reicht leicht ins Rheinmaasländische hinein. Die Darstellung beginnt mit dem Freiburgischen, da hier die Kontur am häufigsten ist. Daran schließt sich die Analyse für das Mannheimerische, Kölnische und Duisburgische an. Die Datenbasis und die Verteilung der nuklearen Silbenzahlen sind in Tab. 1 dargestellt. Tab. 1 Häufigkeiten und Silbenzahlen der steigend-fallenden Kontur in Freiburg, Mannheim, Köln und Duisburg Stadt FR MA K DU
Summe 257 53 148 15
1 9 0 0 0
2 69 25 13 1
3 73 16 58 7
Silbenzahl 4 63 10 64 6
5 25 2 13 1
5+ 18 0 0 0
4.4.1 Freiburg Die steigend-fallende Kontur des Freiburgischen ist sicherlich eine der bemerkenswertesten Konturen der deutschen Regionalsprachen. Im Rahmen der Funktionsanalyse in Kap. 3.1 konnte gezeigt werden, dass die Kontur für konversationelle Abschlüsse eingesetzt wird. In dieser Funktion kontrastiert die freiburgische Kontur mit der einfachen Fallkontur der übrigen Regionalsprachen, d.h. eine komplexe Kontur, die aus zwei Teilbewegungen besteht, steht einer Kontur mit nur einer Teilbewegung entgegen. In diesem Zusammenhang erscheint es ungewöhnlich, dass eine Abschlusskontur, die ikonisch fest mit einer Fallbewegung assoziiert ist, durch eine prominente Anstiegsbewegung gekennzeichnet ist, die zunächst eher auf Weiterweisung hindeutet. Sowohl für Hörer aus Freiburg als auch aus anderen Gebieten Deutschlands besitzt die Kontur besondere perzeptive Salienz. Dies konnte in einem unlängst durchgeführten Wahrnehmungsexperiment untermauert werden, in dem Versuchspersonen auditiv präsentierte Stimuli vier deutschen Städten (Duisburg, Dresden, Mannheim, Freiburg) zuordnen sollten. Dabei wurde die steigend-fallende Kontur mit hoher Konsistenz als typisch Freiburgisch eingestuft (Peters et al. 2003). Eine typische steigend-fallende Kontur ist in Abb. 2 wiedergegeben. In der Phrase noch ANdres gworfe ‚noch anderes geworfen‘ ist in der Nukleussilbe AN ein Tiefton platziert, von dem ausgehend es zur Anstiegsbewegung kommt. Das Maxi-
319
Phonetik der nuklear steigend-fallenden Kontur
mum wird auf der dritten Silbe des Nukleus erreicht und danach setzt auf der vorletzten Silbe eine schnelle Fallbewegung ein. Zwar stehen zur Fallbewegung zwei Silben zur Verfügung, doch wird die gesamte Bewegung schon auf der vorletzten Silbe ausgeführt, so dass die phrasenletzte Silbe fe flach auf tiefem Niveau realisiert wird. FR03b-3805 200 150 100 noch
70 2189.06
LAN
hgwor
dres
2189.5
2190
l% fe 2190.43
Abb. 2 Steigend-fallender Verlauf im freiburgischen Nukleus ANdres gworfe 'anderes geworfen'
Der Umstand, dass die Fallbewegung nicht auf der letzten Silbe stattfindet, sondern früher einsetzt, legt die Vermutung nahe, dass sie nicht auf einen IP-Grenzton, sondern auf ein anderes tonales Ereignis zurückgeführt werden muss. Die gesamte Kontur wird in einer ersten Annäherung mit der phonetischen Symbolfolge L-h-l% notiert. Sie setzt sich aus zwei Teilbewegungen zusammen, die durch Interpolationen zwischen den drei Tönen entstehen. Im Folgenden wird die Struktur dieser Teilbewegungen dargestellt. 4.4.1.1 Struktur der Anstiegsbewegung Der Anstieg kann im Freiburgischen verschiedene Formen annehmen. Bei den Verläufen in Abb. 2 und Abb. 3 beginnt die Anstiegsbewegung schon in der Nukleussilbe. Im Nukleus DURCHmarsch gewese (Abb. 3, rechts) liegt in der Nukleussilbe ein wannenförmiger Verlauf vor. Die Gestaltung der Nukleussilbe der steigend-fallenden Kontur entspricht damit im Wesentlichen dem Verlauf, der für die einfache Anstiegskontur bestimmt wurde. So konnte in Kap. 4.2.3.2 für das Freiburgische gezeigt werden, dass das Ausmaß der Anstiegsbewegung in der Nukleussilbe ca. 50 % FR07-10824
FR03-18988
200
150
150 100 100 70 0
LMÖG
hlich
l% werden 0.5
0.70
70
LDURCH
0
hmarsch 0.5
l% gewese 0.97
Abb. 3 Variation der Anstiegsbewegung im Freiburgischen; zweisilbiger (links) vs. dreisilbiger Anstieg (rechts)
320
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
des F0-Umfangs der gesamten nuklearen Kontur beträgt. Die freiburgischen Realisierungen setzen sich damit z.B. vom Mannheimerischen ab, das bei Anstiegskonturen generell eine tief-flache Nukleussilbe ohne Anstiegsbewegung bevorzugt. Für den Anstieg werden meist eine oder zwei Silben benötigt. Längere Anstiege sind dagegen selten. Im ersten Beleg in Abb. 3 beginnt der Anstieg auf der Nukleussilbe MÖG und erreicht seinen Höhepunkt auf der Folgesilbe lich. Etwas länger dauert der Anstieg im zweiten Beispiel, denn hier wird das Maximum erst am Beginn der dritten nuklearen Silbe ge erreicht. Wenn ausreichend Silbenmaterial zur Verfügung steht, so geht der Verlauf nach dem Anstieg in ein Hochplateau über, an dessen Ende es dann zur finalen Fallbewegung kommt. Bei den sechs- bzw. achtsilbigen Nuklei in Abb. 4 ist zu erkennen, dass das Maximum auf der zweiten bzw. dritten nuklearen Silbe lokalisiert ist, an das sich ein mehrsilbiges Hochplateau anschließt. Diese Form der steigend-fallenden Kontur wird entsprechend durch die phonetische Transkription L-h-h-l% gefasst, wobei das Hochplateau mittels h-h ausgedrückt wird. Der Verlauf dieser Ausprägung der steigend-fallenden Kontur ähnelt der sog. ‚Hutkontur‘ (Wunderlich 1988), allerdings liegen unterschiedliche tonologische Strukturen zugrunde: Eine Hutkontur entsteht durch die Verbindung zweier Akzenttöne. Hingegen ist in der freiburgischen Kontur nur ein Akzentton, i.e. der nukleare Akzent, vorhanden. FR05-4290
FR03-3825
200 150
200
LWECH sel
100 0
hl% hjahr ze due kha 'Wechseljahre zu tun gehabt' 0.5
1
1.40
150
100 0
Lhl% hSCHII be schlage dann ja wieder 'Scheibenschlagen dann ja wieder' 0.5
1
1.5
Abb. 4 Steigend-fallender Verlauf im Freiburgischen; Bildung eines Hochplateaus bei langen Nuklei
Obwohl in den Beispielen also genügend Silbenmaterial zur Verfügung stünde, um eine langsam hoch gleitende Anstiegsbewegung zu produzieren, wird das F0-Maximum dennoch relativ früh erreicht. In den untersuchten Daten erfolgt die Lokalisierung des Maximums und damit der Beginn des Hochplateaus meist innerhalb eines Zeitfensters von zwei Silben. Diese Eigenschaft teilt die Kontur mit der Plateaukontur mit tiefer Nukleussilbe (L h-%), für deren Anstiegskomponente ebenfalls ein zwei Silben großes Zeitfenster herausgearbeitet werden konnte (Kap. 4.2.1.1.1). Die Platzierung des Kontur-Maximums geschieht damit in Abhängigkeit von der Entfernung zum Tiefton in der vorausgehenden Nukleussilbe. Für die tonologische Struktur bedeutet diese Abhängigkeit, dass die Anstiegsbewegung durch einen bitonalen Akzentton hervorgerufen wird, der gemäß GToBI mit L*+H charakterisiert werden kann. Das Tonniveau in der Nukleussilbe ist in den meisten Fällen tief (L). Seltener ist zu beobachten, dass die Kontur mit einem mittel-hohen Ton (M) einsetzt. Ebenso erreicht die finale Fallbewegung meist die tiefe Region des präferierten F0-Um-
321
Phonetik der nuklear steigend-fallenden Kontur
fangs der Sprecherin/des Sprechers (l%); mittel-hohe Grenztöne m% sind in nur geringem Ausmaß anzutreffen und sind meistens auf Trunkierungen infolge fehlenden sonoranten Materials zurückzuführen. 4.4.1.2 Struktur der finalen Fallbewegung Nach der Bestimmung des Ankerpunktes für das Maximum der Kontur erfolgt nun die Analyse der Ausrichtung der finalen Fallbewegung, die in einem Wendepunkt am Ende des Plateaus bzw. der initialen Anstiegsbewegung beginnt und sich bis zum Phrasenende erstreckt. Bei den Beispielen in Abb. 5 erfolgt der Fall auf der phrasenletzten Silbe, d.h. auf den Silben kauft, ziig ‚Zeug‘ und kind. (Die Silbe, die die Fallbewegung trägt, ist hier und im Folgenden durch dunkle Schattierung hervorgehoben.) FR01-3389
FR05-2856
FR05-3459
300
200
200
150 100 0
MZÄH
hringe
hge 0.5
200 L-
l% kauft 1
150 0
h-
l%
HUfe ziig 'Haufen Zeug' 0.5
150
100 0
Lhl% hGODdi kind 'Patenkind' 0.5
Abb. 5 Steigend-fallender Verlauf im Freiburgischen; Ausrichtung der finalen Fallbewegung auf der phrasenletzten Silbe; die Silbe mit der Fallbewegung ist durch dunkle Schattierung hervorgehoben
Der finale Fall setzt meist ohne merkliche Gipfelbildung ein, wodurch in der Silbe nur ansatzweise ein hoher Ausgangston perzipiert wird. An den steil fallenden Verläufen in Abb. 5 lässt sich ablesen, dass die Fallbewegung mit hoher Geschwindigkeit erfolgt. Anstelle einer Abfolge aus Hochton und Fallbewegung steht hier allein die schnell gleitende Fallbewegung perzeptiv im Vordergrund. Nur selten weist diese Silbe eine Dehnung auf; teilweise kann sogar eine rhythmische Beschleunigung stattfinden. Durch diese Fall-Dynamik wird die finale Silbe hervorgehoben und erhält beinahe phonetischen Akzentstatus. Ein solcher ‚Akzent‘ ist jedoch nicht auf die semantische Fokusstruktur der Phrase zurückzuführen, wie es für den Fokusakzent auf der Nukleussilbe zutrifft, sondern er ist allein in der Tonstruktur angelegt. In der Terminologie von Ladd (1996: 212ff.) handelt es sich um einen phonetisch prominenten, postnuklearen Akzent, der aber keinen Einfluss auf die semantisch-pragmatische Interpretation der Phrase ausübt. Aus diesen Beispielen mit der Fallbewegung auf der letzten Silbe ließe sich schließen, dass die Fallbewegung durch die rechte Phrasengrenze ausgelöst und damit allein von einem tiefen Phrasengrenzton hervorgerufen wird. Doch wie die folgenden Beispiele in Abb. 6 zeigen, greift diese Erklärung zu kurz: Die Fallbewegung kann nämlich schon früher, i.e. auf der vorletzten Silbe einsetzen.
322
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen FR05-4297
FR03-18840 150
200
200
100
150
100 0
FR02-6025
fran
LZO se 0.5
h- l% wa re
hdrin 1
1.32
70 0
150 MFREI
hburg
ge 0.5
h- l% kom me 0.78
100 0
LSIT
hze
hblei
l% be 0.5 0.6
Abb. 6 Steigend-fallender Verlauf im Freiburgischen; Ausrichtung der finalen Fallbewegung auf der vorletzten Silbe
Diese zweisilbigen Fallbewegungen sind durch eine schnelle Bewegung in der ersten Silbe und eine kaum merkliche Bewegung auf der zweiten Silbe gekennzeichnet: So findet auf der ersten Silbe von ware bzw. bleibe bereits die gesamte Fallbewegung statt, die phrasenletzte Silbe verläuft bewegungslos auf tiefem Niveau. Diese initial schnelle Bewegung ließ sich auch schon für die einsilbigen Fallbewegungen in Abb. 5 (oben) beobachten. Es stellt sich nun die Frage, ob die Ausrichtung der finalen Fallbewegung einer freien Variation unterliegt, so dass – vergleichbar mit der Anstiegsbewegung – ein Zeitfenster geöffnet ist, innerhalb dessen der Fall stattfinden kann, oder ob für die Lokalisierung des Falls weitere prosodische Eigenschaften verantwortlich sind. Tatsächlich trifft Letzteres zu: Auf einer allgemeinen Beschreibungsebene fällt zunächst auf, dass die Fallbewegung im Freiburgischen immer auf einer schweren Silbe beginnt, während leichte Silben nicht als Ankerpunkt fungieren können. Doch kann die Regularität noch genauer gefasst werden: Der Ankerpunkt der Fallbewegung fällt immer mit der lexikalisch betonten Silbe des letzten phonologischen Fußes der Phrase zusammen. Wenn der letzte Fuß der Phrase, wie in kauft, ziig ‚Zeug‘ oder kind (Abb. 5) einsilbig ist, so ist die Fallbewegung auf diese Silbe beschränkt. Ist der phrasenletzte Fuß jedoch zweisilbig, wie in ware, komme oder bleibe (Abb. 6), so beginnt die Fallbewegung auf der lexikalisch betonten Silbe und nimmt insgesamt die zwei Silben des Fußes ein. Die Fallbewegung ist damit abhängig von einer tieferen prosodischen Ebene, nämlich dem phonologischen Fuß. Weitere Belege für die Fall-Ausrichtung sind in Tab. 2 zusammengestellt. Die linke Spalte enthält Nuklei, die auf einen einsilbigen Fuß enden; rechts befinden sich zweisilbige finale Füße. Der Fuß ist mit (…)F symbolisiert, die lexikalisch betonte Silbe ist unterstrichen. Der Ankerpunkt für die Fallbewegung, genauer der Beginn der Fallbewegung, ist damit immer eine schwere Silbe; leichte Silben, i.e. Reduktionssilben mit Schwa, können keine Fallbewegung initiieren. Im untersuchten Korpus sind nur maximal zweisilbige finale Füße belegt, aber es ist theoretisch erwartbar, dass sich bei dreisilbigen Füßen die Fallbewegung entsprechend anpasst und schon auf der drittletzten Silbe einsetzt. Der Kontrast in der Ausrichtung und die Abhängigkeit von der Fußstruktur lässt sich eindrucksvoll anhand von dreisilbigen Nuklei illustrieren, die auf einen ein- bzw. zweisilbigen Fuß enden. Abb. 7 zeigt, dass im Nukleus ANnaplatz (Topo-
323
Phonetik der nuklear steigend-fallenden Kontur
Tab. 2 Beispiele für die Ausrichtung des finalen Falls der steigend-fallenden Kontur im Freiburgischen; einsilbige (links) und zweisilbige Fallbewegung (rechts); die lexikalisch betonte Silbe des letzten Fußes ist unterstrichen Nuklei mit einsilbigem phrasenfinalem Fuß = einsilbige Fallbewegung (ZÄHringe ge)F (kauft)F (HUfe)F (ziig)F (GODdi)F (kind)F (WECHsel)F (jahr zu due)F (kha)F (STADTent)F (wicklung)F (spricht)F (EINge)F (lassen)F (war)F (EIniges ge)F (bracht)F er(SATZteile)F (geht)F (KIRCHturm)F (nicht mehr)F (seh)F zer(STÖrungen und)F (so)F ca(SIno)F (heut)F (isch)F
Nuklei mit zweisilbigem phrasenfinalem Fuß = zweisilbige Fallbewegung (SCHeibe)F (schlage)F (dann ja)F (wieder)F (SACHliche)F (fehler)F (FRANzose)F (drin)F (ware)F wo(ANderscht)F (hinge)F (wechselt)F (MÖGlich)F (werde)F (FREIburg)F (komme)F (SEHR gut)F (immer)F (DURCHmarsch ge)F (wese)F (EIniges er)F (zähle)F (SOMmer)F (ghabt)F (hätte)F (SITze)F (bleibe)F (DRECKeimer)F (gschmisse)F (CHRISCHTbaum ge)F (stande)F (LANdes)F(kunde)F
nym) mit der Fußstruktur (ANna)F(platz)F auf die zweisilbige Anstiegsbewegung im ersten Fuß eine einsilbige Fallbewegung im letzten Fuß folgt. Dagegen erstreckt sich der (sprungartig realisierte) Anstieg im Nukleus UFFpasse ‚aufpassen’ mit der Fußstruktur (UFF)F(passe)F auf nur eine Silbe (= Fuß 1), während sich die Fallbewegung über den zweiten, zweisilbigen Fuß erstreckt (=Fuß 2). FR02-6024
FR01-2169
200 150 100 LAN na Fuß 1 70 0
200 h- l% platz Fuß 2
150
0.5
0
LUFF Fuß 1
hpas Fuß 2
l% se 0.5
Abb. 7 Ausrichtung der finalen Fallbewegung im Freiburgischen
Der Kontrast in der phonetischen Struktur zwischen dem ein- und zweisilbigen finalen Fuß ist in (1) formalisiert. (1)
Lh-l% | || (ANna)F(platz)F
Lh- l% | | | (UFF)F(passe)F
Eine Verschiebung des Hochtons h- von der fußinitialen Position auf eine frühere oder spätere Silbe (also auf die zweite Silbe von Anna oder die letzte Silbe von UFFpasse), wie sie in (1') skizziert ist, ist zwar denkbar, jedoch im Freiburgischen mit hoher Konsistenz dispräferiert. (1') * L- h- l% | | | (ANna)F(platz)F
* Lh-l% | || (UFF)F(passe)F
324
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Insgesamt manifestiert sich damit eine konsistente Abhängigkeit des Konturverlaufs von der lexikalisch-phonologischen Struktur der Phrase. Wenn die Silbenzahl im Nukleus weiter abnimmt, kann die Ausrichtung am finalen Fuß teilweise nicht mehr aufrecht erhalten werden, was zu Neutralisierungen der Konturstruktur führen kann. Für den zweisilbigen Nukleus AU gmacht ‚auch gemacht‘ stellt dies noch kein Problem dar, da er aus zwei einsilbigen Füßen ((AU)F (gmacht)F) besteht. Die Fallbewegung kann hier regelkonform auf dem letzten Fuß stattfinden (Abb. 8). FR03-3537
FR01-2177
FR02-4924
150
200 200
150
100 150 70 LAU 50 0
hl% gmacht 0.39
100 0
kul
LTUR
h- l% re 0.5
100 70 0
LWOH
h-m% nung 0.41
Abb. 8 Zweisilbige steigend-fallende Konturen des Freiburgischen; Ausrichtung der Fallbewegung an der letzten Silbe
Wenn hingegen der Nukleus aus einem trochäischen Wort besteht, das nur einen Fuß aufweist, kann die Fallbewegung nicht mit dem letzten Fuß assoziiert werden. Die Beispiele (kul)TUre und WOHnung in Abb. 8 zeigen, dass unter diesen Bedingungen die Fallbewegung invariant auf der letzten Silbe erfolgt. Wie im Beleg (kul)TUre zu erkennen ist, kann der Fall auch auf einer Schwasilbe lokalisiert sein, was bei mehrsilbigen Nuklei kategorisch ausgeschlossen ist. Bei zweisilbigen Nuklei ist also die invariante Ausrichtung des Falls auf der letzten Silbe die einzige Option. Die Bedingung, dass der finale Fall mit dem finalen Fuß assoziiert sein muss, ist unter solchen Bedingungen außer Kraft gesetzt. 4.4.1.3 Sonderfälle Zwar kann die steigend-fallende Kontur auch auf einsilbigen Nuklei produziert werden, allerdings ist die Anzahl solcher Belege gering. Im vorliegenden Korpus ließen sich nur 9 Belege finden. Dies deutet darauf hin, dass Freiburger SprecherInnen es vermeiden, die komplexe Bewegung auf nur einer Silbe realisieren zu müssen. Die Kontur kann nur auf Einsilbern mit ausreichend sonorantem Material realisiert werden, i.e. Langvokal/Diphthong oder Kurzvokal mit folgendem Sonoranten. Oft sind die Konturen von einer Dehnung der Silbe begleitet. In den Verläufen in Abb. 9 ist zu erkennen, dass sich der Anstieg in den ersten beiden Dritteln ereignet, während das letzte Drittel der Fallbewegung vorbehalten ist. Während in der Akzentsilbe VIEL der finale Endpunkt l% dem Startpunkt L- in der Frequenz ungefähr entspricht und damit auch eine Fallbewegung bis zum unteren Rand des relativen F0-Umfangs ausgeführt wird, verläuft der Fall in (dikta)TUR und DREI nur bis ungefähr zur Mitte des Umfangs der Phrase. Bedingt durch die eingeschränkten
325
Phonetik der nuklear steigend-fallenden Kontur
Realisationsmöglichkeiten kann also bei einsilbigen Nuklei die Fallbewegung trunkiert werden. Der Fall ist aber nichtsdestoweniger klar als solcher perzipierbar. FR03-3502
FR01-19389
FR03-3529 200
200 150
200
150 L100 0
150
100
h- l% VIEL
70 0
0.46
Ldik
ta
h- m% TUR
0.5
0.92
100 0
LDREI
h-l% 0.41
Abb. 9 Einsilbige steigend-fallende Konturen des Freiburgischen
Trunkierung tritt auch dann ein, wenn ein einsilbiger finaler Nukleus nur aus einem Kurzvokal besteht. Unter diesen Umständen reicht das vorhandene sonorante Material nicht mehr aus, um die komplexe steigend-fallende Kontur zu realisieren. Folglich wird die gesamte Kontur zu einem kurzen L-Ton trunkiert, an den sich ein leichter Anstieg anschließt (L-m%, Abb. 10). FR03-3798
FR02-4897
200 200
150
150
100 70 0
ge
L-m% DATSCHT 0.48
100 0
L- m% DES 0.30
Abb. 10 Einsilbige steigend-fallende Konturen des Freiburgischen mit trunkierter Fallbewegung
Neben der Trunkierung der gesamten Kontur bei einsilbigen Nuklei ist es infolge assimilatorischer Prozesse auch bei zweisilbigen Nuklei möglich, dass die finale Fallbewegung trunkiert wird. Dies tritt immer dann ein, wenn die letzte Silbe sehr schnell gesprochen und/oder eine Folgephrase schnell angeschlossen wird. Häufig handelt es sich dabei um kurze, finale Schwasilben. Die Beispiele in Abb. 11 zeigen, dass auf diesen Silben entsprechend auch nur ein trunkierter Intonationsverlauf realisiert wird. Anstelle der finalen Fallbewegung endet die Kontur damit mit einem hohen Grenzton. Diese Variante weist, oberflächlich betrachtet, eine gewisse Ähnlichkeit mit dem kontinuierlichen Anstieg der Weiterweisungskontur L-h% auf, die ebenfalls mit einem Tiefton beginnt und auf einen Hochton ansteigt (vgl. Kap. 4.2.1.1.2). Nach einer genaueren Kontrastierung der beiden Konturen kann jedoch ein formaler Unterschied festgestellt werden, der dafür sorgt, dass die Konturen distinkt bleiben. Dieser Unterschied betrifft die Realisierung der phrasenletzten Silbe. Bei den Belegen in Abb. 11 ist der Verlauf flach auf hohem Niveau. Beim kontinuierlichen Anstieg jedoch steigt die Tonhöhe auf der letzten Silbe weiter an. Dieses phonetische
326
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen FR01-2167
FR03-3857
FR01-2202 200
200
200
150
150
150 Lh% SCHWAR ze .h
100 0
0.5
100 0
LSCHWA
h% be .h 0.5
100 70 0
LFER
h% tig 0.39
Abb. 11 Trunkierte Fallbewegung im Freiburgischen
Realisationsmerkmal ist ausreichend, um die Variante der Abschlusskontur L-h-l% mit trunkierter Fallbewegung von der Weiterweisungskontur L-h% zu differenzieren. 4.4.1.4 Zusammenfassung Zusammenfassend kann die steigend-fallende Kontur im Freiburgischen wie folgt beschrieben werden: Es handelt sich dabei um eine im Abschlusskontext fungierende Kontur, bei der in der Nukleussilbe eine Anstiegsbewegung beginnt, die nach ungefähr zwei Silben ihr Maximum erreicht. Je nach Silbenzahl im Nukleus kann sich dann ein Hochplateau anschließen oder es beginnt die finale Fallbewegung, die bis in den tiefen Bereich verläuft und deren Endpunkt weitgehend dem Startpunkt in der Nukleussilbe entspricht. Die finale Fallbewegung findet mit hoher initialer Geschwindigkeit statt, so dass sich bei zweisilbigen Fällen bereits in der ersten Silbe der Großteil der gesamten Fallbewegung ereignet und die Folgesilbe auf flach-tiefem Niveau ausläuft. Der Verlauf der Kontur wird mit L-h-l% (keine Plateaubildung) bzw. L-h-h-l% (mit Hochplateau) transkribiert. Die Kontur ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert und sie gilt zurecht als das intonatorische Merkmal des Alemannischen (und auch des Schweizerdeutschen), das auch in der Wahrnehmung durch Laien thematisiert wird. Es ist ungewöhnlich, dass eine Abschlusskontur initial steigend realisiert wird, während in den übrigen Regionen hierfür doch überwiegend eine Fallkontur eingesetzt wird. Der wesentliche Unterschied zur Fallkontur ist darin zu sehen, dass die Fallbewegung nicht in der Nukleussilbe initiiert wird, sondern erst später im Nachlauf beginnt. Gemeinsam ist beiden Konturtypen hingegen das tiefe finale Tonniveau. Die finale Fallbewegung wird durch einen Phrasenakzent (Grice et al. 2000) initiiert, für dessen Beschreibung und Erklärung zwei Faktoren relevant werden: Erstens gehört dazu die Einbeziehung einer weiteren prosodischen Domäne, nämlich des phonologischen Fußes; dabei ist für die Tonzuweisung jedoch nur der letzte Fuß der Phrase relevant. Zweitens muss innerhalb dieses letzten Fußes die lexikalisch betonte Silbe identifiziert werden, die im Deutschen, das nur linksköpfige Füße aufweist, immer mit der fußinitialen Silbe zusammenfällt. Die Struktur der finalen Fallbewegung wird also vom IP-Ende her bestimmt. Daraus folgt, dass dieses tonale Ereignis nicht mit dem vorausgehenden steigenden Akzentton in Verbin-
327
Phonetik der nuklear steigend-fallenden Kontur
dung stehen kann. Vielmehr ist der Phrasenakzent primär mit dem Phrasenende und sekundär mit der lexikalisch betonten Silbe des letzten Fußes assoziiert. Die Silbe, die den Phrasenakzent trägt, ist durch eine schnelle Fallbewegung gekennzeichnet. Zur ihrer Kennzeichnung erscheint daher die Annahme eines monotonalen hohen Phrasenakzents H- nicht angemessen. Zusammen mit dem tiefen Grenzton würde nämlich durch die Kombination H-L% eine linear bis zum IP-Ende fallende Bewegung ausgedrückt werden. Zur Erfassung der schnellen Fallbewegung wird daher ein bitonaler Phrasenakzent HL- angesetzt. Als tonologische Kennzeichnung der gesamten nuklearen Kontur ergibt sich damit L*+H HL-L%: Auf den bitonalen Akzentton L*+H folgt die Kombination aus bitonalem Phrasenakzent und Grenzton HL-L%. Die jeweilige Assoziation des Phrasenakzents mit einer konkreten Silbe ist nicht Bestandteil der tonologischen Beschreibung. Vielmehr ergibt sich die Assoziation indirekt aus einem in dieser Varietät geltenden zusätzlichen Parameter, wonach der Phrasenakzent auf der lexikalisch betonten Silbe des letzten Fußes zu platzieren ist. In Abb. 12 sind diese strukturellen Eigenschaften für Nuklei mit zwei- und einsilbigen Fallbewegungen schematisiert. zweisilbige Fallbewegung
Tonologie Phonetik
L*+H Lh-
HL- L% h- l%
s (s’ s)F (s)F (s s)F fran ZO se drin wa re ‘Franzosen drin waren’
einsilbige Fallbewegung
L*+H L-
(s’ EI
HL-L% h-l%
h-
s s ni ges
(s)F s)F ge bracht
‘einiges gebracht’
Abb. 12 Schematische Struktur der steigend-fallenden Kontur im Freiburgischen; Markierung der Nukleussilbe und der Verankerungssilbe des finales Falls durch schattierte Rechtecke
Alle Freiburger Belege, die aus mindestens zwei phonologischen Füßen bestehen, folgen der in Abb. 12 skizzierten tonologischen Struktur. Bei zweisilbigen Nuklei, die meist nur aus einem Fuß bestehen, ist die Fallbewegung invariant auf der letzten Silbe platziert, so dass der trailing tone H des Akzenttons mit dem Phrasenakzent HL- zusammenfällt. Diese Neutralisierung verdeutlicht einen zentralen methodischen Aspekt: Um die tonologische Struktur von Intonationskonturen adäquat erfassen zu können, ist jeweils eine Mindestzahl von nuklearen Silben bzw. Füßen erforderlich. Oft manifestiert sich der tatsächliche Konturverlauf erst in längeren Nuklei, während bei kürzeren Nuklei tonale Ereignisse zusammenfallen können.1 1
Dieser methodische Aspekt wirkt sich nachteilig z.B. in den Untersuchungen von Guentherodt (1971, 1973) aus. Die Autorin hat in ihren Analysen zur pfälzischen Frageintonation ausschließlich IP-finale Akzentsilben berücksichtigt. In einer Reanalyse mit mehrsilbigen Nuklei konnte Peters (Ms. a) zeigen, dass dadurch einige intonatorische Eigenschaften übersehen worden waren.
328
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
4.4.2 Mannheim Während die steigend-fallende Kontur in Freiburg überaus häufig vorkommt und dort als zentrale Kontur zur Abschluss-Kontextualisierung fungiert, tritt sie in Mannheim bedeutend seltener auf (53 Belege, vgl. Tab. 1). Die Kontur-Struktur unterscheidet sich in zwei Aspekten grundlegend vom Freiburgischen. Erstens kann hier teilweise eine andere funktionale Einbettung der Kontur festgestellt werden: Die Kontur ist hier am häufigsten im Weiterweisungskontext belegt und lässt sich nur selten im Abschlusskontext feststellen.2 Zweitens unterscheiden sich die beiden Stadtvarietäten bei der tonologischen Struktur und der phonetischen Realisierung der Kontur. Die häufigste Variante ist durch den ersten Beleg in Abb. 13 repräsentiert (EIsteige ‚einsteigen‘): Nach einer flach auf tiefem Niveau verlaufenden Nukleussilbe kommt es zum Anstieg auf einen Hochton. Danach fällt die F0 leicht ab, so dass die Phrase mit einem mittel-hohen Grenzton m% endet. Als phonetische Transkription ergibt sich L-h-m%. MA05-1936 150
100 70
ka=ma
LEI
0
hstei 0.5
m% ge 0.94
Abb. 13 Steigend-fallender Verlauf im Mannheimerischen
Die Präferenz des tief-flachen Verlaufs in der Nukleussilbe steht im Kontrast zum Freiburgischen, wo meist schon in dieser Silbe der Anstieg beginnt. Diese silbeninterne Konturrealisierung hat die mannheimerische steigend-fallende Kontur mit der einfachen Anstiegskontur gemeinsam, für die ebenfalls eine flache Nukleussilbe beschrieben werden kann (vgl. Kap. 4.2.3.2). 4.4.2.1 Struktur der Anstiegsbewegung Aufgrund der geringen Belegdichte, insbesondere bei den längeren Nuklei, ist es nur ansatzweise möglich, die Struktur der Anstiegsbewegung zu erfassen. Auffällig ist, dass in Mannheim die in Freiburg weit verbreitete Plateaubildung kaum zu beobachten ist. Stattdessen wird bei ausreichend vorhandenem Silbenmaterial zunächst ein kontinuierlicher Anstieg produziert. Im Nukleus EIsteige (Abb. 13) erstreckt er sich über zwei Silben. In dieser Form könnte der Anstieg auch im Freiburgischen er-
2
Peters (Ms. a) zeigt weiterhin, dass die steigend-fallende Kontur in Mannheim auch für Ergänzungsfragen verwendet wird.
329
Phonetik der nuklear steigend-fallenden Kontur
folgen. Bei den längeren Nuklei in Abb. 14 ist dagegen eine ausgedehntere Anstiegsbewegung zu erkennen. MA05-3817
MA06-3017 200
200
150 100 70 0
h-
150
LMUT ter
hbo
l% de
0.5
0.72
100 70 0
m% LVOR hin mit
dem
gspro 0.5
che 0.81
Abb. 14 Steigend-fallende Verläufe im Mannheimerischen mit ausgedehnter Anstiegsbewegung
So wird beim viersilbigen Nukleus MUTterbode ‚Mutterboden‘ das Maximum des Anstiegs erst am Ende der dritten Silbe erreicht. Im sechssilbigen Nukleus VORhin mit dem gsproche liegt sogar eine fünfsilbige, kontinuierliche Anstiegsbewegung vor. Insgesamt kann sich damit die Anstiegsbewegung über eine längere Silbenfolge erstrecken als im Freiburgischen. Für die tonologische Struktur bedeutet die variable Struktur der Anstiegsbewegung, dass der Tiefton der Nukleussilbe unabhängig von der Position des nachfolgenden Maximums ist. Dies wiederum legt die Annahme eines monotonalen Akzenttons L* nahe. 4.4.2.2 Struktur der finalen Fallbewegung Wichtiger noch sind die Differenzen bei der Ausrichtung des finalen Falls. In der Mehrzahl der Belege trägt (wie im Freiburgischen) die letzte lexikalisch betonte Silbe den Tonhöhengipfel. In Abb. 13 und Abb. 14 manifestiert sich dies in den Maxima auf den initialen Silben der IP-finalen, zweisilbigen Füße (steige)F, (bode)F und (gsproche)F. Zusätzlich weisen diese Silben eine starke Dehnung auf, die in Freiburg nicht zu beobachten ist. Die finale Fallbewegung kann wie im Freiburgischen auf der letzten lexikalisch betonten Silbe beginnen. So ist in Abb. 14 für den finalen Fuß (gsproche)F zu sehen, dass in der Silbe gspro eine schnelle Fallbewegung einsetzt, die bis auf mittleres Niveau verläuft. Allerdings sind diese initial schnellen Fallbewegungen selten festzustellen. Dagegen ist es im Mannheimerischen häufiger zu beobachten, dass in der Silbe mit dem Tonhöhengipfel keine Fallbewegung vorliegt. Dies ist in Abb. 13 und Abb. 14 für (steige)F, (bode)F zu erkennen, wo es erst nach dem Tonhöhengipfel zur eigentlichen Fallbewegung kommt. Obwohl sich also die Form der finalen Fallbewegung im Mannheimerischen vom Freiburgischen unterscheidet, ist in beiden Varietäten zur Beschreibung der Struktur die Information über die Lage der letzten lexikalisch betonten Silbe erforderlich, die als Ankerpunkt für die finale Fallbewegung fungiert. Von dort wird der Fall kontinuierlich bis zum Phrasenende fortgesetzt. Während für das Freiburgische ein bitonaler Phrasenakzent HL- anzunehmen ist, durch den die initial schnell fallende Bewegung erfasst wird, ist für das Mann-
330
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
heimerische ein monotonaler Phrasenakzent H- ausreichend. Aus der Interpolation von H- mit dem folgenden Grenzton resultiert dann die finale Fallbewegung. Als tonologische Gesamtstruktur ergibt sich für das Mannheimerische damit L* H-L%. Bei zweisilbigen Nuklei erfolgt wie im Freiburgischen die Bildung des Tonhöhengipfels und die Fallbewegung konsistent auf der phrasenletzten Silbe (Abb. 15). Im Gegensatz zum Alemannischen kann der Fall allerdings nur produziert werden, wenn die Silbe ausreichend sonorantes Material aufweist (-haus, -los) und/oder gedehnt ist (-to > [to:]). Insbesondere in den Nuklei NETto und HARMlos ist die zusätzliche Dehnung der finalen Silbe zu erkennen. MA10-2916
MA05-1931
MA06-3042
200
200
200
150
150
150
100 L70 NET 0
hto
l% 0.5
100 70 0
LSTADT
h- m% haus 0.5
0.7
100 70 0
Lh- m% HARM los 0.5 0.66
Abb. 15 Steigend-fallender Verlauf im Mannheimerischen auf zweisilbigen Nuklei
In Nuklei mit finalen Schwasilben kann die steigend-fallende Kontur nicht beobachtet werden. Ebensowenig lässt sich die Kontur auf einsilbigen Nuklei finden. Das Vorkommen der Kontur erscheint damit strukturell deutlich eingeschränkter als im Freiburgischen. Aus den vorgestellten Verläufen ist ersichtlich, dass die Tiefe des finalen Falls variiert. Mehrheitlich endet der Fall auf mittlerem Niveau m%. Nur selten wird die vollständige Lösungstiefe l% erreicht. 4.4.3 Köln Die steigend-fallenden Konturen des Kölnischen ähneln in Struktur und Funktion denen in Mannheim. Sie sind hier jedoch deutlich häufiger anzutreffen, wodurch eine detailliertere Formbeschreibung möglich ist. Die Kontur wird überwiegend in weiterweisenden Kontexten eingesetzt. Hieraus resultiert ein funktionaler Kontrast zum Freiburgischen, wo die Kontur zur Abschlusskontextualisierung verwendet wird. 4.4.3.1 Struktur der Anstiegsbewegung Häufiger als in Mannheim sind in Köln längere Nuklei (i.e. mehr als vier Silben) belegt, die für eine adäquate Bestimmung der Struktur der Kontur erforderlich sind. Deutlicher noch als in Mannheim zeigt sich hier, dass ein von Anstiegs- und Fallbewegung flankiertes Hochplateau nur in wenigen Fällen zu beobachten ist. Stattdessen überwiegt ein Verlauf, bei dem nach dem Tiefton ein mehr oder weniger konti-
331
Phonetik der nuklear steigend-fallenden Kontur
nuierlicher Anstieg einsetzt, der sich je nach der Länge des Nukleus über mehrere Silben erstrecken kann. Solche mehrsilbigen Anstiege lassen die ersten beiden Belege in Abb. 16 erkennen. In ARbeiten jewesen bin wird der Anstieg durch die ersten drei Silben gebildet. Im sechssilbigen Nuklei THEK mit erum laberst ‚(an der) Theke mit herum laberst‘ besteht er sogar aus vier Silben. Der Anstieg mündet in eine Silbe, die wie in Mannheim durch starke Dehnung aus den übrigen Nachlaufsilben hervorsticht. Gleichzeitig fungiert diese Silbe als Wendepunkt, an dem die finale Fallbewegung initiiert wird. Im Gegensatz zum Freiburgischen mit seinen charakteristischen Hochplateaus ist der Nachlauf in Köln, ebenso wie in Mannheim, durch einen singulären Tonhöhengipfel gekennzeichnet. Der gesamte nukleare Verlauf kann phonetisch mit der Symbolfolge L-h-l% bzw. L-h-m% beschrieben werden. K09-19086
K09-19098
200
200
150
150
100 70 0
LAR
beiten
je
hwe
m% sen
0.5
0.92
100 70 0
LTHEK
mit erum
hla
l% berst
0.5
K07-13889
0.99
K07-15096
300
300
200
200
150 150 100 0
LhAUCH mit
runter 0.5
je
hfal
l% len 1 1.14
LhSONN tags unsere schönen
100 0
0.5
1
htou
m% ren 1.5
Abb. 16 Mehrsilbige steigend-fallende Konturen im Kölnischen; kontinuierliche Anstiegsbewegungen (oben) und Hochplateaus (unten)
Beispiele für die seltenere Variante mit Hochplateau (L-h-h-l%) sind in der unteren Reihe in Abb. 16 wiedergegeben. Im Nukleus AUCH mit runter jefallen wird nach einem Anstieg in der Nukleussilbe auf der ersten Nachlaufsilbe der Beginn des Hochplateaus erreicht. In dieser Form könnte die Kontur auch in Freiburg beobachtet werden. Die Plateaubildung in SONNtags unsere schönen touren setzt später, d.h. erst auf der zweiten Nachlaufsilbe ein. Das Plateau selbst bleibt nicht auf konstanter Tonhöhe, sondern fällt leicht ab. Die Nukleussilbe wird meist mit einem flachen Verlauf auf tiefem oder teilweise auch mittlerem Niveau realisiert. Die eigentliche Anstiegsbewegung beginnt damit häufig erst im Nachlauf. Die kölnischen Konturen zeichnen sich also insgesamt durch ausgedehntere, variable Anstiegsbewegungen aus. Hierin unterscheiden sie sich deutlich von ihren freiburgischen Entsprechungen, für die eine relativ schnelle Anstiegsbewegung festgestellt wurde. Wie für das Mannheimerische liefert die variable Distanz zwi-
332
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
schen dem initialen Tiefton und dem Maximum auch für das Kölnische Evidenz dafür, dass diese beiden tonalen Ereignisse unabhängig voneinander sind. Die Anstiegsbewegung lässt sich damit nicht auf einen bitonalen Akzentton des Typs L*+H zurückführen. Stattdessen kann ein monotonaler Akzentton L* angenommen werden, dem in variabler Distanz ein Phrasenakzent H- folgt. Für die seltenere Variante mit Hochplateau muss allerdings wie für das Freiburgische ein bitonaler Akzent L*+H angesetzt werden, da das Plateau in einer tendenziell konstanten Entfernung zum Tiefton einsetzt. 4.4.3.2 Struktur der finalen Fallbewegung Auch in Köln wird der Tonhöhengipfel im Nachlauf immer auf der letzten lexikalisch betonten Silbe platziert. Dies zeigt Abb. 17 für viersilbige Nuklei, die sich aus zwei trochäischen Füßen zusammensetzen. K07-15116
K02-12551
300
150
0
300
150
200
100
K11-15267
200
LKIR che Fuß 1
hbau Fuß 2 0.5
l% en 0.76
100 70 0
200 150 LSTÜÜR Fuß 1
be
hzah
m% le
Fuß 2 0.5
0.67
100 0
LKÖLN
ge
hm% kom men
Fuß 1
Fuß 2 0.5
0.74
Abb. 17 Viersilbige (zwei-füßige) steigend-fallende Konturen des Kölnischen; Tonhöhengipfel auf der letzten lexikalisch betonten Silbe der Phrase
In KIRche bauen bildet sich am Ende der vorletzten Silbe bau der Tonhöhengipfel heraus, der in die Fallbewegung übergeht. Im Vergleich mit dem sonoranten Bereich der Nukleussilbe ist ersichtlich, dass diese vorletzte Silbe stark gedehnt ist. In STÜÜR bezahle ‚Steuern bezahlen‘ und KÖLN gekommen liegt der Tonhöhengipfel (hier besser: das postnukleare Maximum) jeweils in der Mitte der Silbe. Die eigentliche Fallbewegung kann in der letzten lexikalisch betonten Silbe beginnen, wie leichte Fallbewegungen in zah(le) und kom(men) nahelegen. Es ist jedoch auch nicht selten, dass in der Silbe mit Tonhöhengipfel keine Fallbewegung stattfindet (vgl. bau(en) in Abb. 17 links) und die Tonhöhe erst danach abfällt. Die Fallgeschwindigkeit ist insgesamt gering, so dass gleichmäßig über die phrasenletzten Silben verlaufende Fallbewegungen entstehen. Der Verlauf zwischen Tonhöhengipfel und finalem Grenzton kann mit einer linearen Interpolation erfasst werden. Im Vergleich mit dem Freiburgischen findet damit in der Tonhöhengipfel-Silbe deutlich weniger Fallbewegung statt. Die schnellen Fallbewegungen des Freiburgischen sind im Kölnischen gänzlich unbekannt. Dieser Kontrast in der phonetischen Gestaltung der finalen Fallbewegung hat Konsequenzen für die tonologische Charakterisierung der Kontur. Der für das Freiburgische angesetzte bito-
333
Phonetik der nuklear steigend-fallenden Kontur
nale Phrasenakzent HL-, der die initial schnelle Fallbewegung beschreibt, ist für das Kölnische nicht adäquat. Die lineare Fallbewegung legt vielmehr einen monotonalen, hohen Phrasenakzent H- nahe. Wie im Mannheimerischen resultiert dann aus der Kombination mit dem Grenzton der gleichmäßig fallende finale Verlauf. Dass der postnukleare Tonhöhengipfel tatsächlich mit der letzten lexikalisch betonten Silbe verankert ist, lässt sich – analog zum Freiburgischen – anhand von Nuklei nachweisen, bei denen die letzte Silbe gleichzeitig die letzte lexikalisch betonte Silbe ist. Für diese Strukturen ist zu erwarten, dass der Tonhöhengipfel auf der letzten Silbe platziert ist und diese Silbe gleichzeitig auch die finale Fallbewegung aufweist. Diese Regularität zeigen die Beispiele in Abb. 18: Der phrasenfinale Fuß ist hier jeweils einsilbig ((so)F, (haus)F, (stonn)F ‚stehen‘). Hypothesengemäß sind der Tonhöhengipfel und die finale Fallbewegung gemeinsam auf dieser phrasenletzten Silbe lokalisiert. Bedingt durch das im Vergleich zu zweisilbigen Füßen reduzierte sonorante Material ereignet sich der Fall unter diesen Bedingungen mit höherer Fallgeschwindigkeit. K11-19253
K01-12303
K07-15119
300 300
300
200 150 100 0
LWOLL te das Fuß 1
h- l% so Fuß 2
0.5
0.89
200 150 0
200 Lhl% KRAN ken haus Fuß 1
150
Fuß 2 0.5
LMIN sche Fuß 1
0.86
0
hstonn
l%
Fuß 2 0.5
0.74
Abb. 18 Steigend-fallende Verläufe im Kölnischen; Tonhöhengipfel und (einsilbiger) finaler Fall auf der letzten lexikalisch betonten Silbe (=phrasenletzte Silbe); Übersetzung: MINSche stonn ‚Menschen stehen‘
Steigend-fallende Konturen treten im Kölnischen am häufigsten in drei- und viersilbigen Nuklei auf (vgl. Tab. 1 oben). Bei geringeren Silbenzahlen nehmen die Häufigkeiten rapide ab: Im untersuchten Korpus konnten nur 13 (= 9 %) zweisilbige und überhaupt keine einsilbigen Belege ermittelt werden. Diese Abnahme der Konturhäufigkeit parallel zur Silbenzahl deutet darauf hin, dass es im Kölnischen ‚schwieriger‘ als im Freiburgischen ist, die komplexe Bewegung auszuführen. Bei zweisilbigen Nuklei, wie sie in Abb. 19 zu sehen sind, kann die oben aufgestellte Bedingung, wonach der Tonhöhengipfel auf der letzten lexikalisch betonten Silbe platziert ist, teilweise nicht mehr eingehalten werden. Wie im Freiburgischen werden Gipfel und Fall dann invariant auf der letzten Silbe ausgeführt. Doch nicht auf jeder Endsilbe kann eine Fallbewegung produziert werden. Charakteristisch für die zweisilbigen Belege in Abb. 19 ist, dass die letzte Silbe entweder aus mehreren sonoranten Segmenten besteht ([fi:na:], [vEkkmt]) oder dehnbar ist ([pe:g«l]). Nur so kann gewährleistet werden, dass der Tonhöhengipfel und der finale Fall realisiert werden können. Dafür spricht auch, dass die mögliche Reduktion von auf Schwa
334
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen K10-16642
K07-15161
K11-15263
200
300 200
150 100 70 0
200 150 LFI
h-
m% na 0.5 0.61
100 0
150 LPE
h- m% gel 0.46
LWEG
100 0
h- l% kommt 0.5
0.76
Abb. 19 Steigend-fallende Verläufe im Kölnischen auf zweisilbigen Nuklei
und Sonorant auslautenden Silben ausbleiben kann: So wird häufig anstelle der möglichen Reduktionsform [pe:gl`] die nicht-reduzierte Form [pe:g«l] produziert. Durch die ausbleibende Reduktion, die bei anderen Konturen durchaus üblich ist, bleibt gewährleistet, dass das zur Konturrealisierung notwendige sonorante Material zur Verfügung steht (vgl. auch Peters 2002b). Umgekehrt ist die Produktion der finalen Fallbewegung auf Endsilben, die auf bloßes Schwa auslauten (-le, -ge, -te) blockiert, da das vorhandene sonorante Material zur Konturproduktion nicht ausreicht. In solchen Fällen wird der fallende Konturbestandteil trunkiert und es resultiert eine einfache Anstiegskontur. Die bislang vorgestellten Belege illustrieren auch die Variation der vertikalen Lage des finalen Grenztons, die sich im Kölnischen in der gleichen Weise manifestiert wie im Mannheimerischen: Es überwiegen die mittel-hohen Grenztöne m%, wie sie teilweise in Abb. 17 und 19 zu erkennen sind. ‚Echte‘ tiefe Grenztöne l% kommen seltener vor. Auch diese höhere Variabilität steht im Kontrast zum Freiburgischen, das mit hoher Konsistenz tiefe Grenztöne l% präferiert. 4.4.4 Duisburg Im Duisburgischen schließlich nehmen die nuklearen steigend-fallenden Konturen deutlich ab und sind in der Datenbasis nur noch mit 15 Belegen vertreten. Darin deutet sich an, dass hier die nördliche Grenze des geschlossenen westlichen Gebiets, das steigend-fallende Konturen in deklarativen Äußerungen aufweist, erreicht ist; so sind z.B. dem nördlicheren Hamburgischen diese Konturen vollkommen fremd. Drei duisburgische Beispiele sind in Abb. 20 wiedergegeben. Die Nuklei UMgegangen und (ge)FANgenen demonstrieren, dass die Nukleussilbe nicht nur tief (L-), sondern auch mittel-hoch (M-) realisiert werden kann. Bezüglich der Ausrichtung des Tonhöhengipfels ergeben sich die gleichen Regularitäten wie im Kölnischen. So liegt in UMgegangen der Tonhöhengipfel auf der vorletzten Silbe (gang) und damit auf der letzten lexikalisch betonten Silbe. Bei FENSter drin ist die phrasenletzte Silbe die letzte lexikalisch betonte Silbe, die folglich auch den Tonhöhengipfel trägt. Im Beispiel (ge)FANgenen schließlich folgt nach der Nukleussilbe keine weitere lexikalisch betonte Silbe. Bei dieser Konstellation wird der Tonhöhengipfel ebenfalls auf der
335
Phonetik der nuklear steigend-fallenden Kontur
letzten Silbe platziert. Mit dem Kölnischen teilt das Duisburgische die ausbleibende Reduktion finaler Schwasilben. So bleibt in den beiden ersten Beispielen in Abb. 20 das Schwa der Endsilben -en bzw. -nen erhalten, wodurch noch ausreichend sonorantes Material für den finalen Fall vorhanden ist. Dennoch sind wirklich tiefe Grenztöne eher selten, es dominieren vielmehr auch hier die mittel-hohen Grenztöne.3 Die tonologische Kontur-Struktur ist wie im Kölnischen als L* H-L% anzugeben. DU01-5278
DU01-5476
200
200
150
150
DU06-5441 300 200
100 70 0
MUM
ge
hgang 0.5
l%
en 0.70
100 70 0
ge
MFAN
ge 0.5
h- m% nen 0.72
150 100 0
LFENS
ter
h- m% drin 0.5
0.72
Abb. 20 Steigend-fallende Verläufe im Duisburgischen
4.4.5 Zusammenfassung Es konnte gezeigt werden, dass nuklear steigend-fallende Konturen auf das Gebiet des Alemannischen (Freiburg), des Westmitteldeutschen (Mannheim und Köln) und auf ein Randgebiet des Rheinmaasländischen (Duisburg) beschränkt sind. Aus den Arbeiten von Panizzolo (1982) und Fitzpatrick-Cole (1999) kann geschlossen werden, dass die Kontur auch im Schweizerdeutschen rekurrent ist. Dagegen gehören die steigend-fallenden Konturen, die von Barker (2002a, b) und Kügler (2004) für das Tirolische bzw. Schwäbische herausgestellt wurden, zu einer anderen Konturkategorie: Hier wird das Maximum (fast) immer in der Akzentsilbe erreicht und es ist keine Interaktion mit der lexikalisch-phonologischen Ebene feststellbar. Die Häufigkeit der herausgearbeiteten Kontur in Freiburg und Köln zeigt, dass die Kontur wenigstens hier, aber höchstwahrscheinlich auch im weiteren Umland, eine zentrale Rolle zur Kontextualisierung von Abschluss bzw. Weiterweisung übernimmt. Dieses zusammenhängende westliche Gebiet steht im Kontrast zu den übrigen hier thematisierten Regionalsprachen, die diese Kontur in der Abschluss- oder Weiterweisungsfunktion überhaupt nicht oder nur in Einzelvorkommen aufweisen. Das Besondere dieser Kontur ist nicht nur ihre Beschränkung auf eine Gruppe der deutschen Regionalsprachen, sondern liegt auch im Vorhandensein einer tonalen Richtungsänderung im Nachlauf der Kontur, die nicht auf den Akzentton der Nukleussilbe und nur mittelbar auf den finalen Grenzton zurückgeführt werden 3
Die Struktur der steigend-fallenden Konturen des Duisburgischen gestalten sich deutlich komplexer, wenn auch pränukleare Akzente miteinbezogen werden. Wenn eine Phrase z.B. einen hohen pränuklearen Akzent aufweist, resultiert daraus insgesamt eine fallend-steigend-fallende Kontur, die auch eine bestimmte semantische Interpretation nach sich zieht. Für eine detaillierte Darstellung dieser komplexen Strukturen und ihr Zusammenspiel mit semantischen Faktoren vgl. Peters (Ms. b).
336
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
kann: Die Anstiegsbewegung mündet in einen postnuklearen Tonhöhengipfel, bevor sich die finale Fallbewegung anschließt. Die Analyse der Konturstruktur ergab, dass sich das Mannheimerische, Kölnische und Duisburgische zu einer relativ homogenen Gruppe zusammenfassen lassen, die in Kontrast zum Freiburgischen steht. Die Kontur besteht im Freiburgischen aus einem bitonalen Akzentton L*+H in der Nukleussilbe, der sich in einer Anstiegsbewegung manifestiert, die schnell ihr Maximum erreicht. Bei ausreichendem Silbenmaterial kommt es dann zur Herausbildung eines Hochplateaus, das sich bis zur letzten lexikalisch betonten Silbe ausdehnt. Innerhalb dieser Silbe kommt es zu einer schnellen Fallbewegung; auf eventuell vorhandenen Folgesilben bleibt der Verlauf flach auf tiefem Niveau oder sinkt nur geringfügig weiter. Durch die Abhängigkeit von der Position der letzten lexikalisch betonten Silbe wird der Ankerpunkt der finalen Fallbewegung systematisch innerhalb des Nachlaufs verschoben. Diese Sensitivität hinsichtlich der (lexikalischen) Betonungsstruktur eines Wortes ist eine typische Eigenschaft von postnuklearen Phrasenakzenten (vgl. Grice et al. 2000, Grice/Baumann 2002). Eine Übertragung des Konzepts des Phrasenakzents auf das Freiburgische führt dann zur Annahme eines bitonalen Phrasenakzents vom Typ HL-. Abgeschlossen wird die Kontur durch den tiefen Grenzton L%, der auch tatsächlich meist im unteren Bereich des Sprechstimmumfangs liegt. Als gesamte tonologische Spezifizierung ergibt sich damit L*+H HL-L%. Das Mannheimerische, Kölnische und Duisburgische haben mit dem Freiburgischen gemeinsam, dass auch hier der postnukleare Tonhöhengipfel auf die letzte lexikalisch betonte Silbe der Phrase fällt. Dagegen weicht sowohl die Struktur der Anstiegsbewegung als auch die des finalen Falls vom Freiburgischen ab. Der Anstieg ereignet sich insgesamt langsamer als im Freiburgischen. Das Maximum der Kontur befindet sich nicht in einer konstanten Entfernung zur nuklearen Akzentsilbe, wodurch ein bitonaler Akzentton ausgeschlossen ist; vielmehr wird hier ein monotonaler Akzentton L* angenommen. Die Silbe mit dem Tonhöhengipfel ist oft stark gedehnt und weist nur eine geringe Fallbewegung auf. Diese Silbe trägt einen monotonalen Phrasenakzent H-. Der Großteil der Fallbewegung findet nach dem Phrasenakzent statt, erreicht aber mehrheitlich nur mittleres End-Niveau. Die Kontur ist damit für diese drei Varietäten durch die Tonfolge L* H-L% zu spezifizieren. Freiburg
Tonologie Phonetik
L*+H Lh-
Mannheim, Köln, Duisburg
HL-L% h- l%
L* L-
H- L% h- {m%, l%}
Dehnung
s (s’ s)F (s)F (s s)F fran ZO se drin wa re ‘Franzosen drin waren’
(s’ s s s)F (s s)F AR bei ten je we sen
‘arbeiten gewesen’
Abb. 21 Schematische Gegenüberstellung der wichtigsten Varianten der steigend-fallenden Kontur des Freiburgischen und Kölnischen; die gestrichelte Linie der Kölner Kontur soll symbolisieren, dass mehrheitlich ein mittel-hoher Grenzton m% und seltener ein tiefer Grenzton l% realisiert wird
Phonetik der nuklear steigend-fallenden Kontur
337
Die wichtigsten tonologischen und phonetischen Kontraste zwischen dem Freiburgischen einerseits und dem Mannheimerischen, Kölnischen und Duisburgischen andererseits sind in Abb. 21 schematisiert. Phrasenakzente werden für verschiedene Sprachen und Dialekte nachgewiesen. Für das Schweizerdeutsche aus Bern beobachtet Fitzpatrick-Cole (1999) den strukturell identischen Konturverlauf, kommt jedoch zu einer anderen tonologischen Interpretation. Vergleichbar den freiburgischen Verhältnissen, betrachtet die Autorin den steigenden Akzentton L*+H als default accent dieser Varietät. Die gesamte steigend-fallende Kontur wird hier durch die Tonsequenz L*+H LP LI4 erfasst. Im Kontrast zur obigen Analyse folgt hier auf den steigenden Akzentton L*+H ein tiefer Phrasenakzent LP, der das Ende einer Fokusdomäne markiert. Der finale Grenzton LI ist hier nicht mit dem IP-Ende, sondern mit der letzten lexikalisch betonten Silbe assoziiert („option of being stress-seeking“; Fitzpatrick-Cole 1999:944): In dieser Analyse ist damit die finale Fallbewegung nicht auf den Phrasenakzent, sondern vielmehr auf den Grenzton zurückzuführen. Wie im Freiburgischen beobachtetet sie, dass die finale Fallbewegung nicht durch einen „gradual fall at the end of the utterance but a sharp fall on the stressed syllable“ (Fitzpatrick-Cole 1999:944) gekennzeichnet ist. Für Entscheidungsfragen des Rumänischen und Griechischen – die auch mit einer steigend-fallenden Kontur intoniert werden – zeigt Ladd (1996: 212ff.), dass sich die finale Fallbewegung auch hier an der letzten lexikalisch betonten Silbe orientiert. Für solche komplexen Konturen ergibt sich damit eine Tendenz, den Wendepunkt im Nachlauf mit einer lexikalisch-phonologisch definierten Silbenposition zu assoziieren. Die Struktur der Intonationskontur ist damit durch die Interaktion zweier prosodischer Ebenen, i.e. der Intonationsphrase und des phonologischen Fußes, gekennzeichnet. Dass es sich dabei nicht um eine universelle Eigenschaft der Intonation handelt, sondern um einen sprachspezifischen Parameter, zeigt das ebenfalls von Ladd (1996: 212ff.) erwähnte Ungarische. Auch hier werden Fragen mit steigend-fallenden Verläufen intoniert, allerdings findet der Fall immer und ausschließlich auf der phrasenletzten Silbe statt. Es kommt hier also zu keiner Interaktion zwischen der Intonationsphrase und dem phonologischen Fuß. Bei der Abnahme der nuklearen Silbenzahl kann die Bedingung, dass der Tonhöhengipfel auf die lexikalisch betonte Silbe fallen muss, nicht immer eingehalten werden. Bei zweisilbigen Nuklei wird die Kontur gestaucht und der Fall kann nur auf der letzten Silbe stattfinden. Im Freiburgischen ist dies für jeden zweisilbigen Nukleus belegt. In den übrigen Varietäten ist es erforderlich, dass die finale Silbe nicht reduziert ist. Einsilbige steigend-fallende Konturen sind selten und kommen nur in Freiburg vor. Bedingung hierfür ist, dass die Akzentsilbe ausreichend sonorantes Material enthält. Akzentsilben mit nur einer sonoranten More können unter keinen Umständen steigend-fallend realisiert werden. 4
Die Notationen LP (= phrase tone) und LI entsprechen den Symbolen L- bzw. L% in GToBI. Für diese alternative Notationsweise vgl. Hayes/Lahiri (1991).
338
Phonetische Realisierung der Intonationskonturen
Die wichtigsten tonologischen und realisatorischen Merkmale der steigend-fallenden Kontur im Freiburgischen einerseits und im Mannheimerischen, Kölnischen und Duisburgischen andererseits sind in Tab. 3 zusammengefasst. Tab. 3 Gegenüberstellung der Hauptmerkmale der steigend-fallenden Kontur im Freiburgischen und Mannheimerischen/Kölnischen/Duisburgischen Merkmal tonologische Spezifizierung Position des Phrasenakzents Mindeststruktur des Nukleus Anstieg Hochplateau Dehnung der Silbe mit Phrasenakzent finale Fallbewegung Falltiefe
Freiburg L*+H HL-L% letzte lexikalisch betonte Silbe
Mannheim, Köln, Duisburg L* H-L% letzte lexikalisch betonte Silbe
Einsilber mit 2 Moren schnell ja nein
Zweisilber mit nicht-reduzierter Endsilbe langsam selten ja
fast gänzlich innerhalb der letzten lexikalisch betonten Silbe meist tief (l%)
überwiegend nach der letzten lexikalisch betonten Silbe variabel, meist mittel (m%)
Die Relevanz der letzten lexikalisch betonten Silbe für den Konturverlauf konnte auch für die fallend-steigende Kontur des Mannheimerischen und Münchnerischen beobachtet werden (Kap. 4.3). Der Wendepunkt, an dem die fallende in die final steigende Bewegung übergeht, ereignet sich ebenfalls immer an der letzten lexikalisch betonten Silbe. Diese Eigenschaft wird in der Annahme eines tiefen Phrasenakzents L- reflektiert. Die tonologischen Spezifizierungen der fallend-steigenden (H*+L L-H%) und steigend-fallenden Kontur (L* H-L%) stehen damit nahezu in einem spiegelbildlichen Verhältnis zueinander. Obwohl die freiburgischen und kölnischen Konturen formal einander recht ähnlich sind, werden sie dennoch in gegensätzlichen Funktionen eingesetzt: Der Verwendung in Abschlüssen in Freiburg steht die Weiterweisung in den übrigen Städten entgegen. Dieses Ergebnis unterstreicht wiederum die Wichtigkeit des Einbezugs der konversationellen Funktionen für die Methodik der kontrastiven Intonationsforschung. Eine rein formbezogene Vorgehensweise hätte eine dialektologische Ähnlichkeit postuliert, die auf der Funktionsebene nicht vorhanden ist.
5
Zusammenfassung der Ergebnisse
Es war das Ziel dieser Studie, anhand von natürlicher Alltagsprache die intonatorischen Systeme der Gesprächsfunktionen ‚Abschluss‘ und ‚Weiterweisung‘ in acht deutschen Regionalvarietäten zu untersuchen. Im Endergebnis liegen nun die ersten auf breiter empirischer Basis abgesicherten Angaben zur regionalen Variabilität der Intonation in den deutschen Regionalsprachen vor. Als Vergleichsgrundlage wurden die Gesprächsfunktionen ‚Abschluss‘ und ‚Weiterweisung‘ gewählt, die in einem ersten qualitativen Analyseschritt ohne Zuhilfenahme der Intonation bestimmt wurden: Die Funktionen wurden dazu zunächst lediglich aufgrund der syntaktischen, semantischen und pragmatischen (textorganisatorischen und interaktionalen) Struktur der Phrase herausgearbeitet. Dadurch konnten für jede Regionalvarietät vergleichbare Gesprächskontexte ermittelt werden, deren intonatorische Realisierungen dann in einem weiteren Schritt bestimmt wurden. Durch dieses Verfahren ließ sich eine zirkuläre Methodik vermeiden. Ein eindeutiger Abschlusskontext liegt immer dann vor, wenn sich aus dem Gesprächskontext eine komplexe turnübergabe-relevante Stelle isolieren lässt, an die sich ein reibungsloser Sprecherwechsel anschließt, d.h. es müssen Abschlussmarkierungen auf allen linguistischen Ebenen beobachtet werden können. Bei eindeutiger Weiterweisung wird durch eine syntaktische Konstruktion eine Projektion aufgebaut, die nach einer Fortführung in einer der folgenden IPs verlangt. Abschlusskontexte sind damit immer turn-final, wohingegen weiterweisende Kontexte immer turn-intern sind. Neben diesen eindeutigen Funktionskontexten wurde noch zwischen potenziellem Abschluss bzw. potenzieller Weiterweisung differenziert. Bei diesen Kontexten war keine vollständig kongruente Interpretation der beteiligten linguistischen Ebenen möglich. Als Zwischenergebnis kann ein erster Überblick über das phonologische System der für Abschluss und Weiterweisung eingesetzten Intonationskonturen gegeben werden. Das Zentrum der Analyse bildet dabei der Nukleus der Intonationsphrase, der als obligatorischer und perzeptiv salienter Bestandteil in jeder Phrase vorhanden ist, d.h. es wird angenommen, dass die konversationellen Funktionen am Ende einer jeden IP kontextualisiert werden. Für die Abschlussfunktion ließen sich zwei, für die Weiterweisungsfunktion sechs nukleare Konturen ermitteln. Die jeweiligen Konturen ließen sich sowohl für die eindeutigen als auch für die potenziellen Funktionskontexte bestimmen. Daraus kann abgeleitet werden, dass die festgestellten Konturen ihr abschließendes bzw. weiterweisendes Funktionspotenzial (zumindest teilweise) auch unabhängig vom Kontext aufweisen können. Diese Konturen wurden gemäß ihres Globalverlaufs vier Konturfamilien zugeordnet (Fallkonturen, Anstiegskonturen, fallend-steigende Konturen, steigend-fallende Konturen). In einer umfangreichen quantitativen Korpusanalyse wurden für diese vier Konturfamilien die Struktur und die Häufigkeit der regionalen Varianten
340
Zusammenfassung der Ergebnisse
bestimmt. Da die für die regionale Variabilität relevanten Merkmale nur unzureichend bis gar nicht bekannt sind, wurde in einem explorativen Zugang eine möglichst umfassende Analyse der Konturdynamik angestrebt. Dazu wurde innerhalb der Analysedomäne des Nukleus zunächst die Struktur des Globalverlaufs bestimmt. Dazu gehören die Anpassung der Kontur an das vorhandene Silbenmaterial und auch die möglichen Interaktionen tonaler Merkmale mit tieferen prosodischen Ebenen (z.B. mit dem Fuß oder dem phonologischen Wort). Danach wurde die vertikale Skalierung der Kontur im F0-Umfang untersucht (genutzter F0-Umfang, F0-Minimum, F0-Maximum). Als ein besonders variabler Konturbestandteil hat sich der Verlauf in der Nukleussilbe erwiesen. Hier wurden für einige Konturen Detailstudien durchgeführt, durch die die zeitliche Lokalisierung des Extremwerts (F0-Minimum bzw. Maximum) und das Ausmaß von Anstiegs- und Fallbewegungen in der Silbe in Relation zum F0-Gesamtumfang des Nukleus festgestellt werden konnten. Als Sonderfälle wurden einsilbige Nuklei angesehen, da hier der Konturverlauf in kürzerer Zeit realisiert werden muss. Unter diesen Bedingungen sind als Anpassungsmechanismen entweder Trunkierung oder Kompression zu erwarten. In dieser quantitativen Analyse konnten nicht nur die in einer Regionalvarietät präferierte Realisierung einer Kontur, sondern auch weitere Konturdifferenzierungen festgestellt werden. Gemäß ihrer intonatorischen Struktur und der phonologischen Kontrastivität wurden im letzten Schritt alle Varianten tonologischen Strukturen zugeordnet. In der Analyse wurde konsequent zwischen einer phonetischen Realisierungsebene und einer tonologischen Organisationsebene differenziert. Diese methodische Trennung impliziert damit auch zwei Typen intonatorischer Verschiedenheit: (1) Auf der tonologischen Ebene stehen Aspekte des Inventars im Vordergrund. Gemäß den Prinzipien des autosegmental-metrischen Tonsequenzmodells wird hier die Struktur und Anzahl der Akzenttöne, Phrasenakzente und Grenztöne sowie ihre Kombinationsmöglichkeiten zu (nuklearen) Konturen bestimmt. (2) Auf der Realisierungsebene wird die phonetische Implementierung dieser tonologischen Strukturen untersucht. Generell lässt sich für die deutschen Regionalvarietäten regionalspezifische Variabilität auf beiden Ebenen feststellen. In den acht Regionalvarietäten lassen sich für die Abschlussfunktion insgesamt fünf, für die Weiterweisungsfunktion insgesamt acht nukleare tonologische Konturen aufstellen. In einer synoptischen Darstellung werden im Folgenden die regionalen Distributionen und realisatorischen Präferenzen der einzelnen Abschluss- bzw. Weiterweisungskonturen zusammengefasst.
5.1 Tonologie und phonetische Implementierung bei Abschlüssen Die Zusammenstellung der tonologischen Strukturen für die Abschlussfunktion in Tab. 1 zeigt, dass zwei Konturen (H*+L (L)%, H* L%) in beinahe allen Regional-
341
Tonologie und phonetische Implementierung bei Abschlüssen
sprachen vorkommen. Die drei übrigen Konturen lassen sich in dieser Funktion als exklusive Konturen des Dresdnerischen (H*>> L%), Freiburgischen (L*+H HL-L%) bzw. Mannheimerischen (H*+L M%) beschreiben. Tab. 1 Tonologische Konturen für die Abschlussfunktion in acht Regionalvarietäten tonologische Struktur H*+L (L)%
schematische Kontur
B
DD
DU
HH
K
MA
M
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
FR
H* L% fallend H*>> L% x steigendfallend
L*+H HL-(L)%
fallendsteigend
H*+L M%
x
x
H*+L (L)% Für sieben der acht Varietäten stellt die Fallkontur H*+L (L)% die zentrale Abschlusskontur dar. Die Kontur ist beteiligt an der Kontextualisierung von Turn-Enden und turn-internen, gesprächsorganisatorisch bedingten Einschnitten. Die Kontur besteht aus einem bitonalen Akzentton H*+L, der für die eigentliche Fallbewegung verantwortlich ist. Nach dem initial schnellen Fall kommt es zur Verlangsamung der Fallgeschwindigkeit, so dass sich ein Knick herausbildet. Nach dem Knick kann der Verlauf bis zum Phrasenende flach auf tiefem Niveau bleiben oder deklinationsbedingt weiter leicht absinken. In dieser Kontur übernimmt der finale Grenzton seine Qualität vom vorausgehenden trailing tone L und kann selbst unspezifiziert bleiben (H*+L %). Wenn auf der phrasenletzten Silbe noch eine zusätzliche, leichte Fallbewegung stattfindet (final lowering), erhält der Phrasengrenzton eine eigene Tonqualität; die gesamte Kontur besitzt dann die Struktur H*+L L%. Die beschriebene tonologische Struktur kann für alle sieben Varietäten angenommen werden. Auf der postlexikalischen Ebene der phonetischen Implementierung dieser tonologischen Struktur treten dann jedoch zahlreiche regionalspezifische Unterschiede zu Tage. Ein Realisationsaspekt betrifft die Lokalisierung des Konturknicks. Für sechs der sieben Varietäten findet der Knick, i.e. die Verankerung des trailing tones L, innerhalb eines Zeitfensters von zwei Silben statt. Dagegen ist dieses Zeitfenster im Mannheimerischen tendenziell kleiner, denn häufig ist der Knick hier schon nach einer Silbe lokalisiert, d.h. hier setzt die Fallbewegung insgesamt früher ein als in den anderen Varietäten.
342
Zusammenfassung der Ergebnisse
Weiterhin kann massive regionale Variabilität für die Gestaltung der Nukleussilbe festgestellt werden. Am Beispiel der zweisilbigen Fallkonturen wurde die Lokalisierung des F0-Maximums sowie das AusLokalisierung von F0 [% der Dauer maß der Anstiegs- und Fallbewegung in der Nukleussilbe] der Nukleussilbe bestimmt. Die Messer0 25 50 75 100 0 gebnisse können als schematische Mittelwert-Konturen visualisiert werden (Abb. 1, 25 Wiederholung von Abb. 38, S. 207). Demnach sind Nukleussilben im Ber50 linischen, Dresdnerischen und Münchnerischen durch insgesamt wenig Bewegung in 75 Berlin der Nukleussilbe gekennzeichnet: Die AnDresden München 100 stiegs- und Fallbewegung beträgt ca. 25 % Nukleussilbe Nachlaufsilbe und das F0-Maximums ist silbenmittig 0 25 50 75 100 platziert. Diese drei östlichen Regionalva0 rietäten lassen sich damit in Bezug auf die 25 phonetische Realisierung der Fallkontur zusammenfassen. Im Hamburgischen und 50 Mannheimerischen findet dagegen in der Nukleussilbe eine schnelle und ausgepräg75 te Fallbewegung statt (frühe Lokalisierung Hamburg des Maximums, wenig Anstiegsbewegung, Mannheim 100 Nukleussilbe Nachlaufsilbe Fallbewegung um ca. 52 bzw. 82 %). Zwischen diesen beiden Varietäten-Gruppen 0 25 50 75 100 0 ordnen sich das Kölnische und Duisburgische ein. 25 Für das Kölnische lässt sich eine zusätzliche Differenzierung gemäß der wort50 phonologischen Tonakzentopposition beobachten. Der Tonakzent-1 wird hier, 75 vergleichbar der mannheimerischen FallKöln Duisburg 100 kontur, durch eine schnelle Fallbewegung Nukleussilbe Nachlaufsilbe realisiert. Davon setzt sich der TonakAbb. 1 Mittelwert-Konturen für zweisilbige Nuklei basierend auf den Analysen der Merkmale zent-2 durch eine eher spätere LokalisieMaxPos, Anstieg und Fall (vgl. auch die Erläute- rung des F0-Maximums und eine geringere rungen in Kap. 4.1.3.4) Fallbewegung in der Nukleussilbe ab. Die kölnischen Fallkonturen sind damit von der tiefer liegenden Strukturebene der lexikalischen Tonakzente überlagert. Zur Erfassung der vertikalen Skalierung der Fallkontur wurde die Größe des genutzten F0-Umfangs und die Lage des Maximums und Minimums in Relation zu den individuellen Referenzwerten der einzelnen SprecherInnen analysiert. Es konnte gezeigt werden, dass in den hamburgischen und duisburgischen Fallkonturen die rel. F0-Umfang des Nukleus [%]
rel. F0-Umfang des Nukleus [%]
rel. F0-Umfang des Nukleus [%]
max
Tonologie und phonetische Implementierung bei Abschlüssen
343
größten Umfänge verwendet werden, während das Dresdnerische durch einen insgesamt kleinen F0-Umfang gekennzeichnet ist. Obwohl also den SprecherInnen des Dresdnerischen eigentlich ein größerer globaler F0-Umfang zur Disposition steht, werden zur Realisierung der Fallkontur dennoch nur etwa Dreiviertel des Umfangs ausgenutzt. Charakteristisch für das Dresdnerische ist weiterhin, dass in ungefähr einem Drittel der Fallkonturen die finale Lösungstiefe nicht im unteren Frequenzbereich der Sprecherin/des Sprechers liegt, sondern nur mittel-hoch lokalisiert ist. An den einsilbigen Nuklei ließ sich nachweisen, dass es in den meisten Varietäten bei Abnahme des sonorantischen Materials in der Akzentsilbe zur Trunkierung kommt. Dagegen wirkt bei vergleichbaren Strukturen im Hamburgischen Kompression. Auch das Kölnische zählt zu den komprimierenden Varietäten, allerdings beruht der Effekt ausschließlich auf Tonakzent-1-Wörtern. Die Fallkonturen des Standarddeutschen weisen nach Grabe (1998a, b) Trunkierung auf. Durch die vorliegende Analyse lässt sich zeigen, dass dies auf die regionalen Varietäten nur teilweise zutrifft. In diesem Merkmal ist das komprimierende Hamburgische näher am ebenfalls komprimierenden Englischen als am Standarddeutschen. Da für die Interpretation der Struktur einer nuklearen Fallkontur auch der pränukleare Verlauf eine Rolle spielt, wurde das Verhältnis der pränuklearen Silbe zur Nukleussilbe untersucht. Die pränukleare Silbe kann entweder tiefer oder höher als die folgende Nukleussilbe liegen. Im ersten Fall erscheint die Nukleussilbe deutlich aus dem gesamten Konturverlauf herausgehoben (high-fall). Wenn dagegen die pränukleare Silbe höher liegt, so kann sich in der Nukleussilbe kein Gipfel herausbilden und der Verlauf der Nukleussilbe ist dem global fallenden Verlauf der gesamten Intonationsphrase untergeordnet (low-fall/downstep). In allen Regionalvarietäten ist der high-fall durchgängig die häufigste Option, während die low-fall-Variante seltener auftritt. Allerdings ist der Anteil der low-fall-Konturen im Berlinischen und Dresdnerischen höher als in den übrigen Varietäten. Damit wird auf breiterer Datenbasis eine Tendenz bestätigt, die für das Berlinische schon in Gilles (2001a) festgestellt wurde. Insgesamt weist damit die Fallkontur zwar in weiten Teilen des Untersuchungsgebietes die gleiche tonologische Struktur auf, allerdings manifestieren sich auf der phonetischen Realisierungsebene zahlreiche regionale Kontraste. H* L% Bei der Kontur H* L% fehlt im Gegensatz zu H*+L (L)% der Knick im Konturverlauf. Vielmehr fällt die Kontur ausgehend vom Hochton H* in der Nukleussilbe linear bis zum tiefen Grenzton L%. Der Konturverlauf ergibt sich damit aus der linearen Interpolation zwischen dem monotonalen Akzentton und dem Grenzton. Diese Variante der Fallkontur wird in den gleichen funktionalen Kontexten wie die Knickkontur eingesetzt (Abschlussfunktion). In einigen Fällen kann sie auch zur Ankündigung eines längeren Turns (z.B. in einer Erzählung) eingesetzt werden.
344
Zusammenfassung der Ergebnisse
H*>> L% (‚Fallbogen‘) Bei der Kontur H*>> L% handelt es sich um das dresdnerische Spezifikum des ‚Fallbogens‘ (Gericke 1963), der sich durch eine verzögerte Fallbewegung auszeichnet (Kap. 4.1.1.3). Dabei bleibt nach der Nukleussilbe noch mindestens die erste Nachlaufsilbe auf dem gleichen hohen Niveau; erst danach beginnt die eigentliche Fallbewegung. Tonologisch kann die Kontur durch die Tonausbreitung des monotonalen Hochtons der Nukleussilbe in den Nachlauf hinein beschrieben werden, was in der Symbolisierung durch ‚>>‘ ausgedrückt werden soll. Teilweise erreicht die finale Fallbewegung nicht den unteren Bereich des Sprechstimmumfangs, sondern endet mittel-hoch. Diese relativ seltene Kontur wird überwiegend zur Kontextualisierung von emphatischen Abschlüssen eingesetzt (Selting 2003a). L*+H HL-(L)% Die freiburgische steigend-fallende Kontur ist sicherlich die auffälligste Kontur innerhalb der deutschen Regionalvarietäten. Während in allen übrigen Varietäten in Abschlüssen einfache Fallbewegungen vorherrschen, übernimmt in Freiburg eine komplexe und auditiv äußerst prominente Kontur diese Aufgabe. Nicht nur für die Abschlussfunktion sind im Freiburgischen Konturen mit H*-Akzenten äußerst selten. Die Kontur beginnt mit einem steigenden, bitonalen Akzentton L*+H, der sich in der Nukleussilbe durch ein F0-Tal mit angeschlossenem Anstieg manifestiert. Das Maximum des Anstiegs wird spätestens auf der zweiten Nachlaufsilbe erreicht. Sofern ausreichend Silbenmaterial zur Verfügung steht, verbleibt der Verlauf auf diesem hohen Niveau, so dass es zur Plateaubildung kommt. Gegen Ende des Nukleus wird die finale Fallbewegung initiiert. Die finale Fallbewegung ereignet sich auf dieser Silbe mit hoher Fallgeschwindigkeit und erreicht hier bereits fast das tiefste Niveau. Die Tonhöhe von eventuell folgenden Silben bleibt auf diesem tiefen Niveau oder fällt bedingt durch final lowering noch leicht weiter. Die schnelle finale Fallbewegung wird durch die Symbolfolge HL-(L)% erfasst. Der Zeitpunkt für das Einsetzen der finalen Fallbewegung kann eindeutig bestimmt werden: Er fällt immer mit der lexikalisch betonten Silbe des letzten Wortes der Phrase zusammen; diese strukturelle Position ist in der schematischen Kontur in Tab. 1 durch das kleine schattierte Rechteck angezeigt. Damit ist die intonatorische Gestaltung teilweise von der Struktur der lexikalisch-phonologischen Ebene abhängig. Wenn z.B. eine Phrase mit einem trochäischen Wort endet, so beginnt der finale Fall auf der vorletzten Silbe. Bei einem einsilbigen phrasenfinalen Wort ist die Fallbewegung entsprechend ausschließlich auf die letzte Silbe beschränkt. Zur tonologischen Modellierung der finalen Fallbewegung ist es notwendig, einen bitonalen Phrasenakzent HL- anzunehmen, der primär mit dem Phrasenende und sekundär mit der lexikalisch betonten Silbe des phrasenletzten Wort assoziiert ist. In den vorhandenen Beschreibungen zum Deutschen und auch zu anderen Sprachen wurden bislang ausschließlich monotonale Phrasenakzente vorgeschlagen. Das Freiburgische ist damit
Tonologie und phonetische Implementierung bei Abschlüssen
345
höchstwahrscheinlich die erste Varietät, für die ein bitonaler Phrasenakzent erforderlich ist. H*+L M% Mit der fallend-leicht-steigenden Kontur H*+L M% ist im Mannheimerischen eine ungewöhnliche Abschlusskontur zu beobachten. Während nämlich in allen Varietäten Abschlusskonturen eine final fallende Bewegungskomponente aufweisen, kommt es hier zu einem finalen Anstieg auf mittelhohes Niveau. Oft ist die phrasenletzte Silbe stark gedehnt, wodurch der finale Anstieg an Prominenz gewinnt. Damit orientiert sich das Mannheimerische nicht an der universalen Tendenz, wonach Abschlüsse mit einer Fallbewegung bzw. tiefer Tonhöhe kontextualisiert werden. H*+L M% ist die einzige Kontur innerhalb der untersuchten Regionalsprachen, die die Annahme eines (tonologischen) M-Tons notwendig macht. Wenn nämlich hier statt M% auch ein hoher Grenzton H% angenommen würde, so könnte die Distinktivität zu einer ähnlichen mannheimerischen Kontur (i.e. H*+L L-H% zur Kontextualisierung von Weiterweisung) nicht mehr gewährleistet werden. Zwar tritt die Kontur recht selten auf, doch ist ihr eine hohe perzeptive Salienz eigen, die auch in einem Wahrnehmungsexperiment bestätigt werden konnte (Peters et al. 2003). Die Funktion von H*+L M% liegt in der Kontextualisierung von kurzen Gesprächsbeiträgen wie Ausrufen und Einwürfen, denen sie die Modalität der Emphase oder der affirmativen Belehrung/Zurechtweisung hinzufügt. Trotz der vielfältigen realisatorischen Variabilität der Fallkontur(en) und der radikalen tonologischen Distanz zwischen der Fallkontur und der steigend-fallenden Kontur haben diese zentralen Abschlusskonturen in allen Regionalvarietäten doch ein Merkmal gemeinsam: Die nukleare Kontur endet fast immer mit einer finalen Fallbewegung. Die einzige Ausnahme von dieser regionalen Homogenität stellt die mannheimerische Kontur H*+L M% dar. Dieses Übergewicht der realisationellen im Vergleich zur tonologischen Variabilität wurde (für den Sprachvergleich) bereits von Bolinger (1978) konstatiert: Probably the majority of intonational differences from language to language are instances of doing the same things but doing them in different degrees – either more often or less often, or to a greater or lesser extreme. If this is the case, then we can think of an intonation core, an innate pattern of the sort envisioned by Lieberman [gemeint ist Lieberman 1967; PG], from which speakers and cultures may depart, but to which some force is always pushing them back. (Bolinger 1978:510)
Demnach gehört insbesondere die Fallkontur zum intonation core, die nicht nur in den deutschen Regionalsprachen, sondern in nahezu allen Sprachen eine zentrale Stellung einnimmt. Wie die vorgelegten Analysen gezeigt haben, ist es trotz dieses engen Rahmens möglich, dass sich regionale Präferenzen in der Realisation der Kontur herausbilden.
346
Zusammenfassung der Ergebnisse
5.2 Tonologie und phonetische Implementierung bei Weiterweisung Für die Weiterweisungsfunktion konnten deutlich mehr Konturen ermittelt werden als für die Abschlussfunktion. In den Tab. 2 und 3 sind die einzelnen Konturen getrennt für die beiden Weiterweisungsfunktionen zusammengestellt. Insgesamt ist die regionale Variabilität für die sukzessiv-reihende Weiterweisung größer als für die gleichordnend-reihende Weiterweisung (Listen). Während für letztere in allen Regionalsprachen nur drei tonologische Konturen verwendet werden, können für die sukzessiv-reihende Weiterweisung acht Konturen beobachtet werden. Im Folgenden werden die einzelnen Weiterweisungskonturen in ihrer regionalen Verbreitung und realisatorischen Variabilität zusammenfassend dargestellt. Bei nahezu allen Weiterweisungskonturen handelt es sich um Konturen mit einem finalen Anstieg. Die finale Tonhöhe dieser Anstiegskonturen befindet sich in allen Konturen und Regionalvarietäten im oberen Bereich des persönlich zur Verfügung stehenden F0-Umfangs. Diese Weiterweisungskonturen enden damit also auch tatsächlich hoch. Mit diesem Ergebnis können ältere, auditive Untersuchungen korrigiert werden (von Essen 1964, Pheby 1984), die für weiterweisende Äußerungen nur einen leichten finalen Anstieg annehmen. Tab. 2 Tonologische Konturen für die sukzessiv-reihende Weiterweisung tonologische Struktur (L+) H* %
schematische Kontur
B
DD
DU
x
x
x
HH
K
x
x
x
x
MA
M
FR
x
x
(L+)H* H% x steigend
H*+!H % x L*+H % L* H%
fallend-
x
H*+L H% x
steigend
H*+L L-H% x
steigendfallend
x
L* H-L% x
x
x
(L+)H* % Für die (L+)H* %-Plateaukontur ist charakteristisch, dass in der Nukleussilbe ein Hochton wahrgenommen wird und sich daran ein gleichbleibendes Plateau bis zum Phrasenende anschließt. Der finale Phrasengrenzton erhält seine Qualität vom vor-
347
Tonologie und phonetische Implementierung bei Weiterweisung Tab. 3 Tonologische Konturen für die gleichordnend-reihende Weiterweisung (Listen) tonologische Struktur (L+) H* %
steigend
schematische Kontur
B
DD
DU
HH
K
MA
M
x
x
x
x
x
x
x
FR
L*+H % x
x
L* H% x
ausgehenden H*-Akzentton, d.h. er bleibt unspezifiziert (%). Der Plateauverlauf passt sich der Länge des Nachlaufs an und kann gleichbleibend, leicht fallend oder auch leicht steigend realisiert werden. Für diese mikro-intonatorische Variation ist keine regionale Präferenz erkennbar. Diese Plateaukontur wird auch in GToBI als Weiterweisungskontur für das Standarddeutsche angenommen, sie wird dort allerdings mit (L+)H* H-% symbolisiert. Da sich das Plateau der Kontur vom Hochton bis zum Phrasenende erstreckt, ohne dass es zu einer Richtungsänderung kommt, erscheint es m.E. jedoch nicht notwendig, einen Phrasenakzent H- anzunehmen. Durch die hier vorgeschlagene Repräsentation ohne Phrasenakzent kann die Kontur ökonomischer beschrieben werden. Je nach Regionalvarietät kann der H*-Akzentton unterschiedlich realisiert werden: Im Duisburgischen wird der Hochton oft durch einen Sprung vom tieferen Tonniveau erreicht. In Berlin und Dresden ist dagegen häufig in der Nukleussilbe eine schnelle Anstiegsbewegung zu verzeichnen, die ihr Maximum am Ende der Silbe oder am Beginn der ersten Nachlaufsilbe hat (phonetische Varianten: H>-% bzw. LH h-%). In der tonologischen Repräsentation wird das Vorhandensein der schnellen Anstiegsbewegung durch den optionalen leading tone L+ ausgedrückt. Diese Plateaukontur ist einerseits die zentrale Kontur der sukzessiv-reihenden Weiterweisung in Berlin, Dresden und Duisburg, andererseits ist sie aber auch in allen Varietäten außer dem Freiburgischen in der Listenfunktion anzutreffen. (L+)H* H% Trotz ihrer Seltenheit ist diese Plateaukontur aufgrund ihrer perzeptiven Auffälligkeit ein charakteristisches Merkmal des Dresdnerischen; vereinzelt und in auditiv weniger salienter Ausprägung ist diese Kontur auch in Berlin und München zu hören. Die tonologische Struktur entspricht weitgehend der einfachen Plateaukontur und unterscheidet sich lediglich im Phrasengrenzton: Bei dieser Kontur kommt es nämlich auf der phrasenletzten Silbe zu einem deutlichen Anstieg, so dass diese Plateaukontur durch zwei Anstiege gekennzeichnet ist (‚Doppeltreppe‘). Teilweise kann der finale Anstieg über den durchschnittlich genutzten F0-Umfang der Sprecherin/des Sprechers hinausragen. Bei diesen Realisierungen ist dann ein ‚Umkip-
348
Zusammenfassung der Ergebnisse
pen‘ der Stimme in eine andere Stimmqualität zu beobachten. Der Extra-Anstieg ereignet sich ausschließlich auf der phrasenletzten Silbe, d.h. er kann nicht auf den Einfluss des Akzenttons oder eines Phrasenakzents zurückgeführt werden. Es muss sich daher um eine Eigenschaft des Phrasengrenztons handeln. Der nochmalige Anstieg wird durch die tonale Spezifizierung des Grenztons mit H% gewährleistet. Sowohl die Plateaukontur mit als auch die Kontur ohne spezifizierten Phrasengrenzton werden in Berlin und Dresden in der sukzessiv-reihenden Weiterweisung eingesetzt. Es handelt sich damit um zwei tonologisch verschiedene Konturen, die jedoch die gleiche phonologische (konversationelle) Funktion haben. H*+!H % Bei dieser exklusiv im Duisburgischen anzutreffenden Kontur kommt es nach dem Gipfel auf den ersten Nachlaufsilben zu einem schnellen Absinken auf ein nur noch mittel-hohes Plateau, dessen Niveau dann bis zum Phrasenende beibehalten wird. Im Gegensatz zu den beiden ersten Plateaukonturen ist der Akzentton hier bitonal: Auf den H*-Akzentton folgt in konstantem Abstand ein trailing tone. Zur Modellierung des mittel-hohen Niveaus wird angenommen, dass es sich dabei um einen herabgestuften H-Ton handelt (downstep), der durch !H symbolisiert wird. Diese Kontur wird in Duisburg neben (L+)H* % zur Weiterweisung verwendet, ohne dass eine konversationell-funktionale Differenzierung zwischen den beiden Konturen festgestellt werden kann. L*+H % Auch bei L*+H % handelt es sich um eine Plateaukontur, allerdings liegt hier die Nukleussilbe nicht hoch, sondern sie wird durch einen Tiefton gebildet. Nach einem Tal in der Nukleussilbe kommt es in dieser Silbe zu einem Anstieg, dessen Maximum in der Folgesilbe erreicht wird; die restlichen Silben bis zum Phrasenende behalten dieses hohe Niveau bei. Da sich das Maximum immer in einer konstanten Distanz zum L*-Ton befindet, muss hier ein bitonaler Akzent L*+H vorliegen. Der Phrasengrenzton erhält seine Qualität durch Tonausbreitung vom hohen trailing tone H und kann daher unspezifiziert bleiben (%). Diese Weiterweisungskontur ist weitverbreitet und findet sich häufig in Hamburg, Köln, München und Freiburg, aber nur äußerst selten in Berlin, Dresden oder Duisburg. L* H% Bei L* H% ist keine Plateaubildung im Nachlauf erkennbar. Hier kommt es nach einem Tiefton zu einem kontinuierlichen Anstieg, der durch einen hohen Grenzton H% abgeschlossen wird. Der Konturverlauf ergibt sich als Interpolation zwischen Anfangs- und Endpunkt. Damit ist der Akzentton monotal (L*). Dies manifestiert sich auch darin, dass der Verlauf in der Nukleussilbe meist sehr flach ausfällt. Auch zur Modellierung dieser Kontur ist kein Phrasenakzent erforderlich. Der kontinuierliche Anstieg findet sich nur in den drei westlichen Varietäten aus Hamburg, Köln
Tonologie und phonetische Implementierung bei Weiterweisung
349
und Mannheim. Für Mannheim ist sie die einzige Anstiegskontur der Weiterweisung; in den beiden übrigen Varietäten wird die Kontur parallel zur L*+H %-Plateaukontur eingesetzt. H*+L H% und H*+L L-H% Für drei Regionalvarietäten können fallend-steigende Konturen festgestellt werden, die sich in zwei Typen einteilen lassen. Der Typ H*+L H% ist eine charakteristische Kontur des Hamburgischen, deren regionale Salienz in einem Wahrnehmungsexperiment überprüft wurde (Gilles et al. 2001). Die fallende Konturkomponente findet präferiert in einem Zeitfenster von zwei Silben statt, woraus sich ein bitonaler Akzentton H*+L ableiten lässt, wie er schon für die einfache Fallkontur beschrieben wurde. Die Anstiegsbewegung ist im Hamburgischen immer auf die letzte Silbe beschränkt und kann durch einen singulären Grenzton H% spezifiziert werden. Wenn sich zwischen dem Tiefton der Fallbewegung und dem Beginn des Anstiegs weitere Silben befinden, dann bildet sich eine tiefe Talsohle heraus. Dies deutet darauf hin, dass sich der trailing tone L bis zum Beginn des Grenztons ausbreitet. Damit kann die Kontur im Hamburgischen trotz ihrer Komplexität ohne die Zuhilfenahme eines Phrasenakzents tonologisch modelliert werden. Die H*-Gipfel werden besonders hoch platziert und liegen teilweise höher als die entsprechenden Gipfel der einfachen Fallkontur H*+L (L)%. Diese hamburgischen Gipfel gehören zu den durchschnittlich höchsten Gipfeln, die für die untersuchten Regionalsprachen festgestellt werden konnten. Aber auch die finale Anstiegsbewegung erreicht noch ein relativ hohes Tonniveau. Einen anderen tonologischen Typ der fallend-steigenden Kontur weisen das Mannheimerische und (seltener) das Münchnerische auf. Auch hier wird die fallende Komponente durch einen bitonalen Akzentton H*+L gebildet, dessen L-Ton sich bis zum Anstiegsbeginn ausbreitet. Der Anstiegsbeginn ist hier im Gegensatz zum Hamburgischen mit der letzten lexikalisch betonten Silbe des Nachlaufs assoziiert; dies ist in der schematischen Kontur in Tab. 2 (oben) durch ein kleines schattiertes Rechteck angedeutet. Es ergibt sich damit eine systematische Variation der Anstiegsbewegung: Wenn das phrasenletzte Wort einsilbig ist, dann ist der Anstieg ausschließlich auf diese Silbe beschränkt. In diesem Fall unterscheidet sich die Realisierung des Mannheimerischen oder Münchnerischen nicht vom Hamburgischen. Wenn jedoch das phrasenletzte Wort zweisilbig ist und die lexikalisch betonte Silbe auf die vorletzte Silbe der IP fällt, dann beginnt der Anstieg auf dieser Silbe und erstreckt sich folglich über zwei Silben. Der Anstieg ist damit primär mit dem Phrasenende und sekundär mit der letzten lexikalisch betonten Silbe assoziiert. Diese Regularität kann nicht auf den Akzentton und auch nicht auf den Phrasengrenzton zurückgeführt werden. Zur tonologischen Kennzeichnung ist vielmehr ein Phrasenakzent L- notwendig. Die gesamte finale Anstiegsbewegung kann damit durch die Tonkombination L-H% erfasst werden. Die phonetische Realisierung der fallend-steigenden Kontur unterscheidet sich vom Hamburgischen, denn sowohl der
350
Zusammenfassung der Ergebnisse
Gipfel des Akzenttons als auch der H%-Grenzton werden deutlich tiefer realisiert. Eine vergleichbare Kontur des Standarddeutschen wird in GToBI mittels (L+)H* L-H% symbolisiert; sie ist dort aber für ein bestimmtes Frageformat und nicht für die Weiterweisung deklarativer Äußerungen vorgesehen. Auf die funktionale Leistung der fallend-steigenden Konturen konnte in dieser Arbeit nicht eingegangen werden. Es deutet sich jedoch an, dass diese Konturen nur in spezifischen Weiterweisungskontexten vorkommen. In Gilles (2001b) wurde für das Hamburgische gezeigt, dass die fallend-steigende Konturen der Kontextualisierung von Hintergrundwissen dienen: In diesen Phrasen werden meist Informationsbestandteile realisiert, von denen die Sprecherin/der Sprecher annehmen, dass sie den Gesprächsteilnehmern nicht unmittelbar zugänglich sind. L* H-L% Steigend-fallende Konturen vom Typ L* H-L% werden zur Weiterweisung überwiegend in Köln und in geringerem Ausmaß auch in Duisburg und Mannheim eingesetzt. Bei dieser Kontur wird in der Nukleussilbe eine Anstiegsbewegung initiiert, die ihr Maximum im Nachlauf erreicht. Das Maximum wird als ein Tonhöhengipfel realisiert, der auf der letzten lexikalisch betonten Silbe der IP liegt, die zudem oft eine zusätzliche Dehnung aufweist. Der Beginn der Fallbewegung lässt sich durch einen Phrasenakzent H- modellieren, der primär mit dem Phrasenende und sekundär mit der lexikalisch betonten Silbe assoziiert ist. Die Position des Tonhöhengipfels variiert damit systematisch und wird durch die lexikalisch-phonologische Struktur des Nukleus determiniert. An dieser Position beginnt die finale Fallbewegung, die jedoch häufig nur bis auf mittel-hohes Niveau hinunterreicht. Die Kontur weist zwar Ähnlichkeiten mit der freiburgischen Abschlusskontur L*+H HL-(L)% auf, doch ergeben sich gravierende Unterschiede in der Akzenttongestaltung (bitonal vs. monotonal), in der Struktur des Phrasenakzents (HL- vs. H-) und im konturfinalen Tonniveau. Während in der freiburgischen Kontur immer ein tatsächlich tiefes Niveau erreicht wird, wird die Fallbewegung in Köln, Duisburg und Mannheim meist nur bis auf mittel-hohes Niveau ausgeführt. Wichtiger erscheint jedoch, dass der steigend-fallende Verlauf in Freiburg Abschluss kontextualisiert, während er in Köln, Duisburg und Mannheim weiterweisend eingesetzt wird. Damit sind innerhalb der deutschen Regionalsprachen bei ähnlichem Intonationsverlauf gegensätzliche konversationelle Funktionen möglich, die in der interdialektalen Kommunikation zu Missverständnissen führen können.
5.3 Raumbildungen Zur Visualisierung dialektologischer Raumbildungen aufgrund ähnlicher Konturen bzw. Konturinventare werden nun die einzelnen Konturen in Karten eingetragen. Die Karte in Abb. 2 illustriert die Verteilung der tonologischen Konturen in der Ab-
351
Raumbildungen
schluss-Funktion. Es ist ersichtlich, dass sich die meisten der untersuchten Regionalvarietäten eines gemeinsamen tonologischen Kontur-Inventars bedienen: Abgesehen vom Freiburgischen dominieren in allen Varietäten die Fallkonturen. Die Angaben auf der Karte beziehen sich natürlich nur auf die untersuchten Varietäten. Über die genaue Verbreitung der Konturen in der Umgebung liegen keine Angaben vor. Es erscheint jedoch nicht unplausibel, die Fallkontur in allen Regionen mit Ausnahme des Südwestens als die zentrale Abschlusskontur zu betrachten. Basierend auf meiner persönlichen Hörerfahrung lässt sich vermuten, dass die steigend-fallenden Konturen noch mindestens bis Karlsruhe zu hören sind. Insofern würde es sich um ein ‚badisches’ Intonationscharakteristikum handeln. Inwiefern die steigend-fallenden Konturen des ‚Badischen’ für das ebenfalls alemannische Schwäbische angenommen werden können, ist zur Zeit noch nicht abschließend geklärt.1 Auch wenn die genaue Grenzziehung noch nicht möglich ist, so deutet sich doch Abschlusskonturen P. Gilles, 2005
Hamburg
Berlin
H*+L (L)% H* L%
H*+L (L)% H* L%
Duisburg H*+L (L)% H* L%
Dresden H*+L (L)% H* L%
H*>> L%
Köln H*+L (L)% H* L%
Mannheim H*+L (L)% H* L%
Freiburg L*+H HL-(L)%
H*+L M%
München H*+L (L)% H* L%
Abb. 2 Regionale Verteilung der tonologischen Abschlusskonturen in acht deutschen Regionalvarietäten
1
Für erste Ergebnisse vgl. Kügler (Ms.).
352
Zusammenfassung der Ergebnisse
bereits durch die vorliegenden Ergebnisse an, dass eine zentrale intonatorische Isoglosse den Südwesten (möglicherweise das Gebiet des Alemannischen) vom übrigen Sprachgebiet abgrenzt. Die Verteilung der Weiterweisungskonturen in den acht Regionalvarietäten ist aus Abb. 3 zu entnehmen. Demnach besitzen das Berlinische und Dresdnerische identische Inventare. Das Duisburgische lässt sich ebenfalls zu dieser Gruppe rechnen, da auch hier die Kontur (L+)H* % überwiegt. Ausgesprochen komplexe Weiterweisungsinventare können für das Hamburgische, Kölnische und Mannheimerische herausgearbeitet werden: Hier sind jeweils drei Weiterweisungskonturen anzutreffen, die teilweise recht häufig vorkommen. Es ist anzunehmen, dass sich hier weitere funktionale Differenzierungen herausgebildet haben, die in Folgeuntersuchungen genauer analysiert werden müssen. Weiterweisungskonturen
P. Gilles, 2005
Berlin
Hamburg L*+H %
L* H%
(L+)H* %
H*+L H%
Duisburg (L+)H* %
H*+!H %
Dresden (L+)H* %
(L+)H* H%
Köln L*+H %
L* H%
L* H-L%
Mannheim L* H%
Freiburg L*+H %
H*+L L-H% L* H-L%
München L*+H %
H*+L L-H%
Abb. 3 Regionale Verteilung der tonologischen Weiterweisungskonturen in acht deutschen Regionalvarietäten
Das ökonomischste Weiterweisungsinventar kann für das Freiburgische aufgestellt werden: Hier wird die Weiterweisung nämlich nur durch eine nukleare Kontur kon-
Raumbildungen
353
textualisiert (L*+H %). Auch in der Abschlussfunktion verwendet das Freiburgische nur eine Kontur (L*+H HL-(L)%). Insgesamt weist diese Varietät damit für beide Funktionen nur zwei tonologische Konturen auf, so dass hier im Vergleich zu den übrigen Varietäten das kleinste Konturinventar vorliegt. Das Münchnerische teilt mit dem Freiburgischen die Weiterweisungskontur L*+H % und mit dem Mannheimerischen die fallend-steigende Kontur H*+L L-H%. Es weist damit keine Ähnlichkeiten mit dem Dresdnerischen oder Berlinischen auf. Dieser Befund steht im Gegensatz zur phonetischen Realisierung der Fallkontur, die in diesen drei östlichen Varietäten relativ ähnlich verläuft und sich gegenüber der westlichen Fallkonturrealisierung etwa des Hamburgischen oder Mannheimerischen positioniert. Es zeichnet sich damit ab, dass das Intonationssystem des Münchnerischen sowohl Merkmale des Südens und Südwestens als auch des Ostens besitzt. Unter dieser dialektgeographischen Perspektive handelt es sich beim Münchnerischen um ein Mischsystem. Dafür spricht auch, dass sich für diese Varietät keine exklusiv nur hier vorhandene Intonationskontur feststellen lässt, während dies für alle übrigen Varietäten möglich ist. Zur tonologischen Charakterisierung im Rahmen des autosegmental-metrischen Tonsequenzmodells ist für die meisten nuklearen Konturen eine Kombination aus mono- oder bitonalen Akzenttönen und Phrasengrenztönen ausreichend. Für einige komplexe Konturen ist zusätzlich die Annahme eines Phrasenakzents notwendig. Der Phrasenakzent ist zwar primär mit der rechten Phrasengrenze assoziiert, aufgrund einer sekundären Assoziation mit der letzten lexikalisch betonten Silbe einer Phrase liegt er jedoch häufig nicht auf der phrasenletzten Silbe, sondern wird früher realisiert. Zentrale Relevanz für die Konturstruktur haben Phrasenakzente im Kölnischen, Mannheimerischen und Freiburgischen. Auch bei seltener vorkommenden Konturen des Duisburgischen und Münchnerischen sind Phrasenakzente notwendig. Dialektgeographisch betrachtet werden damit Phrasenakzente vor allem im (Süd-)Westen relevant. Phrasenakzente dienen hier zur Erfassung der Richtungsänderungen im Nachlauf der fallend-steigenden und steigend-fallenden Kontur, die nicht auf den Akzentton oder den Grenzton zurückgeführt werden können. Keine Phrasenakzente sind hingegen erforderlich, um die Konturen des Berlinischen, Dresdnerischen oder Hamburgischen zu modellieren. Die Regionalvarietäten unterscheiden sich damit nicht nur in der tonologischen Struktur der Konturen, sondern auch darin, welche der autosegmentalen Tonkategorien für ihre Beschreibung erforderlich sind. Damit weicht die hier vorgeschlagene tonologische Strukturierung von den GToBI-Konventionen ab, die für jede nukleare Kontur einen Phrasenakzent (ip-Grenzton) vorsehen. Es erscheint beobachtungsadäquater, Phrasenakzente tatsächlich nur für solche Konturen anzunehmen, die in ihrer Oberflächenform auch eine entsprechende intonatorische Bewegung, etwa als Richtungsänderung, erkennen lassen.
354
Zusammenfassung der Ergebnisse
5.4 Sievers‘ These der ‚Umlegung der Melodien‘ Die vorliegenden Ergebnisse erlauben erstmals eine empirische Validierung von Eduard Sievers‘ (1912) These zur ‚Umlegung der Melodien‘. Dieser radikale Entwurf sieht vor, dass sich im deutschen Sprachgebiet zwei intonatorische ‚Generalsysteme‘ gegenüberstehen. Im norddeutschen System werden die ‚Nachdrucksilben‘, bei denen es sich nach neuerer Terminologie um Akzentsilben handeln dürfte, hoch gelegt und die unbetonten Silben erscheinen in Tieflage. Aus dieser Konstellation ergeben sich fallende Intonationsverläufe. Im Süddeutschen sollen spiegelbildliche Verhältnisse vorliegen, d.h. aus tiefen Akzentsilben und hoch gelegten unbetonten Silben resultieren ansteigende Verläufe. Wenn die regionale Verteilung der Abschlusskonturen in Hinblick auf Sievers‘ These betrachtet wird, so kontrastieren die in sieben Städten vorherrschenden Fallkonturen H*+L (L)% mit der steigend-fallenden Kontur L*+H HL-(L)% im Freiburgischen. Damit kontrastieren die tieftonigen Akzentsilben L*+H des Südwestens mit den hochtonigen Akzentsilben H*+L im übrigen Sprachgebiet. Die spiegelbildliche Umlegung lässt sich allerdings nicht für den Nachlauf der Konturen feststellen: Erwartbar wäre eine Anstiegskontur im Südwesten bzw. eine fallend-steigende Kontur im übrigen Sprachgebiet. Die beobachtbare Umlegung der Konturen betrifft also erstens nur die Nukleussilbe und ist zweitens auf das Freiburgische beschränkt, während das ebenfalls süddeutsche Münchnerische sich wie die mittel- und norddeutschen Varietäten verhält. Komplexer gestaltet sich die eventuelle Umlegung für die Weiterweisungskonturen. Da für diese nuklearen Konturen zahlreiche tonologische Strukturen unterschiedlichster Form beobachtet werden können, ist es offensichtlich, dass keine vollständige Umlegung der gesamten nuklearen Struktur vorliegen kann. Die folgende Darstellung konzentriert sich daher auf die Umlegung der nuklearen Akzenttöne der Anstiegskonturen. Dazu ist es erforderlich, einen (letzten) Blick auf die quantitative Verteilung aller Anstiegsvarianten zu werfen. Zunächst werden alle Anstiegskonturen gemäß der Qualität des gesternten Tons in Hochton- (H*) und Tieftonkonturen (L*) eingeteilt. Die prozentualen Häufigkeiten der Tieftonkonturen sind in Balkenform und getrennt nach sukzessiv-reihender Weiterweisung und Listen in Abb. 4 eingetragen. Aus dem verbleibenden Bereich eines jeden Balkens ergibt sich der Anteil der Hochtonkonturen. Die Häufigkeitsverteilung eröffnet für die sukzessiv-reihende Weiterweisung (dunkelgraue Balken) relativ eindeutige areale Interpretationsmöglichkeiten, die sich jedoch nicht in Einklang mit der Sievers‘schen These bringen lassen. Demnach sind mit Werten zwischen 60 und 80 % in Berlin, Dresden und Duisburg überwiegend Hochtöne zu finden. Ausgesprochene Tieftonvarietäten sind die beiden süddeutschen Varietäten (München, Freiburg), aber auch die westmitteldeutschen Varietäten aus Mannheim und Köln. Überraschenderweise gehört auch das Hamburgische zu dieser Gruppe. Dialektgeographisch betrachtet sind also der ge-
355
Sievers‘ These der ‚Umlegung der Melodien‘
samte Süden und weite Teile des Westens durch tiefe Akzenttöne gekennzeichnet, denen Hochakzente im Osten (Berlin und Dresden) und in Duisburg entgegenstehen. Für diese Weiterweisungskonturen lässt sich damit Sievers’ Umlegung eindeutig zurückweisen.
Hamburg 72 25
Berlin
18 12
Duisburg
35 0
Köln 42 75 14
39 21
Dresden
Mannheim 89 48
Freiburg 83 67
62 45
München
L* in sukzessivreih. Weiterw. L* in Listen P. Gilles, 2005
Abb. 4 Karte mit den prozentualen Häufigkeiten für die Anteile der Tieftonkonturen für die sukzessiv-reihende Weiterweisung und für Listen; die Häufigkeit ergibt sich aus der Länge des Balkens; zusätzlich ist der Prozentwert angegeben
Für die Listenfunktion (hellgraue Balken) zeichnet sich hingegen eine Zweiteilung zwischen dem nord- und mitteldeutschen Gebiet einerseits und dem Süddeutschen andererseits ab. In Hamburg, Berlin, Dresden, Duisburg und Köln sind Tieftonkonturen selten vertreten und es dominieren eindeutig die Hochtöne. In Mannheim, Freiburg und München nimmt die Häufigkeit der Tieftonkonturen zu. Aber nur in Freiburg dominiert dieser Konturtyp tatsächlich. Für die übrigen Städte der südlichen Gruppe lässt sich vielmehr eine Mischung zwischen hoch- und tief-tonigen Listenkonturen feststellen. Insgesamt kann aus der arealen Distribution der Hochton- und Tieftonkonturen keine eindeutige Evidenz für eine generelle Korrektheit von Sievers‘ These ab-
356
Zusammenfassung der Ergebnisse
geleitet werden. Zwar dominieren L*-Konturen im Süden, doch weisen auch die meisten der westlichen Varietäten diese Konturen auf. Damit wird der größte intonatorische Kontrast zwischen dem Südwesten (Freiburg) und dem (Nord-)Osten (Berlin, Dresden) etabliert.
5.5 Ausblick Bedingt durch die explorative Anlage dieser Studie konnten nicht alle dialektologischen, phonetischen, tonologischen oder gesprächsanalytischen Aspekte der Intonation deutscher Regionalsprachen mit der gleichen Ausführlichkeit dargestellt werden. Als fruchtbar hat sich der methodische Zugang über die konversationellen Funktionen der Intonation erwiesen, da damit eine operationalisierbare Vergleichsgrundlage für die kontrastive Analyse der intonatorischen Gestaltung zur Verfügung gestellt wurde. In einer Fortführung dieses Ansatzes müssten die globalen Funktionskomplexe ‚Abschluss‘ und ‚Weiterweisung‘ noch weiter differenziert werden, indem z.B. die Informationsstruktur des Diskurses (neue, bekannte, aktivierbare Information) berücksichtigt wird. Die Vielfalt der Weiterweisungskonturen in einigen Varietäten (Hamburg, Köln, Mannheim) lässt vermuten, dass unter der weiterweisenden Globalfunktion noch weitere Subfunktionen subsumiert sind. Umgekehrt erscheint für die Intonationsforschung eine weitergehende funktionale Differenzierung für diejenigen Varietäten nicht notwendig zu sein, die ohnehin nur zwei Konturen aufweisen: Das Freiburgische weist in der hier vorgelegten Interpretation nur zwei nukleare Konturen auf, und damit können eventuelle Funktionsdifferenzierungen nicht intonatorisch kontextualisiert werden, sondern müssen unter Umständen mit anderen sprachlichen Mitteln realisiert werden. Ebenfalls nicht thematisiert werden konnten eventuelle Unterschiede zwischen den SprecherInnen der gleichen Varietät. In dieser Hinsicht ist bei der derzeitigen Forschungslage noch nicht geklärt, wie die Dialektalitätsniveaus der segmentalphonologischen mit der intonatorischen Ebene korrelieren. Lohnenswert erscheint daher ein Vergleich von standardnahen mit standardfernen SprecherInnen. Die vorliegende Untersuchung ist m.E. eine der ersten dialektologischen Studien, in deren Zentrum nicht ein einzelner, lokaler Dialekt oder das Verhältnis eines Dialekts zur überdachenden Standardsprache steht. Vielmehr wurden rekurrente prosodische Merkmale von Regionalsprachen in einem regionenübergreifenden, dialektologischen Ansatz analysiert. Diese globalere Perspektive auf die areale Variabilität (und deren Funktionen) kann dazu beitragen, dass der auf die Regional- und Kleinraumforschung eingeschränkte Blickwinkel der Dialektologie in Richtung auf eine Variationslinguistik erweitert wird, die das Gesamtsystem ‚Deutsch‘ umfasst. Es sind insbesondere prosodische Merkmale, für die eine regionenübergreifende Methodik sinnvoll erscheint. Als weitere Forschungsdesiderate seien hier abschließend die Dauervariation (vgl. Siebenhaar et al. 2001, 2004), die Distribution des
Ausblick
357
Glottisverschlusslautes (Nübling/Schrambke 2004), die Auslautverhärtung, Assimilationen und regionale Unterschiede in der Stimmqualität genannt.
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Anhang Anhang A Sozialangaben der SprecherInnen des untersuchen Korpus Sprecherkürzel
Geschlecht
Alter
Beruf
Stadtteil
HH01 HH03 HH04 HH06 HH07 HH08 HH09 HH10
m m m m m m m m
63 62 60 60 65 65 69 63
Hamburg Handwerker, i.R. Abteilungsleiter Finanzprüfer Maschinenbauer, i.R. Maschinenbauer, i.R. Beamter, i.R. EDV-Berater, i.R. Pastor
B01 B02 B03 B04 B05 B07 B08 B09 B10
m m m m m m m m m
59 59 60 61 61 62 68 67 70
Berlin Imbisshändler Polier Angest. Stadtreinigung, i.R. Maschinenbauer, i.R. Schlossermeister, i.R. Diplomingenieur, i.R. Bahnvorsteher, i.R. Postangestellter, i.R. Abteilungsleiter, i.R.
DD01 DD02 DD04 DD05 DD06w DD07 DD10
m m m m w m m
62 79 96 79 68 63 78
Dresden Stellmacher, i.R. Friseur, i.R. Abteilungsleiter, i.R. Maschinenschlosser, i.R. Landwirtin, i.R. KFZ-Schlosser, i.R. Reichsbahnbeamter, i.R.
DU01 DU02 DU03 DU04 DU05 DU06 DU07 DU08
m m m m m m m m
Dauer [h:m]
Bergedorf Uhlenhorst Stellingen Billstedt Bergedorf Volksdorf Harburg Harburg Gesamtdauer [h:m]
1:38 1:59 2:07 1:17 1:23 1:52 1:28 1:04 14:28
Tempelhof Heiligensee Kreuzberg Alt-Glienicke Köpenick Charlottenburg Lankwitz Neukölln Johannistal Gesamtdauer [h:m]
1:46 0:41 1:04 1:43 1:05 1:23 1:20 1:36 1.38 12:16
Radebeul Kesseldorf Innenstadt Innenstadt Malschendorf Innenstadt Innenstadt Gesamtdauer [h:m]
2:02 2:02 2:01 2:02 2:02 1:42 2:01 13:52
Duisburg
Homberg ca. 63 -70
Bergarbeiter i.R. Neumühl
Gesamtdauer [h:m]
0:47 0:47 0:47 0:48 1:36 1:18 1:37 1:21 9:01
374
Anhang
Sprecherkürzel
Geschlecht
Alter
K06 K07w K09 K10 K11w KF KFw
m w m m w m w
50 66 53 55 80 60 ca. 55
Beruf
Stadtteil
Dauer [h:m]
Köln Ingenieur Verkäuferin Kaufmann Angestellter Postangestellte, i.R. Vorarbeiter Sekretärin
Nippes Weiss Nippes Knipprath Nippes Buchheim Buchheim
0:44 1:12 1:10 1:13 1:16
MA04 MA05 MA06 MA07 MA08 MA10 MA11 MA12
m m m m m m m m
68 70 62 57 51 72 58 57
Mannheim Schuldirektor, i.R. Feuerwehrmann, i.R. Fahrer, i.R. Versicherungskaufmann Speditionskaufmann Beamter, i.R. Technischer Angestellter, i.R. Hausmeister
FR01w FR02w FR03 FR03w FR05w FR06 FR07 FR08
w w m w w m m m
55 58 78 55 66 72 45 75
Freiburg Sekretärin Sekretärin Bahnangestellter, i.R. Hausfrau Geschäftsfrau, i.R. Rechtsanwalt, i.R. Geschäftsmann Redakteur, i.R.
M01w M02 M03 M05 M07w M08 M09 M10
w m m m w m m m
76 62 48 65 75 71 71 61
München Friseurmeisterin, i.R. Vertreter, i.R. Tech. Entwickler Bäckermeister. i.R. Töpferin, i.R. Tech. Angest. i.R. Bauschlosser, i.R. Verkäufer, i.R.
1:30
Gesamtdauer [h:m]
7:05
Neuostheim Neuhermsheim Jungbusch Schönau Jungbusch Käfertal Vogelstang Schönau Gesamtdauer [h:m]
1:11 2:15 1:57 1:24 1:01 1:22 0:44 1:28 11:22
Stühlinger Wiehre St. Georgen St. Georgen St. Georgen Innenstadt Wiehre Mooswald Gesamtdauer [h:m]
0:42 1:02
Sendling Bogenhausen Sendling Schwabing Neuhausen Sendling Sendling Bogenhausen Gesamtdauer [h:m]
1:24 1:31 1:32 1:23 1:32 1:31 1:32 1:25 11:50
1:28 1.18 0:52 1:07 1:02 7:31
375
Anhang
Anhang B Statistische Analysen (univariate Analysen mit dem ‚General Linear Modell‘, SPSS Version 11) Zweisilbige Fallkonturen (Kap. 4.1.3.1) - Univariate Varianzanalyse Faktor: Stadt Abhängige Variable: MaxPos [sec] Kontrollvariable: Dauer [sec] des sonoranten Bereichs der Nukleussilbe A) Tests of Between-Subjects Effects Source
Type III Sum of Squares
df
Mean Square
F
Sig.
583,9144836
9,83936E-84
10,39304169
2,78757E-09
1,729063526
0,000132855
1,271148925
0,143164104
Intercept
Hypothesis
1,475346458
1
1,475346458
Error
1,155344761
457,263808
0,002526648
STADT
Hypothesis
0,095052805
6
0,015842134
Error
0,185295276
121,5607383
0,001524302
DAUER STADT * DAUER
Hypothesis
1,106070168
424
0,002608656
Error
0,196896101
130,5062299
0,00150871
Hypothesis
0,163317767
105
0,001555407
Error
0,08443
69
0,001223623
B) Expected Mean Squares Variance Component Var(STADT * DAUER)
Var(Error)
Quadratic Term
Source
Var(DAUER)
Intercept
1,258151934
1,038285769
1
Intercept, STADT
STADT
0
1,118078375
1
STADT
DAUER
1,351721922
1,060100662
1
STADT * DAUER
0
1,233743889
1
Error
0
0
1
C) Post Hoc Tests nach Scheffé Faktor: Stadt Multiple Comparisons Abhängige Variable: MaxPos [sec] Signifikant verschiedene Städtepaare (p <.05) sind durch schattierte Zellen hervorgehoben. Mean Difference
Std. Error
Sig.
95% Confidence Interval Lower Bound
Upper Bound
DD
-0,010139672
0,005583912
0,76864007
-0,030579407
0,010300063
DU
0,00657654
0,005260664
0,953315673
-0,012679954
0,025833034
HH
0,039412928
0,00527655
1,83757E-07
0,020098285
0,058727571
K
0,010228615
0,005044077
0,662007222
-0,00823507
0,028692299
M
0,014026726
0,005343488
0,344098389
-0,005532944
0,033586396
MA
0,047538462
0,005185829
2,37698E-10
0,0285559
0,066521023
Scheffé STADT
B
STADT
376
Anhang Mean Difference
Std. Error
Sig.
95% Confidence Interval Lower Bound
Upper Bound
B
0,010139672
0,005583912
0,76864007
-0,010300063
0,030579407
DU
0,016716212
0,005653481
0,205941835
-0,003978176
0,0374106
HH
0,0495526
0,005668266
1,27071E-09
0,028804093
0,070301108
K
0,020368286
0,00545252
0,04196744
0,000409509
0,040327064
M
0,024166398
0,005730631
0,012385524
0,003189606
0,045143191
MA
0,057678133
0,005583912
2,45552E-12
0,037238399
0,078117868
B
-0,00657654
0,005260664
0,953315673
-0,025833034
0,012679954
DD
-0,016716212
0,005653481
0,205941835
-0,0374106
0,003978176
HH
0,032836389
0,005350116
2,66098E-05
0,013252457
0,05242032
K
0,003652075
0,005120985
0,997569944
-0,015093127
0,022397277
M
0,007450187
0,005416146
0,926894857
-0,012375444
0,027275817
MA
0,040961922
0,005260664
5,38684E-08
0,021705428
0,060218416
Scheffé STADT
DD
DU
HH
K
M
MA
STADT
B
-0,039412928
0,00527655
1,83757E-07
-0,058727571
-0,020098285
DD
-0,0495526
0,005668266
1,27071E-09
-0,070301108
-0,028804093
DU
-0,032836389
0,005350116
2,66098E-05
-0,05242032
-0,013252457
K
-0,029184314
0,005137302
0,00013218
-0,047989246
-0,010379382
M
-0,025386202
0,005431577
0,0033832
-0,045268317
-0,005504087
MA
0,008125533
0,00527655
0,879670257
-0,01118911
0,027440176 0,00823507
B
-0,010228615
0,005044077
0,662007222
-0,028692299
DD
-0,020368286
0,00545252
0,04196744
-0,040327064
-0,000409509
DU
-0,003652075
0,005120985
0,997569944
-0,022397277
0,015093127
HH
0,029184314
0,005137302
0,00013218
0,010379382
0,047989246
M
0,003798112
0,005206032
0,997240942
-0,015258402
0,022854626
MA
0,037309847
0,005044077
2,43058E-07
0,018846162
0,055773532
B
-0,014026726
0,005343488
0,344098389
-0,033586396
0,005532944
DD
-0,024166398
0,005730631
0,012385524
-0,045143191
-0,003189606
DU
-0,007450187
0,005416146
0,926894857
-0,027275817
0,012375444
HH
0,025386202
0,005431577
0,0033832
0,005504087
0,045268317
K
-0,003798112
0,005206032
0,997240942
-0,022854626
0,015258402 0,053071405
MA
0,033511735
0,005343488
1,64241E-05
0,013952065
B
-0,047538462
0,005185829
2,37698E-10
-0,066521023
-0,0285559
DD
-0,057678133
0,005583912
2,45552E-12
-0,078117868
-0,037238399
DU
-0,040961922
0,005260664
5,38684E-08
-0,060218416
-0,021705428
HH
-0,008125533
0,00527655
0,879670257
-0,027440176
0,01118911
K
-0,037309847
0,005044077
2,43058E-07
-0,055773532
-0,018846162
M
-0,033511735
0,005343488
1,64241E-05
-0,053071405
-0,013952065
Zweisilbige Fallkonturen (Kap. 4.1.3.2) - Univariate Varianzanalyse Faktor: Stadt Abhängige Variable: Fall [st] Kontrollvariable: F0-Umfang [st] des gesamten Nukleus A) Tests of Between-Subjects Effects Type III Sum of Squares
Source Intercept STADT
df
Mean Square
F
Sig.
838,3547294
6,29E-113
11,61809357
2,19869E-07
Hypothesis
4441,058627
1
4441,058627
Error
2932,789779
553,6333536
5,297350241
Hypothesis
77,70376423
6
12,95062737
Error
42,80487302
38,40053503
1,114694704
377
Anhang UMFANG STADT * UMFANG
Hypothesis
2945,380576
552
5,335834376
Error
42,89929952
38,51466548
1,113843233
Hypothesis
42,47158606
38
1,117673317
Error
5,942817084
8
0,742852135
4,7904716
5,43109E-08
1,504570377
0,281191081
B) Expected Mean Squares Variance Component Source
Var(UMFANG)
Var(STADT * UMFANG)
Var(Error)
Quadratic Term
Intercept
1,072272479
1,006712166
1
Intercept, STADT
STADT
0
1,013832082
1
STADT
UMFANG
1,081681291
1,01151054
1
STADT * UMFANG
0
1,021953299
1
Error
0
0
1
C) Post Hoc Tests nach Scheffé Multiple Comparisons Faktor: Stadt Abhängige Variable: Fall [st] Signifikant verschiedene Städtepaare (p <.05) sind durch schattierte Zellen hervorgehoben. Mean Difference
Std. Error
Sig.
95% Confidence Interval Lower Bound
Upper Bound
DD
0,040262159
0,137583368
0,9999768
-0,597440566
0,677964885
DU
-1,142568751
0,129618771
0,000975446
-1,743355347
-0,541782155
HH
-2,863306359
0,130010181
1,01289E-06
-3,465907151
-2,260705566
K
-2,164691905
0,124282237
6,27057E-06
-2,740743516
-1,588640293
M
-0,398085202
0,131659501
0,283543099
-1,00833064
0,212160236
MA
-4,302757836
0,127774882
3,57229E-08
-4,894997957
-3,710517715
Scheffeé STADT
B
DD
DU
HH
STADT
B
-0,040262159
0,137583368
0,9999768
-0,677964885
0,597440566
DU
-1,18283091
0,139297482
0,001263707
-1,8284786
-0,53718322
HH
-2,903568518
0,13966177
1,58869E-06
-3,55090469
-2,256232346
K
-2,204954064
0,13434596
9,90705E-06
-2,827651314
-1,582256815
M
-0,438347362
0,141198396
0,261202976
-1,09280584
0,216111116
MA
-4,343019995
0,137583368
5,95938E-08
-4,980722721
-3,70531727
B
1,142568751
0,129618771
0,000975446
0,541782155
1,743355347
DD
1,18283091
0,139297482
0,001263707
0,53718322
1,8284786
HH
-1,720737608
0,131822807
5,63955E-05
-2,331739971
-1,109735244
K
-1,022123154
0,126177175
0,001744247
-1,606957859
-0,437288449
M
0,744483549
0,133449727
0,018377025
0,125940367
1,36302673
MA
-3,160189085
0,129618771
4,56658E-07
-3,760975681
-2,559402489
B
2,863306359
0,130010181
1,01289E-06
2,260705566
3,465907151
DD
2,903568518
0,13966177
1,58869E-06
2,256232346
3,55090469
DU
1,720737608
0,131822807
5,63955E-05
1,109735244
2,331739971
K
0,698614454
0,126579228
0,019542719
0,111916224
1,285312684
M
2,465221156
0,133829933
4,06818E-06
1,844915709
3,085526604
MA
-1,439451477
0,130010181
0,000191104
-2,042052269
-0,836850685
378
Anhang Mean Difference
Std. Error
Sig.
95% Confidence Interval Lower Bound
Upper Bound
B
2,164691905
0,124282237
6,27057E-06
1,588640293
2,740743516
DD
2,204954064
0,13434596
9,90705E-06
1,582256815
2,827651314
DU
1,022123154
0,126177175
0,001744247
0,437288449
1,606957859
HH
-0,698614454
0,126579228
0,019542719
-1,285312684
-0,111916224
Scheffeé STADT
K
M
MA
STADT
M
1,766606703
0,128272671
3,76766E-05
1,172059318
2,361154087
MA
-2,138065931
0,124282237
6,89834E-06
-2,714117542
-1,562014319
B
0,398085202
0,131659501
0,283543099
-0,212160236
1,00833064
DD
0,438347362
0,141198396
0,261202976
-0,216111116
1,09280584
DU
-0,744483549
0,133449727
0,018377025
-1,36302673
-0,125940367
HH
-2,465221156
0,133829933
4,06818E-06
-3,085526604
-1,844915709
K
-1,766606703
0,128272671
3,76766E-05
-2,361154087
-1,172059318
MA
-3,904672634
0,131659501
9,75838E-08
-4,514918071
-3,294427196
B
4,302757836
0,127774882
3,57229E-08
3,710517715
4,894997957
DD
4,343019995
0,137583368
5,95938E-08
3,70531727
4,980722721
DU
3,160189085
0,129618771
4,56658E-07
2,559402489
3,760975681
HH
1,439451477
0,130010181
0,000191104
0,836850685
2,042052269
K
2,138065931
0,124282237
6,89834E-06
1,562014319
2,714117542
M
3,904672634
0,131659501
9,75838E-08
3,294427196
4,514918071
Zweisilbige Anstiegskonturen (Kap. 4.2.3.1) - Univariate Varianzanalyse Faktor: Stadt Abhängige Variable: MinPos [sec] Kontrollvariable: Dauer [sec] des sonoranten Bereichs der Nukleussilbe A) Tests of Between-Subjects Effects Type III Sum of Squares
df
Mean Square
F
Sig.
Hypothesis
0,54242913
1
0,54242913
305,3838823
5,10947E-52
Error
0,761185518
428,5422291
0,001776221
Hypothesis
0,017491843
7
0,002498835
1,099637451
0,386984312
Error
0,072684563
31,98557613
0,002272417 0,779707775
0,855975866
1,977298819
0,114858686
Source Intercept STADT DAUER STADT * DAUER
Hypothesis
0,734310897
413
0,001777992
Error
0,07241964
31,75837729
0,002280332
Hypothesis
0,072701323
32
0,002271916
Error
0,012639
11
0,001149
B) Expected Mean Squares Variance Component Source
Var(DAUER)
Var(STADT * DAUER)
Var(Error)
Quadratic Term
Intercept
1,078311542
1,011743465
1
Intercept, STADT
STADT
0
1,015916276
1
STADT
DAUER
1,101908567
1,023073888
1
STADT * DAUER
0
1,015463651
1
Error
0
0
1
379
Anhang
C) Post Hoc Tests Multiple Comparisons Faktor: Stadt Abhängige Variable: MinPosAnstieg [sec] Signifikant verschiedene Städtepaare (p <.05) sind durch schattierte Zellen hervorgehoben. Mean Difference
Scheffé STADT
B
DD
DU
FR
HH
K
Std. Error
Sig.
STADT 0,005836203
0,628088047
95% Confidence Intervall Lower Bound
Upper Bound
-0,040297771
0,013301724
DD
-0,013498024
DU
-0,011710145
0,007102555
0,890487822
-0,044324962
0,020904672
FR
-0,02629838
0,00625952
0,082449846
-0,055041991
0,00244523 0,014313945
HH
-0,013286416
0,006010553
0,674304741
-0,040886777
K
-0,050430145
0,006295409
0,000778062
-0,079338559
-0,021521731
MA
-0,04180891
0,00555314
0,001332269
-0,067308836
-0,016308985
MU
0,001512077
0,00615873
0,999999224
-0,026768708
0,029792862
B
0,013498024
0,005836203
0,628088047
-0,013301724
0,040297771
DU
0,001787879
0,007155642
0,999999123
-0,03107071
0,034646467
FR
-0,012800357
0,006319692
0,754865815
-0,041820276
0,016219563
HH
0,000211608
0,006073193
1
-0,027676392
0,028099607
K
-0,036932121
0,006355241
0,010476723
-0,066115284
-0,007748958
MA
-0,028310887
0,005620879
0,028169261
-0,054121868
-0,002499905
MU
0,015010101
0,006219877
0,582479318
-0,013551471
0,043571673
B
0,011710145
0,007102555
0,890487822
-0,020904672
0,044324962
DD
-0,001787879
0,007155642
0,999999123
-0,034646467
0,03107071
FR
-0,014588235
0,0075049
0,78818916
-0,049050614
0,019874143
HH
-0,001576271
0,007298541
0,999999681
-0,035091049
0,031938506
K
-0,03872
0,00753486
0,02469901
-0,073319953
-0,004120047
MA
-0,030098765
0,006926709
0,068629511
-0,061906101
0,00170857
MU
0,013222222
0,007421044
0,848390387
-0,02085509
0,047299534
B
0,02629838
0,00625952
0,082449846
-0,00244523
0,055041991
DD
0,012800357
0,006319692
0,754865815
-0,016219563
0,041820276
DU
0,014588235
0,0075049
0,78818916
-0,019874143
0,049050614
HH
0,013011964
0,006481048
0,762265138
-0,016748903
0,042772831
K
-0,024131765
0,006746066
0,178287576
-0,05510959
0,006846061
MA
-0,01551053
0,006059257
0,516860954
-0,043334539
0,012313479
MU
0,027810458
0,0066187
0,08240182
-0,002582504
0,058203419
B
0,013286416
0,006010553
0,674304741
-0,014313945
0,040886777
DD
-0,000211608
0,006073193
1
-0,028099607
0,027676392
DU
0,001576271
0,007298541
0,999999681
-0,031938506
0,035091049
FR
-0,013011964
0,006481048
0,762265138
-0,042772831
0,016748903
K
-0,037143729
0,006515718
0,012047515
-0,067063797
-0,007223661
MA
-0,028522494
0,005801703
0,032907291
-0,05516382
-0,001881168
MU
0,014798493
0,006383757
0,62566328
-0,014515614
0,0441126
B
0,050430145
0,006295409
0,000778062
0,021521731
0,079338559
DD
0,036932121
0,006355241
0,010476723
0,007748958
0,066115284
DU
0,03872
0,00753486
0,02469901
0,004120047
0,073319953
FR
0,024131765
0,006746066
0,178287576
-0,006846061
0,05510959
HH
0,037143729
0,006515718
0,012047515
0,007223661
0,067063797
MA
0,008621235
0,006096326
0,946291746
-0,019372992
0,036615461
MU
0,051942222
0,006652652
0,00097366
0,021393354
0,08249109
380
Anhang Mean Difference
Std. Error
Sig.
95% Confidence Intervall Lower Bound
Upper Bound
B
0,04180891
0,00555314
0,001332269
0,016308985
0,067308836
DD
0,028310887
0,005620879
0,028169261
0,002499905
0,054121868
DU
0,030098765
0,006926709
0,068629511
-0,00170857
0,061906101
FR
0,01551053
0,006059257
0,516860954
-0,012313479
0,043334539
HH
0,028522494
0,005801703
0,032907291
0,001881168
0,05516382
K
-0,008621235
0,006096326
0,946291746
-0,036615461
0,019372992
MU
0,043320988
0,005955079
0,001782728
0,015975364
0,070666611
Scheffé STADT
MA
MU
STADT
B
-0,001512077
0,00615873
0,999999224
-0,029792862
0,026768708
DD
-0,015010101
0,006219877
0,582479318
-0,043571673
0,013551471
DU
-0,013222222
0,007421044
0,848390387
-0,047299534
0,02085509
FR
-0,027810458
0,0066187
0,08240182
-0,058203419
0,002582504
HH
-0,014798493
0,006383757
0,62566328
-0,0441126
0,014515614
K
-0,051942222
0,006652652
0,00097366
-0,08249109
-0,021393354
MA
-0,043320988
0,005955079
0,001782728
-0,070666611
-0,015975364
Zweisilbige Anstiegskonturen (Kap. 4.2.3.2) - Univariate Varianzanalyse Faktor: Stadt Abhängige Variable: Anstieg [st] Kontrollvariable: F0-Umfang [st] des gesamten Nukleus A) Tests of Between-Subjects Effects Type III Sum of Squares
df
Mean Square
F
Sig.
Hypothesis
3903,819705
1
3903,819705
710,0508202
1,3656E-93
Error
2400,85675
436,6826424
5,497944082 4,101456239
0,006652457
3,175673201
0,001128183
0,541803086
0,853590996
Source Intercept STADT UMFANG STADT * UMFANG
Hypothesis
48,24875407
7
6,892679154
Error
31,93452409
19,00248802
1,680544361
Hypothesis
2396,764887
432
5,548066869
Error
37,95894719
21,72742581
1,747052205
Hypothesis
29,86255401
18
1,659030778
Error
18,37232923
6
3,062054872
B) Expected Mean Squares Variance Component Source
Var(UMFANG)
Var(STADT * UMFANG)
Var(Error)
Quadratic Term
Intercept
1,037160574
1,003135408
1
Intercept, STADT
STADT
0
1,058689374
1
STADT
UMFANG
1,052700016
1,00772259
1
STADT * UMFANG
0
1,075175822
1
Error
0
0
1
381
Anhang
C) Post Hoc Tests nach Scheffé Multiple Comparisons Faktor: Stadt Abhängige Variable: Anstieg [st] Signifikant verschiedene Städtepaare (p <.05) sind durch schattierte Zellen hervorgehoben. Mean Difference
Std. Error
Sig.
95% Confidence Interval Lower Bound
Upper Bound
DD
1,069626933
0,301284546
0,245480186
-0,565285526
2,704539393
DU
1,823912764
0,366657939
0,072511779
-0,165746649
3,813572177
FR
1,416099653
0,323137584
0,11982207
-0,33739773
3,169597036
HH
2,457554748
0,310285098
0,008113884
0,773801036
4,141308459
Scheffé STADT
B
DD
DU
FR
HH
K
STADT
K
2,227946311
0,324990314
0,016800544
0,46439514
3,991497482
MA
3,625733288
0,286671857
0,000636946
2,070116193
5,181350383
MU
0,559470638
0,317934469
0,845003048
-1,165792181
2,284733456
B
-1,069626933
0,301284546
0,245480186
-2,704539393
0,565285526
DU
0,754285831
0,369398441
0,743764072
-1,250244842
2,758816504
FR
0,346472719
0,32624387
0,984987586
-1,423880836
2,116826275
HH
1,387927814
0,313518749
0,115320609
-0,313373217
3,089228846
K
1,158319378
0,328079058
0,249620624
-0,621992778
2,938631533
MA
2,556106354
0,290168774
0,004649886
0,981513332
4,130699377
MU
-0,510156295
0,321091094
0,895916023
-2,252548453
1,232235862
B
-1,823912764
0,366657939
0,072511779
-3,813572177
0,165746649
DD
-0,754285831
0,369398441
0,743764072
-2,758816504
1,250244842
FR
-0,407813111
0,387428353
0,985695024
-2,510182617
1,694556395
HH
0,633641984
0,376775361
0,869423484
-1,410919346
2,678203313
K
0,404033547
0,38897498
0,986697328
-1,706728685
2,514795779
MA
1,801820524
0,357580178
0,068717786
-0,138578666
3,742219714
MU
-1,264442126
0,383099409
0,303146032
-3,343320733
0,814436481
B
-1,416099653
0,323137584
0,11982207
-3,169597036
0,33739773
DD
-0,346472719
0,32624387
0,984987586
-2,116826275
1,423880836
DU
0,407813111
0,387428353
0,985695024
-1,694556395
2,510182617
HH
1,041455095
0,334573649
0,35395017
-0,774099785
2,857009975
K
0,811846658
0,348254776
0,629590757
-1,077948488
2,701641804
MA
2,209633635
0,312799358
0,014487226
0,51223636
3,90703091
MU
-0,856629015
0,341679691
0,560547238
-2,710744641
0,997486611
B
-2,457554748
0,310285098
0,008113884
-4,141308459
-0,773801036
DD
-1,387927814
0,313518749
0,115320609
-3,089228846
0,313373217
DU
-0,633641984
0,376775361
0,869423484
-2,678203313
1,410919346
FR
-1,041455095
0,334573649
0,35395017
-2,857009975
0,774099785
K
-0,229608437
0,336363394
0,998891953
-2,054875316
1,595658443
MA
1,16817854
0,299503559
0,181646289
-0,45706944
2,79342652
MU
-1,89808411
0,329551142
0,038318924
-3,686384488
-0,109783732
B
-2,227946311
0,324990314
0,016800544
-3,991497482
-0,46439514
DD
-1,158319378
0,328079058
0,249620624
-2,938631533
0,621992778
DU
-0,404033547
0,38897498
0,986697328
-2,514795779
1,706728685
FR
-0,811846658
0,348254776
0,629590757
-2,701641804
1,077948488
HH
0,229608437
0,336363394
0,998891953
-1,595658443
2,054875316
MA
1,397786977
0,314712955
0,113892286
-0,309994382
3,105568335
MU
-1,668475673
0,343432406
0,079925623
-3,532102356
0,19515101
382
Anhang Mean Difference
Std. Error
Sig.
B
-3,625733288
0,286671857
0,000636946
-5,181350383
-2,070116193
DD
-2,556106354
0,290168774
0,004649886
-4,130699377
-0,981513332
DU
-1,801820524
0,357580178
0,068717786
-3,742219714
0,138578666
FR
-2,209633635
0,312799358
0,014487226
-3,90703091
-0,51223636
HH
-1,16817854
0,299503559
0,181646289
-2,79342652
0,45706944
K
-1,397786977
0,314712955
0,113892286
-3,105568335
0,309994382
MU
-3,06626265
0,307421317
0,002383228
-4,734476134
-1,398049166
Scheffé STADT
MA
MU
STADT
95% Confidence Interval Lower Bound
Upper Bound
B
-0,559470638
0,317934469
0,845003048
-2,284733456
1,165792181
DD
0,510156295
0,321091094
0,895916023
-1,232235862
2,252548453
DU
1,264442126
0,383099409
0,303146032
-0,814436481
3,343320733
FR
0,856629015
0,341679691
0,560547238
-0,997486611
2,710744641
HH
1,89808411
0,329551142
0,038318924
0,109783732
3,686384488
K
1,668475673
0,343432406
0,079925623
-0,19515101
3,532102356
MA
3,06626265
0,307421317
0,002383228
1,398049166
4,734476134